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HANDBOUND
AT THE
UNIVERSITY OF
TORONTO PRESS
JAHRESBERICHT
über
die Fortschritte der classischen
Altertumswissenschaft
bcf^ründet
von
Conrad Biirsian
herausgegeben
von
r^. Griu-litt luia ^W^. Ki-oll,
Hundertundsechzehnter Band.
Einunddreissigster Jahrgang 1903.
Erste Abteilung.
GRIECHISCHE KLASSIKER.
LEIPZIG 1904.
O. R. R E I S L A X D.
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Inhalts -Verzeichnis
des hundertundsechzehnten Bandes.
Seite
Bericht über die iiriechischen Philosophen vor Sokratcs
für die Jahre 1876— ]<S1)7. Von Fianz Lortzing
in Wilmersdorf l)ei Berlin 1 — 15s
Bericht über die Literatur zur griechischen Komödie aus
den Jahren 1892—1901. Von Carl v. Holzinger
in Prag 159—328
Bericht über die griechischen Philosophen vor
Sokrates für die Jahre 1876—1897.
Von
Prof. Dr. Franz Lortzing
in Wilnieradort bei Berlin.
Fortsetzung und Schlul.'. von Bd. CXll (1902 I) S. 132—322.
Pfleiderers Werk ist sehr verschieden beurteilt worden. Während
sich H. V. Arnim D. .L.-Z. 1887, 410 ff. ziemlich anerkennend aus-
spricht und in seinen Untersuchungen einen Fortschritt im Verständnis
H.s gegenüber den früheren Darstellungen erblickt, giebt Natorp
Xo. 317, 88 ff. zwar die Richtigkeit mancher Ausführungen zu, be-
mängelt aber die Neigung zu einer radikalen und doch im Grunde
nutzlosen Umordnung der heraklitischen Hauptgedanken und hält die
Ableitung aus der Mysterienidee für verfehlt. Einen entschieden ab-
lehnenden Standpunkt nimmt Diels Arch. I 105 ff. ein. Fa' bezeichnet
das Buch als völlig wertlos, spricht dem Verf. jedes sichere philologische
und historische Wissen ab und vermißt insbesondere bei ihm die für
eine so schwierige Untersuchung notwendige Kenntnis der Religions-
geschichte, speziell der Mysterienlehre. Cron Ph. Anz. 1887, 388 ff",
fällt über die Hauptsache, die Hypothese von der Mysterienidee, kein
bestimmtes Urteil. Die Besprechungen von Thilo Zschr. f. exakte
Philos. 18 (1890), 107 ff., von A. Croiset Rev. crit. 1888, 45, von P. K.
im Korresp.-Bl. f. d. württemb. Seh. 23, 509 ff", und die im L. C.-Bl,
1887, 963 f. habe ich nicht gelesen. — Was zunächst die Mysterienidee
als Quellpunkt der heraklitischen Philosophie betrifft, so kann sie nach
dem, was Diels, Natorp und besonders Zeller 741 ft\ darüber bemerkt
haben, nur als völlig mißglückt bezeichnet werden. Sie tritt bei Pf.
wie ein feststehendes Axiom auf, das gar nicht erst bewiesen zu werden
braucht. Nirgends wird versucht, sie aus der glaubwürdigen Über-
Jabresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. 1.) 1
2 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortziug )
lieferung der beraklitischen Lehre zu begrüoden. Verf. hätte mit einem
solchen Versuche auch einen schweren Stand gehabt gegenüber der
Thatsache, daß sich H. au mehreren Stellen (Fr. 124, 125, 127) gegen
die ausschweifenden Gebräuche bei den Mysterien aufs entschiedenste
erklärt. Vor allem aber hat Pf. eine Vorbedingung nicht erfüllt, ohne
die jene ganze Parallele unfruchtbar bleiben mußte. Er mußte eine
gründliche religionsgeschichtliche Untersuchung darüber anstellen, worin
denn eigentlich die H, vorschwebende „Mysterieuidee" bestehe und wie
sie mit der Orphik, dem Kathartentum und verwandten Erscheinungen
des G. Jahrhunderts zusammenhänge. Aber davon findet sich keine
Spur. Nirgends in dem ganzen Buche wird, wenn ich mich recht
erinnere, eines Lobeck oder anderer Forscher auf dem Gebiete des
Mysterienwesens Erwähnung gethan. Pf. stellt vielmehr ohne jeden
Beweis „die Lehre von der TJnzerstorbarkeit des Lebens noch im Tode*
als den innersten Kern des Mysterienglaubens hin, eine Voraussetzung,
deren Unbeweisbarkeit und Unwahrscheinlichkeit Zeller darthut. Übrigens
hat H., wie Zeller gleichfalls treffend bemerkt, gar nicht die Unzerstör-
barkeit des Lebens überhaupt, sondern nur des göttliclien, im Feuer
sich darstellenden Lebens behauptet. So zerfließt die ganze „Mysterien-
idee" bei H. in nichts bis auf einen bescheidenen Rest, die Wahrschein-
lichkeit nämlich, daß H. seine Unsterblichkeitslehre mittelbar oder un-
mittelbar den griechischen Mj^sterien entlehnt habe. Dies erkannt zu
haben ist aber nicht Pfleiderers Verdienst; andere haben es längst vor
ihm ausgesprochen. Ebenso ungründlich und unzulänglich ist die Art,
wie Verf. über den Zusammenhang H.s mit seinen philosophischen Vor-
gängern urteilt. Mit Unrecht leugnet er jede Abhängigkeit des Ephesiers
von den Früheren, insbesondere von Anaximander, dem jener in seiner
Grundlehre viel näher steht als den Mysterien; vgl. Natorp a. a. O.
Derselbe bemängelt auch mit vollem Rechte die Ordnung, in der sich
nach Pf. im Geiste H.s die Hauptgedanken seines Systems gestaltet
haben. Die Annahme, daß aus dem nebelhaften Mysteriengedanken
zuerst die Lehre von der unsichtbaren Harmonie, dann die von den
Gegensätzen und zuletzt die Flußlehre hervorgegangen sei, ist in der
That zu künstlich und der umgekehrte Gang viel natürlicher. Wenn
Natorp andererseits Pf. darin beipflichtet, daß er den optimistischen Zug
in H.s Weltanschauung hervorhebt, so liegt ja darin ohne Zweifel ein
richtiger und gesunder Gedanke; aber neu ist auch dieser Gedanke
nicht. Auch wird er, wie bereits bemerkt, durch die grundlose und
übertriebene Betonung des pessimistischen Elementes in H.s Jenseitslehre
wieder in Frage gestellt. Das richtige Verhältnis zwischen Pessimis-
mus und Optimismus bei H. hat Zeller 733, 1 kurz, aber treffend be-
zeichnet. — In der AuffV.-snng und Entwickelung der einzelnen Teil»
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 3
des Systems findet sich vieles Richtige und Beachtenswerte, aber in der
Kegel doch nur da, wo sich Pf. im wesentliclien an Zeller anlehnt,
während er in den Punkten, wo er Teichmüllers Lockungen gefolgt ist,
meistens in die Irre geht. — Eine der schwächsten Seiten des Buches
ist die philologisch -grammatische. Der Erklärung einiger weniger
Fragmeute haben wir Bd. CXII S. SlGflf. beistimmen können, gegen
die verfehlte Art dagegen, in der viele andere behandelt worden sind,
Einspruch erheben müssen. Hier mögen noch ein paar Beispiele
unkritischer und sprachwidriger Interpretation folgen. Fr. 40: ,,Es
(Pf. denkt sich willkürlich das Wasser als Subjekt hinzu) verteilt
sich (oxiöv^jai!) und drängt zusammen, es ist da (itpojeiai!) und es
ist weg (a-£iai!)." Fr. 58: „Man zahlt (!) auch die Ärzte noch hoch
genug dafür, daß (!) sie die Kranken schneiden — , einfach weil
sie durch die Schädigung ja doch Gutes thun (Pf. liest, wie übrigens
schon vor ihm Sauppe, xau-ra statt rauxa) d, h. durch Verletzen
oder Krankmachen (voaou;) heilen." Fr. 123: ,,Dort seiend treten
sie auf (sTraviaTaaöai!) und werden, erwacht (iiepxt!), Hüter der Lebenden
und Toten."
Was wir in Pfleiderers und teilweise auch in Teichmüllers Ar-
beiten vermißten, gründliches und sicheres philologisches Verständnis
und Urteil, das finden wir in glücklicher Mischung mit philosophischem
Tiefblick in Gomperz' Abhandlung. Vgl. die Besprechungen von
Diels Arch. I 99 flf., im L. C.-Bl. 1887, 315 f., von H. in der D. L.-Z.
1887, 1070 f., Natorp No. 317, 98 ff. und Cr eiset Rev. crit. 1888,
405. Der erste, größere Teil enthält eine Anzahl wertvoller Beitiäge
zur Kritik und Erklärung schwieriger Fragmente H.s, die überall, auch
da, wo sie dem Zweifel oder Widerspruche Raum lassen, Zeugnis ab-
legen von der umfassenden Gelehrsamkeit und der geistvollen Auffassung
ihres Urhebers. 1. In Fr. 15 sieht G. mit Bergk Opusc. II 22 (vgl,
Poet. lyr. Gr. II ^ 402) und unter Zustimmung von Diels (s. jetzt auch
dessen Bemerkung zu seiner Ausg. Fr. 5) und Natorp eine versteckte
Polemik gegen Archilocbos Fr. 70, der gesagt hatte: „Ihr (der Menschen)
Sinn gleicht ihren zufälligen Erfahrungen." Ihnen antwortet H. : „Nein!
Nicht einmal ihre zufällige Erfahrung ist das Maß ihrer Einsicht; denn
selbst das, worauf sie gleichsam mit der Nase gestoßen werden, wissen
«ie nicht richtig auszulegen, selbst wenn sie darüber belehrt worden
Bind." Den Anfang liest G. , zum Teil im Anschluß an Bergk:
üu <ppov£ou3i Tosaüxa <oi> (oder TOjaüx' oi) ttoXXoI oxojoic e^xopsoud'..
Soweit diese Lesung von der Bergkscheu (xoiaüxa — oxoioi;) abweicht,
enthält sie eine allzu gekünstelte Anspielung auf Archil. , die
auch den Zeitgenossen unklar bleiben mußte ; mit Recht ziehen daher
Natorp und Diels Bergks Fassung vor. 2. In Fr. 7 setzt G. das Komma,
4 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing )
nicht nacli UX-nr^at., sondern nach aveÄTriatov und erklärt, indem er zu
E^eupT^aet, wofür besser mit II. Stephauus e^supy^cje-:' (ebenso sXjr/jabe) zu
lesen sei [s. jedoch Diels] to aacpe« oder etwas Ahnliches als Objekt er-
giinzt, den Sinn so: „Wenn ihr nicht Unerwartetes erwartet, so werdet
ihr die Wahrheit nicht finden, welche schwer erspähbar und schwer zu-
^;änglich ist". Aber die Ergänzung- ist doch sehr unsicher; es empfiehlt
sich daher, mit Diels (Fr. 18) bei der herkömmlichen Interpunktion
zu bleiben, die keine so schülerhaft stammelnde Rede ergiebt, wie Gr.
meint, 'Ave^euprjxov und aTropov übersetzt Diels (vgl. auch Natorp)
richtiger mit „unerforschlich" und „unzugänglich". 3. Fr. 116 ist nach
G. mit Fr. 10 zu kombinieren: cpu^tj -/purTcjöai (piXel öcTturiy; a.-;a{}f^ • amTziy]
7ap 6iacpu77avet p-r] ~iqvwGY.ea\\m. ^Die Unglaublichkeit der Natur ist
eine gute; sie macht, daß sie der Erkenntnis entschlüpft." Das Un-
glaubliche ist also diesmal nicht ein Unglaubhaftes, sondern es handelt
sich um unwahrscheinliche Wahrheiten. Diese Erklärung will mir, weil
zu gezwungen, nicht recht einleuchten. Eine andere bietet jetzt Diels
zu Fr. 86. Die Verbindung der beiden Fragmente ist geistvoll ersonnen;
aber ob in Fr. 116 cpustc als Subjekt zu ergänzen sei, ist doch recht zweifel-
haft, da bei Plut. vit. Cor. 38, wo das Fr. offenbar in ursprünglicherer
Fassung als bei Clem. vorliegt, die Worte tcüv jjiv {kt'ojv xa TtoXXa auf einen
anderen Zusammenhang hinweisen. Die Worte bei Clem. xa xf^c -ivcuasoj;
[id^ri betrachtet G. mit By water (Academy II 26) als unheraklitisch; so
auch Zeller 632, 1 und Diels. 4. In Fr. 17 faßt G. icuuxoü ao'fir^\ als Prä-
dikat, und -oXuiJ-aOiriv /.ay.oxsyviriv als Objekt (vgl. Bergk Opusc. II 375) ;
schwerlich richtig. Den Ausdruck xaxoxeyvi'y] erläutert er aus dem von ihm
ans Licht gezogenen Bruchstück xotciöcuv apyr^•(6i (vgl. zu Bd. CXII
S. 302 f.) und bezieht ihn auf Pythagoras" Beredsamkeit. Über die
Streichung der Worte exXeCaiJLevos xauxac xa? auYTP«?«»» *lie nach G. jedes
Anhalts im Voraussehenden entbehren und als Zuthat des Laert. zu be-
trachten sind, vgl. Bd. CXII S. 189 f. In der Anm. S. 1030 ff. bezeichnet
G. die von Zeller für seine Lenguung der ägyptischen Reise des Pythag.
angeführten Gründe (s. Bd. CXII S. 189) als nicht stichhaltig. 5. Fr. 19
und 65 verbindet G. zu einem: sv xö oocpov [xouvov SKijxaa&a i 7V(u(xt)v r^
xuf'iepvaxai Travxa öta Tiavxcov. ki'iZ'7\)oLi oux iösXei xat ei^eXei Zrjvoc oüvo|xa und
erläutert den Schlußsatz, als dessen Subjekt er yvcuixyj denkt, so: „Das welt-
lenkende Prinzip, das vej'nuuttbegabte Feuer will nichtZeusgenanutwerden,
weil es kein individuell persönliches Wesen ist; es darf aber den Namen
des Zeus tragen, weil es das höchste Wesen, und zumal, weil es Quelle
des allgemeinen Lebens ist"; also einerseits Abwehr jeder anthropo-
morphen Beimengung, andererseits etymologisierende Brücke zwischen
Volksglauben und Weltweisheit. Diese Deutung, mit der auch Diels zu
Fr. 32 seiner Ausg. im wesentlichen übereinstimmt, scheint mir vor
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 5
allen sonstig^en <Ien Vorzug zu verdienen , nud auch die Zusamnieii-
f/ehörigkeit der beiden Fr. hat, wenn sie auch keineswegs sicher ist,
doch viel für sich. Weun dagegen G. in Fr. 18 die ersten Worte H.s
nur bis zu 7ivu)ax£iv oder bis zu aocpov reichen lassen will, so hat er
damit ebensowenig das Rechte getroffen wie Berna3'S mit seiner Athetese
des ganzen Fr. (s. Bd. CXII S. 300). Daß grade in den sestrichenen Worteti
aocpov ETTi zavTcuv y.£-/(upi3u.Evov eine der grundlegenden Lehren H.s ent-
halten ist, hat Diels zu seinem Fr. 108 bemerkt. Vgl. Zeller 629, 1.
Ck Die Erklärung von Fr. 20: „Diese eine Ordnung aller Dinge
(^ Welt) ward nicht geschaffen von einem der Götter, so wenig als
von einem ]\[enschen (vgl. Gomperz Apol. d. Heilk. 136 f.), sondern sie
war von Ewigkeit her, sie ist und wird sein — ewig lebendes Feuer
u. s. w." giebt in ihrem ersten Teile den Gedanken ähnlich wie Zeller
645, 1 wieder; nur dal.1 man zweifeln kann, ob 7.-avTa>v mit G. als
Neutrum oder mit Zeller (und jetzt auch Diels Fr. 30) als Masculinum (für
alle Wesen, Götter sowohl als Menschen) zu fassen sei. Wenn G. jedoch
im zweiten Satze nach sjtai interpungiert und in den Worten ^v, eati,
tj-oLi den „expliciten Ausdruck der Ewigkeit" sieht, so setzt er
auch hier, wie wir dies bereits in seiner Erklärung anderer Fragmente
gesehen haben, an die Stelle der einfachsten und natürlichen Deutung
eine allzu künstliche und pointierte. — G. knüpft hieran die sehr un-
sichere Vermutung, daß bei Proklos ad. Plat. remp. 74, 11 Scholl ein
lückenhaft überlieferter heraklitischer Brocken: o-josv -/ap avapyov l\ t(u
xoajjLtp TÜiv rr'ivTwv vorliege. 7. In Fr. 44 schließt G. aus dem bei
Hippolytos überlieferten Zusatz: -/.al to'jc ftsoui sosi^e xtX., daß H. vom
Kriege als vom Vater aller Dinge nicht nur im bildlichen, sondern auch
im eigentlichen Sinne gesprochen hat. Das Spiel gegenseitig sich be-
rührender Kräfte und Eigenschaften, das im Reiche der Natur als ein
Gesetz waltet, wird von H. auf das Gebiet des Menschenlebens, der
Götterwelt und der Gesellschaftsordnung übertragen, zunächst im Siniie
des wirklichen Krieges (Gegensatz der Freien und Sklaven d. i. der
Kriegsgefangenen), dann aber auch im höheren Sinne als schöpferisches,
ordnendes und erhaltendes Prinzip, das auch das Verhältnis zwischen
Göttern und Menschen beherrscht. H. glaubte an das Dasein von Göttern
und Heroen, vielleicht auch von Dämonen (vgl. besonders Fr. 126), er
nahm eine auf- und absteigende Bewegung an, vermöge deren Menschen-
seelen zu Göttern erhoben werden, Götter in das Erdenleben herab-
sinken. Diesen Glauben an göttliche Wesen, die die KJiuft zwischen
dem einen Urwesen und den Menschen auszufüllen bestimmt sind, teilte
H. mit Anaximenes, Xenophanes (nach Freudenthal, an den sich G.
hier völlig anschließt), Empedokles. Es giebt nach H. eine Stufenleiter
von Wesen, verschieden an Rang, Wert und Tüchtigkeit. Das Ziel
6 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
dieser ganzen Gedankenreihe ist die Einsicht, daß der Widerstreit eine
Grundbedingung aller Erhaltung, Steigerimg und fortschreitenden Ver-
vollkommnung menschlicher Kraft ist. Daraus fließt unmittelbar die
Erkenntnis der Berechtigung des Übels. Der Absolutismus des Guten
läuft dem Geiste heraklitischer Weisheit schnurstracks zuwider [scharfer
Gegensatz zu Pfleiderer!]. Ein direktes Zeugnis für diese Auffassung
erblickt G. in einem von Thedinga de Numenio philos. piaton.
Bonn 1875 und vorher schon von M. Heinze Lehre vom Logos 15, 6
richtig ausgelegten Fr. des Chalcidius im Tim. § 295: H. werde von
Numenios gelobt, weil er den Homer getadelt habe, „qui optaverit
interitum ac vastitatem raalis vitae". Dieser Tadel bezieht sich nach
Thedinga auf Od. v 45 f. und war wahrscheinlich eng verbunden, aber
darum nicht identisch mit dem andern (Er. 43), gegen II. 2 107 her-
richteten. Daß H. sich der Rolle bewußt gewesen ist, die der Krieg
als Rechtsbildner, Staatengründer und Gesittungsverbreiter in der Ge-
schichte gespielt hat, ergiebt sich auch aus Er. 62, wo $ov6v auf eine
die menschliche und staatliche Gemeinschaft schaffende Kraft hin-
weist (epiv nach oixtjv will G. nicht mit Diels Jenaer L.-Z. 1877, 394
gestrichen wissen; am Schluß des Fr. vermutet er zweifelnd für das
verderbte ypetuixsva: lppcü(i,£va und verwirft das von Diels a. a. 0. [und
ebenso von Wilamowitz Her. II 68] vorgeschlagene ypswv. Hierher
gehört auch Fr. 91, dessen erster Satz ^uvov lati wäoi xo cppoveeiv von
den folgenden Worten als besonderes Bruchstück zu trennen ist [so
jetzt auch Diels Fr. 113 und 114]. Diese Worte verlieren so das
erkenntnistheoretische Gepräge, das man ihnen hat geben wollen, und
beziehen sich auf die in Natur- und Menschenleben waltende Ordnung. —
Diese tief in das Wesen der heraklitischen Gedankenwelt eindringende
Erörterung gehört zu den Glanzpunkten der Abh. Die von Zeller 656 f.
dagegen erhobenen Einwendungen scheinen mir nicht sehr belangreich
zu sein. Nur darin ist ihm beizustimmen, daß sich die Stelle bei
Chalcidius schwerlich auf v 45 beziehen kann, da hier Odysseus nur
den Phäaken wünscht, daß sie von Übeln verschont bleiben mögen,
nicht aber von den Übeln des Lebens im allgemeinen spricht. Aber
wenn damit auch dieses Zeugnis für die Notwendigkeit des Übels aus-
scheidet, so wird doch die Auffassung H.s von der Berechtigung des
Bösen in der Welt, durch andere Fragmente, besonders durch die Gleich-
setzung von oi'xY) und l'pi? in Fr. 62, von a-^abo^ und xaxov Fr. 57 und durch
Fr. 60, wenn man hier, wie ich es für wahrscheinlich halte, Taüxa
auf die Ungerechtigkeiten zu beziehen hat, hinreichend bewiesen.
8. Fr. 72 ist zu tilgen; Numenios, bei dem es sich findet, hat dabei
nur Er. 68, wo uYpT^ai dem uocup vorzuziehen ist [s. jedoch Zeller 648, 1],
im Sinne gehabt. Die von G. hierfür angeführten Gründe werden
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzinp.) 7
von Zeller 711 als nicht überzeugend zurückgewiesen. 9. Fr. 104 sind
die Worte rfih xal «J-j-aDov als ein Glossem zu betrachten, durch das
vermutlich ein Wort „lieb, wert, begehrt" verdrängt worden ist; also
etwa: vouao; uysiVjv <7:oi)eivTiv > iTzoir^it. Die Verderbnis ist jetzt auf
einfachere Weise durch die in einer Randbenierknnp: zu einem Exemplar
von Bywaters Heraklit (s. Natorp „Die Ethika des Demokrit" S. 91, 5)
enthaltene Konjektur von E. Heitz: f^ou, xaxov «YaOov geheilt worden,
die Dicls Fr. 111 in den Text gesetzt hat.
Der zweite Teil der Abh. enthält eine kurze Darlegung der
„inneren Verkettung von H.s Grundlehreu". Diese sind: 1. Die
Lehre vom Fluß der Dinge, eine wunderbare Anticipation moderner
Naturerkeuntnis; sie beruht auf einem aus der Erfahrung, besonders aus
den Vorgängen des organischen Stoffwechsels gezogenen Analogieschluß,
wobei H. durch falsche Analogie zu dem Irrtum geführt wurde, das
AVeltgauze als lebendig zu betrachten, einem Irrtum, der aber gerade
jeuer großen Verallgemeinerung Flügel und Schwungkraft verlieh.
2. DasUrfeuer. Der brennende, „allverbreitete" Äther des Hiramels-
ranmes. das lodernde, verzehrende Feuer, das sich auch in der Lebens-
wärme organischer Wesen wirksam zeigte, schien H. dem Flusse der
Dinge besser zu entsprechen als Anaximauders färb- und formloses
ä-eipov und Anaximen6s' Luft, die bisweilen den Schein der Ruhe oder
der nur leisen Bewegung verrät. 3. Das Weltgesetz als das einzige
Beharren im Strome des Geschehens. In ihm faßte H. die sein ganzes
Zeitalter (Anaximander, Anaximenes, Xenophanes, Pythagoras) be-
wegenden Tendenzen zusammen. Hier off"enbart sich am glänzendsten
sein „Sinn für Identität", d. 1. die geniale Fähigkeit, das Gleichartigste
unter den fremdartigsten Umhüllungen herauszuerkennen. 4. und 5. Re-
lativität der Eigenschaften und Koexistenz der Gegensätze,
beide eng zusammenhängend. Der unablässige Stoffwechsel erzeugt un-
ablässigen Qualitätswechsel. Indem die Erkenntnis des Qualitätswechsels
im Nacheinander den Blick auch auf sein Widerspiel im Nebeneinander
lenkt, ergiebt sich die Relativität der Eigenschaften und dann in weiterer
Folgerung die Koexistenz der Gegensätze in der Einheit desselben
Gegenstandes. Auch hier führte die Neuheit der Entdeckung das un-
geübte Denken zu Übertreibungen. H. schwelgt förmlich in Sätzen, die
allen Menschenverstand aaf den Kopf stellen. Aber diese Paradoxiea
waren mehr nutz- als schadenbringend. — Wie in seiner Lehre, so
zeigt H. auch in seiner geschichtlichen Wirkung auf die Fol;?ezeit ein
Doppelantlitz. Er wurde Urquell religiös-konservativer (Stoiker, Hegel)
■wie auch skeptisch-revolutionärer Richtungen (Skeptiker, Junghegelianer,
Proudhon). — Diese fein- und scharfsinnige Auseinanderlegung der ver-
schiedenen Bestandteile des heraklitischen Systems, die im wesentlichen
8 Bericht über die griecliisohen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
auch in die , Griechischen Denker" desselben Verfassers (s. Bericht I 262)
übergegang-en ist, ist sicher besser begründet als die vielfach unsicheren
und willkürlichen Konstruktionen Teiclnnüllers und Pfleiderers. Sie hat
vor diesen auch den Vorzug, dali sie nicht den Anspruch erhebt, die
wirkliche Entstehung der einzelnen Lehren im Geiste des Philosophen
wiederzugeben. Ob die Lehre von der Relativität der Eigenschaften
in Wahrheit schon dem Ephesier beigelegt werden darf, muß aller-
dings zweifelhaft erscheinen. Zeller 662 f. bestreitet es; H. sei bei dem
allgemeinen Gedanken stehen geblieben, daß alles entgegengesetzte Eigen-
schaften an sich habe; die Frage, unter welchen Bedingungen und in
welchem Sinn das Zusammensein des Entgegengesetzten möglich sei,
habe er noch nicht aufgeworfen und sie daher auch nicht mit der
Unterscheidung dessen beantworten können, was einem Dinge an sich
selbst und was ihm nur im Verhältnis zu andern zukomme. Der Gegen-
satz, der hier zwischen beiden Forschern auf den ersten Blick obzuwalten
scheint, verliert jedoch bei näherem Zusehen viel von seiner Schärfe
und schrumpft fast zu einem bloßen Wortstreit zusammen. G. sagt
nirgends und ist auch schwerlich der Meinung, daß H. die ßelativitäts-
lehre ausdrücklich und mit Bewußtsein formuliert habe. Daß sie aber
der Sache nach seiner Gegensatzlehre zu gründe liegt und bald nacliher
als eine bewußt oder unbewußt aus ihr gezogene Konsequenz in der
Wahrnehmungs- und Erkenntnislehre der Atomiker und der Sophisten
deutlich hervortritt, wird auch Zeller nicht leugnen. Vgl. seine Aus-
führungen S. 1 100 über den Relativismus des Protagoras. — Schließlich
sei auf die treffenden Ausführungen (S. 1022) über H.s Stil (G. rechnet
ihn zu den großen, aber nicht zu den größten Schriftstellern, dazu sei
er zu manieriert) sowie auf die sehr beachtenswerte Beurteilung der
heraklitisierenden Tendenzen Änesidems (S. 1048 f.) hingewiesen.
Die Abhandlung von Cron bedeutet keinen sonderlichen Gewinn
für die Heraklitforschung. Der Verf. bekämpft mehrfach die Auffassung
einzelner Fragmente bei Pfleiderer und bei Patin, bisweilen zutreffend,
wie z. B. in der Verteidigung des überlieferten oc;(XüjvTai Fr. 38 gegen
Pfleiderers ojioüvtai (s. Bd. CXII S. 321 f.), oft aber in recht unbestimmter
und unklarer Weise. Die eigenen Ansichten, die er aufstellt, sind fast
durchweg verfehlt oder mangelhaft begründet. So will er H.s System nicht
mit Pfleiderer als Panzoismus, sondern als „Kosmologie" bezeichnet wissen,
ohne zu bedenken, daß damit doch nur die Richtung der vorsokratischen
Philosophie im allgemeinen, nicht aber die besondere Art H.s angegeben
wird. Mit Recht verhält er sich gegen Pfleiderers Ableitung des He-
laklitismus ans dem Mysterienglauben ablehnend; wenn er aber selbst
in dem grundsätzlichen Gegensatz gegen Xenophanes den Ausgangspunkt
des Systems sieht und Anspielungen auf den Kolophonier in einer
Bericht über die griecbiscben Pbilosoplien vor Sokrates. (Lortzing.) 1<
gröiJereii Zahl von Bruchstücken wittert, in denen eine unbefan},'ene
Interpretation (lerg:leichen nicht zu entdecken vermag:, so ist dieses
Verfahren um kein Haar breit besser als Pfleiderers Jagd auf die
ilysterienidee. InFr. 16 wird jaXen. neben anderen wegen seiner noXuixaf^-'r,
getadelt; aber Crons Meinung, die Feindscliaft gegen ihn sei auf den
Oeeensaiz des seL'haften Aristokraten zu dem unsteten Wanderer und
des Prosaikers zu dem Versemacher zurückzutühren, ist doch höchst
willkürlich und wird nicht glaubhafter durch die Berufung auf Fr. 111,
wo C. unter den o^itot (er behält das von Bywater gestrichene ÖT^ixaiv
vor aoiooij'. bei; so auch Diels und Zeller 632, 6) die verschiedenen Ge-
meinden, bei denen Xen. herumreiste, verstehen will. Daß sich H. mir
seiner Bewegungslehre (Fr. 41 und 81) und mit seiner beständigen Ver-
wandlung des Einen in Vieles und des Vielen in Eines gegen Xenophanes'
, einen und unbew'eglich ruhenden Gott" gewandt habe, wie auch
Sclnister und Teichmüller annehmen, ist möglich, wenn auch nicht
sicher (s. Zeller 736, 1). Aber auf der andern Seite schließt er sich
wieder mit seinem Einen, allein "Weisen, das von allem unterschieden
ist, an Xen. an. C. freilich bringt es fertig. Fr. 65, indem er das
in den älteren Ausgaben des Clemens stehende, von allen Neueren
verworfene Komma vor xal o-jx ef^eXsi wieder einsetzt und mit
Prieiderer s'v als Prädikat faßt, so zu übersetzen: „Eins will das
weise Wesen allein nicht genannt werden, es will auch den Naraefu
Lebensquell (Zifjvrjc!)" nnd so in den ersten Teil eine Polemik gegen
Xenophanes' iv slvai tov flsov (A)istot.) hineinzulegen. Aber diese Er-
klärung des Fr. ist inhaltlich und sprachlich unmöglich; schon die
S^tellung von xa-', die C. vergeblich verteidigt, verbietet eine solche
Deutung (vgl. Zeller 670, 3). Ebenso sprachwidrig wird in Fr. 1 Iv
TiavTa eivai SO gedeutet: „Das Eine (ev also Subjekt!) ist (= wird) alles."
Mullach, auf den sich C. hierbei beruft, giebt zwar dieselbe verfehlte
Erklärung, mutet uns aber doch wenigstens nicht zu, slvat im Sinne
von 7ivs(jftat zu fassen, sondern setzt letztere Form einfach in den Text.
Auffällig ist, daß C. bei der Besprechung von Fr. 79 Teichraüllers
Deutung, an die sich doch Pfleiderer lediglich anschließt, gar nicht er-
wähnt, wie er denn überhaupt Teichmüller nirgends nennt oder auch
nur stillschweigend berücksichtigt; ebensowenig Gomperz. Sollte er die
Arbeiten dieser beiden nicht gekannt haben? Das wäre doch ein starkes
Stück. Vgl, die Besprechung von Diels Archiv II 659.
Patin mustert in No. 320 zunächst die Fragmente in bezug auf
ihre Echtheit und die Zuverlässigkeit der Überlieferung des Textes.
Er geht von dem Grundsatze aus, daß die Echtheit jeder Stelle an sich
zweifelhaft ist, ganz wenige ausgenommen, die aus durchaus sicherei'
Quelle geflossen sind, wie die aus Aristot. und in gewissem Sinne aucli
10 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
die aus Hippolyt. stammenden, oder durch mehrere von einander un-
beeinflußte Zeugen verbürgt werden. Er stellt dann als Merkmale der
Sprache Hs., die für die Bestimmung der Echtheit in den meisten
Fällen ausschlaggebend sind, folgende auf: 1. eine eigentümliche Präg-
nanz des Ausdrucks; 2. eine fast unglaubliche Fülle von Spielen mit
ähnlichen oder einander verwandten Wörtern, mit ihren Bestandteilen
und den scheinbar in ihnen versteckten Bedeutungen. So beweist das
Wortspiel airtaToi oux ej:t(jTcx'|xevot Fr. 6, daß amaxoi mit Unrecht von
den Erklärern dem Clemens überlassen worden ist, und das prägnant
gebrauchte p-aptupec entscheidet für die Echtheit von Fr. 15. Ver«
fäjschungen von Fragmenten konnten aber durch die Absicht entstehen,
in der ein Autor ein Citat schrieb, durch die Meinung, die er von
seinem Inlialt äußert, durch die Deutung, die er ihm giebt. So führt
Hippolyt. die Worte evOa öeovxt xtÄ. (Fr. 123) an, als enthielten sie
die eigene Lehre Hs. und nicht vielmehr die von H. kritisierte Über-
zeugoDg anderer. Schon die oblique Form beweist hier, daß ein re-
gierendes Verbum in der 3. Person unterschlagen ist. Noch deutlicher
spricht der Inhalt des Fr.: H. leugnet P'r. 21 ausdrücklich das
Eingreifen von Dämonen in die Geschicke der Lebenden, und für
die vexpot, die doch wohl gleich den vexusc Fr. 85 sind, wird er schwerlich
solche Wächter bestellt haben. Nach den Erläuterungen Hippolyts
muß in Fr. 123 der f^eoc erwähnt gewesen sein. Es ist daher im An-
fang zu lesen: evf)a Oeov xtva eTravtJTaaöai und davor ein regierendes
Verbum, etwa ooxsoujt, zu ergänzen. H. kämpft somit hier gegen die
Hoffnungen der Mysten wie in Fr. 122 (vgl. 101). [Eine iu mancher
Hinsicht angreifbare Beweisführung. Die indirekte E,ede läßt nicht
mit Sicherheit erkennen, daß H. nicht im eigenen Namen spricht. In
Fr. 121 kann ich keine Leugnung der Existenz von Dämonen finden,
und die vexpoi in Fr. 123 im Sinne von Leichnamen zu fassen, scheint
mir widersinnig. Fr. 122 läßt sich ebensogut, ja mit größerer Wahr-
scheinlichkeit im Sinne eschatologischer Mysterienweisheit deuten. Fr. 101
kann überhaupt nicht anders als von einem Fortleben der einzelnen Seelen
verstanden werden, und da es in direkter Rede überliefert ist, kann
man hier nicht füglich an die Zurückweisung einer gegnerischen Ansicht
denken. Der Fall ist typisch für das kritische Verfahren Patins, wie
es uns auch sonst noch häufig in seinen Abhandlungen entgegentritt.
P. ist der Überzeugung, daß H. an ein individuelles Fortleben nicht
habe glauben können, und darum müssen alle Äußerungen, die eine
solche Auffassung zu enthalten scheinen, beseitigt oder umgedeutet
werden. Über Fr. 123 vgl. jetzt Diels' Ausg. Fr, 63.] Viel häufiger
als eine beabsichtigte ist eine unfreiwillige Täuschung der Citiei-enden,
die um so leichter möglich war, als manche Schriftsteller ihre Citate
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) H
gar nicht der Schrift H.s selbst entnahmen. Aus diesem Zustande der
1 berlieferung sind bei christlichen wie bei heidnischen Autoreu Irrtümer
und Mißverständnisse erwachsen, die sich durch die Jahrtausende bis
auf den heutigen Tag erhalten haben. So ist Fr. 37 von allen Er-
klärern falsch aufgefaßt worden, weil sie sich durch Aristot. haben
verleiten lassen, den Worten eine physiologische Bedeutung zu geben;
in Wahrheit enthalten sie einen harten Spott gegen die Überzeugung
der Menschen von der Vielheit des Lebens und von der Untrüglichkeit
der Sinne (vgl. Fr. 4), die nur die einzelnen Dinge unterscheiden, das
C'jvüv aber nicht erkennen. H. schalt die Menschen, daß sie den Augen
mehr glaubten als dem Verstände, und fuhr dann fort: «Und käme es
ja einmal so weit, daß die Augen versagten, wenn nämlich alles Rauch
würde, so würden sie noch in der gleichartigen Masse des Rauches
mit den Nasen unterscheiden." Der Nachdruck ruht also auf oia^voTev.
Wie die Neueren, so ist auch schon Plutarch durch den Zusammenhang
des Fr. bei Aristot. getäuscht worden und schreibt daher H. die Lehre
von den „riechenden Seelen im Hades" zu. Fr. 38 ist demnach zu
streichen. [Ein zweites bezeichnendes Beispiel Patinscher Interpretatious-
kunst und Kritik. Fr. 37 wird in Widerspruch zu Aristot., unserm
zuverlässigsten Zeugen, seiner physiologischen Bedeutung entkleidet und
zugleich ein ganz unerweisbarer neuer Zusammenhang ersonnen, der auf
der aus Fr. 4 durchaus nicht zu erschließenden Voraussetzung beruht,
daß H. jedes Zeugnis der Augen ebenso wie das der übrigen Sinne
verdächtigt habe (vgl. dagegen Fr. 13). Und auf Grund dieser will-
kürlichen Deutung wird dann leichten Herzens Fr. 38 gestrichen, um
so ,wieder ein Zeugnis für die Fortdauer der Seelen nach dem Tode
in der Versenkung verschwinden zu lassen.] Mit Unrecht hat dagegen
By water das von Laert. 9, 7 und im Flor. Monac. überlieferte Fr. 132:
Ti^v TS oir](si\ tepav •^o^jo'j eXs^e xai tyjv opastv (j^suSsailai für unecht erklärt,
wahrscheinlich weil in dem genannten Florilegium Epikurs Name
vorhergeht, ohne zu bedenken, daß in unmittelbarster Nähe (No. 199
bei Meineke Stob. Flor, IV S. 283) H.s Name an der Spitze eines
ebenfalls die oi'rjou betreffenden Satzes steht und daß nur H. die oi'Y)<ji<,
ein sich aus etymologischen Gründen (olo?!) empfehlendes Synonymen der
löi'a 'fpovTjau, als eine heilige d. h. gottverhängte Krankheit bezeichnet
haben kann; denn nach seiner Lehre erzeugt das Einzelwesen die falsche
Vorstellung des Todes. [Ob die Sentenz wirklich dem H. gehört, ist
doch sehr zweifelhaft (die Schlußworte ty-jv opajiv «j^euSeaöai sind sicher
nicht heraklitisch); die Lemmata haben sich in den Apophthegmen-
sammlungen — aus einer solchen hat Laert. geschöpft — oft genug
verschoben und verwirrt. Auf No. 199 des Flor. Mon. durfte sich P.
jedenfalls nicht berufen; die stoische Terminologie (■npoY.or.-q und ^7x010^)
12 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
weist auf späteren Ursprnng-, und bei Laert. 4, 50 und in etwas ver-
änderter Form bei Stob. Flor. 4, 87 wird der Ausspruch denn auch
dem Bion beigelegt, Ist überhaupt das Wort oiVjai; dem H. zuzutrauen?
Bei den Stoikern war es ein beliebter Ausdruck; vgl. Zenon b. Laert.
7, 23. Übrigens gehört Fr. 132, auch wenn es echt sein sollte, als
Apophthegma gar nicht unter die Fragmente.] Von Späteren wird H.
oft gerade das Gegenteil dessen zugeschrieben, \vas seine Lehre war.
So steht Fr. 49: ypr, e6 jxaXa 7:oX).(7)v Tjtopa; cptXojo'^ouc 7vopac £iv7.'. im
Widerspruch mit dem Verdammuugsurteil II. s über die Vielwisserei des
Pythagoras, und da überdies der Ausdruck 'fiXojo'fou; verdächtig ist,
so ist das Fr. zu streichen. [Was P. hierbei über die Beschaffenheit
von Fr. 17 ausführt, ist, wie er selbst am Schlüsse von No. 324 zu-
gesteht, durch eine inzwischen erschienene Abb. von Diels (s. Bd. CXII
8. 190) hinfällig geworden. Ein gewisser Widerspruch zwischen Fr. 49
und 17 läßt sich allerdings nicht bestreiten, und auch wenn mau mit Diels
Fr, 17 für unecht hält, was nicht sehr wahrscheinlich ist (s. Bd. CXII
S. 189 f.), so ist doch das unzweifelhaft echte Fr. 16, in dem die -oXuixa«}ir,
getadelt wird, kaum mit dem Inhalt von Fr. 49, in Einklang zu bringen.
Dieses Fr. ist daher in der That verdächtig. Wenn Diels (zu Fr. 31)
in dem Umstände, daß auch von Porphyrios d. abst. II 49 und zwar
offenbar unabhängig von Clemens in der Form 'iVtwp 7ap TroXXöiv o
ovTu)? ©iXosocpo? angeführt wird, eine Bestätigung für die Echtheit des
Fr. und insbesondere auch des Ausdrucks 91X63070; sieht, so scheint
mir im Gegenteil die Fassung bei Porph,, der H. nicht nennt, auf neu-
pythagoreischen Ursprung hinzuweisen, (PtXo^o^oc wenigstens dürfte
kaum heraklitisch sein, und ich möchte, daher, wenn das Bruchstück
durchaus für H. gerettet werden soll, mit Wilamowitz Phil.
Unters. I 225 nur die Worte su |xaXa ttoaXöSv Tsxopa? als authentisch
gelten lassen, die in dem uns unbekannten Zusammenhange, in dem sie bei
H. standen, keinen Widerspruch gegen dessen sonstiges Urteil über die
Vielwisserei zu enthalten brauchten]. Am einfachsten ist die Heilung
von Fragmenten, deren ursprünglicher Sinn in sein Gegenteil verkehrt
worden ist, da, wo zur Wiederherstellung dieses Sinnes nur die Negation
wiedereingesetzt zu werden braucht. So ist schon längst Fr. 84 auf
diese Weise geheilt worden. Auf demselben Wege ist Fr. 31 zu
verbessern, das in der überlieferten Form eine dem H. nicht zuzu-
trauende Trivialität enthält, H. hat geschrieben: s'j'fpovr) <oux> av
fjv: „Ohne Sonne keine Nacht." Denn aus den Dünsten der verlöschenden
Sonne entwickeln sich nach H. die feuchten, schwarzen Nebel der Nacht.
[Aber der an zwei Stellen, bei Plut, d. fort, und bei Clera., vor sucppov/]
überlieferte, wahrscheinlich auch von Theophrast gelesene (s, die Er-
läuterung in der auf diesen zurückgehenden Doxographie bei Laert. 9, 10)
Beliebt über die griechischen Philosopbeu vor Sokrates. (Lortzing.) 13
und daher mit Recht von Diels (Fr. 99) in den Text aufgenommenen
Zusatz svsxa Tüiv aXXtov acjTptuv spricht gegen die Einfügung der
Negation.) Über die Wesensgleichheit von Tag und Nacht vgl. Fr. 36,
das freilich niclit konstruktiver, sondern polemischer Art und gegen die
Vielgötterei gerichtet ist. [P. denkt 6 Ueo; als Subjekt auch zu oujxiJLqT)
und will daher zwischen diesem Worte und r^ucufj-ast kein neues Subjekt
eiganzt wissen. In der 2. Hälfte der ,,heraklit. Beispiele" 8. 81, 38
und in der Abh. No. 324 gesteht er jedoch zu, daß Davidson mit seiner
Konjektur oxw; rüp statt ^rep (besser Diels oxtuguep <iTup>; s. Bd. CXII
S. 305) das Richtige getroffen habe. Dies ändere aber niclits an der
Thatsache, dal.', in dem Fr. der Irrtum der Vielgötterei bekämpft werde.
Die verschiedenen Benennungen des Feuers seien demnach ein Bild
für die verschiedenen Götternamen, die auch nach Willkür im Gebrauche
sind. Die ,,Eiuheitslehre" S. 33 gegebene Sammlung gleichgesetzter
Götternamen (Zeus-Hades-Dionysos, Zeus- Ares, Apollon-Dionysos) sei
zu vermehren durch Ai'xtjv "'Epiv Fr. 62. Diese Hineintragung von Götter-
namen in die beiden Fragmente beruht auf unsicherer Vermutung.
Trefflich dagegen hat P. an der zweiten der angeführten Stelleu den
wahren Zusammenhang von Fr. 36 durch Streichung des Kolons vor
Z^iO\idlt-ai hergestellt (s. Diels Fr. 67)]. Um Tag und Nacht des Charakters
entgegengesetzter Wesenheiten zu entkleiden und sie in einen stetigen
Prozeß zu verwandeln, mußte die tagbringende Sonne selbst in jenen Pro-
zess hineingezogen werden ; die Sonnenbahn muß sich zu gleichen Teilen
auf die zwei Seiten jenes Prozesses verteilen und ihr Gegenstück in der
Nacht haben. Wirklich werden so die Grenzen von Tag und Nacht in
Fr. 30 verwischt. Dieses Fr. erklärt P. abweichend von allen bisherigen
Doutungsversuchen so, daß er zwei sich ähnliche Bogenlinien des Tages
und der Nacht annimmt, die in Wahrheit nur eine sind: der Halbkreislinie
des Tages entspricht die „rückläufig gewandelte" der Nacht, und beide
decken sich; demnach giebt es auch nicht zwei Grenzpunkte, sondern
nur einen gemeinsamen (apxto; = oupoi ai&pioo Aioc; oupo; entweder
„Berg* oder „Grenze'* oder „Wächter des Zeus" [?]); der Höhepunkt
des Tages und der Nacht ist derselbe (vgl. d. diaet. I 5). Dadurch
wird die vulgäre Trennung von Tag und Nacht als handgreiflicher
Irrtum hingestellt. [Diese Deutung, auf die P. „Her. Beisp." 2. H.
S. 89, 101 noch einmal zurückkommt, ist sprachlich unstatthaft: die Worte
xat dvTt'ov TT,; apxTou oupoc xtX. widersprechen ihr.] In diesem Sinne
ist auch der Tadel Hesiods in Fr. 35 aufzufassen, wo die Worte eau
7äp ev nicht mehr zum Citat, sondern zu den folgenden Worten bei
Hippolyt. xal a-j'abov xat xaxov gehören (?); dagegen ist wahrscheinlich
eine Bemerkung im Sinne Senecas (Fr. 120: unus dies par omni est),
etwa: „ist doch ein Tag wie der andere", ausgefallen. [Aber es handelt
14 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
sich ja in Fr. 35 tun die falsche Unterscheidung von Tag- und Nacht»
nicht um die der einzelnen Tage.] Auch Fr. 118 glaubt P. durch Ein-
schiebniig der Negation heilen zu können; er verbessert <ou> -(auiuy.ti
«puXaaaEiv (doch mit Vorbehalt; vielleicht sei auch -(ivwaxeiv 9pudcTTei oder
besser (ppuaTTsxat zu lesen): „Der Wähnenden erster (eigentlich Best-
gewähuter) versteht nicht zu wachen, und so wird ihn freilicli auch die
Gerechtigkeit überraschend ergreifen (xaTaXT^ij^sTai prägnant wie Fr. 26)."
Vgl. „Her. Beisp." 2. H. S. 77, 29. [Die Lesunj.^ wie die Erklärung
sind falsch, da das Objekt des zweiten Satzes: <j;eu8uiv xexTovaf xal [i-ap-
T'jpa;, das P. in der Übersetzung nicht übergehen durfte, mit dem »pu-
Xoftjjetv des ersten Satzes nicht im Einklang steht und dieses (puXdcjastv
absolut gebraucht unverständlich bleibt. Dadurch, daß P. vermutet, dem
Fr. 118 sei Fr. 123 vorangegangen, wird zwar ein Objekt für (puXdsaetv
gewonneu, aber ein besserer Zusammenhang zwischen den beiden Teilen
von Fr. 118 nicht hergestellt.] In manchen Fragmenten sind auch die
ersten Worte H.s mit der Paraphrase des Erklärers zusammengeflossen.
So genügt es in Fr. 62 nicht, mit Diels (Jen. L.-Z. 1877; eptv nach
öuTjv zu streichen; auch die folgenden Worte: xal 7ivo|xeva Ttavxa xax'
epiv xal ypewfxeva (P. vermutet, daß in der Vorlage des Origenes
X«>pT)jo[i.£va [?] gestanden habe) müssen, obwohl sie der Lehre H.s ent-
sprechen, gestrichen werden, weil sie die Konstruktion des Satzes zer-
stören und inhaltlich mit dem ersten Satze nichts zu thun haben [beide
Gründe treffen nicht zu].
Im zweiten Teile der Abh. sucht P. aus den vorhandenen Frag-
menten die Anfänge des heraklitischen Buches, die nach seiner Über-
zeugung die Fundamentallehre des Ephesiers enthalten haben müssen,
nach ihrer ursprünglichen Anordnung zu ermitteln. Wir können diesem
geistvollen und scharfsinnigen Rekonstruktionsversuche hier nicht im
einzelnen nachgehen. P. stellt mit Bywater Fr. 1 an die Spitze (eiSevo^i,
niclit eivat die richtige Lesart), fügt daran aus Fr. 19, das er für eine
Umschreibung von Fr. 1 hält, die Worte: o xe xußepv^jai (so liest er
statt -Q xußspvaxat bei Bywater; s. jedoch jetzt Diels zu Fr. 41 über die
handschriftliche Überlieferung) Tiavxa oio. iiavxwv, läßt dann folgen: Fr. 2,
Fr. 93 (unter Beibehaltung von Xo-^o)), mit dem die Fortsetzung bei
Marc. Ant. (s. Bywater zu Fr. 5): xal (ot;) xai>' rjiJLepav (i-jv.opiouoi,
xaüxa auxois ^eva <paivexai; das Eingeklammerte Paraphrase) ohne Inter-
punktion verbunden wird (vgl. Diels Fr. 72), Fr. 3, Fr. 111 bis ifOL^oi
(die zweite Hälfte, die, als Fortsetzung der ersten gedacht, dieser wider-
sprechen würde, trennt P, von ihr als ein besonderes Fragment; ebenso
Diels). Hinter d^aöoi nimmt er dann eine Lücke an und schließt die
Reihe mit Fr. 91, dem er die von Bywater ausgelassenen, von Diels
(Fr. 2) jetzt wieder aufgenommenen Worte öto oei iireabai xw ^uvuj an-
Beliebt über die griecLischea Philosophen vor Sokrates. (LortziQg.) 15
schließt, und Fr. 92. — Aus dieser Fragrmentenreihe gewinnen wii-,
wie P. ausführt, zwei grundlegende Lehrsätze des Systems: den voiu
allwissenden Einen und den von der Allgemeinsamkeit der Vernunft.
Die Allvernunft uud mit ihr die Allgerechtigkeit kommt objektiv zur
Erscheinung im Werden, in der Bewegung, in dem einheitlichen Leben
der Gesamtheit. Eine Vergleichung des zweiten Satzes mit der nega-
tiven Wendung in Fr. 18: 'zo':^ri-i ei-ri Trav-wv y.£yü)pi7|i.£vov zeigt, dali
dieselbe Vielheit, die als solche keinerlei Vernunft, sondern lauter un-
vernünftige Einzelwesen aufweist, zusammengefaßt und, als Feinheit be-
trachtet, sofort ihres ganzen negativen Charakters entkleidet wird. Auck
die Menschen, diese an sich höchst verkehrten und unglückseligen Wesen,
sind als unselbständige Teile des Allguts vernünftig uud befriedigt.
Alles Traurige, Gräßliche, Böse hat nur subjektive Bedeutung; vom
höchsten Standpunkt ist alles gut und schön (Fr. Gl; Kleanthes b. Stob.
1 p. 26, 4 ff. Wachsm.). Die Lehre von der Allgemeinheit der Ver-
nunft in lauter unvernünftigen Einzelwesen ist aber nur möglich nach
Zerstörung ihres Charakters als Einzelwesen durch Leugnuug der Indi-
viduation. H. mußte demnach beweisen, daß trotz des Scheins der Viel-
heit eine Einheit existiert. Diesem Nachweise hat er in der That einen
stattlichen Teil seines Buches gewidmet, indem er in zahllosen Beispielen
die Einheit der Gegensätze darlegte. Zn dieser Darlegung leitet Fr. 65
über, dem der dritte Platz neben jenen ersten beiden Gedanken zu
gebühren scheint: „Eines, das allein Weise, will und will doch nicht
genannt werden mit dem Namen des lebendigen Gottes (Ztjvoj).''
Unpassend ist der Name deshalb, weil das mit ihm genannte Wesen
ebensogut Hades ist, vielleicht auch, weil das Eine zwar göttlich,
aber kein Gott ist, sondern nur ein gesetzmäßig sich verändernder,
nach zwei Richtungen sich bewegender Stoff. So genannt werden
aber will es, weil nach der Volksmeiuuug das erste Attribut des
höchsten Gottes der Blitz war uud dieser ein Ausfluß oder richtiger
ein Symbol jener Kraft ist, die das All weiter und zurück bewegt
zum Urfeuer (Fr. 28). Die zweite durch Fr. 65 angekündigte Auf-
gabe H.s war der konkrete Nachweis, wie in der thatsächlichen Ein-
heit der Schein (den Ausdruck brauchte H. nicht, aber die Vor-
stellung hatte er; vgl. Fr. 81: £I[jl£v te xai my. elfj-sv) die Vielheit
entstehen kann. Dies ist der Ausgangspunkt der Physik H.s. Farmen,
mit seiner Lehre vom „unzerstörbaren gesetzlichen Schein'' neben einer
darüber erhabenen Seinslehre bezeichnet den nächsten Schritt in der
Entwickelung des philosophischen Gedankens. Mit der Leugnung de»
Prinzipes der Individuation bekämpft H. auch das Ich- oder Selbstbe-
wußtsein, die lot'a 9povr,c7ic als Gegensatz der Gemeinempfindung (vgl.
das Bild von den Kohlen, die sich mit einem größeren Feuer zu einem
l(i Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
nnunterschiedeiien Brande mischen, bei Sext. math. 7, 130 uud d. diaet.
I 29). Auf der Suche nach dem Ich als einem Seienden (Plotin bei
Byw. zu Fr. 80: (uc iv xcov ovxoiv) fand H., daß es überhaupt kein
dauei'ndes Ich giebt, daß auch die menschliche Seele dem allgemeinen
Prozeß als ein unselbständiger Teil des einen Vernünftigen augehört
(vgl. Fr. 1 oux £}X£Ü, aX).a toü Xo^ou).
Diese Arbeit Patins verbindet mit gründlicher und umfassender
Qaelleukenntnis großen Scharfsinn und eindringendes, tiefes Verständnis
lür den Kern der heraklitischen Philosophie. Sie ist daher mit vollem
Rechte von Di eis in seiner Rezension (Arch. I 102 ff.) neben der fast
gleichzeitig erschienenen Abhandlung von Gomperz, mit der sie sich in
manchen wesentlichen Punkien berührt, als „ein eindringender und be-
achtenswerter Beitrag zur Heraklitlitteratur" bezeichnet worden. Aber
diesen Vorzügen stehen erhebliche Mängel gegenüber. Der Scharfsinn
Patins artet nicht selten in Spitzfindigkeit und ein Übermaß von Spür-
sinn aus. Dies zeigt sich besonders in der Interpretation und Textkritik
der einzelnen Fragmente, die zwar oft mit glücklichem Blicke das
Richtige trifft, noch öfter aber ihr Ziel verfehlt. Zu den oben einge-
schalteten Bemerkungen über solche Mißgriffe füge ich noch zwei
weitere hinzu. Das auf Bias bezügliche Fr. 112 soll nach.P. dem
Fr. 18 voraufgegangen sein: er sieht in ou tiXeiojv X070; (112) eine
spielende Beziehung zu fjy.6<j(ii-j X070U; (18) und zugleich in dem Worte
X670C an der ersten Stelle einen beabsichtigten Doppelsinn (,die Rede,
die von Bias geht" und „die Vernunft in seiner Rede"). Das ist ein
bezeichnendes Beispiel von der Sucht des Verf., bei dem „Dunkeln"
gekünstelte und frostige Wortspiele aufzuspüren, wie sie uns noch
häutiger in den „Her. Beisp." als in der vorliegenden Schrift entgegen-
treten wird. Die gleiche Sucht hat ihn auch in der Erklärung von
Fr. 3 irre geleitet, wo nach ihm «pattc nicht, wie Beruays mit Recht
angenommen hat, „Sprichwort", sondern den „Ausdruck selbst", nämlich
das voraufgehende (J^uvetoi bezeichnet, indem dieses das Beisammensein
mit dem Gemeinschaftlichen (= ^uveto?) in sich tragen und doch eine
Trennung davon bedeuten soll. Eine zweite Quelle fehlerhafter Be-
urteilung der Bruchstücke ist die Voreingenommenheit Patins für ge-
wisse von ihm vorausgesetzte, aber nicht bewiesene Lehren H.s, die
ihn nicht nur, wie wir gleichfalls oben wiederholt gesehen, zu falschen
Erklärungen und Athetesen einzelner Fragmente verleitet, sondern auch
seine ganze Auffassung vom Wesen der heraklitischen Philosophie sowie
die damit zusammenhängende Anordnung der nach seiner Meinung den
Anfang der Schrift H.s bildenden Bruchstücke in verhängnisvoller Weise
beeinflußt hat. Was zunächst diese Anordnung betrifft, so ergiebt sie.
von der Lücke nach a^aöoi in Fr. 111 abgesehen, einen wohlgefügten.
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 17
in sich abgerundeten Gedankenkoraplex. Aber daß H. wirklich sein
Buch so begonnen habe, ist damit nicht bewiesen, da wir nicht wissen,
wie er seinen Stoff eingeteilt und geordnet und ob er bestimmte Haupt-
sätze seines Systems an den Anfang gestellt hat. Ebensowenig läßt
sich behaupten, daß zwei Fragmente, die ihrem Inhalte nach verwandt
sind und ihrer Form nach sich bequem aneinanderfügen, auch im Original
bei einander gestanden habeu müssen. Es erheben sich aber gegen die
Richtigkeit der Patinschen Rekonstruktion zwei gewichti^'e positive Be-
denken. Erstens ist durch Sextus und Aristot. Fr. 2 und nicht Fr. 1
als Buchanfang bezeugt, und es ist unmethodisch, diese gewichtigen
Zeugen beiseite zu schieben. Daß das 6s am Anfang' von Fr. 2 kein
Hindernis für die Annahme bildet, H. habe so begonnen, zeigt Zeller
630, 1 (vgl. Diels zu Fr. 1). Zweitens ist es nach der Bemerkung,
mit der Sextus 7, 133 von Fr. 2 zu Fr. 92 überleitet, wenig wahr-
scheinlich, daß dieses von jenem durch eine mit Hinzurechnung
der von P. angenommenen Lücke doch verhältnismäßig lange Ausein-
andersetzung getrennt war. Ich vermute daher, daß zwischen beiden
nur Fr. 91 stand, dessen engen Zusammenhang mit Fr. 92 P. richtig
erkannt hat. Die sonst von P. dazwischen geschobenen Bruchstücke
mochten an anderen Stellen des Werkes ebenso gut, ja vielleicht besser
am Platze sein; denn liier variieren sie doch eigentlich nur den in
Fr. 2 ausgedrückten Gedanken und rufen daher den Eindruck einer
mit der lapidaren Kürze H.s nicht recht verträglichen Breite der Ge-
daukenentwickelung hervor. Nun glaubt freilich P. zwischen diesen
Fragmenten eine Kette von Beziehungen, die auf den verschiedenartigsten
Wortspielen beruhen, entdeckt zu haben und sieht darin eine Gewähr
tür die Richtigkeit seiner Anordnung. Aber gerade diese Fülle etymo-
logischer Künsteleien, die wir, wie bereits bemerkt, bei H. nicht suchen
dürfen, scheint eher gegen als für Patins Reihenfolge zu sprechen.
Für die Ansetzung einer Lücke vor Fr. 91 endlich liegt kein zwingen-
der Grund vor, da die Lehre von der gemeinsamen Vernunft, wie auch
Sextus erkannt hat, schon in Fr. 2 deutlich genug entlialten ist. — In
der Auffassung der Lehre H.s hat P. weit schärfer, als dies vor ihm
geschehen w'ar, die Einheit und Harmonie der Gegensätze in dem „all-
weisen" Einen als einen Hauptbestandteil des Systems hervorgehoben
und sich dadurch um die tiefere Erkenntnis dieses Systems ein unleugbares
Verdienst erworben. Aber auch hier schießt er über das Ziel hinaus,
indem er von der Weisheit des Einen das Einzelne und Individuelle
völlig scheidet und das Weise in der Vielheit der Dinge überhaupt
nicht zum Ausdruck kommen läßt. Er kann sich hierfür nur auf Fr. 18:
oo'fov esTt TtavTcov x£yiüptp3|x£vov berufen. Aber diese Getrenntheit des
Absoluten von jeder Sonderexistenz darf bei H. noch nicht im Sinne
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (lOCö. I.) 2
18 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
den anaxagoreischen vou; als eine von Anfang an gegebene und dauernde
Absonderung gefaßt werden; sie ist vielmehr auf den einen Moment
der Weltvcrbrennung und des Weltgerichts zu beschränken, in dem
alles Einzelleben aufgehoben und vernichtet erscheint. Vgl. Fr. 26
und Diels zu Fr. 06 und 108 seiner Sammlung. In der gegenwärtigen
Welt dagegen mit ihrem Wege nacli oben und nach unten herrscht das
rastlose Hervorgehen aller aus dem Einen und ihre Rückwandlung in
das Eine: ex ticxvtojv Iv xal e^ evos Tidvia (Fr. 59). So ist auch allein
Iv Travxa elvai: „alles ist eins" in Fr. 1 zu verstehen. P. hält hier
mit Unrecht an der überlieferten Lesart eioevat fest, die durch die vor-
aufgehende Paraphrase des Hippel.: <tv> iravta elvai xo -av wider-
legt wird. Indem Verf. jenes absolute Verschwinden aller Gegensätze
in dem alles verzehrenden Einen am Ende der Welt in einen schon
in der Welteutwickelung sich beständig wiederholenden Prozeß ver-
wandelt, hebt er im Grunde die doch auch von ihm nachdrücklich be-
tonte Gegensatz- und Flußlehre auf und setzt den unablässigen Wechsel
der Dinge, der nach H. das Allerrealste ist, zu einem bloßen Schein
herab. Damit wird der scharfe Gegensatz zwischen H. und Parm.
verflüchtigt und jener zum Vorläufer, ja fast zum Begründer der elea-
tischen Lehre gemacht. Dann bleibt es aber ganz unerklärlich, wie
ihn Parm. so scharf und so rücksichtslos bekämpfen konnte. Die An-
näherung zwischen den beiden Antipoden wird dadurch noch größer,
daß P. den Eleaten seiner Lehre vom Schein in gewissem Sinne eine
innere Berechtigung beilegen läßt, wie er es in seiner 1899 erschienenen
Schrift „Parm. im Kampfe gegen H." des Näheren dargelegt hat. Vgl.
darüber vorläufig meine Rezension dieser Schrift in der Berl. Ph.
W.-Schr. 1900, 1283 ff.
In der ersten Hälfte von No. 320 schließt P. aus einer Bemerkung
des Diodotos bei Laert. 9,15, das Physikalische bei H. erscheine nur in
der Form des Beispiels [P. beachtet nicht, daß der Hauptgegensatz hier
in den Worten ou irspl cpuasu)? elvat tö a6-^-;pa.\i\ia, öcXXa uspl TroXtieia? ent-
halten ist], und aus einer Stelle bei Philon in Gen. III 5 (II 178
Aucher), daß das Physikalisch-Dogmatische bei H. nur einen sehr ge-
ringen Umfang hatte und der weitaus größere Teil der Lehre von den
Gegensätzen und ihrer Harmonie diente, zu deren Begründung er ein
„ungeheures" Material zusammengebracht habe. Deutliche Spuren
solcher heraklitischen Beispiele findet er zunächst in der angegebenen
Stelle Philons, in weit größerem Umfange aber in einer zweiten Stelle
desselben Autors (Qu. rer. div. haer. 43), aus deren Analyse er eine
vollständige Tafel heraklitischer Gegensätze in fünf großen, scharf um-
grenzten Abschnitten gewinnt. Dem Thema des dritten Teils dieser
Tafel: „Die Harmonie der Gegensätze in den nachahmenden Künsten
Bericht über die giiechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 1<J
des Menschen" dient auch die ausführliche Beispielsammlung in tc. ötotttT];
I c. 11 — 24. P. unterzieht die einzelnen Abschnitte dieser Sammlung
einer sehr scharfsinnigen, aber äußerst breiten und verschlungenen
Untersuchung-. Während Bernays vornehmlich auf die Ähnlichkeiten
zwischen dem Diätetiker und H. sein Augenmerk richtete, sucht er
nach Widersprüchen, nach einer spröden Masse auf dem Grunde, die
sich der i:berarbeitung nicht gefügt hat, und findet auf diesem Wege
eine Anzahl von Beispielen, die ihrer gegenwärtigen Bestimmung nur
widerwillig dienen und dadurch einen anderen Ursprung erkennen lassen.
So schält er aus der krausen Umhüllung einen Kern echter heraklitischer
Beispiele heraus. Zu diesen gehören besonders alle die, in denen als
Vorbild der menschlichen Kunst die Xatur im allgemeinen geschildert,
und nicht an ihre Stelle im Sinne des Diätetikers die menschliche
Natur gesetzt wird. Das Thema aller dieser Beispiele H.s ist: ,Die
Menschen, diese unselbständigen Teile des einheitlichen Alls, unterliegen
wie die Dinge dem weisen Walten der Einheit, stehen unter ihrer all-
mächtigen Leitung. Ohne es zu wissen oder nur zu ahnen , gehorchen
sie deshalb in ihren Künsten den Gesetzen des werdenden Alls und
wenden sie nachahmend zu ihren Zwecken an." Diesen Grundgedanken
hat H. in einer Fülle von Doppelbeispielen veranschaulicht, die den
einzelneu Gesetzen seiner Kosmogonie — P. zählt deren 8 — entsprechen.
Ihr Endergebnis ist: „Auch der Mensch verschwimmt in dem allgemeinen
Flusse der Bewegung. Seine Individualität, sein Ichbewußtsein zerstört:
das ist die Idee, der sich H. gerühmt, als seines einzigen originellen Be-
sitzes." — Erwiesen hat P. durch diese Analyse nur, daß dem Diätetiker
eine reiche Sammlung von Beispielen vorlag, durch die die heraklitische
Gegensatzlehre im Thun und Treiben der Menschen , vornehmlich iu
ihren Handwerksbräuchen und Künsten als unbewußt wirkend und nach-
geahmt aufgezeigt werden sollte, und daß er die seiner Vorlage ent-
lehnten Beispiele vielfach iu handgreiflich ungeschickter und gewaltsamer
Weise für seine abgeschmackte Vergleichung der menschlichen Gewerbe
und Künste mit den physiologischen Vorgängen im menschlichen Körper
verwandt hat. Aber eine solche Zusammenstellung auf H. selbst zurück-
zuführen haben wir kein Recht. Unter den erhaltenen Fragmenten ge-
hört diesem Kreise nur das von den Walkern (50) und allenfalls das
von den Ärzten (58) an, und gerade hier lehrt der Vergleich mit
d. diaet. c. 14 und 15, daß die in dieser Schrift benutzte Vorlage von
der heraklitischen Fassung nicht unbedeutend abgewichen sein muß.
Um so weniger ist es zulässig, auch die übrigen Beispiele des Diätetikers,
von denen keiner durch irgend ein bestimmtes Zeugnis H. beigelegt
wird, bei diesem zu suchen und gar aus ihnen durch allerlei künstliche
Kombinationen (vgl. z. B. die Ausführungen über Lyrik und Mautik
2*
20 Hcriclit über die griechiecheii Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
S. 34 ff. sowie die über Schreibkunst S. 84 ff.) eine geordnete Reihe
au einander sich anschließender üoppelbeispiele (solcher Doppelbeispiele
linden sich unter den Fragmenten keine außer dem gerade in d. diaet.
nicht vorkommenden vom Bogen und der Leier) herzustellen. Manche
Sätze in d. diaet. klingen ja allerdings stark heraklitisch, und einzelne
von ihnen wie z. B. in c. 11: o', avi^prouoi ex xuiv cpavepöiv xa d'pavea
axen-ecjilai oux ejiioTavxai mögen wirklich von H. herrühren, wenn sich
auch Sicheres darüber nicht ausmachen läßt. Aber eine so spezialisierte
und systematische Aneinanderreihung von Beispielen zur Veranschau-
lichung einer Folge von Lehrsätzen scheint der altertümlichen und knappen
Weise des Ephesiers nicht zu entsprechen, sondern auf eine spätere Zeit,
etwa die der Sophistik, hinzuweisen. In dieser Zeit also mag die Vor-
lage des Diätetikers von einem Herakliteer verfaßt worden sein, der
vielleicht einzelne seiner Beispiele bei H. vorgefunden und mehr oder
minder wörtlich übernommen, andere aber und wohl die meisten nach
dem Vorbilde des Meisters erfunden hat.
In der zweiten Hälfte von No. 320 bemerkt P., daß des hera-
klitische „Beispiel" Schule gemacht habe; so, außer bei dem. Diätetiker,
bei Demokrit, Aristipp, Protagoras, Melissos, Anaxagoras, besonders
aber in der älteren Skepsis. Am häufigsten findet es sich bei Sextus.
Die ganze Beispielflut zur Erläuterung des 1. Tropus (hyp. I 42 ff.)
ist der Hauptsache nach auf H. zurückzuführen. Schwer freilich ist
es, das Heraklitische aus Sextus herauszuschälen, da andere Philosophen
zu dem überkommenen Stoff immer neuen hinzugefügt haben. Aber an
einer unverkennbar heraklitischen Stelle läßt sich eine geschlossene
Kette heraklitischer Beispiele nachweisen, ähnlich der, die sich aus
Vergleichung von Fr. 51 mit 8 und dem von By water (s. Bd. CXII
S. 298) entdeckten Fr. (4 Diels) ergiebt (Menschen — Rinder — Esel,
Gold — Kehricht), wenn mau die dort von Sextus beigebrachten Beispiele
mit Fr. 52, 53 und der von Byw. zu 54 angeführten Stelle bei Clemens
von den Schweinen, die sich im Kote lieber als im reinen Wasser
wälzen (P. ergänzt hier zu cp/jaiv: 'HpaxÄeixo? und sieht in den Worten
ein echtes Bruchstück), zusammeusiellt. Aber auch sonst finden sich
im 1. Buche des Sext. zahlreiche Beispiele heraklitischer Form, die
zum Teil bei Lukrez IV 322 — 466 wiederkehren. Dieser hat hier und
au anderen Stellen seines Gedichtes Derartiges aus Epikur geschöpft,
der wiederum durch Demokrits Vermittelung viel unverfälscht Hera-
klitisches aufgenommen und weitergegeben hat. Indem so eine Fülle
von Beispielen in den Bestand der Epikureer, Stoiker, Akademiker und
ganz besonders der Stoiker übergegangen ist, nimmt H. nicht bloß
durch seine Gegensatzlehre überhaupt, sondern auch durch sein induk-
tives Beweismaterial eine beherrschende Stellung ein. Auch hier ist
Bericht übor die griechischen Philosophen vor Sokratos, (Lortzing.) 21
gef,en Patins Verfahren dasselbe Bedenken 7.i\ erheben wie gegen seine
Bereicherung des heraklitischen Besitzstandes aus dem Buche d. diaer^
Manches einzelne mag in der That auf H. zurückj^elien; aber jene
streng- geschlossenen, raanniüfacli verschlungenen Ketten von Beispielen
sind künstliche Gebilde, deren heraklitischer Ursprung von P, nicht er-
wiesen und an sich wenig wahrscheinlich ist. — Nach einem Exkurse
über „Aeuesidem und die Einheitslehre % der sich mit beachtens-
werten Gründen gegen Pappenheim wendet, geht Verf. zur Besprechung
der bei Byw. ausgelassenen Scholienstelle zu Nikanders Alexiph. 172
— 177 Abel-Vari über und sucht nachzuweisen, dalj sich hier 1. die
Gegensatzlehre (Feuer — Meer, zugleich Herr — Knecht) verbunden
mit der heraklitischen Anordnung der Elemente wiederfindet, und
2. aus dem Sturmvogel und dem Meeresschaum ein zweites Beispiel
gewinnen läßt. Nebenbei die bereits unter No. 285 erwähnten Hera-
klitspuren bei Herodot. In einem 2. Exkurs: «Vom weinenden Philo-
sophen» legt P. treffend das Verfehlte in der Auffassung Teichmüllers
und Pfleiderers (s. Bd. CXII S. 318 if.) vom biettspielenden Kinde (Fr. 79)
dar. Hierbei tadelt er besonders, daß Ptleiderer ans Piaton legg. X 903 D,
wo unter offenbarer Anspielung auf H.s Trsjjsutüv der Weltordner mit
einem ize^jzux-q^ verglichen wird, der dem besseren Stein die bessere
Stelle anweist, auf die Vorstellung einer göttlichen Fürsorge auch bei
H. zurückschloß. Piaton hat vielmehr in jenem Abschnitte des 10. Buches
seiner Gesetze, in dem sich überhaupt starke Anklänge an H. finden,
die heraklitische Einheitslehre und so aucli den „brettspielenden Gott"
nur zur Widerlegung von Einwänden gegen seine im übrigen sich von
H.s Weltanschauung wesentlich unterscheidende Theodizee benutzt.
P. kann auch in Fr. 79 nur eine Bestätigung seiner Auffassung des
heraklitischen Grundgedankens sehen: „Mensch und Tier und was
du sonst i'm dich erblickst, galt für H. nicht mehr als das
Stäubchen im Meer, die Welle im Strom, der Spielstein in der
Schachtel," — Im weiteren hebt P. noch die Fragmente hervor, die
bisher in ihrem Charakter als Beispiele für die Harmonie der Gegen-
sätze nicht erkannt worden sind. Zu diesen rechnet er vor allem die,
welche man bisher dem theologischen Teil zugewiesen hat, so Fr. 97.
98. 99 (Hippias' Beispiel vom Thonfigürchen und dem lebendigen
Mädchen ist hier als unheraklitisch auszuscheiden; Fr, 130 mit seinen
von Neumaun und Buresch (s. Bd. CXII S. 303 f.) gefundenen Fort-
setzungen; Fr. 67 verbunden mit 44; Fr. 73 (vgl. 104 und 86); 105:
102 und 101; 122, 123 und 118; 125, 128 und 124; 127 (der Sinn ist
nach P.: „Schamlos wäre, wer Schamloses nicht thäte im Dionysosdienste;
dieser geliebte Gott der Lust ist aber derselbe, der als Tod [Hades]
gefürchtet wird"). In Fr. 67 knüpft H. zwar an den Volksglauben
22 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
an, erhebt sich aber zugleich hoch über ihn: seine Unsterblichen stehen
nicht außerhalb seines Flusses; sie gehören nicht der "Welt des Friedens,
sondern der des Krieges an, dessen Geschöpfe sie sind so gut wie die
Sterblichen. So verbindet H. mit dem Worte Oeoi einen von seinem
göttlichen Einen sehr verschiedenen Begriff. Es giebt nur eine Seele,
die alles umschließende; wohin du auch wandeln magst, du findest nicht
ihre Grenze; keine Ferne, keine Tiefe, wohin ihre Vernunft nicht
dränge (die Worte ou-w ßaöuv Xo-^o^ e/st Fr. 71 sind echt; so auch
Diels Fr. 45). Von der großen Seele getrennte Seelenteile, von dem
göttlichen Einen geschiedene Flammen brennen im Menschen, durch
den Körper gewissermaßen losgerissen, durch die Sinnenthürchen ver-
.bunden. Diese können entweder herabbrenneu, erlöschen oder zur gemein-
samen himmlischen Glut hinaufschlagen. Einer von diesen Prozessen spielt
auch bei dem, was die Menschen Tod nennen. Die Seelen derer, die selbst-
los für die Gemeinschaft gefallen sind, wandeln den stolzen Weg auf-
wärts, indes die Genußmenschen in Feuchtigkeit erlöschen. So gelang
es H., aus seinem Lehrgebäude etwas abzuleiten, was beinahe einer
Unsterblichkeit der Guten, einer Vergänglichkeit der Schlechten glich;
aber für ihn war das keine persönliche Fortdauer, sondern nur der
Anschluß und Umsatz ins Ev/ig-Eine. Die Dauer des Individuums ist
und bleibt für ihn die greuelvollste Vorstellung. Diese Ausführungen
über H.s Eschatologie (vgl. auch Patin „Neues und Altes" S. 338 ff.)
haben etwas ungemein Verführerisches; die Anschauung von der Seele
und ihrer Fortdauer, von dem Verhältnis der Götter zu den Menschen
erscheint hier im vollsten und schönsten Einklänge mit H.s ganzer Welt-
auffassung. Ob wir es hier aber nicht- bloß mit einer idealen Kon-
struktion des Verf. zu thun haben und ob H. in Wirklichkeit die vollen
Konsequenzen aus seinem System auch für seine Eschatologie gezogen
hat, muß doch im Hinblick auf die gewaltsame Art Patins, mit be-
stimmten, seiner Auffassung anscheinend widersprechenden Bruchstücken
umzugehen, bezweifelt werden. Indes will ich nicht leugnen, daß eine
gründliche und nüchterne Betrachtung der Fragmente und Zeugnisse,
auf die es hierbei ankommt, ihm doch vielleicht recht geben könnte.
Zu Gunsten seiner Ansicht spricht jedenfalls der Umstand, daß Rohde
(PsA'che 442 ff.), ohne Patin gelesen zu haben, in der Zurückweisung
des Glaubens an die Unsterblichkeit der Einzelseelen mit ihm zusammen-
trifft (s. Bd. CXII S. 134). Sehr unwahrscheinlich dagegen ist eine
andere Annahme, die P. aus dvaraueaf^at in Fr. 86 (Zeller 714, 1 will
hier mit Pflciderer die Worte ^allo^ o'avaTtauea&ai gestrichen wissen)
und aus dvaTraujiv in Fr. 104 ableitet, daß H. die auf alle folgenden
Untersuchungen über das höchste Gut fortwirkende Entdeckung ge-
macht habe, die Lust sei nichts Positives, sondern nur die Befriedigung
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing ) 23
eines Verlangens, die Stillung eines Schmerzes. Solche wissenschaftlich-
ethischen Gesichtspunkte liegen H. fern; sie begegnen uns zuerst bei
Doniokrit und auch bei diesem noch in unvoükonimoner Gestalt. Wenn
P. in Piatons Philebos eine Anzahl versteckter Bezieluuigen auf H. ver-
mutet und in den öeivo; dcvr^p diesen selbst, in den [xaXa oetvol -za Trepl <puotv
ihn und zugleich seine Naclifolg-er, Leukipp (?) und Demokrit, zu er-
kennen glaubt (Hirzel hat nur Demokrit im Auge gehabt, freilich gleich-
falls, wie sich später zeigen wird, mit Unrecht), so hat er hierfür nicht
die Spur eines zwingenden Beweises erbracht und bewegt sich in einem
Zirkelschluß. Ebenso willkürlich ist die Behauptung, daß Theaet. 255 E f.
mit den xo[j.<|;6t£(io'. Leute wie der Diätetiker gemeint seien. — Den
SchluT) bildet ein Exkurs „vom Kreislauf des Stoffes". Mit Recht
betont er gegen Zeller (S. 698 und 700), daß die Weltzerstörung (ix-
TTuptüjt?) so wenig wie die Welteutfaltung (oiaxo^ixYiJi?) als ein länger
dauernder Zustand zu betrachten ist, sondern beide nur die Endpunkte
zweier Prozesse, zwei entgegengesetzte Pole sind. Ebenso ist ihm zu-
zustimmen, wenn er behauptet, daß in Fr. 21 keine Stoffe oder Ele-
mente, sondei'n nur Elemeotarstufen gemeint sind. Es handelt sich
nicht um die Elemente Wasser und Erde, sondern um das Meer als
Weltteil, um das Urmeer, von dem unser Meer nur ein Überbleibsel
ist, und ebenso nicht um unser Land, sondern um die Grundfeste. Es
ist ein alter Irrtum der Neuplatoniker, daß der Weg abwärts mit der
Weltbildung, der Weg aufwärts mit Weltzerstörung identisch sei. Der
große Weltprozeß vollzieht sich in einem Kreisläufe ; aber es ist wider-
sinnig, neben diesem großen Umlauf einen zweiten täglichen anzunehmen,
gewissermaßen einen Kreislauf im Kreislauf. In der entfalteten Welt,
wie sie in der Mitte jener Kreisbewegung erscheint (die drei Schichten
des Feuers, des Meeres und der Erde unter einander) herrscht der
Polemos, d°r durch ein Getümmel, einen wilden Wirbel der in einander
flutenden Streitmassen die Vielheit hervorbringt (vgl. das Bild vom
xuxscov, dem kosmologische Bedeutung nicht abgesprochen werden darf).
In dieser Darstellung ist die Scheidung der täglichen ooo? «voj xal xa-w
von dem großen Weltkreislaufe zutreffend; aber wie P. dazu kommt,
aus jener, die in Wahrheit als ein Halbkreis aufzufassen ist, wie ihn
die Sonne täglich beschreibt, ein „wildes Getümmel" zu machen, das er
als eine unmittelbare Vorstufe der atomistischen Lehre bezeichnet (?),
ist mir unverständlich: in der Überlieferung findet sich davon nicht die
geringste Andeutung. Daß sich übrigens der Kreislauf der Elementar-
stufe'i so völlig gleichmäßig vor- und rückwärts vollzieht, wie P. an-
nimmt, ist nicht ausgemacht. Fr. 21, wonach das Meer zur Hälfte
Erde, zur Hälfte Glutwind ist, und ebenso die beiden Arten der ava-
öufitajic, die trockene und die feuchte, scheinen auf eine andere
24 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.y
Anordnung hinzudeuten. Hier ist noch ein dunkler Punkt in H.s
Lehre.
So viel auch im vorstehenden au der Methode und den Ergeb-
nissen der Untersuchungen Patins auszusetzen war, so muß doch zum
Schluß noch einmal ausdrücklich anerkannt u'erden, daß seine Schriften
zu dem Bedeutendsten gehören, was in den letzten Jahrzehnten über H.
erschienen ist. Das kurz und ohne jede Begründung ablehnende Urteil
Wellmanns (Arch. VIII 295 f.) über die „Beispiele" ist daher ebenso-
wenig gerechtfertigt, wie das völlige Schweigen Zelleis in der 5. Aufl.
über die „Einheitslehre". Daß P. durcli dieses Schweigen, das er nicht
ohne Grund für beabsichtigt hält, erbittert worden ist, läßt sich be-
greifen, und man muß ihm deshalb die Ausfälle gegen Zeller am Schluß
der „Beispiele" bis zu einem gewissen Grade zu gute halten, wenn
auch die maßlose Heftigkeit dieser Ausfälle nicht zu billigen ist.
Ein um so wärmerer Bewunderer ist ihm in F. ßoU (No. 321) er-
standen, der freilich mit seiner uneingeschränkten Zustimmung zu allen
wichtigen Resultaten der Untersuchungen Patins in das andere Extrem
verfallen ist.
Die beiden Abhandlungen von Aall (No. 322 und 323) fassen
wir in unserem Berichte zusammen, da die erste ihrem Hauptbestand-
teile nach in die umfassendere zweite aufgenommen ist. A. bespricht
zunächst die ersten Anfänge der Logosidee bei Thaies, Xenophanes und
Parmenides, ohne etwas Neues beizubringen. Auffallend ist, daß ihm
die auf stoischer Deutung beruhenden Worte bei Stob. I 1, 29 b:
öaX^v vouv Tou Y.6a\xoo xov lleov als authentisch gelten, und daß er Parm.
für den Vorgänger H.s hält. Der Abschnitt über Heraklit (= No. 322^)
beginnt mit der Frage, wie H. dazu gekommen sei, das Feuer zum
Weltprinzip zu machen. A. weiß keine andere Antwort als : Nachdem
') Hier hatte Verf. den ganzen Stoff in folgende drei Abschnitte ge-
teilt: 1. genetiscb-phänomenologische Untersuchung; 2. real-inhaltliche Be-
stimmung der Logosidee H.s; 3. spezielle, formale Grenzbestimmungen dieser
Idee. Dem Inhalte nach hat er "in No. 323 diese Dreiteilung beibehalten,
aber den ersten Abschnitt in verständlicherer Sprache als „die Hauptlinien
der Philosophie H.s" bezeichnet. Auch hatte er in der früheren Abb.
schärfer den trotz des alles durchdringenden Keuerstoftes doch immateriellen
Charakter der Lehre H.s betont. Mehr in den Vordergrund war endlich
in No. 322 die Kategorie des Ästhetischen (im weiteren, Kantischen Sinne)
getreten, und er hatte diese heraklitische Ästhetik dann in eine religiöse,
mechanische und ethische gegliedert. Daß er solche abstrakte moderne
Bezeichnungen und Unterscheidungen, die uns in einer Darstellung des
beraklitiscben Systems höchst fremdartig anmuten, später beseitigt oder
doch nur, wie den Begriff des Ästhetischen, gelegentlich verwendet hat, ist
nur zu billi'zen.
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 25
Lnft, Wasser und das Unbegrenzte von älteren Denkern anfgestelit
worden waren, ist mit H. das Feuer an tue Reihe izekomnien [also bloll
der Abwechselung halber? Und doch thut er sich, wie A. gleich darauf
sagt, in seiner Feuertheorie als „spekulativ- schöpferischer Philosoph
antiken Stils" kund!]. An die schöpferische Spekulation des Physikers
schließt sich die originelle Produktivität des scharfen, intuitiven Bo-
obachters, die besonders in der Bewegungslehre zum Ausdruck kommt,
einer Idee, die er vom Gebiete des Ästhetischen (!) aus ins Spekulative
überführt, ohne jedoch das seiner Natur nach mechanische Bewegunas-
problem systematiscli zu behandeln. Im n6Xe|xo; liegt nur die veran-
schanlichte Modalität des gegensätzlichen Wirkens-, er ist nicht der
Urheber des vorhandenen Was, sondern des dramatischon Wie der
Welt. Mit H.s Thätigkeit als Physiker, spekulativer und intuitiver
Denker steht seine Wirksamkeit als „Kritiker und Ethiker" nur in losem
Zn-ammenliang. Obwohl er die Welt spontan erklärt und Gott aus
seiner Weltauffassung ausgeschlossen erscheint, will er doch auf dieser
Erde den Göttern einen Platz einräumen; die Welt wimmelt ihm von
göttlichen Wesen [so nach Fr. 131, das aber unecht ist!]. Mit der
Gottesidee ist aber schon der Übergang zur Logosidee gegeben: wo
Gott ist, ist Geist und damit zugleich Vernunft, Gesetzmäßigkeit und
Zweck (Pantheismus). ' H. hat das Universalgesetz mit dem Namen
Gottes in Verbindung gebracht, aber die Verknüpfung ist lose, und in
Fr. 65 schreibt er der Weisheitsmonade (so!) eine gewisse Selbständigkeit
ZU; der Name des Allvaters ordnet sich dieser Idee unter; die Weisheit
soll rein für sich erkannt werden können, nicht „theomorphisiert"
wei'den. — Ein Hauptstück der Philosophie H.s ist das Dogma von
der Einheit und Harmonie aller Erscheinungen [die scharfe Hervor-
kehrung dieses Lehrsatzes, die sich in der früheren Abb. noch nicht
findet, ist wohl hauptsächlich auf Patins EinfluU zuiückzuführen]. Dieses
Gesetz der Harmonie greift auch ins Ethische hinüber (Gut und Böse
eins, das Maß, das xoivov). — A. wendet sich darauf der speziellen
Lehre vom Logos zu. An die Spitze stellt er eine Tafel der heraklitischen
Logossprüche, in der die zweite Hälfte von Fr. 2 ihren Platz vor der
ersten erhalten hat (?). In den daran sich knüpfenden Erläuterungen
weist er die Bedeutung- „Rede" für X670? zurück und will iu den ent-
scheidenden Fragmenten nur die Bedeutung ,, Vernunft" gelten lassen.
[Richtiger ist wohl, mit Patin „Neues und Altes" anzunehmen, H. habe
dem griechischen Sprachgebrauch folgend beide Seiten des 'k6-;o;, di«
innere wie die äußere, in dem einen Begriffe zusammengedacht.] 1 i
Fr. 23 setzt Heinze mit Unrecht Xo-jo; mit itüp gleich: es ist eine ab-
surde Vorstellung, daß sich das Meer in Logos verwandele; ei; xov
a'jTov X070V ist vielmehr gleichbedeutend mit xaxa x. otu. X. „eandem in
26 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
rationera, qnalis" [s. jedoch Patin „Neues und Altes", wo zutreffend
die räumliche Bedeutung von etc veiteidig-t wird; der Xo-p; gewinnt erst
Gestalt durch die Bewegung des [xsTpleailat, diese verläuft in ihn]. In
den Logossprüchen wird der X670? erstens als für die Menschen erfaßbar
und zweitens als universell vorgestellt. Es giebt nach H. im System
des Kosmos eine objektiv bezeugte Vernunft; nach dieser eingerichtet
und von ihr intellektuell beherrscht, entfaltet sich uns die Welt sichtlich.
Uunnterbrochen drängt sich jene Vernunft dem menschlichen Bewußtsein
dermaßen auf, daß der Mensch nur irrtümlicherweise eine von ihr ab-
weichende, gesonderte Quasivernunft zu besitzen wähnt. H. ist über-
zeugt, daß den von ihm geoffenbarten Vernunft Wahrheiten die Unver-
ständigen auf die Länge sich nicht verschließen können [dies liest A.
wunderlicherweise aus den Worten in Fr. 2: «^uvetoi -/tvovxai avilpcuTtoi
. . . dxoujavTE? tö TipcÜTov heraus, indem er als Gegensatz hinzudenkt: „aber
nachher w^erden sie vernünftig", mit Ausnahme jedoch der dem Vieh
ähnlichen Masse (Fr. 111); eine völlig verfehlte Erklärung, die durch
die unmögliche Unterscheidung der „Masse" von den „Unverständigen"
geradezu sinnlos wird]. In allen diesen Sprüchen erscheint IL als der
ethisch entrüstete Kritiker. Die praktisch reformatorische Idee hat
über das Interesse an der Einführung eines neuen Philosophems das
Übeigewicht gewonnen. — Schließlich geht G. auf die Greuzbestimmungen
des Begriffes ein. Der Logos ist nicht, wie man glaubt, mit dem Feuer
identisch ; diese Verschmelzung trat erst bei den Stoikern ein. (Ebenso-
wenig fallen ij^uy»] und avaöujjLia^i? mit dem l6'(o? zusammen. 'Ava&u[/.iac;'.c
ist als heraklitischer Terminus überhaupt verdächtig trotz Aristot. d.
an. 405 a 26; sie scheint vielmehr spezifisch stoisch [aber bei Aristot.
wenigstens kommt sie doch schon vor und zwar als heraklitisch]. Die
Doktrin von der avaöuixtaat? konnte sich ja auch erst nach der zuerst
bei den Atoniikern und bei Diogenes auftretenden Lehre von der dvaitvoy]
ausbilden). Weder kommt 7:üp in irgend einem der Sprüche H.s vor,
die einen eüiisch-kritischen Charakter tragen, noch ist umgekehrt dem
Xo-j-o; irgendwo ein Element physischer Ursächlichkeit beigelegt. Ver-
kehrterweise beruft man sich dafür, daß Phj'sisches und Psychisches
(Teichmüller), l6'io<; und Ttup (Heinze) bei H. identisch seien, auf Sext.
math. 7, 127 ff., der H. atomistisch-stoische Anschauungen unterschiebt
[s. dagegen Patin „Neues und Altes", wo dargelegt wird, daß Sextus
im Grunde mit der aus H.s eigenen Worten nachweisbaren Einheitslehre
übereinstimmt, wenn er auch diese Lehre etwas deutelt und dreht, um
H. mit anderen Philosophen unter einen Hut zu bringen]. Ebenso
falsch ist es, wenn man den X6-^oc mit der ewigen Bewegung, mit dem
Streit und dem Krieg oder mit der eifj,ocp[ji,£VY) [es ist fraglich, ob der
Ausdruck, EiixapjxevY] bei H. vorkam. Das bei Stob, überlieferte, übrigens
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 27
von Diels als unecht bezeichnete Fr. zixi yxp ei|xapix£va -avTtoc . . . ,
das A. ganz verkehrt übersetzt, bietet nur die Pluralform des Neutrums]
und dem otxaiov gleichsetzt. Das Ergebnis fallt A. S. 43 ff. so zu-
sammen: X070C ist bei H. kein „Paragraph in seinem Lehrsystem", sondern
„eine ästhetische J^ormel für seine auf das Leben gehende ethische
Intuition". X070; und -üp bilden bei iiim zwei verschiedene Centren.
Dies ist sicher kein größerer "Widerspruch, als wenn H. die Seele mit
dem Tode erlöschen läßt und anderwärts doch, wie man nach Fr. 122,
102 und 101 trotz Patin annehmen muß, eine individuelle Unsterblich-
keit lehrt [vgl. dagegen, was Patin „Neues und Altes" zur Recht-
fertigung seiner Auffassung bemerkt]. Der Xo-|Oc ist die intellektuelle
Basis der Welt und zugleich „der Wahrheit zuverlässigstes und klarstes
Ideal". Während dieser Begriff seinem Umfange nach sehr bedeutend
ist, indem er das ganze Universum umfaßt, ist sein Inhalt bald erschöpft.
Er erscheint so bei H. noch sehr unentwickelt; es haftet ihm noch
nichts Teleologisches und Systematisches an. — Im folgenden bespricht
A. die Weiterentvvickelung des Logos bei Anaxagoras. Dieser hat
freilich den Impuls für seine Lehre vom voü; schwerlich aus H.s Logos-
sprüchen erhalten, sondern er knüpft an die eleatische und atomistische
Lehre an. Der Fortschritt von H. zu Anaxag. besteht darin, daß,
während jener in seinem Logos eine Norm der Vernunftmäßigkeit ge-
funden hat, dieser in seinem Nus auf die wirksame Zweckmäßigkeit
selbst hinw^eist. So hat die anaxagoreische Philosophie auch die Ent-
wickeluug des Logosbegriffes gefördert. Eine gewisse Beachtung ver-
dient auch Emped. mit seinen beiden Bewegungsfaktoren und seiner
Perzeptionstheorie. Piaton hat zwar durch seine Nuslehre und vor
allem durch seine Ideenlehre auf die spätere Logostheorie in hervor-
ragendem Maße eingewirkt, aber das Wort X070? im metaphj'sischen
Sinne kommt bei ihm nicht vor [übrigens auch bei Anaxag. nicht],
ebensowenig bei Aristot. und in der Epinomis (die Worte 986 c: ov
£Ta$ö XoYoc 0 TzavTcov öoioxaxo? hält A. für ein späteres Einschiebsel).
Erst in der Stoa wird der Xo-co? zu einem einheitlichen Prinzip, das
diese Welt gestaltet. Die nun folgenden Ausführungen über die Stoiker,
die alexandrinische Philosophie, besonders Philon, und die Neuplatoniker
liegen außerhalb dieses Berichtes. — Die Untersuchung Aalls hat in
den Besprechungen von Döring Litt. C.-Bl. 1897, 1029 ff., P. Wend-
land Theol. L.-Z. 1897 No. 15, E. Wellmann D. L.-Z. 1897, 930 ff.
und Patin „Neues und Altes" (vgl. aul.'erdem Ossip-Louvie ßev.
philos. 1897, 312 und Adam Mind VI 428) eine vorwiegend ungünstige
und besoudeis in Bezug auf H. ablehnende Beurteilung erfahren. Ich
kann mich dieser Beurteilung nur anschließen. Philologisch betrachtet,
ist die Arbeit durchaus minderweitig. Verf. versteht zu wenig Griechisch.
28 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Zum Beweise dafür mögen außer den bereits angeführten noch folg-cnde
Proben seiner Behandhing der Frag-mente dienen, In die Worte d.
diaeta c. 11: «puiiv ol Trav-e? (so liest er, offenbar nach der Kühnschen
Ausgabe, statt des jetzt handschriftlich gesicherten TiavTwv) rjtExoajjLrjaav
■KxX.^ die er unter fälschlicher Berufung auf Patin für echt heraklitisch
hält, legt er den 8inn hinein, dad sich an der Ausstattung (?) der
Natur alle Götter beteiligt haben, alle göttlichen Hände (?) mit ihrer
Ausschmückung (?) beschäftigt waren, und daß sich die Götter dieser
Arbeit ehrenvoll entledigt haben (so übersetzt er ozo^a 6s ftsol
Sieftsaav opOöi? £/£t!). Fr. 91 wird q'jv v6(p X£-fovT7.s so wiedergegeben:
„die, welche glauben, etwas Anständiges sagen zu können (!!). Das
Stärkste in dieser Hinsiclit bietet die Erklärung von Fr. 48: „Lasset
ans nicht, wenn wir uns über die großen Sachen verständigen wollen,
Verfängliches (dy.r^l) beibringen (jup-ßaXojiJLEfla!)." Soll man da noch
an Druckfehler glauben, wenn man „Pythagoräer" und „pythagoräisch"
liest, um von den zahlreichen Fehlern in griechischen Citaten zu
schweigen (fast durchweg z B. Sttoi/oi!)? Auch von Quellenkritik ist
keine Rede. Nirgends prüft Verf., ob die von ilim als Belegstellen
angeführten Fragmente, wie z. B. Fr. 131, 133, 106 und 107, als echt
anzusehen sind. Aber nicht bloß in der rein philologischen Behahdlung
der Bruchstücke, sondern auch in der Erfassung des philosophischen
Gehaltes der heraklitischen Lehre vermißt man die gesunde historische
Methode. Gerade was er nach der Ankündigung im Anfang der 1. Abh.
anderen vorwirft und seihst zu vermeiden verspricht, das Hineintragen
späterer Anschauungen in die Gedanken H.s, findet sich bei ihm iu
reichlicherem Maße als bei den meisten seiner Vorgänger. Was in dem
anschaulichen Denken des Ephesiers noch ungeschiedeu liegt, Sinnliches
und Geistiges, Natürliches und Göttliches, Physisches und Ethisches,
scheidet er und stellt er zu einander in Gegensatz. Glaubt er doch
im Ernste, daß die Gegenüberstellung von vorixov cp'lj? und aiJÖYjxov ffuic
in den "Worten, mit denen Clemens Fr. 27 einleitet, wenn nicht wörtlich,
so doch dem Sinne nach, auf H. zurückgehen. Kein Wunder, daß er
auf diesem Wege zu dem grundfalschen Ergebnisse gelaugt, X670C und
Tiup seien völlig verschieden, jener habe ausschließlich eine ethische,
dieses lediglich eine physikalische Bedeutung. Hätte er es der Mühe
für wert gehalten, auf H.s Psychologie und Eschatologie ein wenig ein-
'zugehen, so hätte ihm nicht verborgen bleiben können, daß das Feuer
in der Seelenlehre H.s und in seinen Vorstellungen vom Jenseits eine
wesentliche Rolle spielt. Daß umgekehrt dem X670C eine kosmische
Bedeutung zukommt, hat er zwar erkannt und au mehreren Stellen
ausgesprochen, setzt sich aber damit nur in Widerspruch mit seiner
Hauptthese, wie denn überhaupt die Entwickelung der Gedanken bei
Beriebt über die griechischen Philosophen vor Sokrates, (Lortzing.) 29
ilim vielt'uch an bedenklicher Unklarheit leidet, ein Maugel, der doch
nur zum geringeren Teile auf seine ungeschickte Handhabung der
deutscheu Sprache (A. ist Schwede) zuiückzuführen ist. Für H. ist
das Prinzip der Dinge etwas ewig Bewegliches und Lebendiges, das ihm
bald als Stoff angeschaut, Feuer, bald, als vernünftiges, in allen Wand-
lungen des Stoffes herrschendes Gesetz X670;, dann wiederum als Ur-
sache des ewigen Auseinauderstrebens und Ineinanderzuiückkehrens der
Gegensätze Krieg und Harmonie heißt u. s. w. Alle die verschiedeneu
Benennungen, die A. streng vom X070C geschieden wissen will, sind in
Wahrheit nur die verschiedenen Seiten des einen, alles vernünftig lenken-
den Feuers. Bei einer solchen Anschauung lassen sich auch Ethisches
und Physisches nicht trennen; sie sind vielmehr durch eine innige
Wesensgemeiuschaft verbunden. Daß A. dieses Verhältnis verkannt hat,
ist ein Anachronismus. Er hätte es aus den Darstellungen von Heinze,
Zeller, Gomperz und Patin ersehen können, mit denen verglichen seine
Arbeit einen entschiedenen Rückschritt bedeutet. — Aus Patius kurzer
Abh. (No. 324), die zur Verteidigung seiner Ansichten anderen, be-
sonders Aall gegenüber geschrieben ist, haben wir alles Wichtige ge-
legentlich schon erwähnt.
Mariupolsky unterscheidet in der Entwickehuig der Evolutions-
theorie zwei Phasen: in der ersten handelt es ich um das Wie, in der
zweiten um das Warum in der Entstehung der Dinge; die eine hat
die Entfaltung, die andere die Entwickelung der Natur zum Gegen-
stande. Von diesem Gesichtspunkte aus bespricht er in 4 Abschnitten:
1. H. S. 1—14; 2. die Stoa; 3. Telesius und Bruno; 4. Hobbes. Für
uns kommt nur der erste Abschnitt in betracht, und auch dieser nur
insoweit, als er eine rein geschichtliche Darstellung der Lehre H.s
giebt oder geben will; auf die von den ganz modernen Begriffen der
Entfaltung and Entwickelung ausgehende Kritik am Schlüsse des Ab-
schnittes können wir uns hier nicht einlassen. Gewiß hat eine solche
Kritik ihre volle Berechtigung, aber sie kann leicht den, der sie übt,
dazu verleiten, den antiken Denkern moderne Anschauungen und Begriffe
unterzuschieben. Zwar hat sich M. vor dieser Klippe im allgemeinen
geliütet(s. jedoch die unleidlich modernisierende Übersetzung von Fr. 78);
aber eine andere Gefahr hat er nicht in gleichem Maße vermieden.
Sie besteht in der Schwierigkeit, von der Darstellung der ältesten Sy-
steme nicht nur rein moderne und nicht nur platonische, aristotelische oder
stoische Vcistellungen fernzuhalten, sondern auch solche, die erst auf
späteren Entwickelungsstufen der vorsokratischen Philosophie zur Ent-
faltung gekommen sind. Wenn es S. 3 heißt: „Das Prinzip des
„Werdens" als etwas für H. Unzeitgemäßes, Verfrühtes hiuzustelien,
können [lies: hinstellen können] wir schon darum nicht, weil das ent-
30 Beriebt über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
fiegengesetzte Prinzip des ,Seins', was niemand bestreiten wird, schon
bei Parni. zu finden ist", so ist dagegen zunächst einzuwenden, daß der
,,BegTiif des Werdens" bei H. uocli keine selbständige Ausprägung er-
lialten hat: eine solche begegnet uns erst im sopliistischen Zeitalter bei
den Neuherakliteern und Protagoreern (s. Piatons Theaet.), während
H., nach den erhaltenen Bruchstücken wenigstens, nur den Gegensatz
und die Harmonie von Sein und Nichtsein kennt (eT[ji.ev xe xal oux eljxsv
Fr. 81). Unausgesprochen liegt ja allerdings der Lehre von dem Aus-
einandergehen der Gegensätze die Anschauung des Werdens zu gründe,
und dies ist auch den auf H. folgenden Philosophen nicht verborgen
geblieben, die im Gegensatze zu jenem einmütig die Möglichkeit einer
qualitativen Veränderung bestreiten. Der erste unter den Gegnern H.s
aber ist Parm. ; denn es ist, wie wir wiederholt bemerkt haben, ein
Irrtum, anzunehmen, H. habe nach Parm. geschrieben und sich gegen
diesen (M. meint sogar, auch gegen dessen Schüler Zenon!) gewendet.
Im allgemeinen hat H. die Hauptpunkte der Lehre H.s ziemlich zutreffend
hervorgehoben und einige beachtenswerte Betrachtungen daran geknüpft,
wie die, daß H. von einer allmählichen Vervollkommnung der Natur
nichts weiß und die Weltentfaltung bei ihm kein Progreß, sondern ein
Regreß ist. Nicht ungeiiigt aber darf bleiben, daß die von M., übrigens
nur in deutscher Übersetzung und ohne Quellenangabe, seiner Darstellung
eingeflochtenen Fragmente zum nicht geringen Teile gar nicht zu den
wirklichen Fragmenten gehören, sondern teils der Schrift d. diaeta, teils
den an die Citate sich anschließenden Zusätzen der Quellenschriftsteller
entnommen sind. — Warum M. die übrigen vorsokratischen Philosophen,
von der ganz gelegentlichen Erwähnung der ältesten lonier abgesehen,
von seiner Darstellung ausgeschlossen hat, ist unverständlich. Eine
Weltentfaltung findet sich doch nicht bloß bei H,, sondern in den Sy-
stemen fast aller Philosophen von Auaximander bis auf Anaxagoras und
Demokrit, die Eleaten ausgenommen (vgl. jedoch auch hier die A6$a
des Parm.). Besonders zu verwundern ist es, daß er die Ansätze zu
einer Art von Descendenzlehre bei Anaximander und Emped. gar nicht
beachtet hat.
Zu G. Mayer (No. 328) verweise ich auf die kurze Inhalts-
angabe bei Diels Arch. I 102 sowie auf die Besprechungen von
Thilo Zschr. f. exakte Philos. 15, 412 ff. und von Köber Zschr. f.
Philos. 90, 2 S. 315 f.
Zur Kritik des Textes der Fragmente
ist fast alles Wichtige bereits in den vorstehenden Besprechungen bei-
gebracht worden. Hinzuzufügen wären noch etwa folgende Vermutungen.
In Fr. 12 hält Rohde Psyche 356, 3 die Worte -/iXtujv steojv l^ixvaexaL
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 31
TT, <fwv^ ota xov i)£ov für einen Zusatz Plutarchs, wiihreud Schleier-
macher und Diels (Fr. 92) ota tov Oeo'v als echt ansehen. — Fr. 39
vermotet Diels doxogr. 163,2 zweifelnd <>u-/p6v statt xa <\i'r/pd. — In
dem von Byvv. in der Anm. zu Fr. 4G angeführten, von Diels wieder
in den Text (Fr. 124) gesetzten Citat aus Theophr. Metuph. 15 schreibt
Diels Jeu. L.-Z. 1877, 393 flf. und in seiner Ausg. adpixoL für aapf. —
Fr. 62 für ypewixsva Diels Jen. L.-Z. 1877, 394 uud Wilamowitz
Herakl. II 68: ypetov (ebenso Zeller 655,3). — Fr. 91 Weil rev. de
philo], II 85 f. vooi für vo|xot. Am Schluß dieses Fr. Patin ,,Quellenst.
zu Her." I^apxssi <TravTa> tcöcji. — Den bei Stob. flor. I 180a den
folgenden Sokratessprüchen zugewieseuen, von Ilense abgetrennten Satz:
<l'y/r^i ejti X070; eau-öv a'j;o)v hat nach Diels (zu Fr. 115 seiner Ausg.)
11. Sehen kl [wo?] mit Recht für H. in Anspruch geuommen.
F. Empedokles.
1. Zur Kritik uud Erklärung der Fragmeute.
*328. S. Reinach, Le texte d'Empedocle. L'Iustr. publ. 1876
S. 165—167. 183—184. 247—249. 277—279.
329. H. Diels, Studia Empedoclea. Hermes 15 (1880) S. 161
-179.
330. F. Blaß, Zu E. Jahrb. f. kl. Ph. 127 (1883) S. 19 ff.
331. Th. Bergk, Kleine philologische Schriften, herausgegeben
von Peppmüller. II. Halle 1886. A. Empedoclea. S. 3—66.
332. F. Knatz, Empedoclea. Schedae pliilol. H. Usener . . .
oblatae. Bonnae 1891, S. 1—9.
333. H. Diels, Pseudonaevianum. Rh. Mus. 49 (1894) S. 478.
334. Th. Gomperz, Zu E. Hermes 31 (1896) S. 469—471.
335. A. Platt, Notes on E. Journ. of Philol. 24 (1896)
S. 246 f.
336. H. Diels, Über ein Fragment des E. Sitz.-B. d. Berl.
Akad. d. Wiss. 1897 (49) S. 1062—1073.
*337. A. S. Ward, Erapedocles. Chancellor's Latin verse. Oxford
1897, 16 S.
*338. E. Radioff, Empedokles. (Paissische Übersetzung in Versen.)
Journal des Kaiserl. russ. Min. d. Volksaufkl. 1889, Febr.— Mai.
339. Sphaeram Empedoclis quae dicitur rec. et dissertationem
adi. F. Wieck. Dissert. Gryphiswald. Lipsiae 1897.
Der Inhalt von No. 328, einer Jugendarbeit Reiuachs, ist nach
einer brieflichen Mitteilung des Verf. folgender. Claudiun Panegyr.
o2 Bericht über die griecbiscljen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Älallii Tbeodori beweist, dalJ die Werke des E. noch am Anfange des
5. Jahrhunderts erhalten waren und zwar in Mailand. Aurispa hat
xaUapfxou? 'E\i.r.tooY.Xi(joi (so nach Martene, der richtig gelesen zu haben
scheint; Morellis Lesung xai -iva 'Eixtt. iu einem lateinischen Briefe ist
unwahrscheinlich) von Griechenland nach Italien gebracht. Die Arbeit
bespricht dann die älteicn Ausgaben des E. sowie eine wenig bekannte
Arbeit von Dezeimeris (im Moniteur vom 4., 8. und 9. Juni 1846), in
der drei Werke der Hippokratischen Sammlung aut E., Demokrit und
Diogenes Apoll, zurückgeführt worden sind (!).
Diels bietet in No. 329 folgende Konjektui-eu [vgl. Diels' soeben
erschienene Ausgabe der Poetarum philosophorum fragmeuta, Berlin,
Weidmann, 1901]. V. 48 f. Stein: ex xe ^ap (ex xoü -^ap Philon, ex xe
oder ex xoü Ps.-Arist. ; der Artikel nach den von E. streng beobachteteu
Gesetzen des alten Epos zu beseitigen; so auch v. 143, wo D. zu lesen
vorschlägt: '/tupU l'äp ßapu [xo ßapu Plut.] Tiav xal /tupl? xoücpov
[i6 X. Plut.] <ei)Y)xe> [Gomperz No. 334 ergänzt aT:ejxrJ; s. jedoch
Burnet early gr. ph. 218 ff., der den Vers mit Rücksicht auf Aristot.
d. cael. 309a 19 streicht; ebenso jetzt Diels zu Fr. 27 seiner x^usg.)
ouSa[JL' eovxoc (ouoaix^ ovxo? Philou) afj.rjyav6v e3xi Yevej&at xai x' eöv
e^aTcoXeaöai (so Philon cod. V.) avr^vuaxov xal «Truaxov (so nach
Mangey; vgl. Parmen. 8, 21). — V. 109: xocrov oia xpaaic (Simi)l.
xo^ov SiaxptJts oder ötaxpacis; jetzt schreibt D. xpr^at?, Sturz fälschlich
aus Sinipl. zu v. 38 oiairxu^i?) ä\iti^zi. — V. 118: eijoxev e? ev (ei^oxev av
Simpl. Aid.) die guten Hss eijox' ev oder ov; jetzt hat D. eb-
o'xev £v in den Text gesetzt und vergleicht dazu v. 79). Im folgenden
ist xo Tiäv vielleicht nicht adverbial zu fassen, sondern mit x6 ev zu
verbinden (= Universum, der Sphairos). Es handelt sich iu der Stelle
um die Vereinigung der Elemente zum Sphairos, durch die nach E. der
Untergang jener eben80 wie durch ihre tägliche Trennung herbeigeführt
wird. — V. 162 schlägt D. cvepil' eöeos (sub nostra sede) vor [in der
Ausg. behält er jetzt das überlieferte ouöeo? (mit Sj^nizcse zu lesen) bei?
vgl. Bidez No. 345 S. 110,4]. — V. 166 zieht D. das von Karsten
vermutete pmaT? statt des bei Aristot. überlieferten pi'Caic vor [jetzt
verwirft er piKaT? ebenso wie Scaligers poi^oi? und behält pi'Cai? bei]. —
V. 168: apüjxia [jl£v ^ap eaaiv exuxuiv uavxa [jLe'peaaiv [jetzt xaüxa
eauxüiv (Simpl. eauxa oder aüxot eautojv) tt. jx.]. — V. 188: ojcr^ cpt'X'
statt des nach Form und Sinn zu verwerfenden tpiv [jetzt cpiv beibeh jhJ.
— V. 191: e-/{lpa <öc> [jetzt h/ßpa <o'a>] TrXeiaxov a-' dXXr,A(üv
oie-/ouai ixaXttJxa. — 192: 7evvv) mit Simpl. (Karsten -^evva). — 193:
das Komma nach Xu^pa zu tilgen. — 194: Neixeo? ewecjiYjjiv (so
nach Panzerbieter; Simpl. veixeo7evv£(jxr]aiv) oxi acpt'at 7evvav eop-fev
(op-joc Simpl.). — 197, wo Karsten aus den Worten 7:upt yiip au^ei xo
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing) 33
-~jp, mit denen Aristot. v. 198 einleitet, den Versschluß: rupl ö' au;av£-
xai -üp hergestellt hat, ergänzt D. aas Lucrez II 1114 f. so: Zdixi jxev
-j'ap uoiup, Tiupl 6' aü;£TC(t (U7U710V -öp [jetzt glaubt er, daß sich
aus den Worten des Aristot. kein Vers gewinnen lasse, wenn man auch
aus ihnen und aus Lucrez schließen könne, daß E. hier außer der Erde
und der Luft auch die beiden anderen Elemente erwähnt habe]. —
200 schreibt D. mit Steinhart tw 660 (twv 5 Hss des Aristot.; sonst
xa; und ~a. überliefert); der Artikel nicht zu entbehren. — 234 ver-
mutet D. xaXyöJv statt val {jlt^v mit dem Bemerken, daß E. in der
Aufzählung von 3 Substantiven, von denen in der Regel nur das dritte
mit einem Beiworte versehen war, einen homeiischen Gehrauch befolgt
(vgl. V. 106. 125. 204. 384) [jetzt behält er vat [xr^v bei]. — 247:
TOÜTO |Xev £V (Sirapl. phyS. 1124, 12 TOÜTOV |J.£V a'v) ßpO-£U)V [xeXeüjv
dpio£ix6Tov 07x0) (Simpl. oyxov) [jetzt: xoüto |X£v av . . . 07x07: ,,certa-
men (Concordiae et Discordiae) manifestum est per mortalium membro-
rum molem"]. — 251: ■Kctpä (statt Tiepl) pr^/ixiv. (jetzt mit Simpl. A.
::£pippT)7[jLrvt]. — 260: axetpoic Statt axtEpoic (Aelian) [jetzt verwirft
D. diese Vermutung sowie die in Melanges Weil 1898 S, 129 ver-
öftentlichte axipoi; und verteidigt axispoTj]. — 269: oux' Ivotctjv oio'v t'
(oia x' Simpl. E.). — 276: ev 7otp {);p|i.ox£ptij xoxa? app£voc ettXexo
7aaxr(P (xo xax' appEva etiXexo 7aiV,? Galen). Die Überlieferte Lesart ist
zu verwerfen, weil E. in der Zulassung des Hiatus strenger war als
die Epiker und ihn selbst am Schlüsse des vierten Fußes vermieden
hat; daher v. 294 und 311 sx-veei statt ex-vei zu schreiben. Dagegen
v. 404 vExpa Ei'osa beizubehalten, da der Hiatus hier durch Digamma
entschuldigt wird. In der von Galen kommentierten Stelle Hippokr.
Epidem. VI 2, 25 sind die Worte sv &£p|i.ox£poi; und xal [XEXavE; oia
xoöxo aus den an den Eand geschriebenen Versen 276 ff. des E. in den
Text geraten. Ebendort ist statt e^u) ai ^Xe^e; jxaXXov (ebenfalls Glosse
aus E.) zu schreiben: (j.eCu> [doch wohl [jleCove? oder [xe^oo;?] at 9X. xal
yoXcuÖETCEpov (i-c. xo £|xßpuov). — 277 vielleicht ivwosjxEpoi statt dvopw-
oEaxEpoi zu schreiben [letzteres jetzt beibehalten mit dem Bemerken :
iioli annominationem Empedocli demere]. — 318 ist das Komma hinter
dvEjxtüv zu tilgen und d[j-op7o6? nicht — d[xop7ivouc (linteos) zu fassen,
sondern vo)i d[j,£p7Eiv -^^ ofjLop'/vuvai abzuleiten. Ilavxoiojv dvEtxcov Xa[x--r,-
pa; dfiopfouc heißt: „lucernas, quae laminis corneis circumdatae vento-
rum vira illisam velut detergent neque intra permeare sinunt". —
344 enthält die Vulgata: -EXdaaci)' 000 ocpi)aXji.oT3iv einen metrischen
Fehler, da E. nur die u£v^Tf)[xi|jLEpT^; ohne die i'■f>^hl\x.^\^.^pr^i oder die
bukolische Cäsur verwendet; es ist daher nach Clemens tie Xdaaaaai^at
EV zu lesen. Eine Ausnahme von dieser in 130 Versen beobachteten
Eegel bildet nur v. 367. [Eine zweifelnd vorgeschlagene Umgestaltung
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 3
34- Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
dieses Verses hat D. jetzt dadurch überflüssig gemacht, daC er mit
einer ganz leichten Änderung liest: o'j; I7W i^epetu • [xaXa 0' ap7aXsYj
(Synizese) <^> 7s Te'-cuxxat. — 431: 01 oe ^opeuvTai (statt -opeüv-ai);
vgl. Parm. 6, 6. Vor v. 430 mag ein Beispiel von der Mutter voraut-
gegangen sein (vgl. 434), oder es ist v. 430 zu schreiben: (JXXa^avxe
und 9iX(u uiu) [jetzt liest D. mit Bergk 01 6' liropsuvtat (vgl. ^F 212):
,,at illi instant" (sc. pueri)] — 432 Xiaaofxevoi beizubehalten [für das
darauf folgende duovTsc (Buovto; G. Hermann) liest D. jetzt mit Wila-
raowitz Ouov-o;]. — Zu 442 f. bemerkt D., aus Aristot. poet. 1457b 13
(vgl. Vahlens Ausg. III, 220, der die Anspielung auf E. zuerst erkannt
hat) ergebe sich, daß xaixovxa oder ein andrer Kasus für dvtiJ,ü)VTa zu
schreiben ist, das auch bei Theon ursprünglich stand. Zu der Identi-
fizierung von Ta|i.£rv und apujai wurde Aristot. vielleicht durch E 292
verleitet; bei Laert. 8, 87 nennt er E. 'üixr)piy.6v. E. mochte etwa
geschrieben haben: xprjvatov auo Trlvre Ta|j,a)v [jetzt xajJLOvt'] <£v>
dxetpei (Theons Hs dxYjpei) yaXxto | -/sipa? dTroppu^j^at [die beiden
letzten Worte läßt D. jetzt weg]. Gomperz No. 334 will lesen:
Ta[xu)v <ji6|j.'> dxeipEi. 'Atto ttsvxe xprjvatuv weist auf fünfmal wiederholte
Lustration, wie sie E. denen befahl, die sich des Tieressens schuldig
gemacht hatten. Das zweite Citat bei Aristot. a. a. 0.: yaXxo) duo
(J^u/Tjv dpucjotc ist gleichfalls von Vahlen richtig als ein Vers ans den
xaOapixoi erkannt worden [jetzt von D. als Er. 138 aufgenommen]. —
153: u>; au7fi xu']>aja (js?;rjvair)c xuxXov eupuv kann man aus Philon d.
provid. II 70 Aucher S. 92, wo der armenische Text ungenau den
Mond statt des ursprünglichen Himmelslichtes zum Olymp zurückkehren
läßt (vgl. V. 181), griechisch so ergänzen: xal [j-r/av auxiV dv^XOe, öeouj'
(i); oupavov Txot. — Aus Plut. d. fac. 943 B hat Usener richtig erkannt,
daß E. den Mond als 7Xaux(üTric augeredet hat. Es ergiebt sich also
das neue Fragment: 'ilauy.ü>m SeXrjvirj [in der Ausg. (zu Fr. 42) schließt
sich D. an Wilamowitz an, der in dem Fragment des Euripides bei
Nonnus (1009 Nauck) für EuptTriör)?: 'E[j,ir£ooxXrj; liest und so folgende
Form des Bruchstücks gewinnt: 7Xauxü)mf axpecpsxai [J-ir^wj], — 312 schreibt
D. mit Ph. Buttmann x£p[j.axa statt Y.i\).\iaxa oder xspjxaxa bei Plut.
Ein mit diesem Verse in Zusammenhang stehendes Fragment haben
Usener und Nauck bei Ps.- Alexander problem. III 102 erkannt. D. er-
gänzt in engem Anschluß an Plutarch: <ev 6pi(p> oaa (so IT. und
N. für 0? oder w») draXeiTre ttoScüv diraXT) Trspiuvoia (so N. statt dir.
Trepiirota) [jetzt schreibt D oju' dueXeiTre TioSüiv aTraXv] Tispl iioia,
zweifelt aber, ob der Vers eine Fortsetzung von 312 bildet]. — Schließ-
lich weist D. nach, daß die von Stein Philol. 15, 143 aus Cramers
Anecd. Oxon. III 184 seiner Ausgabe hinzugefügten Verse aus dem
Briefe eines unbekannten Byzantiners des 12. Jahrhunderts unecht sind.
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrafes, (Lortzing.) 35
Blaß bespricht folgende Fragmente. 127 schlägt er vor: outw
fiTj (j'dTraTYj cppeva xaivuTü) (xai vj tcj [oder xtot, tcuJ Simpl. ; vgl. Hesych.
xaivuTo). vixccTü>) aXXoöev elvai [von Diels in seine Ausg. aufgenommen].
— 152 ist cpXo$ IXaetpa nicht auf den Mond zu beziehen noch ^atrjc zu
beseitigen (Stein au-^^j, Karsten ahr^z), sondern nach der Erklärung des
Simpl, : xa fxopia xcSv ^üjwv ist ^Xo$ hier das Element des Feuers, das mit
etwas Erde, Wasser u. s. w. einen bestimmten Teil des menschlichen
Körpers, wahrscheinlich die Augen, bildet. Zu [xtvuv8aStT)c vgl. X 54.
— 320 fügt B. die im cod. P des Aristot. hinter 9(0; (B. liest mit
cod. E TTÜp) ö"e;cü geratenen und verstümmelten Worte hinter v. 323 in
folgender Gestalt ein: <ai> yoav-irjji oi'avxa xetp/^axo i}eaireai7]jiv [so
auch jetzt Diels]. AI os v. 324 geht nun auf die yoavai, die trichter-
förmigen Öffnungen oder Poren in der Haut des Auges, die özcjKSJiai
d. i. unendlich klein oder unendlich zahlreich heißen, falls nicht nach
V. 202 ÖTjjjreaiVjöev zu schreiben ist. Ai'avxa, sonst unbelegt, — 8ioi[ir.zpi;.
V. 325 ist mit cod. P statt otaöpöiaxov zu lesen: otisjxov [so auch
Diels]. — Auf V. 385 spielt Sext. math. 11, 96 an (vgl. Lucr. V 226).
Bergk und Stein haben fälschlich die Worte des Clemens mit denen des
Hierokles kombiniert und aus letzteren dxspxcea yüipov statt des bei Clem.
überlieferten und durch Sext. bestätigten äjuvriöea -/. gesetzt [so auch
Diels, der v. 320 f. von 385 als besonderes Fr. trennt und letzterem
axep-ea ycupov voraufschickt (vgl. Fr. 118 und 121 D.)
Peppmüller hat in die von ihm wieder abgedruckten Bergkscben
Empedoclea (I. De locis quibusdam Empedoclis, II. Commentatio de
Empedoclis pvooemio, III. Aus: Commentat. crit. spec. II, IV. Rezen-
sion des Karstenschen Emp.) eine Anzahl nachgelassener Notizen Bergks
eingefügt. S. 36 zu v. 337: -Y^ovxai xai aaüivxat statt aviüivxai [Diels
nach Karsten: ^oovx' rfi'' aviöivxai]. S. 48 zu v. 177 f.: d|xüypu)j oder
döaixßecot (statt a[X£[j,cp£co?) | uäv i^sjxrixev tcw (statt ttu) [Diels xwv]
Trav e$ejxT)xev). S. 49 zu v. 181: Yj-iocppojv (I)iX6xy]? a^-z\i^i(Oi (statt
«PiXoTTjxoc d|jLS|JL(peo?, wofür Bergk früher d[xe[x'f£ü>; vermutet hatte; so
auch Simpl. phys. F, vgl. Diels' Ausg. S. 122) a}ji.;^jpoxoc opfj.*]. — No. V
bei Peppmüller ist eine ans den N. Jahrb. f. Phil, 1883 S. 59—66 ab-
gedruckte Rezension des Steinscheu Emp. B. verwirft die auf
einem Mißverständnis der bekannten aristotelischen Stelle beruhende
Ansicht Steins, E. habe seine Ouciixa in jungen Jahren geschrieben —
die $u(jixd mögen etwa Ol. 84 (Blüte dos E. nach Laert,), die KaSapiioi
Ol. 86 (Blüte nach Euseb.) geschrieben sein — , und bespricht dann
hauptsächlich v. 222 ff. und 338 ff. — Auch in der einen Bestandteil
der Sammlung bildenden Schrift de Aristotelis libello de X. Z. G.
hat Peppmüller zwei Konjekturen zu Emp. aus Bergkschen Randnotizen
3fi Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.
hinzugefügt: v. 108 auta ^ap eaxiv xaura (statt Taüxa) und v. 109 oia-
Ot^ic [Diels ?'ia xp^atc, s. o. zu No. 329].
Knatz bespricht im ersten Abschnitt seiner Abhandlung die
Namen der Elemente bei E. 33—35. Er entscheidet sich für die Deutung
der Hera als Erde, für die am besten das Beiwort 9epEc;ßio; paßt; dieses
Beiwort mit Schneidewin auf das folgende 'Aiowveu; zu beziehen, ist
sprachlich (wegen der Stellung von rjoe) und sachlich (?) unmöglich.
Aidoneus als Gott der Unterwelt bezeichnet wahrscheinlich das Feuer,
da nach E. (vgl. besonders die Stelle Plut. d. prim. frig. c. 19, 4
S. 953, aus der Usener ein Fr. des E. hergestellt hat) unterhalb der
Erde sich weder Luft noch Erde, sondern Feuer befindet. Damit stimmt,
daß V. 201 das Feuer "H^aiaxo? heißt (vgl. auch die Beiwörter di3r)Xov
und (u'/u-yiov). Wenn es mehrmals auch yjXtoc (auch yjXexTcüp und Ttxav)
genannt wird, so ist dies daraus zu erklären, daß nach E. die Sonne
aus Feuer entstanden ist. Den Zeus haben von den Alten nur Athe-
nagoras und Probus für das Feuer erklärt; die übrigen haben sich
weniger klar ausgesprochen. Die Erklärung ty)v Zim^ xai tov aidepa bei
Aet. und Stob, weist deutlich auf das heraklitisch- stoische Feuer hin,
das sich aber als agens principium von der materia patiens des E. weit
unterscheidet. Dagegen wird Zeus von den Griechen stets dem Himmel
gleichgesetzt, der nach E. aus dem Äther hervorgegangen ist (v. 187
oupavo'c geradezu für ai&iQp); unter ait^i^p aber versteht E. sowohl die
himmlische als die irdische Luft (av^p bei E. nur v. 132). Dieser Äther
wird von ihm treffend Zeu; (Jp^iQC genannt. Also ist Zeus die Luft und
Hera die Erde, und es findet zwischen ihnen dasselbe Conubium statt
wie in der griechischen Mythologie (vgl. v. 166). — Diese Argumen-
tation erregt in mehr als einer Hinsicht schwere Bedenken. Zunächst
spricht die bessere Überlieferung (bei Aet.) für die Deutung der Hera
als Luft und des Hades als Erde (s. Diels dox. 88 ff. und unsern Be-
richt I 159); doch kann sich hier Verf. für seine Auffassung immerhin
auf mehrere Zeugnisse der Alten berufen. Dagegen wird Aidoneus als
Feuer nirgends bezeugt, und vollends die Gleichstellung des Zeus mit
der Luft steht im Widerspruch mit der einstimmigen Tradition der alten
Berichterstatter, die ihn stets als Feuer gedeutet haben; Hippolyt be-
zeichnet ihn geradezu als uüp, was K. übersehen hat, und auch Aet.
und Stob, wollen mit ihren stoisierenden Ausdrücken nichts anderes
sagen. Schon hiernach muß die Knatzsche Hypothese, auch abgesehen
von der Unwahrscheinlichkeit, daß E. unter dem Gotte der Unterwelt
das Feuer verstanden haben soll, als hinfällig bezeichnet werden. —
Den zweiten Abschnitt der Abhandlung bilden einige „aniraadversiones
criticae". V. 372 hält K. für unecht: ein Abschreiber, dem die Ähn-
lichkeit der folgenden Verse mit der Stelle bei Hesiod Th. 780 — 806
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokratea. (Lortzing.) 37
auffiel, habe den Vers (--= Hesiod 793) aus dem Gedächtnis au den Rand
geschrieben, wobei er -/.ev in xat, drcoXei'^ac in «ixap-n^aa; verwandelte und
Tr,v wegließ [schwerlich zutreffend; Diels zu Fr. 115, 4 seiner Ausg.
iaßt afjLaptr;aa; im Sinne von ojjLaptrjCjac ; derselbe ergänzt Mel. Weil
125 die Lücke im Anfange des Verses so: <Nexei i)'> 0; x(e)
ETTiopxov xtX.]. — 58 f. K. verbessert die Plutarchische Stelle so: iva |i.Y)
— TO 'EjjL-eooxXeiov eireiv — 66$(u „xopu<paj exspac STspTjji upocaTiTcüv |
|x69(üv jjLY) TcXesiv (statt ixrj~e Xe'-fetv) dxpauov [xi'av" [von Diels aufge-
nommen]. — 85: ixerd deoTaiv (Sj'uizese) statt des überlieferten [izx'
ojotJiv (oder ixet' oajotdtv) [von Diels verworfen, der mit Brandis [xs-ä
Toiaiv schreibt]. — 387 ist nach der von Theon Smyru. p. 149, 6 hinzu-
gefügten Erklärung, wonach es sich um ^^veat? und cpöopa handelt, zu
schreiben: toxoc te cpovoc te (Theon xo'xos xe <p. xe, die sonstige Über-
lieferung cpo'vo; XE xo'xo? xe) [die Konjektur mit Recht von Diels ver-
worfen].
Der zuletzt erwähnte Vers findet sich, wie Diels (No. 333) ent-
deckt hat, in lateinischer Übertragung (aus dem griechischen Originale
des Adrast, das auch Theon exzerpiert hat), bei Chalcidius Plat. Tim. 76
S. 143, 17 Wr., wo er in der Wiener Hs fälschlich dem Naevius
beigelegt wird. Nevii. ist eine korrupte Variante für nex ubi. Das
Citat lautet: ut est in vetere versu: „nex ubivis, rabies, furiarum
examina multa".
Gomperz schlägt folgende Verbesserungen vor. V. 20 verwirft
er das überlieferte tiisxei, da das Verbum -laxeiv eine Unform sei, und
liest, teilweise im Anschluß an Karsten, der jedoch seine Vermutung
selbst wieder verworfen hat: jj-r^xs xiv (j<^ei (oder o<]^i) Titaxiv ttXe'ov t]
xax' dxouTjV [Diels, der mit Sext. cod. ß xi und tiXe'ov liest, behält üiaxEt
bei und verbindet es als Dativ mit l'/cov (vgl. B 33)]. — 131: xd
(lonisraus) .■jv eaopcüjjiEv d'-avxa statt saoptoixEva Tzdvxa [von Diels auf-
genommen]. — 183 ist nach Aristot. poet. 1461 a 25 unter Verwandlung
von Ctud in Ctup« und Einfügung von d' zu lesen: Cwpa ö' S Trplv xExpvjxo
und so zu verstehen: ^(upd xe Icpu [vielmehr Ecpuovxo aus v. 182] S zplv
xExpr^xo. Den eine Verbindung eingehenden und dadurch in die Ver-
gänglichkeit herabsinkenden Stoffen stehen andere, aus eben jener Ver-
bindung verdrängte und zu ihrer Selbständigkeit und Lauterkeit zurück-
kehrende Stoffe gegenüber. Schwerlich geht die Lesart bei Simpl. und
Athen.: xd zplv dxprjxa auf Theophrast zurück, der dann Cojpo'v durch
sein Gegenteil erklärt hätte. Wahrscheinlich hat Theophrast in dem
homerischen ^copo'xEpov öi xspaips (I 203) den Komparativ im Sinne einer
umgekehrten Steigerung {= mäßig rein) erklärt, und bei Athen, ist
vermutlich zu lesen: sTvai x6 <}XExptojc> xsxpaixsvov. Wenn bei diesem
dann völlig unvermittelt das Citat aus E. folgt, wo der Positiv Ctupo;
38 Bericht über die griechisclicn Pliilosophen vor Solcrates. (Lortzing.)
statt des Komparativs auftritt, so scheint er einiges Dazwischenliegende
bei Theophr. außer acht gelassen zu haben [anders Diels, der zu
Fr. 35, 15 vorschlägt: ^wpa xe xa rpiv. v/.pr^To (wie ejcXtjto gebildet)].
— Die Konjekturen zu v. 143 und 443 sind bereits unter No. 329
erwähnt worden.
Platts Konjekturen sind teils wertlos, teils schon von andern,
wie Panzerbieter und Stein, gemacht worden. P. hat offenbar nur die
Karstensche Ausgabe vor Augen gehabt und die Steinsche gar nicht
gekannt, ebensowenig die Dielssche Ausgabe von Simpl. phys. "Wenn
er V. 363 statt eruöovto y.Xuetv: IßoXovxo x. vorschlägt, weil er die
Verbindung von 7:uv9ave3&ott mit dem Infinitiv in der Bedeutung
„wünschen" für unzulässig hält, so ist dagegen zu bemerken, daß xXusiv
gar nicht als objektive Ergänzung zu iTiuöov-o gefaßt zu werden braucht.
Konstruiere: £7iu9ovto (sie befragten mich) (wcxs) xXueiv (um von mir
zu hören^. Überflüssig war auch die Bemerkung-, daß bei Piaton
Gorg. 493 A nicht E. gemeint sein könne, weil sonst PI. nur xo[i,']>o;
avrjp SixsXoc gesagt und nicht t] 'IxaXtxo'i hinzugefügt haben würde ; die
Worte SixsXof v.oix<\trji avrjp seien sprichwörtlich gewesen. Die richtige
Deutung der Stelle, wonach Philolaos oder ein anderer Pj'thagoreer ge-
meint ist, hat schon Hlrzel (s. zu No. 219) gegeben.
Diels (No. 336) hat aus der Herkulanischen Rolle No. 1012
col. 18 (coli. alt. VII fol. 15 und Bodleian. Facsim. t. III f. 13 n. 565)
ein neues Bruchstück des E. herzustellen gesucht. Der Epikureer
(vielleicht Philodemos) erläutert dort die Figur dtTtö xoivoü und zwar
diejenige der beiden Arten, in der das Verbum im ersten Gliede steht,
und im zweiten zu ergänzen ist, zuerst an einem Distichon des KaUi-
machos (7, 3 f. Wil.) und dann an zwei Versen des F., von denen der
erste fast vollständig, der zweite sehr verstümmelt und unsicher über-
liefert ist. Diesen schwachen Spuren nachgehend, vermutet D., daß
das Fr. etwa so gelautet habe: xov o ooV ap xe Aio; xe^eoi o6[xot ai-
7<i6-/_oio> I x£<p7tov> a<v> ouo(£) <ai9Tjp t) xXau>axo-j'6<vou tteoov
arTf)f>. E. zeigt sich auch hier als Homernachahmer. Zu dtoc x. 6.
vgl. Z 248, zu der Verbindung oux ap ts vgl. E 89. Dieselbe Ver-
bindung kehrt noch einmal bei E. v. 89 wieder, wo mit geringer
Änderung der Überlieferung bei Simpl. DE (apxi e-qqvexat) so zu lesen
ist: xat TTpoc xo^c oux' ap xe xt 7qv£xai ouo' aTioXrjEt. Der Gegensatz
von 7iv£cj9at und krfievj auch v. 71 f. Zur Entsprechung oux' ap xi — o'joI
vgl. 135 f. [In seiner Ausg. hat D. im Text die überlieferte Fassung
beibehalten und schlägt zweifelnd neben der obigen folgende Verbesse-
rung vor: oux' ap xt £TTau?£xai (vgl. Lucrez II 296 adaugescit) oux'.]
Was den Inhalt betrifft, so hat nach D. das Fragment in der Ph3'sik
des E. keinen Raum, da man nicht wüßte, worauf sich xov oi beziehen
Bericht über die griechischen Philosophen vor Soliratos. (Lortzing.) ;jO
sollte, wohl aber in den Katharmen. Wir dürfen annehmen, daß als
Oegensatz zum Palaste des Zeus die Erde als der „Anger des Unheils"
genannt war, der für die mit -ov oe bezeichnete Person als Aufenthalts-
01 1 gedacht war. Vielleicht sprach E. von dem Schicksal des frevelnden
(ieistes, der weder im Feuer noch in der Luft noch auf Erden zur
seligen Ruhe komme, wenn er nicht durch Buße und Läuterung seine
Sünden abschwöre. [In der Ausg. Fr. 142 lautet jetzt unter Berück-
sichtigung einer neuen Abschrift des Textes von Crönert der zweite
Vers so: -ip~o<. av ooos u — w — xe-co; — Uu , und zum Inhalt
bemerkt D., es sei zweifelhaft, ob die Reiche des Zeus und der Hekate
oder die vier fc^lemente einander entgegengesetzt werden.] In demselben
Traktat finden sich noch zwei Citate ans E.: f. 22 col. 29 =^ v. 2, wo
der Epikureer -rsTavtat (aus v. 289j statt xeyuvtai schreibt, und f. 25
col. 35 ^ = v. 288 f., wo die herkulanensischen Lesarten durchweg
schlechter sind als unsere sonstige Überlieferung.
Die Abhandlung von Wieck bezieht sich auf eine dem E.
fälschlich beigelegte Schrift. Vgl. E. Maaß comm. in Arati reliquias
154 tf.
In der unter No. 308 angeführten Schrift von Wendland S. 64 f.
wird bemerkt, daß sich Tiberius Alexander bei Philon d. prov. § 59 ff.
auf die Kosmologie des E. beruft, deren einzelne Phasen sich noch
deutlich erkennen lassen. Aus einer gleichen Berufung auf E. für die
Ansicht, dal] der Mond sein Licht von der Sonne wie ein Spiegel auf-
nimmt (Philon § 70, vgl. Diels Herrn. XV 175 o. No. 329), sucht W.
S. 68, 5 durch V^erbindung der beiden Verse 153 und 151 folgendes
Original herzustellen: 8>c 007-/) i6<^ol(jol oeXirjvaiVjC xuxXov eupuv | av-auvei
rpo; "OXuixTTov d-apßrjTO'.at irposw-otc Gegen diese Verbindung erklärt
sich Diels zu Fr. 43.
Aus Burnets Bemerkungen zu seiner Übersetzung der Fragmente
(Early gr. ph. 216 ff.) führe ich folgendes an. Für v. 91 f will B.
nach dem Lips. des Ps.-Arist. de M. X. G. 976 b 23 lesen: xoü Travxo;
ö'oijoev xeveo'v • iro'bev ouv xi x' s-e'XOoi; und setzt diesen Vers nach
134. — 97 liest B. XiuoEuXoj statt Xiko';uXov und mit der Hs des
Simpl. }iop(pT^ statt H-op'fÜ (Aid.); s, jedoch Diels zu Fr. 21, 2. —
353 liest B. dv' axpa KoXeu; <x>. — 384 ist IXXotto; nicht =- stumm,
sondern --TCoixiXoc: „a glittering fish." — 409 vermutet er [xaxxoi;
(statt 7paT:xoT;) x£ ^cuoiat [s. jedoch Diels zu Fr. 128, 5J. — 415 ff. be-
zweifelt er die Beziehung auf Pythagoras; er glaubt, E. spreche hier
noch von dem goldenen Zeitalter, und vermutet, dal] sich die Verse
auf Orpheus beziehen. S. jedoch Rohde Psyche IV 417 und Diels
zu Fr. 129.
40 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
2. Zur Lehre und zum Leben des Empedokles.
340. R. Schlag- er, Empedocles Agrigentiiins qiiatenus Hera-
clituni Ephesium in philosophia secutus sit. Gyran.-Pr. Eisenach
1878. 24 S. 4.
341. E. ßaltzer, Empedocles. Eine Studie zur Philosophie
der Griechen. Leipzig 1879. 163 S. 8.
342. H. Diels, Gorgias und Empedokles. S.-B. d. Berl. Ak.
d. Wiss. 1884 (19). S. 343-368.
*343. S. Ferrari, Empedocle. Riv. di filos. VI (1891) H. 1 u. 2.
344. A. Döring, Das Weltsystem des E. Zschr. f. Philos. 105
(1894) S. 1—17.
345. J. Bidez, La biographie d 'Empedocle (Recueil de travaux
publies par la faculte de philos. et lettres). Gaud 1894. XII,
176 S. gr. 8.
346. J. Bidez, Observations sur quelques fragmenis d'E. et de
Parmenide. Arch. f. G. d. Ph. IX (1896) S. 190— 207 u. S. 298
—309.
*347. M. Rapisardi, Opere Ordinate e corrette da esso. Vol. V.
Le odi di Orazio. L'Empedocle. IlPrometeo di Shelley. Milane 1897.
348. G. Thiele, Zu den Elementen des E. Herrn. 32 (1897)
S. 68-78.
Schläger bestreitet mit Recht, daß E. in seiner Physik von den
Pythagoreern abhängig sei, denn wenn er auch mit seinen vier pi^üjfxocTa
auf die Tsxpaxxuj in dem Eide der Pythagoreer angespielt haben mag
[aber auch dies ist kaum anzunehmen, da jener Eid wahrscheinlich
jüngeren Ursprungs ist; s. Zeller 825, 1], so zeigt doch seine Natur-
erklärung keinerlei Spuren pythagoreischen Einflusses, und seine
apixovia, die ihm ungefähr dasselbe wie die ^iXottj? bedeutet, ist
wesentlich verschieden von der der Pythagoreer. Zu weit geht Seh.
dagegen, wenn er auch in der Seelenwauderungslehre jede nähere Ver-
wandtschaft des E. mit den Pythagoreern leugnet. Daß E. die pytha-
goreische Metempsychose verändert und erweitert hat, ist richtig; aber
diese Abweichungen schließen eine Anlehnung an Pythagoras nicht aus,
für die alle historische Wahrscheinlichkeit spricht (s. Zeller 824). Unter
der Voraussetzung einer solchen Abhängigkeit von dem zu seiner Zeit
in Italien und Sizilien verbreiteten Seeleuglauben erklärt sich auch am
leichtesten, wie E. eine seiner physischen Grundauffassung so wider-
sprechende Lehre aufnehmen konnte. Daß hier ein offenbarer Wider-
spruch vorliegt, erkennt auch Verf. an, und mit triftigen Gründen
Bericht über die griechiscliCD Pliilosoplien vor Sokrates. (Lortzing ) 41
widerlegt er die haltlose Behauptung Ryks (s. I3er. I S. 254), E. habe
das Dogma der Pythagoreer so umgeformt, daß es mit seiner Natur-
lehre im Einklang stehe, sowie die weitere, ebenso willkürliche Annahme
desselben Schriftstellers, daß die Liebe des E. mit der Weltseele, aus
der die Eiuzelseelen hervorgehen, identisch sei und im Feuer zur Er-
scheinung komme (vgl. Zelier 773, 6). Auf der andern Seite vermag
er jedoch der Ansicht Zellers nicht beizupflichten, daß E. jenen Wider-
spruch nicht bemerkt und daher auch nicht zu beseitigen versucht habe,
sondern glaubt in den Worten v. 382: vei'xet |i.aivoix£vtp irijuvo; die An-
deutung zu sehen, daß die Seelenwanderur.g durch den Streit, also die
eine der beiden die Welt bewegenden Kräfte, entstehe. Dies ist ein
offenbarer Irrtum, der daraus zu erklären ist, daß Seh. mit MuUac'.i
die augeführte Stelle dem Werke iz. cpüaewc zuweist, während sie in
Wahrheit den Ka&ap|xoi entnommen und daher vsTxoc hier gar nicht im
physischen Sinne zu fassen ist (s. Zeller 810, 1). [Das Verhältnis
zwischen den religiösen und den physikalischen Anschauungen des E. ist
auch sonst in der Berichtszeit mehrfach besprochen worden. Gomperz
Gr. D. 198 ff. will den Widerspruch zwischen beiden zwar nicht leugnen,
entschuldigt ihn aber damit, daß auch andere Philosophen, wie Farmen,
und Philolaos, nicht frei von ihm sind, und sucht ihn durch Zurück-
tUhrung auf eine uralte Zweiseelentheorie zu erklären (s. Ber. I 264).
Dieser Zwiespalt erstreckt sich übrigens, wie G. S. 202 ff. ausführt,
nicht auf die eigentliche Götterlehre; hier ist es E. vielmehr gelungen,
die zwei Hälften seines Gedankensystems zu nahezu ungetrübter Har-
monie zu verschmelzen. Burnet early Gr. ph. 269 ff. äußert sich in
btzug auf diesen letzten Punkt in ähnlichem Sinne und hebt scharf den
Unterschied zwischen Empedoklos' Theologie und Religion hervor. Da-
gegen hält er die Widersprüche zwischen den Katharmen und dem
physischen Gedichte nicht für ganz so unüberwindlich wie Zeller. Eine
individuelle, persönliche Seele vertrage sich allerdings nicht mit der
physikalischen Theorie des E.; aber er rede überhaupt nirgends von
,, Seelen"; man könne sehr wohl an ein Wiedererscheineu derselben
körperlichen Elemente in verschiedenen Kombinationen denken und dies
scheine in der That v. 395 (offenbar falsch citiert; meint B. etwa v. 366?)
angedeutet zu sein. Aber mit solchen sehr zweifelhaften Erklärungs-
versuchen wild die Thatsache nicht aus der Welt geschafft, daß E. eine
Fortdauer der Einzelseelen nach dem leiblichen Tode und ihre sich in
bestimmten Perioden wiederholende Einkörperung annahm. Schließlich
werden wir uns in dieser Fiage doch wohl mit Rohde Psyche^ 475 Ü.
(s. Bd. CXII S. 136 f.) dahin entscheiden müssen, daß es nicht gestattet
ist, durch begütigende Auslegung eine Einstimmigkeit des Philosophen
mit sich selbst herstellen zu wollen, wo doch deutlich zwei Stimmen
42 Beriebt über die griechiscben Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
laut werden, mag auch im Sinne des E. kein Widerspruieh ihrer Aus-
sagen besteben, weil diese sich auf ganz verschiedene Gegenstände be-
zieben.] — Scb. versucht dann den Nachweis zu führen, daß sich E.
in seiner Lehre vornehmlich an Heraklit angeschlossen habe. Er gebt
dabei von Piaton Soph. 242D und Aristot. d. cael. 279b 16 aus, ohne
zu bedenken, daß solche Stellen, in denen mehrere Philosophen unter
bestimmten Gesichtspunkten, wie hier als Vertreter der Lehre vom
Wechsel und den Gegensätzen in der Weltentfaltung, zusammengefaßt
werden, für den Erweis der Abhängigkeit des einen vom andern un-
brauchbar sind, ganz abgesehen davon, daß wenigstens Piaton neben
der Ähnlichkeit auch die Vei'schiedenheit beider Philosophen deutlich
hervorhebt. Indem Verf. nun die beiderseitigen Lehren vergleicht,
findet er eine Anzahl fundamentaler Übereinstimmungen. Dabei gesteht
er zu, daß diesen Ähnlichkeiten auch bedeutsame Unterschiede gegen-
überstehen. So ist Heraklit überzeugt, daß sein Xo-^o; nur von denen,
die an ihm teilhaben, verstanden werden kann, und daß er selbst die
gesamte Natur erkannt hat; die dva-i-xY] des E. dagegen ist nicht er-
kennbar, und dieser glaubt daher das Wesen des Alls nicht durchschaut
zu haben. Dieses Gegensatzes war sich E. bewußt, und die Verse 2 ff.
sind direkt gegen Heraklit gerichtet. Auch v. 81 ff, scheint er seine
Lehre von der Liebe als des Schöpfers aller einzelnen Dinge der des
Heraklit von der Zwietracht als des Vaters der Dinge entgegengesetzt
zu haben. [Einen Gegensatz und gar eine bewußte Polemik gegen H.
vermag ich in diesen Stellen nicht zu erkennen; an der zweiten kann
E. seine Liebe schon deshalb nicht dem Kriege des Ephesiers entgegen-
gestellt haben, weil nach ihm nicht nur die «pdoxr]?, sondern auch das
vaixoc bei der Entstehung der Einzelerscheinungen wirksam ist.] Spuren
der Übereinstimmung glaubt Verf. hinwiederum auch in der Seelen-
wanderungslehre des E. zu erkennen. Wie Her. in Wahrheit an keine
Fortdauer der Einzelseelen glaubt (dies nimmt Seh. mit Teichmüller
an), sondern von einem Hinauf- und Herabsteigen der Seelen nur in
bildlichem Sinne redet, so hat E., auch hierin dem Herakl. folgend,
seine Seelenwanderungslehre nur als Hülle benutzt, in die er seine Ge-
danken kleidete; daß er sich in dieser Hinsicht auch falschen Meinungen
der Menschen accoramodierte, spricht er selbst v. 40 ff. aus. — Diesen
Ausführungen kann man insoweit zustimmen, als die physikalische Welt-
erklärung des E in ihren Grundprinzipien wirklich eine unverkennbare
Verwandtschaft mit der heraklitischen zeigt, worauf übrigens vor Seh.
bereits andere wie Zeller 833 ff. hingewiesen haben. Aber Verf. be-
trachtet das empedokleische System von einem allzu beschränkten und
einseitigen Standpunkte aus, indem er es ausschließlich mit dem Heraklits
vergleicht, als ob er keinen andern Vorgänger gehabt hätte, an den er
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.") 43
sich anschließen oder auch von ihm abweichen konnte. Es berührt
doch eigentümlich, daß in der ganzen Abhandlung des Parmenides
nirgends gedacht wird, während doch kein Zweifel daran bestehen kann,
daß E. von der eleatischen Lehre seinen Ausgangspunkt genommen
hat (s. Zeller 827 ff.). Ganz verfehlt endlich ist der Versuch, die
Seelenwanderungslehre des E. an die heraklitische Eschatologie zu
knüpfen. Ob man nun dem Heraklit den Glauben an eine individuelle
Unsterblichkeit beilegt oder abspricht (über die Schwierigkeiten dieser
Frage haben wir oben gesprochen), von der Metempsychose im empe-
dokleisch-pythagoreischen Sinne, wonach die Seele zur Strafe durch
verschiedene Leiber wandern muß, ist jedenfalls bei Heraklit keine
Spur zu finden. Nicht einmal die rein formale Übereinstimmung, auf
die diese ganze Vergleichung der beiderseitigen Jenseitslehre hinaus-
läuft, daß beide sich hierin nur gewissen religiösen Strömungen ange-
paßt hätten, kann man gelten lassen. Bei E. ist sicherlich an eine
solche rein äußerliche Anbequemung nicht zu denken (die Berufung
des Verf. auf v. 44 vo[jiip 0' E-t'fr,[jLi xal auTo; ist völlig hinfällig, da an
dieser Stelle die Seelenwanderungslehre gar nicht in Frage kommt, und
es sich überdies nur um eine Accommodation an die Ausdrucksweise
[7i7vstj9at xal 'fOeipeji^at], nicht an die Auffassung der Menge handelt,
die E. gerade aufs entschiedenste bekämpft); die Überreste aus seinen
Ka9ap|xoi machen vielmehr den Eindruck, daß es ihm mit dem mystischen
Glauben an den Sündenfall und die Wanderung der Seelen voller
Ernst vi^ar.
Die Schrift Baltzers, des Apostels der Vegetarier, ist, vom
jthilologischen wie vom philosophischen Standpunkt betrachtet, so wert-
los und verfehlt, daß es sich nicht verlohnt, auf ihren Inhalt einzugehen.
Vgl. Litt. C.-Bl. 1879, 1482 f. und M. Curtze Fortschr. Bd. 40 S. 12.
Über die Abhandlung von Di eis erscheint es zweckmäßig, bereits
an dieser Stelle und zwar vollständig zu berichten, da sie zur richtigen
Würdigung des E. neue und wichtige Beiträge liefert und eine Trennung
der auf E. bezüglichen Ausführungen von dem über Gorgias Gesagten
kaum augänglich wäre. D. hatte bereits in dem später zu besprechenden
Vortrage über „Leukipp und Demokrit" (1880) S. 104 f. die Über-
zeugung ausgesprochen, ,,daß der Begriff des Elementes und die eigen-
tümliche Porenlehre, die E. mit der Atomistik gemein hat, . . . nicht
auf dem Boden des unselbständigen und flachen empedokleischen Systems
(vgl. Timon Fr. SSW. dvopaituv XvjxrjTY); i-swv), sondern aus der
tiefsten Wurzel des leukippischen Materialismus herausgewachsen ist";
selbst die Bezeichnung vauxa, die Leukipp den Atomen gab, scheine
mit der Lehre in das Gedicht des E. übertragen worden zu sein. Zum
Beweise dessen hatte er darauf hingewiesen, daß Leukipp der Urheber
44 Bericht über die griechischen Philosophen vor Solirates. (Lortzing.;
der offenbar mit der seinigeu eng verwandten Porenlehre des E. (die
Worte a-oppoai und Tiopoi kommen bei Demokrit wie bei E. vor) sein
müsse, weil auf diese Theorie niemand ohne die Annahme des Leereu
kommen konnte, das ja E. nach Parmenides geleugnet hatte (über die
Widersprüche, in die er dadurch mit Annahme der Porenlehre geriet,
vgl. Arist. d. gen. 326 b 8 und Theophrast d. sens. § 13). Dieser
Auffassung entsprechend bezeichnet D. im Eingange der vorliegenden
Abb. das System des E. als Eklekticismus. Während sich E. anfangs
(v. 2. 8. 11 f.) sehr skeptisch gegen die sinnliche Wahrnehmung ver-
hält, gewinnt im Verlaufe seiner Darstellung der Dogmatismus die
Überhand (v. 55. 86. 129). Als daher die Erklärung des naturwissen-
schaftlichen Details mehr und mehr hinter die erkenntuistheoretischeu
Fragen zurücktrat, mußte sein Schüler Gorgias mit dem fortgeschritteneu
Zeitgeist in Konflikt geraten. Daß E. auf G. einen bestimmenden Einfluß
ausgeübt hat, ergiebt sich w^eniger aus dem unzuverlässigen Berichte
des Satyros bei Laert. 8, 58, G. habe nach seiner eigenen Angabe an
der Geisterbeschwörung des E. teilgenommen (vielleicht stammt diese
Notiz aus dem <I>uatxoc des Alkidamas, worin G. als Führer des Gesprächs
auftrat), als aus dem, was von Gorgias' physikalischen Ansichten über-
liefert wird. So beruht die in Piatons Menon 76 C ff. auf G. zurück-
geführte Definition der Farbe auf der Theorie des E. von den abge-
lösten feinsten Teilchen der Elemente, die in die trichterförmigen Porea
des Auges eindringen. Nur ein symmetrisches Verhältnis der Poren
kann den Kontakt und damit die Wahrnehmung herbeiführen. Der
technische Ausdruck für dieses Ineinanderpassen der Ausflüsse und der
Poren ist bei E. 336 apixoxTsiv (vgl. Theophrast d. sens. § 15, der an
andern Stellen auch von der Symmetrie der Poren spricht). Mit dieser
Erklärung des E. stimmt die Definition der Farbe bei Piaton: l'jnv /po'a
aTiopporj cyY][xat(üv ot|/si auiJ-jj-expo? xal aiaörjxo; (vgl. Theophr. 7 und von
diesem abhängig Aet. I 15, 3) vollkommen übereiu. Wenn Sokrates
diese Definition eine xpa-ftxr) drtoxptfft'; nennt, so kann sich dieses ironische
Lob nur auf die Vermischung des prosaischen und poetischen Stils bei
G. beziehen. In der That sind denn auch solche Pemininformen von
Verbal adjektiven wie aia9r)x6c nicht nur bei Piaton ohne Parallele,
sondern kommen überhaupt, von einer Stelle bei Aristot. und von
späteren Autoren abgesehen, nur bei den Tragikern, hier aber in
großem Umfange vor. Auch der Ausdruck «TcoppoY], obwohl ein von
E. eingeführter Terminus, klingt poetisch und ist vor Piaton sonst nur
bei einem Tragiker, Eurip. Hei. (nicht Hec, wie D. citiert) 1587, nach-
weisbar; auch bei Piaton finden sich djioppoiQ und duopperv nur in poetisch
gehaltenen Abschnitten wie Phaedr. 251 fi"., wo die ganze Darstellung^
von erapedokleischer Auffassung beeinflußt wird, und Tim. 68 C, wa
Bericl)t über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 45
Piaton die Farbe ganz enipcdokleisch definiert. Aus der zweiten Stelle
ergiebt sich auch, daß in der Menonstelle (jyr,|xaTüiv , das auch aus
andern Gründen verworfen werden muß, falsch ist; das Richtii,'e ist
wahrscheinlich nicht tü>v ö'vtcov (vgl. Emp. 281) noch das farblose
aoJjjLaTtuv der Tinnäosstelle, sondern das am Rande des Ven. T stehende
ypTf)[j.aTcov (ypTjfjLaTa in der älteren Physik, bei Anaxag., Protaix. und
Demokrit, ^ ta ovra). Diese drei Abweichungen von der gewöhnlichen
Sprache beweisen, daß in der Menonstelle der poetische Stil des G.
persifliert werden soll. Aber es kam Piaton nicht bloß auf die
Persiflage ann. Nach dem ganzen Zusammenhange muß er die Definition
irgendwo in dieser Form von G. ausgesprochen gefunden haben. — Auch
sonst ist G. gerade auf dem optischen Gebiete als Schüler des E. und
Fortführer seiner Phj-sik nachzuweisen. Die Theorie des G. über den
Brennspiegel, auf die bei Theophrast d. igne 73 angespielt wird, läßt
sich nur aus der optischen Anschauung des E. erklären. Dieser bringt
die Physiologie des Auges, die Erscheinungen der Katoptrik und die
optischen Probleme der Meteorologie auf Anregung des in seiner Ao^i
stark pythagorisierenden Parmen. in einen phantastischen Zusammenhang,
Ahnlich wie bei Parm. bestehen auch bei ihm die Himmclssphären und
Gestinikörper aus Feuer und zusammengepreßtem Duft (ar,p). Die aus
diesem dem Hagel oder Eise gleichenden Duft gebildete Sonne gewinnt
so vermöge ihrer Durchsichtigkeit die Fähigkeit, das Licht der die
Eide umgebenden Feuerhemisphäre zu sammeln und auf die Erde uieder-
zustrahlen; ähnlich Philolaos und Ion von Chics (Aet. II 25, 11). Bei
E. kommt zu dem Pythagoreischen hinzu, daß der Sonnenkrystall nicht
bloß kondensierten Duft, sondern auch Feuerteilchen enthält, weil er
sonst nach dem Grundsatze von der Attraktion des Gleichartigen nicht
das himmlische Feuer in seinen Poren ansammeln könnte. Ganz ähnlich
hat sich E. die Einrichtung des menschlichen Auges gedacht, auch hier
nach pythagoreischem Vorgange. Der dem pythagoreischen Kreise ver-
wandte Alkmaion nahm an, das Sehorgan bestehe aus dem funken-
gebenden Feuer und dem durchsichtigen Wasser. E. hat zv.-ar die -opoi
des Alkm. auf grund seiner Lehre von den aTioppoai umgedeutet, aber
die beiden Gegensätze, Wassser und Feuer, beibehalten. Er war der
Meinung, daß, wie das Licht in der Laterne vor dem Winde, so das Feuer
in der Pupille durcli dünne Membrane vor dem umgebenden Wasser des
Augapfels geschützt und getrennt sei, aber durch trichterförmige Poren
mit der Außenwelt in Verbindung stehe, so daß das Liclit (Feuer) der
Augen hinaus und ebenso das draußen Befindliche ins Innere dringen
könne (v. 314 fif.; vgl. die Erklärung von Blaß o. S. 35). So wird
das Leuchtende vermittelst der Fenerporen des ,, sonnenhaften" Auges
wahrgenommen, ebenso das Dunkle durch die gröber konstruierten
4G Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Wasserporen. Dieselbe Analogie gilt auch für die Theorie der Spiegel-
reflexe. Ein Spiegelbild entsteht dadurch, daß die dünnen Ausflüsse
der Objekte auf der Überfläche des Spiegels sich sammeln und dort von
dem aus den Poren des Spiegels hervorbrechenden Feuer verdichtet
werden, wodurch auch die davorliegende Luftschicht in rückwärtsgehende
Bewegung gesetzt und die Reflexbilder mit in diese Bewegung hinein-
gerissen werden. Die Bemerkung Tlieophrasts über Gorgias' Theorie
der Entzündung des Brennspiegels ist demnach so zu verstehen, daß
das Sonnenlicht in die Poren des Brennspiegels eindringt, angelockt
durch die Wahlverwandtschaft des darin verborgenen Feuers, und daß
es dann hierdurch veistärkt wieder hervorbricht und nun imstande
ist, eine Entzündung hervorzurufen. In der nihilistischen Schrift des
G. war für eine solche Lehre kein Platz, und sie fand sich auch
schwerlich in einer seiner epideiktischen Reden, in denen er sich nie
als Vielwisser aufspielt wie Hippias. Man könnte annehmen, daß
einer seiner Schüler jene im Unterricht von ihm gehörte Ansicht
in einer physischen Schrift erwähnt habe, wie Polos oder Alki-
damas oder auch Antiphon im Buche tt. aXri&eiac oder endlich
Kritias. Aber alle "Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß G. in einer
eigenen physikalischen Schrift besonders die Optik behandelte.
Daß uns von dieser Schrift keine Spur erhalten ist, will nicht viel be-
sagen, da selbst seine berühmte nihilistische Schrift von Piaton und
Aristot. nicht erwähnt wird. Eine schwache Hinweisung auf eine solche
Schrift kann man bei Suidas: a\jvz-jpd<\ioizo noWd und bei Dionys. Hai.
Isokr. 1 finden. Aber wie verträgt sich diese Bearbeitung wissen-
schaftlicher Probleme mit seinem nihilistischen Standpunkt? Das
nichtigste ist, die drei verschiedenen Gestalten, in denen G. erscheint,
als Physiker, Eristiker und Rhetor, nicht als ein Nebeneinander, sondern
als ein Nacheinander seiner geistigen Entwickelung aufzufassen, die
mit der Umwälzung der gesamten Denkweise in der Sophistenzeit
parallel geht. Anfangs wandelte er noch ganz in den Bahnen des
E. und behandelte im Anschluß an ihn physikalische Probleme. Aber
dem heftigen Angriff der juugeleatischen Schule (Zenou in der IStqytjjic
'EfjiTreooxXeous, die D. im Gegensatze zu Zeller für echt und zwar für
keinen Kommentar, sondern für eine kritische Besprechung hält; vgl.
die ähnlichen Titel von Schriften des Herakleides Pont, bei Laert. 5, 88
[s. jedoch Zeller 587 Anm.]) gegenüber mußte er die Waffen strecken.
Nun erschien ihm die hergebrachte Naturerklärung schal und hohl. So
entstand die Schrift von der Natur und dem Nichtsein, worin er die
Waffen des Zenon und Melissos gegen die ältere Pliysik, ebenso aber
auch gegen den Eleatismus selbst schwingt. Aber bei diesem dürren
Nihilismus konnte er nicht verharren. Was theoretisch verloren war.
iJeiicht über die griechischea Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 47
suchte er in der Praxis wiedereinzubring;eu. So wurde er zum Kedner,
der sich anheischig machte, das Scheinende in der Überzeugung seiner
Zuhörer zur Wirklichkeit zu gestalten, und erkannte gerade darin das
Wesen dieser Kunst. Über die dreifache Gliederung der Geisteswissen-
schaften in jxeTetupoXo7ü)v X0701, ota Xo'/ojv d'ccüvec und cpiXojo9ü>v hy(oi als
drei Künste der -£u')cu äußert er sich selbst Hei. § 13. Der mittleren
von diesen, der Rhetorik, wandte er sich in der letzten Zeit seines
Lebens fast ausschließlich zu und nannte sich daher nicht einen Sophisten,
sondern einen Rhetor (Fiat. Gorg. 449 A). Aber auch in der Rhetorik
muß er Vorgänger gehabt haben. Von den ältesten Vertretern der
Rhetorik, die Aristot. nennt, Emped., Korax und Tisias, können die
beiden letzten nicht in betracht kommen, da ihre ~iyyt] eine handwerks-
mäßige Einübung für die Gerichtsreden war, ohne Rücksicht auf die
stilistische Ausbildung [aber in der von D. angeführten Stelle Plat.
Phädr. 267 A werden Tisias und Gorgias als Vertreter der gleichen
Richtung genannt]. Dagegen weist alles auf E. hin, den Aristot. als
tisten Anreger der Rhetorik erwähnt hat. Sein Wanderpredigen, von
dem er selbst in den Katharmen redet, erinnert sehr an die eigentlichen
Sophisten wie G. und Hippias, daher hier wie dort der Stil des Pomp-
haften, Gesuchten und Spielenden. Aber es finden sich noch viel nähere
l^bereinstimmungen. Aristot. (Laert. 8, 87) hob an E. besonders die
Kunst der „Phrasierung'' hervor, die er auf den häutigen Gebrauch der
]\Ietapher und der sonstigen „Treffer" des poetischen Stils zurückführte.
In den erhaltenen Fragmenten setzt uns diese Kühnheit der Metapher
in Erstaunen. Auch in Gorgias' rhetorischer Prosa fand man diesen
Dithyrambenschwulst wieder, den Aristot. Rhet. 1406 b 9 rügt. Der-
selbe tadelt 1405 b 37 an G. die Komposition der Epitheta. Auch E.
übertreibt hierin mit wunderlichen Bildungen (v. 257 ü.). Dahin gehört
auch das Streben nach Personifikation bei G. wie bei E. (vgl. v. 69.
177. 181 und überhaupt die Einführung der Elemente und Prinzipien
unter Götternamen, sowie den kleinlich wirkenden Katalog v. 393 if.j,
ferner die Paronomasie und der umgekehrte Gleichklang, die Wieder-
holung derselben Wörter in verschiedenen Kasus (öi-XaaioXo^ta bei Plat.
Phädr. 267 c). Zu dem von Piaton Sympos. 198A zur Verhöhnung
von Agathons -/opyia^siv angeführten parononiatischen Oxymoron döss;
oEo; vgl. Palam. 20 aßicüto? ßio; und E. v. 4 ^ui7^; d[:5iou. Auch für die
künstlichen Periodeubildungen mit ihren Autitheta, Parisa und Paromoia,
durch die G. die ungebundene Rede zur gebundenen steigerte, fand er
bei E. sein Vorbild; vgl. z. B. v. 78 ff. 98 ff. (v. 99 schreibt D. 033'
oder ü>; i'oei ts; löo« in der späteren P^rm eloo; auch v. 266 erhalten,
wo bei Sinipl. sKso; steht, und ioeo; zu lesen ist, nicht mit Sturz und
Stein o'JoEo;). So war E. dem jungen G. als Physiker Gewährsmann,
48 Bericlit über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
wies ihn dann vielleicht, als er sich unbefriedigt abwandle, auf die
Eleaten und konnte ihm endlich für seinen Beruf als Rhetor wirksame
Anleitung- geben. Chronologisch läßt sich etwa folgendes fixieren:
Gorg. , 483 geboren, verfaßt seine optische Schrift etwa zwischen 460
und 450, seine Schrift Tiepl 9U3£o)c um die Mitte des Jahrhunderts und
wendet sich um den Anfang des peloponnesischen Krieges der Epideiktik
und Unterweisung der Jugend in der rhetorischen Technik zu. Dabei
muß er gelegentlich noch auf seine alten physikalischen Probleme im
Unterricht zurückgekommen sein , sie jedoch nicht mehr als Wahrheit,
sondern als 66^a gelehrt haben. — Diese Ausführungen verdienen, so-
weit sie sich auf E. beziehen, unsere volle Zustimmung. Die Methode
seiner physikalischen Forschung mit ihrem eigentümlichen Gemisch
von empirischer Beobachtung und phantastischer Spekulation tritt uns
au einem hervorragenden Beispiel deutlich vor Augen, und die rheto-
rische Kunst des agrigentinischen Propheten mit ihren „Verzierungen
und Verschnörkelungen" wird, obwohl sie jeder aufmerksan)e Leser
längst aus seinen Gedichten hätte herausholen können, hier zum ersten
Male ausführlich und überzeugend nachgewiesen. Auch die Abhängig-
keit des G. von E. sowohl in der Aufstellung physikalischer Ansichten
wie im Schmuck der Rede hat D. einleuchtend gemacht. Aber- damit
ist nicht ausgeschlossen, daß G. in beiden Beziehungen noch andere
Einflüsse erfahren hat, in der Rhetorik z. B. die des Tisias (vgl. die
oben angeführte Phädrosstelle), in der Physik die des Parmen. Es
scheint mir überhaupt fraglich, ob G. wirklich je als dogmatischer Philo-
soph und speziell als überzeugter Anhänger des empedokleischen Systems
aufgetreten ist. Wenn er sich in seiner Jugend einer bestimmten Lehre
angeschlossen hat, so halte ich es für wahrscheinlicher, daß er von
Parmen. ausgegangen ist und ähnlich wie dieser die Ansichten anderer
Philosophen wie die des E. nur als oo^a, nicht als d^y^Oeia angeführt
hat, sei es im mündlichen Vortrage, sei es in einer besonderen phj^si-
kalischen Schrift (daß er eine solche verfaßt hat, ist möglich, aber nicht
mit zwingenden Gründen von D. erwiesen). Er würde dann später mit
jeder Dogmatik auch die eleatische über Bord geworfen und die Möglich-
keit alles Erkennens überhaupt geleugnet haben. Das sind freilich un-
sichere, durch kein Zeugnis gestützte Vermutungen. Aber auch die
Dielssche Konstruktion dreier Phasen der Gorgianischen Geistesentwicke-
luug ist doch nur eine sehr zweifelhafte Hypothese. Die nihilistische
Schrift wird ja wohl der rhetorischen Periode voraufgegangen sein, aber
da sie sich nur auf die wissenschaftliche Erkenntnis bezog, mit der
es die Rhetorik überhaupt nicht zu thun hat, so braucht sie nicht in
einem inneren prinzipiellen Gegensatze zu seiner rhetorischen Wirksam-
keit gestanden zu haben. Vielleicht ist es G., wie später in der Rhetorik
Bericht über die griechiscben Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 49
(s. Piatons Groi-g). so auch in seinen früheren physikalischen Studien
und in seiner philosophischen Streitschrift nur auf die Erregung des
Scheins, nicht auf die Erforschung der Wahrheit angekommen; in der
Stelle der Helena (§ 13) wenigstens, auf die sich D. beruft, werden
die drei Künste lediglich unter diesem Gesichtspunkt betrachtet.
Über Ferraris Abhandlung verweise ich auf A. Chiappellis
I3esprechung im Arch. VII (1894), 557 ff., wonach der Verf. nichts
Neues bringen, sondern nur eine suniniarische, aber vollständige Dar-
legung der Lehre des E geben wollte. Der erste Teil enthält eine
nach dem Urteile des Berichterstatters ziemlich elegante Übersetzung
der Fragmente in italienischen Hendekasyllaben.
Döring unterzieht die doxographische Überlieferung über die
Weltentstehung bei E. einer kritischen Untersuchung. Nach Aet. II 6. 3
werden aus dem Sphairos zuerst der Äther (— Luft als Element, unter-
schieden von der empirischen Luft), dann das Feuer und zuletzt die
Erde ausgeschieden. Der letzte Ausdruck ist ungenau; es handelt sich
um das nach den beiden ersten Ausscheidungen verbleibende, aus Erde
und Wasser bestehende Residuum. Aus diesem wird durch die Wucht
des Umschwungs (p'j|X7) x^? Trepicpopa? -= Centrifugalkraft) das Wasser
ausgetrieben. Aus dem Wasser entspiingt durch Verdunstung die
empirische Luft. Aus- dem Äther entsteht der Himmel, aus dem Feuer
die Sonne. Der Himmel ist eine krystallartige Hohlkugel aus der durch
Feuer verhärteten Luft. In den Worten 7i:iXr)f>rjvai ex töjv aXXcuv ra
-cpqeia bezeichnet zh. irepiYeta die centrale Sphäre der Weltkugel, -a
aXXa die nach Ausscheidung des Äthers und Feuers verbleibenden Stoffe:
Erde, Wasser und die elementare Luft. Für die Ausscheidung des
Meeres ans der Erde werden Aet. III 16, 3 zwei Ursachen genannt,
<lie mit einander nicht zu stimmen scheinen [D. hat hier die von Diels
in den Addenda zu den Doxogr. angeführte Konjektur von Bernardakis
Tp^3iv statt Tri'Xrjjiv nicht beachtet], E. wird ähnlich wie Anaximander
das Meer als Rest einer die Erde umgebenden Wasserhülle gedacht
haben [aber nach der angeführten Stelle des Aet. ist es eine durch das
Feuer hervorgerufene Ausschwitzung der Erde]. Die sehr dunkle und
lückenhafte Stelle Plutarch ström. 582, 5 ff. Dox., die Näheres über
die beiden ersten Ausscheidungen enthält, ergänzt D. so: durch den
Kontakt des Feuers mit der Luft entsteht erst das Firmament, und
dann findet die peripherische Ausbreitung des Feuers oberhalb der Luft
an dieser festen Hülle ihre Grenze. Sehr unklar wird die Entstehung
der beiden Hemisphären, hohler Schalen, die um die Erde kreisen, ge-
schildert. Die Einsprengungen in die Nachthemisphäre sind offenbar die
Sterne. Diese sind nach Aet. II 13, 2 aus der ursprünglich aus-
geschiedenen, noch mit Feuerteilen erfüllten Luft herausgedrängt worden.
Jahreabericht (ür Altertumswissensc haft. Bd. CXVI. (1903. I.) -t
50 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Da die Fixsterne am Firmament festgeheftet sind, so muß dieses an
dem Umschwung der beiden Hemisphären teilnehmen. Am schwierigsten
ist es, über die Beschaffenheit der Sonne bei E. zur Klarheit zu kommen.
Aet. II 20, 13 enthält mehrere Dunkelheiten und Widersprüche in sich
selbst und mit A(^t. IT 6, 3. Besonders unklar ist das Verhältnis
zwischen der archetypischen und der krystallartigen Sonne. D. glaubt
durch die Annahme, daß an der ersten dieser beiden Stellen in den
Worten &k tov rjXtov xov xpusxaXXoeio?] statt f^Xiov: oupavov zu lesen
sei (vgl. Aet. II II, 2), und durch Berufung auf Plut. ström. 582, 11,
Galen bist. phil. 626, 7 und Emp. v. 242, wo als Subjekt zu avTa-j-.'Y^
die archetypischc Sonne zu denken ist, die Sonne als Krystallspiegel
aus dem Weltbilde des E. entfernen zu können. Die Worte ä-J>
y.uxXoTspoüc T-?jC -/rjC, die il)m einen vollen Unsinn zu ergeben scheinen,
möchte er beseitigt wissen; der Sinn wäre dann: die scheinbare Sonne
ist der durch Zurückwerfung der Strahlen entstehende Widerschein der
archetypisclien Sonne in der Lufthemisphäre gegen den gestirnten
Himmel. Aber auch damit gewinnen wir eine durchaus widerspruchs-
volle und unbegreifliche Gesamtanschauung, so daß das Endergebnis ein
non liquet ist. Zum Schluß bemerkt Verf., E. sei zwar durch das
Weltbild des Farmen, beeinflußt worden, aber nur in der Annahme-einer
festen Hülle der Welt, die bei Farm, eine feststehende Thatsache, bei
E. kosmogonisch abgeleitet ist, vielleicht auch in der Lehre von der
Kugelgestalt der Erde (doch ist in diesem Funkte über Empedokles'
Auffassung nichts Sicheres überliefert) ; im übrigen sei seine Konzeption
durchaus selbständig. Die treibende Kraft der Weltbildung ist nicht
wie bei Farm, das nach Analogie der geschlechtlichen Zeugung gedachte
Zusammenwirken zweier entgegengesetzter Fotenzen, sondern die unter
dem Einflüsse des veTxo? durch einen Wirbel bewirkte Ausscheidung der
Elemente aus dem Sphairos. Mit dem pythagoreischen Weltbilde
(Sphäienharmonie) hat E. nur die für sein System untergeordnete Unter-
scheidung der Planeten von den Fixsternen gemein. Von der pytha-
goreischen Dreiteilung der Welt in Olymp, Kosmos und Uranos findet
sich bei ihm keine Spur. Aber E. hat seinerseits auf die dekadische
Konzeption des Philolaos befruchtend gewirkt, besonders durch den
kühnen Gedanken, daß unsere Sonne der Widerschein eines für uns un-
sichtbaren Feuers sei. So ist er ein Mittelglied in den Wandlungen der
kosmischen Theorie der Fythagoreer.
Bidez (No. 345) hat sich die Aufgabe gestellt, auf grund einer
sorgfältigen Sichtung und Beurteilung der Überlieferung ein möglichst
wahrheitsgetieues Bild von dem Leben und Wirken des E. zu entwerfen.
Er geht hierbei mit Recht von einer Analyse der im 8. Buche des
Lacrt. enthaltenen Biographie des E. aus (Etüde preliminaire S. 1—20).
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 51
Hier wie im Fortgange der Untersuchung tritt uns überall eine genaue
Bekanntschaft mit der einschlägigen Litteratur, insbesondere der deutschen,
entgegen. Zu bedauern ist, daß dem Verf. die in unserm Bericht I
No. 20 und 21 besprochenen Abhandlungen von W. Volkmann un-
bekannt geblieben sind, die ihm namentlich für die Auffassung des
Verhältnisses zwischen Suidas, Hesychios und Laertios gute Dienste
geleistet haben würden. Durch eine sorgfältige und methodische Zer-
gliederung der Laertianischen Vita gelaugt B. zu dem Ergebnis, daß
diese Vita ihrem Hauptinhalte nach aus der ava-^pa^Tj töjv cpiXojocpojv
des nach seiner Annahme am Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. lebenden
Hippobotos stamme, zu der Laert. außer seinen zwei Epigrammen nur
einige Auszüge aus Favorinus hinzugefügt habe. Diesem Ergebnisse
ist insoweit zuzustimmen, als es B. gelungen ist, eine im Veigleiche zu
der sonstigen Beschaffenheit der Sammlung des Laert. auffallend plan-
volle Gliederung in unserer Vita nachzuweisen, deren Hauptbestandteile
daher vermutlich demselben Autor angehören. Daß dies aber Hippobotos
gewesen sei, ist eine auf den ersten Blick zwar bestechende Hypothese,
die jedoch bei näherer Prüfung in zweifelhaftem Lichte erscheint, wie
ich in meiner Besprechung des Buches Berl. Ph W.-Schr. 1895,
833 flf. des näheren dargelegt habe. Ich habe dort namentlich gezeigt,
daß Verf. mit Unrecht aus der Vergleichung des Überganges von der
Vita des Pythagoras zu der des E. (§ 53) mit der in der ersteren
(§ 43) unter Berufung auf Hippobotos gemachten Bemerkung, nach
einigen sei E. ein Schüler des Pythagoras gewesen, schließen zu dürfen
glaubt, Laert. oder seine Vorlage habe die im Proömiura § 15 an-
gekündigte Ordnung, nach der auf Pythagoras sofort hätte Xenophanes
folgen müssen, unterbrochen, um 1. die namhaften Pythagoreer und
2. Heraklit einzuschieben; dazu aber sei er veranlaßt worden durcli
eben den, dessen Darstellung er für E. benuzt habe. Die Voraussetzung,
daß jene Stelle des Proömiums von der Anordnung im 8. Buche ab-
weiche, ist falsch; die Auslassung des E. im Proöminm hat ihren
triftigen Grund darin, daß dort nur die Schulhäupter, die man in der
alexandrinischen Zeit auch für die vorsokratische Periode in regelrechter
Succession aufeinander folgen ließ, angefühlt, alle übrigen aber bei-
seite gelassen wurden. So hat Verf. im besten Falle nur die Mög-
lichkeit dargethan, daß Hippobotos der Urheber des ganzen Be-
richtes sei. — Hierauf folgt im 1. Teil der Abh. (Histoire de la tra-
dition S. 21—104) eine sehr eingehende Besprechung aller Autoren,
die nach der Überlieferung irgend einen Beitrag zum Leben des E.
gegeben haben, von den Zeitgenossen des Philosophen an bis auf Suidas.
Mit großer Sorgfalt sucht B. den Anteil jedes einzelnen an der Lebens-
geschichte des Agrigentiners und das Maß der Zuverlässigkeit ihrer
52 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.
Mitteilungen festzustellen. Wenn er hierbei auch, wie er selbst wieder-
holt zugiebt, in vielen Punkten über unsichere Vermutungen nicht
hinauskommt, so führen seine Erörterungen doch bei den Schriftstellern,
über die wir etwas genauer unterrichtet sind, zu großenteils annehm-
baren Eigebnissen und gewähren uns einen Einblick in die verschiedenen
Stadien, die die biographische Überlieferung allmählich durchgemacht
hat. Diese hat ihren Ursprung einerseits in volkstümlichen Legenden,
die sich zum Teil schon zu Lebzeiten des E. gebildet hatten und von
Herakleides Pont, und seinen pythagorisierenden Nachfolgern romanhaft
ausgeschmückt wurden, und knüpft andererseits an Notizen politischer
und litterarischer Geschichtschreiber an, unter denen sich Timaios durch
verhältnismäßige Zuverlässigkeit seiner Nachrichten und verständige
Kritik der Erzählungen des Herakleides hervorthut. Zu einem bio-
:graphischen Ganzen wurde die bis dahin zerstreut vorliegende Tradition
zusammengefaßt durch Neanthes, Hermippos, Satyros, Herakleides
Lenibos und endlich kodifiziert durch Hippobotos (?). In der nach-
christlichen Zeit trat das vorher lebendige Interesse an dem Staats-
mann und Philosophen E. völlig in den Hintergrund, und man gefiel
sich in der geflissentlichen Hervorhebung und Ausschmückung des
Wunderbaren und Übernatürlichen. Besonders sei noch hingewies<;n auf
4ie treffenden Auseinandersetzungen über die Art, wie Herakleid. Pont.
die Geschichte von der scheintoten Frau behandelt hat, und auf den
Abschnitt über Timaios, der offenbar die Werke des E. selbst zu Rate
gezogen hat. Nur ist nicht abzusehen, wie B. zu der Behauptung
kommt, Tim. habe in E. besonders den uneigennützigen Volksmann be-
wundert. Von einer solchen Bewunderung findet sich bei Laert. keine
Andeutung; im Gegenteil läßt die Darstellung in § 66 vermuten, Tim,
habe ihn für einen Heuchler erklärt, der in seinem politischen Verhalten
den Volksfreund spielte, in seinen Schriften dagegen ganz entgegengesetzte
Anschauungen aussprach. Auch scheint der Übergang o 76 xoi Tifiaio?
darauf hinzuweisen, daß nicht die ganze vorhergehende Darstellung von
§ 64 an auf Tim. zurückgeht. Überhaupt muß man sich bei Laert.
hüten, einen längeren zusammenhängenden Abschnitt, an dessen Spitze
ein bestimmter Autor genannt wird, ohne weiteres seinem ganzen Um-
fange nach eben diesem Autor zuzuweisen. So ist es z. B. sehr fraglich,
ob die Mitteilung § 57 f. über gewisse Dichtungen des E., besonders
über seine angeblichen Tragödien, wirklich dem kurz vorher genannten
Aristot. angehört (s. Zeller 754). [In der am Schlüsse dieses Passus
bei Laert. stehenden Nachricht: NedEvÖTj? oe veov ovxa i'e-ypacpevai xa;
xpa7:; oiac xal auxof sireixa auxau xexu^crjxe'vat sucht B. vergebens mit dem
offenbar verderbten eTteixa einen verständigen Sinn zu verbinden; Diels
Hermes 24 S. 320 f. scheint das Richtige getroffen zu haben, indem er
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates, (Lortziug.) 53
ETTTct für eTTEixa voi schlägt und das schlecht verbürgte a-jxai; streicht.]
Durch diese Untersuchnugen hat sich Verf. den Boden geebnet, für die
Darstellung der Lebensgeschichte des E., die den zweiten Teil der
Schritt bildet (S. 105 — I7G). Nach einer lebendigen Schilderung Agri-
gents und seiner Bewohner bespricht er die Beziehungen des E. zu Pindur,
Farmen., den Pytliagoreern und anderen älteren und gleichzeitigen
Philosophen, ohne freilich bei dem Mangel aller näheren Nachrichteu
über die Grenze des bloß Möglichen hinauszukommen. Bisweilen über-
schreitet er hierbei in der Textauslcgung das Maß des Erlaubten; so,
wenn er bei Ilerodot II 115 unter den Vertretern der ägyptischen
Seelenwanderungslehre, deren Namen verschwiegen werden, mit Bestimmt-
heit E. und vielleicht auch Pherekydes, den er als Zeitgenossen des E. (!)
bezeichnet, zu erkennen glaubt. — B. führt uns dann E. der Keihe
nach als Apostel und Wunderthäter, als Zauberer und Arzt sowie als
Begründer der Rhetorik vor, behandelt die letzten Reisen und die V^er-
bannung, die Redaktion des physikalischen Lehrgedichtes und schließlich
den Tod des Philosophen. Seine Erörterungen beruhen auch hier überall
auf gründlicher Belesenheit und zeugen von einem nicht gewöhnlichen
kombinatorischen Scharfsinne. Besondere Anerkennung verdient das Be-
streben, die Fragmente des E. für die Feststellung der Daten seines
Lebens und schriftstellerischen Wirkens zu verwerten, wobei neben
einzelnen gewaltsamen Deutungs- und Änderuugsversuchen (s. z. B. die
sehr gekünstelte Konstruktion, die B. S. 165, 2 für v. 8—10 vorschlägt,
wo er den Punkt hinter izepilriTzxi streicht, hinter -eujeai ein Kolon
setzt, statt 6' ouv: -foüv schreibt und die bei Sext. überlieferte Lesart
o'j TtXeiov 7s beibehält [Stein und Diels nach der Paraphrase bei Sext.
ou TrXe'ov f^e']; ferner S. 169 die willkürliche Interpretation der Worte
V. 9 euel üio eXtaaöri;: „puisque tu t'es retire ici avec moi, puisque tu
m'as suivi dans mon exil") auch manche bisher unbeachtet gebliebene
Beziehung aufgedeckt wird. Aber Verf. geht in seinen Kombinationen
oft zu weit: er sucht aus dem dürftigen Material zu viel herauszupressen
und läßt in der Ausfüllung der Lücken der Überlieferung seiner Phantasie
allzusehr die Zügel schießen. Auf diesem Wege bringt er es zu stände,
die verschiedenen Phasen in der politischen und litterarischen Laufbahn
des E. mit einer solchen Genauigkeit auch in der Fixierung des Chro-
nologischen zu zeichnen und uns so tiefe Blicke in seine innersten
Beweggründe bei der Abfassung seiner Hauptwerke thun zu lassen, als
ob wir einen modernen Philosophen oder Dichter vor uns hätten. Eiu
solches Verfahren steht mit den Forderungen besonnener historischer
Forschung nicht im Einklaiig. Vergeblich bemüht sich B., die persön-
lichen Empfindungen und Stimmungen des Philosophen aus den meist
zusammenhangslosen Bruchstücken seiner beiden Gedichte herauszulesen,
54 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
um so nachzuweisen, daß die Oustxa nach den Ka9ap[xoi entstanden seien
und in seine letzten Lebensjahre fallen. Man lese, was S. 173 flf. zur
Verteidigung dieser Datierung über die fragwürdige 'E;Tr]|V]at; tcLv
'E|iiTeSox>iou; des Zenon von Elea und ihr Verhältnis zu den Lehren
des E. gefabelt wird, und man wird zugestehen, daß das nichts als
luftige Hypothesen sind. Aber trotz dieser Mängel liefert die Abh.
einen wertvollen Beitrag zur Quellenforschung und unterrichtet uns
genauer als irgend eine frühere Darstellung über die Persönlichkeit
und das Wirken des E, Vgl. außer meiner bereits angeführten Be-
sprechung die Rezensionen in der Rev. de l'instr. publ. 1895, 248 ff.
und von Döring im L. C.-Bl. 1895, 1860.
In No. 346 behandelt Bidez den erkenntnistheoretischen Staud-
punkt des E. Man muß hierbei zweierlei unterscheiden: Die Frage der
Methode und die des UrspruLgs und der Gestaltung unserer Erkenntnis
Die Beantwortung der zweiten Frage hing von dem kosmologischen
System ab, das jeder Philosoph gewählt hatte, die der ersten konute
dieser Wahl vorangehen und sich an den Nachweis der Unzulänglich-
keit der früheren Lehren knüpfen. Xenophanes hatte erklärt, daß der
Zweifel sich auf alles erstrecken und daß man nicht über eine. provi-
sorische Wahrscheinlichkeit hinausgelangen könne (?). Dieser Ge-
danke bestimmte seine Methode (?). Die Affirmationen, die er neben
seiner Skepsis bewahrt hat, gleichen, im ganzen genommen, mehr einer
Reihe von Negationen als einem positiven Glauben [auch das ouXoc opa u. s.
w. und das voou (ppevl Tiavta xpaSaivst?] . Heraklit und Parmenides waren dann
bemüht, eine Vorstellung der Wahrheit zu gewinnen, die ihnen gestattete,
in diesem Schiffbruch der Gewißheit ein Prinzip zu retten. Her. fand
das universelle Gesetz der Veränderung [aber zugleich doch das der
Einheit und Harmonie der Gegensätze]. Parm. wandte auf den nega-
tiven Teil des Systems seines Lehrers Xenoph., der allein etwas Ge-
wisses enthielt, die mathematische Methode (?) an, um so ein unan-
tastbares Lehrgebäude errichten zu können. E. protestierte im Namen
der empirischen Wissenschaft gegen die Sj^steme, die sich auf Allge-
meinheiten ohne praktische Anwendung beschränken, und stützte sich
dabei auf Alkmaion. Allerdings war das Band zwischen seinem
Programm und seinem System nur schwach , weil er, wie alle Vor-
sokratiker, nicht erkannt hatte, daß die Methode von der Erklärung der
Erkenntnis abgeleitet werden muß. Zur Zeit, wo E. seine $ujixa ver-
faßte, herrschte ein heftiger Kampf zwischen den philosophischen Schulen;
die Stellung, die er in diesem Kampfe einnahm, wird besonders durch
drei Bruchstücke gekennzeichnet: 1. v. 2-23; 2. v. 24—32; 3. v. 222
— 231. An der ersten Stelle bezeichnet E. nicht bloß, wie man nach der
Erläuterung beiSext. angenommen hat, die Mängel der sinnlichen Erkennt-
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.j 55
nis, sondern auch die der Verstandserkenntnis: der Mensch kann auf
keine Weise das voUkommeue Wissen ei reichen. Doch betont er melir die
Unzulänglichkeit als die völlige Unfähigkeit unserer Erkenntnis: wir müssen
uns mit einem fragmentarischen Wissen begnügen. Aus v. 19 — 23 ergiebt
sich, daß mau nach E. in der Spekulation seinen Standpunkt nicht auf
einer Höhe nehmen darf, von wo man nur die großen Umrisse der
Dinge bemerkt, sondern alle seine Aufmerksamkeit dem Studium der
Einzelheiten zuwenden muß. Die zweite Stelle lehrt, daß sich E. nicht
bloß auf die Erfordernisse der von ihm empfohlenen Methode gestützt,
sundern auch ihre P'ruchtbarkeit gerühmt hat. Man kann in der Stelle
alleidings eine Anpreisung der magischen und medizinischen Kunst-
giiffe des E. sehen (s. Eohde Psyche^ 466); aber man kann darin auch
eine Aufklärung über die nützlichen Wirkungen suchen, die E. seiner
Untersuchungsmethode beilegt [dagegen ist einzuwenden, daß sich die
Zusicherung übernatürlicher Kraftentfaltung und magischer Zaubermacht,
wie sie E. dort dem Pausanias giebt, mit dem Grundsatze rein empirischer
Beobachtung nicht verträgt. Hier liegt ein nicht hinwegzudeutender
innerer Widerspruch vor, wie er uns allenthalben zwischen den kathar-
tischen und thaumaturgischen Phantasien des E. und seinem nüchtern
empirischen Standpunkte in der wissenschaftlichen Erklärung der Natur-
erscheinungen entgegentritt]. An der dritten Stelle, die Stein mit Un-
recht unter Berufung auf Sext. math. VHI 286 ans Ende des von den
Pflanzen handelnden Abschnittes gestellt hat, will E. dem Pausanias
zeigen, wenn er sich den Sinn für uneigennützige Forschung bewahre,
so würden seine Kenntnisse und seine daraus hervorgehende Macht
wachsen. — In der Aufstellung dieses Programmes zeigt sich eine enge
Verwandtschaft mit Alkmaion, der sich, wie es scheint, mit den Zweifeln
des Xenophanes hat abfinden wollen. Seine von E. wieder aufgenommene
Methode ist vielleicht dieselbe, die in den medizinischen Schulen des
griechischen Westens herrschte. Indem E. ein Programm von Einzel-
forschungen aufstellte, die sichere Ergebnisse liefern würden, hoffte er
dem 3oxo? des Xenophanes zu entgehen. Die allen diesen Gruppen ge-
meinsame Methode ist die der geduldigen und verständigen Beobachtung.
E. hat sich zuweilen von dem Zwange dieser Methode befreit, aber der
größte Teil seines Werkes steht unter ihrem Einfluß. Niemand vor
Aristot. scheint so wie er alle Phänomene des Pflanzen- und Tierlebens
verzeichnet zu haben [aber Demokrit hat ihn darin doch weit über-
troffen]. Man findet bei ihm nicht die subtilen Wortkombinationen wie
bei Parraen.; er beruft sich auf die Erfahrung, so v. 98 ff , 119 ff.,
80 ff., wo die universale Wirksamkeit der Liebe auf eine Beobachtung
des täglichen Lebens zui'ückgeführt wird (v. 85 liest B. mit Preller
TTjv o'jTt; 7' ö'jsotJiv und erklärt die Stelle abweichend von Zeller 804, 4,
56 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
aber schwerlich richtig), 316 ff., 287 ff. Die von ihm für falsch ge-
haltene Beweisführung bezeichnet er durch das charakteristische Bei-
wort XiKo'SuXot V. 97 und 210. — Die Polemik in der ersten Stelle be-
zieht sich auf Heraklit und Farmen., vornehmlich aber auf den letzteren.
Dieser zählte nicht nur die Attribute des Seins auf, sondern behauptete
auch die Summe alle übrigen Kenntnisse zu besitzen, die er in das
Gebiet des trügerischen Scheins verwies, und legte sich somit eine Art
von Allwissenheit bei. Dagegen wendet sich E. v. 2 — 10. Daß diese
Stelle auf Her. zielt, ist nicht wahrscheinlich, da diesen bereits Farm,
widerlegt hatte und E. daran lag, Heraklits System zum Teil wieder
zur Geltung zu bringen. Dagegen mußte er in Farm, den gefährlichsten
Vertreter der von ihm bekämpften Richtung sehen. Noch deutlicher
ist die offenbar ironische Anspielung v. 13 — 18 auf Farm. 1, 1 ff. Er
bekämpft hier den sterilen Wissensstandpunkt des Farm, um so leb-
hafter, je häufiger er im Detail seines Systems Theorien wieder auf-
nahm, die jener schon vorgetragen hatte. So schließt er sich darin an
Farm, au, daß er für eine seiner kosmischen Ferioden die Idee eines
kugelförmigen Seins beibehält und daß er ganz analog der parmeni-
deischen Unterscheidung von dlr^^Bia und öo$a auf die eine Seite, die der
Wahrheit, die vier unveränderlichen, stets und überall sich gleichenden
Elemente, auf die andere, die der trügerischen Vorstellungen und Aus-
drücke, die vulgäre Auffassung vom Entstehen und Vergehen stellt.
Aber er läßt die von Farm, ausgeschlossene Bewegung zu, v/obei er
freilich weniger die Erscheinungen um Rat fragt als den Faradoxien
Heraklits folgt; ja er versucht selbst in dieser Bewegung der Lehre
des Eleaten von der Uubeweglichkeit einen Flatz anzuweisen (v. 69 — 73).
Daneben hält er jedoch an dem Studium der Einzelheiten und an der
Beobachtung der sinnlichen Erscheinungen fest und wendet sich ent-
schieden gegen die Forderung das Farm., daß man von der sinnlichen
Wahrnehmung keinen Gebrauch machen dürfe. — Aus alle dem ergiebt
sich, daß E. nicht das System des Farm, aufgeben, sondern erweitern
wollte, indem er seiner Metaphysik die Erfahrungswissenschaft hinzu-
fügte und zugleich das parmenideische Frinzip der Unveränderlichkeit
des Seins durch das heraklitische des allgemeinen Wechsels ergänzte
und sie so miteinander verknüpfte, daß er jedes einer der beiden sich
beständig abwechselnden Perioden zuwies [aber in beiden Ferioden
herrschen doch Bewegung und Wechsel, Mischung und Entmischung].
Er begnügt sich nicht mit dem einen Wege des Farm., sondern ver-
bindet damit den anderen (v. 55 ff. 230 f.), ein E kiekt icismus, der
freilich niemand befriedigen konnte. — In Übereinstimmung mit dieser
eklektischen Richtung spricht E. in der Regel nicht wie Farm, von
dem Irrtum der Menschen, sondern nur von den Lücken eines unvoll-
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (.Lortzing ) 57
kommenen Wissens. Wo er die Erkenntnis preist, stellt er den Geist
als bereichert, nicht als von trügerischen Vorstellungen befreit dar.
Auf den erkenntnistheoretischen Unterschied von Irrtum und Wahrheit
hat er seine Aufmerksamkeit noch nicht gerichtet. Die Vorsokratiker
unterschieden überhaupt noch nicht scharf zwischen sinnlicher und ver-
nünftiger Erkenntnis. Parm. zwar war nahe daran gewesen: aber E.
scheint dies nicht wahr geworden zu sein. Bei ihm bilden alle Er-
kenntnismittel eine Gruppe. Die vernünftige Erkenntnis spielt zwar
bei ihm eine große Rolle, ja er stellt sie in Gegensatz zu der grob-
sinnlichen Aufnahme der Eindrücke der Außenwelt (v. 81). Aber nach
seiner Auffassung stammten die abstrakten Ideen des Hör. und Parm.
ebenso wie seine eigenen Konzeptionen des Hasses und der Täebe aus
keiner anderen Quelle als die der vier Elemente. Einen Sensualisteu
darf man ihn trotzdem nicht nennen; dieser Begriif hat erst für eine
spätere Zeit (Demokrit, Protagoras) Geltung. Zum Schluß erörtert B,
die Frage, ob E. den Widerspruch zwischen seiner experimentellen
Methode und seinen rein intellektuellen metaphysischen Vorstellungen
erkannt und wie er sich etwa eine Ausgleichung dieses Widerspruchs
gedacht hat, kommt aber dabei, wie nicht anders zu erwarten war,
über die Aufstellung verschiedener Möglichkeiten nicht hinaus, zwischen
denen es schwer sei eine Wahl zu treffen. — B. ist in dieser Abh.
zurückhaltender und vorsichtiger als in No. 395. Er beansprucht nicht
wie dort in das Geheimnis der geistigen Entwickelung des E. einge-
drungen zu sein und erklärt S. 159 ff. ausdrücklich, es wäre gefährlich,
die in seinem früheren Werke aus den religiösen Skrupeln des E.
(v. 13 ff.) gezogene Folgerung, daß die KaOap|xoi den <&u(jtxa vorange-
gangen seien, zur Stütze für eine Rekonstruktion seiner Lehre zu machen.
An unsicheren Hypothesen freilich fehlt es auch in dieser Abh. nicht.
Es ist dem Verf. nicht gelungen, eine bestimmte und klare Auffassung
von der erkenntnistheoretischen Methode aus den Bruchstücken des E.
zu gewinnen; eine Aufgabe, die allerdings auch wohl kaum lösbar ist,
weil E. keinen festen Standpunkt in dieser Frage einnimmt und zwischen
Dogmatismus und Skepticismus unklar schwankt. Eine Vorliebe für
empirische Erforschung der Einzelerscheinungen tritt ja unverkennbar
bei ihm hervor, und er stellt sich damit in einen zum Teil bewußten
und ausgesprochenen Gegensatz zu Parm. wie zu Her. Eine solche po-
lemische Absicht hat B. mit richtigem Blicke in einer Anzahl von Frag-
menten erkannt. Treffend, obwohl nicht neu, ist auch der Nachweis,
wie E. die Grundlehren des Parm. und Her. mit einander verschmolzen
hat, weniger glücklich dagegen, wie schon oben angedeutet, der Versuch,
die beiden Weltperioden des Streites und der Liebe auf den parmeni-
deischen Gegensatz von oo;a und (iÄr,8eia zurückzuführen.
58 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Thiele sieht in auffallender ÜbereiDstimmung' mit Knatz (s. o.
No. 332), dessen Abhandlung er jedoch, da er ihn niemals nennt, nicht
gelesen zu haben scheint, in dem Zeus bei E. die Luft, in der Hera
die Erde und in dem Aidoneus das Feuer. Mit dieser Bezeichnung
des Feuers appelliert E. an eine religiöse Vorstellung seiner Lands-
leute, da die Agrigentiner gewiß in dem Feuerberge Siziliens auch
den Herrn der Unterwelt vermuteten, wie schon die Legende vom Tode
des E. beweist. Knüpft er doch auch mit dem Namen N^aitc für das
Wasser au den Lokalkultus einer Nymphe (vgl. Photios s. v. Nt^sty);
und den Komiker Alexis Fr. 22 K. und dazu Kaibel S. 69, 2). Frei-
lich hat das unendliche, gestaltlos im Weltenraume gedachte Element,
dessen Abflüsse oder Niederschläge (oaxpua) jeden lebendigen Quell
speisen (T£77et xpouvojjxa ßpoxeiov), mit einer bescheidenen Wassernymphe
nichts als den Namen gemein. Dies Spielen des E. mit Götternameu
artet zur ironischen, tendenziösen Nachahmung aus (v. 393 ff.). Die
Verteilung der vier Götternamen auf die Elemente des E., so daß Luft
und Feuer männlichen, Erde und Wasser weiblichen Gottheiten zu-
fallen, hat eine gewisse Analogie auf einigen bildlichen Darstellungen,
vor allem auf einer Federzeichnung des Pergamentkodex 2600 der
Wiener Hofbibliothek. Th. sieht in dieser S. 71 reproduzierten Dar-
stellung, wo die vier Elemente in eigentümlichen allegorischen Gestalten
erscheinen, ebenso wie in einer Münchener Miniatur, in der Giebelgruppe
des kapitolinischen Juppiter (s. E. Schnitze, Arch. Z. 1873, 1 ff.),
einem kapitolinischen Saikophage (hier vermutet er in zwei Figuren
""Epo)? und Neixos) und anderen Darstellungen antike Tradition, giebt
jedoch zu, daß sich eine direkte Beziehung auf E. nicht nachweisen
läßt. — Die Bedenken, die oben gegen Knatz' Deutung der Götter-
namen geäußert worden sind, werden durch solche Analogien selbst-
verständlich nicht beseitigt.
Ein wichtiger Punkt der Lehre des E. ist während der Berichts-
zeit in mehreren der im allgemeinen Teile unseres Berichtes besprochenen
Arbeiten erörtert worden. Es handelt sich um die Frage, ob sich die
uns erhaltenen Fragmente und Zeugnisse über die Entstehung einer
Welt, insbesondere organischer Wesen, nur auf die Weltperiode der
Liebe oder zum Teil auch auf die des Streites beziehen. Dümmler,
Akad. 217 ff. glaubt im Gegensatze zu Zeller sichere Spuren einer Be-
schreibung der unter der Herrschaft des Streites sich vollziehenden
Entwickelung gefunden zu haben und sieht besonders in dem dritten
der vier von E. geschilderten Stadien der Entwickelung lebender Wesen
v. 262 ff. deutliche Merkmale der NeTxo?-Periode, der dann auch das
vierte Stadium zufallen muß, während die beiden ersten anerkannter-
maßen der OiMa-Periode zuzuweisen sind. Dem entsprechend vermutet
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 59
D., daß E. auch den Urzustand des Menschengeschlechtes (vgl. darüber
Norden No. 86 Ber. I 238) zwiefach dargestellt hat. Das Menschen-
geschlecht der <l>iXoTr,c habe er sein Dasein in ungetrübter Glückselig-
keit beginnen lassen, wogegen das Zeitalter des Neixo» mit a/lr^lo<fa-('.%
begonnen habe. Diese Auffassung weist Zeller P 795, 1 zurück und
beruft sich dafür, daß E. die vier Schöpfungsakte demselben Zeitalter
zugeteilt hat, auf Theophrast bei Aet. V 19, 5. Dagegen unterscheidet
ßurnet earl. gr. ph. 260 ff. ähnlich wie Dümmler zwei Schöpfungs-
perioden; in der ersten seien die getrennten Körperteile durch das An-
wachsen der Liebe vereinigt, in der anderen die „whole-natured forms*
(ouXocpuei; v. 265) durch das Überwiegen des Hasses differenziert worden
und so der jetzige Zustand der Dinge mit seiner Verschiedenheit von
Art und Geschlecht eingetreten. Im Zusammenhange hiermit sucht B.
aus mehreren Stellen des Aristot , besonders 344 a 5, darzuthun, daß
nicht, wie Karsten, Zeller und Tannery annehmen, die Periode des
Eindringens der Liebe, sondern die der Scheidung der im Sphairos
vereinigten Elemente durch den Streit die sei, in der wir leben. Be-
merkenswert ist auch, daß B. einen scharfen Unterschied macht zwischen
der Liebe, die von außen in die getrennten Stoffmassen eindringt und
eine Anziehung des Ungleichen bewirkt, und jener „Anziehung des
Gleichen durch das Gleiche", die auf der eigentümlichen Natur jedes
Elementes zu beruhen scheint und nur wirksam werden kann, wenn der
Streit den Sphairos trennt (?). Auf Dümmlers Seite stellt sich auch
Gomperz Gr. D. 448 f., der Aet. V 19, 5 die Konjektur oXotpuöiv statt
dXXTjXoipuuiv für unsicher hält und statt ex tcüv ofiotiuv: ly, tcüv 6|i.o5-oi-
7 (UV Termutet.
Schließlich erwähne ich noch, daß Gomperz Gr. D. 447 f. die
Lengnung des Leeren E. abzusprechen sucht: er will v, 91 den Genetiv
Tou -avTo; von xevsov abhängen lassen. Dieser Deutung gegenüber ver-
weist Diels zu Fr. 13 seiner Ausg. auf Pannen. 8, 22, 45 ff.
Zum Text der Fragmente
ist im Obigen fast alles Wichtige bereits erwähnt worden. Hinzuzufügen
wären etwa noch folgende Konjekturen: V. 110 r^ ylp statt r,v 7. oder et 7.
Nauck lambl. S. 236 [von Diels aufgenommen]. — 277 dpöpcooeaxöpoi
St. dvopojoesTcpoi Nauck stud. Eurip. I 32. — 315 hatte Diels Dox. 501
ddpxivov 0 3-oüv für j. o^ov vermutet; Gorg. und Emp. 362 dagegen ver-
wirft er diese Konjektur und verteidigt die überlieferte Lesart (vgl.
seine Ausg. zu Fr. 99). — 369 hat Bernays dvd-f/rj? pr,[jLa statt d. ypr^[Lai
(s. 0. Kern, Arch. I 505, 1 nach einer Mitteilung von Diels), Weil (nach
Diels zu Fr. 115 seiner Ausg.) xpT|j.a vorgeschlagen [Diels behält ypTjixa
60 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokratee. (Lortzing.)
bei und erklärt es mit effatum, vaticinium, xo xexpTQiJ-evov]. — Zu den
beiden Epigrammen des E. (Stein p. 9), deren Echtheit Di eis Gorg.
und Emp. 3G2, 1 verteidigt hatte, während er sie jetzt in seiner Ausg.
unter die gefälschten setzt (Fr. 156. 157), vgl. Bergks P. L. Gr. II
ed. 4, Hiller- Crusius, Anthol. lyr. S. 128 und XXXVI und zu dem
ersten Preger Inscr. metricae Leipzig 1891 S. 40f. , der unter der
Voraussetzung, daß E. der Verfasser ist, durchweg die dorischen
Formen hergestellt hat, da E. in einer öffentlichen Urkunde schwerlich
ionisch geschrieben haben würde. — Einen neuen Vers hat Di eis
Doxogr. 613 Anm. bei Stob. ecl. I 15, 2a erkannt. Er ist dort ohne
Lemma überliefert (die Notiz Heerens, daß im cod. Vat. das Lemma
napfxevtoou beigeschrieben sei, auf grund deren Brandis den Vers dem
Parm. beigelegt hatte, ist unglaubwürdig; vgl. Wachsmuth z. d. St.);
aber da ihm unmittelbar ein Vers des E. (v. 138) folgt, mit dem er
sich aufs beste zusammenfügt, so hat Diels mit Recht beide Verse, zu
einem Fragment verbunden, in seine Ausg. aufgenommen (Fr. 28). Der
Vers lautet bei Diels: dXX' o 7s Travxo&sv Ijoc <£riv> [<iojv> Wachs-
muth nach Grotius] xal T:a|X7rav direipcüv. Zeller 780, 3 bemerkt richtig,
daß ötTTEipojv hier nur die Bedeutung „rund" haben kann.
G. Anaxagoras.
1. Znm Leben nnd zur Lehre des Anaxagoras.
*349. Canton, The death of A. Contemporary Review. Jan. 1880.
*350. Th. H. Martin, Sur Anaxagore. Acad. d. Inscr. et
Belles-Lettres. 13. Okt. 1876. Vgl. Rev. crit. 1876, 271.
=^=351. P. Tannery, La theorie de la matiere d'A. Rev. philosoph.
1886 No. 9. Vgl. Science hellene 275 ff.
352. A; Kothe, Zu A, von Klazomenai. N. Jahrb. f. Phil. 133
(1886) S. 767—771.
*353. S. Fimiani, Alcune osservazioni su la relazione tra il
vüüj e la 4iuyy^ nella dottrina di Anaxagora (estratto) Roma 1889.
140 S. 8.
354. M. Heinz e. Über den vou; des A. Ber. d. sächs. Ges. d.
Wiss. Phil.-hist. Kl. 42 (1891) S. 1-45.
355. E. Arleth, Die Lehre des A. vom Geist und von der
Seele. Arch. f. Gesch. d. Philos. VII (1894/95) S. 59—85 und
S. 190-205.
356. E. Zeller, Zu A. Ebenda S. 151 f.
Bericht über die grieclii sehen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 61
357. E. Arleth, Zu A. Ebenda S. 461—465.
*358. E. Dentler, Die Grundprinzipien der Philosophie des A.
Dissert. München 1897. 35 S.
359. P. Decharnie, Euripide et A. Rev. d. etudes grecques II
(Paris 1889). S. 234—244.
360. L. Parmentier, Euripide et A. Paris 1893. 115 S. 8.
361. F. Polle, Ovidius und A. N. Jahrb. f. kl. Phil. 145
(1892) S. 53-59.
Kothes Abhandlung enthält drei Beiträge zu A., von denen sich
die ersten beiden auf die Lehre, der dritte auf das Leben des Philo-
sophsn beziehen: 1. Sextus hyp. I 33 läßt A. auf die Schwärze des Schnees
aus der des "Wassers schließen. Ein so kindischer Schluß darf dem
scharfsinnigen Physiker nicht zugetraut werden; er kann unmöglich das
Schwarze für die natürliche Farbe des Wassers gehalten haben. Jene
Behauptung vom Schnee bildet vielmehr einen Teil seiner erkenntnis-
theoretischen Erörterungen. Vgl Cic. Acad. II 100, wonach er über-
haupt die weiße Farbe des Schnees geleugnet zu haben scheint (?). Die
Farbe ist ihm nichts Objektives, sondern nur die Wirkung des Lichtes;
ohne Licht giebt es keine Farbe. So ist auch der Schnee nicht an sich
weiß, bei völliger Dunkelheit ist auch er schwarz. — Aber bei Cic. liegt
ganz deutlich derselbe Schluß wie bei Sextus zu gründe. Aus beiden
Stellen ergiebt sich, daß nach A. der Schnee ursprünglich schwarz ist
wie das Wasser, aus dem er durch Verdichtung entstanden ist („unde
illa concreta esset" Cic.) und daß er dem, der dies weiß, gar nicht
mehr schwarz erscheint. Dies darf aber nicht mit K. so verstanden
werden, als ob A. die zuerst von den Atomikern ausgesprochene Sub-
jektivität der Sinneswahrnehmungen gelehrt hätte, was nirgends bezeugt
wird und sich auch mit seiner Lehre von der ursprünglichen Mischung
kleinster qualitativ bestimmter Stoffteilchen nicht vertragen würde, sondern
nur in dem Sinne, daß die Wahrnehmung unsicher ist und uns über das
Wesen der Dinge täuschen kann. Eine solche Annahme steht auch im
Einklänge mit der Ansicht des A., daß das Wesen der Dinge nicht durch
die schwachen Sinne, sondern nur durch den reinen und unvermischten
Geist erkannt werden kann (s. Zeller 1075 ff.). Ein merkwürdiges
Paradoxon freilich bleibt der Ausspruch auch so, innerhalb des auaxa-
goreischen Systems, wenn man bedenkt, daß A. sonst überall die unsern
Sinnen sich darbietenden Besonderheiten der Einzeldinge aus dem Über-
wiegen bestimmte^- Stoffteile in den aus einem Gemenge der verschieden-
artigsten „Samen" gemischten Gebilden erklärt. Eine geistvolle Ver-
mutung über die Genesis dieses Paradoxons wagt Gomperz Gr. D. S 172
und 445, durch die er den grellen Widerspruch, der seiner Meinung nach
G2 Bericht über die griechischea Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
sonst zwischen dem felsenfesten Glauben des Ä. an die qualitative Wahr-
haftigkeit der Sinneseindiücke (?) und der Behauptung bestände, daß
uns das Gesicht in diesem Falle täuscht, beseitigt zu haben glaubt.
Hiernach hätte A. auf die im Sonnenglanz strahlende weiße Winter-
decke beharrlich geschaut, bis schließlich sein geblendetes Gesicht
schwarz zu sehen begann, und so in der optischen Täuschung eine Be-
stätigung seiner vorgefaßten Meinung erblickt. Diese Deutung stimmt
allerdings, wie G. bemerkt, zu dem Wortlaut der angeführten Mitteilung
Ciceros; aber der objektive Widerspruch, der durch das Wort vom Schnee
in die Lehre des A. hineingetragen zu werden scheint, wird durch eine
solche subjektive Erklärung nicht aus der Welt geschafft. — 2. Bei
Laert. II 11 will K. statt (ju-f^pacp^c schreiben: ouv YpacpT; „mit einer
Zeichnung", indem er sich auf Clem. ström. 416 D: öia Ypa'pTi; beruft,
und glaubt auf grund dieser Konjektur das Vorkommen von illustrierten
Handschriften, das nach der bisherigen Ansicht erst mit oder kurz vor
Aristoteles begann (s. Bergk Gr. Litt.-G. I 236), um ein Jahrhundert
früher ansetzen zu dürfen. Ich kann diese Vermutung trotz der Zu-
stimmung von Gomperz (Gr. D. 445) nur für verfehlt halten. Viel-
leicht ist bei Laert. axif]vo7pa9iVj? zu lesen; vgl. die von K. angeführte
Stelle bei Vitruv VII praef, 11, wonach A. eine dxTivoypacptr] geschrieben
haben soll. — 3. Die verschiedenen, zum Teil entgegengesetzten An-
gaben über den Prozeß des A. (Laert. II 1 2 ff.) machen es wahrschein-
lich, daß es zu einer formellen Anklage überhaupt nicht kam, sondern
daß Perikles den A. vorher aus der Stadt entfernte (Flut. Per. 32),
Hätte der Prozeß einen bestimmten Ausgang gehabt, so würden solche
Widersprüche nicht möglich sein (?). Die merkwürdige Angabe des
Satyros, A. sei nicht bloß aaeßeia?, sondern auch [j.ri8ic7|j,o!j angeklagt
worden, scheint auf Rechnung des Stesimbrotos gesetzt werden zu
müssen, der A. zum Lehrer des Themistokles machte und ihn auch in
den Sturz seines Schülers verwickelt dachte. — Diese Annahme hat
manches für sich; sie ließe sich auch sehr gut gegen Ungers willkür-
liche chronologische Ansätze (s. ßer. I 200) verwerten.
Fimiani nimmt nach dem Bericht Chiappellis Arch, V 425 ff.
im Gegensätze zu Trendelenburg und Zeller an, daß Aristot. mit Un-
recht dem A. die Gleichsetzung von voüc und <]>o-/t^ beilege.
Heinze wendet sich gegen die Auffassung von F. Kern und Windel-
band (s. Bd. I 219), die den voü? des A. als etwas Stoffliches und Aus-
gedehntes ansehen. Er geht davon aus, daß vou; bei Homer (und ähn-
lich bei den älteren Dichtern und Prosaikern, z. B. bei Herodot) immer
etwas Seelisches bezeichnet und nie von einem körperlichen Organ ge-
braucht wird wie cppsvs;. Bei Xenophaues finden sich ^Co(: (Fr. 3 K.
voou cppsvi --- votp 9pevoj, von Kern treffend „mit denkendem Geist"
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzlng.) C3
übersetzt) uud seine Derivata voeiv und vor,|j.a nur vom Denken und
deu Gedanken der Gottheit gebraucht. [Wunderlicii ist die Frage
lleinzes, ob nicht in Fr. 2 voeTv vielleicht ,wahrnehmeu'' bedeute, da es
zwischen opäv und axoueiv stehe; es kann hier ebenso wie in dem be-
kannten Verse Epicharnis, auf den H. verweist, nur etwas von der
sinnlichen Wahrnehmung Verschiedenes bezeichnen; Epicharm will ja
gerade sagen, daß der Verstand hört und sieht, nicht die Sinnesorgane
selbst. Für die Mittelstellung des voetv zwischen dem Sehen und dem
Hören bei Xenoph. vgl. Soph. Oed. R. 371]. Xenopli. hat zwar das
Denken seines Gottes sehr bestimmt ausgesprochen, aber ohne es zu
h ypostasieren ; das Denken ist die eine Seite seines Prinzips, die andere
ist die Ausdehnung und Körperlichkeit. So ist er in höherem Grade
Yoigänger Spinozas als Farmen., der gerade die Geistigkeit des Seienden
nicht betont uud bei dem sich voo^, vorip-a und voeTv stets nur auf den
Menschen bezieht (Farm. 16, 4 D.: -rö -/ap ttXIov esrl voTiixa faßt Windel-
band Gesch. d. alten Fh. 2 S. 41 ttXeov fälschlich im Sinne des „Vollen";
es bedeutet vielmehr nach Theophrast d. sens. § 3 f. das GnepßaXXov, das
überwiegend vorlierrschende Element in der Mischung des Menschen und
hat in keinem Falle einen kosmologischeu Sinn). Bei Heraklit liegt
der Naclidruck nicht wie bei Parm. auf dem subjektiven Moment des
menschlichen Denkens, sondern auf dem göttlichen, vernünftigen ProzeC
in der Welt; daher nennt er seinen Stoff nicht vou;, das auch bei ihm
nur vom menschlichen Verstände gebraucht wird, sondern Xö-^o^. A.
stellte sich vielleicht in bewußten Gegensatz zu Heraklit, indem er
die Ordnung in der Welt nicht wie dieser aus dem Stoffe selbst her-
leitete, sondern aus einem außerhalb des Stoffes stehenden denkenden
und ordnenden Prinzip. Die Prädikate aixqy];, draOrj; und auXoü;, die
Aristot. d. an. 405a 13 dem voü; des A. beilegt, mögen von Aristot,
selbst und nicht von A. herrühren; aber sie ergeben sich unmittelbar
aus seineu Bestimmungen in Fr. 6 Schorn. Wenn A. an derselben
Stelle den voü? auch als aizetpov bezeichnet, so kann damit nicht die
unendliche Ausdehnung, die A. oft von dem Stoffe aussagt, sondern im
Gegenteil nur etwas, für das es überhaupt keine Grenze giebt, also
die Negation der Ausdehnung gemeint sein; Zellers Deutung „die un-
begrenzte Macht des Geistes^ paiit nicht in deu Zusammenhang [Zelle r
verwirft mit Recht (P 992, 1) die Heinzesche Erklärung, giebt aber zu,
dal.) das aTieipov einen auffallenden Gegensatz zu dem Travxoj p-oipav [xe-rr/siv
der andern Dinge bildet, und hält daher jetzt aTisipov, obgleich es bereits
in der Handschrift des Simpl. gestanden haben muß, für verderbt; es
sei dafür ä|xoipov {^ ouSevoc [xoTpav eyov) oder besser noch nach Aristot.
a. a. 0. a-Xo'ov zu lesen. Den zweiten Vorschlag, der ohne Zweifel
den Vorzug vor dem ersten verdient, begründet Zeller Miscell. (s.
64 Bericht über die griechiscben Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Ber. 1276) S. 441 ff. näher, wobei er auf Aristot. Metaph. 989b 17:
TouTo 7ap airXouv xat «(xqej verweist. Ebenda deutet er auch die Worte
fjLEfxtxxai ouöevl ypr][xaTt richtig' so: „es ist ihm nichts beigemischt, er
ist mit nichts vermischt; vgl. Fr. 5]. Im Widerspruche mit diesen
die rein geistige Natur des vou? hervorhebenden Prädikaten scheint
nun freilich das XeTiToxaTov te ttocvtiuv yprjixaxwv xal xaftapcuxa-ov in dem-
selben Fr. zu stehen. Aber die ypr^ixaTa sind hier nicht im engeren
Sinne, wie sonst bei A., als materiell zu fassen, sondern im weiteren
Sinne wie unser „Ding" (ähnlich auch in dem bekannten Satze des Pro-
tagoras). Auch Xettto; wird keineswegs bloß materiellen Gegenständen
beigelegt; vgl. XeTitYj }jl^tic bei Homer. Ebensowenig zwingt uns der
Superlativ, den voü? zu dem Stofflichen zu rechnen, wie das beistehende
xaöapwxaxov beweist, das A. statt des völlig hiureiclienden xaf>apov ge-
braucht, um die Unvermischtheit des voüc noch stärker auszudrücken.
Ans den widerspruchsvollen Berichten über Archelaos läßt sich kein
Rückschluß auf A. machen, wie Kern thut, ebensowenig aus den Frag-
menten des Diogenes, der zwar einiges von A. übernommen hat, aber
in andern Punkten ihm gegenübertritt. Dagegen erscheint bei Piaton
und bestimmter noch bei Aristot. (und ebenso bei Theophrast) der voü;
des A. der stofflichen Welt diametral entgegengesetzt. Hiernach ist
A. der erste bewußte Vertreter des Dualismus von Geist und Stoff.
Sein vouc ist nicht bloß Intelligenz, sondern auch thätige Kraft; er be-
sitzt allumfassendes Wissen und Macht. Daß sein Wirken ein zweck-
volles ist, ergiebt sich ans Fr. 6 und wird durch Aristot. bestätigt.
A. hat demnach seinem voü? Bewußtsein, ja Selbstbewußtsein, also das,
was wir Persönlichkeit nennen, verliehen. Wenn auch in den Frag-
meuten der voü; nirgends als Gottheit bezeichnet wird, so ist doch
thatsächlich A. als philosophischer Theist zu betrachten. Eine ins
Spezielle gehende Teleologie hat er allerdings nicht gelehrt und noch
weniger als Zweck der "Welt den Menschen angesehen. Die von
Dümmler Akad. 103 ff. für die Annahme einer solchen Zwecktheorie
benutzten Stelleu Aet. II 8, 1 und Plut. d. fort. c. 3 lassen sich in
diesem Sinne nicht verwerten. Daß A. aber den voü; nicht von jeder
weitereu Einwirkung fern gehalten hat, beweist die Bemerkung des
Aristot. (Met. 988 a 18): A. habe den voü?, wenn er in Verlegenheit
Avar, herangezogen [s. jedoch Zeller 998 f., .]; sehr häufig freilich kann
dies nach den Klagen Piatons nicht gesc ')en sein. — Diese Aua-
lührungeu haben gegenüber dem Bestreben, U'>u voüc des A. als etwas
vom Stoffe nicht wesentlich Verschiedenes hinzustellen , ihre volle Be-
rechtigung. Auf der andern Seite aber geht Verf. zu weit, wenn er
das Geistige des vouc bis zur selbstbewußten Persönlichkeit steigert
vind sein Wirken als ein durch Zwecke bestimmtes bezeichnet. Die
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 65
Begriffe des Selbstbewußtseins wie des Zweckes waren überhaupt in
der vorsokratischen Philosophie noch nicht ausgebildet und konnten
von A. nur dunkel vorgeahnt, aber nicht klar erfaßt werden. Ä. er-
hebt sich mit seinem Gedanken eines "Weltbewegers und Weltordners
über den Standpunkt des natur-philosophischcn Realismus seiner Zeit,
steht aber doch noch mit einem Fuüe auf dem Boden dieses Realismus
(s. Zeller 1001). Daraus mußten sich, zumal die philosophische Sprache
damals noch wenig ausgebildet war, Unklailieiteii und Widersprüche
in der Bestimmung der Eigenschaften des voöj ergeben, die H. ver-
geblich im Sinne seiner Autfassung umzudeuten sucht. Ich werde
hierauf bei Besprechung der in gleicher Richtung sich bewegenden
Arbeit Arleths näher eingehen. Auch gegen einzelne Bemerkungen
des Veif, wie z. B. gegen die wunderliclie Erklärung der Worte &<s-zt
Ticpf/tupYJjai TT)v apyrjv in Fr. 6 wäre Widerspruch zu erheben. Ich be-
schränke mich hier jedoch auf folgenden Punkt. H. hält es im Gegen-
satze zu Schleierraacher, Breier und Zedier für wahrscheinlich, daß A.
selbst den Ausdruck 6ixoto}X£peiai oder wenigstens 6(xoto|X£pyj gebraucht
hat. Die Gründe, die er für diese Meinung ausführt, sind nicht ge-
eignet, das Gewicht der Beweisführung Breiers (Philos. des A. 1 ff.)
irgendwie zu erschüttern. Vgl. auch Zeller 981 if. Entscheidend ist die
Thatsache, daß A. da, wo man den Ausdruck Homöomerie erwarten
sollte, oTrepfiara oder -/pr^ixaTa gebraucht, und daß auch Simpl. d. cael.
268b 37 ausdrücklich bezeugt, A. habe die 6|xoio[i.ep^ oTre'pjxaTa ge-
nannt. Diesen Zeugnissen gegenüber will es wenig besagen, daß
Aristot. den, wie es scheint, zuerst von ihm geprägten Ausdruck
6}xoto(jL6pT) (Piaton hat ihn noch nicht, obwohl ihm der Begriff bekannt
ist; vgl. Piotag. 329 D) auf die Stoffteilchen des A. anwendet, und
noch weniger, daß die Späteren mit Vorliebe von den oixoiofxe'peiat des
A. sprechen und gelegentlich auch, wie Simpl. und Aet., dieses Wort
als von A. selbst herrührend bezeichnen (vgl. Schaubach Anaxag. Fragm.
S. 89). Wie Gomperz Gr. D. 446 diesen späten Zeugnissen eine ent-
scheidende Bedeutung beilegen kann, ist mir unverständlich. Wenn
derselbe Gelehrte nach dem Vorgänge von Munro Lucret. ed. III
(1873) 390 f. aus Lucr. 1834, wo es von A. heißt; rerum cum dixit
homoeomeriam, und aus einer Stelle bei Epikur ti. «puaetu; lib. 28 Fr. 6
(s. Gomperz Zschr. f. d. Österreich. Gymn. 18, 212) auf den Gebrauch
des Wortes bei A. schließt, weil Epikur und nach ihm Lucrez nicht
den mindesten Grund gehabt hätten, aristotelische Kunstausdrücke zu
verwenden, so ist dagegen zu bemerken, daß Lucrez, wie Woltjer
Lucr. philosophia cum fontibus comparata 1877 S. 27 ff. darthut. A. so
wellig wie Heraklit gelesen hat, Epikur aber an jeuer Stelle A. über-
haupt nicht nennt und das Wort auch ia ganz anderem Sinne als A.
Jahrefbericht fOr Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. a008. T.) ^
6G Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
seine anspixaTa gebraucht (s. Woltjer S. 30, 1). Noch haltloser ist die
Vermutung Dümmlers Akad. 224, der unter Berufung auf Aet. ¥26,4,
wo TToXuixe'peia und 6[jLoio(jL£peia in einer Darstellung der Lehre des Emped.
von der Entstehung der organischen Wesen vorkommen, es für wahr-
scheinlich hält, daß Lucrez das Wort entweder direkt oder durch Ver-
mittelung der Empedoclea Sallusts von Emped. entlehnt habe (s. Zeller
983, 1). — Eine kurze Besprechung der Abhandlung Heinzes findet sich
bei E. Wellmann Arch. V 95 f.
Arleth (No. 355) beginnt in Abschn. I mit einer Prüfung der
Gründe für die Körperlichkeit des vou;. Er schließt sich im wesent-
lichen an die Beweiführung Heinzes an. AeTiTOTarov und xai)apiu-aTov sind
keine physischen Bestimmungen, auch nicht inadäquate Bezeichnungen,
sondern metaphorische Ausdrücke. Für den Gebrauch von Xetttoc im
Sinne von „scharfsinnig" führt er außer der homerischen |x^Ttc XeTrtyj
noch Beispiele aus Euripides (Xentoc vouc und Xtizx^ ?PtO «nd Ari-
stophanes (avops Xetttcu Xo^kjtoc) an. Bei Piaton Krat. 413 C bedeutet 6ta
TrdEvTtuv lo'vxa nicht, daß der Nus in allen körperlichen Dingen gegen-
wärtig sei; im Gegenteil, die Verbindung mit dem „Unvermischten"
beweist, daß PI. nicht an eine körperliche Gegenwart gedacht haben
kann. In Fr. 6: wo^ koEj ojjloioc Isti xal 6 }j.e'!^ü)v xai 6 eXaa'jcov spricht A.
nicht, wie Windel band, Zeller und Heinze wollen, von Teilen des voü;,
die sich ihrer Größe nach unterscheiden, sondern von Unterschieden
der Begabung. Es wäre überhaupt unverständlich, wenn A. neben der
unvernünftigen Materie noch eine vernünftige angenommen hätte; dann
hätte er ruhig bei dem die Weltintelligenz in sich enthaltenden materiellen
Prinzip des Anaximander, Anaximenes und Heraklit bleiben können.
Aach würde dann Aristot. sicherlich den in einer solchen Hypothese
liegenden Widerspruch so gut wie bei Melissos gerügt haben, den er
jj.ixpov d-fpotxoTspo; nannte, weil er behauptete, das ov sei sowohl un-
körperlich als räumlich ausgedehnt. — Diese Begründung läßt die
Haltlosigkeit der Heinzeschen Auffassung nur noch schärfer hervor-
treten. Eine metaphorische Bedeutung kann Itniö; doch nur in Ver-
bindung mit bestimmten Substantiven haben; den wenigen Stellen, die
Arl. anführt, ließen sich zahllose andere entgegenstellen, wo das Wort
in einem rein stofflichen Sinne gebraucht wird. Und wie verkehrt wäre
der Gedanke, der nach Arl. dem A. aufgebürdet werden müßte: „Der
Nus ist das scharfsinnigste und reinste aller Dinge"! Danach müßte
A. auch der Materie ein gewisses Maß von Vernüaftigkeit beigelegt
und sich damit gerade des Widersinns schuldig gemacht haben, den Verf.
für undenkbar erklärt. Übrigens hat; bereits i. .1. 1840 Breier „Die
Phil d. A." S. 63 ff. vortrefflich dargethan, daß an eiiie ethische oder
geistige Bedeutung von Xs-xo; und xaf>apoj in dem Satze des A. nicht
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sukrates. (Lortring.) 67
zu denken ist. Die Kratylosstelle ferner trägt zur Entscheidung der
Frage nichts bei, da sich aus ihr nicht entnehmen läßt, in welchem
Sinne das oid irofvxiuv levai zu verstehen ist. Das Schweigen des Aristot.
endlich hat in diesem Falle so wenig wie in manchen anderen irgend
welche Beweiskraft. Daß sich übrigens der gegen Melissos ausgesprochene
Tadel des Aristot. auf den vom Verf. bezeichneten Widerspruch beziehe,
ist eine willkürliche Annahme (s. darüber Bd. CXII S. 277). — II. Nach
dieser Zurückweisung der gegnerischen Gründe sucht Arl. durch eine
Prüfung der Quellen die reine Geistigkeit des anaxagoreischen Nus
darzuthun. Mit Unrecht hat Zeller 994, 5 aus Fr. 5 geschlossen, der
Nus sei allerdings gewissen Eiuzeldingen beigemischt, insofern Teile von
ihm in ihnen enthalten sind; dann müßte es nicht t:Xtjv Iv vo'o), sondern
itXtjv voou heißen. A. will vielmehr sagen: es ist weder irgend einer
der Grundstoffe dem Nus beigemischt, noch geht dieser in irgend eine
der stofflichen Mischungen als Bestandteil ein; er ist den Dingen gegen-
. über transcendent; vgl. den Schluß von Fr. 6 und den zweimal in dem-
selben Fr. vorkommenden Satz: [xoüvo; au-o; i'f ewuiou ejxiv. "Wie das
xpatestv in Fr. 6 zu verstehen ist, ergiebt sich aus Aristot. Phys. 203 a 31
verglichen mit 256b 27 und 14. Danach sind die bewegende Thätigkeit
des Nus und sein Erkennen untrennbar miteinander verknüpft, ja das
Bewegen erfolgt durch das Denken, und buchstäblich in diesem ist die
Herrschaft über die Welt der Dinge begründet. Es ist daher der Ge-
danke einer mechanischen Einwirkung des Nus auf die Materie aus-
geschlossen; seine Wirksamkeit (y.paxeiv) ist vielmehr ein wirkendes
Denken oder ein verständiges Wirken. Damit stimmt die Stelle in
Fr. 6, wo dem Nus Allwissenheit und Allmacht, sowie ein voraus-
blickendes Bestimmen und Ordnen des Weltlaufs, d. h. nach unserer
Ausdrucksweise ein zweckmäßiges Handeln, beigelegt wird (vgl. Aristot.
404 b 1, 984 b 20, 1075 b 8). Der Nus übt seine Herrschaft vermittelst
seines alles durchdringenden (ota ttocvtcüv le'vcxi im Krat.), wirkenden
Denkens, d. li. vermöge seiner Allwissenheit und Allmacht aus. In
welcher Beziehung das xpa-ceiv des Geistes zu seiner [Jnvermischtheit
steht, erfahren wir aus Aristot. d. an. 429a 20: „Wäre der voüc mit
etwas vermischt, so würde der fremdartige Bestandteil, wenn er neben
dem eigentlichen Gegenstande der Erkenntnis ins Bewußtsein träte,
diesem gewissermaßen den Platz versperren und insofern dessen Er-
kenntnis verhindern." Aristot. hat hier nicht die Ansicht des A. ein-
fach zu seinem Zweck umgedeutet, wie Trendelenburg d. an.^ S. 385
annimmt, sondern es besteht eine gewisse Verwandtschaft zwischen
beiden, nur daß Aristot. an die „intentionale", A. an die reale Gegen-
wart eines Objektes im Nus denkt. Aus der Lehre des A., daß Un-
gleiches nur durch Ungleiches erkannt wird, folgt, daß die mit Hülfe
5"
68 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
der Sinneswerkzeuge vollzogene Wahrnehmung minder vollkommen ist
als die reine Verstandeserkenntnis. Je vollkommener die Erkenntnis
ist. je mehr werden sich erkennendes Subjekt und erkennendes Objekt
von einander unterscheiden, und der weltlenkende Nus wird gar nichts
mit den von ihm erkannten Dingen gemein haben, d. h. er wird un-
vermischt sein. Der menschliche Verstand dagegen ist mit dem
Leibe vermischt; denn sonst könnte er nicht Subjekt der Sinneswahr-
nehmung sein. Das Apophthegma des A. bei Aristot. Met. 1009 b 25:
oTi ToiaÜT auToi? e'jxai xa ovxa oia av uTtaXaßtujiv kann sich nicht auf das
eigentliche Denken, sondern uur auf die sinnliche Erkenntnis beliehen :
das Verhältnis der Ähnlichkeit zwischen Sinnesorgan und Objekt ist in
bezug auf dasselbe Objekt bei verschiedenen Menschen wegen der
individuell verschiedenen Zusammensetzung der betreffenden Sinnes-
organe verschieden; also muß auch die Wahrnehmung für jeden Menschen
verschieden sein. [Aber dieser vereinzelten, gesprächsweise gefallenen
und vielleicht nicht einmal authentisch überlieferten Äußerung des A.
darf eine so weittragende Bedeutung nicht beigelegt werden (vgl. Bonitz
zu d. St. S. 202 und Zeller 1016, 3). Daß A. oder überhaupt irgend
ein Vorsokratiker so scharf und prinzipiell zwischen aiadTjaic und vorjui;
unterschieden habe, ist wenig wahrscheinlich.] Wenn ferner A. den
Nus unbedingt (auxoxpaxec, vgl. auxoxpaxwp im Krat.) nennt, so liegt
diese Eigenschaft in dem Fürsichsein ([j,oüvo? I9' ewuxou) eingeschlossen.
Auch in dem Sinne ist der Nus unbedingt, daß er durch nichts anderes
hervorgebracht, also ewig ist. A. scheint anzunehmen, daß der Nus
mit Freiheit sich selbst bestimmend den Anfang zur Weltbildung mache
(Indeterminismus). Nach Aristot. ist der Nus ferner einfach, aTrXoüv,
und nach Zellers glücklicher Vermutung (s. 0. zu No. 354) ist der-
selbe Ausdruck für aTietpov in Fr. 6 einzusetzen. Diese Einfachheit ist
aber nicht die des chemisch reinen Körpers; A. leugnet damit nicht
nur die Zusammensetzung des Nus aus verschiedenartigen Teilen, sondern
aus Teilen überhaupt, d. h. seine Körperlichkeit. So hat auch Aristot.
989 a 30 ff. und 429b 22 den A. verstanden. Der Nus ist demnach ein
unbedingtes Wesen, das, ohne selbst räumliche Ausdehnung zu besitzen
und sich mit den räumlich ausgedehnten Dingen irgendwie zu ver-
mischen oder in sie einzugehen , dennoch mit seinem Denken das All
in seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beherrscht und alles
darin in zweckmäßiger Weise ordnet. — III. Arl. erörtert hierauf die
Frage, ob der Nus als Persönlichkeit aufzufassen ist, d. h. ob er
Selbstbewußtsein hat. Mit Heinze nimmt er an, daß aus der Allwissen-
heit mit Notwendigkeit das Selbstbewußtsein folgt. Außerdem hat aber
auch die Allmacht, die A. lehrt, zur Voraussetzung eben dieses Selbst
bewnßtspin. Wrr dem Nus dieses abspricht, entzieht ihm einen wichtigen
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 69
Teil seiner Machtspbäre, ja er vernichtet seiue Macht vollständig. Selbst
das geringste Maß von Beherrschung des Gedaukenlaufs ist ohne das
Bewußtsein von diesem Gedankenlaut' unmöglich. Die Vorstellung eines
unbewußten göttlichen Geistes hat ferner ein Mißverhältnis zwischen
göttlichem und menschlichem Verstände zur Folge und mutet dem A.
eine Schärfe der psychologischen Analyse zu, die vor Aristot. niemand
besaß. [Aber eine solche Analyse mutet ihm gerade der Verf. zu, indem
er bei ihm den schwierigen und von den Griechen nie in voller Reinheit
erfaßten Begriff der Persönlichkeit voraussetzt. Übrigens ist Bewußt-
sein von den Dingen nicht dasselbe wie Selbstbewußtsein , und jenes
kann sehr \\ohl ohne dieses bestehen. Ein allumfassendes Wissen hat
A. seinem voü? ebenso wie Heraklit seinem Xo^o; zugeschrieben; aber zu
der höheren und abstrakteren Vorstellung des Selbstbewußtseins ist
keiner von beiden vorgeschritten.] Wir werden also daran festhalten
dürfen (?), daß A. den göttlichen Nus ebenso wie den menschlichen,
nach dessen Analogie er die Vorstellung des erstereu bildete, als
persönlich gefaßt habe. — IV. Die Frage, obA. zwischen Seele und
Geist unterschieden habe, und ob er eine Mehrheit von Geistern
oder nur einen einzigen angenommen habe, bietet bei der Dürftigkeit
unserer Quellen besondere Schwierigkeiten. Nach der herrschenden
Ansicht giebt es bei A. nur einen Geist, der als Weltbeweger Nus,
als immanentes Prinzip Seele heißt. Dagegen spricht zunächst, daß
überall, wo der göttliche Nus als Prinzip der Bewegung erwähnt
wird, er als eine transcendeute, nicht als immanente Ursache erscheint.
Die Gründe, die man für eine Beseelung des Lebendigen durch den
göttlichen Nus beibringt, verwandeln sich bei genauerer Betrachtung in
Gründe für das Gegenteil. In den Schlußworten von Fr. 5: earxtv oiai
8k xai voo; e'vi sind mit vooc nicht Teile des göttlichen Nus gemeint,
sondern die Gattung v6o?: ,,Es giebt auch solches, in dem Geist ent-
halten ist" (?}. In dem Satze (Fr. 6;: oaa <\>oy-i]^ e/ei 5^«' f« [iH^ui xal
xa eXaacjü), Travxwv ^ooi; xpaxe'ei wird zwischen der Seele und dem weit-
beherrschenden Geiste deutlich unterschieden. Kpaxeeiv bedeutet nicht
die Immanenz des Nus in den Lebewesen, sondern, wie auch an andern
Stellen, daß der Nus eine Herrschaft ausübe und zwar, wie hier be-
sonders hervorgehoben wird, auch über das Beseelte. Wenn man sich
für die Identität von Geist und Seele auch auf den Schluß von Fr. 6:
vooc 6e uac o|j.ot6c eaxi, xal 6 [iHimw xal 6 iXaaaojv beruft, SO nimmt man
offenbar o'ixoio; im Sinne von 6 auxoj; aber aus dem Folgenden geht hervor,
daß o|jLoio; auch hier „gleichartig" bedeutet. Bei dem Satze, das Wesen
eines Körpers bestehe in dem in der Mischung überwiegenden Element,
denkt er nur an das, was für die Sinneswahrnehmuug am deutlichsten
hervortritt [damit widerspricht sich Arl. selbst; denn nach S. 198
70 Beriebt über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Anm. 130 soll in den Worten xaüxa i^oi\k6x'xxa ev sxaaxov iaxi xal yjv
das ^v an das aristotelische xo xi r^^ eTvai erinnern, also das Wesen des
Dinges bezeichnen; in diesem Sinne scheine dieses Imperfekt bereits von
A. verwendet worden zu sein, wenn auch die Formel xo xi ^v etvai (doch
wohl nur xi ^v?) sich nicht weiter als bis zu Antisthenes und Stilpon
verfolgen lasse. Ob freilich A. mit seinem ^v wirklich das Wesen im
Unterschiede von der Erscheinung bezeichnen wollte, ist sehr zu be-
zweifeln. Andere wie Sehern S. 33 fassen es rein zeitlich auf]; wenn
er dagegen sagt, kein Körper sei dem andern gleichartig, so hat er
das für die Wahrnehmung verborgene quantitative Verhältnis im Auge,
das für jeden einzelnen Körper ein besonderes ist. Was die Dinge ab-
solut ungleichartig macht, ist ihre qualitativ verschiedene Zusammen-
setzung aus den gleichen Elementen-, was Gleichartigkeit der Geister (V)
begründet, wird ihre Einfachheit sein, der Mangel an jeglicher Zu-
sammensetzung [wie stimmt zu dieser unbedingten Einfachheit die
Unterscheidung von [xe^wv und eXasdojv v6o?? Auch hier liegt offenbar
ein Widerspruch in der Auffassung des A. vor]. Auch die Superlative
Xcirxoxaxov xal xaöapwxaxov sprechen für die Vielheit der Geister [aber
der voof wird doch von A. mit diesen Prädikaten im Vergleiche zu
allen Dingen, nicht zu andern Geistern bezeichnet]. Die Auffassung,
daß A. mit dieser Vielheit die verschiedenen Außerungsformen des
einen voüc gemeint habe, würde dazu führen, daß er zwei Kieselsteine
für ungleichartig, dagegen die Leistungen des göttlichen Denkens und
des Denkens der Tiere für gleichartig gebalten hätte. Die Annahme
einer Vielheit von Geistern vermeidet alle Schwierigkeiten und erklärt
den Schluß von Fr. 6 befriedigend [durchaus nicht; dadurch häufen
sich vielmehr die Schwierigkeiten]. Auch aus den Darlegungen des
Aristot. läßt sich keineswegs die Identität des weltenlenkenden Nus mit
einem beseelenden Prinzip erschließen. Nach A. giebt es viele Geister,
die für die Lebewesen Prinzip der Erkenntnis und Bewegung sind,
ihrem Wesen nach sind sie alle gleichartig, weil einfach; ihrer er-
kennenden Thätigkeit nach unterscheiden sie sich graduell (?). Mit
dem göttlichen Nus können sie nicht identisch sein, weil dieser ein un-
bewegter Beweger ist, sie aber sich selbst bewegende Ursachen der Be-
wegung sind. Will man dennoch dabei beharren, daß A. die Immanenz
des göttlichen Nus gelehrt habe, so muß man annehmen, Aristot. habe
alle daraus fließenden Widersprüche übersehen oder unberührt gelassen
an einer Stelle (d. an. 404a 25 ff.), wo er auf die Nuslehre kritisierend
eingeht, ja er habe sich selbst widersprochen, da er den Nus hier als
etwas sich selbst Bewegendes darstellen würde, den er Phj-^s. 256 b 26
als unbewegt schildert. Daß diese Lehre des A. manche Schwächen
und Unklarheiten aufweise, leugnet Verf. nicht. Zum Schluß zieht er
Bericht über die gricchiflchen Philosophen vor Sokratcs. (Lortzing ) 71
eiue Parallele zwischen A. und Newton und bezeichnet jenen als den
ersten theistiscben Denker des Altertums. — Die ganze Beweisführung
des Verf. leidet an großer Unklarheit und verfehlt ihr Ziel. Um die
Widersprüche in der Lehre des A. zu beseitigen, die aber nach des
Verfassers eigenem Zugeständnis trotz aller seiner Bemühungen doch
zum Teil bestehen bleiben, scheut er vor den bedenklichsten Interpre-
tationsversucheii nicht zuiück und stellt eine völlig in der Luft
schwebende Hypothese auf, die an der Überlieferung nicht den gering-
sten Anhalt hat. In der Überlieferung findet sich weder von einer
Unterscheidung zwischen veischiedeneu Arten des Nus noch von der
Annahme vieler Geister irgend eine Spur; der Plural voot kommt über-
haupt nicht vor. Auch Aristot. weiß hiervon nichts. Die höchst un-
klaren und schwankenden Erörterungen Arleths über die Hauptstelle
404 a 25 ff. (er macht u. a. auch den Vorschlag, 404 a 25 — b 7 nacli
404 a 16 zu stellen) führen zu keinem Ergebnis und ändern nichts an
der Thatsache, daß Arist. voüc und 'J^u/tq bei A. gleichsetzt und auch
in Bezug auf die Art ihrer Bewegung keinen Unterschied macht: beide
sind Prinzip der Bewegung und bewegen zugleich sich selbst (s. 404 a 24
ota TC)'|ir,6£v opav xtvoüv o |jltj xai auTO xtveixat). Auch ist es nicht richtig,
daß Aristot. Schwächen und Widersprüche in der Anschauung des A.
vom voü; nicht bemeikt habe (s. 404 b 1 y)ttov oiasa'fsi repl a'jxüiv xxX.).
Gegen die verfehlte Deutung eines Fr. bei Arleth wendet sich
Zell er (No. 356). Es ist dies Fr. 5: ev Travxl -avxo; [xoTpa svean TrXrjv
voü, eju otai 6e xat vou; l'vt. Arl. schi'eibt A. das Gegenteil von dem
zu, was er gesagt hat. Die erste Hälfte heißt, wie der Beisatz lehrt,
uiclit: „in allen Dingen, mit Ausnahme des voü;, sind Teile von allem",
sondern: „in allem sind Teile von allen außer von dem voü;". An
Teile des Nus und an ein mehr oder minder vollständiges, also teil-
weises Innewohnen des Nus in den Lebewesen denkt A. sowohl in
diesem Fr. wie in Fr. 8 : voü? [xsi^cov xal e^^axtcuv. Arleths Ansicht, der
Nus sei den Dingen transcendent, stützt sich nicht auf die eigenen
Worte des A., sondern auf Erwägungen, von denen erst bewiesen
worden mußte, daß sie A. angestellt hat.
In No. 357 macht Arleth einige nachträgliche Bemerkungen zu
seiner früheren Arbeit. L Der Einwand, XEKToxatov und xaöapcuratov
könnten nicht als Prädikate eines geistigen Wesens aufgefaßt werden,
da sie A. offenbar auch auf Körper anwende, ist gerade so zutreffend,
als wenn jemand dem Anselm von Canterbury wegen seiner Äußerung,
Gott sei id quo niaius cogitari nequit, die Ansicht zuschreiben wollte,
Gott sei ein körperliches Wesen, — Wie verfehlt diese Vergleichung
des anaxagoreischen Satzes mit dem ganz anders gearteten Ausspruch
des Anselm ist, liegt auf der Hand. 2. Gegen Zellers Angriff sucht
72 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Arl. seine Deutung' von Fr. 5 als logisch berechtigt zu erweisen, aber
vergeblich; ein richtiger Gegensatz der beiden Hälften kommt nur bei
Zellers Auffassung heraus. Zum Schluß bemüht sich Arl., seine Hypo-
these von der völligen Immaterialität und Transcendenz des voü« noch
dadurch zu stützen, daß er auf gewisse Inkonsequenzen hinweist, die
sich aus der gegnerischen Ansicht von der Teilbarkeit des Nus für die
Lehre des A. ergeben würden. Nach seiner Darstellung erscheine diese
Lehre als ein konsequentes System, und dies spreche für ihre Richtig-
keit. Es tritt uns hier dieselbe petitio priucipii entgegen wie in No. 355.
Daß A. sich keiner Inkonsequenz schuldig gemacht haben könne, ist
eine völlig unerwiesene Voraussetzung des Verf. Konsequenz ist eine
große Tugend; aber sie wird, wie im Leben, so auch in der Wissen-
schaft und namentlich in der Philosophie leider oft genug auch von den
bedeutendsten Geistern nicht geübt, und A. gehört eben nicht zu den
wenigen Bevorzugten, wenn es überhaupt solche giebt, die ein wider-
spruchsloses System aufgestellt haben; dies geht für jeden Unbefangenen
aus den Überresten seiner Lehre hervor. Vgl. die trefflichen Dar-
legungen bei Zeller 990 ff.
Die mir bisher nicht zugegangene Dissertation von Dentl er-
hoffe ich für den nächsten Jahresbericht einsehen zu können und werde
sie dann im Zusammenhange mit einer zweiten Arbeit desselben Verf.
„Der vouc nach A." (Philos. Jahrb. 1898) besprechen.
Wertvolle Beiträge zur Lehre des A. liefern auch mehrere der
Werke, über die bereits im \. Teile berichtet worden ist. Auf die
wichtigsten der dort nicht erwähnten oder nur kurz angedeuteten
Punkte will ich hier noch etwas näher eingehen.
Für die Bestimmung der Zeit, in der A. sein Werk abgefaßt hat
(daß es nach dem unter dem Archon Lysistratos [bei Laert. II 12 ist
sicherlich Au3<t(jTpaTou> zu ergänzen, s. Gomperz Gr. D. 445] i. J. 467
eingetretenen Meteorfall zu setzen ist, kann wohl als feststehend be-
trachtet werden), läßt sich vielleicht der Umstand verwerten, daß seine
Theorie von der Nilschwelle nicht nur dem Herodot (II 22), sondern
auch dem Aischylos (Fr. 293 und Hiketid, 539) bekannt war. Freilich
ist die Zeit, in der die Hiketiden entstanden sind, sehr bestritten. S.
darüber Diels „Seneca und Lucan" (vgl. zu No. 172) S. 8, 1.
Aus Diels' Doxographi ist folgendes anzuführen. S. 165 f.: Der
Anfang des Buches tt. «puaetof bei Laert. II 6 scheint zuerst von Theo-
phrast, vielleicht nach dem Vorgange des Aristot. (256 b 24), in die
dort citierte kurze Formel gebracht worden zu sein. Vgl. auch Dümmler
Akad. 102, 1, wo über die ursprüngliche Fassung der Vorlage des
Laert. eine wenig wahrscheinliche Vermutung aufgestellt wird. S. 171 f.
(vgl. 94 f.) weist D. darauf hin, daß die (Quelle der absonderlichen
Beliebt über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 73
Mitteilung des Ireuaeus c. haer. II 14: „facta auimalia decidentibus e
caelo in terram seminibus" in der bei späteren Berichterstattern wie
Aetios und Herakleitos (vjil. Vitruv VIII praef. § 1) üblichen Verbin-
dung des euripideischen Fr. 836 N. ^ mit anaxai^üreischcr Lehre zu
suchen sei. Die wahre Ansicht des A. über die Entstehung der lebenden
Wesen ergiebt sich aus Hippolj't, I 8, 12 und Laert. II 9 (vgl. Cen-
sorin. d. d. nat. (5, 2). Mit Unrecht, wie mir scheint, bleibt Zeller P
1012, 5 bei seiner früher ausgesprocheuen Meinung, daß die Mitteilung
des Irenaeus glaubwürdig sei und sich mit der sonstigen Überlieferung
wohl vertrage.
Über Wesen und Bedeutung der Stofflehre des A. haben Tan-
nery, Gomperz und Burnet eingehend gehandelt und dabei eigentüm-
liche, zum Teil einander eutgegeugesetzte Ansichten entwickelt. Nach
Tannery sc. h. 280 flf. hat A. zum ersten Male den Begriff des Un-
endlichen iu seinem streng mathematischen Sinuc erfaßt. Auch seine
Antwort auf die Frage, wie das Wesen der Dinge zugleich eines und
vieles sein könne, ist die des Geometers: die Materie ist teilbar bis ins
Unendliche; aber die iu ihren großen Teilen sich zeigende Mischung ist
gleicherweise auch iu den kleinen und kleinsten vorhauden. Die Teilung
wird nie die äußersten Elemente erreichen, und die Materie ist überall
und immer zugleich einheitlich und zusammengesetzt. Diese Anschauung
der Materie, die mit der Kants Verwandtschaft zeigt, hat vielleicht noch
eine wissenschaftliche Zukunft, da die Hypothese von den Atomen und
dem Leeren nicht die einzig denkbare ist. Die gewöhnliche Auffassung,
nacii der die Materie aus Homöoraerien besteht, beruht auf einem Miß-
verständnisse des Aristot.(?). Die Keime oder Samen des A. sind nicht
materielle Elemente, sie sind ebenso wie alle Körper leicht zerlegbar
und stellen wie jene, nur in verschiedenen Graden, eine Vereiniguug
von warm und kalt, feucht und trockeu u. s, w. dar. A. spricht in
bezug auf die Bestandteile der Dinge immer nur von Qualitäten,
nicht von materiellen Urstoffen. Fleisch, Knochen u. s. w, hat erst
Aristot. in seine Lehre hineingebracht (?). Wenn A. auch noch nicht
klar zwischen Qualitäten und Substanz unterscheidet, so hat er doch
den ersten Schritt auf diesem Wege gethan. Zeller nimmt fälschlich
an, die erste Wirkung der Bewegung sei die gewesen, daß die ur-
sprüngliche Mischung der Dinge in zwei Massen geteilt wurde, die A.
Luit und Äther nennt. Fr. 1 zeigt vielmehr, daß A. Äther und Luft
als die ursprünglichen Erscheinungsformen der Dinge betrachtete, die
vor jeder Thätigkeit des Nus vorhanden waren, und Fr. 2 steht damit
nicht in Widerspruch [aber hier heißt es doch ausdiücklich : xal -/ap 6
aTjp y,ai 6 aii):^p (iTioxpivETai aT:6 toü Tiepie/ovroc]. Die Stoff lehre des
A. bildet die Grundlage der platonischen Ideenlehre [aber Piaton spricht
74 Bericht über dio griechischen Philosophen vor Sokrates, (Lortzing.)
nirgends von der Stoff lehre des A., sondern stets nur von dem Nus,
seiner Bedeutung und seinen Mängeln], so sehr sie auch in dieser um-
gestaltet und durch andere, besonders pythagoreische Einflüsse modi-
fiziert erscheint. — Die Annahme ursprünglicher Qualitäten, die T. an
die Stelle der kleinsten Stoffteile setzt, hat zwar mehrfach Zustimmung
gefunden, so bei Burnet (s. u.) , widerstreitet aber, wie Zeller 680. 1
bemerkt, den Fragmenten, die T. nur durch gewaltsame und sprach-
widrige Deutungen mit seiner Auffassung in Einklang zu setzen ver-
mag (Fr. 4 werden z. B. das ötepov, ^rjpov u. s. w. ausdrücklich als
ypY^jxaTa bezeichnet) wie auch allen sonstigen Zeugnissen und ist auch
au sich unwahrscheinlich, da sie in der gesamten vorsokratischen Phi-
losophie ohne jede Analogie wäre. Ebensowenig ist es T. gelungen,
nachzuweisen, daß A. die Scheidung der Mischung in Äther und Luft
der TTspr/tupYiJtj vorangehen, nicht als erste Wirkung aus ihr hervorgehen
ließ. Für eine solche Annahme könnten allerdings die Worte in Fr. 1:
iiavxa 7ap ar^p xe xal at&Yip xaTstyev zu sprechen scheinen; aber der Zu-
sammenhang mit dem Vorhergehenden, besonders dem 6[xoy uocvta ypr]-
{j-axa fjv, schließt Tannerys Deutung aus; s. Zeller 1002, 2 und Schau-
bach S. 74 f. Damit ist der ganzen Auffassung der anaxagoreischen
Physik bei T. die Grundlage entzogen.
Wesentlich verschieden von dieser Auffassung ist die Beurteilung
der anaxagoreischen Stofflehre bei Gomperz Gr. D. 169 ff. Wenn A.
auch die von Parmen. geäußerten Zweifel an der Geltung des Sinnen-
zeugnisses und an der Vielheit der Dinge unbeachtet gelassen hat, steht
er dennoch nicht nur in betreff des alten Postulats der quantitativen
Konsistenz, sondern auch des der qualitativen Konsistenz des Stoffes
auf demselben Boden wie jener. Seine mit eisei-ner Folgerichtigkeit
durchgeführte Stofflehre steht im vollen Gegensatz zu dem, was uns die
Wissenschaft über den Stoff und seine Zusammensetzung gelehrt hat.
Die höchst komplizierten organischen Verbindungen gelten ihm als
Elemente, die ungleich einfacheren Stoffe wie Wasser und Luft als die
am meisten zusammengesetzten Verbindungen. Wenn so der Inhalt
seiner Lehre mit den thatsächlichen Ergebnissen der modernen Natur-
wissenschaft in Widerspruch steht, herrscht doch zwischen der Methode
beider auffällige Übereinstimmung. Die chemischen und selbst die
organischen Prozesse führt er auf mechanische zurück. Seine Stoff-
lehre ist ein freilich roher und vorzeitiger Versuch, alle materiellen
Geschehnisse als Folgen von Bewegungen zu begreifen. Da er statt
des einen TJrstoffes bei Anaximander ein Gemenge zahlloser Urstoffe
annahm, bedurfte es keiner dynamischen, sondern einer mechanischen
Trennung. Den physikalischen Vorgang hierbei dachte sich A. ganz
entsprechend dem scheinbaren täglichen Umschwung des Himmels-
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 75
gebäudes. Den ersten Anstoß führte er auf den Nus zurück. Daß
dieser nicht unstofflich zu fassen ist, beweist der Ausdruck „mehr oder
minder" sowie, daß er als teilbar und „den lebenden "Wesen innewohnend"
bezeichnet wird. Das Zwcckproblera, das A. zu der Annahme des Nus
trieb, barg eine ernste Gefahr für den Fortschritt der Naturerkenntnis;
aber glücklicherweise war A. diesmal nicht konsequent; er vermied den
Abweg, die Absichten eines weltleitenden Wesens zu erraten. Seine
Kosmogonie berührt sich sehr nahe mit den Grundsätzen der neueren
Astronomie. Der Schwerkraft setzte er die Centrifugalkraft entgegen,
deren Ursprung er ebenso wie die Neueren die Tangentialkraft auf
einen Anstoß zurückführte. Aus den zwei Prämissen: „ein Wandel der
Dinge hat nicht statf und: „die Dinge besitzen in Wahrheit die Eigen-
schaften, die uns die Sinne offenbaren" ergab sich für ihn der Schluß:
»jeder Unterschied sinnlicher Eigenschaften ist fundamental, ursprünglich
und unverlierbar". Es bleibt also nur die Unterscheidung zwischen
gleichartigen Ansammlungen (Homöomericn) und ungleichteiligen Ge-
mengen übrig, die zwischen ursprünglichen und abgeleiteten Stoffformen
kommt in Wegfall. Die Behandlung des Stoffproblems war dadurch
in eine Sackgasse geraten. — Gomperz' Behandlung der Lehre des A.
steht, mag sich auch gegen einzelne seiner Ausführungen manches ein-
wenden lassen, doch auf einer ungleich festeren Grundlage als die
Tannerys. Nur ein Mangel ist beiden gemeinsam: die ideelle Be-
deutung des Nus und seine grundsätzliche Scheidung von der Materie
kommt bei ihnen nicht zu ihrem Rechte; denn auch T. sieht in dem
Nus eine von der Materie zwar getrennte, aber doch nicht wesentlich
anders geartete Ursache der Bewegung.
In dieser einseitigen Auffassung des Nus stimmt mit beiden
Burnet überein. In der Erklärung der stofflichen Prinzipien (early gr.
ph. 286 ff.) schließt er sich an Tannery an und zieht mit großem Scharf-
sinn die aus dessen These sich ergebenden Konsequenzen. Indem er
mit T. die entgegengesetzten Qualitäten der Dinge für das Ursprüngliche
hält, vermag er in den sonst allgemein als die Urstoffe angesehenen
.Samen" oder „Keimen" nur verschiedenartige Kombinationen dieser
„Dinge" oder Qualitäten zu erblicken. Jeder „Same" enthält alle
„Dinge", aber jeder zeigt am deutlichsten die Qualität, die in ihm
vorherrscht (Fr. 6 fin,). Die Samen des Feuers enthalten Teile des
Kalten, aber die des Heißen überwiegen, so daß wir es heiß nennen.
Im Beginn waren diese verschiedenen Samen in unendlich kleinen Teilen
miteinander gemischt, so daß sie den Anschein einer der bis dahin als
ursprünglich betrachteten Substanzen, vor allem der „Luft" und des
„Äthers", boten; denn die zu diesen gehörenden Qualitäten überwiegen
der Quantität nach alle andern Dinge im Universum (Fr. 1). Die ur-
7G Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
sprüDgliche Masse war eine Mischung von uueudlicber Luft und unend-
lichem Feuer (= Äther), wobei jedoch die Samen des Feuers auch
«Dinge", die in der Luft vorherrschten, enthielten und umgekehrt.
Danach hätten wir also bei A. einen dreifachen Aufbau der Bestandteile
alles Körperlichen anzunehmen. Aus den ursprünglichen Qualitäten setzen
sich die , Samen" zusammen und aus diesen wieder die bestehenden
sichtbaren Stoflfe wie Fleisch, Knochen u. s. w., die Aristot. nach seiner
Terminologie im Gegensatze zu den Organen des Körpers mit dem für
A., so meint der Verf., völlig unzutreffenden Namen 6|xoto|j.ep9j bezeichnet
(bei Aristot. Metaph. 984a 11 ff. möchte B. am liebsten die Worte
xaöaTzep uötup fj Tiüp als eine übrigens ganz angemessene Glosse angesehen
wissen). Zu den letzteren gehören auch die sogen. Elemente Wasser,
Feuer, Luft. Aber diese Dreiteilung, zu der sich Verf. durch die An-
nahme der Tanneryschen Qualitätenhypothese gedrängt sieht, läCt sich
ebensowenig wie diese aus den Fragmenten oder den Mitteilungen der
Berichterstatter erschließen. A. nennt die Urbestandteile der Körper
bald -/pr^ixara , bald aK^pixata (Fr. 1. 3. 4), ohne einen Unterschied
zwischen dieseu beiden Bezeichnungen zu machen. Es wäre . unerlaubt,
etwa die Worte airepp-axa TiavTwv ypYHJLaxuiv (Fr. 2) in Burnels Sinne
zu deuten: ypTQixaxa ist hier in der weiteren Bedeutung körperlicher
Dinge überhaupt, nicht in der engeren ihrer Urbestandteile gebraucht.
Ein solcher Doppelsinn kann bei der unentwickelten Terminologie
des A. nicht wunder nehmen: wendet er doch in Fr. 6 ypTqfjLaxa
sogar in dem noch umfassenderen Sinne aller Dinge ohne Aus-
nahme, den Nus eingeschlossen, an. Auch Aristot. bezeichnet an
vielen Stellen die von ihm 6|Aoio[i.epr] genannten aTrepixata klar und
deutlich als axoiyßa d. h. als Urstoflfe. Die „Qualitäten" müssen
daher aus der Mischung der Körper als fremde Eindringlinge
ausgeschlossen werden; die anEpixaTa oder ypr^iia-za sind und
bleiben die kleinsten Stoffteilchen; sie sind einfach und nicht zusammen-
gesetzt.
Auch in mehreren andern Punkten vermag ich Burnet nicht zu-
zustimmen. In dem von Aristot. belachten experimentellen Beweis
für das Nichtvorhandensein des Leeren, der darauf hinausläuft,
daß die Luft etwas Körperliches sei, glaubt er immerhin einen be-
deutenden Fortschritt über die älteren Philosophen hinaus zu sehen, die
die Luft dem leeren Raum gleichgesetzt hatten. Darauf ist zu erwidern,
daß schon dem Anaximenes die Luft, da er sie zum Prinzip erhoben
hatte, unmöglich als ein Leeres gegolten haben kann und ebensowenig
dem Parmenid6s, er hätte denn ihre Existenz überhaupt leugnen müssen.
Es bleiben also nur die ältesten Pythagoreer übrig, die vielleicht die
den Kosmos umgebende Luft mit dem leeren Baum identifizierten; daß
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 77
aber A. diese kindliche Anschauung überwunden hatte, kann ihm nicht
als ein besonderes Verdienst angerechnet werden. — Daß A. eine
Vielheit von "Welten angenommen habe, schließt B., wie schon vor
ihm Schaubach S. 119 f., aus Fr. 10. Aber die Gründe, die Zeller
1006 f. gegen diese Ansicht anführt, hat er nicht widerlegt. In Fr. 13
ist nicht von einer nnter mehreren Welten die Rede, wie B., offenbar
unter Zugrundelegung der falschen Lesunr^ bei Schaubach sv evl xoa[j.ü)
statt der überlieferten h Tto h\ x6(j|xtu (s. Simpl. phys. 176, 29 D.)
annimmt; richtig gelesen ist die Stelle vielmehr ein Beweis für die
Annahme einer einzigen einheitlichen Welt. Zuzugeben ist freilich,
daß Zellers Beziehung von Fr. 10 auf den Mond schwere Bedenken
gejren sich hat, da A. doch nicht gut sagen konnte, der Mond habe
eine Sonne und einen Mond wie unsere Erde. Es liegt hier eine noch
ungelöste Schwierigkeit vor, die uns aber nicht berechtigt, dem A. eine
kosmologische Auffassung zuzuschreiben, die mit seiner ganzen sonstigen
Anschauung nicht im Einklänge stehen würde.
In ihren Untersuchungen über das Verhältnis des Euripides
zu A. gelangen Decharme (No. 359) und Parmentier (No. 360) zu ent-
gegengesetzten Ergebnissen. Decharme ist mit Wilamowitz Anal.
Eurip. 163 f. (vgl. auch Herakles I^ 25 ff.; s. Bericht I 274 f.) und
Bergk Griech. Litt.-G. 469 ff. der Ansicht, daß in fast allen Stellen
des Eurip., die man seit Valckenaer diatr. in Eurip. perd. dram. rel.
c. 4 f. auf A. bezogen hat, eine Abhängigkeit von diesem nicht zu er-
weisen sei. Das Lob des Weisen Fr. 902 N.* kann auf A. gehen,
braucht aber nicht auf ihn bezogen zu werden. Noch weniger darf
man in den kosmogonischen Fragmenten aus der Melanippe (488) und
aus dem Chrysippos (836), mit Ausnahme der Schlußverse des letzteren
(s. u.) einen Anklang an A. suchen, da die hier entwickelte Lehre von
der des A und überdies auch von der sonst bei Eurip. vorgetragenen
Auffassung gänzlich abweicht. Ebensowenig kann sich der Spott über
die Meteorologen Fr. 905 auf A. beziehen-, denn damit würde Eur. den
A. sowohl wie sich selbst verurteilen. Er kann au allen diesen Stellen
seinen Personen nur eine Ansicht in den Mund gelegt haben, die er
selbst nicht teilt. Auch die Übereinstimmung in der Erklärung der
Nilüberschweramnngen durch das Schmelzen des Schnees in Äthiopien
tHel. 1 ff. und Fr. 230) beweist nichts, da diese Erülüruug älter ist
als A. und schon (?) vor Aischylos erwähnt wird [aber au der Urheber-
schaft des A. darf nach Diodor I 38, 4 nicht wohl gezweifelt werden.
Über das Verhältnis zu Aischylos s. o. S. 72]. In der Stelle Orest
982 ff. ist nicht an die Sonne zu denken , sondern an den, nach einer
von der homerischen abweichenden Sage (vgl. Orest 6 f.), mitten zwischen
Erde und Himmel in den Lüften umhergeschleuderten und über seinem
78 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Haupte von elueiu gewaltigen Felsen bedrohten Tantalus; dieser Fels
kann nicht die Sonne des A. sein, da er mit einer goldenen Kette an
dem Olymp befestigt und ein Raub der Stürme ist; auch ist er weder
bei Eur. noch bei Pindar, der ihn zweimal erwähnt, ein glühender
Körper wie die Sonne des A., die überdies als Xii>o;, nicht wie jener
als ßüiXoc bezeichnet wird. Wenn nach Laert. II 10 Eur. im Phaethon
die Sonne /pojea ßüiXoj genannt haben soll, so ist es auffällig, dalJ er
dies gerade in einer Tragödie gethan haben sollte , in der der Sonnen-
gott als Person auftrat. Vielleicht hat sich Laert. in der Angabe des
Dramas geirrt und die angeführte Stelle des Orest im Auge gehabt
[so schon Matthiae, s. Nauck^ zu Fr. 777], indem er aus der goldenen
Kette des Tantalus einen goldenen Klumpen machte [Wecklein in
seiner kurzen Besprechung der Abh. Fortschr. Bd. 71 (1892) S. 242
und Berl. Ph. W.-Schr. 1894, 1473 ff. giebt Decharme darin recht,
daß die ßüiXo; im Orest nichts mit der Sonne des A. zu thun hat; den
Ursprung der Notiz bei Laert. aber sieht er nicht in der Oreststelie,
sondern in dem Phaethonfragment 771, wo Laert. /puaea ßcuXw ^li-^zi
statt xpuaea ßaXÄst cpXofi gelesen habej. Vor allem aber spricht gegen
eine enge Beziehung des Eur. zu A. der Umstand, daß er nirgends die
Nuslehre berührt. An den beiden einzigen Stellen, wo vouc im philo-
sophischen Sinne gebraucht wird, Fr. 1007 und Troad. 884 ff., ist jede
Anspielung auf A. ausgeschlossen. Nicht Eurip., sondern Kritias im
Peirithoos (= Eur. Fr. 596; vgl. Wilamowitz Anal. Eurip. 162) hat
in jener Zeit die wahre Lehre vom Nus des A. poetisch wiedergegeben.
Die einzige Stelle bei Eur., die auf das System des A. zurückgeht, ist
Chrysipp. Fr. 836, 12 ff.: „Die Körper gehen nicht unter, sondern
lösen sich nur auf und bilden sich um* (Siaxpivssöai wie bei A. gebraucht).
In den wichtigsten Punkten dagegen stimmen sie nicht überein.
Parmentier giebt zwar zu, daß man bei Eur. keine treue
Wiedergabe der Lehre des A. erwarten darf und daß große Vorsicht
in der Annahme von Übereinstimmungen geboten sei; aber ebenso ver-
fehlt scheint es ihm, mit Decharme und dessen Vorläufern seine Auf-
merksamkeit vor den mehr oder minder deutlich erkennbaren Spuren
einer intellektuellen Abhängigkeit des Eur. von A. zu verschließen.
Er hält es von vornherein für unwahrscheinlich, daß Eur. die Lehren
des A. nicht gekannt haben sollte. Um die näheren Beziehungen zu
diesem festzustellen, muß man fragen , ob sich nicht statt ganz allge-
meiner Ähnlichkeiten besondere und persönliche Anspielungen auf A.
selbst, seine Gewohnheiten und Lebensschicksale sowie auf einzelne
hervorstechende Punkte seiner Lehre finden. Derartige Hinweisungen
auf zeitgenössische Dinge in Form von Betrachtungen, die sich öfter in
die Situation oder den Charakter der Personen nicht einfügen, sind bei
Bericht über die griechiechen Philosopben vor Sokrates. (Lortzing.) ~^\\
Eur. ungemein zahlreicli, und mit Unreclit bat man in solcheu Fällen
Interpolationen angenommen. Es giebt kein Drama des Eur., in dem
nicht politische, litterarische, -philosophische Anspielungen vorkommen.
Im allgemeinen kann man diese Fassung des Problems für die Auf-
suchung von Beziehungen des Eur. zu Personen und Ereignissen seiner
Zeit als zutreffend gelten lassen; aber in unserm besonderen Fall bedarf
sie noch einer näheren Bestimmung und Einschränkung. Das dem
Kur. die Lehre des A. unbekannt geblieben sei, ist allerdings unwahr-
scheinlich, und vermutlich wird er auch während der langen Zeit, die
A. in Athen zugebracht hat, in irgend eine persönliche Berührung mit
ilim gekommen sein. Aber daraus folgt noch keineswegs, daß er in
einem besonders engen und nahen Verhältnis zu dem Philosophen ge-
standen und in seinen Dramen häufig und mit Vorliebe auf seine Lehre
hingewiesen hat. Hier thut die größte Vorsicht not, und es ist in
jedem einzelnen Falle sorgfältig zu prüfen, ob zwingende Gründe vor-
liegen, die Worte des Dichters gerade auf A. und keinen andern zu
beziehen. An dieser Vorsicht aber hat es der Verf., wie sich sogleich
zeigen wird, vielfach fehlen lassen. — Was zunächst die Persönlichkeit und
die Schicksale des A. betrifft, so liegt die Vermutung nahe, daß Eur.
den Prozeß und die Flucht des Philosophen, die nicht geiiuges Aufsehen
in Athen erregt haben müssen, irgendwie berührt habe. In der That
glaubt P. deutliche Spuren einer Erwähnung dieses Ereignisses an drei
Stellen zu erkennen, von denen zwei der kurz nach dem Prozesse im
Jahre 431 aufgeführten Medea und die dritte dem in dasselbe Jahr
fallenden Philoktet augehören: L Medea 292 ff. ist mit dem lästigen
(Äuirpo;) „Philosophen" (?) unverkennbar A., nicht Heraklit (Wecklein)
oder Sokrates (Weil) gemeint; 2. Medea 214 ff. enthält eine, wie P.
bemerkt, bisher noch nicht beachtete Anspielung auf das zurückgezogene
Leben und die Verachtung der Yolksmeinung, durch die sich A. die
Mißgunst des athenischen Volkes zugezogen hatte; 3. daß auch im
Philoktet auf die Anklage hingewiesen wurde, lehrt die, wie es scheint,
sehr treue Paraphrase des Dramas bei Dio Chiysost. or. 59, wo
Üdysseus zu Philoktet sagt (§ 10): zZ h^i oti iirl üav-a; tou; ixst'vou
(d. i. riaXa(j.Yjou?) 'ft'Xou; fjXiJs to xaxov xal TtavTej äjioXuJXaotv, octtc [xv)
ou-.'siv i]doYffif]. Die beiden ersten Stellen scheinen mir wenig beweis-
kräftig zu sein. In ihnen ist von >olchen Bürgern (oder Fremden)
die Rede, die sich, sei es durch ein zurückgezogenes Leben, sei es durch
offen zur Schau getragenen Stolz oder durch den Euf höherer Weis-
heit, in den Augen der großen Menge verhaßt machen; daß dies aber
zünftige Philosophen seien, wird nirgends augedeutet; man kann ebenso-
gut au Staatsmänner denken, z. B. an Perikles, der sich nur selten
öffentlich zeigte. Dazu kommt, daß in der zweiten Stelle die Worte,
80 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
auf die P. besonderes Gewicht legt: tou; [xev of^ixariüv octto, einer sehr
verschiedenen Deutung: fähig sind, je nachdem man in den folgenden Worten
Tou; 6'ev ilupaiotj das o mit Wecklein u. a. streicht oder mit dem Verf.
stehen läßt (vgl. Wecklein in seiner Rezension der Schrift Berl. Ph.
W.-Schr. 1894, 1473 flf., der sich gegen Parmentiers Deutung: les uns
(en se tenant) loin des regards, les autres (eu se produisant) ua dehors
erklärt und es für richtiger hält, djjLfxaTwv octto wie nachher ärf f,3ijyou
Ttoöoj als Ausgangspunkt des ungünstigen Urteils zu fassen). Außer-
dem ist es eine unerwiesene Voraussetzung des Verf., daß sich A.
durch seine stolze Zurückgezogenheit bei den Athenern mißliebig ge-
macht habe. Man verfolgte ihn nur deshalb, weil er ein Freund des
den Demagogen verhaßten Perikles war , wobei man zum Vorwande
jene Stelle seiner Schrift nahm, in der er die Sonne als einen [xuopo;
oiaTTupo; (Laert. II 12) oder als einen Xtfto; (Plat. Apol. 26 D) be-
zeichnete. Dieses Motiv der Anklage kommt in der Philoktetstello
zum Ausdruck, und wenn hier wirklich eine Anspielung auf Perikles
und seine Freunde vorliegt, was aus chronologischen Gründen wahr-
scheinlich ist, so wird man bei den Worten oaru |x^ (pu-feiv tjöuvtj&t]
allerdings an A. denken dürfen. Trefflich paßt auch, wie P. richtig
bemerkt, das Lob des fern vom Weltgetriebe nur der Erforschung
des Weltalls lebenden Philosophen. (Fr. 902) auf das überlieferte Bild
des A., viel besser jedenfalls als auf einen der eitlen, rühm- und geld-
gierigen Sophisten. Nicht übel ist auch die Vermutung, daß in der
zur Verherrlichung des Oscupr^Tixoc ßio? geschriebenen Antiope sich hinter
der Maske des Amphion unser A. verberge. Wenn aber P. überall da,
wo bei Eur. weltbürgerliche Ansichten entwickelt oder Verachtung des
Reichtums oder ruhige Ergebung in das Unglück gepredigt werden,
eine Anspielung auf A. erblickt, so geht er viel zu weit. Daß A.
solche Anschauungen ausgesprochen habe, ist späte und unsichere Über-
lieferung. Es handelt sich hier um Anekdoten und Apophthegmen, die
meist in gleicher oder ähnlicher Form auch von anderen Philosophen
berichtet wurden. A. selbst hat sich in seiner Schrift, wie auch P.
zugiebt, auf die Physik beschränkt und keine ethischen Untersuchungen
angestellt. Ob er im mündlichen Verkehr mit seinen Schülern derartige
Aussprüche gethan hat, wissen wir nicht. -— Im weiteren Verlaufe
seiner Untersuchung durchmustert P. die Dramen und Fragmente des
Eur., um die Frage zu beantworten, ob sich bei dem Dichter Anklänge
an wissenschaftliche Untersuchungen «les Philosophen finden, und ge-
langt zu dem Ergebnis , daß sich eine stattliche Anzahl solcher An-
spielungen bei ihm nachweisen läßt. An einigen Stellen ist in der
That die Übereinstimmung so auffallend, daß man kaum umhin kann,
an eine Abhängigkeit von A. zu glauben. So scheint eine Beziehung
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokratcs. (Lortzing.j 3[
auf die dem A., freilich nicht ihm allein, von Aristot. 763b 32 (vgl.
Aet. V 7, 4, wo neben A. Farmen, erwähnt wird) zugeschriebene Theorie
von der Zeuguue: an nicht weniger als fünf Stellen vorzuliegen. Die
Nilschwelle wird Hei. 1 flf. und Fr. 230 ganz im Sinne des A. gedeutet,
wobei jedoch zu berücksichtigen ist, daß dieselbe Deutung sich auch
schon bei Aischylos (s. o. S. 72) und bei Sophokles fand, also damals in
Athen sehr populär gewesen sein muß. Au die Erklärung der oictTTovxe;
bei A. (Aet. III 2, 9) erinnert stark Fr. 961, an die Lehre von den
-rpo-at TjXi'ou Aet. II 23, 2 (P. giebt hier eine beachtenswerte, aber im
einzelnen mir nicht ganz klare Deutung der Tpoizai der Sonne und des
Mondes [s. Hippolyt. I 8, 9], die von der gewöhnlichen Auffassung der
xpoTtai TQÜ TjXi'ou als Solstitien abweicht) Elektr. 726 ff. und vielleicht
auch Fl-. 779. überhaupt zeigt Eur. eine ganz besondere Vorliebe für
Astronomisches, die v. Wilamowitz Herakl. I 33 mit Unrecht be-
sUitten hat (vgl. Hekabe 1100 und Jon 1146 ff.); im Phaethou und in
der Audiomeda hat ei- astronomische Stoffe behandelt, und er ist der
einzige Tragikei', der den Orion mehrmals erwähnt. In dieser Neigung
zeigt sich unzweifelhaft eine gewisse Geistesverwandtschaft mit A. —
An anderen Stellen dagegen ist P. in der Entdeckung von Überein-
stimmungen zu voreilig. Die angeblich im Phaethon vorkommende Be-
zeichnung der Sonne als -/poasa ßuiXo; hätte er beiseite lassen sollen
(s. 0. S. 78). Daß unter dem „Steine des Tautalos" (s. ebd.) einer der
zwischen Erde, Mond und Sonne befindlichen, uns unsichtbaren Körper,
denen A. die Verfinsteiung des Mondes zuschrieb, oder vielleicht auch
ein Meteorstein zu verstehen sei, ist eine zwar ansprechende, aber sehr
unsichere Vermutung. "Wenn Eur. sich gelegentlich, z. B. Hippol.
1059, gegen Zeichendeuterei ausspriclit, so braucht man die sich darin
ausdrückende Geistesfreiheit wahrlich nicht auf den Einfluß des A.
zurückzuführen. Dasselbe gilt von der Berufung der lokaste (Phoen.
Ö41 tf.) auf die Analogie der Weltordnung zum Beweise, daß die Gleich-
heit ein Naturgesetz sei. Solche Anschauungen und Gesinnungen konnte
Eur., sow'eit überhaupt an eine philosophische Quelle zu denken ist,
ebensogut aus anderen Philosophen wie aus A. schöpfen. Daß er
die Schriften der verschiedensten Philosophen gekannt und benutzt hat,
gesteht auch P. zu. Er nennt besonders Xenophanes, Empedokles, die
Orphiker und Heraklit als seine Quelle und leugnet auch nicht völlig
solche Beziehungen zu Sokrates und den Sophisten, insbesondere zu
Protagoras, weniger zu Hippias und Piodikos [umgekehrt Düramler,
Akad. 257, 1]. Wenn er vor Überschätzung des Einflusses der letzteren
warnt und es für verfehlt erklärt, überall, wo sich eine gewisse Ähn-
lichkeit der Gedanken findet, gleich den Dichter für den Nachahmer
zu halten, während es sich oft nur um damals allgemein herrschende
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.j 6
82 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokratee. (Lortzing.)
Tendenzen handle, so trifft dieser Vorwurf auch sein eigenes Ter-
fahren, allerorten anaxagoreische Einflüsse bei Eur. zu wittern. Einen
engeren Anschluß des Dichters an das System des A. würden wir nur
dann anzunehmen bei'echtigt sein, wenn jener nicht bloß gelegentlich
einzelne mehr nebensächliche Punkte, sondern grundlegende und unter-
scheidende Lehrsätze dieses Systems mit Vorliebe in seine Dichtungen
aufgenommen hätte. Nun glaubt P. allerdings eine der wichtigsten
Lehren des A., die vom Nus, in einer größeren Anzahl von Stellen
wiederzuerkennen. Aber die Beweise, die er hierfür beibringt, sind
nicht stichhaltig. In der Hauptstelle (Troad. 884 ff.) schwankt Eur.,
wie P. selbst bemerkt, in den Worten: Zeu; eiV dva^xr^ i^ujeo»
eire vou? ßporüiv zwischen zwei verschiedenen Auffassungen des höchsten
Gottes, von denen die eine nach P. an Heraklit, wahrscheinlicher aber
nach Diels, Rhein Mus. 42, 12 an Demokrit erinnert; ob die zweite
auf A. zurückzuführen sei, wie Verf. meint, ist sehr fraglich; man
kann bei dem voüc ßpoTÜiv auch an Diogenes denken, und man wird
dazu um so eher geneigt sein, als das 7% tf'yjrjjjia in diesem Fr. offen-
bar auf die Lufttheorie dieses Philosophen hinweist (s. Diels a. a. O.
und ,,tJber Leukipp und Demokrit" S. 108, 4). Auch an anderen
Stellen, wo vom menschlichen voüc im philosophischen Sinne die' Rede
ist, darf man mindestens mit demselben Rechte eine Beziehung auf
Diogenes, dessen Philosophie damals in Athen weit verbreitet gewesen
zu sein scheint, wie auf A. annehmen, so z. B. Fr. 1007, wo P. selbst
Diogenes bei Theophr. d. sens. 511, 12 D. anführt, oder Fr. 901, 6
und Hei. 122, wenn man hier nicht mit Wilamowitz (s. Ber. I 275)
eine Anspielung auf einen bekannten Ausspruch Epicharms sehen will.
Daß Eur. den Diogenes gekannt hat, leugnet auch P. nicht. Um sa
verwunderlicher ist seine Annahme, Eur. und Diog. seien gleichzeitig
auf den Gedanken gekommen, die Eigenschaften des anaxagoreischen
Nus dem Äther als dem feinsten Elemente beizulegen. Eur. war doch
kein Forscher, dem man eine selbständige Fortbildung eines Systems
zutrauen kann. Wenn er daher in einer bestimmten Lehre, wie hier
in der von der vernunftbegabten Luft, mit Diog. auffallend übereinstimmt,
ist es von voinherein viel glaublicher, daß er sich an diesen angeschlossen,
als daß er durch eigenes Nachdenken aus A. dieselbe Lehre wie jener
entwickelt hat. Noch verfehlter ist es, an gewissen Stellen, wo eine
philosophische Bedeutung des Wortes voü; überhaupt nicht vorliegt,
eine Abhängigkeit von A. zu behaupten, wie dies P. Medea 529: qo\
o'hzi [1.EV voüc XsTTtoj thut, als ob Eur. nicht, auch ohne ein Fragment
des A. vor Augen zu haben, einer seiner Personen hätte einen ,, feinen
\' erstand" zuschieiben können. Wenn Verf. schließlich die Kosmologie
i:i Fr. 83ß und 488, wo -.aia und albrfi oder oypavoj an den Anfang
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 33
der Dinge gestellt und als Erzeuger aller organischen Wesen besungen
werden, oder das Emporsteigen der vom Leibe getrennten Seele in den
Äther, von dem Eur. Fr. 836 und Hei. 1016 spricht, auf A. zurückführt,
so schiebt er diesem eine Lehre unter, die, wie Decharme (s. 0.
S. 77) erkannt hat, nach der besten Überlieferung diesem fremd ist. —
Der positive Ertrag seiner Arbeit ist somit kein sehr erheblicher; aber
das Verdienst bleibt ihm, gezeigt zu haben, daß Eur. der Person und
Lehre des A. doch nicht so fremd gegenüberstand, wie Decharme an-
genommen hatte, und seine Untersuchung hat vor der seines Vorgängers
jedenfalls den Vorzug, daß in ihr alles für eine Vergleichung des Eiir.
mit A. irgendwie in betracht kommende Material aufs sorgfältigste zu-
sammengetragen und nach methodischen Gesichtspunkten bearbeitet ist.
— Vgl. außer der angeführten Besprechung Weckleins die von J. Bidez,
Kev. de l'instr. publ. 37 S. 45 ff.
Polle sucht die mehrfachen Übereinstimmungen, die sich scinei-
Meinung nach zwischen der Kosmogonie bei Diodor prooem. c. 7. und der
entsprechenden Darstellung bei Ovid im 1., teilweise anch im 15. Buche
der Metamorphosen finden, durch die Annahme zu erklären, daß beide
aus einer gemeinsamen Quelle, wahrscheinlich der Schrift des A., ge-
schöpft haben. Näheres s. in der Rezension von R. Ehwald Fortschr.
80 (1895) S. 44 f., dessen Beurteilung der Polleschen Hypothese im
wesentlichen das Richtige zu treffen scheint. Die Verwandtschaft zwischen
Diodor und Ovid ist, wie Ehwald darthut, teils sehr entfernt, teils nur
scheinbar. Den Ähnlichkeiten stehen ferner mindestens ebenso viele Unter-
schiede gegenüber. Aber auch die von P. behaupteten Übereinstimmungen
sowohl Diodors wie Ovids mit A. sind zum Teil sehr zweifelhafter Art.
Wenn P. z. B. die cognati semina (^^ oi^epixaTa bei A.) caeli I 81 mit
der Darstellung bei Irenaeus II 14,2 und den deus et melior natura
I 21 sowie den opifex rerum I 79 und muudi fabricator 157 mit dem
Nus des A. zusammenstellt, so fehlt in den Worten I 80 f.: tellus . . .
retinebat semina caeli gerade der charakteristische Zug der decidentia
semina bei Iren., und Ovid giebt überdies diese Ansicht nur als eine
Variante (sive-sive), die eine von der Hauptquelle abweichende Auf-
fassung enthält. Diese der Darstellung Polles gegenüber völlig zu-
treffende Bemerkung Ehwalds läßt nur außer betracht, daß die Mit-
teilung bei Iren., in der P. eine getreue Wiedergabe der anaxagoreischeu
Lehre von der Entstehung der Lebewesen erblickt, keinen Glauben
verdient (s. 0. S. 73). Vielleicht ist gerade in der Ovidischen Fassung,
nach der die Erde die vor ihrer Trennung von dem Himmel empfangenen
Samen des Äthers bewahrt, die wahre Ansicht des A. erhalten (vgl.
Censorin. d. d. nat. 6, 2: aetherium inesse calorem). Auch sonst lassen
sich einzelne Übereinstimmungen zwischen Ovid und A. nicht leugnen
6*
84 Bericht über die griechischen Piiiloeopben vor Sokrates. (Lortzing.)
(nur hätte H. Magnus in seiner kurzen Besprechung der Abhandlunp,
Jahresber. d. philologischen Vereins in Zschr. f. d. Gymn. W. 1896
S. 78 nicht auf die auffallende Ähnlichkeit des Citates aus Eurip.
[Fr. 488] bei Diodor mit Ovid I 6 und andern Ovidstellen Wert legen
sollen, da jenes Fr., wie wiederholt bemerkt, schwerlich auf A. zurück-
weist). Aber ganz unglaublich ist, daß ein Dichter wie Ovid die Schrilt
des A. selbst und noch dazu, wie man annehmen müßte, neben einer Anzahl
anderer Originalquellen durchstudiert haben sollte; er wird vielmehr,
wie Ehwald glaubt, eine doxographische Quelle benutzt haben, die haupt-
sächlich stoische Veise enthielt, aber die Meinungen anderer Philosophen
kurz berühite [etwa Poseidonios?]; auf eine solche führen auch die un-
leugbaren Übereinstimmungen mit Heraklit und Seneca; vgl. H. Magnus
Jahrb. f. kl. Ph. 37 (1891) S. 698 ff.
2. Znm Texte der Fragmente.
Die uns erhaltenen Fragmente stehen in ihrer ursprünglichen
Gestalt fast ausschließlich bei Simpl. ad phys. In der Dielsschen Aus-
gabe, auf die ich hier verweise (s. das Verzeichnis im 2. Bande der
Ausg. S. 1439 f.), haben wir natürlich einen viel zuverlässigeren Text,
als ihn Schaubach und Schorn, von MuUach zu schweigen , iii ihren
*Saramlungen bieten konnten. — Ein neues Fr. hat Diels Atacta Herrn.
13 S. 1. ff. (s. ßer. I 276) bei Gregor Naz. ed. Migne t. 36 S. 911
entdeckt: neu? 7ap av ex p.7) tpr/o? YevTjxai (1. 7evoiTo) Opt$ xat aapE
ix fxY) aapxo;; es ist an die Stelle des 16. Fr. bei Schaubach zu setzen,
das nichts als eine Umschreibung der aristotel. Worte phys. 203 a 24 ff.
durch Simpl. 416, 25 ff. enthält; vgl. Aet. I 3, 5 S. 279 a 9 und dazu
die Anmerkung von Diels. Ein zweites von den Herausgebern über-
sehenes Bruchstück findet sich bei Simpl. d. cael. 608, 26 (s. Zeller
986, 1): cuaxe Ttüv a7:oxptvo[JL£V(DV p,-?) eiSevai xo ti:X^9oc [at^xe
X67t}> ixTf]xe ep7i|>. Auf ein gleichfalls bisher übersehenes Wort des
Philosophen bei Plut. d. foit. 3 S. 98 F über die kluge Verwertung
der Vorzüge der Tiere durch den Menschen weist Gomperz Gr. D.
445 hin. Von Verbesserungsvorschlägeu sind außer Zellers dnXöov
(Fr. 6) , das bereits S. 63 t. angeführt worden ist, noch folgende zu
erwähnen. Gomperz Beitr. IV S. 21, 1 will in Fr. 6: iszb xoü
ffjxixpoü rjpEaxo uepf/tupeiv unter Berufung auf Herodot I 58 (dzc» aixtxpou
xeu xTjv ap'/Y)v opixujjxevov) aTto xtu lesen; nicht von ,,dem Kleinen",
sondern von „einem kleinen Punkte" aus habe A. den vom Nus erteilten
Bewegungsanstoß sich verbreiten lassen; Diels S. 156. 23 hat diese,
wie mir scheint, sehr beachtenswerte Konjektur unerwähnt gelassen. —
Fr. 15 (Simpl. 164, 18); xö ^otp iov oux laxi xo [xt) oux eivat hat Zeller
bereits in der 4. Aufl. der Ph. d. Gr. (s. I 5 989, 2) treffend xo|x.^
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 85
oux eTvai vermutet: „es ist unmöglich, daß das Seiende durch unendliche
Teilung zu nichte werde"; von Schulteß und Wellmann bei Ritter und
Preller ^ 121 aufgenommen. Verfehlt ist der Vorschlag Toich mü Hers
N. Stud. II 29 Anm.: t6 [xr; ov eivai — Aus der Übersetzung der
Fragmente bei Burnet earl. gr. ph. 282 ff. und dem beigefügten
Kommentar sei folgendes angeführt. Fr. 3 ergänzt B. willkürlich ev
T.äsi ToTc ouYxpivofievotc <xoa}ji.oi;> (vgl. über die verkehrte Hypothese
von einer Vielheit der Welten bei A. o. S. 77). Fr. 10 verbindet B. mit
Fr. 3, wie dies Simpl. an drei Stellen thut, und setzt mit demselben Simpl.
(S. 35, 14) Fr. 11 unmittelbar [aber Simpl. sagt |j.6t' 6X170 v 97)71]
hinter Fr. 10. Der Schluß von Fr. 10: Taüxa ouv jxtjv XEXexxai Trepi ttj?
oTToxpiato; (so DE, aTToxpiseu); a F) xtX, den Schorn dem Simpl.
zuschrieb, gehört nach B. dem A. selbst, wie die ionische Form beweist;
auch Diels S. 35, 8 zieht ihn mit zu den Worten des A. Fr. 4 streicht B.
die Worte 77JC TioXXf^c ivouarj? als eine Glosse zu der wahrscheinlich
dui'ch sie verdrängten ursprünglichen Lesung dtpaioü xal tiuxvoü (vgl.
Fr. 6). Fr. 12 schließt er sich au die von Diels zu S. 157, 7 vorge-
schlagenen Verbesserungen an; nur im Anfange will er nicht mit D.
6 8e voüc, «uc dtei tote, xotpra, sondern 6 8. v. ^jwv x'esxi xpoTeet
lesen; falsch, da beim Nominativ die Assimilation des Relativums aus-
geschlossen ist.
3. Zu Archelaos.
Wenn auch in der Berichtszeit keine Monographie über Archelaos
erschienen ist, so sind doch in verschiedenen Schriften einzelne Beiträge
zu seiner Philosophie geliefert worden.
Zu der Notiz bei Euseb. pr. ev. X 14, 8, daß Arch. zuerst in
Lampsakos die Schule des Anaxagoras übernommen und erst später von
dort nach Athen übergesiedelt sei, vermutet Zell er 1031, 1, wohl mit
Recht, dies sei nur aus seinem Diadocbenverhältnis zu Anaxag. gefolgert
worden. Wenn Zeller aber ebenda die Bemerkung bei Laert. II 16:
ouToc TcpcÜTOc ex xfjC 'Iiüvi'ac tt/j <puaixY)v 9iXopocpiav ixern^-fa^ev 'A&TQva^e
im Widerspruch zu W. Volkmann Quaest. d. Diog. L. c. I (s. Bericht
I 185) nicht als eine auf Anaxag. bezügliche Randbemerkung gelten
lassen will, sondern nach wie vor auf Arch. bezieht, so kann ich ihm
darin nicht beistimmen.
Zu dem Abriß der Lehre des Arch. bei Hippolyt. I 9 hat Diels
in den Doxogr. 563 f. mehrere Verbessernn^svorschläge gemacht, von
denen einer (S. 564, 8) ypr^aöat (statt yprjjsaöai oder ypTQjajÖaO ^ap
exGKJTov xal tcüv I^iüuj^ t(u viG (statt a(ü[xaTu)v oata) von Zeller 1036,2
gebilligt wird. Dagegen schlägt dieser 1034, 16 statt elvai 0' äp/ac
TT); xivr^aeuj; dTTOxpivetJilai (S. 563, 16) vor: ev 6' ap-/aT; Sta x^c
36 Bericht über die griechischen Philo-sophen vor Sokrates. (Lortzing.
XIV. oder i. 8. d. x^; xiv. vor, während Diels unter Berufung auf
Laert. II 16 (6uo amac slvai -^sveascü;) vermutet hatte: elvai 6e <ouo>
dp^a«. T. X., <ac> dzoxptvcOat. — Die verderbte Stelle bei Laert. II 17
in. hat Byk. d. vorsokr. Phil. I 247 f. durch eine Umstellung heilen
wollen, die Zeller 1035, 2 mit Recht zurückweist; er selbst hatte schon
in einer frühereu Auflage statt -eptppeT vorgeschlagen uupl tepippeixat
sowie statt des im Zusammenhange sinnlosen xaöö jxev ei? xo irupGSec
auviaxaxai: TnrjXöioe«;; Reiske in den von Diels veröffentlichen Aniraadv,
in Laert. Diog. (s. Bericht I 188) S. 307 hatte, wie später Ritter
I 342, xuptüSe« vermutet; Diels selbst denkt an xpo^üiSec und ver-
gleicht Äet. III 9, 5.
Über die Physik des Arch. handelt Dümmler an zwei Stellen
der Akadem. S. 106 weist er zutreffend darauf hin, daß in der Lehre
von der e^x^tot; oder eTrixXtai? xou x6a|jLou Arch. sich zwar im ganzen an
Anaxagoras und Diogenes anschließt, in einem Puukte aber von ihnen
abweicht. Während jene beiden die Neigung des Kosmos erst nach der
Erzeugung der lebenden Wesen eintreten ließen, nahm Arch. an, daß
die Erde, die er sich wie eine hohle Schale dachte, vor der Ittixäij'.;
dunkel und schlammig war, da die am Horizonte kreisende Sonne wegen
der erhöhten Ränder der Erde diese nicht bescheinen konnte; nath der
eTiixXtJi; sei dann die Erde trocken geworden, und nun erst hätten sich
auf ihr Menschen und Tiere gebildet, die sich vom Schlamme ernährten
und kurzlebig waren, bis sie sich später unter einander fortpflanzten.
Diese Abweichung aber ist, wie D. hinzufügt, von keiner wesentlichen
Bedeutung für die dem Arch mit den beiden anderen Philosophen ge-
meinsame teleologische Auffassung, nach der die eTiixXiJi; um der leben-
den Wesen willen eingetreten ist. — S. 232 ff. findet D. Anklänge an
die Ansicht des Arch., daß sich die ersten Menschen vom Erdschlamm
ernährt hätten, in der 12. Rede des Dion Chrysost., die gewöhnlich auf
eine stoische Quelle zurückgeführt wird (s. Wendland Arch. I 209);
Dion habe zwar schwerlich unmittelbar aus Arch. geschöpft, aber einen
der ältesten Kyniker benutzt, der sich eng an die ionischen Physio-
logen wie Diogenes und Arch. angeschlossen habe. Mit Recht erklärt
Zeller 1036, 4 diese Vermutung für unsicher, wenn sie auch möglicher-
weise das Richtige treffe. — Eine kurze, aber treffende Darstellung der
Naturphilosophie des Arch. giebt Gomperz Gr. D. 304, an deren
Schluß er bemerkt, daß Arch. bei dem Versuche einer Umbildung oder
besser Rückbildung der auaxagoreischen Lehre nicht nur durch Anaxi-
menes, sondern auch durch Parraenides, vielleicht auch durch Anaxi-
mander beeinflußt worden sei.
Über die Frage, ob Arch. neben der Physik auch ethische
Untersuchungen angestellt habe, sind die Meinungen geteilt. Während
Bericht über die gricchiscben Philosopheo vor Sokrates. ^Lortzin(,'.) 87
sie Dümmler Ak. 257 (vgl. 122) entschieden bejaht, indem er Arcii.
durch die sophistische Staatstheorie (Hippias) beeinflußt sein läßt, und
Goraperz 323 ihn als den ersten schriftstellerischen Vertreter der
Unterscheidung zwischen Natur und Satzung auf dem Gebiete der staat-
lichen und gesellschaftlichen Erscheinungen bezeichnet, beharrt Zeller
auch in der 5. Aufl. (1037 f. mit Anm. 5) bei der Meinung, daß eine
nähere Beschäftigung mit ethischen Fragen, wie sie Sext. math. VII 14
und Laert, II 16 ihm beilegen, im höchsten Grade unwahrscheinlich sei.
Seine Beweisgründe indes scheinen mir nicht durchschlagend. Er be-
ruft sich zunäclist auf das völlige Schweigen des Piaton und AristoL,
von denen letzterer die Hinwendung zur Ethik von Sokrates, nicht
von Ärch. ableitete. Dieses argumentum ex silentio ist sehr be-
denklich; hat doch Aristot. weder Demokrits Ethik noch Aristipp
als Philosophen mit einem Worte berührt. Wenn Z. hinzufügt, daß
auch Hippolyt. keinen ethischen Satz von Arch. berichtet, so ist da-
gegen zu bemerken, daß doch aus seiner Darstellung hervorgeht, daß
Arch., nachdem er die Entstehung der Lebewesen behandelt hatte, auf
die Anfänge staatlicher und gesellschaftlicher Ordnung bei den Menschen
eingegangen sein muß. Hierbei lag es für ihn nahe, die Frage des
Unterschiedes zwischen dem natürlichen Rechte und den menschlichen
Satzungen zu erörtern, wie dieä ja nachweislich der doch wohl nicht
viel jüngere Hippias gethan hat. Wir haben daher keinen hinreichenden
Grund, zu bestreiten, daß die Bemerkung des Laert., Arch. habe be-
hauptet To Sixaiov elvat xal to aia/pov oii (pujei, dXXd v6|xcii , nicht auf
alter Überlieferung beruhe (vgl. Diels Arch. I 250). Z. nimmt daran
Anstoß, daß danach bereits Arch. ausgesprochen haben müßte, was wir
nicht allein bei den ältesten Sophisten, sondern auch bei Hippias in
dieser Allgemeinheit noch nicht finden. Aber wenn wir wirklich dem
Arch. eine so scharfe und umfassende Bestimmung des Gegensatzes von
tpusi; und vojjloj nicht zutrauen dürfen, so hindert uns nichts, anzu-
nehmen, daß die hierauf bezüglichen Betrachtungen des Arch. noch
nicht von diesem selbst, sondern erst in der späteren doxographischen
Überlieferung jene kurze und scharfe wissenschaftliche Formulierung
erhalten haben.
H. Die Atomiker
1. LeokippoSt
362. E. ßohde. Das Verhältnis der beiden Begiünder des ato-
mistischen Materialismus, der griechischen Philosophen Leucipp und
Democrit. Verb. d. 34. Philologenvers, zu Trier 1879. Leipzig 1880.
S. 64—90.
88 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
363. H. Di eis, Über Leukipp und Demokrit. Verh. d. 35. Phi-
lolo^envers. zu Stettin. Leipzig-, Teubner 1887. S. 96-112.
364. E. Rohde, Nochmals Leukippos und Deinokritos. N. Jahib.
f. Philol. 123 (1881) S. 741— 748.
365. P. Natorp, Diogenes von Apollonia. Rh. Mus. 41 (1886)
S. 349-363.
366. H. Diels, Leukippos und Diogenes v. Apollonia. Rh. Mus.
42 (1887) S. 1—14.
367. P, Natorp, Nochmals Diogenes und Leukippos. Rh. Mus.
42 (1887) S. 374—385.
Die Person und Bedeutung Leukipps, sein Verhältnis zu De-
mokrit und Diogenes sind während der Berichtszeit Gegenstand einer
lebhaften Erörterung gewesen, zu der Rohde (No. 362) durch die
Leugnung der Existenz dieses Philosophen den Anstoß gegeben hat.
Er sucht zunächst den leukippischen Anteil an der atomistischen Lehre
von dem demokritischen in einer freilich keineswegs erschöpfenden
Untersuchung zu sondern und gelangt zu dem Resultat, daß für Demo-
krit fast nichts als Kleinigkeiten übrig bleiben. Diese aus der aristote-
lischen Darstellung der Lehre beider Philosophen sich ergebende Kon-
sequenz scheint ihm aber mit der thatsächlichen Bedeutung, die in der
gesamten Überlieferung- des Altertums außerhalb des aristotelisch-theo-
phrastischen Kreises den beiden Männern beigemessen wird, in einem
solchen Widerspruch zu stehen, daß er, um ihr zu entgehen, kein Be-
denken trägt, Aristot. und Theophr. eines fundamentalen Irrtums in
bezug auf die Person des Leukipp zu bezichtigen und diesen für ein
Phantom zu erklären; in Wirklichkeit habs es vor Dem. keine Ato-
mistik gegeben ; alles, was von L. berichtet werde, sei Demokrits Eigen-
tum, der dieses System völlig selbständig erfunden und durchgeführt
habe. Ihre hauptsächlichen Stützpunkte hat diese Auffassung in den
Worten Epikurs bei Laert. X 13: aXX' ouSe Aeuxtimov Ttva 7c7evrj(ji)ai
ydodotpov , d. h. es habe kein Philosoph L. existiert. Zu einer an-
scheinend so paradoxen Behauptung konnte sich, so meint R., Epikur
nur berechtigt glauben, weil von Leukipps leiblichem Dasein und seiner
Thätigkeit keine sichere Spur vorhanden war (bei Dem. wurde er ohne
Zweifel nicht erwähnt), und weil der [xe^ac öiaxoj|i.oc nur von Theophr.
ausdrücklich dem L. zugeschrieben wurde, während er in der sonstigen
Überlieferung fast durchweg als demokritisch galt. Auch der Verfasser
der Schrift d. X. M. G. 980 a 7 spricht mit den Worten Iv toTc Asu-
xiTTTToo xaXoo}xevoic X^Yotc seinen Zweifel an dem leukippischen Ursprünge
der Schrift aus. Diese Gründe hält R. für gewichtig genug, um sich
in der zwischen Epikur und Theophrast herrschenden Kontroverse ent-
Beiidit über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzlng. ) 89
schieden auf die Seite jenes zu stellen. L. hat seinen Platz in der
Geschichte der Philosophie nnr dadurch behauptet, dali er bei der später
übliohen, wahrscheinlicii auf Sotion (in diesem glaubt R das Bindeglied
zwischen Hippolytos und Laertios zu sehen) zurückgehenden Zweiteilung
der Philosophie in eine ionische und italische Reihe zur mechanischen
Verknüpfung der Demokriteer mit den Eleaten notwendig war. Aber
diese Annahme eines L. war keineswegs allgemein. Apollodor hat in
seinen Chronika schwerlich zwischen Zenon (464) und Demokrit (420)
L. eingeschoben, da bei ihm der Unterschied zwischen Meister und
Jünger i-e^elmäßig 40 Jahre betrug; vielmehr war nach ihm Dem.
wahi'scheinlich ein Schüler des Anaxagoras (den Altersunterschied von
40 Jahren zwischen beiden hat ApoUodor nicht bei Dem. vorgefunden,
bei dem er nur las: veo; xaxa Tipsj^'jTTjv 'Ava^a-yopav ^v, sondern nur
durch Berechnung gefolgert). Nicht bloß Lnkrez, sondern auch Sext.
Emp. nennt den L, nie (am auffälligsten ist sein Schweigen math.
IX 363), und Cicero de nat deor. IT 66 spricht zweifelnd von ihm:
Democriti sive etiam ante Leucippi [R. beachtet nicht, daß diese
Worte innerhalb einer gegen einen Epikureer gerichteten Ausführung
stehen und daher offenbar mit besonderer Vorsicht gewählt sind (s.
Zeller 837, 1); in der auf Tlieophr. zurückgehenden Stelle Luc. 118
dagegen nennt Cic, den L. ohne Hinzufügnng irgend eines Zweifels und
reilit ihm Dem. als seinen in den Prinzipien mit ihm durchaus über-
einstimmenden Nachfolger an; vgl. Diels Dox. 120 f.]. Gerade der
\i.i'('x; 3iaxo3(xo;, der wahrscheinlich das Weltgauze darstellte, während
der [xixpoc öiaxosjxoc die Welt des Menschen behandelte, gilt in der
nachtheophrastischen Zeit allgemein als demokritisch. Von einer Berück-
bichtiguDg der Atomistik vor Dem., etwa bei Anaxagoras oder Melissos,
kann R. keine Spur entdecken.
Gege:< diese Ausführungen wendet sich mit einigen kurzen Be-
merkungen F. Kern in einem Nachtrage zu seiner später zu besprechen-
den Abh. über Demokrits Ethik (Zschr. f. Philos., Ergänzungsh. 1880)
S. 23 — 26. Die Äußerung Epikurs vermag er nicht mit Rohde so auf-
zulassen, als ob ein Philosoph L. überhaupt nicht existiert habe,
<ftX6ao<pov könne nur prädikativ genommen werden (?). Auch handle
es sich nach dem Zusammenhange nur um die Leugnung des Lehrer-
verhältnisses, nicht um die der Existenz der beiden Philosophen
Nausiphanes (?) oder L. Mit dieser grammatisch und sachlich unhalt-
baren Deutung der Stelle (auf den Zusammenhang ist an vielen Stellen
des Laert. nach der Art, wie sein "Werk zu stände gekommen ist
[s. Ber. I 188 und 185ff.J, kein Wert zu legen) läßt sich Rohdes Hypo-
these nicht beseitigen. Überzeugend dagegen sind die Argumente, mit
denen D.iels (No. 363) diese Hypothese bekämpft.
90 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing )
D. erklärt sich zunächst mit Rohdes Auffassuntr der Äußerung
Epikurs über L. einverstanden; xiva bezeichne nicht, wie Zeller früher
annahm, „ein uainhafter" , sondern habe einen polemischeu Charakter,
wie unser „ein gewisser", und cpiXoaocpov sei nur hinzugefügt, weil es
möglicherweise homonyme Männer anderen Standes gebe. Auch darin
giebt er Rohde recht, daß die Lehre des L. uns nur in den von Aristot.
und Theophr. gegebenen Berichten voi liege, was aber auch für andere
Philosophen wie Anaximander, Archelaos und so ziemlich auch für
Xenophanes gelte, sowie darin, daß nach diesen Berichten Leukipps
System mit dem Demokrits in allem Wesentlichen vollständig überein-
stimme (eine der nebensächlichen Differenzen ist die leukippische Er-
kläiiing des Donners aus dem eingeschlossenen Feuer [Aet. III 3, lOj,
die sich an Anaximander anlehnt, während Dem. [ebd. § II] mit seinem
a'JYxptixa avcu|xaXov offenbar durch Anaxagoras [ebd. § 4, vgl. II 30, 2J
beeinflußt ist. Rohdes Behauptung dagegen, daß die Lehre von der
Subjektivität der Empfindungsqualitäten dem Dem., aber nirgends dem
L. zugeschrieben werde, ist falsch (vgl. Aet. IV 9, 8); der Satz: ete-^
aTO|xa xat xsvov, td 81 äXXa Travta doidCzTOLi mag den Worten nach Dem.
gehören, aber unzweifelhaft ist dieses dem eleatischeu Programm direkt
nachgebildete Schibboleth des Materialismus ebenso gut leukippisch).
Ebenso ist gegen den Schluß, den R. daraus zieht, daß dann also Dem.
dem L. nicht selbständiger als etwa Theophr. dem Aristot. gegenüber-
stände, nichts einzuwenden. Dagegen befindet sich E. in einem schweren
Irrtum, wenn er, durch die vorgefaßte Idee von Demokrits Originalität
verführt, die Existenz des L. zu leugnen und damit Aristot. und Theophr.,
die Grund- und Ecksteine unserer Kenntnis der vorsokratischen Philo-
sophie, als betrogene Betrüger hinstellt und zwar in einer Frage, in der
es sich nicht um die Kritik und Auffassung fremder Systeme, sondern
um die durch Aristot. wohlverbüigte historische Existenz eines gewaltigen
Denkers handelt. Freilich wissen weder Geschichte noch Sage etwas
von Leukipps Lebensumständen zu berichten, abgesehen von der
doppelten Angabe über seine Vaterstadt bei Theophr., die nicht bloß
aus Leukipps Schriften geschöpft sein kann, sondern auf anderweitige
Überlieferung de,utet. Aber dieses Schweigen beweist nur, daß seine
Persönlichkeit sich auf die innere Thätigkeit der Schule beschränkte
und darum bei den Zeitgenossen rasch in Vergessenheit geriet. Wenn
Aristot. zuerst mit Dem. den L. nennt, so hat er dies sicherlich nicht
auf ein unbestimmtes Gerücht oder auf bloße Büchertitel hin, sondern
auf grund einer genauen Tradition über die Geschichte der Atomistik
gethan. Daß die vulgäre Überlieferung später L. ganz vergessen
konnte, erklärt sich daraus, daß Leukipps Schriften nur unter Demokrits
Namen umgingen. Dies konnte um so leichter geschehen, als keine von
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing). 91
den philosophischen Schriften den 5. Jahrhunderts einen prägnanten,
vom Schriftsteller selbst gewählten Titel gehabt zu haben scheint; sie
werden unter der stereotypen Aufschrift rspl ^üjstü;, bisweilen auch
Trepi Toü ovToc mit Recht oder Unrecht zusaramengefaßt. Und wie der
Titel, 80 fehlte auch der Name [aber er stand in den Prosaschriften
des 5. Jahrhunderts gewöhnlich am Anfange der Schrift selbst; s. Ber.
1275 und wasDiels selbst später zu Fr. 1 seiner Heraklitausg. bemerkt hat].
So blieb der Name des Meisters mehr in der Tradition als in den Exem-
plaren erhalten. Das demokritische Korpus ist daher wahrscheinlich als
das Archiv der atomistischen Schule aufzufassen, in dem Älteres und
Jüngeres sich an das Hauptwerk angeschlossen hat. In der That stehen
dann auch im thrasyllschen Kataloge der demokritischen Schriften die
beiden von Theophr. dem L. zugeschriebenen Bücher ixe^ac (3iay.oa|i,o; und
rept voü. Das Verhältnis des (xixpoc zum ^.£7«; 6iaxoa|xof ist nicht das
des Makrokosmos zum Mikrokosmos, sondern ist nach Analogie von
fxtxpa 'IXiac und 'iTiniac |j.etCa>v u. s. w. zu beurteilen. Auch konnte der
kleine Diakosmos nicht gut die Anthropologie enthalten, da Dem.
daun dasselbe Thema in dem Werke Tiepl dvOpcoKou cpucjto? bebandelt habeo
müßte. Das einfachste ist, im großen Diakosmos die Urschrift des
Meisters zu erblicken, die sein Schüler im kleinen Diakosmos in eiu
kürzeres System brachte. Gegen Rohdes Annahme, daß die zweite Schrift
des L., Trepi voü, auf einfacher Verwechselung mit Dero, beruhe, da L.
so gut wie ausschließlich von den kosmologischen Grundsätzen der
Atomistik gehandelt habe, bemerkt D. treffend, daß die wichtige,
in der peripatetischeu Quelle dem L. zugeschriebe Lehre von den
Bildern, auf denen die atomistische Psychologie aufgebaut ist, nur in
der leukippischen Schrift r.i^\ voü stehen konnte. Die bei Aet. 1 25, 4
aus dieser Schrift augeführten Worte fügen sich ungezwungen in den
mutmaßlichen Gedankeninhalt der Schrift; denn der konsequente
Materialismus mußte auch die Geistesthätigkcit auf die £i}j,ap(X£vr,, ins
Physikalische übersetzt, auf die Schwerkraft, zuiückführen. Der Titel
:i£pl voü erklärt sich daraus, daß den Atomikern «{>u'/y) und voü; dasselbe
war und L. die aiaÖYjji? und die vorjat; auf gleiche Weise aus den tiduiXt
entstehen ließ. Daraus endlich, daß Epikur in den Schriften Demokrits
den Namen des L. nicht erwähnt gefunden hat, dürfen wir nicht mit
ihm den Schluß ziehen, L. habe nicht existiert. Dem. brauchte nach
antiker Sitte den Namen seines Lehrers so wenig zu nennen wie Theophr.
und Eudemos den des Aristot., zumal mau nur dann Namen von Autoren
zu bringen pflegte, wenn man von ihnen abwich Wenn die traditionellen
Exemplare die Schrift des L. unter Demokrits Namen führten, so war
für die alexandrinischen Bibliothekare die Sache entschieden, und sie
glaubten genug gethan zu haben, wenn sie die abweichende Ansicht
92 Bericht üher die griechischen Philosophen vor Sokrates, (Lortzing.)
Theopbrasts erwähnt hatten. — Nach dieser Zurückweisung der
Rohdeschen Argumente bringt D. nun auch noch einen positiven Nach-
weis für die Existenz des L. Dem. wirkte und schrieb um d. J. 420,
jedenfalls vor Anaxagoras. Wenn sich also bei einem der früheren
Philosophen sichere Spuren von einer Einwirkung der Atomistik wahr-
nehmen lassen, so kann nur L. der Urheber des Systems sein. D.
will ganz davon absehen, daß Zeller 1026 f. und 983 f. mit großer
Wahrscheinlichkeit eine Abhängigkeit des Anaxagoras und Melissos von
der Atomistik behauptet und daß Empedokles (s. o. S. 43 f.) in wichtigen
Punkten seiner Lehre an dasselbe System anknüpft (wenn Rohde um-
gekehrt den Namen des Emp. in einer angeblich leukippischen Schrift
gefunden haben will, so beruht dies auf einem Mißverständnis von
Aristot. de. gen. 325b 5. Ebenso mißverstanden hat R. Ps.-Arist.
de X. M. G. 980 a 7, wo Iv xoic Aeuxitruou xaXouixe'voic Xo7otc sicher nicht
ein Gorglas entlehntes Citat ist, sondern auf iVristot. 325 a 11 zurück-
geht; in xaXouixe'vot; liegt kein Zweifel an L., sondern es deutet das
Ungewöhnliche des Ausdruckes Xo7ot an). Aber von Dioge nes bezeugt
Theophr. Phys. op. Fr. 2 mit deutlichen Worten, er habe sein System
eklektisch aus Anaxagoras und L. zusammengestellt. Rohde mag recht
haben, daß dies nichts weiter bedeute, als daß Diogenes dem [xe-i-ac
6iaxo(j[j.o; manches entlehnt habe. Aber Diogenes schrieb nach
Anaxagoras, den er benutzte, und vor den aristophanischen Wolken,
die ihn parodierten. Viele physikalische Scherze in diesem Stücke
passen wenig auf Sokrates, vortrefflich aber auf Diogenes, dessen Theorie
entweder durch ihre Wunderlichkeit oder durch die Anklage, die ihm
nach Laert. IX 57 [s. jedoch Volkmann d. Diog. Laert. I S. 6, der
nachgewiesen hat, daß hier ein auf Anaxagoras bezügliches Einschiebsel
vorliegt; vgl. Zeller 259, 1] seine Freigeisterei zugezogen zu haben
Fcheint, die Aufmerksamkeit der Athener erregt haben muß. Vor allem
entspricht Wolken 227- 233 genau der Lehre, ja der Terminologie des
Diog. (vgl. besonders das für Diog. typische ix|xac), wie bereits Petersen
Hippocr. scripta ad terap. rat. dispos. Hamburg 1839 nachgewiesen hat.
Nur die ebenso eigentümliche wie lächerliche Lufttheorie des Diog. kann
hier verspottet sein, nicht etwa, wie R. meint, die ähnliche Meinung
Heraklits, die dem athenischen Publikum viel zu fern lag und schwer
verständlich war. Wenn v. 264 Sokrates und sein Schüler zu dem
Herrscher 'Atqp beten, so thun sie es genau im Sinne des Diog.
(Philodem d. piet. I 6b und Diog. Fr. 3). Man wird es jetzt nicht
mehr auffällig finden, daß die formenwechselnde Luft auch bei Aristoph.
bald als leuchtender Äther, bald als unermeßliches Chaos, das an
mehreren Stellen nicht die Leere, sondern die Luft bedeutet, bald als
Nebel göttlicher Verehrung gewürdigt wird, noch, daß das nach Diog.
Bericht übei- dio griechischen Philosophen vor Sokrates. iLorlzing.) 9-»
mit dem Denken identische Atemholen (avairvoT])! als Göttin augerufen
wird (v. 627). So erst versteht man den Titel und die ganze Anlage
des Stückes, den Chor der Wolken als weiblichen Vertretern des 'Ai^p.
(Eine Anspielung auf Diog. findet D. auch bei Demokr. fr. var. arg.
5 Mull., wo unter den Xo-fiot avdpuiirot dieser Philosoph zu verstebeu
sei; vgl. Diog. Fr. 3 und 6. Letzteres schwebte auch bei Eurip.Troad. 884
vor [S. 0. S. 82].) Da hiernach Diog. seine Physik vor 423 veröffentliclro
haben muß, da er ferner den großen Diakosmos benutzt hat und eine
genauere Zwischenzeit anzunehmen ist, in der das atomistische System
dem Apolloniaten und dessen Philosophie wieder dem athenischen Publikum
bekannt werden konnte, so kann nicht Dem., sondern nur L. der Verfasser
des ixe^a; Siaxo^jxoj sein, den wir uns 30 — 40 Jahre älter als Dem. denken
werden. L. ist und bleibt also der geniale Erfinder der Atomistik,
Dem. aber ihr beredtester Apostel, der wegen seines wahrhaft aristote-
lischen Forschertriebes, der großartigen Vielseitigkeit seiner Studien und
der Formvollendung seiner Schriften neben L. mit Ehren genannt zu
werden verdient. Er ist auch der Altmeister der Philologie, der, wie
das Verzeichnis Thrasylls lehrt (das (jvoixajtixo'v ist vermutlich keine
demokritische Schrift, sondern das nach antiker Sitte [vgl. Hippokrates]
dazu gehörige Wörterbuch), an Homer anknüpfend zuerst in umfassender
Weise die Gesetze der Musik, der Poesie und der Sprache überhaupt
festzustellen unternommen hat.
Dem schweren Geschütze dieser Gründe hat das lockere Gefüge
der Rohdeschen Hypothesen nicht standhalten können. Mit vollem
Rechte schließt sich Zell er 838 f. (vgl. 274 f.) den Hauptergebnissen
der Dielsschen Beweisführung an und bemerkt, daß R. durch ihn er-
schöpfend widerlegt worden sei. An diesem Ergebnis wird auch durch
den in No. 364 unternommenen Versuch Rolides, seine Hypothese zu
verteidigen, nichts irgendwie Wesentliches geändert. R. erklärt Diels'
Voraussetzung, die traditionellen Exemplare hätten die Leukippschen
Schriften unter Demokrits Namen geführt, erst Aristot. und Theophr.
hätten sie, auf der internen Überlieferung der atomistischen Schule
Jußend, dem L. zugesprochen, und der Tradition zuliebe hätten sie
dann die Alexandriner wieder an Demokrits Namen geknüpft, haupt-
sächlich aus folgenden Gründen für unwahrscheiulich: 1. Jene Schul-
traditiou mußte doch dem Epikur, der Schüler des Nausiphanes war,
mindestens ebenso zugänglich gewesen sein wie dem Aristot.; zu Epikurs
Zeiten aber wußte man so wenig von L. , daß jener es wagen konnte,
seine Existenz zu leugnen. Man darf doch dem Epikur nicht eine
Flunkerei so auf gut Glück zutrauen, zumal er in diesem Falle nicht
das geringste Interesse an der Entstellung der Wahrheit hatte. Für
das gelehrte Altertum war die Existenz des L. so gut wie ausgelöscht,
94 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
[aber in der doxog-raphischen und biographischen Litteratur lebte er
doch fort; s. Aet. und Laert.], und die Schrift oder die Schriften, die
nach Theophr. dem L. gehörten (R. giebt jetzt zu, daß Th. auch die
Schrift TT. vou möglicherweise auf L. zurückführte), teilte man dem Dem.
zu. 2. Diels schlägt die kritische Befähigung des Kallimachos und der
alexandrinischen Bibliothekare überhaupt zu gering an. Selbst Thrasyll
schloß die dtJuvTaxxa aus dem Bestände der deraokritischen Schriften
aus. Daß gerade in diesen Schriften, für die Kallimachos nachweislich
eine besondei-e Vorliebe hatte, scharfe Kritik geübt worden ist, beweist
die von Diels übergangene Notiz bei Suidas s. v. AirjixoxpiToc, echt
seien nur der [XE^a? oiaxoajxo; und Tcepl cpuaetu? xoafxou. Die Alexandriner
werden also ihre Gründe gehabt haben, von der ihnen wohlbekannten
Ansicht des Aristot. und Theophr. abzuweichen. Aus diesen und ähn-
lichen Gründen verwirft R. die Dielssche Auffassung und beharrt bei
der seinigen, nach welcher der ehedem fälschlich unter Leukipps Namen
verbreitete und als eine Schrift dieses Philosophen von Aristot. benutzte
\j.i-{(xi öiaxo3|xoc späterhin dem L. abgesprochen und dem Dem. zuge-
sprochen wurde. Die Annahme, daß auch Aristot. durch eine unrich-
tige Überschrift getäuscht sein könne, hält er für kein Sakrileg; habe
doch z. B. Theophr. in der Zuteilung der Nixtou d7ioXo7ta an Lysias
geirrt. — Diese Ausführungen beweisen nur, daß sich in einer so kom-
plizierten Frage leicht allerlei Schwierigkeiten herausfinden lassen, die
in einwandsfreier Weise zu beseitigen bei der Dürftigkeit unserer Über-
lieferung oft unmöglich ist. Aber den Kern der Sache trifft Rohdes
Argumentation nicht; sie ist vielmehr so recht dazu angethan, ihn zu
verhüllen. Die Hauptfrage, der gegenüber hier alles andere als neben-
sächliches Beiwerk erscheint, lautet so: sollen wir in diesem Streite
über einen der wichtigsten Punkte der Philosophiegeschichte dem klaren
Zeugnis der besten und zuverlässigsten Kenner der vorsokratischen
Systeme oder dem gelegentlich hingeworfenen Paradoxon eines Epikur
folgen? Die Antwort kann für den unbefangenen Beurteiler nicht
zweifelhaft sein. Vgl. die außerhalb unserer Berichtszeit liegenden
„Demokritstudien" Dyroffs § 1 und dazu meine Rezension Berl. Philol.
W.-Schr. 1900, 1538 f. Es liegt hiernach für uns keine Veranlassung-
vor, auf die einzelnen Argumente Rohdes einzugehen. Bemerken will
ich nur, daß es sonderbar anmutet, wenn ein so gründlicher Quellen-
forscher wie R. sich auf jene absonderliche Notiz bei Suid. über die
beiden einzigen echten Schriften Demokrits beruft, eine Notiz, die sich
ßchon durch den sonst nirgends überlieferten Titel tc. cpuasu)? xocjfxou
verdächtig macht und, mag sie stammen, woher sie wolle, sicher nicht
auf Kallimachos zurückgeht. — Beachtenswerter ist. was R. am Schlüsse
gegen Diels' Versuch einwendet, die Unmöglichkeit, daß Dem. den
Bericht über die griechischen' Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 9ö
^.£7«; 5iaxoa|j.o; verfaßt habe, chronologisch darzuthun. Allerdings will
er die früher vou ihm bezweifelte Thatsache, daß Diog. in den Wolken
parodiert werde, nicht mehr in Abrede stellen. Aber indem Diels be-
haupte, Dem. habe um 420 geschrieben, zeige er, daß er dem Zeugni'^
Apollodors zu große Bedeutung beilege, und setze sich dadurch mit
seiner eigenen Ansicht über den absoluten Wert der chronologischen
Ermittelungen Apollodors [s. Ber. I 195J in Widerspruch. Wenn dieser
den Dem. gerade um 40 Jahre jünger sein ließ als Anaxagoras. für
dessen Schüler er ihn gehalten zu haben scheint (?), so dürfe man dies
doch nicht als historische Thatsache ansehen. Dem. könne ebensogut
etwa 475 wie 460 geboren sein und bis 423 oder auch schon bis etwa
435 seinen |i.e7a; öiofxosixoc geschrieben haben. Aus solchen chronolo-
gischen Erwägungen sei die Entscheidung der Streitfrage nicht zu ge-
winnen. Dieser Einwand hat eine gewisse Berechtigung. Wenn der
Nachweis, daß sich Diog. an L. angeschlossen habe, lediglich von der
Zuverlässigkeit der Angabe über Demokrits Geburtsjahr (460) und seine
d/.ixr, (420) abhinge, so würde er auf keiner allzu sicheien Grundlage
ruhen (s. Zeller 839 ft.). Aber wie man auch über den Wert des
apollodorischen Zeugnisses denken mag, es giebt andere, teils auf glaub-
würdige Berichte, teils auf Dogmenvergleichung sich stützende Gründe,
die es unwahrscheinlich machen, daß Dem. mit der Darstellung seines
Systems erheblich früher als um 420 hervorgetreten sei. Empedokles,
der frühestens 492 geboren w'urde (s. Ber. I 201), wird seine Ousixa
kanm vor der Mitte des Jahrhunderts geschrieben haben. Ihm folgte
nach der bekannten Äußerung des Aristot. , die in dem inneren Ver-
hältnis der beidorseitigen Lehren ihre Bestätigung findet, als Schrift-
steller Anaxagoras nach. Auch Melissos hatte den Emped. und, wie
sich unschwer aus Fr. 17 nachweisen ließe, auch Anaxag. vor Augen.
Nimmt man mm hinzu, daß Dem. nicht nur gegen Anaxag, sondern
auch gegen Protag., dessen 'AXv^Oeia ohne Zweifel später als die Schriften
der genannten Philosophen erschienen ist, polemisiert hat, und bedenkt
man, daß die Produktion philosophischer Schriften ebenso wie ihre
Wirkung in die Eerne in damaliger Zeit nicht sehr schnell vor sich
gegangen sein kann, so wird man Demokrits Banptschrift mindestens
sehr nahe an die erste Aufführung der Wolken (423) rücken müssen.
"V.'ie soll da noch Raum bleiben für die Veröffentlichung der Lehre des
Diog. und ihre allgemeine Verbreitung in weiten Kreisen des atheni-
schen Volkes, wie sie die aristophanische Komödie voraussetzt? Weitere
Gründe für eine spätere Ansetzung der schriftstellerischen Wirksamkeit
Demokrits s. zu No. 366. Mag man aber auch alle diese chronologischen
Berechraingen als ein zu unsicheres Fundament nicht gelten lassen, so
bleibt doch das Zeugnis des Theophr. über die Abhängigkeit des Dem.
1)6 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
von L. , das wegen der Autorität seines Urhebers nicht verworfen
werden kann und durch bestimmte noch uns erkennbare Überein-
stimmungen in Einzelheiten der Lehre bekräftigt wird (s. Zeller 275, 4).
Schiebt man hier mit B,. an Stelle des L. den Dem. unter, so ergiebt
sich der Widersinn, daß Diog. gerade in solchen Lehren (vgl. das oben
über die Erklärung des Donners Bemerkte) mit Dem. zusammentreffen
würde, die von der sonst überlieferten Auffassung des Abderiten ab-
weichen. Derartige Differenzen mit R. auf Widersprüche Demokrits
mit sich selbst zurückführen hieße denn doch den Knoten zerhauen,
nicht lösen. Es ist höchst auffällig, daß R. diesen wichtigsten der von
Diels gegen ihn angeführten Gründe in der 2. Abh. völlig übergeht.
Gesteht er damit nicht die Schwäche seiner Sache einV
Aus diesem Streite hat sich eine neue Fehde zwischen Natorp
und Diels entsponnen, die sich hauptsächlich um das zuletzt besprochene
Verhältnis des Diog. zu Leuk. und Dem. dreht. Natorp (No. 365)
bestreitet die Bündigkeit der Dielsschen Schlußfolgerung, nach welcher
der von Diog. kompilierte [xe^a; öiaxoafjioc nicht von Dem. herrühren
kann. Wenn er sich hierbei zunächst in chronologischer Hinsicht gegen
Diels' Ansätze und für ünger erklärt, der die Angaben Diodors (Dem.
gest. 404, 9ü J. alt) wieder zu Ehren gebracht habe (?), und' demge-
mäß Demokrits schriftstellerische Thätigkeit spätestens 440 beginnen
läßt, so hat er sich durch diese Vertretung des chronologischen Systems
(vgl. Ber. I 201) den nicht ganz unverdienten Vorwurf von Diels
(No. 366) zugezogen, daß er in chronologischen Fragen ein Dilettant
sei. Er leugnet ferner den Anschluß des Diog. an Anaxagoras und L.
Die darauf bezüglichen Angaben bei Simplicius brauche man durchaus
nicht, wie Diels in den Doxogr. 477, 5 flf. thut, mit zu den Exzerpten
aus Theophr. zu rechnen. Aber auch aus der Lehre des Diog. selbst
lasse sich eine Abhängigkeit von jenen beiden Philosophen nicht er-
schließen. Mit L. wenigstens habe bisher noch niemand irgend eine
Übereinstimmung nachweisen können. Wenn Diog. bei Aet. II 4, 6
mit Anaxag., L u. a. weg-en der Lehre von der Vergänglichkeit der
Welt zusammengestellt werde, so sei dies ein Versehen, da anderwärts
(bei Simpl. phys. 1121, 12) die Lehre des Diog. vom Weltuntergange
mit der des Anaxiraenes und Heraklit zusammengefaßt und von der
anders gearteten des Anaximaiider, Leuk., Dem. und Epikur getrennt
werde [nach Zeller 251 vertragen sich beide Angaben wohl mit einander].
Noch unglaublicher sei die Angabe bei Laert. IX 57 : x6c7[jlou; (J^eipouc
xai xevciv aueipov, da Diog. unmöglich zugleich die unendliche Luft und
das unendliche Leere behaupten konnte [dies mag zutreffen; aber der-
artige eine Reihe von Philosophen zusammenfassende Berichte sind über-
haupt mit großer Vorsicht zu benutzen; viel wichtiger sind die ge-
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 97
sonderten Berichte über Demokrits Erklärung einzelner physikalischer
Erscheinungen, und da ist es doch merkwürdig, daß N. die von
Diels S. 97, 7 angeführte Ansicht des Dem. über die Entstehung des
Donners, die die Lehren des Anaxagoras und des L. verknüpft und
von der des Dem. sich deutlich unterscheidet, ganz unbeachtet läßt].
Zwischen Diog. und Anaxag. seien zwar Übereinstimmungen in Einzel-
heiten erweislich, aber sie erlaubten keinen Schluß auf wesentliche Ab-
hängigkeit jenes von diesem. Diog., so führt N. weiter aus, gehört,
wie auch Schleiermacher und Krische annehmen, durchaus der alten
Richtung der ionischen Naturphilosophie an und ist von der Atomistik,
ebenso wie von Anaxagoras unberührt geblieben [wie stimmt das zu dem
eben zugegebenen Zurückgreifen des Diog. auf Anaxag. in Einzelheiten?].
Dem anaxagoreischen Dualismus steht er ganz fern. Wenn er dem Ur-
stoffe voTjai? beilegt, so hat das mit dem voü; des Anaxag. nichts zu
thun ; denn dieser steht dem Stoffe gegenüber, während nach Diog. der
Stoff die Vernunft selber ist und sie in sich trägt. In dieser Belebung
des Stoffes kommt er mit Anaximander überein, und noch näher steht
er dem Anaximenes, dem das seelenhafte 7repir/ov gleichfalls als göttlich
gilt. Auch Heraklit war darin dem Diog. vorangegangen. An den
Ephesier erinnert seine Lehre selbst in solchen Einzelheiten wie die,
daß die trockenste Seele die beste ist. Die Widersprüche, die Zeller
272 f. in der Lehre des Diog. finden will, treffen diesen nicht oder doch
nicht in höherem Maße als die ganze alte Physiologie. Wir müssen im
Einklang mit Aristot.*) und vermutlich auch mit Theophr. (?) in seiner
Lehre einen späten Ausläufer der altionischen Naturphilosophie sehen,
der den wesentlichen Charakter dieser treu bewahrt hat. Damit ist
nicht ausgeschlossen, daß er gegen Anaxag. polemisiert und dabei von
diesem wie von Emped. Einzelheiten übernommen hat. Daß sich De-
mokrits Worte (fr. var. arg. 6) auf Diog. beziehen, ist möglich, aber
nicht sicher. Bei Eurip. Troad. 884 dagegen möchte N. lieber eine
Hinweisung auf Heraklit Er, 65 sehen [aber beide Stellen haben nichts
mit einander gemein; bei Herakl. ist weder von der Luft noch vom voy;
ßpoTüiv noch von der dva-^xT) cpojtoc die Rede].
*} Aristot. nennt nur einmal (984 a 5) Diog. mit Anaximenes zu-
sammen als Vertreter der Luftlehre; in der Psychologie (407a 21) reiht er
ihn an Dem., Anaxag. (!) und Thaies an und läßt ihm den Heraklit folgen;
in der Lehre vom Atmen der Tiere endlich (470 b 30) stellt er zwischen
ihm und Anaxag. (!) eine weitgehende Übereinstimmung und zugleich einen
Gegensatz gegen Dem. (!) fest. An den wenigen Stellen, wo sonst noch
Diog. erwähnt oder auf ihn hingedeutet wird, erscheint er isoliert (s. Bonitz
im Index Aristot.). Wie kann sich N. bei diesem Thatbestande auf Aristot.
berufen ?
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I ) 7
98 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzlng.)
In seiner Entgegnung auf Natorps Augriffe weist Diels (No. 366)
nach Zurückweisung der Ungerschen Ansätze (s. o.) zunächst auf die
chronologische Unwahrscheinlichkeit der Annahme hio , daß Dem.
spätestens um 440 als Schriftsteller aufgetreten sei. Wenn Dem. den
jj-e^a« oiaxoa[jio;, das klassische Buch der Atomistik, geschrieben hat»
so würde man eher noch ein höheres Lebensalter als das 40. Jahr
voraussetzen müssen, da die alten Philosophen iu einem früheren Lebens-
alter keine selbständige Weltanschauung aufstellten. Die Reminiscenz
an Anaxag. im (juxpo? oiaxoaixo? läßt sich viel leichter auf eiuen Ver-
storbenen als auf einen Lebenden beziehen. Auch muß die Begegnung
mit Anaxag. (Laert. IX 34) in die letzten Lebensjahre dieses Philo-
sophen fallen, die er in Lampsakos zubrachte, etwa um 430. Dauaclr
in seine Vaterstadt zurückgekehrt, muß Dem. seine systematischen
Schriften angefangen haben und könnte daher den ixe^ac otay.oojxoc nicht,
vor 420 verfaßt haben. Die Stelle Aristot. 642 a24 (vgl. 987 b 1 und
1078b 17), auf die sich N. berufen hatte, beweist nichts für eine An-
setzung des Dem. vor Sokrates, da Aristot. dort jeder chronologischen
Entscheidung aus dem Wege geht und man überdies nur an die letzte
Zeit der sokratischen Schule denken kann. Die von Schleiermacher
ausgesprochenen Bedenken gegen die Autorität des theophrastischen
Zeugnisses sind jetzt hinfällig, nachdem der Ursprung der theophrasti-
schen Exzerpte bei Simplic. aus den Oujty.al ö6$ai durch Diels dargethaa
ist. Theophr. geht besonders darauf aus, die Priorität der einzelne»
Gedanken festzustellen, die Eigentümlichkeiten jedes Philosophen zu
betonen und wiederum die Stellen zu bezeichnen, wo er mit andern
zusammentrifft (D, führt zum Erweise dessen eine große Anzahl voa
Beispielen an). Auch in Theophrasts irepl aiJÖrjTÜiv ist viel von den
tota und xotva der Philosophen die Rede. Danach erkennt man in dem
Bericht über Diog. deutlich die Methode Theophrasts: in den Prinzipien
folgt Diog. dem Anaximenes, in den meisten übrigen Dogmen eklektisch
dem Anaxag. und L. Bei keinem andern Biographen oder Kommentator
ließe sich die Tendenz einer solchen Dogmenvergleichung erklären, keiner
würde die Fähigkeit besessen haben, über Entlehnungen des Diog. aus
L. sich ein Urteil zu erlauben außer Theophr., nach dem, wie Rohde
gezeigt hat, kein Mensch mehr eine selbständige Vorstellung von L.
hatte. Außerdem kommt aü|XTCS(popr)[j,evtu; = eklektisch in der spätere»
Litteratur nicht vor (Doxogr. 81, 4), wohl aber bei dem Zeitgenossea
Tlieophrasts, Epikur, Der von N. vermißte Nachweis, daß Diog. den
jj-e^a? StaxoGjxoj benutzt hat, ist von Diels No. 363 S. 97, 7 (s. o, S. 92).
geführt worden. Solche Entlehnungen aus L. und Anaxag. beziehen sich
hauptsächlich auf das Physikalische, nicht auf das Metaphysische und Er-
kenntnistheoretische, obwohl es auch an Übereinstimmungen in wichtigeren.
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates, (Lortzing.) 99
Dingen nicht fehlt (vgl. Aet. IV 9, 8 nnd Diels a. a. 0. 98 g. E.). Wenn
N. den Dielsschen Nachweis diogenischer Anklänge in Eurip. Troad.
nicht gelten lassen und hier Heraklits Spur erkennen will, so ist es
lächerlich, den Zeus, der die Erde hält und auf der Erde seinen Sitz
hat, der heraklitischen Feuerseele gleichzusetzen. Auch die Verweisung
auf einen der dunkelsten Aussprüche Heraklits ist wertlos [s. o.J. Am
allerverkehrtesten aber ist das Argument, Eurip. werde doch lieber auf
einen wahrhaft großen Philosophen als gerade auf Diog. angespielt haben,
zumal da dieser bereits dem Spotte der Komödie verfallen gewesen sei.
D. führt eine Stelle aus Ps.-Hippokr. de flat. c. 3 (VI 94 Littr.) an,
die nach Inhalt und Terminologie den Einfluß des Diog. verrät (vgl.
Ilberg stud. Pseudippocr. 21); der letzte Satz aXXa ixrjv xal tj 7^ toutou
ßcxBpov ouTo? xe 77]c o/.^P-* ^^^ genau dieselbe Stelle vor Augen wie
Eurip., nur daß der Sophist das technische ßadpov unverändert bei-
behalten, der Dichter dagegen paraphrasiert hat.
Was Natorp diesen durchaus zutreffenden Ausführungen gegen-
über in No. 367 vorbringt, will wenig besagen. Abgesehen von der
Erklärung der Euripidesverse (N. giebt die Beziehung auf Heraklit
preis, bleibt aber dabei, daß die Grundanschanung im wesentlichen
heraklitisch sei), wiederholt er nur seine früheren Behauptungen, ohne
auf die eigentlich entscheidenden Beweise seines Gegners einzugehen.
Die wenigen neuen Gründe, die er für seine Auffassung anführt, sind
nicht stichhaltig. Gegen den theophrastischen Ursprung der Mitteilung
bei Simpl. soll der Umstand sprechen, daß Theophr. d. sens. Diog. in
einer Reihe neben den bedeutendsten Philosophen behandelt, wobei er
ihm durchaus nicht den Vorwurf der unselbständigen Kompilation macht,
sondern ihn vielmehr beschuldigt, zu einseitig alles aus seinem Prinzip
abzuleiten (Doxogr. 512, 11; 513, 7). Aber Theophr. behandelt hier
die dem Diog. eigentümliche Lehre von der Luft als Ursache der
Wahrnehmung und hat daher keiue Gelegenheit, auf seine Abhängig-
keit von Anaxag. oder L. aufmerksam zu machen. Übrigens bespricht
er diese Lehre mit unverkennbarer Geringschätzung und bezeichnet sie
als widersinnig und einfältig. — Eine spezielle Übereinstimmung des
Diog. mit der atomistischen Lehre vermag N. auch jetzt noch nicht zu
erkennen. In den beiden von Diels angeführten Fällen sei der Nach-
weis dafür nicht erbracht. Aus einer Vergleichung von Aet. III 7 und 8
(in § 8 will N, ajisjsi uotoijvTOf statt ttoioüv lesen) ergebe sich, daß
Diog. in der Erklärung dßs Blitzes und Donners fast völlig mit Em-
pedokles, viel mehr jedenfalls als mit L. oder gar mit Anaxag. zu-
sammentreffe, und Aet. IV 9, 8 sei die Überlieferung ganz unglaubwürdig;
Diog. könne unmöglich die Subjektivität der Qualitäten behauptet haben,
weil dies mit seinem Prinzip im schroffsten Widerspruch stehen würde. —
7*
100 Bericht über die gri^^chisehen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Gegen diese Behandlung der beiden Aetiosstellen bemerkt Diels in seinem
Berichte über Natorps Abh. (Archiv I 241 f.): 1- Emped. selbst ist in
der Erklärung des Gewitters von Leukipps Darstellung abhängig. Nach
Natorps Auffassung müßte Diog. das von Emp. in Licht verwandelte
Feuer des L. erst wieder in die ursprüngliche Bedeutung zurückver-
wandelt haben, anstatt einfach die authentische Lehre des L. herüber-
zunehmen. 2) Im absoluten Sinne hat allerdings Diog. die Subjektivität
der Sinnesempfindungen nicht gelehrt, ebensowenig aber die Atomistik.
Wenn also Diog. auch die Qualitäten als xpoTioi des einen Urstoffs real
auffaßte, so konnte, ja mußte er die einzelnen ahbri-zd, wie die Atomisten,
durch die verschiedenen xpoTioi der voYjaic individuell verschieden d. h.
vofxü) apperzerpieren lassen (vgl. Fr. 2 cpaiverai, sowie Simpl. 152, 3 und
die ganze Darstellung bei Theophr. d. seus. § 46 ff.). Auch Archelaos
hat, der sophistischen Zeitströmmung folgend, Recht und Unrecht für
konventionell (vojAtii) erklärt.
Nachdem aus diesem Doppelkampf um Leukipp und Diogenes
Diels als Sieger hervorgegangen war, ruhte der Streit ein Jahrzehnt
lang, bis am Schlüsse der Berichtszeit Tannery einen neuen Angriff
auf die geschichtliche Existenz des L. machte. Es geschah das im ersten
Teile derselben Abh. (Pseudonymes antiques), deren zweiten und" dritten
wir bereits unter No. 226 (vgl. No. 227 und 228) besprochen haben.
Wie die Nachläufer des Pythagoreismus, Hiketas und Ekphantos, so
versucht T. auch den L. aus dem Gebiete der Geschichte in das der
litterarischen Erfindung zu verdrängen. Nach seiner Auffassung, die
er freilich vorsichtigerweise in eine hypothetische Form kleidet, hat
Dem. die Grundzüge der atomistischen Lehre unter dem Pseudo-
nym Leukippos veröffentlicht. Wie Aristot., wenn er Sokrates citiert,
den platonischen meint, wie er von Piaton sprechend sehr oft nur an
dessen mündliche Lehren denkt, wie er selbst mit Herakleides Pont,
und Hestiaios solche Lehren in den X6701 Tiepl xd-za^oü redigiert hatte,
und wie diese von Theophr. nachgeahmte Gewohnheit die Doxographen
verleiten konnte, fingierte Personen für wirkliche zu halten, so ist es
auch zweifelhaft, ob L. wirklich existiert hat. Wenn Epikur dies
leugnete, so liegt darin das Zugeständnis, daß er in Abdera keinerlei
Anekdoten über L. wie die über Protagoras gehört hatte, während er
das von Aristot. und Theophr. als leukippisch bezeichnete Werk sicher
gut kannte. Nehmen wir an. Dem. habe den fj-e-^a? Staxoaixoc redigiert
und dabei etwa so begonnen: ,Das ist es, was ich den L. habe sagen
hören, der mein Freund gewesen ist," so erklärt sich das Fehlen jeder
biographischen Notiz über L. und ebenso die Art, wie sich Aristot. (?)
und Epikur über ihn änßein, endlich auch die verschiedenen Bezeichnungen
des Autors jener Schrift. Aus dieser Annahme würde folgen, daß die
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) lyl
Atomistik erst nach Eniped. und Anaxag. dargestellt worden ist, was
keine Schwierigkeit bietet (?j. Möglich wäre, dal.'. Dem. den L. nur
tingiert hätte, vielleicht, um nicht unter seinem Namen Doktrinen zu
veröffentlichen, die als gottlos betrachtet werden konnten. — Diese
Hypothese Tannerys beruht auf lauter unzutreffenden oder uncrwieseneu
Voraussetzungen und ist noch viel unsicherer als die verwandte Ver-
mutung über Hiketas und Ekphantos. T. wiederholt zum Teil die durch
Diels entkräfteten Argumente Rohdes und fügt ihnen neue hinzu, die
ebenso unzulänglich sind wie jene. Dies hat Dyroff .Deniokritstudien"*
S. 4 flf. treffend nachgewiesen. Die streng wissenschaftliche Darstellung:
Deniokrits ist nach allem, was wir von diesem Philosophen wissen, toto
genere verschieden von den romanartigen Dialogen eines Herakleides
Pont. Auch läßt sich das Auftreten Piatons unter der Maske des
Sokrates, wie wir es gelegentlich bei Aristot. linden, nicht mit der Art
vergleichen, wie der Stagirit regelmäßig den L., sei es allein, sei es
mit Dem. zusammen, uns vorführt. Vgl. Zeller 838 und Dyroff S. 6.
Es steht hiernach außer Zweifel, daß Aristot. über die Lehre des L.
nach einer ihm vorliegenden Schrift dieses Philosophen berichtet. Keine
einzige der Stellen, an denen L. bei ihm genannt wird, läßt die An-
nahme zu, daß er diesen nur als eine fingierte Persönlichkeit bei Dem.
vorgefunden habe. Die historische Existenz des L. kann hiernach als
völlig gesichert betrachtet werden, und man muß sich wundern, daß
ßrieger in einer kürzlich erschienenen Abh. über Dem. (Hermes 37)
S. 56 es noch als zweifelhaft hinstellen kann, ob Dem. oder L. der Be-
gründer der Atomistik gewesen sei.
Eine strenge Sonderung des leukippischen Gutes von dem demo-
kritischen freilich ist mit großen Schwierigkeiten verknüpft und wird
sich kaum bis in alle Einzelheiten durchführen lassen. Die wichtigsten
der nachweisUch bereits von L. entwickelten Lehren hat Zeller schon
in der 4. Aufl. 843, 1 zusammengestellt; in der 5. Aufl. 944, 4 fügt er
noch die von der Subjektivität der Sinnesempfindungeu (vgl. 864. 1 u.
Diels 0. S. 91) hinzu. Genauer läßt sich Zeller über diesen Punkt in
den Miscellanea (ßer. I 276) aus. Er zeigt dort, daß für die Glaub-
würdigkeit der Notiz bei Aet. IV 9, 8, Leuk., Dem. und Diog. hätten
xd aiaOrjTa v6[i.aj angenommen, drei Gründe sprechen: L Die Ajigabe
stammt unzweifelhaft aus Theophr., da kein Schriftsteller nach diesem
Leukipps fxefaj oiaxo^ixoc unter dessen Namen benutzt hat. 2. Wenn
Aet. dieselbe Lehre auch Diog. zuschreibt, so wird er dies ebenfalls aus
Theophr. haben; Diog. aber kann derartiges nur dem L. , nicht dem
Dem. entnommen haben. 3. Die von Aet. dem L. beigelegte Ansicht
war diesem nicht allein durch den Vorgang seines Lehi'ers Parmen.
nahegelegt, sondern ließ sich auch auf seinem Standpunkte kaum um-
102 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
gehen. Daß auch die demokritische Theorie des Sehens bis in ihre
Einzelheiten auf L. zurückgeht, hat Zeller in einer kürzlich erschienenen
Abh. (Ärch. XV 137 fif.) nachgewiesen. Aus alledem ergiebt sich, daß
sich Dem. nicht nur in den leitenden Gedanken der atoraistischen
Physik, sondern auch zum großen Teile in ihrer Verwertung für das
einzelne der Naturerklärung eng an L. angeschlossen hat. Windel-
band, der in seiner Gesch. d. alten Philos.^ S. 56 flf. zum ersten Male
den an sich wohl berechtigten, aber bei der Beschaifenheit unserer
ITberlieferung gewagten Versuch gemacht hat, Leukipps Philosophie
getrennt von der Demokrits zu behandeln, hat in der Sonderung leu-
kippischen und demokritischeu Eigentums nicht überall das Rechte ge-
troffen ; so, wenn er S. 58 jene Lehre von der Subjektivität der Sinnes-
■qualitäten dem L. abspricht und dem Dem. vorbehält, weil die Anwen-
dung der Gegensätze «puaei — v6[jlü> auf die aia&rjTdc erst unter sophistischem
Einflüsse möglich gewesen sei. Die subtile Unterscheidung, die er
dabei zwischen der Leugnung der Sinnesqualitäten bei L. und der Be-
hauptung ihrer Subjektivität bei Dem. macht, verstehe ich nicht; diese
folgt doch mit Notwendigkeit aus jener. Ob L. schon den Gegensatz
zwischen der Subjektivität der Empfindungen und der Objektivität der
Atome und des Leereu in eine so scharf zugespitzte Formel (vo'ixtp —
eaei^) gebracht hat wie Dem., mag man bezweifeln; aber inhaltlich muß
er bei ihm ausgedrückt gewesen sein. Über Demokrits Verhältnis zu
Protag. s. u. Ahnlich wie Windelband beschränkt auch Burnet early
.greek philos. 350 ff. den Anteil Leukipps an der atoraistischen Lehre
zu sehr, während Goraperz Gr. D. 254 ff. dem L., obwohl er ihn in
■seiner Darstellung mit Dem. zusammenfaßt, das ihm gebührende Ver-
dienst, die wesentlichen Grundlagen des Systems geschaffen zu haben,
ungeschmälert läßt. G. unterscheidet sich auch darin von Windelband,
daß er sich in dem Streite zwischen Diels und ßohde entschieden auf
die Seite des ersteren stellt, wogegen W. sich über diesen Punkt un-
sicher und zweifelnd äußert (S. 58 f.). Nur darin stimmt G. Diels nicht
zu (S. 455), daß L. dem Theophr. als Schüler des Parmen. gegolten
habe; die Worte xoivujv^jac riapjxevior) x^c cpiXoaocpia? (Doxogr. 453, 12)
brauche man so wenig wie die wörtlich übereinstimmende Äußerung
über das Verhältnis des Anaxag. zur Lehre des Anaximeues (Dox.
478, 18) in diesem Sinne aufzufassen. Das trifft insofern zu, als an
beiden Stellen Theophr. nicht von einem eigentlichen Schülerverhältnis
redet, sondern nur von gewissen Übereinstimmungen der Lehre. Daß
aber ein solcher Zusammenhang zwischen L. and den Eleaten bestand
und zwar ein weit engerer als zwischen Anaxag. und Anaximeues, geht
aus der Darstellung dieses Verhältnisses bei Aristot. d. gen. I 8, deren
Riciitigkeit durch eine unbefangene Vergleichung der beiderseitigeu
(
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 103
Systeme bestätigt wird (s. Zeller 952 ff.), zur Geniige hervor. Mit Un-
recht leugnet G. 277 ff. jede direkte Beeinflussung des L. dnrch Farmen,
und will die Urheber der ihnen gemeinsamen Prämisse: „ohne Leeres
keine Bewegung" lieber in älteren namenlosen Denkern, wahrscheinlich
Pythagoreern (vgl. G. 144), suchen, die beiden vorangegangen waren
und nicht nur das Leere, sondern auch bereits etwas den Atomen Ana-
loges ersonnen hatten (?). Einer anderen auf Leukipps Lehre bezüg-
lichen Bemerkung bei G. 457 f. dagegen stimme ich rückhaltlos zu.
Wenn Theophr. (Dox. 483, 17) den L. sagen läßt: xal tojv ev auToi;
ayT,|xaTtuv äVceipov xo uX^öoc oia tu p-rjoev (xaXXov xotoytov fj toioütov sivai
(G. faßt diesen Satz als Parenthese und ergänzt als Subjekt zu toioütov:
To «jy.TJixa au-cöv), so darf diese Äußerung in der That nicht, wie es
gewöhnlich geschieht (so auch Zeller 856, 2) mit der Demokrits bei
Plutarch und Sextus: ou p.aX).ov xoiov r, xotov identifiziert werden. Der
Ausspruch Demokrits geht nach dem Zusammenhange gar nicht auf die
unendliche Zahl der Atomgestalten, sondern, wie auch Zeller 920, 2
zugiebt, „lediglich auf die sekundären sinnlichen Qualitäten"; die Zahl
der subjektiven Variationen der Empfindung aber, die ein und dasselbe
Objekt hervorruft, kann nie zu einer unendlichen werden und hat mit
der unendlichen Menge der Atomgestalten nichts zu thun. Überdies ist
das Vorhandensein dieser unendlichen Zahl und ihre Vereinigung
in jedem einzelnen Sinnending zweierlei, wie denn auch Tlieophr. d.
sens. 518, 20 (G. hält die Stelle für verderbt und sucht sie durch
mehrere Ergänzungen zu heilen) nur von der Vereinigung vieler, nicht
unendlich vieler Atomgestalten in jedem Sinneudinge spricht.
Andere dem L. eigentümlichen Lehren werden gelegentlich in
dem folgenden Abschnitt Erwähnung finden, in dem unter dem Samrael-
nanieu Demokrit auch solche Schriften, die sich auf die ältere Atomistik
überhaupt beziehen, besprochen werden sollen. Hinweisen will ich hier
nur auf die sehr lesenswerte Darstellung der Genesis des Atomismus
bei Burnet a. a. 0., der L. an Zenon und Melissos anknüpfen läßt.
Wir haben es hier freilich mit einer bloßen Möglichkeit, keiner Gewiß-
heit zu thun; andere, wie Zeller und Diels, nehmen, wie wir gesehen
haben, umgekehrt eine Beziehung des Melissos auf L. an, vielleicht mit
größerem Rechte.
2. Demokrit.
a) Schriften zur Quellenkritik.
368. R. Hirzel, Untersuchungen zu Ciceros philosophischen
Schriften. T. I: De natura deorum, Leipzig 1877. T. II: De fini-
bus, de officiis. 2 Abteilungen. Ebd. 1882. — T. III: Academica
priora, Tusculanae disputationes. Ebd. 1883,
104 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
369. W. Kahl, Demokritstudlen. I: D. in Ciceros philoso-
phischen Schriften. Progr. d. Gymn. zu Diedenhofen 1889. 28 S. 4.
370. P. Natorp, Demokritspuren bei Piaton. Arch. f. G. d.
Ph. III (1890) S. 515—531.
371. H. Usener, Epikureische Schriften auf Stein. Rh. Mus. 47
(1892) S. 414—456.
372. S. Sudhaus, Nausiphanes. Rh. M. 48(1893)8.321-341.
373. R. Hirzel, Demokrits Schrift uepl eudu|xiri;. Herrn. 14
(1879) S. 354-407.
374. R. Heinze, Ariston von Chios bei Plutarch und Horaz.
Rh. M. 45 (1890) S. 497—523.
375. 0. Hense, Ariston bei Plutarch. Ebd. S. 541—554.
376. 0. Hense, Seneca und Athenodorua. Univers. -Pr. (Fest-
rede). Ereiburg i/ßr. 1893.
377. Gregorii Palaraae Archiepiscopi ThessalonicensisProsopo-
poeia animae accusantis corpus et corporis se defendentis cum iudicio
ed. A. Jahn. Halis 1884.
378. E. Maaß, Rezension der Schrift von *M. Heeger, De
Theophrasti qui fertur uepi arjiJieitüv libro (Leipzig 1889). Gott. Gel.
Anz. 1893 S. 624—642.
379. G. Kaibel, Aratea. Herrn. 29 (1894) S. 82—123.
380. H. Diels, Über Demokrits Dämonenglauben. Arch. VII
(1894) S. 154—157.
381. M. Berthelot, Des origines de l'alchimie et des oeuvres
attribuees ä Democrite d'Abdere. Journ. d. Savants 1884 S. 517
-527.
382. P. Tannery, £tudes sur les alchiraistes grecs. Synesius
ä Dioscore. Rev. d. Etudes gr. III (1891) S. 282—288.
383. W. Gern oll, Untersuchungen über die Quellen des Ver-
fassers und die Abfassungszeit der Geoponica. Berlin 1883.
384. E. Oder, Beiträge zur Geschichte der Landwirtschaft
bei den Griechen. I. Rh. M. 45 (1890) S. 58—99 und 212—222.
Hirzel, dessen Untersuchungen ihrem Hauptinhalte nach nicht
hierher gehören (s. die Besprechungen in den Jahresberichten über
Ciceros philosophische Schriften und über die nacharistotelische Philo-
sophie), giebt im 4. Abschnitte des 1. Bandes: „Differenzen in der
epikureischen Schule' wichtige Beiträge za Erkenntnislehre und Ethik
Demokrits. Epikur ist nach H. von D. ausgegangen, und zwar nicht
bloß in seiner atoraistischen Naturlehre, sondern auch in den anderen
Disciplinen, zunächst in der Kanonik. Bei D. ist die sinnliche Wahr-
nehmung der Ausgangspunkt, aber nicht der Sitz unserer Erkenntnis,
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 1(J5
wie Aristot. ihn mißverstanden hat. Ü. war durchaus kein Skeptiker;
er hielt nicht jede Sinueswahinehnuing für subjektiv, sondern nur eine
f^ewisse Klasse dieser Wahrnehmung:en , die sich auf die sekundären
Eigenschaften der Dinge bezieht. Wenn Aristot. Mtaaph. 1009 a 38 deu
D. im Auge hat, so muß man entweder annehmen, daß dieser seinen
Staudpunkt gewechselt und früher selbst den des Protag:., den er später
bekämpft, eing^enommen habe, oder man muß in den Worten 1009 b II:
ATifioxpiTo; 7e cprjjtv fjiot o6dk\ etvai aXifjöec t] fjfiiv 7' a'iJyjXov eine Folgerung'
sehen, die D. nicht aus seiner eig:enen Lehre, sondern aus der des Prot.
zog, um diesen ad absurdum zu lühren; dann hat ihn Aristot. (und
ebenso Plut. adv. Col. 1108 Df.) mißverstanden und seine Meinung ,,ins
Übertriebene entstellt". [Die erste Annahme ist sehr unwahrscheinlich;
in der zweiten liegt etwas Richtiges. Gründlicher und zutreffender hat
über deu scheinbaren Widerspruch zwischen sensualistischer und skep-
tischer Autfassung in den uns erhaltenen Berichten über D. Natorp
Forsch. 173 ft". gehandelt. Er sucht ihn dadurch zu lösen, daß D. vom
erkenntuistheoretischen oder kritischen Standpunkt aus ähnlich wie
schon die Eleaten zwischen Xo70i und ai.ji>riai;, zwischen der objektiven
Wahrheit der Verstandesbegriff und der Scheiuwahrheit der Phänomene
unterschied, dagegen über die psychologische Bedeutung dieses Gegen-
satzes, d. h. über die Möglichkeit des Denkens und Wahruehmens noch
nicht nachgedacht und daher als Physiker beide Thätigkeiten aus körper-
lichen Veränderungen hergeleitet hat. Aristot. hat den Mangel einer
psychologischen Erklärung der Erkenntnis bei D. aufgedeckt, aber mit
Unrecht seine Kritik der Erkenntnis nach psychologischen Voraus-
setzungen beurteilt und ihn zum Vertreter eines Sensualismus gemacht,
der nach aristotelischer Auffassung in seineu Konsequenzen notwendig
in Skepticismus umschlagen mußte. Vgl. Zeller 919, 1.] So wenig als
D. ein abgesagter Feind, so wenig war Epikur nach H. ein parteiischer
Freund der sinnlichen Wahrnehmung. Seine Auffassung unterscheidet
sich nicht wesentlich von der des Abderiten. Auch die -poXTj^j^ij findet
sich, wenn auch das Wort erst von Ep. stammt, doch der Sache nach
bereits bei D. Dies beweist die Erklärung des Begriffes Mensch:
8 KttvTe? io|i,ev, die D. bei Sext. math. VII 265 giebt (vgl. Aristot.
640 b 29). Dieselbe nur durch den Zusatz [j-eta ejjnjyuyi'aj erweiterte
Vorstellung des Menschen benutzte Ep. zur Verdeutlichung des Wesens
der ■!zp6lr^<\iii. Auch in der bei Sext. VII 140 unter den drei demo-
kritischen Kriterien der Erkenntnis aufgeführten ivvoia, d. i. der Vor-
stellung, in der der Gegenstand der Untersuchung gegeben ist, steckt
im Keime die itpoXirnpi? Epikurs. Wenn nach Aristot. D. einen Anlauf
zum Definieren gemacht hat, so mögen seine Definitionen wohl Real-
deünitiouen gewesen sein (vgl. die von Aristot. 1078 b 19 angeführte
106 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
des iSepjjLov und 4"J'/pov), wie sie auch Ep. zuließ. Wie sich ferner D.
nach Sext. VIII 327 geaen die dnooEi^i; entschieden ausgesprochen hat,
aber nur in gewisser Hinsicht (so erklärt H. das xa/a [?]), so kann
auch Ep. die «Troöei^i; nicht g-änzlich verworfen haben. Die Bestreitung
der dtiioSei^u stand hei D. in den xavovsc [diesen Plural bei Sext. bezieht
H. auf die drei Kriterien, richtiger Natorp Forsch. 180, 1 unter
Berufung auf Birt Buchwesen 450, 1 auf die verschiedenen Bücher,
deren jedes xavcuv betitelt war]. Daß diese Schrift erkenntnistheore-
tischen Inhalts war, beweist ihre Zusammenstellang mit den xpatuv-nr^pia
und mit Trepl eiötuXtuv r^ Trspi TTpovoiif)? (^= Voraussehen der Zukunft, wie
sie nach D. durch die eföwXa bewirkt wird) im thrasyllschen Verzeichnis
(Laert. IX 47). [Was H. über den Titel und Inhalt dieser Schrift
bemerkt, ist jetzt gegenstandslos geworden, nachdem wir durch Hertz
belehrt worden sind, daß bei Gellius 4, 13 die handschriftliche Lücke
vor xaviüv in den früheren Ausgaben aus Laert., wo die Überlieferung
Tzept Xot[Xüiv xavwv bietet, willkürlich ergänzt worden ist. Überhaupt
hat Hirzels Erörterung über die Titel der demokritischen Schriften
wenig Wert, weil sie ohne Kenntnis der von Nietzsche ,,Beitr. zur
Quellenkunde und Kritik des Diog. Laert." 1870 veröffentlichten ,Hand-
schriftenkoUatiou geschrieben ist. Es handelt sich, wie schon Nietzsche
erkannt hat, offenbar um zwei verschiedene Schriften: iztpl XoifAuiv, xavcuv,
wobei freilich unerklärt bleibt, wie die medizinische Schrift im Kataloge
des Laert. und ebenso bei Gellius mit den erkenntnistheoretischen zu-
sammengestellt werden konnte. Eine ihm von Birt mitgeteilte Erklärung
dafür giebt Natorp a. a. 0.]. Auch Ep. nannte sein erkenntnistheore-
tisches Werk xavcüv und die ganze Disciplin xavovtxv^. Nach alle dem
ist Ep. in seiner Erkenntnislehre von D. abhängig, nicht, wie Zeller
annimmt, von Aristipp. Auf diesen geht nach Zeller auch die Ethik
Epikurs zurück. Aber viel näher liegt auch hier die Annahme eines
Anschlusses an D. Der Hedonismus ist auch dessen Prinzip. Wenn
Ep. die Ursache unserer Glückseligkeit nicht in die sinnliche Lust,
sondern in die (pp6vY)ai? setzt, so ist dies auch Demokrits Standpunkt.
Gegen Leidenschaften und Aberglauben spricht sich D. wie Ep. aus
(in der Schrift Trepl xwv ev "Atoou hat D. ohne Zweifel gegen die aber-
gläubischen Vorstellungen über ein Fortleben nach dem Tode gekämpft).
"Während nach Aristipp das Ziel unsers Strebens die einzelne Lust-
empfindung ist, setzen es D. und Ep. in die Ruhe der Seele und die
Freiheit von Schmerzen (dxapaEia auch bei D ). Anscheinend bestehen
allerdings zwischen beiden wesentliche Differenzen. Nach Ep. liegen
die Bedingungen der Glückseligkeit nicht bloß in der Seele, sondern
auch im Körper, und um sie zu erreichen, moß zur dtapa^ta noch die
ÄTiovia hinzukommen, während D. sie lediglich in der Ruhe der Seele
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 107
(£'jf)'j[i.ia u. ähnl. Ausdr.) erblickt. Aber auch diese Differenz ist nicht
so groß, wie es den Anschein hat. Wenn Ep. mit Piaton fordert, daß
jede positive Lust auf einem Bedürfnis, mithin auf einem Schmerz beruhe,
der durch sie gehoben werden soll, so hat Piaton selbst diese Lehre
von anderen Philosophen überkommen. Er berührt sie Rep. 583 ß ff.
und Philebus 43 D ff. (vgl. 44 B f. und 51 A) und formuliert sie so: was
gewöhnlich als tjöcvt^ bezeichnet wird, sei nur der Schein einer solchen,
in Wahrheit aber nichts als die Befreiung vom Schmerze. Da bei
Ep. dieselbe Lehre wiederkehrt, so werden wir in den platonischen
Stellen von vornherein nicht mit Zeller an Antisthenes, sondern an D.
zu denken haben, auf den auch das fiäXa ostvou; Xe^ofievou? xa itepi tpo^iv
Phileb. 43 B (vgl. osivouc Soph. 246 B) viel besser paßt als auf An-
tisthenes. Wenn die von Piaton wiedergegebene Lehre nur die sinnliche,
nicht die reine Lust bekämpft, so stimmt damit Dem. Fr. 7 N. über-
ein. In dem Phileb. 43 D mitgeteilten Satze ok tJoistov Trav-rojv ijüv
aXu-(uc «staTeXerv xov ßi'ov anavta (Freiheit von jedem Schmerze, körper-
lichem wie seelischem) läßt sich Demokrits £'j9u[i.it) nicht verkennen, und
es ergiebt sich daraus, daß auch dieser mit der (i-apa^ta die dnovia
verbunden dachte (?). Eine weitere Beziehung auf D. liegt in den
T(I)v dcjyrjfxovüjv rjoovai Phileb. 46 A und D, womit Dem. Fr. 85 zu ver-
gleichen ist. Piaton nennt die Vertreter jener Ansicht zwar ouayspeic
wegen der Schroffheit, mit der sie alle Lust verdammten (Phileb. 44 C),
aber er spricht doch von ihnen mit einer gewissen Achtung und leitet
ihre ouayiptii aus ihrer „nicht unedlen Natur" ab; ja in der Republik
nennt er den Urheber der Lehre geradezu einen oocpoc. Dies scheint
der angeblichen Feindschaft Piatons gegen D. zu widersprechen, für
die man sich mit K. F. Hermann auf Theaet. 155 E und Soph. 246 A
berufen kann. Daß im Theaet. wirklich die Atomiker gemeint seien,
wird weniger durch d-piE xoTv yspolv Xaßecrilai als durch die darauf
folgenden Worte -pa^eic 61 xat Ysveaeic xal ^av to dopaxov oux diroöeyoixsvov
£v oüaia; \iipz>. bewiesen, die die Konsequenz der atomistischeu Lehre
enthalten. Diese Konsequenz aber hat keiner der alten Philosophen
außer Ep. gezogen, der nur den Körpern ein substantielles Sein zuge-
stand, also alle upd^stc u. s. w. davon ausschloß (Lucr. I 455 ff.).
Allerdings erkannte Ep. auch die -pd?£i? u. s. w. in gewissem Sinne
als seiend an, da er nur das Leere zum völlig Nichtseienden zählte.
Aber auch die bei Piaton genannten Philosophen können nicht alle
Handlungen und alles Werden für ein absolut Nichtseiendes erklärt
haben, weil sie sonst zu Idealisten im Sinne der Eleaten würden. Also
wird wohl PI. hier die oucia als ein „substantielles Sein" gefaßt nud mit
-äv to dopaxov, das gegen die Atomiker zu sprechen scheint, vielleicht,
freilich nur in seinem Sinne, nicht in dem der Atomiker, das, was
108 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Gegenstand nur der geistigen Anschauung und des Denkens ist, wie die
Ideen und Begriffe, bezeichnet haben. Die Beziehung auf D, ist ferner
durch die Worte axXirjpot xe /.al dvTiTUKoi gesichert, die nur eine
Charakterisierung, nicht eine Verunglimpfung der atomistischen Lehre
enthalten sollen, so wenig wie ixaX' tZ «[xoüsoi Theaet. 156A. Auch die
Stelle im Soph. beweist nicht, daß PI. den D. gehaßt oder verachtet habe;
denn die Hartnäckigkeit, mit der jene Philosophen sich fremden Ansichten
verschließen (246 B) und bei ihrer eigenen Meinung verharren (248 C), und
die Schroffheit, mit der sie eine Erörterung ihrer Ansichten ablehnen
(246 D), stehen im besten Einklänge mit der oua-/ep£ta im Phileb., die
doch PI. nicht gehindert hat, ebendort ihre a-.'evvrj? 9631? anzuerkennen.
Daraus ergiebt sich für H. ein Doppeltes: 1. Piaton hat über den
Differenzen zwischen seiner und der atomistischen Lehre das Überein-
stimmende nicht übersehen und sogar den Einfluß Demokrits erfahren,
indem er sich dessen Ansieht über das Wesen der Lust, wenn auch
mit einer Beschränkung, aneignete; 2. Epikur stimmt mit D. in den
Kardinalpunkten der Ethik überein; wenn er auch im einzelnen sowie
in der Zurückführung aller geistigen Lust auf die sinnliche von ihm
abwich. So knüpfte Ep. in allen drei Disciplinen an D. an. . Seine
Philosophie ist nur eine vergröberte Nachbildung der demokritischen.
Mit diesem Ergebnisse stimmt , daß sich Ep. lange Zeit hindurch als
Deniokriteer bekannte. In seiner weitereu Entwickelung hat er sich
allerdings von D. entfernt, wie seine und seiner Anhänger Polemik
gegen diesen zeigt.
Durch diese Erörterungen hat H. den Anstoß dazu gegeben, die
Beziehungen zwischen Ep. und D. nicht bloß auf dem Gebiete der
Physik, wo sie klar zu Tage liegen, sondern auch auf dem der Er-
kenntnistheorie und Ethik, wo man sie bis dahin ziemlich unbeachtet
gelassen hatte, näher ins Auge zu fassen. Seiner Auffassung dieses
Verhältnisses freilich wird man nur in beschränktem Maße zustimmen
können. Daß Ep. auch in den genannten Zweigen seines Systems von
D. nicht unberührt geblieben ist, hat H. richtig erkannt, und nament-
lich für die Ethik ist dies, wie wir weiter unter sehen werden, durch
die neuesten Forschungen immer mehr zur Gewißheit geworden. Aber
er überspannt den Bogen, indem er Ep. nicht nur in Einzelheiten^
sondern auch in der ganzen Grundlage seiner Kanonik und Ethik als
wesentlich durch D. beeinflußt hinstellt und ihn damit aus der Eeihe
selbständig denkender Philosophen so gut w^e streicht. Er bringt dies
dadurch fertig, daß er, ohne den zeitlichen Abstand beider Philosophen
und die Einwirkung der platonisch-aristotelischen Philosophie auf die
späteren Philosophen, der sich auch Ep. nicht entziehen konnte, genügend
zu erwägen, Demokrits wie Epikurs Lehren so modelt und deutelt»
Beriebt über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 100
daß fast jeder Unterschied zwischen ihnen verschwindet. Was zunächst
die Erkenntnistheorie betrifft, so sind den Spuren der irpoXirnJ^ij, die H.
in der bei Sext. unter den Kriterien Deraokrits genannten Iwoia finden
will, doch sehr unsicher, da jene Mitteilung über die drei Kriterien
Deraokrits [über ihren Urheber s. u. zu No. 402] in ihrer Fassung und
Terminologie (vgl. außer ewoia noch x^c xtöv a.o-qlio\ xrtTaXri^zioi,
aipeueujc 8k xalcpu-/^; tkx&t)) nicht aus Deraokrits Kanon herrühren
kann. Daß D. die iizo^ti^n nicht habe grundsätzlich bekämpfen
können, zeigt Zeller 923 (vgl. Natorp Forsch. 159, 3). Auch aus der
Thatsache, daß Ep. für sein erkenntnistheoretisches Werk denselben
Titel wie D. gewählt hat, folgt noch nicht notwendig eine weitgehende
innere Übereinstimmung. Eine solche leugnet Zeller III 2^ S. 473, 2
mit Recht. Vgl. auch Natorp S. 173 ff. und 209 ff., wo das Verhältnis
beider so gefaßt wird: Ep. hielt das eine, wenigstens scheinbar sensua-
listische Motiv der demokritischen Erkenntnislehre fest, daß der Xop;
, die TTiati? der Sinne, von denen er selbst seine Beglaubigung empfange,
nicht verletzen dürfe, verwarf aber die andere bestimmt antisensualistische
Lehre, wonach die Sinne keine ,, Wahrheit" haben und nichts objektiv
Vorhandenes darstellen. Diese grundsätzliche Verschiedenheit der Auf-
fassung hat H. völlig verwischt. Noch weniger ist es ihm gelungen,
eine prinzipielle Abhängigkeit der epikureischen Ethik von der des D.
zu erweisen. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß sich bei Ep. deutliche
Anklänge an ethische Fragmente Demokrits finden; ja bei näherer
Vergleichung hätte H., wie wir später sehen werden, noch eine be-
deutend größere Zahl solcher Anklänge entdecken können; aber der
grundsätzliche Gegensatz zwischen beiden Philosophen ist auf dem Ge-
biete der Sittenlehre vielleicht noch größer als auf dem der Kanonik.
Demokrits Ethik ist keine Lustlehre im Sinne Epikurs. Allerdings
bilden Lust und Unlust auch bei ihm den Ausgangspunkt der ethischen
Betrachtung; aber er erklärt die t]6ovy^ nicht im Gegensatze zu jeder
anderen Bestimmung für den letzten Zweck unseres Handelns und unter-
scheidet sich von allem darin von Ep., daß er die höhere Lust, die am
Rechten und Wahren, hoch über die niedere, die Sinnenlust stellt
(s. Zeller III 2 S. 473, 1). Hirzels Beweisführung beruht auch weniger
auf einer direkten Vergleichung der uns überlieferten Lehren beider
als auf der doppelten Annahme, daß Piaton an den SttUen des Phileb.
und der Rep., wo er eine eigentümliche, von der vulgären Auffassung
der Y)Sovy^ sich unterscheidende Lehre darstellt, D. im Auge habe, und
daß Ep. sich eben diese Lehre angeeignet habe. Wäre diese doppelte
Vosaussetzung richtig, so würde freilich bei der genauen Bekanntschaft
Epikurs mit den Werken seines Meisters alle Wahrscheinlichkeit dafür
sprechen, daß er diese Lehre unmittelbar und nicht erst durch Piatons
110 Bericht über die griechischen Philosophea vor Sokrates. (Lortzing.)
Vermittelung aus D. geschöpft habe. Aber die erste der beiden Prä-
missen Hirzels, mit der die zweite steht und fällt, muß trotz der Zu-
stimmung Natorps Forsch. 290 ff. und Windelbands Gr. d. a. Ph.- 95
und 104, 4 nach der erschöpfenden Kritik Zellers II 1 * 308, 1 (vgl. III
2, 473) als unhaltbar bezeichnet werden; die von PI. wiedergegebene
Lehre geht vielmehr wahrscheinlich auf Antisthenes zurück (auf die
neuen Gründe, die Natorp in einer späteren Abh. gegen Zeller und für
seine Auffassung beigebracht hat, werden wir unter No. 370 eingehen).
Besser begründet ist die Annahme Hirzels, in der er mit Schleiermacher,
Brandis und K. F. Hermann zusammentrifft, daß unter dem Vertreter
einer einseitig materialistischen Lehre, wie sie Flaton im Tlieaet. und
Soph. schildert, D. zu verstehen sei. Zwar hat Dum ml er Anisthenica
51 ff. , dem darin, was die Theätetstelle betrifft, schon Wiuckelmann
und Blaß vorangegangen waren, nachzuweisen gesucht, daß auch hier
PI. den Antisthenes und nicht den D. im Auge habe, und Natorp
Forsch. 195 ff. sowie Zeller II 1* 297, I und 299, 2 pflichten ihm bei.
Aber die von diesen angeführten Gründe scheinen mir keine zwingende
Kraft zu haben. Ausdrücke wie axXyjpol xal avTixuicoi spielen doch,
meine ich, ziemlich deutlich auf die Atomenlehre an (s. Hirzel S. 150).
Allerdings ist zuzugeben, daß die von PI. beschriebene Lehre (Natorp 199
fügt zu den Stellen im Theaet. und Soph. noch Phaed. 79 A f. und 813
hinzu) in ihrem kraß sensualistischen Charakter sich nicht mit dem
rationalistischen Materialismus Demokrits deckt. Will man daher PI.
nicht zutrauen, daß er die seiner idealistischen "Weltansicht doch auch
in ihrer echten Gestalt sicherlich widerstrebende Atomistik entstellt
habe, so könnte man, wie dies neuerdings Susemihl gethan hat, an-
nehmen, er beziehe sich auf einen aus dem demokritischen Atomismus
hervorgegangenen vergröberten Materialismus, dessen Urheber wir nicht
kennen. Daß dies Antisthenes war, ist von den Gegnern Hirzels nur
aus der späteren stoischen Lehre erschlossen worden, während ihm
sonst in unserer Überlieferung nirgends eine derartige Auffassung zu-
geschrieben wird. Aus der Thatsache jedoch, daß die Stoiker auf
anderen Gebieten an Antisthenes augeknüpft haben, ohne weiteres auch
in der physikalischen Grundanschauung eine ebenso enge Verwandtschaft
zu folgern halte ich für einen unzulässigen Analogieschluß. Aber selbst
wenn sich bei Antisthenes eine ähnliche Doktrin nachweisen ließe, so
dürfte doch an den bezeichneten Stellen bei Platou nicht an Antisthenes
gedacht werden; denn, wie ich Berl. Ph. W.-Schr. 1886, 873 bemerkt
habe, ist jede Beziehung auf diesen durch die Worte Soph. 251 D: xal
Ttpos xouTOUc xal Tipoc Tou? aXAouj, osot? e[X7cpoji}sv ot£iXe7[j.eöa direkt aus-
geschlossen; hier werden die zuletzt von PI. erwähnten Yspovxe;, unter
denen ohne Zweifel Antisthenes zu verstehen ist, deutlich von den vorher
Bericht über die giiecLischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) Hl
bekämpften Materialisten geschieden. Daß übrigens Piaton im Timaios
mehrmals physikalische Theorien Demokrits berücksichtigt hat, ist durch
Zeller (s. Ber. I 189 und 276) wahrscheinlich gemacht worden. — Wir
haben im Vorbei gehenden die Vermutungen Hirzels über Epikurs und
Piatons Verhältnis zu D. zum großen Teile zurückweisen oder bean-
standen müssen. Aber das Verdienst bleibt ihm, daß er auf gewisse
Anklänge Epikurs an die Lehre des Abderiten auf dem Gebiete der
Ethik und Kanouik aufmerksam gemacht hat. Der Gedanke besonders,
daß Ep. in den Anfängen seines Philosophierens sich enger an D. an»
geschlossen habe, während er ihm später selbständiger gegenübergetreteu
sei, hat, wie wir unten sehen werden, in neuester Zeit eine unerwartete
Bestätigung gefunden.
Etwas ausführlicher beschäftigt sich H. wieder mit D. im 1. Ab-
schnitt des III. Teiles, der von dem Ursprünge der pyrrhonischen Skepsis
handelt. Diese knüpft nach ihm ebenso an D. wie die akademische
Skepsis an Sokrates an. Was er indes zum Beweise dieser Anbahnung
anführt, beschränkt sich darauf, daß die Ataraxie Pyrrhons schon bei
D. eine gewisse Rolle spielt, daß das Mißtrauen Demokrits gegen die
sinnliche Wahrnehmung, das bei seinem Schüler Metrodor noch stärker
ausgeprägt war, der Skepsis einen Anknüpfungspunkt bieten konnte,
und daß die Gegenüberstellung vo'jxip und aArjöeta bei den Skeptikern
an das Demokritische vo|xw — Ix&ri erinnert. Darin geht H. sicherlich
auch hier wieder zu weit, daß er, um D. den Skeptikern möglichst an-
zunähern, annimmt, jener müsse die Konsequenzen seines erkeuntnis-
theoretischen Subjektivismus auch für das ethische Gebiet gezogen und
ein scheinbares und wahres a^aöov unterschieden haben.
Kahl verschließt sich in seiner Untersuchung über Cic. als Quelle
für D. nicht der Erkenntnis, daß Cic. gerade in philosophischen Fragen
ein wenig kompetenter Beurteiler und daher nur mit großer Vorsicht
zu benutzen ist. Er glaubt aber nachweisen zu können, daß die An-
iührungen demokritischer Lehren bei diesem Autor größtenteils auf
gute Quellen zurückgehen. Er berücksichtigt jedoch zu wenig die
Düiltigkeit unserer Überlieferung über D. und gelangt da, wo er Neues
vorträgt, durch vorschnelle Schlußfolgerungen zu sehr zweifelhaften Er-
gebnissen. Dies zeigt sich recht deutlich gleich im Beginne der Abh.
an der Behandlung der Stellen, in denen Cic. Demokrits Lebensver-
hältnisse berührt. Daraus, daß sich Cic. d. fin. V 86 auf Theophr. be-
ruft, nachdem er kurz zuvor dessen Buch t:. £'jöai|xovtac angeführt hat,
folgert K., daß Cic. oder vielmehr sein Gewährsmann Antiochos „ohue
Zweifel" die ganze Stelle V 86 f. dieser Schrift Theophrasts entnommen
hat, und er findet diese Annahme bestätigt durch Allan v. h. IV 20,
wo «ganz ähnliche Gedanken", ebenfalls unter Berufung auf Theophr.,
112 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
entwickelt werden. Indessen stimmt Alian, wie ich in meiner Rezension
B. Ph. W.-Schr. 1890, 1616 ff. gezeigt habe, nur darin mit Cic. überein,
daß er D. sein väterliches Erbteil gering achten und weite Reisen
unternehmen läßt, in bezug auf die näheren Einzelheiten aber von jenem
erheblich abweicht. Daraus, daß Allan aus Theophr. den Ausspruch
citiert, D. habe auf seinen Reisen bessere Schätze gesammelt als
Menelaos und Odysseus, ergiebt sich keineswegs, daß auch der übrige
Inhalt seines Berichtes auf Theophr. zurückgeht. Dasselbe gilt von der
Stelle bei Cic, wo Theophr. nur zur Bekräftigung eines Satzes über
den wahren Wert der Philosophie angeführt wird. Einzelne Bemer-
kungen in beiden Stellen können sicher nicht aus Theophr. stammen,
so die Erwähnung von Demokrits Selbstblendung bei Cic. und die Nach-
richt von seiner Reise zu den indischen Weisen bei Allan; denn dies
sind Erdichtungen einer späteren Zeit (s. Kahl selbst S. 7). Es bleibt
also ganz ungewiß, ob Cic. und AI. oder ihre Gewährsmänner, abge-
sehen von jenen beiden Citaten, irgend etwas oder wieviel und was sie
etwa aus Theophr. geschöpft haben. Auch darin greift K. fehl, daß
er die ursprüngliche Quelle unserer Kenntnis von Demokrits psrsön-
lichen Verhältnissen in den eigenen Schriften dieses Philosophen zu er-
kennen glaubt. ' — Auf festerem Boden steht der Verf. im zweiten Teile,
wo er sich mit den auf Demokrits Physik sich beziehenden Stellen be-
schäftigt. Hier hat er durch genaue Vergleichung der Darstellung
Ciceros und namentlich der einzelnen von ihm gebrauchten Ausdrücke
mit unserer sonstigen Überlieferung wahrscheinlich gemacht, daß überall,
wo physikalische Ansichten des D. erwähnt werden, Ciceros Gewährs-
männer, Antiochos, Kleitomachos u. a. aus Theophr., wenn nicht direkt,
so doch durch Vermittelung der sogen, vetusta placita geschöpft haben.
Unsere Kenntnis der demokritischen Physik wird freilich nur unbe-
deutend durch diese Beiträge gefördert. — Vgl. auch die Rezensionen
von A. Döring, W.-Schr. f. kl. Ph. 1890, 943 f. und von Diels,
Arch. IV 117 f.
Natorp (No. 370) knüpft an eine von ihm Arch. III, 347 ff. über
^Aristipp in Piatons Theaetet" angestellte Untersuchung an. Er hatte
dort eine zuerst von Schleiermacher ausgesprochene, dann von Dümmler,
Antisthen. 56 ff. und Akadem. 173 ff. aufgenommene Vermutung durch
neue Gründe gestützt, die auch Zeller veranlaßt haben, seinen noch
II 1^, 350, 2 festgehaltenen gegnerischen Standpunkt aufzugeben (s. Zeiler
I\ 1098 f.). Danach ist der Urheber der von Piaton Theaet. 156 A ff.
wiedergegebenen, zu seiner eigenen Ansicht im schärfsten Gegensatze
stehenden Wahrnehmungstheorie nicht Protagoras, sondern wahrschein-
lich Aristipp. Ebendort hatte N. auf ein nahes Verhältnis zwischen
dieser Lehre und Demokrits Auffassung von der Subjektivität der
Bericht über die griechischen Philosophon vor Sokrates. (Lortzing.) 1 13
Qualitäten und der Qaalitätslosigkeit des Substrats, ein Verhältnis, das
nur als Abhängigkeit Aristipps von D. gedeutet werden könne; auch
den bei Piaton soust ungebräuchlichen Terminus roioTr,; liabe Aristipp
vielleicht schon von D. übernoramen (?). Daraus hatte er dann den
gewagten Schluß gezogen, wenn PI. sich mit einer von D. abstammenden
Lehre schon im Theaet. auseinandergesetzt habe, so werde er schwer-
lich unterlassen haben, D. selbst zu prüfen. Diesem Gedanken geht N.
in der vorliegenden Abb. weiter nach. In jener eigentümlichen
Sensationslehre, von der PI. im Theaet. ausgeht, entdeckt er einen
latenten Widerspruch, der darin liegt, daß auf der einen Seite die Un-
räumlicbkeit aller Empfindungen angenommen wird (es giebt kein ev
au-b xaö' auxo, also auch kein xt, toüto, xoSe, Ixstvo, kein irgendwie
Bestimmtes), während sich auf der andern Seite eine wenn auch un-
gewisse Ahnung von der Bedeutung des Raumes als Grundlage der
Bestimmung des Sinnlichen verrät. Eben dieser Widerspruch scheint
dem Verf. deutlich auf die tiefere Quelle jener Lehre, auf D., zurück-
zuweisen, der das Leere d. h. den Baum, für sich ein „Nichts", ein
Unbestimmtes, trotzdem als real, als Grundlage der Bestimmung für das
„Ichts" d. i. die Atome anerkennt. Ebenso wird auch im Theaet. im
Widerspruch mit dem Prinzip der Baum und ein bewegliches Substrat
im Raum als Voraussetzung zur Erklärung der Sinneswahrnehmungen
festgehalten. Eine solche Inkonsequenz ist ohne Demokrits Einfluß
nicht denkbai'. Dadurch wird Aristipp als Urheber jener Sensations-
theorie noch wahrscheinlicher, da seine Lehre auch sonst Spuren demo-
kritischen Einflusses zeigt. — Auf die angebliche Verwandtschaft zwischen
den Lehren dieser beiden Philosophen gehe ich hier nicht näher ein.
Sie scheint mir keineswegs so sicher zu sein, wie N. annimmt. Aber
auch wenn man gewisse Anklänge an D. bei Aristipp gelten lassen
will, so ist damit noch lange nicht eine Beziehung der im Theaet. dar-
gestellten Sensationslehre auf D. erwiesen. — Nicht minder unsicher
sind die Spuren direkter Anlehnung an Demokrits Ethik, die N. im
weiteren Verlaufe seiner Untersuchung in Piatons Schriften zu finden
glaubt. Zunächst verteidigt er die schon in den „Forschungen'' im
Anschluß an Hirzel (s. o. S. 107) vorgetragene Beziehung der Stellen
Phileb. 44B und Rep. 583 ff. auf D. gegen Dümmler und Zeller. Auf
eine Prüfung der Gründe für und wider die Gleichsetzung der Gegner
der Lustlehre mit Antisthenes kann ich hier um so mehr verzichten, als,
selbst wenn diese Auffassung unmöglich wäre, daraus mit nichten die
Notwendigkeit folgen würde, D. als den Urheber jener Lehre anzusehen.
Dem widerspricht vielmehr alles, was wir über Demokrits ethische An-
sichten wissen. So wenig D. ein ausgesprochener Hedoniker war und
so unrecht auch die haben, die unter seiner e'j&ujxioc die rfiorq verstanden
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 8
114 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokratcs. (Lortzing.)
(s. Laert. IX 45), so weni^ darf man ihn zu den Verächtern jeder
Lust rechnen, als die PI. die Vertreter jener Lehre kennzeichnet.
Wenn N. darauf hinweist, daß auch in Piatons Berichten nicht jede
Lust verworfen wird, sondern nur die größte und gewöhnlichste d. h.
die körperliche, wahrend die des 9p6vi[jLoc ausdrücklich ausgenommen
wird, und wenn er hiermit die Unterscheidung der höheren und niederen
Lüste bei D. vergleicht, so hat er nicht beachtet, daß PI. in der
Philebosstelle eine solche Unterscheidung gerade gegen jene oucyepeü
geltend macht, keineswegs sie ihnen selbst beilegt. Daran wird auch durch
die Deutung nichts geändert, dieN.dem Worte oüc/spetabeiPl. geben möchte,
wonach es nicht „verächtliche Strenge" (Schleiermacher) oder „mürri-
sches Wesen" (Zeller), sondern „die einer vornehmen Natur (oux «vevvoüf
cpuaews) eigene, leicht übertriebene Feinfühligkeit*', das Widerstreben
gegen das gemeine Lustverlangen bezeichnen soll. — Ist schon die Be-
ziehung der angeführten Stellen auf D. höchst unwahrscheinlich, so ist
eine solche Beziehung vollends im Phaid. (69 B, 81 B, 84 A; vgl. 79 C)
unerweislich. Es ist kühn, wenn sich N. auf grund solcher unsicherer
Kombinationen berechtigt glaubt, zu behaupten, PI. habe frühzeitig den
Einfluß DeiLokrits erfahren, und schon der Theaet. sei in voller Be-
kanntschaft mit dessen Lehre geschrieben, obwohl sich deutlichere Hin-
weise auf D. nur in jeuen ethischen Fragen fänden. Dieses Verhältnis
Piatons zur demokritischen Ethik hat N. dann in seiner Ausgabe der
Ethika S. 157 ff. durch eine noch genauere und umfassendere Ver-
gleichung zwischen beiden Philosophen näher zu begründen versucht.
Wenn man auch zugeben muß, daß an manchen Stellen die Anklänge
an D. so auffallend sind, daß es nahe liegt, eine direkte Beziehung an-
zunehmen, so ist doch in den meisten Fällen die Ableitung aus D. un-
sicher oder ganz unwahrscheinlich. Und selbst wenn hier und dort
wirklich ein Citat aus D. vorliegen sollte, so wäre es doch unstatthaft,
mit N. Piaton seine Grundanschanungen aus der Philosophie des Abde-
riten schöpfen zu lassen. Vgl. meine Besprechung der Ausgabe B. Ph.
W.-Schr. 1894, 1000 ff. .
Von großer Wichtigkeit für die Erkenntnis der Einwirkung
Demokrits auf Epikur ist die neuaufgefundene Steinschrift von Oinoanda,
auf der um das J. 200 n. Chr. ein gewisser Diogenes, ein begeisterter
Anhänger der Gartenphilosophie, neben seinen eigenen Darstellungen
der epikureischen Lehre einige Urkunden des Meisters hat eingraben
lassen. Die wertvollste unter diesen Urkunden ist ein Brief Epikurs
an seine Mutter, ohne Zweifel eins der ältesten Denkmäler seiner Hinter-
lassenschaft. Hier tritt uns in No. 9, 1, wie Usener (No. 371) bemerkt,
das Wörtchen £uf}u[xta entgegen, das Schlagwort der Ethik Demokrits,
von dem Ep. durch Vermittelung des Nausiphanes ausgegangen ist.
Bericht über die griecbischcn Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) Hf)
Aber wie er alle Beziehungen za seinem Lehrer Nansiphanes durch-
schnitten hat, so hat er später auch jene demokritische e-jf^uixta fallen
lassen; sie begegnet nirgends in seinen bisher bekannt gewordenen
Schriften oder Fragmenten. Der Brief mnß daher in die Zeit seiner
ersten Lehrthätigkeit zu Mytilene und Lampsakos oder spätestens in
den Anfang der athenischen Wirksamkeit fallen. Damit haben wir ein
urkundliches Zeugnis für die Annahme Hirzels, daß Ep. auch in seiner
Ethik von D. abhängig sei. Beachtenswert ist auch ein auf der In-
schrift stehender „Abriß der epikureischen Physik", der u. a. in No. 49
eine Polemik gegen Demokrits vo'fAw Y^yx'j u. s. w. enthält, sowie die
Widei legung des Schicksaljjlaubens (No. 40), in der D. getadelt wini,
daß er keine freie Bewegung der Atome zugelassen habe.
Neue Beweise für den Einfluß der Sitten- und Erkenntnislehre
des D. auf Epikur gewinnt Sudhaus aus den in den herkulanensischen
Rollen 1015 und 832 erhaltenen Teilen aus Pliilodems Rhetorik B. II,
deren Text er zum ersten Male veröffentlicht und herzustellen versucht
hat. Der erste Teil behandelt Ansichten und Lehren des in Demokrits
Spuren wandelnden Nausiphanes. In col. 4 beantwortet Nausiph. die
Frage, ob der Weise sich an der Gesetzgebung, an strategischer und
staatswissenschaftlicher Thätigkeit beteiligen werde, mit ja. Er weicht
also hierin wie auch sonst von dem eudämonistischen Quietismus
Epikurs ab. „Von der euftuixta oder eueuTu» des D. zu der dxaTrXrj^i'a
des Naus. und der epikureischen dxapa^ta ist ein langer Weg." Die
paradox scheinende Behauptung, daß gerade die Physiologie der beste
Ausgangspunkt für die rhetorische Ausbildung sei, begründet Naus. so:
Der Weise und der Politiker unterscheiden sich keineswegs im Gedanken-
inhalt und im Stoffe, sondern nur in der Ausdrucksweise. Wie sich
der Philosoph des Syllogismus und der Induktion bedient, so der Poli-
tiker des Enthymems und des Beispiels. Dabei erschien ihm als die
wertvollste Schlußform die Berechnung des Künftigen und des Unklaren
aus dem Gegenwärtigen und Klaren, die auch bei D. und Epikur eine
wichtige Eolle spielt (s. Hirzel Unters. I 111). In Anlehnung au D.
geht Naus. von der Wahrnehmung als der wirklichen und allgemeinen
Gründlage der Erkenntnis aus. Er muß dann weiterhin die Gesetze der
Natur, wie er selbst sie lehrte, sowie seine psychologische Kenntnis des
Privatlebens auf den weiteren Kreis des staatlichen Lebens übertragen
haben, — Vielleicht die wichtigste Notiz des Papyrus steht col. 44, 19,
wo es heißt: nicht auf klingenden Lohn komme es an, sondern auf
xevwv 6o;wv arcaXXa-frjv. Hier trifft Naus. mit Ep. (vgl. auch Dem. bei
Laert. IX 45) zusammen. Aber der Weg zur Glückseligkeit ist bei
beiden verschieden. Ep. verweist den Philosophen auf sich selbst und
auf ruhigen Genuß, Naus. aut die Gemeinschaft, auf politisches Wirken
b*
116 Bericht über die griecbischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
und gemeinnützige Arbeit. Seine (JxaxaTrXy)Eta hat also weit mehr Ähn-
lichkeit mit der der Stoa als mit der Epikurs. — Es tritt uns iu diesem
Bruohstücke Philodems ein offenbarer Einfluß Demokrits auf Naus.
entgegen. „Die Angaben über die p]rkenntnistheorie des Naus. sind
eine glänzende Bestätigung von Hirzels Unters. I 109 ff. Die Brücke,
die er für die Kanonik von D. zu Ep, schlug, erhält jetzt gewisser-
maßen durch Naus. eine Zwischenstufe." Allen dreien ist der Satz
gemeinsam, daß man in der Kanonik von den aiJi^iQüei; auszugehen habe
als dem untrüglichsten Kriterium der Erkenntnis, und daß mau, was
die Methode angeht, vom Erscheinenden und Deutlichen zum Verborgenen
vorschreiten müsse. — Vgl. Frachter Fortschr. 1898 (Band 96) S. 50,
der mit Sudhaus in den Mitteilungen Philodems über Naus. sowie in
der oben angeführten Stelle aus der Inschrift von Oinoanda eine volle
Bestätigung der Hirzelschen Auffassung erblickt. Aber ehe mau ein
abschließendes Urteil fällt, bedürfte es erst einer genaueren Unter-
suchung der einzelnen Punkte, die neben den Ähnlichkeiten auch die
Unterschiede ins rechte Licht setzte; denn daß Ep. dem D. auf den
verschiedenen Gebieten der Philosophie zwar vieles entlehnt hat, aber
oft genug auch bewußt von ihm abgewichen ist, wird mehrfach bezeugt.
Für die Ethik hat zu einer solchen Untersuchung neuerdings
Natorp m seinen „Ethika des D." S. 127 ff. eine dankenswerte Vor-
arbeit geliefert. Mir war bereits bei meinen früheren Studien über D.
die Übereinstimmung einzelner Sentenzen Epikurs mit ethischen Bruch-
stücken des D. aufgefallen, und ich hatte in meiner Abh. „über die
ethischen Fragmente Demokrits* S. 25 f. darauf hingewiesen, daß Ep.
sent. XVI das demokritische Fr. 30 vor Augen gehabt und nachgebildet
hat (vgl. Usener Epic. S. 396). Einige andere Beziehungen Epikurs
auf ethische Aussprüche des Abderiteu hatte dann Usener im Index
S. 402 f. kenntlich gemacht. Natorp weist nun eine noch viel größere
Zahl von epikurischen Aussprüchen nach, die sich im Inhalt und oft
auch in der Form eng an D. anschließen. Aber nicht nur in einer
Reihe spezieller Vorschriften, sondern auch in der Grundlage und Aus-
gestaltung seiner Sittenlehre hat Ep., wie N. darthut, vielfach, selbst
in den Punkten, wo er unter dem Einflüsse der kyrenaischen Ethik von
ihm abweicht, an Ep. angeknüpft. Ob N. freilich das Verhältnis Epikurs
zu D. und Aristipp, der nach seiner Meinung gleichfalls auf der Ethik
des Abderiten fußt (s. Eth. 193 ff.), durchweg richtig bestimmt hat, ist
mii* zweifelhaft. Darin besonders kann ich ihm nicht beistimmen, daß
er dem xeXoj des D. absolute Bewegungslosigkeit beilegt. Eine genauere
Betrachtung des 52. Fr. wird m.E. ergeben, daß D. eine gewisse mäßige
Bewegung der Seele mit der wahren Lust und der euöujxia untrennbar ver-
bunden gedacht hat. S. meine zu No. 385 anzuführende Besprechung der
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 117
„Ethika" 999 f. Wie weit aber auch die tJ bereiiistimmuiig Epikurs mit
D. in ethischen Fragen gehen mag, ein fundamentaler Unterschied, den
Natorp nicht genügend beachtet hat, bleibt doch bestehen. Eine
systematische Bearbeitung der Ethik ebenso wie der Kanuüik hat Ep.
sicher nicht bei D. vorgefunden, und er konnte sich daher in diesen
beiden Disziplinen von vornherein nicht entfernt so eng an seinen
Meister anschließen wie in der Physik, die ihm bei diesem als ein in
sich geschlossenes Ganzes entgegentrat.
In den Abhandlungen von Usener und Sudhaus ist ein Punkt
nicht in Ervväguug gezogen worden, der für die Beurteilung der Be-
ziehungen zwischen Epikur und der demokritischen Ethik von Wichtig-
keit ist, die Frage nämlich, ob die ethischen Fragmente Demo-
krlts in ihren Hauptbestandteilen als echt anzusehen sind.
Diese Frage, die mit der Erforschung der Quellen jener Fragmente im
engsten Zusammenhange steht, ist während der Berichtszeit mehrfach er-
örtert worden. Ich hatte in m einer Abh. „über die ethischen Fragmente
Demokrits" (Progr. desSophiengymn. Berlin 1873) dieEchtheit zu erweisen
unternommen (vgl. die Besprechung von Susemihl Fortschr. I 5 [1875]
S.532ff.). Ich glaubte mich bei dieser Untersuchung innerhalb der Grenzen
einer vorsichtigen Kritik gehalten zu haben. Daß die Echtheit der
Fragmente mit der Widerlegung einzelner gegnerischer Gründe noch
nicht erwiesen sei und daß , solange sich keine Spur einer Kenntnis der
demokritischeu Ethik vor den Zeiten Ciceros nachweisen ließ, die
Zweifel der Echtheit nicht verstummen würden, verhehlte ich mir
nicht. Ich war daher darauf gefaßt, daß mein Standpunkt in dieser
Frage bestritten werden würde. Eines Angriffes freilich, wie er von
ßohde gegen mich gerichtet wurde, versah ich mich nicht. Dieser
hat in der ihrem Hauptinhalte nach unter No. 362 besprochenen
Schritt S. 67 und 70 ff., ohne meinen Namen zu nennen, meine ganze
Auffassung von der ethischen Schriftstellerei Demokrits als grund-
verkehrt bezeichnet. Der „ganze Wust" (!) moralischer Sentenzen, der
unter Demokrits Namen laufe, sei diesem abzusprechen. Es sei neuer-
dings versucht worden, diese Überbleibsel zu unverdienter Ehre zu
bringen. In der That aber sei es keine „Hyperkritik", wenn man aus
dem wirren Haufen angeblich demokritischer Moralsprüche, in denen
sich eine „Biedermannsmoral" mit spezifisch epikureischem Quietismus
seltsam vermische (!), dem D. selbst so gut wie nichts zuzuschreiben
wage. Ein eigentlicher Ethiker sei dieser überhaupt nicht gewesen.
In den Versuchen zu einer Sonderung des Echten und Unechten sei
keine philologische Methode zu erkennen. Ansätze zu ionischem Dialekt
seien kein Indizium der Echtheit. Auch Seneca sei kein Prüfstein der
Echtheit, da er z. B. dem D. die sonst dem Heraklit oder Anacharsis
118 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
oder Antimachos zugeschriebene Sentenz: unus mihi pro populo et
populus pro uno iu den Mund lege. Einer Wideriegung bedürfen diese
unerwiesenen oder unzulänglich begründeten Behauptungen um so
weniger, als ihre Unhaltbai'keit sich aus den unten zu besprechenden
Untersuchungen Natorps und Birts von selbst ergiebt.
Unter den eben genannten Forschern entfernt sich von ßohdes
Standpunkt am weitesten Hirzei (No. 373), der jedoch nach der anderen
Richtung hin ins Uferlose treibt. Er sucht nachzuweisen, daß Seneca
in seiner Schrift de tranquillitate vornehmlich Demokrits Werk tz. eui)u[xtT)?
benutzt hat. Zu diesem Ende geht er der Reihe nach die einzelnen
Kapitel der Schrift durch und findet hierbei eine solche Fülle von
Übereinstimmungen und Beziehungen, daß ihm jede andere Annahme
als die einer direkten Abhängigkeit ausgeschlossen erscheint. Fänden
sich iu der That an allen diesen Stellen sichere Hinweisungen auf
demokritische Aussprüche, so hätte Hirzels These eine gewisse Wahr-
scheinlichkeit, obwohl auch dann Seneca nicht notwendig Demokrits
Buch selbst vor Augen gehabt haben müßte. Nun erscheinen aber bei
näherer Prüfung die angeblichen Übereinstimmungen vielfach in höchst
zweifelhaftem Lichte. Von vornherein auszuscheiden sind die Fälle, in
denen es sich um Gedanken handelt, welche H. nur auf unsichere Ver-
mutung hin als demokritisch in Ansprucli nimmt. So setzt er die von
ihm in seinen , Untersuchungen'' behauptete Beziehung einer Philebos-
stelle auf D. ohne weiteres als erwiesen voraus und zieht daraus den
mit jener Voraussetzung natürlich hinfälligen Schluß, daß das Wesen
der Tjoovr, iu der Schrift n. eu&o|xiY]c eingehend erörtert worden sein
muß. Besonders aber in dem hippokratischen Briefwechsel glaubt H.
zahlreiche Spuren demokritischer Lehren entdeckt zu haben. Ich habe
es (a. a. 0. S. 24) als eine vergebliche Mühe bezeichnet, aus der Hülle
dieser Briefe, abgesehen von einem längeren Bruchstücke Tiepl cptSaio;
avOpwTDou, das ten Brink dem Abderiten zugeschrieben hat (s. jedoch jetzt
Diels Fr. d. Vorsokr. 469), irgend einen demokritischen Kern herauszu-
schälen. Diese Ansicht kann ich auch Hirzels Ausführungen gegenüber
im wesentlichen nur aufrecht erhalten. Daß der Verf. der Briefe verschie-
dene Titel der demokritischen Schriften nennt, beweist noch nicht, daß er
diese Schriften auch selbst gelesen und benutzt hat. Die Möglichkeit einer
solchen gelegentlichen Benutzung läßt sich zwar nicht bestreiten, und manche
Stellen, wie xai ooxeouai jjiev £v uoXefiu) xxX. S. 366 Littr. und aTapa^iY)?
xal Tapayr^; \iizpoL fjtT) eiticjxoTre'jsiv ebd., haben in der That eine gewisse
Ähnlichkeit mit Aussprüchen und Anschauungen Demokrits [vgl. auch
J. F. Marcks symbola critica ad epistolographos graecos Bonn 1883,
S. 39 ff., wo zu den von H. bemerkten noch manche neue Anklänge,
namentlich au physikalische Ansichten Demokrits, angeführt werden].
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) II9
Aber im großen und gaüzeu siud doch die seichten und endlos aus-
gesponneneu moralischen Betrachtuugen über die Tiiorheit der Menschen,
die der Verf. der Briefe den D. zum besten geben läßt, von der
gehaltvollen und knappen Art dieses Philosophen zu weit entfernt, als
daß sie auf ihn zurückgeführt werden könnten. S. R. Heiuze in der
anter No. 374 zu besprechenden Schrift (vgl. desselben Schrift de Ho-
ratio Biouis imitatore Bonn 1889 S. 5), der im 17. Briefe ein Doku-
ment der neukynischen Schule sieht und treliend bemerkt, der Cliarakter
des Ganzen werde nicht dadurch geändert, daß hier und da, übrigens
ungeschickt genug, demokritische Sätze verwertet werden. Am aller-
wenigsten aber durfte H. aus der inhaltlichen Verwandtschaft mancher
Abschnitte bei Seneca mit Äußerungen des Demokrit der Briefe folgern,
daß der Verf. dieser die gleiche Schrift Demokrits benutzt haben
müsse wie Seneca. Das wäre nur dann zulässig, wenn zuvor der strikte
Beweis erbracht worden wäre, daß beide aus bestimmten Stellen Demo-
krits geschöpft haben; einen solchen Beweis aber hat H. nirgends er-
bracht. Die Ähnlichkeiten sind fast durchweg so allgemeiner Art und
so wenig charakteristisch, daß sie sich auch ohne die Annahme einer
Entlehnung aus D. erklären lassen. Etwas anders steht es mit der
nicht geringen Zahl von Anklängen an bestimmte demokritische Frag-
mente, die H. bei Seneca' bemerkt hat. Einige von ihnen sind allerdings
von der Art, daß man au eine Entlehnung aus D. glauben könnte;
vgl. z. B. Seu. c. 2, 11 fin. mit Fr. 49; c. 6,4 mit Fr, 163; c. 7, 6 mit
Fr, 217 u. ä. In anderen Fällen aber liegt doch nur eine sehr entfernte
(wie c. 10, 1 und Fr. 127 zwischen necessitas fortiter ferre docet und
dv6pr,iV, Ta; äta; !j|i.txpaj epöst) oder allzu allgemeine Übereinstimmung
vor. — Über das Verhältnis zwischen den beiden ethischen Schriften Demo-
krits stellt H. eine von der meinigen (s. d. eth. Fr. D.s S. 6 f.) abweichende
Ansicht auf. Die Bezeichnung u7toi>Tjy.ai werde bei den älteren Schrift-
stellern nur für Gedichte, nicht für Prosawerke gebraucht. Lege man
aber die Definition der G;ro9r-xT] bei Aristot. Rhet. 1368 a 2 ff. zu gründe,
so seien Fr. 7, 163 und viele andere, die sicher zu tt. euöuixi'tj; gehört
haben, G-ot>r,xai. Da habe doch D. diesen Titel nicht einer ganz
anderen Schrift geben dürfen, wenigstens nicht ohne Hinzufügung einer
näheren Beschränkung. Wie nun in dem Verzeichnis aristotelischer
Schriften bei Hesych. nach Heitz der Titel uepl tjDixcüv Nixo[xa/. unoO^xat
auf einen Auszug aus dem betreffenden Werke zu beziehen sei, so
könne auch von Demokrits Schrift tt. eui). ein Auszug veranstaltet
worden sein. Dies scheine bestätigt zu werden durch Marc Aurel IV 24,
der offenbar Fr. 163 in kürzerer Form wiedergebe. Diese Sentenz
müsse dann nach Sen. c. 13, 1 den Anfang gebildet haben [aber hier ist
die Lesung coepisse nicht sicher; die Handschriften haben cepisse, und
120 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
H. A. Koch schreibt, wie H. selbst angiebt, praecepisse, eine nach dem
Urteile von M. Heinze Abb. d. sächs. Ges. d. W. 1883 S. 708, 1 an-
nehmbare Konjektur, die ich bei Abfassung meiner Abh. übersehen
hatte], während Dionys. AI. als Anfang Fr. 29 angebe. Dieser Wider-
spruch löst sich nach H., wenn wir unter den G::o{}9)xat nicht einen
Auszug aus der ganzen Schrift Demokrits verstehen, sondern nur
aus ihrem positiven Teile, also ohne die polemische Einleitung, der
wohl Fr. 93 — 98 sowie 33 und 60 angehören, welche alle mit dtvo/jfxovs?
beginnen. Dann würden also die Worte bei Dionys. den Anfang des
Hauptteiles der Schrift bezeichnen. Für widerlegt kann ich meine
Auffassung der uTiod^xat als einer selbständigen Schrift neben der r. euö.
durch diese Beweisführung nicht halten, die übrigens an einem auf-
fallenden Widerspruche leidet. Nach H. müßte das oAqa izpr^aae bei
M. Aurel in den Oizoöyjxat, also dem Auszuge, gestanden haben, während die
ihm entsprechende längere Sentenz (Fr. 92) den, wie H. meint, von diesem
Auszuge ausgeschlossenen Anfang der ganzen Schrift (tt. eui}.) gebildet
hätte. Davon abgesehen aber, hat Hirzels Annahme manches für sich, und
ich habe nichts dagegen, wenn man sie der meinigeu vorziehen will.
Nachdem bereits von M. Heinze a. a. O. 708 f. gegen die
Hirzelsche Hypothese Bedenken erhoben worden waren, hat R. Heinze
(No. 374) auf die Uczulänglichkeit der Argumente Hirzels hingewiesen.
H. habe nur gezeigt, daß für den von ihm ohne weiteres angenommenen
Fall der Echtheit der ethischen Fr. Demokrits viele von diesem zuerst
ausgesprochenen Sätze in der späteren Ethik fortgewirkt haben. Eine
wörtliche Übereinstimmung trete fast nirgends hervor. Gegen eine un-
mittelbare Abhängigkeit Senecas von D. spreche aber alle Wahrschein-
lichkeit. Bei dieser Annahme wäre es schwer zu erklären, daß der so
viel und gern citierende Sen. nur ein einziges Mal (d. ir. III 6, 3)
einen ethischen Satz Demokrits anführt, und zwar eben den einzigen,
für den er d. tranqu. 13, 1 die Autorschaft Demokrits bezeugt. Auch
den schroffen Widerspruch gegen die stoische Lehre von den Affekten,
die Hirzel in c. 8 und 9 zu finden glaubt, kann Heinze nicht aner-
kennen. Aus allen diesen Gründen kommt er zu dem Ergebnis, daß die
etwaigen Reminiscenzen an demokritische Sätze durch stoische Tradition
zu Sen. gelangt sind. Übereinstimmungen zwischen Plutarch u. £u8u|i.ia;
und Sen. brauchen daher nicht auf D. zurückgeführt zu werden, und wir
dürfen nicht mit H. Plutarchs Schrift benutzen, um Aufschlüsse über
den Gang der Untersuchung in Demokrits Schrift zu erlangen. Gegen
die Annahme Hirzels, daß Panaitios ::. euöufjii'a?, den er vielleicht nicht
mit Unrecht als eine Hauptquelle Plutarchs ansieht, den D. benutzt,
aber dessen Grundsätze bekämpft habe, bemerkt Heinze, diese Polemik
beschränke sich auf die Zurückweisung des verwerfenden Urteils über
ßericl)t über die griechischen Philosopheu vor Solirates. (Lortzing.) 121
die TcoXuT:pa7!JLQTJvir] c. 2; wenn im Schlußkapitel die Feste als überflüssig
für den Weisen verworfen werden, so leite schon die Anknüpfung au
Diogenes zu einer kynischen Quelle hin.
Hense (No. 375) macht Ariston von Chics auch für Plutarch
TT. ■iioX'j7:pa7{jLOJuvr]; als eine Hauptquelle wahrscheinlich und findet ari-
stonische Anklänge nicht nur mit Heiuze in t:. euSup-iV,?, sondern auch
noch in andern Scliriften Plutarchs, so besonders in r. fj-^rj;. Der
Frage nach der Quelle von Sen. de tranqu. tritt Hense näher in
No. 376. Er thut dar, daß Sen. neben anderen Quellen, wie Panaitios,
hauptsächlich den Stoiker Athenodoros benutzt habe. Ein Haupt-
beweisgrund gegen Hirzels Hypothese ist die übereinstimmende Ver-
kürzung von Fr. 163 bei Sen. und Plut. -. t<j\)., von denen letzterer
sicher nicht direkt aus D. schöpft, sondern aus einer stoischen Quelle,
nach Heinze aus Ariston.
Welchen Wert haben nun alle diese Untersuchungen für die Eot-
scheidung über die Echtheit oder ünechtheit der ethischen Fragmente ?
Daß die von Cicero, Seneca und Plutarch benutzten Autoren eine unter
Deraokrits Namen gehende Schrift r. e'j8u[xtV,; gekannt haben, kann
keinem Zweifel unterliegen. Aber auch Epikur .' Erwiesen sind freilich
in den Resten seiner ethischen Schriftstellerei zahlreiche Anklänge au
Demokrits Fragmente, und Natorp, dem das Hauptverdienst zufällt,
diesen Nachweis geführt zu haben, ist überzeugt (Ethika 141), daß
diese Übereinstimmungen an sich schon genügen, um jeden Gedanken
an eine durchgängige oder auf größere Partien sich erstreckende
Fälschung der Überlieferung über Demokrits Ethik auszuschließen; eine
evidente Parallele bei Ep. könne im allgemeinen geradezu als Bestätigung
für die Echtheit eines demokritischen Ausspruches gelten. Ein hart-
näckiger Leugner der Echtheit köonte indes den Spieß umkehren und
sagen: alle diese Parallelen beweisen gar nichts; sie lassen sich ebenso
gut erklären, wenn man annimmt, daß erst nach Ep. unter Demokrits
Namen eine Schrift entstand, in der neben anderen älteren Philosophen
wie Piaton und Aiistot. in ausgiebigstem Maße Ep. geplündert wurde.
So sind wir doch schließlich bei dem Maugel einer sicheren äußeren
Beglaubigung auf die Betrachtung des Inhalts und des Stils der Frag-
mente selbst hingewiesen. Dieser Weg ist denn auch in der That mit
Erfolg von Natorp und Birt eingeschlagen worden, wie wir unten sehen
werden.
Was das Verhältnis des Lucrez zu D. betrifft, so verweise ich
aoch hier, wie bei Empedokles, auf die Briegerschen Jahresberichte.
Das von A. Jahn veröffentlichte Werk desGregoriusPalamas
(No. 377), der um die Mitte des 14. Jahrhunderts lebte, enthält nach
einer llpoöetüpia einen Streit zwischen Körper und Seele in der
122 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Form einer gerichtlichen Verhandlung. Palamas knüpft damit an eine
aus dem Altertum überlieferte Darstellung des Kampfes zwischen »Seele
und Leib an, über die Jahn im Epiraetrum I S. öG f. handelt. Über-
liefert ist uns die Ansicht Demokrits über den Verlauf und Ausgang
dieses Kampfes und die davon abweichende des Theophrast bei Plut.
praec. san. tuend. 135 E und noch genauer im Fr. d. an. I 2. Theophr.
folgte dem Aristot., und dieser hat wiederum in Piaton seinen Vorgäoger
gehabt. Derselben Ansicht schlössen sich die patres platonizantes, die
Gnostiker und besonders die Manichäer an.
Sehr verdächtig, ja zum weitaus größten Teile sicher unecht ist,
was uns bei nachchristlichen Autoren aus augeblichen astrologischen,
alchimistischen und geoponischen Schriften Demokrits über-
liefert wird. Dem Versuche von Maaß^) (No. 378), einer echten Schrift
des Abderiten über Wetterzeichen auf die Spur zu kommen, ist die
Widerlegung alsbald gefolgt. Heeger hatte in der unter Theophrasts
Namen überlieferten Schrift tt. aT)[jLei(uv ein Exzerpt aus einem peri-
patetischen Buche des ausgehenden 4. oder des anfangenden 3. Jahr-
hunderts V, Chr., vielleicht einem echten Werke Theophrasts, vermutet,
während Böhme „De Theophrasteis quae feruntur Ilepi ar^ixeituv excer-
ptis" Halle 1884 an einen Auszug aus Eudoxos gedacht hatte. Beide
hatten auch bereits erkannt, daß sich in der attisch geschriebenen Kom-
pilation nicht wenige poetische und besonders ionische Worte und Wort-
formen finden. Maaß ist diesen Spuren weiter nachgegangen (vgl. die
Prolegomena zu seiner Aratausgabe S. XXVI). Er glaubt überall, wo
Ps.-Theophr. sich mit Arat im Wortlaut berührt, die gemeinsame Quelle
hindurchschimmern zu sehen. Auch die Disposition von Ps.-Theophr.
weist nach M. auf eine solche Quelle hin. Diese ist aber nicht Eudoxos,
sondern Dem., der in dem Buche Tiepl dxatpiuiv xal euxatpiüiv über
„Wetterzeichen" gehandelt hat. Auch Clemens ström. VI 755 P.
(= Plin. n. h. 18, 341) führt auf Wetterbeobachtungen Demokrits hin.
Arat V. 391: aue? «fopuTw 'im ixapYaivousai (vgl. Ps.-Theophr. § 49 und
Clem. Protr, 92) stimmt wörtlich mit Dem. fr. mor. 23 überein. Wenn
man hier auch zunächst an die Schrift u. eüöu|ji.tT)c za denken hat, so
muß man doch annehmen (?), daß D. das Vorzeichen von den tollenden
Schweinen auch in tt. dxaipiüiv u. s. w. dargestellt habe. Zu den bei
Ps.-Theophr. § 1 genannten nicht unberühraten Gewährsmännern gehört
*j Beiläufig sei hier erwähnt, daß Maaß in seinen Aratea (Philolog.
Unters., 12. Beft, Berlin 1892) S. 123 ff. von den verschiedenen Bedeutungen
des Wortes tcoXo; handelt. Er bemerkt hierbei, daß das Wort bei Anaxa-
goras im Sinne der beiden Pole gebraucht wird (s. Hippolyt. Doxogr. 563, 4
und Laert. II 9,5: "öv cpavepöv iccDvov); auch in Demokrits -&>,o-cpatp'.rj sei
von der Lage des Nordpols oder beider Pole die Rede gewesen.
Beriebt über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 123
uiithin außer Aristot. auch D. Eiu derartiges Buch Deniokrits paßt
auch iu das atomistische System hinein: sofern wir nicht durch uns
selber über das, was in der Natur bevorsteht, Bescheid wissen, können
wir uns durch Beobachtung' der Einzelwesen über sich vorbereitende
Phäuonieue Bescheid verschaffen. Auch Pliuius, der iu der n. h. B. XVIII
zum Teil wörtlich mit Ps.-Theophr. übereinstimmt, und ebenso Alian
(3. z. B, die Stelle von den Schweinen d. nat. an. VII 8, wo für <patv6-
jjLsvoi fxaiv6|jL£vot [vgl. }jLap-,'aivou3ai? bei Dem,] zu lesen ist) müssen ein
vielleicht mit einigen fremdartigen Zusätzen versehenes Exzerpt aus der
echten Schiift Deinoliüls benutzt haben.
Zu wesentlich anderen Ergebnissen gelangt Kai bei (No. 379).
Nachdem er für den ganzen rein astronomischen Teil der (I>aivo|xeva
Arats ebenso wie für Vitruv IX 6 — 7,4 Eudoxos als Quelle nachge-
wiesen hat, wendet er sich gegen Maaß' Hypothese über den zweiten
Teil des Gedichtes {-. (;r,}xei(ov). Die von M. bei Ps.-Theophr. uach-
g'ewiesenen lonismeu sind von der Art, wie sie seit Aristot. und
Theophr. zahlreich in die attische Schriftsprache eingedrungen sind,
und die „poetischen Wendungen", die er anführt, sind entweder keine
solche, oder sie können von einem Prosaiker guter Zeit wie D. über-
liaupt nicht geschrieben sein; so OotXajia oiooyjx xal axxai ßotüjat; hier
haben wir vielmehr ein unverfälschtes Citat aus Arat (v. 909). Es ist
also in dem Buche tc. or,jx£i(uv Arat benutzt worden (vgl. auch § 23 mit
Arat V. 892). Daß bei Ps.-Theophr. auch Gredauken Deniokrits vor-
kommen, der an Wetterzeicheu glaubte und manche von ihnen erwähnt
Latte, ist nicht zu verwundern. Aber wenn Ps.-Theophr. das Zeichen
von den Schweinen (§ 49) ein ör,[x63iov nennt, so ist seine Quelle eben
nicht Dem., sondern die mündliche Tradition. Auch daraus, daß sich
der Gedanke in § 57 teilweise mit dem deckt, was Dem. bei Plin. 18, 23
(vgl. Geopon. I 5, 3) sagt, darf man nicht mit Maaß auf D. als Quelle
schließen. Sicher kann diese Quelle nicht die Schrift Atxiai 1:. dxaipiöüv
xal eiTixaipitüv sein, ein Titel, der für eine Bearbeitung der ''Ep^a
xal r,[jL£pai, nicht aber für ein Buch gleich dem nepl ar,[jL£i(uv passen würde,
in dem von „günstigen und ungünstigen Tagen" nirgends die ßede ist.
Das Buch r.. a. ist überhaupt kein Exzerpt, sondern ein in seinen
Hauptteilen gut geordnetes Original, mit schönem, wohldurchdachtem
Vorwort; die Orduungslosigkeit innerhalb der Hauptteile ist zum großen
Teil durch nachträgliche Einfügung von Citaten aus Arat entstanden.
Arat kann also Ps.-Theophr. nicht benutzt haben und ebensowenig
dessen angebliches Original.
Noch ohne Kenntnis der Kaibelschen Kritik hat Di eis die kleine
Abb. No. 380 geschrieben. Im Anfang weist er auf einige Fragmente
vorsokra tischer Philosophen hin, die wir dem Londoner medicinischen
124 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Papyru3 verdanken (s. Ber. I 176 ff.)- ""'i bemerkt dann, daß das an-
gebliche Fragment des Farmen., welches Couvreur Rev. d. philol. 1893
S. 108 (s. unter No. 139) bei Proklos in Cratyl. entdeckt haben will, nach
einer Erinnerung Zellers sich nicht auf den Eleatsn, sondern auf Piatons
Parm. (142A) bezieht. Dagegen findet sich ein neues Demokrit-
fragment, auf das D. durch F. Cumont hingewiesen worden ist, bei
dem anonymen Verf. des Dialoges Hermippus S. 25, 7 Kroll -Viereck.
Die von D. abgedruckte Stelle ist zwar kein wörtliches Citat, hat aber
die atomistische Anschauung über die Einwirkung der in der Luft
schwebenden Däraonenbilder auf die menschliche Seele treu bewahrt.
Die Worte veypoic xai [xueXor? lY^ai)yi[i.evouc avs^eipstv xa'. dvaTrXcxTTSiv tÄ?
<}^u"/aj rj|X(ö VEi; auxou; oia xs ipXeßäiv xat apTrjpiwv xai autoü xoü e7X£(paX.ou xal
lj.£5(pi xaiv (jirXa7^v(üv ßir^xovxa? erinnern stark an das E'/xaxaß'jaaoüJÖai xa
ei'StuXa 8ta xcüv Tiopcov eis xot aiüjxaxa Demokrits bei Plnt. qu. sympos.
VIII 10, 2. Das neue Fr. ist eine genauere Ausführung zu Sext.
math. IX 19 über Demokrits Dämonenglauben. D. scheint den Nacht-
seiten der menschlichen Natur eine bei seinem Rationalismus auffallende
Vorliebe zugewandt zu haben. E. Maaß hat, wie D. glaubt, bewiesen,
daß Ps.-Theophr. ti. TrjjjLetwv und Arat auf ein ausführliches Wetterbuch
Demokrits zurückgehen.
Berthelot ist geneigt, die Mitteilungen bei Seueca und Laert.
über mehrere demokiitische Schriften, die von Steinen, Metallen u. s. w,
handelten, sowie die Nachricht Olympiodors über eine aus 4 Büchern
bestehende Schrift des D. de elementis auf alte und zum Teil echt
demokritische Werke zu beziehen. Er beruft sich für diese Annahme
auf die Nachrichten des Laert., Diodor und Clem. über weite Reisen
Demokrits, die er für ebenso authentisch hält wie die Mitteilung, D. habe
über die heiligen Schriften der Chaldäer und von Meroe geschrieben (!).
Die Umwandlung des D. in einen Magiker sei nicht nur durch Plinius
und die griechischen alchimistischen Schriften, sondern auch in dem
magischen Ritual der ägyptischen Papyri von Leyden bezeugt; es habe
also auch in Ägypten in den eisten christlichen Jahrhunderten eine
solche Tradition geherrscht. Unter den verschiedenen alchimistischen
Rezepten, die in dem von Pizzimenti Padua 1573 herausgegebenen
Buche Democriti Abderitae de Arte magna (identisch mit den Mystica
es Physica, nicht, wie Mullach Dem. fragm. S. 158 f. will, davon ver-
schieden) vereinigt sind, ist nach B. die am Anfang stehende Anweisung,
mit Purpur zu färben, ein altes Fragment, das vielleicht auf einige der
von Laert., Petron. und Seneca augeführten Abhandlungen zurückgeht.
Das dann folgende Stück über Demokrits Rückkehr aus der Unterwelt
steht vielleicht im Zusammenhange mit seiner Lehre von den Götter-
idolen und den Träumen. Das übrige zerfällt in drei Partien, von
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 125
denen die alchimistische apokryph und am jüngsten, aber doch älter
als das 4. Jahrhundert n. Chr., die magische, ebenfalls apokryph, aber
älter als Plinius ist, und die technische, vielleicht die älteste, an D.
oder vieiraehr an seine Schule anknüpft. Über die 4 Bücher über
Färben auf Gold, Silber, Steine und Purpur berichtet uns Synesius,
der vor 389 schrieb, und Zosimns (etwa zur Zeit Konstantins oder Dio-
kletians, vielleicht noch älter); für diese istPs.-Dem. schon eine Autorität.
Die fälschlich dem D. beigelegten Betrachtungen über die Natur von
dem Mendesicr Bolus: XeipoxfxiQTa d. h. „manipulationes" hält Plinius
für authentisch; vielleicht hatte D. Abhandlungen dieser Art wirklich
geschrieben ('?), mit denen man dann die seiner Nachahmer verbunden
hat. Bolus, dem u. a. auch das pseudodemokritische Buch ti. ao|XT:a\>et(üv
xat avTii:aBetuiv zugeschrieben wird, scheint kein absichtlicher Fälscher
gewesen zu sein, sondern sich zur Schule des D. gerechnet zu haben
(vgl. Steph. Byz. BtlSXo; 6 ilr,[j,oy,piTeio;) ; er lebte spätestens zur Zeit
Christi. Auf ein ähnliches Werk gehen wohl auch die demokritischen
Vorschriften in den Geopouica zurück [vgl. auch die mir nicht zuge-
gangene Collection des ancieus alchimistes grecs par Berthelot et
C. E. Ruelle B. I Paris 1888]. — Diesem Versuche des französischen
Chemikers , in dem Wüste der unter Demokrits Namen überlieferten
alchimistischen und - magischen Werke gewisse Reste echt demo-
kritischen Schrifttums zu entdecken, fehlt es an der rechten kritischen
Methode.
Tannery giebt eine Reihe von Erklärungen zu dem pseudo-
demokritischeu Traktat Pbysica et Mystica und bemerkt, daß Synesius
vier alchimistische Bücher Demokiits anführt, von denen nur zwei, die
über Gold und Silber, erhalten sind; dazu kommt noch ein von Synesius
nicht gekanntes 5. Buch Demokrits, das dem Leukipp zugeeignet ist.
Viel besonnener als Berthelot verfährt Gern oll. Er geht
(S. 107 — i27) sämtliche Stellen der Geoponica durch, die dem D. bei-
gelegt werden oder in denen er erwähnt wird, und legt dar, daß
Mullachs (8. 150 &.) Beweise für den demokritiscben Ursprung von
13 Stellen auf sehr schwachen Füßen stehen. G. selbst nimmt mit
Meyer Gesch. d. Botanik S. 17 ff. an, daß das -/eoip^ix^v ebenso wie
die Schrift ir. (Jv-nraOÄv oder ir. oüixuaOeiuiv xat avTiTtai^eiüiv , aus der
wohl ein Teil der Stellen in den Geop. stammt, ein Machwerk des
Bolos sei, das wahrscheinlich einen Teil von dessen 67iO|xvT][xcxTa gebildet
habe. Auch glaubt er, daß die Geop. nicht aus der Schrift des D.
r. JU1X-. X. dvTiT:. , sondern aus der des Neptualius [s. jedoch zu
No 384] TT. TüJv xat dvn'raöeiav xat aufiTtdöetav geschöpft haben. Da
das pseudodemokritische -^ccop-ftxov nach Laert, nicht melir erwähnt wird,
so ist es vermutlich in ein Geopouicorum corpus aufgenommen worden.
126 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.")
wohl dasselbe wie das des Anatolius. Anf dieses würden dann sämtliche
dem D. in den Geop, zugeschriebenen Stellen zurückgehen.
Zu einem nicht wesentlich verschiedenen p]rgebnis gelangt
Oder in seiner trefflichen Untersuchung, obwohl er die Methode
Gemolls für verfehlt erklärt. Unter den zahlreichen Qnellen-
schriftstellern, die Anatolius, die nächste Quelle der Geop. (su
anch Gemoll) benutzt hat (doch schöpft er seine Kenntnis Demokrits
nicht unmittelbar aus diesem, sondern aus Apuleius und Africanus), wird
D. im Texte am häufigsten angeführt und zwar in 21 Eklogen. In
diesen sind dem Inhalte nach zu unterscheiden: a) Astrologisches;
b) mystisch-magische Mittel auf grund von Sympathie und Antipathie;
c) Veterinärkunde; d) Landwirtschaftliches. Gruppe b geht auf Ps.-
Demokrits Buch tt. oufjnr. x. »vtitt. zurück. Ekl. XV 1 deckt sich mit
den Bruchstücken zweier von Gemoll Striegau 1884 herausgegebenen
Traktate über denselben Gegenstand. Der Verf. des ersten ist nach
Haupts (Opusc. III 279) glänzender Emendation nicht Neptualius,
sondern Neptunianus, wahrscheinlich ein Zeitgenosse Tatians, der des
zweiten scheint ein Fälscher unter Demokrits Flagge zu sein, obwohl
dem Traktate Demokrits Name auch nur als Vermutung eines Späteren
hinzugefügt sein kann. Das Sympathiebuch wird dem D. bereits im
Altertum einstimmig von allen Kritikern abgesprochen, und bei Thrasyll
fehlt es gänzlich. Wenn dieser andere unzweifelhaft gefälschte Schriften
vne die yetpoxpLYjTa -q TrpoßX%aTa in seinen Katalog aufgenommen hat
(die ÖTrOfjLVTjfxaTa rjB^txot, zu denen die yeipoxfjLY)Ta gehörten, bestanden wohl
nicht aus 9, sondern aus 10 Spezialschriften, da man zu den 9 von
Thrasyll aufgezählten die u7ro[j.vrjfi,aTa noch als besonderes Buch hinzu-
nehmen muß [?]), so erkannte doch auch er unechte Bücher Demokrits
als solche an; vgl. die Schlußbemerkung des Verzeichnisses Laert.
IX 49 wo in der Wendung xa oo^ioii 6|j.oXo-cou[x£vcuc ejtIv aXXorpta zu
liegen scheint, daß er selbst angezweifelte Schriften seinem Kataloge
eingereiht hat. Die Notiz bei Suidas , die dem D. nur den fxs-j-a;
oiaxoa!J.oc und Tcepl cpujcio? xojjjlou als echt läßt, hätte Rhode nicht
ernst nehmen sollen; es war dies ein arger Streich eines „Spaß-
vogels". — 0. vermutet dann, daß es Kallimachos war, der den Bolos
als Fälscher demokritischer Schriften ermittelt hat und zwar in den von
Suidas erwähnten Tzi\ak xcSv AifjixoxpiTou -[■Xwaocuv xal ouvTa7}jLaTa)v. — Die
meisten Citate aus D. in den Eklogen können auf das von Thrasyll ange-
führte Buch tt. 7£tup7tY]c t) 7e(üp7ixov zurückgehen, das aber ebensowenig
echt war wie das über Sympathie und Antipathie. Höchstens könnte
einiges Echte aus Demokrits Schriften darin gewesen sein, das dann
nach Thrasylls Ausdruck ex xcüv auxou oiscxeucstaxai. Daß auch dieses
Bach als ein Erzeugnis des Bolos angesehen wurde, scheint aus Colu-
Bericht über die griecbisclien Philosophen vor Sokrates, (Lortzing.) 127
mellii XI 3, 2 hervorznaehcn. — Zu der üderschen Abh. bemerkt
Diels Arch. IV 118, da Bolos auch als Pythag-oreer bezeichnet werde,
dürfe man vielleicht auch bei der pythagoreischen Litteratnr, die unter
Deniokrits Flagge segelte, au ihn denken. — Vgl. auch den von Oder
bearbeiteten 25. Abschnitt in Suseraihls Gesch. d. gr. Litt, in dor
Alexandrinerzeit I (Leipzig 1891) S. 835 f.
h) Zu Demokrits Fragmenten.
385. P. Xatorp, Die f]thika des Deniokritos. Text und Unter-
suchungen. Marburg, Ehvert 1893. VII, 198 S. 8.
386. Demokrits ethische Fragmente ins Deutsche übertragen von
K. Vorländer. Ztschr. f. Philos. 107 (1896), S. 253—272.
387. A. Ammon, Der Philosoph Dem. als Stilist. Xenien, der
41. Philologenvers, dargeboten vom hist.-philol. Verein. München,
Lindl, 1891. S. 3—11.
388. P. Thomas, Zu Demokrit Fr. 103 (Stob. fl. ed. Mein IV
p. 160j. Rev. de l'instr. pnbl. en Belg. 31 (1888) S. 231.
389. H. Useuer, Variae lectionis specinien primum. Jahrb. f.
kl. Ph. 139 (1889) S. 369—397.
390. S. Mekler, Lucubrationum criticarum capita quinque. Sep.-
Abdr. aus dem Jahresb. d. Obergymnasiums im XIX. Bezirke Wiens.
1894/95. 18 S. gr. 8.
Natorps Ethika sind in doppelter Hinsicht für die Demokrit-
forschuu^ von großer Bedeutung. Bis dahin hatte es sowohl an einer
gründlichen Untersuchung der Ethik Demokrits vi^ie auch an einer den
heutigen Anforderungen der Wissenschaft einigermaßen entsprechenden
Ausgabe der ethischen Fragmente gefehlt. Diese Lücke ausgefüllt zu
haben ist Natorps Verdienst. Der 1. Hauptabschnitt enthält: a) das
Verzeichnis der ethischen Schriften bei Laert.; b) die Doxographie über
das TtXoz des D. und seine Schule; c) die Sammlung der Fragmente.
Die Neubearbeitung des Textes ist zwar nicht frei von Mängeln, aber
sie läßt die MuUachsche weit hinter sich und ist sicherlich dazu an-
gethan, einer künftigen abschließenden Rezension als Grundlage zu
dienen. Für die in der psendodemokratischen Sammlung enthaltenen
Brnchstücke hat N. den cod. Palat. 356 neu verglichen, ohne freilich
daraus erheblichen Gewinn zu ziehen. Was die bei Stob, über-
lieferten Fragmente anbetrifft, so bot N. für die sogen. Eklogeu Wachs-
maths Ausgabe einen gereinigten Text, während er für das sogen.
Florilegium auf die unzureichenden Ausgaben von Gaisford und Meineke
angewiesen war. Leider ist Natorps Verfahren iu der Auswahl der
128 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokratcs. (Loitzing.)
kritischen Anmerkungen sehr ungleichmäßig; während bei manchen
Fragmenten geringfügige Abweichungen unter dem Strich erwähnt
werden, fehlt anderwärts, selbst bei erheblichen Änderungen, jede kritische
Note. Neu hinzugekommen sind 7 bei Mull, fehlende Bruchstücke, von
denen 5 mit Recht Aufnahme gefunden haben: 12 (aus Laert. 1X45'),
29 (s. meine Abh. S. 25), 37 a = fr. var. arg. 8 MuH., 120 (aus Seneca),
das sich von 211 hinreichend unterscheidet, um als selbständiges
Fragment zu gelten, und 184 = fr. spur. 5 Mull., das N. nach meinem
Vorgange wieder in eein Recht eingesetzt hat. Sehr zweifelhaft da-
gegen erscheinen mir Fr. 3, ein stark stoisch gefärbter Bericht des
Diotimos über Demokrits ethisches Prinzip, und das auf grund
einer unsicheren Vermutung Ritters und Useners (Epic. S. 118, 19)
aufgenommene Fr. 86 a. — Der Sammlung der Fragmente sind zwei
Anhänge beigegeben. Der erste handelt über den Dialekt der Frag-
mente und enthält eine ziemlich erschöpfende Zusammenstellung der Be-
sonderheiten dieses Dialekts auf dem Gebiete der Laut- und Formen-
lehre. N. hat mit dieser Übersicht einen guten Grund zu einer
Darstellung des demokritischen Dialekts gelegt; aber es ist freilich nur
ein Anfang. Nicht allein, daß manche Einzelheiten noch einer genaueren
Feststellung bedürfen, es steht auch noch eine Untersuchung der lexi-
kalischen und syntaktischen Eigentümlichkeiten Demokrits aus. Sehr
wichtig, auch für die Frage der Echtheit, wäre eine Sammlung der, wie
es scheint, ziemlich zahlreichen ai:a$ Xs-j'o'fjLsva oder selten vorkommen-
den "Wörter und der D. eigentümlichen Wendungen. Eine treffliche
Unterlage für solche Untersuchungen würde das den zweiten Anhang
bildende Wortregister bieten, das mit großer Sorgfalt angelegt ist.
Der zweite Hauptabschnitt bringt „Untersuchungen über die Ethik
des D. und ihre Fortwirkung in der philosophischen Ethik der Griechen".
Im 1. Kap.: „Die Überlieferung des D." wird zunächst auf die Gleichartig-
keit der doxographischen und auf die Güte ihrer gemeinsamen Quelle hinge-
wiesen. Die doxographische Tradition steht aber mit den überlieferten
Fragmenten im Einklang und hat ihren Ursprung wahrscheinlich in den-
selben ethischen Schriften des D., aus denen die ältere von Stob, und von
Ps.-Dem. benutzte Spruchsammlung geflossen ist. Über die Zahl und
Beschaffenheit dieser ethischen Schriften stimmt N. im wesentlichen meiner
Auffassung bei. Sehr unsicher dagegen erscheint mir die Annahme Natorps,
die uTToörjxat seien identisch mit der TpiT07£V£tTf) des Thrasyllschen Ver-
zeichnisses, die nach den in den Iliasscholien zur Erklärung ihres Titels
angeführten drei Kategorien: eu XoYiCsaSai, xaXüic Xe^st"^ und opOwc TcpatTstv
geordnet gewesen sei. Das letztere könnte selbst dann nicht mit
Sicherheit behauptet werden, wenn der Titel und die Deutung wirklich
von D. herrührten (s. Zeller 930, 4). Was N. S. 59 f. über das Ver-
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 129
hältnis der Gnomen des sog. Demokrates zu der Sammlang ex xwv
JLT)|jLoxpt-ou 'IjoxpaTouc 'ErixTr^Tou (vgl. Sehen kl Sitz.-B. d. Wiener
Ak. B. 105, 465 ff. und desselben Ausgabe des Epiktet) sowie über
die Wertlosigkeit dieser Sammlung und der späteren Gnomologien tlber-
hanpt, die alle aus einer gemeinsamen, am besten durch das Gnomol.
Parisiuum repiäsentierten Quelle stammen, an der Hand von Mitteilungen
Elters ausgeführt hat, ist durchaus zutreffend.') Am Schlüsse dieses
Kap. bespricht X. das Verliältnis unserer Fragmente zu den älteren
Elegikern und lambographen, Demokrits Vorgängern in der ethischen
Reflexion. Hierbei stellen sich besonders zahlreiche Beziehungen zu
Theognis heraus, aber auch zu Selon, Archilochos, Simonides v. Amor-
gos u. a. Diese Beziehungen sind zum Teil polemischer Art; aber
noch häufiger knüpft D. an seine Vorgänger direkt an, wie in den Be-
trachtungen über Reichtum und Armut, über Erziehung, über die Not-
wendigkeit des Maßes im Handeln. Mit Recht sieht X. in diesen
Übereinstimmungen eine der Stützen für die Echtheit unserer Frag-
mente. — Das 2. Kapitel: „Über die Form der Demokritgnomen"
enthält einen wertvollen Beitrag zur Stilanalyse. Es werden zunächst
die verschiedenen Formen, in denen sich die ethische Reflexion bewegt,
besprochen, und es wird dargethan, daß sich die einfachen Grundformen
der bloß thatsächlichen- Beobachtung, des Werturteils und, wenn auch
viel seltener, der direkten Paränese im ganzen gleichmäßig wiederholen.
Eine besondere Eigentümlichkeit des D. ist es, daß er seinen sittlichen
Urteilen eine möglichst abstrakte Gestalt verleiht, während er anderer-
seits wieder eine starke Neigung zeigt, das Abstrakte des Gedankens
durch Personifikation oder sachliche Veranschaulichung konkret zu
machen. Es schließen sich hieran einige weitere Beobachtungen,
von denen wir nur die folgende erwähnen. Wenn sich auch bei D.
genug Antithesen finden, so hält er sich doch von einem künstlichen
Parallelismus fast durchweg frei , ja ia manchen Fragmenten ist
die strenge Entsprechung der Glieder wie absichtlich vermieden
worden, oder sie ist bloßer Schein. — Eine Ergänzung dieser Beob-
achtungen bieten die dem Buche als Anhang (S. 180 ff.) beigegebenen
Untersuchungen Birts „über den Stil der Ethika". B. weist nach, daß
D. die Kola mit Vorliebe rhythmisch gestaltet und dabei abweichend
von der verfeinerten Rhetorik eines Isokrates und Demosthenes gerade
die der gemeinen Metrik angehörenden Versfüße gehäuft hat. Besonders
bevorzugt werden der Daktylus und Anapäst; fast gleich häufig treteu
*j Ein näheres Eingehf>n auf die Ergebnisse der inzwischen weiter-
geführten umfassenden Untersuchungen Elters über die griechische
Gnomologienütteratur behalten wir uns für d^n nächsten Jahresbericht vor.
Jahrfisbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. T.) 9
130 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
iambischeund trochäische Kola auf, daneben auch nicht selten logaödische
Kola und Cretici. Daß hier nicht Zufall, sondern Absicht herrscht»
beweist die Häufigkeit der Belege sowie der Umstand, daß in einzelnen
Fällen offenbar dem Rhythmus zuliebe die Wortstellung verschränkt
worden ist. Demokrits Rede nähert sich dadurch oft der strophenlosen
Lyrik und wird dithyrambisch. Eine Parallele hierzu bieten die von
Piaton als gorgianisch gekennzeichnete Rede des Agathon im Symposion,
der pseudolysianische Epitaphios und besonders die auch im Inhalt
mehrfach an D. anklingende pseudoisokratische Schrift an Demonikos.
Birts Verfahi-en unterscheidet sich von ähnlichen Versuchen, wie sie
z. B. Blaß mit Demosthenes und mit Aristoteles' 'Aör^vattuv TroXtrsia an-
gestellt hat, vorteilhaft dadurch, daß die rhythmischen Kola aus dem
überlieferten Texte meist ungesucht und ohne jede Änderung gewonnen
werden. Mag man im einzelnen gegen seine Konstruktion manches
einwenden, so macht doch die Fülle der unverdächtigen Belege den
Eindruck, daß es sich hier nicht um eine rein zufällige Erscheinung
handelt. Bemerkenswert ist auch, daß sich bei Herodot, wie B. hervor-
hebt, und bei Heraklit, wie ich auf grund genauer Prüfung hinzufügen
kann, rhythmische Kola nur ganz vereinzelt herstellen lassen. — Auf
einen Widerspruch in der Beurteilung des demo kritischen Stils zwischen
Natorp und Birt macht K. Vorländer in seiner Besprechung der
„Ethika" (Ztschr. f. Philol. 106 [1895], 285 ff.) aufmerksam: N. betont
S. 85 ff. die Naivetät des Schreibers, die Abneigung gegen alle Rhetoren-
künste, während Birt S. 180 von einer gewissen Durchdachtheit redet
(vgl. S. 187: „Staffel der gorgianischen Halbkunst"), Gregen Natorps
Auffassung erklärt sich Di eis in seiner Rezension (D. L.-Z. 14 [1893],
1288 ff.): D. sei so wenig naiv, daß er vielmehr die ionische Kunst
abschließe wie etwa Piaton die attische. Vgl. auch Ammon (No. 387).
Zu dem von Birt S. 185 in Fr. 79 bemerkten Spiele mit Parono-
masien weist Diels auf Heraklit Fr. 91 hin, das von D. nachgeahmt
worden sei.
Im 3. Kap. „Grundzüge der Ethik des D. nach der Über-
lieferung" wird zunächst das Prinzip der demokritischen Ethik be-
handelt. D. geht von der Erscheinung der Lust und Unlust als dem
Nächstgegebenen aus, gelaugt aber von dieser Grundlage aus nicht, wie
die Kyrenaiker und Epikur, zum Hedouismus, sondern erhebt zum
Prinzip die Euthymie, die nicht aus der Lust an sich, sondern aus der
Begrenzung und Unterscheidung der Lüste entsteht. Nur die Lust am
Guten erscheint ihm wahrhaft erstrebenswert, die sinnliche Lust da-
gegen unwahr; ja in Fr. 6 wird geradezu das d^a^ov dem dXTjfte« ent-
gegengesetzt und als das stets sich gleich bleibende dem je nach der
Individualität der Menschen wechselnden rjö-j entgegengestellt. Diese
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 131
Auffassung steht mit Demokrits erkenntuistheoretisclier Unterscheidung
der 7V7]cjiTi und axo-iT) 7vcu|i.r) im besten Einklänge. Daher riiamt er
auch den Gütern der Seele den eutschiedonen Vorzug vor denen des
Leibes ein und macht die Seele für das Wohl des Leibes verantwort-
lich. Das eigentliche Uuterscheidungsprinzip für unser Handeln aber
ist nach D. die «ppo'vTjaic. In den Fragmenten erscheint daher mehrfach
die Erkenntnis der "Weisheit als das höchste Gut und wird mit der
a9a|xßiT) (= £'ji)u[xiT)) in engste Verbindung gesetzt. Ja in Fr. 36 wird
geradezu als höchste Lust die Theorie gepriesen. Man sieht daraus,
daß D. wie Piaton die Erkenntnis als die eigentümliche Kiaft der Seele
gedacht hat. Bei dieser Höhe der sittlichen Auffassung ist es nicht zu
verwundern, wenn er den Kern des Sittlichen nicht io äußerem Thun,
sondern im Innern des Bewußtseins, in der Gesinnung sucht, und wenn
sich bei ihm so reine und erhabene Aussprüche finden wie der, daß
man der eigenen Seele zum Gesetze machen müsse, nichts Unrechtes
zu thun (Fr. 43), und der andere: 6 dSixewv toü dotxouixevou xaxoSatpLo-
veatepo; (Fr. 48), von denen der zweite ganz platonisch lautet. Negativ
gefaßt bedeutet die demokritische Euthymie die Freiheit von der Un-
ruhe der Begierden und Leidenschaften, die drapa^ty). Doch verfällt
D. dabei nie in das Extrem der skeptischen Apathie oder Adiaphorie-,
er fordert nicht Unterdrückung, sondern Beherrschung der sinnlichen
Triebe und ihre UuterwerfuLg unter Norm und Gesetz, das ijov und
{xerpiov im Gegensatz zur GirepßoXTQ und l'XXet^j^i«, die ap{j.oviT) und ^ujxjxs-
Tpi'r). Er bekämpft daher entschieden jedes Unmaß und empfiehlt ein-
dringlich Enthaltsamkeit und Selbstbeheiischung. Diese aus einem ein-
heitlichen Grundgedanken hervorgegangene Ethik, die trotz ihrer idealen
Zuspitzung doch mit dem Ganzen des Systems und zwar nicht nur mit
der Erkenntnislehre, sondern auch mit der Physik zusammenstimmt,
darf man nicht mit Zeller (935) nur als „eine Reihe vereinzelter Beob-
achtungen und Vorschriften* betrachten, sie zeigt vielmehr ein ent-
schieden systematisches Gepräge, wenn sie sich auch nicht in der Form
eines strengen Beweiseanges bewegt. Auch im zweiten Teil der Frag-
mente (von 99 an), der nach N. der Schritt Tpixo-feveiVj entstammt und
demgemäß nach den drei S. 128 angegebenen Kategorien geordnet worden
ist, fügen sich die einzelnen „Regeln der Lebenskunst", obwohl mit dem
Prinzip nur in einem losen Zusammenhange stehend , in ein einfaches
System, das einen bestimmten Kreis von Fiagen umspannt. Weitaus
am zahlreichsten sind die das dpdw; TTpatTstv betreffenden Aussprüche;
sie entiialteu außer einigen Sätzen allgemeinerer Art eine spezielle
Pflichttnlehie, die mit den Pflichten des öffentlichen Lebens beginnt,
und sich dann zu denen des Privatlebens wendend nach einander die
Familie, die Erziehung, die Jugend, das Alter, die Freundschaft und
132 Bericht über die griechischen Philosophea vor Sokrates. (Lortzing.)
die Unigangspflichten behandelt. — Es ist N. gelungen, im großen und
ganzen in den überlieferten Fragmenten einen einheitlichen Charakter
und inneren Zusammenhang sowie eine trotz des materialistischen Prinzips
unverkennbare Hoheit der sittlichen Anschauung nachzuweisen, die uns
bei einem vorplatonischen Philosophen in Erstaunen setzen müssen. Es
fragt sich aber, ob die von N. entworfene Zeichnung in allen ihren
Zügen, ja ob sie auch nur in ihren Grundlinien völlig zutrifft. Zu-
nächst scheint mir N. zu weit zu gehen, wenn er auf grund einzelner
Fragmente, deren Zusammenhang uns unbekannt ist, die Ethik Demo-
krits, wenigstens in ihrem Endergebnis, mit dem Idealismus Piatons fast
völlig znsammenfallen läßt. Wo bleibt da die doch unleugbar hedoni-
stische Giundlage, die in Fr. 1 und 2 so unzweideutig ausgesprochen
wird? In der That kommt in den längeren, mehr argumentieren-
den Bruchstücken die Begründung der sittlichen Vorschriften meist
darauf hinaus, daß uns das rechte Handeln vor der Unlust und den
Unannehmlichkeiten, die mit dem unrechten Handeln verbunden sind,
bewahrt und uns größere Lust gewährt; vgl. Fr. 47, 52, 53, 130, 163,
203 und ganz besonders 178 und 180 — 182. Dies ist eine Auffassung
des Sittlichen, die sich von der platonischen wesentlich unterscheidet.
Auf der andern Seite ist nicht zu leugnen, daß D, das Übermaß der Lust
bekänipft und der geistigen Lust vor den sinnlichen Lüsten den Vorzug
giebt, ja manche von diesen, wie den LiebesgenuG, fast zu verwerfen
scheint. Auch ist allem Anscheine nach diese Unterscheidung nicht
erst das Schlußergebnis seiner ethischen Betrachtungen, sondern von
vornherein schon in der Grundlegung der Lehre enthalten gewesen und
hat auch in den von ihm für die Lustgefühle angewandten Bezeich-
nungen ihren sprachlichen Ausdruck gefunden. Schon vor langer Zeit
hat sich mir die Beobachtung aufgedrängt, daß bei D. -fjoovr^ (Gegen-
satz XuTUTQ, ötr^oiVj), fjoaoöat, rß6 entweder die Lust im allgemeinen oder
wie in Fr. 63, 157, 220 die niedere Lust im besonderen bedeutet,
während der in den grundlegenden Frr. 1 und 2 gebrauchte Terminus
T£ptj>ic (Gegensatz a-:zpru-t]) sowie -IpTrstv, Tcpitsjöai, rspjrvov, eTiiTcpriQ?
(Gegensatz dxepTzr,?) fast nur da vorkommen, wo von der höheren Lust
die Rede ist und nur zweimal (53 und 56) gleichbedeutend mit i^Bo^ri
erscheinen. Hiernach wäre also T£p'|i? der technische Ausdruck für die
geistige Lust, nicht, wie N. S. 98 annimmt, yapr^, das sich nur einmal
(47, sonst nur noch yaipstv 61 und 220) findet. — Durch die Darlegung
der Grundzüge von Demokrits Ethik soll zugleich die Eeihenfolge der
Fragmente in der Natorpschen Sammlung gerechtfertigt werden. Sicher-
lich liegen diese bei X. in einer klaren und verständigen Anordnung
vor, die sich von der wirren Zusammenstellung bei Mullach vorteilhaft
ausnimmt. Ob indes in dieser neuen Gestalt die ursprüngliche Gliede-
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 133
rung auch nur aunähernd wiedergegeben ist, bleibt sehr zn bezweifeln.
Das oben ausgesprochene Bedenken gegen die Ansicht Natorps über die
Dreiteilung der TptTOYeveiTj wird dadurch verstärkt, daß in der vorliegen-
den Rekonstruktion die Kubrik suXoYiI^e^ftai sowie der Abschnitt, der
das ^pBüi; rpaT-retv im allgemeinen behandelt, sehr dürftig bedacht sind.
Diese Ausstellungen berühren jedoch das wesentliche Ergebnis der
bisherigen Untersuchung nicht, wonach die ethischen Fragmente sprach-
lich wie inhaltlich ein einheitliches und so eigentümliches Gepräge
tragen, wie es ein Fälscher ihnen nie hätte verleihen können, und da-
her als ursprüngliches Eigentum des Abderiten zu betrachten sind. Eine
weitere starke Stütze erhält dieses Ergebnis durch die Vergleichung
mit späteren Systemen, die die letzten fünf Kapitel ausfüllt. N.
zeigt zunächst, daß die „Abderiten" des Clemens (Strom. II 21), Heka-
taios, Nansiphanes, Diotimos und Apollodotos in ihren ethischen Prin-
zipien sämtlich auf die Grundlehre des D. zurückgehen, und geht dann
auf das Verhältnis Epikurs, Aristipps, der Skeptiker (Timon und Aine-
sidemos) und schließlich Piatons zur demokritiscben Ethik ein. Wir haben
bereits oben (S. 116 vgl. S. 112 ff.) das Wesentliche aus diesen Unter-
suchungen angeführt und dem Verfasser darin zugestimmt, daß namentlich
bei Epikur und zum Teil auch bei Aristipp eine stärkere Anlehnung an
D. zu erkennen ist, als man bisher geglaubt hatte (bei den Skeptikern
ist eine solche Abhängigkeit kaum bestritten worden); nur bei Piaton
schienen uns die zahlreichen Anspielungen auf die Sittenlehre des Ab-
deriten, die N. aufgefunden zn haben glaubt, unerweislich und eine
innerliche Abhängigkeit von dieser Lehre vollends unwahrscheinlich.
Nimmt man zu diesen schwerwiegenden Beweisen noch die neuerdings
aufgefundene direkte Erwähnung der e'jttufxia bei Epikur hinzu (s.o. S. 114 f.),
so erscheint uns ein etwaiger Zweifel an der Echtheit der uns über-
lieferten Ethika Demokrits (s. S. 121) nunmehr völlig ausgeschlossen.
Dies gilt natürlich nur von der Hauptmasse der Fragmente. Daß sich
N. bei der Entscheidung über die Echtheit einzelner Fragmente skep-
tischer hätte verhalten sollen, ist bereits S. 128 bemerkt worden. Wenn
aber Di eis (a. a. 0.) behauptet, die abderitische Schule sei im 4. Jahr-
hundert reich an ethischer Produktion gewesen, und die Art der Schul-
überlieferung mache eine Scheidung der einzelnen Autoren aussichtslos,
so soll die Möglichkeit, daß die Sammlung der ethischen Aussprüche
Demokrits durch einzelne Zusätze seiner Schüler bereichert worden sei,
nicht bestritten werden; aber die weitaus größte Zahl der Fragmente
verrät doch einen so individuellen und einheitlichen Charakter, daß sie
nur dem Geiste des einen D. entsprungen sein kann. — Vergleiche außer
den schon angeführten Besprechungen von Diels und Vorländer die von
R. Ausfeld N. Philol. Rundsch. 1894 No. 22, G. v. Hertling Philos,
134 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Jahrb. der Görresgesellsch. 1896, 70 ff., E. Wellmann Arch. VIII
296 ff. sowie meine Rezension Berl. Ph. W.-Schr. 1894, 936 ff. und
993 ff. — Vor länders Übersetzung, die sich mit geringen Ausnahmen
an Natorps Text anschließt, ist mit großer Gewandtheit geschrieben
und hält im allgemeinen die rechte Mitte zwischen Worttreue und einem
guten, lesbaren Deutsch.
Ammon beginnt mit einer Anführung der Äußerungen der Alten,
in denen die Meisterschaft des D. in der Sprache gerühmt wird. Ciceros
Urteil, der ihm d. or. I 49 ornatus orationis zuschreibt und ihn or. 67
mit Piaton wegen seiner der Poesie verwandten Diktion zusammenstellt,
wird durch Dionys. d. comp. verb. c. 24 S. 372 Seh. bestätigt, wo D.
mit Piaton und Aristot. als Verti'eter der xotv^ dpjjLovia, der zwischen
der aujxr-jpa und ^Xatpupoc in der Mitte stehenden Wortfügung, zusammen-
gestellt wird. Auch in dem Abschnitt über die gegenseitige Annäherung
der Poesie und Prosa bei Dionys. c. 25 S. 382 ist unter den aXXot xe ttoXXoi
-wahrscheinlich auch D. zu verstehen. Es liegt am nächsten, als Quelle
dieser übereinstimmenden Urteile Theophr. anzunehmen. Ein Beweis
dafür, daß das musikalische Element in Demokrits Sprache nicht zu-
fällig, sondern beabsichtigt war, ist die fünfte, die Moujtxa enthaltende
Abteilung des Thrassyllschen Verzeichnisses seiner Schriften, in dem
u. a. die Aussprache (opöoeTieiY)) und die Schönheit der Wörter (diese,
nicht die Schönheit der Epen ist mit tt. xkXXogüvyi? ettsojv gemeint) be-
handelt wird. Die beiden letzten Titel sind zu einem zusammenzu-
fassen und so zu lesen: tc. pyjixaTüJV xai ovofxaxtuv oder ovofi.aTix(J5v (vulgo
ir. p. ovo[xaaTix6v, cod. B ovoixaatixoiv). Auch die übrigen vier Titel
lassen sich auf das Musikalische in der Sprache beziehen. Der ge-
rühmte Wohlklang und Rhythmus in den Schriften Demokrits ist daher
wohl als eine Frucht seiner Forschungen anzusehen. — Auf eine ge-
nauere stilistische Analyse der Fragmente läßt sich A. nicht ein; er
begnügt sich mit einigen kurzen Bemerkungen über die zahlreichen
Metaphern in fr. phys. 10, die bewegten Rhythmen in fr. ph. 1 und 2
und die kunstvolle Gliederung (Ttspt'oooc noXuxcuXoc) von fr. ph. 4. — Vgl.
den Bericht von E. Wellmann Arch. VI 271 f.
Thomas ergänzt Fr. 123 N.=103 M. bei Stob, so: nuXXol
opuivTSS <ep7a> xa ala^^iaxa Xoi'ouc xouc ötpioxou; duxeouai. — Usener
verbessert S. 383 in dem auf Demokrits Erkenntnistheorie bezüglichen
Passus bei Sext. math. VII 135 oxe }i.ev st. oxi [lev (Gegensatz ev
6e xoi? Kpaxuvxr]piotf § 136) und ebd. § 137 xpi'vsi st. xivei. Das demokritische
Wort Ixe-^j stellt er in einer Stelle des Oenomaos bei Euseb. pr. ev.
V 27, 3 für El 6e ^e oi her und vermutet dasselbe auch bei Farmen. 1,3:
rj xaxa Tiavx'exsTJ (st. Tiravxa x^) (pepsi eiöoxa (pcüxa [so schon vor ihm
ßergk Ges. Abh. II 68; s. Diels Parm. S. 48]. — Meklers Abb.
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 135
enthält mehrere kritische Beitrage zu den ethischen Fragmenten. —
Mehrere Verbesserungsvorschläge hat auch Goraperz Beitr. zur Kritik
u. El kl. griech. Schril'tst. [s. Ber. I 276] gemacht. Im III. Beitrage
S. 586 f. behandelt er eine Stelle in Fr. 167, wo er statt der ver-
derbten Worte ouSevi fap aXXcu eoixev r^ eauxw xov auTov e'f' exe-
poi3iv -cr/väiöai vorschlägt: t^tm tov aexov et:' epttetoiji fiveaftat
und so erklärt: „Das Schicksal der rechtsprechenden Obrigkeit, die
durch Volkswahl und Rechenschaftspflicht von eben den Übelthätern
abhängig ist, deren Schlechtigkeit sie im Zaume halten soll, wird
mit jenem des königlichen Adlers verglichen, der in die Gewalt des
niedrigen Gewürmes gegeben wäre." Die Konjektur ist geistvoll, aber
doch nicht so evident, daß sie Gomperz Gr. D. 297 wie eine sichere
Emendation verwerten durfte. — Willamowitz Herakles [s. Ber. I 275]
I 91 schreibt in Fr. 25 euporoj; st. suro'ptu; und I 111 in Fr. 47 xa
ypf, edvxa st. ypYieovxa (Nat. ypsovxa). Derselbe führt Her. U ^8,
wie in der ersten Auflage, als Spruch Demokrits einen hippokratischen
vofAo? an und bemerkt auf eine Anfrage von Gomperz, er habe den
Spruch in seinem Handexemplar des Ilippokrates ebenso wie den bei
Hippokr. vorhergehenden als demokritisch notiert, wahrscheinlich aus
Plutarch, könne aber die Stelle nicht wiederfinden.
Diels Atacta [s. Ber. I 276] Herm. 13 S. 1 ff., No. 5 bemerkt
daß die Mitteilung bei Aet. IV 4, 7 und 9, 20, D. habe auch den Toten
noch eine gewisse sinnliche "Wahrnehmung zugeschrieben, trotz der
Leugnuug Ciceros Tusc. I 82 durch folgende Stelle aus Tertullian d. an.
c. 51 (nach Sorau) bestätigt werde: ad hoc et Dem. crementa unguium
et comarum in sepulturis aliquanti temporls (wofür nach D. viel-
leicht zu lesen ist: in sepultis aliquantura temporis) denotat.
c) Zur Lehre Demokrits.
391. K. Modritzki, Die atomistische Philosophie des Demokritos
in ihrem Zusammenhange mit fiüheren philosophischen Systemen.
Progr. d. Stadtgym. zu Stettin. 1891.
392. A. Brieger, Die Urbewegung der Atome und die Welt-
entstehung bei Leucipp und Demokrit. Progr. d. Stadtgym. zu Halle
a/S. 1884.
393. H. K. Liepmann, Die Mechanik der Leucipp-Demokritschen
Atome unter Berücksichtigung der Frage nach dem Ursprung der-
selben. Leipzig, G. Fock, 1886 (ursprünglich als Doktordiss. Berlin
1885 erschienen).
394. A. Goedekemeyer, Epikurs Verhältnis zu Demokrit in
der Naturphilosophie. Strassburg, Trübner, 1897.
136 -Öericht über die griechischea Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
395. Löwenheim, Der Einfluß Demokiits auf Galilei. Arcb.
f. G. d. Ph. VII (1894) S. 230—268.
396. G. Hart, Zur Seelen- und Erkeuntnislehre des D. Leipzig
1886.
397. P, Natorp, Über Demokrits yvtjjiy) Yviupiir). Arch. f. G.
d. Ph. 1 (1888) S. 348-356.
398. V. Brochard, Protagoras et D6niocrite. Arch. f. G.
d. Ph. II (1889) S. 368-378.
399. R. Bobba, La jeitatura secondo Democrito. ßiv. di
filosofia scientifica VI (1887) S. 111 f.
400. F. Kern, Über D. von Abdera und die Anfänge der
griechischen Moralphilosophie. Zschr. f. Philos. Ergänzungsheft 1880.
S. 1-26.
*401. Schanz, Die Atomistik und die christliche Religions-
philosophie. Theolog. Quartalsschr. Tübingen 1891. S. 412 — 454.
Modritzkis Arbeit nennt E. Wellmann im Arch. VI 272 mit
Recht eine wertlose Kompilation. M. hat nur einige moderne Dar-
stellungen benutzt, besonders die von Ritter, an dessen zum Teil ganz
veraltete Auffassung er sich eng anschließt, und außerdem Zeller (in
der 3. Aufl.!). Das Ganze enthält kaum ein eigenes "Wort, geschweige
denn einen eigenen Gedanken des Verfassers.
Für die Kosmogouie der Atomiker sind wir, abgesehen von den
leider nur sehr allgemein gehalteneu Bemerkungen des Aristot., auf die
kurze Darstellung der leukippischen Kosmogonie bei Laert. angewiesen.
Es war daher eine besonders schwierige Aufgabe, der sich Brieger iu
der Abh. No 392 unterzog; um so mehr ist es anzuerkennen, daß es
ihm gelungen ist, durch eine scharfsinnige Untersuchung über die
richtige Auffassung der Bewegung der Atome ein neues Licht zu ver-
breiten. B. unterscheidet scharf zwischen der vor- und außerwelt-
lichen und der kosmogonischen Bewegung der Ürkörper. Jene findet
gleichzeitig mit dieser statt. Die an Gesamtmasse und an Zahl unend-
lichen Atome tummeln sich in dem weltenleeren Teile des unendlichen
Raumes. Unter diesem Getümmel (oivouixeva; bei Laert IX 44) ist
aber nicht eine dem welterzeugenden öivo? gleiche, einheitliche Wirbel-
bewegung des gesamten Atomenheeres zu verstehen, sondern ein wirres
Durcheiuanderfliegen nach verschiedenen Richtungen. Diese Bewegung
steht im geraden Widerspruche zu der von Zeller angenommenen ur-
sprünglich senkrechten Bewegung der Atome, deieu Ursache die Schwere
ist, und aus der sich die Wirbelbewegung erst erzeugt. Allerdings leugnet
auch B. im Hinblick auf die unzweideutigen Zeugnisse des Aristot. und
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 137
Theophr. nicht, daß die Atome Deniokrits Schwere besitzen, und zwar
im Verhältnis zu ihrer (irülJe oder Stoffmasse. Dagegen bestreitet er,
daß die Schwere der Atome die Ursache ihrer Bewegung im Unend-
lichen sei. Er legt die Wertlosigkeit der Angaben des Simplic.
dar, vermutet, daß die Polemik des Aristot. (Phys. IV 8) gegen
die Möglichkeit ungleich schueller Bewegung im Leeren ebenso-
wenig wie die ähnliche Beweisführuug bei Lucrez II 225 ff. gegen
üemokrit gerichtet sei, und entkräftet das Zeugnis des Cicero (d. fat. 23)
durch den Nachweis, daß Cic. sich selbst widerspreche. Hierzu kommen
mehrere Stellen, die die Stoßbewegung und nicht den senkrechten Fall
als die Urbeweguug erkennen lassen, die somit nur als Wirbelbewegung
oder wirres Durcheinandertliegen gedeutet werden kann. Daß sich D.
bei diesem Durcheinanderfliegen die horizontale Bewegung als vor-
herrschend gedacht habe, vermutet B., ohne es beweisen zu können.
Unser im wesentlichen zustimmendes Urteil über diese von der früher
herrschenden Auffassung völlig abweichende Hypothese Briegers soll
weiter unten im Anschluß an den Bericht über die Abb. Liepmanns
näher begründet werden. — I;i dem zw^'ten von der Kosmogonie
baudeluden Teile giebt B. an der Hand des Berichtes über Leukipp bei
Laert. , den er scharfsinnig erläutert, eine zwar in manchen Einzel-
heiten bestreitbare, aber in den Hauptzügen vollständige und die bis-
herige Auffassung vielfach bereichernde und berichtigende Darstellung
der älteren atomischen Lehre von der Entstehung, Erhaltung und Zer-
störung der Welten , wobei sich manche nicht ganz unerhebliche Ab-
weichungen Demokrits von seinem Lehrer herausstellen. Auf die Einzel-
heiten dieser Kosmogonie kann aber hier nicht eingegangen werden.
— Vgl. die Rezensionen von F. Susemi hl Wschr. f. kl. Ph. II 295 f.
und von Lortzing Phil. Anz. XV (1886), 578 ff.
Liepmann entwickelt über die Uibewegung der Atome eine
Ansicht, die sich mit der Briegers im großen und ganzen deckt. Es
ist dies um so bemerkenswerter, als der Verf. seine Arbeit in ihren
Grandzügen schon vor Erscheinen der Briegerscheu vollendet hatte und
erst nachtiäglich auf diese Rücksicht nehmen konnte. Auih er schreibt
den Atomen eine Art von Schwere zu, ohne in dieser die treibende
Kraft und das Prinzip ihrer Bewegung zu sehen; auch er betrachtet
ein wirres und regelloses Durcheinanderfliegen als den ursprünglichen
Zustand und sieht in dieser Urbewegung die letzte begreifbare Ursache
alles Geschehens, über die die Atomiker in ihrer Welterklärung nicht
hinausgingen. Dagegen weicht er von Bi'ieger ab in der Funktion,
die er der Schwerkraft zuteilt. Während jener annimmt, daß die Schwere,
obwohl eine reale Eigenschaft der Atome, doch für ihre Bewegung
gleichgültig sei und somit völlig latent bleibe, läßt L. neben dem rein
138 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
mechanischen Stoß und dem von der geometrischen Gestalt der Atome
abhängigen Sichzusammenfinden des Gleichartigen noch ein dynamisches
Moment bei der Weltbildung mitwirken, ein ßolpo;, das jedoch von jenem
Triebe nach unten, der in Epikurs Kosmogonie eine wichtige Rolle
spielt, wohl zu unterscheiden ist und nichts weiter bedeutet als eine
passive Widerstandskraft gegen das Bewegtwerden oder ,,die von dem
pusixos abhängige Reaktionsweise gegen den Wirbel". Es läßt sich
nicht leugnen, daß diese Auffassung eine größere Wahrscheinlichkeit
hat als die Briegers. Nur ist nicht abzusehen, warum L. die Schwere
der Atome als eine rein passive bezeichnet und dadurch zu einem in
sich unklaren und wesenlosen Begriffe macht (s. Zeller 876, 4), während
doch nichts uns hindert, anzunehmen, daß sie auch aktiv im Stoße und
Gegenstoße der Atome zur Geltung komme. Es hängt dies, mit der,
wie mir scheint, unbegründeten Voraussetzung des Verf. zusammen, daß
D. gemäß der bei den Griechen vorherrschenden Auffassung unter
dem ßcxpo; im eigentlichen Sinne die Fallbewegung verstanden habe
und zu dem Zugeständnis jener „Pseudoschwere" (S. 29) nur gedrängt
worden sei, um die Schwere der zusammengesetzten Körper schon irgend-
wie in den einfachen vorzubereiten (S. 60). Da es für T>. im un-
endlichen Leeren kein Oben und Unten gegeben haben kann, sc darf
auch bei der vor- und außerweltlichen Bewegung der Atome weder an
eine Fallbewegung noch an einen den Atomen wenn auch nur latent
innewohnenden Zug nach unten gedacht werden. Es wird vielmehr
anzunehmen sein, daß sich nach D. die außerkosmische Schwere der
getrennten Atome genau wie die kosmische der zusammengesetzten
Atomgebilde in einer der Größe der Atome proportionalen Kraft der
Bewegung und des Stoßes äußere, nur mit dem Unterschiede, daß sich
im außei weltlichen Räume die Atome nicht nach einem bestimmten
Mittelpunkte, sondern nach den verschiedensten Richtungen hin, die
einen schneller, die anderen langsamer bewegen, während durch die
weltbildende Kreisbewegung des oivoc und dem aus dieser sich ergeben-
den „Kampf um die Mitte" (Brieger S. 19) auch der Schwerkraft eine
bestimmte Richtung gegeben wird, so daß die größeren und schwereren
Atome und Atomverbindungen in die Mitte des Wirbels gerissen, die
leichteren nach der Peripherie gedrängt werden. Zu einer solchen
Annahme hat sich Verf. freilich von vornherein den Weg dadurch ver-
sperrt, daß er den oho^, der doch nur modifizierend auf die Bewegung
der von ihm ergriffenen Atomenmasse einwirkt und insofern die uner-
läßliche Bedingung einer Weltbildung ist, den Atomen erst die Be-
thätigung ihrer verschiedenen Beschaffenheit, also auch der Schwere
entlocken läßt (S. 28 und 52). Auf diese Weise erhebt er ihn nach
dem Vorgange mancher alten Erklärer der Atomistik, die er selbst
Bericht über die griechischen Pliilosriphen vor Sokrates. (Lortzing.) 139
deswegen S. 64 tadelt, zu einem schöpferischen Prinzip und verfällt
damit in denselben Widerspruch, dessen er Brieger zeiht, indem er
den einzelnen Atomen als solchen die Schw3re zwar beilegt, dieser
Kraft aber jede BedcntiUig für die außerweltliclie Beweguni,' der Atome
abspricht. Übrigens macht die ganze Erörterung über die Mechanik
Deraokrits den Eindruck, als ob L. allzu systematisch verfahre und sich
im Gegensätze zu der Selbstbeschränkung Briegers in seinen Re-
konstiuktionsvHi suchen zu weit von dem durch die Quellen Gegebenen
tDtferuen. Es gilf dies besonders von den Betrachtungen über den all-
gemeinen Charaktei- der demokritischen Weltanschauung, die zunächst
auf der festen Grundlage der vom Verf. freilich nicht erwähnten Aus-
♦-inandersetzuntr bei Aristot. d. gen. I 8 beruhen, weiterhin sich aber
in die Höhen moderner Pnilo<ophie und Terminologie verlieren. So sucht
er S. 55 die angeblichen Widersprüche zwischen Demokrits Grundan-
schauung und ^einer Erkläi uiig mancher einzelner Naturerscheinungen,
x. B. des Verharrens der Erde im Mittelpunkte unserer Welt, durch
■den, wie er meint, in der Peison des Abderiten hervortretenden Gegen-
satz des Natniforsclieis und Philosophen zu beseitigen, eine Trennung,
-die für die gesamte voisokratische Philosophie unstatthaft ist. — Einen
ziemlich breiten Raum nimmt die Qnellenunfersuchung ein, die einzelnes
Wertvolle enthält, wie den eingehenden und die Begründung Briegers
vervollständigenden Na<hweis der epikureischen Herkunft der Kosmo-
^onie bei Aer. I 3; im alL-emeinen aber leidet sie an erheblichen
Mängeln. L. hätte sich nicht mit der übrigens unsicheren Scheidung
der Zeugnisse in die überlieferten Kosmogonien als reinste und un-
mittelbarste Quelle und iiie diesen nn^i anderen uns nicht zugänglichen
■Quellen entnommenen XJi teile der Alten begnügen sollen. Es mußten
vielmehr, wie dies Biieiier thut, von vornherein die Quellen nach der
Zuverlässigkeit ihrer Urheber gesichtet werden. Davon aber finden
sich bei L. nur vereinzelte iSpuren. Auch in der Besprechung des Textes
der einzelnen Stellen vermißt mau öfter die rechte Genauigkeit und
Schärfe. Näheres darüber s. in meiner Rezension B. Ph. Wschr. 188G,
1365 ff.
Die Brieger-Liepmannsche Auffassung der Urbewegung hat die
unbedingte Zustimmung von Gomperz Gr. D. 269 ff., von Windel-
band G. d. a. Ph. - S. 57 nnd 100 und im großen und ganzen auch
<lie von Goedekomeyer (s. zu No. 394) gefunden. Dagegen hält
Zell er 872 ff. an der Annahme fest, daß die ursprüngliche Bewegung
■der Atome in dem senkrechten Fall besteht, und sucht die Haltlosigkeit
■der gegnerischen Hypothese ausführlich nachzuweisen. Richtig ist, daß
■ein wirres Durcheinanderfliegen der Atome im Leeren nirgends als
Lehre des D. ausdrücklich bezeugt wird; aber ebensowenig findet sich
140 Beriebt über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.;
ein direktes Zeugnis für die Fallbewegung. Auch Zeller sieht sich
daher, wie seine Gegner, auf ein indirektes Beweisverfahren angewiesen:
er bestreitet die Möglichkeit der von jenen aufgestellten Hypothese und.
schließt aus Äußerungen des Aristot. und anderer Berichterstatter so-
wie aus dem Systeme Epikurs, daß Demokrits Auffassung keine andere
gewesen sein könne als die von ihm angenommene. Die Entscheidung
in dem Streite hängt, wie sich aus den obigen Berichten über Briegers
und Liepmanns Arbeiten ergiebt, zum guten Teil von der Frage ab,
welche Bedeutung die Schwere bei D. hat. Zeller behauptet, niemand
im Altertum habe unter dem [-Japo; etwas anderes verstanden als die
Eigenschaft der Körper, vermöge deren sie sich nach unten bewegen,
und wenn diese Bewegung auch innerhalb eines kugelförmigen Kosmos
durch eine dem Mittelpunkte zustrebende Bewegung ersetzt werde, so
müßten doch die Atome vermöge der ihnen innewohnenden Schwere im
außerkosmischen Leeren, in der sie nichts an der Bewegung nach unten
hindere, diese notwendig ausführen. Zuzugeben ist, daß alle nachsokra-
tischen Philosophen unter der Schwere den Zug nach unten verstanden
haben, und auch bei den nicht atomistischcn Vorsokratikern wird man,
soweit sie sich überhaupt darüber ausgesprochen haben, eine gleiche
Vorstellung voraussetzen müssen. Aber daraus darf nicht ohne weiteres
gefolgert werden, daß auch die Atomiker eine solche Auffassung teilten.
Diese unterschieden sich von den anderen Vorsokratikern darin, daß sie
eine ewige, anfangslose Bewegung setzten, während ein Eniped. und
Anaxag., die in der Annahme eines weltbildenden Wirbels mit den
Atomikern übereinstimmten, den Urzustand der Dinge als einen ruhen-
den gedacht haben. Die Atomiker war^n daher auch die einzigen, die
Veranlassung hatten, zwischen einer vor- und außerweltlichen und einer
innerweltlichen Bewegung zu unterscheiden. Hatten sie aber so in ihrer
Auffassung von der Bewegung einen völlig neuen Gedanken in die
Philosophie eingeführt, so darf man doch die Möglichkeit nicht be-
streiten, daß sie sich auch in der Bestimmung der Schwere von der
herrschenden Anschauung lossagten; ja bei dem engen Zusammenhange
beider Begriffe muß man es für wahrscheinlich halten, daß sie den
scharfen Gegensatz der außerweltlichen und innerweltlichen Bewegung
auch auf die verschiedenartige Bethätigung der Schwerkraft übertrugen.
Dafür, daß sie bei dieser nicht an einen Zug nach unten denken und
mithin in der ursprünglichen Bewegung der Atome nicht die Fallbe-
wegung erblicken konnten, hat Brieger ausschlaggebende Gründe au-
geführt. Wenn endlich Zeller der Meinung ist, Epikurs Lehre von der
Deklination der senkrecht fallenden Atome lasse sich nur als eine Ab-
weichung von einer älteren, nicht von ihm selbst erfundenen Lehre
begreifen, und diese Lehre könne nicht von einem Unbekannten, dessen
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokratcs. (Lortzing.) 141
Name uns nirgends überliefert werde, sondern nur von D. herrühren,
so ist darauf zu erwidern, daß Epikur, wie in andern Punkten, so auch
in diesem durch die Einwendungen des Aristot., obwohl dessen Auf-
fassung auf ganz anderen Voraussetzungen beruhte als die atomistische,
zu einer Abweichung von seinem Meister verleitet worden sein kann.
Auch Goedekemeyer bekämpft, z. T. mit ähnlichen Gründen, die
Zellersche Beweistührung. In der Auffassung der Schwere freilich
steht er auf einem etwas anderen Standpunkt (S. 14 ff.). Daß dem D.
die Schwere nicht wie dem Platou und Aristot. grundsätzlich mit dem
Zuge nach unten zusammengefallen sei, giebt auch er zu. Den Grund
dafür findet er darin, daß D. noch nicht den Begriff der natürlichen
Bewegung der Körper kannte und daher auch noch nicht wie die
Späteren die Schwere mit diesem Begriffe in Verbindung bringen konnte.
Wo aber ein solcher Begriff fehlt, da ist nach G. auch keine einheit-
liche Auffassung der Schwere zu suchen. D. faßte diese teils als Zug
nach unten, teils als Gewicht; die zweite Bedeutung galt ihm insbe-
sondere lür die Atome. Weil ihm die natürliche Bewegung fehlte, ver-
wickelte er sich, wie Aristot. 309b 7 zeigt, in einen Widerspruch, in-
dem er das Leere für die Ursache des Aufsteigeus der Körper erklärte,
ohne ihm jedoch an und für sich diese Bewegung zuzuschreiben. Durch
diese Eröiterung wird der Begriff der Schwere bei D. eher verdunkelt
als geklärt. Man muß vielmehr, wie dies oben geschehen ist, zwischen
der Bedeutung, die bei D. die Schwere ebenso wie die Bewegung im
außerkosmischen Räume, und die sie innerhalb des durch den Wirbel
gestalteten Kosmos hat, scharf unterscheiden; dann verschwindet auch
der scheinbare Widerspruch, den Aristot. von seinem Standpunkt aus bei
den Abderiten findet. — Auf festerem Boden bewegt sich G. in seinen
Ausführungen über die Bewegung (S. 98 ff".). liier geht er von der
durch Aristot. und zum Teil durch Cicero bezeugten Ewigkeit und ür-
sachlosigkeit der Atomenbeweguug aus und zeigt, daß sich damit die
Annahme Zellers (882 f.), die Schwere und das Leere seien die Ursache
jener Bewegung, nicht vertrage; nicht Ursache der Bewegung sei dem
D. das Leere, sondern nur condicio sine qua non. Nachdem er dann
Zellers Annahme einer Fallbevvegung der Atome im Leeren ungefähr
mit denselben Gründen wie die oben von mir beigebrachten zurückge-
wiesen hat, geht er näher auf Theophr. d. sens. § 71 ein, eine Stelle, die
Brieger und Zeller fälschlich auf die Bewegung der Atome bezogen
haben, während nach dem Zusammenhange nur von den verschiedeneu
Arten der Siunesenipfinduugen die Rede sein kann. Auch Aristot.
Phys. IV 8 hat Zeller nach G. mißverstanden, wenn er daraus
schließt, die Atomisten hätten die schweren Körper im Leeren schneller
fallen lassen als die leichten. Aristot. behauptet nicht, daß im Leereu
142 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
alle Körper gleich schnell fallen müßten, sondern er sagt: im Leeren
können sich die Körper weder verschieden schnell noch gleich schnell,
also überhaupt nicht bewegen. Daraus läßt sich nicht ableiten, die
Atomiker hätten einen ungleich schnellen Fall aller Körper im Leeren
angenommen. Mit dieser, wie es scheint, richtigen Deutung der aristo-
telischen Argumentation ist in der That der Zellerschen Hypothese der
Boden entzogen, da nur unter der Voraussetzung einer ungleichen Be-
wegung das Fallen der Atome zu einem Zusammenstoße und somit zur
Bildung eines Wirbels führen konnte, und es bleibt kaum noch etwas
anderes übrig, als mit Brieger und Liepmann ein wirres Durcheinander-
fliegen der Atome anzunehmen. G. stimmt dann auch der Auffassung-
der beiden Forscher in der Hauptsache bei, wenn er auch nicht alle
ihre Gründe gelten lassen kann und insbesondere die Bezeichnung der
unordentlichen Bewegung der Atome als ,Urbewegung" in dem Sinti e,
wie Zeller den Fall so bezeichnet oder wie Aristot. die natürliche Be-
wegung der Atome bei D. vermißt, für unzutreffend hält; man könne,
streng genommen, nur von einer dem weltbildeuden Wirbel voraus-
gehenden Bewegung reden [richtiger doch wohl von einer vor- und
außerkosmischen].
Wir kommen nunmehr zu den Ausführungen Goedekemeyers
über andere Teile des demokritischen Systems. Es liegt in der ver-
schiedenen Beschaffenheit unserer Überlieferung über D. und Epikur,
daß der Versuch, zweifelhafte Punkte in ihren Lehren aufzuklären, bei
D. auf größere Schwierigkeiten stößt als bei Epikur. Kein Wunder daher,
daß die Ergebnisse der Untersuchung des Verfassers in bezug auf
jenen weniger sicher erscheinen als in' bezug auf diesen. S. 32flf. :
D. weist wie später Ep. in den Vorgängen des Entstehens und Ver-
gehens, des Wachsens und Abnehmens, des Wirkens und Leidens die
Pinalität zurück und sieht die einzige Ursache jener Vorgänge in
der dva'-fXY] und TÖyri. Die dva^xT) faßt D. doppelt auf, als eine
mechanische (durch Stoß und Abprall) und als ewige und ursachlose
Notwendigkeit. Diesen Begriff der Notwendigkeit wendet er nur auf
solche Thatsachen an , die man gewöhnlich als zweckmäßig bezeichnet,
und zwar: 1. auf die, welche zu der nicht erstmaligen Entstehung und
Entwickelung des Organismus und seiner Teile gehören; 2. auf die
ewige Bewegung der Atome. Beide Erscheinungen will er nicht aus
dem Zweck erklären, aber auch nicht lediglich aus der mechanischen
Bewegung der Atome und greift deshalb zu der seltsamen Annahme
einer ewigen, ursachloseu, gleichsam über der Bewegung der Atome
schwebenden Notwendigkeit: „es war früher so und muß deshalb immer
?o sein" ; 3. auf den weltbildenden und später die Gestirne bewegenden
Wirbel; eine solche St'vY) muß, wie der vous des Anaxag., ohne Zweifel
Bericht über die griechisclieu Philosophoa vor Sokrates. (Lortzing.) ]4;j
als zweckmäßig- betiachtet werden (?). Von diesen drei Bedentuugeu
hat Ep. nun die erste, die man als „transeunt (so!)" bezeichnen
kann, übernommen, während er an die Stelle der beiden anderen zwei
immanente Ursachen setzt: die Schwere der Atome nnd das Naturgesetz.
Noch bedeutender ist der Unterschied in der Auffassung der Tu-/ri bei
beiden Pliilosopheu. Wenn man Aristo t. 196 a 24 auf D. beziehen darf,
so hat dieser unzweifelhaft (?) den Ausdruck otuToixaxov selbst gebraucht.
Das auto'fAaTov steht somit der absolut bedingenden und völlig ein-
deutigen Ursache der Entstehung von Pflanzen und Tieren gegenüber.
Aus der Bewegung der Atome im af}poi!j|j.6j folgt nicht mit derselben
Notwendigkeit die 8ivt), sondern sie entsteht in ihr diio TotuToiAaxo'j ;
ihre Entstehuntr ist nur möglich, nicht notwendig. Während die Ato-
misten die objektive Existenz des Zufalls aufs entschiedenste verwarfen,
gaben sie doch zu, daß es unsichere und zufällige Ursachen gebe, deren
Wirkungen für den Menschen unberechenbar seien. D. gab damit dem
.Zufallsbegriff eine subjektive Wendung. Anders Ep., der (Laert. X 133)
gegen D. polemisiert (diese Vermutung Guy aus, La morale d' E'picure
72, 1, wird durch eine Polemik des Diogenes von Oinoanda gegen die
eilxapixEVYj Demokrits bestätigt; s. Usener Rh. M. 47 S. 484) und
dem Zufall Realität zuschreibt. Trotz dieser tiefgehenden Differenz
wird die Anwendung des Zufallbegriffes bei beiden die gleiche gewesen
sein, nämlich auf die Erzeugnisse unübersehbarer und kausal nicht ver-
knüpfter Bewegungen. D. wendet ihn auf das Entstehen des döpotaixoj,
der oivT), das Eintreten der Gestirne in unsern Kosmos und vielleicht
auch auf das erstmalige Entstehen der Organismen nnd der übrigen
Atomverbiudungen an. Bei Ep. dagegen fällt die ot'vr, weg; er benutzt
aber den Zufall dazu, im Anschluß an Emped. auf materialistischem
Wege die Zweckmäßigkeit zu erklären, ein Versuch, der dem D. nirgends
beigelegt wird (bei Plut. adv. Col. 8, 4 darf man ihn nicht suchen).
D. hat prinzipiell an dem naturwissenschaftlichen Ideal festgehalten und
die Welt als ein von stiengen Gesetzen kausaler Notwendigkeit be-
herrschtes System von Vorgängen aufgefaßt; der Begriff der xu/y) ist
bei ihm nur ein Grenzbegriff des Erkennens. Ep. dagegen verzichtet
auf diese strenge Weltbetrachtung; er stellt der ava-j-xT; nicht nur die
objektive xu/t] zur Seite, sondern auch die Ttpoaipccji? und die Deklination
der Atome. Damit wird der stolze Bau Demokrits von Grund ans
zerstört. — Diese scharfsinnigen Erörterungen lassen die Verschieden-
heit in der Grundauffassung Epikurs und Demokrits deutlich hervor-
treten; sie liaben aber das Bedenkliche, daß bei D. eine Schärfe der
begrifflichen Distinktion vorausgesetzt wird, die wir bei ihm noch nicht
suchen dürfen. Ich kann mich nicht dazu entschließen, zu glauben, daß
D. so klar zwischen hd-iY.t] und xu/rj unterschieden hat, wie G. an-
144 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokratcs. (Lortzing.
nimmt, bezweifle auch, daß er den Ausdruck auToixarov, der ja aller-
dings in einem ethischen Fragmente (189) vorkommt, im streng tech-
nischen Sinne gebraucht hat. Auch gegen die Zweckmäßigkeit, die er
schwerlich begrifflich erfaßt, sicherlich nicht formuliert hatte, kann er
nicht polemisiert haben. Die sonstigen Ausführiinuen des Verf. über
das Verhältnis zwischen beiden Philosophen in der Lehre von den
Elementen, von der Seele, von den Wahrnehmungen und ihrem Wahr-
heitswerte sowie in der Kosmologie müssen wir hier bei Seite lassen,
obwohl auch sie sehr beachtenswerte Beiträge zur Demokritischen Phi-
losophie enthalten.
Löwenheim weist gegen Natorp, Philos. M.-H. 18 (1882) S. 213
räch, daß Galilei D. gekannt hat und wesentlich von ihm beeinflußt
worden ist. Besonders durch die Lehre von der Schwere (L. nimmt
iirtümlicherweise an, daß D. alle Körper [vielmehr Atome] im leeren
Eaume gleich schnell [?] fallen ließ [s. S. 141 f.]) wurde er aus einem
Schüler des Archimedes ein Schüler Demokrits. D. hat zuerst den
Grundsatz aufgestellt, daß wir nicht für die Fortdauer, sondern nur für
die Acderung eines bestehenden Zustandes eine Ursache zu suchen haben,
und diesen Grundsatz auch auf die Bewegung angewandt. Er hat das
Beharrungsgesetz nicht nur zuerst aufgestellt, sondern auch genau wie
heute Kirchhoff und Helmholtz begründet im Gegensatze zu der
Newton sehen Annahme von der Tiägheit der Materie. Der Unterschied
zwischen D. und der heutigen Naturwissenschaft ist nur der, daß D.
die Kreislinie für ebenso einfach hielt wie die gerade Linie und daher
einen im Kreise sich bewegenden Körper, wenn er seine Richtung nicht
ändert, fortwährend sich im Kreise bewegen läßt. Galilei hat eine
Zeitlang dieser Auffassung Demokrits gehuldigt. Aber der Einfluß
Demokrits auf Galilei beschränkt sich nicht auf die Mechanik, sondern
erstreckt sich auch auf das astronomische Gebiet. Indem sich D. nach
Hippolyt. 113 die meisten Welten bewohnt, also von unserer Welt gar
nicht unterschieden dachte, hatte er den geozentrischen Standpunkt
bereits überwunden, wenn er auch innerhalb unserer Welt die Erde in
den Mittelpunkt stellte. In diesen Punkten wie auch in der Lehre von
der Unendlichkeit des Weltalls und der Mehrheit der Welten steht G.
auf Demokrits Standpunkt und im Gegensatze zu Aristot. Auch in der
Theorie von der Subjektivität der Sinncsqualitäten (L. ist geneigt, diese
Lehre erstD., nicht schon Leukipp beizulegen; s. jedoch o. S. 101 f.) erfährt
er den Einfluß des D. In bezug auf die Wärme muß D. nach Aristot.
405a und Plut. qu. symp. VIII 10, 2 angenommen haben, daß die
höhere Temperatur der warmblütigen Tiere dadurch hervorgerufen
wurde, daß in ihrem Körper die Feueratome stärker vertreten sind und
daß diese sich in lebhafterer Bewegung befinden, so daß die sich von
Bericht über die griechiscben Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 145
den betroffenden Körpern ablösenden Bilder hier mit besonderer Energie
iortgeschleudert werden. Also ist nach D. die Wärme eine lediglich
subjektive Empfindung, und das ihr entsprechende Objektive sind Atome,
die sich infolge ihrer Gestalt stets in lebhafter Bewegung befinden.
Gegen diese nüchterne Wissenschaftlichkeit empörte sich Piaton, wie
«Toethe gegen Newton, und mit ihm Aristot.; sie stellten seiner Sub-
jektivität der Sinnesqualitäteu die objektive Idee des Warmen, des
Weißen, des Tones gegenüber. Der erste unter den Neuereu, der wieder
für die Subjektivität eintrat, war G., wahrscheinlich auch hier von D.
abhängig. Demokrits Lehre von den Sinnesempfindungen, hat weiterhin
zur Lehre von der Undulution des Schalles, des Lichtes und zur
mechanischen Wärmetheorie, aber auch zur Entdeckung des Gesetzes von
der spezifischen Energie der Sinnesorgane geführt. Auch die Kant-
Laplacesclie Theorie, das Prinzip von der Erhaltung der Kraft und die
Darwinsche Theorie gehen auf D. zurück.
Harts Abhandlung bezweckt, das ^povsiv und die ^vrjai/j ^vwiArj
des D. näher zu bestimmen und die Bedingungen zu vermitteln, unter
denen sich die wahre Erkenntnis vollzieht. Das Hauptergebnis der auf
genauer Kenntnis des Materials fußenden und nicht ohne Scharfsinn
geführten, aber wenig übersichtlichen Untersuchung ist, daß nach D.
die echte Erkenntnis in einer Art von intuitiver Auffassung oder vei'-
teinerter ai3i)Y;3t; bestehe, die durch das Eindringen feiner, der gewöhn-
lichen Sinneswahrnehmung unzugänglicher siotuXa in unsern Körper
hervorgerufen werde; während aber der großen Menge nur gelegentlich
im Traume eine über die Sinnesetkenutuis hinausgehende Oftenbarung
zu teil werde, besitze der Philosoph die Fähigkeit, jene t'idioXa. auch
im wachen Zustande auf sich wirken zu lassen und mit ihrer Hülfe das
Wesen der Dinge zu erkennen. Die Haltlosigkeit dieser Annahme, die
sich hauptsächlich auf eine willkürliche Übertragung der übrigens
schwerlich auf die Erkenntnis der Atome gerichteten e-ißoXf, <pav:a7Ttxrj
Epikurs stützt, ist durch meine Besprechung (B. Ph. Wschr. 1888,
170 ff.), und noch ausführlicher durch Gödekemeyer nachgewiesen worden.
Auch Di eis (Arch. I 250 f.) urteilt im gleichen Sinne und fügt
hinzu, diese Theorie passe besser zum modernen Spiritismus als zur
alten Atomistik.
Gegen Harts Gleichsetzung der 777)3171 7V(u|j,ri mit der «pavTajjxiy.Tj
i-CioXr^ und seine XJnterschäizung des logischen Faktors in der Lehre
Demokrits wendet sich auch Natorp (No. 397). Sext. log. II 56 ff.
kann nach seiner Meinung nicht für D. verwertet werden, sondern läßt
vielmehr auf eine Diiferenz zwischen Epikur und D. schließen. Auch
der Umstand, daß D. auch das cppoveiv von der subjektiven oiaöscris ab-
hängig macht, entscheidet nichts. Denn das cppovsiv, d. h. die normale
Jahi-esbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 10
146 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Verfassung des Denkens fällt ebensowenig' wie die voTjai?, d. h. die
Phantasievorstellung (?) oder Vorstellung? überhaupt mit der auvscjtc,
d. i. der Erkenntnis des Wahren zusammen. Die Phänomene sind nach
D. nicht das Wahre, wenn auch nicht zu leugnen ist, daß sie auch au
der Wahrheit teilhaben, insofern sie in den augenorameuen Gründen
ihre Erklärung finden; der Xo'yo? macht das 'faivofxsvov erst wahr. Ge-
rade wenn D. «ypoveiv und aXXo^povetv an Wahrheitswert gleichstellte,
so bedurfte er nach N. eines besonderen Kriteriums der Wahrheit, und
dies ist bei ihm die logische Einstimmigkeit des wenngleich auf die
Phänomene gerichteten Denkens. Über die Wahrheit entscheiden allein
die wissenschaftlichen Gründe, dieselben, die Aristot. als „eigentümlich
physikalische" bezeichnet, und die beweisen, daß, um das Reale gegen
das vom mathematischen Standpunkt unwiderlegliche Argument von
der Teilbarkeit in infinitum zu retten, die Annahme des physisch Un-
teilbaren (axoixov) gewagt werden muß. Das e-' eXattov und ejit
XercxoTspov bei Sext. VIII 139 = Fr. phys. 1 fin.) versteht N. sc: die
echte Erkenntnis ist an die Schranke (modern ausgedrückt, Reizschwelle
oder Unterschiedsschwelle) der Sinneswahrnehmung nicht gebunden.
Der Begriff geht über die Sinneswahrnehmung hinaus, aber nicht etwa,
um als ein sechster Sinn das Kleinste auf eine der Wahrnehmung ana-
loge Art vorzustellen; denn wie sollten die qualitätslosen Atome und
vollends das Leere wahrgenommen werden können? Das Wahre muß
von dem Wechsel der öiaösai; nnberührt bleiben. Bei der gegenteiligen
Auffassung ist nicht zu begreifen, warum D. zwischen echter und und
echter Erkenntnis eine solche Kluft befestigte. Man darf daher De-
mokrits axoxiY) 7V(ü|j,y) nicht mit „dunkler" Erkenntnis übersetzen, was
einen schiefen Gegensatz gegen die -/v/jjt'ri ergeben würde: auch ist ge-
rade das Wahre das Verborgene und Dunkle (a7roxexpu}x|xevr] nach De-
mokrits eigenem Ausdruck). Die axonSj 7v. ist vielmehr als „unechte,
untergeschobene" Erkenntnis zu fassen (vgl. cjxotioi r.alos;), die die
., echte" in den Hintergrund drängt. Mit dieser sprachlichen Erklärung
hat N. unzweifelhaft das Richtige getroffen.
Brochard stellt eine Vergleichung zwischen der Erkenntnis-
theorie Demokrits und der des Protagoras an. Natorp hat (im I. Ab-
schnitt der Forsch.) zweifellos nachgewiesen, daß die bekannte Formel
des Prot, relativistisch und skeptisch sei; aber er irrt, wenn er den
Relativismus des Sophisten als rein subjektiv betrachtet, so daß es
zwischen ihm und D. keinen Unterschied gäbe [dies ist eine willkür-
liche Folgerung Brochards, die zu ziehen N. völlig fern gelegen hat],
Prot, betrachtet die Dinge als wirklich außerhalb des menschlichen
Geistes existierend, wenn auch nur als eine vorübergehende und flüch-
tige, auf ein Minimum reduzierte Wirklichkeit. Er unterscheidet zwischen
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 147
Wahrnehmuug und wahrgenommener Sache. Es giebt also Wahrheit im
System des Prot, und er durfte sein Werk mit Recht 'AXirjöeta nennen.
Wenn Aristot. sagt, Prot, hebe das Prinzip des Widerspruches auf, so
mag jener diesen Ausdruck nicht gebraucht hüben, aber die thatsäch-
liche Konsequenz seines Systems, nämlich die gleichzeitige objektive
Realität der Gegensätze, konnte ihm nicht entgehen. Die Materie (?)
vereinigt in sich die entgegengesetzten Bestimmungen; daher giebt es
über jede Frage nach Prot, stets zwei Ansichten. Die Beweisführung
des Sophisten beruht also auf dem allen vorplatonischen Philosophen
gemeinsamen und selbst noch bei Plat. (s. Theaet. 160 A.) sich findenden
Grundsatz: on ne pense (sent, se represente) pas ce qni n'est pas.
Seine Doktrin ist ein objektiver oder realistischer Relati-
vismus. D. dagegen war der erste subjektivistische Philo-
soph. Ihm erschien die flüchtige, auf der Oberfläche der Dinge befind-
liche Wahrheit des Prot, als ein leeres Wortspiel; er suchte die Wahr-
' heit in der Tiefe (ev ßuö(o). Das ist kein Zugeständnis des Skeptizis-
mus, sondern des noch suchenden Dogmatismus. Um diese Wahrheit zu
gewinnen, mußte er den Wahrnehmungen jeden objektiven Wert ab-
sprechen. Sie sind ihm TiaÖr) ■zr^i aisOr^ascüc oder „des etats vides du
sujet" (xEvo-aösiat Sext.- math, VIII 184). Zum ersten Male war damit
das Band zwischen Sein und Denken, Vorstellung und Wirklichkeit zer-
rissen. Das war eine große Kühnheit, ein logischer Skandal; das hieß
behaupten: „on peut penser ce qui n'est pas" (?). — D. verband mit
der von Heraklit und Prot, erkannten Existenz der Bewegung als
Prinzip des Bestehens die Atome und das Leere. Daher genügten die
später sogenannten primären Eigenschaften, die den Atomen wesentlich
anhaften, im Grunde rein mathematische Begriffe, die Größe und die
Gestalt [und die Härte und Schwere, die doch nach D. auch objektive
Existenz haben?], um alle objektiven Eigentümlichkeiten der wirklichen
Objekte zu erklären. — Diese scharfe Zuspitzung des Gegensatzes
zwischen den beiden Abderiten hat etwas Blendendes, beruht aber im
Grunde auf einer willkürlichen Konstruktion.
Bobba zieht zum Verständnis der Lehre Demokrits vom bösen
Blick (Plut. qu. symp. V 7, 6) dessen Theorie des Erkennens und ins-
besondere die Lehre von den Gesichtswahrnehmungen heran. Er weist
dann auf die mit der demokritischen Erklärung der jettatura verwandte
Annahme gewaltiger übermenschlicher Wesen in der Luft hin, die teils
wohlwollend, teils übelwollend sind und namentlich im Schlafe auf uns
einwirken.
Kern giebt eine Darstellung der demokritischen Ethik nach den
überlieferten Bruchstücken, die sich teilweise mit der Natorps in der
„Ethika" berührt und offenbar auf dessen Würdigung der sittlichen
10*
1
148 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Vorschriften des Abderiten von Einfluß gewesen ist. Nachdem wir oben
über Natorps Schrift ausführlich berichtet haben, können wir uns daher
hier auf einige kurze Bemerkungen beschränken. K. verfährt in der
Auslegung der Fragmente öfter sehr willkürlich. So ist es z. B. eine
völlig leere Vermutung, wenn er meint, daß Fr. 174 verstümmelt über-
liefert und in der zweiten Hälfte von den Vorzügen des Weibes in
leidenschaftlicher Neigung auch zum Guten die Eede gewesen sei. In
der Beurteilung des Wertes der demokritischen Sittenlehre überschätzt
er ähnlich wie Natorp, aber noch stärker als dieser, die Bedeutung
jenes ersten und trotz seiner hohen Bedeutung doch noch unvollkom-
menen Versuches einer ausführlichen und selbständigen Behandlung
ethischer Probleme. Mit solchen Bemerkungen wie, daß die Sittenlehre
Demokrits reiner, besonnener und philosophisch besser begründet sei als
die des Sokrates, daß D., wo er von diesem abweiche, im besseren ■
Rechte sei — so lehre er zwar auch, daß der Mensch aus Unkenntnis '
des Besseren handle, aber ohne die sokratische Übertreibung, daß das
Wissen das Rechtthun verbürge — , zeigt K., daß er für die völlig
neue Grundlage, die Sokrates der Ethik durch seine Begriffsphilosophie
gegeben hat, kein rechtes Verständnis besitzt. Wenn er D. gegen den
Vorwurf der ungeschminkten Nützlichkeitsmoral dadurch verteidigt, daß
auch Sokrates, Piaton, Aristot., Epikur (!) und die Stoa nicht über
diesen Standpunkt hinausgekommen seien, so verkennt er den Unter-
schied des Eudämonismus, der allerdings die ganze spätere Ethik be-
herrscht, und des Hedonismus, der doch nicht erst bei Aristipp und
Epikur, sondern schon bei D. den Ausgangspunkt der ethischen Be-
trachtungen bildet (s. 0. S. 132). Bezeichnend für Kerns Auffassung
ist, daß er Epikur ganz unbefangen mit den entschiedensten Bekämpfern
der Lustlehre in eine Reihe stellt.
Über die Abh. von Schanz vgl. den kurzen Bericht von E. Well-
mann Areh. VI 272.
Zum Texte der Fragmente.
Die in die Berichtszeit fallenden Textesänderungen und Vorschläge
zu solchen hier aufzuzählen erscheint überflüssig. Sie sind zum größten
Teile in den jedermann zugänglichen Ausgaben der ethischen Fragmente
von Natorp, des Stob, von Wachsmuth und Hense (vgl. Ber. I 174) und
anderer Quellenschriften wie derMoraliaPlutarchs vonBernardakis und des
umfangreichen theophrastischen Bruchstückes de sens. in Diels' Doxogr. zu
finden. Das. letztgenannte Bruchstück enthält zwar eine wertvolle Dar-
stellung der demokritischen Lehre von den Sinneswahrnehmungeu, giebt
aber schwerlich an irgend einer Stelle seine Quelle, auch wenn man
Bericht über die griecbischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 149
vom ionisches Dialekte absieht, wortgetreu wieder. ' ) Nur einzelne echt
ilemokritische Aasdrücke/ scheint Theophr. beibehalten zu haben. Einig'e
solche, über deren Ursprunfj kaum ein Zweifel herrschen kann, hat
Diels durch Anluhruu'Tszeichen und gesperrten Druck hervorgehoben,
so 6fjLoio37Yi|j,ov£iv S. 513 (vgl. Hippolyt. I 12 S. 56.5 , I tol
ö[jLOiO(jy7^fxova), i}pu-T£ai)ai ebd., oiap-ijAvei, cixiovasilat, dXXo'i^povetv
S. 515, |jL£-a-rz-:ov S. 517, jj-oipav syetv auvsaeojc S. 520, 7:po-
xpo'aaaj S. 523 (vgl. die Anm. von Diels), die sämtlich bei Mallach
im index vocum Democritearum sowie mit Ausnahme von aXXo'fpovsTv
und ixsta-r-rov auch im iudex rerum et verborum memorabilium fehlen.
Es hätten vielleicht noch einige andere Ausdrücke hinzugefügt werden
können, wie (7xaXr)v^ S. 518, 11 und öfter, zapaXXaStv oder besser nach
Brieger ;,die Urbeweguug" S. 15 e-aXXa^iv (vgl. e::aXXtxTTctv 523, 13),
£uöpuz-ra (oder mit Schneider £u&uTpu:i:a?) 521, 5 u. 7 u. a. Sonstige
Deraokritische Wortformen sind o£tvov Simpl. phys. 327, 24 (von Diels
hergestellt), zspi-aXaasEafJai -- -epiTiXEXEÖat ebd. 1319, 1 von D. für
7:£pn:aXai(;£i)ai vorgeschlagen, und or)vatoTr)xo?, &Tr]vatotTr)-i Stob. flor. IV 75
(nach Bücheier = Hense).
d) Spätere Demokriteer,
402. R. Hirzel, Der Demoki-iteer Diotimos. Herrn. 17 (1882)
S. 326—328.
*
403. Th. Gomperz, Anaxarch und Kallisthenes. Corament.
philol. in hon. Th. Mommseni. Berol. 1877 S. 471—480.
Während Hirzel früher (Unters, zu Cic. I 120, 2) angenommen
hatte, daß der bei Sext. dogm. I 40 als Erklärer Demokrits erwähnte
Diotimos mit dem Stoiker gleichen Namens, dem boshaften Ver-
leumder Epikurs (Laert. X 3) identisch sei, giebt er in No. 402 diese
Vermutung auf, nachdem Diels dox. 346 nachgewiesen hat, daß Diotimos
aus Tyros bei Act. II 17, 3 ein Demokriteer war. H. findet nun diesen
Demokriteer bei Clem. ström. II 179 Sylb. wieder, wo das ethische
Prinzip des D. und seiner Nachfolger angegeben und außer Hekataios,
Apollodotos und Nausiphanes auch Diot. genannt wird, der die TravtlXEta
Ttöv d-.'aöüiv als TsXoc hinstellte und damit eine Erklärung der demo-
kritischen £'j€5TU) geben wollte. Er ist derselbe wie der von Sext.
') Mullach hätte daher die betreffenden Abschnitte so wenig wie
die zoologischen, astronomischen und peoponischen Bruchstücke nach der
ganzen Anlage seiner Sammlung in diese aufnehmen dürfen; mit demselben
Rechte hätten dann auch zahlreiche Stellen aus Aristot, Laert, Hippolyt,,
Aet. u. a. zugelassen werden müssen.
150 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
math. VII 1401 angeführte. Dieser letzteren Annahme widerspricht
Zeller 966, 5, der mit Natorp Forsch. 1901 es für wahrscheinlich
hält, daß bei Sext. der Stoiker gemeint sei, da die Ausdrücke xpirrjoia,
aTpssu und <pu7T] dem stoischen Sprachgebrauche entsprechen [S. jedoch
jetzt Natorp Eth. 89, 2].
Gomperz verweist zum vollen Verständnis der in unverständlicher
Fassung bei Laert. IX 60 ön. erhaltenen Anekdote über Anaxarch
und Alexander, die auch durch Plut. qu. conv. 736 F noch nicht ge-
nügend aufgehellt wird, auf Philodem -ep\ xay.iwv y.xX. Diese Geschichte
zeige uns so recht die Gewandtheit und Geistesgegenwart, den Takt
und die Selbstbeherrschung des Mannes. Sie biete ebenso wie die
sonstige anekdotenhafte Überlieferung über A. keinen Anhalt für die
im Altertum verbreitete Auffassung , daß A. ein Schmeichler und
Schmarotzer gewesen sei. — Das bei Stob. ü.. 34, 19 und Clem. ström.
I 6, teilweise auch bei Athen. Mechan. erhaltene Fragment des A. über
die 7toXu[jLaf)iVj (s. Bernays Ges. Abh. I 123 ff. und 128 f.) liegt jetzt
in vielfach verbessertem , aber noch nicht gesichertem Texte bei
Hense vor.
"Über Nausiphanes s. o. Sudhaus No. 372.
I. Diogenes von Apollonia.
1. Zur Lehre des Diogenes.
404. G. P. Weygoldt, Zum Verständnis einer pseudo-plutarchi-
schen Nachricht über D. N. Jahrb. f. Ph. 123 (1S81) S. 508-510.
405. Derselbe, Zu D. von Apollonia. Arch. f. G. d. Ph. I
(1888) S. 161-171.
406. G. Geil, Die schriftstellerische Thätigkeit des D. v. Ap.
Philos. Mon.-H. 26 (1890) S. 257—270.
Das Verhältnis des D. zu früheren und gleichzeitigen Philosophen
ist bereits oben unter Leukipp (No. 363, 365—367) besprochen worden.
Wir haben gesehen, daß sich D. mit seinem Prinzip zwar zunächst an
Anaximenes angeschlossen, aber gewisse nähere Bestimmungen dieses
Prinzips sowie die Erklärung einzelner Naturerscheinungen dem Anaxa-
goras und Leukipp entnommen hat. Wie durch diesen Eklektizismus
widersprechende Elemente in seine Lehre gekommen sind, legt Zeller
272 ff. dar. Indem D. den weltbildenden vo-ic des Anaxagoras, den
dieser von allem Stofflichen getrennt hatte, mit seinem ürstoffe ver-
schmolz, sah er sich genötigt, diesen Urstoff als das Alldurchdriugende
und Belebende für das Feinste und Dünnste zu erklären, während er
andererseits die Dinge nicht allein durch Verdichtung, sondern auch
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 151
<Iurch Verdünnung aus ihm entstehen läßt; denn daß er nicht bloß die
warme Luft oder die Seele, sondern die Luft überhaupt das Dünnste
genannt hat, geht deutlich aus Aristot. 405 a 21 und aus Fr. ö Panz.
hervor. Es hat sich uns ferner aus den unter Leukipp angeführten
Untersuchungen ergeben, dall Diogenes' Luftlehre in den 20er Jahren
des 5. Jahrhunderts in Athen allgemein bekannt war und ebenso auf
der tragischen Bühne (Eurip.) wie auf der komischen (Aristoph.) Wider-
hall fand. Aber auch auf die wissenschaftliche Litteratur der nach-
folgenden Jahrzehnte muß seine Naturerklärung eine nicht unbedeutende
Wirkung ausgeübt haben, da sich deutliche Spuren der Benutzung seiner
Lehre in den pseudohippoUratischen Schriften erkennen lassen. Dies
ist nach Petersen Hippocr. scripta u, s. w. S. 30 f. von Weygoldt in
No. 405 nachgewiesen worden.
Berührt werden solche Beziehungen des D. zur medizinischen
Litteratur auch schon in der früheren Abb. (No. 404) desselben Ge-
lehrten, die im übrigen den Zweck hat, eine bis dahin meist dem
Apolloniaten zugeschriebene o6;a diesem streitig zu machen. Es handelt
sich nni die Mitteilung bei Aet. IV 5, 7, D. habe das rjeixovixov der
Seele iv tt) ap-fjpiax^ xotXi'ot -f^c xapoia», v]tic etJ^l '!Z'/c.rj\j.az\.Y.T^, verlegt.
Diese Ansicht ist von Zeller und Panzerbieter fälschlich auf D. bezogen
worden. Nach Simpl. phys. 152, 11 ff. und Theophr. d. sens. 39 flF.
lind 44 kann D. nur das Gehirn als Hauptträger der Vernunft ange-
sehen haben, eine Annahme, die durch Ps.-Hippokr. t:. t% isp^c vojou
|s. No. 405] bestätigt wird. Ihr Verfasser, der in bewußter Abhängig-
keit ätiologische und pathologische Sätze des echten Hippokrates mit
der Psychologie und Anatomie des D. verbindet, sagt (VI 390 Littr.):
die Luft, die wir einatmen und die das denkende Prinzip ist, gelangt
zuerst zum Gehirn und erst von hier aus zu den übrigen Teilen des
Körpers; dabei läßt sie im Gehirn die dxfirj ihrer geistigen Kraft
zurück; das Gehirn ist Sitz und Träger der wichtigsten Funktionen.
Auch aus der Gefäßlehre des D. (Aristot. bist. an. III 2) folgt, daß
das Herz für die mit dem Blute durch die Adern strömende Luft oder
Vernunft keine hervorragende Bedeutung haben kann. Auch setzt die
Aetiosstelle eine genauere Unterscheidung zwischen den Venen und
Arterien sowie eine tiefere Einsicht in den Bau des menschlichen
Körpers voraus; beides aber war zur Zeit des D. nicht möglich. Dem-
nach kann dieser auch keine aptyjptaxrj xo-./ia des Herzens gekannt
haben. Dagegen paßt die Stelle vortrefflich auf den Stoiker Dio-
genes. Dieser Auffassung schließt sich jetzt Zeller I' 270, 2 an (vgl.
auch Stein Psych, d. Stoa II 3).
In No. 405 zeigt W., daß die Lehre des D. in folgenden pseudo-
hippokratischen Schriften benutzt worden ist: I. flspl cp'jjüiv (vor 380 ge-
152 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
schrieben). Der Verf. betrachtet die Luft als ioyr^ aller Dinge und
verwerter die Nosologie des D., um alle Krankheiten auf die Luft
zurückzuführen. Dies ergiebt sich aus 4 Stellen: 1. VI 94 Littr. '^-
I 571m. — 572i. Kühn, wo sich Satz für Satz aus Anaximander,
Anaximeues und D. belegen läßt. Auf D. allein geht die Lehre vom
Atmen der Fische und die Behauptung zurück, daß die Luft Izr^-öi und
folglich Ursache der Bewegung sei. W. schließt daraus, daß auch die
übrigen Gedanken aus D. geschöpft sind [kein zwingender Schluß].
2. VI 96 L. = 1 572 — 573 m. K. , Es liegt in der Natur der Sache,
daß D. sich gleichfalls und zwar in ähnlicher Weise über die Unent-
behrlichkeit der Luft für das Leben verbreitet haben muß (?)." An
diesen beiden aufeinanderfolgenden Stellen nimmt W. demnach eiv.n
Kompilation aus D. an. 3. VI 96 ^ I 572 Z. 3 und 2 v. u. und 573
jxexa zoZ-o — eigeXöt]. Vgl. Diog. bei Theophr. d. sens. 43. 4. VI 110
= I 583 m. — 584 i. Wenn hier das Blut als Ursache des Denkens
bezeichnet wird, so ist damit die «Luft im Blut" gemeint (vgl. die
iinter 11 3 angeführte Stelle aus ~. kpr,; vorou) und daher nicht an
Emped., sondern an D. zu denken; wie dieser bei Theophr. 44, bringt
auch der Verf. der Schrift die Beispiele des Schlafes und des Eauscbes
in der gleichen Reihenfolge-, er gebraucht ferner ^pov/jats für die in den
Adern zirkulierende Vernunft und nennt, wie D., das Denken ein
eOiafxa oder (vgl. Fr. 6 bei Simpl. phys. 152, 24 [s. jedoch, was über
den Text dieser Stelle unten beigebracht wird]). — II. Dspl tsp/]? vo'gou
(ebenfalls vor 380): 1, VI 396 f. -= I 595 m. — 597 s: Beschreibung des
Adersystems. Der ausführlichere, aber ungenauere Auszug bei Aristot.
b. an. III 3, 511b 30 if. beruht offenbar auf freier Wiedergabe, was
besonders durch den Gebrauch gewisser technischer Ausdrücke wie
oTrXrjvm? und ■qTzci.xim bewiesen wird, die D. so wenig wie der Jiltere
Hippokrates kannte. 2. VI 367 = I 596 — 597 s. und 372 -= 599 —
601 m. Ygl. Aet. V 24, 3. Die Luft ist nach D. nicht an sich ver-
nünftig, sondern nur, weil und solange sie bewegt ist. Daraus ergiebt
sich, daß D. wie die Atomiker nicht den Urstoflf als solchen, sondern
die Bewegung des Urstoffs als Ursache des Denkens betrachtet hat.
Der Vorwurf au[jL7:£9op7]|i.£vu); xaxa Aeuxi--ov bei Theophr. war also be-
rechtigt. 3. VI 390 f. ^I 612 — 613 i. Hiernach hat D. das t)7£|j.o-
vi/dv nicht ins Herz, sondern in das Gehirn gelegt (s. No. 404). Er
unterschied zwischen <ppo'vv)ai?, dem im ganzen Körper verbreiteten
Denken, und ouvsai?, der nur im Gehirn möglichen klaren Er-
kenntnis. Auch das Schlagwort des D. ixixas kehrt hier wieder.
4. VI 386 f. = 1 609 m.— 610 m. Vgl. Simpl. phys. 152, 25 ff., Aet.
V 20, 5 und Theophr. 44. Wenn Aristophanes den Sokrates hoch
über dem feuchten Boden in einem Korbe atmen läßt, so trifft er
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 153
damit den Standpunkt des D. aufs genaueste. Im Sinne des D. be-
zeichnet der Verf. auch den trockenen und kühlen Boreas als den für
das Denken günstigsten Wind. — III. IIöpi 96310; Tiaioiou (xxm 350),
Die Abhängigkeit von D., die Petersen bemerkt, aber nicht näher fest-
gestellt hat, liegt nach W. in den Abschnitten vor, die die Bildung des
Fötus und das Wurzeln der Pflanzen behandeln. Hierbei wird VI 49G
=^ I 390 — 391 s. Anaxagoras zu Hülfe genommen, um die Frage zu
beantworten, wie aus dem Weichen das Harte entsteht. Hierauf stützt
sich vermutlich der Vorwurf Theophrasts, daß D. sich eklektisch an
Anaxag. angelehnt habe [noch manche andere Beziehungen sind 0. unter
I^eukipp erwähnt worden]. — Aus alle dem ergeben sich folgende Lehr-
sätze als diogenisch: 1. Die ötpyjQ ist die atmosphärische Lutt, kein
Zvvischenwesen [vgl. Bd. CXII S. 179]. 2. Die Luft ist Prinzip der Bewe-
fiuüg, weil sie dünn ist. 3. Sie ist Trägerin der Vernunft, weil und so-
lange sie bewegt ist. 4. Unsere Seele ist gleichfalls atmosphärische Luft.
5. Nicht die warme, sondern die trockene Luft ist der beste Seelenstoff.
G. Die Feuchtigkeit hemmt das Denken, w^eil sie die Beweglichkeit der
Luft hemmt. 7. Wenn sich die Luft mit den Winden und Jahreszeiten
ändert, so ändert sich auch unser Denken. 8. Weil sie kälter ist als
der Samen und das Blut, bewirkt sie ein Zirkulieren dieser Stoffe;
dadurch erregt und unterhält sie das Leben. 9. Das Wachstum beruht
nicht auf Neubildung, sondern auf Gruppierung der im Blute und der
Erdfeuchtigkeit gegebenen Homöomerien. 10. Der Vorwurf der An-
lehnung an Anaxagoras und die Atomistik ist begründet.
Während Zeller 278, 3 diesen Darlegungen Weygoldts beistimmt,
kann Dümmler Akad. 140, 1 den Versuch, unsere Kenntnis des D.
aus den Medizinern zu bereichern, nicht in allen Punkten für gerecht-
fertigt halten, da W, den eklektischen Charakter der Lehre zu wenig
beachte. Entschieden falsch sei die Behauptung, daß der Seelenstoff
wicht aus warmer Luft bestehe. Daß dies wirklich Diogenes' Ansicht
war, folge schon allein aus seiner Bezeichnung der Seele als jxtxpov
jjLopiov Tou Osou (Theophr. 42); er sage es aber auch ausdrücklich bei
Simpl. phys. 153, 4. Verbinde man diese Stellen mit Aet. V 15, 4,
so ergebe sich, daß das im Samen enthaltene -vsüfxa mit dem göttlichen
„bei der Sonne-* identisch sei und sich erst durch den Atmungsprozeß
abkühle. Allerdings liege darin, daß einerseits die heißeste Luft die
göttlichste sei und andererseits zum C^ov -werden des Embryo eine ge-
wisse Abkühlung notwendig sei, ein Widerspruch, den D. abei' nun ein-
mal begangen, und den die Stoiker von ihm übernommen hätten. Die
Schrift -. ispf,? vo'aou sei also für die Lehre des D. nur sehr bedingt zu
verwerten. Aber gerade die von Dümmler angeführten Stellen ans
Simpl. und Aet. beweisen, daß die die Seele bildende Luft an Wärme-
]54 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
g-ehalt iu der Mitte zwischen der Sounenluft und der uns umgebenden
Atmosphäre steht und daß der Embryo erst durch das Einatmen der
kühlen Außenluft beseelt wird. Dümmler selbst ist ja sogar geneigt
(S. 139 f.), die etymologische Ableitung des Wortes 'jiu-/r] von der <|^u$';
in Piatons Kratylos und bei Chrysipp auf D. zurückzuführen. —
Weitere Anklänge an D. hat Dümmler S. 225 if. in der Schrift tt. aapxöäv
(VIII 584 flf. Littr.) entdeckt. Hier findet sich in § 2 eine auffallende
Übereinstimmung nicht bloß im Inhalt, sondern auch in der Ausdrucks-
weise mit D. Fr. 6 und 3. Die sonstigen Beziehungen auf D., die
Dümmler in der Schrift vermutet, sind unsicher und bedürfen einer ge-
naueren Nachprüfung.
Geil widerspricht der von fast allen Forschern, auch von Zeller
(159, 1) geteilten Ansicht Schleiermachers und Panzerbieters, Simpl.
habe phys. 151, 24 ff. irrtümlicherweise eine Verweisung des D. auf
frühere Abschnitte seiner Schrift t:. tpuaswc für einen Hinweis auf
andere, vor dieser verfaßte Schriften gehalten. Die Worte des Simpl.,
die zu verdächtigen kein zwingender Grund vorliegt, nötigen uns zu
der Annahme, daß D. in der That vor seinem Hauptwerke noch drei
Bücher: lipo? cpuuioXo^ouc, MsTeujpoXoYia und Ospt avSptuTioy cpuaio? ge-
schrieben habe. Unbegründet ist auch die Vermutung Krisches (Forsch.
166), dem Simpl. könne nur das 1. Buch r. cpuotoc vorgelegen haben,
da das von Rufus bei Galen in Hippocr. VI epidem., XVIIa 1006
Kühn Berichtete, das dem 2. Buche entnommen sei, von ihm nicht er-
wähnt werde. Was Simpl. mitteilt, berührt sich so nahe mit jenem
Berichte des Rufus, daß ihm das Buch sehr wohl in derselben Gestalt
vorgelegen haben kann wie jenem. Wenn D. in der Schrift ir. cpuatoc
gegen die früheren Philosophen gekämpft hätte, so hätte er das doch
im Anfange oder wenigstens im 1. Buche thun müssen [diese Notwendig-
keit leuchtet nicht ein]; nun berichtet aber Simpl., daß er unmittelbar
hinter seinem rpooiixiov die Darstellung seiner eigenen Lehre begonnen
habe. Auch ist nicht abzusehen, wo D. alles das, was Weygoldt in
drei medizinischen Schriften als diogeuiscli nachgewiesen hat, ausgeführt
haben sollte. Sicher doch nicht in dem Simpl. bekannten Teile von
~. cpuato;. Schwerlich kann auch, was die Doxographen an verschieden-
artigen oo^ai des D. bringen, in diesem Buche behandelt worden sein.
So weist z. B. die ganze Wahrnehmungstheorie bei Theophr. auf eine
Schrift u. dvDpcuTOu cpusioc hin. — Diese Ausführungen Geils sind
beachtenswert; aber zwingend sind seine Gründe ebensowenig wie die
der Gegner. Vor allem ist Simpl. nicht so unfehlbar, wie er voraus-
setzt; Irrtümer und Mißverständnisse sind bei ihm nicht selten. — Vgl.
den Bericht von E. Wellmann Arch. V 97.
Dümmler geht an verschiedeneu Stellen seiner Akad. auf die
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 155
Lehre des D. ein, für die er auch aui.ier der Schrift röpl aapy.tüv noch
mehrere neue, bisher unbeachtet gebliebene Quellen gefunden zu haben
glaubt. Wir haben die Düramlerschen Vermutungen schon Ber. I 273
kurz erwähnt. — Hingewiesen sei hier schließlich auf die schöne und
treffende Darstellung, die Gomperz Gr. D. 299 S. von dem Systeme
des D., seiner Vielseitigkeit und seiner Einseitigkeit, giebt.
2. Zur Kritik des Textes der Fragmente.
Außer dem Anfange des Buches ti. (fuaioc (Fr. 1 Panz. bei Laert.)
und der bei Aristot. , aber nicht dem Wortlaute nach erhaltenen Dar-
stellung des Adersystems (Fr. 7) sind uns sämtliche Fragmente durch
Simpl. phys. 151, 31 ff. aufbewahrt. Diese liegen uns jetzt in wesent-
lich verbesserter Gestalt in der Ausgabe des Simpl. von Diels vor,
auf die ich verweise. Hervorzuheben sind nur die folgenden beiden
Stellen. Fr. 2 hat Diels mit Recht hinter -(r^ xal uoiup (Simpl. 152, 1)
aus D E die in a F und ebenso von den Neueren ausgelassenen Worte
xai drjp y.at -üp eingefügt (vgl. die an das Fr. sich anschließende Be-
merkung des Simpl. 152, 9). Demnach hat sich D. ausdrücklich auf
die Elementeulehre des Emped. bezogen und die Einheit seines Urstoff'es
gegen ihn verteidigt (s.. Zeller 265 mit Anm. 2). — In Fr. 6 ist «die
verderbte Stelle ar.b '/ap jjloi toüto e»)oc dov.el sivai (Simpl. 152, 24) noch
nicht mit Sicherheit hergestellt. Nachdem Panzerbieter aüxoü statt d-o
und Mullach dro 7. |x. toutou voo; 0. sT, vermutet hatten, hat Usener
auTo 7. [JL. T. Ö£Öc (oder 6 Oeo?) 0. el. vorgeschlagen. Obwohl Zeller
261, 6 diesen Vorschlag dem Mullachschen vorzieht und Burnct 561
sich ihm anschließt (auch Diels scheint ihn zu billigen, indem er auf
Theophr. 42 sowie auf Cic. d. nat. deor. I 29 und die oben angeführte
Stelle aus Philodem d. piet. [s. Doxogr. 536] hinweist, wo von dem
Gotte des D. die Rede ist), erscheint sie mir nicht unbedenklich. Ob
bei Theophr. die Worte [j-ixpov (ov jxopiov -oO Oeoü wirklich richtig über-
liefert sind, ist zweifelhaft; Schneider vermutet f^u|xoü statt })eoü und
Zeller 270, 7 o>.ou. Vielleicht hat hier einmal Mullach das Richtige
getroffen oder ist ihm doch nahe gekommen (s. Gomperz S. 230 u. 459,
wo er auf seine „Beitr. zur Kritik u. Erkl." 1 [1875] S. 39 verweist).
— Eine wahrscheinlich von D. selbst gebrauchte ionische Form: oia-
cxi'ovajöat hat Theophr. d. sens. 45 erhalten (vgl. das demokritischc
axiovajOai bei demselben § 55 und 56).
156 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Nachtrag zu dem Abschnitte über die Quellenkritik
(Bd. LXXXXVI [1898 I.]) S. 193.
28a. R. V. Scala, Zur philosophischen Bildung des Isokrates.
N. Jahrb. f. Ph. 144 (1891) S. 445—448.
28b. A. Baumstark, ZrjT7^!J.ata ßapßapixa. Philolog.-hist. Bei-
träge für Wachsmuth. Leipzig- 1897. S. 145—154.
Scala bespricht die Zusammenstellung von cpucrixal oo^ai Trepl (ipyöiv
bei Isokrates iz. dvr. 265. Die Worte 6 t^ev a'-sipov to tiX-^^os scpyjaev
etvai Tuiv ovxcuv bezieht er auf die Lehre Anaximauders vom dtirsipov
[aber diese Lehre kann wegen des xo tiX-^öos tujv üvt(uv unmöglich auf
Anaximander gedeutet werden, wohl dagegen auf Anaxag., an den Sc.
selbst bei den ganz ähnlich lautenden Worten Isokr. 10, 3 denkt].
Die Lehre des Emped. tritt, wie Verf. bemerkt, wenn das iv auxoT;
richtig ist, in der Form auf vvie bei Aristot. metaph. 985 a 31: werden
vsTzoc und «ptXia als apyai aufgefaßt, so ergiebt sich jene von Aristot.
angenommene Zweiteilung der Prinzipien. Die Lehre des Ion (ou -Xsiu)
xpiuiv) ist sonst nur noch durch Philopon. zu Aristot. d. gen. 329a 1
und Harpokrat. s. v. "Iwv bezeugt. Zu Alkmaious Dualismus ist Aristot.
986*a 27 zu vergleichen, zu dem sv des Pannen, und Melissos Aristot.
187 a 1 und Ps.-Arist. 976a 5 sowie Plat. Parm. 128 A und Theaet.
180E. Den Schluß der Aufzählung bildet Gorgias' TuavxsXäi; ouosv.
Es scheint hiernach schon um 353 eine Sammlung von 9ujixal oo^ai
gegeben zu haben, aus der Isokr. schöpfte und die zum Teil ausführ-
licher war als die spätere theophrastische. Eine derartige Zusammeu-
stellang läßt sich auch aus den jüngeren Jahren des Isokr. nachweisen.
Aus Hei. 2 f. erfahren wir, daß er, ehe er alle Philosophie wie in tt,
dvx. zur Taschenspielerkunst rechnete, der Lehre des Anaxag. huldigte.
Hei. 8 verhöhnt er, wie Dümmler Akad. 64 erkannt hat, die Lehre
des Antisthenes, obwohl er von dem Kyniker gelernt und dessen irpo-
xpeTtxtxos in der Nicoclea benutzt hat. Auch auf des Protagoras' x6v
^xxu) X670V xpei'xxü) Tioisiv spielt er ::. dvx. 15 an. Gleichfalls auf sophistisch-
philosophischem Wege, nicht auf rhetorischem, vielleicht durch Hippias
oder Antisthenes augeregt, ist er zu der Gegenüberstellung von ^uatc
und v6[j.os (Paneg. 105) gekommen, wobei er das Naturrecht in ähnlicher
Weise verwertet, wie Alkidamas im Msson^viaxoc und zwar früher als
dieser, dessen Rede nur in 356—351 gesetzt werden kann. Auf eine
andere sophistische Lehre, gegen die sich auch Plat. im 10. Buch der
Gesetze wendet, spielt Is. Bus. 41 an. Am merkwürdigsten aber ist
die Nachahmung des Xenophanes. In der Bekämpfung des Antbropo-
morphismus Bus. 38 sind die berühmten W^orte des Kolophoniers
Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.) 157
(Fr. 7 K.): xXsTTTEiv |j.of/£U£'.v Xc y.'A bXt.r}jj\i^ azariusiv gonau SO ab-
geändert wie später bei Varro (Augustin d. civ, dei YI 5, 1): ut dii
turati sint, ut adulterati sint, ut servierint honiini [hier wie in den
Wortpu des Is. xal uap' avOpiuTroti; t)y)T£iaf liegt offenbar eine falsche
Lesart der Stelle des Xenoph. zu gründe, vielleicht avijpoj-ot; Oyjxeueiv].
Auch Paneg. If., wo der PanegjTikos des Gorg. mit seinem Lobe auf
die Körperstärke bekämpft wird, ist wahrsclieinlich eine Nachahmung
des Xenoph. anzunehmen; § 32 und 38 wird dessen Gedanke (Fr. 16)
wiedergegeben, daß die Menschen erst sich selbst die Güter des Lebens
im rastlosen Kampfe erwerben müssen.
Baumstark handelt auf S. 150 — 154 von der Bekanntschaft der
arabischen Übersetzer mit den ältesten griechischen Philosophen. Die
Namen dieser waren ihnen ebenso wie die der ältesten Geschichtschreiber
bekannt. Solche Kenntnis schöpften sie teils aus griechischen Successions-
darstellungeu, teils aus chronographischen Schriften. Auch des Paulus
Orosius lateinisch geschriebenen adversus paganos historiae waren ins
Arabische übersetzt. Am ausführlichsten werden die Vorsokratiker bei
al-Sharastäni de religionum generibus sectisque philosophorum (ed. Bulaq,
deutsch von Haarbrücker) behandelt. Hier fehlt nur Anaximander.
Es scheinen aber die II 101 ß. (II 129f. H.) dem Plutarch beigelegten
Lehren auf Anaximander zurückzugehen. Die Verwechselung wurde
durch die an mehreren Stellen klar zu Tage liegende Benutzung von
Ps.-Plut. plac. phil. veranlaßt. — Al-Sharastäni ist vorsichtig zu be-
nutzen, aber er war kein absichtlicher Fälscher, wie Nauck in seiner
Ausgabe des Porphyrios annimmt.
Berichtigungen zu Bd. CXII (1902 1) S. 132 fi\: Zu S. 150
Z. 3: Oldenbergs Abh. ist 1895, nicht 1898 erschienen. S. 177 Z. 23
lies 6i:oxeiix£"^o^ und Z. 25 noch. S. 199 (No. 200) 1. scritta.
S. 221 Z. 24 1. xaOoXoü. S. 223 Z. 421 u. 1. Er st. Fr. S. 231
Z. 19 ist hinter i%oü cpy^tv: 8v ausgefallen. S. 245 Z. 9 v. u. 1. zuver-
lässigere. Zu S. 253 Z. 12 v. u. ist irrtümlich ouv lov bei Parm. 8, 46
als überlieferte La. bezeichnet worden; die Hss haben oute ö'v, oux eov
(Aid.) beruht auf Konjektur; Diels' ouxeov steht also im Einklang mit
der Überlieferung. S. 254 S. 12 1. 1897 st. 1889. S. 261 Z. 24 1.
Sonnenbewegung. S. 262 Z. 1 v. u. 1. anzuweisen. S. 272
Z. 13 v. u. 1. herabgesetzt. S. 279 Z. 7 1. oben u. Z. 8 be-
rührten. S. 294 Z. 15 1. zu dem Leblosen. S. 296 Z. 3 v. u. 1.
Fr. 87—89 st. 47 u. 48 und im folgenden Satze Fr. 74 st. 47. S. 299
158 Bericht über die griechischen Philosophen vor Sokrates. (Lortzing.)
Z. 18 V. u. 1. Fr. 87 st. 17. S. 303 Z. 10 1. oar^ixovos. S. 319
Z, 8 V. u. 1. repräsentierten. — Oben 8. 96 Z. 22 ist hinter Systems
einzufügen: Ungers.
Der letzte Abschnitt dieses Berichtes, der die Sophisten behandelt,
ist aus redaktionellen Rücksichten zurückgestellt worden und wird zu-
gleich mit dem Bericht über die Jahre 1898 — 1902 erscheinen.
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie
aus den Jahren 1892—1901.
Von
Carl V. Holzinger
in Prag.
In diesem Berichte beabsichtige ich alle jeue literarischen Er-
scheinungen zu berücksichtigen, deren Titel in der Bibliütheca philologica
classica vom 1. Quartale 1892 bis zum letzten Quartale 1901 unter den
Schlagwörtern Comici graeci, Aristophanes, Menandros und unter den
Namen anderer griechischer Komiker registriert sind. Natürlicli liel!
sich diese Absicht nicht ohne alle Ausnahme verwirklichen. Eine —
aUerdings nur geringe — Anzahl von Publikationen ist mir trotz wieder-
liolter Bemühungen nicht erreichbar gewesen. Einige andere, die nicht
in einer der Weltsprachen erschienen sind, waren mir aus diesem
Grunde nicht zugänglich und sind, wenn nicht einmal ihre Titel ver-
ständlich waren, überhaupt übergangen worden. Zum reichlichen Ersätze
für diesen Ausfall habe ich manches Werk in diesen Bericht einbezogen,
das sich in den oben bezeichneten Rubriken der Bibliotheca nicht ge-
nannt findet. Sichere Grenzen lassen sich aber bei einem so großen
Gebiete nicht ziehen. Den ganzen Strom von literarischen Erzeug-
nissen eines Jahrzehnts, die für das Studium der griechischen Komödie
von einem beliebigen Gesichtspunkte aus in Betracht kommen, in einen
einzigen Bericht hineinzuleiten, ist um so weniger möglich, als auch die
Fachreferenten für Literaturgeschichte, Mythologie und Religion, Alter-
tümer, Grammatik, Metrik u. s. w. auf ihren Anteil an einem so reich-
haltigen Autor wie Aristophanes nicht verzichten können. So bleibt
denn nichts anderes übrig, als sich zu bescheiden und auf Vollständig-
keit im wahren Sinne des Wortes zu verzichten. —
Am nächsten wäre es nach dem verflossenen Jahrzehnt gelegen
gewesen, bei einer Berichterstattung über die „griechische Komödie''
auch auf die Literatur der scenischen Altertümer, insbesondere der
Bühnenfrage systematisch einzugehen. Auch diesen Plan habe ich aber
schließlich aufgegeben, und so findet man selbst die bekanntesten Er-
scheinungen dieses Gebietes in meinem Berichte nicht einmal genannt.
160 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
Mag es denn also bei einzelnen über diesen Geg'eustand gelegentlich
eingestreuten Bemerkungeu sein Bewenden haben! Trotz dieser Ein-
schränkung auf Schriften, die den Namen eines der griechischen Ko-,
miker oder der Komödie selbst in ihrem Titel führen, war es nicht
leicht, die Masse der Publikationen zu bewältigen.
Das hervorstechendste Ereignis in diesem ganzen Bereiche waren
die Funde neuer Fragmente, unter denen einige Scenen des Menandri-
schen Georgos und der Perikeiromeue den ersten Platz einnehmen.
Auf dem Gebiete der Aristophanesliteratur hingegen gebührt die Palme
einigen Kritikern und Exegeten einzelner Stellen. Zahlreiche Verse,
die vor zwanzig Jahren als dunkel galten oder deren Verständnis ein
Geheimnis weniger war, sind jetzt genügend aufgeklärt. Ein etwas
geringerer Rang kommt wohl, wenn ich von einzelnen rühmlichen Aus-
nahmen absehe, den in dem gleichen Zeiträume erschienenen Ausgaben
zu, insofern sie nicht selten hinter den Ergebnissen der Einzelliteratur
zurückbleiben. Bei der Fülle von Rezensionen, welche sich gerade mit
diesen umfangreichen Veröffentlichungen beschäftigen, kann es niemand
schwer fallen, sich mehrere fachmännische Urteile über sie zu ver-
schaffen und sie miteinander zu vergleichen. Vielleicht nicht alle Leser
dieses Jahresberichtes, aber doch gewiß sehr viele von ihnen Werden
es mir daher wohl Dank wissen, daß ich in solchen Fällen nicht zu
zehn Beurteilungen eines jetzt längst bekannten Buches noch post festum
eine elfte hinzufüge, sondern daß ich es vorziehe, über die weit zer-
streuten und dem einzelnen oft schwer erreichbaren kleineren Schriften
und Aufsätze genauere Auskunft zu geben. Die Reihenfolge, in welcher
ich die vorgeführten Erscheinungen behandle, ist, soweit sich überhaupt
eine strenge Anordnung einhalten läßt, auf den Inhalt der Werke ge-
gründet. Ein Urteil über den Wert derselben ist dadurch ebensowenig
ausgedrückt, als etwa durch die größere oder geringere Ausführlichkeit
der Berichterstattung. Schließlich diene zur Nachricht, daß ich über
das Jahr 1892 nur in vereinzelten Ausnahmen zurückgegangen bin. —
Übergangen wurden aus dem oben angeführten Grunde die in der
Bibliotheca philologica classica genannten Arbeiten von Boros, Danka,
Hahn, Hegedüs, Hornyansky und Konarski.
Die übrigen ca. 300 Publikationen sind in folgenden Abteilungen
untergebracht :
I. Überblick über die oft rezeusierten und bereits als allgemein be-
kannt vorausgesetzten Ausgaben, neue Auflagen und Fortsetzungen
bewährter Schulausgaben.
IL Arbeiten von allgemeinerer Tendenz, die Komödie überhaupt
oder einige Komödien des Aristophaues betreffend.
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 161
III. Arbeiten von speziellerer Tendenz. Vorangehen die Arbeiten
über eine der elf Komödien des Aristophanes, angeordnet nach der
Chronologie der Stücke. Es folgen die Arbeiten über die Parepi-
graphae und die Schollen zu Aristophanes, zuletzt die Arbeiten
über die Fragmente der ältesten und der späteren griechischen
Komiker in chronologischer Anordnung.
I.
Von Frid. H. M. Blaydes sind in den Jahren 1892—1901
folgende Werke dieses Gebietes erschienen:
Aristophanis Equites. (Vol. X.) Halle 1892.
Aristophanis Vespae. (Vol. XL) 1893.
Adversaria in com icorum Graecorum fragraenta, pars IL
1896.
Adversaria in varios poetas graecos et latinos. 1898.
In diesem Bande führt die IL Abteilung den Sondertitel: Ana-
lecta tragica et comica graeca. Hiervon sind S. 183 — 189 und einige
Notizen auf S. 201 — 202 den Fragmenten der Komiker gewidmet.
Adversaria critica in Aristophanem. 1899.
Dazu erschien noch neuestens:
Spicilegium Aristophaneum. 1902.
Die Arbeitsweise des greisen, aber unermüdlichen Gelehrten ist
in ganz Deutschland so sehr bekannt, daß es nicht notwendig ist, sie
auch hier wieder zu charakteiisieren. Die ersten vier Bände der großen
Aristophanesausgabe, besonders die Aves, habe ich in der Zeitschrift
f. d. österr. Gymnasien (Jahrg. XXXIV, S.603 — 7) ausführlich besprochen.
Desgleichen späterhin den im J. 1886 erschienenen Plutos. Trotz der
oft gerügten, aber unverändert gebliebenen Mängel enthalten alle, auch
die neueren Werke des ausgezeichneten Gräzisten so viel Brauchbares,
daß sie von niemand, der auf diesem Gebiete mitarbeiten will, unbe-
achtet gelassen werden können.
Gleichzeitig sind von J. vanLeeuwens Ausgabe, Leyden, Brill,
folgende Bände erschienen:
Aristophanis Vespae. 1893.
Aristophanis Ranae. 1896.
Aristophanis Nubes. 1898.
Aristophanis Equites. 1900.
Aristophanis Acharnenses. 1901.
Aristophanis Aves. 1902.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 1 1
162 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
Da van Lecnwen seinen Ausgaben Aufsätze in der Mnemosyne
voranszusenden pflegt, in denen er viele Neuigkeiten, welche für die
Ausgaben bestimmt sind, vorwegnimmt, finden sich gerade die wichtigsten
Eigentümlichkeiten derselben in meinen Berichten über diese Abhand-
lungen ausführlich besprochen. Bezüglich der Ausgaben selbst begnüge
ich mich daher, auf die zahlreichen Rezensionen, die sie gefunden haben,
hinzuweisen. Diese Rezensionen hier im einzelnen namhaft zu machen,
wäre insofern ganz überflüssig, als sie in der Blbli(?theca philologica
classica verzeichnet sind. —
Allgemein bekannt sind wohl auch folgende Ausgaben:
'Apt(JT09avou; Elpq-rq cum scholiorum antiquorum excerptis
passim emendatis. Recognovit et adnotavit Henricus van Her-
w erden. Pars prior contiuens praefatiouem et fabulae textum cum
scholiis metricis et adnotatione critica; pars altera continens commen-
tarium exegeticum et indices. Leyden 1897.
Eine Besprechung der von Herwerden in der Mnemosyne behan-
delten Stellen der Fax habe ich dem Berichte einverleibt. —
Eine Gesamtausgabe des Textes mit einem Auszuge aus dem kri-
tischen Apparate ist in der Scriptorara classicorum bibliotheca Oxoniensis
1900 in zwei Oktavbänden erschienen:
Aristophanis Comoediae. Recognoverunt brevique adnotatione
critica instruxerunt F.W. Hall andW. M. Geldart. Tom. I. IL Oxonii.
Der zweite Band bringt zum Schiasse die auf 969 Nummeru er-
weiterte Sammlung der Fragmente, indem das in meinem Berichte be-
handelte Stück aus den Oxyrhynchns Papyri II, CCXII. pp. 20— 2ä
bereits Aufnahme fand. — Die konservative Haltung, welche die Her-
ausgeber gegenüber der Überlieferung einnehmen, kann ich von meinem
Standpunkte nur billigen. Einige Einzelheiten habe ich in dem Berichte
über J. B. Burys Aufsatz: ,Some observations on the Peace" behandelt.
Der Theodor Bergkschen Ausgabe wird die neue Oxforder Edition
starke Konkurrenz machen. —
Eine fleißige und in mehrfacher Hinsicht treffliche Ausgabe der
Wespen, wohl die beste Spezialausgabe dieses Stückes, ist Starkies Buch.
Auf einzelne Bemerkungen Starkies komme ich in diesem Berichte mehrere
Male zu sprechen. Hier kann ich mich also mit der Angabe des Titels
begnügen: The Wasps of Aristophanes with introduction, metrical
analysis, critical notes, and comraentary by M. Starkie. London 1897.
Brauchbare Schulausgaben sind die neuen Bändchen von Green
(Wasps, 1894), Graves(Clouds, 1898, Wasps, 1899), Merry (Peace, 1900).—
Eine nach dem Tode des Verfassers erschienene und mit reich-
lichen sprachlichen Bemerkungen ausgestattete Einzelausgabe der
Ritter ist das Buch:
Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie, (Holzinger.) Jßg
The knigbts of Aristophanes. Edited by A. Neil, Cambridge 1901.
In der Bibliotheca philol. class. 1892, 4, S. 222 findet man den Titel
notiert: Equites, with introduction and notes by A. Neil, Cambridge. —
l'ber das Verhältnis dieser zwei Titel zueinander gibt das Vorwort der
im J. 1901 erschienen Ausgabe keine Auskunft. Die Ausgabe von 1892,
falls sie existiert, war mir nicht erreichbar.
Ich beschließe diese Liste von Werken mit dem ersten Teile von
G. Kaibels GGF., welcher der dorischen Komödie, den Mimen des
Sophron und den Phlyaken gewidmet ist. Die Einleitung bilden die
Commentaria vetera de Comoedia graeca, zu denen die Quellenstudien
in den Abhandlungen der k. Ges. d. Wissenschaften zu Göttingen 1898
gesondert erschienen sind. Seinen Abschluß findet das unentbehrliche
Werk in dem Glossarium Italioticum und den Indices poetarum, titu-
lorum, fontium und vocabulorura. Die Titel beider Arbeiten lauten:
Comicorum graecorum fragmenta edidit G. Kaibel. Vol. I.
Berlin 1899.
Die Prolegomena 7:epi xa)|xcü6ta?. Von G. Kaibel. Abhaudl. d.
G. d. W. zu Göttingen. Philolog.-histor. Klasse. NF. Bd. 2. 1898.
Auch den neuen Auflagen von Ausgaben und Übersetzungen kann
ich bei der Abfassung dieses Berichtes weder Zeit noch Raum widmen,
sondern muß auf die Rezension der Fachblätter hinweisen. In diese
Gruppe gehören folgende Titel:
Aristophanes Equites rec. A. v. Velsen. Editio altera quam
curavit K. Zacher. Lipsiae 1897.
Der Text ist konservativer gestaltet, als dies in der ersten Ausgabe
der Fall war. Über die Grundsätze, von denen sich der Herausgeber leiten
ließ, hat er in den Aristophanesstndien (1898) und in den kritisch-
grammatischen Parerga (1899) Rechenschaft gegeben. Über beide
Schriften ist der Bericht zu vergleichen.
Von Kocks Ausgabe sind die Wolken 1894 in vierter, die
Vögel 1894 in dritter, die Frösche 1898 in vierter Auflage er-
schienen. Da die Kocksche Ausgabe für die Erklärung der vier
Komödien, die sie umfaßt, seit Jahrzehnten das Standardwork bildet,
wird sie in der Einzelliteratur dieser Stücke von den meisten Inter-
preten — auch von solchen, die Kocks Namen nicht nennen — benutzt
und dementsprechend auch angegriffen. Man findet daher in den Be-
richten über diese Literatur vieles, was zur Beurteilung der neueren
Auflagen, in denen es Kock an gelegentlichen Fortschritten nicht fehlen
ließ, beiträgt.
Von englischen Neuauflagen sind mir ausser W. Merry's Ausgaben
folgende bekannt:
11*
164 Bericht über die Literatur der griechischeo Komödie. (Holzingcr.)
The comedies of Aristophanes. A new and literal translation by
James Hickie. Vol. I. II. London 1900—1901.
Es ist dies bekanntlich eine der besten Aristophanesübersetzungen,
mit vielen trefflichen Fußnoten ausgestattet. Die Franzosen besitzen
keine Übersetzung des Komikers von gleichem Range.
Fragments of the greek comic poets With renderings in
English verse by F. A. Paley. 2. ed. London 1892.
Hierher gehörte auch E. L. Hawkins' Übersetzung der Frösche,
London 1894 u. A. —
In Frankreich sind die Übersetzungen vonC. Poyard(Hachette 1892)
und seine Morceauxchoisies, publiees avecdesnotices etc. (ibid. 1900)inneuer
Auflage erschienen und zwar das erstgenannte Werk in neunter Auflage.
Im J. 1892 ist auch das Werk von E. Deschanel, liltudes sur
Aristophane (Paris) und das fleißige Buch von A. Couat, Aristophane
et l'ancienne comedie attique (Paris), ersteres in dritter, letzteres in
zweiter Auflage herausgegeben worden.
II. Arbeiten von allgemeinerer Tendenz.
R. Hecht, Die Darstellung fremder Nationalitäten im 'Drama
der Griechen. — Progr. Königsberg 1892.
Der Verfasser zählt zunächst die griechischen Dramen auf, in
denen Perser, Trojaner oder Phrygier, Ägypter, Thraker, Skythen,
Kolcher, Phöniker, Mysier, Lydier, Karer, L3'kier und schließlich In-
dividuen sagenhafter Völker, wie Aithiopen und Kyklopen, vorkommen.
Bei der Aufzählung der Thraker vermisse ich die Odomanten aus den
Acharnern. Nach dieser Vorführung seines Studienmaterials behandelt
nun Hecht die Art und Weise, in welcher die griechischen Dramatiker
die Barbarenrollen ausstatteten. Denkungsweise, Charakter, Landessitten,
Sprache, Religion, Kostümierung, kurz alles, was bei den Trägern dieser
Rollen auf geistigem und körperlichem Gebiete in Erscheinung tritt,
wird gesammelt und zusammenfassend dargestellt. Etwas Neues tritt
dabei wohl nicht zu Tage, aber alle Seiten, die das Thema darbietet,
sind mit Fleiß bearbeitet, so daß die Abhandlung gelegentlich auch bei
der Einzelerklärung von Dramen mit Vorteil benutzt werden kann.
Zum überwiegenden Teile bezieht sich jedoch dieser Aufsatz, wie sich
von selbst versteht, auf die Tragödie.
J. Zelle, De comoediarum Graecarum saeculo quinto ante
Christum uatum actarumtemporibus defiuiendis. — Halis Saxonum 1892.
Nach einigen Vorbemerkungen über die den Zeiten des pelo-
ponnesischen Krieges voranliegende Entwicklung der attischen Komödie
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 165
sucht der Verfasser die Anfführnngsdaten der zwischen die Jahre 431 —
421 fallenden Komödien festzustellen. Seine Arbeit beruht hierbei im
wesentlichen auf Ulricli von Wilamowitz-MöllendorfiFs Observ. crit. in
com. Graec. sel.Berol 1870, indem er die dort begründeten clironolounschen
Aufstellungen teils billigt, teils zu widerlegen sucht. In einem zweiten
Teile der Arbeit S. 38 — 57 behandelt er die komischen Aufführungen der
Jahre 4*20 — 405 und faßt schließlich die Resultate seiner Dissertation
in einem Kataloge aller nach seiner Ansicht festgestellten Komödien-
aufführungen für die ganze Zeit des peloponnesischen Krieges zusammen.
Von den 162 Komödien, die während der 27 Jahre des Krieges aufge-
führt wurden, glaubt Zelle 70 rücksichtlich der Zeit ihrer Aufführung
mehr oder weniger genau bestimmen zu können. Sie verteilen sich auf
15 Dichter, von denen Kratinos mit 8, Eupolis mit 12, Aristophanes
mit 22 Dramen an diesem Piuax beteiligt sind. — Als Einzelheit er-
wähne ich, daß Zelle die IIoXe!; des Eupolis auf 424 ansetzt und trotz-
dem die Stellen über den Amynias in einem ähnlichen Zusammenhange
bespricht, als Kaibel im J. 1895 (s. d.), der allerdings das Material um
Heimipp. fr. 71 K. erweitert. —
Alfred J. Church, Stories from the Greek Comoedians. —
London 1893.
Das schön ausgestattete mit 16 Illustrationen geschmückte Werk
ist auf einen weilen Leserkreis berechnet, dem es zu schwer fällt, sich
in die Leistungen der alten Komödie durch Übersetzungen — geschweige
denn durch die Originale einzulesen. Der Verfasser erzählt den Inhalt
von 9 Komödien des Aristophanes und 6 Stücken des Philemon, Diphilos,
Menander und ApoUodoros, indem er für die letzteren Plautus und
Terenz eintiefen läßt. Die Erzählung wird durch eingeflochtene Seenen
der Komödien selbst nach der Übeisetzuug von Hookhara Frere belebt,
PO daß der Leser rasch einen Überblick über viele bekannte Erscheinungen
der alten Literatur erhält, die ihm allerdings in einer modernisierten
Umformung und mittelst einer Kontamination von Altem und Neuem ver-
mittelt werden. So heißt z. B. der Dikaiopolis der Acharner Mr. Honesty
und Lamachos erscheint als General Dobattle. —
Carlo Borromeo, Le donne di tempi di Aristofane e dopo assi-
stevano alle rappresentazioni della commedia. Verona 1893.
Ottomar Bachmann sagt in der Berl. phil. Wo. 1895 No. 12,
Sp. 353 ff. über diesen Aufsatz, den ich selbst nicht gelesen habe, im
wesentlichen folgendes: Einzelne Stellen, wie Lysistr. 456 — 460 faßt
Borromeo in dem Sinne auf, als wären sie an Zuschauerinnen im
Publikum i^erichtet. Entgegengesetzte Stellen, wie Av. 793 — 796, wo
der Dichter stillschweigend voraussetzt, daß die Trauen zu Hause und
'iCQ Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)
nicht im Theater sind, werden durch ebenso gewagte Interpretation be-
seitigt. Neues Material aber zur Entscheidung der oft besprochenen
Streitfrage findet man bei Borromeo nicht, so daß es bei der bisher,
eingelebten Ansicht bleiben muß, daß zur Zeit der alten Komödie an-
ständige Bürgersfrauen mit ihren Töchtern nicht als Zuschauerinnen zu
denken sind. Ottomar Bachmann macht die richtige Bemerkung, daß
man bei der Diskussion dieses Themas bisher den Kostenpunkt zu wenig
berücksichtigte, da der Büiger das Hetoptxov nur für seine Person aus-
bezahlt bekam. — Man könnte vielleicht sogar auch auf den Mangel an
Platz im Theater hinweisen, wenn es bei den Athenern jener Zeit üblich
gewesen wäre, im Theater mit der Familie zu erscheinen. Vom Stand-
punkte unseres Gefühles für Anständigkeit allein kann man allerdings
bei derartigen Untersuchungen nicht ausgehen, da sich der Geschmack
mit den Zeiten ändert. Übrigens behaupten böse Zungen, daß gerade
im modernen Theater lascive Stücke und selbst Verhandlungen im Ge-
richtssaale, die einige Pikanterie versprechen, von einem recht distin-
guierten Damenflor besucht zu sein pflegen. Aber zwischen demjenigen,
was bei uns bei offenen Türen geboten wird, und der Entfaltung grober
Obscönitäten in der alten Komödie, ist denn doch noch ein Unterschied.
Auch wird man nicht vergessen dürfen, daß sich die Frauen und Töchter
des athenischen Mittelstandes an Freiheit der Bewegung auch in vielen
anderen Beziehungen mit dem weiblichen Geschlechte unserer Tage nicht
messen konnten. —
W. Scher rans. De poetarum comicorum atticorum studiis Ho-
mericis. Regimonti 1893,
Die Arbeit geht darauf aus zu zeigen, daß die Dichter der alten
attischen Komödie noch stark unter dem Einflüsse Homers stehen. Für
Aristophanes gelte dies insbesondere für die Ritter, Wolken, Wespen,
den Frieden und die Vögel, während die letzten 5 Stücke davon freier
seien als die Mittlere Komödie. In der Mittleren Komödie seien näm-
lich zwar viele Homerische Stoffe benutzt, aber in ihrem Sprachschatze
fände sich nur wenig Homerisches. In der Neuen Komödie finde man
fast gar nichts davon. Zum Beispiele lese man in der Alten Komödie
ziemlich viele heroische Hexameter, wenige in der Mittleren, keinen in
der Neuen Komödie. — Dieses Resultat der Abhandlung, welches ja
wohl niemand unerwartet kommen dürfte, wird durch eine fleißige
Sammlung aller auf Homer hinweisenden Komödientitel, Homerparodien,
Homerischen Vokabeln und Vv^ortformen. sowie überhaupt Homerischer
Anklänge jeder Art vorbereitet, so daß die allerdings selbstverständliche
These ordentlich begründet erscheint. Daß der Verfasser die Behand-
lung der Homerischen Anklänge auf die Meiuekesche Fragmentsammluug
Bericht über die Literatur der griecbischea Komödie. CHolziager.) I(j7
stützt, während er dieselben Fragmente iü dem Verzeichnisse der heroi-
schen Hexameter nach Kock citiert, verursacht einem kontrollierenden
Leser manchen unLütigen Zeitverlust. — ('brigens vergleiche man mit
dem Aufsatze von Scherrans die Abhandlung A. Olivieris in der Rivista
di tilologia l'JOl, XXIX. (s. d.) —
Orestes Nazari, Quo anno Aristophanes natus sit. Rivista di
filologia XXII, 1894, p. 50—56.
Der Verf. erklärt mit Bergk-Peppmüller IV p. 73 Aum. 105 den
Teil des schol. Nub. 510 für unglaubwürdig, in welchem es heißt:
v6(xo? fjV 'Ai)r,vaioi; [xrjTTto xiva etcüv X' Ye^ovo-a [xtqte opa[i.a ava^ivcujxs'.v
£v OsaTpio, ixTQTö oTjixTfiYopeiv. Ein Drama aufführen zu dürfen sei io
Athen ein munus publicum gewesen und die Bekleidung einer solchen
öffentlichen Stelluüg sei dem Athener erst bei vollendetem zwanzigsten
Lebensjahre möglich gewesen. Aus der Parabase der Wolken vss. 528
— 533 ergebe sich, daß Aristophanes bei der Aufführung der Daitaleis
durch Kallistratos Ol. 88. 1 = 427 v. Chr. das zwanzigste Lebensjahr
noch nicht erreicht hatte. Hingegen lehren die Verse der Equ. 514 —
517 und 541 — 546, daß Aristophanes die Babylonier im J. 426 und die
Acharner im J. 425 freiwillig nicht selbst auf die Bübne gebracht habe,
während ihn die gesetzliche Altersgrenze daran nicht gehindert haben
würde. Somit, sagt Näzari, sei Aristophanes im J. 446 v. Chr. geboren.
Bei seiner Darlegung hätte er aber 447/446 sagen müssen, da er eine
Einschränkung seines Ansatzes auf ein bestimmtes Halbjahr nicht be-
gründet. — Es ist kaum notwendig hinzuzufügen, daß die Ausführungen
des Verf. kein sicheres Geburtsdatum des Dichters verbürgen, weil die
Verse der Nub. 528 — b'd'i keine auf ein bestimmtes Lebensjahr hin-
weisende Interpretation zulassen. —
E. Lange, Athen im Spiegel der aristophanischen Komödie. —
1894. Sammlung gemeinverständlicher wissenschaftlicher Vorträge
begründet von Virchow und Holtzendorff. NF. IX. Serie, Heft 206.
Dem Titel seines Autsatzes entsprechend sucht der Verfasser ein
Bild des Athens der blühendsten Zeit zu entwerfen, wie es sich in den
Komödien des Aristophanes abspiegelt. Berücksichtigt werden die po-
litischen und die wirtschaftlich-sozialen Verhältnisse, Erziehung und
Bildung, Glaube und Sitte. Mit Vorliebe verweilt der Verfasser bei der
Frage, inwieweit Aristophanes als historische Quelle zu verwerten ist. —
Utrum Aristophanes an Tiiucydides veriora de vita ac moribus
Atheniensium praeceperit oratio latina praemio cancellari donata-
auctore St. Robertson. O.KOuii 1896.
Das geschichtliche Zeugnis des Aristophanes und des Thukydidcs
werden in dieser epideiktischen Rede gegeneinander abgewogen. Dabei
168 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
ist hauptsäclilich die Stelliuig berücksichtigt, welche beide Schriftsteller
gegenüber den athenischen Frauen, gegenüber der Grausamkeit der
Athener, ferner bei der Behandlung der Religion und der Götter und
in der Charakteristik einzelner llänuer und ganzer Stände einnehmen.
Vielfach werden beide Autoren wegen ihres ungerechten oder unrich-
tigen Urteils getadelt. Nach S. 7 dürfte man wohl die Ansicht Robert-
sons mit seinen eigenen Worten in den Satz zusammenfassen: Non igitur
debemus Aristophaue reiecto Thucydidis scriptorura veritatem compro-
bare. Wissenschaftlichen Wert kann ich dieser Deklamation nicht zu-
gestehen. An Sonderbarkeiten — nicht bloß der Latiuität — fehlt es
nicht. Wenn der Autor z. B. S. 7 über Sophokles sagt: Si quis sen-
tentias Sophocleas ad rem vulgarem transtulerit, prope ridiculus evadat
poeta, so waren die Athener, als sie der Dichter gerade wegen der
Tüchtigkeit und Brauchbarkeit seiner Ansichten zum Strategen machten,
jedenfalls anderer Meinung.
E. E,ieß, Superstitious and populär beliefs in Greek Coraedy.
Americ. Journ. of Piniol. XVIII, 1897, p. 189—205.
Diese Abhandlung über Aberglaube und Volksglaube in der grie-
chischen Komödie schließt sich an den Aufsatz an, den der Verf. über
„Superstilion in Greek Tragedy" in den Transactions Americ. Philol.
Assoc. (XXVI, XXVII) veröffentlichte. — Rieß erklärt eine Anzahl
griechischer Komikerstellen, indem er den Nachweis versucht, daß ihrem
Inhalte ein Aberglaube zu Grunde lag. Damit ist natürlich nicht ge-
sagt, daß die betreffenden Komiker den von ihnen berücksichtigten Volks-
glauben auch teilten. Speziell Aristophanes und Menander werden als
Männer aufgefaßt, die durch die Verurteilung abergläubischer Gebräuche
den meisten ihrer Zeitgenossen weit voraneilten. Dasselbe wird wohl
auch von den anderen Komikern gelten. Der Verf. behandelt folgende
Fragmente: Men?.nd. Mtcjoyuvo; 326 (nach Kocks Zählung) (— ine. 601 Ko),
Aristoph. "Hpwe? 306, TsX(jlij^; 530 und 532, Alk. ravu}Arjoy)c 4, Krates
"Hptos? 10, Strattis Ooiviajat 46 = Ai'istoph. N^jot 389, Com. anon. 85 Ko
und aus des Aristoph. Fröschen v. 298 ff. Daß Dionysos weder als
Herakles, noch auch mit seinem wahren Namen angerufen sein will, hat
nicht bloß den speziellen Grund, den die bisherigen Erklärungen voraus-
setzten, sondern die Vorsicht des Dionysos ist r.nt einem weitverbreiteten
Aberglauben in Zusammenhang zu bringen. Wer den Namen eines
Dämons kennt, hat bereits Macht über ihn gewonnen. Kennt der Dämon
den Namen des Menschen, dann steht dieser in seiner Macht. Empusa
soü also den Namen des Dionj'sos nicht erfahren, sonst ist er verloren.
Nicht anschließen kann ich mich der Ansicht des Verfassers, daß auch
das Pseudonym Outt? des Odj'sseus bei Iiomer diesen Untergrund habe.
Bericht über die Literatur der griechischeo Komödie. (Holzinger.) 169
Hier ist m. E. nur der beabsichtigte Anklarg Outi; au 'Üoua-aeu; als
Nebenelement zu berücksichtigen. Rieß beschließt seine interessanteu
Ausführuugen mit einem Iudex, in welchem die griechischen Komikor-
stellen, die über irgend einen Aberglauben Aufschluß geben, unter alpha-
betisch geordneten Schlagworten gesammelt sind. — [Wenn der Veif.
S. 191 sagt: „At thc door the souls have oue of their habitual hannts,
though I hardly recollect any reference to it from Greek soil", so darf
mau vielleicht auf Eur. Alk. 100: T.q-(aio'j lo; vofxusrai /epviS' e-l 'fi>tT(Lv
TT'jXatc hinweisen.]
J. L. Heiberg, Den garale attiske Komodies frisprog. Kopen-
hagen 1899. = Studier fra Sprog- og Oldtidsforskning , No. 39,
p. 1-38.
Dieser Aufsatz des geschätzten dänischen Gelehrten behandelt die
Freiheit der Sprache in der alten attischen Komödie, zumeist, wie es
scheint, den Aristophanes als den ungezogenen Liebliug der Grazien.
Ich bedauere sehr, über diese Abhandlung nicht eingehender berichten
zu können.
W. Rhys Roberts, On Aristophanes and Agathon. — The Athe-
naeum, Journal of Literature, Science etc., 1899, No, 3732, p. 567.
Der ungenannte Referent berichtet über eine in der Londoner
Hellenic society am 27. April 1899 abgehaltene Vorlesung über Aristo-
idianes und Agathon. Roberts verglich darin die Art, mit welcher Ari-
stophanes den Agathon in den Thesmophoriazusen und in den „Fröschen"
(v. 83) behandelt. Roberts spricht hierbei die Ansicht aus, daß Aristo-
l)hanes im Laufe der Jahre allmählich zu einer halbwegs gerechten
Würdigung des Tragikers vorwärts schritt und daß er ihn zuletzt schon
mehr wie seinen Freund als wie einen Anhänger der Euripideischen
Schule behandelte.
W. Rhys Roberts, Aristophanes and Agathon. — The Journal
of Hellenic Studies, vol. XX, 1900, p. 44—56.
Die Abhandlung Roberts beruht nur auf dem schon längst be-
kannten und oft verwerteten Materiale über Agathon. Das rhetorische
Element bei Agathon, die körperliche Schönheit und die Wohlhabenheit
des Dichters, ferner sein Verhältnis zu Euripidcs werden in ansprechen-
der Weise in das richtige Licht gerückt, ohne daß hierbei irgendwie
etwas Neues zu Tage träte. — Vgl. auch meinen Bericht über das im
Atheuaeum (1899, No. 3732) enthaltene Referat über den Vortrag
Roberts gleichen Inhaltes. —
J. Völker, Berühmte Schauspieler im griechischen Altertum. —
Hamburg 1899. — Sammlung gemeinverst. wissensch. Vorträge.
Heft 327.
170 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
Dieser Vortrag beruht in seinem Materiale auf der Dissertation
des Verfassers De Graecorum fabularum actoribus, Halle 1880 und be-
rücksichtigt auch neuere Literatur. Besprochen werden die Schauspieler
der Tragödie und der Komödie im 5. und 4. Jahrb. Für die Komödie
des 5. Jahrh. werden Krates, Hermon, Apollodoros, für das 4. Jahrh.
Philemon, Satyros aus Olynthos, Parmenon, Nausikrates, Ariston, Phor-
raiou und Lykon genannt und mit einigen Notizen vorgeführt. —
H. Richards, On the use of the words Tpa-zwooc and xojjxwoo;.
— The Ciassical lleview 1900, XIV, p. 201—214.
Mit einigen Worten soll auch auf diese eingehende und sorg-
fältige Untersuchung über den Sprachgebrauch von Tpa-^cooo? und xwfxwooc
hingewiesen werden. Der Verf. ist bemüht, die allmähliche Änderung
des begrifflichen ümfanges dieser Termini chronologisch zu fixieren.
Weder xpayoSoj und -/(ü[i.(u5o?, noch auch das analog gebildete rpu^wooc
bezeichnen im guten Attischen des fünften und vierten Jahrh. irgendwo
den Schauspieler oder den Dichter. In Stellen wie Vesp. 1537, Pax.
806, Av. 787 bedeuten diese Ausdrücke in der Verbindung mit yopoc
oder auch der Dativ mit im, wie in Vesp. 650, bloß das Stück oder
die Aufführung desselben, also einfach: Tragödie oder Komödie. — Zu
Ende dieses Zeitraumes zeigt sich außerhalb Attikas bereits die An-
wendung dieser Wörter für den Schauspieler, aber noch nicht mit voller
Sicherheit. Ein unzweifelhaftes Beispiel für diesen Sprachgebrauch ge-
hört erst dem ersten christlichen Jahrhundert an. Dagegen findet sich
die Verwendung dieser Ausdrücke für den Dichter der Stücke erst vom
zweiten christlichen Jahrhundert abwärts, —
ß. Hessen, Aristophanes und Haluptraann. — Preußische Jahr-
bücher, Bd. 102, 1900, S. 83—93.
Die Tendenz des Aufsatzes geht dahin, den ,, Biberpelz" Haupt-
manns darum zu verurteilen, weil dieses Stück auf das Rechtsbewußtsein
des Zuschauers beleidigt und demoralisierend wirkt. Bei der Entwick-
lung dieser These kommt der Verfasser mehrmals auf Aristophanes,
Euripides und auf die Forderungen der Aristotelischen Poetik zu sprechen.
Die Bemerkungen über Aristophanes sind von der Anschauung getragen,
daß seine Komödien darauf ausgehen, ethisch zu wirken. Der Erfolg
dieser Richtung auf das Publikum sei allerdings Null gewesen. Manche
Bemerkungen Hessens über die hier angedeuteten Stoffe wäre ich nicht
in der Lage zu unterschreiben. So bezeichnet es z. B. Hessen als eine
,, innerlich unwahre" Behauptung, daß ,,die Athener sich ein Vergnügen
daraus machten, gegen die Größen des Tages das Äußerste unbelästigt
aussprechen zu lassen" und daß der Aristophanische Geist bei den mo-
dernen deutschen Lustspieldichteru darum nicht zum Durchbruche komme,
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) ] 7 1
weil ihnen die unbeschränkte Freiheit fehle. Hessen weist dabei auf
das Psephisma hin, das unter Archon Morychides die Theaterfreiheit ein-
schränkte. Die Parallele, die Hessen zwischen dem ,,Anitsvorsteher
Welirhahn" im „Biberpelz" und dem Sokrates in den „Wolken" zieht
und die besagen soll, dall sich Hauptmann bei der ,, naturgetreuen" Dar-
stellung dieses ,, Amtsvorsteheis" einer hinreichenden politischen Freiheit
erfreute, scheint mir aus mehr als einem Grunde nicht zutreffend. Vor
allem ist ,, Wehrhahn" für das Publikum nur ein Typus. Sokrates aber,
der in einer großenteils ungerechten Weise als Typus des Sophisten
hingestellt wird, war für das Publikum der „Wolken" auch eine leib-
haftige Persönlichkeit, die unter ihiem wahren Namen und wahrschein-
lich in vergröberter Maske depi Gelächter preisgegeben wurde. Man
mag über Theaterzensur wie immer denken, aber die Tatsache, daß die
Theaterfreiheit im Zeitalter des Aristophaues selbst während der wechseln-
den Perioden ihrer Einschiänkung größer war als in unseren monarchi-
schen Staaten, läßt sich wohl nicht bestreiten. — Störend ist der Druck-
fehler „Planeten" statt ,, Platanen" in der Übersetzung des Verses
Ri. 528. —
A. ßoemer, tiber den litterarisch-ästhetischen Bilduugsstand
des attischen Theaterpublikums. Abhaiidl. d. k. bayer. Akad. I Cl.
XXII, Bd. 1901.
Der Verfasser verteidigt die These, daß das attische Theater-
publikum rasche Auffassung und Geschmack besaß, daß aber auf lite-
rarische Bildung nur bei einem kleinen Kreise von Zuschauern zu
rechneu war. In letzterer Hinsicht verfolgt also diese Abhandlung die
Tendenz, vor einer Überschätzung der Athener der besten Zeit zu
warnen. Der Verfasser führt seinen Beweis mit reicher Belesen heit
durch und behandelt dabei viele in das Gebiet der Redner, der Tragiker
und der Komiker einschlägige Fragen in überzeugender Weise. Auch
die Aristotelische Poetik wird mehrfach in den Kreis der Betrachtung
gezogen. Ich kann mich natürlich nicht allen Einzelheiten der Dar-
stellung anschließen. Ich erwähne beispielsweise, daß ich bei der Behand-
lung der Frage nach der Verbreitung des Lesens und Schreibens und des
Gebietes seiner Anwendung, des Buchwesens und der angelesenen Bildung
eine genauere Sonderung der Epochen für erforderlich halte. Zwischen
den Zuschauern der Acharner und der Wolken, also jener Generation,
welche eben die Schrecken der großen Seuche überdauert hatte, und dem
Publikum der Frösche bestand rücksichtlich der literarischen Bildung
wirklich ein größerer Unterschied, als Eoemer S. 61 — 62 anzunehmen
scheint.
Andererseits erweist er den Athenern des ausgehenden sechsten
.lahrhuuderts zu viel Ehre, wenn er (wegen der ojrpaxa, S. 43 ff.)
172 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
meint, daß wir „den Analphabeten wenigstens seit der Zeit des Kleisthenes
glücklich los geworden sind". Sehr gelungen ist die Behaudlung von
Ran. 1109 ff. : ßtßXi'ov x' l'ytov Ixajtoc [xavöavsi xa oegia, wo sich der
Verf. auf 0. Kaehlers treffliche Ausführungen stützt (Berl. phil. Wo.
1898, Sp. 103). Auffallend ist dabei ßoemers Bemerkung: „Wären
die Schollen des cod. Rav. durch den librarius nicht so schaudervoll
zugerichtet worden, so würden wir heute zu v. 1113 eine Erklärung
der Alten lesen, die uns alle befiiedigen würde. Jetzt ist dort nichts
erhalten, als die wenigen aber vielsagenden Worte: h stptoveia und damit
ist der JSagel auf den Kopf getroffen." Wie kommt aber hier der arme
Cod. Rav. zu diesem Tadel, da gerade er mit einer interlinearen Be-
merkung ,den Nagel auf den Kopf trifft''. Was soll mau denn vom
Cod. Yenetus sagen, in welchem nach Dindorf selbst diese Bemerkung
fehlt? Man kann doch schließlich nicht wissen, ob „die AUen-' irgend
eine Veranlassung fanden, hier über den Text mehr zu sagen, als: Iv
eiptüveia Ss^ia. In der Tat genügt dies vollkommen. Alles übrige er-
gibt sich von selbst, mit Ausnahme der Erklärung von esxpaxsofxevot,
welche der Scholiast wenigstens versucht, Roemer aber übergeht. —
J. van Leeuwen, Quaestiones ad historiam scenicam perti-
nentes. — Mnemos. NS. XX, 1892, p. 202—223.
Dieser Aufsatz behandelt in zwei getrennten Abschnitten Neo-
phrons Medea und Sophokles als Strategen und fällt demnach nicht in
den Bereich dieses Berichtes.
J. Poppelreuter, De conioediae atticae primordiis. — Berlinl893.
In dieser von Carl Robert beeinflußten Arbeit folgt Poppelreuter
in glücklicher Weise dem durch Ferd. Dümmlers „Skenische Yasen-
bilder" (Rh. Mus. 43, S. 355 ff.) gegebenen Beispiele, alte Yasenbilder
zur Erhellung der dunklen ältesten Geschichte oder der Vorgeschichte
der griechischen Komödie heranzuziehen. Eingehende Behandlung findet
insbesondere, die Berliner Vase No. 1928. Nach einem Gedanken Carl
Roberts erblickt Poppelreuter in der Darstellung dreier behelmter und
bepanzerter Jünglinge, welche auf drei anderen gebückten Jünglingen
sitzen, die mit Pferdekopf und Pferdeschweif maskiert sind und ihre
Richtung gegen einen Flötenbläser nehmen, ein Muster, nach welchem
man sich eine Scene der Ritter des Aristophanes (595 — 610) zu ver-
gegenwärtigen und zu erklären habe. Sowohl diese Vase als auch
einige andere, wie Berl. No. 1830 und 1697 behandelt Poppelreuter in
dem Sinne, daß wir durch derartige Monumente über die Darstellung,
v.elche Aristoteles in der Poetik über die Anfänge der Komödie gibt,
hinausgelangen und die ersten Ansätze einer politischen und scenisch
halbwegs entwickelten komischen Darstellung höher hinaufrückeu mü?sen.
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzingor.) 173
Im II. Teile beschäftigt sich die lesenswerte Abhandlung mit
dem Aufbau der aristophanischen Komödien in der Absicht, zu zeigen,
daß die lose und gerade in den Schlußscenen sich oft sprungweise
überstürzende Komposition derselben nicht ein persönlicher Fehler des
einen Dichters, sondern eine in dem Wesen der Gattuu;,' begründete
Manier sei und daß ein besonderer Vorzug des Aristophanes gegenüber
seinen Vorgängern j^erade in der strafferen Führung der Handlung
wenigstens in den Aufangspartien seiner besten Stücke zu erblicken
sei. Neu ist dieser Gedanke nicht, aber in seiner Durchführung be-
gegnet man mancher belehrenden Einzelheit. Ferdinand Dümmler hat
diese Abhandlung Poppelreuters in der Berl. ph. Wo. 1894, No. 21,
Sp. 644—646 rezensiert. —
E. Capps, The dramatic synchoregia at Athens. — The American
Journal of Philology XVII, 1896, p. 319—328.
Der Verfasser nimmt in dieser Abhandlung seinen Ausgang von
Aristoph. Ran. 404 und dem dazu gehörigen Scholion. Er bespricht
sodann die Verhältnisse der Synchoregie für die Tragödie und die
Komödie auf der Grundlage des bekannten inschriftlichen Materials
und der daran sich knüpfenden neueren Literatur. Nach seiner Dar-
stellung hätten sich die genannten Verhältnisse in folgender Weise ent-
wickelt: Auf das Jahr 406 ist das Gesetz zu datieren, welches die
Vereinigung zweier Bürger für die Leistung der tragischen und ebenso
für die komische Choregie an den großen Dionysien anordnete. Zwischen
den Jahren 399 und 394 — und zwar näher au 394 als an 399 —
wurde diese Einrichtung für den tragischen Agon wieder aufgegeben.
Dagegen für die Komödie wurde die Synchoregie beibehalten, und noch
vor dem J. 388 wurde die Zahl der aufzuführenden Komödien von
3 auf 5 erhöht. Dieser Zustand dauerte bis zum J. 340, in welchem
die alte Ordnung der Choregie wieder auflebte. Nur wurde wahr-
scheinlich um dieselbe Zeit die Bestimmung der Choregen für die
Komödie vom Archon auf die Phylen übertragen. Der Sieg aber galt
anch weiterhin als Sieg des Choregen, insofern er den Chor und die
Phyle repräsentierte. — Der Aufsatz Capps verdient bei Unter-
suchungen dieser Art aufmerksame Berücksichtigung. —
E. Capps, The catalogues of Victors at the Dionysia and Lenaea,
CIA. II 977. — The American Journal of Philology XX, 1899,
p. 388—405.
Die vier Kolumnen d, e, f, g, h der unter CIA. II 977 zusammen-
gestellten Fragmente erklärt Capps gegenüber U. Köhler und Th. ßergk
als die Siegerliste der Komödie an den Lenaeen und zwar den Lenaeen
allein. Unter dieser Voraussetzung scheint ihm der Umstand begreiflich.
1 74 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
'laß die geringeren Komiker stärker hervortreten als die be'leuteudsten
JJichter. Denn die großen Dionysien seien, seitdem einmal die Komödie
einen Bestandteil ihres Agens bildete, das vornehmste Schlachtfeld nicht
nur für die Tragödie, sondern auch für die Komödie gewesen und die
Dionysien hätten demnach die stärksten Talente angezogen. Die Lenaeen
iiingegeu seien der Tummelplatz der geringeren Kräfte geworden, und
Meister ersten Ranges wie Aristophaues hätten daher ihre besten Stücke
für die großen Dionysien eingereicht, andere Komödien aber, auf welche
sie schwächere Hoffnungen setzten, für die Lenaeen. So könne man
erst recht den grollen Schmerz begreifen, den Aristophanes durch seine
Niederlage an den Dionysien des J. 423 erfuhr, weil er seine „Wolken"
dieses höchsten Festtages für würdig gehalten hatte. — Die Fragmente
i und k derselben Inschrift weist Capps den großen Dionysien zu, nicht
den Lenaeen. Daß sich auf diesem neuen Fundament bedeutende Ver-
änderungen gegenüber den bisherigen Annahmen über die Wirksamkeit
mancher griechischer Komiker ergeben, liegt auf der Hand. Diese
J^inzelheiteu des wichtigen Aufsatzes mitzuteilen, ist mir nicht möglich. —
AVeiterhin (S. 399) wird CIA. II, 977c der Liste der Komiker zugeteilt,
desgleichen 977 n und m. Daß sich diese Fragmente auf die Lenaeen
bezögen, stellt Capps in Abrede. Außer den genannten Fragmenten
rechnet Capps noch 977 1 zur Liste der Komiker (wegen der Nennung
des Philemou), dagegen bestreitet er, daß irgend ein anderer Teil der
unter No. 977 zusammengefaßten Partikelchen, mit Sicherheit der Liste
der komischen Dichter zugerechnet werden dürfen, also auch nicht a',
(i und r. — Bezüglich der Liste der Tragiker und der Verzeichnisse
der Schauspieler der Tragödie und Komödie weicht Capps nur in gering-
fügigen Einzelheiten von Köhlers Ansätzen ab. —
E, Capps, Chronological studies in the Greek tragic and comic
poets. The American Journal of Philol. XXI, 1900, p. 38—61.
In diesem Artikel zieht Capps die Konsequenzen seiner Auffassung
von CIA. II, 977 (vgl. Americ. Journ. of Philol. 1899, XX, p. 388 ff.)
für verschiedene chronologische Angaben über einige griechische Tragiker
und Komiker. Z. B. bezüglich Menandros knüpft Capps an Wilhelms
Besprechung der neuen Fragmente des Marmor Pariura an (Athen.
Mitteil. XXII, 1897, p. 200). Wilhelm macht dort darauf aufmerksam,
daß Menandros in der Siegerliste (CIA. II, 977 g) vor dem Philemon
steht. — Capps erklärt diesen Umstand dahin, daß Menandros früher
einen Sieg an den Lenaeen davontrug als Philemon. Dieser erste Sieg
Menanders an den Lenaeen kann nun mit Rücksicht auf das Geburts-
datum des Dichters (342/341) nicht vor 321 gesetzt werden, aber auch
nicht viel später, weil dies die Chronologie des Philemon verbietet.
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 175
Nach Capps war nun dieser erste Sieg Menanders nicht derjenige, den
er mit der'Op-j-rj gewann, sondein die 'öpYr, setzt Capps in das Jahr 315,
während Wilhelm sie dem J. 321 zuweist. — In gleiclier Weise be-
spricht Capps Daten über Theodektcs, die beiden Astydamas, die zwei
oder gar drei Apollodoros, Kephisodotos nnd Kephisodoros, Ari^tomenes,
Antiphanes itnd Alexis. Seine Polemik ist zum Teile gegen Kaibels
einschlägige Artikel in der Encyklopädie von Pauly-Wissowa ge-
richtet. —
Ettore Romagnoli. La „cnmmedia fiaba" in Atene. — Atene
e Roma I, 1898, p. 177—186. —
Im wesentlichen ist dieser Aufsatz nur ein Referat über Zielinskis
,,Die Märchenkomödie in Athen", Petersburg 1S85. Der Verfasser an-
erkennt, daß Zielinskis Arbeit anregend und lehrieicli sei, tritt aber
den von ihm gewonnenen Ergebnissen entgegen, indem er die Existenz
einer Märchenkomödie für Eupolis und Aristophanes in Abrede stellt.
G, Lettner, Bau, Wesen und Bedeutung des sogenannten .•\gons
in den aristophanischen Komödien. — Jahresbericlit des k. k. II. Ober-
gymnasiums in Lemberg. 1894.
Diese Zusammenfassung der hauptsächlichsten Ergebnisse der in
polnischer Sprache erschienenen Abhandlung des Verfassers macht in
ihrer deutschen Gestaltung den Eindruck einer Kritik des Zielinskischen
Buches (1885) über ,,Die Gliederung der altattischen Komödie", in
welcher der sogenannte Agon besondere Berücksichtigung findet. Lettner
gelangt zu manchen Anschauungen, die von den Ansichten Zielinskis
erheblich abweichen, mitunter ihnen auch geradezu entgegengesetzt
sind. —
C. Haym, De puerorum in re scaenica Graecorum pavtibus. —
Dissertationes philologicae Halenses. XIII, 1897, p. 219—294.
Haym unterscheidet in dieser Abhandlung das Alter der in den
griechischen Dramen dargestellten Kinder und den Grad ihrer Ver-
wendung. Seine Untersuchung erstreckt sich auf die erhaltenen und
die verlorenen Stücke der drei großen Tragiker und auf die erhaltenen
Komödien des Aristophanes. Innerhalb dieser letzteren wird nur das
Kind der Myrrhine in der Lysistrata (v. 879 ff.) als Puppe bezeichnet.
Dagegen die in den Acharnern, Rittern, Wespen und im Frieden vor-
kommenden Kinderrolleu werdeu auch von wirklichen Kindern und
zwar des jedesmal der Rolle entsprechenden Alters und Geschlechtes ge-
geben. So ist z. B. schon längst und zwar mit vollem Rechte anerkannt
worden, daß die in den Acharnern (v. 781 ff.) vorgeführten Mädchen
wirkliche Mädchen sind und daß dies das Salz der Stelle ausmacht, du
176 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)
ja sonst die saftig-cn Spaße über yoTpoc unniöu'lich wären. Die Abhand-
lung Haynis beschränkt sich jedoch keineswegs auf die fleißige Sammlung
und Erörterung der einzelnen in Betracht kommenden Stellen, sondern
gelangt auch zu eiuev interessanten Verarbeitung dieses Materials.
Unter anderem sucht der Verfasser festzustellen, daß es Euripides war,
der zuerst die Kinderrollen schuf und sich ihrer auch am meisten be-
diente (eXesivov). Von der Alkesfis (438) angefangen bis /u den Hike-
tiden (421?) bringt Euripides fast in jedem Stücke singende Kinder auf
die Bühne, dann noch zweimal im Herakles und in den Troades stumme
Kinderrolleu. Vom Jahre 415 abwärts scheint Euripides diese Rollen
aufgegeben zu haben. Die Kinderrolleu bei Aristophanes erscheinen
demnach im wesentlichen als Euripidesparodie. Aus der Zeit vor den
Achainern ist eine derartige Kinderrolle für die Komödie nicht nach-
weisbar. Aber auffallend ist, daß die häufigere Anwendung von Kinder-
rollen in der Komödie gerade aus jenem Zeiträume zu belegen ist, in
welchem sie auch in der Tragödie am meisten beliebt waren. — Die
Schlüsse des Verfassers, der in den Datierungen der Stücke (z. B. Antigene
älter als Ajas: S. 220) den Ansätzen von Wilamowitz folgt, gehen
manchmal weiter als das Material reicht, das doch ganz lückenhaft ist,
und daher weiter, als ich folgen kann. Meines Erachtens liegt z. B.
keine Nötigung vor, die Rolle des Eurysakes im Ajas für jünger zu
halten als die Kinderrollen in der Alkestis. —
A. Couat, Notes sur la division du choeur dans les comedies
dAristophane. Melauges Henri Weil, p. 39 — 66.
Der seit dem Erscheinen des Werkes bereits verstorbene Ver-
fasser beschäftigt sich in dieser Abhandlung mit der Frage, ob der
Chor bei Aristophanes stets in Halbchöre geteilt war oder nicht. Von
diesem Gesichtspunkte aus behandelt er die Chorgesänge der einzelnen
Komödien und gelangt zu dem Resultate, daß durchgängige Antichorie
nicht nur für die Parabase und die Parodos, sondern auch für alle Stasima
nachweisbar sei. Hingegen bei der Exodos hätten sich die beiden Halb-
chöre, die getrennt in die Orchestra eingezogen und während des ganzen
Stückes getrennt geblieben waren, zu einem Vollchore zusammenge-
schlossen. — Die Ausführung dieser These läßt m. E. manchmal die
erforderliche Klarheit vermissen. Auch das Verhältnis Couats zu dem
anregenden Buche Zielinslds bleibt unklar. Der Verfasser sagt z. B.
S. 39: „Zielinski a soutenu que le choeur etait toujours divise en
deux demi-choeurs." Wer nun das Buch von Zielinski nicht kennt,
müßte glauben, daß das erwartete Neue in den Aufstellungen Couats
die Exodos betreffe und daß somit Couat das Urteil Zielinskis ein-
schränke.
Bericht über die Literatur d'^r griechischea Komödie. (Flolziager.) 177
Zielinski aber sagt zwar auf S. 277 seiner „Gliederung der alt-
uttischen Komödie" (1885): ,,Ich suchte zu erweisen, daß der komische
Chor nie — oder so gut wie nie — voUstiramig gesungen hat, sondern
immer in Halbchöre gespalten war" — aber die Exodos hatte Zielinski
schon S. 276 ausdrücklich ausgenommen, indem er dort sagt: ,,Wir
nehmen in der Exodos auch Vortrag durch den Gesamtchor an."
H. Dähn, Scenische Untersuchungen. Progr. Danzig 1892.
Diese Abhandlung befaßt sich vorzugsweise mit dem Königspalaste
als Dekoration der tragischen Bühne. Für die Komödie kommt diese
Arbeit nicht direkt in Betracht. —
J. Pickard, The relative position of actors and chorus in the
greek theatre of the V. Century B. C. — The American Journal of
Philology XIV, 1893, p. 68—89, p. 198—215, p. 273—304.
Der erste Teil dieser Abhandlung ist der Hauptsache nach iden-
tisch mit John Pickard, der Standort der Schauspieler und des Chors
im griech. Theater des V. Jahrhunderts. Diss. München 1892. Sein
Inhalt ist durch den Spezialtitel ,,consi<leration of the extant theatres"
umschrieben. Im zweiten Artikel werden die 14 Dramen des Aischylos
und Sophokles mit Rücksicht auf die Bühnenfrage durchgesprochen.
Im III. Teile p. 273— "287 behandelt der Verf. die Euripideischen Tra-
gödien und p. 287 — 304 alle ei'haltenen Komödien des Aristophanes.
Der Autor kämpft gegen die hohe Bühne und für die Vereinigung von
Schauspielern und Chor auf der Orchestra. — Auf die Einzelheiten
dieser seinerzeit verdienstlichen Schrift einzugehen, ist nicht möglich,
da sie durch die Ereignisse begreiflicherweise überholt wurde. Daß der
Autor das Problem der liohen ,,Vitruvischen" Bühne der ,, Bühnenfrage"
überhaupt gleichsetzte und nicht bemerkte, daß seit dem Bau von Pa-
raskenien, welche die Orchestra nicht erreichten, ein außerhalb der
Orchestra gelegener Spielplatz der Schauspieler Itz\ jxtjv^c von selbst
gegeben war, kann man ihm nicht verargen. Die Wahrheit zu finden,
war erst nach dem Erscheinen der genauen Angaben Dörpfelds möglich.
Z. B. bei der Behandlung der ,, Vögel" sagt Pickard: This play could
not be „set" on a „stage", and the actors have evidently entered by
the parodos. Mit keinem Worte wird dies wirklich bewiesen. Da die
Vögel, die sich auf der Orchestra tummeln, die beiden Athener lange
Zeit hindurch nicht bemerken, obwohl der Epops ihre Anwesenheit ge-
meldet hatte, können die beiden Schauspieler nur auf dem außerhalb
der Orchestra lirl sxrjvrj; gelegenen Räume hinter einem Baume oder
einem Felsen versteckt gewesen sein, versteckt vor den Vögeln, nicht
vor den Zuschauern. Stellen wie ßX£({>ov xatoj und ^Xetts vüv avu> (v. 175)
beweisen natürlich nichts für den Standort des Schauspielers.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 12
178 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
K. Zacher, Die erhöhte Bühne bei A ristophanes. Philologus LV,
1896, p. 181—185.
Zacher behandelt folgende These: ,, Gegen die von Dörpfeld und
seinen Anhängern verfochtene Ansicht, daß das Attische Theater des
5. Jahrhunderts keine erhöhte Bühne gehabt habe, sondern daß Schau-
spieler und Chor auf demselben Niveau der kreisrunden Orchestra agiert
hätten, erheben einige Stellen des Aristophanes den lautesten Wider-
spruch, an denen die Worte (Jvaßaiveiv und xaraß^iveiv so gebraucht sind,
daß jeder Unbefangene sie vom Besteigen der Bühne oder Herabsteigen
von derselben auffassen muß. Es sind die folgenden: V^esp. 1514: -/.axa-
ßaxeov |x' Itt' autou?. — • Equ. 148 ff,: otupo oeüp' w cptXxaTS, avaßatve
aojTTjp ttJ TCfAst xai vwv (pavei'c — Ach. 7.32: aiJ-Saxö -otrav [j.5ooav. —
Vesp. 1342: ävocßaive oeüpo 7pu30|xY)XoXov{}tov." — Zacher bespricht diese
Stellen und nimmt namentlich Equ. 14B ff., dann aber auch Ach. 732
und Vesp. 1342 für seine Ansicht in Anspruch. Das von Bodensteiner
(S. 697 und 721) z. B. zn Eur. Herc. 119 ff. durchgeführte Gegen-
argument, daß „alle Stellen, wo beim Auftreten von Schauspielern ein
Ansteigen angedeutet ist, in gleicher Weise auf das Auftreten durch
die Parodoi'' zu beziehen sind, läßt Zacher nicht gelten. Er findet viel-
mehr für die drei ältesten erhaltenen Stücke des Aristophanes eine über
die Orchestra erhöhte Bühne bezeugt. Daß diese Bühne höchstens ein
paar Stufen höher gewesen sei als die Orchestra, habe schon G. Her-
mann (Opusc. VI, 2, 153) angenommen. Die natürliche Entwickelung'
der Bühne sei mutmaßlich die gewesen, „daß die ursprüngliche Thy-
mele sich immer mehr erweiterte und immer mehr vom Mittelpunkt in
den Hintergrund, auf die den Zuschauern abgewendete Seite der runden
Orchestra verschob". Zacher glaubt demnach annehmen zu dürfen, ,,daß
die gemauerte Orchestra selbst, wie für die Männer- und Knabeochöre,
so auch für die tragischen und komischen den Tanzplatz bildete , nur
daß für die Dramen jedesmal über einen Bruchteil der Orchestra, dessen
Größe vielleicht je nach den Bedürfnissen der aufzuführenden Stücke
wechselte, eine niedrige Bühne errichtet wurde, so daß der Chor sich
auf den übrigbleibenden Teil der Orchestra beschränkt sah." — Warum
Zacher diese niedrige Bühne nicht gleich ganz aus der Orchestra bis
an ihre Peripherie hinausschiebt und mit dem Räume Im oxriv?)? gleich-
setzt, gibt er nicht an, und ich meinerseits halte dies für die schwache
Seite dieses für die Bühnenfrage bei Aristophanes im übrigen lehr-
reichen Aufsatzes. —
Th. Papadimitracopoulos , Le poete Aristophane et les
Partisans d'Erasme. — 'EXU^ IV, 1892, p. 96—104, 145—169^
227—202.
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 179
Der Verfasser beruft sich vieltach auf seine im J. 1889 erschie-
nene Schrift: Bofsavoc tüjv -spl xr^c 'EXX.7)viy.^C Trpofpopac epafffiixciv a-o-
oti^etüv und auf den Aufsatz: Nouveaux documents epigraphiques demon-
trant l'antiquite de la prononciation des Grecs modernes ('EXXots vol. II
p. 247 — 279), deren Inhalt er zum Teil abermals vorträgt. In der
vorliegenden Abhandlung sind die zu beweisenden Thesen nicht mit
wünschenswerter Klarheit ausgesprochen. So will er z. B. p. 99 be-
weisen, quon faisait grand usage dans TAttique du i au lien du tj.
Man empfängt aus solchen Äußerungen die Anschauung, daß bei Ari-
stophaiies nach der Ansicht des Verf. rj wie t geklungen haben sollte.
Aber ?. B. p. 258 heißt es; i\ part la prononciation de Tt), de
Tu et de l'oi, qui est differente de celle du t, aiusi que la diminution
des voyelles longues en bröves, la prononciation moderne ne parait
diflförer presque en rien de Tancienne. Noch verwirrter sind die Be-
weise des Verfassers. Denn während er häufig von Aristophanes aus-
geht, bringt er unermüdlich Stellen aus papyri und Inschriften der ver-
scliiedensten Zeiten und Dialekte, sowie auch Stellen der mannigfaltigsten
Autoren von Homer bis in die christlichen Jahrhunderte. Man fragt
sich vergebens, wie auf diesem Wege ein Beweis für die Aussprache
der Komödien des Aristophanes aufgebaut werden soll. Und selbst wo
Papadimitracopoulos wirklich einmal bei der Sache bleibt, die er nach
dem Titel seiner Arbeit vertreten soll, bringt or zwar reichliches Ma-
terial vor, aber die Schlüsse, die er daraus zieht, sind nicht im min-
desten überzeugend. Z. B. im Frieden v. 926 folgt aus dem Wortspiele
ßot — ßorjösiv in keiner Weise, daß Aristophanes ßorjOsiv so ausgesprochen
habe, wie es die Neugriechen tun (p. 97 u. p. 253). Oder man sehe,
was er p. 156 über Vesp. 316 sagt: „Aristophane teraoigne aussi qu'il
prononcait le ai comme e long quand il fait bröve l'iiiterjection expri-
mant la douleur al aT en l'ecrivant par le s bref : e e." Es ist doch im
Gegenteile ganz klar, daß Aristophanes ai ai meint, wenn er al al sagt;
will er aber e e sagen, dann schreibt er 'i z. Weder durch solche
„Beweise", noch auch durch die daran geknüpften leidenschaftlichen
Tiraden, — die namentlich gegen den verdienstvollen Friedrich Blaß
gerichtet sind, werden sich die Erasmianer widerlegt fühlen. — Gerade
ein Komiker übrigens sollte als Basis einer derartigen Untersuchung
mit besonderer Vorsicht behandelt w'erden. —
W. Uckermann, Über den Artikel bei Eigennamen in den Ko-
mödien des Aristophanes. — Progr. d. Sophien- Gymn. in Berlin, 1892.
Uckermann behandelt den Gebrauch des Artikels bei Völkernamen
im Plural, bei Städtenamen und Ortsbezeichnungen, bei Länder- und
Inselnamen, bei Gebirgs- und Vorgebirgsnamen und bei Flußnamen.
12*
180 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
Die Fortsetzung dieser Arbeit soll die Beobachtungen des Verfassers
über die übrigen Eigennamen, die Götter- und die Personennamen um-
fassen. Die vorliegende Abhandlung beruht auf sachi^eniäßer Benutzuncr
der vorausliegenden Literatur, aus welcher außer Krüger und Kühner.
Friedrich Blaß (Rh. Mus. 44 S. 1 ff.), Kallenberg (Philologus NF. III
S. 515 ff. und im Progr. d. Fried. -Werderschen Gymu. Berlin 1891),
sowie 0. Bachmanns Schrift Conj. observ. Aristoph. Spec. I. 1878
hervortreten. Das Ziel, das sich Uckermanu stellt, ist die Erkenntnis
der Stellung, welche die gesprochene attische Volkssprache rücksichtlich
der Artikelsetzung bei Eigennamen im Vergleiche zur geschriebenen
Musterprosa einnimmt. Daher betont Uckermann vor allem den Ge-
brauch des Artikels im jambischen Trimeter des Aristophanes und
steuert bei der Vorführung des gesammelten Materiales und bei der Ab-
wägung der einzelnen Fälle, welche der offenkundigen Regel wider-
sprechen, dem Resultate zu, daß auch Aristophanes im Setzen des
Artikels bei Eigennamen festen Gesetzen folge. Gerade bei der Unter-
suchung dieser unfügsamen Stellen wird auch der Leser manchmal durch
die für die Ausnahme gegebene Rechtfertigung nicht überzeugt sein.
Ein Beispiel hierfür habe ich in der Besprechung des Aufsatzes van Her-
werdens über einige Stellen der Friedenskomödie (Mnemos. N. S, XXV,
1897) gegeben.
J. Strachan, Koseformen in der Anrede. — Zeitschrift für
vergleichende Sprachforschung, NF. XII, 1892, p. 596.
Strachan macht darauf aufmerksam, daß xavötuv im Vesp. 199
Koseform für xavör^Xio? sei, aber in Pac. 82 für xavöapo; und daß diese
Koseform beide Male in der Anrede gebraucht sei. — Diese Notiz
schließt sich an eine Anmerkung W. Schulzes an, die H. Zimmer in
den Keltischen Studien auf p. 195 desselben Bandes anführt. —
W. Pecz, Die Tropen des Aristophanes verglichen mit den Tropen
des Aischylos, Sophokles und Euripides. — Ungarische Revue XIII,
1893, p. 198—205.
An der Hand der von ihm aufgestellten stofflichen Kategorien,
welche den Gruppen der Tropen zu Gründe liegen, und unter der Vor-
aussetzung, daß Si^ekdoche und Meton3'mie ein Ausfluß der Reflexion,
dagegen die Proportionstropen (Metapher, Gleichnis, Allegorie) Ausflüsse
der Phantasie sind, gelangt Pecz zu dem Resultate, daß die Synekdoche
und die Metonymie bei Aristophanes nur etwa ein Achtel der Propor-
tioDstropen bilden. Da er nun in einer früheren Arbeit (Berliner Stud.
f. klass. Phil. u. Arch, 1886, HI, 3) erwiesen hatte, daß die Synek-
doche und die Metonymie bei x'\ischylos beiläufig ein Sechstel, bei So-
phokles ein Drittel, bei Euripides mehr als die Hälfte der Proportions-
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 181
trüi)en ausmachen, beweist nicht nur die Konzeption der Dramen,
sondern auch das Zahlenverhältnis der verschiedenen Tropen, daß unter
den vier großen Dramatikern die Phantasie des Aristophanes die größte,
die Reflexion die kleinste ist. — Ohne in der Lage zu sein, auch die
übrigen Sätze vorzuführen, in denen Pocz die Tropen des Aristophanes
in kulturgeschichtlicher Hinsicht verwertet, muß ich nur kurz be-
merken, daß mir in der Aufstellung der stofflichen Kategorien, auf denen
sich die Zählungen und Schlüsse des Verfassers aufbauen, manches
willkürlich zu sein scheint. Z. B. die Kategorien der Metonymie sind
bei Pecz: ,,Der Mensch, die Kochkunst, Speise und Trauk, der Krieg,
das staatliche Leben, die Gärtnerei und der Ackerbau" (S. 200). Die
Ungleichheit des begriiiflichcn Umfanges dieser Kategorien muß sich
natürlich bei der Klassifizierung der einzelnen Beispiele geltend machen,
Z. B. S. 204 sagt Pecz: „bei Eur. Hek. 129—131 xd ok Kasavopa; Xex-p'
oüx ecparr,v r?,; 'AyiASta? Trpojfhv ör^jeiv roTS Xo'iyjii steht das Bett für
das "Weib und die Lanzeuspitze für den Krieger, d. h. zwei Metonymien
aus verschiedenen Kategorien, die eine aus der Kategorie des Menscheu,
die andere aus derjenigen des Krieges, fließen in ein Bild zusammen."
Zunächst steht hier nicht ,,Bett für das Weib", weil der Eigenname
dies ver3iindp*'t. Und wenn Ka^avopti; Xexxpa in die „Kategorie des
Menschen" fällt, so täjlt doch 'A-/iXX£iai X677T)? mit gleichem Rechte in
diese Kategorie, und dann gehören also diese zwei Metonymien nur
einer Kategorie an. Auch fließen diese zwei Metonymien nicht zu einem
Bilde zusammen, sondern sie sind mittelst der Antithese scharf vonein-
ander getrennt. Solche Bemerkungen aber lassen sich leicht vermehren.
Auf 8. 205 heißt es: „Bei Eur. Phoen. 1380—1381: xaTipoi 6' ottw;
dTQ7ovTec d-.'pt'av ^svuv | ?uv^t|;av wird der Kinnbacken für zwei verschieden-
artige Tropen gesetzt, in erster Reihe als Synekdoche (für Zahn) und
die synekdochische Bedeutung desselben als ein Glied des Gleichnisses."
Keineswegs! Denn das letztere wäre nur dann der Fall, wenn nicht
xa-pot dastände, sondern wenn die zwei Helden mit zwei Eberkinn-
backen (-fsvuec xairpcuvj verglichen wären, was der Dichter wohlweislich
zu tun unterlassen hat. — Ebensowenig könnte ich zugeben, daß bei
Aisch. Pers. 821 — 822 fle'po? für zwei verschiedene Tropen gesetzt sei,
und zwar als Metonymien für Saat (richtig) und gleichzeitig als Me-
tapher für Gram. Letzteres ist unrichtig, weil ja doch na7xXauTov im
Text steht. -a-f/.Xautov öspo; heißt Ernte der Tränen, Tränensaat, aber
niemals heißt Ospoc ,,Gram'\
C. L. Jungius, De vocabulis antiquae comoediae atticae, quae
apud solos comicos ant omnino inveniuntur aut peculiari notione prae-
djta occurrunt. — Trajecti ad Rhenum 1897.
Der Inhalt dieses in zahlreichen Kritiken besprochenen Werkes
182 Bericht über die Literatur der grieciiischen Komödie, (llolzinger.)
ist durch den ausführlichen Titel zur Genüge umschrieben. Der Verf.
gibt ein alphabetisch geordnetes Verzeichnis aller derjenigen Wörter,
welche entweder nur bei den Dichtern der alten Komödie vorkommen
oder doch wenigstens, falls sie sich auch bei anderen Schriftstellern
finden, bei den Komikern eine besondere Bedeutung aufweisen. Ein
Lexikon zu den Komikein ist dies also nicht, ein Index ebenfalls nicht.
Aber als eine Vorarbeit zu einem Komikerlexikon kann das Werk wohl
betrachtet werden. Warum der Index von Jacobi, der den Schluß der
Meinekeschen Fragmentausgabe bildet, nicht einmal genannt wird, weiß
ich nicht zu sagen. Daß er den gegenwärtigen Ansprüchen nicht mehr
zu genüiieu vermag, scheint mir für diese völlige Ignorierung kein hin-
reichender Grund zu sein. Die vorliegende Arbeit ersetzt nur jenen
Teil der Artikel Jacobis, der sich auf die apyaia y.ui\).wo\.a erstreckt.
In dieser Beziehung ist das Wortverzeichnis des Verfassers reichhal-
tiger, weil es nicht nur die neueren Entdeckungen berücksichtigt, son-
dern die Artikel über die einzelnen Wörter auch mit gelehrtem Appa-
rate ausstattet. — Ich verweise noch auf die Rezension Siegfried Reiters
in der Zeitsch. f. d. österr. Gymn. 1899 p. 303. —
Hilfswörterbuch zum Aristophanes von J. llirschberg. I. Teil.
Leipzig 1898.
Der Geh. Med. -Rat und Professor Dr. J. Hirschberg in Berlin
bietet in diesem Heftchen die Übersetzung der selteneren Vokabeln der
Acharner, Ritter, Wolken, Wespen und des Friedens, indem er als ein
Liebhaber des Aristophanes meint, anderen Liebhabern des Dichters
das Lesen des Originaltextes erleichtern zu sollen. Als Arzt und Fach-
mann spricht sich Hirschberg über einige wenige Stellen aus. Zu
Equ. 376 bemerkt er, dai) die Finnenprobe nicht nach dem Schlachten
des Schweines gemacht wurde, sondern an dem lebenden Tiere. Zu
Equ. 909 sammelt er einige Stellen über die Häufigkeit der Augenent-
zündungen bei den alten Griechen. Weniger beifälli.g kann ich Hirsch-
bergs Anmerkung zu Equ. 755: x£/ir)v£v tojirsp £|x-oö''Cujv isyaöa? be-
sprechen. Hirschberg schlägt evjTop-iCcuv vor, indem er meint, k\i.r.oo{.^tvj
bedeute zwar nach einer Angabe „anbinden", „aufreihen", aber bei
dieser Tätigkeit sperre man den Mund nicht auf. Man hat m. E. diese
Stelle bisher darum nicht verstanden, weil man den zwischen dem
xexrjvevai und dem efxTiootUiv ts/aoa; bestehenden Kausalnexus verkannte
und verdrehte. Nicht darum sperrt der Greis den Mund auf, weil er
Feigen zum Trocknen an Schnüren aufreiht; im Gegenteile, weil der
Greis in seiner Greisenhaftigkeit und Gedankenlosigkeit stets mit offenem
Munde dazusitzen pflegt, kann man ihn zu keiner Arbeit mehr ver-
wenden, die größere Ansprüche au die Kräfte des Geistes und des
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 183
Körpers stellt als das Anreihen von Fcigfen an Schnüren. Wer mit
diesem Gedanken an Equ. 755 herantritt, wird die Stelle sofort aufge-
klärt finden und in p]qu. 1119 xeyTjva? y.-X. und Equ. 1262 Ks-/T)vaiwv
passende Parallelstellen erblicken. Ob man die Bedeutung von eixTrooiJ^stv
gerade darauf zurückführen solle, daß -ou; oder -oo-.ov den Frucht
Stengel bezeichnen kann, an welchem sich die Feige festbinden läßt,
will ich hier nicht entscheiden. — Vgl. S. 208 das über Piccolominis
Aufsatz Gesagte. —
Bielecki, Les mots composees dans Eschyle et dans Aristophaue.
Etnde litteraire et grammaticale. Lu.xembourg 1899, Beffort. (Mir
unbekannt.)
E. liomagnoli, Ei;, [j-ia, sv. Studi ital. di tilol. class. VII,
1899, p. 175 — 180. —
Der Verf. klassifiziert den Gebrauch von £1;, \i.'.x, sv bei Aristo-
phaues. Er unterscheidet den rein numeralen Gebrauch, den Gebrauch
als Ordnungszahl annähernd wie rpwro; (Ri. 131, Ach. 1162), den
Gebrauch als unbestimmten Artikel (Av. 1292) und kommt schließlich
auf die Bedeutung von v.; ^ [irr^o^ zu sprechen. Das Ziel des Aufsatzes
geht dahin, zu erweisen, daß si; den Sinn von jxovoc nur durch den
Zusammenhang erhalte und daß dies durch den Kontrast von eic gegen-
über aWi oder anav-s; oder Tosaüxa oder gegenüber einer Grundzahl
erreicht werde. Daher habe man an mehreren Aristophanesstellen, in
denen solche Kriterien des Kontrastes fehlen, zU bisher unrichtig mit
jxovo; gleichgestellt und habe es mit „einer allein" oder im Italienischen
mit un solo übersetzt, während dem ei; an solchen Stelleu nur die Kraft
eines articolo indeterminato zukomme. Als solche Stellen bezeichnet
Romagnoli vielleicht mit Recht Av. 550 [iiav opviöwv tcoXiv, Av. 588
-('Xauxüiv Xoyo; zU, Av. 590 ä-iiXri [iia xi/Xiuiv, Ach. 1033 (jTaXa^jxov
£ipr,vrjc £va , Ach. 1053 xuai%v EtpY]vTjc eva. Hingegen würde ich ihm
bezüglich Av. 1639 f^ixei; izep' 7uvatx6; [xia; T:oXe|x-f,jo[xsv; nicht bei-
stimmen. Hier ist fxtä« doch stärker als der unbestimmte Artikel des
Deutschen oder des Italienischen. Auch ist der vom Verf. verlangte
(^uautitätsgegensatz vorhanden, da unter fjfxei; keine geringeren Personen
als Herakles und Poseidon zu verstehen sind. Noch weniger würde man
bei Eccl. 594 ä)X sva -o:<L xoivov arra^iv ßiorov xal Toürov o[xotov mit dem
unbestimmten Artikel ausreichen, was übrigens der Verf. selbst als zweifel-
haft bezeichnet. Eine sichere Regel über st; -= |x6vo; wird man darum
schwer ausfindig machen, weil es der Zusammenhang oft zweifelhaft läßt,
ob ein Quantitätskoutrast angenommen werden solle. Aber gerade für
die Entscheidung dieser Fälle wäre eine solche Regel recht erwünscht,
wie z. B. für Ri. 37: iv 0' aO-o-Jc -apai-rjaop-eila. —
184 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.)
M. Dufour, Etüde sur la Constitution rhythmique et metrique
dn dranie grec. — Travaux et menioires des facultes de Lille,
tome III, 1893, No. 14, deuxicme serie: Aristophane. Les grenouilles.
S. 35—70. —
Der Verfasser teilt die Batrachoi in ihre Hauptpartien und diese
wieder in ihre Unterabteilungen ein, druckt den ganzen Text aller
lyrischen Partien nach Theodor Bergks Ausgabe ab und fügt die voll-
ständigen metrischen Schemata hinzu, denen er auch die ihnen zu-
kommenden Bezeichnungen und Namen beisetzt. Bezüglich der
theoretischen Auffassungen, welche diesen Schemata zu Grunde liegen,
verweist der Verfasser auf das Werk: Traite de Rhythmique et de
Metrique grecques de 0. ßiemann et M. Dufour, Paris, Collin 1893. —
Dufour ist ein Schüler ßiemanns und Charge du cours de Philologie
grecque et latine k la Faculte de lettres de Lille. Man darf daher
wohl vermuten, daß diese Arbeit als Anleitung der dortigen Studieren-
den gedacht ist. — '
A, Couat, La parodos dans les comedies d' Aristophane, —
Revue des Universites du Midi. Nouvelle Serie, Tome I (Annee XVII),
1895, p. 363-385. ~
Couat behandelt in diesem Aufsatze die Parodoi aller Komödien
des Aristophanes sowohl mit Rücksicht auf die Stellung, welche der
Parodos in jeder dieser Komödien zukommt, als auch in Bezug auf
scenische Fragen. Couat gelangt zu folgenden Resultaten: 1. In der
größeren Zahl der Komödien und zwar von den Acharnern bis ein-
schließlich zur Lysistrata ist die Parodos ein Haupistück der Komödie,
enthält die Exposition, vervollständigt dadurch den Prolog und bereitet
die Lösung des Konfliktes vor. Von den Thesmophoriazusen an ver-
liert die Parodos diese Bedeutung mehr und mehr. 2. In der Aristo-
phanischen Komödie und zwar von den Acharnern bis zu den , Vögeln"'
nimmt der Chor in der Parodos einen wesentlichen Auteil an der
Handlung und tritt auch in den Konflikt wie ein Schauspieler ein.
Erst nach der Parodos verwandelt sich der Chor in einen Schiedsrichter
zwischen zwei Parteien. In der Lysistrata zeigt die Parodos in diesem
Punkte bereits eine große Verschiedenheit gegenüber den älteren
Stücken. Mit den Thesmophoriazuseu beginnt die Parodos auf den
Rang eines lyrischen Zwischenspieles lierabzusinken. — In dieser
Zusammenfassung seiner Resultate hat Couat die Lysistrata ungenau
behandelt, da er S. 375 richtig angibt, daß ihre Parodos nicht mehr
die Exposition des Stückes enthält. -- Die Resultate, welche Couat
für die scenischen Fragen gewonnen zu haben glaubt, beruhen nicht
auf sicheren Schlüssen. Den Dörpfeldschen Ansichten tritt er aller-
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (nolzinger.) 185
dings vollständig bei; aber mit Couats Methode ist nicht einmal der
eine Satz Dörpfelds zu erweisen, daß Schauspieler uud Chor auf dem
gleichen Niveau spielen, geschweige denn die andere Behauptung
Dörpfelds, daß die Orchestra lür Schauspieler und Chor der gemein-
same Standort sei. Die Stellen, die Couat im einzelnen anführt, um
den innigen Kontakt zwischen den Schauspielern und dem Chore dar-
zustellen, beweisen liöchsteus, daß der Niveauunterschied zwischen
]Uihne und Orchestra geringlügig war. Daß Bühne und Orchestra von-
einander nicht zu trennen seien, beweisen sie nicht, —
H. S teurer, De Aristophanis carmiuibus lyricis. — Straßburg,
1896.
In dieser Arbeit werden die lyrischen Partien der aristoplianischen
Komödien analysiert und charakterisiert und zwar zu dem Zwecke, um
■/M zeigen, -daß die älteren Stücke des Dichters in ihren lyrischen
Teilen mehr durch Einfachheit, die späteren hingegen durch Freiheit
und Künstlichkeit hervorstechen. Der ältere Stil zeige sich namentlich
in den Acharnern und in der Lysistrata. Die Höhe seiner Kunst in
musikalischer Hinsicht erreiche Aristophanes in den Thesmophoriazuscn
und in den Fröschen. Dann komme der Verfall. Die "Wolken zeigen
nach der Ansicht des Verf. in der genannten Beziehung mehr den
Charakter der späteren Periode, als den der älteren Zeit. Steurer
bringt diesen Umstand mit der Retraktation des Stückes in Ver-
bindung. Auf mich hat diese Einzelheit, sowie auch manches andere
nicht überzeugend gewirkt. Ich weise auch auf Otto Kaehlers
Kezension (Berl. ph. Wo. 1898, Sp. 1221 — 1222) hin, wo man den
Inhalt des Schriftchens nach Kapiteln angegeben findet. —
C. 0. Zuretti, Analecta Aristophanea. Torino 1892.
Im ersten Abschnitte dieses fleißig gearbeiteten Werkes gibt der
Verf. einen Bericht über die in Italien befindlichen Handschriften des
Aristophanes. Er bespricht die Aiistophanescodices der Bibliotheca
Ambrosiana, jNIarciaua, Laurenziana, Estensis, Vaticana, der biblioteca
Nazionale di Napoli, der bibl. Univeisitaria di Ferrara, der ßiccar-
diana , Marucelliana, der bibl. Corauuale di Perugia, der Barberiuiana,
Valicclliana, des Archivio di S. Pietro, der bibl. Capitolare di Verona
und Nazionale di Toriuo, Comunale di Cremona, Ciassense di ßavenna,
TJniversitaria di Messina. Dann gibt er auf S. 33 ff. einen Überblick
über die Aristophaueshandschriften anderer Länder. — In einem
zweiten Abschnitte behandelt der Verf. die handschriftliche Grundlage,
auf der die Aldina beruht. Er bezeichnet die Aldina als eine wahre
Edition und spricht ihr den Rang eines Codex ab. Ein mühevolles
Kapitel ist der Personenbezeichnung in den Handschriften des Pluios
186 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
gewidmet, ein anderes dem Iudex fabularum des Cod. Yaticanus 918.
Die letzte Abhandlung beschäftigt sich mit den Tzetzesscholiea zu
Aristophanes, denen er eine grüliere Bedeutung beilegt, als dies früher
geschah. — Eine ausführliche Besprechung gibt Zacher in seinem
Jahresberichte 1892, S. 26 ft'., (55 ft".
C. C. Zuretti, Su alcuni nomi di personaggi nelle comedie di
Aristofane. Ilivista di filol. vol. II (= XXIV), 1896, S. 44-78.
Zuretti knüpft an Eduard Hillers bekannten Aufsatz an: „Über
einige Personalbezeichnungen griechischer Dramen, Hermes 1874, Ylll,
442 ff., sucht ihn durchaus zu widerlegen und vertritt demnach die These,
daß tür Rollen, wie die des Dieners des Euripides in den Acharncrn, für
die Sklaven in den Rittern, den xTiSeaTY^; der Thesmophoriazusen, den
Torwärter des Hades in den Fröschen u. dgl. durchweg schon in den
ältesten für den Buchhandel bestimmten Exemplaren die Eigennamen
Kephisophon, Nikias, Deraosthenes, Kleon, Mnesilochos, Aiakos u. s. w.
eingetragen gewesen seien. Er stützt sich dabei auf die Analogie der
Parepigraphae und meint überdies, daß dem Leser durch die Nennung
der gemeinten historischen Personen noch immer lange nicht die gleiche
Hilfe zum Verständnisse dargeboten war, als den Zuschauern etwa durch
die Maske und durch die Vertrautheit mit den zpitgenössischea Ver-
hältnissen und Personen. Diese Personenbezeichnungen seien in den
indices personarum, den Hypotheseis, Schollen und Glossen allmählich
von dem auf die Typenfiguren der neueren Komödie gerichteten Sinue
der späteren Generationen durch allgemeine Bezeichnungen, wie rnxsrr)?,
i)£pa-(i>v, xYjSeaxY]? u. dgl. verdrängt worden. — Die Arbeit Zurettis
geht tief in Einzelheiten ein und verdient jedenfalls die Berücksichtigung
der Fachgenossen. — Man vgl. auch eine Bemerkung Zachers, Aristo-
phanesstudien 1898, S. 1—2. —
W. Allen, On the composition of some Greek manuscripts. II.
The Ravenna Aristophanes. — The Journal of Philology, XXIV,
1896, p. 300-326.
W. Allen beschäftigt sich in diesem Aufsatze mit der Art der
Anfertigung des Codex Ravennas durch die Schreiber, und zwar in der-
selben Weise, in der er in derselben Zeitschrift 1894, No. 44, p. 157—
183 den Codex Laureutianus 32, 9 behandelt hatte. W. Allen gibt die
Zahl der „Hefte" oder „Lagen", aus denen R besteht, mit 25 an und
erklärt das Abweichen von den Angaben seiner Vorgänger. Er gibt
weiterhin an, aus wie vielen Halbbogen jede Lage besteht und wie viele
und welche Blätter als Einzelblätter eingeschoben sind. Er erörtert
sodann die Frage, inwiefern das Leerbleiben einzelner Seiten oder
einzelner Teile von Seiten mit dem Anfange der nächsten Komödie in
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 187
Zusammenhang zu bringen sei. Wichtig für die Benrteilnng des Zu-
standekommens der Handschrift sind vor allem folgende Aufstellungen
Aliens. Der Schreiber, der den ganzen Text schrieb (T), hatte das Be-
streben, den Anfang einer Komödie auf den Anfang einer neuen Seite
(page) zu bringen. Dagegen ist nicht anzunehmen, daß er beabsichtigte,
in einer „Lage" gerade eine Komödie unterzubringen oder in einer
Gruppe von Lagen eine Gruppe von Komödien wiederzugeben. Der
Begriff des „Heftes" oder der „Lasre" (quire) hat also keine Bedeutung
für die Geschichte dieses Textes. Der Schreiber hatte es mit einer
Vorlage zu tun, die dem heutigeu Ravennas im Formate und, wie Allen
mit Zacher übereinstimmend meint, auch im Alter sehr nahe stand.
Daß dieser Schreiber T an drei Stellen Einzelblätter einfügte und zwar
einmal drei, einmal eines und einmal zwei, erklärt W. Allen aus großen
Hlattlücken, die T erst nachträglich bemerkte, wobei es W. Allen un-
entschieden läßt, ob diese Blattlücken sich schon in der Vorlage be-
fanden, oder ob T einzelne Blätter aus Unachtsamkeit übergangen hatte.
Bezüglich der Scholienschreiber ist W. Allen der Meinung, daf.l es deren
allerdings zwei gab, die er mit A und B bezeichnet, daß aber A nicht
identisch sei mit der Texthand T. Durch die Erklärung des Vor-
kommens von Einzelblättern und mit der Unterscheidung der Hände T
und A hat mich "W. Allen nicht überzeugt. Als störend habe ich bei
dem Studium dieses beachtenswerten Aufsatzes empfunden, daß auf S. 301
der Ausdruck page für „Blatt" gebraucht wird, da der Codex R aus
,191 pages" besteht, während derselbe Ausdruck page weiterhin „Seite"
heißen muß, wenn dasjenige, was Allen über die Anfänge der Komödien
feststellt, richtig sein soll (S. 301—311). T'nd den Ausdruck archetype
gebraucht er S. 325 für die unmittelbare Vorlage des Schreibers.
H. van Her wer den, De codicum Aristophaneoram Ravennatis
et Veneti lectionibus. — Muemosyne NS. XXVI, 1898, p. 94—111.
Der Verfasser handelt nicht von den Scholien , sondern von dem
Texte der codd. RV für alle Komödien des Aristophanes mit Ausnahme
der Eipr^vr,, bezüglich deren Ttxtanlage er auf seine Ausgabe verw'eist.
— Man muß leider zugeben, daß Herwerden in dem kurzen Vorworte
zu seiner Arbeit ganz mit Recht bemerkt, daß man bei dem Texte der
Aristophanischen Komödien noch immer häufig genug im Zw^eifel darüber
ist, welchej|Lesart die wichtigsten Handschriften darbieten. Herwerden
gibt aus diesem Grunde zu 10 Komödien jene Lesarten des Cod. R an,
welche Blaydes in seinem Apparate entweder überging oder unrichtig
angab. In gleicher Weise behandelt er die Lesarten des Venetus nach
Cobets Kollation, die in der Universitätsbibliothek zu Leyden aufbe-
wahrt wird. Für die Stücke, welche in der von Velseu begründeten
188 Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
Ausgabe noch immer nicht erschienen sind, ist dies ohne Zweifel ein
dankenswerter Behelf. Die Texlkollation des R hat Hervverden selbst
„olim" angefertigt. —
K. Zacher, Kritisch-grammatische Pareiga zu Aristophanes.
Leipzig 1899 (SA. aus d. VII. Supplementbande d. Piiilologus).
Dieses Werk, dessen Behandlung man wegen seines mannigfaltigen
Inhaltes in dem allgemeinen Teile dieses Berichtes erwarten durfte,
habe ich in dem Abschnitte über die Parepigraphae und in dem Re-
ferate über Rutherfords Ausgabe der ßavennasscholien besprochen.
Ganz kuiz kann ich mich über das Buch Ijzerens fassen:
De vitiis quibusdam principum codicum Aristophaneorum scripsit
J. van Ijzeren. Amsterdam 1899.
Zacher hat dieses Werk in der Berl. phil. Wo. 1901 No. 4 ein-
gehend besprochen. Ich hebe aus dieser Rezension nur hervor, daß
Ijzeren gegen 200 Stellen des Aristophanes aus den sieben im Venetus
erhaltenen Stücken behandelt und sie nach Kategorien der Felilerquellen
anordnet. Die Schrift bietet also eine Sammlung von Beispielen zu
einer Theorie der Textkritik, während man nach dem Titel erwartet,
in diesem Buche Erörterungen über die Eigenart der Haupthandschriften
des Aristophanes zu finden. —
W. Headlam, Various conjectures IL — Journal of Philology
XXI, 1893, p. 75—100. —
Auf S. 81 dieser Sammlung von Konjekturen wird Aristoph. Pac.
V. 1144 behandelt: aXX' a^aus töjv cpa^r^Äuiv, w -juvai, xpEt; yoivixa?.
Aus den in den Ausgaben angegebenen Schwankungen der Lesart zwischen
a9aus, acpauae und a^eue glaubt Headlam schließen zu sollen, daß Aristo-
phanes einen Infinitiv schrieb: acpau[y£iv, «(peusiv, a'faüjai oder dcpeusat
und beruft sich hierfür auf Pac. v. 1153: wv hv{Y.' w r^ai ipC rj[xrv, Iv
öe ööüvat ~iö Tcarpt. Man sieht aber auf den ersten Blick, daß dieses Beispiel
anders geartet ist und daß ein Infinitiv statt a'fotus in v. 1144 sowohl
wegen des unmittelbaren Anschlusses an dlXa, als auch wegen der im
V. 1143 vorangehenden Konstruktion eixitisiv eij-oq' «pssxst durchaus nicht
am Platze wäj-e. Man muß im Gegenteile a'faue lesen und 9pu?ov inter-
pretieren, wie es die Scholien tun. Um gei'östete Bohnen handelt es
sich, die zum Weine geknuspert werden sollen, nicht um abgebrühte
(a-fsus) Schoten, die als Gemüse zu essen wären. Mit dem Praesens
a^aue vgl. oTi-ua z. B. bei Antiphanes frg. 226, 227 v. 11 Kock. —
H. van Herwerden, Studia Aristophanica. Mnemos. NS. XXIV,
1896, p. 266-310.
In diesem Aufsatze bringt Herwerden zahlreiche textkritische
Bemerkungen zu allen Komödien des Aristophanes. Am reichlichsten
Bericht über die Literatur der griecbischen Komödie. (Holzioger.) 189
wird die Fiiedenskomödie mit Konjekturen bedacht, mit deren Heraus-
gabe sich Herwerdeu gerade damals beschäftigte. Ich werde daher
diesen Abschnitt genau besprechen. Es werden darin 56 Stellen der
Pax behandelt und meistens neue Konjekturen vorgeführt. Von diesen
halte ich nur folgende für beachtenswert: Für die Verse 2, 4 und 11
empfiehlt Herwerdeu den Beistrich vor der Apposition. In v. löO liest
er -ro'j»ö" l'iM rovouc "ovöi, v. 163 fjixepicüv st. fjfxspiviöv, V. 197 stJtv,
£-/9£C, V. 568 a'jTaic st. auTcüv, v. 816 ttqvo' £opTr,v, v. 1251 xoivSe st.
TtovSc, 1310 err' St. £3x\ — Zweifelhafter ist mir für v. 870 Herwerdens
Schreibung -a'pa st. xal, weil man vielleicht doch aus dem Vorangehen-
den xaXa £3Tiv zu ocTra^aKavTa ergänzen kann. Zweifelhaft ist auch die
Versetzung des v. 961 hinter v. 957. Denn unter der Annahme, daß
Trygaios von 2 Dienern bedient werde und nicht bloß von einem
Diener, sind alle Veränderungen in der Stelle überflüssig. Zweifelhaft
ist auch in v. 1114 der Ersatz von -o'.rj(j£t; durch x£v öeiV,?, weil man
dem Dichter nicht die Wiederholung desselben komischen Elementes
mehrere Male hintereinander zutrauen darf. Es genügt Tpr,yuv ^^Tvov
zu wiederholen, womit sich ein bestimmter Zweck verbindet. Die
übrigen Konjekturen Herwerdcns in diesem der Pax gewidmeten Ab-
schnitte würde ich bestimmt ablehnen, z. B. in v. 418 «xe-a xaüi)' statt
xa |j.£7aT. Herwerden -scheint den Scholiasten mißverstanden zu haben,
als wolle er besagen, daß es damals kleine Panatbenaeen noch nicht ge-
geben habe. Ich komme auf diese Vermutung, weil Herwerden im Kom-
mentare seiner Ausgabe sich für die Existenz kleiner Panatbenaeen auf
]\[enander und auf ,,tituli" beruft. Kleine Panatbenaeen erwähnt z. B.
Lysias XXI, 2 ausdrücklich für das Jahr des Diokles (408 v. Chr.),
vgl. A. Mommsen, Feste der Stadt Athen p. 48. Der Scholiast erklärt
die Stelle unrichtig, wenn er meint, Aristophanes habe (X£7dXa nur gesagt:
au^ujv xTjv yapiv. — Für V. 427 schlägt der Verf. ei' i6vx£c vor st.
£iaiovx£; und bezieht sich für £la auf 7 Stelleu des Aristophanes. Aber
gerade diese Stellen lehren, daß dXX' £ta nicht so weit voneinander
getrennt werden kann, als dies Herwerdens Konjektur voraussetzt. Da
in dem aWri gewissermaßen ein Anstoß zu etwas Neuem ausgedrückt
ist und in £ia ebenfalls, ist es begreiflich, daß der Dichter a.)X £la ueben-
einandersetzt, wenn er sich beider Wörter bedient. Die Konjektur ver-
folgt natürlich nur den Zweck, das mißliebige £icnovx£c wegzuschaffen,
weil man es nicht verstehen zu können behauptet. Aber gerade dieses
£iaiovx£; ist für die richtige Vorstellung der Bühnenverhältnisse sehr
wichtig. Die Choreuten müssen sich vom Tanzplatze des Chores auf
den Standort der Schauspieler, also auf den Platz et:! ctxyiv^, der zwischen
den Paraskenien liegt und mit einem Dache gedeckt ist, begeben und
von dort in die Tür des Skenengebäudes eintreten. Es handelt sich
] 90 Beiiclit über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.)
darum, einen Koloß aufzurichten, der vom Schnürboden aus au Seileu
j^elenkt wird. Die wirkliche Arbeit leistet eine Maschinerie. Die
Choreuten arbeiten nur zum Scheine mit, markiren nur ihre Kraftan-
strenguug- und sind dabei in der Nähe der Tür gruppiert, die meisten
außerhalb, einige auch innerhalb. Eine so wichtiRe Stelle darf man
weder durch schlechte Erklärung, noch durch eine Textveränderung
wegräumen wollen. — In den Versen 989 — 990 schreibt Herwerden:
oV ooü 6(-/a xot'i rA-A Itt) | Tpuy6\).z^' rfiri statt des überlieferten: ol' aou
TpuxoixsvT rfiri \ xpi'a y.al oix exT). — Offenbar rechnet Aristophanes von
den Dionysien 432 bis zu den Dionysien 421 zwölf ganze Jahre. Da
nun an den Dionysien 421 der Friede noch nicht geschlossen war,
rechnet er noch die nächste Zeit hinzu, also ein dreizehntes Jahr. Er
kann gar nicht anders geschrieben haben als xpia xoti oe'-a l'xr). Hätte
er z. B. ouo xai oe'z exr] gesetzt, würde niemand ouo absichtlich in xpia
umgeändert haben. — Bei einer genauea Vergleichung aller Einzelheiten
dieser Abhandlung mit der Ausgabe und dem Kommentar zur EipiQVYj
desselben Verfassers ergibt sich, daß Herwerden nui- wenige seiner Kon-
jekturen in den Text setzte und manche ganz zurückzog. Jedenfalls
wird man durch seine Vermutungen, auch wo sie nicht zutreffen, auf
Schwierigkeiten aufmerksam, die der Text darbietet. — Zu den , .Fröschen"
teilt Herwerden 13 Konjekturen mit. Zwei davon muß ich billigen:
die Athetese des v. 780 und die Schreibung: ttsivtjv os xo östTcvetv in
V. 1478. — Die Konjekturen zu den übrigen Stücken zu besprechen,
ist mir leider durch den Mangel au Raum verwehrt. —
T. H alber tsmae Adversaria critica, edidit van Her werden.
Leidae 1896.
Ich habe diesen Band in der Wo. f. kl. Phil. 1896. No. 19,
Sp, 505 — 508 ausführlich in seinem dem Homer und dem Hesiod ge-
widmeten Teile gekennzeichnet. Für diesen Jahresbericht kämen p. 53
— 68 mit 54 Konjekturen zu Aristophanes' Ach., Equ., Vesp., Av.,
Lys., Thesm., Ran., Plut. und 10 Bemerkungen zu den frag. com. in
Betracht. Indessen ist die Auslese dessen, was nach methodischer Kritik
von diesen rasch hingeworfenen und zumeist nur kurz angedeuteten oder
auch gar nicht begründeten Einfällen übrig bleibt, sehr unbedeutend.
Der Herausgeber selbst hat in seinen Fußnoten ein böses Beispiel ge-
geben, indem er dort nicht wenige der im Text gebrachten Vermutungen
seines verstorbenen Freundes sachte ablehnt. —
F. Corazzini, La Marina in Aristofane. Torino 1898.
Diese Abhandlung bildet Appendice I. in Corazzinis Storia della
Marina railitare e commerciale tom. II, parte II, p. 291—332. — Sie
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 191
enthält eine Sammlung von Stellen aus neun Komödien des Aristophanes
(es entfielen die Wolken und die Ekklesiazasen), in denen irgend ein
dem Seewesen entlehnter Ausdruck verwendet wird. Corazzini nimmt
hierbei aber keine Rücksicht auf die gelehite Aristophanesliteratur
des letzten Jahrhunderts außerhalb Italiens und begnügt sich auch gegen-
über der Leistung seiner eigenen Landsleute damit, einzelne Übersetzer
wegen gelegentlicher nicht ganz genauer Übertragungen derartiger ter-
mini technici anzugreifen und wie Unwissende zu behandeln. In dieser
Weise findet mau t^bersetzungen von Castellani, Alfieri, Franchetti und
Capellina erwähnt und außer ilinen nur noch Brunck. Dieser Mangel
an Apparat bringt es mit sich, daß auch dort, wo Corazzini gegenüber
einem der genannten Übersetzer im Rechte ist, dennoch für die Wissen-
schaft selbst nichts abfällt, da er nichts Neues bietet. Als Beispiel
wähle ich die Behandlung von Kan. 180: wott, iiapaßaXou. „Aleuno (!)
annota: oop! e la voce allora usata nelle barche a piü rematori per
regolare 11 ritmo uniforme e concorde nel navigare (Keleusma)." Dieser
„Alcuno" betrachtet also unrichtigerweise Cook als ein xeXeujjxa, welches
verwendet werde, um die Gleichförmigkeit des Taktes im Rudern herbei-
zuführen. Corazzini hat aber diesen „Alcuuo" nicht verstanden; denn
er setzt ihm folgende Bemerkung entgegen: Non direi che questa voce
fosse allora usata nelle barche a pih rematori a regolare il ritmo, ossia
le canzoni, ossia il celeusma. Come poteva regolarsi una canzone con
la voce oop? Als hätte der „Aleuno" vom Rhythmus des Gesanges
gesprochen! Schließlich findet C, daß wo- „stop" heißt, was man
schon längst weiß. Unberechtigt ist auch der Tadel gegenüber Fran-
chettis Übersetzung von Raii. 1220: u'^soilat (xot ooxsi. „Ammaina".
Gerade dieser italienische Terminus entspricht dem griechischen G'^Esöat
viel genauer als Corazzinis serrare le vele. — Zu Ran. v. 121
wird Castellani wegen der Bemerkung getadelt, daß dpavtoü nicht bloß
den Schemel, sondern auch die Ruderbank bezeichnen könne. Corazzini
meint, letzteres müßte f)pavos, aber niclit Opaviov heißen. „Sfuggi l'iota
al bravo Castellani." Aber Passow, Pape u. s. w. geben PoUux I, 94
für öpaviov ^ Ruderbank an. —
W. Passow, De Aristophane defendendo contra invasionem
Euripideam, Pars prior: de terminis parodiae. — Pars altera: de
fide scholiornm. — Hirschberg i. Schi. 1897, 1898.
In obigem nicht ohne weiteres verständlichen Titel verbirgt sich
die Absicht des Verfassers, nachzuweisen, daß sowohl von den alten,
als auch von neueren Erkläreru des Aristophanes ziemlich viele Verse
des Dichters ohne genügenden Grund als Eigentum des Euripides und
bei dem Komiker als Euripidesparodie aufgefaßt würden. Bei dieser
1 92 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.J
kritischen Prüfung- der von manchen neueren Gelehrten oder auch schon
von den Scholiasten und ihren Quellen ansicnommenen Enripidesparodien
ist Pas?;ow ohne Zweifel in vielen Einzelheiten im Rechte. So lehnt er
z. B. Zielinskis verunglückten Einfall ab, daß Ar. Equ. 80: aXXot !Ty.6::ei,
ortüj; av a:to»)av(Da£v avopr/.cuTata eine Parodie von Eur. Hei. 841 sei:
TzZi ouv Oavou(i,e&' tusis xal oorav Xct^-ierv. Vgl. Zielinski, Gliederung d.
a. K. S. 97 und Passow a. a. 0. I. S. 6. Neben anderem fällt auch
auf Nauck der Vorwurf, in seiner Liste der frag, adesp. 42 — 63
(TGF. p. 847 if.) zu weit gegangen ^u sein. Bei dieser Verweisung
vieler sog-. Parodien unter die Pseudoparodien sucht Passow auch die
Grenzen beider Gattungen sowohl durch theoretische Erörterungen, als
durch Beispiele, die der deutschen Literatur entnommen sind, möglichst
genau zu bestimmen. So erklärt sich also auch der Titel: De terminis
parodiae. — In der zweiten Abhandluag, die mit der erstgenannten im
engsten Zusammenhange steht, prüft Passow die Glaubwürdigkeit der
Scholiasten bei ihren Angaben über das ■n'xpa-p'X'jiooth bei Aristophanes.
Daß diese Prüfung nicht zu Gunsten der Scholiasten ausfallen werde,
weiß der Leser schon nach der Lektüre des ersten Teiles der Abhand-
lung. Auch in diesem zweiten Abschnitte der Aibeit findet man viel
Richtiges. Nur sollte man nicht vergessen, daß wir trotz aller Skepsis,
mit der wir die Behauptungen der Scholiasten stets zu prüfen haben,
ihnen gleichwohl zu unauslöschlichem Danke verpflichtet sind. — Im
übrigen verweise ich auf 0. Kaehlers Rezension in der Berl. ph. Wo.
1900, No. 16, Sp. 481—485. —
J. Vahleu, [QuaestionesAristophaueae]. Ind. lect.hib. Berol. 1898.
Vahlen geht in dieser Abhandlung zunächst S. 1 — 8 vom aristo-
phanischen Spracligebrauche aus, um einige Athetesen im Piatontexte als
ungerechtfertigt zu bezeichnen. So wie man Platou häuög auf einen
knappereu Text zu reduzieren und mauche Weitschweifigkeit seines Stils
zu beschneiden mit Unrecht unternommen hatte, so ist dies auch häufig
genug dem Aristophanes ergangen. Indem nun Vahlen auf den Komiker
übergeht, weist er in seiner sorgfältigen und zwingenden Art nach, daß
folgende als Glosseme behandelte Stellen des Dichters heil und richtig
sind: in Equ. v. 913: avaXicxovTa tcuv ac/.'jzoZ, Lj^sistr. 975: xai rpr,3Trjpi
$u(jTp£(}^a? y.at, Thesmoph. 61: xal aujxps'^^a^, Ean. 204: «Tisipo?, wozu
natürlich xoü iXauvöiv zu denken ist und nicht : -r^ i>aXa-r/);, schließlich
in Ran. 1086: eiazaxcuvTwv xov ö'^ixov cxsi. —
W. J. M. Starkie , Emendations. — Hermathcna, vol. X,
No. XXIV, 1898, S. 246—247.
Für Acharn. 1091 schlägt Starkie opvi'öcuv ^aXa vor, statt des
überlieferten ai uopvat napa und für v. 1093: op-/TiaTpiöe? o cd „<&iXTa&'
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 193
'Ap(J.oote', '/.rt-Xii, statt; op-/r,3rpiO£;, zb. ^O.TOtf)' 'Ap[xootou xaXai. Schließ-
lich wird türEqu. 816: [xsj-fjv rupJiv-eTriyeiXrj, empfohlen. Hier wäre
wenigstens der Gedanke ansprechend, daß Themistokles durch die Be-
gründung der athenischen Seemacht auch zur reichlichen Einfuhr von
Getreide nach Athen die Veranlassung gab. Die schwächste dieser drei
Vermutungen ist die zu Acharn. 1091 gegebene.
ß. Steiner, Aristophanes. — Magazin für Literatur LXVIII,
1899, Sp. 127—129.
Steiner, der bekannte Herausgeber des genannten Blattes, knüpft
in seinem Artikel über Aristophanes an die in Berlin veranstalteten
^Historisch-modernen Festspiele* an, die auch eine Aufführung der
„Vögel- und des , Weiberstaates " brachten. Dei- Hauptsache nach be-
schäftigt sich dieser Aufsatz mit der Tendenz der „Vögel". Peithetairos,
der am Schlüsse der Aristophanischen Dichtung mit den Blitzen des
Zeus auftrete, sei nicht ernsthaft zu nehmen. Aus dem Geiste des
Aristophanes heraus könne dieser , Übermensch" nicht im Sinne
Friedrich Nietzsches, sondern „nicht anders aufgefaßt werden wie der
Frosch, der sich aufblasen will, bis er so groß wie ein Ochse ist. Ein
Bild unwiderstehlicher Komik soll dieser Mensch sein, unglaublich
lächerlich dadurch, daß er, der Knirps, mit den Attributen des großen
(iottes vor uns stehf. „Aristophanes wollte wohl nur den kleineu
Menschen zeichnen, der sich hinstellt und meint, ein Gott zu sein."
Diesen Gedanken, der die Billigung der Philologen schweilich finden
dürfte, sucht nun der Verfasser durch einen Hinweis auf die politischen
Zeitverhältnisse des Stückes seinen Lesern etwas näher zu bringen.
Die Brücke zwischen der Behandlung der Aves und einigen Bemerkungen
über die Ekklesiazusen bildet der Satz: „das Geheimnis der Komik liegt
darin, daß ein vollständiger Widerspi'uch als wirklich vor uns auftritt."
So kann denn der Verfasser fortfalnen mit den Worten- „Nach dem-
selben Rezept ist der Weiberstaat gearbeitet." Das Ideal des mensch-
lichen Zusaminenlebens, von der Gütergemeinschaft bis zur freien Liebe,
werde als wirklich vorgeführt und dadurch „soll es sich selbst lächerlich
machen". — Die Ekklesiazusen mit einigen Strichen als ein Thesenstück
hinzustellen, kann allerdings nicht schwer fallen. Aber diese Komödie
mit den „Vögeln* auf einen Leisten zu schlagen, geht denn doch nicht
an, da es Tj'pen verschiedener Gattungen sind, deren Wesen besser
durch die Hervorhebung der Unähnlichkeiten begriffen würde. —
B. Lakou, KpiTiy.a y.al £p|j.r,v£UT'.y.a eJ; xou; "EX^rivac opaixa-txouj.
'AÖTiva, tom. XII, 1900, p. 385—446.
Der Aufsatz bescliäftigt sich vorwiegend mit Euripides. Nur
zum Schlüsse bringt der Verf. 5 Vermutungen zu Aristophanes. Be-
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVl. (1903. I.) 13
194 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.
acbtecswert ist seine Behaudluue von Vesp. 1215: öpocf.v {^iazj.:. xps-
xao-; 2OX?,; iSauaajov. Anch die nenereii Herausgeber van Leeuweu,
Blaydes, Green. Starkie, Alerry wissen mit den xpsxao-' auXfjC nichts
Eechtes auzuiaugen. Gegen eine beilere Darstellung von Vögeln in
einem Speisezimmer, seien dieselben in einen Vorbang eingewebt oder
nur aufgemalt, spricht m. E. vor allem das Wort /.oixao'.ov selbst, da
doch der Vogel xoi- als rnglücksvogel galt. Lakou hat dies nicht
hervorgehoben nnd scheint überhaupt nur Kontos und die Scholiasten
zu berücksichtigen. Aber seine Konjektur xpoxaXi' äOat^? dürfte ein
Treffer sein. Er erklärt xpo/.aX;a als 6^90'.. indem er hinzufügt: 3uvt,9£j
x67}tT,u.a Tiüv ajXtüv T;jav 'yr,9tü-::c' -aparräiE'C. ojx 0X1711 [A^'/P'-» ^|iüiv
rsptsiüösiaai. Eher würde ich an einen Mosaikboden aus Kieselsteinen
denken. Znr Auempiebhmg der neuen Lesart in diesem Sinne weise
ich auf Av. 175 hin, wo der Epops ebenfalls bald hinauf, bald hinab-
blicken soll, oposr, und xpoxaX-.a stehen m. E. in einem örtlichen Gegen-
sat2e. durch den die Stelle sehr gewinnt. —
Mit Recht weist Lakon auch bei Vesp. 129: 6 0' üj-nspsl xoXo-.o?
ajTtp -Ol— aXo-j^ j i'/sxpousv i? tov toi/ov, e-r' sir/.Xsto darauf hin, dali
sich die Dohle nicht selbst die Pflöcke einschlägt, wie dies Philokleou
tat. Daii sich die Erklärer mit £;riXX£-:o als Verbuni zu xoXoio; behelfeu,
ist wirklich kaum zu billigen. Aber die Heilung, die Lakon vorschlägt,
6 0' S)z-to zl: xoXo'öv xtX. wird schwerlich Beifall finden. — Die übrigen
Bemerkungen sind abzulehnen. Ach. 255 — 256 gibt der Verf. in
folgender Gestalt: . . 0 j i' orussi xdx 7:oir]j$-:ai 7aXfj? 1 as [t-r^oh f^-zov
}oth, sniioav opÖpo^ 7^. Das ist ein Gedanke Bergks, der jedoch einsah,
daß man dabei an dem ix scheitert. Was soll hier bei Lakon das
vom Verbum abgetrennte xax? In Av. v. 62 schreibt L.: outiuc ~'. osivöv
ojos xaXX'.ov X£7£'.c; offenbar ohne Brnnck als Vorgänger zu kennen, der
wenigstens sinngemäßer interpimgierte. — Für Thesm. 289 schlägt er
vor: xal TOV ö'j7aTpoc yoipov ivopoc uo: r-r/th, ohne ZU beachten, daß
b'jva-rpoc bei Arisioph. Vesp. 573 ein Tribrachys ist und da;J darum
schon Scaliger, Küster, Bergler, Brunck, Bekker, Bothe, Weise nnd
Dindorf tov 9'J7aT£po; yoloo' billigten, während B.eiske t^? i^j-ioLziort; ver-
langte. Verf. scheint nicht einmal die Ausgabe von Blaydes benutzt zu
haben, der dies alles und noch mehr angibt. —
H. Piichardä. Aristophanica. Th»^ Classical Review XV, 1901,
p. 352 — 355 und 385 — 391.
Es werden im ganzen etwa 40 Stellen verschiedener Komödien
des Ai'istophanes besprochen, zumeist in kritischer Hinsicht. Bemerkens-
wert erscheinen mir folgende Vorschläge: 1. Equ. 599: lies u>c 0" ox
statt lo; Zz\ 2. Equ. 1386: 1. oj r.tow.-t'. St. orrsp v.zv., 3. Nub. 146;
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 195
). a/.o'-o si. 'I/./.otTo, wobei Richards die Konjektur Piccolominis Xaipe©ü>v
-öv ^tuxpaTTiV anempfiehlt. Nebenbei bemerkt geben auch R und V
vloiTo und hat Tenffel (1863) diese La. in seinen Text gesetzt und
Blaydes schließt sich dieser Schreibung in der adnotatio an. 4. Vesp.
967: 1. aioo-j to'jc Ta^.aizojpoufisvoy; st. iXüi xtX. Mit Recht bezeichnet
er i/Av. als Glossem, während Starkie, der die Äußerungen des Verf.
in der Oxf. philol. Society vom J. 1894 nicht kannte, die Schrittzüge
von eXesi aus aiooü ableiten will. — 5. Pac. 479: 1. svr/ov-at tw S-JÄcp
st. t'/rjy-ii TOJ ;'JXou, 6. Av. 753: 1. si Tic ujxtuv, (L btazii, ßo-jAETa». -rif
r,[i.£paj I 0'.a-Xr/.£tv ^«Zv tjoeü); to Xoi-ov, u>; V}i5; itüj St. ei jxst" opviöiov
-:-.; ufiüjv, w öeaxai, ßouXETü'. -/.tX. 7. Ran. 905: Richards erklärt eixova;
als Gleichnisse, Yergleichungen (nicht: Metaphern) unter Hinweis auf
Vesp. 1308 ff. — 8. Ran. 950: 1. r^ otrrJJ-r^^ st. yCo oe^-ott^c. — Die
übrigen Verbesserungsvorschläge sind zum Teile sehr zweifelhaft, zum
Teile sicher unrichtig. Ich will nur einige Proben anführen. Richards
schreibt Ach. 318: urep £-i;r,voü '8£Xt,3ü> -ov rspl 'i''J'/7;; opaasiv
(st. TTjV xssaXrjv lytov Xr/siv). Den Daktylus hat schon Wilamowitz
(Isyll. p. 8) gegen Porson mit Recht verteidigt. Alb. ilüUers Ansicht,
daß zwischen v. 317 und 318 eine Aposiopese stattfindet, die Richards
nur aus van Leeuwens Ausgabe kennt, ist zu künstlich, um richtig zu
sein. Es ist nichts zu. ändern. Ach. 410 Richards erklärt c/vaSaor^v
durch „with the legs up". Dies hatte aber Blaydes schon im J. 1Ö45
in seiner ersten Ausgabe beantragt, und in der neueren Ausgabe führt
er diese Auffassung schon auf den alten Frischlinns zurück. Daß diese
Erklärung des avaßaor^v unrichtig ist, beweisen die Worte des Euripides:
xa-oSaivEiv o" oO j/oXt,. Für Ran. 814—829 empfiehlt Richards eine
neue Versfolge, zum Teile nach Dobree, nämlich 814 — 817, 822—825,
826—829, 818—821. Die überlieferte Versfolge schildert die abwechs-
lungsreichen Phasen des hin und her wogenden Kampfes in prächtiger
Weise und Uian sollte sie nicht verunstalten. Das Gleiche gilt von Eqn.
15—18. Der Verf. gibt 15 dem OIK. A und darauf 17, 18, 16 dem
OIK. B. Schon diese rngleichheit der Verteilung spricht gegen sie. —
Th. Zielinski, „Marginalien I." — Philologus LX. 1901,
S. 1—16.
Aus diesen vermischten Bemerkungen bezieht sich p. 5—6 auf
Ran. 302 und Lysistr. 833 fi'. Mit A. Sonny (in der russ. philol.
Rundsch. IV, 1, 190) erblickt Zielinski in den Worten Ran. 302: •.'&'
-/■-ep spyT) ■ osypo, ^süp', ^ dizno-a eine an die Empuse gerichtete Bann-
formel. Hieraus fällt nach Zielinskis Ansicht ein helles Licht auf Ly-
Sistrat. 833—34: w zoTvia Ky-pou xal K-j&V.oiüv xal Ha^ou | [ieösouj',
•Tt' opöV v'-sp äpy.si rr^v 66ov. Der Scholiast bezog den zweiten Vers
196 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Hoizinger.)
auf Aphrodite. Man muß ihn jedoch mit Zieliuski als an Kiuesias ge-
richtet betrachten. Lysistrata will den Kinesias „durch die Bauuformel
als Ungeheuer kennzeichnen, wobei das eingeflochtene zweideutige (3p9r)v
die Parodie markiert". —
In ebendemselben Aufsatze S. 11 beschäftigt sich Zielinski mit
Vesp. 578: T:aiou>v xot'vuv öoxtixaCofxe'vtov xatooia Trapesrt deaaöai. Er be-
handelt die Frage, in welchem Falle gerade die Heliasten dazu berufen
waren, eine Inspektion der aioota bei den Knaben vorzunehmen. Bei
der Erörterung dieser Frage hatte sich schon van Leeuwen im Kom-
mentar zur Stelle auf Aristot. de ßep. Ath. 42 bezogen. Ausführlicher
erörtert Zielinski diesen Gegenstand. Bei der Eintragung der Knaben
in die Bürgerrollen hatten die Demoten darüber abzustimmen, ei öoxoüji
-fs^ovevai tyjv TjXixiav tyjv ex toü vojxou. Wenn nun die Demoten die
Altersreife eines Knaben bezweifelten und seine Eintragung ablehnten,
stand den Vertretern des Knaben die Appellation gegen dieses Urteil
an die Heliaia frei. Dieser Punkt ist in dem jetzigen Texte der
'A^TQvatwv TCoXiTsi'a nicht ausgeführt. Daß aber hiervon bei Aristoteles
die Rede war, erschließt Zielinski aus dem jjlev (av [ih a-o'|^.) im
jetzigen cap. 42. In diese Lücke tritt nun nach Zielinskis Ausführungen
die Stelle des Aristophanes ein. — Insofern Zielinski hiermit eine Text-
lücke in Aristot. Ath. polit. c. 42 andeutet, könnte ich nicht bei-
stimmen. Man vgl. van Leeuwens Anmerkung im Kommentar zu Aristot.
Ath. polit. 42. col. 21 1. 5 ff., vvo er sich auf Lipsius, Verh. der Sachs.
Ges. 1891, p. 63 bezieht. —
U. von "Wilamowitz-Moellendorff, Über die Aufführbarkeit
der aristophanischen Komödie. — Das literarische Echo. I. Jahrg.
1898— 1899, S. 538-540. —
Anläßlich der Aufführung zweier Stücke des Aristophanes in
Berlin am 29. Januar 1899 wurde v. Wilamowitz von der Redaktion
des literarischen Echo befragt, wie er ,,über die Aufführbarkeit des
Aristophanes auf der modernen Bühne dächte". Der Verfasser zeigt
nun zunächst, daß es ,, unmöglich ist, die Komödie auch nur von fern
so zur Darstellung und dementsprechend zur Wirkung zu bringen, wie
es der Dichter getan hat". Gründe: 1. Das unanständige Kostüm und
die Zote. 2. Unmöglichkeit, die Musik und den Tanz der Lieder nach-
zubilden. 3. Auch inhaltlich können manche Lieder, z. B. der Para-
base, die altbekannte Kultgesänge waren oder an solche erinnerten, auf
das moderne Publikum nicht in gleicher Art wirken. 4. Politische und
persönliche Anspielungen sind verblaßt. — So weit wird man die vom
Verf. vorgetragenen Ansichten gerne unterschreiben. — Im zweiten
Teile des Aufsatzes wird der Gedanke erörtert, daß es sich bei der
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 197
Übersetzung: und der dramatischen Aufführung eines alten Bühnen-
werkes, sei es nun Tragödie oder Komödie, nicht um die „sogenannte
Treue" und nicht um eine „antiquarische Lektion", sondern vielmehr
um die , .Erneuerung" der antiken Dramen liandle. Man habe nicht
,,die Aufführung der Antigene vom Jahre so und so viel v. Chr. zu
imitieren", sondern mau habe „die Antigone zu spielen". Diese Auf-
fassung, die auf dem Gebiete der Tragödie bereits allgemein bekanut
geworden ist, bringt v. Wilamowitz nun auch der ,, Erneuerung" der
Aristoplianischen Komödie entgegen. Nur äulJert er sich bezüoflich der
Durchführbarkeit dieses Gedankens nicht mit Entschiedenheit, weder
ablehnend, noch auch eigentlich aufmunternd. — Der zweite Teil des
Aufsatzes bewegt sich, wie man sieht, auf dem Gebiete subjektiver An-
schauungen, denen sich nicht jedermann anschließen wird. Hier hören
natürlich auch die Beweisführungen de=! Verfassers auf, mag er auch
einzelnes noch so kräftig versichern, wie z. B. in dem Satze: .,Aristo-
phancs wiid durch die Einführung des doppelten Spielplatzes für Schau-
spieler und Tänzer ganz unsinnig." Ausnahmen pflegen doch sonst
nur die Regel zu bestätigen. —
P. de Saint- Victor, Die beiden Masken, Tragödie-Komödie.
Übers, von Carmen Sylva. 3 Bände. Berlin 1899—1900. —
Das in Frankreich angesehene Werk Les deux Masques, Tragedie-
Cora^die, 1880—1884, Paris, Calman L6vy, behandelt den Aristophanes
im II. Bande S. 353 — 525. Zuerst bringt Saint-Victor einen Abschnitt
„Origines de la Comedie", in welchem natürlich unter großem Auf-
wände an Metaphern und anderen Geistesblitzen wenig wirkliches Wissen
gelehrt wird. Dann werden sowohl der Dichter selbst als auch seine
Stücke mit einzelnen Abschnitten bedacht und zwar in einer Abfolge,
für die der Verfasser keine Erklärung gibt. Die Lysistrata kommt vor
den Rittern, die Ekklesiazusen vor den Fröschen. Daß die «Vögel"
zuletzt behandelt werden, hat wohl seinen Grund darin, daß dieser
Komödie wegen des in ihr besonders hervortretenden phantastischen
Zuges auch ein besonderer Platz eingeräumt werden soll. Hingegen
wurden die „Wespen" keines Abschnittes gewürdigt. — Die gekrönte
Übersetzerin hat das Werk Saint- Victors sehr genau übertragen. Dabei
liest sich aber die Übersetzung im ganzen leicht und flüssig, und nur
selten stutzt man über eine sonderbare Wendung, zu deren Erklärung
mau sich das Original herbeiwünscht. Nur um zu zeigen, was ich
meine, führe ich z. B. aus dem Abschnitte über die Lysistrata S. 371
des IL Bandes den Ausdruck „schlechtgehobelte Phallophorie" an.
Saint-Victor sagt II S. 393: la comedie . . a'etait encore, au temps
d'Aristophane, qu'une phallophorie degrossie. An anderen Stellen, z. B.
198 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
S. 332. ,.Einzug der Komödie in die Städte. — Athen hobelt und bildet
sie" fällt der gleiche Ausdruck weniger auf. — Der Übersetzung ist
folgende Widmung voraufgeschickt: „Meinem Jugendfreunde Professor
Dr. Heinrich Geizer gewidmet in Erinnerung an unsere Ferienwande-
rungen im klassischen Altertum." —
J. Bertheroy, Äristophane et Moliere. Paris 1897,
Es ist dies nicht eine literargeschichtliche Parallele zwischen den
beiden Meistern der Komödie, sondern ein „ä propos en un acte en
vers, represente ä la Comedie Eiancaise le 15. janvier 1897" bei Ge-
legenheit des 275. Gedenktages der Geburt Molieres. Die beiden großen
Geister begegnen sich im Anblicke der Stadt Paris und tauschen ihre
Meinungen über den Fortschritt der Menschheit aus. Aristophanes
spricht als Pessimist, Moliere hat die angenehmere Rolle des Optimisten
und erhält darum für seine freundlich klingenden Tiraden von der
plötzlich in Mlle. Moreno personitiziert auftretenden Humanite einen
Kuß auf die Stirne. Hierauf fällt der Vorhang. — Der Umstand, daß
Bertheroys Aristophanes bei seinem Auftreten den Montmartre für
seinen heimatlichen Parnes hält, läßt vermuten, daß der Herr Verfasser
sich in Paris besser auskennt als in Attika. Sonst hätte er wohl auch
lieber den Schatten des Menandros aus der Unterwelt heraufbeschworen
als den allzu unähnlichen Aristophanes. Aber der Name Menanders
schlägt vielleicht in ein französisches Theaterpublikum zu wenig ein.
Aristophanes at Oxford. 0. W. by Y. T, 0. — Oxford 1894.
Das Büchlein enthält nicht, wie man nach dem Titel meinen
könnte, einen kritischen Aufsatz über die Art und Weise, in welcher
Aristophanes in den Oxforder Colleges behandelt wird, sondern eine
als „aristophanisch" bezeichnete Posse, als deren „Dramatis personae"
angegeben werden: The Hon. Algernon Amherst und William Robinson,
Esq., of Maudlin College, Socrates, Thucydides, Aristotle, ancient phi-
losophers, Oscar Wilde, a modern philosopher, The Proctor, Charon,
Chorus of Ladies und Uudergraduates u. s. w. In dem Vorworte wird
versichert, daß Oscar Wilde nur eine Schöpfung der Phantasie sei.
Deutschfreundlich ist der anouyme Autor nicht gesinnt. Auf ein ein-
gestreutes „potz Blitz-', „Dreitausend Teufel" läßt der Autor den So-
krates antworten: I beg your pardon, sir, We have no knowledge of
barbarJan tongues; so would you mind repeaiing your remarks in decent
Attic or at least in Euglish? Also das Deutsche ist barbarisch, das
Englische aber nicht. Dies ist wohl der beste Scherz in dem ganzen
Büchlein —
In der Sammlung von Sir John Lubbocks Hundert books ist
als 69. Band eine Auswahl aus Aristophanes, Sophokles und Euripides in
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 199
englischer Übersetzung gegeben. London 1894, George Routledge and
sons. 8vo. — Von Aristophanes sind in diese Sammlung die Acharner,
Ritter und Vögel in der Übersetzung von John Hookham Frere
anfgenominen. Dieser Staatsmann, Diplomat und Dichter (1769 — 1846)
ließ im J. 1820 in der Quarterlj' Review einen Aufsatz über Aristo-
phanes erscheinen, der großes Aufsehen erregte. Die tJbersetzungen
hat Hookham Frere selbst im J. 1839 in Malta drucken und im J. 1840
bei Pickering erscheinen lassen. In England genießen sie großes An-
sehen. —
Ch. Zevort, Comedies de Aristophane. Traducüoa nouvelle avec
une introductioü et des notes. — Paris 1892.
Zevort ist mit seiner Prosaübersetzuiig des ganzen Aristophanes
nicht vollständig zu Ende gelangt. J. Denis, Doyen de la Faculte des
lettres de Caen, dem die fertiggestellten Druckbogen anvertraut wurden,
hatte noch die l'bersetzung des Plutos und der zwei letzten Scenen der
Ekklesiazusen hinzuzufügen. Auch die Einleitung zum Plutos ist von
Denis. Die dem Werke vorangeschickte Abhandlung Zevorts über Ari-
stophanes und seine Zeit bricht im fünften Kapitel ab. Im Eingange
desselben macht er die Bemerkung, daß die Komödien des Aristophanes
durchwegs Thesenstücke seien. In dem Streben, die These zu erweisen,
liege die Einheit der im übrigen locker getugten .Scenen. Mit dem Ver-
sprechen des Autors, diesen Gedanken au allen elf Komödien des
Dichters durchzuführen, bricht sein Manuskript ab. Das Fehlende läßt
sich aber nach diesem Plane leicht hinzudenken. — Die Übersetzung
selbst wirft wohl auf die vielen umstrittenen Stellen kein neues Licht,
ist aber doch, wenngleich Willems (vgl. d. Bericht über Eugene Talbot)
sie mit allen übrigen französischen Übersetzungen des Aristophanes
weitaus schärfer verurteilt, als dies ein,, unhöflicher Deutscher'* jemals
täte, meines Erachtens genauer gearbeitet als andere französische Lei-
stungen ähnlicher Art. Man vergleiche das von mir über die illustrierte
Einzelausgabe der Lysistrata (1898) Gesagte, deren Text samt An-
merkungen ein wörtlicher Abdruck aus diesem Bande ist. —
G. Ferte, Aristophane, pieces choisies avec une introduction,
un index et des notes. Paris 1894.
Das Buch ist für die Vorbereitung zur Baccalaureatsprüfung be-
stimmt und enthält Prosaübersetzungeu ausgewählter Partien aus 9 Stücken
des Aristophanes. Diese übersetzten Scenen jedes Stückes sind durch
Übersichten über die weggelassenen Partien ergänzt. Jedem einzelnen
Stücke sind kurze einleitende Bemerkungen vorangestellt, und an der
Spitze des Ganzen steht ein Aufsatz von 24 S., der vorzüglich auf
Croiset und Couat beruht und über Aristophanes und seine Komödien
200 Bericht über die Literatur der griechischea Komödie. (Holzinger")
im allgemeinen Auskunft gibt. Ausgeschlossen wurden von dieser Aus-
wahl die Lysistrata und die Thesmophoriazusen. Auch im übrigen ist
Aristophanes so kunstgerecht kastriert, daß gegen seine Heili^jsprechung
wohl nichts eingewendet werden könnte. —
E. Talbot, Aristophane, traduction nouvelle. Preface de Sully-
Prudhomme. Paris 1897, 2 vol.
A. Willems, Une traduction nouvelle d' Aristophane. — Bulletins
de TAcademie Royale de Belgique. 3. Serie, tom. XXXIV. 1897,
p. 970—992.
In einer sehr ausführlichen und eingehenden Kritik bezeichnet
Willems die neueste französische Übersetzung des ganzen Aristophanes
von Talbot als durchaus unzureichend. Das Vorwort Sully-Prudhommes
enthält eine geradezu dithyrambische Anpreisung der Vorzüge dieser
Übersetzung, die SuUy-Prudhomme nach der Ansicht Willems' entweder
nicht gelesen hat oder zu beurteilen nicht im stände war. Ebenso
schlimm kommt Leconte de Lisle weg, der für das Erscheinen dieser
Übersetzung einen Teil der Verantwortung trägt. Die Liste von
Fehlern und Mißverständnissen, die Willems auf den S. 975—986 zu-
sammenstellt, kann ich hier nicht wiederholen. Ich will daraus nur
einige erwähnen, die etwas Erheiterndes an sich haben: Ach. 627: dXX'
auoöu'^Tes Toi; dva-aiatot? i~.l^ü\).z^ wird übersetzt: ,,Chaugeons notre habit
contre des anapestes." Ach. 843: ouö' £^o[j,op;£tat npe-i? tt)v supuTipcüxtiav
001, „Prepis n'essuiera pas devant toi son derriere": Eccl. 302: xaÖTJvto
XaXoüvTs? £v TOI? ctT£cpava>ii.ac;iv: ,,Des gens qui restent ä babiller la tete
ceinte de couronnes." Hier ist vielleicht Talbot durch Dindorfs Kommentar
in Irrtum geraten, während die Scholieu eine deutliche Erklärung geben.
Nur muß man im Schol. Eccl. 302 richtig lesen, nämlich or;taC£iv |jlti
dEXovTcuv (Cod. E,.). Lys. 107: ouoe [xor/oü xa-aXlXetKtai cp£<];aXuE, ,,pas
le moindre tisou de galant". Es ist kaum zu bezweifeln, daß Talbot
von der Aristophanesliteratur vieler Jahrzehnte keine Kenntnis ge-
nommen hat und sich auf den einfachsten und ihm am leichtesten zu-
gänglichen Apparat einschränkte. Man wird dies dem alten Herrn, der,
wenn ich nicht irre, im J. 1894 als Achtzigjähriger starb, auch nicht ernst-
lich verargen können. Nur hätte man seine Übersetzung, die er vielleicht
in ganz anderen Zeiten gearbeitet hat, nicht nach seinem Tode heraus-
geben sollen. — Das Urteil Willems' erstreckt sich auch über Talbot
hinaus auf die übrigen französischen Übersetzer des Aristophanes.
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (llolzinger.) 201
III. Arbeiten von speziellerer Tendenz.
A. Arbeiten über eine der elf Komödien des
Aristophanes.
P. Petersen, Scener af Aiistopbanes „Acharnerne". — Fest-
skrift til J. L. Ussing pag. 193—209. — Kopenhagen, 1900.
Diese Ehrengabe für Ussing besteht in einer Übersetzung von
drei Scenen der Acharner, nämlich der vss. 1 — 133, 175 — 299, 471 — 530.
Kommentar und Einleitung sind nicht beigegeben. Die Übersetzung gibt
die Versmaße des Originals wieder, entzieht sich aber im übrigen, da
sie in dänischer Sprache abgefaßt ist, meiner Beurteilung. —
P. Ferrieri, Studi di storia e critica letteraria. I. GM Acarnesi
di Aristofanc. Milano 1892, pag. 1 — 118.
Der Essay Ferrieris über Aristophanes' Acharner war bereits im
J. 1881 in Palermo erschienen und ist nun vom Verfasser zusammen
mit drei anderen literargeschichtlichen Arbeiten unter einem neuen Ge-
samttitel Studi di storia etc. in verbesserter Gestalt ein zweites Mal
herausgegeben worden. Der Aufsatz enthält eine Würdigung der
Acbainer nach selir vielen Seiten hin. Ferrieri spricht über den
Peloponnesischen Krieg, das Wesen der altattischen Komödie, die Auf-
führungszeit der Stückes, persönliche Verhältnisse des Dichters, seine
politische Parteistellung, seine Friedensliebe, über die Sophistik, über
die Wahrheit und den Subjektivismus in der Kritik des Aristophanes,
über den Text, den Inhalt und die Einteilung des Stückes, über die
darin vorkommenden Metra, über die von Friedrich Leo (de pristino
Ach. exordio, Bonnae 1877) vermutete Lücke am Anfange des Stückes,
die Ferrieii nicht anerkennt, über die Parodie des Telephos, die Kritik
des Euripides und noch vieles, vieles andere. Nur irgend etwas Neues
darunter zu entdecken, ist mir nicht gelungen.
Das Urteil des Verfassers, dem auch deutsche Literatur zugäng-
lich zu sein scheint, ist in vielen Punkten ein ganz richtisres, so daß
sein Aufsatz als Einführung in die Lektüre der Acharner für italienische
Studierende anempfohlen werden kann. — Ein leicht zu verbessernder
Schnitzer, der unter den Errata nicht angeführt ist, findet sich auf
S. 27, wo -apa-/opY]7r,IxaTa statt TrpojcüireTa gesetzt ist: ,,L' uso delle
maschere (-apayopyi-f/jiJLaTa) e la consuetudine di non far occupare raai
la scena da un numero di personaggi maggiore di tre, rendeva possibile
a cosi scarso numero di attori l' esecuzione dello spettacolo." —
A. Couat, Sur la composition des Acharniens. — Revue des
Universites du Midi. — Nouvelle S6rie, Tome I (Anneo XVII),
1895, p. 24—74. —
202 Bericht über die Literatur der grieeliischcn Komödie. (Uolzinger.)
Der inhaltsreiche Aufsatz Couats erzählt zunächst die Handlung
der Acharner (S. 24—27), untersucht sodann den Zusammenhang der
Sceneu und findet denselben in der zu Grunde liegenden These, daß der
Friede erstrebenswerter sei als der Krieg. Diese Scenen sind mehr-
mals nur angereihte Bilder. Sich durch den Mangel an Einheit des
Ortes und der Zeit und die dadurch entstehenden Unmöglichkeiten nicht
stören zu lassen, setzt bei den Zuschauern viel guten Willen voraus.
Au den Zusammenhang der Handlung dürfe man also nicht zu strenge
Anforderungen stellen. Stelle man sich auf diesen Standpunkt der
iJeurteilung, so seien nur die vss. 1186 — 1189 zu athetiereu, v. 203
sei vor 201 zu stellen und zwischen v. 393 und 394, ferner zwischen
619 — 620 seien kleine Lücken anzunehmen. Im übrigen aber seien
die Acharner im ganzen so auf uns gelangt, wie sie im J. 425 gespielt
wurden (S. 28—32). — Der nächste Abschnitt (S. 33—39) beschäftigt
sich speziell mit der Scene v. 566 — 625 und hat den Zweck, nachzu-
weisen, daß Lamachos in v. 593 nicht als gewählter Stratege erscheine,
da er für Sold diene (v. 597). Der v. 593 stehe daher nicht im Gegen-
satze zu vss. 1073 — 1078. In diesem Abschnitt wird also das Material
weggeräumt, auf welchem einige Schlüsse Müller- Strübings (Aristo-
phanes u. d. h. K. p. 498 ff.) und Zieliuskis (Gliederung d. .a. K.
p. 56 ft".) beruhen, und es soll dadurch sowie auch durch die Behandlung
der Metra des Stückes (S. 40—52) der Weg frei gemacht werden für
die Hauptabschnitte des Aufsatzes (S. 53 — 70 und 71 — 74), in denen
die Komposition der Acharner im Gegensatze zu dem Werke Zielinskis
behandelt wird. Für die Geschichte der altattischen Komödie gelangt
der Verfasser (S. 70) zu folgenden über die Acharner hinausgreifendeu
Sätzen: Die wesentlichen Teile der altattischeu Komödie hätten sich in
folgender Reihe entwickelt, 1. das Choiikou, 2. Ode, Antode, Epirrhema
und Antepirrhema der Parabase, 3. die Parodos, aufgebaut nach dem-
selben Muster, 4. der anapaestische Teil der Parabase. — Tetrameter,
anapaestische, trochäische und jambische, und zwar namentlich die beiden
ersteren Gattungen, seien im Dialoge von den ältesten Anfängen an
gebraucht worden. Der Tetrameier wurde in den wichtigsten Teilen
der Komödie beibehalten. Der jambische Trimeter gelangte namentlich
im Prolog und in der Exodos zur Herrschaft. — Auf mich haben die
ersten drei Teile des Aufsatzes (S. 24—39) den günstigsten Eindruck
gemacht. —
K. Zacher, Uajaaxi, nicht -äcjjaxt. Zu Aristoph. Ach. 763. —
Philologus LI, 1892, p. 379-380. —
Zacher hält die Lesart uaaaaxi und die Erklärung des Scholiasten
,,G~oxopiaTixüj? TCO TiajaaXm" für einen aus Didymos geschöpften und bis
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 203
in die Neuzeit fortgepflanzten Fehler. Er liest: raajaxi und erklärt es
als :rav — säx — ti ^mit allem Nachdruck, ganz und gar". Für die
Verkürzung der Lokativendung weist Zacher auf ii-'xv.-zK bei Soph.
OC 1251 und -avor,[jLi bei Rufin. Auth. 5, 44 hin.
K. Wernicke, Miscellanea critica. — Philologus LI, 1892,
p. 486—487. —
Von Aristophanes behandelt Wernicke Ach. 1082: ^I. ßouXet \id-
ysjiKai rr,puovr) -etpaTz-iXa) ; — Er vertritt die Ansicht, daß Dikaiopolis unter
(leryones sich selbst meint und daß er sich von den vorhin umhergestreuten
Federn (vgl. v. 990, nicht 1011, wie W. angibt) vier ausgewählte auf
den Hut steckt. Die Ausgabe von Blaydes kann Wernicke wohl nicht
benutzt haben, wenn er diese Erklärung für neu hielt. —
D. Kellog. Puuning allusion to Euripides in Aristophanes' Achar-
nians 666. — Transactions of the American philological association
XXIX, 1898, p. XIII— XIV. —
In Acharn. v. 666 sieht der Verfasser in der Zusammenstellung
der Weite oupta ptmSt ein Wortspiel mit dem Namen Euripides. Auch
in v. 888 hebt Kellog oeüoo . . . pim'oa durch den Druck hervor, ob-
wohl er hinzufügt: without trying to prove auother punning allusion in
osüpo xal TTjV p'.rioa. Da aber Kellog auf die Parodie von Alkestis
V. 367 in der darauf folgenden Stelle 892 — 894 hinweist und in dein ivts-
TeuTXavtufxIvTjc (Ach. 894) eine Anspielung auf die Mutter des Euripides
als Gemüsehändlerin finden zu dürfen glaubt, wird er wohl eigentlich
auch bei osüpo . . . piirtoa au ein Wortspiel denken. Auch in der Ab-
folge der beiden Wörter E-ipt-tOY), 'T:siör)-ep findet Kellog eine komische
Absicht. — Ich war stets der Meinung, daß mau in der Annahme von
Wortspielen vorsichtig sein müsse, um dem Dichter nicht überflüssig
viele schlechte Witze aufzubürden. Z. B. oup/a pnciöt möchte ich durch-
aus nicht als Wortspiel mit dem Namen des Dichters anerkennen. —
C. E. S. Headlam, Aristophanes, Acharnians, 709. — Class.
Kev. XII, 1898. p. 32. —
Daß iii dem v. 709 die unverständliclie Überlieferung xrjv 'Ayaiav
auf die Nennung der Demeter im v. 708 zurückzuführen ist, ist aller-
dings wahrscheinlich. Aber daß Aristophanes Tf,v 'Avpaiav geschriebeu
haben soll, wie Headlam vorschlägt, ist schwerer zu glauben. —
C. Bonner, Note on Acharnians 947. — Americ. Journ. of
Philol. XXI, 1900, p. 433—437. —
Der Verf. verweist bezüglich des bisher nicht völlig aufgeklärten:
jxE/.Xco 7£ -Ol Osp-'oocv des Boiotischen Laudmannes (Ach. 947) auf eine
204 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
alte Erutesitte. Derjenige Schnitter, welcher die letzten Korngarben
schnitt, wurde von den übrigen Schnittern zum Scherze überfallen, in
die letzten Korngarben hineingebundcu und so auf dem Erntewagen
mitgeführt. Der Boiotier sieht hier den Synkophanten in Stroh einge-
packt und soll ihn wegtragen. Daher sagt er: „Ich gehe wie zu einem
Erntefest." Die vielen Landleute und Gutsbesitzer unter den Zu-
schauern machen diese Anspielung des Komikers begreiflich. — Ich halte
diesen Aufsatz Bonners für sehr beachtenswert. — Auch in der neuesten
Ausgabe des Stückes von J. van Leeuwen (1901) ist die Stelle noch
nicht recht verständlich. —
.1. van Leeuwen, Ad Aristoph. Acharn. v. 927. — Mneraos.
NS. XXVIII, 1900, p. 451.
In der Scene, in welcher der Sykophant eingewickelt und ein-
gebunden werden soll, sagt Dikaiopolis nach der handschr. Überlieferung :
86i (JLot cpoputo'v, Tv' auTov evov^ua; cpspco. Da nicht Dikaiopolis den
Sykophanten fortzutragen hat, sondern der Boiotier ihn wegschaffen
soll, empfiehlt der Verf. nach einer kritischen Durchmusterung der vor-
liegenden Konjekturen von Elmsley und W. Dindorf eine neue Schreibung:
evÖT^aaj acpoopa. — In den Text seiner seither erschienenen Ausgabe
der Acharner hat Leeuwen diese Vermutung schon eingesetzt. — Allzu
rasch, wie ich glaube.
'Api7Tocpavo'Jc 'Itctt^c, adapted for Performance by the Oxford
University Dramatic Society, with an Eoglish Version by L. E. B er-
mann, Oxford 1897.
Das Buch enthält einen stark zusammengestrichenen Text der
Kitter auf Grundlage der Merryschen Ausgabe. Beispielsweise bemerke
ich, daß in der Partie von vss. 247 — 546 folgende Verse gestrichen
sind: vss. 282— 283, 294-295,299—302, 311—334,342-306, 375—
386, 393—394, 397—401, 409—428, 430—437, 445—449, 461—474
479—481, 483—484, 527, 533 aUa -/sptuv — 544 aurov iautw. Bei so
starken Streichungen wird man hie und da den richtigen Zusammenhang
vermissen. So sind meines Erachtens die vss. 544 xo'jxtov xtÄ. bis xwTtat;
546 nicht verständlich , wenn man 533 alloi bis 544 eauTw wegläßt.
In der englischen Übeisetzung ist allerdings ein Zusammenhang her-
gestellt worden. Denn die Übersetzung Bermanns, die aus hübsch ge-
reimten Versen besteht und zumeist der Übersetzung von Hookham
Frere (1892) entnommen ist, ist sehr frei und kommt daher aucli über
bekannte und offenkundige Schwierigkeiten leicht hinweg. — Die kurze
Einleitung enthält nur eine summarische Übersicht über den Inhalt des
Stückes. —
Bericht über die Literatur der griecbischen Komödie. ^Jolzinger.) 205
J. van Lee u wen, Ad Aristophanem (zu Eq. v. 3). Mneraos.
XX, 1892, p. 146.
Die vorgetragene Konjektur puparat; statt ßouXai? hat Leeuwen
bereits selbst in der im J. 1900 erschienenen Ausgabe der Ritter zurück-
gezogen. —
J. Hirschberg, Ma^eiptxuJi; in den Rittern des Äristophaues. —
Philologus LI, 1892, p. 377—378. —
Hirschbeig wendet sich in dieser Miszelle gegen Kocks An-
merkung zu Equ. 375—381 (1882). welche an die Notiz des Scholiasten :
fjLsto t6 a-oT^d^a'. anknüpft, und weist nach (aus Aristot. bist, animal.
VIII, 21 und Oribas. Collect, med. IV, 2), daß der aristophanischen
Stelle ein Hinweis auf die au dem lebenden, nicht an dem geschlachteten
Schweine vorgenommene Finnenprobe zu Grunde liegt. — Vgl. S. 182. —
E. Piccolomini, Osservazioni critiche ed esegetiche sopra i
Cavalieri d' Aristofane. — Studi italiani di filologia classica II,
1894, p. 571—592. —
Die sorgfältige Abhandlung enthält einige beherzigenswerte Be-
merkungen zu den Rittern. Zu diesen rechne ich folgende: 1. Nach
V. 20 ist keine Verslücke anzunehmen (gegen Velsen). 2. Nach v. 21
ist (gegen Keck) der Gedankenstrich zu setzen. Sklave B hat die
Absicht, dem Genossen das getährliche Wort fx6Xü)|xev vorzusprechen.
Dieser kommt ihm rasch zuvor, um sein Verständnis zu beweisen.
3. Das tra^rische Pathos der V^erse 30 — 3 1 ist eine Parodie von Stellen
wie Aisch. Sept. 95. — 4. In der wiederholten Anwendung von xpea;
in v. 421 und v. 457 liegt ein parodisches Gegenstück zu dem tragischen
Gebrauche von oeixa?. 5. In v. 428 wird xpsa? mit obscöuem Doppel-
sinn erklärt. Nur ist zu bemerken, daß dies schon früher bekannt
war. Vahleu hat dies im Herm. XXVI S. .168 — 169 ausführlich aus-
einandergesetzt nnd hat die Überlieferung auf dieser Grundlage ver-
teidigt. — 6. Richtig wird in v. 555 ixtsöocpo'poi durch den Hinweis auf
V. 1065 und 1366 erklärt. Die Bemerkung über die lohnende Be-
schäftigung des gemeinen Mannes im Flottendienste ist jedenfalls auf
die höchsten Sitzreihen des Theaters berechnet, schließt aber, wie schon
Velsen (Rh. Mus. XVIII, 125) sagte, keinen Witz in sich. 7. In v. 814
vermutet Piccolomini v^axiv statt ixeaxfjV. Letzteres hält er mit Blaydes
für ein Glossem zu k-iyzilr^. Jedenfalls empfiehlt sich vy;3-iv dadurch,
daß es zu dem vom Dichter gewählten Bilde paßt. Ein Fehler konnte
sich m. E. darum leicht einschleichen, weil hier nur das sichere Gefühl
für die richtige Cäsur zur richtigen Wortverbindung anleitet. 8. Für
V. 853 wird rrspiaTsr/Qujt statt Treptoi'/.oü(Jt vorgeschlagen. 9. Zu Schol. 859
206 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
gibt der Verf. die Verbesserung -apoExpousu pieTpou st. des oifenbar
fehlerhaften rapaxp. [xeTpov. — Gegen die übrigen exegetischen oder
kritischen Voi schlage verhalte icli mich ablehnend. So gibt P. das
}xoXtü}i.£v des V. 2G nocli dem OIK. B und setzt nach -'jxvov das Kolon,
nach jjLoXtoiJLev (26) und nach au-o[xoXw[X£v den Gedankenstrich. Hier
ist Kocks Personenverteihmg und Erklärung vorzuzielien. Zu iizdiw^^
TTUxvov ergänze ich, wie ich glaube, im Sinne Kocks: Xi-ß upöirov Tf>
IJ.oXiü[jL£v, dxa o' auTO, während Piccolomini ixoXwjjlev allein als Objekt zu
£~a7tuv -uxvov zu ziehen scheint. — Nacli v. 62 vermutet P. den Aus-
fall eines Verses, damit t£/v-/]v -s-oirjxai eine direkte Beziehung er-
halte. — In V. 74 vv^ird eine Parodie des homerischen öc ttocvt ecpopä
xtX. behauptet. Aber ein Vergleich des Kleon mit Helios wäre für Kl.
allzu rühmlich. — In v. 89 empfiehlt der Verf. xpouvoyutpoXYjpoc <ti?>
el zu schreiben. Ich empfinde bei dem eingelebten xpouvo/u-rpoXi^paio;
sl keinen Anstoß. Vielleicht zeigt sich darin nur die Macht der Ge-
wohnheit. Im ganzen ist aber ein Adjektiv auf — ato? wirklich zweck-
entsprechend und ein solches von X-^pos abzuleiten isi; lange nicht des
Dichters kühnste Tat. — Nach v. 269 empfiehlt P. das Fragezeichen
und für v. 270 die La. tjjx«? exxoßaXixs-jexai, die Dindorfs Oxforder Aus-
gabe darbot. Hier ziehe ich xaxxoßaXtxsus-ai vor. Vgl. Dind. poet. sc.
gr. In v. 272 setzt P. mit Bernhardy den Beistrich vor osupu Aber
der Beistrich nach Ssupt ist durch die caesura media empfohlen. Nicht
gelungen ist die Behauptung, man vermeide mit Bernhardys Interpunktion
„die sonderbare Voraussetzung, daß der Paphlagonier bei seinen Gegnern
Schutz suchen werde". Setzt man aber voraus, daß er nach einer
anderen Seite entweichen werde, wo seine Gegner nicht stehen, dann
wäre die Drohung 7:püs axsXo; xupT^ßaget unmöglich, die nur bei einem
Nahkampfe zu verwirklichen ist. — In v. 295 ist xo-po'f opr^su) nicht in
■/oTTpoipopu^cu zu ändern. Dagegen hat P. Velsens Ansatz einer Lücke
nach v. 299 mit Recht abgelehnt und hat auch für die v. 298 — 300
die Personenverteilung der Codd. RV mit guten Gründen verteidigt. —
Zu V. 407 tritt P. für Deckers Vermutung 'IouXi7]Tr,v und für die
Schreibung -upo-i-Yjv ein , indem er dadurch die Gewinnsucht des
Dichters Siraonides charakterisiert findet. In diesem Sinne ist aber
wohl jetzt Zachers Text vorzuziehen. — Auch in v. 418 hat Zacher in
der Lücke vor Xe-^cov Bernhardys av gegenüber P.'s tote mit Recht be-
vorzugt. — Verfehlt ist der beabsichtigte Ersatz von psucac in v. 526
durch Tiveucrac, das die Einheit der Allegorie verletzt. — In v. 821 liest
P. ou vüv statt xotl vüv. — In v. 1026 sucht P. die überl. La. 9upas zu
rechtfertigen, indem er auf die Gewohnheit eingesperrter Hunde hin-
weist, an der Türe zu nagen. Kleon habe ein echtes Orakel verschluckt
und habe an dessen Stelle einen gefälschten Spruch (v. 1014 — 1020) vor-
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 207
gelesen. — Daß die Überlieferung in v. 1336 a'fE<{^r,3ac. AV £701'; nicht
richtig sein kann, wird schlagend erwiesen. P. empfiehlt Meinekes
Schreibung und läßt den Agorakritos sagen, das Verjüngungsnüttel des
Umkochens sei für ihn (wohl als Wursthändler?) ein sehr einfaches ge-
wesen. Es muß aber m. E. der ganze Vers dem Demos gehören, nnd
daher dürfte Bergks Schreibung (vgl. auch Kocks Ausgabe) die beste
sein. —
E. Piccolomini, 'EjittooiCsiv W/6.h7.i. Aristofane Cavalieri 752
— 755. — 1894, Rendiconti della R. Accademia dei Lincei, Ser. V,
vol. III, p. 8-18. —
Der Verf. beschäftigt sich mit der bekannten C'liarakteristik des
Demos in den Rittern, die schon den alten Erklärern große Schwierig-
keiten bereitete: ot'fJLOt y.ocxoöat[X(üv, w; azoXtoX'. 6 -/ap -/epcüv | o'xoi ]xev
avopn"iv sjTi 0£;iu)TaTOi, | oxav 0' £-1 xauiTjji xail^xat xrjs irexpai | x£/t)v£v
üi3;t£p £[ji.irooi^u)v hya.oo.z. Piccolomini stützt sich auf den von Stefan
Bergler aus einem Scholion gezogenen Gedanken, daß der Stelle ein
Vergleich mit einem Kinderspiele zu Grunde liege. Piccolomini hat ein
solches Spiel in Toscaua beobachtet. Es bindet jemand, der sich mit
den Kindern einen Seherz machen will, eine Frucht oder ein Stück
iNaschwerk au einen Eaden und läßt diese Lockspeise au den Köpfen
der Kinder vorbeikreisen. Die Kinder schnappen nun mit offenen ge-
näschigen ]\Iäulchen danach , bis endlich ein glücklicher Gewinner die
süße Beute mit den Zähnen erhascht. Piccolomini meint nun , daß
£|j.7:o6iCcov konativ aufzufassen sei, in dem Sinne von „danach trachten,
die Feigen mit dem Munde festzuhalten", wie dies Kinder bei jenem
Spiele tun; also werde der greise Demos als ganz kindisch geworden
dargestellt, und hieraus ergebe sich eine schöne Antithese zu dem vor-
anstehenden avöpcuv. — Den Dichter sagen zu lassen, daß Demos sich wie
ein Kind benehme, wäre an sich allerdings vollkommen passend. Hätte
aber Arsitophanes eine solche Antithese hier beabsichtigt, dann dürfte
ein darauf hinweisendes Wort, wie r.iXi, nicht fehlen. Aber auch dann
wäre der Vergleich mit spielenden Kindern gewissermaßen bei den
Haaren herbeigezogen, weil doch Demos gelangweilt dasitzt, während
Kinder, die mit dem iMunde nach Süßigkeiten schnappen, in heftige Be-
wegung geraten und sich königlich unterhalten. Also ist es nichts mit
dieser Erklärung. Im wesentlichen richtig hat Eustathios opusc. p. 291,
54 den Sinn der Stelle verstanden, ferner Casaubonus, Brunck, Wilh.
Dindorf und Bergk; vgl. Dindorfs und Kocks Ausgaben und den
Thesaur. ?. v. six-oousiv. Zweifelhaft bleibt nur das eigentlich Lexi-
kalische an £|x-oöi^tüv. Es bezeichnet irgend eine Tätigkeit beim Her-
richten der schon getrockneten Feigen (ir/aoa?), zu der man Kraft,
208 Bericht über die Literatur der (griechischen Komödie. (Holzinger.)
Geist, Aufmerk>amkeit und Geschicklichkeit nicht heuütig-tc und zu
welcher daher selbst g'anz alte Leute vcrw<^ndet wurden. Vielleicht be-
zeichnet also £[j.T:o6i^eiv doch UXiSstv xoic tiojI rac b/aoac (Ilesj'ch).
Appetitlicher wäre es freilich, an das Anreihen der Feigen auf Schnüren
zu denken. Vgl. S. 182 das über Hirschbergs Hilfswörterbuch Gesagte. —
Th. Hultzsch, Zu Aristophanes Rittern. — Pleckeis. Jahrb.
XLI, 1895, p. 669-672.
Hultzsch bespricht die für Ei. 526 — .527 r.oXho ps'jja? ror e-aivtu |
oia Tcüv dcpeXüiv tteoicüv eppei xtX. vorliegenden älteren Verbesserungs-
vorschläge, verwirft sie sämtlich, ebenso wie auch die Überlieferung in
peuTOc und in afpe/.cuv und gelangt schließlich zu der neuen Konjektur :
uoXXcp Xaßpoc izQz' ETiaivo) | afppojiv oia xcuv t:£Oicuv s'ppsi. Man muß zu-
geben, daß Xötßpoc eine wohl ausgedachte Vermutung ist, weil es in das
Bild paßt und auch gleichzeitig die Übertragung auf das rhetorische
Gebiet zuläßt, peuaac wäre dann als Glossem in den Text geraten. Ich
meinerseits nun würde hier eine Konjektur, die auf einem Lesefehler
aufgebaut wäre, vorziehen. Der zweiten Konjektur a/fpojv kommt ein
geringerer Rang zu, nicht nur weil sie eine Umstellung bedingt, sondern
auch weil sie dem Dichter eine Überladung der Stelle zumutet. Über-
haupt ist nicht recht nachgewiesen, warum a^psXtov nicht vom Dichter
herrühren sollte, während sich bei peuja; wegen des folgenden eppsi ohne
Zweifel ein gewisser Anstand ergibt. —
J. Vahleu, Quaestioues Aristophaueae. Index lect. aest. Berol.
1898.
Mit gewohnter Meisterschaft beiiandelt Vahleu mehrere kritische
und exegetische Probleme der Ritter des Aristophanes. — Bei der Be-
sprechung der Personenverteilung in den vss. II — 17 wird erwiesen,
daß die Worte jxa t6v 'AroXXo) '710 i^iv ou (v. 14) dem Nikias gehören,
wie es die mss. überliefern und daß dem Sinne nach nicht [xayoüjxai
zu ergänzen ist. sondern Xe^w. Glücklich wird die überl. La. tcüv
crrpaTTj^cuv uTroopaixovxcov h. OuXou in v. 742 verteidigt, desgleichen in
v. 260: ojTic auTüjiv (oixo? eattv rl ttIttcüv t] |xy] ttettojv und zwar, weil
hier nicht dreierlei, sondern nur zweierlei ausgedrückt wird. Denn
nETCüjv ri [XY] TTETTOJv drückt lu dlesem Zusammenhange nur eines aus.
Als Analogon zieht Vahleu Ear. Or. 441 bei: 9£U7£tv -oXiv tiqvo' vj
t>av£tv -1^' p.r^ OavEiv. — In v. 609 liest Vahlen [irio' ev ßuöw nach Brunck.
Sodann tritt er für Bruncks durch Velsen durchgeführte Umstellung
der vss. 261—263 hinter 265 ein. Scbließlich wird die überlieferte
Folge der Verse 85 — 88 gegen Meinekes Umstellungsvorschlag: 85, 87,
86, 88, verteidigt. —
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 209
K. Zacher, Aristophanesstudien. Erstes Heft. Anmerkuugen zu
Aristophaues' Rittern. Leipzig 1898.
Die Tendenz seiner Neubearbeitung der Ritter (1897) hat Konrad
Zacher bereits in dem Buisiauschen Jahresberichte von 1892, Bd. LXXI,
JS. 127 ff. und auch in der Praefatio seiner Ausgabe ausgesprochen.
Das im J. 1898 erschienene Heft der Anmerkungen zu den Rittern
verfolgt nun, wie Zacher im Vorworte hierzu auseinandersetzt, den Zweck,
die Abweichungen seiner Textkonstitution von der Velsenschen zu recht-
fertigen. Von Velsens subjektiver und nicht selten gewalttätiger Kritik
unterscheidet sich Zachers Text bekanntlich durch eine konservativere
Richtung. In den vorliegenden Anmerkungen werden nun sowohl die
Unterschiede beider Auflagen eingehend erörtert, als auch viele Stellen
bebandelt, in denen Zacher die Schreibung Velsens beibehielt und eine
nachträgliche Motivierung der getroffeneu Entscheidung als ersprießlich
erachtete. Ein bedeutender Teil dieser Ausführungen kommt der Er-
klärung des Autors selbst zu gute und dies um so mehr , als Zacher
natürlich eine ausgebreitete Kenntnis der einschlägigen Literatur besitzt.
Ohne in der Lage zu sein, mich den Ansichten Zachers jedesmal an-
zuschließen (vgl. z. B. den Bericht über Job. Vahlens Ind. lect. aest.
und hib. 1898), muß ich es aussprechen, daß die zweite Auflage der
Ritter gegenüber dem Texte Velsens gerade dort, wo Zacher wieder
auf die Überlieferung zurückgreift, einen unzweifelhaften Fortschritt
darstellt. Sollte Zacher, wie wir schon längst hoffen, endlich dazu ge-
langen , auch die übrigen Bändchen der von Velsen geplanten Gesamt-
<iusgabe fertigzustellen und die einzelnen Texte mit einer Fortsetzung
der , .Aristophanesstudien" zu begleiten, so darf man wohl im Interesse
vieler Benutzer einer so unentbehrlichen Ausgabe den Wunsch kund-
geben, daß die Literaturnachweise ausführlicher gegeben werden möchten.
Wenn z. B. in der Adnot. crit. die Umstellung der Verse 15 und 16
auf Sauppe ohne näheren Beisatz zurückgeführt oder Cobet zu v. 913
schlechthin genannt wird und auch die „Aristophanesstudien" keine
nähere Auskunft geben, wird mancher nicht wissen, daß er die Ep. crit.
ad. God. Herrn, oder gerade den I. Band der Mnemosyne nachzu-
•^chlagen habe. —
J. van Leeuwen, AEIBETAl-eAElBETAL Ad. Aristoph.Equit.
v. 327. Mnemosyne NS. XXVII, 1899, p. 154—155.
Der Verf. sucht nachzuweisen, daß die überl. Worte: 6 o^Ihtto-
öajxo'j XsißcTai öewfXEvo? sich nicht dazu eignen, den in der Stelle er-
forderlichen Sinn auszudrücken. Auf Grundlage des TipwToc wv bezieht
nämlich Leeuwen v. 327 auf die Proedrie Kleons und verweist dem-
entsprechend auf vss. 575 und 702 ff. des Stückes. Daraus ergibt sich,
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 1-t
210 Bericht über die Literatur der grieebiscben Komödie. (Holzinger.)
dal.l aucli OEtijjj-Evo; vom Znscliaiiei) im Theater t;emeiut sei uud daß der
Komilier über Archeptolemos gesagt habe: bXtJiiEtat detuixevo;. — In
der Ausgabe der Ritter hat Leeuwen seine Konjelitur und Bothes
Qt!JL£p7£i; (st. d[j.£X7£t?) bereits in den Text aufgenommen. — Die bisherige
durch die Sciioliastenerl<lärung gestützte Auflassung ist niclit ohne
Härte. Aber der Vorwurf Leeuwens, daß sich bei der Lesart und
Interpretation keiu geeignetes Objekt zu i)£a»ii.£vo; ergebe, scheint mir
nicht ganz gerechtfertigt. Der Scholiast, der von der -'aaTpifxapYia des
Kleon und des Archeptolemos sprechen will, verhi:idet ebensowenig als
Leeuwen östufj-svoc mit eiuera eigentliclien Objekte, sondern faf.]t es iü
dem Sinne auf ,,hat das bloße Zusehen". Cber/.eugeiider ist Leeuwens
Schreibung 0AE1BETAI in graphischer Hinsicht. Der alte Textfehler
'lz7:66a[xoj statt '\t-.oo'-j\).o<j, der auch die eine der jetzigen Scholien-
fassungen beherrscht, läßt sich in sehr ansprechender Weise mit dem
Anfangsbuchstaben von ^Xi^istai in Verbindung bringen.
A. Willems, Notes sur les Cavaliers d'Aristophane, i\ propos
d'uue edition lecente. — Bulletins de FAcademie Eoj^ale de Beigique
(3. Serie, tom. 37. 2), 1899, p. 137—168.
Willems nimmt in die.ser Abhandlung seinen Ausgang von Zachers
Ausgabe der Ritter. Willems anerkennt die Sorgfalt, die dem Apparate
zu teil wird, zeigt sich aber als ein Gegner so moncher Textveränderungen
und Zweifel gegenüber der Überlieferung. Bei dieser Kritik der Teubner-
ausgabe ist Willeras nicht selten im Rechte. Andere Male hat sich
Willems die Arbeit etwas zu leicht gemacht. Z. B. v. 21 . . |xo/.cu|x£v . .
bedarf gewiß nicht eines eingeschobenen Verses zum besseren Verständ-
nisse. Aber dies ist sdiou von anderen hervorgehoben worden, die mau
bei dieser Gelegenheit nennen mußte. Bei v. 250 bemeikt die Ausgabe,
daß TioXXaxt? r^; rjfxspac unverständlich sei. Willems belehrt den Breslauer
Professor, daß dies „piusieurs fois le jour*' bedeute. Natürlich wußte
dies Zacher auch schon früher und vermisste nur nicht ohne Grund etwas
zum Verständnisse dieses Beisatzes. Oder sagt man vielleicht im
Französischen: Monsieur! v.ons etes fourbe piusieurs fois le jour, ohne
daß ein bestimmter Hintergrund dafür bestände? Im weitereu Vorlaufe
des Aufsatzes behandelt Willems ein Dutzend Stellen der Equitcs in
ausführlicher Weise. V. 428 y.peac 6 Ttpcüy.-ro; £7£v wird richtig erklärt,
aber zu spät, da Vahien diese Aufgabe schon längst in glänzender
Weise gelöst hat. Sehi- schön ist die Behandlung von v. 1204; 1-;^
6'lxtv6uv£uj', wo Willems Reiskes Ix'j-^-q-^ixq'ja bekämpft. Schließlich wird
in v. 1286 das Wort uirv^vr) als eine Bezeichnung des Schnurrbartes er-
klärt und von Tcw'-ytov unterschieden. —
H. van Herw'erden, Varia iV. Aristoph. Equit. v. 1399. —
Mnemos. NS. XXIX, 1901, p. 216. —
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 211
Xacli der Absicht des Allan topoles soll Kleon an seiner Stelle
Wursthändler werden: tä xuvsta [xr.'v'j; toT? oveioi; Trpa'/ixaoiv. Diesen
köstlichen Scherz verdirbt Herwerden dnrch seine Konjektur: actYi^astv.
Er beruft sich dabei auf Leeuwen , der in seiner Ausgabe der Ritter
sagt: „Vox -pa7(jLa3iv si sana est, pro y.peaaiv ioculariter nunc dietam
esse statuanius necesse est; sed qualis tandeni hie sit iocus nie
fugit." — ]Ja Kleon als Politiker und Redner stets mit rpaYii-axa im
höchsten Wortsinne zu tun hatte, zeigt sich seine Degradierung zum
Wursthftndler vor allem darin, daß die 7rpa7|xaTa, mit denen er sich in
Zukunft zu beschäftigen haben wird, xuvsia und oveia 7:pa7|jLaTa sein
werden. Damit also, daß -pa7jxa3tv einfach Ttapa Kpocooztav statt xpsasiv
gesagt wäre, wie selbst Brunck gemeint zu haben scheint, ist der Witz
der Stelle nicht ausgeschöpft. Blaydes verweist wenigstens mit Recht
auf V. 214: TotpatxE xal yopo&u' ojxoj xa -pa7|xaTa. —
J. van Leeuwen. Ad. Aristophanis Equites observationes. —
Mnemos. NS. XX VIII, 1900, p. 201—225. —
Der Verf. verteidigt zunächst die Überlieferung der v. 21, 295
y.o-pocpopr,3cu, das er richtig durch xonpov ss a-oppi<]>(o xo7:pocpopoc l'nü
erklärt, dann v. 729, 808, 1204 exivöyvsus' und 1408. Gegen Kirchhoff
wird mit Eecht behauptet, daß der Schluß des Stückes nicht verstümmelt
sei. Möglicherweise fehle nur ein mit dem Sujet nicht zusammenhängen-
des Schlußwort, wie z. B. das in den Wolken. Alle die.-e Rettungen
muß man billigen. — Es folgt ein Abschnitt mit neuen Erklärungen
richtiger Lesarten p. 209—212. In v. 321 n£p7aT^jiv wird die Be-
ziehung auf eine bestimmte Persönlichkeit abgelehnt. Gut wird in v. 849
-6pTra;i vom Riemen verstanden, an dem der Schild vom Halse des
Spartiaten herabhing. Ob nicht z. B. schon Seeger (1845) eben das-
selbe gemeint hat, lasse ich dahingestellt. Schön ist die Erklärung bei
V. 1167 für (5Xä)v Tcüv ex II-jaoü durch den Hinweis auf die Notiz des
Thuk. IV, 39, 2: xal r^v alxo? ev xv; vr^ato xal aX/.a [ipcujxaxa rf/.axsXr/fi^rj.
Zweifelhaft ist mir die Auffassung von xyjv axa-ov (v. 762) als Name
einer Segelstange, auf welcher osXcpivsc, schwere Bleimassen, aufgehängt
waren, um sie von dort auf das Verdeck des feindlichen Schiffes fallen
zu lassen. — Es folgen p. 213—215 sechs Stellen, in denen die La.
des R mit Unrecht den La. andere» mss. vorgezogen wurde. Dieser
Tadel trifft in v. 61 6 oe, 177 ö'vxwc, 698 zl, 700 ei, 768 xaxax|xrj9£ir|V,
während V oiaxjjLYjöeiVjV gibt, 936 eXdeiv st. eXöaiv. Auch hierin stimme
ich bei. Hingegen kann ich mich mit den im vierten Abschnitte
p. 216 — 225 vorgeschlagenen neuen Vermutungen van Leeuwens nicht be-
freunden. Es sind deren im ganzen 16, die der Leser jetzt in der
Ausgabe der Riiter van Leeuwens bei den v. 220, 260, 271. 325, 385,
14*
212 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
435, 504, 506, 580, 608, 707, 877, 1292, 1373, 1377 größtenteils schon
in den Text aufgenommen findet. Für beachtenswert halte ich hiervon
nur drei, nämlich in v. 435 Ttlvxe st. TtoXXa, v. 580 avsjTXsf.'uixEvoit in
dem Sinne von arXe-y^iaiv eaTetpavwiisvot; „das Haupthaar mit Binden
umwunden tragend" anstatt aTrearXen- Leeuwen macht darauf aufmerk-
sam, daß in Athen doch nicht die Ritter allein (jTrecjTXsi^iaixEvot waren.
Aber auch hier läßt sich leicht einwenden, daß es auch xoixÜivTec außer-
halb der Ritterschaft gab. Möglicherweise richtig ist noch die Be-
merkung zu 608, das Theoros nicht ein Phylarche oder gar Gesandter,
sondern ein mit Kleon befreundeter Krebshändler war. Aber wer will
es beweisen? —
The Clouds of Aristophanes. Literally translated by T. J. Arnold.
London 1892.
Dieses Heftchen gehört der Sammlung von Kellys Schlüsseln zu
den Klassikern an. Es enthält eine Prosaübersetzung des Drama und
in spärlichen Fußnoten, in denen namentlich Teuffels Kommentar und
Papes Lexikon ausgenutzt sind, das Wichtigste zum Verständnisse des-
selben.
Skyerne, Komedie af Aristofanes, oversat af Job. B. Koch.
Kopenhagen 1896.
Es ist dies eine dänische Übersetzung der „Wolken" mit kurzer
Einleitung und wenigen Anmerkungen.
R. Reitzen stein. Aus der Straßburger Papyrussammlung. —
Hermes XXXV, 1900, S. 602-604: Zu Aristophanes. —
Reitzenstein berichtet über ein verstümmeltes Pergaraeutblättchen,
das sich im Bestände der Straßburger Bibliothek unter No. 621 findet
und auf den beiden Seiten die Reste von Nub. vss. 1371—1392 und
von vss. 1407—1428 (Bgk) enthält. Bezüglich des Alters der etwas
schräg liegenden Schrift, die auf der ersten Seite fast unleserlich ist,
möchte Reitzenstein „über das 7. Jahrhundert nicht namhaft herunter,
über das 5. sicher nicht heraufgehen ^ Der Verfasser gibt sonach eine
soweit als möglich vollständige Abschrift dieses Fragments der ältesten
Handschrift der Wolken und eine Auslese aus den Varianten. Ich
beschränke mich hier darauf, die Folgerungen, welche Reitzenstein aus der
Vergleichung des Straßburger Fragments mit anderen Codices zieht, mit
seinen eigenen Worten herzusetzen: „Unsere Aristophanesüberlieferung ist
nicht in der Art einheitlich, daß R und V als älteste Zeugen derselben
etwa frühbyzantischen Rezension, von der auch die übrigen Handschriften
abstammen, das meiste Vertrauen verdienen. Die verschiedenen Re-
zensionen, welche es im Altertum gab, haben noch auf bisher kaum be-
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 213
achtete junge Handschriften weiter gewirkt. Ein Stemma der Über-
lieferung zu geben, wird wohl niemals möglich sein." —
B. Heidhues, Über die Wolken des Aristophanes. — Progr. des
k. Friedr.-Wilh.-Gymn. zu Köln. 1897.
H. behandelt die Streitfrage über die Diaskeue der Wolken und
steht dabei auf der Seite Essers (1823). Sein erstes Ergebnis ist, daß
Aristophanes selbst nirgends in diesem Stücke — auch nicht in der
Parabase, eine Überarbeitung der ersten Wolken andeute. Dann sucht
er zu beweisen, daß auch das Stück selbst, so wie es vorliegt, weder
durch Widersprüche, noch durch Wiederholungen den Eindruck der
Überarbeitung hervorbringe. Er gelangt zu dem Resultate, daß eine
Überarbeitung der Wolken nicht stattgefunden habe. Unsere ,, Wolken"
seien — natürlich abgesehen von der Parabase im engeren Sinne (v. 518
— 562) — dasselbe Stück, das im J. 423 aufgeführt wurde und wegen
der in ihm enthaltenen Übertreibungen und anderer Schwächen durch-
fiel. Heidhues ist in die Einzelheiten der alten Streitfrage gründlich
eingedrungen und hat ohne Zweifel manchen überflüssigen Vorwurf, der
gegen das Stück in seiner jetzigen Gestalt erhoben wird, mit Glück
beseitigt. Leeuwen ist in seiner Ausgabe der Wolken bereits in sein
Ijager übergegangen. Hingegen hat Zacher in seiner Rezension dieser
Abhandlung (Berl. phil Wo. 1900 No. 2—3) einen ins einzelne gehenden
Gegenbeweis unternommen. — Ich selbst war stets der Meinung, daß
Aristophanes eine Überarbeitung der Wolken zwar unternommen, aber
aus begreiflichen Gründen nicht fertig gebracht habe.
G. Schwandke, De Aristophanis Nubibus prioribus. Diss. phil,
Halenses. vol. XIV, 1898.
Dieser Aufsatz berücksichtigt bereits die Arbeit von Beruh.
Heidhues und steht bezüglich der Überarbeitung der „Wolken" auf
dem entgegengesetzten Standpunkte. Schwandkes Untersuchung nimmt
ihren Ausgang von der VI. Hypothesis und von den bei Kock GAE. I
p. 490 — 492 gesammelten Citaten aus den Ns'fsXai Ttpoxspat. Er be-
handelt das Stück nach einzelnen Partien, bei denen er die Bestand-
teile der ,, ersten Wolken" von denen der Überarbeitung zu trennen
sucht. Am Schlüsse der Arbeit vermißt man eine klare Gegenüber-
stellung des von Schwandke angenommenen Versbestandes beider Rezen-
sionen, so daß diese mißliche Arbeit dem Leser zufällt, der sich aber
wohl nur in seltenen Fällen die Mühe nehmen wird, sich in die Arbeit
Schwandkes so tief einzuleben. Eine bis ins einzelne gehende Be-
sprechung der Dissertation hat Heidhues in der Neuen Phil. Rundschau
1899 No. 1 — 2 geliefert, auf welche auch die ebenfalls sehr ausführliche
Rezension Konrad Zachers (Berl. ph. Wo. 1900 Sp. 68—73) hinweist. —
214 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
A. Müller, Scenisclies zu Aristophanes' Wolken. Berl. pliil.
Wo. XX, 1900, Sp. 923-925. —
Es hatte Zacher gelegentlich einer Rezension in der Berl. phil.
Wo. 1900, Sp. 69 — 70 die Ansicht aufgestellt, daß die Eingangsscene
der Wolken im Hofe des Hauses des Strepsiades spiele und daß weiter-
hin Strepsiades in den Hof des Hauses des Sokrates eintrete. Zacher
meint, daß sich bei dieser Ansicht, die er des näheren auseinander-
setzt, alle auscheiuenden Schwierigkeiten dieser Scene erklären. Diesen
Ausführungen Zachers tritt nun Albert Müller a. a. 0. entgegen.
Gegenüber der Neuerung, die Handlung in das lonere von zwei ver-
schiedeneu Gebäuden zu verlegen, verteidigt Müller die bisher festge-
haltene Regel, daß die griechischen Dramen vor den Häusern spielen.
In der Frage, wie die Öffnung der Wand bewirkt wurde, durch
welche man nach v. 183 das Innere des Phrontisterions erblickte, zeigt
sich Müller insofern entschieden, als er die Anwendung des Ekkj'^klema
für diese Scene als unmöglich erklärt. Als möglich hingegen bezeichnet
er es, daß die als Vorderwand dienende Leinwand aufgerollt wurde.
Bezüglich dieses Gedankens verweist Müller auf Weißmann, Die scenische
Aufführung der griechischen Dramen S. 9. Bei der Herrichtung des
Spielhauses vor der Aufführung der Wolken müßte natürlich auf die
Bedürfnisse der einzelnen Scenen Rücksicht genommen worden sein. —
A. Dieterich, Über eine Scene der aristophanischen Wolken.
Rh. Mus. XLVIII, 1893, p. 275—283. —
Der Verfasser weist nach, daß die erste zwischen Sokrates und
Strepsiades stattfindende Scene der Wolken, namentlich von v. 250 bis
zu Ende des Gebetes v. 275 auf einer parodischen Nachbildung orphischer
Weihen und orphischer Hymnen beruht. — Wesentliche Punkte dieser
Auffassung waren allerdings schon durch ältere Besprechungen der
Stelle bekannt. Es ist aber ein unzweifelhaftes Verdienst Dieterichs,
diesen Gegenstand in einem größeren Zusammenhange und mit derartiger
Berücksichtigung von Einzelheiten dargestellt zu haben, daß auf einige
Verse dieser Partie eine weitaus schärfere Beleuchtung fällt als früher. —
Kock hat den lehrreichen Aufsatz in seiner Ausgabe der Wolken von
1894, bereits berücksichtigt. Vgl. z. B. die Aum. zu v. 254. —
Versibus Aristopbaneis suus locus restitntns. Scr. P. H. Damste. —
Sylloge quam Constantino Conto obtulerunt phil. Batavi. S. 9 — 10. —
Lugd. Bar. 1893.
Der Verfasser meint, daß die Verse der Wolken 486 — 490
durchaus einen Fehler enthalten müßten. Die Verse lauten:
486. 2a). Evsaxi o^xa goi Xe^siv ev ttt] cpusst;
487. 2t. Xe^siv [jiev o'jy. Ivejt' aTrosTepstv 5' Ivi.
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 215
488. lu). ~Cj; oov o'jvrjjs'. [jiavf^avetv; ^r. ajxsXs!., xaXtüj.
4S9. 2(o. ays vuv otku?, orav ti 7:poßaXu)[xai so^pöv.
490. rspl Tüiv |i.$-£tup(i>v. euösoj? u'fapTrasst, —
Hier ist es dem Komiker darum zu tun, bald auf die [X£-£cüpa zu
kommen, wovon er sich großen Erfolg verspricht. Er läßt daher an den
künftigen Sokratesschüler Strepsiades die F'ratre stellen, ob er Gedächtnis
und Redefertigkeit besitze, worauf Strepsiades jedesmal in einer für die
Athener unterhaltenden Weise antwortet: Ein gutes Gedächtnis habe
ich nur, wenn mir jemand Geld schuldig ist, und: Eeden kann ich zwar
nicht, aber betrügen kann ich. —
Diese sehr gut zusammenhängende Stelle verdirbt nun Damste
durch folgende Versumstellung: 488, 486, 487, 489, 490. Bei dieser
Anordnung klafft zwischen den Versen 487 und 489 eine unerträgliche
Lücke, die nur durch die rasche Wiedereinsetzung des v. 488 an seinen
angestammten Platz ausgefüllt werden kann. —
S. R. Winans, Notes on Aristoph. Clouds. Americ. Journ. of
Philology XVI, 1895, p. 73-77. —
Der Verf. beschäftigt sich mit der Erklärung von drei Stellen
der Wolken. — In v. 179 hält er an G. Hermanns Schreibung »}u[i.aT'.ov
fest und glaubt einen Witz in der Amphibolie von u'fsiXsTo zu erblicken,
ucaipeiv sei ein mathematical term, with good punning possibilities,
,,substract", „abstract". Thaies sei nämlich hier nicht als Weiser über-
haupt genannt, sondern speziell als Geometer. Ich kann nach dieser
Erklärung nicht einsehen, wie der noch ungelehrte Strepsiades diesen
Terminus der Schule so lasch erfaßt und namentlich begriffen haben
soll, wie das Stück Opfeifleisch in den Besitz des Sokrates kam. Ich
w'enigsteus verstehe dies nicht; allerdings gibt die Stelle nach der her-
gebrachten Exegese auch keinen befriedigenden Sinn. Mau vgl. jetzt
J. van Leeuwens Ausgabe und den Aufsatz, in der Mnemos. XXVI,
p. 422. — Ebensowenig hat mich Winans davon überzeugt, daß in
v. 73 nach Feitons Vorgänge bei l-üöc-o die Mutter des Pheidippides
als Subjekt zu denken sei und nicht Pheidippides selbst, da auf Phei-
dippides erst mit -rouToviin v. 77 zurückgekommen werde. Zu Pheidippides
kehren die Worte des Sti'epsiades schon mit toütov xov uiov in v. 68
zurück. — Sehr zweifelhaft, namentlich aus sceni^chen Gründen, ist
mir auch das j^fittel, duich welches der von Dindorf, Meineke, Kock,
Blaydes als unecht erklärte Vers 1474 für den Dichter gerettet werden
soll. Winans sucht glaubhaft zu machen, daß Strepsiades vor seinem
Hause an der Stelle des früheren Zeusbildes (vgl. v. 1234, 83, 1478)
eine tönerne Statue des Dinos aufstellen ließ. Wann und wie dieser
Wechsel der Scenerie vor sich gegangen sein soll, wird nicht angegeben.
216 Bericht über die Literatur der griecbischea Komödie. (Holzinger.)
Neu ist diese Erklärung übrigens keineswegs. Sie steht bei FritzscLe
(1838) in der Ausgabe der Thesmoph. v. 748, bei Teuffei (1863) in der
Ausgabe der Nubes. Vgl. Blaydes im Kommentar zur Stelle. Heidhues
Neue phil. Rundschau 1898, p. 387 und Leeuwen Mnemos. XXVI,
p. 220 und in der Ausgabe der Wolken beziehen das toutovI töv Srvov
auf das von Strepsiades getragene Weingefäß. Diese Methode der
Rettung des v. 1474 hat viel mehr für sich.
Ad. Römer, Zur Kritik und Exegese der Wolken des Aristo-
phanes. — Sitzgsber. d. bayer. Akad. 1896. — S. 221—256.
Der Verfasser will zunächst durch einige Stellen der Wolken be-
weisen, daß an dem Sokrates des Aristophanes doch etwas mehr „echt
ist, als die Maske''. So leitet er aus vs. 144 ff. ab, daß Aristophanes
die Manier des Philosophen kannte, den unscheinbarsten Gegenstand
aufzugreifen und bedeutsame Erörterungen daran anzuknüpfen. Bei
V. 234 habe man schon längst die Verspottung der Sokratischen Me-
thode bemerkt, seine Behauptungen durch Beispiele aus dem täglichen
Leben zu erläutern. Bei v. 704 ff. hebt Römer das Abspringen des
Sokrates von einem Gegenstaude zum anderen, bei v. 736 die heuristische
Methode (so auch Kock), bei £Ev]|xßXioxas in v. 137 die Maieutik des
Sohnes der Phainarete, bei v. 741 ff. die Dialektik, das öiaipsiv des
Platonischen und Xenophontischen Sokrates hervor. In dem y.aXot ts.
xa7a{>oi des v. 101 sieht Römer die erste und älteste Charakteristik der
Sokratiker. — Der Verfasser bricht hierauf diesen gesponnenen Faden
ab und behandelt auf S. 231—245 eine Reihe einzelner Stellen der
Wolken. In v. 178 streicht Römer xa'[ji.'];a? oßsXiJxov und hält sich an
das Citat des Demetrios irspl epixr|V£tac' 152 Sp.: xr^pov 6ta-cr^;a? sT-a
ötaßY^TTjv Xaßcuv, ix x^? 7ia>.ai3Tpa? i[xaTiov ucpsOvexo. Römer lehnt es ab,
dieses xr^pov ota-ry^^as des Demetrios für eine Verwechslung mit dem
Anfange des v. 149 und für einen lapsus memoviae zu halten, sondern
sucht einen neuen eigentümlichen Zusammenhang dieser nicht zusammen-
gehörigen Worte und glaubt, „daß der Spaß mit dem Elohspruug erst
später hinzugedichtet wurde". In ähnlicher Weise werden auch die
vss. 996—999 als eine „nachträgliche Zutat von selten des Dichters"
zu dem „abschließenden Gedanken" in vss. 994 — 995 erklärt. Ebenso-
wenig haben mich andere Bemerkungen Römers in diesem Abschnitte
überzeugt, wenn er z. B. in v. 556 r^ (sie) xo x^xo; 7)39isv lesen und
x^xo; als Objekt nehmen will, indem er sich augenscheinlich auf eine
unrichtige Angabe A. Martins über das Scholion in R. stützt. — Ge-
lungener als dieser Abschnitt des Aufsatzes ist sein Schluß. Dort
wird der Mißerfolg der „ersten Wolken" auf die Wiederholung des
Problems der Eiziehunc,' aus den Daitaleis zurücklief ührt. Die wei-
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 217
tereu BemerkuDgen sind dazu bestimmt, zu beweisen, daß in deu
Komödien des Aristopöanes ein einheitlicher Grundzug der Haupt-
charaktere nicht streng festgehalten wird.
J. van Leeuwen, Epistuhi critica de Aristophanis Nubibus. —
Mnemosyue NS. XXVI, 1898. p. 205—236.
Der Aufsatz befaßt sich mit der Erklärung und Textkritik ein-
zelner Stellen der Wolken. Von den vorgetragenen Konjekturen halte
ich folgende für beachtenswert : in v. 720 l-l st. sti, v. 721 «ppoupa;
St. (ppo'jpac, V. 1102—1104. Die Worte des Dikaios irpo? rüiv öswv — irpö;
Gfxa; sind an die Sokratiker gerichtet. V. 761 i'XXe st. tlXXz, v. 377
Beistrich nach ofA^pou, nicht nach dvczYxrjV, v. 384 u-fpox/jxa (nach V),
st. uuxvoTTjTa, Schol. Nub. 967 Düb. -= 964 Ddf.: ZTrjjiyopou st. 'fvjatv V.,
V. 974 d^ivvsc St. a-r,vEC, V. 1006 XsTiTii) st. Xeuxcp, v. 594 ^usTT^aexat
st. Suvoiasxai. Aus der Zahl derjenigen Vermutungen, die ich nicht
billige, erwähne ich folgende: Die vss. 412—419 weist Leeuwen dem
Sokrates zu. Da er aber 427 — 428 dem Koryphaios belassen muf,
bleibt nichts anderes übrig, als auch die Einleitung dieses Gespräches
412 — 419 dem Chor, resp. dem Koryphaios zuzuweisen. Ahnlich ver-
hält es sich mit den Versen 457 — 461, 462 — 464, 467 — 475. Leeuwen
gibt sie dem Sokrates, in der Meinung, daß der Chor seine Partie bei
436 beendet hat. DA er aber 476 — 477 dem Koryphaios beläßt, ist
diese Argumentation hinfällig. Wer diese Verse spricht, spricht auch
die vorhin bezeichneten Abschnitte. Mit Recht also hat Beutley dies
alles gegen die mss. dem Chore zugewiesen. Für v. 730 i^ apvaxtßcuv
leugnet Leeuwen das Wortspiel mit s^apveTsilai, während seine eigene
Erklärung noch weniger witzig ist. Die vss. 1113 — 1114 gibt er mit
Unrecht dem Pheidippides und hat dies auch späterhin in der Ausgabe
zurückgezogen. — Für v. 234 gibt L. die Bemerkung, daß der Ver-
gleich mit der Brunnenkresse irgendwie direkt auf Worte des historischen
Sokrates zurückgehe. Richtiger ist Kocks Auffassung, daß hier nur
die Manier des Sokrates, Beispiele aus dem Alltagsleben zu geben,
verspottet werden soll. — Die Epistula critica ist an Leeuwens Freund
und Mitarbeiter M. B. Mendes du Costa anläßlich des ihm von der
Amsterdamer Universität verliehenen Ehrendoktorates gerichtet. —
J. van Leeuwen, Ad Aristophanis Nubes observationes. —
Mnemosync NS. XXVI, 1898, p. 420—440.
Diese Abhandlung ist ihrem Charakter nach eine Fortsetzung
des vorhergenannten Aufsatzes und bildet sowie dieser eine Grundlage
der van Leeuwenscheu Ausgabe der Nubes. Von den vorgelegten
Stellenerklärungen ist nur einiges neu und hiervon nur weniges richtig.
Bei mehreren Stellen hat der Verf. nur die Schwierigkeiten hervor-
218 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.)
cehotcn, ohne eine Lösnng- zu bringen. Bemerkenswert ist die Kon-
jektur zu V. 248: TW 0 a^opa^e"'; st. tw 7ap o|xvu-'; daß aber der
V. 179 unecht sein und aus einer anderen Komödie stammen müsse, .
kann ich nicht billigen. Man versteht ihn nicht recht. Das ist alles,
was man gegen den Vers einwenden kann. Es ist doch aber gar nicht
zu verwundern, wenn wir nicht alle Scherze des Komikers verstehen!
In der Tat hat van Leeuwen in der Ausgabe die Athetese nicht aus-
gesprochen. In V. 219 schreibt van Leeuwen u>, ^ojy.par/]?! st. di ScuxpaTsc,
gewiß unrichtig. Strepsiades rief den Philosophen bescheiden an: «o
2u>xpar£c! und da dieser den Zuruf unbeachtet läßt, bittet Strepsiades
den Schüler: dva[56r,(jov autov [j,oi [XE-ya. Nicht also wird jetzt Sokrates
zum erstenmal angei'ufen, wie van Leeuwen meint, sondern ange-
schrieen wird er zum erstenmal, während er früher nur angerufen
worden war. Sonst hätte das [xe^a keinen Sinn. Unwahrscheinlich ist
für v. 276 die Schreibung auaTjxov st. £ua7r,Tov, in v. 523 oluto? st. iipwTYjv,
ebenda ist -^^iwaa vuv ava^eujai st. y]^ta>3' dva-i-eüsai unmetrisch, da es
ganz einfach einen Fuß zu viel hat. — Daß in v. 556: Opuvt/o? irdXai
~£-oir)y\ rjv xo xrfOQ vjcjvliev der Komiker Phrynichos gemeint sei, wird
weitläufig auseinandergesetzt. Kock hat dies schon längst zu B,an.
v. 13 bemerkt. Nur spricht .Kock richtig von der Andromeda,
Leeuwen aber in der Mnemos. XXVI, p. 433 und in der Ausgabe p. 97
von der Andromache. Bei v. 676 wird Kleonymos als ein ehemaliger
Apotheker ausgegeben. —
A. Platt, Three conjectures on tlie Clouds of Aristophanes. —
Class. Eeview XIII, 1899, p. 428—429.
Verf. empfiehlt für Nub. 626 roüTriov (= to Xoitov) st. toü ßi'ou, für 744
7.-6Xu£ st. d7r£XÖ£ und für 1415 xXaEiv ooy.£r; öixaiov. Unter diesen dreiVer-
mutungen ist jedenfalls die letzte die relativ beste. Sie schließt sich
übrigens nahe an einen Gedanken J. van Leeuwens an. —
*S. Scaevola, A propos des Nuees d'Aristophane. Deux mots
sur les Paphlagoniens. — Launoy, 1901.
Aristophanes, Vespae. A translation by F. G. Plaistowe. Lon-
don 1893.
Aristophanes, Vespae, Translated into English by H. Haiist oue.
Cambridge 1896. 2 sh.
Beide Bändchen enthalten bloß eine Prosaübersetzuug der Wespen,
ohne Text und Anmerkungen. Plaistowe hat die von Holden ausge-
lassenen Verse ebenfalls übergangen. Dafür finden sich am Schlüsse des
Bändcheus Test papers über die Wespen. — Bei Ilailstone schlug ich v. 604
nach und fand xrj? dpy?;; als lokalen Genetiv aufgefaßt, was unrichtig ist.
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (Holzingcr.) 2I1>
The Wasps of Aristophanes. By C. E. Graves. Cambridge
1894.
Aristophanes, The Wasps. Wiih introductiou and uotes by
W. \V. Merr}'. Second edition. Part I. Introductiou and text.
Part II. Notes. — Oxford 1898.
Beide Bändchen sind brauchbare Schulausgaben. Graves stützt
sicli in seinen Anmerkuneren besonders auf Blayde:>, dessen Name auch
in der aus{2;c\vählten Varia lectio in den Faßnoten unterhalb des
^-riechischen Textes häufig: begegnet, ferner auf van Leeuwen und am
meisten auf Rogers" Ausgabe. Bezüglich seines Verhältnisses zu der
ersten Auflage (1893) der Ausgabe Merrys sagt der Herausgeber:
Dr. Merry's edition I have refrained from Consulting; though I knew
how much I might profit by his wit and wisdom, and ripe scholarship.
But I feit, as a friend once wrote of another book, that his notes are
too recent to be the common prey of commeotators. — Merrys Aus-
gabe behandelt in der Einleitung die literarge&chichtliciien Verhältnisse
des Stückes, seinen Inhalt und das Wichtigste über dm Richterstand in
Athen. Der Kommentar zeugt von dem Bestreben des Verfassers, zur
Erklärung schwieriger Stellen etwas Neues beizutragen. — Nicht ganz
einverstande)! bin ich- bei v. 604: -av-wc 7ctp -oi rauset r.oxi, xava-
9avTQce'. I -pcuxtoc Xou-poü -epr/iYvojjLEvoc t?,; '^•P/"^J ~^jC ~£pias|xvou. Hier
folgt Merry der Erklärung Jul. Richteis, der -9;? i?'/r^i mit raujet und
•izspqqvoijLcvoc verbindet. Merry sagt, dies sei ein Genetiv „of general
reference". Die richtige Konstruktion gibt W. .1. M. Starkie (ed. 1897),
indem er ap/rj; nur mit -£pi7r,'vo[j,£vo; verbindet. Denn dieses Verb ist
äito xüivo-j gestellt. Starkie geht nur in der Ausmalung des Vergleiches
zu weit. — Die zweite Auflage der Ausgabe Merrys ist übrigens ein
beinahe unveränderter Abdruck der ersten Auflage. Ein kurzer Zusatz
am Schlu3.se der Noten S. 102 ist nicht von. Belaug. —
Aristophanis Vespae. A literal trauslation by J. A. Prout.
London 1894.
Dieses Bändchen gehört zu der Serie von Kelly's keys to the
Classics. Die ia Prosa gegebene Übersetzung ist keineswegs wörtlich
genau, sondern nur dem Sinne des Originals meistens angepaßt. Über
schwierige Stellen, bei denen man durch die Übersetzung eine Erklärung
der Konstruktion des griechischen Textes zu erhalten wünscht, kommt
der Verfassei' natürlich sehr leicht hinweg. Hält sich der Leser z. B.
bei v. 604 au den Wortlaut der Übersetzung, so muß er im Texte
TTJc ap/^? von -pcü/.To'c abhängig machen, was ohne Zweifel fehler-
haft wäre.
220 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger)
The „Wasps" at Cambridge. — The Athenaeum, 1897, No. 3657,
p. 757. —
Der mit V. bezeichnete Referent berichtet über eine scenische Auf-
führung der Wespen durch das Greek Play Committee ut Cambridge.
Der Text war bedeutend gekürzt und in drei Akte zusammengezogen.
Das Kostüm der Wespen wies nur die Farben Gelb und Schwarz auf.
Die Musik stammte von Mr. Noble. Hervorgehoben werden in dem
Berichte die schauspielerischen Leistungen der Vertreter der beiden
Hauptrollen Philokieon und Bdelykleon, ferner die Lebhaftigkeit der
Tänze des Chores. Die Aufführung unterhielt die Zuschauer auf das
beste, hinterließ aber mehr den Eindruck einer „Burleske" als den
einer Komödie. — Trotz des "Wohlwollens, mit dem der ungenannte
Kritiker die Aufführung begleitet, ist zu ersehen, daß sich diese
Komödie wegen der politischen Grundlage, auf der sie aufgebaut ist, zur
Wiederbelebung vor einem modernen Publikum weniger eignet als
manche andere. —
The Wasps of Aristophanes as performed at Cambridge No-
vember 19 — 24, 1897. With the verse translation by Benjamin
Bickley Rogers, Cambridge 1897.
Dieses Bändchen ist von C. E. Graves herausgegeben, dessen
Text und Kommentar der Wespen 1894 in Cambridge erschienen war,
Graves hat nun den Text zu Zwecken der scenischen Aufführung auf
1 149 Verse zusammengestrichen und hat dieser Auswahl die TTbersetzuug
von Rogers beigefügt, welche in dessen bekannter Quartausgabe des
Stückes (1875 London, George Bell and Sons) zu finden ist. Diese
Übersetzung ist großenteils im Versmaße des Urtextes abgefaßt. Eine
kurze Inhaltsangabe des Dramas hat Graves vorangestellt. —
Aristophanes' Wespen, in Versen übersetzt von N. J. Korniloff,
Kasan 1900. (Russisch.)
Diese Kasaner Universitätsschrift enthält eine Übersetzung der
Wespen (S. 1 — 80)mit einem Anhange von kurzen Anmerkungen (S.81 —
95) von N. J. Korniloff unter der Redaktion und mit einer Einleitung
(S. I — X) von Mischtschenko. In der Einleitung wird auf mehrere be-
kannte Werke hingewiesen. Die Anmerkungen beruhen auf den Schollen
nach Bekkers Ausgabe, der tJbersetzung von Seeger, dem Kommentar
von Julius Richter und einigen Handbüchern. —
*6oißi&orouAoc r., 'AvaÄuoi? xtüv S^yjxtov toü 'Ap'.jxotpavou;. 1900.
'Apfxovt'a, 'ATipiXtoc, p. 207 — 221.
C. Robert, "Ovot -Y]Xtvot. — E^rifxepU ap/aioXo/tx-rj III, 1892,
Sp. 247—250. —
Bericht über die Literatur der griechischea Komödie. (Holzinger.) 221
Auf Tafel XIII des bezeichneten Bandes ist die Abbildung des
tönernen ovoc zu sehen, den Robert beschreibt und in einer jeden Zweifel
ausschließenden Weise erklärt. .Das Geräte hat die Gestalt eines an
der einen Schmalseite mittelst einer 8tirnscheibe abgeschlossenen feinen
Hohlziegels. Auch mit einer Wadenschiene, die mit einer Rundung das
Knie deckt, ließe es sich vergleichen. Die Innenseite ist glatt, die
Außenseite zeiyt auf dem Rücken ein Schuppenornameut, an den beiden
Längsseiten Bildwerke , schwarzfigurige auf rotem Grunde oder rot-
figurige auf schwarzem Grunde. Gewöhnlich sind Scenen aus dem
Frauengemache dargestellt. Die Stirnfläche zeigt meistens einen weib-
lichen Kopf, entweder in erhabener Arbeit oder eingeritzt. Die Funde
reichen von der Mitte des sechsten bis zum Schlüsse des fünften Jahr-
hunderts. Robert widerlegt schlagend die Deutungen seiner Vorgänger
und weist nach, daß dieses Instrument ein sTcivTjxpov oder ovo? (Pollux
X, 125) ist. Den näheren Gebrauch desselben liest Robert von einem
Exemplar ab, auf welches ihn Th. Sophulis aufmerksam machte und
das sich in dem Museum der "Ap/aioX. 'E-atpia unter No. 5899 befindet.
Es zeigt auf der einen Längsseite eine Darstellung seiner Handhabung.
Die Hausfrau sitzt mit der Zubereitung der Wolle beschäftigt in der
Gynaikonitis unter ihren drei stehenden Dienerinnen. Den Hohlziegel
hat sie auf den rechten -Oberschenkel gepreßt, so daß das Knie durch
die Stirnscheibe des ovo? gedeckt ist. Nun wird jedenfalls die Wolle
feiner gemacht. Auf die weiteren Einzelheiten der Tätigkeiten dieser vier
abgebildeten Frauen und besonders auf die Reihenfolge derselben will ich
mich hier nicht einlassen, zumal auf mich die Ausführungen Roberts
nach dieser Seite hin nicht mit gleicher Überzeugungskraft gewirkt haben,
als der übrige Teil des wichtigen Aufsatzes. — Für iVristophanes kommt
die Sache wegen Vesp. 616 in Betracht: xav olvov [xot [xr, '"f/jn? <ju meh,
Tov ovov Tovo' ejy.£xo(j.t!Jii.ai. Man begnügte sich bisher mit der Scholiasten-
notiz, daß es sich hier um ein a-^Ysiov ttotou handle. Nun lehrt Robert
das einzig Richtige über diese Stelle. Philokieon wird, wenn er Richter-
sold nach Hause bringt, von seiner Frau verhätschelt. Verweigert ihm
etwa sein Sohn einen Trunk, so gibt ihm ganz einfach die Frau einen
tüchtigen Schluck aus dem ovo? zu trinken, der zwar diesen Zweck nicht
eigentlich hat, sich aber ausnahmsweise ganz gut dazu verwenden läßt. Ein
gutes Stück der bisher dunklen Stelle wird damit jedenfalls erhellt, und
es ist nicht rühmlich, daß die neuen Ausgaben der Wespen von Leeuwen,
Green, Merry, Graves und selbst des fleißigen Starkie nichts davon
wissen. Robert hält es übrigens für notwendig in v. 614 mit Meineke
dXX' T]v (so schon Elrasley und Dobree) [xr^ [xo-. -cayu fta^T) zu lesen und
hierauf eine Lücke anzunehmen. Letzteres wäre denn doch noch zu
•überlegen.
222 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (llolzinger.)
H. van Her wer den, Ad Vespas Aristophaneas. — Muemos.
NS. XXI, 1893, p. 441— 4Ö4. —
Unter Berücksichtigung der im gleichen Jahre erschienenen Aus
gaben der Wespen von Blaydes und van Leeuwen bringt van Herwerdea
44 Bemerkungen zu diesem Stücke, von denen mir folgende sehr be-
achtenswert zu sein scheinen: 1. In v. 10 liest H. au oat'ij-ovct st. SaßaCtov,
2. für V. 182 empfiehlt er Lentings Vermutung lotufj-sv st. iou)|xat. 3. In
v. 365 erklärt er fj-s/a'-rtov richtitr dnroh meiliculnm statt durch
apicula. 4. In v. 402 schreibt er TetatoEor) st. Ttuiaor). Man findet auch
f'inige begründete Ablehnungen von Vermutungen der beiden damals
neuesten Herausgeber. Die übrigen Bemerkungen halte ich teils für
überflüssig, teils geradezu für verfehlt. Aus dieser Zahl kann ich hier
aber nur einige wenige anfiihren. — Bei v. 635: xaXüjc -(«p -qdzvj w? £7ta
la'jxTj xpaTisTo? zl\).i. beklagt sich van Herwerden darüber, daß Leeuwen
und ßlaydes seine bereits ältere Vermutung xaxüi? nicht zu kennen
scheinen. Aber Starkie kennt diese Vermutung nnd gibt ihr dennoch
keine Folge. Denn der Vers ist richtig überliefert; fjostv ist natürlich
• iritte Person und Philokieon sas;t, daß Bdelykleon sehr wohl wußte,
"■eich großer Redner sein Vater sei. Nur habe Bdelj^kleon erwartet,
Philokieon werde ihm den Sieg ohne Kampf überlassen. Vgl. meine
Schrift de verborum lusu p. 23, welche Starkie hier richtig benutzt hat.
Nicht hinreichend scheint mir von den Herausgebern bis jetzt noch das
o'jy. in v. 634 erklärt zu sein. — In v. 668 will der Verf. Trspi-scpÖEic
durch ETtiTep^öei? oder durch 7:epif^aX(p9£ts ersetzen. Aber daß nichts zu
ändern ist, ergibt sich aus Plutos v. 159 und aus andern Stellen, die
Dindorf im Thes. anführt. — Auch der v. 774 ist nicht funditus de-
pravatus, wofür ihn auch Leeuwen ansieht. Vgl. meine Bemerkung zu
Leeuwens Aufsatz ia d. Mnemos. NS. XXI, p. 106 über Vesp. v. 107.
Bei v. 774 liegt der Sinn der Stelle auf der Hand. „Scheint draußen
die Sonne (im Frühlinjr), wirst Du vor Deiner Tür in der Sonne Recht
sprechen. Schneit es, bleibst Du beim warmen Ofen. Regnet es, so
kommst Du in das Haus herein und hältst Gerichtsitzung in Deiner
Stube. Schläfst Du einmal bis in den langen Nachmittag hinein, so
kann Dir auch kein Thesmothet einen Possen spielen." — Was soU
iiieran fehlerhaft oder unverständlich sein? — Unrichtig wird in v. 857
f|3l mit fj xwXyj erklärt, während Brunck ganz richtig tj d|xt? ergänzte. —
Als Anhang gibt H. noch eine unrichtige Konjektur (j^iXöiv st, xoi/.(uv zu
Nub. 324. Es handelt sich nicht um den Gegensatz von ^il6^ und öaau»,
sondern um Hindernisse bei einem Vormarsche, Schluchten und Wälder. —
J. van Leeuwen, Ad Aristophanis Vespas observationes criticae.
— Mnemos. NS. XXI, 1893, p. 105-116. -
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 22;)
Der Verl', teilt einige beachtenswerte VerbesseruiigsvorschlSg"e zu
dem Texte der Wespen mit, zu v. 199: -iWzi statt wBet, zu v. 31S:
oiov x' e^crTTSiv (st. 'josiv), ZU V. 571 — 572: „rrjC sufiuvyj; \i «iroXyaov —
£Xer,ca;." Nur kann der überliefej'te Infinitiv a-oXüaai erhalten bleiben
und eXcTjsat; ist eine Vermutung Madwigs. Zu v. 795: xata-sT-eu st.
HirschigS y.aTars'j^st; (xaftiilici; RU), ZU V. 1132: veocvi/üj; St. Tpijiduvtxo);,
zu V. 1309 tl>p'j-,i St. Tpu-ft. Diese Vermutung hat aber bereits Th. Kock
in den Verisimilia p. 200 vorweggenommen. Zu vss. 1301 ff. beliauptet
Leeuwen mit Reclit gegen Müller-Strübing, daß es sich in dieser Stelle
bei Phrynichos, Antiphon u. a. nicht um die Staatsmänner und Redner
dieses Namens handelt, sondern um gleichnamige Schauspieler, Sänger
uud Tänzer. Leeuwen schließt sich hierbei an Symmachos im Schol.
zu V. 1302 an. Die übrigen Bemerkungen des Verf. sind mir sehr
zweifelhaft. In v. 107 liest Leeuwen (ujirsp ixeXit-' J^ SofißuXiöc s^sp/sTai
st. das überl. tUip/t-on. Aber die Präposition i? paßt nicht zu dem
Vergleiche, da Bienen und Hummeln mit dem gewonnenen Wachse heim-
wärts fliegen. Leichter würde ich mich für Useners xi; l'pysToci (Fleckeis.
Jahrb. 1889 p. 375) entscheiden, wenn ich nicht die Überlieferung für
ausreichend hielte. Es ist zwar richtig, daß s'uep/sailai nicht an sich
domum reverti bedeutet. Es heißt aber auch nicht bloß „hinein-
gehen", sondern auch' „ hereinkonnnen" , nnd da Philokieon vor
seinem Hause spricht, bedeutet „hereinkommen" an dieser Stelle so
viel als domum reverti, weil dies der Zusammenhang mit sich bringt. —
Für V. 201 empfiehlt L. : /.al -r;v ooxöv 7rp6<;t)£; ' tov o^ij-ov xtX.,
für V. 726 : oux av oixasai (st. otxajau). Li den Text seiner Ausgabe
hat L. diese zwei Vermutungen nicht gesetzt. — In v. 570 ersetzt L.
das wegen apvo; 'fu>vv^ unentbehrliche fiXr,-/aTat durch [ipuya-a».. Für
v. 1251 schlägt L. ein ungefälliges Asyndeton vor: ohz • ausxsua^s st.
XpujE ausx. — In v. 1440 schreibt er Xw'ova st. rzKtwrx, was auch
Ilerwerden, Mnemos. XXI, p. 453 ablehnt. —
A. Willems, Notes sur les Guepes d'Aristophane. Bulletins de
TAcademie Royale de Belgique. — 3. Serie. Tome XXVII. 1894.
p. 403—421. —
In diesem Aufsatze behandelt Willems 10 Stellen der Wespen.
Richtig wird in v. 326 der Ausdruck (|j£uoot[xaiJLac'jv erklärt unter Bei-
ziehung von Ri. 630: t]>euoaTpoc(pa;uoc izkia. Aischines, der Sohn des
Sellos, wird mit einem verwilderten Weingarten verglichen. Bei Aischines
schießt das Lügenunkraut überall hervor. — Mit Recht verteidigt
Willems in v. 774 die Überlieferung: oovtoj zhti. Zu beachten ist auch
für V. 1495 die Erklärung von xo-uXv)6cüv als Schenkelknochen und für
V. 1062 die Auffassung von [xot/i[j.u)-:a-Q'. in dem Sinne von kriegslustig,
224 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
nicht in dem Sinne von kriegstüchtig. Von d(ly.i[xoi ev [xa/ai; ist sodann
\).a-/i\i.M-<xxoi weit verschieden. — Mit den übrigen Bemerkungen bin ich
nicht einverstanden. In der Verspartie 529 — 545 betrachtet Willems
nicht nur v. 530 mit van lieenwen als unverständlich, sondern hält auch
die Verse 529, 538, 539 und bei der jetzigen Interpunktion die vss. 531
— 536 bei der herkömmlichen Anordnung der Stelle für ebenso unbe-
greiflich. Er beantragt die folgenden Umstellungen und Änderungen:
XOP. 526 — 28 vüv 5y) — ©aviQcj£t . . ., BA. 538 xal [xrjv — -j-patl^opLat e^oj.
529 eve^xaTo) — Tayiaroi. XOP. 531 — 536 |xy] xara — aravTojv. Ei'jrep —
xpa-ojsat . . . OIA. 530 a-cap — TrapaxeXEUir;: 539 ti '[dp, ■pai)' üij-eic, —
xpaTT^dT); XOP. 540 — 545. OuxETt — xzK'jrp-q. Den Ausdruck x-'jtt) (529)
scheint er, obwohl er es nicht ausdrücklich angibt, für die Bezeichnung
des Behälters für die Schreibrequisiten zu halten, cpaf)' in v. 539 für
den Imperativ, und dem v. 530 gibt Willems den unrichtigen Sinn:
,,Was bist Du für ein Mensch, wenn das die Art ist, mit der Du mich
ermutigst". — In der Stelle 758—759 sollen die Worte [xr, vöv et £70)
iv Toi(ji oixajTai? | xXErxovxa KXs'tova Xotßoi[j.i den Sinn haben von: [xt] -/ap
ouv Ctp^jv ETI (Eur. Or. 1147), Dem steht wohl v. 762 entgegen. — Über
V. 1172 6oOt^vi axopooov 7)[i(pie(T[j.evip sagt Willems nur, daß die Porunkel
durch den Kontrast den Gedanken an den Knoblauch hervorrufts der
ein anreizendes Mittel sei. Es war offenbar, wie noch heute, ein be-
liebtes Hausmittel, Knoblauch oder Zwiebelscheiben oder Schalen auf
ein Geschwür zu legen, um es rascher zur Zeitigung zu bringen. —
Unrichtig wird in v. 1370: w^zep aro T'jjxßou uejouv als -apa -poc6ox''av
statt auo y.'j\x^ou gesagt betrachtet, weil air' ovou -ejcuv diesen Doppel-
sinn habe. Ferner behauptet Willems, die xpExctoi' auÄTj? in v. 1215
seien les tapisseries du logis, was nicht neu ist. In v. 131 bedeute auXr]v
nicht den Hof, sondern die ganze Wohnung. — Vgl. S. 194 des Ber.
E. S. Thompson, Notes on the Wasps of Aristophanes. —
Classical Review IX, 1895, p. 306—307. —
Die verderbte Stelle 341—344, innerhalb deren auch Leeuwen
noch zwei Kreuze stehen ließ, will der Verf. in folgender Weise her-
stellen: Taüx" EToXixTjj' 0 |xiapoc ya | veTv; 6 AyjpLoXo-jOxXE'iuv oto' j Ott Xe'^eic
au Tt TtEpi TÜiv ve' I (üv aXYjOs'c, Kleon selbst werde durch den zusammen-
gesetzten Eigennamen als das große Mundstück oder Sprachrohr des
Volkes bezeichnet. Den Bdelykleon in dieser Weise zu benennen, habe
keinen Sinn. Letzteres wird man gerne zugeben, ohne jedoch die Stelle
bereits für geheilt zu erachten. — Die v. 538, 539 gibt der Verf. beide
dem Bdelykleon und verändert zu diesem Zwecke in v. 539 [xe in [xr) (!).
Thompson beruft sich darauf, daß auch in der metrisch entsprechenden
Partie die Antistrophe des Chores zweimal durch je zwei Verse des
Bericht über die Literalm- der griechischen Komödie. (Holzinger.) 225
PhilokleoD unterbrochen werde. — Eine weiterreichende BemerkuDg
widmet der Verf. den vss. 1037 flf. und 1284—1291. Es seien uicht
bloß die Ritter und die Wespen, sondern auch die dazwischen fallenden
Wolken gegen Kleon gerichtet gewesen, freilich indirekt. Sokrates und
die Sophisten erscheinen als diejenigen, welche die jungen Sykophanten
heranzögen, jene Anklägerbrut, welche die Partei Kleons bildeten und
die athenischen Bürger durch zahlreiche Ypucpal ;£via; vor den Richter-
stuhl des Polemarchen (v. 1042) brächten. Leider muß der Verf., um
den Text diesem Gedanken anzupassen, in v. 1037 ixst ao-o-j st. (xst
auTov schreiben. Meines Erachtens würde bei der Konstruktion [xeta
Tivo; Tivi e-iy£'.pr,ja'. von zwei Angreifern gesprochen werden, die gemeinsame
.Sache machen, nicht von zwei Angegriffeneu, die zusammengehören.
— SchlieiSlich beschäftigt sich Thompson mit den vss. 1050 und 1119.
In 1050 sei s-tvoiav unerwarteterweise gesetzt für siri/votav, ein sonst
unbekanntes Wort, das eine Bedeckung der Enden einer Wagenachse
(yvoa) bedeute. In v. 1119 nimmt der Verf. Anstoß an dem dreifachen
}j,r,Tc und dem doppelten Sinne von Xaßciv bei gleichem Objektskasus.
Er schreibt also: \}■r^zl xciirr,; [i.r,TS Xo^yr,? \ir]ok cpXü/.Ta'.vav Aa|H(juv.
H. Jackson, Conjectures of the late Richard Shilleto on Ari-
stophanes Wasps 903, 922. — Proceedings of the Cambridge Philo-
logical Society, 1897,- XLVI— XLVIIL S. 19. —
Jackson teilte in der dritten Versammlung des J. 1897 in der
Philological Society zu Cambridge eine Bemerkung Richard Shilletos
mit, die dieser Gelehrte 35 Jahre vorher zu Wespen 903 und 922 ge-
macht hatte. In diesen 2 Versen kommt ein aS vor, welches nicht ge-
rade notwendig zu sein scheint. Shilleto wollte daher beide Male a^
gesetzt und dem zweiten Hunde zugeteilt wissen, damit auch dieser Labes
das eine Mal seine Gegenwart, das andere Mal sein Mißvergnügen durch
einen kräftigen Naturlaut bekunde, da ja auch der erste Hund (902)
a'j au gebellt hatte. — Ich würde diese Zerreißung der beiden Verse,
obwohl sie etwas Komisches an sich hätte, dennoch nicht anempfehlen,
da das Proanaphonema des ersten Hundes außerhalb des Trimeters
steht. —
W. Vollgraff, Note sur un vers d'Aristofane. — Revue de
Tuniversite de Bruxelles, IL annee, 1897, p. 713—715. —
Der Verfasser, „Candida! en philosophie et lettres", behandelt
Vesp. 81 — 82: NixosTparo; 6' ay '^rjatv o ^xa|x[i(ovi^r,? | sivai 9iXoi)uTr)v
-ouTov Tj cpiXö;£vov. Nach der Erklärung der Schollen wird (piÄoi^u-r)? ge-
wöhnlich in dem Sinne verstanden, als würde hier der Stratege Niko-
stratos wegen Bigotterie oder Pietismus verspottet. Da aber unmittel-
bar vorher Ämynias als cpiXoxußoj und Deikylos als 'fiXo-oTr,; lächerlich
Jahresbericht für Altertumswissenschaft, Bd. CXVI. (1903. I.) 15
226 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
gemacht werden, schließt Vollc;raff mit Recht, daß es sich dem Niko-
sti'atos bei den fleißig: dargebrachten Opfern in erster Reihe um die mit
dem Opfer verbundene Schmauserei handelt. Also nicht als abergläu-
biger Frömmler, sondern als weltlich denkender Schätzer dampfender
Fleischschüsseln wird Nikostratos vom Komiker vorgestellt. Vollgraff
verweist auf die Verbindung von Ooeiv -/.«l sOwysrji^ai bei Ps.-Xenoph.
Respubl. Ath. IX; ferner auf Xenoph. Mem. II, 3, 11, Ph^rekrates
frag. 153 Keck, Juv. Sat. XI, 85 und auf die Komödie OtXo'l'jxrp des
Metagenes (Meineke I, p. 221, Kock CAF. I, 70.S). deren Titel er in
dem gleichen Sinne wie Vesp. 82 deutet. —
W. M. Ramsay, The slaves in the Wasps. — The classical
Review XII, 1898, p. 335—337. —
Der Verf. spricht in diesem Artikel über Ve.sp. v. 433: w Mi'oa
xal Opu^ ßoiQÖst Ssüpo xal Masuvtta. In überzeugender "Weise wird dar-
gelegt, daß man den in diesem Stücke auftretenden Sklaven Sosias als
Phry^er und den Xanthias als Lykier aufzufassen habe. Unsicher aber
bleiben die weiteren Vermutungen des Verfassers. Er identifiziert den
Xanthias mit dem im v. 433 genannten Masyntias und den Sosias mit
dem Mi3a; 6 xal <I>pu;! Von letzterer Wendung sei in v. 4>33 der Vo-
kativ gebraucht, wobei der Artikel wegfalle. Mit Midas und Phryx sei
ein und derselbe Sklave bezeichnet, nämlich Sosias. In den Wespen
kämen also nicht fünf Sklaven vor, sondern nur zwei, nämlich Sosias
und Xanthias. Der vom Verf. beabsichtigte Beweis für diese These
wird allerdings auf gelehrtem Apparate aufgebaut. Aber Ramsay gibt
doch selbst zu, daß er ein Analogon zu Mtoa zocl Opu?, wenn darunter
nur eine Person gemeint wird, nicht vorführen könne. In dem Namen
Masyntias sieht der Verf. nicht eine Ableitung von [ji.7.cjaji)ai (Masucius^
Manducus, Maistov), sondern findet in dem zweiten Teile von Ma-auvxiac
eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Namen Eav&i'a? und erinnert daran,
daß wir nicht wissen, welchen lykischen Lokalnamen die Grieclien durch
ihr Eavöo? wiedeigaben. Im v. 433 liege eine spöttische Umschreibung
der beiden Sklavennamen Sosias und Xanthias und zwar „a mock-heroie
invocation-'. — Vor allem ist gegen Ramsay zu bemerken, daß die
Situation, in welcher Bdelykleon seine Sklaven zu Hilfe ruft, eine Um-
schreibung ihrer Namen durchaus nicht wahrscheinlich macht. Vielmehr
ruft er so viele Sklaven als nur möglich herbei. Daher sind Midas,.
Phryx und Masyntias drei von Sosias und Xanthias zu trennende Eigen-
namen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß wirklich mehrere icposwiza xcucpa
auf diesen Ruf herbeieilten. Aber durchaus notwendig ist diese An-
nahme nicht. Für die Darstellung genügte es auch vollkommen, wenn
auf den Ruf des Herrn, der gewissermaßen sein ganzes Gesinde auf-
zählt, Sosias und Xanthias zu Hilfe kommen. —
Bericht über die Literatur dor griechischen Komödie. (Holzinger.) 227
T. G. Tncker, Various Eniendations. — Class. Review XIl,
1898, p. 23.
Ans Aristophaiies wird nur Vesp. 765 ft". behandelt. Es wird mit
Recht hervorgehoben, daß in dem Verse Ta•J•cr^; i-t^oXrjV <\/r^(f^zl [xtav jxovrjv
der Genetiv tciutt,; nicht leicht die Magd bezeichnen kann, von der im
Vorhergehenden gesprochen wird. Auch sei eine Geldstrafe von einer
Drachme für eine Sklavin keine Kleinigkeit. Tucker läßt, also den
Philokleou nicht eine Geldstrafe, sondern nur einen Schlag mit dem
Pantoffel diktieren: ßXauTTjc eTcißoXrjv *}>T)(p'eT [xiav [xovrjv. Zu bemerken
ist, daü kein Grnnd zur Annahme vorliegt, Philokieon wolle eine milde
Strafe aussprechen. Im Gegenteil! — Vgl. v. 106.
E. White, Note on Aristoph. Wasps, 107 — HO. — Class. Rev.
XII, 1898, p. 209.
Die Verfasserin stellt die Frage, ob der Vergleich mit der Biene
und der Hummel, welchen die vss. 107 und 108 enthalten, auch auf
die vss. 109 — 110 auszudehnen sei. Sie bernft sich iiierbei anf Aristot,
H. A. 9, 40, weil es dort heiße: otav o' a'v£|j.o; r) ^.£73;, <pspou7i XuHov
ecp' eauToi? epixa -p6? to iiveü|j.a. Ferner wird auf Virg. Georg. IV, 194
und Aristoph. Av. 1137 und 1429 hingewiesen. — Dies alles aber hat
mit den Versen Vesp. 109—110 nichts zu schaffen. Die Stelle ist z. B.
bei Leeuwen ganz gut erklärt.
A. Willems, Note sur un passage des Guepes. — Bulletins de
l'Academie Royale de ßelgique. 3. Sörie; tom. XXXVII. 2, 1899,
p. 898—900. —
Willems beantragt, den ganzen v. 565 zu streichen. -po^Ttöeautv
betrachtet er als absolut gebraucht. Als gutes Beispiel für diesen
Sprachgebrauch führt er Plat. Rep. I, 339 B an, o-j os Trpojxtf}/)?, wäh-
rend sich gegen Dem. IV, 20 als Analogon und auch gegen Thuk. TU, 45
Einwendungen erheben lassen. Dieses -poa-:Si%aiw, meint Willems, wurde
durch die Glosse xaxd -p6? xoT? oustv erklärt, und da diese Worte zu-
fällig zu den anapästischen Tetrametern paßten, fügte ein Abschreiber
ans Eigenem: swj av (ti?) ijcujy) xoisiv sixolaiv hinzu. Das dviüiv bietet
„Notre meillenr manuscrit. le Ravennas" nicht, sondern Dindorf hat es
aus dem Venetus in den Text gezogen. — Ich habe den Eindruck, daß
diese künstliche Methode, den Vers entstehen zu lassen, seiner Athetese
nicht zur Empfehlung dient. Jedenfalls aber ist die Bemerkung von
Willems zu beachten, daß Philokieon, der in den v. 548—558 die un-
getrübte Glückseligkeit des Richterstandes preist, nun plötzlich auch
bei ihm große Sorgen als selbstverständlich annimmt. —
J. Vürtheim, De Heliaeis Atheniensibus. — Mnemos. NS.
XXVIII, 1900, p. 228-236.
15*
228 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzingor.)
Die Abhandlung bescliäftigt sich mit der Auslosung der heliastischeu
Gerichtshöfe, der Zuweisung der Sitzungslokale an dieselben und mit
der Zahl, den Namen und der örtlichen Lage dieser Gebäude. — Der Verf.
gelangt zu folgender Aufzählung: xo Tpqcovov, IIapa|^u3Tov, Msaov,
Barpa^ioüv, Ooivixtoüv, xo Mrjxiyou, 'ßtoeiov, 2xoa -oixiXt); dazu kommt
noch die'HXiai'a und als zehntes Lokal dasjenige, dessen Namen Vürtheim
bei Aristoph. Vesp. 1109 in den nach seiner Ansicht verderbten Worten
irpö? xoic xstyioic verborgen glaubt. Mit welchem Rechte Ilerm. Hitzig
zu Pausan. I, 28, 8: xo fisv ouv xaXouixevov Flapapuaxov im Kommentare
bemerke: „Vielleicht geht darauf Ar. Vesp. 1109", behauptet der
Verf. nicht zu verstehen. Hitzig gibt diese Bemerkung nur als eine
Vermutung, indem er Vesp. 1109 — 1110, sowie Dindorf, ohne Beistrich
nach xeiyioi; abdruckt: ot oe (Stxa'Couai) upo? xoi? xsiyiot; ;u|i.ße[-iua|xevoi
uuxvov. Aus diesem Citate muß man schließen, daß Hitzig wegen des
Ausdruckes ^uixßsßuafxevot das Lokale, welches bei Pausan. I, 28, 8 und
bei Pollux Vin, 121 Hapaßusxov beißt, in den Worten des Aristophanes
erwähnt glaubt. Dann müßte man also das Ilapaßucjxov mit dem xö
irpoc -zoii xsiyioic genannten Lokale identifizieren. Und da Aristophanes
dieses Lokale von dem in v. 1108 genannten Lokale der Eilfmänoer
unterscheidet, müßte man an der Richtigkeit der Nachricht des Pollux
a. a. 0. zweifeln, daß die Eilfmänner im Uapaßujxov richteten. Die Stelle
des Pollux ist jedenfalls in weniger vertrauenswürdiger Weise überliefert,
als das zwar bis jetzt nicht verstandene, aber in kritischer Hinsicht
unanfechtbare Tipö? xo!? xeiyioic. Vürtheim hat sich nur durch die Aus-
gabe von Leeuwen irreführen lassen, der zu Vesp. 1109 xstyiotc bemerkt:
,,hanc vocem non intellego, vereor autem, ut sit integra." Unrichtig
ist auch die Ansicht Meiuekes, welcher Mauern der Häuser, wie iu
Eccl. 497, verstand. Es sind ohne Zweifel Reste alter Befestigungen,
die im Gegensatze zu den Maxpa 'cs.iyy] mit dem Deminutiv bezeichnet
werden. Wo sie lagen, weiß ich leider nicht. — In seinem ersten
Teile beschäftigt sich der Aufsatz Vürtheims mit Schol. Aristoph. Plut.
277. Für einen Teil dieses Scholions wird in überzeugender Weise Aristot.
Politeia c. 63 und col. XXXII Kenyon als Quelle nachgewiesen. Bei
Dübner pag. 340 Z. 26 erklärt der Verf. die Worte: p-e/pt xoü x als
imrichtigen Zusatz des Scholiasten. Ich weise darauf hin, daß dieser
Teil des Scholions weder in ß noch iu V steht. —
C. Robert, Die Scenerie des Aias, der Eirene und des Pro-
metheus. Hermes XXXI, 1896, S. 530—577.
C. Robert, Zur Theat^-''rage. Hermes XXXII 1897 S. 421
—453.
C. Robert, Gott. Gel. Anz. 1897, S. 27 ff.
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Llolzinger.) 229
In dem erstgenannten Aufsatze gibt Robert nicht bloß ein Bild
von der Vorstellung, die er sich von der Seenerie der Eirene macht,
sondern bespricht auch scenische Fragen, welche die Thesniophoiiazusen
und die Frösche betreuen. Reichlich beschäftigt er sich mit dem
Ekkyklema. Aus dem Bereiche der Acharner bespricht Robert das
avaßaorjv in v. 399 (S. 537). Euripides habe auf dem Knie geschrieben.
dvaßa'oTjv komme nur in der Bedeutung ,,mit hochgezogeneu, auf dem
Sitzbrett gestellten Beinen vor". Robert beruft sich hierbei auf Blaß,
dessen Auffassung er nur weiter ausführe. — Der Artikel „Zur 'I'heater-
frage" nimmt nur selten direkten Bezug auf die Komödie, konnte aber
hier um so weniger ungenannt bleiben, als Robert auch in diesem Auf-
satze gegen die neueren Bearbeitungen der Theaterfragen, insbesondere
gegen Bethes Prolegomena Stellung nimmt, deren Widerlegung die Kritik
im Gott. Gel. Anz. vorzugsweise gewidmet ist. Über die Seenerie der
Vögel wird daselbst S. 36 gehandelt. Vgl. auch den Bericht über
Bemerkungen Roberts zu Aristophancs Vögeln im Hermes, 1898,
XXXllI, 4. —
P. H. Damste, Emblemata apud Aristophanem, Xenophontem,
Lucianum. Mnemos. NS. XX, 1892, p. 147 — 151. -
Aus Aristophanes behandelt der Verf. nur Pac. v. 1009 ff.
xörTa MeXa'vötov | ^-/.etv ujxepov e; tt)v d^opav, | xac oi ueTipaaöai, tov o'
OTOTU^eiv, I eixa {jlovw&eiv ex MTjoeiac, | (5Xo|xav oXoixav, dTTO^YjpwOel? |
t5c ev -e'j-Xotat Xoy£UO|xevac | xou? ö' avöpwTiouf eirry^aipeiv. | — Der
Verf. bezeichnet es als den Gipfel der Geschmacklosigkeit, Verse aus
einer ,,tragoedia omnibus notissima" parodierend anzuführen und vorher
anzugeben, dies sei eine Monodie aus der Medeia. Nicht also Aristo-
phanes könne dies hier verschuldet haben, sondern es handle sich in
V. 1012 nur um ein in den Text geratenes Glossem, was sich auch
durch das ungefügige slxa verrate. —
Man würde dem Verf. vielleicht beistimmen, wenn die parodierten
Verse nachweislich aus der Euripideischen Medeia herstammten. Aber
bekanntlich ist dies nicht der Fall. Denn die Beziehung unserer Stelle
auf Eur. Med. 96, die schon den Scholiasten beschäftigte, ist offenbar
nicht zutreffend. Soll aber Melanthios als Tragiker verspottet werden,
oder als Protagonist in der Medeia seines Bruders Morsimos, so ist die
Nennung des Stückes vollkommen gerechtfertigt. — Eine Beziehung
auf die Euripideische Medeia läßt auch Nauck nicht zu, der unsere
Stelle unter Melanthios und unter den Adespota (No. 6. Mn^öeta) be-
handelt. TGF. p. 760 und 838. Nauck will mit Fritzsche den v. 1012
aus der Medeia des Morsimos entlehnt wissen und erkennt eine Medeia des
Melanthios nicht an.
230 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)
Herwerdeu, der sieb ebenfalls dieser von Volkmar Fdtzsche her-
rührenden Ansicht anschließt, hat aus den Versen des Aristophanes die
Textworte des Morsimos glücklich hergestellt. Vgl. das zu Herwerden
Mnemos. XXIV p. 206 Gesa^'te.
J. van Leeuweu, Ad Aristophauis Pacis vers. 18. — Mnemos.
NS. XX, 1892, p. 300.
Der Sklave, der dem Kautharos sein übelriechendes Futter reichen
soll, beklagt sich hierüber in v. 17 mit den Worten:
17. ou Yap IW oio; x eTja' urepeystv t^; dtvtXia?.
Mit dem nächsten Verse rafft er sich zu einem Entschlüsse auf:
18. auTTjv ap' ohu) cju)tÄocß(\)v xfjV dvcXtav.
J. van Leeuweu tadelt hieran die Verbindung von dvxXia mit
(juXXaßetv und die Wiederholung desselben Wortes in zwei aufeinander
folgenden Trimeterschlüssen. Gestützt auf das Scholion im Codex Rav.:
dvTi Toü TYjv axacpyjv xtX. empliehlt daher Leeuwen xapooTrov zu schreiben
statt dvrXiav. — Für mich ist diese Behandlung der Stelle nicht über-
zeugend gewesen. —
Herwerden hingegen ist in seiner Ausgabe bereit, seine in der
Mnemos. NS. (1896) XXIV, p. 310 vorgelegte Vermutung x^c vauxia;
für x% dvxXiac (v. 17) zu Gunsten van Leeuwens xa'pooTtov (st. dvxXiav
V. 18) zurückzuziehen. Im Texte hat Herwerden nichts geändert,
sondern begnügt sich damit, in beiden Versen Kreuze zu setzen,
während doch im schlimmsten Falle nur der eine von ihnen verderbt
sein kann. —
H. van Herwerden, Eraendatur A^istoph. Pac. 451. — Mnemos.
NS. XXIII, 1895, p. 454.
Die Stelle lautet:
450 Xo. xsi' Tt; ^xpar^^-Ciiv ßouX6[j,£voj [xy] ^uXXaJiot,
451 Tj ooZXo^ auxofjLoXsiv 7rap£ax4ua3(j.s'voc,
452 £711 xoü xpoyotj axpE^^Xoixo fiajxi70u{JL£voc.
Im V. 451 liest der Verf. t^ statt y), weil er es für einen Unsinn
hält, daß der Chor den Sklaven — si ad hostes transfugissent (!) —
mit schrecklicher Strafe drohe, da sich doch niemand darum kümmerte,
utrum (servi) paci faverent au adversareutur. (!) Aber hier mit q einen
Vergleich in die Stelle einzutuliren ist gewiß unpassend. Ich halte es
demnach auch weiterhin mit dem Scholiasten, der in v. 451 eine persön-
liche Anspielung sucht. Indessen ist zuzugestehen, daß zum vollen Ver-
ständnisse der Überlieferung etwas zu fehlen scheint. — Im XXIV. Bande
der Mnemosyne 1896, p. 272 gibt auch Herwerden selbst zu, daß
T] SoüXo; in dem Sinne von r^ «j; ooüXoc beibehalten werden könne. —
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 231
H. van Her werden, Ad Aristophanem eiusque scholiastas. —
Mnemos. NS. XXV, 1897, p. 200-208.
Herwerden tadelt bei Ar. Pac. 282: y.tX toi; Aay.soa'.(j.ovtoiJiv iXs-
-ptSavo; den Artikel, weil Aristophanes Aacx£oai|xovioi im riural stets
ohne Artikel gebrauche. Darum schreibt Herwerden: xautor? AaxeSat-
uoviotstv. Aber diese Textänderiuig hat schon längst 0. Bachmann,
CoDJect. obs. Aristoph. spec. 1 Göttingen 1878, p. 43 ff. vorgeschlagen
und Uckermanu, Über den Artikel bei Eigennamen in den Koro. d. Ar.
Berlin 1892, S. 8 hat sie gebilligt. Ich bin anderer IMeinung. Aaxe-
oat|xovio'. ist ebenso sehr eine adjektivische Ableitung als oi Aaxiuvixo-',
das den Artikel regelmäßig hat. Einen allgemeinen grammatischen
Grund kann es also dafür nicht geben, daß Aristophanes im Plural ge-
wöhnlich Aaxsoaifioviot setzt. Jener Grund ist vielmehr auf anderem
Gebiete zu suchen. Verstärkt man einen Siebensilbner wie AaxeSatfxo-
viot3tv noch um den Artikel, so ist ein übergroßer Teil des Trimeters
damit ausgefüllt. Daium vermeiden dies natürlich die Komiker und
■ dci- knappe, feinfühlige Lysias. Aber Thukydides schreibt toi? AaxeSat-
jjLovi'o'.f (I, 72), To'jc A. (I, 72). Es ist daher ganz natürlich, daß auch
Aristophanes einmal xol; Aax. schreibt, nämlich an einer Stelle, au
welcher der Artikel sehr passend ist, um den Gegensatz zu v. 269:
airoXtuA' ' At>r, vatotjtv aXeTpißavo; scharf hervorzuheben. In v. 282 ist es
sehr zweckmäßig, daß neben dem langen AaxeoaifAoviotaiv für keinen
weiteren Gedanken Platz sei, weil es nicht bloß die Silben, sondern
auch den Sinn des Verses ausfüllt. Daß Aristophanes regelmäßig oi
Actxcuvtxot mit dem Artikel schreibt, hat seinen Grund nicht allein in
der adjektivischen Ableitung des "Wortes — wie Uckermann S. 8
meint — ; denn aus diesem Grunde müßte auch bei 'Aörivaiot regelmäßig
der Artikel stehen. Vielmehr schreibt man so regelmäßig oi Aaxwvtxoi,
weil der Rhythmus hier den Gebrauch des Artikels befördert. — Die
übrigen Bemerkungen van Herwerdeus enthalten Veibesserungsvorschläge
zu den Schollen zu Pac. 143, 536, 607, 633, 835, 850, 1063, 1169,
1196, von denen einzelnes Beachtung verdient. Auch werden einige
Lesarten aus Cobets Kollation des Codex Venetus mitgeteilt, die sich
in der Leidner Bibliothek befindet. —
R. Y. Tyrrell, Aristophanes, Pax, 741 — 747. — Herraathena,
vol. X, No. XXni, 1897, S. 100-101.
Der Verfasser beschäftigt sich in diesem Aufsatze mit der be-
kannten Umstellung der Verse 742: tou; cpsu-,'ovTa; — iTrtVrjos; und 743:
£;rj/.a7' — rapEA'jjsv. Tyrrell verteidigt die überlieferte Versfolge,
schreibt aber ceu^ovtccc (= „crjing fz~j') statt 'fS'JYov-a;. In der Tat
läßt sich cps'J^ovTa; mit 'HpaxXsa; leichter verbinden als 'föupv-a;.
232 Bericht über die Literatur der griecbischen Komödie. (Holsinger.)
Richtig scheint auch die Bemerkung', daß die nach vorgenommener Um-
stellung: entstehende Verbindung: oouJ.ou; . . cpsuYovta; nicht ohne An-
stand ist, weil davongelaufene Sklaven aTroopavte; zu heißen pflegen.
In dem xXaovta; xal toutouc findet Tyrrell die Bestätigung seiner Ver-
mutung, insofern diese Worte einen parallelen Ausdruck in dem Vorher-
gehenden voraussetzen lassen. —
A. Willems, Notes sur la Paix d'Aristophane. — Bulletins de
l'Äcademie Boyale de Belgique. — 3. Sdrie, tom. XXXYII, 2, 1899,
p. 861—898.
Willems bezeichnet die Friedenskomödie als dasjenige Stück des
Aristophanes, welches durch die Überlieferung am meisten gelitten habe.
Daher seien in dem Texte der Fax mehr Interpolationen anzunehmen
als in anderen Komödien. Zv^^ar die vss. 87 — 89, 98, 273 seien nicht
mit Sicherheit als interpoliert zu bezeichnen, noch weniger v. 850, den
AVillems geradezu geistreich findet, wohl aber seien die vss. 420, 744,
1218 bestimmt zu athetieren. Nach dergleichen allgemeineren Be-
merkungen behandelt Willeras 16 Stellen der Pax. Mit Glück verteidigt
Willems die Überlieferung der vss. 47 — 48. — -/.eTvoc ist nicht Kleon,
sondern der Kantharos, u)c y.eivoc avaioewc wird durch ort outujc avaiöetu;
erklärt. Ein Analogon bietet Plat. Phaid. 89. A. s&aujxaaa . . töüto»
10? TjOEw; -/tX. d. h. TouTo, oTi outtüc rji's'o)? y.xA. Gerechtfertigt wird
auch jxeTewpoxoTTsT? in v. 92 und in v. 364 genügt es: ouxouv, tjv Xayto:
als Fragesatz zu schreiben. In v. 507 bedeutet Tipo? ttjv öaXari-av, daß
Aristophanes auch hier, wie sonst öfters, die Athener auffordert, sich
auf die Seeherrschaft zu verlegen und für die Flotte keine Auslage zu
scheuen, hingegen die Hegemonie zu Lande den Spartanern nicht durch
den Landkrieg streitig zu machen. Für dieses politische Programm des
Aristophanes verweist Willems auf Ach. 163, 646—651, Equ. 1366,
Eccl. 197. Auch solle der Richtersold nicht die Einnahmen Athens auf-
zehren: Ran. 1463—1466, Pac. 505. — Die Verse 715—717 seien nicht
obscön, sondern bezögen sich nur auf die P'reitafeln bei Festlichkeiten.
Ausführlich sind seine Bemerkungen über die Hestiaseis und die Krea-
noraien. Überzeugend ist die Atlietese des v. 896: ettI 7^; TiaXaisiv,
xeTpaTTooTjoov iatavai, der nur aus Glossemen zu dem v. 897: 7rXa7iav
xaxaßaXXsiv, e? -.'ovata xu[:io' saravat besteht. Dieser v. 897 ist nur durch
Cod. R erhalten und es ist bxavat, nicht ijtavai zu schreiben. Diese
Konjektur des Hotibius wird nach dem Wegfalle des v. 896 auch wirk-
lich vollkommen plausibel, da die Theoria das Objekt ist, ebenso wie
bei xaxaßaXXsiv. Schön ist die Erklärung des Sei'ou ou xiyiioz in v. 960
genau nach dem Scholiasten: Tipo? xo tspsiov Xe-jEt, da das Opfertier durch
Nicken und Schütteln seine Zustimmung zur Tötung geben mußte. Das
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 233
Wasser wird durcli Eintauchen eines Feuerbrandes gereinigt und geweiht
(v. 959) und zuerst reinigt Trygaios vor dem Opfer seine Hand, indem
er die Finger in das Wasserbecken steckt, dann wendet er sich an das
Opl'ertier, besprengt es mit Wasser, namentlich spritzt er ihm einige
Tropfen in die Ohren (Schol. Apollon. Khod. I. v. 425), damit sich das
£-iv£ueiv bald vollziehe. Dann betiehlt er dem Sklaven, ihm das Körb-
chen mit der Opfergerste zu reichen, schüttet davon dem Schale einige
Körner auf die Stirne und weist den Sklaven an, sich seinerseits die
Hände zu reinigen. Deshalb übernimmt Trygaios zeitweilig das Wasser-
gefäß (TK-jir^v V. 9G1). AVenn dann Trygaios und sein Sklave auch die
Zuschauer mit Wasser besprengen (v. 971), so geschieht dies mittelst
des TTsptppavTTjpiov, nicht mittelst des oaXi'ov (v. 959), wie Blaydes an-
gibt. — Klar ist schließlich noch, daß in v. 1178 XivoTTTtufxevoc durch
ein hinzugedachtes m; zu ergänzen ist. Ruhig und sicher, wie bei
der Jagd, wird der Bauer auch in der Feldschlacht stehen. — Nicht bei-
stimmen kann ich den übrigen Resultaten des wertvollen Aufsatzes.
V. 451 betrachtet Willems als interpoliert, in v. 568 schreibt er |j.f,
y.aXöi; xtX., in v. 605 xoüö' uizr^pU •I'etoia;, bei v. 874 Stellt er in Ab-
rede, daß iiratop-Ev einen unanständigen Doppelsinn habe. M. E. erzählt
der Sklave prahlerisch, daß er auf dem ganzen Wege zu den Diouysien
in Brauron seine Theoiia — gut unterhalten habe. Ich finde daran
nichts zu bemängeln. Auch in dei' Stelle 891 - 893 tou-toEviov — Xaaava
will Willems von obscöuem Doppelsinn nichts wissen, sondern beschränkt
sich darauf, auseinanderzusetzen, daß die BouXy] ein Küchenlokal zur
Herrichtung großer Schmausereien besaß. Diese Darstellung über die
öftentlichen Bewirtungen ist sehr lesenswert, sie hindert aber nicht die
Annahme eines lusus verborum, den die Stelle augenscheinlich enthält.
— In v. 1110 gibt Willems Szovor^ nicht dem Hierokles, sondern dem
Sklaven und erklärt tou-i als aTrXa-f/va. Aber Hierokles drängt sich
ungestüm als Teilnehmer am Opfer auf und darum erhält er sofort bei
seinem Ausrufe S-ovotq (jAetd xf^s (jirovof^?) eine Maulschelle als seineu
Anteil an dem Opfer. Hierokles verwindet dies, da seine Aufmerksam-
keit ganz auf das Opferfleisch gerichtet ist. Bei dieser Erklärung hat
man die mss. für sich. — In v. 1168 streicht Willems esflitu xaTzi/jia
und mit Cobet £x-£-pii|X£va in 1135. Auch den Beistrich nach oüpTjuo-
jjiEva in v. 1266 und die Erklärung: Tva osüpo -poavotl^aXyiTai xa xcöv e-i-
■/XrjXtuv (ct3|xcxx(uv) axx' 'aaexcti kann ich nicht billigen. —
J. B. Bury, Some observations on the Peace of Aristophanes. —
Herraathena, No. XXVI, 1900, p. 89—98.
Der Aufsatz Burys stellt im ganzen eine Kritik der Oxforder
Ausgabe von Hall und Geldart (1900) dar. Zunächst wird der Stand-
234 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (Uolzinger.)
puukt gebilligt, den die Herausgeber auf p. 3 der Piacfatio und in
ihrem Texte in gewissen metrischen Fragen einnehmen, ßury behandelt
sodann einige Stellen verschiedener Komödien, z. B. in Eqn. 526 sei
pT^$as Tzoz ETtaivii) zu schreiben. Für Equ. 814 vertritt Bury die Kon-
jektur Starkies: [jlestyiv T^upüiv l-r/eilr^ und für Wesp. 1020 die Kon-
jektur iü7t' statt eic desselben Gelehrten, Der Rest des Aufsat/es ist
einer Anzahl Stellen der Friedenskomödie gewidmet. Mau eihält daraus
den Eindruck, daß Bury den Oxforder Text mit den Ausgaben von
Blaydes und van Herwerden (1897) verglich und nun solche Stellen be-
handelt, in denen Hall und Geldart nach Burys Ansicht allzu konser-
vativ verfahren. Bei einigen Interpunktionen, bei der Zuteilung des
V. 350 an Trygaios und auch bei einer Anzahl von Lesarten dürfte
Bury im Rechte sein, aber nicht bei allen, z. B. in Pac, 42 würde ich
das vortreffliche und verhältnismäßig feine ilioc xaTatßaTou durchaus
nicht nach dem Scholiasteu des Cod. R. in axaTatßo-rou ändern. Auch
würde ich im v. 116 nicht mit Bury [xsToixv^cjtuv statt [xöt opviöcDv an-
empfehlen. —
Gli Uccelli di Aristofane tradotti in versi italiani da Augusto
Franchetti con introduzione e note di Domenico Comparetti. —
Cittä di Castello 1894.
Die Einleitung Comparettis gliedert sich in zehn Abschnitte.
Behandelt werden die äußeren Daten über das Stück, Fabel, Charakter
und Tendenz dieser Komödie, welche Comparetti wesentlich vom
politischen Gesichtspunkte aus auffaßt. Daher sind die Abschuittt;
5—8 der Schilderung der politischen Lage und der Stimmung Athens
zur Zeit des Stückes gewidmet. Zugleich kommt im 8. Abschnitte
das symbolische Element in den Personen und Handlungen dieser
Komödie zur besonderen Geltung, so daß ich diesen Abschnitt als den
Kern der Darstellung Comparettis hervorheben würde. Im neunten
Abschnitte wird die Stellung des Dichters zu religiösen Fragen und
im letzten Kapitel die Rollenverteilung behandelt. — Quellen werden
in dieser Einleitung nicht genannt. Auch die ziemlich zahlreichen
Fußnoten, die einen fortlaufenden Kommentar zur Übersetzung bilden,
enthalten sich fast vollständig der Literaturangaben. Ihiem Inhalte
nach sind sie allerdings auf das große Publikum berechnet, für welches
das Büchlein insofern Bedeutung haben dürfte, als eine Übersetzung
der Vögel in Italien seit Capellina, also seit dem J. 1852 nicht er-
schienen ist. Die gereimte Übersetzung Franchettis schließt sich, wie
er in seinem Vorworte selbst auseinandersetzt , genauer an den Text
an, als dies bei der Übersetzung der Wolken und der Frösche der
Fall war. .Franchetti folgt im allgemeinen dem Texte Theodor Kocks,
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (llolzinger.) 235
nennt auch Christian iluff bezüglich der Verteilung der Ij'rischeu
Partien und den Kommentar von ßlaydes, während ich im übrigen
nnr Italiener berücksichtigt sehe, darunter vorzugsweise Piccolomiui,
aber auch Zuretti, Romagnoli, Franchi und für ornithologische F'rageu
Gnelfo Cavanna. Die griechischen Trimeter werden in gleicher Anzahl
durch endecasillabi sciolti, dagegen die trochäischen und anapästischen
Tetrameter durch Octonare und Septenare wiedergegeben. In italienischen
Strophen auch nur einen entfernten Begriff von der rhythmischen Be-
wegung des Originals in den lyrischen Partien zu geben, bezeichnet
Franchetti als eine dilticoltä quasi insuperabile. Größere Mühe würde
es allerdings gemacht haben!
The Birds of Aristophanes in English rhyme for English readers
translated from the Greek by S. Hodges, London 1896.
Der Herauggeber bemerkt in seinem Vorworte, daß er erst oach
Vollendung seiner Übersetzung die Arbeit Kennedj^s kennen lernte, die
doch aber schon 1874 erschienen war. Von der Aristophanesliteratur
habe er nnr die Schulausgabe der Vögel von Parker und „Süverns
Essay" benutzt. Das ist allerdings nicht viel literarisches Gepäck.
Die gereimte Übersetzung liest sich leicht und augenehm. Es ist eine
Paraphrase, welche Anmerkungen beinahe überflüssig machen will.
Der Philologe, der nach der Erklärung schwieriger Stellen sucht,
findet seine Rechnung nicht dabei. Ich weise z. B. auf v. 16 hin:
Trjpsa, I Tov ssrocp', öc opvi? e-,'£VE-' sx xtüv opvstuv, wo Hodges übersetzt:
Where Tereus lives, who changed into a bird, Frora flighty Athens,
is the Hoopoo named. Unter opvsa als^o versteht Hodges „leichtsinnige
Athener", konstruiert offenbar nach dem Muster von d-j'aöol e^ dYav^üiv,
^amltXi h. ^a^iXsuiv, daro? k^ aaxü)^ und bleibt uns die Erklärung des
Artikels bei -rüiv opvEwv schuldig. Hierin liegt der Bew^eis für die
Unrichtigkeit seiner Auffassung. —
E. ßomaguoli, Versione poetica degli Uccelli d'Aristofane cou
prefazione di A. Franchetti. Firenze 1899.
Dieses Bändchen ist E. Piccolomini gewidmet und wird von
A. Franchetti mit empfehlenden "Wotteu eingeleitet. Franchetti hebt
rühmend hervor, daß Romaguoli in dieser Übersetzung mit feinstem
ästhetischem Geschraacke die „prosa poeiica" vermied, die er als
,,ibrido vecchiume che una moda, venuta d'oltr' Alpe tenta oggidi di
ridorare a uuovo" bezeichnet. Sodann anerkennt er die Leistung seines
Konkurrenten mit den Segenswünschen ,,dell Ettore omerico per
Astianatte" als ein ,,capolavoro". Romaguoli seinerseits wieder ver-
zichtet darauf, eine Einleitung zu den „Vögeln" zu geben, indem er
auf die Einleitung Domeuico Comparettis zu Franchettis Übersetzung
236 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.)
hinweist. — Die Übersetzung ist gereimt, beruht, wie der Autor selbst
angibt, auf der vierten (sie!) Auflage der Theodor Kockschen Ausgabe,
ist auf das große Publikum berechnet, liest sich leicht und ist auch
durch einige Fußnoten erläutert. —
E. Piccolomini, Nuove osservazioni sugli Uccelli d' Aristofane
con la collazione del Codice "Vaticano-Urbinate 141. — Studi italiani
di filol. class. I, 1893, p. 443-448. —
Der erste Teil der Abhandlung S. 443 — 460 enthält eine ge-
naue Beschreibung und Inhaltsangabe des Cod. Vat. Urb. 141 und die
Kollation der Vögel auf der Grundlage der Bergkschen Ausgabe. Nach
Picc. ist Cod. U unabhängig von R und V und ist von R weiter ent-
fernt als von der Gruppe VAM. Innerhalb dieser Gruppe steht U
näher dem Parisinus (A) und dem Ambrosianus (M) als dem Venetus
(V). — Die Besprechung von 29 Textstellen der Aves und von 3 Schollen
zu diesem Stücke (S. 460—484) sind eine Fortsetzung der Osservazioni
sugli Uccelli, welche der Verf. im J. 1877 in der Riv. di filol. V,
p.' 181 — 201 herausgab. —
Ich teile hieraus zuerst eine Reihe von Bemerkungen mit, die
mir sehr beachtenswert scheinen. 1. V. 59 wird nach dem Vorgange
Vahlens beibehalten. — 2. In v. 95 wird dem Ausdrucke oi oiuosxa Oeol
der Sinn einer Freundesparole, etwa „Gut Freund!"* gegeben. — 3. Bei
der Wendung Ttasi vixav tois xpitaTj in v. 445 macht P. auf ihren
sprichwörtlichen Charakter aufmerksam. — 4. In v. 469 empfiehlt P.
zur besseren Verbindung der Verse toüo", ei xal zu lesen, statt xouoi, xal. —
5. In v. 525 wird vor xav xois ispoi; ein Kolon gesetzt. Der Ausdruck Ispov
wird nach Thuk. IV, 90 (vgl. Classen) nicht auf den Tempel, sondern auf
den geweihten Umkreis desselben bezogen. — 6. In v. 531 v/ird die La.
Etepov in dem Sinne von „auch" verteidigt; vgl. Av. 152 und 1139. —
7. Nach Wieseler (Nov. Sched. p. 8) wird v. 642 als echt bezeichnet.
P. erklärt xa Ttapovxa = a l[io\ Tiapsaxi als Ausdruck der Bescheidenheit
des Gastgebers. — 8. Für v. 1025 empfiehlt P. die Versteilung der
mss. — xi; fällt dadurch dem Peithetairos zu. — 9. In v. 1361 setzt
P. nach suvou; keinen Beistrich. Der Patraloias werde relativ so wohl-
wollend behandelt, weil der junge Mann so schlagfertig sei. — Den
übrigen Bemerkungen Piccolominis könnte ich mich der Hauptsache nach
nicht anschließen. — 10. Bei v. 10 hält P. das Scholion des cod. Vat.
Urb.: siptuveta für unangemessen. Meines Erachtens wäre ein solches
Schol. zu V. 10 weniger unangemessen als vielmehr unzureichend. Da
aber Cod. R: Ep(uxriiJ.axixü>c gibt, wird man in jenem eiptovEiot des Cod.
Vat. Urb. wohl nur eine falsche Auflösung einer abgekürzten Schreibung
seiner Vorlage zu sehen haben. — 11. v. 41 wird als Eiaschub be-
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 237
zeichnet. Eine richtige Verteidigung des Verses findet man bei J.
van Leeuwen, Mnemos. NF. XXIX, S. 444 ff. — 12. In v. 65 er-
klärt P. Atßux&v opvEov durch ein Wortspiel mit Xißa;, Xt'ßo;, Xzi^w. 'Tito-
oeSttü; sei = oupT,Ttxo;! Ich für meinen Teil löse die in dem Verse
liegende Schwierigkeit dadurch, dal.l ich iu 'ET:txc-/oSu>c den präpositio-
neilen Bestandteil stark hervorhebe. — 13. In v. 92 sei oXt]v nicht
statt ftupav gesagt, sondern statt tcuXtiv. Durch den Anklang an den
Singular 7:tiXr,v werde an die Sophokleische Diktion (des „Tereus", vgl.
V. 100) erinnert. — 14. In v. 321 habe -psjxvov Tipa-||j,a-o; zeXtupiou
einen obscönen Nebensinn. — 15. Im Schol. v. 189 sei iKt/tup^tjat st.
u7:oytopr,3a'. ZU lesen. — IG. In v. 199 wird allerdings ßapl^otpou; 'jvra?
7:p6 Toü mit Recht in dem Sinne von ßap^api^ovra; verstanden. Aber gegen
Kock hätte P nicht hervorheben sollen, da(.i xt;v <p(uvf,v an unserer
Stelle „il significato speciale di lingua" besitze, sondern daii es hier
speziell den Sinn von , griechischer Sprache" hat, welche dem Athener
als die einzige menschenwürdige Sprache erscheint. Gab es doch ehe-
.mals auch Italiener, welche nur la lingua di Dante für eine wirkliche
.„Sprache" erklärten, während sie andere Sprachen nur für einen susurro
hielten. — 17. In v. 265 soll yapaöpiov [xt|xou|ievo; eine harmlose und
burleske Verhöhnung der Stimme des Schauspielers, der den Epops gab,
enthalten. — 18. In v. 270 gehöre o-j-oc noch zu den Worten des
Euelpides. — 19. In v. 293 findet P. den Sinn, daß die 4 Musiker
(vgl. Hiller, N. J. f. Ph. 121, p. 178) auf einem erhöhten Platze Auf-
stellung nehmen. P. versteht darunter die Stufen der Thymele. —
20. In V. 317 liest P. XeirTtü oo^isTa (Vat. Urb.). — 21. v. 492 gibt
P. dem Euelpides und zwar mit der La. u-o8yijoc|jlcvoi. — 22. In v. 553
liest P. rr,pu6va st. Keßpiova. — 23. Im Schol. 553 bezieht P. die
Worte ov £-/£'.pui3ato r) 'A'f poSitTj nicht auf Kebriones, sondern auf Por-
pbyrion. — 24. Das Schol. im Vat. Urb. zu v. 680: -aüxa irpö;
iauTov Kv'^Bi fj 'Ap'.JTOcpavrjC, oxt ~i^ lapi sv aaxei teXouui xa Aiovuaia hält
P. für besser als die bisher bekannten. Aber wahrscheinlich sind dies
nur zwei bereits bekannte Scholien in unrichtiger Verbindung, nämlich
ti» $oü&K^. xaÜTa o>c rpoc xtjv dvjöova Xs^ei 6 A. und YiptvoT?" Sxi xcui e'api
Ev acjxEi xeXouji xo Aiovjjta. — 25. Nach v. 888 vermißt P. die Ein-
ladung an die Götter, an dem Opfer teilzunehmen. — 26. In v. 1012
hält P. den Ausdruck ■KXrffcd auyval xax' asxu für eine Parodie von
Aisch. Sept. 345 y.opy.opu-.'al 8' av aaxu. — 27. In v. 1253 gibt P. xi;
der Iris in dem Sinne von: ,,Was wirst Du mir dann antun?" —
28. Bei 'fiX'jpivov Kivr)<jtav in v. 1375 hebt P. die Bemerkung des
Euphronios hervor, daß die Dichtung des Kinesias als eine „leichte
Ware" erscheine. — 29. In den v. 1392 — 1394 besinge Kinesias, meint
P., die Wolken als sein Element und vergleiche sie mit Vögeln. Daher
238 Berif'ht über die Literatur dor griechischen Komödie. (Holzinger.")
sei V, 1394 zu streichen als ungeschickte Übertragung aus v. 254. —
30. In V. 1410 setzt P. nach olo' das Fragezeichen; nach TZTepoTroixtXoi den
Punkt. Der Sykophant spreche mit sich selbst und beantworte selbst
die von ihm gestellte halblaute Frage, v. 1411 sei ein Anruf des
Frühlings, weil dieser die Armut erträglicher mache. — 31. In den
vss. 1561—1563 tritt P. für die Beibehaltung des überl. a7:r;),i)e ein,
(las er dem homerisclien (Od. XI, 97) ava/as^ajAcvo; entsprechen läßt.
In V. 1563 liest P. mit Blaydes aip.a (st. Äai[i.a}. Wieso Aristophanes
«TTTJXils und avfjXöe fast nebeneinander gebrauchen konnte, wird nicht
erklärt. — 32. Im v. 1628 schreibt P. ooxsü; und gibt dem Triballer:
coi xauvaxa ßaxTapl xpoüja. —
E. Piccolomini, '■Y-i'iio'iz'k. Critica ed esegesi di un frammento
di Ermippo e di un luogo degli Uccelli die Aristofane. Rendiconti
della R. Acc. dei Lincei, 1893, Serie V, vol. II, p. 101—117. —
Der Verf. beschäftigt sich in diesem Aufsatze mit Hermippos
fr. 69 Kock I, p. 246 und mit Aristoph. Av. 1149-1151; avtu Ss tov
U7ta7coi£a | ettetovt' syoujai xatoTriv SjTtsp ratöia | tov -yjXov ev tois aro-
[j-aaiv ai -/eXiöovsc. | Piccolomini stützt sich auf Schol. 1150- zu ura^cu-
7euc" Ip-j'aXeiov oixoSo|jlix6v, tp dtJteuOuvoujt xa? ttXi'v&ou? Tipos dXXii^Xa; ujnd er-
klärt uT:a7ü)7£u? als „archipendolo", d. i. Senkblei, (ojirep Tratoia erklärt
er durch „wie Kinder sc. etwas hinter sich (xaTOTitv) nachschleppen,
anstatt es zu tragen", avo) verbindet er offenbar mit stietovto und in
dem Asyndeton findet er keinen Anstoß; denn er übersetzt p. 104: „e
in alto svolazzavano le rondini con V ()izoi'{(o-jz6i dietro, come fanciulli,
e col cemento nel becco."* Die Schwalben also betrachtet er als die
eigentlichen Maurer bei dem Mauerbaue, und die Enten tragen ihnen
die Ziegel herbei. — Aber avcu mit eitExovTo zu verbinden, hat keinen
Zweck, weil es sich hier nicht darum handelt, daß die Schwalben gute
Flieger sind. Und der Schwanz der Schwalbe sieht meines Wissens
keinem Gegenstande weniger ähnlich als einem Senkblei. (Valentin!
Lexikon: Archipenzolo, Bleischnur, Bleiwage. — Bleischnur: piombino,
archipenzolo, scandaglio. — Scandaglio, Senkblei.) Ein Senkblei hat
auch der Scholiast nicht gemeint, sondern ein eisernes Werkzeug, mit
dem der Maurer den zwischen den Ziegeln hervorquellenden Mörtel ab-
streicht oder glatt streicht. Und der Vergleich mit Kindern, den
Piccolomini meint, läßt sich nicht in dieser Weise abkürzen, wie es im
griechischen Text geschieht. Und warum setzt Piccolomini in seiner
ilbersetzung die kopulative Partikel (e) ein, wenn das Asyndeton eben-
sogut paßt? Kurz, die Schwierigkeiten, welche die Überlieferung hier
darbietet, sind geblieben und Piccolomini hat sie durch seine Erklärung
nur vermehrt. Auch die Engländer Kennedy, Merry, Blaydes, Hickie
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 239
(1901) sind in ihren Ausgaben der Vögel über die von Meinekc und
Theodor Kock nachgewiesenen Mängel derStelle uichthinweggekommen. —
Für mich steht fest, daß avw mit lyoujai verbunden werden muß; ferner,
daß ()-'x-;o)-(z6i ein Werkzeug- ist, mittelst dessen der Maurer den Mörtel
streicht und abstreicht (also — cusxr^p). Daß das zuletzt stehende yeXi-
öovs; als Subjekt für fast drei Verse ausi-eiche, ist hier in der Tat nn-
wahrscheinlicli. — Vgl. d. Ber. S 245. —
Piü Fr an Chi de' Cavalifii, I^a Panoplia di Peitetero e di
Euelv'ide. — Studi italiani di tilologia classica. vol. I, 1893,
S. 485-511.
Ausgehend von Av. v. 435, in welchem die Ausrüstung des
Peithetairos und des Euelpides als ravo^Xta bezeichnet wird, sucht der
Verfasser dieses mit sorgfältiger Benutzung- der Literatur geschriebeneu
Aufsatzes die einzelnen Teile der komischen Ausrüstung genau zu be-
stimmen. Das Wesentliche ist hierbei, daß die /utpa (v. 357, 358, 386)
.nach Franchis Ansicht als Schild verwendet wird. Auf dem Haupte
tragen die beiden Keisenden ihren Filzhut. Um die Augen zu schützen
werden tcu -pu^Xito (v. 361, 387) vorgebunden. Kocks Ansicht, daß
ein Schutzwall aus Töpfen irebildet werde, lehnt Franchi ab, ebenso
Wieselers Deutung der xp-j^Xta als Schilde. Ich stimme bezüglich der
xpußXia mit Franchi überein, ebenso in der Festhaltung der überlieferten
La. -posöoü (v. 361). Hingegen bin ich der Meinung, daß Peithetairos
bei V. 357 dem Euelpides und «ich selbst einen Kochtopf, den jeder bei
sich führte (v. 43), als Helm auf den Kopf setzt. Diese einfache
komische Wirkung konnte sich Aristophanes nicht entgehen lassen.
Als Schild verwendeten sie den flachen Korb, in welchem sie den Koch-
topf und die Speisenäpfchen samt den Myrtenzweigen (v. 43) getragen
hatten. Weil sie diesen geflochtenen Schild bereits am Arme führen,
wird im v, S57 nichts davon erwähnt, da die Sache für die Zuschauer
augenfällig ist. So werden alle Schwierigkeiten beseitigt, welche nach
Franchis Erklärung noch übrig bleiben. — Ich kann dem Verf. auch
bezüglich der beigezogenen Stelle Equ. 1171 nicht völlig beistimmen,
weil er meint, in den Worten xal vöv 'j-zpiyzi jou yj-poiw ^wjxoü -Xsav sei
das Wort /u-pav statt as-ioa gesagt, während es doch wegen des Anlautes
mit y nur -apa rpoaooxiav statt yeipa gesetzt ist. Wichtig ist dies darum,
weil von einer Ähnlichkeit einer yj-rpct mit einem Schilde keine Rede
sein kann. — Im übrigen wird die Behandlung einiger Gefäßnamen und
der Statuen der 'AÖYjva OapOevo?, Opojjiayoc und IloXtac für manchen von
Interesse sein. —
R. Helm, De Aristophanis Avium versu 586. — Neue Jahrb.
f. Phil, und Pädag., 147. Bd., 1893, p. 399-400. —
*240 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
Helm behandelt den Vers: f^ o' YjYwvcai ak iIeov sk ^^lov je 6s -|r)v ak Kpo-
vov oe rioseioÄ, lind erklärt denselben als in dieser Schreibung: vollkommen
richtig überliefert. Die bisherigen Emendationsversuche werden mit
Recht abgelehnt. —
J. van Leeuwen, Ad Aristoph. schol. Av. 100. — Mnemos.
NS. XXII, 1894, p. 45.
Zu den Textworten des Epops : Tota-jxa [xs^toi ^o'f oxXe r,? Xuixaivsxat
i SV rate rpa^coöiataiv ejxe tov Tr,p£a gibt der Scholiast die Notiz, So-
phokles habe den Tercus in dem gleichnamigen Stücke iu der Vogel-
gestalt auf die Scene gebracht und fügt hinzu: ev w kyY.u}<\)t uoXXa xov
Trjpe'a. Mit diesem Zusätze gibt der Scholiast, wie man sieht, das
Xuixaivstat des Aristophanischen Textes wieder, indem er dabei den Ge-
danken des Komikers wenigstens der Hauptsache nach ziemlich richtig
auffaßt. Denn das Komische dieser Stelle liegt zum guten Teile darin,
daü es gerade ein Tragiker wie Sophokles ist, der den Tereus vor aller
Welt lächerlich gemacht haben soll. Somit ist das Scholion unangetastet
zu lassen. — Leeuwen aber legt in den Ausdruck zT/.ui'\ie des Scho-
liasten zu viel hinein, erklärt es für unmöglich, daß ein Tragiker seinen
Helden absichtlich lächerlich gemacht habe, schreibt daher £<p' (u
i(jx(u'|>£ statt iv w 'i<JY.(o^B und nimmt hierzu Aristophanes als Subjekt.
— Leeuwen wiederholt diese seine Ansicht in der Mnemos. NS XXIV,
p. 339. —
E. ßomagnoli, L'azione scenica duraute la parodos degli Uccelli
d'Aristofane. — Studi ital. di fil. class. II, 1894, p. 155—160. —
Der Verf. verfolgt in diesem Aufsatze das Bestreben, sich die
sceuische Darstellung der Parodos der Vogelkoraödie genau zu ver-
gegenwärtigen. Insbesondere beschäftigt er sich mit der Frage, in
welchem Augenblicke und bei welchem Ve;'S3 der Vogelchor die beiden
Athener wirklich erblickt, von deren Anweseulieit der Epops in den
vss. 317 — 326 gesprochen hatte. Romagnoli will feststellen, daß erst
die Worte xo-ts rpwxyjv tyjv i)upav iu v. 365 einen Beweis dafür liefern,
daß die Vögel den Peithetairos und seinen Genossen gesehen haben,
während ein solcher Beweis bis zum v. 354 nicht vorliege. Hingegen
hätten Peithetairos und Euelpides die Vögel gleich bei ihrem Anrücken
beobachtet (von v. 268 anj und hätten sich rechtzeitig hinter einem
Baum oder einem Felsen, der zur Bühnenausstattung gehörte, den
Blicken der Vögel entzogen. Ihre Entdeckung vollziehe sich während
der Verse 354 — 357. So treffe also das yopsutac y]/ai}touc zapeaiavat der
bekannten Acharnerstelle (Ach. v. 443) auf unsere Parodos nicht zu.
^— Ich stimme mit Romagnoli in der Hauptsache überein, bin aber der
Ansicht, daß schon die Worte xtuo' oip,cu^£iv ajicptu v. 347 und das tiuo'
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (üolzinger.) 241
a^rocpufovTc [iz (v. 351) Voraussetzen lassen, daß die Vögel der beiden
Männer ansichtig geworden waren. Dieser Fortschritt der Handlung
hatte sich also vielleicht bei uY» lu> ( v. 343) vollzogen und war die Ver-
anlassung der AntiStrophe, während für die Strophe (ea l'a v. 327 ff.)
der Bericht des Epops als Grund der Aufregung des Vogelchores
ausreicht. —
L. Mlynek, Zu Aristophanes. — Zeitschrift für die österreichi-
schen Gymnasien. XLVI, 1895, p. 488—489.
Der Verfasser führt Av. 54 — 60 an (tw ^ixsXei bhs. ttiv iretpav. |
Eu. <ju dk -^ y.s'f aXf, x-l.) und bezieht dieselbe unter Hinweis auf Karl
Schenkls Auslühruugen in der Germania VI, 381 auf ein altes arisches
Kinderspiel, dessen Reflex in der Gegend von Wieliczka in einem pol-
nischen Kinderspiele noch heute zu Tage trete. Der Verfasser beschreibt
dieses Kinderspiel sehr ausführlicli. Die Kinder verwandeln sich angeb-
lich in Vögel, wählen sich einen König, und dieser gibt jedem mit-
spielenden Kinde einen Vogelnamen. Ein bis dahin im Gebüsche ver-
stecktes Kind tritt nun hervor bis zu einem weißen flachen Steine, der
vor dem Könige liegt. An diesen Stein stößt das Kind dreimal mit
dem Beine und ruft dabei: „Puk, puk, puk!" Auf die Frage des
Königs: „Wer da?", antwortet das Kind: ,,Ein Engel vom Himmel".
Auf die Frage: „Was ist Dein Begehr V", sagt es: ,, Vögel" und auf
die Frage: ,, Welchen Vogel?" nennt es z. B. den Habicht. Der König
hält nun Umfrage, ob der Habicht da ist. Ist er nicht da, — so muß
wohl der Suchende wieder abziehen, ist aber der Habicht da, so nimmt
ihn der Engel mit sich hinter das Gebüsch und erscheint dann aber-
mals, bis endlich alle Vögel abgeholt sind. — Dies in Kürze der Her-
gang des von Mlyuek erzählten Spieles, dessen Witz wohl auf das Er-
raten eines Namens hinausläuft. — Der Erklärung der Aristophanes-
stelle, die, wenn ich so sagen darf, nur einige Bummelwitze (v. 54, 55,
57) anbringen will, würde ich eine so weithergeholte Beziehjung nicht
zu Grunde legen. —
B, Perrin, Notes on the v£y.uia of Peisandros, Aristoph. Av.
1553 — 1564. Transactions of the American philological association,
vol. XXVII, p. XXXIV— XXXV der Proceedings for July, 1896. —
Peri'in behandelte in seinem Vortrage die bei Aristoph. Av. 1553 flf.
vorhandene Parodie der Nekyia des Odysseus. Insbesondere sucht er
die umstrittene Lesart dr^Xöe Av. 1561 zu rechtfertigen. Er nimmt zu
diesem Zwecke an, daß der Homertext, dessen sich Aristophanes be-
diente, bei X 38 eine Lesart enthielt, welche dem d-ov6'a<pi xpaiziabai bei
X 528 entsprach. Ursprünglich sei nämlich die Stelle l 35 — 49 mit
X 526 fl. wörtlich gleichlautend gewesen, und Aristophanes habe diesen
Jahrd3bericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. f.) 1(J
242 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
Text entweder auf dem Wege mündlicher Überlieferung kennen gelernt,
oder er habe ein Exemplar besessen, das die von den Alexandrinern
notierte Interpolation einiger Verse noch nicht aufwies. Perrin beruft
sich hierbei auf den Umstand, daß auch die Homercitate bei Piaton
Unterschiede gegenüber der Vnlgata aufweisen. — Au der Lesart
«TT^XÖe halte auch ich fest, jedoch ohne die Schlüsse, die Perrin auf
den Homertext des Aristophanes zog, für zwinuend zu halten. Denn
der Komiker hat, als er jene Parodie hinwarf, sein Homerexeraplar
gewiß nicht nachgesehen. —
A. "Willems, Notes sur les Oiseaux d'Aristophane. — Bnlletins
de l'Academie Roj'ale des sciences. des lettres et des beaux-arts de
Belgique. — 3. Serie, tom. XXXII, 1896, p. 603-635.
A, Willems behandelt mehr als ein Dutzend Stellen der Aves
zumeist in konservativem Sinne, indem er eine überlieferte Lesart durch
eingehende Erklärung als richtig zu erweisen sucht. Für v. 76 tote
fjLev weist Willems auf Plat. Phaidr. 261 D hin: to'ts \xh oivcatov, otav
öe ßouXT]Tat aötxov. — In v. 82 und 569 wird asp^o; (Wesp. 352) als
,,foarmi blanche'*, eine weiße, in Griechenland einheimische Termiten-
art erklärt. Y. 293 Ird Xocpwv erklärt er durch ein Wortspiel. Vgl.
meinen Jahresbericht 1880, S. 168. Zu v. 492: u-oor)c7ot[X£voi verweist
er auf Aristoph. Eccl. v. 30 ff. — Bei 769 ff. findet er nur den Schrei
des Schwanes hervorzuheben, nicht aber den „Gesang des Schwanes"
oder gar ein Lied eines Schwanenchores. In v. 823 verteidigt er xal
IJ.SV ouv gegen Haupt durch den Hinweis auf Soph. Ant 31: xal dr^ jisv
ouv Trapo'vta und Aisch. Pers. lOOO: xal ttXsov y] zar^ii fxsv ouv. — Auch
an XcojTo? will er festhalten. In 942 liest er: atpatäiv nach dem Pari-
sinus A und beruft sich dabei auf Lübbert, Rh. Mus. 1886, p. 468.
In v. 1221 wird xal vüv ia dem Sinne von ,,qnae quam ita siot" er-
klärt. In v. 1392 setzt Willems nach as'p« den Schlußpunkt. Das fol-
gende sKwXa xtX. gehört dann dem Dithyrambos des Kiuesias an. In
V. 1395 liest er aXaopo[j.ov (-^ aXy^8po(xov) statt aXaopo[j,ov. Der über-
wiegende Teil dieser Bemerkungen wird Beifall finden oder verdient
wenigstens ernstliche Überlegung. Mißlungen hingegen scheint mir die
Konjektur zo vsixoü|i.ai statt oix-qcsu) in v. 547 und xi'c o xoXoto; (st. xo-
flopvo;) TTj? oooü in v. 994. Die ausführliche Behandlung der Stelle
267 — 304, in der die vier seltsamen Vögel auftreten, hätte wohl großen-
teils entfallen müssen, wenn Willems die Literatur dieser Stelle (Hiller!)
beachtet hätte. Das Gleiche läflt sich wohl auch von seiner Behandlung
der Triballerscene behaupten, wo Willeras für v. 1681 st. si \i.}] jiaßa^si
vorschlägt: si [ly] [iaot'Cst, indem er unrichtigerweise die Basileia zum
Subjekt macht, wo es doch augenscheinlich der Triballer ist.
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 243
E. Roniag-noli, Sulla esegesi dl alcuni Inoglii degli Uccelli
d'Aristofane. — .Studi italiani di filologia class. V, 1897, S. 337
—356.
Eomagnoli beschäftigt sich in dieser Abliandlniig mit 4 Stellen
der Aves. — In v. 434 will er nnter uh %<x\ au den Peithctairos und
den Euelpides verstehen, nicht aber die Sklaven der beiden. Das ge-
legentliche Hervortreten des Dnals. wie in v. 43, hat jedoch nicht die
beweisende Kraft, die der Verfasser ihm zumutet. Während aber an
dieser Stelle die Auffassung Romagnolis immerhin noch als möglich
erscheint, könnte ich dies für v. 4G3 und G56 — 657 nicht zugeben, wo
wir an erstercr Stelle auf den TraT;, au der letzteren auf Xanthias und
Manodoros nicht verzichten können. Auch der Behandlung von v. 448
axousTs Xbio kann ich nicht zustimmen. Komagnoli läßt den Peithctairos
diese Worte sprechen und scherzhaft an eine bh^ß fingierte Mannschaft
richten. Das Richtige hat hier ohne Zweifel Tb. Kock gesehen , der
diese Verspartie dem Epops gibt, worin ihm auch mehrere Erklärer,
wie Kennedy (1874), Merry (1889) u. a. gefolgt sind. Von den Vögeln
wareu eben viele bereit gewesen, als Hopliten gegen den eindringenden
Feind zu kämpfen. Eben darum hatten sich die beiden Athener bis an
die Augen bewaffnen müssen. — Wichtiger scheinen mir die Bemer-
kungen Romagnolis zu Av. 516: Apollon werde hier nicht in seinem
Verhältnisse zu Zeus als &epa7:u)v bezeichnet, souderu mit Rücksicht
auf populäre Mythen, die ihn als Diener des Admetos und des Lao-
medon kennen. In Wirklichkeit sei den Statuen des Apollon der Sperber
als Attribut gegeben worden, weil der ispa? als prophetischer Vogel
(Wetterprophet) galt. Aristophanes gebe eine scherzhafte Ursache
eigener Erfindung an. Da Apollon Diener gewesen sei, habe er als
Attribut einen räuberischen Vogel, vgl. Av. 1112, 1453, Equ. 101,
Plut. 26 ff., 1134 ff. — Ein Teil der Darlegungen des Verfassers über
diesen Vers ist gegen Wieseler gerichtet. Der Schluß des Aufsatzes
ist dem Demoticon des Euelpides (v. 645 KpiiOsv) gewidmet. Romagnoli
sieht in diesem Worte eine Anspielung auf zwei Eigenschaften, welche
Euelpides mit einem xpto'c gemein habe, die Schwachköpfigkeit, die sich
im ersten Teile des Stückes zeigt und seine Lascivität, vgl. v. 668 ff. —
C. Robert, Aphoristische Bemerkungen zu Aristophanes Vögeln.
— Hermes, 33, 1898, S. 566—590.
Robert behandelt die vier exotischen Vögel, die der Parodos an-
gehören (v. 268 ff.) und erklärt sie mit Wieseler und Hiller als Musi-
kantenvögel. Zwischen v. 304 und 305 sei eine Parepigraphe: oiauXiov
ausgefallen: denn das -t-7ii^ou3i in v. 306 beziehe sich nicht auf halb-
artikulierte Laute der Ohoreuten, die im Texte nicht vorhanden sind,
IC*
244 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)
sondern auf die Nachahmung des Vogelgeschreies durch die Musik.
Auch die v. 209 — 222 beziehen sich auf Musik, nämlich auf ein Flöten-
solo der Nachtigall. So weit geht man recht gerne mit dem Verfasser.
— Zweifelhafter ist schon die Annahme eines Wortspieles von oiauXo;
und ötaüXiov in v. 292. Ebenso auch das Wortspiel, das Robert in das
Wort Xocpwats V. 291 hineinlegt, indem er es in dem Sinne von Auf-
stellung auf einem Erdhügel versteht. Sicher unannehmbar aber —
wenigstens für mich — ist die Anschauung Roberts, daß sich dieser
Erdhügel „in dem hinteren Teil der Orchestra oder wahrscheinlicher
in deren Mitte (!) über der Mündung des unterirdischen Ganges befand".
Denn das Stück wurde nach Roberts Ansicht „wie die älteren äschy-
leischen ohne ay.rjvrj gespielt". Den Xo'cpoc identifiziert weiterhin Robert
mit dem hohen Felsen (vgl. v, 1, 49, 54), an dem Euelpides sich die
Beine anstoßen soll. Nach meiner Ansicht hat gerade das Bühneu-
gebäude dazu gedient, durch manigfaltige Verkleidungen mit ange-
strichener Leinwand die Illusion einer Felsgegend zu erleichtern. — Ein
verkleidetes Gerüst auf dem Räume Im axrjv^;, der zwischen den Para-
skenien und außerhalb der Orchestra liegt, mochte als erhöhter Stand-
platz für die Zwecke des Stückes leicht herzurichten gewesen sein. Ein
ganzes Bühnengebäude aber, welches doch gewiß für andere tragische
und komische Aufführungen derselben Dionysien notwendig war, ließ
sich zwischen 2 Stücken wohl weder wegräumen, noch auch aufbauen
und einrichten. Einzelne Bemerkungen Roberts über Schwierigkeiten
dieser Scene bleiben trotzdem dankenswert. So hat er v. 54 richtig
(gegen Mlynek; s. d.) verstanden, ebenso auch' die Verwendung zweier
Sklaven (v. 656) zum Tragen des Gepäcks (gegen Romagnoli; s. d.)
und anderes. — Dann gelangt Robert zur Ei'klärung der Stelle über
die Pauoplie (v. 434) und den Kampf. Er stimmt in v. 36] für
npojdoü, nimmt ^uxpa (v. 391) als „Schüssel" und daher zugleich als
,, Schild", schreibt in v. 357 mit Blaß: tw yurpu) (Anm. S. 575).
Robert trennt in v. 391 axpav von yurpav und schreibt [laxpav opcüv-a;
£776?, indem er sich auf Menanders Monostich. 191 stützt: Z^Ot Ttpoc-
syovTcu; w? [xaxpav e-ffu? ßXsTrtuv. Da aber Menaudros empfiehlt, man
möge sich die ierue Zukunft möglichst nahe vergegenwärtigen, stehen
bei ihm [j-axpav und 5776? im natürlichen Gegensatze und dies läßt sich
in den v. 391 der Aves nicht hineinzwängen. Meine Ansichten über
die ganze Partie habe ich bei der Besprechung der Aufsätze von
Romagnoli und Franchi de' Cavalieri angedeutet. — Bemerkenswert ist
die Behandlung der vss. 1203 — 4 in der Irisscene. Robert schreibt:
n. ovo{jLa 0£ aot xi; llapaXo; t) 2aXa|JLtvia; | I. 'Ipi? xayeia. 11 . iioxep« tiXoIov
r^ xutuv; (st. xuv^). — Robert bespricht dann mit wechselndem Glücke
eine Reihe von Lücken im Texte der Vögel, in v. 886, vor 869, 565,
Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 245
593. hinter 1346, Ausfall von -j-aia; hinter k'ixoXov in v. 405 nnd kommt
liierbei auch zur Schilderung des Mauerbaues. Robert erklärt uTra-fto^sa
(1149) als Bezeichnung des Instruments ,um den einzeloen Luftziegel
an seinen Nachbar Iieranzuschieben (Grct-'siv)"*. Eine Verslücke gibt er
nicht zu, sondern streicht (mit Kuthcrford) «ujTTep -aiot'a, an dessen
Stelle er versuchsweise gesetzt denkt: (op7Q(Cov »T aixo. — Mehrere
Stellen dieses Aufsatzes beziehen «ich auch auf die Personenverteilnng
des Stückes. Schließlich gibt Robert die Vermutung zu 771 ft". : Tj|x|xq^
ßo^i voiJLOv I -T£pot3i xpExovTs; , tax/ov 'AtioXXio. ,,Mit Tönen wie diese
.... jubelten die Schwäne dem Apollon zu, indem sie mit den Flügeln
eine Weise schlugen, die sich mit ihrem Geschrei vermischte." „Der
Flügelschlag vertritt die Begleitung auf dem Saiteninstrument." — Ich
würde sagen: ,,Mit den Flügeln schlagen sie den Takt zu ihrem Ge-
sänge." Für diesen Sinn reicht wohl auch die Überlieferung aus! —
A. Willems, Notes sur deux passages des Oiseaux. — Bulletins
de rAcademie Royale de ßelgique. 3. Serie, tom. XXXVIl, 2, 1899,
p. 900- 90Ö.
Willems erklärt die -yTivata n-zod in Av. v. 798 als die Henkel
einer aus Pflanzenfasern geflochtenen Flasche. Ich tinde, daß dies die-
selbe Erklärung ist, die wir dem Euphronios in den Scholien zur Stelle
verdanken, woher dann die Bemerkung von Ludolf Küster stammt:
„Diitrephem plectendis vasis vimiueis divitem factum esse." Lehrreich
und für mich wenigstens neu ist aber der von Willems betonte Um-
stand, daß Le Vaillant derartige geflochtene Gefäße, die, ohne verpicht
zu sein, Flüssigkeiten nicht durchlassen, in Afrika benutzte und daß
dergleichen Industrieprodukte auch aus dem Kongolande nach Brüssel
kommen. Willems hebt auch hervor, daß nicht etwa an tönerne oder
gar gläserne und mit Flechtwerk umsponnene Gefäße zu denken sei.
wie man sie häufig in Italien sieht. — Im ganzen also erklärt Willems
jetzt den v. 798 durch ein Wortspiel, indem Tcxepa doppelsinnig ist und
Diitrephes dergleichen geflochtene Flaschen, die Willems nicht bouteille,
sondern nach Littre ,,bire" nennt, fabrizierte. — Die zweite Stelle der
Aves, die Willems in diesem Artikel behandelt, ist v. 1744 ff., wo er
aG-coü statt auToü liest. Für aGroü = l|xau-oü beruft er sich auf Av. 808,
Aisch. Gh. 1014 und Soph. 0. C. 966. — Willems verteidigt weiterhin
die Echtheit von i/apyiv i^oaT; und beläßt — gegen Bergk, Meineke nnd
Kock — die vss. 1743 — 1747 dem Peithetairos. —
J. Vürtheim, Ad Aristoph, Av. vss. 354 sqq. — Mnemos. NS.
XXVII, 1899, p. 325—335.
Der Verf. geht bei der Erklärung dieser Stelle von A. Trendelen-
burgs interessantem Winckelmannsfestvortrage aus, der in der Wo. f.
246 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)
klass. Phil. Bd. XVI (1899) Sp. 134—142 mit Abbild, und Aum.
wiedergegeben ist. Trendeleuburg bespricht die zuerst von Eugen
Peterbeu (Athen. Mitteil. XIV, 1889, S. 233—239) ausführlicher be-
handelten Schutzvorrichtungen gegen die Verunreinigung der Statuen
durch Vögel und erörtert insbesondere den auf dem Statuenkopfe auf-
gerichteten Metallstachel als „Vogelabwehr". Den ixYjvidxoi in Aristoph.
Av. 1114 weist Tr. eine picheiförmige Gestalt zu und sucht bei der
ausführlicheji Exegese von Av. 354 ff. unter anderem festzustellen,
1. daß die /uxpat als Helme dienen; 2. daß die rpußXia (die Tr. „Essig-
näpfchen" nennt) in die Augenlöcher der Maske gesteckt werden (La. :
7:po;öoü V. 361, wie auch bei C. Robert, Herrn. 1898, XXXIII, S. 574),
3. daß die Körbe die Rolle von Schanzkörben spielen und 4., daß das
in V. 360 überl. rpo; auxov nicht mit Bentley in T:po aocutoo, sondern
nach Schol. Ven. 359 in rcpö; «utiqv (sc. xf,v /uxpav) zu ändern sei. Es
hätten also 5. die beiden Athener ihre kleinen Bratspieße ,,iu den
niederen Haarwulst über der Stirn gesteckt". — Gegen mehrere dieser
Aufstellungen Trendelenburgs polemisiert Vüitheim m. E. mit ent-
schiedenem Glücke, indem er sich gleichzeitig gegen Kocks Kommentar
und gegen andere Interpreten der Stelle wendet. Nach' Vürtheim
werden allerdings die yurpai als Helme gebraucht, und auch T.po^x^oZ
(v. 361) ist richtig überliefert, aber dieses irpo;{)oü kann nicht bedeuten,
daß die xpiißXta irgendwo hineingesteckt werden, also auch nicht in
die Augeulöcher der Masken. Und xaxa-r);ov sagt Vürtheim sehr
richtig, heißt sonst in terra figere (vgl. Hom. II. VI 213), nicht aber
„auf den Kopf hinaufsteckeu". Bezüglich einiger dieser speziellen Aut-
fassungen stehe ich also mit Vürtheim auf dem gleichen Boden, da er
auch Blaydes, Franchi und C. Robert in einigen Punkten richtig wider-
legt. Die xava aber will \. wie Trendeleuburg als SchauzkÖrbe ver-
wendet wissen und zwar als abschließende Türme zu beiden Seiten des
aus den axpcufiaxa (v. 657) bestehenden Walles! So soll dann ta oitXa
(v. 390) „castra, munimenta" im wirklichen Wortsinne bedeuten. Und
auf diese Schanzen sollen die Spieße gesteckt werden 360. — Davon
steht nichts bei Aristophanes !
C. B. Gulick, Two notes on the „Birds" of Aristophanes. —
Harvard Studies X, 1899, p. 115—120.
Gulick beschäftigt sich mit zwei der zumeist behandelten kritischen
Probleme in dem Texte der „Vögel*. — In v. 16 erklärt er 8; opvt;
s-^evex' Ix xtüv opvetov mit den Worten: „he proved himself a bird — of
birds". Hierbei soll e-^evexo doppelsinnig sein. Zuerst habe Euelpides
sagen wollen: Tereus ward ein Vogel eS avi)pa»itou. Dann aber habe er
aus Verdruß über die Menschen, an die er sich nicht einmal mehr er-
Bericht über die Literatur der griccliischen Komödie, (llolzinger.) 247
iiiuern wollte, den Satz im Munde umg-edreht: Er habe sich bewiesen
als ein echter Vogel, als ein Vogel, der von anderen Vögeln abstammt.
Dabei wird natürlich wieder auf (J-j'aiiol xcti e; «Yaftäiv (Plat. Phaidr.
274 A), auf y.ay.o; xay. y.axüiv (Soph. Oed. Tyr. 1397), a-^afloi e; a-^afhov
(Andoc. de Myst. 109), cu^evr,; ir^ euyevou; (Eur. Or. 167G) hingewiesen
und behauptet, daß der Artikel bei ix t<öv (Jpvswv, durch den sich doch
diese Stelle von allen übrigen angeführten Beispielen unterscheidet,
durch den Doppelsinn erfordert worden sei! Aber ein Doppclsinn liegt
nicht in ix -(öv opvstuv, wor.n dies rap' Oiro'voiav gesetzt ist. Und soll
der Doppelsinn in i-fi-ztzo liegen, so kann dies nicht den Artikel recht-
fertigen. — Dann behandelt Gulick die Teleasstelle (v. 169), ohne sie
zur vollen Evidenz zu bringen. Von der reichen polemischen Literatur
über diese Stelle hat Gulick nur die allerdings leicht zu widerlegenden
Konjekturen Theodor Kocks berücksichtigt. —
J. van Leeuwen, Ad Aristoph. Av. v. 1247. — Mnemosyne
NS. XXVIir, 1900, ]). 391.
Der Verf. schlägt vor xotl a[x'j'.x''ovac oo|xo'j; zu lesen, da das über-
lieferte xal oofjLoui'AiJL'ftovo; zwar, wie die Schollen angeben, aus Aischylos
Niobe stammen soll, aber hier doch nicht leicht parodistisch verwendet
sein kann.
J. van Leeuwen, Ad Aristoph. Aves. — Mnemos. NS. XXIX,
1901, p. 444—460.
In dem ersten Abschnitte dieser Abhandlung verteidigt der Verf.
mit Recht den vom Schreiber des Cod. Rav. übergangenen v. 41, ferner
den schon von Vahlen für echt erklärten v. 59, empfiehlt für den v. 266
l-iu^e gegen die Schreibung eittutCe (Rav.) und hält im v. 1221 an
aoixcic 8k xal vüv fest (gegen döixst; \is. Rav.). — Im zweiten Kapitel
lechtfertigt Leeuwen die Vulgata der Vogelkomödie gegen verfehlte
Konjekturen. Er verteidigt im v. 290 iküc äv .gegen ttüJ; ap' (Blaydesj,
v. 479 pu-f/o; gegen to pu-f/o? (Bl.), 555 «pifj gegen 'cpsiv (ßi), des-
gleichen i'Oi in v. 648 gegen ßi., in v. 698 Xaei TTTspoevTi gegen G. Her-
mann, v. 787 Tpa^tüocuv gegen Scaligers xpuYtoouiv. In v. 1002 sucht
Leeuwen die in den mss. iiberlieferte Interpunktion nach xajXTiuXov zu
halten, wodurch die Verbindung xov xavdva . . . xa|xi:'j)^ov entsteht. Die
dem Meton in den Mund gelegten offenkundigen Torheiten würden da •
durch allerdings noch verschärft, vielleicht aber allzusehr vergröbeit.
Im V. 1234 setzt Leeuwen nach roiouiv die Zeichen der Anführung und
des Ausrufes, wo sich Kock wohl im gleichen Sinne und offenbar rich-
tiger mit dem Fragezeichen begnügt. Im v. 1282 hält der Verf. das
überliefe)te i-ctvcuv aufrecht gegen seine eigene ehemalige überflüssige
Konjektur erivcov. Schließlich in v, 1616 gibt Leeuwen mit Beutley
248 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
die Worte opöic; s-aivEr oüto; dem Herakles und faßt in der ganzen
Stelle bis zum v. 1678 das Kauderwelsch des Triballers in einem für
Peithetairos durchaus ungünstigen Sinne auf; z. B. in v. 1678 setzt er
ßaoiXivau einem BaciXsiav ou gleich. — Schwächer sind die im dritten
Abschnitte mitgeteilten Konjekturen des Verfassers; v. 66 soll nach
V. 68 gestellt werden. Unnötiff. In v. 108 'Ett. -oool-m to -/evo;; Eu.
o&ev at TpiTjpetc ai xaXai empfiehlt Leeuwen die Schreibung: o{}cv xpin^peic
al xaXat. Hier sind alle bisherigen Anderungsvoiscliläge überflüssig,
weil der Tribrachys zwischen den beiden Anapästen durch die Ver-
teilung des Trimeters an zwei Personen erträglich wird. Ebenso über-
flüssig ist es in v. 147 IioOsv in ixsT&sv zu ändern, weil eüj&sv in dem
Sinne von „vor Tagesanbruch" dem Zusammenhange völlig entspricht.
In den vss. 149—150 schreibt Leeuwen unwahrscheinlich: ohiCsxz \ IX-
dovxes; OTiT) xoux lowv vtj too? öeouc. —
W. White, Tzetzes notes on the Aves of Aristophaues in Codex
TJrbinas 141. — Harvard Studies XII, 1901, p. 69—108. —
White gibt aus dem Urbinas 141, den Velsen bei der Herstellung
des Textes der Panae und des Plutos benutzt hatte, eine Kollation der
Schollen des Tzetzes zu den Aves. Die Grundsätze, nach denen. White
bei der Umschreibung verfuhr, gibt er in einleitenden Bemerkungen
p. 70 — 72 genau an. Die Accente und die Orthographie der Handschrift
wurden beibehalten, hingegen die zahlreichen Kompendien für Wörter
und Silben, welche das Lesen der Scholienminuskel des XIV. Jahr-
hunderts erschweren, bat White aufgelöst. Da ein Faksimile von fol. 183 r
beigegeben ist, war es mir möglich zu konstatieren, daß die Schollen
zu den Versen Av. 795 — 858 sorgfältig gelesen und wiedergegeben
sind. Hingegen fiel mir bei v. 306 die Angabe auf: xöiv y.o<\>v/(a\] xüiv
•xoTCTovTcüv ota xYj!jp. (slc.) — Da hier augenscheinlich der Ausdruck xo^iyta^
etymologisch erklärt wird, wird es wohl heißen müssen: twv xotttovkuv
6ia Toü p. (sc. PU770U?.) — White hat die Bemerkungen des Tzetzes zu den
Aves ganz ausgedruckt. Finden sich dieselben genau so im Codex R
oder V vor, sind diese Siglen senkrecht (RV) beigedruckt; finden sie
sich in diesen Handschriften in etwas veränderter Form, sind dieselben
Siglen schief beigedruckt (JS, 7, Italics), was wohl sehr leicht zu Irr-
tümern führt. Was sich von diesen Notizen in R oder V nicht findet,
ist durch fetten Druck hervorgehoben. White zählt deren 393. Von
Belang ist darunter natürlich nur sehr weniges. Interessant sind die
Schlüsse, welche White über die Vorlage und die Arbeitsweise des
Tzetzes zieht. Er meint, daß Tzetzes einen Scholieucodex besaß, der
mehr und vollständigere Schollen enthielt, als Ravennas und Venetus
zusammengenommen. Von dem Archetyp dieser Schollen stammen nach
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie (Holzinger.) 249
seiner Meinung alle scholia vetera ab, die wir zu Aristophanes besitzen.
In die Hauptmasse haben sich die Codices R und V geteilt, manches
davon ist in beiden Handschriften übergangen, vieles in beiden mss.
aufgenommen worden. Tzetzes hat sich seinen Kommentar zu den Aves
aus den ihm vorliegenden reichen .Scheuen selbst zusammengestellt.
Vieles hat er unverändert abgeschrieben, anderes willkürlich verändert,
zusammengezogen oder weggelassen. Im ganzen stimmen seine Schollen
mehr mit Cod. Venetus als mit dem Ravennas überein.
R. de la Villeherv^, Lysistrate comedie d'Aristopliane. Paris
1896.
Die Lysistrate wurde in Paris zum erstenmal „ä la Comedie Pa-
risienne par le Theutre des Poetes, Directeur Charles Leger" am
23. Dezember 1895 aufgeführt. Das vorliegende Bändchen enthält die
gereimten Verse, welche den Text der antiken Komödie beiläufig wieder-
geben. Bei der Vergleichung einiger Partien mit dem Texte fand ich,
dal! vom Originale manches wegblieb, wälirend sich an anderen Stellen
manches hinzugesetzt findet, wahrscheinlich aus Versnot. Auffallend
waren mir auch einige Dunkelheiten, die das Publikum unmöglich ver-
standen haben kann. Z. B. v. 231 : oO jTrj-JOfJLat Xeatv" im Tupoxv/^aTioo?
wird übersetzt: et les lionnes des couteaux y sont en yain. Dieses vain
muß sich nämlich reimen mit dem nächstfolgenden je boirai de ce vin.
Villeherve entschuldigt sich in einer Schlußnote S. 98 wegen solcher
Stelleu und nennt auch spezieil den angetühi'ten Vers seines Textes „in-
intelligible". Geschmackvoll kann ich dies nicht finden. Sieht man von
der Treue der Übersetzung — „traduction" sagt Villeherve — ab, so
wird man anerkennen, daß sich viele Verse leicht und augenehm
lesen. —
Aristophane, Lysistrata. Traduction nouvelle avec une intro-
duction 61 des notes par Ch. Zevort. .Edition ornee de plus de
100 gravares pav Notor. Paris 1898.
Das Bändchen enthält eine in Prosa gehaltene Übersetzung der
Lysistrata mit kurzer Einleitung über das J. 412 v. Chr., in welchem
das Stück aufgeführt worden sei. Vielmehr 411! In einem Anhange
werden dem Leser die notwendigsten Anmerkungen an die Hand gegeben.
Die .'Ausgabe macht durch die glänzende Ausstattung mit mehr als
100 zierlichen Nachbildungen von Vasenbildern, die irgend ein Wort
oder eine Situation des Dramas zu erläutern geeignet sind, einen sehr
eleganten Eindruck. Da aber die Auswahl des Stückes und der Vasen-
bilder augenscheinlich mit der Absicht getroffen ist, Frauen als am
meisten anziehend darzustellen, wenn sie am wenigsten anziehen, hat
man zunächst den Eindruck, daß dieses Buch nicht sowohl der philo-
250 Bericht über die Literatur der giiechischcn Komödie. (Ilolzingcr.)
lüg-iscbeu Ausbildung der französischen Jugend, als vielmehr der An-
regung älterer Knaben gewidmet sei. Ich trat darum an die Über-
setzung mit geringen Erwartungen heran, fand aber bei einer geuauen
Vergleichung der ersten Scenen mit dem griechischen Texte, daü dieser
zwar vieltach unnötigerweise nur paraphrasicit , im ganzen aber doch
hinreichend genau wiedergegeben ist. Denjenigen, die das Bändcheu
ohne philologische Nebenabsichten geniel.leu wollen, wird es jedenfalls
viel Vergnügen bereiten. Herrn Notor, der die Vaseubilder beisteuerte,
halte ich übrigens bis auf weiteres für die leicht durchsichtige Maske
eines sehr bekannten Vasenkeuners. Sollte ich damit im Unrechte
sein, so wird mir Herr S. ß., den ich meine, wohl verzeihen. Einzelne
Mängel, die ich an der Übersetzung bemerkte, übergehe ich. —
R. Y. Tyrrell, Adnotatiunculae. Class. Rev. VI, 1892, p. 302.
Aus Aristoph. wird nur Lysistr. v. 111 — 116 behandelt. Kalonike
sagt dort: i^tb os 7' av xav wjirEpsl <\iilzx7.'i öoxu» | ooüvai av £[j.au-^j rapa-
TSfjLoüja Orjixiau. — Im vorhergehenden hatte Myrrhiue um des lieben
Friedens willen ein scheinbar großes Opfer auf sich zu nehmen ver-
sprochen, dessen Leistung ihr aber in Wahrheit nicht schwer gefallen
wäre. Das Gleiche muß wohl auch den bis jetzt noch nicht ganz er-
klärten Worten der Kalonike zu Grunde liegen. Es handelt sich dabei
namentlich um <];r^tTa, wie die Wiederholung des Wortes in v. 131 be-
weist. Tyrrell geht nicht von diesen naheliegenden Überlegungen ans,
sondern bezieht die v. 115—116 auf den Namen der Kalonike. Diesen
will sie entzweischneiden lassen und die eine Hälfte, nämlich vixir], bei-
steuern. — Ich wende dagegen ein, daß der Name KaXovtxTj dem Zu-
schauer nur aus v. 6 bekannt war, und daß er daher für das Vei'ständnis
eines derartigen Wortscherzes hätte besser vorbereitet sein müssen. —
A. Ruppersberg, Der Bogenwettkampf in der Odyssee. — Neue
Jahrbücher für klass. Philologie. (Bl. 155.) 1897, p. 237. —
Der Verfasser behandelt gelegentlich Ar. Thesmoph. 49 ff. . . .
opuo'xou? TiOevai opaixaxoc ap/a';. — Breusing, Nautik der Alten, Bremen
1886, p. 31 hatte hier opuo/oi als Schiffsrippen oder Spanten erklärt.
Ihm gegenüber bezeichnet Ruppersberg die opuoyoi als Kielhalter oder
Stapelblöcke. Mit Recht weist Ruppersberg darauf hin, daß das Auf-
stellen der Kielstützen bei dem Zimmern eines Schiffes dem Einfügen
der Schiffsrippen in den Kiel vorangehen muß und beruft sich dabei
auch auf Apollon, Ehud. I, 723. —
U. v.Wilamo Witz -Mollen dor ff, Lesefrüchte. Hermes XXXIII,
1898, p. 517.
Statt der bisher nicht genügend aufgehellten Aposiopese bei
Ariötoph. Thesm. 536: et ixev ouv xij eixtv — hatte bereits ßergk den
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolziugcr.) 251
Gedanken vermutet: si [xsv oüv l'jri xist;. Wiiamowitz stellt jetzt st.
Ti; i'jTiv die Vermutung auf: TstJc^Oe -f. —
lu einer Beilage zu „Aristot. und Atlicu" II, S. 343 ff. tritt von
Wiiamowitz für die Autführung der Lysistr. und der Thosmoph. an
den zwei Festen des J. 411 mit guten Gründen ein und gibt „als
Fostille" die beiden wichtigsten Lieder der Thesmopli. in metrischer
Abteilung und kurz erläutert, vss. 313 — 380 und 353 — 371.
C. 0. Zuretti, Osservazioni air Alcesti di Euripide ed alle Tesmo-
foriazuse di Aristofane. — Rivista di filologia XXIX. 1901, p. 529—566.
Der erste Teil dieser Arbeit bezieht sich auf die Alkestis des
Euripides und fällt daher nicht in den Bereich dieses Berichtes. Der
zweite Teil der Abhandlung p. 554 — 556 hängt nur äußerlich mit dem
ersten Abschnitte zusammen und beschäftigt sich mit der kritischen
Besprechung einzelner Stellen der Thesmophoriazusen. — Der Verfasser
behandelt 35 Textprobleme dieser Komödie uud stellt sich dabei auf
einen streng konservativen Standpunkt. In den Versen 32, 38, 91, 96,
106, 150, 212, 284, 386. 715 nach Velseus Zählung, also in zehn
Stellen wird mau den für die Beibehaltung der handschriftlichen Über-
lieferung vorgebrachten Gründen kaum beistimmen können. Hingegen
an 16 Stellen und zwar in den Versen 23, 74, 172, 242, 273, 283. 390,
391, 411. 575, 754, 851, 918. 1083—1085, 1179, 1218 wird die Les-
art des Codex Ravennas in überzeugender Weise verteidigt. Au sechs
Stellen schließt sich Zuretti den Konjekturen anderer Gelehrten au,
nämlich in den Versen: 10, 18, 162, 294, 625, 761. Außerhalb dieser
Kategorien führe ich drei Stellen au, bei deren Behandlung die Aus-
führungen des Verfassers einen höheren Grad der Bedeutung erreichen.
Für V. ö6 schlägt Zuretti die Fassung vor: vfj xov llojcioüi xal Aia,
öixYjv av ::ai%i;. Bei 6ixt,v vermißt man die Bestätigung des wichtigen
Unistaudes, daß die Bestrafung des Euripides durch die Frauen eine
wohlverdiente sei, während /Iit. hinter llojaiow überflüssig ist. —
Ebensowenig bin ich mit der Behandlung des v. 134 einverstanden.
Gegenüber der Lesart des Codex E,: vsavb/', ci' xi; et veilaugt Zuretti:
vcaviV/' ^xi; ei, indem er meint, der Witz liege in der Anwendung des
Femininums y;xi;, während veaviV/' als doppelsinnig, nämlich entweder
als vtavaxs oder als vsavijxr) aufzufassen sei. Aber der Gedanke, dall
Agathoii möglicherweise ein Mädchen sei, wird erst in den folgenden
Versen erörtert, und ich würde daher das y von veaviV/' als eine
bloße Verlesung aus x betrachten, so daß auf der Grundlage der Kavenna-
tischen Schieibung vsavisx', ei'xts et als Vorbereitung tür das folgende her-
zustellen wäre. Meinen Beifall hat dagegen die Behandlung des v. 258,
wo Zuretti xes aX/j -epiOexo; licit uud tjoI ganz richtig durch (xirpa erklärt. —
252 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. Cllolzinger.")
The Frogs of Aristophanes adapted for Performance by tlie
Oxford University üraiiiatic Society 1892, with an p]ng:lish version
partly adapted from that of J. Hookham Frere and partly written
by G. Hogarth and D. Godley. Oxford.
Das Buch enthält den griechischen Text mit prosaischer tlber-
setzung des Dialoges; hingegen sind die lyrischen Partien des Originals
mit ähnlichen Rhythmen im Englischen wiedergegeben. Der Text beruht
im ganzen auf Merrys Ausgabe der Frösche. Zu Zwecken der sceni-
schen Aufführung wurden bedeutende Kürzungen vorgenommen, nament-
lich an solchen Partien, auf deren Verständnis bei den Zuschauern
nicht zu rechnen war. Die Übersetzung beruht so viel als möglich auf
J. Hookham Freres Übertragung. Alle lyrischen Partien aber wurden
neu übersetzt, um sie der schon im Drucke vorhandenen Musik von
Dr. Parry anzupassen. Auch au den Dialogpartien Hookham Freres
wurde geändert, weil seine Paraphrase den Text allzusehr verlängert.
Manches hatte Hookham Frere übergangen. So z. B. die ganze Partie
über das Xrjxui)tov. Dies hat Hogarth neu übersetzt und zwar sehr an-
sprechend. Von ihm stammt auch die Übersetzung des Froschchores
und der Parabase, während die Parodos Claxy' tu "lax/s) und die
Schlußode des II. Aktes v. 680 ff. von D. Godley übersetzt sind.
Eine kurze, aber beachtenswerte Einleitung zu dem Stücke hat Hogarth
geliefert. In seiner Begeisterung für Aristophanes geht er so weit,
ihn als deu größten Dichter Athens und als den größten Komiker
aller Zeiten zu bezeichnen. Der tragische Thron hingegen «ei seit dem
Streite des Aischylos und Euripides längst anderweitig vergeben worden.
Wie englische Leser dieses Rätsel lösen, dürfte nicht zweifelhaft sein. —
Aristophanes: ßauae edited by F. G. Plaistowe, London 1896.
Aristophanes: Ranae. A close translation with test papers
by G. Plaistowe, London 1896.
Der griechische Text des ersten Bändchens beruht auf Bergks
Ausgabe. Als Quellen für die kleinen Anmerkungen sind die Kommen-
tare von Kock, Blaydes, Fritzsche, Merry, Green und Paley genannt.
Die Einleitung enthält eine kurze Übersicht über die Geschichte der
attischen Komödie mit besonderer Berücksichtigung des Aristophanes,
schließlich eine Inhaltsangabe des Stückes. Auffallend war mir eine
Bemerkung auf S. 11, nach welcher die jugendlichen Leser, auf welche
diese Schulausgabe berechnet ist, die Einführung des Froschchores als
eine originelle Idee des Aristophanes betrachten müssen, während doch
der Dichter hierin den Magnes zum Vorgänger hatte.
Das zweite Bändchen enthält eine Übersetzung in Prosa. Die
Test Papers, die der Titel ankündigt, füllen zum Schlüsse des Bändchens
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 2b6
3 Seiten, 46—48, uud sind Prüfungsfrageii über den Text uud den
Stoff des Stückes.
J. van Leeuwen, Over de strekking en samenstelling der
Kikvorscheu van Aristophanes. — A'erslagen en Mededeelingen der
Kon. Akad. van Wetenschapen. Amsterdam 1896. — Afdeeliug
Letterkunde XII, 3, p. 302—321.
Der Inlialt dieses Aufsatzes ist, wie van Leeuwen auf p. 1 der
Prolegomena zu seiner in demselben Jahre erschienenen Ausgabe der
Frösche angibt, „sine ullis fere mutationibus" in jene Einleitung über-
gegangen. — Interessant wären wohl einige Bemerkungen über diesen
Aufsatz, die in demselben Bande S. 299 — 301 leider ebenfalls in
bolläudischer Sprache zu lesen sind. Daraus ist mir ein Urteil Nabe rs
verständlich, daß zwar bei den Nubes Spuren einer Umarbeitung deut-
lich seien; bei den Ranae aber seien sie nicht zu finden: Bij de Nubes zijn
de sporen van een omwerkiug duidelijk; bij de Ranae zijn zij niet te vinden.
The Frogs of Aristophanes translated by E. W. Huntingford,
London 1900.
Die in gereimten Versen abgefaßte Libersetzung ist oft nur eine
Paraphrase. Z. B. für opa/[i.ac v. 176 wird Shillings gesetzt, für e;
xopaxa; v. 187 Crimea. -Die Introduction S. 5 — 11 enthält nur eine
Inhaltsangabe des Stückes. Gelegentliche Fußnoten unter der Über-
setzung geben einige Scholienbemerkungen wieder. —
H. F. Wilson, The „Frogs" of Aristophanes at Oxford. —
The Academy vol. XLI, 1892, No. 1035, pag. 237. — London.
H. F. "Wilson berichtet in diesem Artikel über die Aufführung
<ler „Frösche", welche in Oxford am 24. Februar 1892 in griechischer
Sprache stattfand. Die Auffühiung w'ird von Wilson als so sehr ge-
lungen geschildert, daß sie selbst diejenigen Zuschauer, die des Griechischen
nicht mächtig waren, zu fortwährender Heiterkeit hinriß. — Übrigens
war das Textbuch, das man sich wohl in der Hand vieler Zuhörer zu
denken hat, mit einer englischen Übersetzung ausgestattet, welche zum
Teile der Übersetzung von J. Hookham Frere entlehnt, zum Teile von
(i. Hogarth und D. Godley für die spezielle Gelegenheit neu bearbeitet
war. — Besonders erheiternd scheint in Oxford die Scene gewirkt zu
haben, in der Charou den Dionysos in der Handhabung des Ruders
unterweist uud die Prüfung des Dionysos und des Xanthias durch die
ihnen aufgemessenen Prügel. —
H. E,. Fairclough, An important side of Aristophanes' criticism
of Euripides. — Transactions of the American philological association
XXVII, 1896, July, p. XIX-XX. —
w54 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
Faireclough, Professor an der Leland Stanford Ir. TTniversity,
ueht in seinem Vortrage, dessen Auszug die „Proceedings" bringen,
genau auf die Kritik ein, welche Aristophanes namentlich in den
„Fröschen" an Euripides übt. Außer den von den Kommentatoren be-
tonten Hauptpunkten hebt Fairclough mit Recht hervor, daß Aristo-
phanes auch auf einige intimere Züge der Euripideischen Kunst Rück-
sicht nimmt, auf das Ausmalen sinnlicher Eindrücke für Aug und Ohr
z. B. bei der Beschreibung des Meeres, spielender Delphiue, zwitschern-
der Eisvögel, oder bei der Darstellung von Tag und Nacht. Hervor-
gehoben wird die Farbenfreudigkeit des Euripides und der Reichtum
seiner Sprache bei Beschreibungen. — Gewußt haben dieses alles natür-
lich schon die Alten, wovon der Bios Zeugnis ablegt, wenn er den
Euripides sich mit Malerei beschäftigen läßt. Immerhin wird der Vor-
trag Faircloughs, der sich als einen Teil des Werkes: The attitude of
the Greek tragedians toward nature (published by Rowsell and Hut-
chison, Toronto, Canada) ankündigt, für manchen Erklärer der
.Frösche" nützlich zu lesen sein. —
C. 0. Zuretti, Sofocle nelle ,,Rane" di Aristofaue. — Atti
della R. Accademia delle scienze di Toriuo XXXIII, 189.^, disp.
15a, pag. 1058—1066. —
Zuretti bekämpft in dieser lesenswerten Abhandlung die Ansicht
derjenigen, welche meinen, Aristophanes habe den Plan zu seineu ßatrachoi
zu einer Zeit entworfen, als Sophokles noch lebte, habe aber seine
Komödie vollendet und entsprechend adaptiert, als Sophokles noch vor
uen Lenäen 405 starb. Zuretti vertritt demnach die Anschauung, daß
der Plan des Stückes und der Antrieb zur Abfassung desselben auf
dem nach seiner Ansicht in der zweiten Hälfte des J, 406 erfolgten
Hinscheiden des greisen Sophokles beruhe. Das Drama sei, wie natür-
lich, auf dem Gegensatze zwischen derAschyleischen und derEuripideischen
Kunst aufgebaut, während Sophokles sowohl wegen der ausgeglichenen
Milde seines Wesens (suxoXo;) und seiner eine glückliche Mitte ein-
lialtenden Kunstrichtung als auch, weil er als politischer Charakter nicht
hervorragte, als gegensätzliche Figur nicht wohl verwendbar war. Denn
Aischylos trage in dieser Komödie namentlich infolge seiner tüchtigen
politischen Gesinnung den Sieg davon. Auch der Umstand, daß dem
Aristophanes nur drei Schauspieler zur Verfügung standen, habe übrigens
dazu beigetragen, daß der Komiker den Sophokles überhaupt nicht auf
der Bühne erscheinen lasse. Gleichwohl sei die Rolle, welche Sophokles
in diesem Stücke spiele, wenn auch kurz, was die Zahl der ihn be-
treffenden Verse anlangt, so doch in keiner Weise unbedeutend. Zuretti
stützt sich auch auf die Erzählung, daß Sophokles seiner Trauer um
den Tod des Euripides bei dem Proagon des J. 406 Ausdruck ver-
Bericbt über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 255
liehen habe und meint nnn, Aristophanes habe unmittelbar hierauf
(Ümmcdiatamente S. 1060), als die pietätvolle Haltung des Sophokles
pe^enüber Euripides noch in frischer Erinnerung- war, ihn nicht auf
der ßüline in vollem Gegensätze zu Euripides vorführen können. Zu-
dem könne eine Stelle, wie v. 868—869, wo es heißt, daß die tragische
Kunst mit Euripides geetoiben sei, weder zu Lebzeiten des Sophokles
gesclirieben, noch auch späterhin plötzlich eingeschoben worden sein,
da sie mit der Handlunt; des Stückes, der beabsichtigten Abholung des
Euripides ans der Unterwelt, zu enge verflochten sei. Und gerade diese
Absicht des Dionysos verbinde die beiden Teile des Stückes zu einem
Ganzen. Wenn nun aber der erste Teil des Stückes wegen der Be-
ziehungen auf die Schlacht bei den Arginusen (v. 33. 191) erst im
Herbste des J. 406 abgefaßt sein könne und eben dasselbe auch von
dem zweiten Teile gelten müsse, weil er mit dem erstcren enge zu-
sammenhänge und Übel dies auch noch den Alkibiades berücksichtige,
so ergebe sich hieraus der Schluß, daß Aristophanes die ßatrachoi
etwa in den letzten drei Monaten des J. 406 unmittelbar nach dem
Tode des Sophokles begonnen und bei seiner großen Leistungsfähigkeit
auch rechtzeitig vollendet habe, um die Aufführung an den nächsten
Lenäen noch zu ermöglichen.
F. Allesre, Uue scöne des ..Grenouilles" d'Aristophane. —
ßibliotheque de la faculte des lettres de Lyon, tome V, 1888,
Melange grecs. par Cucuel et AUögre, pag. 93 — 102.
Allegre meint, daß nach v. 238 /öti" aüxiV r/xu'}'«; £pei das
folgende: ^pexsxexe; xoa; xoa; zwar den Fröschen zuzuweisen sei, aber
gleichzeitig habe Dionysos die in v. 238 enthaltene Drohung erfüllt.
Das Gleiche wiederhole sich bei v. 2öü. Dieser v. 250 [■ipexsxexs;
xtX. (Zählung nach Dindorfs Oxf. Ausg.) gehöre aber dem Dionysos
„se soulageant avec bruit tont en parlant". Und abermals verhalte es
sich so mit v. 261 und dann noch einmal bei v. 267, Bei dem v. 250
habe eine Parepigraphe: oi-oTiEpööTat auf dieses jeu de scene aufmerksam
gemacht. V. 251: tou-1 -ap' 'j[i.äJv Xot}x3avu) übersetzt Allegre durch:
„En voiKi un que vons ne chanterez pi:s." — Meines Erachtens ist
dies eine ganz ungerechtfertigte und auch unmögliche Überladung dieser
berühmten Scene mit Unflätigkeit. Für v. 239 kann man zugeben,
daß Dionysos den Naturlaut der Frösche parodieit. Vielleicht imitierte
der Schauspieler den Ton, indem er in die Hand blies. Aber nun bei
V. 250 und 261 zweierlei gleichzeitig zu leisten und dazu vielleicht
auch noch zu rudern, ist einfach eine physische Unmöglichkeit. Und
die Worte: toutI t.i^ ufKÖv Xapißotvoj können dasjenige nicht bedeuten,
was Allegre in sie hineinlegt. — Allegre meint auch, otappa^T^jop-ai in
V. 256 und sogar x£xp7;op.ai (v. 264) und Charous -aue, -aus (v. 269)
256 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uoizioger.)
seien ebenso viele Aüempfehlungen seiner Ansicht. Denn x£xpace-ai
sei dem epei in v. 238 gleichzusetzen, nur sei es ein stärkerer Aus-
druck. Darum, daß Dionysos die quakenden Frösche durch Schreien
zu übertönen suche, handle es sich in der ganzen Scene nicht. Daus
cette scene les grenouilles et Dionysos ne luttent pas ä qui criera le
plus fort. Les grenouilles coassent seulement. Dionysos coasse aussi,
mais le brek^kekex qu'il repote n'est qu'un accompagnement, une ono-
matopee du bruit malhonncte par lequel il repond u. s. w. —
Explicatur locus in Aristophanis Ranis controversus. Scr. J. van
Leen wen. Sylloge commentat. quam Constantino Conto obtulerunt
philologi Batavi, S. 65—68. Lugd. Bat. E. J. Brill, 1893. — Lex. 8.
J. van Lceuwen behandelt Ran. 1109 fF.: sjxpaxsuixEvoi ^ap
£131, I ßi^Xiov z r/wv Ixaatoi [xavöavst ra 6e?ia • | ai cp'Jieu t' aXXw; xpa-
Tiatai, vüv ok xal rapYjy.ovr, vtai -/.tX. Nach Leeuwens Ansicht gehört
die ganze Stelle 1109—1118 der zweiten Aufführung der Ranae au.
In der ersten Auftührung au den Lenäen hätten die Batrachoi wegen
der Parabase, der lyrischen Chorgesänge und wegen der Rolle des
Dionysos in der Unterwelt den Preis erhalten. Auch der Wettstreit
der beiden Tragiker habe sehr gefallen; aber viele hätten sich doch
darüber beschwert, daß man sich nicht rasch genug in den aus dem
Zusammenhange gerissenen Tragikerversen zurechtfinden könne. Auf
diesen Teil des Publikums nehme nun Aristophanes bei der zweiten
Aufführung der Frösche an den großen Dionysien desselben Jahres Be-
zug. Die Batrachoi seien nach der ersten Aufführung in zahlreichen
Exemplaren verkauft worden. Das Publikum habe sich also in der
Zwischenzeit von zwei Monaten, die zwischen beiden Aufführungen lag,
eingelesen. Leeuwen meint sogar, daß die Tragikerverse in diesen
Exemplaren durch Citate näher bestimmt gewesen seien. Aristophanes
sage nun an dieser Stelle, daß die Zuhörer das Exemplar der Frösche
in der Hand hätten; daher seien sie im stände, auch dem schwierigen
Teile des Stückes mit Leichtigkeit zu folgen. Oder wenigstens gebe
Aristophanes vor, dergleichen anzunehmen. Das schlaue Lob der Auf-
fassungskraft des athenischen Publikums diene natürlich dazu, die Tadler
zu gewinnen und zu beschwichtigen. F. W. Hall, Class. Review, 1897,
XI, p. 357 lehnt in der Kritik über Leeuwens Ausgabe der Ranae
diese Erklärung der Stelle ab und sagt: „Everybody has bis book"
was a phrase something like our „the schoolmaster is abroad". I give
the Athenians credit for more humour. Jedenfalls ist Leeuwens Hypo-
these nach mehreren Seiten hin bedenklich. Was konnte gerade dem
naiven und unliterarischen Zuhörer, also der großen Masse, die an den
Dionysien stark mit Fremden gemischt war, daran gelegen gewesen sein,
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger^) 257
za wissen, ob eiu Vers z. B. 1320 aus dei* Hypsipylc stammte, oder
ans einem anderen Stücke des Euripidcs? Und der literarisch gebildete
Leser bedurfte wieder gerade dieser Gattung von Nachhilfe nicht.
Auch reichte die Zeit von zwei Monaten kaum hin, um eine Edition zn
einem bestimmten Zwecke in einer wirksamen Anzahl von Exemplaren
zu veranstalten und unter das Publikum zu bringen u. s. w. — lo
seiner 1896 erschienenen Ausgabe der Frösche hat Leeuwen seine An-
sieht über diese Stelle abgeändert und behauptet nun dort p. VIII, es
sei das Stück paucis diebus post primam commissionem ein zweites Mal
gespielt worden und die Voraussetzung von Exemplaren in den Händen
des Publikums sei nur ein Seherz des Dichters. Aber auch bei dieser
neuen Annahme bleiben noch genug Schwierigkeiten übrig.
A. Sonny, Einige Bemerkungen zu Aristophanes' Fröschen
(Russisch). Philologitscheskoje Obozrjenje (Russische philologische
Rundschau) IV, 1893, S. 189—194.
Sonny behandelt 8 Stellen polemisch gegen Kock. 1. In v, 19
soll Tpa/T)Xoc in erweiterter Bedeutung auch die Kehle mitumfassen, so
daß TC) oe 7eXoTov oux epei dadurch gerechtfertigt sei. Sonny stützt sich
dabei auf Equ. 490, wo er toutioi als instrumentalen Dativ auffaßt und
auf einen Schluck Wein (vgl. Equ. 101) bezieht, so daß auch dort
TpdyriXoj die Kehle bedeute und mehrere Ausdrücke nur in scherzhafter
"Weise an einen Ringkampf erinnern sollen, der doch nur durch Reden
auszukämpfen sei. Wenn man schon tpay7]Xo; in erweiterter Bedeutung
nimmt, um wegen des Parallelismus der Konstruktion (jxev — 3e) die
dritte Person epsi zu retten, so würde ich die Bedeutung des Tpa-/Tr)Xoj
nicht nach vorne, sondern auf den Rücken, mit dem das Gepäck ge-
tragen wird, und dann weiter nach abwärts sich erstrecken lassen, wo
der Rücken seinen ehi liehen Namen verliert. Dann tritt Ipet mit
9Xiße-cai V. 20, v. 5, Trt£^o|xai v. 3 und aK0TrapöiQ50[jLat v. 10 in einen
drastischen Zusammenhang. Vgl. v. 237 Tcptuxxo? — ipsT. — 2. Direkt
ablehnen müßte ich, daß in v. 295 ßoXiuvov das durch Eselmist be-
schmutzte Bein bedeuten solle, da doch der Eselmist ovt? heißt. Vgl.
Pac. 4. — 3. In v. 301 !,'&" T^rep l'pyei sieht Sonny eine an die Empusa
gerichtete Beschwörungsformel (Philostrat. vit. Apoll. II. 4), welche
Xanthias bei seiner lächerlichen Feigheit, die nicht geringer sei als die
des Dionysos, erst aussprach, als sich das Gespenst ohnedies schon ent-
fernt hatte. Dies ist nicht unmöglich, aber nicht notwendig anzunehmen.
4. In v. 347 liest Sonny o>|i,(uv statt etcüv, was ich ablehne. 5. Für
T. 405 empfiehlt Sonny toos to (javoa)acjxov und versteht es von dem ge-
flickten Schuh des Choreuten. Man vgl. Kocks Bemerkung in der 4. Auf-
lage. 1898. — 6. Au der Schreibung von 683—684 hält Sonny fest
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) H
258 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
indem er eine Parodie nach des Euripides Alkmene (vgl. Kock zu v. 93)
vermutet. Nur ßo(p[>apov könne dem Tragiker nicht angehört haben, was
ich nicht zageben kann. — 7. In v. 914 bedeute epei'öctv „mit An-
strengung vortragen", was sich durch Wo. 1375, Ri. 627 anempfiehlt.
8. Für V. 1001 vermutet Sonny apei? (vgl. Ran. 378) statt a^sic, schwer-
lich in glücklicher Weise. — Ich bemerke schließlich, daß ich für das
rasche Verständnis dieser Arbeit Herrn Hofrat Alfred Ludwig in Prag
zu großem Danke verpflichtet bin. —
Freerne, Komedie af Aristofanes, oversat af P. Petersen. Kopen-
hagen 1894.
Dies ist eine dänisclie Übersetzung der , Frösche" mit drei Seiten
Einleitung und einigen Anmerkungen. —
J. van Leeuwen, Ad S. A. Naberum diera quo ante a. XXV
munus acad. iniit laete celebrantem de Aristoph. Ranis ep. crit. —
Mnemos. NS. XXIV, 1896, p. 99 — 113.
Der erste Abschnitt dieser Abhandlung umfaßt 8 textkritische
Vorschläge, die ich nicht billigen kann. Leeuwen liest in v. 48:
aT:oSTf)}j.erc, v. 305 — 306: yj ''E|XTCouja 'fpo'Jor|. — xaxojxoaov [xot xov Ata | vyj
-cöv Ar. — aufti? 7.ar6|jLoaov. — vy) tov Aioc. — In der unmetrischen Über-
lieferung des V. 324: 'laxy', w roXuTiixT^TOt; £v söpai» evöaös vaiuiv, ersetzt
L. TroXuTi|ji,T(^Toic durch TroXuu'fAvoi;. Meines Erachtens hat man nur das
überflüssige und als Glossem eingedrungene h wieder zu entfernen. Ich
lese also: TroX'jTtixrj :oic sopai? evilaös vai'wv, was einige Handschriften und
auch Theodor Bergks Ausgabe darbieten. Bezüglich des auaklastischeu
Schemas dieser loniker ist auf v. 330 zu verweisen: arEtpavov ix'jpxwv,
i^paasi ö' £7/.aTa/po'j(i>v und bezüglich der Responsion auf 327: o^iouc ej
i^iaacoxas und v. 344: cpXs7£xai öyj 9X071 Xsifxtuv, Überdies vgl. W. Christ
in der Metrik 8. 497. — In Ran. 554 schreibt L. Ttavd' TjjxicußoXtaia»
V. 674: £7:1 ßocpriocpov i^ofJLEvr) ttixuXov, v. 925: [xop|j,ov(uxa, 1038: xov-
xüivov EjxeXX' iirioiQCJEiv und die v. 609 — 611 xaXXoxpta gibt L. dem Tor-
wärter und [XTj aXX' uTrEO'puä dem Dionysos, v. 612 wird gestrichen. —
Gelungen ist in dem zweiten Abschnitte die Erklärung einiger Stellen^
bei denen die scenische Aufführung zu berücksichtigen ist. In v. Sft
erledigt sich nach Leeuwen die Nachfrage über Pythangelos durch eine
wegwerfende Handbewegung. Die dreimalige Begrüßung yaip' <u Xapmv
in V. 184 erklärt Leeuwen durch die Schwerhörigkeit des Alten. Die
drei Begrüßungen sind mit wachsenden Stimmmitteln vorzutragen. Ich
möchte dabei auch auf das mürrische Wesen des Charon Gewicht legen,,
weil sich nur so das zu dieser Stelle angemerkte Citat aus dem Satyr-
drama des Achaios vollständig erklärt. Daß Aristoph. in diesem Scherze
nur zufällig mit Achaios zusammentraf, möchte ich Leeuwen nicht zu-
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 259
geben. A.nch halte ich die von ihm vorgeschlagene Zuweisung des
ersten Grußes an Dionysos, des zweiten an Xanthias und des dritten
an beide zugleich nicht für notwendig. — Sehr beachtenswert ist die
Auffassung des v, 257: oifiw^E-' . ou -/ap jxot \xi\ti: in malam rem abite;
uon enim eure, quid de vobis fiat. L. schließt sich bei dieser Erklärung
an Hermann an und liilJt bei dem oijxwCe-e den Dionysos sehr passend
zu einem Scillase mit dem Ruder ausholen, t'berzeugend ist auch die
Zuteilung der Worte: -plv xat ■{vpwh'xi in v. 1185 an Dionysos und
zwar in spöttischem Fragetone, als hätte -plv cpüvai nicht mit AttoXäiov
I97] zusammengehangen, sondern mit aTtoxreveiv. — Weniger befriedigt
die Bemerkuug zu v. 36, daß das Hans des Herakles nicht in Athen
zu suchen sei, sondern anderswo; aber man könne den Ort nicht be-
stimmen. Auch bei v. 301 stimme ich nicht mit L. überein, wenn er
die Worte iH' 7]itep ep/si dem Dionysos zuteilt und an den Xanthias ge-
richtet sein läßt. Richards in der Class. Review, XV, p. 389 meinte,
daß Xanthias mit diesen Worten das zurückweichende Gespenst Empasa
anspreche. Beides ist unrichtig. Vielmehr gibt Xanthias seinem
Herrn in rascher Abfolge einander widersprechende und darum lächerlich
wirkende Ratschläge.
Im dritten Abschnitte erklärt Leeuweu 'i-/rpa\ivi in v. 216 nach
Kuhnken als gnomischen Aorist. Da zur Zeit der Leuäen im Gamelion
die Frösche noch nicht quaken, sei die Fiktion natürlich, daß sie sich
zu dieser Zeit noch in der Unterwelt befänden. Dort erinnern sie sich
daran, daß sie am Chytrenfeste , also im Authesterion, im Dionysos-
bezivke zu quaken pflegen (v. 218). Die Auffassung, daß es sich hier
um die Seelen abgestorbener Frösche in der Unterwelt handle, lehnt
Leeuwen ab. Gut ist auch die Bemerkung zu v. 362 über Thorykion.
Dieser Mann habe seine Stellung als Eikastologos mißbraucht, um
Kriegskonterbaude von Aigina nach Epidauros zu schwärzen, und hierbei
sei er aufgegriffen worden. Aus der Steile sei nicht mit Boeckh-Fraenkel
(I^ p. 396 und Anm. 537) zu folgern, daß Thorykion Zollpächter in
Aigina gewesen sei. — Ablehnen muß ich die Erklärung von uTie/cupTj^ev
Toü T^povo'j in V. 790. Leeuwen verweist auf v. 767 rapaytopsTv und gibt
ihm die Bedeutung: in sellam recipere. Aischylos mache dem Sophokles
neben sich auf dem geräumigen Throne Platz. Der Behandlung, welche
Kock dieser Stelle in dem Anhange zu seiner neuesten Auflage (1898)
des Stückes gibt, schließe ich mich ebensowenig an. — Der Aufsatz
van Leeuwens bildet mit seiner Fortsetzung (s. d.) eine Grunllage
seiner im J. 1896 erschienenen Ausgabe der Frösche. —
J. van Leeuwen, Ad Aristophanis Ranae. Mnemos. NS. XXIV,
1896, p. 330—344.
17*
260 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
Dieser Aufsatz ist äußerlich eine Fortsetzung der Abhandlung?
Leenwens in der Mnemos. NS. XXIV p. 99—113, bezieht sich aber zum
weitaus überwiegenden Teile auf die Scholien , die der Codex Venetus
zu den Fröschen darbietet. Zu dem Texte des Aristophanes selbst finden
sich nur 4 Bemerkungen. In v. 376 wird die La. y]pic7-:r,Ta' durch den
Hinweis auf den Umstand verteidigt, daü die Athener, die nach Eleusis
zogen, vorher ihr Frühstück einnahmen. Meines Erachtens muß man
die wichtige Notiz des Philochoros bei Athen. 464 F, auf welche Blaydes
hinweist, dazunehmen. Abzulehnen ist die Schreibung von v. 1102: o o
iiravaoxpocpYiv Trotr)Tat | xal ETrepeiOTjTai Topüi; und die Zuweisung des
süSaijjLojv ap' ^v in v. 1196—1197 an Aischylos, wobei dann L. gezwungen
ist, das folgende si xal in oux zu verwandeln. Auch die Erklärung von
V. 1296 kann ich nicht billigen, h. Mapaötüvo; bezieht L. auf die
Schlacht bei Marathon, bei welcher Aischylos sein barbarisches
phlattothratt von den Persern gelernt habe. i[jLovio!jTp69ou [lUyi seien ein-
tönige und langweilige Lieder, wie sie am Brunnen beim Wasser-
schöpfen gesungen würden. Aber ifiovioaxpomoc kann nur ein Seiler sein,
der ein Brunnenseil dreht, nicht ein Arbeiter (uoaxrj-j-oc), der das Seil
am Brunnen aufzieht. —
Von den 23 Bemerkungen, die Leeuweu den Venetusscholien
widmet, ist die Hälfte gelungen. Ich eitlere Vers und Zeile nach
Dübners Scholienausgabe. Mau schreibe mit Leeuwen schol. v. 354
Z. 19: zU H-spTQ Suo <xal Tov |xev xopucpaiov Xi'itiy Ta> dvaKaiaxa und
weiterhin Z. 22: ixspfiepiatai. — schol. 384 Z. 49: aXXu); • wc to. —
schol. 487 Z. 43: oixsiov xo aitoKav. — schol. 554 Z. 9: loiw? km xoö
dv' f^|jLiu)ß6Xiov iiüjXou|xevou. — schol. V. 645 Z. 51 : ouxoj ^dp xal xo „ou
|Ad M' — Aiofxeioic" ei; auxov eXsujsxa'.. — xtve? [xsv oxi Eavöia?, d'xe or^
'HpaxXrj? xloic ojVjXivE? oh oxi Atovujo;. — schol. v. 756 Z. 45 : auvj^Ya-cc
st. siuT^Ya-ys, — zu schol. 891 Z. 27 — 28 wird mit Recht bemerkt, daß
dieses Scholion zu v. 889 gehört und sich auf die Interpunktion nach
£u^o[jLai d£ot; bezieht. — schol. 970 Z. 30: 1. xoüxo ^dp st. xov -[dp. — schol.
V. 1212 Z. .34 — 35 L. setzt vor xadeifxevo; den Schlußpunkt und nimmt
es als Erklärung zu xdi^aTixo?, hingegen das folgende x6 ok ixEpto; xxX.
zu xadaTTxoj. — schol. v. 1400 Z. 37: Trpocpspeiv vüv st. 7:pocp£p6[X£vov. —
schol. V. 1413 Z. 14: ^dp IxEpa st. ixaxEpw. — Den übrigen Verbesseruugs-
vorschlägen vermag ich mich nicht anzuschließen. Beispielsweise er-
wähne ich, daß Leeuwen schol. 122 Z. 47 ßpoytp st. ypovo) empfiehlt.
Aber ypovw ist dadurch gerechtfertigt, daß andere Todesarten als weitaus
schnellere dargestellt werden. — Bei schol. 479 Z. 17 — 19 wundert sich
Leeuwen darüber, daß er diese Zeilen dXX(u; — TCEirXajxai in Rutherfords
Ausgabe der Scholien des Ravennas nicht finde. Aber sie stehen nicht
im Cod. R, wie ich in meiner Kollation der Ravennasscholien (1882
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 261
Wiener Studien) genau angegeben habe. Nach i}£ov empfiehlt L. ein
Fragezeichen. Aber dieser Interpunktion widersprechen die folgenden
Worte des Scholiasten: toüto oe «jc ev xtujxtpoi'x zeTrXao-rai, sc. oti oux ^v
Oeo; 0 ^tovuao;. Unrichtige Ansichten eines Scholiasten zu verbessern,
ist nicht Sache der Textkritik, — Die Scholien 579—582 Z. 42—46
gehören nicht so zusammen, wie L. sie zusammensetzt. Das Schol. 582
findet sicli nach Dübners Angabe nicht in V, wäiireud Schol. 57U darin
steht. —
Ein Beispiel für den mehrfach unberechtigten Tadel, den L. gegen
den Cod. K erhebt, um die Vorzüge des Cod. V in das schönste Licht
zu stellen, gibt die Bemerkung zu schol. 886, Z. 17—19. Hier wird
Cod. E wegen des Ausfallens zweier Scholien getadelt, die doch nach
Dindort und Dübuer aucli im Cod. V fehlen. Die drei verschiedenen
Notizen, welche diese Scholien enthalten, haben schon Dindorf und
Diibner richtig auseiniindergelegt. AVegcn des Fehlens des Scholions
1235 Z. 12 — 13 wird R insofern mit Unrecht getadelt, als eine ganz
ähnliche Bemerkung schon zu v. 1227 beigesetzt war, nämlich: a>Xa>c •
ojv/jaEi (sie) xfjV Xr,xu9ov xai aroSoc avtt ttj; «TroXüjXui'a;. Daß R das schol.
1235 Z. 14 — 17 auslässt, ist nur als Vorzug der Handschrift zu buchen,
weil dieses Scholion unsinniges Zeug enthält. Ob L. zu schol. 1235
Z. 15 mit Recht d-oXXu.xa-. vorschlägt, st. dKooiooxat, ist mir zweifelhaft.
Leeuwens Erklärung des Verses 1235 (vgl. seine Ausgabe) ist jedenfalls
verunglückt, wie Kocks Anm. beweist. —
In schol. 1245 Z. 43 ist nicht -po^iqpfjLoCe st. TrpoaeOrjxö zu schreiben.
Auch hat dieses Scholion durchaus keine Wichtigkeit. Sein Fehlen im
Cod. K ist also kein Nachteil. —
E. Graf, Zu Aristophanes Fröschen. — Philologus LV, 1896,
p. 307—317.
Graf behandelt in 7 Absätzen mehrere Stellen der Frösche. In
V. 20 wird die La. ipei gegen Cobets und Meinekes ipw in Schutz ge-
nommen. Zu der allgemeinen Bedeutung von TpdyrjXoc verweist Graf
auf einen analogen Gebrauch von öeprj bei Aischyl. Ag. 329 Weil. —
Bei der Erörterung der Prügelprobe v. 643 ff. lehnt Graf es ab, mit
Kock und Velsen eine Lücke anzusetzen oder mit Zielinski umzustellen.
Graf sucht vielmehr zwei Rezensionen dieser Partie zu unterscheiden,
indem er davon ausgeht, daß im jetzigen Texte 7 Hiebe beschrieben:
werden, 3 für Xanthias und 4 lür Dionysos und zwar so, daß jetzt
Dionysos zweimal hintereinander an die Reihe kommt. Die erste Re-
zension soll aus den Versen 642 — 661, 668 — 673 bestanden haben; die
zweite Rezension ging nach Grafs Ansicht auf Steigerungen und Ver-
gröberungen aus und bestand aus den vss. 042 — 658, 662 — 673. Auch
262 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Hoizinger.)
die 3 Sklaven der vss. 608 — 609 gehören dieser Kezensiou an. Dieses
Problem verdient jedenfalls Beachtung, mag man sich vielleicht auch
anders entscheiden. — Mit Sicherheit würde ich bei der Behandlung
der Eingangscene den Gedanken ablehnen, daß der Dichter durch den
Esel an Seilenos erinnern wolle, während Graf doch zugibt, daß
zwischen Xanthias und Seilenos nicht die geringste Ähnlichkeit bestand.
Ein Tragtier ist notwendig, um die beiden Reisenden als solche erkenn-
bar zu machen, und daß der Komiker zu diesem Zwecke einen Esel dem
edleren Rosse vorzieht, ist wohl leicht zu begreifen. Richtig ist Grafs
Bemerkung, daß der Herr darum zu Euß geht, während der Sklave
reitet, — weil Dionysos die Rolle des Herakles spielt. — Bei den
vss. 26 — 29 vertritt Graf Hamakers Athetese. So auch Leeuwen. Ich be-
trachte diese Verse mit Kock als erklärbar, halte aber an der Schreibung
des Rav. ovo; (nicht: oovoj) fest, weil hierdurch ein auf einem Doppel-
sinn beruhender megarischer Spaß gewonnen wird. — Für den Refrain
des Froschchores v 209 if. verlangt Graf die Schreibung ßpey.exy.exe^ und
schafft dadurch — allerdings mit Bentley — jambische Dimeter, Er
bezeichnet es als „hart", „wenn an diesen Stellen fortwährend trochäische
und jambische Maße wechseln". Aber der Wechsel zwischen diesen Maßen
ist hier so wenig hart, an andern Stellen der Dramatiker. Dazu kommt,
daß man die treue Nachahmung des Naturlautes der Frösche nicht stören
darf, der nun einmal keinen jambischen Tonfall hat. — In der Scene
V. 830 — 870, in welcher der Kampf zwischen Aischylos und Euripides
festgesetzt wird, sucht Graf zwei Rezensionen und zwar ,,gauz ver-
schiedener Tonart" nachzuweisen. ,,Eine spätere Zeit (!) wollte die
vielen Kraftworte nicht mehr hören (!). Das grandiose Bild des erst
schweigenden, dann wetternden, zuletzt würdig redenden Aischylos
schwindet und die beiden Dichter treten uns mehr auf gleichem Niveau
entgegen." In diesem Sinne hat Graf „die beiden Schichten" von-
einander abgehoben und hat beide ,, Rezensionen" hintereinander abge-
druckt, so daß man über seine Absicht nicht im Zweifel sein kann.
Aber überzeugt haben mich hier Grafs Ausführungen um so weniger,
als er einen bedeutenden Zeitraum zwischen beiden Rezensionen anzu-
nehmen scheint. —
F. Blaß, Zu Aristophanes' Fröschen und zu Aischylos' Choe-
phoren. — Hermes XXXII, 1897, p. 149—159. —
Es ist mehr als ein Dutzend Stellen der Ranae, welche Blaß
meines Erachtens mit wechselndem Glücke behandelt. Beachtenswert ist
für V. 269 der Vorschlag: uapa|^aXoü xw xcomtu st. t({) xtunicü, interessant
die Besprechung des Fragments aus den Myrmidonen, auf dem v. 932
beruht. — Za v. 1235 erklärt er äi:68oc einfach als „gib zurück*', in
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzingor.) 2G3
V. 1163 wird die Überlieferung iXOeiv gegen Hirschigs ^xeiv in Schutz
genommen. Der leitende Gedanke ist hier derselbe, der auch die Be-
handlung der V. 1206, 1225, 1238 (1244) beherrscht, daß nämlich
Aristophanes mit den Tragikercitaten gelegentlich sehr frei verfuhr.
Die Citate v. 1291 uud 1294 betrachtet Blal.l als zusammengehörig und
bezieht beide auf die unbestattete Leiche des Telamoniers. — Die
übrigen Bemerkungen werden wohl schwerlich Beifall finden. Blaß
empfiehlt für Ran. 13 — 15: tov::£p <I)puvr/oi; | eitufte (oder ei'iofta) Troietv
xal A'jy.iJt xa|X£i'|'i*-» | i^xsut) cpaptov exa-jroT' £v xojixujoia. — Für V. 404
schlägt er vor: tj -(äp xarasyuajxsvov l~\ ^ümzi | xic' sureXsta -coSe to
aavSaXiJxov xtä., wobei er auf Eur. Her. 201 f. opcüvra «op|jLia|X£vou; hin-
weist. — In der Ode v. 680 mißt Blaß xovla; und fügt dafür ia v. 711
Ttc vor 6pT;xia ein. In v. 790: xdtxsTvoj uir£y(upr,3£v auru) toü öpci'vo'j er-
klärt Blaß xax£rvo; als Aischylos und schreibt £r£/u»pYi7£v. Oder es sei
der ganze Vers zu tilgen als Zusatz eines Verehrers des Sophokles.
Weder die Textänderung, noch auch die Athetese halte ich für richtig.
— In V. 1227 wird airorpiü) als „kaufe ihm wieder-' erklärt. Schließ-
lich verteidigt Blaß in v. 1384 das überlieferte ixeHöitc und schreibt in
V. 1393: \ii.bs.'z, {xiÖEiTE. —
A.Willems, Sur les Grenouilles d'Aristophane. — Revue de l'in-
struction publique en Belgique. tom. XL, 1897, p. 233 — 239. —
Willems behandelt hier einige Stellen der Batrachoi. Er erklärt
es für eine glückliche Eingebung van Leeuwens, daß er in v. 301 die
Worte: iB' TQ-£p spyst und in v. 1185 das Tiplv xal ^Ei'ovfivat dem Dio-
nysos zuwies. Auch stimmt er bei, daß uuEpEruppiaje in v. 308 mit
Leeuwen nicht auf den Priester des Dionysos, sondern auf den xpoxwToj
des Dionysos zu beziehen sei, der deutliche Spuren der Furcht auf-
weise. Die Schreibung cptÄoTi[xoT£pa in v. 679 bezeichnet er als eine
coirectio paluaris des holländischen Gelehrten. Hingegen an uE-aXov
(V. 683) hält Willems fest. ettI [iapßapov eCoiaevt) TtetaXov sei eine Pa-
rodie des Homerischen : 5£v6p£u)v iv r.exdXoiit. xa»)£Co(i£vyj 7:uxivo?(jiv, nur
werde in der Odyssee (XIX, 520) von der Nachtigall gesprocl\en, Ari-
stophanes aber handle von der Sprjxia /eXiowv und der als Barbar ver-
spottete Kleophon habe ohne Zweifel eine stark entwickelte Unterlippe
gehabt. Darum also -e-caXov, das nicht einfach ein Synonymura zu
«puXXov sei. An rexaXov halte ich ebenfalls fest, ohne au die breite Unter-
lippe Kleophons zu glauben. — Au v. 655 i-d -portfi,«? 7' o-jösv; findet
Willems mit Recht nichts auszusetzen; ebensowenig an v. 665, der dem
Dionysos gehört und nicht dem Xanthias, in dessen Munde das Sophokles-
citat unpassend ist. In v. 189 heißt: joü -f o'jvsxa „deinethalben" und
ist als Grobheit Charons gemeint. Bei v. 730 ruppiai; billigt Willems
264 Bericht über die Literatur der griechiscLen Komödie. (Holzinger.)
die Erklärung des Scholiasten. In v. 839: «KepiXaXrj-o; sieht "Willems
eine Bezeichnung für denjenigen, der der Überredung nicht zugänglicli
ist. Ich halte das Wort für richtig überliefert, aber für unrichtig inter-
pretiert. Zu den vss. 718 — 733 macht Willems unter Berufung auf
Barclay, V. Head (bei den attischen Münzen p. XXVII) und auf Ba-
belon in der Revue des Etudes grecques, 1889, II, 138 die Bemerkung,
daß Aristophanes von der Emission der Goldmünzen des Jahres 407
und der Emission der Kupfermünzen des J. 406 spreche, nicht aber
von gefälschten Goldmünzen. Schließlich hält Willems mit Recht den
V. 1195 für gut überliefert und für leicht verständlich.
T; G. Tueker, Aristophanes, Frogs 1435 sqq. — Class. Review
XI, 1897, p. 302—303. —
Tueker weist auf die zwei Auffühiuugen der Frösche hin und
sieht in der Stelle 1435 — 1454 eine Kontamination zweier verschiedeneu
Passungen. Beiden geraeinsam seien die Anfangsverse 1435 — 1436 und
1442 und der Schlußvers 1454 &. Dazwischen liegen 8 Verse der ersten
Aufführung und 8 Verse der zweiten Rezension. Der einen gehören die
vss. 1437 — 1441 und 1451 — 1453, hingegen der anderen die vss. 1443
— 1450. Für vs. 1438 empfiehlt der Verl, die Schreibung deptov apai
statt ai'poiEv aupat, das doch offenbar eine Reminiszenz aus einer Tra
gödie ist. Daß v. 1442 sich an v. 1436 anschließt, ist ohne weiteres
klar, minder ist es die Folgerung betreffend die zwei Rezensionen.
Tueker hat sich nicht entschieden, welche von beiden Rezensionen die
erste und welche die zweite sein soll. Wenn die einen ernsten poli-
tischen Wink enthaltenden Verse 1446 — 1450 der ersten Aufführung
angehörten, wie durften sie bei der zweiten Aufführung wegfallen, da
doch die eng anschließenden Worte des Aischylos 1455 — 1459 stehen
blieben? Gehörten aber die vss. 1446 — 50 erst der zweiten Diaskeue
an, wie paßten dann in den Ranae priores die vss. 1455 — 59 zu 1437
— 1441 und 1451 — 53? Bierauf gibt Tuckers Aufsatz keine Antwort.
Kock hat dies alles schon vor mehr als einem Menschenalter in Er-
wägang gezogen. —
L. Radermacher, Zu den Fröschen des Aristophanes. — Phi-
lologus LVII, 1898, p. 220—230. —
Richtig wird in v. 404 lizl -/sXwti erklärt. Bei karnevalistischen
Festlichkeiten macht es immer vielen Leuten großen Spaß, wenn jemand
recht abenteuerlich zerlumpt auftritt. Daß diese „Mode" in unsei'er
Stelle „auf lakchos selbst zurückgeführt wird", sagt schon Kock, nur
ist sein Ausdruck „Mode" unpassend. Daß ein solches Lumpenkostüm,
nebenbei gesagt, auch billig zu stehen kommt, wird durch iz euxeÄöt'a
ausgedrückt. — Zu beachten ist auch bei dem Schwanken der mss. der
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 265
Vorschlag für v. 594 flf. : f,v dz 7:apaXT,p'ov aXwj r, \ xaxßaATjj xtX. , da
der Scholiast zu 595 diese Foi-ra der hypothetischen Periode zu be-
stätigen scheint. — Gut ist auch die Bemerkung, daß es im v. 730 bei
Tt'jppiai? vor allem darauf ankommt . daß nach alter Volksansicht die
Rothaarigen einen schlechten Charakter besitzen. — Nicht einverstanden
bin ich hingegen mit der Behandlung der Parodos. In v. 340 streicht
Radermacher 70p tjxsi xivotjjtov, setzt nach yepji einen Punkt und ein
Kreuz. Mit rj-eips will er den Chor angeredet wissen, wlilirend "lax^'
u) "laxys ein Ausruf sein soll wie in v. 325. Aber in v. 325 ist "Uxys
kein Ausruf, sondern ein Anruf, der sich mit dem Imperativ eXHs ver-
bindet. Den Parallelismus der Konstruktion, auf den sich Radermacher
beruft, hat er also gegen sich. — Zweifelhaft ist mir die neue Deutung
der vss. 902 — 904. Aischylos, dessen Art schon vorher (v. 848) mit
der eines Wirbelsturmes verglichen worden sei, falle (e[x-£j6vTa) über
die Reden seines Gegners her, reiße sie mit Stumpf und Stiel (auTo-
TzpejjLvou) aus der Erde (avaa-wvT") und fege (jujxsoäv!) die Bahn blunk (?).
— Für V. 929: pr^ixaft' i--oxpr,|xva empliehlt R. pufiiai)" i--oxpr,[xva. —
In den Versen 1195 — llöti schreibt R.: euoat'iJLtov ap' ^v. | ^ xajrpa-r,-
-,'rjaev 75 [xet 'Epajtvioou; bei der tTberlieferung (ä'p" rjv, si) vermißt
Radermacher ,,filr die Bedingung die Form der Nichtwirklichkeit".
Aber diese Form ist in der Überlieferung tatsächlich vorhanden, ohne
daß es bei r,v nötig wäre, ap" in av umzuschreiben. — In v. 775 bezieht
Radermacher avtiX^Yitüv auf die Gregeureden einer kunstreichen Sticho-
mythie nnd Xo^isfiol xal jtpo'fai auf den musikalischen Vortrag eines
Chorstückes oder einer Monodie. Bei anderen Stellen der Schlußscene
lasse sich ein Zusammenhang mit den Vorschriften alter Rhetoreu nach-
weisen. So würden die Tautologie und die Einführung von Flick-
wörtern bei Aristophanes als Fehler der Rede hingestellt. Die in v. 906
(ad-eia xal \i.r^-' sixo/a;) enthaltene Vorschlaft stimme mit demjenigen
überein, was Aristot. rhet. 1406b und 1410b über sixwv und äjTsTov
vorschreibe. — Die vss. 978—979 -ws . . r.oZ . . zii enthalten nach
Radermacher einen Rest älterer Topik und beweisen, daß auch in diesem
Punkte Aristoteles (vgl. rhet. II, 23 ff.) nicht ohne Vorgänger gewesen
sei. — Ich beziehe in v. 906 sixov«; auf die attische Sitte (vgl. z. B.
Aristoph. Av. 805—806), einen Gegner durch einen unfeinen Vergleich
lächerlich zu machen, daher d~-tioL hier im Gegensätze zu sixo'va? steht.
Diesen Ausführungen des Verfassers kann ich mich also ebenfalls nicht
ganz anschließen. —
J. A. Nairn, On the word -po-j^cXoufxsv (Aristoph. Ran. 730).
— Class. Rev. XII. 1898, p. 209. —
Verf. erklärt die Form 7rpouaeXoü[j.£v als eine aus metrischen
Gründen hervorgegangene Erfindung Porsons zu Aisch. Prom. 438 und
266 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (Holzinger.)
Ar. Ran. 730. Nairn verweist auf die Schreibung der Aristophanes-
stelle bei Stob. 241, 37 (Mein. vol. 2, p. 84), wo 7:pouYeXoü|i.ev über-
liefert ist. Da auch Hesych. die Glosse irpou^eXeiv • ußpfCeiv hat, nimmt
der Verf. dies zur Grundlage und konstruiert aus Tcpoo^sXoöfjLev für Aisch.
und für Aristoph. die Schreibung upojiroSoüfxev. Nairn hat keineswegs
übersehen, daß TrpoTnoooüfiev eine bisher noch unbelegte Wertform ist
und daß die gleichartige Entstehung desselben Fehlers in den Texten
beider Autoren certainly curious ist, — aber abgeschreckt hat ihn dies,
wie man sieht, nicht. —
F. Blaß, Zu Aristophanes' Fröschen. — Hermes XXXVI, 1901,
p. 310—312. —
Blaß bringt einige Vermutungen zur Erklärung und Textver-
besserung der Frösche, die vielleicht keinen durchschlagenden Erfolg
haben dürften. Er schreibt in v. 818 mit dem Vaticanus U (Urbinas
141, saec. XIV) u^'tXo'^ajv statt ti::roXocp(üv, in v. 819 a[LiXtu\i.aTozpyrj
St. (j|xiXeu(JLaTa t spytuv (Rav.). In irapa^ovia, das er zu vei'xr) bezieht,
sieht Blaß einen „gewissen Gegensatz zu G^'tXo'fwv" und sagt: „Hoch
zu Roß stolzieren Aischylos' große Worte; Euripides' subtile, seine
r/ivSaXafjLot, fliegen niedrig an der Erde herum, bei einem homerischen
Wagenkampfe also an der Achse und den Rädern." — In v. 826 be-
trachtet er mit Kallistratos XiacpY] als Substantiv = Orjptotov Xstttov c^oSpa
und schreibt infolgedessen mit dem Cod. Venetus: YXwaaav iXiajoixevirj
,d. h. die Zunge schwingend oder wirbeln lassend." — Aus Anlaß des
V. 1082: xal cpaaxouja; ou ^f,v xo ^^v behandelt Blaß auch das Fragm,
Eur. 833 aus dem Phrixos (Nauck TGF^):
TIC 8'otSev ei C^v xoöö' 3 xexXrjxai davsiv,
x6 C^v 6e OvTQdxeiv eaxi; uXvjv ofito? ßpoxiov
vojoüaiv Ol pXeirovxsi;, oi ö'^XcoXoxec
ouoev voaoüfftv oo6£ xexxYjvxat xaxa.
Sehr richtig sagt Blaß, daß die Verbindung beider Gedanken
durch tcXy)v ofxtu; nur dem Scheine nach vorhanden ist. Blaß ersetzt
ofjLcu; durch v6[X(j> und weist auf eine ähnliche Text Verderbnis bei Erapedokl.
345 f (43 f. Stein) hin. Sodann zerteilt Blaß das Fragment in zwei
zweizeilige Fragmente, zwischen denen eine Überschrift, wie etwa toü
auxou ausfiel. —
* Michelangeli, L. A., Emendamento al teste d'Aristofane,
Rane vss. 815—816. Bolletino di filol. class. VII, 1901, 12,
p. 279—281.
Beriebt über die Literatur der griecbiscben Komödie. (Holzinger.) 267
V. Brugnola, Uno sguardo alla questione sociale ed al femminismo
in Piatone ed Aristofane. — Atene e Roma II, 1899, p, 164 — 175. —
Der Verf. gibt als seine Absicht an, er wolle die Leser der
Zeitschrift darauf aufmerksam machen, daß die sozialen Probleme der
Magenfrage und der Frauenfrage schon im griechischen Altertum und
zwar in Piatons Staate und in des Aristophaues Ekklesiazusen behandelt
worden seien. Auf die Philologen von Fach ist die populär gehaltene
Abhandlung offenbar nicht berechnet. — Nach dem Verf. wäre es Sokrates
gewesen, der eine höhere Meinung über die Stellung der Frau zu fassen
anfing. Durch die sokratische Schule sei dieser Gedanke verbreitet
worden. Hiervon sei Euripides ein Beweis, der zuerst die Liebe als
ein Hauptelement des Dramas verwertete. Piaton sei in seiner Politeia
im Feminismus noch viel weiter gegangen. Seine diesbezüglichen Vor-
schläge und ebenso auch seine kommunistischen Reformen habe er für
durchführbar gehalten. Über Piatons Ansichten seien die Konservativen
milWergnügt gewesen und der Ausdruck dieser Richtung seien die
Ekklesiazusen des Aristophanes. — Daten anzugeben vermeidet der
Autor durchwegs. Bezieht sich seine Bemerkung über Euripides, wie
man billigerweise annehmen muß, auf den im J. 428 aufgeführten
Hippolytos, so hätte dem Verf. auffallen müssen, daß der damals mehr
als fünfzigjährige Euripides in seinem Gedankenkreise doch wohl nicht
von einer „Schule" des erst vierzigjährigen Sokrates beeinflußt sein
konnte. Ebensowenig sicheren Boden haben die Bemerkungen Brugnolas
über die Ekklesiazusen.
* Het vrouwenparlement, overgebr. door Hallerstadt. 1901.
K. Zacher, Tongefäße auf Gräbern. — Philologus LIIl, 1894,
p. 323—333. —
Bei der Erörterung der attischen Sitte, ein tönernes Gefäß auf
das Grab zn stellen, sieht sich Zacher veranlaßt, die keineswegs in allen
Einzelheiten klare Stelle der Ekklesiazusen v. 1106 — IUI ausführ-
lich zu behandeln. Richtig wird m. E. v. 1107 st:' aurtö up (jrojiaTi
xr,; sicßoX^; als grobe Obscönität gedeutet. Auch die Annahme, daß
•/.aTaui-Tu)3avTac von der Schwarzfärbung gesagt sei , scheint besser als
die bisherigen Erklärungen. Hingegen zweifelt Zacher mit Recht selbst
daran, daß jAoXußooyoT^savTa; und dvTt Xr,x'j{)ou (v. 1110 — Uli) genügend
erklärt sei.
Auch V. 1101 ruft noch nach einem Interpreten. — Gelegentlich
wird (S. 331) bemerkt, daß in dem ebenfalls umstrittenen Worte
y.pouvoyuTpoA.r,pa[o; in den Rittern v. 89 (Zacher schreibt . . .
xpouvoyuTpoXrjpaiov) wegen des Bestandteiles /u-po ein verächtlicher
Sinn liegt. —
268 Bericht über die Literatur der griechisclien Komödie. (Holzinger.)
J. A. Nairn, Note on Aristoph. Eccles. 502. — Class, Rev.
Xn, 1898, p. 163. — Verf. empfiehlt, in v. 502 h-tj &el statt p.ic7£t
zu schreiben.
E. Poste, Jnror-Panels at Athens, Class. Review VII, 1893,
S. 196 beschäftigt sich mit Aristoph. Ekkl. 682—691. —
D. Comparetti, Intorno alle Ecclesiazuse di Aristofane. —
Atene e Roma III, 1900, p. 73—91.
Der Aufsatz Comparettis ist als literargeschichtliche Einleitung
zu August Pranchettis Übersetzung der Ekklesiazusen („Donne a par-
lamento", Cittä di Castello, Lapi.) geschrieben. — Comparetti setzt die'
Ekklesiazusen auf die Lenäen des J. 392 a», gibt eine Übersicht des
wesentlichen Inhaltes des Stückes, teilt es in Scenen ab, kritisiert es
als ein Frauenstück im Vergleiche mit der Lysistrata und den Thes-
mophoriaznsen, dann vergleicht er es vom Gesichtspunkte der „mittleren
Komödie" mit dem Plutos, vertritt die Selbständigkeit der Idee des
Dichters gegenüber Piatons Politeia, der ei- eine um einige Jahre spätere
Abfassungszeit zuweist, stellt überhaupt jede polemische Beziehung auf
Piaton in Abrede und bezeichnet die Ekklesiazusen als das schwächste
unter den erhaltenen Stücken des Aristophanes, wenngleich die utopistische
Idee der Weiberherrschaft an Kühnheit der phantastischen Konzeption
mit der Idee der „Vögel" wetteifere. Daß Aristophanes aus diesem
der politischen Behandlung so zugänglichen Stoffe kein Stück nach dem
Muster der altattischen Komödie geschaffen habe, zeige mehr als alles
andere den Verfall der athenischen Verhältnisse und der poetischen
Schaffenskraft des Dichters. Das Auseinanderklaffen der zwei Teile
der Komödie, deren erster nur die Frauenherrschaft, der zweite hingegen
den Kommunismus behandle, ferner das Zurücktreten der Praxagora in
dem zweiten Teile wird eingehend besprochen. — Als Einleitung zu
einer Übersetzung der Ekklesiazusen ist diese Abhandlung jedenfalls
am richtigen Platze. —
T. Quinn, The Plutus of Aristophanes edited with introductiou
and notes. — London 1896.
T. Quinn. The Plutus of Aristophanes translated into English
prose witli an introduction. — Loodon 1896.
Die beiden Bändchen enthalten nicht bloß denselben Stoff wie
Quinns bei B. Clive, London 1889 erschienene Ausgabe, sondern sind
ein unveränderter Abdruck dai'aus. Nur ein kurzer Index der Anmer-
kungen ist hinzugekommen. Der zu Schnlzwecken castigierte Text be-
ruht auf der Ausgabe Theodor Bergks. In der Einleitung, die das
Wissenswerteste über Aristophanes enthält, wäre manches zu ändern
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 269
gewesen. So liest man auf S. 6, daß alle Fragmente des Aristophanes
kurz sind und des Interesses gäuzlich entbehren. Wenn es auf H. 10
heißt, daß man im Plutos mehr Anspielungen auf die großen geschicht-
lichen Ereignisse der dem Drama vorangegangenen zwanzig Jahre er-
wartet hätte, so ist dies eine Bemerkung, die aucli nicht jeder unter-
schreiben wird. Geradezu auffallend ist der Irrtum Quinns (p. 17),
Aristoteles lehne in der Poetik (c. 3) die Ableitung des Wortes x(u|i.(ü8ta
von x(u}i.oi ab und halte es mit den Dorieru, die es mit y.u»[j.Ti in Ver-
bindung brachten. — Die in Prosa geschriebene Übersetzung ist leicht
verständlich. Bei v. 809 fiel mir auf, daß der Übereetzer ra jxeudfpia
mit „Utensils'- wiedergibt. Hickie (London, Henry G. Bohn, vol. II,
S. 725) hatte schon im .1. 1852 richtiger übersetzt: „all our v esseis
are füll of silver and gold". —
N. Nie Olsen, The Plutus of Aristophanes. Boston 1898.
Nicolson reproduziert den Text von Velsens und gibt die Ein-
teilung des Stückes in Akte und Scenen nach Hemsterhuys. Das nett
• ausgestattete Büchlein ist mit einigen Abbildungen nach bekannten
unteritalischen Vasenbildern geschmückt, die jedoch, wie der Verfasser
selbst angibt, mit dem Inhalte des Plutos in keinem unmittelbaren Zu-
sammenhange stehen. — Die kurzen Fußnoten stellen zumeist einen
Auszue aus den Scholien dar, die bekanntlich zum Plutos besonders
reichlich vorhanden sind. —
A. Pranchetti, Le guarigioni. di Asclepio. — Atene e Roma
III, 1900, p. 144—149.
Unter diesem Titel ist ein Teil der Übersetzung des Plutos ab-
gedruckt, welche A. Franchetti durch diesen „Ausschnitt" den Lesern
des Blattes ankündigt. Der Abdruck umfaßt die Verse 627—770.
Die beigegebenen Fußnoten stammen von D. Comparetti. Grundlage
der Übersetzung ist Velsens Text.
Der Titel der Übersetzung lautet:
* Pluto tradotto da A. Franchetti con note di D. Comparetti.
Cittä di Castello 1898.
R. Peppmüller, Zur vierten Hypothesis des Aristophanischen
Plutos. — Philologus L, 1891, p. 582.
Peppmüller behandelt die Stelle der vierten Hypothesis zum
Plutos: [y-a'i] 'ov u'iov aüToü au3Trjaai 'Apapoxa [St' aux^c] xoli Oeaxai;
ßouX6|xevo;, ta OT.oXoir.j. oüo 8t' exetvoti xa&^xs, KtuxaXov xat AtoXo5ixu>va.
Die Interpunktion und die Klammern habe ich hier nach der zweiten
Auflage der Dindorfschen Poetae scenici gr. (18) gegeben. Peppmüller
sagt: „alles ist in der Ordnung, wenn man 8i' auxulv schreibt. Da
270 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holziager.)
Aristophanes diese Komödie — den Plutos — als letzte unter seinem
eigenen Namen aufgeführt hatte und nun seinen Sohn Araros dadurch
dem Theaterpublikum vorstellen (empfehlen) wollte, so ließ er seine
beiden letzten Dramen, Kokalos und Aiolosikon, durch jenen iu
Seene gehen." — Daß diese Beziehung des Pronomens auttov auf ein
folgendes Beziehungswort grammatisch möglich ist, läßt sich allerdings
nicht bestreiten. Aber die Einfachheit der Darstellung in diesem
Scbolion und der Umstand, daß der Scholiast zuerst das Femininum
xtujitüöta anwendet, späterhin aber an das Wort opotjxaxa denkt, machen
mir diese Behandlung der Stelle wenig wahrscheinlich. —
D. Marzi, Di un frammento della parte di Carione nel Pluto
d' Aristofane conservato in una pergamena del r. Archivio fiorentino. —
Fivenze 1898.
In dem Archivio di State fiorentino, Diplomatico, Badia tior.
. . 14 . . findet sich eine Rolle sehr feinen Pergaments, links von der
Länge von 0,945 m, rechts von der Länge von 0,920 m, von der
Breite von 0,114 m. Auf 132 Zeilen, welche auf der Rückseite des
Pergaments mit einem spitzigen Instrumente gezogen zu sein scheinen,
enthält dieses Pergament die Verse des Karion aus der Verspartie
722 — 1107 des Plutos und zwar in schönen, nur hie und d^ durch
starke Abnützung verblaßten Schriftzügen, welche nach dem Kataloge
der zweiten Hälfte des XV. oder spätestens dem Anfange des XVI.
Jahrhunderts angehören. — Außer der Beschreibung dieses Teiles
einer Plutoshandschrift bietet Marzi noch eine auf der Grundlage von
Bergks erster Ausgabe (1861) gearbeitete Kollation, welche jedoch in
etwas unklarer Weise angefertigt ist. Da Marzi keinen Versuch macht,
die Verwandtschaft des gefundenen Textes mit einer der zahlreichen
bekannten Plutoshandschriften festzustellen, wird man seiner Ver-
picherung, daß der neue Text nicht ohne Bedeutung sei und einige
Konjekturen Bergks bestätige, vorerst mit einiger Skepsis begegnen.
— Bezüglich des Zwecks der Pergamentrolle spricht Marzi die wahr-
scheinliche und interessante Vermutung aus, daß sie auf eine Bübnen-
aufführung des Plutos in der Zeit des Humanismus hinweise, für welche
die Rolle des Karion mit den Stich worten, auf welche er antwortet,
herausgeschrieben worden sei. —
W. G. Rutherford, Aristo phanica. Class. Review X, 1896>
p. 98—100.
Der Verf. behandelt 10 Stellen des Plutos, darunter einige
m. E. mit glücklicher Hand. — vss. 49 — 50 werden athetiert. Sie
.scheinen aus Schollen zu v. 48 zusammengeflickt zu sein. — v. 146 und
V. 205 erweisen sich ebenfalls als unecht. In v. 205 beweist die Kon-
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 27 1
struktion von tU rr^w oixiav deutlich, daß dies eine Erklärung zu dem
vorangehenden ei;6'j; ist. Bemerkenswert ist die Behandlung des v. 1083-
<jtJj p.üpt'u)v eTtöv -je xal TpuytXituv. Trotz des bisher angenommenen Doppel-
sinnes von ETÜiv liegt doch in dem Gtto eine Schwierigkeit. Rutherford
schreibt daher: uzo yiXi'tuv -/e tcüvSe xal Tpic|j.uptcuv und gewinnt dadurch
wieder eine Stelle, welche die Abschätzung des Fassunu:sraumes des
Dionysostheaters bei Piaton Sympos. 175 E (und Philemon frag.
89 Kock — Stob. flor. 2,27) bestätigt. — Nicht überzeugt hat mich die
Athetese der vss. 709 (wjTiep — r/w) und 897 (ettei — rpi^^cuviov), weil die
Stellen durch die Streichung dieser Verse unverständlich werden. Auch
den V. 848 ganz zu entfernen, scheint unnötig. Ich emiifinde nur das
xal TaÜT7. als störend, weil schon die Worte des AlK. mit xal xaÜTa be-
gonnen hatten. — Auch die neue Personenverteilung in den vss. 61 — 66
und 367—370 hat nicht meinen Beifall. Rutherford gibt dem XP.
nicht bloß v. 64, sondern auch das folgende zl ]xr] ^pajsi; vap, — hierauf
folgt: KAP. arJj a oXtu xaxov xaxtoc XP. tu xav — DA. araXXay{h)Tov
dx:' ep.oü. XP. -tu^iaXa. In der andern Stelle schreibt der Verf. v. 368:
dXX' exriv £;:tor)Xov — xi 7iej:avoup7Tiy'; XP, o xi; | 3U |i.£v xxX. Schließ-
lich erwähne ich, daß Verf. in v. 531 xal xw xi TtXeov tiXo'jxciv euxat
xouxtuv TTütvxiüv d-opoüvxt; liest. Durch das doppelte Fragewort wird
dieser Vers m. E. allzu unruhig. —
F. Allegre, Aristophane. Plutns, vers 521. — Revue des
ötudes grecques X, 1897, p. 10 — 13. —
Die Penia sucht den Chreraylos davon zu überzeugen, daß, wenn
alle Menschen in gleicher Weise reich wären, dies nicht ein beneidens-
werther, sondern ein unglücklicher Zustand wäre, in welchem das Elend
allgemein würde. Auf die einzelnen Sätze der Penia antwortet Chremylos
mit Gegenargumenten, deren Nichtigkeit sofort in die Augen springt.
Aber formell wenigstens suchen seine Antworten den Thesen der Penia
zu entsprecnen. Auf die Frage der Penia, wieso man sich Sklaven
verschaffen werde, antwortet Chremylos im v. 519, man werde sie
kaufen. Auf die Frage, wer denn Sklaven verkaufen werde, wenn er
reich genug sei und den Kaufpreis nicht benötige, antwortet Chremylos
im V. 521: xspöaiveiv [-iouXoixevoc xtc | e'jXTropo; y*^"^'' ^^ ösxxaXiac T:apa
rXei'axtuv dvopa::ooiax(uv. Allegre macht nun mit Recht darauf auf-
merksam, daß in dem ttXsioxcuv, welches die Handschriften darbieten,
kein Moment enthalten ist, welches als Replik auf die Worte der
Penia aufgefaßt werden könnte. Er bespricht dann zutreffend die vor-
liegenden Konjekturen und zeigt, daß z. B. die La. dTrtaxwv, welche
schon der Scholiast gekannt zu haben scheint, nicht dem oben darge-
legten Gesichtspunkte entspricht, indem die d-taxia der Thessalier zwar
27'J Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
sprichwörtlich gewesen sei, aber bei dem Gedankeiigauge des Ge-
spräches nicht iu Betracht komme. Letztere Forderung findet er unter
sämtlichen bisher vorgeschlagenen Textveränderungen nur durch Hemster-
huys' Tap' dTrXr,aT(üv erfüllt. Wenn aucli ein Thessalier reich wäre, so
würde er dennoch Sklaven verkaufen, weil die Thessalier, als Nicht-
Hellenen, unersättlich habgierig wären. Die Auseinandersetzung Allegre's
ist gewiß lesenswert. Velsens irapa -' aXXwv avopa-ootsKov entspricht
zwar meines Erachteus vollkommen genug den Bedürfnissen des Zu-
sammenhanges, aber au Leichtigkeit der Erklärung des entstandenen
Fehlers kann e^; sich mit itap' aTiXr^jTcuv iiicht messen. —
G. E. Marin diu, The date of the temple of Asklepios at
Athens. — The Classical Review XII, 1898, p. 208. —
Der Verf. schließt aus schol. Plut. 621, Vesp. v. 121 ff., ferner
aus CIA II, 1650. 1649, 1442 und aus Timokles frag. com. Kock II
454, daß der Tempel des Asklepios im Piräeus zwischen 422 und 388,
hingegen das 'Aj/XYiTrisTov Iv aa-si erst einige Jahre nach 388 durch
Telemachos aus Acharnai errichtet worden sei. Zwingend ist letzterer
Schluß um so weniger, als sich der Verf. mit der neueren deutschen
Literatur nicht auseinandersetzt. Vgl. Thraemers Artikel über Asklepios
bei Pauly-Wissowa, II 1664. — Bei Marindiu findet sich weder eine
Bezugnahme auf den Paean des Sophokles, noch auf den Archonten
Astyphilos, auf dessen Amtsjahr (420 v. Chr.) A. Körte (Athen. Mitth.
1893, XVIII, p. 249) die Errichtung des Asklepiosheiligtumes ev a^tei
bestimmte. Daß im Plutos vss. 621 ff. das muuichische Heiligtum ge-
meint sei, sagt Körte ibid. p. 250. Bei einiger Kenntnis der ein-
schlägigen Literatur wüide Marindin auch wohl nicht blolj im allge-
meinen behauptet haben, that the 'AtJxXYiTrtstov ev as-cst was built at
some date after 388, sondern würde wohl speziell das Jahr 381 als
Datum für die Errichtung des Heiligtumes ins Auge gefaßt haben, da
gerade auch für dieses Jahr ein Archontenname auf Xoc
(CIA II 1649 Z. 12), nämlich Demophilos, zur Verfügung steht. Es
würde sich dann im Weiteren darum zu handeln haben, ob jener
Telemachos aus Acharnai, von dem das Sprichwort TrjXcfxayou yuTpa
ging (Athen. IX, 407), mit dem Begründer des Asklepioskultes ev
a(jTei identisch war. — Da Timokles in den Ikariern den Telemachos
aus Acharnai gleichzeitig mit dem Redner Hypereides erwähnt, könnte
sein Spott leicht gegen einen verarmten Nachkommen oder Verwandten
(Enkel?) des wahrscheinlich wohlhabenden und angesehenen Begründers
des Asklepioskultes ev aa-ret gerichtet sein.
U. V. Wilamowitz-Mölleudorff, Lesefrüchte. Hermes XXXIV,
1899, p. 224 (Zu Aristoph. Plut. 1028—1030).
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 273
J. Oeri, Zu Aristophanes' Plutos 1028— 1030. Hermes XXXIV,
1899, p. 640. —
Die Frage, wohin das Scholion R: Ulzi-v. lyor,^ zu beziehen sei,
welches oberhalb des v. Aristoph. Plut. 1030 interlinear vermerkt ist,
hat schon manchen beschäftigt. Velsen war der Meinung, daß die
zweite Hälfte des v. 1030 ocxaioj £jt e/Eiv ehemals lautete:
jjl' (iotxoüvTa xovo' eyeiv. A. v. Bamberg (exerc. nov. in Plut. 19)
wollte V. 1030 streichen. Ihm gegenüber verteidig't v. Wilamowitz
die Echtheit von 1030 auf Kosten des v. 1028, den er für ,, falsch" er-
klärt. V. 1028 sei ,,aus 1030 geflickt", und als er noch nicht existierte,
gehörte das Scholion llltl-ti iyo^i'^ zu v. 1029. Zu 1030 wäre also
dieses Scholion nur irrtümlicherweise geraten, v. Wilamowitz meint:
„Das Scholion ist also älter als der Vers, der eben denselben Anstoß
beseitigen sollte. Das ist für die Beurteilung unserer Überlieferung
so wichtig, daß ich es hervorheben wollte." — Einer der durch diese
Ausführungen nicht Überzeugten ist Oeri. Er bezieht das Scholion
ebenfalls zu dem v. 1029; nur meint er, daß man v. 1030 als weinerlich
entrüstete Frage der alten Frau las und daß nach v. 1028 eine stärkere
Interpunktion gesetzt war, „so daß der mittlere Vers (1029), auf den allein
das Scholion gehen kann, gewissermaßen in der Luft stand." Ein |x' liest
Oeri sowohl in v. 1029 vor avTsuroiöiv, als auch in v. 1030 vor d-^atlov. —
III. B.
a. Über Parepigrapliae bei Aristophaues nnd in den
Aristophanesscholien.
In meiner im Jahre 1883 erschienenen Schrift „Über die Parepi-
graphae zu Aristophanes" sagte ich S. 19: „Parepigraphae sind alte
Interlinearbemerkungen scenischen Inhaltes." Auf der Grundlage von
Einzelheiten stellte ich nun einen Beweis dafür zusammen, daß schon
in den attischen Exemplaren aristophanischer Komödien, also schon im
vierten und fünften Jahrhundert zahlreiche derartige Parepigraphae
vorhanden waren, so daß, was wir jetzt davon besitzen oder erschließen
können, sich nur als ein geringer Rest darstellt. Die aristophanische
Komödie war nämlich im Vergleiche zu einer Tragödie ungemein reich
an Bühnenhandlung. Zudem trat dieselbe vielfach unerwartet ein, weil
das Unerwartete zum Wesen des Komischen gehört. Dazu kommt, daß
Aristophanes die Regie seiner Stücke häufig nicht selbst führte, während
ältere Dramatiker ihre eigenen Regisseure waren. Aus solchen Gründen
wäre es verständlich, wenn Aristophanes manche seiner Stücke sogar
mit Regiebemerkungen ausgestattet hätte. Man vgl. S. 21, 25, 60 meiner
Abhandlung. Eine Parepigraphe wie die zu Thesm. 130: oXoX'j^st wäre
gut genug für Aristophanes selbst, weil sie etwas Neues lehrt, was der
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd CXYI. (1903. I.) 18
274 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)
Text nicht an die Hand gibt. Aber viele andere dergleichen Interlinear-
bemerkungen scenischen Inhaltes, für welciie ich den Ausdruck „Regie-
benierkung" vermied, waren bloß Paraphrasen des vorhandenen Textes
und konnten daher unmöglich von dem genialen Dichter selbst her-
stammen. Darum sagte ich S. 24, daß die Parepigraphae in ihrer
Masse und somit als Institution nicht auf Aristophanes selbst zurück-
zuführen sind und daß sie von ihm weder für die Regie des nur ein-
mal aufzuführenden Stückes, noch auch von ihm für einen Leserkreis
angefertigt sein dürften. Da ich nun aber das hohe Alter einer An-
zahl von Parepigraphae nachwies und sie nun doci) von einem genauen
Kenner der Aufführung herrühren mußten, sprach ich S. 25 ihre Ab-
fassung „einzelnen Verehrern der a)istophanischen Muse" zu. — Während
nun einige meiner Vorgänger, wie z. B. Dindorf, die Parepigraphae,
selbst wo sie im Texte erhalten waren, aus dem Texte entfernten und
schlecht behandelten, hat v. Wilamowitz im Herakles I., S. 125, das-
jenige, was die Hauptsache in meiner Darlegung ausmacht, nämlich den
Nachweis des hohen Alters der Gattung der Parepigraphae zu Aristo-
phanes vou mir übernommen und es war daher nicht in der Ordnung,
daß er meine ,, Erklärungsart" als ,, freilieh fast lächerlich" bezeichnete.
Wenn v. Wilamowitz mir mit der Behauptung entgegentritt: ,,un-
möglich würde sich eine Kegievorschrift in der nur ausnahmsweise
wiederholten Komödie häufiger finden können als in der Tragödie",
und weiterhin sagt, Aristophanes habe diese Parepigraphae selbst für
seine Leser geschrieben, so wäre ich in besserem Hechte, eine solche
., Erklärungsart" als ,, freilich fast lächerlich" hinzustellen, weil ich eine
solche „Erklärungsart" mit guten Gründen von vornherein widerlegt
hatte. — Wenn es z. B. bei Aristoph. Pac. 256 heißt: o'jToai aoi xov-
ouXos, so wird Aristophanes natürlich nicht für die Regie — zumal
er sie gerade tür die Eipr^vYj selbst führte, — die Bemerkung aufge-
schrieben haben: ,,Er gibt ihm eine Ohrfeige" (Wilamowitz a. a. O.
S. 125) Aber ebensowenig kann der geistreiche Dichter selbst mit
einer so überflüssigen Notiz etwa für minderbegabte Leser gesorgt haben.
Hingegen ein attischer Orammatist, der das Stück gesehen oder von
der Aufführung gehört hatte, oder einer seiner Schüler, oder auch ein
Schauspieler, kurz irgendwer anders als Aristophanes selbst, befand
sich seinem Texte gegenüber in einem ganz anderen Falle. Einem
Liebhaber konnte daran gelegen gewesen sein, sich die ehemalige Auf-
führung mit der Feder in der Hand genau vorstellig zu machen. Auf
Aristophanes selbst jedoch konnten nur einige besondere Einzelheiten
dieser Art zurückzuführen sein, wenn er sich etwa während des Dichtens
einen guten Einfall für eine komische Darstellung vielleicht unwillkür-
lich zwischen den Zeilen notierte, etwa v/ie obiges oXoXu^si. —
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 275
V. Jernstedt, Über den Dekorationswechsel in den Thesrao-
phoriazusen des Aristophanes. SA. aus: ^TS'pavo;. Sammlnng: von Auf-
sätzen zu Ehren von Th. Sokoloff. 1895, S. 153—166. (Russisch.)
Jernstedt bespricht zunächst die Ansichten von Brunck, Geppert,
Fritzsche, Enger, Droysen, Schönborn, J. W. Wliite (Harward Stud.
1891, p. 200) über den Dekorationswechsel in den Thesmophoriazusen;
i'[(o 0 arsipii (v. 279) werde noch vor dem Hause des Agathon ge-
sprochen, dagegen v. 280 vor dem Thesmophorion. Der Dekorations-
wechsel linde also, wenn überhaupt, (J. leugnet es S. 159) nach ettou
V. 279 statt. Die thrakische Magd sei nicht wirklich in Person an-
wesend zu denken! Um so komischer sei das Spiel des Mnesilochos!
Letzteres ist für mich durchaus unannehmbar. — Jernstedt meint nun
weiterhin, dal.l, wenn das Scholion 277 laute: rapcTrqpatpT^. exxuxXeixat
£7:1 T'j £;a> to f)£j[xocpoptov, so habe man unter -apETrqpacprj den v. 277
selbst, nämlich: £XJ7:£U0£ Ta/Ew^* u>i to trjc £xxAr|3iac I jrjfxerov ev Tip
0£a|jLO9opeup cpaivstai zu verstehen, insofern dieser Vers (!) ein scenisches
Ereignis ausdrücke. Das schol. 277 umschreibe diese Bühnenhandlung
durch die Worte: £xxuxX£tTai iizl to zlio to Ö£0|xo96piov. Die zwischen
den vss. 276 und 277 überlieferten Worte seien daher nicht eine Par-
epigraphe, sondern Reste eines verderbten Trimeters. Diesen stellt
Jernstedt in folgender Weise lier: ouok 6£-/o|xat tov opxov. ETP. a>
'rtÄiioxaTe. Aus diesen Worten sei durch Wegfall von Buchstaben, Ver-
stümmelung, A'erlesung und Mißverständnis dasjenige entstanden, was
jetzt zwischen den Zeilen überliefert sei: oXoXu^ouai t£' kpov wdeiTai.
Denn der Abschreiber habe sich eingebildet, daß diese Worte eine
alte Parepigraphe darstellen. — Da nun die Behandlung dieser Stelle
der Thesmophoriazusen vorzugsweise gegen meine Schrift „Parepigraphae"
gerichtet ist, nimmt Jernstedt noch Veranlassung von schol. Plut. 8 zu
sprechen, auf das ich S. 47 als auf eine schwierige Stelle aufmerksam
machte. Jernstedt liest dort einfach 7rapa7pacpY^ statt TrapE-i-cpa'fK], in-
dem er meint, daß es bei v. 8 zu xal tolZtol ]j.£v öt] xaü-a keine Ver-
anlassung zu einer ^lapeirqpacpY^ gab. —
Ich kann mich nun nach diesem Referate über die Abhandlung
des kürzlich verstorbenen Jernstedt wohl damit begnügen zu sagen, daß
es allerdings nicht schwer ist über die Parepigraphae zu einer anderen
Anschauung zu gelangen als ich, wenn man das Material, auf dem meine
Ansichten aufgebaut sind, so willkürlich ändert, wie dies Jernstedt tut.
An den Resultaten meiner Arbeit würde sich indessen nichts ändern,
auch wenn man von den 52 Stellen, die ich behandle, zwei oder auch
mehrere wegzulassen hätte. Daß dies aber notwendig sei, hat Jernstedt
nicht bewiesen. Zwischen den Versen Thesm. 276 und 277 fehlt im
Zusammenhange der Stelle kein Vers. Also ist es unmethodisch, dort
18*
276 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie (Holzinger.)
einen Vers einzuflicken. Dann ist aber das verderbt überlieferte oXo-
XuCouai T£' iepov (L&siTai jedenfalls eine Parepigraphe, mag auch ihre
Form und ihr Inhalt strittig sein. — Und was schließlich schol. Plut. 8
anlangt, so hat Jernstedt manches, was ich S. 48 darüber sage, ver-
nachlässigt. Will man nicht zugeben, daß sich hier eiue Parepigraphe
auf einen Gestus bezog — und ich habe diese Möglichkeit S. 48 meiner
Abhandlung angedeutet — so ist es immerhin bei der Überladung der
ersten Seiten des Cod. ßavennas mit Schollen denkbar, daß diese Notiz
über eine Parepigraphe zu einem ganz anderen Verse gehörte und durch
Mißverständnis an einen unrichtigen Platz geriet. Dazu kommt, daß
in den Ravennasscholien Tza^a-ipa^q nirgends die „ar.oihan X670U" be-
zeichnet, wie Jernstedt im Hinblicke auf schol. Nub. 176, 1075 meint.
Kapa-j-pa^r^ ist vielmehr in den Aristophauesscholien eine ,,mutatae pcr-
sonae nota", wie Dübner im Index zu den Schollen angibt, wobei auf
schol. Rav. 1432 und schol. Nub. 653 (adnotatio) zu verweisen ist. Auch
dürfte man wohl behaupten, daß itapsTiqpa^V^ als Schreibfehler statt
irapa-^pacpr^ an sich weniger wahrscheinlich ist. als etwa der umgekehrte
Fall wäre. Schließlich ist daran zu erinnern, daß auch bei Thesm.
v. 130 ein oXoXuCet als 7rap£Trt7pa9TQ erhalten und im Scholion dazu als
solche bezeichnet ist. So stützen beide Stellen einander in jenem Zu-
sammenhange, in welchem ich sie auf S. 20-21 meiner Schrift be-
handelt habe. — Und daß beide -irapsirqpa^ai zu Thesm. 130 und 277
nicht etwa vom Schreiber des Cod. R oder sonst von einem späten
Byzantiner herrühren, sondern alte und schwer lesbare Interlinearbe-
merkungen waren, ist daran zu erkennen, daß beide durch Abschreibe-
fehler verunstaltet sind. (130: dkolü'Cei:; -/Iptov R, cf. Velsen.) — Für
das sichere Verständnis dieser Arbeit bin ich Herrn Hofrat Alfred Ludwig
in Prag zu Dank verpflichtet. —
K. Weißmann, Die sceuischen Anweisungen in äen Scholien zu
Aischylos, Sophokles, Euripides und Aristophanes und ihre Bedeutung
für die Bühnenkunde. — Progr. d. k. neuen Gymn. in Bamberg,
1896.
Der Verf. bespricht zahlreiche Schollen, welche über die handeln-
den Personen, den Chor und über das Auf- und Abtreten derselben
Angaben machen, ferner solche, welche über die Verteilung der Rollen
und über die Art des Vortrags und des Spiels Auskunft geben, dann
Andeutungen über die Handlung und die scenischen Vorgänge, schließ-
lich über Bühneneinricbtung und Maschinerie. Nachdem der Verfasser
dieses weitschichtige Material seinem Inhalte nach in fünf Abschnitten
durchgesprochen hat, will er diese Scholiastenbemerkungen nach den
Quellen, denen sie entstammen, in vier Klassen teilen. Er unterscheidet
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 277
derartige Notizeu, welche dem Texte oder der Situation entnommen
sind, dann solche, welche von selbständigem Denken des Scholiasten
zeugen. In einer dritten Klasse faßt Weißmann diejenigen Scholien-
angaben zusammen, welche im Anschluß an spatere Aufführangen ge-
macht sind und in einer vierten und letzten Klasse diejenigen, welche
die „von den Dichtern oder Regisseuren zu dem Text augemerkten
scenischen "Winke (-apsTiqpacpai)" enthalten. —
Weißnianns Arbeit erstreckt sich auf die Scholien zu Aristophanes
und zu den Tragikern. Sie zieht sowohl solche Scholienstellen heran,
in denen das Wort -apt-q^a'^q vorkommt, als auch andere, in denen
dieser Ausdruck nicht steht. Daß bei einer so umstrittenen Sache,
w'ie es die Parepigraphae sind, auf diesem Wege der Untersuchung
keine sichere Grundlage geschaffen wird, wird um so mehr klar sein,
wenn ich hervorhebe, daß Weißmanu den Namen und das Alter des
Codex, dem ein Scholion entnommen ist, nicht mitteilt. — Den Namen
irapeTitYpacpiQ erklärt der Verfasser dadurch, daß die scenischen Winke,
weiche „ursprünglich alle im Text standen", von den Grammatikern
,,an den Rand" geschrieben wurden und daß sie ,.da auch erst den
Namen -apsirqpa'fai" erhielten (S. 22). In analoger Weise vvird der
Ausdruck rapsy-xux^ixa erklärt: ,,Die Anwendung des £xx6y.X7][xa ward
zwischen dem Text durch den Namen der Maschine selbst angedeutet.
Die Grammatiker setzten ihn au den Rand, wie die übrigen scenischen
Bemerkungen, und so wurde daraus TrapsxxuxXrjjxot" (S, 27). Ebenso wird
7:apa-/oprj7rj[xa erklärt: Die „außergewöhnliche Leistung des Choregen"
war ,.im Stücke selbst" bemerkt. „Erst die späteren Grammatiker
haben solche, damals erst an den Rand gesetzte, Bemerkungen als
rapot-/op757TrjlJ,aTa bezeichnet ... im Gedanken an den Ort, wo sie die
Bemerkung fanden" (S. 31). — Derartige Aufstellungen sind natürlich
leicht zu entkräften, weil sie einfach sprachwidrig sind. Nicht so leicht
sind manche andere BehaupiuDgeu des Verfassers zu widerlegen, denen
gegenüber mau auf eiuem minder sicheren Boden steht. Wenn Weiß-
mann z. B. glaubt, daß die Dramatiker den Namen der anzuwendenden
Theatermaschine zwischen den Textzeilen angaben, also z, B. , ixxuxXrjixa "
schrieben, so gibt es dagegen kaum einen förmlichen Gegenbeweis.
Aber daraus folgt nicht, daß die Sache selbst sicher stehe. Wenigstens
wird man die vom Verf. vorgeführten Stelleu, wie schol. Thesm. 277
(vgl. S. 24, 31, 53) nicht als Beweis für seine These gelten lassen dürfen.
Und so bleibt die Sache unbewiesen und auch unglaubhaft, wie zuvor. —
In der Abhandlung Weißmanns fehlt es übrigens nicht an an-
sprechenden und ersprießlichen Bemerkungen. Manches davon darf ich
den Berichterstattern über die Tragödie und über die scenischen Alter-
tümer überlassen. —
278 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
A. Müller, liap2vxuy.).r,[xa. Philologus LYI, 1897, p. 178—182. —
Der Verfasser hält an der Schreibung TcapsYxuxXrjixa fest, führt
neuere Deutuugsversuche des Ausdruckes vor, schiebt die Ansichten
Droysens und Weißmanns (1896) beiseite und geht in seinen eigenen
Darlegungen von meiner Schrift ,,Über die Parepigraphae bei Aristo-
pbanes", Wien 1883, S. 44 ff. aus. Dort hatte ich gelegentlich der
Besprechung des schol. Nub. 18: Taüra Travta 7:ap£Yxuy.Xr,(xa-a xal irap-
sTctYpatpai die Schreibung 7rap£y.xuxXv^|AaTa anempfohlen. Zugleich hatte
ich eine für alle in Betracht kommenden Stellen gemeinsame Erklärung
desWortes 7iap£xxuxXrj[xa samt einer Entwickelung seiner Bedeutunggegeben.
Im Gegensatze zu meiner Deutung meint Alb. Müller, daß der Scholiast
zu Nub. 18 unter x:ap£Yxux>.r,fi.a ,,eine von einer Handlung begleitete
Einlage" verstand und daß üapa in dieser Zusammensetzung ,,das Zu-
gesetzte, das über das Notwendige Hinausgehende" bedeute. — Mich
hat der Hinweis aufVesp. 699: £7x£xuxXY]C7a'., Vesp. 1475: £iax£x'j'x/.rix£v
u. a. m. um so weniger überzeugt, als ja auch ich schon vor zwanzig
Jahren den Gebrauch von xuxXsiv und seiner Composita, sowie den Ge-
brauch von rapa nach allen Seiten hin erwogen und meinen Aus-
führungen zu Grunde gelegt hatte. Meine Ansichten abermals vorzu-
tragen, scheint mir hier nicht der Ort. — Ein zweites Mal und zwar
in etwas anderer Weise wird ebendieselbe Scholienstelle von
A. Müller in der Berliner phil. Wo. 1898, No. 45, Sp 1403
behandelt. Hier schlägt der Verf. vor, das Scholion zu Nub. 18 in
zwei Sätze zu zerlegen und zu schreiben: -caüra iravTa T:ap£7xuxXy^|JLaTa"
£ial xal ■Kapem-(p7.^'xi. Alb. Müller scheint hier die mich erfreuende
Absicht zu haben, „die Übereinstimmung des Scholions" mit dem von
mir ,, dargelegten Sachverhalt herzustellen". — Ich gebe gern zu, daß
diese Interpunktion verständlich wäre, halte aber die Änderung nicht
für notwendig. —
A. Müller, Zur Parepigraphe von Aristoph. Thesmoph. v. 277. —
Berl. phil. Wo. XVIII, 1898, Sp. 1403—1405. —
A. Müller macht zunächst die richtige Bemerkung, daß viele
neuere Bearbeiter dieser Stelle die ihnen voranliegende Literatur
nicht ordentlich berücksichtigten. Er wiederholt dann sehr vieles aus
meiner Schrift ,, Parepigraphae", begnügt sich aber nicht mit den wenigen
aber sicheren Schlüssen, welche dort S. 21 aus dieser Stelle gefolgert
werden. Nach seiner Ansicht lautete vielmehr die Parepigraphe ur-
sprünglich: „oXolü'^ouGi • To 3rj}x£rov (uBctrai" oder, wie er beifügt, „mit
durchaus angemessener Beschränkung des Rufens auf Euripides und
engeren Anschluß an die Überlieferung : oXoXu^st • aYifjiEiov xt upov Cd^u-
xai." „Diese Form wurde dann frühzeitig entstellt und dadurch das
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 279
Mißverständnis des Scholiasten hervorgerufen, welches dann wieder die
irrtümliche Annahme einer durch nichts gebotenen Skenenverwandlung
oder eines Ekkyklema veranlaßt hat." — Meines Erachtens ist o>.o>,u-
^ouui von den das Fest feiernden Frauen zu verstehen, die man zwar
bei V. 277 noch nicht sieht, aber plötzlich hüit. Die Frauen schrieen,
weil das Zeichen gegeben worden war. Und weil sie schrieen, blickt
Euripides nach dem Thesraophorion hin, das von Anfang an sichtbar
war, aber bis dahin noch in völliger Ruhe lag. So erblickt er das
a/jjjLöi'ov und nialint darum zur Eile. — Der Scholiast zur Stelle be-
schränkt sich auf die Anzeige, daß eine rapeTcqpacpn] dastand und gibt
daraus, was er zu verstehen glaubte, nämlich eine Notiz über ein Ekky-
klema. Das hat er aus den sicher überlieferten Worten Upov oiösitai
herausgeschöpft, vor welche denn doch wohl Fiitzsches t6 gehören
wird. Dal.", man dort mit Albert Müller 3r,jj.£iov lesen solle, kann ich
nicht zugeben. Mich über das Ekkyklema selbst auszusprechen, hatte
ich, als ich im J. 1883 die Parepigraphae behandelte, keinen zwingenden
Grund. Auch jetzt gehe ich hier nicht darauf ein, obwohl die Aus-
' führungeu Bodeusteiners (Scenische Fragen S. 93). Roberts im Hermes,
1896, XXXI, S. 558 ff., und anderer genügende Veranlassung dazu
gäben. Aber wenn ich die Literatur, die in zehn Jahren über die
griechische Komödie aufläuft, in diesem Maßstabe behandeln wollte,
würde ich mit diesem 'Berichte ebensowenig jemals fertig werden als
andere — Übrigens vgl. man das über Charles Exons Aufsatz CtC-
sagte. —
K Zacher, Kritisch - grammatische Parerga zu Aristophanes.
Leipzig 1899, SA. aus dem VIL Supplementbande des Philologus.
Das Heft umfaßt fünf Abhandlungen. Die erste ist eine Er-
widerung auf Kaibels Rezension der Zacherschen Ausgabe der Equites,
vgl. Götting. gel. Anz. 1897, No. 11. — Zacher spricht sich über die
Grundsätze aus, denen er in seiner Ausgabe folgte, und so ist dieser
Aufsatz noch zu den ,,Aristophanesstudien" Zachers hinzuzuuehmen. In
der Mitteilung eines möglichst genauen und umfassenden Apparatus
criticus wird sich Zacher hoffentlich durch Kaibels gegnerische Be-
merkungen nicht irre machen lassen. Allerdings erwartet man nicht
von jeder kritischen Ausgabe eines beliebigen alten Autors die Mit-
teilung eines vollständigen Apparates. Aber zu jedem der großen
klassischen Autoren, zumal wenn seine Handschriften bis ins XL Jahrh.
hineinreichen, müssen wir endlich einen vollständigen Apparat erhalten,
der für die verschiedenarticrsten Zwecke ausreicht, mit denen jemand an
einen solchen Apparat herantreten kann. Die Herstellung des ur-
sprünglichen Textes ist nur einer dieser Zwecke neben mehreren anderen,
280 Bericht über die Literatur der griechischea Komödie. (Holzinger.)
und darum bat mau bei der Beurteilung dieser Gattung vou grund-
legenden Ausgaben das Hauptgewicht nicht gerade auf den Text zu
legen, den der Herausgeber aus seinem Apparate gewinnt, sondern
auf die Genauigkeit und Reichiialtigkeit seiner Angaben. Wer einen
so gearteten Apparat nicht braucht und nicht wünscht, mag sich mit
unvollständigeren Ausgaben begnügen. — Es folgen in Zachers Parerga
Aufsätze über das ny ephelkystikon bei Aristophanes, über die Endung
der zweiten Pers. Sing. Indic. Med. und über einige Worterklärungen
zu £7ri-aaTa, xXasTa^w, "/.oÄa?, xoX6/.u[xa, i-e-uoaptsa, -eptsxo'xy.aja. Über
diesen Abschnitt findet man in den Rezensionen der Parerga genügende
Aufklärung. — Der fünfte und umfangreichste Teil des Heftes ist
Rutherfords Scholia Aristophanica gewidmet. Icli komme hierauf bei
der Besprechung dieses Werkes zurück. Hier will ich mich nur mit
S. 506 = 70 des Sa. der „Parerga', auseinandersetzen, wo Zacher über
die Parepigraphae handelt. Auf ihn machen die meisten parepigra-
phischen Notizen „den Eindruck, als ob sie von den Grammatikern nur
aus dem Zusammenhang erschlossene Erklärung enthielten". Gegen
diesen Standpunkt, den Zacher in dieser Angelegenheit auch in Bnrsians
Jahresber. LXXI (1892) S, 104 fif. einnimmt, will ich hier nicht
weiter ankämpfen, da ich iiin in meiner Abhandlung als unrichtig er-
wiesen habe. Denn gerade gegen diesen ,, Eindruck" ist meine ganze Ab-
handlung gerichtet. Zugleich beruht meine Darlegung wesentlich auf
der genauen Scheidung der Epochen, indem ich zwischen den byzan-
tinischen und alexandrinischen Grammatikern und der Tradition der
aristophanischen Komödien in Attika selbst genau unterscheide. Mit dem
bloßen Ausdrucke ,, Grammatiker" fällt man wieder in die alte Unklar-
heit zurück. Dabei hört natürlich auch das Polemisieren auf. — Aber
gegen einige greifbare Unrichtigkeiten der Zacherschen Darstellung
über den Inhalt meiner Abliandlung muß ich mich dennoch verwahren.
So mache ich z. B. nicht die ,.für den Buchhandel bestimmten Exem-
plare" für die Setzung von Bühnenanweisungen verantwortlich, wie
Zacher zu meinen scheint. Woher jene Leser, die ein so großes Inter-
esse an den Texten nahmen, daß sie in ihre Exemplare parepigraphische
und gewiß auch andere Notizen machten, eben diese Exemplare bezogen
hatten, gab ich in jeuer Abhandlung nicht an, weil ich „Hypothesen"
nach Möglichkeit zu vermeiden trachtete. Ich sagte damals (S. 24), daß
„unmittelbar nach der Aufiühruug eijier Komödie nur eine ungemein
beschränkte Anzahl von Exemplaren ins Publikum gelangte". Es ist
nämlich klar, daß nur der wohlhabende Literaturfreund gelegentlich
ein fertiges Exemplar kaufen mochte. Aber nur ausnahmsweise war
gerade der Literaturfreund wohlhabend. Der lesedurstige Jüngling-
z. B. der Platonische Phaidios, der Grammatist und sein Sohn, der
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (Uolzinger.) 281
künftige Grammatist, oder der kleine Schauspieler, der uDgehende Literat,
Khetor und Dichter borgte sich n-itürlich ein Exemplar aus, wo er es
fand, und schrieb es sich gelegentlich wohl auch ab. Vgl. ßan. 151: t]
Mop3i|xou Tt; pr,aiv e;e7pa(|>a-:o. Auch ,,der Schüler schrieb sich seine
Bücher selbst", wie v. ^Vilanlowitz Herakl. T, 120 richtig sagt. Unter
solchen Leuten und nicht unter den behäbigen Bücherkäuferu suche ich
diejenigen, die sich um die Einzelheiten der scenischen Auffüiirung, um
die Masken und Namen unbenanuter Rollen (Chairephon, Aiakds, Xikias,
Demosthenes u. s. w.) erkundigten und um das Verständnis schwieriger
Ausdrücke und Stellen bemühten. Die Interlinearbemerkungen und Rand-
notizen dieser eifrigen ,, Leser" scharrten dann späterhin die alexan-
drinischen Gelehrten zusammen, als die Ptolemäer den ganzen Wust
zerlesener Rollen aufgekauft hatten. —
Bei einer interlinearen Bemerkung scenischen Inhaltes kann man
daher den ersten Autor ebensowenig mit Namen nennen, als den eisten
Autor einer interlinearen Glosse. So wie wir heute noch Handschriften
z. B. zu Hesiod, Pindar, Theokrit besitzen, zwischen deren Zeilen un-
zählige einzelne Glossen über den einzelnen Wörtern stehen, so muß es
auch einstens Exemplare einiger berühmter, namentlich literarischer
Komödien, wie z. B. der Wolken und der Frösche gegeben haben, in
<ienen die interlinearen Bemerkungen scenischen Inhaltes überwucherten.
Und diese Gattung kann in ihrer Gesamtheit ebensowenig auf Aristo -
phanes selbst zurückzuführen sein, als etwa die Glossen von dem Dichter
selbst herstammen. Dann sind sie aber auch nicht auf die „für den
Buchhandel bestimmten Exemplare" bei-echnet. —
Weiterhin sagt Zacher in den Parerga S. 506: ,,Eolziuger zählt
49 solcher Scholieu auf." Ich zähle S. 27 vielmehr 52 Scholieustellen
auf, welche etwas über eine Parepigraphe enthalten, und S. 43 und 60
wird die Zahl 52 wiederholt. Zacher führt nun jene 49 Stellen aus
meinen „Parepigraphae-' vor, übersieht aber dabei 3 Stellen, nämlich
schol. Rav. 269, 1251 und schol. Thesm. 100, die ich auf S. 19, 20,
22, 53 ausführlich behandle.
Weiter sagt Zacher: „Von ihnen sind in R erhalten nur 12."
Leider wieder falsch! Wenn man, wie dies Zach er tut, schol. Nub. 734
und schol. Pac. 1104 hinzurechnet, sind es gerade 13, weil er schol.
Thesm. 100 übersah, das in R steht und sehr wichtig ist: «iiousi tivec
7pacpeiv |jLivupi(7[xo;^ w; -oXXa Totau-a -ap£~i7pacp£Tai —
Weiterhin notiert Zacher zu schol. Pac. 1104: „Dies war Holzinger
S. 53 f. unbekannt." Ich behandle dieses wichtige Scholion auf fünf
Seiten: S. 55 — 58, 60. Nicht leicht wird ein Leser diese Bemerkung
Zachers richtig verstehen. Er will nämlich nicht sagen, daii ich dieses
Scholion nicht kenne. Er weii3 auch, daß dieses ganze Scholion, welches
282 Bericht über die Literatur der griecliischen Komödie. (Holzinger.)
ich behandle, im Cod. R nicht vorkommt, weil ja Cod. R bekanntlich
seine Schollen zur Fax bei v. 1032 abschließt. Darum sagen dort
Dindorf und Dübner: Hie desinunt scholia cod. Rav. Und Martin sagt:
„Les folios 107, 108, 109, 110 n'ont pas de scolies." Und Rutherford
sagt: „Folios 107, 108, 109 and 110 contain no scholia." Darum hört
auch meine Kollation der ßavennasscholieu zur Pax bei schol. 1032, 29
auf. Aber richtig bemerkt Zacher, daß eine Textkollation die Existenz
des einen Wortes TrapsTrqpa'fY] auch im Cod. R ergibt. Darum sagt,
wie ich zu spät sehe, Invernizz Bd. 2, 8. 82 (1794): ,,Pone hunc
(d.i. 1100: u>; — ypr,cj[jLo?) scriptum est ex eadem manu in libro nostro
7:ap£;:t7p79iq." Ich hätte also diese Stelle nicht auf S. 55—60 meiner
Abhandlung, sondern schon S. 33 flf. einreihen müssen. Wie leicht man
sich aber in einer solchen Kleinigkeit irrt, kann nun seinerseits auch
Zacher aus seiner eigenen Anm. S. 507 der Parerga lernen, wo er sagt.
Cod. R habe nur an sechs Stellen die alte Parepigraphe selbst im Texte
erhalten, nicht an 7 Stellen, nämlich „nicht Ran. 312, wie Holzinger
fälschlich behauptet". Ganz im Gegenteile behauptet Zacher dies
,, fälschlich". Denn Bekker druckt diese Parepigraphe nach Ran. 311
im Texte: au?.£T ti? evöoftev und sagt im Apparate: evoo&ev R. Velsen
sagt darüber S. 36 seiner Ausgabe: post v. 311 suo versu legitur aOXei
Ti? £v6oi}£v R, wobei also auch der fehlerhafte Accent bei tt; hervor-
tritt, nicht bloß die Lesart l'voo&sv. Ebenso fälschlich behauptet Zacher
weiterhin: „nulzl xtc I'vooOev steht nur in 0Ald," Vielmehr steht in
der Aldina (1498), wie ich in meinem eigenen Exemplare sehe: auXcT
Tt? Evoov, wie ja z. B. auch Küster und Bergler druckten. — Unglück-
lich ist auch die Schlußbemerkung Zachers, daß es ,,kein Verdienst"
des Cod. R sei, noch ,, sechs" (recte: sieben) Parepigraphae zwischen
den Textzeilen zu führen. Wenn sich der librarius des cod. R jeden
Schimpf gefallen lassen muß, wenn er etwas Wichtiges nicht mitteilt,
so muß man es der Handschrift als „Verdienst" anrechnen, wenn sie
etwas Wichtiges enthält. Das fordert die Gerechtigkeit. Nun hat aber
natürlich keine andere Handschrift noch sieben Parepigraphae zwischen
den Zeilen wie ß und es wäre bei einer Untersuchung über das Alter
der Parepigraphae methodisch verfehlt gewesen, wenn ich mich statt auf
R auf die späte Aldina berufen hätte, die übrigens nur fünf Parepigraphae
wiedergibt, weil sie nur 9 Stücke umfaßt. —
Ch. Ex 0 n , A new theory of the Ekkyklema. Hermathena, No.XXVI,
1900, S. 132—143.
Mit Aristoph. Thesm. 276 ff. beschäftigt sich auch dieser Aufsatz.
Ausgehend von schol. Ach. 408 -sp'.3Tp£'fo[X£vov , schol. Nub. 184
urpacpEVToc to-j i'/xux^fj-axos und Schol. Aisch. Eum. 64 behauptet Exon,
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 283
daß die übliche Vorstellung, die sich mit dem Worte £7xuy.Xr,[xa ver-
binde, durchaus unrichtig sei. Es handle sicii nicht um einen Apparat
auf Elädern, sondern um die Umdrehung eines Teiles der hölzernen
Bühnenwand um eine Achse. Ein Analogon sieht er in den repiaxtc..
Auf einer in beliebiger Höhe (Ach. 408. 409) angebrachten Plattform
wurde das Innere des Gemaches vor die Augen der Zuschauer heraus-
gedreht. — Ob sich diese Anschauung durchsetzen wird, kann mau ab-
warten. Ich plaube, dal.'« es bei dieser ^rethodc der Erklärung noch
viel schwieriger ist, den ganzen Eumenidenchor unterzubringen, oder gar
den ganzen Chor der Thesmophoriazusen, wenn man v. 276 ff. mit dieser
Auffassung interpretieren will. Allerdings ist dem Verfasser zuzuge-
stehen, daß die roUeude Schublade für diesen letzteren Zweck auch
nicht ausreicht. Glücklicherweise läßt sich Thesm. 276 ff. samt Par-
epigraphe und Scholion m, E weitaus einfacher erklären. —
b) Arbeiten über die Arlstophanesscholien.
Scholia Aristophanica being such comments adscript to the
text of Aristophaues as have been preserved in the codex Ravennas
arranged, emended, and translated by W. G. ßutherford. Vol. I.
II. London 189Ö.
K. Zacher, kritisch-grammatische Pai'eiga zu Aristophaues.
Leipzig 1899.
J. van Ijzeren, De variis lectionibus a Rutherfordio e scholiis
Aristophaneis erutis. Mnemosyne XXVIII, 1900, S. 176—200, 298—
328. —
Als ich im Herbste des J. 1881 die Schollen des Codex Ravennas
kollationierte, tat ich dies in der Absicht, mich über den Bestand der
scholia vetera zu vergewissern, um vielleicht ein Corpus der alten
Scholienbestandteile aus dem Ravennas und dem Veuetus nach eigener
Kollation und mit Hinzugabe mancher offenbar ebenfalls alter Schollen
anderer Handschriften aus Diudorfs und Dübneis Ausgaben zu edieren.
Da ich während der Arbeit das Scholiencorpus genau kennen lernte, sah
ich bald ein, daß sich alte und minder alte Schollen wohl in vielen
Eällen, aber im ganzen doch in zu geringer Anzahl sicher abgrenzen
lassen. Ich gab also diesen Plan auf und beschränkte mich auf die
Durchfühlung der unternommenen Korrektur der Dübnerscheu An-
gaben über die Ravenuasscholien , die wieder auf Dindorfs Oxforder
Ausgabe beruhen. Als eine solche Nachtragskollation zu Dindorfs und
Dübners Scholien habe ich meine Arbeit unter dem Titel „Beiträge zur
Kenntnis der Ravennasscholien" in den „Wiener Studien" 1882, Heft 1,
veröffentlicht. Dem Charakter einer derartigen Revision der Dindorf-
284 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (öoizinger.)
Dübnerschen ADgabeu entsprechend, mulite meine Kollation zwar wesent-
lich genauer als die von Dindorf benutzte Kollation, aber im ganzen
nach denselben leitenden Gesichtspunkten abgefaßt sein. Die Dindorfsche
Kollation, wie ich sie der Kürze halber nennen will, verfolgt, wie man
während des Kollationierens bald bemerkt, die Absicht, nur dasjenige
als Fehler des librarius zu notieren, was offenbar ein Fehler sein muß.
Ebenso verfuhr nun auch ich gegenüber dem jeweiligen librarius des
Cod. R und gegenüber Dindorfs Angaben. Da ferner Dindorf die
Setzung des v ephelkystikon, des i subscriptum, der Initialen, der Lese-
zeichen und Interpunktionen, die Abteilung der scriptio coutinua und
die Anordnung der Schollen nach eigenem Sachverständnis durchführte
und hierin die zahllosen Abweichungen von der Handschrift nur aus-
nahmsweise berücksichtigte, ist es nur natürlich, daß meine Kollation
sich durchaus nicht jedesmal mit der Kollation anderer decken kann,
die vielleicht nach anderen Gesichtspunkten verfuhren. Was der Leser
mit dem überflüssigen Ballaste einer Scholienkollatiou beginnen soll, ist
eine andere Frage. Meines Erachtens hatte schon A. Martin, dessen
Werk nach meiner Kollation erschien, demselben Stoffe, den ich auf
32 Seiten eines Aufsatzes bewältigte, auf 222 Seiten seines Buches eine
unnötige Ausdehnung gegeben. Seine verdienstliche Beschreibung des
Codex Ravenuas und die Geschichte seiner Schicksale hätte, vermehrt
um eine Liste der fehlerhaften Angaben Dübuers, den Inhalt einer
mäßigen Broschüre füllen dürfen, aber nicht mehr. Daß der wissens-
werte Nachtrag zu Dindorfs und Dübners Leistungen nicht ausreicht,
die Herausgabe eines Bandes iür einen einzigen Codex zu rechtfertigen,
sieht doch wohl jedermann während der Arbeit ein, so wie dies bei mir
selbst der Fall war. Zu diesem für den künftigen Scholienleser wit^sens-
werten Nachtrage habe ich die Angabe der Verteilung der Scholien auf
die vier Blattränder ebensowenig gerechnet, als Dindorf selbst. Un-
billig ist der Vorwurf, den Zacher deswegen gegen mich in seinem
Jahresberichte LXXI, 1892, S. 96 erhebt, wenn er sagt, ich hätte mich
nicht darum gekümmert, wie die Scholien getrennt oder zusammen-
geschrieben sind, und wie sie auf den Eaum des Blattes verteilt sind.
Wer, wie ich, jedes Scholiou des Ravennas bei Dindorf und Dübner im
Texte und in den Adnotationes, also an vier Stellen suchen mußte und
ebenso wieder jede Angabe beider Ausgaben im Codex nachprüfte,
mußte sich für jedes Blatt die ganze Scholieneinteilung in sein Exemplar
der Dübnerschen Ausgabe notieren. Denn bei der Überprüfung meiner
eigenen Kollation hätte ich andereufalles die gleiche Mühe des Suchens
ein zweites Mal gehabt, wogegen die Mühe, anzugeben, ob ein Scholion
oben oder unten, rechts oder links oder zwischen den Zeilen steht, ver-
schwindend klein ist. Aber dies alles dann in den Druck der Kollation
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (Holzinger.) 285
Linüberzunehmen , halte ich auch heute noch für überflüssig: und
wenigstens bei dem Cod. Venetus oft genug beinahe für undurchführbar.
R. Scholl sagt in den Sitznngsber. des bayer. Ak. philos.-philoloo:. Kl. II,
1889, S. 39 über diese Punkte folgendes: «Die Verteilung der Schollen
über die Ränder bezeichne ich. obgleich wenig darauf ankommt,
dui'ch ein demScholion beigesetztes sup(erior).inf(erior),ext(erior), int(erior
<l. i. niargo). Die Fehler der Handschrift habe ich unter Angabe des Über-
lieferten verbessert, die Abkürzungen aufgelöst, die Interpunktion und
die sehr häutig fehlenden Acccnte zugefügt, da ich keinen Nutzen
darin sehe, die ohnehin nicht besonders verlockende Lektüre eines
solchen Kommentars durch photO£;raphisch treue Wiedergabe hand-
schriftlicher Zufälligkeiten und Freiheiten zu erschweren."
Genau so dachte ich bezüglich einiger dieser Punkte schon im
J. 1881. Die Angabe der Verteilung der Schollen auf die vier Ränder
befähigt niemand, der sich nicht vor der Handschrift selbst befindet, zu
Schlüssen über die äußere Beschaffenheit der Vorlage, die der librarius
des Cod. R vor sich liegen hatte. Wenn z. B. ein Extramarginul-
scholion von der Rectoseite eines Blattes angegeben wird, so nutzt diese
Ortsangabe dem Leser nichts, wenn ihm nicht auch noch wenigstens
gemeldet wird, ob dort, wo man das Scholion vielleicht mit größerem
Rechte gesucht haben würde, für dasselbe noch genügender Raum vor-
handen gewesen wäre. Bei dem Codex selbst erkennt man einen
solchen Umstand oft auf den ersten Blick. Da nun aber die Codices
R und V weder das gleiche Format haben, noch die gleiche Scholien-
menge umfassen, noch auch gleich enge Schriftzüge zeigen, so läCt
sich auch durch den Vergleich solcher Angaben über beide Codices kein
sicherer Schluß auf ihr nächstes gemeinsames Archetyp aus so dürftigen
Angaben ziehen. Zu derartigen Schlüssen berechtigt doch nur das
Studium der Handschriften selbst oder einer phototypischen Reproduktion
der ganzen Codices. Darum gibt es auch im ganzen Bereiche von
Scholienausgaben nicht eine einzige , welche den willkürlichen An-
forderungen entspräche, die gerade an die Bearbeiter der Aristophanes-
scholien von Seite nörgelnder Kritiker erhoben worden sind. Ich habe
unmittelbar nach dem Cod. R auch den Venetus im Dezember 1881
und Januar 1882 in Angriff genommen und habe daraus eine Nachtrags-
kollation zu den Schollen der Pax gegeben, gedruckt in den „Wiener
Studien", 1883, I.Heft. Dort nun, wo ich diese Sache in berechtigtem
Unmute stehen ließ, steht sie im wesentlichen noch heute.
Wir besitzen jetzt allerdings drei gegenseitig sich ergänzende
Nachtragskollationen zu den Ravennasscholien. Wer aber das Scholien-
corpus überhaupt zu einer Stelle des Aristophanes studiereu will, muß
nach wie vor die Dübnersche Ausgabe zu Grunde legen, wie ich es für
286 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (llolzinger.)
die Leser meiner Kollation voraussetzte. Von einer neuen und er-
weiterten Gesamtausgabe aller existierenden Schollen und auch von der
Ausgabe einer Auswahl der „scholia vetera" ist man heute sc weit ent-
fernt, wie vor zwanzig Jahren, Es ist derselbe Fall, der sich bei
Velsens Textausgabe zeigt, die in 20 Jahren auch nicht um eine einzige
Komödie vorwärts rückte.
Nach dem Gesagten kann ich mich über das Werk Rutherfords,
zu dessen zwei Bauden noch ein dritter in Aussicht ijjestellt ist, kurz
fassen. Rutherford gibt den Vorgang, den er bei seiner Kollation ein-
hielt, Vol. I, Introd. p. VI, selbst an. In England schrieb Rutherford
aas der Ausgabe Dübners die Ravennasscholien ganz ab, indem er hier-
bei die Angaben Martins mitberücksichtigte und die abweichenden An-
gaben meiner Kollation hinzunotierte. Dieses so hergestellte Manuskript
wurde inRavenna mit dem Codex selbst durch Dr.Graeven verglichen, der
die Interpunktion, die Accentuation, die Silbentrennung und die Ab-
kürzungen, sowie abweichende Lesarten des Schollentextes aus dem Ra-
vennas notierte. Um den Scholientext und den kritischen Apparat des
Rutherfordschen Werkes fertigzustellen, wurde das Ganze noch einmal
und große Teile davon wurden viermal (S. V) geschrieben .(!). Edlen
Schweißes ist also um die zumeist ganz belanglosen Schreibfehler und
Flüchtigkeiten der beiden librarii des Cod. R genug vergossen worden.
Dabei ist es wohl nicht zu verwundern, daß sowohl mir als Herrn
Albert Martin auf diesem Wege einige Übersehungen von Fehlern des
iibrarius nachgewiesen werden konnten. Eine fertige Kollation zu über-
prüfen ist denn doch leichter, als die erste Kollation selbst zu machen.
Aber der Leser, der nun etwa meint, im Anschlüsse an Rutherfords
Angaben über diesen Scholientext zweifellos sicherzugehen, wird sich
trotzdem wieder manchmal im Irrtume befinden. Ich will hierfür ein
einziges Beispiel bringen. Dindorf und Dübner geben weder im Scholien-
text noch in der Adnotatio ein Interlinearscholion an, welches in R
oberhalb Plut. v. 38 steht. Ich war der erste, der angab, daß oberhalb
des Anfanges des Verses w? xw ßup toüt' aüxo vojAt^ct; aufj/fspsiv ge-
schrieben stehe: xo wc avxl xou upoc xsTxa;. Martin hat dieses Inter-
linearscholion ebenfalls bemerkt, las es aber falsch und überhaupt
sinnlos : xo ßi'o; avxi xoü avi'^pcu-oc xsixat. Er hielt also eine Falte
des Pergaments oder irgendwelchen zufälligen Kratzer für den Rest
eines ß und verlas das m für to, ferner verwechselte er Tipoc offenbar
mit der Abkürzung 'övö; für avöpwTroc. Augenscheinlich hat nun Ruther-
ford Herrn Martin dieses : xo ßio? avxl xoü avBpcüi:o; xsixat einfach nach-
geschrieben und Herr Dr. Graeven hat diesen Irrtum aus dem Codex
selbst nicht berichtigt. Rutherford ist sogar von der Sicherheit der
Martinschen Lesung so überzeugt, daß er in dem handgreiflichen Nonsens
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holziager.) 287
einen Sinn entdeckt. Daher schreibt er in seinem Kömmentare wörtlich:
the Word ßio; is here iised for „maukind". Natürlich liegt die Sache
ganz anders. In Plut. v. 32 steht w; xov ileov und dazu gibt der Ve-
netus die Erklärung: av-l toü irpoc xov ösov. Dieselbe Notiz und zwar
in der Form: xo «bc dvxl -oü -pö» xeTxai hatte nun der librarins R wieder-
zugeben. Anstatt über das cb; im v. 32, wohin sie gehört, schrieb er
diese Bemerkung irrtümlich über das <u; in v. 38, wo die Notiz keinen
Sinn hat. Ich bin nun dem Zufalle dafür dankbar, daß Rudolf Scholl,
der die Schollen des Plutos im Cod. R zu einer Zeit, als sein erstes
Blatt noch ziemlich gut lesbar war, kollationierte, gerade diese Stelle
notierte. Und so gibt denn Scholl in d. Sitzungsber. d. bayer. Ak.
philos.-philol. Kl. II, 1889, S. 44 die Lesart: xo w; avxl xoü rpoc xsixai,
indem er sie selbstverständlich ebenfalls auf v. 32 bezieht. Aus diesem
Bei?piele kann man nicht nur ersehen, was es mit dem Cousensns zweier
Kollationen gegen eine andere Kollation auf sich hat, sondern auch,
daij die Rückschlüsse von der Stellung eines Scholions in einem Codex
auf die Stellung desselben Scholions in der Vorlage der Handschritt
durchaus nicht sicher sind. Mit mechanischen Angaben über die Ver-
teilung der Schollen ist nur eine Gelegenheit zu neuen Irrtümern er-
öffnet. Ganz anders freilich beurteile ich derai'tige Studien, wenn die
»iaraus gefolgerten Schlüsse praesente codice gemacht werden. — Ich
knüpfe an das vorgeführte Beispiel noch die Bemerkung, daß die beiden
librarii, welche die Schollen des Codex R schrieben, keineswegs so tief
stehen, als sie jetzt von mehreren Aiistophauikern, besonders auch von
Zacher gestellt werden. Zacher sagt z. B. in den Parerga S. 506,
schol. Nub. 18 sei „für die gedankenlose Weise, wie Ray. die
Schollen verstümmelt, recht charakteristisch. Es lautet: arxe -ai
Xuyvov (xaüxa -a'vxa 7:ap£7xuxXr^ixaxa sbi xal Trap£Tri7patf)a). Öei 7ap xöv
oixexTjV xo zpoaxayflsv -otf^jai xat a'|ai xov X'jyvov xal ooüvai xo ßtßXiov xxA.
Das Eingeklammerte hat R weggelassen, schi-eibt aber doch ruhig hinter
rjzl das 7ap, welches doch nur in Beziehung auf die weggelassenen
Worte Sinn hatte". Auf S. 518 der Parerga wird nun aus derselben
Stelle auch ein Vorwurf für Rutherford gedrechselt. Denn auch Ruther-
tord ,läßt mit R das xaüxa iravxa . . TiapETiqpacpa weg und schreibt
ruhig oeT 7«'?". Zacher hat eben nicht bemerkt, daß in schol. Nub. 18
jenes 7dp sich auch ohne das Wort 7rap£T:t7pa9r^ ganz gut an die zu er-
klärenden Textworte anschließt. Denn es gehört zu dem gewöhnlichen
Gebrauche des Scholiasten in R und anderer Scholiasten die Erklärung
eines Wortes neben dem Lemma mit 7ap und nicht nur mit ok anzu-
fügen: z. B. schol. Pac. 280 heißt es zu oi'ixoi : YJXöev 7ap ]i.r^ok^ a7o'|x£vo?,
Ol' ö ir/dlXti. RV. In sprachlicher Hinsicht trifft also bei schol. Nub. 18
weder den librarius R noch Herrn Rutherford irgend ein Tadel. —
288 Bericht über die Literatur 3er griechischea Komödie. (Holzinger.)
Die Scholieuschreiber dos Cod. E, sind zu einem gewissen Teile
dadurch gegenüber den Scholiensclireibern des Cod. Verietus in den
Nachteil geraten, daß die Leistungen der ersteren geradezu unter die
Lupe genommen wurden, während den Schollen des Venetns diese
genaue Prüfung wenigstens für die Schollen zu Plutos, Nubes, Equites,
Aves und Vespae erst noch bevorsteht.
Was nun den Kommentar anlangt, den ßutherford den Ravennas-
scholien beigibt, so fehlt es in demselben natürlich nicht an wertvollen
Bemerkungen. Aber ein großer Teil der Erklärung ist meines Er-
achtens so überflüssig, daß man oft nicht weiß, für welche Sorte von
Anfängern eine paraphrasierende Notiz bestimmt sein soll. Ich greife
aufs Geratewohl schol. Plut. 3 heraus: Xs^a; xuyrj • avxl toü Xe^r).
Hierzu lautet der Kommentar: Xs^aj tu-/y) : equivalent to Xe^tj. Oder
man sehe schol. Nub. 734: . . otl yj.p auiov -/aös^EcjUai s/ovra to atSoiov.
„Strepsiades ought to sit with his aedoeon in his band."
Ein Hauptzweck des in siebenjähriger Arbeit zusammengestellten
Werkes Rutherfords besteht (vgl. Introd. p. XVIII) darin, aus den
Schollen ältere Lesarten des Komödientextes zu gewinnen. Über dieses
Bestreben der neuen Ausgabe hat Zacher in den Parerga S. 526 flf.
ein auf viele Belege gestütztes Urteil abgegeben. Ich kann mich um
so leichter damit begnügen, einfach hierauf zu verweisen, als' auch
J. van Ijzeren seinen oben genannten Aufsatz vor allem diesen Stellen
des Rutherfordschen Werkes gewidmet hat. So wird es dem Leser
dieses Berichtes nicht schwer fallen, für die Beurteilung dieser Seite
der Leistung sichere Führung zu gewinnen.
*Boutens, Exercitationes criticae in scholia ad Aristophanis
Acharnenses, 1899. (Rec. J. van Ijzeren, Museum, 1899, No. 9.)
W. Meiners, Quaestiones ad scholia Aristoph. historica perti-
nentes. - Diss. phil. Halenses XI, 1890, S. 217—403.
Ich verweise auf die Rezension dieser tüchtigen Arbeit in der
Berl. ph. Wo. 1893, No. 41 (0. Bachraann), da sie ihres Datums wegen
nicht in den Bereich dieses. Jahresberichtes fällt. —
Scholia in Aristophanis Lysistratam edidit, prolegomena de fon-
tibus scholiorum scripsit G. Stein. Göttingen 1891.
Diese Schrift, die ich nach dem Datum ihres Erscheinens hier
zu nennen nicht bemüßigt war, hat durch Zacher in der Berl. phil.
Wo. 1893 No. 51 und 52 eine ausführliche Besprechung erfahren, die
über den Rahmen gewöhnlicher Rezensionen hinausgeht. Weiterhin hat
sich Zacher veranlaßt gesehen, in der Berl. pliil. Wo. 1894 No. 11
und 12 einen Aufsatz zu veröffentlichen, der an G. Steins Schrift und
an die eben genannte kritische Besprechung anknüpft und unter dem
Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 289
Titel: „Die Scbolien zu Aristophunes' Lysistrate im Codex
Leidensis" eine genaue Besclireibung dieser IIs und die Kollation
der Lysistrata enthält. Ich beschränke mich hiev darauf, auf die
Wichtigkeit dieser Beiträge Zachers hinzuweisen, da sie iu der Berl.
phil. Wo. ohnedies für jedermann leicht zugänglich sind. —
C. B. Gulick, De scholiis Aristophaueis quaestiones mythicae. —
Harvard Studies V, 1894, p. 83 — 106.
Gulick trägt in dieser Abhandlung alles zusammen, was in dem
Corpus der Schollen zu Aristophanes über die ältesten Göttergeschlechter,
dann über die olympischen und die unterweltlichen Götter, über Herakles,
über den attischen Mythenkreis und über einige Heroen, schließlich
über Hekate und den Totenkult gesagt wird. Das Ziel seiner Arbeit
war es. festzustellen, daß vor allem Didyraos die Quelle dieser mytho-
logischen und mythographischen Scbolien war und daß Didymos außer
dem Apollodoros, den Historikern und Atthidenschreibern, ferner dem
Polemou, dem Antikleides, epischeu und namentlich tragischen Dichtern,
vorzugsweise auch das Werk des Diouysios Skytobrachion ausschrieb.
In diesem letztgenannten Punkte zeigt sich also Gulick, wie man sieht,
von jener Richtung beinflußt, der Bethes Quaestiones Diodoreae an-
gehören. Vielen wird dies als eine besondere Anempfehlung der Arbeit
Gulicks erscheinen. Ich selbst stehe auf einem anderen Standpunkte
und bin gewohnt, Männer wie Didymos, deren Fleiß und Gelehrsamkeit
das Altertum anstaunte, möglichst wenig als lectores unius libri aufzu-
fassen, namentlich wenn ihnen nachweislich die reichsten Bibliotheken
zu Gebote standen. Daß Didymos auch das Werk jenes Diouysios ge-
kannt und gelegentlich benutzt haben wird, wird man gern zugeben,
so daß auch dieser als eine Quelle des Didymos aufgeführt werden
darf. Auffallend ist mir auch, daß Gulick das Scholiencorpus viel zu
sehr wie einen einheitlichen Autor behandelt, wenn er auch angibt,
daß erst lauge nach den Zeiten des Didymos Partien aus Ps. -Apollo-
doros und Coruutus in die Schollen hineingearbeitet worden sind. —
J. van Leeuwen, De Phidiae morte. — Mnemos. NS, XXI, 1893,
p. 180—181.
Der Verfasser behandelt das Scholion zu Aristoph. Pac. 604.
Er macht es wahrscheinlich, daß dieses Scholion nicht bloß eine
Stelle, sondern zwei verschiedene Stellen des Philochoros enthalte,
welche über die Schicksale des Pheidias handeln und von denen die
eine — nach der von Dindorf angenommenen Vermutung des Palmerius
— unter dem Archontate des Theodoros (438/437), die andere km
llDÖootopo'j (432/431) zu lesen war. Dadurch, daß man bei der bis-
herigen Verbindung beider Stelleu schrieb: Osi6''ac xxX. «inodaveiv Gnö
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 19
290 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)
'HXeiwv ird n'ji>oott)pou, ö; ejtiv kko to-jto'j (nämlich dem Theodoros)
ißSoiJLo; -/tX., entstand die nnrichti^e Notiz, daß Pheidias unter dem
Arcliontate des Pytbodoros, also gleich bei dem Beginne des peloponne-
sischen Krieges, gestorben sei. Leeuwen aber setzt nach HXetcuv den
Punkt und die Anführungszeichen, mit denen er das erste Citat aus
Philochoros abschließt. Das Todesjahr des Pheidias ist demnach nicht
überliefert. Mit <xai> l-nX IIuf)o6wprj-j läßt Leeuwen den Scholiasten
zu dem zweiten Philochoroscitate übergehen. Der Anfang dieser zweiten
Stelle, dessen Konstruktion bisher verworren zn sein schien, wird durch
dieses einfache Mittel klar. —
J. van Leeuwen ad Öchol. Aristoph. Pac. 618. Mnenios. NS.
XXI, 1893, p. 314.
Der Verf. empfiehlt eine doppelte Änderung in diesem Scholioa
und schreibt: Ttpo? xov <I>£iot'av ouv (o? xaXa ^oava -otouvra. — Das Scholion
fehlt im Cod. Rav. Die Schreibung, welche der Cod. Ven. darbietet,
7] xaXa Eoava Troioüaa läßt sich in der Tat nicht rechtfertigen.
W. Headlam, Various conjectnres III. Scholia to Aristophanes.
— The Journal of Philology XXIII, 1895, p. 323. —
Der Verfasser bringt anf dieser Seite Konjekturen zu den Sdholien
der Acharner, Equites, Nubes, Vespae, Aves, Ranae, der Pax und des
Plutos. Mehrere dieser Konjekturen gehen darauf aus, die grammatische
Fügung nach dem Sprachgebrauche der besten Gräzität einzurichten,
und einige Male hat der Verfasser ohne Zweifel das Richtige getroffen.
Z. B. Ach. 1001 empfiehlt er bei ~po? adlr.vcio; V "inv^o-t den Accusativ.
Durch die unrichtige Auflösung des Kompendiums der Endsilbe mag
hier in der Tat ein Fehler in den Scholientext gekommen sein. Ich
gebe dies auch für Schol. Equ. 56 und 59 zu, wo Headlam ::avoup7(u;
und Tip ß. schreibt, statt -avoüpYo? und -o ^j. — Aber überall darf man
die schlechtere Gräzität nicht einfach durch die bessere ersetzen woUen.
Z. B. im Schol. Nnb. 296, welches sowohl im Codex Ravennas, als im
Venetus fehlt, heißt es: . , toü ös axcuTTTstv e-/o[X£v(ov. Headlam schlägt dafür
vor: Tipo; to axcuTiTstv r/o[xev(uv, Headlam meint vielleicht, daß too c;x(u--
Tsiv r/scjflai nicht sicher genug bedeutet: „sich an den Spott halten", da
es ja wohl auch bedeuten könnte „sich des Spottens enthalten", — aber
dies genügt m. E. nicht dazu, daß man diesen offenbar späten Text für
verderbt halte. Auch bei Schol. Nub. 1466: Xemet to uil r) -ai, toüto
7ap s-r/pa^sTai. -p6^ -/otp xov uiov [xeTeß'/i, kann ich mich Headlams An-
sicht nicht anschließen, der toüto Tiaps-r/pa'fSTat oder --ceYpaTXTat oder
TrapeTTf/pacpr, vermutet. Denn eine Parepigraphe würde hier nicht uts
oder -.Tai gelautet haben, sondern vielmehr: touto -poc tov uiov Xe'-^si.
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Hohinger.) 291
H. van Herwerden, Eniendantur scholia graeca in Aristopbanis
Pacem. — Mnemosyne NS. XXIV, 1896, p. 199—209. —
Herwerden bringt etwa 80 Verbesserungsvorschläge zu Dübners
Texte der Schollen zu Aristophaues' Frieden. Neben zahh-eichen leichten
Emendationen finden sich auch nicht wenige kunstvollere Verbesse-
rungen, durch welche ein nicht gerade an der Oberfläche liegender
Schaden geheilt wird. Vollständig sicher ist z. B. gleich die erste
Konjektur, durcli welche in der ersten Hypothesis Z. 14 Dübner p. 169
a'fxa? aus v. 298 eingesetzt wird und zwar statt des überlieferten a'iia.
Sehr bemerkenswert ist z. B. die Herstellung zweier Verse der Medeia
des Morsimos. Die Verse 1013 — 1014 der Friedenskomüdie oXoixav oXo-
jxav a-oyr^pajöst; ) xa; iv -reuxXoiJi Xo/£uoiA£vac | werden als eine Parodie
der Klagen der Medeia nach der Ermordung ihrer Kinder bezeichnet.
Die Vorlage wird demnach in folgender Weise restituiert- oXojxav oXo-
}jLav ^'"oyrjfiiuösT;', | rl 39' ev xafiaTOiJi XoysujajxEva. | — Allzuschuell wird
bei dem Schol. zu v. 1204 der Vorwurf gegen Dübner erhoben, er
habe nicht gewußt, daß die Worte: -0 •AE'npo^^ £7xaT£A£t:re toTc axpoo)-
jj-Evot; einem bekannten Verse des Eupolis angehören. Dübner citiert
die Stelle des Eupolis in der Adnotatio p. 477 genau am richtigen
Orte unter 1204, 42. Auch Dindorf, dessen Oxforder Ausgabe die
Grundlage der Didotächen bildete, gibt diese Verweisung, so daß sie
Dübner zum mindesten daher kennen mußte. Dübner kannte die Verse
aber auch aus den Schollen zu den Ach. 529, wo er die ganze Stelle
des Eupolis abdruckte. Und was soll überhaupt ein solcher Vorwurf
bezüglich eines Verses, den weitaus Geringere, als Friedrich Dübner
war, ausw-endig hersagen können! —
P. S. Photiadis, Niiuxspai xivs; c/va7vu)jei? et? xa ei? xov 'Apiaxo-
cpavT) 'EXXT)vixd cr/oXia. - 'A.V« X, 1898, S. 94—96. —
Der Verf. behandelt einige Stellen der Hypothesis zur Lysistrata.
Bei Dübner p. 248 Z. 6 löst er das überlieferte sinnlose IEwki'ou? e|x-
TiptXa; nicht mit Dübner in e^cu «7:1063^? £i? -axpi'oas auf, sondern in
eStuxi-/a; o{jLrjpioot; und schreibt weiterhin xaxaX£tTr£t ornfftu. Der ziemlich
genaue Anschluß an den Vers 244 der Lysistr. : xa?8l 0' öjxr^pou? xa-
xaXi'f rjjjLiv evf)ao£ ist hier vielleicht wirklich anzuempfehlen. Die Fe-
mininform 6|j.rjptc, die der Thesaur. Steph. nicht kennt, käme dabei auf
die Rechnung der späten Gräzität des Scholiasten. — Weniger über-
zeugend ist mir die Bemerkung zu Dfibn. p. 248 Z. 26, wo das unver-
ständliche xal xac -pox£pac y'jvzixcüc Steht. Dübner versteht dies wohl
richtig als xa -epl xa; vuvaixas. Hingegen Photiadis hält xal xa xaxd
xa? scpsxe'pa? -(uvaixa? für das Ursprüngliche. (Vgl. v. 999.) — Im letzten
19*
292 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
Teile der Kypothesis schließen zwei Sätze mit dr.ojzillo'j'ji. Das zweite
a-noTce'XXoucj'. ergibt keinen Sinn. Hier schreibt Photiadis nach v. 1042
mit Recht auateAXovxat. In der IJrklärung des Schreibfehlers kann ich
ihm nicht folgen, da es sich um eine einfache Dittographie handelt. —
C. Arbeiten über die Fragmente der griechischen Komiker.
a) Fragmente des Epicharnios, Kratinos, Aristophanes nnd anderer alter
Komiker.
Th. Gomperz, „Ein griechisches Komödienbruchstück in do-
rischer Mundart". Mitteilungen aus der Sammlung der Papyrus
Erzherzog: Rainer, Bd. V, 1889. —
Die Entzifferung des Papyrus ist ein Verdienst Wesselys, der
die Datierung der Schrift nicht über das Zeitalter des Kaisers Augustus
hinabrücken zu dürfen glaubt. Die literargeschichtliche Bestimmung
und kritisch- exegetische Behandlung des Fragmentes übernahm Theodor
Gomperz. Das Fragment besteht aus 10 am Anfange und am Ende
verstümmelten trochäischen Tetrametern, zwischen denen sich nach v. 6
eine größere Lücke befindet, so daß ein unmittelbarer Zusammenhang
der zwei Verspartien 1—6 und 7—10 nicht behauptet werden kann.
Außerdem sind einige Zeilen Schollen zur Stelle erhalten. In .über-
zeugender Weise weist Gomperz das Fragment dem 'Oouacjsuc auxo'ixoXoc
des Epicharmos zu. Wichtig zu wissen ist, daß dieses Bruchstück das
erste und bis jetzt einzige durch direkte tjberlieferuug auf uns gelangte
Epicharmosfragment ist, insofern es nicht als Citat eines Autors oder
als Stück einer Anthologie, sondern als Blatt einer Epicharmosausgabe
erhalten blieb. Daher ist sehr beachtenswert, daß der Dorismus dieser
Verse ein schwererer ist als derjenige, der uns in den indirekt über-
lieferten Bruchstücken des Dichters entgegentritt. — Auch die Schollen
sind interessant, insbesondere durch die Nennung des Aristoxenos, der
sich augenscheinlich mit Epicharms Werken eingehend befaßt hatte. —
Von geringerer Bedeutung für die Epicharmosstudien ist das von
Mahaffy in den Flinders-Petrie Papyri Tafel III, 1 herausge-
gebene, bisher unbekannte Fragment, das durch die Überschrift zmyap^ou
ausgezeichnet ist. Es umfaßt die Reste von 4 jambischen Trimetern,
enthält eine Sentenz über das Elend des menschlichen Lebens und
stammt augenscheinlich aus einer Anthologie. Mmmt man für die Da-
tierung dieser Classical fragments das IIL vorchristliche Jahrhundert
in Anspruch, so ergibt sich der Schluß, daß schon damals Sentenzen
des Epicharmos, Euripides u. a. in Florilegien gesammelt waren. Nach
dieser literargeschichtlichen Seite hin kommt also auch diesen sonst
wenig interessanten Zeilen eine hohe Bedeutung zu.
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 293
A. Papadopulos-Kerameus, Lexicon Sabbaiticum. Petropoli
1892. —
Papadopulos hat dieses Lexikon im J. 1887 in Jerusalem in dem
cod. Chart. CXXXVII bibliothecae Sabbaiticae entdeckt. Es bildet den
Schluß der Handschrift auf fol. 162—169. Der Herausgeber schätzt
die Handschrift auf das XIV. Jahrh. — Theodor Kock behandelt
diesen Fund eingehend in dem Aufsatze: „Komiker- Fragmente im
Lexicon Sabbaiticum", 1893, Rhein. Mus. 579—591. — Das Lexikon
enthält etwa dreißig bisher unbekannte Bruchstücke von attischen Ko-
mikern. Ich erwähne darunter Kratinos, Krates AajjLia, Pherekrates
KpaüaraXotc, Eupolis Ta^tapyat^, Aristophanes 'AiJ/ftapato und ev Ni^aoi?,
Piaton dii xaxou(xev(p, Archippos, Sti-attis. Von Menandros gibt es zwei
neue Fragmente. Das eine hiutet in der Handschrift: vuvl os toij e^ ajisoc
y.'jvr,-|£-at; | f,xo'jji -£pt7]7rj70[j.at tol; d/paöa;. Kock schreibt im ersten
Verse: aursw?, im zweiten empfiehlt er op^aoa; (Bnschdickicht) statt
dypaöac. Kock meint, man müßte bei xa? aypaoa; an die Verkaufsplätze
der Holzbirnen auf dem Marktplatze denken, und dies habe in dem
gegebenen Zusaranienhauge keinen Sinn. Aber tac aypao«; könnte doch
auch eine Pflanzung oder einen Bestand von Bäumen bezeichnen, welche
Holzbirnen tragen. Nur freilich macht die von Kock angeführte Stelle
ans Xenoph. Kyneget. 10, 19: Ta-av-ai ai apxu? It:! . . . -ra a.'(1f.r^, xa
xpr/sa, 7] si5,3oXai sisiv sie xot? op^aSa? xal xa eXt) xai xa uoaxa seine
Vermutung sehr wahrscheinlich. — Das zweite Fragment enthält die
Glosse £[jL|^apoc und ist der 'PaT:uo[jL£v7) des Menandros entnommen. —
Auch eine Anzahl namenloser Bruchstücke attischer Komiker findet
sich in dem Lexikon gesammelt, dessen Artikel bekanntlich nur von
a-j^TjCTi; bis £;atpE3£(oc oixt] reichen und sonach bloß einen Ausschnitt aus
einem Lexikon darstellen. Den Gedanken, daß dieses Lexikon in die
Lücke des Lexikons des Photios, die von dStaxpixo? bis £7:iuvu|xoi reicht,
hineingehöre, lehnt Kock ab.
H. Rabe, Lexicon Messanense de iota ascripto. — Rhein. Mus. 47.
1892, S. 404-413.
Th. Kock, Zu den Fragmenten der attischen Komiker. — Rhein.
Mus. 48, 1893, S. 237—239.
In dem von H. Rabe veröffentlichten Brachstücke eines Lexikons
(cod. mon. S. Salvatoris 118 membr. s. XIII in der Regia bibl. Messa-
nensis) stehen mehr als zwanzig bisher unbekannte FragmenteJ^von Ko-
mikern, darunter eines des Menandros: NrjpT); xic i-\ ozX'fho;. Die übrigen
Komikercitate gehören alle der alten Komödie an. Auffallend ist für
294 Bericht über die Literatar der griechischen Komödie. (Uolzinger.)
Hermippos der neue Titel Af^ameninon, der auf eine Parodie hin-
weist. Schön verbessert Kock das auf fol. 281 r 18 — 20 aus Kpa-rivoc
Atovüaoij izegebene Oitat: vixto {xsv 6 ttjoe iroXsi Xe-^wv xo Xüjjtov
(st. TTool li'((a Tov) und macht wegen des Gebrauches von Xwjtoc darauf
aufmerksam, daß der Vers einem Chorliede angehört. Den bisher un-
bekannten Titel Atovujot identifiziert Kock mit dem Titel .Aiovuja^iEav-
Spoi. Bei dieser Annahme wäre auch die Möglichkeit ausgeschlossen,
daß dieser Titel dem jüngeren Kratinos gehöre und auf Alexander den
Großen anspiele. Vgl. Kock Com. Att. frag. I, p. 23. — Ein Ver-
zeichnis der in dem Lexicon Messanense enthaltenen Klassikerfragmente
hat Rabe a. a. 0. S. 413 zusammengestellt. Ich kann mich also auf
die Andeutung beschränken, daß sich darunter neue Bruchstücke aus
Aristophaues rrjpac uud Arj[j.vtat, Eupolis 'Aa-rparsuToi und Xpujoüv -^svo;,
Kratinos Atovujoi, DavoTCrai, HuTivr;, 'ßpai, Piatons Nixat, Havrat (Sotviptav
Kock), <I)au)^> vorfinden. Th. Kocks Bemerkungen über dieses Verzeichnis
a. a. 0. S. 237 sind sorgfältig zu berücksichtigen. — Über das Lexicon
Messanense vgl. jetzt ßeitzenstein, Gesch. der Etymologica p. 289,
H. Richards, Notes on Greek Comic fragments. — The Classical
Review XIII, 1899, p. 148-150 und p. 249—251.
Der Verf. bringt in dem ersten Teile dieses Aufsatzes 13 Kon-
jekturen zu den Komikerfragmenten. Gelungen sind m. E. folgende:
Die Sentenz des Epicharmos bei Lorenz p. 164 „e'fpa ata? ö-JYa-nrjp,
i77ua oe C«iJ-ta?" bespricht R. besser als Lorenz und Ahrens. Er bietet
uns einen Tetrameter eigener Schöpfung an : xsy.vov 177'ja [xsv arac,
e-y^ua? 6e Ca[JLia. Ich halte das xh.wv für allzu unsicher und würde mich
unter Verzichtleistuncr auf die Herstellung des Verses mit der Ver-
besserung des offenkundigen Schreibfehlers begnügen : e^-pa axac Ou7axY]p,
l77uac ÖS Cafxia. Gut ist die Verbesserung von Alexis fr. 149, Kock
II, 351: ou/ apyixey.-(uv .... oXka. x-ix xuiv ypcDfJi.sviuv. Dann liest der
Verf. bei Philemon fr. 71, Kock 11, p. 496: r, aurö xa-j-aDov st. v) xi
d^adov, ferner bei Philemon fr. 90, Kock II, p. 505: r, vrj AI' aXXo;
(st. aXXa)v) xaiv avaYxociwv -{i xi?, bei Menandros fr. 535, Kock III, p. 158:
lipo? xat? Trlxpai? Ypa^oust xov npo[xr,9ea mit leichter Umstellung beider
Wortkola, schließlich bei Men. fr. 539, Kock III, p. 162: u'ivnv. st.
uYiaivei. — Gegen die übrigen Vermutungen verhalte ich mich ablehnend.
Richards liest bei Telekleides, Kock I, 220: xa ok rA-nrL (st. auxa)
TraÄtv xaxaßaXXetv. Das Richtige ist noch nicht gefunden. Gerade weil
unter xa U andere Mauern zu verstehen sind als unter dem voran-
gehenden xa [X£v, darf nicht ravxa an die Stelle des fehlerhaften auxd
treten. — Bei Piaton com. Kock I, 605: xou-oi7'. xot-i Xs-xoT? j apayvioi?
darf man nicht mit R. den Artikel xo?? noch ein zweites Mal vor
Beriebt über die Literatur d' r griecbiscben Komödie. (Holzinger.) 295
dipayviot; einsetzen. Besser ist Meinekes: apayviSiotj. — Bei Piaton com.
Kock I, 644: o-oTs 6' sittsiv oioi, \ oXqov' oXi'ov' eXe-|£v ist kein 2/ vor
e'Xe^ev einzuschieben. Es bandelt sich hier um eine jodiei'te Aussprache
des 7, welche auch die Quantität in eig-entümlicher Weise beeinflußt.
Unnötif? sind auch die Änderungen bei Aristoph. fr. 388. Kock I, p. 493
{•Q St. r,v) nnd bei Pbilemon fr. 31, Kock II, 486 die Vertauschung von
7ap und [xev. Bei Men. fr. 247, Kock III, p. 71 ist die Überlieferung
XoYiufxoü Tto o'.a»)£3tbi als ein instrumentaler Dativ der Konjektur XoYt3[x(p
Toü Siaölsf)«'. vorzuziehen. Ebenso ist bei Diphilos fr. 43, Kock II,
p. 553 T:apaßaXio besser als rapaXaHco. — Der zv^eite Teil des Aufsatzes
Class. Rev. XIII, p. 249 — 251 bringt 30 Konjekturen zu den Fvöiixat
fxovosTr/oi nach dem Text Meinekes, von denen einzelne ebenfalls Be-
achtung verdienen. —
C. Pascal, Di Epicarmo e dei suoi rapporti cou Lucrezio. —
Atcne e Roma III. 1900, p. 275—282.
Es sind 5 Stellen des Epicharmos, welche Pascal bei Lucretius
verwertet findet. Der Verf. citiert die Verse Epicharms nach den
Fundstellen der Fragmente, was bekanntlich eines der modernen
Mittelchen ist, mit denen man jenen, „die nicht alle werden", imponiert.
Zur Bequemlichkeit des Lesers eitlere ich die Verse Epicharms nach
Mullachs Ausgabe, iii welcher (Fr. philos. gr. p. 132) bereits Lucrez
III. 359 ff. als Nachahmung Epicharms (v. 253) behandelt wird. Pascal
trägt diese Gleichung wie eine neue Entdeckung vor. Der Inhalt der
Schrift Pascals reduziert sich sodann auf den Nachweis folgender vier
bei Mullach noch nicht berücksichtigter Entlehnungen: Lucrez I, 81 ff. ;
I, 151 — Epicharm v. 5 Mullach; Lucr. I, 149—150 = Epich. v. 180 ff.
Mu.; Lucr. I, 251—265 -=-- Epich. v. 190 ff. Mu.; und Lucr. II, 999—1001
= Epich. v. 263 Mu. — Die Zählung der Verse des Lucretius gebe
ich nach Munros großer Ausgabe (1893). — Als beachtenswert erwähne
ich, daß Pascal auch bei Horaz zwei Entlehnungen aus Epicharmos
anmerkt: Hör. Epist. I, 2, 62—63 = Epich. v. 271 ilu. und Hör. Epist.
I, 19, 48—49 -= Epich. v. 258 Mu. — Letzterem aus Aristot. de gen.
anim. I, 18 geschöpften Fragmente hat Lorenz, Epich. p. 271 noch
nicht die Form eines Verses gegeben. — Pascal erwähnt auch gelegent-
lich, daß Epicharm in seinen Komödien den Typus des Parasiten schuf,
den die neuere Komödie übernahm. Eigentümlich berührt hierbei die
Bemerkung, daß die Alten, nämlich Athenaeus VI, 235 e, dies schon
notiert, die Neuereu aber wieder vergessen hätten „cosa che gli antichi
gii\ notarouo e i moderni obliarono". Man traut seinen Augen nicht,
wenn man als Beispiele hierfür Ribbeck und Leo citiert findet. Pascal
weiß offenbar nicht, daß seine Entdeckung selbst schon in dem kurzer.
296 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
Bährschen Artikel über Epicharmos in der ersten Auflage voa Paulys
Realencycl. vom J. 1844 als etwas Allbekanntes erwähnt wird. Es
wäre sehr zu bedauern, wenn die jüngeren italienischen Philologen den
arroganten, manirierten und theopneustischen Stil nachahmen sollten,
der in Deutschland Mode zu werden droht. Die älteren Gelehrten, auf
deren Forscliungen das jetzige Ansehen der italienischen Philologie be-
ruht, haben die Leistungen der Vorgänger achtungsvoller behandelt. —
W. G. Rutherford, Conjectnres in the text of the Comici
Graeci. — Class. Review XI, 1897, p. 16 — 17.
Der Aufsatz enthält 12 kritische Bemerkungen zu dem I. Bande von
Kocks CAF. Für Chionides Uxw/oi frag. 6 wird -wo' eV olvov xoTTTexov
vermutet, st. xcpoe xoivuv x. Daß man xapr/o? mit "Wein kochte, wird man
nach Alexis Ko. fr. 186 (II. p. 366) gerne glauben; aber ßutherforl
teilt leider nicht mit, wie man dann l~\ und -/.o-xsxov verstehen soll.
Auch scheint xoivuv zur Verbindung der zwei Verse des Fragmentes
geradezu notwendig zu sein, falls sie überhaupt zusammengehören.
Wenn xo—siv hier „gierig essen" bedeuten sollte, paßt das Objekt olvov
wieder aus diesem Grunde nicht. Neben olvov würde man eher xaiixsxov
dulden können. Es fehlt hier an der kritischen Grundlage,, die zu so
weitgehenden Änderungen berechtigte. — Die Behandlung von Ekphant.
fr, 2 beruht auf Kocks Bemerkung: quae interpretatio esse videtur
verborum Ecphantidis. Nur hat ßutherford die Lemmata und die dazu
gehörigen Schollen deutlich nebeneiuandergesetzt und Kocks Aus-
führung vervollständigt. Ich würde noch weiter gehen als beide Ge-
lehrte und auch opap-a Me7apix6v Tioieiv für eine bloße Erklärung de^
Vorangehenden halten. So bliebe für Ekphantides nur ein Vers übrig,
der seinem Abscheu über Megarische Spaße Ausdruck gäbe. — Die
übrigen Vorschläge ßutherfords beziehen sich auf Kratinos. Für
frag. 9 empfiehlt der Verf. ein metrum Cratineum: w[j.o/a'votc x6}X7]v
dßpuvouj' axi|xiac tzUok. — Für frag. 18 (Ko. CAF I, p. 18) schlägt
er vor, bei Hesychios zu lesen: -up -üp 'ij/J^ ■ • ap^ac'Vevo? . . sie xtv'
ip rjxai'psi. — Für frag. 22 ai'ilpsi' a-j-tvoüvxas jxe'frj. — Richtig scheint
mir die Bemerkung zu fr. 26, daß -po? xriv 7yjv neben eppa^s als Glossem
zu streichen sei. — Es liegen noch Konjekturen vor zu Kratinos fr. 38 :
ex' ouo' 0 |xoi cppaswv, zu fr. 49: xscoc evot-oTraxouvxa xoic Adxtüctv,
fr. 57 — 58: v>' ov o'j ßpoxtJüv und TpixxT) (st. xpr/)^/]), fr. 97: epüi TioXXrj
ayokf^, fr. 124: yp'jJiSt jtievoüjv, avaYpacpsü, xoi; ocpejt Ttieiv oi'^ou. —
A. N. Jannaris, Kratinos and Aristophanes on the cry of the
sheep. — The Americ. Journ. of Philol. XVI, 1895, p. 46—51.
Schon nach dem Titel errät der Leser sofort, daß es sich wieder
einmal darum handelt, die Existenz des Itacismus schon ans möglichst
Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 297
alten Autoren nachzuweisen. Bei Untersuchungen dieser Art bildete
der Vers des Kratinos fr. 43 Kock: 6 o' rjXi'öio; tus-ep zpoJiaTov ß^ ßr]
Xe-fojv ^otot^et stets einen unangenehmen Stein des Anstoßes, weil über
das Argument, daß die altattischen Schöpse nicht wi \vi, sondern bäh bäh
geblökt haben dürften, nur mit mehr oder minder schlechten Spaßen,
nicht aber im Eruste hinwegzukommen war. Man sehe nun, wie jetzt
Jannaris mit dem Verse des Kratinos fertig wird. 1. Kratinos hat nicht
BH BH geschrieben, sondern BE BE. Im Jahre des Eukleides war
Kratinos schon tot. Aristophanes, der im Alter sehr konservativ war,
erlernte das neue Alphabet nicht mehr. Auch Aristoph. schiieb BE
oder BEE. 2. Die Schafe schreien überhaupt nicht bäh bäh, sondern
nur bäh und nach längerem Intervall abermals bäh. 3. Hätte Kratinos
beabsichtigt, den Maturlaut der Schafe wiederzugeben, müßten ß^ ßrj
durch eine Cäsur getrennt sein und dürften nicht einem Versfüße an-
gehören. 4. Also habe Kratinos hier die Kindersprache nachgeahmt,
in welcher BE BE das Bäh- Schaf (ba-lamb) bedeute. Es handle sich
um einen Alten, der sich, wie Strepsiades in den Wolken v. 1380 &.,
als ganz kindisch darstellen wolle. 5. Der Anapäst im vierten Fuße
verstoße gegen Porsons Regel (Hec. praef. XLV). 6. -p6ßa-ov habe zu
Kratinos" Zeit Kleinvieh bedeutet und sei daher zumeist im Plural
verwendet worden. Also sei Coz-tp -poSa-ov als Glossem eines Lesers,
der den Text mißverstanden hatte, zu streichen. Der Vers hätte also
bei Kratinos: i o rjXtÖioc BEBE Xeywv ßaöi'Cei — (!) u - — gelautet. —
Vor allem ist gegen diese Bemerkungen einzuwenden, daß die Anord-
nung des Eukleides bekanntlich nur den Schlußpunkt einer während
eines ganzen Jahrhunderts vollzogenen Reform darstellte. Und wenn
nun Kratinos wirklich BE BE geschrieben hätte und ß^ ßrj schon damals
als wi wi aufgefaßt worden wäre, wie ist dann ß/j ßrj in unsere Texte
hineingekommen? Auch andere Einwände ergeben sich von selbst, wie
z. B. bezüglich des Glossems und der Versverstümmelung. Die Be-
schreibung des H und E bei Eur. fr. 382 N' -wird übergangen, obwohl
auf den Theseus in der Polemik gegen Blaß wegen der Kalliasfrage
Rücksicht genommen wird.
J. van Wageningen, Ad Archilochum. — Sylloge commenta-
tionum quam Constantino Conto obt. philol. Batavi. Lugdnni 1893.
Diese kurze Abhandlung muß hier erwähnt werden, weil das
Fragment des Archilochos (u Xizepvfjxs? ::oXr-ai, Td[i.a S-^ Euviexe {ithlol-:'
nicht nur bei Kratinos frag. 198 Kock, sondern auch bei Aristoph.
Pac. 603 teilweise wiederkehrt. Wie Hervverden, Mnemos. XXIV p. 203,
halte auch ich die Erklärung des schon von Kallimachos mißverstandenen
Ausdruckes tl) Xiz£pvr,T£c = Ji aXmepvf^xec für so schlagend, daß sie
298 Bericht über die Literatur der griechischen Komödi •. (Uülzioger,)
kt'iner weitereu Anempfehlung bedarf. Archilochos spricht seiue eigeneu
Mitbürger an. Die Einwohner von Faros aber waren natürlich darauf
angewiesen, ihre Erzeugnisse über das Meer («>.?) nach dem Festlande
zu schaffen (TrepvTQfxi). — Ich fü.£;e folgendes hinzu. Das Fragment des
Kratinos gehört der Pj'tiue an, welche an den großen Dionysien des J. 423
gespielt wurde. AVenn nun Kock die Schreibung Co )a7i£pv^Ts; {Uaxal
anempfiehlt, wofür man von nun an «oXiTrepvyj-sc Osatai setzen wird, so
muß man wohl diesen Ausdruck des Kratinos nicht bloß auf die see-
kundigen Athener, sondern vielleicht ebenso sehr auf die zu Schiffe
herbeigeeilten Festgenossen beziehen.
H. van Her wer den, Ad fragmenta Comicorum. Mneraos. NS.
XXI. 1893, p. 149-179.
Th. Kock, Epistula critica. Mneraos. NS. XXI, 1893, p. 3G1— 365.
H. van Herwerden behandelt eine große Anzahl von Fragmenten
attischer Komiker auf der Grundlage von Kocks Ausgabe, namentlich
in kritischer Beziehung, und erhebt gegen die Textvorschläge Kocks
zahlreiche Einwände. Auf eine kleine Auswahl derselben antwortet
Kock in der an Herwerdens Adresse gerichteten Epistula criiica. Er
bespricht darin 6 Komikerfragmente: 1. Kratin, fi'. 211 = Herwevden
Mnemos. XXI, p. 149. In seiner Ausgabe der Com. Att. Frag, hatte
Kock StiXoZ (st. osivou) cpufjv fjisXavoupou vermutet. Bezüglich der Kon-
struktion hatte er angegeben, daß das vorangehende ejöisiv, das den
acc. xpi^XYjv regiert, nicht auch gleichzeitig den Genetiv bei sich haben
könne und daß man demnach für den nächsten Vers eine Form wie
•suaaaöai erwaiten müsse. Herwerdeu war also ganz in seinem Rechte,
als er voraussetzte, daß Kock cpufjv mit osi/iou als Acc. der Beziehung
verband. Kock ist nicht berechtigt zu antworten, er habe ejöietv cpuTjv
verbunden, und Herwerden habe ihn mißverstanden. Übrigens ist die
Fügung Ejöistv cpuTjv wegen des vorangehenden xp'j-fovo; unmöglich. —
Der Tadel Herwerdens bezog sich aber auf den Gebrauch von cp'j>^, das
Kock allgemein gleich cpu3i; setzt, also Talent und Charakter in gleicher
"Weise umfassen läßt. Herwerden hingegen läßt cpuv] nicht im Sinne
von Charakter gelten, wenn er osdou (puyjv für ungriechisch erklärt.
In dieser Beziehung ist m. E. Kock im Rechte. Allerdings die Stelle
bei Piud. Ol. 2, 155 (86) aocpoc 6 tzoDA siook «pu?, die er in der Ant-
wort citiert, spricht eher gegen ihn, als für ihn. Aber anders steht es
bereits mit Piud. Nem. 1, 38 (25): [xapvajflai cpuöi. Bei der geringen
Anzahl der verfügbaren Parallelstellen würde ich auch unbedenklich
eucpuT^? und xa/ocpurjc beizieheu. Ersteres geht auf die geistige Begabung,
aber xaxo^uY^; betrifft bei Plat. ßep. III, 410 den Charakter. Meines
Erachtens hätte Pindar osiXo? «poi^v sagen dürfen. Kratinos also darf
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.) 299
es auch- sagen, wenn die Stelle eine lyrische Diktion oder aber eine
literarische Anspielung verträgt. Nach der sonstigen Beschaffenheit des
Fragments ist also die Konjektur Kocks unwahrscheinlicli. — 2. Für
das Frag-. Menand. Heniochi 202 v. 4 empfahl Kock ai-:ou|j.evou; st.
iopu[xevou;, weil dieses part. perf. mediale Bcdeutun'j: liaben müßte.
Herwerden Mnemos. XXI, p. 168 kSmpft dagegen mit einem Beispiele,
das tSpuaasöai enthält, natürlich ganz vergebens. Im Rechte ist aber
wieder Ilerwerden, wenn er behauptet, dal.! man nicht fav^en könne:
TO'j; ftcO'j; aiTEiaiJoti st. aivEiv. Kocks Gegenbeispiele sind unwirksam,
wie Xenoph. Inst. Cyr. I, 6, 5: aiTeiJöat -zi.fo.da irapa ttuv Heuiv. Da
otiTsiaöat, wenn ich nicht irre, „etwas für sich verlangen" bedeutet, ist
es begreiflich, daß es sich mit xa-j-oc&a -apa tcüv fJsiöv verbindet, aber
ohne Beweisstelle nicht glaublich, daß man auch too; Ueoü; ahzii\)ai
gesagt habe. — 3. Bei Anaxandrid. fr. iuc. 54, v. 6: ypr, -/ap ei; cI/Xov
(pepsiv I aravö' 6V ov ti? xaivo-r,-:' c"/£tv oov.f^ bemängelt Herwerden p. 158,
daß Kock oTav -t; st. oj a'v -i; empfohlen habe; ooxeiv sei = voiii^stv
und der Index Jacobii bringe dafür Beispiele. Mit Recht verwahrt sich
Kock dagegen, daß er diesen Sprachgebrauch nicht gekannt haben sollte.
Er habe vielmehr ebenfalls ooY.f^ ^ ''OfjLtl^O verstanden und habe aravU'
als raasculinum genommen. Dann ist aber Herwerden im Rechte, wenu
er die überlieferte La. vorzieht. — 4. Fraij. com. ine. 405 stellte
Kock aus Aristeid. I, 2 t)df. her: dvi^pwTrwv -ji toi | ocpÄsiv -^iXwTo. xpeiTrov
T, fi£[jL'{/iv Ocüiv. Herwerden p 176 tadelt dieses Fragment, weil man zu
j>agen pflege : av{)piu-o'.j -jEAtuTa ocpXeiv. Kock verteidigt sich mit der Be-
merkuDg, daß man unterscheiden müsse, ob die Tadelnden anwesend
j-eien oder nicht auwesend; ocpXEiv ix£[i.'];iv Usüiv stehe doch bei Aristeides.
Kocks Rekonstruktion des Verses ist, sobald man von \).i[i'\iv/ ilsuiv aus-
geht, folgerichtig. Man kann dem Dichter nicht zumuten, daß er
innerhalb der gewollten Antithese zuerst avDpwrot; und dann ftsüiv
schreibe. Zudem ist ävi)pa)-(ov gewissermaßen unpersönlicher gesagt
als avöpcu-o'.c. Die Gleichmacherei kann uns iri solchen Fällen um
manche unerwartete, aber feine Konstruktion bringen. Bedenkt man
aber, daß die Antithese nicht mit Oswv begann, wobei der Genetiv
minder seltsam klingt, sondern mit avOpconoc, so könnte der Vers doch
auch gelautet haben: avHpw-o'.c ^s to». I o'fXsiv -(Ümvx /psiTrov fj ijle|x({*iv
\)zoU. — 5. Für Aristoph. fr. iuc. 640 hatte Kock von Nanck Philol.
VI, 415 die Wortform sca/oiviy.ov übernommen, welche Herwerden, der
Mnemos. VI, p. 62: i; yoivixwv geschrieben hatte, Mnemos. XXI,
p. 155 ablehnt. Kocks Beispiele für analoge Bildungen scheinen seine
La. hinreichend zu stützen. — 6. Aristoph. fr. ine. 320 v. 15. Her-
■werden p. 154 behauptet, daß su-ett^; und E-j/sp/jC nicht der komischen
Diktion angehören. Bezüglich Eu/sprjj ist Kock durch den Ind. Jacobii
300 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.)
gedeckt. Daß zur.tTTfi, das so vortrefflich in die lamben hineiDpaßt,
sonst bei Komikern nicht zu lesen ist, muß doch von der Konjektur
EÜTiETtoc abraten. — Unter den zahlreichen kritischen Bemerkungen
Herwerdeus, die Kock nicht bespricht, linden sich noch manche, welche
die Beachtung künftiger Herausgeber verdienen. —
E. Piccolomini, Di una reminiscenza Soloniaua presse Cratino
e presso Aristofane, Kendiconti d. K. Acc. d. Lincei, Serie V,
vol. IV, 1895, p. 69—85. —
Der Verf. beschäftigt sich in diesem Aufsatze mit Solon fr. 11
Bgk. V, 5—8, mit Kratinos fr. 128 Kock und zuletzt mit Avistoph.
Ri. 752 ff.
Kratinos knüpft bekanntlich mit seiner Mahnung an die Athener:
Gjxolv El? [XEv exaGTos aXwTTTj^ otupoSoxeiTai (owpoSoxei ti Kock) au Solons
Vorwürfe an: ü[J!.£ojv 6'ei? }jl£v exaato; aXujTTExo; lyvecti ^aivEi, | cju|x-a(Jiv
ö"u|jlTv XOÜ90? Ive-jTi vooc. t £i; "/ap '[Xwjjav opaxE xai Et; e'-qc dioXov
dvSpo;, 1 ei; £p7ov o'ouoev 7i7vo|X£vov [iXiT:tTB.. | — Tür den Vers des Kratinos
schlägt nun Piccolomini die Schreibung öwpoöoxEi oe vor und meint, daß
Kratinos zwar mit Solons Gedanken anfänglich harmoniere, denn aber
in dem owpoooxET os sich Trapd Tipocooxiav von dessen bekanntem Aus-
spruche entferne. Bezüglich des öcupoooxEi oe verweist Piccolomini auf
die einander entgegengesetzten Sprichwörter bei Suidas s. v. dAtuzT)^,
Apostolios cent. II 17, Lex. Seguer. 5, Bkk Anecd. p. 218, 29 Zenobios I,
71, Diogeuian. II, 18, Gregor. Cyp. I, 26 hin. Dabei geht der Verf.
stets von dem Gedanken aus, der Fuchs sei zwar schlau, lasse sich
aber doch durch Lockspeisen fangen. Vielleicht wollte aber Kratinos
gerade das Gegenteil sagen, daß sich die Schlauheit des Politikers in
seiner Vorsicht bei Bestechungen zeige: TtapotiJ.ta. dXtoTnf)^ otupoSoxeTxai
Im. Tuiv jjLTj potoi'w? ocupoic -Eiflop-Evojv Suid. Bernhardy? Meines Erachtens
läßt sich dies nicht sicher entscheiden, weil der Vers des Kratinos ver-
einzelt überliefert ist. Der Gegensatz zu tl; [xev Exaaxo; bei Kratinos
war vielleicht ebenfalls ein cru[x-avT£s wie bei Solon! z. B. eic \ih sxajtoc
ufj-ülv ou paotw; aXiV/siai, aujxTiavTa; oe pdar' dv ti; eXoi. Wer Vermag den
fehlenden Zusammenhang zu erraten? — Piccolomini behauptet ferner,
daß auch die Verse des Aristophanes Ri. 752 ff. auf die Solonische
Mahnung des fr. 11 zurückführen. Hierbei gibt er eine Ergänzung zu
seiner in den Rendiconti HI, p, 8 — 18 ein Jahr vorher publizierten Er-
klärung von E[x-ooiCu>v ij/doac: „Demos diventa un balordo, sta a bocca
spalancata come per abboccare i fichi secchi." Die trockenen Feigen
seien hier ihrer Süßigkeit wegen mit den süssen Reden der Volks-
schmeichler in Vergleich gezogen. Daß hierdurch ein fremdartiges
Element in den Sinn der Stelle hineingebi-acht wird, zeigt am besten
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 301
Jer diesmal auch von P. herbeigezogene Ausdruck Ks-/r,vaiv(uv -o>.'.;. dessen
Erklärung mit der Auffassung von yiyr,v£v in Ri. v. 756 parallel laufen
muß. Vgl. das von mir zu dem eben citierten Aufsatze Gesagte S. 207.
W. Headlam, Critical notes. — The Classical Review XIII,
1899, p. 5-8. —
Headlam bringt zu dem 1. Bande der Fragm. Comicorum Theodor
Kocks etwa 40 Konjekturen, zu dem II. und dem 111. Bande je 45 Ver-
mutungen. Sie werden größtenteils ohne Erläuterungen, ohne Belege
und selbst ohne Angabe des Kockschen Textes , der verbessert werden
soll, mitgeteilt, so dal.l ihre Beurteilung nur nach eingehendem Studium
des von Kock dargeboteneu Materials erfolgen kanu. Ich beschränke
mich auf die Vorführung zweier Stichproben.
Headlams Vermutung zu Chionides frag. 6: y.a--cTov statt xo-rsrov
ist so naheliegend, dail man unvdllkürlich darauf verfällt. Vgl. meine
Besprechung (S. 296) von ßutherfords Conjectures (Classical Review XI,
p. 16). Aber es bleibt die Frage offen, ob man xaTrxeiv mit irv. t(u
-Tapi/si konstruieren könne und Headlam gibt uns bei seiner Methode auf
diese natürliche Frage keine Antwort. —
Bei Kratinos frg. 85: 'Axearopa ^ap (/[xojc ei/oj XaJ^siv | -XYj-fa;,
sav |jt.Ti (j'jjrps'Lr; to: -pa-jjjLaTa schreibt Headlam: 'Ax£3-op' arap o[xü)c x'^X.
GeUiutige Verbindungen. sind bekanntlich aXX' ojjlu? und op-toc oi "Ver-
einzelt findet sich auch dxap o\no^. Hingegen wird ^otp ojxtoj weniger
leicht zu belegen sein. Dazu kommt dann noch der unangenehme Versiktus
auf der Schlullsilbe von 'Axea-opa, worauf schon Meineke aufmerksam
machte. Bergk vermutete: 'Axes-cop' ejii rap' o[xü); und Headlams Kon-
jektur: aTap o[j,(o; hat also nicht unbeträchtliche Gründe für sich. Da-
gegen steht aber die Tatsache, dal.l wir die Verbindung des Fragments
mit dem Vorangehenden nicht kennen und daher nicht wissen, ob nicht
der Name Akestor gerade durch das ^ap und den Versiktus gegenüber
anderen Eigei.naraen in der Stelle hervorgehoben werden sollte. Und
wenn mit dem 'Axs'crcop' das Satzkolon abschloß, warum läuft das Citat
bei dem Scholiasten zu Aristoph. Av. 31 nicht so, daß es mit 'Axe'uTop'
endet und das Verbum einschließt, von dem dieser Accusativ abhängen
soUV Da Headlam seine Vermutung ohne alle Begründung hinstellt,
vermag ich sie nicht für gesichert zu halten. Von genauer Lektüre
der Komikerfragmente zeugen aber Headlams Konjekturen jedenfalls und
ihr Studium wird daher für künftige Herausgeber von Nutzen sein. —
H. Richards, Further emendations of the Greek Comic
Fragments. — Class. Ilev. XIII, 1899, p. 426—428. —
In dieser Abteilung der Bemerkungen Richards' zu den Fragmenten
dei" griechischen Komiker und zwar speziell zu Theodor Kocks Texte,
302 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzingt-r.)
würde icli doch wenigstens ein Dritteil als sehr tüchtige Bemerkungen
bezeichnen müssen. Unsicher bleibt für Pherekrates fr. 95 die Ver-
mutung e-f/apu[iotaat, da das bei Athen. XI, p. 485 D überlieferte
exyapußötaai durch die Glosse des Hesychios l^syap-jl^öijf)/) geschützt
wird. J3arum haben Kaibel und Meineke und Kock nichts geändert. —
Zu Antiphaues fr. 191 v. 18 ist richtig bemerkt, daß 6icp7.r)iJ.e'va als Aus-
liruck für die der ersten Sceue einer Tragödie vorausliegende Fabel
nicht festgehalten werden kann. Aber der Vorschlag' 6iax£i}j.eva be-
friedigt auch niclit. Bei Alexis fr. 245 v. 6 setzt Richards den Hei-
strich nach TiaXiv, während Kock ttocXiv zum nächsten Verse zieht. Bei
Alexis fr. 245, v. 15 — 16, wo es sich um Eros handelt, schreibt der Verf.:
oux oi8' 0 Ti eaTi'v, aXX' 0{xu>? s'/cu (st. e"/^') 7^' "^^ I '^oioZxoy, £776? t'
£t|xl Toü voar^fjiaToc (statt Touvo[j,a-o;). So wird die Stelle wenigstens ver-
ständlich. — Bei Tiniokles fr. 6, v. 6 schiebt er wegen der Redensart
mit Tzpos ein äv ein: t wv. —
Für Philemon fr. 213 v. 2 empfiehlt Richards asauTto st. Gsau-ov>
und für Philemon fr. 89, v. 10 Meinekes xaiV hi tojo'jtouc. — Die
iibrigen 10 Bemerkungen scheinen mir verfehlt zu sein. Wenn Richards
bei Piaton com. fr. 153 irirTovri (st. TriTTTr^ai) vorschlägt und sich auf
Plat. Rep. 370 E: Jiv av auToü xpsta als Analogen für die Ellipse von
v^ stützen will, so hat er nicht beachtet, daß doch ypeia ein Substantiv
ist und der Fall ganz anders liegt als bei seiner Konjektur. Auch
Piaton com. fr. 183 wird durch die Schreibung TravTayodev st. -avta/oü
und durch die Wortumstellung noch nicht wirklich geheilt. — Bei
Aristomenes fr. 4: Itisio-?) tou? üpuxavsic TiposTQXOojxev ist der Mangel einer
Präposition richtig hervorgehoben. Aber R. setzt si; vor tou;, wälxi-end
die Fügung' eher eines T:p6c oder Ird bedarf, die doch das Metrum
ausschließt. Unnötig ist bei Antiphanes fr. 191, v. 6 die Änderung ^-^
St. cpw, bei Philemon fr. 79, v. 5 oi|;ov st. oiov , bei Theophilos fr. 1,
V. 3 -flöetv st. sloov. Bei Philemon fr. 79, v. 26 ist Porsons oxav jxovov
der neuen Konjektur ovxa? orav vorzuziehen. Bei Kratinos jnn. fr. 10
liest R. : oux oloa [xev, utrovocj ö'r/eiv, bei Alexis fr. 240, v. 4: xatvö;
9^iveiv T£ TT)v ETzioucjav au TiaXiv und bei Philemon fr. 4, v. 9 xotvouc
und xaxEcjxsuaaixEvou; an Stelle der überlieferten Feminina. —
F. Hultsch, Zu dem Komiker Krates. — Neue Jahrb. 149. Bd.
1894, p. 165—178. —
^Dieser metrolo^^ische Artikel befaßt sich mit dem Fragmente der
Lamia des Krates: yjjxiextov e^Tt ypuaoü, [xav8av£i;, oxxu) 'ßoXoi. ^ Kock,
Com. Att. Frag. I, p. 136, frag. 20. — Hultsch verteidigt die über-
lieferte Lesart und die schon von Böckh aufgestellte Ansicht, daß man
unter fiixiexTov ypuaou „eine sehr leicht ausgemünzte oder stark mit
Bericht über die Literatur der griecbischen Komödie. (Uolzioger.) 30."^)
Silber legierte Goldmünze" zu verstehen habe. Hultsch ist der Meinung-,
daß die Wertgleichung mit 8 attischen Obolen auf ein /jIai'extov von
Phokaia oder Kyzikos hinweist. Der Aufsatz ist inbesoadere gegen
Th. Reinach (Les origines du bimetallisme, vgl. Berl. phil. Wo. 1894,
Sp. 297 fF.) gerichtet, der keine andere Deutung von fjiJ-iExtov als die
eines Getreideniaßes für zulässig erklärt. Auch Herwerdeiis Schreibung
Xpuj£ st. ypu-o'j wird abgelehnt. —
0. Crusius, Eupolis fr. 27G Kock. — Philologus LI, 1892,
p. 6G3.
Um die Aufzählung verschiedener Personen, welche den Inhalt
dieses Fragmentes des Xpuuoüv Fsvo; bildet, zu erläutern, zieht Crusius
frag: Eupol. 28G Kock bei: apiflixsTv Usaxct; «j/ocji-fjiay.ocjtouc. Hiernach
würden also vom Komiker einige Zuschauer aus der Älemie herausge-
f?riffen und verspottet. Crusius weist dabei auf Aristoph. Vesp. 75 — 85
als auf einen ähnlichen Fall hin, wobei die Bemerkung einfließt, daß
der Scholiast mit seiner Notiz zu Vesp. 75: tive; dt^ioi^^jotta. yotptsjTspov
M X£7£abai atixa auvsyüij rpo; ivo; gegenüber den modernen Ausgaben
das Richtige treffe. —
0. Crusius. Sur un fragment poetique dans les papyrns Gren-
fell. — 1898. Mölauges Henri Weil, p. 81—90. —
Crusius behandelt Brit. Mus. Pap. DCXCV a, publiziert von Greu-
fell und Hunt in den New Classical Fragments and other Greek and
Latin papyri, Oxford, 1897, pag. 24. Der Papyrus enthält in einer
abgebrochenen Kolumne die Anfänge von 7 aufeinander folgenden Tri-
metern und den Anfang eines auapästischeu Systems. Links davon
stehen in 7 Zeilenresten die Schlußworte von Schollen. In der siebenten
Textzeile hatte Mahaffy durch Konjektur xaxa ttjv McXavi~[T:rjV her-
gestellt. Hierauf beruhte die bei Grenfell und Hunt gegebene Ver-
mutung, daß das Fragment der Melanippe Desmotis des Enripides
angehöre. Heinrich Weil bezweifelte in der Revue des Etudes grec-
ques X, p. 8 die Abstammung der Verse aus einer Tragödie. Die
Zugehörigkeit der Schollen zu dem Texte hatte Friedrich Blaß im
Centralbl. 1897, p. 10 in Abrede gestellt. Crusius hat nun das Frag-
ment einem eingehenden Studium unterzogen und beweist mit über-
zeugenden Gründen, daß die Verse einem Komiker angehören und daß
die Scholienbcmerkungcn sich an den überlieferten Text anschließen.
Auch die weitergehenden Vermutungen, die Crusius über den Inhalt der
Verse und über den Namen des Dichters und des Stückes aufstellt,
sind beachtenswert. Es handelt sich, meint Crusius, um eine Scene in
der Unterwelt, um eine komische Nekyia. Unter den Missetätern,
welche für ihre Frevel büßen, wird auch Euripides gezeigt. Schwatzende
304 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzingcr.)
Frauen umstehen den Weibeihasser und räclieu sich au ihm. Crnsius
weist diese Scene dem Ger3'^tades des Aristophanes zu und bringt sie
mit anderen Fragmenten dieser Komödie in Zusammenhang. —
H. Weil, Nouveaux fragments de Menaudre et d'autres classiques
grecs. — Journal des Savants 1900, Februarheft, p. 95 — 106. —
G. Fraccaroli, Bricciole dai papiri di Ossirinco. — Rivista di
filol. XXVIII, 1901», p. 87-89
H. Her werden, Ad papyros graecos. Mnemos. NS. XXVIII,
1900, p. 122—125. —
Fraccaroli behandelt das von Greufell und Hunt im II. Bande
der Oxyrhynchos-Papyri p. 20—23 als No. CCXII herausgegebene und
zumeist von Friedrich Blaß (ebenda) hergestellte Fragment eines
Komikers, in welchem bereits die englischen Herausgeber den Aristo-
phanes vermuteten. Auch ihre speziellere Vermutung, daß das Fragment
den zweiten Thesmophoriazusen angehört, ist nicht nur mit großem
Scharfsinn aufgestellt, sondern auch sehr wahrscheinlich. Das Nähere
hierüber mag man bei ihnen selbst nachlesen. Von den drei zusammen-
gehörenden Stücken des Fragmentes umfaßt das mit Col. EI bezeichnete
20 aufeinanderfolgende Verse, deren Inhalt von den Herausgebern p. 20
als dunkel bezeichnet wird.
Bei diesem Punkte setzt die Arbeit Fraccarolis ein, der in einer
sehr einleuchtenden Weise einen Olisbos als Gegenstand des Gespräches
zweier Frauen nachweist. Unter der Voraussetzung dieses Zusammen-
hanges hat Fraccaroli auch eine Anzahl der am Ende verstümmelten
Verse sinngemäß ergänzt. — Das Alter der Schriftzüge schätzen die
Herausgeber auf den Schluß des ersten christlichen Jahrhunderts und
spätestens auf die Mitte des zweiten Jahrhunderts. — van Herwerden
behandelt dasselbe Fragment in eben demselben Sinne, der sich auch
mir, wie gewiß auch vielen anderen Lesern gleich bei dem ersten Blicke
aufgedrängt hatte. Ich finde nachträglich, daß auch von Wilamowitz,
Götting. gel. Anz. 1900. p. 34 die gleiche Vermutung aussprach. Auch
Herwerden teilt das ganze Fragment mit und ergänzt viele Verse in
sinngemäßer Weise. Der Wortlaut der Ergänzungen Herwerdeus ist in
einigen Fällen wahrscheinlicher und uäherliegeud als die Konjekturen
des italienischen Gelehrten. Dieser hat dafür auch die Lücken der
Verse 11 flf. auszufüllen gewagt, von denen Herwerden sagt: De corri-
gendis et interpretandis vss. 11 sq. despeiare me confiteor. In der Tat
kann wohl auch Fraccaroli mit seinem Schlüsse des 12. Verses xal
rovou (sie) fe SiaTptßfj nicht das Richtige getroffen haben. Unrichtig
ist bei Herwerden die Altersangabe des papyrus, wenn er sagt: „ex edi-
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzlager.) 305
torum seutentia medii seculi secimdi p. Chr. iion autiquiore". Die
englischen Herausgeber sagen: The date of the MS. can hardly be later
than the middle of the second Century, and it raay go back to the end
of the first. — Weil, dessen Aufsatz mir erst zuletzt zur Hand war,
behandelt das Fragment über den Olisbos in dem gleichen Sinne als die
vorgenannten Gelehrten. —
A. Sonny, Ad. Strüttidis frg. 23 K. — Philologische Rundschau
(russische: Philologitscheskoje Obozrjenje) tom. V. 1893, Heft 1,S. 35.
Der Vers desStrattis: Xio; -apajxa; Kwov o'jx ii Xe-csiv ist nach
Sonnys ansprechender Ansicht nicht das Sprichwort selbst, sondern eine
tür einen besonderen Fall, in welchem ein Chier einen Koer nicht
sprechen läßt, eingerichtete leichte Abbiegung des Sprichwortes. Während
Sanppe (vgl. Kock zur Stelle) die choliambische Form des Sprichwortes
in dem Wortlaute: Xio; rapaaxac Kipov ouvc li jiu^eiv wiederherzustellen
glaubte, nimmt Sonny an diesem dw^^etv wohl mit Recht Anstoß. Wenn
er aber hierfür sjcuxeiv vorschlägt, so hat man nach den Fundstellen für
dieses Verbum bei Aischylos und Sophokles das Gefühl, dal.) dies für
diesen Zweck ein allzu poetischer Ausdruck sei. —
b) Arbeiten über Menander and die neue Komödie.
F. Studniczka,' Meuaudros. Berl. phil. W^o. 1895, Sp. 1627.
F. Studniczka, Vortrag über die Bildnisse des Menandros, ge-
halten in der 44. Versammlung deutscher Philol. und Schulmänner
in Dresden 1897. Vgl. VVDPh. 44, p.*42. —
Der Verf. vertritt die Ansicht, daß das bekannte Vatikanische
Sitzbild, welches als ein Porträt des Menandros galt, zwar einen Komiker,
aber nicht den Menandros darstelle. Als Porträt des Meisters der neuen
attischen Komödie nimmt Studniczka den Kopf in Anspruch, der früher
Pompejus genannt wurde. Eine ausführliche Publikation des ganzen in
der Dresdener Versammlung vorgelegten Materiales ist seit langem in
Aussicht gestellt. —
Ä. Olivieri, A proposito degli studi fatti su Omero dai Comici
greci. — Rivista di filologia XXIX, 1901, p. 567—571. —
Dieser Aufsatz schließt sich an W. Scherrans' Dissertation an:
,De poetarum comicorum atticorum studiis Homericis". Königsberg
1893. —
Olivieri unterzieht die Bacchides des Plautus einer kurzen Be-
trachtung, besondes don fünften Akt des Stückes, in welchem die Handlung
desselben mit den bekanntesten Mythen über den Fall Trojas in Ver-
gleich gesetzt wird. Auch werden die Personen der Komödie mit den
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 20
30G Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
heroischen Figuren Homers und des epischen Kyklos verglichen. Diese
Parallelisierung ist bei Plautns allzu weit ausgesponunen und wirkt daher
sehr ermüdend. Unter der Voraussetzunji-, daß der !lU £?a7:aT(ov Menan-
ders dem Stücke des Pkiutus zu (irunde lag, zieht nun Olivieri den
»Schluß, daß die Parodie homerischer Mythen auch ein Element der
Menandrischen Komödie gewesen sei. Während aber Dichter der alten
attischen Komödie, wie Kratinos und andere, jedesmal eine ganze
Komödie der Parodie eines homerischen Mythos gewidmet hätten, habe
Menandros dieses Element auf einzelne Scenen und einzelne Stellen
eingeschränkt.
In einem zweiten Abschnitte seiner Abhandlung sucht der Ver-
fasser zu erweisen, daß Plautns den Als s^azanov nicht einfach in
seine Bacchides übertrug, sondern daß diese Komödie eine Konta-
mination darstellt, deren übrige Bestandteile er aber nicht angibt. Es
hat wenigstens nicht den Anschein, daß Olivieri seinen Hinweis auf die
IlspixcipoixsvY) iu diesem Sinne aufgefaßt wissen wolle (p. 570). —
Ich finde, daß durch diese zweite Bemerkung das Resultat des ersten
Absatzes wieder in Frage gestellt wird. Wenn sich nämlich auch Be-
standteile anderer ungenannter Komödien iu den Bacchides verarbeitet
finden, was natürlich kaum eines Beweises bedurft hätte, so ist es sehr
zweifelhaft, ob es Olivieri gegenüber Scherrans gelungen ist 'nachzu-
weisen, daß gerade die Verwertung Homers und des epischen Kyklos im
fünften Akte der Bacchides auf den AI? i^araTor/ des Menandros zurück-
zuführen sei. Zum mindesten wird es schwer fallen zu glauben, daß
Menandros einen vielleicht in zwei Zeilen ganz wirksamen Vergleich
der von ihm verwendeten Handlung mit einem Vorgange des epischeu
Kyklos, z. B. dem Mythos vom hölzernen Pferde, in einer so plumpen
und abgeschmackten Weise zu Tode gehetzt haben könnte. —
W. Meyer, Die athenische Spruchrede des Meuander und Phi-
listion. — Abhd. d. k. bayer. Ak. d. W. I. Kl. XIX. Bd. I. Abt.
IHUL
Diese vortreffliche Abhandlung wird von A. Nauck in den Me-
langes Greco-Romains, 1894, VI, 8. 131 berücksichtigt. Ich kann
nur noch auf die ausführliche Besprechung K. Zachers in der Berl.
ph. Wo. 1893, No. 35. Sp. 1093 ff. hinweisen, da sich mein Bericht
auf das Jahr 1891 nicht erstreckt. —
Leo Sternbach, Curae Menandreae. Cracoviae 1892. — SA.
aus Bd. XVII, Dissertationum philol. Acad. litt. Cracovieusis.
Diese für die künftigen Herausgeber der Fvcuixat p-ovoa-t/oi wichtige
Schrift beruht auf einer neuen Vergleichung des cod. Vindob. philol.
Gr. n. CLXV, aus welchem J. H. C. Schubart durch Theodor Bergks
Bericht über die Literatur der griecbischen Komödie. (Holzinger.) 307
Vermittelung das Supplenientum I (= Mouostich, 565—593) für
[Meinekes Ausgabe (IV, p. 35G) geliefert hatte. .Sternbach gewinnt
Hus dieser Handschrift fünf Monostichen, die bei Meineke fehlen: Toveü
oi Tiixa xat YspovTa; aiay-jvou. — J^ia -evi'av <5e Sternb.> {jirjösvoc xa-ra-
opovci. — 11 Xi';t ~i 3£iJ.vöv, £1 o£ [xr,, aqrjv i'ye. — '^ßv ^p^e -/aarr^p, to
(fpovciv acpTjpeiJTr,. — 12 '/^(P^; avi}pii»-o'.3'.v eüxTGtiov xaxov. — Von der
selben Sylloge verglich Steinbach ein zweites Exemplar, den Vaticanns
Gr. n. 127, chartac. in 16°, saec. XV. Aus ihm gewinnt Sternbach
0 Monostichoi, die bei Meineke fehlen: 'Ev -/ap 7upuu <ev ap-ppuo
Sternbach; ich würde iv -," dp7uptcu beibehalten haben, das dem Zu-
sammenhange entsprechen konnte. — > ixaXiota xptvsxat Tporoj. — Zrjjov
[jLcTpr^sa; tov ^i'ov -poc tov ypovov. — Ni$ix'.^e -Xou-sTv. av cpi'Xou; -oXXooj
r/T);. — Eevou? vo|xi^e xohi apex^? ovxa? $evo'j;. — llöipco [iXa^^vai [xaXXov
fj oixr]v Xeyeiv. — 'Pu-apos iuv <'j-apycov Sternbach> yprjsxov o'jy £;£tc
cpiXov. — Im übrigen beschäftigt sich Sternbach mit der Frage, ob
Gregor von Nazianz als der Veranstalter dieser Sylloge zu betrachten
sei. Auf diesen Namea weist der Cod. Vaticanns insofern hin, als dort
diese Monostichoi unter den Gedichten Gregors stehen. — Die Appendix
zu dieser Schrift (S. 61 — 78) enthält ein Gnomologium des Photius,
dessen Besprechung innerhalb dieser Jahresberichte einem anderen Be-
richterstatter zufällt. — Ich weise übrigens bei dieser Gelegenheit auch
auf die Menandrea, 1891, Cracoviae, typ. univ. .Tageil. — und auf die
Analecta Laurentiana, Wien 1902 (Festschrift für Goraperz S. 393 — 400)
desselben Verfassers hin, welche ich innerhalb der Grenzen dieses Berichtes
(1892 — 1901) ebenfalls nicht unterbringen kann. —
*F. Galanti, Satrgi di versioni da Menaudro (I, II, III). Venezia
1891 — 1894. Estratti dagli Atti del r. Istituto Veneto.
Diese Übersetzungsproben aus Menander und Philemon sind mir
nur aus ihrer Benutzung durch Giovanni Setti (Una nuova pagina di
Menandro S. 145) bekannt. Während Hermann Lübke seine Proben
Menandrischer Dichtkunst in hübschen Versen wiedergibt, übersetzt
Galanti die Spruchweisheit des Komikers in nüchternste Prosa. Das
ist nun allerdings keine schwere Aufgabe ! —
H. Lübke, Menander und seine Kunst. — Programm d. Lessiug-
Gymn. zu Berlin 1892.
Der Verfasser bringt in zwei Kapiteln die Urteile der Nachwelt
über Menander und die Berichte über seine persönlichen Verhältnisse
und Eigenschaften. Zwei weitere Abschnitte sind den Stücken Menanders
gewidmet. Besprochen werden die Stoffe derselben, ihre Stellung inner-
halb der Entwicklung der griechischen Komödie, Pathos, Ethos und
Sprache. Das Ganze ist eine ansprechende Würdigung Menanders, ab-
20*
308 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzioger.)
gefaßt noch vor den letzten bedenteuderen Funden. Zum Schlüsse gibt
Lübke in einem fünften Kapitel eine Auswahl freier Nachdichtungen
von Bruchstücken, bei denen mancher Leser, wie überhaupt in der
ganzen Arbeit, genaue Citate vermissen wird. Aufgefallen ist mir auf
S. 10 die Notiz: „Dardanos, der Sohn des Zeus, Vater des Priamos",
da doch Priamos der Sohn des Laomedon war. Man vergleiche übrigens
auch Kaehlers Anzeige in der Berl. phil. Wo. 1893, No. 6, Sp. 165. —
C. Lindskog, Studien zum antiken Drama. I, II. Lund 1897. —
Da sich der erste Abschnitt dieses Werkes ausschließlich mit
Euripides, der zweite mit den Tragödien des Seneca befaßt, fällt eine
Besprechung desselben nicht in den Rahmen dieses Berichtes. Ich muß
aber doch kurz erwähnen, daß sich auch 24 8. Miszellen darin finden,
von denen ein Teil den Komödien des Menandros und zwar der Andria
und Perinthia, dem Euvoüyo? und KoXa; und den 'AoeX'^oi unter haupt-
sächlicher Berücksichtigung ihrer Benutzung durch Terentius gewidmet
ist. —
J. Geffcken, Studien zu Menander. Progr. d. Wilhelm Gymn.
in Hamburg 1898.
Bekanntlich hat Ussing (Plautus II, p. 587) auf die Möglichkeit
hingewiesen, daß ein Stück des Menander die Vorlage für die Aulularia
abgegeben habe, und Goetz hat in der Praefatio zu dieser Komödie
den Gedanken abgelehnt, daß der Euclio der Aulularia mit der Titel-
rolle des Menandrischen Dyskolos zu identifizieren sei. Gefi"cken glaubt
nun in seiner Abhandlung einen Beweis dafür zu erbringen, daß die
Aulularia jedenfalls einem Menandrischen Stücke und zwar speziell dem
Dyskolos nachgebildet sei. Genau besehen bleibt aber die Sache, wie
sie zuvor war. Die Möglichkeit, daß man die Aulularia dem Vorbilde
des Menander verdanke, bleibt bestehen, aber ebenso auch die Mög-
lichkeit, daß man es mit einer anderen Vorlage zu tun habe, die in
der Charakteristik Tüchtiges leistete. Und daß nun diese Vorlage
gerade im Dyskolos gefunden werden müsse, läßt sich aus den spär-
lichen Fragmenten des Stückes um so weniger erweisen, als die größeren
Bruchstücke wenig Anhalt zu der beabsichtigten Folgerung bieten.
Zum Schlüsse der Arbeit sucht der Verfasser die Fabel des Menan-
drischen "Hpcoc zu rekonstruieren. ^
F. Ranke, Periplecomeuus sive de Epicuri, Peripateticorum,
Aristippi placitorura apud poetas comicos vestigiis. Marpurgi 1900. —
In dieser Abhandlung werden zahlreiche Fragmente der neueren
Komödie mit Sätzen Epikurs und der Peripatetiker verglichen und von
ihnen hergeleitet. Ein Schlußkapitel beschäftigt sich mit Mil. glor. 615
Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 309
— 765, wo der alte Peripleconienns auffallend weise Reden führt. Die
Quelle derselben sucht der Verfasser in Aristippos. — Die Abhandlung
ist ein Gegenstück zu Hoelzers Aufsatz (s. d.) und zeigt dieselbe
Schulraarke. Vgl. S. 325 des Berichtes.
Menanders Phasma.
*V. Jernstedt, „Porphyrius-Fragmente der attischen Komödie",
Petersburg 1891 (russisch).
A. Nauck, „Bemerkungen zu Kock Com. Attic. Fragra." Peters-
burg 1894, Melanges greco-romaius VI, S. ö3 — 180. Lu le 2. octobre
1891. —
Anf diesen Aufsatz bezieht sich bereits;
Th. Kock, „Zu den Fragmenten der attischen Komiker". 1893.
Rhein. Mus. 48, p. 208-239. —
Nauck hatte seinen Aufsatz noch vor der Veröffentlichung von
Melanges VI, 1 an Kock gesendet. — Von diesen drei Schriften habe
ich den Aufsatz Jernstedts nicht gelesen. Kocks Aufsatz enthält ein
Referat über Naucks und Jernstedts Behandlung der oben bezeichneten
Fragmente und wird daher meinem Berichte zu Grunde gelegt.
Die sog. Tischendorfschen Menanderfragraente wurden bekanntlich
von Cobet in der Mnemos. NF. IV, 286 ff. veröffentlicht (-= com.
adesp. 114 Kock, com. adesp. 105 Kock und Menand. 530 v. 1 — 18
Kock). Cobet kannte nur 3 Fragmente aus einer Abschrift, die ihm
Tischendoif verschafft hatte. Sein Verdienst war es, Menandros erkannt
zu haben. Cobet verband zwei dieser Fragmente (= Menand. 530
Kock und com. auesp. 114 Kock) und leitete sie aus dem Aet!ji6at}xuiv ab.
Theodor Goraperz (Hermes XI, 1876, S. 512) gab dies zu, hingegen
von Wilamowitz-Möllendorff (Herm. XI, 498 ff.) lehnte die Abstammung
der Fragmente aus dem Aeiatoaijjnuv ab, behauptete die Zusammen-
gehörigkeit aller drei Fragmente (Menand. 530 v. 1 — 18 und com.
adesp. 114 und 105) und nahm sie für eine nicht näher nachzuweisende
Komödie in Anspruch, die er als den Pessimisten des Menandres be-
zeichnete. Diese Entdeckung behandelte Kock in seinem Aufsatze:
»Menander und der Pseudo-Pessimist", Rhein. Mus. XXXII, 1877,
p. 101 — 113 mit ätzender Schärfe, wies jede Verbindung zwischen den
3 Fragmenteil zurück und behandelte sie dementsprechend auch in
seinem 188s erschienenen III. Bande der Com. Att. Fragm. an drei
verschiedenen Stellen. Das zusammenhängende Bruchstück von 23 Versen
(= 18 und 5 aus Cl. Alex. Strom. 7, 4, 27) beließ er dem Menandros
als frag, incertum 530, während er die beiden kürzeren Fragmente
unter den ioesTToxa xr,^ vea; xto[j.(o6ta; als No. 105 und 114 führt. Dies
310 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
war der Staud der Dinge, als Prof. Jernstedt durch seine oben ge-
nannte Publikation ein neues Licht über diese Bruchstücke verbreitete. —
Jernstedt fand die Originale der sog. Tischendorfsclien Ab-
schriften in der kaiserlichen öffentlichen Bibliothek zu 8t. Petersburg'
in einem Karton auf, dessen Deckel die Aufschrift trägt: „Griechisch«-
Palaeographie 1) Exemplar einer Schrift von .\gypten" griecli. No.
CCCLXXXVIII. Es sind drei Pergamentfetzen, die bei ihrer Einreihuner
in die Bibliothek an ein Stück Papier geheftet wurden, das die Be-
merkung trägt: „Probe einer Schrift vom vierten Jahrhundert". In
die Petersburger Bibliothek war diese Handschrift im Jahre 1883 mit
der Uspenskijschen Sammlung gekommen. Der wahre Finder war
Bischof Porphyrius Uspenskij, welcher diese Pergamentfetzen im Jahre
1850 wahrscheinlich aus einem Kloster der heil. Katharina (in Ägypten
oder auf dem Sinai?) nach Rußland brachte und sie im Jahre 1862
in St. Petersburg Tischendorf zeigte. Das Alter der Pergamentfetzeu
bestimmt sich auf das 3. oder 4. christliche Jahrhundert. Der Inhalt
der einzelnen Fetzen ist folgender: Ja frag. com. adesp. 114 Ko.
(7 Verse) in unmittelbarem Zusammenhange mit frag. Menand. 530
(18 Verse; zusammen 25 Verse). — Ib ein von Cobet nicht publiziertps,
neues Bruchstück von 25 Versen. — IIa Fragm. com. adesp. 105 Ko.
(9 Verse). — IIb. Ein zweites neues Fragment (13 Verse) und 'einige
syrische Worte im rechten Winkel zu den griechischen. Unter einem
Striche steht ein großes P. — Illa: wenige griechische Reste, die von
sechs Zeilen zweier nebeneinander stehender Kolurauen in der Weise
herrühren , daß links vom Beschauer Endsilben von sechs Zeilen einer
Kolumne und rechts Anfaiigssilben von sechs Zeilen der anderen Kolumne
ersichtlich sind. — III b. Bruchstücke syrischer Schrift. — Die bedeu-
tende Leistung Jernstedts besteht darin, daß er in dem bisher nicht
veröffentlichten Fragmente Ib ein Stück aus dem Prologe des Phasma
des Menandros erkannte. Kock läßt dieses Urteil nur für die
Verse 9 — 25 dieses Fragments gelten, während er die Verse 1 — 8 des-
selben Stückes als nicht hinzugehörig betrachtet. In Frag. III a und
zwar in den Zeilenenden der linksstehenden Kolumne, welche die Buch-
stabeufolge von rechts nach links haben und nur durch Abdruck an
diese Stelle geraten zu sein scheinen, erkannte Jernstedt Menanders
Fragment 581 Ko. — Diese Entdeckung vervollständigt Kock durch
die Beobachtung, daß sich die Zeilenanfäuge der rechtsstehenden Ko-
lumne mit Menand. Frag. 254 decken.
Soviel ist von diesen erfreulichen Forschungen als gesichert zu
betrachten. Zweifelhaft hingegen bleibt die Frage nach der Zusammen-
gehörigkeit und dem Ursprünge der Fragmente. Jernstedt weist nicht
nur die Verse 1 — 8 des Fragmentes Ib im Zusammenhange mit den
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 311
Versen 9—25 desselben Bruchstückes dem Prologe des Phasma zu,
sondern behauptet auch die Zugehörigkeit des Frag. la == Menand.
530 Ko. zu derselben Komödie und zwar zu der ersten Scene des ersten
Aktes des Phasma. Da auf der anderen Seite desselben Pergament-
fctzens (Ib) ein Stück aus dem Prologe des Phasma steht, müLiten die
Annahmen Jernstedts wohl auf den Ursprung dieses Pergamentfetzens
aus einer Handschrift des Meuandrischen Phasma hinführen und wir
hätten somit direkte Textüberlieferung vor uns. Nach Kock aber sind
nicht nur die genannten Fragmente, sondern auch einzelne Teile der-
selben, nämlich v. 1 — 8 und v. 9 — 25 von Ib und die Verse la, 1 — 7
:-r-- com. ade?p. 114 und la, 8—25 ^ Menand. 530 v. 1 — 18 jeder für
5fich gesondert zu betrachten, daher er denn folgerichtig die Provenienz
dieser Bruchstücke aus einer Anthologie aus Menanders Komödien ab-
leitet. Den Annahmen beider Gelehrten stellen noch grolle Schwierig-
keiten entgegen. Daß die Fragmente eines eigentlichen Zusammen-
hanges entbehren, läßt sich Kock geiienüber nicht abstreiten. Aber
unsere Vorstellung von dem Gesichtspunkte, nach welchem eine Antho-
logie angeordnet war, in die jene Prologverse des Phasma Aufnahme
fanden, bleibt unklar. — Die von Jernstedt veröflfentlichten Fragmente
findet man auch bei Nauck a. a. 0. S. 154 — 157 abgedruckt und be-
sproclien. — Habe ich hiermit aus den drei genannten Schriften das-
jenige hervorgehoben, was am meisten Interesse verdient, so genügt
wohl ein Wort darüber, daß Nauck in seinem an Belehrung reichen
Aufsatze eine ungemein grolle Anzahl von Komikerfragmenten behandelt
nnd sein gewiegtes Urteil den Leistungen Kocks für diese Stellen
entgegensetzt. In dieser Hinsicht ist Kocks Aufsatz eine Antikritik.
Die Komikerfragmente selbst können bei einem derartigen Streite
zweier berufener Kenner nur gewinnen. Mit Recht aber hebt Kock
hervor, daß sich Nauck in dem Tone, in welchem er seine Polemik
führt, nicht selten arg vergriffen hat. Die Fülle der beiderseits dar-
gebotenen Einzelheiten auch nur anzudeuten, ist hier nicht möglich. —
Man vgl. übrigens auch Nauck in den Melanges Gröco-Romains V,
1». 219 ff. worauf er in dem späteren Aufsatze hinweist.
Menanders Kolax. —
Ein stark verstümmeltes und seinem Inhalte nach unverständliches
Komikerfragment veröffentlichte P. Mahaffy 1891 in den Flinders-
Petrie Papyri, Tafel IV, 1 p. 16 — 17 der Trauscriptions. Das
Fragment umfaßt Reste von 14 Trimctern, immer nur etwa die zweite
Hälfte derselben. Mahaffy weist darauf hin, daß darin in v. 5 der
Name Demeas vorkommt, der in Menanders 1\; i^arraTÖJv Frag. 123
Kock eine Rolle spielt. Mahaffy lehnt daher die Möglichkeit nicht
312 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
ab, daß dieses Fragment dem Meuandros angehöre. Noch reservierter
spricht sich Mahaffy hierüber auf p. 13 der Einleitung- ans. Kock
bespricht diesen Fund in seinem Aufsatze: ,Zu den Fragmenten
der attischen Komiker", Eh. Mns. 1893, S. 221 und nimmt für das
Bruchstück auch nur ,die Zugehörigkeit znr Komödie-' in Anspruch.
Mit bewunderungswürdigem Scharfsinne hat Blaß dieses anscheinend
hoffnungslose Fragment behandelt: .Ein Papyrusfragmeut aus Me-
nandros Kolax-, Hermes 1898, 33. S. 654-656. Blaß macht darauf
aufmerksam , daß das Faksimile in der oben genannten Ausgabe auch
noch einige verstümmelte Zeilenaufänge der nächsten Kolumne aufweist.
Die darin erscheinenden Silben £upoßia erklärt er als oeüpo Bta und da
Bias der miles des Menandrischen Kolax ist, den Terenz als Thiaso in
seinen Eunuchus übertrug, weist Blaß das Fragment, von dem sich
nun auch einige Zeilen aufhellen lassen, dem KoXa; desMenandros
zu. Unter der Annahme , daß dieser Papyrus , sowie die übrigen
Classical texts dieser Edition, dem dritten Jahrhunderte v. Chr. an-
gehöre, erklärt Blaß dieses Bruchstück für das älteste der jetzt in
unserem Besitze befindlichen Menanderfragmente.
Menauders Georgos.
J. Nicole, Le Laboureur de Menandre. Fragments inedits sur
papyrus d'Egypte, dechiffres, traduits et commentes. — Bäle et Geneve
1898.
Auf der Grundlage der Nicoleschen Publikation beruhen zunächst
folgende Schriften und Rezensionen : Henri Weil, Comptes rendus de
l'acad. des inscriptions et belles-letires, 1897, tome XXV, p. 529 und
538. — Die hier gegebene Notiz ist nur ein Voi'Iäufer des folgenden
Aufsatzes :
H. Weil, Les uouveaux fragments de Menandre. Journal des
Savants 1897 (Novembre), p. 675—692.
F. Blaß (Rez.), Literarisches Centralbl. 1897 (18. Dez.),
Sp. 1648-^1650. -
V, Wilamowitz (Rez.), Deutsche Literaturz. 1897 Sp. 1734. —
0. Crusius, .,Menanders Landmann in einem ägyptischen
Papyrus*. Beilage zur AUgem. Zeitung, 1897 (29. Dez.). —
R. Ellis und Arthur Platt, Notes on the Fragment of
Menanders rswp-.'o?. — Class. Ptcview XI, 1897, p. 417— 418. —
F. G. Kenyon. „Nicoles Fragments of Menander", 1897. Dez.
Class. Rev. XI, p. 453—455. —
K, Schenkl, ,,Der Georgos des Menandros". Jahreshefte des
österr. archäolog. Institutes in Wien I, 1898, p. 49 — 54. —
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 313
B. P. Grenfell and Arthur S. Hunt, Menaüders Fetupvo;, a re-
vised Text of the Geneva Fragment with a trauslation and notes.
Oxford 1898.
H. van Ilerwerdeu, ,,Zu den dnrcli Nicole herausgeg'ebenen
Papyrusfraguienten von Meuanders retüp-fo;". Berl. phil. Wo. 1898
(8. Januar), Sp. 60.
*Th. Reinach, Sur les fragments du Labonrenr. — Söance de
rassociation ponr rencouragement des etudes grecques. Vgl. Bibl.
phil. class. 1898, Heft 1.
J. Nicole erhielt von Geoig Dattari aus dessen Sammlung in
Kairo jene Papyru-fragmente, deren schwer lesbaren Inhalt er mit an-
erkennenswerter Geschicklichkeit als Reste des Menandrischen Georges
erkannte. Nicole schloß seine Untersuchung am 1. Juli 1897 ab, worauf
seine Publikation der Fragmente, ihrer Übersetzung und Erläuterung
noch im Herbst 1897 erschien, so daß das Datum des Titelblattes als
ein vorausgreifendes zu bezeichnen ist.
Von den angeführten Besprechungen des Fundes, die sich in
rascher Folge ergaben, haben nur sehr wenige Ansprucli auf dauernde
Beachtung. Weitaus der erste Rang kommt der Beurteilung der
Nicoleschen Ausgabe von F. Blaß zu, weil dieser Gelehrte der einzige
war, der mit glänzendem Scharfsinne die richtige Abfolge und Zu-
sammentüguug der ursprünglich sechs Fragmente herausfand. Blaß
teilte seine Entdeckung Herrn Nicole nach Genf mit, der nun die
Papyrusstücke nach der Anweisung von Blaß zusammenstellte und ihm
die Richtigkeit seiner Vermutung sofort bestätigte. Blaß legte die
Fragmente, welche Nicole als Reste zweier Blätter betrachtet hatte, zu
einem einzigen Blatte zusammen und da der Text der Rückseite die
unmittelbare Fortsetzung des Textes der Vorderseite darstellt, erkannte
Blaß auch sofort, daß dieses Blatt nicht einer PapyrusroUe, sondern
nur einem Papyrusbuche entstammen könne, wofür er auf die Berliner
Fragmente der Politeia als Beispiel hinweist. — Von Wichtigkeit ist
auch H. Weils Besprechung durch die lichtige Erklärung von
Qnintil. XI, 3, 91 geworden. Nach der Ansicht Weils sagt dort Quintil.,
daß in dem Prologe des Menandrischen Georgos ein Jüngling der
Sprecher war und daß dieser Worte einer Frau eizählte. Blaß, der
sich dieser Interpretation anschließt, betrachtet den Anfang des er-
haltenen Fragments als den Schluß des Prologes der Komödie und
schätzt demnach den vor dem Erhaltenen fehlenden Teil des Stückes
nur auf den Inhalt eines einzigen Blattes. Auch haben sich durch die
Rezensionen gleich von Anfang an einige gute Verbesserungsvorschläge
für den Text ergeben , während die versuchten Rekonstruktionen der
314 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (llolzinger.)
Fabel des Stückes, wie begreiflich, noch nicht auf der richtigen Grund-
lage Stauden.
Diese wurde erst durch Grenfell und Hunt in der neuen Ausgabe
der Genfer Fragmente geschaffen. Die beiden ausgezeichneten englischen
Forscher nalimen auf ihrer Heimreise von Ägypten in Genf Aufenthalt
und unterzogen daselbst, von Nicole freundlichst gefördert, den Papyrus
einer erneuten genauen Untersuchung. Auf ihr, sowie auf den
Leistungen von Nicole und Blaß und denen der übrigen Gelehrten, die
sich bis dahin um den Georges des Menander verdient gemacht
luitton, beruht ihr „Revised text of the Geneva Fragment". Die Aus-
gabe enthält nach einer Einleitung über den Papyrus sowohl eine
möglichst genaue Abschiift in der Unziale, als aucli eine emendierte
und vervollständigte Umschrift in Minuskeln, fei-ner einen Apparatus
oriticus, der die von anderen entlehnten Textverbesserungen — darunter
auch solche von Bury — namhaft macht. Hierauf folgt eine Aufzählung
und kritische Besprechung der in dem Fragmente vorausgesetzten
Rollen, eine Übersetzung des ganzen Textes und schließlich ein kleiner
Kommentar. Als Anhang ist der Abdruck der bisher schon bekannten
Fragmente des Georges beigegeben. — Ein phototypisches Faksimile
sind uns leider auch die englischen Herausgeber schuldig geblieben.
Ein Bericht über den Papyrus kann sich also nur an den von Grenfell
und Hunt selbst in der Introduction gegebenen Wortlaut anschließen. —
Der Genfer Menander-Papyrus ist ein Blatt aus einem Buche und mißt
28 -5 X 15-7 centim. Das recto ist mit --, das verso mit ^ numeriert.
Das recto enthält eine Kolumne von 44 Zeilen, das verso 43 Zeilen.
Lücken sind zahlreich, aber ein ganzer Vers fehlt nirgends, auch nicht
am Anfang oder Ende einer Kolumne. Der Papyrus ist in einer un-
regelmäßigen Unziale mit brauner Tinte von einem einzigen Schreiber
geschrieben. Auf dem recto ist die Schrift gut erhalten und deutlich,
auf dem verso hat sie stark gelitten, ist häufig sehr verblaßt-, manchmal
sind überhaupt kaum noch Spuren zu sehen. Der Papjaus ist sicher
nicht vor 350 p. Chr. und schwerlich nach 500 p. Chr. geschrieben
worden. — Bezüglich der übrigen Einzelheiten verweise ich auf die
Angaben der Einleitung selbst. — Mit dem Erscheinen dieser sorg-
fältigen und auf der Höhe der Zeit stehenden Au.sgabe begann eine
neue Epoche in der Geschichte des Genfer Menander-Fragments. Eine
neue Flut von Literatur ergoß sich über den biederen „Landmann",
und mancher, der seine Stimme gleich nach dem Erscheinen des
Nicoleschen Georgos erhoben hatte , sah sich durch die Textanordnung
von Blaß und die den neuen Zusammenhang repräsentierende englische
Ausgabe von neuem veranlaßt, zur Feder zu greifen. —
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie, (llolzinger.) 31 5
Es erschienen in rascher Abfolge und zum Teile fast gleichzeitig
folgende Aufsätze und ausführlichere Rezensionen:
G. Kuibel, Menanders Georgos. Nachrichten v. d. k. Ges. d.
Wi. zu Göttiugen, 1898, S. 146-166. —
T. L..Agar. Menanders röwo-.o;. — Glases. Kev. XII. 1898,
p. 141. —
F. Blaß (Rezension über Grenfell u. Hunt etc.). Ijit. Ceutralbl.
1898, Sp. 775—777.
C. Häberlin (Rez.), Berl. phil. Wo. 1898, 8p. 705— 712. —
H. Weil, Le (.ampagnard de Menandre. Revue des ctudes Gr.
XI, 1898, p. 121-137.
J. van Leeuwen, Ad. Meu, frag, uupcr repertum. Mnemos. NS.
XXVI. 1898, 299—313.
N. Smith, Menanders Georgos. Class. Rev. XII. 1898, p. 301 —
304.
H. Richards, The frag, of Älen. Georgos. Class. Rev. XII,
1898. p. 433.
Weinberger (Rez.), X. ph. Rundsch. 1898, No. 24, p. 558—
559. —
U. V. W.-j\I., Die Reste des Laudmannes von Menandros. Als
Manuskript gedruckt. Berlin 1899.
Dieser Vorläufer des weiterhin zu nennenden großen Aufsatzes
von U. V. Wilamowitz beruft sich bereits auf die Grenfell-IIuntsche
Ausgabe und auf die Äußerungen von Blaß, Weil und Kaibel. Gegeben
wird der ganze Text des Fragments, eine vollständige deutsche Über-
setzung im Versmaße der Urschrift und die bereits bei Meineke ge-
sammelten Bruchstücke des Georgos. —
V. Wilamowitz, Der Landniann des Menandros. N. J. f. d.
kl. Altert. 1899, p. 513-531. -
K. Dziatzko, Der Inhalt des Georgos vonMenander. Rh. Mus,
54, 497—526; 55, 104—111, 1899, 1900.
A. Olivieri, A proposito dei due fragmeuti del TstupYo; e della
lispty.£ipopL£vr, di Menandro reccutemente scoperti. Riv. di filol. XXVIII,
1900, p. 447—454.
*V. Hahn, ITber Menanders Komödie Georgos (polnisch). Eos
V, p. 118—133.
Nachdem die erste und wichtigste Aufgabe, einen beglaubigten
und einigermaßen verständlichea Text herzustellen, im wesentlichen ge-
löst war, konnte dem Gange der Handlung des Stückes mit gegründeter
310 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
Aussicht auf Erfolg nachgeforscht werden. Diesen Teil der Arbeit hat
unter den vorhingenannten Schriften m. E. die Abhandlung Dziatzkos
in vielseitigster Weise geleistet. Bei seiner genauen Erinnerung an die
einzelnen Scenen der römischen Komödien ^'elang es dem Verf. am
vollständigsten, die Möglichkeiten 7A\r Fortführung aller einzelnen in
diesen Fragmenten vorkommenden Fäden einer Handlung zu entwickeln.
Denn daß man hierbei über bloße Möglichkeiten nicht hinauskommt,
wird jeder zugeben müssen, der die bisiierig'en Darstellungen des Ganges
der Handlung durchliest und dabei findet, daß ihn auch nicht zwei
Darsteller in gleicher Weise erzählen. Es hat schon Kenyon a. a. 0.
bemerkt, daß die Komödie des Menander zwischen 1500 und 1700 Verse
umfaßt haben dürfte, von denen wir nach Nicoles Zählung 115 (bei
Grenfell und Hunt 87 -i- 21 = 108) besitzen, und daß es demnach
sehr unwahrscheinlich ist, daß man hieraus den Gang des Stückes
erraten könne. Selbst wenn ich mich daher im folgenden aut die
Angabe des wesentlichsten Gerippes der Handlung einschränke und
jede zweifelhaftere Ausführung vermeide, kann ich vielleicht doch noch
immer von der einen oder anderen Seite Widersi3ruch erfahren. Die
Titelrolle des Stückes ist die eines biederen, einfach klagen und dabei
edelmütigen Landmannes, der durch sein Eingreifen und durch belehrende
Zurede einen vermöglichen Stadtherrn schließlich dahin bringt,' daß
dieser die Vermählung seines Sohnes mit seiner Geliebten gestattet und
die geplante Konvenieuzhoirat dieses Sohnes mit seiner Halbschwester
fallen läßt. Mindestens eine dvavvwpt^i; spielt dabei eine wichtige
Rolle. Es wird aber auch die Halbschwester, deren Hochzeit schon
zugerüstet war, gut versorgt, indem sie einen braven Jüngling heiratet,
der den Landmann bei einer argen Verletzung seines Fußes liebevoll
gepflegt hatte. Letzteren Punkt hat namentlich Weil (Revue XI p. 137)
gut herausgearbeitet, indem er in jovialer Weise den Philologen nah,e-
le^'t, das schöne Stadtfräulein doch nicht mit dem zwar braven, aber
alten und hinkenden Landbauern zu verheiraten, wozu v. 74 Anlaß zu
geben schien. Handelnde Personen sind nach dem erhaltenen Fragmente
mindestens zehn anzunehmen,, fünf Paare, von denen vielleicht jedes auf
dem Prinzip des Kontrastes beruhte; zwei Männer in reifen Jahren, der
eine ein berechnender Stadtherr, der andere ein Gemütsmensch vom
Laude; zwei Frauen, Myrrhine und Philinna, die erstere weich und
schwach, Philinna hingegen, vielleicht Myrrhiues ehemalige Wärterin,
lieftig und energisch; zwei Jünglinge, der eine reich, leichtsinnig und
unschlüssig, der andere arm und tatkräftig; zwei Sklaven, Daos keck
und unternehmend, Syros ist in dem Fragmente nicht charakterisiert;
ebenso ist der Charakter der beiden Mädchen in dem erhaltenen Teile
der Komödie nicht differenziert. Die Liste der handelnden Personen
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 317
ist hiermit vielleicht noch nicht erschöpft, da im v. 11 auch noch auf
die Frau des Stadtherrn hingewiesen wird. Ob ihr eine Rolle in dem
Stücke znfiel und welche, steht dahin. — Die erhaltenen Verse, 87
21 ^ 108 Trimeter enthalten außer zwei irouisch-scherzhaften Bemer-
kungen des Sklaven Daos nichts Komisches, hinsjegen tritt die Zeichnung
der Charaktere hervor. Möglicheiweise darf mau nach diesem Fragmente
des Georgos, welches, wie Crusius a. a. O. wahrheitsgemäß sagt, eot-
täuschenrl wirkt, das ganze Stück und nach der einen Komödie den
ganzen Meuauder beurteilen. Ulrich v. Wilamowifz-ilöllendorff setzt dies
als sicher voraus und zeichnet in seiner Abhandlung (in den Neuen
Jahrbüchern f. d. kl. A. III. Dd.) auf diesem neugewonnenen Unter-
gründe ein Bild von der Meuandrischen und der neuen attischen Komödie
überhaupt. In dieser literargeschichtlichen Würdigung des Genfer
Fragments hat v. Wilamowitz ohne Zweifel die übrigen gleichzeitigen
Darsteller desselben Stoffes weit übertroffen. Schätzenswert und auch
von Wilhelm Cröuert in dem Archiv für Papyrusforschung, 1900,
I, p. 113 mit Recht hervorgehoben ist die auf Anth. Pal. Xll 233 (bei
Kock Com. Att. Frag. III, p. 28) beruhende Bemerkung von Wilamo-
witz, dal.) der r£üJp7oc nebst <I>a3|xa, Ilsp'.y.sipoixevr,, 9r,3aupo;, Micjo'jixevo;
und (nach Anth. Pal. V, 218) auch AujxoXo; zu der Auswahl Menan-
drischer Stücke gehörte, die bis in späte byzantinische Zeit einen Teil der
Schullektüre bildete. I)er r£«opYoc war das erste Stück der Auswahl und
war in sittlicher Beziehung als Lesestoff für die Jugend sehr geeignet.
Die Funde aus Phasraa, Georges und nepiy.etpofxEvirj machen es, wie
v. Wilamowitz sagt, wahrscheinlich, daß auch die Menanderfnnde der
nächsten Zukunft diesem Kreise der weitverbreiteten Schullektüre an-
gehören werden. Eine tröstliche einschlägige Bemerkung macht auch
Kenyon a. a. 0. Er sagt, daß, wenn etwa ein Einfluß der christlichen
Kirche auf den Untergang des Menander, Philemon, Mimnermos und
der Sappho zugegeben werden müßte, dieser Einfluß doch nicht vor dem
vierten Jahrhundert eingeräumt werden dürfte. Was damals schon
unter der ägyptischen Erde geborgen war, wäre vor dieser christlichen
Verfolgung schon in Sicherheit gewesen. Über den Bericht des Petrus
Halcyonius (de Exilio I, p. 69), der sich auf Chalkondylas dafür beruft,
daß byzantinische Kaiser dem Klerus die Verbrennung der oben
genannten Klassiker gestattet hätten, um die Gedichte des Gregor von
Nazianz von dieser lästigen Konkurrenz zu befreien, macht E. Picco-
lomini 1900, Atene e Roma III, p. 42 eine ablehnende Bemerkung. —
Zur Charakteristik der übrigen angeführten Schritten über das Genfer
Fragment teile ichnoch mit, daß EUis, Platt, Herwerden, Agar, van
Leeuwen, Smith und Richards nur für die Herstellung des Textes in
Beü'acht kommen. Einen vollständigen Text bieten die Abhandlungen
318 Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie, (llolzinger.)
vonKiiibel, Weil (Revue des etudes XI), Leeuvven und Dziatzko,
eine Übersetzung Weil (Revue XI) und v. Wilaraowitz (N Jahrb.). —
Mit der scenisclien Ausstattung des Stückes beschäftigt sich Oli vieri. Er
hält es für möglich (Rivista XXVIII, \). 448), daß außer den zwei
Stadthäusern, die Grenfell und Hunt annehmen, auch das Haus des
Landmannes zu sehen gewesen sei. Ich halte dies nach der Art, wie
das baldige Erscheinen des Landniannes in v. 76 (Zählung nach Grenfell-
Hunt) angekündip:t wird, für ausgeschlossen. — Eine wichtige Text-
verbesserung hat II. Weil (Revue des etudes XI, p. 133) für die Verse
79—80 durch Beiziehung von Men. frg. 928 gewonnen, und eine ebenso
wichtige Ergänzung hierzu (für v. 77—80) gibt Blaß (Hermes 33, p. 656)
durch die Einbeziehung von frg. com. adesp. 183 Kock. — Der Auf-
satz Häberlins bespricht in seinem ersten Teile den Georgos in der
Ausgabe Nicoles. Der zweite Teil behandelt denselben Stoff nach der
Ausgabe von Grenfell und Hunt. Beide Teile sind zu verschiedenen Zeiten
abgefaßt, gleich nach dem Erscheinen beider Ausgaben. Daher finden
sich mehrere Behauptungen des ersten Teiles durch die bloß äußerlich
angeschlossene Kritik über die englische Ausgabe widerlegt. Zum
Schlüsse hat Häberlin ancli eine Anzahl eigener Textvorschläge bei-
gegeben. —
M e n an d er s fl e p i x e i p o [j. I v rj.
B. P. Grenfell and A. S. Hunt, The Oxyrhynchus Papyri,
part. II. 1899, S. 11—20. — Mit Faksimile.
Fr. Blaß besorgte gleich für die Originalausgabe den größten
Teil des Textes S. 15—16.
U. v. Wilamowitz-Möllendorff, Götting. gel. Anz., 1900,
S. 29 — 33. Besprechung der Oxyrhynchos Papyri part. IL
G. Setti, Una nuova pagina di Menandro. — Estratto d' Atti e
Meraorie della R. Accademia a Padova, vol. XVI, 1900, S. 143—170.
(Rez.: O. Zuretti, Bolletino di filologia VI, p. 258—259.)
E. Boisacq, Menandre et le fragment d'Oxyrhynchus. Messager
de Bruxelles vom 10. Dezembre 1899 und abermals im V. Jahrg.
der Revue de Funiversite de Bruxelles 1900, p. 351 — 358.
E. Piccolomini, Un frammento nuovo di Menandro. Atene o
Homa III, 1900, 41—54; 91—92.
A. Olivieri, A proposito dei due frammenti del rsojp'/o? e della
lleptxetpo|xevr) di Menandro recentemente scoperti. Rivista di filologia
XXVIII, 1900, p. 447—454.
H. Weil, Nouveaux fragments de Menandre et d'autres classiques
grecs. — Journal des Savants 1900, Januarheft, S. 48—54.
Beriebt über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 310
H. van Her wer den, Ad papj'ros graecos. — Mnenios. NS.
XXVIII. 1900, p. 118 if.
K. Dziatzko, Das neue Fragment der IlEpixEipojXEVT) des i^Ienandei'.
Fesischritt für C. F. W. Müller. Lcipzij? 1900. 8. 122-1:34.
*V. Hahn, Ein neuentdecktes Frao:ment des Menander (polnisch).
- Eos VII, 1901, p. 84- 9G.
Das Frag-ment der Ilspixs'.pojxlvr, besteht aus öl Trimetern einer
einzigen Kolumne. Den oberen Teil derselben bis inklusive v. 33 gibt
das von Grenfell und Hunt herausgegebene Faksimile wieder. Ijinks
oben bei dem Abbruche des Papyrus zeigen sich Zeilenreste der vor-
angehenden Kolumne. Die Schrift ist eine runde Unziale und wird
von den Herausgebern auf den Schluß des ersten oder den Anfang des
zweiten christlichen Jahrliunderts datiert. Der Hand eines vielleicht
gleichaltrigen Korrektors verdankt man die Einsetzung von Inter-
punktionen, Textkorrekturen, Lesarten, Änderungen der Bezeichnungen
für den Personenwechsel, Einschaltung des Namens des Sprechers und
einige Bühnenanweisungen. Es ist ein ziemlich soigfältig revidierter
Text, die Schrift ist verhältnismäßig gut lesbar, das Ganze leidlich gut
erhalten. Übereinstimmend mit dieser Beschreibung der Herausgeber,
die sich bei der Ergänzung der Umschrift der Hilfe von Friedrich
Blaß bedient hatten, sagt v. Wilamowitz a. a. 0. p. 33: „Die Hand-
schrift war ein schönes, sauberes Exemplar plutarcbischer Zeit." —
Der Inhalt des gefundenen Textes gehört der Schlußscene der Komödie
an, so daß vom Ende des ganzen Stückes nicht viel fehlt. — Die
erhaltenen Verse verteilen sich auf vier Sprecher. Nachweisbai- aber
sind aus dem Fragmente selbst sieben Personen: der Soldat Polemon,
dessen Geliebte und spätere Gemahlin Glykera, deren Bruder, ihr Vater
Pataikos, Doris, die Sklavin des Polemon, dann Philinos und dessen
Tochter. Unmittelbar aus den erhaltenen Zeilen wird folgende Hand-
lung ersichtlich. Die Kriegsgefangene Glykeru lebt mit Polemon. Dieser
überrascht die Glykera im Gespräche mit einem jungen Mann, hält
lieseu für einen Geliebten der Glykera, während er ihr Bruder ist,
und vergreift sicli daher an dem Mädchen , indem er der Glykera das
lantre Haar abschneidet. Daher der Titel des Stückes: ll£pr/.£'.po;j.£vTi.
Glykera entflieht den Händen des Wütenden , sucht Schutz in dem
Hause des Nachbars Pataikos. Während nun Pataikos erkennt, daß
(tlykeia seine Tochter ist, wird Polemon über seinen Irrtum in betreff
lies jungen Mannes aufgeklärt. Polemon schickt daher das schlaue
Kammerkätzchen Doris, um mit der Glykera wegen ihrer Rückkehr zu
Polemon diplomatisch zu verhandeln. Polemon läßt einen Opferschmaus
herrichten. Pataikos und Glykera begeben sich zu Polemon. Pataikos
o20 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Ilolzinger.)
teilt ihn» mit, daß Glj^kera seine Tochter ist, und bietet sie ihm mit
großer Mitgift als Gemahlin an. Poleraon, der seine Raschheit durch
Selbstvorwürfe und Verzweiflung schon abgebüßt hat, söhnt sich nun
mit Gl3'kera völlig aus und das Fragment schließt mit der Andeutung,
daß Pataikos noch eine zweite Hochzeit zu stiften liabe. Er will
nämlich seinen Sohn mit der Tochter des Philinos vermählen, womit
augenscheinlich eine zweite Handlung des Stückes ihr Ende erreicht. —
Näheres über die Rekonstruktion der ganzen Komödie ist besonders in
dem Aufsatze Dziatzkos zu finden, der die verschiedenen Möglichkeiten,
die vorhandenen Fäden der Handlung weiterzuspinnen, sorgfältig erwägt.
Natürlich ist hierbei nur zu bloßen Möglichkeiten zu gelangen, auf die
ich hier nicht weiter eingehen kann. Übrigens bringt Dziatzko auch
einen vollständigen Text des Fragments, zum Teil mit eigenen Er-
gänzungen. — Voi züglich das Scenische berücksichtigt der Aufsatz von
Oli Vieri. Er nimmt (wegen v. 43j an, daß sich vor dem Hause des
Polemon ein Altar des Apollon Agyieus befand. Zu diesem Schlüsse
reicht aber das Material nicht aus. Richtig hingegen ist die Bemerkung,
daß an der Scenenwand drei Wohnhäuser zu sehen waren. Dies setzt
natürlich auch Dziatzko ausführlich auseinander. Es liegt in der Tat
die Annahme sehr nahe, daß nicht nur die Häuser des Polemon und
des Pataikos, sondern auch das Haus des Philinos in die sichtbare
Bühuenhandlung einbezogen war. Hingegen ist der Ort der Handlung
nicht mit Sicherheit festzustellen. — Eine vollständige Übersetzung des
Fragments mit übersichtlicher Einleitung enthalten die Aufsätze von
Piccolomini und von ßoisacq. Der erste, der in einer italienischen
Publikation den neuen und interessanten Fund besprach, war Setti.
Er geht von einer Darstellung Menauders auf die neueren Funde über-
haupt ein, bespricht also auch den Georgos, und gelangt zuletzt zu dem
neuen Fragmente, zu dem er eine Inhaltsangabe und Übersetzung ab-
faßt. — Weil gibt bei der Besprechung der Oxyrhj^nchus Papyri
Part. II auch den Text des Fragm. der riepusipoixevY), dazu einen app.
crit., eine Übersetzung und einige eigene erläuternde Bemerkungen. —
van Her wer den erzählt den Inhalt des Stückes, gibt den ganzen
Text zum Teil mit eigenen Verbesserungsvorschlägen und kritischen
Bemerkungen. — von Wilamowitz weist besonders darauf hin, daß
einige Personen des Stückes nicht geborene Hellenen sind, und legt,
wie in dem Aufsatze über den Georgos, den Nachdruck auf die
Charakterzeichnung. —
Zur Vervollständigung der Berichte über die Papyrusfunde sind
beizuziehen:
C. Haeberliu, Griechische PapjTi. Sonderabdruck aus dem
„Centralblatt für Bibliothekswesen", 1897.
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Uolzinger.) 321
Paul Viereck, Bericlit über die ältere Papyrusliteratur, Jahres-
bericht f. Altertumsw. XXVI. Bd. 96-99. 1898, S. 135 ff., vgl.
Berl. phil. Wo. 1899, Sp. 259.
Wilhelm Crünert, Literarische Texte mit Ausschluß der christ-
lichen Archiv für Papyrusforschung I. 1900, S. 104 ff.
E. Hauler, Ein Bruchstück des Menander und des Sotades. —
Eranos Vindobouensis 1893, p. 334 — 344.
In der Pariser Xationalbibliothek entdeckte Hauler im Cod. Graec.
No. 454 (cod. bombyc. geschr. vom Priester Basilius im J. 1448) und
zwar innerhalb eines Hiobkonimeutares des Ps. -Origenes auf fol. 126 a
ein bisher unbekanntes Citat aus Menandros. Es sind 11 Trimeter, die
jedoch nicht alle neu sind. Der Inhalt ist ein paränetischer. Gott ist
gut. Das Gute im menschlichen Leben ist auf ihn zurückzuführen.
Der Mensch trägt selbst die Schuld an den Übeln, die ihn betreffen.
Hauler weist auf Piatons Rep. II, p. 379 C als auf eine Quelle für den
Gedanken hin und vermutet, daß die Verse dem 'V-o|^oXtixaio; f, A-.poiy.oc
entlehnt seien, weil Menand. frag. 482 und 483 wie eine direkte Ent-
gegnung auf den oben angeführten philosophischen Gedanken anmuten. —
Der Scholiast beschließt das Citat aus Menandros mit dei- Bemerkung:
o'jxoüv xax' a-jtov ouoevoc v.ny.oZ airio; 6 Usoc und bringt gleich darauf
ein Citat aus dem xu>[i.i)cc(^ l'ojTaor,; [Xapivot; fügt Hauler ex conj. hinzu
statt des überl. /«piv wj]. Das Citat lautet nach einigen Textänderungen,
an denen sich auch Theodor Goraperz beteiligte: zl [xsTa -o ixaftetv |
o'jy. Tjv Tra&eiv, a oei izaSeiv, oei 7ap fiaösiv ' | si osT -aftsTv |j.£, xav [xaOto,
Ti oei p-aösiv; | ou öei ixa&siv ap' S oei -aDstv • osi -(äp TraOöiv. | Der ge-
nannte Sotades ist nicht der Alexandriner, 6 -rtöv 'Ituvixüiv ajfiattuv ttoitj-
TT,; 0 .Vlapwvitr,; (Athen. VII, 293 A), sondern der weniger oft genannte
Athener, einer der letzten Dichter der mittleren Komödie. Vgl. Mein,
bist. erit. I 426 und Kock GAE II, p. 447. — Durch die Schreibung
Xaptvoii hätte Hauler einen neuen Komödientitel für diesen Sotades ge-
wonnen, worüber er sich ausführlich ausspricht.
Über die in dem Lexicon Messanense und dem Sabbaiticum ent-
haltenen Menanderfragmente ist in diesem Berichte an anderer Stelle
gehandelt. Vgl. S. 293.
J. Raeder, Ad Menandrum. — Nordisk Tidsskrift for Filologi
1896, S. 54-56.
Für- Menand. 109 Kock schlägt der Verfasser folgenden wesent-
lich umgestalteten Text vor: 'AYctööv ti 7ivo'.t", u) -oXo-ijxrjToi öeot. | u-o-
oouftevo; ^ap l|xßaöoc xf,? 6s$t5; [ xov ijxavTa oieppT)^' und für die nächste
Zeile (TjjLtxpoXoi'o; an Stelle von [XüxpoXoYo;. Daß uoXu-i|j.t)toi, was auch
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVI. (1903. I.) 21
322 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
Clem. Alex. Strom. VII, 4, 24 p. 842 P gibt, wieder iu sein Recht
eingesetzt wird, muß man wohl billigen; ebenso sind die Gründe zu
beachten, auf welche Raeder die Ausmerzung des in die erste Zeile
eingedrungenen p-oi zu stützen weiß.
H. van Herwerden, Ad fragmenta Comicorum graecorum. —
Mnemos. NS. XXIV, 1896, p. 397—404.
Der Aufsatz enthält mehr als ein Dutzend neuer, zumeist kritische-
Bemerkungen zu den Com. Att. Frag. Gelungen scheinen mir die fol-
genden: Bei Alexis fr. 266 v. 7 schreibt Herwerden: ouy. la-c' exsivoc
e'j)(epT]f ouTüJc dvTQp. — Bei Henioch. fr. 5 v. 17: ovo|x' eaxi xotvö' dpt-
atoxpaiia {}aT£pa. — Bei Timokl. fr. 6: x:apa{jLUÖia? st. des unmetrischen
TTapa'j;u-/af. — Bei Menand. fr. 570: 5. Xavl^aveiv xij Po'jXet aXXov eloevai
St. ßouXexai xaux siSevat. — Bei Menand. fr. 687 ist nach suseßr^c das
Fragezeichen zu setzen. Bei [Menand.] fr. 693 schreibt Herwerden
l7iicp9ovü)Tepov st. euToviuTspov. — Die übrigen Bemerkungen würde ich
ablehnen. Z. B. schreibt Herwerden bei Aristoph. fr, 106 Aaxyjxa xal
Me^axXea xal Aajxayov, während Aristophanes das mittlere a von Me-
gakles an allen Stellen, an denen er den Namen bringt, kurz mißt. —
Bei Anaxandrid. fr, 34 v. 10 — 11 erklärt Herwerden apva und xptov in
obscönem Sinne, was gewiß nicht richtig ist, mag sich unter dem xatvöc
OsaTpoTtotoc des v. 9 was immer für ein noch ungelöstes Rätsel ver-
bergen.
F, Blaß, Verse von Komikern bei Clemens Alexandrinus, —
Hermes XXXV, 1900, p. 340—342.
Blaß gewinnt iu diesem Aufsatze aus dem Paedagogus des Clemens
3 Komikerfragraente, zusammen 7 Verse sentenzenhaften Charakters,
die er mit großer Wahrscheinlichkeit dem Menandros zuspricht. Dazu
kommen dann einige vereinzelte Zeilen eben derselben Schrift, in denen
der Charakter des Komikerverses zwar etwas weniger deutlich, aber
immerhin noch klar genug hervortritt.
G. Kaibel, Sententiarum liber sextus. Hermes XXVIII, 1893,
p. 48.
Th, Kock, Kom. Apollodoros fragm. i3 K., Rh. Mus, 49, 1894,
p. 162—163,
Kaibel greift in einer etwas unhöflichen Weise einige Konjekturen
Theodor Kocks zu Apollodor in Com. Att. Frag. III, p. 291 — 293 an.
Hiergegen verteitigt sich Kock im genannten Aufsatze auch nicht ohne
Schärfe. Man muß Kock hierbei einigemal Recht geben, | In den Versen:
öei Tov dcxpoaxTjv xal auvexöv ovtoj; xpiTYjv | irpo xoü Xe^ofAevou xov ßtov
S'.aaxoTcetv, wäre allerdings, wie Kaibel meint, Xo-you dem XsYGfxevou weitaus
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.) 323
vorzuziehen. Aber da Kaibel des Metrums weiien tou ^6700 \ih schreiben
muß, findet Kock mit Recht, daC dieses \ih hier ein sehr unangenehmes
Flickwort ist. Leichter als jenes fxev nach X670U nimmt man noch das
XeYOfxevou in den Kauf. — Vers 14 druckt Kock in folfjender Gestalt:
ou roXiv, oXtjV cp uXt)v 8k [xaXaxo; dvaxpeTrei. Im Kommentar hierzu empfiehlt
er die Vermutung: oü tioXiv 6|xoü cpi'Xotc 6 fxaXaxoc dvarpensi; indem er
<puXTiv als ineptum bezeichnet. Kaibel verstand den Kockschen Vers in
dem Sinne, daß der Lüstline: durch die Mithilfe seiner Genossen den
Umsturz des Staates herbeiführe. — Kaibel tadelt diese Anwendung
von 61X0Ü -- auv in der alltäglichen Sprache. — Allein Kock wollte den
Apollodoros sagen lassen, daß der Lüstling nicht nur seine Freunde zu
Grunde richtet, sondern den ganzen Staat. Und daß 6|xou — auv ganz
alltäglich sei, weist er durch schlagende Beispiele aus den Komikern
nach: Aristoph. Eccl. 404: !Jx6poo" ojxoy xpi^iavt druo. Dann zieht Kock
gegen Kaibels Konjektur zu Felde: ou -oXiv, oXrjv 'puaiv 0' 0 [xaXaxoc
dvatpETiet. Im Unrecht sind, wie man sieht, beide. Kaibels Vers ist
dem Sinne nach unmöglich. Der Gedanke aber, den Kock in seine
Fassung des Verses hineinlegen wollte, müßte in sprachlicher Hinsicht
umgemodelt werden. So sind denn also auch, wenn man will, beide im
Kechr.
G. Kaibel, Senteatiarum über septimus. Hermes XXX, 1895,
p. 429—446.
Dieses Buch beschäftigt sich fast ausschließlich mit der alt-
attischen Komödie und zwar vorzugsweise mit Fragmenten. Sehr un-
angenehm für den Leser ist es, daß Kaibel diese Fragmente fast durchweg
nur nach den Fundstellen bezeichnet und nur in seltenen Fällen die
Zählung der Kockschen Fragmentsammlung angibt. Da aber die Polemik
Kaibels, wie natürlich, gegen seine Vorgänger gerichtet ist und zum
guten Teile auf ihrem Apparate fußt, hat der Leser stets nur dann
einen Einblick in die Tragweite und den Grad der Originalität der
gegnerischen Behauptungen, wenn er sich die Fragmente, um die es
sich handelt, mit großem Zeitverluste bei Kock nachgeschlagen hat. —
Um meinen Lesern die gleiche Mühe zu ersparen, eitlere ich im folgenden
alle Fragmente nach Kocks Ausgabe, ohne dadurch dem Urteile, ob
man jedesmal mit Kocks Text einverstanden sein müsse, irgendwie
vorzugreifen. — In Aristoph. fr. 50G und 480 wird Kocks Text gebilligt.
Hier bringt Kaibel nichts Neues. Neu aber überaus zweifelhaft ist
Kaibels Behauptung, daß man in Kratin. fr. 234 xuXixo; streichen
müsse. In Aristoph. fr. 629 ist weder Kocks Text, noch auch Kaibels
p-eXotvo -/XüitTa, TTiTta BpexTi'a Trap^v überzeugend. Das Gleiche gilt von
Aristoph. fr. 544, wo Kaibel 6 X13-6-U70C dpa xxX. anempfiehlt. Für
21*
3.?4 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
unerwiesen halte ich auch Kaibels dirMiU st. azooCz bei Kratin. fr. 219
und Kaibels ^8e onrooia bei Kratin. fr. 162. Weiteihin vergleicht
Kaibel Eupol. fr. ine. 352 mit Aristoph. fr. 490 und behauptet, daß
Eupolis fr. 352 nicht dem Eupolis. sondern dem Aristophanes gehöre.
Der erste Vers dieses Fragments sei zu schreiben : xi orj-c' e-yw-y' exeivovt
Tov TTTcoyöv aooXsr/Yjv. Bezütrlich der Provenienz dieser Verse gibt
Kaibel nur noch an, daß sie nicht aus den Wolken stammen. Die Be-
weisführung ist recht unsicher. — Verdienstlich sind hingegen folgende
Bemerkungen Kaibels. Bei Eupol. fr. 308 lese man -pwTov und nicht
TcpwTco? oder TTpüJTo^. In Kratin. fr. 129 ist die IJberliefernng uapaXs-
^aixsvoj beizubehalten. Ganz richtig bezieht Kaibel den Vers auf die
Zubereitung eines Fisches. — In Kratin. fr. 364 schreibe man mit
Kaibel: mjjoxwviav "Apr^v. — Das beste an diesem Aufsatze und des
Namens Kaibels würdig ist die Behandlung von Eupolis fr. 70 und 71.
Kaibel beweist, daß fr. 71 nicht von Herakleia handelt, sondern von
Amynias. Dabei fällt ein Licht auf die im Zusammenhange vorge-
tragenen Stellen über Amynias bei Aristoph. Nnb. 685 ff., Vesp. 463 ff.,
1268 ff. Amynias kam, nach Kaibels wahrscheinlicher Ansicht, als Ge-
sandter Athens und zwar vielleicht als Stratege, nach Thessalien (Phar-
salos), um durchzusetzeu, daß dem Durchmarsche des Brasidas Schwierig-
keiten in den Weg gelegt würden. Amynias werde nun von den Ko-
mikern einer TtapaTipsaßsia geziehen, als habe er heimlich die Interessen
der Lakedaimonier gefördert. Die Seriphier des Kratinos (vgl. schol.
Aristoph. Nub. 687 (691) = Kratin. fr. 212), in denen Amj^nias eben-
falls verspottet wurde, setzt Kaibel in denselben Zeitraum als die ttoXsi?
des Eupolis, die er mit Brandes Observ. crit. p. 6 auf die Dionysien
des J. 422 fixiert. Vgl. hierzu die Diss. von Je. Zelle, 1892, S. 34. —
Verunglückt ist hingegen die Behandlung von Hermipp. fr. 69, wo das
Wort U7ra7ü)7su? den Anstoß bildet, wie in Arist. Av. 1150. Kaibel
nimmt uTLa^wYsüjt „sensu translato'' als „uormam vel regulam vel ca-
nonera = upo;a7(u7iov''. Aber irpo^a-cuj-yiov ist etwas anderes als G-a-^w-
7s6?. Darum heißt es auch anders, d-a-no-ivj; ist eine Kelle, und kein
Richtscheit oder Lineal. Die fehlerhafte Überlieferung c'jvs^rt 7ap of,
oea|xiüi |X£v ouoevi, xoTsi o UTraYw-'SÜJi "oi? aü-oü xpoTCOt; verwandelt
Kaibel folgendermaßen: ^uvesxi 7ap oq ozikoiti |x£v ouosvi,
ypYjSTOiai o' u;ra7a)7£ÜJi totj auxoü tponoi;. —
Kaibel spricht also von jemand, für den nur sein eigener guter
Charakter die Richtschnur abgibt. Hermippos hingegen scheint von
zwei Personen zu reden, deren eine mit der anderen durch kein anderes
Band verbunden ist, als durch ihre guten Eigenschaften, also z. B, nicht
durch Verwandtschaft, Alter, Ehe, Vorteile, geschlechtliche Liebe u. dgl. —
Bericht übf-r die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger) 325
Es freut mich zu sehen, daß auch Carl Robert (Hermes 33. S. 586)
für die Überlieferung osTfinp und geg'en Kaibel Stellung nimmt.
W. Headlam, Various conjectures III. (Ad) C^onücoruni grae-
corum fi-agmenta. — The Journal of Philology. XXIII, 18!»5, i^. 27y
-286.
Headlam behandelt hier gegen '60 Fragmente griechischer Komiker,
darunter einige vuii Kratiuos, Phcrekrates, ilermippos, Eupolis, Anti-
phanes, Philemon, Menander. Einige Exegesen müssen als ganz ge-
lungen bezeichnet werden. Z. B. wird Phorekr. 150 Kock: 'i^zizv^ ä'xfov
iSsüpo repo'.y.o; toottov durch das Sprichwort erklärt: IJEpot; ooo'jjov • «vtI
TOü • Tayetuc il^i. — Zu Menand. 745 i-'i oi \ -j-uvr] Xi-jr^zt y^r^sW ursp-
ßaXXtov 961^0; hat Kock die Bemerkung: ,,(^uid sibi velit cpo^o^ non
exputo." Richtig erklärt Headlam durch den Hinweis auf Menand. 652:
TOTE Tai 7uvarxotc Öeoieva'. fj.a/aiT'Z Sei, ot7.v rt rspizXaxTcoj'. toij ypYjdTors
Xd-ioii. Daß 'fo-ioc hier nur den Gegenstand der Furcht bezeichnen
kann und daß die Sentenz des Menandros für Damen wenig schmeichel-
haft ist, ist doch wohl ganz klar. Mau muli sich nur wundern, daß es
rotwendig ist, dergleichen hervorzuheben. —
Auch in den Konjekturen ist Headlam einige Male glücklich.
Z. B. Hermippos frag. 1, das Kock in der Gestalt: o Zs-j; „öiowixt
llaXXac" rjji ,TO'jvo[jLa." wiedergibt, erhält durch Headlam bei engstem
Anschlüsse an die verderbte Überlieferung folgende Form: 6 Ze-j; 8'
lOüjv viv „IlaXXac'" r;3'' ^.TO'jvojAa."
Gut scheint mir auch die Einführung eines zweiten Sprechers in
der berühmten Stelle des Eupolis (frag. 94, v. 4 Kock) über Perikles:
K. tayuv Xe-fSic |xev. A. -poj 6e -{ auroü tw taysi | tteiOüi tic E~£xa»)t^£v xtX,
— Bei mancher anderen Vermutung könnte ich allerdings nicht mittun,
Z. B. bei Kratinos frag. 26 halte ich es für vorsichtiger, mit Kock zu
sagen: quid sit sppal^c rpöc Tf,v -jrjv nescio als mit Headlam (p. 295)
das ^ einfach in S zu verwandeln und zu behaupten, daß die Worte
bedeuten „warf ihn zur Erde". Denn -ol^ t/jv -j^v sieht neben sppaCe
einem Glossem ähnlich. Vgl. S. 296 d. Ber. — Auch bei Antiphancs frag.
227 : Ttj ^ip rß.ri TjfjLüiv To [xeXXov, oa -aBsTv -/.tX. ist Meinekes y.atoio' (statt
010') noch immer ein leichteres Mittel zur Herstellung der Jamben, als
Headlams geschraubte Wortfügung: -i'c ^ap tö [xeXXov otSsv Tjfxoiv y.tX. —
V. Hoelzer, De poesi amatoria a comicis Atticis exculta, ab
elegiacis imitatione expressa. Pars prior. — Marpurgi 1899.
Der Verf. beabsichtigt zu erweisen, daß viele Gedanken über die
Liebe, dann Stoffe, die diesem Gebiete entlehnt sind, ja sogar einzelne
Figuren, wie der ausgesperrte Liebhaber, die verschmitzte Kupplerin,
der piablerische Soldat, die von den römischen Elegikern verarbeitet
326 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
sind, eine nahe Verwandtschaft mit der Behandlung: dieser Gedanken,
Stoffe nnd Figuren in der neuen attischen Komödie verraten. Hoelzer
geht nun darauf aus, zu zeigen, daß diese Abhängigkeit des TibuUus,
Propertius, Ovidius von der griechischen Komödie nicht auf dem We?e
durch Plautus und Terentius zu stände kam. sondern durch die alexan-
drinischen Elegien auf Menandros und seine Knnstgenossen zurückführt.
Manches hiervon verfolgt der Verfasser auch bis in die alte Tragödie
zurück. —
A. W. Pickard-Cambridge, Select fragraents of the greek
Comic poets. Oxfoid 1900.
In diesem Bändchen hat mau es mit einer Auswahl von Komiker-
fragmenten für Studierende zu tun. Mit Recht sagt der Verfasser in
dem Vorworte, daß die Fragmeute darum wenig gelesen werden , weil
die Sammlungen von Meineke und Keck nicht jedermann zugänglich
und für Anfänger schwer zu handhaben sind. Ob man aber die Druck-
legung der Auswahl nicht hätte dem Verleger der Kockscheu Gesamt-
ausgabe überlassen müssen, ist für mich wenigstens eine andere Fi-age.
Pickard hat Aristophanes verhältnismäßig wenig berücksichtigt, weil
dieser Meister auch den Studierenden durch einige ganze Dramen be-
kannt sind. Bei der Auswahl aus den übrigen Komikern findet mau
ein Hauptgewicht auf längere zusammenhängende Bruchstücke ' gelegt.
In der Gestaltung des Textes verfährt der Verfasser konservativer als
Kock, was sich natürlich bei einer Auswahl auch leichter durchführen
läßt. Ein Inhaltsverzeichnis der Fragmente ist als eine nach Stoffen
angeordnete Übersicht derselben (table of subjects) vorausgeschickt.
In einem Anhange S. 173 — 203 sind einige erklärende Anmerkungen
zusammengestellt. Daß das Büchlein nach der praktischen Seite hin
gute Dienste leisten kann, wird man wohl kaum in Abrede stellen
dürfen,
0. Crusius, Com. adesp. 410 p. 485 Kock. Philologus LIX,
1900, p. 315—316.
In dieser Miszelle verweist Crusius auf seine Besprechung von
Kocks fragmenta incerta in d. Gott. gel. Anz. 1889, 5, 169 ff. (1890,
17, 689^) und zeigt, daß Kocks frag. ine. 410 (III, p. 485) kein Dichter-
fragment ist, sondern Plutarchs vit. Lyc. c. 10 angehört, woher es
Porphyr. De abstin. 4, 4 entlehnte. —
Anmerkung. Die Titel einiger Werke, die mir nicht zugänglich
waren, sind mit einem Sternchen bezeichnet. — Einige Erscheinungen, die
ursprünglich in den Bericht aufgenommen waren, wurden wegen ihrer ge-
ringen Bedeutung schliesslich wieder ausgeschaltet.
Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Hoizinger.) 327
Verzeichnis
der Namen der in diesem ßerichte behandelten Autoren.
A^ar 315.
AUeiE^re 255, 271.
Allen 186.
Anonymus 169, 220.
Arnold 212.
0. Bachmann 165. 180,
231, 288.
Bermann 204.
liertheroy 198.
Bcthe 229, 289.
ßielecki 183.
F. Blass 179, 229, 262,
•266. 303, 304, 312,
315. 318, 322.
Blaydes 161.
Bodensteiner 178, 279..
Boisacq 318.
Bonner 203.
Boros 160.
Eorromeo 165.
Boiitens 288.
Breusinir 250.
Biognola 267.
Buiy 162, 233, 314.
Capps 173, 174.
Oluirch 16Ö.
Comparetti 234, 268.
Corazzini 190.
Couatl64. 176,184,201.
Crönert 317, 321.
Cnisius 303, 312, 326.
Daehn 177.
Damste 214, 229.
Danka 160.
Decker 206.
Dönis 199.
Deschanel 164.
DJeterich 214.
Dörpfeld 177, 178, 185.
F. Dümmler 172, 173.
Dufoui- 184.
Dziatzko 315, 318, 319.
Ellis 312.
Exon 279, 282.
Fairclough 253.
Ferrieri 201.
Ferte 199.
Fraccaroli 304.
Franchetti 234, 268,269.
Franchi 239.
Frere 165. 199,204.252.
Galanti 307.
Geflfcken 308.
Geldart 162, 233.
Godley 252, 253.
Gomperz 292, 309, 321.
Graeven 286.
Graf 261.
Graves 162, 219, 220.
Green 162.
Grenfell 303, 313, 318.
Gulick 246, 289.
Haeberlin315, 318, 320.
V. Hahn 160, 315, 319.
Hailstone 218.
Halbertsma 190.
F.W.Hall 162, 233,256.
Hallerstadt 267.
Hauler 321.
Hawkiiis 164.
Haym 175.
Headlam 188. 203, 290,
301, 325.
Hecht 164.
Hegedüs 160.
Heiberfj 169.
Heidhues 213, 216.
Helm 239.
Herwerden 1 62,180, 187,
188, 210, 222, 230,
231, 291, 297, 298,
304, 313, 319, 322.
Hessen 170.
Hickie 164, 269.
Hirschberg 182. 205.
Hodffes 235.
Hoelzer 309. 325.
Hogarth 252, 253.
Hoizinger 161,190, 222,
260, 273, 275, 278,
280, 283, 285.
Hornyansky 160.
F. Hnltsch 302.
Th. Hultzsch 208.
Hunt 303, 313. 318.
Huntingford 253.
Jackson 225.
Jannaris 296.
Jernstedt 275, 309.
Ijzeren 188, 283, 288.
Jungius 181.
Kaehler 172. 185, 192,
308.
Kaibel 163, 165, 175,
279, 315, 322, 323.
Kellogg 203.
Kenyon 312, 317.
J. B. Koch 212.
Th. Kock 163. 293,
298. 309, 312, 322.
Konarski 160.
Kornilofif 220.
Lakon 193.
E. Lange 167.
Leenwen 161, 172, 204,
205, 209, 211, 216,
217, 222, 230, 237,
240, 247, 253, 256,
258, 259, 260, 263,
289, 290, 315.
Lettner 175.
Lindskog 308.
H. Lübke 307.
,'i28 Bericht über die Literatur der griechischen Komödie. (Holzinger.)
Mabaffy 292, 311.
Poyard 164.
Marindill 272.
Prout 219.
A.Martin 216, 282
284.
Qninn 268.
Marzi 270.
Rabe 293.
Meiner.s 288.
Kadermacher 264.
Merry 162, 163, 219.
Raeder 321.
W. Meyer 306.
Ranisay 226.
Mifhelaiigeli 266.
F. Rauke 308.
Mischtschenko 220
Th. Rein ach 313.
Mlynek 241. 244.
8. Reiter 182.
Albert Müller 195,
214.
Reitzensteiii 212,
293,
278.
294.
Naber 253.
H. Richards 170,
194,
Nairn 265, 268.
259, 294, 301,
315.
Nazari 167.
Riess 168.
A. Nanck 306, 309,
311.
Carl Robertl 72,220.228,
Neil 163.
229, 243. 279,
325.
Nicole 312.
W. R. Roberts 169.
Nicolson 269.
Robertson 167.
Y. T. 0. 198.
Roemer 171, 216.
Oeri 273.
Rogers 220,
Olivieri 167, 305,
315,
Romagnoli 175,
183,
318.
235, 240, 243,
244.
F. A. Paley 164.
Ruppcrsberg 250.
Papadimitrakopiüos 178.
Rntherford 245,
260,
Papadopulos Keraraeus
270, 280, 282,
283,
293.
296, 301.
Pascal 295.
Saint Victor 197.
Passow 191.
S. Scaevola 218.
Pecz 180.
Carl Schenkl 312.
Peppmüller 269.
Scherrans 166, 305.
Pen in 241.
Rudolf Scholl 285,
287.
E. Petersen 246.
Schwandke 213.
P. Petersen 201, 258.
Setti 307, 318.'
Photiadis 291.
Shilleto 225.
Piccolomini 205,
207,
N. Smith 315.
236. 238, 300,
317,
Sonny 195, 257, 305.
318.
Starkie 162, 192,
219,
J. Pickard .177.
222.
A. W. Pickard -
Cam-
G. Stein 288.
bridge 326.
R. Steiner 193.
Plaisfowe 218, 252. |
Sternbach 306.
A. Platt 218, 312.
Steurer 185.
Poppelreuter 172.
Strachan 180.
Poste 268.
Studniczka 305.
Carmen Sylva 197.
Talbot 200.
Thoibidopulos 220.
E. S. Thompson 224.
Treudelenburg 246.
Tacker 227, 264.
Tyrrell 231, 250.
ückermann 179, 231.
Vahlen 192, 205. 208,
209. 210. 236, 247.
Velseii 205. 209.
Viereck 321.
Villehervfc 249.
Voelker 169.
W. Vollgraff 225.
Vürtheiin 227, 245.
Wageningen 297.
H. Weil 303, 304, 305,
312. 315, 318.
Weinberger 315.
Weissmann 214.276,278.
K. Wernicke 203.
K. Wessely 292.
.T. W. White 248, 275.
R. E. White 227.
Winans 215. '
Wilamowitz 195, 196,
250, 251, 272, 274,
281, 304, 309, 312,
315. 318.
A. Wilhelm 174.
A. Willems 199. 200,
210, 223, 227, 232,
242, 245, 263.
H. F. Wilson 253.
Zacher 163, 178, 186,
188. 202, 209, 210,
213, 214, 267, 279,
283, 288, 289, 306.
Zelle 164, 324.
Zevort 199, 249.
Zielinski 175, 177, 192,
195.
^uretti 185, 186, 251,
254, 318.
JAHRESBERICHT
über
die Fortschritte der klassischen
Altertumswissenschaft
begründet
von
Conrad Bursiau
herausgegeben
von
T^. Ciiirlitt itiici TV. Ki'oll.
Hundertundsiebzelmter Band.
Einunddreissigster Jahrgang 1903.
Zweite Abteilung.
Griechische und lateinische Autoren.
LEIPZIG 1904.
O. R. R E 1 S L A N D.
Inhalts- Verzeichnis
des hundertiindsiebzehnten Bandes.
Söite
Bericlil iil)or dio lionierischen Realien 189(1—1902 von
A. Gomoll in Striegau 1— 4()
Bericht über die Xeuophon betreffenden Schriften aus den
Jaiiren 1899—1902. Von Ernst Ri(-liter in Berlin 47 78
Bericht über Horodot 1898-1901 von J. Sitzler in
Tauberbischofsheim 74-101»
Berieht über Piudar 1901 — 1902 von L. Bornemann
in Hamburg 110—137
Bericht über die Literatur zu den rhetorischen Schriften
Ciceros aus den Jahren 1900 — 1902. Von Georg
Ammon in München 1;j8 — 154
Bericht über die Arbeiten zu den römischen Rednern (im
weiteren Sinne, mit Ausscliiuss von Cicero, Corni-
licius, Seneca. Quintilian. Calpurnius Flaccus, Apu-
leius, Ausonius und der christlichen Schriftsteller) aus
den Jahren 1897—1902 von Karl Burkhard in
Wien 155- 180
Bericht über die homerischen Realien 1896 - 1902
von
A. G e m 0 1 1
in Striegau.
I. Allgemeines.
W. C. Lawton, Art and humanity in Homer. New York 1896.
Das kleine Buch ist eine Sammlung- von Essays, die ursprünglich
in der Zeitschrift Atlantic Montiily erschienen sind. Die Sammlung soll
den Zwecken des höheren Unterrichts dienen, speziell den Zwecken der
American society for the Extension of University Teaching. Sie ent-
hält 7 Essays: 1. Die Ilias als Kunstwerk, 2. die Frauen der Ilias,
3. der Schluß der Ilias, 4. der Plan der Odyssee, 5. die homerische
Unterwelt, 6. Odysseus und Nausikaa, 7. nachhomerische Anwüchse an
die trojanische Sage. Den Schluß bildet eine kurze Inhaltsübersicht mit
daran schließenden Themen für ein eingehenderes Studium der akade-
mischen Jugend.
C. Haeberliu, Drei Paradoxen, in Wocheuschr. für kl. Phil.
13. Jahrg. 1896 Nr. 36.
Hierher gehört das erste Paradoxon. Der Dichter der alten hom.
Epen war eih Thessaler, welcher nicht Houieros hieß. Dieser war der
blinde Sänger, der in dem h. Apoll, von sich selber zeugt. Beweis:
das gleichzeitige Zusammentreffen von Vau und Heta. Die lonier hatten
kein Vau, die Aoler keine Aspiration.
J. Weck, Homerische Probleme. Progr. Metz 1896.
Seinen Beiträgen zur Erklärung hom. Personennamen Metz 1 883,
seinem Aufsatz l'Tiea -Tspoevta (N. Jahrbb. 1884 S. 433), seiner ersten
Sammlung hom. Probleme (Metz 1890) läßt der Verf. eine zweite hier
folgen (Nr. 17 — 31), die auch für die Realien von Interesse ist.
Nr. 17. 9pev£;, 9pr,v heißt trotz t 299 und 11 481 nicht das
Zwerchfell, sondern ist = *cpaprjv s. v. a. Schacht, Brustschacht. Man
mag über diese Etymologie denken, wie man will, jedenfalls ist auch
Jahresbericht für AltertumswisBenschaft. Bd. CXVU. (1903. II.) 1
2 Bericht über die homeriscüen Realien 189G— 1902. (Gemoll.)
mir die Bedeutung „Zwerchfell" zweifelhaft. Nr. 19 das skäische Tor
ist nicht das linke Tor, sondern das Schildtor. axaiv] yeip ist die Schild-
hand ((jaxaiY^). Es müßte doch erst nachgewiesen werden, daß axaio; hier
nicht „links" bedeuten kann. 20. uTtoopa iSwv 1. utio 5pa' (— *o£pa)
tSwv unter den Hals blickend (I). Das wird wohl niemand glauben.
25. fxtuvu-/E; Tttttoi sind nicht „einhufige Rosse'', sondern vom Riemen
(* ot}xac = ifxac in der Form *(jt|xo-) gestoßene (vuaoio).
■/■«[jnj^tovu^ wiederum hat nichts mit -j^dp-Tziia und xv'fxTcuj zu tun,
sondern heißt: Kinnbacken (-j-aixcpyjXaQ nackt (vu$ = nackt und Nacht).
oiYUTTto? ist nicht der Lämmergeier, den es in Homers Bereich nicht
gibt, sondern vultur cinereus, der graue Geier, eigtl. Adlergeier (aieroi;-
7ü(|*). Die sachliche Aufklärung ist dankenswert.
28. • rjvia aqaXot^xa sind nicht schimmernde Zügel, sondern sehr
(et aus i:oat, '\)i) bequeme (vaXv^vTj, Adj. fem. v. -/aXo?, ^aXa?). 29. a-^ipio-
joc heißt freibeutend (a-i-pr), «-/ptuaaw). Homer hat für die Feinde nur
tadelnde Beiwörter. 30. '/^aiXxii;--K6iii^8i«;. yalv-k heißt Schmiedin = Specht,
xofjLivöi? Ky-Pfeiffer mit Hinweis auf Brehm, Tierl.^ Vögel I S. 604 f.
31. Nachlese. '/sTpec aaTürai nicht unnahbare, sondern untadlige Hände,
an die man nicht rühren darf. Ich finde hier keinen Unterschied in
der Etymologie.
G. Zutt, Homerische Untersuchungen. Progr. Baden-Baden 1896.
Von den 3 Untersuchungen, die das Programm enthält, gehören
2 und 3 hierher. Die erstere handelt von dem Ölbaum im Thalamus
des Odysseus. Verf. bringt aus der Wölsungen-Sage (c. 2) als Parallele
die Eiche, die im Saal des Wölsung wächst, deren Zweige und Blätter
über das Dach hinausragen, den Baum der Heldenjungfrau Liod genannt.
Er vindiziert dieser Eiche religiöse Bedeutung, sowie der Hochstud in
den allemannischen Bauernhäusern. Nach Rochholz, Deutscher Glaube
und Brauch 11 141 ist sogar öfter ein auf der Baustelle gewachsener
Nußbaum zur Stud zugestutzt. Nach diesen Beispielen hält sich Verf.
für berechtigt, in dem Ölbaum des Odysseus eine Stele zu suchen und
in der Bauart uralten indogermanischen Brauch zu sehen. — Im letzteren
Abschnitt behandelt Zutt die Phäaken, indem er in ihnen Bewohner
des Seelenlandes, Elysion, sucht, also eine Fortbildung der Welckerschen
Ansicht. Derartige Entwickelungen haben immer sehr wenig Zwingendes.
S. Butler, the authoress of the Odyssee, where and when she
wrote, who she was, the use she made of the Iliad and how the poem
grew under her hands. London 1897.
Krichenbauer hat einen Nachfolger gefunden, der ihn weit über-
trifft. Butler hat in der Odyssee die sichersten Spuren gefunden, daß
sie nicht von einem Manne, sondern von einem jungen Mädchen verfaßt
Bericht über die homerischen Realien 1S9G— 1902. (Gemoll.) 3
ist. Dafür spricht u. a., daß nicht mehr Iris, sondern Hermes die
Botendienste der Götter verrichten maß, vor allen Dingen die Schilde-
rung der Zustände in Ithaka. Da ist nicht alles so glatt zugegangen,
sonst liätte Autikleia nicht in der Unterwelt das Treiben der Freier
verschwiegen. Audi Odysseus ist nicht der Tugendspiegel, der er sein
soll, sonst hätte er wohl schon längst der Kalypso Axt und Bohrer und
Leinwand ausgeführt, um sich ein Floß zu bauen. So schreibt nur ein
Weib und zwar ein junges.
Im weiteren wird dann nachgewiesen, daß diese Schriftstellerin
die ganzen Örtlichkeiten der Odyssee nach ihrer nächsten Nachbarschaft
Trapani unter dem Eryx geschildert hat. Trapani ist zunächst Scheria.
Denn Trapani hat einen doppelten Hafen, davor eine Insel, die einst-
mals ein Schiff, wenn auch nur ein türkisches Piratenschiff war. Tra-
pani ist aber auch Ithaka. Das Ntritongebirge ist der Eryx mit dem
noch heute sogenannten Rabenfels, und auch die Grotten finden sich
westlich vom Eryx sogar mit Bienen. Allerdings die Insel Ithaka ist
Trapani nicht, sondern das ist Maritima, die westlichste der Agatischen
Inseln. Die anderen bieten sich bequem dar, Levanzo und Favignana
für Same und Zakynthos, Dulichion aber ist heute Isola grande. Hier
liegt Ithaka nördlich Travuireptärr) eiv aXi, wenn mau nämlich auf dem
Eryx steht. Favignana aber ist zugleich die Ziegeninsel und der Eryx
ist das Kyklopenland.- T^berhaupt bestehen die ganzen Abenteuer des
Odysseus eigentlich aus einer Umsegelung Siziliens. Ustica ist die Insel
des Aolus, Cefalu die Lästrygonenstadt, Tauromenium der Weideplatz
des Helios, Pantellaria die Insel der Kalypso. — Unbegreiflich ist es
eigentlich, daß Stolberg, Mure, Freeman, Schliemann, Layard hier waren
und das nicht sahen, was der Verf. gesehen hat (S. 263), aber sie waren
eben in Vorurteilen befangen.
H. Brnnnhofer, Homerische Rätsel. Die homerischen Epitheta
ornantia etymologisch und historisch-geographisch gedeutet. Leipzig
1898.
Ein wunderlicher und dabei nicht einmal richtiger Titel. Die
Arbeit enthält 169 Etymologien durchaus nicht bloß von schmückenden
Beiwörtern, sondern auch von sehr wichtigen Apellativen. Das Verdienst
der Arbeit besteht nicht in der zweifellosen Herleituug homerischer
Wörter, denn dann würde die Ernte sehr dürftig sein. Ich möchte —
soweit wie ich die Sache verstehe — etwa 15 Etymologien als sicher
bezeichnen, davon gehören aber acht nicht dem Verfasser, d-^por (Verf.
schreibt d'^po?) -^ Weidetrifft (nach Jhering, Weber), «VaEa gemeinschaft-
liche Wohnung, d'p-o; — das heilige Korn (nach Geigei), dsTTQp = der
strahlenschießende (nach Weber), do^oosXoc = pers. isfant, die heilige
1*
4 Bericht über die homerischen Realien 1896—1002. (Gemoll.)
Raute, ßaXavoc die eßbare, des^l. 7aXa --=-- trank v. W. gal., ßpoToXot^oc
= ßpoToXoiyoc blutleckend, 7pa(p(o ritzen (schon alt), oarsoov --= dänpäda
Hausflur, 66|xo? das Gebundene (Zelt) nach Weber, evuo) die Schlägerin
von van (nach Ludwig), xaaot-cepo? von ind. ka^itara glänzend, -/.spauvoc
— perannos (nach J, Grimm), olvoc von viere flechten, ranken (nach
Hehn, Sclirader), aior^po? -=^ Metall von Sioiqvt] in Karien wie XaXu'f von
Chalybes, ypuaot ^ Sonnenglanz von ghransä (mit Aufrecht). Alles
übrige halte ich für recht unsicher, manches für direkt verkehrt, so
ßajiXsii? = Rinderhirt, Jjxeavoc ^ *vakvana rollend, wogend, ewojqaio;
wie 90 Rinder brüllend, vsfxsaic die Weidegerechtigkeit, TranraXoet? pappel-
reich, uoXuSi'l'io? reich.
Immerhin aber müssen auch diese Versuche ernsthaft genommen
werden, zumal der Verf. die orientalistische Literatur nach Kräften
herangezogen hat. Und das ist das Hauptverdienst der Arbeit.
H. d'Arbois de Jubainville, cours de litterature Celtique,
T. VL La civilisation des Geltes et celle de Tepopöe Homerique.
Paris 1899.
Dieser Teil des großangelegten Werkes darf hier nicht über-
gangen werden. Wenn auch die Kenntnisse des Verfassers nicht gerade
auf der Höhe der jetzigen Forschung stehen, so liefert doch die Ver-
gleichung der keltischen und der griechischen Verhältnisse maucherlei
interessante Parallelen für Homer, so namentlich im 5. Kapitel. Verf.
zeigt eine enorme Literaturkenntnis für den keltischen Teil. Für den
homerischen Teil ist das weniger der Fall. Man wird daher seine Auf-
stellungen über die homerischen Realien etwas vorsichtig benutzen
müssen. Ob das bei dem keltischen Teile auch nötig ist, entzieht sich
meiner Beurteilung, aber das ist bei dem Rufe des Verfassers kaum
anzunehmen. Jedenfalls bietet das Buch eine überaus lesenswerte Studie
dar, welche man nach den verschiedensten Seiten mit Nutzen gebrauchen
kann. Vielleicht hätte der Stoff etwas mehr zusammengedrängt werden
können, aber der Verf. muß ja das Publikum kenneu, für das er
schreibt.
G. Per rot et Ch. Chipiez, histoire de l'art dans l'antiquite
Tome VII. La Grece de l'epopee, la Grece archaique (temple),
Paris 1899.
Die Überschrift „la Grece de l'epopee" veranlaßt mich, des be-
rühmten Werkes auch hier zu gedenken, und zwar nur dieses einen Ab-
schnitts. Verf. verrät uns S. 291, daß er das Griechenland zwischen
den Jahren 1000 und 700 „faute de trouver un terrae, qui la d^finirait
plus exactement", eben „la Grece de l'epopee" genannt habe. Ich
möchte behaupten, daß der Titel irreführend ist. Die Zeit des Epcs
Bericht über die homerischen Realien 1S96— 1902. (Gemoll.) 5
ist die Zeit der mykenischen und troischen Köiiigsburg. Freilich die
Zeit der homerischen Säuger reicht tiefer hinab, liineiii in die Zeit des
geometrischen Kunststils; aber darf nmu nun deshalb die Zeit der alt-
attischen Vasen mit all ihrer künstlerischen Roheit zusammenfassen mit
den Schilderungen der homerischen C4edichte? Verf. erwähnt selbst (p. 288)
den Übelstaud, daß die Denkmäler dieses Abschnittes aus Attika. die Ge-
dichte aber in Asien entstanden sind. So kann es kein Wunder nehmen,
daß zwischen den Schilderungen des Epos und den attischen Kuust-
leistnngen überall eine klaffende Lücke gähnt. Es wäre meines Er-
achtens besser gewesen, diese altattischen Kunstprodukte und die home-
rischen Schilderungen getrennt zu halten. Sie haben auch tatsächlich
nichts miteinander gemein. Im Epos herrscht das Königtum in
patriarchalischer Weise, von Glanz und Pracht umgeben. In Attika
ist das Königtum gestürzt, die dürftigen Reste dieser Zeit machen einen
ärmlichen Eindruck, ohne daß man hier die Dorer als die Vernichter
der alten Kultur hinstellen kann. Der Dichter beschreibt in dem
Schilde des Achill ein herrliches, göttliches Kunstwerk. Der Verf. lehnt
mit Recht uen Gedanken ab, daß der Dichter einen solchen Schild etwa
als Überreste aus mykenischer Zeit gesehen habe. Der Schild sei eine
freie Erfindung des Dichters, aber toute celte description n'aurait pas
reussi ä interesser, si les hommes, auxquels s'adressait le chanteur
epique, n'avaient rieu connu, qui . . ressemblät au bouclier d'Achille.
Und doch hat Verf. nicht das geriugste derartige nachzuweisen ver-
mocht. An anderer Stelle bemerkt Verf. (S. 138), daß die ßilderwahl
im Schilde Achills sehr gut zur mykenischen Kultur passen würde.
In bezug auf das homerische Haus betont Verf. (S. 97 f.), daß die
Fürsten Wohnung Homers von der mykenischen abstamme. Das sind
doch so gewichtige Zugeständnisse, daß man sich wundern muß, die
homerische Kultui- in Keih' und Glied mit der frühattischen gestellt zu
sehen, mit der sie nicht das geringste gemein hat als vielleicht die
Lebenszeit der letzten homerischen Säuger. Man wird schon daraus er-
sehen können, daß die homerischen Gedichte denn doch von älterem und
festerem Bau sind, als man gewöhnlich annimmt.
Das ist eine grundsätzliche Verschiedenheit der Ansichten , die
aber nicht hindert, die reiche Belehrung anzuerkennen, die man für die
homerischen Eealien aus diesem Buche schöpfen kann. Ich er-
wähne z. B. die treffliche Auseinandersetzung über den Altar auf
S. 86, die Erklärung der (Jp-etßovTs; ^" 710 auf S. 97 und so weiter.
V. Terret, Homere 6tnde historique et critique. Paris 1899.
Der hauptsächliste Inhalt des Buches muß im Bericht über höhere
Kritik besprochen werden. Einzelnes in dem Buche gehört aber auch hier-
6 Bericht über die homerischen Realien 1806— IDOL'. (Gcmoll.)
her. So das letzte Kapitel l'art dans riliade et Odyssee, das sich wie ein
fortlaufender Hymnus liest. Die Kunst der Charakteristik in den Figuren
der Helden und Heldenfraueu, die heitere Welt der Götter, das tiefe Natur-
gefiihl des Dichters, die Wahrheit und Frische seiner Schilderungen von .
Kriegs- und Friedensszenen, der überaus plastische Ausdruck, der
melodische Vers, alles das wird dargestellt und mit passenden Bei-
spielen belegt.
Im einzelnen wäre ja manches zu tadeln. Davon sehe ich ab
und erwähne nur noch, daß der Verf. durch allerlei Beigaben eine ge-
wisse Anschaulichkeit zu erreichen sucht. Er bringt (S. 21) eine Ab-
bildung des Niobesteins, wie es scheint nach Weber, le Sipylos et ses
monuments Smyrna 1880. In der Anmerkung verwechselt er ihn gleich
mit dem Bilde der Göttermutter. Cf. Peppmüller , Berl. philol.
Wochenschr. 1887 Sp. 704. Von Ithaka gibt er mehrere Abbildungen,
von Troja keine. Das Buch Dörpfelds über Troja erwähnt er gar nicht.
Schuchardt erwähnt er zwar, benutzt ihn aber nicht.
Lediglich mnemotechnischen Wert haben die Karten über den
Schiffskatalog und die 3. große Schlacht. Beides sollten sich unsere
Homerlehrer einmal ansehen. Auch das homerische Haus stellt er
(S. 453 f.) kurz dar, allerdings sehr ungenügend. Beim Freiermorde
sind sämtliche Türen geschlossen mit Ausnahme der opaoOupT) (rechte
Wand) und den pöÜYe?, die er als Saalfenster der Hinterwand in der
Höhe des Oberstockes zum Ausguck für die Frauen auf den Männer-
saal faßt. Im ganzen und großen bleibt es doch ein erfreuliches Werk.
J. Schreiner, Homers Odyssee ein mysteriöses Epos. Elementar-
Skizzen der drei wichtigsten Örtlichkeiten "070717], S/EptVi 'I9ay.y) auf
historisch-geographischer Basis entworfen, Braunschweig und Leipzig
1901.
Ein durch und durch unwissenschaftliches Buch, nach welchem
die homerischen Helden eigentlich Juden (I) waren. Troja ist Jericho,
Odysseas Josua, Ogygia Gilgal, Ithaka Sichem, Scheria Suptr) IlaXaistivr).
Jedes weitere Wort wäre Überfluß.
C. Kühn, Zur Erklärung homerischer Beiwörter (aoivo?, a-pu7e-oc).
Königsberg Pr. 1901.
Eine recht dürftige Gabe. Verf. entscheidet sich dafür, aoivo;
von -aorjv satis abzuleiten und erklärt „in genügender Menge, Stärke,
Heftigkeit". axpuYSTo? leitet er mit Prellwitz von trego „anbauen" ab
und erklärt mit ihm „unbebaut, unfruchtbar".
C. Robert, Studien zur Ilias. Berlin 1901.
In seinem Buche „Über homerische Waffen" hatte Eeichel vor
8 Jahren nachweisen wollen, daß die Bewaffnung der homerischen
Bericht über die homerischen Realien 1890 — 11)02. (Gemoll.) 7
Helden die „mykenische" sei und daß nur einzelne Spuren einer
späteren Bewaffnung sich fänden. Demgegenüber führt Robert in
schlagender Weise aus, wie sehr die von ihm sogenannte , .ionische"
Bewaffnung im Homer verbreitet sei. Mit Recht hebt er das Beiwort
TCavToj' £t3Y] als nur zum Metallschild passend hervor, wie ich das
schon 1895 in meinem Bericht über die bom. Realien S. 261 getan
habe. In bezug auf die Handhabung des Schildes kehrt Robert zu
Heibig zurück, auch er faßt die xavove; als Handhaben; er hebt S. 11
hervor, daß auch der Bügelschild -sXaixtüvs; haben könne. Beim Panzer
reserviert er das Wort öwpiQjTSJöai mit Recht dem Metallpanzer,
ebenso dem Worte dcüp7]$ seine spezifische Bedeutung; auch er findet,
daß yaX/.o/ircuv nur vom Metallpanzer passe, wie ich das in Kürze a. a. O.
schon angedeutet hatte. Vorzüglich ist die Erledigung von fit-cpr, und
C(ü3-n]p. Vorsichtig äußert er sich über die Identifizierung eines
mykenischen /nrcuv ^ Oa»pT)$. In bezug auf die Beinschienen konstatiert
er überall da, wo von ihnen die Rede ist, ionische Bewaffnung. .Ja, die
Beinschienen könnten sogar aus mykenischer Zeit sein, wie der Fund
einer bronzenen Beinschiene ergebe (p. 47). In bezug auf den Helm
konstatiert er Leder- und Metallhelme im Homer, die Formel osivöv 6e
Xo'fo; xa&u-ep8ev Iveuev reklamiert er für den korinthischen Helm.
Dies sind alles so wertvolle Nachweise, daß man sich wundert,
daß der Verf. trotzdem, den Versuch gemacht hat, nach den mykenischen
und ionischen Waffen jüngere und ältere Partien der Hias zu scheiden.
Dem Archäologen Robert braucht es nicht gesagt zu werden, daß die
Grenzen zwischen „Mykenisch" und , .Ionisch" sich noch immer ver-
schieben. So gut wie in Kypros in einem mykenischen Grabe eine
bronzene Beinschiene gefunden wurde, kann auch ein Metallpanzersiück
gefunden werden. Xach Roberts eigenen Ausführungen gehören Bein-
schiene und Metallpauzer zusammen. Es dürfte also äußerste Vorsicht
am Platze sein. Wenn man nun sieht, wie die Worte, die für my-
kenische Be.vaffnung sprechen sollen, doch auch bei der ionischen stehen,
dann stutzt man und ergibt sich nicht mehr willig. Verf. nimmt in
solchen Fällen allerdings eine Erstarrung alter Formeln an; aber damit
ist seiner Beweisführung nicht gedient. Was soll man dazu sagen, daß
dfjLcpißpoTY) A 32 Y 281 so erstarrt wäre, sonst nicht? oder, daß oltz wfxujv
TEu/c' "ilo'^zo an 2 Stellen mykenisch, an 5 Stellen ionisch wäre? Oder daß
die Formel oo6~T^it\ rA -sjuiv, apd^ti^s öe xsu/s' et:' ay-io doch 6 mal
auch ionisch sein kann, oder daß die erste Hälfte des Verses 4mal
mykenisch, 8 mal ionisch wäre? Ich kann nach meiner Kenntnis des Homer
nur annehmen, daß mindestens dieselben Phrasen auch überall in dem-
selben Sinne gebraucht sein müssen, und wenn ich auf den Untergrund
des Robertschen Buchs komme, die Reicheische Hypothese, so behaupte
8 Bericht über die homerischen Realien 1890 — 1902. (GemoU.)
ich, daß sie auf gerade so schwaclieu Füßen steht wie seine Thron-
hypothese. Es ist weder das Vorkommen des mykenischen Kuppel-
schildes noch das Fehlen des Panzers bei Homer zu erweisen. Eine
Nichterwähnunt? des Panzers will gar nichts sagen, tatsächlich führt ja
auch Robert zum mindesten einen mykenischen -/tTwv als Panzer ein.
Und was den Schild anbelangt, so hing doch auch der Metallschild an einem
Telamon am Halse, wie Robert S. 11 ebenfalls nachweist. Man braucht
also den mykenischen Schild gar nicht. Einen gewissen Spielraum in
der Form muß man selbstverständlich annehmen. Man vergleiche doch
nur die Abbildung bei Reichel S. 62 (Nr. 26), wo die verschiedenen
Schildformen vorkommen.
Ich hoffe daher, daß die Zeit nicht fern sein wird, wo sich ein
Nachfolger Roberts findet, der den letzten Rest der Reicheischen
Hypothese hinwegfegt, so wie Robert es in überaus dankenswerter
Weise mit einem Teil derselben gemacht hat.^)
V. Berard, Les Pheniciens et l'Odyssee. T. I. Paris 1902.
Ein herrlich ausgestatteter Band, dessen Inhalt den Lesern der
Revue archeologique nicht fremd ist. Denn die dort seit 1900 gelieferten
Aufsätze finden sich hier vereinigt und erweitert, und noch dazu mit
einer Fülle von Plänen und Ansichten ausgestattet, wieder, bis auf den
letzten Abschnitt Nausikaa, der neu hinzugekommen ist. Wir liaben
es hier mit einem Buche ernstester Forschung zu tun. Verf. bat sich
sogar ein eigenes Wort für seine Forschungen geschaffen. Sie erschienen
ursprünglich unter dem Titel topologie et toponymie ancienne. Was
Hirschfeld unter Typen griechischer Niederlassungen verstand, das faßt
Berard unter dem Namen Topologie glücklich zusammen, und gerade
dieser Teil seines Buches wird von bleibendem Werte sein, wenn mich
nicht alles täuscht. Die Toponymie dagegen wandelt auf den Spuren
Kieperts und übertreibt das Prinzip des Semitismus auf eine Weise,
die nicht gebilligt werden kann. Verf. ist als Geograph ganz ent-
schieden glücklicher, als als Orientalist. Was an seinen Etymologien
richtig ist, ist meist nicht mehr neu. Jedenfalls ist das Buch ernstester
Aufmerksamkeit wert.
Weiter hinten wird man den ersten Abschnitt desselben, der das
homerische Pylos behandelt, eingehend besprochen finden.
R. Petersdorff, Germanen und Griechen. Übereinstimmungen
in ihrer ältesten Kultur im Anschluß an die Germania des Tacitus
und Homer. Wiesbaden 1902.
Hervorgegangen aus einer Programmarbeit (Strehlen 1897) bietet
'■) Vgl. Cauers Bericht Bd. CXII S. 20 ff.
Bericht über die homerisciien Realien 18',i(; — 1902. (Gemoll.) 9
die vorliegende Schrift im Interesse der Lektüre in den höheren Schulen
eine Zusammenstellung, die auch für die wissenschaftliche Interpretation
des Homer und der Germania vorteilhaft sein kann, da sie auf gründ-
licher Gelehrsamkeit beruht und die Literatur in ausgiebigster Weise
heranzieht. Es handelt sich um eine Zusammenstellung einzelner Kapitel
der Realien, die in aller Kürze abgehandelt werden, aber auf klare
Begriffsbestimmung der Worte hinausgehen. Ich verweise auf die
beiden Exkurse: 2. Was war der axtuv für eine Waffe bei Homer?
4. Die Seher bei Homer.
II. Naturkunde.
St. Fellner, Naturgeschichtliche Bemerkungen zu Homer B 395 ff.
(Das Opfer in Aulis.) Ztschr. f. österr. Gymnas. 1896. S. 588—590.
Der atpoüHoc ist vielleicht ein Uaumläufer (gesprenkelt, legt 8 —
10 Eier, die Jungen verlassen das Nest), der öpaxtuv ist die Streifen-
natter (olaphys quaterradiatus (die größte europäische Schlange, üücken
rot). Ich bin übrigens der Ansicht, daß die Jungen das Nest noch
nicht verlasseu hatten, sondern eben im Neste gefressen werden, wie
das unsere Katzen oft genug besorgen. Ich glaube, daß, wenn die
Jungen auf dem Aste gesessen hätten, dann doch wohl vor Schreck
die Mehrzahl herabgefallen wäre.
St. Fellner, Die homerische Flora. Wien 1897.
Das Büchlein kann man mit großem Vergnügen lesen und Schülern
der obersten Gymnasialklasse gern in die Hände geben. Für wissen-
schaftliche Zwecke erweist es sich beim Mangel an Quellenangaben als
weniger brauchbar.
H. Küentzle, Über die Siernsagen der Griechen. I. Diss.
Heidelberg 1897.
Dieser erste Teil enthält eine Nachprüfung der neuerdings von
Robert Maaß und anderen geäußerten Ansichten über die bei Homer
erwähnten Sternbilder und die darin genannten Personen. Die Disser-
tation ist mit gesundem Urteil in guter Methode geschrieben. Verf.
meint, bei Homer sei die Beziehung der benannten Sternbilder zu den
mythologischen Personen erst im Beginne. Der eigentliche Katasterismus
Orions sei Homer fremd (p. 15), aber schon Hesiod bekannt. Bei den
Hyaden fehle im Homer jede mythologische Bedeutung (p. 21), aber nicht
bei Hesiod. Bei der Bärin ist nach Homer altes Sagengut herangezc)gen
wie bei den Hyaden (p. 25). Im Anhange I wird nochmals eingehend
ausgeführt, daß der Sagenheid Orion nicht-astronomischen Charakter
bei Homer hat (sie). „Er ist ein irdischer, sterblicher Held und Gegen-
10 Bericht über die homerischen Realien 1896—1902. (Gemoll.)
stand von Sagen, die /.. T. von dem Sternbild nicht abgeleitet werden
können." In dei' nachhoraerischen Sage ist ihm Artemis nicht mehr
feind. Im Anhang II wird siegreich gegen Maaß (de Erat. Erig. 124)
die Identifizierung der Maira mit dem Hundsstern abgewiesen.
Bethe, Das Alter der griechischen Sternbilder. Rh. Mus. 55
(1900) S. 414—434.)
Der Aufsatz zerfällt in 2 Teile: I. Die Figuren und ihr Alter.
II. Die Sternenuameu. Zu I. Die Sternbilder sind weit "älter, als man
gewöhnlich annimmt. Schon Homer kennt Sternbilder, die Bärin oder
Wagen, den [Bärenhüter oder] Ochsentreiber, Orion mit dem Hunde,
Hyaden und Plejadeu. Schon der Dichter der Hoplopöie habe
ein Himmelsbild mit eingezeichneten Figuren gekan nt (p. 422).
Dagegen spricht m. E. der doppelte Name der Bärin sowie das Fehleu des
Namens Arkturos. Denn der Bootes paßt zur Bärin nicht. Außerdem
erwähnt Verf., daß die Vasenbildei-, auf denen Atlas vorkommt, keine
Sternbilder zeigen.
Zu II. DieSternnaraen beziehen sich ursprünglich auf einzelne Sterne
(p. 429). In der Hoplopöie (8. Jahrhdt.) herrscht ein anderesPrinzip. Auch
die Mythologisierung hat schon begonnen. Der böotische Held Orion er-
scheint noch in der Nekyia X 573 als Person. Durch ihn verwandeln
sich die Tauben der Plejadeu in Mädchen (p. 433), so wenigstehs er-
scheinen sie bei Hesiod 0. 619. Auch in diesem Teil ist mancherlei
Problematisches. Daß in den Hyaden und Plejadeu die einzelneu Sterne
als Einzelwesen aufzufassen sind, will mir nicht einleuchten. Ich finde,
daß wieder, wie so oft, ein unbegründeter Unterschied gesucht wird in
Dingen, die sich unserer Kenntnis fast entziehen.
H. Ilsen er. Beiläufige Bemerkungen im Rh. Mus. 55. (1900)
S. 286 f.
Usener konstatiert 11 567 und P 263 f. bei Sarpedons und Pa-
troklos' Tode eine Sonnenfinsternis und bringt diese Vorstellung in
interessanten Zusammenhang mit der Erzählung von der Kreuzigung
Christi.
A. Pischinger, Der Vogelgesang bei den griech. Dichtern des
klass. Altertums. Progr. Eichstätt 1901.
Eine vorzügliche Gabe, die auch hier erwähnt werden muß wegen
des bei Homer erwähnten Gesanges von Nachtigall (9 19, 519) Eisvogel
(I 561) und Schwalbe ('f 411). Mit Recht wird die Kenntnis des
Schwanengesanges aus B 459 nicht gefolgert.
Th. Zell. Polyphem ein Gorilla. Eine naturwissenschaftliche
und staatsrechtliche Untersuchung von Homers Odyssee Buch IX,
105 ff., Berlin 1901.
Bericht über die homerischen Realien ISIIG — 1902. (Gemoll.) ]1
Verf. wandelt auf den Spureu Krichenbaueis und das ungefähr
mit dem gleichem Erfolge. Er will allen Ernstes Poh-phera wenn auch
nicht gerade direkt (cf. S. 167) zum Gorilla, so doch zu einem dem
Gorilla ähnlichen Menschenwesen machen. Die Beschreibung Homers
paßt natürlich vorzüglich. Mau sehe nur die Übersicht auf S. 170 an.
Weiteres mitzuteilen ist sicherlich nicht nötig.
IIJ. Geographie und Topographie.
H. Kluge, Die topographischen Angaben der llias und die Er-
gebnisse der Ausgrabungen auf Hissarlik. Fleckeisens Jahrbb. 1896
S. 17—32.
Nach Schliemann und seinem Interpreten Schuchardt müht sich
der Verf. ab, in die Ruinen der von Schliemann aufgedeckten 6. Stadt
die Angaben des Dichters gewissermaßen einzutragen. Daß Schliemann
das Ilioa der griech. Sage gefunden hat, habe ich bereits vor 21 Jahren
in meiner Einleitung zu den hom. Gedd. anerkannt, also zu einer Zeit,
wo das Urteil der gelehrten Welt noch recht schwankend war. Aber
mehr kann ich auch heute noch nicht zugeben. Man scheint ganz und
gar zu vergessen, daß die homerischen Sänger diese 6. Stadt nicht mehr
gesehen haben. Es ist wirklich verlorene Mühe, mehr als eine allge-
meine Übereinstimmung zwischen den Angaben der Dichtung und den
Ausgrabungsresultaten herstellen zu wollen. Das skäische Tor würde
man nach der Dichtung im Westen suchen oder im Nordwesten. In
Schliemanns Ilios hat das Haupttor wohl im Osten gelegen. (Allerdings
fehlt von der Nordseite der Mauer jede Spur.) Dazwischen gibt es
doch keine Vermittelung. Die unbestimmte Angabe -pö -'jXawv :iap8a-
vficov heißt vor den Toren Trojas. Nach dem Verf. ist hier das Südtor
geraeint. Dazu kommen Widersprüche in den topographischen Angaben,
die eine laentitizierung ausschließen. So liegt H 346 der Palast des
Priamos in der Oberstadt; nach Z 242, verglichen mit 297 muß er
tiefer liegen als die Oberstadt. Und die Ausgrabungen? Sie zeigen
von dem Palaste keine Spur mehr, wenigstens nicht auf der Höhe, die
in römischer Zeit eingeebnet worden ist.
In bezug auf die Hügel um die Stadt verhält sich Verf. skep-
tischer. Warum nicht von vornherein? Auch Noack in Illbergs
N. Jahrbb. 1898 S. 575 hält Kluges Versuch, eine Übereinstimmung
zwischen Troja VI und Homers Ilios zu erzwingen, für verfehlt.
A. Ludwig, Über das Schwanken der lokalen Darstellungen in
der llias. Sitzungsber. der Kgl. böhm. Gesellschaft der Wissen-
schaften 1898. 20 S. 8.
12 Bericht über dio homerißchen Realien 1890 — 1902. (Gemoll.)
Die Abhandlunix gehört in die höhere Ki-itik, Hier soll nur
erwähnt werden , daß die völlige Zerstörung Trojas nach der Über-
lieleruiig anzunehmen sei, während das Ilion Schliemauns seit urältester
Zeit bewohnt war. Nun stammte Priamos in der 2. Generation von
lies, dem Epouymen von Ilios. Somit könne Homer nicht gemeint haben,
daß Ilios eine alte Stadt sei. H 333 ff. deute darauf hin, daß der
Dichter gewußt habe, daß die Hügel keine Gebeine enthielten. Das
ist doch aber noch gar nicht ausgemacht. Eine neue Ausgrabung
kann hier ein anderes Resultat ergeben. H 443 — 464 und M 2 — 35
zeigten, daß der Dichter das Nichtvorhandensein des Dammes an-
deuten wolle. Ich muß sagen, daß dies Argument eines Eindruckes
nicht ermangelt. Ob man aber deshalb dem Verf. auch in dem übrigen
folgen wird, ist mir zweifelhaft.
H. Stier, Der Schauplatz der Ilias. Progr. Magdeburg 1899.
Der Verf. hat Hissarlik gesehen und findet eine erstaunliche
Übereinstimmung mit den Angaben des Dichters. Allerdings dürfe man
nicht zu peinliche Anforderungen stellen, da der Dichter das Troja
Homers nicht mehr gesehen habe. Möglicherweise gehe mancher Zug
in der Schilderung der Stadt auf die älteste Sage zurück. Verf. findet
auch die Überreste eines Tempels, obgleich der höchste Punkt der
Stadt abgetragen in römischer Zeit ist. Er findet auch das skäische
Tor wieder, obgleich es im Südosten liegt, von wo man das griechische
Lager nicht sehen konnte. Auch die Ural auf barkeit der Stadt ist ihm
denkbar (S. Hercher). Sogar der Skamander deckt sich mit dem
heutigen Mendereh; alle Angaben des Dichters passen vorzüglich, wenn
man su aputspa von der westlichen Seite nimmt. Der Verf. glaubte
vermutlich mit dieser Bestimmung von l-n' aptatepa etwas Neues zu sagen.
Aber schon 1867 meinte Hasper (Progr. Brandenburg S. 21): Der Ska-
mander liege zur Linken und ett' apicxspa bedeute im Westen. Die
Alten haben anders geurteilt. Schol. V. zu A 498 sagt: Der Ska-
mander sei apicTspoc xoö vauaxa&fxoü. Siehe das grundl. Progr. von
Ribbeck Homer. Miscellen, Berl. 1888. Mit diesen und anderen Vor-
gängern mußte sich Verf. doch abfinden, mindestens aber doch alle An-
gaben des Dichters benutzen. Höchstens konnte das 10. und 24. Buch der
Ilias unberücksichtigt bleiben. — Der wissenschaftliche Wert der Arbeit
ist daher nur gering.
G. B. Grundy, An investigation of the topography of the
regions of Sphakteria and Pylos. Journal of Hellenic studies Bd. 16
1896 S. 1—54.
Gegenüber den Ausgrabungen in Palaeo- Castro verficht Grundy
aus topographischen Gründen die Meinung, das Pylos Nestors sei das
jetzige Hagio Nicolo nördlich von Palaeo-Castro gewesen.
Bericht über die homerischen Realien 180(^ — 1002. (Gemoll.) 13
V. Berard, la Pylos Hom6rique. Revue arch^oloj^ique Bd. 36
(1900) S. 345—391.
Dieser Aufsatz ist jetzt in dem oben erwähnten Buche des Ver-
fassers (Les Pheniciens et TÜdyssee) S. 61 — 143 zu lesen. Meine Citate
werden sich auf die Buchausgabe beziehen.
Verf. verwirft nach dem Vorgange Strabons das messenische Pylos
zugunsten des triphylischen, nur mit dem Unterschiede, dal.» Strabon
dies verschollene Pylos bei Lepreon, ca. 30 Stadien vom Meere sucht,
während Berard es in den kyklopischen Mauern des Samikon (j. Kaiapha)
sieht. Er hat auch schon Zustimmung gefunden (cf. Michael, Das ho-
merische und das heutige Ithaka Progr. Jauer 1902 S. 16), aber mit
welchem Rechte? Schon Strabon (VIII 351) meinte, die Fahrt nach
dem messenischen Pylos sei zu lang für eine Nacht, und das ist auch
das Hauptargument Berards (S. 88). Das mag ja wohl unter gewöhn-
lichen Verhältnissen richtig sein, hier aber handelt es sich um eine
von der Göttin begüüstigte Fahrt (ß 420). Auch die Unmöglichkeit
einer Wagenfahrt über den Taygetos (p. 84) wird stark hervorgehoben.
Lächerlich werden die Gelehrten hingestellt, die dort einen Wagenweg
finden, während „nos increnieurs cherchent encore le moyen d'ouvrir
une routc daus cette passe." Sollte das wirklich so schlimm sein?
Cf. Hermann, Privatalt. ^ 479 f. Hercher allerdings urteilte wie Berard
über den Weg, ohne deshalb das messenische Pylos zu verwerfen. Daß
ferner Schliemann dort nichts gefunden hat (p. 64) ist noch kein Beweis.
Ob er wohl an der richtigen Stelle gesucht hat? Und übrigens, was
hat er denn in Ithaka gefunden? Daß der Hafen von Navarin un-
geeignet sei für homerische Schiffahrt, will ich dahingestellt sein lassen.
Jedenfalls findet der Dichter überall einen Landeplatz, wo er landen
will. Scheinbar und frappierend ist es ja, daß Diokles, der Besitzer
von Pherä, zum Enkel des Alpheios gemacht wird; aber es ist ja nicht
der Sohn, also doch schon eine entferntere Verwandtschaft. Daß
Pherä von dem mykenischen Agamemnon nicht verschenkt werden
könne, gebe ich zu, aber Agamemnon ist mit Sparta doch sehr innig
verbunden. —
Nun aber zum triphylischen Pylos. Selbst zugegeben, daß
dies das homerische wäre, wofür gar nichts spricht, so sind wir da-
durch noch lange nicht aus allen Zweifeln heraus. Erstens ist der
Weg vom Samikon nach Sparta sehr lang. Der Verf. berechnet selbst
125 km. Dann ist dort vor allem kein Pherä zu finden. Um dazu zu
gelangen, gebraucht Verf. ein halsbrecherisches Kunststück (S. 111).
Das Pherae des Diokles wird identifiziert mit Oeia (H 135), weil Di-
dymos statt des unbekannten Oeiofc angeblich «I'r^pr]? schreiben wollte.
Daß die Notiz sehr verdächtig ist, darüber s. Ludwich, Aristarchs hom
14 Bericht über die homerischen Realien ISHG— 1902. (Gemoll.)
Textkritik Bd. I S. 276. Und dies so erschlossene Pherae wird dann
wieder mit Haliphera am Alpheios gleichgesetzt. So fährt denn Tele-
mach zuerst von Pylos bis Haliphera (20 — 25 km), um dann am 2. Tage
ca. 100 km zu fahren. Das ist denn doch des Guten zu viel. An
diesen beiden Punkten scheitert die ganze Hypothese, ganz ab-
gesehen davon , daß das triphylische überhaupt erst noch erwiesen
werden soll. Es verdankt meines Erachtens seinen Ursprung nur der
Hypothese.
Brinckmeier, Heinrich Schliemann und die Ausgrabungen auf
Hissarlik. Progr. Burg 1901. S. 9—32.
Eine zusammenfassende Darstellung, wie es deren mehrere in Pro-
grammen gibt, nicht besser, vor allen Dingen nicht im Zusammenhange
mit den Ausgrabungen der letzten Jahre. Wissenschaftlichen Wert hat
die Arbeit nicht, doch kann sie Nichtfachleute orientieren.
E. Reisch, Ithaka. Serta Harteliana. Wien 1896, S 145—159.
Gegenüber Herchers bekanntem Aufsatz „Homer und das Ithaka
der Wirklichkeit" (Hermes I 263 ff.) betont der Verf., gestützt auf
J. Partsch, Kephallenia und Ithaka, daß an der wirklichen Kenntnis
Ithakas seitens der Odysseedichter nicht zu zweifeln sei. Zwar die
Sänger der Heimfahrt hätten nur eine allgemeine Kunde, schärfe'r aber
sei das Bild in der Telemachie und der zweiten Hälfte der Odyssee»
Die Ortsangaben dort (Neriton, Phorkyshafen, Koraxfelsen und Arethusa-
quelle) brauchten nicht erfmiden zu sein. Die Variante Neion läßt Verf.
dahingestellt sein. Die Stadt des Odysseus sei in Polis zu suchen, das
Kastell auf dem Aito sei jüngeren Datums (VII. Jahrb.). Von dem
Haus des Odysseus, das sehr unbestimmt geschildert werde, hätte man
damals vielleicht noch Trümmer gehabt. Möglicherweise könne man die
Arethusaquelle noch finden, die Stalaktitengrotte bei dem Molohafen sei
wohl das Vorbild der in v geschilderten. Das der Inhalt der Abhand-
lung, die immerhin lesenswert ist.
H. Michael, Das homerische und das heutige Ithaka. Wissen-
schaftl. Beilage zum Progr. des Kgl. Gymn. zu Jauer. 1902.
Ich stehe nicht an, das Schriftchen als ausgezeichnet zu bezeichnen.
Veranlaßt ist es durch Dörpfelds Hypothese, wonach das Ithaka des
Odysseus das heutige Leukas sein soll. Michael nimmt sich in warmer
und überzeugender Weise des bisherigen Ithakas an. Es ist freilich
mißlich, einen Gegner zu bekämpfen, der sich eigentlich noch gar nicht
definitiv geäußert hat. Wir werden daher abwarten müssen, wie Dörp-
feld seine Hypothese eingehend begründen wird. Michaels Progranmi
wird ihm dabei ein vortrefflicher Wegweiser sein. Aber auch Michaels
Bericht über die homerischen Realien l^iM',— I'.jUl'. (Gcmoll.) 15
Aasführungen haben ihren schwachen Punkt. Die Angaben über die
Lage Ithakas v 21 — 27 werden vom Verf. in scharfsinniger Weise be-
sprochen. Er gibt sich große Mühe. 7rp6; Co'fov mit „nach Norden* zn
erklären, aber umsonst. Da? -/i)a[j.aXT] bringt keine Interpretation fort;
und so streicht er schließlich vs 25 — 26 als Interpolation. Das ist an
nnd für sich schon bedenklich, hier ganz besonders, da Vers 27 dann
vollständig den Zusammenhang verliert. Dieser Anfang des 9. Buches
ist eine späte Arbeit, zur Einleitung und Einfügung der d-oXo7oi ge-
macht, da darf uns eine Weitschweifigkeit mehr durchaus nicht wundern.
Man verfällt bei solchen Untersuchungen leicht in den Fehler, zu viel
beweisen zu wollen und schadet sich dadurch. Es genügt, wenn im
allgemeinen die Überzeugung entsteht, das homerische Ithaka sei das
heutige Teaki. Damit kann mau zufrieden sein. Den doppelten Hafen
hat nun einmal Deskalio-Asteris nicht, auch die Nympbengrotte ist nicht
aufzufinden. Topographische Genauigkeit kann man bei einem Dichter
überhaupt nicht erwarten.
Ich kann übrigens den direkten Beweis liefern, daß Homer sich
wirklich Ithaka westlich von Elis denkt, [i 421 gibt Athene dem
Telemach einen Westwind mit, um nach Pylos zu gelangen. Damit
stimmt doch die westliche Lage v 25 vollständig überein. Es ist auch
mir, trotz Michael, sehr zweifelhaft, ob die Dichter der Odyssee Ithaka
wirklich gesehen haben, ebensowenig natürlich Leukas.
IV. Der Mensch allein und in Gemeinschaft.
J. W. G. van Oordt, de nuptiis heroum. Mnemosyne N. S.
Bd. 26 (1898) S. 287—298.
Die Arbeit gewährt geringe Ausbeute. In a 277 f., ß 196 f.,
wo l'eova scheinbar von der Mitgift gebraucht wird, will Verf dadurch
helfen (S. 293), daß er sagt, das Bereiten der Hochzeit und Znrüsten
der eeova beziehe sich hier auf beide Teile, eine Lösung, die niemand
annehmen wird. Ich wiederhole, daß nur die Freier gemeint sind, die
eeöva bringen sollen, „wie sie bei einer geliebten Tochter bräuchlich
Bind", ß 132 versteht Verf. (p. 296) ^Tro-iveiv vom Zurückzahlen der
Mitgift. Doch heißt -6XX' diroTiveiv hier weiter nichts als „schwer büßen",
die Erklärung folgt 134: ex -/ap xoü iratpoc m-m -£iJOfj.at. a 292 und
ß 222 werden getilgt, weil, wenn die Heirat gescliähe, Rache nicht
mehr nötig wäre.
C. Hentze, Zur Darstellung des Landlebens auf dem Achilleus-
schilde. Philol. N. F. Bd. XIV S. 502—509.
Ein interessanter und lehrreicher Beitrag des hochverdienten
Homerinterpreten. Er betont mit Christ und andern, daß es sich in den
l(i Bericht über die homerischen Realien 189ß — 1902. (Gemoll.)
Verseil 54! — 572 um einen Besitz eines Gtoßgrundbesitzers (paciXeoc)
handle; das ßild der Weinernte f,'chöre zu den Bildern vom Ackerbau
notwendig- liinzu. Der Ernteschniaus ist ihm ein einheitlicher, aus
Braten und Brei bestehend, nicht wie Düntzer wollte, ein doppelter,
a) für die Familie, b) für die Arbeiter. Die Schnitter (551) sind ihm
(nach Büchner, Arbeit und Rhythmus S. 198) Bittarbeiter, die Jünglinge
und Jungfrauen in Vers 567 sind nicht die cpopvjoc von 5G6, sondern
"Winzer, etwa Pächter.
Man sieht aus dieser kurzen Übersicht, daß die Auffassung Hentzes
auch ihre schwachen Seiten hat. Man fragt sich sofort, wie der Groß-
grundbesitzer zu Bittarbeitern kommt. Was Bentze in dieser Beziehung
anführt, ist Verlegenheitsnotbehelf. Es liegt aber noch ein viel wichtigerer
Grund vor, der verbietet, diese 3 Bilder zusammenzufassen. Pflügen und
Ernten sind durchaus als Gegenstände gedacht und geben an, was man
auf dem Schilde sieht: die Pflüger und ihre Belohnung, die Schnitter und
ihre Belohnung. Die Weinlese aber ist gar nicht auf dem Schilde.
Der Dichter gibt das Bild eines Weinbergs und schildert, wie er zur
Zeit der Weinlese aussah (oxs Tpu76ti)£v dXcpy^v. Diese Schilderung ist
so auffällig, daß ich sie für einen späteren Zusatz halte. Aber mag
man darüber denken, wie man will, jedenfalls sind die (pop^e; und die
Tiapdevtxai y.al rjiOsot nicht ZU trennen; das «pspov in 568 meist deutlich
auf cpopyjec zurück. Außerdem würde das doch ein merkwürdiger Aus-
druck für Pächter sein: Jungfern und zärtliche Junggesellen, denn
zärtlich heißt axaXa (ppovstuv. Unter l'ptiloi 550 verstehe ich den all-
gemeinen Ausdruck „Genossen", der hier speziell auf die Schnitter an-
gewandt ist, also SchnittergenoKsen. Daß gerade für Schnitter der
Ausdruck paßt, ist klar, denn von ihnen stammt ja der Ausdruck „mit-
einander Strich halten."
C. Hentze, Die Arbeitsgesänge in den homerischen Gedichten.
Philol. Bd. 60 S. 374—380.
Auf Anregung des bekannten Buches von Bücher „Arbeit und
Rhythmus" untersucht Hentze die Homerstellen, die vom Gesang bei der
Arbeit handeln in, wie mir wenigstens scheint, wenig glücklicher Weise.
Das Linoslied 1 570 sei kein Arbeitslied, wie Bergk Gr. L. G. I 323
wollte, sondern ein Erntefestlied. Dasselbe stehe in Parallele zu den
vorangegangenen Bildern. Dazu bemerke ich, daß die Verse 567 — 572
große Anstöße für das Verständnis bieten. Erstens bleibt das Ver-
hältnis der uapdevixai und f^tOeot zu den cpopf^s; 567 durchaus unklar,
Hentze glaubt (S. 505) in den ersteren die Familie der Herrschaft
sehen zu müssen. Das ist eine willkürliche Annahme. Sie können auch
als Spezialisierung der cpop-^e? aufgefaßt werden. Immerhin lassen sich
Bericht über die homerischen Realien 1S9G— 1902. (Gemoll.) 17
die Verse auf dem Schilde noch verstehen. Aber die Verse 569-572
fallen aus der Schildbeschreibung völlig heraus. Feine Stimme, Stampfen
im Takte, Hüpfen und Jauchzen kann man nicht abbilden. Die Verse
sind also eine spätere Erweiterung. Auch der Gesang; der Kalypso
und Kirke scheint mir falsch behandelt zu sein. Die Stellen weisen
offenbar aufeinander hin, aber in x haben wir eine bewußte Nach-
ahmuntr oder FortbiMung der einfachen Sccne in z. (Jerade der Um-
stand, daß sorgfältig in x betont wird, daß sie Kirke singen hören
beim Weben, spricht für jüngeres Alter. In z wird keine Beobachtung
des Hermes mitgeteilt, sondern episodisch vom Dichter erzählt, wie es
bei Kalypson aussah. Auch glaube ich nicht an einen Arbeitsgesang
zum Rhj'thmus des Schiagens mit dem Kamme, sondern au den Gesang,
mit dem sich ein einsames Wesen die Zeit vertreibt, vielleicht ein Lied
der Sehnsucht, der günstigste Boden für den ankommenden Odysseus.
Haberkorn, Medizinische Bildung im Zeitalter Homers.
Berlin 1900.
Nach Friedreich, Frölich (Die MilitUrniediziu Homers 1879) wieder
ein Arzt (Oberstabsarzt), der sich von seinem medizinischen Standpunkt
aus mit Homer beschäftigt. Es ist aber nur ein kleines, sehr allge-
mein gehaltenes Schriftchen geworden, offenbar aus mehreren Zeitungs-
artikeln zusammengesetzt. Wissenschaftlichen Wert besitzt es nicht,
es sind aber Bemerkungen darin, die eine sorgfältige Prüfung verdienen.
Podaleirios und Machaon sind j;ar keine Arzte, sondern in der Wund-
beliandlung besonders geschickte Krieger, wie der Oberst Spohr (S. 6).
Ein energisches ßeiuigungsfest, eine Geuerallagerdesinfektion muß das
Volk nach der Pest entsühnen (S. 8). Homer war, wie Sophokles, nicht
nur Dichter, sondern auch Kriegsmaun (S. 9) (Frölich wollte ihn partout
zum Militärarzt machen). Die Waffen sind sehr mannigfaltig und von
bedeutender Leistungsfähigkeit (S. 10). usw.
C. Hentze, Die Formen der Begrüßung in den homerischen Ge-
dichten. Philol. N. F. Band 15 (1902) S. 321-355.
Eine sehr dankenswerte Zusammenstellung, die allen Heraus-
gebern des Homer sehr zu statten kommen wird. Leider ist die Grund-
bedeutung der in Frage kommenden Worte noch durchaus unsicher.
Eine Entscheidung wird daher immer anfechtbar sein. Gleich djTraCesöat
kann ein „Ergreiten" der Hand nicht bedeuten, sondern höchstens ein
Winken. Das lehrt 7 34 ff. 01 ö'ü>? ouv ^sivouj i'oov, a&poöt rjXöov
aravTEC, yspciv t' rprA^o^-zo xal eopidaaHat dvuj^ov Trptüxoc NsaTopiOTji;
IleisiaTpaToc e^Y^'^'"' eXdwv djxcpoTeptuv l'f-z yetpa xxX, also Peisistratos
ist der erste, der ihnen nahe kommt, die übrigen grüßen schon von
weitem. K 542 -: 415 y 498 hat das Wort die allg. Bedeutung „grüßen"
Jahresbericht für Altertumswissenscbaft. Bd. CXVII. (1903. IL) 2
18 Bericht über die homerischen Realien 189()— 1902. (Gemoil.)
angenommeu. Unsicher ist Verf. selbst bei oetöiaxedöai. Mir ist es
nicht zweifelhaft, daß das Wort überall „begrüßen" bedeutet, sei es
mit dem Becher, sei es mit Worten oder mit der Hand. Ein „Zu-
trinken"' finde ich an keiner Stelle bei der Überreichung ausgesprochen.
Besonders interessant ist aber der Abschnitt über die Gebärden
des Grußes, wenn auch die Hauptsachen, daß man sich bei Hoiner nicht
auf den Mund küßt und daß ein gewisser Unterschied in dem Kuß der
Familienglieder und der Fremden vorhanden ist, schon von den Alten
beobachtet wurde.
V. Wohnung, Kleidung und Hausgerät.
A. Meitzeu, Das nordische und das altgriechische Haus. S.-A.
aus Wanderungen, Anbau und Agrarrecht der Völker Europas.
Abt. I Band III 464—520.
Wenn ich diese Schritt hier erwähne, so geschieht das nicht der
neuen Resultate wegen (der Verf. macht gar kein Hehl daraus, daß
die Parallele zwischen dem griechischen und dem ostgermanischen Haus
nicht von ihm stammt) sondern einiger Abbildungen wegen. In Fitrur
XIV gibt er das fensterlose ,,Ildhaus-' mit einem Herde, den Reichel
Stufenaltar nennen würde, mit einem Sessel daneben, der sicherlich
kein Götterthron ist. Ferner verweise ich auf Fig. XXVIII und XXIX,
die schwedische Giäber mit dem Giundriß des Hauses wiedergeben.
Dann dürfte Figur XXXIV b eine gute Parallele für das homerische
Haus abgeben. Wir haben da den Herd in der Mitte, von 4 Säulen
umgeben, wie in Troja, dann diese Säulen mit der Längswand ver-
bunden durch einen Querbalken , die homerischen [xetjoöixat. Allerdings
ist das Bild eine Rekonstruktion von Gudmundson.
L. Rouch, Une demeure royale ä Fepoque hom^rique: Le
palais d' Ulysse ä Ithaque. — S.-A. aus Revue des etudes auciennes.
T. I Nr. 2. Bordeaux 18V<9.
Die vorliegende Arbeit macht in ihrer sorgfältigen Erörterung
der in Betracht kommenden Fragen über das Haus des Odysseus den
Eindruck einer guten wissenschaftlichen Schulung des Verfassers. Für
uns Deutsche bietet das Buch Josephs: Die Paläste des homerischen
Epos, Besseres, so daß wir der französischen Arbeit im ganzen entraten
könnten, zumal Verf. sich sehr oft mit einem non liquet entscheidet.
Den heiß umstrittenen Ausdruck ava ptüYac benutzt er für die dpjo&'jprj
überhaupt nicht und S. 33 A. 3 lehnt er Perrots Erklärung ab, ohne
etwas Eignes zu bringen. Eichtig aber hat er (S. 32) nachgewiesen.
Bericht über die homerischen Realien 1896—1902. (GemoU.) 19
daß zwischen Mäniieisaal und Frauengemach mindestens ein Gang be-
stehen müsse, den er denn auch S. 4 in seinem Plan angibt. Eurykleia
nämlich öffuet die Tür (y 399) und geht eist ein Stück, bis sie Odysseus
zu sehen bekommt. Das ist eigentlich das wichtigste Resultat
der Schrift. Denn wenn er eifrig dafür kämpft, daß das Haus des
Odysseus ein Komplex mehrerer Gebäude sein müsse, so will ich das
nicht gerade in Abrede stellen, aber beweisen läßt es sich aus dem
Dichter nicht, namentlich nicht für jemand, der sich an die Worte
hält: e; £T£püJv ersp' ejti. Auch dürfte der Grundriß des Verf. nach
meiner unmaßgeblichen Meinaug wohl unter einem Dache ^^u ver-
einigen sein.
Verf. behandelt am Schlüsse noch die Frage nach dem Ver-
hältnis der homerischen zur mykeni-chen Kultur. Auch er möchte das
Problem der Inferiorität der erstereii erklärt wissen. In Griechenland
selbst gibt er, wie heute alle Welt, den bösen Doriern die Schuld.
Aber wie war es möglich, daß die auswandernden Achäer mit
mykenischer Kultur nun in Kleinusieu die niykenische Kultur
ruinierten und schließlich zu demselben Resultat wie in
Griechenland kamen? Verf. erklärt sich das durch die langen
Kriege. Ähnlich urteilt Heibig Sitzungsber. Münchn. Akad. 1900 S. 204,
Das ist nicht unmöglich. Wir Deutsche wissen ja, welch ein Kultur-
rückschritt durch den- 30jährigen Krieg veranlaßt ist. Aber woher
wissen wir denn, daß die auswandernden Achäer mykenische Kultur
hatten? Das ist sicherlich nicht der Fall gewesen. Verf. zeigt sich
in dieser Frage weniger unterrichtet, sonst würde er ägäische und
mykenische Kultur (S. 4) nicht gleichgesetzt haben.
F. Noack, Die dpjo&upy) des Odysseus. Strena Heibig. S.215— 220.
Nach W. Reichel (Arch. Epigr. Mitt. 1895 S. 6 If.) versucht
sich Verf. an dem undankbaren Problem. Während Reichel die Ver-
hältnisse von Tiryns zu Grunde legte (Schliemaun Tiryns Tafel II),
stützt sich Noack auf den Plan von Arne im Kapaissee (Bull. d. Corr.
Hell. 1894 pl. XI. Verf. nimmt (p. 220) einen doppelten Korridor
an a) die XatSpT] vom {xe-^apov durch die op3o»}upY) zu erreichen und
b) auf der andern Seite den Gang zur Waffenhalle. Das ist bloße
Konjektur, die sich über die Angaben des Epos 127 (axpotatov 8s
-ap' ouoov) und 143 (dvd pui^a? i}aXd[jLOio) leichten Herzeus hinweg-
setzt. Xach dieser Probe dürften wir von seiner Neubearbeitung
des Helbigschen „Homerisches Epos" kaum ein günstiges Resultat
erhoffen.
R. Münsterberg, Der homerische Thalamos. Jahreshefte des
österr.-archäol. Instituts. Bd. 3 (1900) S. 137—142.
2*
20 Bericht über die homerischen Realien 1896—100-2. (Gemoll.)
Verf. weist richtig- nach, daß die Waffenkammer des Odysseus
der Saal war. Er vermutet aus 7 139, daß Odysseus überhaupt keine
andern Waffen als die im Saale hatte. Das ist doch sehr uug'ewiß.
Noch Ungewisser freilich ist die baugeschichtliche Entwickelung-, die
Verf. vom Palast des Alkinoos bis zu dem des Odysseus gibt. Das wird
niemand glauben, daß Alkinoos und Arete im Männersaal geschlafen
haben (S, 140). Gerade die Redensart ec [au/ov eS ouoou zeigt, daß das
Innere des Hauses erst hinter dem Männersaal anfing.
J. van Leeuwen, Homerica XXI. De Ulixis aedibus. Mne-
mosyne N. S. 29 (1901) S. 221—243.
Verf. fragt, ob das Haus des Odysseus ein oder mehrere [i-e-^apa
gehabt habe. Der Herd war nach dem Verf. im Männersaal, auch
Penelope webte im Männersaal vor den Augen der Freier (p. 226).
Das letztere ist sicher falsch. Penelope trifft jedesmal besondere An-
stalten, wenn sie vor den Freiern erscheint, auch würden letztere den
Stillstand der Webearbeit haben merken müssen, wenn sie unter ihren
Augen gewebt hätte. In x 62 wird Te7et st. ixsYofptp vorgeschlagen,
aber 53 soll [xe^apw stehen bleiben. Das ist doch unglaublich, daß Kirke
die Leiche Iv [i.v(dpw belassen hat. Penelope ist, durch die Freier aus
dem Megaron veischeucht, ins Obergemach geflüchtet, es kann alsjo kein
anderes Frauengemach (fxrcapov) da sein. Es werden noch Schatz- und
Schlafkammer erwähnt, aber ihre Lage ist ungewiß, Homer saug nicht
für Architekten.
Jüngere Dichter verbannen die Penelope in die -/uvaiy.wviTtc. Be-
sonders soll das a 185 ff. beweisen, doch 0 198 zeigt gerade das Gegen-
teil, a 315 f. ist [xe-fapov irgend ein Frauensaal. Auch 9 236 == 382 ff.
wird dazu herangeholt.
Eine Tür brauchen also die älteren Partien nicht, wohl aber
die jüngeren. Die opaodupr) ist jung (239). Wo die Treppe vom Ober-
gemach zum Männersaal war, ist nicht auszumachen. Die Schatzkammer
lag in dem. älteren Gedicht tiefer als der Männersaal, in dem jüngeren
hoch (7 182). Das ist doch sehr zweifelhaft. Ob Melanthios die
Waffen oben fand oder wieder hinabkletterte, ist nicht gesagt.
Wolle man zeichnen, meint Verf., so müsse man zwei verschiedene
Zeichnungen des Palastes in Ithaka geben.
Die Arbeit enthält viel richtige Gedanken, aber der Grundge-
danke, daß eine doppelte Vorstellung des ithakesischen Königshauses
im Homer vorliegt, scheint mir zwar behauptet , aber durchaus nicht
bewiesen.
P. Perdrizet, Sur la mitre homerique. Bull, de corr. Hell. 21
(1897) S. 169-183.
Bericht über die homerisclien Realien 189G— 1902. (GemoU.) 21
Eiue 1895 in Delphi unter Scherben korinthischen Stils gefundene
Jünglingsstatuette von Bronze ans dem Ü. Jahrhundert (p. 182) gibt
dem Verf. Veranlassung zu dieser lehrreichen Studie. Er bespricht
zuerst die Haartracht, dann aber den Gürtel, den die Statuette auf dem
bloßen Leibe trägt. Aus den olympischen und delphischen Funden
werden Paralellen beigebracht und schließlich der (TÜrtel mit der
homerischen [xi-rpr, identifiziert. Nach den Denkmälern scheint ihm die
{iixpif) zu sein une garniture metallique tixee au cuir de la ceinture,
also genau so wie ich sie bereits in meinen homerischen Blättern
(Progr. Striegau 1885 S. 8 f.) bestimmt habe. Es ist dem Verf. mit
Recht auffällig (p. 181), daß die mykeuischen Gräber nicht Beispiele
der \>.i'p-r] in Fülle bieten, er schließt daraus, daß die ixixpr) gewöhnlich
ganz von Leder war. Das ist sehr wahrscheinlich. In seiner aus-
führlichen Auseinandersetzung über die fAttpr) (homerische Studien
S. 34 — 41) hat Robert dieser auf bloßem Leibe getragenen ixirpYi nur
beiläufig erwähnt (S. 41); er faßt die |xi-pr) als identisch mit ^cüjtiqp
und oberhalb des Leudeuschurzes, des !ü)fxa, befindlich.
C. Robert, Die Fußwaschung des Odysseus auf zwei Reliefs
des 5. Jahrhunderts. Athen. Mitt. 25 (1900) S. 325—338.
Der vorstehende Aufsatz gehört hierher wegen der Darstellung
desWebens auf dem Thessalischen Relief. Verf. vermutet, daß Pene-
lope das Gewebe gera^le auflöst, was in Anbetracht der schlechten Er-
haltung des Stückes doch immer sehr ungewiß bleibt. In der An-
merkung bespricht Verf. W 760 ff", in dankenswerter Weise. Danach ist
xaviov das Webeschiff, jx-'-roj der Kettenfaden und -rjviov der Einschlags-
faden.
E. Thraemer, Die Form des hesiodischen Wagens. Festschrift
der TJniv. Straßburg für die 46. Philologenversammlung. 1901. S. 299
—308.
Wichtig auch für die homerischen Realien. Verf. vindiziert Homer
wieder die Scheibenräder und stellt für die übrigen aus den Denkmälern
vier Speichen als die gewöhnliche Zahl fest.
VI. Kunst und Kunstwerke.
W. Heibig, sur la question mycenienne. Extrait des memoires
de Facademie des inscr. et belies lettres. t. XXXII, 2« partie.
Gegenüber der antiphönikischen Richtung in der Auffassung der
mykenischen Kultur nimmt Heibig im Anschluß an Pottier kräftig die
Sache der Phöniker in die Hand. Die mykenischen Funde bezeichnen
eine hohe Kulturstufe, sie sind da ohne Vorstufen, sie verschwinden
22 Bericht über die homerischen Realien 1896—1902. (Gemoll.)
gegenüber dem Dipylonstil. Der Dipylonstil folgt auch in Attika dem
mykenischen, folglich ist er nicht dorisch (p. 10). Die Intarsiaarbeit,
die Glasfabrikate sind verschwunden, die wenigen Fayencenfunde gelten
als ungriechisch. Die bekannten Siegelringe und Inselsteine kommen
nicht mehr vor. Leider ist der Boden Phöniziens noch nicht genügend
durchforscht; aber das wenige Gefundene bietet unzweifelhafte Analogien
mit mykenischen Funden (Kriegerfigürchen). Sie zeigen dieselbe Tracht,
Schurz mit Gurt oder [ikpi] (p. 22), je nachdem friedliche oder kriege-
rische Tracht bezeichnet werden soll (p. 25=^^313), langherabhängende
Haare (auch Fig. 7?) und Sandalen mit Verschuürung, den spitzen Hut.
Unsicher ist die Frauentracht. Den Purpur haben sie jedenfalls erfunden
(p. 33). Die tirynthischen Festungswerke erinnern an die karthagischen
usw. (p 37). Die phönik. Kunst ist gesunken, je weiter sie ihre Ware
verbreiteten (S. 49).
Das sind die Resultate des 1. Teils der Schrift, dem Leser des
homerischen Zeitalters im ganzen bekannt, im einzelneu sorgfältig ge-
prüft und emendiert. Es folgt nun die Einordnung der homerischen
Angaben (p. 49 ff). Sie passen nur zur mykenischen Kultur. Das
goldreiche Mykene, das Fehlen des Reitens, des Schreibens, des ge-
kochten Fleisches, der Fischgerichte, der eisernen Waffen. Doch fehlt
es nicht an Spuren neuerer Zeit. Der eiserne Diskus W 826, die. Äxte
(W 850) trotz W 803 xa[X£ai-/poa ya)^xov sXovts. Was vom Eisen ange-
geben wird, zwingt zu der Annahme, daß auch die Waffen nicht
mehr von Bronze waren (S. 53). sondern nur traditionell so
bezeichnet wurden. Mentes (a 184) handelt mit Eisen und trägt
eine eherne Lanze (a 104 — 121). Ahnlich in der Odyssee im Bogen-
schuß. Phönikien ist das Land der Kunst bei Homer, die Sidonier
Künstler. Tyrus wird nicht erwähnt, das paßt zu dem mykenischen
Stil der Gedichte, den alle Sänger, auch die jüngsten, respektieren (57).
Stammten die Angaben über die Phöuiker aus dem 8. Jahrhdt., wie
Beloch will, so müßten die Tyrier da stehen. Im 8. Jahrhdt. hätte man
die Kunstwerke der Phöniker nicht mehr gepriesen wie 6 615, da hatten
die Griechen bereits die protokorinthische Kunst, die sich von der
phönikischen nicht unterschied. Die mykeuische Kultur zeigt ihre
Spuren um das ganze Mittelmeer (p. 64), auch im westlichen Griechen-
land (S. 64). Die Kultur war uniform, daher ist die Bewaffnung
der Troer und Griechen gleich (aber auch ihre Sprache!) Das Epos
schweigt von griechischer Ausfuhr, aber nicht von phönikischer Einfuhr.
Somitkann die mykenische Kultur nicht griechisch sein(p. 69).
Das Epos kennt das westliche Becken des Mittelmeeres nicht, sonst
würde man davon hören.
Bericht über die homerischen Realien IS96— 1902. (GemoU.) 23
Den Phönikern verdankt man viel, anch den Weinbau. Das
letztere ist allerdings ganz unsicher, eher dürfte der Wein* nach
Phönikien eingeführt sein.
Das Ganze ist eioe nach allen Seiten wohl überlegte und ge-
schlossene Beweisführung, die des Eindrucks nicht ermangelt. Die voll-
ständige Durcliforschung der etruskischen Gräber, die Heibig in Aussicht
stellt, kann aber andere Resultate ergeben, ebenso die Erschließung des
Bodens von Spanien und Phünizien, die wir sehr zu wünschen haben.
W. Hei big. Eiserne Gegenstände an drei Stellen des homerischen
Epos C^ J23, 485, 1 34). Hermes 32, S. 86—91.
Heibig sucht alle drei Stelleu als unecht zu erweisen, ohne recht
durchschlagende Gründe zu linden, denn daß :i 123 und 124 in Zenodots
Handschrift umgestellt waren, macht 124 noch nicht unecht. 139 kann
-/aXxo; ruhig stehen bleiben als allgemeine Bezeichnung, übrigens hat
Naber schon Vers 123 gestrichen. Außerdem hat Beloch selbst, dem
Heibig folgt, sich nachträglich im Rhein. Mus. 45 S. 587 geäußert.
2 34 wird mit Erhardt als störend gestrichen, doch ist das /Etpa; e/uiv
dann nicht motiviert. Das ist kein Ausdruck der Teilnahme, wenigstens
bei Homer nicht. Ich linde den Vers ganz passend. A 482 — 487 wird
das gauze Gleichnis entfernt. Die stilistischen Anstöße bleiben aber,
auch wenn man die Stellen als Interpolation betrachtet (doppelte |i-ev
ohne 8i 485. 487, doppelte Ortsangabe ev siafievT) Ikto^ und Tzox'x\x.oio 7:ap'
oyOac). Ich würde daher vielleicht innerhalb des Gleichnisses Athe-
tesen voruehmen.
Hubert Schmidt, Zur kunstgeschichtlichen Bedeutung des
homerischen Schildes. Satura Viadrina S. 95 — 108. Breslau 1896.
Gegenüber Reicheis Rekonstruktion betont Verf. nachdrücklich:
Jeder Rekonstruktionsversuch sei abzulehnen, weil uns das Gedicht über
Zahl und Ausdehnung der einzelnen Scenen keine Auskunft gebe. Der
Dichter will uns ein großartiges Weltbild vorführen und schildert nach
der Wirklichkeit. Im einzelnen: 1 590 — 606 wird nicht der Tanz-
platz nach Art des Labyrinths geschildert, sondern ein Reigen; auch
das Kunstwerk des Dädalus ist ein Reigen, wie sie die Denkmäler in
Olympia und K3'pros geben. Er vergleicht aber besonders eine Dipylon-
vase (Mon. IX 39, 2, Annal. 72 S. 142 Nr. 39) (Jünglinge mit kurzen
Schwertern und Jungfrauen, die Chorführer tragen bogenförmige Musik-
instrumente?) — In der Gerichtsscene (497—508) gehört das Geld
(oütu xaXavTa) der obsiegenden Partei (so Maaß D. L. Z. 1895 Nr. 51
Sp. 1617), nicht dem Richter. In den Kriegsscenen 490-540 sind
wirklich Ares und Athene, und nicht, wie Reichel wollte, die Anführer
24 Bericht über die homerischen Realien 1S9C — 1902. (GemoU.)
zu sehen. — Die Städtebilder, die friedlichen und die kriegerischen, sind
nicht ' mit Reichel zu verbinden. — Die beiden Heere der belagerten
Stadt sind das der Städter und das der Belagerer. Im Hinterhalt
liegen die Feinde (p. 102), die Herden gehören den Städtern. Verf.
findet, daß alles klar ist. Im ganzen gebe ich Schmidt recht, auch
darin, daß er (p. 104) das Ausscheiden der Panzer aus dem schon ab-
geschlossenen Epos verwirft, mit Scheiudler, Ztschr. f. östr. Gymn. 1895
S. 398. Mit den mykeuischen Funden passen Helm und Beinschienen,
aber von Leder, nicht jedoch der Panzer, der erst im 7. Jahrhdt. auf
den Monumenten erscheint. Auf dem Schild ist alles von Metall, ein
Zeichen, daß die Schildbeschreibung sehr jung ist. Für die
Belagerung gibt Schmidt außer dem mykenischen zwei schwarzfigurige
Beweisstücke griechischer Herkunft.
Man sieht, die Schmidtsche Ausführung ist in der Hauptsache
eine erfolgreiche Kritik Reicheis und bezeichnet die Rückkehr zu dem
früheren Standpunkt von Friederichs, Petersen und Heibig.
J. L. Ussing, Achilles' Skjold, in Nordisk Tidskrift for Filologi
Bd. 9 (1900—1901) 8. 16-28.
Der vorstehende Aufsatz ist bemerkenswert durch das. klare, ge-
sunde Urteil, das aus ihm spricht. Neues wird man aus ihm nicht er-
fahren. Man wird gern Kenntnis davon nehmen, daß Verf. in Vers 499 die
Erklärung verwirft: „Der eine gelobte alles zu bezahlen" (p 16), daß
507 f. die 2 Talente den Parteien gegeben werden, wofür auch die Pa-
rodie Lucians im Fischer § 41 spreche, aber man wird bezweifeln, ob
St'xaCov vs. 506 „sie führten ihre Sache" und ob 501 ett' ia-copt abstrakt
„vor Gericht* (ved Dom) heißen kann. Auch wird man bedenklich
finden, daß der Verf. den Einwand (von Clemens, was er wohl hinzu-
setzen konnte), daß löuvtata (Superlat.j von zwei Parteien nicht passe,
nicht widerlegen kann (S. 18 A). — In bezug auf den Reigentanz sucht
Verf. die Erfindung des Dädalus in dem Muster des Platzes von der
Form des Labyrinths. Endlich S. 28 polemisiert er gegen Reicheis
Auffassung, daß 516 f. Anführer und nicht Götter dargestellt seien.
Seineu Gründen möchte ich hinzufügen, daß ein Zweifel kaum erlaubt
ist, wenn der Dichter 520 sagt afAcpk apiCrjXw!
A. Moret, Quelques scenes du bouclier d'Achille et les tableaux
des tombes figyptiennes. Revue Archeologique 38 (1901) S. 198—212.
„Murray (History of greek sculpture 2 de ed. 1890 S. 42 ff.),
griff in seiner Rekonstruktion des Schildes unterschiedslos in die assy-
rischen, phönikischen, ägyptischen und altgriechischen Denkmäler hinein.
In dem Überfall der Herde durch Löwen ist die Herde assyrisch, die
Löwen phönikisch, die Hunde sind ägyptisch". Dem gegenüber sucht
B ericht über die homerischen Realien 1896—1902. (GemoU.) 25
Verf. die Ackerbauscenen, sowie den Überfall der Herde durch ägyp-
tische Grabgemälde zu erläutern. Er ist der Meinung, daß die home-
rischen Rhapsoden diese ägyptischen Denkmäler gesehen haben können,
jedenfalls aber durch sie direkt oder indirekt beeinflußt sind. Dagegen
spricht der Umstand, daß die homerischen Bilder ganz sichtlich nach
Metallvorlage gearbeitet sind, wie das schon Heibig erwiesen hat
Außerdem finde ich die Ähnlichkeit in den Scenen gar nicht so besonders
groß, daß man auf irgend eine Abhängigkeit schließen müßte.
Paolo Orsi, "Epixaia Tpr/Xyiva [xopocvra. Strena Heibig. S. 223
—227.
Aus den Ausgrabungen von Megara Hyblaea werden zur Bestätigung
von Helbigs Erklärung der apixocxa xpqXrjva [xoposvTa Abbildungen von
silbernen Ohringen gegeben, die einen gewissen Fortschritt zeigen vom
Einfacheren zum Kunstvolleren, und vom 7. bis zum Ende des 5. Jahr-
hunderts reichen, zum großen Teil aus Kindergräbern.
VII. Krieg und Waffen.
A. Swoboda, Die Stadtbelagerung auf dem homerischen Schilde
Achills. Z. f. d. öst. Gymn. 1900, S. 1—8.
Eine bei aller Kürze sehr gehaltvolle und beachtenswerte Ab-
handlung. Wenn ich mich nicht täusche, so wird Verf. aber noch nicht
das letzte Wort gesprochen haben. Ich fasse nicht 509 öTaxo und 531
xa&rj|x£voi parallel. Ebensowenig kann ich mich überzeugen, daß 511
SirxTCpaÖEciv von den Belagerern gesagt sei; ich beziehe es auf die
Städter, wie auf a^iav^ 509. Ich finde auch 530 keine Beratung zweier
feindlicher Heere, sondern nur den Hinterhalt der Städter. Der Verf.
scheint, wie die meisten Erklärer, den Lochos gar nicht verstanden zu
haben, dafür schiebt er dem Dichter das Mißverständnis zu. Die Scene
ist: eine von zwei Heeren umgebene Stadt, ein Belagerungs- und ein
Entsatzheer. Das letztere ist ein Erzeugnis der Verzweiflung. Bis
jetzt sind nur zwei Ansichten ausgesprochen worden, entweder die Stadt
zerstören zu lassen oder den Feinden einen Preis anzubieten (avöi/a
aiavTa Sasauiiat). Da wird noch eine List ersonnen. Das Heer muß
sich heimlich in den Hinterhalt legen, offen aber wird das Vieh
weggetrieben, damit es die Feinde überfallen sollen. Und dann sollen
die versteckten Krieger aus dem Hinterhalt hervorbrechen. Im wesent-
lichen also ist meine Erklärung die Philostrats (Iraag. 10). Davon,
daß der Dichter hier ein Mißverständnis begangen habe, kann gar keine
Rede sein.
26 Bericht über die homerischen Realien 1890—1902. (GemoU.)
A. Ruppersberg, Der Bogenwettkampf in der Odyssee. Neue
Jahrbb. 1897, S. 225—242.
In eindringender und gründlicher Weise behandelt der Verf. die
neueren Erklärungsversuche des alten Problems. Man kann dem Verf.
in der Polemik fast überall beistimmen. Aber seine eigene Lösung
wird schwerlich Beifall linden. Verf. denkt sich die Beile vom ersten
bis zum letzten immer tiefer in die Erde gesteckt, so daß der Schuß
zuletzt in die Erde fuhr. Ich halte die Ausführung einfach für un-
möglich. Verf. hat auf S. 237 eine Zeiclmunc gegeben, auf welcher
die Beile schräg gestellt sind. Sonst ist die Ausführung überhaupt
nicht möglich. Aber mit welcher Genauigkeit mußte dabei verfahren
werden! Und mindestens mußte man die Sache doch vorher ausprobieren.
Teleraach setzt die Beile zum ersten Male! Bei der Ziehung des
Grabens wird jeder Leser den Eindruck haben, daß nur eine einfache
gerade Linie gezogen wird, auf eine allmähliche Vertiefung führt keine
Spur. Drittens stehen bei Ruppersberg die Beile mit den Schneiden
aneinander, das ließe sich noch hören, aber die ersten Beile sind so
oberflächlich eingesteckt, daß sie kaum feststehen können. Kurz, das
Problem ist auch hier nicht gelöst.
A. T. C. Cree, The axe test (Hom. Od. 19, 572; 21, 120, 421).
Classical Review 16 Heft 4, Mai 1902.
Wieder ein Versuch, den Schuß durch die Äxte zu erklären.
Verf. weist Monros Erklärung, die sich mit der landläufigen deckt, ab,
da die Stiele dabei unberücksichtigt bleiben. Auch Seatons Erklärung
(Class. E.ev. X 168), der Sptio/oi nach Procop b. Goth. 4, 22 als Schiffs-
rippen nimmt, führt er eigentlich nur an, um gleich dahinter eine neue
zu bringen: Spuoyoi sind gekreuzte Stützen (ßöcke). Die Beile
wurden mit den Stielen so in die Erde gestoßen, daß immer zwei ein-
ander kreuzten, die oben einander zugekehrten Schneiden bildeten den
Abschluß eines Dreiecks, durch den man schießen konnte.
Gegen diese Theorie ist einzuwenden, daß die Beile doch sehr
unsicher standen, daß das Dreieck für die Flugbahn des Pfeils auch
noch kein genügendes Feld bietet, und daß endlich die Ausführung des
Schusses immer noch unklar ist. Wie zielte Odysseus? Jedenfalls ist
auch diese Lösung keine gelungene.
A. de Ridder, le disque Homerique. R,evue des et. grecques 10
(1897) S. 255—263.
Verf. nimmt die alte Frage nach der Beschaffenheit des home-
rischen Diskos wieder auf. Die auf den Denkmälern erhaltenen Abbil-
dungen reichen nur bis in das VI. vorchristliche Jahrhundert, sie
stellen den Diskos als mehr oder weniger flache Vollscheibe dar. Nach
Bericht über die homerischen Realien 1896—1002. (GemoU.) 27
den Scholien zu Homer aber sollen sie in der Mitte ein Loch g'ehabt
und mit einem Riemen geschleudert worden sein. Verf. bemerkt, daß
der homerische Text dazu keine Veranlassung gibt. Eratosthenes aber
in den Olj'mpioniken hat sich auf T:spt3-p£<{<a; f> 198 berufen, de ßidder
meint, rspurpscpeiv verstehe sich auch vom Hin- und Ilerschwingen : das
ist unmöglich. Ebensowenig glaube ich, dal.! Oilysseus keinen Diskos,
sondern une simple pierre brüte, un galet gigantesque ergriffen habe.
0 186 ist der Diskos als solcher bezeichnet, de Ridder läßt den durch-
lochten Diskos für die nach homerische Zeit einführen und dann wieder
abschaffen, was doch auch recht unwahrscheinlich ist. Verf. bringt zur
Bestätigung einen ßronzetund des Natioualmuseums zu Athen bei. Eine
Abbildung gibt er nicht, aber die Beschreibung (p. 2(51) läßt kaum auf
einen Diskus schließen (rebord saillant meuage sur les deux faces; les
faces inegales, le dessou du disque est plan, Tavers est concave, darin
un omphalos traverse par un conduit median; la mortaise sensiblement
carree); ebensowenig die Größe (Durchmesser 11,5 cm). Ein Rad frei-
lich scheint es auch nicht zu sein (fehlende Speichen, viereckige Axe),
aber deshalb ist es noch kein Diskos. Vorderhand möchte ich bei
Eratosthenes bleiben, obgleich dessen Annahme heute überall aufge-
geben scheint.
W. Reiche], Das Joch des homerischen Wagens. Jahreshefte
des österr. Instituts Bd. 2 S. 137—150.
Eine Gabe, der man sich uneingeschränkt freuen kann. Im An-
schluß an il 268 — 274 wird die so oft behandelte Bespannung des
homerischen Wagens noch einmal besprochen. Verf. übersetzt die Stelle
folgendermaßen: ,Vom Pflocke nahmen sie das genabelte Maultier joch
aus Buchsbanm herab, das mit Handhaben wohl versehen war, und
zugleich mit dem Joche trugen sie den neun Ellen langen Jochriemen
heraus. Dieses (Joch) legten sie sorgfältig auf die wohlgetilättete
Deichsel, aa deren vorderste Spitze, und warfen den Ring über den
Spannagel. Dreimal jederseits banden sie den Riemen auf den Nabel,
dann aber schnürten sie ihn in parallelen Windungen (eEei'r,;) hinab
(längs der Deichsel abwärts) und steckten das Spitzende unter,"
Dazu gibt er außer einer Modellskizze noch eine Abbildung einer
etruskischen Deichsel, wo allerdings e'üTmp und xpixoc fehlen, desgl. ein
Sardonj^ aus Vaphio, der die Deichsel in der ganzen Länge verschnürt
zeigt, xpi'xoc und saxtup konnten dem leichten Kriegswagen fehlen, meint
Reichel, das glaube ich aber nicht. Leafs Irrtum (J. H. St. 1884
S. 185 f.) betreffs Ijtwp und xptxo; stellt Reichel aufjHelbigs Spuren völlig
richtig. Der angebliche i'jjrtup ist das Jochende, der xptxo? vielmehr das
Jochkissen, die Jochenden waren vielleicht eingezapft. Indessen in der
28 Bericht über die homerischen Realien 189ß— 1902. (Genioll.)
schönen Abbildung- (Fig. 67) aus dei- Frangoisvase ergibt sich eine ganz
natürliche Rundung^. Ich glaube, für diesen Nachweis können wir Keichel
besonders dankbar sein. Es folgt die Besprechung der Ceu'/AT) in P 440
T 405, wie ich meine, nicht glücklich. Ich will nicht gerade abstreiten,
daß die Haare aus dem assyrischen oder ägyptischen Geschirr , das
höher saß als das hellenische, herausfallen konnten, doch bezeichnet ex
Ceu7XY)? wohl nur die Richtung und ist so ganz gut zu verstehen. Von
dem Riemenzeug wird bei Homer nur der Xeiraöva Erwähnung getan,
des }jLa(3);aXcoTT)p nicht. Den Schluß macht die Anschirrung der Bei-
pferde (li 80-88 11 152, 467—475). Wie Heibig, meint Verf., daß sie
einen Zugriemen nichL hatten, nach den Denkmälern. Neu ist die Ver-
mutung, daß ein Aufrennen des Beipferdes auf das Jochpferd durch
Stacheln verhütet wurde. So etwas soll Fig. 80 enthalten (Wiener Vor-
legebl. 1889 II 1^^), aber von Stacheln sehe ich da nichts, höchstens
ein Schmuckzeichen.
VIII. Nautisches.
A. Engelbrecht, Das homerische Floß des Odysseus. Wiener
Studien 20 (1898) S. 150—156.
Eine verständige Arbeit, deren Verdienst darin besteht, daß sie
den Dichter so nimmt, wie er überliefert ist, und ihn zu verstehen sucht.
Das Floß des Odysseus ist weder von Anfang an, wie Breusing wollte,
ein Schiff, noch später zu einem Schiff interpoliert, sondern wirklich
nur ein Floß mit Mastbaumgerüst, zu dem die axa]xhe^ und sTrTjYxevioec
gehören, ebenso wie das Weideugeflecht. Nur der eine Punkt will mir
nicht einleuchten, daß die uXtq 257 aufgesteckte Baumzweige sein sollen.
Da gefällt mir Leeuweus Erklärung doch besser, eine Schütte Laub
zum Lager oder Sitz.
J. van Leeuwen, de equo Troiano. Mnemosyne 29 (1901)
S. 121 — 140.
Die vorstehende Abhandlung ist zuerst holländisch veröffentlicht
in Verslagen en Meded. d. K. Ac. v. Wet. Febr. 1901 und wird hier
in lateinischer Übersetzung gegeben. Das hölzerne Pferd ist bei der
Zerstörung Trojas eigentlich überflüssig; Sinons List genügt. Es gehört
auch dort nicht hinein. Es ist vielmehr ein Schiff, und zwar das Schiff
des Achilles, das nach Troja kam. Er war allein, erst allmählich fanden
sich die anderen Helden ein. Beweis: das Pferd heißt öoupaTeoc Tttitoc
„ Balkenpferd ", das ist eben ein Schiff. Schon Baumeister (Denkm. I 741)
hat diese Meinung ausgesprochen, was van Leeuwen am Schlüsse
erwähnt.
Bericht über die homerischen Realien ISOH— 1902. (Gemoll.) 29
IX. Religion und Götter.
W. Keichel, Über vorhelleiiische Gotterkulte. Wien 1897.
Da das 3. Kapitel dieser Schrift den Titel: „Mykenische und
homerische Götter" führt, so haben wir uns hier mit iiir auseinander-
zusetzen. Reichel ist der Meinung-, dal.l die Zeit der liomerischen Ge-
dichte sich die Götter anthropomorphisch, aber von riesiger Größe
dachte, daß Kultbilder im Homer nicht erwähnt seien, auch Z 87 flf.
nicht, daß vielmehr der Peplos zwar dem Wortlaut nach 'AByjvaiY); I-kI
fo'jvaaiv (Z 92), in der Tat aber auf den leeren Thronsessel g-elegt
wurde. Andere Bilder gab es, wenn auch nicht ^ 516—519, wo nach
seiner Meinung zwei Anführer, nicht zwei Götter auf dem Schilde
standen.
Wenn die homerische Zeit keine Kultbilder hatte, so die myke-
niscbe erst recht nicht (S. 55). Viele bisher dafür ausgegebene Götter-
darstellungen sind im Grunde gar keine; die sogenannten „Idole" sind
Privaterzeugnisse. Ausgenommen werden die nackten Astartebilder, die
als Amulette zum Schutz gegen das Festhalten in der Unterwelt mit-
gegeben wurden. Aber sie konnten auch Weihgeschenke werden, und
schließlich wurden aus Bemerkenswertem ihrer Art wohl auch Kult-
bilder.
Auch Tempel kennt Homer nicht, die (sechs) erwähnten kommen
nur an jüngeren Stellen vor, die Götter begnügten sich mit einem Altar
und einen Thron davor, Tempel war das Herrenhaus selbst. Dem
widerspricht nun die Darstellung in Z 89 vollständig. Dort geht man
zum vTjo; der Athene, der vom Herrenhause entfernt liegt. Und das
sollte man glauben, daß der Teppich auf den leeren Stuhl der Athene
gelegt wird, wo es ausdrücklich heißt: auf ihre KnieV
Noch drei Jahre früher (hom. Waffen S. 45) erkannte Reichel
den Tempel in Z 88 ff. an. Jetzt streicht er ihn seiner „Thronhypo-
these" zuliebe. Mit dieser ist es ebenso schlecht bestellt. Die Beseiti-
gung der Idole bleibt, wie wir sahen, in der Mitte stecken. Die soge-
nannten Justizmasken, die Astarte-Idole müssen anerkannt werden als
Götterbilder, wenn auch nur als private, die aber doch schließlich zu
Kultbildern werden können! Wozu da erst die ganze Thronhypothese,
die nebenbei auch von allen Seiten Widerspruch erfährt? Abbildung 1
kann, wie v. Fritze sah, nach der Analogie von Fig. 16 wohl ein Stufen-
altar sein (Strena Helbigiana S. 87)! Auch diese denkt sich Reichel
als Thronsitze. Dann müßten die anwesenden Götter die Füße direkt
im Feuer gehabt haben. Ob das bei der anthropomorphen Anschauung
denkbar ist? Ich glaube, nein.
30 Bericht über die homerischen Realien 1896—1902. (GemoU.)
Der „ Thronhypothese " fällt auch das Tempelchen Fig. 4 zum
Opfe)-, das Verf. noch bis vor kurzem anerkannt hatte (S. 9). Zu
diesem Bilde bemerke ich, daß ich in dem Bogen unter den Säuleu
Pflanzenblätter erblicke, zu denen die Säule der Stengel ist. Ich ver-
weise auf den mykenischen Goldriiig Fig. 27. Die nahe Beziehung, die
Verf. zwischen der mykenischen und der homerischen Welt annimmt,
müßte doch erst gerechtfertigt werden. Wer die mykenische Kultur als
phönizisch faßt wie Heibig, kann den Sprung Eeichels nicht mit-
machen .
Immerhin hat die Arbeit das Verdienst, die Aufmerksamkeit wieder
auf die Felsenthrone und den Thronkultus gelenkt zu haben. Aber
woher stammen sie? Und welche Rolle spielten sie im Kultus? Das
sind zwei Fragen, die noch ihrer Erlediguug harren. Jedenfalls hat
sie Reichel nicht erledigt. Er hat den Tempel und das Götterbild aus
dem alten griechischen Gottesdienst nicht beseitigen können, ein Bei-
spiel für den Throndienst bei Homer nachzuweisen, ist ihm mißlungen.
Wir sind also genau so weit wie vorher!
0. Seeck, Die Bildung der griechischen Religion. Neue Jahrbb.
1899 S. 225. 305. 492.
Der Aufsatz ist ein Bruchstück aus dem 2. Bande der Geschichte
des Unteigangs der antiken Weit und gibt eine Entwickelung der
griechischen Religion vom Animismus (Seelenkult) über den „Sonnen-
glauben" zur Religion Homers hin. Im Grunde ist das Ganze nur eine
Überarbeitung von Rohdes Psyche. Der Unterschied ist nur der, daß
man sich bei Rohde immer auf sicherem Boden fühlt, während hier
die Spekulation doch sehr zum Schaden der Beweiskraft überwiegt.
Heinr. Bulle, Odysseus und die Sirenen. Strena Hoibigiana
S. 31—37.
Ein Aryballos, athenischen Ursprungs in München (?). Odysseus, von
Kirkes Haus (?), das man sieht, weggefahren, angebunden au dem Mast
des Schiffes. Zehn Ruderer an der Arbeit, zwei mächtige Vögel über dem
Schiffe schwebend (glaube ich). Vor Odysseus zwei Sirenen mit umge-
bogenen Flügeln, offenem (singendem) Munde und dünnen Vogel-
beinen, die aber durch eine Brüstung dem ansegelnden Odysseus ver-
deckt sind (so ich). Hinter den Sirenen eine weibliche sitzende (Bulle
kauernde) Figur, die ihm die Chthon bedeutet, die die vampyrartigen
Sirenen aus der Unterwelt schickt. Das ist sehr problematisch.
F. Dümmler, Der Zorn der Hera in Dichtung, Sage und Kunst.
Kl. Schriften. Leipzig 1901. II S. 1—17.
Eine unvollendet und bisher unveröffentlicht gebliebene Antritts-
vorlesung aus dem J. 1890. Der darin niedergelegte Grundgedauke
Bericht über die liomerischen Realien 189G — 1902. (Geinoll.) 31
ist folgender: Hera ist eigentlich chthüiiische Gottheit und ihr Zoi'q
Zustand der Erde vor dem tspo; yl^xo; mit Zeus, die unfruchtbare Jahres-
zeit. Dieser Gedanke empfiehlt sich durch Einfachheit und ist einer
ausführlicheren Bearbeitung wert.
F. Dümmler, Atheua. Kl. Schriften. II 18—124.
Wiederabdruck des Artikels Athena aus Pauly-Wissowa, Real-
Encyklopädie II 1941 — 2020. Hierher gehört der erste Abschnitt:
Athena im homerischen Epos und in der Heldensage. Es wird nach-
gewiesen, daß Athenas Geburt von Zeus Homer bekannt ist. Die Agis
ist doch ursprünglich Ziegenfell, wenn ancli nicht mehr bei Homer
(Stengel). Voihomerisch ist auch das Schutzverhältnis zu gew^issen
Helden, namentlich Diomedes; in der Odyssee ist sie aus der Sohlachten-
jungfrau Göttin der Klugheit geworden, ja schon in der Ilias als
Schützerin der städtischen Kultur voi auszusetzen. II. VI 287 ist ein
Sitzbild, das Palladion aber ein stehendes Bild, dalier die ganze Scene
VI 287 jüngeren Ursprungs.
P. Stengel, Der Kult der Winde. Hermes 35 (1900) S. 627
—635.
Wenn auch Homer einen Kult der Winde nicht kennt, so unter-
scheidet er doch av£|jLoi.und öusXXai, für die er auch °A piruia'- setzt (u 63,
66, 67). Diese sind schon nach Rohde (E.h. Mus. 50, 5) Dämonen
geworden wie die Keren auch. Ihr Aufenthaltsort ist die Unterwelt
(Rohde a. 0.). So erklärt sich der merkwürdige Kult der Winde, von
dem Stengel in seiner trefflichen Weise handelt.
G. I w an 0 witsch, Opiuiones Homeri et tragicorum Graecorum
de iuferis. Berl. Studien für klass. Philol. 16 (1896).
Die Abhandlung kann füglich ungelesen bleiben. Denn erstens
geht sie von einem iipöixov i];£Üöos aus, daß nämlich Homer wie die
Tragiker die religiösen Anschauungen ihrer Zeit wiedergegeben hätten .
Man vergl darüber Rohde Psyche S. 35. Zweitens beruht der Wert
der Abhandluug nur in der Zusammenstellung dessen, was für die
einzelnen Schriftsteller früher geleistet ist. Drittens ist sie unvoll-
ständig. Der fünfte, interessanteste Punkt über die Bestattung und den
Totenkult fehlt. Viertens konstruiert Verf. einen Gegensatz in den An-
schauungen Homers und der Tragiker, der gar nicht existiert. Kammer,
dessen Autorität ihm sonst maßgebend ist, hätte ihn (ästhet. Komment,
zur Ilias S. 84) belehren können, daß die homerischen Menschen genau
dieselben Klagen über das Menschenleben ausstoßen wie die Helden der
Tragödie. Fünftens. Wunderbar ist das Verhalten des Verf. bei
schwierigen Stelleu wie Theog. 767, 310, wo er den Höllenhund gern
32 Bericht über die homerischen Realien 1S96 — 1902. (GemoU.)
eliminieren möchte, aber es doch nicht recht wagt. Ebenso T 278, wo
er (statt xatxovTocc) eovxa; vorschläg't , als wenn dadurch das geringste
gebessert würde.
X. Sakralaltertümer.
H. V. Fritze, Die Rauchopfer bei den Griechen. Berlin 1894.
Das unter den Augen C. Roberts entstandene Schriftchen be-
handelt eine wichtige Frage der griechischen Sakralaltertümer. Für
Homer erfahren wir nichts Neues, wenn öusiv als Räuchern erklärt
wird, und zwar Räuchern mit einheimischen Pflanzen, Verf. weist nur
nach, dal.S der aiabische Weihrauch erst im 7. Jahrhundert nach Griechen-
land gekommen ist und zwar im Gefolge des Aphrodite- und Helios-
kultus. Soweit gut. Aber Roberts Einwurf, daß doch Aphrodite bei
Homer schon ganz als griechische Gottheit erscheine, bereitet ihm un-
lösbare Schwierigkeiten. Denn, wenn er meint, daß die alten Kultus-
formen die Einführung erleichtert hätten, so ist das keine Antwort.
Am besten war es, die beiden Fragen nach dem Weihrauch und der
Aphrodite gar nicht miteinander zu verbinden.
H. V. Fritze, ouXai. Hermes 32, S. 235—250.
Im Anschluß au Stengel (Hermes 29, S. 627) wird der Gebrauch
der ouAat ausführlich besprochen. Von der Stellung der ouXat im Opfer-
ritual ausgehend, weist v. Fritze überzeugend nach, daß die oüXai nicht
auf das Haupt des Opfertiers, sondern auf den Altar geworfen wurden.
Ferner sucht er darzutun, daß die ouXai geröstete, ganze Gersten-
körner waren. Ich halte diesen Beweis nicht für völlig gelungen.
Dagegen stimme ich seinen Ausführungen in betreif der ouÄoyutai und
rpoyuTat völlig bei. Alles in allem ist die Abhandlung von gründlich-
ster Gelehrsamkeit getragen und bietet weite Perspektiven in die Vor-
geschichte des Opferrituals.
Otto Kern, Zum altgriecbischen Kultus. Strena Helbigiana
S. 155—159.
1. Kern verwirft (p. 156j den Reicheischen Thronkultus zu
Z 92, 303 und erklärt das 1. Bild bei Reichel, Vorhell. Götterkulte,
zwar für einen Thron (nicht für Tempel oder Altar) aber für den
eines Verstorbenen, der (in der Kuppelhalle) mit Zweigen geschmückt
wird. Unwahrscheinlich und kaum Gegenstand eines Siegelringes. 2.
Die Erdhügel im östlichen Thessalien sind Erdmale des Wegegottes
Hermes im Hinblick auf E. Mengers und C. Roberts Erklärung des
Namens (Gott vom Steinhaufen) die zueist von Preller aufgestellt ist
Bericht über die liomerischen Realien 1S% — 1002. (Gemoll.) 33
r. Stengel, e-ap$aaöat oeTraeasiv. Hermes 34 (1899), S. 469-478.
Eine inhaltreiclie Abliaudlung. Verf. setzt sich zunächst mit den
früheren Darstellungen auseinander, besonders mit Beruhardi (Progr,
Lpz, 1885 S. 18), dem gegenüber er mit Recht behauptet, das Spenden
habe nicht den Dienern überlassen sein können. Doch mul') ich an
diesem Abschnitt tadeln, daß Verf. nicht auf die Schollen zurückge-
gangen ist. Cod. Yen. A bietet zu A 471 zwei Erklärungen: 1. ir.ao-
SajjLevot = £-iy£av-£i, 2. £7:ap;a|j.evoi = aitap$a[xevo' j7:ovör|V. Im ersten
Falle ist ös-assjiv Dativ, im 2. Instrumentalis. Wenn nun in diesem
zweiten Falle sTrapSscjöat wirklich spenden hieße, so wüßte ich nicht,
wer anders als die Diener die Spender hätten sein können. Indes
£-ap;aai}at heißt gar nicht spenden, sondern den Anfang dazu machen,
die Spende vorbereiten. Das geschieht durch Verteilung des Weins,
A 471 beißt es vcüji-r^jav o'a'pa Tiasiv £-ap^a|x£voi öeKciessiv sie teilten
(vom Weine) allen zu £-ap;a|j.£voi ozzdtaiiy. Die Spender sind die
Opfernden oder Schmausenden, wie aus 7 340 ff., r^ 183 ff., besonders
aber aus cj 48 f. und -f 263 deutlich hervorgeht. In dieser Beziehung
bin ich mit Stengel einig. Auch wenn er dann gegen Nitzsch, Naegels-
bach u. a. konstatiert, daß der Wein auch mit den Bechern aus dem
Mischkrug geschöpft wurde, muß man wegen F 295, T 219 11 230 bei-
stimmen. Ebenso erkenne icli an, daß nicht zu jeder Libation neu ge-
mischt wurde, wegen 7 40 ff. Aus 7 63 geht hervor, daß der Becher
bei der zweiten Spende nicht mehr voll war. Weniger will mir ein-
leuchten, daß die Spende nicht immer geübt wurde. Das argumentum
ex silentio ist immer trügerisch, so auch hier. Wenn a 147 das
Spenden nicht erwähnt wird, so ist noch nicht gesagt, daß es nicht ge-
schehen ist. Auch A 471 ist nur das s-apcaaOai der xoüpoi erwähnt.
Darauf folgt aber das Spenden, wie die oben angeführten Stellen ergeben.
Was heißt aber £-ap;aj(lai.^ Daß es nicht „spenden" heißt, ist
schon erwähnt. Stengel erklärt es nach dem Vorgange Buttmanns mit
heraufuehmen oder -heben. Damit wird er keinen Beifall finden. Wer
apy£cji)a' mit wegnehmen übersetzt, wie Buttmanu, der übersetzt ungenau,
und auf ungenaue rbei'setzungen kann man keine Etymologien gründen.
Ich habe früher (z. h. Apoll. 125) iTiap/öiflat mit „die Schlußspende
beginnen" erklärt.
Ich sehe auch heute noch nichts, was sich gegen diese Er-
klärung sagen ließe. Wie ewpoo'^ der Nach- oder Sehlußgesang, wie
eirioei-vov der Nachtisch, so ist srap/oixa-. der Anfang des Schlusses.
Man vergegenwärtige z. B. sich die Situation in A. Ein feierliches
Opfer, dazu eine Spende (A 463), dann folgt das Opfermahl. Es ist
unvermeidlich, daß es dabei lebhafter zugeht. Nachdem alles gesättigt
ist, folgt der Schluß. Die gottesdienstliche Ordnung wird wiederker-
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVII. (VX)3. II.) 3
34 Bericht über die homerischen Realien 1896—1902. (Gemoll.)
gestellt wie am Anfaug. Es wird feierliche Stille geboten I 172 und
dann die Scblußspende gegossen und vom Päan begleitet (A 472). Der
Anfang dazu ist die Aufforderung, „den letzten Becher" zu füllen. Un-
zweifelhaft ist das der Anfang des Schlusses / 332 und a 418. Der
Schlußpäan in A 472 scheint ziemlich lange gedauert zu haben (r.awr^-
}xepiot). Stengel wehrt sich gegen diese Erklärung sehr mit Unrecht.
Auch die übrigen Stellen stimmen sehr wohl mit ihr. 9 263 ist die
Aufforderung zum Schluß ergangen, der Schluß 273 gemacht, da bringt
Odysseus durch seine Bitte um den Bogen ein neues Moment herein, es
beginnt eine neue Scene. Auch r^ 137 f. ist die letzte Spende (an
Hermes) schon gemacht, da ruft die Ankunft des Odysseus ein neues
Interesse wach. Der Gast muß bewirtet werden (vs 177), so wird auch
eine neue Spende nötig. Daß aber ein ganzer Mischkrug gemischt und
nach dem e-ap^aaSai noch mehrmals gespendet wird (184, 228), das
zeigt, daß der Schluß sich auch lange ausdehnen konnte, wenn eine
außerordentliche Gelegenheit vorhanden war. Ebenso steht es mit
I 172 f. Die nächtliche Beratung beginnt mit einem Abendbrot
(vs 66, 90), sie endet mit feierlichem Schluß. Erst nach demselben
machen sich Odysseus und Nestor auf den Weg.
Mit h. Apoll. 125 hat es eine andere Bewandtnis. Themis füttert
den neugeborenen Gott, aber in ehrfurchtsvoller Weise, wie die Meüschea
die Götter verehren und laben bei der Spende, also Themis spendet
Nektar und Ambrosia dem mächtigen Gotte. I7:ap-/ej8a( ist hier ge-
braucht wie (i-ap/saöat l 422 oder apysa&at ^ 428 oder xa-otpysj&ai 7 445.
P. Stengel, Zu den griechischen Sakralaltertümeru. Die Speise-
opfer bei Homer, Hermes 36 (1901) S. 321—335.
Eine verdienstvolle Arbeit. Verf. -weist nach, daß Mahlzeit und
Opfer gar nicht so untrennbar voneinander sind, als man gewöhnlich
glaubt. Wir haben also eine Fortsetzung der Abhandlung Hermes 34
S. 474 ff. über die Libationen.
XI. Sittlichkeit und Bildung.
K. Troost, Das sittliche Bewußtsein des homerischen Zeitalters.
Pi'ogr. Frankenstein in Schi. 1896.
Die Abhandlung behandelt drei Punkte. I. Das Gute und Böse.
II. Die Triebfedern des siltlichen Handelns. III. Ausblick auf die
moderne Ethik und Pädagogik. Der letzte Teil hat mit Homer nichts
zu tun und .scheidet daher hier aus. Dafür ist die Behandlung der
beiden andern Punkte um so dankenswerter. In dem I. Abschnitt
bestimmt Veif. die Begriffe gut und böse. „Hat Zeus die armen
Menschenkinder auch nicht geschaffen, so ist er es doch, der jedem
Bericht über die homerischen Realien 1S9G-1902. (Gemoll.) 35
derselben sein eigentümliches Los bereitet, ihm seine Moira, seinen
Auteil (aisa) an dem allen gemeinsamen Erdendaseiu verleiht." Hyper-
moron (a 33) bezeichnet eine gewisse Willensfreiheit. [xoTpa und
ai3a sind der Anteil, die Rücksichtnahme auf die audern. «So liegt
ein wirkungsvolles suum cuique in der häufigen Wiederholung dieser
Begriffe. Und es erweist sich als Kernpunkt der homerischen Sittenlehre:
die Lebenslage (p-oTpa, aljct) deines Nächsten sei dir ein Gegenstand
heilige?' Scheu. Sie zu schonen ist Tugend und Edelsinn, sie zu ver-
letzen ist Frevel und verderblicher Hochmut." Mit dieser Be-
schränkung der homerischen Sittlichkeit bin ich nicht einverstanden. Da
gefällt mir Schuchter besser, der p. 11 (die gcgens. Abhängigkeit der
rel. und eth. Vorstellangen in den Epen Homers) die Pietät als das
Zentrum der homerischen Ethik in Anspruch nimmt, als Kindes-, fleimats-.
Vaterlandsliebe usw. In Troosts Def. fehlt nämlich das Einsetzen der
eignen Persönlichkeit für andre, die doch erst die höchste Tugend und
Sittlichkeit bedingt. Gegen den menschlichen Ursprung der öefxtoTs;
führt Verf. selbst I 97 als Instanz an, ohne sie zu berücksichtigen.
Sixrj fai.it er als öffentliche Meinuug, Volkssitte. — Die Tugend steht
im geraden Verhältnis zur Einsicht des Menschen. 9pev£(; ursprünglich
körperlich, bezeichnet doch die höhere Intelligenz, d. h. ßücksicht auf
den Nächsten, Ouixo; und |j.evo; ein niedres Begehreu. Zu II. Als
Triebfedern des sittlichen Handelns werden äußere Mittel, Nemesis,
Tisis, Furcht vor Rachedämonen (Erinnyeu), der Ruhm bei Mit- uud
Nachwelt aufgezählt. Als innere Triebfeder legt er das Growissen
dar in mindestens einer Stelle ^ 406, Scham und Reue, Lust und
Unlust. In beiden Teilen ist doch manches Bemerkenswerte.
F. J. Engel, Zum Rechte der Scbutzflehenden bei Homer.
Progr. Passan 1899.
Die ganze Abhandlung dreht sich um das Piratenabenteuer 5 199.
Die Kreter haben danach einen räuberischen Einfall in Ägypten ge-
macht, Weiber und Kinder fortgeschleppt, Äcker verwüstet, Männer
getötet. Dann aber werden sie angegriffen und vernichtet. Der Führer
aber besitzt die Unverfrorenheit, den König des Landes um Gnade zu
bitten. Und der nimmt ihn in seinen Schutz, Aioc S'wTraCsto fx^viv
Eetvi'ou. Auteurieth in der h. Theol. ^ 272 hat hier von einer Ver-
pflichtung zum Schutze gesprochen, die beginne, sobald der Bittende
die Knie des Königs berührt habe, also damit ein Schutzrecht kon-
struiert, das denn auch in - 421 ff (Eupeithes) walten soll. Diesen
Grundgedanken Autenrieths hat Verf. aufgenommen und genauer zu
präzisieren gesucht. Nach ihm tritt die Verpflichtung znm Schutz erst
ein mit irgend einer Tat der Hilfesuchenden, einer Art Überrumpelung
3*
36 Bericht über die horaerischen Realien isnfi— 1902. (Gera oll.")
(S. 35). Die Verpflichtung ist aber nicht mehr vorhanden, sobald der
andre Teil eine feindliche Handlung hat vorhergehen lassen (p. 27). Das
ist ein ganz spitzfindiger Unterschied, der in die homerischen Gedichte
erst mit vieler Arbeit hineingeheimnißt werden muß. Ich sehe die Sache
wesentlich anders an. Die Religion hat eine Schutzpflicht des [■/.i-zr^z
ausgebildet. Diese aber hängt am Hause, genauer am Herde. Eine An-
zahl Beispiele der Ilias zeigen, daß auch der Mörder nicht vergebens den
Schutz des Hauses anruft. Um diesen Schutz zu finden, setzt sich
Odysseus in die Asche des Herdes. Darum findet auch Eupeithes
(tc 421 ff.) Schutz, als er in das Haus des Odysseus flüchtet. Man
vergleiche noch die schöne Erzählung von Themistokles beim Molosser-
könige. Wenn der Kreter auf dem Wagen des Königs Schutz findet,
so ist damit der Wagen für ihn iu ähnlicher Weise eine Freistatt,
wie sonst der Herd des Hauses. Nachdem er den Odj'sseus auf den
Wägen genommen, betrachtet er ihn als Gast, der unter dem Schutze
des Zeus ?£''vto? steht. Gerade die Erwähnung des Zeus Xenios zeigt,
daß von einer andern Auffassung hier keine Rede sein kann.
Es fragt sich, wie weit der Schutz reicht. Von vornherein ist
klar, daß es im Kriege ein Schutzrecht überhaupt nicht geben kann.
Nach dem Verfasser würde der sonderbare Fall eintreten können, daß
der Feind dem Gegner den grössteu Schaden tun, dann aber, in Gefahr
geraten , durch irgend eine Überrumpelung sich Schutz und womöglich
noch gastliche Bewirtung sichern könnte. Im Kriege gibt es keine
xETat. Nur das kann das Scholion B zu <!> 75 sagen wollen. Auch
Lykaon kann sich darauf nicht berufen; wenn er es dennoch versucht,
Schonung zu erlangen, weil er das Brot des Odysseus gegessen hat,
so sagt er wohlweislich: dvxi toi sifx' ixExao. Auch aus dieser Stelle
geht hervor, daß man den Schutz als ixst/jc durch die gastliche Be-
wirtung, also am Herd des Hauses erwirbt.
Wäre Lykaon nach der Schlacht bittend in das Zelt des Achill
gekommen , so würde er wie Priamos auf Schonung haben rechnen
können. Das Schutzrecht ist ein Teil des Gastrechts, das unter
Umständen auch dem Feinde gewährt wird. Daher der Gebrauch,
erst den Gast zu bewirten, ehe man ihn nach Nam' und Art fragt.
Die Menschlichkeit bricht sich bei dem Griechenvolke überall Bahn
Hätte Verf. seine Beispiele daraufhin angesehen , so würde er bemerkt
haben, daß das Versagen der Bitte um Schonung überall motiviert
wird. So Z 58, so O 100, so y 64. Die Parallele aus dem Beduinen-
leben, die Verf. gleich zu Anfang hätte bringen sollen, spricht nicht
für ihn. sondern für mich. Dem Feinde steht der Schutz des Hauses
nicht zu (S. 40). Doch kann er gewährt' werden iu ähnlicher Ait,
wie ihn der Ägypterkönig gewährt (Ö. 39)'. Die Gewährung oder Ver-
Bericht über die homerischen Realien 1S1I6 — iy02. (Gemoll.) 37
saguug bleibt eine Sache des religiösen Gefühls oder der Gemüts-
veranlagung.
Sehr seltsam ist der letzteTeil der Schrift „Geographisch-historischer
Untergrund". Verf. ist der Meinung, daß die Episode i 199 ft". zweifellos
aus dem Leben gegriffen sei(S. 71). Er vergleicht schol. Harl. zu ; 278.
Der dort genannte Sethos ist nach Mallet Ramses 11, nach Lauth viel-
mehr Setinecht. Das ist dem Verf. zu hoch (p. (30). Er setzt die
Telemachie mit Christ nach 750 an, und zu diesem Zeitpunkt paßt ihm
die Pirateu-Episode. Der Dichter hat sie möglicherweise selber mit-
gemacht (S. 63). So hätten wir nach dem Militärarzt Homer nun
auch noch einen Seeräuber Homer! Indessen ersclieiut es bei reif-
licher Überlegung dem Verf. wahrscheinlicher, daU die realen Vorgänge
des Piratenabenteuers von der homerischen Zeit zu trennen und in die
mykenische hinaufzurücken sind. Denn in der Zeit vor 750 wia-
Ägypten den Griechen verschlossen, aus der mykenischen Zeit aber
haben wir die Nachricht von den räuberischen Akaivasch (S. 66). Das
können Kreter gewesen sein, Griechen. Da sind wir denn glücklich
■wieder bei Mallet angekommen.
F. J. Engel, Vom Begriff ix£-r,c bei Homer. Blätter für das
bayerische Gymn.-Wesen 36 (1900) S. 513—524.
Ein Nachtrag odor, wenn man will, eine teilweise Palinodie der
vorangehenden Schrift. Verf. sucht zwar Cauer ("Wochenschr. für
klass. Phil. B. 17 [1900J Sp. 7) gegenüber seine Theorie zu retten.
Dieselbe gipfelt in dem Satze (S. 51 7j: ohne Anspruch auf Erhörung
wagt sich auch der Hilfsbedürftigste nie ixexrj; zu nennen; wer sich
aber wirklich diesen Namen beileert, nicht bloß vergleichsweise, will
damit immer „ein Anrecht auf Schutz und Gastfreundschaft be-
gründen." Verf. bemüht sich noch einmal zu beweisen, daß der
ägyptische König den Piraten (? 280) schützen mußte, aber umsonst.
Er mußte es nicht, nachdem er es einmal getan hatte — aus Mitleid
oder Überrumpelung — erfüllte er allerdings eine Pflicht, wenn er ilui
auch vor den übrigen schützte. Wenn Verf. am Schlüsse (S. 523) des
Schol. A zu - 422 preisgibt, so war das gar nicht einmal nötig.
Richtiger wäre es gewesen, die Freiwilligkeit der Annahme in gewissen
Lebenslagen zuzulassen . vor allen Dinaen aber nicht von der Person,
sondern vom Hause auszugehen.
IV. Tod und Begräbnis.
W. Heibig, Zu den homerischen Bestattungsgebräuchen. Sitzuugs-
bcr. der Münchener Akademie 1900 S. 199—279.
38 Bericht über die homerischen Realien 1896—1902. (GemoII.)
Die homerischen Bestattungsgebräuche bilden in Helbigs Buch
„Das hom. Epos ans den Denkmälern erläutert" eine nebensächlich be-
handelte Partie. Im Anschluß an Schliemanns Mykenä werden un-
zweifelhafte Anklänge an die in der mykenischen Periode allein übliche
Sitte des Begrabens bei Homer aufgezeigt, während Homer sonst nur
das Verbrennen kennt. Diese Beschränkung lag offenbar in der Mangel-
haftigkeit des archäologischen Materials vor 15 Jahren. Seitdem hat
namentlicl\ der Boden Attikas ungeahnte Aufschlüsse gegeben, so daß wir
die Bestattungsweise bis in die hell -historische Zeit hinein verfolgen
können. Es hat sich dabei herausgestellt, daß die ältesten attischen
Gräber sog. Brandgräber sind (S. 199), da es auch dort eine raykenische
Periode des Begrabens gibt (S. 200), daß aber dann das Begraben all-
mählich dem Verbrennen weicht. Die mykenischen Grräber werden mit
reichen Beigaben ausgestattet, die Leichen zum Teil einbalsamiert
(S. 200. 219). Noch im 6. Jahrhundert begräbt man allgemein in
Klazomenä (S. 238), teilweise in Velonideza (266) in Attika. Es folgen
der mykenischen Periode die Ostotheken frühgeometriscben Stils (S. 271),
die Braudgräber in Assarlik (S. 207) die Dipylonperiode (S. 276 ff.)
bis zu den Funden von Vurva (S. 263) und Velonideza (S. 267) (6. Jahrhdt.).
In dieser langen Zeit zeigen die eigentlichen Brandgräber
allerlei Beigaben, diejenigen aber, deren Brandstätte außer-
halb des Grabes war, zeigen keinerlei Spuren von Beigaben.
Das ist das Problem, das Helbigs Scharfsinn zu der vorliegenden Arbeit
anregte, das er daher auch klar und rund von vornherein hätte hinstellen
sollen, während man sich jetzt durch den sehr verworrenen Gang der
Untersuchung mühsam durcharbeiten muR, wie wohl schon die obige
Zusammenstellung zeigt.
Verf. glaubt die Lösung desselben im Homer zu finden. Er
geht von Rohdes Bemerkung aus, daß nach dem Glauben der klein-
asiatischen Griechen mit der V^erbrennung die Seele ein für allemal in
den Schatten gebannt bleibe , während beim Begraben eine Rückkehr
der Seele in die alte Hülle möglich sei. Ich halte diese Ansicht Rohdes,
d. h, den Grnnd seines ganzen Buches, für verfehlt und wundere mich,
daß Heibig auf dieselbe ein solches Gebäude aufrichten mochte, zumal
er selbst der Ansicht ist, daß die Griechen, als sie in das Gebiet des
Mittelmeeres einwanderten, ihre Toten verbrannten. Also auf das
Verbrennen, nicht auf das Begraben soll man Hypothesen über griechische
Religionsanschauungen aufbauen In seiner Abhandlung sur la question
myceuienne kämpft Heibig eifrig und erfolgreich für fremden Ursprung
der mykenischen Kultur; warum soll da das Begraben ausgeschlossen
sein? Ägypten, Babylon (S. 222) mögen auch die Heimat dieses Ge-
brauches sein. Freilich begruben die Griechen noch bis ins 6. Jahrhdt.,
Bcriclit über die homerischen Realien 1896—1002. (GeraoD.) 30
ja noch später, aber das ist doch wohl der tn^errest einer Sitte, die
sich bei den Herrengeschlechtern Griechenlands während der mykenischea
* Zeit eingebürgert hatte.
Ich bestreite daher mit aller Bestimmtheit, daß die Griechen
jemals des Glaubens gewesen sind, daß verbrannte Tote keiner weiteren
rücksichtsvollen Ehrung bedurften, d. h. daß es jemals eine Zeit ohne
Toteukultus gegeben hat. Vert. nimmt selbst die Zeit vom Tode bis
znr Verbrennung aus (S. 205). Ferner zeigen die Brandgräber in
Assarlik (S. 207), die Ostotheken bei Athen (S. 271) wertvolle Bei-
gaben; das sollen dann unlogische Inkonsequenzen aus der (un-
griechischen) Periode des Begrabens sein. Auch die jahrhundertelang
geübten Totenopfer in Menidi, bei verbrannten Leichen in Marathon
(S. 249), in Vurva (S. 265) sprechen durchaus gegen Helbigs Ansicht.
Endlich Homer läßt ihn vollends im Stich. Gewiß, bei Homer
werden die Toten nur veibrannt. Auch Beigaben von Rüstungen und
Trinkgetäßen finden sich weder in W bei Patroklos' noch in Ü bei Hektors
Bestattung erwähnt, ebensowenig bei der des Achilleus (w 80). Aber
sind sie deshalb nicht dagewesen? Das ist doch sehr fraglich. Achill
verspricht (Q 596) dem Patroklos einen Anteil an dem Lösungspreis
für Hektors Leiche. Das soll dann freilich wieder ein Rückschlag
alter Sitte (S. 239 If.) aus der Zeit des Begrabens sein. Im übrigen
rühre das Buch il von- eiuem ionischen Dichter her, der nur das Ver-
brennen kenne, dagegen das Buch W von einem äolischen Dichter, der
noch allerlei Altertümliches bewahrt habe, dem die iFeuerbestattung
noch etwas Neues war. Er habe jedenfalls Patroklos wirklich als Geist
dargestellt, die Verse 99 — 107, in der er nur siotoXov ist, seien also von
dem ionischen Bearbeiter. So wird mit unendlicher Mühe jede Gegeninstanz
beseitigt. Leider aber wirken sie für den , der sie alle zusammen
erwägt, nicht zugunsten der Helbigschen Hypothese.
Außerdem ist ein Loch in Helbigs Beweisführung. Er hat ans
nicht erklärt, warum einzelne Brandgräber Beigaben haben, andere nicht
(S. 260 und 275). Die Erklärung anderer, daß es sich um Arme
handelt, wenn Beigaben fehlen (S. 268), läßt er nicht gelten ; die Mög-
lichkeit, daß Sklaven ohne Beigaben bestattet sein könnten, gibt er
zu (276), verspricht aber noch eine eingehende Untersuchung (268).
Für diese gebe ich, was Homer anbelangt, noch folgendes zur Er-
wägung. Andromaches Vater wird (Z 414) durch Achills Großmut Be-
stattung in der Rüstung zuteil. Dasselbe wünscht sich Elpenor l 66 f.
Wenn nun Hektor, Patroklos und Sarpedon (FI 663) ohne Rüstung
begraben werden, so darf man daraus nicht ohne weiteres auf irgend
einen altertümlichen Brauch schließen: Allen dreien sind die
Rüstungen beim Tode vom Feinde abgezogen. Das hat Heibig
40 Bericht über die homerischen Realien 1^J)G— 1902. (Gemoll.)
unberücksichtigt gelassen. Es ist docli wohl selbstverständlich, dal!
einem toten Helden seine Rüstung mitgegeben wird, wenn er sie hat.
Wozu sollen ihm Beigaben fremder Waffeustücke dienen?
Ferner. Die Beigabe von Krügen mit Honig und Fett für Patroklos
erklärt Heibig (S. 223 f.) nur sehr mungelliaft. Der Honig soll kein
Nahrungsmittel, sondern ein Leichenpräservativmittel sein, das Fett
aber Mittel zur Fieschleunigung der A^erbrennung. Ich kann nicht
glauben, daß man dem Toten Krüge voll Honig (zur Selbstmumifizierimg?)
mitgab und linde immer noch die Meinung, daß es als Genußmittel
dienen solle, als die wahrscheinlichste.
Im ganzen befürchte ich, daß es Heibig bei einer späteren Arbeit
über den Gegenstand ebenso gehen wird wie mit seiner Darstellung der
AVaffen nach Studniczka.
A. Engelbrecht, Studie über homerische Bestattungsscenen.
Festschrift für Gomperz. Wien 1902 S. 150—155.
Angeregt durch die Abhandlung W. Helbigs gibt A. Engel-
brecht einige nicht gerade bedeutende, immerhin aber erwähnenswerte
Kachträge. 1. In 2 352 werde gerade eine Einhüllung zum Zweck
der Verbrennung bezeichnet, nicht zur Mumifizieruug. Verf. weist auf
^1" 168 f hin. In der Sache gebe ich Engelbrecht recht, die Parallel-
stelle ist aber nicht gerade zwingend. 2. Das Verbrennen mit der
Rüstung Z 416 und }j. 13 erklärt Verf. als Zeichen eines besonderen
Seelenglaubens, der weiter nicht zu verwundern sei, da auch sonst die
betreffenden Partien (Z und die erste Nekyia) eine Sonderstellung ein-
nähmen. Ich ziehe mir dagegen doch meine Erklärung vor (s. oben)
3. Daß die Troer ß 784 neun Tage zum Holzheranschaffen brauchen,
erklärt Verf. als ein Mißverständnis des Verfassers der Stelle. Nicht
zum Holzheranschaffen, sondern zur 7rp68sat; nebst Totenklage brauche
man die neun Tage. Es sei auch noch ein anderer Widerspruch da,
ß 802 geschehe das TrspiOsiTrvov nach dem Begräbnis, 665 dagegen vor
der Beisetzung. Engelbrecht bringt hier durchaus nichts Neues vor.
Düntzer hat bereits 662 f. streichen wollen. Man sehe aber darüber
Peppmüller Komm, zu Ilios Q S. 311 ff. Peppmüller bemerkt sehr
richtig, daß es sich hier um zwei verschiedene Mahlzeiten handle, von
denen bei der Ausführung nur eine erwähnt werde. Dasselbe ist aber
auch mit dem Holzholen der Fall. Neun Tage wird die Leiche aus-
gestellt und beklagt und daneben das Holz geholt zum Scheiterhaufen.
Nur das letztere wird bei der Ausführung erwähnt.
XIII. Die Heldensage,
R. Wagner, der Entwickelungsgang der griech. Heldensage.
Progr. Dresden 1896.
Bericht über die homerisclien Realien IbfiG — 19U2. (Gemoli.) 41
Hierher gehört der erste Abschnitt: Homer und Hesiod, dieser
immerhin beraerlienswerten Abhandlung. Danach geht durch die Sage
der Ilias ein geschichtlicher Zug, der Dichter durfte nicht schrankenlos
seiner Erfindung die Zügel schießen lassen, er mußte sich im Einklänge
mit den Anschauungen seiner Zeit halten.
In der Odyssee beruhen die Ereignisse in Ithaka auf Lokalsagen,
auch die Abenteuer auf dem Meere sind nicht freie Erfindung, sondern
Schiffersagen aus phönikischer, italischer oder griechischer (Quelle.
Becker, Die Vorgeschichte zur Haupthandlung der Ilias. Progr.
Neu-Strelitz 1898. Forts. Ebda. 1902.
Eine sehr nützliche und zuverlässige Zusammenstellung, gemacht,
um gegenüber der in Schwabs schönsten Sagen des kl. Altertums ein-
geführten Vorgeschichte, aus Homer selbst die Vorgeschichte oder, wie
man vielleicht besser sagen würde, die Vorfabel der Ilias zu zeigen.
Wenn Verfasser am Schluß unternimmt, die Auslassungen Homers zu
motivieren, so wäre das wohl besser unterblieben, da hierzu eine eigene
Abhandlung nötig ist.
E. Bethe, Homer und die Heldensage. Die Sage vom trojanischen
Kriege. Nene Jahrbb. 1901 S. 657-676.
Der Inhalt der Abhandlung ist den Teilnehmern an der Straß-
burger Philologen-Versammlung bereits bekannt. Verf. geht der Frage,
was an der troischen Sage Wahrheit, was Dichtung sei, gründlicher
auf den Leib, als es sonst wohl geschieht. Nach dem Vorgänge Otfr.
Müllers verfolgt er die geographischen Spuren der Heldensage und
sucht sich durch Ausscheiden des Unwichtigen und Zusammenschließen
des Örtlichnahen in dem Labyrinth zurechtzufinden. Doch fürchte ich,
daß seine Ausführungen keinen allgemeinen Beifall finden werden.
Sein Hauptgrundsatz ist, daß die Helden, in eine neue Heimat
gebracht, d^ort differenziert worden sind. So wird der Argiver
Diomedes in Abdera zum Menschenmörder! Als wenn es nicht natürlicher
wäre, daß der Zufall zwei verschiedenen Personen denselben Namen
gegeben. Cf. Friedländer: Zwei hom. Wörterverzeichnisse. Wenn Verf.
dann im folgenden, diesem Vorspiel entsprechend, zwei Sagenkreise kon-
struiert, den äolischen, um Achill, der aber aus Thessalien stammt, und
den lakedämonischen, die sich beide in Lesbos vereinigt hätten, so ist
das nicht neu. Cf. Meyers Gresch. des Altertums. Neu ist nur, daß
Menelaus in der Menis des Achill fremd ist, daß Hektor und Paris
Dubletten sind, obwohl schon Dümmler an eine Ilias ohne Hektor ge-
dacht hat.
Die Abhandlung läuft also schließlich in eine höhere Kritik der
hom. Ilias aus. Nachdem Digamma, Wagen, Schilde etc. haben her-
42 Bericht über die homerischen Realien 1896 — 1902. (Gemoll.)
halten müssen, warum nicht aucli die geographischen Beziehungen?
Ich finde das ganze Gebäude zwar sehr künstlich, aber trotzdem sehr
luftig konstruiert. Eine der allerwichtigsten Fragen, wenn es sich um
geogr. Beziehungen handelt, die Pelasgerfrage, hat sich Verf. entgehen
lassen. Wie kommt es, daß die Pelasger, die in Thessalien heimisch
sind, zu den Bundesgenossen der Troer gehören?
XIV. Vortrag, Würdigung der Gedichte. Abbildungen.
H. Magnus, Die antiken Büsten des Homer. Eine augenärztlich-
ästhetische Studie. Breslau 1896.^)
Der in der medizinischen Welt wohlbekannte Verf. hat 1876
das Auge in seinen ästhetischen und kulturhistorischen Beziehungen,
1893 die Darstellung des Auges ia der antiken Plastik behandelt
und kommt in der vorliegenden Schrift nun zu einer Spezial-
Studie über die antiken Ilomerbüsten. In sorgfältiger Weise werden
die dem Verf. bekannten Büsten aufgezählt, der einheitliche Tj'pus iu
ihnen hervorgehoben (insbesondere der verkleinerte Glaskörper, die
herabgezogenen Augenbrauen), und auf die verschiedene Haltung des
Kopfes (geradeaus — emporgewandt), hingewiesen. Dann werden die
verschiedenen Arten der Blindheit bespiochen und überzeugend darge-
tan, daß die Homerbüsten in der Verkleinerung des Augapfels und
der herabgezogenen Brauen auf eine Erkrankung der Hornhaut, resp.
der vorderen Augapfelhälfte deuten, daß aber die erhobene Haltung des
Kopfes dazu nicht passe, sondern durch inneres geistiges Leben ver-
anlaßt worden sei. Ob Homer, d. h. das Urmodell aller unserer Homer-
büsten, blind geboren oder später blind geworden sei, lasse sich ärztlich
nicht entscheiden. Der Dichter der hom. Gesänge aber könne nach
den lebendigen Schilderungen seiner Gedichte nicht blind geboren sein.
Die Arbeit erwirbt sich schon durch diese ruhigen, eleganten Darlegungen
ein nicht geringes Verdienst. Verf. hat sich aber durch die Identifizierung
der in seiueni Buche abgebildeten vorzüglichen Büste der galeria Doria
Pamphili, ein bleibendes Andenken gesichert.
E. Gillierou, Galvanoplastische Nachbildungen mykeuischer
Altertümer. Hergestellt und zu beziehen von der galvanoplastischea
Kunstanstalt Geislingen -Steige (Württemberg).
Zuerst hat Beiger in der Berl. phil. Wochenschrift auf diese
Nachbildungen aufmerksam gemacht, die, auf Grund genauer Ab-
') Vgl. Cauer Bd. CXII S. 5. Bernoulli, Die Bildnisse des Homer.
Arch. Jahrb. 1896, S. 160—167.
Bericht über die homorischen Realien 189fi-1902. (Gemoll.) 43
fonnangen galvanoplastisch hcrp;estellt, die Formen ebenso treu wieder-
geben, wie Farbe und Glanz der Metalle. Die "Werke sind dabei
nicht in ihrem augenblicklichen Zustande, verbogen, zerdrückt und zum
Teil auch zerbrochen gelassen, sondern wieder in die ehemalige Form
gebracht, die sich überall mit Sicherheit erkennen läßt. Sie sind auf
diese Weise zu einem hervorragenden Anschauuiigs- und Bildungsmittel
geworden, von dem sich jede höhere Lehranstalt das eine oder das
andere Stück leisten sollte. Der Preis ist ja allerdings ziemlich hoch.
Die köstlichen Vaphio-Becher je 75 Mark, der sogenannte Nestor-Becher
60 Mark, der bekannte Dolch mit Löwenjagd und Gazellen 100 Mark.
Vielleicht lassen sich, in Aussicht auf größeren Absatz, die Preise auch
niedriger stellen, was ich Herrn Gillieion zu bedenken geben möchte,
J. Tolkiehn, de Homeri auctoritate in cotidiana liomanorum
Vita. 23. Supplemcntband der Neuen Jahrbb. S. 223—289.
„Homers Autorität im Leben der Römer." Das ist ein ganz
interessantes Thema, doch stelle ich mir die Ausführung ganz anders
•vor, als sie der Verf. versucht hat. Der Verfasser spricht von der Be-
handlung der homerischen Gedichte, a) in den Elementarschulen, b) in den
ßhetorenschulen. Was dabei vorgebracht wird, ist keineswegs neu.
Es folgt dann der eigentliche Hauptteil: Zitate Homers a) im Munde
der Römer, b) im Munde der Griechen bei Römern. Das meiste aus
diesem Kapitel stammt aus Teufer de Homero in apophthegmatis usur-
pato, Lips. 1890. Kap. IV enthält die sprichwörtlich gebrauchten
Homerverse hauptsächlich nach A. Otto (Die Sprichwörter der Römer,
Leipz. 1890) und Szelinski (Nachträge und Ergänzungen zu Otto, Jena
1892). Der Begriff Sprichwort ist dabei sehr weit gefaßt. Als Anhang
folgen die sprichwörtlich gebrauchten Personennamen Homers. Fanden
sich schon hier V/iederholungen aus IV, so erst recht im nächsten Ab-
schnitt: „Homerzitate in Briefen". Diese Wiederholungen zeigen am
besten, daß die Arbeit nicht richtig angefangen ist. Ganz ablehnen
muß ich in Abschnitt VI das auf Plutarch Bezügliche, da ich nicht
finden kann, daß Plutarchs Zitate tür das Thema irgend welche Be-
deutung haben. Auch das Verzeichnis homerischer Namen (VII) lohnt
die darauf verwandte große Mühe nicht. Es handelt sich doch meist
nur um Freigelassene, die von den Namen der vornehmen Römer wie
der Aurelii streng zu scheiden gewesen wären. Verf. beweist im Grunde
nur das, was man jchou längst wußte, daß Homer in den Schulen der
Römer Eingang gefunden hat und infolgedessen auch zitiert und ange-
wandt worden ist. Die Hauptsache aber ist er uns schuldig geblieben.
L. Adam, Homer, der Erzieher der Griechen. Paderborn 1897.
Ein kurioses Buch. Lauer hat in seiner Geschichte der epischen
44 Bericht über die homerischen Realien Ls'Jfi— 1902. (Gemoll.)
Poesie in geordneter und eingehender Weise nachgewiesen, welche
mächtige Wirkung die homerischen Gedichte auf den Unterriclit, den
geselligen Verkehr, die Religion, die Moral, das öffentliche Leben, die
Poesie, die Beredsamkeit, die bildende Kunst, die Wissenschaften
Griechenlands ausgeübt haben. Bernhardy in seiner L. Gesch. II I*
(1877) gibt eine gedrängte Übersicht, wünscht aber eine neue „bündige"'
Behandlung dieses wichtigen Themas. Liegt diese in dem Adamschen
Buche vor?
Nein. So hohes Ziel hat sich Adam nicht gesteckt. Er will nur
einen Beitrag zur Einführung in das Verständnis des erziehlichen
Wertes der homerischen Gedichte geben. Das würde ich mir so
denken, daß man den Inhalt der homerischen Gedichte unter be-
stimmten Gesichtspunkten, Erziehung zur Religion, zur Sittlichkeit,
zur Kunst, zur Vaterlandsliebe, zur Entwickelung des Forschungstriebes
usw. gäbe. Das müßte dann natürlich geschehen unter Benutzung der
Alten, die gerade auf diesen Punkt viel Mühe und Fleiß verwandt haben.
Das wäre dann zwar keine hoch wissenschaftliche aber doch eine recht
nützliche Arbeit, die man gern entgegennehmen wäirde, schon weil
gerade dabei die Arbeit der Scholiasten auch dem Nichtphilologen, also
sagen wir einem Primaner, klar würde. Es wäre alte Schulmeister-
weisheit über Homer.
Adam bietet auch das nicht. In der Einleitung S. 1 — 40 finden
wir ein buntes Durcheinander von Urteilen alter Schriftsteller über den
Einfluß Homers, die weder vollständig, noch chronologisch geordnet
sind. Es folgt dann eine Inhaltsangabe der Odyssee und der Ilias,
welche beide nach dem Verf. die gleiche Tendenz haben, nämlich das
Walten göttlicher Gerechtigkeit oder von Schuld und Sühue nachzu-
Vveisen. In der Ilias ist der Versuch völlig mißglückt. Weiterhin folgt in
Kap. 7 eine Nachweisung über die Erziehung Junggriechenlands nach
den Anschauungen des Athenäus, Dio Chrysostomus und Plutarch, und
in Kap, 8 die Erziehung Junggriechenlauds nach den Schollen und
Eustathios. . Das soll aber heißen: eine Nachweisnng, wie Athenäus
und die anderen Genannten die homerischen Gedichte für moralische
Lehren benutzt haben. Davon ist nur der allerletzte Teil (Schol.
Eustath) einigermaßen eingehend und geordnet ausgeführt, er allein
verrät eigene Arbeit. Alles übrige sind ganz oberflächliche Exzerpte,
ohne allen Wert. Die Zitate nachzuschlagen, macht unendliche Arbeit,
da sie oft genug falsch sind. Hauptquelle für den Verf. war Limbourg-
Brouwer, histoire de la civilisation morale et religieuse des Grecs. t. V.
P. Caucr, Homer als Charakteristiker. N. Jahrbb. 1900 S. 597
—610.
Bericht über die homerischen Realien 1S96— 1902. (Gemoll.) 45
Der Aufsatz ist die geuaue Ausführung eines Vortrags, den Verf.
auf einer Versammlung rheinischer Schulmänner gehalten hat. Was
er bietet, ist nicht neu; denn er bewegt sich in den Bahnen Kammers.
Aber trotzdem ist der Aufsatz lesenswert. Es kann leider nicht ott
genug gesagt werden, daß wir in den homerischen Gedichten nicht bloß
Sprachdenkmale, sondern vor allen Dingen Kunstwerke höchsten Ranges
besitzen, auch in ihrem gegenwärtigen Zusammenhang. Cauer hat erat
kürzlich (Einleitung zur Ilias-Ausg.) bekannt, »wie sehr es ihn über-
rascht hat, soviel an durchdachter Anlage und planmäßigem Aufbau
in der Ilias zu finden.- Noch mehr ist dies in der Odj'ssee der Fall.
Welche Sorgfalt wendet der Dichter nicht von Anfang au auf, um den
Mord der Freier gerecht und verdient erscheinen zu lassen. Im ein-
zelnen ist der Verf. öfters zu feinhörig. So kann ich nicht finden,
dall Ktesippos u 288 als Protz oder Parvenü charakterisiert wird.
Ebensowenig glaube ich, daß aus o 78 f. irgend welche Kunst der
Charakteristik abgeleitet werden kann. Mau vergl. Faesi z. St.
Im großen und ganzen aber unterschreibe ich den Vortrag.
P. Welzel, Betrachtungen über Homers Odyssee als Kunstwerk.
Progr. Breslau, Matthias G., 1901.
Eine feinsinnige Besprechung des Inhalts der ersten 7 Bücher
<]er Odyssee mit dem Zwecke, das Epos als ein wohlgeordnetes Kunst-
werk darzulegen. Es wird anerkannt, daß fremde Einschiebungen in
dem Gedichte vorhanden sind, namentlich im 4. Buche, das sich schon
durch seine Länge auszeichne, aber eine Ausscheidung wird nicht ver-
sucht. Dem Verf. gliedert sich die Odyssee harmonisch in 2 Teile.
A. Buch I— XII (Odysseus in der Fremde), B. Buch XIII— XXIV
(Odysseus in der Heimat). Jeder Teil zerfällt in 3 X 4 Bücher. A 1 die
Telemachie (I — IV) , A 2 Odysseus' Reise zu den Phäaken (V — VIII),
A o Odysseus' Erzählung seiner Abenteuer (IX— XII). B 1. Odysseus'
Heimkehr und Plan zur Reise (XIII — XVI),, B 2, Vorbereitungen zur
Reise (XVII— XX), ß 3 Rache und Sühne (XXI -XXIV).
A. Römer, Homerische Gestalten und Gestaltungen. S. A. aus
der Festschrift der Univ. Erlangen zum 80. Geburtstage Sr. Kgl.
Hoheit des Prinz-Regenten. Leipzig 1901.
Römer will uns iu die Werkstatt Homers führen. Er findet den
dichterischen Genius ('füju) in Stellen wie ^110 ff., ■/ 5 ff., desgleichen
in der einheitlichen Konzeption beider Gedichte, ebenso in der Charakte-
ristik wie \ 29 ff. und A 296 ff. Es folgen jetzt „Gestaltungen" im
Einzelliede. Vortrefflich wird die Beschreibung des Scepters A 233
motiviert mit der Rücksicht auf den Vortrag. Der Rest der Schrift
46 Bericht über die homerischen Realien 1896 — 1902. (Gemoll.)
will nachweisen, daß Homer im Interesse der Komposition sich über
kleine Bedenken hinwegsetzt. Hierbei hat der Verf. wenig Glück.
Sü bei Besprechung von A 53 ff. Die Berufung des Heeres ist nicht
Prärogative Agamemnons, man vgl. nur schol. Townl. zu A 54. Außer-
dem wird ja die Einberufung durch einen Eat der Hera motiviert. Ein
solches Motivieren kann man doch nicht „Sichhinwegsetzen über kleine
Bedenken" nennen. Ich finde gerade im Kyklopenabenteuer eine Kunst
der Motivierung, wie sie sonst im ganzen Homer sich nicht wieder
zeigt. Auch aus der Bemerkung $ 329 und x 299 (ri dixcpaoov tje xpu-
fTjäo'v) sehe ich das Bemühen, die Freunde des Odysseus zu ermutigen,
ohne zu deutlich zu werden. "Wozu da noch die Annahme einer anderen
Odyssee, mit der gerade genug Unfug getrieben worden ist? Anhangs-
weise werden dann Beiträge zur homerischen Frage aus dem Altertum
besprochen, ohne gründlich auf die Sache einzugehen. Daß Aristarch
das K zwar für homerisch, aber nicht zur Ilias gehörig betrachtet hat,
sollte man nach Ludwich, Die homerische Textkritik II 394 nicht mehr
so schlankweg behaupten. In einem 2. Anhang streicht dann Römer
A 366 — 392 als unhomerisch von selten der Konzeption. Dann wird
noch darauf hingewiesen, daß A 55 Heras Einführung recht kurzsichtig
ist, aber der Dichter brauchte keine kritische Prüfung zu erwarten.
Schließlich werden recht ansprechend die Worte A 528 ff. als Brenn-
punkt der ganzen Ilias bezeichnet. Man sieht: Anregungen in Menge»
aber wenig Ausgereiftes auf den 20 Seiten.
Bericht über die Xenophon betreffenden Schriften aus
den Jahren 1899—1902.
Voa
Ernst Richter
in Berlin.
Über die Grundsätze, nach denen der vorliegende Beriebt ange-
fertigt ist, vgl. die einleitenden Bemerkungen zu meinem vorhergehen-
den Bericht im 100. Band (1899) dieser Jahrbb. Namentlich bitte ich
zu beachten, was dort über die ausländischen und über die lediglich
Schulzwecken dienenden Arbeiten gesagt ist. Auch die größereu dar-
stellenden Werke besonders aus dem Bereich der Geschichte (Jul. Beloch,
Griechische Geschichte,' Straßburg, Bd. 2 1897, Ed. Meyer,*) Geschichte
des Altertums Bd. IV 1901 u. ä), in denen naturgemäß auch über
Xenophons Leben und Schriften mehr oder weniger ausführlich gehandelt
wird, sind, als für unsere Zwecke nicht in Betracht kommend, unberück-
sichtigt geblieben.
Anderw'citige zusammenhängende Berichte über die xenophontische
Literatur sind mir nicht bekannt geworden. Doch findet man eine An-
zahl hierhergehöriger Werke zusammengestellt und beurteilt in den
einzelnen Bänden des Archivs für Gesch. der Philosophie, wo bis 1900
Ed. Zeller, von 1901 an 0. Apelt, von 1902 H. Gomperz die deutsche
Literatur über die soki atische, platonische und aristotelische Philosophie
aus diesen Jahren bespricht. Besonders beachtenswert erscheinen hier
Zellers ausführliche Kritiken von Hirzel, Dialog etc. 1898, Bruns,
liter. Porträt 1899 und Pfleiderer, Sokrates und Plato 1900. —
Mein Bestreben ist es gewesen, möglichst vollständig zu sein.
Wenn trotzdem eine oder die andere Abhandlung übersehen sein sollte,
so wird man das begreifen und entschuldigen. So habe ich im vorigen
*) Doch möchte ich inkonsequenterweise an dieser Stelle wenigsteua
die Bemerkung nicht unterdrücken, daß mir Meyers Ansichten über die
Memorab. (pag. 438 f.) irrig erscheinen.
4,S Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1 890 — 1 902. (Richter.)
Bericht einige Abhandlimgen übersehen, ich trage sie jetzt an ihren
betr. Stellen nach. Vor allem aber wolle man berücksichtigen, daß es
sich hier lediglich um solche Arbeiten handelt, durch welche ein Fort-
schritt in der Wissenschaft von Xenophon. wenn auch noch so geringer
Art, herbeigeführt zu sein scheint.
I. Allgemeines. Leben und Schriften.
Friedr. Klett, Zn Xenophons Leben. Gymn.-Progr. Schwerin
1900.
Mit den meisten Neuereu, die er übrigens nicht alle zu kennen
scheint, setzt K., gestützt hauptsächlich auf die bekannten Stellen der
Anabasis, das Geburtsjahr Xenophons in 430. Und zwar glaubt er aus
den Worten zoiav rjXtxiav £[xauTcu EAi^eiv dvajxevu) folgern zu müssen, daß
Xen. zur Zeit als er dieses schrieb, eben dicht vor der Vollendung des
30. Lebensjahres stand, das nach Memor. A 2, 35 die volle fjXtxia be-
dinge; sonst wäre es eben töricht, „zu warten". „Ich darf nicht lange
warten, die kurze Spanne Zeit, die mir noch fehlt, ist bei unserer jetzigen
Gefahr kein Hindernis." — Die vielfach angezweifelte Notiz bei Phi-
lostratus vit. soph. I 12, Xen. sei erst in Böotien gefangen gewesen
und habe nach Stellung eines Bürgen dort den Prodikos gehört, hält
K. für glaubwürdig und meint nun, nach Vorgang von Krüger, dies
Ereignis sei eingetreten, als er zum erstenmal als Neunzehnjähriger
Kriegsdienste tat und zur Besatzung von Oropos gehörte. Diese wnrde
(nach Thucyd. 8, 60) 412 von den Böotiern überrumpelt, und Xen.
kam so mit andern Athenern in die Gefangenschaft nach Theben. Hier
mag er dann den Proxenos kennen gelernt und mit ihm Freundschaft
geschlossen liaben. Der vertrauliche Ton des Einladungsbriefes des
Prox. zeigt, daß schon seit längerer Zeit enge Freundschaft beide ver-
bunden habe; in ihrer Kindheit sei aber — infolge des Krieges —
kaum für sie Gelegenheit gewesen, sich kennen zu lernen. — Des
weiteren nimmt K. mit Schwartz au, Xen. habe sich am Feldzug des
Thrasyllos (409) beteiligt und sowohl unter den 30 wie unter den 10
Reiterdienste getan. Dagegen w'eist er die Ansicht von Hartmann und
nuch von Schwartz, die Xen. für jünger halten, zurück. — Als Datum
der Verbannung Xeu.s nimmt K. 399 an. Seine Verbindung mit Seuthes
hatte offenbar dazu beigetragen, die Verdachtsgründe gegen ihn zu
mehren; man hegte den Argwohn, daß er, unvermutet an die Spitze
der „Kyreer" zurückgekehrt, in jenen Küstengegenden selbstsüchtige
Zwecke verfolge. — Über die Niederlassung in Skillus urteilt K., daß
sich Xen. gleich nach seiner Heimkehr aus Asien und wohl noch im
Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1800—1902 (Richter.) 49
Jalire 394 dort seine neue Heimstätte gründete; und zwar habe er sein
Haus keineswegs von den Spartanern erhalten (die Worte uro tüiv
Aaxeoaifxoviwv oixiaftevxo? rapa tTjV 'OXup.Kiav tilgt K. mit Hug, E,ehdautz
und Vollbrecbt als interpoliert), sondern aus eigenen Mitteln sich ein
Anwesen erworben. Später wurde er, der Bürger von Skillus, von den
Spartanern zu ihrem Proxenos gemacht, — SchlielSlich aus Sk. vertrieben,
lief, er sich in Korintli nieder. —
C. Wachsiuuth,*) Einleitung in das Studium der alten Geschichte.
Leipzig 1895.
W. spricht in diesem Werke auf S. 529 f. über Xenophons
Anabasis und Hellenika. Um ein Verständnis dieser Schriften (wie auch
seiner übrigen) zu gewinnen, ist es nach W. notwendig, sich seine per-
sönlichen Erlebnisse gegenwärtig zu halten. Daher schickt W. seiner
Besprechung eine kurze Übersicht über Xeu.s Leben voraus (im wesent-
lichen nach E. Schwartz, Rh. Mus. 44). — Die Anabasis, nach 369
verfaßt, will nichts anderes sein, als ein Meraoireuwerk, das gar nichts
weiter beansprucht, als Selbsterlebtes mit allem Detail zu schildern.
Es ist offenbar zunächst geschrieben, um die Verdienste des Verf., die
in einer ande)n Monographie, wahrscheinlich der des Sophainetos, über-
gangen waren, in ein helles Licht zu setzen, ist daher als Teudcnzschrift
nur mit einem gewissen Mißtrauen zu benutzen. — Größeren Anspruch
erheben die Hellenika, die als ein eigentliches Geschichtswerk auftreten.
Wenn auch ebenfalls nur mit Vorsicht zu benutzen, so sind sie doch
von großer Wichtigkeit, da Xen. die ganze darin geschilderte Zeit mit
erlebt hat und gerade in der Darstelluug von Selbsterlebtem sich durch
Frische und Lebendigkeit auszeichnet. Sie zerfallen in die bekannten
3 Teile, sind aber jedenfalls von Xen. selbst als ein zusammenhängendes
Ganze veröfteutlicht. — Zu einer großen historischen Gesamtanschauung
der Entwickeluug der Zeit ist Xen. aber nirgends vorgedrungen; im
Vordergrund stehen ihm die einzelnen Individuen, zu deren Charakteristik
auch in der Hauptsache die eingefügten Reden dienen. —
E. Norden. Die antike Kunstprosa. Leipzig 1898,
bespricht auf S. 101/2 auch die Darstellungsform Xen.s, wenn auch»
dem Zweck seines Werkes gemäß (Vorwort p. IX) nur ganz kurz. —
Er findet mit Schacht (Bonn 1890) im Gegensatz zu Blaß, daß auch
Xen. im Bann der sophistischen Kunstprosa seiner Zeit steht, daß bei
Xen. die natürliche Schlichtheit des einzelnen Ausdrucks wie des Salz-
baus stark und absichtlich beeinflußt ist durch Anwendung aller Mittel
der zeitgenössischen Rhetorik; nur ist bei Xen. die Natur nicht durch
die Kunst verdrängt, sondern beide sind bei ihm zu einem harmonischen
*) Nachtrag zum vorigen Bericht, vgl. die Einleitung.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVII. (1903. II).
50 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899—1902. (Richter.)
Ganzen verbunden. — Zum Beweis dafür führt N. eine Anzahl von
Stellen aus der respubl. Laced. an.
ßömpler, Studien über die Darstellung der Persönlichkeit in den
Geschichtswerken des Thukydides und Xenophon. DisB. Erlangen 1898.
Diese sehr lesenswerte Abhandlung wendet sich besonders gegen
Bruns (liter. Porträt), dessen z. T. recht gesuchte Stilgesetze, nach
denen Thuk. und Xen. in ihren Charakteristiken gearbeitet haben sollen,
R. als irrig zu erweisen sucht. Nach R. ist Xen. keineswegs in dem Sinne
und dem Grade von Thuk. (und Isokrates) abhängig, als Bruns annimmt,
0. Seeck, Die Entwickelung der antiken Geschichtschreibung
und andere populäre Schriften . Berlin 1898,
gibt S. 89 f. auch eine kurze Charakteristik der schriftstellerischen
Eigenart Xenophons. Stilistisch bringt er ihn in eine gewisse Parallele mit
Lysias, Xen. sucht wie dieser die Einfachheit. — In einer Zeit, wo
die Memoirenliteratur blühte, ist es Xen.s Verdienst, die Aufzeichnung
rein persönlicher Erinnerungen zuerst zur Würde der Geschichtschreibnng
erhoben zu haben. In der anabasis hat Xeu. das höchste Muster der
Memoirenliteratur geschaffen, das selbst Cäsar nachahmte, ohne es
übertreffen zu können. Die Memorab. gehören schon in das. Gebiet der
Tendenzgeschichte — Xen. w^ill den Sokrates von den Anklagen reinigen — ,
und ihr, der Tendenz, dienen auch, mit einziger Ausnahme der anab.,
alle übrigen Schriften Xen.s mehr oder weniger. Die früheren Historiker
hatten alle ohne jeden Hintergedanken geschrieben, bei Xen. tritt ein
Umschwung ein, in erster Linie wohl begründet durch die sokratische
Philosophie. So weiß Xen. sehr geschickt bald zu verhüllen, bald ins
rechte Licht zu setzen, wie es ihm für seine Zwecke gerade paßt usw.
S. hält übrigens die Memor. für ein Jugendwerk Xenophons.
Von Arbeiten, die die Sprache resp. die Grammatik der gesamten
xenoph. Schriften zum Gegenstand haben, führe ich folgende, z. T.
nachträglich, an.
A. Dyroff, Geschichte des Pronomen reflexivupa (Beiträge zur
historischeu Syntax der griech. Sprache, hrsg. v. M. Schanz.
III Heft 3/4. Würzburg 1892/3)
behandelt in Heft 4 S. 97 f. Xenophon.
P. Meinhardt, de forma et usu iuramentorum, quae inveniuntur
in comicorum Graecorum et Piatonis Xenophontis Luciaui sermoue.
Inaug.-Diss. Jena 1892,
handelt über die Form der Eide (Vokativ w Zsü etc., Ttpoc c, gen.,
vJ), vat, [xa c. accus.), über die Götter und Göttinnen, die angerufen
werden, über gewisse Regeln, die bei der Anwendung von Eidschwüreu
beobachtet werden (ob alle — w 9eot — oder nur einzelne — vielfach sind
Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899—1902. (Richter.) 51
eB drei — Götter, und welche in eiuzelneu Fällen angerufen werden) über
den Schwur bei Tieren und Sachen — vf, tov xuva, Trjv -Xdtavov usw.
J. J^drzejowski, de anticipationis quae vocatur apud Xeno-
phontem usu. Eos. Leopoli (Lwow) 1900 Bd. VI S. 190 f.
Eine wie es scheint sorfjfältige und nützliche, leider schwer zugäng-
liche Zusaranieustellung der bei Xen. vorkommenden Fälle von auticipaiio
(eS7]77eiXe toi; 'fi'Xot; t:^v xptJiv w; e^evexo u. ä.). Eine iNachprüfnnt,'
betr. die Vollständigkeit habe ich nicht vornehmen können. — In der
Erklärung dieser Darstellungsweise schließt sich J^dr. im allgemeinen
an Job. Classeu an. (Beobachtungen über den homerischen Sprachge-
brauch. Frankflirt 1867, Anhang S. 189. Über eine hervorstechende
Eigentümlichkeit des griechischen Sprachgebrauchs.)
0. Immisch, Die Apologie Xenophons. Neue Jahrbb. f. kl. Alt.
1900 S. 406 f.
Dieser inhaltvolle Aufsatz, der später noch einmal erwähnt werden
wird, enthält auch wertvolle Bemerkungen über die Sprache Xen.s
überhaupt und über seine Nachahmung durch Dion, Arrian u. a.
Die Homerzitate bei Xenophon werden zusammengestellt und in
ihrer Bedeutung für den homerischen Text gewürdigt von
A. Lud wich, Die Homervnlgata als voralexandrinisch erwiesen.
Leipzig 1898.
Auf Papyrus sind erhalten (vgl. den vorigen Jahresbericht S. 41)
1. Hellen. III 1, 3 — 7 (aber lückenhaft), abgedruckt in The
Oxyrhynchus Papyi'i ed by Grenfell and Hunt. P. I, London
1898, S. 57.
2. Hellen. VI 5, 7—9 abgedruckt ebenda P. II S. 119.
Die Varianten beider Stellen von Kellers Text sind un-
erheblich.
3. Oekonom. 8, 17—9, 2 abgedruckt ebenda P. II S. 120 (bei-
nahe IV2 Seiten der Tauchuitz-Ausgabe [Sauppej mit nicht un-
bedeutenden Abweichungen). Ich will einige davon anführen:
§ 17 ojAOitu; s'jptaxouji Pap. il öi£tpr)|jiev(uv für öt7]p — || eupsTov
für sueupsTov ,j § 18 u>? hinter Deivai om. Pap. J -0 -avtcov für
8 TiavTwv II
4. Vectigal. 1, 5 — 6 aus dem 2. saec. p. Chr. Abgedruckt in
Wilckcn, Zu den Papyri der Müncheuer Bibliothek. Archiv
für Papyrusforschuug , Leipzig, I 1901 S. 468 f. — „Neben
manchen Ungeiiauigkeiten bietet das Stück eine alte Korruptel,
oüv für av (oaip oüv xive; TrXeTov d-eytuatv), aber auch eine
gute Lesart, o?xeia8at für ^x^aSat oder wxiu&at (Zurborg), im
Sinne von gelegen sein, wie in anab. 14. 1."
52 Bericht üb. d. Xeaophon betreffenden Schriften, 1899—1902. (Richter.)
Vgl. über diese Papyri noch
W. Crönert, Literarische Texte mit Ausschluß der christlichen.
Archiv f. Papyrusforschung- I S. 104 f. und 502 f., wo auch die
übrige Literatur hierüber angegeben wird, namentlich zwei Kritiken
von U. V. Wilamowitz in den Göttinger Gel. Anz. von 1898 S. 673 f.
und von 1900 S. 28 f.
Anabasis.
Hippolyte Taiue, Studien zur Kritik und Geschichte. Übers,
von P. Kühn und Anathon Aall. Paris, Leipzig, München 1898,
enthält auf S. 24 f. (Xeuophon. Die Anabasis) eine zwar schon in den
50er Jahren entstandene, aber auch jetzt noch höchst lesenswerte Be-
ti'achtung besonders über die Kunst der Darstellung in der Anab. T.
schildert den Schriftsteller mit großer Wärme und Liebe, er stellt seine
Kunst sehr hoch, rühmt namentlich die Klarheit und Einfachheit seiner
Sprache, gibt auch einige Übersetzungsproben, findet die Lektüre der
Anab. in hohem Grade anziehend und genußreich.
G. Sorot, Nomos und Physis in Xenophons Anabasis. Hermes
1899 S. 568 f.
S. behandelt die beiden Charakteristiken des Proxenos und Menon
in anab. II 6, 16 f. Er findet, daß Xen. in diesen beiden, offenbar als
Gegensätze gedachten Charakteren zugleich zwei typische Vertreter des
die damalige Zeit beherrschenden Gegensatzes von Nomos und Physis,
Natur und Herkommen, hat geben und so auch seinerseits in den Kampf
der Meinungen hat eintreten wollen. Xen. hat zu seiner Schilderung
vielfach die beiden platonischen Dialoge Menon und Gorgias, wahr-
scheinlich auch den Thukydides (III 82 — 83) benutzt, daneben aber
noch eine fragmentarisch erhaltene Tendenzschrift aus der Zeit des
.archidami.scheu Krieges, (hrsg. und dem Sophisten Antiphon zuge-
schrieben von Blaß, Kieler Programm 1889), die ihrerseits wieder auch
dem Plato und Thukyd. Anregung und Stoff für ihre Schilderungen
gegeben hat. — Von einer Abhängigkeit dieser beiden Charakteristiken
vom Euagoras des Isokrates, wie sie Bruns (liter, Porträt) zu erweisen
suchte, kann nach S. somit keine Rede sein.
A. Zucker, Xenophon und die Opfermantik in der Anabasis.
Beilage zum Jahresbericht des Kgl. neuen Gymn, in Nürnberg. 1900.
(Festschrift tür I. v. Müller.)
Z. gibt hier einen sehr schätzenswerten Beitrag zu der Charakteristik
Xenophons. Es ist eine Art Rettung Xen.s gegen die nach seiner Meinung
ganz irrige Joeische Auffassung der Stellung Xen.s zur Mantik, wonach
Xen. sich, in der Anabasis wenigstens, als pedantischen, ja fanatischen
Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1S99— 1902. (Richter.) 53
Freund der Mantik zei^e. Z. stellt sämtliche Stellen der auab., wo
von Opfer und Opfermantik die Rede ist, zusammen und kommt zu
dem Ergebnis, daß in der auab. keineswegs der }j.avTi; über dem
orpaTTj^oc steht und daß tatsächlich für Xen.s EutschlieÜungeu und sein
Handeln überall die Lage und die daraus sich ergebenden Vernuuft-
gründe im Vordergrund stehen, „überall rationelle Aktivität". Daneben
hat freilich die Älantik als religiöser Faktor die immerhin nicht un-
wichtige Aufgabe, den Zusammenhang mit den höheren Mächten auf-
rechtzuerhalten und dem vernunftgemäßen auf sorgfältiger Prüfung
beruhenden Handeln die Gewißheit der göttlichen Unterstützung zu
vermitteln. In Xen.s Darstellung erscheint das mautische Element aller-
dings immer im Vordergrund, aber nur deshalb, weil er nach seiner
religiösen t^berzeu^ung den Göttern die Ehre geben zu müssen glaubt
und weil er sich keiner ußpt; schuldig machen will: tatsächlich sind
seine Befragungen nur Bitten um Bestätigung und um Zuwendung der
göttlichen Huld. Hätte z. B. in einem Fall das Opferergebnis nicht
in seinem Sinn verwendet werden können, so würde sich Xen. zweifellos
auf dem Wege der „Wiederholung" die Bestätigung seines durch die
Vernunft geforderten Entschlusses erholt haben. —
A. Zucker, Beobachtungen über den Gebrauch des Artikels
bei Personennamen in Xenophons Anabasis. Gymn. - Progr. Nürn-
berg 1899.
Nach Zurückweisung der landläufigen „Regeln" über diesen
Gebranch, die, wie Z. mit Recht sagt, schon jedem Leser des
ersten Kap. der anab. als unhaltbar erscheinen müssen, stellt er
folgende Ansichten auf. Der Artikel wird bei Personennamen (in der
anab.) nur dann gesetzt, wenn die Person als Subjekt Träger einer
Handlung ist, die für den Schriftsteller ein aktuelles Interesse bean-
sprucht. — Der Artikel weist nicht in äußerlich mechanischer Weise
auf den Namen hin — der bekannte, der schon genannte usw. — ,
sondern ist als elastisches, lebensvolles, stilistisches Element nur aus
dem Inhalt heraus und aus der Stellung, welche der Name in seiner
Umgebung einnimmt, zu beurteilen. — Der Artikel fehlt (in der anab.)
immer, mit verschwindenden Ausnahmen, in denjenigen Partien, welche
Rede, direkte oder indirekte, aufweisen, sowie in den bekannten
Charakteristiken I 9 und 11 6. — Z. hat zur Vergleichung noch heran-
gezogen Lysias gegen Eratosthenes und stellt fest, daß in dieser Rede
(ca. 20 Seiten der Teubnerschen Textausgabe) der Artikel sich nur an
2 Stelleu findet. Auch in den olynthischen Reden des Demosthenes
(auch ca. 20 Seiten) findet sich der Artikel nur 6 mal. — Der eigent-
liche Boden für den Artikel bei Personennamen scheint demnach die
54 Bericht üb. d, Xenophon betreffenden Schriften, 1899—1902. (Richter.)
künstlerisch gestaltete Erzählung zn sein, und zwar vielleicht weil
gerade du das Moment poetischer Anschaulichkeit eine j,'anz andere
Rolle spielt als in der logisch beweisenden Rede.
F. G. Sorof, Zur Texteskritik der Anabasis Xenophons. Woch, f.
klass. Phil. 1900 Nr. 26, 27, 29, 30, 31.
S. gibt hier eine Zusammenstellung und Rechtfertigung der Ab-
weichungen des Textes seiner neuen Schülerausgabe (Leipzig 1900,
Teubner) von dem Gemollscheu. Auch S. legt seiner Ausgabe die
Pariser Hs C zugrunde und ist in der Beachtung der Lesarten
von C vielfach noch konservativer als selbst Gemoll. An einer Reihe von
Stellen, an denen es sich um einzelne Wortformen handelt, sucht er
den cod. C gegen Änderungen Gemolls oder gegen abweichende Les-
arten der minderwertigen Hss in Schutz zu nehmen, ebenso verteidigt
er eine Anzahl von Stellen gegen den Verdacht der Interpolation.
Doch ist auch S. der Meinung, daß wegen der großen Flüchtigkeit,
mit welcher der cod. niedergeschrieben ist, derselbe nicht ohne Vorsicht
und nicht ohne Zuhilfenahme der codd. deteriores ausgenutzt werden
darf. Besonders häufig sind Formen des Artikels, Präpositionen, Kon-
junktionen und andere kleinere Wörter ausgelassen; nach einer „ober-
flächlichen" Zählung finden sich in 0 in den ersten fünf Büchern der
anab. wenigstens 24 fehlerhafte Auslassungen des Artikels. — Genauer
auf die Arbeit einzugehen müssen wir uns hier versagen; jedenfalls
wird man gern einräumen, daß es S. ;,immer nur um die Sache zu tun
gewesen ist", und seine Anregung zu erneuter Prüfung der betreffenden
Stellen mit Dank annehmen. — Zu bedauern ist nur, daß die hervor-
ragende Kenntnis des xenophontischen Sprachgebrauchs, die Sorof aus-
zeichnet, nicht der gesamten Anabasis,' sondern nur einer in höchst
überflüssiger Weise kastrierten sogenannten Schülerausgabe zugute ge-
kommen ist.
F. Reuß, Kritische Bemerkungen zu Xenophons Anabasis. IV.
Gymn.-Programm. Saarbrücken 1900.
Die „Bemerkungen" erstrecken sich auf sämtliche Bücher der
Anab., sie sind, wie R. angibt, z. T. schon — in verschiedenen Bänden
der Wochenschr. für klass. Phil. — bekannt gegeben in ausführlichen
Besprechungen der auf Xen. bezüglichen Arbeiten GemoUs u. a. —
R. bezeichnet seine Arbeit als eine Nachrevision der Gemollscheu Re-
vision des Xenophontextes und stellt sich vielfach in Gegensatz zu G.
An seinen schon früher ausgesprochenen Ansichten betr. die Inter-
polationen der Anab. (vgl. den vorigen Jahresbericht) hält R. fest und
tilgt daher im Gegensatz zu G. eine große Anzahl von Stellen als
Glosseme etc. Einzelnes wieder sucht er gegen G. zu retten, pag. 23
Bericht üb. d. Xenophoa betreffenden Schriften, 1899— 1902. (Richter.) 55
kommt ß. auf die Tendenz und die Abfassungszeit der Anab. zu sprechen.
Allerdings verfolgt Xen. mit der anab. apologetische Zwecke, er wendet
sich aber nicht an die Athener speziell. Seine Absicht ist, sich gegen
sehr verschiedene Verdächtigungen und Vorwürfe zu verteidigen (so
z. B., dal) sein früheres S^erhalten gegen Sparta unfreundlich gewesen,
daß er sich auf Kosten der Soldaten bereichert habe, gegen die Soldaten
noch während des Rückzuges brutal gewesen sei u. a. m.). Die Anab.
ist erst nach dem Frieden des Antalkidas in Angrifi' genommen, aber
um das Jahr 380 veröffentlicht.
Einzelne Stellen besprechen
M. Fickelscheerer, Die Königsstandarte bei den Persern.
Neue Jahrbb. f. kl. Alt. 1898 S. 480.
F. wendet sich gegen die allgemein verbreitete Deutung des
Wortes TTeXxyi (anab. I 10, 12) als Speer. Es bedeutet vielmehr ein
schildartig umiaudetes, daher einem kleinen Schild (izil-y]) nicht ua-
ähnliches Brett, auf welchem der Adler mit ausgebreiteten Flügeln an-
. gebracht war. Dieses Brett war an einem langen Speer dicht unterhalb
der Spitze befestigt. Eine Vorstellung davon gewähre das berühmte
Alexandermosaik in Pompei, wo eine solche Standarte abgebildet sei.
K. Lincke, Miscellanea. Phil. 59 1900 S. 189
will anab. I 7, 11 als Glossem tilgen.
C. Hude, Nord. Tidsskr. VIIT 1900 S. 186
schlägt in einer Besprechung von Geraolls Anab.-Ausgabe vor, anab. III
1, 21 a-opia zu lesen statt o7:o<^ia.
L. Radermacher, analecta, Rh. Mus. 1900 S. 150
stützt anab. V 3, 4 die Lesart xal IXaßov.
Die Quellenfrage der anab. wird in folgenden z. T. schon früher
verfaßten Arbeiten berührt:
0. Neuhans, Die Quellen des Pompeius Trogus in der persischen
Geschichte. 5. Teil. Königsberg i. P. Progr. des Kgl. Friedrichs-
Kollegiums. 1896.
Gegenstand dieser Untersuchung ist Justinus V 11, wo der
Bruderkrieg zwischen Artaxerxes und Kyros erzählt wird. Die für
Xen. in Betracht kommenden Eigebnisse, durch die sowohl die Selb-
ständigkeit wie die Glaubwürdigkeit Xen.s stark in Zweifel gezogen
werden, sind folgende. Anab. I 1 — 4 sind ein knapper und ziemlich
nachlässiger, z. T. wörtlicher Auszug aus des Ktesias Persika. Als
Xen. mehr als 30 Jahre nach der Schlacht bei Kunaxa die Anabasis
verfaßte, war er für das hier Erzählte, da er es selbst als Augenzeuge
nicht miterlebt hatte , auf eine literarische Quelle angewiesen. Des
56 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899-1902. (Richter.,
Ktesias Bericht sagte ihm um so mehr zu, als derselbe seiner eigenen
Parteistellung zu den Spartanern wie zu dem bewunderten Kyros ent-
gegenkam. Diese Benutzung des Ktesias zeigt sich auch in den Lobes-
erhebungen des Kyros I 9, 29 und sonst. Auch die Verschleierung
des Bündnisses zwischen Sparta und Kyros in der anab. zeigt, daß
die Rücksicht auf den Vorteil Spartas nicht ohne Einfluß auf Xen.s
Darstellung gewesen ist. Xen.s Bericht erscheint dabei noch weit
parteiischer für Kyros, da er wußte, daß Ktesias infolge seiner Vor-
eingenommenheit für Kyros selbst vor groben Fälschungen der Ge-
schichte nicht zurückgeschreckt war.
Ich füge hier gleich an die folgende Abhandlung desselben Ge-
lehrten
0. Neu haus, Die Überlieferung über Aspasia von Phokaia.
Rh. Mus. 1901 S. 272.
Hier zeigt N., daß die uns erhalteneu, im ganzen völlig konformen
Nachrichten über den ersten Lebensabschnit der Aspasia sämtlich auf
Ktesias zurückgeführt werden müssen, also auch die kurze Notiz bei
Xen. anab. I 10, 2.
Daß Ktesias von Xenophon benutzt sei, auch an Stellen, wo es
Xen. nicht angibt, behauptet auch
F. Krumbholz, De Ctesia aliisque auctoribns in Plutarchi
Artaxerxis vita adhibitis. Gyran.-Progr. Eisenach 1889. (S. 19 — 22.)
Kyrupädie.
K. Lincke, Xenophons persische Politie. Phil. 1901 S. 541.
L. geht mit Konsequenz und Energie dem überlieferten corpus
der xenophontischen Werke zu Leibe (vgl. meinen letzten Jahresbericht).
In der vorliegenden Arbeit behandelt er hauptsächlich die Kyrupädie;
daneben spricht er aber auch von der Anabasis, den Hellen., dem
Ökonom, und Agesilaos, besonders noch von dem Kjmegetikos (vgl.
unten). Überall findet er Spuren ergänzender oder erklärender Tätig-
keit eines der Söhne Xen. 's oder des gleichnamigen Enkels. „Ansässig
in Skillus und später in Korinth hat Xen. als Lehrer schlecht und
recht gewirkt. — Er unterhielt wahrscheinlich in Skillus eine Schule. —
Es war die bescheidene literarische Werkstatt eines wackeren Meisters,
neben dem der Sohn Gryllos heranwuchs als fleißiger Geselle. Die
Früchte ihrer Arbeit fielen dem klugen Lehrling, dem Enkel, zu, und
der hat sie in Athen bestens zu verwerten gewußt" etc. — In der
Kyrupädie nun geht der Grundstock des ganzen Werkes, die Schilde-
rung der idealen persischen Politie der Vergangenheit, auf Xen. selbst
Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899—1802. (Richter.) 57
zurück. Zu diesem Werk hat sich ein fleißiger Leser, sc. der Sohn
Gryllos, eine Anzahl kleinerer und größerer Zusätze gemacht, zunächst
zn seiner eigenen Belehrung. Es sind das die Stellen, in welchen die
bestehende persische Politie als der Musterstaat der Gegenwart hin-
gestellt wird, meist zu erkennen an den Worten eti xal vüv. L. stellt
sie zusammen auf S. 553. — Gerade die entgegengesetzte Ansicht wie
Gryllos hat nun der Bearbeiter und Herausgeber des Ganzen, der Enkel
Xenophon, der in dem Anhang (VIII 8) seiner Meinung kräftigen
Ausdruck gibt.
Fr. Beyschlag, Ein literarischer Rückzug Xenophons. Blätter
für das bayer. Gymn.-Schulwesen 1901 S. 49.
B. behandelt die Stelle Kyrup. III 1, 38-40. Er ist von den
engen persönlichen Beziehungen zwischen Sokrates und Xenophon über-
zeugt, im Gegensatz zu der „modernen Hyperkritik" , verti-eten durch
den Namen E. Richter. Eine erwünschte Bestätigung seiner Ansicht
findet er in der bekannten, oft zitierten, oben angeführten Stelle der
Kyrup., wo die Verhandlung des Kyros mit Tigranes und seinem Vater,
betr. die Tötung des weisen Lehrers des Tigranes, geschildert wird.
Denn hier wird in Form einer Allegorie das persönliche Verhältnis
zwischen Sokrates (Sophist) und Xenophon (Tigranes) dargestellt. —
Die ganze Auseinandersetzung aber hat, wie die entschuldigende Schluß-
wendung des Kyi'os zeigt (juY-fqvw'Jxs "^w ~«~pi — ) den Zweck, den
Urteilsspruch der Athener gegen Sokrates, wenn auch nicht zu be-
schönigen, so doch zn entschuldigen, mit anderen Worten, einen Rück-
zug anzudeuten gegenüber dem offensiven Vorstoß, den die zwei ersten
Kapp, der Memor. gegen das Urteil eröffnet hatten. — Dieser Um-
schwung in der Stimmung ist notwendigerweise das Ergebnis einer
längeren Entwickelung gewesen. Die Kyrup. ist daher auch nach 370
anzusetzen. Die sog. xenoph. Apologie ist unecht, da sie sich mit
diesem Rücl^zug nicht verträgt,
C. F. Lehmann, Gobryas und Belsazar bei Xenophon. Beiträge
zur alten Geschichte. Leipzig 1902. S. 341.
L. ist der Meinung, „daß Xen. in die Kyrupädie historische Nach-
richten iu weit größerem Umfange verflochten hat, als man anzunehmen ge-
wohnt ist, und daß diese Nachrichten großenteils logographischeii, vor-
herodotischen Quellen entnommen sind." In der vorliegenden, kurzen
Abhandlung sucht er wahrscheinlich zu macheu, daß die Erzählungen
über Kampf und Verträge zwischen Chaldäern und Armeniern sowie
die über des Kyros Vorgehen gegen Babylon und Sardes auf eine
solche ältere Quelle zurückgehen, vermutlich auf die Persika des Dio-
nysios von Milet.
58 Beriebt üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, lSl>:)-]002. (Richter.)
Hellenika.
F. Po lau d, Das Theater in Olympia. Commentationes Fleck-
cisenianae. Leipz., Tcubner, 1890. S. 249 f. (zu Hellen. VII 4, 31).
Es ist bekannt, daß es sich bei den olj'mpischen Spielen nicht
um musische gebandelt hat. Auch wird nirgends von einem Schrift-
steller des Altertums ein Theater in Olympia eiwäbnt; die einzige
Ausnahme bildet die oben angeiührte Stelle ans Xon. Hell. P. zeigt
nun, daß von einem eigentlichen Theater auch hier nicht die Rede sein
kann. Schon die Worte selbst: [j-s-aEu xoü ßouXeuxrjpt'ou y.ai toü xJjc
'Eaxi'ac tepou xai xou Tipoc xaüxa zpojrjXovToc Osatpou lassen eine klare
Vorstellung nicht aufkommen. Auch der Gebrauch von ji-exaSü mit
3 Genetiven ist nach P. unxeuophontisch. P. schreibt nun Tipo; xouto
statt TTpo; xauxa, faßt den Hestiatempel und das Theatei' als zusammen-
gehörig — an der Nordwestecke der Altis — , denen das pouXeuxrjpiov
— südlich von der Altis — gegenübersteht, und übersetzt Oeaxpov mit
Schaugerüst oder Zuschauerraum und zwar für ein Gymnasium , das
dort schon damals bestand und an den Hfstiatempel stieß, und zwar
eben an der Stelle, wo später das Gymnasium und das Prytaneura mit
dem Hestiaaltar errichtet wurde, deren Reste bei den Ausgrabungen
zutage getreten sind. — Zwischen diesen beiden so bestimmten Punkten,
im NW, und im Süden, ist dann der Einbruch der Eleer erfolgt.
C. Robert, Die Ordnung der olympischen Spiele und die Sieger
der 75—83. Olympiade. Hermes 1900 S. 141.
Ausgehend von jenem Fragment einer olympischen Siegerliste der
011. 75 — 83, das in den Oxyrh. Pap. Bd. II p. 88 von Grenfell und
Hunt herausgegeben ist, sucht R. u. a. die Reihenfolge der Agone in
Olympia zu bestimmen. 1. Tag: Die drei Agone im Lauf. 2. Tag:
Pentathlon. 3. Tag: Ringkampf, Faustkampf, Paukration. 4. Tag:
Die Wettkämpfe der Knaben und dej- Waffenlauf. 5. Tag: Die hippi-
schen Agone. Im Widerspruch mit diesen Aufstellungen findet R. nur
die Stelle Xen. Hellen. VII 4, 29 xai xfjv [xev iTtTioopoixiav yjSr) iKeizoi-
rjxeaav xal xa Spop-ixa xoü TrevTaflÄou ' oi o' et? TraXyjv «cptxofxevoi ouxext ev
Tcö opo[JL(p, aXXa |JLexa$u xoü opo'ixou xai xoü p(u|xoü £T:aXaiov. Danach
müßten die hippischen Agone vor dem Faustkampf stattgefunden haben.
Da dies nun aber eben nach obigem nicht der Fall gewesen sein könne,
so „ist vielleicht die Annahme nicht zu gewagt, daß hier Xen. statt
ooXv/oi; den Ausdruck iiriTo6po|i.ia gebraucht habe. Noch einfacher wäre
es, mit Blaß iTUTrioopojxi'av zu schreiben".
Gegen diese Vermutungen Roberts sowie gegen seine Deutung
der xenophoutischen Stelle wendet sich
Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1S99— 1902. (Richter.) 59
F. Mi e, Die Festordnuug der olympischen Spiele. Phil. 1901 S. 161 f.
Th. Lenschau, Die Zeitfolge der Ereignisse von Ende Sommer
411 bis zur Arginusenschlacht. Philol. Suppl. Bd. VIU 1901 S. 301 f.
L. gibt eine Chronologie dieser Jahre, die „nahezu ausschließlich
auf die zeitgenössische Darstellung Xenophons gegründet" ist, der vieles
aus eigener Anschauung heraus geschrieben, hinreichend glaubwürdig
ist und der Aufgabe, die er sich gestellt, eine kurze Geschichte der
letzten Kriegsjahre vorwiegend vom militärischen Standpunkt zu liefern,
völlig gewachsen war. Die Hellen, sind im Anfang verstümmelt, und
da man nicht wissen kann, wie viel verloren gegangen ist, so ist es
„offenbar unniethodisch, bei ihren Zeitangaben vom Ende des Thuky-
dides aus zu rechnen".
H. Stein, Zur Quellenkritik des Thukydides. Rh. Mus. 1900
S. 531 f.
S. sucht nachzuweisen, daß Thukydides unter anderem eine gegen
Ende des pelopounesischen Krieges oder bald hernach entstandene, auf
Rechtfertigung und Verherrlichung des Hermokrates als sizilischen
Staatsmannes, Redners und Patrioten angelegte Biographie desselben,
besonders in den drei letzten Büchern, benutzt hat. Ein Exzerpt aus
derselben Quelle ist auch die Stelle Xen. Hellen. I 1, 26 — 31. — Diese
Hypothese Steins von der Existenz einer solchen Hermokrates-ßiographie
und ihre Benutzung durch Thuk. und Xen. sucht als wenig wahrschein-
lich zu erweisen
J. Steup, Thukydides, Antiochos und die angebliche Biographic
des Hermokrates. Rh. Mus. 1901 S. 443 f.
Handschriftliches behandeln folgende zwei italienische Arbeiten:
L. de Stefani, Collazioue di un codice delle elleniche di Seno-
fonte (n -- Laur. di S. Marco 330). Stud. ital. di fil. class. VI 1898
S. 229.
Nach der ed. maior Kellers. Die Hs war bisher nur bekannt
durch die vv. IL, die P. Victorius an den Rand einer Aldina notiert
und Dindorf in seiner Ausgabe der Hellen. Oxford 1853 (und Leipzig
1824) publiziert hatte, vgl. den vorigen Jahresbericht S. 59. Die Hs
bietet manches Eigentümliche und gehört jedenfalls zu der „besseren''
Handschriftenklasse der Hellen. —
L. de Stefani, I codici Vaticani delle Elleniche di Senofonte.
Stud. ital. 1901 S. 237.
Es sind 4. Vat. Pal. gr. 140 saec. 14=--p, Vat. Urb. gr. 117
saec. 14 oder 15 = u, Vat. gr. 988 saec. 15 = w, Vat. gr. 1293 saec.
15 =^ W. Davon gehört p der besseren, die 3 andern der schlechteren
60 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899-1902. (Richter.)
Handschriften klasse an. — Ihr Verhältni'* zu den übrigen Handschriften
der Hellen, wird dann noch genauer bestimmt. W ist wahrscheinlich
eine Abschrift von w.
Einzelne Stellen besprechen teils kritisch, teils exegetisch
T. G. Tucker, Varia. Class. Review, London 1898, S. 26 und 27.
T. vermutet I 7, 8 «pparepei; für -aTEpsc, III 2, 18 oyx eiroXejjn^-
oeiev (als Desiderativ.) für oux eßo'jXsTo ]xdys.aba.i und VI 4, 24 sTravadecj-
ftai für e-iXa9ea9ai.
A. Solari, Senofonte Hellenica I 6, 29. Riv. di stör. ant. Messina
IV 1899 S. 466
ist exegetischen Inhalts.
L. de Stefani, Ramenta. Stud. ital. 1900 S. 489 (zu III 3, 2)
verwirft Kellers Vermutung tu für toi und schlägt vor ti'f' ou vap toi
ecpuaev ae etc.
K. Lincke, Miscellanea. Phil. 59 1900 S. 190
will V 3, 8 tujTrep 'A7T]atXaou ik -rjV 'Aciiav als Interpolation streichen
(entstanden aus einer Reminiszenz an Hell. HI 4, 2).
H. Richards, The Hellenics. Class. Rev. 1901 S. 197
enthält sprachliche Beobachtungen zu den beiden ersten Büchern und
kritische Bemerkungen zu allen sieben.
A. Solari, ad Xen. Hellen. 14, 7. Boll. di fil. class. VIII 1901
S. 112
sucht die Zeit des Erscheinens der athenischen Gesandten näher zu
bestimmen .
*J. Prammer, varia. Wiener Studien 23 1901 bespricht I 7, 24.
Aporanemoneumata und Apologia.
Ich führe die für uns in Betracht kommenden Arbeiten nach der
Zeitfolge ihres Entstehens an.
F. Schurr, Xenophon quo consilio commentariorum Socraticorum
prioribus libris tribus adiecerit quartum et qua ratione ipsius libri
quarti argumentorum ordinem exeogitaverit Diss. Erlangen 1897.
Eine ziemlich dürftige und mit nicht genügender Kenntnis der
einschlägigen Literatur verfaßte Abhandlung. Das 4. Euch, zu welchem
ursprünglich weder das 4. noch das 8. Kapitel gehören, ist nicht gleich-
zeitig mit den 3 ersten entstanden, sondern später, aus einem nicht mit
Sicherheit festzustellenden Grunde von Xen. hinzugefügt; vielleicht mit
Rücksicht auf andere Sokratiker, die ebenfalls über Sokr. geschrieben
hatten, oder weil er das in den 3 ersten Büchern gegebene Bild des Soki*.
Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1S99- 1902. (Richter.) 61
vervollstaüdigen wollte, — Sokr. als Lehrer. Vgl. über die Diss. von
Kimmich im vorigen Jahresbericht. Im übrigen ist Schurr ein Gegner
der Interpolationstheorie und hält die Mem. im wesentlichen für intakt.
Zum Schluß gibt er eine Disposition des 4. Buches.
C. Hude, Nord. Tidsskr. VI 1898 S. 155 zu Mem. 11 3, 17
handelt über die Konstruktion und Deutung der Worte ti 7ap i'XXo
f. xivouvc'Jdiic e7:t6£i;at cjo (asv ypr,Tr6; . . . eivai . . .
E. Roseuberg, Xeuophous Memorabilien cap. 1 und II in ihren
Beziehungen zur Gegenwart. Neue Jahrbb. f. kl. Alt. 1899 S. 94
— 104.
Ein zunächst zwar nur für Zwecke des Unterrichts geschriebener,
aber doch auch hier zu erwähnender inhaltsvoller und lesenswerter
Aufsatz.
Ähnliches gilt von der folgenden Arbeit
P. Dörwald, Gliederung von Xenophons Memorabilien I 1 und 2.
Lehrproben und Lehrgänge aus der Praxis der Gymnasien etc.
Halle 1899. Heft 58 S. 86 f.
Eine bis ins einzelnste gehende „Analyse" dieser Kapitel (ohne
Eingehen auf irgendwelche kritischen Streitfragen).
M. Wetze], Haben die Ankläger des Sokrates wirklich behauptet,
daß er neue Gottheiten einführe? Gynin.-Progr. Braunsberg 1899.
W. sucht nachzuweisen, daß das Wort oaifioviov in der Anklage-
schrift nicht substantivisch, sondern adjektivisch zu verstehen sei, die
Anklage also gelautet habe, Sokr. habe neue göttliche Dinge, eine neue
Art der Mautik eingeführt. In diesem adjektivischen Sinne sei das
Wort auch von Plato überall, wo er von dem sokratischen Dämouium
spreche, gebraucht. Die jetzt meist herrschende Auffassung des Wortes
oaifiovtov ais Gottheit gehe zurück auf ein Mißverständnis Xenophons.
Sokrates selbst sage in seiner Verteidigungsrede, die im wesentlichen
in der sog. xenophontischen Apologie enthalten sei (W. hält also diese
für echt), § 12: er nenne das, was ihm Zeichen gäbe, göttlich (für
etwas Göttliches). Eben diese Stelle habe nun Xen. mißverstanden und,
wie aus Memor. A 1, 3 ersichtlich, oat|j.oviov als „Gottheit" aufgefaßt
und sei hierin, wenn auch zunächst seine Deutung nicht überall durch-
gedrungen sei, dennoch für die Folgezeit maßgebend gewesen, besonders
seitdem Plutarch die xenophontische Deutung sich zu eigen gemacht
und das oaijxoviov für einen „Schutzgeist" erklärt habe. Erst Schleier-
macher habe die adjektivische Bedeutung wieder zu Ehren gebracht,
habe damit aber nicht überall Anklang gefunden.
62 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899—1902. (Richter.)
M. Wetzel, Die Apologie des Xenophon. Neue Jahrbb. f.
kl. Alt. 1900 S. 389 f.
W. sucht die Einwendungen von Kaibel und vor allem von
U. V. Wilamowitz zu widerlegen und spricht sich für die Echtheit der
Schrift aus, die die Hauptgedanken der wirklichen Verteidigungsrede
des Sokrates in schlichter Weise wiedergebe, im wesentlichen nach dem
Bericht des Hermogenes. — Später entstand die rein tlktive platonische
Apologie. Als Xenophon diese kennen gelernt und noch andere ähn-
liche Schriften gelesen, entschloß er sich, selbst eine Rechtfertigung
des Sokr. zu schreiben, wofür er nun u. a, seine eigene sog. Apologie
benutzte. So entstanden die Memorab. und zwar zuerst A 1 und 2,
1 — 8. 62—64. A 8, später sah er sich veranlaßt, mehrfach Ein-
schiebungen vorzunehmen. — Ich habe mich früher ebenfalls für die
Echtheit der „Apologie" und für die von W. angegebene Reihenfolge
der genannten xeuophontischen Schriften ausgesprochen; warum aber
mit der Echtheit die Glaubwürdigkeit zusammenhängen soll, sehe ich
vorläufig noch nicht ein. Ich halte die Apologie in demselben Grade
für fiktiv wie die platonische.
0. Im misch. Die Apologie des Xenophon. Ebda. S. 405
sucht durch Hervorhebung gewisser sprachlicher und stilistischer Eigen-
tümlichkeiten (lonismen), die nur dem Xen. zugeschrieben w-erden
könnten , die Echtheit der Schrift zu erweisen. „Man müßte sonst ein
Raffinement der Stilnachahmung annehmen, das für so frühe Zeit wenig
wahrscheinlich ist." Als eigentlich „historischer" Bericht freilich sei
damit dieser Bericht des Hermogenes-Xenophon noch keineswegs er-
wiesen.
Fr. Beyschlag, Die Anklage d«s Sokrates. GjMuu.-Progr.
Neustadt a. d. H. 1900.
B. sucht die Darlegungen von Schanz in seinem Kommentar zur
platonischen Apologie als irrig zu erweisen. Der Wortlaut der Anklage
liegt nach B. authentisch in den Memor. vor und wird bestätigt durch
die als echt in Anspruch genommene Urkunde bei Favorinus. Sie
weist deutlich zwei gesonderte Auklagepunkte auf — Glaube und
Lehre, djeßsta und politische Umtriebe — , was auch in der im übrigen
wahrscheinlicli unechten, jedenfalls später als die Memor. verfaßten
sog. xenophontischen Apologie hervortritt. Der Hintergrund der An-
klage ist im letzten Grunde ein politischer, die religiöse Außenseite
dient ihr nur als Deckmantel. Plato hat den in der Klage mit unter-
laufenden politischen Charakter des Vorgehens gegen Sokr. absichtlich
seinem Inhalt nach unterdrückt und gibt ihm nur indirekt Ausdruck;
indem er das Thema der zu widerlegenden politischen Punkte inhalt-
Bericht üb. d. Xeuuplion betreffenden Sciiriften, 1899-1902. (Richter.) 63
lieh allenthalbeu, uach seiner formalen Seite an manchen Stellen fallen
läßt, vereinfacht er sich den historischen Kern der Klage, um sich
damit ihre Widerlegung zu erleichtern.
A. Körner, Zu Xen. Mem. I 2, 1. Blätter f. d. bayerische öymn.-
Schnlwesen 19U0 S. 412.
Ba'j[JtaaTov 0£ 'f'xi/zxT.i jxoi xai xo TistJil^vai xivac, «o; ü(uxp'iT/); to'j;
veou; ot£cpilx'.(i£v. U streicht -ivac, weil Xen. hier die Gesamtheit der
Athener im Auge habe und nicht eine Minderheit (wie schon I 1, 1
'AÖYivaiou;). Als Subjekt zu -stj&r^vat ist zu denken 'ASlrjvaioy;, das aus
dem kurz vorhergehenden 'AÖTjvaioi leicht zu entnehmen ist.
A. Kömer, ebenda S. 640, Zu Xen. Mem. I 2, 58.
Nach einer Klage über die Rückständigkeit der Exegese der
Mem. verteidigt K. Xen. gegen den ihm neuerdings gemachten Vor-
wurf der Willkür im Zitieren. Die an der genannten Stelle von Xen.
angeführten Homerverse (B 188 f.) hat Sokr. selbst ausgewählt, weil
er für seinen Zweck eben nur sie brauchen konnte; Xen. jedenfalls hat
nichts davon „weggeschnitten*. — Weiter sucht R. zu zeigen, daß Xen.
in dem ganzen Kap. 2 (§ 9 ff.) von Polykrates unabhängig ist; sein
xa-cTj-^opoc bringt ganz andere Dinge vor als Polykr. (vgl. fragm. 221
bei Sauppe orat. att.).
K. Lincke, Miscell. Phil. 59 1900 S. 190
empfiehlt von neuem seine Konjektur — zu I 1,2 — «5' äp oj; 'paiY) für
■/dp (L? cpaiY] und streicht ib. § 7 als Interpolation die Worte xal xou?
jjiiXXovtaf — TtpoaSeiadai.
0. Siesbye, Nord. Tidsskr. VIII 1900 S. 100
teilt aus einem Briefwechsel mit Christensen Schmidt aus den Jahren
1872 — 93 eine Besprechung der Stelle Mem. III 6, 4 w« av tots axoTtüiv
mit. Es handelt sich darum, ob tote bedeuten kann „damals zuerst"
— vgl. Mem. III 6, 11 Anab. VII 7, 14 u. a. — , oder ob mit Hartmann
zu schreiben ist (Lj upüJTov tote axoTCoiv.
Ch. M. Gloth and M. Fr. Kellogg, Index in Xenophontis Memo-
rabilia. Ithaca. New York 1900.
Eine tieißige und für statistische Zwecke recht brauchbare, aber
rein äußerliche alphabetische Zusammenstellung sämtlicher in den Mem.
vorkommenden Worte und Wortformen, ohne irgendwelchen verbindenden
Text. Zugrunde gelegt ist die Ausgabe von W. Gilbert (1895), doch
sind die variae lectiones mit berücksichtigt.
K. Joel, Der echte und der xenophontische Sokrates. 2. (Schluß-)
Band in 2 Hälften. Berlin 1901.
64 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899—1902. (Richter.)
Der erste Band von Joels Werk, der 1893 erschien, erregte großes
Aufsehen und im ganzen weit mehr Widerspruch als Zustimmung.
Handelte es sich doch für die meisten Leser darum, mit altgewohnten,
liebgewordenen Anschauungen über Sokrates und seinen treuen Schüler
Xeuophon zu brechen. (Vgl. den letzten Jahresber. S. 73 f.) Die in
diesem ersten Baude in Angriff genommene Neuauffassuug Piatos und
Xenophons ernstlich zu begründen, die Auffassuug der Sokratik umzu-
schalten aus einer historischeu in eine literarische, ist die Hauptaufgabe
des vorliegenden Scblußbaudes. (Eitil. S. VI.) — Es gibt, beißt es dort
weiter, „kein Verstehen Piatos und Xenophons ohne Antisthenes. Denn
Plato (in vielen Schriften) ohne Antisthenes verstehen, heißt einen
Kämpfer, einen Gesprächspartner ohne den andern verstehen, und
Xenophon ohne Antisthenes begreifen, heißt zumeist die Kopie ohne
das Original begreifen." — Bei dem außerordentlichen Umfang, den das
Werk gewonnen (1136 Seiten), und bei der ungeheuren Fülle des in
ihm verarbeiteten Materials ist es, noch mehr wie bei Bd. I, ausge-
schlossen, hier auf geringem Raum darüber in adäquater Weise zu be-
richten oder gar zu kritisieren. Ich muß mich daher begnügen, zur all-
gemeinsten Orientierung einige Ergebnisse des Joelscheu Buches hervor-
zuheben, die für Xenophon von Wichtigkeit sind. (Joel' selbst legt
auf den Ertrag für Plato das gleiche Gewicht wie auf den für. Xeuo-
phon.) — Danach erscheint nun Xenophon philosophisch im ganzen wie
im einzelnen fast völlig abhängig vom Kynisnius; aus fast allen seinen
Werken klingt das Echo ky nischer Schriften, aus den Memor. nicht
minder wie aus der Kyrup., aus dem Symposion wie aus dem Agesilaos
u. s. f. Kynisch sind die Idealbilder Altpersiens und Altspartas bei
Xcn., kynisch sind die Lehren, in denen Xen. eich selbst und sein
Ideal wiedererkannte, kj^nisch die Tugenden, welche er preist und
empfiehlt, kynisch die Helden, die in seinen Schriften gefeiert werden,
Kyros, Agesilaos, vor allem Sokrates. — Auf den Kyniker geht die
Heraklesfabel (Mem. B 1) zurück, Antisthenes ist es, nicht Antiphon,
dessen Protreptikos lamblichos für seinen Protr. herangezogen (und den
somit Xen. in seinen Charakteristiken anab. II 6, 16 benutzt hat. VgL
oben Sorof, Nomos und Physis in Xen.s Anabasis). — Spät erst hat
Xen. zur Feder gegriffen, lange nach des Sokrates Tode, als Sokrates
selbst schon eine fast mythische Person geworden war. Dieser Sokrates
ist es, nicht der historische, sondern der literarisch -fiktive, und zwar
wie ihn die kynisch-antisthenische Literatur herausgebildet hat, den wir
in Xen s Werken kennen lernen. — Nun „rückt auch die Bedeutung
der Memor. in ein ganz anderes Licht. Man braucht sich nicht mehr
dagegen zu sträuben, daß sie, die doch verteidigen, fiktive Dialoge geben
sollen". Ja, die Mem. sind eine Apologie, aber sie verteidigen den
Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1S99— 1902. (Richter.) 6,5
kynischen Sokrates, auf den auch Polykrates mit seiner Anklageschrift
gezielt hat. —
Man wird aus dem Angeführten wenigstens soviel entnehmen
können, daß das Joeische Werk, sei es durch Erregung des Wider-
spruches, sei es durch Erweckung des Verlangens, iu dieser Richtung
weiter zu arbeiten, ungemein anregend und befruchtend auf das Studium
der Sokratik und der sokratischen Schriftsteller wirken kann, und darin
liegt jedenfalls ein besonderer Wert des Buches, wenn auch viele
seiner Behauptungen sich als zweifelhaft oder völlig irrig erweisen
sollten. Das Buch ist nicht leicht zu lesen, und es sind mir auch in
deutscher Sprache nur zwei Rezensionen bekannt geworden, eine von
A. Döring, Woch. f. klass. Phil. 1901 S. 617 f., und die andere von
0. Apelt, Berl. phil. Woch. 1901 S. 865 f., die sich allerdings beide
ablehnend verhalten.
T. Sinko. Sokrates i Ksenofout. Eos (Leopoli) 1901 S. 145—153.
Eine polnische Abhdlg. Da ich der Sprache nicht mächtig bin,
■ kann ich darüber nicht berichten..
H. Richards, On the Memor. of Xeu. Class. Rev. 1902 S. 270.
Kritische Bemerkungen zu 24 Stellen. Am Schluß sucht R. in
etwas ausführlicherer Darlegung zu erweisen, daß das Symp. und der
Ökon. nicht abgesonderte Teile der Memor.. sondern selbständige Werke
seien, daß die Mem. im allgemeinen keine bedeutenden Interpolationen
erlitten und im ganzen Xen. selbst für den jetzigen Zustand der Schrift
verantwortlich sei und daß drittens der Vokabelschatz in den einzelnen
Teilen der Mem. im wesentlichen überall derselbe ist. Auch die Form
der Darstellung in ß 1 (Herkules am Scheidewege) geht auf Xen. zu-
rück, nicht auf Prodikos oder einen andern.
*A. Menzel, Untersuchungen zum Sokrates-Prozesse. Wien 1902.
Sitzungsber. d. k. Akad. zu Wien. Ist mir noch nicht zu Gesicht ge-
kommen. Eine längere Besprechung der Arbeit findet sich im Lit.
Ctrlbl. 1902 S. 333 von Thumser.
Oikouomikos.
M. Hodermann, Xenophous Wirtschaftslehre unter dem Ge-
sichtspunkte sozialer Tagesfragen betrachtet. Gymn.-Progr. Wernige-
rode 1899.
Die Arbeit verfolgt zwar in erster Linie den Zweck, nachzu-
weisen, „daß Xenophons Ökonomikos sehr wohl geeignet ist, der
Schule Material zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Belehrungen
an die Hand zu geben," verdient aber wegen ihres sorgfältigen Ein-
Jahresbericht für Altertumewissenschaft. Bd. CXVII. (1903. II.) 0
i\Q Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Scbriften, 1899—1902. (Richter.)
gehens auf einige Hauptthemata des Ökon. (Xenophcns Urteil über den
Beruf des Landwirts, Aufgaben nud Stellung der Frau, Verhältnis der
Herrschaft zum Gesinde) auch hier eine Erwähnung.
Derselbe Gelehrte hat auch eine Übersetzung der Schrift in der
EeklamschenUniversalbibliothek erscheinen lassen, vgl. darüber 0. Weißen-
fels, Berl. phil. Woch. 1900 p. 134.
Symposion.
A. Graf, Ist Piatons oder Xenophous Symposion das frühere?
Gym.-Progr. Aschaffenburg 1898.
G. entscheidet sich mit Recht für die Priorität des platonischen
Symposions. Die Gründe freilich, die er anführt, werden schwerlich
jemand überzeugen, der nicht schon aus anderen Gründen dieser An-
sicht ist. Die Arbeit, im wesentlichen eine Polemik gegen Hug, ist
ohne Bedeutung, zumal dem Verf. beinahe die gesarate xenophontische
Literatur der letzten 20 Jahre unbekannt ist.
G. Fahuberg, de Xenophonte Piatonis iraitatore. Progr. der
Hansaschule zu Bergedorf bei Hamburg 1900.
F. untersucht unter diesem verheißungsvollen Titel das Verhält-
nis der beiden Symposien, wie Graf ohne Kenntnis fast der gesamten
Xen. Literatur der letzten Dezennien. Das Ergebnis ist, daß das
xenophontische eine Nachahmung des platonischen ist, stellenweise eine
Kritik enthaltend.
J. Bruns, Attische Liebestheorien und die zeitliche Folge des
platonischen Phaidros sowie der beiden Symposien. Neue Jahrbb.
1900 S. 17.
"Wir wissen nunmehr, schreibt B. p. 29, dal] Xen. die erotischen
Schriften Piatons (Lysias, Cbarmides, Phaidros) bis zum Symposion ein-
schließlich nicht nur kannte, sondern auch literarisch auf das stärkste
von ihnen beeinflußt ist. — Anknüpfungspunkte zu einer polemischen
Aussprache bot ihm, wenn auch nicht der Phaidros, so doch das Symp.
Und zwar glaubte Xen. gegen die Reden des Phaidros und Pausanias
im Symp. polemisieren zu sollen, und es ist „schwer begreiflich, daß
das Verhältnis je anders aufgefaßt werden konnte". Gegen diese Reden
isf das 8. Kap. in Xen.s Gastmahl geschrieben. Xen. führt die Liebe
auf ethische Wertschätzung zurück, was Plato unbedingt leugnete.
Xen. konstjuiert einen Eros ohne jede Beimischung sinnlicher Emp-
findungen, den Plato ebenso strikt in Abrede stellt usw. Es sind
Kardinalfragen, in denen beide aufeinander stoßen. Nur aus den z. T.
sehr komplizierten Rückbeziehuugen auf die platonischen Liebesschriften
ist ein volles Verständnis für sein Gastmahl zu gewinnen. Er hat seine
Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, ls;ni— 1902. (Richter.) (J7
Theorie dort in der Sokratesrede des 8. Kap. niedergelegt. Xen. denkt
anders wie Plato.
L. Parmentier, Xen. Bauqnet VI 7. ßevue de linstruction
publique en Belgique 1900 S. 244
verteidigt die überlieferte Lesart i'vwUsv [xe-; 76 ovte; gegen die von
den meisten Neueren angenommene Konjektur -(t uovtec
J. Jessen, quaestiuncnlae criticae et exegeticae. Diss. Kiel
1901. Zu Xen. Symp. IV 29—32.
J. handelt über die gegenseitige Entsprechung der Satzglieder iu
diesen §§ und stellt aus Gründen der Korrespondenz in § 31 die Worte
IOC eXsudepti) — s7:iÖY)|jLerv hinter 7£-jf£VT][ia[.
*P. Cesareo, i due simposi in rapporto all' arte moderna.
Palermo 1901
kenne ich nnr aus der ausführlichen Kritik von O. Weißenfels, Berl.
phil. Woch. 1902 S. 387. Danach ist es eine höchst interessante, mit
umfassender Kenntnis der einschlägigen Literatur verfaßte Arbeit, die
aber an Xen.s Symposion kein gutes Haar läßt. Es ist auch gar nicht
von Xen., sondern stammt ans der 1. Hälfte des 3. Jahrh. v. Chr..
und zwar aus den Reihen der Feinde des Sokrates, die sein Bild zu
verfälschen suchteu. Die echten Schriften Piatos und Xenophons sind
darin von dem Fälscher nachgeahmt.
H. Richards, Notes on the Sj'mp". of Xen. Class. Rev. 1902
S. 293
kritische und exegetische Bemerkungen zu 4, 37. 45; 8, 1.
Hieron.
K. Lincke, Xenophons Hieron und Demetrios von Phaleroa,
Phil. 189S S. 244.
L. hält den Hiero nach Inhalt und Form für unecht. Der
Dialog erklärt sich unschwer mit Rücksicht auf die politischen Ver-
hältnisse und die Kulturgeschichte der Stadt Athen zur Zeit seines
Verfassers. Der Verf. hat die Tendenz, den freien und auf ihre Freiheit
eifersüchtigen Athenern zu beweisen, daß sie wohl daran taten, sich einem
einzigen Lenker des Staates in die Arme zu werfen und ihm ihre Frei-
heit zu opfern. Dieser eine ist aber kein anderer als der Phalereer
Demetrios, der im Jahr 317 im Auftrag Kassanders die Regierung
Athens übernahm. Damit wäre denn auch die Abfassungszeit bestimmt;
in der Form verrät der Dialog Übereinstimmung mit dem — gleichfalls
unechten — Kap. Meraor. I 4.
5*
68 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 189!>— 1902 (Richter.)
Vgl. Linckes obenerwähnten Aufsatz über die Kyi'upädie. Ich
nniC gestehen, daß ich mich trotz der interessanten und lebendigen
Beweisführung Linckes nicht von der Richtigkeit seiner Aufstellungei;
überzeugen kann. Durch so einschneidende Maßnahmen entstehen
m. E. nur neue und größere Schwierigkeiten.
Joh. Eudt, Die Quellen des Aristoteles in der Beschreibung des
Tyrannen. Wiener Studien. Wien. 1902 S. 1 f.
spricht auch über die Quellen, die Xen. für den Hiero benutzt zu
haben scheint. Vgl. den Schluß dieses Berichtes. S. 73.
De vectigalibus.
Aem. Pintschovius, Xenophon de vectigalibus V 9 und die
Überlieferung vom Anfang des phokischen Krieges bei Diodor. Gymn.-
Progr. Hadersleben 1900.
P. hält die Schrift für echt, im Sommer 355, nach Beendigung
des Bundesgeuossenkrieges und vor der Beraubung der delphischen
Tempelschätze, von dem damals etwa 80jährigen Xen. verfaßt. Zu
dieser Zeit erschienen — oder waren zu erwarten — Gesandte des
Philomelos in Athen, und gerade die Stelle V 9 klingt wie „ein Rat
an die Athener hinsichtlich der Antwort au diese Gesandte, jedenfalls
bez. des Verhaltens in dieser Angelegenheit". Die Thebaner sind es,
von denen alles Unheil kommt, sie haben selbst Absichten auf Delphi.
(P. schreibt mit ausführlicher Begründung oTxtvej . . . y.aTaXafi.ßavsiv 3v
Tis'ptuvio.) Die vorgeschlagene Aktion ist direkt gegen die Thebaner
gerichtet. Freilich zeigt sich Xen. mit seinem Rat nicht gerade als einen
bedeutenden Staatsmann. — Auf den übrigen Inhalt der Abhandlung
können wir hier nicht näher eingehen; vgl. die sehr anerkennende Rez,
von Hock, Woch. f. klass. Phil. 1900 S. 869.
Agesilaos.
S. A. Naber, observationes miscellaneae ad Plutarchi vitas
parallelas. Mneraos. 1899.
lu diesen obsprv. kommt N. gelegentlich auch auf Xenophon zu
sprechen, so besonders bei Agesilaos (pag 305). N. sucht nachzuweisen,
daß Plutarch einen vollständigeren Text des xenophontischen Agesil.
vor sich gehabt und benutzt habe, als uns jetzt vorliegt; der erhaltene
Aj,'esilaos des Xen. also nur ein Auszug ist.
Stockmair, Ist die Schrift Agosilaos ein Werk Xenophons?
Gymn.-Progr. von Görz. 1900
kommt zu dem Ergebnis, daß der Ages. „aller Wahrscheinlichkeit nach"
nicht ein Werk des Xenoph. ist.
Bericfatüb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1899-1902. (Richter.) 69
Hippurchikos und de re e<iue8tri.
Von beiden Schriften liegen nene kritische Ausgaben vor.
Xenophontis Hippavchicus sive de magistri equitum officio reo.
Pins Cerocchi. Berlin, Weidmann, MCMI. (Die praefatio ist
datiert Kom Septbr. 1899.)
enthält Text, kritischen Apparat, einen appendix variaruni lectionum
et coniecturaruni und einen index verborum.
Als Vorarbeiten hierzu
P, Cerocchi, Prolegomena ad Xen. Hipparchicum. Stud. ital.
VI 1898 S. 471 sq.
P. Cerocchi, Animadversiones criticae ad Xen. Hipp. ibid. VIII
1900 S. 73 sq.
In den Prell., deren Endergebnis kurz in der praefatio der Aus-
gabe angeführt ist, handelt C. von der handschriftlichen Grundlage der
Schrift. Die beste der 19 in Betracht kommenden Handschriften, die
C sämtlich neu verglichen hat, ist der Vat. 989 saec. XIV - 15. Nach
diesem ist der Text konstituiert. Die übrigen, die alle aus einem ver-
lorenen, lückenhaften und vielfach verderbten Archetypus herstammen,
sind nur herangezogen, wenn in B. offenbare Fehler vorlagen. Die
Zeugnisse der alten Schriftsteller (Pollux u. a.) bieten keine Hilfsmittel.
In der Annahme von Konjekturen ist C. vorsichtig. Für die genauere
Kenntnis des Vat. 989 verweist er auf Pierleoni Stud. ital. V p. 26 sq.
und Rühl (Fleck. Jahrb. 1891 p. 53), dessen Ansichten über die Hss
im übrigen als irrig zurückgewiesen werden (vgl. den letzten .Jahres-
bericht pag. 84). — Die animadv. enthalten Bemerkungen zu 11 Stellen,
Vorschläge resp. Verbesserungen, die in der kritischen Ausgabe ver-
wendet werden. Es handelt sich meist um Hinzufügung kleiner Worte
(av. T£, ov, r^).
Vgl. TVoch. f. klass. Phil. 1901 p. 1278 (Gemoll, der allerlei an
der neuen Ausgabe auszusetzen hat) und Berl. phil. Woch. 1902 p. 353
(Nitsche, der den Fleiß und die richtige Methode anerkennt).
Xenophontis de re equestri libellus rec. Vincentius Tommasini.
Berlin, Weidmann, 1902,
eingerichtet wie der Hipp, von Cerocchi, mit der Vorarbeit
Tomraasini, Prolegomena ad Xen. libellum de re equ. Stud.
ital. X 1902.
Der Text beruht im wesentlichen auf den beiden Hss A
(= Viudobon. IV 37 saec. 16) und B (Vat. graec. 989 saec. 14), die
übrigen 18 Hss, die ebenso wie die zum Hipparch. in 4 Familien
zerfallen, sind nur aushilfsweise verwendet worden.
70 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1890—1002. (Richter.)
Nachzutragen sind hier vor allem hoch die von mir in meinem
letzten Bericht auf eine unbegreifliche Weise übersehenen äußerst
interessanten und fruchtbaren Untersuchungen E. Oders
De Hippiatricorura codice Cantabrigiensi. Rh. Mus. ol 1896
S. 52
mit einem
addendum ad Simonis Atheniensis fragmentum ib. S. 311
und
Anecdota Cantabrigiensia ed. et comm. E. Oder. Progr. des
Friedrichs-Werderschen Gymn. in Berlin 1896.
In seiner Schrift de re eq. beruft sich bekanntlich Xen. wieder-
holt auf einen gewissen Simon, der über denselben Gegenstand ge-
schrieben habe. Von dieser Simonischen Schrift hat sich ein nicht un-
bedeutendes Fragment in dem obengenannten Codex erhalten und ist
zwar bisher nicht ganz unbeachtet gewesen (hrsg. z. B. von Blaß in
einem wenig zugänglichen Buche „Über miscellaneus ed. a societate
philologica Bonnensi. Bonn 1864), hat aber doch bei weitem nicht
die verdiente Beachtung gefunden. Dieses Fragment nun hat Oder in
der erstgenannten Abhandlung nach eigener Kollation der Hs neu
herausgegeben und zeigt in der zweiten, wie Xen. in seiner Schrift von
Simon abhängt, ferner daß diese Schilderung eines guten Pferdes' durch
Simon und Xenophon durch das ganze Altertum festgehalten wird und
von deu Spätem (Varro, Vergil, Columella, Nemesian, Oppian usw.)
ausgeschrieben ist. —
Kynegetikos.
E. Norden, Die antike Kuustprosa. Leipzig 1898. S. 431.
„DasProömium des pseudoxenophontischen Kynegetikos." N. ist
überzeugt, daß der Kyn. nicht von Xen. selbst herrührt, aber doch
aus der Zeit Xen.s stammt und schon als xenophontisch in die alexan-
drinischen Kataloge eingetragen ist. Das Proömium, dem N. eine aus-
führliche Besprechung widmet, ist, wie der asianische*) Stil, in dem
es verfaßt ist, beweist, ein Produkt der zweiten Sophistik, d. h. zur
Zeit des Kaisers Commodus entstanden. Arrian hat es wahrscheinlich
schon gelesen.
Dagegen vermutet
K. Lincke, Xenophons persische Politie. Phil. 1901 S. 565 f.
(vgl. oben S. 56),
"') Daß die Einleitung zu Xen.s Kyn. von einem Rhetor der asianischen
Schule herstamme, hatte schon H. Usener behauptet. Götternamen. Bonn
1896 S. 158.
Beriebt üb d. Xenopbon betreffenden Schriften, 1899— 1902. (Richter.) 71
welcher ebenfalls in dem Proöinium Spuren asianischen Stiles erkennt,
da(.l es in die Zeit des Anfacgs dieser Entwickelang gehört, daß
es eine zeitgenössische Nachahmung des Phalereers Demetrius ist.
Denn der Asianismus habe seine Wurzeln in dem Athen des Demet.
von Phaleron (p. 566). Das Jagdbuch selbst ist wohl eine in Xen.s
Schule in Skillns entstandene Aibeit seines Sohnes Gryllos, das
Proömium , sowie überhaupt die Herausgabe des ganzen Kyn. ist dem
Enkel Xenophon zuzuschreiben.
G. Pierleoni, De fontibus, quibus utimur in Xcnophontis Cyne-
getico recensendo. Studi ital. di til. class. VI 1898 S. G5 f.
Handelt von den Autoren, die den Cyneg. nennen resp. exzerpieren
(Arrian, PoUux etc.); von den Handschriften, von denen P. selbst 7 zum
erstenmal kollationiert hat, und von den Ausgaben, die am Rande vv.
11. aus Hss Laben. — Darauf wird das Verhältnis dieser Codices zuein-
ander festgestellt. P. unterscheidet 2 Klassen ; die eine hat V 30 eine
Lücke, die andere ergänzt sie (aTsvYiv-Trepicpcpr)), a und [1 ß zerfällt in
2 Gruppen etc. Die beste Hs ist \V (Vindob. IV 37, ol. 70, saec. 16)
Id. ibid. p. 407, Xenophontis Cynegetici capita II— III rec. G.
Pierleoni.
Eine Art Probe-Rezension nach den oben angegebenen Psinzipieu.
Enthält Text, kritischen Apparat, testimonia scriptorum und einen ap-
pendix variarum lectioiium.
J. V. Leeuwen, Ad Xenophontis de venatione VIII 1. Mnemos.
1900 S. 435
schlägt vor, zu schreiben: e'jxt 6e, o-av [xsv e-tvitpr^ xal tq ßo'peiov etc.
H. Jackson, Xen. Cyneg. XII 6. Journ. of Phil. 55 1902 S. 136
schlägt vor, statt der Worte o-.a -co |xt)6£v in einem Wort zu schreiben
6taTO[XTjoov und übersetzt they nevertheless made it their practice to
allow hunters to cross the Standing crops in pursuit of garae.
Kurz vor Abschluß des Berichtes geht mir noch die vollständige
Ausgabe des Kyneg. von Pierleoni zu, eingerichtet in derselben Weise
und in demselben Verlage erschienen wie die beiden hippischen Werke
Xen.s von Cerocchi und Tommasini:
Xenophontis Cynegeticus rec. G. Pierleoni. Berlin 1902.
Der Text beruht auf den beiden Hss Vindob, IV 37 und Vatic.
graec. 989, welche — mire inter se consentientes — auf einen Arche-
typus zurückgehen. Die übrigen Hss, sämtlich vielfach verderbt und
interpoliert, sind wertlos und kommen nicht in Betracht. Eine Ver-
gleichung mit dem Text bei Sauppe (Tauchnitz, Leipzig 1866, ein an-
derer stand mir nicht zu Gebote), zeigt denn allerdings einen bedeuten-
72 Bericht üb. d. Xenophon betreffenden Schriften, 1891» - li>02. (Richter.)
den Unterschied. — Zu bedauern ist m. E. der hohe Preis der neuen
Ausgabe (3 M.), der ihre Benutzung vielen Jüngern unserer Wissen-
schaft recht schwer machen wird.
Arbeiten über die resp. Laced. und resp. Athen, liegen nicht vor,
so bleibt hier nur noch zu erwähnen
H. Richards, The minor works of Xenophon. Class. Review
1896—99.
R. hat unter diesem Titel an genanntem Ort eine Reihe von Auf-
sätzen über sämtliche soj?. kleineren Schriften Xen.s veröffentlicht (vgl.
den letzten Jahresbericht), die neben kritisch-exegetischen Bemerkungen
besonders Beobachtungen über die Sprache, namentlich den Wortschatz,
enthalten. In Bd. 13 1899 S. 342 führt er diese Untersuchungen zum
Abschluß und stellt das Ererebnis derselben zusammen. Danach ergibt
gicli — worauf ich selbst schon in meinen Studien mit Nachdruck hin-
gewiesen hatte — , daß die Sprache, der Stil, vor allem der Wortschatz
in allen diesen Schriften — mit Ausnahme der resp. Ath. — derselbe,
dem Xenophon eigentümliche ist, auch in dem Schlußkapitel der Kyrup.
und der Einleitung zum Kyneget.; nichts ist in ihnen allen, was Xen.
nicht geschrieben haben könnte. Von diesem Gesichtspunkt aus sind
sie daher alle für echt zu halten. Die gegen ihre Authentie geltend
gemachten Gründe sind nicht stichhaltig, die Annahme irgend welcher
Unterschiebungen unterliegt den größten Bedenken. Von dem Enkel
Xen. will R. ebensowenig wissen, wie der Verf. dieses Berichtes. — ■
Ich halte die sprachlichen Beobachtungen von R. für recht beachtens-
wert und bedauere nur, daß sie nicht in etwas bequemerer Art, etwa
als Broschüre, zugänglich sind.
Den Schluß mögen wieder diejenigen Arbeiten machen, die das
Verhältnis späterer Schriftsteller zu Xen. zum Gegenstand haben.
P. Krumbholz, De Ctesia aliisque auctoribus in Plutarchi
Artaxerxis vita adhibitis. Gymn.-Progr. Eisenach 1889.
K. spricht auf S. 19 — 22 „de Xenophonte Plutarchi auctore" und
zeigt, daß Plutarch die Anabasis für die genannte vita benutzt hat,
vgl. oben S. 56.
Th. Büttner- Wobst, Die Abhängigkeit des Geschichtsschreibers
Zonaras von den erhaltenen Quellen. Commentationes Fleckeisenianae.
Leipzig 1890, Teubner. S. 136
Bucht u. a. eine Benutzung der Kyrupädie durch Zonaras zu erweisen.
R. Dippel, Quae ratio intercedat inter Xenophontis historiara
graecara et Plutarchi vitas quaeritur. Diss. Gießen 1898
kommt schließlich zu dem Ergebnis, daß Plutarch hauptsächlich in
Bericht üb. d. Xenophoa betreffenden Schriften, Ib'jy— 19Ui'. (Richter.) 73
seinem Leben des Alkibiades und Agesilaos die Hellenicu Xenophons
unmittelbar benutzt hat; duneben freilich auch den Theoponip und
Ephorus, die ihrerseits selbst wieder von Xen. abhängig sind.
Vgl. die ausführliche Rez. von M. Pohlenz, 13erl. phil. WocIl
1899 S. 579.
U. Imniisch, Die ^Apologie Xenophons. Neue Jahrbb. 1900 S. 406.
Vgl. oben S. 51 und 62.
Joh. Endt, Die Quellen des Aristoteles in der Beschreibung des
Tyrannen. Wiener Studien. Wien 1902. S. 1 f.
Aristoteles hat, wie E. zeigt, in der Darstellung über die Ty-
raunis die ihm vorliegende Literatur benutzt. In dem Teile, wo er über
die Erhaltung der Gewaltherrschaft spricht, konnte er Plato zwar nicht
benutzen — doch hatte er auch auf diesem Gebiete Führer, dies beweist
der Hiero des Xenophon sowie Stellen aus Euripides und Isokrates usw.
Endt weist die zahlreichen Beziehungen der aristotelischen Politik zu
der genannten xenophontischen Schrift, aber auch zu anderen, nament-
lich der Kyrupädie, nach und läßt nur zweifelhaft, ob der Stagirite Xe-
nophon selbst oder etwa eine gemeinsame Quelle benutzt hat. Mir
scheint der Annahme, daß Aristoteles die xenophontischen Schriften ge-
lesen, nichts entgegenzustehen. Allerdings bleibt dabei die Tatsache,
daß er Xenophon nicht iieunt, in ihrer ganzen Bedeutsamkeit bestehen.
Für uns ist die interessante und jedenfalls noch recht erweiterungsfähige
Abhandluu<]j noch besonders aus dem Grunde von Bedeutung, weil Endt
darin auch vielfache Beziehungen zwischen dem Hiero und Isokrates
aufdeckt und damit der Quellenfrage für Xenophon nahetritt. Vgl.
meine Xenophonstudien S. 145 f.
Jahresbericht über Herodot 1898—1901
J. Sitzler
in Tauberbischofsheim.
1. Handschriften und Ausgaben»
Die Papyrusfunde der letzten Jahre waren auch für Herodot
nicht ganz ohne Ertrag.
B. P. Grenfell and A. S. Hunt, The Oxyrhynchos Papyri.
With eight plates. London 1898
bringen als Nr. 3 der 3. Abteilung Fragmeute aus Herodot I 105 flg.
und I 76: jedoch sind dieselben nur gering und für die Textkritik ohne
Belang.
"Wichtiger ist der folgende Band:
B. P. Grenfell and A. S. Hunt, The Amherst Papyri. Part II.
London 1901.
Das 12. Fragment trägt die Unterschrift: Aptotapyou [tk 1:0]
HpoooTou a Giiojxvrjixa. Von dieser Schrift des berühmten Grammatikers
wußte man bis jetzt nichts. Das erhaltene Stück stammt aus dem
3. Jahrh. n. Chr. und ist offenbar nur ein recht dürftiger Auszug aus
dem ursprünglichen Werke; denn von 1194: ovoj Cu>? es^iv (sie) springt
es über auf 215: ä'viTrnot. Übrigens sind diese beiden Stellen bemerkens-
wert; Ctu» ist die Lesart von R, und die Bemerkung zu 215 lautet
oviTC7:[oi • oujyi, [aXJXa afxiTiTcoi, eine andere Lesart, wie Bekk. anecd.
p. 205 zeigt, worauf die Hrsg. verweisen. Nach dieser Probe zu
schließen, kann man den Verlust des aristarchischen Kommentars nur
bedauern.
An neuen Auflagen ist zu erwähnen:
Herodotos erklärt von H. Stein. I. Band. 1. Heft. Buch 1,
6. Auflage. Berlin 1901.
Die Einleitung über Herodots Leben und Werk ist vielfach be-
richtigt und vervollständigt; besonders ist ein neuer Abschnitt (31)
JaLresbeiicht über Herodot ISO.S- 1901. (Sitzler.) 75
über die in die Erzählung oingelegten Reden und Gespräche hinzu-
gekommen. Die Darlegungen über den Dialekt des Geschichtsschreibers
sind vollständig umgearbeitet. Auf diese werde ich in dem Abschnitt
über Grammatik zurückkommen; hier will ich nur noch einige Ver-
besserungen hervorbeben, die der Text des 1. Buches durch die wieder-
liolte Bearbeitung des tüchtigen Herodotkenners erfahren hat.
Kap. 49, 2: 7.ara os rr)v 'A[X(p'.ap£ti> [toü fi.avrr,iou] u:i:oxp!3iv, der
sonstigen Gewohnheit des Herodot entsprechend. — 65, 24 flg.: [\iezk
oi euTTiae Auxoüp7o;] , offenbar späterer Zusatz, der nach dem
vorhergehenden Satze stört — 67, 12: s-efi-ov aZ-zn ff)v i; <^tXrfO'Ji
Tov> i^söv e-£tp7)jofjL£vouc, wie es scheint, in Anlehnung an VII 148, wo
aber ~r^•^ fehlt-, richtiger wird man ttjv I; dsov als unnötigen Zusatz
ausscheiden. — 82, 39: xoixav <£vo(xiaav>; besser Y.o\t.(ösi st. xojxäv;
jedenfalls richtig, daß xo|jl5v nicht von vo^lov sQevto abhängen kann. —
93, 1: f; A'joiT) st. 7^ AuSiY), das Schäfer in ^rj y) Auoi'y] änderte;
Herodot hat nnr Auoiy) oder fj AuotVj. — 144, 3: ^üXadüovca; aivw?
fx.r,oa}j.o'jc Ejoscaabat st. cpuXaTJovxai «uv; leichter ist cpuXaajovTai <oc fx..,
wie ich unter Verweisung auf Xenoph. Anab. VII 6, 22 vorschlug. —
150, 9: TTonf]3avTcüv oi taüia [üfxupvatujv], wozu bemerkt wird; üfiupvaicov
ist eine alte Kandergänzung zu -a zK'-.la. — 153, 19: i-elys. [t£];
richtiger i-Ktiyt tote. — 194, 10: aXXa aanioo; Tpojrov xuxXoTEpEa tto'.y^-
(javTEs xai xaXa[XTf)c TrXrjdavTE? [ttäv to zAgIov touto] (Jirisrii xara töv
rotaixov ^spEjftai, «popTituv -XyjjavTE», was wegen der beiden -Xrjiavre;
weniger genügt. Ich vermute -Xy^aav-E? -av t6 xoIXov oyttu (mit Gom-
perz) airtEiJi .... cpoptituv £;:ivr,3!zvT£; ; ZU cpoptiuiv sTTtv^sai vgl. Aristoph.
eccles. 838. Im übrigen vgl. meine Anzeige in der N. Philol. Rund-
schau 1902 S. 265 flg.
II. Kritische und exegetische Beiträge.
1. Text.
Mit der Erklärung und Verbesserung des Textes beschäftigen sich:
1. M. L. Earle, Encore Herodote I 86. Rev. phil. 1898 S. 182 flg.
2. J. Keelhoff, Encore Herodote 186. Rev. phil. 1898 S. 304 Üg.
3. T. G. Tucker, Herod. II 8, 1. 22, 2. 25, 1. 39, 3. 78, l.
111, 3. 116, 1. I 33. Class. Rev. 1898 S. 28 flg.
4. H. Richards, Herod. IX 122. Class. Rev. 1898 S. 29.
5. G. Selchau, Zu Herodot (VII 144. VIII 11. IX 103). Nord.
Tidsskr. f. Filol. VII S. 122 flg.
6. 0. Siesbye, Textkritische und exegetische Bemerkungen zu
Homer, Herodot usw. Nord. Tidsskr. f. Filol. VIII S. 89 flg.
76 Jahresbericht über Herodot 1898—1901. (Sitzler.)
7. C. Hu de, In Herodotum V 72. Nord. Tidsskr. f. Philol. IX
S. 112. (IX 98. 101. Ebenda 1897 S. 125.)
8. P.Petersen, Ad Herodotunn^VI 52. VII 145. 1X14). Nord.
Tidsskr. f. Filol. IX S. 138 flg.
9. K. Liucke, Miscellanea (Herod. I 138. VII 104), Philol. .J9
S. 186 flg.
10. E. Nestle, Zu Herodots Erklärung der Namen Darius und
Xerxes (VI 98). Berl. phil. Wochenschr. 1901 S. 1115 flg.
11. U. V. Wilamowitz, Herod. VII 178. Nachr. d. kgl. Gesellscb.
der Wissensch. zu Göttingen 1897 S. 325 Anm. 1.
12. E. Schwartz, Herod. VIII 73. Hermes 1899 S. 445.
Von den geraachten Vorschlägen sind folgende erwähnenswert.
Die vielbehandelte Stelle II 22, 1 : -/.(üc uiv or^-ua (tioi av a-o yiovoc öltzo
Twv B£p[JLOTaTü)v p£(uv I? toL tj>u/poT£pa Tüiv Tri zoXX« £3X1 av8pi ^E Xo'^i^sffOai
ToiouTcüv T:£pt o(m t£ EovTt, u)? ouSs oixoc xtX. wlJl Tucker durch die
Schreibung: «j^u/poTspa; xtuv t' «tto o^Xa esti heilen. Die Anastrophe
bei duo kommt bei Herodot nur II 6 vor, und x' paßt nicht. Früher
schlug ich 7vcup.axa st. xöiv xa vor; jetzt glaube ich, daß aujxßoXaia
(vgl. V 92, 7) hinter tcoXXoc ausgefallen ist, und lese i{>u-/poxcpa; xü>v
xai TToXXot <iTup,p6Xaia> sjxi .... eovti, cuc <te>- ouoe xxX. — II 39
verlangt derselbe xoivt^ st. y.s.vrq; recht ansprechend, aber vgl. zu
xecpaX?) xEi'vr] Kap. 40: xotXir,v xeivt)-/. — II 78 weist Tucker Sitctj/'jv,
das die Hs- Klasse a, offenbar als Verschreibung infolge des vorher-
gehenden 7:/j-/uavov bietet, mit Recht zurück; er korrigiert ot;:ouv, wofür
auch oiTcXo'jv der Hs-Klasse 3 spricht. — VII 172 hat man vielfach an
ou ßo'jXo[jL£voi Anstoß genommen, das Stein für ein Versehen st. [jl9j
ßouX6}jL£voi erklären möchte; zur Rechtfertigung der Überlieferung ver-
weist Siesbye aufHom. x 573: oux KlEXovxa. Eur. Androm. 382: crou
o' ou d£Xou3rjc xaT^avETv, x6vo£ xx£v<T). Thuk. IV22: ou xuyo'vxEc Demosth.
XV 25 ou oi'xaia Troioüvxa. — VII 178 hat die eine Hs-Klasse ik>^,]i, die
andere i>uiy)?, bzw. öuyjc; danach vermutet Wilamowitz ev Suitjci,
vielleicht mit Recht. — VIII 73 ist überliefert dpuoTituv os 'Epixituy xe
xat 'AoivYj f( Tipos Kapoa|j.uX7j tq Aaxtuvix/^. Dies bezeichnet Schwartz
mit Recht als unhaltbar; aber was er für möglich hält: 'Aai'vY) f, irpöc
<:x«) xoXttu) Tio OoupiaxYjxi (sie) xai> Kapoa[j.uX7) r^ A. ist ebenso unhalt-
bar; denn Kardamyle ist keine Stadt der Dryoper.
Zum Schlüsse nenne ich noch
H. M. Blaydes, Adversaria in Herodotum. Halle 1901,
ein Buch, in dem Altes und Neues, Eigenes und Fremdes in bunter
Fülle geboten wird, unter vielem Überflüssigen und Unbrauchbaren
findet sich auch manches Gute.
Jahresbericht über Herodot 1S98— 1901. (Sitzler.) 77
2. Grammatik and Lexikologie.
Die wichtigste Frage ist hier die nach dem von dem Geschichts-
schreiber angewandten Dialekt, über welche sich die Gelehrten bisher
immer noch nicht einigen konnten. Die einen wollen die Sprache
Herodots, da er ja ein ionischer Schriftsteller sei, nach den Inschriften
ummodeln; die andern, zu denen auch ich gehöre, nehmen für Herodot
dasselbe Recht in Anspruch, das für die andern Schriftsteller gilt,
nämlich, dall für die Feststellung seiner Sprache die hd. Überlieferung
maßgebend sein muß, neben welcher den Inschriften nur eine unter-
geordnete Bedeutung zuerkannt werden kann.
Mit der Erörterung dieser Frage befassen sich:
1. M. Fuochi, De vocalium in dialecto lonica concursu obser-
vatiunculae. Florenz und Rom 1899.
2. 0. Hoffmann, Die griechischen Dialekte. B. Band: Der
ionische Dialekt. Quellen und Lautlehre. Göttingen 1898.
3. A. F ritsch. Zur Konstituierung des Herodotischeu Dialekts.
Verhandlung der 45. Versammlung deutscher Philologen und Schul-
männer in Bremen 1899. Leipzig 1900. S. 158 flg.,
wozu noch H. Stein in der 6. Aufl. des 1. Buches seiner kommen-
tierten Herodotausgabe S. LV flg. kommt.
M. Fuochi hat im Jahre 1894 in Studi italiani S. 209 flg. eine
inhaltreiche Abhandlung: De titulorum louicorum dialecto veröflfentlicht,
vgl. Jahresb. Bd. 83 S. 49 flg. Berücksichtigte er damals nur die
Inschriften, so stellt er in der vorliegenden Unlersuchang das, was sich
aus den Inschriften für die Vokalkontraktion im Ionischen ergibt, mit
den entsprechenden Lehren der Grammatiker zusammen , um zu sehen,
inwieweit sie miteinander übereinstimmen oder voneinander abweichen.
Er kommt dabei zu dem Ergebnis, daß sich bei den Grammatikern
viel Unrichtiges und Verkehrtes flnde. Die Anwendung dieser Sätze
auf Herodot macht er nicht, sondern stellt über die hd. Überlieferung
dieses Schriftstellers besondere Studien in Aussicht.
0. Hoffmanns groß angelegtes Werk über den ionischen Dialekt
verfolgt den Zweck, die gemeinsamen charakteristischen Eigentümlich-
keiten dieser Mundart klarzulegen. Bis jetzt liegt nur die eiste Hälfte
vor, die Quellen (S. 1 — 212) und die Lautlehre (213—626) umfassend;
übrigens teilt H. die Quellen nur in Auswahl mit, zunächst die In-
schriften, dann die Dichter. Bei der Bosprechung der Quellen äußert
er sich auch über die hd. Überlieferung Herodots (S. 187 flg.). Sein
auf S. 208 flg. entwickelter Grundsatz läßt sich kurz dahin zusammen-
fassen, wo die Texte der ionischen Schriftsteller im Dialekt mit den
78 Jahresbericht über Herodot 1S98— 1901. (Sitzler.)
Inschriften nicht übereinstimmen, müssen sie nach diesen abgeändert
werden. Beifügen will ich noch, daß 11. auch die herkömmliche Drei-
teilung des ionischen Dialekts in die Mundart Eubüas, der Kykladen
und der kleinasiatischen Dodekapolis verwirft, da sie einer ausreichenden
Begründung ermangle; auch Herodots Annahme von vier Sprachgruppen
io der Dodekapolis läßt er nur für die Volkssprache zu ; die gebildeten
Kreise der Dodekapolis hätten sich hinsichtlich der Sprache kaum von-
einander unterschieden.
Von ähnlichen Voraussetzungen ausgehend, verlaugt A. Fiitsch
im Dat. Sing, der I-Deklination -st, von Xajxßavw die Formen Xat|<o|xat
nnd EXatpörjv, im Femin. der Adj. auf u? die Endung -sTa. überall Spiritus
lenis und v etpeXxua-cixov, im Genet. Sing. v£r|Vi(u Ilaujaviw Mapauw, in ypaco
und xp^o^»-*^ überall tj usw. Diese Änderungen nahm er auch in
seine bei Teubner in Leipzig im Jahre 1899 erschienene Schulausgabe
der Bücher V— IX auf, gerade als ob sie schon so über jeden Zweifel
erhaben vpären, daß man sie sogar in die Schulen einführen könnte.
Wie stellen sich nun diese Annahmen zum wirklichen Sachverhalt?
Wer den Herodot-Text nach den ionischen Inschriften verbessern und
berichtigen will, der muß zuerst den zwingenden Beweis erbringen, daß
Herodot ein reines, ungemischtes Ionisch schreiben wollte und auch
wirklich geschrieben hat. Dieser Beweis ist bis jetzt nicht erbracht
und kann auch schwerlicii jemals erbracht werden. Die Grammatiker
überliefern ausdrücklich, daß sich urser Geschichtsschreiber einer
{iEfjLqixEVY) , ttoixiXtj 'la? bedient habe, vgl. die Zusammenstellungen
bei Bredov, Quaest. crit. de dial. Herodotea S. 4 flg. oder bei Stein
a. a. 0. S. XL VII flg., und mit diesen äußeren Zeugnissen stimmen
die aus dem Geschichtswerk selbst entnommenen überein. Stein hebt
S. LVIII den Lautwandel von naturlacgem a in y), das Fehlen des
Spiritus asper, den guttural anlautenden Pronominalstamm xo, den
Diphthong wu, die mit t anlautenden Formen des Relativpronomens o?
und die vielfache Offenhaltung zusammenstehender Vokale als besonders
charakteristische und kritisch sichere Besonderheiten der herodotischen
Sprache hervor und zeigt, daß von diesen Besonderheiten die erste auf
den Inschriften der drei Gruppen des lonismus, die zweite auf den
Inschriften der asiatischen Dodekapolis, die vier andern auf keiner
ionischen Inschrift erscheinen. Folgt daraus nicht unwiderleglich, daß
Herodots Sprache von dem inschriftlich bezeugten ionischen Dialekt
verschieden, mithin keine gesprochene Mundai't, sondern eine literarische
Sprache ist? Und dies wird noch dadurch bestätigt, daß sie, wie Steia
S. LlXflg. nachweist, mit der Sprache der ionischen Dichter und
Prosaiker des 7. bis 5. Jahrhunderts v. Chr. in den oben erwähnten
sechs charakteristischen Merkmalen übereinstimmt.
Jahresbericht über Herodot 1S9S— 1901. (Sitzler.) 79
Man siebt aus diesen Darlegungen, wie gering der Wert der
ionischen Inschriften zur Herstellung der wahren Mundart Herodots
ist; wichtiger sind schon die Literaturdenkmäler der ionischen Schrift-
steller der alteren Zeit; die Hauptsache aber ist und bleibt die richtige
Verwertung und Ausnutzung der Hss. Man muß sich immer gegen-
wärtig halten, wie nahe bei der Abschrift und Korrektur des Textes
einerseits die Abirrung; zur gewöhnlichen Form, anderseits die Einsetzung
einer Analogieform lag. Wo die beiden Hss-Klassen hinsiclitlich einer
sprachlichen Eigentümlichkeit übereinstimmen, ist jeder Zweifel über
deren Kichtigkeit ausgeschlossen; Meinungsverschiedenheit kann nur da
entstehen, wo sie voneinander abweichen. In Fällen, wo berodotische
Formen gewöhnlichen gegenüberstehen, ist den ersteren der Vorzug zu
geben, auch wenn sie nur au einer oder ein paar Stellen sicher be-
glaubigt sind. Die offenen Formen, die sich auch bei den ionischen
Dichtern und Prosaikern linden, hält Stein nur für graphisch, nicht
phonetisch verschieden von den zusammengezogenen. Ich glaube, daß
man diese Eigentümlichkeit Herodots richtiger als eine Anlehnung an
das Epos, dessen Einfluß bei unserem Geschichtschreiber nicht zu ver-
kennen ist, erklären wird. Das v e'f eXxüj-ixo'v hat Herodot ohne Zweifel
gemieden; nicht zu rechtfertigen ist aber die Einführung des Spiritus
lenis statt asper in das berodotische Geschichtswerk, trotzdem die
Psilosis feststeht. Will' man Herodots eigene Schreibweise herstellen,
80 muß man Spiritus und Akzent weglassen; mag man sich dazu nicht
entschließen, so muß man bei der Überlieferung stehen bleiben; denn
es läßt sich nicht beweisen, daß mit dem Schwinden des H-Lautes
auch der Spiritus asper aus der Schrift verschwinden mußte; das
graphische Zeichen konnte sich, wie wir auch tatsächlich sehen, erhalten.
Mit den Impersonalien beschäftigt sich
A. Dießl, Die Impersonalien bei Herodot. Progr. Wien 1899,
eine Arbeit, die nur als Stellensammlung Wert hat. Das Thema selbst
ist, was der Verf. allerdings nicht weiß, schon von A. St. Miodonski,
De enuntiatis subiecto carentibus apud Herodotum. Diss. Krakau 1886,
eingehend behandelt, vgl. Jahresb. Bd. 58 S. 250 flg.
Eine tüchtige Arbeit über den Dativ liefert
R. Helbing, Über den Gebraucli des echten und soziativen
Dativs bei Herodot. Diss. Freiburtr 1898 und Der Instrumentalis
bei Herodot. Prcgr. Karlsruhe 1900.
Er hat das Material mit großem Fleiß zusammengetragen und
dabei auch die Überlieferung und die neuere Literatur berücksichtigt.
In der Anordnung und Auffassung der sprachlichen Erscheinungen folgt
er der bewährten Führung Delbrücks. Besondere Anerkennung ver-
80 Jaliresberidit über Herodot 1808-1901. (Sitzler.)
dient es, daß er die Sprache Herodots stets mit der der früheren und
späteren Schnftsteller in Beziehung- setzt, so daß man jederzeit, darüber
unterrichtet ist, welche Stellung der herodotische Sprachgebrauch dem
allgemeinen Sprachgebranch gegenüber einnimmt. Mit den Entscheidungen,
die der Verf. in grammatischer und textkritischer Hinsicht fällt, kann
man fast immer einverstanden sein; wenn er aber IV 10 xo 6f| fxoüvov
IxTjXovK^aaabat zf^ {xr^-pt Sxufhjv als zusammenfassenden AbschlnB der
ganzen Erzählung vorschlägt, so übersieht er, daß rau-ra rA 'EXXr|Vu>v xrX.
als solcher unmittelbar folgt. Mir scheint der Satz aus einer am Rande
nachgetragenen Auslassung nach ETrixeXeaavT« entstanden und an un-
rechter Stelle eingeschoben zu sein; ursprünglich hieß es etwa: emteXe^avTa,
To fi,7)yaviQaaaf)at tt)v jxrjTepa, [jlouvov xaTaiieivai Iv ty) '/(upv). Nachzutragen
sind oi}i,(u(:£tv VII 159 und dvtaa&at IV 130 und V 93; beide Wörter
spricht der Verf. dem Herodot ab,
ITber den Unterschied zwischen dem griechischen Genetiv und
Dativ auf die Frage wann? handelt Chr. Wirth in den Blättern
für Gymnasial-Schulwesen 1898 S. 852 flg. Er faßt das Ergebnis seiner
Untersuchung folgendermaßen zusammen; „Auf die Frage wann? setzt
der Grieche den Genetiv, wenn ein anderes Substantiv als Gegensatz
gedacht wird, dagegen den Dativ, wenn das nämliche Substantiv nur
eben mit einem andern adjektivischen Attribut als Gegensatz gedacht
wird." Als wichtigste Beweisstelle führt er Herod. 11 47 an; IeXy^vtj
6s xai /Atovuatp [xouvotai toü auxoü -/povou xt] «uxt^" TravssXTQVfü xoy» uc
t%aavxe? Traxeovxat xtov xpstüv, was er erklärt: zur nämlichen Zeit (im
Gegensatz zu: an dem nämlichen Ort) an dem nämlichen Vollmond
(im Gegensatz zu: an verschiedenen Vollmonden).
M. C. P. Schmidt, Jahrb. f. Philol. 1897 S. 623 flg. sucht zu
erweisen, daß xaxa xi ,.senkrecht zu" bedeuten kann. Zu diesem
Zweck führt er auch drei Stellen aus Herodot an, nämlich VII 176:
loio[).-i]zo o£ xeiyo? xaxa xauxac xa; IjßoXa;: „im rechten Winkel zur
Paßstraße", VII 216; xsivet r) 'Avouata aZxr^ xaxa pa/iv xoü oupeo?:
-senkrecht durchschneidet der Weg den Grat" und VII 36: xoü pisv
riovxou £7:ixap3iac, xoü oe 'EXXr)!j-6vxou xaxa poov: ,,die eine Reihe lief
im schiefen, die andere Reihe im rechten Winkel zur Strömung". Ich
kann der Erklärung des Verf. an keiner der drei Stellen beistimmen;
VII 176 gibt xaxa' den Ort an, wo die Befestigung angelegt ist, VII
216 den Ort, über den sich der Weg hinzieht, und VII 36 steht xaxA
p6ov wie sonst: nach, parallel der Strömung.
Jahresbericht über Herodot 1898—1901. (Sitzler.) 81
B. Geschichte und Geograpliie.
Die Forschuuy auf dem Gebiete der alten Geschichte und Geo-
graphie wurde in den letzten Jahren , durch die Ausgrabungen an-
geregt, mit großem Eifer betrieben und führte zu glänzenden Ergeb-
nissen, die auch für die Erklärung und Beurteilung Herodots von
Wichtigkeit sind.
Mit der Geschichte Lydicns beschäftigen sich:
*1. J. V. Pra.^ek, Lydiaca I. Die lydischen Mermnaden und
Herodot. Ceske Mus. Filolog. VI S. 161 flg. 241 flg.
1. G. Egelhaaf, Der Sturz der Herukliden und das Aufkommen
der Mermnaden. Vortrag, gehaltoi auf der 40. Philol.- Versammlung
in Strasburg 1901. Wochcnschr. f. klass. Philol. 1901 S. 1299 flg.
3. J. Oppert, H6rodote et l'orient antique. Mölauges Weil.
Paris 1898. 29. Abhandlung.
4. C. Niebuhr, Einflüsse orientalischer Politik auf Griechenland
' im 6. und 5. Jahrhundert. Berlin 1899.
Egelhaaf veisucht. die Vorgänge bei dem Wechsel der lydischen
Dynastie, für die es an inschriftlichen Zeugnissen fehlt, durch eine
soigfältige Untersuchung und Prüfung der literarischen Quellen auf-
zuhellen. Herodots Berfcht I 8 — 13 nennt er ein Meisterwerk einer
charakterisierenden Erzählung, die aber so vollständig auf des Schrift-
stellers Auffassung von der Hj^'is beruhe, dal.l sie als historische
Unterlage nicht zu verwerten sei; Justinus I 7 beschränke sich darauf,
die herodotische Vorlage in oberflächlicher und plumper Weise wieder-
zugeben. Als Ergebnis seiner Forschung stellt der Verf. fest, 1. daß
der Thronwechsel jäh erfolgte , indem der letzte Heraklide durch
Meuchelmord fiel, 2. dal.! der Mord von einem dem König nahestehen-
den Manne («einem Lanzenträger ") ausging, 3. daß die Königin —
wie? ist fraglich — bei der Sache beteiligt war und von dem Mörder
zur Ei'langung einer Art von Legitimität geheiratet wurde, 4. daß die
Anhänger der Herakliden sich nicht sofort unterwarfen, sondern zn den
Waffen griffen, 5. daß der Krieg zwischen den beiden Parteien durch
einen Schiedsspruch des delphischen Orakels beigelegt wurde, und
6. daß dieser Schiedsspruch zugunsten des Usurpators Gyges ausfiel
und der Grund für die griechenfreundliche Politik der neuen
Dynastie war.
Nach Herodot regiert Gyges 38 Jahre; dies kann aber nicht
richtig sein, da er nach einer assyrischen Inschrift im Jahre 663 an
Sardanapal eine Gesandtschaft schickte. Daher vermutet üppert, daß
ihm die 57 Jahre gehören, die Herodot dem Alyattes gibt. Alyattes
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVII. (1903. II.) 6
82 Jahresbericht über Herodot 1S98— 1901. (Sitzler.)
regierte nach dem parischen Marmor 49 Jahre, also die Zeit, die bei
Herodot der Regierung des Ardys zugewiesen wird. Daraus schließt
Oppert, daß die Angabe der Regierungsjahre der einzelnen lydischeu
Könige bei Herodot in Verwirrung gekommen sei , wenn auch die Ge-
samtsumme ihrer Regierung richtig sei. Er selbst ordnet sie folgender-
maßen: Gyges 57 Jahre, also 712—655 (bzw. 716—659), Ardys
38 Jahre, also 655—617 (bzw. 659—621), Sadyattes 12 Jahre, also
617—605 (bzw. 621—609), Alyattes 49 Jahre, also 605—556 (bzw.
609—560), Krösus 14 Jahre, also 556—542 (bzw. 560 — 546).
Niebahr untersucht im 1. Teil seiner Schrift das Verhältnis der
kleinasiatischeu Griechen zu den lydischen Herrschern. Er glaubt,
daß die ersteren von den letzteren schon viel fiüher unterworfen wurden,
als Herodot berichte. Fehlen schon für diese Annahme beweiskräftige
Gründe, so ist es geradezu unverständlich, wie der Verf. dazu kommt,
zu behaupten, der Herod. V 94 flg. erzählte Krieg um Sigeion sei
zwischen Periander , dem Oberherrn von Attika, und den Lydiern, den
Herren von Lesbos, geführt worden. Der 2. Teil der Schrift sucht die
Beziehungen der lydischen Könige zu Delphi zu ermitteln; aber auch
hier fehlt es nicht an abenteuerlichen Behauptungen, So meint der
Verf., die von Herodot I 14 und 50 flg. erwähnten Weihegeschenke
des Gyges und Krösos stammten nicht von diesen Königen, Sondern
seien während des ionischen Aufstandes von den Alkmeoniden — den
Herod. V 97 genannten Melanthios hält er nämlich für einen Alk-
meoniden -- aus dem Tempel der Branchiden bei Milet geraubt und
Dach Delphi gebracht worden, wo sie von der Priesterschaft fälschlich
als Geschenke jener Herrscher ausgegeben worden seien; zur literarischen
Verbreitung dieser Legende hätten sich die Priester des Herodot, der
die Interessen des delphischen Heiligtums nach dieser Seite hin ver-
treten habe, bedient.
Die Geschichte der alten Phryger berührt
H. Win ekler, Altorientalische Forschungen. 2. Reihe, Bd. H
(1899) S. 193—400. Leipzig 1900 und Die Völker Vorderasiens.
Leipzig 1899.
Er identifiziert den Phrygerkönig Midas (Herod. I 14 flg.) mit
dem in den Siegesberichten des assyrischen Eroberers Sargon erwähnten
Mita, König der Muski, und vermutet, daß die indoeuropäischen Phryger,
die von Thrakien nach Kleinasien einwanderten, die Moscher über-
wunden, die alte Heri'schaft der Hettiteu gestürzt und dann selbst deren
Stelle eingenommen haben.
An der Spitze der Arbeiten über Assyrien und ßabyloniea
verdient
Jahresbericht über Herodot ls;iS— 1^101. (Sitzler.) 83
M. Jastrow, The religion of Babylonia aud As«yria. Boston 1898
genannt zu werden, ein Werk, welches das gesarate Religionswesen der
Assyrer und Babylonier nach dem Stanrl der jetzigen Forschung zur
Darstellung bringt.
Den Fall Ninives bespricht
Th. Friedrich, Festijabe zu Ehren M. Büdingers. Innsbruck
1898. Zweite Abhandlung,
in eigener Weise. Er gehl von der Vernintung aus, dalJ der Bach
Choser zur Zeit der Blüte des assyrischen Reiches nicht, wie man ge-
wöhnlich annehme, mitten durch die Stadt geflossen, sondern von Sanherib
in einem wohleingedämmten Kanal außerhalb der Stadtmauern in den
Tigris geleitet worden sei, damit ci- durch Überschwemmungen keinen
Schaden in der Stadt und im Palaste anrichten könne. Trotzdem habe
dieser Bach einmal bei hohem Wasserstande, wie aus Nahum 2, 9.
das ein vaticinium ex eventu sei, hervorgehe, die Dämme durchbrochen
und die Stadt unter Wasser gesetzt. Zu gleicher Zeit habe der Blitz
in den Palast und das Zeughaus geschlagen und diese Gebäude zerstört.
Infolgedessen sei der König, der seine Residenz nach Chalah verlegt
habe, nicht mehr imstande gewesen, dem vereinten Ansturm der Meder
und Babylonier Widerstand zu leisten, und so sei Ninive gefallen. Es
wird kaum nötig sein, diese Hypothese noch ausdrücklich als unwalir-
scheinlich zu bezeichnen; die Rolle, die dabei dem Zufall zugewiesen
wird, die Unhaltbarkeit einer solchen Erklärung und Beziehung von
Nah. 2, 9 und die klare Überlieferung Herodots I 106 hätte sie un-
möglich machen sollen.
Zahlreich sind die Arbeiten über Babylon, wo auf Anregung
der deutschen Orient-Gesellschaft unter der Leitung Koldeweys Aus-
gi'abungen vorgenommen werden. Über diese berichten:
1. P. Rohrbach, Babylon. Preuß. Jahrb. 104, 2.
2. F. Delitzsch, Babylon. Mit einem Plan des Ruinenfeldes.
Leipzig 1899 und Die babylonische Mauer (Herod. I 178). Wochenschr.
f. klass. Philol. 1900 S. 5.34.
Rohrbach weist darauf hin, daß Herodots Angabe über den
Umfang Babylons (I 178) stark übertrieben sei; deun nicht 480 Stadien =
rund 90 Kilometer betragen die Umfassungsmauern, sondern nur
15 Kilou^eter -^ rund 80 Stadien. Dagegen bewahiheitet sich nach
Delitzsch die Angabe des Schriftstellers über die Dicke der Mauer,
die sich auf 80' beläuft. Herodot (I 178) gibt 50 königliche Ellen an,
die Elle nach Hultsch zu 525 mm, also 26,25 m oder 87,50', 3 m
zu 10' gerechnet.
Mit der Geschichte des Landes befassen sich:
6*
84 Jahresbericht über Herodot 1898-1901. (Sitzler.)
1 . C. F. Lehmann, Die historische Semiramis und Herodot.
Beiträge zur alten Geschichte. Bd. 1 (1901) S. 256 %.
2. J. Oppert, Herodote et l'orient antique. Melanges Henri
Weil. Paris 1898. 29. Abhandlung.
3. F. H. Weisbach, Zur Chronologie des falschen Smerdis und
des Darius Hystaspea. Zeitschr. der deutsch. Morgenland. Gesellschaft
1897 S. 509 flg. 661 flg.
4. J. V. Prasek, Forschungen zur Geschichte des Altertums III,
Zur Chronologie des Kyros. Zu der Behistün-Inschrift. Leipzig 1900,
5. — Die ersten Jahre Dareios' des Hystaspiden und der alt-
persische Kalender. Beiträge zur alten Geschichte. Bd. 1 (1901)
S. 26 flg.
6. C. F. Lehmann, Xerxes und die Babylonier. Wochenschr,
f. klass. Philol. 1900 S. 959 flg.
7. E. Meyer, Forschungen zur alten Geschichte. Bd. II. Halle
1899. 6. Abb.: Chronologische Untersuchungen. Die Regierungs-
zeiten der persischen und der spartanischen Könige.
8. — Geschichte des Altertums. Bd. III. Das Perserreich und
die Griechen. 1. Hälfte. Bis zu den Friedensschlüssen von 448 und
446 V. Chr. Stuttgart 1901.
Lehmann bezieht den Bericht Herodots (I 184) über die baby-
lonische Königin Semiramis auf Samuramat, die auf einer Inschrift aus
der Zeit des assyrischen Königs Adadnirari III. (812 — 783) genannt
wird. Sie scheint eine babylonische Prinzessin gewesen zu sein, welche
Adadnirari nach der Unterwerfung Babyloniens heiratete, um dieses
Land fester mit Assyrien zu verbinden, Ihr zu Ehren übertrug er auch
im J. 787 den Kult des Bel-Nebu aus Babylou-Borsippa nach Kalach
(Chalah) in Assyrien. Was Herodot über die Deichbauten der Semi-
ramis berichtet, hat er wohl von den Nebu-Priesteru in Borsippa er-
fahren; Königin von Babylon nennt er sie aber, weil lür ihn Babylon
die Hauptstadt des assyriscnen Reiches ist. Wie aus ihr die spätere
Semiramis wurde, darüber vgl. Jahresb. Bd. 83 S, 60.
Wenig wahrscheinlich erscheint, was der Verf. über Nitokris vor-
bringt, die Herodot (I 185 flg.) an die Stelle Nebukadnezars setzt.
Er meint, unser Geschichtsschreiber habe den Namen Nitokris selbst
aus dem Namen Nebukadnezar, den er von den Nebu-Priestern hörte,
gebildet, weil er sich an die ägj'ptische Nitokris erinnerte und Nitokris
ungefähr dieselben Konsonanten, wie Nebukadnezar, enthalte. Derartige
eigene Bildungen liegen Herodot fern, und eine solche Abnahme ist
an unserer Stelle um so weniger begründet, als jeder Hinweis auf die
Jahresbericht über Herodot 1S9S— 1901. (Sitzler.) 85
ägyptische Nitokris fehlt; vgl. dagegen II 100; auch ist die Ähnlichkeit
zwischen beiden Namen gewiß wenig auffallend. Ich halte daher an
der bisherigen Erklärung fest, die in Nitokris die Gemahlin Nebukad-
nezars, die medische Prinzessin Amytis, sieht, die in der Sage, wie
Semiramis, an die Stelle des Königs getreten ist.
Oppert weist darauf hin, daß die Behistun-Inschrift hinsichtlich
der Genealogie des persischen Königshauses mit Herodot I 107. 111
und VII 11 übereinstimme; allerdings müsse man VII 11 lesen: xoü
Teijjreo; <xal li 'ATOjar,; t9j?> Kupou xoü Koip.[üua£to <toü K'jpou> toü
TeiaTTEo; xxX. Daher dürfe man mit Recht die Frage aufwerfen, ob es
nicht eine Volks-;age gegeben habe, nach der die Frau des Kambyses,
des Vaters des Königs Kyros, die Tochter des medischen Königs ge-
wesen sei. Die Inschrift von iSippara wisse von einer solchen Ver-
wandtschaft nichts.
Auch über die Stammesangehörigkeit der Porser und Meder sei
Herodot unterrichtet, vgl. VII 62. Die Perser seien Arier, Medien
dagegen sei von turauischen Völkerschaften, untermischt mit arischen
Stämmen, bevölkert, worüber unser Geschichtschreiber die genauesten
Nachrichten gebe (I 101). Die Magiei- seien nicht arischen Ursprungs
gewesen, und so stelle sich die Empörung des Magiers als eine Reaktion
des turauischen Kults gegen den von Kyros eingeführten persischen dar.
Die Ermordung des Magiers Gaumata verlege die Behistun-Inschrift
nach Sichichotes in der medischen Provinz Nisäa, Herodot dagegen
nach Susa; aber in den Namen der sieben Perser, die sich gegen die
Magier verschworen, lierrsche zwischen Inschrift und Herodot fast
völlige Übereinstimmung. Nur statt Aspathines nenne die Inschrift
Ardymanes; doch sei auch dieser Name von Herodot nicht erfunden;
denn Aspathines sei ein besonderer Freund des Königs gewesen, der sein
Bild, sowie das des Gobiyas, auf sein Grab habe setzen lassen. Der
Vater des Otanes heiße auf der Inschrift Thuchra (Sochres), der des
Megabyzos Dadyes.
Die Belagerung von Babjdon durch Dareios gibt Herodot III 153
auf 20 Monate an; daß sie nicht so lange dauerte, zeigen die Inschriften.
Nach Opperts Ansicht, die er auch in der Zeitschrift der deutschen
morgenläudischen Gesellschaft 1897 S. 155 flg. ausspricht, bezeichnen
die 20 Monate, die Herodot angibt, die Zeit, die zwischen dem Auf-
stand des Magiers und dem Ende der Herrschaft Nabuchodonosors III.,
d. h. des Betrügers Nidintabel, verfloß. Wahrscheinlicher ist die An^
nähme Lehmanns (Xerxes und die Babylonier S. 962 Anm. 1), daß
in der „Mär vom Falle Babels" Ereignisse aus der Zeit des Darius und
Xerxes bunt gemischt seien, wie dies auch sonst in der Sage bei den
Persern vorkommt. Weisbach meint, daß der mindestens 16inonat-
8G Jahresbericht über Herodot 18^)8— 1 1)01. (Sitzler.)
liehe Aufenthalt des Dareios in Babylon nach der Bestrafunt^ des Re-
bellen Aracha möglicherweise der geschichtliche Hintergrund der bei
Herodot so fabelhaft ausgeschmückten Erzählung sei, und Präs ek will
diesen zweiten babylonischen Aufstand geradezu mit dem von Herodot
erzählten identifizieren.
Die erste Eroberung Babylons durch Kyros setzt man allgemein
in das J. 539, und diesen Ansatz verteidigt Prasek in seinem Aufsatz
zur Chronologie des Kjtos mit Erfolg gegen P eiser, der in den Mit-
teilungen der Vorderasiatischen Gesellschaft 1897 das J. 54U als das
richtige Datum zu erweisen suchte. Ebenso erfolgreich tritt er in seiner
Abhandlung zur Behistün-Inschrift für die Glaubwürdigkeit der darin
augegebeneu Genealogie des Darius gegen die Verdächtigungen P. Rosts
in seinen Untersuchungen zur altorientalischen Geschichte ein. Vgl.
auch J. Oppert (S. 24) zu dieser Frage.
Über die Erhebung des falschen Smerdis und die ersten Regierungs-
jahre des Dareios handeln Weisbach, Prasek und E. Meyer, wozu
noch F. Justi, Die altpersischen Monate, Zeitschr. der deutsch, morgen-
läud. Gesellsch. 1897 S. 233 flg. kommt. Einigkeit herrscht darüber,
daß der Tod des Kambyses, die Herrschaft und der Sturz des Gaumata
oder falschen Smerdis und der Regierungsantritt des Dareios in das
J. 522 fallen; mit dem 1. Nisan des J. 521 beginnt also das 1. Re-
gierungsjahr des Dareios. Dagegen gehen die Ansichten darüber, wie
die Ereignisse auf die ersten Regiernngsjahre des Dareios zu verteilen
sind, weit auseinander. Weisbach glaubt, daß die Aufstände, die in
den Provinzen gegen Dareios gemacht wurden, in den Jahren 522 — 519,
d. h. in den 4 ersten Jahren seiner Regierung niedergeworfen wurden,
und auch E. Meyer setzt den letzten dieser Aufstände, den 2. babylo-
nischen unter Aracha in die Jahre 520/519. Richtiger nehmen Justi
und PraSek dafür die Jahre 522 — 514 in Anspruch, allerdings mit
friedlichen Unterbrechungen, deren längste nach Justi unmittelbar vor
Arachas Empörung lag, die in die J. 516/14 fiel. Au die Unterwerfung
Babyloniens schloß sich der Zug gegen die europäischen Skythen, den
auch Herodot, worauf Prasek hinweist, unmittelbar daran anknüpft.
Der Zug des Dareios gegen die Skythen fällt in das J. 513,
nach Meyer etwa 512. V. Costanzi, Quaestiones chronologicae.
Turin 1901 = Riv. di Filol. e d' Istruzione class. XIX S. 489 flg.
will ihn bis 506/5 herabrücken. Er stützt sich dabei auf die viel be-
handelte Stelle Herod. VI 40, in der er aXXa -uiv xaxaXaßovxwv oder
xaTsj^ovTüiv rprj7|xaT(uv yaXeTrojTspa mit andern von der Vertreibung des
Miltiades durch die Phöniker versteht. Da er nun mit Stein sTet
<T:po> TouTtuv liest und der richtigen Ansicht ist, daß die Skj'then
ihren Rachezug sofort nach der mißglückten Expedition der Perser an-
Jahresbericht über Uerodot 1808 — 1901. (Sitzler.) 87
getreten habeu, so muß er auch das überlieferte -rp-'-tu für falsch halten.
Er setzt dafür oexa und gewinnt so, Miltiades" Flucht vor den Phönikern
im J. 494 — richtiger 493 — angenoraraen, für den Rachezug der
Skythen 504. Fallt man aber den herodotischeu Text, wie er über-
liefert ist, so bezieht sich t(Üv y.a-:£-//jv-u>v zpTrjjixaTüJv auf das in Kap. 39
Erzählte und mit aXXa yaXsiKuTspa ist die Vertreibung durch die Skythen
gemeint, die zwei Jahre spüter als jene Ereignisse stattfaml und bis zur
Znrückführung des Miltiades durch die Dolonker, zwei Jahre vor der
Flncht vor den Phönikern, dauerte. Vgl. darüber vorigen Jahresber.
Bd. 100 S. 2. Für die genauere Bestimmung des Skythenfeldzngs läßt
sich aus unserer Stelle nichts gewinnen.
Durch den Zug gegen die Skythen wollte Dareios nach Meyer
dej- ständigen Gefahr nomadischer Invasionen von Norden her, welche
Iran fortdauernd bedrohten, ein Ende machen. Der Plan konnte, wie
er sagt, nur entstehen , wenn man den Zusammenhang der nördlichen
Länder und die hier bestehenden Völkerverbindungen kannte, aber doch
von der Ausdehnung und ünwegsamkeit des Gebiets, von den großen
-Strömen Rußlands und dem Umfang der aralo-kaspischen Steppe keine
klare Anschauung hatte. Die Brücke über die Donau wurde dicht
oberhalb des Deltas unterhalb der Mündung des Pruth geschlagen.
Herodots Bericht über den Verlauf des Feldzugs ist unhistorisch: wahr-
scheinlich überschritt Dareios keinen der großen südrussischen Ströme.
Richtig ist aber, daß die Expedition vollkommen scheiterte. Die schon
von Thirwall als Erfindung bezeichnete Geschichte von der Beratung
der ionischen Tyrannen über den Abbruch der Donaubrücke stammt
nach Meyer aus der Zeit, als Miltiades nach seiner Rückkehr nach
Athen wegen seiner Tyrannis auf den Tod angeklagt wurde. Vor den
Persern mußte er wegen seiner Beteiligung am ionischen Aufstand
fliehen; bis dahin war er getreuer Vasall der Perser.
Lehmann weist darauf hin, daß das babylonische Königtum un-
trennbar au die Statue des Gottes Marduk geknüpft sei ; nur wer am
Akitu-Fest, d. h. am 1. Nisan, dem Feste des Jahresanfanges, die
Hände des Gottes erfaßt, ist legitimer König von Babylon. Dies haben
die Perserkönige bis herab auf Dareios getan, und so bestand eine
Personalunion zwischen Persien und Babylon. Unter Dareios bildete
Babylon mit Mesopotamien und Arbelitis die Satrapie Assyrien, später
dagegen eine Satrapie für sich; im erstem Sinne steht es immer bei
Herodot. Nach dem Tode des Dareios kam auch Xerxes am 1. Nisan
484 nach Babylon, wo er nach Lehmann in die Mysterien des toten
Bei eindrang; dies sei der historische Hintergrund der herodotischeu
Erzählung vom Grabe der Nitokris, in welcher Dareios an die Stelle
des Xerxes getreten sei, wie ja auch sonst in der mündlichen Tradition
88 Jahresbericht über Herodot 1898—1901. (Sitzler.)
der Perser, vgl. I 187. Während dann Xerxes in Ekbatana war, brach
ein Aufstand der Babylonier aus, der durch Megabyzos niedergeschlagen
wurde. Dieser verzögerte im Verein mit dem Abfall Äpypteus den Zug
des Königs gegen Griechenland. Da Xerxes dai'aufhin das nominelle
babylonische Königtum aufhob, so kam es im J. 480/79 zu einem er-
neuten Aufstand, der 19 — 20 Monate dauerte, wie Lehmann annimmt,
etwa die Zeit, die Herodot (III 153) für die Belagerung Babylons
durch Dareios angibt. Daß die Perser bei Ausbruch des Aufstandes
durch Unternehmungen gegen die Griechen in Anspruch genommen
waren, ergibt sich nach Lehmann auch aus Herodot III 150, wo
allerdings die Expedition des Dareios gegen Samos statt des Xerxes-
zuges genannt werde. Um die Zeit der Schlacht bei Salamis habe
Xerxes von dem Aufstand Kunde erhalten, und dies sei der Grund,
warum er so eilig mit einem großen Teile des Heeres zurückgekehrt
sei. Der Aufstand sei vielleicht von Megapanos, den Herodot VII 62
als Tov Ba[3uXü>vos ujTspov TouTüDv £TTtTpo7r£ujavTa erwähnt, niedergeschlagen
worden. Nach der Eroberung der Stadt führte Xerxes die Marduk-
statue weg (I 183) und zerstörte die Tempelstätte Esaggil, wohin sich
viele Babylonier geflüchtet hatten (III 158).
Auf Geographie und Geschichte Ägyptens beziehen sich:
1. G. Poucart, Herod. II 43. Acad. des inscript. et belles-
lettres 1899 April.
2. J. V. Pra§ek, Forschungen zur Geschichte des Altertums II.
Kadytis. Sethos. USü. Leipzig 1899.
3. F. L. Griffith, Stories of the high priests of Memphis, the
Sethon of Herodotus and the demotic tales of ßhamnes. 1900.
4. Grenfell, Hunt and Hogarth, Fayüm towns and their
papyri. London 1900.
5. E. Revillout, Herodote et les oracles egyptiens. Revue
egyptol. 1900 S. 1 flg.
6. A. W. Verrall, Herodotus on the dimensions of the pyra-
raids. Class. Rev. 1898 S. 198 flg.
Die Schrift von Griffith ist mir nicht zugänglich.
Foucart weist auf eine hieroglyphische Inschrift aus Karnak
hin, durch die Herodots Bericht über seinen Besuch im Ammonstempel
zu Theben und über die Erzählungen der ägyptischen Priester als wahr-
heitsgetreu bestätigt wird.
Eine syrische Stadt Kadytis wird Herod. II 159 und III 5 er-
wähnt. Praäek betont mit Recht, daß darunter zwei verschiedene
Städte zu verstehen seien; III 5 ist Gaza gemeint, wie man jetzt all-
Jahresbericht üb^^r Herodot 1898-1901. (Sitzler.) 89
gemein aimimmt, II 159 wahrscheinlich Kades aui Orontes, für dessen
ehemalige Bedeutung Prasek auf ein Kontrakltüfelchen aus dem 40.
(nicht wie der Verf. sagt 6.) Jahre Nebukadnezars hinweist.
Den sonst unbekannten König Sethon (II 141) identifiziert Prasek
mit Taharka und weist ihm die Regierungsjahre 685—680 zu. Ein
Irrtnm ist es al)er, wenn er sagt, Herodot gebe ihm 50 Regierungs-
jahre: Herodot läßt die Dauer seiner Herrschaft unbestimmt.
Die Fayüm-Papyri geben interessante Aufschlüsse über die
Topographie. Besonders bemerkenswert ist, daß durch sie der Birket
el Kurun jetzt endgültig als Teil des alten Möris-Sees erwiesen wird.
Vgl. auch C. Wessely, Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Wiener
Akad. vom 7. Nov. 1900, der eine Urkunde aus Soknopaiu Nesos^= Dime
am Birket el Kurun veröffentlicht, die den Namen Moiptc enthält.
Kevillout sucht unter Berufung auf die demotische Chronik und
die zeitgenüssischen demotischen PapjTi die Glaubwürdigkeit Herodots
in allem, was sich auf das Leben des Amasis (II 173 flg.) bezieht, zu
erweisen, so seine Vorliebe für gute Mahlzeiten und fröhliche Gelage,
seinen ungezwungenen Verkehr mit seinem Hofstaat, seine Vernach-
lässigung gewisser Tempel, wie desjenigen in Delphi, und seine Freund-
schaft mit den Griechen. Echt ägyptische Sitte war es auch, sich bei
Diebstählen zur Entdeckung des Diebes an Orakel zu wenden, worauf
schon Witdemaun in -seiner Ausgabe von Herodot II S. 597 hinweist.
Verrall tritt für die schon von Letronne, Jacobs u. a. ge-
gebene Erklärung von u-j^o; (II 124) als „Seitenhöhe" ein, da sich
Herodots Angabe nur so rechtfertigen lasse; jede Pyramidenseite bildete
ein gleichseitiges Dreieck.
Vber die Völker Libyens, die westlich vom Tritonsee und
TritonflulJ in der Gegend der Schotts von Gabes zu suchen sind,
spricht
J. To utain im Bulletin de la societe des antiquaires de France
1899 S. 258.
Es sind die Maxyes, Zauekes und Gyzantes. Von diesen erzählt
Herodot II 191. 194, daß sie ihren Körper mit Mennig rot bemalen,
was durch die Ausgrabungen bestätigt wird; denn D. Novak fand in
einer Nekropole von El-Alia, dem alten AchoUa, zwischen Mahedia und
Sfax, etwas nördlich von Ras Kapudia (Caput Vada), in Gräbern rote
Farbe, ein Beweis, daß solche wenigstens bei der Bestattung angewandt
wurde. Übrigens findet man rotbemalte Gebeine auch sonst in den
Gräbern nicht selten.
Die schon so vielfach erörterte Frage über die Pelasger macht
Müller, Zur Pelasgerfrage. Progr. Ellwangen 1898
90 Jahresbericht über Herodot 1898—1901. (Sitzler.)
zum Gegenstand erneuter Untersuchung^. Er hält an der Annahme
Herodots, daß die Pelasger Barbaren waren, fest und sieht in ihnen
die Träger der mykenischen Kultur. Da nun die Baudenkmäler, die
Kunstwerke und viele Namen dieser Epoche auf Ägypten und 83Tien
hinweisen, so müssen die Pelasger dorther gekommen sein. Sie ge-
hören zu den Hyksos, die von 1900 — 1600 die Herren von Ägypten
waren und ägyptische Kultur annahmen , dann aber wieder aus dem
Lande vertrieben wurden und teils zur See, teils zu Land nach Asien
und Griechenland zogen. Pelasger und Philister sind identisch. Die
Hypothese des Verf. ist, wie man sieht, ganz auf der Voraussetzung
des ägyptischen Ursprungs der mykenischen Kultur aufgebaut und ebenso-
weni? haltbar wie diese. Herod. I 57 will der Verf. IleXacjywv töüv
[uTTspl Tup3Tf]vü)v Kprjaxüiva izo'Xiv otxso'vxtuv lesen, weil nach Thukyd. IV 109
Pelasger und Tyrsener dieselben seien, sich also sprachlich nicht von-
einander unterscheiden; jedenfalls müßte es in diesem Falle Tupr^vöiv
<Twv> KpirjUTüiva xtX. heißen. Aber der Verf. übersieht , worauf
Stein z. d. Stelle hinweist, daß Tupjrjvol bei Herodot ausschließlich
die italischen Etrurier sind, und daß in Thrakien keine Stadt Kreston
lag, die Tyrsener bewohnten.
Auf die Geschichte Spartas beziehen sich
1. G. Egelhaaf, Die Gebeine des Orestes. Württemb, Korre-
spondenzblatt 1900 S. 285 flg.
2. J. Bei och. Zur Geschichte des Eurypontidenhauses. Hermes
1900 S. 254 flg.
Egelhaaf zieht aus der Verwunderung, mit der Lichas Herod.
I 67 flg. sieht, wie Eisen geschmiedet wird, den Schluß, daß damals
die Eisenschmiedekunst in Sparta noch unbekannt war, Sparta sich also
damals noch in der Bronzezeit befand. In dieser auch schon von
anderen ausgesprochenen Tatsache erblickt er den Grund, warum es den
Tegeaten, die eiserne Waffen hatten, unterlag. Freilich wird mau dann
nicht umhin können, den Lichas und den tegeatischen Krieg in eine
frühere Zeit zu setzen, als es Herodot tut; denn E. Meyer erklärt es
mit Recht für unwahrscheinlich, daß die Eisenbearbeitung in dem eisen -
reiclien Lakonien so jungen Datums sei. Ich halte dies bei dem
kriegerischen Geist, der in Sparta herrschte, für undenkbar.
Beloch tritt Herod. VIII 131 für die Überlieferung -Xy)v täv
ouuiv TÖiv [xe-a AsuTu/iosa TrpujTujv xataAsydevTcov ein; denn fürs erste
stamme sie aus einer besseren Quelle, und dann wäre Leotychides nach
dem Sturze des Demaratos kaum zur Thronfolge berechtigt gewesen,
wenn seit sieben Generationen niemand aus seiner Familie regiert hätte.
Die Könige aus dem Eurypontidenhaus von Leotychides aufwärts waren
Jahresbericht über Herodot 1 89« -1901. (Sitzler.) 91
aber folgende: Leotychides, Demaratos, Aristou, Hegcsikles, Hippo-
kratides usw. in der von Herodot angegebenen Reihenfolge.
J. C. Hoppin, The argive exciusion of attic pottery. Class.
Rev. 1898 S. 86 flg.
macht darauf aufmerksam, daß die Ausgrabungen die Angabe Herodots
V 88, die Argiver hätten den Import von attischea Tonwaren verboten,
bestätigen; dies müsse um 560 — 550 v. Chr. geschehen sein, stimme
also auch zeitlich mit dem Berichte unseres Geschichtschreibers.
A, Furtwängler , Die Ausgrabungen auf Agina. Berl. phil.
Wochenschr. 1901 S. 1595 flg.
teilt mit, daß die Stele gefunden worden sei, auf der das Inventar aus
dem Heilifftum der Mnia und Auzesia verzeichnet stehe. Bei Herodot
V 83 heißen die Gottheiten Damie und Auxesie.
Mit Peisistratos und den Peisistratideu beschäftigen sich
1. J. Plathner, Beiträge zur Geschichte der Peisistratideu.
Zeitschr. f. GW. 1897 S. 458 flg.
2. — Die Alleinherrschaft der Peisistratideu. Progr. Dessau
1897.
Plathner, weist darauf hin, daß Herodot und die 'Ai>T,vaituv
roXtxeia des Aristoteles darin miteinander übereinstimmen, daß die
2. Verbannung des Peisistratos 10 Jahre und seine wirkliche Herr-
schaft im ganzen 19 Jahre währte: diese 19 Jahre erhält man
nämlich, wenn man von den 36 Jahren, die Herod. V 65 für die
Herrschaft der Peisistratiden angegeben werden, die Regierung des
Hippias mit 17 Jahren abzieht. Nimmt man die 19 Regiernngsjahre
von den 33 Jahren weg. die nach Aristoteles von der 1. Tyrannis des
Peisistratos bis zu seinem Tode vergehen, so bleiben für seine beiden
Verbannungen 14 Jahre, nämlich 4 für die 1. und 10 tür die 2. Ver-
bannung. Demnach dauert seine 1. Tyrannis von 461/60 — 556/5, seine
1. Verbannung vou 556/5 — 552/1, seine 2.. Tyrannis einen Teil des
Jahres 551/2, seine 2. Verbannung von 552/1 — 542/1, seine 3. Tyrannis
von 542/1—528/7.
Die Pvogrammabhandlung enthält eine genaue Vergleichung des
Aristoteles mit Herodot und Thukydides. Es ergibt sich, daß Aristoteles
diese beiden Geschichtschreiber zwar benützt, aber seine Hauptquelle
ist eine Atthis. Keine der drei benützten Vorlagen verdient unbedingten
Glauben, sondern in jedem einzelnen Fall muß man prüfen, was wahr
oder doch wahrscheinlich ist.
H. Pomtow, Delphische Beilagen III. Rhein. Mus. 1897
S. 105 flg.
92 Jahresbericht über Herodot 1898-11)01. (Sitzler.)
sucht zn beweisen, daß Herod. II 180 und V 62 dieselbe Vergebung
der Bauarbeiten anläßlich des Neubaus des Tempels in Delphi gemeint
sei; die Alkmeoniden hätten sie gleich anfangs übernommen und auch
zu Ende geführt. Diese Annahme steht in so scharfem Gegensatz zu
der Überlieferung, daß sie trotz allem, was der Verf. zu ihrer Empfehlung
vorbringt, für jeden Forscher, der festen Boden unter den Füßen be-
halten Vv'ill, unannehmbar ist. Die bisherige Auffassung muß auch
weiter in Geltung bleiben.
Mit den Athenatempein auf der Akropolis zu Athen be-
schäftigen sich
1. A. Furtwäugler, Zu den Tempeln der Akropolis von Athen.
Sitz.-Ber. d. philos.-hist. Klasse d. Akad. zu München 1898 S. 363.
2. G. Körte, Der „alte" Tempel und das Hekatompedon auf der
Akropolis zu Athen. Rhein. Mus. 1898 S. 239 %.
3. A. Michaelis, Die Athenatempel der athenischen Burg.
Archäol. Anzeiger 1901 S. 215 flg.
Herod. VIII 55 will Furtwängler eart h ifi d-zpoTroÄi TauTirj
'Epv/bioi; Toü 7r)7£V£oc Xs^oixevou etvai aTjxo? St. vy)6? schreiben unter Ver-
weisung auf Dionys. Hai. ant. Rom. XIV 4 'Ady^vT^at piv Iv toj 77)7evoüc
Epsyfleco; aT)xco. Körte erklärt dies mit Recht für unnötig: es ist der
schon in der Ilias erwähnte alte Tempel des Erichthonios oder Erechtheus
und der Athene gemeint, der, wie Herod. V 77 dvxiov öe xou |xe7apot>
TOÜ Ttpöc £j7repr]v TeTpaixfxevou zeigt, zwei ]j.£7apa hatte, eines im Westen
für Erechtheus und eines im Osten für Athena Polias. Herodot kennt
nur diesen einen Athenatempel auf der Burg; wenn er aber VIII 55
sagt: Ev TW EAaiTT) te xai t)dXaj3a hi, so drückt er sich ungenau aus;
denn beide befanden sich nicht in dem Tempel, sondern im Freien, der
Ölbaum in dem an die Westhälfte des alten Tempels nördlich anstoßenden
Pandroseion; die &dXaaaa aber wurde ei"st von dem Architekten des
Erechtheion in den Tempel einbezogea. Auf dieses Erechtheion ging,
wie alle drei Gelehrte einstimmig annehmen, die Bezeichnung „alter
Tempel" über. Dem alten Tempel steht als neuer Athenatempel das
sog. Hekatompedon gegenüber, das, wie Michaelis ausführt, aus
peisistrateischer Zeit stammt, in den Perserkriegeu arg beschädigt wurde
und dann, durch den Parthenon ersetzt, im J. 406/5 durch Blitz zu-
grunde ging.
Ich komme jetzt zu den Arbeiten über den ionischen Aufstand
und die Perser kriege, unter denen an erster Stelle
E. Meyer, Geschichte des Altertums. 3. Band. Das Perser-
reich und die Griechen. 1. Hälfte: Bis zu den Friedensschlüssen von
448 und 446 v. Chr. Stuttgart 1901
Jahresbericht über Herodot 1898—1901. (Sitzler.) 93
zu nennen ist. Trotzdem Herodot nichts darüber überliefert, glaubt M,
doch, den Alkmeoniden die Schuld für Athens Beteiliffunu' an dem
ionischen Aufstand zuschreiben zu müssen. Sein nnalücklicher Aus-
gang hatte nach ihm den Verlust ihres Einflusses und das Emporkommen
des Themistokles zur Folge, dem aber Miltiades sofort erfolgreich ent-
gegengetreten sei: daher hätten sie diesen durch Anklagen zu stürzen
gesucht, und als ihnen dies nicht gelungen sei, Unterhandlungen mit
den Peisistratiden und Persern angeknüpft. Meyer glaubt also, wie
andere, an die Eechtfertigung der Alkmeoniden durch Herodot nicht.
Außer Meyer kommen für die Perserkriege noch in Be-
tracht :
1. H. Delbrück, Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der
politischen Geschichte. 1. Teil: Das Altertum. Berlin 1900.
2. Adam, Zur Kritik des herodotischen Berichts über die
Perserkriege. Sitz.-Ber. der histor. Geseilschaft in Berlin 1901,
von denen mir die zweite Abhandlung nicht zur Verfügung stand.
Mit der SclilachtbeiMa rathon im besonderen beschäftigen sich :
1. J. A. R. Mnnro, Some observations on the persian wars.
I. The campaign of Marathon. Journ. of Hell. stud. 1899 S. 185 flg.
2. T. McKenny Hughes, Marathon. Class. Rev. 1901
S. 131 flg.
3. W. H. D. Rouse, ebenda S. 191.
Munro faßt den Zug des Datis und Artaphreues so auf, als ob
dadurch nur Athen bezwungen und so die Unterwerfung der lonier ge-
sichert werden sollte. Man kann dem Verf. zugeben, daß es ursprüng-
lich gleich nach der Niederwerfung des ionischen Aufstandes nur auf
die Athener abgesehen war; aber schon während der Vorbereitungen
zum ersten Zug erweiterte sich der Plan, wie die von E. Meyer in
das Frühjahr 492 gesetzte Entsendung von Boten, die von allen grie-
chischen Staaten Erde und Wasser verlangen sollten, zeigt, und in der
Tat war dies auch der einzige Weg, auf dem die Perser möglicher-
weise ihre Absicht erreichen konnten. Auch trat bei dem 2. Zug die
Rücksicht auf die lonier schon ganz zurück; jetzt stand, wie Meyer
mit Recht hervorhebt, die Ehre des Reiches auf dem Spiel, die ver-
langte, die Unternehmung trotz des Unglücks des Mardonios glücklich
zu Ende zu führen.
Die Landung bei Marathon schreibt die Überlieferung dem Ein-
flüsse des Hippias zu; denn hier hatte dieser großen Anhang, und die
Ebene war für die persische Reiterei günstig. Anderer Ansicht ist
Munro, der meint, Hippias habe dadurch aliltiades mit dem Heer ans
94 Jahresbericht über Flerodot 189S — 1901. (Sitzler.)
der Stadt entfernen und so seineu Anhäng-ern, darunter auch deo Alk-
raeouiden, das Handeln in der Stadt erleichtern wollen; sobald dies ge-
schehen, sollte dann ein Teil der Perser schleunig^st nach Athen j^ehen,
um das Weitere zu besorgen. "Wäre aber diese Entfernung des Mil-
tiades mit dem Heere durch die Landung au einer anderen Stelle
Attikas nicht auch erreicht worden? Und hofften Hippias und die
Perser nicht, die Athener zn besiegen und dann nach der Stadt zu
maischieren ?
Hughes will mit Chodwick den Namen Vrana von Marathon
ableiten, wogegen Rouse Einsprache erhebt. Die Athener stellten sich
am Anfang des Vrana-Tales auf, 8 Stadien von dem Soroshügel ent-
fernt, wie jetzt auch Delbrück anerkennt, der früher die Aufstellung
in das Tal von Avlona verlegt hatte. Was den Gang der Schlacht be-
trifft, so hält Meyer mit Recht an der herodotischeu Schilderung, ab-
gesehen von dem Laufschritt der Athener 8 Stadien weit, fest; aber
Miltiades hat die Schlacht nicht begonnen, sondern angenommen, als
die Perser aus Furcht vor der Ankunft der Spartaner zum Angriff vor-
rückten. Delbrück läßt Miltiades warten, bis die Perser bis auf
100 — 150 Schritt an seine Stellung herankamen; aber so wäre der
Durchbruch des attischen Zentrums durch die Perser, den er allerdings
gar nicht erwähnt, und die Verfolgung I? tyjv ixesovaiav nicht möglich
gewesen. Das Haupttreffen war am Soros, wie früher schon Kallen-
berg und jetzt auch Meyer annehmen. Die persische Reiterei konnte
nach Delbrück und Hughes wegen der Terrainverhältnisse nicht in
den Kampf eingreifen. Unglaublich ist Munros Annahme, daß die
Perser, bevor ihnen noch das verabredete Zeichen aus der Stadt ge-
geben worden sei, die Hälfte ihres Heeres samt der Reiterei eingeschifft
hätten, um einen Angriff auf Athen zu machen, und daß Miltiades diesen
Zeitpunkt zum Beginn der Schlacht gewählt habe; denn wie konnten
die Perser angesichts des feindlichen Heeres sich so schwächen, una
einer unsicheren Hoffnung nachzugehen?
Wenn die Überlieferung den Persern GOO Trieren gibt, so be-
trachtet Meyer diese Zahl als konventionell; es waren weniger. Ihr
Heer betrug schwerlich mehr als 20 000 Mann und wenige Hundert
Reiter. Für die Griechen erscheint ihm die Zahl 10 000 als möglich,
wenn auch nicht sicher. Munro veranschlagt das persische Heer auf
40 000, die Griechen auf 15 000. Nach Delbrück zählte das Perser-
heer 5000—6000 Manu, darunter 500—800 Reiter, und das athenische
Heer war ebenso stark.
Die Schlacht fiel nach Meyer auf den 15. oder 16., wahrschein-
lich des Metageitnion -= 10. September 490. Der Umstand, daß die
Schlacht in die Zeit des Vollmonds fiel, gab zu der bei Herodot err
Jahresbericht über Herodot 1898-1901. (Sitzler.) 95
zählten Entschuldigung der Spartaner Veranlassung; in Wirklichkeit
kamen diese, so schnell sie konnten, brauchten aber zu ihrer Rüstung
6 Tage.
Hinsichtlifh des ägi netischen Krieges schließt sich Meyer
an Wilaraowitz, Aristoteles und Athen II S. 280 flg. an. Der von
Herodot V 86 flg. und VI 87 flg. berichtete Krieg ist der gleiche;
Herodot erzählt ihn zwar vor Marathon, er tällt aber in Wahrheit nach
Kleomenes' Tod in das J. 487. Die Legende von den Bildern der
Daiuie und Auxesie bezieht sich auf diesen Krieg.
An Kämpfe zwischen Griechen und Persern bei Artemiaion
hatte Delbrück früher nicht geglaubt; jetzt gibt er sie zu, meint
aber, die Perser, die nach ihm etwa 300 Schiffe hatten, seien den
Griechen nicht überlegen gewesen. Die Kämpfe verliefen so, dal.) die
Griechen dem zweiten Zusammentreffen mit der feindlichen Flotte im
Sarouischen Meerbusen , wohin sie sieb wegen der Ausbesserung ihrer
beschädigten Schiffe und in der Hoffnung auf Verstärkung zurückge-
zogen hätten, mit guter Zuversicht entgegensehen konnten. Die Er-
zählung, daü die Perser 200 Schifte um Euböa herumgeschickt haben,
um die Griechen abzuschneiden, hält Delbrück für eine Erdichtung,
erfunden, um die Streitmacht der Perser, die übertrieben grotl ange-
geben war, der hellenischen mehr anzupassen; denn um die Griechen
abzusperren, brauchten ihnen die Perser nur während der Schlacht in
die linke Flanke zu fahren. Gewiß, wenn dies nur möglich gewesen
wäre. Mej'er folgt dem lierodotischen Bericht; aber „was etwa der
Geschichte Herod. VIII 4 flg. , die Euböer hätten Themistokles und
dieser wieder die Admirale von Sparta und Korinth bestochen, damit
sie nicht abzögen, als Tatsache zugrunde liegen mag, ist nicht festzu-
stellen und geschichtlich ohne Bedeutung".
F. Zambaldi kommt in seinem Aufsatz über die telegraphischen
Vorrichtungen des Altertums (Atene e Roma 1899 8. 65 flg.) auch auf
Herod. VII 183 zu sprechen. Er bezweifelt, ob Herodots Angaben,
nämlich daß die Wegnahme von drei Schiffen durch die Feinde vermittels
Feuerzeichens gemeldet worden sei, sich lichtig verhalte; vermutlich
sei nur ein allgemeines Gefahrsignal gegeben worden. Ich glaube nicht,
daß Herodot etwas anderes sagen wollte; das Pronomen xaÜTa meint
nur die Annäherung der Feinde, bezieht sich aber nicht auf das Schicksal
der Schiffe, das der Geschichtschreiber bei dieser Gelegenheit gleich
mitberichtet.
Den Zweck der Besetzung von Thermopylä durch die Griechen
und den Zusammenhang dieser Maßregel mit den Operationen der Flotte
bei Artemision legt Meyer klar dar; der Paß sollte zur Sicherung des
Seeheeres so lange gedeckt werden, bis eine Entscheidung zur See her-
96 Jaliresbericht über Herodot 1898—1901. (Sitzler.)
beif^efiihrt wäre. Dem Verrat des Ephialtes legt die Überlieferung eine
übertriebeue Bedeutung bei; ,ia Wirklichkeit hätten die Perser den
Weg gefunden, auch wenn sie keinen Führer fanden". Von offizieller
Färbung der Berichte, von der Busolt, Gr. Gesch. II 697 redet, ver-
mag Meyer bei Herodot nichts zu entdecken; die Feier der Olympien
und Karneen hielt die Spartaner und die übrigen Peloponnesier nicht
ab, nicht in größerer Stärke in Mittelgriechenland einzurücken, und die
Meinung, sie hätten ihre Bundesgenossen schmählich im Stiche gelassen,
weil sie dies nicht taten (Herod. VII 207. VIII 40), ist unberechtigt.
Die Brandmarkung der Thebaner durch Xerxes bezeichnet Meyer als
boshafte Erfindung.
Mit Salamis und der Schlacht bei Salamis befassen sich fol-
gende Arbeiten:
1. W. Reichel, Ein angeblicher Thron des Xerxes. In der
Festschrift für Otto Benudorf. Wien 1899. S. 63 flg.
2. *2. SoupaiTTjc, Zur Topographie des alten Salamis. 'Ap|i,ovia
1901 S. 175 flg.
3. A. Bauer, Die Seeschlacht bei Salamis. Jahreshefte des
österr.-archäolog. Instituts 1901 S. 90 flg.
Reichel beschreibt den sog. Thron des Xerxes, d. h. die Stelle,
von der aus er dem Seetreffen bei Salamis zugeschaut habe (vgl. Herod.
VIII 90. Plut. Them. 13), auf Grund sorgfältiger Untersuchungen der
Örtlichkeit. Der Thron befindet sich auf der Kerata gegenüber von
Salamis und ist natürlich kein Thron des Xerxes gewesen, sondern
wahrscheinlich ein Thronaltar. Der Standort des Xerxes war auch nicht
hier, sondern auf der Höhe des Ägaleos.
Nach Meyer zählte das Landheer des Xerxes, abgesehen von
dem zahlreichen Troß, etwa 100 000 Mann. Einem solchen Heere
konnten die Griechen keinen Widerstand leisten; daher war der Plan
des Themistokles, zur See die Entscheidung herbeizuführen und das
Landheer nur zur Unterstützung der Flotte zu gebrauchen. Damit
waren die Spartaner einverstanden, und so erklären sich nach Meyer
ihre so oft getadelten geringen Anstrengungen zu Lande.
Die Flotte des Xerxes gibt Herodot nach Äschylos auf 1207 Schiffe
an; Meyer glaubt, daß es einschließlich der Transportschiffe bei der
Ausfahrt nicht mehr als 1000 waren. Es war natürlich, daß auch die
Griechen möglichst viele Schiffe sammelten. Gelon konnte ihnen wegen
des Angriffes der Karthager, die, wie Meyer nach Diodor annimmt,
mit den Persern im Bunde waren, nicht helfen; die Diskussion über die
Frage des Oberbefehls (Herod. VII 157 flg.) erklärt M. für absurd.
Dagegen hält er die beiden Orakel an Athen (Her. VII 140 und 141),
Jahresbericht über Herodot 189S-19Ü1. (Sitzler.) <)7
das zweite allerdings ohne die Schlußverse, ferner das Orakel au Argos
(VII 148) und das an Kreta (VII 169) für echt; aber das Orakel an
Sparta (VII 220) scheint ihm spätere Mache zu sein.
Die Griechen hatten nach Meyer bei Salamis 300—400 Schiffe,
standen also den Persern, deren Zahl sich auf 400—500 belief, nicht
weit nach. Nach Delbrück übertrafen sie die Perser sogar infolge
der Verstärkungen, die sie erhalten hatten. Ja, Delbrück will sogar
den beabsichtigten Rückzug der Griechen von Salamis an den Isthmus
damit erklären, daß sie als weitere Verstärkung noch die 60 kerkyräi-
schen Schiffe erwartet hätten.
Themistokles war nach Meyer und Bauer mit den anderen Feld-
herren darin einig, daß bei Salamis gekämpft werden müsse; die Mne-
siphilos-Auekdote zeugt nur von der Gehässigkeit, mit der man bald
nachher den Themistokles verfolgte. Die Absendung des Sikinnos hatte
keinen anderen Zweck, als den Xerxes zur Schlacht zu bewegen; die
zweite Sendung des Sikinnos hält Meyer für erfunden. Auf die Bot-
schaft des Themistokles hin sendet Xerxes den westlichen Flügel seines
■ Heeres um Salamis herum und sperrt die Enge zwischen der Insel und
Megara ab. Ich glaube mit Meyer, daß dies der wirkliche Vorgang
war, der auch von Aschylos und Späteren berichtet wird; aber Meyer
hat übersehen, daß Herod. VIII 76 avrj^ov [xev xo a^' kaKipt]^ xepa? xux-
Xo'JfAsvoi Tzpoi TT)v luXonüja dies nicht bedeuten kann. Meiner Über-
zeugung nach sind die Worte npb; xf^v ilaXaiAiva, die bis jetzt jeder
Erklärung spotteten, in Ttspi xfjv SaXaixiva zu ändern und so in Über-
einstimmung mit der sonstigen Überlieferung zu bringen.
Diese Art der Einschließung der Griechen hält Bauer für sach-
lich unmöglich; denn die zur Einschließung abgesandten Schiffe hätten
bis zur Insel Leros, d. h. etwa 50 km weit, fahren müssen, wozu die
Nachtzeit nicht reichte. Ich kann diesen Einwand nicht als stichhaltig
anerkennen; denn es handelte sich doch nur darum, das Entweichen
der Griechen durch jene Enge zu verhindern, und dazu kamen die
Perser bei dem Vorsprung, den sie vor den Griechen hatten, gewiß
rechtzeitig, auch wenn sie bei Tagesanbruch noch nicht den ganzen
Weg zurückgelegt hatten. Bauer tritt für die Umzingelung in der
Enge zwischen Salamis und Attika ein; aber diese stößt auf viel größere
Sch\vierigkeiten als die andere. Die Griechen standen in der heutigeu
Bucht von Ambelaki, die Perser bis zur Bucht von Trapezona, den
Peiräeus ausfüllend. Um die Umzingelung auszuführen, mußten diese
in der Nacht ihre Schiffe möglichst nahe an der attischen Küste in
die Meerenge vor bis zu der Stelle schieben, wo heute die Fähre
nach Salamis geht. Ist ein solches Manöver angesichts des gerüstet
^egenüberstebeudeu Feindes möglich oder auch nur wahrscheinlich?
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVII. (l'JOS. II.) 7
98 Jahresbericbt über Herodot 1898-1901. (Sitzler.)
Aunerdem ist der Verf. gezwungen, anzunehmen, Herodot habe die
zu seiner Auffassung nicht passenden "Worte ot d|X'ft tyjv Keov ts xai
xfjV K'jvoso'jpav Te-a7|j.Evoi dem Orakel zuliebe geschrieben, trotzdem
er gewußt habe, daß sie eine topographische Unrichtigkeit enthielten.
Die Angabe bei Herodot VIII 97, daß Xerxes nach der Schlacht
einen Damm nach Salamis habe bauen wollen, bezeichnet Meyer als
absurd, ebenso wie die TJberlieferung bei Ktesias und Strabon, der
Perserköuig habe dies vor der Schlacht beabsichtigt, was Stein a. a. 0.
für richtiger hält. Die Gefahren und Verluste des persischen Heeres
auf dem Rückzug sind nach Meyer stark übertrieben; von einer über-
stürzten Flucht kann keine Rede sein, und ebensowenig ist die Tra-
dition, die den König den Hauptteil des Heeres mit sich nehmen läßt,
haltbar. Aber vgl. oben Lehmann, Xerxes und die Babyjonier.
Platää und die Schlacht bei Piatää behandeln:
1. W. J. Woodhouse, The Greeks at Plataiai. Journ. of hell,
studies 1898 S. 33 flg.
2. G. B. Grundy, Battles ancient and modern. Ebenda S. 232 flg.
3. — A note on Plataea. Class. ßev. 1898 S. 161 flg.
4. J. G. Prazer, Plataea. Ebenda S. 206 flg.
5. — Pausanias' description of Greece. Vol. V. London, 1898.
Woodhouse stimmt Grundy bei hinsichtlich der Lage von
Erythrä westlich an der Straße von Eleusis nach Theben, der Fest-
setzung Hysiäs etwas oberhalb von Kriekuki und der Annahme der
N^uo? im Westen von Platää zwischen dem Oberlauf der Bäche der
Oeroe. Daß drei Straßen über den Kithäron führen, nämlich die von
Eleusis nach Theben, die von Eleusis nach Platää und die von Megara
nach Platää, bestreitet Frazer insoweit, als er leugnet, daß bei Eleu-
therä ein Weg nach Platää abzweige; doch Grundy bleibt in seiner
Erwiderung darauf bei seiner Annahme. Die Lage der Quelle Gar-
gaphia und des Heroons des Androkrates bleibt auch jetzt noch zweifel-
haft, da sich Grundy und Woodhouse nicht einigen können. Die
Meinung Grundys, Herodot bezeichne mit Asopos nicht nur den Fluß
selbst, sondern auch seinen ersten Nebenfluß, erklärt Meyer mit Recht
tür unmöglich; auch Woodhouse erkennt dies nicht au und wünscht
deshalb IX 51 t; dk iixl a-6 toü 'AacuTCOü <erxojt> xcxl ttj; xpT^vYj? xtX.,
was Herodots Sprachgebrauch zuwiderläuft. Geradezu ein Irrtum
Grundys ist es aber, wenn er Skolos auf Grund von Pausan. IX 4,3
auf die Nordseite st. Südseite des Asopos verlegt.
Das Heer des Mardonios belief sich auf 40 000 — 50 000 Asiaten
und einige Tausend Griechen , das der Griechen auf 30 000 Hopliten
und (inen großen Troß, wie Meyer annimmt; nach Delbrück hatten
Jahresbericht über Herodot 1S98-1901. (Sitzler.) 99
die Griechen nur 20 000 Hopliten und ebensovicle Unbewaffnete, die
Perser 15 000 — 25 000 Krieger. In der Darstellung des Verlaufs der
Sohlacht folgt Meyer im allii;emeinen Delbrück, doch hält er sich
viel enger an Herodot, der „zwar die maßgebeDdeii Momente im Ent-
scheidungskampf sehr deutlich erkennen läßt, im übrigen aber ganz
unmilitärisch ist. so daß der großartige, auf genialer Verbimiuug stra-
tegischer Cberlef,'enheit und entschlosseneu Mutes beruhende Kampf wie
ein Werk des Zufalls erscheint".
Im einzelnen glaubt Meyer, daß sich die Heere vielleicht noch
beträchtlich länger als 12 Tage gegenübergestanden seien. Die Über-
lieferung, daß die Spartaner ihre Stellung mit der der Athener ver-
tauscht hätten, bzw. hätten vertauschen wollen , weil sie lieber gegen
die Griechen als die Perser kämpften, hält er für athenische Sa^e; aber
auch der Grnnd, den er an die Stelle setzt, nämlich der linke Flügel
sei exponierter gewesen, befriedigt nicht; denn gerade der rechte spar-
tanische Flügel war ja foitwähreuden Angriffen von selten der Perser
ausgesetzt. Nach Meyer „spricht alles für die Richtigkeit der Ver-
mutung, daß die Griechen sich schließlich dadurch Luft zu macheu
suchten, daß sie der Flotte den Auftrag gaben, nunmehr endlich den
Zug nach Asien auszufühien; auf die Kuude davon blieb Mavdouios
nichts übrig als den Kampf zu wagen". Diese Vermutung Meyers
hängt mit seiner Gesamtautfassung des Feldzuges von 479 zusammen,
die dahiu geht, daß es überhaupt nicht zur Schlacht bei Platää ge-
kommen wäre, wenn nicht der zwischen Themistoklcs und den Spar-
tanern verabredete Kriegsplan, die Flotte nach lonien und dem Hellespont
zu senden, durch den Sturz des Miltiades vereitelt worden wäre.
Den erwünschten Anlaß zum Angriff bot dem Mardonios der
versuchte Stellungswechsel der Griechen, den Meyer nach Herodot
begründet. Grundy und 'Woodhouse erblicken darin die Absicht,
einen Vorstoß gegen Theben, die Operationsbasis der Perser, zu führen;
aber wie konnte den Giiechen in ihrer jetzigen Lage ein solcher Ge-
danke kommen? Von dieser Voraussetzung aus konstruieren die beiden
Gelehrten die Schlacht, zwar in interessanter Weise, aber doch ohne
objektive Gewähr. Daß das Zentrum der Griechen nicht in das Treffen
gekommen sei, bezeichnet Meyer als Erfindung, aber der Erzählung
von Amompharctos, dem Lochagen der Pitaueten, spricht er einen
wahren Kern zu. Die Verluste der Perser sind nach ihm bei Herod.
IX 70 sinnlos übertrieben; den Hauptteil des Heeres hat offenbar
Artabazos gerettet. Das Fehlen der Seriphier und Paleer anf der
Schlangensänle schreibt er der Flüchtigkeit der Verfertiger zu und
erklärt Domaszewskis Erklärungsversuch (vgl. Jahresb. Bd. 8.3, S. 81)
für unhaltbar.
K)0 Jahresbericht über Herodot 18i)8— 1901. (Sitzler.)
Meyer hat iu seinen Forschungen I 8. 16 die Richtiglieit der
Allgabe Herodots V 26, daß Imbros und Lemnos zur Zeit der Unter-
werfung durch Otanes noch pelasgisch waren, bezweifelt; er glaubt, daß
die Inseln schon zur Peisistratideuzeit von den Athenern besetzt und
Lykaretos zum Herrscher über die attischen Klerucheu gemacht wurde.
Dagegen machte Bei och in seiner griech. Gesch. I S. 351 geltend,
daß diese Kleruchen den kleisthenischen Demen Attikas angehören,
also nicht schon zur Zeit der Peisistratiden dorthin geschickt sein
können, und auch Mac an in s. Ausg. zu VI 140 weist Meyers An-
nahme zurück. Trotzdem hält sie dieser in s. Gesch. III 1 S. 297
fest, indem er Beloch erwidert, jene seien eben bei der Phylenordnung
in ihre Heimatgane eingeschrieben worden, nach denen sich übrigens
die Athener schon lange vor Kleisthenes genannt hätten, z. B. Myron
von Phlya Plut. Sol. 12. Damit ist aber die Tatsache, daß die Über-
lieferung immerhin durch Belochs Hinweis gestützt wird, nicht be-
seitigt. Es kommt noch hinzu, daß die Erwerbung von Lemnos für
die Athener an Miltiades' Namen geknüpft ist. Nun ist aber dieser
nach Meyers eigener Annahme bis zum Ausbruch des ionischen Auf-
standes ein treuer Vasall der Perser gewesen. Ist es da nicht wahr-
scheinlich, daß er Lemnos erst während des ionischen Aufstandes für
die Athener erworben hat? Warum Meyer die Angabe, daß Miltiades
von seinen Freunden vor allem durch den Hinweis auf die Gewinnung
von Lemnos verteidigt worden sei, lediglich für stilistische Einkleidung
Herodots hält, der die Geschichte dieser hier habe anbringen wollen,
ist nicht ersichtlich, da derartige Hinweise doch ganz der Sitte bei
attischen Gerichtsverhandlungen entsprechen.
A. Kirch hoff. Ein Irrtum des Herodot. Genethliakou zum
Buttmannstage 5. Dezember 1899, S. 1 flg.
ist der Ansicht, daß Herod. IV 15 eine Verwechslung des Aristäos
mit Aristeas vorliege; denn es sei nicht denkbar, daß die Metapontier
dem Aristeas neben dem ApoUonaltar ein Standbild errichtet hätten.
Dieselbe Vermutung spricht E. Pais, Storia della Sicilia I S. 548 aus.
Aber vgl. E. Rohde, Psyche ^ II S. 91 flg., der den innigen Zu-
sammenhang des Aristeas mit Apollon dartut, und außerdem E. Bethe,
Pauly-Wissowas ßealenzyklop. Bd. II S. 876 flg., der darauf hinweist,
daß Aristeas nach dem Mendesier Bolos bei Apollon. mirabil. 2 von
den Sizilien! als Heros in einem eigenen Heiligtum verehrt wurde.
Gegen die von Kirchhoff und Pais angenommene Verwechslung
spricht auch schon der Umstand, daß Herodot nicht nebenbei diese
Bemerkung macht, sondern in einem gerade dem Aristeas gewidmeten
Abschnitt.
Jahresbericht über Herodot 18hS— 1901. (Sitzler.) 101
A. Hauvette, Phayllos deCrotone. Rev.des lindes gr. 1899 S. 9flg.
behandelt zwei Inschriften auf den berühmten Athleten, der nach Herod.
Vin 47 mit einem auf eigene Kosten ausgerüsteten Schifte den Griechen
bei Salamis zu Hilfe kam.
MnpT, Archäologische Untersuchungen. I. Das Stierblut. 'Api^ovia I
S. 6 flg.
zählt die von den Alten überlieferten Fälle angeblicher Vergiftung mit
Stierblut auf, darunter auch den des Psammenit Herod. III 15, und
stellt dann die Frage, woher der in der Wirklichkeit nicht begründete
Glaube der Alten von der tödlichen Wirkung des Stierbluts komme.
Darauf gibt er die Antwort, der Stier sei das gewaltigste Tier der
griechischen Länder gewesen, und deshalb habe man auch dem Genuß
seines Blutes eine besonders starke Wirkung zugeschrieben. Diese Er-
klärung ist ebenso unwahrscheinlich, wie die von W. Röscher, der im
Rhein. Mus. Bd. 53 S. 182 flg. dieselbe Frage behandelt, S. 201 Anm. 4
mitgeteilte Karl Ludwigs, daß Krankheiten, an denen Menschen zu-
grunde gingen, die mit dem Blute milzbraudiger Ochsen und Kühe in
Berührung kamen, den ersten Anlaß zu den Fabeln von der Vergiftung
durch frisches Stierblut gegeben haben. Die Frage harrt immer noch
ihrer Lösung.
Zum Schlüsse erwähne ich noch
*J. V. Prasek,- Beiträge zu Herodot. Ceske Museum Filolog.
1903 S. 323 flg.,
G. de Sanctis, 'At9ic. Storia della repubblica Ateniese dalle
origini alle rifoime di Cüstene. Rom 1898 und
A. Bauer, Die Forschungen zur griechischen Geschichte 1888
— 1898. München 1899,
zwei Werke, in denen eine Reihe einschlägiger Fragen eingehend be-
sprochen werden.
III. Herodots Leben und Geschichtswerk.
Über Herodots Leben handeln:
1. R. Dieterich, Testimonia de Herodoti vita praeter itinera.
Diss. inaug. Leipzig 1899.
2. C. Wachsmuth, Bemerkungen zu griechischen Historikern.
Rh. Mus. 56 S. 215 flg.
3. £. Meyer, Geschichte des Altertums. Bd. III. Das Perser-
reich und die Griechen. 1 . Hälfte. Bis zu den Friedensschlüssen von
448 und 446 v. Chr. Stuttgart 1901.
102 Jahresbericht über Herodot 1898-11)01. (Sitzler.)
Dieter Ichs Arbeit zeugt von Fleiß uud Umsicht; wenn sie trotz-
dem nicht zu neuen sicheren Ergebnis^^en führt, so trägt daran an erster
Stelle die mangelhafte Beschaffenheit unserer Quellen, daneben aber auch
die übergroße Zweifelsucht des Verf. die Schuld. Pamphilas Angabe
über Herodots Geburtsjahr billigt er nicht, kann aber auch nichts Besseres
an ihre Stelle setzen ; Herodots Verwandtschaft mit Pauyassis und seine
politische Tätigkeit erklärt er für eine Erfindung des Duris; die von
Hiller v. Gaertringen Athen. Mitteil. XXI S. 61 veröffentlichte
rhodische Inschrift (= CIGr mar. Aeg. 145) über Herodots Geburtsort
schließt er aus den Quellen aus, indem er V 5 die Ergänzung aXix]a[pva]aaou
xpavaov Tieoov wegen des für Halikarnaß unpassenden xpavaov ttöoov durch
xaj -]a[pva]aaou ersetzt. Die Frage, ob der Geschichtschreiber je wieder
Thurii verlassen habe, läßt der Verf. bis auf weiteres offen, während
E. Meyer an seiner Ansicht festhält, daß Herodot schon vor 440 von
Thurii wieder nach Athen zurückgekehrt sei. Demgegenüber weist
"Wachsmuth überzeugend nach, daß Herodot nach seiner Ansiedlung in
Thurii in keiner andern Stadt, insbesondere auch nicht mehr in Athen
seinen Wohnsitz aufgeschlagen habe.
Mit dem Geschi cht s werk Herodots beschäftigen sich:
1. R. Dieterich, vgl. oben.
2. H. Stein, Eh. Mus. 56 S. 626 flg.
3. E. Meyer, Forschungen zur alten Geschichte. 2. Bd. Zur
Geschichte des 5. Jahrb. v. Chr. Halle 1899. 4. Abhandlung.
4. Fr. Gau er, Thukj^dides und seine Vorgänger. Histor. Zeit-
schrift. Bd. 83 S. 385 flg.
5. E. Norden, Die antike Kunstprosa. Bd. I. Leipzig 1898.
6. A. Monaci, Dello stile di Erodoto. Bessarione Nr. 25. 26.
Dieterich verweist für die Echtheit des Proömiums auf einige
bis jetzt nicht beachtete Zeugnisse: Plut. de malign. Her. 26: xal -a
T% 'EXXaoo? ETCaYYeXXofisvoc -'pacpeiv <TravTaira3iv (oder xal t7)v 'Asiav)
a7voEu>; die Ergänzung ist von dem Verf.; Diouys. ad Pomp. p. 50
(Useuer); xoiv-Jjv 'EXXtjvixäv ts xal ßapßaptxüiv Tipa'Estuv e^svT^voyev laropiac
und Dionys. de Thuc. 5: TiposXojxevo? iroXXa? xal Statpopou? irpa|eic l'x xs
tJ]c Euptuicr)? ex xe x^c 'Aaiac e? [xiav Trepqpacpyjv 7rpa7[xaxsia; d-ya^sTv.
Da in den beiden letzten Beispielen Tipa'^sic offenbar dasselbe ist, wie
£p7a bei Herodot, so folgert der Verf. daraus, daß Steins Erklärung
von Ep^a , Werke, opera, die dauernden Denkmäler menschlicher Arbeit
nnd Tüchtigkeit" irrig ist. Daß auch ich dieser Ansicht bin, habe ich
Jahresber. Bd. 83 S. 45 dargelegt.
Das bekannte Zitat bei Aristot. Rhet. III 9 aus dem Proomium
Jahresbericht über Herodot 189S— 1901. (Sitzler.) 103
des Herodot: 'HpoöoTou Booptou ^o' tj-ropiVjC ÄTrooe'.ci; findet immer uoch
Verteidiger, die es für echt halten nnd der hds. Überlieferung;: 'HpoSoToo
'AXixapvr,3jeoc ijropiTji di:ooe;t; r^oz vorziehen; so zuletzt Wachsmuth.
Aber mit Unrecht, wie Stein ausführlich und überzeugend dartut. Vgl.
auch Steins Ausgabe des 1. Buches 6. Aufl. S. IV flg.
Nach Meyer ist Herodots Geschichtswerk vollendet; es ist nach
einer einheitlichen, sorgfältig entworfenen Disposition gearbeitet und
duichaus aus einem Gusse. Aber dieses Urteil gilt nur im großen und
ganzen; denn Cauer macht mit Recht darauf aufmerksam, daß Ein-
lagen und Abschweifungen die strenge Durchführung des Planes wieder-
holt unterbrechen. Wenn er aber daraus schließen will, daß nach an-
derem Plane entworfene Abschnitte gewaltsam eingegliedert worden
fceien und daß Herodot, ehe der nationale Gegensatz in den Vordergrund
seines Denkens trat, Stoft" für ein geographisches Werk gesammelt habe,
so übersieht er, daß Geographie and Geschichte damals noch innig mit-
einander verbunden waren und in einem Werke von der Art des hero-
dotischen auch gar nicht voneinander getrennt werden konnten, übrigens
erkennt Cauer die große Kunst an, mit der der Gang der Ereignisse
und der innere Zusammenhang anscbanlich gemacht wird und die Epi-
soden stets an Stellen eingefügt werden, wo sie nicht stören. Die Ab-
fassung des Werkes verlegt Meyer in die ersten Jahre des archida-
uiischen Krieges, da über 430 keine sichere Spur hinabfübre; ja, er
glaubt, daß gerade der Ausbruch des großen Entscheidungskampfes
zwischen Athen und den Peloponnesiern, der allgemeine Sturm auf
Athens Stellung, der dazu führte, seine Verdienste um Hellas nach
Kräften zu verkleinern und womöglich ganz zu leugnen, Herodot den
Anlaß gegeben habe, alles, was er erkundet hatte — die Geschichte
Assyriens ausgenommen — zu einem einheitlichen Werk zu verarbeiten,
das in die Verherrlichung der Großtaten Athens ausklang; diese poli-
tische Tendenz, das Bestreben, die perikleische Politik und die Hege-
monie Athens zu verteidigen, trete überall deutlich hervor und gebe der
Darstelhiug und dem Urteil des Schriftstellers die Färbung. Gewiß
zeigt sich in Herodots Darstellung, was ja allgemein bekannt ist, eine
Vorliebe für Athen; Meyer zählt eine ganze Reihe von Beispielen dafür
auf; aber ebenso gewiß hat auch Herodot die ihm von Meyer zuge-
schriebene Tendenz nicht, die überdies für Jen größten Teil seines
Werkes schon durch den Inhalt ausgeschlossen ist; Herodot gibt nur,
was er erkundet und erfahren hat, seinem Grundsatze getreu.
Monaci bringt über den Stil Herodots nichts Neues, und auch
Nordens Beurteilung deckt sich im ganzen mit dem, was H. Di eis
Hermes XXII S. 424 und G. Kaibel, Stil und Text der AaTivaiV/
TcoMxeia S. 66 sagen. Was er über die Anwendung der Figuren, wie
104 Jahresbericht über Uerodot 1898-1901. (Sitzler.)
Aütithesis, vorbringt, behandeln ausführlicher P. Kleberund ANicschke.
vgl. Jahresb. Bd. 71 S. 151 flg.
Über Herodots Weltanschauung sprechen außer Meyer und
Cauer noch
1. L. Campbell, Keligiou in greek literature. London 1898
Kapitel 8 und
2. J. L. Heiberg, Bidrag til Belysning of Herodots religiense
Standpunkt. Festskrift til J. L. Ussing. Kopenhagen 1900 S. 91 flg.
Herodot ist nicht frei von einem gewissen Kritizismus und Ra-
tionalismus, der sich besonders in seinem ablehnenden Verhalten anthro-
pomorphischen und mythologischen Erzählungen und Übertreibungen
gegenüber zeigt. Darin erkennt man den Einfluß loniens auf ihn, und
Cauer weist mit Recht darauf hin, daß dieser Rationalismus besonders
in den älteren Teilen des Werkes, besonders im 2. Buche, vorkomme.
Daneben besitzt unser Geschichtschreiber aber, wie Meyer bemerkt,
einen gesunden Empirismus, d. h. die Gabe, die Dinge so zu sehen,
wie sie wirklich sind, frei von Vorurteilen und vorgefaßten Meinungen.
Dieser Empirismus bew^ahrt ihn vor nationaler Überhebung und dem
Wahne, als sei der Sieg einer freiheitsliebenden Nation über die gewal-
tigsten Heere eines Despoten selbstverständlich; er offenbart sich aber
auch in seiner Beurteilung des göttlichen Wirkens in der Welt." Das
menschliche und geschichtliche Leben scheint ihm überall von dem Ein-
greifen übernatürlicher Mächte abhängig. Diese Anschauung entstand
in ihm während seines Aufenthalts in Athen, wo man in den heimischen
Göttern die siegreichen Beschützer des Vaterlandes verehrte. Er glaubt
an den Neid der Götter, der den Menschen vor Übermut bewahrt.
Überall tritt seine Grundanschauung, daß die sittlichen Mächte stärker
als die materiellen sind, zutage.
Über die Quellen, aus denen Herodot bei Abfassung seines
Geschichtswerkes schöpfte, handeln Meyer und Cauer. Cauer glaubt,
Herodot habe für die geographischen Abschnitte in den älteren Erd-
beschreibungen, vornehmlich in der des Hekatäos, zwar schriftliche Vor-
lagen gehabt, sich diesen aber nur da anvertraut, wo die auf seinen
Reisen unternommene Forschung versagte; der Gedanke, seine Leser
über seine Originalität täuschen zu wollen, sei ihm ferngelegen. Für
die geschichtlichen Teile läßt ihn Meye r seine Vorgänger, besondere
den Dionysios von Milet, nur hinsichtlich der Chronologie und vielleicht
in einigen streng liistorischen, mit seinen ausführlichen Erzählungen in
Widerspruch stehenden Angaben (I 125. VII 11) benutzen, und außer-
dem bezüglich der Satrapienliste des Dareios (III 89 flg.), der Königs-
straße von Sardes nach Susa (V 22 flg.) und Xerxes' Zugs von Kelänä
Jahresbericht über Herodot 1808—1901. (Sitzler.) 105
bis Therme (VII 26 flg.); doch sind auch diese Mitteiluni^en teilweise
durch eigeue Anschauangen erglinsct. Im übrigen schupfte Herodot nur
aus mündlicher Überlieferung. Die lauge Erhaltung solcher Berichte
im Volksmunde wird auf berufsmäßige Geschichtserzähler zurückgeführt.
Den Hauptbestand bildet die attische Tradition, daneben zog er aber
auch in Sparta und Delphi Erkundigungen ein, und ebenso bei einzelnen
Männern, wie bei Thersandros in Orchomenos (IX 16), vielleicht im
Hause des Artabazos, besonders in der Familie der Artemisia in Hali-
karnaß und in der des Demaratos in Teuthrania, endlich bei Dikäos
(VIII 65). Die Darstellung des Erforschten, die Verknüpfung und An-
ordnung der Begebenheiten ist sein Eigentum, wie die äußerst geschickte,
bis ins kleinste durchgearbeitete Disposition zeigt. Dabei finden sich
zwar mitunter falsche Kombinationen, chronologische Irrtümer und aus
der mündlichen Tradition herrührende Unrichtigkeiten , aber keine be-
wußten Entstellungen oder absichtliche Fälschungen, wie Cauer und
Meyer übereinstimmend betonen. Die eingelegten Gespräche und Reden,
in denen er teils die Erwägungen der Handelnden , teils die ihn be-
herrschenden Anschauungen darlegt, wird man mit Meyer als das
Eigentum des Historikers betrachten müssen, wenn auch Cauer darin
den Einfluß der älteren Sophistik erkennen will. Die wirtschaftlichen
Verhältnisse sind wenig beachtet, und auf militärischem Gebiet, sowie
in der Charakterisierung der Persönlichkeiten zeigt er sich sehr schwach.
Zur wahren Geschichtsbetrachtung, zu der, welche die wirkenden Kräfte
aufzusuchen und herauszuarbeiten vermag, ist Herodot, wie Meyer
sagt, nicht vorgedrungen.
"Wie Meyer und Cauer, so treten auch J. Oppert, G. Fou-
cart, E. Revillout, J. Toutain und J. C. Hoppin nachdrücklich
für die Wahrheitsliebe Herodots ein und bringen dafür in ihren
oben besprochenen Arbeiten Beweise bei. Diesem einstimmigen Urteil
gegenüber will der Widerspruch von
J. Scbwarcz, Kritische Notizen über die neuesten Erscheinungen
der staatswisseuschaftlichen Literatur. Leipzig 1899,
der von Fälschungen usw. des Geschichtschreibers spricht, wenig
bedeuten.
Viele Arbeiten sind der Untersuchung des Verhältnisses, das
zwischen Herodot und anderen Schriftstellern besteht, ge-
widmet.
J. Vürtheim, Über die Telegonie des Eugammon von Kyrene.
Mnemosyne 29 S. 23 flg.,
weist darauf hin, daß Herodot die Telegonie des Eugammon nicht ge-
kannt habe; denn sonst hätte er gelegentlich des 11 121 erzählten Dieb-
106 Jahresbericht über Ilerodot 1898—1901. (Sitzler.)
Stahls im Schatzhause des Rhampsinit auf den im Anfange der Telegonie
berichteten ganz ähulichen des Trophouios hingewiesen. Die Telegouie
war also damals recht wenig bekannt.
Das Verhältnis des Herodot zu Hekatäos untersucht
C F. Lehmann. Zu Herodot und llecatäus. Festschrift für
fl. Kiepert. Berlin 1898. S. 308 flg.
Die Vergleichung von Strab. XVI 742. 745 mit Herod. I 193.
196 — 200 zeigt, daß Strabo bei knapperer Fassung mehr als Herodot
bietet. Daraus schließt der Verf., daß Strabos Quelle nicht Herodot,
sondern, wenn auch indirekt, Hekatäos sei, dem er der geringeren Ge-
nauigkeit und behaglicheren Breite Herodots gegenüber größeren Reichtum
des Inhalts bei knapperer Fassung als charakteristisches Merkmal zu-
schreibt. Dieser Schluß wäre nur dann zwingend, wenn jede andere
Möglichkeit der Erklärung ausgeschlossen wäre. Ist es aber undenkbar,
daß Strabo Herodot als Vorlage benutzte und das wenige, das er mehr
hat, selbst anderswoher beifügte? Muß dies gerade aus Hekatäos
stammen? Warum soll die kürzere Fassung nicht von Strabo selbst
herrühren? Richtig ist, daß Hekatäos dem Herodot vorlag; aber trotz-
dem darf man nicht einmal da, wo beide im wesentlichen übereinstimmen,
ohne weiteres Ausschreiben des Hekatäos durch Herodot annehmen; die
Ähnlichkeit kann auch auf ihre Gewährsmänner an Ort und. Stelle
zurückgehen. Daß Herodot Babylonien selbst gesehen und erforscht
hat, gibt der Verf. zu; auf eigene Beobachtung führt er Herod. I 193
die Bemerkungen über die Gallwespen und den Schluß von 196 zurück.
Herodots Beziehungen zu Sophokles behandeln:
1. E. Bruhu, Eine neue Auffassung der Antigone. N. Jahrb.
f. kl. Altert. I S. 248 flg.
2. Th, Plüß, Goethe und Antigone. Ebenda S. 475.
3. S. Reiter, Die Abschiedsrede der Antigone. Zeitschr. f.
österr. Gymn. 1898 S. 961 flg
4. Th. Gomperz, Herodote et Sophocle. Melanges H. Weil.
Paris 1898. 15. Abhandlung.
5. E. Meyer, Geschichte des Altertums. 4. Bd. Stuttgart
1901. S. 127.
Die Freundschaft des Herodot mit Sophokles ist bekannt; in dem
unvollständigen Epigramm des großen Tragikers (Fr. 5 in den PLGr.
ed. Bergk) an den Vater der Geschichte ergänzt Gomperz tcevt' iizl
TcsvTT^xov^' <£|axtc kr.z7.i-ti> , gewiß geistreich, aber ohne jede sichere
Gewähr. Ebenso hat man schon längst beobachtet, daß der Dichter in
seinen Dramen das Werk des Historikers berücksichtigt; die gegen-
Jahresbericht über Herodot 1898—1901. (Sitzler.) 107
seitigen Beziehungen werden durch die erwähnten Arbeiten genauer
festgestellt, vgl. OR 1528. Tracli. 1 flg. mit Herod. I 32. El. 417 flg.
mit Herod. I 108. OC. 337 flg. mit Herod. II 35. Antig. 904 flg. mit
Herod. III 119. Ob allerdings die zuletzt genannte Stelle des Sopho-
kles echt ist, bleibt auch jetzt noch zweifelhaft; ich halte sie mit
P. Corsseu, Die Antigoue des Sophokles. Berlin 1898 für einge-
schoben.
Auch zwischen Euripides und Herodot finden sich ('bereinstim-
umngen, wie
W. Nestle, Untersuchungen über die philosophischen Quellen
des Euripides. Leipzig 1902 =^ Philol. Ergänzungsband VIII S. 559 flg.
zeigt, vgl. S. 652 flg. Sicher ist fr. 449 aus Herod. V 4 entlehnt. Zu
Herod. 132 vgl. Androm. 100 flg. Heraklid. 863 flg. Troad. 509 flg.;
der cpftovo; ÖeJiv Herod. I 5. 32. 207. III 40. VII 10. 4G begegnet
auch Alk. 1135. Hiket. 348. Iph. Aul. 1097. Orest. 972 flg.; da aber
beide Anschauungen, sowohl die vom Neide der Götter als auch die,
daß mau vor dem Tode niemand glücklich preisen soll, populär sind,
ist eine Anlehnung des Dichters an Herodot nur wahrscheinlich. Die
klimatologischeu Berührungen zwischen beiden gehen auf Hippokrates
als gemeinsame Quelle zurück, vgl. Herod. IX 73. III 106 mit fr. 981.
Med. 824 flg. Dagegen liegt in Hiket. 447 flg. bewußte Anspielung auf
Herod. V 92 vor. Übereinstimmung in politischen Anschauungen und
Urteilen findet mau Herod. III 80 flg. verglichen mit Hiket. 447 flg.
Med. 119 flg. Ion 621 flg. fr. 76. 605. 8. 362. Hiket. 410 flg. Die
Forderung der gütlichen Beilegung der Streitigkeiten, die Herod. VII 9
für die Griechen stellt, ist Hiket. 744 auf alle Menschen übertragen.
Auch Herodots wissenschaftliches Prinzip II 33 klingt an fr. 574. 810
an, und Alkest. 802 scheint Herod. I 32: icav hxi avöpcuTroc Tj[i<fopri
vorzuschweben.
Gegen die Sophisten wendet sich Berodot nach
L. Radermacher, Rhein. Mus. 1898 S. 501
in Vin 77; Radermacher sieht nämlich in dem Wort xaraßtxXXsiv,
das hier von Leuten, welche die Wahrheit der Orakel in Zweifel ziehen,
gebraucht wird, eine Anspielung auf die xaxaßaXXovxe? Xo-jfot des Prota-
goras — eine Vermutung, in der ich dem Verf. nicht folgen kann.
Für Herod. III 80 flg. nahmen schon E. Maaß (vgl. Jahresb.
Bd. 58 S. 263) und E. Schwartz (Jahresb. Bd. 83 S. 105) eine ionische,
bzw. sophistische Vorlage an. Diese will
R. Reitzenstein, Literarhistorische Kleinigkeiten. Philol. 1898
S. 45 flg.
108 Jahresbericht über Herodot 1898-1901. (Sitzler.)
genauer bestimmen. Da bei Herodot und Theognis 43 flg. die gleiche
Eeihenfolge oxocai; oovo; ixovapxoj vorkommt, so haben beide dieselbe
Quelle benutzt, eine Quelle, auf die auch die sophistische Schrift rrspt
euvofj.ta;. von der ein Fragment vorhanden ist, zurückgeht. Der Ver-
fasser dieser Schrift wendet sich ebenso, wie Theognis, gegen eine ältere
iouieche Schrift, die für die Tyrannis eintrat und deren Abfassung nicht
lange nach der Vertreibung der Tyrannen durch die Perser und der
Einführung der minder verdächtigen Demokratien in lonien anzusetzen
sein wird. Macht diese Zeitbestimmung schon die Benutzung der
ionischen Schrift durch Theognis zweifelhaft, so wird vollends die P^r-
wägung, daß Theognis nur die Zustände in seiner Vaterstadt vor Augen
hat, dieselbe als unmöglich erscheinen lassen. Wie kann aber die doch
so natürliche Reihenfolge a-uact?, <povo; £[j.ipuXos, |x6vap-/o? einen Zusammen-
hang, bedingen? Eine ionische, bzw. sophistische Quelle Herodots wird
also auch durch diese Beweisführung nicht dargetan.
Die Beziehungen Herodots zum delphischen Orakel macht
A. Oeri, De Herodoti fönte Delphico. Diss. inaug. Basel 1899 zum
Gegenstand einer eingehenden Untersuchung. Anknüpfend an W Hä-
mo witz, der die G-o|jivr,[xaTa des delphischen Orakels als eine Haupt-
quelle Herodots bezeichnete (vgl. Jaliresb. Bd. 100 S. 27),. mustert er
die Stellen, die ihm auf diese Quelle zurückzugehen scheinen, durch und
kommt dabei zu dem Resultat, daß sie alle einen apologetischen Charakter
haben. Daraus schließt er nun einerseits, daß nur die Stellen Herodots
aus der delphischen Quelle geflossen seien, die das Orakel gegen irgend
eine Anschuldigung rechtfertigen, nämlich I 13. 19. 47. 85. V 92 p. s.
IV 155. 163. V 67. III 57. V 89. VII 140. 144. I 66. 65. V 63. VI 66.
09, anderseits daß die Priester Herodot ausersehen haben, um durch
ihn ihre Darstellung der Ereignisse verbreiten zu lassen, und deshalb
auch nur ihm — dies folgert er aus einer Vergleichung Herodots mit
seineu Vorgängern und Nachfolgern — die Benutzung der uTrofjLvrjfjLaxa
gestattet haben. Beides erscheint mir unwahrscheinlich; denn warum
hätte Herodot nur Apologetisches aus dieser Quelle schöpfen und warum
hätten die Priester nur ihn zur Erreichung ihres Zweckes gebrauchen
sollen? Hinsichtlich der letzteren Ansicht berührt sich Oeri mit
C. Niebuhr vgl. oben S. 19; nur daß Oeri von der Ehrlichkeit Hero-
dots überzeugt ist, die Niebuhr stark anzweifelt, vgl. N. Jahrb. f.
klass. Altert. 1900 S. 638 flg. Was die Benutzung der delphischen
uuoixvTjixaxa durch Herodot anlangt, so stehe ich auf dem Standpunkt
Pomtows, der behauptet, daß sich in unserem Herodot nicht eine
Stelle findet, die auf die uTrojxv/^fAaTa zurückgeführt werden müßte und
nicht aus den Inschriften, Urkunden und Mitteilungen der Delphier ent-
nommen sein könnte, vgl. Jahresb. Bd. 100 S. 27.
Jahresbericht über Herodot 1S9.S-1901. (Sitzler.) 109
Zum Schlosse erwähne ich
R. Kekule v. Stradonitz, Die Bildnisse des Herodot. Ge-
nethliakon zum Buttmannstage 5. Dezember 1899. S. 31 flg.
Der Verf. erkennt in den erhaltenen Bildnissen des Historikers,
abgesehen von der Bronzestatue in Pergamon, von der nur die Basis
mit der Inschrift vorhanden ist, zwei verschiedene Typen, beide freie
Erfindungen späterer Zeit, nicht Nachahmungen eines anthentischen Vor-
bildes. Der erste Typus ist durch die Doppelherme in Neapel und die
Einzelköpfe im Museum zu Neapel, im Albertiuum zu Dresden und im
Museum zu Berlin dargestellt; er wurde im 4. Jahrh. v. Chr. von Si-
lanion oder einem seiner Genossen und Nachfolger geschaifen und dann
oft kopiert. Die erhaltenen Köpfe stammen aus römischer Zeit. Der
andere Typus erscheint auf Münzen von Halikarnaß ans der Zeit des
Hadrian, Antoninus Pius und Gordian: er geht auf eine Statue Hero-
dots im Gymnasium zu Halikarnaß zurück, die etwa dem 3. oder
2. Jahrh. v. Chr. angehört. Der sog. Herodot-Kopf der Sammlung
Campana ist modern.
Jahresbericht über Pindar 1901-1902
von
Dr. L. Bornemann.
Der erste Teil des vorliegenden Berichts behandelt, an den vorigen
anschließend, chronologische Fragen, worin die Pindarforschung neuer-
dings wesentliche Fortschritte gemacht hat. Der zweite Teil betrifft die
Oden an Hieron Pyth. I. II. III; hier erscheinen die Ergebnisse als
geringfügig, wiewohl ausführliche Arbeiten von Gelehrten wie Wilamo-
witz, Schroeder und Legrand vorliegen. Sie bieten dem Berichterstatter
Gelegenheit, viele Einzelheiten zu erörtern, um ein abweichendes Urteil
zu begründen. Das gleiche wäre zum besseren Verständnis meines
Einspruchs auch für andere Oden erwünscht gewesen, besonders für N X
und 0 II, über die ich wesentlich anders denke als frühere Forscher; aber
ich will diesen Bericht nicht allzusehr belasten und muß mich vorläufig
mit Andeutungen begnügen, nachdem mir die Gelegenheit genommen ist,
meine längst fertig gestellten Darlegungen über jene beiden Oden in
deutschen Zeitschriften zu veröffentlichen.
Wer eine Anzahl kurz hingeworfener Textänderungen kennen zu
lernen wünscht, die ich hier nicht ausführlich registriere, mag Mnemosyne
1901, 211— 216 (van Herwerden), Classical Review 1900, 10 (Headlam),
1901, 10 ff., 195 ff., 246 ff. (Nairn), Lit. Centralblatt 1902, 103 ff.
(Stadtraüller) lesen.
I.
Aus dem bereits am Schluß des vorigen Berichtes erwähnten Auf-
satz von
Carl Robert (Hermes 35 S. 141—195) über „Die Ordnung der
olympischen Spiele und die Sieger der 75. — 83. Olympiade"
sei hier zuvor ganz kurz die erste Hälfte wiedergegeben.
Die Reihenfolge der Agone im Papyrus aTocotov, St'aoXo?, SoXi^oj,
Tcevta&Xov, hgcXt), roi^, 7ra7xpaxtov, iraiSiov otoEoiov, iraiScuv TrdfXif), 7tai6(uv ituS,
oiiXiTT)?, TEÖpiuuov, xeXt); sieht Robert als die authentische Folge der
Jahresbericht über Pindar 1901 — 1902. (Bornemann.) m
Spiele au. So sei auch 0 5 -EfiKap-epoi^ a[j.tXXa'.; dahin zu verstehen,
daß am fünften Kampftage (15. des Monats) Pferderennen war (xeöptTirov,
'/.i\r^i, aTZTr^vT), •/.al-r^). und unter abweichender Behandlung von Plut.
quaest. symp. II 5, Xcn. Hell. 7, 4. 29 sowie schol. Ol. 13, 30 stellt
Robert für die vier voraufgehenden Tage folgende Ordnung her: 1. cxaStov,
öiauXoc, 66Xr/oc, 2. TtevraöXov, 3. TraXr) ru$ TraYxpaxtov, 4. iiaioüjv ara^tov,
TT TraXir], -. -'j$, oirXiTTfjc Während die Proklamation des Siegers und seine
Krüuutig sofort nach dem Wettkampf stattfanden, opferte er am Zeus-
altar und den sechs Doppeialtären nach dem ;rev:a9Xov bzw. nach dem
Pferderennen (0 5 ßoui)u7iat; und O 3, 19). Vor Ol. 77 hielt man unter
Beschränkung auf dreiTage die chronologische lieihenfolgc derStiftung ein:
1.3-aöiov, oi'auXo; ooXf/oc, 2.7:£vca9Xov, izotXrj, -6$, xeöpm-ov, xeXTjc, Tra^xpattov,
'3. Tcai'öcDV (Jtaoiov, tc. r:ofXy], tc. iruS, ottXittjc, von Ol. 70 und 71 ab airr^vr)
und y.otXTir,. Bis Ol. 25 war man wohl mit einem Tage ausgekommen.
Widerspruch hiergegen auf der ganzen Linie erhebt Lipsius, Ver-
handl. d. sächs. Ges. d. W. 1900 p. 16 ff. Er kommt auf die bisherige
Ansiclit zurück, welche von der bei Phlegon und im PapjTus vorliegenden
-Folge absieht, beschränkt sich aber auf dies negative Ergebnis. Übrigens
werden, was Pindar 0 10 angeht, künftige Untersuchungen nach meiner
Ansicht die Auffassung festhalten müssen, daß dort die ältere, vor Ol. 77
gültige Reihenfolge gemeint ist (s. unten S. 121).
Die erheblich wichtigere, höchst sorgsame zweite Hälfte der
Robertschen Publikation hat unmittelbar darauf einem trefflichen, preis-
gekrönten Buche als Grundlage gedient, nämlich
Camille Gaspar, Esssai de Chronologie Pindarique. Bruxelles,
Lamertin, 1900. XVI und 196 S.
Das Buch ist vielfach und allermeist rühmend besprochen, am ein-
gehendsten meines "Wissens von Fraccaroli, Rivista di filologia 1901
lU 385 — 415. Man verfolgt Gaspars klare Darlegungen mit größtem
Interesse , und ich kann es ihm nicht, wie von ein paar Rezensenten
geschehen, zum Vorwurf anrechnen, daß er allermeist von innerer Ana-
lyse der Oden Abstand genommen hat; das Bessere wäre ein Feind des
Guten geworden. Mit Mängeln behaftet ist, wie der Verfasser selber
empfindet, die Verwertung metrischer Symptome, und zwar infolge
unseres bisher unzulänglichen Verständnisses der pindarischen Metrik;
ferner die meisten Schlüsse aus allerlei Analogien in Ausdruck und
Gedanken zwischen verschiedenen Oden, worin besonders Christ voran-
gegangen ist; endlich die Aufspürung von Zügen vermeintlicher Jugend-
lichkeit des Dichters, die vielfach aus unserer mangelhaften Einsicht oder
aus Textverderbnissen herrühren. Endlich liegt bei chronologischen
Untersuchungen schwieriger Dichtungen die von Gaspar nicht völlig
112 Jahresbericht über Pin-^ar 1901 — 1902. (Bomemana.)
überwundene Versuchung nahe, Bezugnahme auf Zeitereignisse in allzu
ausgedehntem Maße zu wittern und somit wieder auf die Pfade von
T. Mommsens Pindaros einzulenken.
Durch diese Bemerkungen soll weder der Wert des Buches noch
mein Interesse an demselben geschmälert erscheinen. Und wenn viel-
leicht gerade der Verfasser selber am meisten verwundert sein wird,
daß mein Bericht mit seinem Buche bunt umspringt, so geschieht dies,
weil ich meine Leser im Besitze des Buches sehe oder zu sehen
wünschte; durch gründliche Kritik der einzelnen Positionen, nicht durch
bequeme Wiedergabe der Ansätze Gaspars und seiner Gründe denke
ich der Sache am besten zu dienen.
Als groJ]er Fortschritt und wertvollste Grundlage des Ganzen ist
freudig zu begrüßen, daß nunmehr die Pythiadenära Ol. 49, 3 allgemein
anerkannt ist; selbst Christ hat in der Hauptsache nachgegeben (Hermes
1901, 107 fif.). Nach dem Tode Bergks waren Fraccaroli und ich viele
Jahre lang die vereinsamten Vorkämpfer für diese ältere, vor Boeckh
gültige Datierung (vgl. besonders Jahresbericht 1892 S. 282). Und wenn
nun die Anerkennung unseres Standpunktes den italienischen Genossen
mit lebhaftem Bedauern erfüllt, daß er in dem verflossenen Zeitraum
soviel Kraft und Papier für einen jetzt abgetanen Streitpunkt habe ver-
schwenden müssen, die er lieber anders verwendet hätte, so leitet mich
andererseits vor allem der Wunsch , von dem nunmehr gewonnenen
sicheren Boden aus, an der Hand Gaspars, manche in dem bisherigen
Durcheinander mir untergelaufene Unrichtigkeit zu beseitigen.
Zu einem reinlichen Resultat wird man freilich nie kommen, so-
lange man für gewisse Schwierigkeiten, die nur zum Teil in den Oden
selbst liegen, grundsätzlich gewisse an sich anfällige Lösungen oder Ent-
schuldigungen zuläßt. Einige Oden sollen verspätet aufgeführt sein,
einige zu angeblichen Wiederholungsfeiern gedichtet, andere sollen nur
tibersandt oder mitgegeben sein, während der Dichter die Aufführung
nicht leitete noch ihr beiwohnte, ein paar sollen sogar den Charakter
poetischer Episteln tragen. Eine Reihe derartiger Aufstellungen aus
den letzten Jahrzehuten, eine von diesem, andere von jenem Gelehrten,
führe ich auf, ohne um Vollständigkeit mich zu bemühen; das aufge-
führte Material ist groß genug , um ein allgemeines Urteil zu ermög-
lichen. Die kleinen vorgesetzten Ziffern erleichtern die Auffindung der
betreffenden Oden im nachfolgenden Bericht, wo ich die aufgeworfenen
Fragen, soweit es nicht in dieser Einleitung geschieht, erledige.
Als verspätet werden bezeichnet: ^«0 10. -■^0 12. "P2. *^-F H.
"NL 24N3. ^iN6. "N8. i^N9. 29J2. sj 4. 10 j 5. 38 j 7, pjg.
Gaspar zweideutig in der Tabelle S. 181, gegenteilig im Text S. 69;
ebenso 3 J 3 Tabelle S. 183 gegen Text S. 107.J Außerdem gehört hier-
4.
Jahresbericht über Pindar 1001 — 1902. (Bornemann.) 113
her der von Caspar und Wilamowitz mehrfach vertretene Gedanke, daß
oft eine erhebliche Zeit, etwa ein Halbjahr, dnrch die Benachrichtignng
des Dichters, die Verhandlungen, die Dichtnngsarbeit , Einstadicrnng,
Reise zur Siegesfeier verbraucht sein müsse.
Zu Wiederholnngsfeiern, Erinnerun^sfesten und wie mau es
sonst nennt, sollen erst gedichtet sein: '^0 3. ^'0 9. -T 3. ^^ps. 21p j]
^''NS. i'N9. 29 J 2.
Übersandt, mitgesjebeu, also uicht vom Dichter persönlich auf-
geführt wären ^^O H. ^sq 7. 'hq 10. ^^o 12. -^P 1. 34p4 35p 5^
■riO. -■»N3. "N. 4. fr. 124. Hierhergehört außerdem die Reihe
sizilischer Lieder, die nach Fraccarolis Ansicht vor der von ihm erst
auf 0 77 datierten Reise nach Sizilien liegen: ^P 6. -^P 12. -«PS. ^oq 6.
"0 3. ='P2. ^30 2.
Poetische Episteln sollen sein, um frühere Annahmen Leop.
Schmidts nicht zu wiederholen, -''P 2. '''P 3. 'M 2.
Die Benutzung dieser Aushilfen wuchert wie eine Krankheit, die
bald hier, bald da am Körper auftritt. Betreffs der verspäteten
Jjieder bemerke ich: Bei P 8, N 6 und N 8 liegt Gaspar daran, ein
nach den Karapfspielen eingetretenes politisches Ereignis chronologisch
vor die Aufluhrun? der Ode zu bringen. Für P 8 ist dies in der
Tabelle S. 187 irrtümlich geschehen, da Gaspar selbst im Text S. 167
das Lied nicht nach den 30jährigen Frieden setzt, sondern „au moment
oü les r.egociations etaient actnellement pendantes". Für N 6 handelt
es sich um eine ganz hypothetische Deutung des 6t^u(xov ayöo;, die sich
als fünfte zu den im Jahresbericht CIV S. 178 reiht. Über N 8 siehe
unten. Anders liegt es mit den von Gaspar schon vorher S. 128 zu-
sammengestellten Oden. Für 0 9 und 0 12 wird er selber, statt von
Verspätung zu reden, nichts gegen den richtigeren Ausdruck einwenden,
daß diese unter den olympischen Oden aufgeführten Lieder anläßlich
pythischer Siege gedichtet sind. Daß 0 10 etwas post festnm gekommen,
war selbstverständlich, da eine ganze Reihe Oden durch die olym-
pischen Spiele jenes Jahres veranlaßt waren; übrigens wendet sich
Gaspar S. 108 ausdrücklich gegen die Annahme beträchtlicher Ver-
spätung. Über N 3 o<{/£ und N 9 r.o-i siehe unten bei Behandlung der
einzelnen Oden; J 2 wird sofort unter beiden folgenden Rubriken zur
Sprache kommen, wie auch P 2. N 3. N 9. Für J 7 suchte Mezger
S. 302 f. iu einem Aufschub die Lösung gewisser Schwierigkeiten, ähn-
lich Gaspar S. 62 f. lür J 5, desgleichen S. 84 für J 4; ich verweise
auf die Einzelerörterungen unten, auch bezüglich einer Anmerkung von
Wilamowitz zu X 1.
Die Wiederholungsfeier (annivevsaire), die Gaspar S. 122
für J 2 annimmt, versieht er selber in der Tabelle S. 183 mit Frage-
J.ihresbericht für Altertumswissenschaft, Bd. CXVII. (1903, II.) 8
114 Jahresbericht über Pindar 1901 — 1902. (Bornemann.)
zeichen. Nicht so das „anniversaire" für N 3, das Gaspar aus vs. 1 — 3
beweisen will, wälirend Dissen offenbar nicht hierin, sondern wie später
Beigk in dem soeben erwähnten rj<\ii die Bogründunor suchte. Ahnlich steht
es mit dem erwähnten ttote N 9, das wohl auch Sittl (Jahresb. 1891, 5),
Drachmaun (1892, 273), Boehmer (ib. 280), Wilamowitz (s. unten)
veranlaßt hat, an eine ,,Erinne)ungsfeier" und dgl, zu denken. Be-
treifs P 5 war es Mezger S. 223, der aus der Lage des Karneenfestes
die Annahme einer Wiederholungsfeier herleiten wollte-, gefolgt ist ihm
bierin Christ in seiner Au«gab^, auch Sittl in der Literaturgeschichte,
nicht Gildersleeve und Fennell; Gaspar tut nicht einmal jener Ansicht
Erwähnung, Wilamowitz setzt das Lied ins Jahr nach dem Siege,
Herbst 461, weil die Beteiligung des Gespanns an den Olympien be-
reits in Aussicht stehe. P 3 wird schon von ßoeckh entsprechend ge-
faßt, dem Mezger beipflichtete, während Wilamowitz und Schröder
darin einen Trostbrief vorfinden. 0 9 und P 11 findet man bei Sittl
a. 0. genannt; 0 3 führt Christ, Der Ätna in der griechischen Poesie
(Bayer. Ak. 1888 Heft 3) S. 384 Anm. auf, als dächte er so „mit
allen Auslegern".
Was die Übersendung von Oden betrifft, so stehen für P 1
Legrand (s. unten S. 130) und Lipsius verbündet. Letzterer sagt (Sachs.
Ges. d. W. 1900) S. 13: „Daß Pindar noch einmal nach Sizilien zurück-
gekehrt sei, um persönlich die Aufführung zu leiten, ist . . . aus dem
Gedicht selber nicht zu belegen" — und fügt, was Legrand nicht unter-
schreiben würde, weiter hinzu: „Das Gegenteil dürfte folgen, wenn
meine Vermutung richtig ist, daß das in der zweiten pythischen Ode
angekündigte Kajxopetov kein anderes ist, als das erste pythische Ge-
dicht, das dann ebenso wie jene über das Meer geschickt sein muß."
Ebenso ist Wilamowitz, der a. 0. mit der Annahme, P 10 setze
Pindars Anwesenheit nicht voraus, weder bei den Spielen noch bei der
Aufführung, wohl vereinsamt stehen wird und gewiß auch mit der
Ansicht, daß N4 trotz vs. 74 xapuE ?Toip,oc eßav „von Theben aus übers
Meer geschickt" sei, hinwiederum für P 4 und P 5 mit Gaspar ver-
bündet, wenn er bestieltet, daß Pindar je in Kyrene gewesen sei; dies
im Widerspruch zu den früheren Erklärern. Gaspar findet dabei die
Tatsache wichtig, daß Pindar den olympischen Sieg des Arkesilas von
460 nicht besungen hat (er feierte Ägina und zwar wegen des einzigen
von ihm besungenen olympischen Sieges eines Ägineteu); Wilamowitz
seinerseits beruft sich lür P 4 auf vs. 2, für P 5 auf XsYofxsvov Ipiu»
und cuvexot. Was aber 0 10 angeht, so hoffe ich nicht ganz vereinsamt
zu bleiben mit der Überzeugung, daß der bildliche Ausdruck vs. 85
xd Kap' euxXei Ai'pxa ipavsv nicht wörtlich auf Pindars Anwesenheit ia
Theben zu deuten ist, sondern daß Pindar persönlich in Lokroi war.
Jahresbericht über Pindar li'Ol — 1902. (Bornemann) n5
Übrig bleiben einige Lieder, worin das Wort rejizto oder ein angeblich
vom Dichter beauftiagter Vertreter eine Rolle spielt: fr. 124. N 3.
0 7. P 2. sowie 0 6 und J 2. Daß tA^l-iu nicht beweiskräftie ist, hat
längst Graf gelehrt, vgl. Jahresb. LXVII (189 1) S. 1 1. Bei Gaspar S. 60
gilt demgegenüber Ranchensteins Deduktion noch für riclitig (ipeziell
für P 2), und S. 106 argumentiert er ebenso für N 3; dagegen S. 146
tritt er für 0 7 der entgegengesetzten .Auffassung bei. Anderseits bin
ich mit dem angeblichen Vertreter Aiueas in Stymphalos ganz anders
verfahren Phil. 45. 613 und werde unten auch dem Vertreter Nika-
sippos in J 2 auf den Leib rücken.
In diesen vier Punkten hoffe ich reine Bahn geschafft zu haben.
Dagegen räume ich ein, was ich Jahresb. 1892, 273 bestritten habe,
daß einige Oden sofort am Ort des Sieges gesungen sind. Es sind
lauter kurze Oden; sechs von einem S3'stem O 4. O 11 0 12. 0 14.
P 7. J 3 und die in fünf einfachen Strophen verlaufende N 2. die
schon ßergk u. a. so faßten, während Mezger an Aufführung aut
Salamis (oder in Acharuä) dachte, wie Mezger S. 137 für O 4 in
Kamarina. Bezüglich [0] 12 könnte die Tatsache Zweifel erwecken,
daß Pindar nach jenem [pythischen] Siege Sizilien besucht hat; aber
die Gedanken der kurzen Ode sind so allgemein gehalten, daß sie den
Zuhörern in Delphi eingehen konnten, und für den Sieger mußte es
ruhmvoller sein, wenn die Besleituug von Hierons siegreichem Gespann
seiner eigenen Ehrnn;; durch Pindar beiwohnte. Zu P 7 vgl. Jahresb.
1897. 210; zu P 6 die Einzeleiörterung nuten. Für 0 3 möchte Gas-
par S. 90 die Aufführung in Olympia annehmen, ohne daß Theron selbst
zugegen war (S. 92). Was 0 8 betrifft, so hat Mezger. ganz gegen
seinen zu 0 4 vorgetragenen GruudsHtz. den Vortrag in Olympia fest-
gehalten und zwar so, daß Pindar vielleicht schon vor dem Siege sich
zum Dichten hingesetzt habe, und auch Gaspar will aus vs. 9 f. die
Aufführung am Festort folgern. Ich meinerseits sa^e mit Bergk: „Ae-
ginae, nou Olympiae cantatum-, und rekapituliere kurz (weil sie leider
in dänischer Spiache verfaßt ist) die umsichtige Erörterung dieser
Frage bei Drachmaun. Moderne Pindarfortolkning p 174 — 176. Schein-
bar gleichwertige Instanzen sind einerseits die Aurufuui;eu vs. l und 9,
andererseits tavSs yiöon-^ vs. 25 und Ösypo vs. 51. Nicht gerade durch-
schlagend ist -ravos (zumal wenn ich unten P 9, 90 tocvos nicht auf den
Ort der Aufführun;:, dagegen xauTav J 7, 27 auf die voi liegende Gegen-
wart beziehe und P 1, 61 xei'vav vou Ätna zu verstehen ist); aber
Heimsoeths Deutung vou öeüpo = ,von Kleinasien nach Griechenland"'
hätte Drachniann mehr als „gezwungen" nennen sollen, da dies Ssüpo
mitten zwischen Isthmus und Korinth steht (lies übrigens xäx Kopi'vöou
Sei'paS' e7ro«J/6p.evo; oaiTav xXuxav). Die Beifügung eic' 'AX^sy vs. 9 und
116 Jahreabericht über Pindar 1901 — 1902. (Bornemann.)
vielleicht auch das längere Verweilen bei dem Brandopferaltar fällt
ebenfalls gegen die Aufführung am Siegesort ins Gewicht; vor allem
aber, abgesehen von der Länge der Ode und dem dadurch verursachten
Zeitaufwand (Christ freilich meint allerlei Spuren von Flüchtigkeit zu
sehen), sucht man in Olympia vergebens nach dem für den Inhalt dieser
Ode interessierten Auditorium; speziell das vootov I/JIkjtov vs. 69 wäre
wenig passend, und der gleich darauf erwähnte, tiefgebeugte und alters-
schwache Großvater hätte die Reise nach Olympia antreten müssen,
während er doch offenbar beim Anblick des siegreich heimkehrenden
Enkels wieder aufgelebt ist.
Ich gehe nunmehr auf die chronologische Folge der
Oden ein und bitte jedesmal die Darstellung Gaspars zum Vergleich
heranzuziehen, auch wo ich es nicht ausdrücklich sage.
Des Dichters Gebart nad Tod.
Gaspar S. 15 f. und 171 f. wählt die Daten Ol. 64, 3 und Ol. 84, 3.
Es muß ihm an dieser Vordatierung liegen, um die beiden Oden J VII
und N X noch vor P X unterbringen zu können. Lipsius a. 0. will
gar „in Berücksichtigung der Schaffenskraft, die dem Dichter bis in
sein hohes Alter geblieben ist", bis Ol. 63, 2/3 hinaufgehn. Ich halte
mit V. Wilamowitz, Aristoteles und Athen II 301 Anm. 20, Ol. 65, 3
und Ol. 85, 3 für richtig; die Datierung der «/[xt] unter Ol. 75 weist
nach chronographischem Usus auf Ol. 75, 3 und nicht Ol. 74, 3.
Die Dichtungen ordne ich in drei Perioden.
Erste Perlode der Dicbtnngen 498-478.
1. Pyth. X 498. Pindar in Larissa (anders Wilamowitz, s. S. 114).
Möglich, daß Simonides den andern Sieg in denselben Spielen besang.
2. und 3. Für Isthm. IV und [Isthm.] III ist die Parallele
im fünften Liede des Bakchylides vs. 31 — 36, die Gaspar nicht an-
führt, von großer Bedeutung. Beiläufig ein neues Argument dafür, daß
jene Worte eatri fioi öeuiv sxan |j.upia Tiavxa y.lXsu{)o? schwerlich aus der
Mitte einer Ode herausgegriffen sind, sondern als Anfangsworte in aller
Ohren nachklangen, nötigen sie uns, da Bakchylides sie schon 476
wiederholte, nicht die Schlacht von Platää und das nachfolgende Wieder-
aufleben Thebens als die dem Gedicht zugrunde liegenden Verhältnisse
zu betrachten, sondern weiter zurück in die Zeit vor den Perserkriegen
zu greifen. Es war damals, als sich noch nicht die perserfreundliche
Gesinnung Thebens hervorgekelirt hatte, die den Dichter abgestoßen
hat, wie er denn auch den olympischen Sieg des Aleuaden Hippokleas
492 nicht mehr besang. Der Krieg, in dem die vier Kleonymiden
fielen, ist also der von 506 gewesen, und J IV mag 494 (April),
Jahresbericht über Pindar 1901 — 1902. (Bornemann.) 117
[J] III 493 (Jnli) fallen; die andere Möglichkeit wäre schon 498 und
497: — es mnß nämlich, wenn ich den Text richtig verstehe, eine
Olympienfeier mit unglücklichem Ergebnis kurz vor;iufgegangen sein.
J IV ist in Theben, [JJ III in Nemea gesungen, das zweite Lied in
gleichen Metren wie das erste, also wohl aus dem Stegreif von dem-
selben kürzlich geschulten Chor. Es wären dies also Thebaner-Uden
aus dem Jahrzehnt vor dem Perserzuge. Fraccaroli setzt sie 476.
4. und 5. Pyth. VI und Pyth. XII 490. Beide Sieger stammen
aus Akragas; so liegt von vornherein die Annahme nahe, daß beide
Lieder in Akragas gesungen sind. Für P XTI gibt der Text dies an
die Hand, und auch Wilamowitz läßt es mit den meisten Erklärern
dort aufgeführt sein, ohne freilich ausdrücklich zu sagen, ob er Pindars
Anwesenheit voraussetze, aber mit dem Sieger von P VI ist Pindar
durch lebenslängliche Freundschaft verbunden gewesen, und so wird er
gerade ihn erst recht, als er seine Heimat besuchte, gefeiert haben.
So statuierte auch Mezger die Aufführung von P VI in Akragas, im
Gegensatz zu Boeckh, welcher wohlgemerkt nicht aus vs. 4, sondern
.aus vs. 9 das Gegenteil folgern wollte. Betreffs des avaroXtCstv, wozu
fr. 194 Tei/iCü)}xev eine Parallele bietet, war ich in meiner Abhandlung
Phil. 51, 467 insofern im Irrtum, als der in 0 II erwähnte isthmische
Sieg des Xenokrates nicht früher , sondern augenscheinlich 0 75, 4
fällt, weil die Xotpits; als xoivai bezeichnet werden. Vgl. übrigens unten
zu 29) J II. Wenn "Wilamowitz in ava- einen Bezug auf fr. 90 findet,
das „offenbar wenige Tage vorher unter Pindars Führung gesungen
war", so denkt er offenbar P VI in Delphi aufgeführt. Die Gleich-
mäßigkeit des Ausdrucks ist freilich schlagend; sollte nicht fr. 90 aus
einem ebenfalls auf Thrasybulos, aber sofort am Siegesort gesungenen
kurzen Liede stammen, nämlich demjenigen, womit der junge Dichter
sich in Delphi einführte, und dann P VI in Akragas wirklich ein
dva-i:oXiCeiv sein? Beiläufig: schon a. 0. S. 469 wies ich auf die
Schlacht voL Marathon hin; sollte nicht deswegen auch von epippofxou
'/powi die Rede sein, andererseits aber jegliche anschauliche Ausmalung
der festländischen Dinge unterblieben sein? Aus schol. zu J II in. geht
übrigens nicht, wie Gaspar meint, hervor, daß dem Simonides 490 das
„offizielle Siegeslied" auf Xenokrates übertragen war; vielmehr wohl
bei der Feier des erwähnten isthmischen Sieges von Ol. 75, 4, wo
Simonides in Sizilien anwesend gewesen ist, hat dieser die beiden Siege
„aufgezählt" (xaTa-rasset). Die herkömmliche Auslegung, daß Thrasy-
bulos seinen Sieg dem Vater überlassen habe, bestreitet Gaspar; in
J VII auf Strepsiadcs liegt das, wie wir sehen werden, nicht wesentlich
anders, ebenso in J VIII. Wilamowitz gesteht, man müsse nach P VI
glauben, der Sohn hätte den Wagen gelenkt, aber in J II werde j»
11g Jahresbericht über Pindar 1901— 1!»02. (Bornemann.)
Nikomachos genannt. So sei der Vater als Sieger ausgerufen (also
elSev J 2, 18 bildlich), und der anwesende Sohn empfange die Huldi-
gungen. Ich denke, bei Besprechung von J II wird uns gerade das
\iv.ai(sir,Tz' zum Gegenbeweis und zur Stütze der gewöhnlichen Auffassung
von P VI werden. Und ist wirklich nach dem Text von vs. 19 ff. da-
selbst, wo allerdings Bergk hinter xXeivai; ein x' eingeschoben hat, die
Beziehung des Nikomachos auf den delphischen Sieg berechtigt? Viel-
leicht xal tcotI xXetvai? etc. und dann vs. 21 f. der acc. c. inf. puaiSt9pov
yeTpa . . . Totv NixofJLOt'^ou xaxa xaipov l^yaXaSaoö' aviai;.
6. Pyth. VII 486 in Delphi gesungen.
7. 8. 9. 10. Ägineten-Oden 483 — 478, auf Ägiua. Hiervon gelten
drei den Söhnen Lampons, eine dem Kleaudros und Nikokles. Die sorg-
samen Darlegungen Gaspars wecken zwei wesentliche Bedenken : erstens
muß er zu dem Auskunftsmittel greifen, daß er die Feier eines Sieges
von April 480 bis in das letzte Viertel des Jahres hinausschiebt, und
zweitens setzt er die rühmende Erwähnung Athens in der ältesten Ode
Nem. 5, 48 f. in das Jahr 489, wo die alte Feindschaft mit Agina
wieder aufgebrochen war, „r6cemment ravivee par la question des
otages", um in offene Feindseligkeiten überzugehen. Außerdem hat
Gaspar die Person des Nikokles und seinen isthmischen Sieg in Isthm.
VIII übersehen; statt der diplomatischen Bemühungen, die er S. 68
nach Dissens Vorgang vermutet, hätte er den Heldentod des Nikokles
in den Vordergrund schieben, dem Kleandros nur den nemeischen Sieg
zuweisen sollen und das längst angezweifelte aXixt'a xe in vs. 1 durch
aXixt Ftp x£ oder aXtxi Fot xs ersetzen. Nehmen wir an, daß Pindar,
der schon in der vorigen Ode 486 die Stadt, in der er herangebildet
war, bei aller Kürze rühmend zu erwähnen gewagt hatte, den Hinweis
auf Athens Bedeutung in Nem. V wohl 483 einfließen lassen konnte
(die isthmische Eidgenossenschaft verwirklichte 481 seinen Wunsch), so
erhalten wir folgende Übersicht:
Nem. V: Pytheas 483 Juli (Nem. 46)
Isthm. VI: Phylakidas 482 April (Isthm. 51)
unbesuugen: Pytheas 481 Juli (Nem. 47)
unbesungen: Nikokles 480 April (Isthm. 52)
— Olympiade 75, 1 August 480
— Salamis September 480
Isthm. VIII: Kleandros 479 Juli (Nem. 48)
— Platää August 479
Frgm. 107: Sonnenfinsternis 478 Februar
Isthm. V: Phylakidas 478 April (Isthm. 53).
Im letzten Liede würde sich die gedämpfte Stimmung von ant. 7'
dann aus dem über Theben hereingebrochenen Verhängnis erklären. Daß
Jahresbericht über Pindar 1001 — 1902. (Bornemann.) 119
Gaspar selbst in der ßichtang dieser meiner Aufstellungen vorzugehen
geneigt war, aber nicht bis zum Ende gelangte, sieht man p. 62 not. 3.
Lipsius a. 0. p. 4 setzt J VIII ins Jahr 478. wohin J V gehört; nach
Fraccaroli fällt N V 485, J VI 483, J V 480.
Zweite Periode der Dicbtangen 478—458.
Au dem ersten Ülympienfest nach der Schlacht von Salamis
waren die Westhelleneu glänzend vertreten. Pindar, mit ihnen durch
Thrasybulos und Xenokrates längst verbunden, nahm wohl zum ersten-
mal teil, wenigstens als Poet. Am Ort des Sieges selbst feierte er die
Sieger im ratotov a-raoiov und -ai'öwv zu; mit 11. und 12. Olymp. XIV
und Olymp. XI, letzteres Lied nur eine |i.£Xi7apu; ujtipüjv dpya Xoyajv
xai TTtoTov opxtov vgl. Jahresb. LXXXXII p. 207 f.
Betreffs Olymp. XIV macht sich Gaspar Weitläufigkeiten wegen
der Papyrusnotiz und läßt Pindar schon 488 in Olympia auftreten, des-
gleichen Fraccaroli, nicht so Wilamowitz. Da der Eigenname im Papyrus
. sich nicht mehr findet, bleibt die Auffassung zulässig, daß dieses Lied
in Olympia eben an dem überlieferten 7G Fest gesungen ist, an welchem
Pindar nach Ausweis von 0 XI wirklich dort war. Nur war dann eben
der Sieger kein Orchonienier, sondern nach Orchomenos gehören die in
der allgemeinen Festfeier angerufenen Chariten; in vs. 19 wäre, statt
des ganz auffällig den Städtenamen ersetzenden Adjektivs, die Form
<L Mivucia als Attribut zu BaXia zu lesen. Mit der Berufung auf die
Heimat der Chariten lührte sich der böotische Dichter aufs passendste
in Olympia ein, und das vorangestellte aocpo; vs. 7 ist ein Wink in
dieser Richtung. Der Schluß des Liedes ist bisher dadurch verunziert,
daß man statt veov der besten Handschrift vsav aus der überwiegenden
Mehrzahl aufgenommen hat; auch Wilamowitz a. 0. S. 1308 f. will in-
folgedessen BaXi'a als Subjekt ergänzen und veav yai'tav als Apposition
zu u'iov fassen. Übrigens nimmt er mit Recht, ohne es besonders zu
erwähnen, Bergks Lesung e'j66$oij an, die zugleich die Menge der ver-
klingenden Ol, von Fa/oi ab, noch um ein ot vermehrt, so daß es nun-
mehr siebenfach ertönt. Vorher ist in vs. 14, wo Pauw bereits <ptXr)ci-
oopre wollte, wohl 9iXrjjiV.o|X7:£ zu schreiben.
Mit der anschließenden Fahrt nach Sizilien begann für Pindar
die Zeit des reichsten Schaffens; die Seelenkämpfe der letztvergangenen
Jahre (v. Wilamowitz, Aristoteles und Athen II 328) hatten ihn gereift,
und nun trafen die Eindrücke der westhellenischen Welt sein Gemüt.
(Eine Parallele bietet Goethes italienische Reise, wie ich weiterhin den
Niedergang Aginas mit der Epoche von Schillers Tod in Parallele
setzen möchte.) Die längst geknöpften Fäden führen zunächst zu
120 Jahresbericht über Piadar 1901—1902. (ßornemann.)
Theron , und dessen persönliche Lage gab überdies besonderen AnlaU
zu 13. Olymp, 11. Wie ich diese großartige Ode, die das Durchein-
ander von Sieg und Leid aufgreift, in ihrem Aufbau sowie speziell an
der vielraißhaudelten Stelle vom Adler und den beiden Raben angelegt
denke und allerlei verzweifelte Stellen erledigen möchte, dabei darf ich
hier nicht verweilen (siehe oben S. 110). Es handelte sich damals wohl
um den Tod seiner Gattin; vier Jahre später starb Theron selbst.
Praccaroli setzt die Ode 475.
Frohere Klänge, in dorischem Ton, schlägt das eigentliche Sieges-
lied 14. Olymp. III an. Wie Herakles von den Dienern Apollons den
Ölbaum erlangte zum Schmuck des kahlen Festplatzes und zu Sieges-
kränzeu, so hat der Westbelleue Pindars Muse gefunden: was will er
mehr? Der verderbte Eingang der Ode stellt m. E. die Situation klar
hin: gleichzeitig den Dioskuren (0 III) und der Semela (0 II) muß
der Dichter sich widmen, während die Helena ganz deplaciert ist —
lies xal xaXXtirXoxü) 2e[xeXa — , ihretwegen ist der Dichter öi^ptuvo; 'OXo}ji,-
Tztovtxav ujxvtp (Spöcuaai? axafxavxoTeooiuv iit.-wv awiov nach Mingarellis ver-
gessener Besserung, mit bezeichnendstem Gebrauch des opilouv von
Niedergebeugtem. Neben dem Viergespann zweitens der König selbst,
ein ouxaGTos dfXaoxtüfxo?, — ihm findet der Dichter eine „ neuprächtige "
Weise (vgl. N 7, Gl axo-sivov d-e/wv 4'°Xov Philol. 45, 608), ihm
möge die Muse in den dorischen „Schuh" helfen, so daß der , Schuh"
wie sonst eine Bekleidung des menschlichen Fußes bleibt, nicht etwa
der Stimme. Mithin denke ich mir den Text vs. 4 flf. so : MoTsa d\
o'jxaarov napiaxa jxot veosqdtXov eupovxt xpoTTOv | Acoptw ipcuva; lvapixo$ai
TceötXw I dYXaoxtüfJLOv.
An die letzten Worte dieser Ode schließt sich (dieselbe Reihen-
folge der drei Oden hat Wilamowitz, Gaspar dagegen 0 III Ol 0 II)
sofort in Syrakus der Eingang von 15. Olymp. I; ihr folgt ebenda
im Aufbruch nach Ätna 16. Nera. I und im ueugegründeten Ätna 17.
Nem. IX (nach Fraccaroli erst 472, 471, 472). Gaspar freilich will
Nem. I bereits 481 ansetzen; er bestreitet die in den Schollen zu vs. 1
vorgetragene Beziehung auf die Stadt Ätna — während ein Blick auf
sämtliche Stellen, wo Ai'xva und Aixvalo; vorkommt, dem Scholiastea
Recht verschafft — und versteht die prophetische Einkleidung, unter
welcher die Leistungen des Chromios gepriesen werden, wirklich so,
als wenn der Dichter erst eine zukünftige Entwickelung ahne. Gegen
die von Gaspar angeführte Bemerkung Rauchensteins habe ich mich
bereits oben S. 115 gewandt, und die Hochzeit des Chromios (Gaspar
stimmt in dieser Deutung mir zu) braucht keineswegs vor Gelons Tod,
kann vielmehr gleichzeitig mit Chiomios' Ernennung zum Statthalter
von Ätna stattgefunden haben. Möglich sogar, daß in dem vüv der
Jahresbericht über Pindar 1901 — 1902. (ßornemann.) 12]
Schollen zu vs. 81 geradezo ein Nspi v' steckt. Die olympischen Siege
vs. 17 sind Therons und Hierons; das Lied selbst betriflft nicht einen
neuen nemeischen Sieg des Chromios, vielmehr sind die unglücklichen
vss. 7 f. folgendermaßen herzustellen: apixa 5' oTpuvei Xpo|xiou veiieta;
EpYjxaatv vi/ocfopoi; i-jxwjxiov ^sZ^on [isXou; " apyai 6s ßlßA.TjvT' ivOetuv etc.
Wilamowitz setzt die Ode Winter 476/5 vor die Gründung Ätnas; sie
verherrliche die Gastfreiheit, „einerlei wann der Sieg des Chromios er-
rungen war, über den die öfifentliche Meinung nicht so günstig urteilte,
wie man dem Liede anfühlt". — Das zweite Lied, Nem. IX ist wirk-
lich ,11 l'occasion de son installation ;i Etna" gedichtet, nicht als Sieges-
lied, und kommt nur wegen der sikyonischeu Trinkscliale auf den
frühereu sikyouischen Sieg, sowie auf die sehr geeignete Parallele des
Adrastos. nur daß vs. 11 ganz deutlich vsaiai 6sopToi; „im gottent-
sprossenen Neuland •* stehen müßte, ganz wie es Ätna war. Bei Wila-
mowitz reist Pindar „wohl erst 475, als das Meer offen war", zurück
und „schickt" dann das Lied nach dem inzwischen gegründeten Ätna,
um dem „alten Bekannten", „ausgedienten General" und „Jubilar" zu
gratulieren, für den man nach vs. 48 wirklich einen xüiixo; veranstaltet
habe; das Lied müsse „möglichst nahe an P I" herangeschobeu werden,
„die Geschäfte der Ansiedelung [durch Chromios] waren im wesentlichen
abgetan". Mezger S. 112 schwankte, ob ein Lied zur Wiederkehr des
Siegestages, eine Feier der Zso; A-Tvaioj oder ein Gedicht zur Über-
siedelung von Syrakus nach Atua vorliege. Als Subjekt zu [xav-ki vs. 4
hätte er nach Bothe und v. Leutsch den ufxvo; gelten lassen sollen.
Ist daselbst aüXav zu lesen und vs. 2 vsvrjrjvrai?
Über alle diese Lieder (auch fr. 118 f. und 124 gehören hierher)
hat das dem Lokrer Agesidamos versprochene Lied zurückstehen müssen.
Es folgt als 18. Olymp. X (nach Fraccaroli erst 474/3). Ga^par lehnt
mit Recht ab, an eine lange Verzögerung zu denken, etwa bis auf eine
angebliche Wiederholungsfeier; ich meine sogar, daß Pindar vs. 3
eziXeXav)' oZ cresagt hat (der Name steht ja „in seinem Herzen geschrieben"),
und fasse vs. 85 Mpy.'z etc. als poetische Fiktion, vgl. oben S. 114. W^ilamo-
witz muß die Verzögerung bis 471/0 ausdehnen, wenn er die Erwähnung
der Lokrer in P II durch Gleichzeitigkeit von 0 X und P II erklärt.
Diese ganze Folge von Liedei'U ordnet, wie man sieht, mein alter
Bundesgenosse Fraccaroli ganz anders, auch nach der Auffindung des
Papyrus, und die vor Ol. 77 fallenden sollen aus Griechenland übersandt
sein. Seine ausführliche Begründung lese man Riv. di fil. 1901 III
385 ff. nach; eiue Verhandlung über Pindars Verhältnis zu seinen Ri-
valeu, das für Fiaccaroli maßgebend ist, würde an dieser Stelle zu w'eit
führen, in Kürze haben sich diese Jahresberichte schon oft gegen die
herkömmliche Auffassung erklärt.
122 Jahresbericht über Pindar 1901 -1902. (Bornemann.)
Kurz vor Pindars sizilischer Reise war der delische Bund ge-
stiftet; als er zurückkehrte, fiel Eion nach tapferer Gegenwehr in die
Hände der Athener, der letzte Stutzpunkt der Perser in Europa. Den
Dithyrambus 'EXXdoo? e'pciajjLa setze ich unmittelbar in Anschluß an dies
Ereignis 475, nicht 474; denn aus dem zweiten athenischen Dionysos-
lied desselben Jahres fr. 75 geht hervor, daß an ein Nemeentestjahr zu
denken ist: Aioftsv ist nach pindarischem Gebrauch Beweis genug, und
80 ist auch 'Ap76ia Nep-ea für mich gesichert, nur daß etwa im Sinne
von fr. 153 die Worte in fok'ender Fassung mit dem Vorausgehenden
zu verbinden wären: uiraT<ov jxev -zt Traxepüjv -i-uvacAuiv t£ Kaoixeiäv lovov,
I ov £v 'ApYeiot Neixea [xaXaxov ou Xavöotvet | cpoi'vixo; epvoc. Es wäre das
eine Begründung, wie ein nemeischer Sieg dem Dionysos geweiht werden
könne, indem mau im Spätsommer seines Vaters Zeus, im Frühling
seiner Mutter Semele gedenke. (Auch den Anfang der langen, einheit-
lichen Periode will ich mit einigen Änderungen hersetzen: Aeüf iv
)fopov, 'ÜXu|i.j:toi, I ini xs Xupav T:i\mtTt '/otpiv, dsoi, | TioXußaxov oTr' auxeoc
^fi(paX6v öooevxa | £v xat; lepat? 'A&avats I ol'/yti-zB iiavoaioaXov x' cUxXe' dcv'
d-ppotv I bSextuv Xaßsxs ax£9av(üv xav lapiopoTiov | Xoißav, dioöev x£ fjis ouv
(Z'/Xaia I ioex£ Trop£Ui)£vx' e; aoioav 8£ux£pov | im xov xtsaooExav flfiov, xov
BpöfjLtov 'Eptßoav T£ ßpoTol xaXEOfiEv, uTiaxoiv etc. wie oben.)
Habe ich hierin recht, so gehört doch wohl 19. Nem. II in dies
Jahr 475 (nach Fraccaroli 487). Diese kleine Ode wurde dann schon
in Nemea, also fiüher als fr. 75 gesungen; für die Kürze des Liedes
ist Salamis stark genug hervorgehoben, und nur die Bemerkung im
Scholion zu vs. 1 , den sofortigen olympischen Sieg betreffend, müßte
dann beanstandet werden, dachte doch nach dem Liede selbst Timodemus
nur an einen baldigen Kampf in Delphi und auf dem Isthmos. (Anders
Christ, Heptas S. 146 ff.) Die auffällige Zurückhaltung von den athe-
nischen Spielen ist durch Bergks Besserung am Schlüsse der Epodos
beseitigt.
yermutungsweise gehört hierher (475) auch 20. Nem. VII, weil
die Änderung von JA in N als die leichteste erscheint. Fraccaroli setzt
es zwischen 468 und 460.
Gesichert ist die Ansetzung der Oden des nächsten Jahres (474).
Es sind 21. Pyth. XI und 22. Pyth. IX. Jenes ist die erste The-
baner-Ode seit J III: die Krisis von 479 hat den alten Hiß geheilt.
Sicherlich will der Mythus von P XI mehr als ,,un salutaire effroi des
grandeurs" bezwecken; habe ich ihn früher auf die Familie des Siegers
gedeutet, so wäre ich jetzt geneigt, ihn auf die Vaterstadt zu beziehen:
Agamemnons Los das Los von Theben, jetzt aber Thrasydaios als erster
Sieger nach dem Unglück ein Orestes. (Wilamowitz a. 0. erörtert die
zuletzt von mir Phil. N. F. VI S. 41 f. behandelten vss. 41 ff. Dabei
Jahresbericht über Pindar 1901 — 1902. {Bornemann. ) ]23
wird durch Billigung der Christschen Änderung ixtjöoio die Honoraridee
künstlich hineingetragen; und wenn gesagt wird, daß ..[Vater oder Sohn]
dem Pindar das Silber gegeben hat . . ., das an seiner (Piudars!) Muse
Zunge sitzt", ferner daß „die Zunge, die Silber unter sich hat, nicht
das Gold der Wahrheit redet, sondern das plattierte Silber des erkauften
Lobes", und zugleich der ,,Hohn" hervorgehoben wird, womit Pindar
die Zumutung aufnehme, ,,daß er feil wäre", so finde ich durch diese
Folge von Sätzen nicht hindurch: ist denn nun Pindar ujidfpppoc oder
nicht? W, schreibt xh 8' e-eöv . . ., beginnt den Hauptsatz erst mit
f-, ergänzt darin ,,\j.a^olo juviOau u. s. w.", läßt das ,, intransitive" xa-
pajffefiev von TrapE^eiv cpcuvav abhängen. Warum vermeidet der Dichter
das einfache ouviöeu cptuvä uirotp^üptp . . . xapajjeixsv?) Dagegen in P IX
steht Theben zu wenig im Vordergründe, um uns an eine Aufführung
daselbst denken zu lassen; vielmehr geht aus vss. 97 — 103 Pindars
häufige Anwesenheit in Athen hervoi', und es wird eine Atheuerin sein,
die der Ägide nach Kyrene heimführt (nicht eine Thebaneriu, die Pindar
ihm empfiehlt, wie Gaspar meint). Aber vor dem athenischen Publikum,
das auch die Jolaosaffäre mit Eurystheus vs. 80 angeht, welche die Aus-
lieferung der Herakliden durch die Athener betraf, legt der Dichter
ein waimes Wort für die Heimat des Ägiden Telesikrates, für seine
eigene Heimat ein: xoTai vs. 89 sind die Aipxaia uSaxa (vs. 87 habeich
schon früher jxev statt -jj-tq vermutet), und durch Telesikrates überwindet
der Thebaner-Ägide die aqaXöv dtiiayaviav, nachdem dieser (vs. 90 wohl
Ai-ftva ae) auf Aigina, in Megara und Pytho siegte. — Anders Wila-
mowitz a. 0.: „Nicht lange nach P XI, wohl 473 erst, richtet er wieder
iu Theben einem Kyrenäer Telesikrates ein Fest für die Siege aus, die
er sich 474 in Delphi und dann in Theben errungen ... Vs. 76 axova:
Kleines auszuschmücken reizt den guten Dichter . . , Vs. 80 viv ist nicht
der xaipo;, sondern der Sieger Telesikrates, auf den delphischen folgt
der thebaniscbe Sieg . . . Vs. 90: 'Dreimal habe ich schon, in Aigina
und Megara, diese Stadt [Theben] gerühmt, mit der Tat beweisend,
daß ich nicht verlegen und ratlos schweige'. Freund und Feind soll
diese meine Tat nicht totschweigen. So kämpft er um seine Stellung,"
of. N VII. P XI.
Eine Politik der Sammlung scheint dem apollinischen Sänger in
diesen Jahren am Herzen gelegen zu haben; das erste Zeichen einer
Kräftigung Thebens 470 führt v. Wilamowitz, Aristoteles und Athen
n 300 an. Aber die zwischenliegendea Gedichte sind von unsicherer
Datierung. Einigermaßen gesichert mag die von 23. Nem. IV auf 473
erscheinen (so Gaspar nach Bergk, auch Wilamowitz, ohne „zu sehr auf
dem Jahr zu insistieren"; Fraccaroli 474), aber ohne die Christ-Gas-
parsche Deutung des Zwischenstücks vs. 36 — 43; es mag ausdrücken,
124 Jahresbericht ober Piadar 1901—191)2. (ßornemann.)
(laß der Dichter die Hoffnung für Theben nicht aufgibt: lies ävTixsiv*
im. ßwXi'a statt ImßouXi'a, desgleichen «poßspot fi' aXXoi avJjp ßXeTuoiv statt
^öovepa.
Für 24. Nem. III (Praccaroli 475) sind unsere Handhaben ge-
ringfügig. Zu den von Gaspar als „les plus frappants" bezeichneten
Analogien bei Christ, bayr. Akad, 1889 bemerke ich: neben die erste
gesellen sich P 10, 28 (aus 498) und J 4, 11 ff. (vermutlich aus 494);
die zweite, noch allgemeinere, tritt ebenfalls 0 11, 4 fif. J 1, 41 f. J 3,
1 if. fr. 42. fr. 121 auf; die dritte fällt weg, da sich m. E. 0 2, 94
aufs Leid bezieht und die Art, wie Theron und Xeuokrates es tragen.
(Auch Wilamowitz fußt auf den Analogien zu 0 II und meint, das Lied
werde ,,auf der Reise gemacht sein"; auf der Hin- oder Rückreise?)
Dennoch kommt meine Vermutung etwa in dieselbe Zeit wie Christ
und Gaspar. Die ausführliche Schilderung in ep. 7' scheint mir auf
Salamis anzuspielen; aber es wird, da der Sieger schon älter ist, eine
gewisse Zeit verstrichen sein, wiederum freilich nicht eine allzu lange.
Die Nemeen 479 sind überdies ausgeschlossen wegen des Pankration-
siegers von J VIII; auch gewiß die von 477, da der Achilleusmythus
gerade erst in der vorigen Aginetenode verwertet ist; dann 475 wegen
des Siegers von N II. Zwischen 470 und 446 aber sind uemeische
Lieder Piudars nicht erwiesen. Mithin bleiben die Jahre 473 und 471
(zwischen denen ich die Wahl lasse; bei der Wahl des späteren Da-
tums würde das Lebensalter des Siegers ein wenig höher, und hierauf
bezieht sich doch das vielberufene d^i). Dazu stimmt das längere Ver-
weilen bei Cheiron, ganz wie in Liedern von 474, 473, 470 (freilich
auch von 479 und 462), sowie die Betonung der Bundesgeuossenschaft
zwischen Telamon und Jolaos, die an die Erwähnung des Jolaos in
Athen 474 und an die Zusammenstellung mit den peloponnesischen
Dioskuren 474 erinnert (letztere freilich auch in der Ode J I von 458).
Den ersten Teil dieser Periode schließen wieder einige Lieder
für Sikelioten. Die auf der Insel eingetreteneu Veränderungen scheinen
den Hierou veranlaßt zu haben, Pindar nochmals heranzuziehen, daher
470 die Beschickung der pythischen Festfeier. Neben ihm tritt dort
der Himeräer, früher Knossier Ergoteles auf, der Sieger von 25. Olymp.
XII (oben S. 115). Daß dies Lied wirklich ein pythisches sei, konnte
Lipsius bereits im Philologus 1891 S. 245 von mir ausgeführt finden,
ganz wie betr. Ol. IX; statt dies zu erwähnen, führt er eine Jahresb. XLII
p. 78 von mir versuchte Textänderung an, die ich ersteren Orts bereits
als verfehlt zurückgenommen. Auch Wilamowitz setzt 0 XII „zuerst",
aber es sei dem Ergoteles „mitgegeben" und in Himera aufgeführt;
auch brauche es ,, nicht gleich gewesen zu sein, denn das Danklied gilt
seiner ganzen Athletenlaufbahn", „als er der Siege genug hatte". Die
Jahresbericht über Pindar 1901— m02. (Boroemann.) 125
Datierung des zweiten Sieges des Ergoteles in den Ambrosianns-Scholien
mit einen Abstand von 15 Jahren ist durch den Papyrns bestätiRt.
Nun folgen die gleich darauf auf Sizilien gesungenen Oden für
Hieron 26.27. 28. Pyth. III, Pyth. II, Pyth. III, die ich jetzt als
gleichzeitig ansehe; Näheres darüber unten bei Besprechung der Ab-
handlung von V. Wilamowitz. Fraccaroli setzt sie 477, 476, 470.
Es bleiben 30. 29. Olymp. VI und Isthm. II übrig. Jene Ode
fällt ins Jahr 468 (Fraccaroli 476), sie ist in Stymphalos gesungen.
Meine Darstellung im Philol. 1887 S. 589 f. ist Gaspar, der sich die Lage
etwas anders denkt, entgangen. Schröder, Pindarica IV (s. unten) will
sie vier Jahre früher setzen; denn wer sich für 468 entscheide, ver-
wandle ,,den stolzen und herzlichen Gruß in eine Offerte: 468 hatte
Hierons Viergespann in Olympia gesiegt und war für einen rührigen
Epinikiendichter vielleicht noch zu haben; vielleicht aber war ein ge-
wisser Epinikiendichter nicht mehr zu haben". Ein ähnlicher Gruß wie
in 0 VI ist im Schluß der Ode Isthm. II eingeschlossen, deren Datierung
auf das Jahr 470 Gaspar, wohl an der Hand der Christschen Ausgabe,
als „assign^ g6u6ralement'* bezeichnet (Fraccaroli 472/1). Die Begrün-
dung dieser ,, allgemeinen" Annahme ist mir nicht bekannt, doch komme
ich zu demselben Ergebnis. J II ist kein Siegeslied, sondern £7:1 -csrs-
XeoTTixoTt TW Esvoxpaxei, wie Asklepiades bemerkt hat (vgl. denselben
guten Gewährsmann auch zu N VI). Für mich ist ein Personenwechsel
iß ep. 7' ausgeschlossen, Thrasybulos war doch nach der herkömmlichen
Auffassung von P VI ein vixajtTirroc — nur daß vielleicht aXXa, ^iY.oizir.T\
oTToveinov zu lesen ist. Dann ist ^eivoc vj^aio; Hieron, der Attvaioc $evo;
Set'voi; Oauii-ajToc r.a.-r^p von 470 (P 3 69 und 71). ,, Jedesmal wenn"
Thrasybulos zu ihm kommt, soll er seines Vaters Xenokrates Lob singen.
Mithin weiter: Thrasybulos hat sich nach dem Zusammenbruch der
Emmeniden in Akragas anderswohin, nicht nach Syrakus begeben —
oder richtiger Xenokrates mit seinem Sohne Thrasybulos: ohne Grund
läßt Gaspar S. 92 (diesmal von Bury abweichend) den Xenokrates „vor"
Hieron sterben, während doch der Tod desselben als Anlaß von J II
zu betrachten ist. Bei den Beziehungen der Emmeniden zu Argos liegt
es nahe, an Übersiedelung nach Argos zu denken (wie Thrasydaios
nach Megara flüchtete) und unter dem von Geld und Freunden verlassenen
,Argiver" vs. 9 wirklich den Thrasybulos zu verstehen: „jetzt mahnt
das Wort des Argivers, aufs Geld zu sehen" — das erste ypi^iJiaTa zu
^uXa$ai gezogen. Ich nehme also an, daß das Lied wirklich 470, aber
in Syrakus aufgeführt ist, wohin sich der Argiver etwa mit dem del-
phischen Reisezug des Hieron, gemeinsam mit Pindar, begeben hatte.
Hier nämlich konnte eine Gedächtnisfeier für den Emmeniden noch auf
Verständnis rechnen. Ganz anders stellt sich Wilamowitz. Nach dem
126 Jahresbericht über Pindar 1901 — 1902. (Boraemann.)
Tode des Senokrates soll Thrasybulus rahig in Akragas gelebt haben
(471 — 468), als der greise Simonides dort sich aufhielt. Diesem sollen
in dem damals durch einen unbekannten Nikasippos überbrachten „Brief"
J II allerlei Grobheiten („stark genug ist der Angriff", sagt W.) gelten;
nicht bloß 9tXox£pSiQc, sondern auch epYaxtc im Sinne von ropvT) sollen
auf ihn gehen, sowie auch weiter die au Thrasybul gerichteten Worte:
„nun bist du ja klug genug, du weißt ja, wie es mit dem isthmischen
Siege gegangen ist, wie spät das Lied des Simonides gekommen ist"
— ,,wohl erst 475 — 472" — „und wieviel es gekostet hat"; Thrasy-
bulos soll Pindars Lied nicht vergessen, weil er sich von berechneter
Mißgunst hat beeinflussen lassen, denn ,,ich habe es nicht säumig ge-
macht". Der isthmische Sieg soll „bald nach 490" errungen sein, da
derselbe Wagenlenker [wie P VI] ihn gewann, „als eben Xenokrates
einen Marstall in Hellas hielt" — vgl. dagegen oben zu ^Pyth. VI.
In der andern Hälfte der Periode folgen einige Aufträge beson-
derer Art. Für das pythische Siegeslied (siehe zu 0 XII) 31. [Olymp.] IX
(466) war augenscheinlich ein offizieller Auftrag der Gemeinde Theben
ergangen, den Proxenos in Opus zu ehren. Wenn ßobert bemerkt, der
Papyrus bestätige aufs glänzendste G. Hermanns Ansetzung von 0 IX
in diese Olympiade, der „nur Lübbert" zugestimmt habe, so ergibt
Jahresb. 1885 S. 97, daß nicht Lübbert, sondern ich in einem Referat
über ein Lübbertsches Programm so geurteilt hatte. Einen „elenden
Schwindler" in den Schollen meint Christ, Heptas (Bayer. Ak. 1900
S. 144 f.) zu entlarven.
Bei den voraufgegangenen Festspielen lernte der Dichter wohl
den berühmten Sieger von Rhodos kennen, welchem 464 die Ode
33. Olymp. VII gilt, nachdem auf der Zwischenstation Korinth
32. Olymp. XIII für den TpidoXujxTctovtxa; oTxoc des Epharmostos auf'
geführt war. Die Oden 34. 35. Pyth. IV und Pyth. V ließ Pindar
462 in Kyrene singen (s. oben S. 114). 460 hat er die Freude, gar
einen olympischen Sieg aiif Ägina zu feiern, 36. Olymp. VIII, siehe
S. 115, und zuletzt setze ich vermutungsweise 37. 38. Nem. VIII und
Isthm. VII hierher (Fraccaroli 475 und 457).
Wegen Nem. VIII hätte sich Gaspar, der doch Mezgers Ansicht
adoptiert, also dessen Kommentar einsah, mit BuUes Hypothese oder
vielmehr mit dem Zeugnis des Didymos auseinandersetzen sollen.
Denn den Wert der nemeischen Liste bezweifelt Gaspar betr. N VT
flicht, wie Mezger es tut, und das Ziffernverderbnis zu N VII (etwa
lA statt N) beeinti ächtigt den Wert der Liste nicht. Die hochfeierliche
Betonung des Wertes und gar des Alters der Dichtung im Gegensata
zu dem dunklen Treiben der icot'p'faüic würde trefflich zu der Tatsache
«timmen, daß die beiden (in zwei Nemeaden und unmittelbar hinterein-
Jahrpsbericht über Pindar 1901 — 1902. (ßornemann.) 127
ander) zum Sieg gelaugten Läufer, der inzwischen verstorbene Vater
und der Sobn, als Agineten aus den Listen gestrichen sind, wogegen
der Dichter üflfentlich sich verwahrt. Dem jugendlichen Dichter von
491 (Guspar meint ein Jugendgedicht vor sich zu haben) steht solche
Rede niclit an; die Sache n)nß passiert sein, als das mit Athen ver-
bündete Argos die Vorsteherschaft der uemeischen Spiele errang und
der „peloponnesische" Krieu von 458 ff. sich entspann. Der Krieg
selbst ist nicht vorausgesetzt in unserer Ode, andererseits für 0 Vllt
(von 460) liegt die häßliche Affäre von den Nemeen noch nicht vor.
Es wird also der Vater 461, der Sohn 459 gesiegt haben und 459 die
Streichung erfolut, Pindars poetischer Widerspruch verfaßt sein.
Über Ist hm. VII ist folgendes zu bemerken. Gaspar, der diese
Ode schon 502 setzt (ihm gilt als Geburtsjahr Pindars 522), hebt
hervor, daß das unglückliche Gefecht, in welchem der ältere Strepsiades
gefallen, erst kürzlich stattgefunden hat; er nimmt immerhin einen
auffälligen Abstand von vier Jahren au, und außerdem ist zu erinnern,
daß das Schlachtenhagelvvetter in vs. 27 mit rau-ca bezeichnet wird,
also sich offenbar noch nicht verzogen hat. Andererseits wendet sich
Gaspar, ähnlich wie Mezger, mit Recht gegen die Datierung Boeckhs,
dessen Ausführungen hinwiederum v. Wilamowitz als „meisterhaft" ge-
würdigt hat. Den von Mezger versuchten Ausweg habe ich oben S. 113
abgelehnt; aber ein ähnlicher Ausweg muß denn doch gesucht werden.
Was steht im Wege, daß wir das erfolgreiche Vorgehen der Phokier
gegen Theben bereits in das Frühjahr 458 setzen? Die Niederlage der
Athener in der Halike ist dann der Grund für die freudigere Stimmung
der Ode. Übrigens hat der junge Sieger (&aXoc vs. 24) seinen Sieg
(dpexav vs. 22) dem gleichnamigen Oheim gewidmet: d'Yst t' dpsTdv o-ix
ai'j^fiov cpuac | ^Xs^söotsav Io-X6y.o>.zi Motjat; | jAdrpuJt d' ö[i.u)vuij.w oiotoxs,
xoivdv bdloi (so teils mit den Handschriften gegen die Ausgaben, teils
nach Vermutung).
Was über 39. Ist hm. I von Gaspar ausgeführt wird, billige ich
fast durchgehends, speziell die Datierung auf 458 (Fraccaroli „nach
468"). Nur hätte er sich mit dem eingeflickten Orchomenos und der
von Didymos mit einem etxoc hzi angebotenen, später nnbezweifelt
weitergegebenen und immer mehr ausgeschmückten Erklärung für diesen
doppelten Domizilwechsel (Orchomenos — Theben — Orchomenos) nicht
so rasch einverstanden erklären sollen. Zu meiner Freude dagegen
sehe ich, daß Wilamowitz in seiner Rezension des Gasparschen Buches
DLZ 1901 die Entdeckung, daß Asopodoros als Mitkämpfer bei Platää
von Herodot erwähnt wird, dem belgischen Gelehrten ganz besonders
zum ßuhme anrechnet; Gaspar irrt, wenn er sagt, ich hätte dies 1893
als ,uüe simple conjecture" vorgebracht, vielmehr habe ich nur nicht
128 Jahresbericht über Pindar 1901 — 1002. (Bornemana.)
ansdrücklich hinzuffefügt, daß bisher niemand auf den Text des Herodot
verwiesen habe. Wieder anders sieht die Sache in der Rezension
Legrands aus (REG XIV 102), womit man Gaspar selbst vergrleichen
wolle: „qni croirait que depuis des annees on repcte comme une
hypothese que le pere d'H^rodotos de Thöbes, Asopodoros, ccmbattit
peutetre ä Platte, alors qu Herodote ie norame en toutes lettres?"
übrigens legt die Erwähnung von Delos „ev 7. x£yu|i.at" — ich habe
a. 0. in gereimter Übersetzung dies wiedergegeben mit der Wendung
„wohin mich Gott geführt" — uns den Gedanken nahe, einmal statistisch
festzustellen, wann Delos, Lato, Latoidas, Artemis in den Liedern des
delphischen Sängers auftreten. Es beschränkt sich dies genau auf den
Rahmen der Periode 478—458, die ich als „zweite" der Dichtungen
bezeichnet habe und deren Beginn mit der Stiftung des Delischen
Bundes, sofort nach der für Theben verhängnisvollen Entscheidung,
zusammenfällt. Wir finden L Delos: N 1, 4 (476) Ortygia als o£fx.viov
'ApT£}iiSoc Aa'Xou xotaqvrjTov cf fr. 250 — P 9, 10 (474) AaXtov Seivov
— P 1, 39 (470) Xuxis xal AaXu) Favasawv Ooiße flapvajto -e — 0 6, 59
(468) AdXou axoTtov — unsere Stelle J 1, 3 If. (458) — endlich fr. 87
Delos selbst besungen als feste Zuflucht; 2. Lato: 0 3, 26 (476) Aatoü;
Ou-ja-n^p Artemis — 0 8, 31 (460) ::au 6 Aaroü; Apollon — . außerdem
fr. 89. 117. 139; 3. Latoidas: N 9. 53 (476) — P 9, 5 (474) — P 3, 67
und P 1, 12 (470); 4. Artemis: N 3, 50 (471 oder 473) — P 3, 10 und
P 2, 7 (470). Mit den politischen Veränderungen im Anfang der
fünfziger Jahre, mit der Verlegung der Bundeskasse und dem Nieder-
gang Aginas hören diese Erwähnungen auf Späteren Datums ist nur die
kyrenäische Stelle P 4, 259 (462) Aaxoi'Sa;, die an P 9, 5 von 474 an-
schließt, sowie ebenda P 4,90 ßsXo; 'ApT£[xioo?, endlich in dem vielleicht
erst in die letzten Jahre Pindars anzusetzenden Liede N VI die Stelle
aowv spveui Aaxoü?, vielleicht mit besonderer Beziehung auf einen früheren
Aufenthalt des Kreter- Ägineten Alkimidas auf Delos; auch die Heimat
des Siegeis von 0 XII war Kreta. Die letzte Erwähnung dagegen in
der obigen Reihe findet sich im thebanischen Liede von 458 J I.
Der Sonnenglanz von 458 war vergänglich. Bei Kekryphaleia
schon schlug der Erfolg um, auf das glücklichere Gefecht von Tanagra
folgte sofort die Katastrophe von Oinophyta: in Theben kam die De-
mokratie ans Rader, und damit ist Pindars Verbindung wieder gelöst,
ebendeswegen 454 der zweite Sieg des Thrasydaios, des Siegers von
P XI, nicht besungen; Ägina aber muß im Winter 457/6 sich ergeben.
Letzte Perlode der Dlchtongen 458-438.
Sicher datiert sind nur 40. 42 Olymp. IV von 452 und Pyth.
Vm von 446. Dort ist Pindar nach langer Pause wieder einmal Zeuge
Jahresbericht über Pindar 1901 — 1902. (Bornemann.) 129
der utj/rjXoTaxa aeOXa und freut sich über das Ergehen der Westhellenen,
ohne Sizilien wieder zu betreten; hier predigt er Ägina, seiner zweiten
Heimat, Fassung.
Gaspars Erörterungen zu 41. Nem. VI (diese freilich ist nur durch
Anklänge auf 447 fixiert, Fraccaroli zieht 460 vor), 42. Pyth. VIU
von 446 und das in die letzte Lebenszeit des Dichters 446—438
fallende Lied 43. [Nem.] XI habe ich nichts Wesentliches hinzuzufügen;
die Form 'ApxesiXac in letzterem ist durch den rhythmischen Periodeu-
bau der Epodos 3d3d.2e3d2e.3d3d gesichert, wohl aber
könnte im Skoliou fr. 123 geleseii' werden Fleiötu te vai'ei | xal Xapi;
uioü 'ApxejtXa. Endlich aber füge ich — denn Theoxenos führt uns
von Teuedos nach Argos — die Argiverode 44. [Nem.] X in diese Zeit,
nach Abschluß des dreißigjährigen Friedens ein, die Graspar 501 setzt.
Wirklich kann mau wegen der politischen Lage nur schwanken zwischen
der Zeit vor 494 und nach 446; und daß ihr keine Spuren der Jugend-
lichkeit anhaften, läßt sich dartun (siehe S. 110). LenJrum in CIR 1902,
267 ff. hat unter lebhaftem Widerspruch gegen Gaspar die Datierung
kurz vor 460 (Fraccaroli 468— 460) vorgeschlagen; das wäre Rückkehr
zu Dissens Meinung, die von Gaspar S. 33 not. 3 abgetan ist. Demnach
würde Piudars Epinikiendichtung — ein eigener Zufall — schließen
mit jenem ava o' eXuaev \ik'j (J^öaXfiov, ezsira 8t cptovav yaXxofiiTp«
KajTopo;.
n.
v. Wilamowitz-Moellendorff, Hieron und Pindaros. in:
Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1901, S. 1273—1398.
Ph. E. Legrand, Sur Tintention et la composition de la denxiöme
Pythique de Pindarc. In: Revue Universitaire, 15. Mai 1902, 8. 473
—484.
0. Schröder, Pindarica IV. In: Philo]. 61 (1902), S. 356—373.
Die Datierungen von P I. IL III, zu welchen diese Verfasser,
Gaspar und ich gelangt sind, stelle ich an die Spitze (cf. oben S. 125):
a) Gaspar: P II 477/6, da Hieron hier nicht König tituliert
werde (lediglich negativer Grund, zum Überfluß vergleiche vs. 14!) und
die Lokreraffäre frisch vorliege; die Intimität erkläre sich duich vei--
mutlich vorausgegangene frühere Gedichte. P III 476, abei' vor der
sizilischen Reise, da der olympische Sieg nicht erwähnt wird (wieder
iiegativer Grund : der pythische erweckt eben die Erinnerung an die
pythischen in den Tagen der Jngendkraft!), trotz Ai-rvaTo; $£vo;, was
vielleicht die „Planung" der Neugiündung voraussetze; es sei das
Jahresbericht für AltertumswisseBSchaft. Bd. CXYII. (1903. II.) ^
130 Jahresbericht über Pindar 1901 — 1902. (Bornemann)
8u3iaTr^piov, was die Scholien fälschlich bei P II vermerkten. P I 470,
das vuv -/£ {jiev gehe nicht auf Kyme, sondern auf Thrasydaios.
b) Wilaniowitz : 0 I im Winter nach dem Sieg-e von 476, dann
erst folgt das Zerwürfnis 475/4 und anschließend die Gründung Ätnas.
P III 474/3. P II 471, nach dem Tode Therons und der politischen
Entscheidung. P I 469 oder später.
c) Legrand: P II Mitte 476, vor der sizilischen Reise, von welcher
der Dichter Sommer oder Herbst 475 zurückgekehrt sei. P III 474,
P I später, ohne Pindars persönliche Beteiligung, cf. Lipsius oben S. 114.
d) Schröder: P II 475? P III 474? P I 470.
e) Ich selbst setze alle drei Oden 470, und zwar P III in Syrakus
für den kranken König, P II daselbst offiziell für den Tyrannen und
das Volk, P I in Ätna für Deinomenes. Aus vEoran dprjei P 2, 03
darf kein Einspruch hergeleitet werden, da es, wie das nachfolgende
xal ae zeigt, ein allgemeiner Satz ist mit dem Sinne „juventutem juvant
bella" — das war einmal! —
Seit dem Scholion zu P III in. spielt in diesen chronologischen
tJberlegungen der Königstitel eine Rolle, den Hierou nach jenem
Scholion Ol. 76 = 476 annahm. Wilamowitz erklärt mit Recht für „gänz-
lich unzulässig", in Syrakus zwischen Tyrannis und Annahme des Königs-
titels zu unterscheiden; erst die Gründung von Ätna habe die erforder-
liche Legitimität und sakrale Weihe ermöglicht (so auch schon Christ
zu fr. 105 und P 3, 69). Trotzdem setzt er die auf Ol. 76 bezeugte
Gründung von Ätna erst später an als die Titulatur ßajiXeuc durch den
Dichter in dem Liede 0 I, das W. ausdrücklich vor die Gründung setzt,
wie auch Schröder jene Titulatur in Pindars Gedichten als chronologisch
ganz belanglos beiseite schiebt. Ätnas Gründung 476 will Schröder
nicht zulassen, weil in 0 I davon nichts erwähnt werde [wo doch eben
das Wichtigste, nämlich der Königstitel, vorkommt!]; daß in P II von
Ätna ebenfalls nicht die Rede sei, falle nicht ins Gewicht, — während
umgekehrt Gaspar das Fehlen des Königstitels in dieser Ode für
wichtig erklärt hat. Ja die Benennung „ätnäischer Gastfreund" 474
sei vielleicht nnr wegen der gemeinsamen „Planung" der Kolonisation
in der Zeit von Pindars vorigjährigem Aufenthalt gewählt; dieser Grund
schon bei Gaspar mit anderer Datierung. Für "Wilamowitz spielt
außerdem der Aufenthalt des Simonides in diese Frage hinein. Nach-
dem dieser im Frühjahr 476 in Athen gesiegt, findet es Gaspar richtig,
für den Frühsommer 476 seine Anwesenheit auf Sizilien und die Aus-
söhnung der Tyrannen durch ihn anzusetzen; W^ilamowitz aber will das
erst nach Pindars Anwesenheit, frühestens Sommer 475 zulassen. In
0 1. II. III trete die Freundschaft der beiden Fürsten zutage, die
Zerwürfnisse fielen erst 475/4 und die Gründung der Städte Ätna und
Jabresbericht über Pindar Ü'Ol- 1902. (Bornemann.) 131
Himera „folge" darauf. Icli bleibe ia dieser speziellen Hinsicht bei
Gaspars Ansicht. Legrand denkt auch über die Datierung von P II
ähnlich wie Gaspar, worin ich nicht 7,ustimme, aber er sairl, die in
vs. 14 andeutungsweise enthaltene Vorausnahme des Künigstitels könne
man dem Panegyriker zutrauen, und die Empfehlung des rechten Maßes
an den als stolz bekannten König, die Warnung vor Schmeichlern usw.
verrate nichts von besonderer Intimität.
Die erste pythische Ode will Wilamowitz „nicht vor 469'
setzen wegen der notwendigen Korrespondenz zwischen König und
Dichter. Dieser Grund hillt nicht Stich: von Delphi aus konnte Pindar
umgehend mit den siegreichen Sikelioten hinüberfahren, zumal wenn
Hieron, um Pindar nochmals läiiüberznziehen. den pythischen Sieg n;ioU
dem olympischen gesucht hatte. Mit Recht wird (wie schon von
Boehmer) die letzte Triade auf Deinomenes bezogen, während Gaspar
noch irrtümlich an Hierou denkt. Aber daß Hieron selbst gar nicht
in Ätna zugegen gewesen sei, erscheint trotz seines schweren Leidens
unwahrscheinlich, und xeivoc vs. 42 ist ähnlich gebraucht wie vs, 61;
■nach Wilamowitz freilich ,, wußte Pindar Ende 470, daß der Fürst hätte
zu Felde ziehen müssen nnd krankheitshalber nicht zu dem Feste
erscheinen würde". Vs. 50 wird damit (wie von anderen Forschern)
auf die nach Therons Tod Herbst 472 ausgebrocheneu Zwistigkeiten
mit Thrasj'daios bezogen-, aber dem scharfen vüv -(t fiav geschieht damit
nicht Genüge. Und wenn die Feier bis 469 hinausgeschoben war, so
konnte man auch warten bis zu einer günstigen Phase der Krankheit.
Für mich ist das liTpaTeuSY) ein bildlicher Ausdruck, durch den Ver-
gleich mit Neoptolcm veranlaßt; gemeint ist einfach der pythische Sieg
des kranken Königs. Dem kranken König gilt, wenn es sich auch
zunächst um Ätna und Deinomenes handelt, die große Doxologie dieser
Ode; den Engelsang „den Menschen ein Wohlgefallen'' zieht Wilamowitz
mit mehr Recht zum Vergleich herbei, als das von Christ verglichene
Gesellschaftslied „Wo man singt, da laß dich ruhig nieder". Die gol-
dene Phorminx will ihm ä-^Xata bringen als Herrin über Element und
Krankheit (der Adler des Zeus ist auch 0 2, 88 der Bringer jäheu
Schmerzes, vs. 5 lies tov aiilox-rav xepauvov); denn wie Ares das Herz
erfreut mit seiner Glut (xa'j|a.aTi), so können wonnig sein selbst Geschosse
der Götter gemäß apollinischer Weisheit, während, wen Zeus nicht liebt,
die Stimmen der Musen verabscheut (vgl. auch Schillers Ideendichtungen
„Die Künstler" und „Das Reich der Schatten"; vs. 26 lies -aptovr' u>v,
vs. 28 xa-TTSJov und 7:ortx£xXi[x£vou). Die angeknüpfte Fürbitte für Ätna
schließt vs. 39 f. mit dem Gebet zum Lichtgott — Xuxte . . . tI>oiße —
ab, der auf Delos und dem Parnassos herrscht — xal AaXw Favasjojv . .
napva(j(ij TS — , und dies Gebet selbst lautet e&eXoi? Tapv t£ voo) -löejAev
132 Jahresbericht über Pindai 1901—1902. (Bornemann.)
euavopov xe -/wpav. Den Übergang zur Person Hierons (drittes System)
bildet die Sentenz ex öeöiv -j-ap fia^favirav xaic ßpoxeaic (ipexai; | xat ao<pot
xai "/eptJt ßiaxal -£pt-cX(uajoi x* ecpuv. Der Dichter lioflft [j-axpa (8^) ev
pi-ai; (i(}XT](jao&' apxioi;. Denn welch ein Kriegsheld war Hieron einst!
(xa}xdxa)v vs. 46 vom wirklichen Leid. xi|xav vs. 48 erkläre ich Sieges-
ehre, nicht Herrschaft über Sizilien, wie "Wilamowitz will, diesen Be-
griflf finde ich vielmehr mit dem alten Gurlitt in nXouxou vs. 50 ein-
geschlossen.) Jetzt freilich ist Hieron ein zweiter Philoktet, aber wie
dieser eine dtaOever |j,ev xpcoxl ßatvous' dXXa fioipiSio? i'c. So möge ihm
denn auch wie jenem Heilung zuteil werden! Ein Siegeslied soll ihm
„auch" in der Stadt des Deinomenes (das xat vs. 58 ist bezeichnend,
wenn P III und P II in Syrakus aus demselben Anlaß gesungen
wurden) gewidmet sein, die in dorischer Ordnung froh gedeihe, wie
einst Amj'klai am Taygetos (vs. 58 Si'ooi paivsiv exu|xov Xö'-fov); mit dem
Beistande des Zeus wird das der aYvjxrjp dvrjp mw x' eTrixeXX6p.£voc SSfiov
x' S7racpu)v zuwege bringen. — In ep. 8' übersetzt Wilamowitz ,,um der
Athener willen", schreibt dann ev Sirapxa 6' apa xav rpö Kiftaipüivo;
jxayav, das überflüssige ipita beseitigend und für xaioi ein Beziehungs-
wort herstellend, die ungewöhnliche Form My^Seioi vereinzelter Hand-
schriften durch einen Vers des Ibykus stützend. Immerhin ist apa ein
Flickwort und die Auflösung der Schlacht von Platää in Einzelkämpfe
auffällig. Vielleicht ev Srcapxa o' Ipaxa? Tipo Ktf^aipcüvo; t^axa?, xöt 'iai\LCti
M^oot xa}jLov. In der letzten Triade schlage ich vs. 92 tu cpiXe, xeposatv
eixTipaxxotc vor (Körte GGA 1901 evxpaTrXotj), und vs. 95 vTjXea -ptuv.
Für Pyth. III ist die Ausbeute aus den angeführten Abhandlungen
gering. Im Ausdruck verschieden, laufen die Meinungen von Wilamowitz
und Schröder doch etwa in gleicher Richtung. Nach jenem kondoliert
der Dichter zu einer pythischen Niederlage und sagt die ßeise nach
Sizilien ab; so soll das Lied auf folgenden Schluß ausklingen: „Wenige
verdienen Ruhm wie du, wenige verstehen ihn zu verleihen wie ich;
das kann ich und werde ich auch von hier tun, das kannst und wirst
du erreichen auch ohne den pythischen Sieg." Nach Schröder haben
wir einen ,, Trostbrief, der sich als Erinneruogsfestlied gibt für ältere
pythische Reunsiege des Pherenikos (482 und 478)"; in vs. 73 soll ge-
sagt seiu: „wenn ich ein Festlied auf Pliereuikos brächte, was ich aber
doch schriftlich kann und hiermit tue". Beide datieren auf 474 bzw.
474/3, weil aus dieser Epoche ein agonistischer Erfolg Hierons bekannt
ist. Für mich dreht sich das Lied um die schwere Krankheit des
Königs: Gesundheit kann Pindar nicht mitbringen, während er xuifi-ov
䣻>Xü)v riuötaiv bringt (nämlich den von 470) als aqXav für einstige,
nicht besungene Erfolge des Pherenikos (Pythiade 26 und 27. vor An-
knüpfung zwischen dem König und dem Dichter); xexX7i!X£vov vs. 67
Jahresbericht über Pindar 1901 — 1902. (Bornemann.) I3;;
ißt für mich „berufen", „auserkoren"; für xai /.ev ev setze ich oixs-rav
und vorher statt m'dov das Partizip -lötov.
Ausführlicher ist über Pyth. II zu berichten, zumal wenn
0. Schröder (WfklPhl 1901 Nr. 22) darin recht haben sollte, daß er
zum Prüfstein für die Urteilskraft eines Pindarerklärers gern die sog.
2. Pythische nimmt. Bei vs. 8 hat m. E. Wilamowitz den richtigea
We^ eingeschlagen, ohne ihn zu Ende zu gehen. Denn während es bei
Schröder noch heißt, im verflossenen Winter [nach Sehr. 476/5] sei
Pindar selber Zeuge gewesen, vrie der 'nr7ro-/ofpixa; ßaJiXEu; kundig, mit
sanfter Hand die edlen Tiere eingefahren habe, hatte Wilamowitz be-
reits vi'xa; für xetvac eingesetzt, cf. J 2,26. N 5,41. Er hätte dann
aber folgerecht statt iÖapLajje („warf zu Boden") r/aXa^s setzen sollen.
Bei Wilamowitz' Gesamtauffassung über die Stellung des Mythus
im Epinikon ist es natürlich, daß der vielverhandelte Ixionmythus nur
„um seiner selbst willen, als eine schöne lehrreiche Geschichte erzählt"
wird. Neben diesem Verzicht auf einheitliche Deutung versucht W. den-
noch einen Zusammenhang zu finden, indem er darin ,die Allmacht des
göttlichen Willens" vorgeführt sieht, „vor dem alles Sterbliche versinkt",
und dann freilich anschließend sagt: „Angesichts dessen wird er [Pindar]
nicht seine Freunde verleugnen und mit schnöden Reden augreifeu",
„auch" Pindar wird den [Weisheits-]„Reichtum besitzen und gebrauchen".
Ich nehme diese allgemeine Deutung des Mythus auf, nur mit dem Zu-
satz, daß sich also der beglückte Sterbliche maßvoll bescheiden solle;
dann gilt die Mahnung dem kranken, mißmutigen König, ganz wie die
Geschichte von der Koronis P HI und ihrer dtFa-a (dieser Ausdruck ist
beiden Stellen gemeinsam).
Ähnlich wie Schröder an der Erklärung des vs. 56 festhält, die
schon vielen Pindarikern nicht genügt hat: ^im Wohlstand reich aa
hohen Gedanken sein, das ist mein Ideal", finden wir bei Wilamowitz
die Auslegung: „Das Beste ist, neben allen äußeren Glücksgüteru auch
au Klugheit reich zu sein: du, Hieron kannst diesen Rat mit freiem
Sinne manifestieren" — nebst dem Zusätze: „Hieron wird dazu aufge-
fordert, also an dem -c-apsiv . . . gebricht es nicht, . . . das Wort ver-
stehe ich freilich nicht, . . . die richtige Erklärung 3ir)|i.9]vai, evSsi^at bei
Hesych." Legrand dagegen gewinnt den Sinn: Boshaftigkeit nach Art
des Archilochos biinge «[xa/aviav (indigence), aber Reichtum sei mit
Hilfe des Schicksals die beste Frucht des Talents, — Pindar sei eben
keineswegs „desinteress6". Ähnlich Körte GGA 1901, 968. Ich selbst
wende die Sache wiederum noch ganz anders, indem ich das seltsame
exä« liuv durch exaxov ui; ersetze und vs. 56 Tciaivo|xevoo; sowie izopov
(statt t:6t|jlov) lese: „allermeist in elender Lage ergehen sich die Leute
in Gehässigkeiten wie der Schütze Archilochus, Reichtum dagegen und
134 Jahresbericht über Piadar 1901 — 1902. (Bornemann.)
Erfolg (vgl. x-eaxa und Ti}ia vs. 59) ist der beste Zugang zur Weis-
heit, — du kannst ihn weisen": bei aufsteigenden Völkern, in glück-
lichen, angeregten Verbältnissen verstummt der Mismut. Zu -KtTzapth
Tio'pov vergleiche ich rsTps xsXsuöov bei Homer und piparmi Curtius Gr.
Etym.* 277; xaxa7opta vs. 53 richtet sich wie 0 1, 53 gegen Gott. Die
Stelle ist wieder eiu schlagender Beweis für unser mangelhaftes Ver-
ständnis des Dichters. Vs. 65 axivSuvov £|xoi r exov re Troxiavta X670VJ
eTiatveiv uape/ov-t.
Es folgen die vielumstrittenen Verse 67—71 von der Ooi'viasa
ifx-oXa und dem Kajxopeiov. Dazu Wilamowitz: „Ich huldige dir und
habe daher außer dem gewünschten Kastoreion noch dieses Gedicht
gemacht, . . . und darin [nämlich im Kastoreion] habe ich dir dein
Wesen [oioc £7ai] gezeigt" („eine Versreihe, die für eine der schwersten
gilt — sie ist das zwar eigentlich nicht", setzt W. hinzu); also unser
„als Brief" gesandtes Lied soll eine Begleitschrift zu dem Kastoreion
sein, das Hieron sich soll , vorsingen lassen", ein Begleitschreiben in
,,80 freimütiger Sprache, daß man begreift, wie der Dichter dazu kam,
OS wie ausländische Ware wohlverpackt übers Meer zu schicken, der
Adressat mochte sie auspacken und zusehen, ob er sie öffentlich aus-
stellte". Indem man das Hyporchem fr. 106, auch ttuöixy) wotq genannt,
mit dem Kastoreion identifizierte, so kam das Begleitgedicht Pyth. II
unter die Pythien, nach Wilamowitz „wohl mit Recht", — der Ausäruck
xTiJTop AiTva? dort führe uns auf die Jahre 474—470. — Demgegen-
über Schröder: „Die Möglichkeit, auf das augeblich mitgesandte Ge-
dicht, vollends auf die launigen Fragmente des Tanzliedes zu rekur-
rieren, . . . dieser Weg ist, denke ich, abgeschnitten . , . [xaScuv kann
sich auch nicht auf das Vorige beziehen, vielmehr im Sinne des dorischen
Erziehungsideals „sei du nur, der du deiner Erziehung nach bist", sei
nur ein Edelmann („die Stelle ist wirklich schwer, selbst wenn sie nicht
besonders tiefsinnig sein sollte," setzt Schröder hinzu). Boeckhs Haupt-
bedenken gegen eine Unterscheidung des als Gabe der äolischen Leier
empfohlenen Kastoreion von diesem äolischen Liede P IT habe bis jetzt
niemand beseitigt (recte!). Dies sei unter den Liedern auf Hieron das
erste, dessen Vortrag der Dichter nicht selber geleitet habe, das „übers
Meer komme", darum sei die „Asklepiosepistel" P III später als dies
Lied anzusetzen ; der vielberufene Gegensatz von xooe {xev und t6 öe sei
im wesentlichen nach Boeckhs Vorgang anzufassen: „es beginnt, als
solle es weitergehen xa 5' aXXa [xeXy) auxöc ioioajxov . . . und geht
weiter, als wäre vorangegangen x;^ [j-ev (Potvitjav) e[j.T:oXiQ %xov av su^patvoto
OuijLov." Noch simpler möchte Legrand den Gegensatz, trotz der Wort-
stellung, in den Ausdrücken irsfjLirexai und aöpyjjov suchen: „Accueille
bien mon ode, quoique l'oeuvre d'un absent" (so schon der alte Gurlitt);
Jahresbericht über Pindar 1901 — 1902. (Bornemann.) 135
im ganzen Liede aber sieht er eine Offerte des Dichters: ich will mich
gern dankbar zeigen und dich loben, bediene dich also meines Talents
[das letztere sollen die vorliegenden vss. 67 — 71 besagen], höre nicht
auf die Schmeichler, die mich verleumden, laß mich kommen [vs. 96]!
Ich meinerseits glaube den reinlichen Gegensatz durch die Änderung
von -0 vs. 69 in tu zuwege zu biingeu ; da der kranke Hieron 470
nicht persönlich in Delphi war, Pindar aber seit 476 oder 475 dessen
Geschick nur aus der Ferne hatte verfolgen können, so war dies Lied
wie eine ferne Ware, die übrigens der Phönikier (Pindar) selber mit-
brachte und ablieferte (T:£[jL;:tu siehe oben S. 115), und es war die Bitte
wohlbegründet, daß dem Hieron die musikalisch -choreutische Inter-
pretation dieses Liedes willkommen sein möchte.
Es folgt die Alfenpartie vss. 72 — 75, die sowohl Wilaraowitz wie
Schiöder Anlaß gibt, einige allgemeine Urteile über Piudars Diktion
abzugeben. Wilaraowitz sagt: „Seit es die Rhetorik gibt, haben
Griechen, die eine ordentliche Schule durchgemacht hatten, freilich nicht
mehr so geredet, und schon der Athener, geschweige der lonier, würde
zu Piudars Zeit sich durch Partikeln dentlicher gemacht haben."
Damit hat der Dichter seine Zensur ausgeteilt bekommen. Nicht viel
anders Schröder: ,,Fa8t unberührt von dem erlösenden, Bergeslastea
hebenden Hauch attischer Denk- und Gestaltungskraft" — „einen mehr
nach der Seite der Feierlichkeit und des Reichtums an glänzenden und
packenden Einzelheiten als der Anmut und der Klariieit gesteigerte
IvuDStübuug" — „unter dem Druck komplizierter musikalischer Kunst-
formen und im Kampf mit mächtig zuströmendeu Gedanken schwer
atmend" — ,,wenn es auch bei einer innerlich so festgegründeten
Dichterindividualität natürlich an einer orgelpunktartig die einzelnen
Themen verbindenden Unterströmung niemals gefehlt hat". Wir sind
ungefähr wieder bei Boileaus Urteil angekommen: „beau desordre".
Immerhin erklärt Wilamowitz zuletzt, nachdem er die Affenpartie hin
und her gewendet hat, er könne nicht finden, daß hier auch nur ein
Zug wäre, der nicht genau stimmte, eine V/endung, die mau pressen
müßte, um einheitlichen Sinn und einheitliche Stimmung zu finden.
Wie bringt Wilamowitz das zustande? Formell wird von ihm fest-
gestellt, daß iu dem Satze: ,, Hieron soll kein Affe sein, sondern ein
Rhadamanthys" dei- Ausdruck die Gleichsetzung nach beiden Seiten
ausschließe. Welcher Unbefangene glaubt das? Inhaltlich aber schwankt
die Wilamowitzsche Deutung der Affenart hin und her: soll nach ihm
der Affe aktiv ein Schmeichler oder passiv ein Umschmeichelter sein?
Ich stelle folgende Sätze aus der Abhandlung zusammen und bitte um
Aufklärung: Der logische Gegensatz zwischen der Affenzeile und dem
ewigen Glück des Rh. liegt darin, daß Rh. eitle ,, Leute, die sich be-
136 Jahresbericht über Pindar 1901 — 1902. (Bornemann.)
schwatzen lassen, nicht bei sich aufnehmen" wird; im Gegensatz zu
Rh. läßt ,,der Umschmeichelte sich gern berücken"; Hieron „kann Be-
wunderung von Kindern und von Affen immer hören, wenn ihm danach
der Gaumen steht"; ,,der Aflfe findet den Schmeichelnaraen xaÄXi'a; bei
den Kindern"; ,, Hieron . . nimmt die Schmeicheleien und Verleum-
dungen der Füchse an" . . und ,,so fehlt ihm der cppsvwv xapno; dixcuixrjToc
des Rh."; ,,dem cppsvoSv etc. des Rh. entspricht die notorische Eitelkeit
des Affen, der immer mehr sein will, als er ist". Schröder findet sich
mit dem „Affchen", wie er es beschönigend nennt, sehr kurz ab: es
habe mit den Füchsen nichts zu schaffen, es sei kein Spiegelbild für
Hieron, es sei — ein Hofnarr, ohne Zweifel ein glücklicher Konkurrent
des Dichters. Da hätten wir also neben den bisher bei den Erklären!
schwieriger Stellen überaus beliebten Nebenbuhlern des Dichters einen
neuen Konkurrenten aufgefunden, dem so „bei Wege lang" eins über-
gezogen wird, wo es gut oder übel paßt. Ebenso kurz, aber ganz
anders gewendet, äußert sich Legrand: der Affe wird von den Schmeich-
lern betrogen, die ihn „ironisch" für schön erklären, Rhadamanthys
läßt sich nicht von ihnen betrügen. Immerhin, setzt dor französische
Gelehrte hinzu, das gewählte Bild würde „impertinent" sein, wenn es
ans des Dichters Initiative entstanden und nicht eine Vorlage bereits
vorhanden gewesen wäre.
Wie ich meinerseits mit dem überlieferten Text mich jetzt ab-
finde? in welchem überdies das uapa unerklärt, die Form 7:i&o>v un-
gewöhnlich und das aki Flickwort ist. Für mich ist der Gegensatz zum
Rhadamanthys der Aias: xaxoi? rot ttiiIojv Trapairatjev Ai'a? | xaXou, indem
er den heimlichen Verleumdern der Atriden Glauben schenkte. Aber
auch vss. 75 ff. sind voll Anstößen; ich denke, der einheitliche Gedanken-
gang tritt heraus, wenn wir lesen o'ia [statt oia] t|^i9up(uv uaXdtjxai; l::£t'
aiei ßpoTtp (a'fxa^fov xaxov «[JL^OTEpoic) oiatßoXiav urcocpavTia, ( op^uia' drevEf
^.Xü>7:£Xüi6sc sXcup . I xepöoi 81 xi |xaXa touto xspSaXeov TsXe&et; | ait -/■ap
[objektiver Grund] eivaXtov tovov o-^eoiaac ßadu | axeua? sTSpac dßaTrxisToc
eTu: [sc. ooXto; darn?] ipsXXoc S); ui^ep epxoc aXixa;, | dSuva-ra FsTto;
Ix^aXeTv xpafaiöv Iv a.'i'xQoXi \ öoXiov d^Tov . o[JLtu; [xdv oatvwv ttotI udvTac
dXxatav IvSiajtXexci.
Aber damit sind wir schon zu weit vorgeschritten. Wilamowitz
hält vs. 75 ßpoToiv fest, wünscht vs. 82 ojAüic, stimmt ebenfalls für
Hnschkes xepSoT vs. 78 (Schröder widerspricht), erklärt uTCO^dirtec vs. 76
,, unweigerlich" für Maskulina [es sei Pindars ,, schöpferische Freiheit
anzuerkennen, einerlei wie wir über die grammatische Richtigkeit
denken"], setzt für ßa&u vs. 79 ßuöoT, akzentuiert vs. 80 elpit, bleibt
vs. 82 bei Heynes atav und übersetzt SiairXexei ,,bis zu Ende flechten",
nämlich Übel für ,,sich und andere", mit Bezug auf die [verzweifelte]
Jahrebbericht über Pindar 1901 — 1902. (Bornemann.) 137
Stelle P 11, 55, die angeblich dem Hieron hinterbracht wäre [Schröder
äußert sich dagegen]; die Füchse sollen Simonides und Bakchylidea
sein [bei Legrand nicht Bakchylides, nur SimonidesJ. Warum ewig
diese Nebenbuhler, diese privaten Zänkereien? Öffentlich eine Koterie
abzutun, die den durch sein Leiden mißmutigen Herrscher zum Sklaven
ihrer Verleumdungen zu machen sich anschickte, das war durchaus am
Platze und würdig des Propheten der apfiovia. Auch für Schrödei
handelt es sich offenbar um private Dinge aus früheren Tagen, um
„gewisse bei Hofe gemachte Erfahrungen" privater Art: „der öffentlich
umworbene, heimlich gehaßte Dichter" steht ,, frech feigen, ehrlos
schmarotzenden, schweifwedelnden Hunden als grimmiger Wolf c:egen-
übcr". Für mich enthält natürlich das ou Foi |xeTE-/ü> und u-odeu(io|iai
ein allgemeines Prinzip, freilich in erster Linie von Pindar selbst ver-
treten, dann aber auch von allen d^aöoi einschließlich Hieron selbst
zur Geltung zu bringen. Vs. 85 lese ich übrigens -araYtüv, nämlich vom
Knurren des Wolfes, während die 68oi axoXiai natürlich von den
Füchsen eingeschlagen werden. In vs. 90 cj-otv>(xa; möchte Schröder
wieder zur Erklärung ,,Wage" zurückkehren, wiewohl er selber Be-
denken hat; ich meine, die bestrittene Deutung , .Meßschnur" ist durch
0 10, 45 (jTa8|jLaTo aXcjoj und N 6, 7 coli. Jahresbericht CIV S. 173
gesichert; und wie, wenn das metrisch unzulässige [iTjtiov-rai vs. 92
durch ixexpeovxai ,,sich -zumessen lassen" zu ersetzen wäre?
Mit den letzten, allgemeiner gefaßten Versen kehrt die Ode zu-
gleich zu Hierons Mißmut zurück; sie gelten jedwedem, der sich in Gottes
Fügung nicht fügen will. Weder politische Bedeutung noch leibliches
Wohlergehen ist das meist Erstrebenswerte; was es ist, sagen die
Schlußworte, allen xaxoij zum Trotz: döovxa S' ziri jxe xoT? i-^abdii 6|jLiXeTv.
Bericht über die Literatur zu den rhetorischen Schriften
Ciceros aus den Jahren 1900—1902.
Von
Gymnasialprofessor Dr. Georg Ammon
in München.
Besonders hervorragende Leistungen auf dem Gebiet der rhetorischen
Schriften Ciceros habeu wir aus den letzten zwei Jahren nicht zu ver-
zeichnen; fast scheint es, daß das rege Interesse der beiden voraus-
gehenden Dezennien schwindet, wenigstens bei den Deutschen, während
es bei den Italienern (Ciraa, Curcio, Sabbadini) und Franzosen (Bornecque)
anhält. Das Geleistete erstreckt sich meist auf literarhistorische und
hermeneutische Fragen, weniger auf die Textkritik. Zweckmäßig wird
es sein, gelegentlich eine Lücke des vorigen Berichtes durch einen
Nachtrag auszufüllen. Der auct. ad Herenn. gehört nicht zu meinem
Referat.
Zusammenfassende Darstellungen.
1. Gaetano Curcio, Le opere retoriche di M. Tullio
Cicerone. Studio critico. Acireale, Tipografia dell' Etna, 1900.
gr. 8. IV 222 S.
Unter den neuesten Darstellungen der rhetorischen Theorie des
Cicero (Weißenfels in der Einleituug zu seiner Auswahl. Sapienza u. a.)
nimmt die Arbeit Curcios (eines Schülers Sabbadinis) einen bevorzugten
Platz ein;*) sie ist besonders denen zu empfehlen, die nach der Lektüre
der rhetorischen Schriften Ciceros die groß angelegte 'Trilogie' de or.,
Brut, und orator an ihrem Geiste vorüberziehen lassen oder die in den
Hauptwerken und in den kleineren Schriften niedergelegten, bisweilen
nicht gut geordneten Massen rhetorischer Vorschriften vergleichend
*) Sie sollte, wie A. Cima in seiner eingehenden Besprechung Riv.
di filol. 29, 1901, S. 109— U7 bemerkt, betitelt sein „le teorie retoriche
nelle opere retoriche di Cicerone".
Bericht üb. d. Literatur zu d. ihetorischen Sciiriften Ciceros. (Ammon.) 139
besehen, kurz ein Bild der Rhetorik zur Zeit Ciceros gewinnen wollen.
„Xoi abbiamo cercato," schreibt Verf. p. IV, „di far comprendere nei
primi tre capitoli di questo volume la genesi delle teorie retoriche di
Cicerone e lo svolginiento di esse, nei capitoli seguenti, ma proponiamo
altresi all' attenzione dei filologi alcune considerazioui intorno al 'De
oratore', all' 'Orator", alle "Partitiones Oratoriae' che t'ondate come
sono suUa cognizione tecnica della materia, ci uuguriamo possano
suscitare una feconda discnssione."
Von den 9 Kapiteln handelt 1 von den Anfängen der Rhetorik
(auf Sizilien, in Griechenland) bis auf Aristoteles meist nach den Schriften
von L. Spengel und nach E. Norden, Antike Kunstprosa; Navarre,
Rhet. Grecque avant Aristotle konnte Curcio, scheint es, nicht mehr
benützen. Der Abschnitt bietet wenig Neues und ist im einzelnen
mehrfach zu berichtigen und zu ergänzen, so wird z. B. der Philosoph
Demokrit in der Entwickeluug der Kunstprosa gar nicht, die Rhetorik
au Alexander (des Auaximenes) nicht gebührend*) berücksichtigt; bei
der Darstellung der Aristotelischen Rhetorik sind die Prolegoraena von
A. Roemer (Lips. 1898) und die Abhandlung von Fr. Marx Aristoteles'
Rhetorik (Sachs. G. d. W. 1900) zu vei werten. In Kapitel 2 werden die
rhetorischen Studien der Philosophenschulen, insbesondere der Stoiker
(nach Striller), dann das System des Hermagoras nach K. W. Piderit
und G.Thiele eingehend, ich meine, zu umständlich besprochen. Förderlich
zur raschen Orientierung sind die hier und anderwärts beigegebenen Über-
sichtstafeln. Manches bedarf auch hier einer Berichtigung, z.B. können wir
aus Brut. 263 ziemlich sicher entnehmen, daß Hermagoras in der elocutio
(>.£;t;) so gut wie nichts leistete (vgl. Jahresb. CV, 1900 S. 217).
Genauer zu untersuchen war, welchen Einfluß u. a. Theophrast und
Kritolaos (direkt oder indirekt) auf Cicero ausübten. — Im dritten
Kapitel behandelt Curcio die Anfänge der Rhetorik in Rom; hier stützt
er sich hauptsächlich auf Fr. Marx Prolegomena zum auct. ad Herenn.
An Cornifici'is als dem Verfasser der Herenniusrhet. hält er aus ähn-
lichen Gründen fest, wie ich in meinem Aufsatz Bayer. Gymn.-Bl.
33. Bd. 1897 S. 409 ff. Auch ist er der Ansicht, daß das Gemeinsame
im auct. ad Herenn. und bei Cic. de inv. auf eine gemeinsame lateinische
Vorlage zurückgehe (p. 59), insonderheit die vielbesprochene Insinuatio-
Partie. Wenn die Inhaltsübersicht so eingehend und genau ist, wie sie
kaum nötig war, so fällt S. 58 auf, daß unter den in der compositio
*) Dort ist z. B. auch der Fall für das attentos facere aufgeführt Sp-H
p. 66*° /jO£"/;t>(uatv /^pinv (ot Liyjyzz-) äzoü^a'. o('j".)jv X603r/ov-a; -cöv voDv, so daß
man von dem si rogabimus beim auct. ad Herenn. I 7 nicht sagen kann
(Curcio p. 79) „ha il carattere di una regola improwisata."
140 Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schiiftea Ciceros. (Ammon.)
zu berücksichtigenden Dingen nicht auch aures und spiritus (IV § 18}
aufgeführt werden. Daß die Anzahl der Wortfiguren 33 beträgt, ist
Dicht sicher; es hängt davon ab, ob mau z. B. bei adnominatio IV 29
die Gruppe oder die Einzelfiguren zählt. In Kapitel 4 bespricht der
Verf. Cic. de inv. (Inhalt, Vergleichung mit Hermagoras und Cornificius).
"Wenn Curcio p. 8G schließt: Cicerone non sente il bisogno di dissimulare
Torigine greca delF arte di cui scribe, segne piu da vicino la fönte
ermagorea, e perciö muta meno del suo predecessore romano, so ist
beizufügen, daß wir in der Übermittelung des hermagoreischen Systems
au den jungen Cicero bereits die nörgelnde Kritik eines Philosophen
erkennen (vgl. I 8). Kapitel 5 gibt eine luhaltsübersicht von de oratore,
bespricht das „Methodologische" und die Forderung einer universellen
Bildung für den Redner, — hier sollte der Hinweis auf R. Hirzei, Der
Dialog 1895, I S. 457 — 552, nicht fehlen — , zuletzt das Technische.
Anlage und Aufbau des Buches sind nach Curcio Ciceros Eigen; es
ist ein Originalwerk, aber nicht eiue Streitschrift gegen die latini
rhetores, sondern eiue Darstellung seines eigenen Werdegangs. „II
metodo che informa il suo sistema retorico e emanazione genuina dell'
educazione, delle tendenze, delle ideale che si propose di raggiangere
Cicerone medesimo" (p. 122). In dem Streit der Philosophen und
Rhetoren nimmt Cicero eine vermittelnde Stellung ein. Der phisosophen-
freuudliche Zug, die großen Gesichtspunkte , die ethische Anschauung
sind wohl auf die Akademie zurückzuführen, wie Hans von Arnim in
der Einleitung „Sophistik, Rhetorik, Philosophie in ihrem
Kampfe um die Jugendbilduug" zu seinem Buche „Leben und
Werke des Dio von Prusa" (Berlin, Weidmann, 1898) S. 100 ff. nach-
weist. Daß aber Cicero sich durchaus an Philo von Larisa angeschlossen
habe, scheint auch mir bei der Anlage des de or. und der Arbeits-
weise des Autors sehr fraglich. Als Zweck des Dialogs bezeichnet
Curcio p. 136 divulgare un metodo di educazione oratoria e in rapporto
a quel metodo indicare i mezzi, che sono necessari per conseguir lode
di vero oratore. In der Aufzeigung der technographischen Quellen
werden immer Lücken und LFnklarheiten bleiben. Den Aristoteles
(rhet. , auva^tu^rj te-/vü)v?) habe Cicero, so nimmt Curcio an, flüchtig
gelesen; seine Vereinigung des isokrateischeu und aristotelischen Systems
sei nur für die Grnndzüge anzunehmen, was Cima Riv. di filol. 29 p. 129
mit Recht als zu unbestimmt beaustandet. Meist neu sind die Aus-
führungen Curcios S. 129 ff., in denen er Unebenheiten, Widersprüche
und Schwächen in der Gedankenführung zu finden glaubt; gegen ihn ver-
teidigt Cima in seiner Besprechung 1. 1. p. 112 — 116 die angegriffenen
Punkte mit Glück. Wichtig erscheint Kapitel 6, da sich der Verfasser
besonders hier auf eigene Studien stützen konnte, nämlich auf die Schrift :
Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.) 141
*2. Gaetano Cnrcio, DeCiceronis et Calvi reliqoor iim-
que Atticorum arte dicendi quaestiones, Acidi prope Catinam ex
officina Aetnaea, 1899. 89 8
Hauptinhalt : Ciceros rhetorische Eigenart , seine at tizistischen Gegner,
Beginn desStreites (nach 54), über dieRedekunst der Attiker, Ciceros Urteil
tiber diese Redekunst und über die einzelnen Persönliclikeiten (Calidius,
Calvus. Scribonius Curio, M. Brutus, Asinius Pollio), die Redekunst der
Attiker mit der Ciceros verglichen, die Fragmente der Attizisten.
Doch bringt die Darlegung des Streites zwischen Asianis-
nius und Attizisnius wenig Neues. Mit Tacitus dial. de or. c. 25
behauptet Curcio p. 151: Cicerone e gli Atticisti seguono in fönte un'
uuica scuola, sebbene 1' uno non si assomiglin ella specie all' altro; das ist
richtig, wenn nur das allgeraeine Streben nach Imitation gemeint ist,
aber im Wesen ist und bleibt Cicero anders geartet als die Atti/.isten
(s. meinen Bericht 1900 Bd. CV S. 210, 224, 241). Wohl mit Recht
wird S. 151 der Anstoli zum Streit in politischen und persönlichen Be-
ziehungen gesucht; dabei mnB man aber hinter den kleinen Vorder-
männern die Kontrastgröße zu Cicero, Cäsar, sehen: Dieser hat das
politische regnum nahezu erreicht und dadurch sowie durch seine andere
Art der Darstellung dem Cicero auch das regnum forense fast entrissen
und bedroht seine Führerschaft im Stil.
In Kapitel 7 (von Nr. 1) führt Curcio die Untersuchung fort: Brutus,
orator, de opt. g. or. bewegen sich auf der gleichen Gefechtslinie. Als Cicero
den Brutus schrieb, war die Polemik mitden Attikern nahezu beendigt, meint
Curcio ; aber wozu dann der verschärfte Ton in or. und de opt. gen. or.?
Von Interesse ist die Ausführung über die Komposition des or. :
Brntus hatte in seinem Brief Auskunft gewünscht über das Optimum
genns dicendi und über die numerosa oratio; auf beide Fragen ant-
wortet Cicero in zwei besonderen Abhandlungen — der Titel de optimo
genere dicendi ad fam. XV 21, 1 -^ orator zeigt dies au — , verbindet
dieselben aber später zum Zweck der Veröffentlichung durch das Mittel-
stück de oratore perfecto. Die Darlegungen haben etwas Bestechendes,
auch ist der or. so wenig als andere Schriften frei von Unebenheiten
in der Gedankenverknüpfung und -führung, aber bei näherer Prüfung
wird man diese Enlstehungsart kaum als die wirkliche annehmen.'*') Auch
im einzelnen sind hier manche Versehen: man sagt nobiscum nach
Cicero, um nicht durch die regelmäßige Stellung cum nobis einen
obszönen Laut (cunno-) zu bekommen; bei Curcio stehen S. 160 die uuver-
*) Auf die Schritt „Die Tendenz von Ciceros Orator" von Dr. Seb.
Schlittenbauer, Leipzig, Teubner 1903 (—Jahrb. f. klase. Philol.
Suppl. 28, S. 183—248) wird im nächsten Bericht einzugehen sein.
142 Bericht üb d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros (Ammon.)
ständlichen Worte ma cum Ulis; cum autem nobis. In seiner grammatischen
Anschauung ist Cicero eher Anomalist als Analogist (vgl. Jahresb. 1900
S. 243 f.). S. 161 f. wird — — als incisum, — — als membrum,
— u — Kj als ambitus bezeichnet; mir ist das in der rhetorischen
Sprache des Cicero unverständlich. Die Darstellung des Rhythmus bei
Cicero gehört zu den schwächeren Partien in Curcios Buch.
Mit dem or. verbindet sich im gleichen Kapitel die Besprechung
der kleinen .Streitschrift de opt. gen. or. Über den vermutlichen Cha-
rakter der Übersetzung, deren Vorrede sie bildete, setzt sich Curcio
mit G. Giri, Del tradiirre presso i latini (Milano 1889), kurz aus-
einander.
In Kap. 8 behandelt der Verf. die Topica und die Streitfragen
über ihre Quellen.
Das letzte Kapitel sucht die part. or. als unecht zu erweisen
[der wichtige Codex Sangallensis gibt auch nicht die Autorschaft Ciceros
an]. Die Ausführungen enthalten manche richtige Beobachtungen,
z. B. daß in dieser Schrift nichts von der Karapfesstimmnng gegen
die Attiker zu verspüren ist, sondern „V animo suo ci si mostra olim-
picamente sereno" (p. 209), so daß man die Schrift in das Jahr 56
oder 55 hinaufzurücken versucht sei. unmöglich ist das nicht; mit Hirzel
habe ich mich für das Jahr 54 im Jahresber. ausgesprochen; nachdem
aber L. Gurlitt Berl. Phil. Woch. 1900 S. 1179 f. das Jahr 65 als
das Geburtsjahr des jungen Cicero nachgewiesen hat, spricht vieles
auch für das Jahr 55. Allein Curcios Beweise für die Unechtheit sind
doch nicht durchschlagend. Die Darstellung ist zwar eigenartig, aber es ist
eben auch die katechetische Form etwas Neues; der Inhalt ist von der
oder den Vorlagen fast wörtlich herübergenommen, so daß wir wie in
de inv. Übersetzungslatein vor uns haben (über Marx' Ansicht vgl.
Jahresb. CV 238). Die gesamte Darstellung enthält doch so viel Cicero-
nianisches, daß wir mit Quintilian an die Echtheit der Schrift glauben
dürfen. Auf die sprachlichen Argumente ist bei einer Übersetzung — und
das sind die part. or. in der Hauptsache wohl — nicht viel zu geben; so
zeigt auch de inv., worauf G. Thiele hingewiesen hat, an verschiedenen
Stellen den häufigen Gebrauch der Substantiva: supralata verba § 20
hat seine Stütze an supralatio de or, III 203.
Alles in allem: die kritische Studie von Curcio ist ein gehalt-
reiches und anregendes Buch; der Verfasser bekundet fast durchaus
anerkennenswerte Vertrautheit mit der einschlägigen Literatur, beson-
ders mit den Arbeiten der Deutschen; die Ausführung der Gedanken
konnte bisweilen knapper und präziser sein. Die Ausstattung ist gut,
die zahlreichen Tabellen erleichtern den Überblick über die technischen
Dinge. Aber im Druck stören viele Errata (Möllendorflf, ßohde).
B ericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. fAmmon.) ] 43
Rez.: Rcr 1900 Nr. 47, p. 389 v. P. LCejay). — RF XXIX 1,
p. 109—117 V. A. Cima. — BphW 1901, Nr. 4, p. 102—107 v.
0. Weißenfels. — RIP XLIV 5, p. 341—343 v. P. Thomas. —
De Cic. et Calvi . . rez. Boficl VI 8, p. 178—181 v. A. Cima. —
Rcr 1899, Nr. 50, p. 483 v. E. T. — RTP XLIII 2, p. 108—111 v.
P. Thomas. — BphW 1900, Nr. 23. p. 712-714 v. 0. Weißenfels. —
RF XXVIII 2, p. 297—298 v. V. ITssani.
Als eine zusammenfassende Arbeit möchte ich hier auch die Lei-
dener Dissertation nachtragen:
*3. Yan Vessem. De M. Tullii Ciceronis de oratorc libris
. . . specimen litterarium angurale . . . submittit Joseph van Vessem,
S. J. Galopiae apud M. Alberts et filios, 1896. gr. 8. 119 S.
Auf Grund ausgebreiteter Belesenheit sucht der Verfasser abge-
sehen von allgemeinen Bemerkungen über den Rhetor und Redner
Cicero folgende drei Fragen zu erledigen :
1. Quid Cicero hisce libris sci-ibendis sibi proposuerit. Autwort:
Cicerouem, ut reipublicae consuleret, optimarum artium vias suis
civibus tradidisse, oder, wie es in der Thesis I heißt, ratio et
causa totius disputationis „de oratore" indicatur 1. II § 5.
2. Quae sit propria et praecipua doctriua horum librorum (p. 30—66
= Inhaltsaugabe in großen Zügen).
3. De foutibus et exemplaribus horum librorum quaedam annotantur
(p. 67 — 112): Isocrates, Aristoteles, Plato, besonders die Berüh-
rungen mit dessen Gorgias und Phaedrus; die Verschiedenheit
des Begriffes sapientia bei Plato und bei Cicero u. a. In die
Tiefen der rhetorischen Einzelforschung, wie sie in mehreren
deutschen Dissertationen angebahnt ist, dringt van Vessem nicht;
aber die hübsche, nur zu breit gehaltene Darstellung bietet doch
manche Anregung.
Einen Hauptbegriff in der Definition des Redners, vir bonus, be-
handeln
4. Fr. Scholl und L. Radermacher Rhein. Mus. LVII 1902,
8. 313 f.
Früher (Rh. Mus. 1899 S. 286 ff.) hatte Radermacher für de
orat. eine stoische Quelle angenommen. Scholl bekämpft die Annahme, der
alte Cato habe die Worte, der Redner sei ein vir bonus, 164 (oder 155) bei
der Philosophengesandtschaft von Diogenes von Babylon gehört; er sei
eine eigene Prägung des moralisierenden Cato. Radermacher erklärt,
seine Annahme schon lange aufgegeben zu haben, aber daß in der De-
finition des Redners als vir bonus die Stoiker den entscheidenden Nach-
druck geübt haben, ist auch mir nach de or. u. a. nicht zweifelhaft.
144 Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceroa. (Ammon. )
Für das Verständnis sowohl der Geschichte der alten Redekunst 1
und Rhetorik als auch technischer Einzelheiten, soweit beide bei Cicero
berührt werden, sind von Bedeutune: einige Werke über griechische
Rhetorik :
5a. Navarre. Essai sur la rhötorique grecque avaut
Aristo tle. These , . . par Octave Navarre. Paris, Hachette et
Cie., 1900. gr. 8. XV 344 S.
Ausgehend von L. Spengels xe^vaiv auva7u>Y9) stellt Navarre in
großen Zügen, aber auch eingehend dar L Die Geschichte der grie-
chischen Rhetorik vor Aristoteles (bis S, 207): Sizilien — Gorgias —
die Sophistik (Kritik der Dichter) — die Eristik etc. Im iL Teil
(S. 210 — 326) versucht er eine „Restitution" der griechischen Rhetorik
des 4. Jahrhunderts v. Chr. (Exorde — narration — preuve — epi-
logue). Es genügt hier, das schöne Buch in Erinnerung gebracht zu
haben, auf Einzelheiten soll nicht eingegangen werden. An Angriffs-
panktf^u fehlt es, wie es scheint, nicht, z. B. wenn S. 339 die Möglich-
keit offen gelassen wird, daß auch Cicero der Verfasser der Rhetorik
an flerennius sein könne.
5b. Rhys Roberts. Dionysius of Halicarnassus, The three literaiy
letters . . . by W. Rhys Roberts. Cambridge, University Press, 1901.
Aus dem introductory essay (S. 1—51) ist besonders Abschnitt V
Relation of Dionysius as a literary critic to the Romans and to the
Greeks hierherzuzieheu.
Vgl. meine Besprech. Berl. Phil. Woch. 1901 Nr. 51.
5 c. Egg er. Denys d'Halicarnasse, Essai sur la critique litte-
raire et la rhetorique chez les Grecs au siöcle d'Auguste par
Max. Egger. Paris 1902 (Picard et fils). XIII 306 S. Aus dem Buch
sind einige Abschnitte, z. B. S. 88—98 über Rhythmus, auch für
Cicero wertvoll. Vgl. Berl. Phil. Woch. 1902, Nr. 27 S. 833—839.
Eine Gesamtausgabe der rhetorischen Schriften ist in den
letzten zwei Jahren nicht erschienen; wir besprechen nunmehr
Die einzelnen Schriften.
1. De oralere.
— 6. M. Nicolini, De oratore — Brutus — orator. Anto-
logia scelta et annotata. Milano 1901, Fr. Vallardi. XXXII 250 S.
Die Auswahl, die mir nicht zugänglich war. bezeichnet 0. Weißeii-
fels Woch. f. klass. Phil. 1901 Nr. 51 S. 1392 als durchaus passend
und gründlich. ,Auch ist der Verf. in der Einleitung mit Erfolg be-
Bericht üb. d. Literatnr zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Atnmon.) 145
müht, das Eigentümliche von Ciceros Auffassung der Beredsamkeit zu
beleuchten und die Ansicht zu widerlegen, als habe dieser seine leitenden
Gedanken aus, man weiß nicht, welcher Schrift des Philo geschöpft.
Was den Text betriflft, so ist er der Teubnerschen Textausgabe von
Friedrich gefolgt, doch mit großer Freiheit und auf andere hörend.
Vor allem hat er sich hinsichtlich der Orthographie von Friedrichs Aus-
gabe unabhängig gehalten."
Rez.: Boficl VII 9, 200-201 v. A. C.
Von der verdienstvollen Ausgabe von
— 7. Ä. S. Wilkins, Ciceronis de oratore librilll, Cambridge,
Clarendon Press,
ist Buch I in zweiter Auflage (1902) erschienen.
Rez.: Rev. de Tlnstr. pnbl. eu Beige 1902 p. 247—248, Lit. Centr,
1902 p. 1401 und neuestens eingehend von Th. Stangl W. f. klass. Phil.
1903 Nr. 4 Sp. 95—98.
Aus Anlaß der zweiten Bearbeitung seiner kleinen, aber treff-
lichen Ausgabe hat
8. Antonio Ciraa, Observationes criticae in Cic. libr. I
de er. in der Riv. di Filol. 28, 1900 p. 456—464
veröffentlicht.*)
Beachtenswert ist alles, was Ciraa über Ciceros rhetorische
Schriften sagt. Als besonders ansprechend möchte ich aus den Vor-
schlägen herausheben 1 4ö cum quaestor [ex Macedonia] , venissem ;
EUendts Deutung ist zu gekünstelt (auch Wilkins stimmt bei) | I 62
usi sunius, <si> tum ] I 215 aliam quoque scieutiam (billigt Wilkins)
I 232 [qui houos apud Graecos maximus haberetur]. Au anderen Stellen
kann ich dem Kritiker nicht beipflichten, so in dem, was zu I 11 gegen
Staugls Ergänzung <et oratoruni> vorgebracht wird. In I 85 qui iam
diceret <rhetorum> esse quandani prudeutiam scheint mir der Zusatz
unzulässig wegen des folgenden partis illius ipsius prudentiae; die
Worte zeigen deutlich, daß Menedemus mit rationes constituendarum et
regendarura rerum publicaruiu die (-oXitixtj) pTjxopixT) als selbständige
Disziplin hinstellen wollte. 1 111 ist mir die Konstruktion Quamquam
nioderabor ipse <me>, ne nicht verständlich; nahe läge Quamquam
<mi> moderabor ipse, ne zu schreiben, wenn überhaupt zu ändern ist.
Seine Observationes hat
*) Nicht zur Hand habe ich BoU. di fil. cl. VII p. fil-65, suU' inter-
pretazione di alcuni passi di Cic. de or. ; im gleichen Bande sprechen
Brugnola und Sabbadini über impudentiae ludus p. 155—166 und 230—231.
Jahresbericht für Altertums-wissenschaft. Bd CXVII. (1901 II.) 10
146 Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.)
9. A. Cima, M. Tullio Cicerone i tre libri de oratore, testo
riveduto ed annotato, libro primo, seconda edlzione interamente
rifusa. Torino, Loescher, 1900. XXIII 167 S.
verwertet und zahlreiche neue bezüglich der Textesgestaltung bei-
gefügt.
Von den Vorzügen der knappen und klaren Einleitung und des
gediegenen Kommentars, die schon der ersten Ausgabe allseilige An-
erkennung sicherten, spreche ich hier nicht. In der schwierigen Grundfrage
der Autorität der mutili (M) und integri (L), die Stroebel Jahresb.
Bd. 80 und 84 ins rechte Licht gesetzt hat, habe ich bei der Be-
sprechung von Friedrichs Ausgabe der opusc. rhet. Bayer. Gymn.-BI.
28, S. 621 (auf Grund einer nicht veröffentlichten Vergleichung von
Hunderten von Varianten) die Ansicht geäußert, daß die integri an sehr
vielen Stellen nicht zu ihrem Rechte kommen. Aus den Varianten, bei
denen sich Cima für L entscheidet, seien folgende als gut herausgehoben:
I 14 exercitationis ullam viam für vim | ib. discendi (nämlich dicere)
für dicendi | 18 moderatione elaborent (für laborent), bei dem Zusammen-
treffen der zwei e (vgl. I 251, II 231) hat die Schreibweise von M gar
keine Bedeutung; maßgebend sind Fälle wie gleich § 19 singulis ela-
borent, ebenso I 22, 33, 252, II 85. | § 26 in sermone, ebenso 47 in
erat, irr., 175 in quibus — iu om. M | 27 iocando | 90 blandiri suppli-
citer et subtiliter insinuare | 93 persuadere | 95 huic | 104 summo ho-
minem ingenio nostrique cupidissimum | 107 in verbi controversia po-
sitam I 115 non optima | 158 eliciendum | 190 iam diu | 193 haec.
Fraglich erscheint mir die Richtigkeit der Lesarten I 3 causae (für
causa) I 20 nisi res sit | 31 cum paucis (über perpaucis s. u. Locli-
müller) | 198 qui, cum ingenio sibi auctore dignitatem peperissent
(Cimas Vermutung) | 219 hominum Graeciae (für horainum quoque von
Cima in den Text gesetzt). Die Konstruktion quo plus . . . accedere,
eo . . 254 halte auch ich für unmöglich.
Rez.: WklPh 1901, Nr. 17 p. 459—460 v. W. Hirschfelder. —
CIR 1901 IV, p. 230—231 v. A. S. W. — RPh 1901 III, p. 279-280
v. H. Bornecque. — RF XXIX 4, p. 605—608 v. G. B. Marchesa-
Rossi (eingehende Besprechung der Textesgestaltung). — Boficl VIII,
p. 199 V. L. V(almaggi).
Auf Cimas gediegene Arbeit (1. Ausg.) stützt sich last durchaus
*10. A.C. Firmani, M. Tullii Ciceronis de oratore libri tres.
Liber L Paravia e Comp., Torino etc. 1899. 8. 112 S.
Von der bescheideneu Schulausgabe (bibliot. scolastica di scrittori
latiui con note Nr. 875, 3) ist mir nachträglich das erste Bändchen^
Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.) 147
Buch I enthaltend, zugegangen.*) Der Kommentar lehnt sich haupt-
sächlich an Cima und Soiof, der Text ebenfalls an Ciraa an, doch
folgt der Verf. biswi-ileu Friedrich, Harnecker und Earle. Er ist in
der Textbehaudlung konservativ, für eine Schulausgabe zu konservativ.
So erklärt er, daß I 158 atque dicendum keinen befriedigenden Sinn
gebe, hält aber an der Überlieferung fest, § 190 verwirft er iaui [diuj
cogito den Zusatz. Ansprechend ist die Lesung 1 31 perpaiicis, 97 mcmet;
unwahrscheinlich 34 possit für possitis, 42 convincentes; fraglich beue
nioderatae tür bene moratae 85.
Rez.: Befiel VII 1, p. 10—12 v. G. Curcio.
11. Lochmüller. Quaestiones grammaticae in Ciceronis
libros oratorios compositae ab Johanne Lochmüller, Progr. Lands-
hut 1901/02. 8. 38 S.
Lochmüller, ein Schüler E. v. Wülflflins, hut, durch Th. Stangls
Rat unterstützt, 12 Stellen von de or. und eine Brutusstelle (Br. 31)
neu geprüft und seine wohlerwogenen Gründe für oder gegen die von
den neuesten Herausgebein, insbesondere von W. Friodrich, gewählten
Lesarten in fließendem Latein sorgfältig dargelegt. Eine reiche Samm-
lung von Parallelen aus den rhetorischen Schriften und den Briefen
zeigt aufs neue, wie sehr sich Herausgeber verirren können, wenn sie
mit einem Teil der Überlieferung, wie Friedrich mit M (niutili), durch
dick und dünn gehen (p. 31). I 31 wird vel cum perpaucis facere possit
verteidigt und dazu eine fast erschöpfende Zusammenstellung der Ad-
jektive und Adverbien gegeben, die durch per verstärkt werden. Die
gleichartige Sammlung von Jules Lebreton in der Pariser Thesis (1901)
Caesariaaa syntaxis quatenus a Ciceroniana differat p. 75/76 scheint
Lochmüller nicht gekannt zu haben; das von Lebreton mit aufgenommene
hominem perustum (ad fam. XIII 15, 2) hat Lochmüller mit Recht bei-
seite gelassen. Die ursprüngliche Funktion des per enthalten Stelleu
wie per mihi, per, inquam, gratum feceris (ad Att. I 20, 7); daß persaepe
nicht gleichbedeutend ist mit saepissime, lehrt ad Quint. fratr. I, 15.
I 97 wird per memet (für me) ipsum befürwortet und durch Parallelen
gut begründet (Cima I^ hat auch memet, Firmaui verwirft dies). I 251
wird Stangls geistreiche Konjektur sedantes (für sedentes) ab acutissimo
nachdrucksvoll empfohlen; 1261 consuescebat neque is(für id), auch Cima
und Firmani lesen is; ein triftiger Grund von der Überlieferung is abzu-
gehen, ist nicht voi-handen. Zu II 40 sammelt der Verf. die Beltge iür abs
te und spricht sich für die Lesart der iutegri abs te aus (andere a te,
ab te). Nach or. § 158, wo Cicero das Streben nach Euphonie iu der
*) Das Ganze 37tJ p., lire 2,80.
lü*
148 Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.)
lateinischen Sprachentwickelung darstellt — amovit dicimus et abegit
et abstulit — hat abs te als das Regelmäßige zu gelten; darauf hätte
der Verf. hinweisen sollen. Zu 11 247 bietet er zahlreiche Beispiele für
Stellungen wie nieus frater, tuus necessarius. II 270 wird oratoriis dictioui-
bns (für actionibus) empfohlen, aber unter den 26 Parallelen (sententiae
dictio u. a. sind nicht Parallelen) zeigt keine die Verbindung oratoria
dictio, wohl aber forensis dictio (I 108, Brut. 272). III 79 bringt Loch-
müller weitere Belege für das angehängte que in Fällen wie despicique
(Stangls Lesung), untersucht aber nicht die rhythmische Bedeutung solcher
Stellungen. III 105 eaque una laus oratoris est et propria maxime wird
et verworfen, aber dem Sinn (einzig dastehender und eigenster Vorzug)
widerspricht es nicht und durch die Figur der coniunctio (ad Herenn.
IV 27, 38), die in dem Satze beabsichtigt scheint, wird es gefordert.*)
Für die bekannte Art von Konstruktionen wie III 227 haec varietas
et [hie] . . . cursus werden aus den rhetorischen Schriften und den Briefen
zahlreiche Belege zusammengetragen.
Einzelne Vorschläge zur Textverbesscrung von de or.:
G. Curcio vermutet III 110 hactenus <rhetores> loquantur,
le op. ret. p. 218, schwerlich richtig.
12. S. Vasis (BajT]?) spricht sich 'AÖrjva XIII 1901 p. 101 f.
zu I 5 für die Lesart prudentissimorum (statt eruditissiraorum) hpmi-
num aus und verweist auf sein Buch Codicis Ciceroniani a Lagomarsinio
Nr. 32 designati.
Dieses sowie
— 13. V. Hahn, Über eine unbekannte Handschrift von Cicero
de oratore (polnisch), in: Symbolae in honorem Cwilinski p. 13
war mir nicht zugänglich.
2. Partitiones oratoriae.
Von Curcio für unecht erklärt, s. o. S. 142.
Bezüglich der Reihenfolge vgl. .Tahresb. CV. Bd. S. 235.
3. Brntns.
14. Remigio Sabbadini, Dubbi sul 'Brutus' dl Cicerone, Riv.
di filol. 29, 1901, p. 259—261.
Wir haben es hier mit einer Streitfrage zu tun, die in jüngster
Zeit zwischen einigen italienischen Gelehrten ausgefochten wird: Sabba-
dini wollte in der Aneis Mängel der Komposition und des Gedanken-
gangs gefunden haben, sein Schüler Curcio suchte solche „slegature e
*) Öfters verbindet Cicero proprius ac suus.
Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.) 14;)
scuciture" in Cic. de or. und auderen Schriften festzustellen; A. Cima
weist in seiner genauen Rezension des Buches von Curcio die einzelnen
Ausstellungen und das ganze Bestreben zurück. Daran anknüpfend
äußert Sabbadini einige Zweifel bezüglich des GedankeuzusamnienhaDges
und der Gedaukenfühiung im Brutus (§§ 19—20, 39 — 41, 45—48,
61-65, 83—91, 182, 22S— 230 und zahlreiche andere Paragraphen).
Man wird den Zweifeln, die zum Teil von anderen schon früher
ausgesprochen wurden, nicht jede Berechtigung aberkennen, z. B. die
Behandlung des Hortensius betreftend, aber sie finden zum großen Teil
ihre Erklärung in der Freiheit des Dialogs, in der Eigenart des Autors
und der Materie, in der Quellenbeuutzung. So ist § 39 — 41 der Gedanke,
daß die Redekunst selbst in dem so viel älteren Athen verhältnismäßig
jung sei, etwas breit ausgedrückt. An den Satz ante Solonis aetatem et
Pisistrati de nullo ut diserto memoriae proditum est schloß sich vielleicht
in der griechischen Quelle — auch bei Philodem blickt diese geschicht-
liche Skizze (Nestor — Ulixes — Lycurgus u. a.) durch — in anderer
Fassung der Satz au Sed Studium ... in Pisistrato, aber Cicero wollte
die chronologische Vergleichung hier einschieben, wohl auf Grund des
liber annalis des Atticus.
— 15. Quicherat. Brutus, sive de claris oratoribus. Accedit
libellus de optimo genere oratorum. Recensuit L. (Quicherat. Paris
1900, Hachette et Cie. 108 S. 90 c.
— 16. Burnouf. Cic. Brutus, ou dialogue sur les orateurs
illustres. Traduction franraise par J. L. Burnouf, avec le texte latin.
16. Paris 1902, lib. Hachette et Cie. 203 p. 2 fr.
Einzelne Stellen.
— 17. A. Gandiglio, a proposto d' uua lezione e interpretazione
congetturale in Cic. Brut. 17, 67. BoM. di fil. cl. 1900, Nr. 9.
p. 205—207.
— 18. C. Pascal, In: La biblioteca delle scuole ital. IX 2: Per
r interpretazione di un passo del Brutus 17, 67.
— 19. Sakellaropulos, -'pajxfxaxtxa xat xpitixa in raemoriam
Luciani MüUeri (Cic. Brut.), Athen 1900, 10 p.
Für die Interpretation einiger Stellen des Brutus ist heran-
zuziehen
20. Johannes Zingler, De Cicerone historico quaestiones.
Berl. Diss., 1900, Berolini, Mayer et Müller. 38 S.
150 Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Cicero s. (Ammon.)
Cicero ist nicht Historiker von Fach, wenn er auch — nach seiner
Darstellung — vielfach zur Geschichtschreibung aufgefordert wird und
ihn seine Darstellungsgabe dazu reizt (s. H. Henze, Quomodo C. de
historica iudic, Diss. Jen. 1899 p. 2 sqq.); er stützt sich nach Zingler
in seinen zahlreichen geschichtlichen Angaben meist auf bequeme Hand-
bücher und Leitfäden, wie den liber annalis des Atticus und das
Chronicon des Nepos. Wie oft er sich bei Freunden Rats erholen
muß, lehren seine Briefe. Aber Ciceros Geschichtsanffassung und seine
Belesenheit taxiere ich nicht so niedrig wie Zingler; daß die Geschicht-
schreibuug ein rhetorisches Gepräge haben solle, ist nahezu einstimmige
Forderung des Altertums. Aber eine Hauptstelle des Cicero de or.
II 36 [historia testis temporum, lux veritatis, vita memoriae , magistra
vitae, nuntia vetustatis, qua voce alia nisi oratoris (in der umfassend-
sten Bedeutung) immortalitati commendatur?] bekundet gutes Ver-
ständnis für ihre Aufgaben, vgl. or. 120; andere Stellen, die neben der
delectatio die utilitas betonen, bietet Henze unter II. Quid Cicero de
historia senserit p. 12 — 19 seiner sorgfältigen Dissertation.
Für die Kenntnis der geschichtlichen Quellen des Brutus ge-
winnen wir aus Zinglers Arbeit wenig; er kommt über Naumann,
De fontibus et fide Bruti (Halis 1883), und Jules Martha, Ausgabe
des Brutus, Paris 1892, besonders S. XVI flf. der Einleitung, .nicht
hinaus. Bei der Widerlegung, die Annahme H. Jordans (Valerius
Antias) betreffend, war einfach auf Martha p. XIX zu verweisen. Ein-
gehend behandelt Zingler in c. IV Quid de secessionibus plebis Cicero
narraverit p. 26 — 34 die verschiedenen Darstellungen der Auswanderung;
Ciceros Angabe Brut. §. 44 gehe auf eine gute alte Quelle zurück (p. 27),
aber das Schlußurteil lautet doch so (p. 30): factum est, ut qua erat
levitate Tullius in historia conscribenda närrationes inter se pugnantes
confunderet.
*21. Eingehender behandelt Ciceros Stellung zur Geschichte und
sein Urteil über die griechischen und römischen Historiker Heinrich
Henze, Quomodo Cicero de historia eiusque auctöribus iudicaverit
quaeritur. Diss. Jenens., Jenae 1899, 72 S.
4. Orator.
Über Curcios Hypothese bezüglich der Komposition s. o.
S. 141.
Als tüchtige Schulausgabe bezeichnet A. Cima Boll. di fil. cl.
VUI 5 p. 104—105 die Arbeit von
— 22. A. Pasdera, I libri dell' Oratore, Vol. I. Milano-
Palermo 1902, Sandron. XI 149 p.
Bericht üb. d Literatur zu d, rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.) 151
— 22a. Gnglielmino. Cicerone, T oratore, saggio di traduzione
del prof. E. Guglielmino. Cataaia, ßattisato, 1902.
23. Textkritisches zu Ciceros „Orator". Vou Siegfr.
Reiter. Progr. Prag Staatsgymn. Prag- Weinberge 1902/03. Prag
1903. 18 S.
Auf den gehaltreichen Aufsatz soll im nächsten Bericht ein-
gegangen werden.
Untersuchungen über den prosaischen Rhythmus zum Brutus
und orator.
24. Julius Wolt'f, De clausnlis Ciceronianis, Diss. inang.
Vratislav., Lipsiae, Typis B. G. Teubüeii, MCMI.
Rez.: Berl. Ph. W. 1903, Nr. 7, 204—207 v. W. Kroll.
25. Henri Bornecque, Les lois mötriques de la prose
oratoire latiue d'apres le Brutus, Rev. de Philol. 1902, 3
p. 102—124.
26. J. May, Über den numerus bei Cicero, Neue Philol.
Rundschau 1902, N. 10, S. 217—225.
Verschiedene Wege, welche französische und deutsche Forscher
eingeschlagen haben, um den prosaischen Rhythmus bei Cicero in
Theorie und Praxis zu erforschen, habe ich im letzten Jahresbericht
Bd. CV. 1900 S. 227 ff. skizziert. Die dort betoute Anschauung, daß die
Untersuchung sich auf die ganze compositio verborum zu erstrecken
habe, nicht bloß auf die Klauseln (und Anfänge), darf als fast allge-
mein angenommen gelten; aber die einen wollen eigene einfache Gesetze
finden und durchführen, unbekümmert um Ciceros Angaben, der von
der Theorie nichts verstanden habe, andere glauben m. E. mit Recht an
den Lehren der Alten auch in diesen Dingen eine Richtschnur zu haben.
Über die „Klauseln" bei Cicero schreibt klar und frisch ein
Schüler von Fr. Skutsch, Julius Wolff. Von der Diss., deren Plan für
7 Kapitel eingangs knapp mitgeteilt wird, liegen mir vor die vier ersten
in einem Separatabdruck des 26. Suppl.-B. der Jahrb. f. Philol. 1901
S. 581—615. Dem Verf. gelten nach E. Müller und E. Norden als
die 4 Grundformen der Klauseln — u — «v , — u cv, — u u<\) ,
— V — u-v ; dazu kommen aber kleinere prosodische Variationen und
Verlängerungen nach vorne, so daß wir die so gefürchtete hohe Zahl
von etwa 25 Formen, die andere nach Cic. or. zusammenstellten, doch
beinahe erreicht sehen. Zahlreiche Belege aus Brutus u. a. und er-
schöpfende Übersichtstabellen zu de inv. , Rose. Am. und or. veran-
schaulichen klar den Bestand der Schlußrhythmen und das gesteigerte
Streben nach rhythmischen, besonders dikretischen Klauseln.
1 52 Bericht üb. d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.)
Die Cäsuren werden in c. III behandelt; c. IV untersucht die
Frage: Quomodo Cicero clausulas formare studuerit. Wertvoll und
interessant ist der Nachweis, welche Rhythmen durch die vorhandenen
Wertformen der lateinischen Sprache begünstigt werden [nominamus —
. . issimi etc.] und wie Cicero widerstrebende Wörter durch Stellung
seinein rhythmischen Zweck dienstbar macht. Als Mängel der tüchtigen
Arbeit, die übrigens auch anderwärts im Jahresbericht zu berücksich-
tigen ist, möchte ich folgende nennen: die Klausel wird zu sehr als
feststehender Begriff behandelt (sowohl hinsichtlich des Urafangs als der
Stellung in der compositio); zwischen kommatischer und periodischer
Diktion (xo sfjLTcepioöov) ist zu scheiden und bei den Perioden wieder
nach Größe und Bau (vgl. im Jahresb. Bd. CV 1900 S. 244 Besprechung
von du Mesnil). So tritt z. B. in § 2 des Brutus debui ( — u — ) nicht so
stark hervor wie reliquerat wegen des schwächeren Einschnittes. Einen
vollständigen Einblick in die mit der kunstraäßigen Komposition aufs
engste verknüpfte Rhythmisierung [vgl. meine Besprechung von F. Blaß,
Die Rhythmen der attischen Kunstprosa Berl. Philol. W, XXII, 1902,
Nr. 44 S. 1350 f.] gewinnt man natürlich auch durch die übersichtlichste
Darlegung der Klauselgesetze nicht. Ein Schluß wie (Doppel-
spond.) ist an sich nicht rhythmisch, nur als Gegensatz oder Abschluß
von bewegten Rhythmen wird er rhythmisch empfunden. Man muß
aber — wenigstens bei dem eixTrepiooov (orbis, versus) — die ganze Be-
wegung (cursus) fühlen und überblicken; also nicht bloß den An- und
Auslauf, sondern auch den Verlauf. Dieser bestimmt die Proportion und
den Charakter der beiden anderen.
In dieser Hinsicht erscheint mir auch mangelhaft die umsichtige
und exakte Abhandlung von H. Bornecque, der die Arbeit von Wolff
sachkundig und anerkennend bespricht, aber die eingeschlagene Methode
mit Unrecht als deplorable bezeichnet (Rev. de Philol. 1902 p. 205 sq.).
Wohl erkennt er gleich eingangs die Forderung an, wenn er schreibt:
„Je me propose d'etudier ici toutes les lois metriques observees par Cicerou
dans le Brutus. Je ne m'occuperai donc pas seulement de lois relatives
au commencement et au milieu des phrases, comme je l'ai fait dans
mon article sur le Panegyrique de Trajan (Rev. de Philol. 1900
p. 202 — 236); afin d'etre complet, je considererai aussi les fins de
phrase, c'est-ä-dire la partie que jusqu'ici Ton — et moi tout le premier —
appelait ä, tort prose metrique. Eu eifet, la phrase latine tout entiere,
comme en t^moignent les rheteurs et les grammaiiiens, est soumise
ä Taction des lois metriques; c'est merae simplement pour la commodite
des recherches que l'on separe les niots ou groupes initiaux et finaux
du reste de la phrase, auxquels ils se rattachent en realite." Aber in
der Arbeit werden doch nur die Anfänge und Ausgänge deutlich genug
Bericht üb. d. Literatur zu d. rbetorischen Schriften Cicero». (Ammon.) 153
dargestellt; das „milien de la phrase* ist nicht so behandelt, daü der
Leser von der glänzen rhythmischen Wortkomposition des Brutus eine
rechte Vorstellung: gewinnt.
Die Hauptabschnitte der Abhandlung sind: I. Le commencement
des phrases. — Wie soll ich aber gleich phrases übersetzen? Was
soll ich mir darunter vorstellen? ,, Sätze ^V „Sätze" — Haupt- und
Nebensätze — kennt Cicero nicht.*) Von den Anfängen der phrases
werden die zwei- bis fünf- uud mehrsilbigen Wörter und Lautkomplexe
(nach verschiedenen Typen: foraut — ferantur — audiantur — audimiui
etc.) übersichtlich und genau vorgeführt.
IT. Le milieu de la phrase: Cicero vermeidet natürlich inner-
halb des «Satzgefüges" mehr als 4 Füße vom gleichen Rliythmus.
III. La fin de hi phrase: Bei den Schlullrhytliinen , die nach den
gleichen Gesichtspunkten wie die Anfangsrhythmea durchgesprochen
werden, richtet sich das Augenmerk hauptsächlich auf die Brechung
(infraction) des Rhythmus. Diese erfolgt regelmäßig vor dem letzten
Fuß; von den 864 Schlußrhythroen haben wir 760 mal den Fall der
Rhythmenbrechung vor dem letzten. 98 mal vor dem vorletzten, 8 mal
vor dem drittletzten Fuß (skandiert wird wie in der Poesie).
Das Ergebnis, daß Cicero im Brutus überall — im Anfang-,
Mittel- und Schlußstück der „Sätze" — die Rhythmen verwendet, ist nicht
überraschend, überraschend ist es vielleicht, zu erfahren, daß Cicero sich
trotz der Gesetze viel freier bewegt als Plinius, der schon einer gewissen
Schablone verfallen ist. „Chez Ciceron elles sont purement negatives:
elles doivent empecher tonte ressemblance de la pi'ose avec la poesie."
Auch das stimmt ganz zur Theorie der Alten (Cic, Dionys. Hai. u. a );
mit Rücksicht darauf würde Bornecque seine Abhandlung überhaupt
besser „Die Eurythraie in Ciceros Brutus" als „Les lois metriques" etc.
betitelt haben. Das £[x[jL£tpov ist ein Fehler in der kunstmäßigen Prosa.
Dies ist neuerdings wieder betont worden von J. May in dem
obengenannten Aufsatz (Nr. 26) p. 218: „Es ist manchmal ein Komma
oder ein Kolon metrisch, ja korrespondierende Kommata und Kola können
dies sein, aber nicht ganz, sondern nur teilweise. Cicero meidet dies,
weil er es für fehlerhaft hält, getreu dem Aristotelischen Satz (or. 172):
is igitur versuni in oratione vetat esse, numerum iubet". May bietet dann
einige hübsche Beispiele ,,rhj^thmisch-raetrischer Responsion" aus der
Rosciana; auffallend ist, daß Bornecque in seiner Abhandlung die
Responsion gar nicht berücksichtigt; vgl. Jahresb. CV (1900) S. 2c52
über Owens 'libration' und Berl. Ph. W. 1902 S. 1350 f.
*) Deutlicher spricht sich Bornecque über die Satzeinschnitte aus :
Rhein. Mus. 5S (1903) „Wie soll man die metrischen Klauseln studieren?*
S. 379.
154 Beriebt üb d. Literatur zu d. rhetorischen Schriften Ciceros. (Ammon.)
5. Topica
— 27. A. Romano, note miniine sulle fönte dei Topica.
Palermo, Baravecchia, 1901.
Über Curcio s. o. S. 142.
28. (Anhang.) Lebreton, Jules, Caesariana syntaxis
quatenus a Ciceroniana differat. Paris, Hachette, 1901.
Die vielseitige Betrachtung nnd VergleichOng der beiden Haupt-
vertreter der klassischen Latinität ist natürlich auch für die rhetorischen
Schriften von hoher Bedeutung: z. B. qua re horanines . . . in ea re
p. 19 aus de inv. (später viel seltener) oder die Komposita (Adj. und
Adv.) mit per S. 75 (s. o. S. 147 unter Lochmüller).
Alphabetisches Terzeichnis der Schriften
(*nachgetragen, — nicht erhalten).
* von Arnim, Sophistik etc. unter
Nr. 1.
Bornecque, Rhythmische Prosa,
Brut Nr. 25.
— Burnouf, Brut. Nr. 16.
Cima, Observ. de or. Nr. 8.
— De or. P Nr. 9.
* Curcio, De Cic. etCalvi.. Nr. 2.
— Opere retoriche Nr. 1.
Egger, Denys etc. Nr. 5 c.
*Firmani, De or. Nr. 10.
— Gandiglio, Brut. Nr. 17.
— Guglielmino, or. Nr. 22a.
— Hahn, de or. Hs Nr. 13.
*Henze, Cic. bist Nr. 21.
Lebreton, Syntaxis Cic. Nr. 28.
Lochmüller, De or. (Diss.)Nr. 11.
May, Numerus Nr. 26.
Navarre, Rh^tor. gr. Nr. 5a.
— Nicolini, Antologia Nr. 6.
— Pascal, Brut. 67 Nr. 18.
— Pasdera, or. Nr. 22..
— Quicherat, Brut. Nr. 15.
Raderraacher, Vir bonus Nr. 4.
Beider, or. Nr. 23.
Rhys Roberts, Dion. lit. critic
Nr. 5 b.
— Romano, Top. Nr. 27.
Säbbadini, Brut. Nr. 14.
— Sakellaropulos, Brut.Nr. 19.
Schlittenbauer, or. S. 141A.
Seh 0 eil, s. Raderraacher,
*Van Vessem, De or. Nr. 3.
Vasis, De or. Nr. 12.
— Wilkins, rhet. Ide or. PNr. 7.
Wolff, De Clausulis Nr. 24.
Zingler, Cic. hist. Nr. 20.
Bericht über die Arbeiten zu den römischen Rednern
(im weiteren Sinne, mit Ausschluss von Cicero, Corni-
ficius, Seneca, Quintilian, Calpurnius Flaccus, Apuleius,
Ausonius und der christlichen Schriftsteller) aus den
Jahren 1897-1902
von
Professor Dr. Karl Burkhard
in Wien.
Der folgende Bericht schließt sich an die im 93. Bande (1897 IIj
S. 77 — 115 erschienenen Besprechungen an und reicht bis Ende 1902.
Die Beschaffung gewisser Arbeiten wurde nur durch das freundliche
Entgegenkommen ihrer Verfasser ermöglicht, wofür ich auch hier meinen
besten Dank sage.
Mit * bezeichnete Schriften konnte der Berichterstatter nicht
selbst einsehen.
A. Allgemeiner Teil.
Der Rhythmus der kunstvollen Prosarede ist Gegenstand folgen-
der Schriften:
1. H. Bornecqne, Quid de structura rhetorica praeceperint
grammatici atque rhetores Latini. Parisiis apud Aem. Bouillon 1898,
8. XI und 88 p.
2. E. Norden, Über dieGeschichte des rhythmischen Satzschlusses,
B. II Anhang II S. 909—960 des Werkes 'Die antike Kunstprosa .
3. H. Bornecqne, Les lois metriques de la prose oratoire
latine d'apres le Pan6gyriqae de Trajan. Rev. phil. XXIV (1900)
201—236.
Bornecqne bietet in der erstgenannten Schrift für diejenigen,
welche sich mit der clausula rhetorica eingehender beschäftigen
156 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.)
wollen, eine sorgfältige Sammlung der Vorschriften, die die römischen
ürammatiker und Reiluer (im allgemeinen) über diesen rhytiiniischen
Satzschluß gegeben haben. Im einleitenden Teile führt er die alten
lateinischen Schriftsteller auf, die über die Klausel handeln, ver-
zeichnet dann die von den Rednern und Grammatikern für den rhyth-
mischen Satzschluß und einzelne Versfüße gebrauchten Ausdrücke
(z. B. für jene: clausula, structura rhetorica, für diese: trochaeus,
Choreus) und gibt endlich eine alphabetische Übersicht der von ihm
benutzten Schriften. Dei- erste Teil (S. 1 — 13) handelt vom Numerus.
Nicht nur die Dichtung, auch die ungebundene Rede weist einen ge-
wissen Numerus auf, den die Natur selbst geschaffen hat. Er verdankt
sein Dasein nicht nur dem Wohlgefallen, sondern auch dem Nutzen
und wohl auch der Notwendigkeit. Zwischen den Worten gibt es kurze,
aber wichtige Ruhepunkte. Sie treten besonders am Schlüsse der Perioden
zutage und geben so Anlaß zur Entstehung der Klauseln. Ihnen muß
sich Form und Kasus der Wörter und die Wortstellung anpassen. Es
gibt zwar nur eine Art Numerus, den poetischen, der sich auch in der
Prosa findet, aber hier erscheint er etwas verändert, wie B. an der
Hand der alten Gewährsmänner ausführt. Wie diese in ihren Ansichten
von der Entstehung und dem Wesen des Numerus übereinstimmen, so
weichen sie auch in der Frage, in welchem Teile der Rede er anzu-
wenden sei (Abschn. 3), nur wenig voneinander ab. Im zweiten Teil
(S. 14—55) behandelt B. die Klauseln. Er findet (Abschn. 1), daß
sich über die zu befolgenden Gesetze nichts Sicheres aus den Gramma-
tikern und Bhetoren gewinnen lasse, weil sie entweder untereinander
nicht ganz einig sind oder keine Vorschriften geben, oder wenn irgend-
wo Vorschriften mangeln, meistens zu wenig Beispiele bieten. Im
2, Abschnitte bespricht der Verf. einzelne Klauseln nach der Silben-
zahl des letzten Wortes (ein- bis sechssilbige) und kommt zu folgendem
Ergebnis. Die meisten Grammatiker und Rhetoren stimmen in der
Anwendung gewisser Versfüße überein, nämlich des Amphibracliys und
Bakchius, Daktylus und Kretikus, Molossus und Autibakchius, des
3. Päon und lonicus a minore, Antispast und 1. Epitrit, Ditrochäus
und 2. Epitrit. Die übrigen Füße wurden entweder selten verwendet,
so daß die Grammatiker nur wenige Beispiele für die Aufstellung von
Vorschriften zur Verfügung hatten; oder es herrschte im Gebrauche
bei einzelnen Schriftstellern den verschiedeneu Zeiten und Geschmacks-
richtungen entsprechend keine Einigkeit wie beim Jambus. Der
3, Abschnitt handelt von der Einteilung und Benennung der Klauseln.
Der dritte Teil ist 'De fontibus grammaticoium ac rhetorum' betitelt.
Da die Grammatiker und Rhetoren wenigstens zum Teile auf ältere
Quellen zurückgehen, untersucht B., aus welchen Quellen sie geschöpft
Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897— 190-2. (Burkhard.) 157
haben, um womöglich die Glaubwürdigkeit der einzelnen Gewährs-
männer bestimmen und in Fragen, in denen sie uneinig sind, leichter
eine Entscheidung treffen zu können. Behandelt sind Cicero, Caesius
Bassus, Quintilian, Jnba, Probus und Sacerdos, Diomedes, Rnfinns,
Martianus Capeila. ])ie Untersuchung lührt zu keinen sicheren Anhalts-
punkten für die Bestimmung der Glaubwürdigkeit. Im vierten Teil
(S. 73 — 83) berichtet B. über die geschichtliche Entwickelung dos rhytl)-
mischen Satzschlnsses nach den Zeugnissen der lateinischen Grammatiker
und Rhetoreu.
lu der Couclusio (S. 84 f.) faßt der Verf. die Ergebnisse seiner
Untersnchungeu etwa foIgenderraaCen zusammen: Die Grammatiker und
Rhetoren stimmen miteinander übeiein, in welchem Teile der Rede die
Klausel zu verwenden ist, sie sind auch einer Meinung in bezug auf
gewisse Klauseln, doch so, dal.'« das, was sie sagen, nicht deutlich er-
klärt wird oder dali oft die Beispiele mit den Vorschriften nicht
stimmen. Meistens aber geben sie über wissenswerte Dinge keine Vor-
schrilten oder wenn sie solche geben, darf man ihnen nicht immer
Glauben beimessen. Wenn man daher einen tieferen Einblick in den
Salzschluß bei den Schriftstellern gewinnen will, muß man vor allem
die Klauseln bei allen Schriftstellern untersuchen und dann die von
diesen gebrauchten Klauseln mit den von den Grammatikern und Rhe-
toreu derselben Zeit lobend erwähnten vergleichen.
Dieser Teil führt uns auf Nordens Abhandlung, aus der wir
die wichtigsten Punkte meist wörtlich herausheben. In den Allge-
meinen Vorbemerkungen stellt N. S. 910 folgende 'Postulate" anf,
die man nicht außer acht lassen dürfe: 1. Das gesamte Altertum hat
den Rhythmus der kunstvollen Prosarede vor allem in den Schlüssen
der Kola gefunden, wo er durch die Pausen naturgemäß am deutlichsten
hervorti'at. Auf sie werden also auch wir unser Hauptaugenmerk zu
richten haben. 2. Für die Erkenntnis von Einzelheiten haben die
Analysen der späteren Rhetoreu keinen Wert, da in ihnen die falschen
metrischen Theorien des Alterturas auf die Rhetorik übertragen werden.
3. Wir müssen die verschiedenen Zeiten auseinander zu halten suchen:
denn der Rhythmus des Demosthenes ist majestätisch und an keine be-
stimmten Gesetze gebunden; dagegen ist der Rhythmus der späteren
Schönredner zierlich und eintönig; hier ist alles geregelt, hier lassen
sich also bestimmte Gesetze aufstellen. 4. Das Einfachste ist, wie
überall, auch hier das Wahrste.
Nach einer Untersuchung des rhythmischen Baues Demosthenischer
Perioden (911 — 917) und solcher der späteren griechischen Prosa
(917—923) kommt N. zu folgenden, auch für die lateinische Kunst-
prosa wichtigen Ergebnissen. 1. Die Größe des Demosthenes in betreff
158 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.)
des rhythmischen Baus seiner Perioden beruht darauf, daß er keine be-
stimmte Theorie befolgt, wie sie ihm von den Neueren augedichtet
wird, sondern daß er in wundervoller Mannigfaltigkeit den Rhythmus,
speziell den des Satzschlusses, jedesmal ein energisches Abbild des Ge-
dankens sein läßt. 2. Jedoch heben sich bei ihm aus der unerschöpf-
lichen Fülle der satzschließenden Rhythmen folgende als besonders be-
vorzugt heraus:
1.
-^ü-^-ü
2.
— u — — u -
3.
-^ vv — — V
4.
— UV -' — u
5.
-^ ü — 0
3. Von diesen treten 3 und 4 später ganz zurück, da man die große
evep7eta der Daktylen (Choiiamben) nicht mehr zum Ausdruck bringen
konnte oder wollte. Dagegen drängen sich die Formen 1, 2, 5 mehr
und mehr hervor, und zwar noch mit der Modifikation, daß einzelne
Längen dieser Klauseln aufgelöst werden können, was Demosthenes in
seiner prinzipiellen — aus seiner SeivorrjC sich ergebenden — Abneigung
gegen Häufung von Kürzen mied. Die am meisten charakteristischen
Formen des rhythmischen Satzschlusses der nachdemosthenischen
griechischen Kunstprosa sind also:
la.
^0 ^-^ü
2a.
-^ ü
u -
b.
\j'v V — -^ ü
b.
V u -
— — u -
c.
-^ uu -^ Ü
c.
-^ u
u— u -
d.
— ü — u Ü
d.
-^ KJ
3a. —
ö
— V
b. o'u
u
— 0
4. Diese Klauseln sind in der griechischen Kunstprosa zwar ganz
besonders bevorzugt worden, aber nie zur ausschließlichen Herrschaft
gelangt. Daß diese rhythmischen Satzschlüsse in die lateinische Kunst-
prosa von dem Augenblicke an aufgenommen wurden, wo diese in den
Bereich des Hellenismus trat, daß sie in ihr bald zur ausschließlichen
Herrschaft gelangten und (mit einer Unterbrechung zu Beginn des
Mittelalters) bis zum Ausgang des Mittelalters unbedingte Geltung er-
hielten, wird in den Abschnitten 1 . die Theori und 2, die Praxis nach-
Bericht üb. d Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.) 159
gewiesen. Im ei-sten gibt N. die Zeugnisse. Berücksichtigt sind Cicero,
Quintilian, Gellius, Terentianus Maurus, Victorinus. C. Julius Victor
und Martianus Capeila. Im zweiten werden die Klauseln 1. vor Cicero,
2. bei Ciceio, 3. bei seinen Zeiti^enossen, 4. bei den Schriftstellern der
Kaiserzeit, 5. im Mittelalter behandelt. Wir besprechen die Klauseln
der für uns in Betracht kommenden Redner unter den betreffenden
Namen. Die beiden Schlndteile der gründlichen Abhiuidlun-r handeln
von den Folgerungen für unsere Texte und der Terminologie des rhyth-
mischen Satzschlusses (1. structura. dictamen, 2. clausula, cursus).
Diese Forschungen ergänzt die dritte Abhandlnug, indem sie den
Anfang und die Mitte des rhythmischen Satzes in der Rede
zum Gegenstände einer soigfältigeu Unteisnchuug macht. Bornecqae
beginnt mit dem Hinweis auf das Ergebnis neuerer Arbeiten, daß es
im Lateinischen eine Prosa gebe, in der das Ende des Satzes metrischen
Gesetzen unterworfen sei, die um so strenger seien, je weiter man sich
von Cicero entferne, der dieses Mittel, den Ohren der Zuhörer oder
Leser zu schmeicheln, der asiatischen Beredsamkeit entlehnt zu haben
scheine. In dieser Prosa bestimme die metrische Form des letzten
"Wortes des Satzes die metrische Form der vorhergehenden Worte in
dem Sinne, daß die drei letzten Füße des Satzes nicht demselben
Rhythmus angehören dürften, und anderseits, daß der Wechsel desselben
Rhythmus möglichst nahe dem Satzende zum Vorschein kommen müsse.
So erklärten sich, um ans den unzähligen Beispielen die häutii^'sten hervor-
zuheben, die Satzschlüsse: oras | ferant; iret | andi; scripserint I aadi;
oras ferantur ; scrip|serint scripse rint; esse videlatur. Die Frage
liegt nahe, ob gleichartige Gesetze auch den Anfang und die Mitte des
Satzes beherrschen. Nach dem übereinstimmenden Zeugnisse der latei-
nischen Grammatiker und Rhetoren (Cicero, Qnintilian, Diomedes,
Julias Victoi), deren Worte der Verf. anführt, darf der Rhythmus,
wenn er sich auch vornehmlich am Ende des Satzes findet, in keinem
andern Teil des Satzes fehlen. Über das Wesen dieses Rhythmus
äußern sich, wie nun B. zeigt, alle genannten Gewährsmänner weniger
bestimmt als über die auf das Sa:zende bezüglichen Gesetze, wiewohl
auch diese bei ihnen unbestimmt genug sind. B. ermittelt aus ihren
oft verworrenen Vorschriften folgende Gesetze:
A) Für den Anfang der Sätze: 1. Man muß vorzugsweise mit
einer Länge beginnen oder in deren Ermangelung mit zwei Kürzen,
die einer Länge entsprechen. 2. Mau muß vermeiden, daß der Anfang
des Satzes dem Anfang eines gebräuchlichen Verses ähnlich sei. 3. Man
muß vorzugsweise im Anfang des Satzes den Spondeus, Daktylus,
Kretikus oder den 1. Päon berücksichtigen. B) Für die Mitte der
Sätze. L Man muß eine Aufeinanderfolge von Füßen meiden, die einem
160 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1807-1902. (Burkhard.)
Verse ähnlich sind. 2. Die verschiedenen Füße müssen in einem be-
stimmten Mai3e gemischt sein, d. h. wahrscheinlich in dem Maße, welches
in dem Satze die Ähnlichkeit mit einem Verse vermeidet. 3. Man kann
überall den I. Päon und den Dochmius unter der Bedingung finden,
daß dieser nicht mehr als zweimal in der Reibe wiederholt ist.
Diese Gesetze sucht nun der Verf. am Panegyrikus des Plinins zu
verdeutlichen und zu prüfen (siehe unter 19). Er kommt zu einem ähn-
lichen Ergebnis wie in seiner lateinischen Abhandlung. (Siehe unter l.)
Während er dort ermittelte, daß die Grammatiker zwar in den allge-
meinen Theorien einig sind, daß man aber im einzelnen bei ihnen alles
mögliche finden könne, findet er hier, daß sie in den allgemeinen
Theorien auch einig sind, daß aber die besonderen Vorschriften es an
Schärfe fehlen lassen oder daß es nicht die sind, welche die Schrift-
steller befolgt haben. — Bs. Auffassung bekämpft K. Hofacker in seiner
Dissertation De clausulis C. Caecili Plini Secundi (Bonn 1903), über
die wir bei nächster Gelegenheit berichten werden.
B. Besonderer Teil.
I. Die Zeit des Freistaates nnd des Aagostns.
Die Arbeiten dieses Zeitraumes bewegen sich fast ausschließlich
aaf literarhistorischem oder stilistischem Gebiete. Für dieses kommt
hauptsächlich Nordens grundlegendes Werk in Betracht, das auch für
die Kaiserzeit reichen Stoff bietet.
Vorciceronianische Redner.
4. Norden kennzeichnet S. 170—174 den Stil der Redner:
a) P. Cornelius Scipio Aemilianus Africanus minor (kunstvolle
PeriodisieruDg, Wortspiel, rßoiiodoL xou xivatSou, Klimax), b) M. Äemilius
Lepidus Porcina (zum erstenmal ein artifex stilus), c) C. Papirius
Carbo (nach Cic. Brut. 105), d) C. Gracchus (Pathos, scharfe Gegen-
überstellung der Begriffe und der energischen Klausel mit den zwei
Ki'etikern, tdoxioXia, Klimax in der Form des rpixojXov und gehoben
diiirch das sehr starke ojxotoTeXeuTov (vgl. auch S. 178), e) C. Fannius
(rhythmisches Element stark hervortretend. Kretischer Rhythmus und
Ditrochaeus), f) Q. Lutatius Catulus (als Redner vor allem wegen
seiner gewählten, auf sorgfältigen lautphysiologischen Erwägungen be-
ruhenden Aussprache der Buchstaben gerühmt; vgl. R. Büttner, Porcius
Licinus u. d. lit. Kreis d. Q. Lut. Catulus, Leipz. 1893, p. 160 ff.),
g) Q. Caecilius Metellus Nnmidicus (stark beeinflußt durch die
griechische Rhetorik in Verwendung des Rhythmus und der Wort-
fignren), h) C. Papirius Carbo ('asiauische' Periode) i) u. k) M. An-
tonius und L. Licinius Crassus (,jener legte kein großes Gewicht
Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.) Ißl
auf die Schönheit der Worte, ohne darum nachlässig zu sein; Crassus
dagegen war nach allem, was wir aus Cicero wissen, ein Anhänger der
'asianischen' Rhetorik. Er liebte es, nicht in langen Perioden, sondern
kurzen Satzgliedern zu sprechen.")
Caelius.
5. G. Landgraf tritt Arch. X 225 f. für die ep. fam. VIII 5, 1
im Mediceus überlieferte adjektivische Form nugns der Umgangs- und
Volkssprache (^ nugax nichtsnutzig) ein: qui tarn nugas esset.
C. Licinius Calvus.
G. * Calvus, Edition complete des fragments et des temoignages
ctude biographique et litteraire par F. Plessis, avec un essai sur la
polemique de Ciceron et des Attiques par J. Poirot, Paris 1896,
Klincksieck. III, 107 S. 8. fr. 3.
Über diese dem Berichterstatter nicht bekannt gewordene Ausgabe
bemerkt 0. Roßbach. BphW XVII (1897) S. 811—812: „Der Verf.
gibt in diesem hübsch ausgestatteten Bändchen eine Zusammenstellnng
und Besprechung der wenigen uns überkommenen Bruchstücke des
C. Licinius Calvus. Die dichterischen hatte er bereits 1885 in den
Annales de la faculte des lettres de Caen unter dem Titel Etüde bio-
graphique et litteraire herausgegeben [Vgl. auch JB 1895 II S. 231 j.
Jetzt hat er diese Abhandlung umgearbeitet und erweitert und von
J. Poirot, einem Zöglinge der Ecole Normale Superieure, die prosaischen
Fragmente des Calvus sammeln und einen Essai sur la polemique de
Ciceron et des Attiques hinzufügen lassen. Die wenig über zwanzig
zählenden Verse und Bruchstücke von Versen des Calvus werden sorg-
fältig erklärt, sogar die Versarten angegeben . . . aber Neues kaum bei-
gebracht . . . Anzuerkennen ist, daß PI. in der Kritik sonst größere
Vorsicht übt als ßährens. Wenige Vorarbeiten konnte Poirot für die
Sammlung der prosaischen Bruchstücke benützen . . . Sie sind noch
weniger zahlreich als die poetischen Fragmeute und gewähren, da sie
wegen seltener Formen und Redewendungen zitiert sind, keinen deut-
lichen Einblick in die Eigenart des Redners. Sie und die folgenden
Temoignages scheinen sorgfältig gesammelt zu sein , . . Auf einer so
unsicheren Grundlage ist es schwer, ein solides Gebäude aufzuführen.
Vieles wird daher in der Charakteristik und Lebensbeschreibung des
Calvus immer hypothetisch bleiben. Aber was wir von ihm wissen und
vermuten können, hat PI. klar, geschmackvoll und mit genügender Kennt-
nis der deutschen philologischen Literatur ausgeführt . . . Schwächer sind
Poirots Ausführaugen . . ." Über diese urteilt Büttner in seiner An-
zeige NphR 1897 S. 325—327: „Die ausführliche Darstellung des Streites
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVII. (1903. II.} 1 1
162 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897 — 1902. (Burkhard.)
der Attiker unter den römischen Rednern mit Cicero von J. Poirot (S. 68 —
102) dürfte in Einzelheiten Widerspruch erfahren, das Wesen der Schule
selbst aber ist im allgemeinen gewiß richtig erfaßt und dargelegt."
7. Nach E. Norden S. 263 stilisierte dieser Redner wohl
ebenso wie Brutus und die übrigen Atticisten seine Reden unrhj'thmisch
(vgl. PoUio). Die folgende Abhandlung
8. *C. Curcio, De Cicerouis et Calvi reliquorumque Atticorum
arte dicendi quaestiones (Acide prope Catiuam 1899 VI und 88 p.), die dem
Berichterstatter leider nicht zugänglich war, wurde von A. Ciraa Boficl VI
p. 178—181 und von E. T(eza?) Rcr 1899 p. 483 besprochen.
Marcus Brutus.
9. OttoSeeck, Das Geburtsjahr des Marcus Brutus. Rh. Mus.
. NF. LVI S. 631—634.
Über das Lebensalter des Brutus, sagt Seeck, besitzen wir zwei
bestimmte Angaben, die aber zueinander im Widerspruche stehen. In
der Schrift, die Cicero mit seinem Namen überschrieben hat, sagt er zu
ihm 94, 324 anuis ante decem causas agere coepit, quam tu es natus.
Hortensius, auf den sich der erste Teil des Satzes bezieht, ist nach
einer anderen Stelle (64, 229) desselben Buches im Jahre. 95 v. Chr.
zuerst als Redner aufgetreten, wonach Brutus um 85 geboren sein müßte.
Dagegen schreibt Velleius (II 72, 1): hunc exitum M. Bruti partium
septimum et tricesimum annum agentis fortuna esse voluit. Die Kata-
strophe bei Philippi trat ganz am Ende des Jahres 42. jedenfalls nicht
vor der zweiten Hälfte des November, vielleicht erst im Dezember ein
(Belege gibt Seeck in der ersten Anmerkung). Mithin fiele hiernach
die Geburt des Brutus in das Jahr 78 oder frühestens in die letzten
Tage 79. Livius (epit. 124) bestimmt sein Alter nur durch die runde
Zahl 'ungefähr 40 Jahre', die sich mit beiden Angaben gleich gut ver-
einigen läßt. Um den Widerspruch mit Velleius zu lösen, 'der für diese
Frage ebenfalls eine Quelle ersten Ranges ist, da man zur Zeit des
Augustus über die Personalien des berühmtesten unter den Cäsar-
mördern ohne Zweifel noch sehr genau unterrichtet war', nimmt Seeck
eine Verderbnis der Cicerohandschriften an und empfiehlt, hinter 'decem'
ein 'Septem' einzuschieben. Velleius Paterculus' Angabe wird auch durch
die übereinstimmenden Zeugnisse Pliitarchs (Brutus 3) und Appians
(b. c. II 112) unterstützt. Wollen wir nicht annehmen, schließt S., daß
eine gemeinsame Quelle des Plutarch und Appian systematisch nach
den Gesichtspunkten gefälscht war, den Brutus jünger zu machen, als
er tatsächlich war, was doch sehr geringe Wahrscheinlichkeit hat, so
behält Cicero oder vielmehr seine handschriftliche Überlieferung in.
diesem Falle unrecht.
Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1S97— 1902. (Burkhard.) 1#33
10. Zum Stile des Redners bemerkt Norden 219, 1, 262, 939,
daß er wie alle Atticisten absichtlich die rhythmische Komposition der
Rede vermied (Qnint. IX 4. 76 u. Tac. dial. 21) uud daß ihm die Form
_L. u — ^ ü unsympathisch war; von der als asianisch geltenden Form
-^ U — ü dürfe man es erst recht vermuten.
Einem andern Berichterstatter zugehörig ist die Untersuchung von
11. *J. Valeton, M. Brutus und sein Briefwechsel. Versl. en
mededecl. d. Kgl. Akad. van wetenschappen IV 1 1, p. 8 76.
Asinius PoUio.
12. Zum Stile bemerkt :N or den 262 mit Hinweis auf (^uint. IX
4, 76, daß Pollio geflissentlich salopp und unrhythmisch schrieb, indem
er sich nicht scheute, die Worte absichtlich zu verstellen, nur der Zer-
störung des Ehythmus zuliebe.
M, Valerius Messalla Corvinus.
13. a) Friedrich Marx, Das Todesjahr des Redners Messalla.
WSt XIX (1897) 150—155.
An der übereinstimmenden Überlieferung Suetons und Frontins,
daß Messalla im Jahre 13 n. Chr. gestorben sei, festhaltend, übersetzt
und erklärt Marx die Stelle Ovids ex Ponte I 7 27—30, in welcher
die Gelehrten seit Nippferdey einen Widerspruch gegenüber Suetons uad
Frontins Angabe erblickt haben. (Vgl. JB LXXXIV [1895J II S. 173.)
Er findet, daß diese Angabe mit den Worten Ovids nicht streitet, sondern
uns dieselbe erst verständlich macht, beziehungsweise deren einzig mög-
liche Erklärung bestätigt: Messalla hat die Verbannung Ovids noch erlebt
und seinen Freund nicht verleugnet. Als der Redner starb, verfaßte
der Dichter in Tomi eine (heute verlorene) Nenia auf ihn, die nicht
zu seinem Leichenbegängnis gesungen wurde, sondern ein beschriebenes
Blatt Papier geblieben ist. Diesen Versuch hält Schanz II 1, §. 215
S. 19 für ebenso verfehlt wie den Gruppes und entscheidet sich für die
'bestrickende' von uns JB a. a. 0. besprochene Vermutung Schulz'.
b) Über die Landgrafsche Vermutung, nach der Asinius Pollio
als Redakteur und Herausgeber des Cäsar- Hirtianischen Nachlasses und
als Verfasser des bellum Africanum anzu.«;ehen ist (vgl. Jß a. a. 0. 167),
handelt Schanz P § 122 S. 213 in ablehnendem Sinne. Die Hypothese
sei tot und könne nicht mehr ins Leben zurückgerufen werden.
II. Die Kaiserzeit.
Die meisten Schriften befassen sich mit der Sprache der Redner
und der Verbesserung ihrer Texte. Eine umfassendere Darstellung des
11*
164 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.)
Si>racl)gebrauches erhalten zum erstenmal die gallischen Lobredner,
wälirend die übrigen Redner besonders nach der rhetorisch-stilistischen
Seite hin berücksichtigt erscheinen. Auch die häufige Wiederkehr
gleicher oder ähnlicher Redewendungen und Gedanken, die teils auf
den Einriul.'. der Rhetorenschulen , teils auf unmittelbare Nachahmung
zurückzuführen sind, wird in mehreren Untersuchungen nachgewiesen.
In textkritischer Hinsicht wurde am meisten Fronto gefördert.
14. Casirairus Morawski, Observationum de rhetoribus Latiois
auctarium. Eos V (1899) 1—6 (auch S.-A.), von demselben
15. Rhetorum Romanorum ampullae. Diss. phil. class. acad.
litt. Cracov. (Wydzial filolog). XXXII (1901) 333-352 und
16. Parallelismoi sive de locutionum aliquot usu et fatis apud
auctores Graecos nee non Latinos. Ebenda XXXIV (1902) 236 —
256 (auch S.-A.).
Diese Schriften können als Fortsetzung, bezw. Ergänzung der
vom Bericliterstatter (JB 1897 II. 86 ff.) besprochenen Untersuchungen
des Verf. angesehen werden. In der ersten stellt M. zunächst die
Einwirkung der Rhetorenschulen auf Livius an Stellen des 40. 42. und
45. Buches fest, beleuchtet dann durch Beispiele die Übertreibungen,
die sich die rhetorisch geschulten Geschichtschreiber in der Schilderung
von Siegen oder Niederlagen zuschulden kommen ließen, Übertreibungen,
von denen auch Livius und Cicero, trotzdem sie die unwahren Berichte
der Geschichtschreiber brandmarken, nicht frei zu sprechen seien. Im
folgenden Absatz wird gezeigt, wie die Schriftsteller bei der Verherr-
lichung von Siegen überreichlich rhetorische Figuren, ungewöhnliche
Redensarten und überraschende Sentenzen verwandten. Bei dieser
Gelegenheit wird eine Redewendung Ciceros auf den Redner Lykurg
zurückgeführt, von dem sie auch andere übernommen haben. Zum
Schlüsse verfolgt der Verf. eine von diesen Redewendungen, die bestimmt
waren, den Kriegsruhm zu vergrößern, bei Cicero, Livius, Velleios,
Florus und Curtius Rufus.
Die zweite Schrift handelt in zehn Abschnitten von dem Einfluß
der Rhetorenschulen auf die Schriftsteller der römischen Kaiserzeit.
Obw^ohl der ältere Seneka die scholastischen Tändeleien verurteilte und
bekämpfte, linden sich solche, wie M. zeigt, schon bei seinem Sohne
(Abschn. I). Dieser zeigt sich schon in den Gesprächen, Tragödien,
und Briefen als beredter Verteidiger des Selbstmordes, den er an sich
vollzog. Denselben Gedanken vertrat auch der ältere (und wie wir
gleich hinzufügen wollen , der jüngere) Plinius (II). Die beliebte
Redewendung 'nocentem facere' (Sen. contr. II 1, 4) wird bei Seneka,
dem älteren Plinius, Statins, Juveual und Tacitns nachgewiesen (III).
Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1S97— 1902, (Burkhard.) 165
Ähnlicbe Gedanken wie 'magnum pietutis aigumeutum tilio carus pater
etiam post supplicium' (Sen, contr. VII, 1, 7) führt M. im IV. Ab-
schnitt aus Valerius Maximus an, der überhaupt vieles mit den Kednerii
gemein hat, dann aus dem Philosophen Seneka, Tacitus und dem jüngeren
Plinjus (pan. 88 und 11). Im V. Abschnitte zeigt AI., daß der Paue-
gyrikus des Plinius zahlreiche Anklänge an das 1 . Buch der Histoi ieii
des Tacitus oder Nachbildungen desselben enthalte (Plin. pan. 7 und
10 und Tue. bist. I 15— IG). Die Adoption Nerva-Trajan erinnert
nämlich unwillkürlich an Galba-Piso (Wülffliu im Arch. XII 350).
Selbst der von Cestius Pius (Sen. contr. I 2, 8) bei der Schilderung
der Sitten der Seeräuber gewagte Ausspruch: 'quibus inter tot tanta
maiora scelera virginem stuprare innocentia est" fand Nachahmung bei
Junius Gallio (Sen. contr. VII 1, 12), wie M. im VI. Abschnitt er-
wähnt. Diese Proben mögen genügen.
Ergänzungen zu dieser Abhandlung bietet der gelehrte Verf.
in seinen Parallelismoi Abschn. V, S. 17 (250) ff. Für Plinius den
Jüngeren und den VI. Panegyrikus vgl. man bes. S. 20 (253).
C. Plinius Caecilius Secundus.
Den Bericht über Plinius eröffnen wir mit einem Nachtrage:
]7. Casimirus Morawski, De sermone scriptorum Latinorum
aetatis (juae dicitur argeutea observationes. Eos 11 (1895) 1 — 12
(S.-A.)
Der Verf. führt S. 5 f. unter den Gemeinplätzen, an denen die
Römer ein besonderes Wohlgefallen fanden, 'genus est rogandi rogare
non posse" aus Sen. Contr. X 4, 6 an, eine Redeweise, die in ähnlicher
Form besonders häuög bei Seneka dem Sohne wiederkehrt. Auch
Plinius zeigt sie im Panegyrikus 70 (67, 4 Bahr.). S. 6 Aum. 1 wird
auch auf die Ähnlichkeit des Stiles im Panegyrikus mit dem taciteischen
(den Dialogus und die Germania abgerechnet) hinsichtlich des Ge-
brauches der Asyndeta bei drei Gliedern (Subst., Adj. oder Verben)
hingewiesen,^) S. 10 f. wird der Stil der Lobrede, der ein hervor-
ragendes Denkmal der tändelnden Schulrhetorik bilde, kurz gekenn-
zeichnet und besonders die bei dem Redner beliebte Steigerung an
mehreren Beispielen gezeigt und endlich werden einige auffallende
Ähnlichkeiten in der Behandlung des Stoffes und in der Ausdrucksweise
zwischen dem jüngeren Seneka und unserem Plinius aufgedeckt, die
auf eine Nachahmung des letzteren schließen lassen; vgl. auch Paralle-
lismoi S. 13 (246). Daß Plinius gelegentlich Cicero stark nachahmte.
') Über die Nachahmung des 1. Buches der Historien vgl. die Beob-
achtungen desselben Verf. oben unter 15, Abschn. V.
166 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.)
ist besonders seit der gründlichen Untersuchung Guido Susters über
das Verhältnis des Panegyrikas zur Rede für Marcellus (vgl. JB 1895
n 180 f.), von einzelnen Stellen wie Cic. Phil. II 31, 77: Plin. Pan. 74
(WSt IX 171) zu schweigen, zur Genüge bekannt. Ich erinnere nur
deshalb daran, um einem etwaigin falschen Schlüsse aus den Worten
Nordens I S. 319 Anm. 1 *M. Hertz, Renaissance und Rococo in der
röni. Lit. (Berlin 1865) 11 irrt, wenn er, auf solche Äußerungen
[wie Ep. IV 8, 4 f, I 5, 12 f.j bauend, den Plinius zu einem Cicero-
nianer macht: es sind das Phrasen, denen weder die Praxis der Briefe
noch des Panegyrikus entspricht', vorzubeugen.
Eine gediegene Chai'akteristik des plinianischen Stils gibt
18. Norden, S. 318 ff (vgl. auch S. 280—282 und 299). Er
sagt in der Hauptsache über den Redner folgendes: Der Grundzug
seines Wesens, die Eitelkeit, zeigt sich auch in seinem Stil. Alles ist
geleckt und gedrechselt. Aus seinen einander widersprechenden Urteilen
über die Schreibart heben sich drei Punkte scharf heraus: Erstens
liebte er das Volle, ja bis zum Übermaß Volle, zweitens die zierlich
geputzte Diktion: an Isaeus bewunderte er verba quaesita et exculta;
drittens hat er Vergnügen an scharf zugespitzten Sentenzen, besonders
wenn diese bis an die Grenze des Erlaubten herangingen und gewisser-
maiJea am Abgrund schwebten (vgl. bes. Ep. IX 26). Seiner Theorie
entspricht die Praxis, die wir außer an einigen Briefen besonders an
dem Panegyrikus beobachten, diesem hervorragendsten Denkmal epideik-
tischer Beredsamkeit aus der Kaiserzeit, welches in der Folge eine
solche Bedeutung erlangen sollte. Gibt uns Seneka in seinen rhetorischen
Büchern wesentlich die Theorie der neuen Beredsamkeit, so Plinius in
seiner Rede ihre praktische Anwendung. Das hier Gebotene ist aller-
dings für die Nerven moderner Menschen zu viel; eine Antithese jagt
die andere und man möchte ihm mit seinen eigenen Worten zurufen:
fere in nullo, o bone, enuntiato non peccas.
Wie Seneka der Sohn hat auch Plinius d. J. den rhythmischen
Satzschluß sehr sorgfältig beobachtet. (Norden S, 942, wo der An-
fang des Panegyrikus als Probe gegeben wird.) Dieses Urteil bestätigt
19. (=3) H. Bornecque (S. 205) mit den Worten 'chez lui
(Pline le jeune), les regles de la prose metrique sont appliquees avec
une regularite presque monotone". Dieser Umstand war für den Ge-
lehrten auch einer der Hauptgründe, warum er zur Beleuchtung der
oben (S. 159 f.) für den Anfang und die Mitte der rhythmischen Sätze
aufgestellten Gesetze den Panegyrikus des Plinius wählte. Der Unter-
suchung wurde der Text von Bährens zugrunde gelegt, daneben auch
Keils Ausgabe berücksichtigt. Nachdem B. für den Anfang des
Satzes die Regeln oder Grundsätze, denen er gefolgt ist, zusammen-
Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897 - 1902. (Burkhard.) 167
gestellt hat, behandelt er 1. zweisilbigre, 2. dreisilbige und 3. vier-
silbige Anfangswörter oder -Gruppen/) nach der Quantität geordnet, in
27 Typen (Mustern). Er gibt mit Ausschreibung der Stellen genau an,
wie oft jedes Muster vorkommt und welche Versfüße oder metrische
Gruppen ihm folgen. So erscheint beispielsweise der Typus 'ferant'
27nial und zwar folgen ihm 10 mal Spondeen (z. B. Pan. XXV 22, 19
Bahr, datum est Ins qui), G mal Jamben (z. B. XII 12, 2 vident enim
Roraanum XLVI 40, 3 in-Iiis enim quae a malis, von einem Kretikus
gefolgt), 4 mal Kretiker, 3 mal Anapäste. 2 mal Päone (Form 4), von
einem Spondeus gefolgt, 2 mal Choriamben. B. folgert, dal! man
nach einem AnfangsworL des Typus 'feiant' den Spoudeus oder Kretikus
oder Jambus, von einem Spondeus gefolgt, wenn der Jambus durch die
Paitikel 'enim' gebildet wird, oder den Anapäst oder den 4. Päon an-
trefien kann und berechnet, daß in den gültigen Beispielen der Rhythmus
18 mal nach dem ersten und 5 mal nach dem zweiten FuCe unterbrochen
ist. Diese Gesetze bestätigt die Untersuchung des 10. Buches der
Briefe des Pliuius. Am Schlüsse des Abschnittes S. 222 f. faDt der
Verf. die gewonnenen Gesetze etwa folgendermaLien zusammen: Von
gewissen Einschränkungen und Ausnahmen abgesehen, darf derselbe
Rhythmus nicht festgehalten werden a) über einen Fuß, wenn
der Satz mit Worten oder Gruppen vom Typus 'pertinent, laudatur,
recipiant, potuisse, poUiceor' beginnt, d. h. mit Worten oder Gruppen,
welche fünf Zeiteinheiten entsprechen; b) über zwei Füße, wenn der
Satz mit Worten oder Gruppen des Typus .ferant, esset, videor, videant,
araare, habuerat, meruisti, senatui, rettulisse, coniunxisse' beginnt, d. h.
mit Worten oder Gruppen, die drei oder sieben Einheiten gelten und
solchen, welche im Werte von vier oder sechs keinen Hexameter be-
ginnen können; c) über drei Füße, wenn der Satz mit Worten des
Typus 'essent, audirent, restituunt, coninngere, audivissent' beginnt,
d. h. mit Worten oder Gruppen , die mit einer zwei Einheiten ent-
haltenden Länge beginnen und in einen daktylischen oder anapästischen
Vers eintreten können.
In ähnlicher Weise gibt B. auch für die Mitte des Satzes das
von ihm eingeschlagene Verfahren an und stellt mit gewissen Vorbe-
halten für Plinius folgendes Gesetz fest: Im Innern eines metrischen
Einschnitttes, in irgend welchem Teile des Satzes, mit Abzug der drei
ersten und der drei letzten Füße, welche strengeren Gesetzen unter-
worfen sind, darf man nicht mehr als vier dem gleichen daktylischen,
anapästischen , trochäischen oder jambischen Rhythmus angehörige
*) Ähnliche Regeln sind, wie sich B. überzeugt hat, auch bei fünf-
oder mehrsilbigen Anfangswörtern oder -Gruppen angewendet.
168 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.)
Füße finden. Dieses Gesetz erläutert B. an der Anfangs- und SchluO-
periode des 1. Kap.; hierauf stellt er alle Ausnahmen von der mit-
geteilten Regel aus dem ganzen Panegyrikus zusammen und findet, daß
sich von den 25 Ausnahmen 10 leicht berichtigen lassen, so daß endgültig
nur 15 vi'irkliche Ausnahmen übrigbleiben.
Im 4. Abschnitt untersucht B , ob diese Gesetze wirklich von
Plinius dem Jüngeren gewollte Gesetze und nicht Gesetze der Sprache
seien. Zu diesem Zwecke vergleicht er hinsichtlich des Anfangs der
Sätze mit dem Panegyrikus die "Werke Katos, Sallusts und Ciceros und
stellt, um das Wesentlichste hervorzuheben, ziffernmäßig fest, daß sich
bei dl esen Schriftstellern achtmal mehr Unregelmäßigkeiten
als bei Plinius finden und daß die lateinische Sprache aus sich selbst
einen Rhythmus schaift: nach dem ersten Fuß 36 mal (Plinius 48),
nach dem zweiten 32V2mal (Plin. 43), nach dem dritten 18V2mal
(Plin. 8), nach dem vierten und darüber hinaus 13 mal (Plin. 0). Aus
der Vergleichung erhellt, daß sich Plinius ernstlich bemüht hat, die
Regeln, welchen er folgte, anzuwenden. Dasselbe gilt von der Mitte
des Satzes. Eine Vergleichnng des Panegyrikus mit Schriften von Kato,
Varro, Cäsar, Sallust, Cicero, Servius Sulpicius, Livius, Tacitus ergibt,
daß wir im Panegyrikus zwölfmal weniger Ausnahmen finden
als in jenen. Daraus folgert B., daß das von Plinius d. J. ange-
wandte Gesetz kein Gesetz der Sprache ist.
Der 5. Abschnitt zeigt, was man nunmehr von den Vorschriften
der Grammatiker zu halten habe. (Siehe unter 3, S. 160.)
Der Schlußteil (6) handelt von der praktischen Anwendung
der aus Licht gezogenen Gesetze. Er enthält die Ergebnisse für die
Textherstellung (18 Stellen), für die Erklärung, für die Setzung der
Satzzeichen, für die Prosodie und die Aufdeckung eines Lukrezischen
Zitates 'infidum mare' LXVI 62, 5. Aus dieser sorgfältigen Untersuchung
gewinnen wir im allgemeinen eine vollkommenere und deutlichere Vor-
stellung von dem Rhythmus in der lateinischen Prosarede und lernen
im besonderen in dieser Hinsicht das Verhältnis Plinius des Jüngeren
zu einer Reihe hervorragender Schriftsteller kennen.
20. *R. B. Steel e, Chiasmus in the epistles of Cicero, Seneca,
Pliny and Fronto (in den Studies in honour of Basil L. Gildersleeve,
Baltimore 1902. The John Hopkins Press. IX 517 S. gr. 8.
6 Dollars).
Diese Arbeit findet man unter Fronto (28) besprochen, da sie
rücksichtlich des Plinius in den Bericht über seine Briefe gehört.
Eine Neubearbeitung des Textes des Panegyrikus ver-
danken wir C. F. W. Müller in der Gesamtausgabe des Plinius unter
dem Titel
Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern. 1807— rJO-2. (Burkhard.) 169
21. C. Plini Caecili Secundi epistulaiuni libri iiovem, epistularum
ad Traiannm liber, panegyricus. Recognovit C. F. W. Mu eller.
Lipsiae in aed. B. G. Teiibneii MCMIII. VII und 392 S. 8.
Zugrunde gelegt ist das handschriftliche Material von Bährens,
Der Nachtrag desselben Gelehrten (Rh. Mus. XXX 403 — 4G5) und
die Untersuchungen Guido Susters 'Notizia e classiticazione dei codici
contenenti il panegyrico di Plinio a Traiano' (Torino 1S8S, S.-A. aus
Kiv. lil. X\l) und 'Nuovi emendamenti al paueg. di Plinio" (Torino
1889, S.-A. ebend. XVII)') finden sich leider ebensowenig berück-
sichtigt als die unter Nr. 3 besprochene Abhandlung von H. Boruecque
(Rev. phil. XXIV 201—236, bes. 232 f.), -) obwohl der Herausgeber,
wie man sich auf Schritt und Tritt überzeugen kann, zweifellos bemüht
war, die einschlägigen Arbeiten bis in die neueste Zeit vollständig heranzu-
ziehen. Entspricht somit die Ausgabe im Hinblick auf die verwendeten
Hilfsmittel nur zum Teil unseren Erwartungen, so verdient dagegen das
kritische Verfahren im allgemeinen volle Anerkennung. Das Hauptver-
dienst des Herausgebers ist, den Text von vielen überflüssigen Konjekturen
des geistreichen Kritikers Bährens befreit und der handschriftlichen
Überlieferung wieder zu ihrem Rechte verholfen zu haben. "W^o weder
diese noch die vorgebrachten Verbesserungsvoi schlage den Herausgeber
ganz befriedigten, begnügte er sich, den Sitz des Fehlers anzudeuten.
Von eigenen Vermutungen machte er im Texte nur spärlichen Ge-
brauch. Eine eingehendere Besprechung dieser Pliniusausgabe, die be-
greiflicherweise nur teilweise die vergriffene grolle Ausgabe Keils ersetzen
kann, hat der Berichterstatter ZöG 54 (1903) 407—409 veröffentlicht.
22. *R. Sabbadini, Poggio e Guarino e il Panegirico di Plinio.
Boficl V 11, p. 252—253.
23. ''Allaiu, Pline le Jeuue avocat. Discours de rentree, Be-
san^on 1899, Millot freies et Ci. 73 p. Rec: Bulletin bibliogr. et
pedag. du Mus6e Beige.
P. Annius Florus..
24. *R. Sabbadini, De numeris in dialogo, iiui Vergilius an
poeta inscribitur. Riv. fil. 1897, 4, p. 600 seq.
25. Zum Stil bemerkt Norden II S. 600. Anm. 3: Das Schriftcheu
'Vergilius poeta an orator' ist stilistisch erheblich einfacher als das
Enkomion (cf. G. Lafaye, De poetarum et oratorum apud veteres certa-
1) Vgl. darüber JB 189.0 H Nr. 2G und 29. Die 'Notizia e olassifica-
zione . . .' ist übrigens auch bei Schanz II 2 (1901 -J § 445 S. 270 erwähnt.
^) Für die Beurteilung des Apographum Bertiniense kommt auch
R. Noväks Untersuchung (unter 39) in Betracht.
170 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.)
minibus [Paris 1883] 82 f.), aber wir werden uns natürlich hüten, daraus
2n folgern, daß es von einem andern Verfasser stamme.
26. Textverbesserongeu schlägt J. van der VlietMn. XXVI
S. 276 vor: Zu 183, 4 (Roßbach) pulcherrimurum (für plurimarum) ar-
borum, 184, 1 nascentem amicitiam fovehamus (für foederabamus).
M. Cornelius Fronto.
Über seinen Stil handelt
27. Norden, I 362 if. Er sagt im wesentlichen folgendes:
Fronto, der Hauptvertreter des lateinischen Archaismus, der begeisterte
Verehrer der ältesten Literatur, der erbitterte Feind des Neoterikers
Seneka, ist Attizist gewesen so gut wie seine griechischen Kollegen.
Bei der Nachahmung des Altattischen sind dem eitlen Sophisten einige
sprachliche Verstöße unterlaufen , wie v. Wilamowitz im Prooemium
Göttingen 1884, 9 gezeigt hat. Fronto überträgt auf die lateinische
Sprache ein den Attizisteu geläutiges Bild : die apyaia fjvofxaxa sind ihnen
die ooxt[xa, die anderen die aöozijxa oder xißo-/)Xa. Wie die Attizisten warnt
er vor Neubildung von Worten, nam id quidem absurdum est (Fronto
S. 162,5), Wie Pollux und Phrynichos hat er sich aus den alten Autoren
Exzerpte für den Wortgebrauch gemacht und seine Schüler, dazu auge-
halten. Fronto war schon zu seinen Lebzeiten eine Zelebrität : er selbst
spricht von seiner secta (S. 95, 2 v. u). Er blieb lange in Mode; sein
Name war im 4. Jahrhundert so typisch, daß er für Musterverse ver-
wendet wurde. Mit dem 6. Jahrhundert verschwindet unser Rhetor.
Die einander widersprechenden Urteile bei Makrobius sat. VI, wo
Fronto ein Vertreter des siccum genus dicendi heißt und dem gallischen
Rhetor Sapaudus (Corp. Script, eccl. lat. Vind. XI 206) , der von ihm
sagt, er sei nützlich ad pompam, erklärt Norden (S. 365 A. 3) trefiflich
damit, daß beide verschiedene Redearten im Sinne haben. Zum Beweise
zeigt er unmittelbar darauf, wie zugleich mit dem Stoffe auch die Stil-
arten wechseln.
Zum Streite der Rhetoreu und Philosophen erinnert Norden I 250
Anm. 2 daran, daß unter allen Rhetoren der Kaiserzeit Fronto am un-
glücklichsten über den Wettbewerb der Philosophie ist, da sie ihm sogar
seinen kaiserlichen Zögling abspenstig machte (Fronto 146, 150,
154 N.).
28. (= 20) *R. B. Steele, Chiasmus in the epistles of Cicero,
Seneca, Pliuy and Fronto.
Von dieser Abhandlung sagt der ungenannte Berichterstatter in
der WklPh XIX (1902) 895: „Die Wiederholung der gleichen Worte
und antithetische Ausdrucksweise beeinflussen die chiastische Stellung.
Bericht üb. d Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 18'.)7— 1902. (Burkhard.) 1 7 1
Adverbia werden regelmäßig als Mittelglieder verwendet, abgesehen von
Fronto, bei dem sich nur wenige Beispiele dafür linden. Handelt es
sich um Paare von Substantiven und Adjektiven, so zieht Seneka vor,
die Substantiva zueinander zu setzen, Fronto die Adjektiva, während
Cicero und Plinins freier verfahren. Aul'er Seneka verwenden alle
Pronomina in chiastischer Stellung und zwar meist so, daß sie in der
Mitte stehen. Seneka braucht selten Paare von Substantiven mit ab-
hängigen Genetiven so, und nur Pliuius zeigt eine Vorliebe dafür, in
diesem Falle die Genetive in die Mitte zu setzen. Stehen Substantiva
und Verba chiastisch, so neigt Seneka dazu, die Substantiva als Innen-
glieder, Fronto sie als Außenglieder zu verwenden. Seneka hat gerade
diese Art von Chiasmus am häufigsten, auch so, daß die Substantiva von
demselben Verbum abhängen. , Alle, außer Seneka, neigen dazu, präpo-
sitionale Ausdrücke zusammenzustellen."
29. H. Blase erwähnt Arch. IX (1896) 491 als merkwürdigen
Konjunktiv (Fronto p. 46, 10, N = Naber), der von zweiter Hand her-
rührt und der Formel 'amabo' (*amabo te') vollkommen entspricht: 'et
amem te' . . .
Die Vorliebe Froutos für den Infinitivus historicus zeigt
30. Ed. Wölfflin, indem er Arch. X (1898) 179 bemerkt, daß
dieser Rhetor in einer Charakterschilderung p. 207 N nicht weniger als
17 Infin. bist, augewendet habe.
31. Edmund Hauler liest WSt XXIV (1902) 519—522 nach
Hinweis auf die im JB 1897 II 92 f. unter 16. und 17. erwähnten Ab-
handlungen zu den 'Principia historiae" S. 204, 18 ff. N. adversws für
adversum und tempon'6- für temporibus, fort/a für fortissima, das Mai aus
der Randglosse des Korrektors in den Text gesetzt hat; 22 f. semper
a<d> siiperstitem mordens adit für semper . . persistere; 204, 24 — 205, 2
sind die Worte Ubi — extitit der Randbemerkung der 2. Iland entnommen,
der Text schaltet zwischen proposcit und omnibus noch eine Erläuterung
von magnuii ducem, nämlich id est pensis p<arem> propositis und nach
duritia das Partizip ortis ein; 206, 12 f. ist sicher : instaurandi <auc>tor,
sehr wahrscheinlich in der Lücke existens, im nächsten Satze omnibus
<vitae> artibus; Per <midtum ettam mter> e%t fortunam variam> \ ex-
periri et <gnaviter> milites in campo exercere; 206, 18 f. apud signa
infrequentes, || <freti armis>, praesidiis va|gi, <€xploratorum mo->\re
palantes, de meridie | <ad posterum> temulenlti; 207, 5 labem <:i)ro
re Lucius> coercuit, 10 neqne fei adversus, 15 lava^ws (svonm.- über
der Zeile) für lavari, 2lj)roprie für pro ; 208, 2 ist ebenso wie in der dazu
gehörigen Glosse der Genetiv certaminis von dem bisher nicht gelesenen
Substantiv fuga abhängig; die nächste Randbemerkung der 2. Hand lautet
De legib(us) anxia fuit <air> a für De legibus <amori8> , 3 per tot ... .
172 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897 - 1902. (Burkhard.)
discrimina curas et consilia dispergere, üon luxnrias , ducen^a tametsi
profuäit spolia. 11 if. <m> mag<nis> yersultare campestribas
(caiiipestria substantivisch verwendet).
Eine von Haiiler 'neuentzifferte Glosse zur gleichen Spalte der
entsprechenden, leider sehr abgeschürften Seite 24G des Ambrosianischen
Palimpsestes De Parthorum belli more lehrt, dal! auf dieser Kolumne
die Darstellung der parthischen Kriegführung ihre Fortsetzung fand.
Daran schloß sich der Bericht über das Abschicken von Gesandten und
Briefschaften seitens Verus an den Partherkönig Vologaesus'. H. liest
nämlich am Ende der Seite Paucis ante dieb{us) L<Mciu>s adVologaesum,
was sich durch das auf S. 245 unmittelbar folgende litteras ultro dederat,
bellum si vellet condicionibus poneret ergänze.
32. Robert Novdk bietet WSt XIX (1897) 242—257 neben
neuen Belegstellen für frühere Vermutungen teils neue Verbesserungs-
vorschläge, teils verteidigt er die Überlieferung. Die sorgfältige Be-
obachtung der Sprache Frontos führt den Verf. auch zu kleineren
beachtenswerten Ausläufen, z. B. über den Gebrauch des verstärkenden
-met bei den Personalpiouomina und Possessiva und der Negation haud.
33. Zerstreute Stellen:
a) W. Heraeus vermutet 'Zur Kritik und Erklärung der Servius-
scholien' Herm. XXXIV (1899) 163, daß dem Servius bei den Worten
Ad Aen. 1 409 Sunt raultae (elocutioues) unius partis utrique sufficientes,
ut tenemiir amicitiis: ridiculum enim est si addas 'mutuis', cum amicitiae
utrumque significent, sicut Fronto testatur die Stelle des Fronte ep. ad
M. Caesarem IV 3 p. 65 N Id quoque ne ignores: pleraque in oratione
ordine immutato vel rata verba fiunt vel supervacanea , 'navem trire-
mem' rite dixerim, 'triremem navem' supervacaneo addiderim vor-
geschwebt habe, während Naber jene Worte in seiner Ausgabe des
Fronto unter die Fragmente (S 262) gesetzt hat.
b) Edmund Hauler veröffentlicht einzelne Textverbesserungen
WSt XXn (1900) 140 f., 318 XXIII (1901) 338 und XXIV (1902) 232.
34. *C. Brakman, Frontoniana LH., Traiecti ad Rhenura 1902.
Typis expressit J. J. M. Molijo. 8. 43 u. 42 S,
Die Dissertation enthält nach E. Haulers eingehender Besprechung
ZöG 1903 1. H., S. 32—37 in zwei Teilen zahlreiche Lesungsversuche des
Verf. auf Grund eigener Einsicht in den Paiirapsest, Vermutungen
zum Frontotext und einen Aufsatz über die Chronologie der Briefsamm-
lung, in dem Ansätze Th. Mommsens (Herm. VIII 198 ff.) bekämpft
werden. Da B. in Anbetracht des ümfanges des Palimpsestes (lOG Vati-
kanische und 282 Ambrosianische Seiten) und der schwierigen Ent-
zifferung viel zu wenig Zeit verwendet und auch die neueste Literatur
Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1S97 — 1902. (Burkhard.) 173
uicht vollständig herangezogen hat, so ist es begreiflich, daß sich in
seiner Arbeit allerlei Versehen und Verstöße finden. Vor diesen wäre
er größtenteils bewahrt worden, wenn er sich vorher mit Hanler, von
dessen gründlichen Vorarbeiten er Kenntnis haben mußte, ins Einver-
nehmen gesetzt hätte. Unter solchen Umständen dürften B.s Ergebnisse
der dem Abschlüsse nahen Ausgabe Haulers nur geringen Nutzen bringen.
35. E. Ilauler, 'Sallustzitate bei Fronte", Rh. Mus. N. F. LIV
161—175 (S.-A.).
Obwohl diese Abhandlung besser in den Bericht über Sallust
hineinpaßt, sollen doch die Hauptpunkte auch hier erwähnt werden.
Mit dem Abschnitte auf S. 108 — 111 der Naberschen B'rontoausgabe,
in welchem der Khetor Auszüge aus Ciceros Rede y^rö Caelio und aus
Sallust Bella mitteilt, um zu Redefiguren (Epanaphora) und rhetorischen
Schilderungen von Land und Leuten Beispiele zu bringen, einem für
die Sallustkritik überaus wichtigen Abschnitte, ist es recht schlimm
bestellt, Hauler gelang es, bei der Nachprüfung des Froutopalimpsestes
nicht nur einzelne Stellen zu verbessern, sondern auch den bisherigen
Sallusttext um mehrere Seiten zu vermehren, so daß der Umfang der
Zitate jetzt fast verdoppelt erscheint — gewiß ein wertvoller Gewinn!
Der Verf. bespricht zunächst die Aufeinanderfolge der den Sallusttext
überliefernden Seiten, dann die Abweichungen, welche Frontos Sallust-
text von unserer besten Überlieferung ausweist, und zeigt endlich, daß
unser Sallusttext auch einzelne größere Auslassungen erfahren hat.
Die Abweichungen sind verhältnismäßig gering und geeignet, „uns be-
züglich der Güte unseres Sallusttcxtes im allgemeinen zu beruhigen*.
Kutilius Lupus.
36. *Th. Krieg, Quaestiones Rutilianae. Diss. inaug. Jena 1896
(auch in Comment. philol. Jenenses VI ] p. 1 —48). Angez. v. 0. Roß-
bach BphW 1898 Nr. 15 p. 455—456 und verwertet von Schanz III 2,
190P S. 345 f. Hier wird auch die von K. (S. 38) angefochtene An-
gabe Quintilians (IX 2, 102) verteidigt.
Panegyrici.
37. Otto Kehding, De panegyricis Latinis capita quattuor.
Marpurgi Cattorum 1899, 54 S. 8. (Marburger Doktordissertation.)
Von den vier Kapiteln dieser durch Birt angeregten Promolions-
fichrift gehört das zweite (Quomodo Claudianus in panegyricis et epi-
thalamiis componendis Menandrum rhetorem secutus sit) und das vierte
(Quomodo Claudianus panegyricos Graecos imitatus sit) in das Gebiet
eines anderen Berichterstatters. Im ersten Kap. zeigt der Verf., wie
174 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.)
Mamertinus, Nazarius, Pacatus und andere Lobredner nach den Vor-
schriften des Rhetors Menander ihre Reden verfaßt und ausgestattet
Laben. In dem exordium der ersten Rede (pan. II in Bährens Ausgabe,
dessen Zählung auch im folgenden berücksichtigt ist) fügt Maraertinns
keinen einzigen selbständigen Gedanken hinzu, sondern hängt vollständig
von Menander ab, ebenso folgte er in den sich anschließenden Kapp. 4—12
diesem Rhetor. In der zweiten Rede (III) ist er nicht nur in der
kunstgerechten Anordnung des Stoffes von ihm abhängig, sondern
berücksichtigt auch in Einzelheiten seine Vorschriften. Weniger ab-
hängig erscheint der Verfasser der V. Lobrede. Andere Vorschriften
Menanders beobachteten die Verfasser der VII. und IX. Rede, z. B.
die Vergleichungeu (cu'f/piaei;), die besonders bei dem letzteren häufig
sind. Ein deutlicheres Bild der Nachahmung bietet die umfangreiche
Rede des Nazarius (X), Nicht nur die ganze Anordnung und insbeson-
dere der Schlußteil (peroratio) zeigt die Abhängigkeit von Menander,
sondern auch viele andere Stellen. Zahlreiche Spuren der Nachahmung
finden sich auch in der XI. und XII. Rede. Wie Mamertinus in der
Abfassung des ersten Teiles seiner Rede und in der Beschreibung von
Einzelheiten sein Vorbild verrät, so befolgt auch Pacatus nicht nur die
allgemeinen Vorschriften des Rhetors, sondern zeigt sich im einzelnen
auffallend abhängig. Vor allem sind bei Pacatus, dessen Rede aller-
dings auch bedeutend länger ist, die cu^xpiaetc zahlreich. Im dritten
Kap. untersucht K. mit Beziehung auf die Einleitung Birts zu seiner
Ausgabe des Claudianus, wie dieser Dichter die Verfasser lateinischer
Lobreden nachgeahmt hat. Zu diesem Zwecke vergleicht er Stellen des
Claudianus mit solchen des jüngeren Plinius, Mamertinus, Nazarius,.
Pacatus und anderen. An den meisten dieser Stellen liegt die Über-
einstimmung zwischen Claudianus und seinen Vorgängern in dem
sprachlichen Ausdruck, bisweilen enthält die Zusammenstellung schmuck-
lose Stellen der Redner, die bei Claudiau mit dichterischem Schmucke
erweitert sind, endlich sind auch Stellen nur der ähnlichen Gedanken
wegen vergleichungsweise angeführt. Am augenscheinlichsten ist natür-
lich die Nachahmung bei den ersten Gruppen, wenn auch hier einiges
als Gemeingut der Rhetorenschulen gelten mag, z. B. zu Claud. v. 341
Ne timeare times: Naz. c. 18, p. 227, 13 nil magis timuisti quam ne-
timereris: Pac. c. 35, p. 302, 31 qui nihil magis timuerat quam timeri,
Stellen, auf die ich schon ZöG 1896 S. 1139 aufmerksam gemacht
habe; vgl. auch Wölfflin, Arch. XII S. 348.
Die sprachlich-textkritisehe Seite behandeln
38. Georgius Chruzander, De elocutione panegyricorum vete-
rum Gallicanorum quaestiones. Commentatio academica. Upsaliaa
1897. 115 S. 8, und
Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednero, 1897—1902. (Burkhard.) 175
39. RobertusNoväk, In panegyricos Latinos studia grammatica
V
et critica. Pragae 1901. 83 S. 8. (Sonderabdrnck aus „Ceske Museum
Filologicke" vol. VII.)
Von der richtigen Ansicht ausgehend, daß mau ein sichereres
Urteil über die vielbesprochene Verfasserfrage bei den gallischen liob-
rednern (vgl. Jß 1895 II. [LXXXIV] S. 222 f., 1897 II. [LXXXXIII]
S. 107 ff.) oJine vollständige Kenntnis ihrer Sprache nicht gewinnen
könne, stellt Chruzander zum erstenmal eine umfassendere Unter-
suchung über den Sprachgebrauch dieser Redner an. Seine Abhandlung
zerfällt iu drei Teile : I. Gebrauch und Bedeutung einzelner Ausdrücke
(S. 5—70), II. Partikeln (S. 70-82), III. Syntax (S. 83—109). Die
'Addenda' (S. 110—115) enthalten einiges über die Wortstellung und
die Ellipse. Im ersten Teile werden zunächst solche Ausdrücke ange-
führt, welche nur bei Dichtern vorkommen oder von den Prosaschrift-
stellern ziemlich selten gebraucht sind; dann solche, die nur bei unsern
Lobrednern oder auch bei den späteren Schriftstellern sich finden (je
1 in VIII und IX, 8 in X und je 3 in XI und XII). Der zweite
Teil zeigt die Unterschiede vom klassischen Sprachgebrauch an den
Adverbien (S. 71 — 75), Konjunktionen (S. 75—79) und Präpositionen
(S. 79 — 82). Über die Deklinations- und Koujugationsforraeu verweist
Ch. auf Götzes Abhandlung (Gymn.-Progr. v. Leer 1891) und auf die
Untersuchung des Berichters (WSt 1886, S. 170 ff.)- Die Formenlehre
schließen einige Bemerkungen über Komparativ- und Superlativformen
ab. Der dritte Teil ist solchen syntaktischen Erscheinungen gewidmet,
die vom Gebrauche der besten Schriftsteller abweichen oder bei diesen
seltener vorkommen. Der Verf. spricht über die Kasus, Adjekfiva,
Pronomina, Modi und Tempora, den Infinitiv, das Gerundium uud Ge-
rundiv (hier am Schlüsse eine Ergänzung zu Götze), das Supin uud
zuletzt über das Partizip. Eine erschöpfende Darstellung des Sprach-
gebrauches ist damit noch nicht gegeben. Aber das lag in Rücksicht
auf die Fülle des Stoffes und die beschränkte Zeit auch nicht in der
Absicht des Verf. Daß unter anderem eine genauere Untersuchung
darüber, wie sich die Redner in den Redefigureu voneinander unter-
scheiden und wie sie einander und die übrigen römischen Schriftsteller
nachgeahmt haben, sehr erwünscht wäre, erwähnt Ch. selbst. Eine
gründliche Vorarbeit und zwar für die Allitteration bietet F. Ranninger
im Gymnasialprogramm von Landau 1895, wozu ich in der Besprechung
a. a. 0. LXXXXIII S. 110 ff. mehrere Ergänzungen gegeben habe;
über Nachahmungen vergleiche man meine Anzeige des Programmes von
Olivior Klose (Die beiden au Maxiraianus Augustus gerichteten pane-
gyrici latini, Salzburg 1895) ZöG 1896, S. 1138 ff., wo man auch
einige sprachliche Beobachtungen findet. Außerdem ist wohl neben
1 7t) Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1S97— 1002. (Burkhard.)
dem Hinweis auf die Abweichungen vom klassischen Sprachgebrauch
eiue Behandlung des Sprachstoffes nach der lexikalischen Seite hin
unerläßlich, um die Häufigkeit oder Seltenheit oder das Fehlen eines
Ausdruckes bei den verschiedenen Ilednern feststellen zu können. So
erscheint es z. B. bemerkenswert, daß 'trans' bei den Lobrednern
durch 'ultra' fast ganz verdrängt ist. Es findet sich überhaupt nur
einmal in VI (S. 154, 17 trans Rhenum); ebend. kommt einmal
149, 1 auch ultra (modal) vor. Für 'trans' hat II 'ultra' und zwar
nur 95, 20 (u. Rhenum), III dagegen das nur noch IX 203, 12,
X 219, 27 und XII 283, 25 überlieferte 'extra': 114, 8 (e. terminos).
Das mag zugleich als Ergänzung zu dem Abschnitte über die Prä-
positionen dienen, zu dem ich au einem anderen Orte einen kleinen
Beitrag gelegentlich zu liefern gedenke. Außerdem mögen noch folgende
Bemerkungen hier ihren Platz finden. In der Einleitung S. 3 sind die
Untersuchungen von Otto Seeck (Neue Jahrb. f. Phil. u. Päd. 1888)
und 0. Klose (s. o.) nicht berücksichtigt. S. 12 vermisse ich: II, p. 97, 1
astu ohne Attribut. S. 18 wird wohl mit Weymann und Kubier (Arch.
YIII 129, 136) die Lesart der besten Hs (Upsaliensis) continari statt
Cbruzanders continuari (für continuare des Apogr. Bert.) herzustellen
sein. Siehe auch Noväk S. 4 ! S. 72 hätte für die Stellung von 'igitur'
auch Plinius der J. und Tacitus angeführt werden können; übrigens
ist auch schon bei Cicero die Stellung am Anfange des Satzes nicht selten.
Über 'inde' — pan. V p. 147, 19 ist et vor 'inde est quod' zu ergänzen —
habe ich ausführlich Acta sem. phil. Erl. S. 169 f. gehandelt und allein
über 'inde est quod' nach mir Götze in den Quaest. Eum., was dem
Verf. offenbar entgangen ist. S. 82 ist zu 'ultra' im temporalen Sinne
VII 177, 14 und X 243, 16 anzuführen. Zu S. 89: Der Reziprozitäts-
begriff wird auch noch auf andere Weise ausgedrückt; vgl. III 16 (114, 2)
se barbarae iiationes vicissim lacerent et excidant, alteruis dimicatio-
nibus et insidiis clades suas duplicent .... transrhenauas expeditiones
farore percitae in semet imitentur. (Siehe Götze a. a. 0. S. 44 f. und
meine Ergänzung JB S. 109.)
Eine vi-ertvolle Ergänzung zu dieser Untersuchung und beachtens-
werte Beiträge zur Textkritik enthält NovÄks Abhandlung. In der
Einleitung gedenkt der Verf. der Verdienste und Fehler Bährens' und
erwähnt die seitdem veröffentlichten Arbeiten und Beiträge zum Sprach-
gebrauch der gallischen Lobreduer (hinzuzufügen ist der kleine Beitrag
des Berichterstatters WSt VI [1884] S. 322 ff. und seine obengenannte
Anzeige der Kloseschen Abhandlung). Die Untersuchung beginnt mit
dem Nachweis, daß Bährens das Apographum Bertiniense (Bert.) weit
überschätzt und aus ihm zahlreiche falsche Lesarten in den Text seiner
Ausgabe aufgenommen habe. Dieser Kodex stamme nämlich nicht, wie
Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1S97 — 1902. (Burkhard.) 177
B. behauptet, aus derselben Vorlage wie der verschollene Magiintinus
(il), sondern aus der Vorlage des Upsalieusis (A) oder wahrscheinlicher
aus diesem selbst. Durch die Wiederauftiudung von A habe Bert, sehr
viel von seinem Werte verloren. (Nicht erwähnt ist, ob hierbei die
unten (unter 41) genannte Nachvergleichung des A durch Strümberg
berücksichtigt wurde.) Der nächste Abschnitt S. 5 — 7 ist den 'clausulae
rhythmicae' gewidmet, die in neuerer Zeit, insbesondere seit dem Er-
scheinen der 'Antiken Kunstprosa' Nordens mit Vorliebe behandelt
werden. Vgl. die Literatur bei F. Gatscha, Quaesiionum Apuleianarum
capita tria (Dissertat. Vind. VI p. 159), ferner die Untersuchungen
von H. Bornecque unter Nr. 1 und 3 unseres Berichtes. Wie N.
ermittelt, sind auch unsere Lobredner denen beizuzählen, welche am
Satzende vor einem stärkeren Satzzeichen den Schluß _i_v .!_k) oder
_^ u ;_ u oder _l_ü j_\j ^^ oder _?_ u ^. _l. u j^ lieb gewonnen, den hexa-
metrischen Ausgang _j^v v — u aber geflissentlich entweder durch die
Wortstellung oder Auswahl der Worte und Formen vermieden haben.
Nur scheinbar hätten wir einen hexametrischen Ausgang in Stellen wie
II 98, 5 consentiendo retinetis, III 108, 10 ambo seuiores, 115, 25 quaero
rationem, VIII 235,8 consuetudo cohibebit vor uns, da die Endung
•0 bei vielen Wörtern zur Zeit dieser Redner nicht selten kurz ge-
messen worden sei. Es bleiben nur ganz wenige Stellen übrig, die N.
durch eine geringfügige Änderung mit dem gewonnenen Gesetze in Ein-
klang bringr. Es leuchtet ein, daß diese Beobachtung einerseits die
richtige Beurteilung der Überlieferung beider Handschrifteufamilien
lürdert, anderseits für die Textgestaltung von besonderem Werte ist,
wie dies N. im zweiten Teile seiner Abhandlung au einer Reihe von
Stellen zeigt. Im folgenden handelt der Verf. kurz vom Chiasmus
(mit Beziehung auf Chruzauders Abhandlung) und gibt Beispiele von
der sehr beliebten Anaphora (vgl. auch die von mir Acta S. 181 und
WSt VI [1884J 324 gegebenen Beispiele). Dann erfahren wir einiges
über den Gebrauch der Konjunktionen 'atque, que, et, quippe, utpote,
enim, etenim, sed enim, at enim, namque, nempe, ueve, nee und der
Präpositionen 'propter, ob, prae', sowie über die Stellung der Präpo-
sitionen. Den Schluß der sprachlichen Untersuchungen bilden einige
Beobachtungen über den Gebrauch der mit *met' zusammengesetzten
Fürwörter, der Formen 'sese (tute)', worüber schon Götze (Quaest.
Eumen. S. 18) gehandelt hat, und der Pronomina 'quisque, quivis,
quilibet".
Mit Benützung dieser Ergebnisse und weiterer sprachlicher Be-
obachtungen bespricht N. in dem darauffolgenden besonderen Teil zahl-
reiche Stellen aller elf Lobredner. Sein Verfahren kann im allgemeinen
nur gebilligt werden und führt auch vielfach zu sichtbaren Erfolgen.
Jahresbericht für Altertumswissenschaft. Bd. CXVII. (1903. II.) 12
178 Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897-1902. (Burkhard.)
Nicht selten finde ich auch Beobachtungen und Vermutungen, die ich
vor Jahren in meinem Handexemplare angemerkt habe, durch N. be-
stätigt (so insbesondere zu den Stellen 238,21; 245,1; 280.22). Etwas
zu ausgiebig macht der Verf. wohl von der Annahme der Doppel-
schreibuug (Dittograpliie) Gebrauch. Ein Widerspruch scheint es mir,
wenn N. einerseits nach dem Vorgange Chruzanders (S. 2) den Sprach-
gebrauch des Plinius ganz ausschließt, anderseits aber den der übrigen
Lobreden, die von verschiedenen Verfassern herrühren und zeitlich doch
auch mehr oder weniger weit anseinanderliegen, nicht selten als gemein-
sames Sprachgut behandelt. Zum Schlüsse greife ich noch einige
Stellen zur Besprechung heraus. S. 89, 18 (Bahr.) schlug schon Götze
in seinen Quaestiones Eumenianae 'consecrasse' vor und wiederholte
diese Vermutung in einem größeren kritischen Beitrag (NJklPh 145
[1892] S. 851 ff.), der zweifelsohne Noväk entgangen ist. Dies schließe
ich insbesondere aus den Stelleu 110, 14; 111, 2; 181, 29; 185, 20, an
denen N. zu demselben Ergebnis wie Götze kommt, ihn aber nicht er-
wähnt. S. 110, 7 scheint mir die allitterierende Verbindung 'planctu
ploratuque . . . praesago praecanebant nicht unbeabsichtigt und ich
möchte daher lieber die auch bei Plinius d. A. und später bei TertuUian
belegte Form 'praecanebant' halten oder nach dem klassischen Sprach-
gebrauch 'praecinebant' schreiben, als eine Dittographie von 'prae' an-
nehmen. S. 150, II spricht gegen das Grutersche 'idem' (statt 'id ex')
und für die Beibehaltung von 'id' ohne 'ex' allerdings der Sprach-
gebrauch der Lobredner II, III, IV, VII, IX — XII, doch wertvoller
wären Belege aus derselben Rede (VI) gewesen. Diese aber hat ebenso-
wenig wie V und VIII entsprechende Beispiele aufzuweisen; vielmehr
fehlt in ähulich gebauten Sätzen 'id' V 21 (147, 27), VIII 13 (191, 16)
u. bes. VI 6 (153, 9) ut quod invicem vobis verecuudia negabat, libere
vos in imagine cerneretis, 9 (155, 11) ne, quem totius vitae summa-
rumque rerum socium semper habuisses, in alicuius facti communitate
desereres. Ich bin daher, von anderen Gründen abgesehen, noch nicht
überzeugt, daß an unserer Stelle 'id' für 'idem' geschrieben werden müsse.
40. Zu XI 20 (260,22) empfiehlt K. Burkhard WSt XXIII
S. 338 nostvae für 'ternos' zu lesen oder 'ternos' einfach zu streichen ;
letzteres tut auch Novdk a. a. 0. S. 73.
41. Einen Beitrag zur Handschriftenkunde enthält Elver
Strömberg, 'Ad codicem Upsaliensem, qui Panegja'icos veteres Latinos
continet' in Eranos acta philologica suecaua vol. II (1897) S. 46 — 47.
St. hat die zuletzt von Bährens für seine Ausgabe der Paneg. (1874)
verwendete beste Hs (aus dem 15. Jht. ; vgl. Bährens praef. XI seqq.)
nachverglichen und bringt 85 Berichtigungen oder Ergänzungen. Bährens
hat öfters falsch gelesen und manche Lesarten übersehen.
Bericht üb. d. Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897—1902. (Burkhard.) 179
Q. Aurelins Symmachus.
42. S. A. Nah er, Durievio pareutatur. Mn. XXVI 277—286.
Nach einem warmen Nachruf aut Du Ricu teilt uns N. mit, daC
er vor Jahren die Reden des Symmachus mit Durievius herausgeben
wollte. Dieser hatte auch schon die Vergleichnng tür diesen Zweck
gemacht, verzögerte aber wiederholt den Abschluß der Arbeit und starb
endlich, ohne seine Sammlungen verwertet zu haben. Als N. von der
"Witwe des Gelehrten die Vcrgleichuug erhielt, verglich er sie sogleich
mit Seecks Ausgabe (1883) und da zeigte es sich, daC, von wenigen
Seiten abgesehen, die N. erwähnt, die Vergleichungen beider in allen
wesentlichen Punkten übereinstimmen und daü nichts Neues für die Ver-
besserung des Textes aus den hiuterlassencn Papieren gewonnen werden
könne. Im Anschlüsse an diese Mitteilungen gibt N. eigene Beobachtungen
zu Symmaclius (S. 282 — 286) bekannt. Symmachus scheine sich in den
"Worten 'Quid apat— calcatur' (Ep. III 10) selbst verspottet zu haben. Er
habe Besseres gesehen und gut geheißen, aber Schlechteres befolgt, um
den Zeitgenossen zu gefallen Ep. II] 11, 44 u. V. 9. (Vgl. weiter
unten das Urteil Nordens.) Alte Schriftsteller erwähne er selten.
Wohl nur einmal den Demosthenes Ep. I 23; dabei bleibe es fraglich,
ob S. unmittelbar aus D. geschöpft oder den Gemeinplatz bei einem
anderen gefunden habe. Außerdem seien einigemal Plautus, Terenz,
Vergils Georgica und ziemlich selten Cicero erwähnt. Symmachus scheine
wenig Bücher besessen zu haben. (Dagegen ist zu bemerken, daß
Gull. Kroll, De Q. Aurelii Symmachi studiis Graecis et Latinis,
Breslau 1891 [JB 1897 II 114] 25 römische Schriftsteller von Nävius
bis Ausonius namhaft macht, mit deren Werken S. mehr oder weniger
vertraut war, insbesondere Terenz, Vergil, Sallust, Cicero, Horaz, Lukan,
Valerius Maximus, Livius, beide Plinius, Ovid, Silius, Juvenal, Tacitus
Fronte und wahrscheinlich Gellius. Auch Norden bezeichnet S. 577
neben den Komikern die Schriftsteller Sallust und Fronto als solche,
die S. mit Vorliebe las.) Aus einer anderen Stelle schließt Naber, daß
Symmachus' Geschichtskenntnisse nicht groß gewesen seien. Der letzte
Teil des Aufsatzes befaßt sich mit Textkritik. Zuerst tritt N. gegen
Seecks Konjektur praestavistis p. 287, 9 (Seeck) mit dem Hinweise auf
die klassische Form praestitisse p. 288, 33; 330, 18 u. 335, 16 auf. Dann
macht er folgende Verbesserungsvorschläge: 322, 13 deornatur für ado-
ratur (demoratur Seeck), p. 324, 33 laborem sine duritie (tür pernicie),
325, 12 viiiceret für iniret, 325; 34 multa für nulla, 327, 27 <quae>
quasi securus, 331, 12 uvidioris (so schon Kießliug) für ubidiovis.
12*
180 Bericht üb. d, Arbeiten zu d. römisch. Rednern, 1897- 11)02. (Burkhard.)
43. Ep. III 11 liest Norden S. 577 (im Hinblick auf Fronto
p. 161 N veterem monetam sectator) sectator (für spectator) tibi veteris
monetae solus supersum.
Über den Stil des Symmachus äußert sich
44. Norden S. 642 ff. ungefähr in folgender Weise. Wie sich
S. mit liebevollem Entzücken in die Literatur der herrlichen, durch
ihre bitteren Sckicksale nur noch verklärten Vergangenheit versenkte,
so suchte er sich auch in seinem Stil von den Ausschreitungen der
Modernen freizuhalten (Ep. I 89), aber Wollen und Können deckten
sich nicht (III 11). Er verleugnet in seinem Stil nicht den Einfluß
seiner durch einen gallischen Rhetor (möglicherweise durch den aus
Burdigala gebürtigen Minervius) erhaltenen Ausbildung. Überall zeigt
sich in seinen Briefen und Reden dieselbe Zierlichkeit (besonders Anti-
thesen mit dem üblichen Zierat), die in den panegyrischen Reden mit
starkem Pathos vermischt wird, wohl kadenzierte Sätze mit strenger
Beobachtung des rhythmischen Kursus am Schluß, jedes Wort über-
dacht. Sein stilistisches Ideal ist der jüngere Plinius, dessen Manier
er gelegentlich durch ein paar Archaismen nach Frontos Muster auf-
putzt, ohne in die Geschmacklosigkeiten eines Apuleius oder Sidonius
zu verfallen. Einmal hat er es verstanden, aufs tiefste zu ergreifen
in jener berühmten, im J. 384 an Theodosius gerichteten Relation
(= ep. X 3) über den Altar der Victoria und den Kult der, Vesta.
45. *Melicus S. IT., De Q. Aurelio Symmacho postremo apud
Romanos veteris humanitatis magistro ac defensore über. 16. Sassari
1898, in aedibus Joanuis Gallitii 56 p.
iMiiNH iueM(i«u«c«ei-Mmii-«taue"«fT, «riniiMMeii-i«HUL€ te» i.tiTt-i/E«EiiB
DiPfiUnNlla ;: . J«'^ (- I3UO
PA Jahresbericht über die Fort-
3 schritte der klassischen
jo Altertumswißsenschaft
Bd. 116-117
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