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Full text of "Jahresbericht über die Fortschritte der klassischen Altertumswissenschaft"

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UNIVERSITY  OF 
TORONTO  PRESS 


JAHRESBERICHT 

über 

die  Fortschritte  der  classischen 

Altertumswissenschaft 

bcf^ründet 
von 

Conrad    Biirsian 

herausgegeben 

von 

r^.  Griu-litt  luia  ^W^.  Ki-oll, 

Hundertundsechzehnter  Band. 

Einunddreissigster  Jahrgang  1903. 

Erste  Abteilung. 

GRIECHISCHE  KLASSIKER. 


LEIPZIG  1904. 

O.    R.    R  E  I  S  L  A  X  D. 


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Inhalts  -Verzeichnis 

des  hundertundsechzehnten  Bandes. 

Seite 

Bericht  über  die  iiriechischen  Philosophen  vor  Sokratcs 
für  die  Jahre  1876— ]<S1)7.  Von  Fianz  Lortzing 
in  Wilmersdorf  l)ei  Berlin 1 — 15s 

Bericht  über  die  Literatur  zur  griechischen  Komödie  aus 
den  Jahren  1892—1901.  Von  Carl  v.  Holzinger 
in  Prag 159—328 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor 
Sokrates  für  die  Jahre  1876—1897. 

Von 
Prof.  Dr.  Franz  Lortzing 

in  Wilnieradort   bei  Berlin. 

Fortsetzung  und  Schlul.'.  von  Bd.  CXll  (1902  I)  S.  132—322. 


Pfleiderers  Werk  ist  sehr  verschieden  beurteilt  worden.  Während 
sich  H.  V.  Arnim  D.  .L.-Z.  1887,  410  ff.  ziemlich  anerkennend  aus- 
spricht und  in  seinen  Untersuchungen  einen  Fortschritt  im  Verständnis 
H.s  gegenüber  den  früheren  Darstellungen  erblickt,  giebt  Natorp 
Xo.  317,  88  ff.  zwar  die  Richtigkeit  mancher  Ausführungen  zu,  be- 
mängelt aber  die  Neigung  zu  einer  radikalen  und  doch  im  Grunde 
nutzlosen  Umordnung  der  heraklitischen  Hauptgedanken  und  hält  die 
Ableitung  aus  der  Mysterienidee  für  verfehlt.  Einen  entschieden  ab- 
lehnenden Standpunkt  nimmt  Diels  Arch.  I  105  ff.  ein.  Fa'  bezeichnet 
das  Buch  als  völlig  wertlos,  spricht  dem  Verf.  jedes  sichere  philologische 
und  historische  Wissen  ab  und  vermißt  insbesondere  bei  ihm  die  für 
eine  so  schwierige  Untersuchung  notwendige  Kenntnis  der  Religions- 
geschichte, speziell  der  Mysterienlehre.  Cron  Ph.  Anz.  1887,  388  ff", 
fällt  über  die  Hauptsache,  die  Hypothese  von  der  Mysterienidee,  kein 
bestimmtes  Urteil.  Die  Besprechungen  von  Thilo  Zschr.  f.  exakte 
Philos.  18  (1890),  107  ff.,  von  A.  Croiset  Rev.  crit.  1888,  45,  von  P.  K. 
im  Korresp.-Bl.  f.  d.  württemb.  Seh.  23,  509  ff",  und  die  im  L.  C.-Bl, 
1887,  963  f.  habe  ich  nicht  gelesen.  —  Was  zunächst  die  Mysterienidee 
als  Quellpunkt  der  heraklitischen  Philosophie  betrifft,  so  kann  sie  nach 
dem,  was  Diels,  Natorp  und  besonders  Zeller  741  ft\  darüber  bemerkt 
haben,  nur  als  völlig  mißglückt  bezeichnet  werden.  Sie  tritt  bei  Pf. 
wie  ein  feststehendes  Axiom  auf,  das  gar  nicht  erst  bewiesen  zu  werden 
braucht.  Nirgends  wird  versucht,  sie  aus  der  glaubwürdigen  Über- 
Jabresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    (1903.    1.)  1 


2  Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortziug  ) 

lieferung  der  beraklitischen  Lehre  zu  begrüoden.  Verf.  hätte  mit  einem 
solchen  Versuche  auch  einen  schweren  Stand  gehabt  gegenüber  der 
Thatsache,  daß  sich  H.  au  mehreren  Stellen  (Fr.  124,  125,  127)  gegen 
die  ausschweifenden  Gebräuche  bei  den  Mysterien  aufs  entschiedenste 
erklärt.  Vor  allem  aber  hat  Pf.  eine  Vorbedingung  nicht  erfüllt,  ohne 
die  jene  ganze  Parallele  unfruchtbar  bleiben  mußte.  Er  mußte  eine 
gründliche  religionsgeschichtliche  Untersuchung  darüber  anstellen,  worin 
denn  eigentlich  die  H,  vorschwebende  „Mysterieuidee"  bestehe  und  wie 
sie  mit  der  Orphik,  dem  Kathartentum  und  verwandten  Erscheinungen 
des  G.  Jahrhunderts  zusammenhänge.  Aber  davon  findet  sich  keine 
Spur.  Nirgends  in  dem  ganzen  Buche  wird,  wenn  ich  mich  recht 
erinnere,  eines  Lobeck  oder  anderer  Forscher  auf  dem  Gebiete  des 
Mysterienwesens  Erwähnung  gethan.  Pf.  stellt  vielmehr  ohne  jeden 
Beweis  „die  Lehre  von  der  TJnzerstorbarkeit  des  Lebens  noch  im  Tode* 
als  den  innersten  Kern  des  Mysterienglaubens  hin,  eine  Voraussetzung, 
deren  Unbeweisbarkeit  und  Unwahrscheinlichkeit  Zeller  darthut.  Übrigens 
hat  H.,  wie  Zeller  gleichfalls  treffend  bemerkt,  gar  nicht  die  Unzerstör- 
barkeit des  Lebens  überhaupt,  sondern  nur  des  göttliclien,  im  Feuer 
sich  darstellenden  Lebens  behauptet.  So  zerfließt  die  ganze  „Mysterien- 
idee"  bei  H.  in  nichts  bis  auf  einen  bescheidenen  Rest,  die  Wahrschein- 
lichkeit nämlich,  daß  H.  seine  Unsterblichkeitslehre  mittelbar  oder  un- 
mittelbar den  griechischen  Mj^sterien  entlehnt  habe.  Dies  erkannt  zu 
haben  ist  aber  nicht  Pfleiderers  Verdienst;  andere  haben  es  längst  vor 
ihm  ausgesprochen.  Ebenso  ungründlich  und  unzulänglich  ist  die  Art, 
wie  Verf.  über  den  Zusammenhang  H.s  mit  seinen  philosophischen  Vor- 
gängern urteilt.  Mit  Unrecht  leugnet  er  jede  Abhängigkeit  des  Ephesiers 
von  den  Früheren,  insbesondere  von  Anaximander,  dem  jener  in  seiner 
Grundlehre  viel  näher  steht  als  den  Mysterien;  vgl.  Natorp  a.  a.  O. 
Derselbe  bemängelt  auch  mit  vollem  Rechte  die  Ordnung,  in  der  sich 
nach  Pf.  im  Geiste  H.s  die  Hauptgedanken  seines  Systems  gestaltet 
haben.  Die  Annahme,  daß  aus  dem  nebelhaften  Mysteriengedanken 
zuerst  die  Lehre  von  der  unsichtbaren  Harmonie,  dann  die  von  den 
Gegensätzen  und  zuletzt  die  Flußlehre  hervorgegangen  sei,  ist  in  der 
That  zu  künstlich  und  der  umgekehrte  Gang  viel  natürlicher.  Wenn 
Natorp  andererseits  Pf.  darin  beipflichtet,  daß  er  den  optimistischen  Zug 
in  H.s  Weltanschauung  hervorhebt,  so  liegt  ja  darin  ohne  Zweifel  ein 
richtiger  und  gesunder  Gedanke;  aber  neu  ist  auch  dieser  Gedanke 
nicht.  Auch  wird  er,  wie  bereits  bemerkt,  durch  die  grundlose  und 
übertriebene  Betonung  des  pessimistischen  Elementes  in  H.s  Jenseitslehre 
wieder  in  Frage  gestellt.  Das  richtige  Verhältnis  zwischen  Pessimis- 
mus und  Optimismus  bei  H.  hat  Zeller  733,  1  kurz,  aber  treffend  be- 
zeichnet. —    In  der  AuffV.-snng  und  Entwickelung  der  einzelnen  Teil» 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.  (Lortzing.)  3 

des  Systems  findet  sich  vieles  Richtige  und  Beachtenswerte,  aber  in  der 
Kegel  doch  nur  da,  wo  sich  Pf.  im  wesentliclien  an  Zeller  anlehnt, 
während  er  in  den  Punkten,  wo  er  Teichmüllers  Lockungen  gefolgt  ist, 
meistens  in  die  Irre  geht.  —  Eine  der  schwächsten  Seiten  des  Buches 
ist  die  philologisch -grammatische.  Der  Erklärung  einiger  weniger 
Fragmeute  haben  wir  Bd.  CXII  S.  SlGflf.  beistimmen  können,  gegen 
die  verfehlte  Art  dagegen,  in  der  viele  andere  behandelt  worden  sind, 
Einspruch  erheben  müssen.  Hier  mögen  noch  ein  paar  Beispiele 
unkritischer  und  sprachwidriger  Interpretation  folgen.  Fr.  40:  ,,Es 
(Pf.  denkt  sich  willkürlich  das  Wasser  als  Subjekt  hinzu)  verteilt 
sich  (oxiöv^jai!)  und  drängt  zusammen,  es  ist  da  (itpojeiai!)  und  es 
ist  weg  (a-£iai!)."  Fr.  58:  „Man  zahlt  (!)  auch  die  Ärzte  noch  hoch 
genug  dafür,  daß  (!)  sie  die  Kranken  schneiden  — ,  einfach  weil 
sie  durch  die  Schädigung  ja  doch  Gutes  thun  (Pf.  liest,  wie  übrigens 
schon  vor  ihm  Sauppe,  xau-ra  statt  rauxa)  d,  h.  durch  Verletzen 
oder  Krankmachen  (voaou;)  heilen."  Fr.  123:  ,,Dort  seiend  treten 
sie  auf  (sTraviaTaaöai!)  und  werden,  erwacht  (iiepxt!),  Hüter  der  Lebenden 
und  Toten." 

Was  wir  in  Pfleiderers  und  teilweise  auch  in  Teichmüllers  Ar- 
beiten vermißten,  gründliches  und  sicheres  philologisches  Verständnis 
und  Urteil,  das  finden  wir  in  glücklicher  Mischung  mit  philosophischem 
Tiefblick  in  Gomperz'  Abhandlung.  Vgl.  die  Besprechungen  von 
Diels  Arch.  I  99  flf.,  im  L.  C.-Bl.  1887,  315  f.,  von  H.  in  der  D.  L.-Z. 
1887,  1070  f.,  Natorp  No.  317,  98  ff.  und  Cr  eiset  Rev.  crit.  1888, 
405.  Der  erste,  größere  Teil  enthält  eine  Anzahl  wertvoller  Beitiäge 
zur  Kritik  und  Erklärung  schwieriger  Fragmente  H.s,  die  überall,  auch 
da,  wo  sie  dem  Zweifel  oder  Widerspruche  Raum  lassen,  Zeugnis  ab- 
legen von  der  umfassenden  Gelehrsamkeit  und  der  geistvollen  Auffassung 
ihres  Urhebers.  1.  In  Fr.  15  sieht  G.  mit  Bergk  Opusc.  II  22  (vgl, 
Poet.  lyr.  Gr.  II  ^  402)  und  unter  Zustimmung  von  Diels  (s.  jetzt  auch 
dessen  Bemerkung  zu  seiner  Ausg.  Fr.  5)  und  Natorp  eine  versteckte 
Polemik  gegen  Archilocbos  Fr.  70,  der  gesagt  hatte:  „Ihr  (der  Menschen) 
Sinn  gleicht  ihren  zufälligen  Erfahrungen."  Ihnen  antwortet  H. :  „Nein! 
Nicht  einmal  ihre  zufällige  Erfahrung  ist  das  Maß  ihrer  Einsicht;  denn 
selbst  das,  worauf  sie  gleichsam  mit  der  Nase  gestoßen  werden,  wissen 
«ie  nicht  richtig  auszulegen,  selbst  wenn  sie  darüber  belehrt  worden 
Bind."  Den  Anfang  liest  G. ,  zum  Teil  im  Anschluß  an  Bergk: 
üu  <ppov£ou3i  Tosaüxa  <oi>  (oder  TOjaüx'  oi)  ttoXXoI  oxojoic  e^xopsoud'.. 
Soweit  diese  Lesung  von  der  Bergkscheu  (xoiaüxa — oxoioi;)  abweicht, 
enthält  sie  eine  allzu  gekünstelte  Anspielung  auf  Archil.  ,  die 
auch  den  Zeitgenossen  unklar  bleiben  mußte ;  mit  Recht  ziehen  daher 
Natorp  und  Diels  Bergks  Fassung  vor.    2.    In  Fr.  7  setzt  G.  das  Komma, 


4  Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing ) 

nicht  nacli  UX-nr^at.,  sondern  nach  aveÄTriatov  und  erklärt,  indem  er  zu 
E^eupT^aet,  wofür  besser  mit  II.  Stephauus  e^supy^cje-:'  (ebenso  sXjr/jabe)  zu 
lesen  sei  [s.  jedoch  Diels]  to  aacpe«  oder  etwas  Ahnliches  als  Objekt  er- 
giinzt,  den  Sinn  so:  „Wenn  ihr  nicht  Unerwartetes  erwartet,  so  werdet 
ihr  die  Wahrheit  nicht  finden,  welche  schwer  erspähbar  und  schwer  zu- 
^;änglich  ist".  Aber  die  Ergänzung-  ist  doch  sehr  unsicher;  es  empfiehlt 
sich  daher,  mit  Diels  (Fr.  18)  bei  der  herkömmlichen  Interpunktion 
zu  bleiben,  die  keine  so  schülerhaft  stammelnde  Rede  ergiebt,  wie  Gr. 
meint,  'Ave^euprjxov  und  aTropov  übersetzt  Diels  (vgl.  auch  Natorp) 
richtiger  mit  „unerforschlich"  und  „unzugänglich".  3.  Fr.  116  ist  nach 
G.  mit  Fr.  10  zu  kombinieren:  cpu^tj  -/purTcjöai  (piXel  öcTturiy;  a.-;a{}f^  •  amTziy] 
7ap  6iacpu77avet  p-r]  ~iqvwGY.ea\\m.  ^Die  Unglaublichkeit  der  Natur  ist 
eine  gute;  sie  macht,  daß  sie  der  Erkenntnis  entschlüpft."  Das  Un- 
glaubliche ist  also  diesmal  nicht  ein  Unglaubhaftes,  sondern  es  handelt 
sich  um  unwahrscheinliche  Wahrheiten.  Diese  Erklärung  will  mir,  weil 
zu  gezwungen,  nicht  recht  einleuchten.  Eine  andere  bietet  jetzt  Diels 
zu  Fr.  86.  Die  Verbindung  der  beiden  Fragmente  ist  geistvoll  ersonnen; 
aber  ob  in  Fr.  116  cpustc  als  Subjekt  zu  ergänzen  sei,  ist  doch  recht  zweifel- 
haft, da  bei  Plut.  vit.  Cor.  38,  wo  das  Fr.  offenbar  in  ursprünglicherer 
Fassung  als  bei  Clem.  vorliegt,  die  Worte  tcüv  jjiv  {kt'ojv  xa  TtoXXa  auf  einen 
anderen  Zusammenhang  hinweisen.  Die  Worte  bei  Clem.  xa  xf^c  -ivcuasoj; 
[id^ri  betrachtet  G.  mit  By  water  (Academy  II  26)  als  unheraklitisch;  so 
auch  Zeller  632,  1  und  Diels.  4.  In  Fr.  17  faßt  G.  icuuxoü  ao'fir^\  als  Prä- 
dikat, und  -oXuiJ-aOiriv  /.ay.oxsyviriv  als  Objekt  (vgl.  Bergk  Opusc.  II  375) ; 
schwerlich  richtig.  Den  Ausdruck  xaxoxeyvi'y]  erläutert  er  aus  dem  von  ihm 
ans  Licht  gezogenen  Bruchstück  xotciöcuv  apyr^•(6i  (vgl.  zu  Bd.  CXII 
S.  302  f.)  und  bezieht  ihn  auf  Pythagoras"  Beredsamkeit.  Über  die 
Streichung  der  Worte  exXeCaiJLevos  xauxac  xa?  auYTP«?«»»  *lie  nach  G.  jedes 
Anhalts  im  Voraussehenden  entbehren  und  als  Zuthat  des  Laert.  zu  be- 
trachten sind,  vgl.  Bd.  CXII  S.  189  f.  In  der  Anm.  S.  1030  ff.  bezeichnet 
G.  die  von  Zeller  für  seine  Lenguung  der  ägyptischen  Reise  des  Pythag. 
angeführten  Gründe  (s.  Bd.  CXII  S.  189)  als  nicht  stichhaltig.  5.  Fr.  19 
und  65  verbindet  G.  zu  einem:  sv  xö  oocpov  [xouvov  SKijxaa&a i  7V(u(xt)v  r^ 
xuf'iepvaxai  Travxa  öta  Tiavxcov.  ki'iZ'7\)oLi  oux  iösXei  xat  ei^eXei  Zrjvoc  oüvo|xa  und 
erläutert  den  Schlußsatz,  als  dessen  Subjekt  er  yvcuixyj  denkt,  so:  „Das  welt- 
lenkende Prinzip,  das vej'nuuttbegabte Feuer  will  nichtZeusgenanutwerden, 
weil  es  kein  individuell  persönliches  Wesen  ist;  es  darf  aber  den  Namen 
des  Zeus  tragen,  weil  es  das  höchste  Wesen,  und  zumal,  weil  es  Quelle 
des  allgemeinen  Lebens  ist";  also  einerseits  Abwehr  jeder  anthropo- 
morphen  Beimengung,  andererseits  etymologisierende  Brücke  zwischen 
Volksglauben  und  Weltweisheit.  Diese  Deutung,  mit  der  auch  Diels  zu 
Fr.  32    seiner  Ausg.    im    wesentlichen  übereinstimmt,    scheint  mir  vor 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)  5 

allen  sonstig^en  <Ien  Vorzug  zu  verdienen ,  nud  auch  die  Zusamnieii- 
f/ehörigkeit  der  beiden  Fr.  hat,  wenn  sie  auch  keineswegs  sicher  ist, 
doch  viel  für  sich.  Weun  dagegen  G.  in  Fr.  18  die  ersten  Worte  H.s 
nur  bis  zu  7ivu)ax£iv  oder  bis  zu  aocpov  reichen  lassen  will,  so  hat  er 
damit  ebensowenig  das  Rechte  getroffen  wie  Berna3'S  mit  seiner  Athetese 
des  ganzen  Fr.  (s.  Bd.  CXII  S.  300).  Daß  grade  in  den  sestrichenen  Worteti 
aocpov  ETTi  zavTcuv  y.£-/(upi3u.Evov  eine  der  grundlegenden  Lehren  H.s  ent- 
halten ist,  hat  Diels  zu  seinem  Fr.  108  bemerkt.  Vgl.  Zeller  629,  1. 
Ck  Die  Erklärung  von  Fr.  20:  „Diese  eine  Ordnung  aller  Dinge 
(^  Welt)  ward  nicht  geschaffen  von  einem  der  Götter,  so  wenig  als 
von  einem  ]\[enschen  (vgl.  Gomperz  Apol.  d.  Heilk.  136  f.),  sondern  sie 
war  von  Ewigkeit  her,  sie  ist  und  wird  sein  —  ewig  lebendes  Feuer 
u.  s.  w."  giebt  in  ihrem  ersten  Teile  den  Gedanken  ähnlich  wie  Zeller 
645,  1  wieder;  nur  dal.1  man  zweifeln  kann,  ob  7.-avTa>v  mit  G.  als 
Neutrum  oder  mit  Zeller  (und  jetzt  auch  Diels  Fr.  30)  als  Masculinum  (für 
alle  Wesen,  Götter  sowohl  als  Menschen)  zu  fassen  sei.  Wenn  G.  jedoch 
im  zweiten  Satze  nach  sjtai  interpungiert  und  in  den  Worten  ^v,  eati, 
tj-oLi  den  „expliciten  Ausdruck  der  Ewigkeit"  sieht,  so  setzt  er 
auch  hier,  wie  wir  dies  bereits  in  seiner  Erklärung  anderer  Fragmente 
gesehen  haben,  an  die  Stelle  der  einfachsten  und  natürlichen  Deutung 
eine  allzu  künstliche  und  pointierte.  —  G.  knüpft  hieran  die  sehr  un- 
sichere Vermutung,  daß  bei  Proklos  ad.  Plat.  remp.  74,  11  Scholl  ein 
lückenhaft  überlieferter  heraklitischer  Brocken:  o-josv  -/ap  avapyov  l\  t(u 
xoajjLtp  TÜiv  rr'ivTwv  vorliege.  7.  In  Fr.  44  schließt  G.  aus  dem  bei 
Hippolytos  überlieferten  Zusatz:  -/.al  to'jc  ftsoui  sosi^e  xtX.,  daß  H.  vom 
Kriege  als  vom  Vater  aller  Dinge  nicht  nur  im  bildlichen,  sondern  auch 
im  eigentlichen  Sinne  gesprochen  hat.  Das  Spiel  gegenseitig  sich  be- 
rührender Kräfte  und  Eigenschaften,  das  im  Reiche  der  Natur  als  ein 
Gesetz  waltet,  wird  von  H.  auf  das  Gebiet  des  Menschenlebens,  der 
Götterwelt  und  der  Gesellschaftsordnung  übertragen,  zunächst  im  Siniie 
des  wirklichen  Krieges  (Gegensatz  der  Freien  und  Sklaven  d.  i.  der 
Kriegsgefangenen),  dann  aber  auch  im  höheren  Sinne  als  schöpferisches, 
ordnendes  und  erhaltendes  Prinzip,  das  auch  das  Verhältnis  zwischen 
Göttern  und  Menschen  beherrscht.  H.  glaubte  an  das  Dasein  von  Göttern 
und  Heroen,  vielleicht  auch  von  Dämonen  (vgl.  besonders  Fr.  126),  er 
nahm  eine  auf-  und  absteigende  Bewegung  an,  vermöge  deren  Menschen- 
seelen zu  Göttern  erhoben  werden,  Götter  in  das  Erdenleben  herab- 
sinken. Diesen  Glauben  an  göttliche  Wesen,  die  die  KJiuft  zwischen 
dem  einen  Urwesen  und  den  Menschen  auszufüllen  bestimmt  sind,  teilte 
H.  mit  Anaximenes,  Xenophanes  (nach  Freudenthal,  an  den  sich  G. 
hier  völlig  anschließt),  Empedokles.  Es  giebt  nach  H.  eine  Stufenleiter 
von  Wesen,    verschieden    an  Rang,    Wert    und  Tüchtigkeit.     Das  Ziel 


6  Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

dieser  ganzen  Gedankenreihe  ist  die  Einsicht,  daß  der  Widerstreit  eine 
Grundbedingung  aller  Erhaltung,  Steigerimg  und  fortschreitenden  Ver- 
vollkommnung menschlicher  Kraft  ist.  Daraus  fließt  unmittelbar  die 
Erkenntnis  der  Berechtigung  des  Übels.  Der  Absolutismus  des  Guten 
läuft  dem  Geiste  heraklitischer  Weisheit  schnurstracks  zuwider  [scharfer 
Gegensatz  zu  Pfleiderer!].  Ein  direktes  Zeugnis  für  diese  Auffassung 
erblickt  G.  in  einem  von  Thedinga  de  Numenio  philos.  piaton. 
Bonn  1875  und  vorher  schon  von  M.  Heinze  Lehre  vom  Logos  15,  6 
richtig  ausgelegten  Fr.  des  Chalcidius  im  Tim.  §  295:  H.  werde  von 
Numenios  gelobt,  weil  er  den  Homer  getadelt  habe,  „qui  optaverit 
interitum  ac  vastitatem  raalis  vitae".  Dieser  Tadel  bezieht  sich  nach 
Thedinga  auf  Od.  v  45  f.  und  war  wahrscheinlich  eng  verbunden,  aber 
darum  nicht  identisch  mit  dem  andern  (Er.  43),  gegen  II.  2  107  her- 
richteten. Daß  H.  sich  der  Rolle  bewußt  gewesen  ist,  die  der  Krieg 
als  Rechtsbildner,  Staatengründer  und  Gesittungsverbreiter  in  der  Ge- 
schichte gespielt  hat,  ergiebt  sich  auch  aus  Er.  62,  wo  $ov6v  auf  eine 
die  menschliche  und  staatliche  Gemeinschaft  schaffende  Kraft  hin- 
weist (epiv  nach  oixtjv  will  G.  nicht  mit  Diels  Jenaer  L.-Z.  1877,  394 
gestrichen  wissen;  am  Schluß  des  Fr.  vermutet  er  zweifelnd  für  das 
verderbte  ypetuixsva:  lppcü(i,£va  und  verwirft  das  von  Diels  a.  a.  0.  [und 
ebenso  von  Wilamowitz  Her.  II  68]  vorgeschlagene  ypswv.  Hierher 
gehört  auch  Fr.  91,  dessen  erster  Satz  ^uvov  lati  wäoi  xo  cppoveeiv  von 
den  folgenden  Worten  als  besonderes  Bruchstück  zu  trennen  ist  [so 
jetzt  auch  Diels  Fr.  113  und  114].  Diese  Worte  verlieren  so  das 
erkenntnistheoretische  Gepräge,  das  man  ihnen  hat  geben  wollen,  und 
beziehen  sich  auf  die  in  Natur-  und  Menschenleben  waltende  Ordnung.  — 
Diese  tief  in  das  Wesen  der  heraklitischen  Gedankenwelt  eindringende 
Erörterung  gehört  zu  den  Glanzpunkten  der  Abh.  Die  von  Zeller  656  f. 
dagegen  erhobenen  Einwendungen  scheinen  mir  nicht  sehr  belangreich 
zu  sein.  Nur  darin  ist  ihm  beizustimmen,  daß  sich  die  Stelle  bei 
Chalcidius  schwerlich  auf  v  45  beziehen  kann,  da  hier  Odysseus  nur 
den  Phäaken  wünscht,  daß  sie  von  Übeln  verschont  bleiben  mögen, 
nicht  aber  von  den  Übeln  des  Lebens  im  allgemeinen  spricht.  Aber 
wenn  damit  auch  dieses  Zeugnis  für  die  Notwendigkeit  des  Übels  aus- 
scheidet, so  wird  doch  die  Auffassung  H.s  von  der  Berechtigung  des 
Bösen  in  der  Welt,  durch  andere  Fragmente,  besonders  durch  die  Gleich- 
setzung von  oi'xY)  und  l'pi?  in  Fr.  62,  von  a-^abo^  und  xaxov  Fr.  57  und  durch 
Fr.  60,  wenn  man  hier,  wie  ich  es  für  wahrscheinlich  halte,  Taüxa 
auf  die  Ungerechtigkeiten  zu  beziehen  hat,  hinreichend  bewiesen. 
8.  Fr.  72  ist  zu  tilgen;  Numenios,  bei  dem  es  sich  findet,  hat  dabei 
nur  Er.  68,  wo  uYpT^ai  dem  uocup  vorzuziehen  ist  [s.  jedoch  Zeller  648,  1], 
im    Sinne   gehabt.     Die  von  G.  hierfür    angeführten    Gründe    werden 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzinp.)  7 

von  Zeller  711  als  nicht  überzeugend  zurückgewiesen.  9.  Fr.  104  sind 
die  Worte  rfih  xal  «J-j-aDov  als  ein  Glossem  zu  betrachten,  durch  das 
vermutlich  ein  Wort  „lieb,  wert,  begehrt"  verdrängt  worden  ist;  also 
etwa:  vouao;  uysiVjv  <7:oi)eivTiv >  iTzoir^it.  Die  Verderbnis  ist  jetzt  auf 
einfachere  Weise  durch  die  in  einer  Randbenierknnp:  zu  einem  Exemplar 
von  Bywaters  Heraklit  (s.  Natorp  „Die  Ethika  des  Demokrit"  S.  91,  5) 
enthaltene  Konjektur  von  E.  Heitz:  f^ou,  xaxov  «YaOov  geheilt  worden, 
die  Dicls  Fr.   111  in  den  Text  gesetzt  hat. 

Der  zweite  Teil  der  Abh.  enthält  eine  kurze  Darlegung  der 
„inneren  Verkettung  von  H.s  Grundlehreu".  Diese  sind:  1.  Die 
Lehre  vom  Fluß  der  Dinge,  eine  wunderbare  Anticipation  moderner 
Naturerkeuntnis;  sie  beruht  auf  einem  aus  der  Erfahrung,  besonders  aus 
den  Vorgängen  des  organischen  Stoffwechsels  gezogenen  Analogieschluß, 
wobei  H.  durch  falsche  Analogie  zu  dem  Irrtum  geführt  wurde,  das 
AVeltgauze  als  lebendig  zu  betrachten,  einem  Irrtum,  der  aber  gerade 
jeuer  großen  Verallgemeinerung  Flügel  und  Schwungkraft  verlieh. 
2.  DasUrfeuer.  Der  brennende,  „allverbreitete"  Äther  des  Hiramels- 
ranmes.  das  lodernde,  verzehrende  Feuer,  das  sich  auch  in  der  Lebens- 
wärme organischer  Wesen  wirksam  zeigte,  schien  H.  dem  Flusse  der 
Dinge  besser  zu  entsprechen  als  Anaximauders  färb-  und  formloses 
ä-eipov  und  Anaximen6s'  Luft,  die  bisweilen  den  Schein  der  Ruhe  oder 
der  nur  leisen  Bewegung  verrät.  3.  Das  Weltgesetz  als  das  einzige 
Beharren  im  Strome  des  Geschehens.  In  ihm  faßte  H.  die  sein  ganzes 
Zeitalter  (Anaximander,  Anaximenes,  Xenophanes,  Pythagoras)  be- 
wegenden Tendenzen  zusammen.  Hier  off"enbart  sich  am  glänzendsten 
sein  „Sinn  für  Identität",  d.  1.  die  geniale  Fähigkeit,  das  Gleichartigste 
unter  den  fremdartigsten  Umhüllungen  herauszuerkennen.  4.  und  5.  Re- 
lativität der  Eigenschaften  und  Koexistenz  der  Gegensätze, 
beide  eng  zusammenhängend.  Der  unablässige  Stoffwechsel  erzeugt  un- 
ablässigen Qualitätswechsel.  Indem  die  Erkenntnis  des  Qualitätswechsels 
im  Nacheinander  den  Blick  auch  auf  sein  Widerspiel  im  Nebeneinander 
lenkt,  ergiebt  sich  die  Relativität  der  Eigenschaften  und  dann  in  weiterer 
Folgerung  die  Koexistenz  der  Gegensätze  in  der  Einheit  desselben 
Gegenstandes.  Auch  hier  führte  die  Neuheit  der  Entdeckung  das  un- 
geübte Denken  zu  Übertreibungen.  H.  schwelgt  förmlich  in  Sätzen,  die 
allen  Menschenverstand  aaf  den  Kopf  stellen.  Aber  diese  Paradoxiea 
waren  mehr  nutz-  als  schadenbringend.  —  Wie  in  seiner  Lehre,  so 
zeigt  H.  auch  in  seiner  geschichtlichen  Wirkung  auf  die  Fol;?ezeit  ein 
Doppelantlitz.  Er  wurde  Urquell  religiös-konservativer  (Stoiker,  Hegel) 
■wie  auch  skeptisch-revolutionärer  Richtungen  (Skeptiker,  Junghegelianer, 
Proudhon).  —  Diese  fein-  und  scharfsinnige  Auseinanderlegung  der  ver- 
schiedenen Bestandteile  des  heraklitischen  Systems,  die  im  wesentlichen 


8  Bericht  über  die  griecliisohen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

auch  in  die  , Griechischen  Denker"  desselben  Verfassers  (s.  Bericht  I  262) 
übergegang-en  ist,  ist  sicher  besser  begründet  als  die  vielfach  unsicheren 
und  willkürlichen  Konstruktionen  Teiclnnüllers  und  Pfleiderers.  Sie  hat 
vor  diesen  auch  den  Vorzug,  dali  sie  nicht  den  Anspruch  erhebt,  die 
wirkliche  Entstehung  der  einzelnen  Lehren  im  Geiste  des  Philosophen 
wiederzugeben.  Ob  die  Lehre  von  der  Relativität  der  Eigenschaften 
in  Wahrheit  schon  dem  Ephesier  beigelegt  werden  darf,  muß  aller- 
dings zweifelhaft  erscheinen.  Zeller  662  f.  bestreitet  es;  H.  sei  bei  dem 
allgemeinen  Gedanken  stehen  geblieben,  daß  alles  entgegengesetzte  Eigen- 
schaften an  sich  habe;  die  Frage,  unter  welchen  Bedingungen  und  in 
welchem  Sinn  das  Zusammensein  des  Entgegengesetzten  möglich  sei, 
habe  er  noch  nicht  aufgeworfen  und  sie  daher  auch  nicht  mit  der 
Unterscheidung  dessen  beantworten  können,  was  einem  Dinge  an  sich 
selbst  und  was  ihm  nur  im  Verhältnis  zu  andern  zukomme.  Der  Gegen- 
satz, der  hier  zwischen  beiden  Forschern  auf  den  ersten  Blick  obzuwalten 
scheint,  verliert  jedoch  bei  näherem  Zusehen  viel  von  seiner  Schärfe 
und  schrumpft  fast  zu  einem  bloßen  Wortstreit  zusammen.  G.  sagt 
nirgends  und  ist  auch  schwerlich  der  Meinung,  daß  H.  die  ßelativitäts- 
lehre  ausdrücklich  und  mit  Bewußtsein  formuliert  habe.  Daß  sie  aber 
der  Sache  nach  seiner  Gegensatzlehre  zu  gründe  liegt  und  bald  nacliher 
als  eine  bewußt  oder  unbewußt  aus  ihr  gezogene  Konsequenz  in  der 
Wahrnehmungs-  und  Erkenntnislehre  der  Atomiker  und  der  Sophisten 
deutlich  hervortritt,  wird  auch  Zeller  nicht  leugnen.  Vgl.  seine  Aus- 
führungen S.  1 100  über  den  Relativismus  des  Protagoras.  —  Schließlich 
sei  auf  die  treffenden  Ausführungen  (S.  1022)  über  H.s  Stil  (G.  rechnet 
ihn  zu  den  großen,  aber  nicht  zu  den  größten  Schriftstellern,  dazu  sei 
er  zu  manieriert)  sowie  auf  die  sehr  beachtenswerte  Beurteilung  der 
heraklitisierenden  Tendenzen  Änesidems  (S.  1048  f.)  hingewiesen. 

Die  Abhandlung  von  Cron  bedeutet  keinen  sonderlichen  Gewinn 
für  die  Heraklitforschung.  Der  Verf.  bekämpft  mehrfach  die  Auffassung 
einzelner  Fragmente  bei  Pfleiderer  und  bei  Patin,  bisweilen  zutreffend, 
wie  z.  B.  in  der  Verteidigung  des  überlieferten  oc;(XüjvTai  Fr.  38  gegen 
Pfleiderers  ojioüvtai  (s.  Bd.  CXII  S.  321  f.),  oft  aber  in  recht  unbestimmter 
und  unklarer  Weise.  Die  eigenen  Ansichten,  die  er  aufstellt,  sind  fast 
durchweg  verfehlt  oder  mangelhaft  begründet.  So  will  er  H.s  System  nicht 
mit  Pfleiderer  als  Panzoismus,  sondern  als  „Kosmologie"  bezeichnet  wissen, 
ohne  zu  bedenken,  daß  damit  doch  nur  die  Richtung  der  vorsokratischen 
Philosophie  im  allgemeinen,  nicht  aber  die  besondere  Art  H.s  angegeben 
wird.  Mit  Recht  verhält  er  sich  gegen  Pfleiderers  Ableitung  des  He- 
laklitismus  ans  dem  Mysterienglauben  ablehnend;  wenn  er  aber  selbst 
in  dem  grundsätzlichen  Gegensatz  gegen  Xenophanes  den  Ausgangspunkt 
des    Systems    sieht    und  Anspielungen    auf    den   Kolophonier    in    einer 


Bericht  über  die  griecbiscben  Pbilosoplien  vor  Sokrates.    (Lortzing.)  1< 

gröiJereii  Zahl  von  Bruchstücken  wittert,  in  denen  eine  unbefan},'ene 
Interpretation  (lerg:leichen  nicht  zu  entdecken  vermag:,  so  ist  dieses 
Verfahren  um  kein  Haar  breit  besser  als  Pfleiderers  Jagd  auf  die 
ilysterienidee.  InFr.  16  wird  jaXen.  neben  anderen  wegen  seiner  noXuixaf^-'r, 
getadelt;  aber  Crons  Meinung,  die  Feindscliaft  gegen  ihn  sei  auf  den 
Oeeensaiz  des  seL'haften  Aristokraten  zu  dem  unsteten  Wanderer  und 
des  Prosaikers  zu  dem  Versemacher  zurückzutühren,  ist  doch  höchst 
willkürlich  und  wird  nicht  glaubhafter  durch  die  Berufung  auf  Fr.  111, 
wo  C.  unter  den  o^itot  (er  behält  das  von  Bywater  gestrichene  ÖT^ixaiv 
vor  aoiooij'.  bei;  so  auch  Diels  und  Zeller  632,  6)  die  verschiedenen  Ge- 
meinden, bei  denen  Xen.  herumreiste,  verstehen  will.  Daß  sich  H.  mir 
seiner  Bewegungslehre  (Fr.  41  und  81)  und  mit  seiner  beständigen  Ver- 
wandlung des  Einen  in  Vieles  und  des  Vielen  in  Eines  gegen  Xenophanes' 
, einen  und  unbew'eglich  ruhenden  Gott"  gewandt  habe,  wie  auch 
Sclnister  und  Teichmüller  annehmen,  ist  möglich,  wenn  auch  nicht 
sicher  (s.  Zeller  736,  1).  Aber  auf  der  andern  Seite  schließt  er  sich 
wieder  mit  seinem  Einen,  allein  "Weisen,  das  von  allem  unterschieden 
ist,  an  Xen.  an.  C.  freilich  bringt  es  fertig.  Fr.  65,  indem  er  das 
in  den  älteren  Ausgaben  des  Clemens  stehende,  von  allen  Neueren 
verworfene  Komma  vor  xal  o-jx  ef^eXsi  wieder  einsetzt  und  mit 
Prieiderer  s'v  als  Prädikat  faßt,  so  zu  übersetzen:  „Eins  will  das 
weise  Wesen  allein  nicht  genannt  werden,  es  will  auch  den  Naraefu 
Lebensquell  (Zifjvrjc!)"  nnd  so  in  den  ersten  Teil  eine  Polemik  gegen 
Xenophanes'  iv  slvai  tov  flsov  (A)istot.)  hineinzulegen.  Aber  diese  Er- 
klärung des  Fr.  ist  inhaltlich  und  sprachlich  unmöglich;  schon  die 
S^tellung  von  xa-',  die  C.  vergeblich  verteidigt,  verbietet  eine  solche 
Deutung  (vgl.  Zeller  670,  3).  Ebenso  sprachwidrig  wird  in  Fr.  1  Iv 
TiavTa  eivai  SO  gedeutet:  „Das  Eine  (ev  also  Subjekt!)  ist  (=  wird)  alles." 
Mullach,  auf  den  sich  C.  hierbei  beruft,  giebt  zwar  dieselbe  verfehlte 
Erklärung,  mutet  uns  aber  doch  wenigstens  nicht  zu,  slvat  im  Sinne 
von  7ivs(jftat  zu  fassen,  sondern  setzt  letztere  Form  einfach  in  den  Text. 
Auffällig  ist,  daß  C.  bei  der  Besprechung  von  Fr.  79  Teichraüllers 
Deutung,  an  die  sich  doch  Pfleiderer  lediglich  anschließt,  gar  nicht  er- 
wähnt, wie  er  denn  überhaupt  Teichmüller  nirgends  nennt  oder  auch 
nur  stillschweigend  berücksichtigt;  ebensowenig  Gomperz.  Sollte  er  die 
Arbeiten  dieser  beiden  nicht  gekannt  haben?  Das  wäre  doch  ein  starkes 
Stück.     Vgl,  die  Besprechung  von  Diels  Archiv  II  659. 

Patin  mustert  in  No.  320  zunächst  die  Fragmente  in  bezug  auf 
ihre  Echtheit  und  die  Zuverlässigkeit  der  Überlieferung  des  Textes. 
Er  geht  von  dem  Grundsatze  aus,  daß  die  Echtheit  jeder  Stelle  an  sich 
zweifelhaft  ist,  ganz  wenige  ausgenommen,  die  aus  durchaus  sicherei' 
Quelle  geflossen  sind,  wie  die  aus  Aristot.  und  in  gewissem  Sinne  aucli 


10       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.   (Lortzing.) 

die  aus  Hippolyt.  stammenden,  oder  durch  mehrere  von  einander  un- 
beeinflußte Zeugen  verbürgt  werden.  Er  stellt  dann  als  Merkmale  der 
Sprache  Hs.,  die  für  die  Bestimmung  der  Echtheit  in  den  meisten 
Fällen  ausschlaggebend  sind,  folgende  auf:  1.  eine  eigentümliche  Präg- 
nanz des  Ausdrucks;  2.  eine  fast  unglaubliche  Fülle  von  Spielen  mit 
ähnlichen  oder  einander  verwandten  Wörtern,  mit  ihren  Bestandteilen 
und  den  scheinbar  in  ihnen  versteckten  Bedeutungen.  So  beweist  das 
Wortspiel  airtaToi  oux  ej:t(jTcx'|xevot  Fr.  6,  daß  amaxoi  mit  Unrecht  von 
den  Erklärern  dem  Clemens  überlassen  worden  ist,  und  das  prägnant 
gebrauchte  p-aptupec  entscheidet  für  die  Echtheit  von  Fr.  15.  Ver« 
fäjschungen  von  Fragmenten  konnten  aber  durch  die  Absicht  entstehen, 
in  der  ein  Autor  ein  Citat  schrieb,  durch  die  Meinung,  die  er  von 
seinem  Inlialt  äußert,  durch  die  Deutung,  die  er  ihm  giebt.  So  führt 
Hippolyt.  die  Worte  evOa  öeovxt  xtÄ.  (Fr.  123)  an,  als  enthielten  sie 
die  eigene  Lehre  Hs.  und  nicht  vielmehr  die  von  H.  kritisierte  Über- 
zeugoDg  anderer.  Schon  die  oblique  Form  beweist  hier,  daß  ein  re- 
gierendes Verbum  in  der  3.  Person  unterschlagen  ist.  Noch  deutlicher 
spricht  der  Inhalt  des  Fr.:  H.  leugnet  P'r.  21  ausdrücklich  das 
Eingreifen  von  Dämonen  in  die  Geschicke  der  Lebenden,  und  für 
die  vexpot,  die  doch  wohl  gleich  den  vexusc  Fr.  85  sind,  wird  er  schwerlich 
solche  Wächter  bestellt  haben.  Nach  den  Erläuterungen  Hippolyts 
muß  in  Fr.  123  der  f^eoc  erwähnt  gewesen  sein.  Es  ist  daher  im  An- 
fang zu  lesen:  evf)a  Oeov  xtva  eTravtJTaaöai  und  davor  ein  regierendes 
Verbum,  etwa  ooxsoujt,  zu  ergänzen.  H.  kämpft  somit  hier  gegen  die 
Hoffnungen  der  Mysten  wie  in  Fr.  122  (vgl.  101).  [Eine  iu  mancher 
Hinsicht  angreifbare  Beweisführung.  Die  indirekte  E,ede  läßt  nicht 
mit  Sicherheit  erkennen,  daß  H.  nicht  im  eigenen  Namen  spricht.  In 
Fr.  121  kann  ich  keine  Leugnung  der  Existenz  von  Dämonen  finden, 
und  die  vexpoi  in  Fr.  123  im  Sinne  von  Leichnamen  zu  fassen,  scheint 
mir  widersinnig.  Fr.  122  läßt  sich  ebensogut,  ja  mit  größerer  Wahr- 
scheinlichkeit im  Sinne  eschatologischer  Mysterienweisheit  deuten.  Fr.  101 
kann  überhaupt  nicht  anders  als  von  einem  Fortleben  der  einzelnen  Seelen 
verstanden  werden,  und  da  es  in  direkter  Rede  überliefert  ist,  kann 
man  hier  nicht  füglich  an  die  Zurückweisung  einer  gegnerischen  Ansicht 
denken.  Der  Fall  ist  typisch  für  das  kritische  Verfahren  Patins,  wie 
es  uns  auch  sonst  noch  häufig  in  seinen  Abhandlungen  entgegentritt. 
P.  ist  der  Überzeugung,  daß  H.  an  ein  individuelles  Fortleben  nicht 
habe  glauben  können,  und  darum  müssen  alle  Äußerungen,  die  eine 
solche  Auffassung  zu  enthalten  scheinen,  beseitigt  oder  umgedeutet 
werden.  Über  Fr.  123  vgl.  jetzt  Diels'  Ausg.  Fr,  63.]  Viel  häufiger 
als  eine  beabsichtigte  ist  eine  unfreiwillige  Täuschung  der  Citiei-enden, 
die  um  so  leichter  möglich  war,    als    manche  Schriftsteller  ihre  Citate 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.  (Lortzing.)       H 

gar  nicht  der  Schrift  H.s  selbst  entnahmen.  Aus  diesem  Zustande  der 
1  berlieferung  sind  bei  christlichen  wie  bei  heidnischen  Autoreu  Irrtümer 
und  Mißverständnisse  erwachsen,  die  sich  durch  die  Jahrtausende  bis 
auf  den  heutigen  Tag  erhalten  haben.  So  ist  Fr.  37  von  allen  Er- 
klärern falsch  aufgefaßt  worden,  weil  sie  sich  durch  Aristot.  haben 
verleiten  lassen,  den  Worten  eine  physiologische  Bedeutung  zu  geben; 
in  Wahrheit  enthalten  sie  einen  harten  Spott  gegen  die  Überzeugung 
der  Menschen  von  der  Vielheit  des  Lebens  und  von  der  Untrüglichkeit 
der  Sinne  (vgl.  Fr.  4),  die  nur  die  einzelnen  Dinge  unterscheiden,  das 
C'jvüv  aber  nicht  erkennen.  H.  schalt  die  Menschen,  daß  sie  den  Augen 
mehr  glaubten  als  dem  Verstände,  und  fuhr  dann  fort:  «Und  käme  es 
ja  einmal  so  weit,  daß  die  Augen  versagten,  wenn  nämlich  alles  Rauch 
würde,  so  würden  sie  noch  in  der  gleichartigen  Masse  des  Rauches 
mit  den  Nasen  unterscheiden."  Der  Nachdruck  ruht  also  auf  oia^voTev. 
Wie  die  Neueren,  so  ist  auch  schon  Plutarch  durch  den  Zusammenhang 
des  Fr.  bei  Aristot.  getäuscht  worden  und  schreibt  daher  H.  die  Lehre 
von  den  „riechenden  Seelen  im  Hades"  zu.  Fr.  38  ist  demnach  zu 
streichen.  [Ein  zweites  bezeichnendes  Beispiel  Patinscher  Interpretatious- 
kunst  und  Kritik.  Fr.  37  wird  in  Widerspruch  zu  Aristot.,  unserm 
zuverlässigsten  Zeugen,  seiner  physiologischen  Bedeutung  entkleidet  und 
zugleich  ein  ganz  unerweisbarer  neuer  Zusammenhang  ersonnen,  der  auf 
der  aus  Fr.  4  durchaus  nicht  zu  erschließenden  Voraussetzung  beruht, 
daß  H.  jedes  Zeugnis  der  Augen  ebenso  wie  das  der  übrigen  Sinne 
verdächtigt  habe  (vgl.  dagegen  Fr.  13).  Und  auf  Grund  dieser  will- 
kürlichen Deutung  wird  dann  leichten  Herzens  Fr.  38  gestrichen,  um 
so  ,wieder  ein  Zeugnis  für  die  Fortdauer  der  Seelen  nach  dem  Tode 
in  der  Versenkung  verschwinden  zu  lassen.]  Mit  Unrecht  hat  dagegen 
By water  das  von  Laert.  9,  7  und  im  Flor.  Monac.  überlieferte  Fr.  132: 
Ti^v  TS  oir](si\  tepav  •^o^jo'j  eXs^e  xai  tyjv  opastv  (j^suSsailai  für  unecht  erklärt, 
wahrscheinlich  weil  in  dem  genannten  Florilegium  Epikurs  Name 
vorhergeht,  ohne  zu  bedenken,  daß  in  unmittelbarster  Nähe  (No.  199 
bei  Meineke  Stob.  Flor,  IV  S.  283)  H.s  Name  an  der  Spitze  eines 
ebenfalls  die  oi'rjou  betreffenden  Satzes  steht  und  daß  nur  H.  die  oi'Y)<ji<, 
ein  sich  aus  etymologischen  Gründen  (olo?!)  empfehlendes  Synonymen  der 
löi'a  'fpovTjau,  als  eine  heilige  d.  h.  gottverhängte  Krankheit  bezeichnet 
haben  kann;  denn  nach  seiner  Lehre  erzeugt  das  Einzelwesen  die  falsche 
Vorstellung  des  Todes.  [Ob  die  Sentenz  wirklich  dem  H.  gehört,  ist 
doch  sehr  zweifelhaft  (die  Schlußworte  ty-jv  opajiv  «j^euSeaöai  sind  sicher 
nicht  heraklitisch);  die  Lemmata  haben  sich  in  den  Apophthegmen- 
sammlungen  —  aus  einer  solchen  hat  Laert.  geschöpft  —  oft  genug 
verschoben  und  verwirrt.  Auf  No.  199  des  Flor.  Mon.  durfte  sich  P. 
jedenfalls  nicht  berufen;  die  stoische  Terminologie  (■npoY.or.-q  und  ^7x010^) 


12        Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

weist  auf  späteren  Ursprnng-,  und  bei  Laert.  4,  50  und  in  etwas  ver- 
änderter Form  bei  Stob.  Flor.  4,  87  wird  der  Ausspruch  denn  auch 
dem  Bion  beigelegt,  Ist  überhaupt  das  Wort  oiVjai;  dem  H.  zuzutrauen? 
Bei  den  Stoikern  war  es  ein  beliebter  Ausdruck;  vgl.  Zenon  b.  Laert. 

7,  23.  Übrigens  gehört  Fr.  132,  auch  wenn  es  echt  sein  sollte,  als 
Apophthegma  gar  nicht  unter  die  Fragmente.]  Von  Späteren  wird  H. 
oft  gerade  das  Gegenteil  dessen  zugeschrieben,  \vas  seine  Lehre  war. 
So  steht  Fr.  49:  ypr,  e6  jxaXa  7:oX).(7)v  Tjtopa;  cptXojo'^ouc  7vopac  £iv7.'.  im 
Widerspruch  mit  dem  Verdammuugsurteil  II. s  über  die  Vielwisserei  des 
Pythagoras,  und  da  überdies  der  Ausdruck  'fiXojo'fou;  verdächtig  ist, 
so  ist  das  Fr.  zu  streichen.  [Was  P.  hierbei  über  die  Beschaffenheit 
von  Fr.  17  ausführt,  ist,  wie  er  selbst  am  Schlüsse  von  No.  324  zu- 
gesteht, durch  eine  inzwischen  erschienene  Abb.  von  Diels  (s.  Bd.  CXII 

8.  190)  hinfällig  geworden.  Ein  gewisser  Widerspruch  zwischen  Fr.  49 
und  17  läßt  sich  allerdings  nicht  bestreiten,  und  auch  wenn  mau  mit  Diels 
Fr,  17  für  unecht  hält,  was  nicht  sehr  wahrscheinlich  ist  (s.  Bd.  CXII 
S.  189  f.),  so  ist  doch  das  unzweifelhaft  echte  Fr.  16,  in  dem  die  -oXuixa«}ir, 
getadelt  wird,  kaum  mit  dem  Inhalt  von  Fr.  49,  in  Einklang  zu  bringen. 
Dieses  Fr.  ist  daher  in  der  That  verdächtig.  Wenn  Diels  (zu  Fr.  31) 
in  dem  Umstände,  daß  auch  von  Porphyrios  d.  abst.  II  49  und  zwar 
offenbar  unabhängig  von  Clemens  in  der  Form  'iVtwp  7ap  TroXXöiv  o 
ovTu)?  ©iXosocpo?  angeführt  wird,  eine  Bestätigung  für  die  Echtheit  des 
Fr.  und  insbesondere  auch  des  Ausdrucks  91X63070;  sieht,  so  scheint 
mir  im  Gegenteil  die  Fassung  bei  Porph,,  der  H.  nicht  nennt,  auf  neu- 
pythagoreischen Ursprung  hinzuweisen,  (PtXo^o^oc  wenigstens  dürfte 
kaum  heraklitisch  sein,  und  ich  möchte,  daher,  wenn  das  Bruchstück 
durchaus  für  H.  gerettet  werden  soll,  mit  Wilamowitz  Phil. 
Unters.  I  225  nur  die  Worte  su  |xaXa  ttoaXöSv  Tsxopa?  als  authentisch 
gelten  lassen,  die  in  dem  uns  unbekannten  Zusammenhange,  in  dem  sie  bei 
H.  standen,  keinen  Widerspruch  gegen  dessen  sonstiges  Urteil  über  die 
Vielwisserei  zu  enthalten  brauchten].  Am  einfachsten  ist  die  Heilung 
von  Fragmenten,  deren  ursprünglicher  Sinn  in  sein  Gegenteil  verkehrt 
worden  ist,  da,  wo  zur  Wiederherstellung  dieses  Sinnes  nur  die  Negation 
wiedereingesetzt  zu  werden  braucht.  So  ist  schon  längst  Fr.  84  auf 
diese  Weise  geheilt  worden.  Auf  demselben  Wege  ist  Fr.  31  zu 
verbessern,  das  in  der  überlieferten  Form  eine  dem  H.  nicht  zuzu- 
trauende Trivialität  enthält,  H.  hat  geschrieben:  s'j'fpovr)  <oux>  av 
fjv:  „Ohne  Sonne  keine  Nacht."  Denn  aus  den  Dünsten  der  verlöschenden 
Sonne  entwickeln  sich  nach  H.  die  feuchten,  schwarzen  Nebel  der  Nacht. 
[Aber  der  an  zwei  Stellen,  bei  Plut,  d.  fort,  und  bei  Clera.,  vor  sucppov/] 
überlieferte,  wahrscheinlich  auch  von  Theophrast  gelesene  (s,  die  Er- 
läuterung in  der  auf  diesen  zurückgehenden  Doxographie  bei  Laert.  9,  10) 


Beliebt  über  die  griechischen  Philosopbeu  vor  Sokrates.   (Lortzing.)        13 

und  daher  mit  Recht  von  Diels  (Fr.  99)  in  den  Text  aufgenommenen 
Zusatz  svsxa  Tüiv  aXXtov  acjTptuv  spricht  gegen  die  Einfügung  der 
Negation.)  Über  die  Wesensgleichheit  von  Tag  und  Nacht  vgl.  Fr.  36, 
das  freilich  niclit  konstruktiver,  sondern  polemischer  Art  und  gegen  die 
Vielgötterei  gerichtet  ist.  [P.  denkt  6  Ueo;  als  Subjekt  auch  zu  oujxiJLqT) 
und  will  daher  zwischen  diesem  Worte  und  r^ucufj-ast  kein  neues  Subjekt 
eiganzt  wissen.  In  der  2.  Hälfte  der  ,,heraklit.  Beispiele"  8.  81,  38 
und  in  der  Abh.  No.  324  gesteht  er  jedoch  zu,  daß  Davidson  mit  seiner 
Konjektur  oxw;  rüp  statt  ^rep  (besser  Diels  oxtuguep  <iTup>;  s.  Bd.  CXII 
S.  305)  das  Richtige  getroffen  habe.  Dies  ändere  aber  niclits  an  der 
Thatsache,  dal.',  in  dem  Fr.  der  Irrtum  der  Vielgötterei  bekämpft  werde. 
Die  verschiedenen  Benennungen  des  Feuers  seien  demnach  ein  Bild 
für  die  verschiedenen  Götternamen,  die  auch  nach  Willkür  im  Gebrauche 
sind.  Die  ,,Eiuheitslehre"  S.  33  gegebene  Sammlung  gleichgesetzter 
Götternamen  (Zeus-Hades-Dionysos,  Zeus- Ares,  Apollon-Dionysos)  sei 
zu  vermehren  durch  Ai'xtjv  "'Epiv  Fr.  62.  Diese  Hineintragung  von  Götter- 
namen in  die  beiden  Fragmente  beruht  auf  unsicherer  Vermutung. 
Trefflich  dagegen  hat  P.  an  der  zweiten  der  angeführten  Stelleu  den 
wahren  Zusammenhang  von  Fr.  36  durch  Streichung  des  Kolons  vor 
Z^iO\idlt-ai  hergestellt  (s.  Diels  Fr.  67)].  Um  Tag  und  Nacht  des  Charakters 
entgegengesetzter  Wesenheiten  zu  entkleiden  und  sie  in  einen  stetigen 
Prozeß  zu  verwandeln,  mußte  die  tagbringende  Sonne  selbst  in  jenen  Pro- 
zess  hineingezogen  werden ;  die  Sonnenbahn  muß  sich  zu  gleichen  Teilen 
auf  die  zwei  Seiten  jenes  Prozesses  verteilen  und  ihr  Gegenstück  in  der 
Nacht  haben.  Wirklich  werden  so  die  Grenzen  von  Tag  und  Nacht  in 
Fr.  30  verwischt.  Dieses  Fr.  erklärt  P.  abweichend  von  allen  bisherigen 
Doutungsversuchen  so,  daß  er  zwei  sich  ähnliche  Bogenlinien  des  Tages 
und  der  Nacht  annimmt,  die  in  Wahrheit  nur  eine  sind:  der  Halbkreislinie 
des  Tages  entspricht  die  „rückläufig  gewandelte"  der  Nacht,  und  beide 
decken  sich;  demnach  giebt  es  auch  nicht  zwei  Grenzpunkte,  sondern 
nur  einen  gemeinsamen  (apxto;  =  oupoi  ai&pioo  Aioc;  oupo;  entweder 
„Berg*  oder  „Grenze'*  oder  „Wächter  des  Zeus"  [?]);  der  Höhepunkt 
des  Tages  und  der  Nacht  ist  derselbe  (vgl.  d.  diaet.  I  5).  Dadurch 
wird  die  vulgäre  Trennung  von  Tag  und  Nacht  als  handgreiflicher 
Irrtum  hingestellt.  [Diese  Deutung,  auf  die  P.  „Her.  Beisp."  2.  H. 
S.  89, 101  noch  einmal  zurückkommt,  ist  sprachlich  unstatthaft:  die  Worte 
xat  dvTt'ov  TT,;  apxTou  oupoc  xtX.  widersprechen  ihr.]  In  diesem  Sinne 
ist  auch  der  Tadel  Hesiods  in  Fr.  35  aufzufassen,  wo  die  Worte  eau 
7äp  ev  nicht  mehr  zum  Citat,  sondern  zu  den  folgenden  Worten  bei 
Hippolyt.  xal  a-j'abov  xat  xaxov  gehören  (?);  dagegen  ist  wahrscheinlich 
eine  Bemerkung  im  Sinne  Senecas  (Fr.  120:  unus  dies  par  omni  est), 
etwa:  „ist  doch  ein  Tag  wie  der  andere",  ausgefallen.    [Aber  es  handelt 


14       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

sich  ja  in  Fr.  35  tun  die  falsche  Unterscheidung  von  Tag-  und  Nacht» 
nicht  um  die  der  einzelnen  Tage.]  Auch  Fr.  118  glaubt  P.  durch  Ein- 
schiebniig  der  Negation  heilen  zu  können;  er  verbessert  <ou>  -(auiuy.ti 
«puXaaaEiv  (doch  mit  Vorbehalt;  vielleicht  sei  auch  -(ivwaxeiv  9pudcTTei  oder 
besser  (ppuaTTsxat  zu  lesen):  „Der  Wähnenden  erster  (eigentlich  Best- 
gewähuter)  versteht  nicht  zu  wachen,  und  so  wird  ihn  freilicli  auch  die 
Gerechtigkeit  überraschend  ergreifen  (xaTaXT^ij^sTai  prägnant  wie  Fr.  26)." 
Vgl.  „Her.  Beisp."  2.  H.  S.  77,  29.  [Die  Lesunj.^  wie  die  Erklärung 
sind  falsch,  da  das  Objekt  des  zweiten  Satzes:  <j;eu8uiv  xexTovaf  xal  [i-ap- 
T'jpa;,  das  P.  in  der  Übersetzung  nicht  übergehen  durfte,  mit  dem  »pu- 
Xoftjjetv  des  ersten  Satzes  nicht  im  Einklang  steht  und  dieses  (puXdcjastv 
absolut  gebraucht  unverständlich  bleibt.  Dadurch,  daß  P.  vermutet,  dem 
Fr.  118  sei  Fr.  123  vorangegangen,  wird  zwar  ein  Objekt  für  (puXdsaetv 
gewonneu,  aber  ein  besserer  Zusammenhang  zwischen  den  beiden  Teilen 
von  Fr.  118  nicht  hergestellt.]  In  manchen  Fragmenten  sind  auch  die 
ersten  Worte  H.s  mit  der  Paraphrase  des  Erklärers  zusammengeflossen. 
So  genügt  es  in  Fr.  62  nicht,  mit  Diels  (Jen.  L.-Z.  1877;  eptv  nach 
öuTjv  zu  streichen;  auch  die  folgenden  Worte:  xal  7ivo|xeva  Ttavxa  xax' 
epiv  xal  ypewfxeva  (P.  vermutet,  daß  in  der  Vorlage  des  Origenes 
X«>pT)jo[i.£va  [?]  gestanden  habe)  müssen,  obwohl  sie  der  Lehre  H.s  ent- 
sprechen, gestrichen  werden,  weil  sie  die  Konstruktion  des  Satzes  zer- 
stören und  inhaltlich  mit  dem  ersten  Satze  nichts  zu  thun  haben  [beide 
Gründe  treffen  nicht  zu]. 

Im  zweiten  Teile  der  Abh.  sucht  P.  aus  den  vorhandenen  Frag- 
menten die  Anfänge  des  heraklitischen  Buches,  die  nach  seiner  Über- 
zeugung die  Fundamentallehre  des  Ephesiers  enthalten  haben  müssen, 
nach  ihrer  ursprünglichen  Anordnung  zu  ermitteln.  Wir  können  diesem 
geistvollen  und  scharfsinnigen  Rekonstruktionsversuche  hier  nicht  im 
einzelnen  nachgehen.  P.  stellt  mit  Bywater  Fr.  1  an  die  Spitze  (eiSevo^i, 
niclit  eivat  die  richtige  Lesart),  fügt  daran  aus  Fr.  19,  das  er  für  eine 
Umschreibung  von  Fr.  1  hält,  die  Worte:  o  xe  xußepv^jai  (so  liest  er 
statt  -Q  xußspvaxat  bei  Bywater;  s.  jedoch  jetzt  Diels  zu  Fr.  41  über  die 
handschriftliche  Überlieferung)  Tiavxa  oio.  iiavxwv,  läßt  dann  folgen:  Fr.  2, 
Fr.  93  (unter  Beibehaltung  von  Xo-^o)),  mit  dem  die  Fortsetzung  bei 
Marc.  Ant.  (s.  Bywater  zu  Fr.  5):  xal  (ot;)  xai>'  rjiJLepav  (i-jv.opiouoi, 
xaüxa  auxois  ^eva  <paivexai;  das  Eingeklammerte  Paraphrase)  ohne  Inter- 
punktion verbunden  wird  (vgl.  Diels  Fr.  72),  Fr.  3,  Fr.  111  bis  ifOL^oi 
(die  zweite  Hälfte,  die,  als  Fortsetzung  der  ersten  gedacht,  dieser  wider- 
sprechen würde,  trennt  P,  von  ihr  als  ein  besonderes  Fragment;  ebenso 
Diels).  Hinter  d^aöoi  nimmt  er  dann  eine  Lücke  an  und  schließt  die 
Reihe  mit  Fr.  91,  dem  er  die  von  Bywater  ausgelassenen,  von  Diels 
(Fr.  2)  jetzt  wieder  aufgenommenen  Worte  öto  oei  iireabai  xw  ^uvuj  an- 


Beliebt  über  die  griecLischea  Philosophen  vor  Sokrates.   (LortziQg.)       15 

schließt,  und  Fr.  92.  —  Aus  dieser  Fragrmentenreihe  gewinnen  wii-, 
wie  P.  ausführt,  zwei  grundlegende  Lehrsätze  des  Systems:  den  voiu 
allwissenden  Einen  und  den  von  der  Allgemeinsamkeit  der  Vernunft. 
Die  Allvernunft  uud  mit  ihr  die  Allgerechtigkeit  kommt  objektiv  zur 
Erscheinung  im  Werden,  in  der  Bewegung,  in  dem  einheitlichen  Leben 
der  Gesamtheit.  Eine  Vergleichung  des  zweiten  Satzes  mit  der  nega- 
tiven Wendung  in  Fr.  18:  'zo':^ri-i  ei-ri  Trav-wv  y.£yü)pi7|i.£vov  zeigt,  dali 
dieselbe  Vielheit,  die  als  solche  keinerlei  Vernunft,  sondern  lauter  un- 
vernünftige Einzelwesen  aufweist,  zusammengefaßt  und,  als  Feinheit  be- 
trachtet, sofort  ihres  ganzen  negativen  Charakters  entkleidet  wird.  Auck 
die  Menschen,  diese  an  sich  höchst  verkehrten  und  unglückseligen  Wesen, 
sind  als  unselbständige  Teile  des  Allguts  vernünftig  uud  befriedigt. 
Alles  Traurige,  Gräßliche,  Böse  hat  nur  subjektive  Bedeutung;  vom 
höchsten  Standpunkt  ist  alles  gut  und  schön  (Fr.  Gl;  Kleanthes  b.  Stob. 
1  p.  26,  4  ff.  Wachsm.).  Die  Lehre  von  der  Allgemeinheit  der  Ver- 
nunft in  lauter  unvernünftigen  Einzelwesen  ist  aber  nur  möglich  nach 
Zerstörung  ihres  Charakters  als  Einzelwesen  durch  Leugnuug  der  Indi- 
viduation.  H.  mußte  demnach  beweisen,  daß  trotz  des  Scheins  der  Viel- 
heit eine  Einheit  existiert.  Diesem  Nachweise  hat  er  in  der  That  einen 
stattlichen  Teil  seines  Buches  gewidmet,  indem  er  in  zahllosen  Beispielen 
die  Einheit  der  Gegensätze  darlegte.  Zn  dieser  Darlegung  leitet  Fr.  65 
über,  dem  der  dritte  Platz  neben  jenen  ersten  beiden  Gedanken  zu 
gebühren  scheint:  „Eines,  das  allein  Weise,  will  und  will  doch  nicht 
genannt  werden  mit  dem  Namen  des  lebendigen  Gottes  (Ztjvoj).'' 
Unpassend  ist  der  Name  deshalb,  weil  das  mit  ihm  genannte  Wesen 
ebensogut  Hades  ist,  vielleicht  auch,  weil  das  Eine  zwar  göttlich, 
aber  kein  Gott  ist,  sondern  nur  ein  gesetzmäßig  sich  verändernder, 
nach  zwei  Richtungen  sich  bewegender  Stoff.  So  genannt  werden 
aber  will  es,  weil  nach  der  Volksmeiuuug  das  erste  Attribut  des 
höchsten  Gottes  der  Blitz  war  uud  dieser  ein  Ausfluß  oder  richtiger 
ein  Symbol  jener  Kraft  ist,  die  das  All  weiter  und  zurück  bewegt 
zum  Urfeuer  (Fr.  28).  Die  zweite  durch  Fr.  65  angekündigte  Auf- 
gabe H.s  war  der  konkrete  Nachweis,  wie  in  der  thatsächlichen  Ein- 
heit der  Schein  (den  Ausdruck  brauchte  H.  nicht,  aber  die  Vor- 
stellung hatte  er;  vgl.  Fr.  81:  £I[jl£v  te  xai  my.  elfj-sv)  die  Vielheit 
entstehen  kann.  Dies  ist  der  Ausgangspunkt  der  Physik  H.s.  Farmen, 
mit  seiner  Lehre  vom  „unzerstörbaren  gesetzlichen  Schein''  neben  einer 
darüber  erhabenen  Seinslehre  bezeichnet  den  nächsten  Schritt  in  der 
Entwickelung  des  philosophischen  Gedankens.  Mit  der  Leugnung  de» 
Prinzipes  der  Individuation  bekämpft  H.  auch  das  Ich-  oder  Selbstbe- 
wußtsein, die  lot'a  9povr,c7ic  als  Gegensatz  der  Gemeinempfindung  (vgl. 
das  Bild  von  den  Kohlen,  die  sich  mit  einem  größeren  Feuer  zu  einem 


l(i       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

nnunterschiedeiien  Brande  mischen,  bei  Sext.  math.  7,  130  uud  d.  diaet. 
I  29).  Auf  der  Suche  nach  dem  Ich  als  einem  Seienden  (Plotin  bei 
Byw.  zu  Fr.  80:  (uc  iv  xcov  ovxoiv)  fand  H.,  daß  es  überhaupt  kein 
dauei'ndes  Ich  giebt,  daß  auch  die  menschliche  Seele  dem  allgemeinen 
Prozeß  als  ein  unselbständiger  Teil  des  einen  Vernünftigen  augehört 
(vgl.  Fr.   1   oux  £}X£Ü,  aX).a  toü   Xo^ou). 

Diese  Arbeit  Patins  verbindet  mit  gründlicher  und  umfassender 
Qaelleukenntnis  großen  Scharfsinn  und  eindringendes,  tiefes  Verständnis 
lür  den  Kern  der  heraklitischen  Philosophie.  Sie  ist  daher  mit  vollem 
Rechte  von  Di  eis  in  seiner  Rezension  (Arch.  I  102  ff.)  neben  der  fast 
gleichzeitig  erschienenen  Abhandlung  von  Gomperz,  mit  der  sie  sich  in 
manchen  wesentlichen  Punkien  berührt,  als  „ein  eindringender  und  be- 
achtenswerter Beitrag  zur  Heraklitlitteratur"  bezeichnet  worden.  Aber 
diesen  Vorzügen  stehen  erhebliche  Mängel  gegenüber.  Der  Scharfsinn 
Patins  artet  nicht  selten  in  Spitzfindigkeit  und  ein  Übermaß  von  Spür- 
sinn aus.  Dies  zeigt  sich  besonders  in  der  Interpretation  und  Textkritik 
der  einzelnen  Fragmente,  die  zwar  oft  mit  glücklichem  Blicke  das 
Richtige  trifft,  noch  öfter  aber  ihr  Ziel  verfehlt.  Zu  den  oben  einge- 
schalteten Bemerkungen  über  solche  Mißgriffe  füge  ich  noch  zwei 
weitere  hinzu.  Das  auf  Bias  bezügliche  Fr.  112  soll  nach.P.  dem 
Fr.  18  voraufgegangen  sein:  er  sieht  in  ou  tiXeiojv  X070;  (112)  eine 
spielende  Beziehung  zu  fjy.6<j(ii-j  X070U;  (18)  und  zugleich  in  dem  Worte 
X670C  an  der  ersten  Stelle  einen  beabsichtigten  Doppelsinn  (,die  Rede, 
die  von  Bias  geht"  und  „die  Vernunft  in  seiner  Rede").  Das  ist  ein 
bezeichnendes  Beispiel  von  der  Sucht  des  Verf.,  bei  dem  „Dunkeln" 
gekünstelte  und  frostige  Wortspiele  aufzuspüren,  wie  sie  uns  noch 
häutiger  in  den  „Her.  Beisp."  als  in  der  vorliegenden  Schrift  entgegen- 
treten wird.  Die  gleiche  Sucht  hat  ihn  auch  in  der  Erklärung  von 
Fr.  3  irre  geleitet,  wo  nach  ihm  «pattc  nicht,  wie  Beruays  mit  Recht 
angenommen  hat,  „Sprichwort",  sondern  den  „Ausdruck  selbst",  nämlich 
das  voraufgehende  (J^uvetoi  bezeichnet,  indem  dieses  das  Beisammensein 
mit  dem  Gemeinschaftlichen  (=  ^uveto?)  in  sich  tragen  und  doch  eine 
Trennung  davon  bedeuten  soll.  Eine  zweite  Quelle  fehlerhafter  Be- 
urteilung der  Bruchstücke  ist  die  Voreingenommenheit  Patins  für  ge- 
wisse von  ihm  vorausgesetzte,  aber  nicht  bewiesene  Lehren  H.s,  die 
ihn  nicht  nur,  wie  wir  gleichfalls  oben  wiederholt  gesehen,  zu  falschen 
Erklärungen  und  Athetesen  einzelner  Fragmente  verleitet,  sondern  auch 
seine  ganze  Auffassung  vom  Wesen  der  heraklitischen  Philosophie  sowie 
die  damit  zusammenhängende  Anordnung  der  nach  seiner  Meinung  den 
Anfang  der  Schrift  H.s  bildenden  Bruchstücke  in  verhängnisvoller  Weise 
beeinflußt  hat.  Was  zunächst  diese  Anordnung  betrifft,  so  ergiebt  sie. 
von  der  Lücke  nach  a^aöoi  in  Fr.  111   abgesehen,  einen  wohlgefügten. 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)       17 

in  sich  abgerundeten  Gedankenkoraplex.  Aber  daß  H.  wirklich  sein 
Buch  so  begonnen  habe,  ist  damit  nicht  bewiesen,  da  wir  nicht  wissen, 
wie  er  seinen  Stoff  eingeteilt  und  geordnet  und  ob  er  bestimmte  Haupt- 
sätze seines  Systems  an  den  Anfang  gestellt  hat.  Ebensowenig  läßt 
sich  behaupten,  daß  zwei  Fragmente,  die  ihrem  Inhalte  nach  verwandt 
sind  und  ihrer  Form  nach  sich  bequem  aneinanderfügen,  auch  im  Original 
bei  einander  gestanden  habeu  müssen.  Es  erheben  sich  aber  gegen  die 
Richtigkeit  der  Patinschen  Rekonstruktion  zwei  gewichti^'e  positive  Be- 
denken. Erstens  ist  durch  Sextus  und  Aristot.  Fr.  2  und  nicht  Fr.  1 
als  Buchanfang  bezeugt,  und  es  ist  unmethodisch,  diese  gewichtigen 
Zeugen  beiseite  zu  schieben.  Daß  das  6s  am  Anfang'  von  Fr.  2  kein 
Hindernis  für  die  Annahme  bildet,  H.  habe  so  begonnen,  zeigt  Zeller 
630,  1  (vgl.  Diels  zu  Fr.  1).  Zweitens  ist  es  nach  der  Bemerkung, 
mit  der  Sextus  7,  133  von  Fr.  2  zu  Fr.  92  überleitet,  wenig  wahr- 
scheinlich, daß  dieses  von  jenem  durch  eine  mit  Hinzurechnung 
der  von  P.  angenommenen  Lücke  doch  verhältnismäßig  lange  Ausein- 
andersetzung getrennt  war.  Ich  vermute  daher,  daß  zwischen  beiden 
nur  Fr.  91  stand,  dessen  engen  Zusammenhang  mit  Fr.  92  P.  richtig 
erkannt  hat.  Die  sonst  von  P.  dazwischen  geschobenen  Bruchstücke 
mochten  an  anderen  Stellen  des  Werkes  ebenso  gut,  ja  vielleicht  besser 
am  Platze  sein;  denn  liier  variieren  sie  doch  eigentlich  nur  den  in 
Fr.  2  ausgedrückten  Gedanken  und  rufen  daher  den  Eindruck  einer 
mit  der  lapidaren  Kürze  H.s  nicht  recht  verträglichen  Breite  der  Ge- 
daukenentwickelung  hervor.  Nun  glaubt  freilich  P.  zwischen  diesen 
Fragmenten  eine  Kette  von  Beziehungen,  die  auf  den  verschiedenartigsten 
Wortspielen  beruhen,  entdeckt  zu  haben  und  sieht  darin  eine  Gewähr 
tür  die  Richtigkeit  seiner  Anordnung.  Aber  gerade  diese  Fülle  etymo- 
logischer Künsteleien,  die  wir,  wie  bereits  bemerkt,  bei  H.  nicht  suchen 
dürfen,  scheint  eher  gegen  als  für  Patins  Reihenfolge  zu  sprechen. 
Für  die  Ansetzung  einer  Lücke  vor  Fr.  91  endlich  liegt  kein  zwingen- 
der Grund  vor,  da  die  Lehre  von  der  gemeinsamen  Vernunft,  wie  auch 
Sextus  erkannt  hat,  schon  in  Fr.  2  deutlich  genug  entlialten  ist.  —  In 
der  Auffassung  der  Lehre  H.s  hat  P.  weit  schärfer,  als  dies  vor  ihm 
geschehen  w'ar,  die  Einheit  und  Harmonie  der  Gegensätze  in  dem  „all- 
weisen" Einen  als  einen  Hauptbestandteil  des  Systems  hervorgehoben 
und  sich  dadurch  um  die  tiefere  Erkenntnis  dieses  Systems  ein  unleugbares 
Verdienst  erworben.  Aber  auch  hier  schießt  er  über  das  Ziel  hinaus, 
indem  er  von  der  Weisheit  des  Einen  das  Einzelne  und  Individuelle 
völlig  scheidet  und  das  Weise  in  der  Vielheit  der  Dinge  überhaupt 
nicht  zum  Ausdruck  kommen  läßt.  Er  kann  sich  hierfür  nur  auf  Fr.  18: 
oo'fov  esTt  TtavTcov  x£yiüptp3|x£vov  berufen.  Aber  diese  Getrenntheit  des 
Absoluten  von  jeder  Sonderexistenz  darf  bei  H.  noch  nicht  im  Sinne 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    (lOCö.    I.)         2 


18        Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.     (Lortzing.) 

den  anaxagoreischen  vou;  als  eine  von  Anfang  an  gegebene  und  dauernde 
Absonderung  gefaßt  werden;  sie  ist  vielmehr  auf  den  einen  Moment 
der  Weltvcrbrennung  und  des  Weltgerichts  zu  beschränken,  in  dem 
alles  Einzelleben  aufgehoben  und  vernichtet  erscheint.  Vgl.  Fr.  26 
und  Diels  zu  Fr.  06  und  108  seiner  Sammlung.  In  der  gegenwärtigen 
Welt  dagegen  mit  ihrem  Wege  nacli  oben  und  nach  unten  herrscht  das 
rastlose  Hervorgehen  aller  aus  dem  Einen  und  ihre  Rückwandlung  in 
das  Eine:  ex  ticxvtojv  Iv  xal  e^  evos  Tidvia  (Fr.  59).  So  ist  auch  allein 
Iv  Travxa  elvai:  „alles  ist  eins"  in  Fr.  1  zu  verstehen.  P.  hält  hier 
mit  Unrecht  an  der  überlieferten  Lesart  eioevat  fest,  die  durch  die  vor- 
aufgehende Paraphrase  des  Hippel.:  <tv>  iravta  elvai  xo  -av  wider- 
legt wird.  Indem  Verf.  jenes  absolute  Verschwinden  aller  Gegensätze 
in  dem  alles  verzehrenden  Einen  am  Ende  der  Welt  in  einen  schon 
in  der  Welteutwickelung  sich  beständig  wiederholenden  Prozeß  ver- 
wandelt, hebt  er  im  Grunde  die  doch  auch  von  ihm  nachdrücklich  be- 
tonte Gegensatz-  und  Flußlehre  auf  und  setzt  den  unablässigen  Wechsel 
der  Dinge,  der  nach  H.  das  Allerrealste  ist,  zu  einem  bloßen  Schein 
herab.  Damit  wird  der  scharfe  Gegensatz  zwischen  H.  und  Parm. 
verflüchtigt  und  jener  zum  Vorläufer,  ja  fast  zum  Begründer  der  elea- 
tischen  Lehre  gemacht.  Dann  bleibt  es  aber  ganz  unerklärlich,  wie 
ihn  Parm.  so  scharf  und  so  rücksichtslos  bekämpfen  konnte.  Die  An- 
näherung zwischen  den  beiden  Antipoden  wird  dadurch  noch  größer, 
daß  P.  den  Eleaten  seiner  Lehre  vom  Schein  in  gewissem  Sinne  eine 
innere  Berechtigung  beilegen  läßt,  wie  er  es  in  seiner  1899  erschienenen 
Schrift  „Parm.  im  Kampfe  gegen  H."  des  Näheren  dargelegt  hat.  Vgl. 
darüber  vorläufig  meine  Rezension  dieser  Schrift  in  der  Berl.  Ph. 
W.-Schr.  1900,  1283  ff. 

In  der  ersten  Hälfte  von  No.  320  schließt  P.  aus  einer  Bemerkung 
des  Diodotos  bei  Laert.  9,15,  das  Physikalische  bei  H.  erscheine  nur  in 
der  Form  des  Beispiels  [P.  beachtet  nicht,  daß  der  Hauptgegensatz  hier 
in  den  Worten  ou  irspl  cpuasu)?  elvat  tö  a6-^-;pa.\i\ia,  öcXXa  uspl  TroXtieia?  ent- 
halten   ist],    und    aus    einer  Stelle    bei  Philon    in  Gen.  III  5    (II  178 
Aucher),   daß  das  Physikalisch-Dogmatische  bei  H.  nur  einen  sehr  ge- 
ringen Umfang  hatte  und  der  weitaus  größere  Teil  der  Lehre  von  den 
Gegensätzen  und  ihrer  Harmonie   diente,    zu  deren  Begründung   er  ein 
„ungeheures"     Material     zusammengebracht    habe.      Deutliche    Spuren 
solcher    heraklitischen  Beispiele    findet  er  zunächst  in  der  angegebenen 
Stelle  Philons,  in  weit  größerem  Umfange  aber  in  einer  zweiten  Stelle 
desselben  Autors  (Qu.  rer.  div.  haer.  43),    aus    deren  Analyse  er  eine 
vollständige  Tafel  heraklitischer  Gegensätze  in  fünf  großen,  scharf  um- 
grenzten Abschnitten    gewinnt.     Dem  Thema    des    dritten  Teils    dieser 
Tafel:    „Die  Harmonie  der  Gegensätze  in  den  nachahmenden  Künsten 


Bericht  über  die  giiechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)       1<J 

des  Menschen"  dient  auch  die  ausführliche  Beispielsammlung  in  tc.  ötotttT]; 
I  c.  11 — 24.    P.  unterzieht    die    einzelnen  Abschnitte  dieser  Sammlung 
einer    sehr    scharfsinnigen,    aber    äußerst    breiten    und    verschlungenen 
Untersuchung-.     Während  Bernays    vornehmlich    auf   die  Ähnlichkeiten 
zwischen    dem  Diätetiker    und  H.    sein  Augenmerk    richtete,    sucht   er 
nach  Widersprüchen,    nach  einer    spröden  Masse  auf  dem  Grunde,    die 
sich  der  i:berarbeitung  nicht    gefügt  hat,    und  findet  auf  diesem  Wege 
eine  Anzahl  von  Beispielen,    die  ihrer    gegenwärtigen  Bestimmung  nur 
widerwillig  dienen  und   dadurch  einen  anderen  Ursprung  erkennen  lassen. 
So  schält  er  aus  der  krausen  Umhüllung  einen  Kern  echter  heraklitischer 
Beispiele  heraus.     Zu  diesen  gehören    besonders   alle  die,    in  denen  als 
Vorbild  der  menschlichen  Kunst  die  Xatur  im   allgemeinen  geschildert, 
und   nicht  an   ihre  Stelle  im  Sinne    des  Diätetikers  die  menschliche 
Natur    gesetzt  wird.     Das  Thema    aller   dieser  Beispiele  H.s  ist:    ,Die 
Menschen,   diese  unselbständigen  Teile  des  einheitlichen  Alls,  unterliegen 
wie  die  Dinge  dem  weisen  Walten  der  Einheit,   stehen  unter  ihrer  all- 
mächtigen Leitung.     Ohne  es  zu  wissen  oder  nur  zu  ahnen  ,  gehorchen 
sie  deshalb    in    ihren  Künsten    den  Gesetzen    des    werdenden  Alls   und 
wenden  sie  nachahmend  zu  ihren  Zwecken  an."    Diesen  Grundgedanken 
hat  H.    in    einer  Fülle    von  Doppelbeispielen   veranschaulicht,    die  den 
einzelneu  Gesetzen  seiner  Kosmogonie  —  P.  zählt  deren  8  —  entsprechen. 
Ihr  Endergebnis  ist:  „Auch  der  Mensch  verschwimmt  in  dem  allgemeinen 
Flusse  der  Bewegung.    Seine  Individualität,  sein  Ichbewußtsein  zerstört: 
das  ist  die  Idee,  der  sich  H.  gerühmt,  als  seines  einzigen  originellen  Be- 
sitzes." —  Erwiesen  hat  P.  durch  diese  Analyse  nur,  daß  dem  Diätetiker 
eine  reiche  Sammlung  von  Beispielen  vorlag,  durch  die  die  heraklitische 
Gegensatzlehre    im  Thun    und  Treiben    der  Menschen ,    vornehmlich   iu 
ihren  Handwerksbräuchen  und  Künsten  als  unbewußt  wirkend  und  nach- 
geahmt   aufgezeigt    werden  sollte,    und  daß  er  die  seiner  Vorlage  ent- 
lehnten Beispiele  vielfach  iu  handgreiflich  ungeschickter  und  gewaltsamer 
Weise  für  seine  abgeschmackte  Vergleichung  der  menschlichen  Gewerbe 
und  Künste  mit  den  physiologischen  Vorgängen  im  menschlichen  Körper 
verwandt  hat.    Aber  eine  solche  Zusammenstellung  auf  H.  selbst  zurück- 
zuführen haben  wir  kein  Recht.    Unter  den  erhaltenen  Fragmenten  ge- 
hört diesem  Kreise    nur    das  von   den  Walkern  (50)  und   allenfalls  das 
von    den  Ärzten  (58)  an,    und    gerade    hier    lehrt    der    Vergleich    mit 
d.  diaet.  c.  14  und  15,  daß  die  in  dieser  Schrift  benutzte  Vorlage  von 
der    heraklitischen  Fassung    nicht    unbedeutend    abgewichen    sein  muß. 
Um  so  weniger  ist  es  zulässig,  auch  die  übrigen  Beispiele  des  Diätetikers, 
von    denen    keiner    durch    irgend    ein   bestimmtes  Zeugnis  H.  beigelegt 
wird,  bei  diesem  zu  suchen  und  gar  aus  ihnen  durch  allerlei  künstliche 
Kombinationen    (vgl.  z.  B.    die  Ausführungen    über  Lyrik  und  Mautik 

2* 


20        Hcriclit  über  die  griechiecheii  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

S.  34  ff.  sowie  die  über  Schreibkunst  S.  84  ff.)  eine  geordnete  Reihe 
au  einander  sich  anschließender  üoppelbeispiele  (solcher  Doppelbeispiele 
linden  sich  unter  den  Fragmenten  keine  außer  dem  gerade  in  d.  diaet. 
nicht  vorkommenden  vom  Bogen  und  der  Leier)  herzustellen.  Manche 
Sätze  in  d.  diaet.  klingen  ja  allerdings  stark  heraklitisch,  und  einzelne 
von  ihnen  wie  z.  B.  in  c.  11:  o',  avi^prouoi  ex  xuiv  cpavepöiv  xa  d'pavea 
axen-ecjilai  oux  ejiioTavxai  mögen  wirklich  von  H.  herrühren,  wenn  sich 
auch  Sicheres  darüber  nicht  ausmachen  läßt.  Aber  eine  so  spezialisierte 
und  systematische  Aneinanderreihung  von  Beispielen  zur  Veranschau- 
lichung einer  Folge  von  Lehrsätzen  scheint  der  altertümlichen  und  knappen 
Weise  des  Ephesiers  nicht  zu  entsprechen,  sondern  auf  eine  spätere  Zeit, 
etwa  die  der  Sophistik,  hinzuweisen.  In  dieser  Zeit  also  mag  die  Vor- 
lage des  Diätetikers  von  einem  Herakliteer  verfaßt  worden  sein,  der 
vielleicht  einzelne  seiner  Beispiele  bei  H.  vorgefunden  und  mehr  oder 
minder  wörtlich  übernommen,  andere  aber  und  wohl  die  meisten  nach 
dem  Vorbilde  des  Meisters  erfunden  hat. 

In    der  zweiten  Hälfte   von  No.  320    bemerkt  P.,    daß  des  hera- 
klitische  „Beispiel"  Schule  gemacht  habe;  so,  außer  bei  dem.  Diätetiker, 
bei  Demokrit,  Aristipp,    Protagoras,    Melissos,    Anaxagoras,    besonders 
aber  in  der  älteren  Skepsis.     Am   häufigsten   findet  es  sich  bei  Sextus. 
Die    ganze  Beispielflut    zur  Erläuterung    des    1.  Tropus   (hyp.  I  42  ff.) 
ist  der  Hauptsache  nach    auf  H.    zurückzuführen.     Schwer    freilich  ist 
es,  das  Heraklitische  aus  Sextus  herauszuschälen,  da  andere  Philosophen 
zu  dem  überkommenen  Stoff  immer  neuen  hinzugefügt  haben.     Aber  an 
einer    unverkennbar    heraklitischen  Stelle    läßt    sich    eine  geschlossene 
Kette    heraklitischer  Beispiele  nachweisen,    ähnlich    der,    die  sich    aus 
Vergleichung    von  Fr.  51    mit  8  und    dem  von  By water  (s.  Bd.  CXII 
S.  298)  entdeckten  Fr.  (4  Diels)  ergiebt  (Menschen  —  Rinder  —  Esel, 
Gold  —  Kehricht),  wenn  mau  die  dort  von  Sextus  beigebrachten  Beispiele 
mit  Fr.  52,  53  und  der  von  Byw.  zu  54  angeführten  Stelle  bei  Clemens 
von    den  Schweinen,    die    sich    im  Kote    lieber    als   im    reinen  Wasser 
wälzen  (P.  ergänzt  hier  zu  cp/jaiv:  'HpaxÄeixo?  und  sieht  in  den  Worten 
ein  echtes  Bruchstück),    zusammeusiellt.     Aber  auch   sonst  finden  sich 
im    1.  Buche    des  Sext.    zahlreiche  Beispiele    heraklitischer  Form,    die 
zum  Teil  bei  Lukrez  IV  322 — 466  wiederkehren.     Dieser  hat  hier  und 
au  anderen  Stellen    seines  Gedichtes  Derartiges  aus  Epikur  geschöpft, 
der  wiederum    durch  Demokrits  Vermittelung    viel    unverfälscht  Hera- 
klitisches  aufgenommen    und  weitergegeben    hat.     Indem  so   eine  Fülle 
von  Beispielen  in  den  Bestand  der  Epikureer,  Stoiker,  Akademiker  und 
ganz    besonders    der  Stoiker    übergegangen  ist,    nimmt  H.    nicht    bloß 
durch  seine  Gegensatzlehre  überhaupt,   sondern  auch  durch  sein  induk- 
tives Beweismaterial    eine  beherrschende  Stellung    ein.     Auch    hier  ist 


Bericht  übor  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokratos,    (Lortzing.)       21 

gef,en  Patins  Verfahren  dasselbe  Bedenken  7.i\  erheben  wie  gegen  seine 
Bereicherung  des  heraklitischen  Besitzstandes  aus  dem  Buche  d.  diaer^ 
Manches  einzelne  mag  in  der  That  auf  H.  zurückj^elien;  aber  jene 
streng-  geschlossenen,  raanniüfacli  verschlungenen  Ketten  von  Beispielen 
sind  künstliche  Gebilde,  deren  heraklitischer  Ursprung  von  P,  nicht  er- 
wiesen und  an  sich  wenig  wahrscheinlich  ist.  —  Nach  einem  Exkurse 
über  „Aeuesidem  und  die  Einheitslehre  %  der  sich  mit  beachtens- 
werten Gründen  gegen  Pappenheim  wendet,  geht  Verf.  zur  Besprechung 
der  bei  Byw.  ausgelassenen  Scholienstelle  zu  Nikanders  Alexiph.  172 
—  177  Abel-Vari  über  und  sucht  nachzuweisen,  dalj  sich  hier  1.  die 
Gegensatzlehre  (Feuer  —  Meer,  zugleich  Herr  —  Knecht)  verbunden 
mit  der  heraklitischen  Anordnung  der  Elemente  wiederfindet,  und 
2.  aus  dem  Sturmvogel  und  dem  Meeresschaum  ein  zweites  Beispiel 
gewinnen  läßt.  Nebenbei  die  bereits  unter  No.  285  erwähnten  Hera- 
klitspuren  bei  Herodot.  In  einem  2.  Exkurs:  «Vom  weinenden  Philo- 
sophen» legt  P.  treffend  das  Verfehlte  in  der  Auffassung  Teichmüllers 
und  Pfleiderers  (s.  Bd.  CXII  S.  318  if.)  vom  biettspielenden  Kinde  (Fr.  79) 
dar.  Hierbei  tadelt  er  besonders,  daß  Ptleiderer  ans  Piaton  legg.  X  903  D, 
wo  unter  offenbarer  Anspielung  auf  H.s  Trsjjsutüv  der  Weltordner  mit 
einem  ize^jzux-q^  verglichen  wird,  der  dem  besseren  Stein  die  bessere 
Stelle  anweist,  auf  die  Vorstellung  einer  göttlichen  Fürsorge  auch  bei 
H.  zurückschloß.  Piaton  hat  vielmehr  in  jenem  Abschnitte  des  10.  Buches 
seiner  Gesetze,  in  dem  sich  überhaupt  starke  Anklänge  an  H.  finden, 
die  heraklitische  Einheitslehre  und  so  aucli  den  „brettspielenden  Gott" 
nur  zur  Widerlegung  von  Einwänden  gegen  seine  im  übrigen  sich  von 
H.s  Weltanschauung  wesentlich  unterscheidende  Theodizee  benutzt. 
P.  kann  auch  in  Fr.  79  nur  eine  Bestätigung  seiner  Auffassung  des 
heraklitischen  Grundgedankens  sehen:  „Mensch  und  Tier  und  was 
du  sonst  i'm  dich  erblickst,  galt  für  H.  nicht  mehr  als  das 
Stäubchen  im  Meer,  die  Welle  im  Strom,  der  Spielstein  in  der 
Schachtel,"  —  Im  weiteren  hebt  P.  noch  die  Fragmente  hervor,  die 
bisher  in  ihrem  Charakter  als  Beispiele  für  die  Harmonie  der  Gegen- 
sätze nicht  erkannt  worden  sind.  Zu  diesen  rechnet  er  vor  allem  die, 
welche  man  bisher  dem  theologischen  Teil  zugewiesen  hat,  so  Fr.  97. 
98.  99  (Hippias'  Beispiel  vom  Thonfigürchen  und  dem  lebendigen 
Mädchen  ist  hier  als  unheraklitisch  auszuscheiden;  Fr,  130  mit  seinen 
von  Neumaun  und  Buresch  (s.  Bd.  CXII  S.  303  f.)  gefundenen  Fort- 
setzungen; Fr.  67  verbunden  mit  44;  Fr.  73  (vgl.  104  und  86);  105: 
102  und  101;  122,  123  und  118;  125,  128  und  124;  127  (der  Sinn  ist 
nach  P.:  „Schamlos  wäre,  wer  Schamloses  nicht  thäte  im  Dionysosdienste; 
dieser  geliebte  Gott  der  Lust  ist  aber  derselbe,  der  als  Tod  [Hades] 
gefürchtet    wird").     In  Fr.  67  knüpft  H.    zwar    an    den  Volksglauben 


22        Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

an,  erhebt  sich  aber  zugleich  hoch  über  ihn:  seine  Unsterblichen  stehen 
nicht  außerhalb  seines  Flusses;  sie  gehören  nicht  der  "Welt  des  Friedens, 
sondern  der  des  Krieges  an,  dessen  Geschöpfe  sie  sind  so  gut  wie  die 
Sterblichen.  So  verbindet  H.  mit  dem  Worte  Oeoi  einen  von  seinem 
göttlichen  Einen  sehr  verschiedenen  Begriff.  Es  giebt  nur  eine  Seele, 
die  alles  umschließende;  wohin  du  auch  wandeln  magst,  du  findest  nicht 
ihre  Grenze;  keine  Ferne,  keine  Tiefe,  wohin  ihre  Vernunft  nicht 
dränge  (die  Worte  ou-w  ßaöuv  Xo-^o^  e/st  Fr.  71  sind  echt;  so  auch 
Diels  Fr.  45).  Von  der  großen  Seele  getrennte  Seelenteile,  von  dem 
göttlichen  Einen  geschiedene  Flammen  brennen  im  Menschen,  durch 
den  Körper  gewissermaßen  losgerissen,  durch  die  Sinnenthürchen  ver- 
.bunden.  Diese  können  entweder  herabbrenneu,  erlöschen  oder  zur  gemein- 
samen himmlischen  Glut  hinaufschlagen.  Einer  von  diesen  Prozessen  spielt 
auch  bei  dem,  was  die  Menschen  Tod  nennen.  Die  Seelen  derer,  die  selbst- 
los für  die  Gemeinschaft  gefallen  sind,  wandeln  den  stolzen  Weg  auf- 
wärts, indes  die  Genußmenschen  in  Feuchtigkeit  erlöschen.  So  gelang 
es  H.,  aus  seinem  Lehrgebäude  etwas  abzuleiten,  was  beinahe  einer 
Unsterblichkeit  der  Guten,  einer  Vergänglichkeit  der  Schlechten  glich; 
aber  für  ihn  war  das  keine  persönliche  Fortdauer,  sondern  nur  der 
Anschluß  und  Umsatz  ins  Ev/ig-Eine.  Die  Dauer  des  Individuums  ist 
und  bleibt  für  ihn  die  greuelvollste  Vorstellung.  Diese  Ausführungen 
über  H.s  Eschatologie  (vgl.  auch  Patin  „Neues  und  Altes"  S.  338  ff.) 
haben  etwas  ungemein  Verführerisches;  die  Anschauung  von  der  Seele 
und  ihrer  Fortdauer,  von  dem  Verhältnis  der  Götter  zu  den  Menschen 
erscheint  hier  im  vollsten  und  schönsten  Einklänge  mit  H.s  ganzer  Welt- 
auffassung. Ob  wir  es  hier  aber  nicht-  bloß  mit  einer  idealen  Kon- 
struktion des  Verf.  zu  thun  haben  und  ob  H.  in  Wirklichkeit  die  vollen 
Konsequenzen  aus  seinem  System  auch  für  seine  Eschatologie  gezogen 
hat,  muß  doch  im  Hinblick  auf  die  gewaltsame  Art  Patins,  mit  be- 
stimmten, seiner  Auffassung  anscheinend  widersprechenden  Bruchstücken 
umzugehen,  bezweifelt  werden.  Indes  will  ich  nicht  leugnen,  daß  eine 
gründliche  und  nüchterne  Betrachtung  der  Fragmente  und  Zeugnisse, 
auf  die  es  hierbei  ankommt,  ihm  doch  vielleicht  recht  geben  könnte. 
Zu  Gunsten  seiner  Ansicht  spricht  jedenfalls  der  Umstand,  daß  Rohde 
(PsA'che  442  ff.),  ohne  Patin  gelesen  zu  haben,  in  der  Zurückweisung 
des  Glaubens  an  die  Unsterblichkeit  der  Einzelseelen  mit  ihm  zusammen- 
trifft (s.  Bd.  CXII  S.  134).  Sehr  unwahrscheinlich  dagegen  ist  eine 
andere  Annahme,  die  P.  aus  dvaraueaf^at  in  Fr.  86  (Zeller  714,  1  will 
hier  mit  Pflciderer  die  Worte  ^allo^  o'avaTtauea&ai  gestrichen  wissen) 
und  aus  dvaTraujiv  in  Fr.  104  ableitet,  daß  H.  die  auf  alle  folgenden 
Untersuchungen  über  das  höchste  Gut  fortwirkende  Entdeckung  ge- 
macht habe,  die  Lust  sei  nichts  Positives,  sondern  nur  die  Befriedigung 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing  )       23 

eines  Verlangens,  die  Stillung  eines  Schmerzes.  Solche  wissenschaftlich- 
ethischen  Gesichtspunkte  liegen  H.  fern;  sie  begegnen  uns  zuerst  bei 
Doniokrit  und  auch  bei  diesem  noch  in  unvoükonimoner  Gestalt.  Wenn 
P.  in  Piatons  Philebos  eine  Anzahl  versteckter  Bezieluuigen  auf  H.  ver- 
mutet und  in  den  öeivo;  dcvr^p  diesen  selbst,  in  den  [xaXa  oetvol  -za  Trepl  <puotv 
ihn  und  zugleich  seine  Naclifolg-er,  Leukipp  (?)  und  Demokrit,  zu  er- 
kennen glaubt  (Hirzel  hat  nur  Demokrit  im  Auge  gehabt,  freilich  gleich- 
falls, wie  sich  später  zeigen  wird,  mit  Unrecht),  so  hat  er  hierfür  nicht 
die  Spur  eines  zwingenden  Beweises  erbracht  und  bewegt  sich  in  einem 
Zirkelschluß.  Ebenso  willkürlich  ist  die  Behauptung,  daß  Theaet.  255  E  f. 
mit  den  xo[j.<|;6t£(io'.  Leute  wie  der  Diätetiker  gemeint  seien.  —  Den 
SchluT)  bildet  ein  Exkurs  „vom  Kreislauf  des  Stoffes".  Mit  Recht 
betont  er  gegen  Zeller  (S.  698  und  700),  daß  die  Weltzerstörung  (ix- 
TTuptüjt?)  so  wenig  wie  die  Welteutfaltung  (oiaxo^ixYiJi?)  als  ein  länger 
dauernder  Zustand  zu  betrachten  ist,  sondern  beide  nur  die  Endpunkte 
zweier  Prozesse,  zwei  entgegengesetzte  Pole  sind.  Ebenso  ist  ihm  zu- 
zustimmen, wenn  er  behauptet,  daß  in  Fr.  21  keine  Stoffe  oder  Ele- 
mente, sondei'n  nur  Elemeotarstufen  gemeint  sind.  Es  handelt  sich 
nicht  um  die  Elemente  Wasser  und  Erde,  sondern  um  das  Meer  als 
Weltteil,  um  das  Urmeer,  von  dem  unser  Meer  nur  ein  Überbleibsel 
ist,  und  ebenso  nicht  um  unser  Land,  sondern  um  die  Grundfeste.  Es 
ist  ein  alter  Irrtum  der  Neuplatoniker,  daß  der  Weg  abwärts  mit  der 
Weltbildung,  der  Weg  aufwärts  mit  Weltzerstörung  identisch  sei.  Der 
große  Weltprozeß  vollzieht  sich  in  einem  Kreisläufe ;  aber  es  ist  wider- 
sinnig, neben  diesem  großen  Umlauf  einen  zweiten  täglichen  anzunehmen, 
gewissermaßen  einen  Kreislauf  im  Kreislauf.  In  der  entfalteten  Welt, 
wie  sie  in  der  Mitte  jener  Kreisbewegung  erscheint  (die  drei  Schichten 
des  Feuers,  des  Meeres  und  der  Erde  unter  einander)  herrscht  der 
Polemos,  d°r  durch  ein  Getümmel,  einen  wilden  Wirbel  der  in  einander 
flutenden  Streitmassen  die  Vielheit  hervorbringt  (vgl.  das  Bild  vom 
xuxscov,  dem  kosmologische  Bedeutung  nicht  abgesprochen  werden  darf). 
In  dieser  Darstellung  ist  die  Scheidung  der  täglichen  ooo?  «voj  xal  xa-w 
von  dem  großen  Weltkreislaufe  zutreffend;  aber  wie  P.  dazu  kommt, 
aus  jener,  die  in  Wahrheit  als  ein  Halbkreis  aufzufassen  ist,  wie  ihn 
die  Sonne  täglich  beschreibt,  ein  „wildes  Getümmel"  zu  machen,  das  er 
als  eine  unmittelbare  Vorstufe  der  atomistischen  Lehre  bezeichnet (?), 
ist  mir  unverständlich:  in  der  Überlieferung  findet  sich  davon  nicht  die 
geringste  Andeutung.  Daß  sich  übrigens  der  Kreislauf  der  Elementar- 
stufe'i  so  völlig  gleichmäßig  vor-  und  rückwärts  vollzieht,  wie  P.  an- 
nimmt, ist  nicht  ausgemacht.  Fr.  21,  wonach  das  Meer  zur  Hälfte 
Erde,  zur  Hälfte  Glutwind  ist,  und  ebenso  die  beiden  Arten  der  ava- 
öufitajic,    die    trockene   und    die    feuchte,    scheinen    auf    eine    andere 


24       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.y 

Anordnung  hinzudeuten.  Hier  ist  noch  ein  dunkler  Punkt  in  H.s 
Lehre. 

So  viel  auch  im  vorstehenden  au  der  Methode  und  den  Ergeb- 
nissen der  Untersuchungen  Patins  auszusetzen  war,  so  muß  doch  zum 
Schluß  noch  einmal  ausdrücklich  anerkannt  u'erden,  daß  seine  Schriften 
zu  dem  Bedeutendsten  gehören,  was  in  den  letzten  Jahrzehnten  über  H. 
erschienen  ist.  Das  kurz  und  ohne  jede  Begründung  ablehnende  Urteil 
Wellmanns  (Arch.  VIII  295  f.)  über  die  „Beispiele"  ist  daher  ebenso- 
wenig gerechtfertigt,  wie  das  völlige  Schweigen  Zelleis  in  der  5.  Aufl. 
über  die  „Einheitslehre".  Daß  P.  durcli  dieses  Schweigen,  das  er  nicht 
ohne  Grund  für  beabsichtigt  hält,  erbittert  worden  ist,  läßt  sich  be- 
greifen, und  man  muß  ihm  deshalb  die  Ausfälle  gegen  Zeller  am  Schluß 
der  „Beispiele"  bis  zu  einem  gewissen  Grade  zu  gute  halten,  wenn 
auch  die  maßlose  Heftigkeit  dieser  Ausfälle  nicht  zu  billigen  ist. 
Ein  um  so  wärmerer  Bewunderer  ist  ihm  in  F.  ßoU  (No.  321)  er- 
standen, der  freilich  mit  seiner  uneingeschränkten  Zustimmung  zu  allen 
wichtigen  Resultaten  der  Untersuchungen  Patins  in  das  andere  Extrem 
verfallen  ist. 

Die  beiden  Abhandlungen  von  Aall  (No.  322  und  323)  fassen 
wir  in  unserem  Berichte  zusammen,  da  die  erste  ihrem  Hauptbestand- 
teile nach  in  die  umfassendere  zweite  aufgenommen  ist.  A.  bespricht 
zunächst  die  ersten  Anfänge  der  Logosidee  bei  Thaies,  Xenophanes  und 
Parmenides,  ohne  etwas  Neues  beizubringen.  Auffallend  ist,  daß  ihm 
die  auf  stoischer  Deutung  beruhenden  Worte  bei  Stob.  I  1,  29  b: 
öaX^v  vouv  Tou  Y.6a\xoo  xov  lleov  als  authentisch  gelten,  und  daß  er  Parm. 
für  den  Vorgänger  H.s  hält.  Der  Abschnitt  über  Heraklit  (=  No.  322^) 
beginnt  mit  der  Frage,  wie  H.  dazu  gekommen  sei,  das  Feuer  zum 
Weltprinzip  zu  machen.    A.  weiß  keine  andere  Antwort  als  :  Nachdem 

')  Hier  hatte  Verf.  den  ganzen  Stoff  in  folgende  drei  Abschnitte  ge- 
teilt: 1.  genetiscb-phänomenologische  Untersuchung;  2.  real-inhaltliche  Be- 
stimmung der  Logosidee  H.s;  3.  spezielle,  formale  Grenzbestimmungen  dieser 
Idee.  Dem  Inhalte  nach  hat  er  "in  No.  323  diese  Dreiteilung  beibehalten, 
aber  den  ersten  Abschnitt  in  verständlicherer  Sprache  als  „die  Hauptlinien 
der  Philosophie  H.s"  bezeichnet.  Auch  hatte  er  in  der  früheren  Abb. 
schärfer  den  trotz  des  alles  durchdringenden  Keuerstoftes  doch  immateriellen 
Charakter  der  Lehre  H.s  betont.  Mehr  in  den  Vordergrund  war  endlich 
in  No.  322  die  Kategorie  des  Ästhetischen  (im  weiteren,  Kantischen  Sinne) 
getreten,  und  er  hatte  diese  heraklitische  Ästhetik  dann  in  eine  religiöse, 
mechanische  und  ethische  gegliedert.  Daß  er  solche  abstrakte  moderne 
Bezeichnungen  und  Unterscheidungen,  die  uns  in  einer  Darstellung  des 
beraklitiscben  Systems  höchst  fremdartig  anmuten,  später  beseitigt  oder 
doch  nur,  wie  den  Begriff  des  Ästhetischen,  gelegentlich  verwendet  hat,  ist 
nur  zu  billi'zen. 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)       25 

Lnft,  Wasser  und  das  Unbegrenzte  von  älteren  Denkern  anfgestelit 
worden  waren,  ist  mit  H.  das  Feuer  an  tue  Reihe  izekomnien  [also  bloll 
der  Abwechselung  halber?  Und  doch  thut  er  sich,  wie  A.  gleich  darauf 
sagt,  in  seiner  Feuertheorie  als  „spekulativ- schöpferischer  Philosoph 
antiken  Stils"  kund!].  An  die  schöpferische  Spekulation  des  Physikers 
schließt  sich  die  originelle  Produktivität  des  scharfen,  intuitiven  Bo- 
obachters,  die  besonders  in  der  Bewegungslehre  zum  Ausdruck  kommt, 
einer  Idee,  die  er  vom  Gebiete  des  Ästhetischen  (!)  aus  ins  Spekulative 
überführt,  ohne  jedoch  das  seiner  Natur  nach  mechanische  Bewegunas- 
problem  systematiscli  zu  behandeln.  Im  n6Xe|xo;  liegt  nur  die  veran- 
schanlichte  Modalität  des  gegensätzlichen  Wirkens-,  er  ist  nicht  der 
Urheber  des  vorhandenen  Was,  sondern  des  dramatischon  Wie  der 
Welt.  Mit  H.s  Thätigkeit  als  Physiker,  spekulativer  und  intuitiver 
Denker  steht  seine  Wirksamkeit  als  „Kritiker  und  Ethiker"  nur  in  losem 
Zn-ammenliang.  Obwohl  er  die  Welt  spontan  erklärt  und  Gott  aus 
seiner  Weltauffassung  ausgeschlossen  erscheint,  will  er  doch  auf  dieser 
Erde  den  Göttern  einen  Platz  einräumen;  die  Welt  wimmelt  ihm  von 
göttlichen  Wesen  [so  nach  Fr.  131,  das  aber  unecht  ist!].  Mit  der 
Gottesidee  ist  aber  schon  der  Übergang  zur  Logosidee  gegeben:  wo 
Gott  ist,  ist  Geist  und  damit  zugleich  Vernunft,  Gesetzmäßigkeit  und 
Zweck  (Pantheismus).  '  H.  hat  das  Universalgesetz  mit  dem  Namen 
Gottes  in  Verbindung  gebracht,  aber  die  Verknüpfung  ist  lose,  und  in 
Fr.  65  schreibt  er  der  Weisheitsmonade  (so!)  eine  gewisse  Selbständigkeit 
ZU;  der  Name  des  Allvaters  ordnet  sich  dieser  Idee  unter;  die  Weisheit 
soll  rein  für  sich  erkannt  werden  können,  nicht  „theomorphisiert" 
wei'den.  —  Ein  Hauptstück  der  Philosophie  H.s  ist  das  Dogma  von 
der  Einheit  und  Harmonie  aller  Erscheinungen  [die  scharfe  Hervor- 
kehrung  dieses  Lehrsatzes,  die  sich  in  der  früheren  Abb.  noch  nicht 
findet,  ist  wohl  hauptsächlich  auf  Patins  EinfluU  zuiückzuführen].  Dieses 
Gesetz  der  Harmonie  greift  auch  ins  Ethische  hinüber  (Gut  und  Böse 
eins,  das  Maß,  das  xoivov).  —  A.  wendet  sich  darauf  der  speziellen 
Lehre  vom  Logos  zu.  An  die  Spitze  stellt  er  eine  Tafel  der  heraklitischen 
Logossprüche,  in  der  die  zweite  Hälfte  von  Fr.  2  ihren  Platz  vor  der 
ersten  erhalten  hat  (?).  In  den  daran  sich  knüpfenden  Erläuterungen 
weist  er  die  Bedeutung-  „Rede"  für  X670?  zurück  und  will  iu  den  ent- 
scheidenden Fragmenten  nur  die  Bedeutung  ,, Vernunft"  gelten  lassen. 
[Richtiger  ist  wohl,  mit  Patin  „Neues  und  Altes"  anzunehmen,  H.  habe 
dem  griechischen  Sprachgebrauch  folgend  beide  Seiten  des  'k6-;o;,  di« 
innere  wie  die  äußere,  in  dem  einen  Begriffe  zusammengedacht.]  1  i 
Fr.  23  setzt  Heinze  mit  Unrecht  Xo-jo;  mit  itüp  gleich:  es  ist  eine  ab- 
surde Vorstellung,  daß  sich  das  Meer  in  Logos  verwandele;  ei;  xov 
a'jTov  X070V  ist  vielmehr  gleichbedeutend  mit  xaxa  x.  otu.  X.   „eandem  in 


26       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

rationera,  qnalis"  [s.  jedoch  Patin  „Neues  und  Altes",  wo  zutreffend 
die  räumliche  Bedeutung  von  etc  veiteidig-t  wird;  der  Xo-p;  gewinnt  erst 
Gestalt  durch  die  Bewegung  des  [xsTpleailat,  diese  verläuft  in  ihn].  In 
den  Logossprüchen  wird  der  X670?  erstens  als  für  die  Menschen  erfaßbar 
und  zweitens  als  universell  vorgestellt.  Es  giebt  nach  H.  im  System 
des  Kosmos  eine  objektiv  bezeugte  Vernunft;  nach  dieser  eingerichtet 
und  von  ihr  intellektuell  beherrscht,  entfaltet  sich  uns  die  Welt  sichtlich. 
Uunnterbrochen  drängt  sich  jene  Vernunft  dem  menschlichen  Bewußtsein 
dermaßen  auf,  daß  der  Mensch  nur  irrtümlicherweise  eine  von  ihr  ab- 
weichende, gesonderte  Quasivernunft  zu  besitzen  wähnt.  H.  ist  über- 
zeugt, daß  den  von  ihm  geoffenbarten  Vernunft  Wahrheiten  die  Unver- 
ständigen auf  die  Länge  sich  nicht  verschließen  können  [dies  liest  A. 
wunderlicherweise  aus  den  Worten  in  Fr.  2:  «^uvetoi  -/tvovxai  avilpcuTtoi 
.  .  .  dxoujavTE?  tö  TipcÜTov  heraus,  indem  er  als  Gegensatz  hinzudenkt:  „aber 
nachher  w^erden  sie  vernünftig",  mit  Ausnahme  jedoch  der  dem  Vieh 
ähnlichen  Masse  (Fr.  111);  eine  völlig  verfehlte  Erklärung,  die  durch 
die  unmögliche  Unterscheidung  der  „Masse"  von  den  „Unverständigen" 
geradezu  sinnlos  wird].  In  allen  diesen  Sprüchen  erscheint  IL  als  der 
ethisch  entrüstete  Kritiker.  Die  praktisch  reformatorische  Idee  hat 
über  das  Interesse  an  der  Einführung  eines  neuen  Philosophems  das 
Übeigewicht  gewonnen.  —  Schließlich  geht  G.  auf  die  Greuzbestimmungen 
des  Begriffes  ein.  Der  Logos  ist  nicht,  wie  man  glaubt,  mit  dem  Feuer 
identisch ;  diese  Verschmelzung  trat  erst  bei  den  Stoikern  ein.  (Ebenso- 
wenig fallen  ij^uy»]  und  avaöujjLia^i?  mit  dem  l6'(o?  zusammen.  'Ava&u[/.iac;'.c 
ist  als  heraklitischer  Terminus  überhaupt  verdächtig  trotz  Aristot.  d. 
an.  405  a  26;  sie  scheint  vielmehr  spezifisch  stoisch  [aber  bei  Aristot. 
wenigstens  kommt  sie  doch  schon  vor  und  zwar  als  heraklitisch].  Die 
Doktrin  von  der  avaöuixtaat?  konnte  sich  ja  auch  erst  nach  der  zuerst 
bei  den  Atoniikern  und  bei  Diogenes  auftretenden  Lehre  von  der  dvaitvoy] 
ausbilden).  Weder  kommt  7:üp  in  irgend  einem  der  Sprüche  H.s  vor, 
die  einen  eüiisch-kritischen  Charakter  tragen,  noch  ist  umgekehrt  dem 
Xo-j-o;  irgendwo  ein  Element  physischer  Ursächlichkeit  beigelegt.  Ver- 
kehrterweise beruft  man  sich  dafür,  daß  Phj'sisches  und  Psychisches 
(Teichmüller),  l6'io<;  und  Ttup  (Heinze)  bei  H.  identisch  seien,  auf  Sext. 
math.  7,  127  ff.,  der  H.  atomistisch-stoische  Anschauungen  unterschiebt 
[s.  dagegen  Patin  „Neues  und  Altes",  wo  dargelegt  wird,  daß  Sextus 
im  Grunde  mit  der  aus  H.s  eigenen  Worten  nachweisbaren  Einheitslehre 
übereinstimmt,  wenn  er  auch  diese  Lehre  etwas  deutelt  und  dreht,  um 
H.  mit  anderen  Philosophen  unter  einen  Hut  zu  bringen].  Ebenso 
falsch  ist  es,  wenn  man  den  X6-^oc  mit  der  ewigen  Bewegung,  mit  dem 
Streit  und  dem  Krieg  oder  mit  der  eifj,ocp[ji,£VY)  [es  ist  fraglich,  ob  der 
Ausdruck,  EiixapjxevY]  bei  H.  vorkam.    Das  bei  Stob,  überlieferte,  übrigens 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)       27 

von  Diels  als  unecht  bezeichnete  Fr.  zixi  yxp  ei|xapix£va  -avTtoc  .  .  .  , 
das  A.  ganz  verkehrt  übersetzt,  bietet  nur  die  Pluralform  des  Neutrums] 
und  dem  otxaiov  gleichsetzt.  Das  Ergebnis  fallt  A.  S.  43  ff.  so  zu- 
sammen: X070C  ist  bei  H.  kein  „Paragraph  in  seinem  Lehrsystem",  sondern 
„eine  ästhetische  J^ormel  für  seine  auf  das  Leben  gehende  ethische 
Intuition".  X070;  und  -üp  bilden  bei  iiim  zwei  verschiedene  Centren. 
Dies  ist  sicher  kein  größerer  "Widerspruch,  als  wenn  H.  die  Seele  mit 
dem  Tode  erlöschen  läßt  und  anderwärts  doch,  wie  man  nach  Fr.  122, 
102  und  101  trotz  Patin  annehmen  muß,  eine  individuelle  Unsterblich- 
keit lehrt  [vgl.  dagegen,  was  Patin  „Neues  und  Altes"  zur  Recht- 
fertigung seiner  Auffassung  bemerkt].  Der  Xo-|Oc  ist  die  intellektuelle 
Basis  der  Welt  und  zugleich  „der  Wahrheit  zuverlässigstes  und  klarstes 
Ideal".  Während  dieser  Begriff  seinem  Umfange  nach  sehr  bedeutend 
ist,  indem  er  das  ganze  Universum  umfaßt,  ist  sein  Inhalt  bald  erschöpft. 
Er  erscheint  so  bei  H.  noch  sehr  unentwickelt;  es  haftet  ihm  noch 
nichts  Teleologisches  und  Systematisches  an.  —  Im  folgenden  bespricht 
A.  die  Weiterentvvickelung  des  Logos  bei  Anaxagoras.  Dieser  hat 
freilich  den  Impuls  für  seine  Lehre  vom  voü;  schwerlich  aus  H.s  Logos- 
sprüchen erhalten,  sondern  er  knüpft  an  die  eleatische  und  atomistische 
Lehre  an.  Der  Fortschritt  von  H.  zu  Anaxag.  besteht  darin,  daß, 
während  jener  in  seinem  Logos  eine  Norm  der  Vernunftmäßigkeit  ge- 
funden hat,  dieser  in  seinem  Nus  auf  die  wirksame  Zweckmäßigkeit 
selbst  hinw^eist.  So  hat  die  anaxagoreische  Philosophie  auch  die  Ent- 
wickeluug  des  Logosbegriffes  gefördert.  Eine  gewisse  Beachtung  ver- 
dient auch  Emped.  mit  seinen  beiden  Bewegungsfaktoren  und  seiner 
Perzeptionstheorie.  Piaton  hat  zwar  durch  seine  Nuslehre  und  vor 
allem  durch  seine  Ideenlehre  auf  die  spätere  Logostheorie  in  hervor- 
ragendem Maße  eingewirkt,  aber  das  Wort  X070?  im  metaphj'sischen 
Sinne  kommt  bei  ihm  nicht  vor  [übrigens  auch  bei  Anaxag.  nicht], 
ebensowenig  bei  Aristot.  und  in  der  Epinomis  (die  Worte  986  c:  ov 
£Ta$ö  XoYoc  0  TzavTcov  öoioxaxo?  hält  A.  für  ein  späteres  Einschiebsel). 
Erst  in  der  Stoa  wird  der  Xo-co?  zu  einem  einheitlichen  Prinzip,  das 
diese  Welt  gestaltet.  Die  nun  folgenden  Ausführungen  über  die  Stoiker, 
die  alexandrinische  Philosophie,  besonders  Philon,  und  die  Neuplatoniker 
liegen  außerhalb  dieses  Berichtes.  —  Die  Untersuchung  Aalls  hat  in 
den  Besprechungen  von  Döring  Litt.  C.-Bl.  1897,  1029  ff.,  P.  Wend- 
land Theol.  L.-Z.  1897  No.  15,  E.  Wellmann  D.  L.-Z.  1897,  930  ff. 
und  Patin  „Neues  und  Altes"  (vgl.  aul.'erdem  Ossip-Louvie  ßev. 
philos.  1897,  312  und  Adam  Mind  VI  428)  eine  vorwiegend  ungünstige 
und  besoudeis  in  Bezug  auf  H.  ablehnende  Beurteilung  erfahren.  Ich 
kann  mich  dieser  Beurteilung  nur  anschließen.  Philologisch  betrachtet, 
ist  die  Arbeit  durchaus  minderweitig.  Verf.  versteht  zu  wenig  Griechisch. 


28       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Zum  Beweise  dafür  mögen  außer  den  bereits  angeführten  noch  folg-cnde 
Proben  seiner  Behandhing  der  Frag-mente  dienen,  In  die  Worte  d. 
diaeta  c.  11:  «puiiv  ol  Trav-e?  (so  liest  er,  offenbar  nach  der  Kühnschen 
Ausgabe,  statt  des  jetzt  handschriftlich  gesicherten  TiavTwv)  rjtExoajjLrjaav 
■KxX.^  die  er  unter  fälschlicher  Berufung  auf  Patin  für  echt  heraklitisch 
hält,  legt  er  den  8inn  hinein,  dad  sich  an  der  Ausstattung  (?)  der 
Natur  alle  Götter  beteiligt  haben,  alle  göttlichen  Hände  (?)  mit  ihrer 
Ausschmückung  (?)  beschäftigt  waren,  und  daß  sich  die  Götter  dieser 
Arbeit  ehrenvoll  entledigt  haben  (so  übersetzt  er  ozo^a  6s  ftsol 
Sieftsaav  opOöi?  £/£t!).  Fr.  91  wird  q'jv  v6(p  X£-fovT7.s  so  wiedergegeben: 
„die,  welche  glauben,  etwas  Anständiges  sagen  zu  können  (!!).  Das 
Stärkste  in  dieser  Hinsiclit  bietet  die  Erklärung  von  Fr.  48:  „Lasset 
ans  nicht,  wenn  wir  uns  über  die  großen  Sachen  verständigen  wollen, 
Verfängliches  (dy.r^l)  beibringen  (jup-ßaXojiJLEfla!)."  Soll  man  da  noch 
an  Druckfehler  glauben,  wenn  man  „Pythagoräer"  und  „pythagoräisch" 
liest,  um  von  den  zahlreichen  Fehlern  in  griechischen  Citaten  zu 
schweigen  (fast  durchweg  z  B.  Sttoi/oi!)?  Auch  von  Quellenkritik  ist 
keine  Rede.  Nirgends  prüft  Verf.,  ob  die  von  ilim  als  Belegstellen 
angeführten  Fragmente,  wie  z.  B.  Fr.  131,  133,  106  und  107,  als  echt 
anzusehen  sind.  Aber  nicht  bloß  in  der  rein  philologischen  Behahdlung 
der  Bruchstücke,  sondern  auch  in  der  Erfassung  des  philosophischen 
Gehaltes  der  heraklitischen  Lehre  vermißt  man  die  gesunde  historische 
Methode.  Gerade  was  er  nach  der  Ankündigung  im  Anfang  der  1.  Abh. 
anderen  vorwirft  und  seihst  zu  vermeiden  verspricht,  das  Hineintragen 
späterer  Anschauungen  in  die  Gedanken  H.s,  findet  sich  bei  ihm  iu 
reichlicherem  Maße  als  bei  den  meisten  seiner  Vorgänger.  Was  in  dem 
anschaulichen  Denken  des  Ephesiers  noch  ungeschiedeu  liegt,  Sinnliches 
und  Geistiges,  Natürliches  und  Göttliches,  Physisches  und  Ethisches, 
scheidet  er  und  stellt  er  zu  einander  in  Gegensatz.  Glaubt  er  doch 
im  Ernste,  daß  die  Gegenüberstellung  von  vorixov  cp'lj?  und  aiJÖYjxov  ffuic 
in  den  "Worten,  mit  denen  Clemens  Fr.  27  einleitet,  wenn  nicht  wörtlich, 
so  doch  dem  Sinne  nach,  auf  H.  zurückgehen.  Kein  Wunder,  daß  er 
auf  diesem  Wege  zu  dem  grundfalschen  Ergebnisse  gelaugt,  X670C  und 
Tiup  seien  völlig  verschieden,  jener  habe  ausschließlich  eine  ethische, 
dieses  lediglich  eine  physikalische  Bedeutung.  Hätte  er  es  der  Mühe 
für  wert  gehalten,  auf  H.s  Psychologie  und  Eschatologie  ein  wenig  ein- 
'zugehen,  so  hätte  ihm  nicht  verborgen  bleiben  können,  daß  das  Feuer 
in  der  Seelenlehre  H.s  und  in  seinen  Vorstellungen  vom  Jenseits  eine 
wesentliche  Rolle  spielt.  Daß  umgekehrt  dem  X670C  eine  kosmische 
Bedeutung  zukommt,  hat  er  zwar  erkannt  und  au  mehreren  Stellen 
ausgesprochen,  setzt  sich  aber  damit  nur  in  Widerspruch  mit  seiner 
Hauptthese,    wie  denn  überhaupt  die  Entwickelung    der  Gedanken    bei 


Beriebt  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates,     (Lortzing.)        29 

ilim  vielt'uch  an  bedenklicher  Unklarheit  leidet,  ein  Maugel,  der  doch 
nur  zum  geringeren  Teile  auf  seine  ungeschickte  Handhabung  der 
deutscheu  Sprache  (A.  ist  Schwede)  zuiückzuführen  ist.  Für  H.  ist 
das  Prinzip  der  Dinge  etwas  ewig  Bewegliches  und  Lebendiges,  das  ihm 
bald  als  Stoff  angeschaut,  Feuer,  bald,  als  vernünftiges,  in  allen  Wand- 
lungen des  Stoffes  herrschendes  Gesetz  X670;,  dann  wiederum  als  Ur- 
sache des  ewigen  Auseinauderstrebens  und  Ineinanderzuiückkehrens  der 
Gegensätze  Krieg  und  Harmonie  heißt  u.  s.  w.  Alle  die  verschiedeneu 
Benennungen,  die  A.  streng  vom  X070C  geschieden  wissen  will,  sind  in 
Wahrheit  nur  die  verschiedenen  Seiten  des  einen,  alles  vernünftig  lenken- 
den Feuers.  Bei  einer  solchen  Anschauung  lassen  sich  auch  Ethisches 
und  Physisches  nicht  trennen;  sie  sind  vielmehr  durch  eine  innige 
Wesensgemeiuschaft  verbunden.  Daß  A.  dieses  Verhältnis  verkannt  hat, 
ist  ein  Anachronismus.  Er  hätte  es  aus  den  Darstellungen  von  Heinze, 
Zeller,  Gomperz  und  Patin  ersehen  können,  mit  denen  verglichen  seine 
Arbeit  einen  entschiedenen  Rückschritt  bedeutet.  —  Aus  Patius  kurzer 
Abh.  (No.  324),  die  zur  Verteidigung  seiner  Ansichten  anderen,  be- 
sonders Aall  gegenüber  geschrieben  ist,  haben  wir  alles  Wichtige  ge- 
legentlich schon  erwähnt. 

Mariupolsky  unterscheidet  in  der  Entwickehuig  der  Evolutions- 
theorie zwei  Phasen:  in  der  ersten  handelt  es  ich  um  das  Wie,  in  der 
zweiten  um  das  Warum  in  der  Entstehung  der  Dinge;  die  eine  hat 
die  Entfaltung,  die  andere  die  Entwickelung  der  Natur  zum  Gegen- 
stande. Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  bespricht  er  in  4  Abschnitten: 
1.  H.  S.  1—14;  2.  die  Stoa;  3.  Telesius  und  Bruno;  4.  Hobbes.  Für 
uns  kommt  nur  der  erste  Abschnitt  in  betracht,  und  auch  dieser  nur 
insoweit,  als  er  eine  rein  geschichtliche  Darstellung  der  Lehre  H.s 
giebt  oder  geben  will;  auf  die  von  den  ganz  modernen  Begriffen  der 
Entfaltung  and  Entwickelung  ausgehende  Kritik  am  Schlüsse  des  Ab- 
schnittes können  wir  uns  hier  nicht  einlassen.  Gewiß  hat  eine  solche 
Kritik  ihre  volle  Berechtigung,  aber  sie  kann  leicht  den,  der  sie  übt, 
dazu  verleiten,  den  antiken  Denkern  moderne  Anschauungen  und  Begriffe 
unterzuschieben.  Zwar  hat  sich  M.  vor  dieser  Klippe  im  allgemeinen 
geliütet(s.  jedoch  die  unleidlich  modernisierende  Übersetzung  von  Fr.  78); 
aber  eine  andere  Gefahr  hat  er  nicht  in  gleichem  Maße  vermieden. 
Sie  besteht  in  der  Schwierigkeit,  von  der  Darstellung  der  ältesten  Sy- 
steme nicht  nur  rein  moderne  und  nicht  nur  platonische,  aristotelische  oder 
stoische  Vcistellungen  fernzuhalten,  sondern  auch  solche,  die  erst  auf 
späteren  Entwickelungsstufen  der  vorsokratischen  Philosophie  zur  Ent- 
faltung gekommen  sind.  Wenn  es  S.  3  heißt:  „Das  Prinzip  des 
„Werdens"  als  etwas  für  H.  Unzeitgemäßes,  Verfrühtes  hiuzustelien, 
können  [lies:  hinstellen  können]  wir  schon  darum  nicht,    weil  das  ent- 


30       Beriebt  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

fiegengesetzte  Prinzip  des  ,Seins',  was  niemand  bestreiten  wird,  schon 
bei  Parni.  zu  finden  ist",  so  ist  dagegen  zunächst  einzuwenden,  daß  der 
,,BegTiif  des  Werdens"  bei  H.  uocli  keine  selbständige  Ausprägung  er- 
lialten  hat:  eine  solche  begegnet  uns  erst  im  sopliistischen  Zeitalter  bei 
den  Neuherakliteern  und  Protagoreern  (s.  Piatons  Theaet.),  während 
H.,  nach  den  erhaltenen  Bruchstücken  wenigstens,  nur  den  Gegensatz 
und  die  Harmonie  von  Sein  und  Nichtsein  kennt  (eT[ji.ev  xe  xal  oux  eljxsv 
Fr.  81).  Unausgesprochen  liegt  ja  allerdings  der  Lehre  von  dem  Aus- 
einandergehen der  Gegensätze  die  Anschauung  des  Werdens  zu  gründe, 
und  dies  ist  auch  den  auf  H.  folgenden  Philosophen  nicht  verborgen 
geblieben,  die  im  Gegensatze  zu  jenem  einmütig  die  Möglichkeit  einer 
qualitativen  Veränderung  bestreiten.  Der  erste  unter  den  Gegnern  H.s 
aber  ist  Parm. ;  denn  es  ist,  wie  wir  wiederholt  bemerkt  haben,  ein 
Irrtum,  anzunehmen,  H.  habe  nach  Parm.  geschrieben  und  sich  gegen 
diesen  (M.  meint  sogar,  auch  gegen  dessen  Schüler  Zenon!)  gewendet. 
Im  allgemeinen  hat  H.  die  Hauptpunkte  der  Lehre  H.s  ziemlich  zutreffend 
hervorgehoben  und  einige  beachtenswerte  Betrachtungen  daran  geknüpft, 
wie  die,  daß  H.  von  einer  allmählichen  Vervollkommnung  der  Natur 
nichts  weiß  und  die  Weltentfaltung  bei  ihm  kein  Progreß,  sondern  ein 
Regreß  ist.  Nicht  ungeiiigt  aber  darf  bleiben,  daß  die  von  M.,  übrigens 
nur  in  deutscher  Übersetzung  und  ohne  Quellenangabe,  seiner  Darstellung 
eingeflochtenen  Fragmente  zum  nicht  geringen  Teile  gar  nicht  zu  den 
wirklichen  Fragmenten  gehören,  sondern  teils  der  Schrift  d.  diaeta,  teils 
den  an  die  Citate  sich  anschließenden  Zusätzen  der  Quellenschriftsteller 
entnommen  sind.  —  Warum  M.  die  übrigen  vorsokratischen  Philosophen, 
von  der  ganz  gelegentlichen  Erwähnung  der  ältesten  lonier  abgesehen, 
von  seiner  Darstellung  ausgeschlossen  hat,  ist  unverständlich.  Eine 
Weltentfaltung  findet  sich  doch  nicht  bloß  bei  H,,  sondern  in  den  Sy- 
stemen fast  aller  Philosophen  von  Auaximander  bis  auf  Anaxagoras  und 
Demokrit,  die  Eleaten  ausgenommen  (vgl.  jedoch  auch  hier  die  A6$a 
des  Parm.).  Besonders  zu  verwundern  ist  es,  daß  er  die  Ansätze  zu 
einer  Art  von  Descendenzlehre  bei  Anaximander  und  Emped.  gar  nicht 
beachtet  hat. 

Zu  G.  Mayer  (No.  328)  verweise  ich  auf  die  kurze  Inhalts- 
angabe bei  Diels  Arch.  I  102  sowie  auf  die  Besprechungen  von 
Thilo  Zschr.  f.  exakte  Philos.  15,  412  ff.  und  von  Köber  Zschr.  f. 
Philos.  90,  2  S.  315  f. 

Zur  Kritik  des  Textes  der  Fragmente 
ist  fast  alles  Wichtige  bereits  in  den  vorstehenden  Besprechungen  bei- 
gebracht worden.    Hinzuzufügen  wären  noch  etwa  folgende  Vermutungen. 
In  Fr.  12  hält  Rohde  Psyche  356,  3  die  Worte  -/iXtujv  steojv  l^ixvaexaL 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)        31 

TT,  <fwv^  ota  xov  i)£ov  für  einen  Zusatz  Plutarchs,  wiihreud  Schleier- 
macher und  Diels  (Fr.  92)  ota  tov  Oeo'v  als  echt  ansehen.  —  Fr.  39 
vermotet  Diels  doxogr.  163,2  zweifelnd  <>u-/p6v  statt  xa  <\i'r/pd.  —  In 
dem  von  Byvv.  in  der  Anm.  zu  Fr.  4G  angeführten,  von  Diels  wieder 
in  den  Text  (Fr.  124)  gesetzten  Citat  aus  Theophr.  Metuph.  15  schreibt 
Diels  Jeu.  L.-Z.  1877,  393  flf.  und  in  seiner  Ausg.  adpixoL  für  aapf.  — 
Fr.  62  für  ypewixsva  Diels  Jen.  L.-Z.  1877,  394  uud  Wilamowitz 
Herakl.  II  68:  ypetov  (ebenso  Zeller  655,3).  —  Fr.  91  Weil  rev.  de 
philo],  II  85  f.  vooi  für  vo|xot.  Am  Schluß  dieses  Fr.  Patin  ,,Quellenst. 
zu  Her."  I^apxssi  <TravTa>  tcöcji.  —  Den  bei  Stob.  flor.  I  180a  den 
folgenden  Sokratessprüchen  zugewieseuen,  von  Ilense  abgetrennten  Satz: 
<l'y/r^i  ejti  X070;  eau-öv  a'j;o)v  hat  nach  Diels  (zu  Fr.  115  seiner  Ausg.) 
11.  Sehen  kl  [wo?]  mit  Recht  für  H.  in  Anspruch  geuommen. 

F.    Empedokles. 

1.    Zur  Kritik  uud  Erklärung  der  Fragmeute. 

*328.  S.  Reinach,  Le  texte  d'Empedocle.  L'Iustr.  publ.  1876 
S.  165—167.   183—184.     247—249.     277—279. 

329.  H.  Diels,  Studia  Empedoclea.  Hermes  15  (1880)  S.  161 
-179. 

330.  F.  Blaß,   Zu  E.     Jahrb.   f.   kl.  Ph.  127  (1883)  S.  19  ff. 

331.  Th.  Bergk,  Kleine  philologische  Schriften,  herausgegeben 
von  Peppmüller.     II.     Halle  1886.     A.  Empedoclea.     S.  3—66. 

332.  F.  Knatz,  Empedoclea.  Schedae  pliilol.  H.  Usener  .  .  . 
oblatae.     Bonnae  1891,  S.  1—9. 

333.  H.  Diels,  Pseudonaevianum.     Rh.  Mus.  49  (1894)  S.  478. 

334.  Th.  Gomperz,  Zu  E.    Hermes  31  (1896)  S.  469—471. 

335.  A.  Platt,  Notes  on  E.  Journ.  of  Philol.  24  (1896) 
S.  246  f. 

336.  H.  Diels,  Über  ein  Fragment  des  E.  Sitz.-B.  d.  Berl. 
Akad.  d.  Wiss.  1897  (49)  S.  1062—1073. 

*337.  A.  S.  Ward,  Erapedocles.  Chancellor's  Latin  verse.  Oxford 
1897,  16  S. 

*338.  E.  Radioff,  Empedokles.  (Paissische  Übersetzung  in  Versen.) 
Journal  des  Kaiserl.  russ.  Min.  d.  Volksaufkl.  1889,  Febr.— Mai. 

339.  Sphaeram  Empedoclis  quae  dicitur  rec.  et  dissertationem 
adi.  F.  Wieck.    Dissert.  Gryphiswald.     Lipsiae  1897. 

Der  Inhalt  von  No.  328,  einer  Jugendarbeit  Reiuachs,  ist  nach 
einer    brieflichen    Mitteilung    des    Verf.  folgender.     Claudiun  Panegyr. 


o2       Bericht  über  die  griecbiscljen  Philosophen  vor  Sokrates.     (Lortzing.) 

Älallii  Tbeodori  beweist,  dalJ  die  Werke  des  E.  noch  am  Anfange  des 
5.  Jahrhunderts  erhalten  waren  und  zwar  in  Mailand.  Aurispa  hat 
xaUapfxou?  'E\i.r.tooY.Xi(joi  (so  nach  Martene,  der  richtig  gelesen  zu  haben 
scheint;  Morellis  Lesung  xai  -iva  'Eixtt.  iu  einem  lateinischen  Briefe  ist 
unwahrscheinlich)  von  Griechenland  nach  Italien  gebracht.  Die  Arbeit 
bespricht  dann  die  älteicn  Ausgaben  des  E.  sowie  eine  wenig  bekannte 
Arbeit  von  Dezeimeris  (im  Moniteur  vom  4.,  8.  und  9.  Juni  1846),  in 
der  drei  Werke  der  Hippokratischen  Sammlung  aut  E.,  Demokrit  und 
Diogenes  Apoll,  zurückgeführt  worden  sind  (!). 

Diels  bietet  in  No.  329  folgende  Konjektui-eu  [vgl.  Diels'  soeben 
erschienene  Ausgabe  der  Poetarum  philosophorum  fragmeuta,  Berlin, 
Weidmann,  1901].  V.  48  f.  Stein:  ex  xe  ^ap  (ex  xoü  -^ap  Philon,  ex  xe 
oder  ex  xoü  Ps.-Arist. ;  der  Artikel  nach  den  von  E.  streng  beobachteteu 
Gesetzen  des  alten  Epos  zu  beseitigen;  so  auch  v.  143,  wo  D.  zu  lesen 
vorschlägt:  '/tupU  l'äp  ßapu  [xo  ßapu  Plut.]  Tiav  xal  /tupl?  xoücpov 
[i6  X.  Plut.]  <ei)Y)xe>  [Gomperz  No.  334  ergänzt  aT:ejxrJ;  s.  jedoch 
Burnet  early  gr.  ph.  218  ff.,  der  den  Vers  mit  Rücksicht  auf  Aristot. 
d.  cael.  309a  19  streicht;  ebenso  jetzt  Diels  zu  Fr.  27  seiner  x^usg.) 
ouSa[JL'  eovxoc  (ouoaix^  ovxo?  Philou)  afj.rjyav6v  e3xi  Yevej&at  xai  x'  eöv 
e^aTcoXeaöai  (so  Philon  cod.  V.)  avr^vuaxov  xal  «Truaxov  (so  nach 
Mangey;  vgl.  Parmen.  8,  21).  —  V.  109:  xocrov  oia  xpaaic  (Simi)l. 
xo^ov  SiaxptJts  oder  ötaxpacis;  jetzt  schreibt  D.  xpr^at?,  Sturz  fälschlich 
aus  Sinipl.  zu  v.  38  oiairxu^i?)  ä\iti^zi.  —  V.  118:  eijoxev  e?  ev  (ei^oxev  av 
Simpl.  Aid.)  die  guten  Hss  eijox'  ev  oder  ov;  jetzt  hat  D.  eb- 
o'xev  £v  in  den  Text  gesetzt  und  vergleicht  dazu  v.  79).  Im  folgenden 
ist  xo  Tiäv  vielleicht  nicht  adverbial  zu  fassen,  sondern  mit  x6  ev  zu 
verbinden  (=  Universum,  der  Sphairos).  Es  handelt  sich  iu  der  Stelle 
um  die  Vereinigung  der  Elemente  zum  Sphairos,  durch  die  nach  E.  der 
Untergang  jener  eben80  wie  durch  ihre  tägliche  Trennung  herbeigeführt 
wird.  —  V.  162  schlägt  D.  cvepil'  eöeos  (sub  nostra  sede)  vor  [in  der 
Ausg.  behält  er  jetzt  das  überlieferte  ouöeo?  (mit  Sj^nizcse  zu  lesen)  bei? 
vgl.  Bidez  No.  345  S.  110,4].  —  V.  166  zieht  D.  das  von  Karsten 
vermutete  pmaT?  statt  des  bei  Aristot.  überlieferten  pi'Caic  vor  [jetzt 
verwirft  er  piKaT?  ebenso  wie  Scaligers  poi^oi?  und  behält  pi'Cai?  bei].  — 
V.  168:  apüjxia  [jl£v  ^ap  eaaiv  exuxuiv  uavxa  [jLe'peaaiv  [jetzt  xaüxa 
eauxüiv  (Simpl.  eauxa  oder  aüxot  eautojv)  tt.  jx.].  —  V.  188:  ojcr^  cpt'X' 
statt  des  nach  Form  und  Sinn  zu  verwerfenden  tpiv  [jetzt  cpiv  beibeh  jhJ. 
—  V.  191:  e-/{lpa  <öc>  [jetzt  h/ßpa  <o'a>]  TrXeiaxov  a-'  dXXr,A(üv 
oie-/ouai  ixaXttJxa.  —  192:  7evvv)  mit  Simpl.  (Karsten  -^evva).  —  193: 
das  Komma  nach  Xu^pa  zu  tilgen.  —  194:  Neixeo?  ewecjiYjjiv  (so 
nach  Panzerbieter;  Simpl.  veixeo7evv£(jxr]aiv)  oxi  acpt'at  7evvav  eop-fev 
(op-joc  Simpl.).    —    197,    wo  Karsten  aus  den  Worten  7:upt  yiip  au^ei  xo 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.     (Lortzing)       33 

-~jp,  mit  denen  Aristot.  v.  198  einleitet,  den  Versschluß:  rupl  ö'  au;av£- 
xai  -üp  hergestellt  hat,  ergänzt  D.  aas  Lucrez  II  1114  f.  so:  Zdixi  jxev 
-j'ap  uoiup,  Tiupl  6'  aü;£TC(t  (U7U710V  -öp  [jetzt  glaubt  er,  daß  sich 
aus  den  Worten  des  Aristot.  kein  Vers  gewinnen  lasse,  wenn  man  auch 
aus  ihnen  und  aus  Lucrez  schließen  könne,  daß  E.  hier  außer  der  Erde 
und  der  Luft  auch  die  beiden  anderen  Elemente  erwähnt  habe].  — 
200  schreibt  D.  mit  Steinhart  tw  660  (twv  5  Hss  des  Aristot.;  sonst 
xa;  und  ~a.  überliefert);  der  Artikel  nicht  zu  entbehren.  —  234  ver- 
mutet D.  xaXyöJv  statt  val  {jlt^v  mit  dem  Bemerken,  daß  E.  in  der 
Aufzählung  von  3  Substantiven,  von  denen  in  der  Regel  nur  das  dritte 
mit  einem  Beiworte  versehen  war,  einen  homeiischen  Gehrauch  befolgt 
(vgl.  V.   106.  125.  204.  384)    [jetzt    behält    er    vat  [xr^v   bei].    —    247: 

TOÜTO      |Xev     £V     (Sirapl.    phyS.     1124,     12     TOÜTOV     |J.£V      a'v)      ßpO-£U)V      [xeXeüjv 

dpio£ix6Tov  07x0)  (Simpl.  oyxov)  [jetzt:  xoüto  |X£v  av  .  .  .  07x07:  ,,certa- 
men  (Concordiae  et  Discordiae)  manifestum  est  per  mortalium  membro- 
rum  molem"].  —  251:  ■Kctpä  (statt  Tiepl)  pr^/ixiv.  (jetzt  mit  Simpl.  A. 
::£pippT)7[jLrvt].  —  260:  axetpoic  Statt  axtEpoic  (Aelian)  [jetzt  verwirft 
D.  diese  Vermutung  sowie  die  in  Melanges  Weil  1898  S,  129  ver- 
öftentlichte  axipoi;  und  verteidigt  axispoTj].  —  269:  oux'  Ivotctjv  oio'v  t' 
(oia  x'  Simpl.  E.).  —  276:  ev  7otp  {);p|i.ox£ptij  xoxa?  app£voc  ettXexo 
7aaxr(P  (xo  xax'  appEva  etiXexo  7aiV,?  Galen).  Die  Überlieferte  Lesart  ist 
zu  verwerfen,  weil  E.  in  der  Zulassung  des  Hiatus  strenger  war  als 
die  Epiker  und  ihn  selbst  am  Schlüsse  des  vierten  Fußes  vermieden 
hat;  daher  v.  294  und  311  sx-veei  statt  ex-vei  zu  schreiben.  Dagegen 
v.  404  vExpa  Ei'osa  beizubehalten,  da  der  Hiatus  hier  durch  Digamma 
entschuldigt  wird.  In  der  von  Galen  kommentierten  Stelle  Hippokr. 
Epidem.  VI  2,  25  sind  die  Worte  sv  &£p|i.ox£poi;  und  xal  [XEXavE;  oia 
xoöxo  aus  den  an  den  Eand  geschriebenen  Versen  276  ff.  des  E.  in  den 
Text  geraten.  Ebendort  ist  statt  e^u)  ai  ^Xe^e;  jxaXXov  (ebenfalls  Glosse 
aus  E.)  zu  schreiben:  (j.eCu>  [doch  wohl  [jleCove?  oder  [xe^oo;?]  at  9X.  xal 
yoXcuÖETCEpov  (i-c.  xo  £|xßpuov). —  277  vielleicht  ivwosjxEpoi  statt  dvopw- 
oEaxEpoi  zu  schreiben  [letzteres  jetzt  beibehalten  mit  dem  Bemerken : 
iioli  annominationem  Empedocli  demere].  —  318  ist  das  Komma  hinter 
dvEjxtüv  zu  tilgen  und  d[j-op7o6?  nicht  —  d[xop7ivouc  (linteos)  zu  fassen, 
sondern  vo)i  d[j,£p7Eiv  -^^  ofjLop'/vuvai  abzuleiten.  Ilavxoiojv  dvEtxcov  Xa[x--r,- 
pa;  dfiopfouc  heißt:  „lucernas,  quae  laminis  corneis  circumdatae  vento- 
rum  vira  illisam  velut  detergent  neque  intra  permeare  sinunt".  — 
344  enthält  die  Vulgata:  -EXdaaci)'  000  ocpi)aXji.oT3iv  einen  metrischen 
Fehler,  da  E.  nur  die  u£v^Tf)[xi|jLEpT^;  ohne  die  i'■f>^hl\x.^\^.^pr^i  oder  die 
bukolische  Cäsur  verwendet;  es  ist  daher  nach  Clemens  tie  Xdaaaaai^at 
EV  zu  lesen.  Eine  Ausnahme  von  dieser  in  130  Versen  beobachteten 
Eegel  bildet  nur  v.  367.  [Eine  zweifelnd  vorgeschlagene  Umgestaltung 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    (1903.    I.)  3 


34-       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

dieses  Verses  hat  D.  jetzt  dadurch   überflüssig    gemacht,    daC    er    mit 
einer  ganz   leichten  Änderung  liest:    o'j;    I7W    i^epetu  •  [xaXa    0'  ap7aXsYj 
(Synizese)  <^>   7s  Te'-cuxxat.  —  431:  01  oe  ^opeuvTai  (statt  -opeüv-ai); 
vgl.  Parm.  6,  6.    Vor  v.  430  mag  ein  Beispiel  von  der  Mutter  voraut- 
gegangen  sein  (vgl.  434),    oder  es  ist  v.  430  zu  schreiben:    (JXXa^avxe 
und  9iX(u  uiu)  [jetzt  liest  D.  mit  Bergk  01  6'  liropsuvtat  (vgl.  ^F  212): 
,,at  illi  instant"  (sc.  pueri)]     —   432    Xiaaofxevoi  beizubehalten   [für  das 
darauf  folgende  duovTsc  (Buovto;  G.  Hermann)  liest  D.  jetzt  mit  Wila- 
raowitz  Ouov-o;].  —  Zu  442  f.  bemerkt  D.,  aus  Aristot.  poet.  1457b  13 
(vgl.  Vahlens  Ausg.  III,  220,  der  die  Anspielung  auf  E.  zuerst  erkannt 
hat)  ergebe  sich,  daß  xaixovxa  oder  ein  andrer  Kasus  für  dvtiJ,ü)VTa  zu 
schreiben  ist,   das  auch  bei  Theon  ursprünglich  stand.     Zu  der  Identi- 
fizierung von  Ta|i.£rv  und  apujai  wurde  Aristot.  vielleicht  durch  E  292 
verleitet;    bei  Laert.  8,    87    nennt    er  E.  'üixr)piy.6v.     E.    mochte    etwa 
geschrieben  haben:  xprjvatov  auo  Trlvre   Ta|j,a)v  [jetzt  xajJLOvt']    <£v> 
dxetpei    (Theons  Hs  dxYjpei)    yaXxto  |  -/sipa?    dTroppu^j^at    [die  beiden 
letzten    Worte    läßt    D.    jetzt    weg].      Gomperz    No.    334    will    lesen: 
Ta[xu)v  <ji6|j.'>  dxeipEi.   'Atto  ttsvxe  xprjvatuv  weist  auf  fünfmal  wiederholte 
Lustration,    wie  sie  E.  denen  befahl,    die   sich  des  Tieressens  schuldig 
gemacht    hatten.     Das    zweite  Citat  bei  Aristot.  a.  a.  0.:    yaXxo)    duo 
(J^u/Tjv  dpucjotc    ist    gleichfalls    von  Vahlen  richtig   als  ein  Vers  ans  den 
xaOapixoi  erkannt  worden    [jetzt  von  D.  als  Er.  138  aufgenommen].  — 
153:    u>;    au7fi  xu']>aja  (js?;rjvair)c   xuxXov  eupuv    kann    man    aus  Philon  d. 
provid.  II  70    Aucher  S.  92,    wo    der    armenische    Text    ungenau  den 
Mond  statt  des  ursprünglichen  Himmelslichtes  zum  Olymp  zurückkehren 
läßt  (vgl.  V.  181),  griechisch  so  ergänzen:  xal  [j-r/av  auxiV  dv^XOe,  öeouj' 
(i);  oupavov  Txot.  —  Aus  Plut.  d.  fac.  943  B  hat  Usener  richtig  erkannt, 
daß  E.  den  Mond  als  7Xaux(üTric  augeredet  hat.     Es    ergiebt    sich    also 
das  neue  Fragment:  'ilauy.ü>m  SeXrjvirj  [in  der  Ausg.  (zu  Fr.  42)  schließt 
sich  D.  an  Wilamowitz    an,    der    in    dem  Fragment   des  Euripides  bei 
Nonnus  (1009  Nauck)  für  EuptTriör)?:  'E[j,ir£ooxXrj;  liest  und  so  folgende 
Form  des  Bruchstücks  gewinnt:  7Xauxü)mf  axpecpsxai  [J-ir^wj],  —  312  schreibt 
D.  mit  Ph.  Buttmann    x£p[j.axa    statt    Y.i\).\iaxa    oder    xspjxaxa    bei  Plut. 
Ein    mit    diesem  Verse    in  Zusammenhang    stehendes  Fragment    haben 
Usener  und  Nauck  bei  Ps.- Alexander  problem.  III  102  erkannt.     D.  er- 
gänzt   in  engem  Anschluß  an  Plutarch:  <ev  6pi(p>  oaa    (so  IT.  und 
N.  für  0?  oder  w»)    draXeiTre  ttoScüv  diraXT)  Trspiuvoia  (so  N.  statt  dir. 

Trepiirota)   [jetzt  schreibt  D oju'  dueXeiTre  TioSüiv  aTraXv]  Tispl  iioia, 

zweifelt  aber,  ob  der  Vers  eine  Fortsetzung  von  312  bildet].  —  Schließ- 
lich weist  D.  nach,  daß  die  von  Stein  Philol.  15,  143  aus  Cramers 
Anecd.  Oxon.  III  184  seiner  Ausgabe  hinzugefügten  Verse  aus  dem 
Briefe  eines  unbekannten  Byzantiners  des  12.  Jahrhunderts  unecht  sind. 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrafes,    (Lortzing.)        35 

Blaß  bespricht  folgende  Fragmente.  127  schlägt  er  vor:  outw 
fiTj  (j'dTraTYj  cppeva  xaivuTü)  (xai  vj  tcj  [oder  xtot,  tcuJ  Simpl. ;  vgl.  Hesych. 
xaivuTo).   vixccTü>)  aXXoöev  elvai  [von  Diels  in  seine  Ausg.  aufgenommen]. 

—  152  ist  cpXo$  IXaetpa  nicht  auf  den  Mond  zu  beziehen  noch  ^atrjc  zu 
beseitigen  (Stein  au-^^j,  Karsten  ahr^z),  sondern  nach  der  Erklärung  des 
Simpl, :  xa  fxopia  xcSv  ^üjwv  ist  ^Xo$  hier  das  Element  des  Feuers,  das  mit 
etwas  Erde,  Wasser  u.  s.  w.  einen  bestimmten  Teil  des  menschlichen 
Körpers,  wahrscheinlich  die  Augen,  bildet.     Zu  [xtvuv8aStT)c  vgl.  X  54. 

—  320  fügt  B.  die  im  cod.  P  des  Aristot.  hinter  9(0;  (B.  liest  mit 
cod.  E  TTÜp)  ö"e;cü  geratenen  und  verstümmelten  Worte  hinter  v.  323  in 
folgender  Gestalt  ein:  <ai>  yoav-irjji  oi'avxa  xetp/^axo  i}eaireai7]jiv  [so 
auch  jetzt  Diels].  AI  os  v.  324  geht  nun  auf  die  yoavai,  die  trichter- 
förmigen Öffnungen  oder  Poren  in  der  Haut  des  Auges,  die  özcjKSJiai 
d.  i.  unendlich  klein  oder  unendlich  zahlreich  heißen,  falls  nicht  nach 
V.  202  ÖTjjjreaiVjöev  zu  schreiben  ist.  Ai'avxa,  sonst  unbelegt,  —  8ioi[ir.zpi;. 
V.  325  ist  mit  cod.  P  statt  otaöpöiaxov  zu  lesen:  otisjxov  [so  auch 
Diels].  —  Auf  V.  385  spielt  Sext.  math.  11,  96  an  (vgl.  Lucr.  V  226). 
Bergk  und  Stein  haben  fälschlich  die  Worte  des  Clemens  mit  denen  des 
Hierokles  kombiniert  und  aus  letzteren  dxspxcea  yüipov  statt  des  bei  Clem. 
überlieferten  und  durch  Sext.  bestätigten  äjuvriöea  -/.  gesetzt  [so  auch 
Diels,  der  v.  320  f.  von  385  als  besonderes  Fr.  trennt  und  letzterem 
axep-ea  ycupov  voraufschickt  (vgl.  Fr.  118  und  121  D.) 

Peppmüller  hat  in  die  von  ihm  wieder  abgedruckten  Bergkscben 
Empedoclea  (I.  De  locis  quibusdam  Empedoclis,  II.  Commentatio  de 
Empedoclis  pvooemio,  III.  Aus:  Commentat.  crit.  spec.  II,  IV.  Rezen- 
sion des  Karstenschen  Emp.)  eine  Anzahl  nachgelassener  Notizen  Bergks 
eingefügt.  S.  36  zu  v.  337:  -Y^ovxai  xai  aaüivxat  statt  aviüivxai  [Diels 
nach  Karsten:  ^oovx'  rfi''  aviöivxai].  S.  48  zu  v.  177  f.:  d|xüypu)j  oder 
döaixßecot  (statt  a[X£[j,cp£co?)  |  uäv  i^sjxrixev  tcw  (statt  ttu)  [Diels  xwv] 
Trav  e$ejxT)xev).  S.  49  zu  v.  181:  Yj-iocppojv  (I)iX6xy]?  a^-z\i^i(Oi  (statt 
«PiXoTTjxoc  d|jLS|JL(peo?,  wofür  Bergk  früher  d[xe[x'f£ü>;  vermutet  hatte;  so 
auch  Simpl.  phys.  F,  vgl.  Diels'  Ausg.  S.  122)  a}ji.;^jpoxoc  opfj.*].  —  No.  V 
bei  Peppmüller  ist  eine  ans  den  N.  Jahrb.  f.  Phil,  1883  S.  59—66  ab- 
gedruckte Rezension  des  Steinscheu  Emp.  B.  verwirft  die  auf 
einem  Mißverständnis  der  bekannten  aristotelischen  Stelle  beruhende 
Ansicht  Steins,  E.  habe  seine  Ouciixa  in  jungen  Jahren  geschrieben  — 
die  $u(jixd  mögen  etwa  Ol.  84  (Blüte  dos  E.  nach  Laert,),  die  KaSapiioi 
Ol.  86  (Blüte  nach  Euseb.)  geschrieben  sein  — ,  und  bespricht  dann 
hauptsächlich  v.  222  ff.  und  338  ff.  —  Auch  in  der  einen  Bestandteil 
der  Sammlung  bildenden  Schrift  de  Aristotelis  libello  de  X.  Z.  G. 
hat  Peppmüller  zwei  Konjekturen  zu  Emp.  aus  Bergkschen  Randnotizen 


3fi       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing. 

hinzugefügt:  v.   108  auta  ^ap  eaxiv  xaura  (statt  Taüxa)  und  v.    109  oia- 
Ot^ic  [Diels  ?'ia  xp^atc,  s.  o.  zu  No.  329]. 

Knatz    bespricht    im    ersten    Abschnitt    seiner   Abhandlung    die 
Namen  der  Elemente  bei  E.  33—35.    Er  entscheidet  sich  für  die  Deutung 
der  Hera  als  Erde,  für  die  am  besten  das  Beiwort  9epEc;ßio;  paßt;  dieses 
Beiwort  mit  Schneidewin  auf  das  folgende  'Aiowveu;    zu    beziehen,    ist 
sprachlich    (wegen    der  Stellung  von  rjoe)    und    sachlich  (?)  unmöglich. 
Aidoneus  als  Gott  der  Unterwelt   bezeichnet  wahrscheinlich  das  Feuer, 
da    nach   E.    (vgl.    besonders    die   Stelle   Plut.   d.   prim.   frig.   c.   19,  4 
S.  953,    aus  der  Usener  ein  Fr.  des  E.  hergestellt  hat)  unterhalb    der 
Erde  sich  weder  Luft  noch  Erde,  sondern  Feuer  befindet.     Damit  stimmt, 
daß  V.  201  das  Feuer  "H^aiaxo?  heißt  (vgl.  auch  die  Beiwörter  di3r)Xov 
und  (u'/u-yiov).     Wenn  es  mehrmals  auch  yjXtoc  (auch  yjXexTcüp  und  Ttxav) 
genannt  wird,    so  ist  dies  daraus  zu  erklären,    daß  nach  E.  die  Sonne 
aus  Feuer  entstanden  ist.     Den  Zeus   haben   von   den  Alten  nur  Athe- 
nagoras  und  Probus    für    das  Feuer   erklärt;    die    übrigen   haben    sich 
weniger  klar  ausgesprochen.     Die  Erklärung  ty)v  Zim^  xai  tov  aidepa  bei 
Aet.  und  Stob,    weist  deutlich  auf  das  heraklitisch- stoische  Feuer  hin, 
das  sich  aber  als  agens  principium  von  der  materia  patiens  des  E.  weit 
unterscheidet.     Dagegen  wird  Zeus  von  den  Griechen  stets  dem  Himmel 
gleichgesetzt,    der  nach  E.  aus  dem  Äther  hervorgegangen  ist    (v.  187 
oupavo'c  geradezu  für  ai&iQp);    unter  ait^i^p    aber  versteht  E.    sowohl  die 
himmlische  als  die  irdische  Luft  (av^p  bei  E.  nur  v.  132).     Dieser  Äther 
wird  von  ihm  treffend  Zeu;  (Jp^iQC  genannt.     Also  ist  Zeus  die  Luft  und 
Hera  die  Erde,    und  es  findet  zwischen  ihnen  dasselbe  Conubium  statt 
wie  in  der  griechischen  Mythologie    (vgl.  v.  166).  —  Diese  Argumen- 
tation erregt  in  mehr   als  einer  Hinsicht  schwere  Bedenken.     Zunächst 
spricht  die  bessere  Überlieferung  (bei  Aet.)  für  die  Deutung  der  Hera 
als  Luft  und  des  Hades  als  Erde  (s.  Diels  dox.  88  ff.    und  unsern  Be- 
richt I  159);  doch  kann  sich  hier  Verf.  für  seine  Auffassung  immerhin 
auf  mehrere  Zeugnisse  der  Alten  berufen.     Dagegen  wird  Aidoneus  als 
Feuer  nirgends  bezeugt,    und   vollends  die  Gleichstellung  des  Zeus  mit 
der  Luft  steht  im  Widerspruch  mit  der  einstimmigen  Tradition  der  alten 
Berichterstatter,  die  ihn  stets  als  Feuer  gedeutet  haben;    Hippolyt  be- 
zeichnet  ihn  geradezu  als  uüp,    was  K.  übersehen  hat,    und    auch  Aet. 
und  Stob,    wollen    mit   ihren   stoisierenden  Ausdrücken    nichts    anderes 
sagen.     Schon  hiernach  muß  die  Knatzsche  Hypothese,  auch  abgesehen 
von  der  Unwahrscheinlichkeit,    daß  E.   unter  dem  Gotte  der  Unterwelt 
das  Feuer  verstanden  haben  soll,    als    hinfällig   bezeichnet  werden.  — 
Den  zweiten  Abschnitt  der  Abhandlung  bilden  einige  „aniraadversiones 
criticae".     V.  372  hält  K.  für  unecht:    ein  Abschreiber,  dem  die  Ähn- 
lichkeit der  folgenden  Verse    mit    der  Stelle  bei  Hesiod  Th.  780 — 806 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokratea.    (Lortzing.)       37 

auffiel,  habe  den  Vers  (--=  Hesiod  793)  aus  dem  Gedächtnis  au  den  Rand 
geschrieben,  wobei  er  -/.ev  in  xat,  drcoXei'^ac  in  «ixap-n^aa;  verwandelte  und 
Tr,v  wegließ  [schwerlich  zutreffend;  Diels  zu  Fr.  115,  4  seiner  Ausg. 
iaßt  afjLaptr;aa;  im  Sinne  von  ojjLaptrjCjac ;  derselbe  ergänzt  Mel.  Weil 
125  die  Lücke  im  Anfange  des  Verses  so:  <Nexei  i)'>  0;  x(e) 
ETTiopxov  xtX.].  —  58  f.  K.  verbessert  die  Plutarchische  Stelle  so:  iva  |i.Y) 
—  TO  'EjjL-eooxXeiov  eireiv  —  66$(u  „xopu<paj  exspac  STspTjji  upocaTiTcüv  | 
|x69(üv  jjLY)  TcXesiv  (statt  ixrj~e  Xe'-fetv)  dxpauov  [xi'av"  [von  Diels  aufge- 
nommen]. —  85:  ixerd  deoTaiv  (Sj'uizese)  statt  des  überlieferten  [izx' 
ojotJiv  (oder  ixet'  oajotdtv)  [von  Diels  verworfen,  der  mit  Brandis  [xs-ä 
Toiaiv  schreibt].  —  387  ist  nach  der  von  Theon  Smyru.  p.  149,  6  hinzu- 
gefügten Erklärung,  wonach  es  sich  um  ^^veat?  und  cpöopa  handelt,  zu 
schreiben:  toxoc  te  cpovoc  te  (Theon  xo'xos  xe  <p.  xe,  die  sonstige  Über- 
lieferung cpo'vo;  XE  xo'xo?  xe)  [die  Konjektur  mit  Recht  von  Diels  ver- 
worfen]. 

Der  zuletzt  erwähnte  Vers  findet  sich,  wie  Diels  (No.  333)  ent- 
deckt hat,  in  lateinischer  Übertragung  (aus  dem  griechischen  Originale 
des  Adrast,  das  auch  Theon  exzerpiert  hat),  bei  Chalcidius  Plat.  Tim.  76 
S.  143,  17  Wr.,  wo  er  in  der  Wiener  Hs  fälschlich  dem  Naevius 
beigelegt  wird.  Nevii.  ist  eine  korrupte  Variante  für  nex  ubi.  Das 
Citat  lautet:  ut  est  in  vetere  versu:  „nex  ubivis,  rabies,  furiarum 
examina  multa". 

Gomperz  schlägt  folgende  Verbesserungen  vor.  V.  20  verwirft 
er  das  überlieferte  tiisxei,  da  das  Verbum  -laxeiv  eine  Unform  sei,  und 
liest,  teilweise  im  Anschluß  an  Karsten,  der  jedoch  seine  Vermutung 
selbst  wieder  verworfen  hat:  jj-r^xs  xiv  (j<^ei  (oder  o<]^i)  Titaxiv  ttXe'ov  t] 
xax'  dxouTjV  [Diels,  der  mit  Sext.  cod.  ß  xi  und  tiXe'ov  liest,  behält  üiaxEt 
bei  und  verbindet  es  als  Dativ  mit  l'/cov  (vgl.  B  33)].  —  131:  xd 
(lonisraus)  .■jv  eaopcüjjiEv  d'-avxa  statt  saoptoixEva  Tzdvxa  [von  Diels  auf- 
genommen]. —  183  ist  nach  Aristot.  poet.  1461  a  25  unter  Verwandlung 
von  Ctud  in  Ctup«  und  Einfügung  von  d' zu  lesen:  Cwpa  ö'  S  Trplv  xExpvjxo 
und  so  zu  verstehen:  ^(upd  xe  Icpu  [vielmehr  Ecpuovxo  aus  v.  182]  S  zplv 
xExpr^xo.  Den  eine  Verbindung  eingehenden  und  dadurch  in  die  Ver- 
gänglichkeit herabsinkenden  Stoffen  stehen  andere,  aus  eben  jener  Ver- 
bindung verdrängte  und  zu  ihrer  Selbständigkeit  und  Lauterkeit  zurück- 
kehrende Stoffe  gegenüber.  Schwerlich  geht  die  Lesart  bei  Simpl.  und 
Athen.:  xd  zplv  dxprjxa  auf  Theophrast  zurück,  der  dann  Cojpo'v  durch 
sein  Gegenteil  erklärt  hätte.  Wahrscheinlich  hat  Theophrast  in  dem 
homerischen  ^copo'xEpov  öi  xspaips  (I  203)  den  Komparativ  im  Sinne  einer 
umgekehrten  Steigerung  {=  mäßig  rein)  erklärt,  und  bei  Athen,  ist 
vermutlich  zu  lesen:  sTvai  x6  <}XExptojc>  xsxpaixsvov.  Wenn  bei  diesem 
dann  völlig  unvermittelt  das  Citat  aus  E.  folgt,    wo    der  Positiv  Ctupo; 


38        Bericht  über  die  griechisclicn  Pliilosophen  vor  Solcrates.    (Lortzing.) 

statt  des  Komparativs  auftritt,  so  scheint  er  einiges  Dazwischenliegende 
bei  Theophr.  außer  acht  gelassen  zu  haben  [anders  Diels,  der  zu 
Fr.  35,  15  vorschlägt:  ^wpa  xe  xa  rpiv.  v/.pr^To  (wie  ejcXtjto  gebildet)]. 
—  Die  Konjekturen  zu  v.  143  und  443  sind  bereits  unter  No.  329 
erwähnt  worden. 

Platts  Konjekturen  sind  teils  wertlos,  teils  schon  von  andern, 
wie  Panzerbieter  und  Stein,  gemacht  worden.  P.  hat  offenbar  nur  die 
Karstensche  Ausgabe  vor  Augen  gehabt  und  die  Steinsche  gar  nicht 
gekannt,  ebensowenig  die  Dielssche  Ausgabe  von  Simpl.  phys.  "Wenn 
er  V.  363  statt  eruöovto  y.Xuetv:  IßoXovxo  x.  vorschlägt,  weil  er  die 
Verbindung  von  7:uv9ave3&ott  mit  dem  Infinitiv  in  der  Bedeutung 
„wünschen"  für  unzulässig  hält,  so  ist  dagegen  zu  bemerken,  daß  xXusiv 
gar  nicht  als  objektive  Ergänzung  zu  iTiuöov-o  gefaßt  zu  werden  braucht. 
Konstruiere:  £7iu9ovto  (sie  befragten  mich)  (wcxs)  xXueiv  (um  von  mir 
zu  hören^.  Überflüssig  war  auch  die  Bemerkung-,  daß  bei  Piaton 
Gorg.  493  A  nicht  E.  gemeint  sein  könne,  weil  sonst  PI.  nur  xo[i,']>o; 
avrjp  SixsXoc  gesagt  und  nicht  t]  'IxaXtxo'i  hinzugefügt  haben  würde ;  die 
Worte  SixsXof  v.oix<\trji  avrjp  seien  sprichwörtlich  gewesen.  Die  richtige 
Deutung  der  Stelle,  wonach  Philolaos  oder  ein  anderer  Pj'thagoreer  ge- 
meint ist,  hat  schon  Hlrzel  (s.  zu  No.  219)  gegeben. 

Diels  (No.  336)  hat  aus  der  Herkulanischen  Rolle  No.  1012 
col.  18  (coli.  alt.  VII  fol.  15  und  Bodleian.  Facsim.  t.  III  f.  13  n.  565) 
ein  neues  Bruchstück  des  E.  herzustellen  gesucht.  Der  Epikureer 
(vielleicht  Philodemos)  erläutert  dort  die  Figur  dtTtö  xoivoü  und  zwar 
diejenige  der  beiden  Arten,  in  der  das  Verbum  im  ersten  Gliede  steht, 
und  im  zweiten  zu  ergänzen  ist,  zuerst  an  einem  Distichon  des  KaUi- 
machos  (7,  3  f.  Wil.)  und  dann  an  zwei  Versen  des  F.,  von  denen  der 
erste  fast  vollständig,  der  zweite  sehr  verstümmelt  und  unsicher  über- 
liefert ist.  Diesen  schwachen  Spuren  nachgehend,  vermutet  D.,  daß 
das  Fr.  etwa  so  gelautet  habe:  xov  o  ooV  ap  xe  Aio;  xe^eoi  o6[xot  ai- 
7<i6-/_oio>  I  x£<p7tov>  a<v>  ouo(£)  <ai9Tjp  t)  xXau>axo-j'6<vou  tteoov 
arTf)f>.  E.  zeigt  sich  auch  hier  als  Homernachahmer.  Zu  dtoc  x.  6. 
vgl.  Z  248,  zu  der  Verbindung  oux  ap  ts  vgl.  E  89.  Dieselbe  Ver- 
bindung kehrt  noch  einmal  bei  E.  v.  89  wieder,  wo  mit  geringer 
Änderung  der  Überlieferung  bei  Simpl.  DE  (apxi  e-qqvexat)  so  zu  lesen 
ist:  xat  TTpoc  xo^c  oux'  ap  xe  xt  7qv£xai  ouo'  aTioXrjEt.  Der  Gegensatz 
von  7iv£cj9at  und  krfievj  auch  v.  71  f.  Zur  Entsprechung  oux'  ap  xi  —  o'joI 
vgl.  135  f.  [In  seiner  Ausg.  hat  D.  im  Text  die  überlieferte  Fassung 
beibehalten  und  schlägt  zweifelnd  neben  der  obigen  folgende  Verbesse- 
rung vor:  oux'  ap  xt  £TTau?£xai  (vgl.  Lucrez  II  296  adaugescit)  oux'.] 
Was  den  Inhalt  betrifft,  so  hat  nach  D.  das  Fragment  in  der  Ph3'sik 
des  E.  keinen  Raum,  da  man  nicht  wüßte,  worauf  sich  xov  oi  beziehen 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Soliratos.    (Lortzing.)       ;jO 

sollte,  wohl  aber  in  den  Katharmen.  Wir  dürfen  annehmen,  daß  als 
Oegensatz  zum  Palaste  des  Zeus  die  Erde  als  der  „Anger  des  Unheils" 
genannt  war,  der  für  die  mit  -ov  oe  bezeichnete  Person  als  Aufenthalts- 
01 1  gedacht  war.  Vielleicht  sprach  E.  von  dem  Schicksal  des  frevelnden 
(ieistes,  der  weder  im  Feuer  noch  in  der  Luft  noch  auf  Erden  zur 
seligen  Ruhe  komme,  wenn  er  nicht  durch  Buße  und  Läuterung  seine 
Sünden  abschwöre.  [In  der  Ausg.  Fr.  142  lautet  jetzt  unter  Berück- 
sichtigung   einer    neuen  Abschrift    des  Textes  von  Crönert  der  zweite 

Vers   so:    -ip~o<.   av  ooos  u  —  w —  xe-co;  — Uu ,    und   zum  Inhalt 

bemerkt  D.,  es  sei  zweifelhaft,  ob  die  Reiche  des  Zeus  und  der  Hekate 
oder  die  vier  fc^lemente  einander  entgegengesetzt  werden.]  In  demselben 
Traktat  finden  sich  noch  zwei  Citate  ans  E.:  f.  22  col.  29  =^  v.  2,  wo 
der  Epikureer  -rsTavtat  (aus  v.  289j  statt  xeyuvtai  schreibt,  und  f.  25 
col.  35 ^  =  v.  288  f.,  wo  die  herkulanensischen  Lesarten  durchweg 
schlechter  sind  als  unsere  sonstige  Überlieferung. 

Die  Abhandlung  von  Wieck  bezieht  sich  auf  eine  dem  E. 
fälschlich  beigelegte  Schrift.  Vgl.  E.  Maaß  comm.  in  Arati  reliquias 
154  tf. 

In  der  unter  No.  308  angeführten  Schrift  von  Wendland  S.  64  f. 
wird  bemerkt,  daß  sich  Tiberius  Alexander  bei  Philon  d.  prov.  §  59  ff. 
auf  die  Kosmologie  des  E.  beruft,  deren  einzelne  Phasen  sich  noch 
deutlich  erkennen  lassen.  Aus  einer  gleichen  Berufung  auf  E.  für  die 
Ansicht,  dal]  der  Mond  sein  Licht  von  der  Sonne  wie  ein  Spiegel  auf- 
nimmt (Philon  §  70,  vgl.  Diels  Herrn.  XV  175  o.  No.  329),  sucht  W. 
S.  68,  5  durch  V^erbindung  der  beiden  Verse  153  und  151  folgendes 
Original  herzustellen:  8>c  007-/)  i6<^ol(jol  oeXirjvaiVjC  xuxXov  eupuv  |  av-auvei 
rpo;  "OXuixTTov  d-apßrjTO'.at  irposw-otc  Gegen  diese  Verbindung  erklärt 
sich  Diels  zu  Fr.  43. 

Aus  Burnets  Bemerkungen  zu  seiner  Übersetzung  der  Fragmente 
(Early  gr.  ph.  216  ff.)  führe  ich  folgendes  an.  Für  v.  91  f  will  B. 
nach  dem  Lips.  des  Ps.-Arist.  de  M.  X.  G.  976  b  23  lesen:  xoü  Travxo; 
ö'oijoev  xeveo'v  •  iro'bev  ouv  xi  x'  s-e'XOoi;  und  setzt  diesen  Vers  nach 
134.  —  97  liest  B.  XiuoEuXoj  statt  Xiko';uXov  und  mit  der  Hs  des 
Simpl.  }iop(pT^  statt  H-op'fÜ  (Aid.);  s,  jedoch  Diels  zu  Fr.  21,  2.  — 
353  liest  B.  dv'  axpa  KoXeu;  <x>.  —  384  ist  IXXotto;  nicht  =-  stumm, 
sondern --TCoixiXoc:  „a  glittering  fish."  —  409  vermutet  er  [xaxxoi; 
(statt  7paT:xoT;)  x£  ^cuoiat  [s.  jedoch  Diels  zu  Fr.  128,  5J.  —  415  ff.  be- 
zweifelt er  die  Beziehung  auf  Pythagoras;  er  glaubt,  E.  spreche  hier 
noch  von  dem  goldenen  Zeitalter,  und  vermutet,  dal]  sich  die  Verse 
auf  Orpheus  beziehen.  S.  jedoch  Rohde  Psyche  IV  417  und  Diels 
zu  Fr.  129. 


40       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

2.    Zur  Lehre  und  zum  Leben  des  Empedokles. 

340.  R.  Schlag- er,  Empedocles  Agrigentiiins  qiiatenus  Hera- 
clituni  Ephesium  in  philosophia  secutus  sit.  Gyran.-Pr.  Eisenach 
1878.     24  S.     4. 

341.  E.  ßaltzer,  Empedocles.  Eine  Studie  zur  Philosophie 
der  Griechen.     Leipzig  1879.     163  S.     8. 

342.  H.  Diels,  Gorgias  und  Empedokles.  S.-B.  d.  Berl.  Ak. 
d.  Wiss.  1884  (19).     S.  343-368. 

*343.     S.  Ferrari,  Empedocle.    Riv.  di  filos.  VI  (1891)  H.  1  u.  2. 

344.  A.  Döring,  Das  Weltsystem  des  E.  Zschr.  f.  Philos.  105 
(1894)  S.  1—17. 

345.  J.  Bidez,  La  biographie  d 'Empedocle  (Recueil  de  travaux 
publies  par  la  faculte  de  philos.  et  lettres).  Gaud  1894.  XII, 
176  S.     gr.  8. 

346.  J.  Bidez,  Observations  sur  quelques  fragmenis  d'E.  et  de 
Parmenide.  Arch.  f.  G.  d.  Ph.  IX  (1896)  S.  190— 207  u.  S.  298 
—309. 

*347.  M.  Rapisardi,  Opere  Ordinate  e  corrette  da  esso.  Vol.  V. 
Le  odi  di  Orazio.    L'Empedocle.   IlPrometeo  di  Shelley.   Milane  1897. 

348.  G.  Thiele,  Zu  den  Elementen  des  E.  Herrn.  32  (1897) 
S.  68-78. 

Schläger  bestreitet  mit  Recht,  daß  E.  in  seiner  Physik  von  den 
Pythagoreern  abhängig  sei,  denn  wenn  er  auch  mit  seinen  vier  pi^üjfxocTa 
auf  die  Tsxpaxxuj  in  dem  Eide  der  Pythagoreer  angespielt  haben  mag 
[aber  auch  dies  ist  kaum  anzunehmen,  da  jener  Eid  wahrscheinlich 
jüngeren  Ursprungs  ist;  s.  Zeller  825,  1],  so  zeigt  doch  seine  Natur- 
erklärung keinerlei  Spuren  pythagoreischen  Einflusses,  und  seine 
apixovia,  die  ihm  ungefähr  dasselbe  wie  die  ^iXottj?  bedeutet,  ist 
wesentlich  verschieden  von  der  der  Pythagoreer.  Zu  weit  geht  Seh. 
dagegen,  wenn  er  auch  in  der  Seelenwauderungslehre  jede  nähere  Ver- 
wandtschaft des  E.  mit  den  Pythagoreern  leugnet.  Daß  E.  die  pytha- 
goreische Metempsychose  verändert  und  erweitert  hat,  ist  richtig;  aber 
diese  Abweichungen  schließen  eine  Anlehnung  an  Pythagoras  nicht  aus, 
für  die  alle  historische  Wahrscheinlichkeit  spricht  (s.  Zeller  824).  Unter 
der  Voraussetzung  einer  solchen  Abhängigkeit  von  dem  zu  seiner  Zeit 
in  Italien  und  Sizilien  verbreiteten  Seeleuglauben  erklärt  sich  auch  am 
leichtesten,  wie  E.  eine  seiner  physischen  Grundauffassung  so  wider- 
sprechende Lehre  aufnehmen  konnte.  Daß  hier  ein  offenbarer  Wider- 
spruch vorliegt,    erkennt    auch  Verf.    an,    und    mit    triftigen    Gründen 


Bericht  über  die  griechiscliCD  Pliilosoplien  vor  Sokrates.    (Lortzing )        41 

widerlegt  er  die  haltlose  Behauptung  Ryks  (s.  I3er.  I  S.  254),  E.  habe 
das  Dogma  der  Pythagoreer  so  umgeformt,  daß  es  mit  seiner  Natur- 
lehre im  Einklang  stehe,  sowie  die  weitere,  ebenso  willkürliche  Annahme 
desselben  Schriftstellers,  daß  die  Liebe  des  E.  mit  der  Weltseele,  aus 
der  die  Eiuzelseelen  hervorgehen,  identisch  sei  und  im  Feuer  zur  Er- 
scheinung komme  (vgl.  Zelier  773,  6).  Auf  der  andern  Seite  vermag 
er  jedoch  der  Ansicht  Zellers  nicht  beizupflichten,  daß  E.  jenen  Wider- 
spruch nicht  bemerkt  und  daher  auch  nicht  zu  beseitigen  versucht  habe, 
sondern  glaubt  in  den  Worten  v.  382:  vei'xet  |i.aivoix£vtp  irijuvo;  die  An- 
deutung zu  sehen,  daß  die  Seelenwanderur.g  durch  den  Streit,  also  die 
eine  der  beiden  die  Welt  bewegenden  Kräfte,  entstehe.  Dies  ist  ein 
offenbarer  Irrtum,  der  daraus  zu  erklären  ist,  daß  Seh.  mit  MuUac'.i 
die  augeführte  Stelle  dem  Werke  iz.  cpüaewc  zuweist,  während  sie  in 
Wahrheit  den  Ka&ap|xoi  entnommen  und  daher  vsTxoc  hier  gar  nicht  im 
physischen  Sinne  zu  fassen  ist  (s.  Zeller  810,  1).  [Das  Verhältnis 
zwischen  den  religiösen  und  den  physikalischen  Anschauungen  des  E.  ist 
auch  sonst  in  der  Berichtszeit  mehrfach  besprochen  worden.  Gomperz 
Gr.  D.  198  ff.  will  den  Widerspruch  zwischen  beiden  zwar  nicht  leugnen, 
entschuldigt  ihn  aber  damit,  daß  auch  andere  Philosophen,  wie  Farmen, 
und  Philolaos,  nicht  frei  von  ihm  sind,  und  sucht  ihn  durch  Zurück- 
tUhrung  auf  eine  uralte  Zweiseelentheorie  zu  erklären  (s.  Ber.  I  264). 
Dieser  Zwiespalt  erstreckt  sich  übrigens,  wie  G.  S.  202  ff.  ausführt, 
nicht  auf  die  eigentliche  Götterlehre;  hier  ist  es  E.  vielmehr  gelungen, 
die  zwei  Hälften  seines  Gedankensystems  zu  nahezu  ungetrübter  Har- 
monie zu  verschmelzen.  Burnet  early  Gr.  ph.  269  ff.  äußert  sich  in 
btzug  auf  diesen  letzten  Punkt  in  ähnlichem  Sinne  und  hebt  scharf  den 
Unterschied  zwischen  Empedoklos'  Theologie  und  Religion  hervor.  Da- 
gegen hält  er  die  Widersprüche  zwischen  den  Katharmen  und  dem 
physischen  Gedichte  nicht  für  ganz  so  unüberwindlich  wie  Zeller.  Eine 
individuelle,  persönliche  Seele  vertrage  sich  allerdings  nicht  mit  der 
physikalischen  Theorie  des  E.;  aber  er  rede  überhaupt  nirgends  von 
,, Seelen";  man  könne  sehr  wohl  an  ein  Wiedererscheineu  derselben 
körperlichen  Elemente  in  verschiedenen  Kombinationen  denken  und  dies 
scheine  in  der  That  v.  395  (offenbar  falsch  citiert;  meint  B.  etwa  v.  366?) 
angedeutet  zu  sein.  Aber  mit  solchen  sehr  zweifelhaften  Erklärungs- 
versuchen wild  die  Thatsache  nicht  aus  der  Welt  geschafft,  daß  E.  eine 
Fortdauer  der  Einzelseelen  nach  dem  leiblichen  Tode  und  ihre  sich  in 
bestimmten  Perioden  wiederholende  Einkörperung  annahm.  Schließlich 
werden  wir  uns  in  dieser  Fiage  doch  wohl  mit  Rohde  Psyche^  475  Ü. 
(s.  Bd.  CXII  S.  136  f.)  dahin  entscheiden  müssen,  daß  es  nicht  gestattet 
ist,  durch  begütigende  Auslegung  eine  Einstimmigkeit  des  Philosophen 
mit  sich  selbst  herstellen  zu  wollen,    wo   doch    deutlich    zwei  Stimmen 


42       Beriebt  über  die  griechiscben  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

laut  werden,  mag  auch  im  Sinne  des  E.  kein  Widerspruieh  ihrer  Aus- 
sagen besteben,  weil  diese  sich  auf  ganz  verschiedene  Gegenstände  be- 
zieben.] —  Scb.  versucht  dann  den  Nachweis  zu  führen,  daß  sich  E. 
in  seiner  Lehre  vornehmlich  an  Heraklit  angeschlossen  habe.  Er  gebt 
dabei  von  Piaton  Soph.  242D  und  Aristot.  d.  cael.  279b  16  aus,  ohne 
zu  bedenken,  daß  solche  Stellen,  in  denen  mehrere  Philosophen  unter 
bestimmten  Gesichtspunkten,  wie  hier  als  Vertreter  der  Lehre  vom 
Wechsel  und  den  Gegensätzen  in  der  Weltentfaltung,  zusammengefaßt 
werden,  für  den  Erweis  der  Abhängigkeit  des  einen  vom  andern  un- 
brauchbar sind,  ganz  abgesehen  davon,  daß  wenigstens  Piaton  neben 
der  Ähnlichkeit  auch  die  Vei'schiedenheit  beider  Philosophen  deutlich 
hervorhebt.  Indem  Verf.  nun  die  beiderseitigen  Lehren  vergleicht, 
findet  er  eine  Anzahl  fundamentaler  Übereinstimmungen.  Dabei  gesteht 
er  zu,  daß  diesen  Ähnlichkeiten  auch  bedeutsame  Unterschiede  gegen- 
überstehen. So  ist  Heraklit  überzeugt,  daß  sein  Xo-^o;  nur  von  denen, 
die  an  ihm  teilhaben,  verstanden  werden  kann,  und  daß  er  selbst  die 
gesamte  Natur  erkannt  hat;  die  dva-i-xY]  des  E.  dagegen  ist  nicht  er- 
kennbar, und  dieser  glaubt  daher  das  Wesen  des  Alls  nicht  durchschaut 
zu  haben.  Dieses  Gegensatzes  war  sich  E.  bewußt,  und  die  Verse  2  ff. 
sind  direkt  gegen  Heraklit  gerichtet.  Auch  v.  81  ff,  scheint  er  seine 
Lehre  von  der  Liebe  als  des  Schöpfers  aller  einzelnen  Dinge  der  des 
Heraklit  von  der  Zwietracht  als  des  Vaters  der  Dinge  entgegengesetzt 
zu  haben.  [Einen  Gegensatz  und  gar  eine  bewußte  Polemik  gegen  H. 
vermag  ich  in  diesen  Stellen  nicht  zu  erkennen;  an  der  zweiten  kann 
E.  seine  Liebe  schon  deshalb  nicht  dem  Kriege  des  Ephesiers  entgegen- 
gestellt haben,  weil  nach  ihm  nicht  nur  die  «pdoxr]?,  sondern  auch  das 
vaixoc  bei  der  Entstehung  der  Einzelerscheinungen  wirksam  ist.]  Spuren 
der  Übereinstimmung  glaubt  Verf.  hinwiederum  auch  in  der  Seelen- 
wanderungslehre des  E.  zu  erkennen.  Wie  Her.  in  Wahrheit  an  keine 
Fortdauer  der  Einzelseelen  glaubt  (dies  nimmt  Seh.  mit  Teichmüller 
an),  sondern  von  einem  Hinauf-  und  Herabsteigen  der  Seelen  nur  in 
bildlichem  Sinne  redet,  so  hat  E.,  auch  hierin  dem  Herakl.  folgend, 
seine  Seelenwanderungslehre  nur  als  Hülle  benutzt,  in  die  er  seine  Ge- 
danken kleidete;  daß  er  sich  in  dieser  Hinsicht  auch  falschen  Meinungen 
der  Menschen  accoramodierte,  spricht  er  selbst  v.  40  ff.  aus.  —  Diesen 
Ausführungen  kann  man  insoweit  zustimmen,  als  die  physikalische  Welt- 
erklärung des  E  in  ihren  Grundprinzipien  wirklich  eine  unverkennbare 
Verwandtschaft  mit  der  heraklitischen  zeigt,  worauf  übrigens  vor  Seh. 
bereits  andere  wie  Zeller  833  ff.  hingewiesen  haben.  Aber  Verf.  be- 
trachtet das  empedokleische  System  von  einem  allzu  beschränkten  und 
einseitigen  Standpunkte  aus,  indem  er  es  ausschließlich  mit  dem  Heraklits 
vergleicht,  als  ob  er  keinen  andern  Vorgänger  gehabt  hätte,  an  den  er 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.")        43 

sich  anschließen  oder  auch  von  ihm  abweichen  konnte.  Es  berührt 
doch  eigentümlich,  daß  in  der  ganzen  Abhandlung  des  Parmenides 
nirgends  gedacht  wird,  während  doch  kein  Zweifel  daran  bestehen  kann, 
daß  E.  von  der  eleatischen  Lehre  seinen  Ausgangspunkt  genommen 
hat  (s.  Zeller  827  ff.).  Ganz  verfehlt  endlich  ist  der  Versuch,  die 
Seelenwanderungslehre  des  E.  an  die  heraklitische  Eschatologie  zu 
knüpfen.  Ob  man  nun  dem  Heraklit  den  Glauben  an  eine  individuelle 
Unsterblichkeit  beilegt  oder  abspricht  (über  die  Schwierigkeiten  dieser 
Frage  haben  wir  oben  gesprochen),  von  der  Metempsychose  im  empe- 
dokleisch-pythagoreischen  Sinne,  wonach  die  Seele  zur  Strafe  durch 
verschiedene  Leiber  wandern  muß,  ist  jedenfalls  bei  Heraklit  keine 
Spur  zu  finden.  Nicht  einmal  die  rein  formale  Übereinstimmung,  auf 
die  diese  ganze  Vergleichung  der  beiderseitigen  Jenseitslehre  hinaus- 
läuft, daß  beide  sich  hierin  nur  gewissen  religiösen  Strömungen  ange- 
paßt hätten,  kann  man  gelten  lassen.  Bei  E.  ist  sicherlich  an  eine 
solche  rein  äußerliche  Anbequemung  nicht  zu  denken  (die  Berufung 
des  Verf.  auf  v.  44  vo[jiip  0'  E-t'fr,[jLi  xal  auTo;  ist  völlig  hinfällig,  da  an 
dieser  Stelle  die  Seelenwanderungslehre  gar  nicht  in  Frage  kommt,  und 
es  sich  überdies  nur  um  eine  Accommodation  an  die  Ausdrucksweise 
[7i7vstj9at  xal  'fOeipeji^at],  nicht  an  die  Auffassung  der  Menge  handelt, 
die  E.  gerade  aufs  entschiedenste  bekämpft);  die  Überreste  aus  seinen 
Ka9ap|xoi  machen  vielmehr  den  Eindruck,  daß  es  ihm  mit  dem  mystischen 
Glauben  an  den  Sündenfall  und  die  Wanderung  der  Seelen  voller 
Ernst  vi^ar. 

Die  Schrift  Baltzers,  des  Apostels  der  Vegetarier,  ist,  vom 
jthilologischen  wie  vom  philosophischen  Standpunkt  betrachtet,  so  wert- 
los und  verfehlt,  daß  es  sich  nicht  verlohnt,  auf  ihren  Inhalt  einzugehen. 
Vgl.  Litt.  C.-Bl.  1879,   1482  f.  und  M.  Curtze  Fortschr.  Bd.  40  S.  12. 

Über  die  Abhandlung  von  Di  eis  erscheint  es  zweckmäßig,  bereits 
an  dieser  Stelle  und  zwar  vollständig  zu  berichten,  da  sie  zur  richtigen 
Würdigung  des  E.  neue  und  wichtige  Beiträge  liefert  und  eine  Trennung 
der  auf  E.  bezüglichen  Ausführungen  von  dem  über  Gorgias  Gesagten 
kaum  augänglich  wäre.  D.  hatte  bereits  in  dem  später  zu  besprechenden 
Vortrage  über  „Leukipp  und  Demokrit"  (1880)  S.  104  f.  die  Über- 
zeugung ausgesprochen,  ,,daß  der  Begriff  des  Elementes  und  die  eigen- 
tümliche Porenlehre,  die  E.  mit  der  Atomistik  gemein  hat,  .  .  .  nicht 
auf  dem  Boden  des  unselbständigen  und  flachen  empedokleischen  Systems 
(vgl.  Timon  Fr.  SSW.  dvopaituv  XvjxrjTY);  i-swv),  sondern  aus  der 
tiefsten  Wurzel  des  leukippischen  Materialismus  herausgewachsen  ist"; 
selbst  die  Bezeichnung  vauxa,  die  Leukipp  den  Atomen  gab,  scheine 
mit  der  Lehre  in  das  Gedicht  des  E.  übertragen  worden  zu  sein.  Zum 
Beweise  dessen  hatte  er  darauf  hingewiesen,  daß  Leukipp  der  Urheber 


44       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Solirates.    (Lortzing.; 

der  offenbar  mit   der  seinigeu    eng  verwandten  Porenlehre  des  E.  (die 
Worte  a-oppoai  und  Tiopoi  kommen  bei  Demokrit  wie  bei  E.  vor)    sein 
müsse,    weil  auf  diese  Theorie  niemand  ohne  die  Annahme  des  Leereu 
kommen  konnte,   das  ja  E.  nach  Parmenides  geleugnet  hatte  (über  die 
Widersprüche,  in  die  er  dadurch  mit  Annahme    der  Porenlehre   geriet, 
vgl.  Arist.    d.   gen.  326  b  8  und    Theophrast    d.    sens.    §  13).     Dieser 
Auffassung  entsprechend  bezeichnet  D.  im  Eingange    der    vorliegenden 
Abb.  das  System  des  E.  als  Eklekticismus.     Während  sich  E.   anfangs 
(v.  2.  8.   11  f.)  sehr    skeptisch    gegen  die  sinnliche  Wahrnehmung  ver- 
hält,   gewinnt  im    Verlaufe    seiner    Darstellung    der    Dogmatismus    die 
Überhand  (v.  55.  86.  129).    Als  daher  die  Erklärung  des  naturwissen- 
schaftlichen Details  mehr  und  mehr  hinter   die    erkenntuistheoretischeu 
Fragen  zurücktrat,  mußte  sein  Schüler  Gorgias  mit  dem  fortgeschritteneu 
Zeitgeist  in  Konflikt  geraten.   Daß  E.  auf  G.  einen  bestimmenden  Einfluß 
ausgeübt  hat,    ergiebt  sich  w^eniger  aus    dem    unzuverlässigen  Berichte 
des  Satyros  bei  Laert.  8,  58,  G.  habe  nach  seiner  eigenen  Angabe   an 
der  Geisterbeschwörung  des  E.    teilgenommen    (vielleicht  stammt  diese 
Notiz  aus  dem  <I>uatxoc  des  Alkidamas,  worin  G.  als  Führer  des  Gesprächs 
auftrat),  als  aus  dem,  was  von  Gorgias'  physikalischen  Ansichten  über- 
liefert wird.     So    beruht  die  in  Piatons  Menon  76  C  ff.  auf  G.  zurück- 
geführte Definition  der  Farbe    auf   der  Theorie  des  E.    von  den  abge- 
lösten feinsten  Teilchen  der  Elemente,  die  in  die  trichterförmigen  Porea 
des  Auges  eindringen.     Nur    ein    symmetrisches   Verhältnis    der  Poren 
kann    den  Kontakt    und    damit    die  Wahrnehmung    herbeiführen.     Der 
technische  Ausdruck  für  dieses  Ineinanderpassen  der  Ausflüsse  und  der 
Poren  ist  bei  E.  336  apixoxTsiv  (vgl.  Theophrast  d.  sens.  §  15,    der  an 
andern  Stellen  auch  von  der  Symmetrie  der  Poren  spricht).    Mit  dieser 
Erklärung  des  E.  stimmt  die  Definition  der  Farbe  bei  Piaton:  l'jnv  /po'a 
aTiopporj  cyY][xat(üv  ot|/si  auiJ-jj-expo?  xal  aiaörjxo;  (vgl.  Theophr.  7  und  von 
diesem  abhängig  Aet.  I    15,  3)    vollkommen    übereiu.     Wenn   Sokrates 
diese  Definition  eine  xpa-ftxr)  drtoxptfft';  nennt,  so  kann  sich  dieses  ironische 
Lob  nur  auf  die  Vermischung  des  prosaischen  und   poetischen  Stils  bei 
G.  beziehen.     In  der  That  sind  denn    auch    solche  Pemininformen    von 
Verbal adjektiven    wie    aia9r)x6c    nicht    nur    bei  Piaton    ohne    Parallele, 
sondern    kommen    überhaupt,    von    einer  Stelle   bei  Aristot.    und    von 
späteren   Autoren    abgesehen,    nur    bei    den    Tragikern,    hier    aber    in 
großem  Umfange  vor.     Auch  der  Ausdruck  «TcoppoY],    obwohl    ein    von 
E.  eingeführter  Terminus,  klingt  poetisch  und  ist  vor  Piaton  sonst  nur 
bei  einem  Tragiker,  Eurip.  Hei.  (nicht  Hec,  wie  D.  citiert)  1587,  nach- 
weisbar; auch  bei  Piaton  finden  sich  djioppoiQ  und  duopperv  nur  in  poetisch 
gehaltenen  Abschnitten  wie  Phaedr.  251  fi".,    wo   die  ganze  Darstellung^ 
von   erapedokleischer  Auffassung  beeinflußt   wird,    und  Tim.  68  C,    wa 


Bericl)t  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)       45 

Piaton  die  Farbe  ganz  enipcdokleisch  definiert.    Aus  der  zweiten  Stelle 
ergiebt  sich  auch,    daß    in    der  Menonstelle    (jyr,|xaTüiv ,    das    auch  aus 
andern  Gründen  verworfen  werden  muß,    falsch    ist;    das  Richtii,'e  ist 
wahrscheinlich    nicht    tü>v   ö'vtcov    (vgl.    Emp.    281)    noch    das    farblose 
aoJjjLaTtuv  der  Tinnäosstelle,  sondern  das  am  Rande  des  Ven.  T  stehende 
ypTf)[j.aTcov  (ypTjfjLaTa  in  der  älteren  Physik,  bei  Anaxag.,    Protaix.  und 
Demokrit,  ^  ta  ovra).   Diese  drei  Abweichungen  von  der  gewöhnlichen 
Sprache  beweisen,    daß  in  der  Menonstelle    der   poetische  Stil   des  G. 
persifliert    werden    soll.       Aber    es    kam    Piaton    nicht    bloß    auf    die 
Persiflage  ann.    Nach  dem  ganzen  Zusammenhange  muß  er  die  Definition 
irgendwo  in  dieser  Form  von  G.  ausgesprochen  gefunden  haben.  —  Auch 
sonst  ist  G.  gerade   auf  dem  optischen  Gebiete  als  Schüler  des  E.  und 
Fortführer  seiner  Phj-sik  nachzuweisen.     Die  Theorie  des  G.   über  den 
Brennspiegel,  auf  die  bei  Theophrast  d.  igne  73  angespielt  wird,    läßt 
sich  nur  aus  der  optischen  Anschauung  des  E.  erklären.    Dieser  bringt 
die  Physiologie  des  Auges,    die  Erscheinungen    der  Katoptrik    und  die 
optischen  Probleme  der  Meteorologie  auf  Anregung  des  in  seiner  Ao^i 
stark  pythagorisierenden  Parmen.  in  einen  phantastischen  Zusammenhang, 
Ahnlich  wie  bei  Parm.  bestehen  auch  bei  ihm  die  Himmclssphären  und 
Gestinikörper  aus  Feuer  und  zusammengepreßtem  Duft  (ar,p).    Die  aus 
diesem  dem  Hagel  oder  Eise  gleichenden  Duft  gebildete  Sonne  gewinnt 
so    vermöge  ihrer  Durchsichtigkeit    die  Fähigkeit,    das  Licht    der    die 
Eide  umgebenden  Feuerhemisphäre  zu  sammeln  und  auf  die  Erde  uieder- 
zustrahlen;  ähnlich  Philolaos  und  Ion  von  Chics  (Aet.  II  25,  11).    Bei 
E.  kommt  zu  dem  Pythagoreischen  hinzu,  daß  der  Sonnenkrystall  nicht 
bloß  kondensierten  Duft,    sondern  auch  Feuerteilchen  enthält,    weil  er 
sonst  nach  dem  Grundsatze  von  der  Attraktion  des  Gleichartigen  nicht 
das  himmlische  Feuer  in  seinen  Poren  ansammeln  könnte.    Ganz  ähnlich 
hat  sich  E.  die  Einrichtung  des  menschlichen  Auges  gedacht,  auch  hier 
nach  pythagoreischem  Vorgange.    Der  dem  pythagoreischen  Kreise  ver- 
wandte Alkmaion  nahm    an,    das  Sehorgan    bestehe    aus    dem    funken- 
gebenden Feuer  und  dem  durchsichtigen  Wasser.    E.  hat  zv.-ar  die  -opoi 
des  Alkm.  auf  grund  seiner  Lehre  von  den  aTioppoai  umgedeutet,   aber 
die  beiden  Gegensätze,    Wassser  und  Feuer,   beibehalten.     Er  war  der 
Meinung,  daß,  wie  das  Licht  in  der  Laterne  vor  dem  Winde,  so  das  Feuer 
in  der  Pupille  durcli  dünne  Membrane  vor  dem  umgebenden  Wasser  des 
Augapfels  geschützt  und  getrennt  sei,  aber  durch  trichterförmige  Poren 
mit  der  Außenwelt  in  Verbindung  stehe,  so  daß  das  Liclit  (Feuer)  der 
Augen  hinaus  und  ebenso  das  draußen  Befindliche    ins  Innere    dringen 
könne    (v.  314  fif.;    vgl.  die   Erklärung   von  Blaß  o.  S.  35).     So    wird 
das  Leuchtende  vermittelst  der  Fenerporen   des    ,, sonnenhaften"  Auges 
wahrgenommen,    ebenso    das    Dunkle    durch    die    gröber   konstruierten 


4G       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Wasserporen.  Dieselbe  Analogie  gilt  auch  für  die  Theorie  der  Spiegel- 
reflexe. Ein  Spiegelbild  entsteht  dadurch,  daß  die  dünnen  Ausflüsse 
der  Objekte  auf  der  Überfläche  des  Spiegels  sich  sammeln  und  dort  von 
dem  aus  den  Poren  des  Spiegels  hervorbrechenden  Feuer  verdichtet 
werden,  wodurch  auch  die  davorliegende  Luftschicht  in  rückwärtsgehende 
Bewegung  gesetzt  und  die  Reflexbilder  mit  in  diese  Bewegung  hinein- 
gerissen werden.  Die  Bemerkung  Tlieophrasts  über  Gorgias'  Theorie 
der  Entzündung  des  Brennspiegels  ist  demnach  so  zu  verstehen,  daß 
das  Sonnenlicht  in  die  Poren  des  Brennspiegels  eindringt,  angelockt 
durch  die  Wahlverwandtschaft  des  darin  verborgenen  Feuers,  und  daß 
es  dann  hierdurch  veistärkt  wieder  hervorbricht  und  nun  imstande 
ist,  eine  Entzündung  hervorzurufen.  In  der  nihilistischen  Schrift  des 
G.  war  für  eine  solche  Lehre  kein  Platz,  und  sie  fand  sich  auch 
schwerlich  in  einer  seiner  epideiktischen  Reden,  in  denen  er  sich  nie 
als  Vielwisser  aufspielt  wie  Hippias.  Man  könnte  annehmen,  daß 
einer  seiner  Schüler  jene  im  Unterricht  von  ihm  gehörte  Ansicht 
in  einer  physischen  Schrift  erwähnt  habe,  wie  Polos  oder  Alki- 
damas oder  auch  Antiphon  im  Buche  tt.  aXri&eiac  oder  endlich 
Kritias.  Aber  alle  "Wahrscheinlichkeit  spricht  dafür,  daß  G.  in  einer 
eigenen  physikalischen  Schrift  besonders  die  Optik  behandelte. 
Daß  uns  von  dieser  Schrift  keine  Spur  erhalten  ist,  will  nicht  viel  be- 
sagen, da  selbst  seine  berühmte  nihilistische  Schrift  von  Piaton  und 
Aristot.  nicht  erwähnt  wird.  Eine  schwache  Hinweisung  auf  eine  solche 
Schrift  kann  man  bei  Suidas:  a\jvz-jpd<\ioizo  noWd  und  bei  Dionys.  Hai. 
Isokr.  1  finden.  Aber  wie  verträgt  sich  diese  Bearbeitung  wissen- 
schaftlicher Probleme  mit  seinem  nihilistischen  Standpunkt?  Das 
nichtigste  ist,  die  drei  verschiedenen  Gestalten,  in  denen  G.  erscheint, 
als  Physiker,  Eristiker  und  Rhetor,  nicht  als  ein  Nebeneinander,  sondern 
als  ein  Nacheinander  seiner  geistigen  Entwickelung  aufzufassen,  die 
mit  der  Umwälzung  der  gesamten  Denkweise  in  der  Sophistenzeit 
parallel  geht.  Anfangs  wandelte  er  noch  ganz  in  den  Bahnen  des 
E.  und  behandelte  im  Anschluß  an  ihn  physikalische  Probleme.  Aber 
dem  heftigen  Angriff  der  juugeleatischen  Schule  (Zenou  in  der  IStqytjjic 
'EfjiTreooxXeous,  die  D.  im  Gegensatze  zu  Zeller  für  echt  und  zwar  für 
keinen  Kommentar,  sondern  für  eine  kritische  Besprechung  hält;  vgl. 
die  ähnlichen  Titel  von  Schriften  des  Herakleides  Pont,  bei  Laert.  5,  88 
[s.  jedoch  Zeller  587  Anm.])  gegenüber  mußte  er  die  Waffen  strecken. 
Nun  erschien  ihm  die  hergebrachte  Naturerklärung  schal  und  hohl.  So 
entstand  die  Schrift  von  der  Natur  und  dem  Nichtsein,  worin  er  die 
Waffen  des  Zenon  und  Melissos  gegen  die  ältere  Pliysik,  ebenso  aber 
auch  gegen  den  Eleatismus  selbst  schwingt.  Aber  bei  diesem  dürren 
Nihilismus    konnte   er  nicht  verharren.     Was  theoretisch  verloren  war. 


iJeiicht  über  die  griechischea  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)       47 

suchte  er  in  der  Praxis  wiedereinzubring;eu.  So  wurde  er  zum  Kedner, 
der  sich  anheischig  machte,  das  Scheinende  in  der  Überzeugung  seiner 
Zuhörer  zur  Wirklichkeit  zu  gestalten,  und  erkannte  gerade  darin  das 
Wesen  dieser  Kunst.  Über  die  dreifache  Gliederung  der  Geisteswissen- 
schaften in  jxeTetupoXo7ü)v  X0701,  ota  Xo'/ojv  d'ccüvec  und  cpiXojo9ü>v  hy(oi  als 
drei  Künste  der  -£u')cu  äußert  er  sich  selbst  Hei.  §  13.  Der  mittleren 
von  diesen,  der  Rhetorik,  wandte  er  sich  in  der  letzten  Zeit  seines 
Lebens  fast  ausschließlich  zu  und  nannte  sich  daher  nicht  einen  Sophisten, 
sondern  einen  Rhetor  (Fiat.  Gorg.  449  A).  Aber  auch  in  der  Rhetorik 
muß  er  Vorgänger  gehabt  haben.  Von  den  ältesten  Vertretern  der 
Rhetorik,  die  Aristot.  nennt,  Emped.,  Korax  und  Tisias,  können  die 
beiden  letzten  nicht  in  betracht  kommen,  da  ihre  ~iyyt]  eine  handwerks- 
mäßige Einübung  für  die  Gerichtsreden  war,  ohne  Rücksicht  auf  die 
stilistische  Ausbildung  [aber  in  der  von  D.  angeführten  Stelle  Plat. 
Phädr.  267  A  werden  Tisias  und  Gorgias  als  Vertreter  der  gleichen 
Richtung  genannt].  Dagegen  weist  alles  auf  E.  hin,  den  Aristot.  als 
tisten  Anreger  der  Rhetorik  erwähnt  hat.  Sein  Wanderpredigen,  von 
dem  er  selbst  in  den  Katharmen  redet,  erinnert  sehr  an  die  eigentlichen 
Sophisten  wie  G.  und  Hippias,  daher  hier  wie  dort  der  Stil  des  Pomp- 
haften, Gesuchten  und  Spielenden.  Aber  es  finden  sich  noch  viel  nähere 
l^bereinstimmungen.  Aristot.  (Laert.  8,  87)  hob  an  E.  besonders  die 
Kunst  der  „Phrasierung''  hervor,  die  er  auf  den  häutigen  Gebrauch  der 
]\Ietapher  und  der  sonstigen  „Treffer"  des  poetischen  Stils  zurückführte. 
In  den  erhaltenen  Fragmenten  setzt  uns  diese  Kühnheit  der  Metapher 
in  Erstaunen.  Auch  in  Gorgias'  rhetorischer  Prosa  fand  man  diesen 
Dithyrambenschwulst  wieder,  den  Aristot.  Rhet.  1406  b  9  rügt.  Der- 
selbe tadelt  1405  b  37  an  G.  die  Komposition  der  Epitheta.  Auch  E. 
übertreibt  hierin  mit  wunderlichen  Bildungen  (v.  257  ü.).  Dahin  gehört 
auch  das  Streben  nach  Personifikation  bei  G.  wie  bei  E.  (vgl.  v.  69. 
177.  181  und  überhaupt  die  Einführung  der  Elemente  und  Prinzipien 
unter  Götternamen,  sowie  den  kleinlich  wirkenden  Katalog  v.  393  if.j, 
ferner  die  Paronomasie  und  der  umgekehrte  Gleichklang,  die  Wieder- 
holung derselben  Wörter  in  verschiedenen  Kasus  (öi-XaaioXo^ta  bei  Plat. 
Phädr.  267  c).  Zu  dem  von  Piaton  Sympos.  198A  zur  Verhöhnung 
von  Agathons  -/opyia^siv  angeführten  parononiatischen  Oxymoron  döss; 
oEo;  vgl.  Palam.  20  aßicüto?  ßio;  und  E.  v.  4  ^ui7^;  d[:5iou.  Auch  für  die 
künstlichen  Periodeubildungen  mit  ihren  Autitheta,  Parisa  und  Paromoia, 
durch  die  G.  die  ungebundene  Rede  zur  gebundenen  steigerte,  fand  er 
bei  E.  sein  Vorbild;  vgl.  z.  B.  v.  78  ff.  98  ff.  (v.  99  schreibt  D.  033' 
oder  ü>;  i'oei  ts;  löo«  in  der  späteren  P^rm  eloo;  auch  v.  266  erhalten, 
wo  bei  Sinipl.  sKso;  steht,  und  ioeo;  zu  lesen  ist,  nicht  mit  Sturz  und 
Stein  o'JoEo;).     So  war  E.   dem  jungen  G.  als  Physiker  Gewährsmann, 


48       Bericlit  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

wies  ihn  dann  vielleicht,  als  er  sich  unbefriedigt  abwandle,  auf  die 
Eleaten  und  konnte  ihm  endlich  für  seinen  Beruf  als  Rhetor  wirksame 
Anleitung-  geben.  Chronologisch  läßt  sich  etwa  folgendes  fixieren: 
Gorg. ,  483  geboren,  verfaßt  seine  optische  Schrift  etwa  zwischen  460 
und  450,  seine  Schrift  Tiepl  9U3£o)c  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  und 
wendet  sich  um  den  Anfang  des  peloponnesischen  Krieges  der  Epideiktik 
und  Unterweisung  der  Jugend  in  der  rhetorischen  Technik  zu.  Dabei 
muß  er  gelegentlich  noch  auf  seine  alten  physikalischen  Probleme  im 
Unterricht  zurückgekommen  sein ,  sie  jedoch  nicht  mehr  als  Wahrheit, 
sondern  als  66^a  gelehrt  haben.  —  Diese  Ausführungen  verdienen,  so- 
weit sie  sich  auf  E.  beziehen,  unsere  volle  Zustimmung.  Die  Methode 
seiner  physikalischen  Forschung  mit  ihrem  eigentümlichen  Gemisch 
von  empirischer  Beobachtung  und  phantastischer  Spekulation  tritt  uns 
au  einem  hervorragenden  Beispiel  deutlich  vor  Augen,  und  die  rheto- 
rische Kunst  des  agrigentinischen  Propheten  mit  ihren  „Verzierungen 
und  Verschnörkelungen"  wird,  obwohl  sie  jeder  aufmerksan)e  Leser 
längst  aus  seinen  Gedichten  hätte  herausholen  können,  hier  zum  ersten 
Male  ausführlich  und  überzeugend  nachgewiesen.  Auch  die  Abhängig- 
keit des  G.  von  E.  sowohl  in  der  Aufstellung  physikalischer  Ansichten 
wie  im  Schmuck  der  Rede  hat  D.  einleuchtend  gemacht.  Aber-  damit 
ist  nicht  ausgeschlossen,  daß  G.  in  beiden  Beziehungen  noch  andere 
Einflüsse  erfahren  hat,  in  der  Rhetorik  z.  B.  die  des  Tisias  (vgl.  die 
oben  angeführte  Phädrosstelle),  in  der  Physik  die  des  Parmen.  Es 
scheint  mir  überhaupt  fraglich,  ob  G.  wirklich  je  als  dogmatischer  Philo- 
soph und  speziell  als  überzeugter  Anhänger  des  empedokleischen  Systems 
aufgetreten  ist.  Wenn  er  sich  in  seiner  Jugend  einer  bestimmten  Lehre 
angeschlossen  hat,  so  halte  ich  es  für  wahrscheinlicher,  daß  er  von 
Parmen.  ausgegangen  ist  und  ähnlich  wie  dieser  die  Ansichten  anderer 
Philosophen  wie  die  des  E.  nur  als  oo^a,  nicht  als  d^y^Oeia  angeführt 
hat,  sei  es  im  mündlichen  Vortrage,  sei  es  in  einer  besonderen  phj^si- 
kalischen  Schrift  (daß  er  eine  solche  verfaßt  hat,  ist  möglich,  aber  nicht 
mit  zwingenden  Gründen  von  D.  erwiesen).  Er  würde  dann  später  mit 
jeder  Dogmatik  auch  die  eleatische  über  Bord  geworfen  und  die  Möglich- 
keit alles  Erkennens  überhaupt  geleugnet  haben.  Das  sind  freilich  un- 
sichere, durch  kein  Zeugnis  gestützte  Vermutungen.  Aber  auch  die 
Dielssche  Konstruktion  dreier  Phasen  der  Gorgianischen  Geistesentwicke- 
luug  ist  doch  nur  eine  sehr  zweifelhafte  Hypothese.  Die  nihilistische 
Schrift  wird  ja  wohl  der  rhetorischen  Periode  voraufgegangen  sein,  aber 
da  sie  sich  nur  auf  die  wissenschaftliche  Erkenntnis  bezog,  mit  der 
es  die  Rhetorik  überhaupt  nicht  zu  thun  hat,  so  braucht  sie  nicht  in 
einem  inneren  prinzipiellen  Gegensatze  zu  seiner  rhetorischen  Wirksam- 
keit gestanden  zu  haben.    Vielleicht  ist  es  G.,  wie  später  in  der  Rhetorik 


Bericht  über  die  griechiscben  Philosophen  vor  Sokrates.   (Lortzing.)       49 

(s.  Piatons  Groi-g).  so  auch  in  seinen  früheren  physikalischen  Studien 
und  in  seiner  philosophischen  Streitschrift  nur  auf  die  Erregung  des 
Scheins,  nicht  auf  die  Erforschung  der  Wahrheit  angekommen;  in  der 
Stelle  der  Helena  (§  13)  wenigstens,  auf  die  sich  D.  beruft,  werden 
die  drei  Künste  lediglich  unter  diesem  Gesichtspunkt  betrachtet. 

Über  Ferraris  Abhandlung  verweise  ich  auf  A.  Chiappellis 
I3esprechung  im  Arch.  VII  (1894),  557  ff.,  wonach  der  Verf.  nichts 
Neues  bringen,  sondern  nur  eine  suniniarische,  aber  vollständige  Dar- 
legung der  Lehre  des  E  geben  wollte.  Der  erste  Teil  enthält  eine 
nach  dem  Urteile  des  Berichterstatters  ziemlich  elegante  Übersetzung 
der  Fragmente  in  italienischen  Hendekasyllaben. 

Döring  unterzieht  die  doxographische  Überlieferung  über  die 
Weltentstehung  bei  E.  einer  kritischen  Untersuchung.  Nach  Aet.  II  6.  3 
werden  aus  dem  Sphairos  zuerst  der  Äther  (—  Luft  als  Element,  unter- 
schieden von  der  empirischen  Luft),  dann  das  Feuer  und  zuletzt  die 
Erde  ausgeschieden.  Der  letzte  Ausdruck  ist  ungenau;  es  handelt  sich 
um  das  nach  den  beiden  ersten  Ausscheidungen  verbleibende,  aus  Erde 
und  Wasser  bestehende  Residuum.  Aus  diesem  wird  durch  die  Wucht 
des  Umschwungs  (p'j|X7)  x^?  Trepicpopa?  -=  Centrifugalkraft)  das  Wasser 
ausgetrieben.  Aus  dem  Wasser  entspiingt  durch  Verdunstung  die 
empirische  Luft.  Aus-  dem  Äther  entsteht  der  Himmel,  aus  dem  Feuer 
die  Sonne.  Der  Himmel  ist  eine  krystallartige  Hohlkugel  aus  der  durch 
Feuer  verhärteten  Luft.  In  den  Worten  7i:iXr)f>rjvai  ex  töjv  aXXcuv  ra 
-cpqeia  bezeichnet  zh.  irepiYeta  die  centrale  Sphäre  der  Weltkugel,  -a 
aXXa  die  nach  Ausscheidung  des  Äthers  und  Feuers  verbleibenden  Stoffe: 
Erde,  Wasser  und  die  elementare  Luft.  Für  die  Ausscheidung  des 
Meeres  ans  der  Erde  werden  Aet.  III  16,  3  zwei  Ursachen  genannt, 
<lie  mit  einander  nicht  zu  stimmen  scheinen  [D.  hat  hier  die  von  Diels 
in  den  Addenda  zu  den  Doxogr.  angeführte  Konjektur  von  Bernardakis 
Tp^3iv  statt  Tri'Xrjjiv  nicht  beachtet],  E.  wird  ähnlich  wie  Anaximander 
das  Meer  als  Rest  einer  die  Erde  umgebenden  Wasserhülle  gedacht 
haben  [aber  nach  der  angeführten  Stelle  des  Aet.  ist  es  eine  durch  das 
Feuer  hervorgerufene  Ausschwitzung  der  Erde].  Die  sehr  dunkle  und 
lückenhafte  Stelle  Plutarch  ström.  582,  5  ff.  Dox.,  die  Näheres  über 
die  beiden  ersten  Ausscheidungen  enthält,  ergänzt  D.  so:  durch  den 
Kontakt  des  Feuers  mit  der  Luft  entsteht  erst  das  Firmament,  und 
dann  findet  die  peripherische  Ausbreitung  des  Feuers  oberhalb  der  Luft 
an  dieser  festen  Hülle  ihre  Grenze.  Sehr  unklar  wird  die  Entstehung 
der  beiden  Hemisphären,  hohler  Schalen,  die  um  die  Erde  kreisen,  ge- 
schildert. Die  Einsprengungen  in  die  Nachthemisphäre  sind  offenbar  die 
Sterne.  Diese  sind  nach  Aet.  II  13,  2  aus  der  ursprünglich  aus- 
geschiedenen, noch  mit  Feuerteilen  erfüllten  Luft  herausgedrängt  worden. 
Jahreabericht  (ür  Altertumswissensc haft.    Bd.  CXVI.    (1903.    I.)  -t 


50       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Da    die  Fixsterne  am  Firmament  festgeheftet  sind,    so  muß  dieses  an 
dem  Umschwung  der  beiden  Hemisphären  teilnehmen.    Am  schwierigsten 
ist  es,  über  die  Beschaffenheit  der  Sonne  bei  E.  zur  Klarheit  zu  kommen. 
Aet.  II  20,  13  enthält  mehrere  Dunkelheiten  und  Widersprüche  in  sich 
selbst    und    mit   A(^t.  IT  6,  3.     Besonders    unklar    ist    das    Verhältnis 
zwischen  der  archetypischen  und  der  krystallartigen  Sonne.     D.  glaubt 
durch    die  Annahme,    daß    an   der   ersten   dieser  beiden  Stellen  in  den 
Worten   &k  tov   rjXtov  xov  xpusxaXXoeio?]    statt  f^Xiov:    oupavov   zu  lesen 
sei  (vgl.  Aet.  II  II,  2),  und  durch  Berufung  auf  Plut.  ström.  582,  11, 
Galen  bist.  phil.  626,  7  und  Emp.  v.  242,  wo   als  Subjekt  zu  avTa-j-.'Y^ 
die   archetypischc  Sonne   zu   denken  ist,    die  Sonne  als  Krystallspiegel 
aus    dem    Weltbilde    des    E.    entfernen    zu    können.     Die    Worte    ä-J> 
y.uxXoTspoüc  T-?jC  -/rjC,    die  il)m  einen  vollen  Unsinn  zu  ergeben  scheinen, 
möchte  er  beseitigt  wissen;  der  Sinn  wäre  dann:  die  scheinbare  Sonne 
ist  der  durch  Zurückwerfung  der  Strahlen  entstehende  Widerschein  der 
archetypisclien    Sonne    in    der    Lufthemisphäre    gegen    den    gestirnten 
Himmel.     Aber  auch  damit  gewinnen  wir  eine  durchaus  widerspruchs- 
volle und  unbegreifliche  Gesamtanschauung,  so  daß  das  Endergebnis  ein 
non  liquet    ist.     Zum  Schluß    bemerkt  Verf.,    E.    sei    zwar   durch   das 
Weltbild  des  Farmen,  beeinflußt  worden,  aber  nur  in  der  Annahme-einer 
festen  Hülle  der  Welt,  die  bei  Farm,  eine  feststehende  Thatsache,   bei 
E.  kosmogonisch    abgeleitet  ist,    vielleicht  auch  in  der  Lehre  von  der 
Kugelgestalt    der  Erde    (doch   ist  in  diesem  Funkte  über  Empedokles' 
Auffassung  nichts  Sicheres  überliefert) ;  im  übrigen  sei  seine  Konzeption 
durchaus    selbständig.     Die   treibende  Kraft  der  Weltbildung  ist  nicht 
wie  bei  Farm,  das  nach  Analogie  der  geschlechtlichen  Zeugung  gedachte 
Zusammenwirken  zweier  entgegengesetzter  Fotenzen,  sondern  die  unter 
dem  Einflüsse  des  veTxo?  durch  einen  Wirbel  bewirkte  Ausscheidung  der 
Elemente    aus    dem    Sphairos.      Mit    dem    pythagoreischen    Weltbilde 
(Sphäienharmonie)  hat  E.  nur  die  für  sein  System  untergeordnete  Unter- 
scheidung   der  Planeten   von   den  Fixsternen  gemein.     Von  der  pytha- 
goreischen Dreiteilung  der  Welt  in  Olymp,  Kosmos  und  Uranos  findet 
sich    bei    ihm  keine  Spur.     Aber  E.  hat  seinerseits  auf  die  dekadische 
Konzeption   des   Philolaos   befruchtend   gewirkt,    besonders    durch    den 
kühnen  Gedanken,  daß  unsere  Sonne  der  Widerschein  eines  für  uns  un- 
sichtbaren Feuers  sei.   So  ist  er  ein  Mittelglied  in  den  Wandlungen  der 
kosmischen  Theorie  der  Fythagoreer. 

Bidez  (No.  345)  hat  sich  die  Aufgabe  gestellt,  auf  grund  einer 
sorgfältigen  Sichtung  und  Beurteilung  der  Überlieferung  ein  möglichst 
wahrheitsgetieues  Bild  von  dem  Leben  und  Wirken  des  E.  zu  entwerfen. 
Er  geht  hierbei  mit  Recht  von  einer  Analyse  der  im  8.  Buche  des 
Lacrt.  enthaltenen  Biographie  des  E.  aus  (Etüde  preliminaire  S.  1—20). 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.   (Lortzing.)       51 

Hier  wie  im  Fortgange  der  Untersuchung  tritt  uns  überall  eine  genaue 
Bekanntschaft  mit  der  einschlägigen  Litteratur,  insbesondere  der  deutschen, 
entgegen.  Zu  bedauern  ist,  daß  dem  Verf.  die  in  unserm  Bericht  I 
No.  20  und  21  besprochenen  Abhandlungen  von  W.  Volkmann  un- 
bekannt geblieben  sind,  die  ihm  namentlich  für  die  Auffassung  des 
Verhältnisses  zwischen  Suidas,  Hesychios  und  Laertios  gute  Dienste 
geleistet  haben  würden.  Durch  eine  sorgfältige  und  methodische  Zer- 
gliederung der  Laertianischen  Vita  gelaugt  B.  zu  dem  Ergebnis,  daß 
diese  Vita  ihrem  Hauptinhalte  nach  aus  der  ava-^pa^Tj  töjv  cpiXojocpojv 
des  nach  seiner  Annahme  am  Ende  des  1.  Jahrhunderts  v.  Chr.  lebenden 
Hippobotos  stamme,  zu  der  Laert.  außer  seinen  zwei  Epigrammen  nur 
einige  Auszüge  aus  Favorinus  hinzugefügt  habe.  Diesem  Ergebnisse 
ist  insoweit  zuzustimmen,  als  es  B.  gelungen  ist,  eine  im  Veigleiche  zu 
der  sonstigen  Beschaffenheit  der  Sammlung  des  Laert.  auffallend  plan- 
volle Gliederung  in  unserer  Vita  nachzuweisen,  deren  Hauptbestandteile 
daher  vermutlich  demselben  Autor  angehören.  Daß  dies  aber  Hippobotos 
gewesen  sei,  ist  eine  auf  den  ersten  Blick  zwar  bestechende  Hypothese, 
die  jedoch  bei  näherer  Prüfung  in  zweifelhaftem  Lichte  erscheint,  wie 
ich  in  meiner  Besprechung  des  Buches  Berl.  Ph  W.-Schr.  1895, 
833  flf.  des  näheren  dargelegt  habe.  Ich  habe  dort  namentlich  gezeigt, 
daß  Verf.  mit  Unrecht  aus  der  Vergleichung  des  Überganges  von  der 
Vita  des  Pythagoras  zu  der  des  E.  (§  53)  mit  der  in  der  ersteren 
(§  43)  unter  Berufung  auf  Hippobotos  gemachten  Bemerkung,  nach 
einigen  sei  E.  ein  Schüler  des  Pythagoras  gewesen,  schließen  zu  dürfen 
glaubt,  Laert.  oder  seine  Vorlage  habe  die  im  Proömiura  §  15  an- 
gekündigte Ordnung,  nach  der  auf  Pythagoras  sofort  hätte  Xenophanes 
folgen  müssen,  unterbrochen,  um  1.  die  namhaften  Pythagoreer  und 
2.  Heraklit  einzuschieben;  dazu  aber  sei  er  veranlaßt  worden  durcli 
eben  den,  dessen  Darstellung  er  für  E.  benuzt  habe.  Die  Voraussetzung, 
daß  jene  Stelle  des  Proömiums  von  der  Anordnung  im  8.  Buche  ab- 
weiche, ist  falsch;  die  Auslassung  des  E.  im  Proöminm  hat  ihren 
triftigen  Grund  darin,  daß  dort  nur  die  Schulhäupter,  die  man  in  der 
alexandrinischen  Zeit  auch  für  die  vorsokratische  Periode  in  regelrechter 
Succession  aufeinander  folgen  ließ,  angefühlt,  alle  übrigen  aber  bei- 
seite gelassen  wurden.  So  hat  Verf.  im  besten  Falle  nur  die  Mög- 
lichkeit dargethan,  daß  Hippobotos  der  Urheber  des  ganzen  Be- 
richtes sei.  —  Hierauf  folgt  im  1.  Teil  der  Abh.  (Histoire  de  la  tra- 
dition  S.  21—104)  eine  sehr  eingehende  Besprechung  aller  Autoren, 
die  nach  der  Überlieferung  irgend  einen  Beitrag  zum  Leben  des  E. 
gegeben  haben,  von  den  Zeitgenossen  des  Philosophen  an  bis  auf  Suidas. 
Mit  großer  Sorgfalt  sucht  B.  den  Anteil  jedes  einzelnen  an  der  Lebens- 
geschichte des  Agrigentiners    und    das  Maß    der  Zuverlässigkeit   ihrer 


52       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing. 

Mitteilungen  festzustellen.    Wenn  er  hierbei  auch,  wie  er  selbst  wieder- 
holt   zugiebt,    in    vielen    Punkten    über    unsichere   Vermutungen  nicht 
hinauskommt,  so  führen  seine  Erörterungen  doch  bei  den  Schriftstellern, 
über  die  wir  etwas  genauer  unterrichtet  sind,    zu  großenteils  annehm- 
baren Eigebnissen  und  gewähren  uns  einen  Einblick  in  die  verschiedenen 
Stadien,    die    die  biographische  Überlieferung  allmählich  durchgemacht 
hat.     Diese  hat  ihren  Ursprung  einerseits  in   volkstümlichen  Legenden, 
die  sich  zum  Teil  schon  zu  Lebzeiten  des  E.  gebildet  hatten   und   von 
Herakleides  Pont,  und  seinen  pythagorisierenden  Nachfolgern  romanhaft 
ausgeschmückt  wurden,    und  knüpft  andererseits  an  Notizen  politischer 
und  litterarischer  Geschichtschreiber  an,  unter  denen  sich  Timaios  durch 
verhältnismäßige    Zuverlässigkeit    seiner    Nachrichten    und    verständige 
Kritik    der    Erzählungen    des   Herakleides   hervorthut.     Zu  einem  bio- 
:graphischen  Ganzen  wurde  die  bis  dahin  zerstreut  vorliegende  Tradition 
zusammengefaßt    durch    Neanthes,    Hermippos,    Satyros,    Herakleides 
Lenibos    und    endlich    kodifiziert   durch  Hippobotos  (?).     In  der  nach- 
christlichen Zeit    trat    das    vorher    lebendige  Interesse  an  dem  Staats- 
mann und  Philosophen  E.  völlig  in  den  Hintergrund,    und    man    gefiel 
sich    in    der    geflissentlichen    Hervorhebung    und    Ausschmückung    des 
Wunderbaren  und  Übernatürlichen.    Besonders  sei  noch  hingewies<;n  auf 
4ie  treffenden  Auseinandersetzungen  über  die  Art,  wie  Herakleid.  Pont. 
die  Geschichte  von  der  scheintoten  Frau  behandelt  hat,    und    auf  den 
Abschnitt  über  Timaios,  der  offenbar  die  Werke  des  E.  selbst  zu  Rate 
gezogen  hat.     Nur    ist    nicht    abzusehen,    wie    B.  zu  der  Behauptung 
kommt,  Tim.  habe  in  E.  besonders  den  uneigennützigen  Volksmann  be- 
wundert.    Von  einer  solchen  Bewunderung  findet  sich  bei  Laert.  keine 
Andeutung;  im  Gegenteil  läßt  die  Darstellung  in  §  66  vermuten,  Tim, 
habe  ihn  für  einen  Heuchler  erklärt,  der  in  seinem  politischen  Verhalten 
den  Volksfreund  spielte,  in  seinen  Schriften  dagegen  ganz  entgegengesetzte 
Anschauungen  aussprach.     Auch  scheint   der  Übergang  o  76  xoi  Tifiaio? 
darauf  hinzuweisen,  daß  nicht  die  ganze  vorhergehende  Darstellung  von 
§  64  an  auf  Tim.  zurückgeht.     Überhaupt    muß    man    sich    bei  Laert. 
hüten,  einen  längeren  zusammenhängenden  Abschnitt,   an  dessen  Spitze 
ein  bestimmter  Autor  genannt  wird,  ohne  weiteres  seinem  ganzen  Um- 
fange nach  eben  diesem  Autor  zuzuweisen.    So  ist  es  z.  B.  sehr  fraglich, 
ob  die  Mitteilung  §  57  f.   über  gewisse  Dichtungen    des  E.,    besonders 
über  seine  angeblichen  Tragödien,  wirklich  dem  kurz  vorher  genannten 
Aristot.    angehört    (s.  Zeller  754).     [In  der  am  Schlüsse  dieses  Passus 
bei  Laert.  stehenden  Nachricht:    NedEvÖTj?    oe    veov    ovxa    i'e-ypacpevai  xa; 
xpa7:;  oiac  xal  auxof  sireixa  auxau  xexu^crjxe'vat  sucht  B.  vergebens  mit  dem 
offenbar  verderbten  eTteixa  einen  verständigen  Sinn  zu  verbinden;  Diels 
Hermes  24  S.  320  f.  scheint  das  Richtige  getroffen  zu  haben,  indem  er 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates,   (Lortziug.)       53 

ETTTct  für  eTTEixa  voi  schlägt  und  das  schlecht  verbürgte  a-jxai;  streicht.] 
Durch  diese  Untersuchnugen  hat  sich  Verf.  den  Boden  geebnet,  für  die 
Darstellung  der  Lebensgeschichte  des  E.,  die  den  zweiten  Teil  der 
Schritt  bildet  (S.  105 — I7G).  Nach  einer  lebendigen  Schilderung  Agri- 
gents  und  seiner  Bewohner  bespricht  er  die  Beziehungen  des  E.  zu  Pindur, 
Farmen.,  den  Pytliagoreern  und  anderen  älteren  und  gleichzeitigen 
Philosophen,  ohne  freilich  bei  dem  Mangel  aller  näheren  Nachrichteu 
über  die  Grenze  des  bloß  Möglichen  hinauszukommen.  Bisweilen  über- 
schreitet er  hierbei  in  der  Textauslcgung  das  Maß  des  Erlaubten;  so, 
wenn  er  bei  Ilerodot  II  115  unter  den  Vertretern  der  ägyptischen 
Seelenwanderungslehre,  deren  Namen  verschwiegen  werden,  mit  Bestimmt- 
heit E.  und  vielleicht  auch  Pherekydes,  den  er  als  Zeitgenossen  des  E.  (!) 
bezeichnet,  zu  erkennen  glaubt.  —  B.  führt  uns  dann  E.  der  Keihe 
nach  als  Apostel  und  Wunderthäter,  als  Zauberer  und  Arzt  sowie  als 
Begründer  der  Rhetorik  vor,  behandelt  die  letzten  Reisen  und  die  V^er- 
bannung,  die  Redaktion  des  physikalischen  Lehrgedichtes  und  schließlich 
den  Tod  des  Philosophen.  Seine  Erörterungen  beruhen  auch  hier  überall 
auf  gründlicher  Belesenheit  und  zeugen  von  einem  nicht  gewöhnlichen 
kombinatorischen  Scharfsinne.  Besondere  Anerkennung  verdient  das  Be- 
streben, die  Fragmente  des  E.  für  die  Feststellung  der  Daten  seines 
Lebens  und  schriftstellerischen  Wirkens  zu  verwerten,  wobei  neben 
einzelnen  gewaltsamen  Deutungs-  und  Änderuugsversuchen  (s.  z.  B.  die 
sehr  gekünstelte  Konstruktion,  die  B.  S.  165,  2  für  v.  8—10  vorschlägt, 
wo  er  den  Punkt  hinter  izepilriTzxi  streicht,  hinter  -eujeai  ein  Kolon 
setzt,  statt  6'  ouv:  -foüv  schreibt  und  die  bei  Sext.  überlieferte  Lesart 
o'j  TtXeiov  7s  beibehält  [Stein  und  Diels  nach  der  Paraphrase  bei  Sext. 
ou  TrXe'ov  f^e'];  ferner  S.  169  die  willkürliche  Interpretation  der  Worte 
V.  9  euel  üio  eXtaaöri;:  „puisque  tu  t'es  retire  ici  avec  moi,  puisque  tu 
m'as  suivi  dans  mon  exil")  auch  manche  bisher  unbeachtet  gebliebene 
Beziehung  aufgedeckt  wird.  Aber  Verf.  geht  in  seinen  Kombinationen 
oft  zu  weit:  er  sucht  aus  dem  dürftigen  Material  zu  viel  herauszupressen 
und  läßt  in  der  Ausfüllung  der  Lücken  der  Überlieferung  seiner  Phantasie 
allzusehr  die  Zügel  schießen.  Auf  diesem  Wege  bringt  er  es  zu  stände, 
die  verschiedenen  Phasen  in  der  politischen  und  litterarischen  Laufbahn 
des  E.  mit  einer  solchen  Genauigkeit  auch  in  der  Fixierung  des  Chro- 
nologischen zu  zeichnen  und  uns  so  tiefe  Blicke  in  seine  innersten 
Beweggründe  bei  der  Abfassung  seiner  Hauptwerke  thun  zu  lassen,  als 
ob  wir  einen  modernen  Philosophen  oder  Dichter  vor  uns  hätten.  Eiu 
solches  Verfahren  steht  mit  den  Forderungen  besonnener  historischer 
Forschung  nicht  im  Einklaiig.  Vergeblich  bemüht  sich  B.,  die  persön- 
lichen Empfindungen  und  Stimmungen  des  Philosophen  aus  den  meist 
zusammenhangslosen  Bruchstücken  seiner  beiden  Gedichte  herauszulesen, 


54       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

um  so  nachzuweisen,  daß  die  Oustxa  nach  den  Ka9ap[xoi  entstanden  seien 
und  in  seine  letzten  Lebensjahre  fallen.  Man  lese,  was  S.  173  flf.  zur 
Verteidigung  dieser  Datierung  über  die  fragwürdige  'E;Tr]|V]at;  tcLv 
'E|iiTeSox>iou;  des  Zenon  von  Elea  und  ihr  Verhältnis  zu  den  Lehren 
des  E.  gefabelt  wird,  und  man  wird  zugestehen,  daß  das  nichts  als 
luftige  Hypothesen  sind.  Aber  trotz  dieser  Mängel  liefert  die  Abh. 
einen  wertvollen  Beitrag  zur  Quellenforschung  und  unterrichtet  uns 
genauer  als  irgend  eine  frühere  Darstellung  über  die  Persönlichkeit 
und  das  Wirken  des  E,  Vgl.  außer  meiner  bereits  angeführten  Be- 
sprechung die  Rezensionen  in  der  Rev.  de  l'instr.  publ.  1895,  248  ff. 
und  von  Döring  im  L.  C.-Bl.   1895,  1860. 

In  No.  346  behandelt  Bidez  den  erkenntnistheoretischen  Staud- 
punkt des  E.  Man  muß  hierbei  zweierlei  unterscheiden:  Die  Frage  der 
Methode  und  die  des  UrspruLgs  und  der  Gestaltung  unserer  Erkenntnis 
Die  Beantwortung  der  zweiten  Frage  hing  von  dem  kosmologischen 
System  ab,  das  jeder  Philosoph  gewählt  hatte,  die  der  ersten  konute 
dieser  Wahl  vorangehen  und  sich  an  den  Nachweis  der  Unzulänglich- 
keit der  früheren  Lehren  knüpfen.  Xenophanes  hatte  erklärt,  daß  der 
Zweifel  sich  auf  alles  erstrecken  und  daß  man  nicht  über  eine. provi- 
sorische Wahrscheinlichkeit  hinausgelangen  könne  (?).  Dieser  Ge- 
danke bestimmte  seine  Methode  (?).  Die  Affirmationen,  die  er  neben 
seiner  Skepsis  bewahrt  hat,  gleichen,  im  ganzen  genommen,  mehr  einer 
Reihe  von  Negationen  als  einem  positiven  Glauben  [auch  das  ouXoc  opa  u.  s. 
w.  und  das  voou  (ppevl  Tiavta  xpaSaivst?] .  Heraklit  und  Parmenides  waren  dann 
bemüht,  eine  Vorstellung  der  Wahrheit  zu  gewinnen,  die  ihnen  gestattete, 
in  diesem  Schiffbruch  der  Gewißheit  ein  Prinzip  zu  retten.  Her.  fand 
das  universelle  Gesetz  der  Veränderung  [aber  zugleich  doch  das  der 
Einheit  und  Harmonie  der  Gegensätze].  Parm.  wandte  auf  den  nega- 
tiven Teil  des  Systems  seines  Lehrers  Xenoph.,  der  allein  etwas  Ge- 
wisses enthielt,  die  mathematische  Methode  (?)  an,  um  so  ein  unan- 
tastbares Lehrgebäude  errichten  zu  können.  E.  protestierte  im  Namen 
der  empirischen  Wissenschaft  gegen  die  Sj^steme,  die  sich  auf  Allge- 
meinheiten ohne  praktische  Anwendung  beschränken,  und  stützte  sich 
dabei  auf  Alkmaion.  Allerdings  war  das  Band  zwischen  seinem 
Programm  und  seinem  System  nur  schwach ,  weil  er,  wie  alle  Vor- 
sokratiker,  nicht  erkannt  hatte,  daß  die  Methode  von  der  Erklärung  der 
Erkenntnis  abgeleitet  werden  muß.  Zur  Zeit,  wo  E.  seine  $ujixa  ver- 
faßte, herrschte  ein  heftiger  Kampf  zwischen  den  philosophischen  Schulen; 
die  Stellung,  die  er  in  diesem  Kampfe  einnahm,  wird  besonders  durch 
drei  Bruchstücke  gekennzeichnet:  1.  v.  2-23;  2.  v.  24—32;  3.  v.  222 
—  231.  An  der  ersten  Stelle  bezeichnet  E.  nicht  bloß,  wie  man  nach  der 
Erläuterung  beiSext.  angenommen  hat,  die  Mängel  der  sinnlichen  Erkennt- 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.j       55 

nis,  sondern  auch  die  der  Verstandserkenntnis:  der  Mensch  kann  auf 
keine  Weise  das  voUkommeue  Wissen  ei reichen.  Doch  betont  er  melir  die 
Unzulänglichkeit  als  die  völlige  Unfähigkeit  unserer  Erkenntnis:  wir  müssen 
uns  mit  einem  fragmentarischen  Wissen  begnügen.  Aus  v.  19 — 23  ergiebt 
sich,  daß  mau  nach  E.  in  der  Spekulation  seinen  Standpunkt  nicht  auf 
einer  Höhe  nehmen  darf,  von  wo  man  nur  die  großen  Umrisse  der 
Dinge  bemerkt,  sondern  alle  seine  Aufmerksamkeit  dem  Studium  der 
Einzelheiten  zuwenden  muß.  Die  zweite  Stelle  lehrt,  daß  sich  E.  nicht 
bloß  auf  die  Erfordernisse  der  von  ihm  empfohlenen  Methode  gestützt, 
sundern  auch  ihre  P'ruchtbarkeit  gerühmt  hat.  Man  kann  in  der  Stelle 
alleidings  eine  Anpreisung  der  magischen  und  medizinischen  Kunst- 
giiffe  des  E.  sehen  (s.  Eohde  Psyche^  466);  aber  man  kann  darin  auch 
eine  Aufklärung  über  die  nützlichen  Wirkungen  suchen,  die  E.  seiner 
Untersuchungsmethode  beilegt  [dagegen  ist  einzuwenden,  daß  sich  die 
Zusicherung  übernatürlicher  Kraftentfaltung  und  magischer  Zaubermacht, 
wie  sie  E.  dort  dem  Pausanias  giebt,  mit  dem  Grundsatze  rein  empirischer 
Beobachtung  nicht  verträgt.  Hier  liegt  ein  nicht  hinwegzudeutender 
innerer  Widerspruch  vor,  wie  er  uns  allenthalben  zwischen  den  kathar- 
tischen  und  thaumaturgischen  Phantasien  des  E.  und  seinem  nüchtern 
empirischen  Standpunkte  in  der  wissenschaftlichen  Erklärung  der  Natur- 
erscheinungen entgegentritt].  An  der  dritten  Stelle,  die  Stein  mit  Un- 
recht unter  Berufung  auf  Sext.  math.  VHI  286  ans  Ende  des  von  den 
Pflanzen  handelnden  Abschnittes  gestellt  hat,  will  E.  dem  Pausanias 
zeigen,  wenn  er  sich  den  Sinn  für  uneigennützige  Forschung  bewahre, 
so  würden  seine  Kenntnisse  und  seine  daraus  hervorgehende  Macht 
wachsen.  —  In  der  Aufstellung  dieses  Programmes  zeigt  sich  eine  enge 
Verwandtschaft  mit  Alkmaion,  der  sich,  wie  es  scheint,  mit  den  Zweifeln 
des  Xenophanes  hat  abfinden  wollen.  Seine  von  E.  wieder  aufgenommene 
Methode  ist  vielleicht  dieselbe,  die  in  den  medizinischen  Schulen  des 
griechischen  Westens  herrschte.  Indem  E.  ein  Programm  von  Einzel- 
forschungen aufstellte,  die  sichere  Ergebnisse  liefern  würden,  hoffte  er 
dem  3oxo?  des  Xenophanes  zu  entgehen.  Die  allen  diesen  Gruppen  ge- 
meinsame Methode  ist  die  der  geduldigen  und  verständigen  Beobachtung. 
E.  hat  sich  zuweilen  von  dem  Zwange  dieser  Methode  befreit,  aber  der 
größte  Teil  seines  Werkes  steht  unter  ihrem  Einfluß.  Niemand  vor 
Aristot.  scheint  so  wie  er  alle  Phänomene  des  Pflanzen-  und  Tierlebens 
verzeichnet  zu  haben  [aber  Demokrit  hat  ihn  darin  doch  weit  über- 
troffen]. Man  findet  bei  ihm  nicht  die  subtilen  Wortkombinationen  wie 
bei  Parraen.;  er  beruft  sich  auf  die  Erfahrung,  so  v.  98  ff  ,  119  ff., 
80  ff.,  wo  die  universale  Wirksamkeit  der  Liebe  auf  eine  Beobachtung 
des  täglichen  Lebens  zui'ückgeführt  wird  (v.  85  liest  B.  mit  Preller 
TTjv  o'jTt;  7'  ö'jsotJiv  und  erklärt  die  Stelle  abweichend  von  Zeller  804,  4, 


56       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

aber  schwerlich  richtig),  316  ff.,  287  ff.  Die  von  ihm  für  falsch  ge- 
haltene Beweisführung  bezeichnet  er  durch  das  charakteristische  Bei- 
wort XiKo'SuXot  V.  97  und  210.  —  Die  Polemik  in  der  ersten  Stelle  be- 
zieht sich  auf  Heraklit  und  Farmen.,  vornehmlich  aber  auf  den  letzteren. 
Dieser  zählte  nicht  nur  die  Attribute  des  Seins  auf,  sondern  behauptete 
auch  die  Summe  alle  übrigen  Kenntnisse  zu  besitzen,  die  er  in  das 
Gebiet  des  trügerischen  Scheins  verwies,  und  legte  sich  somit  eine  Art 
von  Allwissenheit  bei.  Dagegen  wendet  sich  E.  v.  2 — 10.  Daß  diese 
Stelle  auf  Her.  zielt,  ist  nicht  wahrscheinlich,  da  diesen  bereits  Farm, 
widerlegt  hatte  und  E.  daran  lag,  Heraklits  System  zum  Teil  wieder 
zur  Geltung  zu  bringen.  Dagegen  mußte  er  in  Farm,  den  gefährlichsten 
Vertreter  der  von  ihm  bekämpften  Richtung  sehen.  Noch  deutlicher 
ist  die  offenbar  ironische  Anspielung  v.  13 — 18  auf  Farm.  1,  1  ff.  Er 
bekämpft  hier  den  sterilen  Wissensstandpunkt  des  Farm,  um  so  leb- 
hafter, je  häufiger  er  im  Detail  seines  Systems  Theorien  wieder  auf- 
nahm, die  jener  schon  vorgetragen  hatte.  So  schließt  er  sich  darin  an 
Farm,  au,  daß  er  für  eine  seiner  kosmischen  Ferioden  die  Idee  eines 
kugelförmigen  Seins  beibehält  und  daß  er  ganz  analog  der  parmeni- 
deischen  Unterscheidung  von  dlr^^Bia  und  öo$a  auf  die  eine  Seite,  die  der 
Wahrheit,  die  vier  unveränderlichen,  stets  und  überall  sich  gleichenden 
Elemente,  auf  die  andere,  die  der  trügerischen  Vorstellungen  und  Aus- 
drücke, die  vulgäre  Auffassung  vom  Entstehen  und  Vergehen  stellt. 
Aber  er  läßt  die  von  Farm,  ausgeschlossene  Bewegung  zu,  v/obei  er 
freilich  weniger  die  Erscheinungen  um  Rat  fragt  als  den  Faradoxien 
Heraklits  folgt;  ja  er  versucht  selbst  in  dieser  Bewegung  der  Lehre 
des  Eleaten  von  der  Uubeweglichkeit  einen  Flatz  anzuweisen  (v.  69 — 73). 
Daneben  hält  er  jedoch  an  dem  Studium  der  Einzelheiten  und  an  der 
Beobachtung  der  sinnlichen  Erscheinungen  fest  und  wendet  sich  ent- 
schieden gegen  die  Forderung  das  Farm.,  daß  man  von  der  sinnlichen 
Wahrnehmung  keinen  Gebrauch  machen  dürfe.  —  Aus  alle  dem  ergiebt 
sich,  daß  E.  nicht  das  System  des  Farm,  aufgeben,  sondern  erweitern 
wollte,  indem  er  seiner  Metaphysik  die  Erfahrungswissenschaft  hinzu- 
fügte und  zugleich  das  parmenideische  Frinzip  der  Unveränderlichkeit 
des  Seins  durch  das  heraklitische  des  allgemeinen  Wechsels  ergänzte 
und  sie  so  miteinander  verknüpfte,  daß  er  jedes  einer  der  beiden  sich 
beständig  abwechselnden  Perioden  zuwies  [aber  in  beiden  Ferioden 
herrschen  doch  Bewegung  und  Wechsel,  Mischung  und  Entmischung]. 
Er  begnügt  sich  nicht  mit  dem  einen  Wege  des  Farm.,  sondern  ver- 
bindet damit  den  anderen  (v.  55  ff.  230  f.),  ein  E kiekt icismus,  der 
freilich  niemand  befriedigen  konnte.  —  In  Übereinstimmung  mit  dieser 
eklektischen  Richtung  spricht  E.  in  der  Regel  nicht  wie  Farm,  von 
dem  Irrtum  der  Menschen,  sondern  nur    von  den  Lücken  eines  unvoll- 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (.Lortzing )       57 

kommenen  Wissens.  Wo  er  die  Erkenntnis  preist,  stellt  er  den  Geist 
als  bereichert,  nicht  als  von  trügerischen  Vorstellungen  befreit  dar. 
Auf  den  erkenntnistheoretischen  Unterschied  von  Irrtum  und  Wahrheit 
hat  er  seine  Aufmerksamkeit  noch  nicht  gerichtet.  Die  Vorsokratiker 
unterschieden  überhaupt  noch  nicht  scharf  zwischen  sinnlicher  und  ver- 
nünftiger Erkenntnis.  Parm.  zwar  war  nahe  daran  gewesen:  aber  E. 
scheint  dies  nicht  wahr  geworden  zu  sein.  Bei  ihm  bilden  alle  Er- 
kenntnismittel eine  Gruppe.  Die  vernünftige  Erkenntnis  spielt  zwar 
bei  ihm  eine  große  Rolle,  ja  er  stellt  sie  in  Gegensatz  zu  der  grob- 
sinnlichen Aufnahme  der  Eindrücke  der  Außenwelt  (v.  81).  Aber  nach 
seiner  Auffassung  stammten  die  abstrakten  Ideen  des  Hör.  und  Parm. 
ebenso  wie  seine  eigenen  Konzeptionen  des  Hasses  und  der  Täebe  aus 
keiner  anderen  Quelle  als  die  der  vier  Elemente.  Einen  Sensualisteu 
darf  man  ihn  trotzdem  nicht  nennen;  dieser  Begriif  hat  erst  für  eine 
spätere  Zeit  (Demokrit,  Protagoras)  Geltung.  Zum  Schluß  erörtert  B, 
die  Frage,  ob  E.  den  Widerspruch  zwischen  seiner  experimentellen 
Methode  und  seinen  rein  intellektuellen  metaphysischen  Vorstellungen 
erkannt  und  wie  er  sich  etwa  eine  Ausgleichung  dieses  Widerspruchs 
gedacht  hat,  kommt  aber  dabei,  wie  nicht  anders  zu  erwarten  war, 
über  die  Aufstellung  verschiedener  Möglichkeiten  nicht  hinaus,  zwischen 
denen  es  schwer  sei  eine  Wahl  zu  treffen.  —  B.  ist  in  dieser  Abh. 
zurückhaltender  und  vorsichtiger  als  in  No.  395.  Er  beansprucht  nicht 
wie  dort  in  das  Geheimnis  der  geistigen  Entwickelung  des  E.  einge- 
drungen zu  sein  und  erklärt  S.  159  ff.  ausdrücklich,  es  wäre  gefährlich, 
die  in  seinem  früheren  Werke  aus  den  religiösen  Skrupeln  des  E. 
(v.  13  ff.)  gezogene  Folgerung,  daß  die  KaOap|xoi  den  <&u(jtxa  vorange- 
gangen seien,  zur  Stütze  für  eine  Rekonstruktion  seiner  Lehre  zu  machen. 
An  unsicheren  Hypothesen  freilich  fehlt  es  auch  in  dieser  Abh.  nicht. 
Es  ist  dem  Verf.  nicht  gelungen,  eine  bestimmte  und  klare  Auffassung 
von  der  erkenntnistheoretischen  Methode  aus  den  Bruchstücken  des  E. 
zu  gewinnen;  eine  Aufgabe,  die  allerdings  auch  wohl  kaum  lösbar  ist, 
weil  E.  keinen  festen  Standpunkt  in  dieser  Frage  einnimmt  und  zwischen 
Dogmatismus  und  Skepticismus  unklar  schwankt.  Eine  Vorliebe  für 
empirische  Erforschung  der  Einzelerscheinungen  tritt  ja  unverkennbar 
bei  ihm  hervor,  und  er  stellt  sich  damit  in  einen  zum  Teil  bewußten 
und  ausgesprochenen  Gegensatz  zu  Parm.  wie  zu  Her.  Eine  solche  po- 
lemische Absicht  hat  B.  mit  richtigem  Blicke  in  einer  Anzahl  von  Frag- 
menten erkannt.  Treffend,  obwohl  nicht  neu,  ist  auch  der  Nachweis, 
wie  E.  die  Grundlehren  des  Parm.  und  Her.  mit  einander  verschmolzen 
hat,  weniger  glücklich  dagegen,  wie  schon  oben  angedeutet,  der  Versuch, 
die  beiden  Weltperioden  des  Streites  und  der  Liebe  auf  den  parmeni- 
deischen  Gegensatz  von  oo;a  und  (iÄr,8eia  zurückzuführen. 


58       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Thiele  sieht  in  auffallender  ÜbereiDstimmung'  mit  Knatz  (s.  o. 
No.  332),  dessen  Abhandlung  er  jedoch,  da  er  ihn  niemals  nennt,  nicht 
gelesen  zu  haben  scheint,  in  dem  Zeus  bei  E.  die  Luft,  in  der  Hera 
die  Erde  und  in  dem  Aidoneus  das  Feuer.  Mit  dieser  Bezeichnung 
des  Feuers  appelliert  E.  an  eine  religiöse  Vorstellung  seiner  Lands- 
leute, da  die  Agrigentiner  gewiß  in  dem  Feuerberge  Siziliens  auch 
den  Herrn  der  Unterwelt  vermuteten,  wie  schon  die  Legende  vom  Tode 
des  E.  beweist.  Knüpft  er  doch  auch  mit  dem  Namen  N^aitc  für  das 
Wasser  au  den  Lokalkultus  einer  Nymphe  (vgl.  Photios  s.  v.  Nt^sty); 
und  den  Komiker  Alexis  Fr.  22  K.  und  dazu  Kaibel  S.  69,  2).  Frei- 
lich hat  das  unendliche,  gestaltlos  im  Weltenraume  gedachte  Element, 
dessen  Abflüsse  oder  Niederschläge  (oaxpua)  jeden  lebendigen  Quell 
speisen  (T£77et  xpouvojjxa  ßpoxeiov),  mit  einer  bescheidenen  Wassernymphe 
nichts  als  den  Namen  gemein.  Dies  Spielen  des  E.  mit  Götternameu 
artet  zur  ironischen,  tendenziösen  Nachahmung  aus  (v.  393  ff.).  Die 
Verteilung  der  vier  Götternamen  auf  die  Elemente  des  E.,  so  daß  Luft 
und  Feuer  männlichen,  Erde  und  Wasser  weiblichen  Gottheiten  zu- 
fallen, hat  eine  gewisse  Analogie  auf  einigen  bildlichen  Darstellungen, 
vor  allem  auf  einer  Federzeichnung  des  Pergamentkodex  2600  der 
Wiener  Hofbibliothek.  Th.  sieht  in  dieser  S.  71  reproduzierten  Dar- 
stellung, wo  die  vier  Elemente  in  eigentümlichen  allegorischen  Gestalten 
erscheinen,  ebenso  wie  in  einer  Münchener  Miniatur,  in  der  Giebelgruppe 
des  kapitolinischen  Juppiter  (s.  E.  Schnitze,  Arch.  Z.  1873,  1  ff.), 
einem  kapitolinischen  Saikophage  (hier  vermutet  er  in  zwei  Figuren 
""Epo)?  und  Neixos)  und  anderen  Darstellungen  antike  Tradition,  giebt 
jedoch  zu,  daß  sich  eine  direkte  Beziehung  auf  E.  nicht  nachweisen 
läßt.  —  Die  Bedenken,  die  oben  gegen  Knatz'  Deutung  der  Götter- 
namen geäußert  worden  sind,  werden  durch  solche  Analogien  selbst- 
verständlich nicht  beseitigt. 

Ein  wichtiger  Punkt  der  Lehre  des  E.  ist  während  der  Berichts- 
zeit in  mehreren  der  im  allgemeinen  Teile  unseres  Berichtes  besprochenen 
Arbeiten  erörtert  worden.  Es  handelt  sich  um  die  Frage,  ob  sich  die 
uns  erhaltenen  Fragmente  und  Zeugnisse  über  die  Entstehung  einer 
Welt,  insbesondere  organischer  Wesen,  nur  auf  die  Weltperiode  der 
Liebe  oder  zum  Teil  auch  auf  die  des  Streites  beziehen.  Dümmler, 
Akad.  217  ff.  glaubt  im  Gegensatze  zu  Zeller  sichere  Spuren  einer  Be- 
schreibung der  unter  der  Herrschaft  des  Streites  sich  vollziehenden 
Entwickelung  gefunden  zu  haben  und  sieht  besonders  in  dem  dritten 
der  vier  von  E.  geschilderten  Stadien  der  Entwickelung  lebender  Wesen 
v.  262  ff.  deutliche  Merkmale  der  NeTxo?-Periode,  der  dann  auch  das 
vierte  Stadium  zufallen  muß,  während  die  beiden  ersten  anerkannter- 
maßen der  OiMa-Periode  zuzuweisen  sind.    Dem  entsprechend  vermutet 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)       59 

D.,  daß  E.  auch  den  Urzustand  des  Menschengeschlechtes  (vgl.  darüber 
Norden  No.  86  Ber.  I  238)  zwiefach  dargestellt  hat.  Das  Menschen- 
geschlecht der  <l>iXoTr,c  habe  er  sein  Dasein  in  ungetrübter  Glückselig- 
keit beginnen  lassen,  wogegen  das  Zeitalter  des  Neixo»  mit  a/lr^lo<fa-('.% 
begonnen  habe.  Diese  Auffassung  weist  Zeller  P  795,  1  zurück  und 
beruft  sich  dafür,  daß  E.  die  vier  Schöpfungsakte  demselben  Zeitalter 
zugeteilt  hat,  auf  Theophrast  bei  Aet.  V  19,  5.  Dagegen  unterscheidet 
ßurnet  earl.  gr.  ph.  260  ff.  ähnlich  wie  Dümmler  zwei  Schöpfungs- 
perioden;  in  der  ersten  seien  die  getrennten  Körperteile  durch  das  An- 
wachsen der  Liebe  vereinigt,  in  der  anderen  die  „whole-natured  forms* 
(ouXocpuei;  v.  265)  durch  das  Überwiegen  des  Hasses  differenziert  worden 
und  so  der  jetzige  Zustand  der  Dinge  mit  seiner  Verschiedenheit  von 
Art  und  Geschlecht  eingetreten.  Im  Zusammenhange  hiermit  sucht  B. 
aus  mehreren  Stellen  des  Aristot  ,  besonders  344  a  5,  darzuthun,  daß 
nicht,  wie  Karsten,  Zeller  und  Tannery  annehmen,  die  Periode  des 
Eindringens  der  Liebe,  sondern  die  der  Scheidung  der  im  Sphairos 
vereinigten  Elemente  durch  den  Streit  die  sei,  in  der  wir  leben.  Be- 
merkenswert ist  auch,  daß  B.  einen  scharfen  Unterschied  macht  zwischen 
der  Liebe,  die  von  außen  in  die  getrennten  Stoffmassen  eindringt  und 
eine  Anziehung  des  Ungleichen  bewirkt,  und  jener  „Anziehung  des 
Gleichen  durch  das  Gleiche",  die  auf  der  eigentümlichen  Natur  jedes 
Elementes  zu  beruhen  scheint  und  nur  wirksam  werden  kann,  wenn  der 
Streit  den  Sphairos  trennt  (?).  Auf  Dümmlers  Seite  stellt  sich  auch 
Gomperz  Gr.  D.  448  f.,  der  Aet.  V  19,  5  die  Konjektur  oXotpuöiv  statt 
dXXTjXoipuuiv  für  unsicher  hält  und  statt  ex  tcüv  ofiotiuv:  ly,  tcüv  6|i.o5-oi- 
7 (UV  Termutet. 

Schließlich  erwähne  ich  noch,  daß  Gomperz  Gr.  D.  447  f.  die 
Lengnung  des  Leeren  E.  abzusprechen  sucht:  er  will  v,  91  den  Genetiv 
Tou  -avTo;  von  xevsov  abhängen  lassen.  Dieser  Deutung  gegenüber  ver- 
weist Diels  zu  Fr.  13  seiner  Ausg.  auf  Pannen.  8,  22,  45  ff. 


Zum  Text  der  Fragmente 

ist  im  Obigen  fast  alles  Wichtige  bereits  erwähnt  worden.  Hinzuzufügen 
wären  etwa  noch  folgende  Konjekturen:  V.  110  r^  ylp  statt  r,v  7.  oder  et  7. 
Nauck  lambl.  S.  236  [von  Diels  aufgenommen].  —  277  dpöpcooeaxöpoi 
St.  dvopojoesTcpoi  Nauck  stud.  Eurip.  I  32.  —  315  hatte  Diels  Dox.  501 
ddpxivov  0  3-oüv  für  j.  o^ov  vermutet;  Gorg.  und  Emp.  362  dagegen  ver- 
wirft er  diese  Konjektur  und  verteidigt  die  überlieferte  Lesart  (vgl. 
seine  Ausg.  zu  Fr.  99).  —  369  hat  Bernays  dvd-f/rj?  pr,[jLa  statt  d.  ypr^[Lai 
(s.  0.  Kern,  Arch.  I  505,  1  nach  einer  Mitteilung  von  Diels),  Weil  (nach 
Diels  zu  Fr.  115  seiner  Ausg.)  xpT|j.a  vorgeschlagen  [Diels  behält  ypTjixa 


60       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokratee.    (Lortzing.) 

bei  und  erklärt  es  mit  effatum,  vaticinium,  xo  xexpTQiJ-evov].  —  Zu  den 
beiden  Epigrammen  des  E.  (Stein  p.  9),  deren  Echtheit  Di  eis  Gorg. 
und  Emp.  3G2,  1  verteidigt  hatte,  während  er  sie  jetzt  in  seiner  Ausg. 
unter  die  gefälschten  setzt  (Fr.  156.  157),  vgl.  Bergks  P.  L.  Gr.  II 
ed.  4,  Hiller- Crusius,  Anthol.  lyr.  S.  128  und  XXXVI  und  zu  dem 
ersten  Preger  Inscr.  metricae  Leipzig  1891  S.  40f. ,  der  unter  der 
Voraussetzung,  daß  E.  der  Verfasser  ist,  durchweg  die  dorischen 
Formen  hergestellt  hat,  da  E.  in  einer  öffentlichen  Urkunde  schwerlich 
ionisch  geschrieben  haben  würde.  —  Einen  neuen  Vers  hat  Di  eis 
Doxogr.  613  Anm.  bei  Stob.  ecl.  I  15,  2a  erkannt.  Er  ist  dort  ohne 
Lemma  überliefert  (die  Notiz  Heerens,  daß  im  cod.  Vat.  das  Lemma 
napfxevtoou  beigeschrieben  sei,  auf  grund  deren  Brandis  den  Vers  dem 
Parm.  beigelegt  hatte,  ist  unglaubwürdig;  vgl.  Wachsmuth  z.  d.  St.); 
aber  da  ihm  unmittelbar  ein  Vers  des  E.  (v.  138)  folgt,  mit  dem  er 
sich  aufs  beste  zusammenfügt,  so  hat  Diels  mit  Recht  beide  Verse,  zu 
einem  Fragment  verbunden,  in  seine  Ausg.  aufgenommen  (Fr.  28).  Der 
Vers  lautet  bei  Diels:  dXX'  o  7s  Travxo&sv  Ijoc  <£riv>  [<iojv>  Wachs- 
muth nach  Grotius]  xal  T:a|X7rav  direipcüv.  Zeller  780,  3  bemerkt  richtig, 
daß  ötTTEipojv  hier  nur  die  Bedeutung  „rund"  haben  kann. 


G.    Anaxagoras. 
1.    Znm  Leben  nnd  zur  Lehre  des  Anaxagoras. 

*349.  Canton,  The  death  of  A.  Contemporary  Review.  Jan.  1880. 

*350.  Th.  H.  Martin,  Sur  Anaxagore.  Acad.  d.  Inscr.  et 
Belles-Lettres.     13.  Okt.  1876.     Vgl.  Rev.  crit.  1876,  271. 

=^=351.  P.  Tannery,  La  theorie  de  la  matiere  d'A.  Rev.  philosoph. 
1886  No.  9.     Vgl.  Science  hellene  275  ff. 

352.  A;  Kothe,  Zu  A,  von  Klazomenai.  N.  Jahrb.  f.  Phil.  133 
(1886)  S.  767—771. 

*353.  S.  Fimiani,  Alcune  osservazioni  su  la  relazione  tra  il 
vüüj  e  la  4iuyy^  nella  dottrina  di  Anaxagora  (estratto)  Roma  1889. 
140  S.     8. 

354.  M.  Heinz e.  Über  den  vou;  des  A.  Ber.  d.  sächs.  Ges.  d. 
Wiss.     Phil.-hist.  Kl.  42  (1891)  S.  1-45. 

355.  E.  Arleth,  Die  Lehre  des  A.  vom  Geist  und  von  der 
Seele.  Arch.  f.  Gesch.  d.  Philos.  VII  (1894/95)  S.  59—85  und 
S.  190-205. 

356.  E.  Zeller,  Zu  A.     Ebenda  S.  151  f. 


Bericht  über  die  grieclii sehen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)       61 

357.     E.  Arleth,  Zu  A.     Ebenda  S.  461—465. 
*358.    E.  Dentler,  Die  Grundprinzipien  der  Philosophie  des  A. 
Dissert.     München  1897.     35  S. 

359.  P.  Decharnie,  Euripide  et  A.    Rev.  d.  etudes  grecques  II 
(Paris  1889).     S.  234—244. 

360.  L.  Parmentier,  Euripide  et  A.    Paris  1893.    115  S.    8. 

361.  F.  Polle,    Ovidius    und   A.     N.  Jahrb.    f.   kl.    Phil.    145 
(1892)  S.  53-59. 

Kothes  Abhandlung  enthält  drei  Beiträge  zu  A.,  von  denen  sich 
die  ersten  beiden  auf  die  Lehre,    der  dritte  auf  das  Leben    des  Philo- 
sophsn  beziehen:  1.  Sextus  hyp.  I  33  läßt  A.  auf  die  Schwärze  des  Schnees 
aus  der  des  "Wassers    schließen.     Ein  so  kindischer  Schluß    darf  dem 
scharfsinnigen  Physiker  nicht  zugetraut  werden;  er  kann  unmöglich  das 
Schwarze  für  die  natürliche  Farbe  des  Wassers  gehalten  haben.    Jene 
Behauptung  vom  Schnee    bildet  vielmehr  einen  Teil   seiner  erkenntnis- 
theoretischen Erörterungen.     Vgl    Cic.  Acad.  II  100,  wonach  er  über- 
haupt die  weiße  Farbe  des  Schnees  geleugnet  zu  haben  scheint  (?).    Die 
Farbe  ist  ihm  nichts  Objektives,  sondern  nur  die  Wirkung  des  Lichtes; 
ohne  Licht  giebt  es  keine  Farbe.    So  ist  auch  der  Schnee  nicht  an  sich 
weiß,  bei  völliger  Dunkelheit  ist  auch  er  schwarz.  —  Aber  bei  Cic.  liegt 
ganz  deutlich  derselbe  Schluß  wie  bei  Sextus  zu  gründe.     Aus   beiden 
Stellen  ergiebt  sich,   daß  nach  A.  der  Schnee   ursprünglich  schwarz  ist 
wie  das  Wasser,   aus  dem  er  durch  Verdichtung  entstanden  ist  („unde 
illa  concreta  esset"  Cic.)  und  daß  er  dem,    der  dies  weiß,    gar  nicht 
mehr  schwarz    erscheint.     Dies    darf  aber  nicht  mit  K.  so    verstanden 
werden,    als  ob  A.  die  zuerst  von  den  Atomikern  ausgesprochene  Sub- 
jektivität der  Sinneswahrnehmungen  gelehrt  hätte,  was  nirgends  bezeugt 
wird  und  sich  auch   mit  seiner  Lehre  von  der  ursprünglichen  Mischung 
kleinster  qualitativ  bestimmter  Stoffteilchen  nicht  vertragen  würde,  sondern 
nur  in  dem  Sinne,  daß  die  Wahrnehmung  unsicher  ist  und  uns  über  das 
Wesen  der  Dinge  täuschen  kann.    Eine  solche  Annahme  steht  auch  im 
Einklänge  mit  der  Ansicht  des  A.,  daß  das  Wesen  der  Dinge  nicht  durch 
die  schwachen  Sinne,  sondern  nur  durch  den  reinen  und  unvermischten 
Geist    erkannt    werden    kann  (s.   Zeller  1075  ff.).      Ein    merkwürdiges 
Paradoxon  freilich  bleibt  der  Ausspruch  auch  so,  innerhalb  des  auaxa- 
goreischen  Systems,  wenn  man  bedenkt,  daß  A.  sonst  überall  die  unsern 
Sinnen  sich  darbietenden  Besonderheiten  der  Einzeldinge  aus  dem  Über- 
wiegen bestimmte^-  Stoffteile  in  den  aus  einem  Gemenge  der  verschieden- 
artigsten  „Samen"  gemischten  Gebilden   erklärt.     Eine   geistvolle  Ver- 
mutung über  die  Genesis  dieses  Paradoxons  wagt  Gomperz  Gr.  D.  S  172 
und  445,  durch  die  er  den  grellen  Widerspruch,  der  seiner  Meinung  nach 


G2        Bericht  über  die  griechischea  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

sonst  zwischen  dem  felsenfesten  Glauben  des  Ä.  an  die  qualitative  Wahr- 
haftigkeit der  Sinneseindiücke  (?)  und  der  Behauptung  bestände,  daß 
uns  das  Gesicht  in  diesem  Falle  täuscht,  beseitigt  zu  haben  glaubt. 
Hiernach  hätte  A.  auf  die  im  Sonnenglanz  strahlende  weiße  Winter- 
decke beharrlich  geschaut,  bis  schließlich  sein  geblendetes  Gesicht 
schwarz  zu  sehen  begann,  und  so  in  der  optischen  Täuschung  eine  Be- 
stätigung seiner  vorgefaßten  Meinung  erblickt.  Diese  Deutung  stimmt 
allerdings,  wie  G.  bemerkt,  zu  dem  Wortlaut  der  angeführten  Mitteilung 
Ciceros;  aber  der  objektive  Widerspruch,  der  durch  das  Wort  vom  Schnee 
in  die  Lehre  des  A.  hineingetragen  zu  werden  scheint,  wird  durch  eine 
solche  subjektive  Erklärung  nicht  aus  der  Welt  geschafft.  —  2.  Bei 
Laert.  II  11  will  K.  statt  (ju-f^pacp^c  schreiben:  ouv  YpacpT;  „mit  einer 
Zeichnung",  indem  er  sich  auf  Clem.  ström.  416  D:  öia  Ypa'pTi;  beruft, 
und  glaubt  auf  grund  dieser  Konjektur  das  Vorkommen  von  illustrierten 
Handschriften,  das  nach  der  bisherigen  Ansicht  erst  mit  oder  kurz  vor 
Aristoteles  begann  (s.  Bergk  Gr.  Litt.-G.  I  236),  um  ein  Jahrhundert 
früher  ansetzen  zu  dürfen.  Ich  kann  diese  Vermutung  trotz  der  Zu- 
stimmung von  Gomperz  (Gr.  D.  445)  nur  für  verfehlt  halten.  Viel- 
leicht ist  bei  Laert.  axif]vo7pa9iVj?  zu  lesen;  vgl.  die  von  K.  angeführte 
Stelle  bei  Vitruv  VII  praef,  11,  wonach  A.  eine  dxTivoypacptr]  geschrieben 
haben  soll.  —  3.  Die  verschiedenen,  zum  Teil  entgegengesetzten  An- 
gaben über  den  Prozeß  des  A.  (Laert.  II  1 2  ff.)  machen  es  wahrschein- 
lich, daß  es  zu  einer  formellen  Anklage  überhaupt  nicht  kam,  sondern 
daß  Perikles  den  A.  vorher  aus  der  Stadt  entfernte  (Flut.  Per.  32), 
Hätte  der  Prozeß  einen  bestimmten  Ausgang  gehabt,  so  würden  solche 
Widersprüche  nicht  möglich  sein  (?).  Die  merkwürdige  Angabe  des 
Satyros,  A.  sei  nicht  bloß  aaeßeia?,  sondern  auch  [j.ri8ic7|j,o!j  angeklagt 
worden,  scheint  auf  Rechnung  des  Stesimbrotos  gesetzt  werden  zu 
müssen,  der  A.  zum  Lehrer  des  Themistokles  machte  und  ihn  auch  in 
den  Sturz  seines  Schülers  verwickelt  dachte.  —  Diese  Annahme  hat 
manches  für  sich;  sie  ließe  sich  auch  sehr  gut  gegen  Ungers  willkür- 
liche chronologische  Ansätze  (s.  ßer.  I  200)  verwerten. 

Fimiani  nimmt  nach  dem  Bericht  Chiappellis  Arch,  V  425  ff. 
im  Gegensätze  zu  Trendelenburg  und  Zeller  an,  daß  Aristot.  mit  Un- 
recht dem  A.  die  Gleichsetzung  von  voüc  und  <]>o-/t^  beilege. 

Heinze  wendet  sich  gegen  die  Auffassung  von  F.  Kern  und  Windel- 
band (s.  Bd.  I  219),  die  den  voü?  des  A.  als  etwas  Stoffliches  und  Aus- 
gedehntes ansehen.  Er  geht  davon  aus,  daß  vou;  bei  Homer  (und  ähn- 
lich bei  den  älteren  Dichtern  und  Prosaikern,  z.  B.  bei  Herodot)  immer 
etwas  Seelisches  bezeichnet  und  nie  von  einem  körperlichen  Organ  ge- 
braucht wird  wie  cppsvs;.  Bei  Xenophaues  finden  sich  ^Co(:  (Fr.  3  K. 
voou  cppsvi  ---  votp  9pevoj,    von  Kern    treffend    „mit    denkendem  Geist" 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzlng.)        C3 

übersetzt)  uud    seine  Derivata    voeiv    und  vor,|j.a    nur  vom  Denken   und 
deu  Gedanken    der    Gottheit    gebraucht.     [Wunderlicii    ist    die    Frage 
lleinzes,  ob  nicht  in  Fr.  2  voeTv  vielleicht  ,wahrnehmeu''  bedeute,  da  es 
zwischen  opäv   und  axoueiv  stehe;    es  kann  hier  ebenso  wie  in  dem  be- 
kannten Verse  Epicharnis,    auf  den   H.  verweist,    nur    etwas    von   der 
sinnlichen  Wahrnehmung  Verschiedenes   bezeichnen;    Epicharm    will  ja 
gerade  sagen,  daß  der  Verstand  hört  und  sieht,  nicht  die  Sinnesorgane 
selbst.     Für  die  Mittelstellung  des  voetv  zwischen  dem  Sehen  und  dem 
Hören    bei  Xenoph.   vgl.  Soph.  Oed.  R.  371].     Xenopli.   hat  zwar    das 
Denken  seines  Gottes  sehr  bestimmt    ausgesprochen,    aber  ohne    es  zu 
h ypostasieren ;  das  Denken  ist  die  eine  Seite  seines  Prinzips,  die  andere 
ist  die  Ausdehnung  und  Körperlichkeit.     So    ist  er  in    höherem  Grade 
Yoigänger  Spinozas  als  Farmen.,  der  gerade  die  Geistigkeit  des  Seienden 
nicht  betont  uud  bei  dem  sich  voo^,  vorip-a  und  voeTv  stets  nur  auf  den 
Menschen  bezieht  (Farm.  16,  4  D.:  -rö  -/ap  ttXIov  esrl  voTiixa  faßt  Windel- 
band Gesch.  d.  alten  Fh.  2  S.  41  ttXeov  fälschlich  im  Sinne  des  „Vollen"; 
es  bedeutet  vielmehr  nach  Theophrast  d.  sens.  §  3  f.  das  GnepßaXXov,  das 
überwiegend  vorlierrschende  Element  in  der  Mischung  des  Menschen  und 
hat  in   keinem  Falle   einen   kosmologischeu   Sinn).     Bei  Heraklit  liegt 
der  Naclidruck  nicht  wie  bei  Parm.  auf   dem    subjektiven  Moment  des 
menschlichen  Denkens,  sondern  auf  dem  göttlichen,  vernünftigen  ProzeC 
in  der  Welt;  daher  nennt  er  seinen  Stoff  nicht  vou;,  das  auch  bei  ihm 
nur    vom  menschlichen  Verstände  gebraucht  wird,    sondern    Xö-^o^.     A. 
stellte  sich    vielleicht    in  bewußten  Gegensatz    zu  Heraklit,    indem    er 
die  Ordnung  in  der  Welt    nicht  wie  dieser  aus   dem  Stoffe  selbst   her- 
leitete,   sondern  aus  einem  außerhalb   des  Stoffes  stehenden  denkenden 
und  ordnenden  Prinzip.     Die  Prädikate  aixqy];,   draOrj;  und  auXoü;,   die 
Aristot.  d.  an.  405a  13  dem  voü;    des  A.  beilegt,    mögen    von  Aristot, 
selbst  und  nicht  von  A.  herrühren;    aber  sie  ergeben    sich  unmittelbar 
aus    seineu   Bestimmungen    in  Fr.  6  Schorn.     Wenn  A.    an    derselben 
Stelle  den  voü?  auch  als  aizetpov  bezeichnet,    so   kann  damit    nicht    die 
unendliche  Ausdehnung,  die  A.  oft  von  dem  Stoffe  aussagt,  sondern  im 
Gegenteil  nur  etwas,    für  das  es  überhaupt   keine  Grenze  giebt,    also 
die  Negation  der  Ausdehnung  gemeint  sein;   Zellers  Deutung   „die  un- 
begrenzte Macht  des  Geistes^  paiit  nicht  in  deu  Zusammenhang  [Zelle r 
verwirft  mit  Recht  (P  992,  1)  die  Heinzesche  Erklärung,  giebt  aber  zu, 
dal.)  das  aTieipov  einen  auffallenden  Gegensatz  zu  dem  Travxoj  p-oipav  [xe-rr/siv 
der  andern  Dinge  bildet,  und  hält  daher  jetzt  aTisipov,  obgleich  es  bereits 
in  der  Handschrift  des  Simpl.  gestanden  haben  muß,   für  verderbt;   es 
sei  dafür  ä|xoipov  {^  ouSevoc  [xoTpav  eyov)  oder  besser  noch  nach  Aristot. 
a.  a.  0.  a-Xo'ov  zu   lesen.     Den   zweiten  Vorschlag,    der  ohne  Zweifel 
den  Vorzug    vor    dem    ersten    verdient,    begründet   Zeller  Miscell.    (s. 


64       Bericht  über  die  griechiscben  Philosophen  vor  Sokrates.     (Lortzing.) 

Ber.  1276)  S.  441  ff.  näher,  wobei  er  auf  Aristot.  Metaph.  989b  17: 
TouTo  7ap  airXouv  xat  «(xqej  verweist.  Ebenda  deutet  er  auch  die  Worte 
fjLEfxtxxai  ouöevl  ypr][xaTt  richtig'  so:  „es  ist  ihm  nichts  beigemischt,  er 
ist  mit  nichts  vermischt;  vgl.  Fr.  5].  Im  Widerspruche  mit  diesen 
die  rein  geistige  Natur  des  vou?  hervorhebenden  Prädikaten  scheint 
nun  freilich  das  XeTiToxaTov  te  ttocvtiuv  yprjixaxwv  xal  xaftapcuxa-ov  in  dem- 
selben Fr.  zu  stehen.  Aber  die  ypr^ixaTa  sind  hier  nicht  im  engeren 
Sinne,  wie  sonst  bei  A.,  als  materiell  zu  fassen,  sondern  im  weiteren 
Sinne  wie  unser  „Ding"  (ähnlich  auch  in  dem  bekannten  Satze  des  Pro- 
tagoras).  Auch  Xettto;  wird  keineswegs  bloß  materiellen  Gegenständen 
beigelegt;  vgl.  XeTitYj  }jl^tic  bei  Homer.  Ebensowenig  zwingt  uns  der 
Superlativ,  den  voü?  zu  dem  Stofflichen  zu  rechnen,  wie  das  beistehende 
xaöapwxaxov  beweist,  das  A.  statt  des  völlig  hiureiclienden  xaf>apov  ge- 
braucht, um  die  Unvermischtheit  des  voüc  noch  stärker  auszudrücken. 
Ans  den  widerspruchsvollen  Berichten  über  Archelaos  läßt  sich  kein 
Rückschluß  auf  A.  machen,  wie  Kern  thut,  ebensowenig  aus  den  Frag- 
menten des  Diogenes,  der  zwar  einiges  von  A.  übernommen  hat,  aber 
in  andern  Punkten  ihm  gegenübertritt.  Dagegen  erscheint  bei  Piaton 
und  bestimmter  noch  bei  Aristot.  (und  ebenso  bei  Theophrast)  der  voü; 
des  A.  der  stofflichen  Welt  diametral  entgegengesetzt.  Hiernach  ist 
A.  der  erste  bewußte  Vertreter  des  Dualismus  von  Geist  und  Stoff. 
Sein  vouc  ist  nicht  bloß  Intelligenz,  sondern  auch  thätige  Kraft;  er  be- 
sitzt allumfassendes  Wissen  und  Macht.  Daß  sein  Wirken  ein  zweck- 
volles ist,  ergiebt  sich  ans  Fr.  6  und  wird  durch  Aristot.  bestätigt. 
A.  hat  demnach  seinem  voü?  Bewußtsein,  ja  Selbstbewußtsein,  also  das, 
was  wir  Persönlichkeit  nennen,  verliehen.  Wenn  auch  in  den  Frag- 
meuten der  voü;  nirgends  als  Gottheit  bezeichnet  wird,  so  ist  doch 
thatsächlich  A.  als  philosophischer  Theist  zu  betrachten.  Eine  ins 
Spezielle  gehende  Teleologie  hat  er  allerdings  nicht  gelehrt  und  noch 
weniger  als  Zweck  der  "Welt  den  Menschen  angesehen.  Die  von 
Dümmler  Akad.  103  ff.  für  die  Annahme  einer  solchen  Zwecktheorie 
benutzten  Stelleu  Aet.  II  8,  1  und  Plut.  d.  fort.  c.  3  lassen  sich  in 
diesem  Sinne  nicht  verwerten.  Daß  A.  aber  den  voü;  nicht  von  jeder 
weitereu  Einwirkung  fern  gehalten  hat,  beweist  die  Bemerkung  des 
Aristot.  (Met.  988  a  18):  A.  habe  den  voü?,  wenn  er  in  Verlegenheit 
Avar,  herangezogen  [s.  jedoch  Zeller  998  f.,  .];  sehr  häufig  freilich  kann 
dies  nach  den  Klagen  Piatons  nicht  gesc  ')en  sein.  —  Diese  Aua- 
lührungeu  haben  gegenüber  dem  Bestreben,  U'>u  voüc  des  A.  als  etwas 
vom  Stoffe  nicht  wesentlich  Verschiedenes  hinzustellen ,  ihre  volle  Be- 
rechtigung. Auf  der  andern  Seite  aber  geht  Verf.  zu  weit,  wenn  er 
das  Geistige  des  vouc  bis  zur  selbstbewußten  Persönlichkeit  steigert 
vind   sein  Wirken  als    ein    durch  Zwecke    bestimmtes    bezeichnet.     Die 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)       65 

Begriffe  des  Selbstbewußtseins  wie  des  Zweckes  waren  überhaupt  in 
der  vorsokratischen  Philosophie  noch  nicht  ausgebildet  und  konnten 
von  A.  nur  dunkel  vorgeahnt,  aber  nicht  klar  erfaßt  werden.  Ä.  er- 
hebt sich  mit  seinem  Gedanken  eines  "Weltbewegers  und  Weltordners 
über  den  Standpunkt  des  natur-philosophischcn  Realismus  seiner  Zeit, 
steht  aber  doch  noch  mit  einem  Fuüe  auf  dem  Boden  dieses  Realismus 
(s.  Zeller  1001).  Daraus  mußten  sich,  zumal  die  philosophische  Sprache 
damals  noch  wenig  ausgebildet  war,  Unklailieiteii  und  Widersprüche 
in  der  Bestimmung  der  Eigenschaften  des  voöj  ergeben,  die  H.  ver- 
geblich im  Sinne  seiner  Autfassung  umzudeuten  sucht.  Ich  werde 
hierauf  bei  Besprechung  der  in  gleicher  Richtung  sich  bewegenden 
Arbeit  Arleths  näher  eingehen.  Auch  gegen  einzelne  Bemerkungen 
des  Veif,  wie  z.  B.  gegen  die  wunderliclie  Erklärung  der  Worte  &<s-zt 
Ticpf/tupYJjai  TT)v  apyrjv  in  Fr.  6  wäre  Widerspruch  zu  erheben.  Ich  be- 
schränke mich  hier  jedoch  auf  folgenden  Punkt.  H.  hält  es  im  Gegen- 
satze zu  Schleierraacher,  Breier  und  Zedier  für  wahrscheinlich,  daß  A. 
selbst  den  Ausdruck  6ixoto}X£peiai  oder  wenigstens  6(xoto|X£pyj  gebraucht 
hat.  Die  Gründe,  die  er  für  diese  Meinung  ausführt,  sind  nicht  ge- 
eignet, das  Gewicht  der  Beweisführung  Breiers  (Philos.  des  A.  1  ff.) 
irgendwie  zu  erschüttern.  Vgl.  auch  Zeller  981  if.  Entscheidend  ist  die 
Thatsache,  daß  A.  da,  wo  man  den  Ausdruck  Homöomerie  erwarten 
sollte,  oTrepfiara  oder  -/pr^ixaTa  gebraucht,  und  daß  auch  Simpl.  d.  cael. 
268b  37  ausdrücklich  bezeugt,  A.  habe  die  6|xoio[i.ep^  oTre'pjxaTa  ge- 
nannt. Diesen  Zeugnissen  gegenüber  will  es  wenig  besagen,  daß 
Aristot.  den,  wie  es  scheint,  zuerst  von  ihm  geprägten  Ausdruck 
6}xoto(jL6pT)  (Piaton  hat  ihn  noch  nicht,  obwohl  ihm  der  Begriff  bekannt 
ist;  vgl.  Piotag.  329  D)  auf  die  Stoffteilchen  des  A.  anwendet,  und 
noch  weniger,  daß  die  Späteren  mit  Vorliebe  von  den  oixoiofxe'peiat  des 
A.  sprechen  und  gelegentlich  auch,  wie  Simpl.  und  Aet.,  dieses  Wort 
als  von  A.  selbst  herrührend  bezeichnen  (vgl.  Schaubach  Anaxag.  Fragm. 
S.  89).  Wie  Gomperz  Gr.  D.  446  diesen  späten  Zeugnissen  eine  ent- 
scheidende Bedeutung  beilegen  kann,  ist  mir  unverständlich.  Wenn 
derselbe  Gelehrte  nach  dem  Vorgänge  von  Munro  Lucret.  ed.  III 
(1873)  390  f.  aus  Lucr.  1834,  wo  es  von  A.  heißt;  rerum  cum  dixit 
homoeomeriam,  und  aus  einer  Stelle  bei  Epikur  ti.  «puaetu;  lib.  28  Fr.  6 
(s.  Gomperz  Zschr.  f.  d.  Österreich.  Gymn.  18,  212)  auf  den  Gebrauch 
des  Wortes  bei  A.  schließt,  weil  Epikur  und  nach  ihm  Lucrez  nicht 
den  mindesten  Grund  gehabt  hätten,  aristotelische  Kunstausdrücke  zu 
verwenden,  so  ist  dagegen  zu  bemerken,  daß  Lucrez,  wie  Woltjer 
Lucr.  philosophia  cum  fontibus  comparata  1877  S.  27  ff.  darthut.  A.  so 
wellig  wie  Heraklit  gelesen  hat,  Epikur  aber  an  jeuer  Stelle  A.  über- 
haupt nicht  nennt  und  das  Wort  auch  ia  ganz  anderem  Sinne  als  A. 
Jahrefbericht  fOr  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    a008.     T.)  ^ 


6G       Bericht  über  die    griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

seine  anspixaTa  gebraucht  (s.  Woltjer  S.  30,  1).  Noch  haltloser  ist  die 
Vermutung  Dümmlers  Akad.  224,  der  unter  Berufung  auf  Aet.  ¥26,4, 
wo  TToXuixe'peia  und  6[jLoio(jL£peia  in  einer  Darstellung  der  Lehre  des  Emped. 
von  der  Entstehung  der  organischen  Wesen  vorkommen,  es  für  wahr- 
scheinlich hält,  daß  Lucrez  das  Wort  entweder  direkt  oder  durch  Ver- 
mittelung  der  Empedoclea  Sallusts  von  Emped.  entlehnt  habe  (s.  Zeller 
983,  1).  —  Eine  kurze  Besprechung  der  Abhandlung  Heinzes  findet  sich 
bei  E.  Wellmann  Arch.  V  95  f. 

Arleth  (No.  355)   beginnt   in  Abschn.  I   mit  einer  Prüfung  der 
Gründe    für   die  Körperlichkeit  des  vou;.     Er  schließt  sich  im  wesent- 
lichen an  die  Beweiführung  Heinzes  an.  AeTiTOTarov  und  xai)apiu-aTov  sind 
keine  physischen  Bestimmungen,  auch   nicht  inadäquate  Bezeichnungen, 
sondern    metaphorische  Ausdrücke.     Für   den   Gebrauch  von  Xetttoc  im 
Sinne    von  „scharfsinnig"   führt  er   außer   der  homerischen  |x^Ttc  XeTrtyj 
noch  Beispiele    aus  Euripides    (Xentoc    vouc    und  Xtizx^  ?PtO  «nd  Ari- 
stophanes  (avops  Xetttcu  Xo^kjtoc)  an.    Bei  Piaton  Krat.  413  C  bedeutet  6ta 
TrdEvTtuv  lo'vxa  nicht,    daß  der  Nus  in  allen  körperlichen  Dingen  gegen- 
wärtig   sei;    im  Gegenteil,    die  Verbindung  mit  dem  „Unvermischten" 
beweist,    daß  PI.    nicht  an   eine  körperliche  Gegenwart  gedacht  haben 
kann.    In  Fr.  6:  wo^  koEj  ojjloioc  Isti  xal  6  }j.e'!^ü)v  xai  6  eXaa'jcov  spricht  A. 
nicht,  wie  Windel  band,  Zeller  und  Heinze  wollen,  von  Teilen  des  voü;, 
die    sich   ihrer  Größe  nach  unterscheiden,    sondern    von  Unterschieden 
der  Begabung.    Es  wäre  überhaupt  unverständlich,  wenn  A.  neben  der 
unvernünftigen  Materie  noch  eine  vernünftige  angenommen  hätte;  dann 
hätte  er  ruhig  bei  dem  die  Weltintelligenz  in  sich  enthaltenden  materiellen 
Prinzip    des  Anaximander,    Anaximenes    und  Heraklit  bleiben  können. 
Aach    würde    dann  Aristot.   sicherlich   den  in  einer  solchen  Hypothese 
liegenden  Widerspruch  so  gut  wie  bei  Melissos  gerügt  haben,    den    er 
jj.ixpov  d-fpotxoTspo;  nannte,    weil  er  behauptete,    das  ov  sei  sowohl  un- 
körperlich   als   räumlich    ausgedehnt.    —    Diese  Begründung    läßt    die 
Haltlosigkeit    der  Heinzeschen  Auffassung    nur    noch    schärfer   hervor- 
treten.    Eine    metaphorische  Bedeutung  kann  Itniö;  doch  nur  in  Ver- 
bindung mit  bestimmten  Substantiven  haben;    den  wenigen  Stellen,  die 
Arl.  anführt,  ließen  sich  zahllose  andere  entgegenstellen,  wo  das  Wort 
in  einem  rein  stofflichen  Sinne  gebraucht  wird.    Und  wie  verkehrt  wäre 
der  Gedanke,  der  nach  Arl.  dem  A.  aufgebürdet  werden  müßte:   „Der 
Nus  ist    das    scharfsinnigste   und  reinste  aller  Dinge"!     Danach  müßte 
A.  auch    der  Materie    ein    gewisses  Maß   von  Vernüaftigkeit  beigelegt 
und  sich  damit  gerade  des  Widersinns  schuldig  gemacht  haben,  den  Verf. 
für   undenkbar  erklärt.     Übrigens    hat;  bereits  i.  .1.  1840  Breier  „Die 
Phil  d.  A."  S.  63  ff.  vortrefflich  dargethan,  daß  an  eiiie  ethische  oder 
geistige  Bedeutung  von  Xs-xo;  und  xaf>apoj  in  dem  Satze  des  A.  nicht 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sukrates.    (Lortring.)        67 

zu    denken    ist.     Die  Kratylosstelle  ferner  trägt  zur  Entscheidung  der 
Frage    nichts    bei,    da  sich  aus  ihr  nicht  entnehmen  läßt,    in  welchem 
Sinne  das  oid  irofvxiuv  levai  zu  verstehen  ist.    Das  Schweigen  des  Aristot. 
endlich    hat  in  diesem  Falle  so  wenig  wie  in  manchen  anderen  irgend 
welche  Beweiskraft.  Daß  sich  übrigens  der  gegen  Melissos  ausgesprochene 
Tadel  des  Aristot.  auf  den  vom  Verf.  bezeichneten  Widerspruch  beziehe, 
ist  eine  willkürliche  Annahme  (s.  darüber  Bd.  CXII  S.  277).  —  II.  Nach 
dieser  Zurückweisung    der   gegnerischen  Gründe   sucht  Arl.  durch  eine 
Prüfung    der  Quellen    die    reine   Geistigkeit    des    anaxagoreischen  Nus 
darzuthun.     Mit  Unrecht  hat  Zeller  994,   5  aus  Fr.  5  geschlossen,  der 
Nus  sei  allerdings  gewissen  Eiuzeldingen  beigemischt,  insofern  Teile  von 
ihm  in  ihnen  enthalten  sind;  dann  müßte  es  nicht  t:Xtjv  Iv  vo'o),  sondern 
itXtjv    voou   heißen.     A.  will  vielmehr  sagen:    es  ist  weder  irgend  einer 
der  Grundstoffe  dem  Nus  beigemischt,  noch  geht  dieser  in  irgend  eine 
der  stofflichen  Mischungen  als  Bestandteil  ein;  er  ist  den  Dingen  gegen- 
.  über  transcendent;  vgl.  den  Schluß  von  Fr.  6  und  den  zweimal  in  dem- 
selben Fr.  vorkommenden  Satz:  [xoüvo;  au-o;  i'f    ewuiou  ejxiv.    "Wie  das 
xpatestv  in  Fr.  6  zu  verstehen  ist,  ergiebt  sich  aus  Aristot.  Phys.  203  a  31 
verglichen  mit  256b  27  und  14.    Danach  sind  die  bewegende  Thätigkeit 
des  Nus  und  sein  Erkennen  untrennbar  miteinander  verknüpft,    ja  das 
Bewegen  erfolgt  durch  das  Denken,  und  buchstäblich  in  diesem  ist  die 
Herrschaft  über  die  Welt  der  Dinge  begründet.    Es  ist  daher  der  Ge- 
danke   einer    mechanischen  Einwirkung    des  Nus  auf  die  Materie  aus- 
geschlossen;   seine  Wirksamkeit    (y.paxeiv)    ist    vielmehr    ein    wirkendes 
Denken    oder    ein    verständiges  Wirken.     Damit    stimmt    die  Stelle   in 
Fr.  6,    wo    dem  Nus  Allwissenheit    und  Allmacht,    sowie   ein   voraus- 
blickendes Bestimmen    und  Ordnen    des  Weltlaufs,    d.  h.   nach  unserer 
Ausdrucksweise  ein  zweckmäßiges  Handeln,  beigelegt  wird  (vgl.  Aristot. 
404  b  1,  984  b  20,   1075  b  8).    Der  Nus  übt  seine  Herrschaft  vermittelst 
seines    alles    durchdringenden    (ota  ttocvtcüv   le'vcxi    im  Krat.),    wirkenden 
Denkens,    d.  li.    vermöge    seiner   Allwissenheit    und  Allmacht    aus.     In 
welcher  Beziehung    das    xpa-ceiv   des  Geistes  zu  seiner  [Jnvermischtheit 
steht,  erfahren  wir  aus  Aristot.  d.  an.  429a  20:    „Wäre  der  voüc  mit 
etwas  vermischt,  so  würde  der  fremdartige  Bestandteil,  wenn  er  neben 
dem    eigentlichen   Gegenstande    der    Erkenntnis    ins    Bewußtsein    träte, 
diesem    gewissermaßen    den  Platz    versperren  und   insofern   dessen  Er- 
kenntnis verhindern."     Aristot.  hat  hier  nicht  die  Ansicht  des  A.  ein- 
fach   zu  seinem  Zweck   umgedeutet,    wie  Trendelenburg  d.  an.^  S.  385 
annimmt,    sondern    es    besteht    eine    gewisse  Verwandtschaft    zwischen 
beiden,  nur  daß  Aristot.  an  die  „intentionale",  A.  an  die  reale  Gegen- 
wart eines  Objektes  im  Nus  denkt.     Aus  der  Lehre  des  A.,    daß  Un- 
gleiches nur  durch  Ungleiches  erkannt  wird,    folgt,   daß  die   mit  Hülfe 

5" 


68       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

der  Sinneswerkzeuge  vollzogene  Wahrnehmung  minder  vollkommen  ist 
als    die    reine  Verstandeserkenntnis.     Je    vollkommener    die  Erkenntnis 
ist.  je  mehr  werden  sich  erkennendes  Subjekt  und  erkennendes  Objekt 
von  einander  unterscheiden,  und  der  weltlenkende  Nus  wird  gar  nichts 
mit  den  von  ihm  erkannten  Dingen  gemein  haben,    d.  h.  er  wird  un- 
vermischt    sein.     Der    menschliche  Verstand    dagegen    ist    mit    dem 
Leibe  vermischt;    denn  sonst  könnte  er  nicht  Subjekt  der  Sinneswahr- 
nehmung sein.    Das  Apophthegma  des  A.  bei  Aristot.  Met.  1009  b  25: 
oTi  ToiaÜT    auToi?  e'jxai  xa  ovxa  oia  av  uTtaXaßtujiv  kann  sich  nicht  auf  das 
eigentliche  Denken,  sondern  uur  auf  die  sinnliche  Erkenntnis  beliehen  : 
das  Verhältnis  der  Ähnlichkeit  zwischen  Sinnesorgan  und  Objekt  ist  in 
bezug    auf    dasselbe    Objekt    bei    verschiedenen    Menschen    wegen    der 
individuell    verschiedenen    Zusammensetzung    der    betreffenden    Sinnes- 
organe verschieden;  also  muß  auch  die  Wahrnehmung  für  jeden  Menschen 
verschieden  sein.     [Aber  dieser  vereinzelten,    gesprächsweise  gefallenen 
und  vielleicht  nicht  einmal  authentisch  überlieferten  Äußerung  des  A. 
darf  eine  so  weittragende  Bedeutung  nicht  beigelegt  werden  (vgl.  Bonitz 
zu  d.  St.  S.  202  und  Zeller  1016,  3).    Daß  A.  oder  überhaupt  irgend 
ein  Vorsokratiker  so  scharf  und  prinzipiell  zwischen  aiadTjaic  und  vorjui; 
unterschieden    habe,    ist    wenig  wahrscheinlich.]     Wenn  ferner  A.  den 
Nus  unbedingt  (auxoxpaxec,   vgl.  auxoxpaxwp  im  Krat.)  nennt,  so  liegt 
diese  Eigenschaft  in  dem  Fürsichsein  ([j,oüvo?  I9'  ewuxou)  eingeschlossen. 
Auch  in  dem  Sinne  ist  der  Nus  unbedingt,  daß  er  durch  nichts  anderes 
hervorgebracht,    also  ewig  ist.     A.  scheint  anzunehmen,    daß  der  Nus 
mit  Freiheit  sich  selbst  bestimmend  den  Anfang  zur  Weltbildung  mache 
(Indeterminismus).    Nach  Aristot.  ist  der  Nus  ferner  einfach,  aTrXoüv, 
und    nach  Zellers    glücklicher  Vermutung    (s.  0.  zu  No.  354)    ist  der- 
selbe Ausdruck  für  aTietpov  in  Fr.  6  einzusetzen.    Diese  Einfachheit  ist 
aber    nicht  die  des   chemisch  reinen  Körpers;    A.  leugnet  damit  nicht 
nur  die  Zusammensetzung  des  Nus  aus  verschiedenartigen  Teilen,  sondern 
aus  Teilen  überhaupt,  d.  h.  seine  Körperlichkeit.    So  hat  auch  Aristot. 
989  a  30  ff.  und  429b  22  den  A.  verstanden.    Der  Nus  ist  demnach  ein 
unbedingtes  Wesen,  das,  ohne  selbst  räumliche  Ausdehnung  zu  besitzen 
und    sich    mit    den    räumlich    ausgedehnten  Dingen   irgendwie   zu    ver- 
mischen   oder  in  sie  einzugehen ,    dennoch  mit  seinem  Denken  das  All 
in  seiner  Vergangenheit,   Gegenwart  und  Zukunft  beherrscht  und  alles 
darin  in  zweckmäßiger  Weise  ordnet.  —  III.  Arl.  erörtert  hierauf  die 
Frage,    ob  der  Nus  als  Persönlichkeit  aufzufassen  ist,    d.  h.  ob  er 
Selbstbewußtsein  hat.    Mit  Heinze  nimmt  er  an,  daß  aus  der  Allwissen- 
heit mit  Notwendigkeit  das  Selbstbewußtsein  folgt.    Außerdem  hat  aber 
auch  die  Allmacht,  die  A.  lehrt,  zur  Voraussetzung  eben  dieses  Selbst 
bewnßtspin.    Wrr  dem  Nus  dieses  abspricht,  entzieht  ihm  einen  wichtigen 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)       69 

Teil  seiner  Machtspbäre,  ja  er  vernichtet  seiue  Macht  vollständig.  Selbst 
das  geringste  Maß  von  Beherrschung  des  Gedaukenlaufs  ist  ohne  das 
Bewußtsein  von  diesem  Gedankenlaut'  unmöglich.  Die  Vorstellung  eines 
unbewußten  göttlichen  Geistes  hat  ferner  ein  Mißverhältnis  zwischen 
göttlichem  und  menschlichem  Verstände  zur  Folge  und  mutet  dem  A. 
eine  Schärfe  der  psychologischen  Analyse  zu,  die  vor  Aristot.  niemand 
besaß.  [Aber  eine  solche  Analyse  mutet  ihm  gerade  der  Verf.  zu,  indem 
er  bei  ihm  den  schwierigen  und  von  den  Griechen  nie  in  voller  Reinheit 
erfaßten  Begriff  der  Persönlichkeit  voraussetzt.  Übrigens  ist  Bewußt- 
sein von  den  Dingen  nicht  dasselbe  wie  Selbstbewußtsein ,  und  jenes 
kann  sehr  \\ohl  ohne  dieses  bestehen.  Ein  allumfassendes  Wissen  hat 
A.  seinem  voü?  ebenso  wie  Heraklit  seinem  Xo^o;  zugeschrieben;  aber  zu 
der  höheren  und  abstrakteren  Vorstellung  des  Selbstbewußtseins  ist 
keiner  von  beiden  vorgeschritten.]  Wir  werden  also  daran  festhalten 
dürfen  (?),  daß  A.  den  göttlichen  Nus  ebenso  wie  den  menschlichen, 
nach  dessen  Analogie  er  die  Vorstellung  des  erstereu  bildete,  als 
persönlich  gefaßt  habe.  —  IV.  Die  Frage,  obA.  zwischen  Seele  und 
Geist  unterschieden  habe,  und  ob  er  eine  Mehrheit  von  Geistern 
oder  nur  einen  einzigen  angenommen  habe,  bietet  bei  der  Dürftigkeit 
unserer  Quellen  besondere  Schwierigkeiten.  Nach  der  herrschenden 
Ansicht  giebt  es  bei  A.  nur  einen  Geist,  der  als  Weltbeweger  Nus, 
als  immanentes  Prinzip  Seele  heißt.  Dagegen  spricht  zunächst,  daß 
überall,  wo  der  göttliche  Nus  als  Prinzip  der  Bewegung  erwähnt 
wird,  er  als  eine  transcendeute,  nicht  als  immanente  Ursache  erscheint. 
Die  Gründe,  die  man  für  eine  Beseelung  des  Lebendigen  durch  den 
göttlichen  Nus  beibringt,  verwandeln  sich  bei  genauerer  Betrachtung  in 
Gründe  für  das  Gegenteil.  In  den  Schlußworten  von  Fr.  5:  earxtv  oiai 
8k  xai  voo;  e'vi  sind  mit  vooc  nicht  Teile  des  göttlichen  Nus  gemeint, 
sondern  die  Gattung  v6o?:  ,,Es  giebt  auch  solches,  in  dem  Geist  ent- 
halten ist"  (?}.  In  dem  Satze  (Fr.  6;:  oaa  <\>oy-i]^  e/ei  5^«'  f«  [iH^ui  xal 
xa  eXaacjü),  Travxwv  ^ooi;  xpaxe'ei  wird  zwischen  der  Seele  und  dem  weit- 
beherrschenden  Geiste  deutlich  unterschieden.  Kpaxeeiv  bedeutet  nicht 
die  Immanenz  des  Nus  in  den  Lebewesen,  sondern,  wie  auch  an  andern 
Stellen,  daß  der  Nus  eine  Herrschaft  ausübe  und  zwar,  wie  hier  be- 
sonders hervorgehoben  wird,  auch  über  das  Beseelte.  Wenn  man  sich 
für  die  Identität  von  Geist  und  Seele  auch  auf  den  Schluß  von  Fr.  6: 
vooc  6e  uac  o|j.ot6c  eaxi,  xal  6  [iHimw  xal  6  iXaaaojv  beruft,  SO  nimmt  man 
offenbar  o'ixoio;  im  Sinne  von  6  auxoj;  aber  aus  dem  Folgenden  geht  hervor, 
daß  o|jLoio;  auch  hier  „gleichartig"  bedeutet.  Bei  dem  Satze,  das  Wesen 
eines  Körpers  bestehe  in  dem  in  der  Mischung  überwiegenden  Element, 
denkt  er  nur  an  das,  was  für  die  Sinneswahrnehmuug  am  deutlichsten 
hervortritt    [damit    widerspricht    sich    Arl.    selbst;    denn    nach  S.  198 


70        Beriebt  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Anm.  130  soll  in  den  Worten  xaüxa  i^oi\k6x'xxa  ev  sxaaxov  iaxi  xal  yjv 
das  ^v  an  das  aristotelische  xo  xi  r^^  eTvai  erinnern,  also  das  Wesen  des 
Dinges  bezeichnen;  in  diesem  Sinne  scheine  dieses  Imperfekt  bereits  von 
A.  verwendet  worden  zu  sein,  wenn  auch  die  Formel  xo  xi  ^v  etvai  (doch 
wohl  nur  xi  ^v?)  sich  nicht  weiter  als  bis  zu  Antisthenes  und  Stilpon 
verfolgen  lasse.  Ob  freilich  A.  mit  seinem  ^v  wirklich  das  Wesen  im 
Unterschiede  von  der  Erscheinung  bezeichnen  wollte,  ist  sehr  zu  be- 
zweifeln. Andere  wie  Sehern  S.  33  fassen  es  rein  zeitlich  auf];  wenn 
er  dagegen  sagt,  kein  Körper  sei  dem  andern  gleichartig,  so  hat  er 
das  für  die  Wahrnehmung  verborgene  quantitative  Verhältnis  im  Auge, 
das  für  jeden  einzelnen  Körper  ein  besonderes  ist.  Was  die  Dinge  ab- 
solut ungleichartig  macht,  ist  ihre  qualitativ  verschiedene  Zusammen- 
setzung aus  den  gleichen  Elementen-,  was  Gleichartigkeit  der  Geister  (V) 
begründet,  wird  ihre  Einfachheit  sein,  der  Mangel  an  jeglicher  Zu- 
sammensetzung [wie  stimmt  zu  dieser  unbedingten  Einfachheit  die 
Unterscheidung  von  [xe^wv  und  eXasdojv  v6o??  Auch  hier  liegt  offenbar 
ein  Widerspruch  in  der  Auffassung  des  A.  vor].  Auch  die  Superlative 
Xcirxoxaxov  xal  xaöapwxaxov  sprechen  für  die  Vielheit  der  Geister  [aber 
der  voof  wird  doch  von  A.  mit  diesen  Prädikaten  im  Vergleiche  zu 
allen  Dingen,  nicht  zu  andern  Geistern  bezeichnet].  Die  Auffassung, 
daß  A.  mit  dieser  Vielheit  die  verschiedenen  Außerungsformen  des 
einen  voüc  gemeint  habe,  würde  dazu  führen,  daß  er  zwei  Kieselsteine 
für  ungleichartig,  dagegen  die  Leistungen  des  göttlichen  Denkens  und 
des  Denkens  der  Tiere  für  gleichartig  gebalten  hätte.  Die  Annahme 
einer  Vielheit  von  Geistern  vermeidet  alle  Schwierigkeiten  und  erklärt 
den  Schluß  von  Fr.  6  befriedigend  [durchaus  nicht;  dadurch  häufen 
sich  vielmehr  die  Schwierigkeiten].  Auch  aus  den  Darlegungen  des 
Aristot.  läßt  sich  keineswegs  die  Identität  des  weltenlenkenden  Nus  mit 
einem  beseelenden  Prinzip  erschließen.  Nach  A.  giebt  es  viele  Geister, 
die  für  die  Lebewesen  Prinzip  der  Erkenntnis  und  Bewegung  sind, 
ihrem  Wesen  nach  sind  sie  alle  gleichartig,  weil  einfach;  ihrer  er- 
kennenden Thätigkeit  nach  unterscheiden  sie  sich  graduell  (?).  Mit 
dem  göttlichen  Nus  können  sie  nicht  identisch  sein,  weil  dieser  ein  un- 
bewegter Beweger  ist,  sie  aber  sich  selbst  bewegende  Ursachen  der  Be- 
wegung sind.  Will  man  dennoch  dabei  beharren,  daß  A.  die  Immanenz 
des  göttlichen  Nus  gelehrt  habe,  so  muß  man  annehmen,  Aristot.  habe 
alle  daraus  fließenden  Widersprüche  übersehen  oder  unberührt  gelassen 
an  einer  Stelle  (d.  an.  404a  25  ff.),  wo  er  auf  die  Nuslehre  kritisierend 
eingeht,  ja  er  habe  sich  selbst  widersprochen,  da  er  den  Nus  hier  als 
etwas  sich  selbst  Bewegendes  darstellen  würde,  den  er  Phj-^s.  256  b  26 
als  unbewegt  schildert.  Daß  diese  Lehre  des  A.  manche  Schwächen 
und  Unklarheiten  aufweise,   leugnet  Verf.  nicht.     Zum  Schluß  zieht  er 


Bericht  über  die  gricchiflchen  Philosophen  vor  Sokratcs.    (Lortzing  )       71 

eiue  Parallele  zwischen  A.  und  Newton  und  bezeichnet  jenen  als  den 
ersten  theistiscben  Denker  des  Altertums.  —  Die  ganze  Beweisführung 
des  Verf.  leidet  an  großer  Unklarheit  und  verfehlt  ihr  Ziel.  Um  die 
Widersprüche  in  der  Lehre  des  A.  zu  beseitigen,  die  aber  nach  des 
Verfassers  eigenem  Zugeständnis  trotz  aller  seiner  Bemühungen  doch 
zum  Teil  bestehen  bleiben,  scheut  er  vor  den  bedenklichsten  Interpre- 
tationsversucheii  nicht  zuiück  und  stellt  eine  völlig  in  der  Luft 
schwebende  Hypothese  auf,  die  an  der  Überlieferung  nicht  den  gering- 
sten Anhalt  hat.  In  der  Überlieferung  findet  sich  weder  von  einer 
Unterscheidung  zwischen  veischiedeneu  Arten  des  Nus  noch  von  der 
Annahme  vieler  Geister  irgend  eine  Spur;  der  Plural  voot  kommt  über- 
haupt nicht  vor.  Auch  Aristot.  weiß  hiervon  nichts.  Die  höchst  un- 
klaren und  schwankenden  Erörterungen  Arleths  über  die  Hauptstelle 
404  a  25  ff.  (er  macht  u.  a.  auch  den  Vorschlag,  404  a  25  —  b  7  nacli 
404  a  16  zu  stellen)  führen  zu  keinem  Ergebnis  und  ändern  nichts  an 
der  Thatsache,  daß  Arist.  voüc  und  'J^u/tq  bei  A.  gleichsetzt  und  auch 
in  Bezug  auf  die  Art  ihrer  Bewegung  keinen  Unterschied  macht:  beide 
sind  Prinzip  der  Bewegung  und  bewegen  zugleich  sich  selbst  (s.  404  a  24 
ota  TC)'|ir,6£v  opav  xtvoüv  o  |jltj  xai  auTO  xtveixat).  Auch  ist  es  nicht  richtig, 
daß  Aristot.  Schwächen  und  Widersprüche  in  der  Anschauung  des  A. 
vom  voü;  nicht  bemeikt  habe  (s.  404  b  1  y)ttov  oiasa'fsi  repl  a'jxüiv  xxX.). 

Gegen  die  verfehlte  Deutung  eines  Fr.  bei  Arleth  wendet  sich 
Zell  er  (No.  356).  Es  ist  dies  Fr.  5:  ev  Travxl  -avxo;  [xoTpa  svean  TrXrjv 
voü,  eju  otai  6e  xat  vou;  l'vt.  Arl.  schi'eibt  A.  das  Gegenteil  von  dem 
zu,  was  er  gesagt  hat.  Die  erste  Hälfte  heißt,  wie  der  Beisatz  lehrt, 
uiclit:  „in  allen  Dingen,  mit  Ausnahme  des  voü;,  sind  Teile  von  allem", 
sondern:  „in  allem  sind  Teile  von  allen  außer  von  dem  voü;".  An 
Teile  des  Nus  und  an  ein  mehr  oder  minder  vollständiges,  also  teil- 
weises Innewohnen  des  Nus  in  den  Lebewesen  denkt  A.  sowohl  in 
diesem  Fr.  wie  in  Fr.  8 :  voü?  [xsi^cov  xal  e^^axtcuv.  Arleths  Ansicht,  der 
Nus  sei  den  Dingen  transcendent,  stützt  sich  nicht  auf  die  eigenen 
Worte  des  A.,  sondern  auf  Erwägungen,  von  denen  erst  bewiesen 
worden  mußte,  daß  sie  A.  angestellt  hat. 

In  No.  357  macht  Arleth  einige  nachträgliche  Bemerkungen  zu 
seiner  früheren  Arbeit.  L  Der  Einwand,  XEKToxatov  und  xaöapcuratov 
könnten  nicht  als  Prädikate  eines  geistigen  Wesens  aufgefaßt  werden, 
da  sie  A.  offenbar  auch  auf  Körper  anwende,  ist  gerade  so  zutreffend, 
als  wenn  jemand  dem  Anselm  von  Canterbury  wegen  seiner  Äußerung, 
Gott  sei  id  quo  niaius  cogitari  nequit,  die  Ansicht  zuschreiben  wollte, 
Gott  sei  ein  körperliches  Wesen,  —  Wie  verfehlt  diese  Vergleichung 
des  anaxagoreischen  Satzes  mit  dem  ganz  anders  gearteten  Ausspruch 
des  Anselm  ist,    liegt  auf  der  Hand.     2.    Gegen  Zellers  Angriff  sucht 


72       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Arl.  seine  Deutung'  von  Fr.  5  als  logisch  berechtigt  zu  erweisen,  aber 
vergeblich;  ein  richtiger  Gegensatz  der  beiden  Hälften  kommt  nur  bei 
Zellers  Auffassung  heraus.  Zum  Schluß  bemüht  sich  Arl.,  seine  Hypo- 
these von  der  völligen  Immaterialität  und  Transcendenz  des  voü«  noch 
dadurch  zu  stützen,  daß  er  auf  gewisse  Inkonsequenzen  hinweist,  die 
sich  aus  der  gegnerischen  Ansicht  von  der  Teilbarkeit  des  Nus  für  die 
Lehre  des  A.  ergeben  würden.  Nach  seiner  Darstellung  erscheine  diese 
Lehre  als  ein  konsequentes  System,  und  dies  spreche  für  ihre  Richtig- 
keit. Es  tritt  uns  hier  dieselbe  petitio  priucipii  entgegen  wie  in  No.  355. 
Daß  A.  sich  keiner  Inkonsequenz  schuldig  gemacht  haben  könne,  ist 
eine  völlig  unerwiesene  Voraussetzung  des  Verf.  Konsequenz  ist  eine 
große  Tugend;  aber  sie  wird,  wie  im  Leben,  so  auch  in  der  Wissen- 
schaft und  namentlich  in  der  Philosophie  leider  oft  genug  auch  von  den 
bedeutendsten  Geistern  nicht  geübt,  und  A.  gehört  eben  nicht  zu  den 
wenigen  Bevorzugten,  wenn  es  überhaupt  solche  giebt,  die  ein  wider- 
spruchsloses System  aufgestellt  haben;  dies  geht  für  jeden  Unbefangenen 
aus  den  Überresten  seiner  Lehre  hervor.  Vgl.  die  trefflichen  Dar- 
legungen bei  Zeller  990  ff. 

Die  mir  bisher  nicht  zugegangene  Dissertation  von  Dentl er- 
hoffe ich  für  den  nächsten  Jahresbericht  einsehen  zu  können  und  werde 
sie  dann  im  Zusammenhange  mit  einer  zweiten  Arbeit  desselben  Verf. 
„Der  vouc  nach  A."  (Philos.  Jahrb.  1898)  besprechen. 

Wertvolle  Beiträge  zur  Lehre  des  A.  liefern  auch  mehrere  der 
Werke,  über  die  bereits  im  \.  Teile  berichtet  worden  ist.  Auf  die 
wichtigsten  der  dort  nicht  erwähnten  oder  nur  kurz  angedeuteten 
Punkte  will  ich  hier  noch  etwas  näher  eingehen. 

Für  die  Bestimmung  der  Zeit,  in  der  A.  sein  Werk  abgefaßt  hat 
(daß  es  nach  dem  unter  dem  Archon  Lysistratos  [bei  Laert.  II  12  ist 
sicherlich  Au3<t(jTpaTou>  zu  ergänzen,  s.  Gomperz  Gr.  D.  445]  i.  J.  467 
eingetretenen  Meteorfall  zu  setzen  ist,  kann  wohl  als  feststehend  be- 
trachtet werden),  läßt  sich  vielleicht  der  Umstand  verwerten,  daß  seine 
Theorie  von  der  Nilschwelle  nicht  nur  dem  Herodot  (II  22),  sondern 
auch  dem  Aischylos  (Fr.  293  und  Hiketid,  539)  bekannt  war.  Freilich 
ist  die  Zeit,  in  der  die  Hiketiden  entstanden  sind,  sehr  bestritten.  S. 
darüber  Diels  „Seneca  und  Lucan"  (vgl.  zu  No.  172)  S.  8,  1. 

Aus  Diels'  Doxographi  ist  folgendes  anzuführen.  S.  165  f.:  Der 
Anfang  des  Buches  tt.  «puaetof  bei  Laert.  II  6  scheint  zuerst  von  Theo- 
phrast,  vielleicht  nach  dem  Vorgange  des  Aristot.  (256  b  24),  in  die 
dort  citierte  kurze  Formel  gebracht  worden  zu  sein.  Vgl.  auch  Dümmler 
Akad.  102,  1,  wo  über  die  ursprüngliche  Fassung  der  Vorlage  des 
Laert.  eine  wenig  wahrscheinliche  Vermutung  aufgestellt  wird.  S.  171  f. 
(vgl.  94  f.)    weist  D.    darauf   hin,    daß    die  (Quelle  der  absonderlichen 


Beliebt  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)       73 

Mitteilung  des  Ireuaeus  c.  haer.  II  14:  „facta  auimalia  decidentibus  e 
caelo  in  terram  seminibus"  in  der  bei  späteren  Berichterstattern  wie 
Aetios  und  Herakleitos  (vjil.  Vitruv  VIII  praef.  §  1)  üblichen  Verbin- 
dung des  euripideischen  Fr.  836  N.  ^  mit  anaxai^üreischcr  Lehre  zu 
suchen  sei.  Die  wahre  Ansicht  des  A.  über  die  Entstehung  der  lebenden 
Wesen  ergiebt  sich  aus  Hippolj't,  I  8,  12  und  Laert.  II  9  (vgl.  Cen- 
sorin.  d.  d.  nat.  (5,  2).  Mit  Unrecht,  wie  mir  scheint,  bleibt  Zeller  P 
1012,  5  bei  seiner  früher  ausgesprocheuen  Meinung,  daß  die  Mitteilung 
des  Irenaeus  glaubwürdig  sei  und  sich  mit  der  sonstigen  Überlieferung 
wohl  vertrage. 

Über  Wesen  und  Bedeutung  der  Stofflehre  des  A.  haben  Tan- 
nery,  Gomperz  und  Burnet  eingehend  gehandelt  und  dabei  eigentüm- 
liche, zum  Teil  einander  eutgegeugesetzte  Ansichten  entwickelt.  Nach 
Tannery  sc.  h.  280  flf.  hat  A.  zum  ersten  Male  den  Begriff  des  Un- 
endlichen iu  seinem  streng  mathematischen  Sinuc  erfaßt.  Auch  seine 
Antwort  auf  die  Frage,  wie  das  Wesen  der  Dinge  zugleich  eines  und 
vieles  sein  könne,  ist  die  des  Geometers:  die  Materie  ist  teilbar  bis  ins 
Unendliche;  aber  die  iu  ihren  großen  Teilen  sich  zeigende  Mischung  ist 
gleicherweise  auch  iu  den  kleinen  und  kleinsten  vorhauden.  Die  Teilung 
wird  nie  die  äußersten  Elemente  erreichen,  und  die  Materie  ist  überall 
und  immer  zugleich  einheitlich  und  zusammengesetzt.  Diese  Anschauung 
der  Materie,  die  mit  der  Kants  Verwandtschaft  zeigt,  hat  vielleicht  noch 
eine  wissenschaftliche  Zukunft,  da  die  Hypothese  von  den  Atomen  und 
dem  Leeren  nicht  die  einzig  denkbare  ist.  Die  gewöhnliche  Auffassung, 
nacii  der  die  Materie  aus  Homöoraerien  besteht,  beruht  auf  einem  Miß- 
verständnisse des  Aristot.(?).  Die  Keime  oder  Samen  des  A.  sind  nicht 
materielle  Elemente,  sie  sind  ebenso  wie  alle  Körper  leicht  zerlegbar 
und  stellen  wie  jene,  nur  in  verschiedenen  Graden,  eine  Vereiniguug 
von  warm  und  kalt,  feucht  und  trockeu  u.  s,  w.  dar.  A.  spricht  in 
bezug  auf  die  Bestandteile  der  Dinge  immer  nur  von  Qualitäten, 
nicht  von  materiellen  Urstoffen.  Fleisch,  Knochen  u.  s.  w,  hat  erst 
Aristot.  in  seine  Lehre  hineingebracht  (?).  Wenn  A.  auch  noch  nicht 
klar  zwischen  Qualitäten  und  Substanz  unterscheidet,  so  hat  er  doch 
den  ersten  Schritt  auf  diesem  Wege  gethan.  Zeller  nimmt  fälschlich 
an,  die  erste  Wirkung  der  Bewegung  sei  die  gewesen,  daß  die  ur- 
sprüngliche Mischung  der  Dinge  in  zwei  Massen  geteilt  wurde,  die  A. 
Luit  und  Äther  nennt.  Fr.  1  zeigt  vielmehr,  daß  A.  Äther  und  Luft 
als  die  ursprünglichen  Erscheinungsformen  der  Dinge  betrachtete,  die 
vor  jeder  Thätigkeit  des  Nus  vorhanden  waren,  und  Fr.  2  steht  damit 
nicht  in  Widerspruch  [aber  hier  heißt  es  doch  ausdiücklich :  xal  -/ap  6 
aTjp  y,ai  6  aii):^p  (iTioxpivETai  aT:6  toü  Tiepie/ovroc].  Die  Stoff  lehre  des 
A.  bildet  die  Grundlage  der  platonischen  Ideenlehre  [aber  Piaton  spricht 


74       Bericht  über  dio  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates,    (Lortzing.) 

nirgends  von  der  Stoff  lehre  des  A.,  sondern  stets  nur  von  dem  Nus, 
seiner  Bedeutung  und  seinen  Mängeln],  so  sehr  sie  auch  in  dieser  um- 
gestaltet und  durch  andere,  besonders  pythagoreische  Einflüsse  modi- 
fiziert erscheint.  —  Die  Annahme  ursprünglicher  Qualitäten,  die  T.  an 
die  Stelle  der  kleinsten  Stoffteile  setzt,  hat  zwar  mehrfach  Zustimmung 
gefunden,  so  bei  Burnet  (s.  u.) ,  widerstreitet  aber,  wie  Zeller  680.  1 
bemerkt,  den  Fragmenten,  die  T.  nur  durch  gewaltsame  und  sprach- 
widrige Deutungen  mit  seiner  Auffassung  in  Einklang  zu  setzen  ver- 
mag (Fr.  4  werden  z.  B.  das  ötepov,  ^rjpov  u.  s.  w.  ausdrücklich  als 
ypY^jxaTa  bezeichnet)  wie  auch  allen  sonstigen  Zeugnissen  und  ist  auch 
au  sich  unwahrscheinlich,  da  sie  in  der  gesamten  vorsokratischen  Phi- 
losophie ohne  jede  Analogie  wäre.  Ebensowenig  ist  es  T.  gelungen, 
nachzuweisen,  daß  A.  die  Scheidung  der  Mischung  in  Äther  und  Luft 
der  TTspr/tupYiJtj  vorangehen,  nicht  als  erste  Wirkung  aus  ihr  hervorgehen 
ließ.  Für  eine  solche  Annahme  könnten  allerdings  die  Worte  in  Fr.  1: 
iiavxa  7ap  ar^p  xe  xal  at&Yip  xaTstyev  zu  sprechen  scheinen;  aber  der  Zu- 
sammenhang mit  dem  Vorhergehenden,  besonders  dem  6[xoy  uocvta  ypr]- 
{j-axa  fjv,  schließt  Tannerys  Deutung  aus;  s.  Zeller  1002,  2  und  Schau- 
bach S.  74  f.  Damit  ist  der  ganzen  Auffassung  der  anaxagoreischen 
Physik  bei  T.  die  Grundlage  entzogen. 

Wesentlich  verschieden  von  dieser  Auffassung  ist  die  Beurteilung 
der  anaxagoreischen  Stofflehre  bei  Gomperz  Gr.  D.  169  ff.  Wenn  A. 
auch  die  von  Parmen.  geäußerten  Zweifel  an  der  Geltung  des  Sinnen- 
zeugnisses und  an  der  Vielheit  der  Dinge  unbeachtet  gelassen  hat,  steht 
er  dennoch  nicht  nur  in  betreff  des  alten  Postulats  der  quantitativen 
Konsistenz,  sondern  auch  des  der  qualitativen  Konsistenz  des  Stoffes 
auf  demselben  Boden  wie  jener.  Seine  mit  eisei-ner  Folgerichtigkeit 
durchgeführte  Stofflehre  steht  im  vollen  Gegensatz  zu  dem,  was  uns  die 
Wissenschaft  über  den  Stoff  und  seine  Zusammensetzung  gelehrt  hat. 
Die  höchst  komplizierten  organischen  Verbindungen  gelten  ihm  als 
Elemente,  die  ungleich  einfacheren  Stoffe  wie  Wasser  und  Luft  als  die 
am  meisten  zusammengesetzten  Verbindungen.  Wenn  so  der  Inhalt 
seiner  Lehre  mit  den  thatsächlichen  Ergebnissen  der  modernen  Natur- 
wissenschaft in  Widerspruch  steht,  herrscht  doch  zwischen  der  Methode 
beider  auffällige  Übereinstimmung.  Die  chemischen  und  selbst  die 
organischen  Prozesse  führt  er  auf  mechanische  zurück.  Seine  Stoff- 
lehre ist  ein  freilich  roher  und  vorzeitiger  Versuch,  alle  materiellen 
Geschehnisse  als  Folgen  von  Bewegungen  zu  begreifen.  Da  er  statt 
des  einen  TJrstoffes  bei  Anaximander  ein  Gemenge  zahlloser  Urstoffe 
annahm,  bedurfte  es  keiner  dynamischen,  sondern  einer  mechanischen 
Trennung.  Den  physikalischen  Vorgang  hierbei  dachte  sich  A.  ganz 
entsprechend    dem    scheinbaren    täglichen    Umschwung    des    Himmels- 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)       75 

gebäudes.  Den  ersten  Anstoß  führte  er  auf  den  Nus  zurück.  Daß 
dieser  nicht  unstofflich  zu  fassen  ist,  beweist  der  Ausdruck  „mehr  oder 
minder"  sowie,  daß  er  als  teilbar  und  „den  lebenden  "Wesen  innewohnend" 
bezeichnet  wird.  Das  Zwcckproblera,  das  A.  zu  der  Annahme  des  Nus 
trieb,  barg  eine  ernste  Gefahr  für  den  Fortschritt  der  Naturerkenntnis; 
aber  glücklicherweise  war  A.  diesmal  nicht  konsequent;  er  vermied  den 
Abweg,  die  Absichten  eines  weltleitenden  Wesens  zu  erraten.  Seine 
Kosmogonie  berührt  sich  sehr  nahe  mit  den  Grundsätzen  der  neueren 
Astronomie.  Der  Schwerkraft  setzte  er  die  Centrifugalkraft  entgegen, 
deren  Ursprung  er  ebenso  wie  die  Neueren  die  Tangentialkraft  auf 
einen  Anstoß  zurückführte.  Aus  den  zwei  Prämissen:  „ein  Wandel  der 
Dinge  hat  nicht  statf  und:  „die  Dinge  besitzen  in  Wahrheit  die  Eigen- 
schaften, die  uns  die  Sinne  offenbaren"  ergab  sich  für  ihn  der  Schluß: 
»jeder  Unterschied  sinnlicher  Eigenschaften  ist  fundamental,  ursprünglich 
und  unverlierbar".  Es  bleibt  also  nur  die  Unterscheidung  zwischen 
gleichartigen  Ansammlungen  (Homöomericn)  und  ungleichteiligen  Ge- 
mengen übrig,  die  zwischen  ursprünglichen  und  abgeleiteten  Stoffformen 
kommt  in  Wegfall.  Die  Behandlung  des  Stoffproblems  war  dadurch 
in  eine  Sackgasse  geraten.  —  Gomperz'  Behandlung  der  Lehre  des  A. 
steht,  mag  sich  auch  gegen  einzelne  seiner  Ausführungen  manches  ein- 
wenden lassen,  doch  auf  einer  ungleich  festeren  Grundlage  als  die 
Tannerys.  Nur  ein  Mangel  ist  beiden  gemeinsam:  die  ideelle  Be- 
deutung des  Nus  und  seine  grundsätzliche  Scheidung  von  der  Materie 
kommt  bei  ihnen  nicht  zu  ihrem  Rechte;  denn  auch  T.  sieht  in  dem 
Nus  eine  von  der  Materie  zwar  getrennte,  aber  doch  nicht  wesentlich 
anders  geartete  Ursache  der  Bewegung. 

In  dieser  einseitigen  Auffassung  des  Nus  stimmt  mit  beiden 
Burnet  überein.  In  der  Erklärung  der  stofflichen  Prinzipien  (early  gr. 
ph.  286  ff.)  schließt  er  sich  an  Tannery  an  und  zieht  mit  großem  Scharf- 
sinn die  aus  dessen  These  sich  ergebenden  Konsequenzen.  Indem  er 
mit  T.  die  entgegengesetzten  Qualitäten  der  Dinge  für  das  Ursprüngliche 
hält,  vermag  er  in  den  sonst  allgemein  als  die  Urstoffe  angesehenen 
.Samen"  oder  „Keimen"  nur  verschiedenartige  Kombinationen  dieser 
„Dinge"  oder  Qualitäten  zu  erblicken.  Jeder  „Same"  enthält  alle 
„Dinge",  aber  jeder  zeigt  am  deutlichsten  die  Qualität,  die  in  ihm 
vorherrscht  (Fr.  6  fin,).  Die  Samen  des  Feuers  enthalten  Teile  des 
Kalten,  aber  die  des  Heißen  überwiegen,  so  daß  wir  es  heiß  nennen. 
Im  Beginn  waren  diese  verschiedenen  Samen  in  unendlich  kleinen  Teilen 
miteinander  gemischt,  so  daß  sie  den  Anschein  einer  der  bis  dahin  als 
ursprünglich  betrachteten  Substanzen,  vor  allem  der  „Luft"  und  des 
„Äthers",  boten;  denn  die  zu  diesen  gehörenden  Qualitäten  überwiegen 
der  Quantität  nach  alle  andern  Dinge  im  Universum  (Fr.   1).     Die  ur- 


7G       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

sprüDgliche  Masse  war  eine  Mischung  von  uueudlicber  Luft  und  unend- 
lichem Feuer  (=  Äther),  wobei  jedoch  die  Samen  des  Feuers  auch 
«Dinge",  die  in  der  Luft  vorherrschten,  enthielten  und  umgekehrt. 
Danach  hätten  wir  also  bei  A.  einen  dreifachen  Aufbau  der  Bestandteile 
alles  Körperlichen  anzunehmen.  Aus  den  ursprünglichen  Qualitäten  setzen 
sich  die  , Samen"  zusammen  und  aus  diesen  wieder  die  bestehenden 
sichtbaren  Stoflfe  wie  Fleisch,  Knochen  u.  s.  w.,  die  Aristot.  nach  seiner 
Terminologie  im  Gegensatze  zu  den  Organen  des  Körpers  mit  dem  für 
A.,  so  meint  der  Verf.,  völlig  unzutreffenden  Namen  6|xoto|j.ep9j  bezeichnet 
(bei  Aristot.  Metaph.  984a  11  ff.  möchte  B.  am  liebsten  die  Worte 
xaöaTzep  uötup  fj  Tiüp  als  eine  übrigens  ganz  angemessene  Glosse  angesehen 
wissen).  Zu  den  letzteren  gehören  auch  die  sogen.  Elemente  Wasser, 
Feuer,  Luft.  Aber  diese  Dreiteilung,  zu  der  sich  Verf.  durch  die  An- 
nahme der  Tanneryschen  Qualitätenhypothese  gedrängt  sieht,  läCt  sich 
ebensowenig  wie  diese  aus  den  Fragmenten  oder  den  Mitteilungen  der 
Berichterstatter  erschließen.  A.  nennt  die  Urbestandteile  der  Körper 
bald  -/pr^ixara ,  bald  aK^pixata  (Fr.  1.  3.  4),  ohne  einen  Unterschied 
zwischen  dieseu  beiden  Bezeichnungen  zu  machen.  Es  wäre .  unerlaubt, 
etwa  die  Worte  airepp-axa  TiavTwv  ypYHJLaxuiv  (Fr.  2)  in  Burnels  Sinne 
zu  deuten:  ypTQixaxa  ist  hier  in  der  weiteren  Bedeutung  körperlicher 
Dinge  überhaupt,  nicht  in  der  engeren  ihrer  Urbestandteile  gebraucht. 
Ein  solcher  Doppelsinn  kann  bei  der  unentwickelten  Terminologie 
des  A.  nicht  wunder  nehmen:  wendet  er  doch  in  Fr.  6  ypTqfjLaxa 
sogar  in  dem  noch  umfassenderen  Sinne  aller  Dinge  ohne  Aus- 
nahme, den  Nus  eingeschlossen,  an.  Auch  Aristot.  bezeichnet  an 
vielen  Stellen  die  von  ihm  6|Aoio[i.epr]  genannten  aTrepixata  klar  und 
deutlich  als  axoiyßa  d.  h.  als  Urstoflfe.  Die  „Qualitäten"  müssen 
daher  aus  der  Mischung  der  Körper  als  fremde  Eindringlinge 
ausgeschlossen  werden;  die  anEpixaTa  oder  ypr^iia-za  sind  und 
bleiben  die  kleinsten  Stoffteilchen;  sie  sind  einfach  und  nicht  zusammen- 
gesetzt. 

Auch  in  mehreren  andern  Punkten  vermag  ich  Burnet  nicht  zu- 
zustimmen. In  dem  von  Aristot.  belachten  experimentellen  Beweis 
für  das  Nichtvorhandensein  des  Leeren,  der  darauf  hinausläuft, 
daß  die  Luft  etwas  Körperliches  sei,  glaubt  er  immerhin  einen  be- 
deutenden Fortschritt  über  die  älteren  Philosophen  hinaus  zu  sehen,  die 
die  Luft  dem  leeren  Raum  gleichgesetzt  hatten.  Darauf  ist  zu  erwidern, 
daß  schon  dem  Anaximenes  die  Luft,  da  er  sie  zum  Prinzip  erhoben 
hatte,  unmöglich  als  ein  Leeres  gegolten  haben  kann  und  ebensowenig 
dem  Parmenid6s,  er  hätte  denn  ihre  Existenz  überhaupt  leugnen  müssen. 
Es  bleiben  also  nur  die  ältesten  Pythagoreer  übrig,  die  vielleicht  die 
den  Kosmos  umgebende  Luft  mit  dem  leeren  Baum  identifizierten;  daß 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)        77 

aber  A.  diese  kindliche  Anschauung  überwunden  hatte,  kann  ihm  nicht 
als  ein  besonderes  Verdienst  angerechnet  werden.  —  Daß  A.  eine 
Vielheit  von  "Welten  angenommen  habe,  schließt  B.,  wie  schon  vor 
ihm  Schaubach  S.  119  f.,  aus  Fr.  10.  Aber  die  Gründe,  die  Zeller 
1006  f.  gegen  diese  Ansicht  anführt,  hat  er  nicht  widerlegt.  In  Fr.  13 
ist  nicht  von  einer  nnter  mehreren  Welten  die  Rede,  wie  B.,  offenbar 
unter  Zugrundelegung  der  falschen  Lesunr^  bei  Schaubach  sv  evl  xoa[j.ü) 
statt  der  überlieferten  h  Tto  h\  x6(j|xtu  (s.  Simpl.  phys.  176,  29  D.) 
annimmt;  richtig  gelesen  ist  die  Stelle  vielmehr  ein  Beweis  für  die 
Annahme  einer  einzigen  einheitlichen  Welt.  Zuzugeben  ist  freilich, 
daß  Zellers  Beziehung  von  Fr.  10  auf  den  Mond  schwere  Bedenken 
gejren  sich  hat,  da  A.  doch  nicht  gut  sagen  konnte,  der  Mond  habe 
eine  Sonne  und  einen  Mond  wie  unsere  Erde.  Es  liegt  hier  eine  noch 
ungelöste  Schwierigkeit  vor,  die  uns  aber  nicht  berechtigt,  dem  A.  eine 
kosmologische  Auffassung  zuzuschreiben,  die  mit  seiner  ganzen  sonstigen 
Anschauung  nicht  im  Einklänge  stehen  würde. 

In  ihren  Untersuchungen  über  das  Verhältnis  des  Euripides 
zu  A.  gelangen  Decharme  (No.  359)  und  Parmentier  (No.  360)  zu  ent- 
gegengesetzten Ergebnissen.  Decharme  ist  mit  Wilamowitz  Anal. 
Eurip.  163  f.  (vgl.  auch  Herakles  I^  25  ff.;  s.  Bericht  I  274  f.)  und 
Bergk  Griech.  Litt.-G.  469  ff.  der  Ansicht,  daß  in  fast  allen  Stellen 
des  Eurip.,  die  man  seit  Valckenaer  diatr.  in  Eurip.  perd.  dram.  rel. 
c.  4  f.  auf  A.  bezogen  hat,  eine  Abhängigkeit  von  diesem  nicht  zu  er- 
weisen sei.  Das  Lob  des  Weisen  Fr.  902  N.*  kann  auf  A.  gehen, 
braucht  aber  nicht  auf  ihn  bezogen  zu  werden.  Noch  weniger  darf 
man  in  den  kosmogonischen  Fragmenten  aus  der  Melanippe  (488)  und 
aus  dem  Chrysippos  (836),  mit  Ausnahme  der  Schlußverse  des  letzteren 
(s.  u.)  einen  Anklang  an  A.  suchen,  da  die  hier  entwickelte  Lehre  von 
der  des  A  und  überdies  auch  von  der  sonst  bei  Eurip.  vorgetragenen 
Auffassung  gänzlich  abweicht.  Ebensowenig  kann  sich  der  Spott  über 
die  Meteorologen  Fr.  905  auf  A.  beziehen-,  denn  damit  würde  Eur.  den 
A.  sowohl  wie  sich  selbst  verurteilen.  Er  kann  au  allen  diesen  Stellen 
seinen  Personen  nur  eine  Ansicht  in  den  Mund  gelegt  haben,  die  er 
selbst  nicht  teilt.  Auch  die  Übereinstimmung  in  der  Erklärung  der 
Nilüberschweramnngen  durch  das  Schmelzen  des  Schnees  in  Äthiopien 
tHel.  1  ff.  und  Fr.  230)  beweist  nichts,  da  diese  Erülüruug  älter  ist 
als  A.  und  schon  (?)  vor  Aischylos  erwähnt  wird  [aber  au  der  Urheber- 
schaft des  A.  darf  nach  Diodor  I  38,  4  nicht  wohl  gezweifelt  werden. 
Über  das  Verhältnis  zu  Aischylos  s.  o.  S.  72].  In  der  Stelle  Orest 
982  ff.  ist  nicht  an  die  Sonne  zu  denken ,  sondern  an  den,  nach  einer 
von  der  homerischen  abweichenden  Sage  (vgl.  Orest  6  f.),  mitten  zwischen 
Erde  und  Himmel  in  den  Lüften  umhergeschleuderten  und  über  seinem 


78        Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Haupte  von  elueiu  gewaltigen  Felsen  bedrohten  Tantalus;  dieser  Fels 
kann  nicht  die  Sonne  des  A.  sein,  da  er  mit  einer  goldenen  Kette  an 
dem  Olymp  befestigt  und  ein  Raub  der  Stürme  ist;  auch  ist  er  weder 
bei  Eur.  noch  bei  Pindar,  der  ihn  zweimal  erwähnt,  ein  glühender 
Körper  wie  die  Sonne  des  A.,  die  überdies  als  Xii>o;,  nicht  wie  jener 
als  ßüiXoc  bezeichnet  wird.  Wenn  nach  Laert.  II  10  Eur.  im  Phaethon 
die  Sonne  /pojea  ßüiXoj  genannt  haben  soll,  so  ist  es  auffällig,  dalJ  er 
dies  gerade  in  einer  Tragödie  gethan  haben  sollte  ,  in  der  der  Sonnen- 
gott als  Person  auftrat.  Vielleicht  hat  sich  Laert.  in  der  Angabe  des 
Dramas  geirrt  und  die  angeführte  Stelle  des  Orest  im  Auge  gehabt 
[so  schon  Matthiae,  s.  Nauck^  zu  Fr.  777],  indem  er  aus  der  goldenen 
Kette  des  Tantalus  einen  goldenen  Klumpen  machte  [Wecklein  in 
seiner  kurzen  Besprechung  der  Abh.  Fortschr.  Bd.  71  (1892)  S.  242 
und  Berl.  Ph.  W.-Schr.  1894,  1473  ff.  giebt  Decharme  darin  recht, 
daß  die  ßüiXo;  im  Orest  nichts  mit  der  Sonne  des  A.  zu  thun  hat;  den 
Ursprung  der  Notiz  bei  Laert.  aber  sieht  er  nicht  in  der  Oreststelie, 
sondern  in  dem  Phaethonfragment  771,  wo  Laert.  /puaea  ßcuXw  ^li-^zi 
statt  xpuaea  ßaXÄst  cpXofi  gelesen  habej.  Vor  allem  aber  spricht  gegen 
eine  enge  Beziehung  des  Eur.  zu  A.  der  Umstand,  daß  er  nirgends  die 
Nuslehre  berührt.  An  den  beiden  einzigen  Stellen,  wo  vouc  im  philo- 
sophischen Sinne  gebraucht  wird,  Fr.  1007  und  Troad.  884  ff.,  ist  jede 
Anspielung  auf  A.  ausgeschlossen.  Nicht  Eurip.,  sondern  Kritias  im 
Peirithoos  (=  Eur.  Fr.  596;  vgl.  Wilamowitz  Anal.  Eurip.  162)  hat 
in  jener  Zeit  die  wahre  Lehre  vom  Nus  des  A.  poetisch  wiedergegeben. 
Die  einzige  Stelle  bei  Eur.,  die  auf  das  System  des  A.  zurückgeht,  ist 
Chrysipp.  Fr.  836,  12  ff.:  „Die  Körper  gehen  nicht  unter,  sondern 
lösen  sich  nur  auf  und  bilden  sich  um*  (Siaxpivssöai  wie  bei  A.  gebraucht). 
In  den  wichtigsten  Punkten  dagegen  stimmen  sie  nicht  überein. 

Parmentier  giebt  zwar  zu,  daß  man  bei  Eur.  keine  treue 
Wiedergabe  der  Lehre  des  A.  erwarten  darf  und  daß  große  Vorsicht 
in  der  Annahme  von  Übereinstimmungen  geboten  sei;  aber  ebenso  ver- 
fehlt scheint  es  ihm,  mit  Decharme  und  dessen  Vorläufern  seine  Auf- 
merksamkeit vor  den  mehr  oder  minder  deutlich  erkennbaren  Spuren 
einer  intellektuellen  Abhängigkeit  des  Eur.  von  A.  zu  verschließen. 
Er  hält  es  von  vornherein  für  unwahrscheinlich,  daß  Eur.  die  Lehren 
des  A.  nicht  gekannt  haben  sollte.  Um  die  näheren  Beziehungen  zu 
diesem  festzustellen,  muß  man  fragen  ,  ob  sich  nicht  statt  ganz  allge- 
meiner Ähnlichkeiten  besondere  und  persönliche  Anspielungen  auf  A. 
selbst,  seine  Gewohnheiten  und  Lebensschicksale  sowie  auf  einzelne 
hervorstechende  Punkte  seiner  Lehre  finden.  Derartige  Hinweisungen 
auf  zeitgenössische  Dinge  in  Form  von  Betrachtungen,  die  sich  öfter  in 
die  Situation  oder  den  Charakter  der  Personen  nicht  einfügen,  sind  bei 


Bericht  über  die  griechiechen  Philosopben  vor  Sokrates.    (Lortzing.)        ~^\\ 

Eur.  ungemein  zahlreicli,  und  mit  Unreclit  bat  man  in  solcheu  Fällen 
Interpolationen  angenommen.  Es  giebt  kein  Drama  des  Eur.,  in  dem 
nicht  politische,  litterarische, -philosophische  Anspielungen  vorkommen. 
Im  allgemeinen  kann  man  diese  Fassung  des  Problems  für  die  Auf- 
suchung von  Beziehungen  des  Eur.  zu  Personen  und  Ereignissen  seiner 
Zeit  als  zutreffend  gelten  lassen;  aber  in  unserm  besonderen  Fall  bedarf 
sie  noch  einer  näheren  Bestimmung  und  Einschränkung.  Das  dem 
Kur.  die  Lehre  des  A.  unbekannt  geblieben  sei,  ist  allerdings  unwahr- 
scheinlich, und  vermutlich  wird  er  auch  während  der  langen  Zeit,  die 
A.  in  Athen  zugebracht  hat,  in  irgend  eine  persönliche  Berührung  mit 
ilim  gekommen  sein.  Aber  daraus  folgt  noch  keineswegs,  daß  er  in 
einem  besonders  engen  und  nahen  Verhältnis  zu  dem  Philosophen  ge- 
standen und  in  seinen  Dramen  häufig  und  mit  Vorliebe  auf  seine  Lehre 
hingewiesen  hat.  Hier  thut  die  größte  Vorsicht  not,  und  es  ist  in 
jedem  einzelnen  Falle  sorgfältig  zu  prüfen,  ob  zwingende  Gründe  vor- 
liegen, die  Worte  des  Dichters  gerade  auf  A.  und  keinen  andern  zu 
beziehen.  An  dieser  Vorsicht  aber  hat  es  der  Verf.,  wie  sich  sogleich 
zeigen  wird,  vielfach  fehlen  lassen.  —  Was  zunächst  die  Persönlichkeit  und 
die  Schicksale  des  A.  betrifft,  so  liegt  die  Vermutung  nahe,  daß  Eur. 
den  Prozeß  und  die  Flucht  des  Philosophen,  die  nicht  geiiuges  Aufsehen 
in  Athen  erregt  haben  müssen,  irgendwie  berührt  habe.  In  der  That 
glaubt  P.  deutliche  Spuren  einer  Erwähnung  dieses  Ereignisses  an  drei 
Stellen  zu  erkennen,  von  denen  zwei  der  kurz  nach  dem  Prozesse  im 
Jahre  431  aufgeführten  Medea  und  die  dritte  dem  in  dasselbe  Jahr 
fallenden  Philoktet  augehören:  L  Medea  292  ff.  ist  mit  dem  lästigen 
(Äuirpo;)  „Philosophen"  (?)  unverkennbar  A.,  nicht  Heraklit  (Wecklein) 
oder  Sokrates  (Weil)  gemeint;  2.  Medea  214  ff.  enthält  eine,  wie  P. 
bemerkt,  bisher  noch  nicht  beachtete  Anspielung  auf  das  zurückgezogene 
Leben  und  die  Verachtung  der  Yolksmeinung,  durch  die  sich  A.  die 
Mißgunst  des  athenischen  Volkes  zugezogen  hatte;  3.  daß  auch  im 
Philoktet  auf  die  Anklage  hingewiesen  wurde,  lehrt  die,  wie  es  scheint, 
sehr  treue  Paraphrase  des  Dramas  bei  Dio  Chiysost.  or.  59,  wo 
Üdysseus  zu  Philoktet  sagt  (§  10):  zZ  h^i  oti  iirl  üav-a;  tou;  ixst'vou 
(d.  i.  riaXa(j.Yjou?)  'ft'Xou;  fjXiJs  to  xaxov  xal  TtavTej  äjioXuJXaotv,  octtc  [xv) 
ou-.'siv  i]doYffif].  Die  beiden  ersten  Stellen  scheinen  mir  wenig  beweis- 
kräftig zu  sein.  In  ihnen  ist  von  >olchen  Bürgern  (oder  Fremden) 
die  Rede,  die  sich,  sei  es  durch  ein  zurückgezogenes  Leben,  sei  es  durch 
offen  zur  Schau  getragenen  Stolz  oder  durch  den  Euf  höherer  Weis- 
heit, in  den  Augen  der  großen  Menge  verhaßt  machen;  daß  dies  aber 
zünftige  Philosophen  seien,  wird  nirgends  augedeutet;  man  kann  ebenso- 
gut au  Staatsmänner  denken,  z.  B.  an  Perikles,  der  sich  nur  selten 
öffentlich  zeigte.     Dazu  kommt,    daß  in  der  zweiten  Stelle  die  Worte, 


80       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

auf  die  P.  besonderes  Gewicht  legt:  tou;  [xev  of^ixariüv  octto,  einer  sehr 
verschiedenen  Deutung:  fähig  sind,  je  nachdem  man  in  den  folgenden  Worten 
Tou;  6'ev  ilupaiotj  das  o  mit  Wecklein  u.  a.  streicht  oder  mit  dem  Verf. 
stehen  läßt  (vgl.  Wecklein  in  seiner  Rezension  der  Schrift  Berl.  Ph. 
W.-Schr.  1894,  1473  flf.,  der  sich  gegen  Parmentiers  Deutung:  les  uns 
(en  se  tenant)  loin  des  regards,  les  autres  (eu  se  produisant)  ua  dehors 
erklärt  und  es  für  richtiger  hält,  djjLfxaTwv  octto  wie  nachher  ärf  f,3ijyou 
Ttoöoj  als  Ausgangspunkt  des  ungünstigen  Urteils  zu  fassen).  Außer- 
dem ist  es  eine  unerwiesene  Voraussetzung  des  Verf.,  daß  sich  A. 
durch  seine  stolze  Zurückgezogenheit  bei  den  Athenern  mißliebig  ge- 
macht habe.  Man  verfolgte  ihn  nur  deshalb,  weil  er  ein  Freund  des 
den  Demagogen  verhaßten  Perikles  war ,  wobei  man  zum  Vorwande 
jene  Stelle  seiner  Schrift  nahm,  in  der  er  die  Sonne  als  einen  [xuopo; 
oiaTTupo;  (Laert.  II  12)  oder  als  einen  Xtfto;  (Plat.  Apol.  26  D)  be- 
zeichnete. Dieses  Motiv  der  Anklage  kommt  in  der  Philoktetstello 
zum  Ausdruck,  und  wenn  hier  wirklich  eine  Anspielung  auf  Perikles 
und  seine  Freunde  vorliegt,  was  aus  chronologischen  Gründen  wahr- 
scheinlich ist,  so  wird  man  bei  den  Worten  oaru  |x^  (pu-feiv  tjöuvtj&t] 
allerdings  an  A.  denken  dürfen.  Trefflich  paßt  auch,  wie  P.  richtig 
bemerkt,  das  Lob  des  fern  vom  Weltgetriebe  nur  der  Erforschung 
des  Weltalls  lebenden  Philosophen. (Fr.  902)  auf  das  überlieferte  Bild 
des  A.,  viel  besser  jedenfalls  als  auf  einen  der  eitlen,  rühm-  und  geld- 
gierigen Sophisten.  Nicht  übel  ist  auch  die  Vermutung,  daß  in  der 
zur  Verherrlichung  des  Oscupr^Tixoc  ßio?  geschriebenen  Antiope  sich  hinter 
der  Maske  des  Amphion  unser  A.  verberge.  Wenn  aber  P.  überall  da, 
wo  bei  Eur.  weltbürgerliche  Ansichten  entwickelt  oder  Verachtung  des 
Reichtums  oder  ruhige  Ergebung  in  das  Unglück  gepredigt  werden, 
eine  Anspielung  auf  A.  erblickt,  so  geht  er  viel  zu  weit.  Daß  A. 
solche  Anschauungen  ausgesprochen  habe,  ist  späte  und  unsichere  Über- 
lieferung. Es  handelt  sich  hier  um  Anekdoten  und  Apophthegmen,  die 
meist  in  gleicher  oder  ähnlicher  Form  auch  von  anderen  Philosophen 
berichtet  wurden.  A.  selbst  hat  sich  in  seiner  Schrift,  wie  auch  P. 
zugiebt,  auf  die  Physik  beschränkt  und  keine  ethischen  Untersuchungen 
angestellt.  Ob  er  im  mündlichen  Verkehr  mit  seinen  Schülern  derartige 
Aussprüche  gethan  hat,  wissen  wir  nicht.  -—  Im  weiteren  Verlaufe 
seiner  Untersuchung  durchmustert  P.  die  Dramen  und  Fragmente  des 
Eur.,  um  die  Frage  zu  beantworten,  ob  sich  bei  dem  Dichter  Anklänge 
an  wissenschaftliche  Untersuchungen  «les  Philosophen  finden,  und  ge- 
langt zu  dem  Ergebnis ,  daß  sich  eine  stattliche  Anzahl  solcher  An- 
spielungen bei  ihm  nachweisen  läßt.  An  einigen  Stellen  ist  in  der 
That  die  Übereinstimmung  so  auffallend,  daß  man  kaum  umhin  kann, 
an  eine  Abhängigkeit  von  A.  zu  glauben.     So    scheint   eine  Beziehung 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokratcs.    (Lortzing.j       3[ 

auf  die  dem  A.,  freilich  nicht  ihm  allein,  von  Aristot.  763b  32  (vgl. 
Aet.  V  7,  4,  wo  neben  A.  Farmen,  erwähnt  wird)  zugeschriebene  Theorie 
von  der  Zeuguue:  an  nicht  weniger  als  fünf  Stellen  vorzuliegen.  Die 
Nilschwelle  wird  Hei.  1  flf.  und  Fr.  230  ganz  im  Sinne  des  A.  gedeutet, 
wobei  jedoch  zu  berücksichtigen  ist,  daß  dieselbe  Deutung  sich  auch 
schon  bei  Aischylos  (s.  o.  S.  72)  und  bei  Sophokles  fand,  also  damals  in 
Athen  sehr  populär  gewesen  sein  muß.  Au  die  Erklärung  der  oictTTovxe; 
bei  A.  (Aet.  III  2,  9)  erinnert  stark  Fr.  961,  an  die  Lehre  von  den 
-rpo-at  TjXi'ou  Aet.  II  23,  2  (P.  giebt  hier  eine  beachtenswerte,  aber  im 
einzelnen  mir  nicht  ganz  klare  Deutung  der  Tpoizai  der  Sonne  und  des 
Mondes  [s.  Hippolyt.  I  8,  9],  die  von  der  gewöhnlichen  Auffassung  der 
xpoTtai  TQÜ  TjXi'ou  als  Solstitien  abweicht)  Elektr.  726  ff.  und  vielleicht 
auch  Fl-.  779.  überhaupt  zeigt  Eur.  eine  ganz  besondere  Vorliebe  für 
Astronomisches,  die  v.  Wilamowitz  Herakl.  I  33  mit  Unrecht  be- 
sUitten  hat  (vgl.  Hekabe  1100  und  Jon  1146  ff.);  im  Phaethou  und  in 
der  Audiomeda  hat  ei-  astronomische  Stoffe  behandelt,  und  er  ist  der 
einzige  Tragikei',  der  den  Orion  mehrmals  erwähnt.  In  dieser  Neigung 
zeigt  sich  unzweifelhaft  eine  gewisse  Geistesverwandtschaft  mit  A.  — 
An  anderen  Stellen  dagegen  ist  P.  in  der  Entdeckung  von  Überein- 
stimmungen zu  voreilig.  Die  angeblich  im  Phaethon  vorkommende  Be- 
zeichnung der  Sonne  als  -/poasa  ßuiXo;  hätte  er  beiseite  lassen  sollen 
(s.  0.  S.  78).  Daß  unter  dem  „Steine  des  Tautalos"  (s.  ebd.)  einer  der 
zwischen  Erde,  Mond  und  Sonne  befindlichen,  uns  unsichtbaren  Körper, 
denen  A.  die  Verfinsteiung  des  Mondes  zuschrieb,  oder  vielleicht  auch 
ein  Meteorstein  zu  verstehen  sei,  ist  eine  zwar  ansprechende,  aber  sehr 
unsichere  Vermutung.  "Wenn  Eur.  sich  gelegentlich,  z.  B.  Hippol. 
1059,  gegen  Zeichendeuterei  ausspriclit,  so  braucht  man  die  sich  darin 
ausdrückende  Geistesfreiheit  wahrlich  nicht  auf  den  Einfluß  des  A. 
zurückzuführen.  Dasselbe  gilt  von  der  Berufung  der  lokaste  (Phoen. 
Ö41  tf.)  auf  die  Analogie  der  Weltordnung  zum  Beweise,  daß  die  Gleich- 
heit ein  Naturgesetz  sei.  Solche  Anschauungen  und  Gesinnungen  konnte 
Eur.,  sow'eit  überhaupt  an  eine  philosophische  Quelle  zu  denken  ist, 
ebensogut  aus  anderen  Philosophen  wie  aus  A.  schöpfen.  Daß  er 
die  Schriften  der  verschiedensten  Philosophen  gekannt  und  benutzt  hat, 
gesteht  auch  P.  zu.  Er  nennt  besonders  Xenophanes,  Empedokles,  die 
Orphiker  und  Heraklit  als  seine  Quelle  und  leugnet  auch  nicht  völlig 
solche  Beziehungen  zu  Sokrates  und  den  Sophisten,  insbesondere  zu 
Protagoras,  weniger  zu  Hippias  und  Piodikos  [umgekehrt  Düramler, 
Akad.  257,  1].  Wenn  er  vor  Überschätzung  des  Einflusses  der  letzteren 
warnt  und  es  für  verfehlt  erklärt,  überall,  wo  sich  eine  gewisse  Ähn- 
lichkeit der  Gedanken  findet,  gleich  den  Dichter  für  den  Nachahmer 
zu  halten,  während  es  sich  oft  nur  um  damals  allgemein  herrschende 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    (1903.    I.j  6 


82       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokratee.    (Lortzing.) 

Tendenzen  handle,    so    trifft    dieser  Vorwurf    auch    sein    eigenes  Ter- 
fahren,    allerorten  anaxagoreische  Einflüsse  bei  Eur.  zu  wittern.   Einen 
engeren  Anschluß  des  Dichters  an  das  System  des  A.  würden  wir  nur 
dann  anzunehmen  bei'echtigt    sein,    wenn  jener  nicht  bloß  gelegentlich 
einzelne  mehr  nebensächliche  Punkte,  sondern  grundlegende  und  unter- 
scheidende Lehrsätze  dieses  Systems  mit  Vorliebe  in  seine  Dichtungen 
aufgenommen  hätte.     Nun    glaubt    P.    allerdings    eine    der   wichtigsten 
Lehren  des  A.,  die  vom  Nus,    in    einer    größeren    Anzahl    von  Stellen 
wiederzuerkennen.     Aber    die  Beweise,    die    er    hierfür  beibringt,  sind 
nicht  stichhaltig.     In   der  Hauptstelle  (Troad.    884  ff.)    schwankt  Eur., 
wie    P.    selbst    bemerkt,    in     den    Worten:    Zeu;    eiV     dva^xr^    i^ujeo» 
eire  vou?  ßporüiv  zwischen  zwei  verschiedenen  Auffassungen  des  höchsten 
Gottes,  von  denen  die  eine  nach  P.  an  Heraklit,  wahrscheinlicher  aber 
nach  Diels,  Rhein  Mus.  42,  12  an  Demokrit    erinnert;    ob    die    zweite 
auf  A.  zurückzuführen  sei,    wie  Verf.    meint,    ist    sehr  fraglich;    man 
kann  bei  dem  voüc  ßpoTÜiv  auch    an  Diogenes  denken,    und    man    wird 
dazu  um  so  eher  geneigt  sein,  als  das  7%  tf'yjrjjjia    in  diesem  Fr.  offen- 
bar auf  die  Lufttheorie  dieses  Philosophen  hinweist    (s.  Diels  a.  a.  O. 
und    ,,tJber    Leukipp    und  Demokrit"    S.   108,  4).     Auch    an   anderen 
Stellen,  wo  vom  menschlichen  voüc    im   philosophischen  Sinne  die'  Rede 
ist,  darf  man  mindestens    mit    demselben    Rechte    eine  Beziehung    auf 
Diogenes,  dessen  Philosophie  damals  in  Athen   weit  verbreitet  gewesen 
zu  sein  scheint,  wie  auf  A.  annehmen,  so  z.  B.  Fr.  1007,  wo  P.  selbst 
Diogenes  bei  Theophr.  d.    sens.    511,  12  D.  anführt,    oder  Fr.  901,  6 
und  Hei.  122,  wenn  man  hier    nicht    mit  Wilamowitz    (s.  Ber.  I  275) 
eine  Anspielung  auf  einen  bekannten  Ausspruch  Epicharms   sehen  will. 
Daß  Eur.  den  Diogenes  gekannt  hat,    leugnet    auch  P.  nicht.     Um  sa 
verwunderlicher  ist  seine  Annahme,    Eur.    und  Diog.  seien  gleichzeitig 
auf  den  Gedanken  gekommen,    die  Eigenschaften    des    anaxagoreischen 
Nus  dem  Äther  als  dem  feinsten  Elemente  beizulegen.     Eur.  war  doch 
kein  Forscher,  dem  man   eine    selbständige    Fortbildung    eines  Systems 
zutrauen  kann.     Wenn  er  daher    in  einer  bestimmten  Lehre,    wie  hier 
in  der  von  der  vernunftbegabten  Luft,  mit  Diog.  auffallend  übereinstimmt, 
ist  es  von  voinherein  viel  glaublicher,  daß  er  sich  an  diesen  angeschlossen, 
als  daß  er  durch  eigenes  Nachdenken  aus  A.  dieselbe  Lehre  wie  jener 
entwickelt  hat.     Noch  verfehlter  ist  es,    an    gewissen  Stellen,    wo  eine 
philosophische  Bedeutung  des    Wortes    voü;    überhaupt    nicht    vorliegt, 
eine  Abhängigkeit  von  A.  zu  behaupten,    wie  dies  P.  Medea  529:    qo\ 
o'hzi  [1.EV  voüc  XsTTtoj  thut,  als  ob  Eur.  nicht,  auch  ohne  ein  Fragment 
des  A.  vor  Augen  zu  haben,  einer  seiner  Personen  hätte  einen  ,, feinen 
\' erstand"  zuschieiben   können.    Wenn  Verf.  schließlich  die  Kosmologie 
i:i  Fr.  83ß  und  488,  wo  -.aia  und    albrfi    oder  oypavoj    an    den  Anfang 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)       33 

der  Dinge  gestellt  und  als  Erzeuger  aller  organischen  Wesen  besungen 
werden,  oder  das  Emporsteigen  der  vom  Leibe  getrennten  Seele  in  den 
Äther,  von  dem  Eur.  Fr.  836  und  Hei.  1016  spricht,  auf  A.  zurückführt, 
so  schiebt  er  diesem  eine  Lehre  unter,  die,  wie  Decharme  (s.  0. 
S.  77)  erkannt  hat,  nach  der  besten  Überlieferung  diesem  fremd  ist.  — 
Der  positive  Ertrag  seiner  Arbeit  ist  somit  kein  sehr  erheblicher;  aber 
das  Verdienst  bleibt  ihm,  gezeigt  zu  haben,  daß  Eur.  der  Person  und 
Lehre  des  A.  doch  nicht  so  fremd  gegenüberstand,  wie  Decharme  an- 
genommen hatte,  und  seine  Untersuchung  hat  vor  der  seines  Vorgängers 
jedenfalls  den  Vorzug,  daß  in  ihr  alles  für  eine  Vergleichung  des  Eiir. 
mit  A.  irgendwie  in  betracht  kommende  Material  aufs  sorgfältigste  zu- 
sammengetragen und  nach  methodischen  Gesichtspunkten  bearbeitet  ist. 
—  Vgl.  außer  der  angeführten  Besprechung  Weckleins  die  von  J.  Bidez, 
Kev.  de  l'instr.  publ.  37  S.  45  ff. 

Polle  sucht  die  mehrfachen  Übereinstimmungen,  die  sich  scinei- 
Meinung  nach  zwischen  der  Kosmogonie  bei  Diodor  prooem.  c.  7.  und  der 
entsprechenden  Darstellung  bei  Ovid  im  1.,  teilweise  anch  im  15.  Buche 
der  Metamorphosen  finden,  durch  die  Annahme  zu  erklären,  daß  beide 
aus  einer  gemeinsamen  Quelle,  wahrscheinlich  der  Schrift  des  A.,  ge- 
schöpft haben.  Näheres  s.  in  der  Rezension  von  R.  Ehwald  Fortschr. 
80  (1895)  S.  44  f.,  dessen  Beurteilung  der  Polleschen  Hypothese  im 
wesentlichen  das  Richtige  zu  treffen  scheint.  Die  Verwandtschaft  zwischen 
Diodor  und  Ovid  ist,  wie  Ehwald  darthut,  teils  sehr  entfernt,  teils  nur 
scheinbar.  Den  Ähnlichkeiten  stehen  ferner  mindestens  ebenso  viele  Unter- 
schiede gegenüber.  Aber  auch  die  von  P.  behaupteten  Übereinstimmungen 
sowohl  Diodors  wie  Ovids  mit  A.  sind  zum  Teil  sehr  zweifelhafter  Art. 
Wenn  P.  z.  B.  die  cognati  semina  (^^  oi^epixaTa  bei  A.)  caeli  I  81  mit 
der  Darstellung  bei  Irenaeus  II  14,2  und  den  deus  et  melior  natura 
I  21  sowie  den  opifex  rerum  I  79  und  muudi  fabricator  157  mit  dem 
Nus  des  A.  zusammenstellt,  so  fehlt  in  den  Worten  I  80  f.:  tellus  .  .  . 
retinebat  semina  caeli  gerade  der  charakteristische  Zug  der  decidentia 
semina  bei  Iren.,  und  Ovid  giebt  überdies  diese  Ansicht  nur  als  eine 
Variante  (sive-sive),  die  eine  von  der  Hauptquelle  abweichende  Auf- 
fassung enthält.  Diese  der  Darstellung  Polles  gegenüber  völlig  zu- 
treffende Bemerkung  Ehwalds  läßt  nur  außer  betracht,  daß  die  Mit- 
teilung bei  Iren.,  in  der  P.  eine  getreue  Wiedergabe  der  anaxagoreischeu 
Lehre  von  der  Entstehung  der  Lebewesen  erblickt,  keinen  Glauben 
verdient  (s.  0.  S.  73).  Vielleicht  ist  gerade  in  der  Ovidischen  Fassung, 
nach  der  die  Erde  die  vor  ihrer  Trennung  von  dem  Himmel  empfangenen 
Samen  des  Äthers  bewahrt,  die  wahre  Ansicht  des  A.  erhalten  (vgl. 
Censorin.  d.  d.  nat.  6,  2:  aetherium  inesse  calorem).  Auch  sonst  lassen 
sich  einzelne  Übereinstimmungen    zwischen  Ovid    und  A.  nicht  leugnen 

6* 


84       Bericht  über  die  griechischen  Piiiloeopben  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

(nur  hätte  H.  Magnus  in  seiner  kurzen  Besprechung  der  Abhandlunp, 
Jahresber.  d.  philologischen  Vereins  in  Zschr.  f.  d.  Gymn.  W.  1896 
S.  78  nicht  auf  die  auffallende  Ähnlichkeit  des  Citates  aus  Eurip. 
[Fr.  488]  bei  Diodor  mit  Ovid  I  6  und  andern  Ovidstellen  Wert  legen 
sollen,  da  jenes  Fr.,  wie  wiederholt  bemerkt,  schwerlich  auf  A.  zurück- 
weist). Aber  ganz  unglaublich  ist,  daß  ein  Dichter  wie  Ovid  die  Schrilt 
des  A.  selbst  und  noch  dazu,  wie  man  annehmen  müßte,  neben  einer  Anzahl 
anderer  Originalquellen  durchstudiert  haben  sollte;  er  wird  vielmehr, 
wie  Ehwald  glaubt,  eine  doxographische  Quelle  benutzt  haben,  die  haupt- 
sächlich stoische  Veise  enthielt,  aber  die  Meinungen  anderer  Philosophen 
kurz  berühite  [etwa  Poseidonios?];  auf  eine  solche  führen  auch  die  un- 
leugbaren Übereinstimmungen  mit  Heraklit  und  Seneca;  vgl.  H.  Magnus 
Jahrb.  f.  kl.  Ph.  37  (1891)  S.  698  ff. 

2.    Znm  Texte  der  Fragmente. 

Die  uns  erhaltenen  Fragmente  stehen  in  ihrer  ursprünglichen 
Gestalt  fast  ausschließlich  bei  Simpl.  ad  phys.  In  der  Dielsschen  Aus- 
gabe, auf  die  ich  hier  verweise  (s.  das  Verzeichnis  im  2.  Bande  der 
Ausg.  S.  1439  f.),  haben  wir  natürlich  einen  viel  zuverlässigeren  Text, 
als  ihn  Schaubach  und  Schorn,  von  MuUach  zu  schweigen ,  iii  ihren 
*Saramlungen  bieten  konnten.  —  Ein  neues  Fr.  hat  Diels  Atacta  Herrn. 
13  S.  1.  ff.  (s.  ßer.  I  276)  bei  Gregor  Naz.  ed.  Migne  t.  36  S.  911 
entdeckt:  neu?  7ap  av  ex  p.7)  tpr/o?  YevTjxai  (1.  7evoiTo)  Opt$  xat  aapE 
ix  fxY)  aapxo;;  es  ist  an  die  Stelle  des  16.  Fr.  bei  Schaubach  zu  setzen, 
das  nichts  als  eine  Umschreibung  der  aristotel.  Worte  phys.  203  a  24  ff. 
durch  Simpl.  416,  25  ff.  enthält;  vgl.  Aet.  I  3,  5  S.  279  a  9  und  dazu 
die  Anmerkung  von  Diels.  Ein  zweites  von  den  Herausgebern  über- 
sehenes Bruchstück  findet  sich  bei  Simpl.  d.  cael.  608,  26  (s.  Zeller 
986,  1):  cuaxe  Ttüv  a7:oxptvo[JL£V(DV  p,-?)  eiSevai  xo  ti:X^9oc  [at^xe 
X67t}>  ixTf]xe  ep7i|>.  Auf  ein  gleichfalls  bisher  übersehenes  Wort  des 
Philosophen  bei  Plut.  d.  foit.  3  S.  98  F  über  die  kluge  Verwertung 
der  Vorzüge  der  Tiere  durch  den  Menschen  weist  Gomperz  Gr.  D. 
445  hin.  Von  Verbesserungsvorschlägeu  sind  außer  Zellers  dnXöov 
(Fr.  6) ,  das  bereits  S.  63  t.  angeführt  worden  ist,  noch  folgende  zu 
erwähnen.  Gomperz  Beitr.  IV  S.  21,  1  will  in  Fr.  6:  iszb  xoü 
ffjxixpoü  rjpEaxo  uepf/tupeiv  unter  Berufung  auf  Herodot  I  58  (dzc»  aixtxpou 
xeu  xTjv  ap'/Y)v  opixujjxevov)  aTto  xtu  lesen;  nicht  von  ,,dem  Kleinen", 
sondern  von  „einem  kleinen  Punkte"  aus  habe  A.  den  vom  Nus  erteilten 
Bewegungsanstoß  sich  verbreiten  lassen;  Diels  S.  156.  23  hat  diese, 
wie  mir  scheint,  sehr  beachtenswerte  Konjektur  unerwähnt  gelassen.  — 
Fr.  15  (Simpl.  164,  18);  xö  ^otp  iov  oux  laxi  xo  [xt)  oux  eivat  hat  Zeller 
bereits   in    der  4.   Aufl.  der  Ph.  d.  Gr.    (s.  I  5  989,  2)    treffend  xo|x.^ 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)       85 

oux  eTvai  vermutet:  „es  ist  unmöglich,  daß  das  Seiende  durch  unendliche 
Teilung  zu  nichte  werde";  von  Schulteß  und  Wellmann  bei  Ritter  und 
Preller ^  121  aufgenommen.  Verfehlt  ist  der  Vorschlag  Toich  mü Hers 
N.  Stud.  II  29  Anm.:  t6  [xr;  ov  eivai  —  Aus  der  Übersetzung  der 
Fragmente  bei  Burnet  earl.  gr.  ph.  282  ff.  und  dem  beigefügten 
Kommentar  sei  folgendes  angeführt.  Fr.  3  ergänzt  B.  willkürlich  ev 
T.äsi  ToTc  ouYxpivofievotc  <xoa}ji.oi;>  (vgl.  über  die  verkehrte  Hypothese 
von  einer  Vielheit  der  Welten  bei  A.  o.  S.  77).  Fr.  10  verbindet  B.  mit 
Fr.  3,  wie  dies  Simpl.  an  drei  Stellen  thut,  und  setzt  mit  demselben  Simpl. 
(S.  35,  14)  Fr.  11  unmittelbar  [aber  Simpl.  sagt  |j.6t'  6X170 v  97)71] 
hinter  Fr.  10.  Der  Schluß  von  Fr.  10:  Taüxa  ouv  jxtjv  XEXexxai  Trepi  ttj? 
oTToxpiato;  (so  DE,  aTToxpiseu);  a  F)  xtX,  den  Schorn  dem  Simpl. 
zuschrieb,  gehört  nach  B.  dem  A.  selbst,  wie  die  ionische  Form  beweist; 
auch  Diels  S.  35,  8  zieht  ihn  mit  zu  den  Worten  des  A.  Fr.  4  streicht  B. 
die  Worte  77JC  TioXXf^c  ivouarj?  als  eine  Glosse  zu  der  wahrscheinlich 
dui'ch  sie  verdrängten  ursprünglichen  Lesung  dtpaioü  xal  tiuxvoü  (vgl. 
Fr.  6).  Fr.  12  schließt  er  sich  au  die  von  Diels  zu  S.  157,  7  vorge- 
schlagenen Verbesserungen  an;  nur  im  Anfange  will  er  nicht  mit  D. 
6  8e  voüc,  «uc  dtei  tote,  xotpra,  sondern  6  8.  v.  ^jwv  x'esxi  xpoTeet 
lesen;  falsch,  da  beim  Nominativ  die  Assimilation  des  Relativums  aus- 
geschlossen ist. 

3.  Zu  Archelaos. 

Wenn  auch  in  der  Berichtszeit  keine  Monographie  über  Archelaos 
erschienen  ist,  so  sind  doch  in  verschiedenen  Schriften  einzelne  Beiträge 
zu  seiner  Philosophie  geliefert  worden. 

Zu  der  Notiz  bei  Euseb.  pr.  ev.  X  14,  8,  daß  Arch.  zuerst  in 
Lampsakos  die  Schule  des  Anaxagoras  übernommen  und  erst  später  von 
dort  nach  Athen  übergesiedelt  sei,  vermutet  Zell  er  1031,  1,  wohl  mit 
Recht,  dies  sei  nur  aus  seinem  Diadocbenverhältnis  zu  Anaxag.  gefolgert 
worden.  Wenn  Zeller  aber  ebenda  die  Bemerkung  bei  Laert.  II  16: 
ouToc  TcpcÜTOc  ex  xfjC  'Iiüvi'ac  tt/j  <puaixY)v  9iXopocpiav  ixern^-fa^ev  'A&TQva^e 
im  Widerspruch  zu  W.  Volkmann  Quaest.  d.  Diog.  L.  c.  I  (s.  Bericht 
I  185)  nicht  als  eine  auf  Anaxag.  bezügliche  Randbemerkung  gelten 
lassen  will,  sondern  nach  wie  vor  auf  Arch.  bezieht,  so  kann  ich  ihm 
darin  nicht  beistimmen. 

Zu  dem  Abriß  der  Lehre  des  Arch.  bei  Hippolyt.  I  9  hat  Diels 
in  den  Doxogr.  563  f.  mehrere  Verbessernn^svorschläge  gemacht,  von 
denen  einer  (S.  564,  8)  ypr^aöat  (statt  yprjjsaöai  oder  ypTQjajÖaO  ^ap 
exGKJTov  xal  tcüv  I^iüuj^  t(u  viG  (statt  a(ü[xaTu)v  oata)  von  Zeller  1036,2 
gebilligt  wird.  Dagegen  schlägt  dieser  1034,  16  statt  elvai  0'  äp/ac 
TT);    xivr^aeuj;   dTTOxpivetJilai   (S.  563,   16)  vor:     ev  6'    ap-/aT;    Sta  x^c 


36       Bericht  über  die  griechischen  Philo-sophen  vor  Sokrates.    (Lortzing. 

XIV.  oder  i.  8.  d.  x^;  xiv.  vor,  während  Diels  unter  Berufung  auf 
Laert.  II  16  (6uo  amac  slvai  -^sveascü;)  vermutet  hatte:  elvai  6e  <ouo> 
dp^a«.  T.  X.,  <ac>  dzoxptvcOat.  —  Die  verderbte  Stelle  bei  Laert.  II  17 
in.  hat  Byk.  d.  vorsokr.  Phil.  I  247  f.  durch  eine  Umstellung  heilen 
wollen,  die  Zeller  1035,  2  mit  Recht  zurückweist;  er  selbst  hatte  schon 
in  einer  frühereu  Auflage  statt  -eptppeT  vorgeschlagen  uupl  tepippeixat 
sowie  statt  des  im  Zusammenhange  sinnlosen  xaöö  jxev  ei?  xo  irupGSec 
auviaxaxai:  TnrjXöioe«;;  Reiske  in  den  von  Diels  veröffentlichen  Aniraadv, 
in  Laert.  Diog.  (s.  Bericht  I  188)  S.  307  hatte,  wie  später  Ritter 
I  342,  xuptüSe«  vermutet;  Diels  selbst  denkt  an  xpo^üiSec  und  ver- 
gleicht Äet.  III  9,  5. 

Über  die  Physik  des  Arch.  handelt  Dümmler  an  zwei  Stellen 
der  Akadem.  S.  106  weist  er  zutreffend  darauf  hin,  daß  in  der  Lehre 
von  der  e^x^tot;  oder  eTrixXtai?  xou  x6a|jLou  Arch.  sich  zwar  im  ganzen  an 
Anaxagoras  und  Diogenes  anschließt,  in  einem  Puukte  aber  von  ihnen 
abweicht.  Während  jene  beiden  die  Neigung  des  Kosmos  erst  nach  der 
Erzeugung  der  lebenden  Wesen  eintreten  ließen,  nahm  Arch.  an,  daß 
die  Erde,  die  er  sich  wie  eine  hohle  Schale  dachte,  vor  der  Ittixäij'.; 
dunkel  und  schlammig  war,  da  die  am  Horizonte  kreisende  Sonne  wegen 
der  erhöhten  Ränder  der  Erde  diese  nicht  bescheinen  konnte;  nath  der 
eTiixXtJi;  sei  dann  die  Erde  trocken  geworden,  und  nun  erst  hätten  sich 
auf  ihr  Menschen  und  Tiere  gebildet,  die  sich  vom  Schlamme  ernährten 
und  kurzlebig  waren,  bis  sie  sich  später  unter  einander  fortpflanzten. 
Diese  Abweichung  aber  ist,  wie  D.  hinzufügt,  von  keiner  wesentlichen 
Bedeutung  für  die  dem  Arch  mit  den  beiden  anderen  Philosophen  ge- 
meinsame teleologische  Auffassung,  nach  der  die  eTiixXiJi;  um  der  leben- 
den Wesen  willen  eingetreten  ist.  —  S.  232  ff.  findet  D.  Anklänge  an 
die  Ansicht  des  Arch.,  daß  sich  die  ersten  Menschen  vom  Erdschlamm 
ernährt  hätten,  in  der  12.  Rede  des  Dion  Chrysost.,  die  gewöhnlich  auf 
eine  stoische  Quelle  zurückgeführt  wird  (s.  Wendland  Arch.  I  209); 
Dion  habe  zwar  schwerlich  unmittelbar  aus  Arch.  geschöpft,  aber  einen 
der  ältesten  Kyniker  benutzt,  der  sich  eng  an  die  ionischen  Physio- 
logen wie  Diogenes  und  Arch.  angeschlossen  habe.  Mit  Recht  erklärt 
Zeller  1036,  4  diese  Vermutung  für  unsicher,  wenn  sie  auch  möglicher- 
weise das  Richtige  treffe.  —  Eine  kurze,  aber  treffende  Darstellung  der 
Naturphilosophie  des  Arch.  giebt  Gomperz  Gr.  D.  304,  an  deren 
Schluß  er  bemerkt,  daß  Arch.  bei  dem  Versuche  einer  Umbildung  oder 
besser  Rückbildung  der  auaxagoreischen  Lehre  nicht  nur  durch  Anaxi- 
menes,  sondern  auch  durch  Parraenides,  vielleicht  auch  durch  Anaxi- 
mander  beeinflußt  worden  sei. 

Über    die    Frage,    ob  Arch.    neben    der  Physik    auch  ethische 
Untersuchungen  angestellt  habe,  sind  die  Meinungen  geteilt.     Während 


Bericht  über  die  gricchiscben  Philosopheo  vor  Sokrates.    ^Lortzin(,'.)       87 

sie  Dümmler  Ak.  257  (vgl.  122)  entschieden  bejaht,  indem  er  Arcii. 
durch  die  sophistische  Staatstheorie  (Hippias)  beeinflußt  sein  läßt,  und 
Goraperz  323  ihn  als  den  ersten  schriftstellerischen  Vertreter  der 
Unterscheidung  zwischen  Natur  und  Satzung  auf  dem  Gebiete  der  staat- 
lichen und  gesellschaftlichen  Erscheinungen  bezeichnet,  beharrt  Zeller 
auch  in  der  5.  Aufl.  (1037  f.  mit  Anm.  5)  bei  der  Meinung,  daß  eine 
nähere  Beschäftigung  mit  ethischen  Fragen,  wie  sie  Sext.  math.  VII  14 
und  Laert,  II  16  ihm  beilegen,  im  höchsten  Grade  unwahrscheinlich  sei. 
Seine  Beweisgründe  indes  scheinen  mir  nicht  durchschlagend.  Er  be- 
ruft sich  zunäclist  auf  das  völlige  Schweigen  des  Piaton  und  AristoL, 
von  denen  letzterer  die  Hinwendung  zur  Ethik  von  Sokrates,  nicht 
von  Ärch.  ableitete.  Dieses  argumentum  ex  silentio  ist  sehr  be- 
denklich; hat  doch  Aristot.  weder  Demokrits  Ethik  noch  Aristipp 
als  Philosophen  mit  einem  Worte  berührt.  Wenn  Z.  hinzufügt,  daß 
auch  Hippolyt.  keinen  ethischen  Satz  von  Arch.  berichtet,  so  ist  da- 
gegen zu  bemerken,  daß  doch  aus  seiner  Darstellung  hervorgeht,  daß 
Arch.,  nachdem  er  die  Entstehung  der  Lebewesen  behandelt  hatte,  auf 
die  Anfänge  staatlicher  und  gesellschaftlicher  Ordnung  bei  den  Menschen 
eingegangen  sein  muß.  Hierbei  lag  es  für  ihn  nahe,  die  Frage  des 
Unterschiedes  zwischen  dem  natürlichen  Rechte  und  den  menschlichen 
Satzungen  zu  erörtern,  wie  dieä  ja  nachweislich  der  doch  wohl  nicht 
viel  jüngere  Hippias  gethan  hat.  Wir  haben  daher  keinen  hinreichenden 
Grund,  zu  bestreiten,  daß  die  Bemerkung  des  Laert.,  Arch.  habe  be- 
hauptet To  Sixaiov  elvat  xal  to  aia/pov  oii  (pujei,  dXXd  v6|xcii ,  nicht  auf 
alter  Überlieferung  beruhe  (vgl.  Diels  Arch.  I  250).  Z.  nimmt  daran 
Anstoß,  daß  danach  bereits  Arch.  ausgesprochen  haben  müßte,  was  wir 
nicht  allein  bei  den  ältesten  Sophisten,  sondern  auch  bei  Hippias  in 
dieser  Allgemeinheit  noch  nicht  finden.  Aber  wenn  wir  wirklich  dem 
Arch.  eine  so  scharfe  und  umfassende  Bestimmung  des  Gegensatzes  von 
tpusi;  und  vojjloj  nicht  zutrauen  dürfen,  so  hindert  uns  nichts,  anzu- 
nehmen, daß  die  hierauf  bezüglichen  Betrachtungen  des  Arch.  noch 
nicht  von  diesem  selbst,  sondern  erst  in  der  späteren  doxographischen 
Überlieferung  jene  kurze  und  scharfe  wissenschaftliche  Formulierung 
erhalten  haben. 

H.    Die  Atomiker 

1.    LeokippoSt 

362.  E.  ßohde.  Das  Verhältnis  der  beiden  Begiünder  des  ato- 
mistischen  Materialismus,  der  griechischen  Philosophen  Leucipp  und 
Democrit.  Verb.  d.  34.  Philologenvers,  zu  Trier  1879.  Leipzig  1880. 
S.  64—90. 


88       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

363.  H.  Di  eis,  Über  Leukipp  und  Demokrit.    Verh.  d.  35.  Phi- 
lolo^envers.  zu  Stettin.     Leipzig-,  Teubner  1887.     S.  96-112. 

364.  E.  Rohde,  Nochmals  Leukippos  und  Deinokritos.  N.  Jahib. 
f.  Philol.  123  (1881)  S.  741— 748. 

365.  P.  Natorp,  Diogenes  von  Apollonia.    Rh.  Mus.  41  (1886) 
S.  349-363. 

366.  H.  Diels,  Leukippos  und  Diogenes  v.  Apollonia.    Rh.  Mus. 
42  (1887)  S.  1—14. 

367.  P,  Natorp,  Nochmals  Diogenes  und  Leukippos.    Rh.  Mus. 
42  (1887)  S.  374—385. 

Die  Person  und  Bedeutung  Leukipps,  sein  Verhältnis  zu  De- 
mokrit und  Diogenes  sind  während  der  Berichtszeit  Gegenstand  einer 
lebhaften  Erörterung  gewesen,  zu  der  Rohde  (No.  362)  durch  die 
Leugnung  der  Existenz  dieses  Philosophen  den  Anstoß  gegeben  hat. 
Er  sucht  zunächst  den  leukippischen  Anteil  an  der  atomistischen  Lehre 
von  dem  demokritischen  in  einer  freilich  keineswegs  erschöpfenden 
Untersuchung  zu  sondern  und  gelangt  zu  dem  Resultat,  daß  für  Demo- 
krit fast  nichts  als  Kleinigkeiten  übrig  bleiben.  Diese  aus  der  aristote- 
lischen Darstellung  der  Lehre  beider  Philosophen  sich  ergebende  Kon- 
sequenz scheint  ihm  aber  mit  der  thatsächlichen  Bedeutung,  die  in  der 
gesamten  Überlieferung-  des  Altertums  außerhalb  des  aristotelisch-theo- 
phrastischen  Kreises  den  beiden  Männern  beigemessen  wird,  in  einem 
solchen  Widerspruch  zu  stehen,  daß  er,  um  ihr  zu  entgehen,  kein  Be- 
denken trägt,  Aristot.  und  Theophr.  eines  fundamentalen  Irrtums  in 
bezug  auf  die  Person  des  Leukipp  zu  bezichtigen  und  diesen  für  ein 
Phantom  zu  erklären;  in  Wirklichkeit  habs  es  vor  Dem.  keine  Ato- 
mistik gegeben ;  alles,  was  von  L.  berichtet  werde,  sei  Demokrits  Eigen- 
tum, der  dieses  System  völlig  selbständig  erfunden  und  durchgeführt 
habe.  Ihre  hauptsächlichen  Stützpunkte  hat  diese  Auffassung  in  den 
Worten  Epikurs  bei  Laert.  X  13:  aXX'  ouSe  Aeuxtimov  Ttva  7c7evrj(ji)ai 
ydodotpov ,  d.  h.  es  habe  kein  Philosoph  L.  existiert.  Zu  einer  an- 
scheinend so  paradoxen  Behauptung  konnte  sich,  so  meint  R.,  Epikur 
nur  berechtigt  glauben,  weil  von  Leukipps  leiblichem  Dasein  und  seiner 
Thätigkeit  keine  sichere  Spur  vorhanden  war  (bei  Dem.  wurde  er  ohne 
Zweifel  nicht  erwähnt),  und  weil  der  [xe^ac  öiaxoj|i.oc  nur  von  Theophr. 
ausdrücklich  dem  L.  zugeschrieben  wurde,  während  er  in  der  sonstigen 
Überlieferung  fast  durchweg  als  demokritisch  galt.  Auch  der  Verfasser 
der  Schrift  d.  X.  M.  G.  980  a  7  spricht  mit  den  Worten  Iv  toTc  Asu- 
xiTTTToo  xaXoo}xevoic  X^Yotc  seinen  Zweifel  an  dem  leukippischen  Ursprünge 
der  Schrift  aus.  Diese  Gründe  hält  R.  für  gewichtig  genug,  um  sich 
in  der  zwischen  Epikur  und  Theophrast  herrschenden  Kontroverse  ent- 


Beiidit  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzlng. )       89 

schieden  auf  die  Seite  jenes  zu  stellen.  L.  hat  seinen  Platz  in  der 
Geschichte  der  Philosophie  nnr  dadurch  behauptet,  dali  er  bei  der  später 
übliohen,  wahrscheinlicii  auf  Sotion  (in  diesem  glaubt  R  das  Bindeglied 
zwischen  Hippolytos  und  Laertios  zu  sehen)  zurückgehenden  Zweiteilung 
der  Philosophie  in  eine  ionische  und  italische  Reihe  zur  mechanischen 
Verknüpfung  der  Demokriteer  mit  den  Eleaten  notwendig  war.  Aber 
diese  Annahme  eines  L.  war  keineswegs  allgemein.  Apollodor  hat  in 
seinen  Chronika  schwerlich  zwischen  Zenon  (464)  und  Demokrit  (420) 
L.  eingeschoben,  da  bei  ihm  der  Unterschied  zwischen  Meister  und 
Jünger  i-e^elmäßig  40  Jahre  betrug;  vielmehr  war  nach  ihm  Dem. 
wahi'scheinlich  ein  Schüler  des  Anaxagoras  (den  Altersunterschied  von 
40  Jahren  zwischen  beiden  hat  ApoUodor  nicht  bei  Dem.  vorgefunden, 
bei  dem  er  nur  las:  veo;  xaxa  Tipsj^'jTTjv  'Ava^a-yopav  ^v,  sondern  nur 
durch  Berechnung  gefolgert).  Nicht  bloß  Lnkrez,  sondern  auch  Sext. 
Emp.  nennt  den  L,  nie  (am  auffälligsten  ist  sein  Schweigen  math. 
IX  363),  und  Cicero  de  nat  deor.  IT  66  spricht  zweifelnd  von  ihm: 
Democriti  sive  etiam  ante  Leucippi  [R.  beachtet  nicht,  daß  diese 
Worte  innerhalb  einer  gegen  einen  Epikureer  gerichteten  Ausführung 
stehen  und  daher  offenbar  mit  besonderer  Vorsicht  gewählt  sind  (s. 
Zeller  837,  1);  in  der  auf  Tlieophr.  zurückgehenden  Stelle  Luc.  118 
dagegen  nennt  Cic,  den  L.  ohne  Hinzufügnng  irgend  eines  Zweifels  und 
reilit  ihm  Dem.  als  seinen  in  den  Prinzipien  mit  ihm  durchaus  über- 
einstimmenden Nachfolger  an;  vgl.  Diels  Dox.  120  f.].  Gerade  der 
\i.i'('x;  3iaxo3(xo;,  der  wahrscheinlich  das  Weltgauze  darstellte,  während 
der  [xixpoc  öiaxosjxoc  die  Welt  des  Menschen  behandelte,  gilt  in  der 
nachtheophrastischen  Zeit  allgemein  als  demokritisch.  Von  einer  Berück- 
bichtiguDg  der  Atomistik  vor  Dem.,  etwa  bei  Anaxagoras  oder  Melissos, 
kann  R.  keine  Spur  entdecken. 

Gege:<  diese  Ausführungen  wendet  sich  mit  einigen  kurzen  Be- 
merkungen F.  Kern  in  einem  Nachtrage  zu  seiner  später  zu  besprechen- 
den Abh.  über  Demokrits  Ethik  (Zschr.  f.  Philos.,  Ergänzungsh.  1880) 
S.  23 — 26.  Die  Äußerung  Epikurs  vermag  er  nicht  mit  Rohde  so  auf- 
zulassen, als  ob  ein  Philosoph  L.  überhaupt  nicht  existiert  habe, 
<ftX6ao<pov  könne  nur  prädikativ  genommen  werden  (?).  Auch  handle 
es  sich  nach  dem  Zusammenhange  nur  um  die  Leugnung  des  Lehrer- 
verhältnisses, nicht  um  die  der  Existenz  der  beiden  Philosophen 
Nausiphanes  (?)  oder  L.  Mit  dieser  grammatisch  und  sachlich  unhalt- 
baren Deutung  der  Stelle  (auf  den  Zusammenhang  ist  an  vielen  Stellen 
des  Laert.  nach  der  Art,  wie  sein  "Werk  zu  stände  gekommen  ist 
[s.  Ber.  I  188  und  185ff.J,  kein  Wert  zu  legen)  läßt  sich  Rohdes  Hypo- 
these nicht  beseitigen.  Überzeugend  dagegen  sind  die  Argumente,  mit 
denen  D.iels  (No.  363)  diese  Hypothese  bekämpft. 


90       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing  ) 

D.  erklärt  sich  zunächst  mit  Rohdes  Auffassuntr  der  Äußerung 
Epikurs  über  L.  einverstanden;  xiva  bezeichne  nicht,  wie  Zeller  früher 
annahm,  „ein  uainhafter" ,  sondern  habe  einen  polemischeu  Charakter, 
wie  unser  „ein  gewisser",  und  cpiXoaocpov  sei  nur  hinzugefügt,  weil  es 
möglicherweise  homonyme  Männer  anderen  Standes  gebe.  Auch  darin 
giebt  er  Rohde  recht,  daß  die  Lehre  des  L.  uns  nur  in  den  von  Aristot. 
und  Theophr.  gegebenen  Berichten  voi liege,  was  aber  auch  für  andere 
Philosophen  wie  Anaximander,  Archelaos  und  so  ziemlich  auch  für 
Xenophanes  gelte,  sowie  darin,  daß  nach  diesen  Berichten  Leukipps 
System  mit  dem  Demokrits  in  allem  Wesentlichen  vollständig  überein- 
stimme (eine  der  nebensächlichen  Differenzen  ist  die  leukippische  Er- 
kläiiing  des  Donners  aus  dem  eingeschlossenen  Feuer  [Aet.  III  3,  lOj, 
die  sich  an  Anaximander  anlehnt,  während  Dem.  [ebd.  §  II]  mit  seinem 
a'JYxptixa  avcu|xaXov  offenbar  durch  Anaxagoras  [ebd.  §  4,  vgl.  II  30,  2J 
beeinflußt  ist.  Rohdes  Behauptung  dagegen,  daß  die  Lehre  von  der 
Subjektivität  der  Empfindungsqualitäten  dem  Dem.,  aber  nirgends  dem 
L.  zugeschrieben  werde,  ist  falsch  (vgl.  Aet.  IV  9,  8);  der  Satz:  ete-^ 
aTO|xa  xat  xsvov,  td  81  äXXa  Travta  doidCzTOLi  mag  den  Worten  nach  Dem. 
gehören,  aber  unzweifelhaft  ist  dieses  dem  eleatischeu  Programm  direkt 
nachgebildete  Schibboleth  des  Materialismus  ebenso  gut  leukippisch). 
Ebenso  ist  gegen  den  Schluß,  den  R.  daraus  zieht,  daß  dann  also  Dem. 
dem  L.  nicht  selbständiger  als  etwa  Theophr.  dem  Aristot.  gegenüber- 
stände, nichts  einzuwenden.  Dagegen  befindet  sich  E.  in  einem  schweren 
Irrtum,  wenn  er,  durch  die  vorgefaßte  Idee  von  Demokrits  Originalität 
verführt,  die  Existenz  des  L.  zu  leugnen  und  damit  Aristot.  und  Theophr., 
die  Grund-  und  Ecksteine  unserer  Kenntnis  der  vorsokratischen  Philo- 
sophie, als  betrogene  Betrüger  hinstellt  und  zwar  in  einer  Frage,  in  der 
es  sich  nicht  um  die  Kritik  und  Auffassung  fremder  Systeme,  sondern 
um  die  durch  Aristot.  wohlverbüigte  historische  Existenz  eines  gewaltigen 
Denkers  handelt.  Freilich  wissen  weder  Geschichte  noch  Sage  etwas 
von  Leukipps  Lebensumständen  zu  berichten,  abgesehen  von  der 
doppelten  Angabe  über  seine  Vaterstadt  bei  Theophr.,  die  nicht  bloß 
aus  Leukipps  Schriften  geschöpft  sein  kann,  sondern  auf  anderweitige 
Überlieferung  de,utet.  Aber  dieses  Schweigen  beweist  nur,  daß  seine 
Persönlichkeit  sich  auf  die  innere  Thätigkeit  der  Schule  beschränkte 
und  darum  bei  den  Zeitgenossen  rasch  in  Vergessenheit  geriet.  Wenn 
Aristot.  zuerst  mit  Dem.  den  L.  nennt,  so  hat  er  dies  sicherlich  nicht 
auf  ein  unbestimmtes  Gerücht  oder  auf  bloße  Büchertitel  hin,  sondern 
auf  grund  einer  genauen  Tradition  über  die  Geschichte  der  Atomistik 
gethan.  Daß  die  vulgäre  Überlieferung  später  L.  ganz  vergessen 
konnte,  erklärt  sich  daraus,  daß  Leukipps  Schriften  nur  unter  Demokrits 
Namen  umgingen.    Dies  konnte  um  so  leichter  geschehen,  als  keine  von 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing).       91 

den    philosophischen  Schriften    den    5.  Jahrhunderts   einen  prägnanten, 
vom  Schriftsteller  selbst  gewählten  Titel  gehabt  zu  haben  scheint;    sie 
werden    unter    der    stereotypen  Aufschrift    rspl  ^üjstü;,    bisweilen  auch 
Trepi  Toü  ovToc  mit  Recht  oder  Unrecht  zusaramengefaßt.     Und  wie  der 
Titel,    80    fehlte    auch  der  Name  [aber  er  stand  in  den  Prosaschriften 
des  5.  Jahrhunderts  gewöhnlich  am  Anfange  der  Schrift  selbst;  s.  Ber. 
1275  und  wasDiels  selbst  später  zu  Fr.  1  seiner  Heraklitausg.  bemerkt  hat]. 
So  blieb  der  Name  des  Meisters  mehr  in  der  Tradition  als  in  den  Exem- 
plaren erhalten.    Das  demokritische  Korpus  ist  daher  wahrscheinlich  als 
das  Archiv  der  atomistischen  Schule   aufzufassen,    in  dem  Älteres  und 
Jüngeres  sich  an  das  Hauptwerk  angeschlossen  hat.    In  der  That  stehen 
dann  auch   im   thrasyllschen  Kataloge  der  demokritischen  Schriften  die 
beiden  von  Theophr.  dem  L.  zugeschriebenen  Bücher  ixe^ac  (3iay.oa|i,o;  und 
rept  voü.     Das  Verhältnis  des  (xixpoc  zum  ^.£7«;  6iaxoa|xof    ist  nicht  das 
des  Makrokosmos    zum  Mikrokosmos,    sondern    ist  nach  Analogie    von 
fxtxpa  'IXiac  und  'iTiniac  |j.etCa>v  u.  s.  w.  zu  beurteilen.    Auch  konnte  der 
kleine    Diakosmos    nicht    gut    die    Anthropologie    enthalten,    da    Dem. 
daun  dasselbe  Thema  in  dem  Werke  Tiepl  dvOpcoKou  cpucjto?  bebandelt  habeo 
müßte.     Das    einfachste    ist,    im    großen  Diakosmos    die  Urschrift  des 
Meisters    zu    erblicken,    die   sein  Schüler  im  kleinen  Diakosmos  in  eiu 
kürzeres  System  brachte.    Gegen  Rohdes  Annahme,  daß  die  zweite  Schrift 
des  L.,  Trepi  voü,  auf  einfacher  Verwechselung  mit  Dero,  beruhe,  da  L. 
so    gut    wie    ausschließlich    von    den    kosmologischen  Grundsätzen    der 
Atomistik    gehandelt    habe,    bemerkt    D.   treffend,    daß    die    wichtige, 
in    der   peripatetischeu   Quelle    dem  L.   zugeschriebe    Lehre    von    den 
Bildern,    auf  denen  die  atomistische  Psychologie  aufgebaut  ist,    nur  in 
der  leukippischen  Schrift  r.i^\  voü  stehen  konnte.     Die  bei  Aet.  1  25,  4 
aus    dieser  Schrift    augeführten  Worte   fügen  sich  ungezwungen  in  den 
mutmaßlichen    Gedankeninhalt     der    Schrift;     denn     der     konsequente 
Materialismus  mußte  auch  die  Geistesthätigkcit  auf  die    £i}j,ap(X£vr,,    ins 
Physikalische  übersetzt,  auf  die  Schwerkraft,  zuiückführen.     Der  Titel 
:i£pl  voü  erklärt  sich  daraus,  daß  den  Atomikern  «{>u'/y)  und  voü;  dasselbe 
war  und  L.  die  aiaÖYjji?  und  die  vorjat;  auf  gleiche  Weise  aus  den  tiduiXt 
entstehen  ließ.     Daraus  endlich,  daß  Epikur  in  den  Schriften  Demokrits 
den  Namen    des  L.  nicht  erwähnt  gefunden  hat,    dürfen  wir  nicht  mit 
ihm    den  Schluß  ziehen,    L.  habe  nicht  existiert.     Dem.  brauchte  nach 
antiker  Sitte  den  Namen  seines  Lehrers  so  wenig  zu  nennen  wie  Theophr. 
und  Eudemos  den  des  Aristot.,  zumal  mau  nur  dann  Namen  von  Autoren 
zu  bringen  pflegte,  wenn  man  von  ihnen  abwich     Wenn  die  traditionellen 
Exemplare  die  Schrift  des  L.  unter  Demokrits  Namen  führten,  so  war 
für    die  alexandrinischen  Bibliothekare  die  Sache  entschieden,    und  sie 
glaubten    genug    gethan    zu   haben,    wenn  sie  die  abweichende  Ansicht 


92       Bericht  üher  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates,    (Lortzing.) 

Theopbrasts  erwähnt  hatten.  —  Nach  dieser  Zurückweisung  der 
Rohdeschen  Argumente  bringt  D.  nun  auch  noch  einen  positiven  Nach- 
weis für  die  Existenz  des  L.  Dem.  wirkte  und  schrieb  um  d.  J.  420, 
jedenfalls  vor  Anaxagoras.  Wenn  sich  also  bei  einem  der  früheren 
Philosophen  sichere  Spuren  von  einer  Einwirkung  der  Atomistik  wahr- 
nehmen lassen,  so  kann  nur  L.  der  Urheber  des  Systems  sein.  D. 
will  ganz  davon  absehen,  daß  Zeller  1026  f.  und  983  f.  mit  großer 
Wahrscheinlichkeit  eine  Abhängigkeit  des  Anaxagoras  und  Melissos  von 
der  Atomistik  behauptet  und  daß  Empedokles  (s.  o.  S.  43  f.)  in  wichtigen 
Punkten  seiner  Lehre  an  dasselbe  System  anknüpft  (wenn  Rohde  um- 
gekehrt den  Namen  des  Emp.  in  einer  angeblich  leukippischen  Schrift 
gefunden  haben  will,  so  beruht  dies  auf  einem  Mißverständnis  von 
Aristot.  de.  gen.  325b  5.  Ebenso  mißverstanden  hat  R.  Ps.-Arist. 
de  X.  M.  G.  980  a  7,  wo  Iv  xoic  Aeuxitruou  xaXouixe'voic  Xo7otc  sicher  nicht 
ein  Gorglas  entlehntes  Citat  ist,  sondern  auf  iVristot.  325  a  11  zurück- 
geht; in  xaXouixe'vot;  liegt  kein  Zweifel  an  L.,  sondern  es  deutet  das 
Ungewöhnliche  des  Ausdruckes  Xo7ot  an).  Aber  von  Dioge  nes  bezeugt 
Theophr.  Phys.  op.  Fr.  2  mit  deutlichen  Worten,  er  habe  sein  System 
eklektisch  aus  Anaxagoras  und  L.  zusammengestellt.  Rohde  mag  recht 
haben,  daß  dies  nichts  weiter  bedeute,  als  daß  Diogenes  dem  [xe-i-ac 
6iaxo(j[j.o;  manches  entlehnt  habe.  Aber  Diogenes  schrieb  nach 
Anaxagoras,  den  er  benutzte,  und  vor  den  aristophanischen  Wolken, 
die  ihn  parodierten.  Viele  physikalische  Scherze  in  diesem  Stücke 
passen  wenig  auf  Sokrates,  vortrefflich  aber  auf  Diogenes,  dessen  Theorie 
entweder  durch  ihre  Wunderlichkeit  oder  durch  die  Anklage,  die  ihm 
nach  Laert.  IX  57  [s.  jedoch  Volkmann  d.  Diog.  Laert.  I  S.  6,  der 
nachgewiesen  hat,  daß  hier  ein  auf  Anaxagoras  bezügliches  Einschiebsel 
vorliegt;  vgl.  Zeller  259,  1]  seine  Freigeisterei  zugezogen  zu  haben 
Fcheint,  die  Aufmerksamkeit  der  Athener  erregt  haben  muß.  Vor  allem 
entspricht  Wolken  227- 233  genau  der  Lehre,  ja  der  Terminologie  des 
Diog.  (vgl.  besonders  das  für  Diog.  typische  ix|xac),  wie  bereits  Petersen 
Hippocr.  scripta  ad  terap.  rat.  dispos.  Hamburg  1839  nachgewiesen  hat. 
Nur  die  ebenso  eigentümliche  wie  lächerliche  Lufttheorie  des  Diog.  kann 
hier  verspottet  sein,  nicht  etwa,  wie  R.  meint,  die  ähnliche  Meinung 
Heraklits,  die  dem  athenischen  Publikum  viel  zu  fern  lag  und  schwer 
verständlich  war.  Wenn  v.  264  Sokrates  und  sein  Schüler  zu  dem 
Herrscher  'Atqp  beten,  so  thun  sie  es  genau  im  Sinne  des  Diog. 
(Philodem  d.  piet.  I  6b  und  Diog.  Fr.  3).  Man  wird  es  jetzt  nicht 
mehr  auffällig  finden,  daß  die  formenwechselnde  Luft  auch  bei  Aristoph. 
bald  als  leuchtender  Äther,  bald  als  unermeßliches  Chaos,  das  an 
mehreren  Stellen  nicht  die  Leere,  sondern  die  Luft  bedeutet,  bald  als 
Nebel  göttlicher  Verehrung  gewürdigt  wird,  noch,  daß  das  nach  Diog. 


Bericht  übei-  dio  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    iLorlzing.)       9-» 

mit  dem  Denken  identische  Atemholen  (avairvoT])!  als  Göttin  augerufen 
wird  (v.  627).  So  erst  versteht  man  den  Titel  und  die  ganze  Anlage 
des  Stückes,  den  Chor  der  Wolken  als  weiblichen  Vertretern  des  'Ai^p. 
(Eine  Anspielung  auf  Diog.  findet  D.  auch  bei  Demokr.  fr.  var.  arg. 
5  Mull.,  wo  unter  den  Xo-fiot  avdpuiirot  dieser  Philosoph  zu  verstebeu 
sei;  vgl.  Diog.  Fr.  3  und  6.  Letzteres  schwebte  auch  bei  Eurip.Troad.  884 
vor  [S.  0.  S.  82].)  Da  hiernach  Diog.  seine  Physik  vor  423  veröffentliclro 
haben  muß,  da  er  ferner  den  großen  Diakosmos  benutzt  hat  und  eine 
genauere  Zwischenzeit  anzunehmen  ist,  in  der  das  atomistische  System 
dem  Apolloniaten  und  dessen  Philosophie  wieder  dem  athenischen  Publikum 
bekannt  werden  konnte,  so  kann  nicht  Dem.,  sondern  nur  L.  der  Verfasser 
des  ixe^a;  Siaxo^jxoj  sein,  den  wir  uns  30 — 40  Jahre  älter  als  Dem.  denken 
werden.  L.  ist  und  bleibt  also  der  geniale  Erfinder  der  Atomistik, 
Dem.  aber  ihr  beredtester  Apostel,  der  wegen  seines  wahrhaft  aristote- 
lischen Forschertriebes,  der  großartigen  Vielseitigkeit  seiner  Studien  und 
der  Formvollendung  seiner  Schriften  neben  L.  mit  Ehren  genannt  zu 
werden  verdient.  Er  ist  auch  der  Altmeister  der  Philologie,  der,  wie 
das  Verzeichnis  Thrasylls  lehrt  (das  (jvoixajtixo'v  ist  vermutlich  keine 
demokritische  Schrift,  sondern  das  nach  antiker  Sitte  [vgl.  Hippokrates] 
dazu  gehörige  Wörterbuch),  an  Homer  anknüpfend  zuerst  in  umfassender 
Weise  die  Gesetze  der  Musik,  der  Poesie  und  der  Sprache  überhaupt 
festzustellen  unternommen  hat. 

Dem  schweren  Geschütze  dieser  Gründe  hat  das  lockere  Gefüge 
der  Rohdeschen  Hypothesen  nicht  standhalten  können.  Mit  vollem 
Rechte  schließt  sich  Zell  er  838  f.  (vgl.  274  f.)  den  Hauptergebnissen 
der  Dielsschen  Beweisführung  an  und  bemerkt,  daß  R.  durch  ihn  er- 
schöpfend widerlegt  worden  sei.  An  diesem  Ergebnis  wird  auch  durch 
den  in  No.  364  unternommenen  Versuch  Rolides,  seine  Hypothese  zu 
verteidigen,  nichts  irgendwie  Wesentliches  geändert.  R.  erklärt  Diels' 
Voraussetzung,  die  traditionellen  Exemplare  hätten  die  Leukippschen 
Schriften  unter  Demokrits  Namen  geführt,  erst  Aristot.  und  Theophr. 
hätten  sie,  auf  der  internen  Überlieferung  der  atomistischen  Schule 
Jußend,  dem  L.  zugesprochen,  und  der  Tradition  zuliebe  hätten  sie 
dann  die  Alexandriner  wieder  an  Demokrits  Namen  geknüpft,  haupt- 
sächlich aus  folgenden  Gründen  für  unwahrscheiulich:  1.  Jene  Schul- 
traditiou  mußte  doch  dem  Epikur,  der  Schüler  des  Nausiphanes  war, 
mindestens  ebenso  zugänglich  gewesen  sein  wie  dem  Aristot.;  zu  Epikurs 
Zeiten  aber  wußte  man  so  wenig  von  L. ,  daß  jener  es  wagen  konnte, 
seine  Existenz  zu  leugnen.  Man  darf  doch  dem  Epikur  nicht  eine 
Flunkerei  so  auf  gut  Glück  zutrauen,  zumal  er  in  diesem  Falle  nicht 
das  geringste  Interesse  an  der  Entstellung  der  Wahrheit  hatte.  Für 
das  gelehrte  Altertum  war  die  Existenz  des  L.  so  gut  wie  ausgelöscht, 


94       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

[aber  in  der  doxog-raphischen  und  biographischen  Litteratur  lebte  er 
doch  fort;  s.  Aet.  und  Laert.],  und  die  Schrift  oder  die  Schriften,  die 
nach  Theophr.  dem  L.  gehörten  (R.  giebt  jetzt  zu,  daß  Th.  auch  die 
Schrift  TT.  vou  möglicherweise  auf  L.  zurückführte),  teilte  man  dem  Dem. 
zu.  2.  Diels  schlägt  die  kritische  Befähigung  des  Kallimachos  und  der 
alexandrinischen  Bibliothekare  überhaupt  zu  gering  an.  Selbst  Thrasyll 
schloß  die  dtJuvTaxxa  aus  dem  Bestände  der  deraokritischen  Schriften 
aus.  Daß  gerade  in  diesen  Schriften,  für  die  Kallimachos  nachweislich 
eine  besondei-e  Vorliebe  hatte,  scharfe  Kritik  geübt  worden  ist,  beweist 
die  von  Diels  übergangene  Notiz  bei  Suidas  s.  v.  AirjixoxpiToc,  echt 
seien  nur  der  [XE^a?  oiaxoajxo;  und  Tcepl  cpuaetu?  xoafxou.  Die  Alexandriner 
werden  also  ihre  Gründe  gehabt  haben,  von  der  ihnen  wohlbekannten 
Ansicht  des  Aristot.  und  Theophr.  abzuweichen.  Aus  diesen  und  ähn- 
lichen Gründen  verwirft  R.  die  Dielssche  Auffassung  und  beharrt  bei 
der  seinigen,  nach  welcher  der  ehedem  fälschlich  unter  Leukipps  Namen 
verbreitete  und  als  eine  Schrift  dieses  Philosophen  von  Aristot.  benutzte 
\j.i-{(xi  öiaxo3|xoc  späterhin  dem  L.  abgesprochen  und  dem  Dem.  zuge- 
sprochen wurde.  Die  Annahme,  daß  auch  Aristot.  durch  eine  unrich- 
tige Überschrift  getäuscht  sein  könne,  hält  er  für  kein  Sakrileg;  habe 
doch  z.  B.  Theophr.  in  der  Zuteilung  der  Nixtou  d7ioXo7ta  an  Lysias 
geirrt.  —  Diese  Ausführungen  beweisen  nur,  daß  sich  in  einer  so  kom- 
plizierten Frage  leicht  allerlei  Schwierigkeiten  herausfinden  lassen,  die 
in  einwandsfreier  Weise  zu  beseitigen  bei  der  Dürftigkeit  unserer  Über- 
lieferung oft  unmöglich  ist.  Aber  den  Kern  der  Sache  trifft  Rohdes 
Argumentation  nicht;  sie  ist  vielmehr  so  recht  dazu  angethan,  ihn  zu 
verhüllen.  Die  Hauptfrage,  der  gegenüber  hier  alles  andere  als  neben- 
sächliches Beiwerk  erscheint,  lautet  so:  sollen  wir  in  diesem  Streite 
über  einen  der  wichtigsten  Punkte  der  Philosophiegeschichte  dem  klaren 
Zeugnis  der  besten  und  zuverlässigsten  Kenner  der  vorsokratischen 
Systeme  oder  dem  gelegentlich  hingeworfenen  Paradoxon  eines  Epikur 
folgen?  Die  Antwort  kann  für  den  unbefangenen  Beurteiler  nicht 
zweifelhaft  sein.  Vgl.  die  außerhalb  unserer  Berichtszeit  liegenden 
„Demokritstudien"  Dyroffs  §  1  und  dazu  meine  Rezension  Berl.  Philol. 
W.-Schr.  1900,  1538  f.  Es  liegt  hiernach  für  uns  keine  Veranlassung- 
vor,  auf  die  einzelnen  Argumente  Rohdes  einzugehen.  Bemerken  will 
ich  nur,  daß  es  sonderbar  anmutet,  wenn  ein  so  gründlicher  Quellen- 
forscher wie  R.  sich  auf  jene  absonderliche  Notiz  bei  Suid.  über  die 
beiden  einzigen  echten  Schriften  Demokrits  beruft,  eine  Notiz,  die  sich 
ßchon  durch  den  sonst  nirgends  überlieferten  Titel  tc.  cpuasu)?  xocjfxou 
verdächtig  macht  und,  mag  sie  stammen,  woher  sie  wolle,  sicher  nicht 
auf  Kallimachos  zurückgeht.  —  Beachtenswerter  ist.  was  R.  am  Schlüsse 
gegen  Diels'  Versuch    einwendet,    die   Unmöglichkeit,    daß    Dem.    den 


Bericht  über  die  griechischen' Philosophen   vor   Sokrates.  (Lortzing.)        9ö 

^.£7«;  5iaxoa|j.o;  verfaßt  habe,  chronologisch  darzuthun.  Allerdings  will 
er  die  früher  vou  ihm  bezweifelte  Thatsache,  daß  Diog.  in  den  Wolken 
parodiert  werde,  nicht  mehr  in  Abrede  stellen.  Aber  indem  Diels  be- 
haupte, Dem.  habe  um  420  geschrieben,  zeige  er,  daß  er  dem  Zeugni'^ 
Apollodors  zu  große  Bedeutung  beilege,  und  setze  sich  dadurch  mit 
seiner  eigenen  Ansicht  über  den  absoluten  Wert  der  chronologischen 
Ermittelungen  Apollodors  [s.  Ber.  I  195J  in  Widerspruch.  Wenn  dieser 
den  Dem.  gerade  um  40  Jahre  jünger  sein  ließ  als  Anaxagoras.  für 
dessen  Schüler  er  ihn  gehalten  zu  haben  scheint  (?),  so  dürfe  man  dies 
doch  nicht  als  historische  Thatsache  ansehen.  Dem.  könne  ebensogut 
etwa  475  wie  460  geboren  sein  und  bis  423  oder  auch  schon  bis  etwa 
435  seinen  |i.e7a;  öiofxosixoc  geschrieben  haben.  Aus  solchen  chronolo- 
gischen Erwägungen  sei  die  Entscheidung  der  Streitfrage  nicht  zu  ge- 
winnen. Dieser  Einwand  hat  eine  gewisse  Berechtigung.  Wenn  der 
Nachweis,  daß  sich  Diog.  an  L.  angeschlossen  habe,  lediglich  von  der 
Zuverlässigkeit  der  Angabe  über  Demokrits  Geburtsjahr  (460)  und  seine 
d/.ixr,  (420)  abhinge,  so  würde  er  auf  keiner  allzu  sicheien  Grundlage 
ruhen  (s.  Zeller  839  ft.).  Aber  wie  man  auch  über  den  Wert  des 
apollodorischen  Zeugnisses  denken  mag,  es  giebt  andere,  teils  auf  glaub- 
würdige Berichte,  teils  auf  Dogmenvergleichung  sich  stützende  Gründe, 
die  es  unwahrscheinlich  machen,  daß  Dem.  mit  der  Darstellung  seines 
Systems  erheblich  früher  als  um  420  hervorgetreten  sei.  Empedokles, 
der  frühestens  492  geboren  w'urde  (s.  Ber.  I  201),  wird  seine  Ousixa 
kanm  vor  der  Mitte  des  Jahrhunderts  geschrieben  haben.  Ihm  folgte 
nach  der  bekannten  Äußerung  des  Aristot. ,  die  in  dem  inneren  Ver- 
hältnis der  beidorseitigen  Lehren  ihre  Bestätigung  findet,  als  Schrift- 
steller Anaxagoras  nach.  Auch  Melissos  hatte  den  Emped.  und,  wie 
sich  unschwer  aus  Fr.  17  nachweisen  ließe,  auch  Anaxag.  vor  Augen. 
Nimmt  man  mm  hinzu,  daß  Dem.  nicht  nur  gegen  Anaxag,  sondern 
auch  gegen  Protag.,  dessen  'AXv^Oeia  ohne  Zweifel  später  als  die  Schriften 
der  genannten  Philosophen  erschienen  ist,  polemisiert  hat,  und  bedenkt 
man,  daß  die  Produktion  philosophischer  Schriften  ebenso  wie  ihre 
Wirkung  in  die  Eerne  in  damaliger  Zeit  nicht  sehr  schnell  vor  sich 
gegangen  sein  kann,  so  wird  man  Demokrits  Banptschrift  mindestens 
sehr  nahe  an  die  erste  Aufführung  der  Wolken  (423)  rücken  müssen. 
"V.'ie  soll  da  noch  Raum  bleiben  für  die  Veröffentlichung  der  Lehre  des 
Diog.  und  ihre  allgemeine  Verbreitung  in  weiten  Kreisen  des  atheni- 
schen Volkes,  wie  sie  die  aristophanische  Komödie  voraussetzt?  Weitere 
Gründe  für  eine  spätere  Ansetzung  der  schriftstellerischen  Wirksamkeit 
Demokrits  s.  zu  No.  366.  Mag  man  aber  auch  alle  diese  chronologischen 
Berechraingen  als  ein  zu  unsicheres  Fundament  nicht  gelten  lassen,  so 
bleibt  doch  das  Zeugnis  des  Theophr.  über  die  Abhängigkeit  des  Dem. 


1)6       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

von  L. ,  das  wegen  der  Autorität  seines  Urhebers  nicht  verworfen 
werden  kann  und  durch  bestimmte  noch  uns  erkennbare  Überein- 
stimmungen in  Einzelheiten  der  Lehre  bekräftigt  wird  (s.  Zeller  275,  4). 
Schiebt  man  hier  mit  B,.  an  Stelle  des  L.  den  Dem.  unter,  so  ergiebt 
sich  der  Widersinn,  daß  Diog.  gerade  in  solchen  Lehren  (vgl.  das  oben 
über  die  Erklärung  des  Donners  Bemerkte)  mit  Dem.  zusammentreffen 
würde,  die  von  der  sonst  überlieferten  Auffassung  des  Abderiten  ab- 
weichen. Derartige  Differenzen  mit  R.  auf  Widersprüche  Demokrits 
mit  sich  selbst  zurückführen  hieße  denn  doch  den  Knoten  zerhauen, 
nicht  lösen.  Es  ist  höchst  auffällig,  daß  R.  diesen  wichtigsten  der  von 
Diels  gegen  ihn  angeführten  Gründe  in  der  2.  Abh.  völlig  übergeht. 
Gesteht  er  damit  nicht  die  Schwäche  seiner  Sache  einV 

Aus  diesem  Streite  hat  sich  eine  neue  Fehde  zwischen  Natorp 
und  Diels  entsponnen,  die  sich  hauptsächlich  um  das  zuletzt  besprochene 
Verhältnis  des  Diog.  zu  Leuk.  und  Dem.  dreht.  Natorp  (No.  365) 
bestreitet  die  Bündigkeit  der  Dielsschen  Schlußfolgerung,  nach  welcher 
der  von  Diog.  kompilierte  [xe^a;  öiaxoafjioc  nicht  von  Dem.  herrühren 
kann.  Wenn  er  sich  hierbei  zunächst  in  chronologischer  Hinsicht  gegen 
Diels'  Ansätze  und  für  ünger  erklärt,  der  die  Angaben  Diodors  (Dem. 
gest.  404,  9ü  J.  alt)  wieder  zu  Ehren  gebracht  habe  (?),  und' demge- 
mäß Demokrits  schriftstellerische  Thätigkeit  spätestens  440  beginnen 
läßt,  so  hat  er  sich  durch  diese  Vertretung  des  chronologischen  Systems 
(vgl.  Ber.  I  201)  den  nicht  ganz  unverdienten  Vorwurf  von  Diels 
(No.  366)  zugezogen,  daß  er  in  chronologischen  Fragen  ein  Dilettant 
sei.  Er  leugnet  ferner  den  Anschluß  des  Diog.  an  Anaxagoras  und  L. 
Die  darauf  bezüglichen  Angaben  bei  Simplicius  brauche  man  durchaus 
nicht,  wie  Diels  in  den  Doxogr.  477,  5  flf.  thut,  mit  zu  den  Exzerpten 
aus  Theophr.  zu  rechnen.  Aber  auch  aus  der  Lehre  des  Diog.  selbst 
lasse  sich  eine  Abhängigkeit  von  jenen  beiden  Philosophen  nicht  er- 
schließen. Mit  L.  wenigstens  habe  bisher  noch  niemand  irgend  eine 
Übereinstimmung  nachweisen  können.  Wenn  Diog.  bei  Aet.  II  4,  6 
mit  Anaxag.,  L  u.  a.  weg-en  der  Lehre  von  der  Vergänglichkeit  der 
Welt  zusammengestellt  werde,  so  sei  dies  ein  Versehen,  da  anderwärts 
(bei  Simpl.  phys.  1121,  12)  die  Lehre  des  Diog.  vom  Weltuntergange 
mit  der  des  Anaxiraenes  und  Heraklit  zusammengefaßt  und  von  der 
anders  gearteten  des  Anaximaiider,  Leuk.,  Dem.  und  Epikur  getrennt 
werde  [nach  Zeller  251  vertragen  sich  beide  Angaben  wohl  mit  einander]. 
Noch  unglaublicher  sei  die  Angabe  bei  Laert.  IX  57 :  x6c7[jlou;  (J^eipouc 
xai  xevciv  aueipov,  da  Diog.  unmöglich  zugleich  die  unendliche  Luft  und 
das  unendliche  Leere  behaupten  konnte  [dies  mag  zutreffen;  aber  der- 
artige eine  Reihe  von  Philosophen  zusammenfassende  Berichte  sind  über- 
haupt mit  großer  Vorsicht  zu  benutzen;    viel    wichtiger    sind    die    ge- 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)       97 

sonderten  Berichte  über  Demokrits  Erklärung  einzelner  physikalischer 
Erscheinungen,  und  da  ist  es  doch  merkwürdig,  daß  N.  die  von 
Diels  S.  97,  7  angeführte  Ansicht  des  Dem.  über  die  Entstehung  des 
Donners,  die  die  Lehren  des  Anaxagoras  und  des  L.  verknüpft  und 
von  der  des  Dem.  sich  deutlich  unterscheidet,  ganz  unbeachtet  läßt]. 
Zwischen  Diog.  und  Anaxag.  seien  zwar  Übereinstimmungen  in  Einzel- 
heiten erweislich,  aber  sie  erlaubten  keinen  Schluß  auf  wesentliche  Ab- 
hängigkeit jenes  von  diesem.  Diog.,  so  führt  N.  weiter  aus,  gehört, 
wie  auch  Schleiermacher  und  Krische  annehmen,  durchaus  der  alten 
Richtung  der  ionischen  Naturphilosophie  an  und  ist  von  der  Atomistik, 
ebenso  wie  von  Anaxagoras  unberührt  geblieben  [wie  stimmt  das  zu  dem 
eben  zugegebenen  Zurückgreifen  des  Diog.  auf  Anaxag.  in  Einzelheiten?]. 
Dem  anaxagoreischen  Dualismus  steht  er  ganz  fern.  Wenn  er  dem  Ur- 
stoffe  voTjai?  beilegt,  so  hat  das  mit  dem  voü;  des  Anaxag.  nichts  zu 
thun ;  denn  dieser  steht  dem  Stoffe  gegenüber,  während  nach  Diog.  der 
Stoff  die  Vernunft  selber  ist  und  sie  in  sich  trägt.  In  dieser  Belebung 
des  Stoffes  kommt  er  mit  Anaximander  überein,  und  noch  näher  steht 
er  dem  Anaximenes,  dem  das  seelenhafte  7repir/ov  gleichfalls  als  göttlich 
gilt.  Auch  Heraklit  war  darin  dem  Diog.  vorangegangen.  An  den 
Ephesier  erinnert  seine  Lehre  selbst  in  solchen  Einzelheiten  wie  die, 
daß  die  trockenste  Seele  die  beste  ist.  Die  Widersprüche,  die  Zeller 
272  f.  in  der  Lehre  des  Diog.  finden  will,  treffen  diesen  nicht  oder  doch 
nicht  in  höherem  Maße  als  die  ganze  alte  Physiologie.  Wir  müssen  im 
Einklang  mit  Aristot.*)  und  vermutlich  auch  mit  Theophr.  (?)  in  seiner 
Lehre  einen  späten  Ausläufer  der  altionischen  Naturphilosophie  sehen, 
der  den  wesentlichen  Charakter  dieser  treu  bewahrt  hat.  Damit  ist 
nicht  ausgeschlossen,  daß  er  gegen  Anaxag.  polemisiert  und  dabei  von 
diesem  wie  von  Emped.  Einzelheiten  übernommen  hat.  Daß  sich  De- 
mokrits Worte  (fr.  var.  arg.  6)  auf  Diog.  beziehen,  ist  möglich,  aber 
nicht  sicher.  Bei  Eurip.  Troad.  884  dagegen  möchte  N.  lieber  eine 
Hinweisung  auf  Heraklit  Er,  65  sehen  [aber  beide  Stellen  haben  nichts 
mit  einander  gemein;  bei  Herakl.  ist  weder  von  der  Luft  noch  vom  voy; 
ßpoTüiv  noch  von  der  dva-^xT)  cpojtoc  die  Rede]. 

*}  Aristot.  nennt  nur  einmal  (984  a  5)  Diog.  mit  Anaximenes  zu- 
sammen als  Vertreter  der  Luftlehre;  in  der  Psychologie  (407a  21)  reiht  er 
ihn  an  Dem.,  Anaxag.  (!)  und  Thaies  an  und  läßt  ihm  den  Heraklit  folgen; 
in  der  Lehre  vom  Atmen  der  Tiere  endlich  (470  b  30)  stellt  er  zwischen 
ihm  und  Anaxag.  (!)  eine  weitgehende  Übereinstimmung  und  zugleich  einen 
Gegensatz  gegen  Dem.  (!)  fest.  An  den  wenigen  Stellen,  wo  sonst  noch 
Diog.  erwähnt  oder  auf  ihn  hingedeutet  wird,  erscheint  er  isoliert  (s.  Bonitz 
im  Index  Aristot.).  Wie  kann  sich  N.  bei  diesem  Thatbestande  auf  Aristot. 
berufen  ? 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    (1903.    I )  7 


98       Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzlng.) 

In  seiner  Entgegnung  auf  Natorps  Augriffe  weist  Diels  (No.  366) 
nach  Zurückweisung  der  Ungerschen  Ansätze  (s.  o.)  zunächst  auf  die 
chronologische  Unwahrscheinlichkeit  der  Annahme  hio ,  daß  Dem. 
spätestens  um  440  als  Schriftsteller  aufgetreten  sei.  Wenn  Dem.  den 
jj-e^a«  oiaxoa[jio;,  das  klassische  Buch  der  Atomistik,  geschrieben  hat» 
so  würde  man  eher  noch  ein  höheres  Lebensalter  als  das  40.  Jahr 
voraussetzen  müssen,  da  die  alten  Philosophen  iu  einem  früheren  Lebens- 
alter keine  selbständige  Weltanschauung  aufstellten.  Die  Reminiscenz 
an  Anaxag.  im  (juxpo?  oiaxoaixo?  läßt  sich  viel  leichter  auf  eiuen  Ver- 
storbenen als  auf  einen  Lebenden  beziehen.  Auch  muß  die  Begegnung 
mit  Anaxag.  (Laert.  IX  34)  in  die  letzten  Lebensjahre  dieses  Philo- 
sophen fallen,  die  er  in  Lampsakos  zubrachte,  etwa  um  430.  Dauaclr 
in  seine  Vaterstadt  zurückgekehrt,  muß  Dem.  seine  systematischen 
Schriften  angefangen  haben  und  könnte  daher  den  ixe^ac  otay.oojxoc  nicht, 
vor  420  verfaßt  haben.  Die  Stelle  Aristot.  642  a24  (vgl.  987  b  1  und 
1078b  17),  auf  die  sich  N.  berufen  hatte,  beweist  nichts  für  eine  An- 
setzung  des  Dem.  vor  Sokrates,  da  Aristot.  dort  jeder  chronologischen 
Entscheidung  aus  dem  Wege  geht  und  man  überdies  nur  an  die  letzte 
Zeit  der  sokratischen  Schule  denken  kann.  Die  von  Schleiermacher 
ausgesprochenen  Bedenken  gegen  die  Autorität  des  theophrastischen 
Zeugnisses  sind  jetzt  hinfällig,  nachdem  der  Ursprung  der  theophrasti- 
schen Exzerpte  bei  Simplic.  aus  den  Oujty.al  ö6$ai  durch  Diels  dargethaa 
ist.  Theophr.  geht  besonders  darauf  aus,  die  Priorität  der  einzelne» 
Gedanken  festzustellen,  die  Eigentümlichkeiten  jedes  Philosophen  zu 
betonen  und  wiederum  die  Stellen  zu  bezeichnen,  wo  er  mit  andern 
zusammentrifft  (D,  führt  zum  Erweise  dessen  eine  große  Anzahl  voa 
Beispielen  an).  Auch  in  Theophrasts  irepl  aiJÖrjTÜiv  ist  viel  von  den 
tota  und  xotva  der  Philosophen  die  Rede.  Danach  erkennt  man  in  dem 
Bericht  über  Diog.  deutlich  die  Methode  Theophrasts:  in  den  Prinzipien 
folgt  Diog.  dem  Anaximenes,  in  den  meisten  übrigen  Dogmen  eklektisch 
dem  Anaxag.  und  L.  Bei  keinem  andern  Biographen  oder  Kommentator 
ließe  sich  die  Tendenz  einer  solchen  Dogmenvergleichung  erklären,  keiner 
würde  die  Fähigkeit  besessen  haben,  über  Entlehnungen  des  Diog.  aus 
L.  sich  ein  Urteil  zu  erlauben  außer  Theophr.,  nach  dem,  wie  Rohde 
gezeigt  hat,  kein  Mensch  mehr  eine  selbständige  Vorstellung  von  L. 
hatte.  Außerdem  kommt  aü|XTCS(popr)[j,evtu;  =  eklektisch  in  der  spätere» 
Litteratur  nicht  vor  (Doxogr.  81,  4),  wohl  aber  bei  dem  Zeitgenossea 
Tlieophrasts,  Epikur,  Der  von  N.  vermißte  Nachweis,  daß  Diog.  den 
jj-e^a?  StaxoGjxoj  benutzt  hat,  ist  von  Diels  No.  363  S.  97,  7  (s.  o,  S.  92). 
geführt  worden.  Solche  Entlehnungen  aus  L.  und  Anaxag.  beziehen  sich 
hauptsächlich  auf  das  Physikalische,  nicht  auf  das  Metaphysische  und  Er- 
kenntnistheoretische, obwohl  es  auch  an  Übereinstimmungen  in  wichtigeren. 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates,    (Lortzing.)       99 

Dingen  nicht  fehlt  (vgl.  Aet.  IV  9,  8  nnd  Diels  a.  a.  0.  98  g.  E.).  Wenn 
N.  den  Dielsschen  Nachweis  diogenischer  Anklänge  in  Eurip.  Troad. 
nicht  gelten  lassen  und  hier  Heraklits  Spur  erkennen  will,  so  ist  es 
lächerlich,  den  Zeus,  der  die  Erde  hält  und  auf  der  Erde  seinen  Sitz 
hat,  der  heraklitischen  Feuerseele  gleichzusetzen.  Auch  die  Verweisung 
auf  einen  der  dunkelsten  Aussprüche  Heraklits  ist  wertlos  [s.  o.J.  Am 
allerverkehrtesten  aber  ist  das  Argument,  Eurip.  werde  doch  lieber  auf 
einen  wahrhaft  großen  Philosophen  als  gerade  auf  Diog.  angespielt  haben, 
zumal  da  dieser  bereits  dem  Spotte  der  Komödie  verfallen  gewesen  sei. 
D.  führt  eine  Stelle  aus  Ps.-Hippokr.  de  flat.  c.  3  (VI  94  Littr.)  an, 
die  nach  Inhalt  und  Terminologie  den  Einfluß  des  Diog.  verrät  (vgl. 
Ilberg  stud.  Pseudippocr.  21);  der  letzte  Satz  aXXa  ixrjv  xal  tj  7^  toutou 
ßcxBpov  ouTo?  xe  77]c  o/.^P-*  ^^^  genau  dieselbe  Stelle  vor  Augen  wie 
Eurip.,  nur  daß  der  Sophist  das  technische  ßadpov  unverändert  bei- 
behalten, der  Dichter  dagegen  paraphrasiert  hat. 

Was  Natorp  diesen  durchaus  zutreffenden  Ausführungen  gegen- 
über in  No.  367  vorbringt,  will  wenig  besagen.  Abgesehen  von  der 
Erklärung  der  Euripidesverse  (N.  giebt  die  Beziehung  auf  Heraklit 
preis,  bleibt  aber  dabei,  daß  die  Grundanschanung  im  wesentlichen 
heraklitisch  sei),  wiederholt  er  nur  seine  früheren  Behauptungen,  ohne 
auf  die  eigentlich  entscheidenden  Beweise  seines  Gegners  einzugehen. 
Die  wenigen  neuen  Gründe,  die  er  für  seine  Auffassung  anführt,  sind 
nicht  stichhaltig.  Gegen  den  theophrastischen  Ursprung  der  Mitteilung 
bei  Simpl.  soll  der  Umstand  sprechen,  daß  Theophr.  d.  sens.  Diog.  in 
einer  Reihe  neben  den  bedeutendsten  Philosophen  behandelt,  wobei  er 
ihm  durchaus  nicht  den  Vorwurf  der  unselbständigen  Kompilation  macht, 
sondern  ihn  vielmehr  beschuldigt,  zu  einseitig  alles  aus  seinem  Prinzip 
abzuleiten  (Doxogr.  512,  11;  513,  7).  Aber  Theophr.  behandelt  hier 
die  dem  Diog.  eigentümliche  Lehre  von  der  Luft  als  Ursache  der 
Wahrnehmung  und  hat  daher  keiue  Gelegenheit,  auf  seine  Abhängig- 
keit von  Anaxag.  oder  L.  aufmerksam  zu  machen.  Übrigens  bespricht 
er  diese  Lehre  mit  unverkennbarer  Geringschätzung  und  bezeichnet  sie 
als  widersinnig  und  einfältig.  —  Eine  spezielle  Übereinstimmung  des 
Diog.  mit  der  atomistischen  Lehre  vermag  N.  auch  jetzt  noch  nicht  zu 
erkennen.  In  den  beiden  von  Diels  angeführten  Fällen  sei  der  Nach- 
weis dafür  nicht  erbracht.  Aus  einer  Vergleichung  von  Aet.  III  7  und  8 
(in  §  8  will  N,  ajisjsi  uotoijvTOf  statt  ttoioüv  lesen)  ergebe  sich,  daß 
Diog.  in  der  Erklärung  dßs  Blitzes  und  Donners  fast  völlig  mit  Em- 
pedokles,  viel  mehr  jedenfalls  als  mit  L.  oder  gar  mit  Anaxag.  zu- 
sammentreffe, und  Aet.  IV  9,  8  sei  die  Überlieferung  ganz  unglaubwürdig; 
Diog.  könne  unmöglich  die  Subjektivität  der  Qualitäten  behauptet  haben, 
weil  dies  mit  seinem  Prinzip  im  schroffsten  Widerspruch  stehen  würde.  — 

7* 


100     Bericht  über  die  gri^^chisehen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Gegen  diese  Behandlung  der  beiden  Aetiosstellen  bemerkt  Diels  in  seinem 
Berichte  über  Natorps  Abh.  (Archiv  I  241  f.):  1-  Emped.  selbst  ist  in 
der  Erklärung  des  Gewitters  von  Leukipps  Darstellung  abhängig.  Nach 
Natorps  Auffassung  müßte  Diog.  das  von  Emp.  in  Licht  verwandelte 
Feuer  des  L.  erst  wieder  in  die  ursprüngliche  Bedeutung  zurückver- 
wandelt haben,  anstatt  einfach  die  authentische  Lehre  des  L.  herüber- 
zunehmen. 2)  Im  absoluten  Sinne  hat  allerdings  Diog.  die  Subjektivität 
der  Sinnesempfindungen  nicht  gelehrt,  ebensowenig  aber  die  Atomistik. 
Wenn  also  Diog.  auch  die  Qualitäten  als  xpoTioi  des  einen  Urstoffs  real 
auffaßte,  so  konnte,  ja  mußte  er  die  einzelnen  ahbri-zd,  wie  die  Atomisten, 
durch  die  verschiedenen  xpoTioi  der  voYjaic  individuell  verschieden  d.  h. 
vofxü)  apperzerpieren  lassen  (vgl.  Fr.  2  cpaiverai,  sowie  Simpl.  152,  3  und 
die  ganze  Darstellung  bei  Theophr.  d.  seus.  §  46  ff.).  Auch  Archelaos 
hat,  der  sophistischen  Zeitströmmung  folgend,  Recht  und  Unrecht  für 
konventionell  (vojAtii)   erklärt. 

Nachdem  aus  diesem  Doppelkampf  um  Leukipp  und  Diogenes 
Diels  als  Sieger  hervorgegangen  war,  ruhte  der  Streit  ein  Jahrzehnt 
lang,  bis  am  Schlüsse  der  Berichtszeit  Tannery  einen  neuen  Angriff 
auf  die  geschichtliche  Existenz  des  L.  machte.  Es  geschah  das  im  ersten 
Teile  derselben  Abh.  (Pseudonymes  antiques),  deren  zweiten  und"  dritten 
wir  bereits  unter  No.  226  (vgl.  No.  227  und  228)  besprochen  haben. 
Wie  die  Nachläufer  des  Pythagoreismus,  Hiketas  und  Ekphantos,  so 
versucht  T.  auch  den  L.  aus  dem  Gebiete  der  Geschichte  in  das  der 
litterarischen  Erfindung  zu  verdrängen.  Nach  seiner  Auffassung,  die 
er  freilich  vorsichtigerweise  in  eine  hypothetische  Form  kleidet,  hat 
Dem.  die  Grundzüge  der  atomistischen  Lehre  unter  dem  Pseudo- 
nym Leukippos  veröffentlicht.  Wie  Aristot.,  wenn  er  Sokrates  citiert, 
den  platonischen  meint,  wie  er  von  Piaton  sprechend  sehr  oft  nur  an 
dessen  mündliche  Lehren  denkt,  wie  er  selbst  mit  Herakleides  Pont, 
und  Hestiaios  solche  Lehren  in  den  X6701  Tiepl  xd-za^oü  redigiert  hatte, 
und  wie  diese  von  Theophr.  nachgeahmte  Gewohnheit  die  Doxographen 
verleiten  konnte,  fingierte  Personen  für  wirkliche  zu  halten,  so  ist  es 
auch  zweifelhaft,  ob  L.  wirklich  existiert  hat.  Wenn  Epikur  dies 
leugnete,  so  liegt  darin  das  Zugeständnis,  daß  er  in  Abdera  keinerlei 
Anekdoten  über  L.  wie  die  über  Protagoras  gehört  hatte,  während  er 
das  von  Aristot.  und  Theophr.  als  leukippisch  bezeichnete  Werk  sicher 
gut  kannte.  Nehmen  wir  an.  Dem.  habe  den  fj-e-^a?  Staxoaixoc  redigiert 
und  dabei  etwa  so  begonnen:  ,Das  ist  es,  was  ich  den  L.  habe  sagen 
hören,  der  mein  Freund  gewesen  ist,"  so  erklärt  sich  das  Fehlen  jeder 
biographischen  Notiz  über  L.  und  ebenso  die  Art,  wie  sich  Aristot.  (?) 
und  Epikur  über  ihn  änßein,  endlich  auch  die  verschiedenen  Bezeichnungen 
des  Autors  jener  Schrift.     Aus  dieser  Annahme  würde  folgen,  daß  die 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     lyl 

Atomistik  erst  nach  Eniped.  und  Anaxag.  dargestellt  worden  ist,  was 
keine  Schwierigkeit  bietet  (?j.  Möglich  wäre,  dal.'.  Dem.  den  L.  nur 
tingiert  hätte,  vielleicht,  um  nicht  unter  seinem  Namen  Doktrinen  zu 
veröffentlichen,  die  als  gottlos  betrachtet  werden  konnten.  —  Diese 
Hypothese  Tannerys  beruht  auf  lauter  unzutreffenden  oder  uncrwieseneu 
Voraussetzungen  und  ist  noch  viel  unsicherer  als  die  verwandte  Ver- 
mutung über  Hiketas  und  Ekphantos.  T.  wiederholt  zum  Teil  die  durch 
Diels  entkräfteten  Argumente  Rohdes  und  fügt  ihnen  neue  hinzu,  die 
ebenso  unzulänglich  sind  wie  jene.  Dies  hat  Dyroff  .Deniokritstudien"* 
S.  4  flf.  treffend  nachgewiesen.  Die  streng  wissenschaftliche  Darstellung: 
Deniokrits  ist  nach  allem,  was  wir  von  diesem  Philosophen  wissen,  toto 
genere  verschieden  von  den  romanartigen  Dialogen  eines  Herakleides 
Pont.  Auch  läßt  sich  das  Auftreten  Piatons  unter  der  Maske  des 
Sokrates,  wie  wir  es  gelegentlich  bei  Aristot.  linden,  nicht  mit  der  Art 
vergleichen,  wie  der  Stagirit  regelmäßig  den  L.,  sei  es  allein,  sei  es 
mit  Dem.  zusammen,  uns  vorführt.  Vgl.  Zeller  838  und  Dyroff  S.  6. 
Es  steht  hiernach  außer  Zweifel,  daß  Aristot.  über  die  Lehre  des  L. 
nach  einer  ihm  vorliegenden  Schrift  dieses  Philosophen  berichtet.  Keine 
einzige  der  Stellen,  an  denen  L.  bei  ihm  genannt  wird,  läßt  die  An- 
nahme zu,  daß  er  diesen  nur  als  eine  fingierte  Persönlichkeit  bei  Dem. 
vorgefunden  habe.  Die  historische  Existenz  des  L.  kann  hiernach  als 
völlig  gesichert  betrachtet  werden,  und  man  muß  sich  wundern,  daß 
ßrieger  in  einer  kürzlich  erschienenen  Abh.  über  Dem.  (Hermes  37) 
S.  56  es  noch  als  zweifelhaft  hinstellen  kann,  ob  Dem.  oder  L.  der  Be- 
gründer der  Atomistik  gewesen  sei. 

Eine  strenge  Sonderung  des  leukippischen  Gutes  von  dem  demo- 
kritischen freilich  ist  mit  großen  Schwierigkeiten  verknüpft  und  wird 
sich  kaum  bis  in  alle  Einzelheiten  durchführen  lassen.  Die  wichtigsten 
der  nachweisUch  bereits  von  L.  entwickelten  Lehren  hat  Zeller  schon 
in  der  4.  Aufl.  843,  1  zusammengestellt;  in  der  5.  Aufl.  944,  4  fügt  er 
noch  die  von  der  Subjektivität  der  Sinnesempfindungeu  (vgl.  864.  1  u. 
Diels  0.  S.  91)  hinzu.  Genauer  läßt  sich  Zeller  über  diesen  Punkt  in 
den  Miscellanea  (ßer.  I  276)  aus.  Er  zeigt  dort,  daß  für  die  Glaub- 
würdigkeit der  Notiz  bei  Aet.  IV  9,  8,  Leuk.,  Dem.  und  Diog.  hätten 
xd  aiaOrjTa  v6[i.aj  angenommen,  drei  Gründe  sprechen:  L  Die  Ajigabe 
stammt  unzweifelhaft  aus  Theophr.,  da  kein  Schriftsteller  nach  diesem 
Leukipps  fxefaj  oiaxo^ixoc  unter  dessen  Namen  benutzt  hat.  2.  Wenn 
Aet.  dieselbe  Lehre  auch  Diog.  zuschreibt,  so  wird  er  dies  ebenfalls  aus 
Theophr.  haben;  Diog.  aber  kann  derartiges  nur  dem  L. ,  nicht  dem 
Dem.  entnommen  haben.  3.  Die  von  Aet.  dem  L.  beigelegte  Ansicht 
war  diesem  nicht  allein  durch  den  Vorgang  seines  Lehi'ers  Parmen. 
nahegelegt,    sondern   ließ  sich  auch  auf  seinem  Standpunkte  kaum  um- 


102     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

gehen.  Daß  auch  die  demokritische  Theorie  des  Sehens  bis  in  ihre 
Einzelheiten  auf  L.  zurückgeht,  hat  Zeller  in  einer  kürzlich  erschienenen 
Abh.  (Ärch.  XV  137  fif.)  nachgewiesen.  Aus  alledem  ergiebt  sich,  daß 
sich  Dem.  nicht  nur  in  den  leitenden  Gedanken  der  atoraistischen 
Physik,  sondern  auch  zum  großen  Teile  in  ihrer  Verwertung  für  das 
einzelne  der  Naturerklärung  eng  an  L.  angeschlossen  hat.  Windel- 
band,  der  in  seiner  Gesch.  d.  alten  Philos.^  S.  56  flf.  zum  ersten  Male 
den  an  sich  wohl  berechtigten,  aber  bei  der  Beschaifenheit  unserer 
ITberlieferung  gewagten  Versuch  gemacht  hat,  Leukipps  Philosophie 
getrennt  von  der  Demokrits  zu  behandeln,  hat  in  der  Sonderung  leu- 
kippischen  und  demokritischeu  Eigentums  nicht  überall  das  Rechte  ge- 
troffen ;  so,  wenn  er  S.  58  jene  Lehre  von  der  Subjektivität  der  Sinnes- 
■qualitäten  dem  L.  abspricht  und  dem  Dem.  vorbehält,  weil  die  Anwen- 
dung der  Gegensätze  «puaei  —  v6[jlü>  auf  die  aia&rjTdc  erst  unter  sophistischem 
Einflüsse  möglich  gewesen  sei.  Die  subtile  Unterscheidung,  die  er 
dabei  zwischen  der  Leugnung  der  Sinnesqualitäten  bei  L.  und  der  Be- 
hauptung ihrer  Subjektivität  bei  Dem.  macht,  verstehe  ich  nicht;  diese 
folgt  doch  mit  Notwendigkeit  aus  jener.  Ob  L.  schon  den  Gegensatz 
zwischen  der  Subjektivität  der  Empfindungen  und  der  Objektivität  der 
Atome  und  des  Leereu  in  eine  so  scharf  zugespitzte  Formel  (vo'ixtp  — 
eaei^)  gebracht  hat  wie  Dem.,  mag  man  bezweifeln;  aber  inhaltlich  muß 
er  bei  ihm  ausgedrückt  gewesen  sein.  Über  Demokrits  Verhältnis  zu 
Protag.  s.  u.  Ahnlich  wie  Windelband  beschränkt  auch  Burnet  early 
.greek  philos.  350  ff.  den  Anteil  Leukipps  an  der  atoraistischen  Lehre 
zu  sehr,  während  Goraperz  Gr.  D.  254  ff.  dem  L.,  obwohl  er  ihn  in 
■seiner  Darstellung  mit  Dem.  zusammenfaßt,  das  ihm  gebührende  Ver- 
dienst, die  wesentlichen  Grundlagen  des  Systems  geschaffen  zu  haben, 
ungeschmälert  läßt.  G.  unterscheidet  sich  auch  darin  von  Windelband, 
daß  er  sich  in  dem  Streite  zwischen  Diels  und  ßohde  entschieden  auf 
die  Seite  des  ersteren  stellt,  wogegen  W.  sich  über  diesen  Punkt  un- 
sicher und  zweifelnd  äußert  (S.  58  f.).  Nur  darin  stimmt  G.  Diels  nicht 
zu  (S.  455),  daß  L.  dem  Theophr.  als  Schüler  des  Parmen.  gegolten 
habe;  die  Worte  xoivujv^jac  riapjxevior)  x^c  cpiXoaocpia?  (Doxogr.  453,  12) 
brauche  man  so  wenig  wie  die  wörtlich  übereinstimmende  Äußerung 
über  das  Verhältnis  des  Anaxag.  zur  Lehre  des  Anaximeues  (Dox. 
478,  18)  in  diesem  Sinne  aufzufassen.  Das  trifft  insofern  zu,  als  an 
beiden  Stellen  Theophr.  nicht  von  einem  eigentlichen  Schülerverhältnis 
redet,  sondern  nur  von  gewissen  Übereinstimmungen  der  Lehre.  Daß 
aber  ein  solcher  Zusammenhang  zwischen  L.  and  den  Eleaten  bestand 
und  zwar  ein  weit  engerer  als  zwischen  Anaxag.  und  Anaximeues,  geht 
aus  der  Darstellung  dieses  Verhältnisses  bei  Aristot.  d.  gen.  I  8,  deren 
Riciitigkeit    durch    eine    unbefangene    Vergleichung    der    beiderseitigeu 

( 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)      103 

Systeme  bestätigt  wird  (s.  Zeller  952  ff.),  zur  Geniige  hervor.  Mit  Un- 
recht leugnet  G.  277  ff.  jede  direkte  Beeinflussung  des  L.  dnrch  Farmen, 
und  will  die  Urheber  der  ihnen  gemeinsamen  Prämisse:  „ohne  Leeres 
keine  Bewegung"  lieber  in  älteren  namenlosen  Denkern,  wahrscheinlich 
Pythagoreern  (vgl.  G.  144),  suchen,  die  beiden  vorangegangen  waren 
und  nicht  nur  das  Leere,  sondern  auch  bereits  etwas  den  Atomen  Ana- 
loges ersonnen  hatten  (?).  Einer  anderen  auf  Leukipps  Lehre  bezüg- 
lichen Bemerkung  bei  G.  457  f.  dagegen  stimme  ich  rückhaltlos  zu. 
Wenn  Theophr.  (Dox.  483,  17)  den  L.  sagen  läßt:  xal  tojv  ev  auToi; 
ayT,|xaTtuv  äVceipov  xo  uX^öoc  oia  tu  p-rjoev  (xaXXov  xotoytov  fj  toioütov  sivai 
(G.  faßt  diesen  Satz  als  Parenthese  und  ergänzt  als  Subjekt  zu  toioütov: 
To  «jy.TJixa  au-cöv),  so  darf  diese  Äußerung  in  der  That  nicht,  wie  es 
gewöhnlich  geschieht  (so  auch  Zeller  856,  2)  mit  der  Demokrits  bei 
Plutarch  und  Sextus:  ou  p.aX).ov  xoiov  r,  xotov  identifiziert  werden.  Der 
Ausspruch  Demokrits  geht  nach  dem  Zusammenhange  gar  nicht  auf  die 
unendliche  Zahl  der  Atomgestalten,  sondern,  wie  auch  Zeller  920,  2 
zugiebt,  „lediglich  auf  die  sekundären  sinnlichen  Qualitäten";  die  Zahl 
der  subjektiven  Variationen  der  Empfindung  aber,  die  ein  und  dasselbe 
Objekt  hervorruft,  kann  nie  zu  einer  unendlichen  werden  und  hat  mit 
der  unendlichen  Menge  der  Atomgestalten  nichts  zu  thun.  Überdies  ist 
das  Vorhandensein  dieser  unendlichen  Zahl  und  ihre  Vereinigung 
in  jedem  einzelnen  Sinnending  zweierlei,  wie  denn  auch  Tlieophr.  d. 
sens.  518,  20  (G.  hält  die  Stelle  für  verderbt  und  sucht  sie  durch 
mehrere  Ergänzungen  zu  heilen)  nur  von  der  Vereinigung  vieler,  nicht 
unendlich  vieler  Atomgestalten  in  jedem  Sinneudinge  spricht. 

Andere  dem  L.  eigentümlichen  Lehren  werden  gelegentlich  in 
dem  folgenden  Abschnitt  Erwähnung  finden,  in  dem  unter  dem  Samrael- 
nanieu  Demokrit  auch  solche  Schriften,  die  sich  auf  die  ältere  Atomistik 
überhaupt  beziehen,  besprochen  werden  sollen.  Hinweisen  will  ich  hier 
nur  auf  die  sehr  lesenswerte  Darstellung  der  Genesis  des  Atomismus 
bei  Burnet  a.  a.  0.,  der  L.  an  Zenon  und  Melissos  anknüpfen  läßt. 
Wir  haben  es  hier  freilich  mit  einer  bloßen  Möglichkeit,  keiner  Gewiß- 
heit zu  thun;  andere,  wie  Zeller  und  Diels,  nehmen,  wie  wir  gesehen 
haben,  umgekehrt  eine  Beziehung  des  Melissos  auf  L.  an,  vielleicht  mit 
größerem  Rechte. 

2.    Demokrit. 

a)     Schriften  zur  Quellenkritik. 
368.     R.  Hirzel,    Untersuchungen    zu    Ciceros    philosophischen 
Schriften.     T.  I:  De  natura  deorum,  Leipzig  1877.     T.  II:  De  fini- 
bus,  de  officiis.     2  Abteilungen.     Ebd.  1882.  —  T.  III:   Academica 
priora,  Tusculanae  disputationes.     Ebd.  1883, 


104     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

369.  W.  Kahl,  Demokritstudlen.  I:  D.  in  Ciceros  philoso- 
phischen Schriften.   Progr.  d.  Gymn.  zu  Diedenhofen  1889.    28  S.  4. 

370.  P.  Natorp,  Demokritspuren  bei  Piaton.  Arch.  f.  G.  d. 
Ph.  III  (1890)  S.  515—531. 

371.  H.  Usener,  Epikureische  Schriften  auf  Stein.  Rh.  Mus.  47 
(1892)  S.  414—456. 

372.  S.  Sudhaus,  Nausiphanes.  Rh.  M.  48(1893)8.321-341. 

373.  R.  Hirzel,  Demokrits  Schrift  uepl  eudu|xiri;.  Herrn.  14 
(1879)  S.  354-407. 

374.  R.  Heinze,  Ariston  von  Chios  bei  Plutarch  und  Horaz. 
Rh.  M.  45  (1890)  S.  497—523. 

375.  0.  Hense,  Ariston  bei  Plutarch.     Ebd.     S.  541—554. 

376.  0.  Hense,  Seneca  und  Athenodorua.  Univers. -Pr.  (Fest- 
rede).    Ereiburg  i/ßr.  1893. 

377.  Gregorii  Palaraae  Archiepiscopi  ThessalonicensisProsopo- 
poeia  animae  accusantis  corpus  et  corporis  se  defendentis  cum  iudicio 
ed.  A.  Jahn.     Halis  1884. 

378.  E.  Maaß,  Rezension  der  Schrift  von  *M.  Heeger,  De 
Theophrasti  qui  fertur  uepi  arjiJieitüv  libro  (Leipzig  1889).  Gott.  Gel. 
Anz.  1893  S.  624—642. 

379.  G.  Kaibel,  Aratea.     Herrn.  29  (1894)  S.  82—123. 

380.  H.  Diels,  Über  Demokrits  Dämonenglauben.  Arch.  VII 
(1894)  S.  154—157. 

381.  M.  Berthelot,  Des  origines  de  l'alchimie  et  des  oeuvres 
attribuees  ä  Democrite  d'Abdere.  Journ.  d.  Savants  1884  S.  517 
-527. 

382.  P.  Tannery,  £tudes  sur  les  alchiraistes  grecs.  Synesius 
ä  Dioscore.     Rev.  d.  Etudes  gr.  III  (1891)  S.  282—288. 

383.  W.  Gern  oll,  Untersuchungen  über  die  Quellen  des  Ver- 
fassers und  die  Abfassungszeit  der  Geoponica.     Berlin  1883. 

384.  E.  Oder,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Landwirtschaft 
bei  den  Griechen.     I.     Rh.  M.  45  (1890)  S.  58—99  und  212—222. 

Hirzel,  dessen  Untersuchungen  ihrem  Hauptinhalte  nach  nicht 
hierher  gehören  (s.  die  Besprechungen  in  den  Jahresberichten  über 
Ciceros  philosophische  Schriften  und  über  die  nacharistotelische  Philo- 
sophie), giebt  im  4.  Abschnitte  des  1.  Bandes:  „Differenzen  in  der 
epikureischen  Schule'  wichtige  Beiträge  za  Erkenntnislehre  und  Ethik 
Demokrits.  Epikur  ist  nach  H.  von  D.  ausgegangen,  und  zwar  nicht 
bloß  in  seiner  atoraistischen  Naturlehre,  sondern  auch  in  den  anderen 
Disciplinen,  zunächst  in  der  Kanonik.  Bei  D.  ist  die  sinnliche  Wahr- 
nehmung der  Ausgangspunkt,  aber  nicht  der  Sitz  unserer  Erkenntnis, 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     1(J5 

wie  Aristot.  ihn  mißverstanden  hat.  Ü.  war  durchaus  kein  Skeptiker; 
er  hielt  nicht  jede  Sinueswahinehnuing  für  subjektiv,  sondern  nur  eine 
f^ewisse  Klasse  dieser  Wahrnehmung:en ,  die  sich  auf  die  sekundären 
Eigenschaften  der  Dinge  bezieht.  Wenn  Aristot.  Mtaaph.  1009  a  38  deu 
D.  im  Auge  hat,  so  muß  man  entweder  annehmen,  daß  dieser  seinen 
Staudpunkt  gewechselt  und  früher  selbst  den  des  Protag:.,  den  er  später 
bekämpft,  eing^enommen  habe,  oder  man  muß  in  den  Worten  1009 b  II: 
ATifioxpiTo;  7e  cprjjtv  fjiot  o6dk\  etvai  aXifjöec  t]  fjfiiv  7'  a'iJyjXov  eine  Folgerung' 
sehen,  die  D.  nicht  aus  seiner  eig:enen  Lehre,  sondern  aus  der  des  Prot. 
zog,  um  diesen  ad  absurdum  zu  lühren;  dann  hat  ihn  Aristot.  (und 
ebenso  Plut.  adv.  Col.  1108 Df.)  mißverstanden  und  seine  Meinung  ,,ins 
Übertriebene  entstellt".  [Die  erste  Annahme  ist  sehr  unwahrscheinlich; 
in  der  zweiten  liegt  etwas  Richtiges.  Gründlicher  und  zutreffender  hat 
über  deu  scheinbaren  Widerspruch  zwischen  sensualistischer  und  skep- 
tischer Autfassung  in  den  uns  erhaltenen  Berichten  über  D.  Natorp 
Forsch.  173  ft".  gehandelt.  Er  sucht  ihn  dadurch  zu  lösen,  daß  D.  vom 
erkenntuistheoretischen  oder  kritischen  Standpunkt  aus  ähnlich  wie 
schon  die  Eleaten  zwischen  Xo70i  und  ai.ji>riai;,  zwischen  der  objektiven 
Wahrheit  der  Verstandesbegriff  und  der  Scheiuwahrheit  der  Phänomene 
unterschied,  dagegen  über  die  psychologische  Bedeutung  dieses  Gegen- 
satzes, d.  h.  über  die  Möglichkeit  des  Denkens  und  Wahruehmens  noch 
nicht  nachgedacht  und  daher  als  Physiker  beide  Thätigkeiten  aus  körper- 
lichen Veränderungen  hergeleitet  hat.  Aristot.  hat  den  Mangel  einer 
psychologischen  Erklärung  der  Erkenntnis  bei  D.  aufgedeckt,  aber  mit 
Unrecht  seine  Kritik  der  Erkenntnis  nach  psychologischen  Voraus- 
setzungen beurteilt  und  ihn  zum  Vertreter  eines  Sensualismus  gemacht, 
der  nach  aristotelischer  Auffassung  in  seineu  Konsequenzen  notwendig 
in  Skepticismus  umschlagen  mußte.  Vgl.  Zeller  919,  1.]  So  wenig  als 
D.  ein  abgesagter  Feind,  so  wenig  war  Epikur  nach  H.  ein  parteiischer 
Freund  der  sinnlichen  Wahrnehmung.  Seine  Auffassung  unterscheidet 
sich  nicht  wesentlich  von  der  des  Abderiten.  Auch  die  -poXTj^j^ij  findet 
sich,  wenn  auch  das  Wort  erst  von  Ep.  stammt,  doch  der  Sache  nach 
bereits  bei  D.  Dies  beweist  die  Erklärung  des  Begriffes  Mensch: 
8  KttvTe?  io|i,ev,  die  D.  bei  Sext.  math.  VII  265  giebt  (vgl.  Aristot. 
640  b  29).  Dieselbe  nur  durch  den  Zusatz  [j-eta  ejjnjyuyi'aj  erweiterte 
Vorstellung  des  Menschen  benutzte  Ep.  zur  Verdeutlichung  des  Wesens 
der  ■!zp6lr^<\iii.  Auch  in  der  bei  Sext.  VII  140  unter  den  drei  demo- 
kritischen Kriterien  der  Erkenntnis  aufgeführten  ivvoia,  d.  i.  der  Vor- 
stellung, in  der  der  Gegenstand  der  Untersuchung  gegeben  ist,  steckt 
im  Keime  die  itpoXirnpi?  Epikurs.  Wenn  nach  Aristot.  D.  einen  Anlauf 
zum  Definieren  gemacht  hat,  so  mögen  seine  Definitionen  wohl  Real- 
deünitiouen    gewesen  sein    (vgl.  die  von  Aristot.  1078  b  19  angeführte 


106     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

des  iSepjjLov  und  4"J'/pov),  wie  sie  auch  Ep.  zuließ.  Wie  sich  ferner  D. 
nach  Sext.  VIII  327  geaen  die  dnooEi^i;  entschieden  ausgesprochen  hat, 
aber  nur  in  gewisser  Hinsicht  (so  erklärt  H.  das  xa/a  [?]),  so  kann 
auch  Ep.  die  «Troöei^i;  nicht  g-änzlich  verworfen  haben.  Die  Bestreitung 
der  dtiioSei^u  stand  hei  D.  in  den  xavovsc  [diesen  Plural  bei  Sext.  bezieht 
H.  auf  die  drei  Kriterien,  richtiger  Natorp  Forsch.  180,  1  unter 
Berufung  auf  Birt  Buchwesen  450,  1  auf  die  verschiedenen  Bücher, 
deren  jedes  xavcuv  betitelt  war].  Daß  diese  Schrift  erkenntnistheore- 
tischen Inhalts  war,  beweist  ihre  Zusammenstellang  mit  den  xpatuv-nr^pia 
und  mit  Trepl  eiötuXtuv  r^  Trspi  TTpovoiif)?  (^=  Voraussehen  der  Zukunft,  wie 
sie  nach  D.  durch  die  eföwXa  bewirkt  wird)  im  thrasyllschen  Verzeichnis 
(Laert.  IX  47).  [Was  H.  über  den  Titel  und  Inhalt  dieser  Schrift 
bemerkt,  ist  jetzt  gegenstandslos  geworden,  nachdem  wir  durch  Hertz 
belehrt  worden  sind,  daß  bei  Gellius  4,  13  die  handschriftliche  Lücke 
vor  xaviüv  in  den  früheren  Ausgaben  aus  Laert.,  wo  die  Überlieferung 
Tzept  Xot[Xüiv  xavwv  bietet,  willkürlich  ergänzt  worden  ist.  Überhaupt 
hat  Hirzels  Erörterung  über  die  Titel  der  demokritischen  Schriften 
wenig  Wert,  weil  sie  ohne  Kenntnis  der  von  Nietzsche  ,,Beitr.  zur 
Quellenkunde  und  Kritik  des  Diog.  Laert."  1870  veröffentlichten  ,Hand- 
schriftenkoUatiou  geschrieben  ist.  Es  handelt  sich,  wie  schon  Nietzsche 
erkannt  hat,  offenbar  um  zwei  verschiedene  Schriften:  iztpl  XoifAuiv,  xavcuv, 
wobei  freilich  unerklärt  bleibt,  wie  die  medizinische  Schrift  im  Kataloge 
des  Laert.  und  ebenso  bei  Gellius  mit  den  erkenntnistheoretischen  zu- 
sammengestellt werden  konnte.  Eine  ihm  von  Birt  mitgeteilte  Erklärung 
dafür  giebt  Natorp  a.  a.  0.].  Auch  Ep.  nannte  sein  erkenntnistheore- 
tisches Werk  xavcüv  und  die  ganze  Disciplin  xavovtxv^.  Nach  alle  dem 
ist  Ep.  in  seiner  Erkenntnislehre  von  D.  abhängig,  nicht,  wie  Zeller 
annimmt,  von  Aristipp.  Auf  diesen  geht  nach  Zeller  auch  die  Ethik 
Epikurs  zurück.  Aber  viel  näher  liegt  auch  hier  die  Annahme  eines 
Anschlusses  an  D.  Der  Hedonismus  ist  auch  dessen  Prinzip.  Wenn 
Ep.  die  Ursache  unserer  Glückseligkeit  nicht  in  die  sinnliche  Lust, 
sondern  in  die  (pp6vY)ai?  setzt,  so  ist  dies  auch  Demokrits  Standpunkt. 
Gegen  Leidenschaften  und  Aberglauben  spricht  sich  D.  wie  Ep.  aus 
(in  der  Schrift  Trepl  xwv  ev  "Atoou  hat  D.  ohne  Zweifel  gegen  die  aber- 
gläubischen Vorstellungen  über  ein  Fortleben  nach  dem  Tode  gekämpft). 
"Während  nach  Aristipp  das  Ziel  unsers  Strebens  die  einzelne  Lust- 
empfindung ist,  setzen  es  D.  und  Ep.  in  die  Ruhe  der  Seele  und  die 
Freiheit  von  Schmerzen  (dxapaEia  auch  bei  D  ).  Anscheinend  bestehen 
allerdings  zwischen  beiden  wesentliche  Differenzen.  Nach  Ep.  liegen 
die  Bedingungen  der  Glückseligkeit  nicht  bloß  in  der  Seele,  sondern 
auch  im  Körper,  und  um  sie  zu  erreichen,  moß  zur  dtapa^ta  noch  die 
ÄTiovia   hinzukommen,    während  D.  sie  lediglich  in  der  Ruhe  der  Seele 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)      107 

(£'jf)'j[i.ia  u.  ähnl.  Ausdr.)  erblickt.  Aber  auch  diese  Differenz  ist  nicht 
so  groß,  wie  es  den  Anschein  hat.  Wenn  Ep.  mit  Piaton  fordert,  daß 
jede  positive  Lust  auf  einem  Bedürfnis,  mithin  auf  einem  Schmerz  beruhe, 
der  durch  sie  gehoben  werden  soll,  so  hat  Piaton  selbst  diese  Lehre 
von  anderen  Philosophen  überkommen.  Er  berührt  sie  Rep.  583 ß  ff. 
und  Philebus  43 D  ff.  (vgl.  44 B  f.  und  51  A)  und  formuliert  sie  so:  was 
gewöhnlich  als  tjöcvt^  bezeichnet  wird,  sei  nur  der  Schein  einer  solchen, 
in  Wahrheit  aber  nichts  als  die  Befreiung  vom  Schmerze.  Da  bei 
Ep.  dieselbe  Lehre  wiederkehrt,  so  werden  wir  in  den  platonischen 
Stellen  von  vornherein  nicht  mit  Zeller  an  Antisthenes,  sondern  an  D. 
zu  denken  haben,  auf  den  auch  das  fiäXa  ostvou;  Xe^ofievou?  xa  itepi  tpo^iv 
Phileb.  43 B  (vgl.  osivouc  Soph.  246 B)  viel  besser  paßt  als  auf  An- 
tisthenes. Wenn  die  von  Piaton  wiedergegebene  Lehre  nur  die  sinnliche, 
nicht  die  reine  Lust  bekämpft,  so  stimmt  damit  Dem.  Fr.  7  N.  über- 
ein. In  dem  Phileb.  43  D  mitgeteilten  Satze  ok  tJoistov  Trav-rojv  ijüv 
aXu-(uc  «staTeXerv  xov  ßi'ov  anavta  (Freiheit  von  jedem  Schmerze,  körper- 
lichem wie  seelischem)  läßt  sich  Demokrits  £'j9u[i.it)  nicht  verkennen,  und 
es  ergiebt  sich  daraus,  daß  auch  dieser  mit  der  (i-apa^ta  die  dnovia 
verbunden  dachte  (?).  Eine  weitere  Beziehung  auf  D.  liegt  in  den 
T(I)v  dcjyrjfxovüjv  rjoovai  Phileb.  46  A  und  D,  womit  Dem.  Fr.  85  zu  ver- 
gleichen ist.  Piaton  nennt  die  Vertreter  jener  Ansicht  zwar  ouayspeic 
wegen  der  Schroffheit,  mit  der  sie  alle  Lust  verdammten  (Phileb.  44 C), 
aber  er  spricht  doch  von  ihnen  mit  einer  gewissen  Achtung  und  leitet 
ihre  ouayiptii  aus  ihrer  „nicht  unedlen  Natur"  ab;  ja  in  der  Republik 
nennt  er  den  Urheber  der  Lehre  geradezu  einen  oocpoc.  Dies  scheint 
der  angeblichen  Feindschaft  Piatons  gegen  D.  zu  widersprechen,  für 
die  man  sich  mit  K.  F.  Hermann  auf  Theaet.  155  E  und  Soph.  246  A 
berufen  kann.  Daß  im  Theaet.  wirklich  die  Atomiker  gemeint  seien, 
wird  weniger  durch  d-piE  xoTv  yspolv  Xaßecrilai  als  durch  die  darauf 
folgenden  Worte  -pa^eic  61  xat  Ysveaeic  xal  ^av  to  dopaxov  oux  diroöeyoixsvov 
£v  oüaia;  \iipz>.  bewiesen,  die  die  Konsequenz  der  atomistischeu  Lehre 
enthalten.  Diese  Konsequenz  aber  hat  keiner  der  alten  Philosophen 
außer  Ep.  gezogen,  der  nur  den  Körpern  ein  substantielles  Sein  zuge- 
stand, also  alle  upd^stc  u.  s.  w.  davon  ausschloß  (Lucr.  I  455  ff.). 
Allerdings  erkannte  Ep.  auch  die  -pd?£i?  u.  s.  w.  in  gewissem  Sinne 
als  seiend  an,  da  er  nur  das  Leere  zum  völlig  Nichtseienden  zählte. 
Aber  auch  die  bei  Piaton  genannten  Philosophen  können  nicht  alle 
Handlungen  und  alles  Werden  für  ein  absolut  Nichtseiendes  erklärt 
haben,  weil  sie  sonst  zu  Idealisten  im  Sinne  der  Eleaten  würden.  Also 
wird  wohl  PI.  hier  die  oucia  als  ein  „substantielles  Sein"  gefaßt  nud  mit 
-äv  to  dopaxov,  das  gegen  die  Atomiker  zu  sprechen  scheint,  vielleicht, 
freilich    nur    in  seinem  Sinne,    nicht  in  dem  der  Atomiker,    das,    was 


108     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Gegenstand  nur  der  geistigen  Anschauung  und  des  Denkens  ist,  wie  die 
Ideen  und  Begriffe,  bezeichnet  haben.  Die  Beziehung  auf  D,  ist  ferner 
durch  die  Worte  axXirjpot  xe  /.al  dvTiTUKoi  gesichert,  die  nur  eine 
Charakterisierung,  nicht  eine  Verunglimpfung  der  atomistischen  Lehre 
enthalten  sollen,  so  wenig  wie  ixaX'  tZ  «[xoüsoi  Theaet.  156A.  Auch  die 
Stelle  im  Soph.  beweist  nicht,  daß  PI.  den  D.  gehaßt  oder  verachtet  habe; 
denn  die  Hartnäckigkeit,  mit  der  jene  Philosophen  sich  fremden  Ansichten 
verschließen  (246  B)  und  bei  ihrer  eigenen  Meinung  verharren  (248 C),  und 
die  Schroffheit,  mit  der  sie  eine  Erörterung  ihrer  Ansichten  ablehnen 
(246 D),  stehen  im  besten  Einklänge  mit  der  oua-/ep£ta  im  Phileb.,  die 
doch  PI.  nicht  gehindert  hat,  ebendort  ihre  a-.'evvrj?  9631?  anzuerkennen. 
Daraus  ergiebt  sich  für  H.  ein  Doppeltes:  1.  Piaton  hat  über  den 
Differenzen  zwischen  seiner  und  der  atomistischen  Lehre  das  Überein- 
stimmende nicht  übersehen  und  sogar  den  Einfluß  Demokrits  erfahren, 
indem  er  sich  dessen  Ansieht  über  das  Wesen  der  Lust,  wenn  auch 
mit  einer  Beschränkung,  aneignete;  2.  Epikur  stimmt  mit  D.  in  den 
Kardinalpunkten  der  Ethik  überein;  wenn  er  auch  im  einzelnen  sowie 
in  der  Zurückführung  aller  geistigen  Lust  auf  die  sinnliche  von  ihm 
abwich.  So  knüpfte  Ep.  in  allen  drei  Disciplinen  an  D.  an.  .  Seine 
Philosophie  ist  nur  eine  vergröberte  Nachbildung  der  demokritischen. 
Mit  diesem  Ergebnisse  stimmt ,  daß  sich  Ep.  lange  Zeit  hindurch  als 
Deniokriteer  bekannte.  In  seiner  weitereu  Entwickelung  hat  er  sich 
allerdings  von  D.  entfernt,  wie  seine  und  seiner  Anhänger  Polemik 
gegen  diesen  zeigt. 

Durch  diese  Erörterungen  hat  H.  den  Anstoß  dazu  gegeben,  die 
Beziehungen  zwischen  Ep.  und  D.  nicht  bloß  auf  dem  Gebiete  der 
Physik,  wo  sie  klar  zu  Tage  liegen,  sondern  auch  auf  dem  der  Er- 
kenntnistheorie und  Ethik,  wo  man  sie  bis  dahin  ziemlich  unbeachtet 
gelassen  hatte,  näher  ins  Auge  zu  fassen.  Seiner  Auffassung  dieses 
Verhältnisses  freilich  wird  man  nur  in  beschränktem  Maße  zustimmen 
können.  Daß  Ep.  auch  in  den  genannten  Zweigen  seines  Systems  von 
D.  nicht  unberührt  geblieben  ist,  hat  H.  richtig  erkannt,  und  nament- 
lich für  die  Ethik  ist  dies,  wie  wir  weiter  unter  sehen  werden,  durch 
die  neuesten  Forschungen  immer  mehr  zur  Gewißheit  geworden.  Aber 
er  überspannt  den  Bogen,  indem  er  Ep.  nicht  nur  in  Einzelheiten^ 
sondern  auch  in  der  ganzen  Grundlage  seiner  Kanonik  und  Ethik  als 
wesentlich  durch  D.  beeinflußt  hinstellt  und  ihn  damit  aus  der  Eeihe 
selbständig  denkender  Philosophen  so  gut  w^e  streicht.  Er  bringt  dies 
dadurch  fertig,  daß  er,  ohne  den  zeitlichen  Abstand  beider  Philosophen 
und  die  Einwirkung  der  platonisch-aristotelischen  Philosophie  auf  die 
späteren  Philosophen,  der  sich  auch  Ep.  nicht  entziehen  konnte,  genügend 
zu  erwägen,    Demokrits  wie  Epikurs  Lehren   so    modelt    und    deutelt» 


Beriebt  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     100 

daß  fast  jeder  Unterschied  zwischen  ihnen  verschwindet.   Was  zunächst 
die  Erkenntnistheorie  betrifft,  so  sind  den  Spuren  der  irpoXirnJ^ij,  die  H. 
in  der  bei  Sext.  unter  den  Kriterien  Deraokrits  genannten  Iwoia  finden 
will,  doch  sehr  unsicher,    da    jene  Mitteilung  über    die    drei  Kriterien 
Deraokrits  [über  ihren  Urheber  s.  u.  zu  No.  402]  in  ihrer  Fassung  und 
Terminologie    (vgl.    außer    ewoia    noch  x^c  xtöv  a.o-qlio\    xrtTaXri^zioi, 
aipeueujc   8k   xalcpu-/^;  tkx&t))    nicht  aus  Deraokrits  Kanon  herrühren 
kann.      Daß    D.    die    iizo^ti^n    nicht    habe    grundsätzlich    bekämpfen 
können,  zeigt  Zeller  923  (vgl.  Natorp  Forsch.  159,  3).     Auch   aus  der 
Thatsache,    daß  Ep.    für    sein    erkenntnistheoretisches  Werk  denselben 
Titel  wie  D.  gewählt  hat,  folgt  noch  nicht  notwendig  eine  weitgehende 
innere  Übereinstimmung.     Eine  solche  leugnet  Zeller  III  2^  S.  473,  2 
mit  Recht.    Vgl.  auch  Natorp  S.  173  ff.  und  209  ff.,  wo  das  Verhältnis 
beider  so  gefaßt  wird:  Ep.  hielt  das  eine,  wenigstens  scheinbar  sensua- 
listische  Motiv  der  demokritischen  Erkenntnislehre  fest,    daß  der  Xop; 
,  die  TTiati?  der  Sinne,  von  denen  er  selbst  seine  Beglaubigung  empfange, 
nicht  verletzen  dürfe,  verwarf  aber  die  andere  bestimmt  antisensualistische 
Lehre,  wonach  die  Sinne  keine  ,,  Wahrheit"    haben  und  nichts  objektiv 
Vorhandenes  darstellen.    Diese  grundsätzliche  Verschiedenheit  der  Auf- 
fassung hat  H.  völlig  verwischt.     Noch    weniger    ist    es   ihm  gelungen, 
eine  prinzipielle  Abhängigkeit  der  epikureischen  Ethik  von  der  des  D. 
zu  erweisen.     Es  ist  zwar  nicht  zu  leugnen,  daß  sich  bei  Ep.  deutliche 
Anklänge    an    ethische    Fragmente  Demokrits    finden;    ja    bei    näherer 
Vergleichung  hätte  H.,    wie    wir  später  sehen   werden,    noch    eine  be- 
deutend größere  Zahl    solcher  Anklänge    entdecken    können;    aber  der 
grundsätzliche  Gegensatz  zwischen  beiden  Philosophen  ist  auf  dem  Ge- 
biete der  Sittenlehre  vielleicht    noch  größer  als  auf  dem  der  Kanonik. 
Demokrits  Ethik    ist    keine  Lustlehre    im    Sinne    Epikurs.     Allerdings 
bilden  Lust  und  Unlust  auch  bei  ihm  den  Ausgangspunkt  der  ethischen 
Betrachtung;    aber  er   erklärt   die  t]6ovy^    nicht  im  Gegensatze  zu  jeder 
anderen  Bestimmung  für  den  letzten  Zweck  unseres  Handelns  und  unter- 
scheidet sich  von  allem  darin  von  Ep.,  daß  er  die  höhere  Lust,  die  am 
Rechten   und  Wahren,    hoch    über    die    niedere,    die    Sinnenlust    stellt 
(s.  Zeller  III  2  S.  473,  1).   Hirzels  Beweisführung  beruht  auch  weniger 
auf  einer  direkten  Vergleichung    der   uns    überlieferten  Lehren    beider 
als  auf  der  doppelten  Annahme,  daß  Piaton  an  den  SttUen  des  Phileb. 
und  der  Rep.,  wo  er  eine  eigentümliche,    von  der  vulgären  Auffassung 
der  Y)Sovy^  sich  unterscheidende  Lehre  darstellt,  D.  im  Auge  habe,  und 
daß  Ep.  sich  eben  diese  Lehre  angeeignet  habe.     Wäre  diese  doppelte 
Vosaussetzung  richtig,  so  würde  freilich  bei  der  genauen  Bekanntschaft 
Epikurs  mit  den  Werken  seines  Meisters  alle  Wahrscheinlichkeit  dafür 
sprechen,  daß  er  diese  Lehre  unmittelbar  und  nicht  erst  durch  Piatons 


110     Bericht  über  die  griechischen  Philosophea  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Vermittelung  aus  D.  geschöpft  habe.  Aber  die  erste  der  beiden  Prä- 
missen Hirzels,  mit  der  die  zweite  steht  und  fällt,  muß  trotz  der  Zu- 
stimmung Natorps  Forsch.  290  ff.  und  Windelbands  Gr.  d.  a.  Ph.-  95 
und  104,  4  nach  der  erschöpfenden  Kritik  Zellers  II  1  *  308,  1  (vgl.  III 
2,  473)  als  unhaltbar  bezeichnet  werden;  die  von  PI.  wiedergegebene 
Lehre  geht  vielmehr  wahrscheinlich  auf  Antisthenes  zurück  (auf  die 
neuen  Gründe,  die  Natorp  in  einer  späteren  Abh.  gegen  Zeller  und  für 
seine  Auffassung  beigebracht  hat,  werden  wir  unter  No.  370  eingehen). 
Besser  begründet  ist  die  Annahme  Hirzels,  in  der  er  mit  Schleiermacher, 
Brandis  und  K.  F.  Hermann  zusammentrifft,  daß  unter  dem  Vertreter 
einer  einseitig  materialistischen  Lehre,  wie  sie  Flaton  im  Tlieaet.  und 
Soph.  schildert,  D.  zu  verstehen  sei.  Zwar  hat  Dum  ml  er  Anisthenica 
51  ff. ,  dem  darin,  was  die  Theätetstelle  betrifft,  schon  Wiuckelmann 
und  Blaß  vorangegangen  waren,  nachzuweisen  gesucht,  daß  auch  hier 
PI.  den  Antisthenes  und  nicht  den  D.  im  Auge  habe,  und  Natorp 
Forsch.  195  ff.  sowie  Zeller  II  1*  297,  I  und  299,  2  pflichten  ihm  bei. 
Aber  die  von  diesen  angeführten  Gründe  scheinen  mir  keine  zwingende 
Kraft  zu  haben.  Ausdrücke  wie  axXyjpol  xal  avTixuicoi  spielen  doch, 
meine  ich,  ziemlich  deutlich  auf  die  Atomenlehre  an  (s.  Hirzel  S.  150). 
Allerdings  ist  zuzugeben,  daß  die  von  PI.  beschriebene  Lehre  (Natorp  199 
fügt  zu  den  Stellen  im  Theaet.  und  Soph.  noch  Phaed.  79  A  f.  und  813 
hinzu)  in  ihrem  kraß  sensualistischen  Charakter  sich  nicht  mit  dem 
rationalistischen  Materialismus  Demokrits  deckt.  Will  man  daher  PI. 
nicht  zutrauen,  daß  er  die  seiner  idealistischen  "Weltansicht  doch  auch 
in  ihrer  echten  Gestalt  sicherlich  widerstrebende  Atomistik  entstellt 
habe,  so  könnte  man,  wie  dies  neuerdings  Susemihl  gethan  hat,  an- 
nehmen, er  beziehe  sich  auf  einen  aus  dem  demokritischen  Atomismus 
hervorgegangenen  vergröberten  Materialismus,  dessen  Urheber  wir  nicht 
kennen.  Daß  dies  Antisthenes  war,  ist  von  den  Gegnern  Hirzels  nur 
aus  der  späteren  stoischen  Lehre  erschlossen  worden,  während  ihm 
sonst  in  unserer  Überlieferung  nirgends  eine  derartige  Auffassung  zu- 
geschrieben wird.  Aus  der  Thatsache  jedoch,  daß  die  Stoiker  auf 
anderen  Gebieten  an  Antisthenes  augeknüpft  haben,  ohne  weiteres  auch 
in  der  physikalischen  Grundanschauung  eine  ebenso  enge  Verwandtschaft 
zu  folgern  halte  ich  für  einen  unzulässigen  Analogieschluß.  Aber  selbst 
wenn  sich  bei  Antisthenes  eine  ähnliche  Doktrin  nachweisen  ließe,  so 
dürfte  doch  an  den  bezeichneten  Stellen  bei  Platou  nicht  an  Antisthenes 
gedacht  werden;  denn,  wie  ich  Berl.  Ph.  W.-Schr.  1886,  873  bemerkt 
habe,  ist  jede  Beziehung  auf  diesen  durch  die  Worte  Soph.  251  D:  xal 
Ttpos  xouTOUc  xal  Tipoc  Tou?  aXAouj,  osot?  e[X7cpoji}sv  ot£iXe7[j.eöa  direkt  aus- 
geschlossen; hier  werden  die  zuletzt  von  PI.  erwähnten  Yspovxe;,  unter 
denen  ohne  Zweifel  Antisthenes  zu  verstehen  ist,  deutlich  von  den  vorher 


Bericht  über  die  giiecLischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     Hl 

bekämpften  Materialisten  geschieden.  Daß  übrigens  Piaton  im  Timaios 
mehrmals  physikalische  Theorien  Demokrits  berücksichtigt  hat,  ist  durch 
Zeller  (s.  Ber.  I  189  und  276)  wahrscheinlich  gemacht  worden.  —  Wir 
haben  im  Vorbei  gehenden  die  Vermutungen  Hirzels  über  Epikurs  und 
Piatons  Verhältnis  zu  D.  zum  großen  Teile  zurückweisen  oder  bean- 
standen müssen.  Aber  das  Verdienst  bleibt  ihm,  daß  er  auf  gewisse 
Anklänge  Epikurs  an  die  Lehre  des  Abderiten  auf  dem  Gebiete  der 
Ethik  und  Kanouik  aufmerksam  gemacht  hat.  Der  Gedanke  besonders, 
daß  Ep.  in  den  Anfängen  seines  Philosophierens  sich  enger  an  D.  an» 
geschlossen  habe,  während  er  ihm  später  selbständiger  gegenübergetreteu 
sei,  hat,  wie  wir  unten  sehen  werden,  in  neuester  Zeit  eine  unerwartete 
Bestätigung  gefunden. 

Etwas  ausführlicher  beschäftigt  sich  H.  wieder  mit  D.  im  1.  Ab- 
schnitt des  III.  Teiles,  der  von  dem  Ursprünge  der  pyrrhonischen  Skepsis 
handelt.  Diese  knüpft  nach  ihm  ebenso  an  D.  wie  die  akademische 
Skepsis  an  Sokrates  an.  Was  er  indes  zum  Beweise  dieser  Anbahnung 
anführt,  beschränkt  sich  darauf,  daß  die  Ataraxie  Pyrrhons  schon  bei 
D.  eine  gewisse  Rolle  spielt,  daß  das  Mißtrauen  Demokrits  gegen  die 
sinnliche  Wahrnehmung,  das  bei  seinem  Schüler  Metrodor  noch  stärker 
ausgeprägt  war,  der  Skepsis  einen  Anknüpfungspunkt  bieten  konnte, 
und  daß  die  Gegenüberstellung  vo'jxip  und  aArjöeta  bei  den  Skeptikern 
an  das  Demokritische  vo|xw  —  Ix&ri  erinnert.  Darin  geht  H.  sicherlich 
auch  hier  wieder  zu  weit,  daß  er,  um  D.  den  Skeptikern  möglichst  an- 
zunähern, annimmt,  jener  müsse  die  Konsequenzen  seines  erkeuntnis- 
theoretischen  Subjektivismus  auch  für  das  ethische  Gebiet  gezogen  und 
ein  scheinbares  und  wahres  a^aöov  unterschieden  haben. 

Kahl  verschließt  sich  in  seiner  Untersuchung  über  Cic.  als  Quelle 
für  D.  nicht  der  Erkenntnis,  daß  Cic.  gerade  in  philosophischen  Fragen 
ein  wenig  kompetenter  Beurteiler  und  daher  nur  mit  großer  Vorsicht 
zu  benutzen  ist.  Er  glaubt  aber  nachweisen  zu  können,  daß  die  An- 
iührungen  demokritischer  Lehren  bei  diesem  Autor  größtenteils  auf 
gute  Quellen  zurückgehen.  Er  berücksichtigt  jedoch  zu  wenig  die 
Düiltigkeit  unserer  Überlieferung  über  D.  und  gelangt  da,  wo  er  Neues 
vorträgt,  durch  vorschnelle  Schlußfolgerungen  zu  sehr  zweifelhaften  Er- 
gebnissen. Dies  zeigt  sich  recht  deutlich  gleich  im  Beginne  der  Abh. 
an  der  Behandlung  der  Stellen,  in  denen  Cic.  Demokrits  Lebensver- 
hältnisse berührt.  Daraus,  daß  sich  Cic.  d.  fin.  V  86  auf  Theophr.  be- 
ruft, nachdem  er  kurz  zuvor  dessen  Buch  t:.  £'jöai|xovtac  angeführt  hat, 
folgert  K.,  daß  Cic.  oder  vielmehr  sein  Gewährsmann  Antiochos  „ohue 
Zweifel"  die  ganze  Stelle  V  86  f.  dieser  Schrift  Theophrasts  entnommen 
hat,  und  er  findet  diese  Annahme  bestätigt  durch  Allan  v.  h.  IV  20, 
wo  «ganz  ähnliche  Gedanken",  ebenfalls  unter  Berufung  auf  Theophr., 


112     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

entwickelt  werden.  Indessen  stimmt  Alian,  wie  ich  in  meiner  Rezension 
B.  Ph.  W.-Schr.  1890,  1616  ff.  gezeigt  habe,  nur  darin  mit  Cic.  überein, 
daß  er  D.  sein  väterliches  Erbteil  gering  achten  und  weite  Reisen 
unternehmen  läßt,  in  bezug  auf  die  näheren  Einzelheiten  aber  von  jenem 
erheblich  abweicht.  Daraus,  daß  Allan  aus  Theophr.  den  Ausspruch 
citiert,  D.  habe  auf  seinen  Reisen  bessere  Schätze  gesammelt  als 
Menelaos  und  Odysseus,  ergiebt  sich  keineswegs,  daß  auch  der  übrige 
Inhalt  seines  Berichtes  auf  Theophr.  zurückgeht.  Dasselbe  gilt  von  der 
Stelle  bei  Cic,  wo  Theophr.  nur  zur  Bekräftigung  eines  Satzes  über 
den  wahren  Wert  der  Philosophie  angeführt  wird.  Einzelne  Bemer- 
kungen in  beiden  Stellen  können  sicher  nicht  aus  Theophr.  stammen, 
so  die  Erwähnung  von  Demokrits  Selbstblendung  bei  Cic.  und  die  Nach- 
richt von  seiner  Reise  zu  den  indischen  Weisen  bei  Allan;  denn  dies 
sind  Erdichtungen  einer  späteren  Zeit  (s.  Kahl  selbst  S.  7).  Es  bleibt 
also  ganz  ungewiß,  ob  Cic.  und  AI.  oder  ihre  Gewährsmänner,  abge- 
sehen von  jenen  beiden  Citaten,  irgend  etwas  oder  wieviel  und  was  sie 
etwa  aus  Theophr.  geschöpft  haben.  Auch  darin  greift  K.  fehl,  daß 
er  die  ursprüngliche  Quelle  unserer  Kenntnis  von  Demokrits  psrsön- 
lichen  Verhältnissen  in  den  eigenen  Schriften  dieses  Philosophen  zu  er- 
kennen glaubt. ' —  Auf  festerem  Boden  steht  der  Verf.  im  zweiten  Teile, 
wo  er  sich  mit  den  auf  Demokrits  Physik  sich  beziehenden  Stellen  be- 
schäftigt. Hier  hat  er  durch  genaue  Vergleichung  der  Darstellung 
Ciceros  und  namentlich  der  einzelnen  von  ihm  gebrauchten  Ausdrücke 
mit  unserer  sonstigen  Überlieferung  wahrscheinlich  gemacht,  daß  überall, 
wo  physikalische  Ansichten  des  D.  erwähnt  werden,  Ciceros  Gewährs- 
männer, Antiochos,  Kleitomachos  u.  a.  aus  Theophr.,  wenn  nicht  direkt, 
so  doch  durch  Vermittelung  der  sogen,  vetusta  placita  geschöpft  haben. 
Unsere  Kenntnis  der  demokritischen  Physik  wird  freilich  nur  unbe- 
deutend durch  diese  Beiträge  gefördert.  —  Vgl.  auch  die  Rezensionen 
von  A.  Döring,  W.-Schr.  f.  kl.  Ph.  1890,  943  f.  und  von  Diels, 
Arch.  IV  117  f. 

Natorp  (No.  370)  knüpft  an  eine  von  ihm  Arch.  III,  347  ff.  über 
^Aristipp  in  Piatons  Theaetet"  angestellte  Untersuchung  an.  Er  hatte 
dort  eine  zuerst  von  Schleiermacher  ausgesprochene,  dann  von  Dümmler, 
Antisthen.  56  ff.  und  Akadem.  173  ff.  aufgenommene  Vermutung  durch 
neue  Gründe  gestützt,  die  auch  Zeller  veranlaßt  haben,  seinen  noch 
II  1^,  350,  2  festgehaltenen  gegnerischen  Standpunkt  aufzugeben  (s.  Zeiler 
I\  1098  f.).  Danach  ist  der  Urheber  der  von  Piaton  Theaet.  156  A  ff. 
wiedergegebenen,  zu  seiner  eigenen  Ansicht  im  schärfsten  Gegensatze 
stehenden  Wahrnehmungstheorie  nicht  Protagoras,  sondern  wahrschein- 
lich Aristipp.  Ebendort  hatte  N.  auf  ein  nahes  Verhältnis  zwischen 
dieser    Lehre    und    Demokrits    Auffassung    von    der    Subjektivität    der 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophon  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     1  13 

Qualitäten  und  der  Qaalitätslosigkeit  des  Substrats,  ein  Verhältnis,  das 
nur  als  Abhängigkeit  Aristipps  von  D.  gedeutet  werden  könne;  auch 
den  bei  Piaton  soust  ungebräuchlichen  Terminus  roioTr,;  liabe  Aristipp 
vielleicht  schon  von  D.  übernoramen  (?).  Daraus  hatte  er  dann  den 
gewagten  Schluß  gezogen,  wenn  PI.  sich  mit  einer  von  D.  abstammenden 
Lehre  schon  im  Theaet.  auseinandergesetzt  habe,  so  werde  er  schwer- 
lich unterlassen  haben,  D.  selbst  zu  prüfen.  Diesem  Gedanken  geht  N. 
in  der  vorliegenden  Abb.  weiter  nach.  In  jener  eigentümlichen 
Sensationslehre,  von  der  PI.  im  Theaet.  ausgeht,  entdeckt  er  einen 
latenten  Widerspruch,  der  darin  liegt,  daß  auf  der  einen  Seite  die  Un- 
räumlicbkeit  aller  Empfindungen  angenommen  wird  (es  giebt  kein  ev 
au-b  xaö'  auxo,  also  auch  kein  xt,  toüto,  xoSe,  Ixstvo,  kein  irgendwie 
Bestimmtes),  während  sich  auf  der  andern  Seite  eine  wenn  auch  un- 
gewisse Ahnung  von  der  Bedeutung  des  Raumes  als  Grundlage  der 
Bestimmung  des  Sinnlichen  verrät.  Eben  dieser  Widerspruch  scheint 
dem  Verf.  deutlich  auf  die  tiefere  Quelle  jener  Lehre,  auf  D.,  zurück- 
zuweisen, der  das  Leere  d.  h.  den  Baum,  für  sich  ein  „Nichts",  ein 
Unbestimmtes,  trotzdem  als  real,  als  Grundlage  der  Bestimmung  für  das 
„Ichts"  d.  i.  die  Atome  anerkennt.  Ebenso  wird  auch  im  Theaet.  im 
Widerspruch  mit  dem  Prinzip  der  Baum  und  ein  bewegliches  Substrat 
im  Raum  als  Voraussetzung  zur  Erklärung  der  Sinneswahrnehmungen 
festgehalten.  Eine  solche  Inkonsequenz  ist  ohne  Demokrits  Einfluß 
nicht  denkbai'.  Dadurch  wird  Aristipp  als  Urheber  jener  Sensations- 
theorie noch  wahrscheinlicher,  da  seine  Lehre  auch  sonst  Spuren  demo- 
kritischen Einflusses  zeigt.  —  Auf  die  angebliche  Verwandtschaft  zwischen 
den  Lehren  dieser  beiden  Philosophen  gehe  ich  hier  nicht  näher  ein. 
Sie  scheint  mir  keineswegs  so  sicher  zu  sein,  wie  N.  annimmt.  Aber 
auch  wenn  man  gewisse  Anklänge  an  D.  bei  Aristipp  gelten  lassen 
will,  so  ist  damit  noch  lange  nicht  eine  Beziehung  der  im  Theaet.  dar- 
gestellten Sensationslehre  auf  D.  erwiesen.  —  Nicht  minder  unsicher 
sind  die  Spuren  direkter  Anlehnung  an  Demokrits  Ethik,  die  N.  im 
weiteren  Verlaufe  seiner  Untersuchung  in  Piatons  Schriften  zu  finden 
glaubt.  Zunächst  verteidigt  er  die  schon  in  den  „Forschungen''  im 
Anschluß  an  Hirzel  (s.  o.  S.  107)  vorgetragene  Beziehung  der  Stellen 
Phileb.  44B  und  Rep.  583  ff.  auf  D.  gegen  Dümmler  und  Zeller.  Auf 
eine  Prüfung  der  Gründe  für  und  wider  die  Gleichsetzung  der  Gegner 
der  Lustlehre  mit  Antisthenes  kann  ich  hier  um  so  mehr  verzichten,  als, 
selbst  wenn  diese  Auffassung  unmöglich  wäre,  daraus  mit  nichten  die 
Notwendigkeit  folgen  würde,  D.  als  den  Urheber  jener  Lehre  anzusehen. 
Dem  widerspricht  vielmehr  alles,  was  wir  über  Demokrits  ethische  An- 
sichten wissen.  So  wenig  D.  ein  ausgesprochener  Hedoniker  war  und 
so  unrecht  auch  die  haben,  die  unter  seiner  e'j&ujxioc  die  rfiorq  verstanden 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    (1903.    I.)  8 


114     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokratcs.    (Lortzing.) 

(s.  Laert.  IX  45),  so  weni^  darf  man  ihn  zu  den  Verächtern  jeder 
Lust  rechnen,  als  die  PI.  die  Vertreter  jener  Lehre  kennzeichnet. 
Wenn  N.  darauf  hinweist,  daß  auch  in  Piatons  Berichten  nicht  jede 
Lust  verworfen  wird,  sondern  nur  die  größte  und  gewöhnlichste  d.  h. 
die  körperliche,  wahrend  die  des  9p6vi[jLoc  ausdrücklich  ausgenommen 
wird,  und  wenn  er  hiermit  die  Unterscheidung  der  höheren  und  niederen 
Lüste  bei  D.  vergleicht,  so  hat  er  nicht  beachtet,  daß  PI.  in  der 
Philebosstelle  eine  solche  Unterscheidung  gerade  gegen  jene  oucyepeü 
geltend  macht,  keineswegs  sie  ihnen  selbst  beilegt.  Daran  wird  auch  durch 
die  Deutung  nichts  geändert,  dieN.dem  Worte  oüc/spetabeiPl. geben  möchte, 
wonach  es  nicht  „verächtliche  Strenge"  (Schleiermacher)  oder  „mürri- 
sches Wesen"  (Zeller),  sondern  „die  einer  vornehmen  Natur  (oux  «vevvoüf 
cpuaews)  eigene,  leicht  übertriebene  Feinfühligkeit*',  das  Widerstreben 
gegen  das  gemeine  Lustverlangen  bezeichnen  soll.  —  Ist  schon  die  Be- 
ziehung der  angeführten  Stellen  auf  D.  höchst  unwahrscheinlich,  so  ist 
eine  solche  Beziehung  vollends  im  Phaid.  (69 B,  81 B,  84 A;  vgl.  79 C) 
unerweislich.  Es  ist  kühn,  wenn  sich  N.  auf  grund  solcher  unsicherer 
Kombinationen  berechtigt  glaubt,  zu  behaupten,  PI.  habe  frühzeitig  den 
Einfluß  DeiLokrits  erfahren,  und  schon  der  Theaet.  sei  in  voller  Be- 
kanntschaft mit  dessen  Lehre  geschrieben,  obwohl  sich  deutlichere  Hin- 
weise auf  D.  nur  in  jeuen  ethischen  Fragen  fänden.  Dieses  Verhältnis 
Piatons  zur  demokritischen  Ethik  hat  N.  dann  in  seiner  Ausgabe  der 
Ethika  S.  157  ff.  durch  eine  noch  genauere  und  umfassendere  Ver- 
gleichung  zwischen  beiden  Philosophen  näher  zu  begründen  versucht. 
Wenn  man  auch  zugeben  muß,  daß  an  manchen  Stellen  die  Anklänge 
an  D.  so  auffallend  sind,  daß  es  nahe  liegt,  eine  direkte  Beziehung  an- 
zunehmen, so  ist  doch  in  den  meisten  Fällen  die  Ableitung  aus  D.  un- 
sicher oder  ganz  unwahrscheinlich.  Und  selbst  wenn  hier  und  dort 
wirklich  ein  Citat  aus  D.  vorliegen  sollte,  so  wäre  es  doch  unstatthaft, 
mit  N.  Piaton  seine  Grundanschanungen  aus  der  Philosophie  des  Abde- 
riten  schöpfen  zu  lassen.  Vgl.  meine  Besprechung  der  Ausgabe  B.  Ph. 
W.-Schr.  1894,   1000  ff.    . 

Von  großer  Wichtigkeit  für  die  Erkenntnis  der  Einwirkung 
Demokrits  auf  Epikur  ist  die  neuaufgefundene  Steinschrift  von  Oinoanda, 
auf  der  um  das  J.  200  n.  Chr.  ein  gewisser  Diogenes,  ein  begeisterter 
Anhänger  der  Gartenphilosophie,  neben  seinen  eigenen  Darstellungen 
der  epikureischen  Lehre  einige  Urkunden  des  Meisters  hat  eingraben 
lassen.  Die  wertvollste  unter  diesen  Urkunden  ist  ein  Brief  Epikurs 
an  seine  Mutter,  ohne  Zweifel  eins  der  ältesten  Denkmäler  seiner  Hinter- 
lassenschaft. Hier  tritt  uns  in  No.  9,  1,  wie  Usener  (No.  371)  bemerkt, 
das  Wörtchen  £uf}u[xta  entgegen,  das  Schlagwort  der  Ethik  Demokrits, 
von    dem   Ep.   durch  Vermittelung    des   Nausiphanes    ausgegangen    ist. 


Bericht  über  die  griecbischcn  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     Hf) 

Aber  wie  er  alle  Beziehungen  za  seinem  Lehrer  Nansiphanes  durch- 
schnitten hat,  so  hat  er  später  auch  jene  demokritische  e-jf^uixta  fallen 
lassen;  sie  begegnet  nirgends  in  seinen  bisher  bekannt  gewordenen 
Schriften  oder  Fragmenten.  Der  Brief  mnß  daher  in  die  Zeit  seiner 
ersten  Lehrthätigkeit  zu  Mytilene  und  Lampsakos  oder  spätestens  in 
den  Anfang  der  athenischen  Wirksamkeit  fallen.  Damit  haben  wir  ein 
urkundliches  Zeugnis  für  die  Annahme  Hirzels,  daß  Ep.  auch  in  seiner 
Ethik  von  D.  abhängig  sei.  Beachtenswert  ist  auch  ein  auf  der  In- 
schrift stehender  „Abriß  der  epikureischen  Physik",  der  u.  a.  in  No.  49 
eine  Polemik  gegen  Demokrits  vo'fAw  Y^yx'j  u.  s.  w.  enthält,  sowie  die 
Widei legung  des  Schicksaljjlaubens  (No.  40),  in  der  D.  getadelt  wini, 
daß  er  keine  freie  Bewegung  der  Atome  zugelassen  habe. 

Neue  Beweise  für  den  Einfluß  der  Sitten-  und  Erkenntnislehre 
des  D.  auf  Epikur  gewinnt  Sudhaus  aus  den  in  den  herkulanensischen 
Rollen  1015  und  832  erhaltenen  Teilen  aus  Pliilodems  Rhetorik  B.  II, 
deren  Text  er  zum  ersten  Male  veröffentlicht  und  herzustellen  versucht 
hat.  Der  erste  Teil  behandelt  Ansichten  und  Lehren  des  in  Demokrits 
Spuren  wandelnden  Nausiphanes.  In  col.  4  beantwortet  Nausiph.  die 
Frage,  ob  der  Weise  sich  an  der  Gesetzgebung,  an  strategischer  und 
staatswissenschaftlicher  Thätigkeit  beteiligen  werde,  mit  ja.  Er  weicht 
also  hierin  wie  auch  sonst  von  dem  eudämonistischen  Quietismus 
Epikurs  ab.  „Von  der  euftuixta  oder  eueuTu»  des  D.  zu  der  dxaTrXrj^i'a 
des  Naus.  und  der  epikureischen  dxapa^ta  ist  ein  langer  Weg."  Die 
paradox  scheinende  Behauptung,  daß  gerade  die  Physiologie  der  beste 
Ausgangspunkt  für  die  rhetorische  Ausbildung  sei,  begründet  Naus.  so: 
Der  Weise  und  der  Politiker  unterscheiden  sich  keineswegs  im  Gedanken- 
inhalt und  im  Stoffe,  sondern  nur  in  der  Ausdrucksweise.  Wie  sich 
der  Philosoph  des  Syllogismus  und  der  Induktion  bedient,  so  der  Poli- 
tiker des  Enthymems  und  des  Beispiels.  Dabei  erschien  ihm  als  die 
wertvollste  Schlußform  die  Berechnung  des  Künftigen  und  des  Unklaren 
aus  dem  Gegenwärtigen  und  Klaren,  die  auch  bei  D.  und  Epikur  eine 
wichtige  Eolle  spielt  (s.  Hirzel  Unters.  I  111).  In  Anlehnung  au  D. 
geht  Naus.  von  der  Wahrnehmung  als  der  wirklichen  und  allgemeinen 
Gründlage  der  Erkenntnis  aus.  Er  muß  dann  weiterhin  die  Gesetze  der 
Natur,  wie  er  selbst  sie  lehrte,  sowie  seine  psychologische  Kenntnis  des 
Privatlebens  auf  den  weiteren  Kreis  des  staatlichen  Lebens  übertragen 
haben,  —  Vielleicht  die  wichtigste  Notiz  des  Papyrus  steht  col.  44,  19, 
wo  es  heißt:  nicht  auf  klingenden  Lohn  komme  es  an,  sondern  auf 
xevwv  6o;wv  arcaXXa-frjv.  Hier  trifft  Naus.  mit  Ep.  (vgl.  auch  Dem.  bei 
Laert.  IX  45)  zusammen.  Aber  der  Weg  zur  Glückseligkeit  ist  bei 
beiden  verschieden.  Ep.  verweist  den  Philosophen  auf  sich  selbst  und 
auf  ruhigen  Genuß,  Naus.  aut  die  Gemeinschaft,  auf  politisches  Wirken 

b* 


116     Bericht  über  die  griecbischen    Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

und  gemeinnützige  Arbeit.  Seine  (JxaxaTrXy)Eta  hat  also  weit  mehr  Ähn- 
lichkeit mit  der  der  Stoa  als  mit  der  Epikurs.  —  Es  tritt  uns  iu  diesem 
Bruohstücke  Philodems  ein  offenbarer  Einfluß  Demokrits  auf  Naus. 
entgegen.  „Die  Angaben  über  die  p]rkenntnistheorie  des  Naus.  sind 
eine  glänzende  Bestätigung  von  Hirzels  Unters.  I  109  ff.  Die  Brücke, 
die  er  für  die  Kanonik  von  D.  zu  Ep,  schlug,  erhält  jetzt  gewisser- 
maßen durch  Naus.  eine  Zwischenstufe."  Allen  dreien  ist  der  Satz 
gemeinsam,  daß  man  in  der  Kanonik  von  den  aiJi^iQüei;  auszugehen  habe 
als  dem  untrüglichsten  Kriterium  der  Erkenntnis,  und  daß  mau,  was 
die  Methode  angeht,  vom  Erscheinenden  und  Deutlichen  zum  Verborgenen 
vorschreiten  müsse.  —  Vgl.  Frachter  Fortschr.  1898  (Band  96)  S.  50, 
der  mit  Sudhaus  in  den  Mitteilungen  Philodems  über  Naus.  sowie  in 
der  oben  angeführten  Stelle  aus  der  Inschrift  von  Oinoanda  eine  volle 
Bestätigung  der  Hirzelschen  Auffassung  erblickt.  Aber  ehe  mau  ein 
abschließendes  Urteil  fällt,  bedürfte  es  erst  einer  genaueren  Unter- 
suchung der  einzelnen  Punkte,  die  neben  den  Ähnlichkeiten  auch  die 
Unterschiede  ins  rechte  Licht  setzte;  denn  daß  Ep.  dem  D.  auf  den 
verschiedenen  Gebieten  der  Philosophie  zwar  vieles  entlehnt  hat,  aber 
oft  genug  auch  bewußt  von  ihm  abgewichen  ist,  wird  mehrfach  bezeugt. 
Für  die  Ethik  hat  zu  einer  solchen  Untersuchung  neuerdings 
Natorp  m  seinen  „Ethika  des  D."  S.  127  ff.  eine  dankenswerte  Vor- 
arbeit geliefert.  Mir  war  bereits  bei  meinen  früheren  Studien  über  D. 
die  Übereinstimmung  einzelner  Sentenzen  Epikurs  mit  ethischen  Bruch- 
stücken des  D.  aufgefallen,  und  ich  hatte  in  meiner  Abh.  „über  die 
ethischen  Fragmente  Demokrits*  S.  25  f.  darauf  hingewiesen,  daß  Ep. 
sent.  XVI  das  demokritische  Fr.  30  vor  Augen  gehabt  und  nachgebildet 
hat  (vgl.  Usener  Epic.  S.  396).  Einige  andere  Beziehungen  Epikurs 
auf  ethische  Aussprüche  des  Abderiteu  hatte  dann  Usener  im  Index 
S.  402  f.  kenntlich  gemacht.  Natorp  weist  nun  eine  noch  viel  größere 
Zahl  von  epikurischen  Aussprüchen  nach,  die  sich  im  Inhalt  und  oft 
auch  in  der  Form  eng  an  D.  anschließen.  Aber  nicht  nur  in  einer 
Reihe  spezieller  Vorschriften,  sondern  auch  in  der  Grundlage  und  Aus- 
gestaltung seiner  Sittenlehre  hat  Ep.,  wie  N.  darthut,  vielfach,  selbst 
in  den  Punkten,  wo  er  unter  dem  Einflüsse  der  kyrenaischen  Ethik  von 
ihm  abweicht,  an  Ep.  angeknüpft.  Ob  N.  freilich  das  Verhältnis  Epikurs 
zu  D.  und  Aristipp,  der  nach  seiner  Meinung  gleichfalls  auf  der  Ethik 
des  Abderiten  fußt  (s.  Eth.  193  ff.),  durchweg  richtig  bestimmt  hat,  ist 
mii*  zweifelhaft.  Darin  besonders  kann  ich  ihm  nicht  beistimmen,  daß 
er  dem  xeXoj  des  D.  absolute  Bewegungslosigkeit  beilegt.  Eine  genauere 
Betrachtung  des  52.  Fr.  wird  m.E.  ergeben,  daß  D.  eine  gewisse  mäßige 
Bewegung  der  Seele  mit  der  wahren  Lust  und  der  euöujxia  untrennbar  ver- 
bunden gedacht  hat.    S.  meine  zu  No.  385  anzuführende  Besprechung  der 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     117 

„Ethika"  999  f.  Wie  weit  aber  auch  die  tJ bereiiistimmuiig  Epikurs  mit 
D.  in  ethischen  Fragen  gehen  mag,  ein  fundamentaler  Unterschied,  den 
Natorp  nicht  genügend  beachtet  hat,  bleibt  doch  bestehen.  Eine 
systematische  Bearbeitung  der  Ethik  ebenso  wie  der  Kanuüik  hat  Ep. 
sicher  nicht  bei  D.  vorgefunden,  und  er  konnte  sich  daher  in  diesen 
beiden  Disziplinen  von  vornherein  nicht  entfernt  so  eng  an  seinen 
Meister  anschließen  wie  in  der  Physik,  die  ihm  bei  diesem  als  ein  in 
sich  geschlossenes  Ganzes  entgegentrat. 

In  den  Abhandlungen  von  Usener  und  Sudhaus  ist  ein  Punkt 
nicht  in  Ervväguug  gezogen  worden,  der  für  die  Beurteilung  der  Be- 
ziehungen zwischen  Epikur  und  der  demokritischen  Ethik  von  Wichtig- 
keit ist,  die  Frage  nämlich,  ob  die  ethischen  Fragmente  Demo- 
krlts  in  ihren  Hauptbestandteilen  als  echt  anzusehen  sind. 
Diese  Frage,  die  mit  der  Erforschung  der  Quellen  jener  Fragmente  im 
engsten  Zusammenhange  steht,  ist  während  der  Berichtszeit  mehrfach  er- 
örtert worden.  Ich  hatte  in  m  einer  Abh.  „über  die  ethischen  Fragmente 
Demokrits"  (Progr.  desSophiengymn.  Berlin  1873)  dieEchtheit  zu  erweisen 
unternommen  (vgl.  die  Besprechung  von  Susemihl  Fortschr.  I  5  [1875] 
S.532ff.).  Ich  glaubte  mich  bei  dieser  Untersuchung  innerhalb  der  Grenzen 
einer  vorsichtigen  Kritik  gehalten  zu  haben.  Daß  die  Echtheit  der 
Fragmente  mit  der  Widerlegung  einzelner  gegnerischer  Gründe  noch 
nicht  erwiesen  sei  und  daß ,  solange  sich  keine  Spur  einer  Kenntnis  der 
demokritischeu  Ethik  vor  den  Zeiten  Ciceros  nachweisen  ließ,  die 
Zweifel  der  Echtheit  nicht  verstummen  würden,  verhehlte  ich  mir 
nicht.  Ich  war  daher  darauf  gefaßt,  daß  mein  Standpunkt  in  dieser 
Frage  bestritten  werden  würde.  Eines  Angriffes  freilich,  wie  er  von 
ßohde  gegen  mich  gerichtet  wurde,  versah  ich  mich  nicht.  Dieser 
hat  in  der  ihrem  Hauptinhalte  nach  unter  No.  362  besprochenen 
Schritt  S.  67  und  70  ff.,  ohne  meinen  Namen  zu  nennen,  meine  ganze 
Auffassung  von  der  ethischen  Schriftstellerei  Demokrits  als  grund- 
verkehrt bezeichnet.  Der  „ganze  Wust"  (!)  moralischer  Sentenzen,  der 
unter  Demokrits  Namen  laufe,  sei  diesem  abzusprechen.  Es  sei  neuer- 
dings versucht  worden,  diese  Überbleibsel  zu  unverdienter  Ehre  zu 
bringen.  In  der  That  aber  sei  es  keine  „Hyperkritik",  wenn  man  aus 
dem  wirren  Haufen  angeblich  demokritischer  Moralsprüche,  in  denen 
sich  eine  „Biedermannsmoral"  mit  spezifisch  epikureischem  Quietismus 
seltsam  vermische  (!),  dem  D.  selbst  so  gut  wie  nichts  zuzuschreiben 
wage.  Ein  eigentlicher  Ethiker  sei  dieser  überhaupt  nicht  gewesen. 
In  den  Versuchen  zu  einer  Sonderung  des  Echten  und  Unechten  sei 
keine  philologische  Methode  zu  erkennen.  Ansätze  zu  ionischem  Dialekt 
seien  kein  Indizium  der  Echtheit.  Auch  Seneca  sei  kein  Prüfstein  der 
Echtheit,  da  er  z.  B.  dem  D.  die  sonst  dem  Heraklit  oder  Anacharsis 


118     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

oder  Antimachos  zugeschriebene  Sentenz:  unus  mihi  pro  populo  et 
populus  pro  uno  iu  den  Mund  lege.  Einer  Wideriegung  bedürfen  diese 
unerwiesenen  oder  unzulänglich  begründeten  Behauptungen  um  so 
weniger,  als  ihre  Unhaltbai'keit  sich  aus  den  unten  zu  besprechenden 
Untersuchungen  Natorps  und  Birts  von  selbst  ergiebt. 

Unter  den  eben  genannten  Forschern  entfernt  sich  von  ßohdes 
Standpunkt  am  weitesten  Hirzei  (No.  373),  der  jedoch  nach  der  anderen 
Richtung  hin  ins  Uferlose  treibt.  Er  sucht  nachzuweisen,  daß  Seneca 
in  seiner  Schrift  de  tranquillitate  vornehmlich  Demokrits  Werk  tz.  eui)u[xtT)? 
benutzt  hat.  Zu  diesem  Ende  geht  er  der  Reihe  nach  die  einzelnen 
Kapitel  der  Schrift  durch  und  findet  hierbei  eine  solche  Fülle  von 
Übereinstimmungen  und  Beziehungen,  daß  ihm  jede  andere  Annahme 
als  die  einer  direkten  Abhängigkeit  ausgeschlossen  erscheint.  Fänden 
sich  iu  der  That  an  allen  diesen  Stellen  sichere  Hinweisungen  auf 
demokritische  Aussprüche,  so  hätte  Hirzels  These  eine  gewisse  Wahr- 
scheinlichkeit, obwohl  auch  dann  Seneca  nicht  notwendig  Demokrits 
Buch  selbst  vor  Augen  gehabt  haben  müßte.  Nun  erscheinen  aber  bei 
näherer  Prüfung  die  angeblichen  Übereinstimmungen  vielfach  in  höchst 
zweifelhaftem  Lichte.  Von  vornherein  auszuscheiden  sind  die  Fälle,  in 
denen  es  sich  um  Gedanken  handelt,  welche  H.  nur  auf  unsichere  Ver- 
mutung hin  als  demokritisch  in  Ansprucli  nimmt.  So  setzt  er  die  von 
ihm  in  seinen  , Untersuchungen''  behauptete  Beziehung  einer  Philebos- 
stelle  auf  D.  ohne  weiteres  als  erwiesen  voraus  und  zieht  daraus  den 
mit  jener  Voraussetzung  natürlich  hinfälligen  Schluß,  daß  das  Wesen 
der  Tjoovr,  iu  der  Schrift  n.  eu&o|xiY]c  eingehend  erörtert  worden  sein 
muß.  Besonders  aber  in  dem  hippokratischen  Briefwechsel  glaubt  H. 
zahlreiche  Spuren  demokritischer  Lehren  entdeckt  zu  haben.  Ich  habe 
es  (a.  a.  0.  S.  24)  als  eine  vergebliche  Mühe  bezeichnet,  aus  der  Hülle 
dieser  Briefe,  abgesehen  von  einem  längeren  Bruchstücke  Tiepl  cptSaio; 
avOpwTDou,  das  ten  Brink  dem  Abderiten  zugeschrieben  hat  (s.  jedoch  jetzt 
Diels  Fr.  d.  Vorsokr.  469),  irgend  einen  demokritischen  Kern  herauszu- 
schälen. Diese  Ansicht  kann  ich  auch  Hirzels  Ausführungen  gegenüber 
im  wesentlichen  nur  aufrecht  erhalten.  Daß  der  Verf.  der  Briefe  verschie- 
dene Titel  der  demokritischen  Schriften  nennt,  beweist  noch  nicht,  daß  er 
diese  Schriften  auch  selbst  gelesen  und  benutzt  hat.  Die  Möglichkeit  einer 
solchen  gelegentlichen  Benutzung  läßt  sich  zwar  nicht  bestreiten,  und  manche 
Stellen,  wie  xai  ooxeouai  jjiev  £v  uoXefiu)  xxX.  S.  366  Littr.  und  aTapa^iY)? 
xal  Tapayr^;  \iizpoL  fjtT)  eiticjxoTre'jsiv  ebd.,  haben  in  der  That  eine  gewisse 
Ähnlichkeit  mit  Aussprüchen  und  Anschauungen  Demokrits  [vgl.  auch 
J.  F.  Marcks  symbola  critica  ad  epistolographos  graecos  Bonn  1883, 
S.  39  ff.,  wo  zu  den  von  H.  bemerkten  noch  manche  neue  Anklänge, 
namentlich  au  physikalische  Ansichten  Demokrits,    angeführt   werden]. 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     II9 

Aber  im  großen  und  gaüzeu  siud  doch  die  seichten  und  endlos  aus- 
gesponneneu  moralischen  Betrachtuugen  über  die  Tiiorheit  der  Menschen, 
die  der  Verf.  der  Briefe  den  D.  zum  besten  geben  läßt,  von  der 
gehaltvollen  und  knappen  Art  dieses  Philosophen  zu  weit  entfernt,  als 
daß  sie  auf  ihn  zurückgeführt  werden  könnten.  S.  R.  Heiuze  in  der 
anter  No.  374  zu  besprechenden  Schrift  (vgl.  desselben  Schrift  de  Ho- 
ratio  Biouis  imitatore  Bonn  1889  S.  5),  der  im  17.  Briefe  ein  Doku- 
ment der  neukynischen  Schule  sieht  und  treliend  bemerkt,  der  Cliarakter 
des  Ganzen  werde  nicht  dadurch  geändert,  daß  hier  und  da,  übrigens 
ungeschickt  genug,  demokritische  Sätze  verwertet  werden.  Am  aller- 
wenigsten aber  durfte  H.  aus  der  inhaltlichen  Verwandtschaft  mancher 
Abschnitte  bei  Seneca  mit  Äußerungen  des  Demokrit  der  Briefe  folgern, 
daß  der  Verf.  dieser  die  gleiche  Schrift  Demokrits  benutzt  haben 
müsse  wie  Seneca.  Das  wäre  nur  dann  zulässig,  wenn  zuvor  der  strikte 
Beweis  erbracht  worden  wäre,  daß  beide  aus  bestimmten  Stellen  Demo- 
krits geschöpft  haben;  einen  solchen  Beweis  aber  hat  H.  nirgends  er- 
bracht. Die  Ähnlichkeiten  sind  fast  durchweg  so  allgemeiner  Art  und 
so  wenig  charakteristisch,  daß  sie  sich  auch  ohne  die  Annahme  einer 
Entlehnung  aus  D.  erklären  lassen.  Etwas  anders  steht  es  mit  der 
nicht  geringen  Zahl  von  Anklängen  an  bestimmte  demokritische  Frag- 
mente, die  H.  bei  Seneca'  bemerkt  hat.  Einige  von  ihnen  sind  allerdings 
von  der  Art,  daß  man  au  eine  Entlehnung  aus  D.  glauben  könnte; 
vgl.  z.  B.  Seu.  c.  2,  11  fin.  mit  Fr.  49;  c.  6,4  mit  Fr,  163;  c.  7,  6  mit 
Fr,  217  u.  ä.  In  anderen  Fällen  aber  liegt  doch  nur  eine  sehr  entfernte 
(wie  c.  10,  1  und  Fr.  127  zwischen  necessitas  fortiter  ferre  docet  und 
dv6pr,iV,  Ta;  äta;  !j|i.txpaj  epöst)  oder  allzu  allgemeine  Übereinstimmung 
vor.  —  Über  das  Verhältnis  zwischen  den  beiden  ethischen  Schriften  Demo- 
krits stellt  H.  eine  von  der  meinigen  (s.  d.  eth.  Fr.  D.s  S.  6  f.)  abweichende 
Ansicht  auf.  Die  Bezeichnung  u7toi>Tjy.ai  werde  bei  den  älteren  Schrift- 
stellern nur  für  Gedichte,  nicht  für  Prosawerke  gebraucht.  Lege  man 
aber  die  Definition  der  G;ro9r-xT]  bei  Aristot.  Rhet.  1368  a  2  ff.  zu  gründe, 
so  seien  Fr.  7,  163  und  viele  andere,  die  sicher  zu  tt.  euöuixi'tj;  gehört 
haben,  G-ot>r,xai.  Da  habe  doch  D.  diesen  Titel  nicht  einer  ganz 
anderen  Schrift  geben  dürfen,  wenigstens  nicht  ohne  Hinzufügung  einer 
näheren  Beschränkung.  Wie  nun  in  dem  Verzeichnis  aristotelischer 
Schriften  bei  Hesych.  nach  Heitz  der  Titel  uepl  tjDixcüv  Nixo[xa/.  unoO^xat 
auf  einen  Auszug  aus  dem  betreffenden  Werke  zu  beziehen  sei,  so 
könne  auch  von  Demokrits  Schrift  tt.  eui).  ein  Auszug  veranstaltet 
worden  sein.  Dies  scheine  bestätigt  zu  werden  durch  Marc  Aurel  IV  24, 
der  offenbar  Fr.  163  in  kürzerer  Form  wiedergebe.  Diese  Sentenz 
müsse  dann  nach  Sen.  c.  13,  1  den  Anfang  gebildet  haben  [aber  hier  ist 
die  Lesung  coepisse  nicht  sicher;  die  Handschriften  haben  cepisse,  und 


120     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

H.  A.  Koch  schreibt,  wie  H.  selbst  angiebt,  praecepisse,  eine  nach  dem 
Urteile  von  M.  Heinze  Abb.  d.  sächs.  Ges.  d.  W.  1883  S.  708,  1  an- 
nehmbare Konjektur,  die  ich  bei  Abfassung  meiner  Abh.  übersehen 
hatte],  während  Dionys.  AI.  als  Anfang  Fr.  29  angebe.  Dieser  Wider- 
spruch löst  sich  nach  H.,  wenn  wir  unter  den  G::o{}9)xat  nicht  einen 
Auszug  aus  der  ganzen  Schrift  Demokrits  verstehen,  sondern  nur 
aus  ihrem  positiven  Teile,  also  ohne  die  polemische  Einleitung,  der 
wohl  Fr.  93 — 98  sowie  33  und  60  angehören,  welche  alle  mit  dtvo/jfxovs? 
beginnen.  Dann  würden  also  die  Worte  bei  Dionys.  den  Anfang  des 
Hauptteiles  der  Schrift  bezeichnen.  Für  widerlegt  kann  ich  meine 
Auffassung  der  uTiod^xat  als  einer  selbständigen  Schrift  neben  der  r.  euö. 
durch  diese  Beweisführung  nicht  halten,  die  übrigens  an  einem  auf- 
fallenden Widerspruche  leidet.  Nach  H.  müßte  das  oAqa  izpr^aae  bei 
M.  Aurel  in  den  Oizoöyjxat,  also  dem  Auszuge,  gestanden  haben,  während  die 
ihm  entsprechende  längere  Sentenz  (Fr.  92)  den,  wie  H.  meint,  von  diesem 
Auszuge  ausgeschlossenen  Anfang  der  ganzen  Schrift  (tt.  eui}.)  gebildet 
hätte.  Davon  abgesehen  aber,  hat  Hirzels  Annahme  manches  für  sich,  und 
ich  habe  nichts  dagegen,  wenn  man  sie  der  meinigeu  vorziehen  will. 
Nachdem  bereits  von  M.  Heinze  a.  a.  O.  708  f.  gegen  die 
Hirzelsche  Hypothese  Bedenken  erhoben  worden  waren,  hat  R.  Heinze 
(No.  374)  auf  die  Uczulänglichkeit  der  Argumente  Hirzels  hingewiesen. 
H.  habe  nur  gezeigt,  daß  für  den  von  ihm  ohne  weiteres  angenommenen 
Fall  der  Echtheit  der  ethischen  Fr.  Demokrits  viele  von  diesem  zuerst 
ausgesprochenen  Sätze  in  der  späteren  Ethik  fortgewirkt  haben.  Eine 
wörtliche  Übereinstimmung  trete  fast  nirgends  hervor.  Gegen  eine  un- 
mittelbare Abhängigkeit  Senecas  von  D.  spreche  aber  alle  Wahrschein- 
lichkeit. Bei  dieser  Annahme  wäre  es  schwer  zu  erklären,  daß  der  so 
viel  und  gern  citierende  Sen.  nur  ein  einziges  Mal  (d.  ir.  III  6,  3) 
einen  ethischen  Satz  Demokrits  anführt,  und  zwar  eben  den  einzigen, 
für  den  er  d.  tranqu.  13,  1  die  Autorschaft  Demokrits  bezeugt.  Auch 
den  schroffen  Widerspruch  gegen  die  stoische  Lehre  von  den  Affekten, 
die  Hirzel  in  c.  8  und  9  zu  finden  glaubt,  kann  Heinze  nicht  aner- 
kennen. Aus  allen  diesen  Gründen  kommt  er  zu  dem  Ergebnis,  daß  die 
etwaigen  Reminiscenzen  an  demokritische  Sätze  durch  stoische  Tradition 
zu  Sen.  gelangt  sind.  Übereinstimmungen  zwischen  Plutarch  u.  £u8u|i.ia; 
und  Sen.  brauchen  daher  nicht  auf  D.  zurückgeführt  zu  werden,  und  wir 
dürfen  nicht  mit  H.  Plutarchs  Schrift  benutzen,  um  Aufschlüsse  über 
den  Gang  der  Untersuchung  in  Demokrits  Schrift  zu  erlangen.  Gegen 
die  Annahme  Hirzels,  daß  Panaitios  ::.  euöufjii'a?,  den  er  vielleicht  nicht 
mit  Unrecht  als  eine  Hauptquelle  Plutarchs  ansieht,  den  D.  benutzt, 
aber  dessen  Grundsätze  bekämpft  habe,  bemerkt  Heinze,  diese  Polemik 
beschränke  sich   auf  die  Zurückweisung  des  verwerfenden  Urteils  über 


ßericl)t  über  die  griechischen  Philosopheu  vor  Solirates.    (Lortzing.)     121 

die  TcoXuT:pa7!JLQTJvir]  c.  2;  wenn  im  Schlußkapitel  die  Feste  als  überflüssig 
für  den  Weisen  verworfen  werden,  so  leite  schon  die  Anknüpfung  au 
Diogenes  zu  einer  kynischen  Quelle  hin. 

Hense  (No.  375)  macht  Ariston  von  Chics  auch  für  Plutarch 
TT.  ■iioX'j7:pa7{jLOJuvr];  als  eine  Hauptquelle  wahrscheinlich  und  findet  ari- 
stonische  Anklänge  nicht  nur  mit  Heiuze  in  t:.  euSup-iV,?,  sondern  auch 
noch  in  andern  Scliriften  Plutarchs,  so  besonders  in  r.  fj-^rj;.  Der 
Frage  nach  der  Quelle  von  Sen.  de  tranqu.  tritt  Hense  näher  in 
No.  376.  Er  thut  dar,  daß  Sen.  neben  anderen  Quellen,  wie  Panaitios, 
hauptsächlich  den  Stoiker  Athenodoros  benutzt  habe.  Ein  Haupt- 
beweisgrund gegen  Hirzels  Hypothese  ist  die  übereinstimmende  Ver- 
kürzung von  Fr.  163  bei  Sen.  und  Plut.  -.  t<j\).,  von  denen  letzterer 
sicher  nicht  direkt  aus  D.  schöpft,  sondern  aus  einer  stoischen  Quelle, 
nach  Heinze  aus  Ariston. 

Welchen  Wert  haben  nun  alle  diese  Untersuchungen  für  die  Eot- 
scheidung  über  die  Echtheit  oder  ünechtheit  der  ethischen  Fragmente  ? 
Daß  die  von  Cicero,  Seneca  und  Plutarch  benutzten  Autoren  eine  unter 
Deraokrits  Namen  gehende  Schrift  r.  e'j8u[xtV,;  gekannt  haben,  kann 
keinem  Zweifel  unterliegen.  Aber  auch  Epikur .'  Erwiesen  sind  freilich 
in  den  Resten  seiner  ethischen  Schriftstellerei  zahlreiche  Anklänge  au 
Demokrits  Fragmente,  und  Natorp,  dem  das  Hauptverdienst  zufällt, 
diesen  Nachweis  geführt  zu  haben,  ist  überzeugt  (Ethika  141),  daß 
diese  Übereinstimmungen  an  sich  schon  genügen,  um  jeden  Gedanken 
an  eine  durchgängige  oder  auf  größere  Partien  sich  erstreckende 
Fälschung  der  Überlieferung  über  Demokrits  Ethik  auszuschließen;  eine 
evidente  Parallele  bei  Ep.  könne  im  allgemeinen  geradezu  als  Bestätigung 
für  die  Echtheit  eines  demokritischen  Ausspruches  gelten.  Ein  hart- 
näckiger Leugner  der  Echtheit  köonte  indes  den  Spieß  umkehren  und 
sagen:  alle  diese  Parallelen  beweisen  gar  nichts;  sie  lassen  sich  ebenso 
gut  erklären,  wenn  man  annimmt,  daß  erst  nach  Ep.  unter  Demokrits 
Namen  eine  Schrift  entstand,  in  der  neben  anderen  älteren  Philosophen 
wie  Piaton  und  Aiistot.  in  ausgiebigstem  Maße  Ep.  geplündert  wurde. 
So  sind  wir  doch  schließlich  bei  dem  Maugel  einer  sicheren  äußeren 
Beglaubigung  auf  die  Betrachtung  des  Inhalts  und  des  Stils  der  Frag- 
mente selbst  hingewiesen.  Dieser  Weg  ist  denn  auch  in  der  That  mit 
Erfolg  von  Natorp  und  Birt  eingeschlagen  worden,  wie  wir  unten  sehen 
werden. 

Was  das  Verhältnis  des  Lucrez  zu  D.  betrifft,  so  verweise  ich 
aoch  hier,    wie  bei  Empedokles,    auf  die  Briegerschen  Jahresberichte. 

Das  von  A.  Jahn  veröffentlichte  Werk  desGregoriusPalamas 
(No.  377),  der  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  lebte,  enthält  nach 
einer  llpoöetüpia    einen  Streit   zwischen  Körper  und  Seele  in  der 


122     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Form  einer  gerichtlichen  Verhandlung.  Palamas  knüpft  damit  an  eine 
aus  dem  Altertum  überlieferte  Darstellung  des  Kampfes  zwischen  »Seele 
und  Leib  an,  über  die  Jahn  im  Epiraetrum  I  S.  öG  f.  handelt.  Über- 
liefert ist  uns  die  Ansicht  Demokrits  über  den  Verlauf  und  Ausgang 
dieses  Kampfes  und  die  davon  abweichende  des  Theophrast  bei  Plut. 
praec.  san.  tuend.  135  E  und  noch  genauer  im  Fr.  d.  an.  I  2.  Theophr. 
folgte  dem  Aristot.,  und  dieser  hat  wiederum  in  Piaton  seinen  Vorgäoger 
gehabt.  Derselben  Ansicht  schlössen  sich  die  patres  platonizantes,  die 
Gnostiker  und  besonders  die  Manichäer  an. 

Sehr  verdächtig,  ja  zum  weitaus  größten  Teile  sicher  unecht  ist, 
was  uns  bei  nachchristlichen  Autoren  aus  augeblichen  astrologischen, 
alchimistischen  und  geoponischen  Schriften  Demokrits  über- 
liefert wird.  Dem  Versuche  von  Maaß^)  (No.  378),  einer  echten  Schrift 
des  Abderiten  über  Wetterzeichen  auf  die  Spur  zu  kommen,  ist  die 
Widerlegung  alsbald  gefolgt.  Heeger  hatte  in  der  unter  Theophrasts 
Namen  überlieferten  Schrift  tt.  aT)[jLei(uv  ein  Exzerpt  aus  einem  peri- 
patetischen  Buche  des  ausgehenden  4.  oder  des  anfangenden  3.  Jahr- 
hunderts V,  Chr.,  vielleicht  einem  echten  Werke  Theophrasts,  vermutet, 
während  Böhme  „De  Theophrasteis  quae  feruntur  Ilepi  ar^ixeituv  excer- 
ptis"  Halle  1884  an  einen  Auszug  aus  Eudoxos  gedacht  hatte.  Beide 
hatten  auch  bereits  erkannt,  daß  sich  in  der  attisch  geschriebenen  Kom- 
pilation nicht  wenige  poetische  und  besonders  ionische  Worte  und  Wort- 
formen finden.  Maaß  ist  diesen  Spuren  weiter  nachgegangen  (vgl.  die 
Prolegomena  zu  seiner  Aratausgabe  S.  XXVI).  Er  glaubt  überall,  wo 
Ps.-Theophr.  sich  mit  Arat  im  Wortlaut  berührt,  die  gemeinsame  Quelle 
hindurchschimmern  zu  sehen.  Auch  die  Disposition  von  Ps.-Theophr. 
weist  nach  M.  auf  eine  solche  Quelle  hin.  Diese  ist  aber  nicht  Eudoxos, 
sondern  Dem.,  der  in  dem  Buche  Tiepl  dxatpiuiv  xal  euxatpiüiv  über 
„Wetterzeichen"  gehandelt  hat.  Auch  Clemens  ström.  VI  755  P. 
(=  Plin.  n.  h.  18,  341)  führt  auf  Wetterbeobachtungen  Demokrits  hin. 
Arat  V.  391:  aue?  «fopuTw  'im  ixapYaivousai  (vgl.  Ps.-Theophr.  §  49  und 
Clem.  Protr,  92)  stimmt  wörtlich  mit  Dem.  fr.  mor.  23  überein.  Wenn 
man  hier  auch  zunächst  an  die  Schrift  u.  eüöu|ji.tT)c  za  denken  hat,  so 
muß  man  doch  annehmen  (?),  daß  D.  das  Vorzeichen  von  den  tollenden 
Schweinen  auch  in  tt.  dxaipiüiv  u.  s.  w.  dargestellt  habe.  Zu  den  bei 
Ps.-Theophr.  §  1  genannten  nicht  unberühraten  Gewährsmännern  gehört 


*j  Beiläufig  sei  hier  erwähnt,  daß  Maaß  in  seinen  Aratea  (Philolog. 
Unters.,  12.  Beft,  Berlin  1892)  S.  123  ff.  von  den  verschiedenen  Bedeutungen 
des  Wortes  tcoXo;  handelt.  Er  bemerkt  hierbei,  daß  das  Wort  bei  Anaxa- 
goras  im  Sinne  der  beiden  Pole  gebraucht  wird  (s.  Hippolyt.  Doxogr.  563,  4 
und  Laert.  II  9,5:  "öv  cpavepöv  iccDvov);  auch  in  Demokrits  -&>,o-cpatp'.rj  sei 
von  der  Lage  des  Nordpols  oder  beider  Pole  die  Rede  gewesen. 


Beriebt  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     123 

uiithin  außer  Aristot.  auch  D.  Eiu  derartiges  Buch  Deniokrits  paßt 
auch  iu  das  atomistische  System  hinein:  sofern  wir  nicht  durch  uns 
selber  über  das,  was  in  der  Natur  bevorsteht,  Bescheid  wissen,  können 
wir  uns  durch  Beobachtung'  der  Einzelwesen  über  sich  vorbereitende 
Phäuonieue  Bescheid  verschaffen.  Auch  Pliuius,  der  iu  der  n.  h.  B.  XVIII 
zum  Teil  wörtlich  mit  Ps.-Theophr.  übereinstimmt,  und  ebenso  Alian 
(3.  z.  B,  die  Stelle  von  den  Schweinen  d.  nat.  an.  VII  8,  wo  für  <patv6- 
jjLsvoi  fxaiv6|jL£vot  [vgl.  }jLap-,'aivou3ai?  bei  Dem,]  zu  lesen  ist)  müssen  ein 
vielleicht  mit  einigen  fremdartigen  Zusätzen  versehenes  Exzerpt  aus  der 
echten  Schiift  Deinoliüls  benutzt  haben. 

Zu  wesentlich  anderen  Ergebnissen  gelangt  Kai  bei  (No.  379). 
Nachdem  er  für  den  ganzen  rein  astronomischen  Teil  der  (I>aivo|xeva 
Arats  ebenso  wie  für  Vitruv  IX  6  —  7,4  Eudoxos  als  Quelle  nachge- 
wiesen hat,  wendet  er  sich  gegen  Maaß'  Hypothese  über  den  zweiten 
Teil  des  Gedichtes  {-.  (;r,}xei(ov).  Die  von  M.  bei  Ps.-Theophr.  uach- 
g'ewiesenen  lonismeu  sind  von  der  Art,  wie  sie  seit  Aristot.  und 
Theophr.  zahlreich  in  die  attische  Schriftsprache  eingedrungen  sind, 
und  die  „poetischen  Wendungen",  die  er  anführt,  sind  entweder  keine 
solche,  oder  sie  können  von  einem  Prosaiker  guter  Zeit  wie  D.  über- 
liaupt  nicht  geschrieben  sein;  so  OotXajia  oiooyjx  xal  axxai  ßotüjat;  hier 
haben  wir  vielmehr  ein  unverfälschtes  Citat  aus  Arat  (v.  909).  Es  ist 
also  in  dem  Buche  tc.  or,jx£i(uv  Arat  benutzt  worden  (vgl.  auch  §  23  mit 
Arat  V.  892).  Daß  bei  Ps.-Theophr.  auch  Gredauken  Deniokrits  vor- 
kommen, der  an  Wetterzeicheu  glaubte  und  manche  von  ihnen  erwähnt 
Latte,  ist  nicht  zu  verwundern.  Aber  wenn  Ps.-Theophr.  das  Zeichen 
von  den  Schweinen  (§  49)  ein  ör,[x63iov  nennt,  so  ist  seine  Quelle  eben 
nicht  Dem.,  sondern  die  mündliche  Tradition.  Auch  daraus,  daß  sich 
der  Gedanke  in  §  57  teilweise  mit  dem  deckt,  was  Dem.  bei  Plin.  18,  23 
(vgl.  Geopon.  I  5,  3)  sagt,  darf  man  nicht  mit  Maaß  auf  D.  als  Quelle 
schließen.  Sicher  kann  diese  Quelle  nicht  die  Schrift  Atxiai  1:.  dxaipiöüv 
xal  eiTixaipitüv  sein,  ein  Titel,  der  für  eine  Bearbeitung  der  ''Ep^a 
xal  r,[jL£pai,  nicht  aber  für  ein  Buch  gleich  dem  nepl  ar,[jL£i(uv  passen  würde, 
in  dem  von  „günstigen  und  ungünstigen  Tagen"  nirgends  die  ßede  ist. 
Das  Buch  r..  a.  ist  überhaupt  kein  Exzerpt,  sondern  ein  in  seinen 
Hauptteilen  gut  geordnetes  Original,  mit  schönem,  wohldurchdachtem 
Vorwort;  die  Orduungslosigkeit  innerhalb  der  Hauptteile  ist  zum  großen 
Teil  durch  nachträgliche  Einfügung  von  Citaten  aus  Arat  entstanden. 
Arat  kann  also  Ps.-Theophr.  nicht  benutzt  haben  und  ebensowenig 
dessen  angebliches  Original. 

Noch  ohne  Kenntnis  der  Kaibelschen  Kritik  hat  Di  eis  die  kleine 
Abb.  No.  380  geschrieben.  Im  Anfang  weist  er  auf  einige  Fragmente 
vorsokra tischer  Philosophen  hin,    die  wir  dem  Londoner    medicinischen 


124     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Papyru3  verdanken  (s.  Ber.  I  176  ff.)-  ""'i  bemerkt  dann,  daß  das  an- 
gebliche Fragment  des  Farmen.,  welches  Couvreur  Rev.  d.  philol.  1893 
S.  108  (s.  unter  No.  139)  bei  Proklos  in  Cratyl.  entdeckt  haben  will,  nach 
einer  Erinnerung  Zellers  sich  nicht  auf  den  Eleatsn,  sondern  auf  Piatons 
Parm.  (142A)  bezieht.  Dagegen  findet  sich  ein  neues  Demokrit- 
fragment,  auf  das  D.  durch  F.  Cumont  hingewiesen  worden  ist,  bei 
dem  anonymen  Verf.  des  Dialoges  Hermippus  S.  25,  7  Kroll -Viereck. 
Die  von  D.  abgedruckte  Stelle  ist  zwar  kein  wörtliches  Citat,  hat  aber 
die  atomistische  Anschauung  über  die  Einwirkung  der  in  der  Luft 
schwebenden  Däraonenbilder  auf  die  menschliche  Seele  treu  bewahrt. 
Die  Worte  veypoic  xai  [xueXor?  lY^ai)yi[i.evouc  avs^eipstv  xa'.  dvaTrXcxTTSiv  tÄ? 
<}^u"/aj  rj|X(ö  VEi;  auxou;  oia  xs  ipXeßäiv  xat  apTrjpiwv  xai  autoü  xoü  e7X£(paX.ou  xal 
lj.£5(pi  xaiv  (jirXa7^v(üv  ßir^xovxa?  erinnern  stark  an  das  E'/xaxaß'jaaoüJÖai  xa 
ei'StuXa  8ta  xcüv  Tiopcov  eis  xot  aiüjxaxa  Demokrits  bei  Plnt.  qu.  sympos. 
VIII  10,  2.  Das  neue  Fr.  ist  eine  genauere  Ausführung  zu  Sext. 
math.  IX  19  über  Demokrits  Dämonenglauben.  D.  scheint  den  Nacht- 
seiten der  menschlichen  Natur  eine  bei  seinem  Rationalismus  auffallende 
Vorliebe  zugewandt  zu  haben.  E.  Maaß  hat,  wie  D.  glaubt,  bewiesen, 
daß  Ps.-Theophr.  ti.  TrjjjLetwv  und  Arat  auf  ein  ausführliches  Wetterbuch 
Demokrits  zurückgehen. 

Berthelot  ist  geneigt,  die  Mitteilungen  bei  Seueca  und  Laert. 
über  mehrere  demokiitische  Schriften,  die  von  Steinen,  Metallen  u.  s.  w, 
handelten,  sowie  die  Nachricht  Olympiodors  über  eine  aus  4  Büchern 
bestehende  Schrift  des  D.  de  elementis  auf  alte  und  zum  Teil  echt 
demokritische  Werke  zu  beziehen.  Er  beruft  sich  für  diese  Annahme 
auf  die  Nachrichten  des  Laert.,  Diodor  und  Clem.  über  weite  Reisen 
Demokrits,  die  er  für  ebenso  authentisch  hält  wie  die  Mitteilung,  D.  habe 
über  die  heiligen  Schriften  der  Chaldäer  und  von  Meroe  geschrieben  (!). 
Die  Umwandlung  des  D.  in  einen  Magiker  sei  nicht  nur  durch  Plinius 
und  die  griechischen  alchimistischen  Schriften,  sondern  auch  in  dem 
magischen  Ritual  der  ägyptischen  Papyri  von  Leyden  bezeugt;  es  habe 
also  auch  in  Ägypten  in  den  eisten  christlichen  Jahrhunderten  eine 
solche  Tradition  geherrscht.  Unter  den  verschiedenen  alchimistischen 
Rezepten,  die  in  dem  von  Pizzimenti  Padua  1573  herausgegebenen 
Buche  Democriti  Abderitae  de  Arte  magna  (identisch  mit  den  Mystica 
es  Physica,  nicht,  wie  Mullach  Dem.  fragm.  S.  158  f.  will,  davon  ver- 
schieden) vereinigt  sind,  ist  nach  B.  die  am  Anfang  stehende  Anweisung, 
mit  Purpur  zu  färben,  ein  altes  Fragment,  das  vielleicht  auf  einige  der 
von  Laert.,  Petron.  und  Seneca  augeführten  Abhandlungen  zurückgeht. 
Das  dann  folgende  Stück  über  Demokrits  Rückkehr  aus  der  Unterwelt 
steht  vielleicht  im  Zusammenhange  mit  seiner  Lehre  von  den  Götter- 
idolen   und    den  Träumen.     Das    übrige    zerfällt  in  drei  Partien,    von 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     125 

denen  die  alchimistische  apokryph  und  am  jüngsten,  aber  doch  älter 
als  das  4.  Jahrhundert  n.  Chr.,  die  magische,  ebenfalls  apokryph,  aber 
älter  als  Plinius  ist,  und  die  technische,  vielleicht  die  älteste,  an  D. 
oder  vieiraehr  an  seine  Schule  anknüpft.  Über  die  4  Bücher  über 
Färben  auf  Gold,  Silber,  Steine  und  Purpur  berichtet  uns  Synesius, 
der  vor  389  schrieb,  und  Zosimns  (etwa  zur  Zeit  Konstantins  oder  Dio- 
kletians, vielleicht  noch  älter);  für  diese  istPs.-Dem.  schon  eine  Autorität. 
Die  fälschlich  dem  D.  beigelegten  Betrachtungen  über  die  Natur  von 
dem  Mendesicr  Bolus:  XeipoxfxiQTa  d.  h.  „manipulationes"  hält  Plinius 
für  authentisch;  vielleicht  hatte  D.  Abhandlungen  dieser  Art  wirklich 
geschrieben  ('?),  mit  denen  man  dann  die  seiner  Nachahmer  verbunden 
hat.  Bolus,  dem  u.  a.  auch  das  pseudodemokritische  Buch  ti.  ao|XT:a\>et(üv 
xat  avTii:aBetuiv  zugeschrieben  wird,  scheint  kein  absichtlicher  Fälscher 
gewesen  zu  sein,  sondern  sich  zur  Schule  des  D.  gerechnet  zu  haben 
(vgl.  Steph.  Byz.  BtlSXo;  6  ilr,[j,oy,piTeio;) ;  er  lebte  spätestens  zur  Zeit 
Christi.  Auf  ein  ähnliches  Werk  gehen  wohl  auch  die  demokritischen 
Vorschriften  in  den  Geopouica  zurück  [vgl.  auch  die  mir  nicht  zuge- 
gangene Collection  des  ancieus  alchimistes  grecs  par  Berthelot  et 
C.  E.  Ruelle  B.  I  Paris  1888].  —  Diesem  Versuche  des  französischen 
Chemikers ,  in  dem  Wüste  der  unter  Demokrits  Namen  überlieferten 
alchimistischen  und  -  magischen  Werke  gewisse  Reste  echt  demo- 
kritischen Schrifttums  zu  entdecken,  fehlt  es  an  der  rechten  kritischen 
Methode. 

Tannery  giebt  eine  Reihe  von  Erklärungen  zu  dem  pseudo- 
demokritischeu  Traktat  Pbysica  et  Mystica  und  bemerkt,  daß  Synesius 
vier  alchimistische  Bücher  Demokiits  anführt,  von  denen  nur  zwei,  die 
über  Gold  und  Silber,  erhalten  sind;  dazu  kommt  noch  ein  von  Synesius 
nicht  gekanntes  5.  Buch  Demokrits,    das  dem  Leukipp  zugeeignet  ist. 

Viel  besonnener  als  Berthelot  verfährt  Gern  oll.  Er  geht 
(S.  107 — i27)  sämtliche  Stellen  der  Geoponica  durch,  die  dem  D.  bei- 
gelegt werden  oder  in  denen  er  erwähnt  wird,  und  legt  dar,  daß 
Mullachs  (8.  150  &.)  Beweise  für  den  demokritiscben  Ursprung  von 
13  Stellen  auf  sehr  schwachen  Füßen  stehen.  G.  selbst  nimmt  mit 
Meyer  Gesch.  d.  Botanik  S.  17  ff.  an,  daß  das  -/eoip^ix^v  ebenso  wie 
die  Schrift  ir.  (Jv-nraOÄv  oder  ir.  oüixuaOeiuiv  xat  avTiTtai^eiüiv ,  aus  der 
wohl  ein  Teil  der  Stellen  in  den  Geop.  stammt,  ein  Machwerk  des 
Bolos  sei,  das  wahrscheinlich  einen  Teil  von  dessen  67iO|xvT][xcxTa  gebildet 
habe.  Auch  glaubt  er,  daß  die  Geop.  nicht  aus  der  Schrift  des  D. 
r.  JU1X-.  X.  dvTiT:. ,  sondern  aus  der  des  Neptualius  [s.  jedoch  zu 
No  384]  TT.  TüJv  xat  dvn'raöeiav  xat  aufiTtdöetav  geschöpft  haben.  Da 
das  pseudodemokritische  -^ccop-ftxov  nach  Laert,  nicht  melir  erwähnt  wird, 
so  ist  es  vermutlich  in  ein  Geopouicorum  corpus  aufgenommen  worden. 


126     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.") 

wohl  dasselbe  wie  das  des  Anatolius.    Anf  dieses  würden  dann  sämtliche 
dem  D.  in  den  Geop,  zugeschriebenen  Stellen  zurückgehen. 

Zu  einem  nicht  wesentlich  verschiedenen  p]rgebnis  gelangt 
Oder  in  seiner  trefflichen  Untersuchung,  obwohl  er  die  Methode 
Gemolls  für  verfehlt  erklärt.  Unter  den  zahlreichen  Qnellen- 
schriftstellern,  die  Anatolius,  die  nächste  Quelle  der  Geop.  (su 
anch  Gemoll)  benutzt  hat  (doch  schöpft  er  seine  Kenntnis  Demokrits 
nicht  unmittelbar  aus  diesem,  sondern  aus  Apuleius  und  Africanus),  wird 
D.  im  Texte  am  häufigsten  angeführt  und  zwar  in  21  Eklogen.  In 
diesen    sind    dem    Inhalte    nach    zu    unterscheiden:    a)  Astrologisches; 

b)  mystisch-magische  Mittel  auf  grund  von  Sympathie    und  Antipathie; 

c)  Veterinärkunde;    d)  Landwirtschaftliches.    Gruppe  b    geht    auf  Ps.- 
Demokrits  Buch  tt.  oufjnr.  x.  »vtitt.    zurück.    Ekl.  XV  1  deckt  sich  mit 
den  Bruchstücken  zweier  von  Gemoll  Striegau  1884    herausgegebenen 
Traktate    über    denselben  Gegenstand.     Der  Verf.   des  ersten  ist  nach 
Haupts    (Opusc.  III  279)    glänzender    Emendation    nicht    Neptualius, 
sondern  Neptunianus,  wahrscheinlich  ein  Zeitgenosse  Tatians,  der  des 
zweiten  scheint  ein  Fälscher  unter  Demokrits  Flagge  zu  sein,    obwohl 
dem  Traktate  Demokrits  Name  auch  nur  als  Vermutung  eines  Späteren 
hinzugefügt    sein    kann.     Das  Sympathiebuch    wird   dem  D.  bereits  im 
Altertum  einstimmig  von  allen  Kritikern  abgesprochen,  und  bei  Thrasyll 
fehlt  es  gänzlich.    Wenn  dieser  andere  unzweifelhaft  gefälschte  Schriften 
vne  die  yetpoxpLYjTa  -q  TrpoßX%aTa    in    seinen  Katalog   aufgenommen  hat 
(die  ÖTrOfjLVTjfxaTa  rjB^txot,  zu   denen  die  yeipoxfjLY)Ta  gehörten,  bestanden  wohl 
nicht  aus  9,    sondern    aus  10  Spezialschriften,    da    man    zu  den  9  von 
Thrasyll  aufgezählten  die  u7ro[j.vrjfi,aTa  noch  als  besonderes  Buch  hinzu- 
nehmen muß  [?]),  so  erkannte  doch  auch  er  unechte  Bücher  Demokrits 
als    solche    an;    vgl.    die    Schlußbemerkung    des    Verzeichnisses  Laert. 
IX  49    wo    in  der  Wendung  xa  oo^ioii  6|j.oXo-cou[x£vcuc  ejtIv  aXXorpta  zu 
liegen    scheint,    daß  er  selbst  angezweifelte  Schriften  seinem  Kataloge 
eingereiht    hat.      Die   Notiz    bei  Suidas ,    die    dem   D.    nur    den  fxs-j-a; 
oiaxoa!J.oc  und    Tcepl    cpujcio?  xojjjlou    als    echt    läßt,    hätte  Rhode    nicht 
ernst    nehmen    sollen;    es    war    dies    ein    arger  Streich    eines    „Spaß- 
vogels". —  0.  vermutet  dann,  daß  es  Kallimachos  war,  der  den  Bolos 
als  Fälscher  demokritischer  Schriften  ermittelt  hat  und  zwar  in  den  von 
Suidas  erwähnten  Tzi\ak  xcSv  AifjixoxpiTou  -[■Xwaocuv  xal  ouvTa7}jLaTa)v.  —  Die 
meisten  Citate  aus  D.  in  den  Eklogen  können  auf  das  von  Thrasyll  ange- 
führte Buch  tt.  7£tup7tY]c  t)  7e(üp7ixov  zurückgehen,  das  aber  ebensowenig 
echt   war    wie  das  über  Sympathie  und  Antipathie.     Höchstens  könnte 
einiges  Echte    aus  Demokrits  Schriften    darin  gewesen  sein,    das  dann 
nach  Thrasylls  Ausdruck    ex    xcüv  auxou  oiscxeucstaxai.     Daß  auch  dieses 
Bach  als  ein  Erzeugnis  des  Bolos  angesehen  wurde,  scheint  aus  Colu- 


Bericht  über  die  griecbisclien  Philosophen  vor  Sokrates,    (Lortzing.)     127 

mellii  XI  3,  2  hervorznaehcn.  —  Zu  der  üderschen  Abh.  bemerkt 
Diels  Arch.  IV  118,  da  Bolos  auch  als  Pythag-oreer  bezeichnet  werde, 
dürfe  man  vielleicht  auch  bei  der  pythagoreischen  Litteratnr,  die  unter 
Deniokrits  Flagge  segelte,  au  ihn  denken.  —  Vgl.  auch  den  von  Oder 
bearbeiteten  25.  Abschnitt  in  Suseraihls  Gesch.  d.  gr.  Litt,  in  dor 
Alexandrinerzeit  I  (Leipzig  1891)  S.  835  f. 

h)  Zu  Demokrits  Fragmenten. 

385.  P.  Xatorp,  Die  f]thika  des  Deniokritos.  Text  und  Unter- 
suchungen.    Marburg,  Ehvert  1893.     VII,  198  S.     8. 

386.  Demokrits  ethische  Fragmente  ins  Deutsche  übertragen  von 
K.  Vorländer.     Ztschr.  f.  Philos.  107  (1896),  S.  253—272. 

387.  A.  Ammon,  Der  Philosoph  Dem.  als  Stilist.  Xenien,  der 
41.  Philologenvers,  dargeboten  vom  hist.-philol.  Verein.  München, 
Lindl,  1891.     S.  3—11. 

388.  P.  Thomas,  Zu  Demokrit  Fr.  103  (Stob.  fl.  ed.  Mein  IV 
p.  160j.     Rev.  de  l'instr.  pnbl.  en  Belg.  31  (1888)  S.  231. 

389.  H.  Useuer,  Variae  lectionis  specinien  primum.  Jahrb.  f. 
kl.  Ph.  139  (1889)  S.  369—397. 

390.  S.  Mekler,  Lucubrationum  criticarum  capita  quinque.  Sep.- 
Abdr.  aus  dem  Jahresb.  d.  Obergymnasiums  im  XIX.  Bezirke  Wiens. 
1894/95.      18  S.     gr.  8. 

Natorps  Ethika  sind  in  doppelter  Hinsicht  für  die  Demokrit- 
forschuu^  von  großer  Bedeutung.  Bis  dahin  hatte  es  sowohl  an  einer 
gründlichen  Untersuchung  der  Ethik  Demokrits  vi^ie  auch  an  einer  den 
heutigen  Anforderungen  der  Wissenschaft  einigermaßen  entsprechenden 
Ausgabe  der  ethischen  Fragmente  gefehlt.  Diese  Lücke  ausgefüllt  zu 
haben  ist  Natorps  Verdienst.  Der  1.  Hauptabschnitt  enthält:  a)  das 
Verzeichnis  der  ethischen  Schriften  bei  Laert.;  b)  die  Doxographie  über 
das  TtXoz  des  D.  und  seine  Schule;  c)  die  Sammlung  der  Fragmente. 
Die  Neubearbeitung  des  Textes  ist  zwar  nicht  frei  von  Mängeln,  aber 
sie  läßt  die  MuUachsche  weit  hinter  sich  und  ist  sicherlich  dazu  an- 
gethan,  einer  künftigen  abschließenden  Rezension  als  Grundlage  zu 
dienen.  Für  die  in  der  psendodemokratischen  Sammlung  enthaltenen 
Brnchstücke  hat  N.  den  cod.  Palat.  356  neu  verglichen,  ohne  freilich 
daraus  erheblichen  Gewinn  zu  ziehen.  Was  die  bei  Stob,  über- 
lieferten Fragmente  anbetrifft,  so  bot  N.  für  die  sogen.  Eklogeu  Wachs- 
maths  Ausgabe  einen  gereinigten  Text,  während  er  für  das  sogen. 
Florilegium  auf  die  unzureichenden  Ausgaben  von  Gaisford  und  Meineke 
angewiesen    war.     Leider    ist  Natorps  Verfahren    iu  der  Auswahl  der 


128     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokratcs.    (Loitzing.) 

kritischen  Anmerkungen  sehr  ungleichmäßig;  während  bei  manchen 
Fragmenten  geringfügige  Abweichungen  unter  dem  Strich  erwähnt 
werden,  fehlt  anderwärts,  selbst  bei  erheblichen  Änderungen,  jede  kritische 
Note.  Neu  hinzugekommen  sind  7  bei  Mull,  fehlende  Bruchstücke,  von 
denen  5  mit  Recht  Aufnahme  gefunden  haben:  12  (aus  Laert.  1X45'), 
29  (s.  meine  Abh.  S.  25),  37  a  =  fr.  var.  arg.  8  MuH.,  120  (aus  Seneca), 
das  sich  von  211  hinreichend  unterscheidet,  um  als  selbständiges 
Fragment  zu  gelten,  und  184  =  fr.  spur.  5  Mull.,  das  N.  nach  meinem 
Vorgange  wieder  in  eein  Recht  eingesetzt  hat.  Sehr  zweifelhaft  da- 
gegen erscheinen  mir  Fr.  3,  ein  stark  stoisch  gefärbter  Bericht  des 
Diotimos  über  Demokrits  ethisches  Prinzip,  und  das  auf  grund 
einer  unsicheren  Vermutung  Ritters  und  Useners  (Epic.  S.  118,  19) 
aufgenommene  Fr.  86  a.  —  Der  Sammlung  der  Fragmente  sind  zwei 
Anhänge  beigegeben.  Der  erste  handelt  über  den  Dialekt  der  Frag- 
mente und  enthält  eine  ziemlich  erschöpfende  Zusammenstellung  der  Be- 
sonderheiten dieses  Dialekts  auf  dem  Gebiete  der  Laut-  und  Formen- 
lehre. N.  hat  mit  dieser  Übersicht  einen  guten  Grund  zu  einer 
Darstellung  des  demokritischen  Dialekts  gelegt;  aber  es  ist  freilich  nur 
ein  Anfang.  Nicht  allein,  daß  manche  Einzelheiten  noch  einer  genaueren 
Feststellung  bedürfen,  es  steht  auch  noch  eine  Untersuchung  der  lexi- 
kalischen und  syntaktischen  Eigentümlichkeiten  Demokrits  aus.  Sehr 
wichtig,  auch  für  die  Frage  der  Echtheit,  wäre  eine  Sammlung  der,  wie 
es  scheint,  ziemlich  zahlreichen  ai:a$  Xs-j'o'fjLsva  oder  selten  vorkommen- 
den "Wörter  und  der  D.  eigentümlichen  Wendungen.  Eine  treffliche 
Unterlage  für  solche  Untersuchungen  würde  das  den  zweiten  Anhang 
bildende  Wortregister  bieten,  das  mit  großer  Sorgfalt  angelegt  ist. 
Der  zweite  Hauptabschnitt  bringt  „Untersuchungen  über  die  Ethik 
des  D.  und  ihre  Fortwirkung  in  der  philosophischen  Ethik  der  Griechen". 
Im  1.  Kap.:  „Die  Überlieferung  des  D."  wird  zunächst  auf  die  Gleichartig- 
keit der  doxographischen  und  auf  die  Güte  ihrer  gemeinsamen  Quelle  hinge- 
wiesen. Die  doxographische  Tradition  steht  aber  mit  den  überlieferten 
Fragmenten  im  Einklang  und  hat  ihren  Ursprung  wahrscheinlich  in  den- 
selben ethischen  Schriften  des  D.,  aus  denen  die  ältere  von  Stob,  und  von 
Ps.-Dem.  benutzte  Spruchsammlung  geflossen  ist.  Über  die  Zahl  und 
Beschaffenheit  dieser  ethischen  Schriften  stimmt  N.  im  wesentlichen  meiner 
Auffassung  bei.  Sehr  unsicher  dagegen  erscheint  mir  die  Annahme Natorps, 
die  uTToörjxat  seien  identisch  mit  der  TpiT07£V£tTf)  des  Thrasyllschen  Ver- 
zeichnisses, die  nach  den  in  den  Iliasscholien  zur  Erklärung  ihres  Titels 
angeführten  drei  Kategorien:  eu  XoYiCsaSai,  xaXüic  Xe^st"^  und  opOwc  TcpatTstv 
geordnet  gewesen  sei.  Das  letztere  könnte  selbst  dann  nicht  mit 
Sicherheit  behauptet  werden,  wenn  der  Titel  und  die  Deutung  wirklich 
von  D.  herrührten  (s.  Zeller  930,  4).     Was  N.  S.  59  f.  über  das  Ver- 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     129 

hältnis  der  Gnomen  des  sog.  Demokrates  zu  der  Sammlang  ex  xwv 
JLT)|jLoxpt-ou  'IjoxpaTouc  'ErixTr^Tou  (vgl.  Sehen  kl  Sitz.-B.  d.  Wiener 
Ak.  B.  105,  465  ff.  und  desselben  Ausgabe  des  Epiktet)  sowie  über 
die  Wertlosigkeit  dieser  Sammlung  und  der  späteren  Gnomologien  tlber- 
hanpt,  die  alle  aus  einer  gemeinsamen,  am  besten  durch  das  Gnomol. 
Parisiuum  repiäsentierten  Quelle  stammen,  an  der  Hand  von  Mitteilungen 
Elters  ausgeführt  hat,  ist  durchaus  zutreffend.')  Am  Schlüsse  dieses 
Kap.  bespricht  X.  das  Verliältnis  unserer  Fragmente  zu  den  älteren 
Elegikern  und  lambographen,  Demokrits  Vorgängern  in  der  ethischen 
Reflexion.  Hierbei  stellen  sich  besonders  zahlreiche  Beziehungen  zu 
Theognis  heraus,  aber  auch  zu  Selon,  Archilochos,  Simonides  v.  Amor- 
gos  u.  a.  Diese  Beziehungen  sind  zum  Teil  polemischer  Art;  aber 
noch  häufiger  knüpft  D.  an  seine  Vorgänger  direkt  an,  wie  in  den  Be- 
trachtungen über  Reichtum  und  Armut,  über  Erziehung,  über  die  Not- 
wendigkeit des  Maßes  im  Handeln.  Mit  Recht  sieht  X.  in  diesen 
Übereinstimmungen  eine  der  Stützen  für  die  Echtheit  unserer  Frag- 
mente. —  Das  2.  Kapitel:  „Über  die  Form  der  Demokritgnomen" 
enthält  einen  wertvollen  Beitrag  zur  Stilanalyse.  Es  werden  zunächst 
die  verschiedenen  Formen,  in  denen  sich  die  ethische  Reflexion  bewegt, 
besprochen,  und  es  wird  dargethan,  daß  sich  die  einfachen  Grundformen 
der  bloß  thatsächlichen- Beobachtung,  des  Werturteils  und,  wenn  auch 
viel  seltener,  der  direkten  Paränese  im  ganzen  gleichmäßig  wiederholen. 
Eine  besondere  Eigentümlichkeit  des  D.  ist  es,  daß  er  seinen  sittlichen 
Urteilen  eine  möglichst  abstrakte  Gestalt  verleiht,  während  er  anderer- 
seits wieder  eine  starke  Neigung  zeigt,  das  Abstrakte  des  Gedankens 
durch  Personifikation  oder  sachliche  Veranschaulichung  konkret  zu 
machen.  Es  schließen  sich  hieran  einige  weitere  Beobachtungen, 
von  denen  wir  nur  die  folgende  erwähnen.  Wenn  sich  auch  bei  D. 
genug  Antithesen  finden,  so  hält  er  sich  doch  von  einem  künstlichen 
Parallelismus  fast  durchweg  frei ,  ja  ia  manchen  Fragmenten  ist 
die  strenge  Entsprechung  der  Glieder  wie  absichtlich  vermieden 
worden,  oder  sie  ist  bloßer  Schein.  —  Eine  Ergänzung  dieser  Beob- 
achtungen bieten  die  dem  Buche  als  Anhang  (S.  180  ff.)  beigegebenen 
Untersuchungen  Birts  „über  den  Stil  der  Ethika".  B.  weist  nach,  daß 
D.  die  Kola  mit  Vorliebe  rhythmisch  gestaltet  und  dabei  abweichend 
von  der  verfeinerten  Rhetorik  eines  Isokrates  und  Demosthenes  gerade 
die  der  gemeinen  Metrik  angehörenden  Versfüße  gehäuft  hat.  Besonders 
bevorzugt  werden  der  Daktylus  und  Anapäst;  fast  gleich  häufig   treteu 


*j  Ein  näheres  Eingehf>n    auf  die  Ergebnisse  der  inzwischen  weiter- 
geführten   umfassenden    Untersuchungen    Elters     über     die    griechische 
Gnomologienütteratur  behalten  wir  uns  für  d^n  nächsten  Jahresbericht  vor. 
Jahrfisbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    (1903.    T.)  9 


130     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

iambischeund  trochäische  Kola  auf,  daneben  auch  nicht  selten  logaödische 
Kola  und  Cretici.  Daß  hier  nicht  Zufall,  sondern  Absicht  herrscht» 
beweist  die  Häufigkeit  der  Belege  sowie  der  Umstand,  daß  in  einzelnen 
Fällen  offenbar  dem  Rhythmus  zuliebe  die  Wortstellung  verschränkt 
worden  ist.  Demokrits  Rede  nähert  sich  dadurch  oft  der  strophenlosen 
Lyrik  und  wird  dithyrambisch.  Eine  Parallele  hierzu  bieten  die  von 
Piaton  als  gorgianisch  gekennzeichnete  Rede  des  Agathon  im  Symposion, 
der  pseudolysianische  Epitaphios  und  besonders  die  auch  im  Inhalt 
mehrfach  an  D.  anklingende  pseudoisokratische  Schrift  an  Demonikos. 
Birts  Verfahi-en  unterscheidet  sich  von  ähnlichen  Versuchen,  wie  sie 
z.  B.  Blaß  mit  Demosthenes  und  mit  Aristoteles'  'Aör^vattuv  TroXtrsia  an- 
gestellt hat,  vorteilhaft  dadurch,  daß  die  rhythmischen  Kola  aus  dem 
überlieferten  Texte  meist  ungesucht  und  ohne  jede  Änderung  gewonnen 
werden.  Mag  man  im  einzelnen  gegen  seine  Konstruktion  manches 
einwenden,  so  macht  doch  die  Fülle  der  unverdächtigen  Belege  den 
Eindruck,  daß  es  sich  hier  nicht  um  eine  rein  zufällige  Erscheinung 
handelt.  Bemerkenswert  ist  auch,  daß  sich  bei  Herodot,  wie  B.  hervor- 
hebt, und  bei  Heraklit,  wie  ich  auf  grund  genauer  Prüfung  hinzufügen 
kann,  rhythmische  Kola  nur  ganz  vereinzelt  herstellen  lassen.  —  Auf 
einen  Widerspruch  in  der  Beurteilung  des  demo kritischen  Stils  zwischen 
Natorp  und  Birt  macht  K.  Vorländer  in  seiner  Besprechung  der 
„Ethika"  (Ztschr.  f.  Philol.  106  [1895],  285  ff.)  aufmerksam:  N.  betont 
S.  85  ff.  die  Naivetät  des  Schreibers,  die  Abneigung  gegen  alle  Rhetoren- 
künste,  während  Birt  S.  180  von  einer  gewissen  Durchdachtheit  redet 
(vgl.  S.  187:  „Staffel  der  gorgianischen  Halbkunst"),  Gregen  Natorps 
Auffassung  erklärt  sich  Di  eis  in  seiner  Rezension  (D.  L.-Z.  14  [1893], 
1288  ff.):  D.  sei  so  wenig  naiv,  daß  er  vielmehr  die  ionische  Kunst 
abschließe  wie  etwa  Piaton  die  attische.  Vgl.  auch  Ammon  (No.  387). 
Zu  dem  von  Birt  S.  185  in  Fr.  79  bemerkten  Spiele  mit  Parono- 
masien  weist  Diels  auf  Heraklit  Fr.  91  hin,  das  von  D.  nachgeahmt 
worden  sei. 

Im  3.  Kap.  „Grundzüge  der  Ethik  des  D.  nach  der  Über- 
lieferung" wird  zunächst  das  Prinzip  der  demokritischen  Ethik  be- 
handelt. D.  geht  von  der  Erscheinung  der  Lust  und  Unlust  als  dem 
Nächstgegebenen  aus,  gelaugt  aber  von  dieser  Grundlage  aus  nicht,  wie 
die  Kyrenaiker  und  Epikur,  zum  Hedouismus,  sondern  erhebt  zum 
Prinzip  die  Euthymie,  die  nicht  aus  der  Lust  an  sich,  sondern  aus  der 
Begrenzung  und  Unterscheidung  der  Lüste  entsteht.  Nur  die  Lust  am 
Guten  erscheint  ihm  wahrhaft  erstrebenswert,  die  sinnliche  Lust  da- 
gegen unwahr;  ja  in  Fr.  6  wird  geradezu  das  d^a^ov  dem  dXTjfte«  ent- 
gegengesetzt und  als  das  stets  sich  gleich  bleibende  dem  je  nach  der 
Individualität  der  Menschen   wechselnden    rjö-j    entgegengestellt.     Diese 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     131 

Auffassung  steht  mit  Demokrits  erkenntuistheoretisclier  Unterscheidung 
der  7V7]cjiTi  und  axo-iT)  7vcu|i.r)  im  besten  Einklänge.  Daher  riiamt  er 
auch  den  Gütern  der  Seele  den  eutschiedonen  Vorzug  vor  denen  des 
Leibes  ein  und  macht  die  Seele  für  das  Wohl  des  Leibes  verantwort- 
lich. Das  eigentliche  Uuterscheidungsprinzip  für  unser  Handeln  aber 
ist  nach  D.  die  «ppo'vTjaic.  In  den  Fragmenten  erscheint  daher  mehrfach 
die  Erkenntnis  der  "Weisheit  als  das  höchste  Gut  und  wird  mit  der 
a9a|xßiT)  (=  £'ji)u[xiT))  in  engste  Verbindung  gesetzt.  Ja  in  Fr.  36  wird 
geradezu  als  höchste  Lust  die  Theorie  gepriesen.  Man  sieht  daraus, 
daß  D.  wie  Piaton  die  Erkenntnis  als  die  eigentümliche  Kiaft  der  Seele 
gedacht  hat.  Bei  dieser  Höhe  der  sittlichen  Auffassung  ist  es  nicht  zu 
verwundern,  wenn  er  den  Kern  des  Sittlichen  nicht  io  äußerem  Thun, 
sondern  im  Innern  des  Bewußtseins,  in  der  Gesinnung  sucht,  und  wenn 
sich  bei  ihm  so  reine  und  erhabene  Aussprüche  finden  wie  der,  daß 
man  der  eigenen  Seele  zum  Gesetze  machen  müsse,  nichts  Unrechtes 
zu  thun  (Fr.  43),  und  der  andere:  6  dSixewv  toü  dotxouixevou  xaxoSatpLo- 
veatepo;  (Fr.  48),  von  denen  der  zweite  ganz  platonisch  lautet.  Negativ 
gefaßt  bedeutet  die  demokritische  Euthymie  die  Freiheit  von  der  Un- 
ruhe der  Begierden  und  Leidenschaften,  die  drapa^ty).  Doch  verfällt 
D.  dabei  nie  in  das  Extrem  der  skeptischen  Apathie  oder  Adiaphorie-, 
er  fordert  nicht  Unterdrückung,  sondern  Beherrschung  der  sinnlichen 
Triebe  und  ihre  UuterwerfuLg  unter  Norm  und  Gesetz,  das  ijov  und 
{xerpiov  im  Gegensatz  zur  GirepßoXTQ  und  l'XXet^j^i«,  die  ap{j.oviT)  und  ^ujxjxs- 
Tpi'r).  Er  bekämpft  daher  entschieden  jedes  Unmaß  und  empfiehlt  ein- 
dringlich Enthaltsamkeit  und  Selbstbeheiischung.  Diese  aus  einem  ein- 
heitlichen Grundgedanken  hervorgegangene  Ethik,  die  trotz  ihrer  idealen 
Zuspitzung  doch  mit  dem  Ganzen  des  Systems  und  zwar  nicht  nur  mit 
der  Erkenntnislehre,  sondern  auch  mit  der  Physik  zusammenstimmt, 
darf  man  nicht  mit  Zeller  (935)  nur  als  „eine  Reihe  vereinzelter  Beob- 
achtungen und  Vorschriften*  betrachten,  sie  zeigt  vielmehr  ein  ent- 
schieden systematisches  Gepräge,  wenn  sie  sich  auch  nicht  in  der  Form 
eines  strengen  Beweiseanges  bewegt.  Auch  im  zweiten  Teil  der  Frag- 
mente (von  99  an),  der  nach  N.  der  Schritt  Tpixo-feveiVj  entstammt  und 
demgemäß  nach  den  drei  S.  128  angegebenen  Kategorien  geordnet  worden 
ist,  fügen  sich  die  einzelnen  „Regeln  der  Lebenskunst",  obwohl  mit  dem 
Prinzip  nur  in  einem  losen  Zusammenhange  stehend ,  in  ein  einfaches 
System,  das  einen  bestimmten  Kreis  von  Fiagen  umspannt.  Weitaus 
am  zahlreichsten  sind  die  das  dpdw;  TTpatTstv  betreffenden  Aussprüche; 
sie  entiialteu  außer  einigen  Sätzen  allgemeinerer  Art  eine  spezielle 
Pflichttnlehie,  die  mit  den  Pflichten  des  öffentlichen  Lebens  beginnt, 
und  sich  dann  zu  denen  des  Privatlebens  wendend  nach  einander  die 
Familie,    die  Erziehung,    die  Jugend,   das  Alter,   die  Freundschaft  und 


132     Bericht  über  die  griechischen  Philosophea  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

die  Unigangspflichten  behandelt.  —  Es  ist  N.  gelungen,  im  großen  und 
ganzen  in  den  überlieferten  Fragmenten  einen  einheitlichen  Charakter 
und  inneren  Zusammenhang  sowie  eine  trotz  des  materialistischen  Prinzips 
unverkennbare  Hoheit  der  sittlichen  Anschauung  nachzuweisen,  die  uns 
bei  einem  vorplatonischen  Philosophen  in  Erstaunen  setzen  müssen.  Es 
fragt  sich  aber,  ob  die  von  N.  entworfene  Zeichnung  in  allen  ihren 
Zügen,  ja  ob  sie  auch  nur  in  ihren  Grundlinien  völlig  zutrifft.  Zu- 
nächst scheint  mir  N.  zu  weit  zu  gehen,  wenn  er  auf  grund  einzelner 
Fragmente,  deren  Zusammenhang  uns  unbekannt  ist,  die  Ethik  Demo- 
krits,  wenigstens  in  ihrem  Endergebnis,  mit  dem  Idealismus  Piatons  fast 
völlig  znsammenfallen  läßt.  Wo  bleibt  da  die  doch  unleugbar  hedoni- 
stische Giundlage,  die  in  Fr.  1  und  2  so  unzweideutig  ausgesprochen 
wird?  In  der  That  kommt  in  den  längeren,  mehr  argumentieren- 
den Bruchstücken  die  Begründung  der  sittlichen  Vorschriften  meist 
darauf  hinaus,  daß  uns  das  rechte  Handeln  vor  der  Unlust  und  den 
Unannehmlichkeiten,  die  mit  dem  unrechten  Handeln  verbunden  sind, 
bewahrt  und  uns  größere  Lust  gewährt;  vgl.  Fr.  47,  52,  53,  130,  163, 
203  und  ganz  besonders  178  und  180 — 182.  Dies  ist  eine  Auffassung 
des  Sittlichen,  die  sich  von  der  platonischen  wesentlich  unterscheidet. 
Auf  der  andern  Seite  ist  nicht  zu  leugnen,  daß  D,  das  Übermaß  der  Lust 
bekänipft  und  der  geistigen  Lust  vor  den  sinnlichen  Lüsten  den  Vorzug 
giebt,  ja  manche  von  diesen,  wie  den  LiebesgenuG,  fast  zu  verwerfen 
scheint.  Auch  ist  allem  Anscheine  nach  diese  Unterscheidung  nicht 
erst  das  Schlußergebnis  seiner  ethischen  Betrachtungen,  sondern  von 
vornherein  schon  in  der  Grundlegung  der  Lehre  enthalten  gewesen  und 
hat  auch  in  den  von  ihm  für  die  Lustgefühle  angewandten  Bezeich- 
nungen ihren  sprachlichen  Ausdruck  gefunden.  Schon  vor  langer  Zeit 
hat  sich  mir  die  Beobachtung  aufgedrängt,  daß  bei  D.  -fjoovr^  (Gegen- 
satz XuTUTQ,  ötr^oiVj),  fjoaoöat,  rß6  entweder  die  Lust  im  allgemeinen  oder 
wie  in  Fr.  63,  157,  220  die  niedere  Lust  im  besonderen  bedeutet, 
während  der  in  den  grundlegenden  Frr.  1  und  2  gebrauchte  Terminus 
T£ptj>ic  (Gegensatz  a-:zpru-t])  sowie  -IpTrstv,  Tcpitsjöai,  rspjrvov,  eTiiTcpriQ? 
(Gegensatz  dxepTzr,?)  fast  nur  da  vorkommen,  wo  von  der  höheren  Lust 
die  Rede  ist  und  nur  zweimal  (53  und  56)  gleichbedeutend  mit  i^Bo^ri 
erscheinen.  Hiernach  wäre  also  T£p'|i?  der  technische  Ausdruck  für  die 
geistige  Lust,  nicht,  wie  N.  S.  98  annimmt,  yapr^,  das  sich  nur  einmal 
(47,  sonst  nur  noch  yaipstv  61  und  220)  findet.  —  Durch  die  Darlegung 
der  Grundzüge  von  Demokrits  Ethik  soll  zugleich  die  Eeihenfolge  der 
Fragmente  in  der  Natorpschen  Sammlung  gerechtfertigt  werden.  Sicher- 
lich liegen  diese  bei  X.  in  einer  klaren  und  verständigen  Anordnung 
vor,  die  sich  von  der  wirren  Zusammenstellung  bei  Mullach  vorteilhaft 
ausnimmt.     Ob  indes  in  dieser  neuen  Gestalt  die  ursprüngliche  Gliede- 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     133 

rung  auch  nur  aunähernd  wiedergegeben  ist,  bleibt  sehr  zn  bezweifeln. 
Das  oben  ausgesprochene  Bedenken  gegen  die  Ansicht  Natorps  über  die 
Dreiteilung  der  TptTOYeveiTj  wird  dadurch  verstärkt,  daß  in  der  vorliegen- 
den Rekonstruktion  die  Kubrik  suXoYiI^e^ftai  sowie  der  Abschnitt,  der 
das  ^pBüi;  rpaT-retv  im  allgemeinen  behandelt,  sehr  dürftig  bedacht  sind. 
Diese  Ausstellungen  berühren  jedoch  das  wesentliche  Ergebnis  der 
bisherigen  Untersuchung  nicht,  wonach  die  ethischen  Fragmente  sprach- 
lich wie  inhaltlich  ein  einheitliches  und  so  eigentümliches  Gepräge 
tragen,  wie  es  ein  Fälscher  ihnen  nie  hätte  verleihen  können,  und  da- 
her als  ursprüngliches  Eigentum  des  Abderiten  zu  betrachten  sind.  Eine 
weitere  starke  Stütze  erhält  dieses  Ergebnis  durch  die  Vergleichung 
mit  späteren  Systemen,  die  die  letzten  fünf  Kapitel  ausfüllt.  N. 
zeigt  zunächst,  daß  die  „Abderiten"  des  Clemens  (Strom.  II  21),  Heka- 
taios,  Nansiphanes,  Diotimos  und  Apollodotos  in  ihren  ethischen  Prin- 
zipien sämtlich  auf  die  Grundlehre  des  D.  zurückgehen,  und  geht  dann 
auf  das  Verhältnis  Epikurs,  Aristipps,  der  Skeptiker  (Timon  und  Aine- 
sidemos)  und  schließlich  Piatons  zur  demokritiscben  Ethik  ein.  Wir  haben 
bereits  oben  (S.  116  vgl.  S.  112  ff.)  das  Wesentliche  aus  diesen  Unter- 
suchungen angeführt  und  dem  Verfasser  darin  zugestimmt,  daß  namentlich 
bei  Epikur  und  zum  Teil  auch  bei  Aristipp  eine  stärkere  Anlehnung  an 
D.  zu  erkennen  ist,  als  man  bisher  geglaubt  hatte  (bei  den  Skeptikern 
ist  eine  solche  Abhängigkeit  kaum  bestritten  worden);  nur  bei  Piaton 
schienen  uns  die  zahlreichen  Anspielungen  auf  die  Sittenlehre  des  Ab- 
deriten, die  N.  aufgefunden  zn  haben  glaubt,  unerweislich  und  eine 
innerliche  Abhängigkeit  von  dieser  Lehre  vollends  unwahrscheinlich. 
Nimmt  man  zu  diesen  schwerwiegenden  Beweisen  noch  die  neuerdings 
aufgefundene  direkte  Erwähnung  der  e'jttufxia  bei  Epikur  hinzu  (s.o.  S.  114  f.), 
so  erscheint  uns  ein  etwaiger  Zweifel  an  der  Echtheit  der  uns  über- 
lieferten Ethika  Demokrits  (s.  S.  121)  nunmehr  völlig  ausgeschlossen. 
Dies  gilt  natürlich  nur  von  der  Hauptmasse  der  Fragmente.  Daß  sich 
N.  bei  der  Entscheidung  über  die  Echtheit  einzelner  Fragmente  skep- 
tischer hätte  verhalten  sollen,  ist  bereits  S.  128  bemerkt  worden.  Wenn 
aber  Di  eis  (a.  a.  0.)  behauptet,  die  abderitische  Schule  sei  im  4.  Jahr- 
hundert reich  an  ethischer  Produktion  gewesen,  und  die  Art  der  Schul- 
überlieferung mache  eine  Scheidung  der  einzelnen  Autoren  aussichtslos, 
so  soll  die  Möglichkeit,  daß  die  Sammlung  der  ethischen  Aussprüche 
Demokrits  durch  einzelne  Zusätze  seiner  Schüler  bereichert  worden  sei, 
nicht  bestritten  werden;  aber  die  weitaus  größte  Zahl  der  Fragmente 
verrät  doch  einen  so  individuellen  und  einheitlichen  Charakter,  daß  sie 
nur  dem  Geiste  des  einen  D.  entsprungen  sein  kann.  —  Vergleiche  außer 
den  schon  angeführten  Besprechungen  von  Diels  und  Vorländer  die  von 
R.  Ausfeld  N.  Philol.  Rundsch.  1894  No.  22,  G.  v.  Hertling  Philos, 


134     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Jahrb.  der  Görresgesellsch.  1896,  70  ff.,  E.  Wellmann  Arch.  VIII 
296  ff.  sowie  meine  Rezension  Berl.  Ph.  W.-Schr.  1894,  936  ff.  und 
993  ff.  —  Vor  länders  Übersetzung,  die  sich  mit  geringen  Ausnahmen 
an  Natorps  Text  anschließt,  ist  mit  großer  Gewandtheit  geschrieben 
und  hält  im  allgemeinen  die  rechte  Mitte  zwischen  Worttreue  und  einem 
guten,  lesbaren  Deutsch. 

Ammon  beginnt  mit  einer  Anführung  der  Äußerungen  der  Alten, 
in  denen  die  Meisterschaft  des  D.  in  der  Sprache  gerühmt  wird.  Ciceros 
Urteil,  der  ihm  d.  or.  I  49  ornatus  orationis  zuschreibt  und  ihn  or.  67 
mit  Piaton  wegen  seiner  der  Poesie  verwandten  Diktion  zusammenstellt, 
wird  durch  Dionys.  d.  comp.  verb.  c.  24  S.  372  Seh.  bestätigt,  wo  D. 
mit  Piaton  und  Aristot.  als  Verti'eter  der  xotv^  dpjjLovia,  der  zwischen 
der  aujxr-jpa  und  ^Xatpupoc  in  der  Mitte  stehenden  Wortfügung,  zusammen- 
gestellt wird.  Auch  in  dem  Abschnitt  über  die  gegenseitige  Annäherung 
der  Poesie  und  Prosa  bei  Dionys.  c.  25  S.  382  ist  unter  den  aXXot  xe  ttoXXoi 
-wahrscheinlich  auch  D.  zu  verstehen.  Es  liegt  am  nächsten,  als  Quelle 
dieser  übereinstimmenden  Urteile  Theophr.  anzunehmen.  Ein  Beweis 
dafür,  daß  das  musikalische  Element  in  Demokrits  Sprache  nicht  zu- 
fällig, sondern  beabsichtigt  war,  ist  die  fünfte,  die  Moujtxa  enthaltende 
Abteilung  des  Thrassyllschen  Verzeichnisses  seiner  Schriften,  in  dem 
u.  a.  die  Aussprache  (opöoeTieiY))  und  die  Schönheit  der  Wörter  (diese, 
nicht  die  Schönheit  der  Epen  ist  mit  tt.  xkXXogüvyi?  ettsojv  gemeint)  be- 
handelt wird.  Die  beiden  letzten  Titel  sind  zu  einem  zusammenzu- 
fassen und  so  zu  lesen:  tc.  pyjixaTüJV  xai  ovofxaxtuv  oder  ovofi.aTix(J5v  (vulgo 
ir.  p.  ovo[xaaTix6v,  cod.  B  ovoixaatixoiv).  Auch  die  übrigen  vier  Titel 
lassen  sich  auf  das  Musikalische  in  der  Sprache  beziehen.  Der  ge- 
rühmte Wohlklang  und  Rhythmus  in  den  Schriften  Demokrits  ist  daher 
wohl  als  eine  Frucht  seiner  Forschungen  anzusehen.  —  Auf  eine  ge- 
nauere stilistische  Analyse  der  Fragmente  läßt  sich  A.  nicht  ein;  er 
begnügt  sich  mit  einigen  kurzen  Bemerkungen  über  die  zahlreichen 
Metaphern  in  fr.  phys.  10,  die  bewegten  Rhythmen  in  fr.  ph.  1  und  2 
und  die  kunstvolle  Gliederung  (Ttspt'oooc  noXuxcuXoc)  von  fr.  ph.  4.  —  Vgl. 
den  Bericht  von  E.  Wellmann  Arch.  VI  271  f. 

Thomas  ergänzt  Fr.  123  N.=103  M.  bei  Stob,  so:  nuXXol 
opuivTSS  <ep7a>  xa  ala^^iaxa  Xoi'ouc  xouc  ötpioxou;  duxeouai.  —  Usener 
verbessert  S.  383  in  dem  auf  Demokrits  Erkenntnistheorie  bezüglichen 
Passus  bei  Sext.  math.  VII  135  oxe  }i.ev  st.  oxi  [lev  (Gegensatz  ev 
6e  xoi?  Kpaxuvxr]piotf  §  136)  und  ebd.  §  137  xpi'vsi  st.  xivei.  Das  demokritische 
Wort  Ixe-^j  stellt  er  in  einer  Stelle  des  Oenomaos  bei  Euseb.  pr.  ev. 
V  27,  3  für  El  6e  ^e  oi  her  und  vermutet  dasselbe  auch  bei  Farmen.  1,3: 
rj  xaxa  Tiavx'exsTJ  (st.  Tiravxa  x^)  (pepsi  eiöoxa  (pcüxa  [so  schon  vor  ihm 
ßergk    Ges.    Abh.  II  68;    s.  Diels  Parm.    S.  48].    —  Meklers  Abb. 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.   (Lortzing.)     135 

enthält  mehrere  kritische  Beitrage  zu  den  ethischen  Fragmenten.  — 
Mehrere  Verbesserungsvorschläge  hat  auch  Goraperz  Beitr.  zur  Kritik 
u.  El  kl.  griech.  Schril'tst.  [s.  Ber.  I  276]  gemacht.  Im  III.  Beitrage 
S.  586  f.  behandelt  er  eine  Stelle  in  Fr.  167,  wo  er  statt  der  ver- 
derbten Worte  ouSevi  fap  aXXcu  eoixev  r^  eauxw  xov  auTov  e'f'  exe- 
poi3iv  -cr/väiöai  vorschlägt:  t^tm  tov  aexov  et:'  epttetoiji  fiveaftat 
und  so  erklärt:  „Das  Schicksal  der  rechtsprechenden  Obrigkeit,  die 
durch  Volkswahl  und  Rechenschaftspflicht  von  eben  den  Übelthätern 
abhängig  ist,  deren  Schlechtigkeit  sie  im  Zaume  halten  soll,  wird 
mit  jenem  des  königlichen  Adlers  verglichen,  der  in  die  Gewalt  des 
niedrigen  Gewürmes  gegeben  wäre."  Die  Konjektur  ist  geistvoll,  aber 
doch  nicht  so  evident,  daß  sie  Gomperz  Gr.  D.  297  wie  eine  sichere 
Emendation  verwerten  durfte.  —  Willamowitz  Herakles  [s.  Ber.  I  275] 
I  91  schreibt  in  Fr.  25  euporoj;  st.  suro'ptu;  und  I  111  in  Fr.  47  xa 
ypf,  edvxa  st.  ypYieovxa  (Nat.  ypsovxa).  Derselbe  führt  Her.  U  ^8, 
wie  in  der  ersten  Auflage,  als  Spruch  Demokrits  einen  hippokratischen 
vofAo?  an  und  bemerkt  auf  eine  Anfrage  von  Gomperz,  er  habe  den 
Spruch  in  seinem  Handexemplar  des  Ilippokrates  ebenso  wie  den  bei 
Hippokr.  vorhergehenden  als  demokritisch  notiert,  wahrscheinlich  aus 
Plutarch,  könne  aber  die  Stelle  nicht  wiederfinden. 

Diels  Atacta  [s.  Ber.  I  276]  Herm.  13  S.  1  ff.,  No.  5  bemerkt 
daß  die  Mitteilung  bei  Aet.  IV  4,  7  und  9,  20,  D.  habe  auch  den  Toten 
noch  eine  gewisse  sinnliche  "Wahrnehmung  zugeschrieben,  trotz  der 
Leugnuug  Ciceros  Tusc.  I  82  durch  folgende  Stelle  aus  Tertullian  d.  an. 
c.  51  (nach  Sorau)  bestätigt  werde:  ad  hoc  et  Dem.  crementa  unguium 
et  comarum  in  sepulturis  aliquanti  temporls  (wofür  nach  D.  viel- 
leicht zu  lesen  ist:  in  sepultis  aliquantura  temporis)  denotat. 

c)  Zur  Lehre  Demokrits. 

391.  K.  Modritzki,  Die  atomistische  Philosophie  des  Demokritos 
in  ihrem  Zusammenhange  mit  fiüheren  philosophischen  Systemen. 
Progr.  d.  Stadtgym.  zu  Stettin.  1891. 

392.  A.  Brieger,  Die  Urbewegung  der  Atome  und  die  Welt- 
entstehung bei  Leucipp  und  Demokrit.  Progr.  d.  Stadtgym.  zu  Halle 
a/S.  1884. 

393.  H.  K.  Liepmann,  Die  Mechanik  der  Leucipp-Demokritschen 
Atome  unter  Berücksichtigung  der  Frage  nach  dem  Ursprung  der- 
selben. Leipzig,  G.  Fock,  1886  (ursprünglich  als  Doktordiss.  Berlin 
1885  erschienen). 

394.  A.  Goedekemeyer,  Epikurs  Verhältnis  zu  Demokrit  in 
der  Naturphilosophie.     Strassburg,  Trübner,  1897. 


136     -Öericht  über  die  griechischea  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

395.  Löwenheim,  Der  Einfluß  Demokiits  auf  Galilei.  Arcb. 
f.  G.  d.  Ph.  VII  (1894)  S.  230—268. 

396.  G.  Hart,  Zur  Seelen-  und  Erkeuntnislehre  des  D.  Leipzig 
1886. 

397.  P,  Natorp,  Über  Demokrits  yvtjjiy)  Yviupiir).  Arch.  f.  G. 
d.  Ph.  1  (1888)  S.  348-356. 

398.  V.  Brochard,  Protagoras  et  D6niocrite.  Arch.  f.  G. 
d.  Ph.  II  (1889)  S.  368-378. 

399.  R.  Bobba,  La  jeitatura  secondo  Democrito.  ßiv.  di 
filosofia  scientifica  VI  (1887)  S.  111  f. 

400.  F.  Kern,  Über  D.  von  Abdera  und  die  Anfänge  der 
griechischen  Moralphilosophie.  Zschr.  f.  Philos.  Ergänzungsheft  1880. 
S.  1-26. 

*401.  Schanz,  Die  Atomistik  und  die  christliche  Religions- 
philosophie.    Theolog.  Quartalsschr.     Tübingen   1891.     S.   412 — 454. 

Modritzkis  Arbeit  nennt  E.  Wellmann  im  Arch.  VI  272  mit 
Recht  eine  wertlose  Kompilation.  M.  hat  nur  einige  moderne  Dar- 
stellungen benutzt,  besonders  die  von  Ritter,  an  dessen  zum  Teil  ganz 
veraltete  Auffassung  er  sich  eng  anschließt,  und  außerdem  Zeller  (in 
der  3.  Aufl.!).  Das  Ganze  enthält  kaum  ein  eigenes  "Wort,  geschweige 
denn  einen  eigenen  Gedanken  des  Verfassers. 

Für  die  Kosmogouie  der  Atomiker  sind  wir,  abgesehen  von  den 
leider  nur  sehr  allgemein  gehalteneu  Bemerkungen  des  Aristot.,  auf  die 
kurze  Darstellung  der  leukippischen  Kosmogonie  bei  Laert.  angewiesen. 
Es  war  daher  eine  besonders  schwierige  Aufgabe,  der  sich  Brieger  iu 
der  Abh.  No  392  unterzog;  um  so  mehr  ist  es  anzuerkennen,  daß  es 
ihm  gelungen  ist,  durch  eine  scharfsinnige  Untersuchung  über  die 
richtige  Auffassung  der  Bewegung  der  Atome  ein  neues  Licht  zu  ver- 
breiten. B.  unterscheidet  scharf  zwischen  der  vor-  und  außerwelt- 
lichen und  der  kosmogonischen  Bewegung  der  Ürkörper.  Jene  findet 
gleichzeitig  mit  dieser  statt.  Die  an  Gesamtmasse  und  an  Zahl  unend- 
lichen Atome  tummeln  sich  in  dem  weltenleeren  Teile  des  unendlichen 
Raumes.  Unter  diesem  Getümmel  (oivouixeva;  bei  Laert  IX  44)  ist 
aber  nicht  eine  dem  welterzeugenden  öivo?  gleiche,  einheitliche  Wirbel- 
bewegung des  gesamten  Atomenheeres  zu  verstehen,  sondern  ein  wirres 
Durcheiuanderfliegen  nach  verschiedenen  Richtungen.  Diese  Bewegung 
steht  im  geraden  Widerspruche  zu  der  von  Zeller  angenommenen  ur- 
sprünglich senkrechten  Bewegung  der  Atome,  deieu  Ursache  die  Schwere 
ist,  und  aus  der  sich  die  Wirbelbewegung  erst  erzeugt.  Allerdings  leugnet 
auch  B.  im  Hinblick  auf  die  unzweideutigen  Zeugnisse  des  Aristot.  und 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     137 

Theophr.  nicht,  daß  die  Atome  Deniokrits  Schwere  besitzen,  und  zwar 
im  Verhältnis  zu  ihrer  (irülJe  oder  Stoffmasse.  Dagegen  bestreitet  er, 
daß  die  Schwere  der  Atome  die  Ursache  ihrer  Bewegung  im  Unend- 
lichen sei.  Er  legt  die  Wertlosigkeit  der  Angaben  des  Simplic. 
dar,  vermutet,  daß  die  Polemik  des  Aristot.  (Phys.  IV  8)  gegen 
die  Möglichkeit  ungleich  schueller  Bewegung  im  Leeren  ebenso- 
wenig wie  die  ähnliche  Beweisführuug  bei  Lucrez  II  225  ff.  gegen 
üemokrit  gerichtet  sei,  und  entkräftet  das  Zeugnis  des  Cicero  (d.  fat.  23) 
durch  den  Nachweis,  daß  Cic.  sich  selbst  widerspreche.  Hierzu  kommen 
mehrere  Stellen,  die  die  Stoßbewegung  und  nicht  den  senkrechten  Fall 
als  die  Urbeweguug  erkennen  lassen,  die  somit  nur  als  Wirbelbewegung 
oder  wirres  Durcheinandertliegen  gedeutet  werden  kann.  Daß  sich  D. 
bei  diesem  Durcheinanderfliegen  die  horizontale  Bewegung  als  vor- 
herrschend gedacht  habe,  vermutet  B.,  ohne  es  beweisen  zu  können. 
Unser  im  wesentlichen  zustimmendes  Urteil  über  diese  von  der  früher 
herrschenden  Auffassung  völlig  abweichende  Hypothese  Briegers  soll 
weiter  unten  im  Anschluß  an  den  Bericht  über  die  Abb.  Liepmanns 
näher  begründet  werden.  —  I;i  dem  zw^'ten  von  der  Kosmogonie 
baudeluden  Teile  giebt  B.  an  der  Hand  des  Berichtes  über  Leukipp  bei 
Laert. ,  den  er  scharfsinnig  erläutert,  eine  zwar  in  manchen  Einzel- 
heiten bestreitbare,  aber  in  den  Hauptzügen  vollständige  und  die  bis- 
herige Auffassung  vielfach  bereichernde  und  berichtigende  Darstellung 
der  älteren  atomischen  Lehre  von  der  Entstehung,  Erhaltung  und  Zer- 
störung der  Welten ,  wobei  sich  manche  nicht  ganz  unerhebliche  Ab- 
weichungen Demokrits  von  seinem  Lehrer  herausstellen.  Auf  die  Einzel- 
heiten dieser  Kosmogonie  kann  aber  hier  nicht  eingegangen  werden. 
—  Vgl.  die  Rezensionen  von  F.  Susemi  hl  Wschr.  f.  kl.  Ph.  II  295  f. 
und  von  Lortzing  Phil.  Anz.  XV  (1886),  578  ff. 

Liepmann  entwickelt  über  die  Uibewegung  der  Atome  eine 
Ansicht,  die  sich  mit  der  Briegers  im  großen  und  ganzen  deckt.  Es 
ist  dies  um  so  bemerkenswerter,  als  der  Verf.  seine  Arbeit  in  ihren 
Grandzügen  schon  vor  Erscheinen  der  Briegerscheu  vollendet  hatte  und 
erst  nachtiäglich  auf  diese  Rücksicht  nehmen  konnte.  Auih  er  schreibt 
den  Atomen  eine  Art  von  Schwere  zu,  ohne  in  dieser  die  treibende 
Kraft  und  das  Prinzip  ihrer  Bewegung  zu  sehen;  auch  er  betrachtet 
ein  wirres  und  regelloses  Durcheinanderfliegen  als  den  ursprünglichen 
Zustand  und  sieht  in  dieser  Urbewegung  die  letzte  begreifbare  Ursache 
alles  Geschehens,  über  die  die  Atomiker  in  ihrer  Welterklärung  nicht 
hinausgingen.  Dagegen  weicht  er  von  Bi'ieger  ab  in  der  Funktion, 
die  er  der  Schwerkraft  zuteilt.  Während  jener  annimmt,  daß  die  Schwere, 
obwohl  eine  reale  Eigenschaft  der  Atome,  doch  für  ihre  Bewegung 
gleichgültig  sei  und  somit  völlig  latent  bleibe,  läßt  L.  neben  dem  rein 


138     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

mechanischen  Stoß  und  dem  von  der  geometrischen  Gestalt  der  Atome 
abhängigen  Sichzusammenfinden  des  Gleichartigen  noch  ein  dynamisches 
Moment  bei  der  Weltbildung  mitwirken,  ein  ßolpo;,  das  jedoch  von  jenem 
Triebe  nach  unten,  der  in  Epikurs  Kosmogonie  eine  wichtige  Rolle 
spielt,  wohl  zu  unterscheiden  ist  und  nichts  weiter  bedeutet  als  eine 
passive  Widerstandskraft  gegen  das  Bewegtwerden  oder  ,,die  von  dem 
pusixos  abhängige  Reaktionsweise  gegen  den  Wirbel".  Es  läßt  sich 
nicht  leugnen,  daß  diese  Auffassung  eine  größere  Wahrscheinlichkeit 
hat  als  die  Briegers.  Nur  ist  nicht  abzusehen,  warum  L.  die  Schwere 
der  Atome  als  eine  rein  passive  bezeichnet  und  dadurch  zu  einem  in 
sich  unklaren  und  wesenlosen  Begriffe  macht  (s.  Zeller  876,  4),  während 
doch  nichts  uns  hindert,  anzunehmen,  daß  sie  auch  aktiv  im  Stoße  und 
Gegenstoße  der  Atome  zur  Geltung  komme.  Es  hängt  dies,  mit  der, 
wie  mir  scheint,  unbegründeten  Voraussetzung  des  Verf.  zusammen,  daß 
D.  gemäß  der  bei  den  Griechen  vorherrschenden  Auffassung  unter 
dem  ßcxpo;  im  eigentlichen  Sinne  die  Fallbewegung  verstanden  habe 
und  zu  dem  Zugeständnis  jener  „Pseudoschwere"  (S.  29)  nur  gedrängt 
worden  sei,  um  die  Schwere  der  zusammengesetzten  Körper  schon  irgend- 
wie in  den  einfachen  vorzubereiten  (S.  60).  Da  es  für  T>.  im  un- 
endlichen Leeren  kein  Oben  und  Unten  gegeben  haben  kann,  sc  darf 
auch  bei  der  vor-  und  außerweltlichen  Bewegung  der  Atome  weder  an 
eine  Fallbewegung  noch  an  einen  den  Atomen  wenn  auch  nur  latent 
innewohnenden  Zug  nach  unten  gedacht  werden.  Es  wird  vielmehr 
anzunehmen  sein,  daß  sich  nach  D.  die  außerkosmische  Schwere  der 
getrennten  Atome  genau  wie  die  kosmische  der  zusammengesetzten 
Atomgebilde  in  einer  der  Größe  der  Atome  proportionalen  Kraft  der 
Bewegung  und  des  Stoßes  äußere,  nur  mit  dem  Unterschiede,  daß  sich 
im  außei  weltlichen  Räume  die  Atome  nicht  nach  einem  bestimmten 
Mittelpunkte,  sondern  nach  den  verschiedensten  Richtungen  hin,  die 
einen  schneller,  die  anderen  langsamer  bewegen,  während  durch  die 
weltbildende  Kreisbewegung  des  oivoc  und  dem  aus  dieser  sich  ergeben- 
den „Kampf  um  die  Mitte"  (Brieger  S.  19)  auch  der  Schwerkraft  eine 
bestimmte  Richtung  gegeben  wird,  so  daß  die  größeren  und  schwereren 
Atome  und  Atomverbindungen  in  die  Mitte  des  Wirbels  gerissen,  die 
leichteren  nach  der  Peripherie  gedrängt  werden.  Zu  einer  solchen 
Annahme  hat  sich  Verf.  freilich  von  vornherein  den  Weg  dadurch  ver- 
sperrt, daß  er  den  oho^,  der  doch  nur  modifizierend  auf  die  Bewegung 
der  von  ihm  ergriffenen  Atomenmasse  einwirkt  und  insofern  die  uner- 
läßliche Bedingung  einer  Weltbildung  ist,  den  Atomen  erst  die  Be- 
thätigung  ihrer  verschiedenen  Beschaffenheit,  also  auch  der  Schwere 
entlocken  läßt  (S.  28  und  52).  Auf  diese  Weise  erhebt  er  ihn  nach 
dem  Vorgange    mancher    alten  Erklärer    der  Atomistik,    die   er  selbst 


Bericht  über  die  griechischen  Pliilosriphen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     139 

deswegen  S.  64  tadelt,  zu  einem  schöpferischen  Prinzip  und  verfällt 
damit  in  denselben  Widerspruch,  dessen  er  Brieger  zeiht,  indem  er 
den  einzelnen  Atomen  als  solchen  die  Schw3re  zwar  beilegt,  dieser 
Kraft  aber  jede  BedcntiUig  für  die  außerweltliclie  Beweguni,'  der  Atome 
abspricht.  Übrigens  macht  die  ganze  Erörterung  über  die  Mechanik 
Deraokrits  den  Eindruck,  als  ob  L.  allzu  systematisch  verfahre  und  sich 
im  Gegensätze  zu  der  Selbstbeschränkung  Briegers  in  seinen  Re- 
konstiuktionsvHi suchen  zu  weit  von  dem  durch  die  Quellen  Gegebenen 
tDtferuen.  Es  gilf  dies  besonders  von  den  Betrachtungen  über  den  all- 
gemeinen Charaktei-  der  demokritischen  Weltanschauung,  die  zunächst 
auf  der  festen  Grundlage  der  vom  Verf.  freilich  nicht  erwähnten  Aus- 
♦-inandersetzuntr  bei  Aristot.  d.  gen.  I  8  beruhen,  weiterhin  sich  aber 
in  die  Höhen  moderner  Pnilo<ophie  und  Terminologie  verlieren.  So  sucht 
er  S.  55  die  angeblichen  Widersprüche  zwischen  Demokrits  Grundan- 
schauung und  ^einer  Erkläi  uiig  mancher  einzelner  Naturerscheinungen, 
x.  B.  des  Verharrens  der  Erde  im  Mittelpunkte  unserer  Welt,  durch 
■den,  wie  er  meint,  in  der  Peison  des  Abderiten  hervortretenden  Gegen- 
satz des  Natniforsclieis  und  Philosophen  zu  beseitigen,  eine  Trennung, 
-die  für  die  gesamte  voisokratische  Philosophie  unstatthaft  ist.  —  Einen 
ziemlich  breiten  Raum  nimmt  die  Qnellenunfersuchung  ein,  die  einzelnes 
Wertvolle  enthält,  wie  den  eingehenden  und  die  Begründung  Briegers 
vervollständigenden  Na<hweis  der  epikureischen  Herkunft  der  Kosmo- 
^onie  bei  Aer.  I  3;  im  alL-emeinen  aber  leidet  sie  an  erheblichen 
Mängeln.  L.  hätte  sich  nicht  mit  der  übrigens  unsicheren  Scheidung 
der  Zeugnisse  in  die  überlieferten  Kosmogonien  als  reinste  und  un- 
mittelbarste Quelle  und  iiie  diesen  nn^i  anderen  uns  nicht  zugänglichen 
■Quellen  entnommenen  XJi teile  der  Alten  begnügen  sollen.  Es  mußten 
vielmehr,  wie  dies  Biieiier  thut,  von  vornherein  die  Quellen  nach  der 
Zuverlässigkeit  ihrer  Urheber  gesichtet  werden.  Davon  aber  finden 
sich  bei  L.  nur  vereinzelte  iSpuren.  Auch  in  der  Besprechung  des  Textes 
der  einzelnen  Stellen  vermißt  mau  öfter  die  rechte  Genauigkeit  und 
Schärfe.  Näheres  darüber  s.  in  meiner  Rezension  B.  Ph.  Wschr.  188G, 
1365  ff. 

Die  Brieger-Liepmannsche  Auffassung  der  Urbewegung  hat  die 
unbedingte  Zustimmung  von  Gomperz  Gr.  D.  269  ff.,  von  Windel- 
band G.  d.  a.  Ph.  -  S.  57  nnd  100  und  im  großen  und  ganzen  auch 
<lie  von  Goedekomeyer  (s.  zu  No.  394)  gefunden.  Dagegen  hält 
Zell  er  872  ff.  an  der  Annahme  fest,  daß  die  ursprüngliche  Bewegung 
■der  Atome  in  dem  senkrechten  Fall  besteht,  und  sucht  die  Haltlosigkeit 
■der  gegnerischen  Hypothese  ausführlich  nachzuweisen.  Richtig  ist,  daß 
■ein  wirres  Durcheinanderfliegen  der  Atome  im  Leeren  nirgends  als 
Lehre  des  D.  ausdrücklich  bezeugt  wird;  aber  ebensowenig  findet  sich 


140     Beriebt  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.; 

ein  direktes  Zeugnis  für  die  Fallbewegung.  Auch  Zeller  sieht  sich 
daher,  wie  seine  Gegner,  auf  ein  indirektes  Beweisverfahren  angewiesen: 
er  bestreitet  die  Möglichkeit  der  von  jenen  aufgestellten  Hypothese  und. 
schließt  aus  Äußerungen  des  Aristot.  und  anderer  Berichterstatter  so- 
wie aus  dem  Systeme  Epikurs,  daß  Demokrits  Auffassung  keine  andere 
gewesen  sein  könne  als  die  von  ihm  angenommene.  Die  Entscheidung 
in  dem  Streite  hängt,  wie  sich  aus  den  obigen  Berichten  über  Briegers 
und  Liepmanns  Arbeiten  ergiebt,  zum  guten  Teil  von  der  Frage  ab, 
welche  Bedeutung  die  Schwere  bei  D.  hat.  Zeller  behauptet,  niemand 
im  Altertum  habe  unter  dem  [-Japo;  etwas  anderes  verstanden  als  die 
Eigenschaft  der  Körper,  vermöge  deren  sie  sich  nach  unten  bewegen, 
und  wenn  diese  Bewegung  auch  innerhalb  eines  kugelförmigen  Kosmos 
durch  eine  dem  Mittelpunkte  zustrebende  Bewegung  ersetzt  werde,  so 
müßten  doch  die  Atome  vermöge  der  ihnen  innewohnenden  Schwere  im 
außerkosmischen  Leeren,  in  der  sie  nichts  an  der  Bewegung  nach  unten 
hindere,  diese  notwendig  ausführen.  Zuzugeben  ist,  daß  alle  nachsokra- 
tischen  Philosophen  unter  der  Schwere  den  Zug  nach  unten  verstanden 
haben,  und  auch  bei  den  nicht  atomistischcn  Vorsokratikern  wird  man, 
soweit  sie  sich  überhaupt  darüber  ausgesprochen  haben,  eine  gleiche 
Vorstellung  voraussetzen  müssen.  Aber  daraus  darf  nicht  ohne  weiteres 
gefolgert  werden,  daß  auch  die  Atomiker  eine  solche  Auffassung  teilten. 
Diese  unterschieden  sich  von  den  anderen  Vorsokratikern  darin,  daß  sie 
eine  ewige,  anfangslose  Bewegung  setzten,  während  ein  Eniped.  und 
Anaxag.,  die  in  der  Annahme  eines  weltbildenden  Wirbels  mit  den 
Atomikern  übereinstimmten,  den  Urzustand  der  Dinge  als  einen  ruhen- 
den gedacht  haben.  Die  Atomiker  war^n  daher  auch  die  einzigen,  die 
Veranlassung  hatten,  zwischen  einer  vor-  und  außerweltlichen  und  einer 
innerweltlichen  Bewegung  zu  unterscheiden.  Hatten  sie  aber  so  in  ihrer 
Auffassung  von  der  Bewegung  einen  völlig  neuen  Gedanken  in  die 
Philosophie  eingeführt,  so  darf  man  doch  die  Möglichkeit  nicht  be- 
streiten, daß  sie  sich  auch  in  der  Bestimmung  der  Schwere  von  der 
herrschenden  Anschauung  lossagten;  ja  bei  dem  engen  Zusammenhange 
beider  Begriffe  muß  man  es  für  wahrscheinlich  halten,  daß  sie  den 
scharfen  Gegensatz  der  außerweltlichen  und  innerweltlichen  Bewegung 
auch  auf  die  verschiedenartige  Bethätigung  der  Schwerkraft  übertrugen. 
Dafür,  daß  sie  bei  dieser  nicht  an  einen  Zug  nach  unten  denken  und 
mithin  in  der  ursprünglichen  Bewegung  der  Atome  nicht  die  Fallbe- 
wegung erblicken  konnten,  hat  Brieger  ausschlaggebende  Gründe  au- 
geführt. Wenn  endlich  Zeller  der  Meinung  ist,  Epikurs  Lehre  von  der 
Deklination  der  senkrecht  fallenden  Atome  lasse  sich  nur  als  eine  Ab- 
weichung von  einer  älteren,  nicht  von  ihm  selbst  erfundenen  Lehre 
begreifen,  und  diese  Lehre  könne  nicht  von  einem  Unbekannten,  dessen 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokratcs.    (Lortzing.)     141 

Name  uns  nirgends  überliefert  werde,  sondern  nur  von  D.  herrühren, 
so  ist  darauf  zu  erwidern,  daß  Epikur,  wie  in  andern  Punkten,  so  auch 
in  diesem  durch  die  Einwendungen  des  Aristot.,  obwohl  dessen  Auf- 
fassung auf  ganz  anderen  Voraussetzungen  beruhte  als  die  atomistische, 
zu  einer  Abweichung  von  seinem  Meister  verleitet  worden  sein  kann. 
Auch  Goedekemeyer  bekämpft,  z.  T.  mit  ähnlichen  Gründen,  die 
Zellersche  Beweistührung.  In  der  Auffassung  der  Schwere  freilich 
steht  er  auf  einem  etwas  anderen  Standpunkt  (S.  14  ff.).  Daß  dem  D. 
die  Schwere  nicht  wie  dem  Platou  und  Aristot.  grundsätzlich  mit  dem 
Zuge  nach  unten  zusammengefallen  sei,  giebt  auch  er  zu.  Den  Grund 
dafür  findet  er  darin,  daß  D.  noch  nicht  den  Begriff  der  natürlichen 
Bewegung  der  Körper  kannte  und  daher  auch  noch  nicht  wie  die 
Späteren  die  Schwere  mit  diesem  Begriffe  in  Verbindung  bringen  konnte. 
Wo  aber  ein  solcher  Begriff  fehlt,  da  ist  nach  G.  auch  keine  einheit- 
liche Auffassung  der  Schwere  zu  suchen.  D.  faßte  diese  teils  als  Zug 
nach  unten,  teils  als  Gewicht;  die  zweite  Bedeutung  galt  ihm  insbe- 
sondere lür  die  Atome.  Weil  ihm  die  natürliche  Bewegung  fehlte,  ver- 
wickelte er  sich,  wie  Aristot.  309b  7  zeigt,  in  einen  Widerspruch,  in- 
dem er  das  Leere  für  die  Ursache  des  Aufsteigeus  der  Körper  erklärte, 
ohne  ihm  jedoch  an  und  für  sich  diese  Bewegung  zuzuschreiben.  Durch 
diese  Eröiterung  wird  der  Begriff  der  Schwere  bei  D.  eher  verdunkelt 
als  geklärt.  Man  muß  vielmehr,  wie  dies  oben  geschehen  ist,  zwischen 
der  Bedeutung,  die  bei  D.  die  Schwere  ebenso  wie  die  Bewegung  im 
außerkosmischen  Räume,  und  die  sie  innerhalb  des  durch  den  Wirbel 
gestalteten  Kosmos  hat,  scharf  unterscheiden;  dann  verschwindet  auch 
der  scheinbare  Widerspruch,  den  Aristot.  von  seinem  Standpunkt  aus  bei 
den  Abderiten  findet.  —  Auf  festerem  Boden  bewegt  sich  G.  in  seinen 
Ausführungen  über  die  Bewegung  (S.  98  ff".).  liier  geht  er  von  der 
durch  Aristot.  und  zum  Teil  durch  Cicero  bezeugten  Ewigkeit  und  ür- 
sachlosigkeit  der  Atomenbeweguug  aus  und  zeigt,  daß  sich  damit  die 
Annahme  Zellers  (882  f.),  die  Schwere  und  das  Leere  seien  die  Ursache 
jener  Bewegung,  nicht  vertrage;  nicht  Ursache  der  Bewegung  sei  dem 
D.  das  Leere,  sondern  nur  condicio  sine  qua  non.  Nachdem  er  dann 
Zellers  Annahme  einer  Fallbevvegung  der  Atome  im  Leeren  ungefähr 
mit  denselben  Gründen  wie  die  oben  von  mir  beigebrachten  zurückge- 
wiesen hat,  geht  er  näher  auf  Theophr.  d.  sens.  §  71  ein,  eine  Stelle,  die 
Brieger  und  Zeller  fälschlich  auf  die  Bewegung  der  Atome  bezogen 
haben,  während  nach  dem  Zusammenhange  nur  von  den  verschiedeneu 
Arten  der  Siunesenipfinduugen  die  Rede  sein  kann.  Auch  Aristot. 
Phys.  IV  8  hat  Zeller  nach  G.  mißverstanden,  wenn  er  daraus 
schließt,  die  Atomisten  hätten  die  schweren  Körper  im  Leeren  schneller 
fallen  lassen  als  die  leichten.    Aristot.  behauptet  nicht,  daß  im  Leereu 


142     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

alle  Körper  gleich  schnell  fallen  müßten,  sondern  er  sagt:  im  Leeren 
können  sich  die  Körper  weder  verschieden  schnell  noch  gleich  schnell, 
also  überhaupt  nicht  bewegen.  Daraus  läßt  sich  nicht  ableiten,  die 
Atomiker  hätten  einen  ungleich  schnellen  Fall  aller  Körper  im  Leeren 
angenommen.  Mit  dieser,  wie  es  scheint,  richtigen  Deutung  der  aristo- 
telischen Argumentation  ist  in  der  That  der  Zellerschen  Hypothese  der 
Boden  entzogen,  da  nur  unter  der  Voraussetzung  einer  ungleichen  Be- 
wegung das  Fallen  der  Atome  zu  einem  Zusammenstoße  und  somit  zur 
Bildung  eines  Wirbels  führen  konnte,  und  es  bleibt  kaum  noch  etwas 
anderes  übrig,  als  mit  Brieger  und  Liepmann  ein  wirres  Durcheinander- 
fliegen der  Atome  anzunehmen.  G.  stimmt  dann  auch  der  Auffassung- 
der  beiden  Forscher  in  der  Hauptsache  bei,  wenn  er  auch  nicht  alle 
ihre  Gründe  gelten  lassen  kann  und  insbesondere  die  Bezeichnung  der 
unordentlichen  Bewegung  der  Atome  als  ,Urbewegung"  in  dem  Sinti e, 
wie  Zeller  den  Fall  so  bezeichnet  oder  wie  Aristot.  die  natürliche  Be- 
wegung der  Atome  bei  D.  vermißt,  für  unzutreffend  hält;  man  könne, 
streng  genommen,  nur  von  einer  dem  weltbildeuden  Wirbel  voraus- 
gehenden Bewegung  reden  [richtiger  doch  wohl  von  einer  vor-  und 
außerkosmischen]. 

Wir  kommen  nunmehr  zu  den  Ausführungen  Goedekemeyers 
über  andere  Teile  des  demokritischen  Systems.  Es  liegt  in  der  ver- 
schiedenen Beschaffenheit  unserer  Überlieferung  über  D.  und  Epikur, 
daß  der  Versuch,  zweifelhafte  Punkte  in  ihren  Lehren  aufzuklären,  bei 
D.  auf  größere  Schwierigkeiten  stößt  als  bei  Epikur.  Kein  Wunder  daher, 
daß  die  Ergebnisse  der  Untersuchung  des  Verfassers  in  bezug  auf 
jenen  weniger  sicher  erscheinen  als  in' bezug  auf  diesen.  S.  32flf. : 
D.  weist  wie  später  Ep.  in  den  Vorgängen  des  Entstehens  und  Ver- 
gehens, des  Wachsens  und  Abnehmens,  des  Wirkens  und  Leidens  die 
Pinalität  zurück  und  sieht  die  einzige  Ursache  jener  Vorgänge  in 
der  dva'-fXY]  und  TÖyri.  Die  dva^xT)  faßt  D.  doppelt  auf,  als  eine 
mechanische  (durch  Stoß  und  Abprall)  und  als  ewige  und  ursachlose 
Notwendigkeit.  Diesen  Begriff  der  Notwendigkeit  wendet  er  nur  auf 
solche  Thatsachen  an ,  die  man  gewöhnlich  als  zweckmäßig  bezeichnet, 
und  zwar:  1.  auf  die,  welche  zu  der  nicht  erstmaligen  Entstehung  und 
Entwickelung  des  Organismus  und  seiner  Teile  gehören;  2.  auf  die 
ewige  Bewegung  der  Atome.  Beide  Erscheinungen  will  er  nicht  aus 
dem  Zweck  erklären,  aber  auch  nicht  lediglich  aus  der  mechanischen 
Bewegung  der  Atome  und  greift  deshalb  zu  der  seltsamen  Annahme 
einer  ewigen,  ursachloseu,  gleichsam  über  der  Bewegung  der  Atome 
schwebenden  Notwendigkeit:  „es  war  früher  so  und  muß  deshalb  immer 
?o  sein" ;  3.  auf  den  weltbildenden  und  später  die  Gestirne  bewegenden 
Wirbel;  eine  solche  St'vY)  muß,  wie  der  vous  des  Anaxag.,  ohne  Zweifel 


Bericht  über  die  griechisclieu  Philosophoa  vor  Sokrates.     (Lortzing.)     ]4;j 

als    zweckmäßig-  betiachtet  werden  (?).     Von  diesen  drei  Bedentuugeu 
hat    Ep.    nun    die    erste,    die    man    als    „transeunt    (so!)"    bezeichnen 
kann,   übernommen,  während  er  an  die  Stelle  der  beiden  anderen  zwei 
immanente  Ursachen  setzt:    die  Schwere  der  Atome  nnd  das  Naturgesetz. 
Noch  bedeutender  ist  der  Unterschied  in  der  Auffassung  der  Tu-/ri  bei 
beiden  Pliilosopheu.    Wenn  man  Aristo t.  196  a  24  auf  D.  beziehen  darf, 
so  hat  dieser  unzweifelhaft  (?)  den  Ausdruck  otuToixaxov  selbst  gebraucht. 
Das    auto'fAaTov    steht    somit    der    absolut    bedingenden   und  völlig  ein- 
deutigen Ursache    der  Entstehung  von  Pflanzen  und  Tieren  gegenüber. 
Aus    der  Bewegung   der  Atome  im  af}poi!j|j.6j  folgt  nicht  mit  derselben 
Notwendigkeit    die    8ivt),    sondern    sie    entsteht    in  ihr  diio  TotuToiAaxo'j ; 
ihre  Entstehuntr  ist  nur  möglich,  nicht  notwendig.     Während  die  Ato- 
misten  die  objektive  Existenz  des  Zufalls  aufs  entschiedenste  verwarfen, 
gaben  sie  doch  zu,  daß  es  unsichere  und  zufällige  Ursachen  gebe,  deren 
Wirkungen  für  den  Menschen  unberechenbar  seien.    D.  gab  damit  dem 
.Zufallsbegriff  eine  subjektive  Wendung.    Anders  Ep.,  der  (Laert.  X  133) 
gegen  D.  polemisiert  (diese  Vermutung  Guy  aus,  La  morale  d'  E'picure 
72,  1,  wird  durch  eine  Polemik  des  Diogenes  von  Oinoanda  gegen  die 
eilxapixEVYj    Demokrits    bestätigt;    s.    Usener    Rh.    M.    47    S.  484)    und 
dem    Zufall   Realität    zuschreibt.     Trotz    dieser    tiefgehenden  Differenz 
wird  die  Anwendung  des  Zufallbegriffes  bei  beiden  die  gleiche  gewesen 
sein,  nämlich  auf  die  Erzeugnisse  unübersehbarer  und  kausal  nicht  ver- 
knüpfter Bewegungen.    D.  wendet  ihn  auf  das  Entstehen  des  döpotaixoj, 
der  oivT),    das  Eintreten   der  Gestirne  in  unsern  Kosmos  und  vielleicht 
auch    auf    das    erstmalige  Entstehen    der  Organismen   nnd  der  übrigen 
Atomverbiudungen  an.    Bei  Ep.  dagegen  fällt  die  ot'vr,  weg;  er  benutzt 
aber    den    Zufall    dazu,    im  Anschluß  an  Emped.  auf  materialistischem 
Wege  die  Zweckmäßigkeit  zu  erklären,  ein  Versuch,  der  dem  D.  nirgends 
beigelegt   wird    (bei  Plut.  adv.  Col.  8,  4    darf  man  ihn  nicht  suchen). 
D.  hat  prinzipiell   an  dem  naturwissenschaftlichen  Ideal  festgehalten  und 
die  Welt    als    ein    von    stiengen  Gesetzen   kausaler  Notwendigkeit  be- 
herrschtes System  von  Vorgängen  aufgefaßt;    der  Begriff  der  xu/y)  ist 
bei  ihm  nur  ein  Grenzbegriff  des  Erkennens.     Ep.  dagegen  verzichtet 
auf  diese  strenge  Weltbetrachtung;    er  stellt  der  ava-j-xT;  nicht  nur  die 
objektive  xu/t]  zur  Seite,  sondern  auch  die  Ttpoaipccji?  und  die  Deklination 
der  Atome.     Damit    wird    der    stolze   Bau  Demokrits    von  Grund    ans 
zerstört.  —  Diese  scharfsinnigen  Erörterungen  lassen  die  Verschieden- 
heit   in    der  Grundauffassung  Epikurs  und  Demokrits  deutlich  hervor- 
treten;    sie    liaben  aber  das  Bedenkliche,    daß  bei  D.  eine  Schärfe  der 
begrifflichen  Distinktion  vorausgesetzt  wird,  die  wir  bei  ihm  noch  nicht 
suchen  dürfen.    Ich  kann  mich  nicht  dazu  entschließen,  zu  glauben,  daß 
D.    so    klar    zwischen   hd-iY.t]  und  xu/rj  unterschieden  hat,    wie  G.  an- 


144     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokratcs.    (Lortzing. 

nimmt,  bezweifle  auch,  daß  er  den  Ausdruck  auToixarov,  der  ja  aller- 
dings in  einem  ethischen  Fragmente  (189)  vorkommt,  im  streng  tech- 
nischen Sinne  gebraucht  hat.  Auch  gegen  die  Zweckmäßigkeit,  die  er 
schwerlich  begrifflich  erfaßt,  sicherlich  nicht  formuliert  hatte,  kann  er 
nicht  polemisiert  haben.  Die  sonstigen  Ausführiinuen  des  Verf.  über 
das  Verhältnis  zwischen  beiden  Philosophen  in  der  Lehre  von  den 
Elementen,  von  der  Seele,  von  den  Wahrnehmungen  und  ihrem  Wahr- 
heitswerte sowie  in  der  Kosmologie  müssen  wir  hier  bei  Seite  lassen, 
obwohl  auch  sie  sehr  beachtenswerte  Beiträge  zur  Demokritischen  Phi- 
losophie enthalten. 

Löwenheim  weist  gegen  Natorp,  Philos.  M.-H.  18  (1882)  S.  213 
räch,  daß  Galilei  D.  gekannt  hat  und  wesentlich  von  ihm  beeinflußt 
worden  ist.  Besonders  durch  die  Lehre  von  der  Schwere  (L.  nimmt 
iirtümlicherweise  an,  daß  D.  alle  Körper  [vielmehr  Atome]  im  leeren 
Eaume  gleich  schnell  [?]  fallen  ließ  [s.  S.  141  f.])  wurde  er  aus  einem 
Schüler  des  Archimedes  ein  Schüler  Demokrits.  D.  hat  zuerst  den 
Grundsatz  aufgestellt,  daß  wir  nicht  für  die  Fortdauer,  sondern  nur  für 
die  Acderung  eines  bestehenden  Zustandes  eine  Ursache  zu  suchen  haben, 
und  diesen  Grundsatz  auch  auf  die  Bewegung  angewandt.  Er  hat  das 
Beharrungsgesetz  nicht  nur  zuerst  aufgestellt,  sondern  auch  genau  wie 
heute  Kirchhoff  und  Helmholtz  begründet  im  Gegensatze  zu  der 
Newton  sehen  Annahme  von  der  Tiägheit  der  Materie.  Der  Unterschied 
zwischen  D.  und  der  heutigen  Naturwissenschaft  ist  nur  der,  daß  D. 
die  Kreislinie  für  ebenso  einfach  hielt  wie  die  gerade  Linie  und  daher 
einen  im  Kreise  sich  bewegenden  Körper,  wenn  er  seine  Richtung  nicht 
ändert,  fortwährend  sich  im  Kreise  bewegen  läßt.  Galilei  hat  eine 
Zeitlang  dieser  Auffassung  Demokrits  gehuldigt.  Aber  der  Einfluß 
Demokrits  auf  Galilei  beschränkt  sich  nicht  auf  die  Mechanik,  sondern 
erstreckt  sich  auch  auf  das  astronomische  Gebiet.  Indem  sich  D.  nach 
Hippolyt.  113  die  meisten  Welten  bewohnt,  also  von  unserer  Welt  gar 
nicht  unterschieden  dachte,  hatte  er  den  geozentrischen  Standpunkt 
bereits  überwunden,  wenn  er  auch  innerhalb  unserer  Welt  die  Erde  in 
den  Mittelpunkt  stellte.  In  diesen  Punkten  wie  auch  in  der  Lehre  von 
der  Unendlichkeit  des  Weltalls  und  der  Mehrheit  der  Welten  steht  G. 
auf  Demokrits  Standpunkt  und  im  Gegensatze  zu  Aristot.  Auch  in  der 
Theorie  von  der  Subjektivität  der  Sinncsqualitäten  (L.  ist  geneigt,  diese 
Lehre  erstD.,  nicht  schon  Leukipp  beizulegen;  s.  jedoch  o.  S.  101  f.)  erfährt 
er  den  Einfluß  des  D.  In  bezug  auf  die  Wärme  muß  D.  nach  Aristot. 
405a  und  Plut.  qu.  symp.  VIII  10,  2  angenommen  haben,  daß  die 
höhere  Temperatur  der  warmblütigen  Tiere  dadurch  hervorgerufen 
wurde,  daß  in  ihrem  Körper  die  Feueratome  stärker  vertreten  sind  und 
daß  diese  sich  in  lebhafterer  Bewegung  befinden,    so  daß  die  sich  von 


Bericht  über  die  griechiscben  Philosophen  vor  Sokrates.   (Lortzing.)     145 

den  betroffenden  Körpern  ablösenden  Bilder  hier  mit  besonderer  Energie 
iortgeschleudert  werden.  Also  ist  nach  D.  die  Wärme  eine  lediglich 
subjektive  Empfindung,  und  das  ihr  entsprechende  Objektive  sind  Atome, 
die  sich  infolge  ihrer  Gestalt  stets  in  lebhafter  Bewegung  befinden. 
Gegen  diese  nüchterne  Wissenschaftlichkeit  empörte  sich  Piaton,  wie 
«Toethe  gegen  Newton,  und  mit  ihm  Aristot.;  sie  stellten  seiner  Sub- 
jektivität der  Sinnesqualitäteu  die  objektive  Idee  des  Warmen,  des 
Weißen,  des  Tones  gegenüber.  Der  erste  unter  den  Neuereu,  der  wieder 
für  die  Subjektivität  eintrat,  war  G.,  wahrscheinlich  auch  hier  von  D. 
abhängig.  Demokrits  Lehre  von  den  Sinnesempfindungen,  hat  weiterhin 
zur  Lehre  von  der  Undulution  des  Schalles,  des  Lichtes  und  zur 
mechanischen  Wärmetheorie,  aber  auch  zur  Entdeckung  des  Gesetzes  von 
der  spezifischen  Energie  der  Sinnesorgane  geführt.  Auch  die  Kant- 
Laplacesclie  Theorie,  das  Prinzip  von  der  Erhaltung  der  Kraft  und  die 
Darwinsche  Theorie  gehen  auf  D.  zurück. 

Harts  Abhandlung  bezweckt,  das  ^povsiv  und  die  ^vrjai/j  ^vwiArj 
des  D.  näher  zu  bestimmen  und  die  Bedingungen  zu  vermitteln,  unter 
denen  sich  die  wahre  Erkenntnis  vollzieht.  Das  Hauptergebnis  der  auf 
genauer  Kenntnis  des  Materials  fußenden  und  nicht  ohne  Scharfsinn 
geführten,  aber  wenig  übersichtlichen  Untersuchung  ist,  daß  nach  D. 
die  echte  Erkenntnis  in  einer  Art  von  intuitiver  Auffassung  oder  vei'- 
teinerter  ai3i)Y;3t;  bestehe,  die  durch  das  Eindringen  feiner,  der  gewöhn- 
lichen Sinneswahrnehmung  unzugänglicher  siotuXa  in  unsern  Körper 
hervorgerufen  werde;  während  aber  der  großen  Menge  nur  gelegentlich 
im  Traume  eine  über  die  Sinnesetkenutuis  hinausgehende  Oftenbarung 
zu  teil  werde,  besitze  der  Philosoph  die  Fähigkeit,  jene  t'idioXa.  auch 
im  wachen  Zustande  auf  sich  wirken  zu  lassen  und  mit  ihrer  Hülfe  das 
Wesen  der  Dinge  zu  erkennen.  Die  Haltlosigkeit  dieser  Annahme,  die 
sich  hauptsächlich  auf  eine  willkürliche  Übertragung  der  übrigens 
schwerlich  auf  die  Erkenntnis  der  Atome  gerichteten  e-ißoXf,  <pav:a7Ttxrj 
Epikurs  stützt,  ist  durch  meine  Besprechung  (B.  Ph.  Wschr.  1888, 
170  ff.),  und  noch  ausführlicher  durch  Gödekemeyer  nachgewiesen  worden. 
Auch  Di  eis  (Arch.  I  250  f.)  urteilt  im  gleichen  Sinne  und  fügt 
hinzu,  diese  Theorie  passe  besser  zum  modernen  Spiritismus  als  zur 
alten  Atomistik. 

Gegen  Harts  Gleichsetzung  der  777)3171  7V(u|j,ri  mit  der  «pavTajjxiy.Tj 
i-CioXr^  und  seine  XJnterschäizung  des  logischen  Faktors  in  der  Lehre 
Demokrits  wendet  sich  auch  Natorp  (No.  397).  Sext.  log.  II  56  ff. 
kann  nach  seiner  Meinung  nicht  für  D.  verwertet  werden,  sondern  läßt 
vielmehr  auf  eine  Diiferenz  zwischen  Epikur  und  D.  schließen.  Auch 
der  Umstand,  daß  D.  auch  das  cppoveiv  von  der  subjektiven  oiaöscris  ab- 
hängig macht,  entscheidet  nichts.  Denn  das  cppovsiv,  d.  h.  die  normale 
Jahi-esbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    (1903.    I.)  10 


146     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Verfassung  des  Denkens  fällt  ebensowenig'  wie  die  voTjai?,  d.  h.  die 
Phantasievorstellung  (?)  oder  Vorstellung?  überhaupt  mit  der  auvscjtc, 
d.  i.  der  Erkenntnis  des  Wahren  zusammen.  Die  Phänomene  sind  nach 
D.  nicht  das  Wahre,  wenn  auch  nicht  zu  leugnen  ist,  daß  sie  auch  au 
der  Wahrheit  teilhaben,  insofern  sie  in  den  augenorameuen  Gründen 
ihre  Erklärung  finden;  der  Xo'yo?  macht  das  'faivofxsvov  erst  wahr.  Ge- 
rade wenn  D.  «ypoveiv  und  aXXo^povetv  an  Wahrheitswert  gleichstellte, 
so  bedurfte  er  nach  N.  eines  besonderen  Kriteriums  der  Wahrheit,  und 
dies  ist  bei  ihm  die  logische  Einstimmigkeit  des  wenngleich  auf  die 
Phänomene  gerichteten  Denkens.  Über  die  Wahrheit  entscheiden  allein 
die  wissenschaftlichen  Gründe,  dieselben,  die  Aristot.  als  „eigentümlich 
physikalische"  bezeichnet,  und  die  beweisen,  daß,  um  das  Reale  gegen 
das  vom  mathematischen  Standpunkt  unwiderlegliche  Argument  von 
der  Teilbarkeit  in  infinitum  zu  retten,  die  Annahme  des  physisch  Un- 
teilbaren (axoixov)  gewagt  werden  muß.  Das  e-'  eXattov  und  ejit 
XercxoTspov  bei  Sext.  VIII  139  =  Fr.  phys.  1  fin.)  versteht  N.  sc:  die 
echte  Erkenntnis  ist  an  die  Schranke  (modern  ausgedrückt,  Reizschwelle 
oder  Unterschiedsschwelle)  der  Sinneswahrnehmung  nicht  gebunden. 
Der  Begriff  geht  über  die  Sinneswahrnehmung  hinaus,  aber  nicht  etwa, 
um  als  ein  sechster  Sinn  das  Kleinste  auf  eine  der  Wahrnehmung  ana- 
loge Art  vorzustellen;  denn  wie  sollten  die  qualitätslosen  Atome  und 
vollends  das  Leere  wahrgenommen  werden  können?  Das  Wahre  muß 
von  dem  Wechsel  der  öiaösai;  nnberührt  bleiben.  Bei  der  gegenteiligen 
Auffassung  ist  nicht  zu  begreifen,  warum  D.  zwischen  echter  und  und 
echter  Erkenntnis  eine  solche  Kluft  befestigte.  Man  darf  daher  De- 
mokrits  axoxiY)  7V(ü|j,y)  nicht  mit  „dunkler"  Erkenntnis  übersetzen,  was 
einen  schiefen  Gegensatz  gegen  die -/v/jjt'ri  ergeben  würde:  auch  ist  ge- 
rade das  Wahre  das  Verborgene  und  Dunkle  (a7roxexpu}x|xevr]  nach  De- 
mokrits  eigenem  Ausdruck).  Die  axonSj  7v.  ist  vielmehr  als  „unechte, 
untergeschobene"  Erkenntnis  zu  fassen  (vgl.  cjxotioi  r.alos;),  die  die 
., echte"  in  den  Hintergrund  drängt.  Mit  dieser  sprachlichen  Erklärung 
hat  N.  unzweifelhaft  das  Richtige  getroffen. 

Brochard  stellt  eine  Vergleichung  zwischen  der  Erkenntnis- 
theorie Demokrits  und  der  des  Protagoras  an.  Natorp  hat  (im  I.  Ab- 
schnitt der  Forsch.)  zweifellos  nachgewiesen,  daß  die  bekannte  Formel 
des  Prot,  relativistisch  und  skeptisch  sei;  aber  er  irrt,  wenn  er  den 
Relativismus  des  Sophisten  als  rein  subjektiv  betrachtet,  so  daß  es 
zwischen  ihm  und  D.  keinen  Unterschied  gäbe  [dies  ist  eine  willkür- 
liche Folgerung  Brochards,  die  zu  ziehen  N.  völlig  fern  gelegen  hat], 
Prot,  betrachtet  die  Dinge  als  wirklich  außerhalb  des  menschlichen 
Geistes  existierend,  wenn  auch  nur  als  eine  vorübergehende  und  flüch- 
tige, auf  ein  Minimum  reduzierte  Wirklichkeit.    Er  unterscheidet  zwischen 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     147 

Wahrnehmuug  und  wahrgenommener  Sache.  Es  giebt  also  Wahrheit  im 
System  des  Prot,  und  er  durfte  sein  Werk  mit  Recht  'AXirjöeta  nennen. 
Wenn  Aristot.  sagt,  Prot,  hebe  das  Prinzip  des  Widerspruches  auf,  so 
mag  jener  diesen  Ausdruck  nicht  gebraucht  hüben,  aber  die  thatsäch- 
liche  Konsequenz  seines  Systems,  nämlich  die  gleichzeitige  objektive 
Realität  der  Gegensätze,  konnte  ihm  nicht  entgehen.  Die  Materie  (?) 
vereinigt  in  sich  die  entgegengesetzten  Bestimmungen;  daher  giebt  es 
über  jede  Frage  nach  Prot,  stets  zwei  Ansichten.  Die  Beweisführung 
des  Sophisten  beruht  also  auf  dem  allen  vorplatonischen  Philosophen 
gemeinsamen  und  selbst  noch  bei  Plat.  (s.  Theaet.  160  A.)  sich  findenden 
Grundsatz:  on  ne  pense  (sent,  se  represente)  pas  ce  qni  n'est  pas. 
Seine  Doktrin  ist  ein  objektiver  oder  realistischer  Relati- 
vismus. D.  dagegen  war  der  erste  subjektivistische  Philo- 
soph. Ihm  erschien  die  flüchtige,  auf  der  Oberfläche  der  Dinge  befind- 
liche Wahrheit  des  Prot,  als  ein  leeres  Wortspiel;  er  suchte  die  Wahr- 
'  heit  in  der  Tiefe  (ev  ßuö(o).  Das  ist  kein  Zugeständnis  des  Skeptizis- 
mus, sondern  des  noch  suchenden  Dogmatismus.  Um  diese  Wahrheit  zu 
gewinnen,  mußte  er  den  Wahrnehmungen  jeden  objektiven  Wert  ab- 
sprechen. Sie  sind  ihm  TiaÖr)  ■zr^i  aisOr^ascüc  oder  „des  etats  vides  du 
sujet"  (xEvo-aösiat  Sext.-  math,  VIII  184).  Zum  ersten  Male  war  damit 
das  Band  zwischen  Sein  und  Denken,  Vorstellung  und  Wirklichkeit  zer- 
rissen. Das  war  eine  große  Kühnheit,  ein  logischer  Skandal;  das  hieß 
behaupten:  „on  peut  penser  ce  qui  n'est  pas"  (?).  —  D.  verband  mit 
der  von  Heraklit  und  Prot,  erkannten  Existenz  der  Bewegung  als 
Prinzip  des  Bestehens  die  Atome  und  das  Leere.  Daher  genügten  die 
später  sogenannten  primären  Eigenschaften,  die  den  Atomen  wesentlich 
anhaften,  im  Grunde  rein  mathematische  Begriffe,  die  Größe  und  die 
Gestalt  [und  die  Härte  und  Schwere,  die  doch  nach  D.  auch  objektive 
Existenz  haben?],  um  alle  objektiven  Eigentümlichkeiten  der  wirklichen 
Objekte  zu  erklären.  —  Diese  scharfe  Zuspitzung  des  Gegensatzes 
zwischen  den  beiden  Abderiten  hat  etwas  Blendendes,  beruht  aber  im 
Grunde  auf  einer  willkürlichen  Konstruktion. 

Bobba  zieht  zum  Verständnis  der  Lehre  Demokrits  vom  bösen 
Blick  (Plut.  qu.  symp.  V  7,  6)  dessen  Theorie  des  Erkennens  und  ins- 
besondere die  Lehre  von  den  Gesichtswahrnehmungen  heran.  Er  weist 
dann  auf  die  mit  der  demokritischen  Erklärung  der  jettatura  verwandte 
Annahme  gewaltiger  übermenschlicher  Wesen  in  der  Luft  hin,  die  teils 
wohlwollend,  teils  übelwollend  sind  und  namentlich  im  Schlafe  auf  uns 
einwirken. 

Kern  giebt  eine  Darstellung  der  demokritischen  Ethik  nach  den 
überlieferten  Bruchstücken,  die  sich  teilweise  mit  der  Natorps  in  der 
„Ethika"    berührt   und    offenbar    auf  dessen  Würdigung  der  sittlichen 

10* 


1 


148     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Vorschriften  des  Abderiten  von  Einfluß  gewesen  ist.  Nachdem  wir  oben 
über  Natorps  Schrift  ausführlich  berichtet  haben,  können  wir  uns  daher 
hier  auf  einige  kurze  Bemerkungen  beschränken.  K.  verfährt  in  der 
Auslegung  der  Fragmente  öfter  sehr  willkürlich.  So  ist  es  z.  B.  eine 
völlig  leere  Vermutung,  wenn  er  meint,  daß  Fr.  174  verstümmelt  über- 
liefert und  in  der  zweiten  Hälfte  von  den  Vorzügen  des  Weibes  in 
leidenschaftlicher  Neigung  auch  zum  Guten  die  Eede  gewesen  sei.  In 
der  Beurteilung  des  Wertes  der  demokritischen  Sittenlehre  überschätzt 
er  ähnlich  wie  Natorp,  aber  noch  stärker  als  dieser,  die  Bedeutung 
jenes  ersten  und  trotz  seiner  hohen  Bedeutung  doch  noch  unvollkom- 
menen Versuches  einer  ausführlichen  und  selbständigen  Behandlung 
ethischer  Probleme.  Mit  solchen  Bemerkungen  wie,  daß  die  Sittenlehre 
Demokrits  reiner,  besonnener  und  philosophisch  besser  begründet  sei  als 
die  des  Sokrates,  daß  D.,  wo  er  von  diesem  abweiche,  im  besseren  ■ 
Rechte  sei  —  so  lehre  er  zwar  auch,  daß  der  Mensch  aus  Unkenntnis  ' 
des  Besseren  handle,  aber  ohne  die  sokratische  Übertreibung,  daß  das 
Wissen  das  Rechtthun  verbürge  — ,  zeigt  K.,  daß  er  für  die  völlig 
neue  Grundlage,  die  Sokrates  der  Ethik  durch  seine  Begriffsphilosophie 
gegeben  hat,  kein  rechtes  Verständnis  besitzt.  Wenn  er  D.  gegen  den 
Vorwurf  der  ungeschminkten  Nützlichkeitsmoral  dadurch  verteidigt,  daß 
auch  Sokrates,  Piaton,  Aristot.,  Epikur  (!)  und  die  Stoa  nicht  über 
diesen  Standpunkt  hinausgekommen  seien,  so  verkennt  er  den  Unter- 
schied des  Eudämonismus,  der  allerdings  die  ganze  spätere  Ethik  be- 
herrscht, und  des  Hedonismus,  der  doch  nicht  erst  bei  Aristipp  und 
Epikur,  sondern  schon  bei  D.  den  Ausgangspunkt  der  ethischen  Be- 
trachtungen bildet  (s.  0.  S.  132).  Bezeichnend  für  Kerns  Auffassung 
ist,  daß  er  Epikur  ganz  unbefangen  mit  den  entschiedensten  Bekämpfern 
der  Lustlehre  in  eine  Reihe  stellt. 

Über  die  Abh.  von  Schanz  vgl.  den  kurzen  Bericht  von  E.  Well- 
mann Areh.  VI  272. 


Zum  Texte  der  Fragmente. 

Die  in  die  Berichtszeit  fallenden  Textesänderungen  und  Vorschläge 
zu  solchen  hier  aufzuzählen  erscheint  überflüssig.  Sie  sind  zum  größten 
Teile  in  den  jedermann  zugänglichen  Ausgaben  der  ethischen  Fragmente 
von  Natorp,  des  Stob,  von  Wachsmuth  und  Hense  (vgl.  Ber.  I  174)  und 
anderer  Quellenschriften  wie  derMoraliaPlutarchs  vonBernardakis  und  des 
umfangreichen  theophrastischen  Bruchstückes  de  sens.  in  Diels'  Doxogr.  zu 
finden.  Das.  letztgenannte  Bruchstück  enthält  zwar  eine  wertvolle  Dar- 
stellung der  demokritischen  Lehre  von  den  Sinneswahrnehmungeu,  giebt 
aber   schwerlich    an  irgend  einer  Stelle  seine  Quelle,    auch  wenn  man 


Bericht  über  die  griecbischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     149 

vom  ionisches  Dialekte  absieht,  wortgetreu  wieder. ' )  Nur  einzelne  echt 
ilemokritische  Aasdrücke/  scheint  Theophr.  beibehalten  zu  haben.  Einig'e 
solche,  über  deren  Ursprunfj  kaum  ein  Zweifel  herrschen  kann,  hat 
Diels  durch  Anluhruu'Tszeichen  und  gesperrten  Druck  hervorgehoben, 
so  6fjLoio37Yi|j,ov£iv  S.  513  (vgl.  Hippolyt.  I  12  S.  56.5  ,  I  tol 
ö[jLOiO(jy7^fxova),  i}pu-T£ai)ai  ebd.,  oiap-ijAvei,  cixiovasilat,  dXXo'i^povetv 
S.  515,  |jL£-a-rz-:ov  S.  517,  jj-oipav  syetv  auvsaeojc  S.  520,  7:po- 
xpo'aaaj  S.  523  (vgl.  die  Anm.  von  Diels),  die  sämtlich  bei  Mallach 
im  index  vocum  Democritearum  sowie  mit  Ausnahme  von  aXXo'fpovsTv 
und  ixsta-r-rov  auch  im  iudex  rerum  et  verborum  memorabilium  fehlen. 
Es  hätten  vielleicht  noch  einige  andere  Ausdrücke  hinzugefügt  werden 
können,  wie  (7xaXr)v^  S.  518,  11  und  öfter,  zapaXXaStv  oder  besser  nach 
Brieger  ;,die  Urbeweguug"  S.  15  e-aXXa^iv  (vgl.  e::aXXtxTTctv  523,  13), 
£uöpuz-ra  (oder  mit  Schneider  £u&uTpu:i:a?)  521,  5  u.  7  u.  a.  Sonstige 
Deraokritische  Wortformen  sind  o£tvov  Simpl.  phys.  327,  24  (von  Diels 
hergestellt),  zspi-aXaasEafJai --  -epiTiXEXEÖat  ebd.  1319,  1  von  D.  für 
7:£pn:aXai(;£i)ai  vorgeschlagen,  und  or)vatoTr)xo?,  &Tr]vatotTr)-i  Stob.  flor.  IV  75 
(nach  Bücheier  =  Hense). 


d)  Spätere  Demokriteer, 

402.  R.  Hirzel,  Der  Demoki-iteer  Diotimos.    Herrn.  17  (1882) 

S.  326—328. 

* 

403.  Th.  Gomperz,    Anaxarch    und   Kallisthenes.     Corament. 
philol.  in  hon.  Th.  Mommseni.     Berol.   1877  S.  471—480. 

Während  Hirzel  früher  (Unters,  zu  Cic.  I  120,  2)  angenommen 
hatte,  daß  der  bei  Sext.  dogm.  I  40  als  Erklärer  Demokrits  erwähnte 
Diotimos  mit  dem  Stoiker  gleichen  Namens,  dem  boshaften  Ver- 
leumder Epikurs  (Laert.  X  3)  identisch  sei,  giebt  er  in  No.  402  diese 
Vermutung  auf,  nachdem  Diels  dox.  346  nachgewiesen  hat,  daß  Diotimos 
aus  Tyros  bei  Act.  II  17,  3  ein  Demokriteer  war.  H.  findet  nun  diesen 
Demokriteer  bei  Clem.  ström.  II  179  Sylb.  wieder,  wo  das  ethische 
Prinzip  des  D.  und  seiner  Nachfolger  angegeben  und  außer  Hekataios, 
Apollodotos  und  Nausiphanes  auch  Diot.  genannt  wird,  der  die  TravtlXEta 
Ttöv  d-.'aöüiv  als  TsXoc  hinstellte  und  damit  eine  Erklärung  der  demo- 
kritischen   £'j€5TU)   geben    wollte.     Er   ist    derselbe    wie  der  von  Sext. 


')  Mullach  hätte  daher  die  betreffenden  Abschnitte  so  wenig  wie 
die  zoologischen,  astronomischen  und  peoponischen  Bruchstücke  nach  der 
ganzen  Anlage  seiner  Sammlung  in  diese  aufnehmen  dürfen;  mit  demselben 
Rechte  hätten  dann  auch  zahlreiche  Stellen  aus  Aristot,  Laert,  Hippolyt,, 
Aet.  u.  a.  zugelassen  werden  müssen. 


150     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

math.  VII  1401  angeführte.  Dieser  letzteren  Annahme  widerspricht 
Zeller  966,  5,  der  mit  Natorp  Forsch.  1901  es  für  wahrscheinlich 
hält,  daß  bei  Sext.  der  Stoiker  gemeint  sei,  da  die  Ausdrücke  xpirrjoia, 
aTpssu  und  <pu7T]  dem  stoischen  Sprachgebrauche  entsprechen  [S.  jedoch 
jetzt  Natorp  Eth.  89,  2]. 

Gomperz  verweist  zum  vollen  Verständnis  der  in  unverständlicher 
Fassung  bei  Laert.  IX  60  ön.  erhaltenen  Anekdote  über  Anaxarch 
und  Alexander,  die  auch  durch  Plut.  qu.  conv.  736  F  noch  nicht  ge- 
nügend aufgehellt  wird,  auf  Philodem  -ep\  xay.iwv  y.xX.  Diese  Geschichte 
zeige  uns  so  recht  die  Gewandtheit  und  Geistesgegenwart,  den  Takt 
und  die  Selbstbeherrschung  des  Mannes.  Sie  biete  ebenso  wie  die 
sonstige  anekdotenhafte  Überlieferung  über  A.  keinen  Anhalt  für  die 
im  Altertum  verbreitete  Auffassung ,  daß  A.  ein  Schmeichler  und 
Schmarotzer  gewesen  sei.  —  Das  bei  Stob.  ü..  34,  19  und  Clem.  ström. 
I  6,  teilweise  auch  bei  Athen.  Mechan.  erhaltene  Fragment  des  A.  über 
die  7toXu[jLaf)iVj  (s.  Bernays  Ges.  Abh.  I  123  ff.  und  128  f.)  liegt  jetzt 
in  vielfach  verbessertem  ,  aber  noch  nicht  gesichertem  Texte  bei 
Hense  vor. 

"Über  Nausiphanes  s.  o.  Sudhaus  No.  372. 

I.  Diogenes  von  Apollonia. 

1.  Zur  Lehre  des  Diogenes. 

404.  G.  P.  Weygoldt,  Zum  Verständnis  einer  pseudo-plutarchi- 
schen  Nachricht  über  D.  N.  Jahrb.  f.  Ph.  123  (1S81)  S.  508-510. 

405.  Derselbe,    Zu  D.    von    Apollonia.     Arch.  f.  G.  d.  Ph.  I 
(1888)  S.   161-171. 

406.  G.  Geil,   Die  schriftstellerische  Thätigkeit  des  D.  v.  Ap. 
Philos.  Mon.-H.  26  (1890)  S.  257—270. 

Das  Verhältnis  des  D.  zu  früheren  und  gleichzeitigen  Philosophen 
ist  bereits  oben  unter  Leukipp  (No.  363,  365—367)  besprochen  worden. 
Wir  haben  gesehen,  daß  sich  D.  mit  seinem  Prinzip  zwar  zunächst  an 
Anaximenes  angeschlossen,  aber  gewisse  nähere  Bestimmungen  dieses 
Prinzips  sowie  die  Erklärung  einzelner  Naturerscheinungen  dem  Anaxa- 
goras  und  Leukipp  entnommen  hat.  Wie  durch  diesen  Eklektizismus 
widersprechende  Elemente  in  seine  Lehre  gekommen  sind,  legt  Zeller 
272  ff.  dar.  Indem  D.  den  weltbildenden  vo-ic  des  Anaxagoras,  den 
dieser  von  allem  Stofflichen  getrennt  hatte,  mit  seinem  ürstoffe  ver- 
schmolz, sah  er  sich  genötigt,  diesen  Urstoff  als  das  Alldurchdriugende 
und  Belebende  für  das  Feinste  und  Dünnste  zu  erklären,  während  er 
andererseits    die  Dinge    nicht  allein  durch  Verdichtung,    sondern  auch 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     151 

<Iurch  Verdünnung  aus  ihm  entstehen  läßt;  denn  daß  er  nicht  bloß  die 
warme  Luft  oder  die  Seele,  sondern  die  Luft  überhaupt  das  Dünnste 
genannt  hat,  geht  deutlich  aus  Aristot.  405  a  21  und  aus  Fr.  ö  Panz. 
hervor.  Es  hat  sich  uns  ferner  aus  den  unter  Leukipp  angeführten 
Untersuchungen  ergeben,  dall  Diogenes'  Luftlehre  in  den  20er  Jahren 
des  5.  Jahrhunderts  in  Athen  allgemein  bekannt  war  und  ebenso  auf 
der  tragischen  Bühne  (Eurip.)  wie  auf  der  komischen  (Aristoph.)  Wider- 
hall fand.  Aber  auch  auf  die  wissenschaftliche  Litteratur  der  nach- 
folgenden Jahrzehnte  muß  seine  Naturerklärung  eine  nicht  unbedeutende 
Wirkung  ausgeübt  haben,  da  sich  deutliche  Spuren  der  Benutzung  seiner 
Lehre  in  den  pseudohippoUratischen  Schriften  erkennen  lassen.  Dies 
ist  nach  Petersen  Hippocr.  scripta  u,  s.  w.  S.  30  f.  von  Weygoldt  in 
No.  405  nachgewiesen  worden. 

Berührt  werden  solche  Beziehungen  des  D.  zur  medizinischen 
Litteratur  auch  schon  in  der  früheren  Abb.  (No.  404)  desselben  Ge- 
lehrten, die  im  übrigen  den  Zweck  hat,  eine  bis  dahin  meist  dem 
Apolloniaten  zugeschriebene  o6;a  diesem  streitig  zu  machen.  Es  handelt 
sich  nni  die  Mitteilung  bei  Aet.  IV  5,  7,  D.  habe  das  rjeixovixov  der 
Seele  iv  tt)  ap-fjpiax^  xotXi'ot  -f^c  xapoia»,  v]tic  etJ^l  '!Z'/c.rj\j.az\.Y.T^,  verlegt. 
Diese  Ansicht  ist  von  Zeller  und  Panzerbieter  fälschlich  auf  D.  bezogen 
worden.  Nach  Simpl.  phys.  152,  11  ff.  und  Theophr.  d.  sens.  39  flF. 
lind  44  kann  D.  nur  das  Gehirn  als  Hauptträger  der  Vernunft  ange- 
sehen haben,  eine  Annahme,  die  durch  Ps.-Hippokr.  t:.  t%  isp^c  vojou 
|s.  No.  405]  bestätigt  wird.  Ihr  Verfasser,  der  in  bewußter  Abhängig- 
keit ätiologische  und  pathologische  Sätze  des  echten  Hippokrates  mit 
der  Psychologie  und  Anatomie  des  D.  verbindet,  sagt  (VI  390  Littr.): 
die  Luft,  die  wir  einatmen  und  die  das  denkende  Prinzip  ist,  gelangt 
zuerst  zum  Gehirn  und  erst  von  hier  aus  zu  den  übrigen  Teilen  des 
Körpers;  dabei  läßt  sie  im  Gehirn  die  dxfirj  ihrer  geistigen  Kraft 
zurück;  das  Gehirn  ist  Sitz  und  Träger  der  wichtigsten  Funktionen. 
Auch  aus  der  Gefäßlehre  des  D.  (Aristot.  bist.  an.  III  2)  folgt,  daß 
das  Herz  für  die  mit  dem  Blute  durch  die  Adern  strömende  Luft  oder 
Vernunft  keine  hervorragende  Bedeutung  haben  kann.  Auch  setzt  die 
Aetiosstelle  eine  genauere  Unterscheidung  zwischen  den  Venen  und 
Arterien  sowie  eine  tiefere  Einsicht  in  den  Bau  des  menschlichen 
Körpers  voraus;  beides  aber  war  zur  Zeit  des  D.  nicht  möglich.  Dem- 
nach kann  dieser  auch  keine  aptyjptaxrj  xo-./ia  des  Herzens  gekannt 
haben.  Dagegen  paßt  die  Stelle  vortrefflich  auf  den  Stoiker  Dio- 
genes. Dieser  Auffassung  schließt  sich  jetzt  Zeller  I'  270,  2  an  (vgl. 
auch  Stein  Psych,  d.  Stoa  II  3). 

In  No.  405  zeigt  W.,  daß  die  Lehre  des  D.  in  folgenden  pseudo- 
hippokratischen  Schriften  benutzt  worden  ist:  I.  flspl  cp'jjüiv  (vor  380  ge- 


152     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

schrieben).  Der  Verf.  betrachtet  die  Luft  als  ioyr^  aller  Dinge  und 
verwerter  die  Nosologie  des  D.,  um  alle  Krankheiten  auf  die  Luft 
zurückzuführen.  Dies  ergiebt  sich  aus  4  Stellen:  1.  VI  94  Littr.  '^- 
I  571m.  —  572i.  Kühn,  wo  sich  Satz  für  Satz  aus  Anaximander, 
Anaximeues  und  D.  belegen  läßt.  Auf  D.  allein  geht  die  Lehre  vom 
Atmen  der  Fische  und  die  Behauptung  zurück,  daß  die  Luft  Izr^-öi  und 
folglich  Ursache  der  Bewegung  sei.  W.  schließt  daraus,  daß  auch  die 
übrigen  Gedanken  aus  D.  geschöpft  sind  [kein  zwingender  Schluß]. 
2.  VI  96  L.  =  1  572  — 573  m.  K.  , Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache, 
daß  D.  sich  gleichfalls  und  zwar  in  ähnlicher  Weise  über  die  Unent- 
behrlichkeit  der  Luft  für  das  Leben  verbreitet  haben  muß  (?)."  An 
diesen  beiden  aufeinanderfolgenden  Stellen  nimmt  W.  demnach  eiv.n 
Kompilation  aus  D.  an.  3.  VI  96  ^  I  572  Z.  3  und  2  v.  u.  und  573 
jxexa  zoZ-o  —  eigeXöt].  Vgl.  Diog.  bei  Theophr.  d.  sens.  43.  4.  VI  110 
=  I  583  m.  —  584  i.  Wenn  hier  das  Blut  als  Ursache  des  Denkens 
bezeichnet  wird,  so  ist  damit  die  «Luft  im  Blut"  gemeint  (vgl.  die 
iinter  11  3  angeführte  Stelle  aus  ~.  kpr,;  vorou)  und  daher  nicht  an 
Emped.,  sondern  an  D.  zu  denken;  wie  dieser  bei  Theophr.  44,  bringt 
auch  der  Verf.  der  Schrift  die  Beispiele  des  Schlafes  und  des  Eauscbes 
in  der  gleichen  Reihenfolge-,  er  gebraucht  ferner  ^pov/jats  für  die  in  den 
Adern  zirkulierende  Vernunft  und  nennt,  wie  D.,  das  Denken  ein 
eOiafxa  oder  (vgl.  Fr.  6  bei  Simpl.  phys.  152,  24  [s.  jedoch,  was  über 
den  Text  dieser  Stelle  unten  beigebracht  wird]).  —  II.  Dspl  tsp/]?  vo'gou 
(ebenfalls  vor  380):  1,  VI  396  f.  -=  I  595  m.  —  597  s:  Beschreibung  des 
Adersystems.  Der  ausführlichere,  aber  ungenauere  Auszug  bei  Aristot. 
b.  an.  III  3,  511b  30  if.  beruht  offenbar  auf  freier  Wiedergabe,  was 
besonders  durch  den  Gebrauch  gewisser  technischer  Ausdrücke  wie 
oTrXrjvm?  und  ■qTzci.xim  bewiesen  wird,  die  D.  so  wenig  wie  der  Jiltere 
Hippokrates  kannte.  2.  VI  367  =  I  596  —  597  s.  und  372  -=  599  — 
601  m.  Ygl.  Aet.  V  24,  3.  Die  Luft  ist  nach  D.  nicht  an  sich  ver- 
nünftig, sondern  nur,  weil  und  solange  sie  bewegt  ist.  Daraus  ergiebt 
sich,  daß  D.  wie  die  Atomiker  nicht  den  Urstoflf  als  solchen,  sondern 
die  Bewegung  des  Urstoffs  als  Ursache  des  Denkens  betrachtet  hat. 
Der  Vorwurf  au[jL7:£9op7]|i.£vu);  xaxa  Aeuxi--ov  bei  Theophr.  war  also  be- 
rechtigt. 3.  VI  390  f.  ^I  612  — 613  i.  Hiernach  hat  D.  das  t)7£|j.o- 
vi/dv  nicht  ins  Herz,  sondern  in  das  Gehirn  gelegt  (s.  No.  404).  Er 
unterschied  zwischen  <ppo'vv)ai?,  dem  im  ganzen  Körper  verbreiteten 
Denken,  und  ouvsai?,  der  nur  im  Gehirn  möglichen  klaren  Er- 
kenntnis. Auch  das  Schlagwort  des  D.  ixixas  kehrt  hier  wieder. 
4.  VI  386  f.  =  1  609  m.—  610  m.  Vgl.  Simpl.  phys.  152,  25  ff.,  Aet. 
V  20,  5  und  Theophr.  44.  Wenn  Aristophanes  den  Sokrates  hoch 
über    dem  feuchten  Boden   in  einem  Korbe  atmen    läßt,    so    trifft    er 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     153 

damit  den  Standpunkt  des  D.  aufs  genaueste.  Im  Sinne  des  D.  be- 
zeichnet der  Verf.  auch  den  trockenen  und  kühlen  Boreas  als  den  für 
das  Denken  günstigsten  Wind.  —  III.  IIöpi  96310;  Tiaioiou  (xxm  350), 
Die  Abhängigkeit  von  D.,  die  Petersen  bemerkt,  aber  nicht  näher  fest- 
gestellt hat,  liegt  nach  W.  in  den  Abschnitten  vor,  die  die  Bildung  des 
Fötus  und  das  Wurzeln  der  Pflanzen  behandeln.  Hierbei  wird  VI  49G 
=^  I  390  —  391  s.  Anaxagoras  zu  Hülfe  genommen,  um  die  Frage  zu 
beantworten,  wie  aus  dem  Weichen  das  Harte  entsteht.  Hierauf  stützt 
sich  vermutlich  der  Vorwurf  Theophrasts,  daß  D.  sich  eklektisch  an 
Anaxag.  angelehnt  habe  [noch  manche  andere  Beziehungen  sind  0.  unter 
I^eukipp  erwähnt  worden].  —  Aus  alle  dem  ergeben  sich  folgende  Lehr- 
sätze als  diogenisch:  1.  Die  ötpyjQ  ist  die  atmosphärische  Lutt,  kein 
Zvvischenwesen  [vgl.  Bd.  CXII  S.  179].  2.  Die  Luft  ist  Prinzip  der  Bewe- 
fiuüg,  weil  sie  dünn  ist.  3.  Sie  ist  Trägerin  der  Vernunft,  weil  und  so- 
lange sie  bewegt  ist.  4.  Unsere  Seele  ist  gleichfalls  atmosphärische  Luft. 
5.  Nicht  die  warme,  sondern  die  trockene  Luft  ist  der  beste  Seelenstoff. 
G.  Die  Feuchtigkeit  hemmt  das  Denken,  w^eil  sie  die  Beweglichkeit  der 
Luft  hemmt.  7.  Wenn  sich  die  Luft  mit  den  Winden  und  Jahreszeiten 
ändert,  so  ändert  sich  auch  unser  Denken.  8.  Weil  sie  kälter  ist  als 
der  Samen  und  das  Blut,  bewirkt  sie  ein  Zirkulieren  dieser  Stoffe; 
dadurch  erregt  und  unterhält  sie  das  Leben.  9.  Das  Wachstum  beruht 
nicht  auf  Neubildung,  sondern  auf  Gruppierung  der  im  Blute  und  der 
Erdfeuchtigkeit  gegebenen  Homöomerien.  10.  Der  Vorwurf  der  An- 
lehnung an  Anaxagoras  und  die  Atomistik  ist  begründet. 

Während  Zeller  278,  3  diesen  Darlegungen  Weygoldts  beistimmt, 
kann  Dümmler  Akad.  140,  1  den  Versuch,  unsere  Kenntnis  des  D. 
aus  den  Medizinern  zu  bereichern,  nicht  in  allen  Punkten  für  gerecht- 
fertigt halten,  da  W,  den  eklektischen  Charakter  der  Lehre  zu  wenig 
beachte.  Entschieden  falsch  sei  die  Behauptung,  daß  der  Seelenstoff 
wicht  aus  warmer  Luft  bestehe.  Daß  dies  wirklich  Diogenes'  Ansicht 
war,  folge  schon  allein  aus  seiner  Bezeichnung  der  Seele  als  jxtxpov 
jjLopiov  Tou  Osou  (Theophr.  42);  er  sage  es  aber  auch  ausdrücklich  bei 
Simpl.  phys.  153,  4.  Verbinde  man  diese  Stellen  mit  Aet.  V  15,  4, 
so  ergebe  sich,  daß  das  im  Samen  enthaltene  -vsüfxa  mit  dem  göttlichen 
„bei  der  Sonne-*  identisch  sei  und  sich  erst  durch  den  Atmungsprozeß 
abkühle.  Allerdings  liege  darin,  daß  einerseits  die  heißeste  Luft  die 
göttlichste  sei  und  andererseits  zum  C^ov -werden  des  Embryo  eine  ge- 
wisse Abkühlung  notwendig  sei,  ein  Widerspruch,  den  D.  abei'  nun  ein- 
mal begangen,  und  den  die  Stoiker  von  ihm  übernommen  hätten.  Die 
Schrift  -.  ispf,?  vo'aou  sei  also  für  die  Lehre  des  D.  nur  sehr  bedingt  zu 
verwerten.  Aber  gerade  die  von  Dümmler  angeführten  Stellen  ans 
Simpl.  und  Aet.  beweisen,  daß  die  die  Seele  bildende  Luft  an  Wärme- 


]54     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

g-ehalt  iu  der  Mitte  zwischen  der  Sounenluft  und  der  uns  umgebenden 
Atmosphäre  steht  und  daß  der  Embryo  erst  durch  das  Einatmen  der 
kühlen  Außenluft  beseelt  wird.  Dümmler  selbst  ist  ja  sogar  geneigt 
(S.  139  f.),  die  etymologische  Ableitung  des  Wortes  'jiu-/r]  von  der  <|^u$'; 
in  Piatons  Kratylos  und  bei  Chrysipp  auf  D.  zurückzuführen.  — 
Weitere  Anklänge  an  D.  hat  Dümmler  S.  225  if.  in  der  Schrift  tt.  aapxöäv 
(VIII  584  flf.  Littr.)  entdeckt.  Hier  findet  sich  in  §  2  eine  auffallende 
Übereinstimmung  nicht  bloß  im  Inhalt,  sondern  auch  in  der  Ausdrucks- 
weise mit  D.  Fr.  6  und  3.  Die  sonstigen  Beziehungen  auf  D.,  die 
Dümmler  in  der  Schrift  vermutet,  sind  unsicher  und  bedürfen  einer  ge- 
naueren Nachprüfung. 

Geil  widerspricht  der  von  fast  allen  Forschern,  auch  von  Zeller 
(159,  1)  geteilten  Ansicht  Schleiermachers  und  Panzerbieters,  Simpl. 
habe  phys.  151,  24  ff.  irrtümlicherweise  eine  Verweisung  des  D.  auf 
frühere  Abschnitte  seiner  Schrift  t:.  tpuaswc  für  einen  Hinweis  auf 
andere,  vor  dieser  verfaßte  Schriften  gehalten.  Die  Worte  des  Simpl., 
die  zu  verdächtigen  kein  zwingender  Grund  vorliegt,  nötigen  uns  zu 
der  Annahme,  daß  D.  in  der  That  vor  seinem  Hauptwerke  noch  drei 
Bücher:  lipo?  cpuuioXo^ouc,  MsTeujpoXoYia  und  Ospt  avSptuTioy  cpuaio?  ge- 
schrieben habe.  Unbegründet  ist  auch  die  Vermutung  Krisches  (Forsch. 
166),  dem  Simpl.  könne  nur  das  1.  Buch  r.  cpuotoc  vorgelegen  haben, 
da  das  von  Rufus  bei  Galen  in  Hippocr.  VI  epidem.,  XVIIa  1006 
Kühn  Berichtete,  das  dem  2.  Buche  entnommen  sei,  von  ihm  nicht  er- 
wähnt werde.  Was  Simpl.  mitteilt,  berührt  sich  so  nahe  mit  jenem 
Berichte  des  Rufus,  daß  ihm  das  Buch  sehr  wohl  in  derselben  Gestalt 
vorgelegen  haben  kann  wie  jenem.  Wenn  D.  in  der  Schrift  ir.  cpuatoc 
gegen  die  früheren  Philosophen  gekämpft  hätte,  so  hätte  er  das  doch 
im  Anfange  oder  wenigstens  im  1.  Buche  thun  müssen  [diese  Notwendig- 
keit leuchtet  nicht  ein];  nun  berichtet  aber  Simpl.,  daß  er  unmittelbar 
hinter  seinem  rpooiixiov  die  Darstellung  seiner  eigenen  Lehre  begonnen 
habe.  Auch  ist  nicht  abzusehen,  wo  D.  alles  das,  was  Weygoldt  in 
drei  medizinischen  Schriften  als  diogeuiscli  nachgewiesen  hat,  ausgeführt 
haben  sollte.  Sicher  doch  nicht  in  dem  Simpl.  bekannten  Teile  von 
~.  cpuato;.  Schwerlich  kann  auch,  was  die  Doxographen  an  verschieden- 
artigen oo^ai  des  D.  bringen,  in  diesem  Buche  behandelt  worden  sein. 
So  weist  z.  B.  die  ganze  Wahrnehmungstheorie  bei  Theophr.  auf  eine 
Schrift  u.  dvDpcuTOu  cpusioc  hin.  —  Diese  Ausführungen  Geils  sind 
beachtenswert;  aber  zwingend  sind  seine  Gründe  ebensowenig  wie  die 
der  Gegner.  Vor  allem  ist  Simpl.  nicht  so  unfehlbar,  wie  er  voraus- 
setzt; Irrtümer  und  Mißverständnisse  sind  bei  ihm  nicht  selten.  —  Vgl. 
den  Bericht  von  E.  Wellmann  Arch.  V  97. 

Dümmler    geht    an  verschiedeneu  Stellen  seiner  Akad.  auf  die 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     155 

Lehre  des  D.  ein,  für  die  er  auch  aui.ier  der  Schrift  röpl  aapy.tüv  noch 
mehrere  neue,  bisher  unbeachtet  gebliebene  Quellen  gefunden  zu  haben 
glaubt.  Wir  haben  die  Düramlerschen  Vermutungen  schon  Ber.  I  273 
kurz  erwähnt.  —  Hingewiesen  sei  hier  schließlich  auf  die  schöne  und 
treffende  Darstellung,  die  Gomperz  Gr.  D.  299  S.  von  dem  Systeme 
des  D.,  seiner  Vielseitigkeit  und  seiner  Einseitigkeit,  giebt. 

2.    Zur  Kritik  des  Textes  der  Fragmente. 

Außer  dem  Anfange  des  Buches  ti.  (fuaioc  (Fr.  1  Panz.  bei  Laert.) 
und  der  bei  Aristot. ,  aber  nicht  dem  Wortlaute  nach  erhaltenen  Dar- 
stellung des  Adersystems  (Fr.  7)  sind  uns  sämtliche  Fragmente  durch 
Simpl.  phys.  151,  31  ff.  aufbewahrt.  Diese  liegen  uns  jetzt  in  wesent- 
lich verbesserter  Gestalt  in  der  Ausgabe  des  Simpl.  von  Diels  vor, 
auf  die  ich  verweise.  Hervorzuheben  sind  nur  die  folgenden  beiden 
Stellen.  Fr.  2  hat  Diels  mit  Recht  hinter  -(r^  xal  uoiup  (Simpl.  152,  1) 
aus  D  E  die  in  a  F  und  ebenso  von  den  Neueren  ausgelassenen  Worte 
xai  drjp  y.at  -üp  eingefügt  (vgl.  die  an  das  Fr.  sich  anschließende  Be- 
merkung des  Simpl.  152,  9).  Demnach  hat  sich  D.  ausdrücklich  auf 
die  Elementeulehre  des  Emped.  bezogen  und  die  Einheit  seines  Urstoff'es 
gegen  ihn  verteidigt  (s..  Zeller  265  mit  Anm.  2).  —  In  Fr.  6  ist  «die 
verderbte  Stelle  ar.b  '/ap  jjloi  toüto  e»)oc  dov.el  sivai  (Simpl.  152,  24)  noch 
nicht  mit  Sicherheit  hergestellt.  Nachdem  Panzerbieter  aüxoü  statt  d-o 
und  Mullach  dro  7.  |x.  toutou  voo;  0.  sT,  vermutet  hatten,  hat  Usener 
auTo  7.  [JL.  T.  Ö£Öc  (oder  6  Oeo?)  0.  el.  vorgeschlagen.  Obwohl  Zeller 
261,  6  diesen  Vorschlag  dem  Mullachschen  vorzieht  und  Burnct  561 
sich  ihm  anschließt  (auch  Diels  scheint  ihn  zu  billigen,  indem  er  auf 
Theophr.  42  sowie  auf  Cic.  d.  nat.  deor.  I  29  und  die  oben  angeführte 
Stelle  aus  Philodem  d.  piet.  [s.  Doxogr.  536]  hinweist,  wo  von  dem 
Gotte  des  D.  die  Rede  ist),  erscheint  sie  mir  nicht  unbedenklich.  Ob 
bei  Theophr.  die  Worte  [j-ixpov  (ov  jxopiov  -oO  Oeoü  wirklich  richtig  über- 
liefert sind,  ist  zweifelhaft;  Schneider  vermutet  f^u|xoü  statt  })eoü  und 
Zeller  270,  7  o>.ou.  Vielleicht  hat  hier  einmal  Mullach  das  Richtige 
getroffen  oder  ist  ihm  doch  nahe  gekommen  (s.  Gomperz  S.  230  u.  459, 
wo  er  auf  seine  „Beitr.  zur  Kritik  u.  Erkl."  1  [1875]  S.  39  verweist). 
—  Eine  wahrscheinlich  von  D.  selbst  gebrauchte  ionische  Form:  oia- 
cxi'ovajöat  hat  Theophr.  d.  sens.  45  erhalten  (vgl.  das  demokritischc 
axiovajOai  bei  demselben  §  55  und  56). 


156     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.     (Lortzing.) 

Nachtrag  zu  dem  Abschnitte    über  die  Quellenkritik 
(Bd.  LXXXXVI  [1898  I.])  S.  193. 

28a.     R.  V.  Scala,  Zur  philosophischen  Bildung  des  Isokrates. 
N.  Jahrb.  f.  Ph.  144  (1891)  S.  445—448. 

28b.     A.  Baumstark,  ZrjT7^!J.ata  ßapßapixa.     Philolog.-hist.  Bei- 
träge für  Wachsmuth.     Leipzig-  1897.     S.  145—154. 

Scala  bespricht  die  Zusammenstellung  von  cpucrixal  oo^ai  Trepl  (ipyöiv 
bei  Isokrates  iz.  dvr.  265.  Die  Worte  6  t^ev  a'-sipov  to  tiX-^^os  scpyjaev 
etvai  Tuiv  ovxcuv  bezieht  er  auf  die  Lehre  Anaximauders  vom  dtirsipov 
[aber  diese  Lehre  kann  wegen  des  xo  tiX-^öos  tujv  üvt(uv  unmöglich  auf 
Anaximander  gedeutet  werden,  wohl  dagegen  auf  Anaxag.,  an  den  Sc. 
selbst  bei  den  ganz  ähnlich  lautenden  Worten  Isokr.  10,  3  denkt]. 
Die  Lehre  des  Emped.  tritt,  wie  Verf.  bemerkt,  wenn  das  iv  auxoT; 
richtig  ist,  in  der  Form  auf  vvie  bei  Aristot.  metaph.  985  a  31:  werden 
vsTzoc  und  «ptXia  als  apyai  aufgefaßt,  so  ergiebt  sich  jene  von  Aristot. 
angenommene  Zweiteilung  der  Prinzipien.  Die  Lehre  des  Ion  (ou  -Xsiu) 
xpiuiv)  ist  sonst  nur  noch  durch  Philopon.  zu  Aristot.  d.  gen.  329a  1 
und  Harpokrat.  s.  v.  "Iwv  bezeugt.  Zu  Alkmaious  Dualismus  ist  Aristot. 
986*a  27  zu  vergleichen,  zu  dem  sv  des  Pannen,  und  Melissos  Aristot. 
187  a  1  und  Ps.-Arist.  976a  5  sowie  Plat.  Parm.  128  A  und  Theaet. 
180E.  Den  Schluß  der  Aufzählung  bildet  Gorgias'  TuavxsXäi;  ouosv. 
Es  scheint  hiernach  schon  um  353  eine  Sammlung  von  9ujixal  oo^ai 
gegeben  zu  haben,  aus  der  Isokr.  schöpfte  und  die  zum  Teil  ausführ- 
licher war  als  die  spätere  theophrastische.  Eine  derartige  Zusammeu- 
stellang  läßt  sich  auch  aus  den  jüngeren  Jahren  des  Isokr.  nachweisen. 
Aus  Hei.  2  f.  erfahren  wir,  daß  er,  ehe  er  alle  Philosophie  wie  in  tt, 
dvx.  zur  Taschenspielerkunst  rechnete,  der  Lehre  des  Anaxag.  huldigte. 
Hei.  8  verhöhnt  er,  wie  Dümmler  Akad.  64  erkannt  hat,  die  Lehre 
des  Antisthenes,  obwohl  er  von  dem  Kyniker  gelernt  und  dessen  irpo- 
xpeTtxtxos  in  der  Nicoclea  benutzt  hat.  Auch  auf  des  Protagoras'  x6v 
^xxu)  X670V  xpei'xxü)  Tioisiv  spielt  er  ::.  dvx.  15  an.  Gleichfalls  auf  sophistisch- 
philosophischem Wege,  nicht  auf  rhetorischem,  vielleicht  durch  Hippias 
oder  Antisthenes  augeregt,  ist  er  zu  der  Gegenüberstellung  von  ^uatc 
und  v6[j.os  (Paneg.  105)  gekommen,  wobei  er  das  Naturrecht  in  ähnlicher 
Weise  verwertet,  wie  Alkidamas  im  Msson^viaxoc  und  zwar  früher  als 
dieser,  dessen  Rede  nur  in  356—351  gesetzt  werden  kann.  Auf  eine 
andere  sophistische  Lehre,  gegen  die  sich  auch  Plat.  im  10.  Buch  der 
Gesetze  wendet,  spielt  Is.  Bus.  41  an.  Am  merkwürdigsten  aber  ist 
die  Nachahmung  des  Xenophanes.  In  der  Bekämpfung  des  Antbropo- 
morphismus    Bus.    38    sind    die    berühmten    W^orte     des    Kolophoniers 


Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.)     157 

(Fr.  7  K.):  xXsTTTEiv  |j.of/£U£'.v  Xc  y.'A  bXt.r}jj\i^  azariusiv  gonau  SO  ab- 
geändert wie  später  bei  Varro  (Augustin  d.  civ,  dei  YI  5,  1):  ut  dii 
turati  sint,  ut  adulterati  sint,  ut  servierint  honiini  [hier  wie  in  den 
Wortpu  des  Is.  xal  uap'  avOpiuTroti;  t)y)T£iaf  liegt  offenbar  eine  falsche 
Lesart  der  Stelle  des  Xenoph.  zu  gründe,  vielleicht  avijpoj-ot;  Oyjxeueiv]. 
Auch  Paneg.  If.,  wo  der  PanegjTikos  des  Gorg.  mit  seinem  Lobe  auf 
die  Körperstärke  bekämpft  wird,  ist  wahrsclieinlich  eine  Nachahmung 
des  Xenoph.  anzunehmen;  §  32  und  38  wird  dessen  Gedanke  (Fr.  16) 
wiedergegeben,  daß  die  Menschen  erst  sich  selbst  die  Güter  des  Lebens 
im  rastlosen  Kampfe  erwerben  müssen. 

Baumstark  handelt  auf  S.  150 — 154  von  der  Bekanntschaft  der 
arabischen  Übersetzer  mit  den  ältesten  griechischen  Philosophen.  Die 
Namen  dieser  waren  ihnen  ebenso  wie  die  der  ältesten  Geschichtschreiber 
bekannt.  Solche  Kenntnis  schöpften  sie  teils  aus  griechischen  Successions- 
darstellungeu,  teils  aus  chronographischen  Schriften.  Auch  des  Paulus 
Orosius  lateinisch  geschriebenen  adversus  paganos  historiae  waren  ins 
Arabische  übersetzt.  Am  ausführlichsten  werden  die  Vorsokratiker  bei 
al-Sharastäni  de  religionum  generibus  sectisque  philosophorum  (ed.  Bulaq, 
deutsch  von  Haarbrücker)  behandelt.  Hier  fehlt  nur  Anaximander. 
Es  scheinen  aber  die  II  101  ß.  (II  129f.  H.)  dem  Plutarch  beigelegten 
Lehren  auf  Anaximander  zurückzugehen.  Die  Verwechselung  wurde 
durch  die  an  mehreren  Stellen  klar  zu  Tage  liegende  Benutzung  von 
Ps.-Plut.  plac.  phil.  veranlaßt.  —  Al-Sharastäni  ist  vorsichtig  zu  be- 
nutzen, aber  er  war  kein  absichtlicher  Fälscher,  wie  Nauck  in  seiner 
Ausgabe  des  Porphyrios  annimmt. 


Berichtigungen  zu  Bd.  CXII  (1902  1)  S.  132  fi\:  Zu  S.  150 
Z.  3:  Oldenbergs  Abh.  ist  1895,  nicht  1898  erschienen.  S.  177  Z.  23 
lies  6i:oxeiix£"^o^  und  Z.  25  noch.  S.  199  (No.  200)  1.  scritta. 
S.  221  Z.  24  1.  xaOoXoü.  S.  223  Z.  421  u.  1.  Er  st.  Fr.  S.  231 
Z.  19  ist  hinter  i%oü  cpy^tv:  8v  ausgefallen.  S.  245  Z.  9  v.  u.  1.  zuver- 
lässigere. Zu  S.  253  Z.  12  v.  u.  ist  irrtümlich  ouv  lov  bei  Parm.  8,  46 
als  überlieferte  La.  bezeichnet  worden;  die  Hss  haben  oute  ö'v,  oux  eov 
(Aid.)  beruht  auf  Konjektur;  Diels'  ouxeov  steht  also  im  Einklang  mit 
der  Überlieferung.  S.  254  S.  12  1.  1897  st.  1889.  S.  261  Z.  24  1. 
Sonnenbewegung.  S.  262  Z.  1  v.  u.  1.  anzuweisen.  S.  272 
Z.  13  v.  u.  1.  herabgesetzt.  S.  279  Z.  7  1.  oben  u.  Z.  8  be- 
rührten. S.  294  Z.  15  1.  zu  dem  Leblosen.  S.  296  Z.  3  v.  u.  1. 
Fr.  87—89  st.  47  u.  48  und  im  folgenden  Satze  Fr.  74  st.  47.    S.  299 


158     Bericht  über  die  griechischen  Philosophen  vor  Sokrates.    (Lortzing.) 

Z.  18  V.  u.  1.  Fr.  87  st.  17.  S.  303  Z.  10  1.  oar^ixovos.  S.  319 
Z,  8  V.  u.  1.  repräsentierten.  —  Oben  8.  96  Z.  22  ist  hinter  Systems 
einzufügen:  Ungers. 


Der  letzte  Abschnitt  dieses  Berichtes,  der  die  Sophisten  behandelt, 
ist  aus  redaktionellen  Rücksichten  zurückgestellt  worden  und  wird  zu- 
gleich mit  dem  Bericht  über  die  Jahre  1898 — 1902  erscheinen. 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie 
aus  den  Jahren  1892—1901. 

Von 

Carl  V.  Holzinger 

in  Prag. 


In  diesem  Berichte  beabsichtige  ich  alle  jeue  literarischen  Er- 
scheinungen zu  berücksichtigen,  deren  Titel  in  der  Bibliütheca  philologica 
classica  vom  1.  Quartale  1892  bis  zum  letzten  Quartale  1901  unter  den 
Schlagwörtern  Comici  graeci,  Aristophanes,  Menandros  und  unter  den 
Namen  anderer  griechischer  Komiker  registriert  sind.  Natürlicli  liel! 
sich  diese  Absicht  nicht  ohne  alle  Ausnahme  verwirklichen.  Eine  — 
aUerdings  nur  geringe  —  Anzahl  von  Publikationen  ist  mir  trotz  wieder- 
liolter  Bemühungen  nicht  erreichbar  gewesen.  Einige  andere,  die  nicht 
in  einer  der  Weltsprachen  erschienen  sind,  waren  mir  aus  diesem 
Grunde  nicht  zugänglich  und  sind,  wenn  nicht  einmal  ihre  Titel  ver- 
ständlich waren,  überhaupt  übergangen  worden.  Zum  reichlichen  Ersätze 
für  diesen  Ausfall  habe  ich  manches  Werk  in  diesen  Bericht  einbezogen, 
das  sich  in  den  oben  bezeichneten  Rubriken  der  Bibliotheca  nicht  ge- 
nannt findet.  Sichere  Grenzen  lassen  sich  aber  bei  einem  so  großen 
Gebiete  nicht  ziehen.  Den  ganzen  Strom  von  literarischen  Erzeug- 
nissen eines  Jahrzehnts,  die  für  das  Studium  der  griechischen  Komödie 
von  einem  beliebigen  Gesichtspunkte  aus  in  Betracht  kommen,  in  einen 
einzigen  Bericht  hineinzuleiten,  ist  um  so  weniger  möglich,  als  auch  die 
Fachreferenten  für  Literaturgeschichte,  Mythologie  und  Religion,  Alter- 
tümer, Grammatik,  Metrik  u.  s.  w.  auf  ihren  Anteil  an  einem  so  reich- 
haltigen Autor  wie  Aristophanes  nicht  verzichten  können.  So  bleibt 
denn  nichts  anderes  übrig,  als  sich  zu  bescheiden  und  auf  Vollständig- 
keit im  wahren  Sinne  des  Wortes  zu  verzichten.    — 

Am  nächsten  wäre  es  nach  dem  verflossenen  Jahrzehnt  gelegen 
gewesen,  bei  einer  Berichterstattung  über  die  „griechische  Komödie'' 
auch  auf  die  Literatur  der  scenischen  Altertümer,  insbesondere  der 
Bühnenfrage  systematisch  einzugehen.  Auch  diesen  Plan  habe  ich  aber 
schließlich  aufgegeben,  und  so  findet  man  selbst  die  bekanntesten  Er- 
scheinungen dieses  Gebietes  in  meinem  Berichte  nicht  einmal  genannt. 


160       Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen   Komödie.    (Holzinger.) 

Mag  es  denn  also  bei  einzelnen  über  diesen  Geg'eustand  gelegentlich 
eingestreuten  Bemerkungeu  sein  Bewenden  haben!  Trotz  dieser  Ein- 
schränkung auf  Schriften,  die  den  Namen  eines  der  griechischen  Ko-, 
miker  oder  der  Komödie  selbst  in  ihrem  Titel  führen,  war  es  nicht 
leicht,  die  Masse  der  Publikationen  zu  bewältigen. 

Das  hervorstechendste  Ereignis  in  diesem  ganzen  Bereiche  waren 
die  Funde  neuer  Fragmente,  unter  denen  einige  Scenen  des  Menandri- 
schen  Georgos  und  der  Perikeiromeue  den  ersten  Platz  einnehmen. 
Auf  dem  Gebiete  der  Aristophanesliteratur  hingegen  gebührt  die  Palme 
einigen  Kritikern  und  Exegeten  einzelner  Stellen.  Zahlreiche  Verse, 
die  vor  zwanzig  Jahren  als  dunkel  galten  oder  deren  Verständnis  ein 
Geheimnis  weniger  war,  sind  jetzt  genügend  aufgeklärt.  Ein  etwas 
geringerer  Rang  kommt  wohl,  wenn  ich  von  einzelnen  rühmlichen  Aus- 
nahmen absehe,  den  in  dem  gleichen  Zeiträume  erschienenen  Ausgaben 
zu,  insofern  sie  nicht  selten  hinter  den  Ergebnissen  der  Einzelliteratur 
zurückbleiben.  Bei  der  Fülle  von  Rezensionen,  welche  sich  gerade  mit 
diesen  umfangreichen  Veröffentlichungen  beschäftigen,  kann  es  niemand 
schwer  fallen,  sich  mehrere  fachmännische  Urteile  über  sie  zu  ver- 
schaffen und  sie  miteinander  zu  vergleichen.  Vielleicht  nicht  alle  Leser 
dieses  Jahresberichtes,  aber  doch  gewiß  sehr  viele  von  ihnen  Werden 
es  mir  daher  wohl  Dank  wissen,  daß  ich  in  solchen  Fällen  nicht  zu 
zehn  Beurteilungen  eines  jetzt  längst  bekannten  Buches  noch  post  festum 
eine  elfte  hinzufüge,  sondern  daß  ich  es  vorziehe,  über  die  weit  zer- 
streuten und  dem  einzelnen  oft  schwer  erreichbaren  kleineren  Schriften 
und  Aufsätze  genauere  Auskunft  zu  geben.  Die  Reihenfolge,  in  welcher 
ich  die  vorgeführten  Erscheinungen  behandle,  ist,  soweit  sich  überhaupt 
eine  strenge  Anordnung  einhalten  läßt,  auf  den  Inhalt  der  Werke  ge- 
gründet. Ein  Urteil  über  den  Wert  derselben  ist  dadurch  ebensowenig 
ausgedrückt,  als  etwa  durch  die  größere  oder  geringere  Ausführlichkeit 
der  Berichterstattung.  Schließlich  diene  zur  Nachricht,  daß  ich  über 
das  Jahr  1892  nur  in  vereinzelten  Ausnahmen  zurückgegangen  bin.  — 

Übergangen  wurden  aus  dem  oben  angeführten  Grunde  die  in  der 
Bibliotheca  philologica  classica  genannten  Arbeiten  von  Boros,  Danka, 
Hahn,  Hegedüs,  Hornyansky  und  Konarski. 

Die  übrigen  ca.  300  Publikationen  sind  in  folgenden  Abteilungen 
untergebracht : 

I.  Überblick  über  die  oft  rezeusierten  und  bereits  als  allgemein  be- 
kannt vorausgesetzten  Ausgaben,  neue  Auflagen  und  Fortsetzungen 
bewährter  Schulausgaben. 

IL  Arbeiten  von  allgemeinerer  Tendenz,    die  Komödie  überhaupt 
oder  einige  Komödien  des  Aristophaues  betreffend. 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.    (Holzinger.)       161 

III.  Arbeiten  von  speziellerer  Tendenz.  Vorangehen  die  Arbeiten 
über  eine  der  elf  Komödien  des  Aristophanes,  angeordnet  nach  der 
Chronologie  der  Stücke.  Es  folgen  die  Arbeiten  über  die  Parepi- 
graphae  und  die  Schollen  zu  Aristophanes,  zuletzt  die  Arbeiten 
über  die  Fragmente  der  ältesten  und  der  späteren  griechischen 
Komiker  in  chronologischer  Anordnung. 


I. 

Von  Frid.  H.  M.  Blaydes  sind  in  den  Jahren  1892—1901 
folgende  Werke  dieses  Gebietes  erschienen: 

Aristophanis  Equites.     (Vol.  X.)     Halle  1892. 

Aristophanis  Vespae.     (Vol.  XL)     1893. 

Adversaria  in  com  icorum  Graecorum  fragraenta,  pars  IL 

1896. 
Adversaria  in  varios  poetas  graecos  et  latinos.    1898. 

In  diesem  Bande  führt  die  IL  Abteilung  den  Sondertitel:  Ana- 
lecta  tragica  et  comica  graeca.  Hiervon  sind  S.  183 — 189  und  einige 
Notizen  auf  S.  201 — 202  den  Fragmenten  der  Komiker  gewidmet. 

Adversaria  critica  in  Aristophanem.     1899. 

Dazu  erschien  noch  neuestens: 

Spicilegium  Aristophaneum.     1902. 

Die  Arbeitsweise  des  greisen,  aber  unermüdlichen  Gelehrten  ist 
in  ganz  Deutschland  so  sehr  bekannt,  daß  es  nicht  notwendig  ist,  sie 
auch  hier  wieder  zu  charakteiisieren.  Die  ersten  vier  Bände  der  großen 
Aristophanesausgabe,  besonders  die  Aves,  habe  ich  in  der  Zeitschrift 
f.  d.  österr. Gymnasien  (Jahrg.  XXXIV,  S.603 — 7)  ausführlich  besprochen. 
Desgleichen  späterhin  den  im  J.  1886  erschienenen  Plutos.  Trotz  der 
oft  gerügten,  aber  unverändert  gebliebenen  Mängel  enthalten  alle,  auch 
die  neueren  Werke  des  ausgezeichneten  Gräzisten  so  viel  Brauchbares, 
daß  sie  von  niemand,  der  auf  diesem  Gebiete  mitarbeiten  will,  unbe- 
achtet gelassen  werden  können. 

Gleichzeitig  sind  von  J.  vanLeeuwens  Ausgabe,  Leyden,  Brill, 
folgende  Bände  erschienen: 

Aristophanis  Vespae.     1893. 

Aristophanis  Ranae.     1896. 

Aristophanis  Nubes.     1898. 

Aristophanis  Equites.     1900. 

Aristophanis  Acharnenses.     1901. 

Aristophanis  Aves.     1902. 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    (1903.    I.)  1 1 


162       Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.     (Holzinger.) 

Da  van  Lecnwen  seinen  Ausgaben  Aufsätze  in  der  Mnemosyne 
voranszusenden  pflegt,  in  denen  er  viele  Neuigkeiten,  welche  für  die 
Ausgaben  bestimmt  sind,  vorwegnimmt,  finden  sich  gerade  die  wichtigsten 
Eigentümlichkeiten  derselben  in  meinen  Berichten  über  diese  Abhand- 
lungen ausführlich  besprochen.  Bezüglich  der  Ausgaben  selbst  begnüge 
ich  mich  daher,  auf  die  zahlreichen  Rezensionen,  die  sie  gefunden  haben, 
hinzuweisen.  Diese  Rezensionen  hier  im  einzelnen  namhaft  zu  machen, 
wäre  insofern  ganz  überflüssig,  als  sie  in  der  Blbli(?theca  philologica 
classica  verzeichnet  sind.  — 

Allgemein  bekannt  sind  wohl  auch  folgende  Ausgaben: 
'Apt(JT09avou;  Elpq-rq  cum  scholiorum  antiquorum  excerptis 
passim  emendatis.  Recognovit  et  adnotavit  Henricus  van  Her- 
w erden.  Pars  prior  contiuens  praefatiouem  et  fabulae  textum  cum 
scholiis  metricis  et  adnotatione  critica;  pars  altera  continens  commen- 
tarium  exegeticum  et  indices.     Leyden  1897. 

Eine  Besprechung  der  von  Herwerden  in  der  Mnemosyne  behan- 
delten Stellen  der  Fax  habe  ich  dem  Berichte  einverleibt.  — 

Eine  Gesamtausgabe  des  Textes  mit  einem  Auszuge  aus  dem  kri- 
tischen Apparate  ist  in  der  Scriptorara  classicorum  bibliotheca  Oxoniensis 
1900  in  zwei  Oktavbänden  erschienen: 

Aristophanis    Comoediae.      Recognoverunt    brevique    adnotatione 
critica  instruxerunt  F.W.  Hall  andW.  M.  Geldart.  Tom.  I.  IL  Oxonii. 
Der  zweite  Band  bringt  zum  Schiasse  die  auf  969  Nummeru  er- 
weiterte Sammlung  der  Fragmente,   indem  das  in  meinem  Berichte  be- 
handelte   Stück    aus    den  Oxyrhynchns  Papyri  II,   CCXII.  pp.  20— 2ä 
bereits  Aufnahme  fand.  —  Die  konservative  Haltung,  welche  die  Her- 
ausgeber gegenüber  der  Überlieferung  einnehmen,  kann  ich  von  meinem 
Standpunkte  nur  billigen.    Einige  Einzelheiten  habe  ich  in  dem  Berichte 
über  J.  B.  Burys  Aufsatz:  ,Some  observations  on  the  Peace"  behandelt. 
Der  Theodor  Bergkschen  Ausgabe  wird  die  neue  Oxforder  Edition 
starke  Konkurrenz  machen.  — 

Eine  fleißige  und  in  mehrfacher  Hinsicht  treffliche  Ausgabe  der 
Wespen,  wohl  die  beste  Spezialausgabe  dieses  Stückes,  ist  Starkies  Buch. 
Auf  einzelne  Bemerkungen  Starkies  komme  ich  in  diesem  Berichte  mehrere 
Male  zu  sprechen.  Hier  kann  ich  mich  also  mit  der  Angabe  des  Titels 
begnügen:  The  Wasps  of  Aristophanes  with  introduction,  metrical 
analysis,  critical  notes,  and  comraentary  by  M.  Starkie.  London  1897. 
Brauchbare  Schulausgaben  sind  die  neuen  Bändchen  von  Green 
(Wasps,  1894),  Graves(Clouds,  1898,  Wasps,  1899),  Merry (Peace,  1900).— 
Eine  nach  dem  Tode  des  Verfassers  erschienene  und  mit  reich- 
lichen sprachlichen  Bemerkungen  ausgestattete  Einzelausgabe  der 
Ritter  ist  das  Buch: 


Beriebt  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,    (Holzinger.)       Jßg 

The  knigbts  of  Aristophanes.  Edited  by  A.  Neil,    Cambridge  1901. 

In  der  Bibliotheca  philol.  class.  1892,  4,  S.  222  findet  man  den  Titel 
notiert:  Equites,  with  introduction  and  notes  by  A.  Neil,  Cambridge.  — 
l'ber  das  Verhältnis  dieser  zwei  Titel  zueinander  gibt  das  Vorwort  der 
im  J.  1901  erschienen  Ausgabe  keine  Auskunft.  Die  Ausgabe  von  1892, 
falls  sie  existiert,  war  mir  nicht  erreichbar. 

Ich  beschließe  diese  Liste  von  Werken  mit  dem  ersten  Teile  von 
G.  Kaibels  GGF.,  welcher  der  dorischen  Komödie,  den  Mimen  des 
Sophron  und  den  Phlyaken  gewidmet  ist.  Die  Einleitung  bilden  die 
Commentaria  vetera  de  Comoedia  graeca,  zu  denen  die  Quellenstudien 
in  den  Abhandlungen  der  k.  Ges.  d.  Wissenschaften  zu  Göttingen  1898 
gesondert  erschienen  sind.  Seinen  Abschluß  findet  das  unentbehrliche 
Werk  in  dem  Glossarium  Italioticum  und  den  Indices  poetarum,  titu- 
lorum,  fontium  und  vocabulorura.     Die  Titel  beider  Arbeiten  lauten: 

Comicorum  graecorum  fragmenta  edidit  G.  Kaibel.  Vol.  I. 
Berlin  1899. 

Die  Prolegomena  7:epi  xa)|xcü6ta?.  Von  G.  Kaibel.  Abhaudl.  d. 
G.  d.  W.   zu  Göttingen.    Philolog.-histor.  Klasse.    NF.  Bd.  2.     1898. 

Auch  den  neuen  Auflagen  von  Ausgaben  und  Übersetzungen  kann 
ich  bei  der  Abfassung  dieses  Berichtes  weder  Zeit  noch  Raum  widmen, 
sondern  muß  auf  die  Rezension  der  Fachblätter  hinweisen.  In  diese 
Gruppe  gehören  folgende  Titel: 

Aristophanes  Equites  rec.  A.  v.  Velsen.  Editio  altera  quam 
curavit  K.  Zacher.     Lipsiae  1897. 

Der  Text  ist  konservativer  gestaltet,  als  dies  in  der  ersten  Ausgabe 
der  Fall  war.  Über  die  Grundsätze,  von  denen  sich  der  Herausgeber  leiten 
ließ,  hat  er  in  den  Aristophanesstndien  (1898)  und  in  den  kritisch- 
grammatischen Parerga  (1899)  Rechenschaft  gegeben.  Über  beide 
Schriften  ist  der  Bericht  zu  vergleichen. 

Von  Kocks  Ausgabe  sind  die  Wolken  1894  in  vierter,  die 
Vögel  1894  in  dritter,  die  Frösche  1898  in  vierter  Auflage  er- 
schienen. Da  die  Kocksche  Ausgabe  für  die  Erklärung  der  vier 
Komödien,  die  sie  umfaßt,  seit  Jahrzehnten  das  Standardwork  bildet, 
wird  sie  in  der  Einzelliteratur  dieser  Stücke  von  den  meisten  Inter- 
preten —  auch  von  solchen,  die  Kocks  Namen  nicht  nennen  —  benutzt 
und  dementsprechend  auch  angegriffen.  Man  findet  daher  in  den  Be- 
richten über  diese  Literatur  vieles,  was  zur  Beurteilung  der  neueren 
Auflagen,  in  denen  es  Kock  an  gelegentlichen  Fortschritten  nicht  fehlen 
ließ,  beiträgt. 

Von  englischen  Neuauflagen  sind  mir  ausser  W.  Merry's  Ausgaben 
folgende  bekannt: 

11* 


164       Bericht  über  die  Literatur  der  griechischeo  Komödie.    (Holzingcr.) 

The  comedies  of  Aristophanes.  A  new  and  literal  translation  by 
James  Hickie.    Vol.  I.  II.    London  1900—1901. 

Es  ist  dies  bekanntlich  eine  der  besten  Aristophanesübersetzungen, 
mit  vielen  trefflichen  Fußnoten  ausgestattet.  Die  Franzosen  besitzen 
keine  Übersetzung  des  Komikers  von  gleichem  Range. 

Fragments  of  the  greek  comic  poets  With  renderings  in 
English  verse  by  F.  A.  Paley.     2.  ed.     London  1892. 

Hierher  gehörte  auch  E.  L.  Hawkins'  Übersetzung  der  Frösche, 
London  1894  u.  A.  — 

In  Frankreich  sind  die  Übersetzungen  vonC.  Poyard(Hachette  1892) 
und  seine  Morceauxchoisies,  publiees  avecdesnotices  etc.  (ibid.  1900)inneuer 
Auflage  erschienen  und  zwar  das  erstgenannte  Werk  in  neunter  Auflage. 

Im  J.  1892  ist  auch  das  Werk  von  E.  Deschanel,  liltudes  sur 
Aristophane  (Paris)  und  das  fleißige  Buch  von  A.  Couat,  Aristophane 
et  l'ancienne  comedie  attique  (Paris),  ersteres  in  dritter,  letzteres  in 
zweiter  Auflage  herausgegeben  worden. 


II.    Arbeiten  von  allgemeinerer  Tendenz. 

R.  Hecht,    Die  Darstellung    fremder  Nationalitäten    im  'Drama 
der  Griechen.  —  Progr.     Königsberg  1892. 

Der  Verfasser  zählt  zunächst  die  griechischen  Dramen  auf,  in 
denen  Perser,  Trojaner  oder  Phrygier,  Ägypter,  Thraker,  Skythen, 
Kolcher,  Phöniker,  Mysier,  Lydier,  Karer,  L3'kier  und  schließlich  In- 
dividuen sagenhafter  Völker,  wie  Aithiopen  und  Kyklopen,  vorkommen. 
Bei  der  Aufzählung  der  Thraker  vermisse  ich  die  Odomanten  aus  den 
Acharnern.  Nach  dieser  Vorführung  seines  Studienmaterials  behandelt 
nun  Hecht  die  Art  und  Weise,  in  welcher  die  griechischen  Dramatiker 
die  Barbarenrollen  ausstatteten.  Denkungsweise,  Charakter,  Landessitten, 
Sprache,  Religion,  Kostümierung,  kurz  alles,  was  bei  den  Trägern  dieser 
Rollen  auf  geistigem  und  körperlichem  Gebiete  in  Erscheinung  tritt, 
wird  gesammelt  und  zusammenfassend  dargestellt.  Etwas  Neues  tritt 
dabei  wohl  nicht  zu  Tage,  aber  alle  Seiten,  die  das  Thema  darbietet, 
sind  mit  Fleiß  bearbeitet,  so  daß  die  Abhandlung  gelegentlich  auch  bei 
der  Einzelerklärung  von  Dramen  mit  Vorteil  benutzt  werden  kann. 
Zum  überwiegenden  Teile  bezieht  sich  jedoch  dieser  Aufsatz,  wie  sich 
von  selbst  versteht,  auf  die  Tragödie. 

J.  Zelle,     De     comoediarum    Graecarum    saeculo    quinto    ante 
Christum  uatum  actarumtemporibus  defiuiendis.  —  Halis  Saxonum  1892. 

Nach  einigen  Vorbemerkungen  über  die  den  Zeiten  des  pelo- 
ponnesischen  Krieges  voranliegende  Entwicklung  der  attischen  Komödie 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.    (Holzinger.)       165 

sucht  der  Verfasser  die  Anfführnngsdaten  der  zwischen  die  Jahre  431 — 
421  fallenden  Komödien  festzustellen.  Seine  Arbeit  beruht  hierbei  im 
wesentlichen  auf  Ulricli  von  Wilamowitz-MöllendorfiFs  Observ.  crit.  in 
com.  Graec.  sel.Berol  1870,  indem  er  die  dort  begründeten  clironolounschen 
Aufstellungen  teils  billigt,  teils  zu  widerlegen  sucht.  In  einem  zweiten 
Teile  der  Arbeit  S.  38 — 57  behandelt  er  die  komischen  Aufführungen  der 
Jahre  4*20 — 405  und  faßt  schließlich  die  Resultate  seiner  Dissertation 
in  einem  Kataloge  aller  nach  seiner  Ansicht  festgestellten  Komödien- 
aufführungen für  die  ganze  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  zusammen. 
Von  den  162  Komödien,  die  während  der  27  Jahre  des  Krieges  aufge- 
führt wurden,  glaubt  Zelle  70  rücksichtlich  der  Zeit  ihrer  Aufführung 
mehr  oder  weniger  genau  bestimmen  zu  können.  Sie  verteilen  sich  auf 
15  Dichter,  von  denen  Kratinos  mit  8,  Eupolis  mit  12,  Aristophanes 
mit  22  Dramen  an  diesem  Piuax  beteiligt  sind.  —  Als  Einzelheit  er- 
wähne ich,  daß  Zelle  die  IIoXe!;  des  Eupolis  auf  424  ansetzt  und  trotz- 
dem die  Stellen  über  den  Amynias  in  einem  ähnlichen  Zusammenhange 
bespricht,  als  Kaibel  im  J.  1895  (s.  d.),  der  allerdings  das  Material  um 
Heimipp.  fr.  71   K.  erweitert.  — 

Alfred  J.  Church,  Stories  from  the  Greek  Comoedians.  — 
London  1893. 

Das  schön  ausgestattete  mit  16  Illustrationen  geschmückte  Werk 
ist  auf  einen  weilen  Leserkreis  berechnet,  dem  es  zu  schwer  fällt,  sich 
in  die  Leistungen  der  alten  Komödie  durch  Übersetzungen  —  geschweige 
denn  durch  die  Originale  einzulesen.  Der  Verfasser  erzählt  den  Inhalt 
von  9  Komödien  des  Aristophanes  und  6  Stücken  des  Philemon,  Diphilos, 
Menander  und  ApoUodoros,  indem  er  für  die  letzteren  Plautus  und 
Terenz  eintiefen  läßt.  Die  Erzählung  wird  durch  eingeflochtene  Seenen 
der  Komödien  selbst  nach  der  Übeisetzuug  von  Hookhara  Frere  belebt, 
PO  daß  der  Leser  rasch  einen  Überblick  über  viele  bekannte  Erscheinungen 
der  alten  Literatur  erhält,  die  ihm  allerdings  in  einer  modernisierten 
Umformung  und  mittelst  einer  Kontamination  von  Altem  und  Neuem  ver- 
mittelt werden.  So  heißt  z.  B.  der  Dikaiopolis  der  Acharner  Mr.  Honesty 
und  Lamachos  erscheint  als  General  Dobattle.  — 

Carlo  Borromeo,  Le  donne  di  tempi  di  Aristofane  e  dopo  assi- 
stevano  alle  rappresentazioni  della  commedia.     Verona  1893. 

Ottomar  Bachmann  sagt  in  der  Berl.  phil.  Wo.  1895  No.  12, 
Sp.  353  ff.  über  diesen  Aufsatz,  den  ich  selbst  nicht  gelesen  habe,  im 
wesentlichen  folgendes:  Einzelne  Stellen,  wie  Lysistr.  456 — 460  faßt 
Borromeo  in  dem  Sinne  auf,  als  wären  sie  an  Zuschauerinnen  im 
Publikum  i^erichtet.  Entgegengesetzte  Stellen,  wie  Av.  793  —  796,  wo 
der  Dichter  stillschweigend  voraussetzt,    daß  die  Trauen  zu  Hause  und 


'iCQ       Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.     (Uolzinger.) 

nicht  im  Theater  sind,  werden  durch  ebenso  gewagte  Interpretation  be- 
seitigt. Neues  Material  aber  zur  Entscheidung  der  oft  besprochenen 
Streitfrage  findet  man  bei  Borromeo  nicht,  so  daß  es  bei  der  bisher, 
eingelebten  Ansicht  bleiben  muß,  daß  zur  Zeit  der  alten  Komödie  an- 
ständige Bürgersfrauen  mit  ihren  Töchtern  nicht  als  Zuschauerinnen  zu 
denken  sind.  Ottomar  Bachmann  macht  die  richtige  Bemerkung,  daß 
man  bei  der  Diskussion  dieses  Themas  bisher  den  Kostenpunkt  zu  wenig 
berücksichtigte,  da  der  Büiger  das  Hetoptxov  nur  für  seine  Person  aus- 
bezahlt bekam.  —  Man  könnte  vielleicht  sogar  auch  auf  den  Mangel  an 
Platz  im  Theater  hinweisen,  wenn  es  bei  den  Athenern  jener  Zeit  üblich 
gewesen  wäre,  im  Theater  mit  der  Familie  zu  erscheinen.  Vom  Stand- 
punkte unseres  Gefühles  für  Anständigkeit  allein  kann  man  allerdings 
bei  derartigen  Untersuchungen  nicht  ausgehen,  da  sich  der  Geschmack 
mit  den  Zeiten  ändert.  Übrigens  behaupten  böse  Zungen,  daß  gerade 
im  modernen  Theater  lascive  Stücke  und  selbst  Verhandlungen  im  Ge- 
richtssaale, die  einige  Pikanterie  versprechen,  von  einem  recht  distin- 
guierten Damenflor  besucht  zu  sein  pflegen.  Aber  zwischen  demjenigen, 
was  bei  uns  bei  offenen  Türen  geboten  wird,  und  der  Entfaltung  grober 
Obscönitäten  in  der  alten  Komödie,  ist  denn  doch  noch  ein  Unterschied. 
Auch  wird  man  nicht  vergessen  dürfen,  daß  sich  die  Frauen  und  Töchter 
des  athenischen  Mittelstandes  an  Freiheit  der  Bewegung  auch  in  vielen 
anderen  Beziehungen  mit  dem  weiblichen  Geschlechte  unserer  Tage  nicht 
messen  konnten.  — 

W.  Scher rans.    De  poetarum  comicorum  atticorum  studiis  Ho- 
mericis.     Regimonti  1893, 

Die  Arbeit  geht  darauf  aus  zu  zeigen,  daß  die  Dichter  der  alten 
attischen  Komödie  noch  stark  unter  dem  Einflüsse  Homers  stehen.  Für 
Aristophanes  gelte  dies  insbesondere  für  die  Ritter,  Wolken,  Wespen, 
den  Frieden  und  die  Vögel,  während  die  letzten  5  Stücke  davon  freier 
seien  als  die  Mittlere  Komödie.  In  der  Mittleren  Komödie  seien  näm- 
lich zwar  viele  Homerische  Stoffe  benutzt,  aber  in  ihrem  Sprachschatze 
fände  sich  nur  wenig  Homerisches.  In  der  Neuen  Komödie  finde  man 
fast  gar  nichts  davon.  Zum  Beispiele  lese  man  in  der  Alten  Komödie 
ziemlich  viele  heroische  Hexameter,  wenige  in  der  Mittleren,  keinen  in 
der  Neuen  Komödie.  —  Dieses  Resultat  der  Abhandlung,  welches  ja 
wohl  niemand  unerwartet  kommen  dürfte,  wird  durch  eine  fleißige 
Sammlung  aller  auf  Homer  hinweisenden  Komödientitel,  Homerparodien, 
Homerischen  Vokabeln  und  Vv^ortformen.  sowie  überhaupt  Homerischer 
Anklänge  jeder  Art  vorbereitet,  so  daß  die  allerdings  selbstverständliche 
These  ordentlich  begründet  erscheint.  Daß  der  Verfasser  die  Behand- 
lung der  Homerischen  Anklänge  auf  die  Meiuekesche  Fragmentsammluug 


Bericht  über  die  Literatur  der  griecbischea  Komödie.    CHolziager.)       I(j7 

stützt,  während  er  dieselben  Fragmente  iü  dem  Verzeichnisse  der  heroi- 
schen Hexameter  nach  Kock  citiert,  verursacht  einem  kontrollierenden 
Leser  manchen  unLütigen  Zeitverlust.  —  ('brigens  vergleiche  man  mit 
dem  Aufsatze  von  Scherrans  die  Abhandlung  A.  Olivieris  in  der  Rivista 
di  tilologia  l'JOl,  XXIX.  (s.  d.)  — 

Orestes  Nazari,  Quo  anno  Aristophanes  natus  sit.     Rivista  di 
filologia  XXII,  1894,  p.  50—56. 

Der  Verf.  erklärt  mit  Bergk-Peppmüller  IV  p.  73  Aum.  105  den 
Teil  des  schol.  Nub.  510  für  unglaubwürdig,  in  welchem  es  heißt: 
v6(xo?  fjV  'Ai)r,vaioi;  [xrjTTto  xiva  etcüv  X'  Ye^ovo-a  [xtqte  opa[i.a  ava^ivcujxs'.v 
£v  OsaTpio,  ixTQTö  oTjixTfiYopeiv.  Ein  Drama  aufführen  zu  dürfen  sei  io 
Athen  ein  munus  publicum  gewesen  und  die  Bekleidung  einer  solchen 
öffentlichen  Stelluüg  sei  dem  Athener  erst  bei  vollendetem  zwanzigsten 
Lebensjahre  möglich  gewesen.  Aus  der  Parabase  der  Wolken  vss.  528 
— 533  ergebe  sich,  daß  Aristophanes  bei  der  Aufführung  der  Daitaleis 
durch  Kallistratos  Ol.  88.  1  =  427  v.  Chr.  das  zwanzigste  Lebensjahr 
noch  nicht  erreicht  hatte.  Hingegen  lehren  die  Verse  der  Equ.  514 — 
517  und  541 — 546,  daß  Aristophanes  die  Babylonier  im  J.  426  und  die 
Acharner  im  J.  425  freiwillig  nicht  selbst  auf  die  Bübne  gebracht  habe, 
während  ihn  die  gesetzliche  Altersgrenze  daran  nicht  gehindert  haben 
würde.  Somit,  sagt  Näzari,  sei  Aristophanes  im  J.  446  v.  Chr.  geboren. 
Bei  seiner  Darlegung  hätte  er  aber  447/446  sagen  müssen,  da  er  eine 
Einschränkung  seines  Ansatzes  auf  ein  bestimmtes  Halbjahr  nicht  be- 
gründet. —  Es  ist  kaum  notwendig  hinzuzufügen,  daß  die  Ausführungen 
des  Verf.  kein  sicheres  Geburtsdatum  des  Dichters  verbürgen,  weil  die 
Verse  der  Nub.  528 — b'd'i  keine  auf  ein  bestimmtes  Lebensjahr  hin- 
weisende Interpretation  zulassen.  — 

E.  Lange,  Athen  im  Spiegel  der  aristophanischen  Komödie.  — 
1894.     Sammlung    gemeinverständlicher    wissenschaftlicher    Vorträge 
begründet  von  Virchow  und  Holtzendorff.    NF.  IX.  Serie,  Heft  206. 
Dem  Titel  seines  Autsatzes  entsprechend  sucht  der  Verfasser  ein 
Bild  des  Athens  der  blühendsten  Zeit  zu  entwerfen,  wie  es  sich  in  den 
Komödien  des  Aristophanes  abspiegelt.     Berücksichtigt  werden  die  po- 
litischen   und    die   wirtschaftlich-sozialen   Verhältnisse,    Erziehung    und 
Bildung,  Glaube  und  Sitte.    Mit  Vorliebe  verweilt  der  Verfasser  bei  der 
Frage,  inwieweit  Aristophanes  als  historische  Quelle  zu  verwerten  ist.  — 
Utrum  Aristophanes    an  Tiiucydides    veriora    de  vita  ac  moribus 
Atheniensium    praeceperit    oratio    latina    praemio    cancellari    donata- 
auctore  St.  Robertson.     O.KOuii  1896. 

Das  geschichtliche  Zeugnis  des  Aristophanes  und  des  Thukydidcs 
werden  in  dieser  epideiktischen  Rede  gegeneinander  abgewogen.    Dabei 


168       Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.     (Holzinger.) 

ist  hauptsäclilich  die  Stelliuig  berücksichtigt,  welche  beide  Schriftsteller 
gegenüber  den  athenischen  Frauen,  gegenüber  der  Grausamkeit  der 
Athener,  ferner  bei  der  Behandlung  der  Religion  und  der  Götter  und 
in  der  Charakteristik  einzelner  llänuer  und  ganzer  Stände  einnehmen. 
Vielfach  werden  beide  Autoren  wegen  ihres  ungerechten  oder  unrich- 
tigen Urteils  getadelt.  Nach  S.  7  dürfte  man  wohl  die  Ansicht  Robert- 
sons mit  seinen  eigenen  Worten  in  den  Satz  zusammenfassen:  Non  igitur 
debemus  Aristophaue  reiecto  Thucydidis  scriptorura  veritatem  compro- 
bare.  Wissenschaftlichen  Wert  kann  ich  dieser  Deklamation  nicht  zu- 
gestehen. An  Sonderbarkeiten  —  nicht  bloß  der  Latiuität  —  fehlt  es 
nicht.  Wenn  der  Autor  z.  B.  S.  7  über  Sophokles  sagt:  Si  quis  sen- 
tentias  Sophocleas  ad  rem  vulgarem  transtulerit,  prope  ridiculus  evadat 
poeta,  so  waren  die  Athener,  als  sie  der  Dichter  gerade  wegen  der 
Tüchtigkeit  und  Brauchbarkeit  seiner  Ansichten  zum  Strategen  machten, 
jedenfalls  anderer  Meinung. 

E.  E,ieß,    Superstitious    and    populär  beliefs   in  Greek  Coraedy. 
Americ.  Journ.  of  Piniol.  XVIII,  1897,  p.   189—205. 

Diese  Abhandlung  über  Aberglaube  und  Volksglaube  in  der  grie- 
chischen Komödie  schließt  sich  an  den  Aufsatz  an,  den  der  Verf.  über 
„Superstilion  in  Greek  Tragedy"  in  den  Transactions  Americ.  Philol. 
Assoc.  (XXVI,  XXVII)  veröffentlichte.  —  Rieß  erklärt  eine  Anzahl 
griechischer  Komikerstellen,  indem  er  den  Nachweis  versucht,  daß  ihrem 
Inhalte  ein  Aberglaube  zu  Grunde  lag.  Damit  ist  natürlich  nicht  ge- 
sagt, daß  die  betreffenden  Komiker  den  von  ihnen  berücksichtigten  Volks- 
glauben auch  teilten.  Speziell  Aristophanes  und  Menander  werden  als 
Männer  aufgefaßt,  die  durch  die  Verurteilung  abergläubischer  Gebräuche 
den  meisten  ihrer  Zeitgenossen  weit  voraneilten.  Dasselbe  wird  wohl 
auch  von  den  anderen  Komikern  gelten.  Der  Verf.  behandelt  folgende 
Fragmente:  Men?.nd.  Mtcjoyuvo;  326  (nach  Kocks  Zählung)  (—  ine.  601  Ko), 
Aristoph.  "Hpwe?  306,  TsX(jlij^;  530  und  532,  Alk.  ravu}Arjoy)c  4,  Krates 
"Hptos?  10,  Strattis  Ooiviajat  46  =  Ai'istoph.  N^jot  389,  Com.  anon.  85  Ko 
und  aus  des  Aristoph.  Fröschen  v.  298  ff.  Daß  Dionysos  weder  als 
Herakles,  noch  auch  mit  seinem  wahren  Namen  angerufen  sein  will,  hat 
nicht  bloß  den  speziellen  Grund,  den  die  bisherigen  Erklärungen  voraus- 
setzten, sondern  die  Vorsicht  des  Dionysos  ist  r.nt  einem  weitverbreiteten 
Aberglauben  in  Zusammenhang  zu  bringen.  Wer  den  Namen  eines 
Dämons  kennt,  hat  bereits  Macht  über  ihn  gewonnen.  Kennt  der  Dämon 
den  Namen  des  Menschen,  dann  steht  dieser  in  seiner  Macht.  Empusa 
soü  also  den  Namen  des  Dionj'sos  nicht  erfahren,  sonst  ist  er  verloren. 
Nicht  anschließen  kann  ich  mich  der  Ansicht  des  Verfassers,  daß  auch 
das  Pseudonym  Outt?  des  Odj'sseus  bei  Iiomer  diesen  Untergrund  habe. 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischeo  Komödie.    (Holzinger.)       169 

Hier  ist  m.  E.  nur  der  beabsichtigte  Anklarg  Outi;  au  'Üoua-aeu;  als 
Nebenelement  zu  berücksichtigen.  Rieß  beschließt  seine  interessanteu 
Ausführuugen  mit  einem  Iudex,  in  welchem  die  griechischen  Komikor- 
stellen, die  über  irgend  einen  Aberglauben  Aufschluß  geben,  unter  alpha- 
betisch geordneten  Schlagworten  gesammelt  sind.  —  [Wenn  der  Veif. 
S.  191  sagt:  „At  thc  door  the  souls  have  oue  of  their  habitual  hannts, 
though  I  hardly  recollect  any  reference  to  it  from  Greek  soil",  so  darf 
mau  vielleicht  auf  Eur.  Alk.  100:  T.q-(aio'j  lo;  vofxusrai  /epviS'  e-l  'fi>tT(Lv 
TT'jXatc  hinweisen.] 

J.  L.  Heiberg,  Den  garale  attiske  Komodies  frisprog.  Kopen- 
hagen 1899.  =  Studier  fra  Sprog-  og  Oldtidsforskning ,  No.  39, 
p.  1-38. 

Dieser  Aufsatz  des  geschätzten  dänischen  Gelehrten  behandelt  die 
Freiheit  der  Sprache  in  der  alten  attischen  Komödie,  zumeist,  wie  es 
scheint,  den  Aristophanes  als  den  ungezogenen  Liebliug  der  Grazien. 
Ich  bedauere  sehr,  über  diese  Abhandlung  nicht  eingehender  berichten 
zu  können. 

W.  Rhys  Roberts,  On  Aristophanes  and  Agathon.  —  The  Athe- 
naeum,  Journal  of  Literature,  Science  etc.,  1899,  No,  3732,  p.  567. 

Der  ungenannte  Referent  berichtet  über  eine  in  der  Londoner 
Hellenic  society  am  27.  April  1899  abgehaltene  Vorlesung  über  Aristo- 
idianes  und  Agathon.  Roberts  verglich  darin  die  Art,  mit  welcher  Ari- 
stophanes den  Agathon  in  den  Thesmophoriazusen  und  in  den  „Fröschen" 
(v.  83)  behandelt.  Roberts  spricht  hierbei  die  Ansicht  aus,  daß  Aristo- 
l)hanes  im  Laufe  der  Jahre  allmählich  zu  einer  halbwegs  gerechten 
Würdigung  des  Tragikers  vorwärts  schritt  und  daß  er  ihn  zuletzt  schon 
mehr  wie  seinen  Freund  als  wie  einen  Anhänger  der  Euripideischen 
Schule  behandelte. 

W.  Rhys  Roberts,  Aristophanes  and  Agathon.  —  The  Journal 
of  Hellenic  Studies,  vol.  XX,  1900,  p.  44—56. 

Die  Abhandlung  Roberts  beruht  nur  auf  dem  schon  längst  be- 
kannten und  oft  verwerteten  Materiale  über  Agathon.  Das  rhetorische 
Element  bei  Agathon,  die  körperliche  Schönheit  und  die  Wohlhabenheit 
des  Dichters,  ferner  sein  Verhältnis  zu  Euripidcs  werden  in  ansprechen- 
der Weise  in  das  richtige  Licht  gerückt,  ohne  daß  hierbei  irgendwie 
etwas  Neues  zu  Tage  träte.  —  Vgl.  auch  meinen  Bericht  über  das  im 
Atheuaeum  (1899,  No.  3732)  enthaltene  Referat  über  den  Vortrag 
Roberts  gleichen  Inhaltes.  — 

J.  Völker,  Berühmte  Schauspieler  im  griechischen  Altertum.  — 
Hamburg  1899.  —  Sammlung  gemeinverst.  wissensch.  Vorträge. 
Heft  327. 


170       Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.    (Holzinger.) 

Dieser  Vortrag  beruht  in  seinem  Materiale  auf  der  Dissertation 
des  Verfassers  De  Graecorum  fabularum  actoribus,  Halle  1880  und  be- 
rücksichtigt auch  neuere  Literatur.  Besprochen  werden  die  Schauspieler 
der  Tragödie  und  der  Komödie  im  5.  und  4.  Jahrb.  Für  die  Komödie 
des  5.  Jahrh.  werden  Krates,  Hermon,  Apollodoros,  für  das  4.  Jahrh. 
Philemon,  Satyros  aus  Olynthos,  Parmenon,  Nausikrates,  Ariston,  Phor- 
raiou  und  Lykon  genannt  und  mit  einigen  Notizen  vorgeführt.  — 

H.  Richards,  On  the  use  of  the  words  Tpa-zwooc  and  xojjxwoo;. 
—  The  Ciassical  lleview  1900,  XIV,  p.  201—214. 

Mit  einigen  Worten  soll  auch  auf  diese  eingehende  und  sorg- 
fältige Untersuchung  über  den  Sprachgebrauch  von  Tpa-^cooo?  und  xwfxwooc 
hingewiesen  werden.  Der  Verf.  ist  bemüht,  die  allmähliche  Änderung 
des  begrifflichen  ümfanges  dieser  Termini  chronologisch  zu  fixieren. 
Weder  xpayoSoj  und  -/(ü[i.(u5o?,  noch  auch  das  analog  gebildete  rpu^wooc 
bezeichnen  im  guten  Attischen  des  fünften  und  vierten  Jahrh.  irgendwo 
den  Schauspieler  oder  den  Dichter.  In  Stellen  wie  Vesp.  1537,  Pax. 
806,  Av.  787  bedeuten  diese  Ausdrücke  in  der  Verbindung  mit  yopoc 
oder  auch  der  Dativ  mit  im,  wie  in  Vesp.  650,  bloß  das  Stück  oder 
die  Aufführung  desselben,  also  einfach:  Tragödie  oder  Komödie.  —  Zu 
Ende  dieses  Zeitraumes  zeigt  sich  außerhalb  Attikas  bereits  die  An- 
wendung dieser  Wörter  für  den  Schauspieler,  aber  noch  nicht  mit  voller 
Sicherheit.  Ein  unzweifelhaftes  Beispiel  für  diesen  Sprachgebrauch  ge- 
hört erst  dem  ersten  christlichen  Jahrhundert  an.  Dagegen  findet  sich 
die  Verwendung  dieser  Ausdrücke  für  den  Dichter  der  Stücke  erst  vom 
zweiten  christlichen  Jahrhundert  abwärts,  — 

ß.  Hessen,  Aristophanes  und  Haluptraann.  —  Preußische  Jahr- 
bücher, Bd.  102,  1900,  S.  83—93. 

Die  Tendenz  des  Aufsatzes  geht  dahin,  den  ,, Biberpelz"  Haupt- 
manns darum  zu  verurteilen,  weil  dieses  Stück  auf  das  Rechtsbewußtsein 
des  Zuschauers  beleidigt  und  demoralisierend  wirkt.  Bei  der  Entwick- 
lung dieser  These  kommt  der  Verfasser  mehrmals  auf  Aristophanes, 
Euripides  und  auf  die  Forderungen  der  Aristotelischen  Poetik  zu  sprechen. 
Die  Bemerkungen  über  Aristophanes  sind  von  der  Anschauung  getragen, 
daß  seine  Komödien  darauf  ausgehen,  ethisch  zu  wirken.  Der  Erfolg 
dieser  Richtung  auf  das  Publikum  sei  allerdings  Null  gewesen.  Manche 
Bemerkungen  Hessens  über  die  hier  angedeuteten  Stoffe  wäre  ich  nicht 
in  der  Lage  zu  unterschreiben.  So  bezeichnet  es  z.  B.  Hessen  als  eine 
,, innerlich  unwahre"  Behauptung,  daß  ,,die  Athener  sich  ein  Vergnügen 
daraus  machten,  gegen  die  Größen  des  Tages  das  Äußerste  unbelästigt 
aussprechen  zu  lassen"  und  daß  der  Aristophanische  Geist  bei  den  mo- 
dernen deutschen  Lustspieldichteru  darum  nicht  zum  Durchbruche  komme, 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.    (Holzinger.)       ]  7 1 

weil  ihnen  die  unbeschränkte  Freiheit  fehle.  Hessen  weist  dabei  auf 
das  Psephisma  hin,  das  unter  Archon  Morychides  die  Theaterfreiheit  ein- 
schränkte. Die  Parallele,  die  Hessen  zwischen  dem  ,,Anitsvorsteher 
Welirhahn"  im  „Biberpelz"  und  dem  Sokrates  in  den  „Wolken"  zieht 
und  die  besagen  soll,  dall  sich  Hauptmann  bei  der  ,, naturgetreuen"  Dar- 
stellung dieses  ,, Amtsvorsteheis"  einer  hinreichenden  politischen  Freiheit 
erfreute,  scheint  mir  aus  mehr  als  einem  Grunde  nicht  zutreffend.  Vor 
allem  ist  ,, Wehrhahn"  für  das  Publikum  nur  ein  Typus.  Sokrates  aber, 
der  in  einer  großenteils  ungerechten  Weise  als  Typus  des  Sophisten 
hingestellt  wird,  war  für  das  Publikum  der  „Wolken"  auch  eine  leib- 
haftige Persönlichkeit,  die  unter  ihiem  wahren  Namen  und  wahrschein- 
lich in  vergröberter  Maske  depi  Gelächter  preisgegeben  wurde.  Man 
mag  über  Theaterzensur  wie  immer  denken,  aber  die  Tatsache,  daß  die 
Theaterfreiheit  im  Zeitalter  des  Aristophaues  selbst  während  der  wechseln- 
den Perioden  ihrer  Einschiänkung  größer  war  als  in  unseren  monarchi- 
schen Staaten,  läßt  sich  wohl  nicht  bestreiten.  —  Störend  ist  der  Druck- 
fehler „Planeten"  statt  ,, Platanen"  in  der  Übersetzung  des  Verses 
Ri.  528.  — 

A.  ßoemer,  tiber  den  litterarisch-ästhetischen  Bilduugsstand 
des  attischen  Theaterpublikums.  Abhaiidl.  d.  k.  bayer.  Akad.  I  Cl. 
XXII,  Bd.  1901. 

Der  Verfasser  verteidigt  die  These,  daß  das  attische  Theater- 
publikum rasche  Auffassung  und  Geschmack  besaß,  daß  aber  auf  lite- 
rarische Bildung  nur  bei  einem  kleinen  Kreise  von  Zuschauern  zu 
rechneu  war.  In  letzterer  Hinsicht  verfolgt  also  diese  Abhandlung  die 
Tendenz,  vor  einer  Überschätzung  der  Athener  der  besten  Zeit  zu 
warnen.  Der  Verfasser  führt  seinen  Beweis  mit  reicher  Belesen heit 
durch  und  behandelt  dabei  viele  in  das  Gebiet  der  Redner,  der  Tragiker 
und  der  Komiker  einschlägige  Fragen  in  überzeugender  Weise.  Auch 
die  Aristotelische  Poetik  wird  mehrfach  in  den  Kreis  der  Betrachtung 
gezogen.  Ich  kann  mich  natürlich  nicht  allen  Einzelheiten  der  Dar- 
stellung anschließen.  Ich  erwähne  beispielsweise,  daß  ich  bei  der  Behand- 
lung der  Frage  nach  der  Verbreitung  des  Lesens  und  Schreibens  und  des 
Gebietes  seiner  Anwendung,  des  Buchwesens  und  der  angelesenen  Bildung 
eine  genauere  Sonderung  der  Epochen  für  erforderlich  halte.  Zwischen 
den  Zuschauern  der  Acharner  und  der  Wolken,  also  jener  Generation, 
welche  eben  die  Schrecken  der  großen  Seuche  überdauert  hatte,  und  dem 
Publikum  der  Frösche  bestand  rücksichtlich  der  literarischen  Bildung 
wirklich  ein  größerer  Unterschied,  als  Eoemer  S.  61 — 62  anzunehmen 
scheint. 

Andererseits  erweist  er  den  Athenern  des  ausgehenden  sechsten 
.lahrhuuderts    zu    viel  Ehre,    wenn    er  (wegen    der   ojrpaxa,    S.  43  ff.) 


172       Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.     (Holzinger.) 

meint,  daß  wir  „den  Analphabeten  wenigstens  seit  der  Zeit  des  Kleisthenes 
glücklich  los  geworden  sind".  Sehr  gelungen  ist  die  Behaudlung  von 
Ran.  1109  ff. :  ßtßXi'ov  x'  l'ytov  Ixajtoc  [xavöavsi  xa  oegia,  wo  sich  der 
Verf.  auf  0.  Kaehlers  treffliche  Ausführungen  stützt  (Berl.  phil.  Wo. 
1898,  Sp.  103).  Auffallend  ist  dabei  ßoemers  Bemerkung:  „Wären 
die  Schollen  des  cod.  Rav.  durch  den  librarius  nicht  so  schaudervoll 
zugerichtet  worden,  so  würden  wir  heute  zu  v.  1113  eine  Erklärung 
der  Alten  lesen,  die  uns  alle  befiiedigen  würde.  Jetzt  ist  dort  nichts 
erhalten,  als  die  wenigen  aber  vielsagenden  Worte:  h  stptoveia  und  damit 
ist  der  JSagel  auf  den  Kopf  getroffen."  Wie  kommt  aber  hier  der  arme 
Cod.  Rav.  zu  diesem  Tadel,  da  gerade  er  mit  einer  interlinearen  Be- 
merkung ,den  Nagel  auf  den  Kopf  trifft''.  Was  soll  mau  denn  vom 
Cod.  Yenetus  sagen,  in  welchem  nach  Dindorf  selbst  diese  Bemerkung 
fehlt?  Man  kann  doch  schließlich  nicht  wissen,  ob  „die  AUen-'  irgend 
eine  Veranlassung  fanden,  hier  über  den  Text  mehr  zu  sagen,  als:  Iv 
eiptüveia  Ss^ia.  In  der  Tat  genügt  dies  vollkommen.  Alles  übrige  er- 
gibt sich  von  selbst,  mit  Ausnahme  der  Erklärung  von  esxpaxsofxevot, 
welche  der  Scholiast  wenigstens  versucht,  Roemer  aber  übergeht.  — 

J.   van   Leeuwen,    Quaestiones    ad    historiam    scenicam    perti- 
nentes.  —  Mnemos.  NS.  XX,  1892,  p.  202—223. 

Dieser  Aufsatz  behandelt  in  zwei  getrennten  Abschnitten  Neo- 
phrons  Medea  und  Sophokles  als  Strategen  und  fällt  demnach  nicht  in 
den  Bereich  dieses  Berichtes. 

J.  Poppelreuter,  De  conioediae  atticae  primordiis.  —  Berlinl893. 

In  dieser  von  Carl  Robert  beeinflußten  Arbeit  folgt  Poppelreuter 
in  glücklicher  Weise  dem  durch  Ferd.  Dümmlers  „Skenische  Yasen- 
bilder"  (Rh.  Mus.  43,  S.  355  ff.)  gegebenen  Beispiele,  alte  Yasenbilder 
zur  Erhellung  der  dunklen  ältesten  Geschichte  oder  der  Vorgeschichte 
der  griechischen  Komödie  heranzuziehen.  Eingehende  Behandlung  findet 
insbesondere,  die  Berliner  Vase  No.  1928.  Nach  einem  Gedanken  Carl 
Roberts  erblickt  Poppelreuter  in  der  Darstellung  dreier  behelmter  und 
bepanzerter  Jünglinge,  welche  auf  drei  anderen  gebückten  Jünglingen 
sitzen,  die  mit  Pferdekopf  und  Pferdeschweif  maskiert  sind  und  ihre 
Richtung  gegen  einen  Flötenbläser  nehmen,  ein  Muster,  nach  welchem 
man  sich  eine  Scene  der  Ritter  des  Aristophanes  (595 — 610)  zu  ver- 
gegenwärtigen und  zu  erklären  habe.  Sowohl  diese  Vase  als  auch 
einige  andere,  wie  Berl.  No.  1830  und  1697  behandelt  Poppelreuter  in 
dem  Sinne,  daß  wir  durch  derartige  Monumente  über  die  Darstellung, 
v.elche  Aristoteles  in  der  Poetik  über  die  Anfänge  der  Komödie  gibt, 
hinausgelangen  und  die  ersten  Ansätze  einer  politischen  und  scenisch 
halbwegs  entwickelten  komischen  Darstellung  höher  hinaufrückeu  mü?sen. 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.     (Holzingor.)       173 

Im  II.  Teile  beschäftigt  sich  die  lesenswerte  Abhandlung  mit 
dem  Aufbau  der  aristophanischen  Komödien  in  der  Absicht,  zu  zeigen, 
daß  die  lose  und  gerade  in  den  Schlußscenen  sich  oft  sprungweise 
überstürzende  Komposition  derselben  nicht  ein  persönlicher  Fehler  des 
einen  Dichters,  sondern  eine  in  dem  Wesen  der  Gattuu;,'  begründete 
Manier  sei  und  daß  ein  besonderer  Vorzug  des  Aristophanes  gegenüber 
seinen  Vorgängern  j^erade  in  der  strafferen  Führung  der  Handlung 
wenigstens  in  den  Aufangspartien  seiner  besten  Stücke  zu  erblicken 
sei.  Neu  ist  dieser  Gedanke  nicht,  aber  in  seiner  Durchführung  be- 
gegnet man  mancher  belehrenden  Einzelheit.  Ferdinand  Dümmler  hat 
diese  Abhandlung  Poppelreuters  in  der  Berl.  ph.  Wo.  1894,  No.  21, 
Sp.  644—646  rezensiert.  — 

E.  Capps,  The  dramatic  synchoregia  at  Athens.  —  The  American 
Journal  of  Philology  XVII,  1896,  p.  319—328. 

Der  Verfasser  nimmt  in  dieser  Abhandlung  seinen  Ausgang  von 
Aristoph.  Ran.  404  und  dem  dazu  gehörigen  Scholion.  Er  bespricht 
sodann  die  Verhältnisse  der  Synchoregie  für  die  Tragödie  und  die 
Komödie  auf  der  Grundlage  des  bekannten  inschriftlichen  Materials 
und  der  daran  sich  knüpfenden  neueren  Literatur.  Nach  seiner  Dar- 
stellung hätten  sich  die  genannten  Verhältnisse  in  folgender  Weise  ent- 
wickelt: Auf  das  Jahr  406  ist  das  Gesetz  zu  datieren,  welches  die 
Vereinigung  zweier  Bürger  für  die  Leistung  der  tragischen  und  ebenso 
für  die  komische  Choregie  an  den  großen  Dionysien  anordnete.  Zwischen 
den  Jahren  399  und  394  —  und  zwar  näher  au  394  als  an  399  — 
wurde  diese  Einrichtung  für  den  tragischen  Agon  wieder  aufgegeben. 
Dagegen  für  die  Komödie  wurde  die  Synchoregie  beibehalten,  und  noch 
vor  dem  J.  388  wurde  die  Zahl  der  aufzuführenden  Komödien  von 
3  auf  5  erhöht.  Dieser  Zustand  dauerte  bis  zum  J.  340,  in  welchem 
die  alte  Ordnung  der  Choregie  wieder  auflebte.  Nur  wurde  wahr- 
scheinlich um  dieselbe  Zeit  die  Bestimmung  der  Choregen  für  die 
Komödie  vom  Archon  auf  die  Phylen  übertragen.  Der  Sieg  aber  galt 
anch  weiterhin  als  Sieg  des  Choregen,  insofern  er  den  Chor  und  die 
Phyle  repräsentierte.  —  Der  Aufsatz  Capps  verdient  bei  Unter- 
suchungen dieser  Art  aufmerksame  Berücksichtigung.  — 

E.  Capps,  The  catalogues  of  Victors  at  the  Dionysia  and  Lenaea, 
CIA.  II  977.  —  The  American  Journal  of  Philology  XX,  1899, 
p.  388—405. 

Die  vier  Kolumnen  d,  e,  f,  g,  h  der  unter  CIA.  II  977  zusammen- 
gestellten Fragmente  erklärt  Capps  gegenüber  U.  Köhler  und  Th.  ßergk 
als  die  Siegerliste  der  Komödie  an  den  Lenaeen  und  zwar  den  Lenaeen 
allein.     Unter  dieser  Voraussetzung  scheint  ihm  der  Umstand  begreiflich. 


1  74       Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.     (Holzinger.) 

'laß  die  geringeren  Komiker  stärker  hervortreten  als  die  be'leuteudsten 
JJichter.  Denn  die  großen  Dionysien  seien,  seitdem  einmal  die  Komödie 
einen  Bestandteil  ihres  Agens  bildete,  das  vornehmste  Schlachtfeld  nicht 
nur  für  die  Tragödie,  sondern  auch  für  die  Komödie  gewesen  und  die 
Dionysien  hätten  demnach  die  stärksten  Talente  angezogen.  Die  Lenaeen 
iiingegeu  seien  der  Tummelplatz  der  geringeren  Kräfte  geworden,  und 
Meister  ersten  Ranges  wie  Aristophaues  hätten  daher  ihre  besten  Stücke 
für  die  großen  Dionysien  eingereicht,  andere  Komödien  aber,  auf  welche 
sie  schwächere  Hoffnungen  setzten,  für  die  Lenaeen.  So  könne  man 
erst  recht  den  grollen  Schmerz  begreifen,  den  Aristophanes  durch  seine 
Niederlage  an  den  Dionysien  des  J.  423  erfuhr,  weil  er  seine  „Wolken" 
dieses  höchsten  Festtages  für  würdig  gehalten  hatte.  —  Die  Fragmente 
i  und  k  derselben  Inschrift  weist  Capps  den  großen  Dionysien  zu,  nicht 
den  Lenaeen.  Daß  sich  auf  diesem  neuen  Fundament  bedeutende  Ver- 
änderungen gegenüber  den  bisherigen  Annahmen  über  die  Wirksamkeit 
mancher  griechischer  Komiker  ergeben,  liegt  auf  der  Hand.  Diese 
J^inzelheiteu  des  wichtigen  Aufsatzes  mitzuteilen,  ist  mir  nicht  möglich.  — 
AVeiterhin  (S.  399)  wird  CIA.  II,  977c  der  Liste  der  Komiker  zugeteilt, 
desgleichen  977  n  und  m.  Daß  sich  diese  Fragmente  auf  die  Lenaeen 
bezögen,  stellt  Capps  in  Abrede.  Außer  den  genannten  Fragmenten 
rechnet  Capps  noch  977  1  zur  Liste  der  Komiker  (wegen  der  Nennung 
des  Philemou),  dagegen  bestreitet  er,  daß  irgend  ein  anderer  Teil  der 
unter  No.  977  zusammengefaßten  Partikelchen,  mit  Sicherheit  der  Liste 
der  komischen  Dichter  zugerechnet  werden  dürfen,  also  auch  nicht  a', 
(i  und  r.  —  Bezüglich  der  Liste  der  Tragiker  und  der  Verzeichnisse 
der  Schauspieler  der  Tragödie  und  Komödie  weicht  Capps  nur  in  gering- 
fügigen Einzelheiten  von  Köhlers  Ansätzen  ab.  — 

E,  Capps,  Chronological  studies  in  the  Greek  tragic  and  comic 
poets.     The  American  Journal  of  Philol.  XXI,  1900,  p.  38—61. 

In  diesem  Artikel  zieht  Capps  die  Konsequenzen  seiner  Auffassung 
von  CIA.  II,  977  (vgl.  Americ.  Journ.  of  Philol.  1899,  XX,  p.  388  ff.) 
für  verschiedene  chronologische  Angaben  über  einige  griechische  Tragiker 
und  Komiker.  Z.  B.  bezüglich  Menandros  knüpft  Capps  an  Wilhelms 
Besprechung  der  neuen  Fragmente  des  Marmor  Pariura  an  (Athen. 
Mitteil.  XXII,  1897,  p.  200).  Wilhelm  macht  dort  darauf  aufmerksam, 
daß  Menandros  in  der  Siegerliste  (CIA.  II,  977  g)  vor  dem  Philemon 
steht.  —  Capps  erklärt  diesen  Umstand  dahin,  daß  Menandros  früher 
einen  Sieg  an  den  Lenaeen  davontrug  als  Philemon.  Dieser  erste  Sieg 
Menanders  an  den  Lenaeen  kann  nun  mit  Rücksicht  auf  das  Geburts- 
datum des  Dichters  (342/341)  nicht  vor  321  gesetzt  werden,  aber  auch 
nicht    viel    später,    weil  dies    die  Chronologie  des  Philemon   verbietet. 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.    (Holzinger.)       175 

Nach  Capps  war  nun  dieser  erste  Sieg  Menanders  nicht  derjenige,  den 
er  mit  der'Op-j-rj  gewann,  sondein  die  'öpYr,  setzt  Capps  in  das  Jahr  315, 
während  Wilhelm  sie  dem  J.  321  zuweist.  —  In  gleiclier  Weise  be- 
spricht Capps  Daten  über  Theodektcs,  die  beiden  Astydamas,  die  zwei 
oder  gar  drei  Apollodoros,  Kephisodotos  nnd  Kephisodoros,  Ari^tomenes, 
Antiphanes  itnd  Alexis.  Seine  Polemik  ist  zum  Teile  gegen  Kaibels 
einschlägige  Artikel  in  der  Encyklopädie  von  Pauly-Wissowa  ge- 
richtet. — 

Ettore  Romagnoli.  La  „cnmmedia  fiaba"  in  Atene.  —  Atene 
e  Roma  I,  1898,  p.   177—186.  — 

Im  wesentlichen  ist  dieser  Aufsatz  nur  ein  Referat  über  Zielinskis 
,,Die  Märchenkomödie  in  Athen",  Petersburg  1S85.  Der  Verfasser  an- 
erkennt, daß  Zielinskis  Arbeit  anregend  und  lehrieicli  sei,  tritt  aber 
den  von  ihm  gewonnenen  Ergebnissen  entgegen,  indem  er  die  Existenz 
einer  Märchenkomödie    für  Eupolis   und  Aristophanes  in  Abrede   stellt. 

G,  Lettner,  Bau,  Wesen  und  Bedeutung  des  sogenannten  .•\gons 
in  den  aristophanischen  Komödien.  —  Jahresbericlit  des  k.  k.  II.  Ober- 
gymnasiums in  Lemberg.     1894. 

Diese  Zusammenfassung  der  hauptsächlichsten  Ergebnisse  der  in 
polnischer  Sprache  erschienenen  Abhandlung  des  Verfassers  macht  in 
ihrer  deutschen  Gestaltung  den  Eindruck  einer  Kritik  des  Zielinskischen 
Buches  (1885)  über  ,,Die  Gliederung  der  altattischen  Komödie",  in 
welcher  der  sogenannte  Agon  besondere  Berücksichtigung  findet.  Lettner 
gelangt  zu  manchen  Anschauungen,  die  von  den  Ansichten  Zielinskis 
erheblich  abweichen,  mitunter  ihnen  auch  geradezu  entgegengesetzt 
sind.  — 

C.  Haym,  De  puerorum  in  re  scaenica  Graecorum  pavtibus.  — 
Dissertationes  philologicae  Halenses.     XIII,  1897,  p.  219—294. 

Haym  unterscheidet  in  dieser  Abhandlung  das  Alter  der  in  den 
griechischen  Dramen  dargestellten  Kinder  und  den  Grad  ihrer  Ver- 
wendung. Seine  Untersuchung  erstreckt  sich  auf  die  erhaltenen  und 
die  verlorenen  Stücke  der  drei  großen  Tragiker  und  auf  die  erhaltenen 
Komödien  des  Aristophanes.  Innerhalb  dieser  letzteren  wird  nur  das 
Kind  der  Myrrhine  in  der  Lysistrata  (v.  879  ff.)  als  Puppe  bezeichnet. 
Dagegen  die  in  den  Acharnern,  Rittern,  Wespen  und  im  Frieden  vor- 
kommenden Kinderrolleu  werdeu  auch  von  wirklichen  Kindern  und 
zwar  des  jedesmal  der  Rolle  entsprechenden  Alters  und  Geschlechtes  ge- 
geben. So  ist  z.  B.  schon  längst  und  zwar  mit  vollem  Rechte  anerkannt 
worden,  daß  die  in  den  Acharnern  (v.  781  ff.)  vorgeführten  Mädchen 
wirkliche  Mädchen  sind  und  daß  dies  das  Salz  der  Stelle  ausmacht,  du 


176       Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.     (Uolzinger.) 

ja  sonst  die  saftig-cn  Spaße  über  yoTpoc  unniöu'lich  wären.  Die  Abhand- 
lung Haynis  beschränkt  sich  jedoch  keineswegs  auf  die  fleißige  Sammlung 
und  Erörterung  der  einzelnen  in  Betracht  kommenden  Stellen,  sondern 
gelangt  auch  zu  eiuev  interessanten  Verarbeitung  dieses  Materials. 
Unter  anderem  sucht  der  Verfasser  festzustellen,  daß  es  Euripides  war, 
der  zuerst  die  Kinderrollen  schuf  und  sich  ihrer  auch  am  meisten  be- 
diente (eXesivov).  Von  der  Alkesfis  (438)  angefangen  bis  /u  den  Hike- 
tiden  (421?)  bringt  Euripides  fast  in  jedem  Stücke  singende  Kinder  auf 
die  Bühne,  dann  noch  zweimal  im  Herakles  und  in  den  Troades  stumme 
Kinderrolleu.  Vom  Jahre  415  abwärts  scheint  Euripides  diese  Rollen 
aufgegeben  zu  haben.  Die  Kinderrolleu  bei  Aristophanes  erscheinen 
demnach  im  wesentlichen  als  Euripidesparodie.  Aus  der  Zeit  vor  den 
Achainern  ist  eine  derartige  Kinderrolle  für  die  Komödie  nicht  nach- 
weisbar. Aber  auffallend  ist,  daß  die  häufigere  Anwendung  von  Kinder- 
rollen in  der  Komödie  gerade  aus  jenem  Zeiträume  zu  belegen  ist,  in 
welchem  sie  auch  in  der  Tragödie  am  meisten  beliebt  waren.  —  Die 
Schlüsse  des  Verfassers,  der  in  den  Datierungen  der  Stücke  (z.  B.  Antigene 
älter  als  Ajas:  S.  220)  den  Ansätzen  von  Wilamowitz  folgt,  gehen 
manchmal  weiter  als  das  Material  reicht,  das  doch  ganz  lückenhaft  ist, 
und  daher  weiter,  als  ich  folgen  kann.  Meines  Erachtens  liegt  z.  B. 
keine  Nötigung  vor,  die  Rolle  des  Eurysakes  im  Ajas  für  jünger  zu 
halten  als  die  Kinderrollen  in  der  Alkestis.  — 

A.  Couat,    Notes  sur  la    division  du    choeur  dans  les  comedies 
dAristophane.     Melauges  Henri  Weil,  p.  39  —  66. 

Der  seit  dem  Erscheinen  des  Werkes  bereits  verstorbene  Ver- 
fasser beschäftigt  sich  in  dieser  Abhandlung  mit  der  Frage,  ob  der 
Chor  bei  Aristophanes  stets  in  Halbchöre  geteilt  war  oder  nicht.  Von 
diesem  Gesichtspunkte  aus  behandelt  er  die  Chorgesänge  der  einzelnen 
Komödien  und  gelangt  zu  dem  Resultate,  daß  durchgängige  Antichorie 
nicht  nur  für  die  Parabase  und  die  Parodos,  sondern  auch  für  alle  Stasima 
nachweisbar  sei.  Hingegen  bei  der  Exodos  hätten  sich  die  beiden  Halb- 
chöre,  die  getrennt  in  die  Orchestra  eingezogen  und  während  des  ganzen 
Stückes  getrennt  geblieben  waren,  zu  einem  Vollchore  zusammenge- 
schlossen. —  Die  Ausführung  dieser  These  läßt  m.  E.  manchmal  die 
erforderliche  Klarheit  vermissen.  Auch  das  Verhältnis  Couats  zu  dem 
anregenden  Buche  Zielinslds  bleibt  unklar.  Der  Verfasser  sagt  z.  B. 
S.  39:  „Zielinski  a  soutenu  que  le  choeur  etait  toujours  divise  en 
deux  demi-choeurs."  Wer  nun  das  Buch  von  Zielinski  nicht  kennt, 
müßte  glauben,  daß  das  erwartete  Neue  in  den  Aufstellungen  Couats 
die  Exodos  betreffe  und  daß  somit  Couat  das  Urteil  Zielinskis  ein- 
schränke. 


Bericht  über  die  Literatur  d'^r  griechischea  Komödie.    (Flolziager.)       177 

Zielinski  aber  sagt  zwar  auf  S.  277  seiner  „Gliederung  der  alt- 
uttischen  Komödie"  (1885):  ,,Ich  suchte  zu  erweisen,  daß  der  komische 
Chor  nie  —  oder  so  gut  wie  nie  —  voUstiramig  gesungen  hat,  sondern 
immer  in  Halbchöre  gespalten  war"  —  aber  die  Exodos  hatte  Zielinski 
schon  S.  276  ausdrücklich  ausgenommen,  indem  er  dort  sagt:  ,,Wir 
nehmen  in  der  Exodos  auch  Vortrag  durch  den  Gesamtchor  an." 

H.  Dähn,  Scenische  Untersuchungen.     Progr.     Danzig  1892. 

Diese  Abhandlung  befaßt  sich  vorzugsweise  mit  dem  Königspalaste 
als  Dekoration  der  tragischen  Bühne.  Für  die  Komödie  kommt  diese 
Arbeit  nicht  direkt  in  Betracht.  — 

J.  Pickard,  The  relative  position  of  actors  and  chorus  in  the 
greek  theatre  of  the  V.  Century  B.  C.  —  The  American  Journal  of 
Philology  XIV,  1893,  p.  68—89,  p.  198—215,  p.  273—304. 

Der  erste  Teil  dieser  Abhandlung  ist  der  Hauptsache  nach  iden- 
tisch mit  John  Pickard,  der  Standort  der  Schauspieler  und  des  Chors 
im  griech.  Theater  des  V.  Jahrhunderts.  Diss.  München  1892.  Sein 
Inhalt  ist  durch  den  Spezialtitel  ,,consi<leration  of  the  extant  theatres" 
umschrieben.  Im  zweiten  Artikel  werden  die  14  Dramen  des  Aischylos 
und  Sophokles  mit  Rücksicht  auf  die  Bühnenfrage  durchgesprochen. 
Im  III.  Teile  p.  273— "287  behandelt  der  Verf.  die  Euripideischen  Tra- 
gödien und  p.  287 — 304  alle  ei'haltenen  Komödien  des  Aristophanes. 
Der  Autor  kämpft  gegen  die  hohe  Bühne  und  für  die  Vereinigung  von 
Schauspielern  und  Chor  auf  der  Orchestra.  —  Auf  die  Einzelheiten 
dieser  seinerzeit  verdienstlichen  Schrift  einzugehen,  ist  nicht  möglich, 
da  sie  durch  die  Ereignisse  begreiflicherweise  überholt  wurde.  Daß  der 
Autor  das  Problem  der  liohen  ,,Vitruvischen"  Bühne  der  ,, Bühnenfrage" 
überhaupt  gleichsetzte  und  nicht  bemerkte,  daß  seit  dem  Bau  von  Pa- 
raskenien,  welche  die  Orchestra  nicht  erreichten,  ein  außerhalb  der 
Orchestra  gelegener  Spielplatz  der  Schauspieler  Itz\  jxtjv^c  von  selbst 
gegeben  war,  kann  man  ihm  nicht  verargen.  Die  Wahrheit  zu  finden, 
war  erst  nach  dem  Erscheinen  der  genauen  Angaben  Dörpfelds  möglich. 
Z.  B.  bei  der  Behandlung  der  ,, Vögel"  sagt  Pickard:  This  play  could 
not  be  „set"  on  a  „stage",  and  the  actors  have  evidently  entered  by 
the  parodos.  Mit  keinem  Worte  wird  dies  wirklich  bewiesen.  Da  die 
Vögel,  die  sich  auf  der  Orchestra  tummeln,  die  beiden  Athener  lange 
Zeit  hindurch  nicht  bemerken,  obwohl  der  Epops  ihre  Anwesenheit  ge- 
meldet hatte,  können  die  beiden  Schauspieler  nur  auf  dem  außerhalb 
der  Orchestra  lirl  sxrjvrj;  gelegenen  Räume  hinter  einem  Baume  oder 
einem  Felsen  versteckt  gewesen  sein,  versteckt  vor  den  Vögeln,  nicht 
vor  den  Zuschauern.  Stellen  wie  ßX£({>ov  xatoj  und  ^Xetts  vüv  avu>  (v.  175) 
beweisen  natürlich  nichts  für  den  Standort  des  Schauspielers. 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    (1903.    I.)  12 


178       Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.    (Holzinger.) 

K.  Zacher,  Die  erhöhte  Bühne  bei  A ristophanes.    Philologus  LV, 
1896,  p.  181—185. 

Zacher  behandelt  folgende  These:  ,, Gegen  die  von  Dörpfeld  und 
seinen  Anhängern  verfochtene  Ansicht,  daß  das  Attische  Theater  des 
5.  Jahrhunderts  keine  erhöhte  Bühne  gehabt  habe,  sondern  daß  Schau- 
spieler und  Chor  auf  demselben  Niveau  der  kreisrunden  Orchestra  agiert 
hätten,  erheben  einige  Stellen  des  Aristophanes  den  lautesten  Wider- 
spruch, an  denen  die  Worte  (Jvaßaiveiv  und  xaraß^iveiv  so  gebraucht  sind, 
daß  jeder  Unbefangene  sie  vom  Besteigen  der  Bühne  oder  Herabsteigen 
von  derselben  auffassen  muß.  Es  sind  die  folgenden:  V^esp.  1514:  -/.axa- 
ßaxeov  |x'  Itt'  autou?.  — •  Equ.  148  ff,:  otupo  oeüp'  w  cptXxaTS,  avaßatve 
aojTTjp  ttJ  TCfAst  xai  vwv  (pavei'c  —  Ach.  7.32:  aiJ-Saxö  -otrav  [j.5ooav.  — 
Vesp.  1342:  ävocßaive  oeüpo  7pu30|xY)XoXov{}tov."  —  Zacher  bespricht  diese 
Stellen  und  nimmt  namentlich  Equ.  14B  ff.,  dann  aber  auch  Ach.  732 
und  Vesp.  1342  für  seine  Ansicht  in  Anspruch.  Das  von  Bodensteiner 
(S.  697  und  721)  z.  B.  zn  Eur.  Herc.  119  ff.  durchgeführte  Gegen- 
argument, daß  „alle  Stellen,  wo  beim  Auftreten  von  Schauspielern  ein 
Ansteigen  angedeutet  ist,  in  gleicher  Weise  auf  das  Auftreten  durch 
die  Parodoi''  zu  beziehen  sind,  läßt  Zacher  nicht  gelten.  Er  findet  viel- 
mehr für  die  drei  ältesten  erhaltenen  Stücke  des  Aristophanes  eine  über 
die  Orchestra  erhöhte  Bühne  bezeugt.  Daß  diese  Bühne  höchstens  ein 
paar  Stufen  höher  gewesen  sei  als  die  Orchestra,  habe  schon  G.  Her- 
mann (Opusc.  VI,  2,  153)  angenommen.  Die  natürliche  Entwickelung' 
der  Bühne  sei  mutmaßlich  die  gewesen,  „daß  die  ursprüngliche  Thy- 
mele  sich  immer  mehr  erweiterte  und  immer  mehr  vom  Mittelpunkt  in 
den  Hintergrund,  auf  die  den  Zuschauern  abgewendete  Seite  der  runden 
Orchestra  verschob".  Zacher  glaubt  demnach  annehmen  zu  dürfen,  ,,daß 
die  gemauerte  Orchestra  selbst,  wie  für  die  Männer-  und  Knabeochöre, 
so  auch  für  die  tragischen  und  komischen  den  Tanzplatz  bildete ,  nur 
daß  für  die  Dramen  jedesmal  über  einen  Bruchteil  der  Orchestra,  dessen 
Größe  vielleicht  je  nach  den  Bedürfnissen  der  aufzuführenden  Stücke 
wechselte,  eine  niedrige  Bühne  errichtet  wurde,  so  daß  der  Chor  sich 
auf  den  übrigbleibenden  Teil  der  Orchestra  beschränkt  sah."  —  Warum 
Zacher  diese  niedrige  Bühne  nicht  gleich  ganz  aus  der  Orchestra  bis 
an  ihre  Peripherie  hinausschiebt  und  mit  dem  Räume  Im  oxriv?)?  gleich- 
setzt, gibt  er  nicht  an,  und  ich  meinerseits  halte  dies  für  die  schwache 
Seite  dieses  für  die  Bühnenfrage  bei  Aristophanes  im  übrigen  lehr- 
reichen Aufsatzes.  — 

Th.  Papadimitracopoulos ,  Le  poete  Aristophane  et  les 
Partisans  d'Erasme.  —  'EXU^  IV,  1892,  p.  96—104,  145—169^ 
227—202. 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.   (Holzinger.)     179 

Der  Verfasser  beruft  sich  vieltach  auf  seine  im  J.  1889  erschie- 
nene Schrift:  Bofsavoc  tüjv  -spl  xr^c  'EXX.7)viy.^C  Trpofpopac  epafffiixciv  a-o- 
oti^etüv  und  auf  den  Aufsatz:  Nouveaux  documents  epigraphiques  demon- 
trant  l'antiquite  de  la  prononciation  des  Grecs  modernes  ('EXXots  vol.  II 
p.  247 — 279),  deren  Inhalt  er  zum  Teil  abermals  vorträgt.  In  der 
vorliegenden  Abhandlung  sind  die  zu  beweisenden  Thesen  nicht  mit 
wünschenswerter  Klarheit  ausgesprochen.  So  will  er  z.  B.  p.  99  be- 
weisen, quon  faisait  grand  usage  dans  TAttique  du  i  au  lien  du  tj. 
Man  empfängt  aus  solchen  Äußerungen  die  Anschauung,  daß  bei  Ari- 
stophaiies  nach  der  Ansicht  des  Verf.  rj  wie  t  geklungen  haben  sollte. 
Aber  ?.  B.  p.  258  heißt  es;  i\  part  la  prononciation  de  Tt),  de 
Tu  et  de  l'oi,  qui  est  differente  de  celle  du  t,  aiusi  que  la  diminution 
des  voyelles  longues  en  bröves,  la  prononciation  moderne  ne  parait 
diflförer  presque  en  rien  de  Tancienne.  Noch  verwirrter  sind  die  Be- 
weise des  Verfassers.  Denn  während  er  häufig  von  Aristophanes  aus- 
geht, bringt  er  unermüdlich  Stellen  aus  papyri  und  Inschriften  der  ver- 
scliiedensten  Zeiten  und  Dialekte,  sowie  auch  Stellen  der  mannigfaltigsten 
Autoren  von  Homer  bis  in  die  christlichen  Jahrhunderte.  Man  fragt 
sich  vergebens,  wie  auf  diesem  Wege  ein  Beweis  für  die  Aussprache 
der  Komödien  des  Aristophanes  aufgebaut  werden  soll.  Und  selbst  wo 
Papadimitracopoulos  wirklich  einmal  bei  der  Sache  bleibt,  die  er  nach 
dem  Titel  seiner  Arbeit  vertreten  soll,  bringt  or  zwar  reichliches  Ma- 
terial vor,  aber  die  Schlüsse,  die  er  daraus  zieht,  sind  nicht  im  min- 
desten überzeugend.  Z.  B.  im  Frieden  v.  926  folgt  aus  dem  Wortspiele 
ßot  —  ßorjösiv  in  keiner  Weise,  daß  Aristophanes  ßorjOsiv  so  ausgesprochen 
habe,  wie  es  die  Neugriechen  tun  (p.  97  u.  p.  253).  Oder  man  sehe, 
was  er  p.  156  über  Vesp.  316  sagt:  „Aristophane  teraoigne  aussi  qu'il 
prononcait  le  ai  comme  e  long  quand  il  fait  bröve  l'iiiterjection  expri- 
mant  la  douleur  al  aT  en  l'ecrivant  par  le  s  bref :  e  e."  Es  ist  doch  im 
Gegenteile  ganz  klar,  daß  Aristophanes  ai  ai  meint,  wenn  er  al  al  sagt; 
will  er  aber  e  e  sagen,  dann  schreibt  er  'i  z.  Weder  durch  solche 
„Beweise",  noch  auch  durch  die  daran  geknüpften  leidenschaftlichen 
Tiraden,  —  die  namentlich  gegen  den  verdienstvollen  Friedrich  Blaß 
gerichtet  sind,  werden  sich  die  Erasmianer  widerlegt  fühlen.  —  Gerade 
ein  Komiker  übrigens  sollte  als  Basis  einer  derartigen  Untersuchung 
mit  besonderer  Vorsicht  behandelt  w'erden.  — 

W.  Uckermann,  Über  den  Artikel  bei  Eigennamen  in  den  Ko- 
mödien des  Aristophanes.  —  Progr.  d.  Sophien- Gymn.  in  Berlin,  1892. 

Uckermann  behandelt  den  Gebrauch  des  Artikels  bei  Völkernamen 
im  Plural,  bei  Städtenamen  und  Ortsbezeichnungen,  bei  Länder-  und 
Inselnamen,    bei  Gebirgs-    und  Vorgebirgsnamen    und    bei  Flußnamen. 

12* 


180     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

Die  Fortsetzung  dieser  Arbeit  soll  die  Beobachtungen  des  Verfassers 
über  die  übrigen  Eigennamen,  die  Götter-  und  die  Personennamen  um- 
fassen. Die  vorliegende  Abhandlung  beruht  auf  sachi^eniäßer  Benutzuncr 
der  vorausliegenden  Literatur,  aus  welcher  außer  Krüger  und  Kühner. 
Friedrich  Blaß  (Rh.  Mus.  44  S.  1  ff.),  Kallenberg  (Philologus  NF.  III 
S.  515  ff.  und  im  Progr.  d.  Fried. -Werderschen  Gymu.  Berlin  1891), 
sowie  0.  Bachmanns  Schrift  Conj.  observ.  Aristoph.  Spec.  I.  1878 
hervortreten.  Das  Ziel,  das  sich  Uckermanu  stellt,  ist  die  Erkenntnis 
der  Stellung,  welche  die  gesprochene  attische  Volkssprache  rücksichtlich 
der  Artikelsetzung  bei  Eigennamen  im  Vergleiche  zur  geschriebenen 
Musterprosa  einnimmt.  Daher  betont  Uckermann  vor  allem  den  Ge- 
brauch des  Artikels  im  jambischen  Trimeter  des  Aristophanes  und 
steuert  bei  der  Vorführung  des  gesammelten  Materiales  und  bei  der  Ab- 
wägung der  einzelnen  Fälle,  welche  der  offenkundigen  Regel  wider- 
sprechen, dem  Resultate  zu,  daß  auch  Aristophanes  im  Setzen  des 
Artikels  bei  Eigennamen  festen  Gesetzen  folge.  Gerade  bei  der  Unter- 
suchung dieser  unfügsamen  Stellen  wird  auch  der  Leser  manchmal  durch 
die  für  die  Ausnahme  gegebene  Rechtfertigung  nicht  überzeugt  sein. 
Ein  Beispiel  hierfür  habe  ich  in  der  Besprechung  des  Aufsatzes  van  Her- 
werdens über  einige  Stellen  der  Friedenskomödie  (Mnemos.  N.  S,  XXV, 
1897)  gegeben. 

J.  Strachan,  Koseformen  in  der  Anrede.  —  Zeitschrift  für 
vergleichende  Sprachforschung,  NF.  XII,  1892,  p.  596. 

Strachan  macht  darauf  aufmerksam,  daß  xavötuv  im  Vesp.  199 
Koseform  für  xavör^Xio?  sei,  aber  in  Pac.  82  für  xavöapo;  und  daß  diese 
Koseform  beide  Male  in  der  Anrede  gebraucht  sei.  —  Diese  Notiz 
schließt  sich  an  eine  Anmerkung  W.  Schulzes  an,  die  H.  Zimmer  in 
den  Keltischen  Studien  auf  p.  195  desselben  Bandes  anführt.  — 

W.  Pecz,  Die  Tropen  des  Aristophanes  verglichen  mit  den  Tropen 
des  Aischylos,  Sophokles  und  Euripides.  —  Ungarische  Revue  XIII, 
1893,  p.  198—205. 

An  der  Hand  der  von  ihm  aufgestellten  stofflichen  Kategorien, 
welche  den  Gruppen  der  Tropen  zu  Gründe  liegen,  und  unter  der  Vor- 
aussetzung, daß  Si^ekdoche  und  Meton3'mie  ein  Ausfluß  der  Reflexion, 
dagegen  die  Proportionstropen  (Metapher,  Gleichnis,  Allegorie)  Ausflüsse 
der  Phantasie  sind,  gelangt  Pecz  zu  dem  Resultate,  daß  die  Synekdoche 
und  die  Metonymie  bei  Aristophanes  nur  etwa  ein  Achtel  der  Propor- 
tioDstropen  bilden.  Da  er  nun  in  einer  früheren  Arbeit  (Berliner  Stud. 
f.  klass.  Phil.  u.  Arch,  1886,  HI,  3)  erwiesen  hatte,  daß  die  Synek- 
doche und  die  Metonymie  bei  x'\ischylos  beiläufig  ein  Sechstel,  bei  So- 
phokles ein  Drittel,  bei  Euripides  mehr  als  die  Hälfte  der  Proportions- 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     181 

trüi)en  ausmachen,  beweist  nicht  nur  die  Konzeption  der  Dramen, 
sondern  auch  das  Zahlenverhältnis  der  verschiedenen  Tropen,  daß  unter 
den  vier  großen  Dramatikern  die  Phantasie  des  Aristophanes  die  größte, 
die  Reflexion  die  kleinste  ist.  —  Ohne  in  der  Lage  zu  sein,  auch  die 
übrigen  Sätze  vorzuführen,  in  denen  Pocz  die  Tropen  des  Aristophanes 
in  kulturgeschichtlicher  Hinsicht  verwertet,  muß  ich  nur  kurz  be- 
merken, daß  mir  in  der  Aufstellung  der  stofflichen  Kategorien,  auf  denen 
sich  die  Zählungen  und  Schlüsse  des  Verfassers  aufbauen,  manches 
willkürlich  zu  sein  scheint.  Z.  B.  die  Kategorien  der  Metonymie  sind 
bei  Pecz:  ,,Der  Mensch,  die  Kochkunst,  Speise  und  Trauk,  der  Krieg, 
das  staatliche  Leben,  die  Gärtnerei  und  der  Ackerbau"  (S.  200).  Die 
Ungleichheit  des  begriiiflichcn  Umfanges  dieser  Kategorien  muß  sich 
natürlich  bei  der  Klassifizierung  der  einzelnen  Beispiele  geltend  machen, 
Z.  B.  S.  204  sagt  Pecz:  „bei  Eur.  Hek.  129—131  xd  ok  Kasavopa;  Xex-p' 
oüx  ecparr,v  r?,;  'AyiASta?  Trpojfhv  ör^jeiv  roTS  Xo'iyjii  steht  das  Bett  für 
das  "Weib  und  die  Lanzeuspitze  für  den  Krieger,  d.  h.  zwei  Metonymien 
aus  verschiedenen  Kategorien,  die  eine  aus  der  Kategorie  des  Menscheu, 
die  andere  aus  derjenigen  des  Krieges,  fließen  in  ein  Bild  zusammen." 
Zunächst  steht  hier  nicht  ,,Bett  für  das  Weib",  weil  der  Eigenname 
dies  ver3iindp*'t.  Und  wenn  Ka^avopti;  Xexxpa  in  die  „Kategorie  des 
Menschen"  fällt,  so  täjlt  doch 'A-/iXX£iai  X677T)?  mit  gleichem  Rechte  in 
diese  Kategorie,  und  dann  gehören  also  diese  zwei  Metonymien  nur 
einer  Kategorie  an.  Auch  fließen  diese  zwei  Metonymien  nicht  zu  einem 
Bilde  zusammen,  sondern  sie  sind  mittelst  der  Antithese  scharf  vonein- 
ander getrennt.  Solche  Bemerkungen  aber  lassen  sich  leicht  vermehren. 
Auf  8.  205  heißt  es:  „Bei  Eur.  Phoen.  1380—1381:  xaTipoi  6' ottw; 
dTQ7ovTec  d-.'pt'av  ^svuv  |  ?uv^t|;av  wird  der  Kinnbacken  für  zwei  verschieden- 
artige Tropen  gesetzt,  in  erster  Reihe  als  Synekdoche  (für  Zahn)  und 
die  synekdochische  Bedeutung  desselben  als  ein  Glied  des  Gleichnisses." 
Keineswegs!  Denn  das  letztere  wäre  nur  dann  der  Fall,  wenn  nicht 
xa-pot  dastände,  sondern  wenn  die  zwei  Helden  mit  zwei  Eberkinn- 
backen (-fsvuec  xairpcuvj  verglichen  wären,  was  der  Dichter  wohlweislich 
zu  tun  unterlassen  hat.  —  Ebensowenig  könnte  ich  zugeben,  daß  bei 
Aisch.  Pers.  821 — 822  fle'po?  für  zwei  verschiedene  Tropen  gesetzt  sei, 
und  zwar  als  Metonymien  für  Saat  (richtig)  und  gleichzeitig  als  Me- 
tapher für  Gram.  Letzteres  ist  unrichtig,  weil  ja  doch  na7xXauTov  im 
Text  steht.  -a-f/.Xautov  öspo;  heißt  Ernte  der  Tränen,  Tränensaat,  aber 
niemals  heißt  Ospoc  ,,Gram'\ 

C.  L.  Jungius,    De  vocabulis  antiquae  comoediae  atticae,  quae 

apud  solos  comicos  ant  omnino  inveniuntur  aut  peculiari  notione  prae- 

djta  occurrunt.  —  Trajecti  ad  Rhenum   1897. 

Der  Inhalt    dieses  in  zahlreichen  Kritiken  besprochenen  Werkes 


182     Bericht  über  die  Literatur  der  grieciiischen  Komödie,   (llolzinger.) 

ist  durch  den  ausführlichen  Titel  zur  Genüge  umschrieben.  Der  Verf. 
gibt  ein  alphabetisch  geordnetes  Verzeichnis  aller  derjenigen  Wörter, 
welche  entweder  nur  bei  den  Dichtern  der  alten  Komödie  vorkommen 
oder  doch  wenigstens,  falls  sie  sich  auch  bei  anderen  Schriftstellern 
finden,  bei  den  Komikern  eine  besondere  Bedeutung  aufweisen.  Ein 
Lexikon  zu  den  Komikein  ist  dies  also  nicht,  ein  Index  ebenfalls  nicht. 
Aber  als  eine  Vorarbeit  zu  einem  Komikerlexikon  kann  das  Werk  wohl 
betrachtet  werden.  Warum  der  Index  von  Jacobi,  der  den  Schluß  der 
Meinekeschen  Fragmentausgabe  bildet,  nicht  einmal  genannt  wird,  weiß 
ich  nicht  zu  sagen.  Daß  er  den  gegenwärtigen  Ansprüchen  nicht  mehr 
zu  genüiieu  vermag,  scheint  mir  für  diese  völlige  Ignorierung  kein  hin- 
reichender Grund  zu  sein.  Die  vorliegende  Arbeit  ersetzt  nur  jenen 
Teil  der  Artikel  Jacobis,  der  sich  auf  die  apyaia  y.ui\).wo\.a  erstreckt. 
In  dieser  Beziehung  ist  das  Wortverzeichnis  des  Verfassers  reichhal- 
tiger, weil  es  nicht  nur  die  neueren  Entdeckungen  berücksichtigt,  son- 
dern die  Artikel  über  die  einzelnen  Wörter  auch  mit  gelehrtem  Appa- 
rate ausstattet.  —  Ich  verweise  noch  auf  die  Rezension  Siegfried  Reiters 
in  der  Zeitsch.  f.  d.  österr.  Gymn.  1899  p.  303.  — 

Hilfswörterbuch  zum  Aristophanes  von  J.  llirschberg.    I.  Teil. 
Leipzig  1898. 

Der  Geh.  Med. -Rat  und  Professor  Dr.  J.  Hirschberg  in  Berlin 
bietet  in  diesem  Heftchen  die  Übersetzung  der  selteneren  Vokabeln  der 
Acharner,  Ritter,  Wolken,  Wespen  und  des  Friedens,  indem  er  als  ein 
Liebhaber  des  Aristophanes  meint,  anderen  Liebhabern  des  Dichters 
das  Lesen  des  Originaltextes  erleichtern  zu  sollen.  Als  Arzt  und  Fach- 
mann spricht  sich  Hirschberg  über  einige  wenige  Stellen  aus.  Zu 
Equ.  376  bemerkt  er,  dai)  die  Finnenprobe  nicht  nach  dem  Schlachten 
des  Schweines  gemacht  wurde,  sondern  an  dem  lebenden  Tiere.  Zu 
Equ.  909  sammelt  er  einige  Stellen  über  die  Häufigkeit  der  Augenent- 
zündungen bei  den  alten  Griechen.  Weniger  beifälli.g  kann  ich  Hirsch- 
bergs Anmerkung  zu  Equ.  755:  x£/ir)v£v  tojirsp  £|x-oö''Cujv  isyaöa?  be- 
sprechen. Hirschberg  schlägt  evjTop-iCcuv  vor,  indem  er  meint,  k\i.r.oo{.^tvj 
bedeute  zwar  nach  einer  Angabe  „anbinden",  „aufreihen",  aber  bei 
dieser  Tätigkeit  sperre  man  den  Mund  nicht  auf.  Man  hat  m.  E.  diese 
Stelle  bisher  darum  nicht  verstanden,  weil  man  den  zwischen  dem 
xexrjvevai  und  dem  efxTiootUiv  ts/aoa;  bestehenden  Kausalnexus  verkannte 
und  verdrehte.  Nicht  darum  sperrt  der  Greis  den  Mund  auf,  weil  er 
Feigen  zum  Trocknen  an  Schnüren  aufreiht;  im  Gegenteile,  weil  der 
Greis  in  seiner  Greisenhaftigkeit  und  Gedankenlosigkeit  stets  mit  offenem 
Munde  dazusitzen  pflegt,  kann  man  ihn  zu  keiner  Arbeit  mehr  ver- 
wenden,   die    größere  Ansprüche    au    die  Kräfte    des  Geistes   und    des 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.    (Holzinger.)     183 

Körpers  stellt  als  das  Anreihen  von  Fcigfen  an  Schnüren.  Wer  mit 
diesem  Gedanken  an  Equ.  755  herantritt,  wird  die  Stelle  sofort  aufge- 
klärt finden  und  in  p]qu.  1119  xeyTjva?  y.-X.  und  Equ.  1262  Ks-/T)vaiwv 
passende  Parallelstellen  erblicken.  Ob  man  die  Bedeutung  von  eixTrooiJ^stv 
gerade  darauf  zurückführen  solle,  daß  -ou;  oder  -oo-.ov  den  Frucht 
Stengel  bezeichnen  kann,  an  welchem  sich  die  Feige  festbinden  läßt, 
will  ich  hier  nicht  entscheiden.  —  Vgl.  S.  208  das  über  Piccolominis 
Aufsatz  Gesagte.  — 

Bielecki,  Les  mots  composees  dans  Eschyle  et  dans  Aristophaue. 
Etnde  litteraire  et  grammaticale.  Lu.xembourg  1899,  Beffort.  (Mir 
unbekannt.) 

E.  liomagnoli,  Ei;,  [j-ia,  sv.  Studi  ital.  di  tilol.  class.  VII, 
1899,  p.   175  —  180.  — 

Der  Verf.  klassifiziert  den  Gebrauch  von  £1;,  \i.'.x,  sv  bei  Aristo- 
phaues.  Er  unterscheidet  den  rein  numeralen  Gebrauch,  den  Gebrauch 
als  Ordnungszahl  annähernd  wie  rpwro;  (Ri.  131,  Ach.  1162),  den 
Gebrauch  als  unbestimmten  Artikel  (Av.  1292)  und  kommt  schließlich 
auf  die  Bedeutung  von  v.;  ^  [irr^o^  zu  sprechen.  Das  Ziel  des  Aufsatzes 
geht  dahin,  zu  erweisen,  daß  si;  den  Sinn  von  jxovoc  nur  durch  den 
Zusammenhang  erhalte  und  daß  dies  durch  den  Kontrast  von  eic  gegen- 
über aWi  oder  anav-s;  oder  Tosaüxa  oder  gegenüber  einer  Grundzahl 
erreicht  werde.  Daher  habe  man  an  mehreren  Aristophanesstellen,  in 
denen  solche  Kriterien  des  Kontrastes  fehlen,  zU  bisher  unrichtig  mit 
jxovo;  gleichgestellt  und  habe  es  mit  „einer  allein"  oder  im  Italienischen 
mit  un  solo  übersetzt,  während  dem  ei;  an  solchen  Stelleu  nur  die  Kraft 
eines  articolo  indeterminato  zukomme.  Als  solche  Stellen  bezeichnet 
Romagnoli  vielleicht  mit  Recht  Av.  550  [iiav  opviöwv  tcoXiv,  Av.  588 
-('Xauxüiv  Xoyo;  zU,  Av.  590  ä-iiXri  [iia  xi/Xiuiv,  Ach.  1033  (jTaXa^jxov 
£ipr,vrjc  £va ,  Ach.  1053  xuai%v  EtpY]vTjc  eva.  Hingegen  würde  ich  ihm 
bezüglich  Av.  1639  f^ixei;  izep'  7uvatx6;  [xia;  T:oXe|x-f,jo[xsv;  nicht  bei- 
stimmen. Hier  ist  fxtä«  doch  stärker  als  der  unbestimmte  Artikel  des 
Deutschen  oder  des  Italienischen.  Auch  ist  der  vom  Verf.  verlangte 
(^uautitätsgegensatz  vorhanden,  da  unter  fjfxei;  keine  geringeren  Personen 
als  Herakles  und  Poseidon  zu  verstehen  sind.  Noch  weniger  würde  man 
bei  Eccl.  594  ä)X  sva  -o:<L  xoivov  arra^iv  ßiorov  xal  Toürov  o[xotov  mit  dem 
unbestimmten  Artikel  ausreichen,  was  übrigens  der  Verf.  selbst  als  zweifel- 
haft bezeichnet.  Eine  sichere  Regel  über  st;  -=  |x6vo;  wird  man  darum 
schwer  ausfindig  machen,  weil  es  der  Zusammenhang  oft  zweifelhaft  läßt, 
ob  ein  Quantitätskoutrast  angenommen  werden  solle.  Aber  gerade  für 
die  Entscheidung  dieser  Fälle  wäre  eine  solche  Regel  recht  erwünscht, 
wie  z.  B.  für  Ri.  37:  iv  0'  aO-o-Jc  -apai-rjaop-eila.  — 


184     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Ilolzinger.) 

M.  Dufour,  Etüde  sur  la  Constitution  rhythmique  et  metrique 
dn  dranie  grec.  —  Travaux  et  menioires  des  facultes  de  Lille, 
tome  III,  1893,  No.  14,  deuxicme  serie:  Aristophane.  Les  grenouilles. 
S.  35—70.  — 

Der  Verfasser  teilt  die  Batrachoi  in  ihre  Hauptpartien  und  diese 
wieder  in  ihre  Unterabteilungen  ein,  druckt  den  ganzen  Text  aller 
lyrischen  Partien  nach  Theodor  Bergks  Ausgabe  ab  und  fügt  die  voll- 
ständigen metrischen  Schemata  hinzu,  denen  er  auch  die  ihnen  zu- 
kommenden Bezeichnungen  und  Namen  beisetzt.  Bezüglich  der 
theoretischen  Auffassungen,  welche  diesen  Schemata  zu  Grunde  liegen, 
verweist  der  Verfasser  auf  das  Werk:  Traite  de  Rhythmique  et  de 
Metrique  grecques  de  0.  ßiemann  et  M.  Dufour,  Paris,  Collin  1893.  — 
Dufour  ist  ein  Schüler  ßiemanns  und  Charge  du  cours  de  Philologie 
grecque  et  latine  k  la  Faculte  de  lettres  de  Lille.  Man  darf  daher 
wohl  vermuten,  daß  diese  Arbeit  als  Anleitung  der  dortigen  Studieren- 
den gedacht  ist.  —  ' 

A,  Couat,  La  parodos  dans  les  comedies  d' Aristophane,  — 
Revue  des  Universites  du  Midi.  Nouvelle  Serie,  Tome  I  (Annee  XVII), 
1895,  p.  363-385.  ~ 

Couat  behandelt  in  diesem  Aufsatze  die  Parodoi  aller  Komödien 
des  Aristophanes  sowohl  mit  Rücksicht  auf  die  Stellung,  welche  der 
Parodos  in  jeder  dieser  Komödien  zukommt,  als  auch  in  Bezug  auf 
scenische  Fragen.  Couat  gelangt  zu  folgenden  Resultaten:  1.  In  der 
größeren  Zahl  der  Komödien  und  zwar  von  den  Acharnern  bis  ein- 
schließlich zur  Lysistrata  ist  die  Parodos  ein  Haupistück  der  Komödie, 
enthält  die  Exposition,  vervollständigt  dadurch  den  Prolog  und  bereitet 
die  Lösung  des  Konfliktes  vor.  Von  den  Thesmophoriazusen  an  ver- 
liert die  Parodos  diese  Bedeutung  mehr  und  mehr.  2.  In  der  Aristo- 
phanischen Komödie  und  zwar  von  den  Acharnern  bis  zu  den  , Vögeln"' 
nimmt  der  Chor  in  der  Parodos  einen  wesentlichen  Auteil  an  der 
Handlung  und  tritt  auch  in  den  Konflikt  wie  ein  Schauspieler  ein. 
Erst  nach  der  Parodos  verwandelt  sich  der  Chor  in  einen  Schiedsrichter 
zwischen  zwei  Parteien.  In  der  Lysistrata  zeigt  die  Parodos  in  diesem 
Punkte  bereits  eine  große  Verschiedenheit  gegenüber  den  älteren 
Stücken.  Mit  den  Thesmophoriazuseu  beginnt  die  Parodos  auf  den 
Rang  eines  lyrischen  Zwischenspieles  lierabzusinken.  —  In  dieser 
Zusammenfassung  seiner  Resultate  hat  Couat  die  Lysistrata  ungenau 
behandelt,  da  er  S.  375  richtig  angibt,  daß  ihre  Parodos  nicht  mehr 
die  Exposition  des  Stückes  enthält.  --  Die  Resultate,  welche  Couat 
für  die  scenischen  Fragen  gewonnen  zu  haben  glaubt,  beruhen  nicht 
auf    sicheren  Schlüssen.     Den  Dörpfeldschen  Ansichten    tritt    er    aller- 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,  (nolzinger.)     185 

dings  vollständig  bei;  aber  mit  Couats  Methode  ist  nicht  einmal  der 
eine  Satz  Dörpfelds  zu  erweisen,  daß  Schauspieler  uud  Chor  auf  dem 
gleichen  Niveau  spielen,  geschweige  denn  die  andere  Behauptung 
Dörpfelds,  daß  die  Orchestra  lür  Schauspieler  und  Chor  der  gemein- 
same Standort  sei.  Die  Stellen,  die  Couat  im  einzelnen  anführt,  um 
den  innigen  Kontakt  zwischen  den  Schauspielern  und  dem  Chore  dar- 
zustellen, beweisen  liöchsteus,  daß  der  Niveauunterschied  zwischen 
]Uihne  und  Orchestra  geringlügig  war.  Daß  Bühne  und  Orchestra  von- 
einander nicht  zu  trennen  seien,  beweisen  sie  nicht,  — 

H.  S teurer,    De  Aristophanis  carmiuibus  lyricis.  —  Straßburg, 
1896. 

In  dieser  Arbeit  werden  die  lyrischen  Partien  der  aristoplianischen 
Komödien  analysiert  und  charakterisiert  und  zwar  zu  dem  Zwecke,  um 
■/M  zeigen,  -daß  die  älteren  Stücke  des  Dichters  in  ihren  lyrischen 
Teilen  mehr  durch  Einfachheit,  die  späteren  hingegen  durch  Freiheit 
und  Künstlichkeit  hervorstechen.  Der  ältere  Stil  zeige  sich  namentlich 
in  den  Acharnern  und  in  der  Lysistrata.  Die  Höhe  seiner  Kunst  in 
musikalischer  Hinsicht  erreiche  Aristophanes  in  den  Thesmophoriazuscn 
und  in  den  Fröschen.  Dann  komme  der  Verfall.  Die  "Wolken  zeigen 
nach  der  Ansicht  des  Verf.  in  der  genannten  Beziehung  mehr  den 
Charakter  der  späteren  Periode,  als  den  der  älteren  Zeit.  Steurer 
bringt  diesen  Umstand  mit  der  Retraktation  des  Stückes  in  Ver- 
bindung. Auf  mich  hat  diese  Einzelheit,  sowie  auch  manches  andere 
nicht  überzeugend  gewirkt.  Ich  weise  auch  auf  Otto  Kaehlers 
Kezension  (Berl.  ph.  Wo.  1898,  Sp.  1221  —  1222)  hin,  wo  man  den 
Inhalt  des  Schriftchens  nach  Kapiteln  angegeben  findet.  — 

C.  0.  Zuretti,  Analecta  Aristophanea.     Torino  1892. 

Im  ersten  Abschnitte  dieses  fleißig  gearbeiteten  Werkes  gibt  der 
Verf.  einen  Bericht  über  die  in  Italien  befindlichen  Handschriften  des 
Aristophanes.  Er  bespricht  die  Aiistophanescodices  der  Bibliotheca 
Ambrosiana,  jNIarciaua,  Laurenziana,  Estensis,  Vaticana,  der  biblioteca 
Nazionale  di  Napoli,  der  bibl.  Univeisitaria  di  Ferrara,  der  ßiccar- 
diana ,  Marucelliana,  der  bibl.  Corauuale  di  Perugia,  der  Barberiuiana, 
Valicclliana,  des  Archivio  di  S.  Pietro,  der  bibl.  Capitolare  di  Verona 
und  Nazionale  di  Toriuo,  Comunale  di  Cremona,  Ciassense  di  ßavenna, 
TJniversitaria  di  Messina.  Dann  gibt  er  auf  S.  33  ff.  einen  Überblick 
über  die  Aristophaueshandschriften  anderer  Länder.  —  In  einem 
zweiten  Abschnitte  behandelt  der  Verf.  die  handschriftliche  Grundlage, 
auf  der  die  Aldina  beruht.  Er  bezeichnet  die  Aldina  als  eine  wahre 
Edition  und  spricht  ihr  den  Rang  eines  Codex  ab.  Ein  mühevolles 
Kapitel  ist  der  Personenbezeichnung  in    den  Handschriften    des  Pluios 


186     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.     (Holzinger.) 

gewidmet,  ein  anderes  dem  Iudex  fabularum  des  Cod.  Yaticanus  918. 
Die  letzte  Abhandlung  beschäftigt  sich  mit  den  Tzetzesscholiea  zu 
Aristophanes,  denen  er  eine  grüliere  Bedeutung  beilegt,  als  dies  früher 
geschah.  —  Eine  ausführliche  Besprechung  gibt  Zacher  in  seinem 
Jahresberichte  1892,  S.  26  ft'.,  (55  ft". 

C.  C.  Zuretti,    Su  alcuni  nomi  di  personaggi  nelle  comedie  di 
Aristofane.     Ilivista  di  filol.  vol.  II  (=  XXIV),   1896,  S.  44-78. 

Zuretti  knüpft  an  Eduard  Hillers  bekannten  Aufsatz  an:  „Über 
einige  Personalbezeichnungen  griechischer  Dramen,  Hermes  1874,  Ylll, 
442  ff.,  sucht  ihn  durchaus  zu  widerlegen  und  vertritt  demnach  die  These, 
daß  tür  Rollen,  wie  die  des  Dieners  des  Euripides  in  den  Acharncrn,  für 
die  Sklaven  in  den  Rittern,  den  xTiSeaTY^;  der  Thesmophoriazusen,  den 
Torwärter  des  Hades  in  den  Fröschen  u.  dgl.  durchweg  schon  in  den 
ältesten  für  den  Buchhandel  bestimmten  Exemplaren  die  Eigennamen 
Kephisophon,  Nikias,  Deraosthenes,  Kleon,  Mnesilochos,  Aiakos  u.  s.  w. 
eingetragen  gewesen  seien.  Er  stützt  sich  dabei  auf  die  Analogie  der 
Parepigraphae  und  meint  überdies,  daß  dem  Leser  durch  die  Nennung 
der  gemeinten  historischen  Personen  noch  immer  lange  nicht  die  gleiche 
Hilfe  zum  Verständnisse  dargeboten  war,  als  den  Zuschauern  etwa  durch 
die  Maske  und  durch  die  Vertrautheit  mit  den  zpitgenössischea  Ver- 
hältnissen und  Personen.  Diese  Personenbezeichnungen  seien  in  den 
indices  personarum,  den  Hypotheseis,  Schollen  und  Glossen  allmählich 
von  dem  auf  die  Typenfiguren  der  neueren  Komödie  gerichteten  Sinue 
der  späteren  Generationen  durch  allgemeine  Bezeichnungen,  wie  rnxsrr)?, 
i)£pa-(i>v,  xYjSeaxY]?  u.  dgl.  verdrängt  worden.  —  Die  Arbeit  Zurettis 
geht  tief  in  Einzelheiten  ein  und  verdient  jedenfalls  die  Berücksichtigung 
der  Fachgenossen.  —  Man  vgl.  auch  eine  Bemerkung  Zachers,  Aristo- 
phanesstudien  1898,  S.   1—2.  — 

W.  Allen,  On  the  composition  of  some  Greek  manuscripts.  II. 
The  Ravenna  Aristophanes.  —  The  Journal  of  Philology,  XXIV, 
1896,  p.  300-326. 

W.  Allen  beschäftigt  sich  in  diesem  Aufsatze  mit  der  Art  der 
Anfertigung  des  Codex  Ravennas  durch  die  Schreiber,  und  zwar  in  der- 
selben Weise,  in  der  er  in  derselben  Zeitschrift  1894,  No.  44,  p.  157— 
183  den  Codex  Laureutianus  32,  9  behandelt  hatte.  W.  Allen  gibt  die 
Zahl  der  „Hefte"  oder  „Lagen",  aus  denen  R  besteht,  mit  25  an  und 
erklärt  das  Abweichen  von  den  Angaben  seiner  Vorgänger.  Er  gibt 
weiterhin  an,  aus  wie  vielen  Halbbogen  jede  Lage  besteht  und  wie  viele 
und  welche  Blätter  als  Einzelblätter  eingeschoben  sind.  Er  erörtert 
sodann  die  Frage,  inwiefern  das  Leerbleiben  einzelner  Seiten  oder 
einzelner  Teile   von  Seiten    mit  dem  Anfange  der  nächsten  Komödie  in 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.   (Holzinger.)     187 

Zusammenhang  zu  bringen  sei.  Wichtig  für  die  Benrteilnng  des  Zu- 
standekommens der  Handschrift  sind  vor  allem  folgende  Aufstellungen 
Aliens.  Der  Schreiber,  der  den  ganzen  Text  schrieb  (T),  hatte  das  Be- 
streben, den  Anfang  einer  Komödie  auf  den  Anfang  einer  neuen  Seite 
(page)  zu  bringen.  Dagegen  ist  nicht  anzunehmen,  daß  er  beabsichtigte, 
in  einer  „Lage"  gerade  eine  Komödie  unterzubringen  oder  in  einer 
Gruppe  von  Lagen  eine  Gruppe  von  Komödien  wiederzugeben.  Der 
Begriff  des  „Heftes"  oder  der  „Lasre"  (quire)  hat  also  keine  Bedeutung 
für  die  Geschichte  dieses  Textes.  Der  Schreiber  hatte  es  mit  einer 
Vorlage  zu  tun,  die  dem  heutigeu  Ravennas  im  Formate  und,  wie  Allen 
mit  Zacher  übereinstimmend  meint,  auch  im  Alter  sehr  nahe  stand. 
Daß  dieser  Schreiber  T  an  drei  Stellen  Einzelblätter  einfügte  und  zwar 
einmal  drei,  einmal  eines  und  einmal  zwei,  erklärt  W.  Allen  aus  großen 
Hlattlücken,  die  T  erst  nachträglich  bemerkte,  wobei  es  W.  Allen  un- 
entschieden läßt,  ob  diese  Blattlücken  sich  schon  in  der  Vorlage  be- 
fanden, oder  ob  T  einzelne  Blätter  aus  Unachtsamkeit  übergangen  hatte. 
Bezüglich  der  Scholienschreiber  ist  W.  Allen  der  Meinung,  daf.l  es  deren 
allerdings  zwei  gab,  die  er  mit  A  und  B  bezeichnet,  daß  aber  A  nicht 
identisch  sei  mit  der  Texthand  T.  Durch  die  Erklärung  des  Vor- 
kommens von  Einzelblättern  und  mit  der  Unterscheidung  der  Hände  T 
und  A  hat  mich  "W.  Allen  nicht  überzeugt.  Als  störend  habe  ich  bei 
dem  Studium  dieses  beachtenswerten  Aufsatzes  empfunden,  daß  auf  S.  301 
der  Ausdruck  page  für  „Blatt"  gebraucht  wird,  da  der  Codex  R  aus 
,191  pages"  besteht,  während  derselbe  Ausdruck  page  weiterhin  „Seite" 
heißen  muß,  wenn  dasjenige,  was  Allen  über  die  Anfänge  der  Komödien 
feststellt,  richtig  sein  soll  (S.  301—311).  T'nd  den  Ausdruck  archetype 
gebraucht  er  S.  325  für  die  unmittelbare  Vorlage  des  Schreibers. 

H.  van  Her  wer  den,   De  codicum  Aristophaneoram  Ravennatis 
et  Veneti  lectionibus.  —  Muemosyne  NS.  XXVI,  1898,  p.  94—111. 

Der  Verfasser  handelt  nicht  von  den  Scholien ,  sondern  von  dem 
Texte  der  codd.  RV  für  alle  Komödien  des  Aristophanes  mit  Ausnahme 
der  Eipr^vr,,  bezüglich  deren  Ttxtanlage  er  auf  seine  Ausgabe  verw'eist. 
—  Man  muß  leider  zugeben,  daß  Herwerden  in  dem  kurzen  Vorworte 
zu  seiner  Arbeit  ganz  mit  Recht  bemerkt,  daß  man  bei  dem  Texte  der 
Aristophanischen  Komödien  noch  immer  häufig  genug  im  Zw^eifel  darüber 
ist,  welchej|Lesart  die  wichtigsten  Handschriften  darbieten.  Herwerden 
gibt  aus  diesem  Grunde  zu  10  Komödien  jene  Lesarten  des  Cod.  R  an, 
welche  Blaydes  in  seinem  Apparate  entweder  überging  oder  unrichtig 
angab.  In  gleicher  Weise  behandelt  er  die  Lesarten  des  Venetus  nach 
Cobets  Kollation,  die  in  der  Universitätsbibliothek  zu  Leyden  aufbe- 
wahrt   wird.     Für  die  Stücke,    welche  in  der  von  Velseu  begründeten 


188     Beriebt  über  die  Literatur  der  griechischen   Komödie.   (Holzinger.) 

Ausgabe  noch  immer  nicht  erschienen  sind,  ist  dies  ohne  Zweifel  ein 
dankenswerter  Behelf.  Die  Texlkollation  des  R  hat  Hervverden  selbst 
„olim"  angefertigt.  — 

K.  Zacher,  Kritisch-grammatische  Pareiga  zu  Aristophanes. 
Leipzig  1899  (SA.  aus  d.  VII.  Supplementbande  d.  Piiilologus). 

Dieses  Werk,  dessen  Behandlung  man  wegen  seines  mannigfaltigen 
Inhaltes  in  dem  allgemeinen  Teile  dieses  Berichtes  erwarten  durfte, 
habe  ich  in  dem  Abschnitte  über  die  Parepigraphae  und  in  dem  Re- 
ferate über  Rutherfords  Ausgabe  der  ßavennasscholien  besprochen. 

Ganz  kuiz  kann  ich  mich  über  das  Buch  Ijzerens  fassen: 

De  vitiis  quibusdam  principum  codicum  Aristophaneorum  scripsit 
J.  van  Ijzeren.     Amsterdam  1899. 

Zacher  hat  dieses  Werk  in  der  Berl.  phil.  Wo.  1901  No.  4  ein- 
gehend besprochen.  Ich  hebe  aus  dieser  Rezension  nur  hervor,  daß 
Ijzeren  gegen  200  Stellen  des  Aristophanes  aus  den  sieben  im  Venetus 
erhaltenen  Stücken  behandelt  und  sie  nach  Kategorien  der  Felilerquellen 
anordnet.  Die  Schrift  bietet  also  eine  Sammlung  von  Beispielen  zu 
einer  Theorie  der  Textkritik,  während  man  nach  dem  Titel  erwartet, 
in  diesem  Buche  Erörterungen  über  die  Eigenart  der  Haupthandschriften 
des  Aristophanes  zu  finden.  — 

W.  Headlam,  Various  conjectures  IL  —  Journal  of  Philology 
XXI,  1893,  p.  75—100.  — 

Auf  S.  81  dieser  Sammlung  von  Konjekturen  wird  Aristoph.  Pac. 
V.  1144  behandelt:  aXX'  a^aus  töjv  cpa^r^Äuiv,  w  -juvai,  xpEt;  yoivixa?. 
Aus  den  in  den  Ausgaben  angegebenen  Schwankungen  der  Lesart  zwischen 
a9aus,  acpauae  und  a^eue  glaubt  Headlam  schließen  zu  sollen,  daß  Aristo- 
phanes einen  Infinitiv  schrieb:  acpau[y£iv,  «(peusiv,  a'faüjai  oder  dcpeusat 
und  beruft  sich  hierfür  auf  Pac.  v.  1153:  wv  hv{Y.'  w  r^ai  ipC  rj[xrv,  Iv 
öe  ööüvat  ~iö  Tcarpt.  Man  sieht  aber  auf  den  ersten  Blick,  daß  dieses  Beispiel 
anders  geartet  ist  und  daß  ein  Infinitiv  statt  a'fotus  in  v.  1144  sowohl 
wegen  des  unmittelbaren  Anschlusses  an  dlXa,  als  auch  wegen  der  im 
V.  1143  vorangehenden  Konstruktion  eixitisiv  eij-oq'  «pssxst  durchaus  nicht 
am  Platze  wäj-e.  Man  muß  im  Gegenteile  a'faue  lesen  und  9pu?ov  inter- 
pretieren, wie  es  die  Scholien  tun.  Um  gei'östete  Bohnen  handelt  es 
sich,  die  zum  Weine  geknuspert  werden  sollen,  nicht  um  abgebrühte 
(a-fsus)  Schoten,  die  als  Gemüse  zu  essen  wären.  Mit  dem  Praesens 
a^aue  vgl.  oTi-ua  z.  B.  bei  Antiphanes  frg.  226,  227  v.  11  Kock.  — 

H.  van  Herwerden,  Studia  Aristophanica.  Mnemos.  NS.  XXIV, 
1896,  p.  266-310. 

In  diesem  Aufsatze  bringt  Herwerden  zahlreiche  textkritische 
Bemerkungen  zu  allen  Komödien   des  Aristophanes.     Am    reichlichsten 


Bericht  über  die  Literatur  der  griecbischen  Komödie.  (Holzioger.)     189 

wird  die  Fiiedenskomödie  mit  Konjekturen  bedacht,  mit  deren  Heraus- 
gabe sich  Herwerdeu  gerade  damals  beschäftigte.  Ich  werde  daher 
diesen  Abschnitt  genau  besprechen.  Es  werden  darin  56  Stellen  der 
Pax  behandelt  und  meistens  neue  Konjekturen  vorgeführt.  Von  diesen 
halte  ich  nur  folgende  für  beachtenswert:  Für  die  Verse  2,  4  und  11 
empfiehlt  Herwerdeu  den  Beistrich  vor  der  Apposition.  In  v.  löO  liest 
er  -ro'j»ö"  l'iM  rovouc  "ovöi,  v.  163  fjixepicüv  st.  fjfxspiviöv,  V.  197  stJtv, 
£-/9£C,  V.  568  a'jTaic  st.  auTcüv,  v.  816  ttqvo'  £opTr,v,  v.  1251  xoivSe  st. 
TtovSc,  1310  err'  St.  £3x\  —  Zweifelhafter  ist  mir  für  v.  870  Herwerdens 
Schreibung  -a'pa  st.  xal,  weil  man  vielleicht  doch  aus  dem  Vorangehen- 
den xaXa  £3Tiv  zu  ocTra^aKavTa  ergänzen  kann.  Zweifelhaft  ist  auch  die 
Versetzung  des  v.  961  hinter  v.  957.  Denn  unter  der  Annahme,  daß 
Trygaios  von  2  Dienern  bedient  werde  und  nicht  bloß  von  einem 
Diener,  sind  alle  Veränderungen  in  der  Stelle  überflüssig.  Zweifelhaft 
ist  auch  in  v.  1114  der  Ersatz  von  -o'.rj(j£t;  durch  x£v  öeiV,?,  weil  man 
dem  Dichter  nicht  die  Wiederholung  desselben  komischen  Elementes 
mehrere  Male  hintereinander  zutrauen  darf.  Es  genügt  Tpr,yuv  ^^Tvov 
zu  wiederholen,  womit  sich  ein  bestimmter  Zweck  verbindet.  Die 
übrigen  Konjekturen  Herwerdcns  in  diesem  der  Pax  gewidmeten  Ab- 
schnitte würde  ich  bestimmt  ablehnen,  z.  B.  in  v.  418  «xe-a  xaüi)'  statt 
xa  |j.£7aT.  Herwerden  -scheint  den  Scholiasten  mißverstanden  zu  haben, 
als  wolle  er  besagen,  daß  es  damals  kleine  Panatbenaeen  noch  nicht  ge- 
geben habe.  Ich  komme  auf  diese  Vermutung,  weil  Herwerden  im  Kom- 
mentare seiner  Ausgabe  sich  für  die  Existenz  kleiner  Panatbenaeen  auf 
]\[enander  und  auf  ,,tituli"  beruft.  Kleine  Panatbenaeen  erwähnt  z.  B. 
Lysias  XXI,  2  ausdrücklich  für  das  Jahr  des  Diokles  (408  v.  Chr.), 
vgl.  A.  Mommsen,  Feste  der  Stadt  Athen  p.  48.  Der  Scholiast  erklärt 
die  Stelle  unrichtig,  wenn  er  meint,  Aristophanes  habe  (X£7dXa  nur  gesagt: 
au^ujv  xTjv  yapiv.  —  Für  V.  427  schlägt  der  Verf.  ei'  i6vx£c  vor  st. 
£iaiovx£;  und  bezieht  sich  für  £la  auf  7  Stelleu  des  Aristophanes.  Aber 
gerade  diese  Stellen  lehren,  daß  dXX'  £ta  nicht  so  weit  voneinander 
getrennt  werden  kann,  als  dies  Herwerdens  Konjektur  voraussetzt.  Da 
in  dem  aWri  gewissermaßen  ein  Anstoß  zu  etwas  Neuem  ausgedrückt 
ist  und  in  £ia  ebenfalls,  ist  es  begreiflich,  daß  der  Dichter  a.)X  £la  ueben- 
einandersetzt,  wenn  er  sich  beider  Wörter  bedient.  Die  Konjektur  ver- 
folgt natürlich  nur  den  Zweck,  das  mißliebige  £icnovx£c  wegzuschaffen, 
weil  man  es  nicht  verstehen  zu  können  behauptet.  Aber  gerade  dieses 
£iaiovx£;  ist  für  die  richtige  Vorstellung  der  Bühnenverhältnisse  sehr 
wichtig.  Die  Choreuten  müssen  sich  vom  Tanzplatze  des  Chores  auf 
den  Standort  der  Schauspieler,  also  auf  den  Platz  et:!  ctxyiv^,  der  zwischen 
den  Paraskenien  liegt  und  mit  einem  Dache  gedeckt  ist,  begeben  und 
von    dort    in   die  Tür  des  Skenengebäudes  eintreten.     Es  handelt  sich 


]  90     Beiiclit  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Ilolzinger.) 

darum,  einen  Koloß  aufzurichten,  der  vom  Schnürboden  aus  au  Seileu 
j^elenkt  wird.  Die  wirkliche  Arbeit  leistet  eine  Maschinerie.  Die 
Choreuten  arbeiten  nur  zum  Scheine  mit,  markiren  nur  ihre  Kraftan- 
strenguug-  und  sind  dabei  in  der  Nähe  der  Tür  gruppiert,  die  meisten 
außerhalb,  einige  auch  innerhalb.  Eine  so  wichtiRe  Stelle  darf  man 
weder  durch  schlechte  Erklärung,  noch  durch  eine  Textveränderung 
wegräumen  wollen.  —  In  den  Versen  989  —  990  schreibt  Herwerden: 
oV  ooü  6(-/a  xot'i  rA-A  Itt)  |  Tpuy6\).z^'  rfiri  statt  des  überlieferten:  ol'  aou 
TpuxoixsvT  rfiri  \  xpi'a  y.al  oix  exT).  —  Offenbar  rechnet  Aristophanes  von 
den  Dionysien  432  bis  zu  den  Dionysien  421  zwölf  ganze  Jahre.  Da 
nun  an  den  Dionysien  421  der  Friede  noch  nicht  geschlossen  war, 
rechnet  er  noch  die  nächste  Zeit  hinzu,  also  ein  dreizehntes  Jahr.  Er 
kann  gar  nicht  anders  geschrieben  haben  als  xpia  xoti  oe'-a  l'xr).  Hätte 
er  z.  B.  ouo  xai  oe'z  exr]  gesetzt,  würde  niemand  ouo  absichtlich  in  xpia 
umgeändert  haben.  —  Bei  einer  genauea  Vergleichung  aller  Einzelheiten 
dieser  Abhandlung  mit  der  Ausgabe  und  dem  Kommentar  zur  EipiQVYj 
desselben  Verfassers  ergibt  sich,  daß  Herwerden  nui-  wenige  seiner  Kon- 
jekturen in  den  Text  setzte  und  manche  ganz  zurückzog.  Jedenfalls 
wird  man  durch  seine  Vermutungen,  auch  wo  sie  nicht  zutreffen,  auf 
Schwierigkeiten  aufmerksam,  die  der  Text  darbietet.  —  Zu  den  , .Fröschen" 
teilt  Herwerden  13  Konjekturen  mit.  Zwei  davon  muß  ich  billigen: 
die  Athetese  des  v.  780  und  die  Schreibung:  ttsivtjv  os  xo  östTcvetv  in 
V.  1478.  —  Die  Konjekturen  zu  den  übrigen  Stücken  zu  besprechen, 
ist  mir  leider  durch  den  Mangel  au  Raum  verwehrt.  — 

T.    H  alber  tsmae    Adversaria    critica,    edidit    van    Her  werden. 
Leidae  1896. 

Ich  habe  diesen  Band  in  der  Wo.  f.  kl.  Phil.  1896.  No.  19, 
Sp,  505  —  508  ausführlich  in  seinem  dem  Homer  und  dem  Hesiod  ge- 
widmeten Teile  gekennzeichnet.  Für  diesen  Jahresbericht  kämen  p.  53 
— 68  mit  54  Konjekturen  zu  Aristophanes'  Ach.,  Equ.,  Vesp.,  Av., 
Lys.,  Thesm.,  Ran.,  Plut.  und  10  Bemerkungen  zu  den  frag.  com.  in 
Betracht.  Indessen  ist  die  Auslese  dessen,  was  nach  methodischer  Kritik 
von  diesen  rasch  hingeworfenen  und  zumeist  nur  kurz  angedeuteten  oder 
auch  gar  nicht  begründeten  Einfällen  übrig  bleibt,  sehr  unbedeutend. 
Der  Herausgeber  selbst  hat  in  seinen  Fußnoten  ein  böses  Beispiel  ge- 
geben, indem  er  dort  nicht  wenige  der  im  Text  gebrachten  Vermutungen 
seines  verstorbenen  Freundes  sachte  ablehnt.  — 

F.  Corazzini,  La  Marina  in  Aristofane.     Torino  1898. 

Diese  Abhandlung  bildet  Appendice  I.  in  Corazzinis  Storia  della 
Marina  railitare  e  commerciale  tom.  II,  parte  II,  p.  291—332.  —  Sie 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     191 

enthält  eine  Sammlung  von  Stellen  aus  neun  Komödien  des  Aristophanes 
(es  entfielen  die  Wolken  und  die  Ekklesiazasen),  in  denen  irgend  ein 
dem  Seewesen  entlehnter  Ausdruck  verwendet  wird.  Corazzini  nimmt 
hierbei  aber  keine  Rücksicht  auf  die  gelehite  Aristophanesliteratur 
des  letzten  Jahrhunderts  außerhalb  Italiens  und  begnügt  sich  auch  gegen- 
über der  Leistung  seiner  eigenen  Landsleute  damit,  einzelne  Übersetzer 
wegen  gelegentlicher  nicht  ganz  genauer  Übertragungen  derartiger  ter- 
mini  technici  anzugreifen  und  wie  Unwissende  zu  behandeln.  In  dieser 
Weise  findet  mau  t^bersetzungen  von  Castellani,  Alfieri,  Franchetti  und 
Capellina  erwähnt  und  außer  ilinen  nur  noch  Brunck.  Dieser  Mangel 
an  Apparat  bringt  es  mit  sich,  daß  auch  dort,  wo  Corazzini  gegenüber 
einem  der  genannten  Übersetzer  im  Rechte  ist,  dennoch  für  die  Wissen- 
schaft selbst  nichts  abfällt,  da  er  nichts  Neues  bietet.  Als  Beispiel 
wähle  ich  die  Behandlung  von  Kan.  180:  wott,  iiapaßaXou.  „Aleuno  (!) 
annota:  oop!  e  la  voce  allora  usata  nelle  barche  a  piü  rematori  per 
regolare  11  ritmo  uniforme  e  concorde  nel  navigare  (Keleusma)."  Dieser 
„Alcuno"  betrachtet  also  unrichtigerweise  Cook  als  ein  xeXeujjxa,  welches 
verwendet  werde,  um  die  Gleichförmigkeit  des  Taktes  im  Rudern  herbei- 
zuführen. Corazzini  hat  aber  diesen  „Alcuuo"  nicht  verstanden;  denn 
er  setzt  ihm  folgende  Bemerkung  entgegen:  Non  direi  che  questa  voce 
fosse  allora  usata  nelle  barche  a  pih  rematori  a  regolare  il  ritmo,  ossia 
le  canzoni,  ossia  il  celeusma.  Come  poteva  regolarsi  una  canzone  con 
la  voce  oop?  Als  hätte  der  „Aleuno"  vom  Rhythmus  des  Gesanges 
gesprochen!  Schließlich  findet  C,  daß  wo-  „stop"  heißt,  was  man 
schon  längst  weiß.  Unberechtigt  ist  auch  der  Tadel  gegenüber  Fran- 
chettis  Übersetzung  von  Raii.  1220:  u'^soilat  (xot  ooxsi.  „Ammaina". 
Gerade  dieser  italienische  Terminus  entspricht  dem  griechischen  G'^Esöat 
viel  genauer  als  Corazzinis  serrare  le  vele.  —  Zu  Ran.  v.  121 
wird  Castellani  wegen  der  Bemerkung  getadelt,  daß  dpavtoü  nicht  bloß 
den  Schemel,  sondern  auch  die  Ruderbank  bezeichnen  könne.  Corazzini 
meint,  letzteres  müßte  f)pavos,  aber  niclit  Opaviov  heißen.  „Sfuggi  l'iota 
al  bravo  Castellani."  Aber  Passow,  Pape  u.  s.  w.  geben  PoUux  I,  94 
für  öpaviov  ^  Ruderbank  an.  — 

W.  Passow,  De  Aristophane  defendendo  contra  invasionem 
Euripideam,  Pars  prior:  de  terminis  parodiae.  —  Pars  altera:  de 
fide  scholiornm.  —  Hirschberg  i.  Schi.   1897,  1898. 

In  obigem  nicht  ohne  weiteres  verständlichen  Titel  verbirgt  sich 
die  Absicht  des  Verfassers,  nachzuweisen,  daß  sowohl  von  den  alten, 
als  auch  von  neueren  Erkläreru  des  Aristophanes  ziemlich  viele  Verse 
des  Dichters  ohne  genügenden  Grund  als  Eigentum  des  Euripides  und 
bei  dem  Komiker    als  Euripidesparodie    aufgefaßt  würden.     Bei  dieser 


1 92     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger.J 

kritischen  Prüfung-  der  von  manchen  neueren  Gelehrten  oder  auch  schon 
von  den  Scholiasten  und  ihren  Quellen  ansicnommenen  Enripidesparodien 
ist  Pas?;ow  ohne  Zweifel  in  vielen  Einzelheiten  im  Rechte.  So  lehnt  er 
z.  B.  Zielinskis  verunglückten  Einfall  ab,  daß  Ar.  Equ.  80:  aXXot  !Ty.6::ei, 
ortüj;  av  a:to»)av(Da£v  avopr/.cuTata  eine  Parodie  von  Eur.  Hei.  841  sei: 
TzZi  ouv  Oavou(i,e&'  tusis  xal  oorav  Xct^-ierv.  Vgl.  Zielinski,  Gliederung  d. 
a.  K.  S.  97  und  Passow  a.  a.  0.  I.  S.  6.  Neben  anderem  fällt  auch 
auf  Nauck  der  Vorwurf,  in  seiner  Liste  der  frag,  adesp.  42 — 63 
(TGF.  p.  847  if.)  zu  weit  gegangen  ^u  sein.  Bei  dieser  Verweisung 
vieler  sog-.  Parodien  unter  die  Pseudoparodien  sucht  Passow  auch  die 
Grenzen  beider  Gattungen  sowohl  durch  theoretische  Erörterungen,  als 
durch  Beispiele,  die  der  deutschen  Literatur  entnommen  sind,  möglichst 
genau  zu  bestimmen.  So  erklärt  sich  also  auch  der  Titel:  De  terminis 
parodiae.  —  In  der  zweiten  Abhandluag,  die  mit  der  erstgenannten  im 
engsten  Zusammenhange  steht,  prüft  Passow  die  Glaubwürdigkeit  der 
Scholiasten  bei  ihren  Angaben  über  das  ■n'xpa-p'X'jiooth  bei  Aristophanes. 
Daß  diese  Prüfung  nicht  zu  Gunsten  der  Scholiasten  ausfallen  werde, 
weiß  der  Leser  schon  nach  der  Lektüre  des  ersten  Teiles  der  Abhand- 
lung. Auch  in  diesem  zweiten  Abschnitte  der  Aibeit  findet  man  viel 
Richtiges.  Nur  sollte  man  nicht  vergessen,  daß  wir  trotz  aller  Skepsis, 
mit  der  wir  die  Behauptungen  der  Scholiasten  stets  zu  prüfen  haben, 
ihnen  gleichwohl  zu  unauslöschlichem  Danke  verpflichtet  sind.  —  Im 
übrigen  verweise  ich  auf  0.  Kaehlers  Rezension  in  der  Berl.  ph.  Wo. 
1900,  No.  16,  Sp.  481—485.  — 

J.  Vahleu,  [QuaestionesAristophaueae].  Ind.  lect.hib.  Berol.  1898. 

Vahlen  geht  in  dieser  Abhandlung  zunächst  S.  1 — 8  vom  aristo- 
phanischen Spracligebrauche  aus,  um  einige  Athetesen  im  Piatontexte  als 
ungerechtfertigt  zu  bezeichnen.  So  wie  man  Platou  häuög  auf  einen 
knappereu  Text  zu  reduzieren  und  mauche  Weitschweifigkeit  seines  Stils 
zu  beschneiden  mit  Unrecht  unternommen  hatte,  so  ist  dies  auch  häufig 
genug  dem  Aristophanes  ergangen.  Indem  nun  Vahlen  auf  den  Komiker 
übergeht,  weist  er  in  seiner  sorgfältigen  und  zwingenden  Art  nach,  daß 
folgende  als  Glosseme  behandelte  Stellen  des  Dichters  heil  und  richtig 
sind:  in  Equ.  v.  913:  avaXicxovTa  tcuv  ac/.'jzoZ,  Lj^sistr.  975:  xai  rpr,3Trjpi 
$u(jTp£(}^a?  y.at,  Thesmoph.  61:  xal  aujxps'^^a^,  Ean.  204:  «Tisipo?,  wozu 
natürlich  xoü  iXauvöiv  zu  denken  ist  und  nicht :  -r^  i>aXa-r/);,  schließlich 
in  Ran.   1086:  eiazaxcuvTwv  xov  ö'^ixov  cxsi.  — 

W.    J.    M.    Starkie ,     Emendations.    —    Hermathcna,     vol.    X, 
No.  XXIV,  1898,  S.  246—247. 

Für  Acharn.  1091  schlägt  Starkie  opvi'öcuv  ^aXa  vor,  statt  des 
überlieferten  ai  uopvat  napa  und  für  v.  1093:  op-/TiaTpiöe?  o    cd  „<&iXTa&' 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger.)     193 

'Ap(J.oote',  '/.rt-Xii,  statt;  op-/r,3rpiO£;,  zb.  ^O.TOtf)'  'Ap[xootou  xaXai.  Schließ- 
lich wird  türEqu.  816:  [xsj-fjv  rupJiv-eTriyeiXrj,  empfohlen.  Hier  wäre 
wenigstens  der  Gedanke  ansprechend,  daß  Themistokles  durch  die  Be- 
gründung der  athenischen  Seemacht  auch  zur  reichlichen  Einfuhr  von 
Getreide  nach  Athen  die  Veranlassung  gab.  Die  schwächste  dieser  drei 
Vermutungen  ist  die  zu  Acharn.  1091  gegebene. 

ß.  Steiner,  Aristophanes.  —  Magazin  für  Literatur  LXVIII, 
1899,  Sp.  127—129. 

Steiner,  der  bekannte  Herausgeber  des  genannten  Blattes,  knüpft 
in  seinem  Artikel  über  Aristophanes  an  die  in  Berlin  veranstalteten 
^Historisch-modernen  Festspiele*  an,  die  auch  eine  Aufführung  der 
„Vögel-  und  des  , Weiberstaates "  brachten.  Dei- Hauptsache  nach  be- 
schäftigt sich  dieser  Aufsatz  mit  der  Tendenz  der  „Vögel".  Peithetairos, 
der  am  Schlüsse  der  Aristophanischen  Dichtung  mit  den  Blitzen  des 
Zeus  auftrete,  sei  nicht  ernsthaft  zu  nehmen.  Aus  dem  Geiste  des 
Aristophanes  heraus  könne  dieser  , Übermensch"  nicht  im  Sinne 
Friedrich  Nietzsches,  sondern  „nicht  anders  aufgefaßt  werden  wie  der 
Frosch,  der  sich  aufblasen  will,  bis  er  so  groß  wie  ein  Ochse  ist.  Ein 
Bild  unwiderstehlicher  Komik  soll  dieser  Mensch  sein,  unglaublich 
lächerlich  dadurch,  daß  er,  der  Knirps,  mit  den  Attributen  des  großen 
(iottes  vor  uns  stehf.  „Aristophanes  wollte  wohl  nur  den  kleineu 
Menschen  zeichnen,  der  sich  hinstellt  und  meint,  ein  Gott  zu  sein." 
Diesen  Gedanken,  der  die  Billigung  der  Philologen  schweilich  finden 
dürfte,  sucht  nun  der  Verfasser  durch  einen  Hinweis  auf  die  politischen 
Zeitverhältnisse  des  Stückes  seinen  Lesern  etwas  näher  zu  bringen. 
Die  Brücke  zwischen  der  Behandlung  der  Aves  und  einigen  Bemerkungen 
über  die  Ekklesiazusen  bildet  der  Satz:  „das  Geheimnis  der  Komik  liegt 
darin,  daß  ein  vollständiger  Widerspi'uch  als  wirklich  vor  uns  auftritt." 
So  kann  denn  der  Verfasser  fortfalnen  mit  den  Worten-  „Nach  dem- 
selben Rezept  ist  der  Weiberstaat  gearbeitet."  Das  Ideal  des  mensch- 
lichen Zusaminenlebens,  von  der  Gütergemeinschaft  bis  zur  freien  Liebe, 
werde  als  wirklich  vorgeführt  und  dadurch  „soll  es  sich  selbst  lächerlich 
machen".  —  Die  Ekklesiazusen  mit  einigen  Strichen  als  ein  Thesenstück 
hinzustellen,  kann  allerdings  nicht  schwer  fallen.  Aber  diese  Komödie 
mit  den  „Vögeln*  auf  einen  Leisten  zu  schlagen,  geht  denn  doch  nicht 
an,  da  es  Tj'pen  verschiedener  Gattungen  sind,  deren  Wesen  besser 
durch  die  Hervorhebung  der  Unähnlichkeiten  begriffen  würde.  — 

B.  Lakou,  KpiTiy.a  y.al  £p|j.r,v£UT'.y.a  eJ;  xou;  "EX^rivac  opaixa-txouj. 
'AÖTiva,  tom.  XII,  1900,  p.  385—446. 

Der    Aufsatz    bescliäftigt    sich    vorwiegend    mit  Euripides.     Nur 
zum  Schlüsse  bringt  der  Verf.    5  Vermutungen  zu  Aristophanes.     Be- 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVl.    (1903.  I.)  13 


194     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger. 

acbtecswert  ist  seine  Behaudluue  von  Vesp.  1215:  öpocf.v  {^iazj.:.  xps- 
xao-;  2OX?,;  iSauaajov.  Anch  die  nenereii  Herausgeber  van  Leeuweu, 
Blaydes,  Green.  Starkie,  Alerry  wissen  mit  den  xpsxao-'  auXfjC  nichts 
Eechtes  auzuiaugen.  Gegen  eine  beilere  Darstellung  von  Vögeln  in 
einem  Speisezimmer,  seien  dieselben  in  einen  Vorbang  eingewebt  oder 
nur  aufgemalt,  spricht  m.  E.  vor  allem  das  Wort  /.oixao'.ov  selbst,  da 
doch  der  Vogel  xoi-  als  rnglücksvogel  galt.  Lakou  hat  dies  nicht 
hervorgehoben  nnd  scheint  überhaupt  nur  Kontos  und  die  Scholiasten 
zu  berücksichtigen.  Aber  seine  Konjektur  xpoxaXi'  äOat^?  dürfte  ein 
Treffer  sein.  Er  erklärt  xpo/.aX;a  als  6^90'..  indem  er  hinzufügt:  3uvt,9£j 
x67}tT,u.a  Tiüv  ajXtüv  T;jav  'yr,9tü-::c'  -aparräiE'C.  ojx  0X1711  [A^'/P'-»  ^|iüiv 
rsptsiüösiaai.  Eher  würde  ich  an  einen  Mosaikboden  aus  Kieselsteinen 
denken.  Znr  Auempiebhmg  der  neuen  Lesart  in  diesem  Sinne  weise 
ich  auf  Av.  175  hin,  wo  der  Epops  ebenfalls  bald  hinauf,  bald  hinab- 
blicken  soll,  oposr,  und  xpoxaX-.a  stehen  m.  E.  in  einem  örtlichen  Gegen- 
sat2e.  durch  den  die  Stelle  sehr  gewinnt.  — 

Mit  Recht  weist  Lakon  auch  bei  Vesp.  129:  6  0'  üj-nspsl  xoXo-.o? 
ajTtp  -Ol— aXo-j^  j  i'/sxpousv  i?  tov  toi/ov,  e-r'  sir/.Xsto  darauf  hin,  dali 
sich  die  Dohle  nicht  selbst  die  Pflöcke  einschlägt,  wie  dies  Philokleou 
tat.  Daii  sich  die  Erklärer  mit  £;riXX£-:o  als  Verbuni  zu  xoXoio;  behelfeu, 
ist  wirklich  kaum  zu  billigen.  Aber  die  Heilung,  die  Lakon  vorschlägt, 
6  0'  S)z-to  zl:  xoXo'öv  xtX.  wird  schwerlich  Beifall  finden.  —  Die  übrigen 
Bemerkungen  sind  abzulehnen.  Ach.  255  —  256  gibt  der  Verf.  in 
folgender  Gestalt:  .  .  0  j  i'  orussi  xdx  7:oir]j$-:ai  7aXfj?  1  as  [t-r^oh  f^-zov 
}oth,  sniioav  opÖpo^  7^.  Das  ist  ein  Gedanke  Bergks,  der  jedoch  einsah, 
daß  man  dabei  an  dem  ix  scheitert.  Was  soll  hier  bei  Lakon  das 
vom  Verbum  abgetrennte  xax?  In  Av.  v.  62  schreibt  L.:  outiuc  ~'.  osivöv 
ojos  xaXX'.ov  X£7£'.c;  offenbar  ohne  Brnnck  als  Vorgänger  zu  kennen,  der 
wenigstens  sinngemäßer  interpimgierte.  —  Für  Thesm.  289  schlägt  er 
vor:  xal  TOV  ö'j7aTpoc  yoipov  ivopoc  uo:  r-r/th,  ohne  ZU  beachten,  daß 
b'jva-rpoc  bei  Arisioph.  Vesp.  573  ein  Tribrachys  ist  und  da;J  darum 
schon  Scaliger,  Küster,  Bergler,  Brunck,  Bekker,  Bothe,  Weise  nnd 
Dindorf  tov  9'J7aT£po;  yoloo'  billigten,  während  B.eiske  t^?  i^j-ioLziort;  ver- 
langte. Verf.  scheint  nicht  einmal  die  Ausgabe  von  Blaydes  benutzt  zu 
haben,  der  dies  alles  und  noch  mehr  angibt.  — 

H.  Piichardä.  Aristophanica.     Th»^  Classical  Review  XV,   1901, 
p.  352 — 355  und  385 — 391. 

Es  werden  im  ganzen  etwa  40  Stellen  verschiedener  Komödien 
des  Ai'istophanes  besprochen,  zumeist  in  kritischer  Hinsicht.  Bemerkens- 
wert erscheinen  mir  folgende  Vorschläge:  1.  Equ.  599:  lies  u>c  0"  ox 
statt  lo;  Zz\  2.  Equ.  1386:  1.  oj  r.tow.-t'.  St.  orrsp  v.zv.,    3.  Nub.  146; 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     195 

).  a/.o'-o  si.  'I/./.otTo,  wobei  Richards  die  Konjektur  Piccolominis  Xaipe©ü>v 
-öv  ^tuxpaTTiV  anempfiehlt.  Nebenbei  bemerkt  geben  auch  R  und  V 
vloiTo  und  hat  Tenffel  (1863)  diese  La.  in  seinen  Text  gesetzt  und 
Blaydes  schließt  sich  dieser  Schreibung  in  der  adnotatio  an.  4.  Vesp. 
967:  1.  aioo-j  to'jc  Ta^.aizojpoufisvoy;  st.  iXüi  xtX.  Mit  Recht  bezeichnet 
er  i/Av.  als  Glossem,  während  Starkie,  der  die  Äußerungen  des  Verf. 
in  der  Oxf.  philol.  Society  vom  J.  1894  nicht  kannte,  die  Schrittzüge 
von  eXesi  aus  aiooü  ableiten  will.  —  5.  Pac.  479:  1.  svr/ov-at  tw  S-JÄcp 
st.  t'/rjy-ii  TOJ  ;'JXou,  6.  Av.  753:  1.  si  Tic  ujxtuv,  (L  btazii,  ßo-jAETa».  -rif 
r,[i.£paj  I  0'.a-Xr/.£tv  ^«Zv  tjoeü);  to  Xoi-ov,  u>;  V}i5;  itüj  St.  ei  jxst"  opviöiov 
-:-.;  ufiüjv,  w  öeaxai,  ßouXETü'.  -/.tX.  7.  Ran.  905:  Richards  erklärt  eixova; 
als  Gleichnisse,  Yergleichungen  (nicht:  Metaphern)  unter  Hinweis  auf 
Vesp.  1308  ff.  —  8.  Ran.  950:  1.  r^  otrrJJ-r^^  st.  yCo  oe^-ott^c.  —  Die 
übrigen  Verbesserungsvorschläge  sind  zum  Teile  sehr  zweifelhaft,  zum 
Teile  sicher  unrichtig.  Ich  will  nur  einige  Proben  anführen.  Richards 
schreibt  Ach.  318:  urep  £-i;r,voü  '8£Xt,3ü>  -ov  rspl  'i''J'/7;;  opaasiv 
(st.  TTjV  xssaXrjv  lytov  Xr/siv).  Den  Daktylus  hat  schon  Wilamowitz 
(Isyll.  p.  8)  gegen  Porson  mit  Recht  verteidigt.  Alb.  ilüUers  Ansicht, 
daß  zwischen  v.  317  und  318  eine  Aposiopese  stattfindet,  die  Richards 
nur  aus  van  Leeuwens  Ausgabe  kennt,  ist  zu  künstlich,  um  richtig  zu 
sein.  Es  ist  nichts  zu.  ändern.  Ach.  410  Richards  erklärt  c/vaSaor^v 
durch  „with  the  legs  up".  Dies  hatte  aber  Blaydes  schon  im  J.  1Ö45 
in  seiner  ersten  Ausgabe  beantragt,  und  in  der  neueren  Ausgabe  führt 
er  diese  Auffassung  schon  auf  den  alten  Frischlinns  zurück.  Daß  diese 
Erklärung  des  avaßaor^v  unrichtig  ist,  beweisen  die  Worte  des  Euripides: 
xa-oSaivEiv  o"  oO  j/oXt,.  Für  Ran.  814—829  empfiehlt  Richards  eine 
neue  Versfolge,  zum  Teile  nach  Dobree,  nämlich  814 — 817,  822—825, 
826—829,  818—821.  Die  überlieferte  Versfolge  schildert  die  abwechs- 
lungsreichen Phasen  des  hin  und  her  wogenden  Kampfes  in  prächtiger 
Weise  und  Uian  sollte  sie  nicht  verunstalten.  Das  Gleiche  gilt  von  Eqn. 
15—18.  Der  Verf.  gibt  15  dem  OIK.  A  und  darauf  17,  18,  16  dem 
OIK.  B.    Schon  diese  rngleichheit  der  Verteilung  spricht  gegen  sie.  — 

Th.    Zielinski,    „Marginalien    I."    —    Philologus    LX.    1901, 
S.   1—16. 

Aus  diesen  vermischten  Bemerkungen  bezieht  sich  p.  5—6  auf 
Ran.  302  und  Lysistr.  833  fi'.  Mit  A.  Sonny  (in  der  russ.  philol. 
Rundsch.  IV,  1,  190)  erblickt  Zielinski  in  den  Worten  Ran.  302:  •.'&' 
-/■-ep  spyT)  ■  osypo,  ^süp',  ^  dizno-a  eine  an  die  Empuse  gerichtete  Bann- 
formel. Hieraus  fällt  nach  Zielinskis  Ansicht  ein  helles  Licht  auf  Ly- 
Sistrat.  833—34:  w  zoTvia  Ky-pou  xal  K-j&V.oiüv  xal  Ha^ou  |  [ieösouj', 
•Tt'  opöV   v'-sp  äpy.si  rr^v  66ov.    Der  Scholiast  bezog  den  zweiten  Vers 


196     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Hoizinger.) 

auf  Aphrodite.  Man  muß  ihn  jedoch  mit  Zieliuski  als  an  Kiuesias  ge- 
richtet betrachten.  Lysistrata  will  den  Kinesias  „durch  die  Bauuformel 
als  Ungeheuer  kennzeichnen,  wobei  das  eingeflochtene  zweideutige  (3p9r)v 
die  Parodie  markiert".  — 

In  ebendemselben  Aufsatze  S.  11  beschäftigt  sich  Zielinski  mit 
Vesp.  578:  T:aiou>v  xot'vuv  öoxtixaCofxe'vtov  xatooia  Trapesrt  deaaöai.  Er  be- 
handelt die  Frage,  in  welchem  Falle  gerade  die  Heliasten  dazu  berufen 
waren,  eine  Inspektion  der  aioota  bei  den  Knaben  vorzunehmen.  Bei 
der  Erörterung  dieser  Frage  hatte  sich  schon  van  Leeuwen  im  Kom- 
mentar zur  Stelle  auf  Aristot.  de  ßep.  Ath.  42  bezogen.  Ausführlicher 
erörtert  Zielinski  diesen  Gegenstand.  Bei  der  Eintragung  der  Knaben 
in  die  Bürgerrollen  hatten  die  Demoten  darüber  abzustimmen,  ei  öoxoüji 
-fs^ovevai  tyjv  TjXixiav  tyjv  ex  toü  vojxou.  Wenn  nun  die  Demoten  die 
Altersreife  eines  Knaben  bezweifelten  und  seine  Eintragung  ablehnten, 
stand  den  Vertretern  des  Knaben  die  Appellation  gegen  dieses  Urteil 
an  die  Heliaia  frei.  Dieser  Punkt  ist  in  dem  jetzigen  Texte  der 
'A^TQvatwv  TCoXiTsi'a  nicht  ausgeführt.  Daß  aber  hiervon  bei  Aristoteles 
die  Rede  war,  erschließt  Zielinski  aus  dem  jjlev  (av  [ih  a-o'|^.)  im 
jetzigen  cap.  42.  In  diese  Lücke  tritt  nun  nach  Zielinskis  Ausführungen 
die  Stelle  des  Aristophanes  ein.  —  Insofern  Zielinski  hiermit  eine  Text- 
lücke in  Aristot.  Ath.  polit.  c.  42  andeutet,  könnte  ich  nicht  bei- 
stimmen. Man  vgl.  van  Leeuwens  Anmerkung  im  Kommentar  zu  Aristot. 
Ath.  polit.  42.  col.  21  1.  5  ff.,  vvo  er  sich  auf  Lipsius,  Verh.  der  Sachs. 
Ges.  1891,  p.  63  bezieht.  — 

U.  von  "Wilamowitz-Moellendorff,  Über  die  Aufführbarkeit 
der  aristophanischen  Komödie.  —  Das  literarische  Echo.  I.  Jahrg. 
1898— 1899,  S.  538-540.  — 

Anläßlich  der  Aufführung  zweier  Stücke  des  Aristophanes  in 
Berlin  am  29.  Januar  1899  wurde  v.  Wilamowitz  von  der  Redaktion 
des  literarischen  Echo  befragt,  wie  er  ,,über  die  Aufführbarkeit  des 
Aristophanes  auf  der  modernen  Bühne  dächte".  Der  Verfasser  zeigt 
nun  zunächst,  daß  es  ,, unmöglich  ist,  die  Komödie  auch  nur  von  fern 
so  zur  Darstellung  und  dementsprechend  zur  Wirkung  zu  bringen,  wie 
es  der  Dichter  getan  hat".  Gründe:  1.  Das  unanständige  Kostüm  und 
die  Zote.  2.  Unmöglichkeit,  die  Musik  und  den  Tanz  der  Lieder  nach- 
zubilden. 3.  Auch  inhaltlich  können  manche  Lieder,  z.  B.  der  Para- 
base,  die  altbekannte  Kultgesänge  waren  oder  an  solche  erinnerten,  auf 
das  moderne  Publikum  nicht  in  gleicher  Art  wirken.  4.  Politische  und 
persönliche  Anspielungen  sind  verblaßt.  —  So  weit  wird  man  die  vom 
Verf.  vorgetragenen  Ansichten  gerne  unterschreiben.  —  Im  zweiten 
Teile    des  Aufsatzes    wird    der  Gedanke  erörtert,    daß  es  sich  bei  der 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.   (Ilolzinger.)     197 

Übersetzung:  und  der  dramatischen  Aufführung  eines  alten  Bühnen- 
werkes, sei  es  nun  Tragödie  oder  Komödie,  nicht  um  die  „sogenannte 
Treue"  und  nicht  um  eine  „antiquarische  Lektion",  sondern  vielmehr 
um  die  , .Erneuerung"  der  antiken  Dramen  liandle.  Man  habe  nicht 
,,die  Aufführung  der  Antigene  vom  Jahre  so  und  so  viel  v.  Chr.  zu 
imitieren",  sondern  mau  habe  „die  Antigone  zu  spielen".  Diese  Auf- 
fassung, die  auf  dem  Gebiete  der  Tragödie  bereits  allgemein  bekanut 
geworden  ist,  bringt  v.  Wilamowitz  nun  auch  der  ,, Erneuerung"  der 
Aristoplianischen  Komödie  entgegen.  Nur  äulJert  er  sich  bezüoflich  der 
Durchführbarkeit  dieses  Gedankens  nicht  mit  Entschiedenheit,  weder 
ablehnend,  noch  auch  eigentlich  aufmunternd.  —  Der  zweite  Teil  des 
Aufsatzes  bewegt  sich,  wie  man  sieht,  auf  dem  Gebiete  subjektiver  An- 
schauungen, denen  sich  nicht  jedermann  anschließen  wird.  Hier  hören 
natürlich  auch  die  Beweisführungen  de=!  Verfassers  auf,  mag  er  auch 
einzelnes  noch  so  kräftig  versichern,  wie  z.  B.  in  dem  Satze:  .,Aristo- 
phancs  wiid  durch  die  Einführung  des  doppelten  Spielplatzes  für  Schau- 
spieler und  Tänzer  ganz  unsinnig."  Ausnahmen  pflegen  doch  sonst 
nur  die  Regel  zu  bestätigen.  — 

P.  de  Saint- Victor,    Die    beiden  Masken,    Tragödie-Komödie. 
Übers,  von  Carmen  Sylva.     3  Bände.     Berlin  1899—1900.  — 

Das  in  Frankreich  angesehene  Werk  Les  deux  Masques,  Tragedie- 
Cora^die,  1880—1884,  Paris,  Calman  L6vy,  behandelt  den  Aristophanes 
im  II.  Bande  S.  353  —  525.  Zuerst  bringt  Saint-Victor  einen  Abschnitt 
„Origines  de  la  Comedie",  in  welchem  natürlich  unter  großem  Auf- 
wände an  Metaphern  und  anderen  Geistesblitzen  wenig  wirkliches  Wissen 
gelehrt  wird.  Dann  werden  sowohl  der  Dichter  selbst  als  auch  seine 
Stücke  mit  einzelnen  Abschnitten  bedacht  und  zwar  in  einer  Abfolge, 
für  die  der  Verfasser  keine  Erklärung  gibt.  Die  Lysistrata  kommt  vor 
den  Rittern,  die  Ekklesiazusen  vor  den  Fröschen.  Daß  die  «Vögel" 
zuletzt  behandelt  werden,  hat  wohl  seinen  Grund  darin,  daß  dieser 
Komödie  wegen  des  in  ihr  besonders  hervortretenden  phantastischen 
Zuges  auch  ein  besonderer  Platz  eingeräumt  werden  soll.  Hingegen 
wurden  die  „Wespen"  keines  Abschnittes  gewürdigt.  —  Die  gekrönte 
Übersetzerin  hat  das  Werk  Saint- Victors  sehr  genau  übertragen.  Dabei 
liest  sich  aber  die  Übersetzung  im  ganzen  leicht  und  flüssig,  und  nur 
selten  stutzt  man  über  eine  sonderbare  Wendung,  zu  deren  Erklärung 
mau  sich  das  Original  herbeiwünscht.  Nur  um  zu  zeigen,  was  ich 
meine,  führe  ich  z.  B.  aus  dem  Abschnitte  über  die  Lysistrata  S.  371 
des  IL  Bandes  den  Ausdruck  „schlechtgehobelte  Phallophorie"  an. 
Saint-Victor  sagt  II  S.  393:  la  comedie  .  .  a'etait  encore,  au  temps 
d'Aristophane,  qu'une  phallophorie  degrossie.    An  anderen  Stellen,  z.  B. 


198     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.   (Holzinger.) 

S.  332.  ,.Einzug  der  Komödie  in  die  Städte.  —  Athen  hobelt  und  bildet 
sie"  fällt  der  gleiche  Ausdruck  weniger  auf.  —  Der  Übersetzung  ist 
folgende  Widmung  voraufgeschickt:  „Meinem  Jugendfreunde  Professor 
Dr.  Heinrich  Geizer  gewidmet  in  Erinnerung  an  unsere  Ferienwande- 
rungen im  klassischen  Altertum."  — 

J.  Bertheroy,  Äristophane  et  Moliere.  Paris  1897, 
Es  ist  dies  nicht  eine  literargeschichtliche  Parallele  zwischen  den 
beiden  Meistern  der  Komödie,  sondern  ein  „ä  propos  en  un  acte  en 
vers,  represente  ä  la  Comedie  Eiancaise  le  15.  janvier  1897"  bei  Ge- 
legenheit des  275.  Gedenktages  der  Geburt  Molieres.  Die  beiden  großen 
Geister  begegnen  sich  im  Anblicke  der  Stadt  Paris  und  tauschen  ihre 
Meinungen  über  den  Fortschritt  der  Menschheit  aus.  Aristophanes 
spricht  als  Pessimist,  Moliere  hat  die  angenehmere  Rolle  des  Optimisten 
und  erhält  darum  für  seine  freundlich  klingenden  Tiraden  von  der 
plötzlich  in  Mlle.  Moreno  personitiziert  auftretenden  Humanite  einen 
Kuß  auf  die  Stirne.  Hierauf  fällt  der  Vorhang.  —  Der  Umstand,  daß 
Bertheroys  Aristophanes  bei  seinem  Auftreten  den  Montmartre  für 
seinen  heimatlichen  Parnes  hält,  läßt  vermuten,  daß  der  Herr  Verfasser 
sich  in  Paris  besser  auskennt  als  in  Attika.  Sonst  hätte  er  wohl  auch 
lieber  den  Schatten  des  Menandros  aus  der  Unterwelt  heraufbeschworen 
als  den  allzu  unähnlichen  Aristophanes.  Aber  der  Name  Menanders 
schlägt  vielleicht  in  ein  französisches  Theaterpublikum  zu  wenig  ein. 

Aristophanes  at  Oxford.  0.  W.  by  Y.  T,  0.  —  Oxford  1894. 
Das  Büchlein  enthält  nicht,  wie  man  nach  dem  Titel  meinen 
könnte,  einen  kritischen  Aufsatz  über  die  Art  und  Weise,  in  welcher 
Aristophanes  in  den  Oxforder  Colleges  behandelt  wird,  sondern  eine 
als  „aristophanisch"  bezeichnete  Posse,  als  deren  „Dramatis  personae" 
angegeben  werden:  The  Hon.  Algernon  Amherst  und  William  Robinson, 
Esq.,  of  Maudlin  College,  Socrates,  Thucydides,  Aristotle,  ancient  phi- 
losophers, Oscar  Wilde,  a  modern  philosopher,  The  Proctor,  Charon, 
Chorus  of  Ladies  und  Uudergraduates  u.  s.  w.  In  dem  Vorworte  wird 
versichert,  daß  Oscar  Wilde  nur  eine  Schöpfung  der  Phantasie  sei. 
Deutschfreundlich  ist  der  anouyme  Autor  nicht  gesinnt.  Auf  ein  ein- 
gestreutes „potz  Blitz-',  „Dreitausend  Teufel"  läßt  der  Autor  den  So- 
krates  antworten:  I  beg  your  pardon,  sir,  We  have  no  knowledge  of 
barbarJan  tongues;  so  would  you  mind  repeaiing  your  remarks  in  decent 
Attic  or  at  least  in  Euglish?  Also  das  Deutsche  ist  barbarisch,  das 
Englische  aber  nicht.  Dies  ist  wohl  der  beste  Scherz  in  dem  ganzen 
Büchlein    — 

In  der  Sammlung  von  Sir  John  Lubbocks  Hundert  books  ist 
als  69.  Band  eine  Auswahl  aus  Aristophanes,  Sophokles  und  Euripides  in 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Ilolzinger.)     199 

englischer  Übersetzung  gegeben.  London  1894,  George  Routledge  and 
sons.  8vo.  —  Von  Aristophanes  sind  in  diese  Sammlung  die  Acharner, 
Ritter  und  Vögel  in  der  Übersetzung  von  John  Hookham  Frere 
anfgenominen.  Dieser  Staatsmann,  Diplomat  und  Dichter  (1769 — 1846) 
ließ  im  J.  1820  in  der  Quarterlj'  Review  einen  Aufsatz  über  Aristo- 
phanes erscheinen,  der  großes  Aufsehen  erregte.  Die  tJbersetzungen 
hat  Hookham  Frere  selbst  im  J.  1839  in  Malta  drucken  und  im  J.  1840 
bei  Pickering  erscheinen  lassen.  In  England  genießen  sie  großes  An- 
sehen. — 

Ch.  Zevort,  Comedies  de  Aristophane.    Traducüoa  nouvelle  avec 
une  introductioü  et  des  notes.  —  Paris  1892. 

Zevort  ist  mit  seiner  Prosaübersetzuiig  des  ganzen  Aristophanes 
nicht  vollständig  zu  Ende  gelangt.  J.  Denis,  Doyen  de  la  Faculte  des 
lettres  de  Caen,  dem  die  fertiggestellten  Druckbogen  anvertraut  wurden, 
hatte  noch  die  l'bersetzung  des  Plutos  und  der  zwei  letzten  Scenen  der 
Ekklesiazusen  hinzuzufügen.  Auch  die  Einleitung  zum  Plutos  ist  von 
Denis.  Die  dem  Werke  vorangeschickte  Abhandlung  Zevorts  über  Ari- 
stophanes und  seine  Zeit  bricht  im  fünften  Kapitel  ab.  Im  Eingange 
desselben  macht  er  die  Bemerkung,  daß  die  Komödien  des  Aristophanes 
durchwegs  Thesenstücke  seien.  In  dem  Streben,  die  These  zu  erweisen, 
liege  die  Einheit  der  im  übrigen  locker  getugten  .Scenen.  Mit  dem  Ver- 
sprechen des  Autors,  diesen  Gedanken  au  allen  elf  Komödien  des 
Dichters  durchzuführen,  bricht  sein  Manuskript  ab.  Das  Fehlende  läßt 
sich  aber  nach  diesem  Plane  leicht  hinzudenken.  —  Die  Übersetzung 
selbst  wirft  wohl  auf  die  vielen  umstrittenen  Stellen  kein  neues  Licht, 
ist  aber  doch,  wenngleich  Willems  (vgl.  d.  Bericht  über  Eugene  Talbot) 
sie  mit  allen  übrigen  französischen  Übersetzungen  des  Aristophanes 
weitaus  schärfer  verurteilt,  als  dies  ein,,  unhöflicher  Deutscher'*  jemals 
täte,  meines  Erachtens  genauer  gearbeitet  als  andere  französische  Lei- 
stungen ähnlicher  Art.  Man  vergleiche  das  von  mir  über  die  illustrierte 
Einzelausgabe  der  Lysistrata  (1898)  Gesagte,  deren  Text  samt  An- 
merkungen ein  wörtlicher  Abdruck  aus  diesem  Bande  ist.  — 

G.  Ferte,    Aristophane,    pieces    choisies   avec  une  introduction, 
un  index  et  des  notes.     Paris  1894. 

Das  Buch  ist  für  die  Vorbereitung  zur  Baccalaureatsprüfung  be- 
stimmt und  enthält  Prosaübersetzungeu  ausgewählter  Partien  aus  9  Stücken 
des  Aristophanes.  Diese  übersetzten  Scenen  jedes  Stückes  sind  durch 
Übersichten  über  die  weggelassenen  Partien  ergänzt.  Jedem  einzelnen 
Stücke  sind  kurze  einleitende  Bemerkungen  vorangestellt,  und  an  der 
Spitze  des  Ganzen  steht  ein  Aufsatz  von  24  S.,  der  vorzüglich  auf 
Croiset  und  Couat  beruht  und  über  Aristophanes  und  seine  Komödien 


200     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischea  Komödie.  (Holzinger") 

im  allgemeinen  Auskunft  gibt.  Ausgeschlossen  wurden  von  dieser  Aus- 
wahl die  Lysistrata  und  die  Thesmophoriazusen.  Auch  im  übrigen  ist 
Aristophanes  so  kunstgerecht  kastriert,  daß  gegen  seine  Heili^jsprechung 
wohl  nichts  eingewendet  werden  könnte.  — 

E.  Talbot,  Aristophane,  traduction  nouvelle.  Preface  de  Sully- 
Prudhomme.     Paris  1897,  2  vol. 

A.  Willems,  Une  traduction  nouvelle  d' Aristophane.  —  Bulletins 
de  TAcademie  Royale  de  Belgique.  3.  Serie,  tom.  XXXIV.  1897, 
p.  970—992. 

In  einer  sehr  ausführlichen  und  eingehenden  Kritik  bezeichnet 
Willems  die  neueste  französische  Übersetzung  des  ganzen  Aristophanes 
von  Talbot  als  durchaus  unzureichend.  Das  Vorwort  Sully-Prudhommes 
enthält  eine  geradezu  dithyrambische  Anpreisung  der  Vorzüge  dieser 
Übersetzung,  die  SuUy-Prudhomme  nach  der  Ansicht  Willems'  entweder 
nicht  gelesen  hat  oder  zu  beurteilen  nicht  im  stände  war.  Ebenso 
schlimm  kommt  Leconte  de  Lisle  weg,  der  für  das  Erscheinen  dieser 
Übersetzung  einen  Teil  der  Verantwortung  trägt.  Die  Liste  von 
Fehlern  und  Mißverständnissen,  die  Willems  auf  den  S.  975—986  zu- 
sammenstellt, kann  ich  hier  nicht  wiederholen.  Ich  will  daraus  nur 
einige  erwähnen,  die  etwas  Erheiterndes  an  sich  haben:  Ach.  627:  dXX' 
auoöu'^Tes  Toi;  dva-aiatot?  i~.l^ü\).z^  wird  übersetzt:  ,,Chaugeons  notre  habit 
contre  des  anapestes."  Ach.  843:  ouö'  £^o[j,op;£tat  npe-i?  tt)v  supuTipcüxtiav 
001,  „Prepis  n'essuiera  pas  devant  toi  son  derriere":  Eccl.  302:  xaÖTJvto 
XaXoüvTs?  £v  TOI?  ctT£cpava>ii.ac;iv:  ,,Des  gens  qui  restent  ä  babiller  la  tete 
ceinte  de  couronnes."  Hier  ist  vielleicht  Talbot  durch  Dindorfs  Kommentar 
in  Irrtum  geraten,  während  die  Scholieu  eine  deutliche  Erklärung  geben. 
Nur  muß  man  im  Schol.  Eccl.  302  richtig  lesen,  nämlich  or;taC£iv  |jlti 
dEXovTcuv  (Cod.  E,.).  Lys.  107:  ouoe  [xor/oü  xa-aXlXetKtai  cp£<];aXuE,  ,,pas 
le  moindre  tisou  de  galant".  Es  ist  kaum  zu  bezweifeln,  daß  Talbot 
von  der  Aristophanesliteratur  vieler  Jahrzehnte  keine  Kenntnis  ge- 
nommen hat  und  sich  auf  den  einfachsten  und  ihm  am  leichtesten  zu- 
gänglichen Apparat  einschränkte.  Man  wird  dies  dem  alten  Herrn,  der, 
wenn  ich  nicht  irre,  im  J.  1894  als  Achtzigjähriger  starb,  auch  nicht  ernst- 
lich verargen  können.  Nur  hätte  man  seine  Übersetzung,  die  er  vielleicht 
in  ganz  anderen  Zeiten  gearbeitet  hat,  nicht  nach  seinem  Tode  heraus- 
geben sollen.  —  Das  Urteil  Willems'  erstreckt  sich  auch  über  Talbot 
hinaus  auf  die  übrigen  französischen  Übersetzer  des  Aristophanes. 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,  (llolzinger.)     201 

III.    Arbeiten  von  speziellerer  Tendenz. 

A.     Arbeiten  über  eine  der  elf  Komödien  des 
Aristophanes. 

P.  Petersen,    Scener    af  Aiistopbanes  „Acharnerne".  —  Fest- 
skrift  til  J.  L.  Ussing  pag.   193—209.  —  Kopenhagen,  1900. 

Diese  Ehrengabe  für  Ussing  besteht  in  einer  Übersetzung  von 
drei  Scenen  der  Acharner,  nämlich  der  vss.  1 — 133,  175 — 299,  471 — 530. 
Kommentar  und  Einleitung  sind  nicht  beigegeben.  Die  Übersetzung  gibt 
die  Versmaße  des  Originals  wieder,  entzieht  sich  aber  im  übrigen,  da 
sie  in  dänischer  Sprache  abgefaßt  ist,  meiner  Beurteilung.  — 

P.  Ferrieri,  Studi  di  storia  e  critica  letteraria.  I.  GM  Acarnesi 
di  Aristofanc.     Milano  1892,  pag.  1  — 118. 

Der  Essay  Ferrieris  über  Aristophanes'  Acharner  war  bereits  im 
J.  1881  in  Palermo  erschienen  und  ist  nun  vom  Verfasser  zusammen 
mit  drei  anderen  literargeschichtlichen  Arbeiten  unter  einem  neuen  Ge- 
samttitel Studi  di  storia  etc.  in  verbesserter  Gestalt  ein  zweites  Mal 
herausgegeben  worden.  Der  Aufsatz  enthält  eine  Würdigung  der 
Acbainer  nach  selir  vielen  Seiten  hin.  Ferrieri  spricht  über  den 
Peloponnesischen  Krieg,  das  Wesen  der  altattischen  Komödie,  die  Auf- 
führungszeit der  Stückes,  persönliche  Verhältnisse  des  Dichters,  seine 
politische  Parteistellung,  seine  Friedensliebe,  über  die  Sophistik,  über 
die  Wahrheit  und  den  Subjektivismus  in  der  Kritik  des  Aristophanes, 
über  den  Text,  den  Inhalt  und  die  Einteilung  des  Stückes,  über  die 
darin  vorkommenden  Metra,  über  die  von  Friedrich  Leo  (de  pristino 
Ach.  exordio,  Bonnae  1877)  vermutete  Lücke  am  Anfange  des  Stückes, 
die  Ferrieii  nicht  anerkennt,  über  die  Parodie  des  Telephos,  die  Kritik 
des  Euripides  und  noch  vieles,  vieles  andere.  Nur  irgend  etwas  Neues 
darunter  zu  entdecken,  ist  mir  nicht  gelungen. 

Das  Urteil  des  Verfassers,  dem  auch  deutsche  Literatur  zugäng- 
lich zu  sein  scheint,  ist  in  vielen  Punkten  ein  ganz  richtisres,  so  daß 
sein  Aufsatz  als  Einführung  in  die  Lektüre  der  Acharner  für  italienische 
Studierende  anempfohlen  werden  kann.  —  Ein  leicht  zu  verbessernder 
Schnitzer,  der  unter  den  Errata  nicht  angeführt  ist,  findet  sich  auf 
S.  27,  wo  -apa-/opY]7r,IxaTa  statt  TrpojcüireTa  gesetzt  ist:  ,,L' uso  delle 
maschere  (-apayopyi-f/jiJLaTa)  e  la  consuetudine  di  non  far  occupare  raai 
la  scena  da  un  numero  di  personaggi  maggiore  di  tre,  rendeva  possibile 
a  cosi  scarso  numero  di  attori  l'  esecuzione  dello  spettacolo."  — 

A.  Couat,  Sur  la  composition  des  Acharniens.  —  Revue  des 
Universites  du  Midi.  —  Nouvelle  S6rie,  Tome  I  (Anneo  XVII), 
1895,  p.  24—74.  — 


202     Bericht  über  die  Literatur  der  grieeliischcn  Komödie.   (Uolzinger.) 

Der  inhaltsreiche  Aufsatz  Couats  erzählt  zunächst  die  Handlung 
der  Acharner  (S.  24—27),  untersucht  sodann  den  Zusammenhang  der 
Sceneu  und  findet  denselben  in  der  zu  Grunde  liegenden  These,  daß  der 
Friede  erstrebenswerter  sei  als  der  Krieg.  Diese  Scenen  sind  mehr- 
mals nur  angereihte  Bilder.  Sich  durch  den  Mangel  an  Einheit  des 
Ortes  und  der  Zeit  und  die  dadurch  entstehenden  Unmöglichkeiten  nicht 
stören  zu  lassen,  setzt  bei  den  Zuschauern  viel  guten  Willen  voraus. 
Au  den  Zusammenhang  der  Handlung  dürfe  man  also  nicht  zu  strenge 
Anforderungen  stellen.  Stelle  man  sich  auf  diesen  Standpunkt  der 
iJeurteilung,  so  seien  nur  die  vss.  1186 — 1189  zu  athetiereu,  v.  203 
sei  vor  201  zu  stellen  und  zwischen  v.  393  und  394,  ferner  zwischen 
619 — 620  seien  kleine  Lücken  anzunehmen.  Im  übrigen  aber  seien 
die  Acharner  im  ganzen  so  auf  uns  gelangt,  wie  sie  im  J.  425  gespielt 
wurden  (S.  28—32).  —  Der  nächste  Abschnitt  (S.  33—39)  beschäftigt 
sich  speziell  mit  der  Scene  v.  566 — 625  und  hat  den  Zweck,  nachzu- 
weisen, daß  Lamachos  in  v.  593  nicht  als  gewählter  Stratege  erscheine, 
da  er  für  Sold  diene  (v.  597).  Der  v.  593  stehe  daher  nicht  im  Gegen- 
satze zu  vss.  1073  — 1078.  In  diesem  Abschnitt  wird  also  das  Material 
weggeräumt,  auf  welchem  einige  Schlüsse  Müller- Strübings  (Aristo- 
phanes  u.  d.  h.  K.  p.  498  ff.)  und  Zieliuskis  (Gliederung  d.  .a.  K. 
p.  56  ft".)  beruhen,  und  es  soll  dadurch  sowie  auch  durch  die  Behandlung 
der  Metra  des  Stückes  (S.  40—52)  der  Weg  frei  gemacht  werden  für 
die  Hauptabschnitte  des  Aufsatzes  (S.  53 — 70  und  71 — 74),  in  denen 
die  Komposition  der  Acharner  im  Gegensatze  zu  dem  Werke  Zielinskis 
behandelt  wird.  Für  die  Geschichte  der  altattischen  Komödie  gelangt 
der  Verfasser  (S.  70)  zu  folgenden  über  die  Acharner  hinausgreifendeu 
Sätzen:  Die  wesentlichen  Teile  der  altattischeu  Komödie  hätten  sich  in 
folgender  Reihe  entwickelt,  1.  das  Choiikou,  2.  Ode,  Antode,  Epirrhema 
und  Antepirrhema  der  Parabase,  3.  die  Parodos,  aufgebaut  nach  dem- 
selben Muster,  4.  der  anapaestische  Teil  der  Parabase.  —  Tetrameter, 
anapaestische,  trochäische  und  jambische,  und  zwar  namentlich  die  beiden 
ersteren  Gattungen,  seien  im  Dialoge  von  den  ältesten  Anfängen  an 
gebraucht  worden.  Der  Tetrameier  wurde  in  den  wichtigsten  Teilen 
der  Komödie  beibehalten.  Der  jambische  Trimeter  gelangte  namentlich 
im  Prolog  und  in  der  Exodos  zur  Herrschaft.  —  Auf  mich  haben  die 
ersten  drei  Teile  des  Aufsatzes  (S.  24—39)  den  günstigsten  Eindruck 
gemacht.  — 

K.  Zacher,  Uajaaxi,  nicht  -äcjjaxt.    Zu  Aristoph.  Ach.  763.  — 
Philologus  LI,  1892,  p.  379-380.  — 

Zacher  hält  die  Lesart  uaaaaxi  und  die  Erklärung  des  Scholiasten 
,,G~oxopiaTixüj?  TCO  TiajaaXm"  für  einen  aus  Didymos  geschöpften  und  bis 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Ilolzinger.)     203 

in  die  Neuzeit  fortgepflanzten  Fehler.    Er  liest:  raajaxi  und  erklärt  es 

als  :rav  —  säx — ti  ^mit    allem  Nachdruck,    ganz    und  gar".  Für    die 

Verkürzung    der    Lokativendung    weist  Zacher    auf   ii-'xv.-zK  bei  Soph. 
OC  1251  und  -avor,[jLi  bei  Rufin.  Auth.  5,  44  hin. 

K.  Wernicke,  Miscellanea  critica.  —  Philologus  LI,  1892, 
p.  486—487.  — 

Von  Aristophanes  behandelt  Wernicke  Ach.  1082:  ^I.  ßouXet  \id- 
ysjiKai  rr,puovr)  -etpaTz-iXa) ; —  Er  vertritt  die  Ansicht,  daß  Dikaiopolis  unter 
(leryones  sich  selbst  meint  und  daß  er  sich  von  den  vorhin  umhergestreuten 
Federn  (vgl.  v.  990,  nicht  1011,  wie  W.  angibt)  vier  ausgewählte  auf 
den  Hut  steckt.  Die  Ausgabe  von  Blaydes  kann  Wernicke  wohl  nicht 
benutzt  haben,  wenn  er  diese  Erklärung  für  neu  hielt.  — 

D.  Kellog.  Puuning  allusion  to  Euripides  in  Aristophanes'  Achar- 
nians  666.  —  Transactions  of  the  American  philological  association 
XXIX,  1898,  p.  XIII— XIV.  — 

In  Acharn.  v.  666  sieht  der  Verfasser  in  der  Zusammenstellung 
der  Weite  oupta  ptmSt  ein  Wortspiel  mit  dem  Namen  Euripides.  Auch 
in  v.  888  hebt  Kellog  oeüoo  .  .  .  pim'oa  durch  den  Druck  hervor,  ob- 
wohl er  hinzufügt:  without  trying  to  prove  auother  punning  allusion  in 
osüpo  xal  TTjV  p'.rioa.  Da  aber  Kellog  auf  die  Parodie  von  Alkestis 
V.  367  in  der  darauf  folgenden  Stelle  892 — 894  hinweist  und  in  dein  ivts- 
TeuTXavtufxIvTjc  (Ach.  894)  eine  Anspielung  auf  die  Mutter  des  Euripides 
als  Gemüsehändlerin  finden  zu  dürfen  glaubt,  wird  er  wohl  eigentlich 
auch  bei  osüpo  .  .  .  piirtoa  au  ein  Wortspiel  denken.  Auch  in  der  Ab- 
folge der  beiden  Wörter  E-ipt-tOY),  'T:siör)-ep  findet  Kellog  eine  komische 
Absicht.  —  Ich  war  stets  der  Meinung,  daß  mau  in  der  Annahme  von 
Wortspielen  vorsichtig  sein  müsse,  um  dem  Dichter  nicht  überflüssig 
viele  schlechte  Witze  aufzubürden.  Z.  B.  oup/a  pnciöt  möchte  ich  durch- 
aus nicht  als  Wortspiel  mit    dem  Namen    des  Dichters  anerkennen.  — 

C.  E.  S.  Headlam,  Aristophanes,  Acharnians,  709.  —  Class. 
Kev.  XII,  1898.  p.  32.  — 

Daß  iii  dem  v.  709  die  unverständliclie  Überlieferung  xrjv  'Ayaiav 
auf  die  Nennung  der  Demeter  im  v.  708  zurückzuführen  ist,  ist  aller- 
dings wahrscheinlich.  Aber  daß  Aristophanes  Tf,v  'Avpaiav  geschriebeu 
haben  soll,  wie  Headlam  vorschlägt,  ist  schwerer  zu  glauben.  — 

C.  Bonner,  Note  on  Acharnians  947.  —  Americ.  Journ.  of 
Philol.  XXI,  1900,  p.  433—437.  — 

Der  Verf.  verweist  bezüglich  des  bisher  nicht  völlig  aufgeklärten: 
jxE/.Xco  7£  -Ol  Osp-'oocv  des  Boiotischen  Laudmannes  (Ach.  947)  auf  eine 


204     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

alte  Erutesitte.  Derjenige  Schnitter,  welcher  die  letzten  Korngarben 
schnitt,  wurde  von  den  übrigen  Schnittern  zum  Scherze  überfallen,  in 
die  letzten  Korngarben  hineingebundcu  und  so  auf  dem  Erntewagen 
mitgeführt.  Der  Boiotier  sieht  hier  den  Synkophanten  in  Stroh  einge- 
packt und  soll  ihn  wegtragen.  Daher  sagt  er:  „Ich  gehe  wie  zu  einem 
Erntefest."  Die  vielen  Landleute  und  Gutsbesitzer  unter  den  Zu- 
schauern machen  diese  Anspielung  des  Komikers  begreiflich.  —  Ich  halte 
diesen  Aufsatz  Bonners  für  sehr  beachtenswert.  —  Auch  in  der  neuesten 
Ausgabe  des  Stückes  von  J.  van  Leeuwen  (1901)  ist  die  Stelle  noch 
nicht  recht  verständlich.  — 

.1.  van  Leeuwen,  Ad  Aristoph.  Acharn.  v.  927.  —  Mneraos. 
NS.  XXVIII,  1900,  p.  451. 

In  der  Scene,  in  welcher  der  Sykophant  eingewickelt  und  ein- 
gebunden werden  soll,  sagt  Dikaiopolis  nach  der  handschr.  Überlieferung : 
86i  (JLot  cpoputo'v,  Tv'  auTov  evov^ua;  cpspco.  Da  nicht  Dikaiopolis  den 
Sykophanten  fortzutragen  hat,  sondern  der  Boiotier  ihn  wegschaffen 
soll,  empfiehlt  der  Verf.  nach  einer  kritischen  Durchmusterung  der  vor- 
liegenden Konjekturen  von  Elmsley  und  W.  Dindorf  eine  neue  Schreibung: 
evÖT^aaj  acpoopa.  —  In  den  Text  seiner  seither  erschienenen  Ausgabe 
der  Acharner  hat  Leeuwen  diese  Vermutung  schon  eingesetzt.  —  Allzu 
rasch,  wie  ich  glaube. 

'Api7Tocpavo'Jc  'Itctt^c,  adapted  for  Performance  by  the  Oxford 
University  Dramatic  Society,  with  an  Eoglish  Version  by  L.  E.  B er- 
mann, Oxford  1897. 

Das  Buch  enthält  einen  stark  zusammengestrichenen  Text  der 
Kitter  auf  Grundlage  der  Merryschen  Ausgabe.  Beispielsweise  bemerke 
ich,  daß  in  der  Partie  von  vss.  247 — 546  folgende  Verse  gestrichen 
sind:  vss.  282— 283,  294-295,299—302,  311—334,342-306,  375— 
386,  393—394,  397—401,  409—428,  430—437,  445—449,  461—474 
479—481,  483—484,  527,  533  aUa -/sptuv  —  544  aurov  iautw.  Bei  so 
starken  Streichungen  wird  man  hie  und  da  den  richtigen  Zusammenhang 
vermissen.  So  sind  meines  Erachtens  die  vss.  544  xo'jxtov  xtÄ.  bis  xwTtat; 
546  nicht  verständlich ,  wenn  man  533  alloi  bis  544  eauTw  wegläßt. 
In  der  englischen  Übeisetzung  ist  allerdings  ein  Zusammenhang  her- 
gestellt worden.  Denn  die  Übersetzung  Bermanns,  die  aus  hübsch  ge- 
reimten Versen  besteht  und  zumeist  der  Übersetzung  von  Hookham 
Frere  (1892)  entnommen  ist,  ist  sehr  frei  und  kommt  daher  aucli  über 
bekannte  und  offenkundige  Schwierigkeiten  leicht  hinweg.  —  Die  kurze 
Einleitung  enthält  nur  eine  summarische  Übersicht  über  den  Inhalt  des 
Stückes.  — 


Bericht  über  die  Literatur  der  griecbischen  Komödie.  ^Jolzinger.)     205 

J.  van  Lee u wen,  Ad  Aristophanem  (zu  Eq.  v.  3).  Mneraos. 
XX,  1892,  p.  146. 

Die  vorgetragene  Konjektur  puparat;  statt  ßouXai?  hat  Leeuwen 
bereits  selbst  in  der  im  J.  1900  erschienenen  Ausgabe  der  Ritter  zurück- 
gezogen. — 

J.  Hirschberg,  Ma^eiptxuJi;  in  den  Rittern  des  Äristophaues.  — 
Philologus  LI,  1892,  p.  377—378.  — 

Hirschbeig  wendet  sich  in  dieser  Miszelle  gegen  Kocks  An- 
merkung zu  Equ.  375—381  (1882).  welche  an  die  Notiz  des  Scholiasten : 
fjLsto  t6  a-oT^d^a'.  anknüpft,  und  weist  nach  (aus  Aristot.  bist,  animal. 
VIII,  21  und  Oribas.  Collect,  med.  IV,  2),  daß  der  aristophanischen 
Stelle  ein  Hinweis  auf  die  au  dem  lebenden,  nicht  an  dem  geschlachteten 
Schweine  vorgenommene  Finnenprobe  zu  Grunde  liegt.  —  Vgl.  S.  182.  — 

E.  Piccolomini,  Osservazioni  critiche  ed  esegetiche  sopra  i 
Cavalieri  d'  Aristofane.  —  Studi  italiani  di  filologia  classica  II, 
1894,  p.  571—592.  — 

Die  sorgfältige  Abhandlung  enthält  einige  beherzigenswerte  Be- 
merkungen zu  den  Rittern.  Zu  diesen  rechne  ich  folgende:  1.  Nach 
V.  20  ist  keine  Verslücke  anzunehmen  (gegen  Velsen).  2.  Nach  v.  21 
ist  (gegen  Keck)  der  Gedankenstrich  zu  setzen.  Sklave  B  hat  die 
Absicht,  dem  Genossen  das  getährliche  Wort  fx6Xü)|xev  vorzusprechen. 
Dieser  kommt  ihm  rasch  zuvor,  um  sein  Verständnis  zu  beweisen. 
3.  Das  tra^rische  Pathos  der  V^erse  30 — 3 1  ist  eine  Parodie  von  Stellen 
wie  Aisch.  Sept.  95.  —  4.  In  der  wiederholten  Anwendung  von  xpea; 
in  v.  421  und  v.  457  liegt  ein  parodisches  Gegenstück  zu  dem  tragischen 
Gebrauche  von  oeixa?.  5.  In  v.  428  wird  xpsa?  mit  obscöuem  Doppel- 
sinn erklärt.  Nur  ist  zu  bemerken,  daß  dies  schon  früher  bekannt 
war.  Vahleu  hat  dies  im  Herm.  XXVI  S.  .168 — 169  ausführlich  aus- 
einandergesetzt nnd  hat  die  Überlieferung  auf  dieser  Grundlage  ver- 
teidigt. —  6.  Richtig  wird  in  v.  555  ixtsöocpo'poi  durch  den  Hinweis  auf 
V.  1065  und  1366  erklärt.  Die  Bemerkung  über  die  lohnende  Be- 
schäftigung des  gemeinen  Mannes  im  Flottendienste  ist  jedenfalls  auf 
die  höchsten  Sitzreihen  des  Theaters  berechnet,  schließt  aber,  wie  schon 
Velsen  (Rh.  Mus.  XVIII,  125)  sagte,  keinen  Witz  in  sich.  7.  In  v.  814 
vermutet  Piccolomini  v^axiv  statt  ixeaxfjV.  Letzteres  hält  er  mit  Blaydes 
für  ein  Glossem  zu  k-iyzilr^.  Jedenfalls  empfiehlt  sich  vy;3-iv  dadurch, 
daß  es  zu  dem  vom  Dichter  gewählten  Bilde  paßt.  Ein  Fehler  konnte 
sich  m.  E.  darum  leicht  einschleichen,  weil  hier  nur  das  sichere  Gefühl 
für  die  richtige  Cäsur  zur  richtigen  Wortverbindung  anleitet.  8.  Für 
V.  853  wird  rrspiaTsr/Qujt  statt  Treptoi'/.oü(Jt  vorgeschlagen.    9.  Zu  Schol.  859 


206     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

gibt  der  Verf.  die  Verbesserung  -apoExpousu  pieTpou  st.  des  oifenbar 
fehlerhaften  rapaxp.  [xeTpov.  —  Gegen  die  übrigen  exegetischen  oder 
kritischen  Voi schlage  verhalte  icli  mich  ablehnend.  So  gibt  P.  das 
}xoXtü}i.£v  des  V.  2G  nocli  dem  OIK.  B  und  setzt  nach  -'jxvov  das  Kolon, 
nach  jjLoXtoiJLev  (26)  und  nach  au-o[xoXw[X£v  den  Gedankenstrich.  Hier 
ist  Kocks  Personenverteihmg  und  Erklärung  vorzuzielien.  Zu  iizdiw^^ 
TTUxvov  ergänze  ich,  wie  ich  glaube,  im  Sinne  Kocks:  Xi-ß  upöirov  Tf> 
IJ.oXiü[jL£v,  dxa  o'  auTO,  während  Piccolomini  ixoXwjjlev  allein  als  Objekt  zu 
£~a7tuv  -uxvov  zu  ziehen  scheint.  —  Nacli  v.  62  vermutet  P.  den  Aus- 
fall eines  Verses,  damit  t£/v-/]v  -s-oirjxai  eine  direkte  Beziehung  er- 
halte. —  In  V.  74  vv^ird  eine  Parodie  des  homerischen  öc  ttocvt  ecpopä 
xtX.  behauptet.  Aber  ein  Vergleich  des  Kleon  mit  Helios  wäre  für  Kl. 
allzu  rühmlich.  —  In  v.  89  empfiehlt  der  Verf.  xpouvoyutpoXYjpoc  <ti?> 
el  zu  schreiben.  Ich  empfinde  bei  dem  eingelebten  xpouvo/u-rpoXi^paio; 
sl  keinen  Anstoß.  Vielleicht  zeigt  sich  darin  nur  die  Macht  der  Ge- 
wohnheit. Im  ganzen  ist  aber  ein  Adjektiv  auf  —  ato?  wirklich  zweck- 
entsprechend und  ein  solches  von  X-^pos  abzuleiten  isi;  lange  nicht  des 
Dichters  kühnste  Tat.  —  Nach  v.  269  empfiehlt  P.  das  Fragezeichen 
und  für  v.  270  die  La.  tjjx«?  exxoßaXixs-jexai,  die  Dindorfs  Oxforder  Aus- 
gabe darbot.  Hier  ziehe  ich  xaxxoßaXtxsus-ai  vor.  Vgl.  Dind.  poet.  sc. 
gr.  In  v.  272  setzt  P.  mit  Bernhardy  den  Beistrich  vor  osupu  Aber 
der  Beistrich  nach  Ssupt  ist  durch  die  caesura  media  empfohlen.  Nicht 
gelungen  ist  die  Behauptung,  man  vermeide  mit  Bernhardys  Interpunktion 
„die  sonderbare  Voraussetzung,  daß  der  Paphlagonier  bei  seinen  Gegnern 
Schutz  suchen  werde".  Setzt  man  aber  voraus,  daß  er  nach  einer 
anderen  Seite  entweichen  werde,  wo  seine  Gegner  nicht  stehen,  dann 
wäre  die  Drohung  7:püs  axsXo;  xupT^ßaget  unmöglich,  die  nur  bei  einem 
Nahkampfe  zu  verwirklichen  ist.  —  In  v.  295  ist  xo-po'f  opr^su)  nicht  in 
■/oTTpoipopu^cu  zu  ändern.  Dagegen  hat  P.  Velsens  Ansatz  einer  Lücke 
nach  v.  299  mit  Recht  abgelehnt  und  hat  auch  für  die  v.  298 — 300 
die  Personenverteilung  der  Codd.  RV  mit  guten  Gründen  verteidigt.  — 
Zu  V.  407  tritt  P.  für  Deckers  Vermutung  'IouXi7]Tr,v  und  für  die 
Schreibung  -upo-i-Yjv  ein ,  indem  er  dadurch  die  Gewinnsucht  des 
Dichters  Siraonides  charakterisiert  findet.  In  diesem  Sinne  ist  aber 
wohl  jetzt  Zachers  Text  vorzuziehen.  —  Auch  in  v.  418  hat  Zacher  in 
der  Lücke  vor  Xe-^cov  Bernhardys  av  gegenüber  P.'s  tote  mit  Recht  be- 
vorzugt. —  Verfehlt  ist  der  beabsichtigte  Ersatz  von  psucac  in  v.  526 
durch  Tiveucrac,  das  die  Einheit  der  Allegorie  verletzt.  —  In  v.  821  liest 
P.  ou  vüv  statt  xotl  vüv.  —  In  v.  1026  sucht  P.  die  überl.  La.  9upas  zu 
rechtfertigen,  indem  er  auf  die  Gewohnheit  eingesperrter  Hunde  hin- 
weist, an  der  Türe  zu  nagen.  Kleon  habe  ein  echtes  Orakel  verschluckt 
und  habe  an  dessen  Stelle  einen  gefälschten  Spruch  (v.  1014 — 1020)  vor- 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     207 

gelesen.  —  Daß  die  Überlieferung  in  v.  1336  a'fE<{^r,3ac.  AV  £701';  nicht 
richtig  sein  kann,  wird  schlagend  erwiesen.  P.  empfiehlt  Meinekes 
Schreibung  und  läßt  den  Agorakritos  sagen,  das  Verjüngungsnüttel  des 
Umkochens  sei  für  ihn  (wohl  als  Wursthändler?)  ein  sehr  einfaches  ge- 
wesen. Es  muß  aber  m.  E.  der  ganze  Vers  dem  Demos  gehören,  nnd 
daher  dürfte  Bergks  Schreibung  (vgl.  auch  Kocks  Ausgabe)  die  beste 
sein.  — 

E.  Piccolomini,  'EjittooiCsiv  W/6.h7.i.  Aristofane  Cavalieri  752 
— 755.  —  1894,  Rendiconti  della  R.  Accademia  dei  Lincei,  Ser.  V, 
vol.  III,  p.  8-18.  — 

Der  Verf.  beschäftigt  sich  mit  der  bekannten  C'liarakteristik  des 
Demos  in  den  Rittern,  die  schon  den  alten  Erklärern  große  Schwierig- 
keiten bereitete:  ot'fJLOt  y.ocxoöat[X(üv,  w;  azoXtoX'.  6  -/ap  -/epcüv  |  o'xoi  ]xev 
avopn"iv  sjTi  0£;iu)TaTOi,  |  oxav  0'  £-1  xauiTjji  xail^xat  xrjs  irexpai  |  x£/t)v£v 
üi3;t£p  £[ji.irooi^u)v  hya.oo.z.  Piccolomini  stützt  sich  auf  den  von  Stefan 
Bergler  aus  einem  Scholion  gezogenen  Gedanken,  daß  der  Stelle  ein 
Vergleich  mit  einem  Kinderspiele  zu  Grunde  liege.  Piccolomini  hat  ein 
solches  Spiel  in  Toscaua  beobachtet.  Es  bindet  jemand,  der  sich  mit 
den  Kindern  einen  Seherz  machen  will,  eine  Frucht  oder  ein  Stück 
iNaschwerk  au  einen  Eaden  und  läßt  diese  Lockspeise  au  den  Köpfen 
der  Kinder  vorbeikreisen.  Die  Kinder  schnappen  nun  mit  offenen  ge- 
näschigen ]\Iäulchen  danach  ,  bis  endlich  ein  glücklicher  Gewinner  die 
süße  Beute  mit  den  Zähnen  erhascht.  Piccolomini  meint  nun ,  daß 
£|j.7:o6iCcov  konativ  aufzufassen  sei,  in  dem  Sinne  von  „danach  trachten, 
die  Feigen  mit  dem  Munde  festzuhalten",  wie  dies  Kinder  bei  jenem 
Spiele  tun;  also  werde  der  greise  Demos  als  ganz  kindisch  geworden 
dargestellt,  und  hieraus  ergebe  sich  eine  schöne  Antithese  zu  dem  vor- 
anstehenden  avöpcuv.  —  Den  Dichter  sagen  zu  lassen,  daß  Demos  sich  wie 
ein  Kind  benehme,  wäre  an  sich  allerdings  vollkommen  passend.  Hätte 
aber  Arsitophanes  eine  solche  Antithese  hier  beabsichtigt,  dann  dürfte 
ein  darauf  hinweisendes  Wort,  wie  r.iXi,  nicht  fehlen.  Aber  auch  dann 
wäre  der  Vergleich  mit  spielenden  Kindern  gewissermaßen  bei  den 
Haaren  herbeigezogen,  weil  doch  Demos  gelangweilt  dasitzt,  während 
Kinder,  die  mit  dem  iMunde  nach  Süßigkeiten  schnappen,  in  heftige  Be- 
wegung geraten  und  sich  königlich  unterhalten.  Also  ist  es  nichts  mit 
dieser  Erklärung.  Im  wesentlichen  richtig  hat  Eustathios  opusc.  p.  291, 
54  den  Sinn  der  Stelle  verstanden,  ferner  Casaubonus,  Brunck,  Wilh. 
Dindorf  und  Bergk;  vgl.  Dindorfs  und  Kocks  Ausgaben  und  den 
Thesaur.  ?.  v.  six-oousiv.  Zweifelhaft  bleibt  nur  das  eigentlich  Lexi- 
kalische an  £|x-oöi^tüv.  Es  bezeichnet  irgend  eine  Tätigkeit  beim  Her- 
richten   der    schon    getrockneten  Feigen  (ir/aoa?),    zu  der  man  Kraft, 


208     Bericht  über  die  Literatur  der  (griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

Geist,  Aufmerk>amkeit  und  Geschicklichkeit  nicht  heuütig-tc  und  zu 
welcher  daher  selbst  g'anz  alte  Leute  vcrw<^ndet  wurden.  Vielleicht  be- 
zeichnet also  £[j.T:o6i^eiv  doch  UXiSstv  xoic  tiojI  rac  b/aoac  (Ilesj'ch). 
Appetitlicher  wäre  es  freilich,  an  das  Anreihen  der  Feigen  auf  Schnüren 
zu  denken.   Vgl.  S.  182  das  über  Hirschbergs  Hilfswörterbuch  Gesagte.  — 

Th.  Hultzsch,    Zu    Aristophanes    Rittern.  —  Pleckeis.    Jahrb. 
XLI,  1895,  p.  669-672. 

Hultzsch  bespricht  die  für  Ei.  526 — .527  r.oXho  ps'jja?  ror  e-aivtu  | 
oia  Tcüv  dcpeXüiv  tteoicüv  eppei  xtX.  vorliegenden  älteren  Verbesserungs- 
vorschläge, verwirft  sie  sämtlich,  ebenso  wie  auch  die  Überlieferung  in 
peuTOc  und  in  afpe/.cuv  und  gelangt  schließlich  zu  der  neuen  Konjektur : 
uoXXcp  Xaßpoc  izQz'  ETiaivo)  |  afppojiv  oia  xcuv  t:£Oicuv  s'ppsi.  Man  muß  zu- 
geben, daß  Xötßpoc  eine  wohl  ausgedachte  Vermutung  ist,  weil  es  in  das 
Bild  paßt  und  auch  gleichzeitig  die  Übertragung  auf  das  rhetorische 
Gebiet  zuläßt,  peuaac  wäre  dann  als  Glossem  in  den  Text  geraten.  Ich 
meinerseits  nun  würde  hier  eine  Konjektur,  die  auf  einem  Lesefehler 
aufgebaut  wäre,  vorziehen.  Der  zweiten  Konjektur  a/fpojv  kommt  ein 
geringerer  Rang  zu,  nicht  nur  weil  sie  eine  Umstellung  bedingt,  sondern 
auch  weil  sie  dem  Dichter  eine  Überladung  der  Stelle  zumutet.  Über- 
haupt ist  nicht  recht  nachgewiesen,  warum  a^psXtov  nicht  vom  Dichter 
herrühren  sollte,  während  sich  bei  peuja;  wegen  des  folgenden  eppsi  ohne 
Zweifel  ein  gewisser  Anstand  ergibt.  — 

J.  Vahleu,  Quaestioues  Aristophaueae.    Index  lect.  aest.  Berol. 
1898. 

Mit  gewohnter  Meisterschaft  beiiandelt  Vahleu  mehrere  kritische 
und  exegetische  Probleme  der  Ritter  des  Aristophanes.  —  Bei  der  Be- 
sprechung der  Personenverteilung  in  den  vss.  II — 17  wird  erwiesen, 
daß  die  Worte  jxa  t6v  'AroXXo)  '710  i^iv  ou  (v.  14)  dem  Nikias  gehören, 
wie  es  die  mss.  überliefern  und  daß  dem  Sinne  nach  nicht  [xayoüjxai 
zu  ergänzen  ist.  sondern  Xe^w.  Glücklich  wird  die  überl.  La.  tcüv 
crrpaTTj^cuv  uTroopaixovxcov  h.  OuXou  in  v.  742  verteidigt,  desgleichen  in 
v.  260:  ojTic  auTüjiv  (oixo?  eattv  rl  ttIttcüv  t]  |xy]  ttettojv  und  zwar,  weil 
hier  nicht  dreierlei,  sondern  nur  zweierlei  ausgedrückt  wird.  Denn 
nETCüjv  ri  [XY]  TTETTOJv  drückt  lu  dlesem  Zusammenhange  nur  eines  aus. 
Als  Analogon  zieht  Vahleu  Ear.  Or.  441  bei:  9£U7£tv  -oXiv  tiqvo'  vj 
t>av£tv  -1^'  p.r^  OavEiv.  —  In  v.  609  liest  Vahlen  [irio'  ev  ßuöw  nach  Brunck. 
Sodann  tritt  er  für  Bruncks  durch  Velsen  durchgeführte  Umstellung 
der  vss.  261—263  hinter  265  ein.  Scbließlich  wird  die  überlieferte 
Folge  der  Verse  85  —  88  gegen  Meinekes  Umstellungsvorschlag:  85,  87, 
86,  88,  verteidigt.  — 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     209 

K.  Zacher,    Aristophanesstudien.    Erstes  Heft.    Anmerkuugen  zu 
Aristophaues'  Rittern.     Leipzig  1898. 

Die  Tendenz  seiner  Neubearbeitung  der  Ritter  (1897)  hat  Konrad 
Zacher  bereits  in  dem  Buisiauschen  Jahresberichte  von  1892,  Bd.  LXXI, 
JS.  127  ff.  und  auch  in  der  Praefatio  seiner  Ausgabe  ausgesprochen. 
Das  im  J.  1898  erschienene  Heft  der  Anmerkungen  zu  den  Rittern 
verfolgt  nun,  wie  Zacher  im  Vorworte  hierzu  auseinandersetzt,  den  Zweck, 
die  Abweichungen  seiner  Textkonstitution  von  der  Velsenschen  zu  recht- 
fertigen. Von  Velsens  subjektiver  und  nicht  selten  gewalttätiger  Kritik 
unterscheidet  sich  Zachers  Text  bekanntlich  durch  eine  konservativere 
Richtung.  In  den  vorliegenden  Anmerkungen  werden  nun  sowohl  die 
Unterschiede  beider  Auflagen  eingehend  erörtert,  als  auch  viele  Stellen 
bebandelt,  in  denen  Zacher  die  Schreibung  Velsens  beibehielt  und  eine 
nachträgliche  Motivierung  der  getroffeneu  Entscheidung  als  ersprießlich 
erachtete.  Ein  bedeutender  Teil  dieser  Ausführungen  kommt  der  Er- 
klärung des  Autors  selbst  zu  gute  und  dies  um  so  mehr ,  als  Zacher 
natürlich  eine  ausgebreitete  Kenntnis  der  einschlägigen  Literatur  besitzt. 
Ohne  in  der  Lage  zu  sein,  mich  den  Ansichten  Zachers  jedesmal  an- 
zuschließen (vgl.  z.  B.  den  Bericht  über  Job.  Vahlens  Ind.  lect.  aest. 
und  hib.  1898),  muß  ich  es  aussprechen,  daß  die  zweite  Auflage  der 
Ritter  gegenüber  dem  Texte  Velsens  gerade  dort,  wo  Zacher  wieder 
auf  die  Überlieferung  zurückgreift,  einen  unzweifelhaften  Fortschritt 
darstellt.  Sollte  Zacher,  wie  wir  schon  längst  hoffen,  endlich  dazu  ge- 
langen ,  auch  die  übrigen  Bändchen  der  von  Velsen  geplanten  Gesamt- 
<iusgabe  fertigzustellen  und  die  einzelnen  Texte  mit  einer  Fortsetzung 
der  , .Aristophanesstudien"  zu  begleiten,  so  darf  man  wohl  im  Interesse 
vieler  Benutzer  einer  so  unentbehrlichen  Ausgabe  den  Wunsch  kund- 
geben, daß  die  Literaturnachweise  ausführlicher  gegeben  werden  möchten. 
Wenn  z.  B.  in  der  Adnot.  crit.  die  Umstellung  der  Verse  15  und  16 
auf  Sauppe  ohne  näheren  Beisatz  zurückgeführt  oder  Cobet  zu  v.  913 
schlechthin  genannt  wird  und  auch  die  „Aristophanesstudien"  keine 
nähere  Auskunft  geben,  wird  mancher  nicht  wissen,  daß  er  die  Ep.  crit. 
ad.  God.  Herrn,  oder  gerade  den  I.  Band  der  Mnemosyne  nachzu- 
•^chlagen  habe.  — 

J.  van  Leeuwen,  AEIBETAl-eAElBETAL  Ad.  Aristoph.Equit. 
v.  327.     Mnemosyne  NS.  XXVII,   1899,  p.  154—155. 

Der  Verf.  sucht  nachzuweisen,  daß  die  überl.  Worte:  6  o^Ihtto- 
öajxo'j  XsißcTai  öewfXEvo?  sich  nicht  dazu  eignen,  den  in  der  Stelle  er- 
forderlichen Sinn  auszudrücken.  Auf  Grundlage  des  TipwToc  wv  bezieht 
nämlich  Leeuwen  v.  327  auf  die  Proedrie  Kleons  und  verweist  dem- 
entsprechend auf  vss.  575  und  702  ff.  des  Stückes.  Daraus  ergibt  sich, 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    (1903.    I.)  1-t 


210     Bericht  über  die  Literatur  der  grieebiscben  Komödie.  (Holzinger.) 

dal.l  aucli  OEtijjj-Evo;  vom  Znscliaiiei)  im  Theater  t;emeiut  sei  uud  daß  der 
Komilier  über  Archeptolemos  gesagt  habe:  bXtJiiEtat  detuixevo;.  —  In 
der  Ausgabe  der  Ritter  hat  Leeuwen  seine  Konjelitur  und  Bothes 
Qt!JL£p7£i;  (st.  d[j.£X7£t?)  bereits  in  den  Text  aufgenommen.  —  Die  bisherige 
durch  die  Sciioliastenerl<lärung  gestützte  Auflassung  ist  niclit  ohne 
Härte.  Aber  der  Vorwurf  Leeuwens,  daß  sich  bei  der  Lesart  und 
Interpretation  keiu  geeignetes  Objekt  zu  i)£a»ii.£vo;  ergebe,  scheint  mir 
nicht  ganz  gerechtfertigt.  Der  Scholiast,  der  von  der  -'aaTpifxapYia  des 
Kleon  und  des  Archeptolemos  sprechen  will,  verhi:idet  ebensowenig  als 
Leeuwen  östufj-svoc  mit  eiuera  eigentliclien  Objekte,  sondern  faf.]t  es  iü 
dem  Sinne  auf  ,,hat  das  bloße  Zusehen".  Cber/.eugeiider  ist  Leeuwens 
Schreibung  0AE1BETAI  in  graphischer  Hinsicht.  Der  alte  Textfehler 
'lz7:66a[xoj  statt  '\t-.oo'-j\).o<j,  der  auch  die  eine  der  jetzigen  Scholien- 
fassungen  beherrscht,  läßt  sich  in  sehr  ansprechender  Weise  mit  dem 
Anfangsbuchstaben  von  ^Xi^istai  in  Verbindung  bringen. 

A.  Willems,  Notes  sur  les  Cavaliers  d'Aristophane,  i\  propos 
d'uue  edition  lecente.  —  Bulletins  de  FAcademie  Eoj^ale  de  Beigique 
(3.  Serie,  tom.  37.  2),   1899,  p.   137—168. 

Willems  nimmt  in  die.ser  Abhandlung  seinen  Ausgang  von  Zachers 
Ausgabe  der  Ritter.  Willems  anerkennt  die  Sorgfalt,  die  dem  Apparate 
zu  teil  wird,  zeigt  sich  aber  als  ein  Gegner  so  moncher  Textveränderungen 
und  Zweifel  gegenüber  der  Überlieferung.  Bei  dieser  Kritik  der  Teubner- 
ausgabe  ist  Willeras  nicht  selten  im  Rechte.  Andere  Male  hat  sich 
Willems  die  Arbeit  etwas  zu  leicht  gemacht.  Z.  B.  v.  21  .  .  |xo/.cu|x£v  .  . 
bedarf  gewiß  nicht  eines  eingeschobenen  Verses  zum  besseren  Verständ- 
nisse. Aber  dies  ist  sdiou  von  anderen  hervorgehoben  worden,  die  mau 
bei  dieser  Gelegenheit  nennen  mußte.  Bei  v.  250  bemeikt  die  Ausgabe, 
daß  TioXXaxt?  r^;  rjfxspac  unverständlich  sei.  Willems  belehrt  den  Breslauer 
Professor,  daß  dies  „piusieurs  fois  le  jour*'  bedeute.  Natürlich  wußte 
dies  Zacher  auch  schon  früher  und  vermisste  nur  nicht  ohne  Grund  etwas 
zum  Verständnisse  dieses  Beisatzes.  Oder  sagt  man  vielleicht  im 
Französischen:  Monsieur!  v.ons  etes  fourbe  piusieurs  fois  le  jour,  ohne 
daß  ein  bestimmter  Hintergrund  dafür  bestände?  Im  weitereu  Vorlaufe 
des  Aufsatzes  behandelt  Willems  ein  Dutzend  Stellen  der  Equitcs  in 
ausführlicher  Weise.  V.  428  y.peac  6  Ttpcüy.-ro;  £7£v  wird  richtig  erklärt, 
aber  zu  spät,  da  Vahien  diese  Aufgabe  schon  längst  in  glänzender 
Weise  gelöst  hat.  Sehi-  schön  ist  die  Behandlung  von  v.  1204;  1-;^ 
6'lxtv6uv£uj',  wo  Willems  Reiskes  Ix'j-^-q-^ixq'ja  bekämpft.  Schließlich  wird 
in  v.  1286  das  Wort  uirv^vr)  als  eine  Bezeichnung  des  Schnurrbartes  er- 
klärt und  von  Tcw'-ytov  unterschieden.  — 

H.  van  Herw'erden,    Varia    iV.  Aristoph.   Equit.    v.  1399.  — 
Mnemos.     NS.  XXIX,  1901,  p.  216.  — 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     211 

Xacli  der  Absicht  des  Allan topoles  soll  Kleon  an  seiner  Stelle 
Wursthändler  werden:  tä  xuvsta  [xr.'v'j;  toT?  oveioi;  Trpa'/ixaoiv.  Diesen 
köstlichen  Scherz  verdirbt  Herwerden  dnrch  seine  Konjektur:  actYi^astv. 
Er  beruft  sich  dabei  auf  Leeuwen ,  der  in  seiner  Ausgabe  der  Ritter 
sagt:  „Vox -pa7(jLa3iv  si  sana  est,  pro  y.peaaiv  ioculariter  nunc  dietam 
esse  statuanius  necesse  est;  sed  qualis  tandeni  hie  sit  iocus  nie 
fugit."  —  ]Ja  Kleon  als  Politiker  und  Redner  stets  mit  rpaYii-axa  im 
höchsten  Wortsinne  zu  tun  hatte,  zeigt  sich  seine  Degradierung  zum 
Wursthftndler  vor  allem  darin,  daß  die  7rpa7|xaTa,  mit  denen  er  sich  in 
Zukunft  zu  beschäftigen  haben  wird,  xuvsia  und  oveia  7:pa7|jLaTa  sein 
werden.  Damit  also,  daß  -pa7jxa3tv  einfach  Ttapa  Kpocooztav  statt  xpsasiv 
gesagt  wäre,  wie  selbst  Brunck  gemeint  zu  haben  scheint,  ist  der  Witz 
der  Stelle  nicht  ausgeschöpft.  Blaydes  verweist  wenigstens  mit  Recht 
auf  V.   214:  TotpatxE  xal  yopo&u'  ojxoj  xa  -pa7|xaTa.  — 

J.  van  Leeuwen.    Ad.  Aristophanis  Equites  observationes.  — 
Mnemos.  NS.  XX VIII,   1900,  p.  201—225.  — 

Der  Verf.  verteidigt  zunächst  die  Überlieferung  der  v.  21,  295 
y.o-pocpopr,3cu,  das  er  richtig  durch  xonpov  ss  a-oppi<]>(o  xo7:pocpopoc  l'nü 
erklärt,  dann  v.  729,  808,  1204  exivöyvsus'  und  1408.  Gegen  Kirchhoff 
wird  mit  Eecht  behauptet,  daß  der  Schluß  des  Stückes  nicht  verstümmelt 
sei.  Möglicherweise  fehle  nur  ein  mit  dem  Sujet  nicht  zusammenhängen- 
des Schlußwort,  wie  z.  B.  das  in  den  Wolken.  Alle  die.-e  Rettungen 
muß  man  billigen.  —  Es  folgt  ein  Abschnitt  mit  neuen  Erklärungen 
richtiger  Lesarten  p.  209—212.  In  v.  321  n£p7aT^jiv  wird  die  Be- 
ziehung auf  eine  bestimmte  Persönlichkeit  abgelehnt.  Gut  wird  in  v.  849 
-6pTra;i  vom  Riemen  verstanden,  an  dem  der  Schild  vom  Halse  des 
Spartiaten  herabhing.  Ob  nicht  z.  B.  schon  Seeger  (1845)  eben  das- 
selbe gemeint  hat,  lasse  ich  dahingestellt.  Schön  ist  die  Erklärung  bei 
V.  1167  für  (5Xä)v  Tcüv  ex  II-jaoü  durch  den  Hinweis  auf  die  Notiz  des 
Thuk.  IV,  39,  2:  xal  r^v  alxo?  ev  xv;  vr^ato  xal  aX/.a  [ipcujxaxa  rf/.axsXr/fi^rj. 
Zweifelhaft  ist  mir  die  Auffassung  von  xyjv  axa-ov  (v.  762)  als  Name 
einer  Segelstange,  auf  welcher  osXcpivsc,  schwere  Bleimassen,  aufgehängt 
waren,  um  sie  von  dort  auf  das  Verdeck  des  feindlichen  Schiffes  fallen 
zu  lassen.  —  Es  folgen  p.  213—215  sechs  Stellen,  in  denen  die  La. 
des  R  mit  Unrecht  den  La.  andere»  mss.  vorgezogen  wurde.  Dieser 
Tadel  trifft  in  v.  61  6  oe,  177  ö'vxwc,  698  zl,  700  ei,  768  xaxax|xrj9£ir|V, 
während  V  oiaxjjLYjöeiVjV  gibt,  936  eXdeiv  st.  eXöaiv.  Auch  hierin  stimme 
ich  bei.  Hingegen  kann  ich  mich  mit  den  im  vierten  Abschnitte 
p.  216 — 225  vorgeschlagenen  neuen  Vermutungen  van  Leeuwens  nicht  be- 
freunden. Es  sind  deren  im  ganzen  16,  die  der  Leser  jetzt  in  der 
Ausgabe  der  Riiter  van  Leeuwens  bei  den  v.  220,  260,  271.  325,  385, 

14* 


212     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

435,  504,  506,  580,  608,  707,  877,  1292,  1373,  1377  größtenteils  schon 
in  den  Text  aufgenommen  findet.  Für  beachtenswert  halte  ich  hiervon 
nur  drei,  nämlich  in  v.  435  Ttlvxe  st.  TtoXXa,  v.  580  avsjTXsf.'uixEvoit  in 
dem  Sinne  von  arXe-y^iaiv  eaTetpavwiisvot;  „das  Haupthaar  mit  Binden 
umwunden  tragend"  anstatt  aTrearXen-  Leeuwen  macht  darauf  aufmerk- 
sam, daß  in  Athen  doch  nicht  die  Ritter  allein  (jTrecjTXsi^iaixEvot  waren. 
Aber  auch  hier  läßt  sich  leicht  einwenden,  daß  es  auch  xoixÜivTec  außer- 
halb der  Ritterschaft  gab.  Möglicherweise  richtig  ist  noch  die  Be- 
merkung zu  608,  das  Theoros  nicht  ein  Phylarche  oder  gar  Gesandter, 
sondern  ein  mit  Kleon  befreundeter  Krebshändler  war.  Aber  wer  will 
es  beweisen?  — 

The  Clouds  of  Aristophanes.  Literally  translated  by  T.  J.  Arnold. 
London  1892. 

Dieses  Heftchen  gehört  der  Sammlung  von  Kellys  Schlüsseln  zu 
den  Klassikern  an.  Es  enthält  eine  Prosaübersetzung  des  Drama  und 
in  spärlichen  Fußnoten,  in  denen  namentlich  Teuffels  Kommentar  und 
Papes  Lexikon  ausgenutzt  sind,  das  Wichtigste  zum  Verständnisse  des- 
selben. 

Skyerne,    Komedie    af   Aristofanes,    oversat    af   Job.  B.  Koch. 
Kopenhagen  1896. 

Es  ist  dies  eine  dänische  Übersetzung  der  „Wolken"  mit  kurzer 
Einleitung  und  wenigen  Anmerkungen. 

R.  Reitzen stein.    Aus    der  Straßburger  Papyrussammlung.  — 
Hermes  XXXV,  1900,  S.  602-604:  Zu  Aristophanes.  — 

Reitzenstein  berichtet  über  ein  verstümmeltes  Pergaraeutblättchen, 
das  sich  im  Bestände  der  Straßburger  Bibliothek  unter  No.  621  findet 
und  auf  den  beiden  Seiten  die  Reste  von  Nub.  vss.  1371—1392  und 
von  vss.  1407—1428  (Bgk)  enthält.  Bezüglich  des  Alters  der  etwas 
schräg  liegenden  Schrift,  die  auf  der  ersten  Seite  fast  unleserlich  ist, 
möchte  Reitzenstein  „über  das  7.  Jahrhundert  nicht  namhaft  herunter, 
über  das  5.  sicher  nicht  heraufgehen ^  Der  Verfasser  gibt  sonach  eine 
soweit  als  möglich  vollständige  Abschrift  dieses  Fragments  der  ältesten 
Handschrift  der  Wolken  und  eine  Auslese  aus  den  Varianten.  Ich 
beschränke  mich  hier  darauf,  die  Folgerungen,  welche  Reitzenstein  aus  der 
Vergleichung  des  Straßburger  Fragments  mit  anderen  Codices  zieht,  mit 
seinen  eigenen  Worten  herzusetzen:  „Unsere  Aristophanesüberlieferung  ist 
nicht  in  der  Art  einheitlich,  daß  R  und  V  als  älteste  Zeugen  derselben 
etwa  frühbyzantischen  Rezension,  von  der  auch  die  übrigen  Handschriften 
abstammen,  das  meiste  Vertrauen  verdienen.  Die  verschiedenen  Re- 
zensionen, welche  es  im  Altertum  gab,  haben  noch  auf  bisher  kaum  be- 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.   (Holzinger.)     213 

achtete   junge  Handschriften    weiter   gewirkt.     Ein  Stemma  der  Über- 
lieferung zu  geben,  wird  wohl  niemals  möglich  sein."  — 

B.  Heidhues,  Über  die  Wolken  des  Aristophanes.  —  Progr.  des 
k.  Friedr.-Wilh.-Gymn.  zu  Köln.     1897. 

H.  behandelt  die  Streitfrage  über  die  Diaskeue  der  Wolken  und 
steht  dabei  auf  der  Seite  Essers  (1823).  Sein  erstes  Ergebnis  ist,  daß 
Aristophanes  selbst  nirgends  in  diesem  Stücke  —  auch  nicht  in  der 
Parabase,  eine  Überarbeitung  der  ersten  Wolken  andeute.  Dann  sucht 
er  zu  beweisen,  daß  auch  das  Stück  selbst,  so  wie  es  vorliegt,  weder 
durch  Widersprüche,  noch  durch  Wiederholungen  den  Eindruck  der 
Überarbeitung  hervorbringe.  Er  gelangt  zu  dem  Resultate,  daß  eine 
Überarbeitung  der  Wolken  nicht  stattgefunden  habe.  Unsere  ,, Wolken" 
seien  —  natürlich  abgesehen  von  der  Parabase  im  engeren  Sinne  (v.  518 
— 562)  —  dasselbe  Stück,  das  im  J.  423  aufgeführt  wurde  und  wegen 
der  in  ihm  enthaltenen  Übertreibungen  und  anderer  Schwächen  durch- 
fiel. Heidhues  ist  in  die  Einzelheiten  der  alten  Streitfrage  gründlich 
eingedrungen  und  hat  ohne  Zweifel  manchen  überflüssigen  Vorwurf,  der 
gegen  das  Stück  in  seiner  jetzigen  Gestalt  erhoben  wird,  mit  Glück 
beseitigt.  Leeuwen  ist  in  seiner  Ausgabe  der  Wolken  bereits  in  sein 
Ijager  übergegangen.  Hingegen  hat  Zacher  in  seiner  Rezension  dieser 
Abhandlung  (Berl.  phil  Wo.  1900  No.  2—3)  einen  ins  einzelne  gehenden 
Gegenbeweis  unternommen.  —  Ich  selbst  war  stets  der  Meinung,  daß 
Aristophanes  eine  Überarbeitung  der  Wolken  zwar  unternommen,  aber 
aus  begreiflichen  Gründen  nicht  fertig  gebracht  habe. 

G.  Schwandke,  De  Aristophanis  Nubibus  prioribus.     Diss.  phil, 
Halenses.  vol.  XIV,  1898. 

Dieser  Aufsatz  berücksichtigt  bereits  die  Arbeit  von  Beruh. 
Heidhues  und  steht  bezüglich  der  Überarbeitung  der  „Wolken"  auf 
dem  entgegengesetzten  Standpunkte.  Schwandkes  Untersuchung  nimmt 
ihren  Ausgang  von  der  VI.  Hypothesis  und  von  den  bei  Kock  GAE.  I 
p.  490 — 492  gesammelten  Citaten  aus  den  Ns'fsXai  Ttpoxspat.  Er  be- 
handelt das  Stück  nach  einzelnen  Partien,  bei  denen  er  die  Bestand- 
teile der  ,, ersten  Wolken"  von  denen  der  Überarbeitung  zu  trennen 
sucht.  Am  Schlüsse  der  Arbeit  vermißt  man  eine  klare  Gegenüber- 
stellung des  von  Schwandke  angenommenen  Versbestandes  beider  Rezen- 
sionen, so  daß  diese  mißliche  Arbeit  dem  Leser  zufällt,  der  sich  aber 
wohl  nur  in  seltenen  Fällen  die  Mühe  nehmen  wird,  sich  in  die  Arbeit 
Schwandkes  so  tief  einzuleben.  Eine  bis  ins  einzelne  gehende  Be- 
sprechung der  Dissertation  hat  Heidhues  in  der  Neuen  Phil.  Rundschau 
1899  No.  1  —  2  geliefert,  auf  welche  auch  die  ebenfalls  sehr  ausführliche 
Rezension  Konrad  Zachers  (Berl.  ph.  Wo.  1900  Sp.  68—73)  hinweist.  — 


214     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

A.  Müller,    Scenisclies    zu    Aristophanes'  Wolken.     Berl.    pliil. 
Wo.  XX,  1900,  Sp.  923-925.  — 

Es  hatte  Zacher  gelegentlich  einer  Rezension  in  der  Berl.  phil. 
Wo.  1900,  Sp.  69 — 70  die  Ansicht  aufgestellt,  daß  die  Eingangsscene 
der  Wolken  im  Hofe  des  Hauses  des  Strepsiades  spiele  und  daß  weiter- 
hin Strepsiades  in  den  Hof  des  Hauses  des  Sokrates  eintrete.  Zacher 
meint,  daß  sich  bei  dieser  Ansicht,  die  er  des  näheren  auseinander- 
setzt, alle  auscheiuenden  Schwierigkeiten  dieser  Scene  erklären.  Diesen 
Ausführungen  Zachers  tritt  nun  Albert  Müller  a.  a.  0.  entgegen. 
Gegenüber  der  Neuerung,  die  Handlung  in  das  lonere  von  zwei  ver- 
schiedeneu Gebäuden  zu  verlegen,  verteidigt  Müller  die  bisher  festge- 
haltene Regel,  daß  die  griechischen  Dramen  vor  den  Häusern  spielen. 

In  der  Frage,  wie  die  Öffnung  der  Wand  bewirkt  wurde,  durch 
welche  man  nach  v.  183  das  Innere  des  Phrontisterions  erblickte,  zeigt 
sich  Müller  insofern  entschieden,  als  er  die  Anwendung  des  Ekkj'^klema 
für  diese  Scene  als  unmöglich  erklärt.  Als  möglich  hingegen  bezeichnet 
er  es,  daß  die  als  Vorderwand  dienende  Leinwand  aufgerollt  wurde. 
Bezüglich  dieses  Gedankens  verweist  Müller  auf  Weißmann,  Die  scenische 
Aufführung  der  griechischen  Dramen  S.  9.  Bei  der  Herrichtung  des 
Spielhauses  vor  der  Aufführung  der  Wolken  müßte  natürlich  auf  die 
Bedürfnisse  der  einzelnen  Scenen  Rücksicht  genommen  worden  sein.  — 

A.  Dieterich,  Über  eine  Scene  der  aristophanischen  Wolken. 
Rh.  Mus.  XLVIII,  1893,  p.  275—283.  — 

Der  Verfasser  weist  nach,  daß  die  erste  zwischen  Sokrates  und 
Strepsiades  stattfindende  Scene  der  Wolken,  namentlich  von  v.  250  bis 
zu  Ende  des  Gebetes  v.  275  auf  einer  parodischen  Nachbildung  orphischer 
Weihen  und  orphischer  Hymnen  beruht.  —  Wesentliche  Punkte  dieser 
Auffassung  waren  allerdings  schon  durch  ältere  Besprechungen  der 
Stelle  bekannt.  Es  ist  aber  ein  unzweifelhaftes  Verdienst  Dieterichs, 
diesen  Gegenstand  in  einem  größeren  Zusammenhange  und  mit  derartiger 
Berücksichtigung  von  Einzelheiten  dargestellt  zu  haben,  daß  auf  einige 
Verse  dieser  Partie  eine  weitaus  schärfere  Beleuchtung  fällt  als  früher.  — 
Kock  hat  den  lehrreichen  Aufsatz  in  seiner  Ausgabe  der  Wolken  von 
1894,  bereits  berücksichtigt.     Vgl.  z.  B.  die  Aum.  zu  v.  254.  — 

Versibus  Aristopbaneis  suus  locus  restitntns.  Scr.  P.  H.  Damste.  — 
Sylloge  quam  Constantino  Conto  obtulerunt  phil.  Batavi.  S.  9 — 10.  — 
Lugd.  Bar.     1893. 

Der  Verfasser  meint,  daß  die  Verse  der  Wolken  486 — 490 
durchaus  einen  Fehler  enthalten  müßten.     Die  Verse  lauten: 

486.  2a).     Evsaxi  o^xa  goi  Xe^siv  ev  ttt]  cpusst; 

487.  2t.      Xe^siv  [jiev  o'jy.  Ivejt'  aTrosTepstv  5'  Ivi. 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     215 

488.    lu).      ~Cj;  oov  o'jvrjjs'.  [jiavf^avetv;   ^r.  ajxsXs!.,  xaXtüj. 
4S9.   2(o.     ays  vuv  otku?,  orav  ti  7:poßaXu)[xai  so^pöv. 
490.  rspl  Tüiv  |i.$-£tup(i>v.   euösoj?  u'fapTrasst,  — 

Hier  ist  es  dem  Komiker  darum  zu  tun,  bald  auf  die  [X£-£cüpa  zu 
kommen,  wovon  er  sich  großen  Erfolg  verspricht.  Er  läßt  daher  an  den 
künftigen  Sokratesschüler  Strepsiades  die  F'ratre  stellen,  ob  er  Gedächtnis 
und  Redefertigkeit  besitze,  worauf  Strepsiades  jedesmal  in  einer  für  die 
Athener  unterhaltenden  Weise  antwortet:  Ein  gutes  Gedächtnis  habe 
ich  nur,  wenn  mir  jemand  Geld  schuldig  ist,  und:  Eeden  kann  ich  zwar 
nicht,  aber  betrügen  kann  ich.  — 

Diese  sehr  gut  zusammenhängende  Stelle  verdirbt  nun  Damste 
durch  folgende  Versumstellung:  488,  486,  487,  489,  490.  Bei  dieser 
Anordnung  klafft  zwischen  den  Versen  487  und  489  eine  unerträgliche 
Lücke,  die  nur  durch  die  rasche  Wiedereinsetzung  des  v.  488  an  seinen 
angestammten  Platz  ausgefüllt  werden  kann.  — 

S.  R.  Winans,    Notes   on  Aristoph.  Clouds.     Americ.  Journ.  of 
Philology  XVI,  1895,  p.  73-77.  — 

Der  Verf.  beschäftigt  sich  mit  der  Erklärung  von  drei  Stellen 
der  Wolken.  —  In  v.  179  hält  er  an  G.  Hermanns  Schreibung  »}u[i.aT'.ov 
fest  und  glaubt  einen  Witz  in  der  Amphibolie  von  u'fsiXsTo  zu  erblicken, 
ucaipeiv  sei  ein  mathematical  term,  with  good  punning  possibilities, 
,,substract",  „abstract".  Thaies  sei  nämlich  hier  nicht  als  Weiser  über- 
haupt genannt,  sondern  speziell  als  Geometer.  Ich  kann  nach  dieser 
Erklärung  nicht  einsehen,  wie  der  noch  ungelehrte  Strepsiades  diesen 
Terminus  der  Schule  so  lasch  erfaßt  und  namentlich  begriffen  haben 
soll,  wie  das  Stück  Opfeifleisch  in  den  Besitz  des  Sokrates  kam.  Ich 
w'enigsteus  verstehe  dies  nicht;  allerdings  gibt  die  Stelle  nach  der  her- 
gebrachten Exegese  auch  keinen  befriedigenden  Sinn.  Mau  vgl.  jetzt 
J.  van  Leeuwens  Ausgabe  und  den  Aufsatz,  in  der  Mnemos.  XXVI, 
p.  422.  —  Ebensowenig  hat  mich  Winans  davon  überzeugt,  daß  in 
v.  73  nach  Feitons  Vorgänge  bei  l-üöc-o  die  Mutter  des  Pheidippides 
als  Subjekt  zu  denken  sei  und  nicht  Pheidippides  selbst,  da  auf  Phei- 
dippides erst  mit  -rouToviin  v.  77  zurückgekommen  werde.  Zu  Pheidippides 
kehren  die  Worte  des  Sti'epsiades  schon  mit  toütov  xov  uiov  in  v.  68 
zurück.  —  Sehr  zweifelhaft,  namentlich  aus  sceni^chen  Gründen,  ist 
mir  auch  das  j^fittel,  duich  welches  der  von  Dindorf,  Meineke,  Kock, 
Blaydes  als  unecht  erklärte  Vers  1474  für  den  Dichter  gerettet  werden 
soll.  Winans  sucht  glaubhaft  zu  machen,  daß  Strepsiades  vor  seinem 
Hause  an  der  Stelle  des  früheren  Zeusbildes  (vgl.  v.  1234,  83,  1478) 
eine  tönerne  Statue  des  Dinos  aufstellen  ließ.  Wann  und  wie  dieser 
Wechsel  der  Scenerie  vor  sich  gegangen  sein  soll,  wird  nicht  angegeben. 


216     Bericht  über  die  Literatur  der  griecbischea  Komödie.  (Holzinger.) 

Neu  ist  diese  Erklärung  übrigens  keineswegs.  Sie  steht  bei  FritzscLe 
(1838)  in  der  Ausgabe  der  Thesmoph.  v.  748,  bei  Teuffei  (1863)  in  der 
Ausgabe  der  Nubes.  Vgl.  Blaydes  im  Kommentar  zur  Stelle.  Heidhues 
Neue  phil.  Rundschau  1898,  p.  387  und  Leeuwen  Mnemos.  XXVI, 
p.  220  und  in  der  Ausgabe  der  Wolken  beziehen  das  toutovI  töv  Srvov 
auf  das  von  Strepsiades  getragene  Weingefäß.  Diese  Methode  der 
Rettung  des  v.  1474  hat  viel  mehr  für  sich. 

Ad.  Römer,     Zur  Kritik   und  Exegese  der  Wolken  des  Aristo- 
phanes.  —  Sitzgsber.  d.  bayer.  Akad.   1896.  —  S.  221—256. 

Der  Verfasser  will  zunächst  durch  einige  Stellen  der  Wolken  be- 
weisen, daß  an  dem  Sokrates  des  Aristophanes  doch  etwas  mehr  „echt 
ist,  als  die  Maske''.  So  leitet  er  aus  vs.  144  ff.  ab,  daß  Aristophanes 
die  Manier  des  Philosophen  kannte,  den  unscheinbarsten  Gegenstand 
aufzugreifen  und  bedeutsame  Erörterungen  daran  anzuknüpfen.  Bei 
V.  234  habe  man  schon  längst  die  Verspottung  der  Sokratischen  Me- 
thode bemerkt,  seine  Behauptungen  durch  Beispiele  aus  dem  täglichen 
Leben  zu  erläutern.  Bei  v.  704  ff.  hebt  Römer  das  Abspringen  des 
Sokrates  von  einem  Gegenstaude  zum  anderen,  bei  v.  736  die  heuristische 
Methode  (so  auch  Kock),  bei  £Ev]|xßXioxas  in  v.  137  die  Maieutik  des 
Sohnes  der  Phainarete,  bei  v.  741  ff.  die  Dialektik,  das  öiaipsiv  des 
Platonischen  und  Xenophontischen  Sokrates  hervor.  In  dem  y.aXot  ts. 
xa7a{>oi  des  v.  101  sieht  Römer  die  erste  und  älteste  Charakteristik  der 
Sokratiker.  —  Der  Verfasser  bricht  hierauf  diesen  gesponnenen  Faden 
ab  und  behandelt  auf  S.  231—245  eine  Reihe  einzelner  Stellen  der 
Wolken.  In  v.  178  streicht  Römer  xa'[ji.'];a?  oßsXiJxov  und  hält  sich  an 
das  Citat  des  Demetrios  irspl  epixr|V£tac'  152  Sp.:  xr^pov  6ta-cr^;a?  sT-a 
ötaßY^TTjv  Xaßcuv,  ix  x^?  7ia>.ai3Tpa?  i[xaTiov  ucpsOvexo.  Römer  lehnt  es  ab, 
dieses  xr^pov  ota-ry^^as  des  Demetrios  für  eine  Verwechslung  mit  dem 
Anfange  des  v.  149  und  für  einen  lapsus  memoviae  zu  halten,  sondern 
sucht  einen  neuen  eigentümlichen  Zusammenhang  dieser  nicht  zusammen- 
gehörigen Worte  und  glaubt,  „daß  der  Spaß  mit  dem  Elohspruug  erst 
später  hinzugedichtet  wurde".  In  ähnlicher  Weise  werden  auch  die 
vss.  996—999  als  eine  „nachträgliche  Zutat  von  selten  des  Dichters" 
zu  dem  „abschließenden  Gedanken"  in  vss.  994 — 995  erklärt.  Ebenso- 
wenig haben  mich  andere  Bemerkungen  Römers  in  diesem  Abschnitte 
überzeugt,  wenn  er  z.  B.  in  v.  556  r^  (sie)  xo  x^xo;  7)39isv  lesen  und 
x^xo;  als  Objekt  nehmen  will,  indem  er  sich  augenscheinlich  auf  eine 
unrichtige  Angabe  A.  Martins  über  das  Scholion  in  R.  stützt.  —  Ge- 
lungener als  dieser  Abschnitt  des  Aufsatzes  ist  sein  Schluß.  Dort 
wird  der  Mißerfolg  der  „ersten  Wolken"  auf  die  Wiederholung  des 
Problems    der  Eiziehunc,'    aus    den  Daitaleis    zurücklief ührt.     Die   wei- 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger.)     217 

tereu  BemerkuDgen  sind  dazu  bestimmt,  zu  beweisen,  daß  in  deu 
Komödien  des  Aristopöanes  ein  einheitlicher  Grundzug  der  Haupt- 
charaktere nicht  streng  festgehalten  wird. 

J.  van  Leeuwen,  Epistuhi  critica  de  Aristophanis  Nubibus.  — 
Mnemosyue  NS.  XXVI,  1898.  p.  205—236. 

Der  Aufsatz  befaßt  sich  mit  der  Erklärung  und  Textkritik  ein- 
zelner Stellen  der  Wolken.  Von  den  vorgetragenen  Konjekturen  halte 
ich  folgende  für  beachtenswert :  in  v.  720  l-l  st.  sti,  v.  721  «ppoupa; 
St.  (ppo'jpac,  V.  1102—1104.  Die  Worte  des  Dikaios  irpo?  rüiv  öswv — irpö; 
Gfxa;  sind  an  die  Sokratiker  gerichtet.  V.  761  i'XXe  st.  tlXXz,  v.  377 
Beistrich  nach  ofA^pou,  nicht  nach  dvczYxrjV,  v.  384  u-fpox/jxa  (nach  V), 
st.  uuxvoTTjTa,  Schol.  Nub.  967  Düb.  -=  964  Ddf.:  ZTrjjiyopou  st.  'fvjatv  V., 
V.  974  d^ivvsc  St.  a-r,vEC,  V.  1006  XsTiTii)  st.  Xeuxcp,  v.  594  ^usTT^aexat 
st.  Suvoiasxai.  Aus  der  Zahl  derjenigen  Vermutungen,  die  ich  nicht 
billige,  erwähne  ich  folgende:  Die  vss.  412—419  weist  Leeuwen  dem 
Sokrates  zu.  Da  er  aber  427 — 428  dem  Koryphaios  belassen  muf, 
bleibt  nichts  anderes  übrig,  als  auch  die  Einleitung  dieses  Gespräches 
412 — 419  dem  Chor,  resp.  dem  Koryphaios  zuzuweisen.  Ahnlich  ver- 
hält es  sich  mit  den  Versen  457 — 461,  462 — 464,  467 — 475.  Leeuwen 
gibt  sie  dem  Sokrates,  in  der  Meinung,  daß  der  Chor  seine  Partie  bei 
436  beendet  hat.  DA  er  aber  476 — 477  dem  Koryphaios  beläßt,  ist 
diese  Argumentation  hinfällig.  Wer  diese  Verse  spricht,  spricht  auch 
die  vorhin  bezeichneten  Abschnitte.  Mit  Recht  also  hat  Beutley  dies 
alles  gegen  die  mss.  dem  Chore  zugewiesen.  Für  v.  730  i^  apvaxtßcuv 
leugnet  Leeuwen  das  Wortspiel  mit  s^apveTsilai,  während  seine  eigene 
Erklärung  noch  weniger  witzig  ist.  Die  vss.  1113 — 1114  gibt  er  mit 
Unrecht  dem  Pheidippides  und  hat  dies  auch  späterhin  in  der  Ausgabe 
zurückgezogen.  —  Für  v.  234  gibt  L.  die  Bemerkung,  daß  der  Ver- 
gleich mit  der  Brunnenkresse  irgendwie  direkt  auf  Worte  des  historischen 
Sokrates  zurückgehe.  Richtiger  ist  Kocks  Auffassung,  daß  hier  nur 
die  Manier  des  Sokrates,  Beispiele  aus  dem  Alltagsleben  zu  geben, 
verspottet  werden  soll.  —  Die  Epistula  critica  ist  an  Leeuwens  Freund 
und  Mitarbeiter  M.  B.  Mendes  du  Costa  anläßlich  des  ihm  von  der 
Amsterdamer  Universität  verliehenen  Ehrendoktorates  gerichtet.  — 

J.  van  Leeuwen,  Ad  Aristophanis  Nubes  observationes.  — 
Mnemosync  NS.  XXVI,  1898,  p.  420—440. 

Diese  Abhandlung  ist  ihrem  Charakter  nach  eine  Fortsetzung 
des  vorhergenannten  Aufsatzes  und  bildet  sowie  dieser  eine  Grundlage 
der  van  Leeuwenscheu  Ausgabe  der  Nubes.  Von  den  vorgelegten 
Stellenerklärungen  ist  nur  einiges  neu  und  hiervon  nur  weniges  richtig. 
Bei    mehreren  Stellen    hat    der  Verf.   nur    die  Schwierigkeiten  hervor- 


218     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Ilolzinger.) 

cehotcn,  ohne  eine  Lösnng-  zu  bringen.  Bemerkenswert  ist  die  Kon- 
jektur zu  V.  248:  TW  0  a^opa^e"';  st.  tw  7ap  o|xvu-';  daß  aber  der 
V.  179  unecht  sein  und  aus  einer  anderen  Komödie  stammen  müsse,  . 
kann  ich  nicht  billigen.  Man  versteht  ihn  nicht  recht.  Das  ist  alles, 
was  man  gegen  den  Vers  einwenden  kann.  Es  ist  doch  aber  gar  nicht 
zu  verwundern,  wenn  wir  nicht  alle  Scherze  des  Komikers  verstehen! 
In  der  Tat  hat  van  Leeuwen  in  der  Ausgabe  die  Athetese  nicht  aus- 
gesprochen. In  V.  219  schreibt  van  Leeuwen  u>,  ^ojy.par/]?!  st.  di  ScuxpaTsc, 
gewiß  unrichtig.  Strepsiades  rief  den  Philosophen  bescheiden  an:  «o 
2u>xpar£c!  und  da  dieser  den  Zuruf  unbeachtet  läßt,  bittet  Strepsiades 
den  Schüler:  dva[56r,(jov  autov  [j,oi  [XE-ya.  Nicht  also  wird  jetzt  Sokrates 
zum  erstenmal  angei'ufen,  wie  van  Leeuwen  meint,  sondern  ange- 
schrieen wird  er  zum  erstenmal,  während  er  früher  nur  angerufen 
worden  war.  Sonst  hätte  das  [xe^a  keinen  Sinn.  Unwahrscheinlich  ist 
für  v.  276  die  Schreibung  auaTjxov  st.  £ua7r,Tov,  in  v.  523  oluto?  st.  iipwTYjv, 
ebenda  ist  -^^iwaa  vuv  ava^eujai  st.  y]^ta>3'  dva-i-eüsai  unmetrisch,  da  es 
ganz  einfach  einen  Fuß  zu  viel  hat.  —  Daß  in  v.  556:  Opuvt/o?  irdXai 
~£-oir)y\  rjv  xo  xrfOQ  vjcjvliev  der  Komiker  Phrynichos  gemeint  sei,  wird 
weitläufig  auseinandergesetzt.  Kock  hat  dies  schon  längst  zu  B,an. 
v.  13  bemerkt.  Nur  spricht  .Kock  richtig  von  der  Andromeda, 
Leeuwen  aber  in  der  Mnemos.  XXVI,  p.  433  und  in  der  Ausgabe  p.  97 
von  der  Andromache.  Bei  v.  676  wird  Kleonymos  als  ein  ehemaliger 
Apotheker  ausgegeben.  — 

A.  Platt,  Three  conjectures  on  tlie  Clouds  of  Aristophanes.  — 
Class.  Eeview  XIII,  1899,  p.  428—429. 

Verf.  empfiehlt  für  Nub.  626  roüTriov  (=  to  Xoitov)  st.  toü  ßi'ou,  für  744 
7.-6Xu£  st.  d7r£XÖ£  und  für  1415  xXaEiv  ooy.£r;  öixaiov.  Unter  diesen  dreiVer- 
mutungen  ist  jedenfalls  die  letzte  die  relativ  beste.  Sie  schließt  sich 
übrigens  nahe  an  einen  Gedanken  J.  van  Leeuwens  an.  — 

*S.  Scaevola,    A  propos   des  Nuees  d'Aristophane.    Deux  mots 
sur  les  Paphlagoniens.  —  Launoy,  1901. 

Aristophanes,  Vespae.  A  translation  by  F.  G.  Plaistowe.    Lon- 
don 1893. 

Aristophanes,  Vespae,  Translated  into  English  by  H.  Haiist oue. 
Cambridge  1896.     2  sh. 

Beide  Bändchen  enthalten  bloß  eine  Prosaübersetzuug  der  Wespen, 
ohne  Text  und  Anmerkungen.  Plaistowe  hat  die  von  Holden  ausge- 
lassenen Verse  ebenfalls  übergangen.  Dafür  finden  sich  am  Schlüsse  des 
Bändcheus  Test  papers  über  die  Wespen.  —  Bei  Ilailstone  schlug  ich  v.  604 
nach  und  fand  xrj?  dpy?;;  als  lokalen  Genetiv  aufgefaßt,  was  unrichtig  ist. 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,  (Holzingcr.)     2I1> 

The  Wasps  of  Aristophanes.  By  C.  E.  Graves.  Cambridge 
1894. 

Aristophanes,  The  Wasps.  Wiih  introductiou  and  uotes  by 
W.  \V.  Merr}'.  Second  edition.  Part  I.  Introductiou  and  text. 
Part  II.    Notes.  —  Oxford  1898. 

Beide  Bändchen  sind  brauchbare  Schulausgaben.  Graves  stützt 
sicli  in  seinen  Anmerkuneren  besonders  auf  Blayde:>,  dessen  Name  auch 
in  der  aus{2;c\vählten  Varia  lectio  in  den  Faßnoten  unterhalb  des 
^-riechischen  Textes  häufig:  begegnet,  ferner  auf  van  Leeuwen  und  am 
meisten  auf  Rogers"  Ausgabe.  Bezüglich  seines  Verhältnisses  zu  der 
ersten  Auflage  (1893)  der  Ausgabe  Merrys  sagt  der  Herausgeber: 
Dr.  Merry's  edition  I  have  refrained  from  Consulting;  though  I  knew 
how  much  I  might  profit  by  his  wit  and  wisdom,  and  ripe  scholarship. 
But  I  feit,  as  a  friend  once  wrote  of  another  book,  that  his  notes  are 
too  recent  to  be  the  common  prey  of  commeotators.  —  Merrys  Aus- 
gabe behandelt  in  der  Einleitung  die  literarge&chichtliciien  Verhältnisse 
des  Stückes,  seinen  Inhalt  und  das  Wichtigste  über  dm  Richterstand  in 
Athen.  Der  Kommentar  zeugt  von  dem  Bestreben  des  Verfassers,  zur 
Erklärung  schwieriger  Stellen  etwas  Neues  beizutragen.  —  Nicht  ganz 
einverstande)!  bin  ich-  bei  v.  604:  -av-wc  7ctp  -oi  rauset  r.oxi,  xava- 
9avTQce'.  I  -pcuxtoc  Xou-poü  -epr/iYvojjLEvoc  t?,;  '^•P/"^J  ~^jC  ~£pias|xvou.  Hier 
folgt  Merry  der  Erklärung  Jul.  Richteis,  der  -9;?  i?'/r^i  mit  raujet  und 
•izspqqvoijLcvoc  verbindet.  Merry  sagt,  dies  sei  ein  Genetiv  „of  general 
reference".  Die  richtige  Konstruktion  gibt  W.  .1.  M.  Starkie  (ed.  1897), 
indem  er  ap/rj;  nur  mit  -£pi7r,'vo[j,£vo;  verbindet.  Denn  dieses  Verb  ist 
äito  xüivo-j  gestellt.  Starkie  geht  nur  in  der  Ausmalung  des  Vergleiches 
zu  weit.  —  Die  zweite  Auflage  der  Ausgabe  Merrys  ist  übrigens  ein 
beinahe  unveränderter  Abdruck  der  ersten  Auflage.  Ein  kurzer  Zusatz 
am  Schlu3.se  der  Noten  S.   102  ist  nicht  von.  Belaug.  — 

Aristophanis  Vespae.  A  literal  trauslation  by  J.  A.  Prout. 
London  1894. 

Dieses  Bändchen  gehört  zu  der  Serie  von  Kelly's  keys  to  the 
Classics.  Die  ia  Prosa  gegebene  Übersetzung  ist  keineswegs  wörtlich 
genau,  sondern  nur  dem  Sinne  des  Originals  meistens  angepaßt.  Über 
schwierige  Stellen,  bei  denen  man  durch  die  Übersetzung  eine  Erklärung 
der  Konstruktion  des  griechischen  Textes  zu  erhalten  wünscht,  kommt 
der  Verfassei'  natürlich  sehr  leicht  hinweg.  Hält  sich  der  Leser  z.  B. 
bei  v.  604  au  den  Wortlaut  der  Übersetzung,  so  muß  er  im  Texte 
TTJc  ap/^?  von  -pcü/.To'c  abhängig  machen,  was  ohne  Zweifel  fehler- 
haft wäre. 


220     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger) 

The  „Wasps"  at  Cambridge.  —  The  Athenaeum,  1897,  No.  3657, 
p.  757.  — 

Der  mit  V.  bezeichnete  Referent  berichtet  über  eine  scenische  Auf- 
führung der  Wespen  durch  das  Greek  Play  Committee  ut  Cambridge. 
Der  Text  war  bedeutend  gekürzt  und  in  drei  Akte  zusammengezogen. 
Das  Kostüm  der  Wespen  wies  nur  die  Farben  Gelb  und  Schwarz  auf. 
Die  Musik  stammte  von  Mr.  Noble.  Hervorgehoben  werden  in  dem 
Berichte  die  schauspielerischen  Leistungen  der  Vertreter  der  beiden 
Hauptrollen  Philokieon  und  Bdelykleon,  ferner  die  Lebhaftigkeit  der 
Tänze  des  Chores.  Die  Aufführung  unterhielt  die  Zuschauer  auf  das 
beste,  hinterließ  aber  mehr  den  Eindruck  einer  „Burleske"  als  den 
einer  Komödie.  —  Trotz  des  "Wohlwollens,  mit  dem  der  ungenannte 
Kritiker  die  Aufführung  begleitet,  ist  zu  ersehen,  daß  sich  diese 
Komödie  wegen  der  politischen  Grundlage,  auf  der  sie  aufgebaut  ist,  zur 
Wiederbelebung  vor  einem  modernen  Publikum  weniger  eignet  als 
manche  andere.  — 

The  Wasps  of  Aristophanes  as  performed  at  Cambridge  No- 
vember 19 — 24,  1897.  With  the  verse  translation  by  Benjamin 
Bickley  Rogers,  Cambridge  1897. 

Dieses  Bändchen  ist  von  C.  E.  Graves  herausgegeben,  dessen 
Text  und  Kommentar  der  Wespen  1894  in  Cambridge  erschienen  war, 
Graves  hat  nun  den  Text  zu  Zwecken  der  scenischen  Aufführung  auf 
1 149  Verse  zusammengestrichen  und  hat  dieser  Auswahl  die  TTbersetzuug 
von  Rogers  beigefügt,  welche  in  dessen  bekannter  Quartausgabe  des 
Stückes  (1875  London,  George  Bell  and  Sons)  zu  finden  ist.  Diese 
Übersetzung  ist  großenteils  im  Versmaße  des  Urtextes  abgefaßt.  Eine 
kurze  Inhaltsangabe  des  Dramas  hat  Graves  vorangestellt.   — 

Aristophanes'  Wespen,  in  Versen  übersetzt  von  N.  J.  Korniloff, 
Kasan  1900.     (Russisch.) 

Diese  Kasaner  Universitätsschrift  enthält  eine  Übersetzung  der 
Wespen  (S.  1 — 80)mit  einem  Anhange  von  kurzen  Anmerkungen  (S.81  — 
95)  von  N.  J.  Korniloff  unter  der  Redaktion  und  mit  einer  Einleitung 
(S.  I — X)  von  Mischtschenko.  In  der  Einleitung  wird  auf  mehrere  be- 
kannte Werke  hingewiesen.  Die  Anmerkungen  beruhen  auf  den  Schollen 
nach  Bekkers  Ausgabe,  der  tJbersetzung  von  Seeger,  dem  Kommentar 
von  Julius  Richter  und  einigen  Handbüchern.  — 

*6oißi&orouAoc  r.,  'AvaÄuoi?  xtüv  S^yjxtov  toü  'Ap'.jxotpavou;.  1900. 
'Apfxovt'a,  'ATipiXtoc,  p.  207 — 221. 

C.  Robert,  "Ovot  -Y]Xtvot.  —  E^rifxepU  ap/aioXo/tx-rj  III,  1892, 
Sp.  247—250.   — 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischea  Komödie.  (Holzinger.)     221 

Auf  Tafel  XIII  des  bezeichneten  Bandes  ist  die  Abbildung  des 
tönernen  ovoc  zu  sehen,  den  Robert  beschreibt  und  in  einer  jeden  Zweifel 
ausschließenden  Weise  erklärt.  .Das  Geräte  hat  die  Gestalt  eines  an 
der  einen  Schmalseite  mittelst  einer  8tirnscheibe  abgeschlossenen  feinen 
Hohlziegels.  Auch  mit  einer  Wadenschiene,  die  mit  einer  Rundung  das 
Knie  deckt,  ließe  es  sich  vergleichen.  Die  Innenseite  ist  glatt,  die 
Außenseite  zeiyt  auf  dem  Rücken  ein  Schuppenornameut,  an  den  beiden 
Längsseiten  Bildwerke ,  schwarzfigurige  auf  rotem  Grunde  oder  rot- 
figurige  auf  schwarzem  Grunde.  Gewöhnlich  sind  Scenen  aus  dem 
Frauengemache  dargestellt.  Die  Stirnfläche  zeigt  meistens  einen  weib- 
lichen Kopf,  entweder  in  erhabener  Arbeit  oder  eingeritzt.  Die  Funde 
reichen  von  der  Mitte  des  sechsten  bis  zum  Schlüsse  des  fünften  Jahr- 
hunderts. Robert  widerlegt  schlagend  die  Deutungen  seiner  Vorgänger 
und  weist  nach,  daß  dieses  Instrument  ein  sTcivTjxpov  oder  ovo?  (Pollux 
X,  125)  ist.  Den  näheren  Gebrauch  desselben  liest  Robert  von  einem 
Exemplar  ab,  auf  welches  ihn  Th.  Sophulis  aufmerksam  machte  und 
das  sich  in  dem  Museum  der  "Ap/aioX.  'E-atpia  unter  No.  5899  befindet. 
Es  zeigt  auf  der  einen  Längsseite  eine  Darstellung  seiner  Handhabung. 
Die  Hausfrau  sitzt  mit  der  Zubereitung  der  Wolle  beschäftigt  in  der 
Gynaikonitis  unter  ihren  drei  stehenden  Dienerinnen.  Den  Hohlziegel 
hat  sie  auf  den  rechten -Oberschenkel  gepreßt,  so  daß  das  Knie  durch 
die  Stirnscheibe  des  ovo?  gedeckt  ist.  Nun  wird  jedenfalls  die  Wolle 
feiner  gemacht.  Auf  die  weiteren  Einzelheiten  der  Tätigkeiten  dieser  vier 
abgebildeten  Frauen  und  besonders  auf  die  Reihenfolge  derselben  will  ich 
mich  hier  nicht  einlassen,  zumal  auf  mich  die  Ausführungen  Roberts 
nach  dieser  Seite  hin  nicht  mit  gleicher  Überzeugungskraft  gewirkt  haben, 
als  der  übrige  Teil  des  wichtigen  Aufsatzes.  —  Für  iVristophanes  kommt 
die  Sache  wegen  Vesp.  616  in  Betracht:  xav  olvov  [xot  [xr,  '"f/jn?  <ju  meh, 
Tov  ovov  Tovo'  ejy.£xo(j.t!Jii.ai.  Man  begnügte  sich  bisher  mit  der  Scholiasten- 
notiz,  daß  es  sich  hier  um  ein  a-^Ysiov  ttotou  handle.  Nun  lehrt  Robert 
das  einzig  Richtige  über  diese  Stelle.  Philokieon  wird,  wenn  er  Richter- 
sold nach  Hause  bringt,  von  seiner  Frau  verhätschelt.  Verweigert  ihm 
etwa  sein  Sohn  einen  Trunk,  so  gibt  ihm  ganz  einfach  die  Frau  einen 
tüchtigen  Schluck  aus  dem  ovo?  zu  trinken,  der  zwar  diesen  Zweck  nicht 
eigentlich  hat,  sich  aber  ausnahmsweise  ganz  gut  dazu  verwenden  läßt.  Ein 
gutes  Stück  der  bisher  dunklen  Stelle  wird  damit  jedenfalls  erhellt,  und 
es  ist  nicht  rühmlich,  daß  die  neuen  Ausgaben  der  Wespen  von  Leeuwen, 
Green,  Merry,  Graves  und  selbst  des  fleißigen  Starkie  nichts  davon 
wissen.  Robert  hält  es  übrigens  für  notwendig  in  v.  614  mit  Meineke 
dXX'  T]v  (so  schon  Elrasley  und  Dobree)  [xr^  [xo-.  -cayu  fta^T)  zu  lesen  und 
hierauf  eine  Lücke  anzunehmen.  Letzteres  wäre  denn  doch  noch  zu 
•überlegen. 


222     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,  (llolzinger.) 

H.  van  Her  wer  den,  Ad  Vespas  Aristophaneas.     —     Muemos. 
NS.  XXI,  1893,  p.  441— 4Ö4.  — 

Unter  Berücksichtigung  der  im  gleichen  Jahre  erschienenen  Aus 
gaben  der  Wespen  von  Blaydes  und  van  Leeuwen  bringt  van  Herwerdea 
44  Bemerkungen  zu  diesem  Stücke,  von  denen  mir  folgende  sehr  be- 
achtenswert zu  sein  scheinen:  1.  In  v.  10  liest  H.  au  oat'ij-ovct  st.  SaßaCtov, 
2.  für  V.  182  empfiehlt  er  Lentings  Vermutung  lotufj-sv  st.  iou)|xat.  3.  In 
v.  365  erklärt  er  fj-s/a'-rtov  richtitr  dnroh  meiliculnm  statt  durch 
apicula.  4.  In  v.  402  schreibt  er  TetatoEor)  st.  Ttuiaor).  Man  findet  auch 
f'inige  begründete  Ablehnungen  von  Vermutungen  der  beiden  damals 
neuesten  Herausgeber.  Die  übrigen  Bemerkungen  halte  ich  teils  für 
überflüssig,  teils  geradezu  für  verfehlt.  Aus  dieser  Zahl  kann  ich  hier 
aber  nur  einige  wenige  anfiihren.  —  Bei  v.  635:  xaXüjc  -(«p  -qdzvj  w?  £7ta 
la'jxTj  xpaTisTo?  zl\).i.  beklagt  sich  van  Herwerden  darüber,  daß  Leeuwen 
und  ßlaydes  seine  bereits  ältere  Vermutung  xaxüi?  nicht  zu  kennen 
scheinen.  Aber  Starkie  kennt  diese  Vermutung  nnd  gibt  ihr  dennoch 
keine  Folge.  Denn  der  Vers  ist  richtig  überliefert;  fjostv  ist  natürlich 
•  iritte  Person  und  Philokieon  sas;t,  daß  Bdelykleon  sehr  wohl  wußte, 
"■eich  großer  Redner  sein  Vater  sei.  Nur  habe  Bdelj^kleon  erwartet, 
Philokieon  werde  ihm  den  Sieg  ohne  Kampf  überlassen.  Vgl.  meine 
Schrift  de  verborum  lusu  p.  23,  welche  Starkie  hier  richtig  benutzt  hat. 
Nicht  hinreichend  scheint  mir  von  den  Herausgebern  bis  jetzt  noch  das 
o'jy.  in  v.  634  erklärt  zu  sein.  —  In  v.  668  will  der  Verf.  Trspi-scpÖEic 
durch  ETtiTep^öei?  oder  durch  7:epif^aX(p9£ts  ersetzen.  Aber  daß  nichts  zu 
ändern  ist,  ergibt  sich  aus  Plutos  v.  159  und  aus  andern  Stellen,  die 
Dindorf  im  Thes.  anführt.  —  Auch  der  v.  774  ist  nicht  funditus  de- 
pravatus,  wofür  ihn  auch  Leeuwen  ansieht.  Vgl.  meine  Bemerkung  zu 
Leeuwens  Aufsatz  ia  d.  Mnemos.  NS.  XXI,  p.  106  über  Vesp.  v.  107. 
Bei  v.  774  liegt  der  Sinn  der  Stelle  auf  der  Hand.  „Scheint  draußen 
die  Sonne  (im  Frühlinjr),  wirst  Du  vor  Deiner  Tür  in  der  Sonne  Recht 
sprechen.  Schneit  es,  bleibst  Du  beim  warmen  Ofen.  Regnet  es,  so 
kommst  Du  in  das  Haus  herein  und  hältst  Gerichtsitzung  in  Deiner 
Stube.  Schläfst  Du  einmal  bis  in  den  langen  Nachmittag  hinein,  so 
kann  Dir  auch  kein  Thesmothet  einen  Possen  spielen."  —  Was  soU 
iiieran  fehlerhaft  oder  unverständlich  sein?  —  Unrichtig  wird  in  v.  857 
f|3l  mit  fj  xwXyj  erklärt,  während  Brunck  ganz  richtig  tj  d|xt?  ergänzte.  — 
Als  Anhang  gibt  H.  noch  eine  unrichtige  Konjektur  (j^iXöiv  st,  xoi/.(uv  zu 
Nub.  324.  Es  handelt  sich  nicht  um  den  Gegensatz  von  ^il6^  und  öaau», 
sondern  um  Hindernisse  bei  einem  Vormarsche,  Schluchten  und  Wälder.  — 

J.  van  Leeuwen,  Ad  Aristophanis  Vespas  observationes  criticae. 
—  Mnemos.  NS.  XXI,  1893,  p.  105-116.  - 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     22;) 

Der  Verl',  teilt  einige  beachtenswerte  VerbesseruiigsvorschlSg"e  zu 
dem  Texte  der  Wespen  mit,  zu  v.  199:  -iWzi  statt  wBet,  zu  v.  31S: 
oiov  x'  e^crTTSiv  (st. 'josiv),  ZU  V.  571  —  572:  „rrjC  sufiuvyj;  \i  «iroXyaov  — 
£Xer,ca;."  Nur  kann  der  überliefej'te  Infinitiv  a-oXüaai  erhalten  bleiben 
und  eXcTjsat;  ist  eine  Vermutung  Madwigs.  Zu  v.  795:  xata-sT-eu  st. 
HirschigS  y.aTars'j^st;  (xaftiilici;  RU),  ZU  V.  1132:  veocvi/üj;  St.  Tpijiduvtxo);, 
zu  V.  1309  tl>p'j-,i  St.  Tpu-ft.  Diese  Vermutung  hat  aber  bereits  Th.  Kock 
in  den  Verisimilia  p.  200  vorweggenommen.  Zu  vss.  1301  ff.  beliauptet 
Leeuwen  mit  Reclit  gegen  Müller-Strübing,  daß  es  sich  in  dieser  Stelle 
bei  Phrynichos,  Antiphon  u.  a.  nicht  um  die  Staatsmänner  und  Redner 
dieses  Namens  handelt,  sondern  um  gleichnamige  Schauspieler,  Sänger 
uud  Tänzer.  Leeuwen  schließt  sich  hierbei  an  Symmachos  im  Schol. 
zu  V.  1302  an.  Die  übrigen  Bemerkungen  des  Verf.  sind  mir  sehr 
zweifelhaft.  In  v.  107  liest  Leeuwen  (ujirsp  ixeXit-'  J^  SofißuXiöc  s^sp/sTai 
st.  das  überl.  tUip/t-on.  Aber  die  Präposition  i?  paßt  nicht  zu  dem 
Vergleiche,  da  Bienen  und  Hummeln  mit  dem  gewonnenen  Wachse  heim- 
wärts fliegen.  Leichter  würde  ich  mich  für  Useners  xi;  l'pysToci  (Fleckeis. 
Jahrb.  1889  p.  375)  entscheiden,  wenn  ich  nicht  die  Überlieferung  für 
ausreichend  hielte.  Es  ist  zwar  richtig,  daß  s'uep/sailai  nicht  an  sich 
domum  reverti  bedeutet.  Es  heißt  aber  auch  nicht  bloß  „hinein- 
gehen", sondern  auch'  „  hereinkonnnen" ,  nnd  da  Philokieon  vor 
seinem  Hause  spricht,  bedeutet  „hereinkommen"  an  dieser  Stelle  so 
viel  als  domum  reverti,  weil  dies  der  Zusammenhang  mit  sich  bringt.  — 

Für  V.  201  empfiehlt  L. :  /.al  -r;v  ooxöv  7rp6<;t)£;  '  tov  o^ij-ov  xtX., 
für  V.  726 :  oux  av  oixasai  (st.  otxajau).  Li  den  Text  seiner  Ausgabe 
hat  L.  diese  zwei  Vermutungen  nicht  gesetzt.  —  In  v.  570  ersetzt  L. 
das  wegen  apvo;  'fu>vv^  unentbehrliche  fiXr,-/aTat  durch  [ipuya-a»..  Für 
v.  1251  schlägt  L.  ein  ungefälliges  Asyndeton  vor:  ohz  •  ausxsua^s  st. 
XpujE  ausx.  —  In  v.  1440  schreibt  er  Xw'ova  st.  rzKtwrx,  was  auch 
Ilerwerden,  Mnemos.  XXI,  p.  453  ablehnt.  — 

A.  Willems,  Notes  sur  les  Guepes  d'Aristophane.  Bulletins  de 
TAcademie  Royale  de  Belgique.  —  3.  Serie.  Tome  XXVII.  1894. 
p.  403—421.  — 

In  diesem  Aufsatze  behandelt  Willems  10  Stellen  der  Wespen. 
Richtig  wird  in  v.  326  der  Ausdruck  (|j£uoot[xaiJLac'jv  erklärt  unter  Bei- 
ziehung von  Ri.  630:  t]>euoaTpoc(pa;uoc  izkia.  Aischines,  der  Sohn  des 
Sellos,  wird  mit  einem  verwilderten  Weingarten  verglichen.  Bei  Aischines 
schießt  das  Lügenunkraut  überall  hervor.  —  Mit  Recht  verteidigt 
Willems  in  v.  774  die  Überlieferung:  oovtoj  zhti.  Zu  beachten  ist  auch 
für  V.  1495  die  Erklärung  von  xo-uXv)6cüv  als  Schenkelknochen  und  für 
V.  1062  die  Auffassung  von  [xot/i[j.u)-:a-Q'.  in  dem  Sinne  von  kriegslustig, 


224     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

nicht  in  dem  Sinne  von  kriegstüchtig.  Von  d(ly.i[xoi  ev  [xa/ai;  ist  sodann 
\).a-/i\i.M-<xxoi  weit  verschieden.  —  Mit  den  übrigen  Bemerkungen  bin  ich 
nicht  einverstanden.  In  der  Verspartie  529 — 545  betrachtet  Willems 
nicht  nur  v.  530  mit  van  lieenwen  als  unverständlich,  sondern  hält  auch 
die  Verse  529,  538,  539  und  bei  der  jetzigen  Interpunktion  die  vss.  531 
— 536  bei  der  herkömmlichen  Anordnung  der  Stelle  für  ebenso  unbe- 
greiflich. Er  beantragt  die  folgenden  Umstellungen  und  Änderungen: 
XOP.  526 — 28  vüv  5y)  —  ©aviQcj£t  .  .  .,  BA.  538  xal  [xrjv  —  -j-patl^opLat  e^oj. 
529  eve^xaTo)  —  Tayiaroi.  XOP.  531 — 536  |xy]  xara  —  aravTojv.  Ei'jrep  — 
xpa-ojsat  .  .  .  OIA.  530  a-cap  —  TrapaxeXEUir;:  539  ti  '[dp,  ■pai)'  üij-eic,  — 
xpaTT^dT);  XOP.  540 — 545.  OuxETt  —  xzK'jrp-q.  Den  Ausdruck  x-'jtt)  (529) 
scheint  er,  obwohl  er  es  nicht  ausdrücklich  angibt,  für  die  Bezeichnung 
des  Behälters  für  die  Schreibrequisiten  zu  halten,  cpaf)'  in  v.  539  für 
den  Imperativ,  und  dem  v.  530  gibt  Willems  den  unrichtigen  Sinn: 
,,Was  bist  Du  für  ein  Mensch,  wenn  das  die  Art  ist,  mit  der  Du  mich 
ermutigst".  —  In  der  Stelle  758—759  sollen  die  Worte  [xr,  vöv  et  £70) 
iv  Toi(ji  oixajTai?  |  xXErxovxa  KXs'tova  Xotßoi[j.i  den  Sinn  haben  von:  [xt]  -/ap 
ouv  Ctp^jv  ETI  (Eur.  Or.  1147),  Dem  steht  wohl  v.  762  entgegen.  —  Über 
V.  1172  6oOt^vi  axopooov  7)[i(pie(T[j.evip  sagt  Willems  nur,  daß  die  Porunkel 
durch  den  Kontrast  den  Gedanken  an  den  Knoblauch  hervorrufts  der 
ein  anreizendes  Mittel  sei.  Es  war  offenbar,  wie  noch  heute,  ein  be- 
liebtes Hausmittel,  Knoblauch  oder  Zwiebelscheiben  oder  Schalen  auf 
ein  Geschwür  zu  legen,  um  es  rascher  zur  Zeitigung  zu  bringen.  — 
Unrichtig  wird  in  v.  1370:  w^zep  aro  T'jjxßou  uejouv  als  -apa  -poc6ox''av 
statt  auo  y.'j\x^ou  gesagt  betrachtet,  weil  air'  ovou  -ejcuv  diesen  Doppel- 
sinn habe.  Ferner  behauptet  Willems,  die  xpExctoi'  auÄTj?  in  v.  1215 
seien  les  tapisseries  du  logis,  was  nicht  neu  ist.  In  v.  131  bedeute  auXr]v 
nicht  den  Hof,  sondern  die  ganze  Wohnung.  —    Vgl.  S.   194  des  Ber. 

E.    S.    Thompson,    Notes    on    the  Wasps    of  Aristophanes.  — 
Classical  Review  IX,  1895,  p.  306—307.  — 

Die  verderbte  Stelle  341—344,  innerhalb  deren  auch  Leeuwen 
noch  zwei  Kreuze  stehen  ließ,  will  der  Verf.  in  folgender  Weise  her- 
stellen: Taüx"  EToXixTjj'  0  |xiapoc  ya  |  veTv;  6  AyjpLoXo-jOxXE'iuv  oto'  j  Ott  Xe'^eic 
au  Tt  TtEpi  TÜiv  ve'  I  (üv  aXYjOs'c,  Kleon  selbst  werde  durch  den  zusammen- 
gesetzten Eigennamen  als  das  große  Mundstück  oder  Sprachrohr  des 
Volkes  bezeichnet.  Den  Bdelykleon  in  dieser  Weise  zu  benennen,  habe 
keinen  Sinn.  Letzteres  wird  man  gerne  zugeben,  ohne  jedoch  die  Stelle 
bereits  für  geheilt  zu  erachten.  —  Die  v.  538,  539  gibt  der  Verf.  beide 
dem  Bdelykleon  und  verändert  zu  diesem  Zwecke  in  v.  539  [xe  in  [xr)  (!). 
Thompson  beruft  sich  darauf,  daß  auch  in  der  metrisch  entsprechenden 
Partie    die  Antistrophe    des  Chores    zweimal  durch  je  zwei  Verse  des 


Bericht  über  die  Literalm-  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)      225 

PhilokleoD  unterbrochen  werde.  —  Eine  weiterreichende  BemerkuDg 
widmet  der  Verf.  den  vss.  1037  flf.  und  1284—1291.  Es  seien  uicht 
bloß  die  Ritter  und  die  Wespen,  sondern  auch  die  dazwischen  fallenden 
Wolken  gegen  Kleon  gerichtet  gewesen,  freilich  indirekt.  Sokrates  und 
die  Sophisten  erscheinen  als  diejenigen,  welche  die  jungen  Sykophanten 
heranzögen,  jene  Anklägerbrut,  welche  die  Partei  Kleons  bildeten  und 
die  athenischen  Bürger  durch  zahlreiche  Ypucpal  ;£via;  vor  den  Richter- 
stuhl des  Polemarchen  (v.  1042)  brächten.  Leider  muß  der  Verf.,  um 
den  Text  diesem  Gedanken  anzupassen,  in  v.  1037  ixst  ao-o-j  st.  (xst 
auTov  schreiben.  Meines  Erachtens  würde  bei  der  Konstruktion  [xeta 
Tivo;  Tivi  e-iy£'.pr,ja'.  von  zwei  Angreifern  gesprochen  werden,  die  gemeinsame 
.Sache  machen,  nicht  von  zwei  Angegriffeneu,  die  zusammengehören. 
—  SchlieiSlich  beschäftigt  sich  Thompson  mit  den  vss.  1050  und  1119. 
In  1050  sei  s-tvoiav  unerwarteterweise  gesetzt  für  siri/votav,  ein  sonst 
unbekanntes  Wort,  das  eine  Bedeckung  der  Enden  einer  Wagenachse 
(yvoa)  bedeute.  In  v.  1119  nimmt  der  Verf.  Anstoß  an  dem  dreifachen 
}j,r,Tc  und  dem  doppelten  Sinne  von  Xaßciv  bei  gleichem  Objektskasus. 
Er  schreibt  also:   \}■r^zl  xciirr,;  [i.r,TS  Xo^yr,?  \ir]ok  cpXü/.Ta'.vav  Aa|H(juv. 

H.  Jackson,  Conjectures  of  the  late  Richard  Shilleto  on  Ari- 
stophanes  Wasps  903,  922.  —  Proceedings  of  the  Cambridge  Philo- 
logical  Society,  1897,-  XLVI— XLVIIL     S.  19.  — 

Jackson  teilte  in  der  dritten  Versammlung  des  J.  1897  in  der 
Philological  Society  zu  Cambridge  eine  Bemerkung  Richard  Shilletos 
mit,  die  dieser  Gelehrte  35  Jahre  vorher  zu  Wespen  903  und  922  ge- 
macht hatte.  In  diesen  2  Versen  kommt  ein  aS  vor,  welches  nicht  ge- 
rade notwendig  zu  sein  scheint.  Shilleto  wollte  daher  beide  Male  a^ 
gesetzt  und  dem  zweiten  Hunde  zugeteilt  wissen,  damit  auch  dieser  Labes 
das  eine  Mal  seine  Gegenwart,  das  andere  Mal  sein  Mißvergnügen  durch 
einen  kräftigen  Naturlaut  bekunde,  da  ja  auch  der  erste  Hund  (902) 
a'j  au  gebellt  hatte.  —  Ich  würde  diese  Zerreißung  der  beiden  Verse, 
obwohl  sie  etwas  Komisches  an  sich  hätte,  dennoch  nicht  anempfehlen, 
da  das  Proanaphonema  des  ersten  Hundes  außerhalb  des  Trimeters 
steht.  — 

W.  Vollgraff,  Note  sur  un  vers  d'Aristofane.  —  Revue  de 
Tuniversite  de  Bruxelles,     IL  annee,  1897,  p.  713—715.  — 

Der  Verfasser,  „Candida!  en  philosophie  et  lettres",  behandelt 
Vesp.  81  —  82:  NixosTparo;  6'  ay  '^rjatv  o  ^xa|x[i(ovi^r,?  |  sivai  9iXoi)uTr)v 
-ouTov  Tj  cpiXö;£vov.  Nach  der  Erklärung  der  Schollen  wird  (piÄoi^u-r)?  ge- 
wöhnlich in  dem  Sinne  verstanden,  als  würde  hier  der  Stratege  Niko- 
stratos  wegen  Bigotterie  oder  Pietismus  verspottet.  Da  aber  unmittel- 
bar vorher  Ämynias  als  cpiXoxußoj  und  Deikylos  als  'fiXo-oTr,;  lächerlich 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft,    Bd.  CXVI.    (1903.  I.)  15 


226     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

gemacht  werden,  schließt  Vollc;raff  mit  Recht,  daß  es  sich  dem  Niko- 
sti'atos  bei  den  fleißig:  dargebrachten  Opfern  in  erster  Reihe  um  die  mit 
dem  Opfer  verbundene  Schmauserei  handelt.  Also  nicht  als  abergläu- 
biger Frömmler,  sondern  als  weltlich  denkender  Schätzer  dampfender 
Fleischschüsseln  wird  Nikostratos  vom  Komiker  vorgestellt.  Vollgraff 
verweist  auf  die  Verbindung  von  Ooeiv  -/.«l  sOwysrji^ai  bei  Ps.-Xenoph. 
Respubl.  Ath.  IX;  ferner  auf  Xenoph.  Mem.  II,  3,  11,  Ph^rekrates 
frag.  153  Keck,  Juv.  Sat.  XI,  85  und  auf  die  Komödie  OtXo'l'jxrp  des 
Metagenes  (Meineke  I,  p.  221,  Kock  CAF.  I,  70.S).  deren  Titel  er  in 
dem  gleichen  Sinne  wie  Vesp.  82  deutet.   — 

W.  M.  Ramsay,    The    slaves    in    the  Wasps.    —  The   classical 
Review  XII,   1898,  p.  335—337.  — 

Der  Verf.  spricht  in  diesem  Artikel  über  Ve.sp.  v.  433:  w  Mi'oa 
xal  Opu^  ßoiQÖst  Ssüpo  xal  Masuvtta.  In  überzeugender  "Weise  wird  dar- 
gelegt, daß  man  den  in  diesem  Stücke  auftretenden  Sklaven  Sosias  als 
Phry^er  und  den  Xanthias  als  Lykier  aufzufassen  habe.  Unsicher  aber 
bleiben  die  weiteren  Vermutungen  des  Verfassers.  Er  identifiziert  den 
Xanthias  mit  dem  im  v.  433  genannten  Masyntias  und  den  Sosias  mit 
dem  Mi3a;  6  xal  <I>pu;!  Von  letzterer  Wendung  sei  in  v.  4>33  der  Vo- 
kativ gebraucht,  wobei  der  Artikel  wegfalle.  Mit  Midas  und  Phryx  sei 
ein  und  derselbe  Sklave  bezeichnet,  nämlich  Sosias.  In  den  Wespen 
kämen  also  nicht  fünf  Sklaven  vor,  sondern  nur  zwei,  nämlich  Sosias 
und  Xanthias.  Der  vom  Verf.  beabsichtigte  Beweis  für  diese  These 
wird  allerdings  auf  gelehrtem  Apparate  aufgebaut.  Aber  Ramsay  gibt 
doch  selbst  zu,  daß  er  ein  Analogon  zu  Mtoa  zocl  Opu?,  wenn  darunter 
nur  eine  Person  gemeint  wird,  nicht  vorführen  könne.  In  dem  Namen 
Masyntias  sieht  der  Verf.  nicht  eine  Ableitung  von  [ji.7.cjaji)ai  (Masucius^ 
Manducus,  Maistov),  sondern  findet  in  dem  zweiten  Teile  von  Ma-auvxiac 
eine  auffallende  Ähnlichkeit  mit  dem  Namen  Eav&i'a?  und  erinnert  daran, 
daß  wir  nicht  wissen,  welchen  lykischen  Lokalnamen  die  Grieclien  durch 
ihr  Eavöo?  wiedeigaben.  Im  v.  433  liege  eine  spöttische  Umschreibung 
der  beiden  Sklavennamen  Sosias  und  Xanthias  und  zwar  „a  mock-heroie 
invocation-'.  —  Vor  allem  ist  gegen  Ramsay  zu  bemerken,  daß  die 
Situation,  in  welcher  Bdelykleon  seine  Sklaven  zu  Hilfe  ruft,  eine  Um- 
schreibung ihrer  Namen  durchaus  nicht  wahrscheinlich  macht.  Vielmehr 
ruft  er  so  viele  Sklaven  als  nur  möglich  herbei.  Daher  sind  Midas,. 
Phryx  und  Masyntias  drei  von  Sosias  und  Xanthias  zu  trennende  Eigen- 
namen. Es  ist  nicht  ausgeschlossen,  daß  wirklich  mehrere  icposwiza  xcucpa 
auf  diesen  Ruf  herbeieilten.  Aber  durchaus  notwendig  ist  diese  An- 
nahme nicht.  Für  die  Darstellung  genügte  es  auch  vollkommen,  wenn 
auf  den  Ruf  des  Herrn,  der  gewissermaßen  sein  ganzes  Gesinde  auf- 
zählt, Sosias  und   Xanthias  zu  Hilfe  kommen.  — 


Bericht  über  die  Literatur  dor  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     227 

T.  G.  Tncker,  Various  Eniendations.  —  Class.  Review  XIl, 
1898,  p.  23. 

Ans  Aristophaiies  wird  nur  Vesp.  765  ft".  behandelt.  Es  wird  mit 
Recht  hervorgehoben,  daß  in  dem  Verse  Ta•J•cr^;  i-t^oXrjV  <\/r^(f^zl  [xtav  jxovrjv 
der  Genetiv  tciutt,;  nicht  leicht  die  Magd  bezeichnen  kann,  von  der  im 
Vorhergehenden  gesprochen  wird.  Auch  sei  eine  Geldstrafe  von  einer 
Drachme  für  eine  Sklavin  keine  Kleinigkeit.  Tucker  läßt,  also  den 
Philokleou  nicht  eine  Geldstrafe,  sondern  nur  einen  Schlag  mit  dem 
Pantoffel  diktieren:  ßXauTTjc  eTcißoXrjv  *}>T)(p'eT  [xiav  [xovrjv.  Zu  bemerken 
ist,  daü  kein  Grnnd  zur  Annahme  vorliegt,  Philokieon  wolle  eine  milde 
Strafe  aussprechen.    Im  Gegenteil!  —  Vgl.  v.   106. 

E.  White,  Note  on  Aristoph.  Wasps,  107 — HO.  —  Class.  Rev. 

XII,  1898,  p.  209. 

Die  Verfasserin  stellt  die  Frage,  ob  der  Vergleich  mit  der  Biene 
und  der  Hummel,  welchen  die  vss.  107  und  108  enthalten,  auch  auf 
die  vss.  109 — 110  auszudehnen  sei.  Sie  bernft  sich  iiierbei  anf  Aristot, 
H.  A.  9,  40,  weil  es  dort  heiße:  otav  o'  a'v£|j.o;  r)  ^.£73;,  <pspou7i  XuHov 
ecp'  eauToi?  epixa  -p6?  to  iiveü|j.a.  Ferner  wird  auf  Virg.  Georg.  IV,  194 
und  Aristoph.  Av.  1137  und  1429  hingewiesen.  —  Dies  alles  aber  hat 
mit  den  Versen  Vesp.  109—110  nichts  zu  schaffen.  Die  Stelle  ist  z.  B. 
bei  Leeuwen  ganz  gut  erklärt. 

A.  Willems,  Note  sur  un  passage  des  Guepes.  —  Bulletins  de 

l'Academie  Royale  de  ßelgique.     3.  Sörie;    tom.  XXXVII.  2,  1899, 

p.  898—900.  — 

Willems  beantragt,  den  ganzen  v.  565  zu  streichen.  -po^Ttöeautv 
betrachtet  er  als  absolut  gebraucht.  Als  gutes  Beispiel  für  diesen 
Sprachgebrauch  führt  er  Plat.  Rep.  I,  339  B  an,  o-j  os  Trpojxtf}/)?,  wäh- 
rend sich  gegen  Dem.  IV,  20  als  Analogon  und  auch  gegen  Thuk.  TU,  45 
Einwendungen  erheben  lassen.  Dieses  -poa-:Si%aiw,  meint  Willems,  wurde 
durch  die  Glosse  xaxd  -p6?  xoT?  oustv  erklärt,  und  da  diese  Worte  zu- 
fällig zu  den  anapästischen  Tetrametern  paßten,  fügte  ein  Abschreiber 
ans  Eigenem:  swj  av  (ti?)  ijcujy)  xoisiv  sixolaiv  hinzu.  Das  dviüiv  bietet 
„Notre  meillenr  manuscrit.  le  Ravennas"  nicht,  sondern  Dindorf  hat  es 
aus  dem  Venetus  in  den  Text  gezogen.  —  Ich  habe  den  Eindruck,  daß 
diese  künstliche  Methode,  den  Vers  entstehen  zu  lassen,  seiner  Athetese 
nicht  zur  Empfehlung  dient.  Jedenfalls  aber  ist  die  Bemerkung  von 
Willems  zu  beachten,  daß  Philokieon,  der  in  den  v.  548—558  die  un- 
getrübte Glückseligkeit  des  Richterstandes  preist,  nun  plötzlich  auch 
bei  ihm  große  Sorgen  als  selbstverständlich  annimmt.  — 

J.    Vürtheim,     De    Heliaeis    Atheniensibus.    —    Mnemos.    NS. 

XXVIII,  1900,  p.  228-236. 

15* 


228     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzingor.) 

Die  Abhandlung  bescliäftigt  sich  mit  der  Auslosung  der  heliastischeu 
Gerichtshöfe,    der  Zuweisung    der  Sitzungslokale    an  dieselben  und  mit 
der  Zahl,  den  Namen  und  der  örtlichen  Lage  dieser  Gebäude.  —  Der  Verf. 
gelangt    zu    folgender    Aufzählung:    xo    Tpqcovov,    IIapa|^u3Tov,    Msaov, 
Barpa^ioüv,  Ooivixtoüv,  xo  Mrjxiyou,  'ßtoeiov,    2xoa    -oixiXt);    dazu  kommt 
noch  die'HXiai'a  und  als  zehntes  Lokal  dasjenige,  dessen  Namen  Vürtheim 
bei  Aristoph.  Vesp.  1109  in  den  nach  seiner  Ansicht  verderbten  Worten 
irpö?  xoic  xstyioic  verborgen  glaubt.     Mit  welchem  Rechte  Ilerm.  Hitzig 
zu  Pausan.    I,  28,  8:  xo  fisv  ouv  xaXouixevov  Flapapuaxov  im  Kommentare 
bemerke:     „Vielleicht    geht    darauf    Ar.  Vesp.  1109",    behauptet   der 
Verf.  nicht  zu  verstehen.     Hitzig    gibt   diese  Bemerkung    nur  als  eine 
Vermutung,  indem  er  Vesp.  1109 — 1110,  sowie  Dindorf,  ohne  Beistrich 
nach    xeiyioi;    abdruckt:    ot    oe  (Stxa'Couai)    upo?  xoi?  xsiyiot;  ;u|i.ße[-iua|xevoi 
uuxvov.     Aus  diesem  Citate  muß  man  schließen,  daß  Hitzig  wegen  des 
Ausdruckes  ^uixßsßuafxevot  das  Lokale,  welches  bei  Pausan.  I,  28,  8  und 
bei  Pollux  Vin,   121  Hapaßusxov  beißt,  in  den  Worten  des  Aristophanes 
erwähnt  glaubt.     Dann    müßte    man    also  das  Ilapaßucjxov    mit    dem  xö 
irpoc  -zoii  xsiyioic  genannten  Lokale  identifizieren.     Und  da  Aristophanes 
dieses  Lokale    von    dem  in    v.  1108  genannten  Lokale  der  Eilfmänoer 
unterscheidet,  müßte  man  an  der  Richtigkeit  der  Nachricht  des  Pollux 
a.  a.  0.  zweifeln,  daß  die  Eilfmänner  im  Uapaßujxov  richteten.    Die  Stelle 
des  Pollux  ist  jedenfalls  in  weniger  vertrauenswürdiger  Weise  überliefert, 
als  das    zwar  bis    jetzt  nicht  verstandene,    aber  in  kritischer  Hinsicht 
unanfechtbare  Tipö?  xo!?  xeiyioic.    Vürtheim  hat  sich  nur  durch  die  Aus- 
gabe von  Leeuwen  irreführen  lassen,  der  zu  Vesp.  1109  xstyiotc  bemerkt: 
,,hanc  vocem  non    intellego,    vereor  autem,  ut  sit  integra."     Unrichtig 
ist  auch    die  Ansicht  Meiuekes,    welcher  Mauern    der  Häuser,    wie    iu 
Eccl.  497,  verstand.     Es  sind  ohne  Zweifel  Reste  alter  Befestigungen, 
die   im  Gegensatze  zu  den  Maxpa  'cs.iyy]  mit    dem  Deminutiv   bezeichnet 
werden.     Wo    sie    lagen,    weiß    ich  leider    nicht.  —  In   seinem   ersten 
Teile  beschäftigt  sich  der  Aufsatz  Vürtheims  mit  Schol.  Aristoph.  Plut. 
277.  Für  einen  Teil  dieses  Scholions  wird  in  überzeugender  Weise  Aristot. 
Politeia  c.  63  und  col.  XXXII  Kenyon   als  Quelle  nachgewiesen.     Bei 
Dübner  pag.  340  Z.  26  erklärt    der  Verf.  die  Worte:  p-e/pt    xoü    x  als 
imrichtigen  Zusatz  des  Scholiasten.     Ich  weise    darauf  hin,    daß  dieser 
Teil  des  Scholions  weder  in  ß  noch  iu  V  steht.  — 

C.  Robert,    Die  Scenerie    des   Aias,    der  Eirene    und  des  Pro- 
metheus.    Hermes  XXXI,  1896,     S.  530—577. 

C.   Robert,    Zur  Theat^-''rage.     Hermes  XXXII    1897    S.  421 
—453. 

C.  Robert,  Gott.  Gel.  Anz.  1897,  S.  27  ff. 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Llolzinger.)     229 

In  dem  erstgenannten  Aufsatze  gibt  Robert  nicht  bloß  ein  Bild 
von  der  Vorstellung,  die  er  sich  von  der  Seenerie  der  Eirene  macht, 
sondern  bespricht  auch  scenische  Fragen,  welche  die  Thesniophoiiazusen 
und  die  Frösche  betreuen.  Reichlich  beschäftigt  er  sich  mit  dem 
Ekkyklema.  Aus  dem  Bereiche  der  Acharner  bespricht  Robert  das 
avaßaorjv  in  v.  399  (S.  537).  Euripides  habe  auf  dem  Knie  geschrieben. 
dvaßa'oTjv  komme  nur  in  der  Bedeutung  ,,mit  hochgezogeneu,  auf  dem 
Sitzbrett  gestellten  Beinen  vor".  Robert  beruft  sich  hierbei  auf  Blaß, 
dessen  Auffassung  er  nur  weiter  ausführe.  —  Der  Artikel  „Zur  'I'heater- 
frage"  nimmt  nur  selten  direkten  Bezug  auf  die  Komödie,  konnte  aber 
hier  um  so  weniger  ungenannt  bleiben,  als  Robert  auch  in  diesem  Auf- 
satze gegen  die  neueren  Bearbeitungen  der  Theaterfragen,  insbesondere 
gegen  Bethes  Prolegomena  Stellung  nimmt,  deren  Widerlegung  die  Kritik 
im  Gott.  Gel.  Anz.  vorzugsweise  gewidmet  ist.  Über  die  Seenerie  der 
Vögel  wird  daselbst  S.  36  gehandelt.  Vgl.  auch  den  Bericht  über 
Bemerkungen  Roberts  zu  Aristophancs  Vögeln  im  Hermes,  1898, 
XXXllI,  4.  — 

P.  H.  Damste,    Emblemata  apud  Aristophanem,    Xenophontem, 
Lucianum.  Mnemos.  NS.  XX,   1892,  p.  147  —  151.   - 

Aus  Aristophanes  behandelt  der  Verf.  nur  Pac.  v.  1009  ff. 
xörTa  MeXa'vötov  |  ^-/.etv  ujxepov  e;  tt)v  d^opav,  |  xac  oi  ueTipaaöai,  tov  o' 
OTOTU^eiv,  I  eixa  {jlovw&eiv  ex  MTjoeiac,  |  (5Xo|xav  oXoixav,  dTTO^YjpwOel?  | 
t5c  ev  -e'j-Xotat  Xoy£UO|xevac  |  xou?  ö'  avöpwTiouf  eirry^aipeiv.  |  —  Der 
Verf.  bezeichnet  es  als  den  Gipfel  der  Geschmacklosigkeit,  Verse  aus 
einer  ,,tragoedia  omnibus  notissima"  parodierend  anzuführen  und  vorher 
anzugeben,  dies  sei  eine  Monodie  aus  der  Medeia.  Nicht  also  Aristo- 
phanes könne  dies  hier  verschuldet  haben,  sondern  es  handle  sich  in 
V.  1012  nur  um  ein  in  den  Text  geratenes  Glossem,  was  sich  auch 
durch  das  ungefügige  slxa  verrate.  — 

Man  würde  dem  Verf.  vielleicht  beistimmen,  wenn  die  parodierten 
Verse  nachweislich  aus  der  Euripideischen  Medeia  herstammten.  Aber 
bekanntlich  ist  dies  nicht  der  Fall.  Denn  die  Beziehung  unserer  Stelle 
auf  Eur.  Med.  96,  die  schon  den  Scholiasten  beschäftigte,  ist  offenbar 
nicht  zutreffend.  Soll  aber  Melanthios  als  Tragiker  verspottet  werden, 
oder  als  Protagonist  in  der  Medeia  seines  Bruders  Morsimos,  so  ist  die 
Nennung  des  Stückes  vollkommen  gerechtfertigt.  —  Eine  Beziehung 
auf  die  Euripideische  Medeia  läßt  auch  Nauck  nicht  zu,  der  unsere 
Stelle  unter  Melanthios  und  unter  den  Adespota  (No.  6.  Mn^öeta)  be- 
handelt. TGF.  p.  760  und  838.  Nauck  will  mit  Fritzsche  den  v.  1012 
aus  der  Medeia  des  Morsimos  entlehnt  wissen  und  erkennt  eine  Medeia  des 
Melanthios  nicht  an. 


230     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger.) 

Herwerdeu,  der  sieb  ebenfalls  dieser  von  Volkmar  Fdtzsche  her- 
rührenden Ansicht  anschließt,  hat  aus  den  Versen  des  Aristophanes  die 
Textworte  des  Morsimos  glücklich  hergestellt.  Vgl.  das  zu  Herwerden 
Mnemos.  XXIV  p.  206  Gesa^'te. 

J.  van  Leeuweu,  Ad  Aristophauis  Pacis  vers.   18.  —  Mnemos. 
NS.  XX,  1892,  p.  300. 

Der  Sklave,  der  dem  Kautharos  sein  übelriechendes  Futter  reichen 
soll,  beklagt  sich  hierüber  in  v.  17  mit  den  Worten: 

17.  ou  Yap  IW  oio;  x    eTja'   urepeystv  t^;  dtvtXia?. 
Mit  dem  nächsten  Verse  rafft  er  sich  zu  einem  Entschlüsse  auf: 

18.  auTTjv  ap'   ohu)  cju)tÄocß(\)v  xfjV  dvcXtav. 

J.  van  Leeuweu  tadelt  hieran  die  Verbindung  von  dvxXia  mit 
(juXXaßetv  und  die  Wiederholung  desselben  Wortes  in  zwei  aufeinander 
folgenden  Trimeterschlüssen.  Gestützt  auf  das  Scholion  im  Codex  Rav.: 
dvTi  Toü  TYjv  axacpyjv  xtX.  empliehlt  daher  Leeuwen  xapooTrov  zu  schreiben 
statt  dvrXiav.  —  Für  mich  ist  diese  Behandlung  der  Stelle  nicht  über- 
zeugend gewesen.  — 

Herwerden  hingegen  ist  in  seiner  Ausgabe  bereit,  seine  in  der 
Mnemos.  NS.  (1896)  XXIV,  p.  310  vorgelegte  Vermutung  x^c  vauxia; 
für  x%  dvxXiac  (v.  17)  zu  Gunsten  van  Leeuwens  xa'pooTtov  (st.  dvxXiav 
V.  18)  zurückzuziehen.  Im  Texte  hat  Herwerden  nichts  geändert, 
sondern  begnügt  sich  damit,  in  beiden  Versen  Kreuze  zu  setzen, 
während  doch  im  schlimmsten  Falle  nur  der  eine  von  ihnen  verderbt 
sein  kann.  — 

H.  van  Herwerden,  Eraendatur  A^istoph.  Pac.  451.  —  Mnemos. 
NS.  XXIII,   1895,  p.  454. 
Die  Stelle  lautet: 

450  Xo.     xsi'  Tt;  ^xpar^^-Ciiv  ßouX6[j,£voj  [xy]  ^uXXaJiot, 

451  Tj  ooZXo^  auxofjLoXsiv  7rap£ax4ua3(j.s'voc, 

452  £711  xoü  xpoyotj  axpE^^Xoixo  fiajxi70u{JL£voc. 

Im  V.  451  liest  der  Verf.  t^  statt  y),  weil  er  es  für  einen  Unsinn 
hält,  daß  der  Chor  den  Sklaven  —  si  ad  hostes  transfugissent  (!)  — 
mit  schrecklicher  Strafe  drohe,  da  sich  doch  niemand  darum  kümmerte, 
utrum  (servi)  paci  faverent  au  adversareutur.  (!)  Aber  hier  mit  q  einen 
Vergleich  in  die  Stelle  einzutuliren  ist  gewiß  unpassend.  Ich  halte  es 
demnach  auch  weiterhin  mit  dem  Scholiasten,  der  in  v.  451  eine  persön- 
liche Anspielung  sucht.  Indessen  ist  zuzugestehen,  daß  zum  vollen  Ver- 
ständnisse der  Überlieferung  etwas  zu  fehlen  scheint.  —  Im  XXIV.  Bande 
der  Mnemosyne  1896,  p.  272  gibt  auch  Herwerden  selbst  zu,  daß 
T]  SoüXo;  in  dem  Sinne   von  r^  «j;  ooüXoc    beibehalten  werden  könne.  — 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger.)     231 

H.  van  Her  werden,    Ad  Aristophanem  eiusque  scholiastas.  — 
Mnemos.  NS.  XXV,  1897,  p.  200-208. 

Herwerden  tadelt  bei  Ar.  Pac.  282:  y.tX  toi;  Aay.soa'.(j.ovtoiJiv  iXs- 
-ptSavo;    den  Artikel,    weil  Aristophanes  Aacx£oai|xovioi    im  riural   stets 
ohne  Artikel  gebrauche.     Darum  schreibt  Herwerden:   xautor?  AaxeSat- 
uoviotstv.     Aber    diese    Textänderiuig    hat    schon    längst  0.  Bachmann, 
CoDJect.  obs.  Aristoph.  spec.  1  Göttingen   1878,  p.  43  ff.  vorgeschlagen 
und  Uckermanu,  Über  den  Artikel  bei  Eigennamen  in  den  Koro.  d.  Ar. 
Berlin  1892,  S.  8  hat  sie  gebilligt.     Ich  bin  anderer  IMeinung.     Aaxe- 
oat|xovio'.  ist  ebenso  sehr  eine  adjektivische  Ableitung  als   oi  Aaxiuvixo-', 
das    den  Artikel    regelmäßig    hat.     Einen    allgemeinen    grammatischen 
Grund  kann  es  also  dafür  nicht  geben,  daß  Aristophanes  im  Plural  ge- 
wöhnlich Aaxsoaifioviot  setzt.     Jener  Grund    ist  vielmehr    auf  anderem 
Gebiete  zu  suchen.     Verstärkt  man  einen  Siebensilbner  wie  AaxeSatfxo- 
viot3tv  noch  um  den  Artikel,    so  ist  ein  übergroßer  Teil  des  Trimeters 
damit    ausgefüllt.     Daium   vermeiden   dies  natürlich  die  Komiker    und 
■  dci-  knappe,  feinfühlige  Lysias.    Aber  Thukydides  schreibt  toi?  AaxeSat- 
jjLovi'o'.f  (I,  72),  To'jc  A.  (I,  72).    Es  ist  daher  ganz  natürlich,  daß  auch 
Aristophanes    einmal  xol;  Aax.    schreibt,    nämlich    an  einer  Stelle,    au 
welcher  der  Artikel    sehr  passend  ist,    um    den  Gegensatz    zu   v.  269: 
airoXtuA'  ' At>r, vatotjtv  aXeTpißavo;  scharf  hervorzuheben.     In  v.  282  ist  es 
sehr    zweckmäßig,    daß   neben  dem  langen  AaxeoaifAoviotaiv    für    keinen 
weiteren  Gedanken  Platz  sei,    weil    es    nicht   bloß   die  Silben,    sondern 
auch   den  Sinn   des  Verses  ausfüllt.     Daß  Aristophanes    regelmäßig    oi 
Actxcuvtxot  mit  dem  Artikel  schreibt,    hat  seinen  Grund    nicht  allein  in 
der    adjektivischen    Ableitung    des    "Wortes    —    wie    Uckermann    S.  8 
meint  — ;  denn  aus  diesem  Grunde  müßte  auch  bei  'Aörivaiot  regelmäßig 
der  Artikel  stehen.     Vielmehr  schreibt  man  so  regelmäßig  oi  Aaxwvtxoi, 
weil  der  Rhythmus   hier  den  Gebrauch  des  Artikels  befördert.  —  Die 
übrigen  Bemerkungen  van  Herwerdeus  enthalten  Veibesserungsvorschläge 
zu  den  Schollen  zu  Pac.   143,    536,    607,    633,   835,   850,  1063,  1169, 
1196,    von  denen  einzelnes  Beachtung  verdient.     Auch    werden    einige 
Lesarten  aus  Cobets  Kollation  des  Codex  Venetus  mitgeteilt,    die  sich 
in  der  Leidner  Bibliothek  befindet.  — 

R.  Y.  Tyrrell,    Aristophanes,   Pax,  741 — 747.  —  Herraathena, 
vol.  X,  No.  XXni,   1897,  S.   100-101. 

Der  Verfasser  beschäftigt  sich  in  diesem  Aufsatze  mit  der  be- 
kannten Umstellung  der  Verse  742:  tou;  cpsu-,'ovTa;  —  iTrtVrjos;  und  743: 
£;rj/.a7'  —  rapEA'jjsv.  Tyrrell  verteidigt  die  überlieferte  Versfolge, 
schreibt  aber  ceu^ovtccc  (=  „crjing  fz~j')  statt  'fS'JYov-a;.  In  der  Tat 
läßt    sich    cps'J^ovTa;    mit  'HpaxXsa;    leichter    verbinden    als    'föupv-a;. 


232     Bericht  über  die  Literatur  der  griecbischen  Komödie.  (Holsinger.) 

Richtig  scheint  auch  die  Bemerkung',  daß  die  nach  vorgenommener  Um- 
stellung: entstehende  Verbindung:  oouJ.ou;  .  .  cpsuYovta;  nicht  ohne  An- 
stand ist,  weil  davongelaufene  Sklaven  aTroopavte;  zu  heißen  pflegen. 
In  dem  xXaovta;  xal  toutouc  findet  Tyrrell  die  Bestätigung  seiner  Ver- 
mutung, insofern  diese  Worte  einen  parallelen  Ausdruck  in  dem  Vorher- 
gehenden voraussetzen  lassen.  — 

A.  Willems,  Notes  sur  la  Paix  d'Aristophane.  —  Bulletins  de 
l'Äcademie  Boyale  de  Belgique.  —  3.  Sdrie,  tom.  XXXYII,  2,  1899, 
p.  861—898. 

Willems  bezeichnet  die  Friedenskomödie  als  dasjenige  Stück  des 
Aristophanes,  welches  durch  die  Überlieferung  am  meisten  gelitten  habe. 
Daher  seien  in  dem  Texte  der  Fax  mehr  Interpolationen  anzunehmen 
als  in  anderen  Komödien.  Zv^^ar  die  vss.  87 — 89,  98,  273  seien  nicht 
mit  Sicherheit  als  interpoliert  zu  bezeichnen,  noch  weniger  v.  850,  den 
AVillems  geradezu  geistreich  findet,  wohl  aber  seien  die  vss.  420,  744, 
1218  bestimmt  zu  athetieren.  Nach  dergleichen  allgemeineren  Be- 
merkungen behandelt  Willeras  16  Stellen  der  Pax.  Mit  Glück  verteidigt 
Willems  die  Überlieferung  der  vss.  47 — 48.  —  -/.eTvoc  ist  nicht  Kleon, 
sondern  der  Kantharos,  u)c  y.eivoc  avaioewc  wird  durch  ort  outujc  avaiöetu; 
erklärt.  Ein  Analogon  bietet  Plat.  Phaid.  89.  A.  s&aujxaaa  .  .  töüto» 
10?  TjOEw;  -/tX.  d.  h.  TouTo,  oTi  outtüc  rji's'o)?  y.xA.  Gerechtfertigt  wird 
auch  jxeTewpoxoTTsT?  in  v.  92  und  in  v.  364  genügt  es:  ouxouv,  tjv  Xayto: 
als  Fragesatz  zu  schreiben.  In  v.  507  bedeutet  Tipo?  ttjv  öaXari-av,  daß 
Aristophanes  auch  hier,  wie  sonst  öfters,  die  Athener  auffordert,  sich 
auf  die  Seeherrschaft  zu  verlegen  und  für  die  Flotte  keine  Auslage  zu 
scheuen,  hingegen  die  Hegemonie  zu  Lande  den  Spartanern  nicht  durch 
den  Landkrieg  streitig  zu  machen.  Für  dieses  politische  Programm  des 
Aristophanes  verweist  Willems  auf  Ach.  163,  646—651,  Equ.  1366, 
Eccl.  197.  Auch  solle  der  Richtersold  nicht  die  Einnahmen  Athens  auf- 
zehren: Ran.  1463—1466,  Pac.  505.  —  Die  Verse  715—717  seien  nicht 
obscön,  sondern  bezögen  sich  nur  auf  die  P'reitafeln  bei  Festlichkeiten. 
Ausführlich  sind  seine  Bemerkungen  über  die  Hestiaseis  und  die  Krea- 
noraien.  Überzeugend  ist  die  Atlietese  des  v.  896:  ettI  7^;  TiaXaisiv, 
xeTpaTTooTjoov  iatavai,  der  nur  aus  Glossemen  zu  dem  v.  897:  7rXa7iav 
xaxaßaXXsiv,  e?  -.'ovata  xu[:io'  saravat  besteht.  Dieser  v.  897  ist  nur  durch 
Cod.  R  erhalten  und  es  ist  bxavat,  nicht  ijtavai  zu  schreiben.  Diese 
Konjektur  des  Hotibius  wird  nach  dem  Wegfalle  des  v.  896  auch  wirk- 
lich vollkommen  plausibel,  da  die  Theoria  das  Objekt  ist,  ebenso  wie 
bei  xaxaßaXXsiv.  Schön  ist  die  Erklärung  des  Sei'ou  ou  xiyiioz  in  v.  960 
genau  nach  dem  Scholiasten:  Tipo?  xo  tspsiov  Xe-jEt,  da  das  Opfertier  durch 
Nicken  und  Schütteln  seine  Zustimmung  zur  Tötung  geben  mußte.    Das 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     233 

Wasser  wird  durcli  Eintauchen  eines  Feuerbrandes  gereinigt  und  geweiht 
(v.  959)  und  zuerst  reinigt  Trygaios  vor  dem  Opfer  seine  Hand,  indem 
er  die  Finger  in  das  Wasserbecken  steckt,  dann  wendet  er  sich  an  das 
Opl'ertier,  besprengt  es  mit  Wasser,  namentlich  spritzt  er  ihm  einige 
Tropfen  in  die  Ohren  (Schol.  Apollon.  Khod.  I.  v.  425),  damit  sich  das 
£-iv£ueiv  bald  vollziehe.  Dann  betiehlt  er  dem  Sklaven,  ihm  das  Körb- 
chen mit  der  Opfergerste  zu  reichen,  schüttet  davon  dem  Schale  einige 
Körner  auf  die  Stirne  und  weist  den  Sklaven  an,  sich  seinerseits  die 
Hände  zu  reinigen.  Deshalb  übernimmt  Trygaios  zeitweilig  das  Wasser- 
gefäß (TK-jir^v  V.  9G1).  AVenn  dann  Trygaios  und  sein  Sklave  auch  die 
Zuschauer  mit  Wasser  besprengen  (v.  971),  so  geschieht  dies  mittelst 
des  TTsptppavTTjpiov,  nicht  mittelst  des  oaXi'ov  (v.  959),  wie  Blaydes  an- 
gibt. —  Klar  ist  schließlich  noch,  daß  in  v.  1178  XivoTTTtufxevoc  durch 
ein  hinzugedachtes  m;  zu  ergänzen  ist.  Ruhig  und  sicher,  wie  bei 
der  Jagd,  wird  der  Bauer  auch  in  der  Feldschlacht  stehen.  —  Nicht  bei- 
stimmen kann  ich  den  übrigen  Resultaten  des  wertvollen  Aufsatzes. 
V.  451  betrachtet  Willems  als  interpoliert,  in  v.  568  schreibt  er  |j.f, 
y.aXöi;  xtX.,  in  v.  605  xoüö'  uizr^pU  •I'etoia;,  bei  v.  874  Stellt  er  in  Ab- 
rede, daß  iiratop-Ev  einen  unanständigen  Doppelsinn  habe.  M.  E.  erzählt 
der  Sklave  prahlerisch,  daß  er  auf  dem  ganzen  Wege  zu  den  Diouysien 
in  Brauron  seine  Theoiia  —  gut  unterhalten  habe.  Ich  finde  daran 
nichts  zu  bemängeln.  Auch  in  dei'  Stelle  891  -  893  tou-toEviov  —  Xaaava 
will  Willems  von  obscöuem  Doppelsinn  nichts  wissen,  sondern  beschränkt 
sich  darauf,  auseinanderzusetzen,  daß  die  BouXy]  ein  Küchenlokal  zur 
Herrichtung  großer  Schmausereien  besaß.  Diese  Darstellung  über  die 
öftentlichen  Bewirtungen  ist  sehr  lesenswert,  sie  hindert  aber  nicht  die 
Annahme  eines  lusus  verborum,  den  die  Stelle  augenscheinlich  enthält. 
—  In  v.  1110  gibt  Willems  Szovor^  nicht  dem  Hierokles,  sondern  dem 
Sklaven  und  erklärt  tou-i  als  aTrXa-f/va.  Aber  Hierokles  drängt  sich 
ungestüm  als  Teilnehmer  am  Opfer  auf  und  darum  erhält  er  sofort  bei 
seinem  Ausrufe  S-ovotq  (jAetd  xf^s  (jirovof^?)  eine  Maulschelle  als  seineu 
Anteil  an  dem  Opfer.  Hierokles  verwindet  dies,  da  seine  Aufmerksam- 
keit ganz  auf  das  Opferfleisch  gerichtet  ist.  Bei  dieser  Erklärung  hat 
man  die  mss.  für  sich.  —  In  v.  1168  streicht  Willems  esflitu  xaTzi/jia 
und  mit  Cobet  £x-£-pii|X£va  in  1135.  Auch  den  Beistrich  nach  oüpTjuo- 
jjiEva  in  v.  1266  und  die  Erklärung:  Tva  osüpo  -poavotl^aXyiTai  xa  xcöv  e-i- 
■/XrjXtuv  (ct3|xcxx(uv)  axx'  'aaexcti  kann  ich  nicht  billigen.  — 

J.  B.  Bury,  Some  observations  on  the  Peace  of  Aristophanes.  — 
Herraathena,  No.  XXVI,  1900,  p.  89—98. 

Der  Aufsatz  Burys    stellt    im   ganzen    eine  Kritik   der  Oxforder 
Ausgabe  von  Hall  und  Geldart  (1900)  dar.     Zunächst  wird  der  Stand- 


234     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,  (Uolzinger.) 

puukt  gebilligt,  den  die  Herausgeber  auf  p.  3  der  Piacfatio  und  in 
ihrem  Texte  in  gewissen  metrischen  Fragen  einnehmen,  ßury  behandelt 
sodann  einige  Stellen  verschiedener  Komödien,  z.  B.  in  Eqn.  526  sei 
pT^$as  Tzoz  ETtaivii)  zu  schreiben.  Für  Equ.  814  vertritt  Bury  die  Kon- 
jektur Starkies:  [jlestyiv  T^upüiv  l-r/eilr^  und  für  Wesp.  1020  die  Kon- 
jektur iü7t'  statt  eic  desselben  Gelehrten,  Der  Rest  des  Aufsat/es  ist 
einer  Anzahl  Stellen  der  Friedenskomödie  gewidmet.  Mau  eihält  daraus 
den  Eindruck,  daß  Bury  den  Oxforder  Text  mit  den  Ausgaben  von 
Blaydes  und  van  Herwerden  (1897)  verglich  und  nun  solche  Stellen  be- 
handelt, in  denen  Hall  und  Geldart  nach  Burys  Ansicht  allzu  konser- 
vativ verfahren.  Bei  einigen  Interpunktionen,  bei  der  Zuteilung  des 
V.  350  an  Trygaios  und  auch  bei  einer  Anzahl  von  Lesarten  dürfte 
Bury  im  Rechte  sein,  aber  nicht  bei  allen,  z.  B.  in  Pac,  42  würde  ich 
das  vortreffliche  und  verhältnismäßig  feine  ilioc  xaTatßaTou  durchaus 
nicht  nach  dem  Scholiasteu  des  Cod.  R.  in  axaTatßo-rou  ändern.  Auch 
würde  ich  im  v.  116  nicht  mit  Bury  [xsToixv^cjtuv  statt  [xöt  opviöcDv  an- 
empfehlen. — 

Gli  Uccelli  di  Aristofane  tradotti  in  versi  italiani  da  Augusto 
Franchetti  con  introduzione  e  note  di  Domenico  Comparetti.  — 
Cittä  di  Castello  1894. 

Die  Einleitung  Comparettis  gliedert  sich  in  zehn  Abschnitte. 
Behandelt  werden  die  äußeren  Daten  über  das  Stück,  Fabel,  Charakter 
und  Tendenz  dieser  Komödie,  welche  Comparetti  wesentlich  vom 
politischen  Gesichtspunkte  aus  auffaßt.  Daher  sind  die  Abschuittt; 
5—8  der  Schilderung  der  politischen  Lage  und  der  Stimmung  Athens 
zur  Zeit  des  Stückes  gewidmet.  Zugleich  kommt  im  8.  Abschnitte 
das  symbolische  Element  in  den  Personen  und  Handlungen  dieser 
Komödie  zur  besonderen  Geltung,  so  daß  ich  diesen  Abschnitt  als  den 
Kern  der  Darstellung  Comparettis  hervorheben  würde.  Im  neunten 
Abschnitte  wird  die  Stellung  des  Dichters  zu  religiösen  Fragen  und 
im  letzten  Kapitel  die  Rollenverteilung  behandelt.  —  Quellen  werden 
in  dieser  Einleitung  nicht  genannt.  Auch  die  ziemlich  zahlreichen 
Fußnoten,  die  einen  fortlaufenden  Kommentar  zur  Übersetzung  bilden, 
enthalten  sich  fast  vollständig  der  Literaturangaben.  Ihiem  Inhalte 
nach  sind  sie  allerdings  auf  das  große  Publikum  berechnet,  für  welches 
das  Büchlein  insofern  Bedeutung  haben  dürfte,  als  eine  Übersetzung 
der  Vögel  in  Italien  seit  Capellina,  also  seit  dem  J.  1852  nicht  er- 
schienen ist.  Die  gereimte  Übersetzung  Franchettis  schließt  sich,  wie 
er  in  seinem  Vorworte  selbst  auseinandersetzt ,  genauer  an  den  Text 
an,  als  dies  bei  der  Übersetzung  der  Wolken  und  der  Frösche  der 
Fall  war.    .Franchetti  folgt  im  allgemeinen  dem  Texte  Theodor  Kocks, 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,  (llolzinger.)     235 

nennt  auch  Christian  iluff  bezüglich  der  Verteilung  der  Ij'rischeu 
Partien  und  den  Kommentar  von  ßlaydes,  während  ich  im  übrigen 
nnr  Italiener  berücksichtigt  sehe,  darunter  vorzugsweise  Piccolomiui, 
aber  auch  Zuretti,  Romagnoli,  Franchi  und  für  ornithologische  F'rageu 
Gnelfo  Cavanna.  Die  griechischen  Trimeter  werden  in  gleicher  Anzahl 
durch  endecasillabi  sciolti,  dagegen  die  trochäischen  und  anapästischen 
Tetrameter  durch  Octonare  und  Septenare  wiedergegeben.  In  italienischen 
Strophen  auch  nur  einen  entfernten  Begriff  von  der  rhythmischen  Be- 
wegung des  Originals  in  den  lyrischen  Partien  zu  geben,  bezeichnet 
Franchetti  als  eine  dilticoltä  quasi  insuperabile.  Größere  Mühe  würde 
es  allerdings  gemacht  haben! 

The  Birds  of  Aristophanes  in  English  rhyme  for  English  readers 
translated  from  the  Greek  by  S.  Hodges,  London  1896. 

Der  Herauggeber  bemerkt  in  seinem  Vorworte,  daß  er  erst  oach 
Vollendung  seiner  Übersetzung  die  Arbeit  Kennedj^s  kennen  lernte,  die 
doch  aber  schon  1874  erschienen  war.  Von  der  Aristophanesliteratur 
habe  er  nnr  die  Schulausgabe  der  Vögel  von  Parker  und  „Süverns 
Essay"  benutzt.  Das  ist  allerdings  nicht  viel  literarisches  Gepäck. 
Die  gereimte  Übersetzung  liest  sich  leicht  und  augenehm.  Es  ist  eine 
Paraphrase,  welche  Anmerkungen  beinahe  überflüssig  machen  will. 
Der  Philologe,  der  nach  der  Erklärung  schwieriger  Stellen  sucht, 
findet  seine  Rechnung  nicht  dabei.  Ich  weise  z.  B.  auf  v.  16  hin: 
Trjpsa,  I  Tov  ssrocp',  öc  opvi?  e-,'£VE-'  sx  xtüv  opvstuv,  wo  Hodges  übersetzt: 
Where  Tereus  lives,  who  changed  into  a  bird,  Frora  flighty  Athens, 
is  the  Hoopoo  named.  Unter  opvsa  als^o  versteht  Hodges  „leichtsinnige 
Athener",  konstruiert  offenbar  nach  dem  Muster  von  d-j'aöol  e^  dYav^üiv, 
^amltXi  h.  ^a^iXsuiv,  daro?  k^  aaxü)^  und  bleibt  uns  die  Erklärung  des 
Artikels  bei  -rüiv  opvEwv  schuldig.  Hierin  liegt  der  Bew^eis  für  die 
Unrichtigkeit  seiner  Auffassung.  — 

E.  ßomaguoli,  Versione  poetica  degli  Uccelli  d'Aristofane  cou 
prefazione  di  A.  Franchetti.     Firenze  1899. 

Dieses  Bändchen  ist  E.  Piccolomini  gewidmet  und  wird  von 
A.  Franchetti  mit  empfehlenden  "Wotteu  eingeleitet.  Franchetti  hebt 
rühmend  hervor,  daß  Romaguoli  in  dieser  Übersetzung  mit  feinstem 
ästhetischem  Geschraacke  die  „prosa  poeiica"  vermied,  die  er  als 
,,ibrido  vecchiume  che  una  moda,  venuta  d'oltr'  Alpe  tenta  oggidi  di 
ridorare  a  uuovo"  bezeichnet.  Sodann  anerkennt  er  die  Leistung  seines 
Konkurrenten  mit  den  Segenswünschen  ,,dell  Ettore  omerico  per 
Astianatte"  als  ein  ,,capolavoro".  Romaguoli  seinerseits  wieder  ver- 
zichtet darauf,  eine  Einleitung  zu  den  „Vögeln"  zu  geben,  indem  er 
auf    die  Einleitung  Domeuico  Comparettis    zu  Franchettis  Übersetzung 


236     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Ilolzinger.) 

hinweist.  —  Die  Übersetzung  ist  gereimt,  beruht,  wie  der  Autor  selbst 
angibt,  auf  der  vierten  (sie!)  Auflage  der  Theodor  Kockschen  Ausgabe, 
ist  auf  das  große  Publikum  berechnet,  liest  sich  leicht  und  ist  auch 
durch  einige  Fußnoten  erläutert.  — 

E.  Piccolomini,  Nuove  osservazioni  sugli  Uccelli  d'  Aristofane 
con  la  collazione  del  Codice  "Vaticano-Urbinate  141.  —  Studi  italiani 
di  filol.  class.  I,  1893,  p.  443-448.  — 

Der  erste  Teil  der  Abhandlung  S.  443 — 460  enthält  eine  ge- 
naue Beschreibung  und  Inhaltsangabe  des  Cod.  Vat.  Urb.  141  und  die 
Kollation  der  Vögel  auf  der  Grundlage  der  Bergkschen  Ausgabe.  Nach 
Picc.  ist  Cod.  U  unabhängig  von  R  und  V  und  ist  von  R  weiter  ent- 
fernt als  von  der  Gruppe  VAM.  Innerhalb  dieser  Gruppe  steht  U 
näher  dem  Parisinus  (A)  und  dem  Ambrosianus  (M)  als  dem  Venetus 
(V).  —  Die  Besprechung  von  29  Textstellen  der  Aves  und  von  3  Schollen 
zu  diesem  Stücke  (S.  460—484)  sind  eine  Fortsetzung  der  Osservazioni 
sugli  Uccelli,  welche  der  Verf.  im  J.  1877  in  der  Riv.  di  filol.  V, 
p.'  181 — 201  herausgab.  — 

Ich  teile  hieraus  zuerst  eine  Reihe  von  Bemerkungen  mit,  die 
mir  sehr  beachtenswert  scheinen.  1.  V.  59  wird  nach  dem  Vorgange 
Vahlens  beibehalten.  —  2.  In  v.  95  wird  dem  Ausdrucke  oi  oiuosxa  Oeol 
der  Sinn  einer  Freundesparole,  etwa  „Gut  Freund!"*  gegeben.  — 3.  Bei 
der  Wendung  Ttasi  vixav  tois  xpitaTj  in  v.  445  macht  P.  auf  ihren 
sprichwörtlichen  Charakter  aufmerksam.  —  4.  In  v.  469  empfiehlt  P. 
zur  besseren  Verbindung  der  Verse  toüo",  ei  xal  zu  lesen,  statt  xouoi,  xal.  — 
5.  In  v.  525  wird  vor  xav  xois  ispoi;  ein  Kolon  gesetzt.  Der  Ausdruck  Ispov 
wird  nach  Thuk.  IV,  90  (vgl.  Classen)  nicht  auf  den  Tempel,  sondern  auf 
den  geweihten  Umkreis  desselben  bezogen.  —  6.  In  v.  531  v/ird  die  La. 
Etepov  in  dem  Sinne  von  „auch"  verteidigt;  vgl.  Av.  152  und  1139.  — 
7.  Nach  Wieseler  (Nov.  Sched.  p.  8)  wird  v.  642  als  echt  bezeichnet. 
P.  erklärt  xa  Ttapovxa  =  a  l[io\  Tiapsaxi  als  Ausdruck  der  Bescheidenheit 
des  Gastgebers.  —  8.  Für  v.  1025  empfiehlt  P.  die  Versteilung  der 
mss.  —  xi;  fällt  dadurch  dem  Peithetairos  zu.  —  9.  In  v.  1361  setzt 
P.  nach  suvou;  keinen  Beistrich.  Der  Patraloias  werde  relativ  so  wohl- 
wollend behandelt,  weil  der  junge  Mann  so  schlagfertig  sei.  —  Den 
übrigen  Bemerkungen  Piccolominis  könnte  ich  mich  der  Hauptsache  nach 
nicht  anschließen.  —  10.  Bei  v.  10  hält  P.  das  Scholion  des  cod.  Vat. 
Urb.:  siptuveta  für  unangemessen.  Meines  Erachtens  wäre  ein  solches 
Schol.  zu  V.  10  weniger  unangemessen  als  vielmehr  unzureichend.  Da 
aber  Cod.  R:  Ep(uxriiJ.axixü>c  gibt,  wird  man  in  jenem  eiptovEiot  des  Cod. 
Vat.  Urb.  wohl  nur  eine  falsche  Auflösung  einer  abgekürzten  Schreibung 
seiner  Vorlage  zu  sehen  haben.    —    11.  v.  41    wird    als  Eiaschub  be- 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     237 

zeichnet.     Eine    richtige    Verteidigung    des  Verses    findet    man    bei  J. 
van  Leeuwen,    Mnemos.  NF.  XXIX,    S.  444  ff.    —    12.    In  v.  65    er- 
klärt P.  Atßux&v  opvEov  durch  ein  Wortspiel  mit  Xißa;,  Xt'ßo;,  Xzi^w.  'Tito- 
oeSttü;  sei  =  oupT,Ttxo;!     Ich    für    meinen  Teil    löse    die    in    dem  Verse 
liegende  Schwierigkeit  dadurch,  dal.l  ich  iu  'ET:txc-/oSu>c  den  präpositio- 
neilen Bestandteil  stark  hervorhebe.    —    13.    In    v.  92    sei  oXt]v  nicht 
statt  ftupav  gesagt,    sondern  statt  tcuXtiv.     Durch    den  Anklang    an  den 
Singular  7:tiXr,v  werde  an  die  Sophokleische  Diktion  (des  „Tereus",  vgl. 
V.   100)  erinnert.    —    14.    In  v.  321    habe   -psjxvov  Tipa-||j,a-o;  zeXtupiou 
einen  obscönen  Nebensinn.  —    15.  Im  Schol.  v.  189  sei  iKt/tup^tjat  st. 
u7:oytopr,3a'.  ZU  lesen.  —  IG.  In  v.   199  wird    allerdings  ßapl^otpou;  'jvra? 
7:p6  Toü  mit  Recht  in  dem  Sinne  von  ßap^api^ovra;  verstanden.  Aber  gegen 
Kock  hätte  P     nicht    hervorheben    sollen,    da(.i   xt;v  <p(uvf,v    an    unserer 
Stelle  „il  significato  speciale  di  lingua"  besitze,    sondern   daii  es  hier 
speziell  den  Sinn  von  , griechischer  Sprache"  hat,  welche  dem  Athener 
als  die  einzige  menschenwürdige  Sprache  erscheint.    Gab  es  doch  ehe- 
.mals  auch  Italiener,   welche  nur  la  lingua  di  Dante   für  eine  wirkliche 
.„Sprache"  erklärten,  während  sie  andere  Sprachen  nur  für  einen  susurro 
hielten.    —     17.  In  v.  265  soll  yapaöpiov  [xt|xou|ievo;  eine  harmlose  und 
burleske  Verhöhnung  der  Stimme  des  Schauspielers,  der  den  Epops  gab, 
enthalten.    —    18.  In  v.  270  gehöre  o-j-oc    noch    zu    den  Worten    des 
Euelpides.    —    19.    In  v.  293  findet  P.  den  Sinn,    daß   die  4  Musiker 
(vgl.  Hiller,  N.  J.  f.  Ph.  121,  p.  178)  auf  einem  erhöhten  Platze  Auf- 
stellung   nehmen.     P.    versteht    darunter    die  Stufen   der  Thymele.    — 
20.  In  V.  317  liest  P.  XeirTtü  oo^isTa  (Vat.  Urb.).    —    21.  v.  492  gibt 
P.  dem  Euelpides  und  zwar  mit  der  La.  u-o8yijoc|jlcvoi.  —  22.  In  v.  553 
liest    P.  rr,pu6va    st.  Keßpiova.    —    23.  Im  Schol.  553    bezieht  P.    die 
Worte  ov  £-/£'.pui3ato  r)  'A'f poSitTj  nicht  auf  Kebriones,  sondern  auf  Por- 
pbyrion.    —    24.   Das    Schol.    im    Vat.  Urb.    zu    v.  680:    -aüxa  irpö; 
iauTov  Kv'^Bi  fj  'Ap'.JTOcpavrjC,  oxt  ~i^  lapi  sv  aaxei  teXouui  xa  Aiovuaia  hält 
P.  für  besser  als  die  bisher  bekannten.     Aber  wahrscheinlich  sind  dies 
nur  zwei  bereits  bekannte  Scholien  in  unrichtiger  Verbindung,  nämlich 
ti»  $oü&K^.  xaÜTa   o>c  rpoc  xtjv  dvjöova  Xs^ei  6  A.  und  YiptvoT?"  Sxi  xcui  e'api 
Ev  acjxEi  xeXouji  xo  Aiovjjta.    —    25.  Nach  v.  888    vermißt  P.  die  Ein- 
ladung an  die  Götter,  an  dem  Opfer  teilzunehmen.  —   26.  In  v.  1012 
hält  P.    den  Ausdruck    ■KXrffcd  auyval  xax'   asxu    für    eine  Parodie    von 
Aisch.  Sept.  345  y.opy.opu-.'al  8'  av   aaxu.  —  27.  In  v.   1253    gibt  P.  xi; 
der  Iris    in    dem  Sinne    von:    ,,Was   wirst  Du    mir    dann    antun?"  — 
28.     Bei    'fiX'jpivov  Kivr)<jtav    in    v.  1375    hebt  P.    die   Bemerkung    des 
Euphronios   hervor,    daß    die  Dichtung    des  Kinesias    als  eine  „leichte 
Ware"  erscheine.  —  29.  In  den  v.  1392 — 1394  besinge  Kinesias,  meint 
P.,  die  Wolken  als  sein  Element  und  vergleiche  sie  mit  Vögeln.   Daher 


238     Berif'ht  über  die  Literatur  dor  griechischen  Komödie.   (Holzinger.") 

sei  V,  1394  zu  streichen  als  ungeschickte  Übertragung  aus  v.  254.  — 
30.  In  V.  1410  setzt  P.  nach  olo'  das  Fragezeichen;  nach  TZTepoTroixtXoi  den 
Punkt.  Der  Sykophant  spreche  mit  sich  selbst  und  beantworte  selbst 
die  von  ihm  gestellte  halblaute  Frage,  v.  1411  sei  ein  Anruf  des 
Frühlings,  weil  dieser  die  Armut  erträglicher  mache.  —  31.  In  den 
vss.  1561—1563  tritt  P.  für  die  Beibehaltung  des  überl.  a7:r;),i)e  ein, 
(las  er  dem  homerisclien  (Od.  XI,  97)  ava/as^ajAcvo;  entsprechen  läßt. 
In  V.  1563  liest  P.  mit  Blaydes  aip.a  (st.  Äai[i.a}.  Wieso  Aristophanes 
«TTTJXils  und  avfjXöe  fast  nebeneinander  gebrauchen  konnte,  wird  nicht 
erklärt.  —  32.  Im  v.  1628  schreibt  P.  ooxsü;  und  gibt  dem  Triballer: 
coi   xauvaxa   ßaxTapl  xpoüja.   — 

E.  Piccolomini,  '■Y-i'iio'iz'k.  Critica  ed  esegesi  di  un  frammento 
di  Ermippo  e  di  un  luogo  degli  Uccelli  die  Aristofane.  Rendiconti 
della  R.  Acc.  dei  Lincei,    1893,    Serie  V,    vol.  II,  p.   101—117.  — 

Der  Verf.  beschäftigt  sich  in  diesem  Aufsatze  mit  Hermippos 
fr.  69  Kock  I,  p.  246  und  mit  Aristoph.  Av.  1149-1151;  avtu  Ss  tov 
U7ta7coi£a  |  ettetovt'  syoujai  xatoTriv  SjTtsp  ratöia  |  tov  -yjXov  ev  tois  aro- 
[j-aaiv  ai  -/eXiöovsc.  |  Piccolomini  stützt  sich  auf  Schol.  1150-  zu  ura^cu- 
7euc"  Ip-j'aXeiov  oixoSo|jlix6v,  tp  dtJteuOuvoujt  xa?  ttXi'v&ou?  Tipos  dXXii^Xa;  ujnd  er- 
klärt uT:a7ü)7£u?  als  „archipendolo",  d.  i.  Senkblei,  (ojirep  Tratoia  erklärt 
er  durch  „wie  Kinder  sc.  etwas  hinter  sich  (xaTOTitv)  nachschleppen, 
anstatt  es  zu  tragen",  avo)  verbindet  er  offenbar  mit  stietovto  und  in 
dem  Asyndeton  findet  er  keinen  Anstoß;  denn  er  übersetzt  p.  104:  „e 
in  alto  svolazzavano  le  rondini  con  V  ()izoi'{(o-jz6i  dietro,  come  fanciulli, 
e  col  cemento  nel  becco."*  Die  Schwalben  also  betrachtet  er  als  die 
eigentlichen  Maurer  bei  dem  Mauerbaue,  und  die  Enten  tragen  ihnen 
die  Ziegel  herbei.  —  Aber  avcu  mit  eitExovTo  zu  verbinden,  hat  keinen 
Zweck,  weil  es  sich  hier  nicht  darum  handelt,  daß  die  Schwalben  gute 
Flieger  sind.  Und  der  Schwanz  der  Schwalbe  sieht  meines  Wissens 
keinem  Gegenstande  weniger  ähnlich  als  einem  Senkblei.  (Valentin! 
Lexikon:  Archipenzolo,  Bleischnur,  Bleiwage.  —  Bleischnur:  piombino, 
archipenzolo,  scandaglio.  —  Scandaglio,  Senkblei.)  Ein  Senkblei  hat 
auch  der  Scholiast  nicht  gemeint,  sondern  ein  eisernes  Werkzeug,  mit 
dem  der  Maurer  den  zwischen  den  Ziegeln  hervorquellenden  Mörtel  ab- 
streicht oder  glatt  streicht.  Und  der  Vergleich  mit  Kindern,  den 
Piccolomini  meint,  läßt  sich  nicht  in  dieser  Weise  abkürzen,  wie  es  im 
griechischen  Text  geschieht.  Und  warum  setzt  Piccolomini  in  seiner 
ilbersetzung  die  kopulative  Partikel  (e)  ein,  wenn  das  Asyndeton  eben- 
sogut paßt?  Kurz,  die  Schwierigkeiten,  welche  die  Überlieferung  hier 
darbietet,  sind  geblieben  und  Piccolomini  hat  sie  durch  seine  Erklärung 
nur  vermehrt.     Auch    die  Engländer  Kennedy,  Merry,  Blaydes,  Hickie 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Ilolzinger.)     239 

(1901)  sind  in  ihren  Ausgaben  der  Vögel  über  die  von  Meinekc  und 
Theodor  Kock  nachgewiesenen  Mängel  derStelle  uichthinweggekommen. — 
Für  mich  steht  fest,  daß  avw  mit  lyoujai  verbunden  werden  muß;  ferner, 
daß  ()-'x-;o)-(z6i  ein  Werkzeug-  ist,  mittelst  dessen  der  Maurer  den  Mörtel 
streicht  und  abstreicht  (also  —  cusxr^p).  Daß  das  zuletzt  stehende  yeXi- 
öovs;  als  Subjekt  für  fast  drei  Verse  ausi-eiche,  ist  hier  in  der  Tat  nn- 
wahrscheinlicli.  —    Vgl.  d.  Ber.  S  245.   — 

Piü  Fr  an  Chi  de'  Cavalifii,  I^a  Panoplia  di  Peitetero  e  di 
Euelv'ide.  —  Studi  italiani  di  tilologia  classica.  vol.  I,  1893, 
S.  485-511. 

Ausgehend  von  Av.  v.  435,  in  welchem  die  Ausrüstung  des 
Peithetairos  und  des  Euelpides  als  ravo^Xta  bezeichnet  wird,  sucht  der 
Verfasser  dieses  mit  sorgfältiger  Benutzung-  der  Literatur  geschriebeneu 
Aufsatzes  die  einzelnen  Teile  der  komischen  Ausrüstung  genau  zu  be- 
stimmen. Das  Wesentliche  ist  hierbei,  daß  die  /utpa  (v.  357,  358,  386) 
.nach  Franchis  Ansicht  als  Schild  verwendet  wird.  Auf  dem  Haupte 
tragen  die  beiden  Keisenden  ihren  Filzhut.  Um  die  Augen  zu  schützen 
werden  tcu  -pu^Xito  (v.  361,  387)  vorgebunden.  Kocks  Ansicht,  daß 
ein  Schutzwall  aus  Töpfen  irebildet  werde,  lehnt  Franchi  ab,  ebenso 
Wieselers  Deutung  der  xp-j^Xta  als  Schilde.  Ich  stimme  bezüglich  der 
xpußXia  mit  Franchi  überein,  ebenso  in  der  Festhaltung  der  überlieferten 
La.  -posöoü  (v.  361).  Hingegen  bin  ich  der  Meinung,  daß  Peithetairos 
bei  V.  357  dem  Euelpides  und  «ich  selbst  einen  Kochtopf,  den  jeder  bei 
sich  führte  (v.  43),  als  Helm  auf  den  Kopf  setzt.  Diese  einfache 
komische  Wirkung  konnte  sich  Aristophanes  nicht  entgehen  lassen. 
Als  Schild  verwendeten  sie  den  flachen  Korb,  in  welchem  sie  den  Koch- 
topf und  die  Speisenäpfchen  samt  den  Myrtenzweigen  (v.  43)  getragen 
hatten.  Weil  sie  diesen  geflochtenen  Schild  bereits  am  Arme  führen, 
wird  im  v,  S57  nichts  davon  erwähnt,  da  die  Sache  für  die  Zuschauer 
augenfällig  ist.  So  werden  alle  Schwierigkeiten  beseitigt,  welche  nach 
Franchis  Erklärung  noch  übrig  bleiben.  —  Ich  kann  dem  Verf.  auch 
bezüglich  der  beigezogenen  Stelle  Equ.  1171  nicht  völlig  beistimmen, 
weil  er  meint,  in  den  Worten  xal  vöv  'j-zpiyzi  jou  yj-poiw  ^wjxoü  -Xsav  sei 
das  Wort  /u-pav  statt  as-ioa  gesagt,  während  es  doch  wegen  des  Anlautes 
mit  y  nur  -apa  rpoaooxiav  statt  yeipa  gesetzt  ist.  Wichtig  ist  dies  darum, 
weil  von  einer  Ähnlichkeit  einer  yj-rpct  mit  einem  Schilde  keine  Rede 
sein  kann.  —  Im  übrigen  wird  die  Behandlung  einiger  Gefäßnamen  und 
der  Statuen  der  'AÖYjva  OapOevo?,  Opojjiayoc  und  IloXtac  für  manchen  von 
Interesse  sein.  — 

R.  Helm,  De  Aristophanis  Avium  versu  586.  —  Neue  Jahrb. 
f.  Phil,  und  Pädag.,   147.  Bd.,   1893,  p.  399-400.  — 


*240     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

Helm  behandelt  den  Vers:  f^  o'  YjYwvcai  ak  iIeov  sk  ^^lov  je  6s  -|r)v  ak  Kpo- 
vov  oe  rioseioÄ,  lind  erklärt  denselben  als  in  dieser  Schreibung:  vollkommen 
richtig  überliefert.  Die  bisherigen  Emendationsversuche  werden  mit 
Recht  abgelehnt.  — 

J.  van  Leeuwen,  Ad  Aristoph.  schol.  Av.  100.  —  Mnemos. 
NS.  XXII,  1894,  p.  45. 

Zu  den  Textworten  des  Epops :  Tota-jxa  [xs^toi  ^o'f oxXe r,?  Xuixaivsxat 
i  SV  rate  rpa^coöiataiv  ejxe  tov  Tr,p£a  gibt  der  Scholiast  die  Notiz,  So- 
phokles habe  den  Tercus  in  dem  gleichnamigen  Stücke  iu  der  Vogel- 
gestalt auf  die  Scene  gebracht  und  fügt  hinzu:  ev  w  kyY.u}<\)t  uoXXa  xov 
Trjpe'a.  Mit  diesem  Zusätze  gibt  der  Scholiast,  wie  man  sieht,  das 
Xuixaivstat  des  Aristophanischen  Textes  wieder,  indem  er  dabei  den  Ge- 
danken des  Komikers  wenigstens  der  Hauptsache  nach  ziemlich  richtig 
auffaßt.  Denn  das  Komische  dieser  Stelle  liegt  zum  guten  Teile  darin, 
daü  es  gerade  ein  Tragiker  wie  Sophokles  ist,  der  den  Tereus  vor  aller 
Welt  lächerlich  gemacht  haben  soll.  Somit  ist  das  Scholion  unangetastet 
zu  lassen.  —  Leeuwen  aber  legt  in  den  Ausdruck  zT/.ui'\ie  des  Scho- 
liasten  zu  viel  hinein,  erklärt  es  für  unmöglich,  daß  ein  Tragiker  seinen 
Helden  absichtlich  lächerlich  gemacht  habe,  schreibt  daher  £<p'  (u 
i(jx(u'|>£  statt  iv  w  'i<JY.(o^B  und  nimmt  hierzu  Aristophanes  als  Subjekt. 
—  Leeuwen  wiederholt  diese  seine  Ansicht  in  der  Mnemos.  NS  XXIV, 
p.  339.  — 

E.  ßomagnoli,  L'azione  scenica  duraute  la  parodos  degli  Uccelli 
d'Aristofane.    —   Studi  ital.  di  fil.  class.  II,   1894,  p.   155—160.  — 

Der  Verf.  verfolgt  in  diesem  Aufsatze  das  Bestreben,  sich  die 
sceuische  Darstellung  der  Parodos  der  Vogelkoraödie  genau  zu  ver- 
gegenwärtigen. Insbesondere  beschäftigt  er  sich  mit  der  Frage,  in 
welchem  Augenblicke  und  bei  welchem  Ve;'S3  der  Vogelchor  die  beiden 
Athener  wirklich  erblickt,  von  deren  Anweseulieit  der  Epops  in  den 
vss.  317 — 326  gesprochen  hatte.  Romagnoli  will  feststellen,  daß  erst 
die  Worte  xo-ts  rpwxyjv  tyjv  i)upav  iu  v.  365  einen  Beweis  dafür  liefern, 
daß  die  Vögel  den  Peithetairos  und  seinen  Genossen  gesehen  haben, 
während  ein  solcher  Beweis  bis  zum  v.  354  nicht  vorliege.  Hingegen 
hätten  Peithetairos  und  Euelpides  die  Vögel  gleich  bei  ihrem  Anrücken 
beobachtet  (von  v.  268  anj  und  hätten  sich  rechtzeitig  hinter  einem 
Baum  oder  einem  Felsen,  der  zur  Bühnenausstattung  gehörte,  den 
Blicken  der  Vögel  entzogen.  Ihre  Entdeckung  vollziehe  sich  während 
der  Verse  354 — 357.  So  treffe  also  das  yopsutac  y]/ai}touc  zapeaiavat  der 
bekannten  Acharnerstelle  (Ach.  v.  443)  auf  unsere  Parodos  nicht  zu. 
^—  Ich  stimme  mit  Romagnoli  in  der  Hauptsache  überein,  bin  aber  der 
Ansicht,  daß  schon  die  Worte  xtuo'  oip,cu^£iv  ajicptu  v.  347  und  das  tiuo' 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,  (üolzinger.)     241 

a^rocpufovTc  [iz  (v.  351)  Voraussetzen  lassen,  daß  die  Vögel  der  beiden 
Männer  ansichtig  geworden  waren.  Dieser  Fortschritt  der  Handlung 
hatte  sich  also  vielleicht  bei  uY»  lu>  ( v.  343)  vollzogen  und  war  die  Ver- 
anlassung der  AntiStrophe,  während  für  die  Strophe  (ea  l'a  v.  327  ff.) 
der  Bericht  des  Epops  als  Grund  der  Aufregung  des  Vogelchores 
ausreicht.  — 

L.  Mlynek,  Zu  Aristophanes.  —  Zeitschrift  für  die  österreichi- 
schen Gymnasien.     XLVI,  1895,  p.  488—489. 

Der  Verfasser  führt  Av.  54 — 60  an  (tw  ^ixsXei  bhs.  ttiv  iretpav.  | 
Eu.  <ju  dk  -^  y.s'f  aXf,  x-l.)  und  bezieht  dieselbe  unter  Hinweis  auf  Karl 
Schenkls  Auslühruugen  in  der  Germania  VI,  381  auf  ein  altes  arisches 
Kinderspiel,  dessen  Reflex  in  der  Gegend  von  Wieliczka  in  einem  pol- 
nischen Kinderspiele  noch  heute  zu  Tage  trete.  Der  Verfasser  beschreibt 
dieses  Kinderspiel  sehr  ausführlicli.  Die  Kinder  verwandeln  sich  angeb- 
lich in  Vögel,  wählen  sich  einen  König,  und  dieser  gibt  jedem  mit- 
spielenden Kinde  einen  Vogelnamen.  Ein  bis  dahin  im  Gebüsche  ver- 
stecktes Kind  tritt  nun  hervor  bis  zu  einem  weißen  flachen  Steine,  der 
vor  dem  Könige  liegt.  An  diesen  Stein  stößt  das  Kind  dreimal  mit 
dem  Beine  und  ruft  dabei:  „Puk,  puk,  puk!"  Auf  die  Frage  des 
Königs:  „Wer  da?",  antwortet  das  Kind:  ,,Ein  Engel  vom  Himmel". 
Auf  die  Frage:  „Was  ist  Dein  Begehr V",  sagt  es:  ,, Vögel"  und  auf 
die  Frage:  ,, Welchen  Vogel?"  nennt  es  z.  B.  den  Habicht.  Der  König 
hält  nun  Umfrage,  ob  der  Habicht  da  ist.  Ist  er  nicht  da,  —  so  muß 
wohl  der  Suchende  wieder  abziehen,  ist  aber  der  Habicht  da,  so  nimmt 
ihn  der  Engel  mit  sich  hinter  das  Gebüsch  und  erscheint  dann  aber- 
mals, bis  endlich  alle  Vögel  abgeholt  sind.  —  Dies  in  Kürze  der  Her- 
gang des  von  Mlyuek  erzählten  Spieles,  dessen  Witz  wohl  auf  das  Er- 
raten eines  Namens  hinausläuft.  —  Der  Erklärung  der  Aristophanes- 
stelle,  die,  wenn  ich  so  sagen  darf,  nur  einige  Bummelwitze  (v.  54,  55, 
57)  anbringen  will,  würde  ich  eine  so  weithergeholte  Beziehjung  nicht 
zu  Grunde  legen.  — 

B,  Perrin,    Notes    on    the  v£y.uia  of  Peisandros,  Aristoph.     Av. 
1553 — 1564.     Transactions  of  the  American  philological  association, 
vol.  XXVII,  p.  XXXIV— XXXV  der  Proceedings  for  July,  1896.  — 
Peri'in  behandelte  in  seinem  Vortrage  die  bei  Aristoph.  Av.  1553  flf. 
vorhandene  Parodie    der  Nekyia    des  Odysseus.     Insbesondere  sucht  er 
die  umstrittene  Lesart  dr^Xöe  Av.  1561  zu  rechtfertigen.    Er  nimmt  zu 
diesem  Zwecke  an,    daß  der  Homertext,    dessen  sich  Aristophanes  be- 
diente, bei  X  38  eine  Lesart  enthielt,  welche  dem  d-ov6'a<pi  xpaiziabai  bei 
X  528    entsprach.     Ursprünglich    sei    nämlich  die  Stelle  l  35 — 49  mit 
X  526  fl.  wörtlich  gleichlautend  gewesen,  und  Aristophanes  habe  diesen 
Jahrd3bericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    (1903.    f.)  1(J 


242     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

Text  entweder  auf  dem  Wege  mündlicher  Überlieferung  kennen  gelernt, 
oder  er  habe  ein  Exemplar  besessen,  das  die  von  den  Alexandrinern 
notierte  Interpolation  einiger  Verse  noch  nicht  aufwies.  Perrin  beruft 
sich  hierbei  auf  den  Umstand,  daß  auch  die  Homercitate  bei  Piaton 
Unterschiede  gegenüber  der  Vnlgata  aufweisen.  —  Au  der  Lesart 
«TT^XÖe  halte  auch  ich  fest,  jedoch  ohne  die  Schlüsse,  die  Perrin  auf 
den  Homertext  des  Aristophanes  zog,  für  zwinuend  zu  halten.  Denn 
der  Komiker  hat,  als  er  jene  Parodie  hinwarf,  sein  Homerexeraplar 
gewiß  nicht  nachgesehen.  — 

A.  "Willems,  Notes  sur  les  Oiseaux  d'Aristophane.  —  Bnlletins 
de  l'Academie  Roj'ale  des  sciences.  des  lettres  et  des  beaux-arts  de 
Belgique.  —  3.  Serie,  tom.  XXXII,  1896,  p.  603-635. 

A,  Willems  behandelt  mehr  als  ein  Dutzend  Stellen  der  Aves 
zumeist  in  konservativem  Sinne,  indem  er  eine  überlieferte  Lesart  durch 
eingehende  Erklärung  als  richtig  zu  erweisen  sucht.  Für  v.  76  tote 
fjLev  weist  Willems  auf  Plat.  Phaidr.  261  D  hin:  to'ts  \xh  oivcatov,  otav 
öe  ßouXT]Tat  aötxov.  —  In  v.  82  und  569  wird  asp^o;  (Wesp.  352)  als 
,,foarmi  blanche'*,  eine  weiße,  in  Griechenland  einheimische  Termiten- 
art erklärt.  Y.  293  Ird  Xocpwv  erklärt  er  durch  ein  Wortspiel.  Vgl. 
meinen  Jahresbericht  1880,  S.  168.  Zu  v.  492:  u-oor)c7ot[X£voi  verweist 
er  auf  Aristoph.  Eccl.  v.  30  ff.  —  Bei  769  ff.  findet  er  nur  den  Schrei 
des  Schwanes  hervorzuheben,  nicht  aber  den  „Gesang  des  Schwanes" 
oder  gar  ein  Lied  eines  Schwanenchores.  In  v.  823  verteidigt  er  xal 
IJ.SV  ouv  gegen  Haupt  durch  den  Hinweis  auf  Soph.  Ant  31:  xal  dr^  jisv 
ouv  Trapo'vta  und  Aisch.  Pers.  lOOO:  xal  ttXsov  y]  zar^ii  fxsv  ouv.  —  Auch 
an  XcojTo?  will  er  festhalten.  In  942  liest  er:  atpatäiv  nach  dem  Pari- 
sinus A  und  beruft  sich  dabei  auf  Lübbert,  Rh.  Mus.  1886,  p.  468. 
In  v.  1221  wird  xal  vüv  ia  dem  Sinne  von  ,,qnae  quam  ita  siot"  er- 
klärt. In  v.  1392  setzt  Willems  nach  as'p«  den  Schlußpunkt.  Das  fol- 
gende sKwXa  xtX.  gehört  dann  dem  Dithyrambos  des  Kiuesias  an.  In 
V.  1395  liest  er  aXaopo[j.ov  (-^  aXy^8po(xov)  statt  aXaopo[j,ov.  Der  über- 
wiegende Teil  dieser  Bemerkungen  wird  Beifall  finden  oder  verdient 
wenigstens  ernstliche  Überlegung.  Mißlungen  hingegen  scheint  mir  die 
Konjektur  zo  vsixoü|i.ai  statt  oix-qcsu)  in  v.  547  und  xi'c  o  xoXoto;  (st.  xo- 
flopvo;)  TTj?  oooü  in  v.  994.  Die  ausführliche  Behandlung  der  Stelle 
267 — 304,  in  der  die  vier  seltsamen  Vögel  auftreten,  hätte  wohl  großen- 
teils entfallen  müssen,  wenn  Willems  die  Literatur  dieser  Stelle  (Hiller!) 
beachtet  hätte.  Das  Gleiche  läflt  sich  wohl  auch  von  seiner  Behandlung 
der  Triballerscene  behaupten,  wo  Willeras  für  v.  1681  st.  si  \i.}]  jiaßa^si 
vorschlägt:  si  [ly]  [iaot'Cst,  indem  er  unrichtigerweise  die  Basileia  zum 
Subjekt  macht,  wo  es  doch  augenscheinlich  der  Triballer  ist. 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Ilolzinger.)     243 

E.  Roniag-noli,  Sulla  esegesi  dl  alcuni  Inoglii  degli  Uccelli 
d'Aristofane.  —  .Studi  italiani  di  filologia  class.  V,  1897,  S.  337 
—356. 

Eomagnoli  beschäftigt  sich  in  dieser  Abliandlniig  mit  4  Stellen 
der  Aves.  —  In  v.  434  will  er  nnter  uh  %<x\  au  den  Peithctairos  und 
den  Euelpides  verstehen,  nicht  aber  die  Sklaven  der  beiden.  Das  ge- 
legentliche Hervortreten  des  Dnals.  wie  in  v.  43,  hat  jedoch  nicht  die 
beweisende  Kraft,  die  der  Verfasser  ihm  zumutet.  Während  aber  an 
dieser  Stelle  die  Auffassung  Romagnolis  immerhin  noch  als  möglich 
erscheint,  könnte  ich  dies  für  v.  4G3  und  G56 — 657  nicht  zugeben,  wo 
wir  an  erstercr  Stelle  auf  den  TraT;,  au  der  letzteren  auf  Xanthias  und 
Manodoros  nicht  verzichten  können.  Auch  der  Behandlung  von  v.  448 
axousTs  Xbio  kann  ich  nicht  zustimmen.  Komagnoli  läßt  den  Peithctairos 
diese  Worte  sprechen  und  scherzhaft  an  eine  bh^ß  fingierte  Mannschaft 
richten.  Das  Richtige  hat  hier  ohne  Zweifel  Tb.  Kock  gesehen ,  der 
diese  Verspartie  dem  Epops  gibt,  worin  ihm  auch  mehrere  Erklärer, 
wie  Kennedy  (1874),  Merry  (1889)  u.  a.  gefolgt  sind.  Von  den  Vögeln 
wareu  eben  viele  bereit  gewesen,  als  Hopliten  gegen  den  eindringenden 
Feind  zu  kämpfen.  Eben  darum  hatten  sich  die  beiden  Athener  bis  an 
die  Augen  bewaffnen  müssen.  —  Wichtiger  scheinen  mir  die  Bemer- 
kungen Romagnolis  zu  Av.  516:  Apollon  werde  hier  nicht  in  seinem 
Verhältnisse  zu  Zeus  als  &epa7:u)v  bezeichnet,  souderu  mit  Rücksicht 
auf  populäre  Mythen,  die  ihn  als  Diener  des  Admetos  und  des  Lao- 
medon  kennen.  In  Wirklichkeit  sei  den  Statuen  des  Apollon  der  Sperber 
als  Attribut  gegeben  worden,  weil  der  ispa?  als  prophetischer  Vogel 
(Wetterprophet)  galt.  Aristophanes  gebe  eine  scherzhafte  Ursache 
eigener  Erfindung  an.  Da  Apollon  Diener  gewesen  sei,  habe  er  als 
Attribut  einen  räuberischen  Vogel,  vgl.  Av.  1112,  1453,  Equ.  101, 
Plut.  26  ff.,  1134  ff.  —  Ein  Teil  der  Darlegungen  des  Verfassers  über 
diesen  Vers  ist  gegen  Wieseler  gerichtet.  Der  Schluß  des  Aufsatzes 
ist  dem  Demoticon  des  Euelpides  (v.  645  KpiiOsv)  gewidmet.  Romagnoli 
sieht  in  diesem  Worte  eine  Anspielung  auf  zwei  Eigenschaften,  welche 
Euelpides  mit  einem  xpto'c  gemein  habe,  die  Schwachköpfigkeit,  die  sich 
im  ersten  Teile  des  Stückes  zeigt  und  seine  Lascivität,  vgl.  v.  668  ff.  — 

C.  Robert,  Aphoristische  Bemerkungen  zu  Aristophanes  Vögeln. 
—  Hermes,  33,  1898,  S.  566—590. 

Robert  behandelt  die  vier  exotischen  Vögel,  die  der  Parodos  an- 
gehören (v.  268  ff.)  und  erklärt  sie  mit  Wieseler  und  Hiller  als  Musi- 
kantenvögel. Zwischen  v.  304  und  305  sei  eine  Parepigraphe:  oiauXiov 
ausgefallen:  denn  das  -t-7ii^ou3i  in  v.  306  beziehe  sich  nicht  auf  halb- 
artikulierte Laute  der  Ohoreuten,    die  im  Texte    nicht  vorhanden  sind, 

IC* 


244     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.   (Uolzinger.) 

sondern    auf   die   Nachahmung    des   Vogelgeschreies    durch    die  Musik. 
Auch  die  v.  209 — 222  beziehen  sich  auf  Musik,  nämlich  auf  ein  Flöten- 
solo der  Nachtigall.    So  weit  geht  man  recht  gerne  mit  dem  Verfasser. 
—  Zweifelhafter  ist  schon  die  Annahme  eines  Wortspieles  von  oiauXo; 
und  ötaüXiov  in  v.  292.     Ebenso  auch  das  Wortspiel,  das  Robert  in  das 
Wort  Xocpwats    V.  291  hineinlegt,    indem  er  es  in  dem  Sinne  von  Auf- 
stellung   auf   einem  Erdhügel   versteht.     Sicher    unannehmbar    aber  — 
wenigstens  für  mich  —  ist  die  Anschauung  Roberts,    daß    sich    dieser 
Erdhügel    „in  dem  hinteren  Teil   der  Orchestra    oder    wahrscheinlicher 
in  deren  Mitte  (!)  über  der  Mündung  des  unterirdischen  Ganges  befand". 
Denn  das  Stück    wurde   nach  Roberts  Ansicht   „wie  die  älteren  äschy- 
leischen  ohne  ay.rjvrj  gespielt".     Den  Xo'cpoc  identifiziert  weiterhin  Robert 
mit  dem  hohen  Felsen  (vgl.  v,  1,  49,  54),    an  dem  Euelpides  sich  die 
Beine    anstoßen    soll.     Nach  meiner  Ansicht    hat    gerade  das  Bühneu- 
gebäude    dazu    gedient,    durch    manigfaltige    Verkleidungen    mit    ange- 
strichener Leinwand  die  Illusion  einer  Felsgegend  zu  erleichtern.  —  Ein 
verkleidetes  Gerüst  auf  dem  Räume  Im  axrjv^;,  der  zwischen  den  Para- 
skenien  und  außerhalb  der  Orchestra  liegt,  mochte  als  erhöhter  Stand- 
platz für  die  Zwecke  des  Stückes  leicht  herzurichten  gewesen  sein.    Ein 
ganzes  Bühnengebäude  aber,    welches  doch  gewiß  für  andere  tragische 
und  komische  Aufführungen    derselben  Dionysien  notwendig  war,    ließ 
sich  zwischen    2  Stücken  wohl  weder  wegräumen,    noch  auch  aufbauen 
und    einrichten.     Einzelne  Bemerkungen  Roberts    über  Schwierigkeiten 
dieser  Scene    bleiben    trotzdem    dankenswert.     So  hat  er  v.  54  richtig 
(gegen  Mlynek;  s.  d.)  verstanden,    ebenso  auch'  die  Verwendung  zweier 
Sklaven    (v.  656)    zum  Tragen  des  Gepäcks    (gegen  Romagnoli;    s.  d.) 
und  anderes.  —  Dann  gelangt  Robert    zur  Ei'klärung   der  Stelle    über 
die    Pauoplie    (v.  434)    und    den    Kampf.     Er    stimmt    in    v.  36]    für 
npojdoü,    nimmt  ^uxpa   (v.  391)   als  „Schüssel"    und  daher  zugleich  als 
,, Schild",    schreibt    in    v.    357    mit  Blaß:    tw    yurpu)    (Anm.    S.   575). 
Robert  trennt  in  v.  391  axpav  von  yurpav   und  schreibt  [laxpav  opcüv-a; 
£776?,    indem  er  sich  auf  Menanders  Monostich.  191  stützt:    Z^Ot  Ttpoc- 
syovTcu;   w?   [xaxpav   e-ffu?   ßXsTrtuv.     Da  aber  Menaudros  empfiehlt,   man 
möge  sich  die  ierue  Zukunft    möglichst  nahe  vergegenwärtigen,    stehen 
bei  ihm  [j-axpav  und  5776?  im  natürlichen  Gegensatze  und  dies  läßt  sich 
in  den  v.  391    der  Aves    nicht   hineinzwängen.     Meine  Ansichten  über 
die    ganze   Partie    habe    ich    bei    der    Besprechung    der   Aufsätze    von 
Romagnoli  und  Franchi  de'  Cavalieri  angedeutet.  —  Bemerkenswert  ist 
die  Behandlung    der  vss.  1203 — 4    in  der  Irisscene.     Robert    schreibt: 
n.  ovo{jLa  0£  aot  xi;  llapaXo;  t)  2aXa|JLtvia;  |  I.  'Ipi?  xayeia.   11 .  iioxep«  tiXoIov 
r^  xutuv;    (st.  xuv^).  —  Robert  bespricht  dann  mit  wechselndem  Glücke 
eine  Reihe  von  Lücken  im  Texte  der  Vögel,  in  v.  886,  vor  869,  565, 


Beriebt  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Ilolzinger.)     245 

593.  hinter  1346,  Ausfall  von  -j-aia;  hinter  k'ixoXov  in  v.  405  nnd  kommt 
liierbei  auch  zur  Schilderung  des  Mauerbaues.  Robert  erklärt  uTra-fto^sa 
(1149)  als  Bezeichnung  des  Instruments  ,um  den  einzeloen  Luftziegel 
an  seinen  Nachbar  Iieranzuschieben  (Grct-'siv)"*.  Eine  Verslücke  gibt  er 
nicht  zu,  sondern  streicht  (mit  Kuthcrford)  «ujTTep  -aiot'a,  an  dessen 
Stelle  er  versuchsweise  gesetzt  denkt:  (op7Q(Cov  »T  aixo.  —  Mehrere 
Stellen  dieses  Aufsatzes  beziehen  «ich  auch  auf  die  Personenverteilnng 
des  Stückes.  Schließlich  gibt  Robert  die  Vermutung  zu  771  ft". :  Tj|x|xq^ 
ßo^i  voiJLOv  I  -T£pot3i  xpExovTs; ,  tax/ov  'AtioXXio.  ,,Mit  Tönen  wie  diese 
....  jubelten  die  Schwäne  dem  Apollon  zu,  indem  sie  mit  den  Flügeln 
eine  Weise  schlugen,  die  sich  mit  ihrem  Geschrei  vermischte."  „Der 
Flügelschlag  vertritt  die  Begleitung  auf  dem  Saiteninstrument."  —  Ich 
würde  sagen:  ,,Mit  den  Flügeln  schlagen  sie  den  Takt  zu  ihrem  Ge- 
sänge."    Für  diesen  Sinn    reicht   wohl   auch  die  Überlieferung  aus!  — 

A.  Willems,  Notes  sur  deux  passages  des  Oiseaux.  —  Bulletins 
de  rAcademie  Royale  de  ßelgique.  3.  Serie,  tom.  XXXVIl,  2,  1899, 
p.  900- 90Ö. 

Willems  erklärt  die  -yTivata  n-zod  in  Av.  v.  798  als  die  Henkel 
einer  aus  Pflanzenfasern  geflochtenen  Flasche.  Ich  tinde,  daß  dies  die- 
selbe Erklärung  ist,  die  wir  dem  Euphronios  in  den  Scholien  zur  Stelle 
verdanken,  woher  dann  die  Bemerkung  von  Ludolf  Küster  stammt: 
„Diitrephem  plectendis  vasis  vimiueis  divitem  factum  esse."  Lehrreich 
und  für  mich  wenigstens  neu  ist  aber  der  von  Willems  betonte  Um- 
stand, daß  Le  Vaillant  derartige  geflochtene  Gefäße,  die,  ohne  verpicht 
zu  sein,  Flüssigkeiten  nicht  durchlassen,  in  Afrika  benutzte  und  daß 
dergleichen  Industrieprodukte  auch  aus  dem  Kongolande  nach  Brüssel 
kommen.  Willems  hebt  auch  hervor,  daß  nicht  etwa  an  tönerne  oder 
gar  gläserne  und  mit  Flechtwerk  umsponnene  Gefäße  zu  denken  sei. 
wie  man  sie  häufig  in  Italien  sieht.  —  Im  ganzen  also  erklärt  Willems 
jetzt  den  v.  798  durch  ein  Wortspiel,  indem  Tcxepa  doppelsinnig  ist  und 
Diitrephes  dergleichen  geflochtene  Flaschen,  die  Willems  nicht  bouteille, 
sondern  nach  Littre  ,,bire"  nennt,  fabrizierte.  —  Die  zweite  Stelle  der 
Aves,  die  Willems  in  diesem  Artikel  behandelt,  ist  v.  1744  ff.,  wo  er 
aG-coü  statt  auToü  liest.  Für  aGroü  =  l|xau-oü  beruft  er  sich  auf  Av.  808, 
Aisch.  Gh.  1014  und  Soph.  0.  C.  966.  —  Willems  verteidigt  weiterhin 
die  Echtheit  von  i/apyiv  i^oaT;  und  beläßt  —  gegen  Bergk,  Meineke  nnd 
Kock  —  die  vss.  1743 — 1747  dem  Peithetairos.  — 

J.  Vürtheim,  Ad  Aristoph,  Av.  vss.  354  sqq.  —  Mnemos.  NS. 
XXVII,  1899,  p.  325—335. 

Der  Verf.  geht  bei  der  Erklärung  dieser  Stelle  von  A.  Trendelen- 
burgs  interessantem  Winckelmannsfestvortrage  aus,    der  in  der  Wo.  f. 


246     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger.) 

klass.  Phil.  Bd.  XVI  (1899)  Sp.  134—142  mit  Abbild,  und  Aum. 
wiedergegeben  ist.  Trendeleuburg  bespricht  die  zuerst  von  Eugen 
Peterbeu  (Athen.  Mitteil.  XIV,  1889,  S.  233—239)  ausführlicher  be- 
handelten Schutzvorrichtungen  gegen  die  Verunreinigung  der  Statuen 
durch  Vögel  und  erörtert  insbesondere  den  auf  dem  Statuenkopfe  auf- 
gerichteten Metallstachel  als  „Vogelabwehr".  Den  ixYjvidxoi  in  Aristoph. 
Av.  1114  weist  Tr.  eine  picheiförmige  Gestalt  zu  und  sucht  bei  der 
ausführlicheji  Exegese  von  Av.  354  ff.  unter  anderem  festzustellen, 
1.  daß  die  /uxpat  als  Helme  dienen;  2.  daß  die  rpußXia  (die  Tr.  „Essig- 
näpfchen" nennt)  in  die  Augenlöcher  der  Maske  gesteckt  werden  (La. : 
7:po;öoü  V.  361,  wie  auch  bei  C.  Robert,  Herrn.  1898,  XXXIII,  S.  574), 
3.  daß  die  Körbe  die  Rolle  von  Schanzkörben  spielen  und  4.,  daß  das 
in  V.  360  überl.  rpo;  auxov  nicht  mit  Bentley  in  T:po  aocutoo,  sondern 
nach  Schol.  Ven.  359  in  rcpö;  «utiqv  (sc.  xf,v  /uxpav)  zu  ändern  sei.  Es 
hätten  also  5.  die  beiden  Athener  ihre  kleinen  Bratspieße  ,,iu  den 
niederen  Haarwulst  über  der  Stirn  gesteckt".  —  Gegen  mehrere  dieser 
Aufstellungen  Trendelenburgs  polemisiert  Vüitheim  m.  E.  mit  ent- 
schiedenem Glücke,  indem  er  sich  gleichzeitig  gegen  Kocks  Kommentar 
und  gegen  andere  Interpreten  der  Stelle  wendet.  Nach'  Vürtheim 
werden  allerdings  die  yurpai  als  Helme  gebraucht,  und  auch  T.po^x^oZ 
(v.  361)  ist  richtig  überliefert,  aber  dieses  irpo;{)oü  kann  nicht  bedeuten, 
daß  die  xpiißXta  irgendwo  hineingesteckt  werden,  also  auch  nicht  in 
die  Augeulöcher  der  Masken.  Und  xaxa-r);ov  sagt  Vürtheim  sehr 
richtig,  heißt  sonst  in  terra  figere  (vgl.  Hom.  II.  VI  213),  nicht  aber 
„auf  den  Kopf  hinaufsteckeu".  Bezüglich  einiger  dieser  speziellen  Aut- 
fassungen stehe  ich  also  mit  Vürtheim  auf  dem  gleichen  Boden,  da  er 
auch  Blaydes,  Franchi  und  C.  Robert  in  einigen  Punkten  richtig  wider- 
legt. Die  xava  aber  will  \.  wie  Trendeleuburg  als  SchauzkÖrbe  ver- 
wendet wissen  und  zwar  als  abschließende  Türme  zu  beiden  Seiten  des 
aus  den  axpcufiaxa  (v.  657)  bestehenden  Walles!  So  soll  dann  ta  oitXa 
(v.  390)  „castra,  munimenta"  im  wirklichen  Wortsinne  bedeuten.  Und 
auf  diese  Schanzen  sollen  die  Spieße  gesteckt  werden  360.  —  Davon 
steht  nichts  bei  Aristophanes ! 

C.  B.  Gulick,    Two   notes  on   the  „Birds"  of  Aristophanes.  — 
Harvard  Studies  X,  1899,  p.  115—120. 

Gulick  beschäftigt  sich  mit  zwei  der  zumeist  behandelten  kritischen 
Probleme  in  dem  Texte  der  „Vögel*.  —  In  v.  16  erklärt  er  8;  opvt; 
s-^evex'  Ix  xtüv  opvetov  mit  den  Worten:  „he  proved  himself  a  bird  —  of 
birds".  Hierbei  soll  e-^evexo  doppelsinnig  sein.  Zuerst  habe  Euelpides 
sagen  wollen:  Tereus  ward  ein  Vogel  eS  avi)pa»itou.  Dann  aber  habe  er 
aus  Verdruß  über  die  Menschen,  an  die  er  sich  nicht  einmal  mehr  er- 


Bericht  über  die  Literatur  der  griccliischen  Komödie,   (llolzinger.)     247 

iiiuern  wollte,  den  Satz  im  Munde  umg-edreht:  Er  habe  sich  bewiesen 
als  ein  echter  Vogel,  als  ein  Vogel,  der  von  anderen  Vögeln  abstammt. 
Dabei  wird  natürlich  wieder  auf  (J-j'aiiol  xcti  e;  «Yaftäiv  (Plat.  Phaidr. 
274  A),  auf  y.ay.o;  xay.  y.axüiv  (Soph.  Oed.  Tyr.  1397),  a-^afloi  e;  a-^afhov 
(Andoc.  de  Myst.  109),  cu^evr,;  ir^  euyevou;  (Eur.  Or.  167G)  hingewiesen 
und  behauptet,  daß  der  Artikel  bei  ix  t<öv  (Jpvswv,  durch  den  sich  doch 
diese  Stelle  von  allen  übrigen  angeführten  Beispielen  unterscheidet, 
durch  den  Doppelsinn  erfordert  worden  sei!  Aber  ein  Doppclsinn  liegt 
nicht  in  ix  -(öv  opvstuv,  wor.n  dies  rap'  Oiro'voiav  gesetzt  ist.  Und  soll 
der  Doppelsinn  in  i-fi-ztzo  liegen,  so  kann  dies  nicht  den  Artikel  recht- 
fertigen. —  Dann  behandelt  Gulick  die  Teleasstelle  (v.  169),  ohne  sie 
zur  vollen  Evidenz  zu  bringen.  Von  der  reichen  polemischen  Literatur 
über  diese  Stelle  hat  Gulick  nur  die  allerdings  leicht  zu  widerlegenden 
Konjekturen  Theodor  Kocks  berücksichtigt.  — 

J.   van  Leeuwen,    Ad   Aristoph.  Av.    v.  1247.  —  Mnemosyne 
NS.  XXVIir,  1900,  ]).  391. 

Der  Verf.  schlägt  vor  xotl  a[x'j'.x''ovac  oo|xo'j;  zu  lesen,  da  das  über- 
lieferte xal  oofjLoui'AiJL'ftovo;  zwar,  wie  die  Schollen  angeben,  aus  Aischylos 
Niobe  stammen  soll,  aber  hier  doch  nicht  leicht  parodistisch  verwendet 
sein  kann. 

J.  van  Leeuwen,  Ad  Aristoph.  Aves.  —  Mnemos.  NS.  XXIX, 
1901,  p.  444—460. 

In  dem  ersten  Abschnitte  dieser  Abhandlung  verteidigt  der  Verf. 
mit  Recht  den  vom  Schreiber  des  Cod.  Rav.  übergangenen  v.  41,  ferner 
den  schon  von  Vahlen  für  echt  erklärten  v.  59,  empfiehlt  für  den  v.  266 
l-iu^e  gegen  die  Schreibung  eittutCe  (Rav.)  und  hält  im  v.  1221  an 
aoixcic  8k  xal  vüv  fest  (gegen  döixst;  \is.  Rav.).  —  Im  zweiten  Kapitel 
lechtfertigt  Leeuwen  die  Vulgata  der  Vogelkomödie  gegen  verfehlte 
Konjekturen.  Er  verteidigt  im  v.  290  iküc  äv  .gegen  ttüJ;  ap'  (Blaydesj, 
v.  479  pu-f/o;  gegen  to  pu-f/o?  (Bl.),  555  «pifj  gegen  'cpsiv  (ßi),  des- 
gleichen i'Oi  in  v.  648  gegen  ßi.,  in  v.  698  Xaei  TTTspoevTi  gegen  G.  Her- 
mann, v.  787  Tpa^tüocuv  gegen  Scaligers  xpuYtoouiv.  In  v.  1002  sucht 
Leeuwen  die  in  den  mss.  iiberlieferte  Interpunktion  nach  xajXTiuXov  zu 
halten,  wodurch  die  Verbindung  xov  xavdva  .  .  .  xa|xi:'j)^ov  entsteht.  Die 
dem  Meton  in  den  Mund  gelegten  offenkundigen  Torheiten  würden  da  • 
durch  allerdings  noch  verschärft,  vielleicht  aber  allzusehr  vergröbeit. 
Im  V.  1234  setzt  Leeuwen  nach  roiouiv  die  Zeichen  der  Anführung  und 
des  Ausrufes,  wo  sich  Kock  wohl  im  gleichen  Sinne  und  offenbar  rich- 
tiger mit  dem  Fragezeichen  begnügt.  Im  v.  1282  hält  der  Verf.  das 
überliefe)te  i-ctvcuv  aufrecht  gegen  seine  eigene  ehemalige  überflüssige 
Konjektur    erivcov.     Schließlich  in  v,  1616    gibt  Leeuwen    mit  Beutley 


248     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

die  Worte  opöic;  s-aivEr  oüto;  dem  Herakles  und  faßt  in  der  ganzen 
Stelle  bis  zum  v.  1678  das  Kauderwelsch  des  Triballers  in  einem  für 
Peithetairos  durchaus  ungünstigen  Sinne  auf;  z.  B.  in  v.  1678  setzt  er 
ßaoiXivau  einem  BaciXsiav  ou  gleich.  —  Schwächer  sind  die  im  dritten 
Abschnitte  mitgeteilten  Konjekturen  des  Verfassers;  v.  66  soll  nach 
V.  68  gestellt  werden.  Unnötiff.  In  v.  108  'Ett.  -oool-m  to  -/evo;;  Eu. 
o&ev  at  TpiTjpetc  ai  xaXai  empfiehlt  Leeuwen  die  Schreibung:  o{}cv  xpin^peic 
al  xaXat.  Hier  sind  alle  bisherigen  Anderungsvoiscliläge  überflüssig, 
weil  der  Tribrachys  zwischen  den  beiden  Anapästen  durch  die  Ver- 
teilung des  Trimeters  an  zwei  Personen  erträglich  wird.  Ebenso  über- 
flüssig ist  es  in  v.  147  IioOsv  in  ixsT&sv  zu  ändern,  weil  eüj&sv  in  dem 
Sinne  von  „vor  Tagesanbruch"  dem  Zusammenhange  völlig  entspricht. 
In  den  vss.  149—150  schreibt  Leeuwen  unwahrscheinlich:  ohiCsxz  \  IX- 
dovxes;   OTiT)  xoux  lowv  vtj  too?  öeouc.  — 

W.  White,  Tzetzes  notes  on  the  Aves  of  Aristophaues  in  Codex 
TJrbinas  141.  —  Harvard  Studies  XII,  1901,  p.  69—108.  — 

White  gibt  aus  dem  Urbinas  141,  den  Velsen  bei  der  Herstellung 
des  Textes  der  Panae  und  des  Plutos  benutzt  hatte,  eine  Kollation  der 
Schollen  des  Tzetzes  zu  den  Aves.  Die  Grundsätze,  nach  denen.  White 
bei  der  Umschreibung  verfuhr,  gibt  er  in  einleitenden  Bemerkungen 
p.  70 — 72  genau  an.  Die  Accente  und  die  Orthographie  der  Handschrift 
wurden  beibehalten,  hingegen  die  zahlreichen  Kompendien  für  Wörter 
und  Silben,  welche  das  Lesen  der  Scholienminuskel  des  XIV.  Jahr- 
hunderts erschweren,  bat  White  aufgelöst.  Da  ein  Faksimile  von  fol.  183  r 
beigegeben  ist,  war  es  mir  möglich  zu  konstatieren,  daß  die  Schollen 
zu  den  Versen  Av.  795 — 858  sorgfältig  gelesen  und  wiedergegeben 
sind.  Hingegen  fiel  mir  bei  v.  306  die  Angabe  auf:  xöiv  y.o<\>v/(a\]  xüiv 
•xoTCTovTcüv  ota  xYj!jp.  (slc.)  —  Da  hier  augenscheinlich  der  Ausdruck  xo^iyta^ 
etymologisch  erklärt  wird,  wird  es  wohl  heißen  müssen:  twv  xotttovkuv 
6ia  Toü  p.  (sc.  PU770U?.)  —  White  hat  die  Bemerkungen  des  Tzetzes  zu  den 
Aves  ganz  ausgedruckt.  Finden  sich  dieselben  genau  so  im  Codex  R 
oder  V  vor,  sind  diese  Siglen  senkrecht  (RV)  beigedruckt;  finden  sie 
sich  in  diesen  Handschriften  in  etwas  veränderter  Form,  sind  dieselben 
Siglen  schief  beigedruckt  (JS,  7,  Italics),  was  wohl  sehr  leicht  zu  Irr- 
tümern führt.  Was  sich  von  diesen  Notizen  in  R  oder  V  nicht  findet, 
ist  durch  fetten  Druck  hervorgehoben.  White  zählt  deren  393.  Von 
Belang  ist  darunter  natürlich  nur  sehr  weniges.  Interessant  sind  die 
Schlüsse,  welche  White  über  die  Vorlage  und  die  Arbeitsweise  des 
Tzetzes  zieht.  Er  meint,  daß  Tzetzes  einen  Scholieucodex  besaß,  der 
mehr  und  vollständigere  Schollen  enthielt,  als  Ravennas  und  Venetus 
zusammengenommen.    Von  dem  Archetyp  dieser  Schollen  stammen  nach 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie    (Holzinger.)     249 

seiner  Meinung  alle  scholia  vetera  ab,  die  wir  zu  Aristophanes  besitzen. 
In  die  Hauptmasse  haben  sich  die  Codices  R  und  V  geteilt,  manches 
davon  ist  in  beiden  Handschriften  übergangen,  vieles  in  beiden  mss. 
aufgenommen  worden.  Tzetzes  hat  sich  seinen  Kommentar  zu  den  Aves 
aus  den  ihm  vorliegenden  reichen  .Scheuen  selbst  zusammengestellt. 
Vieles  hat  er  unverändert  abgeschrieben,  anderes  willkürlich  verändert, 
zusammengezogen  oder  weggelassen.  Im  ganzen  stimmen  seine  Schollen 
mehr  mit  Cod.  Venetus  als  mit  dem  Ravennas  überein. 

R.  de  la  Villeherv^,  Lysistrate  comedie  d'Aristopliane.  Paris 
1896. 

Die  Lysistrate  wurde  in  Paris  zum  erstenmal  „ä  la  Comedie  Pa- 
risienne  par  le  Theutre  des  Poetes,  Directeur  Charles  Leger"  am 
23.  Dezember  1895  aufgeführt.  Das  vorliegende  Bändchen  enthält  die 
gereimten  Verse,  welche  den  Text  der  antiken  Komödie  beiläufig  wieder- 
geben. Bei  der  Vergleichung  einiger  Partien  mit  dem  Texte  fand  ich, 
dal!  vom  Originale  manches  wegblieb,  wälirend  sich  an  anderen  Stellen 
manches  hinzugesetzt  findet,  wahrscheinlich  aus  Versnot.  Auffallend 
waren  mir  auch  einige  Dunkelheiten,  die  das  Publikum  unmöglich  ver- 
standen haben  kann.  Z.  B.  v.  231 :  oO  jTrj-JOfJLat  Xeatv"  im  Tupoxv/^aTioo? 
wird  übersetzt:  et  les  lionnes  des  couteaux  y  sont  en  yain.  Dieses  vain 
muß  sich  nämlich  reimen  mit  dem  nächstfolgenden  je  boirai  de  ce  vin. 
Villeherve  entschuldigt  sich  in  einer  Schlußnote  S.  98  wegen  solcher 
Stelleu  und  nennt  auch  spezieil  den  angetühi'ten  Vers  seines  Textes  „in- 
intelligible".  Geschmackvoll  kann  ich  dies  nicht  finden.  Sieht  man  von 
der  Treue  der  Übersetzung  —  „traduction"  sagt  Villeherve  —  ab,  so 
wird  man  anerkennen,  daß  sich  viele  Verse  leicht  und  augenehm 
lesen.  — 

Aristophane,  Lysistrata.  Traduction  nouvelle  avec  une  intro- 
duction  61  des  notes  par  Ch.  Zevort.  .Edition  ornee  de  plus  de 
100  gravares  pav  Notor.     Paris  1898. 

Das  Bändchen  enthält  eine  in  Prosa  gehaltene  Übersetzung  der 
Lysistrata  mit  kurzer  Einleitung  über  das  J.  412  v.  Chr.,  in  welchem 
das  Stück  aufgeführt  worden  sei.  Vielmehr  411!  In  einem  Anhange 
werden  dem  Leser  die  notwendigsten  Anmerkungen  an  die  Hand  gegeben. 
Die  .'Ausgabe  macht  durch  die  glänzende  Ausstattung  mit  mehr  als 
100  zierlichen  Nachbildungen  von  Vasenbildern,  die  irgend  ein  Wort 
oder  eine  Situation  des  Dramas  zu  erläutern  geeignet  sind,  einen  sehr 
eleganten  Eindruck.  Da  aber  die  Auswahl  des  Stückes  und  der  Vasen- 
bilder augenscheinlich  mit  der  Absicht  getroffen  ist,  Frauen  als  am 
meisten  anziehend  darzustellen,  wenn  sie  am  wenigsten  anziehen,  hat 
man  zunächst  den  Eindruck,    daß  dieses  Buch  nicht  sowohl  der  philo- 


250     Bericht  über  die  Literatur  der  giiechischcn  Komödie.  (Ilolzingcr.) 

lüg-iscbeu  Ausbildung  der  französischen  Jugend,  als  vielmehr  der  An- 
regung älterer  Knaben  gewidmet  sei.  Ich  trat  darum  an  die  Über- 
setzung mit  geringen  Erwartungen  heran,  fand  aber  bei  einer  geuauen 
Vergleichung  der  ersten  Scenen  mit  dem  griechischen  Texte,  daü  dieser 
zwar  vieltach  unnötigerweise  nur  paraphrasicit ,  im  ganzen  aber  doch 
hinreichend  genau  wiedergegeben  ist.  Denjenigen,  die  das  Bändcheu 
ohne  philologische  Nebenabsichten  geniel.leu  wollen,  wird  es  jedenfalls 
viel  Vergnügen  bereiten.  Herrn  Notor,  der  die  Vaseubilder  beisteuerte, 
halte  ich  übrigens  bis  auf  weiteres  für  die  leicht  durchsichtige  Maske 
eines  sehr  bekannten  Vasenkeuners.  Sollte  ich  damit  im  Unrechte 
sein,  so  wird  mir  Herr  S.  ß.,  den  ich  meine,  wohl  verzeihen.  Einzelne 
Mängel,  die  ich  an  der  Übersetzung  bemerkte,  übergehe  ich.  — 

R.  Y.  Tyrrell,  Adnotatiunculae.     Class.  Rev.  VI,  1892,  p.  302. 

Aus  Aristoph.  wird  nur  Lysistr.  v.  111 — 116  behandelt.  Kalonike 
sagt  dort:  i^tb  os  7'  av  xav  wjirEpsl  <\iilzx7.'i  öoxu»  |  ooüvai  av  £[j.au-^j  rapa- 
TSfjLoüja  Orjixiau.  —  Im  vorhergehenden  hatte  Myrrhiue  um  des  lieben 
Friedens  willen  ein  scheinbar  großes  Opfer  auf  sich  zu  nehmen  ver- 
sprochen, dessen  Leistung  ihr  aber  in  Wahrheit  nicht  schwer  gefallen 
wäre.  Das  Gleiche  muß  wohl  auch  den  bis  jetzt  noch  nicht  ganz  er- 
klärten Worten  der  Kalonike  zu  Grunde  liegen.  Es  handelt  sich  dabei 
namentlich  um  <];r^tTa,  wie  die  Wiederholung  des  Wortes  in  v.  131  be- 
weist. Tyrrell  geht  nicht  von  diesen  naheliegenden  Überlegungen  ans, 
sondern  bezieht  die  v.  115—116  auf  den  Namen  der  Kalonike.  Diesen 
will  sie  entzweischneiden  lassen  und  die  eine  Hälfte,  nämlich  vixir],  bei- 
steuern. —  Ich  wende  dagegen  ein,  daß  der  Name  KaXovtxTj  dem  Zu- 
schauer nur  aus  v.  6  bekannt  war,  und  daß  er  daher  für  das  Vei'ständnis 
eines  derartigen  Wortscherzes  hätte  besser  vorbereitet  sein  müssen.  — 

A.  Ruppersberg,  Der  Bogenwettkampf  in  der  Odyssee.  — Neue 
Jahrbücher  für  klass.  Philologie.     (Bl.  155.)     1897,  p.  237.  — 

Der  Verfasser  behandelt  gelegentlich  Ar.  Thesmoph.  49  ff.  .  .  . 
opuo'xou?  TiOevai  opaixaxoc  ap/a';.  —  Breusing,  Nautik  der  Alten,  Bremen 
1886,  p.  31  hatte  hier  opuo/oi  als  Schiffsrippen  oder  Spanten  erklärt. 
Ihm  gegenüber  bezeichnet  Ruppersberg  die  opuoyoi  als  Kielhalter  oder 
Stapelblöcke.  Mit  Recht  weist  Ruppersberg  darauf  hin,  daß  das  Auf- 
stellen der  Kielstützen  bei  dem  Zimmern  eines  Schiffes  dem  Einfügen 
der  Schiffsrippen  in  den  Kiel  vorangehen  muß  und  beruft  sich  dabei 
auch  auf  Apollon,  Ehud.  I,  723.  — 

U.  v.Wilamo  Witz -Mollen  dor  ff,  Lesefrüchte.  Hermes  XXXIII, 
1898,  p.  517. 

Statt  der  bisher  nicht  genügend  aufgehellten  Aposiopese  bei 
Ariötoph.  Thesm.  536:   et  ixev  ouv  xij  eixtv  —  hatte  bereits  ßergk  den 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.   (Ilolziugcr.)     251 

Gedanken    vermutet:    si  [xsv  oüv  l'jri  xist;.     Wiiamowitz    stellt  jetzt  st. 
Ti;  i'jTiv  die  Vermutung  auf:  TstJc^Oe  -f.  — 

lu  einer  Beilage  zu  „Aristot.  und  Atlicu"  II,  S.  343  ff.  tritt  von 
Wiiamowitz  für  die  Autführung  der  Lysistr.  und  der  Thosmoph.  an 
den  zwei  Festen  des  J.  411  mit  guten  Gründen  ein  und  gibt  „als 
Fostille"  die  beiden  wichtigsten  Lieder  der  Thesmopli.  in  metrischer 
Abteilung  und  kurz  erläutert,  vss.  313 — 380  und  353 — 371. 

C.  0.  Zuretti,  Osservazioni  air  Alcesti  di  Euripide  ed  alle  Tesmo- 
foriazuse  di  Aristofane.  —  Rivista  di  filologia  XXIX.  1901,  p.  529—566. 

Der  erste  Teil  dieser  Arbeit  bezieht  sich  auf  die  Alkestis  des 
Euripides  und  fällt  daher  nicht  in  den  Bereich  dieses  Berichtes.  Der 
zweite  Teil  der  Abhandlung  p.  554  —  556  hängt  nur  äußerlich  mit  dem 
ersten  Abschnitte  zusammen  und  beschäftigt  sich  mit  der  kritischen 
Besprechung  einzelner  Stellen  der  Thesmophoriazusen.  —  Der  Verfasser 
behandelt  35  Textprobleme  dieser  Komödie  uud  stellt  sich  dabei  auf 
einen  streng  konservativen  Standpunkt.  In  den  Versen  32,  38,  91,  96, 
106,  150,  212,  284,  386.  715  nach  Velseus  Zählung,  also  in  zehn 
Stellen  wird  mau  den  für  die  Beibehaltung  der  handschriftlichen  Über- 
lieferung vorgebrachten  Gründen  kaum  beistimmen  können.  Hingegen 
an  16  Stellen  und  zwar  in  den  Versen  23,  74,  172,  242,  273,  283.  390, 
391,  411.  575,  754,  851,  918.  1083—1085,  1179,  1218  wird  die  Les- 
art des  Codex  Ravennas  in  überzeugender  Weise  verteidigt.  Au  sechs 
Stellen  schließt  sich  Zuretti  den  Konjekturen  anderer  Gelehrten  au, 
nämlich  in  den  Versen:  10,  18,  162,  294,  625,  761.  Außerhalb  dieser 
Kategorien  führe  ich  drei  Stellen  au,  bei  deren  Behandlung  die  Aus- 
führungen des  Verfassers  einen  höheren  Grad  der  Bedeutung  erreichen. 
Für  V.  ö6  schlägt  Zuretti  die  Fassung  vor:  vfj  xov  llojcioüi  xal  Aia, 
öixYjv  av  ::ai%i;.  Bei  6ixt,v  vermißt  man  die  Bestätigung  des  wichtigen 
Unistaudes,  daß  die  Bestrafung  des  Euripides  durch  die  Frauen  eine 
wohlverdiente  sei,  während  /Iit.  hinter  llojaiow  überflüssig  ist.  — 
Ebensowenig  bin  ich  mit  der  Behandlung  des  v.  134  einverstanden. 
Gegenüber  der  Lesart  des  Codex  E,:  vsavb/',  ci'  xi;  et  veilaugt  Zuretti: 
vcaviV/'  ^xi;  ei,  indem  er  meint,  der  Witz  liege  in  der  Anwendung  des 
Femininums  y;xi;,  während  veaviV/'  als  doppelsinnig,  nämlich  entweder 
als  vtavaxs  oder  als  vsavijxr)  aufzufassen  sei.  Aber  der  Gedanke,  dall 
Agathoii  möglicherweise  ein  Mädchen  sei,  wird  erst  in  den  folgenden 
Versen  erörtert,  und  ich  würde  daher  das  y  von  veaviV/'  als  eine 
bloße  Verlesung  aus  x  betrachten,  so  daß  auf  der  Grundlage  der  Kavenna- 
tischen  Schieibung  vsavisx',  ei'xts  et  als  Vorbereitung  tür  das  folgende  her- 
zustellen wäre.  Meinen  Beifall  hat  dagegen  die  Behandlung  des  v.  258, 
wo  Zuretti  xes aX/j  -epiOexo;  licit  uud  tjoI  ganz  richtig  durch  (xirpa  erklärt.  — 


252      Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.   Cllolzinger.") 

The  Frogs  of  Aristophanes  adapted  for  Performance  by  tlie 
Oxford  University  üraiiiatic  Society  1892,  with  an  p]ng:lish  version 
partly  adapted  from  that  of  J.  Hookham  Frere  and  partly  written 
by  G.  Hogarth  and  D.  Godley.     Oxford. 

Das  Buch  enthält  den  griechischen  Text  mit  prosaischer  tlber- 
setzung  des  Dialoges;  hingegen  sind  die  lyrischen  Partien  des  Originals 
mit  ähnlichen  Rhythmen  im  Englischen  wiedergegeben.  Der  Text  beruht 
im  ganzen  auf  Merrys  Ausgabe  der  Frösche.  Zu  Zwecken  der  sceni- 
schen  Aufführung  wurden  bedeutende  Kürzungen  vorgenommen,  nament- 
lich an  solchen  Partien,  auf  deren  Verständnis  bei  den  Zuschauern 
nicht  zu  rechnen  war.  Die  Übersetzung  beruht  so  viel  als  möglich  auf 
J.  Hookham  Freres  Übertragung.  Alle  lyrischen  Partien  aber  wurden 
neu  übersetzt,  um  sie  der  schon  im  Drucke  vorhandenen  Musik  von 
Dr.  Parry  anzupassen.  Auch  au  den  Dialogpartien  Hookham  Freres 
wurde  geändert,  weil  seine  Paraphrase  den  Text  allzusehr  verlängert. 
Manches  hatte  Hookham  Frere  übergangen.  So  z.  B.  die  ganze  Partie 
über  das  Xrjxui)tov.  Dies  hat  Hogarth  neu  übersetzt  und  zwar  sehr  an- 
sprechend. Von  ihm  stammt  auch  die  Übersetzung  des  Froschchores 
und  der  Parabase,  während  die  Parodos  Claxy'  tu  "lax/s)  und  die 
Schlußode  des  II.  Aktes  v.  680  ff.  von  D.  Godley  übersetzt  sind. 
Eine  kurze,  aber  beachtenswerte  Einleitung  zu  dem  Stücke  hat  Hogarth 
geliefert.  In  seiner  Begeisterung  für  Aristophanes  geht  er  so  weit, 
ihn  als  deu  größten  Dichter  Athens  und  als  den  größten  Komiker 
aller  Zeiten  zu  bezeichnen.  Der  tragische  Thron  hingegen  «ei  seit  dem 
Streite  des  Aischylos  und  Euripides  längst  anderweitig  vergeben  worden. 
Wie  englische  Leser  dieses  Rätsel  lösen,  dürfte  nicht  zweifelhaft  sein.  — 

Aristophanes:  ßauae  edited  by  F.  G.  Plaistowe,  London  1896. 

Aristophanes:    Ranae.     A  close  translation  with  test    papers 
by  G.  Plaistowe,  London  1896. 

Der  griechische  Text  des  ersten  Bändchens  beruht  auf  Bergks 
Ausgabe.  Als  Quellen  für  die  kleinen  Anmerkungen  sind  die  Kommen- 
tare von  Kock,  Blaydes,  Fritzsche,  Merry,  Green  und  Paley  genannt. 
Die  Einleitung  enthält  eine  kurze  Übersicht  über  die  Geschichte  der 
attischen  Komödie  mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Aristophanes, 
schließlich  eine  Inhaltsangabe  des  Stückes.  Auffallend  war  mir  eine 
Bemerkung  auf  S.  11,  nach  welcher  die  jugendlichen  Leser,  auf  welche 
diese  Schulausgabe  berechnet  ist,  die  Einführung  des  Froschchores  als 
eine  originelle  Idee  des  Aristophanes  betrachten  müssen,  während  doch 
der  Dichter  hierin  den  Magnes  zum  Vorgänger  hatte. 

Das  zweite  Bändchen  enthält  eine  Übersetzung  in  Prosa.  Die 
Test  Papers,  die  der  Titel  ankündigt,  füllen  zum  Schlüsse  des  Bändchens 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     2b6 

3  Seiten,    46—48,    uud    sind  Prüfungsfrageii    über    den  Text  uud  den 
Stoff  des  Stückes. 

J.    van    Leeuwen,    Over    de  strekking    en    samenstelling    der 

Kikvorscheu    van  Aristophanes.  —  A'erslagen  en  Mededeelingen    der 

Kon.    Akad.    van    Wetenschapen.  Amsterdam    1896.    —    Afdeeliug 
Letterkunde  XII,  3,  p.  302—321. 

Der  Inlialt  dieses  Aufsatzes  ist,  wie  van  Leeuwen  auf  p.  1  der 
Prolegomena  zu  seiner  in  demselben  Jahre  erschienenen  Ausgabe  der 
Frösche  angibt,  „sine  ullis  fere  mutationibus"  in  jene  Einleitung  über- 
gegangen. —  Interessant  wären  wohl  einige  Bemerkungen  über  diesen 
Aufsatz,  die  in  demselben  Bande  S.  299  —  301  leider  ebenfalls  in 
bolläudischer  Sprache  zu  lesen  sind.  Daraus  ist  mir  ein  Urteil  Nabe rs 
verständlich,  daß  zwar  bei  den  Nubes  Spuren  einer  Umarbeitung  deut- 
lich seien;  bei  den  Ranae  aber  seien  sie  nicht  zu  finden:  Bij  de  Nubes  zijn 
de  sporen  van  een  omwerkiug  duidelijk;  bij  de  Ranae  zijn  zij  niet  te  vinden. 

The  Frogs  of  Aristophanes  translated  by  E.  W.  Huntingford, 
London  1900. 

Die  in  gereimten  Versen  abgefaßte  Libersetzung  ist  oft  nur  eine 
Paraphrase.  Z.  B.  für  opa/[i.ac  v.  176  wird  Shillings  gesetzt,  für  e; 
xopaxa;  v.  187  Crimea.  -Die  Introduction  S.  5  —  11  enthält  nur  eine 
Inhaltsangabe  des  Stückes.  Gelegentliche  Fußnoten  unter  der  Über- 
setzung geben  einige  Scholienbemerkungen  wieder.  — 

H.  F.  Wilson,  The  „Frogs"  of  Aristophanes  at  Oxford.  — 
The  Academy  vol.  XLI,  1892,  No.  1035,  pag.  237.  —  London. 

H.  F.  "Wilson  berichtet  in  diesem  Artikel  über  die  Aufführung 
<ler  „Frösche",  welche  in  Oxford  am  24.  Februar  1892  in  griechischer 
Sprache  stattfand.  Die  Auffühiung  w'ird  von  Wilson  als  so  sehr  ge- 
lungen geschildert,  daß  sie  selbst  diejenigen  Zuschauer,  die  des  Griechischen 
nicht  mächtig  waren,  zu  fortwährender  Heiterkeit  hinriß.  —  Übrigens 
war  das  Textbuch,  das  man  sich  wohl  in  der  Hand  vieler  Zuhörer  zu 
denken  hat,  mit  einer  englischen  Übersetzung  ausgestattet,  welche  zum 
Teile  der  Übersetzung  von  J.  Hookham  Frere  entlehnt,  zum  Teile  von 
(i.  Hogarth  und  D.  Godley  für  die  spezielle  Gelegenheit  neu  bearbeitet 
war.  —  Besonders  erheiternd  scheint  in  Oxford  die  Scene  gewirkt  zu 
haben,  in  der  Charou  den  Dionysos  in  der  Handhabung  des  Ruders 
unterweist  uud  die  Prüfung  des  Dionysos  und  des  Xanthias  durch  die 
ihnen  aufgemessenen  Prügel.  — 

H.  E,.  Fairclough,  An  important  side  of  Aristophanes'  criticism 
of  Euripides.  —  Transactions  of  the  American  philological  association 
XXVII,  1896,  July,  p.  XIX-XX.  — 


w54     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

Faireclough,  Professor  an  der  Leland  Stanford  Ir.  TTniversity, 
ueht  in  seinem  Vortrage,  dessen  Auszug  die  „Proceedings"  bringen, 
genau  auf  die  Kritik  ein,  welche  Aristophanes  namentlich  in  den 
„Fröschen"  an  Euripides  übt.  Außer  den  von  den  Kommentatoren  be- 
tonten Hauptpunkten  hebt  Fairclough  mit  Recht  hervor,  daß  Aristo- 
phanes auch  auf  einige  intimere  Züge  der  Euripideischen  Kunst  Rück- 
sicht nimmt,  auf  das  Ausmalen  sinnlicher  Eindrücke  für  Aug  und  Ohr 
z.  B.  bei  der  Beschreibung  des  Meeres,  spielender  Delphiue,  zwitschern- 
der Eisvögel,  oder  bei  der  Darstellung  von  Tag  und  Nacht.  Hervor- 
gehoben wird  die  Farbenfreudigkeit  des  Euripides  und  der  Reichtum 
seiner  Sprache  bei  Beschreibungen.  —  Gewußt  haben  dieses  alles  natür- 
lich schon  die  Alten,  wovon  der  Bios  Zeugnis  ablegt,  wenn  er  den 
Euripides  sich  mit  Malerei  beschäftigen  läßt.  Immerhin  wird  der  Vor- 
trag Faircloughs,  der  sich  als  einen  Teil  des  Werkes:  The  attitude  of 
the  Greek  tragedians  toward  nature  (published  by  Rowsell  and  Hut- 
chison,  Toronto,  Canada)  ankündigt,  für  manchen  Erklärer  der 
.Frösche"  nützlich  zu  lesen  sein.  — 

C.  0.  Zuretti,  Sofocle  nelle  ,,Rane"  di  Aristofaue.  —  Atti 
della  R.  Accademia  delle  scienze  di  Toriuo  XXXIII,  189.^,  disp. 
15a,  pag.   1058—1066.  — 

Zuretti  bekämpft  in  dieser  lesenswerten  Abhandlung  die  Ansicht 
derjenigen,  welche  meinen,  Aristophanes  habe  den  Plan  zu  seineu  ßatrachoi 
zu  einer  Zeit  entworfen,  als  Sophokles  noch  lebte,  habe  aber  seine 
Komödie  vollendet  und  entsprechend  adaptiert,  als  Sophokles  noch  vor 
uen  Lenäen  405  starb.  Zuretti  vertritt  demnach  die  Anschauung,  daß 
der  Plan  des  Stückes  und  der  Antrieb  zur  Abfassung  desselben  auf 
dem  nach  seiner  Ansicht  in  der  zweiten  Hälfte  des  J,  406  erfolgten 
Hinscheiden  des  greisen  Sophokles  beruhe.  Das  Drama  sei,  wie  natür- 
lich, auf  dem  Gegensatze  zwischen  derAschyleischen  und  derEuripideischen 
Kunst  aufgebaut,  während  Sophokles  sowohl  wegen  der  ausgeglichenen 
Milde  seines  Wesens  (suxoXo;)  und  seiner  eine  glückliche  Mitte  ein- 
lialtenden  Kunstrichtung  als  auch,  weil  er  als  politischer  Charakter  nicht 
hervorragte,  als  gegensätzliche  Figur  nicht  wohl  verwendbar  war.  Denn 
Aischylos  trage  in  dieser  Komödie  namentlich  infolge  seiner  tüchtigen 
politischen  Gesinnung  den  Sieg  davon.  Auch  der  Umstand,  daß  dem 
Aristophanes  nur  drei  Schauspieler  zur  Verfügung  standen,  habe  übrigens 
dazu  beigetragen,  daß  der  Komiker  den  Sophokles  überhaupt  nicht  auf 
der  Bühne  erscheinen  lasse.  Gleichwohl  sei  die  Rolle,  welche  Sophokles 
in  diesem  Stücke  spiele,  wenn  auch  kurz,  was  die  Zahl  der  ihn  be- 
treffenden Verse  anlangt,  so  doch  in  keiner  Weise  unbedeutend.  Zuretti 
stützt  sich  auch  auf  die  Erzählung,  daß  Sophokles  seiner  Trauer  um 
den  Tod    des  Euripides    bei    dem  Proagon    des  J.  406  Ausdruck    ver- 


Bericbt  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     255 

liehen  habe  und  meint  nnn,  Aristophanes  habe  unmittelbar  hierauf 
(Ümmcdiatamente  S.  1060),  als  die  pietätvolle  Haltung  des  Sophokles 
pe^enüber  Euripides  noch  in  frischer  Erinnerung-  war,  ihn  nicht  auf 
der  ßüline  in  vollem  Gegensätze  zu  Euripides  vorführen  können.  Zu- 
dem könne  eine  Stelle,  wie  v.  868—869,  wo  es  heißt,  daß  die  tragische 
Kunst  mit  Euripides  geetoiben  sei,  weder  zu  Lebzeiten  des  Sophokles 
gesclirieben,  noch  auch  späterhin  plötzlich  eingeschoben  worden  sein, 
da  sie  mit  der  Handlunt;  des  Stückes,  der  beabsichtigten  Abholung  des 
Euripides  ans  der  Unterwelt,  zu  enge  verflochten  sei.  Und  gerade  diese 
Absicht  des  Dionysos  verbinde  die  beiden  Teile  des  Stückes  zu  einem 
Ganzen.  Wenn  nun  aber  der  erste  Teil  des  Stückes  wegen  der  Be- 
ziehungen auf  die  Schlacht  bei  den  Arginusen  (v.  33.  191)  erst  im 
Herbste  des  J.  406  abgefaßt  sein  könne  und  eben  dasselbe  auch  von 
dem  zweiten  Teile  gelten  müsse,  weil  er  mit  dem  erstcren  enge  zu- 
sammenhänge und  Übel  dies  auch  noch  den  Alkibiades  berücksichtige, 
so  ergebe  sich  hieraus  der  Schluß,  daß  Aristophanes  die  ßatrachoi 
etwa  in  den  letzten  drei  Monaten  des  J.  406  unmittelbar  nach  dem 
Tode  des  Sophokles  begonnen  und  bei  seiner  großen  Leistungsfähigkeit 
auch  rechtzeitig  vollendet  habe,  um  die  Aufführung  an  den  nächsten 
Lenäen  noch  zu  ermöglichen. 

F.  Allesre,  Uue  scöne  des  ..Grenouilles"  d'Aristophane.  — 
ßibliotheque  de  la  faculte  des  lettres  de  Lyon,  tome  V,  1888, 
Melange  grecs.  par  Cucuel  et  AUögre,  pag.  93  —  102. 

Allegre  meint,  daß  nach  v.  238  /öti"  aüxiV  r/xu'}'«;  £pei  das 
folgende:  ^pexsxexe;  xoa;  xoa;  zwar  den  Fröschen  zuzuweisen  sei,  aber 
gleichzeitig  habe  Dionysos  die  in  v.  238  enthaltene  Drohung  erfüllt. 
Das  Gleiche  wiederhole  sich  bei  v.  2öü.  Dieser  v.  250  [■ipexsxexs; 
xtX.  (Zählung  nach  Dindorfs  Oxf.  Ausg.)  gehöre  aber  dem  Dionysos 
„se  soulageant  avec  bruit  tont  en  parlant".  Und  abermals  verhalte  es 
sich  so  mit  v.  261  und  dann  noch  einmal  bei  v.  267,  Bei  dem  v.  250 
habe  eine  Parepigraphe:  oi-oTiEpööTat  auf  dieses  jeu  de  scene  aufmerksam 
gemacht.  V.  251:  tou-1  -ap'  'j[i.äJv  Xot}x3avu)  übersetzt  Allegre  durch: 
„En  voiKi  un  que  vons  ne  chanterez  pi:s."  —  Meines  Erachtens  ist 
dies  eine  ganz  ungerechtfertigte  und  auch  unmögliche  Überladung  dieser 
berühmten  Scene  mit  Unflätigkeit.  Für  v.  239  kann  man  zugeben, 
daß  Dionysos  den  Naturlaut  der  Frösche  parodieit.  Vielleicht  imitierte 
der  Schauspieler  den  Ton,  indem  er  in  die  Hand  blies.  Aber  nun  bei 
V.  250  und  261  zweierlei  gleichzeitig  zu  leisten  und  dazu  vielleicht 
auch  noch  zu  rudern,  ist  einfach  eine  physische  Unmöglichkeit.  Und 
die  Worte:  toutI  t.i^  ufKÖv  Xapißotvoj  können  dasjenige  nicht  bedeuten, 
was  Allegre  in  sie  hineinlegt.  —  Allegre  meint  auch,  otappa^T^jop-ai  in 
V.  256  und  sogar  x£xp7;op.ai  (v.  264)   und  Charous  -aue,  -aus  (v.  269) 


256     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uoizioger.) 

seien  ebenso  viele  Aüempfehlungen  seiner  Ansicht.  Denn  x£xpace-ai 
sei  dem  epei  in  v.  238  gleichzusetzen,  nur  sei  es  ein  stärkerer  Aus- 
druck. Darum,  daß  Dionysos  die  quakenden  Frösche  durch  Schreien 
zu  übertönen  suche,  handle  es  sich  in  der  ganzen  Scene  nicht.  Daus 
cette  scene  les  grenouilles  et  Dionysos  ne  luttent  pas  ä  qui  criera  le 
plus  fort.  Les  grenouilles  coassent  seulement.  Dionysos  coasse  aussi, 
mais  le  brek^kekex  qu'il  repote  n'est  qu'un  accompagnement,  une  ono- 
matopee  du  bruit  malhonncte  par  lequel  il  repond  u.  s.  w.   — 

Explicatur  locus  in  Aristophanis  Ranis  controversus.  Scr.  J.  van 
Leen  wen.  Sylloge  commentat.  quam  Constantino  Conto  obtulerunt 
philologi  Batavi,  S.  65—68.  Lugd.  Bat.  E.  J.  Brill,  1893.  —  Lex.  8. 

J.   van  Lceuwen    behandelt    Ran.    1109  fF.:    sjxpaxsuixEvoi    ^ap 
£131,  I  ßi^Xiov  z    r/wv  Ixaatoi  [xavöavst  ra  6e?ia  •  |  ai  cp'Jieu  t'  aXXw;  xpa- 
Tiatai,  vüv  ok  xal  rapYjy.ovr, vtai  -/.tX.     Nach  Leeuwens  Ansicht  gehört 
die  ganze  Stelle  1109—1118    der    zweiten  Aufführung  der  Ranae  au. 
In  der  ersten  Auftührung   au   den  Lenäen   hätten  die  Batrachoi  wegen 
der  Parabase,    der    lyrischen   Chorgesänge    und    wegen    der  Rolle   des 
Dionysos    in  der  Unterwelt    den  Preis  erhalten.     Auch  der  Wettstreit 
der  beiden  Tragiker    habe   sehr   gefallen;    aber    viele  hätten  sich  doch 
darüber    beschwert,    daß    man   sich  nicht  rasch  genug  in  den  aus  dem 
Zusammenhange    gerissenen  Tragikerversen    zurechtfinden  könne.     Auf 
diesen  Teil  des  Publikums    nehme   nun  Aristophanes    bei    der    zweiten 
Aufführung  der  Frösche  an  den  großen  Dionysien  desselben  Jahres  Be- 
zug.    Die  Batrachoi  seien  nach  der  ersten  Aufführung    in    zahlreichen 
Exemplaren    verkauft    worden.     Das  Publikum    habe    sich  also  in   der 
Zwischenzeit  von  zwei  Monaten,  die  zwischen  beiden  Aufführungen  lag, 
eingelesen.     Leeuwen    meint    sogar,    daß    die   Tragikerverse    in  diesen 
Exemplaren  durch  Citate  näher  bestimmt  gewesen  seien.     Aristophanes 
sage  nun  an  dieser  Stelle,  daß  die  Zuhörer  das  Exemplar  der  Frösche 
in  der  Hand  hätten;  daher  seien  sie  im  stände,   auch  dem  schwierigen 
Teile  des  Stückes    mit  Leichtigkeit    zu  folgen.     Oder   wenigstens  gebe 
Aristophanes  vor,  dergleichen  anzunehmen.     Das  schlaue  Lob  der  Auf- 
fassungskraft des  athenischen  Publikums  diene  natürlich  dazu,  die  Tadler 
zu  gewinnen  und  zu  beschwichtigen.    F.  W.  Hall,  Class.  Review,  1897, 
XI,    p.  357    lehnt    in   der  Kritik    über  Leeuwens  Ausgabe   der  Ranae 
diese  Erklärung  der  Stelle  ab    und  sagt:    „Everybody   has    bis   book" 
was  a  phrase  something  like  our  „the  schoolmaster  is  abroad".    I  give 
the  Athenians  credit  for  more  humour.     Jedenfalls  ist  Leeuwens  Hypo- 
these nach  mehreren  Seiten  hin    bedenklich.     Was  konnte  gerade  dem 
naiven  und  unliterarischen  Zuhörer,  also  der  großen  Masse,  die  an  den 
Dionysien  stark  mit  Fremden  gemischt  war,  daran  gelegen  gewesen  sein, 


Bericht  über  die    Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger^)     257 

za  wissen,  ob  eiu  Vers  z.  B.  1320  aus  dei*  Hypsipylc  stammte,  oder 
ans  einem  anderen  Stücke  des  Euripidcs?  Und  der  literarisch  gebildete 
Leser  bedurfte  wieder  gerade  dieser  Gattung  von  Nachhilfe  nicht. 
Auch  reichte  die  Zeit  von  zwei  Monaten  kaum  hin,  um  eine  Edition  zn 
einem  bestimmten  Zwecke  in  einer  wirksamen  Anzahl  von  Exemplaren 
zu  veranstalten  und  unter  das  Publikum  zu  bringen  u.  s.  w.  —  lo 
seiner  1896  erschienenen  Ausgabe  der  Frösche  hat  Leeuwen  seine  An- 
sieht über  diese  Stelle  abgeändert  und  behauptet  nun  dort  p.  VIII,  es 
sei  das  Stück  paucis  diebus  post  primam  commissionem  ein  zweites  Mal 
gespielt  worden  und  die  Voraussetzung  von  Exemplaren  in  den  Händen 
des  Publikums  sei  nur  ein  Seherz  des  Dichters.  Aber  auch  bei  dieser 
neuen  Annahme  bleiben  noch  genug  Schwierigkeiten  übrig. 

A.  Sonny,  Einige  Bemerkungen  zu  Aristophanes'  Fröschen 
(Russisch).  Philologitscheskoje  Obozrjenje  (Russische  philologische 
Rundschau)  IV,  1893,  S.  189—194. 

Sonny  behandelt  8  Stellen  polemisch  gegen  Kock.  1.  In  v,  19 
soll  Tpa/T)Xoc  in  erweiterter  Bedeutung  auch  die  Kehle  mitumfassen,  so 
daß  TC)  oe  7eXoTov  oux  epei  dadurch  gerechtfertigt  sei.  Sonny  stützt  sich 
dabei  auf  Equ.  490,  wo  er  toutioi  als  instrumentalen  Dativ  auffaßt  und 
auf  einen  Schluck  Wein  (vgl.  Equ.  101)  bezieht,  so  daß  auch  dort 
TpdyriXoj  die  Kehle  bedeute  und  mehrere  Ausdrücke  nur  in  scherzhafter 
"Weise  an  einen  Ringkampf  erinnern  sollen,  der  doch  nur  durch  Reden 
auszukämpfen  sei.  Wenn  man  schon  tpay7]Xo;  in  erweiterter  Bedeutung 
nimmt,  um  wegen  des  Parallelismus  der  Konstruktion  (jxev — 3e)  die 
dritte  Person  epsi  zu  retten,  so  würde  ich  die  Bedeutung  des  Tpa-/Tr)Xoj 
nicht  nach  vorne,  sondern  auf  den  Rücken,  mit  dem  das  Gepäck  ge- 
tragen wird,  und  dann  weiter  nach  abwärts  sich  erstrecken  lassen,  wo 
der  Rücken  seinen  ehi liehen  Namen  verliert.  Dann  tritt  Ipet  mit 
9Xiße-cai  V.  20,  v.  5,  Trt£^o|xai  v.  3  und  aK0TrapöiQ50[jLat  v.  10  in  einen 
drastischen  Zusammenhang.  Vgl.  v.  237  Tcptuxxo? — ipsT.  —  2.  Direkt 
ablehnen  müßte  ich,  daß  in  v.  295  ßoXiuvov  das  durch  Eselmist  be- 
schmutzte Bein  bedeuten  solle,  da  doch  der  Eselmist  ovt?  heißt.  Vgl. 
Pac.  4.  —  3.  In  v.  301  !,'&"  T^rep  l'pyei  sieht  Sonny  eine  an  die  Empusa 
gerichtete  Beschwörungsformel  (Philostrat.  vit.  Apoll.  II.  4),  welche 
Xanthias  bei  seiner  lächerlichen  Feigheit,  die  nicht  geringer  sei  als  die 
des  Dionysos,  erst  aussprach,  als  sich  das  Gespenst  ohnedies  schon  ent- 
fernt hatte.  Dies  ist  nicht  unmöglich,  aber  nicht  notwendig  anzunehmen. 
4.  In  v.  347  liest  Sonny  o>|i,(uv  statt  etcüv,  was  ich  ablehne.  5.  Für 
T.  405  empfiehlt  Sonny  toos  to  (javoa)acjxov  und  versteht  es  von  dem  ge- 
flickten Schuh  des  Choreuten.  Man  vgl.  Kocks  Bemerkung  in  der  4.  Auf- 
lage. 1898.  —  6.  Au  der  Schreibung  von  683—684  hält  Sonny  fest 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.  (1903.  I.)  H 


258     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

indem  er  eine  Parodie  nach  des  Euripides  Alkmene  (vgl.  Kock  zu  v.  93) 
vermutet.  Nur  ßo(p[>apov  könne  dem  Tragiker  nicht  angehört  haben,  was 
ich  nicht  zageben  kann.  —  7.  In  v.  914  bedeute  epei'öctv  „mit  An- 
strengung vortragen",  was  sich  durch  Wo.  1375,  Ri.  627  anempfiehlt. 
8.  Für  V.  1001  vermutet  Sonny  apei?  (vgl.  Ran.  378)  statt  a^sic,  schwer- 
lich in  glücklicher  Weise.  —  Ich  bemerke  schließlich,  daß  ich  für  das 
rasche  Verständnis  dieser  Arbeit  Herrn  Hofrat  Alfred  Ludwig  in  Prag 
zu  großem  Danke  verpflichtet  bin.  — 

Freerne,  Komedie  af  Aristofanes,  oversat  af  P.  Petersen.  Kopen- 
hagen  1894. 

Dies  ist  eine  dänisclie  Übersetzung  der  , Frösche"  mit  drei  Seiten 
Einleitung  und  einigen  Anmerkungen.  — 

J.  van  Leeuwen,  Ad  S.  A.  Naberum  diera  quo  ante  a.  XXV 
munus  acad.  iniit  laete  celebrantem  de  Aristoph.  Ranis  ep.  crit.  — 
Mnemos.  NS.  XXIV,  1896,  p.  99  —  113. 

Der  erste  Abschnitt  dieser  Abhandlung  umfaßt  8  textkritische 
Vorschläge,  die  ich  nicht  billigen  kann.  Leeuwen  liest  in  v.  48: 
aT:oSTf)}j.erc,  v.  305 — 306:  yj ''E|XTCouja  'fpo'Jor|.  —  xaxojxoaov  [xot  xov  Ata  |  vyj 
-cöv  Ar.  —  aufti?  7.ar6|jLoaov.  —  vy)  tov  Aioc.  —  In  der  unmetrischen  Über- 
lieferung des  V.  324:  'laxy',  w  roXuTiixT^TOt;  £v  söpai»  evöaös  vaiuiv,  ersetzt 
L.  TroXuTi|ji,T(^Toic  durch  TroXuu'fAvoi;.  Meines  Erachtens  hat  man  nur  das 
überflüssige  und  als  Glossem  eingedrungene  h  wieder  zu  entfernen.  Ich 
lese  also:  TroX'jTtixrj :oic  sopai?  evilaös  vai'wv,  was  einige  Handschriften  und 
auch  Theodor  Bergks  Ausgabe  darbieten.  Bezüglich  des  auaklastischeu 
Schemas  dieser  loniker  ist  auf  v.  330  zu  verweisen:  arEtpavov  ix'jpxwv, 
i^paasi  ö'  £7/.aTa/po'j(i>v  und  bezüglich  der  Responsion  auf  327:  o^iouc  ej 
i^iaacoxas  und  v.  344:  cpXs7£xai  öyj  9X071  Xsifxtuv,  Überdies  vgl.  W.  Christ 
in  der  Metrik  8.  497.  —  In  Ran.  554  schreibt  L.  Ttavd'  TjjxicußoXtaia» 
V.  674:  £7:1  ßocpriocpov  i^ofJLEvr)  ttixuXov,  v.  925:  [xop|j,ov(uxa,  1038:  xov- 
xüivov  EjxeXX'  iirioiQCJEiv  und  die  v.  609 — 611  xaXXoxpta  gibt  L.  dem  Tor- 
wärter und  [XTj  aXX'  uTrEO'puä  dem  Dionysos,  v.  612  wird  gestrichen.  — 
Gelungen  ist  in  dem  zweiten  Abschnitte  die  Erklärung  einiger  Stellen^ 
bei  denen  die  scenische  Aufführung  zu  berücksichtigen  ist.  In  v.  Sft 
erledigt  sich  nach  Leeuwen  die  Nachfrage  über  Pythangelos  durch  eine 
wegwerfende  Handbewegung.  Die  dreimalige  Begrüßung  yaip'  <u  Xapmv 
in  V.  184  erklärt  Leeuwen  durch  die  Schwerhörigkeit  des  Alten.  Die 
drei  Begrüßungen  sind  mit  wachsenden  Stimmmitteln  vorzutragen.  Ich 
möchte  dabei  auch  auf  das  mürrische  Wesen  des  Charon  Gewicht  legen,, 
weil  sich  nur  so  das  zu  dieser  Stelle  angemerkte  Citat  aus  dem  Satyr- 
drama des  Achaios  vollständig  erklärt.  Daß  Aristoph.  in  diesem  Scherze 
nur  zufällig  mit  Achaios  zusammentraf,   möchte  ich  Leeuwen  nicht  zu- 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     259 

geben.  A.nch  halte  ich  die  von  ihm  vorgeschlagene  Zuweisung  des 
ersten  Grußes  an  Dionysos,  des  zweiten  an  Xanthias  und  des  dritten 
an  beide  zugleich  nicht  für  notwendig.  —  Sehr  beachtenswert  ist  die 
Auffassung  des  v,  257:  oifiw^E-'  .  ou  -/ap  jxot  \xi\ti:  in  malam  rem  abite; 
uon  enim  eure,  quid  de  vobis  fiat.  L.  schließt  sich  bei  dieser  Erklärung 
an  Hermann  an  und  liilJt  bei  dem  oijxwCe-e  den  Dionysos  sehr  passend 
zu  einem  Scillase  mit  dem  Ruder  ausholen,  t'berzeugend  ist  auch  die 
Zuteilung  der  Worte:  -plv  xat  ■{vpwh'xi  in  v.  1185  an  Dionysos  und 
zwar  in  spöttischem  Fragetone,  als  hätte  -plv  cpüvai  nicht  mit  AttoXäiov 
I97]  zusammengehangen,  sondern  mit  aTtoxreveiv.  —  Weniger  befriedigt 
die  Bemerkuug  zu  v.  36,  daß  das  Hans  des  Herakles  nicht  in  Athen 
zu  suchen  sei,  sondern  anderswo;  aber  man  könne  den  Ort  nicht  be- 
stimmen. Auch  bei  v.  301  stimme  ich  nicht  mit  L.  überein,  wenn  er 
die  Worte  iH'  7]itep  ep/si  dem  Dionysos  zuteilt  und  an  den  Xanthias  ge- 
richtet sein  läßt.  Richards  in  der  Class.  Review,  XV,  p.  389  meinte, 
daß  Xanthias  mit  diesen  Worten  das  zurückweichende  Gespenst  Empasa 
anspreche.  Beides  ist  unrichtig.  Vielmehr  gibt  Xanthias  seinem 
Herrn  in  rascher  Abfolge  einander  widersprechende  und  darum  lächerlich 
wirkende  Ratschläge. 

Im  dritten  Abschnitte  erklärt  Leeuweu  'i-/rpa\ivi  in  v.  216  nach 

Kuhnken  als  gnomischen  Aorist.     Da  zur  Zeit  der  Leuäen  im  Gamelion 

die  Frösche  noch  nicht  quaken,   sei  die  Fiktion  natürlich,   daß  sie  sich 

zu  dieser  Zeit  noch  in  der  Unterwelt  befänden.     Dort  erinnern  sie  sich 

daran,    daß  sie  am  Chytrenfeste ,    also  im  Authesterion,    im  Dionysos- 

bezivke  zu  quaken  pflegen  (v.  218).     Die  Auffassung,  daß  es  sich  hier 

um  die  Seelen    abgestorbener  Frösche   in  der  Unterwelt  handle,    lehnt 

Leeuwen  ab.     Gut  ist  auch  die  Bemerkung  zu  v.  362  über  Thorykion. 

Dieser  Mann    habe    seine  Stellung    als    Eikastologos    mißbraucht,    um 

Kriegskonterbaude  von  Aigina  nach  Epidauros  zu  schwärzen,  und  hierbei 

sei  er  aufgegriffen  worden.    Aus  der  Steile  sei  nicht  mit  Boeckh-Fraenkel 

(I^  p.  396  und  Anm.  537)    zu   folgern,    daß  Thorykion  Zollpächter  in 

Aigina  gewesen  sei.  —  Ablehnen  muß  ich  die  Erklärung  von  uTie/cupTj^ev 

Toü  T^povo'j  in  V.  790.    Leeuwen  verweist  auf  v.  767  rapaytopsTv  und  gibt 

ihm  die  Bedeutung:  in  sellam  recipere.    Aischylos  mache  dem  Sophokles 

neben  sich  auf  dem  geräumigen  Throne  Platz.    Der  Behandlung,  welche 

Kock  dieser  Stelle  in  dem  Anhange  zu  seiner  neuesten  Auflage  (1898) 

des  Stückes  gibt,    schließe    ich  mich  ebensowenig  an.  —  Der  Aufsatz 

van  Leeuwens    bildet    mit    seiner   Fortsetzung    (s.  d.)    eine    Grunllage 

seiner  im  J.  1896  erschienenen  Ausgabe  der  Frösche.  — 

J.  van  Leeuwen,  Ad  Aristophanis  Ranae.  Mnemos.    NS.  XXIV, 
1896,  p.  330—344. 

17* 


260     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

Dieser  Aufsatz    ist    äußerlich    eine  Fortsetzung  der  Abhandlung? 
Leenwens  in  der  Mnemos.  NS.  XXIV  p.  99—113,  bezieht  sich  aber  zum 
weitaus  überwiegenden  Teile  auf  die  Scholien ,    die  der  Codex  Venetus 
zu  den  Fröschen  darbietet.    Zu  dem  Texte  des  Aristophanes  selbst  finden 
sich  nur  4  Bemerkungen.     In  v.  376  wird  die  La.  y]pic7-:r,Ta'  durch  den 
Hinweis  auf  den  Umstand  verteidigt,  daü  die  Athener,  die  nach  Eleusis 
zogen,    vorher  ihr  Frühstück  einnahmen.     Meines  Erachtens  muß  man 
die  wichtige  Notiz  des  Philochoros  bei  Athen.  464  F,  auf  welche  Blaydes 
hinweist,  dazunehmen.    Abzulehnen  ist  die  Schreibung  von  v.  1102:  o  o 
iiravaoxpocpYiv    Trotr)Tat  |  xal    ETrepeiOTjTai    Topüi;     und     die    Zuweisung    des 
süSaijjLojv  ap'  ^v  in  v.  1196—1197  an  Aischylos,  wobei  dann  L.  gezwungen 
ist,  das  folgende  si  xal  in  oux  zu  verwandeln.    Auch  die  Erklärung  von 
V.  1296    kann    ich    nicht    billigen,    h.  Mapaötüvo;    bezieht    L.    auf  die 
Schlacht    bei    Marathon,     bei     welcher    Aischylos     sein     barbarisches 
phlattothratt  von  den  Persern  gelernt  habe.  i[jLovio!jTp69ou  [lUyi  seien  ein- 
tönige   und    langweilige  Lieder,    wie    sie    am  Brunnen    beim   Wasser- 
schöpfen gesungen  würden.    Aber  ifiovioaxpomoc  kann  nur  ein  Seiler  sein, 
der   ein  Brunnenseil  dreht,    nicht  ein  Arbeiter  (uoaxrj-j-oc),  der  das  Seil 
am  Brunnen  aufzieht.  — 

Von    den    23  Bemerkungen,    die    Leeuweu    den    Venetusscholien 
widmet,    ist    die    Hälfte    gelungen.     Ich    eitlere   Vers    und  Zeile    nach 
Dübners  Scholienausgabe.     Mau    schreibe    mit    Leeuwen    schol.  v.  354 
Z.   19:     zU  H-spTQ  Suo   <xal  Tov  |xev   xopucpaiov  Xi'itiy  Ta>     dvaKaiaxa    und 
weiterhin  Z.  22:  ixspfiepiatai.    —    schol.  384  Z.  49:   aXXu);  •  wc  to.  — 
schol.  487  Z.  43:    oixsiov  xo  aitoKav.  —  schol.  554  Z.   9:     loiw?  km  xoö 
dv'  f^|jLiu)ß6Xiov  iiüjXou|xevou.  —   schol.  V.  645  Z.  51 :   ouxoj  ^dp  xal  xo  „ou 
|Ad  M'  —  Aiofxeioic"   ei;  auxov  eXsujsxa'..  —  xtve?  [xsv  oxi  Eavöia?,  d'xe  or^ 
'HpaxXrj?  xloic  ojVjXivE?  oh  oxi  Atovujo;.  —  schol.  v.  756  Z.  45 :  auvj^Ya-cc 
st.  siuT^Ya-ys,   —  zu  schol.  891  Z.  27 — 28  wird  mit  Recht  bemerkt,  daß 
dieses  Scholion  zu  v.  889  gehört    und   sich  auf  die  Interpunktion  nach 
£u^o[jLai  d£ot;  bezieht.  —  schol.  970  Z.  30:  1.  xoüxo  ^dp  st.  xov  -[dp.  —  schol. 
V.  1212  Z.  .34 — 35  L.  setzt  vor  xadeifxevo;  den  Schlußpunkt  und  nimmt 
es  als  Erklärung  zu  xdi^aTixo?,   hingegen  das  folgende  x6  ok  ixEpto;  xxX. 
zu  xadaTTxoj.   —  schol.  v.   1400  Z.  37:  Trpocpspeiv  vüv  st.  7:pocp£p6[X£vov.  — 
schol.  V.  1413  Z.  14:  ^dp  IxEpa  st.  ixaxEpw.  —  Den  übrigen  Verbesseruugs- 
vorschlägen    vermag    ich    mich   nicht  anzuschließen.     Beispielsweise  er- 
wähne ich,    daß  Leeuwen   schol.  122  Z.  47  ßpoytp  st.  ypovo)  empfiehlt. 
Aber  ypovw  ist  dadurch  gerechtfertigt,  daß  andere  Todesarten  als  weitaus 
schnellere  dargestellt  werden.  —  Bei  schol.  479  Z.  17 — 19  wundert  sich 
Leeuwen  darüber,  daß  er  diese  Zeilen  dXX(u;  —  TCEirXajxai  in  Rutherfords 
Ausgabe  der  Scholien  des  Ravennas  nicht  finde.     Aber  sie  stehen  nicht 
im  Cod.  R,    wie    ich    in  meiner  Kollation  der  Ravennasscholien  (1882 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger.)     261 

Wiener  Studien)  genau  angegeben  habe.  Nach  i}£ov  empfiehlt  L.  ein 
Fragezeichen.  Aber  dieser  Interpunktion  widersprechen  die  folgenden 
Worte  des  Scholiasten:  toüto  oe  «jc  ev  xtujxtpoi'x  zeTrXao-rai,  sc.  oti  oux  ^v 
Oeo;  0  ^tovuao;.  Unrichtige  Ansichten  eines  Scholiasten  zu  verbessern, 
ist  nicht  Sache  der  Textkritik,  —  Die  Scholien  579—582  Z.  42—46 
gehören  nicht  so  zusammen,  wie  L.  sie  zusammensetzt.  Das  Schol.  582 
findet  sicli  nach  Dübners  Angabe  nicht  in  V,  wäiireud  Schol.  57U  darin 
steht.  — 

Ein  Beispiel  für  den  mehrfach  unberechtigten  Tadel,  den  L.  gegen 
den  Cod.  K  erhebt,  um  die  Vorzüge  des  Cod.  V  in  das  schönste  Licht 
zu  stellen,  gibt  die  Bemerkung  zu  schol.  886,  Z.  17—19.  Hier  wird 
Cod.  E  wegen  des  Ausfallens  zweier  Scholien  getadelt,  die  doch  nach 
Dindort  und  Dübuer  aucli  im  Cod.  V  fehlen.  Die  drei  verschiedenen 
Notizen,  welche  diese  Scholien  enthalten,  haben  schon  Dindorf  und 
Diibner  richtig  auseiniindergelegt.  AVegcn  des  Fehlens  des  Scholions 
1235  Z.  12 — 13  wird  R  insofern  mit  Unrecht  getadelt,  als  eine  ganz 
ähnliche  Bemerkung  schon  zu  v.  1227  beigesetzt  war,  nämlich:  a>Xa>c  • 
ojv/jaEi  (sie)  xfjV  Xr,xu9ov  xai  aroSoc  avtt  ttj;  «TroXüjXui'a;.  Daß  R  das  schol. 
1235  Z.  14 — 17  auslässt,  ist  nur  als  Vorzug  der  Handschrift  zu  buchen, 
weil  dieses  Scholion  unsinniges  Zeug  enthält.  Ob  L.  zu  schol.  1235 
Z.  15  mit  Recht  d-oXXu.xa-.  vorschlägt,  st.  dKooiooxat,  ist  mir  zweifelhaft. 
Leeuwens  Erklärung  des  Verses  1235  (vgl.  seine  Ausgabe)  ist  jedenfalls 
verunglückt,  wie  Kocks  Anm.  beweist.  — 

In  schol.  1245  Z.  43  ist  nicht  -po^iqpfjLoCe  st.  TrpoaeOrjxö  zu  schreiben. 
Auch  hat  dieses  Scholion  durchaus  keine  Wichtigkeit.  Sein  Fehlen  im 
Cod.  K  ist  also  kein  Nachteil.  — 

E.  Graf,  Zu  Aristophanes  Fröschen.    —    Philologus  LV,  1896, 
p.  307—317. 

Graf  behandelt  in  7  Absätzen  mehrere  Stellen  der  Frösche.  In 
V.  20  wird  die  La.  ipei  gegen  Cobets  und  Meinekes  ipw  in  Schutz  ge- 
nommen. Zu  der  allgemeinen  Bedeutung  von  TpdyrjXoc  verweist  Graf 
auf  einen  analogen  Gebrauch  von  öeprj  bei  Aischyl.  Ag.  329  Weil.  — 
Bei  der  Erörterung  der  Prügelprobe  v.  643  ff.  lehnt  Graf  es  ab,  mit 
Kock  und  Velsen  eine  Lücke  anzusetzen  oder  mit  Zielinski  umzustellen. 
Graf  sucht  vielmehr  zwei  Rezensionen  dieser  Partie  zu  unterscheiden, 
indem  er  davon  ausgeht,  daß  im  jetzigen  Texte  7  Hiebe  beschrieben: 
werden,  3  für  Xanthias  und  4  lür  Dionysos  und  zwar  so,  daß  jetzt 
Dionysos  zweimal  hintereinander  an  die  Reihe  kommt.  Die  erste  Re- 
zension soll  aus  den  Versen  642 — 661,  668 — 673  bestanden  haben;  die 
zweite  Rezension  ging  nach  Grafs  Ansicht  auf  Steigerungen  und  Ver- 
gröberungen  aus  und  bestand  aus  den  vss.  042  —  658,  662 — 673.    Auch 


262     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Hoizinger.) 

die  3  Sklaven  der  vss.  608  —  609  gehören  dieser  Kezensiou  an.  Dieses 
Problem  verdient  jedenfalls  Beachtung,  mag  man  sich  vielleicht  auch 
anders  entscheiden.  —  Mit  Sicherheit  würde  ich  bei  der  Behandlung 
der  Eingangscene  den  Gedanken  ablehnen,  daß  der  Dichter  durch  den 
Esel  an  Seilenos  erinnern  wolle,  während  Graf  doch  zugibt,  daß 
zwischen  Xanthias  und  Seilenos  nicht  die  geringste  Ähnlichkeit  bestand. 
Ein  Tragtier  ist  notwendig,  um  die  beiden  Reisenden  als  solche  erkenn- 
bar zu  machen,  und  daß  der  Komiker  zu  diesem  Zwecke  einen  Esel  dem 
edleren  Rosse  vorzieht,  ist  wohl  leicht  zu  begreifen.  Richtig  ist  Grafs 
Bemerkung,  daß  der  Herr  darum  zu  Euß  geht,  während  der  Sklave 
reitet,  —  weil  Dionysos  die  Rolle  des  Herakles  spielt.  —  Bei  den 
vss.  26 — 29  vertritt  Graf  Hamakers  Athetese.  So  auch  Leeuwen.  Ich  be- 
trachte diese  Verse  mit  Kock  als  erklärbar,  halte  aber  an  der  Schreibung 
des  Rav.  ovo;  (nicht:  oovoj)  fest,  weil  hierdurch  ein  auf  einem  Doppel- 
sinn beruhender  megarischer  Spaß  gewonnen  wird.  —  Für  den  Refrain 
des  Froschchores  v  209  if.  verlangt  Graf  die  Schreibung  ßpey.exy.exe^  und 
schafft  dadurch  —  allerdings  mit  Bentley  —  jambische  Dimeter,  Er 
bezeichnet  es  als  „hart",  „wenn  an  diesen  Stellen  fortwährend  trochäische 
und  jambische  Maße  wechseln".  Aber  der  Wechsel  zwischen  diesen  Maßen 
ist  hier  so  wenig  hart,  an  andern  Stellen  der  Dramatiker.  Dazu  kommt, 
daß  man  die  treue  Nachahmung  des  Naturlautes  der  Frösche  nicht  stören 
darf,  der  nun  einmal  keinen  jambischen  Tonfall  hat.  —  In  der  Scene 
V.  830 — 870,  in  welcher  der  Kampf  zwischen  Aischylos  und  Euripides 
festgesetzt  wird,  sucht  Graf  zwei  Rezensionen  und  zwar  ,,gauz  ver- 
schiedener Tonart"  nachzuweisen.  ,,Eine  spätere  Zeit  (!)  wollte  die 
vielen  Kraftworte  nicht  mehr  hören  (!).  Das  grandiose  Bild  des  erst 
schweigenden,  dann  wetternden,  zuletzt  würdig  redenden  Aischylos 
schwindet  und  die  beiden  Dichter  treten  uns  mehr  auf  gleichem  Niveau 
entgegen."  In  diesem  Sinne  hat  Graf  „die  beiden  Schichten"  von- 
einander abgehoben  und  hat  beide  ,, Rezensionen"  hintereinander  abge- 
druckt, so  daß  man  über  seine  Absicht  nicht  im  Zweifel  sein  kann. 
Aber  überzeugt  haben  mich  hier  Grafs  Ausführungen  um  so  weniger, 
als  er  einen  bedeutenden  Zeitraum  zwischen  beiden  Rezensionen  anzu- 
nehmen scheint.  — 

F.  Blaß,    Zu  Aristophanes'   Fröschen    und    zu    Aischylos'  Choe- 
phoren.  —  Hermes  XXXII,  1897,  p.  149—159.  — 

Es  ist  mehr  als  ein  Dutzend  Stellen  der  Ranae,  welche  Blaß 
meines  Erachtens  mit  wechselndem  Glücke  behandelt.  Beachtenswert  ist 
für  V.  269  der  Vorschlag:  uapa|^aXoü  xw  xcomtu  st.  t({)  xtunicü,  interessant 
die  Besprechung  des  Fragments  aus  den  Myrmidonen,  auf  dem  v.  932 
beruht.  —  Za  v.   1235  erklärt  er  äi:68oc  einfach  als  „gib  zurück*',    in 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzingor.)     2G3 

V.  1163  wird  die  Überlieferung  iXOeiv  gegen  Hirschigs  ^xeiv  in  Schutz 
genommen.  Der  leitende  Gedanke  ist  hier  derselbe,  der  auch  die  Be- 
handlung der  V.  1206,  1225,  1238  (1244)  beherrscht,  daß  nämlich 
Aristophanes  mit  den  Tragikercitaten  gelegentlich  sehr  frei  verfuhr. 
Die  Citate  v.  1291  uud  1294  betrachtet  Blal.l  als  zusammengehörig  und 
bezieht  beide  auf  die  unbestattete  Leiche  des  Telamoniers.  —  Die 
übrigen  Bemerkungen  werden  wohl  schwerlich  Beifall  finden.  Blaß 
empfiehlt  für  Ran.  13 — 15:  tov::£p  <I)puvr/oi;  |  eitufte  (oder  ei'iofta)  Troietv 
xal  A'jy.iJt  xa|X£i'|'i*-»  |  i^xsut)  cpaptov  exa-jroT'  £v  xojixujoia.  —  Für  V.  404 
schlägt  er  vor:  tj  -(äp  xarasyuajxsvov  l~\  ^ümzi  |  xic'  sureXsta  -coSe  to 
aavSaXiJxov  xtä.,  wobei  er  auf  Eur.  Her.  201  f.  opcüvra  «op|jLia|X£vou;  hin- 
weist. —  In  der  Ode  v.  680  mißt  Blaß  xovla;  und  fügt  dafür  ia  v.  711 
Ttc  vor  6pT;xia  ein.  In  v.  790:  xdtxsTvoj  uir£y(upr,3£v  auru)  toü  öpci'vo'j  er- 
klärt Blaß  xax£rvo;  als  Aischylos  und  schreibt  £r£/u»pYi7£v.  Oder  es  sei 
der  ganze  Vers  zu  tilgen  als  Zusatz  eines  Verehrers  des  Sophokles. 
Weder  die  Textänderung,  noch  auch  die  Athetese  halte  ich  für  richtig. 
—  In  V.  1227  wird  airorpiü)  als  „kaufe  ihm  wieder-'  erklärt.  Schließ- 
lich verteidigt  Blaß  in  v.  1384  das  überlieferte  ixeHöitc  und  schreibt  in 
V.  1393:  \ii.bs.'z,  {xiÖEiTE.   — 

A.Willems,  Sur  les  Grenouilles  d'Aristophane.  —  Revue  de  l'in- 
struction  publique  en   Belgique.     tom.  XL,  1897,  p.  233 — 239.  — 

Willems  behandelt  hier  einige  Stellen  der  Batrachoi.  Er  erklärt 
es  für  eine  glückliche  Eingebung  van  Leeuwens,  daß  er  in  v.  301  die 
Worte:  iB'  TQ-£p  spyst  und  in  v.  1185  das  Tiplv  xal  ^Ei'ovfivat  dem  Dio- 
nysos zuwies.  Auch  stimmt  er  bei,  daß  uuEpEruppiaje  in  v.  308  mit 
Leeuwen  nicht  auf  den  Priester  des  Dionysos,  sondern  auf  den  xpoxwToj 
des  Dionysos  zu  beziehen  sei,  der  deutliche  Spuren  der  Furcht  auf- 
weise. Die  Schreibung  cptÄoTi[xoT£pa  in  v.  679  bezeichnet  er  als  eine 
coirectio  paluaris  des  holländischen  Gelehrten.  Hingegen  an  uE-aXov 
(V.  683)  hält  Willems  fest.  ettI  [iapßapov  eCoiaevt)  TtetaXov  sei  eine  Pa- 
rodie des  Homerischen :  5£v6p£u)v  iv  r.exdXoiit.  xa»)£Co(i£vyj  7:uxivo?(jiv,  nur 
werde  in  der  Odyssee  (XIX,  520)  von  der  Nachtigall  gesprocl\en,  Ari- 
stophanes aber  handle  von  der  Sprjxia  /eXiowv  und  der  als  Barbar  ver- 
spottete Kleophon  habe  ohne  Zweifel  eine  stark  entwickelte  Unterlippe 
gehabt.  Darum  also  -e-caXov,  das  nicht  einfach  ein  Synonymura  zu 
«puXXov  sei.  An  rexaXov  halte  ich  ebenfalls  fest,  ohne  au  die  breite  Unter- 
lippe Kleophons  zu  glauben.  —  Au  v.  655  i-d  -portfi,«?  7'  o-jösv;  findet 
Willems  mit  Recht  nichts  auszusetzen;  ebensowenig  an  v.  665,  der  dem 
Dionysos  gehört  und  nicht  dem  Xanthias,  in  dessen  Munde  das  Sophokles- 
citat  unpassend  ist.  In  v.  189  heißt:  joü  -f  o'jvsxa  „deinethalben"  und 
ist  als  Grobheit  Charons   gemeint.    Bei  v.  730  ruppiai;  billigt  Willems 


264     Bericht  über  die  Literatur  der  griechiscLen  Komödie.  (Holzinger.) 

die  Erklärung  des  Scholiasten.  In  v.  839:  «KepiXaXrj-o;  sieht  "Willems 
eine  Bezeichnung  für  denjenigen,  der  der  Überredung  nicht  zugänglicli 
ist.  Ich  halte  das  Wort  für  richtig  überliefert,  aber  für  unrichtig  inter- 
pretiert. Zu  den  vss.  718 — 733  macht  Willems  unter  Berufung  auf 
Barclay,  V.  Head  (bei  den  attischen  Münzen  p.  XXVII)  und  auf  Ba- 
belon  in  der  Revue  des  Etudes  grecques,  1889,  II,  138  die  Bemerkung, 
daß  Aristophanes  von  der  Emission  der  Goldmünzen  des  Jahres  407 
und  der  Emission  der  Kupfermünzen  des  J.  406  spreche,  nicht  aber 
von  gefälschten  Goldmünzen.  Schließlich  hält  Willems  mit  Recht  den 
V.  1195  für  gut  überliefert  und  für  leicht  verständlich. 

T;  G.  Tueker,  Aristophanes,  Frogs  1435  sqq.  —  Class.  Review 
XI,  1897,  p.  302—303.  — 

Tueker  weist  auf  die  zwei  Auffühiuugen  der  Frösche  hin  und 
sieht  in  der  Stelle  1435  — 1454  eine  Kontamination  zweier  verschiedeneu 
Passungen.  Beiden  geraeinsam  seien  die  Anfangsverse  1435 — 1436  und 
1442  und  der  Schlußvers  1454  &.  Dazwischen  liegen  8  Verse  der  ersten 
Aufführung  und  8  Verse  der  zweiten  Rezension.  Der  einen  gehören  die 
vss.  1437 — 1441  und  1451 — 1453,  hingegen  der  anderen  die  vss.  1443 
— 1450.  Für  vs.  1438  empfiehlt  der  Verl,  die  Schreibung  deptov  apai 
statt  ai'poiEv  aupat,  das  doch  offenbar  eine  Reminiszenz  aus  einer  Tra 
gödie  ist.  Daß  v.  1442  sich  an  v.  1436  anschließt,  ist  ohne  weiteres 
klar,  minder  ist  es  die  Folgerung  betreffend  die  zwei  Rezensionen. 
Tueker  hat  sich  nicht  entschieden,  welche  von  beiden  Rezensionen  die 
erste  und  welche  die  zweite  sein  soll.  Wenn  die  einen  ernsten  poli- 
tischen Wink  enthaltenden  Verse  1446 — 1450  der  ersten  Aufführung 
angehörten,  wie  durften  sie  bei  der  zweiten  Aufführung  wegfallen,  da 
doch  die  eng  anschließenden  Worte  des  Aischylos  1455 — 1459  stehen 
blieben?  Gehörten  aber  die  vss.  1446 — 50  erst  der  zweiten  Diaskeue 
an,  wie  paßten  dann  in  den  Ranae  priores  die  vss.  1455 — 59  zu  1437 
—  1441  und  1451 — 53?  Bierauf  gibt  Tuckers  Aufsatz  keine  Antwort. 
Kock  hat  dies  alles  schon  vor  mehr  als  einem  Menschenalter  in  Er- 
wägang  gezogen.  — 

L.  Radermacher,  Zu  den  Fröschen  des  Aristophanes.  —  Phi- 
lologus  LVII,  1898,  p.  220—230.  — 

Richtig  wird  in  v.  404  lizl  -/sXwti  erklärt.  Bei  karnevalistischen 
Festlichkeiten  macht  es  immer  vielen  Leuten  großen  Spaß,  wenn  jemand 
recht  abenteuerlich  zerlumpt  auftritt.  Daß  diese  „Mode"  in  unsei'er 
Stelle  „auf  lakchos  selbst  zurückgeführt  wird",  sagt  schon  Kock,  nur 
ist  sein  Ausdruck  „Mode"  unpassend.  Daß  ein  solches  Lumpenkostüm, 
nebenbei  gesagt,  auch  billig  zu  stehen  kommt,  wird  durch  iz  euxeÄöt'a 
ausgedrückt.  —  Zu  beachten  ist  auch  bei  dem  Schwanken  der  mss.  der 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     265 

Vorschlag  für  v.  594  flf. :  f,v  dz  7:apaXT,p'ov  aXwj  r,  \  xaxßaATjj  xtX.  ,  da 
der  Scholiast  zu  595  diese  Foi-ra  der  hypothetischen  Periode  zu  be- 
stätigen scheint.  —  Gut  ist  auch  die  Bemerkung,  daß  es  im  v.  730  bei 
Tt'jppiai?  vor  allem  darauf  ankommt .  daß  nach  alter  Volksansicht  die 
Rothaarigen  einen  schlechten  Charakter  besitzen.  —  Nicht  einverstanden 
bin  ich  hingegen  mit  der  Behandlung  der  Parodos.  In  v.  340  streicht 
Radermacher  70p  tjxsi  xivotjjtov,  setzt  nach  yepji  einen  Punkt  und  ein 
Kreuz.  Mit  rj-eips  will  er  den  Chor  angeredet  wissen,  wlilirend  "lax^' 
u)  "laxys  ein  Ausruf  sein  soll  wie  in  v.  325.  Aber  in  v.  325  ist  "Uxys 
kein  Ausruf,  sondern  ein  Anruf,  der  sich  mit  dem  Imperativ  eXHs  ver- 
bindet. Den  Parallelismus  der  Konstruktion,  auf  den  sich  Radermacher 
beruft,  hat  er  also  gegen  sich.  —  Zweifelhaft  ist  mir  die  neue  Deutung 
der  vss.  902 — 904.  Aischylos,  dessen  Art  schon  vorher  (v.  848)  mit 
der  eines  Wirbelsturmes  verglichen  worden  sei,  falle  (e[x-£j6vTa)  über 
die  Reden  seines  Gegners  her,  reiße  sie  mit  Stumpf  und  Stiel  (auTo- 
TzpejjLvou)  aus  der  Erde  (avaa-wvT")  und  fege  (jujxsoäv!)  die  Bahn  blunk  (?). 
—  Für  V.  929:  pr^ixaft'  i--oxpr,|xva  empliehlt  R.  pufiiai)"  i--oxpr,[xva.  — 
In  den  Versen  1195 — llöti  schreibt  R.:  euoat'iJLtov  ap'  ^v.  |  ^  xajrpa-r,- 
-,'rjaev  75  [xet  'Epajtvioou;  bei  der  tTberlieferung  (ä'p"  rjv,  si)  vermißt 
Radermacher  ,,filr  die  Bedingung  die  Form  der  Nichtwirklichkeit". 
Aber  diese  Form  ist  in  der  Überlieferung  tatsächlich  vorhanden,  ohne 
daß  es  bei  r,v  nötig  wäre,  ap"  in  av  umzuschreiben.  —  In  v.  775  bezieht 
Radermacher  avtiX^Yitüv  auf  die  Gregeureden  einer  kunstreichen  Sticho- 
mythie  nnd  Xo^isfiol  xal  jtpo'fai  auf  den  musikalischen  Vortrag  eines 
Chorstückes  oder  einer  Monodie.  Bei  anderen  Stellen  der  Schlußscene 
lasse  sich  ein  Zusammenhang  mit  den  Vorschriften  alter  Rhetoreu  nach- 
weisen. So  würden  die  Tautologie  und  die  Einführung  von  Flick- 
wörtern bei  Aristophanes  als  Fehler  der  Rede  hingestellt.  Die  in  v.  906 
(ad-eia  xal  \i.r^-'  sixo/a;)  enthaltene  Vorschlaft  stimme  mit  demjenigen 
überein,  was  Aristot.  rhet.  1406b  und  1410b  über  sixwv  und  äjTsTov 
vorschreibe.  —  Die  vss.  978—979  -ws  .  .  r.oZ  .  .  zii  enthalten  nach 
Radermacher  einen  Rest  älterer  Topik  und  beweisen,  daß  auch  in  diesem 
Punkte  Aristoteles  (vgl.  rhet.  II,  23  ff.)  nicht  ohne  Vorgänger  gewesen 
sei.  —  Ich  beziehe  in  v.  906  sixov«;  auf  die  attische  Sitte  (vgl.  z.  B. 
Aristoph.  Av.  805—806),  einen  Gegner  durch  einen  unfeinen  Vergleich 
lächerlich  zu  machen,  daher  d~-tioL  hier  im  Gegensätze  zu  sixo'va?  steht. 
Diesen  Ausführungen  des  Verfassers  kann  ich  mich  also  ebenfalls  nicht 
ganz  anschließen.  — 

J.  A.  Nairn,    On  the  word  -po-j^cXoufxsv  (Aristoph.  Ran.  730). 
—  Class.  Rev.  XII.  1898,  p.  209.  — 

Verf.    erklärt    die   Form    7rpouaeXoü[j.£v    als    eine    aus    metrischen 
Gründen  hervorgegangene  Erfindung  Porsons  zu  Aisch.  Prom.  438  und 


266     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,  (Holzinger.) 

Ar.  Ran.  730.  Nairn  verweist  auf  die  Schreibung  der  Aristophanes- 
stelle  bei  Stob.  241,  37  (Mein.  vol.  2,  p.  84),  wo  7:pouYeXoü|i.ev  über- 
liefert ist.  Da  auch  Hesych.  die  Glosse  irpou^eXeiv  •  ußpfCeiv  hat,  nimmt 
der  Verf.  dies  zur  Grundlage  und  konstruiert  aus  Tcpoo^sXoöfjLev  für  Aisch. 
und  für  Aristoph.  die  Schreibung  upojiroSoüfxev.  Nairn  hat  keineswegs 
übersehen,  daß  TrpoTnoooüfiev  eine  bisher  noch  unbelegte  Wertform  ist 
und  daß  die  gleichartige  Entstehung  desselben  Fehlers  in  den  Texten 
beider  Autoren  certainly  curious  ist,  —  aber  abgeschreckt  hat  ihn  dies, 
wie  man  sieht,  nicht.  — 

F.  Blaß,  Zu  Aristophanes'  Fröschen.  —  Hermes  XXXVI,  1901, 
p.  310—312.  — 

Blaß  bringt  einige  Vermutungen  zur  Erklärung  und  Textver- 
besserung der  Frösche,  die  vielleicht  keinen  durchschlagenden  Erfolg 
haben  dürften.  Er  schreibt  in  v.  818  mit  dem  Vaticanus  U  (Urbinas 
141,  saec.  XIV)  u^'tXo'^ajv  statt  ti::roXocp(üv,  in  v.  819  a[LiXtu\i.aTozpyrj 
St.  (j|xiXeu(JLaTa  t  spytuv  (Rav.).  In  irapa^ovia,  das  er  zu  vei'xr)  bezieht, 
sieht  Blaß  einen  „gewissen  Gegensatz  zu  G^'tXo'fwv"  und  sagt:  „Hoch 
zu  Roß  stolzieren  Aischylos'  große  Worte;  Euripides'  subtile,  seine 
r/ivSaXafjLot,  fliegen  niedrig  an  der  Erde  herum,  bei  einem  homerischen 
Wagenkampfe  also  an  der  Achse  und  den  Rädern."  —  In  v.  826  be- 
trachtet er  mit  Kallistratos  XiacpY]  als  Substantiv  =  Orjptotov  Xstttov  c^oSpa 
und  schreibt  infolgedessen  mit  dem  Cod.  Venetus:  YXwaaav  iXiajoixevirj 
,d.  h.  die  Zunge  schwingend  oder  wirbeln  lassend."  —  Aus  Anlaß  des 
V.  1082:  xal  cpaaxouja;  ou  ^f,v  xo  ^^v  behandelt  Blaß  auch  das  Fragm, 
Eur.  833  aus  dem  Phrixos  (Nauck  TGF^): 

TIC  8'otSev  ei  C^v  xoöö'   3  xexXrjxai  davsiv, 
x6  C^v  6e  OvTQdxeiv  eaxi;  uXvjv  ofito?  ßpoxiov 
vojoüaiv  Ol  pXeirovxsi;,  oi  ö'^XcoXoxec 
ouoev  voaoüfftv  oo6£  xexxYjvxat  xaxa. 

Sehr  richtig  sagt  Blaß,  daß  die  Verbindung  beider  Gedanken 
durch  tcXy)v  ofxtu;  nur  dem  Scheine  nach  vorhanden  ist.  Blaß  ersetzt 
ofjLcu;  durch  v6[X(j>  und  weist  auf  eine  ähnliche  Text  Verderbnis  bei  Erapedokl. 
345  f  (43  f.  Stein)  hin.  Sodann  zerteilt  Blaß  das  Fragment  in  zwei 
zweizeilige  Fragmente,  zwischen  denen  eine  Überschrift,  wie  etwa  toü 
auxou  ausfiel.  — 

*  Michelangeli,  L.  A.,  Emendamento  al  teste  d'Aristofane, 
Rane  vss.  815—816.  Bolletino  di  filol.  class.  VII,  1901,  12, 
p.  279—281. 


Beriebt  über  die  Literatur  der  griecbiscben  Komödie.  (Holzinger.)     267 

V.  Brugnola,  Uno  sguardo  alla  questione  sociale  ed  al  femminismo 
in  Piatone  ed  Aristofane.  —  Atene  e  Roma  II,  1899,  p,  164 — 175.  — 
Der  Verf.  gibt  als  seine  Absicht  an,  er  wolle  die  Leser  der 
Zeitschrift  darauf  aufmerksam  machen,  daß  die  sozialen  Probleme  der 
Magenfrage  und  der  Frauenfrage  schon  im  griechischen  Altertum  und 
zwar  in  Piatons  Staate  und  in  des  Aristophaues  Ekklesiazusen  behandelt 
worden  seien.  Auf  die  Philologen  von  Fach  ist  die  populär  gehaltene 
Abhandlung  offenbar  nicht  berechnet.  —  Nach  dem  Verf.  wäre  es  Sokrates 
gewesen,  der  eine  höhere  Meinung  über  die  Stellung  der  Frau  zu  fassen 
anfing.  Durch  die  sokratische  Schule  sei  dieser  Gedanke  verbreitet 
worden.  Hiervon  sei  Euripides  ein  Beweis,  der  zuerst  die  Liebe  als 
ein  Hauptelement  des  Dramas  verwertete.  Piaton  sei  in  seiner  Politeia 
im  Feminismus  noch  viel  weiter  gegangen.  Seine  diesbezüglichen  Vor- 
schläge und  ebenso  auch  seine  kommunistischen  Reformen  habe  er  für 
durchführbar  gehalten.  Über  Piatons  Ansichten  seien  die  Konservativen 
milWergnügt  gewesen  und  der  Ausdruck  dieser  Richtung  seien  die 
Ekklesiazusen  des  Aristophanes.  —  Daten  anzugeben  vermeidet  der 
Autor  durchwegs.  Bezieht  sich  seine  Bemerkung  über  Euripides,  wie 
man  billigerweise  annehmen  muß,  auf  den  im  J.  428  aufgeführten 
Hippolytos,  so  hätte  dem  Verf.  auffallen  müssen,  daß  der  damals  mehr 
als  fünfzigjährige  Euripides  in  seinem  Gedankenkreise  doch  wohl  nicht 
von  einer  „Schule"  des  erst  vierzigjährigen  Sokrates  beeinflußt  sein 
konnte.  Ebensowenig  sicheren  Boden  haben  die  Bemerkungen  Brugnolas 
über  die  Ekklesiazusen. 

*  Het  vrouwenparlement,  overgebr.  door  Hallerstadt.  1901. 

K.  Zacher,  Tongefäße  auf  Gräbern.  —  Philologus  LIIl,  1894, 
p.  323—333.  — 

Bei  der  Erörterung  der  attischen  Sitte,  ein  tönernes  Gefäß  auf 
das  Grab  zn  stellen,  sieht  sich  Zacher  veranlaßt,  die  keineswegs  in  allen 
Einzelheiten  klare  Stelle  der  Ekklesiazusen  v.  1106 — IUI  ausführ- 
lich zu  behandeln.  Richtig  wird  m.  E.  v.  1107  st:'  aurtö  up  (jrojiaTi 
xr,;  sicßoX^;  als  grobe  Obscönität  gedeutet.  Auch  die  Annahme,  daß 
•/.aTaui-Tu)3avTac  von  der  Schwarzfärbung  gesagt  sei ,  scheint  besser  als 
die  bisherigen  Erklärungen.  Hingegen  zweifelt  Zacher  mit  Recht  selbst 
daran,  daß  jAoXußooyoT^savTa;  und  dvTt  Xr,x'j{)ou  (v.  1110 — Uli)  genügend 
erklärt  sei. 

Auch  V.  1101  ruft  noch  nach  einem  Interpreten.  —  Gelegentlich 
wird  (S.  331)  bemerkt,  daß  in  dem  ebenfalls  umstrittenen  Worte 
y.pouvoyuTpoA.r,pa[o;  in  den  Rittern  v.  89  (Zacher  schreibt  .  .  . 
xpouvoyuTpoXrjpaiov)  wegen  des  Bestandteiles  /u-po  ein  verächtlicher 
Sinn  liegt.  — 


268     Bericht  über  die  Literatur  der  griechisclien  Komödie.  (Holzinger.) 

J.  A.  Nairn,  Note  on  Aristoph.  Eccles.  502.  —  Class,  Rev. 
Xn,  1898,  p.  163.  —  Verf.  empfiehlt,  in  v.  502  h-tj  &el  statt  p.ic7£t 
zu  schreiben. 

E.  Poste,  Jnror-Panels  at  Athens,  Class.  Review  VII,  1893, 
S.  196  beschäftigt  sich  mit  Aristoph.  Ekkl.  682—691.  — 

D.  Comparetti,  Intorno  alle  Ecclesiazuse  di  Aristofane.  — 
Atene  e  Roma  III,  1900,  p.  73—91. 

Der  Aufsatz  Comparettis  ist  als  literargeschichtliche  Einleitung 
zu  August  Pranchettis  Übersetzung  der  Ekklesiazusen  („Donne  a  par- 
lamento",  Cittä  di  Castello,  Lapi.)  geschrieben.  —  Comparetti  setzt  die' 
Ekklesiazusen  auf  die  Lenäen  des  J.  392  a»,  gibt  eine  Übersicht  des 
wesentlichen  Inhaltes  des  Stückes,  teilt  es  in  Scenen  ab,  kritisiert  es 
als  ein  Frauenstück  im  Vergleiche  mit  der  Lysistrata  und  den  Thes- 
mophoriaznsen,  dann  vergleicht  er  es  vom  Gesichtspunkte  der  „mittleren 
Komödie"  mit  dem  Plutos,  vertritt  die  Selbständigkeit  der  Idee  des 
Dichters  gegenüber  Piatons  Politeia,  der  ei-  eine  um  einige  Jahre  spätere 
Abfassungszeit  zuweist,  stellt  überhaupt  jede  polemische  Beziehung  auf 
Piaton  in  Abrede  und  bezeichnet  die  Ekklesiazusen  als  das  schwächste 
unter  den  erhaltenen  Stücken  des  Aristophanes,  wenngleich  die  utopistische 
Idee  der  Weiberherrschaft  an  Kühnheit  der  phantastischen  Konzeption 
mit  der  Idee  der  „Vögel"  wetteifere.  Daß  Aristophanes  aus  diesem 
der  politischen  Behandlung  so  zugänglichen  Stoffe  kein  Stück  nach  dem 
Muster  der  altattischen  Komödie  geschaffen  habe,  zeige  mehr  als  alles 
andere  den  Verfall  der  athenischen  Verhältnisse  und  der  poetischen 
Schaffenskraft  des  Dichters.  Das  Auseinanderklaffen  der  zwei  Teile 
der  Komödie,  deren  erster  nur  die  Frauenherrschaft,  der  zweite  hingegen 
den  Kommunismus  behandle,  ferner  das  Zurücktreten  der  Praxagora  in 
dem  zweiten  Teile  wird  eingehend  besprochen.  —  Als  Einleitung  zu 
einer  Übersetzung  der  Ekklesiazusen  ist  diese  Abhandlung  jedenfalls 
am  richtigen  Platze.  — 

T.  Quinn,  The  Plutus  of  Aristophanes  edited  with  introductiou 
and  notes.  —  London  1896. 

T.  Quinn.  The  Plutus  of  Aristophanes  translated  into  English 
prose  witli  an  introduction.  —  Loodon  1896. 

Die  beiden  Bändchen  enthalten  nicht  bloß  denselben  Stoff  wie 
Quinns  bei  B.  Clive,  London  1889  erschienene  Ausgabe,  sondern  sind 
ein  unveränderter  Abdruck  dai'aus.  Nur  ein  kurzer  Index  der  Anmer- 
kungen ist  hinzugekommen.  Der  zu  Schnlzwecken  castigierte  Text  be- 
ruht auf  der  Ausgabe  Theodor  Bergks.  In  der  Einleitung,  die  das 
Wissenswerteste    über  Aristophanes    enthält,    wäre  manches  zu  ändern 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     269 

gewesen.  So  liest  man  auf  S.  6,  daß  alle  Fragmente  des  Aristophanes 
kurz  sind  und  des  Interesses  gäuzlich  entbehren.  Wenn  es  auf  H.  10 
heißt,  daß  man  im  Plutos  mehr  Anspielungen  auf  die  großen  geschicht- 
lichen Ereignisse  der  dem  Drama  vorangegangenen  zwanzig  Jahre  er- 
wartet hätte,  so  ist  dies  eine  Bemerkung,  die  aucli  nicht  jeder  unter- 
schreiben wird.  Geradezu  auffallend  ist  der  Irrtum  Quinns  (p.  17), 
Aristoteles  lehne  in  der  Poetik  (c.  3)  die  Ableitung  des  Wortes  x(u|i.(ü8ta 
von  x(u}i.oi  ab  und  halte  es  mit  den  Dorieru,  die  es  mit  y.u»[j.Ti  in  Ver- 
bindung brachten.  —  Die  in  Prosa  geschriebene  Übersetzung  ist  leicht 
verständlich.  Bei  v.  809  fiel  mir  auf,  daß  der  Übereetzer  ra  jxeudfpia 
mit  „Utensils'-  wiedergibt.  Hickie  (London,  Henry  G.  Bohn,  vol.  II, 
S.  725)  hatte  schon  im  .1.  1852  richtiger  übersetzt:  „all  our  v esseis 
are  füll  of  silver  and  gold".  — 

N.  Nie  Olsen,  The  Plutus  of  Aristophanes.     Boston  1898. 

Nicolson  reproduziert  den  Text  von  Velsens  und  gibt  die  Ein- 
teilung des  Stückes  in  Akte  und  Scenen  nach  Hemsterhuys.  Das  nett 
•  ausgestattete  Büchlein  ist  mit  einigen  Abbildungen  nach  bekannten 
unteritalischen  Vasenbildern  geschmückt,  die  jedoch,  wie  der  Verfasser 
selbst  angibt,  mit  dem  Inhalte  des  Plutos  in  keinem  unmittelbaren  Zu- 
sammenhange stehen.  —  Die  kurzen  Fußnoten  stellen  zumeist  einen 
Auszue  aus  den  Scholien  dar,  die  bekanntlich  zum  Plutos  besonders 
reichlich  vorhanden  sind.  — 

A.  Pranchetti,  Le  guarigioni.  di  Asclepio.  —  Atene  e  Roma 
III,  1900,  p.  144—149. 

Unter  diesem  Titel  ist  ein  Teil  der  Übersetzung  des  Plutos  ab- 
gedruckt, welche  A.  Franchetti  durch  diesen  „Ausschnitt"  den  Lesern 
des  Blattes  ankündigt.  Der  Abdruck  umfaßt  die  Verse  627—770. 
Die  beigegebenen  Fußnoten  stammen  von  D.  Comparetti.  Grundlage 
der  Übersetzung  ist  Velsens  Text. 

Der  Titel  der  Übersetzung  lautet: 

*  Pluto  tradotto  da  A.  Franchetti  con  note  di  D.  Comparetti. 
Cittä  di  Castello  1898. 

R.  Peppmüller,  Zur  vierten  Hypothesis  des  Aristophanischen 
Plutos.  —  Philologus  L,  1891,  p.  582. 

Peppmüller  behandelt  die  Stelle  der  vierten  Hypothesis  zum 
Plutos:  [y-a'i]  'ov  u'iov  aüToü  au3Trjaai  'Apapoxa  [St'  aux^c]  xoli  Oeaxai; 
ßouX6|xevo;,  ta  OT.oXoir.j.  oüo  8t'  exetvoti  xa&^xs,  KtuxaXov  xat  AtoXo5ixu>va. 
Die  Interpunktion  und  die  Klammern  habe  ich  hier  nach  der  zweiten 
Auflage  der  Dindorfschen  Poetae  scenici  gr.  (18)  gegeben.  Peppmüller 
sagt:    „alles    ist    in    der  Ordnung,    wenn  man  8i'  auxulv  schreibt.     Da 


270     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holziager.) 

Aristophanes  diese  Komödie  —  den  Plutos  —  als  letzte  unter  seinem 
eigenen  Namen  aufgeführt  hatte  und  nun  seinen  Sohn  Araros  dadurch 
dem  Theaterpublikum  vorstellen  (empfehlen)  wollte,  so  ließ  er  seine 
beiden  letzten  Dramen,  Kokalos  und  Aiolosikon,  durch  jenen  iu 
Seene  gehen."  —  Daß  diese  Beziehung  des  Pronomens  auttov  auf  ein 
folgendes  Beziehungswort  grammatisch  möglich  ist,  läßt  sich  allerdings 
nicht  bestreiten.  Aber  die  Einfachheit  der  Darstellung  in  diesem 
Scbolion  und  der  Umstand,  daß  der  Scholiast  zuerst  das  Femininum 
xtujitüöta  anwendet,  späterhin  aber  an  das  Wort  opotjxaxa  denkt,  machen 
mir  diese  Behandlung  der  Stelle  wenig  wahrscheinlich.  — 

D.  Marzi,  Di  un  frammento  della  parte  di  Carione  nel  Pluto 
d'  Aristofane  conservato  in  una  pergamena  del  r.  Archivio  fiorentino.  — 
Fivenze  1898. 

In  dem  Archivio  di  State  fiorentino,  Diplomatico,  Badia  tior. 
.  .  14  .  .  findet  sich  eine  Rolle  sehr  feinen  Pergaments,  links  von  der 
Länge  von  0,945  m,  rechts  von  der  Länge  von  0,920  m,  von  der 
Breite  von  0,114  m.  Auf  132  Zeilen,  welche  auf  der  Rückseite  des 
Pergaments  mit  einem  spitzigen  Instrumente  gezogen  zu  sein  scheinen, 
enthält  dieses  Pergament  die  Verse  des  Karion  aus  der  Verspartie 
722 — 1107  des  Plutos  und  zwar  in  schönen,  nur  hie  und  d^  durch 
starke  Abnützung  verblaßten  Schriftzügen,  welche  nach  dem  Kataloge 
der  zweiten  Hälfte  des  XV.  oder  spätestens  dem  Anfange  des  XVI. 
Jahrhunderts  angehören.  —  Außer  der  Beschreibung  dieses  Teiles 
einer  Plutoshandschrift  bietet  Marzi  noch  eine  auf  der  Grundlage  von 
Bergks  erster  Ausgabe  (1861)  gearbeitete  Kollation,  welche  jedoch  in 
etwas  unklarer  Weise  angefertigt  ist.  Da  Marzi  keinen  Versuch  macht, 
die  Verwandtschaft  des  gefundenen  Textes  mit  einer  der  zahlreichen 
bekannten  Plutoshandschriften  festzustellen,  wird  man  seiner  Ver- 
picherung,  daß  der  neue  Text  nicht  ohne  Bedeutung  sei  und  einige 
Konjekturen  Bergks  bestätige,  vorerst  mit  einiger  Skepsis  begegnen. 
—  Bezüglich  des  Zwecks  der  Pergamentrolle  spricht  Marzi  die  wahr- 
scheinliche und  interessante  Vermutung  aus,  daß  sie  auf  eine  Bübnen- 
aufführung  des  Plutos  in  der  Zeit  des  Humanismus  hinweise,  für  welche 
die  Rolle  des  Karion  mit  den  Stich worten,  auf  welche  er  antwortet, 
herausgeschrieben  worden  sei.  — 

W.  G.  Rutherford,  Aristo phanica.  Class.  Review  X,  1896> 
p.  98—100. 

Der  Verf.  behandelt  10  Stellen  des  Plutos,  darunter  einige 
m.  E.  mit  glücklicher  Hand.  —  vss.  49 — 50  werden  athetiert.  Sie 
.scheinen  aus  Schollen  zu  v.  48  zusammengeflickt  zu  sein.  —  v.  146  und 
V.  205  erweisen  sich  ebenfalls  als  unecht.    In  v.  205  beweist  die  Kon- 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     27  1 

struktion  von  tU  rr^w  oixiav  deutlich,  daß  dies  eine  Erklärung  zu  dem 
vorangehenden  ei;6'j;  ist.  Bemerkenswert  ist  die  Behandlung  des  v.  1083- 
<jtJj  p.üpt'u)v  eTtöv  -je  xal  TpuytXituv.  Trotz  des  bisher  angenommenen  Doppel- 
sinnes von  ETÜiv  liegt  doch  in  dem  Gtto  eine  Schwierigkeit.  Rutherford 
schreibt  daher:  uzo  yiXi'tuv  -/e  tcüvSe  xal  Tpic|j.uptcuv  und  gewinnt  dadurch 
wieder  eine  Stelle,  welche  die  Abschätzung  des  Fassunu:sraumes  des 
Dionysostheaters  bei  Piaton  Sympos.  175  E  (und  Philemon  frag. 
89  Kock  —  Stob.  flor.  2,27)  bestätigt.  —  Nicht  überzeugt  hat  mich  die 
Athetese  der  vss.  709  (wjTiep — r/w)  und  897  (ettei — rpi^^cuviov),  weil  die 
Stellen  durch  die  Streichung  dieser  Verse  unverständlich  werden.  Auch 
den  V.  848  ganz  zu  entfernen,  scheint  unnötig.  Ich  emiifinde  nur  das 
xal  TaÜT7.  als  störend,  weil  schon  die  Worte  des  AlK.  mit  xal  xaÜTa  be- 
gonnen hatten.  —  Auch  die  neue  Personenverteilung  in  den  vss.  61 — 66 
und  367—370  hat  nicht  meinen  Beifall.  Rutherford  gibt  dem  XP. 
nicht  bloß  v.  64,  sondern  auch  das  folgende  zl  ]xr]  ^pajsi;  vap,  —  hierauf 
folgt:  KAP.  arJj  a  oXtu  xaxov  xaxtoc  XP.  tu  xav  —  DA.  araXXay{h)Tov 
dx:'  ep.oü.  XP.  -tu^iaXa.  In  der  andern  Stelle  schreibt  der  Verf.  v.  368: 
dXX'  exriv  £;:tor)Xov  —  xi  7iej:avoup7Tiy';  XP,  o  xi;  |  3U  |i.£v  xxX.  Schließ- 
lich erwähne  ich,  daß  Verf.  in  v.  531  xal  xw  xi  TtXeov  tiXo'jxciv  euxat 
xouxtuv  TTütvxiüv  d-opoüvxt;  liest.  Durch  das  doppelte  Fragewort  wird 
dieser  Vers  m.  E.  allzu  unruhig.  — 

F.  Allegre,  Aristophane.  Plutns,  vers  521.  —  Revue  des 
ötudes  grecques  X,  1897,  p.  10 — 13.  — 

Die  Penia  sucht  den  Chreraylos  davon  zu  überzeugen,  daß,  wenn 
alle  Menschen  in  gleicher  Weise  reich  wären,  dies  nicht  ein  beneidens- 
werther,  sondern  ein  unglücklicher  Zustand  wäre,  in  welchem  das  Elend 
allgemein  würde.  Auf  die  einzelnen  Sätze  der  Penia  antwortet  Chremylos 
mit  Gegenargumenten,  deren  Nichtigkeit  sofort  in  die  Augen  springt. 
Aber  formell  wenigstens  suchen  seine  Antworten  den  Thesen  der  Penia 
zu  entsprecnen.  Auf  die  Frage  der  Penia,  wieso  man  sich  Sklaven 
verschaffen  werde,  antwortet  Chremylos  im  v.  519,  man  werde  sie 
kaufen.  Auf  die  Frage,  wer  denn  Sklaven  verkaufen  werde,  wenn  er 
reich  genug  sei  und  den  Kaufpreis  nicht  benötige,  antwortet  Chremylos 
im  V.  521:  xspöaiveiv  [-iouXoixevoc  xtc  |  e'jXTropo;  y*^"^''  ^^  ösxxaXiac  T:apa 
rXei'axtuv  dvopa::ooiax(uv.  Allegre  macht  nun  mit  Recht  darauf  auf- 
merksam, daß  in  dem  ttXsioxcuv,  welches  die  Handschriften  darbieten, 
kein  Moment  enthalten  ist,  welches  als  Replik  auf  die  Worte  der 
Penia  aufgefaßt  werden  könnte.  Er  bespricht  dann  zutreffend  die  vor- 
liegenden Konjekturen  und  zeigt,  daß  z.  B.  die  La.  dTrtaxwv,  welche 
schon  der  Scholiast  gekannt  zu  haben  scheint,  nicht  dem  oben  darge- 
legten Gesichtspunkte  entspricht,  indem  die  d-taxia  der  Thessalier  zwar 


27'J     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

sprichwörtlich  gewesen  sei,  aber  bei  dem  Gedankeiigauge  des  Ge- 
spräches nicht  iu  Betracht  komme.  Letztere  Forderung  findet  er  unter 
sämtlichen  bisher  vorgeschlagenen  Textveränderungen  nur  durch  Hemster- 
huys'  Tap'  dTrXr,aT(üv  erfüllt.  Wenn  aucli  ein  Thessalier  reich  wäre,  so 
würde  er  dennoch  Sklaven  verkaufen,  weil  die  Thessalier,  als  Nicht- 
Hellenen, unersättlich  habgierig  wären.  Die  Auseinandersetzung  Allegre's 
ist  gewiß  lesenswert.  Velsens  irapa  -'  aXXwv  avopa-ootsKov  entspricht 
zwar  meines  Erachteus  vollkommen  genug  den  Bedürfnissen  des  Zu- 
sammenhanges, aber  au  Leichtigkeit  der  Erklärung  des  entstandenen 
Fehlers  kann  e^;  sich  mit  itap'  aTiXr^jTcuv  iiicht  messen.  — 

G.  E.  Marin  diu,  The  date  of  the  temple  of  Asklepios  at 
Athens.  —  The  Classical  Review  XII,  1898,  p.  208.  — 

Der  Verf.  schließt  aus  schol.  Plut.  621,  Vesp.  v.  121  ff.,  ferner 
aus  CIA  II,  1650.  1649,  1442  und  aus  Timokles  frag.  com.  Kock  II 
454,  daß  der  Tempel  des  Asklepios  im  Piräeus  zwischen  422  und  388, 
hingegen  das  'Aj/XYiTrisTov  Iv  aa-si  erst  einige  Jahre  nach  388  durch 
Telemachos  aus  Acharnai  errichtet  worden  sei.  Zwingend  ist  letzterer 
Schluß  um  so  weniger,  als  sich  der  Verf.  mit  der  neueren  deutschen 
Literatur  nicht  auseinandersetzt.  Vgl.  Thraemers  Artikel  über  Asklepios 
bei  Pauly-Wissowa,  II  1664.  —  Bei  Marindiu  findet  sich  weder  eine 
Bezugnahme  auf  den  Paean  des  Sophokles,  noch  auf  den  Archonten 
Astyphilos,  auf  dessen  Amtsjahr  (420  v.  Chr.)  A.  Körte  (Athen.  Mitth. 
1893,  XVIII,  p.  249)  die  Errichtung  des  Asklepiosheiligtumes  ev  a^tei 
bestimmte.  Daß  im  Plutos  vss.  621  ff.  das  muuichische  Heiligtum  ge- 
meint sei,  sagt  Körte  ibid.  p.  250.  Bei  einiger  Kenntnis  der  ein- 
schlägigen Literatur  wüide  Marindin  auch  wohl  nicht  blolj  im  allge- 
meinen behauptet  haben,  that  the  'AtJxXYiTrtstov  ev  as-cst  was  built  at 
some  date  after  388,  sondern  würde  wohl  speziell  das  Jahr  381  als 
Datum  für  die  Errichtung  des  Heiligtumes  ins  Auge  gefaßt  haben,  da 

gerade    auch    für    dieses    Jahr    ein    Archontenname    auf Xoc 

(CIA  II  1649  Z.  12),  nämlich  Demophilos,  zur  Verfügung  steht.  Es 
würde  sich  dann  im  Weiteren  darum  zu  handeln  haben,  ob  jener 
Telemachos  aus  Acharnai,  von  dem  das  Sprichwort  TrjXcfxayou  yuTpa 
ging  (Athen.  IX,  407),  mit  dem  Begründer  des  Asklepioskultes  ev 
a(jTei  identisch  war.  —  Da  Timokles  in  den  Ikariern  den  Telemachos 
aus  Acharnai  gleichzeitig  mit  dem  Redner  Hypereides  erwähnt,  könnte 
sein  Spott  leicht  gegen  einen  verarmten  Nachkommen  oder  Verwandten 
(Enkel?)  des  wahrscheinlich  wohlhabenden  und  angesehenen  Begründers 
des  Asklepioskultes  ev  aa-ret  gerichtet  sein. 

U.  V.  Wilamowitz-Mölleudorff,  Lesefrüchte.  Hermes  XXXIV, 
1899,  p.  224  (Zu  Aristoph.  Plut.  1028—1030). 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.   (Holzinger.)     273 

J.  Oeri,  Zu  Aristophanes'  Plutos  1028— 1030.  Hermes  XXXIV, 
1899,  p.  640.  — 

Die  Frage,  wohin  das  Scholion  R:  Ulzi-v.  lyor,^  zu  beziehen  sei, 
welches  oberhalb  des  v.  Aristoph.  Plut.  1030  interlinear  vermerkt  ist, 
hat    schon    manchen    beschäftigt.     Velsen    war  der  Meinung,    daß  die 

zweite  Hälfte    des    v.   1030 ocxaioj    £jt    e/Eiv  ehemals  lautete: 

jjl'  (iotxoüvTa  xovo'  eyeiv.  A.  v.  Bamberg  (exerc.  nov.  in  Plut.  19) 
wollte  V.  1030  streichen.  Ihm  gegenüber  verteidig't  v.  Wilamowitz 
die  Echtheit  von  1030  auf  Kosten  des  v.  1028,  den  er  für  ,, falsch"  er- 
klärt. V.  1028  sei  ,,aus  1030  geflickt",  und  als  er  noch  nicht  existierte, 
gehörte  das  Scholion  llltl-ti  iyo^i'^  zu  v.  1029.  Zu  1030  wäre  also 
dieses  Scholion  nur  irrtümlicherweise  geraten,  v.  Wilamowitz  meint: 
„Das  Scholion  ist  also  älter  als  der  Vers,  der  eben  denselben  Anstoß 
beseitigen  sollte.  Das  ist  für  die  Beurteilung  unserer  Überlieferung 
so  wichtig,  daß  ich  es  hervorheben  wollte."  —  Einer  der  durch  diese 
Ausführungen  nicht  Überzeugten  ist  Oeri.  Er  bezieht  das  Scholion 
ebenfalls  zu  dem  v.  1029;  nur  meint  er,  daß  man  v.  1030  als  weinerlich 
entrüstete  Frage  der  alten  Frau  las  und  daß  nach  v.  1028  eine  stärkere 
Interpunktion  gesetzt  war,  „so  daß  der  mittlere  Vers  (1029),  auf  den  allein 
das  Scholion  gehen  kann,  gewissermaßen  in  der  Luft  stand."  Ein  |x'  liest 
Oeri  sowohl  in  v.  1029  vor  avTsuroiöiv,  als  auch  in  v.  1030  vor  d-^atlov.  — 

III.    B. 

a.  Über  Parepigrapliae  bei  Aristophaues  nnd  in  den 
Aristophanesscholien. 

In  meiner  im  Jahre  1883  erschienenen  Schrift  „Über  die  Parepi- 
graphae  zu  Aristophanes"  sagte  ich  S.  19:  „Parepigraphae  sind  alte 
Interlinearbemerkungen  scenischen  Inhaltes."  Auf  der  Grundlage  von 
Einzelheiten  stellte  ich  nun  einen  Beweis  dafür  zusammen,  daß  schon 
in  den  attischen  Exemplaren  aristophanischer  Komödien,  also  schon  im 
vierten  und  fünften  Jahrhundert  zahlreiche  derartige  Parepigraphae 
vorhanden  waren,  so  daß,  was  wir  jetzt  davon  besitzen  oder  erschließen 
können,  sich  nur  als  ein  geringer  Rest  darstellt.  Die  aristophanische 
Komödie  war  nämlich  im  Vergleiche  zu  einer  Tragödie  ungemein  reich 
an  Bühnenhandlung.  Zudem  trat  dieselbe  vielfach  unerwartet  ein,  weil 
das  Unerwartete  zum  Wesen  des  Komischen  gehört.  Dazu  kommt,  daß 
Aristophanes  die  Regie  seiner  Stücke  häufig  nicht  selbst  führte,  während 
ältere  Dramatiker  ihre  eigenen  Regisseure  waren.  Aus  solchen  Gründen 
wäre  es  verständlich,  wenn  Aristophanes  manche  seiner  Stücke  sogar 
mit  Regiebemerkungen  ausgestattet  hätte.  Man  vgl.  S.  21,  25,  60  meiner 
Abhandlung.  Eine  Parepigraphe  wie  die  zu  Thesm.  130:  oXoX'j^st  wäre 
gut  genug  für  Aristophanes  selbst,  weil  sie  etwas  Neues  lehrt,  was  der 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd    CXYI.    (1903.  I.)  18 


274     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger.) 

Text  nicht  an  die  Hand  gibt.    Aber  viele  andere  dergleichen  Interlinear- 
bemerkungen  scenischen  Inhaltes,  für  welciie  ich  den  Ausdruck  „Regie- 
benierkung"  vermied,  waren  bloß  Paraphrasen  des  vorhandenen  Textes 
und    konnten    daher    unmöglich    von  dem    genialen  Dichter    selbst  her- 
stammen.    Darum    sagte    ich    S.  24,    daß    die  Parepigraphae    in  ihrer 
Masse  und  somit  als  Institution  nicht   auf  Aristophanes  selbst  zurück- 
zuführen sind  und  daß    sie  von  ihm  weder   für   die  Regie  des  nur  ein- 
mal aufzuführenden  Stückes,    noch  auch  von   ihm  für  einen  Leserkreis 
angefertigt  sein  dürften.     Da    ich   nun   aber  das  hohe  Alter  einer  An- 
zahl von  Parepigraphae  nachwies  und  sie  nun  doci)  von  einem  genauen 
Kenner  der  Aufführung  herrühren  mußten,  sprach  ich  S.  25  ihre  Ab- 
fassung „einzelnen  Verehrern  der  a)istophanischen  Muse"  zu.  —  Während 
nun    einige    meiner  Vorgänger,    wie  z.  B.  Dindorf,    die  Parepigraphae, 
selbst  wo  sie  im  Texte  erhalten  waren,  aus  dem  Texte  entfernten  und 
schlecht  behandelten,    hat  v.  Wilamowitz  im  Herakles  I.,  S.  125,    das- 
jenige, was  die  Hauptsache  in  meiner  Darlegung  ausmacht,  nämlich  den 
Nachweis  des  hohen  Alters  der  Gattung  der  Parepigraphae  zu  Aristo- 
phanes vou  mir  übernommen    und  es   war  daher  nicht  in  der  Ordnung, 
daß  er  meine  ,, Erklärungsart"  als  ,, freilieh  fast  lächerlich"  bezeichnete. 
Wenn    v.    Wilamowitz    mir    mit    der  Behauptung    entgegentritt:    ,,un- 
möglich    würde    sich    eine  Kegievorschrift    in  der  nur  ausnahmsweise 
wiederholten  Komödie    häufiger    finden    können  als  in  der  Tragödie", 
und  weiterhin  sagt,    Aristophanes    habe    diese  Parepigraphae  selbst  für 
seine  Leser  geschrieben,  so  wäre  ich  in  besserem  Hechte,  eine  solche 
., Erklärungsart"  als  ,, freilich  fast  lächerlich"  hinzustellen,  weil  ich  eine 
solche  „Erklärungsart"    mit    guten  Gründen    von  vornherein    widerlegt 
hatte.  —  Wenn   es  z.  B.  bei  Aristoph.  Pac.  256  heißt:  o'jToai  aoi  xov- 
ouXos,    so    wird  Aristophanes    natürlich    nicht    für   die  Regie  —  zumal 
er  sie  gerade    tür    die  Eipr^vYj  selbst    führte,  —  die  Bemerkung  aufge- 
schrieben haben:    ,,Er    gibt    ihm   eine  Ohrfeige"  (Wilamowitz  a.  a.  O. 
S.  125)      Aber    ebensowenig    kann    der    geistreiche  Dichter   selbst  mit 
einer  so  überflüssigen  Notiz  etwa  für  minderbegabte  Leser  gesorgt  haben. 
Hingegen    ein  attischer  Orammatist,    der    das  Stück  gesehen  oder  von 
der  Aufführung  gehört  hatte,    oder  einer  seiner  Schüler,  oder  auch  ein 
Schauspieler,    kurz    irgendwer    anders    als  Aristophanes  selbst,  befand 
sich    seinem  Texte    gegenüber    in  einem    ganz    anderen  Falle.     Einem 
Liebhaber  konnte  daran  gelegen  gewesen  sein,  sich  die  ehemalige  Auf- 
führung mit  der  Feder  in  der  Hand  genau  vorstellig  zu  machen.    Auf 
Aristophanes  selbst   jedoch  konnten    nur   einige    besondere  Einzelheiten 
dieser  Art  zurückzuführen  sein,  wenn  er  sich  etwa  während  des  Dichtens 
einen  guten  Einfall  für  eine  komische  Darstellung  vielleicht  unwillkür- 
lich zwischen  den  Zeilen  notierte,  etwa  v/ie  obiges  oXoXu^si.  — 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     275 

V.  Jernstedt,  Über  den  Dekorationswechsel  in  den  Thesrao- 
phoriazusen  des  Aristophanes.  SA.  aus:  ^TS'pavo;.  Sammlnng:  von  Auf- 
sätzen zu  Ehren  von  Th.  Sokoloff.     1895,  S.   153—166.    (Russisch.) 

Jernstedt  bespricht  zunächst  die  Ansichten  von  Brunck,  Geppert, 
Fritzsche,  Enger,  Droysen,  Schönborn,  J.  W.  Wliite  (Harward  Stud. 
1891,  p.  200)  über  den  Dekorationswechsel  in  den  Thesmophoriazusen; 
i'[(o  0  arsipii  (v.  279)  werde  noch  vor  dem  Hause  des  Agathon  ge- 
sprochen, dagegen  v.  280  vor  dem  Thesmophorion.  Der  Dekorations- 
wechsel linde  also,  wenn  überhaupt,  (J.  leugnet  es  S.  159)  nach  ettou 
V.  279  statt.  Die  thrakische  Magd  sei  nicht  wirklich  in  Person  an- 
wesend zu  denken!  Um  so  komischer  sei  das  Spiel  des  Mnesilochos! 
Letzteres  ist  für  mich  durchaus  unannehmbar.  —  Jernstedt  meint  nun 
weiterhin,  dal.l,  wenn  das  Scholion  277  laute:  rapcTrqpatpT^.  exxuxXeixat 
£7:1  T'j  £;a>  to  f)£j[xocpoptov,  so  habe  man  unter  -apETrqpacprj  den  v.  277 
selbst,  nämlich:  £XJ7:£U0£  Ta/Ew^*  u>i  to  trjc  £xxAr|3iac  I  jrjfxerov  ev  Tip 
0£a|jLO9opeup  cpaivstai  zu  verstehen,  insofern  dieser  Vers  (!)  ein  scenisches 
Ereignis  ausdrücke.  Das  schol.  277  umschreibe  diese  Bühnenhandlung 
durch  die  Worte:  £xxuxX£tTai  iizl  to  zlio  to  Ö£0|xo96piov.  Die  zwischen 
den  vss.  276  und  277  überlieferten  Worte  seien  daher  nicht  eine  Par- 
epigraphe,  sondern  Reste  eines  verderbten  Trimeters.  Diesen  stellt 
Jernstedt  in  folgender  Weise  lier:  ouok  6£-/o|xat  tov  opxov.  ETP.  a> 
'rtÄiioxaTe.  Aus  diesen  Worten  sei  durch  Wegfall  von  Buchstaben,  Ver- 
stümmelung, A'erlesung  und  Mißverständnis  dasjenige  entstanden,  was 
jetzt  zwischen  den  Zeilen  überliefert  sei:  oXoXu^ouai  t£'  kpov  wdeiTai. 
Denn  der  Abschreiber  habe  sich  eingebildet,  daß  diese  Worte  eine 
alte  Parepigraphe  darstellen.  —  Da  nun  die  Behandlung  dieser  Stelle 
der  Thesmophoriazusen  vorzugsweise  gegen  meine  Schrift  „Parepigraphae" 
gerichtet  ist,  nimmt  Jernstedt  noch  Veranlassung  von  schol.  Plut.  8  zu 
sprechen,  auf  das  ich  S.  47  als  auf  eine  schwierige  Stelle  aufmerksam 
machte.  Jernstedt  liest  dort  einfach  7rapa7pacpY^  statt  TrapE-i-cpa'fK],  in- 
dem  er  meint,  daß  es  bei  v.  8  zu  xal  tolZtol  ]j.£v  öt]  xaü-a  keine  Ver- 
anlassung zu  einer  ^lapeirqpacpY^  gab.  — 

Ich  kann  mich  nun  nach  diesem  Referate  über  die  Abhandlung 
des  kürzlich  verstorbenen  Jernstedt  wohl  damit  begnügen  zu  sagen,  daß 
es  allerdings  nicht  schwer  ist  über  die  Parepigraphae  zu  einer  anderen 
Anschauung  zu  gelangen  als  ich,  wenn  man  das  Material,  auf  dem  meine 
Ansichten  aufgebaut  sind,  so  willkürlich  ändert,  wie  dies  Jernstedt  tut. 
An  den  Resultaten  meiner  Arbeit  würde  sich  indessen  nichts  ändern, 
auch  wenn  man  von  den  52  Stellen,  die  ich  behandle,  zwei  oder  auch 
mehrere  wegzulassen  hätte.  Daß  dies  aber  notwendig  sei,  hat  Jernstedt 
nicht  bewiesen.  Zwischen  den  Versen  Thesm.  276  und  277  fehlt  im 
Zusammenhange  der  Stelle  kein  Vers.     Also  ist  es  unmethodisch,  dort 

18* 


276     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie    (Holzinger.) 

einen  Vers  einzuflicken.  Dann  ist  aber  das  verderbt  überlieferte  oXo- 
XuCouai  T£'  iepov  (L&siTai  jedenfalls  eine  Parepigraphe,  mag  auch  ihre 
Form  und  ihr  Inhalt  strittig  sein.  —  Und  was  schließlich  schol.  Plut.  8 
anlangt,  so  hat  Jernstedt  manches,  was  ich  S.  48  darüber  sage,  ver- 
nachlässigt. Will  man  nicht  zugeben,  daß  sich  hier  eiue  Parepigraphe 
auf  einen  Gestus  bezog  —  und  ich  habe  diese  Möglichkeit  S.  48  meiner 
Abhandlung  angedeutet  —  so  ist  es  immerhin  bei  der  Überladung  der 
ersten  Seiten  des  Cod.  ßavennas  mit  Schollen  denkbar,  daß  diese  Notiz 
über  eine  Parepigraphe  zu  einem  ganz  anderen  Verse  gehörte  und  durch 
Mißverständnis  an  einen  unrichtigen  Platz  geriet.  Dazu  kommt,  daß 
in  den  Ravennasscholien  Tza^a-ipa^q  nirgends  die  „ar.oihan  X670U"  be- 
zeichnet, wie  Jernstedt  im  Hinblicke  auf  schol.  Nub.  176,  1075  meint. 
Kapa-j-pa^r^  ist  vielmehr  in  den  Aristophauesscholien  eine  ,,mutatae  pcr- 
sonae  nota",  wie  Dübner  im  Index  zu  den  Schollen  angibt,  wobei  auf 
schol.  Rav.  1432  und  schol.  Nub.  653  (adnotatio)  zu  verweisen  ist.  Auch 
dürfte  man  wohl  behaupten,  daß  itapsTiqpa^V^  als  Schreibfehler  statt 
irapa-^pacpr^  an  sich  weniger  wahrscheinlich  ist.  als  etwa  der  umgekehrte 
Fall  wäre.  Schließlich  ist  daran  zu  erinnern,  daß  auch  bei  Thesm. 
v.  130  ein  oXoXuCet  als  7rap£Trt7pa9TQ  erhalten  und  im  Scholion  dazu  als 
solche  bezeichnet  ist.  So  stützen  beide  Stellen  einander  in  jenem  Zu- 
sammenhange, in  welchem  ich  sie  auf  S.  20-21  meiner  Schrift  be- 
handelt habe.  —  Und  daß  beide  -irapsirqpa^ai  zu  Thesm.  130  und  277 
nicht  etwa  vom  Schreiber  des  Cod.  R  oder  sonst  von  einem  späten 
Byzantiner  herrühren,  sondern  alte  und  schwer  lesbare  Interlinearbe- 
merkungen waren,  ist  daran  zu  erkennen,  daß  beide  durch  Abschreibe- 
fehler verunstaltet  sind.  (130:  dkolü'Cei:;  -/Iptov  R,  cf.  Velsen.)  —  Für 
das  sichere  Verständnis  dieser  Arbeit  bin  ich  Herrn  Hofrat  Alfred  Ludwig 
in  Prag  zu  Dank  verpflichtet.  — 

K.  Weißmann,  Die  sceuischen  Anweisungen  in  äen  Scholien  zu 
Aischylos,  Sophokles,  Euripides  und  Aristophanes  und  ihre  Bedeutung 
für  die  Bühnenkunde.  —  Progr.  d.  k.  neuen  Gymn.  in  Bamberg, 
1896. 

Der  Verf.  bespricht  zahlreiche  Schollen,  welche  über  die  handeln- 
den Personen,  den  Chor  und  über  das  Auf-  und  Abtreten  derselben 
Angaben  machen,  ferner  solche,  welche  über  die  Verteilung  der  Rollen 
und  über  die  Art  des  Vortrags  und  des  Spiels  Auskunft  geben,  dann 
Andeutungen  über  die  Handlung  und  die  scenischen  Vorgänge,  schließ- 
lich über  Bühneneinricbtung  und  Maschinerie.  Nachdem  der  Verfasser 
dieses  weitschichtige  Material  seinem  Inhalte  nach  in  fünf  Abschnitten 
durchgesprochen  hat,  will  er  diese  Scholiastenbemerkungen  nach  den 
Quellen,  denen  sie  entstammen,  in  vier  Klassen  teilen.    Er  unterscheidet 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     277 

derartige  Notizeu,  welche  dem  Texte  oder  der  Situation  entnommen 
sind,  dann  solche,  welche  von  selbständigem  Denken  des  Scholiasten 
zeugen.  In  einer  dritten  Klasse  faßt  Weißmann  diejenigen  Scholien- 
angaben  zusammen,  welche  im  Anschluß  an  spatere  Aufführangen  ge- 
macht sind  und  in  einer  vierten  und  letzten  Klasse  diejenigen,  welche 
die  „von  den  Dichtern  oder  Regisseuren  zu  dem  Text  augemerkten 
scenischen  "Winke  (-apsTiqpacpai)"  enthalten.    — 

Weißnianns  Arbeit  erstreckt  sich  auf  die  Scholien  zu  Aristophanes 
und  zu  den  Tragikern.  Sie  zieht  sowohl  solche  Scholienstellen  heran, 
in  denen  das  Wort  -apt-q^a'^q  vorkommt,  als  auch  andere,  in  denen 
dieser  Ausdruck  nicht  steht.  Daß  bei  einer  so  umstrittenen  Sache, 
w'ie  es  die  Parepigraphae  sind,  auf  diesem  Wege  der  Untersuchung 
keine  sichere  Grundlage  geschaffen  wird,  wird  um  so  mehr  klar  sein, 
wenn  ich  hervorhebe,  daß  Weißmanu  den  Namen  und  das  Alter  des 
Codex,  dem  ein  Scholion  entnommen  ist,  nicht  mitteilt.  —  Den  Namen 
irapeTitYpacpiQ  erklärt  der  Verfasser  dadurch,  daß  die  scenischen  Winke, 
weiche  „ursprünglich  alle  im  Text  standen",  von  den  Grammatikern 
,,an  den  Rand"  geschrieben  wurden  und  daß  sie  ,.da  auch  erst  den 
Namen  -apsirqpa'fai"  erhielten  (S.  22).  In  analoger  Weise  vvird  der 
Ausdruck  rapsy-xux^ixa  erklärt:  ,,Die  Anwendung  des  £xx6y.X7][xa  ward 
zwischen  dem  Text  durch  den  Namen  der  Maschine  selbst  angedeutet. 
Die  Grammatiker  setzten  ihn  au  den  Rand,  wie  die  übrigen  scenischen 
Bemerkungen,  und  so  wurde  daraus  TrapsxxuxXrjjxot"  (S,  27).  Ebenso  wird 
7:apa-/oprj7rj[xa  erklärt:  Die  „außergewöhnliche  Leistung  des  Choregen" 
war  ,.im  Stücke  selbst"  bemerkt.  „Erst  die  späteren  Grammatiker 
haben  solche,  damals  erst  an  den  Rand  gesetzte,  Bemerkungen  als 
rapot-/op757TrjlJ,aTa  bezeichnet  ...  im  Gedanken  an  den  Ort,  wo  sie  die 
Bemerkung  fanden"  (S.  31).  —  Derartige  Aufstellungen  sind  natürlich 
leicht  zu  entkräften,  weil  sie  einfach  sprachwidrig  sind.  Nicht  so  leicht 
sind  manche  andere  BehaupiuDgeu  des  Verfassers  zu  widerlegen,  denen 
gegenüber  mau  auf  eiuem  minder  sicheren  Boden  steht.  Wenn  Weiß- 
mann z.  B.  glaubt,  daß  die  Dramatiker  den  Namen  der  anzuwendenden 
Theatermaschine  zwischen  den  Textzeilen  angaben,  also  z,  B.  , ixxuxXrjixa " 
schrieben,  so  gibt  es  dagegen  kaum  einen  förmlichen  Gegenbeweis. 
Aber  daraus  folgt  nicht,  daß  die  Sache  selbst  sicher  stehe.  Wenigstens 
wird  man  die  vom  Verf.  vorgeführten  Stelleu,  wie  schol.  Thesm.  277 
(vgl.  S.  24,  31,  53)  nicht  als  Beweis  für  seine  These  gelten  lassen  dürfen. 
Und  so  bleibt  die  Sache  unbewiesen  und  auch  unglaubhaft,  wie  zuvor.  — 

In  der  Abhandlung  Weißmanns  fehlt  es  übrigens  nicht  an  an- 
sprechenden und  ersprießlichen  Bemerkungen.  Manches  davon  darf  ich 
den  Berichterstattern  über  die  Tragödie  und  über  die  scenischen  Alter- 
tümer überlassen.  — 


278     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

A.  Müller,  liap2vxuy.).r,[xa.  Philologus  LYI,  1897,  p.  178—182.  — 
Der  Verfasser  hält  an  der  Schreibung  TcapsYxuxXrjixa  fest,  führt 
neuere  Deutuugsversuche  des  Ausdruckes  vor,  schiebt  die  Ansichten 
Droysens  und  Weißmanns  (1896)  beiseite  und  geht  in  seinen  eigenen 
Darlegungen  von  meiner  Schrift  ,,Über  die  Parepigraphae  bei  Aristo- 
pbanes",  Wien  1883,  S.  44  ff.  aus.  Dort  hatte  ich  gelegentlich  der 
Besprechung  des  schol.  Nub.  18:  Taüra  Travta  7:ap£Yxuy.Xr,(xa-a  xal  irap- 
sTctYpatpai  die  Schreibung  7rap£y.xuxXv^|AaTa  anempfohlen.  Zugleich  hatte 
ich  eine  für  alle  in  Betracht  kommenden  Stellen  gemeinsame  Erklärung 
desWortes  7iap£xxuxXrj[xa  samt  einer  Entwickelung  seiner  Bedeutunggegeben. 
Im  Gegensatze  zu  meiner  Deutung  meint  Alb.  Müller,  daß  der  Scholiast 
zu  Nub.  18  unter  x:ap£Yxux>.r,fi.a  ,,eine  von  einer  Handlung  begleitete 
Einlage"  verstand  und  daß  üapa  in  dieser  Zusammensetzung  ,,das  Zu- 
gesetzte, das  über  das  Notwendige  Hinausgehende"  bedeute.  —  Mich 
hat  der  Hinweis  aufVesp.  699:  £7x£xuxXY]C7a'.,  Vesp.  1475:  £iax£x'j'x/.rix£v 
u.  a.  m.  um  so  weniger  überzeugt,  als  ja  auch  ich  schon  vor  zwanzig 
Jahren  den  Gebrauch  von  xuxXsiv  und  seiner  Composita,  sowie  den  Ge- 
brauch von  rapa  nach  allen  Seiten  hin  erwogen  und  meinen  Aus- 
führungen zu  Grunde  gelegt  hatte.  Meine  Ansichten  abermals  vorzu- 
tragen, scheint  mir  hier  nicht  der  Ort.  —  Ein  zweites  Mal  und  zwar 
in   etwas  anderer  Weise  wird  ebendieselbe  Scholienstelle  von 

A.  Müller  in  der  Berliner  phil.  Wo.  1898,  No.  45,  Sp  1403 
behandelt.  Hier  schlägt  der  Verf.  vor,  das  Scholion  zu  Nub.  18  in 
zwei  Sätze  zu  zerlegen  und  zu  schreiben:  -caüra  iravTa  T:ap£7xuxXy^|JLaTa" 
£ial  xal  ■Kapem-(p7.^'xi.  Alb.  Müller  scheint  hier  die  mich  erfreuende 
Absicht  zu  haben,  „die  Übereinstimmung  des  Scholions"  mit  dem  von 
mir  ,, dargelegten  Sachverhalt  herzustellen".  —  Ich  gebe  gern  zu,  daß 
diese  Interpunktion  verständlich  wäre,  halte  aber  die  Änderung  nicht 
für  notwendig.  — 

A.  Müller,  Zur Parepigraphe  von  Aristoph.  Thesmoph.  v.  277.  — 
Berl.  phil.  Wo.  XVIII,  1898,  Sp.  1403—1405.  — 

A.  Müller  macht  zunächst  die  richtige  Bemerkung,  daß  viele 
neuere  Bearbeiter  dieser  Stelle  die  ihnen  voranliegende  Literatur 
nicht  ordentlich  berücksichtigten.  Er  wiederholt  dann  sehr  vieles  aus 
meiner  Schrift  ,, Parepigraphae",  begnügt  sich  aber  nicht  mit  den  wenigen 
aber  sicheren  Schlüssen,  welche  dort  S.  21  aus  dieser  Stelle  gefolgert 
werden.  Nach  seiner  Ansicht  lautete  vielmehr  die  Parepigraphe  ur- 
sprünglich: „oXolü'^ouGi  •  To  3rj}x£rov  (uBctrai"  oder,  wie  er  beifügt,  „mit 
durchaus  angemessener  Beschränkung  des  Rufens  auf  Euripides  und 
engeren  Anschluß  an  die  Überlieferung :  oXoXu^st  •  aYifjiEiov  xt  upov  Cd^u- 
xai."     „Diese  Form  wurde    dann   frühzeitig   entstellt  und  dadurch  das 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     279 

Mißverständnis  des  Scholiasten  hervorgerufen,  welches  dann  wieder  die 
irrtümliche  Annahme  einer  durch  nichts  gebotenen  Skenenverwandlung 
oder  eines  Ekkyklema  veranlaßt  hat."  —  Meines  Erachtens  ist  o>.o>,u- 
^ouui  von  den  das  Fest  feiernden  Frauen  zu  verstehen,  die  man  zwar 
bei  V.  277  noch  nicht  sieht,  aber  plötzlich  hüit.  Die  Frauen  schrieen, 
weil  das  Zeichen  gegeben  worden  war.  Und  weil  sie  schrieen,  blickt 
Euripides  nach  dem  Thesraophorion  hin,  das  von  Anfang  an  sichtbar 
war,  aber  bis  dahin  noch  in  völliger  Ruhe  lag.  So  erblickt  er  das 
a/jjjLöi'ov  und  nialint  darum  zur  Eile.  —  Der  Scholiast  zur  Stelle  be- 
schränkt sich  auf  die  Anzeige,  daß  eine  rapeTcqpacpn]  dastand  und  gibt 
daraus,  was  er  zu  verstehen  glaubte,  nämlich  eine  Notiz  über  ein  Ekky- 
klema. Das  hat  er  aus  den  sicher  überlieferten  Worten  Upov  oiösitai 
herausgeschöpft,  vor  welche  denn  doch  wohl  Fiitzsches  t6  gehören 
wird.  Dal.",  man  dort  mit  Albert  Müller  3r,jj.£iov  lesen  solle,  kann  ich 
nicht  zugeben.  Mich  über  das  Ekkyklema  selbst  auszusprechen,  hatte 
ich,  als  ich  im  J.  1883  die  Parepigraphae  behandelte,  keinen  zwingenden 
Grund.  Auch  jetzt  gehe  ich  hier  nicht  darauf  ein,  obwohl  die  Aus- 
'  führungeu  Bodeusteiners  (Scenische  Fragen  S.  93).  Roberts  im  Hermes, 
1896,  XXXI,  S.  558  ff.,  und  anderer  genügende  Veranlassung  dazu 
gäben.  Aber  wenn  ich  die  Literatur,  die  in  zehn  Jahren  über  die 
griechische  Komödie  aufläuft,  in  diesem  Maßstabe  behandeln  wollte, 
würde  ich  mit  diesem  'Berichte  ebensowenig  jemals  fertig  werden  als 
andere  —  Übrigens  vgl.  man  das  über  Charles  Exons  Aufsatz  CtC- 
sagte.  — 

K    Zacher,    Kritisch  -  grammatische   Parerga   zu    Aristophanes. 
Leipzig  1899,  SA.  aus  dem  VIL  Supplementbande  des  Philologus. 

Das  Heft  umfaßt  fünf  Abhandlungen.  Die  erste  ist  eine  Er- 
widerung auf  Kaibels  Rezension  der  Zacherschen  Ausgabe  der  Equites, 
vgl.  Götting.  gel.  Anz.  1897,  No.  11.  —  Zacher  spricht  sich  über  die 
Grundsätze  aus,  denen  er  in  seiner  Ausgabe  folgte,  und  so  ist  dieser 
Aufsatz  noch  zu  den  ,,Aristophanesstudien"  Zachers  hinzuzuuehmen.  In 
der  Mitteilung  eines  möglichst  genauen  und  umfassenden  Apparatus 
criticus  wird  sich  Zacher  hoffentlich  durch  Kaibels  gegnerische  Be- 
merkungen nicht  irre  machen  lassen.  Allerdings  erwartet  man  nicht 
von  jeder  kritischen  Ausgabe  eines  beliebigen  alten  Autors  die  Mit- 
teilung eines  vollständigen  Apparates.  Aber  zu  jedem  der  großen 
klassischen  Autoren,  zumal  wenn  seine  Handschriften  bis  ins  XL  Jahrh. 
hineinreichen,  müssen  wir  endlich  einen  vollständigen  Apparat  erhalten, 
der  für  die  verschiedenarticrsten  Zwecke  ausreicht,  mit  denen  jemand  an 
einen  solchen  Apparat  herantreten  kann.  Die  Herstellung  des  ur- 
sprünglichen Textes  ist  nur  einer  dieser  Zwecke  neben  mehreren  anderen, 


280     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischea  Komödie.  (Holzinger.) 

und  darum  bat  mau  bei  der  Beurteilung  dieser  Gattung  vou  grund- 
legenden Ausgaben  das  Hauptgewicht  nicht  gerade  auf  den  Text  zu 
legen,  den  der  Herausgeber  aus  seinem  Apparate  gewinnt,  sondern 
auf  die  Genauigkeit  und  Reichiialtigkeit  seiner  Angaben.  Wer  einen 
so  gearteten  Apparat  nicht  braucht  und  nicht  wünscht,  mag  sich  mit 
unvollständigeren  Ausgaben  begnügen.  —  Es  folgen  in  Zachers  Parerga 
Aufsätze  über  das  ny  ephelkystikon  bei  Aristophanes,  über  die  Endung 
der  zweiten  Pers.  Sing.  Indic.  Med.  und  über  einige  Worterklärungen 
zu  £7ri-aaTa,  xXasTa^w,  "/.oÄa?,  xoX6/.u[xa,  i-e-uoaptsa,  -eptsxo'xy.aja.  Über 
diesen  Abschnitt  findet  man  in  den  Rezensionen  der  Parerga  genügende 
Aufklärung.  —  Der  fünfte  und  umfangreichste  Teil  des  Heftes  ist 
Rutherfords  Scholia  Aristophanica  gewidmet.  Icli  komme  hierauf  bei 
der  Besprechung  dieses  Werkes  zurück.  Hier  will  ich  mich  nur  mit 
S.  506  =  70  des  Sa.  der  „Parerga',  auseinandersetzen,  wo  Zacher  über 
die  Parepigraphae  handelt.  Auf  ihn  machen  die  meisten  parepigra- 
phischen  Notizen  „den  Eindruck,  als  ob  sie  von  den  Grammatikern  nur 
aus  dem  Zusammenhang  erschlossene  Erklärung  enthielten".  Gegen 
diesen  Standpunkt,  den  Zacher  in  dieser  Angelegenheit  auch  in  Bnrsians 
Jahresber.  LXXI  (1892)  S,  104  fif.  einnimmt,  will  ich  hier  nicht 
weiter  ankämpfen,  da  ich  iiin  in  meiner  Abhandlung  als  unrichtig  er- 
wiesen habe.  Denn  gerade  gegen  diesen  ,, Eindruck"  ist  meine  ganze  Ab- 
handlung gerichtet.  Zugleich  beruht  meine  Darlegung  wesentlich  auf 
der  genauen  Scheidung  der  Epochen,  indem  ich  zwischen  den  byzan- 
tinischen und  alexandrinischen  Grammatikern  und  der  Tradition  der 
aristophanischen  Komödien  in  Attika  selbst  genau  unterscheide.  Mit  dem 
bloßen  Ausdrucke  ,, Grammatiker"  fällt  man  wieder  in  die  alte  Unklar- 
heit zurück.  Dabei  hört  natürlich  auch  das  Polemisieren  auf.  —  Aber 
gegen  einige  greifbare  Unrichtigkeiten  der  Zacherschen  Darstellung 
über  den  Inhalt  meiner  Abliandlung  muß  ich  mich  dennoch  verwahren. 
So  mache  ich  z.  B.  nicht  die  ,.für  den  Buchhandel  bestimmten  Exem- 
plare" für  die  Setzung  von  Bühnenanweisungen  verantwortlich,  wie 
Zacher  zu  meinen  scheint.  Woher  jene  Leser,  die  ein  so  großes  Inter- 
esse an  den  Texten  nahmen,  daß  sie  in  ihre  Exemplare  parepigraphische 
und  gewiß  auch  andere  Notizen  machten,  eben  diese  Exemplare  bezogen 
hatten,  gab  ich  in  jeuer  Abhandlung  nicht  an,  weil  ich  „Hypothesen" 
nach  Möglichkeit  zu  vermeiden  trachtete.  Ich  sagte  damals  (S.  24),  daß 
„unmittelbar  nach  der  Aufiühruug  eijier  Komödie  nur  eine  ungemein 
beschränkte  Anzahl  von  Exemplaren  ins  Publikum  gelangte".  Es  ist 
nämlich  klar,  daß  nur  der  wohlhabende  Literaturfreund  gelegentlich 
ein  fertiges  Exemplar  kaufen  mochte.  Aber  nur  ausnahmsweise  war 
gerade  der  Literaturfreund  wohlhabend.  Der  lesedurstige  Jüngling- 
z.  B.   der  Platonische  Phaidios,    der  Grammatist  und    sein  Sohn,   der 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,  (Uolzinger.)     281 

künftige  Grammatist,  oder  der  kleine  Schauspieler,  der  uDgehende  Literat, 
Khetor  und  Dichter  borgte  sich  n-itürlich  ein  Exemplar  aus,  wo  er  es 
fand,  und  schrieb  es  sich  gelegentlich  wohl  auch  ab.  Vgl.  ßan.  151:  t] 
Mop3i|xou  Tt;  pr,aiv  e;e7pa(|>a-:o.  Auch  ,,der  Schüler  schrieb  sich  seine 
Bücher  selbst",  wie  v.  ^Vilanlowitz  Herakl.  T,  120  richtig  sagt.  Unter 
solchen  Leuten  und  nicht  unter  den  behäbigen  Bücherkäuferu  suche  ich 
diejenigen,  die  sich  um  die  Einzelheiten  der  scenischen  Auffüiirung,  um 
die  Masken  und  Namen  unbenanuter  Rollen  (Chairephon,  Aiakds,  Xikias, 
Demosthenes  u.  s.  w.)  erkundigten  und  um  das  Verständnis  schwieriger 
Ausdrücke  und  Stellen  bemühten.  Die  Interlinearbemerkungen  und  Rand- 
notizen dieser  eifrigen  ,, Leser"  scharrten  dann  späterhin  die  alexan- 
drinischen  Gelehrten  zusammen,  als  die  Ptolemäer  den  ganzen  Wust 
zerlesener  Rollen  aufgekauft  hatten.  — 

Bei  einer  interlinearen  Bemerkung  scenischen  Inhaltes  kann  man 
daher  den  ersten  Autor  ebensowenig  mit  Namen  nennen,  als  den  eisten 
Autor  einer  interlinearen  Glosse.  So  wie  wir  heute  noch  Handschriften 
z.  B.  zu  Hesiod,  Pindar,  Theokrit  besitzen,  zwischen  deren  Zeilen  un- 
zählige einzelne  Glossen  über  den  einzelnen  Wörtern  stehen,  so  muß  es 
auch  einstens  Exemplare  einiger  berühmter,  namentlich  literarischer 
Komödien,  wie  z.  B.  der  Wolken  und  der  Frösche  gegeben  haben,  in 
<ienen  die  interlinearen  Bemerkungen  scenischen  Inhaltes  überwucherten. 
Und  diese  Gattung  kann  in  ihrer  Gesamtheit  ebensowenig  auf  Aristo - 
phanes  selbst  zurückzuführen  sein,  als  etwa  die  Glossen  von  dem  Dichter 
selbst  herstammen.  Dann  sind  sie  aber  auch  nicht  auf  die  „für  den 
Buchhandel  bestimmten  Exemplare"  bei-echnet.  — 

Weiterhin  sagt  Zacher  in  den  Parerga  S.  506:  ,,Eolziuger  zählt 
49  solcher  Scholieu  auf."  Ich  zähle  S.  27  vielmehr  52  Scholieustellen 
auf,  welche  etwas  über  eine  Parepigraphe  enthalten,  und  S.  43  und  60 
wird  die  Zahl  52  wiederholt.  Zacher  führt  nun  jene  49  Stellen  aus 
meinen  „Parepigraphae-'  vor,  übersieht  aber  dabei  3  Stellen,  nämlich 
schol.  Rav.  269,  1251  und  schol.  Thesm.  100,  die  ich  auf  S.  19,  20, 
22,  53  ausführlich  behandle. 

Weiter  sagt  Zacher:  „Von  ihnen  sind  in  R  erhalten  nur  12." 
Leider  wieder  falsch!  Wenn  man,  wie  dies  Zach  er  tut,  schol.  Nub.  734 
und  schol.  Pac.  1104  hinzurechnet,  sind  es  gerade  13,  weil  er  schol. 
Thesm.  100  übersah,  das  in  R  steht  und  sehr  wichtig  ist:  «iiousi  tivec 
7pacpeiv   |jLivupi(7[xo;^  w;  -oXXa  Totau-a  -ap£~i7pacp£Tai    — 

Weiterhin  notiert  Zacher  zu  schol.  Pac.  1104:  „Dies  war  Holzinger 
S.  53  f.  unbekannt."  Ich  behandle  dieses  wichtige  Scholion  auf  fünf 
Seiten:  S.  55 — 58,  60.  Nicht  leicht  wird  ein  Leser  diese  Bemerkung 
Zachers  richtig  verstehen.  Er  will  nämlich  nicht  sagen,  daii  ich  dieses 
Scholion  nicht  kenne.    Er  weii3  auch,  daß  dieses  ganze  Scholion,  welches 


282     Bericht  über  die  Literatur  der  griecliischen  Komödie.  (Holzinger.) 

ich  behandle,  im  Cod.  R  nicht  vorkommt,  weil  ja  Cod.  R  bekanntlich 
seine  Schollen  zur  Fax  bei  v.  1032  abschließt.  Darum  sagen  dort 
Dindorf  und  Dübner:  Hie  desinunt  scholia  cod.  Rav.  Und  Martin  sagt: 
„Les  folios  107,  108,  109,  110  n'ont  pas  de  scolies."  Und  Rutherford 
sagt:  „Folios  107,  108,  109  and  110  contain  no  scholia."  Darum  hört 
auch  meine  Kollation  der  ßavennasscholieu  zur  Pax  bei  schol.  1032,  29 
auf.  Aber  richtig  bemerkt  Zacher,  daß  eine  Textkollation  die  Existenz 
des  einen  Wortes  TrapsTrqpa'fY]  auch  im  Cod.  R  ergibt.  Darum  sagt, 
wie  ich  zu  spät  sehe,  Invernizz  Bd.  2,  8.  82  (1794):  ,,Pone  hunc 
(d.i.  1100:  u>;  —  ypr,cj[jLo?)  scriptum  est  ex  eadem  manu  in  libro  nostro 
7:ap£;:t7p79iq."  Ich  hätte  also  diese  Stelle  nicht  auf  S.  55—60  meiner 
Abhandlung,  sondern  schon  S.  33  flf.  einreihen  müssen.  Wie  leicht  man 
sich  aber  in  einer  solchen  Kleinigkeit  irrt,  kann  nun  seinerseits  auch 
Zacher  aus  seiner  eigenen  Anm.  S.  507  der  Parerga  lernen,  wo  er  sagt. 
Cod.  R  habe  nur  an  sechs  Stellen  die  alte  Parepigraphe  selbst  im  Texte 
erhalten,  nicht  an  7  Stellen,  nämlich  „nicht  Ran.  312,  wie  Holzinger 
fälschlich  behauptet".  Ganz  im  Gegenteile  behauptet  Zacher  dies 
,, fälschlich".  Denn  Bekker  druckt  diese  Parepigraphe  nach  Ran.  311 
im  Texte:  au?.£T  ti?  evöoftev  und  sagt  im  Apparate:  evoo&ev  R.  Velsen 
sagt  darüber  S.  36  seiner  Ausgabe:  post  v.  311  suo  versu  legitur  aOXei 
Ti?  £v6oi}£v  R,  wobei  also  auch  der  fehlerhafte  Accent  bei  tt;  hervor- 
tritt, nicht  bloß  die  Lesart  l'voo&sv.  Ebenso  fälschlich  behauptet  Zacher 
weiterhin:  „nulzl  xtc  I'vooOev  steht  nur  in  0Ald,"  Vielmehr  steht  in 
der  Aldina  (1498),  wie  ich  in  meinem  eigenen  Exemplare  sehe:  auXcT 
Tt?  Evoov,  wie  ja  z.  B.  auch  Küster  und  Bergler  druckten.  —  Unglück- 
lich ist  auch  die  Schlußbemerkung  Zachers,  daß  es  ,,kein  Verdienst" 
des  Cod.  R  sei,  noch  ,, sechs"  (recte:  sieben)  Parepigraphae  zwischen 
den  Textzeilen  zu  führen.  Wenn  sich  der  librarius  des  cod.  R  jeden 
Schimpf  gefallen  lassen  muß,  wenn  er  etwas  Wichtiges  nicht  mitteilt, 
so  muß  man  es  der  Handschrift  als  „Verdienst"  anrechnen,  wenn  sie 
etwas  Wichtiges  enthält.  Das  fordert  die  Gerechtigkeit.  Nun  hat  aber 
natürlich  keine  andere  Handschrift  noch  sieben  Parepigraphae  zwischen 
den  Zeilen  wie  ß  und  es  wäre  bei  einer  Untersuchung  über  das  Alter 
der  Parepigraphae  methodisch  verfehlt  gewesen,  wenn  ich  mich  statt  auf 
R  auf  die  späte  Aldina  berufen  hätte,  die  übrigens  nur  fünf  Parepigraphae 
wiedergibt,  weil  sie  nur  9  Stücke  umfaßt.  — 

Ch. Ex 0 n ,  A  new  theory  of  the Ekkyklema.  Hermathena, No.XXVI, 
1900,  S.  132—143. 

Mit  Aristoph.  Thesm.  276  ff.  beschäftigt  sich  auch  dieser  Aufsatz. 
Ausgehend  von  schol.  Ach.  408  -sp'.3Tp£'fo[X£vov ,  schol.  Nub.  184 
urpacpEVToc  to-j  i'/xux^fj-axos  und  Schol.  Aisch.  Eum.  64  behauptet  Exon, 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Ilolzinger.)     283 

daß  die  übliche  Vorstellung,  die  sich  mit  dem  Worte  £7xuy.Xr,[xa  ver- 
binde, durchaus  unrichtig  sei.  Es  handle  sicii  nicht  um  einen  Apparat 
auf  Elädern,  sondern  um  die  Umdrehung  eines  Teiles  der  hölzernen 
Bühnenwand  um  eine  Achse.  Ein  Analogon  sieht  er  in  den  repiaxtc.. 
Auf  einer  in  beliebiger  Höhe  (Ach.  408.  409)  angebrachten  Plattform 
wurde  das  Innere  des  Gemaches  vor  die  Augen  der  Zuschauer  heraus- 
gedreht. —  Ob  sich  diese  Anschauung  durchsetzen  wird,  kann  mau  ab- 
warten. Ich  plaube,  dal.'«  es  bei  dieser  ^rethodc  der  Erklärung  noch 
viel  schwieriger  ist,  den  ganzen  Eumenidenchor  unterzubringen,  oder  gar 
den  ganzen  Chor  der  Thesmophoriazusen,  wenn  man  v.  276  ff.  mit  dieser 
Auffassung  interpretieren  will.  Allerdings  ist  dem  Verfasser  zuzuge- 
stehen, daß  die  roUeude  Schublade  für  diesen  letzteren  Zweck  auch 
nicht  ausreicht.  Glücklicherweise  läßt  sich  Thesm.  276  ff.  samt  Par- 
epigraphe  und  Scholion  m,  E    weitaus  einfacher  erklären.  — 

b)  Arbeiten  über  die  Arlstophanesscholien. 

Scholia  Aristophanica  being  such  comments  adscript  to  the 
text  of  Aristophaues  as  have  been  preserved  in  the  codex  Ravennas 
arranged,  emended,  and  translated  by  W.  G.  ßutherford.  Vol.  I. 
II.     London  189Ö. 

K.  Zacher,  kritisch-grammatische  Pai'eiga  zu  Aristophaues. 
Leipzig  1899. 

J.  van  Ijzeren,  De  variis  lectionibus  a  Rutherfordio  e  scholiis 
Aristophaneis  erutis.  Mnemosyne  XXVIII,  1900,  S.  176—200,  298— 
328.  — 

Als  ich  im  Herbste  des  J.  1881  die  Schollen  des  Codex  Ravennas 
kollationierte,  tat  ich  dies  in  der  Absicht,  mich  über  den  Bestand  der 
scholia  vetera  zu  vergewissern,  um  vielleicht  ein  Corpus  der  alten 
Scholienbestandteile  aus  dem  Ravennas  und  dem  Veuetus  nach  eigener 
Kollation  und  mit  Hinzugabe  mancher  offenbar  ebenfalls  alter  Schollen 
anderer  Handschriften  aus  Diudorfs  und  Dübneis  Ausgaben  zu  edieren. 
Da  ich  während  der  Arbeit  das  Scholiencorpus  genau  kennen  lernte,  sah 
ich  bald  ein,  daß  sich  alte  und  minder  alte  Schollen  wohl  in  vielen 
Eällen,  aber  im  ganzen  doch  in  zu  geringer  Anzahl  sicher  abgrenzen 
lassen.  Ich  gab  also  diesen  Plan  auf  und  beschränkte  mich  auf  die 
Durchfühlung  der  unternommenen  Korrektur  der  Dübnerscheu  An- 
gaben über  die  Ravenuasscholien  ,  die  wieder  auf  Dindorfs  Oxforder 
Ausgabe  beruhen.  Als  eine  solche  Nachtragskollation  zu  Dindorfs  und 
Dübners  Scholien  habe  ich  meine  Arbeit  unter  dem  Titel  „Beiträge  zur 
Kenntnis  der  Ravennasscholien"  in  den  „Wiener  Studien"  1882,  Heft  1, 
veröffentlicht.     Dem  Charakter   einer  derartigen  Revision  der  Dindorf- 


284     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,  (öoizinger.) 

Dübnerschen  ADgabeu  entsprechend,  mulite  meine  Kollation  zwar  wesent- 
lich genauer  als  die  von  Dindorf  benutzte  Kollation,  aber  im  ganzen 
nach  denselben  leitenden  Gesichtspunkten  abgefaßt  sein.  Die  Dindorfsche 
Kollation,  wie  ich  sie  der  Kürze  halber  nennen  will,  verfolgt,  wie  man 
während  des  Kollationierens  bald  bemerkt,  die  Absicht,  nur  dasjenige 
als  Fehler  des  librarius  zu  notieren,  was  offenbar  ein  Fehler  sein  muß. 
Ebenso  verfuhr  nun  auch  ich  gegenüber  dem  jeweiligen  librarius  des 
Cod.  R  und  gegenüber  Dindorfs  Angaben.  Da  ferner  Dindorf  die 
Setzung  des  v  ephelkystikon,  des  i  subscriptum,  der  Initialen,  der  Lese- 
zeichen und  Interpunktionen,  die  Abteilung  der  scriptio  coutinua  und 
die  Anordnung  der  Schollen  nach  eigenem  Sachverständnis  durchführte 
und  hierin  die  zahllosen  Abweichungen  von  der  Handschrift  nur  aus- 
nahmsweise berücksichtigte,  ist  es  nur  natürlich,  daß  meine  Kollation 
sich  durchaus  nicht  jedesmal  mit  der  Kollation  anderer  decken  kann, 
die  vielleicht  nach  anderen  Gesichtspunkten  verfuhren.  Was  der  Leser 
mit  dem  überflüssigen  Ballaste  einer  Scholienkollatiou  beginnen  soll,  ist 
eine  andere  Frage.  Meines  Erachtens  hatte  schon  A.  Martin,  dessen 
Werk  nach  meiner  Kollation  erschien,  demselben  Stoffe,  den  ich  auf 
32  Seiten  eines  Aufsatzes  bewältigte,  auf  222  Seiten  seines  Buches  eine 
unnötige  Ausdehnung  gegeben.  Seine  verdienstliche  Beschreibung  des 
Codex  Ravenuas  und  die  Geschichte  seiner  Schicksale  hätte,  vermehrt 
um  eine  Liste  der  fehlerhaften  Angaben  Dübuers,  den  Inhalt  einer 
mäßigen  Broschüre  füllen  dürfen,  aber  nicht  mehr.  Daß  der  wissens- 
werte Nachtrag  zu  Dindorfs  und  Dübners  Leistungen  nicht  ausreicht, 
die  Herausgabe  eines  Bandes  iür  einen  einzigen  Codex  zu  rechtfertigen, 
sieht  doch  wohl  jedermann  während  der  Arbeit  ein,  so  wie  dies  bei  mir 
selbst  der  Fall  war.  Zu  diesem  für  den  künftigen  Scholienleser  wit^sens- 
werten  Nachtrage  habe  ich  die  Angabe  der  Verteilung  der  Scholien  auf 
die  vier  Blattränder  ebensowenig  gerechnet,  als  Dindorf  selbst.  Un- 
billig ist  der  Vorwurf,  den  Zacher  deswegen  gegen  mich  in  seinem 
Jahresberichte  LXXI,  1892,  S.  96  erhebt,  wenn  er  sagt,  ich  hätte  mich 
nicht  darum  gekümmert,  wie  die  Scholien  getrennt  oder  zusammen- 
geschrieben sind,  und  wie  sie  auf  den  Eaum  des  Blattes  verteilt  sind. 
Wer,  wie  ich,  jedes  Scholiou  des  Ravennas  bei  Dindorf  und  Dübner  im 
Texte  und  in  den  Adnotationes,  also  an  vier  Stellen  suchen  mußte  und 
ebenso  wieder  jede  Angabe  beider  Ausgaben  im  Codex  nachprüfte, 
mußte  sich  für  jedes  Blatt  die  ganze  Scholieneinteilung  in  sein  Exemplar 
der  Dübnerschen  Ausgabe  notieren.  Denn  bei  der  Überprüfung  meiner 
eigenen  Kollation  hätte  ich  andereufalles  die  gleiche  Mühe  des  Suchens 
ein  zweites  Mal  gehabt,  wogegen  die  Mühe,  anzugeben,  ob  ein  Scholion 
oben  oder  unten,  rechts  oder  links  oder  zwischen  den  Zeilen  steht,  ver- 
schwindend klein  ist.     Aber  dies  alles  dann  in  den  Druck  der  Kollation 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,  (Holzinger.)     285 

Linüberzunehmen ,  halte  ich  auch  heute  noch  für  überflüssig:  und 
wenigstens  bei  dem  Cod.  Venetus  oft  genug  beinahe  für  undurchführbar. 
R.  Scholl  sagt  in  den  Sitznngsber.  des  bayer.  Ak.  philos.-philoloo:.  Kl.  II, 
1889,  S.  39  über  diese  Punkte  folgendes:  «Die  Verteilung  der  Schollen 
über  die  Ränder  bezeichne  ich.  obgleich  wenig  darauf  ankommt, 
dui'ch  ein  demScholion  beigesetztes  sup(erior).inf(erior),ext(erior),  int(erior 
<l.  i.  niargo).  Die  Fehler  der  Handschrift  habe  ich  unter  Angabe  des  Über- 
lieferten verbessert,  die  Abkürzungen  aufgelöst,  die  Interpunktion  und 
die  sehr  häutig  fehlenden  Acccnte  zugefügt,  da  ich  keinen  Nutzen 
darin  sehe,  die  ohnehin  nicht  besonders  verlockende  Lektüre  eines 
solchen  Kommentars  durch  photO£;raphisch  treue  Wiedergabe  hand- 
schriftlicher Zufälligkeiten  und  Freiheiten  zu  erschweren." 

Genau  so  dachte  ich  bezüglich  einiger  dieser  Punkte  schon  im 
J.  1881.  Die  Angabe  der  Verteilung  der  Schollen  auf  die  vier  Ränder 
befähigt  niemand,  der  sich  nicht  vor  der  Handschrift  selbst  befindet,  zu 
Schlüssen  über  die  äußere  Beschaffenheit  der  Vorlage,  die  der  librarius 
des  Cod.  R  vor  sich  liegen  hatte.  Wenn  z.  B.  ein  Extramarginul- 
scholion  von  der  Rectoseite  eines  Blattes  angegeben  wird,  so  nutzt  diese 
Ortsangabe  dem  Leser  nichts,  wenn  ihm  nicht  auch  noch  wenigstens 
gemeldet  wird,  ob  dort,  wo  man  das  Scholion  vielleicht  mit  größerem 
Rechte  gesucht  haben  würde,  für  dasselbe  noch  genügender  Raum  vor- 
handen gewesen  wäre.  Bei  dem  Codex  selbst  erkennt  man  einen 
solchen  Umstand  oft  auf  den  ersten  Blick.  Da  nun  aber  die  Codices 
R  und  V  weder  das  gleiche  Format  haben,  noch  die  gleiche  Scholien- 
menge  umfassen,  noch  auch  gleich  enge  Schriftzüge  zeigen,  so  läCt 
sich  auch  durch  den  Vergleich  solcher  Angaben  über  beide  Codices  kein 
sicherer  Schluß  auf  ihr  nächstes  gemeinsames  Archetyp  aus  so  dürftigen 
Angaben  ziehen.  Zu  derartigen  Schlüssen  berechtigt  doch  nur  das 
Studium  der  Handschriften  selbst  oder  einer  phototypischen  Reproduktion 
der  ganzen  Codices.  Darum  gibt  es  auch  im  ganzen  Bereiche  von 
Scholienausgaben  nicht  eine  einzige ,  welche  den  willkürlichen  An- 
forderungen entspräche,  die  gerade  an  die  Bearbeiter  der  Aristophanes- 
scholien  von  Seite  nörgelnder  Kritiker  erhoben  worden  sind.  Ich  habe 
unmittelbar  nach  dem  Cod.  R  auch  den  Venetus  im  Dezember  1881 
und  Januar  1882  in  Angriff  genommen  und  habe  daraus  eine  Nachtrags- 
kollation zu  den  Schollen  der  Pax  gegeben,  gedruckt  in  den  „Wiener 
Studien",  1883,  I.Heft.  Dort  nun,  wo  ich  diese  Sache  in  berechtigtem 
Unmute  stehen  ließ,  steht  sie  im  wesentlichen  noch  heute. 

Wir  besitzen  jetzt  allerdings  drei  gegenseitig  sich  ergänzende 
Nachtragskollationen  zu  den  Ravennasscholien.  Wer  aber  das  Scholien- 
corpus  überhaupt  zu  einer  Stelle  des  Aristophanes  studiereu  will,  muß 
nach  wie  vor  die  Dübnersche  Ausgabe  zu  Grunde  legen,  wie  ich  es  für 


286     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,  (llolzinger.) 

die  Leser  meiner  Kollation  voraussetzte.  Von  einer  neuen  und  er- 
weiterten Gesamtausgabe  aller  existierenden  Schollen  und  auch  von  der 
Ausgabe  einer  Auswahl  der  „scholia  vetera"  ist  man  heute  sc  weit  ent- 
fernt, wie  vor  zwanzig  Jahren,  Es  ist  derselbe  Fall,  der  sich  bei 
Velsens  Textausgabe  zeigt,  die  in  20  Jahren  auch  nicht  um  eine  einzige 
Komödie  vorwärts  rückte. 

Nach  dem  Gesagten  kann  ich  mich  über  das  Werk  Rutherfords, 
zu  dessen  zwei  Bauden  noch  ein  dritter  in  Aussicht  ijjestellt  ist,  kurz 
fassen.  Rutherford  gibt  den  Vorgang,  den  er  bei  seiner  Kollation  ein- 
hielt, Vol.  I,  Introd.  p.  VI,  selbst  an.  In  England  schrieb  Rutherford 
aas  der  Ausgabe  Dübners  die  Ravennasscholien  ganz  ab,  indem  er  hier- 
bei die  Angaben  Martins  mitberücksichtigte  und  die  abweichenden  An- 
gaben meiner  Kollation  hinzunotierte.  Dieses  so  hergestellte  Manuskript 
wurde  inRavenna  mit  dem  Codex  selbst  durch  Dr.Graeven  verglichen,  der 
die  Interpunktion,  die  Accentuation,  die  Silbentrennung  und  die  Ab- 
kürzungen, sowie  abweichende  Lesarten  des  Schollentextes  aus  dem  Ra- 
vennas  notierte.  Um  den  Scholientext  und  den  kritischen  Apparat  des 
Rutherfordschen  Werkes  fertigzustellen,  wurde  das  Ganze  noch  einmal 
und  große  Teile  davon  wurden  viermal  (S.  V)  geschrieben .(!).  Edlen 
Schweißes  ist  also  um  die  zumeist  ganz  belanglosen  Schreibfehler  und 
Flüchtigkeiten  der  beiden  librarii  des  Cod.  R  genug  vergossen  worden. 
Dabei  ist  es  wohl  nicht  zu  verwundern,  daß  sowohl  mir  als  Herrn 
Albert  Martin  auf  diesem  Wege  einige  Übersehungen  von  Fehlern  des 
iibrarius  nachgewiesen  werden  konnten.  Eine  fertige  Kollation  zu  über- 
prüfen ist  denn  doch  leichter,  als  die  erste  Kollation  selbst  zu  machen. 
Aber  der  Leser,  der  nun  etwa  meint,  im  Anschlüsse  an  Rutherfords 
Angaben  über  diesen  Scholientext  zweifellos  sicherzugehen,  wird  sich 
trotzdem  wieder  manchmal  im  Irrtume  befinden.  Ich  will  hierfür  ein 
einziges  Beispiel  bringen.  Dindorf  und  Dübner  geben  weder  im  Scholien- 
text noch  in  der  Adnotatio  ein  Interlinearscholion  an,  welches  in  R 
oberhalb  Plut.  v.  38  steht.  Ich  war  der  erste,  der  angab,  daß  oberhalb 
des  Anfanges  des  Verses  w?  xw  ßup  toüt'  aüxo  vojAt^ct;  aufj/fspsiv  ge- 
schrieben stehe:  xo  wc  avxl  xou  upoc  xsTxa;.  Martin  hat  dieses  Inter- 
linearscholion ebenfalls  bemerkt,  las  es  aber  falsch  und  überhaupt 
sinnlos :  xo  ßi'o;  avxi  xoü  avi'^pcu-oc  xsixat.  Er  hielt  also  eine  Falte 
des  Pergaments  oder  irgendwelchen  zufälligen  Kratzer  für  den  Rest 
eines  ß  und  verlas  das  m  für  to,  ferner  verwechselte  er  Tipoc  offenbar 
mit  der  Abkürzung  'övö;  für  avöpwTroc.  Augenscheinlich  hat  nun  Ruther- 
ford Herrn  Martin  dieses :  xo  ßio?  avxl  xoü  avBpcüi:o;  xsixat  einfach  nach- 
geschrieben und  Herr  Dr.  Graeven  hat  diesen  Irrtum  aus  dem  Codex 
selbst  nicht  berichtigt.  Rutherford  ist  sogar  von  der  Sicherheit  der 
Martinschen  Lesung  so  überzeugt,  daß  er  in  dem  handgreiflichen  Nonsens 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holziager.)     287 

einen  Sinn  entdeckt.    Daher  schreibt  er  in  seinem  Kömmentare  wörtlich: 
the   Word   ßio;  is   here  iised  for  „maukind".     Natürlich  liegt  die  Sache 
ganz  anders.     In  Plut.  v.  32  steht  w;  xov  ileov  und  dazu  gibt  der  Ve- 
netus  die  Erklärung:  av-l  toü  irpoc  xov  ösov.     Dieselbe  Notiz  und  zwar 
in  der  Form:  xo  «bc  dvxl  -oü  -pö»  xeTxai  hatte  nun  der  librarins  R  wieder- 
zugeben.    Anstatt  über  das  cb;  im  v.  32,   wohin  sie  gehört,  schrieb  er 
diese  Bemerkung  irrtümlich  über  das  <u;  in  v.  38,  wo  die  Notiz  keinen 
Sinn  hat.     Ich  bin  nun  dem  Zufalle  dafür  dankbar,  daß  Rudolf  Scholl, 
der  die  Schollen  des  Plutos   im  Cod.  R    zu  einer  Zeit,    als  sein  erstes 
Blatt  noch  ziemlich  gut  lesbar  war,  kollationierte,   gerade  diese  Stelle 
notierte.     Und    so   gibt   denn  Scholl    in   d.  Sitzungsber.    d.  bayer.  Ak. 
philos.-philol.  Kl.  II,  1889,  S.  44  die  Lesart:  xo  w;  avxl  xoü  rpoc  xsixai, 
indem  er  sie  selbstverständlich  ebenfalls  auf  v.  32  bezieht.    Aus  diesem 
Bei?piele  kann  man  nicht  nur  ersehen,  was  es  mit  dem  Cousensns  zweier 
Kollationen  gegen  eine  andere  Kollation    auf  sich  hat,    sondern    auch, 
daij  die  Rückschlüsse  von  der  Stellung  eines  Scholions  in  einem  Codex 
auf  die  Stellung    desselben  Scholions    in   der  Vorlage    der  Handschritt 
durchaus  nicht  sicher  sind.     Mit  mechanischen  Angaben  über  die  Ver- 
teilung der  Schollen   ist  nur  eine  Gelegenheit    zu   neuen  Irrtümern  er- 
öffnet.    Ganz  anders  freilich  beurteile  ich  derai'tige  Studien,   wenn  die 
»iaraus  gefolgerten  Schlüsse    praesente  codice    gemacht  werden.  —  Ich 
knüpfe  an  das  vorgeführte  Beispiel  noch  die  Bemerkung,  daß  die  beiden 
librarii,  welche  die  Schollen  des  Codex  R  schrieben,  keineswegs  so  tief 
stehen,  als  sie  jetzt  von  mehreren  Aiistophauikern,  besonders  auch  von 
Zacher    gestellt    werden.     Zacher    sagt    z.  B.    in  den  Parerga  S.  506, 
schol.    Nub.    18    sei    „für    die    gedankenlose    Weise,    wie    Ray.    die 
Schollen    verstümmelt,    recht    charakteristisch.     Es  lautet:    arxe  -ai 
Xuyvov    (xaüxa    -a'vxa    7:ap£7xuxXr^ixaxa  sbi  xal  Trap£Tri7patf)a).     Öei  7ap  xöv 
oixexTjV  xo  zpoaxayflsv  -otf^jai  xat  a'|ai  xov  X'jyvov  xal  ooüvai  xo  ßtßXiov  xxA. 
Das  Eingeklammerte  hat  R  weggelassen,  schi-eibt  aber  doch  ruhig  hinter 
rjzl   das    7ap,    welches    doch    nur  in  Beziehung    auf  die  weggelassenen 
Worte  Sinn  hatte".     Auf  S.  518   der  Parerga   wird  nun  aus  derselben 
Stelle  auch  ein  Vorwurf  für  Rutherford  gedrechselt.    Denn  auch  Ruther- 
tord    ,läßt    mit  R    das    xaüxa  iravxa  .   .  TiapETiqpacpa  weg    und  schreibt 
ruhig  oeT  7«'?".     Zacher  hat  eben  nicht  bemerkt,  daß  in  schol.  Nub.  18 
jenes  7dp  sich  auch  ohne  das  Wort  7rap£T:t7pa9r^  ganz  gut  an  die  zu  er- 
klärenden Textworte  anschließt.     Denn  es  gehört  zu  dem  gewöhnlichen 
Gebrauche  des  Scholiasten  in  R  und  anderer  Scholiasten  die  Erklärung 
eines  Wortes  neben  dem  Lemma  mit  7ap    und  nicht  nur  mit  ok  anzu- 
fügen: z.  B.  schol.  Pac.  280  heißt  es  zu  oi'ixoi  :  YJXöev  7ap  ]i.r^ok^  a7o'|x£vo?, 
Ol'  ö  ir/dlXti.  RV.    In  sprachlicher  Hinsicht  trifft  also  bei  schol.  Nub.  18 
weder  den  librarius  R  noch  Herrn  Rutherford  irgend  ein  Tadel.  — 


288     Bericht  über  die  Literatur  3er  griechischea  Komödie.  (Holzinger.) 

Die  Scholieuschreiber  dos  Cod.  E,  sind  zu  einem  gewissen  Teile 
dadurch  gegenüber  den  Scholiensclireibern  des  Cod.  Verietus  in  den 
Nachteil  geraten,  daß  die  Leistungen  der  ersteren  geradezu  unter  die 
Lupe  genommen  wurden,  während  den  Schollen  des  Venetns  diese 
genaue  Prüfung  wenigstens  für  die  Schollen  zu  Plutos,  Nubes,  Equites, 
Aves  und  Vespae  erst  noch  bevorsteht. 

Was  nun  den  Kommentar  anlangt,  den  ßutherford  den  Ravennas- 
scholien  beigibt,  so  fehlt  es  in  demselben  natürlich  nicht  an  wertvollen 
Bemerkungen.  Aber  ein  großer  Teil  der  Erklärung  ist  meines  Er- 
achtens  so  überflüssig,  daß  man  oft  nicht  weiß,  für  welche  Sorte  von 
Anfängern  eine  paraphrasierende  Notiz  bestimmt  sein  soll.  Ich  greife 
aufs  Geratewohl  schol.  Plut.  3  heraus:  Xs^a;  xuyrj  •  avxl  toü  Xe^r). 
Hierzu  lautet  der  Kommentar:  Xs^aj  tu-/y)  :  equivalent  to  Xe^tj.  Oder 
man  sehe  schol.  Nub.  734:  .  .  otl  yj.p  auiov  -/aös^EcjUai  s/ovra  to  atSoiov. 
„Strepsiades  ought  to  sit  with  his  aedoeon  in  his  band." 

Ein  Hauptzweck  des  in  siebenjähriger  Arbeit  zusammengestellten 
Werkes  Rutherfords  besteht  (vgl.  Introd.  p.  XVIII)  darin,  aus  den 
Schollen  ältere  Lesarten  des  Komödientextes  zu  gewinnen.  Über  dieses 
Bestreben  der  neuen  Ausgabe  hat  Zacher  in  den  Parerga  S.  526  flf. 
ein  auf  viele  Belege  gestütztes  Urteil  abgegeben.  Ich  kann  mich  um 
so  leichter  damit  begnügen,  einfach  hierauf  zu  verweisen,  als'  auch 
J.  van  Ijzeren  seinen  oben  genannten  Aufsatz  vor  allem  diesen  Stellen 
des  Rutherfordschen  Werkes  gewidmet  hat.  So  wird  es  dem  Leser 
dieses  Berichtes  nicht  schwer  fallen,  für  die  Beurteilung  dieser  Seite 
der  Leistung  sichere  Führung  zu  gewinnen. 

*Boutens,  Exercitationes  criticae  in  scholia  ad  Aristophanis 
Acharnenses,  1899.    (Rec.  J.  van  Ijzeren,  Museum,  1899,  No.  9.) 

W.  Meiners,  Quaestiones  ad  scholia  Aristoph.  historica  perti- 
nentes.  -  Diss.  phil.  Halenses  XI,  1890,  S.  217—403. 

Ich  verweise  auf  die  Rezension  dieser  tüchtigen  Arbeit  in  der 
Berl.  ph.  Wo.  1893,  No.  41  (0.  Bachraann),  da  sie  ihres  Datums  wegen 
nicht  in  den  Bereich  dieses.  Jahresberichtes  fällt.  — 

Scholia  in  Aristophanis  Lysistratam  edidit,  prolegomena  de  fon- 
tibus  scholiorum  scripsit  G.  Stein.     Göttingen  1891. 

Diese  Schrift,  die  ich  nach  dem  Datum  ihres  Erscheinens  hier 
zu  nennen  nicht  bemüßigt  war,  hat  durch  Zacher  in  der  Berl.  phil. 
Wo.  1893  No.  51  und  52  eine  ausführliche  Besprechung  erfahren,  die 
über  den  Rahmen  gewöhnlicher  Rezensionen  hinausgeht.  Weiterhin  hat 
sich  Zacher  veranlaßt  gesehen,  in  der  Berl.  pliil.  Wo.  1894  No.  11 
und  12  einen  Aufsatz  zu  veröffentlichen,  der  an  G.  Steins  Schrift  und 
an  die  eben  genannte  kritische  Besprechung  anknüpft  und  unter    dem 


Beriebt  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     289 

Titel:  „Die  Scbolien  zu  Aristophunes'  Lysistrate  im  Codex 
Leidensis"  eine  genaue  Besclireibung  dieser  IIs  und  die  Kollation 
der  Lysistrata  enthält.  Ich  beschränke  mich  hiev  darauf,  auf  die 
Wichtigkeit  dieser  Beiträge  Zachers  hinzuweisen,  da  sie  iu  der  Berl. 
phil.  Wo.  ohnedies  für  jedermann  leicht  zugänglich  sind.  — 

C.  B.  Gulick,  De  scholiis  Aristophaueis  quaestiones  mythicae.  — 
Harvard  Studies  V,  1894,  p.  83  —  106. 

Gulick  trägt  in  dieser  Abhandlung  alles  zusammen,  was  in  dem 
Corpus  der  Schollen  zu  Aristophanes  über  die  ältesten  Göttergeschlechter, 
dann  über  die  olympischen  und  die  unterweltlichen  Götter,  über  Herakles, 
über  den  attischen  Mythenkreis  und  über  einige  Heroen,  schließlich 
über  Hekate  und  den  Totenkult  gesagt  wird.  Das  Ziel  seiner  Arbeit 
war  es.  festzustellen,  daß  vor  allem  Didyraos  die  Quelle  dieser  mytho- 
logischen und  mythographischen  Scbolien  war  und  daß  Didymos  außer 
dem  Apollodoros,  den  Historikern  und  Atthidenschreibern,  ferner  dem 
Polemou,  dem  Antikleides,  epischeu  und  namentlich  tragischen  Dichtern, 
vorzugsweise  auch  das  Werk  des  Diouysios  Skytobrachion  ausschrieb. 
In  diesem  letztgenannten  Punkte  zeigt  sich  also  Gulick,  wie  man  sieht, 
von  jener  Richtung  beinflußt,  der  Bethes  Quaestiones  Diodoreae  an- 
gehören. Vielen  wird  dies  als  eine  besondere  Anempfehlung  der  Arbeit 
Gulicks  erscheinen.  Ich  selbst  stehe  auf  einem  anderen  Standpunkte 
und  bin  gewohnt,  Männer  wie  Didymos,  deren  Fleiß  und  Gelehrsamkeit 
das  Altertum  anstaunte,  möglichst  wenig  als  lectores  unius  libri  aufzu- 
fassen, namentlich  wenn  ihnen  nachweislich  die  reichsten  Bibliotheken 
zu  Gebote  standen.  Daß  Didymos  auch  das  Werk  jenes  Diouysios  ge- 
kannt und  gelegentlich  benutzt  haben  wird,  wird  man  gern  zugeben, 
so  daß  auch  dieser  als  eine  Quelle  des  Didymos  aufgeführt  werden 
darf.  Auffallend  ist  mir  auch,  daß  Gulick  das  Scholiencorpus  viel  zu 
sehr  wie  einen  einheitlichen  Autor  behandelt,  wenn  er  auch  angibt, 
daß  erst  lauge  nach  den  Zeiten  des  Didymos  Partien  aus  Ps. -Apollo- 
doros und  Coruutus  in  die  Schollen  hineingearbeitet  worden  sind.  — 

J.  van  Leeuwen,  De  Phidiae  morte.  —  Mnemos.  NS,  XXI,  1893, 
p.  180—181. 

Der  Verfasser  behandelt  das  Scholion  zu  Aristoph.  Pac.  604. 
Er  macht  es  wahrscheinlich,  daß  dieses  Scholion  nicht  bloß  eine 
Stelle,  sondern  zwei  verschiedene  Stellen  des  Philochoros  enthalte, 
welche  über  die  Schicksale  des  Pheidias  handeln  und  von  denen  die 
eine  —  nach  der  von  Dindorf  angenommenen  Vermutung  des  Palmerius 
—  unter  dem  Archontate  des  Theodoros  (438/437),  die  andere  km 
llDÖootopo'j  (432/431)  zu  lesen  war.  Dadurch,  daß  man  bei  der  bis- 
herigen Verbindung  beider  Stelleu  schrieb:  Osi6''ac  xxX.  «inodaveiv  Gnö 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    (1903.    I.)         19 


290     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger.) 

'HXeiwv  ird  n'ji>oott)pou,  ö;  ejtiv  kko  to-jto'j  (nämlich  dem  Theodoros) 
ißSoiJLo;  -/tX.,  entstand  die  nnrichti^e  Notiz,  daß  Pheidias  unter  dem 
Arcliontate  des  Pytbodoros,  also  gleich  bei  dem  Beginne  des  peloponne- 
sischen  Krieges,  gestorben  sei.  Leeuwen  aber  setzt  nach  HXetcuv  den 
Punkt  und  die  Anführungszeichen,  mit  denen  er  das  erste  Citat  aus 
Philochoros  abschließt.  Das  Todesjahr  des  Pheidias  ist  demnach  nicht 
überliefert.  Mit  <xai>  l-nX  IIuf)o6wprj-j  läßt  Leeuwen  den  Scholiasten 
zu  dem  zweiten  Philochoroscitate  übergehen.  Der  Anfang  dieser  zweiten 
Stelle,  dessen  Konstruktion  bisher  verworren  zn  sein  schien,  wird  durch 
dieses  einfache  Mittel  klar.  — 

J.  van   Leeuwen  ad  Öchol.  Aristoph.  Pac.  618.     Mnenios.  NS. 
XXI,  1893,  p.  314. 

Der  Verf.  empfiehlt  eine  doppelte  Änderung  in  diesem  Scholioa 
und  schreibt:  Ttpo?  xov  <I>£iot'av  ouv  (o?  xaXa  ^oava  -otouvra.  —  Das  Scholion 
fehlt  im  Cod.  Rav.  Die  Schreibung,  welche  der  Cod.  Ven.  darbietet, 
7]  xaXa  Eoava  Troioüaa  läßt  sich  in  der  Tat  nicht  rechtfertigen. 

W.  Headlam,  Various  conjectnres  III.    Scholia  to  Aristophanes. 
—  The  Journal  of  Philology  XXIII,  1895,  p.  323.  — 

Der  Verfasser  bringt  anf  dieser  Seite  Konjekturen  zu  den  Sdholien 
der  Acharner,  Equites,  Nubes,  Vespae,  Aves,  Ranae,  der  Pax  und  des 
Plutos.  Mehrere  dieser  Konjekturen  gehen  darauf  aus,  die  grammatische 
Fügung  nach  dem  Sprachgebrauche  der  besten  Gräzität  einzurichten, 
und  einige  Male  hat  der  Verfasser  ohne  Zweifel  das  Richtige  getroffen. 
Z.  B.  Ach.  1001  empfiehlt  er  bei  ~po?  adlr.vcio;  V  "inv^o-t  den  Accusativ. 
Durch  die  unrichtige  Auflösung  des  Kompendiums  der  Endsilbe  mag 
hier  in  der  Tat  ein  Fehler  in  den  Scholientext  gekommen  sein.  Ich 
gebe  dies  auch  für  Schol.  Equ.  56  und  59  zu,  wo  Headlam  ::avoup7(u; 
und  Tip  ß.  schreibt,  statt  -avoüpYo?  und  -o  ^j.  —  Aber  überall  darf  man 
die  schlechtere  Gräzität  nicht  einfach  durch  die  bessere  ersetzen  woUen. 
Z.  B.  im  Schol.  Nnb.  296,  welches  sowohl  im  Codex  Ravennas,  als  im 
Venetus  fehlt,  heißt  es:  . ,  toü  ös  axcuTTTstv  e-/o[X£v(ov.  Headlam  schlägt  dafür 
vor:  Tipo;  to  axcuTiTstv  r/o[xev(uv,  Headlam  meint  vielleicht,  daß  too  c;x(u-- 
Tsiv  r/scjflai  nicht  sicher  genug  bedeutet:  „sich  an  den  Spott  halten",  da 
es  ja  wohl  auch  bedeuten  könnte  „sich  des  Spottens  enthalten",  —  aber 
dies  genügt  m.  E.  nicht  dazu,  daß  man  diesen  offenbar  späten  Text  für 
verderbt  halte.  Auch  bei  Schol.  Nub.  1466:  Xemet  to  uil  r)  -ai,  toüto 
7ap  s-r/pa^sTai.  -p6^  -/otp  xov  uiov  [xeTeß'/i,  kann  ich  mich  Headlams  An- 
sicht nicht  anschließen,  der  toüto  Tiaps-r/pa'fSTat  oder  --ceYpaTXTat  oder 
TrapeTTf/pacpr,  vermutet.  Denn  eine  Parepigraphe  würde  hier  nicht  uts 
oder  -.Tai  gelautet  haben,  sondern  vielmehr:  touto  -poc  tov  uiov  Xe'-^si. 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Hohinger.)     291 

H.  van  Herwerden,  Eniendantur  scholia  graeca  in  Aristopbanis 
Pacem.  —  Mnemosyne  NS.  XXIV,  1896,  p.  199—209.  — 

Herwerden  bringt  etwa  80  Verbesserungsvorschläge  zu  Dübners 
Texte  der  Schollen  zu  Aristophaues'  Frieden.  Neben  zahh-eichen  leichten 
Emendationen  finden  sich  auch  nicht  wenige  kunstvollere  Verbesse- 
rungen, durch  welche  ein  nicht  gerade  an  der  Oberfläche  liegender 
Schaden  geheilt  wird.  Vollständig  sicher  ist  z.  B.  gleich  die  erste 
Konjektur,  durcli  welche  in  der  ersten  Hypothesis  Z.  14  Dübner  p.  169 
a'fxa?  aus  v.  298  eingesetzt  wird  und  zwar  statt  des  überlieferten  a'iia. 
Sehr  bemerkenswert  ist  z.  B.  die  Herstellung  zweier  Verse  der  Medeia 
des  Morsimos.  Die  Verse  1013 — 1014  der  Friedenskomüdie  oXoixav  oXo- 
jxav  a-oyr^pajöst;  )  xa;  iv  -reuxXoiJi  Xo/£uoiA£vac  |  werden  als  eine  Parodie 
der  Klagen  der  Medeia  nach  der  Ermordung  ihrer  Kinder  bezeichnet. 
Die  Vorlage  wird  demnach  in  folgender  Weise  restituiert-  oXojxav  oXo- 
}jLav  ^'"oyrjfiiuösT;',  |  rl  39'  ev  xafiaTOiJi  XoysujajxEva.  |  —  Allzuschuell  wird 
bei  dem  Schol.  zu  v.  1204  der  Vorwurf  gegen  Dübner  erhoben,  er 
habe  nicht  gewußt,  daß  die  Worte:  -0  •AE'npo^^  £7xaT£A£t:re  toTc  axpoo)- 
jj-Evot;  einem  bekannten  Verse  des  Eupolis  angehören.  Dübner  citiert 
die  Stelle  des  Eupolis  in  der  Adnotatio  p.  477  genau  am  richtigen 
Orte  unter  1204,  42.  Auch  Dindorf,  dessen  Oxforder  Ausgabe  die 
Grundlage  der  Didotächen  bildete,  gibt  diese  Verweisung,  so  daß  sie 
Dübner  zum  mindesten  daher  kennen  mußte.  Dübner  kannte  die  Verse 
aber  auch  aus  den  Schollen  zu  den  Ach.  529,  wo  er  die  ganze  Stelle 
des  Eupolis  abdruckte.  Und  was  soll  überhaupt  ein  solcher  Vorwurf 
bezüglich  eines  Verses,  den  weitaus  Geringere,  als  Friedrich  Dübner 
war,  ausw-endig  hersagen  können!  — 

P.  S.  Photiadis,  Niiuxspai  xivs;  c/va7vu)jei?  et?  xa  ei?  xov  'Apiaxo- 
cpavT)  'EXXT)vixd  cr/oXia.    -   'A.V«  X,   1898,  S.  94—96.  — 

Der  Verf.  behandelt  einige  Stellen  der  Hypothesis  zur  Lysistrata. 
Bei  Dübner  p.  248  Z.  6  löst  er  das  überlieferte  sinnlose  IEwki'ou?  e|x- 
TiptXa;  nicht  mit  Dübner  in  e^cu  «7:1063^?  £i?  -axpi'oas  auf,  sondern  in 
eStuxi-/a;  o{jLrjpioot;  und  schreibt  weiterhin  xaxaX£tTr£t  ornfftu.  Der  ziemlich 
genaue  Anschluß  an  den  Vers  244  der  Lysistr. :  xa?8l  0'  öjxr^pou?  xa- 
xaXi'f  rjjjLiv  evf)ao£  ist  hier  vielleicht  wirklich  anzuempfehlen.  Die  Fe- 
mininform 6|j.rjptc,  die  der  Thesaur.  Steph.  nicht  kennt,  käme  dabei  auf 
die  Rechnung  der  späten  Gräzität  des  Scholiasten.  —  Weniger  über- 
zeugend ist  mir  die  Bemerkung  zu  Dfibn.  p.  248  Z.  26,  wo  das  unver- 
ständliche xal  xac  -pox£pac  y'jvzixcüc  Steht.  Dübner  versteht  dies  wohl 
richtig  als  xa  -epl  xa;  vuvaixas.  Hingegen  Photiadis  hält  xal  xa  xaxd 
xa?  scpsxe'pa?  -(uvaixa?  für  das  Ursprüngliche.    (Vgl.  v.  999.)  —  Im  letzten 

19* 


292     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

Teile  der  Kypothesis  schließen  zwei  Sätze  mit  dr.ojzillo'j'ji.  Das  zweite 
a-noTce'XXoucj'.  ergibt  keinen  Sinn.  Hier  schreibt  Photiadis  nach  v.  1042 
mit  Recht  auateAXovxat.  In  der  IJrklärung  des  Schreibfehlers  kann  ich 
ihm  nicht  folgen,  da  es  sich  um  eine  einfache  Dittographie  handelt.  — 

C.     Arbeiten  über  die  Fragmente  der  griechischen  Komiker. 

a)  Fragmente  des  Epicharnios,  Kratinos,  Aristophanes  nnd  anderer  alter 

Komiker. 

Th.  Gomperz,  „Ein  griechisches  Komödienbruchstück  in  do- 
rischer Mundart".  Mitteilungen  aus  der  Sammlung  der  Papyrus 
Erzherzog:  Rainer,  Bd.  V,  1889.   — 

Die  Entzifferung  des  Papyrus  ist  ein  Verdienst  Wesselys,    der 
die  Datierung  der  Schrift  nicht  über  das  Zeitalter  des  Kaisers  Augustus 
hinabrücken    zu    dürfen    glaubt.     Die    literargeschichtliche  Bestimmung 
und  kritisch- exegetische  Behandlung  des  Fragmentes  übernahm  Theodor 
Gomperz.     Das  Fragment    besteht    aus    10   am  Anfange  und  am  Ende 
verstümmelten  trochäischen  Tetrametern,  zwischen  denen  sich  nach  v.  6 
eine  größere  Lücke  befindet,    so  daß  ein  unmittelbarer  Zusammenhang 
der   zwei  Verspartien  1—6    und    7—10  nicht  behauptet  werden  kann. 
Außerdem    sind    einige  Zeilen  Schollen    zur  Stelle   erhalten.     In  .über- 
zeugender Weise  weist  Gomperz  das  Fragment  dem  'Oouacjsuc  auxo'ixoXoc 
des  Epicharmos  zu.    Wichtig  zu  wissen  ist,  daß  dieses  Bruchstück  das 
erste  und  bis  jetzt  einzige  durch  direkte  tjberlieferuug  auf  uns  gelangte 
Epicharmosfragment   ist,    insofern  es  nicht  als  Citat  eines  Autors  oder 
als  Stück  einer  Anthologie,  sondern  als  Blatt  einer  Epicharmosausgabe 
erhalten  blieb.    Daher  ist  sehr  beachtenswert,  daß  der  Dorismus  dieser 
Verse   ein  schwererer  ist  als  derjenige,    der  uns  in  den  indirekt  über- 
lieferten Bruchstücken  des  Dichters  entgegentritt.  —  Auch  die  Schollen 
sind  interessant,  insbesondere  durch  die  Nennung  des  Aristoxenos,  der 
sich  augenscheinlich  mit  Epicharms  Werken  eingehend  befaßt  hatte.  — 
Von  geringerer  Bedeutung  für  die  Epicharmosstudien  ist  das  von 
Mahaffy   in    den  Flinders-Petrie  Papyri  Tafel  III,  1  herausge- 
gebene, bisher  unbekannte  Fragment,  das  durch  die  Überschrift  zmyap^ou 
ausgezeichnet    ist.     Es  umfaßt  die  Reste  von  4  jambischen  Trimetern, 
enthält   eine    Sentenz   über    das  Elend    des    menschlichen  Lebens    und 
stammt  augenscheinlich  aus  einer  Anthologie.    Mmmt  man  für  die  Da- 
tierung   dieser  Classical    fragments  das  IIL  vorchristliche  Jahrhundert 
in  Anspruch,    so   ergibt  sich  der  Schluß,    daß  schon  damals  Sentenzen 
des  Epicharmos,  Euripides  u.  a.  in  Florilegien  gesammelt  waren.    Nach 
dieser    literargeschichtlichen  Seite    hin    kommt    also    auch  diesen  sonst 
wenig  interessanten  Zeilen  eine  hohe  Bedeutung  zu. 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger.)     293 

A.  Papadopulos-Kerameus,  Lexicon  Sabbaiticum.    Petropoli 
1892.  — 

Papadopulos  hat  dieses  Lexikon  im  J.  1887  in  Jerusalem  in  dem 
cod.  Chart.  CXXXVII  bibliothecae  Sabbaiticae  entdeckt.  Es  bildet  den 
Schluß  der  Handschrift  auf  fol.  162—169.  Der  Herausgeber  schätzt 
die  Handschrift  auf  das  XIV.  Jahrh.  —  Theodor  Kock  behandelt 
diesen  Fund  eingehend  in  dem  Aufsatze:  „Komiker- Fragmente  im 
Lexicon  Sabbaiticum",  1893,  Rhein.  Mus.  579—591.  —  Das  Lexikon 
enthält  etwa  dreißig  bisher  unbekannte  Bruchstücke  von  attischen  Ko- 
mikern. Ich  erwähne  darunter  Kratinos,  Krates  AajjLia,  Pherekrates 
KpaüaraXotc,  Eupolis  Ta^tapyat^,  Aristophanes  'AiJ/ftapato  und  ev  Ni^aoi?, 
Piaton  dii  xaxou(xev(p,  Archippos,  Sti-attis.  Von  Menandros  gibt  es  zwei 
neue  Fragmente.  Das  eine  hiutet  in  der  Handschrift:  vuvl  os  toij  e^  ajisoc 
y.'jvr,-|£-at;  |  f,xo'jji  -£pt7]7rj70[j.at  tol;  d/paöa;.  Kock  schreibt  im  ersten 
Verse:  aursw?,  im  zweiten  empfiehlt  er  op^aoa;  (Bnschdickicht)  statt 
dypaöac.  Kock  meint,  man  müßte  bei  xa?  aypaoa;  an  die  Verkaufsplätze 
der  Holzbirnen  auf  dem  Marktplatze  denken,  und  dies  habe  in  dem 
gegebenen  Zusaranienhauge  keinen  Sinn.  Aber  tac  aypao«;  könnte  doch 
auch  eine  Pflanzung  oder  einen  Bestand  von  Bäumen  bezeichnen,  welche 
Holzbirnen  tragen.  Nur  freilich  macht  die  von  Kock  angeführte  Stelle 
ans  Xenoph.  Kyneget.  10,  19:  Ta-av-ai  ai  apxu?  It:!  .  .  .  -ra  a.'(1f.r^,  xa 
xpr/sa,  7]  si5,3oXai  sisiv  sie  xot?  op^aSa?  xal  xa  eXt)  xai  xa  uoaxa  seine 
Vermutung  sehr  wahrscheinlich.  —  Das  zweite  Fragment  enthält  die 
Glosse  £[jL|^apoc  und  ist  der  'PaT:uo[jL£v7)  des  Menandros  entnommen.  — 
Auch  eine  Anzahl  namenloser  Bruchstücke  attischer  Komiker  findet 
sich  in  dem  Lexikon  gesammelt,  dessen  Artikel  bekanntlich  nur  von 
a-j^TjCTi;  bis  £;atpE3£(oc  oixt]  reichen  und  sonach  bloß  einen  Ausschnitt  aus 
einem  Lexikon  darstellen.  Den  Gedanken,  daß  dieses  Lexikon  in  die 
Lücke  des  Lexikons  des  Photios,  die  von  dStaxpixo?  bis  £7:iuvu|xoi  reicht, 
hineingehöre,   lehnt  Kock  ab. 

H.  Rabe,  Lexicon  Messanense  de  iota  ascripto.  —  Rhein.  Mus.  47. 
1892,  S.  404-413. 

Th.  Kock,  Zu  den  Fragmenten  der  attischen  Komiker.  —  Rhein. 
Mus.  48,  1893,  S.  237—239. 

In  dem  von  H.  Rabe  veröffentlichten  Brachstücke  eines  Lexikons 
(cod.  mon.  S.  Salvatoris  118  membr.  s.  XIII  in  der  Regia  bibl.  Messa- 
nensis)  stehen  mehr  als  zwanzig  bisher  unbekannte  FragmenteJ^von  Ko- 
mikern, darunter  eines  des  Menandros:  NrjpT);  xic  i-\  ozX'fho;.  Die  übrigen 
Komikercitate  gehören  alle  der  alten  Komödie  an.    Auffallend  ist  für 


294     Bericht  über  die  Literatar  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger.) 

Hermippos  der  neue  Titel  Af^ameninon,  der  auf  eine  Parodie  hin- 
weist. Schön  verbessert  Kock  das  auf  fol.  281  r  18 — 20  aus  Kpa-rivoc 
Atovüaoij  izegebene  Oitat:  vixto  {xsv  6  ttjoe  iroXsi  Xe-^wv  xo  Xüjjtov 
(st.  TTool  li'((a  Tov)  und  macht  wegen  des  Gebrauches  von  Xwjtoc  darauf 
aufmerksam,  daß  der  Vers  einem  Chorliede  angehört.  Den  bisher  un- 
bekannten Titel  Atovujot  identifiziert  Kock  mit  dem  Titel  .Aiovuja^iEav- 
Spoi.  Bei  dieser  Annahme  wäre  auch  die  Möglichkeit  ausgeschlossen, 
daß  dieser  Titel  dem  jüngeren  Kratinos  gehöre  und  auf  Alexander  den 
Großen  anspiele.  Vgl.  Kock  Com.  Att.  frag.  I,  p.  23.  —  Ein  Ver- 
zeichnis der  in  dem  Lexicon  Messanense  enthaltenen  Klassikerfragmente 
hat  Rabe  a.  a.  0.  S.  413  zusammengestellt.  Ich  kann  mich  also  auf 
die  Andeutung  beschränken,  daß  sich  darunter  neue  Bruchstücke  aus 
Aristophaues  rrjpac  uud  Arj[j.vtat,  Eupolis  'Aa-rparsuToi  und  Xpujoüv  -^svo;, 
Kratinos  Atovujoi,  DavoTCrai,  HuTivr;,  'ßpai,  Piatons  Nixat,  Havrat  (Sotviptav 
Kock),  <I)au)^>  vorfinden.  Th.  Kocks  Bemerkungen  über  dieses  Verzeichnis 
a.  a.  0.  S.  237  sind  sorgfältig  zu  berücksichtigen.  —  Über  das  Lexicon 
Messanense  vgl.  jetzt  ßeitzenstein,  Gesch.  der  Etymologica  p.  289, 

H.  Richards,  Notes  on  Greek  Comic  fragments.  —  The  Classical 
Review  XIII,   1899,  p.  148-150  und  p.  249—251. 

Der  Verf.  bringt  in  dem  ersten  Teile  dieses  Aufsatzes  13  Kon- 
jekturen zu  den  Komikerfragmenten.  Gelungen  sind  m.  E.  folgende: 
Die  Sentenz  des  Epicharmos  bei  Lorenz  p.  164  „e'fpa  ata?  ö-JYa-nrjp, 
i77ua  oe  C«iJ-ta?"  bespricht  R.  besser  als  Lorenz  und  Ahrens.  Er  bietet 
uns  einen  Tetrameter  eigener  Schöpfung  an :  xsy.vov  177'ja  [xsv  arac, 
e-y^ua?  6e  Ca[JLia.  Ich  halte  das  xh.wv  für  allzu  unsicher  und  würde  mich 
unter  Verzichtleistuncr  auf  die  Herstellung  des  Verses  mit  der  Ver- 
besserung des  offenkundigen  Schreibfehlers  begnügen :  e^-pa  axac  Ou7axY]p, 
l77uac  ÖS  Cafxia.  Gut  ist  die  Verbesserung  von  Alexis  fr.  149,  Kock 
II,  351:  ou/  apyixey.-(uv  ....  oXka.  x-ix  xuiv  ypcDfJi.sviuv.  Dann  liest  der 
Verf.  bei  Philemon  fr.  71,  Kock  11,  p.  496:  r,  aurö  xa-j-aDov  st.  v)  xi 
d^adov,  ferner  bei  Philemon  fr.  90,  Kock  II,  p.  505:  r,  vrj  AI'  aXXo; 
(st.  aXXa)v)  xaiv  avaYxociwv  -{i  xi?,  bei  Menandros  fr.  535,  Kock  III,  p.  158: 
lipo?  xat?  Trlxpai?  Ypa^oust  xov  npo[xr,9ea  mit  leichter  Umstellung  beider 
Wortkola,  schließlich  bei  Men.  fr.  539,  Kock  III,  p.  162:  u'ivnv.  st. 
uYiaivei.  —  Gegen  die  übrigen  Vermutungen  verhalte  ich  mich  ablehnend. 
Richards  liest  bei  Telekleides,  Kock  I,  220:  xa  ok  rA-nrL  (st.  auxa) 
TraÄtv  xaxaßaXXetv.  Das  Richtige  ist  noch  nicht  gefunden.  Gerade  weil 
unter  xa  U  andere  Mauern  zu  verstehen  sind  als  unter  dem  voran- 
gehenden xa  [X£v,  darf  nicht  ravxa  an  die  Stelle  des  fehlerhaften  auxd 
treten.  —  Bei  Piaton  com.  Kock  I,  605:  xou-oi7'.  xot-i  Xs-xoT?  j  apayvioi? 
darf  man  nicht    mit  R.   den  Artikel    xo??    noch    ein    zweites  Mal    vor 


Beriebt  über  die  Literatur  d' r  griecbiscben  Komödie.  (Holzinger.)     295 

dipayviot;  einsetzen.  Besser  ist  Meinekes:  apayviSiotj.  —  Bei  Piaton  com. 
Kock  I,  644:  o-oTs  6'  sittsiv  oioi,  \  oXqov'  oXi'ov'  eXe-|£v  ist  kein  2/  vor 
e'Xe^ev  einzuschieben.  Es  bandelt  sich  hier  um  eine  jodiei'te  Aussprache 
des  7,  welche  auch  die  Quantität  in  eig-entümlicher  Weise  beeinflußt. 
Unnötif?  sind  auch  die  Änderungen  bei  Aristoph.  fr.  388.  Kock  I,  p.  493 
{•Q  St.  r,v)  nnd  bei  Pbilemon  fr.  31,  Kock  II,  486  die  Vertauschung  von 
7ap  und  [xev.  Bei  Men.  fr.  247,  Kock  III,  p.  71  ist  die  Überlieferung 
XoYiufxoü  Tto  o'.a»)£3tbi  als  ein  instrumentaler  Dativ  der  Konjektur  XoYt3[x(p 
Toü  Siaölsf)«'.  vorzuziehen.  Ebenso  ist  bei  Diphilos  fr.  43,  Kock  II, 
p.  553  T:apaßaXio  besser  als  rapaXaHco.  —  Der  zv^eite  Teil  des  Aufsatzes 
Class.  Rev.  XIII,  p.  249  —  251  bringt  30  Konjekturen  zu  den  Fvöiixat 
fxovosTr/oi  nach  dem  Text  Meinekes,  von  denen  einzelne  ebenfalls  Be- 
achtung verdienen.  — 

C.  Pascal,    Di  Epicarmo  e  dei  suoi  rapporti  cou  Lucrezio.    — 
Atcne  e  Roma  III.  1900,  p.  275—282. 

Es  sind  5  Stellen  des  Epicharmos,  welche  Pascal  bei  Lucretius 
verwertet  findet.  Der  Verf.  citiert  die  Verse  Epicharms  nach  den 
Fundstellen  der  Fragmente,  was  bekanntlich  eines  der  modernen 
Mittelchen  ist,  mit  denen  man  jenen,  „die  nicht  alle  werden",  imponiert. 
Zur  Bequemlichkeit  des  Lesers  eitlere  ich  die  Verse  Epicharms  nach 
Mullachs  Ausgabe,  iii  welcher  (Fr.  philos.  gr.  p.  132)  bereits  Lucrez 
III.  359  ff.  als  Nachahmung  Epicharms  (v.  253)  behandelt  wird.  Pascal 
trägt  diese  Gleichung  wie  eine  neue  Entdeckung  vor.  Der  Inhalt  der 
Schrift  Pascals  reduziert  sich  sodann  auf  den  Nachweis  folgender  vier 
bei  Mullach  noch  nicht  berücksichtigter  Entlehnungen:  Lucrez  I,  81  ff. ; 
I,  151  —  Epicharm  v.  5  Mullach;  Lucr.  I,  149—150  =  Epich.  v.  180  ff. 
Mu.;  Lucr.  I,  251—265  -=--  Epich.  v.  190  ff.  Mu.;  und  Lucr.  II,  999—1001 
=  Epich.  v.  263  Mu.  —  Die  Zählung  der  Verse  des  Lucretius  gebe 
ich  nach  Munros  großer  Ausgabe  (1893).  —  Als  beachtenswert  erwähne 
ich,  daß  Pascal  auch  bei  Horaz  zwei  Entlehnungen  aus  Epicharmos 
anmerkt:  Hör.  Epist.  I,  2,  62—63  =  Epich.  v.  271  ilu.  und  Hör.  Epist. 
I,  19,  48—49  -=  Epich.  v.  258  Mu.  —  Letzterem  aus  Aristot.  de  gen. 
anim.  I,  18  geschöpften  Fragmente  hat  Lorenz,  Epich.  p.  271  noch 
nicht  die  Form  eines  Verses  gegeben.  —  Pascal  erwähnt  auch  gelegent- 
lich, daß  Epicharm  in  seinen  Komödien  den  Typus  des  Parasiten  schuf, 
den  die  neuere  Komödie  übernahm.  Eigentümlich  berührt  hierbei  die 
Bemerkung,  daß  die  Alten,  nämlich  Athenaeus  VI,  235 e,  dies  schon 
notiert,  die  Neuereu  aber  wieder  vergessen  hätten  „cosa  che  gli  antichi 
gii\  notarouo  e  i  moderni  obliarono".  Man  traut  seinen  Augen  nicht, 
wenn  man  als  Beispiele  hierfür  Ribbeck  und  Leo  citiert  findet.  Pascal 
weiß  offenbar  nicht,  daß  seine  Entdeckung  selbst  schon  in  dem  kurzer. 


296     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

Bährschen  Artikel  über  Epicharmos  in  der  ersten  Auflage  voa  Paulys 
Realencycl.  vom  J.  1844  als  etwas  Allbekanntes  erwähnt  wird.  Es 
wäre  sehr  zu  bedauern,  wenn  die  jüngeren  italienischen  Philologen  den 
arroganten,  manirierten  und  theopneustischen  Stil  nachahmen  sollten, 
der  in  Deutschland  Mode  zu  werden  droht.  Die  älteren  Gelehrten,  auf 
deren  Forscliungen  das  jetzige  Ansehen  der  italienischen  Philologie  be- 
ruht, haben  die  Leistungen  der  Vorgänger  achtungsvoller  behandelt.  — 

W.  G.  Rutherford,    Conjectnres    in    the    text    of   the    Comici 
Graeci.  —  Class.  Review  XI,  1897,  p.  16 — 17. 

Der  Aufsatz  enthält  12  kritische  Bemerkungen  zu  dem  I.  Bande  von 
Kocks  CAF.  Für  Chionides  Uxw/oi  frag.  6  wird  -wo'  eV  olvov  xoTTTexov 
vermutet,  st.  xcpoe  xoivuv  x.  Daß  man  xapr/o?  mit  "Wein  kochte,  wird  man 
nach  Alexis  Ko.  fr.  186  (II.  p.  366)  gerne  glauben;  aber  ßutherforl 
teilt  leider  nicht  mit,  wie  man  dann  l~\  und  -/.o-xsxov  verstehen  soll. 
Auch  scheint  xoivuv  zur  Verbindung  der  zwei  Verse  des  Fragmentes 
geradezu  notwendig  zu  sein,  falls  sie  überhaupt  zusammengehören. 
Wenn  xo—siv  hier  „gierig  essen"  bedeuten  sollte,  paßt  das  Objekt  olvov 
wieder  aus  diesem  Grunde  nicht.  Neben  olvov  würde  man  eher  xaiixsxov 
dulden  können.  Es  fehlt  hier  an  der  kritischen  Grundlage,,  die  zu  so 
weitgehenden  Änderungen  berechtigte.  —  Die  Behandlung  von  Ekphant. 
fr,  2  beruht  auf  Kocks  Bemerkung:  quae  interpretatio  esse  videtur 
verborum  Ecphantidis.  Nur  hat  ßutherford  die  Lemmata  und  die  dazu 
gehörigen  Schollen  deutlich  nebeneiuandergesetzt  und  Kocks  Aus- 
führung vervollständigt.  Ich  würde  noch  weiter  gehen  als  beide  Ge- 
lehrte und  auch  opap-a  Me7apix6v  Tioieiv  für  eine  bloße  Erklärung  de^ 
Vorangehenden  halten.  So  bliebe  für  Ekphantides  nur  ein  Vers  übrig, 
der  seinem  Abscheu  über  Megarische  Spaße  Ausdruck  gäbe.  —  Die 
übrigen  Vorschläge  ßutherfords  beziehen  sich  auf  Kratinos.  Für 
frag.  9  empfiehlt  der  Verf.  ein  metrum  Cratineum:  w[j.o/a'votc  x6}X7]v 
dßpuvouj'  axi|xiac  tzUok.  —  Für  frag.  18  (Ko.  CAF  I,  p.  18)  schlägt 
er  vor,  bei  Hesychios  zu  lesen:  -up  -üp  'ij/J^  ■  •  ap^ac'Vevo?  .  .  sie  xtv' 
ip  rjxai'psi.  —  Für  frag.  22  ai'ilpsi'  a-j-tvoüvxas  jxe'frj.  —  Richtig  scheint 
mir  die  Bemerkung  zu  fr.  26,  daß  -po?  xriv  7yjv  neben  eppa^s  als  Glossem 
zu  streichen  sei.  —  Es  liegen  noch  Konjekturen  vor  zu  Kratinos  fr.  38 : 
ex'  ouo'  0  |xoi  cppaswv,  zu  fr.  49:  xscoc  evot-oTraxouvxa  xoic  Adxtüctv, 
fr.  57  —  58:  v>'  ov  o'j  ßpoxtJüv  und  TpixxT)  (st.  xpr/)^/]),  fr.  97:  epüi  TioXXrj 
ayokf^,  fr.    124:  yp'jJiSt  jtievoüjv,  avaYpacpsü,  xoi;  ocpejt  Ttieiv  oi'^ou.  — 

A.  N.  Jannaris,   Kratinos  and  Aristophanes  on  the  cry  of  the 
sheep.   —  The  Americ.  Journ.  of  Philol.  XVI,  1895,  p.  46—51. 
Schon  nach  dem  Titel  errät  der  Leser  sofort,  daß  es  sich  wieder 
einmal  darum  handelt,   die  Existenz  des  Itacismus  schon  ans  möglichst 


Beriebt  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     297 

alten  Autoren  nachzuweisen.  Bei  Untersuchungen  dieser  Art  bildete 
der  Vers  des  Kratinos  fr.  43  Kock:  6  o'  rjXi'öio;  tus-ep  zpoJiaTov  ß^  ßr] 
Xe-fojv  ^otot^et  stets  einen  unangenehmen  Stein  des  Anstoßes,  weil  über 
das  Argument,  daß  die  altattischen  Schöpse  nicht  wi  \vi,  sondern  bäh  bäh 
geblökt  haben  dürften,  nur  mit  mehr  oder  minder  schlechten  Spaßen, 
nicht  aber  im  Eruste  hinwegzukommen  war.  Man  sehe  nun,  wie  jetzt 
Jannaris  mit  dem  Verse  des  Kratinos  fertig  wird.  1.  Kratinos  hat  nicht 
BH  BH  geschrieben,  sondern  BE  BE.  Im  Jahre  des  Eukleides  war 
Kratinos  schon  tot.  Aristophanes,  der  im  Alter  sehr  konservativ  war, 
erlernte  das  neue  Alphabet  nicht  mehr.  Auch  Aristoph.  schiieb  BE 
oder  BEE.  2.  Die  Schafe  schreien  überhaupt  nicht  bäh  bäh,  sondern 
nur  bäh  und  nach  längerem  Intervall  abermals  bäh.  3.  Hätte  Kratinos 
beabsichtigt,  den  Maturlaut  der  Schafe  wiederzugeben,  müßten  ß^  ßrj 
durch  eine  Cäsur  getrennt  sein  und  dürften  nicht  einem  Versfüße  an- 
gehören. 4.  Also  habe  Kratinos  hier  die  Kindersprache  nachgeahmt, 
in  welcher  BE  BE  das  Bäh- Schaf  (ba-lamb)  bedeute.  Es  handle  sich 
um  einen  Alten,  der  sich,  wie  Strepsiades  in  den  Wolken  v.  1380  &., 
als  ganz  kindisch  darstellen  wolle.  5.  Der  Anapäst  im  vierten  Fuße 
verstoße  gegen  Porsons  Regel  (Hec.  praef.  XLV).  6.  -p6ßa-ov  habe  zu 
Kratinos"  Zeit  Kleinvieh  bedeutet  und  sei  daher  zumeist  im  Plural 
verwendet  worden.  Also  sei  Coz-tp  -poSa-ov  als  Glossem  eines  Lesers, 
der  den  Text  mißverstanden  hatte,  zu  streichen.  Der  Vers  hätte  also 
bei  Kratinos:  i  o  rjXtÖioc  BEBE  Xeywv  ßaöi'Cei  —  (!)  u  -  —  gelautet.  — 
Vor  allem  ist  gegen  diese  Bemerkungen  einzuwenden,  daß  die  Anord- 
nung des  Eukleides  bekanntlich  nur  den  Schlußpunkt  einer  während 
eines  ganzen  Jahrhunderts  vollzogenen  Reform  darstellte.  Und  wenn 
nun  Kratinos  wirklich  BE  BE  geschrieben  hätte  und  ß^  ßrj  schon  damals 
als  wi  wi  aufgefaßt  worden  wäre,  wie  ist  dann  ß/j  ßrj  in  unsere  Texte 
hineingekommen?  Auch  andere  Einwände  ergeben  sich  von  selbst,  wie 
z.  B.  bezüglich  des  Glossems  und  der  Versverstümmelung.  Die  Be- 
schreibung des  H  und  E  bei  Eur.  fr.  382  N'  -wird  übergangen,  obwohl 
auf  den  Theseus  in  der  Polemik  gegen  Blaß  wegen  der  Kalliasfrage 
Rücksicht  genommen  wird. 

J.  van  Wageningen,    Ad  Archilochum.  —  Sylloge  commenta- 
tionum  quam  Constantino  Conto   obt.  philol.     Batavi.  Lugdnni  1893. 

Diese  kurze  Abhandlung  muß  hier  erwähnt  werden,  weil  das 
Fragment  des  Archilochos  (u  Xizepvfjxs?  ::oXr-ai,  Td[i.a  S-^  Euviexe  {ithlol-:' 
nicht  nur  bei  Kratinos  frag.  198  Kock,  sondern  auch  bei  Aristoph. 
Pac.  603  teilweise  wiederkehrt.  Wie  Hervverden,  Mnemos.  XXIV  p.  203, 
halte  auch  ich  die  Erklärung  des  schon  von  Kallimachos  mißverstandenen 
Ausdruckes   tl)   Xiz£pvr,T£c  =  Ji   aXmepvf^xec  für   so    schlagend,    daß    sie 


298     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödi  •.  (Uülzioger,) 

kt'iner  weitereu  Anempfehlung  bedarf.  Archilochos  spricht  seiue  eigeneu 
Mitbürger  an.  Die  Einwohner  von  Faros  aber  waren  natürlich  darauf 
angewiesen,  ihre  Erzeugnisse  über  das  Meer  («>.?)  nach  dem  Festlande 
zu  schaffen  (TrepvTQfxi).  —  Ich  fü.£;e  folgendes  hinzu.  Das  Fragment  des 
Kratinos  gehört  der  Pj'tiue  an,  welche  an  den  großen  Dionysien  des  J.  423 
gespielt  wurde.  AVenn  nun  Kock  die  Schreibung  Co  )a7i£pv^Ts;  {Uaxal 
anempfiehlt,  wofür  man  von  nun  an  «oXiTrepvyj-sc  Osatai  setzen  wird,  so 
muß  man  wohl  diesen  Ausdruck  des  Kratinos  nicht  bloß  auf  die  see- 
kundigen Athener,  sondern  vielleicht  ebenso  sehr  auf  die  zu  Schiffe 
herbeigeeilten  Festgenossen  beziehen. 

H.  van  Her  wer  den,    Ad  fragmenta  Comicorum.     Mneraos.  NS. 
XXI.  1893,  p.   149-179. 

Th.  Kock,  Epistula  critica.  Mneraos.  NS.  XXI,  1893,  p.  3G1— 365. 

H.  van  Herwerden  behandelt  eine  große  Anzahl  von  Fragmenten 
attischer  Komiker  auf  der  Grundlage  von  Kocks  Ausgabe,  namentlich 
in  kritischer  Beziehung,  und  erhebt  gegen  die  Textvorschläge  Kocks 
zahlreiche  Einwände.  Auf  eine  kleine  Auswahl  derselben  antwortet 
Kock  in  der  an  Herwerdens  Adresse  gerichteten  Epistula  criiica.  Er 
bespricht  darin  6  Komikerfragmente:  1.  Kratin,  fi'.  211  =  Herwevden 
Mnemos.  XXI,  p.  149.  In  seiner  Ausgabe  der  Com.  Att.  Frag,  hatte 
Kock  StiXoZ  (st.  osivou)  cpufjv  fjisXavoupou  vermutet.  Bezüglich  der  Kon- 
struktion hatte  er  angegeben,  daß  das  vorangehende  ejöisiv,  das  den 
acc.  xpi^XYjv  regiert,  nicht  auch  gleichzeitig  den  Genetiv  bei  sich  haben 
könne  und  daß  man  demnach  für  den  nächsten  Vers  eine  Form  wie 
•suaaaöai  erwaiten  müsse.  Herwerdeu  war  also  ganz  in  seinem  Rechte, 
als  er  voraussetzte,  daß  Kock  cpufjv  mit  osi/iou  als  Acc.  der  Beziehung 
verband.  Kock  ist  nicht  berechtigt  zu  antworten,  er  habe  ejöietv  cpuTjv 
verbunden,  und  Herwerden  habe  ihn  mißverstanden.  Übrigens  ist  die 
Fügung  Ejöistv  cpuTjv  wegen  des  vorangehenden  xp'j-fovo;  unmöglich.  — 
Der  Tadel  Herwerdens  bezog  sich  aber  auf  den  Gebrauch  von  cp'j>^,  das 
Kock  allgemein  gleich  cpu3i;  setzt,  also  Talent  und  Charakter  in  gleicher 
"Weise  umfassen  läßt.  Herwerden  hingegen  läßt  cpuv]  nicht  im  Sinne 
von  Charakter  gelten,  wenn  er  osdou  (puyjv  für  ungriechisch  erklärt. 
In  dieser  Beziehung  ist  m.  E.  Kock  im  Rechte.  Allerdings  die  Stelle 
bei  Piud.  Ol.  2,  155  (86)  aocpoc  6  tzoDA  siook  «pu?,  die  er  in  der  Ant- 
wort citiert,  spricht  eher  gegen  ihn,  als  für  ihn.  Aber  anders  steht  es 
bereits  mit  Piud.  Nem.  1,  38  (25):  [xapvajflai  cpuöi.  Bei  der  geringen 
Anzahl  der  verfügbaren  Parallelstellen  würde  ich  auch  unbedenklich 
eucpuT^?  und  xa/ocpurjc  beizieheu.  Ersteres  geht  auf  die  geistige  Begabung, 
aber  xaxo^uY^;  betrifft  bei  Plat.  ßep.  III,  410  den  Charakter.  Meines 
Erachtens  hätte  Pindar  osiXo?  «poi^v  sagen  dürfen.     Kratinos  also  darf 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen   Komödie.  (Ilolzinger.)     299 

es  auch-  sagen,  wenn  die  Stelle  eine  lyrische  Diktion  oder  aber  eine 
literarische  Anspielung  verträgt.  Nach  der  sonstigen  Beschaffenheit  des 
Fragments  ist  also  die  Konjektur  Kocks  unwahrscheinlicli.  —  2.  Für 
das  Frag-.  Menand.  Heniochi  202  v.  4  empfahl  Kock  ai-:ou|j.evou;  st. 
iopu[xevou;,  weil  dieses  part.  perf.  mediale  Bcdeutun'j:  liaben  müßte. 
Herwerden  Mnemos.  XXI,  p.  168  kSmpft  dagegen  mit  einem  Beispiele, 
das  tSpuaasöai  enthält,  natürlich  ganz  vergebens.  Im  Rechte  ist  aber 
wieder  Ilerwerden,  wenn  er  behauptet,  dal.!  man  nicht  fav^en  könne: 
TO'j;  ftcO'j;  aiTEiaiJoti  st.  aivEiv.  Kocks  Gegenbeispiele  sind  unwirksam, 
wie  Xenoph.  Inst.  Cyr.  I,  6,  5:  aiTeiJöat  -zi.fo.da  irapa  ttuv  Heuiv.  Da 
otiTsiaöat,  wenn  ich  nicht  irre,  „etwas  für  sich  verlangen"  bedeutet,  ist 
es  begreiflich,  daß  es  sich  mit  xa-j-oc&a  -apa  tcüv  fJsiöv  verbindet,  aber 
ohne  Beweisstelle  nicht  glaublich,  daß  man  auch  too;  Ueoü;  ahzii\)ai 
gesagt  habe.  —  3.  Bei  Anaxandrid.  fr.  iuc.  54,  v.  6:  ypr,  -/ap  ei;  cI/Xov 
(pepsiv  I  aravö'  6V  ov  ti?  xaivo-r,-:'  c"/£tv  oov.f^  bemängelt  Herwerden  p.  158, 
daß  Kock  oTav  -t;  st.  oj  a'v  -i;  empfohlen  habe;  ooxeiv  sei  =  voiii^stv 
und  der  Index  Jacobii  bringe  dafür  Beispiele.  Mit  Recht  verwahrt  sich 
Kock  dagegen,  daß  er  diesen  Sprachgebrauch  nicht  gekannt  haben  sollte. 
Er  habe  vielmehr  ebenfalls  ooY.f^  ^  ''OfjLtl^O  verstanden  und  habe  aravU' 
als  raasculinum  genommen.  Dann  ist  aber  Herwerden  im  Rechte,  wenu 
er  die  überlieferte  La.  vorzieht.  —  4.  Fraij.  com.  ine.  405  stellte 
Kock  aus  Aristeid.  I,  2  t)df.  her:  dvi^pwTrwv  -ji  toi  |  ocpÄsiv  -^iXwTo.  xpeiTrov 
T,  fi£[jL'{/iv  Ocüiv.  Herwerden  p  176  tadelt  dieses  Fragment,  weil  man  zu 
j>agen  pflege :  av{)piu-o'.j  -jEAtuTa  ocpXeiv.  Kock  verteidigt  sich  mit  der  Be- 
merkuDg,  daß  man  unterscheiden  müsse,  ob  die  Tadelnden  anwesend 
j-eien  oder  nicht  auwesend;  ocpXEiv  ix£[i.'];iv  Usüiv  stehe  doch  bei  Aristeides. 
Kocks  Rekonstruktion  des  Verses  ist,  sobald  man  von  \).i[i'\iv/  ilsuiv  aus- 
geht, folgerichtig.  Man  kann  dem  Dichter  nicht  zumuten,  daß  er 
innerhalb  der  gewollten  Antithese  zuerst  avDpwrot;  und  dann  ftsüiv 
schreibe.  Zudem  ist  ävi)pa)-(ov  gewissermaßen  unpersönlicher  gesagt 
als  avöpcu-o'.c.  Die  Gleichmacherei  kann  uns  iri  solchen  Fällen  um 
manche  unerwartete,  aber  feine  Konstruktion  bringen.  Bedenkt  man 
aber,  daß  die  Antithese  nicht  mit  Oswv  begann,  wobei  der  Genetiv 
minder  seltsam  klingt,  sondern  mit  avOpconoc,  so  könnte  der  Vers  doch 
auch  gelautet  haben:  avHpw-o'.c  ^s  to».  I  o'fXsiv  -(Ümvx  /psiTrov  fj  ijle|x({*iv 
\)zoU.  —  5.  Für  Aristoph.  fr.  iuc.  640  hatte  Kock  von  Nanck  Philol. 
VI,  415  die  Wortform  sca/oiviy.ov  übernommen,  welche  Herwerden,  der 
Mnemos.  VI,  p.  62:  i;  yoivixwv  geschrieben  hatte,  Mnemos.  XXI, 
p.  155  ablehnt.  Kocks  Beispiele  für  analoge  Bildungen  scheinen  seine 
La.  hinreichend  zu  stützen.  —  6.  Aristoph.  fr.  ine.  320  v.  15.  Her- 
■werden  p.  154  behauptet,  daß  su-ett^;  und  E-j/sp/jC  nicht  der  komischen 
Diktion  angehören.    Bezüglich  Eu/sprjj  ist  Kock  durch  den  Ind.  Jacobii 


300      Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger.) 

gedeckt.  Daß  zur.tTTfi,  das  so  vortrefflich  in  die  lamben  hineiDpaßt, 
sonst  bei  Komikern  nicht  zu  lesen  ist,  muß  doch  von  der  Konjektur 
EÜTiETtoc  abraten.  —  Unter  den  zahlreichen  kritischen  Bemerkungen 
Herwerdeus,  die  Kock  nicht  bespricht,  linden  sich  noch  manche,  welche 
die  Beachtung  künftiger  Herausgeber  verdienen.  — 

E.  Piccolomini,  Di  una  reminiscenza  Soloniaua  presse  Cratino 
e  presso  Aristofane,  Kendiconti  d.  K.  Acc.  d.  Lincei,  Serie  V, 
vol.  IV,  1895,  p.  69—85.  — 

Der  Verf.  beschäftigt  sich  in  diesem  Aufsatze  mit  Solon  fr.  11 
Bgk.  V,  5—8,  mit  Kratinos  fr.  128  Kock  und  zuletzt  mit  Avistoph. 
Ri.  752  ff. 

Kratinos  knüpft  bekanntlich  mit  seiner  Mahnung  an  die  Athener: 
Gjxolv  El?  [XEv  exaGTos  aXwTTTj^  otupoSoxeiTai  (owpoSoxei  ti  Kock)  au  Solons 
Vorwürfe  an:  ü[J!.£ojv  6'ei?  }jl£v  exaato;  aXujTTExo;  lyvecti  ^aivEi,  |  cju|x-a(Jiv 
ö"u|jlTv  XOÜ90?  Ive-jTi  vooc.  t  £i;  "/ap  '[Xwjjav  opaxE  xai  Et;  e'-qc  dioXov 
dvSpo;,  1  ei;  £p7ov  o'ouoev  7i7vo|X£vov  [iXiT:tTB..  |  —  Tür  den  Vers  des  Kratinos 
schlägt  nun  Piccolomini  die  Schreibung  öwpoöoxEi  oe  vor  und  meint,  daß 
Kratinos  zwar  mit  Solons  Gedanken  anfänglich  harmoniere,  denn  aber 
in  dem  owpoooxET  os  sich  Trapd  Tipocooxiav  von  dessen  bekanntem  Aus- 
spruche entferne.  Bezüglich  des  öcupoooxEi  oe  verweist  Piccolomini  auf 
die  einander  entgegengesetzten  Sprichwörter  bei  Suidas  s.  v.  dAtuzT)^, 
Apostolios  cent.  II  17,  Lex.  Seguer.  5,  Bkk  Anecd.  p.  218,  29  Zenobios  I, 
71,  Diogeuian.  II,  18,  Gregor.  Cyp.  I,  26  hin.  Dabei  geht  der  Verf. 
stets  von  dem  Gedanken  aus,  der  Fuchs  sei  zwar  schlau,  lasse  sich 
aber  doch  durch  Lockspeisen  fangen.  Vielleicht  wollte  aber  Kratinos 
gerade  das  Gegenteil  sagen,  daß  sich  die  Schlauheit  des  Politikers  in 
seiner  Vorsicht  bei  Bestechungen  zeige:  TtapotiJ.ta.  dXtoTnf)^  otupoSoxeTxai 
Im.  Tuiv  jjLTj  potoi'w?  ocupoic  -Eiflop-Evojv  Suid.  Bernhardy?  Meines  Erachtens 
läßt  sich  dies  nicht  sicher  entscheiden,  weil  der  Vers  des  Kratinos  ver- 
einzelt überliefert  ist.  Der  Gegensatz  zu  tl;  [xev  Exaaxo;  bei  Kratinos 
war  vielleicht  ebenfalls  ein  cru[x-avT£s  wie  bei  Solon!  z.  B.  eic  \ih  sxajtoc 
ufj-ülv  ou  paotw;  aXiV/siai,  aujxTiavTa;  oe  pdar'  dv  ti;  eXoi.  Wer  Vermag  den 
fehlenden  Zusammenhang  zu  erraten?  —  Piccolomini  behauptet  ferner, 
daß  auch  die  Verse  des  Aristophanes  Ri.  752  ff.  auf  die  Solonische 
Mahnung  des  fr.  11  zurückführen.  Hierbei  gibt  er  eine  Ergänzung  zu 
seiner  in  den  Rendiconti  HI,  p,  8 — 18  ein  Jahr  vorher  publizierten  Er- 
klärung von  E[x-ooiCu>v  ij/doac:  „Demos  diventa  un  balordo,  sta  a  bocca 
spalancata  come  per  abboccare  i  fichi  secchi."  Die  trockenen  Feigen 
seien  hier  ihrer  Süßigkeit  wegen  mit  den  süssen  Reden  der  Volks- 
schmeichler in  Vergleich  gezogen.  Daß  hierdurch  ein  fremdartiges 
Element  in  den  Sinn    der  Stelle  hineingebi-acht  wird,    zeigt  am  besten 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     301 

Jer  diesmal  auch  von  P.  herbeigezogene  Ausdruck  Ks-/r,vaiv(uv  -o>.'.;.  dessen 
Erklärung  mit  der  Auffassung  von  yiyr,v£v  in  Ri.  v.  756  parallel  laufen 
muß.    Vgl.  das  von  mir  zu  dem  eben  citierten  Aufsatze  Gesagte     S.  207. 

W.  Headlam,    Critical    notes.  —  The    Classical    Review  XIII, 

1899,  p.  5-8.  — 

Headlam  bringt  zu  dem  1.  Bande  der  Fragm.  Comicorum  Theodor 
Kocks  etwa  40  Konjekturen,  zu  dem  II.  und  dem  111.  Bande  je  45  Ver- 
mutungen. Sie  werden  größtenteils  ohne  Erläuterungen,  ohne  Belege 
und  selbst  ohne  Angabe  des  Kockschen  Textes ,  der  verbessert  werden 
soll,  mitgeteilt,  so  dal.l  ihre  Beurteilung  nur  nach  eingehendem  Studium 
des  von  Kock  dargeboteneu  Materials  erfolgen  kanu.  Ich  beschränke 
mich  auf  die  Vorführung  zweier  Stichproben. 

Headlams  Vermutung  zu  Chionides  frag.  6:  y.a--cTov  statt  xo-rsrov 
ist  so  naheliegend,  dail  man  unvdllkürlich  darauf  verfällt.  Vgl.  meine 
Besprechung  (S.  296)  von  ßutherfords  Conjectures  (Classical  Review  XI, 
p.  16).  Aber  es  bleibt  die  Frage  offen,  ob  man  xaTrxeiv  mit  irv.  t(u 
-Tapi/si  konstruieren  könne  und  Headlam  gibt  uns  bei  seiner  Methode  auf 
diese  natürliche  Frage  keine  Antwort.  — 

Bei  Kratinos  frg.  85:  'Axearopa  ^ap  (/[xojc  ei/oj  XaJ^siv  |  -XYj-fa;, 
sav  |jt.Ti  (j'jjrps'Lr;  to:  -pa-jjjLaTa  schreibt  Headlam:  'Ax£3-op'  arap  o[xü)c  x'^X. 
GeUiutige  Verbindungen. sind  bekanntlich  aXX'  ojjlu?  und  op-toc  oi  "Ver- 
einzelt findet  sich  auch  dxap  o\no^.  Hingegen  wird  ^otp  ojxtoj  weniger 
leicht  zu  belegen  sein.  Dazu  kommt  dann  noch  der  unangenehme  Versiktus 
auf  der  Schlullsilbe  von  'Axea-opa,  worauf  schon  Meineke  aufmerksam 
machte.  Bergk  vermutete:  'Axes-cop'  ejii  rap'  o[xü);  und  Headlams  Kon- 
jektur: aTap  o[j,(o;  hat  also  nicht  unbeträchtliche  Gründe  für  sich.  Da- 
gegen steht  aber  die  Tatsache,  dal.l  wir  die  Verbindung  des  Fragments 
mit  dem  Vorangehenden  nicht  kennen  und  daher  nicht  wissen,  ob  nicht 
der  Name  Akestor  gerade  durch  das  ^ap  und  den  Versiktus  gegenüber 
anderen  Eigei.naraen  in  der  Stelle  hervorgehoben  werden  sollte.  Und 
wenn  mit  dem  'Axs'crcop'  das  Satzkolon  abschloß,  warum  läuft  das  Citat 
bei  dem  Scholiasten  zu  Aristoph.  Av.  31  nicht  so,  daß  es  mit  'Axe'uTop' 
endet  und  das  Verbum  einschließt,  von  dem  dieser  Accusativ  abhängen 
soUV  Da  Headlam  seine  Vermutung  ohne  alle  Begründung  hinstellt, 
vermag  ich  sie  nicht  für  gesichert  zu  halten.  Von  genauer  Lektüre 
der  Komikerfragmente  zeugen  aber  Headlams  Konjekturen  jedenfalls  und 
ihr  Studium  wird  daher   für  künftige  Herausgeber  von  Nutzen  sein.  — 

H.    Richards,     Further     emendations     of    the     Greek     Comic 
Fragments.  —  Class.  Ilev.  XIII,  1899,  p.  426—428.  — 

In  dieser  Abteilung  der  Bemerkungen  Richards'  zu  den  Fragmenten 
dei"  griechischen  Komiker  und  zwar  speziell   zu  Theodor  Kocks  Texte, 


302     Bericht   über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzingt-r.) 

würde  icli  doch  wenigstens  ein  Dritteil  als  sehr  tüchtige  Bemerkungen 
bezeichnen  müssen.  Unsicher  bleibt  für  Pherekrates  fr.  95  die  Ver- 
mutung e-f/apu[iotaat,  da  das  bei  Athen.  XI,  p.  485  D  überlieferte 
exyapußötaai  durch  die  Glosse  des  Hesychios  l^syap-jl^öijf)/)  geschützt 
wird.  J3arum  haben  Kaibel  und  Meineke  und  Kock  nichts  geändert.  — 
Zu  Antiphaues  fr.  191  v.  18  ist  richtig  bemerkt,  daß  6icp7.r)iJ.e'va  als  Aus- 
liruck  für  die  der  ersten  Sceue  einer  Tragödie  vorausliegende  Fabel 
nicht  festgehalten  werden  kann.  Aber  der  Vorschlag'  6iax£i}j.eva  be- 
friedigt auch  niclit.  Bei  Alexis  fr.  245  v.  6  setzt  Richards  den  Hei- 
strich nach  TiaXiv,  während  Kock  ttocXiv  zum  nächsten  Verse  zieht.  Bei 
Alexis  fr.  245,  v.  15 — 16,  wo  es  sich  um  Eros  handelt,  schreibt  der  Verf.: 
oux  oi8'  0  Ti  eaTi'v,  aXX'  0{xu>?  s'/cu  (st.  e"/^')  7^'  "^^  I  '^oioZxoy,  £776?  t' 
£t|xl  Toü  voar^fjiaToc  (statt  Touvo[j,a-o;).  So  wird  die  Stelle  wenigstens  ver- 
ständlich. —  Bei  Tiniokles  fr.  6,  v.  6  schiebt  er  wegen  der  Redensart 
mit  Tzpos  ein  äv  ein:  t   wv.  — 

Für  Philemon  fr.  213  v.  2  empfiehlt  Richards  asauTto  st.  Gsau-ov> 
und  für  Philemon  fr.  89,  v.  10  Meinekes  xaiV  hi  tojo'jtouc.  —  Die 
iibrigen  10  Bemerkungen  scheinen  mir  verfehlt  zu  sein.  Wenn  Richards 
bei  Piaton  com.  fr.  153  irirTovri  (st.  TriTTTr^ai)  vorschlägt  und  sich  auf 
Plat.  Rep.  370  E:  Jiv  av  auToü  xpsta  als  Analogen  für  die  Ellipse  von 
v^  stützen  will,  so  hat  er  nicht  beachtet,  daß  doch  ypeia  ein  Substantiv 
ist  und  der  Fall  ganz  anders  liegt  als  bei  seiner  Konjektur.  Auch 
Piaton  com.  fr.  183  wird  durch  die  Schreibung  TravTayodev  st.  -avta/oü 
und  durch  die  Wortumstellung  noch  nicht  wirklich  geheilt.  —  Bei 
Aristomenes  fr.  4:  Itisio-?)  tou?  üpuxavsic  TiposTQXOojxev  ist  der  Mangel  einer 
Präposition  richtig  hervorgehoben.  Aber  R.  setzt  si;  vor  tou;,  wälxi-end 
die  Fügung'  eher  eines  T:p6c  oder  Ird  bedarf,  die  doch  das  Metrum 
ausschließt.  Unnötig  ist  bei  Antiphanes  fr.  191,  v.  6  die  Änderung  ^-^ 
St.  cpw,  bei  Philemon  fr.  79,  v.  5  oi|;ov  st.  oiov  ,  bei  Theophilos  fr.  1, 
V.  3  -flöetv  st.  sloov.  Bei  Philemon  fr.  79,  v.  26  ist  Porsons  oxav  jxovov 
der  neuen  Konjektur  ovxa?  orav  vorzuziehen.  Bei  Kratinos  jnn.  fr.  10 
liest  R. :  oux  oloa  [xev,  utrovocj  ö'r/eiv,  bei  Alexis  fr.  240,  v.  4:  xatvö; 
9^iveiv  T£  TT)v  ETzioucjav  au  TiaXiv  und  bei  Philemon  fr.  4,  v.  9  xotvouc 
und  xaxEcjxsuaaixEvou;  an  Stelle  der  überlieferten  Feminina.  — 

F.  Hultsch,   Zu  dem  Komiker  Krates.  — Neue  Jahrb.   149.  Bd. 
1894,  p.  165—178.  — 

^Dieser  metrolo^^ische  Artikel  befaßt  sich  mit  dem  Fragmente  der 
Lamia  des  Krates:  yjjxiextov  e^Tt  ypuaoü,  [xav8av£i;,  oxxu)  'ßoXoi.  ^  Kock, 
Com.  Att.  Frag.  I,  p.  136,  frag.  20.  —  Hultsch  verteidigt  die  über- 
lieferte Lesart  und  die  schon  von  Böckh  aufgestellte  Ansicht,  daß  man 
unter    fiixiexTov    ypuaou  „eine    sehr    leicht    ausgemünzte  oder  stark  mit 


Bericht  über  die  Literatur  der  griecbischen  Komödie.  (Uolzioger.)     30."^) 

Silber  legierte  Goldmünze"  zu  verstehen  habe.  Hultsch  ist  der  Meinung-, 
daß  die  Wertgleichung  mit  8  attischen  Obolen  auf  ein  /jIai'extov  von 
Phokaia  oder  Kyzikos  hinweist.  Der  Aufsatz  ist  inbesoadere  gegen 
Th.  Reinach  (Les  origines  du  bimetallisme,  vgl.  Berl.  phil.  Wo.  1894, 
Sp.  297  fF.)  gerichtet,  der  keine  andere  Deutung  von  fjiJ-iExtov  als  die 
eines  Getreideniaßes  für  zulässig  erklärt.  Auch  Herwerdeiis  Schreibung 
Xpuj£  st.  ypu-o'j  wird  abgelehnt.  — 

0.  Crusius,  Eupolis  fr.  27G  Kock.  —  Philologus  LI,  1892, 
p.  6G3. 

Um  die  Aufzählung  verschiedener  Personen,  welche  den  Inhalt 
dieses  Fragmentes  des  Xpuuoüv  Fsvo;  bildet,  zu  erläutern,  zieht  Crusius 
frag:  Eupol.  28G  Kock  bei:  apiflixsTv  Usaxct;  «j/ocji-fjiay.ocjtouc.  Hiernach 
würden  also  vom  Komiker  einige  Zuschauer  aus  der  Älemie  herausge- 
f?riffen  und  verspottet.  Crusius  weist  dabei  auf  Aristoph.  Vesp.  75 — 85 
als  auf  einen  ähnlichen  Fall  hin,  wobei  die  Bemerkung  einfließt,  daß 
der  Scholiast  mit  seiner  Notiz  zu  Vesp.  75:  tive;  dt^ioi^^jotta.  yotptsjTspov 
M  X£7£abai  atixa  auvsyüij  rpo;  ivo;  gegenüber  den  modernen  Ausgaben 
das  Richtige  treffe.  — 

0.  Crusius.  Sur  un  fragment  poetique  dans  les  papyrns  Gren- 
fell.  —  1898.  Mölauges  Henri  Weil,  p.  81—90.  — 

Crusius  behandelt  Brit.  Mus.  Pap.  DCXCV  a,  publiziert  von  Greu- 
fell  und  Hunt  in  den  New  Classical  Fragments  and  other  Greek  and 
Latin  papyri,  Oxford,  1897,  pag.  24.  Der  Papyrus  enthält  in  einer 
abgebrochenen  Kolumne  die  Anfänge  von  7  aufeinander  folgenden  Tri- 
metern  und  den  Anfang  eines  auapästischeu  Systems.  Links  davon 
stehen  in  7  Zeilenresten  die  Schlußworte  von  Schollen.  In  der  siebenten 
Textzeile  hatte  Mahaffy  durch  Konjektur  xaxa  ttjv  McXavi~[T:rjV  her- 
gestellt. Hierauf  beruhte  die  bei  Grenfell  und  Hunt  gegebene  Ver- 
mutung, daß  das  Fragment  der  Melanippe  Desmotis  des  Enripides 
angehöre.  Heinrich  Weil  bezweifelte  in  der  Revue  des  Etudes  grec- 
ques  X,  p.  8  die  Abstammung  der  Verse  aus  einer  Tragödie.  Die 
Zugehörigkeit  der  Schollen  zu  dem  Texte  hatte  Friedrich  Blaß  im 
Centralbl.  1897,  p.  10  in  Abrede  gestellt.  Crusius  hat  nun  das  Frag- 
ment einem  eingehenden  Studium  unterzogen  und  beweist  mit  über- 
zeugenden Gründen,  daß  die  Verse  einem  Komiker  angehören  und  daß 
die  Scholienbcmerkungcn  sich  an  den  überlieferten  Text  anschließen. 
Auch  die  weitergehenden  Vermutungen,  die  Crusius  über  den  Inhalt  der 
Verse  und  über  den  Namen  des  Dichters  und  des  Stückes  aufstellt, 
sind  beachtenswert.  Es  handelt  sich,  meint  Crusius,  um  eine  Scene  in 
der  Unterwelt,  um  eine  komische  Nekyia.  Unter  den  Missetätern, 
welche  für  ihre  Frevel  büßen,  wird  auch  Euripides  gezeigt.    Schwatzende 


304     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen    Komödie.  (Holzingcr.) 

Frauen  umstehen  den  Weibeihasser  und  räclieu  sich  au  ihm.  Crnsius 
weist  diese  Scene  dem  Ger3'^tades  des  Aristophanes  zu  und  bringt  sie 
mit  anderen  Fragmenten  dieser  Komödie  in  Zusammenhang.  — 

H.  Weil,  Nouveaux  fragments  de  Menaudre  et  d'autres  classiques 
grecs.  —  Journal    des  Savants     1900,    Februarheft,  p.  95 — 106.  — 

G.  Fraccaroli,  Bricciole  dai  papiri  di  Ossirinco.  —  Rivista  di 
filol.  XXVIII,   1901»,  p.  87-89 

H.  Her  werden,  Ad  papyros  graecos.  Mnemos.  NS.  XXVIII, 
1900,  p.  122—125.  — 

Fraccaroli  behandelt  das  von  Greufell  und  Hunt  im  II.  Bande 
der  Oxyrhynchos-Papyri  p.  20—23  als  No.  CCXII  herausgegebene  und 
zumeist  von  Friedrich  Blaß  (ebenda)  hergestellte  Fragment  eines 
Komikers,  in  welchem  bereits  die  englischen  Herausgeber  den  Aristo- 
phanes vermuteten.  Auch  ihre  speziellere  Vermutung,  daß  das  Fragment 
den  zweiten  Thesmophoriazusen  angehört,  ist  nicht  nur  mit  großem 
Scharfsinn  aufgestellt,  sondern  auch  sehr  wahrscheinlich.  Das  Nähere 
hierüber  mag  man  bei  ihnen  selbst  nachlesen.  Von  den  drei  zusammen- 
gehörenden Stücken  des  Fragmentes  umfaßt  das  mit  Col.  EI  bezeichnete 
20  aufeinanderfolgende  Verse,  deren  Inhalt  von  den  Herausgebern  p.  20 
als  dunkel  bezeichnet  wird. 

Bei  diesem  Punkte  setzt  die  Arbeit  Fraccarolis  ein,  der  in  einer 
sehr  einleuchtenden  Weise  einen  Olisbos  als  Gegenstand  des  Gespräches 
zweier  Frauen  nachweist.  Unter  der  Voraussetzung  dieses  Zusammen- 
hanges hat  Fraccaroli  auch  eine  Anzahl  der  am  Ende  verstümmelten 
Verse  sinngemäß  ergänzt.  —  Das  Alter  der  Schriftzüge  schätzen  die 
Herausgeber  auf  den  Schluß  des  ersten  christlichen  Jahrhunderts  und 
spätestens  auf  die  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts.  — van  Herwerden 
behandelt  dasselbe  Fragment  in  eben  demselben  Sinne,  der  sich  auch 
mir,  wie  gewiß  auch  vielen  anderen  Lesern  gleich  bei  dem  ersten  Blicke 
aufgedrängt  hatte.  Ich  finde  nachträglich,  daß  auch  von  Wilamowitz, 
Götting.  gel.  Anz.  1900.  p.  34  die  gleiche  Vermutung  aussprach.  Auch 
Herwerden  teilt  das  ganze  Fragment  mit  und  ergänzt  viele  Verse  in 
sinngemäßer  Weise.  Der  Wortlaut  der  Ergänzungen  Herwerdeus  ist  in 
einigen  Fällen  wahrscheinlicher  und  uäherliegeud  als  die  Konjekturen 
des  italienischen  Gelehrten.  Dieser  hat  dafür  auch  die  Lücken  der 
Verse  11  flf.  auszufüllen  gewagt,  von  denen  Herwerden  sagt:  De  corri- 
gendis  et  interpretandis  vss.  11  sq.  despeiare  me  confiteor.  In  der  Tat 
kann  wohl  auch  Fraccaroli  mit  seinem  Schlüsse  des  12.  Verses  xal 
rovou  (sie)  fe  SiaTptßfj  nicht  das  Richtige  getroffen  haben.  Unrichtig 
ist  bei  Herwerden  die  Altersangabe  des  papyrus,  wenn  er  sagt:  „ex  edi- 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzlager.)     305 

torum  seutentia  medii  seculi  secimdi  p.  Chr.  iion  autiquiore".  Die 
englischen  Herausgeber  sagen:  The  date  of  the  MS.  can  hardly  be  later 
than  the  middle  of  the  second  Century,  and  it  raay  go  back  to  the  end 
of  the  first.  —  Weil,  dessen  Aufsatz  mir  erst  zuletzt  zur  Hand  war, 
behandelt  das  Fragment  über  den  Olisbos  in  dem  gleichen  Sinne  als  die 
vorgenannten  Gelehrten.  — 

A.  Sonny,  Ad.  Strüttidis  frg.  23  K.  —  Philologische  Rundschau 
(russische:  Philologitscheskoje  Obozrjenje)  tom.  V.  1893,  Heft  1,S.  35. 

Der  Vers  desStrattis:  Xio;  -apajxa;  Kwov  o'jx  ii  Xe-csiv  ist  nach 
Sonnys  ansprechender  Ansicht  nicht  das  Sprichwort  selbst,  sondern  eine 
tür  einen  besonderen  Fall,  in  welchem  ein  Chier  einen  Koer  nicht 
sprechen  läßt,  eingerichtete  leichte  Abbiegung  des  Sprichwortes.  Während 
Sanppe  (vgl.  Kock  zur  Stelle)  die  choliambische  Form  des  Sprichwortes 
in  dem  Wortlaute:  Xio;  rapaaxac  Kipov  ouvc  li  jiu^eiv  wiederherzustellen 
glaubte,  nimmt  Sonny  an  diesem  dw^^etv  wohl  mit  Recht  Anstoß.  Wenn 
er  aber  hierfür  sjcuxeiv  vorschlägt,  so  hat  man  nach  den  Fundstellen  für 
dieses  Verbum  bei  Aischylos  und  Sophokles  das  Gefühl,  dal.)  dies  für 
diesen  Zweck  ein  allzu  poetischer  Ausdruck  sei.  — 

b)  Arbeiten  über  Menander  and  die  neue  Komödie. 

F.  Studniczka,' Meuaudros.     Berl.  phil.  W^o.  1895,  Sp.  1627. 
F.  Studniczka,  Vortrag  über  die  Bildnisse  des  Menandros,  ge- 
halten in  der  44.  Versammlung    deutscher  Philol.    und    Schulmänner 
in  Dresden  1897.     Vgl.  VVDPh.  44,  p.*42.  — 

Der  Verf.  vertritt  die  Ansicht,  daß  das  bekannte  Vatikanische 
Sitzbild,  welches  als  ein  Porträt  des  Menandros  galt,  zwar  einen  Komiker, 
aber  nicht  den  Menandros  darstelle.  Als  Porträt  des  Meisters  der  neuen 
attischen  Komödie  nimmt  Studniczka  den  Kopf  in  Anspruch,  der  früher 
Pompejus  genannt  wurde.  Eine  ausführliche  Publikation  des  ganzen  in 
der  Dresdener  Versammlung  vorgelegten  Materiales  ist  seit  langem  in 
Aussicht  gestellt.  — 

Ä.  Olivieri,  A  proposito  degli  studi  fatti  su  Omero  dai  Comici 
greci.  —  Rivista  di  filologia  XXIX,  1901,  p.  567—571.  — 

Dieser  Aufsatz  schließt  sich  an  W.  Scherrans'  Dissertation  an: 
,De  poetarum  comicorum  atticorum  studiis  Homericis".  Königsberg 
1893.  — 

Olivieri  unterzieht  die  Bacchides  des  Plautus  einer  kurzen  Be- 
trachtung, besondes  don  fünften  Akt  des  Stückes,  in  welchem  die  Handlung 
desselben  mit  den  bekanntesten  Mythen  über  den  Fall  Trojas  in  Ver- 
gleich gesetzt  wird.  Auch  werden  die  Personen  der  Komödie  mit  den 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    (1903.    I.)  20 


30G     Beriebt  über  die  Literatur   der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

heroischen  Figuren  Homers  und  des  epischen  Kyklos  verglichen.  Diese 
Parallelisierung  ist  bei  Plautns  allzu  weit  ausgesponunen  und  wirkt  daher 
sehr  ermüdend.  Unter  der  Voraussetzunji-,  daß  der  !lU  £?a7:aT(ov  Menan- 
ders  dem  Stücke  des  Pkiutus  zu  (irunde  lag,  zieht  nun  Olivieri  den 
»Schluß,  daß  die  Parodie  homerischer  Mythen  auch  ein  Element  der 
Menandrischen  Komödie  gewesen  sei.  Während  aber  Dichter  der  alten 
attischen  Komödie,  wie  Kratinos  und  andere,  jedesmal  eine  ganze 
Komödie  der  Parodie  eines  homerischen  Mythos  gewidmet  hätten,  habe 
Menandros  dieses  Element  auf  einzelne  Scenen  und  einzelne  Stellen 
eingeschränkt. 

In  einem  zweiten  Abschnitte  seiner  Abhandlung  sucht  der  Ver- 
fasser zu  erweisen,  daß  Plautns  den  Als  s^azanov  nicht  einfach  in 
seine  Bacchides  übertrug,  sondern  daß  diese  Komödie  eine  Konta- 
mination darstellt,  deren  übrige  Bestandteile  er  aber  nicht  angibt.  Es 
hat  wenigstens  nicht  den  Anschein,  daß  Olivieri  seinen  Hinweis  auf  die 
IlspixcipoixsvY)  iu  diesem  Sinne  aufgefaßt  wissen  wolle  (p.  570).  — 
Ich  finde,  daß  durch  diese  zweite  Bemerkung  das  Resultat  des  ersten 
Absatzes  wieder  in  Frage  gestellt  wird.  Wenn  sich  nämlich  auch  Be- 
standteile anderer  ungenannter  Komödien  iu  den  Bacchides  verarbeitet 
finden,  was  natürlich  kaum  eines  Beweises  bedurft  hätte,  so  ist  es  sehr 
zweifelhaft,  ob  es  Olivieri  gegenüber  Scherrans  gelungen  ist  'nachzu- 
weisen, daß  gerade  die  Verwertung  Homers  und  des  epischen  Kyklos  im 
fünften  Akte  der  Bacchides  auf  den  AI?  i^araTor/  des  Menandros  zurück- 
zuführen sei.  Zum  mindesten  wird  es  schwer  fallen  zu  glauben,  daß 
Menandros  einen  vielleicht  in  zwei  Zeilen  ganz  wirksamen  Vergleich 
der  von  ihm  verwendeten  Handlung  mit  einem  Vorgange  des  epischeu 
Kyklos,  z.  B.  dem  Mythos  vom  hölzernen  Pferde,  in  einer  so  plumpen 
und  abgeschmackten  Weise  zu  Tode  gehetzt  haben  könnte.  — 

W.  Meyer,  Die  athenische  Spruchrede  des  Meuander  und  Phi- 
listion. —  Abhd.  d.  k.  bayer.  Ak.  d.  W.  I.  Kl.  XIX.  Bd.  I.  Abt. 
IHUL 

Diese  vortreffliche  Abhandlung  wird  von  A.  Nauck  in  den  Me- 
langes  Greco-Romains,  1894,  VI,  8.  131  berücksichtigt.  Ich  kann 
nur  noch  auf  die  ausführliche  Besprechung  K.  Zachers  in  der  Berl. 
ph.  Wo.  1893,  No.  35.  Sp.  1093  ff.  hinweisen,  da  sich  mein  Bericht 
auf  das  Jahr  1891  nicht  erstreckt.  — 

Leo  Sternbach,  Curae  Menandreae.  Cracoviae  1892.  —  SA. 
aus  Bd.  XVII,  Dissertationum  philol.  Acad.  litt.  Cracovieusis. 

Diese  für  die  künftigen  Herausgeber  der  Fvcuixat  p-ovoa-t/oi  wichtige 
Schrift  beruht  auf  einer  neuen  Vergleichung  des  cod.  Vindob.  philol. 
Gr.  n.  CLXV,  aus  welchem  J.  H.  C.  Schubart  durch  Theodor  Bergks 


Bericht  über  die  Literatur  der  griecbischen  Komödie.  (Holzinger.)     307 

Vermittelung  das  Supplenientum  I  (=  Mouostich,  565—593)  für 
[Meinekes  Ausgabe  (IV,  p.  35G)  geliefert  hatte.  .Sternbach  gewinnt 
Hus  dieser  Handschrift  fünf  Monostichen,  die  bei  Meineke  fehlen:  Toveü 
oi  Tiixa  xat  YspovTa;  aiay-jvou.  —  J^ia  -evi'av  <5e  Sternb.>  {jirjösvoc  xa-ra- 
opovci.  —  11  Xi';t  ~i  3£iJ.vöv,  £1  o£  [xr,,  aqrjv  i'ye.  —  '^ßv  ^p^e  -/aarr^p,  to 
(fpovciv  acpTjpeiJTr,.  —  12  '/^(P^;  avi}pii»-o'.3'.v  eüxTGtiov  xaxov.  —  Von  der 
selben  Sylloge  verglich  Steinbach  ein  zweites  Exemplar,  den  Vaticanns 
Gr.  n.  127,  chartac.  in  16°,  saec.  XV.  Aus  ihm  gewinnt  Sternbach 
0  Monostichoi,  die  bei  Meineke  fehlen:  'Ev  -/ap  7upuu  <ev  ap-ppuo 
Sternbach;  ich  würde  iv  -,"  dp7uptcu  beibehalten  haben,  das  dem  Zu- 
sammenhange entsprechen  konnte.  — >  ixaXiota  xptvsxat  Tporoj.  —  Zrjjov 
[jLcTpr^sa;  tov  ^i'ov  -poc  tov  ypovov.  —  Ni$ix'.^e  -Xou-sTv.  av  cpi'Xou;  -oXXooj 
r/T);.  —  Eevou?  vo|xi^e  xohi  apex^?  ovxa?  $evo'j;.  —  llöipco  [iXa^^vai  [xaXXov 
fj  oixr]v  Xeyeiv.  —  'Pu-apos  iuv  <'j-apycov  Sternbach>  yprjsxov  o'jy  £;£tc 
cpiXov.  —  Im  übrigen  beschäftigt  sich  Sternbach  mit  der  Frage,  ob 
Gregor  von  Nazianz  als  der  Veranstalter  dieser  Sylloge  zu  betrachten 
sei.  Auf  diesen  Namea  weist  der  Cod.  Vaticanns  insofern  hin,  als  dort 
diese  Monostichoi  unter  den  Gedichten  Gregors  stehen.  —  Die  Appendix 
zu  dieser  Schrift  (S.  61 — 78)  enthält  ein  Gnomologium  des  Photius, 
dessen  Besprechung  innerhalb  dieser  Jahresberichte  einem  anderen  Be- 
richterstatter zufällt.  —  Ich  weise  übrigens  bei  dieser  Gelegenheit  auch 
auf  die  Menandrea,  1891,  Cracoviae,  typ.  univ.  .Tageil.  —  und  auf  die 
Analecta  Laurentiana,  Wien  1902  (Festschrift  für  Goraperz  S.  393 — 400) 
desselben  Verfassers  hin,  welche  ich  innerhalb  der  Grenzen  dieses  Berichtes 
(1892 — 1901)  ebenfalls  nicht  unterbringen  kann.  — 

*F.  Galanti,  Satrgi  di  versioni  da  Menaudro  (I,  II,  III).  Venezia 
1891 — 1894.     Estratti  dagli  Atti  del  r.  Istituto  Veneto. 

Diese  Übersetzungsproben  aus  Menander  und  Philemon  sind  mir 
nur  aus  ihrer  Benutzung  durch  Giovanni  Setti  (Una  nuova  pagina  di 
Menandro  S.  145)  bekannt.  Während  Hermann  Lübke  seine  Proben 
Menandrischer  Dichtkunst  in  hübschen  Versen  wiedergibt,  übersetzt 
Galanti  die  Spruchweisheit  des  Komikers  in  nüchternste  Prosa.  Das 
ist  nun  allerdings  keine  schwere  Aufgabe !  — 

H.  Lübke,  Menander  und  seine  Kunst.  —  Programm  d.  Lessiug- 
Gymn.  zu  Berlin  1892. 

Der  Verfasser  bringt  in  zwei  Kapiteln  die  Urteile  der  Nachwelt 
über  Menander  und  die  Berichte  über  seine  persönlichen  Verhältnisse 
und  Eigenschaften.  Zwei  weitere  Abschnitte  sind  den  Stücken  Menanders 
gewidmet.  Besprochen  werden  die  Stoffe  derselben,  ihre  Stellung  inner- 
halb der  Entwicklung  der  griechischen  Komödie,  Pathos,  Ethos  und 
Sprache.     Das  Ganze  ist  eine  ansprechende  Würdigung  Menanders,  ab- 

20* 


308     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzioger.) 

gefaßt  noch  vor  den  letzten  bedenteuderen  Funden.  Zum  Schlüsse  gibt 
Lübke  in  einem  fünften  Kapitel  eine  Auswahl  freier  Nachdichtungen 
von  Bruchstücken,  bei  denen  mancher  Leser,  wie  überhaupt  in  der 
ganzen  Arbeit,  genaue  Citate  vermissen  wird.  Aufgefallen  ist  mir  auf 
S.  10  die  Notiz:  „Dardanos,  der  Sohn  des  Zeus,  Vater  des  Priamos", 
da  doch  Priamos  der  Sohn  des  Laomedon  war.  Man  vergleiche  übrigens 
auch  Kaehlers  Anzeige  in  der  Berl.  phil.  Wo.  1893,  No.  6,  Sp.  165.  — 

C.  Lindskog,  Studien  zum  antiken  Drama.  I,  II.  Lund  1897.  — 
Da  sich  der  erste  Abschnitt  dieses  Werkes  ausschließlich  mit 
Euripides,  der  zweite  mit  den  Tragödien  des  Seneca  befaßt,  fällt  eine 
Besprechung  desselben  nicht  in  den  Rahmen  dieses  Berichtes.  Ich  muß 
aber  doch  kurz  erwähnen,  daß  sich  auch  24  8.  Miszellen  darin  finden, 
von  denen  ein  Teil  den  Komödien  des  Menandros  und  zwar  der  Andria 
und  Perinthia,  dem  Euvoüyo?  und  KoXa;  und  den  'AoeX'^oi  unter  haupt- 
sächlicher Berücksichtigung  ihrer  Benutzung  durch  Terentius  gewidmet 
ist.  — 

J.  Geffcken,  Studien  zu  Menander.  Progr.  d.  Wilhelm  Gymn. 
in  Hamburg  1898. 

Bekanntlich  hat  Ussing  (Plautus  II,  p.  587)  auf  die  Möglichkeit 
hingewiesen,  daß  ein  Stück  des  Menander  die  Vorlage  für  die  Aulularia 
abgegeben  habe,  und  Goetz  hat  in  der  Praefatio  zu  dieser  Komödie 
den  Gedanken  abgelehnt,  daß  der  Euclio  der  Aulularia  mit  der  Titel- 
rolle des  Menandrischen  Dyskolos  zu  identifizieren  sei.  Gefi"cken  glaubt 
nun  in  seiner  Abhandlung  einen  Beweis  dafür  zu  erbringen,  daß  die 
Aulularia  jedenfalls  einem  Menandrischen  Stücke  und  zwar  speziell  dem 
Dyskolos  nachgebildet  sei.  Genau  besehen  bleibt  aber  die  Sache,  wie 
sie  zuvor  war.  Die  Möglichkeit,  daß  man  die  Aulularia  dem  Vorbilde 
des  Menander  verdanke,  bleibt  bestehen,  aber  ebenso  auch  die  Mög- 
lichkeit, daß  man  es  mit  einer  anderen  Vorlage  zu  tun  habe,  die  in 
der  Charakteristik  Tüchtiges  leistete.  Und  daß  nun  diese  Vorlage 
gerade  im  Dyskolos  gefunden  werden  müsse,  läßt  sich  aus  den  spär- 
lichen Fragmenten  des  Stückes  um  so  weniger  erweisen,  als  die  größeren 
Bruchstücke  wenig  Anhalt  zu  der  beabsichtigten  Folgerung  bieten. 
Zum  Schlüsse  der  Arbeit  sucht  der  Verfasser  die  Fabel  des  Menan- 
drischen "Hpcoc  zu  rekonstruieren.  ^ 

F.  Ranke,  Periplecomeuus  sive  de  Epicuri,  Peripateticorum, 
Aristippi  placitorura  apud  poetas  comicos  vestigiis.    Marpurgi  1900.  — 

In  dieser  Abhandlung  werden  zahlreiche  Fragmente  der  neueren 
Komödie  mit  Sätzen  Epikurs  und  der  Peripatetiker  verglichen  und  von 
ihnen  hergeleitet.    Ein  Schlußkapitel  beschäftigt  sich  mit  Mil.  glor.  615 


Beriebt  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     309 

— 765,  wo  der  alte  Peripleconienns  auffallend  weise  Reden  führt.  Die 
Quelle  derselben  sucht  der  Verfasser  in  Aristippos.  —  Die  Abhandlung 
ist  ein  Gegenstück  zu  Hoelzers  Aufsatz  (s.  d.)  und  zeigt  dieselbe 
Schulraarke.     Vgl.  S.  325  des  Berichtes. 

Menanders  Phasma. 

*V.  Jernstedt,  „Porphyrius-Fragmente  der  attischen  Komödie", 
Petersburg  1891  (russisch). 

A.  Nauck,  „Bemerkungen  zu  Kock  Com.  Attic.  Fragra."  Peters- 
burg 1894,  Melanges  greco-romaius  VI,  S.  ö3  — 180.  Lu  le  2.  octobre 
1891.  — 

Anf  diesen  Aufsatz  bezieht  sich  bereits; 

Th.  Kock,  „Zu  den  Fragmenten  der  attischen  Komiker".  1893. 
Rhein.  Mus.  48,  p.  208-239.  — 

Nauck  hatte  seinen  Aufsatz  noch  vor  der  Veröffentlichung  von 
Melanges  VI,  1  an  Kock  gesendet.  —  Von  diesen  drei  Schriften  habe 
ich  den  Aufsatz  Jernstedts  nicht  gelesen.  Kocks  Aufsatz  enthält  ein 
Referat  über  Naucks  und  Jernstedts  Behandlung  der  oben  bezeichneten 
Fragmente  und  wird  daher  meinem  Berichte  zu  Grunde  gelegt. 

Die  sog.  Tischendorfschen  Menanderfragraente  wurden  bekanntlich 
von  Cobet  in  der  Mnemos.  NF.  IV,  286  ff.  veröffentlicht  (-=  com. 
adesp.  114  Kock,  com.  adesp.  105  Kock  und  Menand.  530  v.  1 — 18 
Kock).  Cobet  kannte  nur  3  Fragmente  aus  einer  Abschrift,  die  ihm 
Tischendoif  verschafft  hatte.  Sein  Verdienst  war  es,  Menandros  erkannt 
zu  haben.  Cobet  verband  zwei  dieser  Fragmente  (=  Menand.  530 
Kock  und  com.  auesp.  114  Kock)  und  leitete  sie  aus  dem  Aet!ji6at}xuiv  ab. 
Theodor  Goraperz  (Hermes  XI,  1876,  S.  512)  gab  dies  zu,  hingegen 
von  Wilamowitz-Möllendorff  (Herm.  XI,  498  ff.)  lehnte  die  Abstammung 
der  Fragmente  aus  dem  Aeiatoaijjnuv  ab,  behauptete  die  Zusammen- 
gehörigkeit aller  drei  Fragmente  (Menand.  530  v.  1 — 18  und  com. 
adesp.  114  und  105)  und  nahm  sie  für  eine  nicht  näher  nachzuweisende 
Komödie  in  Anspruch,  die  er  als  den  Pessimisten  des  Menandres  be- 
zeichnete. Diese  Entdeckung  behandelte  Kock  in  seinem  Aufsatze: 
»Menander  und  der  Pseudo-Pessimist",  Rhein.  Mus.  XXXII,  1877, 
p.  101  — 113  mit  ätzender  Schärfe,  wies  jede  Verbindung  zwischen  den 
3  Fragmenteil  zurück  und  behandelte  sie  dementsprechend  auch  in 
seinem  188s  erschienenen  III.  Bande  der  Com.  Att.  Fragm.  an  drei 
verschiedenen  Stellen.  Das  zusammenhängende  Bruchstück  von  23  Versen 
(=  18  und  5  aus  Cl.  Alex.  Strom.  7,  4,  27)  beließ  er  dem  Menandros 
als  frag,  incertum  530,  während  er  die  beiden  kürzeren  Fragmente 
unter  den  ioesTToxa  xr,^  vea;  xto[j.(o6ta;  als  No.   105  und  114  führt.    Dies 


310     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

war  der  Staud  der  Dinge,  als  Prof.  Jernstedt  durch  seine  oben  ge- 
nannte Publikation  ein  neues  Licht  über  diese  Bruchstücke  verbreitete.  — 

Jernstedt  fand  die  Originale  der  sog.  Tischendorfsclien  Ab- 
schriften in  der  kaiserlichen  öffentlichen  Bibliothek  zu  8t.  Petersburg' 
in  einem  Karton  auf,  dessen  Deckel  die  Aufschrift  trägt:  „Griechisch«- 
Palaeographie  1)  Exemplar  einer  Schrift  von  .\gypten"  griecli.  No. 
CCCLXXXVIII.  Es  sind  drei  Pergamentfetzen,  die  bei  ihrer  Einreihuner 
in  die  Bibliothek  an  ein  Stück  Papier  geheftet  wurden,  das  die  Be- 
merkung trägt:  „Probe  einer  Schrift  vom  vierten  Jahrhundert".  In 
die  Petersburger  Bibliothek  war  diese  Handschrift  im  Jahre  1883  mit 
der  Uspenskijschen  Sammlung  gekommen.  Der  wahre  Finder  war 
Bischof  Porphyrius  Uspenskij,  welcher  diese  Pergamentfetzen  im  Jahre 
1850  wahrscheinlich  aus  einem  Kloster  der  heil.  Katharina  (in  Ägypten 
oder  auf  dem  Sinai?)  nach  Rußland  brachte  und  sie  im  Jahre  1862 
in  St.  Petersburg  Tischendorf  zeigte.  Das  Alter  der  Pergamentfetzeu 
bestimmt  sich  auf  das  3.  oder  4.  christliche  Jahrhundert.  Der  Inhalt 
der  einzelnen  Fetzen  ist  folgender:  Ja  frag.  com.  adesp.  114  Ko. 
(7  Verse)  in  unmittelbarem  Zusammenhange  mit  frag.  Menand.  530 
(18  Verse;  zusammen  25  Verse).  —  Ib  ein  von  Cobet  nicht  publiziertps, 
neues  Bruchstück  von  25  Versen.  —  IIa  Fragm.  com.  adesp.  105  Ko. 
(9  Verse).  —  IIb.  Ein  zweites  neues  Fragment  (13  Verse)  und 'einige 
syrische  Worte  im  rechten  Winkel  zu  den  griechischen.  Unter  einem 
Striche  steht  ein  großes  P.  —  Illa:  wenige  griechische  Reste,  die  von 
sechs  Zeilen  zweier  nebeneinander  stehender  Kolurauen  in  der  Weise 
herrühren  ,  daß  links  vom  Beschauer  Endsilben  von  sechs  Zeilen  einer 
Kolumne  und  rechts  Anfaiigssilben  von  sechs  Zeilen  der  anderen  Kolumne 
ersichtlich  sind.  —  III  b.  Bruchstücke  syrischer  Schrift.  —  Die  bedeu- 
tende Leistung  Jernstedts  besteht  darin,  daß  er  in  dem  bisher  nicht 
veröffentlichten  Fragmente  Ib  ein  Stück  aus  dem  Prologe  des  Phasma 
des  Menandros  erkannte.  Kock  läßt  dieses  Urteil  nur  für  die 
Verse  9 — 25  dieses  Fragments  gelten,  während  er  die  Verse  1 — 8  des- 
selben Stückes  als  nicht  hinzugehörig  betrachtet.  In  Frag.  III a  und 
zwar  in  den  Zeilenenden  der  linksstehenden  Kolumne,  welche  die  Buch- 
stabeufolge  von  rechts  nach  links  haben  und  nur  durch  Abdruck  an 
diese  Stelle  geraten  zu  sein  scheinen,  erkannte  Jernstedt  Menanders 
Fragment  581  Ko.  —  Diese  Entdeckung  vervollständigt  Kock  durch 
die  Beobachtung,  daß  sich  die  Zeilenanfäuge  der  rechtsstehenden  Ko- 
lumne mit  Menand.  Frag.  254  decken. 

Soviel  ist  von  diesen  erfreulichen  Forschungen  als  gesichert  zu 
betrachten.  Zweifelhaft  hingegen  bleibt  die  Frage  nach  der  Zusammen- 
gehörigkeit und  dem  Ursprünge  der  Fragmente.  Jernstedt  weist  nicht 
nur    die  Verse  1 — 8    des  Fragmentes  Ib    im  Zusammenhange   mit  den 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     311 

Versen  9—25  desselben  Bruchstückes  dem  Prologe  des  Phasma  zu, 
sondern  behauptet  auch  die  Zugehörigkeit  des  Frag.  la  ==  Menand. 
530  Ko.  zu  derselben  Komödie  und  zwar  zu  der  ersten  Scene  des  ersten 
Aktes  des  Phasma.  Da  auf  der  anderen  Seite  desselben  Pergament- 
fctzens  (Ib)  ein  Stück  aus  dem  Prologe  des  Phasma  steht,  müLiten  die 
Annahmen  Jernstedts  wohl  auf  den  Ursprung  dieses  Pergamentfetzens 
aus  einer  Handschrift  des  Meuandrischen  Phasma  hinführen  und  wir 
hätten  somit  direkte  Textüberlieferung  vor  uns.  Nach  Kock  aber  sind 
nicht  nur  die  genannten  Fragmente,  sondern  auch  einzelne  Teile  der- 
selben, nämlich  v.  1  —  8  und  v.  9 — 25  von  Ib  und  die  Verse  la,  1 — 7 
:-r--  com.  ade?p.  114  und  la,  8—25  ^  Menand.  530  v.  1  — 18  jeder  für 
5fich  gesondert  zu  betrachten,  daher  er  denn  folgerichtig  die  Provenienz 
dieser  Bruchstücke  aus  einer  Anthologie  aus  Menanders  Komödien  ab- 
leitet. Den  Annahmen  beider  Gelehrten  stellen  noch  grolle  Schwierig- 
keiten entgegen.  Daß  die  Fragmente  eines  eigentlichen  Zusammen- 
hanges entbehren,  läßt  sich  Kock  geiienüber  nicht  abstreiten.  Aber 
unsere  Vorstellung  von  dem  Gesichtspunkte,  nach  welchem  eine  Antho- 
logie angeordnet  war,  in  die  jene  Prologverse  des  Phasma  Aufnahme 
fanden,  bleibt  unklar.  —  Die  von  Jernstedt  veröflfentlichten  Fragmente 
findet  man  auch  bei  Nauck  a.  a.  0.  S.  154 — 157  abgedruckt  und  be- 
sproclien.  —  Habe  ich  hiermit  aus  den  drei  genannten  Schriften  das- 
jenige hervorgehoben,  was  am  meisten  Interesse  verdient,  so  genügt 
wohl  ein  Wort  darüber,  daß  Nauck  in  seinem  an  Belehrung  reichen 
Aufsatze  eine  ungemein  grolle  Anzahl  von  Komikerfragmenten  behandelt 
nnd  sein  gewiegtes  Urteil  den  Leistungen  Kocks  für  diese  Stellen 
entgegensetzt.  In  dieser  Hinsicht  ist  Kocks  Aufsatz  eine  Antikritik. 
Die  Komikerfragmente  selbst  können  bei  einem  derartigen  Streite 
zweier  berufener  Kenner  nur  gewinnen.  Mit  Recht  aber  hebt  Kock 
hervor,  daß  sich  Nauck  in  dem  Tone,  in  welchem  er  seine  Polemik 
führt,  nicht  selten  arg  vergriffen  hat.  Die  Fülle  der  beiderseits  dar- 
gebotenen Einzelheiten  auch  nur  anzudeuten,  ist  hier  nicht  möglich.  — 
Man  vgl.  übrigens  auch  Nauck  in  den  Melanges  Gröco-Romains  V, 
1».  219  ff.  worauf  er  in  dem  späteren  Aufsatze  hinweist. 

Menanders  Kolax.  — 

Ein  stark  verstümmeltes  und  seinem  Inhalte  nach  unverständliches 
Komikerfragment  veröffentlichte  P.  Mahaffy  1891  in  den  Flinders- 
Petrie  Papyri,  Tafel  IV,  1  p.  16 — 17  der  Trauscriptions.  Das 
Fragment  umfaßt  Reste  von  14  Trimctern,  immer  nur  etwa  die  zweite 
Hälfte  derselben.  Mahaffy  weist  darauf  hin,  daß  darin  in  v.  5  der 
Name  Demeas  vorkommt,  der  in  Menanders  1\;  i^arraTÖJv  Frag.  123 
Kock    eine  Rolle    spielt.     Mahaffy    lehnt    daher    die  Möglichkeit  nicht 


312     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

ab,  daß  dieses  Fragment  dem  Meuandros  angehöre.  Noch  reservierter 
spricht  sich  Mahaffy  hierüber  auf  p.  13  der  Einleitung-  ans.  Kock 
bespricht  diesen  Fund  in  seinem  Aufsatze:  ,Zu  den  Fragmenten 
der  attischen  Komiker",  Eh.  Mns.  1893,  S.  221  und  nimmt  für  das 
Bruchstück  auch  nur  ,die  Zugehörigkeit  znr  Komödie-'  in  Anspruch. 
Mit  bewunderungswürdigem  Scharfsinne  hat  Blaß  dieses  anscheinend 
hoffnungslose  Fragment  behandelt:  .Ein  Papyrusfragmeut  aus  Me- 
nandros  Kolax-,  Hermes  1898,  33.  S.  654-656.  Blaß  macht  darauf 
aufmerksam ,  daß  das  Faksimile  in  der  oben  genannten  Ausgabe  auch 
noch  einige  verstümmelte  Zeilenaufänge  der  nächsten  Kolumne  aufweist. 
Die  darin  erscheinenden  Silben  £upoßia  erklärt  er  als  oeüpo  Bta  und  da 
Bias  der  miles  des  Menandrischen  Kolax  ist,  den  Terenz  als  Thiaso  in 
seinen  Eunuchus  übertrug,  weist  Blaß  das  Fragment,  von  dem  sich 
nun  auch  einige  Zeilen  aufhellen  lassen,  dem  KoXa;  desMenandros 
zu.  Unter  der  Annahme ,  daß  dieser  Papyrus  ,  sowie  die  übrigen 
Classical  texts  dieser  Edition,  dem  dritten  Jahrhunderte  v.  Chr.  an- 
gehöre, erklärt  Blaß  dieses  Bruchstück  für  das  älteste  der  jetzt  in 
unserem  Besitze  befindlichen  Menanderfragmente. 

Menauders  Georgos. 

J.  Nicole,  Le  Laboureur  de  Menandre.  Fragments  inedits  sur 
papyrus  d'Egypte,  dechiffres,  traduits  et  commentes.  —  Bäle  et  Geneve 
1898. 

Auf  der  Grundlage  der  Nicoleschen  Publikation  beruhen  zunächst 
folgende  Schriften  und  Rezensionen :  Henri  Weil,  Comptes  rendus  de 
l'acad.  des  inscriptions  et  belles-letires,  1897,  tome  XXV,  p.  529  und 
538.  —  Die  hier  gegebene  Notiz  ist  nur  ein  Voi'Iäufer  des  folgenden 
Aufsatzes : 

H.  Weil,  Les  uouveaux  fragments  de  Menandre.  Journal  des 
Savants  1897  (Novembre),  p.  675—692. 

F.  Blaß  (Rez.),  Literarisches  Centralbl.  1897  (18.  Dez.), 
Sp.  1648-^1650.  - 

V,  Wilamowitz  (Rez.),  Deutsche  Literaturz.  1897  Sp.  1734.  — 

0.  Crusius,  .,Menanders  Landmann  in  einem  ägyptischen 
Papyrus*.     Beilage  zur  AUgem.  Zeitung,  1897  (29.  Dez.).    — 

R.  Ellis  und  Arthur  Platt,  Notes  on  the  Fragment  of 
Menanders  rswp-.'o?.  —  Class.  Ptcview  XI,  1897,  p.  417— 418.  — 

F.  G.  Kenyon.  „Nicoles  Fragments  of  Menander",  1897.  Dez. 
Class.  Rev.  XI,  p.  453—455.  — 

K,  Schenkl,  ,,Der  Georgos  des  Menandros".  Jahreshefte  des 
österr.  archäolog.  Institutes  in  Wien  I,  1898,  p.  49  —  54.    — 


Bericht    über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     313 

B.  P.  Grenfell  and  Arthur  S.  Hunt,  Menaüders  Fetupvo;,  a  re- 
vised  Text  of  the  Geneva  Fragment  with  a  trauslation  and  notes. 
Oxford  1898. 

H.  van  Ilerwerdeu,  ,,Zu  den  dnrcli  Nicole  herausgeg'ebenen 
Papyrusfraguienten  von  Meuanders  retüp-fo;".  Berl.  phil.  Wo.  1898 
(8.  Januar),  Sp.  60. 

*Th.  Reinach,  Sur  les  fragments  du  Labonrenr.  —  Söance  de 
rassociation  ponr  rencouragement  des  etudes  grecques.  Vgl.  Bibl. 
phil.  class.   1898,  Heft  1. 

J.  Nicole  erhielt  von  Geoig  Dattari  aus  dessen  Sammlung  in 
Kairo  jene  Papyru-fragmente,  deren  schwer  lesbaren  Inhalt  er  mit  an- 
erkennenswerter Geschicklichkeit  als  Reste  des  Menandrischen  Georges 
erkannte.  Nicole  schloß  seine  Untersuchung  am  1.  Juli  1897  ab,  worauf 
seine  Publikation  der  Fragmente,  ihrer  Übersetzung  und  Erläuterung 
noch  im  Herbst  1897  erschien,  so  daß  das  Datum  des  Titelblattes  als 
ein  vorausgreifendes  zu  bezeichnen  ist. 

Von  den  angeführten  Besprechungen  des  Fundes,  die  sich  in 
rascher  Folge  ergaben,  haben  nur  sehr  wenige  Ansprucli  auf  dauernde 
Beachtung.  Weitaus  der  erste  Rang  kommt  der  Beurteilung  der 
Nicoleschen  Ausgabe  von  F.  Blaß  zu,  weil  dieser  Gelehrte  der  einzige 
war,  der  mit  glänzendem  Scharfsinne  die  richtige  Abfolge  und  Zu- 
sammentüguug  der  ursprünglich  sechs  Fragmente  herausfand.  Blaß 
teilte  seine  Entdeckung  Herrn  Nicole  nach  Genf  mit,  der  nun  die 
Papyrusstücke  nach  der  Anweisung  von  Blaß  zusammenstellte  und  ihm 
die  Richtigkeit  seiner  Vermutung  sofort  bestätigte.  Blaß  legte  die 
Fragmente,  welche  Nicole  als  Reste  zweier  Blätter  betrachtet  hatte,  zu 
einem  einzigen  Blatte  zusammen  und  da  der  Text  der  Rückseite  die 
unmittelbare  Fortsetzung  des  Textes  der  Vorderseite  darstellt,  erkannte 
Blaß  auch  sofort,  daß  dieses  Blatt  nicht  einer  PapyrusroUe,  sondern 
nur  einem  Papyrusbuche  entstammen  könne,  wofür  er  auf  die  Berliner 
Fragmente  der  Politeia  als  Beispiel  hinweist.  —  Von  Wichtigkeit  ist 
auch  H.  Weils  Besprechung  durch  die  lichtige  Erklärung  von 
Qnintil.  XI,  3,  91  geworden.  Nach  der  Ansicht  Weils  sagt  dort  Quintil., 
daß  in  dem  Prologe  des  Menandrischen  Georgos  ein  Jüngling  der 
Sprecher  war  und  daß  dieser  Worte  einer  Frau  eizählte.  Blaß,  der 
sich  dieser  Interpretation  anschließt,  betrachtet  den  Anfang  des  er- 
haltenen Fragments  als  den  Schluß  des  Prologes  der  Komödie  und 
schätzt  demnach  den  vor  dem  Erhaltenen  fehlenden  Teil  des  Stückes 
nur  auf  den  Inhalt  eines  einzigen  Blattes.  Auch  haben  sich  durch  die 
Rezensionen  gleich  von  Anfang  an  einige  gute  Verbesserungsvorschläge 
für  den  Text  ergeben ,    während    die    versuchten  Rekonstruktionen  der 


314     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,  (llolzinger.) 

Fabel  des  Stückes,  wie  begreiflich,  noch  nicht  auf  der  richtigen  Grund- 
lage Stauden. 

Diese  wurde  erst  durch  Grenfell  und  Hunt  in  der  neuen  Ausgabe 
der  Genfer  Fragmente  geschaffen.  Die  beiden  ausgezeichneten  englischen 
Forscher  nalimen  auf  ihrer  Heimreise  von  Ägypten  in  Genf  Aufenthalt 
und  unterzogen  daselbst,  von  Nicole  freundlichst  gefördert,  den  Papyrus 
einer  erneuten  genauen  Untersuchung.  Auf  ihr,  sowie  auf  den 
Leistungen  von  Nicole  und  Blaß  und  denen  der  übrigen  Gelehrten,  die 
sich  bis  dahin  um  den  Georges  des  Menander  verdient  gemacht 
luitton,  beruht  ihr  „Revised  text  of  the  Geneva  Fragment".  Die  Aus- 
gabe enthält  nach  einer  Einleitung  über  den  Papyrus  sowohl  eine 
möglichst  genaue  Abschiift  in  der  Unziale,  als  aucli  eine  emendierte 
und  vervollständigte  Umschrift  in  Minuskeln,  fei-ner  einen  Apparatus 
oriticus,  der  die  von  anderen  entlehnten  Textverbesserungen  —  darunter 
auch  solche  von  Bury  —  namhaft  macht.  Hierauf  folgt  eine  Aufzählung 
und  kritische  Besprechung  der  in  dem  Fragmente  vorausgesetzten 
Rollen,  eine  Übersetzung  des  ganzen  Textes  und  schließlich  ein  kleiner 
Kommentar.  Als  Anhang  ist  der  Abdruck  der  bisher  schon  bekannten 
Fragmente  des  Georges  beigegeben.  —  Ein  phototypisches  Faksimile 
sind  uns  leider  auch  die  englischen  Herausgeber  schuldig  geblieben. 
Ein  Bericht  über  den  Papyrus  kann  sich  also  nur  an  den  von  Grenfell 
und  Hunt  selbst  in  der  Introduction  gegebenen  Wortlaut  anschließen.  — 
Der  Genfer  Menander-Papyrus  ist  ein  Blatt  aus  einem  Buche  und  mißt 
28  -5  X  15-7  centim.  Das  recto  ist  mit  --,  das  verso  mit  ^  numeriert. 
Das  recto  enthält  eine  Kolumne  von  44  Zeilen,  das  verso  43  Zeilen. 
Lücken  sind  zahlreich,  aber  ein  ganzer  Vers  fehlt  nirgends,  auch  nicht 
am  Anfang  oder  Ende  einer  Kolumne.  Der  Papyrus  ist  in  einer  un- 
regelmäßigen Unziale  mit  brauner  Tinte  von  einem  einzigen  Schreiber 
geschrieben.  Auf  dem  recto  ist  die  Schrift  gut  erhalten  und  deutlich, 
auf  dem  verso  hat  sie  stark  gelitten,  ist  häufig  sehr  verblaßt-,  manchmal 
sind  überhaupt  kaum  noch  Spuren  zu  sehen.  Der  Papjaus  ist  sicher 
nicht  vor  350  p.  Chr.  und  schwerlich  nach  500  p.  Chr.  geschrieben 
worden.  —  Bezüglich  der  übrigen  Einzelheiten  verweise  ich  auf  die 
Angaben  der  Einleitung  selbst.  —  Mit  dem  Erscheinen  dieser  sorg- 
fältigen und  auf  der  Höhe  der  Zeit  stehenden  Au.sgabe  begann  eine 
neue  Epoche  in  der  Geschichte  des  Genfer  Menander-Fragments.  Eine 
neue  Flut  von  Literatur  ergoß  sich  über  den  biederen  „Landmann", 
und  mancher,  der  seine  Stimme  gleich  nach  dem  Erscheinen  des 
Nicoleschen  Georgos  erhoben  hatte  ,  sah  sich  durch  die  Textanordnung 
von  Blaß  und  die  den  neuen  Zusammenhang  repräsentierende  englische 
Ausgabe  von  neuem  veranlaßt,  zur  Feder  zu  greifen.  — 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,  (llolzinger.)     31 5 

Es  erschienen  in  rascher  Abfolge  und  zum  Teile  fast  gleichzeitig 
folgende  Aufsätze  und  ausführlichere  Rezensionen: 

G.  Kuibel,  Menanders  Georgos.  Nachrichten  v.  d.  k.  Ges.  d. 
Wi.  zu  Göttiugen,  1898,  S.  146-166.  — 

T.  L..Agar.  Menanders  röwo-.o;.  —  Glases.  Kev.  XII.  1898, 
p.  141.  — 

F.  Blaß  (Rezension  über  Grenfell  u.  Hunt  etc.).  Ijit.  Ceutralbl. 
1898,  Sp.  775—777. 

C.  Häberlin  (Rez.),  Berl.  phil.  Wo.   1898,  8p.  705— 712.  — 

H.  Weil,  Le  (.ampagnard  de  Menandre.  Revue  des  ctudes  Gr. 
XI,  1898,  p.   121-137. 

J.  van  Leeuwen,  Ad.  Meu,  frag,  uupcr  repertum.    Mnemos.    NS. 
XXVI.  1898,  299—313. 

N.  Smith,  Menanders  Georgos.  Class.  Rev.  XII.  1898,  p.  301  — 
304. 

H.  Richards,  The  frag,  of  Älen.  Georgos.  Class.  Rev.  XII, 
1898.  p.  433. 

Weinberger  (Rez.),  X.  ph.  Rundsch.  1898,  No.  24,  p.  558— 
559.  — 

U.  V.  W.-j\I.,  Die  Reste  des  Laudmannes  von  Menandros.  Als 
Manuskript  gedruckt.     Berlin  1899. 

Dieser  Vorläufer  des  weiterhin  zu  nennenden  großen  Aufsatzes 
von  U.  V.  Wilamowitz  beruft  sich  bereits  auf  die  Grenfell-IIuntsche 
Ausgabe  und  auf  die  Äußerungen  von  Blaß,  Weil  und  Kaibel.  Gegeben 
wird  der  ganze  Text  des  Fragments,  eine  vollständige  deutsche  Über- 
setzung im  Versmaße  der  Urschrift  und  die  bereits  bei  Meineke  ge- 
sammelten Bruchstücke  des  Georgos.  — 

V.  Wilamowitz,  Der  Landniann  des  Menandros.  N.  J.  f.  d. 
kl.  Altert.  1899,  p.  513-531.    - 

K.  Dziatzko,  Der  Inhalt  des  Georgos  vonMenander.  Rh.  Mus, 
54,  497—526;  55,  104—111,  1899,   1900. 

A.  Olivieri,  A  proposito  dei  due  fragmeuti  del  TstupYo;  e  della 
lispty.£ipopL£vr,  di  Menandro  reccutemente  scoperti.  Riv.  di  filol.  XXVIII, 
1900,  p.  447—454. 

*V.  Hahn,  ITber  Menanders  Komödie  Georgos  (polnisch).  Eos 
V,  p.  118—133. 

Nachdem  die  erste  und  wichtigste  Aufgabe,  einen  beglaubigten 
und  einigermaßen  verständlichea  Text  herzustellen,  im  wesentlichen  ge- 
löst war,  konnte  dem  Gange  der  Handlung  des  Stückes  mit  gegründeter 


310     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

Aussicht  auf  Erfolg  nachgeforscht  werden.  Diesen  Teil  der  Arbeit  hat 
unter  den  vorhingenannten  Schriften  m.  E.  die  Abhandlung  Dziatzkos 
in  vielseitigster  Weise  geleistet.  Bei  seiner  genauen  Erinnerung  an  die 
einzelnen  Scenen  der  römischen  Komödien  ^'elang  es  dem  Verf.  am 
vollständigsten,  die  Möglichkeiten  7A\r  Fortführung  aller  einzelnen  in 
diesen  Fragmenten  vorkommenden  Fäden  einer  Handlung  zu  entwickeln. 
Denn  daß  man  hierbei  über  bloße  Möglichkeiten  nicht  hinauskommt, 
wird  jeder  zugeben  müssen,  der  die  bisiierig'en  Darstellungen  des  Ganges 
der  Handlung  durchliest  und  dabei  findet,  daß  ihn  auch  nicht  zwei 
Darsteller  in  gleicher  Weise  erzählen.  Es  hat  schon  Kenyon  a.  a.  0. 
bemerkt,  daß  die  Komödie  des  Menander  zwischen  1500  und  1700  Verse 
umfaßt  haben  dürfte,  von  denen  wir  nach  Nicoles  Zählung  115  (bei 
Grenfell  und  Hunt  87  -i-  21  =  108)  besitzen,  und  daß  es  demnach 
sehr  unwahrscheinlich  ist,  daß  man  hieraus  den  Gang  des  Stückes 
erraten  könne.  Selbst  wenn  ich  mich  daher  im  folgenden  aut  die 
Angabe  des  wesentlichsten  Gerippes  der  Handlung  einschränke  und 
jede  zweifelhaftere  Ausführung  vermeide,  kann  ich  vielleicht  doch  noch 
immer  von  der  einen  oder  anderen  Seite  Widersi3ruch  erfahren.  Die 
Titelrolle  des  Stückes  ist  die  eines  biederen,  einfach  klagen  und  dabei 
edelmütigen  Landmannes,  der  durch  sein  Eingreifen  und  durch  belehrende 
Zurede  einen  vermöglichen  Stadtherrn  schließlich  dahin  bringt,'  daß 
dieser  die  Vermählung  seines  Sohnes  mit  seiner  Geliebten  gestattet  und 
die  geplante  Konvenieuzhoirat  dieses  Sohnes  mit  seiner  Halbschwester 
fallen  läßt.  Mindestens  eine  dvavvwpt^i;  spielt  dabei  eine  wichtige 
Rolle.  Es  wird  aber  auch  die  Halbschwester,  deren  Hochzeit  schon 
zugerüstet  war,  gut  versorgt,  indem  sie  einen  braven  Jüngling  heiratet, 
der  den  Landmann  bei  einer  argen  Verletzung  seines  Fußes  liebevoll 
gepflegt  hatte.  Letzteren  Punkt  hat  namentlich  Weil  (Revue  XI  p.  137) 
gut  herausgearbeitet,  indem  er  in  jovialer  Weise  den  Philologen  nah,e- 
le^'t,  das  schöne  Stadtfräulein  doch  nicht  mit  dem  zwar  braven,  aber 
alten  und  hinkenden  Landbauern  zu  verheiraten,  wozu  v.  74  Anlaß  zu 
geben  schien.  Handelnde  Personen  sind  nach  dem  erhaltenen  Fragmente 
mindestens  zehn  anzunehmen,,  fünf  Paare,  von  denen  vielleicht  jedes  auf 
dem  Prinzip  des  Kontrastes  beruhte;  zwei  Männer  in  reifen  Jahren,  der 
eine  ein  berechnender  Stadtherr,  der  andere  ein  Gemütsmensch  vom 
Laude;  zwei  Frauen,  Myrrhine  und  Philinna,  die  erstere  weich  und 
schwach,  Philinna  hingegen,  vielleicht  Myrrhiues  ehemalige  Wärterin, 
lieftig  und  energisch;  zwei  Jünglinge,  der  eine  reich,  leichtsinnig  und 
unschlüssig,  der  andere  arm  und  tatkräftig;  zwei  Sklaven,  Daos  keck 
und  unternehmend,  Syros  ist  in  dem  Fragmente  nicht  charakterisiert; 
ebenso  ist  der  Charakter  der  beiden  Mädchen  in  dem  erhaltenen  Teile 
der  Komödie  nicht  differenziert.     Die  Liste   der   handelnden  Personen 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger.)     317 

ist  hiermit  vielleicht  noch  nicht  erschöpft,  da  im  v.  11  auch  noch  auf 
die  Frau  des  Stadtherrn  hingewiesen  wird.     Ob  ihr  eine  Rolle  in   dem 

Stücke  znfiel  und  welche,  steht  dahin.  —  Die  erhaltenen  Verse,  87  

21  ^  108  Trimeter  enthalten  außer  zwei  irouisch-scherzhaften  Bemer- 
kungen des  Sklaven  Daos  nichts  Komisches,  hinsjegen  tritt  die  Zeichnung 
der  Charaktere  hervor.  Möglicheiweise  darf  mau  nach  diesem  Fragmente 
des  Georgos,  welches,  wie  Crusius  a.  a.  O.  wahrheitsgemäß  sagt,  eot- 
täuschenrl  wirkt,  das  ganze  Stück  und  nach  der  einen  Komödie  den 
ganzen  Meuauder  beurteilen.  Ulrich  v.  Wilamowifz-ilöllendorff  setzt  dies 
als  sicher  voraus  und  zeichnet  in  seiner  Abhandlung  (in  den  Neuen 
Jahrbüchern  f.  d.  kl.  A.  III.  Dd.)  auf  diesem  neugewonnenen  Unter- 
gründe ein  Bild  von  der  Meuandrischen  und  der  neuen  attischen  Komödie 
überhaupt.  In  dieser  literargeschichtlichen  Würdigung  des  Genfer 
Fragments  hat  v.  Wilamowitz  ohne  Zweifel  die  übrigen  gleichzeitigen 
Darsteller  desselben  Stoffes  weit  übertroffen.  Schätzenswert  und  auch 
von  Wilhelm  Cröuert  in  dem  Archiv  für  Papyrusforschung,  1900, 
I,  p.  113  mit  Recht  hervorgehoben  ist  die  auf  Anth.  Pal.  Xll  233  (bei 
Kock  Com.  Att.  Frag.  III,  p.  28)  beruhende  Bemerkung  von  Wilamo- 
witz, dal.)  der  r£üJp7oc  nebst  <I>a3|xa,  Ilsp'.y.sipoixevr,,  9r,3aupo;,  Micjo'jixevo; 
und  (nach  Anth.  Pal.  V,  218)  auch  AujxoXo;  zu  der  Auswahl  Menan- 
drischer  Stücke  gehörte,  die  bis  in  späte  byzantinische  Zeit  einen  Teil  der 
Schullektüre  bildete.  I)er  r£«opYoc  war  das  erste  Stück  der  Auswahl  und 
war  in  sittlicher  Beziehung  als  Lesestoff  für  die  Jugend  sehr  geeignet. 
Die  Funde  aus  Phasraa,  Georges  und  nepiy.etpofxEvirj  machen  es,  wie 
v.  Wilamowitz  sagt,  wahrscheinlich,  daß  auch  die  Menanderfnnde  der 
nächsten  Zukunft  diesem  Kreise  der  weitverbreiteten  Schullektüre  an- 
gehören werden.  Eine  tröstliche  einschlägige  Bemerkung  macht  auch 
Kenyon  a.  a.  0.  Er  sagt,  daß,  wenn  etwa  ein  Einfluß  der  christlichen 
Kirche  auf  den  Untergang  des  Menander,  Philemon,  Mimnermos  und 
der  Sappho  zugegeben  werden  müßte,  dieser  Einfluß  doch  nicht  vor  dem 
vierten  Jahrhundert  eingeräumt  werden  dürfte.  Was  damals  schon 
unter  der  ägyptischen  Erde  geborgen  war,  wäre  vor  dieser  christlichen 
Verfolgung  schon  in  Sicherheit  gewesen.  Über  den  Bericht  des  Petrus 
Halcyonius  (de  Exilio  I,  p.  69),  der  sich  auf  Chalkondylas  dafür  beruft, 
daß  byzantinische  Kaiser  dem  Klerus  die  Verbrennung  der  oben 
genannten  Klassiker  gestattet  hätten,  um  die  Gedichte  des  Gregor  von 
Nazianz  von  dieser  lästigen  Konkurrenz  zu  befreien,  macht  E.  Picco- 
lomini  1900,  Atene  e  Roma  III,  p.  42  eine  ablehnende  Bemerkung.  — 
Zur  Charakteristik  der  übrigen  angeführten  Schritten  über  das  Genfer 
Fragment  teile  ichnoch  mit, daß  EUis,  Platt,  Herwerden,  Agar,  van 
Leeuwen,  Smith  und  Richards  nur  für  die  Herstellung  des  Textes  in 
Beü'acht  kommen.     Einen  vollständigen  Text  bieten  die  Abhandlungen 


318     Beriebt  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie,  (llolzinger.) 

vonKiiibel,  Weil  (Revue  des  etudes  XI),  Leeuvven  und  Dziatzko, 
eine  Übersetzung  Weil  (Revue  XI)  und  v.  Wilaraowitz  (N  Jahrb.).  — 
Mit  der  scenisclien  Ausstattung  des  Stückes  beschäftigt  sich  Oli  vieri.  Er 
hält  es  für  möglich  (Rivista  XXVIII,  \).  448),  daß  außer  den  zwei 
Stadthäusern,  die  Grenfell  und  Hunt  annehmen,  auch  das  Haus  des 
Landmannes  zu  sehen  gewesen  sei.  Ich  halte  dies  nach  der  Art,  wie 
das  baldige  Erscheinen  des  Landniannes  in  v.  76  (Zählung  nach  Grenfell- 
Hunt)  angekündip:t  wird,  für  ausgeschlossen.  —  Eine  wichtige  Text- 
verbesserung hat  II.  Weil  (Revue  des  etudes  XI,  p.  133)  für  die  Verse 
79—80  durch  Beiziehung  von  Men.  frg.  928  gewonnen,  und  eine  ebenso 
wichtige  Ergänzung  hierzu  (für  v.  77—80)  gibt  Blaß  (Hermes  33,  p.  656) 
durch  die  Einbeziehung  von  frg.  com.  adesp.  183  Kock.  —  Der  Auf- 
satz Häberlins  bespricht  in  seinem  ersten  Teile  den  Georgos  in  der 
Ausgabe  Nicoles.  Der  zweite  Teil  behandelt  denselben  Stoff  nach  der 
Ausgabe  von  Grenfell  und  Hunt.  Beide  Teile  sind  zu  verschiedenen  Zeiten 
abgefaßt,  gleich  nach  dem  Erscheinen  beider  Ausgaben.  Daher  finden 
sich  mehrere  Behauptungen  des  ersten  Teiles  durch  die  bloß  äußerlich 
angeschlossene  Kritik  über  die  englische  Ausgabe  widerlegt.  Zum 
Schlüsse  hat  Häberlin  ancli  eine  Anzahl  eigener  Textvorschläge  bei- 
gegeben. — 

M e n an d er s  fl  e p  i x e i p  o [j. I v rj. 

B.  P.  Grenfell  and  A.  S.  Hunt,  The  Oxyrhynchus  Papyri, 
part.  II.  1899,  S.   11—20.  —  Mit  Faksimile. 

Fr.  Blaß  besorgte  gleich  für  die  Originalausgabe  den  größten 
Teil  des  Textes  S.  15—16. 

U.  v.  Wilamowitz-Möllendorff,  Götting.  gel.  Anz.,  1900, 
S.  29 — 33.     Besprechung  der  Oxyrhynchos  Papyri  part.  IL 

G.  Setti,  Una  nuova  pagina  di  Menandro.  —  Estratto  d'  Atti  e 
Meraorie  della  R.  Accademia  a  Padova,  vol.  XVI,  1900,  S.  143—170. 
(Rez.:  O.  Zuretti,  Bolletino  di  filologia  VI,  p.  258—259.) 

E.  Boisacq,  Menandre  et  le  fragment  d'Oxyrhynchus.  Messager 
de  Bruxelles  vom  10.  Dezembre  1899  und  abermals  im  V.  Jahrg. 
der  Revue  de  Funiversite  de  Bruxelles  1900,  p.  351  —  358. 

E.  Piccolomini,  Un  frammento  nuovo  di  Menandro.  Atene  o 
Homa  III,  1900,  41—54;   91—92. 

A.  Olivieri,  A  proposito  dei  due  frammenti  del  rsojp'/o?  e  della 
lleptxetpo|xevr)  di  Menandro  recentemente  scoperti.  Rivista  di  filologia 
XXVIII,  1900,  p.  447—454. 

H.  Weil,  Nouveaux  fragments  de  Menandre  et  d'autres  classiques 
grecs.  —  Journal  des  Savants  1900,  Januarheft,  S.  48—54. 


Beriebt  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger.)     310 

H.  van   Her  wer  den,    Ad    papj'ros    graecos.    —    Mnenios.   NS. 
XXVIII.  1900,  p.   118  if. 

K.  Dziatzko,  Das  neue  Fragment  der  IlEpixEipojXEVT)  des  i^Ienandei'. 
Fesischritt  für  C.  F.  W.  Müller.     Lcipzij?  1900.     8.  122-1:34. 

*V.  Hahn,  Ein  neuentdecktes  Frao:ment  des  Menander  (polnisch). 
-    Eos  VII,  1901,  p.  84- 9G. 

Das  Frag-ment  der  Ilspixs'.pojxlvr,  besteht  aus  öl  Trimetern  einer 
einzigen  Kolumne.  Den  oberen  Teil  derselben  bis  inklusive  v.  33  gibt 
das  von  Grenfell  und  Hunt  herausgegebene  Faksimile  wieder.  Ijinks 
oben  bei  dem  Abbruche  des  Papyrus  zeigen  sich  Zeilenreste  der  vor- 
angehenden Kolumne.  Die  Schrift  ist  eine  runde  Unziale  und  wird 
von  den  Herausgebern  auf  den  Schluß  des  ersten  oder  den  Anfang  des 
zweiten  christlichen  Jahrliunderts  datiert.  Der  Hand  eines  vielleicht 
gleichaltrigen  Korrektors  verdankt  man  die  Einsetzung  von  Inter- 
punktionen, Textkorrekturen,  Lesarten,  Änderungen  der  Bezeichnungen 
für  den  Personenwechsel,  Einschaltung  des  Namens  des  Sprechers  und 
einige  Bühnenanweisungen.  Es  ist  ein  ziemlich  soigfältig  revidierter 
Text,  die  Schrift  ist  verhältnismäßig  gut  lesbar,  das  Ganze  leidlich  gut 
erhalten.  Übereinstimmend  mit  dieser  Beschreibung  der  Herausgeber, 
die  sich  bei  der  Ergänzung  der  Umschrift  der  Hilfe  von  Friedrich 
Blaß  bedient  hatten,  sagt  v.  Wilamowitz  a.  a.  0.  p.  33:  „Die  Hand- 
schrift war  ein  schönes,  sauberes  Exemplar  plutarcbischer  Zeit."  — 
Der  Inhalt  des  gefundenen  Textes  gehört  der  Schlußscene  der  Komödie 
an,  so  daß  vom  Ende  des  ganzen  Stückes  nicht  viel  fehlt.  —  Die 
erhaltenen  Verse  verteilen  sich  auf  vier  Sprecher.  Nachweisbai-  aber 
sind  aus  dem  Fragmente  selbst  sieben  Personen:  der  Soldat  Polemon, 
dessen  Geliebte  und  spätere  Gemahlin  Glykera,  deren  Bruder,  ihr  Vater 
Pataikos,  Doris,  die  Sklavin  des  Polemon,  dann  Philinos  und  dessen 
Tochter.  Unmittelbar  aus  den  erhaltenen  Zeilen  wird  folgende  Hand- 
lung ersichtlich.  Die  Kriegsgefangene  Glykeru  lebt  mit  Polemon.  Dieser 
überrascht  die  Glykera  im  Gespräche  mit  einem  jungen  Mann,  hält 
lieseu  für  einen  Geliebten  der  Glykera,  während  er  ihr  Bruder  ist, 
und  vergreift  sicli  daher  an  dem  Mädchen ,  indem  er  der  Glykera  das 
lantre  Haar  abschneidet.  Daher  der  Titel  des  Stückes:  ll£pr/.£'.po;j.£vTi. 
Glykera  entflieht  den  Händen  des  Wütenden ,  sucht  Schutz  in  dem 
Hause  des  Nachbars  Pataikos.  Während  nun  Pataikos  erkennt,  daß 
(tlykeia  seine  Tochter  ist,  wird  Polemon  über  seinen  Irrtum  in  betreff 
lies  jungen  Mannes  aufgeklärt.  Polemon  schickt  daher  das  schlaue 
Kammerkätzchen  Doris,  um  mit  der  Glykera  wegen  ihrer  Rückkehr  zu 
Polemon  diplomatisch  zu  verhandeln.  Polemon  läßt  einen  Opferschmaus 
herrichten.    Pataikos  und  Glykera  begeben  sich  zu  Polemon.    Pataikos 


o20     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Ilolzinger.) 

teilt  ihn»  mit,  daß  Glj^kera  seine  Tochter  ist,  und  bietet  sie  ihm  mit 
großer  Mitgift  als  Gemahlin  an.  Poleraon,  der  seine  Raschheit  durch 
Selbstvorwürfe  und  Verzweiflung  schon  abgebüßt  hat,  söhnt  sich  nun 
mit  Gl3'kera  völlig  aus  und  das  Fragment  schließt  mit  der  Andeutung, 
daß  Pataikos  noch  eine  zweite  Hochzeit  zu  stiften  liabe.  Er  will 
nämlich  seinen  Sohn  mit  der  Tochter  des  Philinos  vermählen,  womit 
augenscheinlich  eine  zweite  Handlung  des  Stückes  ihr  Ende  erreicht.  — 
Näheres  über  die  Rekonstruktion  der  ganzen  Komödie  ist  besonders  in 
dem  Aufsatze  Dziatzkos  zu  finden,  der  die  verschiedenen  Möglichkeiten, 
die  vorhandenen  Fäden  der  Handlung  weiterzuspinnen,  sorgfältig  erwägt. 
Natürlich  ist  hierbei  nur  zu  bloßen  Möglichkeiten  zu  gelangen,  auf  die 
ich  hier  nicht  weiter  eingehen  kann.  Übrigens  bringt  Dziatzko  auch 
einen  vollständigen  Text  des  Fragments,  zum  Teil  mit  eigenen  Er- 
gänzungen. —  Voi  züglich  das  Scenische  berücksichtigt  der  Aufsatz  von 
Oli Vieri.  Er  nimmt  (wegen  v.  43j  an,  daß  sich  vor  dem  Hause  des 
Polemon  ein  Altar  des  Apollon  Agyieus  befand.  Zu  diesem  Schlüsse 
reicht  aber  das  Material  nicht  aus.  Richtig  hingegen  ist  die  Bemerkung, 
daß  an  der  Scenenwand  drei  Wohnhäuser  zu  sehen  waren.  Dies  setzt 
natürlich  auch  Dziatzko  ausführlich  auseinander.  Es  liegt  in  der  Tat 
die  Annahme  sehr  nahe,  daß  nicht  nur  die  Häuser  des  Polemon  und 
des  Pataikos,  sondern  auch  das  Haus  des  Philinos  in  die  sichtbare 
Bühuenhandlung  einbezogen  war.  Hingegen  ist  der  Ort  der  Handlung 
nicht  mit  Sicherheit  festzustellen.  —  Eine  vollständige  Übersetzung  des 
Fragments  mit  übersichtlicher  Einleitung  enthalten  die  Aufsätze  von 
Piccolomini  und  von  ßoisacq.  Der  erste,  der  in  einer  italienischen 
Publikation  den  neuen  und  interessanten  Fund  besprach,  war  Setti. 
Er  geht  von  einer  Darstellung  Menauders  auf  die  neueren  Funde  über- 
haupt ein,  bespricht  also  auch  den  Georgos,  und  gelangt  zuletzt  zu  dem 
neuen  Fragmente,  zu  dem  er  eine  Inhaltsangabe  und  Übersetzung  ab- 
faßt. —  Weil  gibt  bei  der  Besprechung  der  Oxyrhj^nchus  Papyri 
Part.  II  auch  den  Text  des  Fragm.  der  riepusipoixevY),  dazu  einen  app. 
crit.,  eine  Übersetzung  und  einige  eigene  erläuternde  Bemerkungen.  — 
van  Her  wer  den  erzählt  den  Inhalt  des  Stückes,  gibt  den  ganzen 
Text  zum  Teil  mit  eigenen  Verbesserungsvorschlägen  und  kritischen 
Bemerkungen.  —  von  Wilamowitz  weist  besonders  darauf  hin,  daß 
einige  Personen  des  Stückes  nicht  geborene  Hellenen  sind,  und  legt, 
wie  in  dem  Aufsatze  über  den  Georgos,  den  Nachdruck  auf  die 
Charakterzeichnung.   — 

Zur  Vervollständigung  der  Berichte  über  die  Papyrusfunde  sind 
beizuziehen: 

C.  Haeberliu,  Griechische  PapjTi.  Sonderabdruck  aus  dem 
„Centralblatt  für  Bibliothekswesen",  1897. 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Uolzinger.)     321 

Paul  Viereck,  Bericlit  über  die  ältere  Papyrusliteratur,  Jahres- 
bericht f.  Altertumsw.  XXVI.  Bd.  96-99.  1898,  S.  135  ff.,  vgl. 
Berl.  phil.  Wo.  1899,  Sp.  259. 

Wilhelm  Crünert,  Literarische  Texte  mit  Ausschluß  der  christ- 
lichen     Archiv  für  Papyrusforschung  I.  1900,  S.  104  ff. 


E.  Hauler,  Ein  Bruchstück  des  Menander  und  des  Sotades.  — 
Eranos  Vindobouensis  1893,  p.  334 — 344. 

In  der  Pariser  Xationalbibliothek  entdeckte  Hauler  im  Cod.  Graec. 
No.  454  (cod.  bombyc.  geschr.  vom  Priester  Basilius  im  J.  1448)  und 
zwar  innerhalb  eines  Hiobkonimeutares  des  Ps. -Origenes  auf  fol.  126  a 
ein  bisher  unbekanntes  Citat  aus  Menandros.  Es  sind  11  Trimeter,  die 
jedoch  nicht  alle  neu  sind.  Der  Inhalt  ist  ein  paränetischer.  Gott  ist 
gut.  Das  Gute  im  menschlichen  Leben  ist  auf  ihn  zurückzuführen. 
Der  Mensch  trägt  selbst  die  Schuld  an  den  Übeln,  die  ihn  betreffen. 
Hauler  weist  auf  Piatons  Rep.  II,  p.  379  C  als  auf  eine  Quelle  für  den 
Gedanken  hin  und  vermutet,  daß  die  Verse  dem  'V-o|^oXtixaio;  f,  A-.poiy.oc 
entlehnt  seien,  weil  Menand.  frag.  482  und  483  wie  eine  direkte  Ent- 
gegnung auf  den  oben  angeführten  philosophischen  Gedanken  anmuten.  — 
Der  Scholiast  beschließt  das  Citat  aus  Menandros  mit  dei-  Bemerkung: 
o'jxoüv  xax'  a-jtov  ouoevoc  v.ny.oZ  airio;  6  Usoc  und  bringt  gleich  darauf 
ein  Citat  aus  dem  xu>[i.i)cc(^  l'ojTaor,;  [Xapivot;  fügt  Hauler  ex  conj.  hinzu 
statt  des  überl.  /«piv  wj].  Das  Citat  lautet  nach  einigen  Textänderungen, 
an  denen  sich  auch  Theodor  Goraperz  beteiligte:  zl  [xsTa  -o  ixaftetv  | 
o'jy.  Tjv  Tra&eiv,  a  oei  izaSeiv,  oei  7ap  fiaösiv  '  |  si  osT  -aftsTv  |j.£,  xav  [xaOto, 
Ti  oei  p-aösiv;  |  ou  öei  ixa&siv  ap'  S  oei  -aDstv  •  osi  -(äp  TraOöiv.  |  Der  ge- 
nannte Sotades  ist  nicht  der  Alexandriner,  6  -rtöv  'Ituvixüiv  ajfiattuv  ttoitj- 
TT,;  0  .Vlapwvitr,;  (Athen.  VII,  293  A),  sondern  der  weniger  oft  genannte 
Athener,  einer  der  letzten  Dichter  der  mittleren  Komödie.  Vgl.  Mein, 
bist.  erit.  I  426  und  Kock  GAE  II,  p.  447.  —  Durch  die  Schreibung 
Xaptvoii  hätte  Hauler  einen  neuen  Komödientitel  für  diesen  Sotades  ge- 
wonnen, worüber  er  sich  ausführlich  ausspricht. 

Über  die  in  dem  Lexicon  Messanense  und  dem  Sabbaiticum  ent- 
haltenen Menanderfragmente  ist  in  diesem  Berichte  an  anderer  Stelle 
gehandelt.     Vgl.  S.  293. 

J.  Raeder,  Ad  Menandrum.  —  Nordisk  Tidsskrift  for  Filologi 
1896,  S.  54-56. 

Für-  Menand.  109  Kock   schlägt  der  Verfasser  folgenden  wesent- 
lich umgestalteten  Text  vor:  'AYctööv  ti  7ivo'.t",  u)  -oXo-ijxrjToi  öeot.  |  u-o- 
oouftevo;  ^ap  l|xßaöoc  xf,?  6s$t5;  [  xov  ijxavTa  oieppT)^'  und  für  die  nächste 
Zeile  (TjjLtxpoXoi'o;  an  Stelle  von  [XüxpoXoYo;.     Daß  uoXu-i|j.t)toi,   was  auch 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVI.    (1903.    I.)  21 


322     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

Clem.  Alex.  Strom.  VII,  4,  24  p.  842  P  gibt,  wieder  iu  sein  Recht 
eingesetzt  wird,  muß  man  wohl  billigen;  ebenso  sind  die  Gründe  zu 
beachten,  auf  welche  Raeder  die  Ausmerzung  des  in  die  erste  Zeile 
eingedrungenen  p-oi  zu  stützen  weiß. 

H.  van  Herwerden,  Ad  fragmenta  Comicorum  graecorum.  — 
Mnemos.  NS.  XXIV,  1896,  p.  397—404. 

Der  Aufsatz  enthält  mehr  als  ein  Dutzend  neuer,  zumeist  kritische- 
Bemerkungen  zu  den  Com.  Att.  Frag.  Gelungen  scheinen  mir  die  fol- 
genden: Bei  Alexis  fr.  266  v.  7  schreibt  Herwerden:  ouy.  la-c'  exsivoc 
e'j)(epT]f  ouTüJc  dvTQp.  —  Bei  Henioch.  fr.  5  v.  17:  ovo|x'  eaxi  xotvö'  dpt- 
atoxpaiia  {}aT£pa.  —  Bei  Timokl.  fr.  6:  x:apa{jLUÖia?  st.  des  unmetrischen 
TTapa'j;u-/af.  —  Bei  Menand.  fr.  570:  5.  Xavl^aveiv  xij  Po'jXet  aXXov  eloevai 
St.  ßouXexai  xaux  siSevat.  —  Bei  Menand.  fr.  687  ist  nach  suseßr^c  das 
Fragezeichen  zu  setzen.  Bei  [Menand.]  fr.  693  schreibt  Herwerden 
l7iicp9ovü)Tepov  st.  euToviuTspov.  —  Die  übrigen  Bemerkungen  würde  ich 
ablehnen.  Z.  B.  schreibt  Herwerden  bei  Aristoph.  fr,  106  Aaxyjxa  xal 
Me^axXea  xal  Aajxayov,  während  Aristophanes  das  mittlere  a  von  Me- 
gakles  an  allen  Stellen,  an  denen  er  den  Namen  bringt,  kurz  mißt.  — 
Bei  Anaxandrid.  fr,  34  v.  10 — 11  erklärt  Herwerden  apva  und  xptov  in 
obscönem  Sinne,  was  gewiß  nicht  richtig  ist,  mag  sich  unter  dem  xatvöc 
OsaTpoTtotoc  des  v.  9  was  immer  für  ein  noch  ungelöstes  Rätsel  ver- 
bergen. 

F,  Blaß,  Verse  von  Komikern  bei  Clemens  Alexandrinus,  — 
Hermes  XXXV,  1900,  p.  340—342. 

Blaß  gewinnt  iu  diesem  Aufsatze  aus  dem  Paedagogus  des  Clemens 
3  Komikerfragraente,  zusammen  7  Verse  sentenzenhaften  Charakters, 
die  er  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  dem  Menandros  zuspricht.  Dazu 
kommen  dann  einige  vereinzelte  Zeilen  eben  derselben  Schrift,  in  denen 
der  Charakter  des  Komikerverses  zwar  etwas  weniger  deutlich,  aber 
immerhin  noch  klar  genug  hervortritt. 

G.  Kaibel,  Sententiarum  liber  sextus.  Hermes  XXVIII,  1893, 
p.  48. 

Th,  Kock,  Kom.  Apollodoros  fragm.  i3  K.,  Rh.  Mus,  49,  1894, 
p.   162—163, 

Kaibel  greift  in  einer  etwas  unhöflichen  Weise  einige  Konjekturen 
Theodor  Kocks  zu  Apollodor  in  Com.  Att.  Frag.  III,  p.  291 — 293  an. 
Hiergegen  verteitigt  sich  Kock  im  genannten  Aufsatze  auch  nicht  ohne 
Schärfe.  Man  muß  Kock  hierbei  einigemal  Recht  geben,  |  In  den  Versen: 
öei  Tov  dcxpoaxTjv  xal  auvexöv  ovtoj;  xpiTYjv  |  irpo  xoü  Xe^ofAevou  xov  ßtov 
S'.aaxoTcetv,  wäre  allerdings,  wie  Kaibel  meint,  Xo-you  dem  XsYGfxevou  weitaus 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.)     323 

vorzuziehen.  Aber  da  Kaibel  des  Metrums  weiien  tou  ^6700  \ih  schreiben 
muß,  findet  Kock  mit  Recht,  daC  dieses  \ih  hier  ein  sehr  unangenehmes 
Flickwort  ist.  Leichter  als  jenes  fxev  nach  X670U  nimmt  man  noch  das 
XeYOfxevou  in  den  Kauf.  —  Vers  14  druckt  Kock  in  folfjender  Gestalt: 
ou  roXiv,  oXtjV  cp uXt)v  8k  [xaXaxo;  dvaxpeTrei.  Im  Kommentar  hierzu  empfiehlt 
er  die  Vermutung:  oü  tioXiv  6|xoü  cpi'Xotc  6  fxaXaxoc  dvarpensi;  indem  er 
<puXTiv  als  ineptum  bezeichnet.  Kaibel  verstand  den  Kockschen  Vers  in 
dem  Sinne,  daß  der  Lüstline:  durch  die  Mithilfe  seiner  Genossen  den 
Umsturz  des  Staates  herbeiführe.  —  Kaibel  tadelt  diese  Anwendung 
von  61X0Ü  --  auv  in  der  alltäglichen  Sprache.  —  Allein  Kock  wollte  den 
Apollodoros  sagen  lassen,  daß  der  Lüstling  nicht  nur  seine  Freunde  zu 
Grunde  richtet,  sondern  den  ganzen  Staat.  Und  daß  6|xou  —  auv  ganz 
alltäglich  sei,  weist  er  durch  schlagende  Beispiele  aus  den  Komikern 
nach:  Aristoph.  Eccl.  404:  !Jx6poo"  ojxoy  xpi^iavt  druo.  Dann  zieht  Kock 
gegen  Kaibels  Konjektur  zu  Felde:  ou  -oXiv,  oXrjv  'puaiv  0'  0  [xaXaxoc 
dvatpETiet.  Im  Unrecht  sind,  wie  man  sieht,  beide.  Kaibels  Vers  ist 
dem  Sinne  nach  unmöglich.  Der  Gedanke  aber,  den  Kock  in  seine 
Fassung  des  Verses  hineinlegen  wollte,  müßte  in  sprachlicher  Hinsicht 
umgemodelt  werden.  So  sind  denn  also  auch,  wenn  man  will,  beide  im 
Kechr. 

G.  Kaibel,    Senteatiarum  über  septimus.     Hermes  XXX,    1895, 
p.  429—446. 

Dieses  Buch  beschäftigt  sich  fast  ausschließlich  mit  der  alt- 
attischen Komödie  und  zwar  vorzugsweise  mit  Fragmenten.  Sehr  un- 
angenehm für  den  Leser  ist  es,  daß  Kaibel  diese  Fragmente  fast  durchweg 
nur  nach  den  Fundstellen  bezeichnet  und  nur  in  seltenen  Fällen  die 
Zählung  der  Kockschen  Fragmentsammlung  angibt.  Da  aber  die  Polemik 
Kaibels,  wie  natürlich,  gegen  seine  Vorgänger  gerichtet  ist  und  zum 
guten  Teile  auf  ihrem  Apparate  fußt,  hat  der  Leser  stets  nur  dann 
einen  Einblick  in  die  Tragweite  und  den  Grad  der  Originalität  der 
gegnerischen  Behauptungen,  wenn  er  sich  die  Fragmente,  um  die  es 
sich  handelt,  mit  großem  Zeitverluste  bei  Kock  nachgeschlagen  hat.  — 
Um  meinen  Lesern  die  gleiche  Mühe  zu  ersparen,  eitlere  ich  im  folgenden 
alle  Fragmente  nach  Kocks  Ausgabe,  ohne  dadurch  dem  Urteile,  ob 
man  jedesmal  mit  Kocks  Text  einverstanden  sein  müsse,  irgendwie 
vorzugreifen.  —  In  Aristoph.  fr.  50G  und  480  wird  Kocks  Text  gebilligt. 
Hier  bringt  Kaibel  nichts  Neues.  Neu  aber  überaus  zweifelhaft  ist 
Kaibels  Behauptung,  daß  man  in  Kratin.  fr.  234  xuXixo;  streichen 
müsse.  In  Aristoph.  fr.  629  ist  weder  Kocks  Text,  noch  auch  Kaibels 
p-eXotvo  -/XüitTa,  TTiTta  BpexTi'a  Trap^v  überzeugend.  Das  Gleiche  gilt  von 
Aristoph.  fr.  544,    wo  Kaibel    6    X13-6-U70C  dpa  xxX.  anempfiehlt.     Für 

21* 


3.?4     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

unerwiesen  halte  ich  auch  Kaibels  dirMiU  st.  azooCz  bei  Kratin.  fr.  219 
und  Kaibels  ^8e  onrooia  bei  Kratin.  fr.  162.  Weiteihin  vergleicht 
Kaibel  Eupol.  fr.  ine.  352  mit  Aristoph.  fr.  490  und  behauptet,  daß 
Eupolis  fr.  352  nicht  dem  Eupolis.  sondern  dem  Aristophanes  gehöre. 
Der  erste  Vers  dieses  Fragments  sei  zu  schreiben :  xi  orj-c'  e-yw-y'  exeivovt 
Tov  TTTcoyöv  aooXsr/Yjv.  Bezütrlich  der  Provenienz  dieser  Verse  gibt 
Kaibel  nur  noch  an,  daß  sie  nicht  aus  den  Wolken  stammen.  Die  Be- 
weisführung ist  recht  unsicher.  —  Verdienstlich  sind  hingegen  folgende 
Bemerkungen  Kaibels.  Bei  Eupol.  fr.  308  lese  man  -pwTov  und  nicht 
TcpwTco?  oder  TTpüJTo^.  In  Kratin.  fr.  129  ist  die  IJberliefernng  uapaXs- 
^aixsvoj  beizubehalten.  Ganz  richtig  bezieht  Kaibel  den  Vers  auf  die 
Zubereitung  eines  Fisches.  —  In  Kratin.  fr.  364  schreibe  man  mit 
Kaibel:  mjjoxwviav  "Apr^v.  —  Das  beste  an  diesem  Aufsatze  und  des 
Namens  Kaibels  würdig  ist  die  Behandlung  von  Eupolis  fr.  70  und  71. 
Kaibel  beweist,  daß  fr.  71  nicht  von  Herakleia  handelt,  sondern  von 
Amynias.  Dabei  fällt  ein  Licht  auf  die  im  Zusammenhange  vorge- 
tragenen Stellen  über  Amynias  bei  Aristoph.  Nnb.  685  ff.,  Vesp.  463  ff., 
1268  ff.  Amynias  kam,  nach  Kaibels  wahrscheinlicher  Ansicht,  als  Ge- 
sandter Athens  und  zwar  vielleicht  als  Stratege,  nach  Thessalien  (Phar- 
salos),  um  durchzusetzeu,  daß  dem  Durchmarsche  des  Brasidas  Schwierig- 
keiten in  den  Weg  gelegt  würden.  Amynias  werde  nun  von  den  Ko- 
mikern einer  TtapaTipsaßsia  geziehen,  als  habe  er  heimlich  die  Interessen 
der  Lakedaimonier  gefördert.  Die  Seriphier  des  Kratinos  (vgl.  schol. 
Aristoph.  Nub.  687  (691)  =  Kratin.  fr.  212),  in  denen  Amj^nias  eben- 
falls verspottet  wurde,  setzt  Kaibel  in  denselben  Zeitraum  als  die  ttoXsi? 
des  Eupolis,  die  er  mit  Brandes  Observ.  crit.  p.  6  auf  die  Dionysien 
des  J.  422  fixiert.  Vgl.  hierzu  die  Diss.  von  Je.  Zelle,  1892,  S.  34.  — 
Verunglückt  ist  hingegen  die  Behandlung  von  Hermipp.  fr.  69,  wo  das 
Wort  U7ra7ü)7su?  den  Anstoß  bildet,  wie  in  Arist.  Av.  1150.  Kaibel 
nimmt  uTLa^wYsüjt  „sensu  translato''  als  „uormam  vel  regulam  vel  ca- 
nonera  =  upo;a7(u7iov''.  Aber  irpo^a-cuj-yiov  ist  etwas  anderes  als  G-a-^w- 
7s6?.  Darum  heißt  es  auch  anders,  d-a-no-ivj;  ist  eine  Kelle,  und  kein 
Richtscheit  oder  Lineal.  Die  fehlerhafte  Überlieferung  c'jvs^rt  7ap  of, 
oea|xiüi  |X£v  ouoevi,  xoTsi  o  UTraYw-'SÜJi  "oi?  aü-oü  xpoTCOt;  verwandelt 
Kaibel  folgendermaßen:  ^uvesxi  7ap  oq  ozikoiti  |x£v  ouosvi, 

ypYjSTOiai  o'  u;ra7a)7£ÜJi  totj  auxoü  tponoi;.  — 
Kaibel  spricht  also  von  jemand,  für  den  nur  sein  eigener  guter 
Charakter  die  Richtschnur  abgibt.  Hermippos  hingegen  scheint  von 
zwei  Personen  zu  reden,  deren  eine  mit  der  anderen  durch  kein  anderes 
Band  verbunden  ist,  als  durch  ihre  guten  Eigenschaften,  also  z.  B,  nicht 
durch  Verwandtschaft,  Alter,  Ehe,  Vorteile,  geschlechtliche  Liebe  u.  dgl.  — 


Bericht  übf-r  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger)     325 

Es  freut  mich  zu  sehen,    daß  auch  Carl  Robert  (Hermes  33.  S.  586) 
für  die  Überlieferung  osTfinp  und  geg'en  Kaibel  Stellung  nimmt. 

W.  Headlam,  Various  conjectures  III.  (Ad)  C^onücoruni  grae- 
corum  fi-agmenta.  —  The  Journal  of  Philology.  XXIII,  18!»5,  i^.  27y 
-286. 

Headlam  behandelt  hier  gegen  '60  Fragmente  griechischer  Komiker, 
darunter  einige  vuii  Kratiuos,  Phcrekrates,  ilermippos,  Eupolis,  Anti- 
phanes,  Philemon,  Menander.  Einige  Exegesen  müssen  als  ganz  ge- 
lungen bezeichnet  werden.  Z.  B.  wird  Phorekr.  150  Kock:  'i^zizv^  ä'xfov 
iSsüpo  repo'.y.o;  toottov  durch  das  Sprichwort  erklärt:  IJEpot;  ooo'jjov  •  «vtI 
TOü  •  Tayetuc  il^i.  —  Zu  Menand.  745  i-'i  oi  \  -j-uvr]  Xi-jr^zt  y^r^sW  ursp- 
ßaXXtov  961^0;  hat  Kock  die  Bemerkung:  ,,(^uid  sibi  velit  cpo^o^  non 
exputo."  Richtig  erklärt  Headlam  durch  den  Hinweis  auf  Menand.  652: 
TOTE  Tai  7uvarxotc  Öeoieva'.  fj.a/aiT'Z  Sei,  ot7.v  rt  rspizXaxTcoj'.  toij  ypYjdTors 
Xd-ioii.  Daß  'fo-ioc  hier  nur  den  Gegenstand  der  Furcht  bezeichnen 
kann  und  daß  die  Sentenz  des  Menandros  für  Damen  wenig  schmeichel- 
haft ist,  ist  doch  wohl  ganz  klar.  Mau  muli  sich  nur  wundern,  daß  es 
rotwendig  ist,  dergleichen  hervorzuheben.  — 

Auch  in  den  Konjekturen  ist  Headlam  einige  Male  glücklich. 
Z.  B.  Hermippos  frag.  1,  das  Kock  in  der  Gestalt:  o  Zs-j;  „öiowixt 
llaXXac"  rjji  ,TO'jvo[jLa."  wiedergibt,  erhält  durch  Headlam  bei  engstem 
Anschlüsse  an  die  verderbte  Überlieferung  folgende  Form:  6  Ze-j;  8' 
lOüjv  viv   „IlaXXac'"  r;3''  ^.TO'jvojAa." 

Gut  scheint  mir  auch  die  Einführung  eines  zweiten  Sprechers  in 
der  berühmten  Stelle  des  Eupolis  (frag.  94,  v.  4  Kock)  über  Perikles: 
K.  tayuv  Xe-fSic  |xev.  A.  -poj  6e  -{  auroü  tw  taysi  |  tteiOüi  tic  E~£xa»)t^£v  xtX, 
—  Bei  mancher  anderen  Vermutung  könnte  ich  allerdings  nicht  mittun, 
Z.  B.  bei  Kratinos  frag.  26  halte  ich  es  für  vorsichtiger,  mit  Kock  zu 
sagen:  quid  sit  sppal^c  rpöc  Tf,v  -jrjv  nescio  als  mit  Headlam  (p.  295) 
das  ^  einfach  in  S  zu  verwandeln  und  zu  behaupten,  daß  die  Worte 
bedeuten  „warf  ihn  zur  Erde".  Denn  -ol^  t/jv  -j^v  sieht  neben  sppaCe 
einem  Glossem  ähnlich.  Vgl.  S.  296  d.  Ber.  —  Auch  bei  Antiphancs  frag. 
227 :  Ttj  ^ip  rß.ri  TjfjLüiv  To  [xeXXov,  oa  -aBsTv  -/.tX.  ist  Meinekes  y.atoio'  (statt 
010')  noch  immer  ein  leichteres  Mittel  zur  Herstellung  der  Jamben,  als 
Headlams  geschraubte  Wortfügung:  -i'c  ^ap  tö  [xeXXov  otSsv  Tjfxoiv  y.tX.  — 

V.  Hoelzer,  De  poesi  amatoria  a  comicis  Atticis  exculta,  ab 
elegiacis  imitatione  expressa.     Pars  prior.  —  Marpurgi  1899. 

Der  Verf.  beabsichtigt  zu  erweisen,  daß  viele  Gedanken  über  die 
Liebe,  dann  Stoffe,  die  diesem  Gebiete  entlehnt  sind,  ja  sogar  einzelne 
Figuren,  wie  der  ausgesperrte  Liebhaber,  die  verschmitzte  Kupplerin, 
der  piablerische  Soldat,    die    von  den  römischen  Elegikern  verarbeitet 


326     Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 

sind,  eine  nahe  Verwandtschaft  mit  der  Behandlung:  dieser  Gedanken, 
Stoffe  nnd  Figuren  in  der  neuen  attischen  Komödie  verraten.  Hoelzer 
geht  nun  darauf  aus,  zu  zeigen,  daß  diese  Abhängigkeit  des  TibuUus, 
Propertius,  Ovidius  von  der  griechischen  Komödie  nicht  auf  dem  We?e 
durch  Plautus  und  Terentius  zu  stände  kam.  sondern  durch  die  alexan- 
drinischen  Elegien  auf  Menandros  und  seine  Knnstgenossen  zurückführt. 
Manches  hiervon  verfolgt  der  Verfasser  auch  bis  in  die  alte  Tragödie 
zurück.  — 

A.  W.  Pickard-Cambridge,  Select  fragraents  of  the  greek 
Comic  poets.     Oxfoid  1900. 

In  diesem  Bändchen  hat  mau  es  mit  einer  Auswahl  von  Komiker- 
fragmenten für  Studierende  zu  tun.  Mit  Recht  sagt  der  Verfasser  in 
dem  Vorworte,  daß  die  Fragmeute  darum  wenig  gelesen  werden ,  weil 
die  Sammlungen  von  Meineke  und  Keck  nicht  jedermann  zugänglich 
und  für  Anfänger  schwer  zu  handhaben  sind.  Ob  man  aber  die  Druck- 
legung der  Auswahl  nicht  hätte  dem  Verleger  der  Kockscheu  Gesamt- 
ausgabe überlassen  müssen,  ist  für  mich  wenigstens  eine  andere  Fi-age. 
Pickard  hat  Aristophanes  verhältnismäßig  wenig  berücksichtigt,  weil 
dieser  Meister  auch  den  Studierenden  durch  einige  ganze  Dramen  be- 
kannt sind.  Bei  der  Auswahl  aus  den  übrigen  Komikern  findet  mau 
ein  Hauptgewicht  auf  längere  zusammenhängende  Bruchstücke '  gelegt. 
In  der  Gestaltung  des  Textes  verfährt  der  Verfasser  konservativer  als 
Kock,  was  sich  natürlich  bei  einer  Auswahl  auch  leichter  durchführen 
läßt.  Ein  Inhaltsverzeichnis  der  Fragmente  ist  als  eine  nach  Stoffen 
angeordnete  Übersicht  derselben  (table  of  subjects)  vorausgeschickt. 
In  einem  Anhange  S.  173 — 203  sind  einige  erklärende  Anmerkungen 
zusammengestellt.  Daß  das  Büchlein  nach  der  praktischen  Seite  hin 
gute  Dienste  leisten  kann,  wird  man  wohl  kaum  in  Abrede  stellen 
dürfen, 

0.  Crusius,  Com.  adesp.  410  p.  485  Kock.  Philologus  LIX, 
1900,  p.  315—316. 

In  dieser  Miszelle  verweist  Crusius  auf  seine  Besprechung  von 
Kocks  fragmenta  incerta  in  d.  Gott.  gel.  Anz.  1889,  5,  169  ff.  (1890, 
17,  689^)  und  zeigt,  daß  Kocks  frag.  ine.  410  (III,  p.  485)  kein  Dichter- 
fragment ist,  sondern  Plutarchs  vit.  Lyc.  c.  10  angehört,  woher  es 
Porphyr.  De  abstin.  4,  4  entlehnte.  — 

Anmerkung.  Die  Titel  einiger  Werke,  die  mir  nicht  zugänglich 
waren,  sind  mit  einem  Sternchen  bezeichnet.  —  Einige  Erscheinungen,  die 
ursprünglich  in  den  Bericht  aufgenommen  waren,  wurden  wegen  ihrer  ge- 
ringen Bedeutung  schliesslich  wieder  ausgeschaltet. 


Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Hoizinger.)      327 


Verzeichnis 

der  Namen   der   in   diesem   ßerichte   behandelten  Autoren. 


A^ar  315. 

AUeiE^re  255,  271. 

Allen  186. 

Anonymus  169,  220. 

Arnold   212. 

0.  Bachmann  165.  180, 

231,  288. 
Bermann  204. 
liertheroy  198. 
Bcthe  229,  289. 
ßielecki  183. 
F.  Blass  179,  229,  262, 

•266.   303,    304,   312, 

315.  318,  322. 
Blaydes  161. 
Bodensteiner  178,   279.. 
Boisacq  318. 
Bonner  203. 
Boros  160. 
Eorromeo  165. 
Boiitens  288. 
Breusinir  250. 
Biognola  267. 
Buiy  162,   233,  314. 
Capps  173,   174. 
Oluirch  16Ö. 
Comparetti  234,  268. 
Corazzini  190. 
Couatl64.  176,184,201. 
Crönert  317,  321. 
Cnisius  303,   312,   326. 
Daehn   177. 
Damste  214,  229. 
Danka   160. 
Decker  206. 
Dönis  199. 
Deschanel   164. 
DJeterich  214. 
Dörpfeld  177,  178,  185. 
F.  Dümmler  172,    173. 
Dufoui-  184. 


Dziatzko  315,  318,  319. 

Ellis  312. 

Exon  279,  282. 

Fairclough  253. 

Ferrieri  201. 

Ferte   199. 

Fraccaroli  304. 

Franchetti  234, 268,269. 

Franchi  239. 

Frere  165. 199,204.252. 

Galanti  307. 

Geflfcken  308. 

Geldart  162,  233. 

Godley  252,   253. 

Gomperz  292,  309,  321. 

Graeven  286. 

Graf  261. 

Graves   162,  219,  220. 

Green  162. 

Grenfell  303,  313,  318. 

Gulick  246,  289. 

Haeberlin315,  318,  320. 

V.  Hahn  160,  315,  319. 

Hailstone  218. 

Halbertsma  190. 

F.W.Hall  162,  233,256. 

Hallerstadt  267. 

Hauler  321. 

Hawkiiis  164. 

Haym  175. 

Headlam  188.  203,  290, 
301,  325. 

Hecht  164. 

Hegedüs  160. 

Heiberfj   169. 

Heidhues  213,  216. 

Helm  239. 

Herwerden  1 62,180, 187, 
188,  210,  222,  230, 
231,  291,  297,  298, 
304,  313,  319,   322. 


Hessen  170. 
Hickie  164,  269. 
Hirschberg  182.  205. 
Hodffes  235. 
Hoelzer  309.  325. 
Hogarth  252,  253. 
Hoizinger  161,190,  222, 

260,  273,  275,  278, 

280,  283,  285. 
Hornyansky  160. 
F.  Hnltsch  302. 
Th.  Hultzsch  208. 
Hunt  303,  313.  318. 
Huntingford  253. 
Jackson  225. 
Jannaris  296. 
Jernstedt  275,  309. 
Ijzeren  188,  283,  288. 
Jungius  181. 
Kaehler  172.  185,  192, 

308. 
Kaibel  163,    165,  175, 

279,   315,   322,  323. 
Kellogg  203. 
Kenyon  312,  317. 
J.  B.  Koch  212. 
Th.    Kock     163.    293, 

298.  309,   312,  322. 
Konarski  160. 
Kornilofif  220. 
Lakon  193. 
E.  Lange  167. 
Leenwen  161,  172,  204, 

205,  209,  211,  216, 

217,  222,   230,  237, 

240,  247,   253,  256, 

258,  259,   260,  263, 

289,  290,  315. 
Lettner  175. 
Lindskog  308. 
H.  Lübke  307. 


,'i28      Bericht  über  die  Literatur  der  griechischen  Komödie.  (Holzinger.) 


Mabaffy  292,  311. 

Poyard  164. 

Marindill   272. 

Prout  219. 

A.Martin  216,  282 

284. 

Qninn  268. 

Marzi  270. 

Rabe  293. 

Meiner.s  288. 

Kadermacher  264. 

Merry   162,  163,  219. 

Raeder  321. 

W.  Meyer  306. 

Ranisay  226. 

Mifhelaiigeli  266. 

F.  Rauke  308. 

Mischtschenko  220 

Th.  Rein  ach  313. 

Mlynek  241.  244. 

8.  Reiter  182. 

Albert  Müller  195, 

214. 

Reitzensteiii   212, 

293, 

278. 

294. 

Naber  253. 

H.  Richards    170, 

194, 

Nairn  265,  268. 

259,  294,   301, 

315. 

Nazari  167. 

Riess  168. 

A.  Nanck  306,  309, 

311. 

Carl  Robertl  72,220.228, 

Neil   163. 

229,  243.   279, 

325. 

Nicole  312. 

W.  R.  Roberts  169. 

Nicolson  269. 

Robertson   167. 

Y.  T.  0.  198. 

Roemer  171,  216. 

Oeri  273. 

Rogers  220, 

Olivieri  167,  305, 

315, 

Romagnoli     175, 

183, 

318. 

235,  240,    243, 

244. 

F.  A.  Paley  164. 

Ruppcrsberg  250. 

Papadimitrakopiüos  178. 

Rntherford    245, 

260, 

Papadopulos    Keraraeus 

270,    280,  282, 

283, 

293. 

296,  301. 

Pascal  295. 

Saint  Victor  197. 

Passow  191. 

S.  Scaevola  218. 

Pecz  180. 

Carl  Schenkl  312. 

Peppmüller  269. 

Scherrans  166,  305. 

Pen  in  241. 

Rudolf  Scholl  285, 

287. 

E.  Petersen  246. 

Schwandke  213. 

P.  Petersen  201,  258. 

Setti  307,  318.' 

Photiadis  291. 

Shilleto  225. 

Piccolomini    205, 

207, 

N.  Smith  315. 

236.   238,  300, 

317, 

Sonny  195,  257,  305. 

318. 

Starkie  162,   192, 

219, 

J.  Pickard  .177. 

222. 

A.     W.    Pickard - 

Cam- 

G.  Stein  288. 

bridge  326. 

R.  Steiner  193. 

Plaisfowe  218,  252.        | 

Sternbach  306. 

A.  Platt  218,  312. 

Steurer  185. 

Poppelreuter   172. 

Strachan  180. 

Poste  268. 

Studniczka  305. 

Carmen  Sylva  197. 
Talbot  200. 
Thoibidopulos  220. 
E.  S.  Thompson  224. 
Treudelenburg  246. 
Tacker  227,  264. 
Tyrrell  231,  250. 
ückermann  179,  231. 
Vahlen  192,   205.   208, 

209.  210.  236,  247. 
Velseii  205.   209. 
Viereck  321. 
Villehervfc  249. 
Voelker  169. 

W.  Vollgraff  225. 
Vürtheiin  227,  245. 
Wageningen  297. 
H.  Weil  303,  304,  305, 

312.  315,  318. 
Weinberger  315. 
Weissmann  214.276,278. 
K.  Wernicke   203. 
K.  Wessely  292. 
.T.  W.  White  248,  275. 
R.  E.  White  227. 
Winans  215.     ' 
Wilamowitz    195,    196, 

250,   251,  272,  274, 

281,  304,   309,  312, 

315.  318. 
A.  Wilhelm  174. 
A.   Willems    199.    200, 

210,  223,  227,  232, 
242,  245,  263. 

H.  F.  Wilson   253. 

Zacher  163,  178,  186, 
188.  202,  209,  210, 
213,  214,  267,  279, 
283,  288,  289,    306. 

Zelle  164,  324. 

Zevort  199,  249. 

Zielinski  175,  177,  192, 
195. 

^uretti  185,  186,  251, 
254,  318. 


JAHRESBERICHT 

über 

die  Fortschritte  der  klassischen 

Altertumswissenschaft 

begründet 

von 

Conrad    Bursiau 

herausgegeben 

von 

T^.  Ciiirlitt  itiici  TV.  Ki'oll. 


Hundertundsiebzelmter  Band. 

Einunddreissigster  Jahrgang  1903. 

Zweite  Abteilung. 

Griechische  und  lateinische  Autoren. 


LEIPZIG  1904. 

O.    R.    R  E  1  S  L  A  N  D. 


Inhalts- Verzeichnis 

des  hundertiindsiebzehnten  Bandes. 


Söite 


Bericlil    iil)or  dio    lionierischen  Realien    189(1—1902   von 

A.  Gomoll  in  Striegau 1— 4() 

Bericht  über  die  Xeuophon  betreffenden  Schriften  aus  den 

Jaiiren  1899—1902.    Von  Ernst  Ri(-liter  in  Berlin  47     78 

Bericht    über  Horodot    1898-1901    von    J.  Sitzler    in 

Tauberbischofsheim 74-101» 

Berieht    über  Piudar    1901 — 1902    von  L.  Bornemann 

in  Hamburg 110—137 

Bericht  über  die  Literatur  zu  den  rhetorischen  Schriften 
Ciceros  aus  den  Jahren  1900 — 1902.  Von  Georg 
Ammon  in  München 1;j8 — 154 

Bericht  über  die  Arbeiten  zu  den  römischen  Rednern  (im 
weiteren  Sinne,  mit  Ausscliiuss  von  Cicero,  Corni- 
licius,  Seneca.  Quintilian.  Calpurnius  Flaccus,  Apu- 
leius,  Ausonius  und  der  christlichen  Schriftsteller)  aus 
den  Jahren  1897—1902  von  Karl  Burkhard  in 
Wien 155-  180 


Bericht  über  die  homerischen  Realien  1896  -  1902 


von 
A.    G  e  m  0  1 1 

in  Striegau. 


I.    Allgemeines. 

W.  C.  Lawton,  Art  and  humanity  in  Homer.    New  York  1896. 

Das  kleine  Buch  ist  eine  Sammlung-  von  Essays,  die  ursprünglich 
in  der  Zeitschrift  Atlantic  Montiily  erschienen  sind.  Die  Sammlung  soll 
den  Zwecken  des  höheren  Unterrichts  dienen,  speziell  den  Zwecken  der 
American  society  for  the  Extension  of  University  Teaching.  Sie  ent- 
hält 7  Essays:  1.  Die  Ilias  als  Kunstwerk,  2.  die  Frauen  der  Ilias, 
3.  der  Schluß  der  Ilias,  4.  der  Plan  der  Odyssee,  5.  die  homerische 
Unterwelt,  6.  Odysseus  und  Nausikaa,  7.  nachhomerische  Anwüchse  an 
die  trojanische  Sage.  Den  Schluß  bildet  eine  kurze  Inhaltsübersicht  mit 
daran  schließenden  Themen  für  ein  eingehenderes  Studium  der  akade- 
mischen Jugend. 

C.  Haeberliu,  Drei  Paradoxen,  in  Wocheuschr.  für  kl.  Phil. 
13.  Jahrg.  1896  Nr.  36. 

Hierher  gehört  das  erste  Paradoxon.  Der  Dichter  der  alten  hom. 
Epen  war  eih  Thessaler,  welcher  nicht  Houieros  hieß.  Dieser  war  der 
blinde  Sänger,  der  in  dem  h.  Apoll,  von  sich  selber  zeugt.  Beweis: 
das  gleichzeitige  Zusammentreffen  von  Vau  und  Heta.  Die  lonier  hatten 
kein  Vau,  die  Aoler  keine  Aspiration. 

J.  Weck,  Homerische  Probleme.     Progr.     Metz  1896. 

Seinen  Beiträgen  zur  Erklärung  hom.  Personennamen  Metz  1 883, 
seinem  Aufsatz  l'Tiea  -Tspoevta  (N.  Jahrbb.  1884  S.  433),  seiner  ersten 
Sammlung  hom.  Probleme  (Metz  1890)  läßt  der  Verf.  eine  zweite  hier 
folgen  (Nr.   17 — 31),  die  auch  für  die  Realien  von  Interesse  ist. 

Nr.  17.  9pev£;,  9pr,v  heißt  trotz  t  299  und  11  481  nicht  das 
Zwerchfell,  sondern  ist  =  *cpaprjv  s.  v.  a.  Schacht,  Brustschacht.  Man 
mag  über  diese  Etymologie  denken,  wie  man  will,  jedenfalls  ist  auch 
Jahresbericht  für  AltertumswisBenschaft.    Bd.  CXVU.    (1903.    II.)  1 


2  Bericht  über  die  homeriscüen  Realien  189G— 1902.   (Gemoll.) 

mir  die  Bedeutung  „Zwerchfell"  zweifelhaft.  Nr.  19  das  skäische  Tor 
ist  nicht  das  linke  Tor,  sondern  das  Schildtor.  axaiv]  yeip  ist  die  Schild- 
hand ((jaxaiY^).  Es  müßte  doch  erst  nachgewiesen  werden,  daß  axaio;  hier 
nicht  „links"  bedeuten  kann.  20.  uTtoopa  iSwv  1.  utio  5pa'  (—  *o£pa) 
tSwv  unter  den  Hals  blickend  (I).  Das  wird  wohl  niemand  glauben. 
25.  fxtuvu-/E;  Tttttoi  sind  nicht  „einhufige  Rosse'',  sondern  vom  Riemen 
(* ot}xac  =  ifxac  in  der  Form  *(jt|xo-)  gestoßene  (vuaoio). 

■/■«[jnj^tovu^  wiederum  hat  nichts  mit  -j^dp-Tziia  und  xv'fxTcuj  zu  tun, 
sondern  heißt:  Kinnbacken  (-j-aixcpyjXaQ  nackt  (vu$  =  nackt  und  Nacht). 
oiYUTTto?  ist  nicht  der  Lämmergeier,  den  es  in  Homers  Bereich  nicht 
gibt,  sondern  vultur  cinereus,  der  graue  Geier,  eigtl.  Adlergeier  (aieroi;- 
7ü(|*).    Die  sachliche  Aufklärung  ist  dankenswert. 

28.  •  rjvia  aqaXot^xa  sind  nicht  schimmernde  Zügel,  sondern  sehr 
(et  aus  i:oat,  '\)i)  bequeme  (vaXv^vTj,  Adj.  fem.  v.  -/aXo?,  ^aXa?).  29.  a-^ipio- 
joc  heißt  freibeutend  (a-i-pr),  «-/ptuaaw).  Homer  hat  für  die  Feinde  nur 
tadelnde  Beiwörter.  30.  '/^aiXxii;--K6iii^8i«;.  yalv-k  heißt  Schmiedin  =  Specht, 
xofjLivöi?  Ky-Pfeiffer  mit  Hinweis  auf  Brehm,  Tierl.^  Vögel  I  S.  604  f. 
31.  Nachlese.  '/sTpec  aaTürai  nicht  unnahbare,  sondern  untadlige  Hände, 
an  die  man  nicht  rühren  darf.  Ich  finde  hier  keinen  Unterschied  in 
der  Etymologie. 

G.  Zutt,  Homerische  Untersuchungen.   Progr.  Baden-Baden  1896. 

Von  den  3  Untersuchungen,  die  das  Programm  enthält,  gehören 
2  und  3  hierher.  Die  erstere  handelt  von  dem  Ölbaum  im  Thalamus 
des  Odysseus.  Verf.  bringt  aus  der  Wölsungen-Sage  (c.  2)  als  Parallele 
die  Eiche,  die  im  Saal  des  Wölsung  wächst,  deren  Zweige  und  Blätter 
über  das  Dach  hinausragen,  den  Baum  der  Heldenjungfrau  Liod  genannt. 
Er  vindiziert  dieser  Eiche  religiöse  Bedeutung,  sowie  der  Hochstud  in 
den  allemannischen  Bauernhäusern.  Nach  Rochholz,  Deutscher  Glaube 
und  Brauch  11  141  ist  sogar  öfter  ein  auf  der  Baustelle  gewachsener 
Nußbaum  zur  Stud  zugestutzt.  Nach  diesen  Beispielen  hält  sich  Verf. 
für  berechtigt,  in  dem  Ölbaum  des  Odysseus  eine  Stele  zu  suchen  und 
in  der  Bauart  uralten  indogermanischen  Brauch  zu  sehen.  —  Im  letzteren 
Abschnitt  behandelt  Zutt  die  Phäaken,  indem  er  in  ihnen  Bewohner 
des  Seelenlandes,  Elysion,  sucht,  also  eine  Fortbildung  der  Welckerschen 
Ansicht.    Derartige  Entwickelungen  haben  immer  sehr  wenig  Zwingendes. 

S.  Butler,  the  authoress  of  the  Odyssee,  where  and  when  she 
wrote,  who  she  was,  the  use  she  made  of  the  Iliad  and  how  the  poem 
grew  under  her  hands.     London  1897. 

Krichenbauer  hat  einen  Nachfolger  gefunden,  der  ihn  weit  über- 
trifft. Butler  hat  in  der  Odyssee  die  sichersten  Spuren  gefunden,  daß 
sie  nicht  von  einem  Manne,  sondern  von  einem  jungen  Mädchen  verfaßt 


Bericht  über  die  homerischen  Realien  1S9G— 1902.   (Gemoll.)  3 

ist.  Dafür  spricht  u.  a.,  daß  nicht  mehr  Iris,  sondern  Hermes  die 
Botendienste  der  Götter  verrichten  maß,  vor  allen  Dingen  die  Schilde- 
rung der  Zustände  in  Ithaka.  Da  ist  nicht  alles  so  glatt  zugegangen, 
sonst  liätte  Autikleia  nicht  in  der  Unterwelt  das  Treiben  der  Freier 
verschwiegen.  Audi  Odysseus  ist  nicht  der  Tugendspiegel,  der  er  sein 
soll,  sonst  hätte  er  wohl  schon  längst  der  Kalypso  Axt  und  Bohrer  und 
Leinwand  ausgeführt,  um  sich  ein  Floß  zu  bauen.  So  schreibt  nur  ein 
Weib  und  zwar  ein  junges. 

Im  weiteren  wird  dann  nachgewiesen,  daß  diese  Schriftstellerin 
die  ganzen  Örtlichkeiten  der  Odyssee  nach  ihrer  nächsten  Nachbarschaft 
Trapani  unter  dem  Eryx  geschildert  hat.  Trapani  ist  zunächst  Scheria. 
Denn  Trapani  hat  einen  doppelten  Hafen,  davor  eine  Insel,  die  einst- 
mals ein  Schiff,  wenn  auch  nur  ein  türkisches  Piratenschiff  war.  Tra- 
pani ist  aber  auch  Ithaka.  Das  Ntritongebirge  ist  der  Eryx  mit  dem 
noch  heute  sogenannten  Rabenfels,  und  auch  die  Grotten  finden  sich 
westlich  vom  Eryx  sogar  mit  Bienen.  Allerdings  die  Insel  Ithaka  ist 
Trapani  nicht,  sondern  das  ist  Maritima,  die  westlichste  der  Agatischen 
Inseln.  Die  anderen  bieten  sich  bequem  dar,  Levanzo  und  Favignana 
für  Same  und  Zakynthos,  Dulichion  aber  ist  heute  Isola  grande.  Hier 
liegt  Ithaka  nördlich  Travuireptärr)  eiv  aXi,  wenn  mau  nämlich  auf  dem 
Eryx  steht.  Favignana  aber  ist  zugleich  die  Ziegeninsel  und  der  Eryx 
ist  das  Kyklopenland.-  T^berhaupt  bestehen  die  ganzen  Abenteuer  des 
Odysseus  eigentlich  aus  einer  Umsegelung  Siziliens.  Ustica  ist  die  Insel 
des  Aolus,  Cefalu  die  Lästrygonenstadt,  Tauromenium  der  Weideplatz 
des  Helios,  Pantellaria  die  Insel  der  Kalypso.  —  Unbegreiflich  ist  es 
eigentlich,  daß  Stolberg,  Mure,  Freeman,  Schliemann,  Layard  hier  waren 
und  das  nicht  sahen,  was  der  Verf.  gesehen  hat  (S.  263),  aber  sie  waren 
eben  in  Vorurteilen  befangen. 

H.  Brnnnhofer,  Homerische  Rätsel.  Die  homerischen  Epitheta 
ornantia  etymologisch  und  historisch-geographisch  gedeutet.  Leipzig 
1898. 

Ein  wunderlicher  und  dabei  nicht  einmal  richtiger  Titel.  Die 
Arbeit  enthält  169  Etymologien  durchaus  nicht  bloß  von  schmückenden 
Beiwörtern,  sondern  auch  von  sehr  wichtigen  Apellativen.  Das  Verdienst 
der  Arbeit  besteht  nicht  in  der  zweifellosen  Herleituug  homerischer 
Wörter,  denn  dann  würde  die  Ernte  sehr  dürftig  sein.  Ich  möchte  — 
soweit  wie  ich  die  Sache  verstehe  —  etwa  15  Etymologien  als  sicher 
bezeichnen,  davon  gehören  aber  acht  nicht  dem  Verfasser,  d-^por  (Verf. 
schreibt  d'^po?)  -^  Weidetrifft  (nach  Jhering,  Weber),  «VaEa  gemeinschaft- 
liche Wohnung,  d'p-o;  —  das  heilige  Korn  (nach  Geigei),  dsTTQp  =  der 
strahlenschießende   (nach  Weber),    do^oosXoc  =  pers.  isfant,    die  heilige 

1* 


4  Bericht  über  die  homerischen  Realien  1896—1002.    (Gemoll.) 

Raute,  ßaXavoc  die  eßbare,  des^l.  7aXa  --=--  trank  v.  W.  gal.,  ßpoToXot^oc 
=  ßpoToXoiyoc  blutleckend,  7pa(p(o  ritzen  (schon  alt),  oarsoov  --=  dänpäda 
Hausflur,  66|xo?  das  Gebundene  (Zelt)  nach  Weber,  evuo)  die  Schlägerin 
von  van  (nach  Ludwig),  xaaot-cepo?  von  ind.  ka^itara  glänzend,  -/.spauvoc 
—  perannos  (nach  J,  Grimm),  olvoc  von  viere  flechten,  ranken  (nach 
Hehn,  Sclirader),  aior^po?  -=^  Metall  von  Sioiqvt]  in  Karien  wie  XaXu'f  von 
Chalybes,  ypuaot  ^  Sonnenglanz  von  ghransä  (mit  Aufrecht).  Alles 
übrige  halte  ich  für  recht  unsicher,  manches  für  direkt  verkehrt,  so 
ßajiXsii?  =  Rinderhirt,  Jjxeavoc  ^  *vakvana  rollend,  wogend,  ewojqaio; 
wie  90  Rinder  brüllend,  vsfxsaic  die  Weidegerechtigkeit,  TranraXoet?  pappel- 
reich, uoXuSi'l'io?  reich. 

Immerhin  aber  müssen  auch  diese  Versuche  ernsthaft  genommen 
werden,  zumal  der  Verf.  die  orientalistische  Literatur  nach  Kräften 
herangezogen  hat.    Und  das  ist  das  Hauptverdienst  der  Arbeit. 

H.  d'Arbois  de  Jubainville,  cours  de  litterature  Celtique, 
T.  VL  La  civilisation  des  Geltes  et  celle  de  Tepopöe  Homerique. 
Paris  1899. 

Dieser  Teil  des  großangelegten  Werkes  darf  hier  nicht  über- 
gangen werden.  Wenn  auch  die  Kenntnisse  des  Verfassers  nicht  gerade 
auf  der  Höhe  der  jetzigen  Forschung  stehen,  so  liefert  doch  die  Ver- 
gleichung  der  keltischen  und  der  griechischen  Verhältnisse  maucherlei 
interessante  Parallelen  für  Homer,  so  namentlich  im  5.  Kapitel.  Verf. 
zeigt  eine  enorme  Literaturkenntnis  für  den  keltischen  Teil.  Für  den 
homerischen  Teil  ist  das  weniger  der  Fall.  Man  wird  daher  seine  Auf- 
stellungen über  die  homerischen  Realien  etwas  vorsichtig  benutzen 
müssen.  Ob  das  bei  dem  keltischen  Teile  auch  nötig  ist,  entzieht  sich 
meiner  Beurteilung,  aber  das  ist  bei  dem  Rufe  des  Verfassers  kaum 
anzunehmen.  Jedenfalls  bietet  das  Buch  eine  überaus  lesenswerte  Studie 
dar,  welche  man  nach  den  verschiedensten  Seiten  mit  Nutzen  gebrauchen 
kann.  Vielleicht  hätte  der  Stoff  etwas  mehr  zusammengedrängt  werden 
können,  aber  der  Verf.  muß  ja  das  Publikum  kenneu,  für  das  er 
schreibt. 

G.  Per  rot  et  Ch.  Chipiez,  histoire  de  l'art  dans  l'antiquite 
Tome  VII.  La  Grece  de  l'epopee,  la  Grece  archaique  (temple), 
Paris  1899. 

Die  Überschrift  „la  Grece  de  l'epopee"  veranlaßt  mich,  des  be- 
rühmten Werkes  auch  hier  zu  gedenken,  und  zwar  nur  dieses  einen  Ab- 
schnitts. Verf.  verrät  uns  S.  291,  daß  er  das  Griechenland  zwischen 
den  Jahren  1000  und  700  „faute  de  trouver  un  terrae,  qui  la  d^finirait 
plus  exactement",  eben  „la  Grece  de  l'epopee"  genannt  habe.  Ich 
möchte  behaupten,    daß    der  Titel  irreführend  ist.     Die  Zeit  des  Epcs 


Bericht  über  die  homerischen  Realien  1S96— 1902.    (Gemoll.)  5 

ist  die  Zeit  der  mykenischen  und  troischen  Köiiigsburg.  Freilich  die 
Zeit  der  homerischen  Säuger  reicht  tiefer  hinab,  liineiii  in  die  Zeit  des 
geometrischen  Kunststils;  aber  darf  nmu  nun  deshalb  die  Zeit  der  alt- 
attischen Vasen  mit  all  ihrer  künstlerischen  Roheit  zusammenfassen  mit 
den  Schilderungen  der  homerischen  C4edichte?  Verf.  erwähnt  selbst  (p.  288) 
den  Übelstaud,  daß  die  Denkmäler  dieses  Abschnittes  aus  Attika.  die  Ge- 
dichte aber  in  Asien  entstanden  sind.  So  kann  es  kein  Wunder  nehmen, 
daß  zwischen  den  Schilderungen  des  Epos  und  den  attischen  Kuust- 
leistnngen  überall  eine  klaffende  Lücke  gähnt.  Es  wäre  meines  Er- 
achtens  besser  gewesen,  diese  altattischen  Kunstprodukte  und  die  home- 
rischen Schilderungen  getrennt  zu  halten.  Sie  haben  auch  tatsächlich 
nichts  miteinander  gemein.  Im  Epos  herrscht  das  Königtum  in 
patriarchalischer  Weise,  von  Glanz  und  Pracht  umgeben.  In  Attika 
ist  das  Königtum  gestürzt,  die  dürftigen  Reste  dieser  Zeit  machen  einen 
ärmlichen  Eindruck,  ohne  daß  man  hier  die  Dorer  als  die  Vernichter 
der  alten  Kultur  hinstellen  kann.  Der  Dichter  beschreibt  in  dem 
Schilde  des  Achill  ein  herrliches,  göttliches  Kunstwerk.  Der  Verf.  lehnt 
mit  Recht  uen  Gedanken  ab,  daß  der  Dichter  einen  solchen  Schild  etwa 
als  Überreste  aus  mykenischer  Zeit  gesehen  habe.  Der  Schild  sei  eine 
freie  Erfindung  des  Dichters,  aber  toute  celte  description  n'aurait  pas 
reussi  ä  interesser,  si  les  hommes,  auxquels  s'adressait  le  chanteur 
epique,  n'avaient  rieu  connu,  qui  .  .  ressemblät  au  bouclier  d'Achille. 
Und  doch  hat  Verf.  nicht  das  geriugste  derartige  nachzuweisen  ver- 
mocht. An  anderer  Stelle  bemerkt  Verf.  (S.  138),  daß  die  ßilderwahl 
im  Schilde  Achills  sehr  gut  zur  mykenischen  Kultur  passen  würde. 
In  bezug  auf  das  homerische  Haus  betont  Verf.  (S.  97  f.),  daß  die 
Fürsten  Wohnung  Homers  von  der  mykenischen  abstamme.  Das  sind 
doch  so  gewichtige  Zugeständnisse,  daß  man  sich  wundern  muß,  die 
homerische  Kultui-  in  Keih'  und  Glied  mit  der  frühattischen  gestellt  zu 
sehen,  mit  der  sie  nicht  das  geringste  gemein  hat  als  vielleicht  die 
Lebenszeit  der  letzten  homerischen  Säuger.  Man  wird  schon  daraus  er- 
sehen können,  daß  die  homerischen  Gedichte  denn  doch  von  älterem  und 
festerem  Bau  sind,  als  man  gewöhnlich  annimmt. 

Das  ist  eine  grundsätzliche  Verschiedenheit  der  Ansichten ,  die 
aber  nicht  hindert,  die  reiche  Belehrung  anzuerkennen,  die  man  für  die 
homerischen  Eealien  aus  diesem  Buche  schöpfen  kann.  Ich  er- 
wähne z.  B.  die  treffliche  Auseinandersetzung  über  den  Altar  auf 
S.  86,  die  Erklärung    der    (Jp-etßovTs;   ^"  710  auf  S.  97  und  so  weiter. 

V.  Terret,    Homere    6tnde  historique  et  critique.     Paris  1899. 

Der  hauptsächliste  Inhalt  des  Buches  muß  im  Bericht  über  höhere 
Kritik  besprochen  werden.  Einzelnes  in  dem  Buche  gehört  aber  auch  hier- 


6  Bericht  über  die  homerischen  Realien  1806— IDOL'.    (Gcmoll.) 

her.  So  das  letzte  Kapitel  l'art  dans  riliade  et  Odyssee,  das  sich  wie  ein 
fortlaufender  Hymnus  liest.  Die  Kunst  der  Charakteristik  in  den  Figuren 
der  Helden  und  Heldenfraueu,  die  heitere  Welt  der  Götter,  das  tiefe  Natur- 
gefiihl  des  Dichters,  die  Wahrheit  und  Frische  seiner  Schilderungen  von  . 
Kriegs-  und  Friedensszenen,  der  überaus  plastische  Ausdruck,  der 
melodische  Vers,  alles  das  wird  dargestellt  und  mit  passenden  Bei- 
spielen belegt. 

Im  einzelnen  wäre  ja  manches  zu  tadeln.  Davon  sehe  ich  ab 
und  erwähne  nur  noch,  daß  der  Verf.  durch  allerlei  Beigaben  eine  ge- 
wisse Anschaulichkeit  zu  erreichen  sucht.  Er  bringt  (S.  21)  eine  Ab- 
bildung des  Niobesteins,  wie  es  scheint  nach  Weber,  le  Sipylos  et  ses 
monuments  Smyrna  1880.  In  der  Anmerkung  verwechselt  er  ihn  gleich 
mit  dem  Bilde  der  Göttermutter.  Cf.  Peppmüller  ,  Berl.  philol. 
Wochenschr.  1887  Sp.  704.  Von  Ithaka  gibt  er  mehrere  Abbildungen, 
von  Troja  keine.  Das  Buch  Dörpfelds  über  Troja  erwähnt  er  gar  nicht. 
Schuchardt  erwähnt  er  zwar,  benutzt  ihn  aber  nicht. 

Lediglich  mnemotechnischen  Wert  haben  die  Karten  über  den 
Schiffskatalog  und  die  3.  große  Schlacht.  Beides  sollten  sich  unsere 
Homerlehrer  einmal  ansehen.  Auch  das  homerische  Haus  stellt  er 
(S.  453  f.)  kurz  dar,  allerdings  sehr  ungenügend.  Beim  Freiermorde 
sind  sämtliche  Türen  geschlossen  mit  Ausnahme  der  opaoOupT)  (rechte 
Wand)  und  den  pöÜYe?,  die  er  als  Saalfenster  der  Hinterwand  in  der 
Höhe  des  Oberstockes  zum  Ausguck  für  die  Frauen  auf  den  Männer- 
saal faßt.    Im  ganzen  und  großen  bleibt  es  doch  ein  erfreuliches  Werk. 

J.  Schreiner,  Homers  Odyssee  ein  mysteriöses  Epos.  Elementar- 
Skizzen  der  drei  wichtigsten  Örtlichkeiten  "070717],  S/EptVi  'I9ay.y)  auf 
historisch-geographischer  Basis  entworfen,  Braunschweig  und  Leipzig 
1901. 

Ein  durch  und  durch  unwissenschaftliches  Buch,  nach  welchem 
die  homerischen  Helden  eigentlich  Juden  (I)  waren.  Troja  ist  Jericho, 
Odysseas  Josua,  Ogygia  Gilgal,  Ithaka  Sichem,  Scheria  Suptr)  IlaXaistivr). 
Jedes  weitere  Wort  wäre  Überfluß. 

C.  Kühn,  Zur  Erklärung  homerischer  Beiwörter  (aoivo?,  a-pu7e-oc). 
Königsberg  Pr.   1901. 

Eine  recht  dürftige  Gabe.  Verf.  entscheidet  sich  dafür,  aoivo; 
von  -aorjv  satis  abzuleiten  und  erklärt  „in  genügender  Menge,  Stärke, 
Heftigkeit".  axpuYSTo?  leitet  er  mit  Prellwitz  von  trego  „anbauen"  ab 
und  erklärt  mit  ihm  „unbebaut,  unfruchtbar". 

C.  Robert,  Studien  zur  Ilias.     Berlin  1901. 

In  seinem  Buche  „Über  homerische  Waffen"  hatte  Eeichel  vor 
8  Jahren    nachweisen    wollen,    daß    die    Bewaffnung    der   homerischen 


Bericht  über  die  homerischen  Realien  1890  —  11)02.    (Gemoll.)  7 

Helden  die  „mykenische"  sei  und  daß  nur  einzelne  Spuren  einer 
späteren  Bewaffnung  sich  fänden.  Demgegenüber  führt  Robert  in 
schlagender  Weise  aus,  wie  sehr  die  von  ihm  sogenannte  , .ionische" 
Bewaffnung  im  Homer  verbreitet  sei.  Mit  Recht  hebt  er  das  Beiwort 
TCavToj'  £t3Y]  als  nur  zum  Metallschild  passend  hervor,  wie  ich  das 
schon  1895  in  meinem  Bericht  über  die  bom.  Realien  S.  261  getan 
habe.  In  bezug  auf  die  Handhabung  des  Schildes  kehrt  Robert  zu 
Heibig  zurück,  auch  er  faßt  die  xavove;  als  Handhaben;  er  hebt  S.  11 
hervor,  daß  auch  der  Bügelschild  -sXaixtüvs;  haben  könne.  Beim  Panzer 
reserviert  er  das  Wort  öwpiQjTSJöai  mit  Recht  dem  Metallpanzer, 
ebenso  dem  Worte  dcüp7]$  seine  spezifische  Bedeutung;  auch  er  findet, 
daß  yaX/.o/ircuv  nur  vom  Metallpanzer  passe,  wie  ich  das  in  Kürze  a.  a.  O. 
schon  angedeutet  hatte.  Vorzüglich  ist  die  Erledigung  von  fit-cpr,  und 
C(ü3-n]p.  Vorsichtig  äußert  er  sich  über  die  Identifizierung  eines 
mykenischen  /nrcuv  ^  Oa»pT)$.  In  bezug  auf  die  Beinschienen  konstatiert 
er  überall  da,  wo  von  ihnen  die  Rede  ist,  ionische  Bewaffnung.  .Ja,  die 
Beinschienen  könnten  sogar  aus  mykenischer  Zeit  sein,  wie  der  Fund 
einer  bronzenen  Beinschiene  ergebe  (p.  47).  In  bezug  auf  den  Helm 
konstatiert  er  Leder-  und  Metallhelme  im  Homer,  die  Formel  osivöv  6e 
Xo'fo;  xa&u-ep8ev  Iveuev  reklamiert  er  für  den  korinthischen  Helm. 

Dies  sind  alles  so  wertvolle  Nachweise,  daß  man  sich  wundert, 
daß  der  Verf.  trotzdem,  den  Versuch  gemacht  hat,  nach  den  mykenischen 
und  ionischen  Waffen  jüngere  und  ältere  Partien  der  Hias  zu  scheiden. 
Dem  Archäologen  Robert  braucht  es  nicht  gesagt  zu  werden,  daß  die 
Grenzen  zwischen  „Mykenisch"  und  , .Ionisch"  sich  noch  immer  ver- 
schieben. So  gut  wie  in  Kypros  in  einem  mykenischen  Grabe  eine 
bronzene  Beinschiene  gefunden  wurde,  kann  auch  ein  Metallpanzersiück 
gefunden  werden.  Xach  Roberts  eigenen  Ausführungen  gehören  Bein- 
schiene und  Metallpauzer  zusammen.  Es  dürfte  also  äußerste  Vorsicht 
am  Platze  sein.  Wenn  man  nun  sieht,  wie  die  Worte,  die  für  my- 
kenische  Be.vaffnung  sprechen  sollen,  doch  auch  bei  der  ionischen  stehen, 
dann  stutzt  man  und  ergibt  sich  nicht  mehr  willig.  Verf.  nimmt  in 
solchen  Fällen  allerdings  eine  Erstarrung  alter  Formeln  an;  aber  damit 
ist  seiner  Beweisführung  nicht  gedient.  Was  soll  man  dazu  sagen,  daß 
dfjLcpißpoTY)  A  32  Y  281  so  erstarrt  wäre,  sonst  nicht?  oder,  daß  oltz  wfxujv 
TEu/c'  "ilo'^zo  an  2  Stellen  mykenisch,  an  5  Stellen  ionisch  wäre?  Oder  daß 
die  Formel  oo6~T^it\  rA  -sjuiv,  apd^ti^s  öe  xsu/s'  et:'  ay-io  doch  6  mal 
auch  ionisch  sein  kann,  oder  daß  die  erste  Hälfte  des  Verses  4mal 
mykenisch,  8  mal  ionisch  wäre?  Ich  kann  nach  meiner  Kenntnis  des  Homer 
nur  annehmen,  daß  mindestens  dieselben  Phrasen  auch  überall  in  dem- 
selben Sinne  gebraucht  sein  müssen,  und  wenn  ich  auf  den  Untergrund 
des  Robertschen  Buchs  komme,  die  Reicheische  Hypothese,  so  behaupte 


8  Bericht  über  die  homerischen  Realien  1890  —  1902.    (GemoU.) 

ich,  daß  sie  auf  gerade  so  schwaclieu  Füßen  steht  wie  seine  Thron- 
hypothese. Es  ist  weder  das  Vorkommen  des  mykenischen  Kuppel- 
schildes noch  das  Fehlen  des  Panzers  bei  Homer  zu  erweisen.  Eine 
Nichterwähnunt?  des  Panzers  will  gar  nichts  sagen,  tatsächlich  führt  ja 
auch  Robert  zum  mindesten  einen  mykenischen  -/tTwv  als  Panzer  ein. 
Und  was  den  Schild  anbelangt,  so  hing  doch  auch  der  Metallschild  an  einem 
Telamon  am  Halse,  wie  Robert  S.  11  ebenfalls  nachweist.  Man  braucht 
also  den  mykenischen  Schild  gar  nicht.  Einen  gewissen  Spielraum  in 
der  Form  muß  man  selbstverständlich  annehmen.  Man  vergleiche  doch 
nur  die  Abbildung  bei  Reichel  S.  62  (Nr.  26),  wo  die  verschiedenen 
Schildformen  vorkommen. 

Ich  hoffe  daher,  daß  die  Zeit  nicht  fern  sein  wird,  wo  sich  ein 
Nachfolger  Roberts  findet,  der  den  letzten  Rest  der  Reicheischen 
Hypothese  hinwegfegt,  so  wie  Robert  es  in  überaus  dankenswerter 
Weise  mit  einem  Teil  derselben  gemacht  hat.^) 

V.  Berard,  Les  Pheniciens  et  l'Odyssee.     T.  I.     Paris  1902. 

Ein  herrlich  ausgestatteter  Band,  dessen  Inhalt  den  Lesern  der 
Revue  archeologique  nicht  fremd  ist.  Denn  die  dort  seit  1900  gelieferten 
Aufsätze  finden  sich  hier  vereinigt  und  erweitert,  und  noch  dazu  mit 
einer  Fülle  von  Plänen  und  Ansichten  ausgestattet,  wieder,  bis  auf  den 
letzten  Abschnitt  Nausikaa,  der  neu  hinzugekommen  ist.  Wir  liaben 
es  hier  mit  einem  Buche  ernstester  Forschung  zu  tun.  Verf.  bat  sich 
sogar  ein  eigenes  Wort  für  seine  Forschungen  geschaffen.  Sie  erschienen 
ursprünglich  unter  dem  Titel  topologie  et  toponymie  ancienne.  Was 
Hirschfeld  unter  Typen  griechischer  Niederlassungen  verstand,  das  faßt 
Berard  unter  dem  Namen  Topologie  glücklich  zusammen,  und  gerade 
dieser  Teil  seines  Buches  wird  von  bleibendem  Werte  sein,  wenn  mich 
nicht  alles  täuscht.  Die  Toponymie  dagegen  wandelt  auf  den  Spuren 
Kieperts  und  übertreibt  das  Prinzip  des  Semitismus  auf  eine  Weise, 
die  nicht  gebilligt  werden  kann.  Verf.  ist  als  Geograph  ganz  ent- 
schieden glücklicher,  als  als  Orientalist.  Was  an  seinen  Etymologien 
richtig  ist,  ist  meist  nicht  mehr  neu.  Jedenfalls  ist  das  Buch  ernstester 
Aufmerksamkeit  wert. 

Weiter  hinten  wird  man  den  ersten  Abschnitt  desselben,    der  das 
homerische  Pylos  behandelt,  eingehend  besprochen  finden. 

R.  Petersdorff,  Germanen  und  Griechen.  Übereinstimmungen 
in  ihrer  ältesten  Kultur  im  Anschluß  an  die  Germania  des  Tacitus 
und  Homer.     Wiesbaden  1902. 

Hervorgegangen  aus  einer  Programmarbeit  (Strehlen  1897)  bietet 


'■)  Vgl.  Cauers  Bericht  Bd.  CXII  S.  20  ff. 


Bericht    über  die  homerisciien  Realien  18',i(;  — 1902.    (Gemoll.)  9 

die  vorliegende  Schrift  im  Interesse  der  Lektüre  in  den  höheren  Schulen 
eine  Zusammenstellung,  die  auch  für  die  wissenschaftliche  Interpretation 
des  Homer  und  der  Germania  vorteilhaft  sein  kann,  da  sie  auf  gründ- 
licher Gelehrsamkeit  beruht  und  die  Literatur  in  ausgiebigster  Weise 
heranzieht.  Es  handelt  sich  um  eine  Zusammenstellung  einzelner  Kapitel 
der  Realien,  die  in  aller  Kürze  abgehandelt  werden,  aber  auf  klare 
Begriffsbestimmung  der  Worte  hinausgehen.  Ich  verweise  auf  die 
beiden  Exkurse:  2.  Was  war  der  axtuv  für  eine  Waffe  bei  Homer? 
4.  Die  Seher  bei  Homer. 

II.  Naturkunde. 

St.  Fellner,  Naturgeschichtliche  Bemerkungen  zu  Homer  B  395  ff. 
(Das  Opfer  in  Aulis.)    Ztschr.  f.  österr.  Gymnas.  1896.    S.  588—590. 

Der  atpoüHoc  ist  vielleicht  ein  Uaumläufer  (gesprenkelt,  legt  8  — 
10  Eier,  die  Jungen  verlassen  das  Nest),  der  öpaxtuv  ist  die  Streifen- 
natter (olaphys  quaterradiatus  (die  größte  europäische  Schlange,  üücken 
rot).  Ich  bin  übrigens  der  Ansicht,  daß  die  Jungen  das  Nest  noch 
nicht  verlasseu  hatten,  sondern  eben  im  Neste  gefressen  werden,  wie 
das  unsere  Katzen  oft  genug  besorgen.  Ich  glaube,  daß,  wenn  die 
Jungen  auf  dem  Aste  gesessen  hätten,  dann  doch  wohl  vor  Schreck 
die  Mehrzahl  herabgefallen  wäre. 

St.  Fellner,  Die  homerische  Flora.     Wien  1897. 

Das  Büchlein  kann  man  mit  großem  Vergnügen  lesen  und  Schülern 
der  obersten  Gymnasialklasse  gern  in  die  Hände  geben.  Für  wissen- 
schaftliche Zwecke  erweist  es  sich  beim  Mangel  an  Quellenangaben  als 
weniger  brauchbar. 

H.  Küentzle,    Über    die    Siernsagen    der    Griechen.     I.     Diss. 
Heidelberg   1897. 

Dieser  erste  Teil  enthält  eine  Nachprüfung  der  neuerdings  von 
Robert  Maaß  und  anderen  geäußerten  Ansichten  über  die  bei  Homer 
erwähnten  Sternbilder  und  die  darin  genannten  Personen.  Die  Disser- 
tation ist  mit  gesundem  Urteil  in  guter  Methode  geschrieben.  Verf. 
meint,  bei  Homer  sei  die  Beziehung  der  benannten  Sternbilder  zu  den 
mythologischen  Personen  erst  im  Beginne.  Der  eigentliche  Katasterismus 
Orions  sei  Homer  fremd  (p.  15),  aber  schon  Hesiod  bekannt.  Bei  den 
Hyaden  fehle  im  Homer  jede  mythologische  Bedeutung  (p.  21),  aber  nicht 
bei  Hesiod.  Bei  der  Bärin  ist  nach  Homer  altes  Sagengut  herangezc)gen 
wie  bei  den  Hyaden  (p.  25).  Im  Anhange  I  wird  nochmals  eingehend 
ausgeführt,  daß  der  Sagenheid  Orion  nicht-astronomischen  Charakter 
bei  Homer  hat  (sie).    „Er  ist  ein  irdischer,  sterblicher  Held  und  Gegen- 


10         Bericht  über  die  homerischen  Realien  1896—1902.    (Gemoll.) 

stand  von  Sagen,  die  /..  T.  von  dem  Sternbild  nicht  abgeleitet  werden 
können."  In  dei'  nachhoraerischen  Sage  ist  ihm  Artemis  nicht  mehr 
feind.  Im  Anhang  II  wird  siegreich  gegen  Maaß  (de  Erat.  Erig.  124) 
die  Identifizierung  der  Maira  mit  dem  Hundsstern  abgewiesen. 

Bethe,  Das  Alter  der  griechischen  Sternbilder.  Rh.  Mus.  55 
(1900)  S.  414—434.) 

Der  Aufsatz  zerfällt  in  2  Teile:  I.  Die  Figuren  und  ihr  Alter. 
II.  Die  Sternenuameu.  Zu  I.  Die  Sternbilder  sind  weit  "älter,  als  man 
gewöhnlich  annimmt.  Schon  Homer  kennt  Sternbilder,  die  Bärin  oder 
Wagen,  den  [Bärenhüter  oder]  Ochsentreiber,  Orion  mit  dem  Hunde, 
Hyaden  und  Plejadeu.  Schon  der  Dichter  der  Hoplopöie  habe 
ein  Himmelsbild  mit  eingezeichneten  Figuren  gekan  nt  (p.  422). 
Dagegen  spricht  m.  E.  der  doppelte  Name  der  Bärin  sowie  das  Fehleu  des 
Namens  Arkturos.  Denn  der  Bootes  paßt  zur  Bärin  nicht.  Außerdem 
erwähnt  Verf.,  daß  die  Vasenbildei-,  auf  denen  Atlas  vorkommt,  keine 
Sternbilder  zeigen. 

Zu  II.  DieSternnaraen  beziehen  sich  ursprünglich  auf  einzelne  Sterne 
(p.  429).  In  der  Hoplopöie  (8.  Jahrhdt.)  herrscht  ein  anderesPrinzip.  Auch 
die  Mythologisierung  hat  schon  begonnen.  Der  böotische  Held  Orion  er- 
scheint noch  in  der  Nekyia  X  573  als  Person.  Durch  ihn  verwandeln 
sich  die  Tauben  der  Plejadeu  in  Mädchen  (p.  433),  so  wenigstehs  er- 
scheinen sie  bei  Hesiod  0.  619.  Auch  in  diesem  Teil  ist  mancherlei 
Problematisches.  Daß  in  den  Hyaden  und  Plejadeu  die  einzelneu  Sterne 
als  Einzelwesen  aufzufassen  sind,  will  mir  nicht  einleuchten.  Ich  finde, 
daß  wieder,  wie  so  oft,  ein  unbegründeter  Unterschied  gesucht  wird  in 
Dingen,  die  sich  unserer  Kenntnis  fast  entziehen. 

H.  Ilsen  er.  Beiläufige  Bemerkungen  im  Rh.  Mus.  55.  (1900) 
S.  286  f. 

Usener  konstatiert  11  567  und  P  263  f.  bei  Sarpedons  und  Pa- 
troklos'  Tode  eine  Sonnenfinsternis  und  bringt  diese  Vorstellung  in 
interessanten  Zusammenhang  mit  der  Erzählung  von  der  Kreuzigung 
Christi. 

A.  Pischinger,  Der  Vogelgesang  bei  den  griech.  Dichtern  des 
klass.  Altertums.     Progr.     Eichstätt  1901. 

Eine  vorzügliche  Gabe,  die  auch  hier  erwähnt  werden  muß  wegen 
des  bei  Homer  erwähnten  Gesanges  von  Nachtigall  (9  19,  519)  Eisvogel 
(I  561)  und  Schwalbe  ('f  411).  Mit  Recht  wird  die  Kenntnis  des 
Schwanengesanges  aus  B  459  nicht  gefolgert. 

Th.  Zell.  Polyphem  ein  Gorilla.  Eine  naturwissenschaftliche 
und  staatsrechtliche  Untersuchung  von  Homers  Odyssee  Buch  IX, 
105  ff.,  Berlin  1901. 


Bericht  über  die  homerischen  Realien  ISIIG  — 1902.    (Gemoll.)  ]1 

Verf.  wandelt  auf  den  Spureu  Krichenbaueis  und  das  ungefähr 
mit  dem  gleichem  Erfolge.  Er  will  allen  Ernstes  Poh-phera  wenn  auch 
nicht  gerade  direkt  (cf.  S.  167)  zum  Gorilla,  so  doch  zu  einem  dem 
Gorilla  ähnlichen  Menschenwesen  machen.  Die  Beschreibung  Homers 
paßt  natürlich  vorzüglich.  Mau  sehe  nur  die  Übersicht  auf  S.  170  an. 
Weiteres  mitzuteilen  ist  sicherlich  nicht  nötig. 


IIJ.  Geographie  und  Topographie. 

H.  Kluge,  Die  topographischen  Angaben  der  llias  und  die  Er- 
gebnisse der  Ausgrabungen  auf  Hissarlik.  Fleckeisens  Jahrbb.  1896 
S.  17—32. 

Nach  Schliemann  und  seinem  Interpreten  Schuchardt  müht  sich 
der  Verf.  ab,  in  die  Ruinen  der  von  Schliemann  aufgedeckten  6.  Stadt 
die  Angaben  des  Dichters  gewissermaßen  einzutragen.  Daß  Schliemann 
das  Ilioa  der  griech.  Sage  gefunden  hat,  habe  ich  bereits  vor  21  Jahren 
in  meiner  Einleitung  zu  den  hom.  Gedd.  anerkannt,  also  zu  einer  Zeit, 
wo  das  Urteil  der  gelehrten  Welt  noch  recht  schwankend  war.  Aber 
mehr  kann  ich  auch  heute  noch  nicht  zugeben.  Man  scheint  ganz  und 
gar  zu  vergessen,  daß  die  homerischen  Sänger  diese  6.  Stadt  nicht  mehr 
gesehen  haben.  Es  ist  wirklich  verlorene  Mühe,  mehr  als  eine  allge- 
meine Übereinstimmung  zwischen  den  Angaben  der  Dichtung  und  den 
Ausgrabungsresultaten  herstellen  zu  wollen.  Das  skäische  Tor  würde 
man  nach  der  Dichtung  im  Westen  suchen  oder  im  Nordwesten.  In 
Schliemanns  Ilios  hat  das  Haupttor  wohl  im  Osten  gelegen.  (Allerdings 
fehlt  von  der  Nordseite  der  Mauer  jede  Spur.)  Dazwischen  gibt  es 
doch  keine  Vermittelung.  Die  unbestimmte  Angabe  -pö  -'jXawv  :iap8a- 
vficov  heißt  vor  den  Toren  Trojas.  Nach  dem  Verf.  ist  hier  das  Südtor 
geraeint.  Dazu  kommen  Widersprüche  in  den  topographischen  Angaben, 
die  eine  laentitizierung  ausschließen.  So  liegt  H  346  der  Palast  des 
Priamos  in  der  Oberstadt;  nach  Z  242,  verglichen  mit  297  muß  er 
tiefer  liegen  als  die  Oberstadt.  Und  die  Ausgrabungen?  Sie  zeigen 
von  dem  Palaste  keine  Spur  mehr,  wenigstens  nicht  auf  der  Höhe,  die 
in  römischer  Zeit  eingeebnet  worden  ist. 

In  bezug  auf  die  Hügel  um  die  Stadt  verhält  sich  Verf.  skep- 
tischer. Warum  nicht  von  vornherein?  Auch  Noack  in  Illbergs 
N.  Jahrbb.  1898  S.  575  hält  Kluges  Versuch,  eine  Übereinstimmung 
zwischen  Troja  VI  und  Homers  Ilios  zu  erzwingen,  für  verfehlt. 

A.  Ludwig,  Über  das  Schwanken  der  lokalen  Darstellungen  in 
der  llias.  Sitzungsber.  der  Kgl.  böhm.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften  1898.     20  S.     8. 


12         Bericht  über  dio  homerißchen  Realien  1890  — 1902.    (Gemoll.) 

Die  Abhandlunix  gehört  in  die  höhere  Ki-itik,  Hier  soll  nur 
erwähnt  werden ,  daß  die  völlige  Zerstörung  Trojas  nach  der  Über- 
lieleruiig  anzunehmen  sei,  während  das  Ilion  Schliemauns  seit  urältester 
Zeit  bewohnt  war.  Nun  stammte  Priamos  in  der  2.  Generation  von 
lies,  dem  Epouymen  von  Ilios.  Somit  könne  Homer  nicht  gemeint  haben, 
daß  Ilios  eine  alte  Stadt  sei.  H  333  ff.  deute  darauf  hin,  daß  der 
Dichter  gewußt  habe,  daß  die  Hügel  keine  Gebeine  enthielten.  Das 
ist  doch  aber  noch  gar  nicht  ausgemacht.  Eine  neue  Ausgrabung 
kann  hier  ein  anderes  Resultat  ergeben.  H  443 — 464  und  M  2 — 35 
zeigten,  daß  der  Dichter  das  Nichtvorhandensein  des  Dammes  an- 
deuten wolle.  Ich  muß  sagen,  daß  dies  Argument  eines  Eindruckes 
nicht  ermangelt.  Ob  man  aber  deshalb  dem  Verf.  auch  in  dem  übrigen 
folgen  wird,  ist  mir  zweifelhaft. 

H.  Stier,  Der  Schauplatz  der  Ilias.     Progr.     Magdeburg  1899. 

Der  Verf.  hat  Hissarlik  gesehen  und  findet  eine  erstaunliche 
Übereinstimmung  mit  den  Angaben  des  Dichters.  Allerdings  dürfe  man 
nicht  zu  peinliche  Anforderungen  stellen,  da  der  Dichter  das  Troja 
Homers  nicht  mehr  gesehen  habe.  Möglicherweise  gehe  mancher  Zug 
in  der  Schilderung  der  Stadt  auf  die  älteste  Sage  zurück.  Verf.  findet 
auch  die  Überreste  eines  Tempels,  obgleich  der  höchste  Punkt  der 
Stadt  abgetragen  in  römischer  Zeit  ist.  Er  findet  auch  das  skäische 
Tor  wieder,  obgleich  es  im  Südosten  liegt,  von  wo  man  das  griechische 
Lager  nicht  sehen  konnte.  Auch  die  Ural  auf  barkeit  der  Stadt  ist  ihm 
denkbar  (S.  Hercher).  Sogar  der  Skamander  deckt  sich  mit  dem 
heutigen  Mendereh;  alle  Angaben  des  Dichters  passen  vorzüglich,  wenn 
man  su  aputspa  von  der  westlichen  Seite  nimmt.  Der  Verf.  glaubte 
vermutlich  mit  dieser  Bestimmung  von  l-n'  aptatepa  etwas  Neues  zu  sagen. 
Aber  schon  1867  meinte  Hasper  (Progr.  Brandenburg  S.  21):  Der  Ska- 
mander liege  zur  Linken  und  ett'  apicxspa  bedeute  im  Westen.  Die 
Alten  haben  anders  geurteilt.  Schol.  V.  zu  A  498  sagt:  Der  Ska- 
mander sei  apicTspoc  xoö  vauaxa&fxoü.  Siehe  das  grundl.  Progr.  von 
Ribbeck  Homer.  Miscellen,  Berl.  1888.  Mit  diesen  und  anderen  Vor- 
gängern mußte  sich  Verf.  doch  abfinden,  mindestens  aber  doch  alle  An- 
gaben des  Dichters  benutzen.  Höchstens  konnte  das  10.  und  24.  Buch  der 
Ilias  unberücksichtigt  bleiben.  —  Der  wissenschaftliche  Wert  der  Arbeit 
ist  daher  nur  gering. 

G.  B.  Grundy,  An  investigation  of  the  topography  of  the 
regions  of  Sphakteria  and  Pylos.  Journal  of  Hellenic  studies  Bd.  16 
1896  S.  1—54. 

Gegenüber  den  Ausgrabungen  in  Palaeo- Castro  verficht  Grundy 
aus  topographischen  Gründen  die  Meinung,  das  Pylos  Nestors  sei  das 
jetzige  Hagio  Nicolo  nördlich  von  Palaeo-Castro  gewesen. 


Bericht  über  die  homerischen  Realien  180(^  —  1002.   (Gemoll.)         13 

V.  Berard,  la  Pylos  Hom6rique.  Revue  arch^oloj^ique  Bd.  36 
(1900)  S.  345—391. 

Dieser  Aufsatz  ist  jetzt  in  dem  oben  erwähnten  Buche  des  Ver- 
fassers (Les  Pheniciens  et  TÜdyssee)  S.  61 — 143  zu  lesen.  Meine  Citate 
werden  sich  auf  die  Buchausgabe  beziehen. 

Verf.  verwirft  nach  dem  Vorgange  Strabons  das  messenische  Pylos 
zugunsten  des  triphylischen,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dal.»  Strabon 
dies  verschollene  Pylos  bei  Lepreon,  ca.  30  Stadien  vom  Meere  sucht, 
während  Berard  es  in  den  kyklopischen  Mauern  des  Samikon  (j.  Kaiapha) 
sieht.  Er  hat  auch  schon  Zustimmung  gefunden  (cf.  Michael,  Das  ho- 
merische und  das  heutige  Ithaka  Progr.  Jauer  1902  S.  16),  aber  mit 
welchem  Rechte?  Schon  Strabon  (VIII  351)  meinte,  die  Fahrt  nach 
dem  messenischen  Pylos  sei  zu  lang  für  eine  Nacht,  und  das  ist  auch 
das  Hauptargument  Berards  (S.  88).  Das  mag  ja  wohl  unter  gewöhn- 
lichen Verhältnissen  richtig  sein,  hier  aber  handelt  es  sich  um  eine 
von  der  Göttin  begüüstigte  Fahrt  (ß  420).  Auch  die  Unmöglichkeit 
einer  Wagenfahrt  über  den  Taygetos  (p.  84)  wird  stark  hervorgehoben. 
Lächerlich  werden  die  Gelehrten  hingestellt,  die  dort  einen  Wagenweg 
finden,  während  „nos  increnieurs  cherchent  encore  le  moyen  d'ouvrir 
une  routc  daus  cette  passe."  Sollte  das  wirklich  so  schlimm  sein? 
Cf.  Hermann,  Privatalt.  ^  479  f.  Hercher  allerdings  urteilte  wie  Berard 
über  den  Weg,  ohne  deshalb  das  messenische  Pylos  zu  verwerfen.  Daß 
ferner  Schliemann  dort  nichts  gefunden  hat  (p.  64)  ist  noch  kein  Beweis. 
Ob  er  wohl  an  der  richtigen  Stelle  gesucht  hat?  Und  übrigens,  was 
hat  er  denn  in  Ithaka  gefunden?  Daß  der  Hafen  von  Navarin  un- 
geeignet sei  für  homerische  Schiffahrt,  will  ich  dahingestellt  sein  lassen. 
Jedenfalls  findet  der  Dichter  überall  einen  Landeplatz,  wo  er  landen 
will.  Scheinbar  und  frappierend  ist  es  ja,  daß  Diokles,  der  Besitzer 
von  Pherä,  zum  Enkel  des  Alpheios  gemacht  wird;  aber  es  ist  ja  nicht 
der  Sohn,  also  doch  schon  eine  entferntere  Verwandtschaft.  Daß 
Pherä  von  dem  mykenischen  Agamemnon  nicht  verschenkt  werden 
könne,  gebe  ich  zu,  aber  Agamemnon  ist  mit  Sparta  doch  sehr  innig 
verbunden.  — 

Nun  aber  zum  triphylischen  Pylos.  Selbst  zugegeben,  daß 
dies  das  homerische  wäre,  wofür  gar  nichts  spricht,  so  sind  wir  da- 
durch noch  lange  nicht  aus  allen  Zweifeln  heraus.  Erstens  ist  der 
Weg  vom  Samikon  nach  Sparta  sehr  lang.  Der  Verf.  berechnet  selbst 
125  km.  Dann  ist  dort  vor  allem  kein  Pherä  zu  finden.  Um  dazu  zu 
gelangen,  gebraucht  Verf.  ein  halsbrecherisches  Kunststück  (S.  111). 
Das  Pherae  des  Diokles  wird  identifiziert  mit  Oeia  (H  135),  weil  Di- 
dymos  statt  des  unbekannten  Oeiofc  angeblich  «I'r^pr]?  schreiben  wollte. 
Daß  die  Notiz  sehr  verdächtig  ist,  darüber  s.  Ludwich,  Aristarchs  hom 


14         Bericht  über  die  homerischen  Realien  ISHG— 1902.   (Gemoll.) 

Textkritik  Bd.  I  S.  276.  Und  dies  so  erschlossene  Pherae  wird  dann 
wieder  mit  Haliphera  am  Alpheios  gleichgesetzt.  So  fährt  denn  Tele- 
mach  zuerst  von  Pylos  bis  Haliphera  (20 — 25  km),  um  dann  am  2.  Tage 
ca.  100  km  zu  fahren.  Das  ist  denn  doch  des  Guten  zu  viel.  An 
diesen  beiden  Punkten  scheitert  die  ganze  Hypothese,  ganz  ab- 
gesehen davon ,  daß  das  triphylische  überhaupt  erst  noch  erwiesen 
werden  soll.  Es  verdankt  meines  Erachtens  seinen  Ursprung  nur  der 
Hypothese. 

Brinckmeier,  Heinrich  Schliemann    und  die  Ausgrabungen  auf 
Hissarlik.     Progr.     Burg  1901.     S.  9—32. 

Eine  zusammenfassende  Darstellung,  wie  es  deren  mehrere  in  Pro- 
grammen gibt,  nicht  besser,  vor  allen  Dingen  nicht  im  Zusammenhange 
mit  den  Ausgrabungen  der  letzten  Jahre.  Wissenschaftlichen  Wert  hat 
die  Arbeit  nicht,  doch  kann  sie  Nichtfachleute  orientieren. 

E.  Reisch,  Ithaka.    Serta  Harteliana.    Wien  1896,  S   145—159. 

Gegenüber  Herchers  bekanntem  Aufsatz  „Homer  und  das  Ithaka 
der  Wirklichkeit"  (Hermes  I  263  ff.)  betont  der  Verf.,  gestützt  auf 
J.  Partsch,  Kephallenia  und  Ithaka,  daß  an  der  wirklichen  Kenntnis 
Ithakas  seitens  der  Odysseedichter  nicht  zu  zweifeln  sei.  Zwar  die 
Sänger  der  Heimfahrt  hätten  nur  eine  allgemeine  Kunde,  schärfe'r  aber 
sei  das  Bild  in  der  Telemachie  und  der  zweiten  Hälfte  der  Odyssee» 
Die  Ortsangaben  dort  (Neriton,  Phorkyshafen,  Koraxfelsen  und  Arethusa- 
quelle)  brauchten  nicht  erfmiden  zu  sein.  Die  Variante  Neion  läßt  Verf. 
dahingestellt  sein.  Die  Stadt  des  Odysseus  sei  in  Polis  zu  suchen,  das 
Kastell  auf  dem  Aito  sei  jüngeren  Datums  (VII.  Jahrb.).  Von  dem 
Haus  des  Odysseus,  das  sehr  unbestimmt  geschildert  werde,  hätte  man 
damals  vielleicht  noch  Trümmer  gehabt.  Möglicherweise  könne  man  die 
Arethusaquelle  noch  finden,  die  Stalaktitengrotte  bei  dem  Molohafen  sei 
wohl  das  Vorbild  der  in  v  geschilderten.  Das  der  Inhalt  der  Abhand- 
lung, die  immerhin  lesenswert  ist. 

H.  Michael,  Das  homerische  und  das  heutige  Ithaka.     Wissen- 
schaftl.  Beilage  zum  Progr.  des  Kgl.  Gymn.  zu  Jauer.     1902. 

Ich  stehe  nicht  an,  das  Schriftchen  als  ausgezeichnet  zu  bezeichnen. 
Veranlaßt  ist  es  durch  Dörpfelds  Hypothese,  wonach  das  Ithaka  des 
Odysseus  das  heutige  Leukas  sein  soll.  Michael  nimmt  sich  in  warmer 
und  überzeugender  Weise  des  bisherigen  Ithakas  an.  Es  ist  freilich 
mißlich,  einen  Gegner  zu  bekämpfen,  der  sich  eigentlich  noch  gar  nicht 
definitiv  geäußert  hat.  Wir  werden  daher  abwarten  müssen,  wie  Dörp- 
feld  seine  Hypothese  eingehend  begründen  wird.  Michaels  Progranmi 
wird  ihm  dabei  ein  vortrefflicher  Wegweiser  sein.    Aber  auch  Michaels 


Bericht  über  die  homerischen  Realien  l^iM',— I'.jUl'.   (Gcmoll.)  15 

Aasführungen  haben  ihren  schwachen  Punkt.  Die  Angaben  über  die 
Lage  Ithakas  v  21 — 27  werden  vom  Verf.  in  scharfsinniger  Weise  be- 
sprochen. Er  gibt  sich  große  Mühe.  7rp6;  Co'fov  mit  „nach  Norden*  zn 
erklären,  aber  umsonst.  Da?  -/i)a[j.aXT]  bringt  keine  Interpretation  fort; 
und  so  streicht  er  schließlich  vs  25  —  26  als  Interpolation.  Das  ist  an 
nnd  für  sich  schon  bedenklich,  hier  ganz  besonders,  da  Vers  27  dann 
vollständig  den  Zusammenhang  verliert.  Dieser  Anfang  des  9.  Buches 
ist  eine  späte  Arbeit,  zur  Einleitung  und  Einfügung  der  d-oXo7oi  ge- 
macht, da  darf  uns  eine  Weitschweifigkeit  mehr  durchaus  nicht  wundern. 
Man  verfällt  bei  solchen  Untersuchungen  leicht  in  den  Fehler,  zu  viel 
beweisen  zu  wollen  und  schadet  sich  dadurch.  Es  genügt,  wenn  im 
allgemeinen  die  Überzeugung  entsteht,  das  homerische  Ithaka  sei  das 
heutige  Teaki.  Damit  kann  mau  zufrieden  sein.  Den  doppelten  Hafen 
hat  nun  einmal  Deskalio-Asteris  nicht,  auch  die  Nympbengrotte  ist  nicht 
aufzufinden.  Topographische  Genauigkeit  kann  man  bei  einem  Dichter 
überhaupt  nicht  erwarten. 

Ich  kann  übrigens  den  direkten  Beweis  liefern,  daß  Homer  sich 
wirklich  Ithaka  westlich  von  Elis  denkt,  [i  421  gibt  Athene  dem 
Telemach  einen  Westwind  mit,  um  nach  Pylos  zu  gelangen.  Damit 
stimmt  doch  die  westliche  Lage  v  25  vollständig  überein.  Es  ist  auch 
mir,  trotz  Michael,  sehr  zweifelhaft,  ob  die  Dichter  der  Odyssee  Ithaka 
wirklich  gesehen  haben,  ebensowenig  natürlich  Leukas. 

IV.  Der  Mensch  allein  und  in  Gemeinschaft. 

J.  W.  G.  van  Oordt,  de  nuptiis  heroum.  Mnemosyne  N.  S. 
Bd.  26  (1898)  S.  287—298. 

Die  Arbeit  gewährt  geringe  Ausbeute.  In  a  277  f.,  ß  196  f., 
wo  l'eova  scheinbar  von  der  Mitgift  gebraucht  wird,  will  Verf  dadurch 
helfen  (S.  293),  daß  er  sagt,  das  Bereiten  der  Hochzeit  und  Znrüsten 
der  eeova  beziehe  sich  hier  auf  beide  Teile,  eine  Lösung,  die  niemand 
annehmen  wird.  Ich  wiederhole,  daß  nur  die  Freier  gemeint  sind,  die 
eeöva  bringen  sollen,  „wie  sie  bei  einer  geliebten  Tochter  bräuchlich 
Bind",  ß  132  versteht  Verf.  (p.  296)  ^Tro-iveiv  vom  Zurückzahlen  der 
Mitgift.  Doch  heißt  -6XX'  diroTiveiv  hier  weiter  nichts  als  „schwer  büßen", 
die  Erklärung  folgt  134:  ex  -/ap  xoü  iratpoc  m-m  -£iJOfj.at.  a  292  und 
ß  222  werden  getilgt,  weil,  wenn  die  Heirat  gescliähe,  Rache  nicht 
mehr  nötig  wäre. 

C.  Hentze,  Zur  Darstellung  des  Landlebens  auf  dem  Achilleus- 
schilde.  Philol.  N.  F.  Bd.  XIV  S.  502—509. 

Ein  interessanter  und  lehrreicher  Beitrag  des  hochverdienten 
Homerinterpreten.    Er  betont  mit  Christ  und  andern,  daß  es  sich  in  den 


l(i         Bericht  über  die  homerischen  Realien  189ß  — 1902.    (Gemoll.) 

Verseil  54! — 572  um  einen  Besitz  eines  Gtoßgrundbesitzers  (paciXeoc) 
handle;  das  ßild  der  Weinernte  f,'chöre  zu  den  Bildern  vom  Ackerbau 
notwendig-  liinzu.  Der  Ernteschniaus  ist  ihm  ein  einheitlicher,  aus 
Braten  und  Brei  bestehend,  nicht  wie  Düntzer  wollte,  ein  doppelter, 
a)  für  die  Familie,  b)  für  die  Arbeiter.  Die  Schnitter  (551)  sind  ihm 
(nach  Büchner,  Arbeit  und  Rhythmus  S.  198)  Bittarbeiter,  die  Jünglinge 
und  Jungfrauen  in  Vers  567  sind  nicht  die  cpopvjoc  von  5G6,  sondern 
"Winzer,  etwa  Pächter. 

Man  sieht  aus  dieser  kurzen  Übersicht,  daß  die  Auffassung  Hentzes 
auch  ihre  schwachen  Seiten  hat.  Man  fragt  sich  sofort,  wie  der  Groß- 
grundbesitzer zu  Bittarbeitern  kommt.  Was  Bentze  in  dieser  Beziehung 
anführt,  ist  Verlegenheitsnotbehelf.  Es  liegt  aber  noch  ein  viel  wichtigerer 
Grund  vor,  der  verbietet,  diese  3  Bilder  zusammenzufassen.  Pflügen  und 
Ernten  sind  durchaus  als  Gegenstände  gedacht  und  geben  an,  was  man 
auf  dem  Schilde  sieht:  die  Pflüger  und  ihre  Belohnung,  die  Schnitter  und 
ihre  Belohnung.  Die  Weinlese  aber  ist  gar  nicht  auf  dem  Schilde. 
Der  Dichter  gibt  das  Bild  eines  Weinbergs  und  schildert,  wie  er  zur 
Zeit  der  Weinlese  aussah  (oxs  Tpu76ti)£v  dXcpy^v.  Diese  Schilderung  ist 
so  auffällig,  daß  ich  sie  für  einen  späteren  Zusatz  halte.  Aber  mag 
man  darüber  denken,  wie  man  will,  jedenfalls  sind  die  (pop^e;  und  die 
Tiapdevtxai  y.al  rjiOsot  nicht  ZU  trennen;  das  «pspov  in  568  meist  deutlich 
auf  cpopyjec  zurück.  Außerdem  würde  das  doch  ein  merkwürdiger  Aus- 
druck für  Pächter  sein:  Jungfern  und  zärtliche  Junggesellen,  denn 
zärtlich  heißt  axaXa  (ppovstuv.  Unter  l'ptiloi  550  verstehe  ich  den  all- 
gemeinen Ausdruck  „Genossen",  der  hier  speziell  auf  die  Schnitter  an- 
gewandt ist,  also  SchnittergenoKsen.  Daß  gerade  für  Schnitter  der 
Ausdruck  paßt,  ist  klar,  denn  von  ihnen  stammt  ja  der  Ausdruck  „mit- 
einander Strich  halten." 

C.  Hentze,    Die  Arbeitsgesänge  in  den    homerischen  Gedichten. 
Philol.  Bd.  60  S.  374—380. 

Auf  Anregung  des  bekannten  Buches  von  Bücher  „Arbeit  und 
Rhythmus"  untersucht  Hentze  die  Homerstellen,  die  vom  Gesang  bei  der 
Arbeit  handeln  in,  wie  mir  wenigstens  scheint,  wenig  glücklicher  Weise. 
Das  Linoslied  1  570  sei  kein  Arbeitslied,  wie  Bergk  Gr.  L.  G.  I  323 
wollte,  sondern  ein  Erntefestlied.  Dasselbe  stehe  in  Parallele  zu  den 
vorangegangenen  Bildern.  Dazu  bemerke  ich,  daß  die  Verse  567 — 572 
große  Anstöße  für  das  Verständnis  bieten.  Erstens  bleibt  das  Ver- 
hältnis der  uapdevixai  und  f^tOeot  zu  den  cpopf^s;  567  durchaus  unklar, 
Hentze  glaubt  (S.  505)  in  den  ersteren  die  Familie  der  Herrschaft 
sehen  zu  müssen.  Das  ist  eine  willkürliche  Annahme.  Sie  können  auch 
als  Spezialisierung  der  cpop-^e?  aufgefaßt  werden.     Immerhin  lassen  sich 


Bericht  über  die  homerischen  Realien  1S9G— 1902.    (Gemoll.)  17 

die  Verse  auf  dem  Schilde  noch  verstehen.  Aber  die  Verse  569-572 
fallen  aus  der  Schildbeschreibung  völlig  heraus.  Feine  Stimme,  Stampfen 
im  Takte,  Hüpfen  und  Jauchzen  kann  man  nicht  abbilden.  Die  Verse 
sind  also  eine  spätere  Erweiterung.  Auch  der  Gesang;  der  Kalypso 
und  Kirke  scheint  mir  falsch  behandelt  zu  sein.  Die  Stellen  weisen 
offenbar  aufeinander  hin,  aber  in  x  haben  wir  eine  bewußte  Nach- 
ahmuntr  oder  FortbiMung  der  einfachen  Sccne  in  z.  (Jerade  der  Um- 
stand, daß  sorgfältig  in  x  betont  wird,  daß  sie  Kirke  singen  hören 
beim  Weben,  spricht  für  jüngeres  Alter.  In  z  wird  keine  Beobachtung 
des  Hermes  mitgeteilt,  sondern  episodisch  vom  Dichter  erzählt,  wie  es 
bei  Kalypson  aussah.  Auch  glaube  ich  nicht  an  einen  Arbeitsgesang 
zum  Rhj'thmus  des  Schiagens  mit  dem  Kamme,  sondern  au  den  Gesang, 
mit  dem  sich  ein  einsames  Wesen  die  Zeit  vertreibt,  vielleicht  ein  Lied 
der  Sehnsucht,    der  günstigste  Boden  für  den  ankommenden  Odysseus. 

Haberkorn,  Medizinische  Bildung  im  Zeitalter  Homers. 
Berlin  1900. 

Nach  Friedreich,  Frölich  (Die  MilitUrniediziu  Homers  1879)  wieder 
ein  Arzt  (Oberstabsarzt),  der  sich  von  seinem  medizinischen  Standpunkt 
aus  mit  Homer  beschäftigt.  Es  ist  aber  nur  ein  kleines,  sehr  allge- 
mein gehaltenes  Schriftchen  geworden,  offenbar  aus  mehreren  Zeitungs- 
artikeln zusammengesetzt.  Wissenschaftlichen  Wert  besitzt  es  nicht, 
es  sind  aber  Bemerkungen  darin,  die  eine  sorgfältige  Prüfung  verdienen. 
Podaleirios  und  Machaon  sind  j;ar  keine  Arzte,  sondern  in  der  Wund- 
beliandlung  besonders  geschickte  Krieger,  wie  der  Oberst  Spohr  (S.  6). 
Ein  energisches  ßeiuigungsfest,  eine  Geuerallagerdesinfektion  muß  das 
Volk  nach  der  Pest  entsühnen  (S.  8).  Homer  war,  wie  Sophokles,  nicht 
nur  Dichter,  sondern  auch  Kriegsmaun  (S.  9)  (Frölich  wollte  ihn  partout 
zum  Militärarzt  machen).  Die  Waffen  sind  sehr  mannigfaltig  und  von 
bedeutender  Leistungsfähigkeit  (S.  10).  usw. 

C.  Hentze,  Die  Formen  der  Begrüßung  in  den  homerischen  Ge- 
dichten.   Philol.     N.  F.  Band  15  (1902)  S.  321-355. 

Eine  sehr  dankenswerte  Zusammenstellung,  die  allen  Heraus- 
gebern des  Homer  sehr  zu  statten  kommen  wird.  Leider  ist  die  Grund- 
bedeutung der  in  Frage  kommenden  Worte  noch  durchaus  unsicher. 
Eine  Entscheidung  wird  daher  immer  anfechtbar  sein.  Gleich  djTraCesöat 
kann  ein  „Ergreiten"  der  Hand  nicht  bedeuten,  sondern  höchstens  ein 
Winken.  Das  lehrt  7  34  ff.  01  ö'ü>?  ouv  ^sivouj  i'oov,  a&poöt  rjXöov 
aravTEC,  yspciv  t'  rprA^o^-zo  xal  eopidaaHat  dvuj^ov  Trptüxoc  NsaTopiOTji; 
IleisiaTpaToc  e^Y^'^'"'  eXdwv  djxcpoTeptuv  l'f-z  yetpa  xxX,  also  Peisistratos 
ist  der  erste,  der  ihnen  nahe  kommt,  die  übrigen  grüßen  schon  von 
weitem.  K  542  -:  415  y  498  hat  das  Wort  die  allg.  Bedeutung  „grüßen" 
Jahresbericht  für  Altertumswissenscbaft.    Bd.  CXVII.    (1903.    IL)  2 


18         Bericht  über  die  homerischen  Realien  189()— 1902.    (Gemoil.) 

angenommeu.  Unsicher  ist  Verf.  selbst  bei  oetöiaxedöai.  Mir  ist  es 
nicht  zweifelhaft,  daß  das  Wort  überall  „begrüßen"  bedeutet,  sei  es 
mit  dem  Becher,  sei  es  mit  Worten  oder  mit  der  Hand.  Ein  „Zu- 
trinken"' finde  ich  an  keiner  Stelle  bei  der  Überreichung  ausgesprochen. 
Besonders  interessant  ist  aber  der  Abschnitt  über  die  Gebärden 
des  Grußes,  wenn  auch  die  Hauptsachen,  daß  man  sich  bei  Hoiner  nicht 
auf  den  Mund  küßt  und  daß  ein  gewisser  Unterschied  in  dem  Kuß  der 
Familienglieder  und  der  Fremden  vorhanden  ist,  schon  von  den  Alten 
beobachtet  wurde. 


V.   Wohnung,  Kleidung  und  Hausgerät. 

A.  Meitzeu,  Das  nordische  und  das  altgriechische  Haus.  S.-A. 
aus  Wanderungen,  Anbau  und  Agrarrecht  der  Völker  Europas. 
Abt.  I  Band  III  464—520. 

Wenn  ich  diese  Schritt  hier  erwähne,  so  geschieht  das  nicht  der 
neuen  Resultate  wegen  (der  Verf.  macht  gar  kein  Hehl  daraus,  daß 
die  Parallele  zwischen  dem  griechischen  und  dem  ostgermanischen  Haus 
nicht  von  ihm  stammt)  sondern  einiger  Abbildungen  wegen.  In  Fitrur 
XIV  gibt  er  das  fensterlose  ,,Ildhaus-'  mit  einem  Herde,  den  Reichel 
Stufenaltar  nennen  würde,  mit  einem  Sessel  daneben,  der  sicherlich 
kein  Götterthron  ist.  Ferner  verweise  ich  auf  Fig.  XXVIII  und  XXIX, 
die  schwedische  Giäber  mit  dem  Giundriß  des  Hauses  wiedergeben. 
Dann  dürfte  Figur  XXXIV  b  eine  gute  Parallele  für  das  homerische 
Haus  abgeben.  Wir  haben  da  den  Herd  in  der  Mitte,  von  4  Säulen 
umgeben,  wie  in  Troja,  dann  diese  Säulen  mit  der  Längswand  ver- 
bunden durch  einen  Querbalken ,  die  homerischen  [xetjoöixat.  Allerdings 
ist  das  Bild  eine  Rekonstruktion  von  Gudmundson. 

L.  Rouch,  Une  demeure  royale  ä  Fepoque  hom^rique:  Le 
palais  d'  Ulysse  ä  Ithaque.  —  S.-A.  aus  Revue  des  etudes  auciennes. 
T.  I  Nr.  2.     Bordeaux  18V<9. 

Die  vorliegende  Arbeit  macht  in  ihrer  sorgfältigen  Erörterung 
der  in  Betracht  kommenden  Fragen  über  das  Haus  des  Odysseus  den 
Eindruck  einer  guten  wissenschaftlichen  Schulung  des  Verfassers.  Für 
uns  Deutsche  bietet  das  Buch  Josephs:  Die  Paläste  des  homerischen 
Epos,  Besseres,  so  daß  wir  der  französischen  Arbeit  im  ganzen  entraten 
könnten,  zumal  Verf.  sich  sehr  oft  mit  einem  non  liquet  entscheidet. 
Den  heiß  umstrittenen  Ausdruck  ava  ptüYac  benutzt  er  für  die  dpjo&'jprj 
überhaupt  nicht  und  S.  33  A.  3  lehnt  er  Perrots  Erklärung  ab,  ohne 
etwas  Eignes    zu  bringen.     Eichtig  aber  hat  er  (S.  32)  nachgewiesen. 


Bericht  über  die  homerischen  Realien  1896—1902.   (GemoU.)  19 

daß  zwischen  Mäniieisaal  und  Frauengemach  mindestens  ein  Gang  be- 
stehen müsse,  den  er  denn  auch  S.  4  in  seinem  Plan  angibt.  Eurykleia 
nämlich  öffuet  die  Tür  (y  399)  und  geht  eist  ein  Stück,  bis  sie  Odysseus 
zu  sehen  bekommt.  Das  ist  eigentlich  das  wichtigste  Resultat 
der  Schrift.  Denn  wenn  er  eifrig  dafür  kämpft,  daß  das  Haus  des 
Odysseus  ein  Komplex  mehrerer  Gebäude  sein  müsse,  so  will  ich  das 
nicht  gerade  in  Abrede  stellen,  aber  beweisen  läßt  es  sich  aus  dem 
Dichter  nicht,  namentlich  nicht  für  jemand,  der  sich  an  die  Worte 
hält:  e;  £T£püJv  ersp'  ejti.  Auch  dürfte  der  Grundriß  des  Verf.  nach 
meiner  unmaßgeblichen  Meinaug  wohl  unter  einem  Dache  ^^u  ver- 
einigen sein. 

Verf.  behandelt  am  Schlüsse  noch  die  Frage  nach  dem  Ver- 
hältnis der  homerischen  zur  mykeni-chen  Kultur.  Auch  er  möchte  das 
Problem  der  Inferiorität  der  erstereii  erklärt  wissen.  In  Griechenland 
selbst  gibt  er,  wie  heute  alle  Welt,  den  bösen  Doriern  die  Schuld. 
Aber  wie  war  es  möglich,  daß  die  auswandernden  Achäer  mit 
mykenischer  Kultur  nun  in  Kleinusieu  die  niykenische  Kultur 
ruinierten  und  schließlich  zu  demselben  Resultat  wie  in 
Griechenland  kamen?  Verf.  erklärt  sich  das  durch  die  langen 
Kriege.  Ähnlich  urteilt  Heibig  Sitzungsber.  Münchn.  Akad.  1900  S.  204, 
Das  ist  nicht  unmöglich.  Wir  Deutsche  wissen  ja,  welch  ein  Kultur- 
rückschritt durch  den-  30jährigen  Krieg  veranlaßt  ist.  Aber  woher 
wissen  wir  denn,  daß  die  auswandernden  Achäer  mykenische  Kultur 
hatten?  Das  ist  sicherlich  nicht  der  Fall  gewesen.  Verf.  zeigt  sich 
in  dieser  Frage  weniger  unterrichtet,  sonst  würde  er  ägäische  und 
mykenische  Kultur  (S.  4)  nicht  gleichgesetzt  haben. 

F.  Noack,  Die  dpjo&upy)  des  Odysseus.  Strena  Heibig.  S.215— 220. 

Nach  W.  Reichel  (Arch.  Epigr.  Mitt.  1895  S.  6  If.)  versucht 
sich  Verf.  an  dem  undankbaren  Problem.  Während  Reichel  die  Ver- 
hältnisse von  Tiryns  zu  Grunde  legte  (Schliemaun  Tiryns  Tafel  II), 
stützt  sich  Noack  auf  den  Plan  von  Arne  im  Kapaissee  (Bull.  d.  Corr. 
Hell.  1894  pl.  XI.  Verf.  nimmt  (p.  220)  einen  doppelten  Korridor 
an  a)  die  XatSpT]  vom  {xe-^apov  durch  die  op3o»}upY)  zu  erreichen  und 
b)  auf  der  andern  Seite  den  Gang  zur  Waffenhalle.  Das  ist  bloße 
Konjektur,  die  sich  über  die  Angaben  des  Epos  127  (axpotatov  8s 
-ap'  ouoov)  und  143  (dvd  pui^a?  i}aXd[jLOio)  leichten  Herzeus  hinweg- 
setzt. Xach  dieser  Probe  dürften  wir  von  seiner  Neubearbeitung 
des  Helbigschen  „Homerisches  Epos"  kaum  ein  günstiges  Resultat 
erhoffen. 

R.  Münsterberg,    Der  homerische  Thalamos.     Jahreshefte  des 
österr.-archäol.  Instituts.     Bd.  3  (1900)  S.  137—142. 

2* 


20         Bericht  über  die  homerischen  Realien  1896—100-2.    (Gemoll.) 

Verf.  weist  richtig-  nach,  daß  die  Waffenkammer  des  Odysseus 
der  Saal  war.  Er  vermutet  aus  7  139,  daß  Odysseus  überhaupt  keine 
andern  Waffen  als  die  im  Saale  hatte.  Das  ist  doch  sehr  uug'ewiß. 
Noch  Ungewisser  freilich  ist  die  baugeschichtliche  Entwickelung-,  die 
Verf.  vom  Palast  des  Alkinoos  bis  zu  dem  des  Odysseus  gibt.  Das  wird 
niemand  glauben,  daß  Alkinoos  und  Arete  im  Männersaal  geschlafen 
haben  (S,  140).  Gerade  die  Redensart  ec  [au/ov  eS  ouoou  zeigt,  daß  das 
Innere  des  Hauses  erst  hinter  dem  Männersaal  anfing. 

J.  van   Leeuwen,    Homerica    XXI.     De  Ulixis  aedibus.     Mne- 
mosyne  N.  S.  29  (1901)  S.  221—243. 

Verf.  fragt,  ob  das  Haus  des  Odysseus  ein  oder  mehrere  [i-e-^apa 
gehabt  habe.  Der  Herd  war  nach  dem  Verf.  im  Männersaal,  auch 
Penelope  webte  im  Männersaal  vor  den  Augen  der  Freier  (p.  226). 
Das  letztere  ist  sicher  falsch.  Penelope  trifft  jedesmal  besondere  An- 
stalten, wenn  sie  vor  den  Freiern  erscheint,  auch  würden  letztere  den 
Stillstand  der  Webearbeit  haben  merken  müssen,  wenn  sie  unter  ihren 
Augen  gewebt  hätte.  In  x  62  wird  Te7et  st.  ixsYofptp  vorgeschlagen, 
aber  53  soll  [xe^apw  stehen  bleiben.  Das  ist  doch  unglaublich,  daß  Kirke 
die  Leiche  Iv  [i.v(dpw  belassen  hat.  Penelope  ist,  durch  die  Freier  aus 
dem  Megaron  veischeucht,  ins  Obergemach  geflüchtet,  es  kann  alsjo  kein 
anderes  Frauengemach  (fxrcapov)  da  sein.  Es  werden  noch  Schatz-  und 
Schlafkammer  erwähnt,  aber  ihre  Lage  ist  ungewiß,  Homer  saug  nicht 
für  Architekten. 

Jüngere  Dichter  verbannen  die  Penelope  in  die  -/uvaiy.wviTtc.  Be- 
sonders soll  das  a  185  ff.  beweisen,  doch  0  198  zeigt  gerade  das  Gegen- 
teil, a  315  f.  ist  [xe-fapov  irgend  ein  Frauensaal.  Auch  9  236  ==  382  ff. 
wird  dazu  herangeholt. 

Eine  Tür  brauchen  also  die  älteren  Partien  nicht,  wohl  aber 
die  jüngeren.  Die  opaodupr)  ist  jung  (239).  Wo  die  Treppe  vom  Ober- 
gemach zum  Männersaal  war,  ist  nicht  auszumachen.  Die  Schatzkammer 
lag  in  dem. älteren  Gedicht  tiefer  als  der  Männersaal,  in  dem  jüngeren 
hoch  (7  182).  Das  ist  doch  sehr  zweifelhaft.  Ob  Melanthios  die 
Waffen  oben  fand  oder  wieder  hinabkletterte,  ist  nicht  gesagt. 

Wolle  man  zeichnen,  meint  Verf.,  so  müsse  man  zwei  verschiedene 
Zeichnungen  des  Palastes  in  Ithaka  geben. 

Die  Arbeit  enthält  viel  richtige  Gedanken,  aber  der  Grundge- 
danke, daß  eine  doppelte  Vorstellung  des  ithakesischen  Königshauses 
im  Homer  vorliegt,  scheint  mir  zwar  behauptet  ,  aber  durchaus  nicht 
bewiesen. 

P.  Perdrizet,  Sur  la  mitre  homerique.    Bull,  de  corr.  Hell.  21 
(1897)  S.  169-183. 


Bericht  über  die  homerisclien  Realien  189G— 1902.   (GemoU.)         21 

Eiue  1895  in  Delphi  unter  Scherben  korinthischen  Stils  gefundene 
Jünglingsstatuette  von  Bronze  ans  dem  Ü.  Jahrhundert  (p.  182)  gibt 
dem  Verf.  Veranlassung  zu  dieser  lehrreichen  Studie.  Er  bespricht 
zuerst  die  Haartracht,  dann  aber  den  Gürtel,  den  die  Statuette  auf  dem 
bloßen  Leibe  trägt.  Aus  den  olympischen  und  delphischen  Funden 
werden  Paralellen  beigebracht  und  schließlich  der  (TÜrtel  mit  der 
homerischen  [xi-rpr,  identifiziert.  Nach  den  Denkmälern  scheint  ihm  die 
{iixpif)  zu  sein  une  garniture  metallique  tixee  au  cuir  de  la  ceinture, 
also  genau  so  wie  ich  sie  bereits  in  meinen  homerischen  Blättern 
(Progr.  Striegau  1885  S.  8  f.)  bestimmt  habe.  Es  ist  dem  Verf.  mit 
Recht  auffällig  (p.  181),  daß  die  mykeuischen  Gräber  nicht  Beispiele 
der  \>.i'p-r]  in  Fülle  bieten,  er  schließt  daraus,  daß  die  ixixpr)  gewöhnlich 
ganz  von  Leder  war.  Das  ist  sehr  wahrscheinlich.  In  seiner  aus- 
führlichen Auseinandersetzung  über  die  fAttpr)  (homerische  Studien 
S.  34 — 41)  hat  Robert  dieser  auf  bloßem  Leibe  getragenen  ixirpYi  nur 
beiläufig  erwähnt  (S.  41);  er  faßt  die  |xi-pr)  als  identisch  mit  ^cüjtiqp 
und  oberhalb  des  Leudeuschurzes,  des  !ü)fxa,  befindlich. 

C.  Robert,  Die  Fußwaschung  des  Odysseus  auf  zwei  Reliefs 
des  5.  Jahrhunderts.  Athen.  Mitt.  25  (1900)  S.  325—338. 

Der  vorstehende  Aufsatz  gehört  hierher  wegen  der  Darstellung 
desWebens  auf  dem  Thessalischen  Relief.  Verf.  vermutet,  daß  Pene- 
lope  das  Gewebe  gera^le  auflöst,  was  in  Anbetracht  der  schlechten  Er- 
haltung des  Stückes  doch  immer  sehr  ungewiß  bleibt.  In  der  An- 
merkung bespricht  Verf.  W  760  ff",  in  dankenswerter  Weise.  Danach  ist 
xaviov  das  Webeschiff,  jx-'-roj  der  Kettenfaden  und  -rjviov  der  Einschlags- 
faden. 

E.  Thraemer,  Die  Form  des  hesiodischen  Wagens.    Festschrift 
der  TJniv.  Straßburg  für  die  46.  Philologenversammlung.     1901.  S.  299 
—308. 

Wichtig  auch  für  die  homerischen  Realien.  Verf.  vindiziert  Homer 
wieder  die  Scheibenräder  und  stellt  für  die  übrigen  aus  den  Denkmälern 
vier  Speichen  als  die  gewöhnliche  Zahl  fest. 

VI.   Kunst  und  Kunstwerke. 

W.  Heibig,  sur  la  question  mycenienne.  Extrait  des  memoires 
de  Facademie  des  inscr.  et  belies  lettres.  t.  XXXII,  2«  partie. 

Gegenüber  der  antiphönikischen  Richtung  in  der  Auffassung  der 
mykenischen  Kultur  nimmt  Heibig  im  Anschluß  an  Pottier  kräftig  die 
Sache  der  Phöniker  in  die  Hand.  Die  mykenischen  Funde  bezeichnen 
eine    hohe  Kulturstufe,    sie    sind  da  ohne  Vorstufen,  sie  verschwinden 


22         Bericht  über  die  homerischen  Realien  1896—1902.    (Gemoll.) 

gegenüber  dem  Dipylonstil.  Der  Dipylonstil  folgt  auch  in  Attika  dem 
mykenischen,  folglich  ist  er  nicht  dorisch  (p.  10).  Die  Intarsiaarbeit, 
die  Glasfabrikate  sind  verschwunden,  die  wenigen  Fayencenfunde  gelten 
als  ungriechisch.  Die  bekannten  Siegelringe  und  Inselsteine  kommen 
nicht  mehr  vor.  Leider  ist  der  Boden  Phöniziens  noch  nicht  genügend 
durchforscht;  aber  das  wenige  Gefundene  bietet  unzweifelhafte  Analogien 
mit  mykenischen  Funden  (Kriegerfigürchen).  Sie  zeigen  dieselbe  Tracht, 
Schurz  mit  Gurt  oder  [ikpi]  (p.  22),  je  nachdem  friedliche  oder  kriege- 
rische Tracht  bezeichnet  werden  soll  (p.  25=^^313),  langherabhängende 
Haare  (auch  Fig.  7?)  und  Sandalen  mit  Verschuürung,  den  spitzen  Hut. 
Unsicher  ist  die  Frauentracht.  Den  Purpur  haben  sie  jedenfalls  erfunden 
(p.  33).  Die  tirynthischen  Festungswerke  erinnern  an  die  karthagischen 
usw.  (p  37).  Die  phönik.  Kunst  ist  gesunken,  je  weiter  sie  ihre  Ware 
verbreiteten  (S.  49). 

Das  sind  die  Resultate  des  1.  Teils  der  Schrift,  dem  Leser  des 
homerischen  Zeitalters  im  ganzen  bekannt,  im  einzelneu  sorgfältig  ge- 
prüft und  emendiert.  Es  folgt  nun  die  Einordnung  der  homerischen 
Angaben  (p.  49  ff).  Sie  passen  nur  zur  mykenischen  Kultur.  Das 
goldreiche  Mykene,  das  Fehlen  des  Reitens,  des  Schreibens,  des  ge- 
kochten Fleisches,  der  Fischgerichte,  der  eisernen  Waffen.  Doch  fehlt 
es  nicht  an  Spuren  neuerer  Zeit.  Der  eiserne  Diskus  W  826,  die. Äxte 
(W  850)  trotz  W  803  xa[X£ai-/poa  ya)^xov  sXovts.  Was  vom  Eisen  ange- 
geben wird,  zwingt  zu  der  Annahme,  daß  auch  die  Waffen  nicht 
mehr  von  Bronze  waren  (S.  53).  sondern  nur  traditionell  so 
bezeichnet  wurden.  Mentes  (a  184)  handelt  mit  Eisen  und  trägt 
eine  eherne  Lanze  (a  104 — 121).  Ahnlich  in  der  Odyssee  im  Bogen- 
schuß. Phönikien  ist  das  Land  der  Kunst  bei  Homer,  die  Sidonier 
Künstler.  Tyrus  wird  nicht  erwähnt,  das  paßt  zu  dem  mykenischen 
Stil  der  Gedichte,  den  alle  Sänger,  auch  die  jüngsten,  respektieren  (57). 
Stammten  die  Angaben  über  die  Phöuiker  aus  dem  8.  Jahrhdt.,  wie 
Beloch  will,  so  müßten  die  Tyrier  da  stehen.  Im  8.  Jahrhdt.  hätte  man 
die  Kunstwerke  der  Phöniker  nicht  mehr  gepriesen  wie  6  615,  da  hatten 
die  Griechen  bereits  die  protokorinthische  Kunst,  die  sich  von  der 
phönikischen  nicht  unterschied.  Die  mykeuische  Kultur  zeigt  ihre 
Spuren  um  das  ganze  Mittelmeer  (p.  64),  auch  im  westlichen  Griechen- 
land (S.  64).  Die  Kultur  war  uniform,  daher  ist  die  Bewaffnung 
der  Troer  und  Griechen  gleich  (aber  auch  ihre  Sprache!)  Das  Epos 
schweigt  von  griechischer  Ausfuhr,  aber  nicht  von  phönikischer  Einfuhr. 
Somitkann  die  mykenische  Kultur  nicht  griechisch  sein(p.  69). 
Das  Epos  kennt  das  westliche  Becken  des  Mittelmeeres  nicht,  sonst 
würde  man  davon  hören. 


Bericht  über  die  homerischen  Realien  IS96— 1902.   (GemoU.)         23 

Den  Phönikern  verdankt  man  viel,  anch  den  Weinbau.  Das 
letztere  ist  allerdings  ganz  unsicher,  eher  dürfte  der  Wein*  nach 
Phönikien  eingeführt  sein. 

Das  Ganze  ist  eioe  nach  allen  Seiten  wohl  überlegte  und  ge- 
schlossene Beweisführung,  die  des  Eindrucks  nicht  ermangelt.  Die  voll- 
ständige Durcliforschung  der  etruskischen  Gräber,  die  Heibig  in  Aussicht 
stellt,  kann  aber  andere  Resultate  ergeben,  ebenso  die  Erschließung  des 
Bodens  von  Spanien  und  Phünizien,    die  wir  sehr  zu  wünschen  haben. 

W.  Hei  big.  Eiserne  Gegenstände  an  drei  Stellen  des  homerischen 
Epos  C^  J23,  485,  1  34).     Hermes  32,  S.  86—91. 

Heibig  sucht  alle  drei  Stelleu  als  unecht  zu  erweisen,  ohne  recht 
durchschlagende  Gründe  zu  linden,  denn  daß  :i  123  und  124  in  Zenodots 
Handschrift  umgestellt  waren,  macht  124  noch  nicht  unecht.  139  kann 
-/aXxo;  ruhig  stehen  bleiben  als  allgemeine  Bezeichnung,  übrigens  hat 
Naber  schon  Vers  123  gestrichen.  Außerdem  hat  Beloch  selbst,  dem 
Heibig  folgt,  sich  nachträglich  im  Rhein.  Mus.  45  S.  587  geäußert. 
2  34  wird  mit  Erhardt  als  störend  gestrichen,  doch  ist  das  /Etpa;  e/uiv 
dann  nicht  motiviert.  Das  ist  kein  Ausdruck  der  Teilnahme,  wenigstens 
bei  Homer  nicht.  Ich  linde  den  Vers  ganz  passend.  A  482 — 487  wird 
das  gauze  Gleichnis  entfernt.  Die  stilistischen  Anstöße  bleiben  aber, 
auch  wenn  man  die  Stellen  als  Interpolation  betrachtet  (doppelte  |i-ev 
ohne  8i  485.  487,  doppelte  Ortsangabe  ev  siafievT)  Ikto^  und  Tzox'x\x.oio  7:ap' 
oyOac).  Ich  würde  daher  vielleicht  innerhalb  des  Gleichnisses  Athe- 
tesen  voruehmen. 

Hubert  Schmidt,  Zur  kunstgeschichtlichen  Bedeutung  des 
homerischen  Schildes.     Satura  Viadrina  S.   95  —  108.     Breslau  1896. 

Gegenüber  Reicheis  Rekonstruktion  betont  Verf.  nachdrücklich: 
Jeder  Rekonstruktionsversuch  sei  abzulehnen,  weil  uns  das  Gedicht  über 
Zahl  und  Ausdehnung  der  einzelnen  Scenen  keine  Auskunft  gebe.  Der 
Dichter  will  uns  ein  großartiges  Weltbild  vorführen  und  schildert  nach 
der  Wirklichkeit.  Im  einzelnen:  1  590 — 606  wird  nicht  der  Tanz- 
platz nach  Art  des  Labyrinths  geschildert,  sondern  ein  Reigen;  auch 
das  Kunstwerk  des  Dädalus  ist  ein  Reigen,  wie  sie  die  Denkmäler  in 
Olympia  und  K3'pros  geben.  Er  vergleicht  aber  besonders  eine  Dipylon- 
vase  (Mon.  IX  39,  2,  Annal.  72  S.  142  Nr.  39)  (Jünglinge  mit  kurzen 
Schwertern  und  Jungfrauen,  die  Chorführer  tragen  bogenförmige  Musik- 
instrumente?) —  In  der  Gerichtsscene  (497—508)  gehört  das  Geld 
(oütu  xaXavTa)  der  obsiegenden  Partei  (so  Maaß  D.  L.  Z.  1895  Nr.  51 
Sp.  1617),  nicht  dem  Richter.  In  den  Kriegsscenen  490-540  sind 
wirklich  Ares  und  Athene,  und  nicht,  wie  Reichel  wollte,  die  Anführer 


24       Bericht  über  die  homerischen  Realien  1S9C  — 1902.    (GemoU.) 

zu  sehen.  —  Die  Städtebilder,  die  friedlichen  und  die  kriegerischen,  sind 
nicht '  mit  Reichel  zu  verbinden.  —  Die  beiden  Heere  der  belagerten 
Stadt  sind  das  der  Städter  und  das  der  Belagerer.  Im  Hinterhalt 
liegen  die  Feinde  (p.  102),  die  Herden  gehören  den  Städtern.  Verf. 
findet,  daß  alles  klar  ist.  Im  ganzen  gebe  ich  Schmidt  recht,  auch 
darin,  daß  er  (p.  104)  das  Ausscheiden  der  Panzer  aus  dem  schon  ab- 
geschlossenen Epos  verwirft,  mit  Scheiudler,  Ztschr.  f.  östr.  Gymn.  1895 
S.  398.  Mit  den  mykeuischen  Funden  passen  Helm  und  Beinschienen, 
aber  von  Leder,  nicht  jedoch  der  Panzer,  der  erst  im  7.  Jahrhdt.  auf 
den  Monumenten  erscheint.  Auf  dem  Schild  ist  alles  von  Metall,  ein 
Zeichen,  daß  die  Schildbeschreibung  sehr  jung  ist.  Für  die 
Belagerung  gibt  Schmidt  außer  dem  mykenischen  zwei  schwarzfigurige 
Beweisstücke  griechischer  Herkunft. 

Man  sieht,  die  Schmidtsche  Ausführung  ist  in  der  Hauptsache 
eine  erfolgreiche  Kritik  Reicheis  und  bezeichnet  die  Rückkehr  zu  dem 
früheren  Standpunkt  von  Friederichs,  Petersen  und  Heibig. 

J.  L.  Ussing,  Achilles'  Skjold,  in  Nordisk  Tidskrift  for  Filologi 
Bd.  9  (1900—1901)  8.  16-28. 

Der  vorstehende  Aufsatz  ist  bemerkenswert  durch  das. klare,  ge- 
sunde Urteil,  das  aus  ihm  spricht.  Neues  wird  man  aus  ihm  nicht  er- 
fahren. Man  wird  gern  Kenntnis  davon  nehmen,  daß  Verf.  in  Vers  499  die 
Erklärung  verwirft:  „Der  eine  gelobte  alles  zu  bezahlen"  (p  16),  daß 
507  f.  die  2  Talente  den  Parteien  gegeben  werden,  wofür  auch  die  Pa- 
rodie Lucians  im  Fischer  §  41  spreche,  aber  man  wird  bezweifeln,  ob 
St'xaCov  vs.  506  „sie  führten  ihre  Sache"  und  ob  501  ett'  ia-copt  abstrakt 
„vor  Gericht*  (ved  Dom)  heißen  kann.  Auch  wird  man  bedenklich 
finden,  daß  der  Verf.  den  Einwand  (von  Clemens,  was  er  wohl  hinzu- 
setzen konnte),  daß  löuvtata  (Superlat.j  von  zwei  Parteien  nicht  passe, 
nicht  widerlegen  kann  (S.  18  A).  —  In  bezug  auf  den  Reigentanz  sucht 
Verf.  die  Erfindung  des  Dädalus  in  dem  Muster  des  Platzes  von  der 
Form  des  Labyrinths.  Endlich  S.  28  polemisiert  er  gegen  Reicheis 
Auffassung,  daß  516  f.  Anführer  und  nicht  Götter  dargestellt  seien. 
Seineu  Gründen  möchte  ich  hinzufügen,  daß  ein  Zweifel  kaum  erlaubt 
ist,  wenn  der  Dichter  520  sagt  afAcpk  apiCrjXw! 

A.  Moret,  Quelques  scenes  du  bouclier  d'Achille  et  les  tableaux 
des  tombes  figyptiennes.    Revue  Archeologique  38  (1901)  S.  198—212. 

„Murray  (History  of  greek  sculpture  2  de  ed.  1890  S.  42  ff.), 
griff  in  seiner  Rekonstruktion  des  Schildes  unterschiedslos  in  die  assy- 
rischen, phönikischen,  ägyptischen  und  altgriechischen  Denkmäler  hinein. 
In  dem  Überfall  der  Herde  durch  Löwen  ist  die  Herde  assyrisch,  die 
Löwen  phönikisch,    die  Hunde  sind  ägyptisch".     Dem  gegenüber  sucht 


B  ericht  über  die  homerischen  Realien  1896—1902.   (GemoU.)        25 

Verf.  die  Ackerbauscenen,  sowie  den  Überfall  der  Herde  durch  ägyp- 
tische Grabgemälde  zu  erläutern.  Er  ist  der  Meinung,  daß  die  home- 
rischen Rhapsoden  diese  ägyptischen  Denkmäler  gesehen  haben  können, 
jedenfalls  aber  durch  sie  direkt  oder  indirekt  beeinflußt  sind.  Dagegen 
spricht  der  Umstand,  daß  die  homerischen  Bilder  ganz  sichtlich  nach 
Metallvorlage  gearbeitet  sind,  wie  das  schon  Heibig  erwiesen  hat 
Außerdem  finde  ich  die  Ähnlichkeit  in  den  Scenen  gar  nicht  so  besonders 
groß,  daß  man  auf  irgend  eine  Abhängigkeit  schließen  müßte. 

Paolo  Orsi,  "Epixaia  Tpr/Xyiva  [xopocvra.     Strena  Heibig.   S.  223 
—227. 

Aus  den  Ausgrabungen  von  Megara  Hyblaea  werden  zur  Bestätigung 
von  Helbigs  Erklärung  der  apixocxa  xpqXrjva  [xoposvTa  Abbildungen  von 
silbernen  Ohringen  gegeben,  die  einen  gewissen  Fortschritt  zeigen  vom 
Einfacheren  zum  Kunstvolleren,  und  vom  7.  bis  zum  Ende  des  5.  Jahr- 
hunderts reichen,  zum  großen  Teil  aus  Kindergräbern. 


VII.  Krieg  und  Waffen. 

A.  Swoboda,  Die  Stadtbelagerung  auf  dem  homerischen  Schilde 
Achills.    Z.  f.  d.  öst.  Gymn.     1900,  S.  1—8. 

Eine  bei  aller  Kürze  sehr  gehaltvolle  und  beachtenswerte  Ab- 
handlung. Wenn  ich  mich  nicht  täusche,  so  wird  Verf.  aber  noch  nicht 
das  letzte  Wort  gesprochen  haben.  Ich  fasse  nicht  509  öTaxo  und  531 
xa&rj|x£voi  parallel.  Ebensowenig  kann  ich  mich  überzeugen,  daß  511 
SirxTCpaÖEciv  von  den  Belagerern  gesagt  sei;  ich  beziehe  es  auf  die 
Städter,  wie  auf  a^iav^  509.  Ich  finde  auch  530  keine  Beratung  zweier 
feindlicher  Heere,  sondern  nur  den  Hinterhalt  der  Städter.  Der  Verf. 
scheint,  wie  die  meisten  Erklärer,  den  Lochos  gar  nicht  verstanden  zu 
haben,  dafür  schiebt  er  dem  Dichter  das  Mißverständnis  zu.  Die  Scene 
ist:  eine  von  zwei  Heeren  umgebene  Stadt,  ein  Belagerungs-  und  ein 
Entsatzheer.  Das  letztere  ist  ein  Erzeugnis  der  Verzweiflung.  Bis 
jetzt  sind  nur  zwei  Ansichten  ausgesprochen  worden,  entweder  die  Stadt 
zerstören  zu  lassen  oder  den  Feinden  einen  Preis  anzubieten  (avöi/a 
aiavTa  Sasauiiat).  Da  wird  noch  eine  List  ersonnen.  Das  Heer  muß 
sich  heimlich  in  den  Hinterhalt  legen,  offen  aber  wird  das  Vieh 
weggetrieben,  damit  es  die  Feinde  überfallen  sollen.  Und  dann  sollen 
die  versteckten  Krieger  aus  dem  Hinterhalt  hervorbrechen.  Im  wesent- 
lichen also  ist  meine  Erklärung  die  Philostrats  (Iraag.  10).  Davon, 
daß  der  Dichter  hier  ein  Mißverständnis  begangen  habe,  kann  gar  keine 
Rede  sein. 


26       Bericht  über  die  homerischen  Realien  1890—1902.    (GemoU.) 

A.  Ruppersberg,  Der  Bogenwettkampf  in  der  Odyssee.  Neue 
Jahrbb.  1897,  S.  225—242. 

In  eindringender  und  gründlicher  Weise  behandelt  der  Verf.  die 
neueren  Erklärungsversuche  des  alten  Problems.  Man  kann  dem  Verf. 
in  der  Polemik  fast  überall  beistimmen.  Aber  seine  eigene  Lösung 
wird  schwerlich  Beifall  linden.  Verf.  denkt  sich  die  Beile  vom  ersten 
bis  zum  letzten  immer  tiefer  in  die  Erde  gesteckt,  so  daß  der  Schuß 
zuletzt  in  die  Erde  fuhr.  Ich  halte  die  Ausführung  einfach  für  un- 
möglich. Verf.  hat  auf  S.  237  eine  Zeiclmunc  gegeben,  auf  welcher 
die  Beile  schräg  gestellt  sind.  Sonst  ist  die  Ausführung  überhaupt 
nicht  möglich.  Aber  mit  welcher  Genauigkeit  mußte  dabei  verfahren 
werden!  Und  mindestens  mußte  man  die  Sache  doch  vorher  ausprobieren. 
Teleraach  setzt  die  Beile  zum  ersten  Male!  Bei  der  Ziehung  des 
Grabens  wird  jeder  Leser  den  Eindruck  haben,  daß  nur  eine  einfache 
gerade  Linie  gezogen  wird,  auf  eine  allmähliche  Vertiefung  führt  keine 
Spur.  Drittens  stehen  bei  Ruppersberg  die  Beile  mit  den  Schneiden 
aneinander,  das  ließe  sich  noch  hören,  aber  die  ersten  Beile  sind  so 
oberflächlich  eingesteckt,  daß  sie  kaum  feststehen  können.  Kurz,  das 
Problem  ist  auch  hier  nicht  gelöst. 

A.  T.  C.  Cree,  The  axe  test  (Hom.  Od.  19,  572;  21,  120,  421). 
Classical  Review  16  Heft  4,  Mai   1902. 

Wieder  ein  Versuch,  den  Schuß  durch  die  Äxte  zu  erklären. 
Verf.  weist  Monros  Erklärung,  die  sich  mit  der  landläufigen  deckt,  ab, 
da  die  Stiele  dabei  unberücksichtigt  bleiben.  Auch  Seatons  Erklärung 
(Class.  E.ev.  X  168),  der  Sptio/oi  nach  Procop  b.  Goth.  4,  22  als  Schiffs- 
rippen nimmt,  führt  er  eigentlich  nur  an,  um  gleich  dahinter  eine  neue 
zu  bringen:  Spuoyoi  sind  gekreuzte  Stützen  (ßöcke).  Die  Beile 
wurden  mit  den  Stielen  so  in  die  Erde  gestoßen,  daß  immer  zwei  ein- 
ander kreuzten,  die  oben  einander  zugekehrten  Schneiden  bildeten  den 
Abschluß  eines  Dreiecks,  durch  den  man  schießen  konnte. 

Gegen  diese  Theorie  ist  einzuwenden,  daß  die  Beile  doch  sehr 
unsicher  standen,  daß  das  Dreieck  für  die  Flugbahn  des  Pfeils  auch 
noch  kein  genügendes  Feld  bietet,  und  daß  endlich  die  Ausführung  des 
Schusses  immer  noch  unklar  ist.  Wie  zielte  Odysseus?  Jedenfalls  ist 
auch  diese  Lösung  keine  gelungene. 

A.  de  Ridder,  le  disque  Homerique.  R,evue  des  et.  grecques  10 
(1897)  S.  255—263. 

Verf.  nimmt  die  alte  Frage  nach  der  Beschaffenheit  des  home- 
rischen Diskos  wieder  auf.  Die  auf  den  Denkmälern  erhaltenen  Abbil- 
dungen reichen  nur  bis  in  das  VI.  vorchristliche  Jahrhundert,  sie 
stellen  den  Diskos  als  mehr  oder  weniger  flache  Vollscheibe  dar.    Nach 


Bericht  über  die  homerischen  Realien  1896—1002.   (GemoU.)         27 

den  Scholien  zu  Homer  aber  sollen  sie  in  der  Mitte  ein  Loch  g'ehabt 
und  mit  einem  Riemen  geschleudert  worden  sein.  Verf.  bemerkt,  daß 
der  homerische  Text  dazu  keine  Veranlassung  gibt.  Eratosthenes  aber 
in  den  Olj'mpioniken  hat  sich  auf  T:spt3-p£<{<a;  f>  198  berufen,  de  ßidder 
meint,  rspurpscpeiv  verstehe  sich  auch  vom  Hin-  und  Ilerschwingen :  das 
ist  unmöglich.  Ebensowenig  glaube  ich,  dal.!  Oilysseus  keinen  Diskos, 
sondern  une  simple  pierre  brüte,  un  galet  gigantesque  ergriffen  habe. 
0  186  ist  der  Diskos  als  solcher  bezeichnet,  de  Ridder  läßt  den  durch- 
lochten Diskos  für  die  nach  homerische  Zeit  einführen  und  dann  wieder 
abschaffen,  was  doch  auch  recht  unwahrscheinlich  ist.  Verf.  bringt  zur 
Bestätigung  einen  ßronzetund  des  Natioualmuseums  zu  Athen  bei.  Eine 
Abbildung  gibt  er  nicht,  aber  die  Beschreibung  (p.  2(51)  läßt  kaum  auf 
einen  Diskus  schließen  (rebord  saillant  meuage  sur  les  deux  faces;  les 
faces  inegales,  le  dessou  du  disque  est  plan,  Tavers  est  concave,  darin 
un  omphalos  traverse  par  un  conduit  median;  la  mortaise  sensiblement 
carree);  ebensowenig  die  Größe  (Durchmesser  11,5  cm).  Ein  Rad  frei- 
lich scheint  es  auch  nicht  zu  sein  (fehlende  Speichen,  viereckige  Axe), 
aber  deshalb  ist  es  noch  kein  Diskos.  Vorderhand  möchte  ich  bei 
Eratosthenes  bleiben,  obgleich  dessen  Annahme  heute  überall  aufge- 
geben scheint. 

W.  Reiche],    Das  Joch    des    homerischen  Wagens.    Jahreshefte 
des  österr.  Instituts  Bd.  2  S.   137—150. 

Eine  Gabe,  der  man  sich  uneingeschränkt  freuen  kann.  Im  An- 
schluß an  il  268 — 274  wird  die  so  oft  behandelte  Bespannung  des 
homerischen  Wagens  noch  einmal  besprochen.  Verf.  übersetzt  die  Stelle 
folgendermaßen:  ,Vom  Pflocke  nahmen  sie  das  genabelte  Maultier joch 
aus  Buchsbanm  herab,  das  mit  Handhaben  wohl  versehen  war,  und 
zugleich  mit  dem  Joche  trugen  sie  den  neun  Ellen  langen  Jochriemen 
heraus.  Dieses  (Joch)  legten  sie  sorgfältig  auf  die  wohlgetilättete 
Deichsel,  aa  deren  vorderste  Spitze,  und  warfen  den  Ring  über  den 
Spannagel.  Dreimal  jederseits  banden  sie  den  Riemen  auf  den  Nabel, 
dann  aber  schnürten  sie  ihn  in  parallelen  Windungen  (eEei'r,;)  hinab 
(längs  der  Deichsel  abwärts)  und  steckten  das  Spitzende  unter," 
Dazu  gibt  er  außer  einer  Modellskizze  noch  eine  Abbildung  einer 
etruskischen  Deichsel,  wo  allerdings  e'üTmp  und  xpixoc  fehlen,  desgl.  ein 
Sardonj^  aus  Vaphio,  der  die  Deichsel  in  der  ganzen  Länge  verschnürt 
zeigt,  xpi'xoc  und  saxtup  konnten  dem  leichten  Kriegswagen  fehlen,  meint 
Reichel,  das  glaube  ich  aber  nicht.  Leafs  Irrtum  (J.  H.  St.  1884 
S.  185  f.)  betreffs  Ijtwp  und  xptxo;  stellt  Reichel  aufjHelbigs  Spuren  völlig 
richtig.  Der  angebliche  i'jjrtup  ist  das  Jochende,  der  xptxo?  vielmehr  das 
Jochkissen,  die  Jochenden  waren  vielleicht  eingezapft.    Indessen  in  der 


28        Bericht  über  die  homerischen  Realien  189ß— 1902.    (Genioll.) 

schönen  Abbildung-  (Fig.  67)  aus  dei-  Frangoisvase  ergibt  sich  eine  ganz 
natürliche  Rundung^.  Ich  glaube,  für  diesen  Nachweis  können  wir  Keichel 
besonders  dankbar  sein.  Es  folgt  die  Besprechung  der  Ceu'/AT)  in  P  440 
T  405,  wie  ich  meine,  nicht  glücklich.  Ich  will  nicht  gerade  abstreiten, 
daß  die  Haare  aus  dem  assyrischen  oder  ägyptischen  Geschirr ,  das 
höher  saß  als  das  hellenische,  herausfallen  konnten,  doch  bezeichnet  ex 
Ceu7XY)?  wohl  nur  die  Richtung  und  ist  so  ganz  gut  zu  verstehen.  Von 
dem  Riemenzeug  wird  bei  Homer  nur  der  Xeiraöva  Erwähnung  getan, 
des  }jLa(3);aXcoTT)p  nicht.  Den  Schluß  macht  die  Anschirrung  der  Bei- 
pferde (li  80-88  11  152,  467—475).  Wie  Heibig,  meint  Verf.,  daß  sie 
einen  Zugriemen  nichL  hatten,  nach  den  Denkmälern.  Neu  ist  die  Ver- 
mutung, daß  ein  Aufrennen  des  Beipferdes  auf  das  Jochpferd  durch 
Stacheln  verhütet  wurde.  So  etwas  soll  Fig.  80  enthalten  (Wiener  Vor- 
legebl.  1889  II  1^^),  aber  von  Stacheln  sehe  ich  da  nichts,  höchstens 
ein  Schmuckzeichen. 

VIII.    Nautisches. 

A.  Engelbrecht,  Das  homerische  Floß  des  Odysseus.     Wiener 
Studien  20  (1898)  S.   150—156. 

Eine  verständige  Arbeit,  deren  Verdienst  darin  besteht,  daß  sie 
den  Dichter  so  nimmt,  wie  er  überliefert  ist,  und  ihn  zu  verstehen  sucht. 
Das  Floß  des  Odysseus  ist  weder  von  Anfang  an,  wie  Breusing  wollte, 
ein  Schiff,  noch  später  zu  einem  Schiff  interpoliert,  sondern  wirklich 
nur  ein  Floß  mit  Mastbaumgerüst,  zu  dem  die  axa]xhe^  und  sTrTjYxevioec 
gehören,  ebenso  wie  das  Weideugeflecht.  Nur  der  eine  Punkt  will  mir 
nicht  einleuchten,  daß  die  uXtq  257  aufgesteckte  Baumzweige  sein  sollen. 
Da  gefällt  mir  Leeuweus  Erklärung  doch  besser,  eine  Schütte  Laub 
zum  Lager  oder  Sitz. 

J.    van  Leeuwen,    de    equo    Troiano.     Mnemosyne  29    (1901) 
S.    121  —  140. 

Die  vorstehende  Abhandlung  ist  zuerst  holländisch  veröffentlicht 
in  Verslagen  en  Meded.  d.  K.  Ac.  v.  Wet.  Febr.  1901  und  wird  hier 
in  lateinischer  Übersetzung  gegeben.  Das  hölzerne  Pferd  ist  bei  der 
Zerstörung  Trojas  eigentlich  überflüssig;  Sinons  List  genügt.  Es  gehört 
auch  dort  nicht  hinein.  Es  ist  vielmehr  ein  Schiff,  und  zwar  das  Schiff 
des  Achilles,  das  nach  Troja  kam.  Er  war  allein,  erst  allmählich  fanden 
sich  die  anderen  Helden  ein.  Beweis:  das  Pferd  heißt  öoupaTeoc  Tttitoc 
„ Balkenpferd ",  das  ist  eben  ein  Schiff.  Schon  Baumeister  (Denkm.  I  741) 
hat  diese  Meinung  ausgesprochen,  was  van  Leeuwen  am  Schlüsse 
erwähnt. 


Bericht  über  die  homerischen  Realien  ISOH— 1902.    (Gemoll.)         29 

IX.    Religion  und  Götter. 

W.  Keichel,  Über  vorhelleiiische  Gotterkulte.     Wien   1897. 

Da  das  3.  Kapitel  dieser  Schrift  den  Titel:  „Mykenische  und 
homerische  Götter"  führt,  so  haben  wir  uns  hier  mit  iiir  auseinander- 
zusetzen. Reichel  ist  der  Meinung-,  dal.l  die  Zeit  der  liomerischen  Ge- 
dichte sich  die  Götter  anthropomorphisch,  aber  von  riesiger  Größe 
dachte,  daß  Kultbilder  im  Homer  nicht  erwähnt  seien,  auch  Z  87  flf. 
nicht,  daß  vielmehr  der  Peplos  zwar  dem  Wortlaut  nach  'AByjvaiY);  I-kI 
fo'jvaaiv  (Z  92),  in  der  Tat  aber  auf  den  leeren  Thronsessel  g-elegt 
wurde.  Andere  Bilder  gab  es,  wenn  auch  nicht  ^  516—519,  wo  nach 
seiner  Meinung  zwei  Anführer,  nicht  zwei  Götter  auf  dem  Schilde 
standen. 

Wenn  die  homerische  Zeit  keine  Kultbilder  hatte,  so  die  myke- 
niscbe  erst  recht  nicht  (S.  55).  Viele  bisher  dafür  ausgegebene  Götter- 
darstellungen sind  im  Grunde  gar  keine;  die  sogenannten  „Idole"  sind 
Privaterzeugnisse.  Ausgenommen  werden  die  nackten  Astartebilder,  die 
als  Amulette  zum  Schutz  gegen  das  Festhalten  in  der  Unterwelt  mit- 
gegeben wurden.  Aber  sie  konnten  auch  Weihgeschenke  werden,  und 
schließlich  wurden  aus  Bemerkenswertem  ihrer  Art  wohl  auch  Kult- 
bilder. 

Auch  Tempel  kennt  Homer  nicht,  die  (sechs)  erwähnten  kommen 
nur  an  jüngeren  Stellen  vor,  die  Götter  begnügten  sich  mit  einem  Altar 
und  einen  Thron  davor,  Tempel  war  das  Herrenhaus  selbst.  Dem 
widerspricht  nun  die  Darstellung  in  Z  89  vollständig.  Dort  geht  man 
zum  vTjo;  der  Athene,  der  vom  Herrenhause  entfernt  liegt.  Und  das 
sollte  man  glauben,  daß  der  Teppich  auf  den  leeren  Stuhl  der  Athene 
gelegt  wird,  wo  es  ausdrücklich  heißt:  auf  ihre  KnieV 

Noch  drei  Jahre  früher  (hom.  Waffen  S.  45)  erkannte  Reichel 
den  Tempel  in  Z  88  ff.  an.  Jetzt  streicht  er  ihn  seiner  „Thronhypo- 
these"  zuliebe.  Mit  dieser  ist  es  ebenso  schlecht  bestellt.  Die  Beseiti- 
gung der  Idole  bleibt,  wie  wir  sahen,  in  der  Mitte  stecken.  Die  soge- 
nannten Justizmasken,  die  Astarte-Idole  müssen  anerkannt  werden  als 
Götterbilder,  wenn  auch  nur  als  private,  die  aber  doch  schließlich  zu 
Kultbildern  werden  können!  Wozu  da  erst  die  ganze  Thronhypothese, 
die  nebenbei  auch  von  allen  Seiten  Widerspruch  erfährt?  Abbildung  1 
kann,  wie  v.  Fritze  sah,  nach  der  Analogie  von  Fig.  16  wohl  ein  Stufen- 
altar sein  (Strena  Helbigiana  S.  87)!  Auch  diese  denkt  sich  Reichel 
als  Thronsitze.  Dann  müßten  die  anwesenden  Götter  die  Füße  direkt 
im  Feuer  gehabt  haben.  Ob  das  bei  der  anthropomorphen  Anschauung 
denkbar  ist?    Ich  glaube,  nein. 


30        Bericht  über  die  homerischen  Realien  1896—1902.   (GemoU.) 

Der  „ Thronhypothese "  fällt  auch  das  Tempelchen  Fig.  4  zum 
Opfe)-,  das  Verf.  noch  bis  vor  kurzem  anerkannt  hatte  (S.  9).  Zu 
diesem  Bilde  bemerke  ich,  daß  ich  in  dem  Bogen  unter  den  Säuleu 
Pflanzenblätter  erblicke,  zu  denen  die  Säule  der  Stengel  ist.  Ich  ver- 
weise auf  den  mykenischen  Goldriiig  Fig.  27.  Die  nahe  Beziehung,  die 
Verf.  zwischen  der  mykenischen  und  der  homerischen  Welt  annimmt, 
müßte  doch  erst  gerechtfertigt  werden.  Wer  die  mykenische  Kultur  als 
phönizisch  faßt  wie  Heibig,  kann  den  Sprung  Eeichels  nicht  mit- 
machen . 

Immerhin  hat  die  Arbeit  das  Verdienst,  die  Aufmerksamkeit  wieder 
auf  die  Felsenthrone  und  den  Thronkultus  gelenkt  zu  haben.  Aber 
woher  stammen  sie?  Und  welche  Rolle  spielten  sie  im  Kultus?  Das 
sind  zwei  Fragen,  die  noch  ihrer  Erlediguug  harren.  Jedenfalls  hat 
sie  Reichel  nicht  erledigt.  Er  hat  den  Tempel  und  das  Götterbild  aus 
dem  alten  griechischen  Gottesdienst  nicht  beseitigen  können,  ein  Bei- 
spiel für  den  Throndienst  bei  Homer  nachzuweisen,  ist  ihm  mißlungen. 
Wir  sind  also  genau  so  weit  wie  vorher! 

0.  Seeck,  Die  Bildung  der  griechischen  Religion.  Neue  Jahrbb. 
1899  S.  225.  305.  492. 

Der  Aufsatz  ist  ein  Bruchstück  aus  dem  2.  Bande  der  Geschichte 
des  Unteigangs  der  antiken  Weit  und  gibt  eine  Entwickelung  der 
griechischen  Religion  vom  Animismus  (Seelenkult)  über  den  „Sonnen- 
glauben" zur  Religion  Homers  hin.  Im  Grunde  ist  das  Ganze  nur  eine 
Überarbeitung  von  Rohdes  Psyche.  Der  Unterschied  ist  nur  der,  daß 
man  sich  bei  Rohde  immer  auf  sicherem  Boden  fühlt,  während  hier 
die  Spekulation  doch  sehr  zum  Schaden  der  Beweiskraft  überwiegt. 

Heinr.  Bulle,  Odysseus  und  die  Sirenen.  Strena Hoibigiana 
S.  31—37. 

Ein  Aryballos,  athenischen  Ursprungs  in  München  (?).  Odysseus,  von 
Kirkes  Haus  (?),  das  man  sieht,  weggefahren,  angebunden  au  dem  Mast 
des  Schiffes.  Zehn  Ruderer  an  der  Arbeit,  zwei  mächtige  Vögel  über  dem 
Schiffe  schwebend  (glaube  ich).  Vor  Odysseus  zwei  Sirenen  mit  umge- 
bogenen Flügeln,  offenem  (singendem)  Munde  und  dünnen  Vogel- 
beinen, die  aber  durch  eine  Brüstung  dem  ansegelnden  Odysseus  ver- 
deckt sind  (so  ich).  Hinter  den  Sirenen  eine  weibliche  sitzende  (Bulle 
kauernde)  Figur,  die  ihm  die  Chthon  bedeutet,  die  die  vampyrartigen 
Sirenen  aus  der  Unterwelt  schickt.     Das  ist  sehr  problematisch. 

F.  Dümmler,  Der  Zorn  der  Hera  in  Dichtung,  Sage  und  Kunst. 
Kl.  Schriften.     Leipzig  1901.     II  S.  1—17. 

Eine  unvollendet  und  bisher  unveröffentlicht  gebliebene  Antritts- 
vorlesung   aus  dem  J.  1890.     Der    darin    niedergelegte   Grundgedauke 


Bericht  über  die  liomerischen  Realien  189G  — 1902.    (Geinoll.)         31 

ist  folgender:  Hera  ist  eigentlich  chthüiiische  Gottheit  und  ihr  Zoi'q 
Zustand  der  Erde  vor  dem  tspo;  yl^xo;  mit  Zeus,  die  unfruchtbare  Jahres- 
zeit. Dieser  Gedanke  empfiehlt  sich  durch  Einfachheit  und  ist  einer 
ausführlicheren  Bearbeitung  wert. 

F.  Dümmler,  Atheua.    Kl.  Schriften.     II  18—124. 

Wiederabdruck  des  Artikels  Athena  aus  Pauly-Wissowa,  Real- 
Encyklopädie  II  1941 — 2020.  Hierher  gehört  der  erste  Abschnitt: 
Athena  im  homerischen  Epos  und  in  der  Heldensage.  Es  wird  nach- 
gewiesen, daß  Athenas  Geburt  von  Zeus  Homer  bekannt  ist.  Die  Agis 
ist  doch  ursprünglich  Ziegenfell,  wenn  ancli  nicht  mehr  bei  Homer 
(Stengel).  Voihomerisch  ist  auch  das  Schutzverhältnis  zu  gew^issen 
Helden,  namentlich  Diomedes;  in  der  Odyssee  ist  sie  aus  der  Sohlachten- 
jungfrau Göttin  der  Klugheit  geworden,  ja  schon  in  der  Ilias  als 
Schützerin  der  städtischen  Kultur  voi  auszusetzen.  II.  VI  287  ist  ein 
Sitzbild,  das  Palladion  aber  ein  stehendes  Bild,  dalier  die  ganze  Scene 
VI  287  jüngeren  Ursprungs. 

P.  Stengel,    Der  Kult  der  Winde.     Hermes  35  (1900)  S.  627 
—635. 

Wenn  auch  Homer  einen  Kult  der  Winde  nicht  kennt,  so  unter- 
scheidet er  doch  av£|jLoi.und  öusXXai,  für  die  er  auch  °A  piruia'- setzt  (u  63, 
66,  67).  Diese  sind  schon  nach  Rohde  (E.h.  Mus.  50,  5)  Dämonen 
geworden  wie  die  Keren  auch.  Ihr  Aufenthaltsort  ist  die  Unterwelt 
(Rohde  a.  0.).  So  erklärt  sich  der  merkwürdige  Kult  der  Winde,  von 
dem  Stengel  in  seiner  trefflichen  Weise  handelt. 

G.  I w an 0 witsch,    Opiuiones  Homeri    et  tragicorum  Graecorum 
de  iuferis.     Berl.  Studien  für  klass.  Philol.  16  (1896). 

Die  Abhandlung  kann  füglich  ungelesen  bleiben.  Denn  erstens 
geht  sie  von  einem  iipöixov  i];£Üöos  aus,  daß  nämlich  Homer  wie  die 
Tragiker  die  religiösen  Anschauungen  ihrer  Zeit  wiedergegeben  hätten . 
Man  vergl  darüber  Rohde  Psyche  S.  35.  Zweitens  beruht  der  Wert 
der  Abhandluug  nur  in  der  Zusammenstellung  dessen,  was  für  die 
einzelnen  Schriftsteller  früher  geleistet  ist.  Drittens  ist  sie  unvoll- 
ständig. Der  fünfte,  interessanteste  Punkt  über  die  Bestattung  und  den 
Totenkult  fehlt.  Viertens  konstruiert  Verf.  einen  Gegensatz  in  den  An- 
schauungen Homers  und  der  Tragiker,  der  gar  nicht  existiert.  Kammer, 
dessen  Autorität  ihm  sonst  maßgebend  ist,  hätte  ihn  (ästhet.  Komment, 
zur  Ilias  S.  84)  belehren  können,  daß  die  homerischen  Menschen  genau 
dieselben  Klagen  über  das  Menschenleben  ausstoßen  wie  die  Helden  der 
Tragödie.  Fünftens.  Wunderbar  ist  das  Verhalten  des  Verf.  bei 
schwierigen  Stelleu  wie  Theog.  767,  310,  wo  er  den  Höllenhund  gern 


32        Bericht  über  die  homerischen  Realien  1S96  — 1902.    (GemoU.) 

eliminieren  möchte,  aber  es  doch  nicht  recht  wagt.  Ebenso  T  278,  wo 
er  (statt  xatxovTocc)  eovxa;  vorschläg't ,  als  wenn  dadurch  das  geringste 
gebessert  würde. 


X.    Sakralaltertümer. 

H.  V.  Fritze,  Die  Rauchopfer  bei  den  Griechen.     Berlin  1894. 

Das  unter  den  Augen  C.  Roberts  entstandene  Schriftchen  be- 
handelt eine  wichtige  Frage  der  griechischen  Sakralaltertümer.  Für 
Homer  erfahren  wir  nichts  Neues,  wenn  öusiv  als  Räuchern  erklärt 
wird,  und  zwar  Räuchern  mit  einheimischen  Pflanzen,  Verf.  weist  nur 
nach,  dal.S  der  aiabische  Weihrauch  erst  im  7.  Jahrhundert  nach  Griechen- 
land gekommen  ist  und  zwar  im  Gefolge  des  Aphrodite-  und  Helios- 
kultus. Soweit  gut.  Aber  Roberts  Einwurf,  daß  doch  Aphrodite  bei 
Homer  schon  ganz  als  griechische  Gottheit  erscheine,  bereitet  ihm  un- 
lösbare Schwierigkeiten.  Denn,  wenn  er  meint,  daß  die  alten  Kultus- 
formen die  Einführung  erleichtert  hätten,  so  ist  das  keine  Antwort. 
Am  besten  war  es,  die  beiden  Fragen  nach  dem  Weihrauch  und  der 
Aphrodite  gar  nicht  miteinander  zu  verbinden. 

H.  V.  Fritze,  ouXai.     Hermes  32,  S.  235—250. 

Im  Anschluß  au  Stengel  (Hermes  29,  S.  627)  wird  der  Gebrauch 
der  ouAat  ausführlich  besprochen.  Von  der  Stellung  der  ouXat  im  Opfer- 
ritual ausgehend,  weist  v.  Fritze  überzeugend  nach,  daß  die  oüXai  nicht 
auf  das  Haupt  des  Opfertiers,  sondern  auf  den  Altar  geworfen  wurden. 
Ferner  sucht  er  darzutun,  daß  die  ouXai  geröstete,  ganze  Gersten- 
körner waren.  Ich  halte  diesen  Beweis  nicht  für  völlig  gelungen. 
Dagegen  stimme  ich  seinen  Ausführungen  in  betreif  der  ouÄoyutai  und 
rpoyuTat  völlig  bei.  Alles  in  allem  ist  die  Abhandlung  von  gründlich- 
ster Gelehrsamkeit  getragen  und  bietet  weite  Perspektiven  in  die  Vor- 
geschichte des  Opferrituals. 

Otto  Kern,  Zum  altgriecbischen  Kultus.  Strena  Helbigiana 
S.   155—159. 

1.  Kern  verwirft  (p.  156j  den  Reicheischen  Thronkultus  zu 
Z  92,  303  und  erklärt  das  1.  Bild  bei  Reichel,  Vorhell.  Götterkulte, 
zwar  für  einen  Thron  (nicht  für  Tempel  oder  Altar)  aber  für  den 
eines  Verstorbenen,  der  (in  der  Kuppelhalle)  mit  Zweigen  geschmückt 
wird.  Unwahrscheinlich  und  kaum  Gegenstand  eines  Siegelringes.  2. 
Die  Erdhügel  im  östlichen  Thessalien  sind  Erdmale  des  Wegegottes 
Hermes  im  Hinblick  auf  E.  Mengers  und  C.  Roberts  Erklärung  des 
Namens  (Gott  vom  Steinhaufen)   die  zueist  von  Preller  aufgestellt  ist 


Bericht  über  die  liomerischen  Realien  1S%  — 1002.    (Gemoll.)        33 

r.  Stengel,  e-ap$aaöat  oeTraeasiv.  Hermes  34  (1899),  S.  469-478. 
Eine  inhaltreiclie  Abliaudlung.    Verf.  setzt  sich  zunächst  mit  den 
früheren  Darstellungen  auseinander,    besonders  mit   Beruhardi  (Progr, 
Lpz,  1885  S.  18),  dem  gegenüber  er  mit  Recht  behauptet,  das  Spenden 
habe  nicht   den  Dienern    überlassen  sein   können.     Doch    mul')    ich    an 
diesem  Abschnitt  tadeln,    daß  Verf.    nicht  auf  die  Schollen  zurückge- 
gangen ist.     Cod.  Yen.  A  bietet  zu  A  471  zwei  Erklärungen:  1.  ir.ao- 
SajjLevot  =  £-iy£av-£i,    2.    £7:ap;a|j.evoi  =  aitap$a[xevo'    j7:ovör|V.      Im  ersten 
Falle  ist  ös-assjiv  Dativ,    im  2.  Instrumentalis.     Wenn  nun  in  diesem 
zweiten  Falle    sTrapSscjöat    wirklich  spenden  hieße,    so  wüßte  ich  nicht, 
wer    anders    als   die  Diener    die  Spender    hätten    sein    können.     Indes 
£-ap;aai}at  heißt  gar  nicht  spenden,   sondern  den  Anfang  dazu  machen, 
die  Spende    vorbereiten.     Das    geschieht    durch  Verteilung  des  Weins, 
A  471  beißt  es   vcüji-r^jav   o'a'pa   Tiasiv    £-ap^a|x£voi  öeKciessiv    sie   teilten 
(vom   Weine)    allen   zu    £-ap;a|j.£voi    ozzdtaiiy.     Die  Spender   sind    die 
Opfernden  oder  Schmausenden,    wie  aus  7  340  ff.,  r^  183  ff.,    besonders 
aber  aus  cj  48  f.    und  -f  263  deutlich  hervorgeht.     In  dieser  Beziehung 
bin  ich  mit  Stengel  einig.    Auch  wenn  er  dann  gegen  Nitzsch,  Naegels- 
bach  u.  a.  konstatiert,    daß  der  Wein  auch  mit  den  Bechern  aus  dem 
Mischkrug  geschöpft  wurde,  muß  man  wegen  F  295,  T  219  11  230  bei- 
stimmen.    Ebenso  erkenne  icli  an,  daß  nicht  zu  jeder  Libation  neu  ge- 
mischt wurde,  wegen  7  40  ff.     Aus  7  63  geht  hervor,  daß  der  Becher 
bei  der  zweiten  Spende    nicht   mehr  voll  war.     Weniger  will  mir  ein- 
leuchten, daß  die  Spende  nicht  immer  geübt  wurde.     Das  argumentum 
ex    silentio    ist    immer    trügerisch,    so    auch    hier.     Wenn    a   147    das 
Spenden  nicht  erwähnt  wird,  so  ist  noch  nicht  gesagt,  daß  es  nicht  ge- 
schehen ist.     Auch  A  471    ist  nur   das  s-apcaaOai  der  xoüpoi  erwähnt. 
Darauf  folgt  aber  das  Spenden,  wie  die  oben  angeführten  Stellen  ergeben. 
Was  heißt  aber  £-ap;aj(lai.^     Daß  es  nicht  „spenden"  heißt,    ist 
schon  erwähnt.     Stengel  erklärt  es  nach  dem  Vorgange  Buttmanns  mit 
heraufuehmen  oder  -heben.    Damit  wird  er  keinen  Beifall  finden.    Wer 
apy£cji)a'  mit  wegnehmen  übersetzt,  wie  Buttmanu,  der  übersetzt  ungenau, 
und  auf  ungenaue  rbei'setzungen  kann  man  keine  Etymologien  gründen. 
Ich  habe  früher    (z.  h.  Apoll.  125)    iTiap/öiflat   mit  „die  Schlußspende 
beginnen"  erklärt. 

Ich  sehe  auch  heute  noch  nichts,  was  sich  gegen  diese  Er- 
klärung sagen  ließe.  Wie  ewpoo'^  der  Nach-  oder  Sehlußgesang,  wie 
eirioei-vov  der  Nachtisch,  so  ist  srap/oixa-.  der  Anfang  des  Schlusses. 
Man  vergegenwärtige  z.  B.  sich  die  Situation  in  A.  Ein  feierliches 
Opfer,  dazu  eine  Spende  (A  463),  dann  folgt  das  Opfermahl.  Es  ist 
unvermeidlich,  daß  es  dabei  lebhafter  zugeht.  Nachdem  alles  gesättigt 
ist,  folgt  der  Schluß.  Die  gottesdienstliche  Ordnung  wird  wiederker- 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVII.    (VX)3.   II.)  3 


34       Bericht  über  die  homerischen  Realien  1896—1902.    (Gemoll.) 

gestellt  wie  am  Anfaug.  Es  wird  feierliche  Stille  geboten  I  172  und 
dann  die  Scblußspende  gegossen  und  vom  Päan  begleitet  (A  472).  Der 
Anfang  dazu  ist  die  Aufforderung,  „den  letzten  Becher"  zu  füllen.  Un- 
zweifelhaft ist  das  der  Anfang  des  Schlusses  /  332  und  a  418.  Der 
Schlußpäan  in  A  472  scheint  ziemlich  lange  gedauert  zu  haben  (r.awr^- 
}xepiot).  Stengel  wehrt  sich  gegen  diese  Erklärung  sehr  mit  Unrecht. 
Auch  die  übrigen  Stellen  stimmen  sehr  wohl  mit  ihr.  9  263  ist  die 
Aufforderung  zum  Schluß  ergangen,  der  Schluß  273  gemacht,  da  bringt 
Odysseus  durch  seine  Bitte  um  den  Bogen  ein  neues  Moment  herein,  es 
beginnt  eine  neue  Scene.  Auch  r^  137  f.  ist  die  letzte  Spende  (an 
Hermes)  schon  gemacht,  da  ruft  die  Ankunft  des  Odysseus  ein  neues 
Interesse  wach.  Der  Gast  muß  bewirtet  werden  (vs  177),  so  wird  auch 
eine  neue  Spende  nötig.  Daß  aber  ein  ganzer  Mischkrug  gemischt  und 
nach  dem  e-ap^aaSai  noch  mehrmals  gespendet  wird  (184,  228),  das 
zeigt,  daß  der  Schluß  sich  auch  lange  ausdehnen  konnte,  wenn  eine 
außerordentliche  Gelegenheit  vorhanden  war.  Ebenso  steht  es  mit 
I  172  f.  Die  nächtliche  Beratung  beginnt  mit  einem  Abendbrot 
(vs  66,  90),  sie  endet  mit  feierlichem  Schluß.  Erst  nach  demselben 
machen  sich  Odysseus  und  Nestor  auf  den  Weg. 

Mit  h.  Apoll.  125  hat  es  eine  andere  Bewandtnis.  Themis  füttert 
den  neugeborenen  Gott,  aber  in  ehrfurchtsvoller  Weise,  wie  die  Meüschea 
die  Götter  verehren  und  laben  bei  der  Spende,  also  Themis  spendet 
Nektar  und  Ambrosia  dem  mächtigen  Gotte.  I7:ap-/ej8a(  ist  hier  ge- 
braucht wie  (i-ap/saöat  l  422  oder  apysa&at  ^  428  oder  xa-otpysj&ai  7  445. 

P.  Stengel,  Zu  den  griechischen  Sakralaltertümeru.  Die  Speise- 
opfer bei  Homer,  Hermes  36  (1901)  S.  321—335. 

Eine  verdienstvolle  Arbeit.  Verf. -weist  nach,  daß  Mahlzeit  und 
Opfer  gar  nicht  so  untrennbar  voneinander  sind,  als  man  gewöhnlich 
glaubt.  Wir  haben  also  eine  Fortsetzung  der  Abhandlung  Hermes  34 
S.  474  ff.  über  die  Libationen. 

XI.   Sittlichkeit  und  Bildung. 

K.  Troost,  Das  sittliche  Bewußtsein  des  homerischen  Zeitalters. 
Pi'ogr.  Frankenstein  in  Schi.  1896. 

Die  Abhandlung  behandelt  drei  Punkte.  I.  Das  Gute  und  Böse. 
II.  Die  Triebfedern  des  siltlichen  Handelns.  III.  Ausblick  auf  die 
moderne  Ethik  und  Pädagogik.  Der  letzte  Teil  hat  mit  Homer  nichts 
zu  tun  und  .scheidet  daher  hier  aus.  Dafür  ist  die  Behandlung  der 
beiden  andern  Punkte  um  so  dankenswerter.  In  dem  I.  Abschnitt 
bestimmt  Veif.  die  Begriffe  gut  und  böse.  „Hat  Zeus  die  armen 
Menschenkinder    auch    nicht  geschaffen,    so  ist  er  es  doch,    der  jedem 


Bericht  über  die  homerischen  Realien  1S9G-1902.    (Gemoll.)        35 

derselben  sein  eigentümliches  Los  bereitet,  ihm  seine  Moira,  seinen 
Auteil  (aisa)  an  dem  allen  gemeinsamen  Erdendaseiu  verleiht."  Hyper- 
moron  (a  33)  bezeichnet  eine  gewisse  Willensfreiheit.  [xoTpa  und 
ai3a  sind  der  Anteil,  die  Rücksichtnahme  auf  die  audern.  «So  liegt 
ein  wirkungsvolles  suum  cuique  in  der  häufigen  Wiederholung  dieser 
Begriffe.  Und  es  erweist  sich  als  Kernpunkt  der  homerischen  Sittenlehre: 
die  Lebenslage  (p-oTpa,  aljct)  deines  Nächsten  sei  dir  ein  Gegenstand 
heilige?'  Scheu.  Sie  zu  schonen  ist  Tugend  und  Edelsinn,  sie  zu  ver- 
letzen ist  Frevel  und  verderblicher  Hochmut."  Mit  dieser  Be- 
schränkung der  homerischen  Sittlichkeit  bin  ich  nicht  einverstanden.  Da 
gefällt  mir  Schuchter  besser,  der  p.  11  (die  gcgens.  Abhängigkeit  der 
rel.  und  eth.  Vorstellangen  in  den  Epen  Homers)  die  Pietät  als  das 
Zentrum  der  homerischen  Ethik  in  Anspruch  nimmt,  als  Kindes-,  fleimats-. 
Vaterlandsliebe  usw.  In  Troosts  Def.  fehlt  nämlich  das  Einsetzen  der 
eignen  Persönlichkeit  für  andre,  die  doch  erst  die  höchste  Tugend  und 
Sittlichkeit  bedingt.  Gegen  den  menschlichen  Ursprung  der  öefxtoTs; 
führt  Verf.  selbst  I  97  als  Instanz  an,  ohne  sie  zu  berücksichtigen. 
Sixrj  fai.it  er  als  öffentliche  Meinuug,  Volkssitte.  —  Die  Tugend  steht 
im  geraden  Verhältnis  zur  Einsicht  des  Menschen.  9pev£(;  ursprünglich 
körperlich,  bezeichnet  doch  die  höhere  Intelligenz,  d.  h.  ßücksicht  auf 
den  Nächsten,  Ouixo;  und  |j.evo;  ein  niedres  Begehreu.  Zu  II.  Als 
Triebfedern  des  sittlichen  Handelns  werden  äußere  Mittel,  Nemesis, 
Tisis,  Furcht  vor  Rachedämonen  (Erinnyeu),  der  Ruhm  bei  Mit-  uud 
Nachwelt  aufgezählt.  Als  innere  Triebfeder  legt  er  das  Growissen 
dar  in  mindestens  einer  Stelle  ^  406,  Scham  und  Reue,  Lust  und 
Unlust.     In  beiden  Teilen  ist  doch  manches  Bemerkenswerte. 

F.    J.    Engel,    Zum    Rechte    der    Scbutzflehenden    bei    Homer. 
Progr.  Passan  1899. 

Die  ganze  Abhandlung  dreht  sich  um  das  Piratenabenteuer  5  199. 
Die  Kreter  haben  danach  einen  räuberischen  Einfall  in  Ägypten  ge- 
macht, Weiber  und  Kinder  fortgeschleppt,  Äcker  verwüstet,  Männer 
getötet.  Dann  aber  werden  sie  angegriffen  und  vernichtet.  Der  Führer 
aber  besitzt  die  Unverfrorenheit,  den  König  des  Landes  um  Gnade  zu 
bitten.  Und  der  nimmt  ihn  in  seinen  Schutz,  Aioc  S'wTraCsto  fx^viv 
Eetvi'ou.  Auteurieth  in  der  h.  Theol.  ^  272  hat  hier  von  einer  Ver- 
pflichtung zum  Schutze  gesprochen,  die  beginne,  sobald  der  Bittende 
die  Knie  des  Königs  berührt  habe,  also  damit  ein  Schutzrecht  kon- 
struiert, das  denn  auch  in  -  421  ff  (Eupeithes)  walten  soll.  Diesen 
Grundgedanken  Autenrieths  hat  Verf.  aufgenommen  und  genauer  zu 
präzisieren  gesucht.  Nach  ihm  tritt  die  Verpflichtung  znm  Schutz  erst 
ein  mit  irgend  einer  Tat  der  Hilfesuchenden,  einer  Art  Überrumpelung 

3* 


36         Bericht  über  die  horaerischen    Realien  isnfi— 1902.    (Gera oll.") 

(S.  35).  Die  Verpflichtung  ist  aber  nicht  mehr  vorhanden,  sobald  der 
andre  Teil  eine  feindliche  Handlung  hat  vorhergehen  lassen  (p.  27).  Das 
ist  ein  ganz  spitzfindiger  Unterschied,  der  in  die  homerischen  Gedichte 
erst  mit  vieler  Arbeit  hineingeheimnißt  werden  muß.  Ich  sehe  die  Sache 
wesentlich  anders  an.  Die  Religion  hat  eine  Schutzpflicht  des  [■/.i-zr^z 
ausgebildet.  Diese  aber  hängt  am  Hause,  genauer  am  Herde.  Eine  An- 
zahl Beispiele  der  Ilias  zeigen,  daß  auch  der  Mörder  nicht  vergebens  den 
Schutz  des  Hauses  anruft.  Um  diesen  Schutz  zu  finden,  setzt  sich 
Odysseus  in  die  Asche  des  Herdes.  Darum  findet  auch  Eupeithes 
(tc  421  ff.)  Schutz,  als  er  in  das  Haus  des  Odysseus  flüchtet.  Man 
vergleiche  noch  die  schöne  Erzählung  von  Themistokles  beim  Molosser- 
könige. Wenn  der  Kreter  auf  dem  Wagen  des  Königs  Schutz  findet, 
so  ist  damit  der  Wagen  für  ihn  iu  ähnlicher  Weise  eine  Freistatt, 
wie  sonst  der  Herd  des  Hauses.  Nachdem  er  den  Odj'sseus  auf  den 
Wägen  genommen,  betrachtet  er  ihn  als  Gast,  der  unter  dem  Schutze 
des  Zeus  ?£''vto?  steht.  Gerade  die  Erwähnung  des  Zeus  Xenios  zeigt, 
daß  von  einer  andern  Auffassung  hier  keine  Rede  sein  kann. 

Es  fragt  sich,  wie  weit  der  Schutz  reicht.  Von  vornherein  ist 
klar,  daß  es  im  Kriege  ein  Schutzrecht  überhaupt  nicht  geben  kann. 
Nach  dem  Verfasser  würde  der  sonderbare  Fall  eintreten  können,  daß 
der  Feind  dem  Gegner  den  grössteu  Schaden  tun,  dann  aber,  in  Gefahr 
geraten ,  durch  irgend  eine  Überrumpelung  sich  Schutz  und  womöglich 
noch  gastliche  Bewirtung  sichern  könnte.  Im  Kriege  gibt  es  keine 
xETat.  Nur  das  kann  das  Scholion  B  zu  <!>  75  sagen  wollen.  Auch 
Lykaon  kann  sich  darauf  nicht  berufen;  wenn  er  es  dennoch  versucht, 
Schonung  zu  erlangen,  weil  er  das  Brot  des  Odysseus  gegessen  hat, 
so  sagt  er  wohlweislich:  dvxi  toi  sifx'  ixExao.  Auch  aus  dieser  Stelle 
geht  hervor,  daß  man  den  Schutz  als  ixst/jc  durch  die  gastliche  Be- 
wirtung, also  am  Herd  des  Hauses  erwirbt. 

Wäre  Lykaon  nach  der  Schlacht  bittend  in  das  Zelt  des  Achill 
gekommen ,  so  würde  er  wie  Priamos  auf  Schonung  haben  rechnen 
können.  Das  Schutzrecht  ist  ein  Teil  des  Gastrechts,  das  unter 
Umständen  auch  dem  Feinde  gewährt  wird.  Daher  der  Gebrauch, 
erst  den  Gast  zu  bewirten,  ehe  man  ihn  nach  Nam'  und  Art  fragt. 
Die  Menschlichkeit  bricht  sich  bei  dem  Griechenvolke  überall  Bahn 
Hätte  Verf.  seine  Beispiele  daraufhin  angesehen ,  so  würde  er  bemerkt 
haben,  daß  das  Versagen  der  Bitte  um  Schonung  überall  motiviert 
wird.  So  Z  58,  so  O  100,  so  y  64.  Die  Parallele  aus  dem  Beduinen- 
leben, die  Verf.  gleich  zu  Anfang  hätte  bringen  sollen,  spricht  nicht 
für  ihn.  sondern  für  mich.  Dem  Feinde  steht  der  Schutz  des  Hauses 
nicht  zu  (S.  40).  Doch  kann  er  gewährt'  werden  iu  ähnlicher  Ait, 
wie  ihn  der  Ägypterkönig  gewährt  (Ö.  39)'.     Die  Gewährung  oder  Ver- 


Bericht  über  die  homerischen  Realien  1S1I6 — iy02.    (Gemoll.)        37 

saguug    bleibt    eine    Sache    des    religiösen  Gefühls    oder    der  Gemüts- 
veranlagung. 

Sehr  seltsam  ist  der  letzteTeil  der  Schrift  „Geographisch-historischer 
Untergrund".  Verf.  ist  der  Meinung,  daß  die  Episode  i  199  ft".  zweifellos 
aus  dem  Leben  gegriffen  sei(S.  71).  Er  vergleicht  schol.  Harl.  zu  ;  278. 
Der  dort  genannte  Sethos  ist  nach  Mallet  Ramses  11,  nach  Lauth  viel- 
mehr Setinecht.  Das  ist  dem  Verf.  zu  hoch  (p.  (30).  Er  setzt  die 
Telemachie  mit  Christ  nach  750  an,  und  zu  diesem  Zeitpunkt  paßt  ihm 
die  Pirateu-Episode.  Der  Dichter  hat  sie  möglicherweise  selber  mit- 
gemacht (S.  63).  So  hätten  wir  nach  dem  Militärarzt  Homer  nun 
auch  noch  einen  Seeräuber  Homer!  Indessen  ersclieiut  es  bei  reif- 
licher Überlegung  dem  Verf.  wahrscheinlicher,  daU  die  realen  Vorgänge 
des  Piratenabenteuers  von  der  homerischen  Zeit  zu  trennen  und  in  die 
mykenische  hinaufzurücken  sind.  Denn  in  der  Zeit  vor  750  wia- 
Ägypten  den  Griechen  verschlossen,  aus  der  mykenischen  Zeit  aber 
haben  wir  die  Nachricht  von  den  räuberischen  Akaivasch  (S.  66).  Das 
können  Kreter  gewesen  sein,  Griechen.  Da  sind  wir  denn  glücklich 
■wieder  bei  Mallet  angekommen. 

F.  J.  Engel,    Vom  Begriff  ix£-r,c  bei  Homer.     Blätter    für  das 
bayerische  Gymn.-Wesen  36  (1900)  S.  513—524. 

Ein  Nachtrag  odor,  wenn  man  will,  eine  teilweise  Palinodie  der 
vorangehenden  Schrift.  Verf.  sucht  zwar  Cauer  ("Wochenschr.  für 
klass.  Phil.  B.  17  [1900J  Sp.  7)  gegenüber  seine  Theorie  zu  retten. 
Dieselbe  gipfelt  in  dem  Satze  (S.  51 7j:  ohne  Anspruch  auf  Erhörung 
wagt  sich  auch  der  Hilfsbedürftigste  nie  ixexrj;  zu  nennen;  wer  sich 
aber  wirklich  diesen  Namen  beileert,  nicht  bloß  vergleichsweise,  will 
damit  immer  „ein  Anrecht  auf  Schutz  und  Gastfreundschaft  be- 
gründen." Verf.  bemüht  sich  noch  einmal  zu  beweisen,  daß  der 
ägyptische  König  den  Piraten  (?  280)  schützen  mußte,  aber  umsonst. 
Er  mußte  es  nicht,  nachdem  er  es  einmal  getan  hatte  —  aus  Mitleid 
oder  Überrumpelung  —  erfüllte  er  allerdings  eine  Pflicht,  wenn  er  ilui 
auch  vor  den  übrigen  schützte.  Wenn  Verf.  am  Schlüsse  (S.  523)  des 
Schol.  A  zu  -  422  preisgibt,  so  war  das  gar  nicht  einmal  nötig. 
Richtiger  wäre  es  gewesen,  die  Freiwilligkeit  der  Annahme  in  gewissen 
Lebenslagen  zuzulassen .  vor  allen  Dinaen  aber  nicht  von  der  Person, 
sondern  vom  Hause  auszugehen. 

IV.    Tod  und  Begräbnis. 

W.  Heibig,  Zu  den  homerischen  Bestattungsgebräuchen.  Sitzuugs- 
bcr.  der  Münchener  Akademie  1900  S.  199—279. 


38         Bericht  über  die  homerischen  Realien  1896—1902.    (GemoII.) 

Die  homerischen  Bestattungsgebräuche  bilden  in  Helbigs  Buch 
„Das  hom.  Epos  ans  den  Denkmälern  erläutert"  eine  nebensächlich  be- 
handelte Partie.  Im  Anschluß  an  Schliemanns  Mykenä  werden  un- 
zweifelhafte Anklänge  an  die  in  der  mykenischen  Periode  allein  übliche 
Sitte  des  Begrabens  bei  Homer  aufgezeigt,  während  Homer  sonst  nur 
das  Verbrennen  kennt.  Diese  Beschränkung  lag  offenbar  in  der  Mangel- 
haftigkeit des  archäologischen  Materials  vor  15  Jahren.  Seitdem  hat 
namentlicl\  der  Boden  Attikas  ungeahnte  Aufschlüsse  gegeben,  so  daß  wir 
die  Bestattungsweise  bis  in  die  hell -historische  Zeit  hinein  verfolgen 
können.  Es  hat  sich  dabei  herausgestellt,  daß  die  ältesten  attischen 
Gräber  sog.  Brandgräber  sind  (S.  199),  da  es  auch  dort  eine  raykenische 
Periode  des  Begrabens  gibt  (S.  200),  daß  aber  dann  das  Begraben  all- 
mählich dem  Verbrennen  weicht.  Die  mykenischen  Grräber  werden  mit 
reichen  Beigaben  ausgestattet,  die  Leichen  zum  Teil  einbalsamiert 
(S.  200.  219).  Noch  im  6.  Jahrhundert  begräbt  man  allgemein  in 
Klazomenä  (S.  238),  teilweise  in  Velonideza  (266)  in  Attika.  Es  folgen 
der  mykenischen  Periode  die  Ostotheken  frühgeometriscben  Stils  (S.  271), 
die  Braudgräber  in  Assarlik  (S.  207)  die  Dipylonperiode  (S.  276  ff.) 
bis  zu  den  Funden  von  Vurva  (S.  263)  und  Velonideza  (S.  267)  (6.  Jahrhdt.). 
In  dieser  langen  Zeit  zeigen  die  eigentlichen  Brandgräber 
allerlei  Beigaben,  diejenigen  aber,  deren  Brandstätte  außer- 
halb des  Grabes  war,  zeigen  keinerlei  Spuren  von  Beigaben. 
Das  ist  das  Problem,  das  Helbigs  Scharfsinn  zu  der  vorliegenden  Arbeit 
anregte,  das  er  daher  auch  klar  und  rund  von  vornherein  hätte  hinstellen 
sollen,  während  man  sich  jetzt  durch  den  sehr  verworrenen  Gang  der 
Untersuchung  mühsam  durcharbeiten  muR,  wie  wohl  schon  die  obige 
Zusammenstellung  zeigt. 

Verf.  glaubt  die  Lösung  desselben  im  Homer  zu  finden.  Er 
geht  von  Rohdes  Bemerkung  aus,  daß  nach  dem  Glauben  der  klein- 
asiatischen  Griechen  mit  der  V^erbrennung  die  Seele  ein  für  allemal  in 
den  Schatten  gebannt  bleibe ,  während  beim  Begraben  eine  Rückkehr 
der  Seele  in  die  alte  Hülle  möglich  sei.  Ich  halte  diese  Ansicht  Rohdes, 
d.  h,  den  Grnnd  seines  ganzen  Buches,  für  verfehlt  und  wundere  mich, 
daß  Heibig  auf  dieselbe  ein  solches  Gebäude  aufrichten  mochte,  zumal 
er  selbst  der  Ansicht  ist,  daß  die  Griechen,  als  sie  in  das  Gebiet  des 
Mittelmeeres  einwanderten,  ihre  Toten  verbrannten.  Also  auf  das 
Verbrennen,  nicht  auf  das  Begraben  soll  man  Hypothesen  über  griechische 
Religionsanschauungen  aufbauen  In  seiner  Abhandlung  sur  la  question 
myceuienne  kämpft  Heibig  eifrig  und  erfolgreich  für  fremden  Ursprung 
der  mykenischen  Kultur;  warum  soll  da  das  Begraben  ausgeschlossen 
sein?  Ägypten,  Babylon  (S.  222)  mögen  auch  die  Heimat  dieses  Ge- 
brauches sein.    Freilich  begruben  die  Griechen  noch  bis  ins  6.  Jahrhdt., 


Bcriclit  über  die  homerischen  Realien  1896—1002.    (GeraoD.)        30 

ja  noch  später,    aber  das  ist  doch   wohl  der  tn^errest  einer  Sitte,    die 
sich  bei  den  Herrengeschlechtern  Griechenlands  während  der  mykenischea 
*  Zeit  eingebürgert  hatte. 

Ich  bestreite  daher  mit  aller  Bestimmtheit,  daß  die  Griechen 
jemals  des  Glaubens  gewesen  sind,  daß  verbrannte  Tote  keiner  weiteren 
rücksichtsvollen  Ehrung  bedurften,  d.  h.  daß  es  jemals  eine  Zeit  ohne 
Toteukultus  gegeben  hat.  Vert.  nimmt  selbst  die  Zeit  vom  Tode  bis 
znr  Verbrennung  aus  (S.  205).  Ferner  zeigen  die  Brandgräber  in 
Assarlik  (S.  207),  die  Ostotheken  bei  Athen  (S.  271)  wertvolle  Bei- 
gaben; das  sollen  dann  unlogische  Inkonsequenzen  aus  der  (un- 
griechischen) Periode  des  Begrabens  sein.  Auch  die  jahrhundertelang 
geübten  Totenopfer  in  Menidi,  bei  verbrannten  Leichen  in  Marathon 
(S.  249),  in  Vurva  (S.  265)  sprechen  durchaus  gegen  Helbigs  Ansicht. 
Endlich  Homer  läßt  ihn  vollends  im  Stich.  Gewiß,  bei  Homer 
werden  die  Toten  nur  veibrannt.  Auch  Beigaben  von  Rüstungen  und 
Trinkgetäßen  finden  sich  weder  in  W  bei  Patroklos'  noch  in  Ü  bei  Hektors 
Bestattung  erwähnt,  ebensowenig  bei  der  des  Achilleus  (w  80).  Aber 
sind  sie  deshalb  nicht  dagewesen?  Das  ist  doch  sehr  fraglich.  Achill 
verspricht  (Q  596)  dem  Patroklos  einen  Anteil  an  dem  Lösungspreis 
für  Hektors  Leiche.  Das  soll  dann  freilich  wieder  ein  Rückschlag 
alter  Sitte  (S.  239  If.)  aus  der  Zeit  des  Begrabens  sein.  Im  übrigen 
rühre  das  Buch  il  von- eiuem  ionischen  Dichter  her,  der  nur  das  Ver- 
brennen kenne,  dagegen  das  Buch  W  von  einem  äolischen  Dichter,  der 
noch  allerlei  Altertümliches  bewahrt  habe,  dem  die  iFeuerbestattung 
noch  etwas  Neues  war.  Er  habe  jedenfalls  Patroklos  wirklich  als  Geist 
dargestellt,  die  Verse  99 — 107,  in  der  er  nur  siotoXov  ist,  seien  also  von 
dem  ionischen  Bearbeiter.  So  wird  mit  unendlicher  Mühe  jede  Gegeninstanz 
beseitigt.  Leider  aber  wirken  sie  für  den ,  der  sie  alle  zusammen 
erwägt,  nicht  zugunsten  der  Helbigschen  Hypothese. 

Außerdem  ist  ein  Loch  in  Helbigs  Beweisführung.  Er  hat  ans 
nicht  erklärt,  warum  einzelne  Brandgräber  Beigaben  haben,  andere  nicht 
(S.  260  und  275).  Die  Erklärung  anderer,  daß  es  sich  um  Arme 
handelt,  wenn  Beigaben  fehlen  (S.  268),  läßt  er  nicht  gelten ;  die  Mög- 
lichkeit, daß  Sklaven  ohne  Beigaben  bestattet  sein  könnten,  gibt  er 
zu  (276),  verspricht  aber  noch  eine  eingehende  Untersuchung  (268). 
Für  diese  gebe  ich,  was  Homer  anbelangt,  noch  folgendes  zur  Er- 
wägung. Andromaches  Vater  wird  (Z  414)  durch  Achills  Großmut  Be- 
stattung in  der  Rüstung  zuteil.  Dasselbe  wünscht  sich  Elpenor  l  66  f. 
Wenn  nun  Hektor,  Patroklos  und  Sarpedon  (FI  663)  ohne  Rüstung 
begraben  werden,  so  darf  man  daraus  nicht  ohne  weiteres  auf  irgend 
einen  altertümlichen  Brauch  schließen:  Allen  dreien  sind  die 
Rüstungen  beim  Tode  vom  Feinde  abgezogen.     Das  hat  Heibig 


40         Bericht  über  die  homerischen  Realien  1^J)G— 1902.    (Gemoll.) 

unberücksichtigt  gelassen.  Es  ist  docli  wohl  selbstverständlich,  dal! 
einem  toten  Helden  seine  Rüstung  mitgegeben  wird,  wenn  er  sie  hat. 
Wozu  sollen  ihm  Beigaben  fremder  Waffeustücke  dienen? 

Ferner.  Die  Beigabe  von  Krügen  mit  Honig  und  Fett  für  Patroklos 
erklärt  Heibig  (S.  223  f.)  nur  sehr  mungelliaft.  Der  Honig  soll  kein 
Nahrungsmittel,  sondern  ein  Leichenpräservativmittel  sein,  das  Fett 
aber  Mittel  zur  Fieschleunigung  der  A^erbrennung.  Ich  kann  nicht 
glauben,  daß  man  dem  Toten  Krüge  voll  Honig  (zur  Selbstmumifizierimg?) 
mitgab  und  linde  immer  noch  die  Meinung,  daß  es  als  Genußmittel 
dienen  solle,  als  die  wahrscheinlichste. 

Im  ganzen  befürchte  ich,  daß  es  Heibig  bei  einer  späteren  Arbeit 
über  den  Gegenstand  ebenso  gehen  wird  wie  mit  seiner  Darstellung  der 
AVaffen  nach  Studniczka. 

A.  Engelbrecht,  Studie  über  homerische  Bestattungsscenen. 
Festschrift  für  Gomperz.     Wien  1902  S.  150—155. 

Angeregt  durch  die  Abhandlung  W.  Helbigs  gibt  A.  Engel- 
brecht einige  nicht  gerade  bedeutende,  immerhin  aber  erwähnenswerte 
Kachträge.  1.  In  2  352  werde  gerade  eine  Einhüllung  zum  Zweck 
der  Verbrennung  bezeichnet,  nicht  zur  Mumifizieruug.  Verf.  weist  auf 
^1"  168  f  hin.  In  der  Sache  gebe  ich  Engelbrecht  recht,  die  Parallel- 
stelle ist  aber  nicht  gerade  zwingend.  2.  Das  Verbrennen  mit  der 
Rüstung  Z  416  und  }j.  13  erklärt  Verf.  als  Zeichen  eines  besonderen 
Seelenglaubens,  der  weiter  nicht  zu  verwundern  sei,  da  auch  sonst  die 
betreffenden  Partien  (Z  und  die  erste  Nekyia)  eine  Sonderstellung  ein- 
nähmen. Ich  ziehe  mir  dagegen  doch  meine  Erklärung  vor  (s.  oben) 
3.  Daß  die  Troer  ß  784  neun  Tage  zum  Holzheranschaffen  brauchen, 
erklärt  Verf.  als  ein  Mißverständnis  des  Verfassers  der  Stelle.  Nicht 
zum  Holzheranschaffen,  sondern  zur  7rp68sat;  nebst  Totenklage  brauche 
man  die  neun  Tage.  Es  sei  auch  noch  ein  anderer  Widerspruch  da, 
ß  802  geschehe  das  TrspiOsiTrvov  nach  dem  Begräbnis,  665  dagegen  vor 
der  Beisetzung.  Engelbrecht  bringt  hier  durchaus  nichts  Neues  vor. 
Düntzer  hat  bereits  662  f.  streichen  wollen.  Man  sehe  aber  darüber 
Peppmüller  Komm,  zu  Ilios  Q  S.  311  ff.  Peppmüller  bemerkt  sehr 
richtig,  daß  es  sich  hier  um  zwei  verschiedene  Mahlzeiten  handle,  von 
denen  bei  der  Ausführung  nur  eine  erwähnt  werde.  Dasselbe  ist  aber 
auch  mit  dem  Holzholen  der  Fall.  Neun  Tage  wird  die  Leiche  aus- 
gestellt und  beklagt  und  daneben  das  Holz  geholt  zum  Scheiterhaufen. 
Nur  das  letztere  wird  bei  der  Ausführung  erwähnt. 

XIII.    Die  Heldensage, 

R.  Wagner,    der    Entwickelungsgang    der    griech.    Heldensage. 
Progr.     Dresden  1896. 


Bericht  über  die  homerisclien  Realien  IbfiG — 19U2.    (Gemoli.)         41 

Hierher  gehört  der  erste  Abschnitt:  Homer  und  Hesiod,  dieser 
immerhin  beraerlienswerten  Abhandlung.  Danach  geht  durch  die  Sage 
der  Ilias  ein  geschichtlicher  Zug,  der  Dichter  durfte  nicht  schrankenlos 
seiner  Erfindung  die  Zügel  schießen  lassen,  er  mußte  sich  im  Einklänge 
mit  den  Anschauungen  seiner  Zeit  halten. 

In  der  Odyssee  beruhen  die  Ereignisse  in  Ithaka  auf  Lokalsagen, 
auch  die  Abenteuer  auf  dem  Meere  sind  nicht  freie  Erfindung,  sondern 
Schiffersagen  aus  phönikischer,  italischer  oder  griechischer  (Quelle. 

Becker,  Die  Vorgeschichte  zur  Haupthandlung  der  Ilias.  Progr. 
Neu-Strelitz  1898.     Forts.    Ebda.   1902. 

Eine  sehr  nützliche  und  zuverlässige  Zusammenstellung,  gemacht, 
um  gegenüber  der  in  Schwabs  schönsten  Sagen  des  kl.  Altertums  ein- 
geführten Vorgeschichte,  aus  Homer  selbst  die  Vorgeschichte  oder,  wie 
man  vielleicht  besser  sagen  würde,  die  Vorfabel  der  Ilias  zu  zeigen. 
Wenn  Verfasser  am  Schluß  unternimmt,  die  Auslassungen  Homers  zu 
motivieren,  so  wäre  das  wohl  besser  unterblieben,  da  hierzu  eine  eigene 
Abhandlung  nötig  ist. 

E.  Bethe,  Homer  und  die  Heldensage.  Die  Sage  vom  trojanischen 
Kriege.     Nene  Jahrbb.   1901  S.  657-676. 

Der  Inhalt  der  Abhandlung  ist  den  Teilnehmern  an  der  Straß- 
burger Philologen-Versammlung  bereits  bekannt.  Verf.  geht  der  Frage, 
was  an  der  troischen  Sage  Wahrheit,  was  Dichtung  sei,  gründlicher 
auf  den  Leib,  als  es  sonst  wohl  geschieht.  Nach  dem  Vorgänge  Otfr. 
Müllers  verfolgt  er  die  geographischen  Spuren  der  Heldensage  und 
sucht  sich  durch  Ausscheiden  des  Unwichtigen  und  Zusammenschließen 
des  Örtlichnahen  in  dem  Labyrinth  zurechtzufinden.  Doch  fürchte  ich, 
daß  seine  Ausführungen  keinen  allgemeinen  Beifall  finden  werden. 
Sein  Hauptgrundsatz  ist,  daß  die  Helden,  in  eine  neue  Heimat 
gebracht,  d^ort  differenziert  worden  sind.  So  wird  der  Argiver 
Diomedes  in  Abdera  zum  Menschenmörder!  Als  wenn  es  nicht  natürlicher 
wäre,  daß  der  Zufall  zwei  verschiedenen  Personen  denselben  Namen 
gegeben.  Cf.  Friedländer:  Zwei  hom.  Wörterverzeichnisse.  Wenn  Verf. 
dann  im  folgenden,  diesem  Vorspiel  entsprechend,  zwei  Sagenkreise  kon- 
struiert, den  äolischen,  um  Achill,  der  aber  aus  Thessalien  stammt,  und 
den  lakedämonischen,  die  sich  beide  in  Lesbos  vereinigt  hätten,  so  ist 
das  nicht  neu.  Cf.  Meyers  Gresch.  des  Altertums.  Neu  ist  nur,  daß 
Menelaus  in  der  Menis  des  Achill  fremd  ist,  daß  Hektor  und  Paris 
Dubletten  sind,  obwohl  schon  Dümmler  an  eine  Ilias  ohne  Hektor  ge- 
dacht hat. 

Die  Abhandlung  läuft  also  schließlich  in  eine  höhere  Kritik  der 
hom.  Ilias  aus.     Nachdem  Digamma,   Wagen,  Schilde  etc.  haben  her- 


42        Bericht  über  die  homerischen  Realien  1896  —  1902.   (Gemoll.) 

halten  müssen,  warum  nicht  aucli  die  geographischen  Beziehungen? 
Ich  finde  das  ganze  Gebäude  zwar  sehr  künstlich,  aber  trotzdem  sehr 
luftig  konstruiert.  Eine  der  allerwichtigsten  Fragen,  wenn  es  sich  um 
geogr.  Beziehungen  handelt,  die  Pelasgerfrage,  hat  sich  Verf.  entgehen 
lassen.  Wie  kommt  es,  daß  die  Pelasger,  die  in  Thessalien  heimisch 
sind,  zu  den  Bundesgenossen  der  Troer  gehören? 


XIV.    Vortrag,  Würdigung  der  Gedichte.    Abbildungen. 

H.  Magnus,  Die  antiken  Büsten  des  Homer.  Eine  augenärztlich- 
ästhetische  Studie.     Breslau  1896.^) 

Der  in  der  medizinischen  Welt  wohlbekannte  Verf.  hat  1876 
das  Auge  in  seinen  ästhetischen  und  kulturhistorischen  Beziehungen, 
1893  die  Darstellung  des  Auges  ia  der  antiken  Plastik  behandelt 
und  kommt  in  der  vorliegenden  Schrift  nun  zu  einer  Spezial- 
Studie über  die  antiken  Ilomerbüsten.  In  sorgfältiger  Weise  werden 
die  dem  Verf.  bekannten  Büsten  aufgezählt,  der  einheitliche  Tj'pus  iu 
ihnen  hervorgehoben  (insbesondere  der  verkleinerte  Glaskörper,  die 
herabgezogenen  Augenbrauen),  und  auf  die  verschiedene  Haltung  des 
Kopfes  (geradeaus  —  emporgewandt),  hingewiesen.  Dann  werden  die 
verschiedenen  Arten  der  Blindheit  bespiochen  und  überzeugend  darge- 
tan,  daß  die  Homerbüsten  in  der  Verkleinerung  des  Augapfels  und 
der  herabgezogenen  Brauen  auf  eine  Erkrankung  der  Hornhaut,  resp. 
der  vorderen  Augapfelhälfte  deuten,  daß  aber  die  erhobene  Haltung  des 
Kopfes  dazu  nicht  passe,  sondern  durch  inneres  geistiges  Leben  ver- 
anlaßt worden  sei.  Ob  Homer,  d.  h.  das  Urmodell  aller  unserer  Homer- 
büsten, blind  geboren  oder  später  blind  geworden  sei,  lasse  sich  ärztlich 
nicht  entscheiden.  Der  Dichter  der  hom.  Gesänge  aber  könne  nach 
den  lebendigen  Schilderungen  seiner  Gedichte  nicht  blind  geboren  sein. 
Die  Arbeit  erwirbt  sich  schon  durch  diese  ruhigen,  eleganten  Darlegungen 
ein  nicht  geringes  Verdienst.  Verf.  hat  sich  aber  durch  die  Identifizierung 
der  in  seiueni  Buche  abgebildeten  vorzüglichen  Büste  der  galeria  Doria 
Pamphili,  ein  bleibendes  Andenken  gesichert. 

E.  Gillierou,  Galvanoplastische  Nachbildungen  mykeuischer 
Altertümer.  Hergestellt  und  zu  beziehen  von  der  galvanoplastischea 
Kunstanstalt  Geislingen -Steige  (Württemberg). 

Zuerst  hat  Beiger  in  der  Berl.  phil.  Wochenschrift  auf  diese 
Nachbildungen    aufmerksam    gemacht,    die,    auf    Grund    genauer   Ab- 


')  Vgl.  Cauer  Bd.  CXII  S.  5.    Bernoulli,   Die  Bildnisse    des  Homer. 
Arch.  Jahrb.  1896,  S.  160—167. 


Bericht  über  die  homorischen  Realien  189fi-1902.    (Gemoll.)        43 

fonnangen  galvanoplastisch  hcrp;estellt,  die  Formen  ebenso  treu  wieder- 
geben, wie  Farbe  und  Glanz  der  Metalle.  Die  "Werke  sind  dabei 
nicht  in  ihrem  augenblicklichen  Zustande,  verbogen,  zerdrückt  und  zum 
Teil  auch  zerbrochen  gelassen,  sondern  wieder  in  die  ehemalige  Form 
gebracht,  die  sich  überall  mit  Sicherheit  erkennen  läßt.  Sie  sind  auf 
diese  Weise  zu  einem  hervorragenden  Anschauuiigs-  und  Bildungsmittel 
geworden,  von  dem  sich  jede  höhere  Lehranstalt  das  eine  oder  das 
andere  Stück  leisten  sollte.  Der  Preis  ist  ja  allerdings  ziemlich  hoch. 
Die  köstlichen  Vaphio-Becher  je  75  Mark,  der  sogenannte  Nestor-Becher 
60  Mark,  der  bekannte  Dolch  mit  Löwenjagd  und  Gazellen  100  Mark. 
Vielleicht  lassen  sich,  in  Aussicht  auf  größeren  Absatz,  die  Preise  auch 
niedriger  stellen,   was  ich  Herrn  Gillieion  zu  bedenken  geben  möchte, 

J.   Tolkiehn,    de  Homeri   auctoritate  in   cotidiana  liomanorum 
Vita.     23.  Supplemcntband  der  Neuen  Jahrbb.     S.  223—289. 

„Homers  Autorität  im  Leben  der  Römer."  Das  ist  ein  ganz 
interessantes  Thema,  doch  stelle  ich  mir  die  Ausführung  ganz  anders 
•vor,  als  sie  der  Verf.  versucht  hat.  Der  Verfasser  spricht  von  der  Be- 
handlung der  homerischen  Gedichte,  a)  in  den  Elementarschulen,  b)  in  den 
ßhetorenschulen.  Was  dabei  vorgebracht  wird,  ist  keineswegs  neu. 
Es  folgt  dann  der  eigentliche  Hauptteil:  Zitate  Homers  a)  im  Munde 
der  Römer,  b)  im  Munde  der  Griechen  bei  Römern.  Das  meiste  aus 
diesem  Kapitel  stammt  aus  Teufer  de  Homero  in  apophthegmatis  usur- 
pato,  Lips.  1890.  Kap.  IV  enthält  die  sprichwörtlich  gebrauchten 
Homerverse  hauptsächlich  nach  A.  Otto  (Die  Sprichwörter  der  Römer, 
Leipz.  1890)  und  Szelinski  (Nachträge  und  Ergänzungen  zu  Otto,  Jena 
1892).  Der  Begriff  Sprichwort  ist  dabei  sehr  weit  gefaßt.  Als  Anhang 
folgen  die  sprichwörtlich  gebrauchten  Personennamen  Homers.  Fanden 
sich  schon  hier  V/iederholungen  aus  IV,  so  erst  recht  im  nächsten  Ab- 
schnitt: „Homerzitate  in  Briefen".  Diese  Wiederholungen  zeigen  am 
besten,  daß  die  Arbeit  nicht  richtig  angefangen  ist.  Ganz  ablehnen 
muß  ich  in  Abschnitt  VI  das  auf  Plutarch  Bezügliche,  da  ich  nicht 
finden  kann,  daß  Plutarchs  Zitate  tür  das  Thema  irgend  welche  Be- 
deutung haben.  Auch  das  Verzeichnis  homerischer  Namen  (VII)  lohnt 
die  darauf  verwandte  große  Mühe  nicht.  Es  handelt  sich  doch  meist 
nur  um  Freigelassene,  die  von  den  Namen  der  vornehmen  Römer  wie 
der  Aurelii  streng  zu  scheiden  gewesen  wären.  Verf.  beweist  im  Grunde 
nur  das,  was  man  jchou  längst  wußte,  daß  Homer  in  den  Schulen  der 
Römer  Eingang  gefunden  hat  und  infolgedessen  auch  zitiert  und  ange- 
wandt worden  ist.     Die  Hauptsache  aber  ist  er  uns  schuldig  geblieben. 

L.  Adam,  Homer,  der  Erzieher  der  Griechen.     Paderborn  1897. 

Ein  kurioses  Buch.    Lauer  hat  in  seiner  Geschichte  der  epischen 


44        Bericht  über  die  homerischen  Realien  Ls'Jfi— 1902.   (Gemoll.) 

Poesie  in  geordneter  und  eingehender  Weise  nachgewiesen,  welche 
mächtige  Wirkung  die  homerischen  Gedichte  auf  den  Unterriclit,  den 
geselligen  Verkehr,  die  Religion,  die  Moral,  das  öffentliche  Leben,  die 
Poesie,  die  Beredsamkeit,  die  bildende  Kunst,  die  Wissenschaften 
Griechenlands  ausgeübt  haben.  Bernhardy  in  seiner  L.  Gesch.  II  I* 
(1877)  gibt  eine  gedrängte  Übersicht,  wünscht  aber  eine  neue  „bündige"' 
Behandlung  dieses  wichtigen  Themas.  Liegt  diese  in  dem  Adamschen 
Buche  vor? 

Nein.  So  hohes  Ziel  hat  sich  Adam  nicht  gesteckt.  Er  will  nur 
einen  Beitrag  zur  Einführung  in  das  Verständnis  des  erziehlichen 
Wertes  der  homerischen  Gedichte  geben.  Das  würde  ich  mir  so 
denken,  daß  man  den  Inhalt  der  homerischen  Gedichte  unter  be- 
stimmten Gesichtspunkten,  Erziehung  zur  Religion,  zur  Sittlichkeit, 
zur  Kunst,  zur  Vaterlandsliebe,  zur  Entwickelung  des  Forschungstriebes 
usw.  gäbe.  Das  müßte  dann  natürlich  geschehen  unter  Benutzung  der 
Alten,  die  gerade  auf  diesen  Punkt  viel  Mühe  und  Fleiß  verwandt  haben. 
Das  wäre  dann  zwar  keine  hoch  wissenschaftliche  aber  doch  eine  recht 
nützliche  Arbeit,  die  man  gern  entgegennehmen  wäirde,  schon  weil 
gerade  dabei  die  Arbeit  der  Scholiasten  auch  dem  Nichtphilologen,  also 
sagen  wir  einem  Primaner,  klar  würde.  Es  wäre  alte  Schulmeister- 
weisheit über  Homer. 

Adam  bietet  auch  das  nicht.  In  der  Einleitung  S.  1  —  40  finden 
wir  ein  buntes  Durcheinander  von  Urteilen  alter  Schriftsteller  über  den 
Einfluß  Homers,  die  weder  vollständig,  noch  chronologisch  geordnet 
sind.  Es  folgt  dann  eine  Inhaltsangabe  der  Odyssee  und  der  Ilias, 
welche  beide  nach  dem  Verf.  die  gleiche  Tendenz  haben,  nämlich  das 
Walten  göttlicher  Gerechtigkeit  oder  von  Schuld  und  Sühue  nachzu- 
Vveisen.  In  der  Ilias  ist  der  Versuch  völlig  mißglückt.  Weiterhin  folgt  in 
Kap.  7  eine  Nachweisung  über  die  Erziehung  Junggriechenlands  nach 
den  Anschauungen  des  Athenäus,  Dio  Chrysostomus  und  Plutarch,  und 
in  Kap,  8  die  Erziehung  Junggriechenlauds  nach  den  Schollen  und 
Eustathios.  .  Das  soll  aber  heißen:  eine  Nachweisnng,  wie  Athenäus 
und  die  anderen  Genannten  die  homerischen  Gedichte  für  moralische 
Lehren  benutzt  haben.  Davon  ist  nur  der  allerletzte  Teil  (Schol. 
Eustath)  einigermaßen  eingehend  und  geordnet  ausgeführt,  er  allein 
verrät  eigene  Arbeit.  Alles  übrige  sind  ganz  oberflächliche  Exzerpte, 
ohne  allen  Wert.  Die  Zitate  nachzuschlagen,  macht  unendliche  Arbeit, 
da  sie  oft  genug  falsch  sind.  Hauptquelle  für  den  Verf.  war  Limbourg- 
Brouwer,  histoire  de  la  civilisation  morale  et  religieuse  des  Grecs.  t.  V. 

P.  Caucr,  Homer  als  Charakteristiker.    N.  Jahrbb.  1900  S.  597 
—610. 


Bericht  über  die  homerischen  Realien  1S96— 1902.    (Gemoll.)         45 

Der  Aufsatz  ist  die  geuaue  Ausführung  eines  Vortrags,  den  Verf. 
auf  einer  Versammlung  rheinischer  Schulmänner  gehalten  hat.  Was 
er  bietet,  ist  nicht  neu;  denn  er  bewegt  sich  in  den  Bahnen  Kammers. 
Aber  trotzdem  ist  der  Aufsatz  lesenswert.  Es  kann  leider  nicht  ott 
genug  gesagt  werden,  daß  wir  in  den  homerischen  Gedichten  nicht  bloß 
Sprachdenkmale,  sondern  vor  allen  Dingen  Kunstwerke  höchsten  Ranges 
besitzen,  auch  in  ihrem  gegenwärtigen  Zusammenhang.  Cauer  hat  erat 
kürzlich  (Einleitung  zur  Ilias-Ausg.)  bekannt,  »wie  sehr  es  ihn  über- 
rascht hat,  soviel  an  durchdachter  Anlage  und  planmäßigem  Aufbau 
in  der  Ilias  zu  finden.-  Noch  mehr  ist  dies  in  der  Odj'ssee  der  Fall. 
Welche  Sorgfalt  wendet  der  Dichter  nicht  von  Anfang  au  auf,  um  den 
Mord  der  Freier  gerecht  und  verdient  erscheinen  zu  lassen.  Im  ein- 
zelnen ist  der  Verf.  öfters  zu  feinhörig.  So  kann  ich  nicht  finden, 
dall  Ktesippos  u  288  als  Protz  oder  Parvenü  charakterisiert  wird. 
Ebensowenig  glaube  ich,  daß  aus  o  78  f.  irgend  welche  Kunst  der 
Charakteristik  abgeleitet  werden  kann.     Mau  vergl.  Faesi  z.  St. 

Im  großen  und  ganzen  aber  unterschreibe  ich  den  Vortrag. 

P.  Welzel,  Betrachtungen  über  Homers  Odyssee  als  Kunstwerk. 
Progr.     Breslau,  Matthias  G.,  1901. 

Eine  feinsinnige  Besprechung  des  Inhalts  der  ersten  7  Bücher 
<]er  Odyssee  mit  dem  Zwecke,  das  Epos  als  ein  wohlgeordnetes  Kunst- 
werk darzulegen.  Es  wird  anerkannt,  daß  fremde  Einschiebungen  in 
dem  Gedichte  vorhanden  sind,  namentlich  im  4.  Buche,  das  sich  schon 
durch  seine  Länge  auszeichne,  aber  eine  Ausscheidung  wird  nicht  ver- 
sucht. Dem  Verf.  gliedert  sich  die  Odyssee  harmonisch  in  2  Teile. 
A.  Buch  I— XII  (Odysseus  in  der  Fremde),  B.  Buch  XIII— XXIV 
(Odysseus  in  der  Heimat).  Jeder  Teil  zerfällt  in  3  X  4  Bücher.  A  1  die 
Telemachie  (I — IV) ,  A  2  Odysseus'  Reise  zu  den  Phäaken  (V — VIII), 
A  o  Odysseus'  Erzählung  seiner  Abenteuer  (IX— XII).  B  1.  Odysseus' 
Heimkehr  und  Plan  zur  Reise  (XIII — XVI),,  B  2,  Vorbereitungen  zur 
Reise  (XVII— XX),  ß  3  Rache  und  Sühne  (XXI -XXIV). 

A.  Römer,  Homerische  Gestalten  und  Gestaltungen.  S.  A.  aus 
der  Festschrift  der  Univ.  Erlangen  zum  80.  Geburtstage  Sr.  Kgl. 
Hoheit  des  Prinz-Regenten.     Leipzig  1901. 

Römer  will  uns  iu  die  Werkstatt  Homers  führen.  Er  findet  den 
dichterischen  Genius  ('füju)  in  Stellen  wie  ^110  ff.,  ■/  5  ff.,  desgleichen 
in  der  einheitlichen  Konzeption  beider  Gedichte,  ebenso  in  der  Charakte- 
ristik wie  \  29  ff.  und  A  296  ff.  Es  folgen  jetzt  „Gestaltungen"  im 
Einzelliede.  Vortrefflich  wird  die  Beschreibung  des  Scepters  A  233 
motiviert  mit  der  Rücksicht  auf  den  Vortrag.      Der  Rest    der  Schrift 


46        Bericht  über  die  homerischen  Realien  1896  —  1902.    (Gemoll.) 

will  nachweisen,  daß  Homer  im  Interesse  der  Komposition  sich  über 
kleine  Bedenken  hinwegsetzt.  Hierbei  hat  der  Verf.  wenig  Glück. 
Sü  bei  Besprechung  von  A  53  ff.  Die  Berufung  des  Heeres  ist  nicht 
Prärogative  Agamemnons,  man  vgl.  nur  schol.  Townl.  zu  A  54.  Außer- 
dem wird  ja  die  Einberufung  durch  einen  Eat  der  Hera  motiviert.  Ein 
solches  Motivieren  kann  man  doch  nicht  „Sichhinwegsetzen  über  kleine 
Bedenken"  nennen.  Ich  finde  gerade  im  Kyklopenabenteuer  eine  Kunst 
der  Motivierung,  wie  sie  sonst  im  ganzen  Homer  sich  nicht  wieder 
zeigt.  Auch  aus  der  Bemerkung  $  329  und  x  299  (ri  dixcpaoov  tje  xpu- 
fTjäo'v)  sehe  ich  das  Bemühen,  die  Freunde  des  Odysseus  zu  ermutigen, 
ohne  zu  deutlich  zu  werden.  "Wozu  da  noch  die  Annahme  einer  anderen 
Odyssee,  mit  der  gerade  genug  Unfug  getrieben  worden  ist?  Anhangs- 
weise werden  dann  Beiträge  zur  homerischen  Frage  aus  dem  Altertum 
besprochen,  ohne  gründlich  auf  die  Sache  einzugehen.  Daß  Aristarch 
das  K  zwar  für  homerisch,  aber  nicht  zur  Ilias  gehörig  betrachtet  hat, 
sollte  man  nach  Ludwich,  Die  homerische  Textkritik  II  394  nicht  mehr 
so  schlankweg  behaupten.  In  einem  2.  Anhang  streicht  dann  Römer 
A  366  — 392  als  unhomerisch  von  selten  der  Konzeption.  Dann  wird 
noch  darauf  hingewiesen,  daß  A  55  Heras  Einführung  recht  kurzsichtig 
ist,  aber  der  Dichter  brauchte  keine  kritische  Prüfung  zu  erwarten. 
Schließlich  werden  recht  ansprechend  die  Worte  A  528  ff.  als  Brenn- 
punkt der  ganzen  Ilias  bezeichnet.  Man  sieht:  Anregungen  in  Menge» 
aber  wenig  Ausgereiftes  auf  den  20  Seiten. 


Bericht  über  die  Xenophon  betreffenden  Schriften  aus 
den  Jahren  1899—1902. 


Voa 
Ernst  Richter 

in  Berlin. 


Über  die  Grundsätze,  nach  denen  der  vorliegende  Beriebt  ange- 
fertigt ist,  vgl.  die  einleitenden  Bemerkungen  zu  meinem  vorhergehen- 
den Bericht  im  100.  Band  (1899)  dieser  Jahrbb.  Namentlich  bitte  ich 
zu  beachten,  was  dort  über  die  ausländischen  und  über  die  lediglich 
Schulzwecken  dienenden  Arbeiten  gesagt  ist.  Auch  die  größereu  dar- 
stellenden Werke  besonders  aus  dem  Bereich  der  Geschichte  (Jul.  Beloch, 
Griechische  Geschichte,'  Straßburg,  Bd.  2  1897,  Ed.  Meyer,*)  Geschichte 
des  Altertums  Bd.  IV  1901  u.  ä),  in  denen  naturgemäß  auch  über 
Xenophons  Leben  und  Schriften  mehr  oder  weniger  ausführlich  gehandelt 
wird,  sind,  als  für  unsere  Zwecke  nicht  in  Betracht  kommend,  unberück- 
sichtigt geblieben. 

Anderw'citige  zusammenhängende  Berichte  über  die  xenophontische 
Literatur  sind  mir  nicht  bekannt  geworden.  Doch  findet  man  eine  An- 
zahl hierhergehöriger  Werke  zusammengestellt  und  beurteilt  in  den 
einzelnen  Bänden  des  Archivs  für  Gesch.  der  Philosophie,  wo  bis  1900 
Ed.  Zeller,  von  1901  an  0.  Apelt,  von  1902  H.  Gomperz  die  deutsche 
Literatur  über  die  soki  atische,  platonische  und  aristotelische  Philosophie 
aus  diesen  Jahren  bespricht.  Besonders  beachtenswert  erscheinen  hier 
Zellers  ausführliche  Kritiken  von  Hirzel,  Dialog  etc.  1898,  Bruns, 
liter.  Porträt  1899  und  Pfleiderer,  Sokrates  und  Plato  1900.  — 

Mein  Bestreben  ist  es  gewesen,  möglichst  vollständig  zu  sein. 
Wenn  trotzdem  eine  oder  die  andere  Abhandlung  übersehen  sein  sollte, 
so  wird  man  das  begreifen  und  entschuldigen.    So  habe  ich  im  vorigen 


*)  Doch  möchte  ich  inkonsequenterweise  an  dieser  Stelle  wenigsteua 
die  Bemerkung  nicht  unterdrücken,  daß  mir  Meyers  Ansichten  über  die 
Memorab.  (pag.  438  f.)  irrig  erscheinen. 


4,S       Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1 890  —  1 902.  (Richter.) 

Bericht  einige  Abhandlimgen  übersehen,  ich  trage  sie  jetzt  an  ihren 
betr.  Stellen  nach.  Vor  allem  aber  wolle  man  berücksichtigen,  daß  es 
sich  hier  lediglich  um  solche  Arbeiten  handelt,  durch  welche  ein  Fort- 
schritt in  der  Wissenschaft  von  Xenophon.  wenn  auch  noch  so  geringer 
Art,  herbeigeführt  zu  sein  scheint. 


I.  Allgemeines.    Leben  und  Schriften. 

Friedr.   Klett,  Zn  Xenophons  Leben.     Gymn.-Progr.  Schwerin 
1900. 

Mit  den  meisten  Neuereu,  die  er  übrigens  nicht  alle  zu  kennen 
scheint,  setzt  K.,  gestützt  hauptsächlich  auf  die  bekannten  Stellen  der 
Anabasis,  das  Geburtsjahr  Xenophons  in  430.  Und  zwar  glaubt  er  aus 
den  Worten  zoiav  rjXtxiav  £[xauTcu  EAi^eiv  dvajxevu)  folgern  zu  müssen,  daß 
Xen.  zur  Zeit  als  er  dieses  schrieb,  eben  dicht  vor  der  Vollendung  des 
30.  Lebensjahres  stand,  das  nach  Memor.  A  2,  35  die  volle  fjXtxia  be- 
dinge; sonst  wäre  es  eben  töricht,  „zu  warten".  „Ich  darf  nicht  lange 
warten,  die  kurze  Spanne  Zeit,  die  mir  noch  fehlt,  ist  bei  unserer  jetzigen 
Gefahr  kein  Hindernis."  —  Die  vielfach  angezweifelte  Notiz  bei  Phi- 
lostratus  vit.  soph.  I  12,  Xen.  sei  erst  in  Böotien  gefangen  gewesen 
und  habe  nach  Stellung  eines  Bürgen  dort  den  Prodikos  gehört,  hält 
K.  für  glaubwürdig  und  meint  nun,  nach  Vorgang  von  Krüger,  dies 
Ereignis  sei  eingetreten,  als  er  zum  erstenmal  als  Neunzehnjähriger 
Kriegsdienste  tat  und  zur  Besatzung  von  Oropos  gehörte.  Diese  wnrde 
(nach  Thucyd.  8,  60)  412  von  den  Böotiern  überrumpelt,  und  Xen. 
kam  so  mit  andern  Athenern  in  die  Gefangenschaft  nach  Theben.  Hier 
mag  er  dann  den  Proxenos  kennen  gelernt  und  mit  ihm  Freundschaft 
geschlossen  liaben.  Der  vertrauliche  Ton  des  Einladungsbriefes  des 
Prox.  zeigt,  daß  schon  seit  längerer  Zeit  enge  Freundschaft  beide  ver- 
bunden habe;  in  ihrer  Kindheit  sei  aber  —  infolge  des  Krieges  — 
kaum  für  sie  Gelegenheit  gewesen,  sich  kennen  zu  lernen.  —  Des 
weiteren  nimmt  K.  mit  Schwartz  au,  Xen.  habe  sich  am  Feldzug  des 
Thrasyllos  (409)  beteiligt  und  sowohl  unter  den  30  wie  unter  den  10 
Reiterdienste  getan.  Dagegen  w'eist  er  die  Ansicht  von  Hartmann  und 
nuch  von  Schwartz,  die  Xen.  für  jünger  halten,  zurück.  —  Als  Datum 
der  Verbannung  Xeu.s  nimmt  K.  399  an.  Seine  Verbindung  mit  Seuthes 
hatte  offenbar  dazu  beigetragen,  die  Verdachtsgründe  gegen  ihn  zu 
mehren;  man  hegte  den  Argwohn,  daß  er,  unvermutet  an  die  Spitze 
der  „Kyreer"  zurückgekehrt,  in  jenen  Küstengegenden  selbstsüchtige 
Zwecke  verfolge.  —  Über  die  Niederlassung  in  Skillus  urteilt  K.,  daß 
sich  Xen.  gleich  nach  seiner  Heimkehr  aus  Asien  und  wohl  noch  im 


Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1800—1902    (Richter.)       49 

Jalire  394  dort  seine  neue  Heimstätte  gründete;  und  zwar  habe  er  sein 
Haus  keineswegs  von  den  Spartanern  erhalten  (die  Worte  uro  tüiv 
Aaxeoaifxoviwv  oixiaftevxo?  rapa  tTjV  'OXup.Kiav  tilgt  K.  mit  Hug,  E,ehdautz 
und  Vollbrecbt  als  interpoliert),  sondern  aus  eigenen  Mitteln  sich  ein 
Anwesen  erworben.  Später  wurde  er,  der  Bürger  von  Skillus,  von  den 
Spartanern  zu  ihrem  Proxenos  gemacht,  —  SchlielSlich  aus  Sk.  vertrieben, 
lief,  er  sich  in  Korintli  nieder.  — 

C.  Wachsiuuth,*)  Einleitung  in  das  Studium  der  alten  Geschichte. 
Leipzig  1895. 

W.  spricht  in  diesem  Werke  auf  S.  529  f.  über  Xenophons 
Anabasis  und  Hellenika.  Um  ein  Verständnis  dieser  Schriften  (wie  auch 
seiner  übrigen)  zu  gewinnen,  ist  es  nach  W.  notwendig,  sich  seine  per- 
sönlichen Erlebnisse  gegenwärtig  zu  halten.  Daher  schickt  W.  seiner 
Besprechung  eine  kurze  Übersicht  über  Xeu.s  Leben  voraus  (im  wesent- 
lichen nach  E.  Schwartz,  Rh.  Mus.  44).  —  Die  Anabasis,  nach  369 
verfaßt,  will  nichts  anderes  sein,  als  ein  Meraoireuwerk,  das  gar  nichts 
weiter  beansprucht,  als  Selbsterlebtes  mit  allem  Detail  zu  schildern. 
Es  ist  offenbar  zunächst  geschrieben,  um  die  Verdienste  des  Verf.,  die 
in  einer  ande)n  Monographie,  wahrscheinlich  der  des  Sophainetos,  über- 
gangen waren,  in  ein  helles  Licht  zu  setzen,  ist  daher  als  Teudcnzschrift 
nur  mit  einem  gewissen  Mißtrauen  zu  benutzen.  —  Größeren  Anspruch 
erheben  die  Hellenika,  die  als  ein  eigentliches  Geschichtswerk  auftreten. 
Wenn  auch  ebenfalls  nur  mit  Vorsicht  zu  benutzen,  so  sind  sie  doch 
von  großer  Wichtigkeit,  da  Xen.  die  ganze  darin  geschilderte  Zeit  mit 
erlebt  hat  und  gerade  in  der  Darstelluug  von  Selbsterlebtem  sich  durch 
Frische  und  Lebendigkeit  auszeichnet.  Sie  zerfallen  in  die  bekannten 
3  Teile,  sind  aber  jedenfalls  von  Xen.  selbst  als  ein  zusammenhängendes 
Ganze  veröfteutlicht.  —  Zu  einer  großen  historischen  Gesamtanschauung 
der  Entwickeluug  der  Zeit  ist  Xen.  aber  nirgends  vorgedrungen;  im 
Vordergrund  stehen  ihm  die  einzelnen  Individuen,  zu  deren  Charakteristik 
auch  in  der  Hauptsache  die  eingefügten  Reden  dienen.  — 

E.  Norden.  Die  antike  Kunstprosa.  Leipzig  1898, 
bespricht  auf  S.  101/2  auch  die  Darstellungsform  Xen.s,  wenn  auch» 
dem  Zweck  seines  Werkes  gemäß  (Vorwort  p.  IX)  nur  ganz  kurz.  — 
Er  findet  mit  Schacht  (Bonn  1890)  im  Gegensatz  zu  Blaß,  daß  auch 
Xen.  im  Bann  der  sophistischen  Kunstprosa  seiner  Zeit  steht,  daß  bei 
Xen.  die  natürliche  Schlichtheit  des  einzelnen  Ausdrucks  wie  des  Salz- 
baus stark  und  absichtlich  beeinflußt  ist  durch  Anwendung  aller  Mittel 
der  zeitgenössischen  Rhetorik;  nur  ist  bei  Xen.  die  Natur  nicht  durch 
die  Kunst  verdrängt,  sondern  beide  sind  bei  ihm  zu  einem  harmonischen 


*)  Nachtrag  zum  vorigen  Bericht,  vgl.  die  Einleitung. 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVII.    (1903.  II). 


50       Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1899—1902.  (Richter.) 

Ganzen   verbunden.     —  Zum  Beweis  dafür  führt  N.  eine  Anzahl  von 
Stellen  aus  der  respubl.  Laced.  an. 

ßömpler,  Studien  über  die  Darstellung  der  Persönlichkeit  in  den 

Geschichtswerken  des  Thukydides  und  Xenophon.  DisB.  Erlangen  1898. 
Diese  sehr  lesenswerte  Abhandlung  wendet  sich  besonders  gegen 
Bruns  (liter.  Porträt),  dessen  z.  T.  recht  gesuchte  Stilgesetze,  nach 
denen  Thuk.  und  Xen.  in  ihren  Charakteristiken  gearbeitet  haben  sollen, 
R.  als  irrig  zu  erweisen  sucht.  Nach  R.  ist  Xen.  keineswegs  in  dem  Sinne 
und  dem  Grade  von  Thuk.  (und  Isokrates)  abhängig,  als  Bruns  annimmt, 
0.   Seeck,    Die  Entwickelung    der   antiken  Geschichtschreibung 

und  andere  populäre  Schriften .  Berlin  1898, 
gibt  S.  89  f.  auch  eine  kurze  Charakteristik  der  schriftstellerischen 
Eigenart  Xenophons.  Stilistisch  bringt  er  ihn  in  eine  gewisse  Parallele  mit 
Lysias,  Xen.  sucht  wie  dieser  die  Einfachheit.  —  In  einer  Zeit,  wo 
die  Memoirenliteratur  blühte,  ist  es  Xen.s  Verdienst,  die  Aufzeichnung 
rein  persönlicher  Erinnerungen  zuerst  zur  Würde  der  Geschichtschreibnng 
erhoben  zu  haben.  In  der  anabasis  hat  Xeu.  das  höchste  Muster  der 
Memoirenliteratur  geschaffen,  das  selbst  Cäsar  nachahmte,  ohne  es 
übertreffen  zu  können.  Die  Memorab.  gehören  schon  in  das.  Gebiet  der 
Tendenzgeschichte  —  Xen.  w^ill  den  Sokrates  von  den  Anklagen  reinigen — , 
und  ihr,  der  Tendenz,  dienen  auch,  mit  einziger  Ausnahme  der  anab., 
alle  übrigen  Schriften  Xen.s  mehr  oder  weniger.  Die  früheren  Historiker 
hatten  alle  ohne  jeden  Hintergedanken  geschrieben,  bei  Xen.  tritt  ein 
Umschwung  ein,  in  erster  Linie  wohl  begründet  durch  die  sokratische 
Philosophie.  So  weiß  Xen.  sehr  geschickt  bald  zu  verhüllen,  bald  ins 
rechte  Licht  zu  setzen,  wie  es  ihm  für  seine  Zwecke  gerade  paßt  usw. 
S.  hält  übrigens  die  Memor.  für  ein  Jugendwerk  Xenophons. 

Von  Arbeiten,  die  die  Sprache  resp.  die  Grammatik  der  gesamten 
xenoph.  Schriften  zum  Gegenstand  haben,  führe  ich  folgende,  z.  T. 
nachträglich,  an. 

A.    Dyroff,  Geschichte  des  Pronomen  reflexivupa  (Beiträge  zur 

historischeu    Syntax     der    griech.    Sprache,    hrsg.    v.    M.    Schanz. 

III  Heft  3/4.      Würzburg  1892/3) 
behandelt  in  Heft  4  S.  97  f.  Xenophon. 

P.  Meinhardt,  de  forma  et  usu  iuramentorum,  quae  inveniuntur 

in  comicorum  Graecorum  et  Piatonis  Xenophontis   Luciaui    sermoue. 

Inaug.-Diss.     Jena  1892, 
handelt   über    die    Form    der    Eide  (Vokativ  w  Zsü  etc.,  Ttpoc  c,  gen., 
vJ),  vat,  [xa  c.  accus.),    über    die  Götter    und  Göttinnen,    die  angerufen 
werden,  über  gewisse  Regeln,  die  bei  der  Anwendung  von  Eidschwüreu 
beobachtet  werden  (ob  alle  —  w  9eot  —  oder  nur  einzelne  —  vielfach  sind 


Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1899—1902.  (Richter.)       51 

eB  drei  —  Götter,  und  welche  in  eiuzelneu  Fällen  angerufen  werden)  über 
den  Schwur  bei  Tieren   und  Sachen  —  vf,  tov  xuva,  Trjv   -Xdtavov  usw. 
J.  J^drzejowski,    de    anticipationis    quae  vocatur  apud  Xeno- 
phontem  usu.     Eos.  Leopoli  (Lwow)  1900  Bd.  VI  S.  190  f. 

Eine  wie  es  scheint  sorfjfältige  und  nützliche,  leider  schwer  zugäng- 
liche Zusaranieustellung  der  bei  Xen.  vorkommenden  Fälle  von  auticipaiio 
(eS7]77eiXe  toi;  'fi'Xot;  t:^v  xptJiv  w;  e^evexo  u.  ä.).  Eine  iNachprüfnnt,' 
betr.  die  Vollständigkeit  habe  ich  nicht  vornehmen  können.  —  In  der 
Erklärung  dieser  Darstellungsweise  schließt  sich  J^dr.  im  allgemeinen 
an  Job.  Classeu  an.  (Beobachtungen  über  den  homerischen  Sprachge- 
brauch. Frankflirt  1867,  Anhang  S.  189.  Über  eine  hervorstechende 
Eigentümlichkeit  des  griechischen  Sprachgebrauchs.) 

0.  Immisch,  Die  Apologie  Xenophons.  Neue  Jahrbb.  f.  kl.  Alt. 
1900  S.  406  f. 

Dieser  inhaltvolle  Aufsatz,  der  später  noch  einmal  erwähnt  werden 
wird,  enthält  auch  wertvolle  Bemerkungen  über  die  Sprache  Xen.s 
überhaupt  und  über  seine  Nachahmung  durch  Dion,  Arrian  u.  a. 

Die  Homerzitate  bei  Xenophon  werden  zusammengestellt  und  in 
ihrer  Bedeutung  für  den  homerischen  Text  gewürdigt  von 

A.  Lud  wich,  Die  Homervnlgata  als  voralexandrinisch  erwiesen. 
Leipzig  1898. 

Auf  Papyrus  sind  erhalten  (vgl.  den  vorigen  Jahresbericht  S.  41) 

1.  Hellen.  III  1,  3 — 7  (aber  lückenhaft),  abgedruckt  in  The 
Oxyrhynchus  Papyi'i  ed  by  Grenfell  and  Hunt.  P.  I,  London 
1898,  S.  57. 

2.  Hellen.  VI  5,  7—9  abgedruckt  ebenda  P.  II  S.   119. 

Die  Varianten  beider  Stellen  von  Kellers  Text  sind  un- 
erheblich. 

3.  Oekonom.  8,  17—9,  2  abgedruckt  ebenda  P.  II  S.  120  (bei- 
nahe IV2  Seiten  der  Tauchuitz-Ausgabe  [Sauppej  mit  nicht  un- 
bedeutenden Abweichungen).    Ich  will  einige  davon  anführen: 

§  17  ojAOitu;  s'jptaxouji  Pap.  il  öi£tpr)|jiev(uv  für  öt7]p  —  ||  eupsTov 
für  sueupsTov  ,j  §  18  u>?  hinter  Deivai  om.  Pap.  J  -0  -avtcov  für 
8  TiavTwv  II 

4.  Vectigal.  1,  5 — 6  aus  dem  2.  saec.  p.  Chr.  Abgedruckt  in 
Wilckcn,  Zu  den  Papyri  der  Müncheuer  Bibliothek.  Archiv 
für  Papyrusforschuug ,  Leipzig,  I  1901  S.  468  f.  —  „Neben 
manchen  Ungeiiauigkeiten  bietet  das  Stück  eine  alte  Korruptel, 
oüv  für  av  (oaip  oüv  xive;  TrXeTov  d-eytuatv),  aber  auch  eine 
gute  Lesart,  o?xeia8at  für  ^x^aSat  oder  wxiu&at  (Zurborg),  im 
Sinne  von  gelegen  sein,  wie  in  anab.  14.  1." 


52       Bericht  üb.  d.  Xeaophon  betreffenden  Schriften,  1899—1902.  (Richter.) 

Vgl.  über  diese  Papyri  noch 

W.  Crönert,  Literarische  Texte  mit  Ausschluß  der  christlichen. 
Archiv  f.  Papyrusforschung-  I  S.  104  f.  und  502  f.,  wo  auch  die 
übrige  Literatur  hierüber  angegeben  wird,  namentlich  zwei  Kritiken 
von  U.  V.  Wilamowitz  in  den  Göttinger  Gel.  Anz.  von  1898  S.  673  f. 
und  von  1900  S.  28  f. 

Anabasis. 

Hippolyte  Taiue,  Studien  zur  Kritik  und  Geschichte.  Übers, 
von  P.  Kühn  und  Anathon  Aall.  Paris,  Leipzig,  München  1898, 
enthält  auf  S.  24  f.  (Xeuophon.  Die  Anabasis)  eine  zwar  schon  in  den 
50er  Jahren  entstandene,  aber  auch  jetzt  noch  höchst  lesenswerte  Be- 
ti'achtung  besonders  über  die  Kunst  der  Darstellung  in  der  Anab.  T. 
schildert  den  Schriftsteller  mit  großer  Wärme  und  Liebe,  er  stellt  seine 
Kunst  sehr  hoch,  rühmt  namentlich  die  Klarheit  und  Einfachheit  seiner 
Sprache,  gibt  auch  einige  Übersetzungsproben,  findet  die  Lektüre  der 
Anab.  in  hohem  Grade  anziehend  und  genußreich. 

G.  Sorot,    Nomos  und  Physis  in  Xenophons  Anabasis.     Hermes 
1899  S.  568  f. 

S.  behandelt  die  beiden  Charakteristiken  des  Proxenos  und  Menon 
in  anab.  II  6,  16  f.  Er  findet,  daß  Xen.  in  diesen  beiden,  offenbar  als 
Gegensätze  gedachten  Charakteren  zugleich  zwei  typische  Vertreter  des 
die  damalige  Zeit  beherrschenden  Gegensatzes  von  Nomos  und  Physis, 
Natur  und  Herkommen,  hat  geben  und  so  auch  seinerseits  in  den  Kampf 
der  Meinungen  hat  eintreten  wollen.  Xen.  hat  zu  seiner  Schilderung 
vielfach  die  beiden  platonischen  Dialoge  Menon  und  Gorgias,  wahr- 
scheinlich auch  den  Thukydides  (III  82 — 83)  benutzt,  daneben  aber 
noch  eine  fragmentarisch  erhaltene  Tendenzschrift  aus  der  Zeit  des 
.archidami.scheu  Krieges,  (hrsg.  und  dem  Sophisten  Antiphon  zuge- 
schrieben von  Blaß,  Kieler  Programm  1889),  die  ihrerseits  wieder  auch 
dem  Plato  und  Thukyd.  Anregung  und  Stoff  für  ihre  Schilderungen 
gegeben  hat.  —  Von  einer  Abhängigkeit  dieser  beiden  Charakteristiken 
vom  Euagoras  des  Isokrates,  wie  sie  Bruns  (liter,  Porträt)  zu  erweisen 
suchte,  kann  nach  S.  somit  keine  Rede  sein. 

A.  Zucker,  Xenophon  und  die  Opfermantik  in  der  Anabasis. 
Beilage  zum  Jahresbericht  des  Kgl.  neuen  Gymn,  in  Nürnberg.  1900. 
(Festschrift  tür  I.  v.  Müller.) 

Z.  gibt  hier  einen  sehr  schätzenswerten  Beitrag  zu  der  Charakteristik 
Xenophons.  Es  ist  eine  Art  Rettung  Xen.s  gegen  die  nach  seiner  Meinung 
ganz  irrige  Joeische  Auffassung  der  Stellung  Xen.s  zur  Mantik,  wonach 
Xen.  sich,  in  der  Anabasis  wenigstens,  als  pedantischen,  ja  fanatischen 


Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1S99— 1902.  (Richter.)       53 

Freund  der  Mantik  zei^e.  Z.  stellt  sämtliche  Stellen  der  auab.,  wo 
von  Opfer  und  Opfermantik  die  Rede  ist,  zusammen  und  kommt  zu 
dem  Ergebnis,  daß  in  der  auab.  keineswegs  der  }j.avTi;  über  dem 
orpaTTj^oc  steht  und  daß  tatsächlich  für  Xen.s  EutschlieÜungeu  und  sein 
Handeln  überall  die  Lage  und  die  daraus  sich  ergebenden  Vernuuft- 
gründe  im  Vordergrund  stehen,  „überall  rationelle  Aktivität".  Daneben 
hat  freilich  die  Älantik  als  religiöser  Faktor  die  immerhin  nicht  un- 
wichtige Aufgabe,  den  Zusammenhang  mit  den  höheren  Mächten  auf- 
rechtzuerhalten und  dem  vernunftgemäßen  auf  sorgfältiger  Prüfung 
beruhenden  Handeln  die  Gewißheit  der  göttlichen  Unterstützung  zu 
vermitteln.  In  Xen.s  Darstellung  erscheint  das  mautische  Element  aller- 
dings immer  im  Vordergrund,  aber  nur  deshalb,  weil  er  nach  seiner 
religiösen  t^berzeu^ung  den  Göttern  die  Ehre  geben  zu  müssen  glaubt 
und  weil  er  sich  keiner  ußpt;  schuldig  machen  will:  tatsächlich  sind 
seine  Befragungen  nur  Bitten  um  Bestätigung  und  um  Zuwendung  der 
göttlichen  Huld.  Hätte  z.  B.  in  einem  Fall  das  Opferergebnis  nicht 
in  seinem  Sinn  verwendet  werden  können,  so  würde  sich  Xen.  zweifellos 
auf  dem  Wege  der  „Wiederholung"  die  Bestätigung  seines  durch  die 
Vernunft  geforderten  Entschlusses  erholt  haben.  — 

A.  Zucker,  Beobachtungen  über  den  Gebrauch  des  Artikels 
bei  Personennamen  in  Xenophons  Anabasis.  Gymn.  -  Progr.  Nürn- 
berg 1899. 

Nach  Zurückweisung  der  landläufigen  „Regeln"  über  diesen 
Gebranch,  die,  wie  Z.  mit  Recht  sagt,  schon  jedem  Leser  des 
ersten  Kap.  der  anab.  als  unhaltbar  erscheinen  müssen,  stellt  er 
folgende  Ansichten  auf.  Der  Artikel  wird  bei  Personennamen  (in  der 
anab.)  nur  dann  gesetzt,  wenn  die  Person  als  Subjekt  Träger  einer 
Handlung  ist,  die  für  den  Schriftsteller  ein  aktuelles  Interesse  bean- 
sprucht. —  Der  Artikel  weist  nicht  in  äußerlich  mechanischer  Weise 
auf  den  Namen  hin  —  der  bekannte,  der  schon  genannte  usw.  — , 
sondern  ist  als  elastisches,  lebensvolles,  stilistisches  Element  nur  aus 
dem  Inhalt  heraus  und  aus  der  Stellung,  welche  der  Name  in  seiner 
Umgebung  einnimmt,  zu  beurteilen.  —  Der  Artikel  fehlt  (in  der  anab.) 
immer,  mit  verschwindenden  Ausnahmen,  in  denjenigen  Partien,  welche 
Rede,  direkte  oder  indirekte,  aufweisen,  sowie  in  den  bekannten 
Charakteristiken  I  9  und  11  6.  —  Z.  hat  zur  Vergleichung  noch  heran- 
gezogen Lysias  gegen  Eratosthenes  und  stellt  fest,  daß  in  dieser  Rede 
(ca.  20  Seiten  der  Teubnerschen  Textausgabe)  der  Artikel  sich  nur  an 
2  Stelleu  findet.  Auch  in  den  olynthischen  Reden  des  Demosthenes 
(auch  ca.  20  Seiten)  findet  sich  der  Artikel  nur  6  mal.  —  Der  eigent- 
liche Boden    für    den  Artikel  bei  Personennamen  scheint  demnach  die 


54       Bericht  üb.  d,  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1899—1902.  (Richter.) 

künstlerisch  gestaltete  Erzählung  zn  sein,  und  zwar  vielleicht  weil 
gerade  du  das  Moment  poetischer  Anschaulichkeit  eine  j,'anz  andere 
Rolle  spielt  als  in  der  logisch  beweisenden  Rede. 

F.  G.  Sorof,  Zur  Texteskritik  der  Anabasis  Xenophons.  Woch,  f. 
klass.  Phil.  1900  Nr.  26,  27,  29,  30,  31. 

S.  gibt  hier  eine  Zusammenstellung  und  Rechtfertigung  der  Ab- 
weichungen des  Textes  seiner  neuen  Schülerausgabe  (Leipzig  1900, 
Teubner)  von  dem  Gemollscheu.  Auch  S.  legt  seiner  Ausgabe  die 
Pariser  Hs  C  zugrunde  und  ist  in  der  Beachtung  der  Lesarten 
von  C  vielfach  noch  konservativer  als  selbst  Gemoll.  An  einer  Reihe  von 
Stellen,  an  denen  es  sich  um  einzelne  Wortformen  handelt,  sucht  er 
den  cod.  C  gegen  Änderungen  Gemolls  oder  gegen  abweichende  Les- 
arten der  minderwertigen  Hss  in  Schutz  zu  nehmen,  ebenso  verteidigt 
er  eine  Anzahl  von  Stellen  gegen  den  Verdacht  der  Interpolation. 
Doch  ist  auch  S.  der  Meinung,  daß  wegen  der  großen  Flüchtigkeit, 
mit  welcher  der  cod.  niedergeschrieben  ist,  derselbe  nicht  ohne  Vorsicht 
und  nicht  ohne  Zuhilfenahme  der  codd.  deteriores  ausgenutzt  werden 
darf.  Besonders  häufig  sind  Formen  des  Artikels,  Präpositionen,  Kon- 
junktionen und  andere  kleinere  Wörter  ausgelassen;  nach  einer  „ober- 
flächlichen" Zählung  finden  sich  in  0  in  den  ersten  fünf  Büchern  der 
anab.  wenigstens  24  fehlerhafte  Auslassungen  des  Artikels.  —  Genauer 
auf  die  Arbeit  einzugehen  müssen  wir  uns  hier  versagen;  jedenfalls 
wird  man  gern  einräumen,  daß  es  S.  ;,immer  nur  um  die  Sache  zu  tun 
gewesen  ist",  und  seine  Anregung  zu  erneuter  Prüfung  der  betreffenden 
Stellen  mit  Dank  annehmen.  —  Zu  bedauern  ist  nur,  daß  die  hervor- 
ragende Kenntnis  des  xenophontischen  Sprachgebrauchs,  die  Sorof  aus- 
zeichnet, nicht  der  gesamten  Anabasis,'  sondern  nur  einer  in  höchst 
überflüssiger  Weise  kastrierten  sogenannten  Schülerausgabe  zugute  ge- 
kommen ist. 

F.  Reuß,  Kritische  Bemerkungen  zu  Xenophons  Anabasis.  IV. 
Gymn.-Programm.     Saarbrücken  1900. 

Die  „Bemerkungen"  erstrecken  sich  auf  sämtliche  Bücher  der 
Anab.,  sie  sind,  wie  R.  angibt,  z.  T.  schon  —  in  verschiedenen  Bänden 
der  Wochenschr.  für  klass.  Phil.  —  bekannt  gegeben  in  ausführlichen 
Besprechungen  der  auf  Xen.  bezüglichen  Arbeiten  GemoUs  u.  a.  — 
R.  bezeichnet  seine  Arbeit  als  eine  Nachrevision  der  Gemollscheu  Re- 
vision des  Xenophontextes  und  stellt  sich  vielfach  in  Gegensatz  zu  G. 
An  seinen  schon  früher  ausgesprochenen  Ansichten  betr.  die  Inter- 
polationen der  Anab.  (vgl.  den  vorigen  Jahresbericht)  hält  R.  fest  und 
tilgt  daher  im  Gegensatz  zu  G.  eine  große  Anzahl  von  Stellen  als 
Glosseme  etc.   Einzelnes  wieder  sucht  er  gegen  G.  zu  retten,   pag.  23 


Bericht  üb.  d.  Xenophoa  betreffenden  Schriften,  1899—  1902.  (Richter.)       55 

kommt  ß.  auf  die  Tendenz  und  die  Abfassungszeit  der  Anab.  zu  sprechen. 
Allerdings  verfolgt  Xen.  mit  der  anab.  apologetische  Zwecke,  er  wendet 
sich  aber  nicht  an  die  Athener  speziell.  Seine  Absicht  ist,  sich  gegen 
sehr  verschiedene  Verdächtigungen  und  Vorwürfe  zu  verteidigen  (so 
z.  B.,  dal)  sein  früheres  S^erhalten  gegen  Sparta  unfreundlich  gewesen, 
daß  er  sich  auf  Kosten  der  Soldaten  bereichert  habe,  gegen  die  Soldaten 
noch  während  des  Rückzuges  brutal  gewesen  sei  u.  a.  m.).  Die  Anab. 
ist  erst  nach  dem  Frieden  des  Antalkidas  in  Angrifi'  genommen,  aber 
um  das  Jahr  380  veröffentlicht. 
Einzelne  Stellen  besprechen 

M.    Fickelscheerer,    Die    Königsstandarte    bei    den    Persern. 
Neue  Jahrbb.  f.  kl.  Alt.   1898  S.  480. 

F.  wendet  sich  gegen  die  allgemein  verbreitete  Deutung  des 
Wortes  TTeXxyi  (anab.  I  10,  12)  als  Speer.  Es  bedeutet  vielmehr  ein 
schildartig  umiaudetes,  daher  einem  kleinen  Schild  (izil-y])  nicht  ua- 
ähnliches  Brett,  auf  welchem  der  Adler  mit  ausgebreiteten  Flügeln  an- 
.  gebracht  war.  Dieses  Brett  war  an  einem  langen  Speer  dicht  unterhalb 
der  Spitze  befestigt.  Eine  Vorstellung  davon  gewähre  das  berühmte 
Alexandermosaik  in  Pompei,    wo    eine  solche  Standarte  abgebildet  sei. 

K.  Lincke,  Miscellanea.     Phil.  59  1900  S.  189 
will  anab.  I  7,  11  als  Glossem  tilgen. 

C.  Hude,  Nord.  Tidsskr.  VIIT  1900  S.  186 
schlägt  in  einer  Besprechung  von  Geraolls  Anab.-Ausgabe  vor,  anab.  III 
1,  21   a-opia  zu  lesen  statt  o7:o<^ia. 

L.  Radermacher,  analecta,  Rh.  Mus.  1900  S.  150 
stützt  anab.  V  3,  4  die  Lesart  xal  IXaßov. 

Die  Quellenfrage  der  anab.  wird  in  folgenden  z.  T.  schon  früher 
verfaßten  Arbeiten  berührt: 

0.  Neuhans,  Die  Quellen  des  Pompeius  Trogus  in  der  persischen 
Geschichte.  5.  Teil.  Königsberg  i.  P.  Progr.  des  Kgl.  Friedrichs- 
Kollegiums.    1896. 

Gegenstand  dieser  Untersuchung  ist  Justinus  V  11,  wo  der 
Bruderkrieg  zwischen  Artaxerxes  und  Kyros  erzählt  wird.  Die  für 
Xen.  in  Betracht  kommenden  Eigebnisse,  durch  die  sowohl  die  Selb- 
ständigkeit wie  die  Glaubwürdigkeit  Xen.s  stark  in  Zweifel  gezogen 
werden,  sind  folgende.  Anab.  I  1 — 4  sind  ein  knapper  und  ziemlich 
nachlässiger,  z.  T.  wörtlicher  Auszug  aus  des  Ktesias  Persika.  Als 
Xen.  mehr  als  30  Jahre  nach  der  Schlacht  bei  Kunaxa  die  Anabasis 
verfaßte,  war  er  für  das  hier  Erzählte,  da  er  es  selbst  als  Augenzeuge 
nicht  miterlebt   hatte ,    auf   eine    literarische  Quelle    angewiesen.     Des 


56       Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1899-1902.  (Richter., 

Ktesias  Bericht  sagte  ihm  um  so  mehr  zu,  als  derselbe  seiner  eigenen 
Parteistellung  zu  den  Spartanern  wie  zu  dem  bewunderten  Kyros  ent- 
gegenkam. Diese  Benutzung  des  Ktesias  zeigt  sich  auch  in  den  Lobes- 
erhebungen des  Kyros  I  9,  29  und  sonst.  Auch  die  Verschleierung 
des  Bündnisses  zwischen  Sparta  und  Kyros  in  der  anab.  zeigt,  daß 
die  Rücksicht  auf  den  Vorteil  Spartas  nicht  ohne  Einfluß  auf  Xen.s 
Darstellung  gewesen  ist.  Xen.s  Bericht  erscheint  dabei  noch  weit 
parteiischer  für  Kyros,  da  er  wußte,  daß  Ktesias  infolge  seiner  Vor- 
eingenommenheit für  Kyros  selbst  vor  groben  Fälschungen  der  Ge- 
schichte nicht  zurückgeschreckt  war. 

Ich  füge  hier  gleich  an  die  folgende  Abhandlung  desselben  Ge- 
lehrten 

0.  Neu  haus,  Die  Überlieferung  über  Aspasia  von  Phokaia. 
Rh.  Mus.  1901  S.  272. 

Hier  zeigt  N.,  daß  die  uns  erhalteneu,  im  ganzen  völlig  konformen 
Nachrichten  über  den  ersten  Lebensabschnit  der  Aspasia  sämtlich  auf 
Ktesias  zurückgeführt  werden  müssen,  also  auch  die  kurze  Notiz  bei 
Xen.  anab.  I  10,  2. 

Daß  Ktesias  von  Xenophon  benutzt  sei,  auch  an  Stellen,  wo  es 
Xen.  nicht  angibt,  behauptet  auch 

F.  Krumbholz,  De  Ctesia  aliisque  auctoribns  in  Plutarchi 
Artaxerxis  vita  adhibitis.    Gyran.-Progr.    Eisenach  1889.    (S.  19 — 22.) 


Kyrupädie. 

K.  Lincke,  Xenophons  persische  Politie.  Phil.  1901  S.  541. 

L.  geht  mit  Konsequenz  und  Energie  dem  überlieferten  corpus 
der  xenophontischen  Werke  zu  Leibe  (vgl.  meinen  letzten  Jahresbericht). 
In  der  vorliegenden  Arbeit  behandelt  er  hauptsächlich  die  Kyrupädie; 
daneben  spricht  er  aber  auch  von  der  Anabasis,  den  Hellen.,  dem 
Ökonom,  und  Agesilaos,  besonders  noch  von  dem  Kjmegetikos  (vgl. 
unten).  Überall  findet  er  Spuren  ergänzender  oder  erklärender  Tätig- 
keit eines  der  Söhne  Xen. 's  oder  des  gleichnamigen  Enkels.  „Ansässig 
in  Skillus  und  später  in  Korinth  hat  Xen.  als  Lehrer  schlecht  und 
recht  gewirkt.  —  Er  unterhielt  wahrscheinlich  in  Skillus  eine  Schule.  — 
Es  war  die  bescheidene  literarische  Werkstatt  eines  wackeren  Meisters, 
neben  dem  der  Sohn  Gryllos  heranwuchs  als  fleißiger  Geselle.  Die 
Früchte  ihrer  Arbeit  fielen  dem  klugen  Lehrling,  dem  Enkel,  zu,  und 
der  hat  sie  in  Athen  bestens  zu  verwerten  gewußt"  etc.  —  In  der 
Kyrupädie  nun  geht  der  Grundstock  des  ganzen  Werkes,  die  Schilde- 
rung der  idealen  persischen  Politie  der  Vergangenheit,  auf  Xen.  selbst 


Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1899—1802.  (Richter.)       57 

zurück.  Zu  diesem  Werk  hat  sich  ein  fleißiger  Leser,  sc.  der  Sohn 
Gryllos,  eine  Anzahl  kleinerer  und  größerer  Zusätze  gemacht,  zunächst 
zn  seiner  eigenen  Belehrung.  Es  sind  das  die  Stellen,  in  welchen  die 
bestehende  persische  Politie  als  der  Musterstaat  der  Gegenwart  hin- 
gestellt wird,  meist  zu  erkennen  an  den  Worten  eti  xal  vüv.  L.  stellt 
sie  zusammen  auf  S.  553.  —  Gerade  die  entgegengesetzte  Ansicht  wie 
Gryllos  hat  nun  der  Bearbeiter  und  Herausgeber  des  Ganzen,  der  Enkel 
Xenophon,  der  in  dem  Anhang  (VIII  8)  seiner  Meinung  kräftigen 
Ausdruck  gibt. 

Fr.  Beyschlag,  Ein  literarischer  Rückzug  Xenophons.    Blätter 
für  das  bayer.  Gymn.-Schulwesen     1901  S.  49. 

B.  behandelt  die  Stelle  Kyrup.  III  1,  38-40.  Er  ist  von  den 
engen  persönlichen  Beziehungen  zwischen  Sokrates  und  Xenophon  über- 
zeugt, im  Gegensatz  zu  der  „modernen  Hyperkritik" ,  verti-eten  durch 
den  Namen  E.  Richter.  Eine  erwünschte  Bestätigung  seiner  Ansicht 
findet  er  in  der  bekannten,  oft  zitierten,  oben  angeführten  Stelle  der 
Kyrup.,  wo  die  Verhandlung  des  Kyros  mit  Tigranes  und  seinem  Vater, 
betr.  die  Tötung  des  weisen  Lehrers  des  Tigranes,  geschildert  wird. 
Denn  hier  wird  in  Form  einer  Allegorie  das  persönliche  Verhältnis 
zwischen  Sokrates  (Sophist)  und  Xenophon  (Tigranes)  dargestellt.  — 
Die  ganze  Auseinandersetzung  aber  hat,  wie  die  entschuldigende  Schluß- 
wendung des  Kyi'os  zeigt  (juY-fqvw'Jxs  "^w  ~«~pi  — )  den  Zweck,  den 
Urteilsspruch  der  Athener  gegen  Sokrates,  wenn  auch  nicht  zu  be- 
schönigen, so  doch  zn  entschuldigen,  mit  anderen  Worten,  einen  Rück- 
zug anzudeuten  gegenüber  dem  offensiven  Vorstoß,  den  die  zwei  ersten 
Kapp,  der  Memor.  gegen  das  Urteil  eröffnet  hatten.  —  Dieser  Um- 
schwung in  der  Stimmung  ist  notwendigerweise  das  Ergebnis  einer 
längeren  Entwickelung  gewesen.  Die  Kyrup.  ist  daher  auch  nach  370 
anzusetzen.  Die  sog.  xenoph.  Apologie  ist  unecht,  da  sie  sich  mit 
diesem  Rücl^zug  nicht  verträgt, 

C.  F.  Lehmann,  Gobryas  und  Belsazar  bei  Xenophon.    Beiträge 
zur  alten  Geschichte.     Leipzig  1902.    S.  341. 

L.  ist  der  Meinung,  „daß  Xen.  in  die  Kyrupädie  historische  Nach- 
richten iu  weit  größerem  Umfange  verflochten  hat,  als  man  anzunehmen  ge- 
wohnt ist,  und  daß  diese  Nachrichten  großenteils  logographischeii,  vor- 
herodotischen  Quellen  entnommen  sind."  In  der  vorliegenden,  kurzen 
Abhandlung  sucht  er  wahrscheinlich  zu  macheu,  daß  die  Erzählungen 
über  Kampf  und  Verträge  zwischen  Chaldäern  und  Armeniern  sowie 
die  über  des  Kyros  Vorgehen  gegen  Babylon  und  Sardes  auf  eine 
solche  ältere  Quelle  zurückgehen,  vermutlich  auf  die  Persika  des  Dio- 
nysios  von  Milet. 


58       Beriebt  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  lSl>:)-]002.  (Richter.) 

Hellenika. 

F.  Po  lau  d,    Das  Theater  in  Olympia.     Commentationes  Fleck- 
cisenianae.    Leipz.,  Tcubner,   1890.    S.  249  f.  (zu  Hellen.  VII  4,  31). 

Es  ist  bekannt,  daß  es  sich  bei  den  olj'mpischen  Spielen  nicht 
um  musische  gebandelt  hat.  Auch  wird  nirgends  von  einem  Schrift- 
steller des  Altertums  ein  Theater  in  Olympia  eiwäbnt;  die  einzige 
Ausnahme  bildet  die  oben  angeiührte  Stelle  ans  Xon.  Hell.  P.  zeigt 
nun,  daß  von  einem  eigentlichen  Theater  auch  hier  nicht  die  Rede  sein 
kann.  Schon  die  Worte  selbst:  [j-s-aEu  xoü  ßouXeuxrjpt'ou  y.ai  toü  xJjc 
'Eaxi'ac  tepou  xai  xou  Tipoc  xaüxa  zpojrjXovToc  Osatpou  lassen  eine  klare 
Vorstellung  nicht  aufkommen.  Auch  der  Gebrauch  von  ji-exaSü  mit 
3  Genetiven  ist  nach  P.  unxeuophontisch.  P.  schreibt  nun  Tipo;  xouto 
statt  TTpo;  xauxa,  faßt  den  Hestiatempel  und  das  Theatei'  als  zusammen- 
gehörig —  an  der  Nordwestecke  der  Altis — ,  denen  das  pouXeuxrjpiov 
—  südlich  von  der  Altis  —  gegenübersteht,  und  übersetzt  Oeaxpov  mit 
Schaugerüst  oder  Zuschauerraum  und  zwar  für  ein  Gymnasium ,  das 
dort  schon  damals  bestand  und  an  den  Hfstiatempel  stieß,  und  zwar 
eben  an  der  Stelle,  wo  später  das  Gymnasium  und  das  Prytaneura  mit 
dem  Hestiaaltar  errichtet  wurde,  deren  Reste  bei  den  Ausgrabungen 
zutage  getreten  sind.  —  Zwischen  diesen  beiden  so  bestimmten  Punkten, 
im  NW,  und  im  Süden,  ist  dann  der  Einbruch  der  Eleer  erfolgt. 

C.  Robert,  Die  Ordnung  der  olympischen  Spiele  und  die  Sieger 
der  75—83.  Olympiade.     Hermes  1900  S.  141. 

Ausgehend  von  jenem  Fragment  einer  olympischen  Siegerliste  der 
011.  75  —  83,  das  in  den  Oxyrh.  Pap.  Bd.  II  p.  88  von  Grenfell  und 
Hunt  herausgegeben  ist,  sucht  R.  u.  a.  die  Reihenfolge  der  Agone  in 
Olympia  zu  bestimmen.  1.  Tag:  Die  drei  Agone  im  Lauf.  2.  Tag: 
Pentathlon.  3.  Tag:  Ringkampf,  Faustkampf,  Paukration.  4.  Tag: 
Die  Wettkämpfe  der  Knaben  und  dej-  Waffenlauf.  5.  Tag:  Die  hippi- 
schen Agone.  Im  Widerspruch  mit  diesen  Aufstellungen  findet  R.  nur 
die  Stelle  Xen.  Hellen.  VII  4,  29  xai  xfjv  [xev  iTtTioopoixiav  yjSr)  iKeizoi- 
rjxeaav  xal  xa  Spop-ixa  xoü  TrevTaflÄou  '  oi  o'  et?  TraXyjv  «cptxofxevoi  ouxext  ev 
Tcö  opo[JL(p,  aXXa  |JLexa$u  xoü  opo'ixou  xai  xoü  p(u|xoü  £T:aXaiov.  Danach 
müßten  die  hippischen  Agone  vor  dem  Faustkampf  stattgefunden  haben. 
Da  dies  nun  aber  eben  nach  obigem  nicht  der  Fall  gewesen  sein  könne, 
so  „ist  vielleicht  die  Annahme  nicht  zu  gewagt,  daß  hier  Xen.  statt 
ooXv/oi;  den  Ausdruck  iiriTo6po|i.ia  gebraucht  habe.  Noch  einfacher  wäre 
es,  mit  Blaß  iTUTrioopojxi'av  zu  schreiben". 

Gegen    diese  Vermutungen  Roberts    sowie   gegen    seine  Deutung 
der  xenophoutischen  Stelle  wendet  sich 


Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1S99— 1902.  (Richter.)       59 

F.  Mi  e,  Die  Festordnuug  der  olympischen  Spiele.  Phil.  1901 S.  161  f. 

Th.  Lenschau,   Die  Zeitfolge  der  Ereignisse  von  Ende  Sommer 
411  bis  zur  Arginusenschlacht.    Philol.  Suppl.  Bd.  VIU  1901  S.  301  f. 

L.  gibt  eine  Chronologie  dieser  Jahre,  die  „nahezu  ausschließlich 
auf  die  zeitgenössische  Darstellung  Xenophons  gegründet"  ist,  der  vieles 
aus  eigener  Anschauung  heraus  geschrieben,  hinreichend  glaubwürdig 
ist  und  der  Aufgabe,  die  er  sich  gestellt,  eine  kurze  Geschichte  der 
letzten  Kriegsjahre  vorwiegend  vom  militärischen  Standpunkt  zu  liefern, 
völlig  gewachsen  war.  Die  Hellen,  sind  im  Anfang  verstümmelt,  und 
da  man  nicht  wissen  kann,  wie  viel  verloren  gegangen  ist,  so  ist  es 
„offenbar  unniethodisch,  bei  ihren  Zeitangaben  vom  Ende  des  Thuky- 
dides  aus  zu  rechnen". 

H.  Stein,  Zur  Quellenkritik  des  Thukydides.  Rh.  Mus.  1900 
S.  531  f. 

S.  sucht  nachzuweisen,  daß  Thukydides  unter  anderem  eine  gegen 
Ende  des  pelopounesischen  Krieges  oder  bald  hernach  entstandene,  auf 
Rechtfertigung  und  Verherrlichung  des  Hermokrates  als  sizilischen 
Staatsmannes,  Redners  und  Patrioten  angelegte  Biographie  desselben, 
besonders  in  den  drei  letzten  Büchern,  benutzt  hat.  Ein  Exzerpt  aus 
derselben  Quelle  ist  auch  die  Stelle  Xen.  Hellen.  I  1,  26 — 31.  —  Diese 
Hypothese  Steins  von  der  Existenz  einer  solchen  Hermokrates-ßiographie 
und  ihre  Benutzung  durch  Thuk.  und  Xen.  sucht  als  wenig  wahrschein- 
lich zu  erweisen 

J.  Steup,  Thukydides,  Antiochos  und  die  angebliche  Biographic 

des  Hermokrates.     Rh.  Mus.   1901  S.  443  f. 

Handschriftliches  behandeln    folgende  zwei  italienische  Arbeiten: 
L.  de   Stefani,  Collazioue  di  un  codice  delle  elleniche  di  Seno- 

fonte  (n  --  Laur.  di  S.  Marco  330).    Stud.  ital.  di  fil.  class.  VI  1898 

S.  229. 

Nach  der  ed.  maior  Kellers.  Die  Hs  war  bisher  nur  bekannt 
durch  die  vv.  IL,  die  P.  Victorius  an  den  Rand  einer  Aldina  notiert 
und  Dindorf  in  seiner  Ausgabe  der  Hellen.  Oxford  1853  (und  Leipzig 
1824)  publiziert  hatte,  vgl.  den  vorigen  Jahresbericht  S.  59.  Die  Hs 
bietet  manches  Eigentümliche  und  gehört  jedenfalls  zu  der  „besseren'' 
Handschriftenklasse  der  Hellen.  — 

L.  de  Stefani,  I  codici  Vaticani  delle  Elleniche  di  Senofonte. 
Stud.  ital.  1901  S.  237. 

Es  sind  4.  Vat.  Pal.  gr.  140  saec.  14=--p,  Vat.  Urb.  gr.  117 
saec.  14  oder  15  =  u,  Vat.  gr.  988  saec.  15  =  w,  Vat.  gr.  1293  saec. 
15  =^  W.     Davon  gehört  p  der  besseren,  die  3  andern  der  schlechteren 


60       Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1899-1902.  (Richter.) 

Handschriften klasse  an.  —  Ihr  Verhältni'*  zu  den  übrigen  Handschriften 
der  Hellen,  wird  dann  noch  genauer  bestimmt.  W  ist  wahrscheinlich 
eine  Abschrift  von  w. 

Einzelne  Stellen  besprechen  teils  kritisch,  teils  exegetisch 

T.  G.  Tucker,  Varia.  Class.  Review,  London  1898,  S.  26  und  27. 

T.  vermutet  I  7,  8  «pparepei;  für  -aTEpsc,  III  2,  18  oyx  eiroXejjn^- 
oeiev  (als  Desiderativ.)  für  oux  eßo'jXsTo  ]xdys.aba.i  und  VI  4,  24  sTravadecj- 
ftai  für  e-iXa9ea9ai. 

A.  Solari,  Senofonte  Hellenica  I  6,  29.  Riv.  di  stör.  ant.  Messina 
IV  1899  S.  466 
ist  exegetischen  Inhalts. 

L.  de  Stefani,  Ramenta.  Stud.  ital.  1900  S.  489  (zu  III  3,  2) 
verwirft  Kellers  Vermutung  tu  für  toi  und  schlägt  vor  ti'f'  ou  vap  toi 
ecpuaev  ae  etc. 

K.  Lincke,  Miscellanea.     Phil.  59   1900  S.   190 

will  V  3,  8  tujTrep  'A7T]atXaou  ik  -rjV  'Aciiav  als  Interpolation  streichen 
(entstanden  aus  einer  Reminiszenz  an  Hell.  HI  4,  2). 

H.  Richards,  The  Hellenics.  Class.  Rev.  1901  S.  197 
enthält  sprachliche  Beobachtungen  zu    den  beiden  ersten  Büchern  und 
kritische  Bemerkungen  zu  allen  sieben. 

A.  Solari,  ad  Xen.  Hellen.  14,  7.  Boll.  di  fil.  class.  VIII  1901 
S.   112 
sucht  die  Zeit    des  Erscheinens    der    athenischen  Gesandten    näher    zu 
bestimmen . 

*J.  Prammer,   varia.  Wiener  Studien  23  1901  bespricht  I  7,  24. 

Aporanemoneumata  und  Apologia. 
Ich  führe  die  für  uns  in  Betracht  kommenden  Arbeiten  nach  der 
Zeitfolge  ihres  Entstehens  an. 

F.  Schurr,  Xenophon  quo  consilio  commentariorum  Socraticorum 
prioribus  libris  tribus  adiecerit  quartum  et  qua  ratione  ipsius  libri 
quarti  argumentorum  ordinem  exeogitaverit      Diss.  Erlangen  1897. 

Eine  ziemlich  dürftige  und  mit  nicht  genügender  Kenntnis  der 
einschlägigen  Literatur  verfaßte  Abhandlung.  Das  4.  Euch,  zu  welchem 
ursprünglich  weder  das  4.  noch  das  8.  Kapitel  gehören,  ist  nicht  gleich- 
zeitig mit  den  3  ersten  entstanden,  sondern  später,  aus  einem  nicht  mit 
Sicherheit  festzustellenden  Grunde  von  Xen.  hinzugefügt;  vielleicht  mit 
Rücksicht  auf  andere  Sokratiker,  die  ebenfalls  über  Sokr.  geschrieben 
hatten,  oder  weil  er  das  in  den  3  ersten  Büchern  gegebene  Bild  des  Soki*. 


Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1S99-  1902.  (Richter.)       61 

vervollstaüdigen  wollte,  —  Sokr.  als  Lehrer.  Vgl.  über  die  Diss.  von 
Kimmich  im  vorigen  Jahresbericht.  Im  übrigen  ist  Schurr  ein  Gegner 
der  Interpolationstheorie  und  hält  die  Mem.  im  wesentlichen  für  intakt. 
Zum  Schluß  gibt  er  eine  Disposition  des  4.  Buches. 

C.  Hude,  Nord.  Tidsskr.  VI   1898  S.   155  zu  Mem.  11  3,   17 
handelt    über    die   Konstruktion    und    Deutung    der   Worte  ti  7ap  i'XXo 
f.   xivouvc'Jdiic  e7:t6£i;at  cjo  (asv  ypr,Tr6;   .   .   .  eivai   .   .    . 

E.  Roseuberg,  Xeuophous  Memorabilien  cap.  1  und  II  in  ihren 
Beziehungen  zur  Gegenwart.  Neue  Jahrbb.  f.  kl.  Alt.  1899  S.  94 
—  104. 

Ein  zunächst  zwar  nur  für  Zwecke  des  Unterrichts  geschriebener, 
aber  doch  auch  hier  zu  erwähnender  inhaltsvoller  und  lesenswerter 
Aufsatz. 

Ähnliches  gilt  von  der  folgenden  Arbeit 

P.  Dörwald,  Gliederung  von  Xenophons  Memorabilien  I  1  und  2. 
Lehrproben  und  Lehrgänge  aus  der  Praxis  der  Gymnasien  etc. 
Halle  1899.     Heft  58  S.  86  f. 

Eine  bis  ins  einzelnste  gehende  „Analyse"  dieser  Kapitel  (ohne 
Eingehen  auf  irgendwelche  kritischen  Streitfragen). 

M.  Wetze],  Haben  die  Ankläger  des  Sokrates  wirklich  behauptet, 
daß  er  neue  Gottheiten    einführe?     Gynin.-Progr.  Braunsberg  1899. 

W.  sucht  nachzuweisen,  daß  das  Wort  oaifioviov  in  der  Anklage- 
schrift nicht  substantivisch,  sondern  adjektivisch  zu  verstehen  sei,  die 
Anklage  also  gelautet  habe,  Sokr.  habe  neue  göttliche  Dinge,  eine  neue 
Art  der  Mautik  eingeführt.  In  diesem  adjektivischen  Sinne  sei  das 
Wort  auch  von  Plato  überall,  wo  er  von  dem  sokratischen  Dämouium 
spreche,  gebraucht.  Die  jetzt  meist  herrschende  Auffassung  des  Wortes 
oaifiovtov  ais  Gottheit  gehe  zurück  auf  ein  Mißverständnis  Xenophons. 
Sokrates  selbst  sage  in  seiner  Verteidigungsrede,  die  im  wesentlichen 
in  der  sog.  xenophontischen  Apologie  enthalten  sei  (W.  hält  also  diese 
für  echt),  §  12:  er  nenne  das,  was  ihm  Zeichen  gäbe,  göttlich  (für 
etwas  Göttliches).  Eben  diese  Stelle  habe  nun  Xen.  mißverstanden  und, 
wie  aus  Memor.  A  1,  3  ersichtlich,  oat|j.oviov  als  „Gottheit"  aufgefaßt 
und  sei  hierin,  wenn  auch  zunächst  seine  Deutung  nicht  überall  durch- 
gedrungen sei,  dennoch  für  die  Folgezeit  maßgebend  gewesen,  besonders 
seitdem  Plutarch  die  xenophontische  Deutung  sich  zu  eigen  gemacht 
und  das  oaijxoviov  für  einen  „Schutzgeist"  erklärt  habe.  Erst  Schleier- 
macher habe  die  adjektivische  Bedeutung  wieder  zu  Ehren  gebracht, 
habe  damit  aber  nicht  überall  Anklang  gefunden. 


62        Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1899—1902.  (Richter.) 

M.    Wetzel,    Die    Apologie    des    Xenophon.      Neue    Jahrbb.   f. 
kl.  Alt.   1900  S.  389  f. 

W.  sucht  die  Einwendungen  von  Kaibel  und  vor  allem  von 
U.  V.  Wilamowitz  zu  widerlegen  und  spricht  sich  für  die  Echtheit  der 
Schrift  aus,  die  die  Hauptgedanken  der  wirklichen  Verteidigungsrede 
des  Sokrates  in  schlichter  Weise  wiedergebe,  im  wesentlichen  nach  dem 
Bericht  des  Hermogenes.  —  Später  entstand  die  rein  tlktive  platonische 
Apologie.  Als  Xenophon  diese  kennen  gelernt  und  noch  andere  ähn- 
liche Schriften  gelesen,  entschloß  er  sich,  selbst  eine  Rechtfertigung 
des  Sokr.  zu  schreiben,  wofür  er  nun  u.  a,  seine  eigene  sog.  Apologie 
benutzte.  So  entstanden  die  Memorab.  und  zwar  zuerst  A  1  und  2, 
1 — 8.  62—64.  A  8,  später  sah  er  sich  veranlaßt,  mehrfach  Ein- 
schiebungen  vorzunehmen.  —  Ich  habe  mich  früher  ebenfalls  für  die 
Echtheit  der  „Apologie"  und  für  die  von  W.  angegebene  Reihenfolge 
der  genannten  xeuophontischen  Schriften  ausgesprochen;  warum  aber 
mit  der  Echtheit  die  Glaubwürdigkeit  zusammenhängen  soll,  sehe  ich 
vorläufig  noch  nicht  ein.  Ich  halte  die  Apologie  in  demselben  Grade 
für  fiktiv  wie  die  platonische. 

0.  Im  misch.  Die  Apologie  des  Xenophon.  Ebda.  S.  405 
sucht  durch  Hervorhebung  gewisser  sprachlicher  und  stilistischer  Eigen- 
tümlichkeiten (lonismen),  die  nur  dem  Xen.  zugeschrieben  w-erden 
könnten ,  die  Echtheit  der  Schrift  zu  erweisen.  „Man  müßte  sonst  ein 
Raffinement  der  Stilnachahmung  annehmen,  das  für  so  frühe  Zeit  wenig 
wahrscheinlich  ist."  Als  eigentlich  „historischer"  Bericht  freilich  sei 
damit  dieser  Bericht  des  Hermogenes-Xenophon  noch  keineswegs  er- 
wiesen. 

Fr.    Beyschlag,    Die    Anklage    d«s    Sokrates.      GjMuu.-Progr. 
Neustadt  a.  d.  H.  1900. 

B.  sucht  die  Darlegungen  von  Schanz  in  seinem  Kommentar  zur 
platonischen  Apologie  als  irrig  zu  erweisen.  Der  Wortlaut  der  Anklage 
liegt  nach  B.  authentisch  in  den  Memor.  vor  und  wird  bestätigt  durch 
die  als  echt  in  Anspruch  genommene  Urkunde  bei  Favorinus.  Sie 
weist  deutlich  zwei  gesonderte  Auklagepunkte  auf  —  Glaube  und 
Lehre,  djeßsta  und  politische  Umtriebe  — ,  was  auch  in  der  im  übrigen 
wahrscheinlicli  unechten,  jedenfalls  später  als  die  Memor.  verfaßten 
sog.  xenophontischen  Apologie  hervortritt.  Der  Hintergrund  der  An- 
klage ist  im  letzten  Grunde  ein  politischer,  die  religiöse  Außenseite 
dient  ihr  nur  als  Deckmantel.  Plato  hat  den  in  der  Klage  mit  unter- 
laufenden politischen  Charakter  des  Vorgehens  gegen  Sokr.  absichtlich 
seinem  Inhalt  nach  unterdrückt  und  gibt  ihm  nur  indirekt  Ausdruck; 
indem  er  das  Thema  der  zu  widerlegenden   politischen  Punkte    inhalt- 


Bericht  üb.  d.  Xeuuplion  betreffenden  Sciiriften,  1899-1902.  (Richter.)        63 

lieh  allenthalbeu,  uach  seiner  formalen  Seite  an  manchen  Stellen  fallen 
läßt,  vereinfacht  er  sich  den  historischen  Kern  der  Klage,  um  sich 
damit  ihre  Widerlegung  zu  erleichtern. 

A.  Körner,  Zu  Xen.  Mem.  I  2,  1.   Blätter  f.  d.  bayerische  öymn.- 
Schnlwesen   19U0  S.  412. 

Ba'j[JtaaTov  0£  'f'xi/zxT.i  jxoi  xai  xo  TistJil^vai  xivac,  «o;  ü(uxp'iT/);  to'j; 
veou;  ot£cpilx'.(i£v.  U  streicht  -ivac,  weil  Xen.  hier  die  Gesamtheit  der 
Athener  im  Auge  habe  und  nicht  eine  Minderheit  (wie  schon  I  1,  1 
'AÖYivaiou;).  Als  Subjekt  zu  -stj&r^vat  ist  zu  denken  'ASlrjvaioy;,  das  aus 
dem  kurz  vorhergehenden  'AÖTjvaioi  leicht  zu  entnehmen  ist. 

A.  Kömer,  ebenda  S.  640,  Zu  Xen.  Mem.  I  2,  58. 

Nach  einer  Klage  über  die  Rückständigkeit  der  Exegese  der 
Mem.  verteidigt  K.  Xen.  gegen  den  ihm  neuerdings  gemachten  Vor- 
wurf der  Willkür  im  Zitieren.  Die  an  der  genannten  Stelle  von  Xen. 
angeführten  Homerverse  (B  188  f.)  hat  Sokr.  selbst  ausgewählt,  weil 
er  für  seinen  Zweck  eben  nur  sie  brauchen  konnte;  Xen.  jedenfalls  hat 
nichts  davon  „weggeschnitten*.  —  Weiter  sucht  R.  zu  zeigen,  daß  Xen. 
in  dem  ganzen  Kap.  2  (§  9  ff.)  von  Polykrates  unabhängig  ist;  sein 
xa-cTj-^opoc  bringt  ganz  andere  Dinge  vor  als  Polykr.  (vgl.  fragm.  221 
bei  Sauppe  orat.  att.). 

K.  Lincke,  Miscell.  Phil.  59  1900  S.  190 

empfiehlt  von  neuem  seine  Konjektur  —  zu  I  1,2  —  «5'  äp  oj;  'paiY)  für 
■/dp  (L?  cpaiY]  und  streicht  ib.  §  7  als  Interpolation  die  Worte  xal  xou? 
jjiiXXovtaf  —   TtpoaSeiadai. 

0.  Siesbye,  Nord.  Tidsskr.  VIII  1900  S.  100 

teilt  aus  einem  Briefwechsel  mit  Christensen  Schmidt  aus  den  Jahren 
1872 — 93  eine  Besprechung  der  Stelle  Mem.  III  6,  4  w«  av  tots  axoTtüiv 
mit.  Es  handelt  sich  darum,  ob  tote  bedeuten  kann  „damals  zuerst" 
—  vgl.  Mem.  III  6,  11  Anab.  VII  7,  14  u.  a.  — ,  oder  ob  mit  Hartmann 
zu  schreiben  ist  (Lj  upüJTov  tote  axoTCoiv. 

Ch.  M.  Gloth  and  M.  Fr.  Kellogg,  Index  in  Xenophontis  Memo- 
rabilia.     Ithaca.     New  York  1900. 

Eine  tieißige  und  für  statistische  Zwecke  recht  brauchbare,  aber 
rein  äußerliche  alphabetische  Zusammenstellung  sämtlicher  in  den  Mem. 
vorkommenden  Worte  und  Wortformen,  ohne  irgendwelchen  verbindenden 
Text.  Zugrunde  gelegt  ist  die  Ausgabe  von  W.  Gilbert  (1895),  doch 
sind  die  variae  lectiones  mit  berücksichtigt. 

K.  Joel,  Der  echte  und  der  xenophontische  Sokrates.  2.  (Schluß-) 
Band  in  2  Hälften.     Berlin  1901. 


64       Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1899—1902.  (Richter.) 

Der  erste  Band  von  Joels  Werk,  der  1893  erschien,  erregte  großes 
Aufsehen    und    im    ganzen    weit    mehr    Widerspruch    als    Zustimmung. 
Handelte  es  sich  doch  für  die  meisten  Leser  darum,  mit  altgewohnten, 
liebgewordenen  Anschauungen  über  Sokrates  und  seinen  treuen  Schüler 
Xeuophon  zu  brechen.     (Vgl.  den  letzten  Jahresber.  S.  73  f.)     Die  in 
diesem    ersten  Baude  in  Angriff  genommene  Neuauffassuug  Piatos  und 
Xenophons  ernstlich  zu  begründen,  die  Auffassuug  der  Sokratik  umzu- 
schalten aus  einer  historischeu  in  eine  literarische,  ist  die  Hauptaufgabe 
des  vorliegenden  Scblußbaudes.  (Eitil.  S.  VI.)  —  Es  gibt,  beißt  es  dort 
weiter,  „kein  Verstehen  Piatos  und  Xenophons  ohne  Antisthenes.    Denn 
Plato    (in    vielen  Schriften)    ohne  Antisthenes    verstehen,    heißt    einen 
Kämpfer,    einen    Gesprächspartner    ohne    den    andern    verstehen,    und 
Xenophon  ohne  Antisthenes  begreifen,    heißt    zumeist  die  Kopie   ohne 
das  Original  begreifen."  —  Bei  dem  außerordentlichen  Umfang,  den  das 
Werk  gewonnen  (1136  Seiten),    und    bei  der  ungeheuren  Fülle  des  in 
ihm  verarbeiteten  Materials  ist   es,    noch    mehr  wie  bei  Bd.  I,    ausge- 
schlossen, hier  auf  geringem  Raum  darüber  in  adäquater  Weise  zu  be- 
richten oder  gar  zu  kritisieren.    Ich  muß  mich  daher  begnügen,  zur  all- 
gemeinsten Orientierung  einige  Ergebnisse  des  Joelscheu  Buches  hervor- 
zuheben,   die    für  Xenophon   von  Wichtigkeit  sind.     (Joel'  selbst  legt 
auf  den  Ertrag  für  Plato   das  gleiche  Gewicht  wie  auf  den  für.  Xeuo- 
phon.) —  Danach  erscheint  nun  Xenophon  philosophisch  im  ganzen  wie 
im  einzelnen  fast  völlig  abhängig  vom  Kynisnius;  aus  fast  allen  seinen 
Werken  klingt    das  Echo   ky nischer  Schriften,    aus    den  Memor.  nicht 
minder  wie  aus  der  Kyrup.,  aus  dem  Symposion  wie  aus  dem  Agesilaos 
u.  s.  f.     Kynisch   sind    die  Idealbilder   Altpersiens    und  Altspartas  bei 
Xcn.,    kynisch    sind   die  Lehren,    in    denen  Xen.  eich  selbst  und  sein 
Ideal   wiedererkannte,    kj^nisch   die   Tugenden,    welche    er    preist    und 
empfiehlt,   kynisch  die  Helden,  die  in  seinen  Schriften  gefeiert  werden, 
Kyros,    Agesilaos,    vor   allem  Sokrates.  —  Auf  den  Kyniker  geht  die 
Heraklesfabel  (Mem.  B  1)  zurück,   Antisthenes  ist  es,  nicht  Antiphon, 
dessen  Protreptikos  lamblichos  für  seinen  Protr.  herangezogen  (und  den 
somit  Xen.  in  seinen  Charakteristiken  anab.  II  6,  16  benutzt  hat.    VgL 
oben  Sorof,    Nomos    und  Physis   in  Xen.s  Anabasis).  —  Spät  erst  hat 
Xen.  zur  Feder  gegriffen,   lange  nach  des  Sokrates  Tode,   als  Sokrates 
selbst  schon  eine  fast  mythische  Person  geworden  war.    Dieser  Sokrates 
ist  es,   nicht  der  historische,  sondern  der  literarisch -fiktive,   und  zwar 
wie  ihn  die  kynisch-antisthenische  Literatur  herausgebildet  hat,  den  wir 
in  Xen  s  Werken  kennen  lernen.  —  Nun   „rückt  auch  die  Bedeutung 
der  Memor.  in  ein  ganz  anderes  Licht.     Man   braucht  sich  nicht  mehr 
dagegen  zu  sträuben,  daß  sie,  die  doch  verteidigen,  fiktive  Dialoge  geben 
sollen".    Ja,    die  Mem.  sind  eine  Apologie,    aber  sie   verteidigen  den 


Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1S99— 1902.  (Richter.)       6,5 

kynischen  Sokrates,  auf  den  auch  Polykrates  mit  seiner  Anklageschrift 
gezielt  hat.  — 

Man  wird  aus  dem  Angeführten  wenigstens  soviel  entnehmen 
können,  daß  das  Joeische  Werk,  sei  es  durch  Erregung  des  Wider- 
spruches, sei  es  durch  Erweckung  des  Verlangens,  iu  dieser  Richtung 
weiter  zu  arbeiten,  ungemein  anregend  und  befruchtend  auf  das  Studium 
der  Sokratik  und  der  sokratischen  Schriftsteller  wirken  kann,  und  darin 
liegt  jedenfalls  ein  besonderer  Wert  des  Buches,  wenn  auch  viele 
seiner  Behauptungen  sich  als  zweifelhaft  oder  völlig  irrig  erweisen 
sollten.  Das  Buch  ist  nicht  leicht  zu  lesen,  und  es  sind  mir  auch  in 
deutscher  Sprache  nur  zwei  Rezensionen  bekannt  geworden,  eine  von 
A.  Döring,  Woch.  f.  klass.  Phil.  1901  S.  617  f.,  und  die  andere  von 
0.  Apelt,  Berl.  phil.  Woch.  1901  S.  865  f.,  die  sich  allerdings  beide 
ablehnend  verhalten. 

T.  Sinko.  Sokrates  i  Ksenofout.  Eos  (Leopoli)  1901  S.  145—153. 

Eine  polnische  Abhdlg.  Da  ich  der  Sprache  nicht  mächtig  bin, 
■  kann  ich  darüber  nicht  berichten.. 

H.  Richards,  On  the  Memor.  of  Xeu.    Class.  Rev.  1902  S.  270. 

Kritische  Bemerkungen  zu  24  Stellen.  Am  Schluß  sucht  R.  in 
etwas  ausführlicherer  Darlegung  zu  erweisen,  daß  das  Symp.  und  der 
Ökon.  nicht  abgesonderte  Teile  der  Memor..  sondern  selbständige  Werke 
seien,  daß  die  Mem.  im  allgemeinen  keine  bedeutenden  Interpolationen 
erlitten  und  im  ganzen  Xen.  selbst  für  den  jetzigen  Zustand  der  Schrift 
verantwortlich  sei  und  daß  drittens  der  Vokabelschatz  in  den  einzelnen 
Teilen  der  Mem.  im  wesentlichen  überall  derselbe  ist.  Auch  die  Form 
der  Darstellung  in  ß  1  (Herkules  am  Scheidewege)  geht  auf  Xen.  zu- 
rück, nicht  auf  Prodikos  oder  einen  andern. 

*A.  Menzel,  Untersuchungen  zum  Sokrates-Prozesse.  Wien  1902. 
Sitzungsber.  d.  k.  Akad.  zu  Wien.  Ist  mir  noch  nicht  zu  Gesicht  ge- 
kommen. Eine  längere  Besprechung  der  Arbeit  findet  sich  im  Lit. 
Ctrlbl.  1902  S.  333  von  Thumser. 

Oikouomikos. 

M.  Hodermann,  Xenophous  Wirtschaftslehre  unter  dem  Ge- 
sichtspunkte sozialer  Tagesfragen  betrachtet.  Gymn.-Progr.  Wernige- 
rode 1899. 

Die  Arbeit    verfolgt   zwar   in    erster  Linie  den  Zweck,    nachzu- 
weisen,    „daß    Xenophons    Ökonomikos    sehr    wohl    geeignet    ist,    der 
Schule  Material  zu  wirtschaftlichen  und    gesellschaftlichen  Belehrungen 
an  die  Hand    zu  geben,"    verdient  aber  wegen    ihres   sorgfältigen  Ein- 
Jahresbericht für  Altertumewissenschaft.    Bd.  CXVII.    (1903.    II.)  0 


i\Q       Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Scbriften,  1899—1902.  (Richter.) 

gehens  auf  einige  Hauptthemata  des  Ökon.  (Xenophcns  Urteil  über  den 
Beruf  des  Landwirts,  Aufgaben  nud  Stellung  der  Frau,  Verhältnis  der 
Herrschaft  zum  Gesinde)  auch  hier  eine  Erwähnung. 

Derselbe  Gelehrte  hat  auch  eine  Übersetzung  der  Schrift  in  der 
EeklamschenUniversalbibliothek  erscheinen  lassen,  vgl.  darüber  0.  Weißen- 
fels, Berl.  phil.  Woch.  1900  p.   134. 

Symposion. 

A.  Graf,  Ist  Piatons  oder  Xenophous  Symposion  das  frühere? 
Gym.-Progr.  Aschaffenburg  1898. 

G.  entscheidet  sich  mit  Recht  für  die  Priorität  des  platonischen 
Symposions.  Die  Gründe  freilich,  die  er  anführt,  werden  schwerlich 
jemand  überzeugen,  der  nicht  schon  aus  anderen  Gründen  dieser  An- 
sicht ist.  Die  Arbeit,  im  wesentlichen  eine  Polemik  gegen  Hug,  ist 
ohne  Bedeutung,  zumal  dem  Verf.  beinahe  die  gesarate  xenophontische 
Literatur  der  letzten  20  Jahre  unbekannt  ist. 

G.  Fahuberg,  de  Xenophonte  Piatonis  iraitatore.  Progr.  der 
Hansaschule  zu  Bergedorf  bei  Hamburg  1900. 

F.  untersucht  unter  diesem  verheißungsvollen  Titel  das  Verhält- 
nis der  beiden  Symposien,  wie  Graf  ohne  Kenntnis  fast  der  gesamten 
Xen.  Literatur  der  letzten  Dezennien.  Das  Ergebnis  ist,  daß  das 
xenophontische  eine  Nachahmung  des  platonischen  ist,  stellenweise  eine 
Kritik  enthaltend. 

J.  Bruns,  Attische  Liebestheorien  und  die  zeitliche  Folge  des 
platonischen  Phaidros  sowie  der  beiden  Symposien.  Neue  Jahrbb. 
1900  S.  17. 

"Wir  wissen  nunmehr,  schreibt  B.  p.  29,  dal]  Xen.  die  erotischen 
Schriften  Piatons  (Lysias,  Cbarmides,  Phaidros)  bis  zum  Symposion  ein- 
schließlich nicht  nur  kannte,  sondern  auch  literarisch  auf  das  stärkste 
von  ihnen  beeinflußt  ist.  —  Anknüpfungspunkte  zu  einer  polemischen 
Aussprache  bot  ihm,  wenn  auch  nicht  der  Phaidros,  so  doch  das  Symp. 
Und  zwar  glaubte  Xen.  gegen  die  Reden  des  Phaidros  und  Pausanias 
im  Symp.  polemisieren  zu  sollen,  und  es  ist  „schwer  begreiflich,  daß 
das  Verhältnis  je  anders  aufgefaßt  werden  konnte".  Gegen  diese  Reden 
isf  das  8.  Kap.  in  Xen.s  Gastmahl  geschrieben.  Xen.  führt  die  Liebe 
auf  ethische  Wertschätzung  zurück,  was  Plato  unbedingt  leugnete. 
Xen.  konstjuiert  einen  Eros  ohne  jede  Beimischung  sinnlicher  Emp- 
findungen, den  Plato  ebenso  strikt  in  Abrede  stellt  usw.  Es  sind 
Kardinalfragen,  in  denen  beide  aufeinander  stoßen.  Nur  aus  den  z.  T. 
sehr  komplizierten  Rückbeziehuugen  auf  die  platonischen  Liebesschriften 
ist  ein  volles  Verständnis  für  sein  Gastmahl  zu  gewinnen.    Er  hat  seine 


Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  ls;ni— 1902.  (Richter.)       (J7 

Theorie  dort  in  der  Sokratesrede  des  8.  Kap.  niedergelegt.  Xen.  denkt 
anders  wie  Plato. 

L.  Parmentier,    Xen.  Bauqnet    VI  7.    ßevue    de  linstruction 
publique  en  Belgique  1900  S.  244 

verteidigt  die  überlieferte  Lesart  i'vwUsv  [xe-;  76  ovte;  gegen  die  von 
den  meisten  Neueren  angenommene  Konjektur  -(t  uovtec 

J.    Jessen,    quaestiuncnlae    criticae    et    exegeticae.     Diss.  Kiel 
1901.  Zu  Xen.  Symp.  IV  29—32. 

J.  handelt  über  die  gegenseitige  Entsprechung  der  Satzglieder  iu 
diesen  §§  und  stellt  aus  Gründen  der  Korrespondenz  in  §  31  die  Worte 
IOC  eXsudepti)  —   s7:iÖY)|jLerv  hinter  7£-jf£VT][ia[. 

*P.  Cesareo,    i    due    simposi    in    rapporto    all'    arte    moderna. 
Palermo  1901 

kenne  ich  nnr  aus  der  ausführlichen  Kritik  von  O.  Weißenfels,  Berl. 
phil.  Woch.  1902  S.  387.  Danach  ist  es  eine  höchst  interessante,  mit 
umfassender  Kenntnis  der  einschlägigen  Literatur  verfaßte  Arbeit,  die 
aber  an  Xen.s  Symposion  kein  gutes  Haar  läßt.  Es  ist  auch  gar  nicht 
von  Xen.,  sondern  stammt  ans  der  1.  Hälfte  des  3.  Jahrh.  v.  Chr.. 
und  zwar  aus  den  Reihen  der  Feinde  des  Sokrates,  die  sein  Bild  zu 
verfälschen  suchteu.  Die  echten  Schriften  Piatos  und  Xenophons  sind 
darin  von  dem  Fälscher  nachgeahmt. 

H.  Richards,    Notes  on  the  Sj'mp".    of  Xen.    Class.  Rev.  1902 
S.  293 

kritische  und  exegetische  Bemerkungen  zu  4,  37.  45;  8,  1. 

Hieron. 

K.  Lincke,    Xenophons  Hieron    und    Demetrios    von    Phaleroa, 
Phil.  189S  S.  244. 

L.  hält  den  Hiero  nach  Inhalt  und  Form  für  unecht.  Der 
Dialog  erklärt  sich  unschwer  mit  Rücksicht  auf  die  politischen  Ver- 
hältnisse und  die  Kulturgeschichte  der  Stadt  Athen  zur  Zeit  seines 
Verfassers.  Der  Verf.  hat  die  Tendenz,  den  freien  und  auf  ihre  Freiheit 
eifersüchtigen  Athenern  zu  beweisen,  daß  sie  wohl  daran  taten,  sich  einem 
einzigen  Lenker  des  Staates  in  die  Arme  zu  werfen  und  ihm  ihre  Frei- 
heit zu  opfern.  Dieser  eine  ist  aber  kein  anderer  als  der  Phalereer 
Demetrios,  der  im  Jahr  317  im  Auftrag  Kassanders  die  Regierung 
Athens  übernahm.  Damit  wäre  denn  auch  die  Abfassungszeit  bestimmt; 
in  der  Form  verrät  der  Dialog  Übereinstimmung  mit  dem  —  gleichfalls 
unechten  —  Kap.  Meraor.  I  4. 

5* 


68       Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  189!>— 1902    (Richter.) 

Vgl.  Linckes  obenerwähnten  Aufsatz  über  die  Kyi'upädie.  Ich 
nniC  gestehen,  daß  ich  mich  trotz  der  interessanten  und  lebendigen 
Beweisführung  Linckes  nicht  von  der  Richtigkeit  seiner  Aufstellungei; 
überzeugen  kann.  Durch  so  einschneidende  Maßnahmen  entstehen 
m.  E.  nur  neue  und  größere  Schwierigkeiten. 

Joh.  Eudt,  Die  Quellen  des  Aristoteles  in  der  Beschreibung  des 
Tyrannen.     Wiener  Studien.     Wien.  1902  S.  1  f. 
spricht    auch    über    die  Quellen,    die  Xen.    für    den  Hiero  benutzt    zu 
haben  scheint.     Vgl.  den  Schluß  dieses  Berichtes.     S.  73. 

De  vectigalibus. 

Aem.  Pintschovius,  Xenophon  de  vectigalibus  V  9  und  die 
Überlieferung  vom  Anfang  des  phokischen  Krieges  bei  Diodor.  Gymn.- 
Progr.  Hadersleben  1900. 

P.  hält  die  Schrift  für  echt,  im  Sommer  355,  nach  Beendigung 
des  Bundesgeuossenkrieges  und  vor  der  Beraubung  der  delphischen 
Tempelschätze,  von  dem  damals  etwa  80jährigen  Xen.  verfaßt.  Zu 
dieser  Zeit  erschienen  —  oder  waren  zu  erwarten  —  Gesandte  des 
Philomelos  in  Athen,  und  gerade  die  Stelle  V  9  klingt  wie  „ein  Rat 
an  die  Athener  hinsichtlich  der  Antwort  au  diese  Gesandte,  jedenfalls 
bez.  des  Verhaltens  in  dieser  Angelegenheit".  Die  Thebaner  sind  es, 
von  denen  alles  Unheil  kommt,  sie  haben  selbst  Absichten  auf  Delphi. 
(P.  schreibt  mit  ausführlicher  Begründung  oTxtvej  .  .  .  y.aTaXafi.ßavsiv  3v 
Tis'ptuvio.)  Die  vorgeschlagene  Aktion  ist  direkt  gegen  die  Thebaner 
gerichtet.  Freilich  zeigt  sich  Xen.  mit  seinem  Rat  nicht  gerade  als  einen 
bedeutenden  Staatsmann.  —  Auf  den  übrigen  Inhalt  der  Abhandlung 
können  wir  hier  nicht  näher  eingehen;  vgl.  die  sehr  anerkennende  Rez, 
von  Hock,  Woch.  f.  klass.  Phil.  1900  S.  869. 

Agesilaos. 

S.  A.  Naber,  observationes  miscellaneae  ad  Plutarchi  vitas 
parallelas.     Mneraos.   1899. 

lu  diesen  obsprv.  kommt  N.  gelegentlich  auch  auf  Xenophon  zu 
sprechen,  so  besonders  bei  Agesilaos  (pag  305).  N.  sucht  nachzuweisen, 
daß  Plutarch  einen  vollständigeren  Text  des  xenophontischen  Agesil. 
vor  sich  gehabt  und  benutzt  habe,  als  uns  jetzt  vorliegt;  der  erhaltene 
Aj,'esilaos  des  Xen.  also  nur  ein  Auszug  ist. 

Stockmair,  Ist  die  Schrift  Agosilaos  ein  Werk  Xenophons? 
Gymn.-Progr.  von  Görz.   1900 

kommt  zu  dem  Ergebnis,  daß  der  Ages.  „aller  Wahrscheinlichkeit  nach" 
nicht  ein  Werk  des  Xenoph.  ist. 


Bericfatüb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1899-1902.  (Richter.)       69 

Hippurchikos  und  de  re  e<iue8tri. 

Von  beiden  Schriften  liegen  nene  kritische  Ausgaben  vor. 

Xenophontis  Hippavchicus    sive    de    magistri   equitum  officio  reo. 
Pins  Cerocchi.      Berlin,    Weidmann,    MCMI.     (Die    praefatio    ist 
datiert  Kom  Septbr.  1899.) 
enthält  Text,    kritischen  Apparat,    einen  appendix  variaruni  lectionum 
et  coniecturaruni  und  einen  index  verborum. 

Als  Vorarbeiten  hierzu 

P,  Cerocchi,    Prolegomena   ad  Xen.  Hipparchicum.     Stud.  ital. 
VI  1898  S.  471  sq. 

P.  Cerocchi,  Animadversiones  criticae  ad  Xen.  Hipp.  ibid.  VIII 
1900  S.  73  sq. 

In  den  Prell.,  deren  Endergebnis  kurz  in  der  praefatio  der  Aus- 
gabe angeführt  ist,  handelt  C.  von  der  handschriftlichen  Grundlage  der 
Schrift.  Die  beste  der  19  in  Betracht  kommenden  Handschriften,  die 
C  sämtlich  neu  verglichen  hat,  ist  der  Vat.  989  saec.  XIV  -  15.  Nach 
diesem  ist  der  Text  konstituiert.  Die  übrigen,  die  alle  aus  einem  ver- 
lorenen, lückenhaften  und  vielfach  verderbten  Archetypus  herstammen, 
sind  nur  herangezogen,  wenn  in  B.  offenbare  Fehler  vorlagen.  Die 
Zeugnisse  der  alten  Schriftsteller  (Pollux  u.  a.)  bieten  keine  Hilfsmittel. 
In  der  Annahme  von  Konjekturen  ist  C.  vorsichtig.  Für  die  genauere 
Kenntnis  des  Vat.  989  verweist  er  auf  Pierleoni  Stud.  ital.  V  p.  26  sq. 
und  Rühl  (Fleck.  Jahrb.  1891  p.  53),  dessen  Ansichten  über  die  Hss 
im  übrigen  als  irrig  zurückgewiesen  werden  (vgl.  den  letzten  .Jahres- 
bericht pag.  84).  —  Die  animadv.  enthalten  Bemerkungen  zu  11  Stellen, 
Vorschläge  resp.  Verbesserungen,  die  in  der  kritischen  Ausgabe  ver- 
wendet werden.  Es  handelt  sich  meist  um  Hinzufügung  kleiner  Worte 
(av.   T£,  ov,   r^). 

Vgl.  TVoch.  f.  klass.  Phil.  1901  p.  1278  (Gemoll,  der  allerlei  an 
der  neuen  Ausgabe  auszusetzen  hat)  und  Berl.  phil.  Woch.  1902  p.  353 
(Nitsche,  der  den  Fleiß  und  die  richtige  Methode  anerkennt). 

Xenophontis  de  re  equestri  libellus  rec.  Vincentius  Tommasini. 
Berlin,  Weidmann,  1902, 
eingerichtet  wie  der  Hipp,  von  Cerocchi,  mit  der  Vorarbeit 

Tomraasini,  Prolegomena  ad  Xen.    libellum    de  re  equ.     Stud. 
ital.  X  1902. 

Der  Text  beruht  im  wesentlichen  auf  den  beiden  Hss  A 
(=  Viudobon.  IV  37  saec.  16)  und  B  (Vat.  graec.  989  saec.  14),  die 
übrigen  18  Hss,  die  ebenso  wie  die  zum  Hipparch.  in  4  Familien 
zerfallen,  sind  nur  aushilfsweise  verwendet  worden. 


70       Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1890—1002.  (Richter.) 

Nachzutragen  sind  hier  vor  allem  hoch  die  von  mir  in  meinem 
letzten  Bericht  auf  eine  unbegreifliche  Weise  übersehenen  äußerst 
interessanten  und  fruchtbaren  Untersuchungen  E.  Oders 

De    Hippiatricorura    codice    Cantabrigiensi.     Rh.    Mus.    ol    1896 
S.  52 
mit  einem 

addendum  ad  Simonis  Atheniensis  fragmentum  ib.  S.  311 
und 

Anecdota  Cantabrigiensia  ed.  et  comm.  E.  Oder.  Progr.  des 
Friedrichs-Werderschen  Gymn.  in  Berlin  1896. 

In  seiner  Schrift  de  re  eq.  beruft  sich  bekanntlich  Xen.  wieder- 
holt auf  einen  gewissen  Simon,  der  über  denselben  Gegenstand  ge- 
schrieben habe.  Von  dieser  Simonischen  Schrift  hat  sich  ein  nicht  un- 
bedeutendes Fragment  in  dem  obengenannten  Codex  erhalten  und  ist 
zwar  bisher  nicht  ganz  unbeachtet  gewesen  (hrsg.  z.  B.  von  Blaß  in 
einem  wenig  zugänglichen  Buche  „Über  miscellaneus  ed.  a  societate 
philologica  Bonnensi.  Bonn  1864),  hat  aber  doch  bei  weitem  nicht 
die  verdiente  Beachtung  gefunden.  Dieses  Fragment  nun  hat  Oder  in 
der  erstgenannten  Abhandlung  nach  eigener  Kollation  der  Hs  neu 
herausgegeben  und  zeigt  in  der  zweiten,  wie  Xen.  in  seiner  Schrift  von 
Simon  abhängt,  ferner  daß  diese  Schilderung  eines  guten  Pferdes' durch 
Simon  und  Xenophon  durch  das  ganze  Altertum  festgehalten  wird  und 
von  deu  Spätem  (Varro,  Vergil,  Columella,  Nemesian,  Oppian  usw.) 
ausgeschrieben  ist.  — 

Kynegetikos. 

E.  Norden,  Die  antike  Kuustprosa.     Leipzig  1898.     S.  431. 

„DasProömium  des  pseudoxenophontischen  Kynegetikos."  N.  ist 
überzeugt,  daß  der  Kyn.  nicht  von  Xen.  selbst  herrührt,  aber  doch 
aus  der  Zeit  Xen.s  stammt  und  schon  als  xenophontisch  in  die  alexan- 
drinischen  Kataloge  eingetragen  ist.  Das  Proömium,  dem  N.  eine  aus- 
führliche Besprechung  widmet,  ist,  wie  der  asianische*)  Stil,  in  dem 
es  verfaßt  ist,  beweist,  ein  Produkt  der  zweiten  Sophistik,  d.  h.  zur 
Zeit  des  Kaisers  Commodus  entstanden.  Arrian  hat  es  wahrscheinlich 
schon  gelesen. 

Dagegen  vermutet 

K.  Lincke,  Xenophons  persische  Politie.  Phil.  1901  S.  565  f. 
(vgl.  oben  S.  56), 


"')  Daß  die  Einleitung  zu  Xen.s  Kyn.  von  einem  Rhetor  der  asianischen 
Schule  herstamme,  hatte  schon  H.  Usener  behauptet.  Götternamen.  Bonn 
1896  S.  158. 


Beriebt  üb  d.  Xenopbon  betreffenden  Schriften,  1899— 1902.  (Richter.)        71 

welcher  ebenfalls  in  dem  Proöinium  Spuren  asianischen  Stiles  erkennt, 
da(.l  es  in  die  Zeit  des  Anfacgs  dieser  Entwickelang  gehört,  daß 
es  eine  zeitgenössische  Nachahmung  des  Phalereers  Demetrius  ist. 
Denn  der  Asianismus  habe  seine  Wurzeln  in  dem  Athen  des  Demet. 
von  Phaleron  (p.  566).  Das  Jagdbuch  selbst  ist  wohl  eine  in  Xen.s 
Schule  in  Skillns  entstandene  Aibeit  seines  Sohnes  Gryllos,  das 
Proömium ,  sowie  überhaupt  die  Herausgabe  des  ganzen  Kyn.  ist  dem 
Enkel  Xenophon  zuzuschreiben. 

G.  Pierleoni,  De  fontibus,  quibus  utimur  in  Xcnophontis  Cyne- 
getico  recensendo.     Studi  ital.  di  til.  class.  VI   1898  S.  G5  f. 

Handelt  von  den  Autoren,  die  den  Cyneg.  nennen  resp.  exzerpieren 
(Arrian,  PoUux  etc.);  von  den  Handschriften,  von  denen  P.  selbst  7  zum 
erstenmal  kollationiert  hat,  und  von  den  Ausgaben,  die  am  Rande  vv. 
11.  aus  Hss  Laben.  —  Darauf  wird  das  Verhältnis  dieser  Codices  zuein- 
ander festgestellt.  P.  unterscheidet  2  Klassen ;  die  eine  hat  V  30  eine 
Lücke,  die  andere  ergänzt  sie  (aTsvYiv-Trepicpcpr)),  a  und  [1  ß  zerfällt  in 
2  Gruppen  etc.    Die  beste  Hs  ist  \V  (Vindob.  IV  37,  ol.  70,  saec.  16) 

Id.  ibid.  p.  407,  Xenophontis  Cynegetici  capita  II— III  rec.  G. 
Pierleoni. 

Eine  Art  Probe-Rezension  nach  den  oben  angegebenen  Psinzipieu. 
Enthält  Text,  kritischen  Apparat,  testimonia  scriptorum  und  einen  ap- 
pendix  variarum  lectioiium. 

J.  V.  Leeuwen,  Ad  Xenophontis  de  venatione  VIII  1.  Mnemos. 
1900  S.  435 
schlägt  vor,  zu  schreiben:  e'jxt  6e,  o-av  [xsv  e-tvitpr^  xal  tq  ßo'peiov  etc. 

H.  Jackson,  Xen.  Cyneg.  XII  6.  Journ.  of  Phil.  55  1902  S.  136 
schlägt  vor,  statt  der  Worte  o-.a  -co  |xt)6£v  in  einem  Wort  zu  schreiben 
6taTO[XTjoov  und  übersetzt  they  nevertheless  made  it  their  practice  to 
allow  hunters  to  cross  the  Standing  crops  in  pursuit  of  garae. 

Kurz  vor  Abschluß  des  Berichtes  geht  mir  noch  die  vollständige 
Ausgabe  des  Kyneg.  von  Pierleoni  zu,  eingerichtet  in  derselben  Weise 
und  in  demselben  Verlage  erschienen  wie  die  beiden  hippischen  Werke 
Xen.s  von  Cerocchi  und  Tommasini: 

Xenophontis  Cynegeticus  rec.  G.  Pierleoni.     Berlin  1902. 

Der  Text  beruht  auf  den  beiden  Hss  Vindob,  IV  37  und  Vatic. 
graec.  989,  welche  —  mire  inter  se  consentientes  —  auf  einen  Arche- 
typus zurückgehen.  Die  übrigen  Hss,  sämtlich  vielfach  verderbt  und 
interpoliert,  sind  wertlos  und  kommen  nicht  in  Betracht.  Eine  Ver- 
gleichung  mit  dem  Text  bei  Sauppe  (Tauchnitz,  Leipzig  1866,  ein  an- 
derer stand  mir  nicht  zu  Gebote),  zeigt  denn  allerdings  einen  bedeuten- 


72       Bericht  üb.  d.  Xenophon  betreffenden  Schriften,  1891»  -  li>02.  (Richter.) 

den  Unterschied.  —  Zu  bedauern  ist  m.  E.  der  hohe  Preis  der  neuen 
Ausgabe  (3  M.),  der  ihre  Benutzung  vielen  Jüngern  unserer  Wissen- 
schaft recht  schwer  machen  wird. 

Arbeiten  über  die  resp.  Laced.  und  resp.  Athen,  liegen  nicht  vor, 
so  bleibt  hier  nur  noch  zu  erwähnen 

H.  Richards,    The    minor  works  of  Xenophon.     Class.  Review 
1896—99. 

R.  hat  unter  diesem  Titel  an  genanntem  Ort  eine  Reihe  von  Auf- 
sätzen über  sämtliche  soj?.  kleineren  Schriften  Xen.s  veröffentlicht  (vgl. 
den  letzten  Jahresbericht),  die  neben  kritisch-exegetischen  Bemerkungen 
besonders  Beobachtungen  über  die  Sprache,  namentlich  den  Wortschatz, 
enthalten.  In  Bd.  13  1899  S.  342  führt  er  diese  Untersuchungen  zum 
Abschluß  und  stellt  das  Ererebnis  derselben  zusammen.  Danach  ergibt 
gicli  —  worauf  ich  selbst  schon  in  meinen  Studien  mit  Nachdruck  hin- 
gewiesen hatte  — ,  daß  die  Sprache,  der  Stil,  vor  allem  der  Wortschatz 
in  allen  diesen  Schriften  —  mit  Ausnahme  der  resp.  Ath.  —  derselbe, 
dem  Xenophon  eigentümliche  ist,  auch  in  dem  Schlußkapitel  der  Kyrup. 
und  der  Einleitung  zum  Kyneget.;  nichts  ist  in  ihnen  allen,  was  Xen. 
nicht  geschrieben  haben  könnte.  Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  sind 
sie  daher  alle  für  echt  zu  halten.  Die  gegen  ihre  Authentie  geltend 
gemachten  Gründe  sind  nicht  stichhaltig,  die  Annahme  irgend  welcher 
Unterschiebungen  unterliegt  den  größten  Bedenken.  Von  dem  Enkel 
Xen.  will  R.  ebensowenig  wissen,  wie  der  Verf.  dieses  Berichtes.  — ■ 
Ich  halte  die  sprachlichen  Beobachtungen  von  R.  für  recht  beachtens- 
wert und  bedauere  nur,  daß  sie  nicht  in  etwas  bequemerer  Art,  etwa 
als  Broschüre,  zugänglich  sind. 

Den  Schluß  mögen  wieder  diejenigen  Arbeiten  machen,  die  das 
Verhältnis  späterer  Schriftsteller  zu  Xen.  zum  Gegenstand  haben. 

P.    Krumbholz,    De    Ctesia    aliisque    auctoribus    in    Plutarchi 
Artaxerxis  vita  adhibitis.     Gymn.-Progr.  Eisenach  1889. 

K.  spricht  auf  S.  19 — 22  „de  Xenophonte  Plutarchi  auctore"  und 
zeigt,  daß  Plutarch  die  Anabasis  für  die  genannte  vita  benutzt  hat, 
vgl.  oben  S.  56. 

Th.  Büttner- Wobst,  Die  Abhängigkeit  des  Geschichtsschreibers 

Zonaras  von  den  erhaltenen  Quellen.    Commentationes  Fleckeisenianae. 

Leipzig  1890,  Teubner.    S.  136 

Bucht  u.  a.  eine  Benutzung  der  Kyrupädie  durch  Zonaras  zu  erweisen. 

R.  Dippel,    Quae   ratio  intercedat  inter  Xenophontis  historiara 

graecara  et  Plutarchi  vitas  quaeritur.     Diss.  Gießen  1898 

kommt    schließlich   zu   dem  Ergebnis,    daß  Plutarch    hauptsächlich    in 


Bericht  üb.  d.  Xenophoa  betreffenden  Schriften,  Ib'jy— 19Ui'.  (Richter.)       73 

seinem  Leben  des  Alkibiades  und  Agesilaos  die  Hellenicu  Xenophons 
unmittelbar  benutzt  hat;  duneben  freilich  auch  den  Theoponip  und 
Ephorus,  die  ihrerseits  selbst  wieder  von  Xen.  abhängig  sind. 

Vgl.  die  ausführliche  Rez.  von  M.  Pohlenz,  13erl.  phil.  WocIl 
1899  S.  579. 

U.  Imniisch,  Die  ^Apologie  Xenophons.  Neue  Jahrbb.  1900  S.  406. 
Vgl.  oben  S.  51  und  62. 

Joh.  Endt,  Die  Quellen  des  Aristoteles  in  der  Beschreibung  des 
Tyrannen.     Wiener  Studien.     Wien   1902.     S.  1  f. 

Aristoteles  hat,  wie  E.  zeigt,  in  der  Darstellung  über  die  Ty- 
raunis  die  ihm  vorliegende  Literatur  benutzt.  In  dem  Teile,  wo  er  über 
die  Erhaltung  der  Gewaltherrschaft  spricht,  konnte  er  Plato  zwar  nicht 
benutzen  —  doch  hatte  er  auch  auf  diesem  Gebiete  Führer,  dies  beweist 
der  Hiero  des  Xenophon  sowie  Stellen  aus  Euripides  und  Isokrates  usw. 
Endt  weist  die  zahlreichen  Beziehungen  der  aristotelischen  Politik  zu 
der  genannten  xenophontischen  Schrift,  aber  auch  zu  anderen,  nament- 
lich der  Kyrupädie,  nach  und  läßt  nur  zweifelhaft,  ob  der  Stagirite  Xe- 
nophon selbst  oder  etwa  eine  gemeinsame  Quelle  benutzt  hat.  Mir 
scheint  der  Annahme,  daß  Aristoteles  die  xenophontischen  Schriften  ge- 
lesen, nichts  entgegenzustehen.  Allerdings  bleibt  dabei  die  Tatsache, 
daß  er  Xenophon  nicht  iieunt,  in  ihrer  ganzen  Bedeutsamkeit  bestehen. 
Für  uns  ist  die  interessante  und  jedenfalls  noch  recht  erweiterungsfähige 
Abhandluu<]j  noch  besonders  aus  dem  Grunde  von  Bedeutung,  weil  Endt 
darin  auch  vielfache  Beziehungen  zwischen  dem  Hiero  und  Isokrates 
aufdeckt  und  damit  der  Quellenfrage  für  Xenophon  nahetritt.  Vgl. 
meine  Xenophonstudien  S.  145  f. 


Jahresbericht  über  Herodot  1898—1901 


J.  Sitzler 

in  Tauberbischofsheim. 


1.  Handschriften  und  Ausgaben» 

Die  Papyrusfunde  der  letzten  Jahre  waren  auch  für  Herodot 
nicht  ganz  ohne  Ertrag. 

B.  P.  Grenfell    and  A.  S.  Hunt,    The    Oxyrhynchos    Papyri. 
With  eight  plates.     London  1898 
bringen  als  Nr.  3  der  3.  Abteilung  Fragmeute  aus  Herodot  I  105  flg. 
und  I  76:  jedoch  sind  dieselben  nur  gering  und  für  die  Textkritik  ohne 
Belang. 

"Wichtiger  ist  der  folgende  Band: 

B.  P.  Grenfell  and  A.  S.  Hunt,  The  Amherst  Papyri.  Part  II. 
London  1901. 

Das  12.  Fragment  trägt  die  Unterschrift:  Aptotapyou  [tk  1:0] 
HpoooTou  a  Giiojxvrjixa.  Von  dieser  Schrift  des  berühmten  Grammatikers 
wußte  man  bis  jetzt  nichts.  Das  erhaltene  Stück  stammt  aus  dem 
3.  Jahrh.  n.  Chr.  und  ist  offenbar  nur  ein  recht  dürftiger  Auszug  aus 
dem  ursprünglichen  Werke;  denn  von  1194:  ovoj  Cu>?  es^iv  (sie)  springt 
es  über  auf  215:  ä'viTrnot.  Übrigens  sind  diese  beiden  Stellen  bemerkens- 
wert; Ctu»  ist  die  Lesart  von  R,  und  die  Bemerkung  zu  215  lautet 
oviTC7:[oi  •  oujyi,  [aXJXa  afxiTiTcoi,  eine  andere  Lesart,  wie  Bekk.  anecd. 
p.  205  zeigt,  worauf  die  Hrsg.  verweisen.  Nach  dieser  Probe  zu 
schließen,  kann  man  den  Verlust  des  aristarchischen  Kommentars  nur 
bedauern. 

An  neuen  Auflagen  ist  zu  erwähnen: 

Herodotos  erklärt  von  H.  Stein.  I.  Band.  1.  Heft.  Buch  1, 
6.  Auflage.     Berlin  1901. 

Die  Einleitung  über  Herodots  Leben  und  Werk  ist  vielfach  be- 
richtigt   und    vervollständigt;    besonders    ist   ein   neuer  Abschnitt  (31) 


JaLresbeiicht  über  Herodot  ISO.S-  1901.     (Sitzler.)  75 

über  die  in  die  Erzählung  oingelegten  Reden  und  Gespräche  hinzu- 
gekommen. Die  Darlegungen  über  den  Dialekt  des  Geschichtsschreibers 
sind  vollständig  umgearbeitet.  Auf  diese  werde  ich  in  dem  Abschnitt 
über  Grammatik  zurückkommen;  hier  will  ich  nur  noch  einige  Ver- 
besserungen hervorbeben,  die  der  Text  des  1.  Buches  durch  die  wieder- 
liolte  Bearbeitung  des  tüchtigen  Herodotkenners  erfahren  hat. 

Kap.   49,   2:     7.ara   os    rr)v  'A[X(p'.ap£ti>    [toü   fi.avrr,iou]   u:i:oxp!3iv,    der 
sonstigen  Gewohnheit  des  Herodot  entsprechend.  —  65,  24  flg.:    [\iezk 

oi euTTiae  Auxoüp7o;] ,  offenbar  späterer  Zusatz,  der  nach  dem 

vorhergehenden  Satze  stört  —  67,  12:  s-efi-ov  aZ-zn  ff)v  i;  <^tXrfO'Ji 
Tov>  i^söv  e-£tp7)jofjL£vouc,  wie  es  scheint,  in  Anlehnung  an  VII  148,  wo 
aber  ~r^•^  fehlt-,  richtiger  wird  man  ttjv  I;  dsov  als  unnötigen  Zusatz 
ausscheiden.  —  82,  39:  xoixav  <£vo(xiaav>;  besser  Y.o\t.(ösi  st.  xojxäv; 
jedenfalls  richtig,  daß  xo|jl5v  nicht  von  vo^lov  sQevto  abhängen  kann.  — 
93,  1:  f;  A'joiT)  st.  7^  AuSiY),  das  Schäfer  in  ^rj  y)  Auoi'y]  änderte; 
Herodot  hat  nnr  Auoiy)  oder  fj  AuotVj.  —  144,  3:  ^üXadüovca;  aivw? 
fx.r,oa}j.o'jc  Ejoscaabat  st.  cpuXaTJovxai  «uv;  leichter  ist  cpuXaajovTai  <oc  fx.., 
wie  ich  unter  Verweisung  auf  Xenoph.  Anab.  VII  6,  22  vorschlug.  — 
150,  9:  TTonf]3avTcüv  oi  taüia  [üfxupvatujv],  wozu  bemerkt  wird;  üfiupvaicov 
ist  eine  alte  Kandergänzung  zu  -a  zK'-.la.  —  153,  19:  i-elys.  [t£]; 
richtiger  i-Ktiyt  tote.  —  194,  10:  aXXa  aanioo;  Tpojrov  xuxXoTEpEa  tto'.y^- 
(javTEs  xai  xaXa[XTf)c  TrXrjdavTE?  [ttäv  to  zAgIov  touto]  (Jirisrii  xara  töv 
rotaixov  ^spEjftai,  «popTituv  -XyjjavTE»,  was  wegen  der  beiden  -Xrjiavre; 
weniger  genügt.  Ich  vermute  -Xy^aav-E?  -av  t6  xoIXov  oyttu  (mit  Gom- 
perz)  airtEiJi  ....  cpoptituv  £;:ivr,3!zvT£; ;  ZU  cpoptiuiv  sTTtv^sai  vgl.  Aristoph. 
eccles.  838.  Im  übrigen  vgl.  meine  Anzeige  in  der  N.  Philol.  Rund- 
schau 1902  S.  265  flg. 


II.    Kritische  und  exegetische  Beiträge. 

1.    Text. 
Mit  der  Erklärung  und  Verbesserung  des  Textes  beschäftigen  sich: 

1.  M.  L.  Earle,  Encore  Herodote  I  86.  Rev.  phil.  1898  S.  182  flg. 

2.  J.  Keelhoff,  Encore  Herodote  186.  Rev.  phil.  1898  S.  304  Üg. 

3.  T.  G.  Tucker,  Herod.  II  8,  1.    22,  2.    25,  1.    39,  3.    78,  l. 
111,  3.  116,  1.  I  33.     Class.  Rev.  1898  S.  28  flg. 

4.  H.  Richards,  Herod.  IX  122.     Class.  Rev.   1898  S.  29. 

5.  G.  Selchau,  Zu  Herodot  (VII 144.  VIII  11.  IX  103).    Nord. 
Tidsskr.  f.  Filol.  VII  S.  122  flg. 

6.  0.  Siesbye,    Textkritische  und  exegetische  Bemerkungen  zu 
Homer,  Herodot  usw.     Nord.  Tidsskr.  f.  Filol.  VIII  S.  89  flg. 


76  Jahresbericht  über  Herodot  1898—1901.    (Sitzler.) 

7.  C.  Hu  de,  In  Herodotum  V  72.    Nord.  Tidsskr.  f.  Philol.  IX 
S.  112.     (IX  98.  101.     Ebenda  1897  S.  125.) 

8.  P.Petersen,  Ad  Herodotunn^VI  52.  VII  145.  1X14).    Nord. 
Tidsskr.  f.  Filol.  IX  S.  138  flg. 

9.  K.  Liucke,  Miscellanea  (Herod.  I  138.  VII  104),    Philol.  .J9 
S.  186  flg. 

10.  E.  Nestle,  Zu  Herodots  Erklärung  der  Namen  Darius  und 
Xerxes  (VI  98).     Berl.  phil.  Wochenschr.  1901  S.  1115  flg. 

11.  U.  V.  Wilamowitz,  Herod.  VII 178.  Nachr.  d.  kgl.  Gesellscb. 
der  Wissensch.  zu  Göttingen  1897  S.  325  Anm.  1. 

12.  E.  Schwartz,  Herod.  VIII  73.     Hermes  1899  S.  445. 
Von    den   geraachten  Vorschlägen    sind    folgende    erwähnenswert. 

Die  vielbehandelte  Stelle  II  22,  1 :  -/.(üc  uiv  or^-ua  (tioi  av  a-o  yiovoc  öltzo 
Twv  B£p[JLOTaTü)v  p£(uv  I?  toL  tj>u/poT£pa  Tüiv  Tri  zoXX«  £3X1  av8pi  ^E  Xo'^i^sffOai 
ToiouTcüv  T:£pt  o(m  t£  EovTt,  u)?  ouSs  oixoc  xtX.  wlJl  Tucker  durch  die 
Schreibung:  «j^u/poTspa;  xtuv  t'  «tto  o^Xa  esti  heilen.  Die  Anastrophe 
bei  duo  kommt  bei  Herodot  nur  II  6  vor,  und  x'  paßt  nicht.  Früher 
schlug  ich  7vcup.axa  st.  xöiv  xa  vor;  jetzt  glaube  ich,  daß  aujxßoXaia 
(vgl.  V  92,  7)  hinter  tcoXXoc  ausgefallen  ist,  und  lese  i{>u-/poxcpa;  xü>v 
xai  TToXXot  <iTup,p6Xaia>  sjxi  ....  eovti,  cuc  <te>-  ouoe  xxX.  —  II  39 
verlangt  derselbe  xoivt^  st.  y.s.vrq;  recht  ansprechend,  aber  vgl.  zu 
xecpaX?)  xEi'vr]  Kap.  40:  xotXir,v  xeivt)-/.  —  II  78  weist  Tucker  Sitctj/'jv, 
das  die  Hs- Klasse  a,  offenbar  als  Verschreibung  infolge  des  vorher- 
gehenden 7:/j-/uavov  bietet,  mit  Recht  zurück;  er  korrigiert  ot;:ouv,  wofür 
auch  oiTcXo'jv  der  Hs-Klasse  3  spricht.  —  VII  172  hat  man  vielfach  an 
ou  ßo'jXo[jL£voi  Anstoß  genommen,  das  Stein  für  ein  Versehen  st.  [jl9j 
ßouX6}jL£voi  erklären  möchte;  zur  Rechtfertigung  der  Überlieferung  ver- 
weist Siesbye  aufHom.  x  573:  oux  KlEXovxa.  Eur.  Androm.  382:  crou 
o' ou  d£Xou3rjc  xaT^avETv,  x6vo£  xx£v<T).  Thuk.  IV22:  ou  xuyo'vxEc  Demosth. 
XV  25  ou  oi'xaia  Troioüvxa.  —  VII  178  hat  die  eine  Hs-Klasse  ik>^,]i,  die 
andere  i>uiy)?,  bzw.  öuyjc;  danach  vermutet  Wilamowitz  ev  Suitjci, 
vielleicht  mit  Recht.  —  VIII  73  ist  überliefert  dpuoTituv  os  'Epixituy  xe 
xat  'AoivYj  f(  Tipos  Kapoa|j.uX7j  tq  Aaxtuvix/^.  Dies  bezeichnet  Schwartz 
mit  Recht  als  unhaltbar;  aber  was  er  für  möglich  hält:  'Aai'vY)  f,  irpöc 
<:x«)  xoXttu)  Tio  OoupiaxYjxi  (sie)  xai>  Kapoa[j.uX7)  r^  A.  ist  ebenso  unhalt- 
bar; denn  Kardamyle  ist  keine  Stadt  der  Dryoper. 

Zum  Schlüsse  nenne  ich  noch 

H.  M.  Blaydes,  Adversaria  in  Herodotum.     Halle  1901, 
ein  Buch,    in  dem  Altes  und  Neues,    Eigenes  und  Fremdes  in  bunter 
Fülle    geboten    wird,     unter  vielem  Überflüssigen  und  Unbrauchbaren 
findet  sich  auch  manches  Gute. 


Jahresbericht  über  Herodot  1S98— 1901.    (Sitzler.)  77 

2.    Grammatik  and  Lexikologie. 

Die  wichtigste  Frage  ist  hier  die  nach  dem  von  dem  Geschichts- 
schreiber angewandten  Dialekt,  über  welche  sich  die  Gelehrten  bisher 
immer  noch  nicht  einigen  konnten.  Die  einen  wollen  die  Sprache 
Herodots,  da  er  ja  ein  ionischer  Schriftsteller  sei,  nach  den  Inschriften 
ummodeln;  die  andern,  zu  denen  auch  ich  gehöre,  nehmen  für  Herodot 
dasselbe  Recht  in  Anspruch,  das  für  die  andern  Schriftsteller  gilt, 
nämlich,  dall  für  die  Feststellung  seiner  Sprache  die  hd.  Überlieferung 
maßgebend  sein  muß,  neben  welcher  den  Inschriften  nur  eine  unter- 
geordnete Bedeutung  zuerkannt  werden  kann. 

Mit  der  Erörterung  dieser  Frage  befassen  sich: 

1.  M.  Fuochi,  De  vocalium  in  dialecto  lonica  concursu  obser- 
vatiunculae.     Florenz  und  Rom  1899. 

2.  0.  Hoffmann,  Die  griechischen  Dialekte.  B.  Band:  Der 
ionische  Dialekt.     Quellen  und  Lautlehre.     Göttingen  1898. 

3.  A.  F ritsch.  Zur  Konstituierung  des  Herodotischeu  Dialekts. 
Verhandlung  der  45.  Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schul- 
männer in  Bremen  1899.    Leipzig  1900.    S.  158  flg., 

wozu  noch  H.  Stein  in  der  6.  Aufl.  des  1.  Buches  seiner  kommen- 
tierten Herodotausgabe  S.  LV  flg.  kommt. 

M.  Fuochi  hat  im  Jahre  1894  in  Studi  italiani  S.  209  flg.  eine 
inhaltreiche  Abhandlung:  De  titulorum  louicorum  dialecto  veröflfentlicht, 
vgl.  Jahresb.  Bd.  83  S.  49  flg.  Berücksichtigte  er  damals  nur  die 
Inschriften,  so  stellt  er  in  der  vorliegenden  Unlersuchang  das,  was  sich 
aus  den  Inschriften  für  die  Vokalkontraktion  im  Ionischen  ergibt,  mit 
den  entsprechenden  Lehren  der  Grammatiker  zusammen ,  um  zu  sehen, 
inwieweit  sie  miteinander  übereinstimmen  oder  voneinander  abweichen. 
Er  kommt  dabei  zu  dem  Ergebnis,  daß  sich  bei  den  Grammatikern 
viel  Unrichtiges  und  Verkehrtes  flnde.  Die  Anwendung  dieser  Sätze 
auf  Herodot  macht  er  nicht,  sondern  stellt  über  die  hd.  Überlieferung 
dieses  Schriftstellers  besondere  Studien  in  Aussicht. 

0.  Hoffmanns  groß  angelegtes  Werk  über  den  ionischen  Dialekt 
verfolgt  den  Zweck,  die  gemeinsamen  charakteristischen  Eigentümlich- 
keiten dieser  Mundart  klarzulegen.  Bis  jetzt  liegt  nur  die  eiste  Hälfte 
vor,  die  Quellen  (S.  1 — 212)  und  die  Lautlehre  (213—626)  umfassend; 
übrigens  teilt  H.  die  Quellen  nur  in  Auswahl  mit,  zunächst  die  In- 
schriften, dann  die  Dichter.  Bei  der  Bosprechung  der  Quellen  äußert 
er  sich  auch  über  die  hd.  Überlieferung  Herodots  (S.  187  flg.).  Sein 
auf  S.  208  flg.  entwickelter  Grundsatz  läßt  sich  kurz  dahin  zusammen- 
fassen,   wo  die  Texte  der  ionischen  Schriftsteller    im  Dialekt    mit    den 


78  Jahresbericht  über  Herodot  1S98— 1901.    (Sitzler.) 

Inschriften  nicht  übereinstimmen,  müssen  sie  nach  diesen  abgeändert 
werden.  Beifügen  will  ich  noch,  daß  11.  auch  die  herkömmliche  Drei- 
teilung des  ionischen  Dialekts  in  die  Mundart  Eubüas,  der  Kykladen 
und  der  kleinasiatischen  Dodekapolis  verwirft,  da  sie  einer  ausreichenden 
Begründung  ermangle;  auch  Herodots  Annahme  von  vier  Sprachgruppen 
io  der  Dodekapolis  läßt  er  nur  für  die  Volkssprache  zu ;  die  gebildeten 
Kreise  der  Dodekapolis  hätten  sich  hinsichtlich  der  Sprache  kaum  von- 
einander unterschieden. 

Von  ähnlichen  Voraussetzungen  ausgehend,  verlaugt  A.  Fiitsch 
im  Dat.  Sing,  der  I-Deklination  -st,  von  Xajxßavw  die  Formen  Xat|<o|xat 
nnd  EXatpörjv,  im  Femin.  der  Adj.  auf  u?  die  Endung  -sTa.  überall  Spiritus 
lenis  und  v  etpeXxua-cixov,  im  Genet.  Sing.  v£r|Vi(u  Ilaujaviw  Mapauw,  in  ypaco 
und  xp^o^»-*^  überall  tj  usw.  Diese  Änderungen  nahm  er  auch  in 
seine  bei  Teubner  in  Leipzig  im  Jahre  1899  erschienene  Schulausgabe 
der  Bücher  V— IX  auf,  gerade  als  ob  sie  schon  so  über  jeden  Zweifel 
erhaben  vpären,  daß  man  sie  sogar  in  die  Schulen  einführen  könnte. 

Wie  stellen  sich  nun  diese  Annahmen  zum  wirklichen  Sachverhalt? 
Wer  den  Herodot-Text  nach  den  ionischen  Inschriften  verbessern  und 
berichtigen  will,  der  muß  zuerst  den  zwingenden  Beweis  erbringen,  daß 
Herodot  ein  reines,  ungemischtes  Ionisch  schreiben  wollte  und  auch 
wirklich  geschrieben  hat.  Dieser  Beweis  ist  bis  jetzt  nicht  erbracht 
und  kann  auch  schwerlicii  jemals  erbracht  werden.  Die  Grammatiker 
überliefern  ausdrücklich,  daß  sich  urser  Geschichtsschreiber  einer 
{iEfjLqixEVY) ,  ttoixiXtj  'la?  bedient  habe,  vgl.  die  Zusammenstellungen 
bei  Bredov,  Quaest.  crit.  de  dial.  Herodotea  S.  4  flg.  oder  bei  Stein 
a.  a.  0.  S.  XL VII  flg.,  und  mit  diesen  äußeren  Zeugnissen  stimmen 
die  aus  dem  Geschichtswerk  selbst  entnommenen  überein.  Stein  hebt 
S.  LVIII  den  Lautwandel  von  naturlacgem  a  in  y),  das  Fehlen  des 
Spiritus  asper,  den  guttural  anlautenden  Pronominalstamm  xo,  den 
Diphthong  wu,  die  mit  t  anlautenden  Formen  des  Relativpronomens  o? 
und  die  vielfache  Offenhaltung  zusammenstehender  Vokale  als  besonders 
charakteristische  und  kritisch  sichere  Besonderheiten  der  herodotischen 
Sprache  hervor  und  zeigt,  daß  von  diesen  Besonderheiten  die  erste  auf 
den  Inschriften  der  drei  Gruppen  des  lonismus,  die  zweite  auf  den 
Inschriften  der  asiatischen  Dodekapolis,  die  vier  andern  auf  keiner 
ionischen  Inschrift  erscheinen.  Folgt  daraus  nicht  unwiderleglich,  daß 
Herodots  Sprache  von  dem  inschriftlich  bezeugten  ionischen  Dialekt 
verschieden,  mithin  keine  gesprochene  Mundai't,  sondern  eine  literarische 
Sprache  ist?  Und  dies  wird  noch  dadurch  bestätigt,  daß  sie,  wie  Steia 
S.  LlXflg.  nachweist,  mit  der  Sprache  der  ionischen  Dichter  und 
Prosaiker  des  7.  bis  5.  Jahrhunderts  v.  Chr.  in  den  oben  erwähnten 
sechs  charakteristischen  Merkmalen  übereinstimmt. 


Jahresbericht  über  Herodot  1S9S— 1901.    (Sitzler.)  79 

Man  siebt  aus  diesen  Darlegungen,  wie  gering  der  Wert  der 
ionischen  Inschriften  zur  Herstellung  der  wahren  Mundart  Herodots 
ist;  wichtiger  sind  schon  die  Literaturdenkmäler  der  ionischen  Schrift- 
steller der  alteren  Zeit;  die  Hauptsache  aber  ist  und  bleibt  die  richtige 
Verwertung  und  Ausnutzung  der  Hss.  Man  muß  sich  immer  gegen- 
wärtig halten,  wie  nahe  bei  der  Abschrift  und  Korrektur  des  Textes 
einerseits  die  Abirrung;  zur  gewöhnlichen  Form,  anderseits  die  Einsetzung 
einer  Analogieform  lag.  Wo  die  beiden  Hss-Klassen  hinsiclitlich  einer 
sprachlichen  Eigentümlichkeit  übereinstimmen,  ist  jeder  Zweifel  über 
deren  Kichtigkeit  ausgeschlossen;  Meinungsverschiedenheit  kann  nur  da 
entstehen,  wo  sie  voneinander  abweichen.  In  Fällen,  wo  berodotische 
Formen  gewöhnlichen  gegenüberstehen,  ist  den  ersteren  der  Vorzug  zu 
geben,  auch  wenn  sie  nur  au  einer  oder  ein  paar  Stellen  sicher  be- 
glaubigt sind.  Die  offenen  Formen,  die  sich  auch  bei  den  ionischen 
Dichtern  und  Prosaikern  linden,  hält  Stein  nur  für  graphisch,  nicht 
phonetisch  verschieden  von  den  zusammengezogenen.  Ich  glaube,  daß 
man  diese  Eigentümlichkeit  Herodots  richtiger  als  eine  Anlehnung  an 
das  Epos,  dessen  Einfluß  bei  unserem  Geschichtschreiber  nicht  zu  ver- 
kennen ist,  erklären  wird.  Das  v  e'f eXxüj-ixo'v  hat  Herodot  ohne  Zweifel 
gemieden;  nicht  zu  rechtfertigen  ist  aber  die  Einführung  des  Spiritus 
lenis  statt  asper  in  das  berodotische  Geschichtswerk,  trotzdem  die 
Psilosis  feststeht.  Will' man  Herodots  eigene  Schreibweise  herstellen, 
80  muß  man  Spiritus  und  Akzent  weglassen;  mag  man  sich  dazu  nicht 
entschließen,  so  muß  man  bei  der  Überlieferung  stehen  bleiben;  denn 
es  läßt  sich  nicht  beweisen,  daß  mit  dem  Schwinden  des  H-Lautes 
auch  der  Spiritus  asper  aus  der  Schrift  verschwinden  mußte;  das 
graphische  Zeichen  konnte  sich,  wie  wir  auch  tatsächlich  sehen,  erhalten. 
Mit  den  Impersonalien  beschäftigt  sich 

A.  Dießl,   Die  Impersonalien  bei  Herodot.     Progr.  Wien  1899, 

eine  Arbeit,  die  nur  als  Stellensammlung  Wert  hat.    Das  Thema  selbst 
ist,  was  der  Verf.  allerdings  nicht  weiß,  schon  von  A.  St.  Miodonski, 
De  enuntiatis  subiecto  carentibus  apud  Herodotum.    Diss.  Krakau  1886, 
eingehend  behandelt,  vgl.  Jahresb.  Bd.  58  S.  250  flg. 
Eine  tüchtige  Arbeit  über  den  Dativ  liefert 

R.  Helbing,  Über  den  Gebraucli  des  echten  und  soziativen 
Dativs  bei  Herodot.  Diss.  Freiburtr  1898  und  Der  Instrumentalis 
bei  Herodot.     Prcgr.  Karlsruhe  1900. 

Er  hat  das  Material  mit  großem  Fleiß  zusammengetragen  und 
dabei  auch  die  Überlieferung  und  die  neuere  Literatur  berücksichtigt. 
In  der  Anordnung  und  Auffassung  der  sprachlichen  Erscheinungen  folgt 
er  der  bewährten  Führung  Delbrücks.    Besondere  Anerkennung  ver- 


80  Jaliresberidit  über  Herodot  1808-1901.    (Sitzler.) 

dient  es,  daß  er  die  Sprache  Herodots  stets  mit  der  der  früheren  und 
späteren  Schnftsteller  in  Beziehung-  setzt,  so  daß  man  jederzeit,  darüber 
unterrichtet  ist,  welche  Stellung  der  herodotische  Sprachgebrauch  dem 
allgemeinen  Sprachgebranch  gegenüber  einnimmt.  Mit  den  Entscheidungen, 
die  der  Verf.  in  grammatischer  und  textkritischer  Hinsicht  fällt,  kann 
man  fast  immer  einverstanden  sein;  wenn  er  aber  IV  10  xo  6f|  fxoüvov 
IxTjXovK^aaabat  zf^  {xr^-pt  Sxufhjv  als  zusammenfassenden  AbschlnB  der 
ganzen  Erzählung  vorschlägt,  so  übersieht  er,  daß  rau-ra  rA  'EXXr|Vu>v  xrX. 
als  solcher  unmittelbar  folgt.  Mir  scheint  der  Satz  aus  einer  am  Rande 
nachgetragenen  Auslassung  nach  ETrixeXeaavT«  entstanden  und  an  un- 
rechter Stelle  eingeschoben  zu  sein;  ursprünglich  hieß  es  etwa:  emteXe^avTa, 
To  fi,7)yaviQaaaf)at  tt)v  jxrjTepa,  [jlouvov  xaTaiieivai  Iv  ty)  '/(upv).  Nachzutragen 
sind  oi}i,(u(:£tv  VII  159  und  dvtaa&at  IV  130  und  V  93;  beide  Wörter 
spricht  der  Verf.  dem  Herodot  ab, 

ITber  den  Unterschied  zwischen  dem  griechischen  Genetiv  und 
Dativ  auf  die  Frage  wann?  handelt  Chr.  Wirth  in  den  Blättern 
für  Gymnasial-Schulwesen  1898  S.  852  flg.  Er  faßt  das  Ergebnis  seiner 
Untersuchung  folgendermaßen  zusammen;  „Auf  die  Frage  wann?  setzt 
der  Grieche  den  Genetiv,  wenn  ein  anderes  Substantiv  als  Gegensatz 
gedacht  wird,  dagegen  den  Dativ,  wenn  das  nämliche  Substantiv  nur 
eben  mit  einem  andern  adjektivischen  Attribut  als  Gegensatz  gedacht 
wird."  Als  wichtigste  Beweisstelle  führt  er  Herod.  11  47  an;  IeXy^vtj 
6s  xai  /Atovuatp  [xouvotai  toü  auxoü  -/povou  xt]  «uxt^"  TravssXTQVfü  xoy»  uc 
t%aavxe?  Traxeovxat  xtov  xpstüv,  was  er  erklärt:  zur  nämlichen  Zeit  (im 
Gegensatz  zu:  an  dem  nämlichen  Ort)  an  dem  nämlichen  Vollmond 
(im  Gegensatz  zu:  an  verschiedenen  Vollmonden). 

M.  C.  P.  Schmidt,  Jahrb.  f.  Philol.  1897  S.  623  flg.  sucht  zu 
erweisen,  daß  xaxa  xi  ,.senkrecht  zu"  bedeuten  kann.  Zu  diesem 
Zweck  führt  er  auch  drei  Stellen  aus  Herodot  an,  nämlich  VII  176: 
loio[).-i]zo  o£  xeiyo?  xaxa  xauxac  xa;  IjßoXa;:  „im  rechten  Winkel  zur 
Paßstraße",  VII  216;  xsivet  r)  'Avouata  aZxr^  xaxa  pa/iv  xoü  oupeo?: 
-senkrecht  durchschneidet  der  Weg  den  Grat"  und  VII  36:  xoü  pisv 
riovxou  £7:ixap3iac,  xoü  oe  'EXXr)!j-6vxou  xaxa  poov:  ,,die  eine  Reihe  lief 
im  schiefen,  die  andere  Reihe  im  rechten  Winkel  zur  Strömung".  Ich 
kann  der  Erklärung  des  Verf.  an  keiner  der  drei  Stellen  beistimmen; 
VII  176  gibt  xaxa'  den  Ort  an,  wo  die  Befestigung  angelegt  ist,  VII 
216  den  Ort,  über  den  sich  der  Weg  hinzieht,  und  VII  36  steht  xaxA 
p6ov  wie  sonst:  nach,  parallel  der  Strömung. 


Jahresbericht  über  Herodot  1898—1901.     (Sitzler.)  81 

B.    Geschichte  und  Geograpliie. 

Die  Forschuuy  auf  dem  Gebiete  der  alten  Geschichte  und  Geo- 
graphie wurde  in  den  letzten  Jahren ,  durch  die  Ausgrabungen  an- 
geregt, mit  großem  Eifer  betrieben  und  führte  zu  glänzenden  Ergeb- 
nissen, die  auch  für  die  Erklärung  und  Beurteilung  Herodots  von 
Wichtigkeit  sind. 

Mit  der  Geschichte  Lydicns  beschäftigen  sich: 
*1.  J.  V.  Pra.^ek,    Lydiaca  I.     Die   lydischen  Mermnaden  und 
Herodot.     Ceske  Mus.  Filolog.  VI  S.  161  flg.  241  flg. 

1.  G.  Egelhaaf,  Der  Sturz  der  Herukliden  und  das  Aufkommen 
der  Mermnaden.  Vortrag,  gehaltoi  auf  der  40.  Philol.- Versammlung 
in  Strasburg  1901.     Wochcnschr.  f.  klass.  Philol.  1901  S.  1299  flg. 

3.  J.  Oppert,  H6rodote  et  l'orient  antique.  Mölauges  Weil. 
Paris  1898.     29.  Abhandlung. 

4.  C.  Niebuhr,  Einflüsse  orientalischer  Politik  auf  Griechenland 
'    im  6.  und  5.  Jahrhundert.     Berlin  1899. 

Egelhaaf  veisucht.  die  Vorgänge  bei  dem  Wechsel  der  lydischen 
Dynastie,  für  die  es  an  inschriftlichen  Zeugnissen  fehlt,  durch  eine 
soigfältige  Untersuchung  und  Prüfung  der  literarischen  Quellen  auf- 
zuhellen. Herodots  Berfcht  I  8  — 13  nennt  er  ein  Meisterwerk  einer 
charakterisierenden  Erzählung,  die  aber  so  vollständig  auf  des  Schrift- 
stellers Auffassung  von  der  Hj^'is  beruhe,  dal.l  sie  als  historische 
Unterlage  nicht  zu  verwerten  sei;  Justinus  I  7  beschränke  sich  darauf, 
die  herodotische  Vorlage  in  oberflächlicher  und  plumper  Weise  wieder- 
zugeben. Als  Ergebnis  seiner  Forschung  stellt  der  Verf.  fest,  1.  daß 
der  Thronwechsel  jäh  erfolgte ,  indem  der  letzte  Heraklide  durch 
Meuchelmord  fiel,  2.  dal.!  der  Mord  von  einem  dem  König  nahestehen- 
den Manne  («einem  Lanzenträger ")  ausging,  3.  daß  die  Königin  — 
wie?  ist  fraglich  —  bei  der  Sache  beteiligt  war  und  von  dem  Mörder 
zur  Ei'langung  einer  Art  von  Legitimität  geheiratet  wurde,  4.  daß  die 
Anhänger  der  Herakliden  sich  nicht  sofort  unterwarfen,  sondern  zn  den 
Waffen  griffen,  5.  daß  der  Krieg  zwischen  den  beiden  Parteien  durch 
einen  Schiedsspruch  des  delphischen  Orakels  beigelegt  wurde,  und 
6.  daß  dieser  Schiedsspruch  zugunsten  des  Usurpators  Gyges  ausfiel 
und  der  Grund  für  die  griechenfreundliche  Politik  der  neuen 
Dynastie  war. 

Nach  Herodot    regiert  Gyges    38  Jahre;    dies    kann    aber    nicht 

richtig  sein,    da  er  nach  einer    assyrischen  Inschrift  im  Jahre  663  an 

Sardanapal  eine  Gesandtschaft  schickte.    Daher  vermutet  üppert,  daß 

ihm  die  57  Jahre  gehören,    die  Herodot  dem  Alyattes  gibt.     Alyattes 

Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVII.    (1903.    II.)  6 


82  Jahresbericht  über  Herodot  1S98— 1901.     (Sitzler.) 

regierte  nach  dem  parischen  Marmor  49  Jahre,  also  die  Zeit,  die  bei 
Herodot  der  Regierung  des  Ardys  zugewiesen  wird.  Daraus  schließt 
Oppert,  daß  die  Angabe  der  Regierungsjahre  der  einzelnen  lydischeu 
Könige  bei  Herodot  in  Verwirrung  gekommen  sei ,  wenn  auch  die  Ge- 
samtsumme ihrer  Regierung  richtig  sei.  Er  selbst  ordnet  sie  folgender- 
maßen: Gyges  57  Jahre,  also  712—655  (bzw.  716—659),  Ardys 
38  Jahre,  also  655—617  (bzw.  659—621),  Sadyattes  12  Jahre,  also 
617—605  (bzw.  621—609),  Alyattes  49  Jahre,  also  605—556  (bzw. 
609—560),  Krösus  14  Jahre,  also  556—542  (bzw.  560  —  546). 

Niebahr  untersucht  im  1.  Teil  seiner  Schrift  das  Verhältnis  der 
kleinasiatischeu  Griechen  zu  den  lydischen  Herrschern.  Er  glaubt, 
daß  die  ersteren  von  den  letzteren  schon  viel  fiüher  unterworfen  wurden, 
als  Herodot  berichte.  Fehlen  schon  für  diese  Annahme  beweiskräftige 
Gründe,  so  ist  es  geradezu  unverständlich,  wie  der  Verf.  dazu  kommt, 
zu  behaupten,  der  Herod.  V  94  flg.  erzählte  Krieg  um  Sigeion  sei 
zwischen  Periander ,  dem  Oberherrn  von  Attika,  und  den  Lydiern,  den 
Herren  von  Lesbos,  geführt  worden.  Der  2.  Teil  der  Schrift  sucht  die 
Beziehungen  der  lydischen  Könige  zu  Delphi  zu  ermitteln;  aber  auch 
hier  fehlt  es  nicht  an  abenteuerlichen  Behauptungen,  So  meint  der 
Verf.,  die  von  Herodot  I  14  und  50  flg.  erwähnten  Weihegeschenke 
des  Gyges  und  Krösos  stammten  nicht  von  diesen  Königen,  Sondern 
seien  während  des  ionischen  Aufstandes  von  den  Alkmeoniden  —  den 
Herod.  V  97  genannten  Melanthios  hält  er  nämlich  für  einen  Alk- 
meoniden --  aus  dem  Tempel  der  Branchiden  bei  Milet  geraubt  und 
Dach  Delphi  gebracht  worden,  wo  sie  von  der  Priesterschaft  fälschlich 
als  Geschenke  jener  Herrscher  ausgegeben  worden  seien;  zur  literarischen 
Verbreitung  dieser  Legende  hätten  sich  die  Priester  des  Herodot,  der 
die  Interessen  des  delphischen  Heiligtums  nach  dieser  Seite  hin  ver- 
treten habe,  bedient. 

Die  Geschichte  der  alten  Phryger  berührt 

H.  Win  ekler,  Altorientalische  Forschungen.  2.  Reihe,  Bd.  H 
(1899)  S.  193—400.  Leipzig  1900  und  Die  Völker  Vorderasiens. 
Leipzig  1899. 

Er  identifiziert  den  Phrygerkönig  Midas  (Herod.  I  14  flg.)  mit 
dem  in  den  Siegesberichten  des  assyrischen  Eroberers  Sargon  erwähnten 
Mita,  König  der  Muski,  und  vermutet,  daß  die  indoeuropäischen  Phryger, 
die  von  Thrakien  nach  Kleinasien  einwanderten,  die  Moscher  über- 
wunden, die  alte  Heri'schaft  der  Hettiteu  gestürzt  und  dann  selbst  deren 
Stelle  eingenommen  haben. 

An  der  Spitze  der  Arbeiten  über  Assyrien  und  ßabyloniea 
verdient 


Jahresbericht  über  Herodot  ls;iS— 1^101.    (Sitzler.)  83 

M.  Jastrow,  The  religion  of  Babylonia  aud  As«yria.  Boston  1898 
genannt  zu  werden,  ein  Werk,  welches  das  gesarate  Religionswesen  der 
Assyrer  und  Babylonier  nach  dem  Stanrl  der  jetzigen  Forschung  zur 
Darstellung  bringt. 

Den  Fall  Ninives  bespricht 

Th.  Friedrich,  Festijabe  zu  Ehren  M.  Büdingers.  Innsbruck 
1898.  Zweite  Abhandlung, 
in  eigener  Weise.  Er  gehl  von  der  Vernintung  aus,  dalJ  der  Bach 
Choser  zur  Zeit  der  Blüte  des  assyrischen  Reiches  nicht,  wie  man  ge- 
wöhnlich annehme,  mitten  durch  die  Stadt  geflossen,  sondern  von  Sanherib 
in  einem  wohleingedämmten  Kanal  außerhalb  der  Stadtmauern  in  den 
Tigris  geleitet  worden  sei,  damit  ci-  durch  Überschwemmungen  keinen 
Schaden  in  der  Stadt  und  im  Palaste  anrichten  könne.  Trotzdem  habe 
dieser  Bach  einmal  bei  hohem  Wasserstande,  wie  aus  Nahum  2,  9. 
das  ein  vaticinium  ex  eventu  sei,  hervorgehe,  die  Dämme  durchbrochen 
und  die  Stadt  unter  Wasser  gesetzt.  Zu  gleicher  Zeit  habe  der  Blitz 
in  den  Palast  und  das  Zeughaus  geschlagen  und  diese  Gebäude  zerstört. 
Infolgedessen  sei  der  König,  der  seine  Residenz  nach  Chalah  verlegt 
habe,  nicht  mehr  imstande  gewesen,  dem  vereinten  Ansturm  der  Meder 
und  Babylonier  Widerstand  zu  leisten,  und  so  sei  Ninive  gefallen.  Es 
wird  kaum  nötig  sein,  diese  Hypothese  noch  ausdrücklich  als  unwalir- 
scheinlich  zu  bezeichnen;  die  Rolle,  die  dabei  dem  Zufall  zugewiesen 
wird,  die  Unhaltbarkeit  einer  solchen  Erklärung  und  Beziehung  von 
Nah.  2,  9  und  die  klare  Überlieferung  Herodots  I  106  hätte  sie  un- 
möglich machen  sollen. 

Zahlreich  sind  die  Arbeiten  über  Babylon,  wo  auf  Anregung 
der  deutschen  Orient-Gesellschaft  unter  der  Leitung  Koldeweys  Aus- 
gi'abungen  vorgenommen  werden.     Über  diese  berichten: 

1.  P.  Rohrbach,  Babylon.  Preuß.  Jahrb.  104,  2. 

2.  F.  Delitzsch,  Babylon.  Mit  einem  Plan  des  Ruinenfeldes. 
Leipzig  1899  und  Die  babylonische  Mauer  (Herod.  I  178).  Wochenschr. 
f.  klass.  Philol.  1900  S.  5.34. 

Rohrbach  weist  darauf  hin,  daß  Herodots  Angabe  über  den 
Umfang  Babylons  (I  178)  stark  übertrieben  sei;  deun  nicht  480  Stadien  = 
rund  90  Kilometer  betragen  die  Umfassungsmauern,  sondern  nur 
15  Kilou^eter  -^  rund  80  Stadien.  Dagegen  bewahiheitet  sich  nach 
Delitzsch  die  Angabe  des  Schriftstellers  über  die  Dicke  der  Mauer, 
die  sich  auf  80'  beläuft.  Herodot  (I  178)  gibt  50  königliche  Ellen  an, 
die  Elle  nach  Hultsch  zu  525  mm,  also  26,25  m  oder  87,50',  3  m 
zu  10'  gerechnet. 

Mit  der  Geschichte  des  Landes  befassen  sich: 

6* 


84  Jahresbericht  über  Herodot  1898-1901.    (Sitzler.) 

1 .  C.  F.  Lehmann,  Die  historische  Semiramis  und  Herodot. 
Beiträge  zur  alten  Geschichte.     Bd.  1  (1901)  S.  256  %. 

2.  J.  Oppert,  Herodote  et  l'orient  antique.  Melanges  Henri 
Weil.     Paris  1898.     29.  Abhandlung. 

3.  F.  H.  Weisbach,  Zur  Chronologie  des  falschen  Smerdis  und 
des  Darius  Hystaspea.  Zeitschr.  der  deutsch.  Morgenland.  Gesellschaft 
1897  S.  509  flg.  661  flg. 

4.  J.  V.  Prasek,  Forschungen  zur  Geschichte  des  Altertums  III, 
Zur  Chronologie  des  Kyros.   Zu  der  Behistün-Inschrift.  Leipzig  1900, 

5.  —  Die  ersten  Jahre  Dareios'  des  Hystaspiden  und  der  alt- 
persische Kalender.  Beiträge  zur  alten  Geschichte.  Bd.  1  (1901) 
S.  26  flg. 

6.  C.  F.  Lehmann,  Xerxes  und  die  Babylonier.  Wochenschr, 
f.  klass.  Philol.   1900  S.  959  flg. 

7.  E.  Meyer,  Forschungen  zur  alten  Geschichte.  Bd.  II.  Halle 
1899.  6.  Abb.:  Chronologische  Untersuchungen.  Die  Regierungs- 
zeiten der  persischen  und  der  spartanischen  Könige. 

8.  —  Geschichte  des  Altertums.  Bd.  III.  Das  Perserreich  und 
die  Griechen.  1.  Hälfte.  Bis  zu  den  Friedensschlüssen  von  448  und 
446  V.  Chr.  Stuttgart  1901. 

Lehmann  bezieht  den  Bericht  Herodots  (I  184)  über  die  baby- 
lonische Königin  Semiramis  auf  Samuramat,  die  auf  einer  Inschrift  aus 
der  Zeit  des  assyrischen  Königs  Adadnirari  III.  (812 — 783)  genannt 
wird.  Sie  scheint  eine  babylonische  Prinzessin  gewesen  zu  sein,  welche 
Adadnirari  nach  der  Unterwerfung  Babyloniens  heiratete,  um  dieses 
Land  fester  mit  Assyrien  zu  verbinden,  Ihr  zu  Ehren  übertrug  er  auch 
im  J.  787  den  Kult  des  Bel-Nebu  aus  Babylou-Borsippa  nach  Kalach 
(Chalah)  in  Assyrien.  Was  Herodot  über  die  Deichbauten  der  Semi- 
ramis berichtet,  hat  er  wohl  von  den  Nebu-Priesteru  in  Borsippa  er- 
fahren; Königin  von  Babylon  nennt  er  sie  aber,  weil  lür  ihn  Babylon 
die  Hauptstadt  des  assyriscnen  Reiches  ist.  Wie  aus  ihr  die  spätere 
Semiramis  wurde,  darüber  vgl.  Jahresb.  Bd.  83  S,  60. 

Wenig  wahrscheinlich  erscheint,  was  der  Verf.  über  Nitokris  vor- 
bringt, die  Herodot  (I  185  flg.)  an  die  Stelle  Nebukadnezars  setzt. 
Er  meint,  unser  Geschichtsschreiber  habe  den  Namen  Nitokris  selbst 
aus  dem  Namen  Nebukadnezar,  den  er  von  den  Nebu-Priestern  hörte, 
gebildet,  weil  er  sich  an  die  ägj'ptische  Nitokris  erinnerte  und  Nitokris 
ungefähr  dieselben  Konsonanten,  wie  Nebukadnezar,  enthalte.  Derartige 
eigene  Bildungen  liegen  Herodot  fern,  und  eine  solche  Abnahme  ist 
an  unserer  Stelle  um  so  weniger  begründet,  als  jeder  Hinweis  auf  die 


Jahresbericht  über  Herodot  1S9S— 1901.    (Sitzler.)  85 

ägyptische  Nitokris  fehlt;  vgl.  dagegen  II  100;  auch  ist  die  Ähnlichkeit 
zwischen  beiden  Namen  gewiß  wenig  auffallend.  Ich  halte  daher  an 
der  bisherigen  Erklärung  fest,  die  in  Nitokris  die  Gemahlin  Nebukad- 
nezars,  die  medische  Prinzessin  Amytis,  sieht,  die  in  der  Sage,  wie 
Semiramis,  an  die  Stelle  des  Königs  getreten  ist. 

Oppert  weist  darauf  hin,  daß  die  Behistun-Inschrift  hinsichtlich 
der  Genealogie  des  persischen  Königshauses  mit  Herodot  I  107.  111 
und  VII  11  übereinstimme;  allerdings  müsse  man  VII  11  lesen:  xoü 
Teijjreo;  <xal  li  'ATOjar,;  t9j?>  Kupou  xoü  Koip.[üua£to  <toü  K'jpou>  toü 
TeiaTTEo;  xxX.  Daher  dürfe  man  mit  Recht  die  Frage  aufwerfen,  ob  es 
nicht  eine  Volks-;age  gegeben  habe,  nach  der  die  Frau  des  Kambyses, 
des  Vaters  des  Königs  Kyros,  die  Tochter  des  medischen  Königs  ge- 
wesen sei.  Die  Inschrift  von  iSippara  wisse  von  einer  solchen  Ver- 
wandtschaft nichts. 

Auch  über  die  Stammesangehörigkeit  der  Porser  und  Meder  sei 
Herodot  unterrichtet,  vgl.  VII  62.  Die  Perser  seien  Arier,  Medien 
dagegen  sei  von  turauischen  Völkerschaften,  untermischt  mit  arischen 
Stämmen,  bevölkert,  worüber  unser  Geschichtschreiber  die  genauesten 
Nachrichten  gebe  (I  101).  Die  Magiei-  seien  nicht  arischen  Ursprungs 
gewesen,  und  so  stelle  sich  die  Empörung  des  Magiers  als  eine  Reaktion 
des  turauischen  Kults  gegen  den  von  Kyros  eingeführten  persischen  dar. 
Die  Ermordung  des  Magiers  Gaumata  verlege  die  Behistun-Inschrift 
nach  Sichichotes  in  der  medischen  Provinz  Nisäa,  Herodot  dagegen 
nach  Susa;  aber  in  den  Namen  der  sieben  Perser,  die  sich  gegen  die 
Magier  verschworen,  lierrsche  zwischen  Inschrift  und  Herodot  fast 
völlige  Übereinstimmung.  Nur  statt  Aspathines  nenne  die  Inschrift 
Ardymanes;  doch  sei  auch  dieser  Name  von  Herodot  nicht  erfunden; 
denn  Aspathines  sei  ein  besonderer  Freund  des  Königs  gewesen,  der  sein 
Bild,  sowie  das  des  Gobiyas,  auf  sein  Grab  habe  setzen  lassen.  Der 
Vater  des  Otanes  heiße  auf  der  Inschrift  Thuchra  (Sochres),  der  des 
Megabyzos  Dadyes. 

Die  Belagerung  von  Babjdon  durch  Dareios  gibt  Herodot  III  153 
auf  20  Monate  an;  daß  sie  nicht  so  lange  dauerte,  zeigen  die  Inschriften. 
Nach  Opperts  Ansicht,  die  er  auch  in  der  Zeitschrift  der  deutschen 
morgenläudischen  Gesellschaft  1897  S.  155  flg.  ausspricht,  bezeichnen 
die  20  Monate,  die  Herodot  angibt,  die  Zeit,  die  zwischen  dem  Auf- 
stand des  Magiers  und  dem  Ende  der  Herrschaft  Nabuchodonosors  III., 
d.  h.  des  Betrügers  Nidintabel,  verfloß.  Wahrscheinlicher  ist  die  An^ 
nähme  Lehmanns  (Xerxes  und  die  Babylonier  S.  962  Anm.  1),  daß 
in  der  „Mär  vom  Falle  Babels"  Ereignisse  aus  der  Zeit  des  Darius  und 
Xerxes  bunt  gemischt  seien,  wie  dies  auch  sonst  in  der  Sage  bei  den 
Persern  vorkommt.     Weisbach  meint,    daß   der  mindestens  16inonat- 


8G  Jahresbericht  über  Herodot  18^)8— 1 1)01.    (Sitzler.) 

liehe  Aufenthalt  des  Dareios  in  Babylon  nach  der  Bestrafunt^  des  Re- 
bellen Aracha  möglicherweise  der  geschichtliche  Hintergrund  der  bei 
Herodot  so  fabelhaft  ausgeschmückten  Erzählung  sei,  und  Präs ek  will 
diesen  zweiten  babylonischen  Aufstand  geradezu  mit  dem  von  Herodot 
erzählten  identifizieren. 

Die  erste  Eroberung  Babylons  durch  Kyros  setzt  man  allgemein 
in  das  J.  539,  und  diesen  Ansatz  verteidigt  Prasek  in  seinem  Aufsatz 
zur  Chronologie  des  Kjtos  mit  Erfolg  gegen  P eiser,  der  in  den  Mit- 
teilungen der  Vorderasiatischen  Gesellschaft  1897  das  J.  54U  als  das 
richtige  Datum  zu  erweisen  suchte.  Ebenso  erfolgreich  tritt  er  in  seiner 
Abhandlung  zur  Behistün-Inschrift  für  die  Glaubwürdigkeit  der  darin 
augegebeneu  Genealogie  des  Darius  gegen  die  Verdächtigungen  P.  Rosts 
in  seinen  Untersuchungen  zur  altorientalischen  Geschichte  ein.  Vgl. 
auch  J.  Oppert  (S.  24)  zu  dieser  Frage. 

Über  die  Erhebung  des  falschen  Smerdis  und  die  ersten  Regierungs- 
jahre des  Dareios  handeln  Weisbach,  Prasek  und  E.  Meyer,  wozu 
noch  F.  Justi,  Die  altpersischen  Monate,  Zeitschr.  der  deutsch,  morgen- 
läud.  Gesellsch.  1897  S.  233  flg.  kommt.  Einigkeit  herrscht  darüber, 
daß  der  Tod  des  Kambyses,  die  Herrschaft  und  der  Sturz  des  Gaumata 
oder  falschen  Smerdis  und  der  Regierungsantritt  des  Dareios  in  das 
J.  522  fallen;  mit  dem  1.  Nisan  des  J.  521  beginnt  also  das  1.  Re- 
gierungsjahr des  Dareios.  Dagegen  gehen  die  Ansichten  darüber,  wie 
die  Ereignisse  auf  die  ersten  Regiernngsjahre  des  Dareios  zu  verteilen 
sind,  weit  auseinander.  Weisbach  glaubt,  daß  die  Aufstände,  die  in 
den  Provinzen  gegen  Dareios  gemacht  wurden,  in  den  Jahren  522 — 519, 
d.  h.  in  den  4  ersten  Jahren  seiner  Regierung  niedergeworfen  wurden, 
und  auch  E.  Meyer  setzt  den  letzten  dieser  Aufstände,  den  2.  babylo- 
nischen unter  Aracha  in  die  Jahre  520/519.  Richtiger  nehmen  Justi 
und  PraSek  dafür  die  Jahre  522 — 514  in  Anspruch,  allerdings  mit 
friedlichen  Unterbrechungen,  deren  längste  nach  Justi  unmittelbar  vor 
Arachas  Empörung  lag,  die  in  die  J.  516/14  fiel.  Au  die  Unterwerfung 
Babyloniens  schloß  sich  der  Zug  gegen  die  europäischen  Skythen,  den 
auch  Herodot,    worauf  Prasek  hinweist,    unmittelbar  daran  anknüpft. 

Der  Zug  des  Dareios  gegen  die  Skythen  fällt  in  das  J.  513, 
nach  Meyer  etwa  512.  V.  Costanzi,  Quaestiones  chronologicae. 
Turin  1901  =  Riv.  di  Filol.  e  d'  Istruzione  class.  XIX  S.  489  flg. 
will  ihn  bis  506/5  herabrücken.  Er  stützt  sich  dabei  auf  die  viel  be- 
handelte Stelle  Herod.  VI  40,  in  der  er  aXXa  -uiv  xaxaXaßovxwv  oder 
xaTsj^ovTüiv  rprj7|xaT(uv  yaXeTrojTspa  mit  andern  von  der  Vertreibung  des 
Miltiades  durch  die  Phöniker  versteht.  Da  er  nun  mit  Stein  sTet 
<T:po>  TouTtuv  liest  und  der  richtigen  Ansicht  ist,  daß  die  Skj'then 
ihren  Rachezug  sofort  nach  der  mißglückten  Expedition  der  Perser  an- 


Jahresbericht  über  Uerodot  1808  —  1901.     (Sitzler.)  87 

getreten  habeu,  so  muß  er  auch  das  überlieferte  -rp-'-tu  für  falsch  halten. 
Er  setzt  dafür  oexa  und  gewinnt  so,  Miltiades"  Flucht  vor  den  Phönikern 
im  J.  494  —  richtiger  493  —  angenoraraen,  für  den  Rachezug  der 
Skythen  504.  Fallt  man  aber  den  herodotischeu  Text,  wie  er  über- 
liefert ist,  so  bezieht  sich  t(Üv  y.a-:£-//jv-u>v  zpTrjjixaTüJv  auf  das  in  Kap.  39 
Erzählte  und  mit  aXXa  yaXsiKuTspa  ist  die  Vertreibung  durch  die  Skythen 
gemeint,  die  zwei  Jahre  spüter  als  jene  Ereignisse  stattfaml  und  bis  zur 
Znrückführung  des  Miltiades  durch  die  Dolonker,  zwei  Jahre  vor  der 
Flncht  vor  den  Phönikern,  dauerte.  Vgl.  darüber  vorigen  Jahresber. 
Bd.  100  S.  2.  Für  die  genauere  Bestimmung  des  Skythenfeldzngs  läßt 
sich  aus  unserer  Stelle  nichts  gewinnen. 

Durch  den  Zug  gegen  die  Skythen  wollte  Dareios  nach  Meyer 
dej-  ständigen  Gefahr  nomadischer  Invasionen  von  Norden  her,  welche 
Iran  fortdauernd  bedrohten,  ein  Ende  machen.  Der  Plan  konnte,  wie 
er  sagt,  nur  entstehen ,  wenn  man  den  Zusammenhang  der  nördlichen 
Länder  und  die  hier  bestehenden  Völkerverbindungen  kannte,  aber  doch 
von  der  Ausdehnung  und  ünwegsamkeit  des  Gebiets,  von  den  großen 
-Strömen  Rußlands  und  dem  Umfang  der  aralo-kaspischen  Steppe  keine 
klare  Anschauung  hatte.  Die  Brücke  über  die  Donau  wurde  dicht 
oberhalb  des  Deltas  unterhalb  der  Mündung  des  Pruth  geschlagen. 
Herodots  Bericht  über  den  Verlauf  des  Feldzugs  ist  unhistorisch:  wahr- 
scheinlich überschritt  Dareios  keinen  der  großen  südrussischen  Ströme. 
Richtig  ist  aber,  daß  die  Expedition  vollkommen  scheiterte.  Die  schon 
von  Thirwall  als  Erfindung  bezeichnete  Geschichte  von  der  Beratung 
der  ionischen  Tyrannen  über  den  Abbruch  der  Donaubrücke  stammt 
nach  Meyer  aus  der  Zeit,  als  Miltiades  nach  seiner  Rückkehr  nach 
Athen  wegen  seiner  Tyrannis  auf  den  Tod  angeklagt  wurde.  Vor  den 
Persern  mußte  er  wegen  seiner  Beteiligung  am  ionischen  Aufstand 
fliehen;  bis  dahin  war  er  getreuer  Vasall  der  Perser. 

Lehmann  weist  darauf  hin,  daß  das  babylonische  Königtum  un- 
trennbar au  die  Statue  des  Gottes  Marduk  geknüpft  sei ;  nur  wer  am 
Akitu-Fest,  d.  h.  am  1.  Nisan,  dem  Feste  des  Jahresanfanges,  die 
Hände  des  Gottes  erfaßt,  ist  legitimer  König  von  Babylon.  Dies  haben 
die  Perserkönige  bis  herab  auf  Dareios  getan,  und  so  bestand  eine 
Personalunion  zwischen  Persien  und  Babylon.  Unter  Dareios  bildete 
Babylon  mit  Mesopotamien  und  Arbelitis  die  Satrapie  Assyrien,  später 
dagegen  eine  Satrapie  für  sich;  im  erstem  Sinne  steht  es  immer  bei 
Herodot.  Nach  dem  Tode  des  Dareios  kam  auch  Xerxes  am  1.  Nisan 
484  nach  Babylon,  wo  er  nach  Lehmann  in  die  Mysterien  des  toten 
Bei  eindrang;  dies  sei  der  historische  Hintergrund  der  herodotischeu 
Erzählung  vom  Grabe  der  Nitokris,  in  welcher  Dareios  an  die  Stelle 
des  Xerxes  getreten  sei,  wie  ja  auch  sonst  in  der  mündlichen  Tradition 


88  Jahresbericht  über  Herodot  1898—1901.    (Sitzler.) 

der  Perser,  vgl.  I  187.  Während  dann  Xerxes  in  Ekbatana  war,  brach 
ein  Aufstand  der  Babylonier  aus,  der  durch  Megabyzos  niedergeschlagen 
wurde.  Dieser  verzögerte  im  Verein  mit  dem  Abfall  Äpypteus  den  Zug 
des  Königs  gegen  Griechenland.  Da  Xerxes  dai'aufhin  das  nominelle 
babylonische  Königtum  aufhob,  so  kam  es  im  J.  480/79  zu  einem  er- 
neuten Aufstand,  der  19 — 20  Monate  dauerte,  wie  Lehmann  annimmt, 
etwa  die  Zeit,  die  Herodot  (III  153)  für  die  Belagerung  Babylons 
durch  Dareios  angibt.  Daß  die  Perser  bei  Ausbruch  des  Aufstandes 
durch  Unternehmungen  gegen  die  Griechen  in  Anspruch  genommen 
waren,  ergibt  sich  nach  Lehmann  auch  aus  Herodot  III  150,  wo 
allerdings  die  Expedition  des  Dareios  gegen  Samos  statt  des  Xerxes- 
zuges  genannt  werde.  Um  die  Zeit  der  Schlacht  bei  Salamis  habe 
Xerxes  von  dem  Aufstand  Kunde  erhalten,  und  dies  sei  der  Grund, 
warum  er  so  eilig  mit  einem  großen  Teile  des  Heeres  zurückgekehrt 
sei.  Der  Aufstand  sei  vielleicht  von  Megapanos,  den  Herodot  VII  62 
als  Tov  Ba[3uXü>vos  ujTspov  TouTüDv  £TTtTpo7r£ujavTa  erwähnt,  niedergeschlagen 
worden.  Nach  der  Eroberung  der  Stadt  führte  Xerxes  die  Marduk- 
statue  weg  (I  183)  und  zerstörte  die  Tempelstätte  Esaggil,  wohin  sich 
viele  Babylonier  geflüchtet  hatten  (III  158). 

Auf  Geographie  und  Geschichte  Ägyptens  beziehen  sich: 

1.  G.  Poucart,    Herod.  II  43.     Acad.  des  inscript.    et   belles- 
lettres  1899  April. 

2.  J.  V.  Pra§ek,  Forschungen  zur  Geschichte  des  Altertums  II. 
Kadytis.     Sethos.     USü.     Leipzig  1899. 

3.  F.  L.  Griffith,  Stories  of  the  high  priests  of  Memphis,  the 
Sethon  of  Herodotus  and  the  demotic  tales  of  ßhamnes.     1900. 

4.  Grenfell,    Hunt    and  Hogarth,    Fayüm   towns    and  their 
papyri.     London  1900. 

5.  E.  Revillout,    Herodote    et    les    oracles  egyptiens.     Revue 
egyptol.  1900  S.  1  flg. 

6.  A.  W.  Verrall,    Herodotus  on  the  dimensions  of  the  pyra- 
raids.     Class.  Rev.  1898  S.  198  flg. 

Die  Schrift  von  Griffith  ist  mir  nicht  zugänglich. 

Foucart  weist  auf  eine  hieroglyphische  Inschrift  aus  Karnak 
hin,  durch  die  Herodots  Bericht  über  seinen  Besuch  im  Ammonstempel 
zu  Theben  und  über  die  Erzählungen  der  ägyptischen  Priester  als  wahr- 
heitsgetreu bestätigt  wird. 

Eine  syrische  Stadt  Kadytis  wird  Herod.  II  159  und  III  5  er- 
wähnt. Praäek  betont  mit  Recht,  daß  darunter  zwei  verschiedene 
Städte  zu  verstehen  seien;    III  5  ist  Gaza  gemeint,  wie  man  jetzt  all- 


Jahresbericht  üb^^r  Herodot  1898-1901.     (Sitzler.)  89 

gemein  aimimmt,  II  159  wahrscheinlich  Kades  aui  Orontes,  für  dessen 
ehemalige  Bedeutung  Prasek  auf  ein  Kontrakltüfelchen  aus  dem  40. 
(nicht  wie  der  Verf.  sagt  6.)  Jahre  Nebukadnezars  hinweist. 

Den  sonst  unbekannten  König  Sethon  (II  141)  identifiziert  Prasek 
mit  Taharka  und  weist  ihm  die  Regierungsjahre  685—680  zu.  Ein 
Irrtnm  ist  es  al)er,  wenn  er  sagt,  Herodot  gebe  ihm  50  Regierungs- 
jahre: Herodot  läßt  die  Dauer  seiner  Herrschaft  unbestimmt. 

Die  Fayüm-Papyri  geben  interessante  Aufschlüsse  über  die 
Topographie.  Besonders  bemerkenswert  ist,  daß  durch  sie  der  Birket 
el  Kurun  jetzt  endgültig  als  Teil  des  alten  Möris-Sees  erwiesen  wird. 
Vgl.  auch  C.  Wessely,  Anzeiger  der  phil.-hist.  Klasse  der  Wiener 
Akad.  vom  7.  Nov.  1900,  der  eine  Urkunde  aus  Soknopaiu  Nesos^=  Dime 
am  Birket  el  Kurun  veröffentlicht,  die  den  Namen  Moiptc  enthält. 

Kevillout  sucht  unter  Berufung  auf  die  demotische  Chronik  und 
die  zeitgenüssischen  demotischen  PapjTi  die  Glaubwürdigkeit  Herodots 
in  allem,  was  sich  auf  das  Leben  des  Amasis  (II  173  flg.)  bezieht,  zu 
erweisen,  so  seine  Vorliebe  für  gute  Mahlzeiten  und  fröhliche  Gelage, 
seinen  ungezwungenen  Verkehr  mit  seinem  Hofstaat,  seine  Vernach- 
lässigung gewisser  Tempel,  wie  desjenigen  in  Delphi,  und  seine  Freund- 
schaft mit  den  Griechen.  Echt  ägyptische  Sitte  war  es  auch,  sich  bei 
Diebstählen  zur  Entdeckung  des  Diebes  an  Orakel  zu  wenden,  worauf 
schon  Witdemaun  in -seiner  Ausgabe  von  Herodot  II  S.  597  hinweist. 

Verrall  tritt  für  die  schon  von  Letronne,  Jacobs  u.  a.  ge- 
gebene Erklärung  von  u-j^o;  (II  124)  als  „Seitenhöhe"  ein,  da  sich 
Herodots  Angabe  nur  so  rechtfertigen  lasse;  jede  Pyramidenseite  bildete 
ein  gleichseitiges  Dreieck. 

Vber  die  Völker  Libyens,  die  westlich  vom  Tritonsee  und 
TritonflulJ  in  der  Gegend  der  Schotts  von  Gabes  zu  suchen  sind, 
spricht 

J.  To utain  im  Bulletin  de  la  societe  des  antiquaires  de  France 
1899  S.  258. 

Es  sind  die  Maxyes,  Zauekes  und  Gyzantes.  Von  diesen  erzählt 
Herodot  II  191.  194,  daß  sie  ihren  Körper  mit  Mennig  rot  bemalen, 
was  durch  die  Ausgrabungen  bestätigt  wird;  denn  D.  Novak  fand  in 
einer  Nekropole  von  El-Alia,  dem  alten  AchoUa,  zwischen  Mahedia  und 
Sfax,  etwas  nördlich  von  Ras  Kapudia  (Caput  Vada),  in  Gräbern  rote 
Farbe,  ein  Beweis,  daß  solche  wenigstens  bei  der  Bestattung  angewandt 
wurde.  Übrigens  findet  man  rotbemalte  Gebeine  auch  sonst  in  den 
Gräbern  nicht  selten. 

Die  schon  so  vielfach  erörterte  Frage  über  die  Pelasger  macht 

Müller,  Zur  Pelasgerfrage.     Progr.  Ellwangen  1898 


90  Jahresbericht  über  Herodot  1898—1901.     (Sitzler.) 

zum  Gegenstand  erneuter  Untersuchung^.  Er  hält  an  der  Annahme 
Herodots,  daß  die  Pelasger  Barbaren  waren,  fest  und  sieht  in  ihnen 
die  Träger  der  mykenischen  Kultur.  Da  nun  die  Baudenkmäler,  die 
Kunstwerke  und  viele  Namen  dieser  Epoche  auf  Ägypten  und  83Tien 
hinweisen,  so  müssen  die  Pelasger  dorther  gekommen  sein.  Sie  ge- 
hören zu  den  Hyksos,  die  von  1900 — 1600  die  Herren  von  Ägypten 
waren  und  ägyptische  Kultur  annahmen ,  dann  aber  wieder  aus  dem 
Lande  vertrieben  wurden  und  teils  zur  See,  teils  zu  Land  nach  Asien 
und  Griechenland  zogen.  Pelasger  und  Philister  sind  identisch.  Die 
Hypothese  des  Verf.  ist,  wie  man  sieht,  ganz  auf  der  Voraussetzung 
des  ägyptischen  Ursprungs  der  mykenischen  Kultur  aufgebaut  und  ebenso- 
weni?  haltbar  wie  diese.  Herod.  I  57  will  der  Verf.  IleXacjywv  töüv 
[uTTspl  Tup3Tf]vü)v  Kprjaxüiva  izo'Xiv  otxso'vxtuv  lesen,  weil  nach  Thukyd.  IV  109 
Pelasger  und  Tyrsener  dieselben  seien,  sich  also  sprachlich  nicht  von- 
einander unterscheiden;  jedenfalls  müßte  es  in  diesem  Falle  Tupr^vöiv 
<Twv>  KpirjUTüiva  xtX.  heißen.  Aber  der  Verf.  übersieht ,  worauf 
Stein  z.  d.  Stelle  hinweist,  daß  Tupjrjvol  bei  Herodot  ausschließlich 
die  italischen  Etrurier  sind,  und  daß  in  Thrakien  keine  Stadt  Kreston 
lag,  die  Tyrsener  bewohnten. 

Auf  die  Geschichte  Spartas  beziehen  sich 

1.  G.  Egelhaaf,  Die  Gebeine  des  Orestes.    Württemb,  Korre- 
spondenzblatt 1900  S.  285  flg. 

2.  J.  Bei  och.  Zur  Geschichte  des  Eurypontidenhauses.    Hermes 
1900  S.  254  flg. 

Egelhaaf  zieht  aus  der  Verwunderung,  mit  der  Lichas  Herod. 
I  67  flg.  sieht,  wie  Eisen  geschmiedet  wird,  den  Schluß,  daß  damals 
die  Eisenschmiedekunst  in  Sparta  noch  unbekannt  war,  Sparta  sich  also 
damals  noch  in  der  Bronzezeit  befand.  In  dieser  auch  schon  von 
anderen  ausgesprochenen  Tatsache  erblickt  er  den  Grund,  warum  es  den 
Tegeaten,  die  eiserne  Waffen  hatten,  unterlag.  Freilich  wird  mau  dann 
nicht  umhin  können,  den  Lichas  und  den  tegeatischen  Krieg  in  eine 
frühere  Zeit  zu  setzen,  als  es  Herodot  tut;  denn  E.  Meyer  erklärt  es 
mit  Recht  für  unwahrscheinlich,  daß  die  Eisenbearbeitung  in  dem  eisen - 
reiclien  Lakonien  so  jungen  Datums  sei.  Ich  halte  dies  bei  dem 
kriegerischen  Geist,  der  in  Sparta  herrschte,  für  undenkbar. 

Beloch  tritt  Herod.  VIII  131  für  die  Überlieferung  -Xy)v  täv 
ouuiv  TÖiv  [xe-a  AsuTu/iosa  TrpujTujv  xataAsydevTcov  ein;  denn  fürs  erste 
stamme  sie  aus  einer  besseren  Quelle,  und  dann  wäre  Leotychides  nach 
dem  Sturze  des  Demaratos  kaum  zur  Thronfolge  berechtigt  gewesen, 
wenn  seit  sieben  Generationen  niemand  aus  seiner  Familie  regiert  hätte. 
Die  Könige  aus  dem  Eurypontidenhaus  von  Leotychides  aufwärts  waren 


Jahresbericht  über  Herodot  1 89« -1901.    (Sitzler.)  91 

aber  folgende:  Leotychides,  Demaratos,  Aristou,  Hegcsikles,  Hippo- 
kratides  usw.  in  der  von  Herodot  angegebenen  Reihenfolge. 

J.  C.  Hoppin,  The  argive  exciusion  of  attic  pottery.  Class. 
Rev.  1898  S.  86  flg. 

macht  darauf  aufmerksam,  daß  die  Ausgrabungen  die  Angabe  Herodots 

V  88,  die  Argiver  hätten  den  Import  von  attischea  Tonwaren  verboten, 
bestätigen;  dies  müsse  um  560 — 550  v.  Chr.  geschehen  sein,  stimme 
also  auch  zeitlich  mit  dem  Berichte  unseres  Geschichtschreibers. 

A,  Furtwängler ,  Die  Ausgrabungen  auf  Agina.  Berl.  phil. 
Wochenschr.   1901   S.  1595  flg. 

teilt  mit,  daß  die  Stele  gefunden  worden  sei,  auf  der  das  Inventar  aus 
dem  Heilifftum  der  Mnia  und  Auzesia  verzeichnet  stehe.     Bei  Herodot 

V  83  heißen  die  Gottheiten  Damie  und  Auxesie. 

Mit  Peisistratos   und    den  Peisistratideu    beschäftigen   sich 

1.  J.  Plathner,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Peisistratideu. 
Zeitschr.  f.  GW.   1897  S.  458  flg. 

2.  —  Die  Alleinherrschaft  der  Peisistratideu.  Progr.  Dessau 
1897. 

Plathner,  weist  darauf  hin,  daß  Herodot  und  die  'Ai>T,vaituv 
roXtxeia  des  Aristoteles  darin  miteinander  übereinstimmen,  daß  die 
2.  Verbannung  des  Peisistratos  10  Jahre  und  seine  wirkliche  Herr- 
schaft im  ganzen  19  Jahre  währte:  diese  19  Jahre  erhält  man 
nämlich,  wenn  man  von  den  36  Jahren,  die  Herod.  V  65  für  die 
Herrschaft  der  Peisistratiden  angegeben  werden,  die  Regierung  des 
Hippias  mit  17  Jahren  abzieht.  Nimmt  man  die  19  Regiernngsjahre 
von  den  33  Jahren  weg.  die  nach  Aristoteles  von  der  1.  Tyrannis  des 
Peisistratos  bis  zu  seinem  Tode  vergehen,  so  bleiben  für  seine  beiden 
Verbannungen  14  Jahre,  nämlich  4  für  die  1.  und  10  tür  die  2.  Ver- 
bannung. Demnach  dauert  seine  1.  Tyrannis  von  461/60 — 556/5,  seine 
1.  Verbannung  vou  556/5 — 552/1,  seine  2..  Tyrannis  einen  Teil  des 
Jahres  551/2,  seine  2.  Verbannung  von  552/1 — 542/1,  seine  3.  Tyrannis 
von  542/1—528/7. 

Die  Pvogrammabhandlung  enthält  eine  genaue  Vergleichung  des 
Aristoteles  mit  Herodot  und  Thukydides.  Es  ergibt  sich,  daß  Aristoteles 
diese  beiden  Geschichtschreiber  zwar  benützt,  aber  seine  Hauptquelle 
ist  eine  Atthis.  Keine  der  drei  benützten  Vorlagen  verdient  unbedingten 
Glauben,  sondern  in  jedem  einzelnen  Fall  muß  man  prüfen,  was  wahr 
oder  doch  wahrscheinlich  ist. 

H.  Pomtow,  Delphische  Beilagen  III.  Rhein.  Mus.  1897 
S.  105  flg. 


92  Jahresbericht  über  Herodot  1898-11)01.     (Sitzler.) 

sucht  zn  beweisen,  daß  Herod.  II  180  und  V  62  dieselbe  Vergebung 
der  Bauarbeiten  anläßlich  des  Neubaus  des  Tempels  in  Delphi  gemeint 
sei;  die  Alkmeoniden  hätten  sie  gleich  anfangs  übernommen  und  auch 
zu  Ende  geführt.  Diese  Annahme  steht  in  so  scharfem  Gegensatz  zu 
der  Überlieferung,  daß  sie  trotz  allem,  was  der  Verf.  zu  ihrer  Empfehlung 
vorbringt,  für  jeden  Forscher,  der  festen  Boden  unter  den  Füßen  be- 
halten Vv'ill,  unannehmbar  ist.  Die  bisherige  Auffassung  muß  auch 
weiter  in  Geltung  bleiben. 

Mit  den  Athenatempein  auf  der  Akropolis  zu  Athen  be- 
schäftigen sich 

1.  A.  Furtwäugler,  Zu  den  Tempeln  der  Akropolis  von  Athen. 
Sitz.-Ber.  d.  philos.-hist.  Klasse  d.  Akad.  zu  München  1898  S.  363. 

2.  G.  Körte,  Der  „alte"  Tempel  und  das  Hekatompedon  auf  der 
Akropolis  zu  Athen.     Rhein.  Mus.   1898  S.  239  %. 

3.  A.  Michaelis,  Die  Athenatempel  der  athenischen  Burg. 
Archäol.  Anzeiger  1901  S.  215  flg. 

Herod.  VIII  55  will  Furtwängler  eart  h  ifi  d-zpoTroÄi  TauTirj 
'Epv/bioi;  Toü  7r)7£V£oc  Xs^oixevou  etvai  aTjxo?  St.  vy)6?  schreiben  unter  Ver- 
weisung auf  Dionys.  Hai.  ant.  Rom.  XIV  4  'Ady^vT^at  piv  Iv  toj  77)7evoüc 
Epsyfleco;  aT)xco.  Körte  erklärt  dies  mit  Recht  für  unnötig:  es  ist  der 
schon  in  der  Ilias  erwähnte  alte  Tempel  des  Erichthonios  oder  Erechtheus 
und  der  Athene  gemeint,  der,  wie  Herod.  V  77  dvxiov  öe  xou  |xe7apot> 
TOÜ  Ttpöc  £j7repr]v  TeTpaixfxevou  zeigt,  zwei  ]j.£7apa  hatte,  eines  im  Westen 
für  Erechtheus  und  eines  im  Osten  für  Athena  Polias.  Herodot  kennt 
nur  diesen  einen  Athenatempel  auf  der  Burg;  wenn  er  aber  VIII  55 
sagt:  Ev  TW  EAaiTT)  te  xai  t)dXaj3a  hi,  so  drückt  er  sich  ungenau  aus; 
denn  beide  befanden  sich  nicht  in  dem  Tempel,  sondern  im  Freien,  der 
Ölbaum  in  dem  an  die  Westhälfte  des  alten  Tempels  nördlich  anstoßenden 
Pandroseion;  die  &dXaaaa  aber  wurde  ei"st  von  dem  Architekten  des 
Erechtheion  in  den  Tempel  einbezogea.  Auf  dieses  Erechtheion  ging, 
wie  alle  drei  Gelehrte  einstimmig  annehmen,  die  Bezeichnung  „alter 
Tempel"  über.  Dem  alten  Tempel  steht  als  neuer  Athenatempel  das 
sog.  Hekatompedon  gegenüber,  das,  wie  Michaelis  ausführt,  aus 
peisistrateischer  Zeit  stammt,  in  den  Perserkriegeu  arg  beschädigt  wurde 
und  dann,  durch  den  Parthenon  ersetzt,  im  J.  406/5  durch  Blitz  zu- 
grunde ging. 

Ich  komme  jetzt  zu  den  Arbeiten  über  den  ionischen  Aufstand 
und  die  Perser  kriege,  unter  denen  an  erster  Stelle 

E.  Meyer,  Geschichte  des  Altertums.  3.  Band.  Das  Perser- 
reich und  die  Griechen.  1.  Hälfte:  Bis  zu  den  Friedensschlüssen  von 
448  und  446  v.  Chr.     Stuttgart  1901 


Jahresbericht  über  Herodot  1898—1901.    (Sitzler.)  93 

zu  nennen  ist.  Trotzdem  Herodot  nichts  darüber  überliefert,  glaubt  M, 
doch,  den  Alkmeoniden  die  Schuld  für  Athens  Beteiliffunu'  an  dem 
ionischen  Aufstand  zuschreiben  zu  müssen.  Sein  nnalücklicher  Aus- 
gang hatte  nach  ihm  den  Verlust  ihres  Einflusses  und  das  Emporkommen 
des  Themistokles  zur  Folge,  dem  aber  Miltiades  sofort  erfolgreich  ent- 
gegengetreten sei:  daher  hätten  sie  diesen  durch  Anklagen  zu  stürzen 
gesucht,  und  als  ihnen  dies  nicht  gelungen  sei,  Unterhandlungen  mit 
den  Peisistratiden  und  Persern  angeknüpft.  Meyer  glaubt  also,  wie 
andere,  an  die  Eechtfertigung  der  Alkmeoniden  durch  Herodot  nicht. 
Außer  Meyer  kommen  für  die  Perserkriege  noch  in  Be- 
tracht : 

1.  H.  Delbrück,    Geschichte  der  Kriegskunst  im  Rahmen  der 
politischen  Geschichte.     1.  Teil:  Das  Altertum.    Berlin  1900. 

2.  Adam,    Zur    Kritik    des    herodotischen    Berichts    über    die 
Perserkriege.     Sitz.-Ber.    der    histor.    Geseilschaft    in    Berlin    1901, 

von  denen  mir  die  zweite  Abhandlung  nicht  zur  Verfügung  stand. 

Mit  der  SclilachtbeiMa  rathon  im  besonderen  beschäftigen  sich : 

1.  J.  A.  R.  Mnnro,    Some    observations    on   the  persian  wars. 
I.    The  campaign  of  Marathon.    Journ.  of  Hell.  stud.  1899  S.  185  flg. 

2.  T.    McKenny    Hughes,     Marathon.        Class.    Rev.    1901 
S.  131  flg. 

3.  W.  H.  D.  Rouse,  ebenda  S.  191. 

Munro  faßt  den  Zug  des  Datis  und  Artaphreues  so  auf,  als  ob 
dadurch  nur  Athen  bezwungen  und  so  die  Unterwerfung  der  lonier  ge- 
sichert werden  sollte.  Man  kann  dem  Verf.  zugeben,  daß  es  ursprüng- 
lich gleich  nach  der  Niederwerfung  des  ionischen  Aufstandes  nur  auf 
die  Athener  abgesehen  war;  aber  schon  während  der  Vorbereitungen 
zum  ersten  Zug  erweiterte  sich  der  Plan,  wie  die  von  E.  Meyer  in 
das  Frühjahr  492  gesetzte  Entsendung  von  Boten,  die  von  allen  grie- 
chischen Staaten  Erde  und  Wasser  verlangen  sollten,  zeigt,  und  in  der 
Tat  war  dies  auch  der  einzige  Weg,  auf  dem  die  Perser  möglicher- 
weise ihre  Absicht  erreichen  konnten.  Auch  trat  bei  dem  2.  Zug  die 
Rücksicht  auf  die  lonier  schon  ganz  zurück;  jetzt  stand,  wie  Meyer 
mit  Recht  hervorhebt,  die  Ehre  des  Reiches  auf  dem  Spiel,  die  ver- 
langte, die  Unternehmung  trotz  des  Unglücks  des  Mardonios  glücklich 
zu  Ende  zu  führen. 

Die  Landung  bei  Marathon  schreibt  die  Überlieferung  dem  Ein- 
flüsse des  Hippias  zu;  denn  hier  hatte  dieser  großen  Anhang,  und  die 
Ebene  war  für  die  persische  Reiterei  günstig.  Anderer  Ansicht  ist 
Munro,  der  meint,  Hippias  habe  dadurch  aliltiades  mit  dem  Heer  ans 


94  Jahresbericht  über  Flerodot  189S  — 1901.     (Sitzler.) 

der  Stadt  entfernen  und  so  seineu  Anhäng-ern,  darunter  auch  deo  Alk- 
raeouiden,  das  Handeln  in  der  Stadt  erleichtern  wollen;  sobald  dies  ge- 
schehen, sollte  dann  ein  Teil  der  Perser  schleunig^st  nach  Athen  j^ehen, 
um  das  Weitere  zu  besorgen.  "Wäre  aber  diese  Entfernung  des  Mil- 
tiades  mit  dem  Heere  durch  die  Landung  au  einer  anderen  Stelle 
Attikas  nicht  auch  erreicht  worden?  Und  hofften  Hippias  und  die 
Perser  nicht,  die  Athener  zn  besiegen  und  dann  nach  der  Stadt  zu 
maischieren  ? 

Hughes  will  mit  Chodwick  den  Namen  Vrana  von  Marathon 
ableiten,  wogegen  Rouse  Einsprache  erhebt.  Die  Athener  stellten  sich 
am  Anfang  des  Vrana-Tales  auf,  8  Stadien  von  dem  Soroshügel  ent- 
fernt, wie  jetzt  auch  Delbrück  anerkennt,  der  früher  die  Aufstellung 
in  das  Tal  von  Avlona  verlegt  hatte.  Was  den  Gang  der  Schlacht  be- 
trifft, so  hält  Meyer  mit  Recht  an  der  herodotischeu  Schilderung,  ab- 
gesehen von  dem  Laufschritt  der  Athener  8  Stadien  weit,  fest;  aber 
Miltiades  hat  die  Schlacht  nicht  begonnen,  sondern  angenommen,  als 
die  Perser  aus  Furcht  vor  der  Ankunft  der  Spartaner  zum  Angriff  vor- 
rückten. Delbrück  läßt  Miltiades  warten,  bis  die  Perser  bis  auf 
100 — 150  Schritt  an  seine  Stellung  herankamen;  aber  so  wäre  der 
Durchbruch  des  attischen  Zentrums  durch  die  Perser,  den  er  allerdings 
gar  nicht  erwähnt,  und  die  Verfolgung  I?  tyjv  ixesovaiav  nicht  möglich 
gewesen.  Das  Haupttreffen  war  am  Soros,  wie  früher  schon  Kallen- 
berg  und  jetzt  auch  Meyer  annehmen.  Die  persische  Reiterei  konnte 
nach  Delbrück  und  Hughes  wegen  der  Terrainverhältnisse  nicht  in 
den  Kampf  eingreifen.  Unglaublich  ist  Munros  Annahme,  daß  die 
Perser,  bevor  ihnen  noch  das  verabredete  Zeichen  aus  der  Stadt  ge- 
geben worden  sei,  die  Hälfte  ihres  Heeres  samt  der  Reiterei  eingeschifft 
hätten,  um  einen  Angriff  auf  Athen  zu  machen,  und  daß  Miltiades  diesen 
Zeitpunkt  zum  Beginn  der  Schlacht  gewählt  habe;  denn  wie  konnten 
die  Perser  angesichts  des  feindlichen  Heeres  sich  so  schwächen,  una 
einer  unsicheren  Hoffnung  nachzugehen? 

Wenn  die  Überlieferung  den  Persern  GOO  Trieren  gibt,  so  be- 
trachtet Meyer  diese  Zahl  als  konventionell;  es  waren  weniger.  Ihr 
Heer  betrug  schwerlich  mehr  als  20  000  Mann  und  wenige  Hundert 
Reiter.  Für  die  Griechen  erscheint  ihm  die  Zahl  10  000  als  möglich, 
wenn  auch  nicht  sicher.  Munro  veranschlagt  das  persische  Heer  auf 
40  000,  die  Griechen  auf  15  000.  Nach  Delbrück  zählte  das  Perser- 
heer 5000—6000  Manu,  darunter  500—800  Reiter,  und  das  athenische 
Heer  war  ebenso  stark. 

Die  Schlacht  fiel  nach  Meyer  auf  den  15.  oder  16.,  wahrschein- 
lich des  Metageitnion  -=  10.  September  490.  Der  Umstand,  daß  die 
Schlacht    in    die  Zeit  des  Vollmonds  fiel,    gab  zu  der  bei  Herodot  err 


Jahresbericht  über  Herodot  1898-1901.    (Sitzler.)  95 

zählten  Entschuldigung  der  Spartaner  Veranlassung;  in  Wirklichkeit 
kamen  diese,  so  schnell  sie  konnten,  brauchten  aber  zu  ihrer  Rüstung 
6  Tage. 

Hinsichtlifh  des  ägi netischen  Krieges  schließt  sich  Meyer 
an  Wilaraowitz,  Aristoteles  und  Athen  II  S.  280  flg.  an.  Der  von 
Herodot  V  86  flg.  und  VI  87  flg.  berichtete  Krieg  ist  der  gleiche; 
Herodot  erzählt  ihn  zwar  vor  Marathon,  er  tällt  aber  in  Wahrheit  nach 
Kleomenes'  Tod  in  das  J.  487.  Die  Legende  von  den  Bildern  der 
Daiuie  und  Auxesie  bezieht  sich  auf  diesen  Krieg. 

An  Kämpfe  zwischen  Griechen  und  Persern  bei  Artemiaion 
hatte  Delbrück  früher  nicht  geglaubt;  jetzt  gibt  er  sie  zu,  meint 
aber,  die  Perser,  die  nach  ihm  etwa  300  Schiffe  hatten,  seien  den 
Griechen  nicht  überlegen  gewesen.  Die  Kämpfe  verliefen  so,  dal.)  die 
Griechen  dem  zweiten  Zusammentreffen  mit  der  feindlichen  Flotte  im 
Sarouischen  Meerbusen ,  wohin  sie  sieb  wegen  der  Ausbesserung  ihrer 
beschädigten  Schiffe  und  in  der  Hoffnung  auf  Verstärkung  zurückge- 
zogen hätten,  mit  guter  Zuversicht  entgegensehen  konnten.  Die  Er- 
zählung, daü  die  Perser  200  Schifte  um  Euböa  herumgeschickt  haben, 
um  die  Griechen  abzuschneiden,  hält  Delbrück  für  eine  Erdichtung, 
erfunden,  um  die  Streitmacht  der  Perser,  die  übertrieben  grotl  ange- 
geben war,  der  hellenischen  mehr  anzupassen;  denn  um  die  Griechen 
abzusperren,  brauchten  ihnen  die  Perser  nur  während  der  Schlacht  in 
die  linke  Flanke  zu  fahren.  Gewiß,  wenn  dies  nur  möglich  gewesen 
wäre.  Mej'er  folgt  dem  lierodotischen  Bericht;  aber  „was  etwa  der 
Geschichte  Herod.  VIII  4  flg. ,  die  Euböer  hätten  Themistokles  und 
dieser  wieder  die  Admirale  von  Sparta  und  Korinth  bestochen,  damit 
sie  nicht  abzögen,  als  Tatsache  zugrunde  liegen  mag,  ist  nicht  festzu- 
stellen und  geschichtlich  ohne  Bedeutung". 

F.  Zambaldi  kommt  in  seinem  Aufsatz  über  die  telegraphischen 
Vorrichtungen  des  Altertums  (Atene  e  Roma  1899  8.  65  flg.)  auch  auf 
Herod.  VII  183  zu  sprechen.  Er  bezweifelt,  ob  Herodots  Angaben, 
nämlich  daß  die  Wegnahme  von  drei  Schiffen  durch  die  Feinde  vermittels 
Feuerzeichens  gemeldet  worden  sei,  sich  lichtig  verhalte;  vermutlich 
sei  nur  ein  allgemeines  Gefahrsignal  gegeben  worden.  Ich  glaube  nicht, 
daß  Herodot  etwas  anderes  sagen  wollte;  das  Pronomen  xaÜTa  meint 
nur  die  Annäherung  der  Feinde,  bezieht  sich  aber  nicht  auf  das  Schicksal 
der  Schiffe,  das  der  Geschichtschreiber  bei  dieser  Gelegenheit  gleich 
mitberichtet. 

Den  Zweck  der  Besetzung  von  Thermopylä  durch  die  Griechen 
und  den  Zusammenhang  dieser  Maßregel  mit  den  Operationen  der  Flotte 
bei  Artemision  legt  Meyer  klar  dar;  der  Paß  sollte  zur  Sicherung  des 
Seeheeres  so  lange  gedeckt  werden,  bis  eine  Entscheidung  zur  See  her- 


96  Jaliresbericht  über  Herodot  1898—1901.     (Sitzler.) 

beif^efiihrt  wäre.  Dem  Verrat  des  Ephialtes  legt  die  Überlieferung  eine 
übertriebeue  Bedeutung  bei;  ,ia  Wirklichkeit  hätten  die  Perser  den 
Weg  gefunden,  auch  wenn  sie  keinen  Führer  fanden".  Von  offizieller 
Färbung  der  Berichte,  von  der  Busolt,  Gr.  Gesch.  II  697  redet,  ver- 
mag Meyer  bei  Herodot  nichts  zu  entdecken;  die  Feier  der  Olympien 
und  Karneen  hielt  die  Spartaner  und  die  übrigen  Peloponnesier  nicht 
ab,  nicht  in  größerer  Stärke  in  Mittelgriechenland  einzurücken,  und  die 
Meinung,  sie  hätten  ihre  Bundesgenossen  schmählich  im  Stiche  gelassen, 
weil  sie  dies  nicht  taten  (Herod.  VII  207.  VIII  40),  ist  unberechtigt. 
Die  Brandmarkung  der  Thebaner  durch  Xerxes  bezeichnet  Meyer  als 
boshafte  Erfindung. 

Mit  Salamis  und  der  Schlacht  bei  Salamis  befassen  sich  fol- 
gende Arbeiten: 

1.  W.  Reichel,    Ein    angeblicher  Thron    des  Xerxes.     In    der 
Festschrift  für  Otto  Benudorf.     Wien  1899.     S.  63  flg. 

2.  *2.  SoupaiTTjc,  Zur  Topographie  des  alten  Salamis.    'Ap|i,ovia 
1901  S.  175  flg. 

3.  A.  Bauer,    Die    Seeschlacht    bei    Salamis.     Jahreshefte   des 
österr.-archäolog.  Instituts  1901  S.  90  flg. 

Reichel  beschreibt  den  sog.  Thron  des  Xerxes,  d.  h.  die  Stelle, 
von  der  aus  er  dem  Seetreffen  bei  Salamis  zugeschaut  habe  (vgl.  Herod. 
VIII  90.  Plut.  Them.  13),  auf  Grund  sorgfältiger  Untersuchungen  der 
Örtlichkeit.  Der  Thron  befindet  sich  auf  der  Kerata  gegenüber  von 
Salamis  und  ist  natürlich  kein  Thron  des  Xerxes  gewesen,  sondern 
wahrscheinlich  ein  Thronaltar.  Der  Standort  des  Xerxes  war  auch  nicht 
hier,  sondern  auf  der  Höhe  des  Ägaleos. 

Nach  Meyer  zählte  das  Landheer  des  Xerxes,  abgesehen  von 
dem  zahlreichen  Troß,  etwa  100  000  Mann.  Einem  solchen  Heere 
konnten  die  Griechen  keinen  Widerstand  leisten;  daher  war  der  Plan 
des  Themistokles,  zur  See  die  Entscheidung  herbeizuführen  und  das 
Landheer  nur  zur  Unterstützung  der  Flotte  zu  gebrauchen.  Damit 
waren  die  Spartaner  einverstanden,  und  so  erklären  sich  nach  Meyer 
ihre  so  oft  getadelten  geringen  Anstrengungen  zu  Lande. 

Die  Flotte  des  Xerxes  gibt  Herodot  nach  Äschylos  auf  1207  Schiffe 
an;  Meyer  glaubt,  daß  es  einschließlich  der  Transportschiffe  bei  der 
Ausfahrt  nicht  mehr  als  1000  waren.  Es  war  natürlich,  daß  auch  die 
Griechen  möglichst  viele  Schiffe  sammelten.  Gelon  konnte  ihnen  wegen 
des  Angriffes  der  Karthager,  die,  wie  Meyer  nach  Diodor  annimmt, 
mit  den  Persern  im  Bunde  waren,  nicht  helfen;  die  Diskussion  über  die 
Frage  des  Oberbefehls  (Herod.  VII  157  flg.)  erklärt  M.  für  absurd. 
Dagegen  hält  er  die  beiden  Orakel  an  Athen  (Her.  VII  140  und  141), 


Jahresbericht  über  Herodot  189S-19Ü1.     (Sitzler.)  <)7 

das  zweite  allerdings  ohne  die  Schlußverse,  ferner  das  Orakel  au  Argos 
(VII  148)  und  das  an  Kreta  (VII  169)  für  echt;  aber  das  Orakel  an 
Sparta  (VII  220)  scheint  ihm  spätere  Mache  zu  sein. 

Die  Griechen  hatten  nach  Meyer  bei  Salamis  300—400  Schiffe, 
standen  also  den  Persern,  deren  Zahl  sich  auf  400—500  belief,  nicht 
weit  nach.  Nach  Delbrück  übertrafen  sie  die  Perser  sogar  infolge 
der  Verstärkungen,  die  sie  erhalten  hatten.  Ja,  Delbrück  will  sogar 
den  beabsichtigten  Rückzug  der  Griechen  von  Salamis  an  den  Isthmus 
damit  erklären,  daß  sie  als  weitere  Verstärkung  noch  die  60  kerkyräi- 
schen  Schiffe  erwartet  hätten. 

Themistokles  war  nach  Meyer  und  Bauer  mit  den  anderen  Feld- 
herren darin  einig,  daß  bei  Salamis  gekämpft  werden  müsse;  die  Mne- 
siphilos-Auekdote  zeugt  nur  von  der  Gehässigkeit,  mit  der  man  bald 
nachher  den  Themistokles  verfolgte.  Die  Absendung  des  Sikinnos  hatte 
keinen  anderen  Zweck,  als  den  Xerxes  zur  Schlacht  zu  bewegen;  die 
zweite  Sendung  des  Sikinnos  hält  Meyer  für  erfunden.  Auf  die  Bot- 
schaft des  Themistokles  hin  sendet  Xerxes  den  westlichen  Flügel  seines 
■  Heeres  um  Salamis  herum  und  sperrt  die  Enge  zwischen  der  Insel  und 
Megara  ab.  Ich  glaube  mit  Meyer,  daß  dies  der  wirkliche  Vorgang 
war,  der  auch  von  Aschylos  und  Späteren  berichtet  wird;  aber  Meyer 
hat  übersehen,  daß  Herod.  VIII  76  avrj^ov  [xev  xo  a^'  kaKipt]^  xepa?  xux- 
Xo'JfAsvoi  Tzpoi  TT)v  luXonüja  dies  nicht  bedeuten  kann.  Meiner  Über- 
zeugung nach  sind  die  Worte  npb;  xf^v  ilaXaiAiva,  die  bis  jetzt  jeder 
Erklärung  spotteten,  in  Ttspi  xfjv  SaXaixiva  zu  ändern  und  so  in  Über- 
einstimmung mit  der  sonstigen  Überlieferung  zu  bringen. 

Diese  Art  der  Einschließung  der  Griechen  hält  Bauer  für  sach- 
lich unmöglich;  denn  die  zur  Einschließung  abgesandten  Schiffe  hätten 
bis  zur  Insel  Leros,  d.  h.  etwa  50  km  weit,  fahren  müssen,  wozu  die 
Nachtzeit  nicht  reichte.  Ich  kann  diesen  Einwand  nicht  als  stichhaltig 
anerkennen;  denn  es  handelte  sich  doch  nur  darum,  das  Entweichen 
der  Griechen  durch  jene  Enge  zu  verhindern,  und  dazu  kamen  die 
Perser  bei  dem  Vorsprung,  den  sie  vor  den  Griechen  hatten,  gewiß 
rechtzeitig,  auch  wenn  sie  bei  Tagesanbruch  noch  nicht  den  ganzen 
Weg  zurückgelegt  hatten.  Bauer  tritt  für  die  Umzingelung  in  der 
Enge  zwischen  Salamis  und  Attika  ein;  aber  diese  stößt  auf  viel  größere 
Sch\vierigkeiten  als  die  andere.  Die  Griechen  standen  in  der  heutigeu 
Bucht  von  Ambelaki,  die  Perser  bis  zur  Bucht  von  Trapezona,  den 
Peiräeus  ausfüllend.  Um  die  Umzingelung  auszuführen,  mußten  diese 
in  der  Nacht  ihre  Schiffe  möglichst  nahe  an  der  attischen  Küste  in 
die  Meerenge  vor  bis  zu  der  Stelle  schieben,  wo  heute  die  Fähre 
nach  Salamis  geht.  Ist  ein  solches  Manöver  angesichts  des  gerüstet 
^egenüberstebeudeu  Feindes  möglich  oder  auch  nur  wahrscheinlich? 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVII.    (l'JOS.    II.)  7 


98  Jahresbericbt  über  Herodot  1898-1901.     (Sitzler.) 

Aunerdem  ist  der  Verf.  gezwungen,  anzunehmen,  Herodot  habe  die 
zu  seiner  Auffassung  nicht  passenden  "Worte  ot  d|X'ft  tyjv  Keov  ts  xai 
xfjV  K'jvoso'jpav  Te-a7|j.Evoi  dem  Orakel  zuliebe  geschrieben,  trotzdem 
er   gewußt  habe,    daß  sie  eine  topographische  Unrichtigkeit  enthielten. 

Die  Angabe  bei  Herodot  VIII  97,  daß  Xerxes  nach  der  Schlacht 
einen  Damm  nach  Salamis  habe  bauen  wollen,  bezeichnet  Meyer  als 
absurd,  ebenso  wie  die  TJberlieferung  bei  Ktesias  und  Strabon,  der 
Perserköuig  habe  dies  vor  der  Schlacht  beabsichtigt,  was  Stein  a.  a.  0. 
für  richtiger  hält.  Die  Gefahren  und  Verluste  des  persischen  Heeres 
auf  dem  Rückzug  sind  nach  Meyer  stark  übertrieben;  von  einer  über- 
stürzten Flucht  kann  keine  Rede  sein,  und  ebensowenig  ist  die  Tra- 
dition, die  den  König  den  Hauptteil  des  Heeres  mit  sich  nehmen  läßt, 
haltbar.    Aber  vgl.  oben  Lehmann,  Xerxes  und  die  Babyjonier. 

Platää  und  die  Schlacht  bei  Piatää  behandeln: 

1.  W.  J.  Woodhouse,  The  Greeks  at  Plataiai.    Journ.  of  hell, 
studies  1898  S.  33  flg. 

2.  G.  B.  Grundy,  Battles  ancient  and  modern.    Ebenda  S.  232  flg. 

3.  —  A  note  on  Plataea.     Class.  ßev.   1898  S.   161  flg. 

4.  J.  G.  Prazer,  Plataea.     Ebenda  S.  206  flg. 

5.  —  Pausanias'  description  of  Greece.     Vol.  V.    London,  1898. 
Woodhouse    stimmt  Grundy    bei    hinsichtlich    der    Lage    von 

Erythrä  westlich  an  der  Straße  von  Eleusis  nach  Theben,  der  Fest- 
setzung Hysiäs  etwas  oberhalb  von  Kriekuki  und  der  Annahme  der 
N^uo?  im  Westen  von  Platää  zwischen  dem  Oberlauf  der  Bäche  der 
Oeroe.  Daß  drei  Straßen  über  den  Kithäron  führen,  nämlich  die  von 
Eleusis  nach  Theben,  die  von  Eleusis  nach  Platää  und  die  von  Megara 
nach  Platää,  bestreitet  Frazer  insoweit,  als  er  leugnet,  daß  bei  Eleu- 
therä  ein  Weg  nach  Platää  abzweige;  doch  Grundy  bleibt  in  seiner 
Erwiderung  darauf  bei  seiner  Annahme.  Die  Lage  der  Quelle  Gar- 
gaphia  und  des  Heroons  des  Androkrates  bleibt  auch  jetzt  noch  zweifel- 
haft, da  sich  Grundy  und  Woodhouse  nicht  einigen  können.  Die 
Meinung  Grundys,  Herodot  bezeichne  mit  Asopos  nicht  nur  den  Fluß 
selbst,  sondern  auch  seinen  ersten  Nebenfluß,  erklärt  Meyer  mit  Recht 
tür  unmöglich;  auch  Woodhouse  erkennt  dies  nicht  au  und  wünscht 
deshalb  IX  51  t;  dk  iixl  a-6  toü  'AacuTCOü  <erxojt>  xcxl  ttj;  xpT^vYj?  xtX., 
was  Herodots  Sprachgebrauch  zuwiderläuft.  Geradezu  ein  Irrtum 
Grundys  ist  es  aber,  wenn  er  Skolos  auf  Grund  von  Pausan.  IX  4,3 
auf  die  Nordseite  st.  Südseite  des  Asopos  verlegt. 

Das  Heer  des  Mardonios  belief  sich  auf  40  000 — 50  000  Asiaten 
und  einige  Tausend  Griechen ,  das  der  Griechen  auf  30  000  Hopliten 
und  (inen  großen  Troß,  wie  Meyer  annimmt;  nach  Delbrück  hatten 


Jahresbericht  über  Herodot  1S98-1901.    (Sitzler.)  99 

die  Griechen  nur  20  000  Hopliten  und  ebensovicle  Unbewaffnete,  die 
Perser  15  000 — 25  000  Krieger.  In  der  Darstellung  des  Verlaufs  der 
Sohlacht  folgt  Meyer  im  allii;emeinen  Delbrück,  doch  hält  er  sich 
viel  enger  an  Herodot,  der  „zwar  die  maßgebeDdeii  Momente  im  Ent- 
scheidungskampf sehr  deutlich  erkennen  läßt,  im  übrigen  aber  ganz 
unmilitärisch  ist.  so  daß  der  großartige,  auf  genialer  Verbimiuug  stra- 
tegischer Cberlef,'enheit  und  entschlosseneu  Mutes  beruhende  Kampf  wie 
ein  Werk  des  Zufalls  erscheint". 

Im  einzelnen  glaubt  Meyer,  daß  sich  die  Heere  vielleicht  noch 
beträchtlich  länger  als  12  Tage  gegenübergestanden  seien.  Die  Über- 
lieferung, daß  die  Spartaner  ihre  Stellung  mit  der  der  Athener  ver- 
tauscht hätten,  bzw.  hätten  vertauschen  wollen ,  weil  sie  lieber  gegen 
die  Griechen  als  die  Perser  kämpften,  hält  er  für  athenische  Sa^e;  aber 
auch  der  Grnnd,  den  er  an  die  Stelle  setzt,  nämlich  der  linke  Flügel 
sei  exponierter  gewesen,  befriedigt  nicht;  denn  gerade  der  rechte  spar- 
tanische Flügel  war  ja  foitwähreuden  Angriffen  von  selten  der  Perser 
ausgesetzt.  Nach  Meyer  „spricht  alles  für  die  Richtigkeit  der  Ver- 
mutung, daß  die  Griechen  sich  schließlich  dadurch  Luft  zu  macheu 
suchten,  daß  sie  der  Flotte  den  Auftrag  gaben,  nunmehr  endlich  den 
Zug  nach  Asien  auszufühien;  auf  die  Kuude  davon  blieb  Mavdouios 
nichts  übrig  als  den  Kampf  zu  wagen".  Diese  Vermutung  Meyers 
hängt  mit  seiner  Gesamtautfassung  des  Feldzuges  von  479  zusammen, 
die  dahiu  geht,  daß  es  überhaupt  nicht  zur  Schlacht  bei  Platää  ge- 
kommen wäre,  wenn  nicht  der  zwischen  Themistoklcs  und  den  Spar- 
tanern verabredete  Kriegsplan,  die  Flotte  nach  lonien  und  dem  Hellespont 
zu  senden,  durch  den  Sturz  des  Miltiades  vereitelt  worden  wäre. 

Den  erwünschten  Anlaß  zum  Angriff  bot  dem  Mardonios  der 
versuchte  Stellungswechsel  der  Griechen,  den  Meyer  nach  Herodot 
begründet.  Grundy  und  'Woodhouse  erblicken  darin  die  Absicht, 
einen  Vorstoß  gegen  Theben,  die  Operationsbasis  der  Perser,  zu  führen; 
aber  wie  konnte  den  Giiechen  in  ihrer  jetzigen  Lage  ein  solcher  Ge- 
danke kommen?  Von  dieser  Voraussetzung  aus  konstruieren  die  beiden 
Gelehrten  die  Schlacht,  zwar  in  interessanter  Weise,  aber  doch  ohne 
objektive  Gewähr.  Daß  das  Zentrum  der  Griechen  nicht  in  das  Treffen 
gekommen  sei,  bezeichnet  Meyer  als  Erfindung,  aber  der  Erzählung 
von  Amompharctos,  dem  Lochagen  der  Pitaueten,  spricht  er  einen 
wahren  Kern  zu.  Die  Verluste  der  Perser  sind  nach  ihm  bei  Herod. 
IX  70  sinnlos  übertrieben;  den  Hauptteil  des  Heeres  hat  offenbar 
Artabazos  gerettet.  Das  Fehlen  der  Seriphier  und  Paleer  anf  der 
Schlangensänle  schreibt  er  der  Flüchtigkeit  der  Verfertiger  zu  und 
erklärt  Domaszewskis  Erklärungsversuch  (vgl.  Jahresb.  Bd.  8.3,  S.  81) 
für  unhaltbar. 


K)0  Jahresbericht  über  Herodot  18i)8— 1901.    (Sitzler.) 

Meyer  hat  iu  seinen  Forschungen  I  8.  16  die  Richtiglieit  der 
Allgabe  Herodots  V  26,  daß  Imbros  und  Lemnos  zur  Zeit  der  Unter- 
werfung durch  Otanes  noch  pelasgisch  waren,  bezweifelt;  er  glaubt,  daß 
die  Inseln  schon  zur  Peisistratideuzeit  von  den  Athenern  besetzt  und 
Lykaretos  zum  Herrscher  über  die  attischen  Klerucheu  gemacht  wurde. 
Dagegen  machte  Bei  och  in  seiner  griech.  Gesch.  I  S.  351  geltend, 
daß  diese  Kleruchen  den  kleisthenischen  Demen  Attikas  angehören, 
also  nicht  schon  zur  Zeit  der  Peisistratiden  dorthin  geschickt  sein 
können,  und  auch  Mac  an  in  s.  Ausg.  zu  VI  140  weist  Meyers  An- 
nahme zurück.  Trotzdem  hält  sie  dieser  in  s.  Gesch.  III  1  S.  297 
fest,  indem  er  Beloch  erwidert,  jene  seien  eben  bei  der  Phylenordnung 
in  ihre  Heimatgane  eingeschrieben  worden,  nach  denen  sich  übrigens 
die  Athener  schon  lange  vor  Kleisthenes  genannt  hätten,  z.  B.  Myron 
von  Phlya  Plut.  Sol.  12.  Damit  ist  aber  die  Tatsache,  daß  die  Über- 
lieferung immerhin  durch  Belochs  Hinweis  gestützt  wird,  nicht  be- 
seitigt. Es  kommt  noch  hinzu,  daß  die  Erwerbung  von  Lemnos  für 
die  Athener  an  Miltiades'  Namen  geknüpft  ist.  Nun  ist  aber  dieser 
nach  Meyers  eigener  Annahme  bis  zum  Ausbruch  des  ionischen  Auf- 
standes ein  treuer  Vasall  der  Perser  gewesen.  Ist  es  da  nicht  wahr- 
scheinlich, daß  er  Lemnos  erst  während  des  ionischen  Aufstandes  für 
die  Athener  erworben  hat?  Warum  Meyer  die  Angabe,  daß  Miltiades 
von  seinen  Freunden  vor  allem  durch  den  Hinweis  auf  die  Gewinnung 
von  Lemnos  verteidigt  worden  sei,  lediglich  für  stilistische  Einkleidung 
Herodots  hält,  der  die  Geschichte  dieser  hier  habe  anbringen  wollen, 
ist  nicht  ersichtlich,  da  derartige  Hinweise  doch  ganz  der  Sitte  bei 
attischen  Gerichtsverhandlungen  entsprechen. 

A.    Kirch  hoff.    Ein    Irrtum    des    Herodot.    Genethliakou    zum 
Buttmannstage  5.  Dezember  1899,  S.   1  flg. 

ist  der  Ansicht,  daß  Herod.  IV  15  eine  Verwechslung  des  Aristäos 
mit  Aristeas  vorliege;  denn  es  sei  nicht  denkbar,  daß  die  Metapontier 
dem  Aristeas  neben  dem  ApoUonaltar  ein  Standbild  errichtet  hätten. 
Dieselbe  Vermutung  spricht  E.  Pais,  Storia  della  Sicilia  I  S.  548  aus. 
Aber  vgl.  E.  Rohde,  Psyche ^  II  S.  91  flg.,  der  den  innigen  Zu- 
sammenhang des  Aristeas  mit  Apollon  dartut,  und  außerdem  E.  Bethe, 
Pauly-Wissowas  ßealenzyklop.  Bd.  II  S.  876  flg.,  der  darauf  hinweist, 
daß  Aristeas  nach  dem  Mendesier  Bolos  bei  Apollon.  mirabil.  2  von 
den  Sizilien!  als  Heros  in  einem  eigenen  Heiligtum  verehrt  wurde. 
Gegen  die  von  Kirchhoff  und  Pais  angenommene  Verwechslung 
spricht  auch  schon  der  Umstand,  daß  Herodot  nicht  nebenbei  diese 
Bemerkung  macht,  sondern  in  einem  gerade  dem  Aristeas  gewidmeten 
Abschnitt. 


Jahresbericht  über  Herodot  18hS— 1901.     (Sitzler.)  101 

A.  Hauvette,  Phayllos  deCrotone.  Rev.des  lindes  gr.  1899  S. 9flg. 
behandelt  zwei  Inschriften  auf  den  berühmten  Athleten,  der  nach  Herod. 
Vin  47  mit  einem  auf  eigene  Kosten  ausgerüsteten  Schifte  den  Griechen 
bei  Salamis  zu  Hilfe  kam. 

MnpT,  Archäologische  Untersuchungen.  I.  Das  Stierblut. 'Api^ovia  I 
S.  6  flg. 
zählt  die  von  den  Alten  überlieferten  Fälle  angeblicher  Vergiftung  mit 
Stierblut  auf,  darunter  auch  den  des  Psammenit  Herod.  III  15,  und 
stellt  dann  die  Frage,  woher  der  in  der  Wirklichkeit  nicht  begründete 
Glaube  der  Alten  von  der  tödlichen  Wirkung  des  Stierbluts  komme. 
Darauf  gibt  er  die  Antwort,  der  Stier  sei  das  gewaltigste  Tier  der 
griechischen  Länder  gewesen,  und  deshalb  habe  man  auch  dem  Genuß 
seines  Blutes  eine  besonders  starke  Wirkung  zugeschrieben.  Diese  Er- 
klärung ist  ebenso  unwahrscheinlich,  wie  die  von  W.  Röscher,  der  im 
Rhein.  Mus.  Bd.  53  S.  182  flg.  dieselbe  Frage  behandelt,  S.  201  Anm.  4 
mitgeteilte  Karl  Ludwigs,  daß  Krankheiten,  an  denen  Menschen  zu- 
grunde gingen,  die  mit  dem  Blute  milzbraudiger  Ochsen  und  Kühe  in 
Berührung  kamen,  den  ersten  Anlaß  zu  den  Fabeln  von  der  Vergiftung 
durch  frisches  Stierblut  gegeben  haben.  Die  Frage  harrt  immer  noch 
ihrer  Lösung. 

Zum  Schlüsse  erwähne  ich  noch 

*J.  V.  Prasek,-  Beiträge  zu  Herodot.     Ceske  Museum  Filolog. 
1903  S.  323  flg., 

G.    de  Sanctis,    'At9ic.     Storia  della  repubblica  Ateniese  dalle 
origini  alle  rifoime  di  Cüstene.     Rom  1898  und 

A.  Bauer,    Die  Forschungen    zur  griechischen  Geschichte  1888 
—  1898.     München  1899, 
zwei  Werke,    in  denen  eine  Reihe  einschlägiger  Fragen  eingehend  be- 
sprochen werden. 


III.    Herodots  Leben  und  Geschichtswerk. 

Über  Herodots  Leben  handeln: 

1.  R.  Dieterich,  Testimonia  de  Herodoti  vita  praeter  itinera. 
Diss.  inaug.     Leipzig  1899. 

2.  C.  Wachsmuth,  Bemerkungen  zu  griechischen  Historikern. 
Rh.  Mus.  56  S.  215  flg. 

3.  £.  Meyer,  Geschichte  des  Altertums.  Bd.  III.  Das  Perser- 
reich  und  die  Griechen.  1 .  Hälfte.  Bis  zu  den  Friedensschlüssen  von 
448  und  446  v.  Chr.     Stuttgart  1901. 


102  Jahresbericht  über  Herodot  1898-11)01.     (Sitzler.) 

Dieter  Ichs  Arbeit  zeugt  von  Fleiß  uud  Umsicht;  wenn  sie  trotz- 
dem nicht  zu  neuen  sicheren  Ergebnis^^en  führt,  so  trägt  daran  an  erster 
Stelle  die  mangelhafte  Beschaffenheit  unserer  Quellen,  daneben  aber  auch 
die  übergroße  Zweifelsucht  des  Verf.  die  Schuld.  Pamphilas  Angabe 
über  Herodots  Geburtsjahr  billigt  er  nicht,  kann  aber  auch  nichts  Besseres 
an  ihre  Stelle  setzen ;  Herodots  Verwandtschaft  mit  Pauyassis  und  seine 
politische  Tätigkeit  erklärt  er  für  eine  Erfindung  des  Duris;  die  von 
Hiller  v.  Gaertringen  Athen.  Mitteil.  XXI  S.  61  veröffentlichte 
rhodische  Inschrift  (=  CIGr  mar.  Aeg.  145)  über  Herodots  Geburtsort 
schließt  er  aus  den  Quellen  aus,  indem  er  V  5  die  Ergänzung  aXix]a[pva]aaou 
xpavaov  Tieoov  wegen  des  für  Halikarnaß  unpassenden  xpavaov  ttöoov  durch 
xaj  -]a[pva]aaou  ersetzt.  Die  Frage,  ob  der  Geschichtschreiber  je  wieder 
Thurii  verlassen  habe,  läßt  der  Verf.  bis  auf  weiteres  offen,  während 
E.  Meyer  an  seiner  Ansicht  festhält,  daß  Herodot  schon  vor  440  von 
Thurii  wieder  nach  Athen  zurückgekehrt  sei.  Demgegenüber  weist 
"Wachsmuth  überzeugend  nach,  daß  Herodot  nach  seiner  Ansiedlung  in 
Thurii  in  keiner  andern  Stadt,  insbesondere  auch  nicht  mehr  in  Athen 
seinen  Wohnsitz  aufgeschlagen  habe. 

Mit  dem  Geschi cht s werk  Herodots  beschäftigen  sich: 

1.  R.  Dieterich,  vgl.  oben. 

2.  H.  Stein,  Eh.  Mus.  56  S.  626  flg. 

3.  E.  Meyer,  Forschungen  zur  alten  Geschichte.     2.  Bd.     Zur 
Geschichte  des  5.  Jahrb.  v.  Chr.     Halle  1899.     4.  Abhandlung. 

4.  Fr.  Gau  er,  Thukj^dides  und  seine  Vorgänger.    Histor.  Zeit- 
schrift.    Bd.  83  S.  385  flg. 

5.  E.  Norden,  Die  antike  Kunstprosa.     Bd.  I.     Leipzig  1898. 

6.  A.  Monaci,  Dello  stile  di  Erodoto.     Bessarione  Nr.  25.  26. 

Dieterich  verweist  für  die  Echtheit  des  Proömiums  auf  einige 
bis  jetzt  nicht  beachtete  Zeugnisse:  Plut.  de  malign.  Her.  26:  xal  -a 
T%  'EXXaoo?  ETCaYYeXXofisvoc  -'pacpeiv  <TravTaira3iv  (oder  xal  t7)v  'Asiav) 
a7voEu>;  die  Ergänzung  ist  von  dem  Verf.;  Diouys.  ad  Pomp.  p.  50 
(Useuer);  xoiv-Jjv  'EXXtjvixäv  ts  xal  ßapßaptxüiv  Tipa'Estuv  e^svT^voyev  laropiac 
und  Dionys.  de  Thuc.  5:  TiposXojxevo?  iroXXa?  xal  Statpopou?  irpa|eic  l'x  xs 
tJ]c  Euptuicr)?  ex  xe  x^c  'Aaiac  e?  [xiav  Trepqpacpyjv  7rpa7[xaxsia;  d-ya^sTv. 
Da  in  den  beiden  letzten  Beispielen  Tipa'^sic  offenbar  dasselbe  ist,  wie 
£p7a  bei  Herodot,  so  folgert  der  Verf.  daraus,  daß  Steins  Erklärung 
von  Ep^a  ,  Werke,  opera,  die  dauernden  Denkmäler  menschlicher  Arbeit 
nnd  Tüchtigkeit"  irrig  ist.  Daß  auch  ich  dieser  Ansicht  bin,  habe  ich 
Jahresber.  Bd.  83  S.  45  dargelegt. 

Das  bekannte  Zitat  bei  Aristot.  Rhet.  III  9  aus  dem  Proomium 


Jahresbericht  über  Herodot  189S— 1901.    (Sitzler.)  103 

des  Herodot:  'HpoöoTou  Booptou  ^o'  tj-ropiVjC  ÄTrooe'.ci;  findet  immer  uoch 
Verteidiger,  die  es  für  echt  halten  nnd  der  hds.  Überlieferung;:  'HpoSoToo 
'AXixapvr,3jeoc  ijropiTji  di:ooe;t;  r^oz  vorziehen;  so  zuletzt  Wachsmuth. 
Aber  mit  Unrecht,  wie  Stein  ausführlich  und  überzeugend  dartut.  Vgl. 
auch  Steins  Ausgabe  des  1.  Buches  6.  Aufl.  S.  IV  flg. 

Nach  Meyer  ist  Herodots  Geschichtswerk  vollendet;  es  ist  nach 
einer  einheitlichen,  sorgfältig  entworfenen  Disposition  gearbeitet  und 
duichaus  aus  einem  Gusse.  Aber  dieses  Urteil  gilt  nur  im  großen  und 
ganzen;  denn  Cauer  macht  mit  Recht  darauf  aufmerksam,  daß  Ein- 
lagen und  Abschweifungen  die  strenge  Durchführung  des  Planes  wieder- 
holt unterbrechen.  Wenn  er  aber  daraus  schließen  will,  daß  nach  an- 
derem Plane  entworfene  Abschnitte  gewaltsam  eingegliedert  worden 
fceien  und  daß  Herodot,  ehe  der  nationale  Gegensatz  in  den  Vordergrund 
seines  Denkens  trat,  Stoft"  für  ein  geographisches  Werk  gesammelt  habe, 
so  übersieht  er,  daß  Geographie  and  Geschichte  damals  noch  innig  mit- 
einander verbunden  waren  und  in  einem  Werke  von  der  Art  des  hero- 
dotischen  auch  gar  nicht  voneinander  getrennt  werden  konnten,  übrigens 
erkennt  Cauer  die  große  Kunst  an,  mit  der  der  Gang  der  Ereignisse 
und  der  innere  Zusammenhang  anscbanlich  gemacht  wird  und  die  Epi- 
soden stets  an  Stellen  eingefügt  werden,  wo  sie  nicht  stören.  Die  Ab- 
fassung des  Werkes  verlegt  Meyer  in  die  ersten  Jahre  des  archida- 
uiischen  Krieges,  da  über  430  keine  sichere  Spur  hinabfübre;  ja,  er 
glaubt,  daß  gerade  der  Ausbruch  des  großen  Entscheidungskampfes 
zwischen  Athen  und  den  Peloponnesiern,  der  allgemeine  Sturm  auf 
Athens  Stellung,  der  dazu  führte,  seine  Verdienste  um  Hellas  nach 
Kräften  zu  verkleinern  und  womöglich  ganz  zu  leugnen,  Herodot  den 
Anlaß  gegeben  habe,  alles,  was  er  erkundet  hatte  —  die  Geschichte 
Assyriens  ausgenommen  —  zu  einem  einheitlichen  Werk  zu  verarbeiten, 
das  in  die  Verherrlichung  der  Großtaten  Athens  ausklang;  diese  poli- 
tische Tendenz,  das  Bestreben,  die  perikleische  Politik  und  die  Hege- 
monie Athens  zu  verteidigen,  trete  überall  deutlich  hervor  und  gebe  der 
Darstelhiug  und  dem  Urteil  des  Schriftstellers  die  Färbung.  Gewiß 
zeigt  sich  in  Herodots  Darstellung,  was  ja  allgemein  bekannt  ist,  eine 
Vorliebe  für  Athen;  Meyer  zählt  eine  ganze  Reihe  von  Beispielen  dafür 
auf;  aber  ebenso  gewiß  hat  auch  Herodot  die  ihm  von  Meyer  zuge- 
schriebene Tendenz  nicht,  die  überdies  für  Jen  größten  Teil  seines 
Werkes  schon  durch  den  Inhalt  ausgeschlossen  ist;  Herodot  gibt  nur, 
was  er  erkundet  und  erfahren  hat,  seinem  Grundsatze  getreu. 

Monaci  bringt  über  den  Stil  Herodots  nichts  Neues,  und  auch 
Nordens  Beurteilung  deckt  sich  im  ganzen  mit  dem,  was  H.  Di  eis 
Hermes  XXII  S.  424  und  G.  Kaibel,  Stil  und  Text  der  AaTivaiV/ 
TcoMxeia  S.  66   sagen.     Was  er  über  die  Anwendung  der  Figuren,    wie 


104  Jahresbericht  über  Uerodot  1898-1901.    (Sitzler.) 

Aütithesis,  vorbringt,  behandeln  ausführlicher  P.  Kleberund  ANicschke. 
vgl.  Jahresb.  Bd.  71  S.  151  flg. 

Über  Herodots  Weltanschauung  sprechen  außer  Meyer  und 
Cauer  noch 

1.  L.  Campbell,    Keligiou  in  greek  literature.    London  1898 
Kapitel  8  und 

2.  J.  L.  Heiberg,  Bidrag  til  Belysning  of  Herodots  religiense 
Standpunkt.    Festskrift  til  J.  L.  Ussing.    Kopenhagen  1900  S.  91  flg. 

Herodot  ist  nicht  frei  von  einem  gewissen  Kritizismus  und  Ra- 
tionalismus, der  sich  besonders  in  seinem  ablehnenden  Verhalten  anthro- 
pomorphischen  und  mythologischen  Erzählungen  und  Übertreibungen 
gegenüber  zeigt.  Darin  erkennt  man  den  Einfluß  loniens  auf  ihn,  und 
Cauer  weist  mit  Recht  darauf  hin,  daß  dieser  Rationalismus  besonders 
in  den  älteren  Teilen  des  Werkes,  besonders  im  2.  Buche,  vorkomme. 
Daneben  besitzt  unser  Geschichtschreiber  aber,  wie  Meyer  bemerkt, 
einen  gesunden  Empirismus,  d.  h.  die  Gabe,  die  Dinge  so  zu  sehen, 
wie  sie  wirklich  sind,  frei  von  Vorurteilen  und  vorgefaßten  Meinungen. 
Dieser  Empirismus  bew^ahrt  ihn  vor  nationaler  Überhebung  und  dem 
Wahne,  als  sei  der  Sieg  einer  freiheitsliebenden  Nation  über  die  gewal- 
tigsten Heere  eines  Despoten  selbstverständlich;  er  offenbart  sich  aber 
auch  in  seiner  Beurteilung  des  göttlichen  Wirkens  in  der  Welt."  Das 
menschliche  und  geschichtliche  Leben  scheint  ihm  überall  von  dem  Ein- 
greifen übernatürlicher  Mächte  abhängig.  Diese  Anschauung  entstand 
in  ihm  während  seines  Aufenthalts  in  Athen,  wo  man  in  den  heimischen 
Göttern  die  siegreichen  Beschützer  des  Vaterlandes  verehrte.  Er  glaubt 
an  den  Neid  der  Götter,  der  den  Menschen  vor  Übermut  bewahrt. 
Überall  tritt  seine  Grundanschauung,  daß  die  sittlichen  Mächte  stärker 
als  die  materiellen  sind,  zutage. 

Über  die  Quellen,  aus  denen  Herodot  bei  Abfassung  seines 
Geschichtswerkes  schöpfte,  handeln  Meyer  und  Cauer.  Cauer  glaubt, 
Herodot  habe  für  die  geographischen  Abschnitte  in  den  älteren  Erd- 
beschreibungen, vornehmlich  in  der  des  Hekatäos,  zwar  schriftliche  Vor- 
lagen gehabt,  sich  diesen  aber  nur  da  anvertraut,  wo  die  auf  seinen 
Reisen  unternommene  Forschung  versagte;  der  Gedanke,  seine  Leser 
über  seine  Originalität  täuschen  zu  wollen,  sei  ihm  ferngelegen.  Für 
die  geschichtlichen  Teile  läßt  ihn  Meye  r  seine  Vorgänger,  besondere 
den  Dionysios  von  Milet,  nur  hinsichtlich  der  Chronologie  und  vielleicht 
in  einigen  streng  liistorischen,  mit  seinen  ausführlichen  Erzählungen  in 
Widerspruch  stehenden  Angaben  (I  125.  VII  11)  benutzen,  und  außer- 
dem bezüglich  der  Satrapienliste  des  Dareios  (III  89  flg.),  der  Königs- 
straße von  Sardes  nach  Susa  (V  22  flg.)  und  Xerxes'  Zugs  von  Kelänä 


Jahresbericht  über  Herodot  1808—1901.    (Sitzler.)  105 

bis  Therme  (VII  26  flg.);  doch  sind  auch  diese  Mitteiluni^en  teilweise 
durch  eigeue  Anschauangen  erglinsct.  Im  übrigen  schupfte  Herodot  nur 
aus  mündlicher  Überlieferung.  Die  lauge  Erhaltung  solcher  Berichte 
im  Volksmunde  wird  auf  berufsmäßige  Geschichtserzähler  zurückgeführt. 
Den  Hauptbestand  bildet  die  attische  Tradition,  daneben  zog  er  aber 
auch  in  Sparta  und  Delphi  Erkundigungen  ein,  und  ebenso  bei  einzelnen 
Männern,  wie  bei  Thersandros  in  Orchomenos  (IX  16),  vielleicht  im 
Hause  des  Artabazos,  besonders  in  der  Familie  der  Artemisia  in  Hali- 
karnaß  und  in  der  des  Demaratos  in  Teuthrania,  endlich  bei  Dikäos 
(VIII  65).  Die  Darstellung  des  Erforschten,  die  Verknüpfung  und  An- 
ordnung der  Begebenheiten  ist  sein  Eigentum,  wie  die  äußerst  geschickte, 
bis  ins  kleinste  durchgearbeitete  Disposition  zeigt.  Dabei  finden  sich 
zwar  mitunter  falsche  Kombinationen,  chronologische  Irrtümer  und  aus 
der  mündlichen  Tradition  herrührende  Unrichtigkeiten ,  aber  keine  be- 
wußten Entstellungen  oder  absichtliche  Fälschungen,  wie  Cauer  und 
Meyer  übereinstimmend  betonen.  Die  eingelegten  Gespräche  und  Reden, 
in  denen  er  teils  die  Erwägungen  der  Handelnden ,  teils  die  ihn  be- 
herrschenden Anschauungen  darlegt,  wird  man  mit  Meyer  als  das 
Eigentum  des  Historikers  betrachten  müssen,  wenn  auch  Cauer  darin 
den  Einfluß  der  älteren  Sophistik  erkennen  will.  Die  wirtschaftlichen 
Verhältnisse  sind  wenig  beachtet,  und  auf  militärischem  Gebiet,  sowie 
in  der  Charakterisierung  der  Persönlichkeiten  zeigt  er  sich  sehr  schwach. 
Zur  wahren  Geschichtsbetrachtung,  zu  der,  welche  die  wirkenden  Kräfte 
aufzusuchen  und  herauszuarbeiten  vermag,  ist  Herodot,  wie  Meyer 
sagt,  nicht  vorgedrungen. 

"Wie  Meyer  und  Cauer,  so  treten  auch  J.  Oppert,  G.  Fou- 
cart,  E.  Revillout,  J.  Toutain  und  J.  C.  Hoppin  nachdrücklich 
für  die  Wahrheitsliebe  Herodots  ein  und  bringen  dafür  in  ihren 
oben  besprochenen  Arbeiten  Beweise  bei.  Diesem  einstimmigen  Urteil 
gegenüber  will  der  Widerspruch  von 

J.  Scbwarcz,  Kritische  Notizen  über  die  neuesten  Erscheinungen 
der  staatswisseuschaftlichen  Literatur.    Leipzig  1899, 

der  von  Fälschungen  usw.  des  Geschichtschreibers  spricht,  wenig 
bedeuten. 

Viele  Arbeiten  sind  der  Untersuchung  des  Verhältnisses,  das 
zwischen  Herodot  und  anderen  Schriftstellern  besteht,  ge- 
widmet. 

J.  Vürtheim,  Über  die  Telegonie  des  Eugammon  von  Kyrene. 
Mnemosyne  29  S.  23  flg., 
weist  darauf  hin,   daß  Herodot  die  Telegonie  des  Eugammon  nicht  ge- 
kannt habe;  denn  sonst  hätte  er  gelegentlich  des  11  121  erzählten  Dieb- 


106  Jahresbericht  über  Ilerodot  1898—1901.    (Sitzler.) 

Stahls  im  Schatzhause  des  Rhampsinit  auf  den  im  Anfange  der  Telegonie 
berichteten  ganz  ähulichen  des  Trophouios  hingewiesen.  Die  Telegouie 
war  also  damals  recht  wenig  bekannt. 

Das  Verhältnis  des  Herodot  zu  Hekatäos  untersucht 

C  F.  Lehmann.    Zu    Herodot    und  llecatäus.     Festschrift    für 
fl.  Kiepert.     Berlin  1898.    S.  308  flg. 

Die  Vergleichung  von  Strab.  XVI  742.  745  mit  Herod.  I  193. 
196 — 200  zeigt,  daß  Strabo  bei  knapperer  Fassung  mehr  als  Herodot 
bietet.  Daraus  schließt  der  Verf.,  daß  Strabos  Quelle  nicht  Herodot, 
sondern,  wenn  auch  indirekt,  Hekatäos  sei,  dem  er  der  geringeren  Ge- 
nauigkeit und  behaglicheren  Breite  Herodots  gegenüber  größeren  Reichtum 
des  Inhalts  bei  knapperer  Fassung  als  charakteristisches  Merkmal  zu- 
schreibt. Dieser  Schluß  wäre  nur  dann  zwingend,  wenn  jede  andere 
Möglichkeit  der  Erklärung  ausgeschlossen  wäre.  Ist  es  aber  undenkbar, 
daß  Strabo  Herodot  als  Vorlage  benutzte  und  das  wenige,  das  er  mehr 
hat,  selbst  anderswoher  beifügte?  Muß  dies  gerade  aus  Hekatäos 
stammen?  Warum  soll  die  kürzere  Fassung  nicht  von  Strabo  selbst 
herrühren?  Richtig  ist,  daß  Hekatäos  dem  Herodot  vorlag;  aber  trotz- 
dem darf  man  nicht  einmal  da,  wo  beide  im  wesentlichen  übereinstimmen, 
ohne  weiteres  Ausschreiben  des  Hekatäos  durch  Herodot  annehmen;  die 
Ähnlichkeit  kann  auch  auf  ihre  Gewährsmänner  an  Ort  und.  Stelle 
zurückgehen.  Daß  Herodot  Babylonien  selbst  gesehen  und  erforscht 
hat,  gibt  der  Verf.  zu;  auf  eigene  Beobachtung  führt  er  Herod.  I  193 
die  Bemerkungen  über  die  Gallwespen  und  den  Schluß  von  196  zurück. 

Herodots  Beziehungen  zu  Sophokles  behandeln: 

1.  E.  Bruhu,  Eine  neue  Auffassung  der  Antigone.     N.  Jahrb. 
f.  kl.  Altert.  I  S.  248  flg. 

2.  Th,  Plüß,  Goethe  und  Antigone.     Ebenda  S.  475. 

3.  S.  Reiter,    Die    Abschiedsrede    der  Antigone.     Zeitschr.   f. 
österr.  Gymn.  1898  S.  961  flg 

4.  Th.  Gomperz,    Herodote  et  Sophocle.     Melanges  H.  Weil. 
Paris  1898.     15.  Abhandlung. 

5.  E.   Meyer,    Geschichte    des    Altertums.      4.  Bd.     Stuttgart 
1901.     S.  127. 

Die  Freundschaft  des  Herodot  mit  Sophokles  ist  bekannt;  in  dem 
unvollständigen  Epigramm  des  großen  Tragikers  (Fr.  5  in  den  PLGr. 
ed.  Bergk)  an  den  Vater  der  Geschichte  ergänzt  Gomperz  tcevt'  iizl 
TcsvTT^xov^'  <£|axtc  kr.z7.i-ti> ,  gewiß  geistreich,  aber  ohne  jede  sichere 
Gewähr.  Ebenso  hat  man  schon  längst  beobachtet,  daß  der  Dichter  in 
seinen  Dramen    das  Werk    des  Historikers    berücksichtigt;    die  gegen- 


Jahresbericht  über  Herodot  1898—1901.    (Sitzler.)  107 

seitigen  Beziehungen  werden  durch  die  erwähnten  Arbeiten  genauer 
festgestellt,  vgl.  OR  1528.  Tracli.  1  flg.  mit  Herod.  I  32.  El.  417  flg. 
mit  Herod.  I  108.  OC.  337  flg.  mit  Herod.  II  35.  Antig.  904  flg.  mit 
Herod.  III  119.  Ob  allerdings  die  zuletzt  genannte  Stelle  des  Sopho- 
kles echt  ist,  bleibt  auch  jetzt  noch  zweifelhaft;  ich  halte  sie  mit 
P.  Corsseu,  Die  Antigoue  des  Sophokles.  Berlin  1898  für  einge- 
schoben. 

Auch  zwischen  Euripides  und  Herodot  finden  sich  ('bereinstim- 
umngen,  wie 

W.  Nestle,    Untersuchungen    über    die   philosophischen  Quellen 
des  Euripides.   Leipzig  1902  =^  Philol.  Ergänzungsband  VIII  S.  559  flg. 

zeigt,  vgl.  S.  652  flg.  Sicher  ist  fr.  449  aus  Herod.  V  4  entlehnt.  Zu 
Herod.  132  vgl.  Androm.  100  flg.  Heraklid.  863  flg.  Troad.  509  flg.; 
der  cpftovo;  ÖeJiv  Herod.  I  5.  32.  207.  III  40.  VII  10.  4G  begegnet 
auch  Alk.  1135.  Hiket.  348.  Iph.  Aul.  1097.  Orest.  972  flg.;  da  aber 
beide  Anschauungen,  sowohl  die  vom  Neide  der  Götter  als  auch  die, 
daß  mau  vor  dem  Tode  niemand  glücklich  preisen  soll,  populär  sind, 
ist  eine  Anlehnung  des  Dichters  an  Herodot  nur  wahrscheinlich.  Die 
klimatologischeu  Berührungen  zwischen  beiden  gehen  auf  Hippokrates 
als  gemeinsame  Quelle  zurück,  vgl.  Herod.  IX  73.  III  106  mit  fr.  981. 
Med.  824  flg.  Dagegen  liegt  in  Hiket.  447  flg.  bewußte  Anspielung  auf 
Herod.  V  92  vor.  Übereinstimmung  in  politischen  Anschauungen  und 
Urteilen  findet  mau  Herod.  III  80  flg.  verglichen  mit  Hiket.  447  flg. 
Med.  119  flg.  Ion  621  flg.  fr.  76.  605.  8.  362.  Hiket.  410  flg.  Die 
Forderung  der  gütlichen  Beilegung  der  Streitigkeiten,  die  Herod.  VII  9 
für  die  Griechen  stellt,  ist  Hiket.  744  auf  alle  Menschen  übertragen. 
Auch  Herodots  wissenschaftliches  Prinzip  II  33  klingt  an  fr.  574.  810 
an,  und  Alkest.  802  scheint  Herod.  I  32:  icav  hxi  avöpcuTroc  Tj[i<fopri 
vorzuschweben. 

Gegen  die  Sophisten  wendet  sich  Berodot  nach 

L.  Radermacher,  Rhein.  Mus.  1898  S.  501 

in  Vin  77;  Radermacher  sieht  nämlich  in  dem  Wort  xaraßtxXXsiv, 
das  hier  von  Leuten,  welche  die  Wahrheit  der  Orakel  in  Zweifel  ziehen, 
gebraucht  wird,  eine  Anspielung  auf  die  xaxaßaXXovxe?  Xo-jfot  des  Prota- 
goras  —  eine  Vermutung,  in  der  ich  dem  Verf.  nicht  folgen  kann. 

Für  Herod.  III  80  flg.  nahmen  schon  E.  Maaß  (vgl.  Jahresb. 
Bd.  58  S.  263)  und  E.  Schwartz  (Jahresb.  Bd.  83  S.  105)  eine  ionische, 
bzw.  sophistische  Vorlage  an.    Diese  will 

R.  Reitzenstein,  Literarhistorische  Kleinigkeiten.    Philol.  1898 
S.  45  flg. 


108  Jahresbericht  über  Herodot  1898-1901.    (Sitzler.) 

genauer  bestimmen.  Da  bei  Herodot  und  Theognis  43  flg.  die  gleiche 
Eeihenfolge  oxocai;  oovo;  ixovapxoj  vorkommt,  so  haben  beide  dieselbe 
Quelle  benutzt,  eine  Quelle,  auf  die  auch  die  sophistische  Schrift  rrspt 
euvofj.ta;.  von  der  ein  Fragment  vorhanden  ist,  zurückgeht.  Der  Ver- 
fasser dieser  Schrift  wendet  sich  ebenso,  wie  Theognis,  gegen  eine  ältere 
iouieche  Schrift,  die  für  die  Tyrannis  eintrat  und  deren  Abfassung  nicht 
lange  nach  der  Vertreibung  der  Tyrannen  durch  die  Perser  und  der 
Einführung  der  minder  verdächtigen  Demokratien  in  lonien  anzusetzen 
sein  wird.  Macht  diese  Zeitbestimmung  schon  die  Benutzung  der 
ionischen  Schrift  durch  Theognis  zweifelhaft,  so  wird  vollends  die  P^r- 
wägung,  daß  Theognis  nur  die  Zustände  in  seiner  Vaterstadt  vor  Augen 
hat,  dieselbe  als  unmöglich  erscheinen  lassen.  Wie  kann  aber  die  doch 
so  natürliche  Reihenfolge  a-uact?,  <povo;  £[j.ipuXos,  |x6vap-/o?  einen  Zusammen- 
hang, bedingen?  Eine  ionische,  bzw.  sophistische  Quelle  Herodots  wird 
also  auch  durch  diese  Beweisführung  nicht  dargetan. 

Die  Beziehungen  Herodots  zum  delphischen  Orakel  macht 
A.  Oeri,  De  Herodoti  fönte  Delphico.  Diss.  inaug.  Basel  1899  zum 
Gegenstand  einer  eingehenden  Untersuchung.  Anknüpfend  an  W Hä- 
mo witz,  der  die  G-o|jivr,[xaTa  des  delphischen  Orakels  als  eine  Haupt- 
quelle Herodots  bezeichnete  (vgl.  Jaliresb.  Bd.  100  S.  27),.  mustert  er 
die  Stellen,  die  ihm  auf  diese  Quelle  zurückzugehen  scheinen,  durch  und 
kommt  dabei  zu  dem  Resultat,  daß  sie  alle  einen  apologetischen  Charakter 
haben.  Daraus  schließt  er  nun  einerseits,  daß  nur  die  Stellen  Herodots 
aus  der  delphischen  Quelle  geflossen  seien,  die  das  Orakel  gegen  irgend 
eine  Anschuldigung  rechtfertigen,  nämlich  I  13.  19.  47.  85.  V  92  p.  s. 
IV  155.  163.  V  67.  III  57.  V  89.  VII  140.  144.  I  66.  65.  V  63.  VI  66. 
09,  anderseits  daß  die  Priester  Herodot  ausersehen  haben,  um  durch 
ihn  ihre  Darstellung  der  Ereignisse  verbreiten  zu  lassen,  und  deshalb 
auch  nur  ihm  —  dies  folgert  er  aus  einer  Vergleichung  Herodots  mit 
seineu  Vorgängern  und  Nachfolgern  —  die  Benutzung  der  uTrofjLvrjfjLaxa 
gestattet  haben.  Beides  erscheint  mir  unwahrscheinlich;  denn  warum 
hätte  Herodot  nur  Apologetisches  aus  dieser  Quelle  schöpfen  und  warum 
hätten  die  Priester  nur  ihn  zur  Erreichung  ihres  Zweckes  gebrauchen 
sollen?  Hinsichtlich  der  letzteren  Ansicht  berührt  sich  Oeri  mit 
C.  Niebuhr  vgl.  oben  S.  19;  nur  daß  Oeri  von  der  Ehrlichkeit  Hero- 
dots überzeugt  ist,  die  Niebuhr  stark  anzweifelt,  vgl.  N.  Jahrb.  f. 
klass.  Altert.  1900  S.  638  flg.  Was  die  Benutzung  der  delphischen 
uuoixvTjixaxa  durch  Herodot  anlangt,  so  stehe  ich  auf  dem  Standpunkt 
Pomtows,  der  behauptet,  daß  sich  in  unserem  Herodot  nicht  eine 
Stelle  findet,  die  auf  die  uTrojxv/^fAaTa  zurückgeführt  werden  müßte  und 
nicht  aus  den  Inschriften,  Urkunden  und  Mitteilungen  der  Delphier  ent- 
nommen sein  könnte,  vgl.  Jahresb.  Bd.  100  S.  27. 


Jahresbericht  über  Herodot  1S9.S-1901.    (Sitzler.)  109 

Zum  Schlosse  erwähne  ich 

R.  Kekule    v.  Stradonitz,    Die  Bildnisse    des  Herodot.     Ge- 
nethliakon  zum  Buttmannstage  5.  Dezember  1899.    S.  31  flg. 

Der  Verf.  erkennt  in  den  erhaltenen  Bildnissen  des  Historikers, 
abgesehen  von  der  Bronzestatue  in  Pergamon,  von  der  nur  die  Basis 
mit  der  Inschrift  vorhanden  ist,  zwei  verschiedene  Typen,  beide  freie 
Erfindungen  späterer  Zeit,  nicht  Nachahmungen  eines  anthentischen  Vor- 
bildes. Der  erste  Typus  ist  durch  die  Doppelherme  in  Neapel  und  die 
Einzelköpfe  im  Museum  zu  Neapel,  im  Albertiuum  zu  Dresden  und  im 
Museum  zu  Berlin  dargestellt;  er  wurde  im  4.  Jahrh.  v.  Chr.  von  Si- 
lanion  oder  einem  seiner  Genossen  und  Nachfolger  geschaifen  und  dann 
oft  kopiert.  Die  erhaltenen  Köpfe  stammen  aus  römischer  Zeit.  Der 
andere  Typus  erscheint  auf  Münzen  von  Halikarnaß  ans  der  Zeit  des 
Hadrian,  Antoninus  Pius  und  Gordian:  er  geht  auf  eine  Statue  Hero- 
dots  im  Gymnasium  zu  Halikarnaß  zurück,  die  etwa  dem  3.  oder 
2.  Jahrh.  v.  Chr.  angehört.  Der  sog.  Herodot-Kopf  der  Sammlung 
Campana  ist  modern. 


Jahresbericht  über  Pindar  1901-1902 


von 

Dr.  L.  Bornemann. 


Der  erste  Teil  des  vorliegenden  Berichts  behandelt,  an  den  vorigen 
anschließend,  chronologische  Fragen,  worin  die  Pindarforschung  neuer- 
dings wesentliche  Fortschritte  gemacht  hat.  Der  zweite  Teil  betrifft  die 
Oden  an  Hieron  Pyth.  I.  II.  III;  hier  erscheinen  die  Ergebnisse  als 
geringfügig,  wiewohl  ausführliche  Arbeiten  von  Gelehrten  wie  Wilamo- 
witz,  Schroeder  und  Legrand  vorliegen.  Sie  bieten  dem  Berichterstatter 
Gelegenheit,  viele  Einzelheiten  zu  erörtern,  um  ein  abweichendes  Urteil 
zu  begründen.  Das  gleiche  wäre  zum  besseren  Verständnis  meines 
Einspruchs  auch  für  andere  Oden  erwünscht  gewesen,  besonders  für  N  X 
und  0  II,  über  die  ich  wesentlich  anders  denke  als  frühere  Forscher;  aber 
ich  will  diesen  Bericht  nicht  allzusehr  belasten  und  muß  mich  vorläufig 
mit  Andeutungen  begnügen,  nachdem  mir  die  Gelegenheit  genommen  ist, 
meine  längst  fertig  gestellten  Darlegungen  über  jene  beiden  Oden  in 
deutschen  Zeitschriften  zu  veröffentlichen. 

Wer  eine  Anzahl  kurz  hingeworfener  Textänderungen  kennen  zu 
lernen  wünscht,  die  ich  hier  nicht  ausführlich  registriere,  mag  Mnemosyne 
1901,  211— 216  (van  Herwerden),  Classical  Review  1900,  10  (Headlam), 
1901,  10  ff.,  195  ff.,  246  ff.  (Nairn),  Lit.  Centralblatt  1902,  103  ff. 
(Stadtraüller)  lesen. 

I. 

Aus  dem  bereits  am  Schluß  des  vorigen  Berichtes  erwähnten  Auf- 
satz von 

Carl  Robert  (Hermes  35  S.  141—195)  über  „Die  Ordnung  der 
olympischen  Spiele  und  die  Sieger  der  75. — 83.  Olympiade" 

sei  hier  zuvor  ganz  kurz  die  erste  Hälfte  wiedergegeben. 

Die  Reihenfolge  der  Agone  im  Papyrus  aTocotov,  St'aoXo?,  SoXi^oj, 
Tcevta&Xov,  hgcXt),  roi^,  7ra7xpaxtov,  iraiSiov  otoEoiov,  iraiScuv  TrdfXif),  7tai6(uv  ituS, 
oiiXiTT)?,   TEÖpiuuov,    xeXt);   sieht  Robert    als  die  authentische  Folge  der 


Jahresbericht  über  Pindar  1901  —  1902.    (Bornemann.)  m 

Spiele  au.  So  sei  auch  0  5  -EfiKap-epoi^  a[j.tXXa'.;  dahin  zu  verstehen, 
daß  am  fünften  Kampftage  (15.  des  Monats)  Pferderennen  war  (xeöptTirov, 
'/.i\r^i,  aTZTr^vT),  •/.al-r^).  und  unter  abweichender  Behandlung  von  Plut. 
quaest.  symp.  II  5,  Xcn.  Hell.  7,  4.  29  sowie  schol.  Ol.  13,  30  stellt 
Robert  für  die  vier  voraufgehenden  Tage  folgende  Ordnung  her:  1.  cxaStov, 
öiauXoc,  66Xr/oc,  2.  TtevraöXov,  3.  TraXr)  ru$  TraYxpaxtov,  4.  iiaioüjv  ara^tov, 
TT  TraXir],  -.  -'j$,  oirXiTTfjc  Während  die  Proklamation  des  Siegers  und  seine 
Krüuutig  sofort  nach  dem  Wettkampf  stattfanden,  opferte  er  am  Zeus- 
altar und  den  sechs  Doppeialtären  nach  dem  ;rev:a9Xov  bzw.  nach  dem 
Pferderennen  (0  5  ßoui)u7iat;  und  O  3,  19).  Vor  Ol.  77  hielt  man  unter 
Beschränkung  auf  dreiTage  die  chronologische lieihenfolgc  derStiftung  ein: 
1.3-aöiov,  oi'auXo;  ooXf/oc,  2.7:£vca9Xov,  izotXrj, -6$,  xeöpm-ov,  xeXTjc,  Tra^xpattov, 
'3.  Tcai'öcDV  (Jtaoiov,  tc.  r:ofXy],  tc.  iruS,  ottXittjc,  von  Ol.  70  und  71  ab  airr^vr) 
und  y.otXTir,.     Bis  Ol.  25  war  man  wohl   mit  einem  Tage  ausgekommen. 

Widerspruch  hiergegen  auf  der  ganzen  Linie  erhebt  Lipsius,  Ver- 
handl.  d.  sächs.  Ges.  d.  W.  1900  p.  16  ff.  Er  kommt  auf  die  bisherige 
Ansiclit  zurück,  welche  von  der  bei  Phlegon  und  im  PapjTus  vorliegenden 
-Folge  absieht,  beschränkt  sich  aber  auf  dies  negative  Ergebnis.  Übrigens 
werden,  was  Pindar  0  10  angeht,  künftige  Untersuchungen  nach  meiner 
Ansicht  die  Auffassung  festhalten  müssen,  daß  dort  die  ältere,  vor  Ol.  77 
gültige  Reihenfolge  gemeint  ist  (s.  unten  S.  121). 

Die  erheblich  wichtigere,  höchst  sorgsame  zweite  Hälfte  der 
Robertschen  Publikation  hat  unmittelbar  darauf  einem  trefflichen,  preis- 
gekrönten Buche  als  Grundlage  gedient,  nämlich 

Camille  Gaspar,  Esssai  de  Chronologie  Pindarique.    Bruxelles, 
Lamertin,  1900.     XVI  und  196  S. 

Das  Buch  ist  vielfach  und  allermeist  rühmend  besprochen,  am  ein- 
gehendsten meines  "Wissens  von  Fraccaroli,  Rivista  di  filologia  1901 
lU  385 — 415.  Man  verfolgt  Gaspars  klare  Darlegungen  mit  größtem 
Interesse ,  und  ich  kann  es  ihm  nicht,  wie  von  ein  paar  Rezensenten 
geschehen,  zum  Vorwurf  anrechnen,  daß  er  allermeist  von  innerer  Ana- 
lyse der  Oden  Abstand  genommen  hat;  das  Bessere  wäre  ein  Feind  des 
Guten  geworden.  Mit  Mängeln  behaftet  ist,  wie  der  Verfasser  selber 
empfindet,  die  Verwertung  metrischer  Symptome,  und  zwar  infolge 
unseres  bisher  unzulänglichen  Verständnisses  der  pindarischen  Metrik; 
ferner  die  meisten  Schlüsse  aus  allerlei  Analogien  in  Ausdruck  und 
Gedanken  zwischen  verschiedenen  Oden,  worin  besonders  Christ  voran- 
gegangen ist;  endlich  die  Aufspürung  von  Zügen  vermeintlicher  Jugend- 
lichkeit des  Dichters,  die  vielfach  aus  unserer  mangelhaften  Einsicht  oder 
aus  Textverderbnissen  herrühren.  Endlich  liegt  bei  chronologischen 
Untersuchungen    schwieriger  Dichtungen    die    von  Gaspar    nicht  völlig 


112  Jahresbericht  über  Pin-^ar  1901  —  1902.     (Bomemana.) 

überwundene  Versuchung  nahe,  Bezugnahme  auf  Zeitereignisse  in  allzu 
ausgedehntem  Maße  zu  wittern  und  somit  wieder  auf  die  Pfade  von 
T.  Mommsens  Pindaros  einzulenken. 

Durch  diese  Bemerkungen  soll  weder  der  Wert  des  Buches  noch 
mein  Interesse  an  demselben  geschmälert  erscheinen.  Und  wenn  viel- 
leicht gerade  der  Verfasser  selber  am  meisten  verwundert  sein  wird, 
daß  mein  Bericht  mit  seinem  Buche  bunt  umspringt,  so  geschieht  dies, 
weil  ich  meine  Leser  im  Besitze  des  Buches  sehe  oder  zu  sehen 
wünschte;  durch  gründliche  Kritik  der  einzelnen  Positionen,  nicht  durch 
bequeme  Wiedergabe  der  Ansätze  Gaspars  und  seiner  Gründe  denke 
ich  der  Sache  am  besten  zu  dienen. 

Als  groJ]er  Fortschritt  und  wertvollste  Grundlage  des  Ganzen  ist 
freudig  zu  begrüßen,  daß  nunmehr  die  Pythiadenära  Ol.  49,  3  allgemein 
anerkannt  ist;  selbst  Christ  hat  in  der  Hauptsache  nachgegeben  (Hermes 
1901,  107  fif.).  Nach  dem  Tode  Bergks  waren  Fraccaroli  und  ich  viele 
Jahre  lang  die  vereinsamten  Vorkämpfer  für  diese  ältere,  vor  Boeckh 
gültige  Datierung  (vgl.  besonders  Jahresbericht  1892  S.  282).  Und  wenn 
nun  die  Anerkennung  unseres  Standpunktes  den  italienischen  Genossen 
mit  lebhaftem  Bedauern  erfüllt,  daß  er  in  dem  verflossenen  Zeitraum 
soviel  Kraft  und  Papier  für  einen  jetzt  abgetanen  Streitpunkt  habe  ver- 
schwenden müssen,  die  er  lieber  anders  verwendet  hätte,  so  leitet  mich 
andererseits  vor  allem  der  Wunsch ,  von  dem  nunmehr  gewonnenen 
sicheren  Boden  aus,  an  der  Hand  Gaspars,  manche  in  dem  bisherigen 
Durcheinander  mir  untergelaufene  Unrichtigkeit  zu  beseitigen. 

Zu  einem  reinlichen  Resultat  wird  man  freilich  nie  kommen,  so- 
lange man  für  gewisse  Schwierigkeiten,  die  nur  zum  Teil  in  den  Oden 
selbst  liegen,  grundsätzlich  gewisse  an  sich  anfällige  Lösungen  oder  Ent- 
schuldigungen zuläßt.  Einige  Oden  sollen  verspätet  aufgeführt  sein, 
einige  zu  angeblichen  Wiederholungsfeiern  gedichtet,  andere  sollen  nur 
tibersandt  oder  mitgegeben  sein,  während  der  Dichter  die  Aufführung 
nicht  leitete  noch  ihr  beiwohnte,  ein  paar  sollen  sogar  den  Charakter 
poetischer  Episteln  tragen.  Eine  Reihe  derartiger  Aufstellungen  aus 
den  letzten  Jahrzehuten,  eine  von  diesem,  andere  von  jenem  Gelehrten, 
führe  ich  auf,  ohne  um  Vollständigkeit  mich  zu  bemühen;  das  aufge- 
führte Material  ist  groß  genug ,  um  ein  allgemeines  Urteil  zu  ermög- 
lichen. Die  kleinen  vorgesetzten  Ziffern  erleichtern  die  Auffindung  der 
betreffenden  Oden  im  nachfolgenden  Bericht,  wo  ich  die  aufgeworfenen 
Fragen,  soweit  es  nicht  in  dieser  Einleitung  geschieht,  erledige. 

Als  verspätet  werden  bezeichnet:  ^«0  10.  -■^0  12.  "P2.  *^-F  H. 
"NL  24N3.  ^iN6.  "N8.  i^N9.  29J2.  sj  4.  10  j  5.  38  j  7,  pjg. 
Gaspar  zweideutig  in  der  Tabelle  S.  181,  gegenteilig  im  Text  S.  69; 
ebenso  3  J  3  Tabelle  S.  183  gegen  Text  S.  107.J    Außerdem  gehört  hier- 


4. 

Jahresbericht  über  Pindar  1001  —  1902.    (Bornemann.)  113 

her  der  von  Caspar  und  Wilamowitz  mehrfach  vertretene  Gedanke,  daß 
oft  eine  erhebliche  Zeit,  etwa  ein  Halbjahr,  dnrch  die  Benachrichtignng 
des  Dichters,  die  Verhandlungen,  die  Dichtnngsarbeit ,  Einstadicrnng, 
Reise  zur  Siegesfeier  verbraucht  sein  müsse. 

Zu  Wiederholnngsfeiern,  Erinnerun^sfesten  und  wie  mau  es 
sonst  nennt,  sollen  erst  gedichtet  sein:  '^0  3.  ^'0  9.  -T  3.  ^^ps.  21p  j] 
^''NS.  i'N9.  29 J  2. 

Übersandt,  mitgesjebeu,  also  uicht  vom  Dichter  persönlich  auf- 
geführt wären  ^^O  H.  ^sq  7.  'hq  10.  ^^o  12.  -^P  1.  34p4  35p  5^ 
■riO.  -■»N3.  "N.  4.  fr.  124.  Hierhergehört  außerdem  die  Reihe 
sizilischer  Lieder,  die  nach  Fraccarolis  Ansicht  vor  der  von  ihm  erst 
auf  0  77  datierten  Reise  nach  Sizilien  liegen:  ^P  6.  -^P  12.  -«PS.  ^oq  6. 
"0  3.  ='P2.  ^30  2. 

Poetische  Episteln  sollen  sein,  um  frühere  Annahmen  Leop. 
Schmidts  nicht  zu  wiederholen,  -''P  2.  '''P  3.  'M  2. 

Die  Benutzung  dieser  Aushilfen  wuchert  wie  eine  Krankheit,  die 
bald  hier,  bald  da  am  Körper  auftritt.  Betreffs  der  verspäteten 
Jjieder  bemerke  ich:  Bei  P  8,  N  6  und  N  8  liegt  Gaspar  daran,  ein 
nach  den  Karapfspielen  eingetretenes  politisches  Ereignis  chronologisch 
vor  die  Aufluhrun?  der  Ode  zu  bringen.  Für  P  8  ist  dies  in  der 
Tabelle  S.  187  irrtümlich  geschehen,  da  Gaspar  selbst  im  Text  S.  167 
das  Lied  nicht  nach  den  30jährigen  Frieden  setzt,  sondern  „au  moment 
oü  les  r.egociations  etaient  actnellement  pendantes".  Für  N  6  handelt 
es  sich  um  eine  ganz  hypothetische  Deutung  des  6t^u(xov  ayöo;,  die  sich 
als  fünfte  zu  den  im  Jahresbericht  CIV  S.  178  reiht.  Über  N  8  siehe 
unten.  Anders  liegt  es  mit  den  von  Gaspar  schon  vorher  S.  128  zu- 
sammengestellten Oden.  Für  0  9  und  0  12  wird  er  selber,  statt  von 
Verspätung  zu  reden,  nichts  gegen  den  richtigeren  Ausdruck  einwenden, 
daß  diese  unter  den  olympischen  Oden  aufgeführten  Lieder  anläßlich 
pythischer  Siege  gedichtet  sind.  Daß  0  10  etwas  post  festnm  gekommen, 
war  selbstverständlich,  da  eine  ganze  Reihe  Oden  durch  die  olym- 
pischen Spiele  jenes  Jahres  veranlaßt  waren;  übrigens  wendet  sich 
Gaspar  S.  108  ausdrücklich  gegen  die  Annahme  beträchtlicher  Ver- 
spätung. Über  N  3  o<{/£  und  N  9  r.o-i  siehe  unten  bei  Behandlung  der 
einzelnen  Oden;  J  2  wird  sofort  unter  beiden  folgenden  Rubriken  zur 
Sprache  kommen,  wie  auch  P  2.  N  3.  N  9.  Für  J  7  suchte  Mezger 
S.  302  f.  iu  einem  Aufschub  die  Lösung  gewisser  Schwierigkeiten,  ähn- 
lich Gaspar  S.  62  f.  lür  J  5,  desgleichen  S.  84  für  J  4;  ich  verweise 
auf  die  Einzelerörterungen  unten,  auch  bezüglich  einer  Anmerkung  von 
Wilamowitz  zu  X  1. 

Die  Wiederholungsfeier    (annivevsaire),    die  Gaspar    S.  122 
für  J  2  annimmt,  versieht  er  selber  in  der  Tabelle  S.  183  mit  Frage- 
J.ihresbericht  für  Altertumswissenschaft,    Bd.  CXVII.    (1903,  II.)  8 


114  Jahresbericht  über  Pindar  1901  —  1902.    (Bornemann.) 

zeichen.  Nicht  so  das  „anniversaire"  für  N  3,  das  Gaspar  aus  vs.  1 — 3 
beweisen  will,  wälirend  Dissen  offenbar  nicht  hierin,  sondern  wie  später 
Beigk  in  dem  soeben  erwähnten  rj<\ii  die  Bogründunor  suchte.  Ahnlich  steht 
es  mit  dem  erwähnten  ttote  N  9,  das  wohl  auch  Sittl  (Jahresb.  1891,  5), 
Drachmaun  (1892,  273),  Boehmer  (ib.  280),  Wilamowitz  (s.  unten) 
veranlaßt  hat,  an  eine  ,,Erinne)ungsfeier"  und  dgl,  zu  denken.  Be- 
treifs P  5  war  es  Mezger  S.  223,  der  aus  der  Lage  des  Karneenfestes 
die  Annahme  einer  Wiederholungsfeier  herleiten  wollte-,  gefolgt  ist  ihm 
bierin  Christ  in  seiner  Au«gab^,  auch  Sittl  in  der  Literaturgeschichte, 
nicht  Gildersleeve  und  Fennell;  Gaspar  tut  nicht  einmal  jener  Ansicht 
Erwähnung,  Wilamowitz  setzt  das  Lied  ins  Jahr  nach  dem  Siege, 
Herbst  461,  weil  die  Beteiligung  des  Gespanns  an  den  Olympien  be- 
reits in  Aussicht  stehe.  P  3  wird  schon  von  ßoeckh  entsprechend  ge- 
faßt, dem  Mezger  beipflichtete,  während  Wilamowitz  und  Schröder 
darin  einen  Trostbrief  vorfinden.  0  9  und  P  11  findet  man  bei  Sittl 
a.  0.  genannt;  0  3  führt  Christ,  Der  Ätna  in  der  griechischen  Poesie 
(Bayer.  Ak.  1888  Heft  3)  S.  384  Anm.  auf,  als  dächte  er  so  „mit 
allen  Auslegern". 

Was  die  Übersendung  von  Oden  betrifft,  so  stehen  für  P  1 
Legrand  (s.  unten  S.  130)  und  Lipsius  verbündet.  Letzterer  sagt  (Sachs. 
Ges.  d.  W.  1900)  S.  13:  „Daß  Pindar  noch  einmal  nach  Sizilien  zurück- 
gekehrt sei,  um  persönlich  die  Aufführung  zu  leiten,  ist  .  .  .  aus  dem 
Gedicht  selber  nicht  zu  belegen"  —  und  fügt,  was  Legrand  nicht  unter- 
schreiben würde,  weiter  hinzu:  „Das  Gegenteil  dürfte  folgen,  wenn 
meine  Vermutung  richtig  ist,  daß  das  in  der  zweiten  pythischen  Ode 
angekündigte  Kajxopetov  kein  anderes  ist,  als  das  erste  pythische  Ge- 
dicht, das  dann  ebenso  wie  jene  über  das  Meer  geschickt  sein  muß." 
Ebenso  ist  Wilamowitz,  der  a.  0.  mit  der  Annahme,  P  10  setze 
Pindars  Anwesenheit  nicht  voraus,  weder  bei  den  Spielen  noch  bei  der 
Aufführung,  wohl  vereinsamt  stehen  wird  und  gewiß  auch  mit  der 
Ansicht,  daß  N4  trotz  vs.  74  xapuE  ?Toip,oc  eßav  „von  Theben  aus  übers 
Meer  geschickt"  sei,  hinwiederum  für  P  4  und  P  5  mit  Gaspar  ver- 
bündet, wenn  er  bestieltet,  daß  Pindar  je  in  Kyrene  gewesen  sei;  dies 
im  Widerspruch  zu  den  früheren  Erklärern.  Gaspar  findet  dabei  die 
Tatsache  wichtig,  daß  Pindar  den  olympischen  Sieg  des  Arkesilas  von 
460  nicht  besungen  hat  (er  feierte  Ägina  und  zwar  wegen  des  einzigen 
von  ihm  besungenen  olympischen  Sieges  eines  Ägineteu);  Wilamowitz 
seinerseits  beruft  sich  lür  P  4  auf  vs.  2,  für  P  5  auf  XsYofxsvov  Ipiu» 
und  cuvexot.  Was  aber  0  10  angeht,  so  hoffe  ich  nicht  ganz  vereinsamt 
zu  bleiben  mit  der  Überzeugung,  daß  der  bildliche  Ausdruck  vs.  85 
xd  Kap'  euxXei  Ai'pxa  ipavsv  nicht  wörtlich  auf  Pindars  Anwesenheit  ia 
Theben  zu  deuten  ist,    sondern  daß  Pindar  persönlich   in  Lokroi    war. 


Jahresbericht  über  Pindar  li'Ol  — 1902.     (Bornemann)  n5 

Übrig  bleiben  einige  Lieder,  worin  das  Wort  rejizto  oder  ein  angeblich 
vom  Dichter  beauftiagter  Vertreter  eine  Rolle  spielt:  fr.  124.  N  3. 
0  7.  P  2.  sowie  0  6  und  J  2.  Daß  tA^l-iu  nicht  beweiskräftie  ist,  hat 
längst  Graf  gelehrt,  vgl.  Jahresb.  LXVII  (189 1)  S.  1 1.  Bei  Gaspar  S.  60 
gilt  demgegenüber  Ranchensteins  Deduktion  noch  für  riclitig  (ipeziell 
für  P  2),  und  S.  106  argumentiert  er  ebenso  für  N  3;  dagegen  S.  146 
tritt  er  für  0  7  der  entgegengesetzten  .Auffassung  bei.  Anderseits  bin 
ich  mit  dem  angeblichen  Vertreter  Aiueas  in  Stymphalos  ganz  anders 
verfahren  Phil.  45.  613  und  werde  unten  auch  dem  Vertreter  Nika- 
sippos  in  J  2  auf  den  Leib  rücken. 

In  diesen  vier  Punkten  hoffe  ich  reine  Bahn  geschafft  zu  haben. 
Dagegen  räume  ich  ein,  was  ich  Jahresb.  1892,  273  bestritten  habe, 
daß  einige  Oden  sofort  am  Ort  des  Sieges  gesungen  sind.  Es  sind 
lauter  kurze  Oden;  sechs  von  einem  S3'stem  O  4.  O  11  0  12.  0  14. 
P  7.  J  3  und  die  in  fünf  einfachen  Strophen  verlaufende  N  2.  die 
schon  ßergk  u.  a.  so  faßten,  während  Mezger  an  Aufführung  aut 
Salamis  (oder  in  Acharuä)  dachte,  wie  Mezger  S.  137  für  O  4  in 
Kamarina.  Bezüglich  [0]  12  könnte  die  Tatsache  Zweifel  erwecken, 
daß  Pindar  nach  jenem  [pythischen]  Siege  Sizilien  besucht  hat;  aber 
die  Gedanken  der  kurzen  Ode  sind  so  allgemein  gehalten,  daß  sie  den 
Zuhörern  in  Delphi  eingehen  konnten,  und  für  den  Sieger  mußte  es 
ruhmvoller  sein,  wenn  die  Besleituug  von  Hierons  siegreichem  Gespann 
seiner  eigenen  Ehrnn;;  durch  Pindar  beiwohnte.  Zu  P  7  vgl.  Jahresb. 
1897.  210;  zu  P  6  die  Einzeleiörterung  nuten.  Für  0  3  möchte  Gas- 
par S.  90  die  Aufführung  in  Olympia  annehmen,  ohne  daß  Theron  selbst 
zugegen  war  (S.  92).  Was  0  8  betrifft,  so  hat  Mezger.  ganz  gegen 
seinen  zu  0  4  vorgetragenen  GruudsHtz.  den  Vortrag  in  Olympia  fest- 
gehalten und  zwar  so,  daß  Pindar  vielleicht  schon  vor  dem  Siege  sich 
zum  Dichten  hingesetzt  habe,  und  auch  Gaspar  will  aus  vs.  9  f.  die 
Aufführung  am  Festort  folgern.  Ich  meinerseits  sa^e  mit  Bergk:  „Ae- 
ginae,  nou  Olympiae  cantatum-,  und  rekapituliere  kurz  (weil  sie  leider 
in  dänischer  Spiache  verfaßt  ist)  die  umsichtige  Erörterung  dieser 
Frage  bei  Drachmaun.  Moderne  Pindarfortolkning  p  174  —  176.  Schein- 
bar gleichwertige  Instanzen  sind  einerseits  die  Aurufuui;eu  vs.  l  und  9, 
andererseits  tavSs  yiöon-^  vs.  25  und  Ösypo  vs.  51.  Nicht  gerade  durch- 
schlagend ist  -ravos  (zumal  wenn  ich  unten  P  9,  90  tocvos  nicht  auf  den 
Ort  der  Aufführun;:,  dagegen  xauTav  J  7,  27  auf  die  voi  liegende  Gegen- 
wart beziehe  und  P  1,  61  xei'vav  vou  Ätna  zu  verstehen  ist);  aber 
Heimsoeths  Deutung  vou  öeüpo  =  ,von  Kleinasien  nach  Griechenland"' 
hätte  Drachniann  mehr  als  „gezwungen"  nennen  sollen,  da  dies  Ssüpo 
mitten  zwischen  Isthmus  und  Korinth  steht  (lies  übrigens  xäx  Kopi'vöou 
Sei'paS'  e7ro«J/6p.evo;  oaiTav  xXuxav).     Die  Beifügung  eic'  'AX^sy  vs.  9  und 


116  Jahreabericht  über  Pindar  1901 — 1902.    (Bornemann.) 

vielleicht  auch  das  längere  Verweilen  bei  dem  Brandopferaltar  fällt 
ebenfalls  gegen  die  Aufführung  am  Siegesort  ins  Gewicht;  vor  allem 
aber,  abgesehen  von  der  Länge  der  Ode  und  dem  dadurch  verursachten 
Zeitaufwand  (Christ  freilich  meint  allerlei  Spuren  von  Flüchtigkeit  zu 
sehen),  sucht  man  in  Olympia  vergebens  nach  dem  für  den  Inhalt  dieser 
Ode  interessierten  Auditorium;  speziell  das  vootov  I/JIkjtov  vs.  69  wäre 
wenig  passend,  und  der  gleich  darauf  erwähnte,  tiefgebeugte  und  alters- 
schwache Großvater  hätte  die  Reise  nach  Olympia  antreten  müssen, 
während  er  doch  offenbar  beim  Anblick  des  siegreich  heimkehrenden 
Enkels  wieder  aufgelebt  ist. 

Ich  gehe  nunmehr  auf  die  chronologische  Folge  der 
Oden  ein  und  bitte  jedesmal  die  Darstellung  Gaspars  zum  Vergleich 
heranzuziehen,  auch  wo  ich  es  nicht  ausdrücklich  sage. 

Des  Dichters  Gebart  nad  Tod. 

Gaspar  S.  15  f.  und  171  f.  wählt  die  Daten  Ol.  64,  3  und  Ol.  84,  3. 
Es  muß  ihm  an  dieser  Vordatierung  liegen,  um  die  beiden  Oden  J  VII 
und  N  X  noch  vor  P  X  unterbringen  zu  können.  Lipsius  a.  0.  will 
gar  „in  Berücksichtigung  der  Schaffenskraft,  die  dem  Dichter  bis  in 
sein  hohes  Alter  geblieben  ist",  bis  Ol.  63,  2/3  hinaufgehn.  Ich  halte 
mit  V.  Wilamowitz,  Aristoteles  und  Athen  II  301  Anm.  20,  Ol.  65,  3 
und  Ol.  85,  3  für  richtig;  die  Datierung  der  «/[xt]  unter  Ol.  75  weist 
nach  chronographischem  Usus  auf  Ol.  75,  3  und  nicht  Ol.  74,  3. 

Die  Dichtungen  ordne  ich  in  drei  Perioden. 

Erste  Perlode  der  Dicbtnngen  498-478. 

1.  Pyth.  X  498.  Pindar  in  Larissa  (anders  Wilamowitz,  s.  S.  114). 
Möglich,    daß  Simonides  den  andern  Sieg  in  denselben  Spielen  besang. 

2.  und  3.  Für  Isthm.  IV  und  [Isthm.]  III  ist  die  Parallele 
im  fünften  Liede  des  Bakchylides  vs.  31 — 36,  die  Gaspar  nicht  an- 
führt, von  großer  Bedeutung.  Beiläufig  ein  neues  Argument  dafür,  daß 
jene  Worte  eatri  fioi  öeuiv  sxan  |j.upia  Tiavxa  y.lXsu{)o?  schwerlich  aus  der 
Mitte  einer  Ode  herausgegriffen  sind,  sondern  als  Anfangsworte  in  aller 
Ohren  nachklangen,  nötigen  sie  uns,  da  Bakchylides  sie  schon  476 
wiederholte,  nicht  die  Schlacht  von  Platää  und  das  nachfolgende  Wieder- 
aufleben Thebens  als  die  dem  Gedicht  zugrunde  liegenden  Verhältnisse 
zu  betrachten,  sondern  weiter  zurück  in  die  Zeit  vor  den  Perserkriegen 
zu  greifen.  Es  war  damals,  als  sich  noch  nicht  die  perserfreundliche 
Gesinnung  Thebens  hervorgekelirt  hatte,  die  den  Dichter  abgestoßen 
hat,  wie  er  denn  auch  den  olympischen  Sieg  des  Aleuaden  Hippokleas 
492  nicht  mehr  besang.  Der  Krieg,  in  dem  die  vier  Kleonymiden 
fielen,    ist    also    der    von  506    gewesen,    und   J  IV  mag  494  (April), 


Jahresbericht  über  Pindar  1901 — 1902.    (Bornemann.)  117 

[J]  III  493  (Jnli)  fallen;  die  andere  Möglichkeit  wäre  schon  498  und 
497:  —  es  mnß  nämlich,  wenn  ich  den  Text  richtig  verstehe,  eine 
Olympienfeier  mit  unglücklichem  Ergebnis  kurz  vor;iufgegangen  sein. 
J  IV  ist  in  Theben,  [JJ  III  in  Nemea  gesungen,  das  zweite  Lied  in 
gleichen  Metren  wie  das  erste,  also  wohl  aus  dem  Stegreif  von  dem- 
selben kürzlich  geschulten  Chor.  Es  wären  dies  also  Thebaner-Uden 
aus  dem  Jahrzehnt  vor  dem  Perserzuge.     Fraccaroli  setzt  sie  476. 

4.  und  5.  Pyth.  VI  und  Pyth.  XII  490.  Beide  Sieger  stammen 
aus  Akragas;  so  liegt  von  vornherein  die  Annahme  nahe,  daß  beide 
Lieder  in  Akragas  gesungen  sind.  Für  P  XTI  gibt  der  Text  dies  an 
die  Hand,  und  auch  Wilamowitz  läßt  es  mit  den  meisten  Erklärern 
dort  aufgeführt  sein,  ohne  freilich  ausdrücklich  zu  sagen,  ob  er  Pindars 
Anwesenheit  voraussetze,  aber  mit  dem  Sieger  von  P  VI  ist  Pindar 
durch  lebenslängliche  Freundschaft  verbunden  gewesen,  und  so  wird  er 
gerade  ihn  erst  recht,  als  er  seine  Heimat  besuchte,  gefeiert  haben. 
So  statuierte  auch  Mezger  die  Aufführung  von  P  VI  in  Akragas,  im 
Gegensatz  zu  Boeckh,  welcher  wohlgemerkt  nicht  aus  vs.  4,  sondern 
.aus  vs.  9  das  Gegenteil  folgern  wollte.  Betreffs  des  avaroXtCstv,  wozu 
fr.  194  Tei/iCü)}xev  eine  Parallele  bietet,  war  ich  in  meiner  Abhandlung 
Phil.  51,  467  insofern  im  Irrtum,  als  der  in  0  II  erwähnte  isthmische 
Sieg  des  Xenokrates  nicht  früher ,  sondern  augenscheinlich  0  75,  4 
fällt,  weil  die  Xotpits;  als  xoivai  bezeichnet  werden.  Vgl.  übrigens  unten 
zu  29)  J  II.  Wenn  "Wilamowitz  in  ava-  einen  Bezug  auf  fr.  90  findet, 
das  „offenbar  wenige  Tage  vorher  unter  Pindars  Führung  gesungen 
war",  so  denkt  er  offenbar  P  VI  in  Delphi  aufgeführt.  Die  Gleich- 
mäßigkeit des  Ausdrucks  ist  freilich  schlagend;  sollte  nicht  fr.  90  aus 
einem  ebenfalls  auf  Thrasybulos,  aber  sofort  am  Siegesort  gesungenen 
kurzen  Liede  stammen,  nämlich  demjenigen,  womit  der  junge  Dichter 
sich  in  Delphi  einführte,  und  dann  P  VI  in  Akragas  wirklich  ein 
dva-i:oXiCeiv  sein?  Beiläufig:  schon  a.  0.  S.  469  wies  ich  auf  die 
Schlacht  voL  Marathon  hin;  sollte  nicht  deswegen  auch  von  epippofxou 
'/powi  die  Rede  sein,  andererseits  aber  jegliche  anschauliche  Ausmalung 
der  festländischen  Dinge  unterblieben  sein?  Aus  schol.  zu  J  II  in.  geht 
übrigens  nicht,  wie  Gaspar  meint,  hervor,  daß  dem  Simonides  490  das 
„offizielle  Siegeslied"  auf  Xenokrates  übertragen  war;  vielmehr  wohl 
bei  der  Feier  des  erwähnten  isthmischen  Sieges  von  Ol.  75,  4,  wo 
Simonides  in  Sizilien  anwesend  gewesen  ist,  hat  dieser  die  beiden  Siege 
„aufgezählt"  (xaTa-rasset).  Die  herkömmliche  Auslegung,  daß  Thrasy- 
bulos seinen  Sieg  dem  Vater  überlassen  habe,  bestreitet  Gaspar;  in 
J  VII  auf  Strepsiadcs  liegt  das,  wie  wir  sehen  werden,  nicht  wesentlich 
anders,  ebenso  in  J  VIII.  Wilamowitz  gesteht,  man  müsse  nach  P  VI 
glauben,    der  Sohn   hätte  den  Wagen  gelenkt,    aber  in  J  II  werde  j» 


11g  Jahresbericht  über  Pindar  1901— 1!»02.    (Bornemann.) 

Nikomachos  genannt.  So  sei  der  Vater  als  Sieger  ausgerufen  (also 
elSev  J  2,  18  bildlich),  und  der  anwesende  Sohn  empfange  die  Huldi- 
gungen. Ich  denke,  bei  Besprechung  von  J  II  wird  uns  gerade  das 
\iv.ai(sir,Tz'  zum  Gegenbeweis  und  zur  Stütze  der  gewöhnlichen  Auffassung 
von  P  VI  werden.  Und  ist  wirklich  nach  dem  Text  von  vs.  19  ff.  da- 
selbst, wo  allerdings  Bergk  hinter  xXeivai;  ein  x'  eingeschoben  hat,  die 
Beziehung  des  Nikomachos  auf  den  delphischen  Sieg  berechtigt?  Viel- 
leicht xal  tcotI  xXetvai?  etc.  und  dann  vs.  21  f.  der  acc.  c.  inf.  puaiSt9pov 
yeTpa  .  .  .  Totv  NixofJLOt'^ou  xaxa  xaipov  l^yaXaSaoö'  aviai;. 

6.  Pyth.  VII  486  in  Delphi  gesungen. 

7.  8.  9. 10.  Ägineten-Oden  483 — 478,  auf  Ägiua.  Hiervon  gelten 
drei  den  Söhnen  Lampons,  eine  dem  Kleaudros  und  Nikokles.  Die  sorg- 
samen Darlegungen  Gaspars  wecken  zwei  wesentliche  Bedenken :  erstens 
muß  er  zu  dem  Auskunftsmittel  greifen,  daß  er  die  Feier  eines  Sieges 
von  April  480  bis  in  das  letzte  Viertel  des  Jahres  hinausschiebt,  und 
zweitens  setzt  er  die  rühmende  Erwähnung  Athens  in  der  ältesten  Ode 
Nem.  5,  48  f.  in  das  Jahr  489,  wo  die  alte  Feindschaft  mit  Agina 
wieder  aufgebrochen  war,  „r6cemment  ravivee  par  la  question  des 
otages",  um  in  offene  Feindseligkeiten  überzugehen.  Außerdem  hat 
Gaspar  die  Person  des  Nikokles  und  seinen  isthmischen  Sieg  in  Isthm. 
VIII  übersehen;  statt  der  diplomatischen  Bemühungen,  die  er  S.  68 
nach  Dissens  Vorgang  vermutet,  hätte  er  den  Heldentod  des  Nikokles 
in  den  Vordergrund  schieben,  dem  Kleandros  nur  den  nemeischen  Sieg 
zuweisen  sollen  und  das  längst  angezweifelte  aXixt'a  xe  in  vs.  1  durch 
aXixt  Ftp  x£  oder  aXtxi  Fot  xs  ersetzen.  Nehmen  wir  an,  daß  Pindar, 
der  schon  in  der  vorigen  Ode  486  die  Stadt,  in  der  er  herangebildet 
war,  bei  aller  Kürze  rühmend  zu  erwähnen  gewagt  hatte,  den  Hinweis 
auf  Athens  Bedeutung  in  Nem.  V  wohl  483  einfließen  lassen  konnte 
(die  isthmische  Eidgenossenschaft  verwirklichte  481  seinen  Wunsch),  so 
erhalten  wir  folgende  Übersicht: 

Nem.  V:  Pytheas  483  Juli  (Nem.  46) 
Isthm.  VI:  Phylakidas  482  April  (Isthm.  51) 
unbesuugen:  Pytheas  481  Juli  (Nem.  47) 
unbesungen:  Nikokles  480  April  (Isthm.  52) 

—  Olympiade  75,  1  August  480 

—  Salamis  September  480 
Isthm.  VIII:  Kleandros  479  Juli  (Nem.  48) 

—  Platää  August  479 

Frgm.  107:  Sonnenfinsternis  478  Februar 
Isthm.  V:  Phylakidas  478  April  (Isthm.  53). 
Im  letzten  Liede  würde  sich  die  gedämpfte  Stimmung  von  ant.  7' 
dann  aus  dem  über  Theben  hereingebrochenen  Verhängnis  erklären.    Daß 


Jahresbericht  über  Pindar  1001  —  1902.    (Bornemann.)  119 

Gaspar  selbst  in  der  ßichtang  dieser  meiner  Aufstellungen  vorzugehen 
geneigt  war,  aber  nicht  bis  zum  Ende  gelangte,  sieht  man  p.  62  not.  3. 
Lipsius  a.  0.  p.  4  setzt  J  VIII  ins  Jahr  478.  wohin  J  V  gehört;  nach 
Fraccaroli  fällt  N  V  485,  J  VI  483,  J  V  480. 


Zweite  Periode  der  Dicbtangen  478—458. 

Au  dem  ersten  Ülympienfest  nach  der  Schlacht  von  Salamis 
waren  die  Westhelleneu  glänzend  vertreten.  Pindar,  mit  ihnen  durch 
Thrasybulos  und  Xenokrates  längst  verbunden,  nahm  wohl  zum  ersten- 
mal teil,  wenigstens  als  Poet.  Am  Ort  des  Sieges  selbst  feierte  er  die 
Sieger  im  ratotov  a-raoiov  und  -ai'öwv  zu;  mit  11.  und  12.  Olymp.  XIV 
und  Olymp.  XI,  letzteres  Lied  nur  eine  |i.£Xi7apu;  ujtipüjv  dpya  Xoyajv 
xai  TTtoTov  opxtov  vgl.  Jahresb.  LXXXXII  p.  207  f. 

Betreffs  Olymp.  XIV  macht  sich  Gaspar  Weitläufigkeiten  wegen 
der  Papyrusnotiz  und  läßt  Pindar  schon  488  in  Olympia  auftreten,  des- 
gleichen Fraccaroli,  nicht  so  Wilamowitz.  Da  der  Eigenname  im  Papyrus 
.  sich  nicht  mehr  findet,  bleibt  die  Auffassung  zulässig,  daß  dieses  Lied 
in  Olympia  eben  an  dem  überlieferten  7G  Fest  gesungen  ist,  an  welchem 
Pindar  nach  Ausweis  von  0  XI  wirklich  dort  war.  Nur  war  dann  eben 
der  Sieger  kein  Orchonienier,  sondern  nach  Orchomenos  gehören  die  in 
der  allgemeinen  Festfeier  angerufenen  Chariten;  in  vs.  19  wäre,  statt 
des  ganz  auffällig  den  Städtenamen  ersetzenden  Adjektivs,  die  Form 
<L  Mivucia  als  Attribut  zu  BaXia  zu  lesen.  Mit  der  Berufung  auf  die 
Heimat  der  Chariten  lührte  sich  der  böotische  Dichter  aufs  passendste 
in  Olympia  ein,  und  das  vorangestellte  aocpo;  vs.  7  ist  ein  Wink  in 
dieser  Richtung.  Der  Schluß  des  Liedes  ist  bisher  dadurch  verunziert, 
daß  man  statt  veov  der  besten  Handschrift  vsav  aus  der  überwiegenden 
Mehrzahl  aufgenommen  hat;  auch  Wilamowitz  a.  0.  S.  1308  f.  will  in- 
folgedessen BaXi'a  als  Subjekt  ergänzen  und  veav  yai'tav  als  Apposition 
zu  u'iov  fassen.  Übrigens  nimmt  er  mit  Recht,  ohne  es  besonders  zu 
erwähnen,  Bergks  Lesung  e'j66$oij  an,  die  zugleich  die  Menge  der  ver- 
klingenden Ol,  von  Fa/oi  ab,  noch  um  ein  ot  vermehrt,  so  daß  es  nun- 
mehr siebenfach  ertönt.  Vorher  ist  in  vs.  14,  wo  Pauw  bereits  <ptXr)ci- 
oopre  wollte,  wohl  9iXrjjiV.o|X7:£  zu  schreiben. 

Mit  der  anschließenden  Fahrt  nach  Sizilien  begann  für  Pindar 
die  Zeit  des  reichsten  Schaffens;  die  Seelenkämpfe  der  letztvergangenen 
Jahre  (v.  Wilamowitz,  Aristoteles  und  Athen  II  328)  hatten  ihn  gereift, 
und  nun  trafen  die  Eindrücke  der  westhellenischen  Welt  sein  Gemüt. 
(Eine  Parallele  bietet  Goethes  italienische  Reise,  wie  ich  weiterhin  den 
Niedergang  Aginas  mit  der  Epoche  von  Schillers  Tod  in  Parallele 
setzen    möchte.)     Die    längst    geknöpften    Fäden    führen    zunächst   zu 


120  Jahresbericht  über  Piadar  1901—1902.    (ßornemann.) 

Theron ,  und  dessen  persönliche  Lage  gab  überdies  besonderen  AnlaU 
zu  13.  Olymp,  11.  Wie  ich  diese  großartige  Ode,  die  das  Durchein- 
ander von  Sieg  und  Leid  aufgreift,  in  ihrem  Aufbau  sowie  speziell  an 
der  vielraißhaudelten  Stelle  vom  Adler  und  den  beiden  Raben  angelegt 
denke  und  allerlei  verzweifelte  Stellen  erledigen  möchte,  dabei  darf  ich 
hier  nicht  verweilen  (siehe  oben  S.  110).  Es  handelte  sich  damals  wohl 
um  den  Tod  seiner  Gattin;  vier  Jahre  später  starb  Theron  selbst. 
Praccaroli  setzt  die  Ode  475. 

Frohere  Klänge,  in  dorischem  Ton,  schlägt  das  eigentliche  Sieges- 
lied 14.  Olymp.  III  an.  Wie  Herakles  von  den  Dienern  Apollons  den 
Ölbaum  erlangte  zum  Schmuck  des  kahlen  Festplatzes  und  zu  Sieges- 
kränzeu,  so  hat  der  Westbelleue  Pindars  Muse  gefunden:  was  will  er 
mehr?  Der  verderbte  Eingang  der  Ode  stellt  m.  E.  die  Situation  klar 
hin:  gleichzeitig  den  Dioskuren  (0  III)  und  der  Semela  (0  II)  muß 
der  Dichter  sich  widmen,  während  die  Helena  ganz  deplaciert  ist  — 
lies  xal  xaXXtirXoxü)  2e[xeXa  — ,  ihretwegen  ist  der  Dichter  öi^ptuvo;  'OXo}ji,- 
Tztovtxav  ujxvtp  (Spöcuaai?  axafxavxoTeooiuv  iit.-wv  awiov  nach  Mingarellis  ver- 
gessener Besserung,  mit  bezeichnendstem  Gebrauch  des  opilouv  von 
Niedergebeugtem.  Neben  dem  Viergespann  zweitens  der  König  selbst, 
ein  ouxaGTos  dfXaoxtüfxo?,  —  ihm  findet  der  Dichter  eine  „ neuprächtige " 
Weise  (vgl.  N  7,  Gl  axo-sivov  d-e/wv  4'°Xov  Philol.  45,  608),  ihm 
möge  die  Muse  in  den  dorischen  „Schuh"  helfen,  so  daß  der  , Schuh" 
wie  sonst  eine  Bekleidung  des  menschlichen  Fußes  bleibt,  nicht  etwa 
der  Stimme.  Mithin  denke  ich  mir  den  Text  vs.  4  flf.  so :  MoTsa  d\ 
o'jxaarov  napiaxa  jxot  veosqdtXov  eupovxt  xpoTTOv  |  Acoptw  ipcuva;  lvapixo$ai 
TceötXw  I  dYXaoxtüfJLOv. 

An  die  letzten  Worte  dieser  Ode  schließt  sich  (dieselbe  Reihen- 
folge der  drei  Oden  hat  Wilamowitz,  Gaspar  dagegen  0  III  Ol  0  II) 
sofort  in  Syrakus  der  Eingang  von  15.  Olymp.  I;  ihr  folgt  ebenda 
im  Aufbruch  nach  Ätna  16.  Nera.  I  und  im  ueugegründeten  Ätna  17. 
Nem.  IX  (nach  Fraccaroli  erst  472,  471,  472).  Gaspar  freilich  will 
Nem.  I  bereits  481  ansetzen;  er  bestreitet  die  in  den  Schollen  zu  vs.  1 
vorgetragene  Beziehung  auf  die  Stadt  Ätna  —  während  ein  Blick  auf 
sämtliche  Stellen,  wo  Ai'xva  und  Aixvalo;  vorkommt,  dem  Scholiastea 
Recht  verschafft  —  und  versteht  die  prophetische  Einkleidung,  unter 
welcher  die  Leistungen  des  Chromios  gepriesen  werden,  wirklich  so, 
als  wenn  der  Dichter  erst  eine  zukünftige  Entwickelung  ahne.  Gegen 
die  von  Gaspar  angeführte  Bemerkung  Rauchensteins  habe  ich  mich 
bereits  oben  S.  115  gewandt,  und  die  Hochzeit  des  Chromios  (Gaspar 
stimmt  in  dieser  Deutung  mir  zu)  braucht  keineswegs  vor  Gelons  Tod, 
kann  vielmehr  gleichzeitig  mit  Chiomios'  Ernennung  zum  Statthalter 
von  Ätna  stattgefunden  haben.     Möglich  sogar,    daß    in    dem    vüv  der 


Jahresbericht  über  Pindar  1901  —  1902.    (ßornemann.)  12] 

Schollen  zu  vs.  81  geradezo  ein  Nspi  v'  steckt.  Die  olympischen  Siege 
vs.  17  sind  Therons  und  Hierons;  das  Lied  selbst  betriflft  nicht  einen 
neuen  nemeischen  Sieg  des  Chromios,  vielmehr  sind  die  unglücklichen 
vss.  7  f.  folgendermaßen  herzustellen:  apixa  5'  oTpuvei  Xpo|xiou  veiieta; 
EpYjxaatv  vi/ocfopoi;  i-jxwjxiov  ^sZ^on  [isXou;  "  apyai  6s  ßlßA.TjvT'  ivOetuv  etc. 
Wilamowitz  setzt  die  Ode  Winter  476/5  vor  die  Gründung  Ätnas;  sie 
verherrliche  die  Gastfreiheit,  „einerlei  wann  der  Sieg  des  Chromios  er- 
rungen war,  über  den  die  öfifentliche  Meinung  nicht  so  günstig  urteilte, 
wie  man  dem  Liede  anfühlt".  —  Das  zweite  Lied,  Nem.  IX  ist  wirk- 
lich ,11  l'occasion  de  son  installation  ;i  Etna"  gedichtet,  nicht  als  Sieges- 
lied, und  kommt  nur  wegen  der  sikyonischeu  Trinkscliale  auf  den 
frühereu  sikyouischen  Sieg,  sowie  auf  die  sehr  geeignete  Parallele  des 
Adrastos.  nur  daß  vs.  11  ganz  deutlich  vsaiai  6sopToi;  „im  gottent- 
sprossenen Neuland •*  stehen  müßte,  ganz  wie  es  Ätna  war.  Bei  Wila- 
mowitz  reist  Pindar  „wohl  erst  475,  als  das  Meer  offen  war",  zurück 
und  „schickt"  dann  das  Lied  nach  dem  inzwischen  gegründeten  Ätna, 
um  dem  „alten  Bekannten",  „ausgedienten  General"  und  „Jubilar"  zu 
gratulieren,  für  den  man  nach  vs.  48  wirklich  einen  xüiixo;  veranstaltet 
habe;  das  Lied  müsse  „möglichst  nahe  an  P  I"  herangeschobeu  werden, 
„die  Geschäfte  der  Ansiedelung  [durch  Chromios]  waren  im  wesentlichen 
abgetan".  Mezger  S.  112  schwankte,  ob  ein  Lied  zur  Wiederkehr  des 
Siegestages,  eine  Feier  der  Zso;  A-Tvaioj  oder  ein  Gedicht  zur  Über- 
siedelung von  Syrakus  nach  Atua  vorliege.  Als  Subjekt  zu  [xav-ki  vs.  4 
hätte  er  nach  Bothe  und  v.  Leutsch  den  ufxvo;  gelten  lassen  sollen. 
Ist  daselbst  aüXav  zu  lesen  und  vs.  2  vsvrjrjvrai? 

Über  alle  diese  Lieder  (auch  fr.  118  f.  und  124  gehören  hierher) 
hat  das  dem  Lokrer  Agesidamos  versprochene  Lied  zurückstehen  müssen. 
Es  folgt  als  18.  Olymp.  X  (nach  Fraccaroli  erst  474/3).  Ga^par  lehnt 
mit  Recht  ab,  an  eine  lange  Verzögerung  zu  denken,  etwa  bis  auf  eine 
angebliche  Wiederholungsfeier;  ich  meine  sogar,  daß  Pindar  vs.  3 
eziXeXav)'  oZ  cresagt  hat  (der  Name  steht  ja  „in  seinem  Herzen  geschrieben"), 
und  fasse  vs.  85  Mpy.'z  etc.  als  poetische  Fiktion,  vgl.  oben  S.  114.  W^ilamo- 
witz  muß  die  Verzögerung  bis  471/0  ausdehnen,  wenn  er  die  Erwähnung 
der  Lokrer  in  P  II  durch  Gleichzeitigkeit  von  0  X  und  P  II   erklärt. 

Diese  ganze  Folge  von  Liedei'U  ordnet,  wie  man  sieht,  mein  alter 
Bundesgenosse  Fraccaroli  ganz  anders,  auch  nach  der  Auffindung  des 
Papyrus,  und  die  vor  Ol.  77  fallenden  sollen  aus  Griechenland  übersandt 
sein.  Seine  ausführliche  Begründung  lese  man  Riv.  di  fil.  1901  III 
385  ff.  nach;  eiue  Verhandlung  über  Pindars  Verhältnis  zu  seinen  Ri- 
valeu, das  für  Fiaccaroli  maßgebend  ist,  würde  an  dieser  Stelle  zu  w'eit 
führen,  in  Kürze  haben  sich  diese  Jahresberichte  schon  oft  gegen  die 
herkömmliche  Auffassung  erklärt. 


122  Jahresbericht  über  Pindar  1901  -1902.    (Bornemann.) 

Kurz  vor  Pindars  sizilischer  Reise  war  der  delische  Bund  ge- 
stiftet; als  er  zurückkehrte,  fiel  Eion  nach  tapferer  Gegenwehr  in  die 
Hände  der  Athener,  der  letzte  Stutzpunkt  der  Perser  in  Europa.  Den 
Dithyrambus  'EXXdoo?  e'pciajjLa  setze  ich  unmittelbar  in  Anschluß  an  dies 
Ereignis  475,  nicht  474;  denn  aus  dem  zweiten  athenischen  Dionysos- 
lied desselben  Jahres  fr.  75  geht  hervor,  daß  an  ein  Nemeentestjahr  zu 
denken  ist:  Aioftsv  ist  nach  pindarischem  Gebrauch  Beweis  genug,  und 
80  ist  auch  'Ap76ia  Nep-ea  für  mich  gesichert,  nur  daß  etwa  im  Sinne 
von  fr.  153  die  Worte  in  fok'ender  Fassung  mit  dem  Vorausgehenden 
zu  verbinden  wären:  uiraT<ov  jxev  -zt  Traxepüjv  -i-uvacAuiv  t£  Kaoixeiäv  lovov, 
I  ov  £v  'ApYeiot  Neixea  [xaXaxov  ou  Xavöotvet  |  cpoi'vixo;  epvoc.  Es  wäre  das 
eine  Begründung,  wie  ein  nemeischer  Sieg  dem  Dionysos  geweiht  werden 
könne,  indem  mau  im  Spätsommer  seines  Vaters  Zeus,  im  Frühling 
seiner  Mutter  Semele  gedenke.  (Auch  den  Anfang  der  langen,  einheit- 
lichen Periode  will  ich  mit  einigen  Änderungen  hersetzen:  Aeüf  iv 
)fopov,  'ÜXu|i.j:toi,  I  ini  xs  Xupav  T:i\mtTt  '/otpiv,  dsoi,  |  TioXußaxov  oTr'  auxeoc 
^fi(paX6v  öooevxa  |  £v  xat;  lepat?  'A&avats  I  ol'/yti-zB  iiavoaioaXov  x'  cUxXe'  dcv' 
d-ppotv  I  bSextuv  Xaßsxs  ax£9av(üv  xav  lapiopoTiov  |  Xoißav,  dioöev  x£  fjis  ouv 
(Z'/Xaia  I  ioex£  Trop£Ui)£vx'  e;  aoioav  8£ux£pov  |  im  xov  xtsaooExav  flfiov,  xov 
BpöfjLtov  'Eptßoav  T£  ßpoTol  xaXEOfiEv,  uTiaxoiv  etc.  wie  oben.) 

Habe  ich  hierin  recht,  so  gehört  doch  wohl  19.  Nem.  II  in  dies 
Jahr  475  (nach  Fraccaroli  487).  Diese  kleine  Ode  wurde  dann  schon 
in  Nemea,  also  fiüher  als  fr.  75  gesungen;  für  die  Kürze  des  Liedes 
ist  Salamis  stark  genug  hervorgehoben,  und  nur  die  Bemerkung  im 
Scholion  zu  vs.  1 ,  den  sofortigen  olympischen  Sieg  betreffend,  müßte 
dann  beanstandet  werden,  dachte  doch  nach  dem  Liede  selbst  Timodemus 
nur  an  einen  baldigen  Kampf  in  Delphi  und  auf  dem  Isthmos.  (Anders 
Christ,  Heptas  S.  146  ff.)  Die  auffällige  Zurückhaltung  von  den  athe- 
nischen Spielen  ist  durch  Bergks  Besserung  am  Schlüsse  der  Epodos 
beseitigt. 

yermutungsweise  gehört  hierher  (475)  auch  20.  Nem.  VII,  weil 
die  Änderung  von  JA  in  N  als  die  leichteste  erscheint.  Fraccaroli  setzt 
es  zwischen  468  und  460. 

Gesichert  ist  die  Ansetzung  der  Oden  des  nächsten  Jahres  (474). 
Es  sind  21.  Pyth.  XI  und  22.  Pyth.  IX.  Jenes  ist  die  erste  The- 
baner-Ode  seit  J  III:  die  Krisis  von  479  hat  den  alten  Hiß  geheilt. 
Sicherlich  will  der  Mythus  von  P  XI  mehr  als  ,,un  salutaire  effroi  des 
grandeurs"  bezwecken;  habe  ich  ihn  früher  auf  die  Familie  des  Siegers 
gedeutet,  so  wäre  ich  jetzt  geneigt,  ihn  auf  die  Vaterstadt  zu  beziehen: 
Agamemnons  Los  das  Los  von  Theben,  jetzt  aber  Thrasydaios  als  erster 
Sieger  nach  dem  Unglück  ein  Orestes.  (Wilamowitz  a.  0.  erörtert  die 
zuletzt  von   mir  Phil.  N.  F.  VI  S.  41  f.  behandelten  vss.  41  ff.     Dabei 


Jahresbericht  über  Pindar  1901  —  1902.    {Bornemann. )  ]23 

wird  durch  Billigung  der  Christschen  Änderung  ixtjöoio  die  Honoraridee 
künstlich  hineingetragen;  und  wenn  gesagt  wird,  daß  ..[Vater  oder  Sohn] 
dem  Pindar  das  Silber  gegeben  hat  .  .  .,  das  an  seiner  (Piudars!)  Muse 
Zunge  sitzt",  ferner  daß  „die  Zunge,  die  Silber  unter  sich  hat,  nicht 
das  Gold  der  Wahrheit  redet,  sondern  das  plattierte  Silber  des  erkauften 
Lobes",  und  zugleich  der  ,,Hohn"  hervorgehoben  wird,  womit  Pindar 
die  Zumutung  aufnehme,  ,,daß  er  feil  wäre",  so  finde  ich  durch  diese 
Folge  von  Sätzen  nicht  hindurch:  ist  denn  nun  Pindar  ujidfpppoc  oder 
nicht?  W,  schreibt  xh  8'  e-eöv  .  .  .,  beginnt  den  Hauptsatz  erst  mit 
f-,  ergänzt  darin  ,,\j.a^olo  juviOau  u.  s.  w.",  läßt  das  ,, intransitive"  xa- 
pajffefiev  von  TrapE^eiv  cpcuvav  abhängen.  Warum  vermeidet  der  Dichter 
das  einfache  ouviöeu  cptuvä  uirotp^üptp  .  .  .  xapajjeixsv?)  Dagegen  in  P  IX 
steht  Theben  zu  wenig  im  Vordergründe,  um  uns  an  eine  Aufführung 
daselbst  denken  zu  lassen;  vielmehr  geht  aus  vss.  97 — 103  Pindars 
häufige  Anwesenheit  in  Athen  hervoi',  und  es  wird  eine  Atheuerin  sein, 
die  der  Ägide  nach  Kyrene  heimführt  (nicht  eine  Thebaneriu,  die  Pindar 
ihm  empfiehlt,  wie  Gaspar  meint).  Aber  vor  dem  athenischen  Publikum, 
das  auch  die  Jolaosaffäre  mit  Eurystheus  vs.  80  angeht,  welche  die  Aus- 
lieferung der  Herakliden  durch  die  Athener  betraf,  legt  der  Dichter 
ein  waimes  Wort  für  die  Heimat  des  Ägiden  Telesikrates,  für  seine 
eigene  Heimat  ein:  xoTai  vs.  89  sind  die  Aipxaia  uSaxa  (vs.  87  habeich 
schon  früher  jxev  statt -jj-tq  vermutet),  und  durch  Telesikrates  überwindet 
der  Thebaner-Ägide  die  aqaXöv  dtiiayaviav,  nachdem  dieser  (vs.  90  wohl 
Ai-ftva  ae)  auf  Aigina,  in  Megara  und  Pytho  siegte.  —  Anders  Wila- 
mowitz  a.  0.:  „Nicht  lange  nach  P  XI,  wohl  473  erst,  richtet  er  wieder 
iu  Theben  einem  Kyrenäer  Telesikrates  ein  Fest  für  die  Siege  aus,  die 
er  sich  474  in  Delphi  und  dann  in  Theben  errungen  ...  Vs.  76  axova: 
Kleines  auszuschmücken  reizt  den  guten  Dichter  .  .  ,  Vs.  80  viv  ist  nicht 
der  xaipo;,  sondern  der  Sieger  Telesikrates,  auf  den  delphischen  folgt 
der  thebaniscbe  Sieg  .  .  .  Vs.  90:  'Dreimal  habe  ich  schon,  in  Aigina 
und  Megara,  diese  Stadt  [Theben]  gerühmt,  mit  der  Tat  beweisend, 
daß  ich  nicht  verlegen  und  ratlos  schweige'.  Freund  und  Feind  soll 
diese  meine  Tat  nicht  totschweigen.  So  kämpft  er  um  seine  Stellung," 
of.  N  VII.  P  XI. 

Eine  Politik  der  Sammlung  scheint  dem  apollinischen  Sänger  in 
diesen  Jahren  am  Herzen  gelegen  zu  haben;  das  erste  Zeichen  einer 
Kräftigung  Thebens  470  führt  v.  Wilamowitz,  Aristoteles  und  Athen 
n  300  an.  Aber  die  zwischenliegendea  Gedichte  sind  von  unsicherer 
Datierung.  Einigermaßen  gesichert  mag  die  von  23.  Nem.  IV  auf  473 
erscheinen  (so  Gaspar  nach  Bergk,  auch  Wilamowitz,  ohne  „zu  sehr  auf 
dem  Jahr  zu  insistieren";  Fraccaroli  474),  aber  ohne  die  Christ-Gas- 
parsche  Deutung  des  Zwischenstücks  vs.  36 — 43;    es  mag  ausdrücken, 


124  Jahresbericht  ober  Piadar  1901—191)2.    (ßornemann.) 

(laß  der  Dichter  die  Hoffnung  für  Theben  nicht  aufgibt:  lies  ävTixsiv* 
im.  ßwXi'a  statt  ImßouXi'a,  desgleichen  «poßspot  fi'  aXXoi  avJjp  ßXeTuoiv  statt 
^öovepa. 

Für  24.  Nem.  III  (Praccaroli  475)  sind  unsere  Handhaben  ge- 
ringfügig. Zu  den  von  Gaspar  als  „les  plus  frappants"  bezeichneten 
Analogien  bei  Christ,  bayr.  Akad,  1889  bemerke  ich:  neben  die  erste 
gesellen  sich  P  10,  28  (aus  498)  und  J  4,  11  ff.  (vermutlich  aus  494); 
die  zweite,  noch  allgemeinere,  tritt  ebenfalls  0  11,  4  fif.  J  1,  41  f.  J  3, 
1  if.  fr.  42.  fr.  121  auf;  die  dritte  fällt  weg,  da  sich  m.  E.  0  2,  94 
aufs  Leid  bezieht  und  die  Art,  wie  Theron  und  Xeuokrates  es  tragen. 
(Auch  Wilamowitz  fußt  auf  den  Analogien  zu  0  II  und  meint,  das  Lied 
werde  ,,auf  der  Reise  gemacht  sein";  auf  der  Hin-  oder  Rückreise?) 
Dennoch  kommt  meine  Vermutung  etwa  in  dieselbe  Zeit  wie  Christ 
und  Gaspar.  Die  ausführliche  Schilderung  in  ep.  7'  scheint  mir  auf 
Salamis  anzuspielen;  aber  es  wird,  da  der  Sieger  schon  älter  ist,  eine 
gewisse  Zeit  verstrichen  sein,  wiederum  freilich  nicht  eine  allzu  lange. 
Die  Nemeen  479  sind  überdies  ausgeschlossen  wegen  des  Pankration- 
siegers  von  J  VIII;  auch  gewiß  die  von  477,  da  der  Achilleusmythus 
gerade  erst  in  der  vorigen  Aginetenode  verwertet  ist;  dann  475  wegen 
des  Siegers  von  N  II.  Zwischen  470  und  446  aber  sind  uemeische 
Lieder  Piudars  nicht  erwiesen.  Mithin  bleiben  die  Jahre  473  und  471 
(zwischen  denen  ich  die  Wahl  lasse;  bei  der  Wahl  des  späteren  Da- 
tums würde  das  Lebensalter  des  Siegers  ein  wenig  höher,  und  hierauf 
bezieht  sich  doch  das  vielberufene  d^i).  Dazu  stimmt  das  längere  Ver- 
weilen bei  Cheiron,  ganz  wie  in  Liedern  von  474,  473,  470  (freilich 
auch  von  479  und  462),  sowie  die  Betonung  der  Bundesgeuossenschaft 
zwischen  Telamon  und  Jolaos,  die  an  die  Erwähnung  des  Jolaos  in 
Athen  474  und  an  die  Zusammenstellung  mit  den  peloponnesischen 
Dioskuren  474  erinnert  (letztere  freilich  auch  in  der  Ode  J  I  von  458). 

Den  ersten  Teil  dieser  Periode  schließen  wieder  einige  Lieder 
für  Sikelioten.  Die  auf  der  Insel  eingetreteneu  Veränderungen  scheinen 
den  Hierou  veranlaßt  zu  haben,  Pindar  nochmals  heranzuziehen,  daher 
470  die  Beschickung  der  pythischen  Festfeier.  Neben  ihm  tritt  dort 
der  Himeräer,  früher  Knossier  Ergoteles  auf,  der  Sieger  von  25.  Olymp. 
XII  (oben  S.  115).  Daß  dies  Lied  wirklich  ein  pythisches  sei,  konnte 
Lipsius  bereits  im  Philologus  1891  S.  245  von  mir  ausgeführt  finden, 
ganz  wie  betr.  Ol.  IX;  statt  dies  zu  erwähnen,  führt  er  eine  Jahresb.  XLII 
p.  78  von  mir  versuchte  Textänderung  an,  die  ich  ersteren  Orts  bereits 
als  verfehlt  zurückgenommen.  Auch  Wilamowitz  setzt  0  XII  „zuerst", 
aber  es  sei  dem  Ergoteles  „mitgegeben"  und  in  Himera  aufgeführt; 
auch  brauche  es  ,, nicht  gleich  gewesen  zu  sein,  denn  das  Danklied  gilt 
seiner  ganzen  Athletenlaufbahn",  „als  er  der  Siege  genug  hatte".    Die 


Jahresbericht  über  Pindar  1901— m02.    (Boroemann.)  125 

Datierung  des  zweiten  Sieges  des  Ergoteles  in  den  Ambrosianns-Scholien 
mit    einen  Abstand    von    15  Jahren    ist   durch   den  Papyrns  bestätiRt. 

Nun  folgen  die  gleich  darauf  auf  Sizilien  gesungenen  Oden  für 
Hieron  26.27.  28.  Pyth.  III,  Pyth.  II,  Pyth.  III,  die  ich  jetzt  als 
gleichzeitig  ansehe;  Näheres  darüber  unten  bei  Besprechung  der  Ab- 
handlung von  V.  Wilamowitz.    Fraccaroli  setzt  sie  477,  476,  470. 

Es  bleiben  30.  29.  Olymp.  VI  und  Isthm.  II  übrig.  Jene  Ode 
fällt  ins  Jahr  468  (Fraccaroli  476),  sie  ist  in  Stymphalos  gesungen. 
Meine  Darstellung  im  Philol.  1887  S.  589  f.  ist  Gaspar,  der  sich  die  Lage 
etwas  anders  denkt,  entgangen.  Schröder,  Pindarica  IV  (s.  unten)  will 
sie  vier  Jahre  früher  setzen;  denn  wer  sich  für  468  entscheide,  ver- 
wandle ,,den  stolzen  und  herzlichen  Gruß  in  eine  Offerte:  468  hatte 
Hierons  Viergespann  in  Olympia  gesiegt  und  war  für  einen  rührigen 
Epinikiendichter  vielleicht  noch  zu  haben;  vielleicht  aber  war  ein  ge- 
wisser Epinikiendichter  nicht  mehr  zu  haben".  Ein  ähnlicher  Gruß  wie 
in  0  VI  ist  im  Schluß  der  Ode  Isthm.  II  eingeschlossen,  deren  Datierung 
auf  das  Jahr  470  Gaspar,  wohl  an  der  Hand  der  Christschen  Ausgabe, 
als  „assign^  g6u6ralement'*  bezeichnet  (Fraccaroli  472/1).  Die  Begrün- 
dung dieser  ,, allgemeinen"  Annahme  ist  mir  nicht  bekannt,  doch  komme 
ich  zu  demselben  Ergebnis.  J  II  ist  kein  Siegeslied,  sondern  £7:1  -csrs- 
XeoTTixoTt  TW  Esvoxpaxei,  wie  Asklepiades  bemerkt  hat  (vgl.  denselben 
guten  Gewährsmann  auch  zu  N  VI).  Für  mich  ist  ein  Personenwechsel 
iß  ep.  7'  ausgeschlossen,  Thrasybulos  war  doch  nach  der  herkömmlichen 
Auffassung  von  P  VI  ein  vixajtTirroc  —  nur  daß  vielleicht  aXXa,  ^iY.oizir.T\ 
oTToveinov  zu  lesen  ist.  Dann  ist  ^eivoc  vj^aio;  Hieron,  der  Attvaioc  $evo; 
Set'voi;  Oauii-ajToc  r.a.-r^p  von  470  (P  3  69  und  71).  ,, Jedesmal  wenn" 
Thrasybulos  zu  ihm  kommt,  soll  er  seines  Vaters  Xenokrates  Lob  singen. 
Mithin  weiter:  Thrasybulos  hat  sich  nach  dem  Zusammenbruch  der 
Emmeniden  in  Akragas  anderswohin,  nicht  nach  Syrakus  begeben  — 
oder  richtiger  Xenokrates  mit  seinem  Sohne  Thrasybulos:  ohne  Grund 
läßt  Gaspar  S.  92  (diesmal  von  Bury  abweichend)  den  Xenokrates  „vor" 
Hieron  sterben,  während  doch  der  Tod  desselben  als  Anlaß  von  J  II 
zu  betrachten  ist.  Bei  den  Beziehungen  der  Emmeniden  zu  Argos  liegt 
es  nahe,  an  Übersiedelung  nach  Argos  zu  denken  (wie  Thrasydaios 
nach  Megara  flüchtete)  und  unter  dem  von  Geld  und  Freunden  verlassenen 
,Argiver"  vs.  9  wirklich  den  Thrasybulos  zu  verstehen:  „jetzt  mahnt 
das  Wort  des  Argivers,  aufs  Geld  zu  sehen"  —  das  erste  ypi^iJiaTa  zu 
^uXa$ai  gezogen.  Ich  nehme  also  an,  daß  das  Lied  wirklich  470,  aber 
in  Syrakus  aufgeführt  ist,  wohin  sich  der  Argiver  etwa  mit  dem  del- 
phischen Reisezug  des  Hieron,  gemeinsam  mit  Pindar,  begeben  hatte. 
Hier  nämlich  konnte  eine  Gedächtnisfeier  für  den  Emmeniden  noch  auf 
Verständnis  rechnen.    Ganz  anders  stellt  sich  Wilamowitz.     Nach  dem 


126  Jahresbericht  über  Pindar  1901  —  1902.    (Boraemann.) 

Tode  des  Senokrates  soll  Thrasybulus  rahig  in  Akragas  gelebt  haben 
(471 — 468),  als  der  greise  Simonides  dort  sich  aufhielt.  Diesem  sollen 
in  dem  damals  durch  einen  unbekannten  Nikasippos  überbrachten  „Brief" 
J  II  allerlei  Grobheiten  („stark  genug  ist  der  Angriff",  sagt  W.)  gelten; 
nicht  bloß  9tXox£pSiQc,  sondern  auch  epYaxtc  im  Sinne  von  ropvT)  sollen 
auf  ihn  gehen,  sowie  auch  weiter  die  au  Thrasybul  gerichteten  Worte: 
„nun  bist  du  ja  klug  genug,  du  weißt  ja,  wie  es  mit  dem  isthmischen 
Siege  gegangen  ist,  wie  spät  das  Lied  des  Simonides  gekommen  ist" 
—  ,,wohl  erst  475 — 472"  —  „und  wieviel  es  gekostet  hat";  Thrasy- 
bulos  soll  Pindars  Lied  nicht  vergessen,  weil  er  sich  von  berechneter 
Mißgunst  hat  beeinflussen  lassen,  denn  ,,ich  habe  es  nicht  säumig  ge- 
macht". Der  isthmische  Sieg  soll  „bald  nach  490"  errungen  sein,  da 
derselbe  Wagenlenker  [wie  P  VI]  ihn  gewann,  „als  eben  Xenokrates 
einen  Marstall  in  Hellas  hielt"    —  vgl.  dagegen  oben  zu  ^Pyth.  VI. 

In  der  andern  Hälfte  der  Periode  folgen  einige  Aufträge  beson- 
derer Art.  Für  das  pythische  Siegeslied  (siehe  zu  0  XII)  31.  [Olymp.]  IX 
(466)  war  augenscheinlich  ein  offizieller  Auftrag  der  Gemeinde  Theben 
ergangen,  den  Proxenos  in  Opus  zu  ehren.  Wenn  ßobert  bemerkt,  der 
Papyrus  bestätige  aufs  glänzendste  G.  Hermanns  Ansetzung  von  0  IX 
in  diese  Olympiade,  der  „nur  Lübbert"  zugestimmt  habe,  so  ergibt 
Jahresb.  1885  S.  97,  daß  nicht  Lübbert,  sondern  ich  in  einem  Referat 
über  ein  Lübbertsches  Programm  so  geurteilt  hatte.  Einen  „elenden 
Schwindler"  in  den  Schollen  meint  Christ,  Heptas  (Bayer.  Ak.  1900 
S.  144  f.)  zu  entlarven. 

Bei  den  voraufgegangenen  Festspielen  lernte  der  Dichter  wohl 
den  berühmten  Sieger  von  Rhodos  kennen,  welchem  464  die  Ode 
33.  Olymp.  VII  gilt,  nachdem  auf  der  Zwischenstation  Korinth 
32.  Olymp.  XIII  für  den  TpidoXujxTctovtxa;  oTxoc  des  Epharmostos  auf' 
geführt  war.  Die  Oden  34.  35.  Pyth.  IV  und  Pyth.  V  ließ  Pindar 
462  in  Kyrene  singen  (s.  oben  S.  114).  460  hat  er  die  Freude,  gar 
einen  olympischen  Sieg  aiif  Ägina  zu  feiern,  36.  Olymp.  VIII,  siehe 
S.  115,  und  zuletzt  setze  ich  vermutungsweise  37.  38.  Nem.  VIII  und 
Isthm.  VII  hierher  (Fraccaroli  475  und  457). 

Wegen  Nem.  VIII  hätte  sich  Gaspar,  der  doch  Mezgers  Ansicht 
adoptiert,  also  dessen  Kommentar  einsah,  mit  BuUes  Hypothese  oder 
vielmehr  mit  dem  Zeugnis  des  Didymos  auseinandersetzen  sollen. 
Denn  den  Wert  der  nemeischen  Liste  bezweifelt  Gaspar  betr.  N  VT 
flicht,  wie  Mezger  es  tut,  und  das  Ziffernverderbnis  zu  N  VII  (etwa 
lA  statt  N)  beeinti  ächtigt  den  Wert  der  Liste  nicht.  Die  hochfeierliche 
Betonung  des  Wertes  und  gar  des  Alters  der  Dichtung  im  Gegensata 
zu  dem  dunklen  Treiben  der  icot'p'faüic  würde  trefflich  zu  der  Tatsache 
«timmen,  daß  die  beiden  (in  zwei  Nemeaden  und  unmittelbar  hinterein- 


Jahrpsbericht  über  Pindar  1901  —  1902.    (ßornemann.)  127 

ander)  zum  Sieg  gelaugten  Läufer,  der  inzwischen  verstorbene  Vater 
und  der  Sobn,  als  Agineten  aus  den  Listen  gestrichen  sind,  wogegen 
der  Dichter  üflfentlich  sich  verwahrt.  Dem  jugendlichen  Dichter  von 
491  (Guspar  meint  ein  Jugendgedicht  vor  sich  zu  haben)  steht  solche 
Rede  niclit  an;  die  Sache  n)nß  passiert  sein,  als  das  mit  Athen  ver- 
bündete Argos  die  Vorsteherschaft  der  uemeischen  Spiele  errang  und 
der  „peloponnesische"  Krieu  von  458  ff.  sich  entspann.  Der  Krieg 
selbst  ist  nicht  vorausgesetzt  in  unserer  Ode,  andererseits  für  0  Vllt 
(von  460)  liegt  die  häßliche  Affäre  von  den  Nemeen  noch  nicht  vor. 
Es  wird  also  der  Vater  461,  der  Sohn  459  gesiegt  haben  und  459  die 
Streichung  erfolut,   Pindars  poetischer  Widerspruch  verfaßt  sein. 

Über  Ist  hm.  VII  ist  folgendes  zu  bemerken.  Gaspar,  der  diese 
Ode  schon  502  setzt  (ihm  gilt  als  Geburtsjahr  Pindars  522),  hebt 
hervor,  daß  das  unglückliche  Gefecht,  in  welchem  der  ältere  Strepsiades 
gefallen,  erst  kürzlich  stattgefunden  hat;  er  nimmt  immerhin  einen 
auffälligen  Abstand  von  vier  Jahren  au,  und  außerdem  ist  zu  erinnern, 
daß  das  Schlachtenhagelvvetter  in  vs.  27  mit  rau-ca  bezeichnet  wird, 
also  sich  offenbar  noch  nicht  verzogen  hat.  Andererseits  wendet  sich 
Gaspar,  ähnlich  wie  Mezger,  mit  Recht  gegen  die  Datierung  Boeckhs, 
dessen  Ausführungen  hinwiederum  v.  Wilamowitz  als  „meisterhaft"  ge- 
würdigt hat.  Den  von  Mezger  versuchten  Ausweg  habe  ich  oben  S.  113 
abgelehnt;  aber  ein  ähnlicher  Ausweg  muß  denn  doch  gesucht  werden. 
Was  steht  im  Wege,  daß  wir  das  erfolgreiche  Vorgehen  der  Phokier 
gegen  Theben  bereits  in  das  Frühjahr  458  setzen?  Die  Niederlage  der 
Athener  in  der  Halike  ist  dann  der  Grund  für  die  freudigere  Stimmung 
der  Ode.  Übrigens  hat  der  junge  Sieger  (&aXoc  vs.  24)  seinen  Sieg 
(dpexav  vs.  22)  dem  gleichnamigen  Oheim  gewidmet:  d'Yst  t'  dpsTdv  o-ix 
ai'j^fiov  cpuac  |  ^Xs^söotsav  Io-X6y.o>.zi  Motjat;  |  jAdrpuJt  d'  ö[i.u)vuij.w  oiotoxs, 
xoivdv  bdloi  (so  teils  mit  den  Handschriften  gegen  die  Ausgaben,  teils 
nach  Vermutung). 

Was  über  39.  Ist  hm.  I  von  Gaspar  ausgeführt  wird,  billige  ich 
fast  durchgehends,  speziell  die  Datierung  auf  458  (Fraccaroli  „nach 
468").  Nur  hätte  er  sich  mit  dem  eingeflickten  Orchomenos  und  der 
von  Didymos  mit  einem  etxoc  hzi  angebotenen,  später  nnbezweifelt 
weitergegebenen  und  immer  mehr  ausgeschmückten  Erklärung  für  diesen 
doppelten  Domizilwechsel  (Orchomenos  —  Theben  —  Orchomenos)  nicht 
so  rasch  einverstanden  erklären  sollen.  Zu  meiner  Freude  dagegen 
sehe  ich,  daß  Wilamowitz  in  seiner  Rezension  des  Gasparschen  Buches 
DLZ  1901  die  Entdeckung,  daß  Asopodoros  als  Mitkämpfer  bei  Platää 
von  Herodot  erwähnt  wird,  dem  belgischen  Gelehrten  ganz  besonders 
zum  ßuhme  anrechnet;  Gaspar  irrt,  wenn  er  sagt,  ich  hätte  dies  1893 
als  ,uüe  simple  conjecture"  vorgebracht,    vielmehr  habe  ich  nur  nicht 


128  Jahresbericht  über  Pindar  1901  —  1002.    (Bornemana.) 

ansdrücklich  hinzuffefügt,  daß  bisher  niemand  auf  den  Text  des  Herodot 
verwiesen  habe.  Wieder  anders  sieht  die  Sache  in  der  Rezension 
Legrands  aus  (REG  XIV  102),  womit  man  Gaspar  selbst  vergrleichen 
wolle:  „qni  croirait  que  depuis  des  annees  on  repcte  comme  une 
hypothese  que  le  pere  d'H^rodotos  de  Thöbes,  Asopodoros,  ccmbattit 
peutetre  ä  Platte,  alors  qu  Herodote  ie  norame  en  toutes  lettres?" 
übrigens  legt  die  Erwähnung  von  Delos  „ev  7.  x£yu|i.at"  —  ich  habe 
a.  0.  in  gereimter  Übersetzung  dies  wiedergegeben  mit  der  Wendung 
„wohin  mich  Gott  geführt"  —  uns  den  Gedanken  nahe,  einmal  statistisch 
festzustellen,  wann  Delos,  Lato,  Latoidas,  Artemis  in  den  Liedern  des 
delphischen  Sängers  auftreten.  Es  beschränkt  sich  dies  genau  auf  den 
Rahmen  der  Periode  478—458,  die  ich  als  „zweite"  der  Dichtungen 
bezeichnet  habe  und  deren  Beginn  mit  der  Stiftung  des  Delischen 
Bundes,  sofort  nach  der  für  Theben  verhängnisvollen  Entscheidung, 
zusammenfällt.  Wir  finden  L  Delos:  N  1,  4  (476)  Ortygia  als  o£fx.viov 
'ApT£}iiSoc  Aa'Xou  xotaqvrjTov  cf  fr.  250  —  P  9,  10  (474)  AaXtov  Seivov 
—  P  1,  39  (470)  Xuxis  xal  AaXu)  Favasawv  Ooiße  flapvajto  -e  —  0  6,  59 
(468)  AdXou  axoTtov  —  unsere  Stelle  J  1,  3  If.  (458)  —  endlich  fr.  87 
Delos  selbst  besungen  als  feste  Zuflucht;  2.  Lato:  0  3,  26  (476)  Aatoü; 
Ou-ja-n^p  Artemis  —  0  8,  31  (460)  ::au  6  Aaroü;  Apollon  — .  außerdem 
fr.  89.  117.  139;  3.  Latoidas:  N  9.  53  (476)  —  P  9,  5  (474)  —  P  3,  67 
und  P  1, 12  (470);  4.  Artemis:  N  3,  50  (471  oder  473)  —  P  3,  10  und 
P  2,  7  (470).  Mit  den  politischen  Veränderungen  im  Anfang  der 
fünfziger  Jahre,  mit  der  Verlegung  der  Bundeskasse  und  dem  Nieder- 
gang Aginas  hören  diese  Erwähnungen  auf  Späteren  Datums  ist  nur  die 
kyrenäische  Stelle  P  4,  259  (462)  Aaxoi'Sa;,  die  an  P  9,  5  von  474  an- 
schließt, sowie  ebenda  P  4,90  ßsXo;  'ApT£[xioo?,  endlich  in  dem  vielleicht 
erst  in  die  letzten  Jahre  Pindars  anzusetzenden  Liede  N  VI  die  Stelle 
aowv  spveui  Aaxoü?,  vielleicht  mit  besonderer  Beziehung  auf  einen  früheren 
Aufenthalt  des  Kreter- Ägineten  Alkimidas  auf  Delos;  auch  die  Heimat 
des  Siegeis  von  0  XII  war  Kreta.  Die  letzte  Erwähnung  dagegen  in 
der  obigen  Reihe  findet  sich  im  thebanischen  Liede    von  458  J  I. 

Der  Sonnenglanz  von  458  war  vergänglich.  Bei  Kekryphaleia 
schon  schlug  der  Erfolg  um,  auf  das  glücklichere  Gefecht  von  Tanagra 
folgte  sofort  die  Katastrophe  von  Oinophyta:  in  Theben  kam  die  De- 
mokratie ans  Rader,  und  damit  ist  Pindars  Verbindung  wieder  gelöst, 
ebendeswegen  454  der  zweite  Sieg  des  Thrasydaios,  des  Siegers  von 
P XI,  nicht  besungen;  Ägina  aber  muß  im  Winter  457/6  sich  ergeben. 

Letzte  Perlode  der  Dlchtongen  458-438. 

Sicher  datiert  sind  nur  40.  42  Olymp.  IV  von  452  und  Pyth. 
Vm  von  446.    Dort  ist  Pindar  nach  langer  Pause  wieder  einmal  Zeuge 


Jahresbericht  über  Pindar  1901  —  1902.    (Bornemann.)  129 

der  utj/rjXoTaxa  aeOXa  und  freut  sich  über  das  Ergehen  der  Westhellenen, 
ohne  Sizilien  wieder  zu  betreten;  hier  predigt  er  Ägina,  seiner  zweiten 
Heimat,  Fassung. 

Gaspars  Erörterungen  zu  41.  Nem.  VI  (diese  freilich  ist  nur  durch 
Anklänge  auf  447  fixiert,  Fraccaroli  zieht  460  vor),  42.  Pyth.  VIU 
von  446  und  das  in  die  letzte  Lebenszeit  des  Dichters  446—438 
fallende  Lied  43.  [Nem.]  XI  habe  ich  nichts  Wesentliches  hinzuzufügen; 
die  Form  'ApxesiXac  in  letzterem  ist  durch  den  rhythmischen  Periodeu- 
bau  der  Epodos  3d3d.2e3d2e.3d3d  gesichert,  wohl  aber 
könnte  im  Skoliou  fr.  123  geleseii'  werden  Fleiötu  te  vai'ei  |  xal  Xapi; 
uioü  'ApxejtXa.  Endlich  aber  füge  ich  —  denn  Theoxenos  führt  uns 
von  Teuedos  nach  Argos  —  die  Argiverode  44.  [Nem.]  X  in  diese  Zeit, 
nach  Abschluß  des  dreißigjährigen  Friedens  ein,  die  Graspar  501  setzt. 
Wirklich  kann  mau  wegen  der  politischen  Lage  nur  schwanken  zwischen 
der  Zeit  vor  494  und  nach  446;  und  daß  ihr  keine  Spuren  der  Jugend- 
lichkeit anhaften,  läßt  sich  dartun  (siehe  S.  110).  LenJrum  in  CIR  1902, 
267  ff.  hat  unter  lebhaftem  Widerspruch  gegen  Gaspar  die  Datierung 
kurz  vor  460  (Fraccaroli  468— 460)  vorgeschlagen;  das  wäre  Rückkehr 
zu  Dissens  Meinung,  die  von  Gaspar  S.  33  not.  3  abgetan  ist.  Demnach 
würde  Piudars  Epinikiendichtung  —  ein  eigener  Zufall  —  schließen 
mit  jenem  ava  o'  eXuaev  \ik'j  (J^öaXfiov,  ezsira  8t  cptovav  yaXxofiiTp« 
KajTopo;. 

n. 

v.  Wilamowitz-Moellendorff,  Hieron  und  Pindaros.  in: 
Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  1901,  S.  1273—1398. 

Ph.  E.  Legrand,  Sur  Tintention  et  la  composition  de  la  denxiöme 
Pythique  de  Pindarc.  In:  Revue  Universitaire,  15.  Mai  1902,  8.  473 
—484. 

0.  Schröder,  Pindarica  IV.    In:  Philo].  61  (1902),  S.  356—373. 

Die  Datierungen  von  P  I.  IL  III,  zu  welchen  diese  Verfasser, 
Gaspar  und  ich  gelangt  sind,  stelle  ich  an  die  Spitze  (cf.  oben  S.  125): 

a)  Gaspar:  P  II  477/6,  da  Hieron  hier  nicht  König  tituliert 
werde  (lediglich  negativer  Grund,  zum  Überfluß  vergleiche  vs.  14!)  und 
die  Lokreraffäre  frisch  vorliege;  die  Intimität  erkläre  sich  duich  vei-- 
mutlich  vorausgegangene  frühere  Gedichte.  P  III  476,  abei'  vor  der 
sizilischen  Reise,  da  der  olympische  Sieg  nicht  erwähnt  wird  (wieder 
iiegativer  Grund :  der  pythische  erweckt  eben  die  Erinnerung  an  die 
pythischen  in  den  Tagen  der  Jngendkraft!),  trotz  Ai-rvaTo;  $£vo;,  was 
vielleicht  die  „Planung"  der  Neugiündung  voraussetze;  es  sei  das 
Jahresbericht  für  AltertumswisseBSchaft.    Bd.  CXYII.    (1903.    II.)  ^ 


130  Jahresbericht  über  Pindar  1901  — 1902.    (Bornemann) 

8u3iaTr^piov,  was  die  Scholien  fälschlich  bei  P  II  vermerkten.     P  I  470, 
das  vuv  -/£  {jiev  gehe  nicht  auf  Kyme,  sondern  auf  Thrasydaios. 

b)  Wilaniowitz :  0  I  im  Winter  nach  dem  Sieg-e  von  476,  dann 
erst  folgt  das  Zerwürfnis  475/4  und  anschließend  die  Gründung  Ätnas. 
P  III  474/3.  P  II  471,  nach  dem  Tode  Therons  und  der  politischen 
Entscheidung.     P  I  469  oder  später. 

c)  Legrand:  P  II  Mitte  476,  vor  der  sizilischen  Reise,  von  welcher 
der  Dichter  Sommer  oder  Herbst  475  zurückgekehrt  sei.  P  III  474, 
P  I  später,  ohne  Pindars  persönliche  Beteiligung,  cf.  Lipsius  oben  S.  114. 

d)  Schröder:  P  II  475?     P  III  474?     P  I  470. 

e)  Ich  selbst  setze  alle  drei  Oden  470,  und  zwar  P III  in  Syrakus 
für  den  kranken  König,  P  II  daselbst  offiziell  für  den  Tyrannen  und 
das  Volk,  P  I  in  Ätna  für  Deinomenes.  Aus  vEoran  dprjei  P  2,  03 
darf  kein  Einspruch  hergeleitet  werden,  da  es,  wie  das  nachfolgende 
xal  ae  zeigt,  ein  allgemeiner  Satz  ist  mit  dem  Sinne  „juventutem  juvant 
bella"   —  das  war  einmal!  — 

Seit  dem  Scholion  zu  P  III  in.  spielt  in  diesen  chronologischen 
tJberlegungen  der  Königstitel  eine  Rolle,  den  Hierou  nach  jenem 
Scholion  Ol.  76  =  476  annahm.  Wilamowitz  erklärt  mit  Recht  für  „gänz- 
lich unzulässig",  in  Syrakus  zwischen  Tyrannis  und  Annahme  des  Königs- 
titels zu  unterscheiden;  erst  die  Gründung  von  Ätna  habe  die  erforder- 
liche Legitimität  und  sakrale  Weihe  ermöglicht  (so  auch  schon  Christ 
zu  fr.  105  und  P  3,  69).  Trotzdem  setzt  er  die  auf  Ol.  76  bezeugte 
Gründung  von  Ätna  erst  später  an  als  die  Titulatur  ßajiXeuc  durch  den 
Dichter  in  dem  Liede  0  I,  das  W.  ausdrücklich  vor  die  Gründung  setzt, 
wie  auch  Schröder  jene  Titulatur  in  Pindars  Gedichten  als  chronologisch 
ganz  belanglos  beiseite  schiebt.  Ätnas  Gründung  476  will  Schröder 
nicht  zulassen,  weil  in  0  I  davon  nichts  erwähnt  werde  [wo  doch  eben 
das  Wichtigste,  nämlich  der  Königstitel,  vorkommt!];  daß  in  P  II  von 
Ätna  ebenfalls  nicht  die  Rede  sei,  falle  nicht  ins  Gewicht,  —  während 
umgekehrt  Gaspar  das  Fehlen  des  Königstitels  in  dieser  Ode  für 
wichtig  erklärt  hat.  Ja  die  Benennung  „ätnäischer  Gastfreund"  474 
sei  vielleicht  nnr  wegen  der  gemeinsamen  „Planung"  der  Kolonisation 
in  der  Zeit  von  Pindars  vorigjährigem  Aufenthalt  gewählt;  dieser  Grund 
schon  bei  Gaspar  mit  anderer  Datierung.  Für  "Wilamowitz  spielt 
außerdem  der  Aufenthalt  des  Simonides  in  diese  Frage  hinein.  Nach- 
dem dieser  im  Frühjahr  476  in  Athen  gesiegt,  findet  es  Gaspar  richtig, 
für  den  Frühsommer  476  seine  Anwesenheit  auf  Sizilien  und  die  Aus- 
söhnung der  Tyrannen  durch  ihn  anzusetzen;  W^ilamowitz  aber  will  das 
erst  nach  Pindars  Anwesenheit,  frühestens  Sommer  475  zulassen.  In 
0  1.  II.  III  trete  die  Freundschaft  der  beiden  Fürsten  zutage,  die 
Zerwürfnisse  fielen  erst  475/4  und  die  Gründung  der  Städte  Ätna  und 


Jabresbericht  über  Pindar  Ü'Ol-  1902.     (Bornemann.)  131 

Himera  „folge"  darauf.  Icli  bleibe  ia  dieser  speziellen  Hinsicht  bei 
Gaspars  Ansicht.  Legrand  denkt  auch  über  die  Datierung  von  P  II 
ähnlich  wie  Gaspar,  worin  ich  nicht  7,ustimme,  aber  er  sairl,  die  in 
vs.  14  andeutungsweise  enthaltene  Vorausnahme  des  Künigstitels  könne 
man  dem  Panegyriker  zutrauen,  und  die  Empfehlung  des  rechten  Maßes 
an  den  als  stolz  bekannten  König,  die  Warnung  vor  Schmeichlern  usw. 
verrate  nichts  von  besonderer  Intimität. 

Die  erste  pythische  Ode  will  Wilamowitz  „nicht  vor  469' 
setzen  wegen  der  notwendigen  Korrespondenz  zwischen  König  und 
Dichter.  Dieser  Grund  hillt  nicht  Stich:  von  Delphi  aus  konnte  Pindar 
umgehend  mit  den  siegreichen  Sikelioten  hinüberfahren,  zumal  wenn 
Hieron,  um  Pindar  nochmals  läiiüberznziehen.  den  pythischen  Sieg  n;ioU 
dem  olympischen  gesucht  hatte.  Mit  Recht  wird  (wie  schon  von 
Boehmer)  die  letzte  Triade  auf  Deinomenes  bezogen,  während  Gaspar 
noch  irrtümlich  an  Hierou  denkt.  Aber  daß  Hieron  selbst  gar  nicht 
in  Ätna  zugegen  gewesen  sei,  erscheint  trotz  seines  schweren  Leidens 
unwahrscheinlich,  und  xeivoc  vs.  42  ist  ähnlich  gebraucht  wie  vs,  61; 
■nach  Wilamowitz  freilich  ,, wußte  Pindar  Ende  470,  daß  der  Fürst  hätte 
zu  Felde  ziehen  müssen  nnd  krankheitshalber  nicht  zu  dem  Feste 
erscheinen  würde".  Vs.  50  wird  damit  (wie  von  anderen  Forschern) 
auf  die  nach  Therons  Tod  Herbst  472  ausgebrocheneu  Zwistigkeiten 
mit  Thrasj'daios  bezogen-,  aber  dem  scharfen  vüv  -(t  fiav  geschieht  damit 
nicht  Genüge.  Und  wenn  die  Feier  bis  469  hinausgeschoben  war,  so 
konnte  man  auch  warten  bis  zu  einer  günstigen  Phase  der  Krankheit. 
Für  mich  ist  das  liTpaTeuSY)  ein  bildlicher  Ausdruck,  durch  den  Ver- 
gleich mit  Neoptolcm  veranlaßt;  gemeint  ist  einfach  der  pythische  Sieg 
des  kranken  Königs.  Dem  kranken  König  gilt,  wenn  es  sich  auch 
zunächst  um  Ätna  und  Deinomenes  handelt,  die  große  Doxologie  dieser 
Ode;  den  Engelsang  „den  Menschen  ein  Wohlgefallen''  zieht  Wilamowitz 
mit  mehr  Recht  zum  Vergleich  herbei,  als  das  von  Christ  verglichene 
Gesellschaftslied  „Wo  man  singt,  da  laß  dich  ruhig  nieder".  Die  gol- 
dene Phorminx  will  ihm  ä-^Xata  bringen  als  Herrin  über  Element  und 
Krankheit  (der  Adler  des  Zeus  ist  auch  0  2, 88  der  Bringer  jäheu 
Schmerzes,  vs.  5  lies  tov  aiilox-rav  xepauvov);  denn  wie  Ares  das  Herz 
erfreut  mit  seiner  Glut  (xa'j|a.aTi),  so  können  wonnig  sein  selbst  Geschosse 
der  Götter  gemäß  apollinischer  Weisheit,  während,  wen  Zeus  nicht  liebt, 
die  Stimmen  der  Musen  verabscheut  (vgl.  auch  Schillers  Ideendichtungen 
„Die  Künstler"  und  „Das  Reich  der  Schatten";  vs.  26  lies  -aptovr'  u>v, 
vs.  28  xa-TTSJov  und  7:ortx£xXi[x£vou).  Die  angeknüpfte  Fürbitte  für  Ätna 
schließt  vs.  39  f.  mit  dem  Gebet  zum  Lichtgott  —  Xuxte  .  .  .  tI>oiße  — 
ab,  der  auf  Delos  und  dem  Parnassos  herrscht  —  xal  AaXw  Favasjojv  .  . 
napva(j(ij  TS  — ,  und  dies  Gebet  selbst  lautet  e&eXoi?  Tapv  t£  voo)  -löejAev 


132  Jahresbericht  über  Pindai   1901—1902.     (Bornemann.) 

euavopov  xe  -/wpav.  Den  Übergang  zur  Person  Hierons  (drittes  System) 
bildet  die  Sentenz  ex  öeöiv  -j-ap  fia^favirav  xaic  ßpoxeaic  (ipexai;  |  xat  ao<pot 
xai  "/eptJt  ßiaxal  -£pt-cX(uajoi  x*  ecpuv.  Der  Dichter  lioflft  [j-axpa  (8^)  ev 
pi-ai;  (i(}XT](jao&'  apxioi;.  Denn  welch  ein  Kriegsheld  war  Hieron  einst! 
(xa}xdxa)v  vs.  46  vom  wirklichen  Leid.  xi|xav  vs.  48  erkläre  ich  Sieges- 
ehre, nicht  Herrschaft  über  Sizilien,  wie  "Wilamowitz  will,  diesen  Be- 
griflf  finde  ich  vielmehr  mit  dem  alten  Gurlitt  in  nXouxou  vs.  50  ein- 
geschlossen.) Jetzt  freilich  ist  Hieron  ein  zweiter  Philoktet,  aber  wie 
dieser  eine  dtaOever  |j,ev  xpcoxl  ßatvous'  dXXa  fioipiSio?  i'c.  So  möge  ihm 
denn  auch  wie  jenem  Heilung  zuteil  werden!  Ein  Siegeslied  soll  ihm 
„auch"  in  der  Stadt  des  Deinomenes  (das  xat  vs.  58  ist  bezeichnend, 
wenn  P  III  und  P  II  in  Syrakus  aus  demselben  Anlaß  gesungen 
wurden)  gewidmet  sein,  die  in  dorischer  Ordnung  froh  gedeihe,  wie 
einst  Amj'klai  am  Taygetos  (vs.  58  Si'ooi  paivsiv  exu|xov  Xö'-fov);  mit  dem 
Beistande  des  Zeus  wird  das  der  aYvjxrjp  dvrjp  mw  x'  eTrixeXX6p.£voc  SSfiov 
x'  S7racpu)v  zuwege  bringen.  —  In  ep.  8'  übersetzt  Wilamowitz  ,,um  der 
Athener  willen",  schreibt  dann  ev  Sirapxa  6'  apa  xav  rpö  Kiftaipüivo; 
jxayav,  das  überflüssige  ipita  beseitigend  und  für  xaioi  ein  Beziehungs- 
wort herstellend,  die  ungewöhnliche  Form  My^Seioi  vereinzelter  Hand- 
schriften durch  einen  Vers  des  Ibykus  stützend.  Immerhin  ist  apa  ein 
Flickwort  und  die  Auflösung  der  Schlacht  von  Platää  in  Einzelkämpfe 
auffällig.  Vielleicht  ev  Srcapxa  o'  Ipaxa?  Tipo  Ktf^aipcüvo;  t^axa?,  xöt  'iai\LCti 
M^oot  xa}jLov.  In  der  letzten  Triade  schlage  ich  vs.  92  tu  cpiXe,  xeposatv 
eixTipaxxotc  vor  (Körte  GGA  1901   evxpaTrXotj),  und  vs.  95  vTjXea  -ptuv. 

Für  Pyth.  III  ist  die  Ausbeute  aus  den  angeführten  Abhandlungen 
gering.  Im  Ausdruck  verschieden,  laufen  die  Meinungen  von  Wilamowitz 
und  Schröder  doch  etwa  in  gleicher  Richtung.  Nach  jenem  kondoliert 
der  Dichter  zu  einer  pythischen  Niederlage  und  sagt  die  ßeise  nach 
Sizilien  ab;  so  soll  das  Lied  auf  folgenden  Schluß  ausklingen:  „Wenige 
verdienen  Ruhm  wie  du,  wenige  verstehen  ihn  zu  verleihen  wie  ich; 
das  kann  ich  und  werde  ich  auch  von  hier  tun,  das  kannst  und  wirst 
du  erreichen  auch  ohne  den  pythischen  Sieg."  Nach  Schröder  haben 
wir  einen  ,, Trostbrief,  der  sich  als  Erinneruogsfestlied  gibt  für  ältere 
pythische  Reunsiege  des  Pherenikos  (482  und  478)";  in  vs.  73  soll  ge- 
sagt seiu:  „wenn  ich  ein  Festlied  auf  Pliereuikos  brächte,  was  ich  aber 
doch  schriftlich  kann  und  hiermit  tue".  Beide  datieren  auf  474  bzw. 
474/3,  weil  aus  dieser  Epoche  ein  agonistischer  Erfolg  Hierons  bekannt 
ist.  Für  mich  dreht  sich  das  Lied  um  die  schwere  Krankheit  des 
Königs:  Gesundheit  kann  Pindar  nicht  mitbringen,  während  er  xuifi-ov 
䣻>Xü)v  riuötaiv  bringt  (nämlich  den  von  470)  als  aqXav  für  einstige, 
nicht  besungene  Erfolge  des  Pherenikos  (Pythiade  26  und  27.  vor  An- 
knüpfung  zwischen   dem  König  und  dem  Dichter);    xexX7i!X£vov    vs.  67 


Jahresbericht  über  Pindar  1901  —  1902.    (Bornemann.)  I3;; 

ißt  für  mich  „berufen",  „auserkoren";  für  xai  /.ev  ev  setze  ich  oixs-rav 
und  vorher  statt  m'dov  das  Partizip  -lötov. 

Ausführlicher  ist  über  Pyth.  II  zu  berichten,  zumal  wenn 
0.  Schröder  (WfklPhl  1901  Nr.  22)  darin  recht  haben  sollte,  daß  er 
zum  Prüfstein  für  die  Urteilskraft  eines  Pindarerklärers  gern  die  sog. 
2.  Pythische  nimmt.  Bei  vs.  8  hat  m.  E.  Wilamowitz  den  richtigea 
We^  eingeschlagen,  ohne  ihn  zu  Ende  zu  gehen.  Denn  während  es  bei 
Schröder  noch  heißt,  im  verflossenen  Winter  [nach  Sehr.  476/5]  sei 
Pindar  selber  Zeuge  gewesen,  vrie  der  'nr7ro-/ofpixa;  ßaJiXEu;  kundig,  mit 
sanfter  Hand  die  edlen  Tiere  eingefahren  habe,  hatte  Wilamowitz  be- 
reits vi'xa;  für  xetvac  eingesetzt,  cf.  J  2,26.  N  5,41.  Er  hätte  dann 
aber  folgerecht  statt  iÖapLajje  („warf  zu  Boden")  r/aXa^s  setzen  sollen. 

Bei  Wilamowitz'  Gesamtauffassung  über  die  Stellung  des  Mythus 
im  Epinikon  ist  es  natürlich,  daß  der  vielverhandelte  Ixionmythus  nur 
„um  seiner  selbst  willen,  als  eine  schöne  lehrreiche  Geschichte  erzählt" 
wird.  Neben  diesem  Verzicht  auf  einheitliche  Deutung  versucht  W.  den- 
noch einen  Zusammenhang  zu  finden,  indem  er  darin  ,die  Allmacht  des 
göttlichen  Willens"  vorgeführt  sieht,  „vor  dem  alles  Sterbliche  versinkt", 
und  dann  freilich  anschließend  sagt:  „Angesichts  dessen  wird  er  [Pindar] 
nicht  seine  Freunde  verleugnen  und  mit  schnöden  Reden  augreifeu", 
„auch"  Pindar  wird  den  [Weisheits-]„Reichtum  besitzen  und  gebrauchen". 
Ich  nehme  diese  allgemeine  Deutung  des  Mythus  auf,  nur  mit  dem  Zu- 
satz, daß  sich  also  der  beglückte  Sterbliche  maßvoll  bescheiden  solle; 
dann  gilt  die  Mahnung  dem  kranken,  mißmutigen  König,  ganz  wie  die 
Geschichte  von  der  Koronis  P  HI  und  ihrer  dtFa-a  (dieser  Ausdruck  ist 
beiden  Stellen  gemeinsam). 

Ähnlich  wie  Schröder  an  der  Erklärung  des  vs.  56  festhält,  die 
schon  vielen  Pindarikern  nicht  genügt  hat:  ^im  Wohlstand  reich  aa 
hohen  Gedanken  sein,  das  ist  mein  Ideal",  finden  wir  bei  Wilamowitz 
die  Auslegung:  „Das  Beste  ist,  neben  allen  äußeren  Glücksgüteru  auch 
au  Klugheit  reich  zu  sein:  du,  Hieron  kannst  diesen  Rat  mit  freiem 
Sinne  manifestieren"  —  nebst  dem  Zusätze:  „Hieron  wird  dazu  aufge- 
fordert, also  an  dem  -c-apsiv  .  .  .  gebricht  es  nicht,  .  .  .  das  Wort  ver- 
stehe ich  freilich  nicht,  .  .  .  die  richtige  Erklärung  3ir)|i.9]vai,  evSsi^at  bei 
Hesych."  Legrand  dagegen  gewinnt  den  Sinn:  Boshaftigkeit  nach  Art 
des  Archilochos  biinge  «[xa/aviav  (indigence),  aber  Reichtum  sei  mit 
Hilfe  des  Schicksals  die  beste  Frucht  des  Talents,  —  Pindar  sei  eben 
keineswegs  „desinteress6".  Ähnlich  Körte  GGA  1901,  968.  Ich  selbst 
wende  die  Sache  wiederum  noch  ganz  anders,  indem  ich  das  seltsame 
exä«  liuv  durch  exaxov  ui;  ersetze  und  vs.  56  Tciaivo|xevoo;  sowie  izopov 
(statt  t:6t|jlov)  lese:  „allermeist  in  elender  Lage  ergehen  sich  die  Leute 
in  Gehässigkeiten  wie  der  Schütze  Archilochus,  Reichtum  dagegen  und 


134  Jahresbericht  über  Piadar  1901  —  1902.     (Bornemann.) 

Erfolg  (vgl.  x-eaxa  und  Ti}ia  vs.  59)  ist  der  beste  Zugang  zur  Weis- 
heit, —  du  kannst  ihn  weisen":  bei  aufsteigenden  Völkern,  in  glück- 
lichen, angeregten  Verbältnissen  verstummt  der  Mismut.  Zu  -KtTzapth 
Tio'pov  vergleiche  ich  rsTps  xsXsuöov  bei  Homer  und  piparmi  Curtius  Gr. 
Etym.*  277;  xaxa7opta  vs.  53  richtet  sich  wie  0  1,  53  gegen  Gott.  Die 
Stelle  ist  wieder  eiu  schlagender  Beweis  für  unser  mangelhaftes  Ver- 
ständnis des  Dichters.  Vs.  65  axivSuvov  £|xoi  r  exov  re  Troxiavta  X670VJ 
eTiatveiv  uape/ov-t. 

Es  folgen  die  vielumstrittenen  Verse  67—71  von  der  Ooi'viasa 
ifx-oXa  und  dem  Kajxopeiov.  Dazu  Wilamowitz:  „Ich  huldige  dir  und 
habe  daher  außer  dem  gewünschten  Kastoreion  noch  dieses  Gedicht 
gemacht,  .  .  .  und  darin  [nämlich  im  Kastoreion]  habe  ich  dir  dein 
Wesen  [oioc  £7ai]  gezeigt"  („eine  Versreihe,  die  für  eine  der  schwersten 
gilt  —  sie  ist  das  zwar  eigentlich  nicht",  setzt  W.  hinzu);  also  unser 
„als  Brief"  gesandtes  Lied  soll  eine  Begleitschrift  zu  dem  Kastoreion 
sein,  das  Hieron  sich  soll  , vorsingen  lassen",  ein  Begleitschreiben  in 
,,80  freimütiger  Sprache,  daß  man  begreift,  wie  der  Dichter  dazu  kam, 
OS  wie  ausländische  Ware  wohlverpackt  übers  Meer  zu  schicken,  der 
Adressat  mochte  sie  auspacken  und  zusehen,  ob  er  sie  öffentlich  aus- 
stellte". Indem  man  das  Hyporchem  fr.  106,  auch  ttuöixy)  wotq  genannt, 
mit  dem  Kastoreion  identifizierte,  so  kam  das  Begleitgedicht  Pyth.  II 
unter  die  Pythien,  nach  Wilamowitz  „wohl  mit  Recht",  —  der  Ausäruck 
xTiJTop  AiTva?  dort  führe  uns  auf  die  Jahre  474—470.  —  Demgegen- 
über Schröder:  „Die  Möglichkeit,  auf  das  augeblich  mitgesandte  Ge- 
dicht, vollends  auf  die  launigen  Fragmente  des  Tanzliedes  zu  rekur- 
rieren, .  .  .  dieser  Weg  ist,  denke  ich,  abgeschnitten  .  ,  .  [xaScuv  kann 
sich  auch  nicht  auf  das  Vorige  beziehen,  vielmehr  im  Sinne  des  dorischen 
Erziehungsideals  „sei  du  nur,  der  du  deiner  Erziehung  nach  bist",  sei 
nur  ein  Edelmann  („die  Stelle  ist  wirklich  schwer,  selbst  wenn  sie  nicht 
besonders  tiefsinnig  sein  sollte,"  setzt  Schröder  hinzu).  Boeckhs  Haupt- 
bedenken gegen  eine  Unterscheidung  des  als  Gabe  der  äolischen  Leier 
empfohlenen  Kastoreion  von  diesem  äolischen  Liede  P  IT  habe  bis  jetzt 
niemand  beseitigt  (recte!).  Dies  sei  unter  den  Liedern  auf  Hieron  das 
erste,  dessen  Vortrag  der  Dichter  nicht  selber  geleitet  habe,  das  „übers 
Meer  komme",  darum  sei  die  „Asklepiosepistel"  P  III  später  als  dies 
Lied  anzusetzen ;  der  vielberufene  Gegensatz  von  xooe  {xev  und  t6  öe  sei 
im  wesentlichen  nach  Boeckhs  Vorgang  anzufassen:  „es  beginnt,  als 
solle  es  weitergehen  xa  5'  aXXa  [xeXy)  auxöc  ioioajxov  .  .  .  und  geht 
weiter,  als  wäre  vorangegangen  x;^  [j-ev  (Potvitjav)  e[j.T:oXiQ  %xov  av  su^patvoto 
OuijLov."  Noch  simpler  möchte  Legrand  den  Gegensatz,  trotz  der  Wort- 
stellung, in  den  Ausdrücken  irsfjLirexai  und  aöpyjjov  suchen:  „Accueille 
bien  mon  ode,  quoique  l'oeuvre  d'un  absent"  (so  schon  der  alte  Gurlitt); 


Jahresbericht  über  Pindar  1901  —  1902.    (Bornemann.)  135 

im  ganzen  Liede  aber  sieht  er  eine  Offerte  des  Dichters:  ich  will  mich 
gern  dankbar  zeigen  und  dich  loben,  bediene  dich  also  meines  Talents 
[das  letztere  sollen  die  vorliegenden  vss.  67 — 71  besagen],  höre  nicht 
auf  die  Schmeichler,  die  mich  verleumden,  laß  mich  kommen  [vs.  96]! 
Ich  meinerseits  glaube  den  reinlichen  Gegensatz  durch  die  Änderung 
von  -0  vs.  69  in  tu  zuwege  zu  biingeu ;  da  der  kranke  Hieron  470 
nicht  persönlich  in  Delphi  war,  Pindar  aber  seit  476  oder  475  dessen 
Geschick  nur  aus  der  Ferne  hatte  verfolgen  können,  so  war  dies  Lied 
wie  eine  ferne  Ware,  die  übrigens  der  Phönikier  (Pindar)  selber  mit- 
brachte und  ablieferte  (T:£[jL;:tu  siehe  oben  S.  115),  und  es  war  die  Bitte 
wohlbegründet,  daß  dem  Hieron  die  musikalisch -choreutische  Inter- 
pretation dieses  Liedes  willkommen  sein  möchte. 

Es  folgt  die  Alfenpartie  vss.  72 — 75,  die  sowohl  Wilaraowitz  wie 
Schiöder  Anlaß  gibt,  einige  allgemeine  Urteile  über  Piudars  Diktion 
abzugeben.  Wilaraowitz  sagt:  „Seit  es  die  Rhetorik  gibt,  haben 
Griechen,  die  eine  ordentliche  Schule  durchgemacht  hatten,  freilich  nicht 
mehr  so  geredet,  und  schon  der  Athener,  geschweige  der  lonier,  würde 
zu  Piudars  Zeit  sich  durch  Partikeln  dentlicher  gemacht  haben." 
Damit  hat  der  Dichter  seine  Zensur  ausgeteilt  bekommen.  Nicht  viel 
anders  Schröder:  ,,Fa8t  unberührt  von  dem  erlösenden,  Bergeslastea 
hebenden  Hauch  attischer  Denk-  und  Gestaltungskraft"  —  „einen  mehr 
nach  der  Seite  der  Feierlichkeit  und  des  Reichtums  an  glänzenden  und 
packenden  Einzelheiten  als  der  Anmut  und  der  Klariieit  gesteigerte 
IvuDStübuug"  —  „unter  dem  Druck  komplizierter  musikalischer  Kunst- 
formen  und  im  Kampf  mit  mächtig  zuströmendeu  Gedanken  schwer 
atmend"  —  ,,wenn  es  auch  bei  einer  innerlich  so  festgegründeten 
Dichterindividualität  natürlich  an  einer  orgelpunktartig  die  einzelnen 
Themen  verbindenden  Unterströmung  niemals  gefehlt  hat".  Wir  sind 
ungefähr  wieder  bei  Boileaus  Urteil  angekommen:  „beau  desordre". 
Immerhin  erklärt  Wilamowitz  zuletzt,  nachdem  er  die  Affenpartie  hin 
und  her  gewendet  hat,  er  könne  nicht  finden,  daß  hier  auch  nur  ein 
Zug  wäre,  der  nicht  genau  stimmte,  eine  V/endung,  die  mau  pressen 
müßte,  um  einheitlichen  Sinn  und  einheitliche  Stimmung  zu  finden. 
Wie  bringt  Wilamowitz  das  zustande?  Formell  wird  von  ihm  fest- 
gestellt, daß  iu  dem  Satze:  ,, Hieron  soll  kein  Affe  sein,  sondern  ein 
Rhadamanthys"  dei-  Ausdruck  die  Gleichsetzung  nach  beiden  Seiten 
ausschließe.  Welcher  Unbefangene  glaubt  das?  Inhaltlich  aber  schwankt 
die  Wilamowitzsche  Deutung  der  Affenart  hin  und  her:  soll  nach  ihm 
der  Affe  aktiv  ein  Schmeichler  oder  passiv  ein  Umschmeichelter  sein? 
Ich  stelle  folgende  Sätze  aus  der  Abhandlung  zusammen  und  bitte  um 
Aufklärung:  Der  logische  Gegensatz  zwischen  der  Affenzeile  und  dem 
ewigen  Glück  des  Rh.  liegt  darin,   daß  Rh.  eitle  ,, Leute,  die  sich  be- 


136  Jahresbericht  über  Pindar  1901  —  1902.    (Bornemann.) 

schwatzen  lassen,  nicht  bei  sich  aufnehmen"  wird;  im  Gegensatz  zu 
Rh.  läßt  ,,der  Umschmeichelte  sich  gern  berücken";  Hieron  „kann  Be- 
wunderung von  Kindern  und  von  Affen  immer  hören,  wenn  ihm  danach 
der  Gaumen  steht";  ,,der  Aflfe  findet  den  Schmeichelnaraen  xaÄXi'a;  bei 
den  Kindern";  ,, Hieron  .  .  nimmt  die  Schmeicheleien  und  Verleum- 
dungen der  Füchse  an"  .  .  und  ,,so  fehlt  ihm  der  cppsvwv  xapno;  dixcuixrjToc 
des  Rh.";  ,,dem  cppsvoSv  etc.  des  Rh.  entspricht  die  notorische  Eitelkeit 
des  Affen,  der  immer  mehr  sein  will,  als  er  ist".  Schröder  findet  sich 
mit  dem  „Affchen",  wie  er  es  beschönigend  nennt,  sehr  kurz  ab:  es 
habe  mit  den  Füchsen  nichts  zu  schaffen,  es  sei  kein  Spiegelbild  für 
Hieron,  es  sei  —  ein  Hofnarr,  ohne  Zweifel  ein  glücklicher  Konkurrent 
des  Dichters.  Da  hätten  wir  also  neben  den  bisher  bei  den  Erklären! 
schwieriger  Stellen  überaus  beliebten  Nebenbuhlern  des  Dichters  einen 
neuen  Konkurrenten  aufgefunden,  dem  so  „bei  Wege  lang"  eins  über- 
gezogen wird,  wo  es  gut  oder  übel  paßt.  Ebenso  kurz,  aber  ganz 
anders  gewendet,  äußert  sich  Legrand:  der  Affe  wird  von  den  Schmeich- 
lern betrogen,  die  ihn  „ironisch"  für  schön  erklären,  Rhadamanthys 
läßt  sich  nicht  von  ihnen  betrügen.  Immerhin,  setzt  dor  französische 
Gelehrte  hinzu,  das  gewählte  Bild  würde  „impertinent"  sein,  wenn  es 
ans  des  Dichters  Initiative  entstanden  und  nicht  eine  Vorlage  bereits 
vorhanden  gewesen  wäre. 

Wie  ich  meinerseits  mit  dem  überlieferten  Text  mich  jetzt  ab- 
finde? in  welchem  überdies  das  uapa  unerklärt,  die  Form  7:i&o>v  un- 
gewöhnlich und  das  aki  Flickwort  ist.  Für  mich  ist  der  Gegensatz  zum 
Rhadamanthys  der  Aias:  xaxoi?  rot  ttiiIojv  Trapairatjev  Ai'a?  |  xaXou,  indem 
er  den  heimlichen  Verleumdern  der  Atriden  Glauben  schenkte.  Aber 
auch  vss.  75  ff.  sind  voll  Anstößen;  ich  denke,  der  einheitliche  Gedanken- 
gang tritt  heraus,  wenn  wir  lesen  o'ia  [statt  oia]  t|^i9up(uv  uaXdtjxai;  l::£t' 
aiei  ßpoTtp  (a'fxa^fov  xaxov  «[JL^OTEpoic)  oiatßoXiav  urcocpavTia,  (  op^uia'  drevEf 
^.Xü>7:£Xüi6sc  sXcup  .  I  xepöoi  81  xi  |xaXa  touto  xspSaXeov  TsXe&et;  |  ait  -/■ap 
[objektiver  Grund]  eivaXtov  tovov  o-^eoiaac  ßadu  |  axeua?  sTSpac  dßaTrxisToc 
eTu:  [sc.  ooXto;  darn?]  ipsXXoc  S);  ui^ep  epxoc  aXixa;,  |  dSuva-ra  FsTto; 
Ix^aXeTv  xpafaiöv  Iv  a.'i'xQoXi  \  öoXiov  d^Tov  .  o[JLtu;  [xdv  oatvwv  ttotI  udvTac 
dXxatav  IvSiajtXexci. 

Aber  damit  sind  wir  schon  zu  weit  vorgeschritten.  Wilamowitz 
hält  vs.  75  ßpoToiv  fest,  wünscht  vs.  82  ojAüic,  stimmt  ebenfalls  für 
Hnschkes  xepSoT  vs.  78  (Schröder  widerspricht),  erklärt  uTCO^dirtec  vs.  76 
,, unweigerlich"  für  Maskulina  [es  sei  Pindars  ,, schöpferische  Freiheit 
anzuerkennen,  einerlei  wie  wir  über  die  grammatische  Richtigkeit 
denken"],  setzt  für  ßa&u  vs.  79  ßuöoT,  akzentuiert  vs.  80  elpit,  bleibt 
vs.  82  bei  Heynes  atav  und  übersetzt  SiairXexei  ,,bis  zu  Ende  flechten", 
nämlich  Übel  für  ,,sich  und  andere",   mit  Bezug  auf  die  [verzweifelte] 


Jahrebbericht  über  Pindar  1901  —  1902.    (Bornemann.)  137 

Stelle  P  11,  55,  die  angeblich  dem  Hieron  hinterbracht  wäre  [Schröder 
äußert  sich  dagegen];  die  Füchse  sollen  Simonides  und  Bakchylidea 
sein  [bei  Legrand  nicht  Bakchylides,  nur  SimonidesJ.  Warum  ewig 
diese  Nebenbuhler,  diese  privaten  Zänkereien?  Öffentlich  eine  Koterie 
abzutun,  die  den  durch  sein  Leiden  mißmutigen  Herrscher  zum  Sklaven 
ihrer  Verleumdungen  zu  machen  sich  anschickte,  das  war  durchaus  am 
Platze  und  würdig  des  Propheten  der  apfiovia.  Auch  für  Schrödei 
handelt  es  sich  offenbar  um  private  Dinge  aus  früheren  Tagen,  um 
„gewisse  bei  Hofe  gemachte  Erfahrungen"  privater  Art:  „der  öffentlich 
umworbene,  heimlich  gehaßte  Dichter"  steht  ,, frech  feigen,  ehrlos 
schmarotzenden,  schweifwedelnden  Hunden  als  grimmiger  Wolf  c:egen- 
übcr".  Für  mich  enthält  natürlich  das  ou  Foi  |xeTE-/ü>  und  u-odeu(io|iai 
ein  allgemeines  Prinzip,  freilich  in  erster  Linie  von  Pindar  selbst  ver- 
treten, dann  aber  auch  von  allen  d^aöoi  einschließlich  Hieron  selbst 
zur  Geltung  zu  bringen.  Vs.  85  lese  ich  übrigens  -araYtüv,  nämlich  vom 
Knurren  des  Wolfes,  während  die  68oi  axoXiai  natürlich  von  den 
Füchsen  eingeschlagen  werden.  In  vs.  90  cj-otv>(xa;  möchte  Schröder 
wieder  zur  Erklärung  ,,Wage"  zurückkehren,  wiewohl  er  selber  Be- 
denken hat;  ich  meine,  die  bestrittene  Deutung  , .Meßschnur"  ist  durch 
0  10,  45  (jTa8|jLaTo  aXcjoj  und  N  6,  7  coli.  Jahresbericht  CIV  S.  173 
gesichert;  und  wie,  wenn  das  metrisch  unzulässige  [iTjtiov-rai  vs.  92 
durch  ixexpeovxai  ,,sich  -zumessen  lassen"  zu  ersetzen  wäre? 

Mit  den  letzten,  allgemeiner  gefaßten  Versen  kehrt  die  Ode  zu- 
gleich zu  Hierons  Mißmut  zurück;  sie  gelten  jedwedem,  der  sich  in  Gottes 
Fügung  nicht  fügen  will.  Weder  politische  Bedeutung  noch  leibliches 
Wohlergehen  ist  das  meist  Erstrebenswerte;  was  es  ist,  sagen  die 
Schlußworte,  allen  xaxoij  zum  Trotz:  döovxa  S'  ziri  jxe  xoT?  i-^abdii  6|jLiXeTv. 


Bericht  über  die  Literatur  zu  den  rhetorischen  Schriften 
Ciceros  aus  den  Jahren  1900—1902. 

Von 

Gymnasialprofessor  Dr.  Georg  Ammon 

in  München. 


Besonders  hervorragende  Leistungen  auf  dem  Gebiet  der  rhetorischen 
Schriften  Ciceros  habeu  wir  aus  den  letzten  zwei  Jahren  nicht  zu  ver- 
zeichnen; fast  scheint  es,  daß  das  rege  Interesse  der  beiden  voraus- 
gehenden Dezennien  schwindet,  wenigstens  bei  den  Deutschen,  während 
es  bei  den  Italienern  (Ciraa,  Curcio,  Sabbadini)  und  Franzosen  (Bornecque) 
anhält.  Das  Geleistete  erstreckt  sich  meist  auf  literarhistorische  und 
hermeneutische  Fragen,  weniger  auf  die  Textkritik.  Zweckmäßig  wird 
es  sein,  gelegentlich  eine  Lücke  des  vorigen  Berichtes  durch  einen 
Nachtrag  auszufüllen.  Der  auct.  ad  Herenn.  gehört  nicht  zu  meinem 
Referat. 

Zusammenfassende  Darstellungen. 

1.  Gaetano  Curcio,  Le  opere  retoriche  di  M.  Tullio 
Cicerone.  Studio  critico.  Acireale,  Tipografia  dell'  Etna,  1900. 
gr.  8.  IV  222  S. 

Unter  den  neuesten  Darstellungen  der  rhetorischen  Theorie  des 
Cicero  (Weißenfels  in  der  Einleituug  zu  seiner  Auswahl.  Sapienza  u.  a.) 
nimmt  die  Arbeit  Curcios  (eines  Schülers  Sabbadinis)  einen  bevorzugten 
Platz  ein;*)  sie  ist  besonders  denen  zu  empfehlen,  die  nach  der  Lektüre 
der  rhetorischen  Schriften  Ciceros  die  groß  angelegte  'Trilogie'  de  or., 
Brut,  und  orator  an  ihrem  Geiste  vorüberziehen  lassen  oder  die  in  den 
Hauptwerken  und  in  den  kleineren  Schriften  niedergelegten,  bisweilen 
nicht   gut   geordneten    Massen    rhetorischer   Vorschriften    vergleichend 


*)  Sie  sollte,  wie  A.  Cima  in  seiner  eingehenden  Besprechung  Riv. 
di  filol.  29,  1901,  S.  109— U7  bemerkt,  betitelt  sein  „le  teorie  retoriche 
nelle  opere  retoriche  di  Cicerone". 


Bericht  üb.  d.  Literatur  zu  d.  ihetorischen  Sciiriften  Ciceros.  (Ammon.)     139 

besehen,  kurz  ein  Bild  der  Rhetorik  zur  Zeit  Ciceros  gewinnen  wollen. 
„Xoi  abbiamo  cercato,"  schreibt  Verf.  p.  IV,  „di  far  comprendere  nei 
primi  tre  capitoli  di  questo  volume  la  genesi  delle  teorie  retoriche  di 
Cicerone  e  lo  svolginiento  di  esse,  nei  capitoli  seguenti,  ma  proponiamo 
altresi  all'  attenzione  dei  filologi  alcune  considerazioui  intorno  al  'De 
oratore',  all'  'Orator",  alle  "Partitiones  Oratoriae'  che  t'ondate  come 
sono  suUa  cognizione  tecnica  della  materia,  ci  uuguriamo  possano 
suscitare  una  feconda  discnssione." 

Von  den  9  Kapiteln  handelt  1  von  den  Anfängen  der  Rhetorik 
(auf  Sizilien,  in  Griechenland)  bis  auf  Aristoteles  meist  nach  den  Schriften 
von  L.  Spengel  und  nach  E.  Norden,  Antike  Kunstprosa;  Navarre, 
Rhet.  Grecque  avant  Aristotle  konnte  Curcio,  scheint  es,  nicht  mehr 
benützen.  Der  Abschnitt  bietet  wenig  Neues  und  ist  im  einzelnen 
mehrfach  zu  berichtigen  und  zu  ergänzen,  so  wird  z.  B.  der  Philosoph 
Demokrit  in  der  Entwickeluug  der  Kunstprosa  gar  nicht,  die  Rhetorik 
au  Alexander  (des  Auaximenes)  nicht  gebührend*)  berücksichtigt;  bei 
der  Darstellung  der  Aristotelischen  Rhetorik  sind  die  Prolegoraena  von 
A.  Roemer  (Lips.  1898)  und  die  Abhandlung  von  Fr.  Marx  Aristoteles' 
Rhetorik  (Sachs.  G.  d.  W.  1900)  zu  vei  werten.  In  Kapitel  2  werden  die 
rhetorischen  Studien  der  Philosophenschulen,  insbesondere  der  Stoiker 
(nach  Striller),  dann  das  System  des  Hermagoras  nach  K.  W.  Piderit 
und  G.Thiele  eingehend,  ich  meine,  zu  umständlich  besprochen.  Förderlich 
zur  raschen  Orientierung  sind  die  hier  und  anderwärts  beigegebenen  Über- 
sichtstafeln. Manches  bedarf  auch  hier  einer  Berichtigung,  z.B.  können  wir 
aus  Brut.  263  ziemlich  sicher  entnehmen,  daß  Hermagoras  in  der  elocutio 
(>.£;t;)  so  gut  wie  nichts  leistete  (vgl.  Jahresb.  CV,  1900  S.  217). 
Genauer  zu  untersuchen  war,  welchen  Einfluß  u.  a.  Theophrast  und 
Kritolaos  (direkt  oder  indirekt)  auf  Cicero  ausübten.  —  Im  dritten 
Kapitel  behandelt  Curcio  die  Anfänge  der  Rhetorik  in  Rom;  hier  stützt 
er  sich  hauptsächlich  auf  Fr.  Marx  Prolegomena  zum  auct.  ad  Herenn. 
An  Cornifici'is  als  dem  Verfasser  der  Herenniusrhet.  hält  er  aus  ähn- 
lichen Gründen  fest,  wie  ich  in  meinem  Aufsatz  Bayer.  Gymn.-Bl. 
33.  Bd.  1897  S.  409  ff.  Auch  ist  er  der  Ansicht,  daß  das  Gemeinsame 
im  auct.  ad  Herenn.  und  bei  Cic.  de  inv.  auf  eine  gemeinsame  lateinische 
Vorlage  zurückgehe  (p.  59),  insonderheit  die  vielbesprochene  Insinuatio- 
Partie.  Wenn  die  Inhaltsübersicht  so  eingehend  und  genau  ist,  wie  sie 
kaum  nötig  war,   so  fällt  S.  58  auf,    daß  unter  den  in  der  compositio 


*)  Dort  ist  z.  B.  auch  der  Fall  für  das  attentos  facere  aufgeführt  Sp-H 
p.  66*°  /jO£"/;t>(uatv  /^pinv  (ot  Liyjyzz-)  äzoü^a'.  o('j".)jv  X603r/ov-a;  -cöv  voDv,  so  daß 
man  von  dem  si  rogabimus  beim  auct.  ad  Herenn.  I  7  nicht  sagen  kann 
(Curcio  p.  79)  „ha  il  carattere  di  una  regola  improwisata." 


140     Bericht  üb.  d.  Literatur  zu  d.  rhetorischen  Schiiftea  Ciceros.  (Ammon.) 

zu  berücksichtigenden  Dingen  nicht  auch  aures  und  spiritus  (IV  §  18} 
aufgeführt  werden.  Daß  die  Anzahl  der  Wortfiguren  33  beträgt,  ist 
Dicht  sicher;  es  hängt  davon  ab,  ob  mau  z.  B.  bei  adnominatio  IV  29 
die  Gruppe  oder  die  Einzelfiguren  zählt.  In  Kapitel  4  bespricht  der 
Verf.  Cic.  de  inv.  (Inhalt,  Vergleichung  mit  Hermagoras  und  Cornificius). 
"Wenn  Curcio  p.  8G  schließt:  Cicerone  non  sente  il  bisogno  di  dissimulare 
Torigine  greca  delF  arte  di  cui  scribe,  segne  piu  da  vicino  la  fönte 
ermagorea,  e  perciö  muta  meno  del  suo  predecessore  romano,  so  ist 
beizufügen,  daß  wir  in  der  Übermittelung  des  hermagoreischen  Systems 
au  den  jungen  Cicero  bereits  die  nörgelnde  Kritik  eines  Philosophen 
erkennen  (vgl.  I  8).  Kapitel  5  gibt  eine  luhaltsübersicht  von  de  oratore, 
bespricht  das  „Methodologische"  und  die  Forderung  einer  universellen 
Bildung  für  den  Redner,  —  hier  sollte  der  Hinweis  auf  R.  Hirzei,  Der 
Dialog  1895,  I  S.  457 — 552,  nicht  fehlen  — ,  zuletzt  das  Technische. 
Anlage  und  Aufbau  des  Buches  sind  nach  Curcio  Ciceros  Eigen;  es 
ist  ein  Originalwerk,  aber  nicht  eiue  Streitschrift  gegen  die  latini 
rhetores,  sondern  eiue  Darstellung  seines  eigenen  Werdegangs.  „II 
metodo  che  informa  il  suo  sistema  retorico  e  emanazione  genuina  dell' 
educazione,  delle  tendenze,  delle  ideale  che  si  propose  di  raggiangere 
Cicerone  medesimo"  (p.  122).  In  dem  Streit  der  Philosophen  und 
Rhetoren  nimmt  Cicero  eine  vermittelnde  Stellung  ein.  Der  phisosophen- 
freuudliche  Zug,  die  großen  Gesichtspunkte ,  die  ethische  Anschauung 
sind  wohl  auf  die  Akademie  zurückzuführen,  wie  Hans  von  Arnim  in 
der  Einleitung  „Sophistik,  Rhetorik,  Philosophie  in  ihrem 
Kampfe  um  die  Jugendbilduug"  zu  seinem  Buche  „Leben  und 
Werke  des  Dio  von  Prusa"  (Berlin,  Weidmann,  1898)  S.  100  ff.  nach- 
weist. Daß  aber  Cicero  sich  durchaus  an  Philo  von  Larisa  angeschlossen 
habe,  scheint  auch  mir  bei  der  Anlage  des  de  or.  und  der  Arbeits- 
weise des  Autors  sehr  fraglich.  Als  Zweck  des  Dialogs  bezeichnet 
Curcio  p.  136  divulgare  un  metodo  di  educazione  oratoria  e  in  rapporto 
a  quel  metodo  indicare  i  mezzi,  che  sono  necessari  per  conseguir  lode 
di  vero  oratore.  In  der  Aufzeigung  der  technographischen  Quellen 
werden  immer  Lücken  und  LFnklarheiten  bleiben.  Den  Aristoteles 
(rhet. ,  auva^tu^rj  te-/vü)v?)  habe  Cicero,  so  nimmt  Curcio  an,  flüchtig 
gelesen;  seine  Vereinigung  des  isokrateischeu  und  aristotelischen  Systems 
sei  nur  für  die  Grnndzüge  anzunehmen,  was  Cima  Riv.  di  filol.  29  p.  129 
mit  Recht  als  zu  unbestimmt  beaustandet.  Meist  neu  sind  die  Aus- 
führungen Curcios  S.  129  ff.,  in  denen  er  Unebenheiten,  Widersprüche 
und  Schwächen  in  der  Gedankenführung  zu  finden  glaubt;  gegen  ihn  ver- 
teidigt Cima  in  seiner  Besprechung  1.  1.  p.  112 — 116  die  angegriffenen 
Punkte  mit  Glück.  Wichtig  erscheint  Kapitel  6,  da  sich  der  Verfasser 
besonders  hier  auf  eigene  Studien  stützen  konnte,  nämlich  auf  die  Schrift : 


Bericht  üb.  d.  Literatur  zu  d.  rhetorischen  Schriften  Ciceros.  (Ammon.)     141 

*2.  Gaetano  Cnrcio,  DeCiceronis  et  Calvi  reliqoor iim- 
que  Atticorum  arte  dicendi  quaestiones,  Acidi  prope  Catinam  ex 
officina  Aetnaea,  1899.  89  8 

Hauptinhalt :  Ciceros  rhetorische  Eigenart ,  seine  at  tizistischen  Gegner, 
Beginn  desStreites  (nach  54),  über  dieRedekunst  der  Attiker,  Ciceros  Urteil 
tiber  diese  Redekunst  und  über  die  einzelnen  Persönliclikeiten  (Calidius, 
Calvus.  Scribonius  Curio,  M.  Brutus,  Asinius  Pollio),  die  Redekunst  der 
Attiker  mit  der  Ciceros  verglichen,   die  Fragmente  der  Attizisten. 

Doch  bringt  die  Darlegung  des  Streites  zwischen  Asianis- 
nius  und  Attizisnius  wenig  Neues.  Mit  Tacitus  dial.  de  or.  c.  25 
behauptet  Curcio  p.  151:  Cicerone  e  gli  Atticisti  seguono  in  fönte  un' 
uuica  scuola,  sebbene  1'  uno  non  si  assomiglin  ella  specie  all'  altro;  das  ist 
richtig,  wenn  nur  das  allgeraeine  Streben  nach  Imitation  gemeint  ist, 
aber  im  Wesen  ist  und  bleibt  Cicero  anders  geartet  als  die  Atti/.isten 
(s.  meinen  Bericht  1900  Bd.  CV  S.  210,  224,  241).  Wohl  mit  Recht 
wird  S.  151  der  Anstoli  zum  Streit  in  politischen  und  persönlichen  Be- 
ziehungen gesucht;  dabei  mnB  man  aber  hinter  den  kleinen  Vorder- 
männern die  Kontrastgröße  zu  Cicero,  Cäsar,  sehen:  Dieser  hat  das 
politische  regnum  nahezu  erreicht  und  dadurch  sowie  durch  seine  andere 
Art  der  Darstellung  dem  Cicero  auch  das  regnum  forense  fast  entrissen 
und  bedroht  seine  Führerschaft  im  Stil. 

In  Kapitel  7  (von  Nr.  1)  führt  Curcio  die  Untersuchung  fort:  Brutus, 
orator,  de  opt.  g.  or.  bewegen  sich  auf  der  gleichen  Gefechtslinie.  Als  Cicero 
den  Brutus  schrieb,  war  die  Polemik  mitden  Attikern  nahezu  beendigt,  meint 
Curcio ;   aber  wozu  dann  der  verschärfte  Ton  in  or.  und  de  opt.  gen.  or.? 

Von  Interesse  ist  die  Ausführung  über  die  Komposition  des  or. : 
Brntus  hatte  in  seinem  Brief  Auskunft  gewünscht  über  das  Optimum 
genns  dicendi  und  über  die  numerosa  oratio;  auf  beide  Fragen  ant- 
wortet Cicero  in  zwei  besonderen  Abhandlungen  —  der  Titel  de  optimo 
genere  dicendi  ad  fam.  XV  21,  1  -^  orator  zeigt  dies  au  — ,  verbindet 
dieselben  aber  später  zum  Zweck  der  Veröffentlichung  durch  das  Mittel- 
stück de  oratore  perfecto.  Die  Darlegungen  haben  etwas  Bestechendes, 
auch  ist  der  or.  so  wenig  als  andere  Schriften  frei  von  Unebenheiten 
in  der  Gedankenverknüpfung  und  -führung,  aber  bei  näherer  Prüfung 
wird  man  diese  Enlstehungsart  kaum  als  die  wirkliche  annehmen.'*')  Auch 
im  einzelnen  sind  hier  manche  Versehen:  man  sagt  nobiscum  nach 
Cicero,  um  nicht  durch  die  regelmäßige  Stellung  cum  nobis  einen 
obszönen  Laut  (cunno-)  zu  bekommen;  bei  Curcio  stehen  S.  160  die  uuver- 


*)  Auf  die  Schritt  „Die  Tendenz  von  Ciceros  Orator"  von  Dr.  Seb. 
Schlittenbauer,  Leipzig,  Teubner  1903  (—Jahrb.  f.  klase.  Philol. 
Suppl.  28,  S.  183—248)  wird  im  nächsten  Bericht  einzugehen  sein. 


142     Bericht  üb  d.  Literatur  zu  d.  rhetorischen  Schriften  Ciceros    (Ammon.) 

ständlichen  Worte  ma  cum  Ulis;  cum  autem  nobis.  In  seiner  grammatischen 
Anschauung  ist  Cicero  eher  Anomalist  als  Analogist  (vgl.  Jahresb.  1900 
S.  243  f.).  S.  161  f.  wird  —  —  als  incisum,  —  —  als  membrum, 
—  u  —  Kj  als  ambitus  bezeichnet;  mir  ist  das  in  der  rhetorischen 
Sprache  des  Cicero  unverständlich.  Die  Darstellung  des  Rhythmus  bei 
Cicero  gehört  zu  den  schwächeren  Partien  in  Curcios  Buch. 

Mit  dem  or.  verbindet  sich  im  gleichen  Kapitel  die  Besprechung 
der  kleinen  .Streitschrift  de  opt.  gen.  or.  Über  den  vermutlichen  Cha- 
rakter der  Übersetzung,  deren  Vorrede  sie  bildete,  setzt  sich  Curcio 
mit  G.  Giri,  Del  tradiirre  presso  i  latini  (Milano  1889),  kurz  aus- 
einander. 

In  Kap.  8  behandelt  der  Verf.  die  Topica  und  die  Streitfragen 
über  ihre  Quellen. 

Das  letzte  Kapitel  sucht  die  part.  or.  als  unecht  zu  erweisen 
[der  wichtige  Codex  Sangallensis  gibt  auch  nicht  die  Autorschaft  Ciceros 
an].  Die  Ausführungen  enthalten  manche  richtige  Beobachtungen, 
z.  B.  daß  in  dieser  Schrift  nichts  von  der  Karapfesstimmnng  gegen 
die  Attiker  zu  verspüren  ist,  sondern  „V  animo  suo  ci  si  mostra  olim- 
picamente  sereno"  (p.  209),  so  daß  man  die  Schrift  in  das  Jahr  56 
oder  55  hinaufzurücken  versucht  sei.  unmöglich  ist  das  nicht;  mit  Hirzel 
habe  ich  mich  für  das  Jahr  54  im  Jahresber.  ausgesprochen;  nachdem 
aber  L.  Gurlitt  Berl.  Phil.  Woch.  1900  S.  1179  f.  das  Jahr  65  als 
das  Geburtsjahr  des  jungen  Cicero  nachgewiesen  hat,  spricht  vieles 
auch  für  das  Jahr  55.  Allein  Curcios  Beweise  für  die  Unechtheit  sind 
doch  nicht  durchschlagend.  Die  Darstellung  ist  zwar  eigenartig,  aber  es  ist 
eben  auch  die  katechetische  Form  etwas  Neues;  der  Inhalt  ist  von  der 
oder  den  Vorlagen  fast  wörtlich  herübergenommen,  so  daß  wir  wie  in 
de  inv.  Übersetzungslatein  vor  uns  haben  (über  Marx'  Ansicht  vgl. 
Jahresb.  CV  238).  Die  gesamte  Darstellung  enthält  doch  so  viel  Cicero- 
nianisches,  daß  wir  mit  Quintilian  an  die  Echtheit  der  Schrift  glauben 
dürfen.  Auf  die  sprachlichen  Argumente  ist  bei  einer  Übersetzung  —  und 
das  sind  die  part.  or.  in  der  Hauptsache  wohl  —  nicht  viel  zu  geben;  so 
zeigt  auch  de  inv.,  worauf  G.  Thiele  hingewiesen  hat,  an  verschiedenen 
Stellen  den  häufigen  Gebrauch  der  Substantiva:  supralata  verba  §  20 
hat  seine  Stütze  an  supralatio  de  or,  III  203. 

Alles  in  allem:  die  kritische  Studie  von  Curcio  ist  ein  gehalt- 
reiches und  anregendes  Buch;  der  Verfasser  bekundet  fast  durchaus 
anerkennenswerte  Vertrautheit  mit  der  einschlägigen  Literatur,  beson- 
ders mit  den  Arbeiten  der  Deutschen;  die  Ausführung  der  Gedanken 
konnte  bisweilen  knapper  und  präziser  sein.  Die  Ausstattung  ist  gut, 
die  zahlreichen  Tabellen  erleichtern  den  Überblick  über  die  technischen 
Dinge.    Aber  im  Druck  stören  viele  Errata  (Möllendorflf,  ßohde). 


B  ericht  üb.  d.  Literatur  zu  d.  rhetorischen  Schriften  Ciceros.  fAmmon.)     ]  43 

Rez.:  Rcr  1900  Nr.  47,  p.  389  v.  P.  LCejay).  —  RF  XXIX  1, 
p.  109—117  V.  A.  Cima.  —  BphW  1901,  Nr.  4,  p.  102—107  v. 
0.  Weißenfels.  —  RIP  XLIV  5,  p.  341—343  v.  P.  Thomas.   — 

De  Cic.  et  Calvi  .  .  rez.  Boficl  VI  8,  p.  178—181  v.  A.  Cima.  — 
Rcr  1899,  Nr.  50,  p.  483  v.  E.  T.  —  RTP  XLIII  2,  p.  108—111  v. 
P.  Thomas.  —  BphW  1900,  Nr.  23.  p.  712-714  v.  0.  Weißenfels.  — 
RF  XXVIII  2,  p.  297—298  v.  V.  ITssani. 

Als  eine  zusammenfassende  Arbeit  möchte  ich  hier  auch  die  Lei- 
dener Dissertation  nachtragen: 

*3.     Yan  Vessem.    De  M.  Tullii  Ciceronis  de  oratorc  libris 
.  .  .  specimen  litterarium  angurale  .  .  .  submittit  Joseph  van  Vessem, 
S.  J.  Galopiae  apud  M.  Alberts  et  filios,  1896.     gr.  8.     119  S. 
Auf  Grund  ausgebreiteter  Belesenheit  sucht  der  Verfasser  abge- 
sehen   von    allgemeinen    Bemerkungen    über    den    Rhetor    und  Redner 
Cicero  folgende  drei  Fragen  zu  erledigen : 

1.  Quid  Cicero  hisce  libris  sci-ibendis  sibi  proposuerit.  Autwort: 
Cicerouem,  ut  reipublicae  consuleret,  optimarum  artium  vias  suis 
civibus  tradidisse,  oder,  wie  es  in  der  Thesis  I  heißt,  ratio  et 
causa  totius  disputationis  „de  oratore"  indicatur  1.  II  §  5. 

2.  Quae  sit  propria  et  praecipua  doctriua  horum  librorum  (p.  30—66 
=  Inhaltsaugabe  in  großen  Zügen). 

3.  De  foutibus  et  exemplaribus  horum  librorum  quaedam  annotantur 
(p.  67 — 112):  Isocrates,  Aristoteles,  Plato,  besonders  die  Berüh- 
rungen mit  dessen  Gorgias  und  Phaedrus;  die  Verschiedenheit 
des  Begriffes  sapientia  bei  Plato  und  bei  Cicero  u.  a.  In  die 
Tiefen  der  rhetorischen  Einzelforschung,  wie  sie  in  mehreren 
deutschen  Dissertationen  angebahnt  ist,  dringt  van  Vessem  nicht; 
aber  die  hübsche,  nur  zu  breit  gehaltene  Darstellung  bietet  doch 
manche  Anregung. 

Einen  Hauptbegriff  in  der  Definition  des  Redners,  vir  bonus,  be- 
handeln 

4.  Fr.  Scholl  und  L.  Radermacher  Rhein.  Mus.  LVII  1902, 
8.  313  f. 

Früher  (Rh.  Mus.  1899  S.  286  ff.)  hatte  Radermacher  für  de 
orat.  eine  stoische  Quelle  angenommen.  Scholl  bekämpft  die  Annahme,  der 
alte  Cato  habe  die  Worte,  der  Redner  sei  ein  vir  bonus,  164  (oder  155)  bei 
der  Philosophengesandtschaft  von  Diogenes  von  Babylon  gehört;  er  sei 
eine  eigene  Prägung  des  moralisierenden  Cato.  Radermacher  erklärt, 
seine  Annahme  schon  lange  aufgegeben  zu  haben,  aber  daß  in  der  De- 
finition des  Redners  als  vir  bonus  die  Stoiker  den  entscheidenden  Nach- 
druck  geübt   haben,    ist  auch  mir  nach  de  or.  u.  a.  nicht  zweifelhaft. 


144     Bericht  üb.  d.  Literatur  zu  d.  rhetorischen  Schriften  Ciceroa.  (Ammon. ) 

Für  das  Verständnis  sowohl  der  Geschichte  der  alten  Redekunst        1 
und  Rhetorik  als  auch  technischer  Einzelheiten,  soweit  beide  bei  Cicero 
berührt    werden,    sind    von  Bedeutune:    einige  Werke    über  griechische 
Rhetorik : 

5a.  Navarre.  Essai  sur  la  rhötorique  grecque  avaut 
Aristo tle.  These  ,  .  .  par  Octave  Navarre.  Paris,  Hachette  et 
Cie.,  1900.     gr.  8.     XV  344  S. 

Ausgehend  von  L.  Spengels  xe^vaiv  auva7u>Y9)  stellt  Navarre  in 
großen  Zügen,  aber  auch  eingehend  dar  L  Die  Geschichte  der  grie- 
chischen Rhetorik  vor  Aristoteles  (bis  S,  207):  Sizilien  —  Gorgias  — 
die  Sophistik  (Kritik  der  Dichter)  —  die  Eristik  etc.  Im  iL  Teil 
(S.  210 — 326)  versucht  er  eine  „Restitution"  der  griechischen  Rhetorik 
des  4.  Jahrhunderts  v.  Chr.  (Exorde  —  narration  —  preuve  —  epi- 
logue).  Es  genügt  hier,  das  schöne  Buch  in  Erinnerung  gebracht  zu 
haben,  auf  Einzelheiten  soll  nicht  eingegangen  werden.  An  Angriffs- 
panktf^u  fehlt  es,  wie  es  scheint,  nicht,  z.  B.  wenn  S.  339  die  Möglich- 
keit offen  gelassen  wird,  daß  auch  Cicero  der  Verfasser  der  Rhetorik 
an  flerennius  sein  könne. 

5b.  Rhys  Roberts.  Dionysius  of Halicarnassus,  The  three  literaiy 
letters  .  .  .  by  W.  Rhys  Roberts.    Cambridge,  University  Press,  1901. 

Aus  dem  introductory  essay  (S.  1—51)  ist  besonders  Abschnitt  V 
Relation  of  Dionysius  as  a  literary  critic  to  the  Romans  and  to  the 
Greeks  hierherzuzieheu. 

Vgl.  meine  Besprech.  Berl.  Phil.  Woch.  1901  Nr.  51. 

5  c.  Egg  er.  Denys  d'Halicarnasse,  Essai  sur  la  critique  litte- 
raire  et  la  rhetorique  chez  les  Grecs  au  siöcle  d'Auguste  par 
Max.  Egger.  Paris  1902  (Picard  et  fils).  XIII  306  S.  Aus  dem  Buch 
sind  einige  Abschnitte,  z.  B.  S.  88—98  über  Rhythmus,  auch  für 
Cicero  wertvoll.    Vgl.  Berl.  Phil.  Woch.  1902,  Nr.  27  S.  833—839. 

Eine  Gesamtausgabe  der  rhetorischen  Schriften  ist  in  den 
letzten  zwei  Jahren  nicht  erschienen;  wir  besprechen  nunmehr 

Die  einzelnen  Schriften. 

1.    De  oralere. 

—  6.  M.  Nicolini,  De  oratore  —  Brutus  —  orator.  Anto- 
logia  scelta  et  annotata.     Milano  1901,  Fr.  Vallardi.    XXXII  250  S. 

Die  Auswahl,  die  mir  nicht  zugänglich  war.  bezeichnet  0.  Weißeii- 
fels  Woch.  f.  klass.  Phil.  1901  Nr.  51  S.  1392  als  durchaus  passend 
und  gründlich.     ,Auch  ist  der  Verf.  in  der  Einleitung  mit  Erfolg  be- 


Bericht  üb.  d.  Literatnr  zu  d.  rhetorischen  Schriften  Ciceros.  (Atnmon.)     145 

müht,  das  Eigentümliche  von  Ciceros  Auffassung  der  Beredsamkeit  zu 
beleuchten  und  die  Ansicht  zu  widerlegen,  als  habe  dieser  seine  leitenden 
Gedanken  aus,  man  weiß  nicht,  welcher  Schrift  des  Philo  geschöpft. 
Was  den  Text  betriflft,  so  ist  er  der  Teubnerschen  Textausgabe  von 
Friedrich  gefolgt,  doch  mit  großer  Freiheit  und  auf  andere  hörend. 
Vor  allem  hat  er  sich  hinsichtlich  der  Orthographie  von  Friedrichs  Aus- 
gabe unabhängig  gehalten." 

Rez.:  Boficl  VII  9,  200-201  v.  A.  C. 

Von  der  verdienstvollen  Ausgabe  von 

—  7.     Ä.  S.  Wilkins,  Ciceronis  de  oratore  librilll,  Cambridge, 
Clarendon  Press, 

ist  Buch  I  in  zweiter  Auflage  (1902)  erschienen. 

Rez.:  Rev.  de  Tlnstr.  pnbl.  eu  Beige  1902  p.  247—248,  Lit.  Centr, 

1902  p.  1401  und  neuestens  eingehend  von  Th.  Stangl  W.  f.  klass.  Phil. 

1903  Nr.  4  Sp.  95—98. 

Aus  Anlaß  der  zweiten  Bearbeitung  seiner  kleinen,  aber  treff- 
lichen Ausgabe  hat 

8.     Antonio  Ciraa,    Observationes  criticae    in  Cic.  libr.  I 
de  er.  in  der  Riv.  di  Filol.  28,  1900  p.  456—464 

veröffentlicht.*) 

Beachtenswert  ist  alles,  was  Ciraa  über  Ciceros  rhetorische 
Schriften  sagt.  Als  besonders  ansprechend  möchte  ich  aus  den  Vor- 
schlägen herausheben  1 4ö  cum  quaestor  [ex  Macedonia] ,  venissem ; 
EUendts  Deutung  ist  zu  gekünstelt  (auch  Wilkins  stimmt  bei)  |  I  62 
usi  sunius,  <si>  tum  ]  I  215  aliam  quoque  scieutiam  (billigt  Wilkins) 
I  232  [qui  houos  apud  Graecos  maximus  haberetur].  Au  anderen  Stellen 
kann  ich  dem  Kritiker  nicht  beipflichten,  so  in  dem,  was  zu  I  11  gegen 
Staugls  Ergänzung  <et  oratoruni>  vorgebracht  wird.  In  I  85  qui  iam 
diceret  <rhetorum>  esse  quandani  prudeutiam  scheint  mir  der  Zusatz 
unzulässig  wegen  des  folgenden  partis  illius  ipsius  prudentiae;  die 
Worte  zeigen  deutlich,  daß  Menedemus  mit  rationes  constituendarum  et 
regendarura  rerum  publicaruiu  die  (-oXitixtj)  pTjxopixT)  als  selbständige 
Disziplin  hinstellen  wollte.  1  111  ist  mir  die  Konstruktion  Quamquam 
nioderabor  ipse  <me>,  ne  nicht  verständlich;  nahe  läge  Quamquam 
<mi>  moderabor  ipse,  ne  zu  schreiben,  wenn  überhaupt  zu  ändern  ist. 
Seine  Observationes  hat 


*)  Nicht  zur  Hand  habe  ich  BoU.  di  fil.  cl.  VII  p.  fil-65,  suU'  inter- 
pretazione   di   alcuni   passi    di  Cic.  de  or. ;    im   gleichen  Bande   sprechen 
Brugnola  und  Sabbadini  über  impudentiae  ludus  p.  155—166  und  230—231. 
Jahresbericht  für  Altertums-wissenschaft.    Bd   CXVII.    (1901  II.)  10 


146     Bericht  üb.  d.  Literatur  zu  d.  rhetorischen  Schriften  Ciceros.  (Ammon.) 

9.  A.  Cima,  M.  Tullio  Cicerone  i  tre  libri  de  oratore,  testo 
riveduto  ed  annotato,  libro  primo,  seconda  edlzione  interamente 
rifusa.     Torino,  Loescher,  1900.     XXIII  167  S. 

verwertet  und  zahlreiche  neue  bezüglich  der  Textesgestaltung  bei- 
gefügt. 

Von  den  Vorzügen  der  knappen  und  klaren  Einleitung  und  des 
gediegenen  Kommentars,  die  schon  der  ersten  Ausgabe  allseilige  An- 
erkennung sicherten,  spreche  ich  hier  nicht.  In  der  schwierigen  Grundfrage 
der  Autorität  der  mutili  (M)  und  integri  (L),  die  Stroebel  Jahresb. 
Bd.  80  und  84  ins  rechte  Licht  gesetzt  hat,  habe  ich  bei  der  Be- 
sprechung von  Friedrichs  Ausgabe  der  opusc.  rhet.  Bayer.  Gymn.-BI. 
28,  S.  621  (auf  Grund  einer  nicht  veröffentlichten  Vergleichung  von 
Hunderten  von  Varianten)  die  Ansicht  geäußert,  daß  die  integri  an  sehr 
vielen  Stellen  nicht  zu  ihrem  Rechte  kommen.  Aus  den  Varianten,  bei 
denen  sich  Cima  für  L  entscheidet,  seien  folgende  als  gut  herausgehoben: 
I  14  exercitationis  ullam  viam  für  vim  |  ib.  discendi  (nämlich  dicere) 
für  dicendi  |  18  moderatione  elaborent  (für  laborent),  bei  dem  Zusammen- 
treffen der  zwei  e  (vgl.  I  251,  II  231)  hat  die  Schreibweise  von  M  gar 
keine  Bedeutung;  maßgebend  sind  Fälle  wie  gleich  §  19  singulis  ela- 
borent, ebenso  I  22,  33,  252,  II  85.  |  §  26  in  sermone,  ebenso  47  in 
erat,  irr.,  175  in  quibus  —  iu  om.  M  |  27  iocando  |  90  blandiri  suppli- 
citer  et  subtiliter  insinuare  |  93  persuadere  |  95  huic  |  104  summo  ho- 
minem  ingenio  nostrique  cupidissimum  |  107  in  verbi  controversia  po- 
sitam  I  115  non  optima  |  158  eliciendum  |  190  iam  diu  |  193  haec. 
Fraglich  erscheint  mir  die  Richtigkeit  der  Lesarten  I  3  causae  (für 
causa)  I  20  nisi  res  sit  |  31  cum  paucis  (über  perpaucis  s.  u.  Locli- 
müller)  |  198  qui,  cum  ingenio  sibi  auctore  dignitatem  peperissent 
(Cimas  Vermutung)  |  219  hominum  Graeciae  (für  horainum  quoque  von 
Cima  in  den  Text  gesetzt).  Die  Konstruktion  quo  plus  .  .  .  accedere, 
eo  .  .  254  halte  auch  ich  für  unmöglich. 

Rez.:  WklPh  1901,  Nr.  17  p.  459—460  v.  W.  Hirschfelder.  — 
CIR  1901  IV,  p.  230—231  v.  A.  S.  W.  —  RPh  1901  III,  p.  279-280 
v.  H.  Bornecque.  —  RF  XXIX  4,  p.  605—608  v.  G.  B.  Marchesa- 
Rossi  (eingehende  Besprechung  der  Textesgestaltung).  —  Boficl  VIII, 
p.  199  V.  L.  V(almaggi). 

Auf  Cimas  gediegene  Arbeit  (1.  Ausg.)  stützt  sich  last  durchaus 

*10.  A.C.  Firmani,  M.  Tullii  Ciceronis  de  oratore  libri  tres. 
Liber  L     Paravia  e  Comp.,  Torino  etc.  1899.     8.     112  S. 

Von  der  bescheideneu  Schulausgabe  (bibliot.  scolastica  di  scrittori 
latiui  con  note  Nr.  875,  3)  ist  mir  nachträglich   das  erste  Bändchen^ 


Bericht  üb.  d.  Literatur  zu  d.  rhetorischen  Schriften  Ciceros.  (Ammon.)     147 

Buch  I  enthaltend,  zugegangen.*)  Der  Kommentar  lehnt  sich  haupt- 
sächlich an  Cima  und  Soiof,  der  Text  ebenfalls  an  Ciraa  an,  doch 
folgt  der  Verf.  biswi-ileu  Friedrich,  Harnecker  und  Earle.  Er  ist  in 
der  Textbehaudlung  konservativ,  für  eine  Schulausgabe  zu  konservativ. 
So  erklärt  er,  daß  I  158  atque  dicendum  keinen  befriedigenden  Sinn 
gebe,  hält  aber  an  der  Überlieferung  fest,  §  190  verwirft  er  iaui  [diuj 
cogito  den  Zusatz.  Ansprechend  ist  die  Lesung  1  31  perpaiicis,  97  mcmet; 
unwahrscheinlich  34  possit  für  possitis,  42  convincentes;  fraglich  beue 
nioderatae  tür  bene  moratae  85. 

Rez.:  Befiel  VII  1,  p.  10—12  v.  G.  Curcio. 

11.  Lochmüller.  Quaestiones  grammaticae  in  Ciceronis 
libros  oratorios  compositae  ab  Johanne  Lochmüller,  Progr.  Lands- 
hut 1901/02.     8.     38  S. 

Lochmüller,  ein  Schüler  E.  v.  Wülflflins,  hut,  durch  Th.  Stangls 
Rat  unterstützt,  12  Stellen  von  de  or.  und  eine  Brutusstelle  (Br.  31) 
neu  geprüft  und  seine  wohlerwogenen  Gründe  für  oder  gegen  die  von 
den  neuesten  Herausgebein,  insbesondere  von  W.  Friodrich,  gewählten 
Lesarten  in  fließendem  Latein  sorgfältig  dargelegt.  Eine  reiche  Samm- 
lung von  Parallelen  aus  den  rhetorischen  Schriften  und  den  Briefen 
zeigt  aufs  neue,  wie  sehr  sich  Herausgeber  verirren  können,  wenn  sie 
mit  einem  Teil  der  Überlieferung,  wie  Friedrich  mit  M  (niutili),  durch 
dick  und  dünn  gehen  (p.  31).  I  31  wird  vel  cum  perpaucis  facere  possit 
verteidigt  und  dazu  eine  fast  erschöpfende  Zusammenstellung  der  Ad- 
jektive und  Adverbien  gegeben,  die  durch  per  verstärkt  werden.  Die 
gleichartige  Sammlung  von  Jules  Lebreton  in  der  Pariser  Thesis  (1901) 
Caesariaaa  syntaxis  quatenus  a  Ciceroniana  differat  p.  75/76  scheint 
Lochmüller  nicht  gekannt  zu  haben;  das  von  Lebreton  mit  aufgenommene 
hominem  perustum  (ad  fam.  XIII  15,  2)  hat  Lochmüller  mit  Recht  bei- 
seite gelassen.  Die  ursprüngliche  Funktion  des  per  enthalten  Stelleu 
wie  per  mihi,  per,  inquam,  gratum  feceris  (ad  Att.  I  20,  7);  daß  persaepe 
nicht  gleichbedeutend  ist  mit  saepissime,  lehrt  ad  Quint.  fratr.  I,  15. 
I  97  wird  per  memet  (für  me)  ipsum  befürwortet  und  durch  Parallelen 
gut  begründet  (Cima  I^  hat  auch  memet,  Firmaui  verwirft  dies).  I  251 
wird  Stangls  geistreiche  Konjektur  sedantes  (für  sedentes)  ab  acutissimo 
nachdrucksvoll  empfohlen;  1261  consuescebat  neque  is(für  id),  auch  Cima 
und  Firmani  lesen  is;  ein  triftiger  Grund  von  der  Überlieferung  is  abzu- 
gehen, ist  nicht  voi-handen.  Zu  II  40  sammelt  der  Verf.  die  Beltge  iür  abs 
te  und  spricht  sich  für  die  Lesart  der  iutegri  abs  te  aus  (andere  a  te, 
ab  te).    Nach  or.  §  158,  wo  Cicero  das  Streben  nach  Euphonie  iu  der 


*)  Das  Ganze  37tJ  p.,  lire  2,80. 

lü* 


148     Bericht  üb.  d.  Literatur  zu  d.  rhetorischen  Schriften  Ciceros.  (Ammon.) 

lateinischen  Sprachentwickelung  darstellt  —  amovit  dicimus  et  abegit 
et  abstulit  —  hat  abs  te  als  das  Regelmäßige  zu  gelten;  darauf  hätte 
der  Verf.  hinweisen  sollen.  Zu  11  247  bietet  er  zahlreiche  Beispiele  für 
Stellungen  wie  nieus  frater,  tuus  necessarius.  II  270  wird  oratoriis  dictioui- 
bns  (für  actionibus)  empfohlen,  aber  unter  den  26  Parallelen  (sententiae 
dictio  u.  a.  sind  nicht  Parallelen)  zeigt  keine  die  Verbindung  oratoria 
dictio,  wohl  aber  forensis  dictio  (I  108,  Brut.  272).  III  79  bringt  Loch- 
müller weitere  Belege  für  das  angehängte  que  in  Fällen  wie  despicique 
(Stangls  Lesung),  untersucht  aber  nicht  die  rhythmische  Bedeutung  solcher 
Stellungen.  III  105  eaque  una  laus  oratoris  est  et  propria  maxime  wird 
et  verworfen,  aber  dem  Sinn  (einzig  dastehender  und  eigenster  Vorzug) 
widerspricht  es  nicht  und  durch  die  Figur  der  coniunctio  (ad  Herenn. 
IV  27,  38),  die  in  dem  Satze  beabsichtigt  scheint,  wird  es  gefordert.*) 
Für  die  bekannte  Art  von  Konstruktionen  wie  III  227  haec  varietas 
et  [hie]  .  .  .  cursus  werden  aus  den  rhetorischen  Schriften  und  den  Briefen 
zahlreiche  Belege  zusammengetragen. 

Einzelne  Vorschläge  zur  Textverbesscrung  von  de  or.: 

G.  Curcio  vermutet  III  110  hactenus  <rhetores>  loquantur, 
le  op.  ret.  p.  218,  schwerlich  richtig. 

12.  S.  Vasis  (BajT]?)  spricht  sich  'AÖrjva  XIII  1901  p.  101  f. 
zu  I  5  für  die  Lesart  prudentissimorum  (statt  eruditissiraorum)  hpmi- 
num  aus  und  verweist  auf  sein  Buch  Codicis  Ciceroniani  a  Lagomarsinio 
Nr.  32  designati. 

Dieses  sowie 

—  13.   V.  Hahn,  Über  eine  unbekannte  Handschrift  von  Cicero 
de  oratore  (polnisch),  in:  Symbolae  in  honorem  Cwilinski  p.  13 
war  mir  nicht  zugänglich. 

2.    Partitiones  oratoriae. 

Von  Curcio  für  unecht  erklärt,  s.  o.  S.   142. 

Bezüglich  der  Reihenfolge  vgl.  .Tahresb.  CV.  Bd.  S.  235. 

3.    Brntns. 

14.    Remigio  Sabbadini,  Dubbi  sul 'Brutus'  dl  Cicerone,  Riv. 
di  filol.  29,  1901,  p.  259—261. 

Wir  haben  es  hier  mit  einer  Streitfrage  zu  tun,  die  in  jüngster 
Zeit  zwischen  einigen  italienischen  Gelehrten  ausgefochten  wird:  Sabba- 
dini wollte  in  der  Aneis  Mängel  der  Komposition  und  des  Gedanken- 
gangs gefunden  haben,   sein  Schüler  Curcio   suchte  solche  „slegature  e 


*)  Öfters  verbindet  Cicero  proprius  ac  suus. 


Bericht  üb.  d.  Literatur  zu  d.  rhetorischen  Schriften  Ciceros.  (Ammon.)     14;) 

scuciture"  in  Cic.  de  or.  und  auderen  Schriften  festzustellen;  A.  Cima 
weist  in  seiner  genauen  Rezension  des  Buches  von  Curcio  die  einzelnen 
Ausstellungen  und  das  ganze  Bestreben  zurück.  Daran  anknüpfend 
äußert  Sabbadini  einige  Zweifel  bezüglich  des  GedankeuzusamnienhaDges 
und  der  Gedaukenfühiung  im  Brutus  (§§  19—20,  39  —  41,  45—48, 
61-65,  83—91,  182,  22S— 230  und  zahlreiche  andere  Paragraphen). 
Man  wird  den  Zweifeln,  die  zum  Teil  von  anderen  schon  früher 
ausgesprochen  wurden,  nicht  jede  Berechtigung  aberkennen,  z.  B.  die 
Behandlung  des  Hortensius  betreftend,  aber  sie  finden  zum  großen  Teil 
ihre  Erklärung  in  der  Freiheit  des  Dialogs,  in  der  Eigenart  des  Autors 
und  der  Materie,  in  der  Quellenbeuutzung.  So  ist  §  39 — 41  der  Gedanke, 
daß  die  Redekunst  selbst  in  dem  so  viel  älteren  Athen  verhältnismäßig 
jung  sei,  etwas  breit  ausgedrückt.  An  den  Satz  ante  Solonis  aetatem  et 
Pisistrati  de  nullo  ut  diserto  memoriae  proditum  est  schloß  sich  vielleicht 
in  der  griechischen  Quelle  —  auch  bei  Philodem  blickt  diese  geschicht- 
liche Skizze  (Nestor  —  Ulixes  —  Lycurgus  u.  a.)  durch  —  in  anderer 
Fassung  der  Satz  au  Sed  Studium  ...  in  Pisistrato,  aber  Cicero  wollte 
die  chronologische  Vergleichung  hier  einschieben,  wohl  auf  Grund  des 
liber  annalis  des  Atticus. 

—  15.  Quicherat.  Brutus,  sive  de  claris  oratoribus.  Accedit 
libellus  de  optimo  genere  oratorum.  Recensuit  L.  (Quicherat.  Paris 
1900,  Hachette  et  Cie.     108  S.     90  c. 

—  16.  Burnouf.  Cic.  Brutus,  ou  dialogue  sur  les  orateurs 
illustres.  Traduction  franraise  par  J.  L.  Burnouf,  avec  le  texte  latin. 
16.     Paris  1902,  lib.  Hachette  et  Cie.  203  p.     2  fr. 


Einzelne  Stellen. 

—  17.  A.  Gandiglio,  a  proposto  d' uua  lezione  e  interpretazione 
congetturale  in  Cic.  Brut.  17,  67.  BoM.  di  fil.  cl.  1900,  Nr.  9. 
p.  205—207. 

—  18.  C.  Pascal,  In:  La  biblioteca  delle  scuole  ital.  IX  2:  Per 
r  interpretazione  di  un  passo  del  Brutus  17,  67. 

—  19.  Sakellaropulos,  -'pajxfxaxtxa  xat  xpitixa  in  raemoriam 
Luciani  MüUeri  (Cic.  Brut.),  Athen  1900,  10  p. 

Für  die  Interpretation    einiger  Stellen    des  Brutus  ist  heran- 
zuziehen 

20.  Johannes  Zingler,  De  Cicerone  historico  quaestiones. 
Berl.  Diss.,  1900,  Berolini,  Mayer  et  Müller.  38  S. 


150     Bericht  üb.  d.  Literatur  zu  d.  rhetorischen  Schriften  Cicero s.  (Ammon.) 

Cicero  ist  nicht  Historiker  von  Fach,  wenn  er  auch  —  nach  seiner 
Darstellung  —  vielfach  zur  Geschichtschreibung  aufgefordert  wird  und 
ihn  seine  Darstellungsgabe  dazu  reizt  (s.  H.  Henze,  Quomodo  C.  de 
historica  iudic,  Diss.  Jen.  1899  p.  2  sqq.);  er  stützt  sich  nach  Zingler 
in  seinen  zahlreichen  geschichtlichen  Angaben  meist  auf  bequeme  Hand- 
bücher und  Leitfäden,  wie  den  liber  annalis  des  Atticus  und  das 
Chronicon  des  Nepos.  Wie  oft  er  sich  bei  Freunden  Rats  erholen 
muß,  lehren  seine  Briefe.  Aber  Ciceros  Geschichtsanffassung  und  seine 
Belesenheit  taxiere  ich  nicht  so  niedrig  wie  Zingler;  daß  die  Geschicht- 
schreibuug  ein  rhetorisches  Gepräge  haben  solle,  ist  nahezu  einstimmige 
Forderung  des  Altertums.  Aber  eine  Hauptstelle  des  Cicero  de  or. 
II  36  [historia  testis  temporum,  lux  veritatis,  vita  memoriae ,  magistra 
vitae,  nuntia  vetustatis,  qua  voce  alia  nisi  oratoris  (in  der  umfassend- 
sten Bedeutung)  immortalitati  commendatur?]  bekundet  gutes  Ver- 
ständnis für  ihre  Aufgaben,  vgl.  or.  120;  andere  Stellen,  die  neben  der 
delectatio  die  utilitas  betonen,  bietet  Henze  unter  II.  Quid  Cicero  de 
historia  senserit  p.  12 — 19  seiner  sorgfältigen  Dissertation. 

Für  die  Kenntnis  der  geschichtlichen  Quellen  des  Brutus  ge- 
winnen wir  aus  Zinglers  Arbeit  wenig;  er  kommt  über  Naumann, 
De  fontibus  et  fide  Bruti  (Halis  1883),  und  Jules  Martha,  Ausgabe 
des  Brutus,  Paris  1892,  besonders  S.  XVI  flf.  der  Einleitung,  .nicht 
hinaus.  Bei  der  Widerlegung,  die  Annahme  H.  Jordans  (Valerius 
Antias)  betreffend,  war  einfach  auf  Martha  p.  XIX  zu  verweisen.  Ein- 
gehend behandelt  Zingler  in  c.  IV  Quid  de  secessionibus  plebis  Cicero 
narraverit  p.  26 — 34  die  verschiedenen  Darstellungen  der  Auswanderung; 
Ciceros  Angabe  Brut.  §.  44  gehe  auf  eine  gute  alte  Quelle  zurück  (p.  27), 
aber  das  Schlußurteil  lautet  doch  so  (p.  30):  factum  est,  ut  qua  erat 
levitate  Tullius  in  historia  conscribenda  närrationes  inter  se  pugnantes 
confunderet. 

*21.  Eingehender  behandelt  Ciceros  Stellung  zur  Geschichte  und 
sein  Urteil  über  die  griechischen  und  römischen  Historiker  Heinrich 
Henze,  Quomodo  Cicero  de  historia  eiusque  auctöribus  iudicaverit 
quaeritur.     Diss.  Jenens.,  Jenae  1899,  72  S. 

4.    Orator. 

Über  Curcios  Hypothese  bezüglich  der  Komposition  s.  o. 
S.  141. 

Als  tüchtige  Schulausgabe  bezeichnet  A.  Cima  Boll.  di  fil.  cl. 
VUI  5  p.  104—105  die  Arbeit  von 

—  22.     A.  Pasdera,  I   libri   dell'   Oratore,    Vol.  I.  Milano- 
Palermo  1902,  Sandron.    XI  149  p. 


Bericht  üb.  d  Literatur  zu  d,  rhetorischen  Schriften  Ciceros.  (Ammon.)     151 

—  22a.  Gnglielmino.  Cicerone,  T  oratore,  saggio  di  traduzione 
del  prof.  E.  Guglielmino.     Cataaia,  ßattisato,   1902. 

23.  Textkritisches  zu  Ciceros  „Orator".  Vou  Siegfr. 
Reiter.  Progr.  Prag  Staatsgymn.  Prag- Weinberge  1902/03.  Prag 
1903.     18  S. 

Auf  den  gehaltreichen  Aufsatz  soll  im  nächsten  Bericht  ein- 
gegangen werden. 

Untersuchungen  über  den  prosaischen  Rhythmus  zum  Brutus 

und  orator. 

24.  Julius  Wolt'f,  De  clausnlis  Ciceronianis,  Diss.  inang. 
Vratislav.,  Lipsiae,  Typis  B.  G.  Teubüeii,  MCMI. 

Rez.:  Berl.  Ph.  W.  1903,  Nr.  7,  204—207  v.  W.  Kroll. 

25.  Henri  Bornecque,  Les  lois  mötriques  de  la  prose 
oratoire  latiue  d'apres  le  Brutus,  Rev.  de  Philol.  1902,  3 
p.  102—124. 

26.  J.  May,  Über  den  numerus  bei  Cicero,  Neue  Philol. 
Rundschau   1902,  N.  10,  S.  217—225. 

Verschiedene  Wege,  welche  französische  und  deutsche  Forscher 
eingeschlagen  haben,  um  den  prosaischen  Rhythmus  bei  Cicero  in 
Theorie  und  Praxis  zu  erforschen,  habe  ich  im  letzten  Jahresbericht 
Bd.  CV.  1900  S.  227  ff.  skizziert.  Die  dort  betoute  Anschauung,  daß  die 
Untersuchung  sich  auf  die  ganze  compositio  verborum  zu  erstrecken 
habe,  nicht  bloß  auf  die  Klauseln  (und  Anfänge),  darf  als  fast  allge- 
mein angenommen  gelten;  aber  die  einen  wollen  eigene  einfache  Gesetze 
finden  und  durchführen,  unbekümmert  um  Ciceros  Angaben,  der  von 
der  Theorie  nichts  verstanden  habe,  andere  glauben  m.  E.  mit  Recht  an 
den  Lehren  der  Alten  auch  in  diesen  Dingen  eine  Richtschnur  zu  haben. 

Über  die  „Klauseln"  bei  Cicero  schreibt  klar  und  frisch  ein 
Schüler  von  Fr.  Skutsch,  Julius  Wolff.  Von  der  Diss.,  deren  Plan  für 
7  Kapitel  eingangs  knapp  mitgeteilt  wird,  liegen  mir  vor  die  vier  ersten 
in  einem  Separatabdruck  des  26.  Suppl.-B.  der  Jahrb.  f.  Philol.  1901 
S.  581—615.     Dem  Verf.    gelten    nach  E.  Müller   und  E.  Norden   als 

die  4  Grundformen  der    Klauseln  — u — «v  ,   — u cv,  — u u<\) , 

— V — u-v  ;  dazu  kommen  aber  kleinere  prosodische  Variationen  und 
Verlängerungen  nach  vorne,  so  daß  wir  die  so  gefürchtete  hohe  Zahl 
von  etwa  25  Formen,  die  andere  nach  Cic.  or.  zusammenstellten,  doch 
beinahe  erreicht  sehen.  Zahlreiche  Belege  aus  Brutus  u.  a.  und  er- 
schöpfende Übersichtstabellen  zu  de  inv. ,  Rose.  Am.  und  or.  veran- 
schaulichen klar  den  Bestand  der  Schlußrhythmen  und  das  gesteigerte 
Streben  nach  rhythmischen,  besonders  dikretischen  Klauseln. 


1 52     Bericht  üb.  d.  Literatur  zu  d.  rhetorischen  Schriften  Ciceros.  (Ammon.) 

Die  Cäsuren  werden  in  c.  III  behandelt;  c.  IV  untersucht  die 
Frage:  Quomodo  Cicero  clausulas  formare  studuerit.  Wertvoll  und 
interessant  ist  der  Nachweis,  welche  Rhythmen  durch  die  vorhandenen 
Wertformen  der  lateinischen  Sprache  begünstigt  werden  [nominamus  — 
.  .  issimi  etc.]  und  wie  Cicero  widerstrebende  Wörter  durch  Stellung 
seinein  rhythmischen  Zweck  dienstbar  macht.  Als  Mängel  der  tüchtigen 
Arbeit,  die  übrigens  auch  anderwärts  im  Jahresbericht  zu  berücksich- 
tigen ist,  möchte  ich  folgende  nennen:  die  Klausel  wird  zu  sehr  als 
feststehender  Begriff  behandelt  (sowohl  hinsichtlich  des  Urafangs  als  der 
Stellung  in  der  compositio);  zwischen  kommatischer  und  periodischer 
Diktion  (xo  sfjLTcepioöov)  ist  zu  scheiden  und  bei  den  Perioden  wieder 
nach  Größe  und  Bau  (vgl.  im  Jahresb.  Bd.  CV  1900  S.  244  Besprechung 
von  du  Mesnil).  So  tritt  z.  B.  in  §  2  des  Brutus  debui  ( — u — )  nicht  so 
stark  hervor  wie  reliquerat  wegen  des  schwächeren  Einschnittes.  Einen 
vollständigen  Einblick  in  die  mit  der  kunstraäßigen  Komposition  aufs 
engste  verknüpfte  Rhythmisierung  [vgl.  meine  Besprechung  von  F.  Blaß, 
Die  Rhythmen  der  attischen  Kunstprosa  Berl.  Philol.  W,  XXII,  1902, 
Nr.  44  S.  1350  f.]  gewinnt  man  natürlich  auch  durch  die  übersichtlichste 

Darlegung  der  Klauselgesetze  nicht.  Ein  Schluß  wie (Doppel- 

spond.)  ist  an  sich  nicht  rhythmisch,  nur  als  Gegensatz  oder  Abschluß 
von  bewegten  Rhythmen  wird  er  rhythmisch  empfunden.  Man  muß 
aber  —  wenigstens  bei  dem  eixTrepiooov  (orbis,  versus)  —  die  ganze  Be- 
wegung (cursus)  fühlen  und  überblicken;  also  nicht  bloß  den  An-  und 
Auslauf,  sondern  auch  den  Verlauf.  Dieser  bestimmt  die  Proportion  und 
den  Charakter  der  beiden  anderen. 

In  dieser  Hinsicht  erscheint  mir  auch  mangelhaft  die  umsichtige 
und  exakte  Abhandlung  von  H.  Bornecque,  der  die  Arbeit  von  Wolff 
sachkundig  und  anerkennend  bespricht,  aber  die  eingeschlagene  Methode 
mit  Unrecht  als  deplorable  bezeichnet  (Rev.  de  Philol.  1902  p.  205  sq.). 
Wohl  erkennt  er  gleich  eingangs  die  Forderung  an,  wenn  er  schreibt: 
„Je  me  propose  d'etudier  ici  toutes  les  lois  metriques  observees  par  Cicerou 
dans  le  Brutus.  Je  ne  m'occuperai  donc  pas  seulement  de  lois  relatives 
au  commencement  et  au  milieu  des  phrases,  comme  je  l'ai  fait  dans 
mon  article  sur  le  Panegyrique  de  Trajan  (Rev.  de  Philol.  1900 
p.  202 — 236);  afin  d'etre  complet,  je  considererai  aussi  les  fins  de 
phrase,  c'est-ä-dire  la  partie  que  jusqu'ici  Ton  —  et  moi  tout  le  premier  — 
appelait  ä,  tort  prose  metrique.  Eu  eifet,  la  phrase  latine  tout  entiere, 
comme  en  t^moignent  les  rheteurs  et  les  grammaiiiens,  est  soumise 
ä  Taction  des  lois  metriques;  c'est  merae  simplement  pour  la  commodite 
des  recherches  que  l'on  separe  les  niots  ou  groupes  initiaux  et  finaux 
du  reste  de  la  phrase,  auxquels  ils  se  rattachent  en  realite."  Aber  in 
der  Arbeit  werden  doch  nur  die  Anfänge  und  Ausgänge  deutlich  genug 


Bericht  üb.  d.  Literatur  zu  d.  rbetorischen  Schriften  Cicero».  (Ammon.)     153 

dargestellt;  das  „milien  de  la  phrase*  ist  nicht  so  behandelt,  daü  der 
Leser  von  der  glänzen  rhythmischen  Wortkomposition  des  Brutus  eine 
rechte  Vorstellung:  gewinnt. 

Die  Hauptabschnitte  der  Abhandlung  sind:  I.  Le  commencement 
des  phrases.  —  Wie  soll  ich  aber  gleich  phrases  übersetzen?  Was 
soll  ich  mir  darunter  vorstellen?  ,, Sätze ^V  „Sätze"  —  Haupt-  und 
Nebensätze  —  kennt  Cicero  nicht.*)  Von  den  Anfängen  der  phrases 
werden  die  zwei-  bis  fünf-  uud  mehrsilbigen  Wörter  und  Lautkomplexe 
(nach  verschiedenen  Typen:  foraut  —  ferantur  —  audiantur  —  audimiui 
etc.)  übersichtlich  und  genau  vorgeführt. 

IT.  Le  milieu  de  la  phrase:  Cicero  vermeidet  natürlich  inner- 
halb des  «Satzgefüges"  mehr  als  4  Füße  vom  gleichen  Rliythmus. 
III.  La  fin  de  hi  phrase:  Bei  den  Schlullrhytliinen ,  die  nach  den 
gleichen  Gesichtspunkten  wie  die  Anfangsrhythmea  durchgesprochen 
werden,  richtet  sich  das  Augenmerk  hauptsächlich  auf  die  Brechung 
(infraction)  des  Rhythmus.  Diese  erfolgt  regelmäßig  vor  dem  letzten 
Fuß;  von  den  864  Schlußrhythroen  haben  wir  760 mal  den  Fall  der 
Rhythmenbrechung  vor  dem  letzten.  98 mal  vor  dem  vorletzten,  8 mal 
vor  dem  drittletzten  Fuß  (skandiert  wird  wie  in  der  Poesie). 

Das  Ergebnis,  daß  Cicero  im  Brutus  überall  —  im  Anfang-, 
Mittel-  und  Schlußstück  der  „Sätze"  —  die  Rhythmen  verwendet,  ist  nicht 
überraschend,  überraschend  ist  es  vielleicht,  zu  erfahren,  daß  Cicero  sich 
trotz  der  Gesetze  viel  freier  bewegt  als  Plinius,  der  schon  einer  gewissen 
Schablone  verfallen  ist.  „Chez  Ciceron  elles  sont  purement  negatives: 
elles  doivent  empecher  tonte  ressemblance  de  la  pi'ose  avec  la  poesie." 
Auch  das  stimmt  ganz  zur  Theorie  der  Alten  (Cic,  Dionys.  Hai.  u.  a ); 
mit  Rücksicht  darauf  würde  Bornecque  seine  Abhandlung  überhaupt 
besser  „Die  Eurythraie  in  Ciceros  Brutus"  als  „Les  lois  metriques"  etc. 
betitelt  haben.    Das  £[x[jL£tpov  ist  ein  Fehler  in  der  kunstmäßigen  Prosa. 

Dies  ist  neuerdings  wieder  betont  worden  von  J.  May  in  dem 
obengenannten  Aufsatz  (Nr.  26)  p.  218:  „Es  ist  manchmal  ein  Komma 
oder  ein  Kolon  metrisch,  ja  korrespondierende  Kommata  und  Kola  können 
dies  sein,  aber  nicht  ganz,  sondern  nur  teilweise.  Cicero  meidet  dies, 
weil  er  es  für  fehlerhaft  hält,  getreu  dem  Aristotelischen  Satz  (or.  172): 
is  igitur  versuni  in  oratione  vetat  esse,  numerum  iubet".  May  bietet  dann 
einige  hübsche  Beispiele  ,,rhj^thmisch-raetrischer  Responsion"  aus  der 
Rosciana;  auffallend  ist,  daß  Bornecque  in  seiner  Abhandlung  die 
Responsion  gar  nicht  berücksichtigt;  vgl.  Jahresb.  CV  (1900)  S.  2c52 
über  Owens  'libration'  und  Berl.  Ph.  W.  1902  S.  1350  f. 


*)  Deutlicher  spricht  sich  Bornecque  über  die  Satzeinschnitte  aus : 
Rhein.  Mus.  5S  (1903)  „Wie  soll  man  die  metrischen  Klauseln  studieren?* 
S.  379. 


154     Beriebt  üb  d.  Literatur  zu  d.  rhetorischen  Schriften  Ciceros.  (Ammon.) 

5.    Topica 

—  27.    A.    Romano,    note    miniine    sulle   fönte    dei   Topica. 
Palermo,  Baravecchia,  1901. 

Über  Curcio  s.  o.  S.  142. 

28.     (Anhang.)    Lebreton,     Jules,    Caesariana    syntaxis 
quatenus  a  Ciceroniana  differat.    Paris,  Hachette,  1901. 

Die  vielseitige  Betrachtung  nnd  VergleichOng  der  beiden  Haupt- 
vertreter der  klassischen  Latinität  ist  natürlich  auch  für  die  rhetorischen 
Schriften  von  hoher  Bedeutung:  z.  B.  qua  re  horanines  .  .  .  in  ea  re 
p.  19  aus  de  inv.  (später  viel  seltener)  oder  die  Komposita  (Adj.  und 
Adv.)  mit  per  S.  75  (s.  o.  S.  147  unter  Lochmüller). 


Alphabetisches  Terzeichnis  der  Schriften 

(*nachgetragen,  —  nicht  erhalten). 


*  von  Arnim,  Sophistik  etc.  unter 

Nr.  1. 
Bornecque,   Rhythmische  Prosa, 
Brut    Nr.  25. 

—  Burnouf,  Brut.  Nr.   16. 
Cima,  Observ.  de  or.  Nr.  8. 

—  De  or.  P  Nr.  9. 

*  Curcio,  De  Cic.  etCalvi..  Nr.  2. 

—  Opere  retoriche  Nr.  1. 
Egger,  Denys  etc.  Nr.  5  c. 
*Firmani,  De  or.  Nr.  10. 

—  Gandiglio,  Brut.  Nr.  17. 

—  Guglielmino,  or.  Nr.  22a. 

—  Hahn,  de  or.  Hs  Nr.  13. 
*Henze,  Cic.  bist   Nr.  21. 
Lebreton,  Syntaxis  Cic.  Nr.  28. 
Lochmüller,  De  or.  (Diss.)Nr.  11. 
May,  Numerus  Nr.  26. 
Navarre,  Rh^tor.  gr.  Nr.  5a. 


—  Nicolini,  Antologia  Nr.  6. 

—  Pascal,  Brut.  67  Nr.  18. 

—  Pasdera,  or.  Nr.  22.. 

—  Quicherat,  Brut.  Nr.  15. 
Raderraacher,  Vir  bonus  Nr.  4. 
Beider,  or.  Nr.  23. 

Rhys  Roberts,    Dion.  lit.  critic 
Nr.  5  b. 

—  Romano,  Top.  Nr.  27. 
Säbbadini,  Brut.  Nr.  14. 

—  Sakellaropulos,  Brut.Nr.  19. 
Schlittenbauer,  or.  S.  141A. 
Seh 0 eil,  s.  Raderraacher, 
*Van  Vessem,  De  or.  Nr.  3. 
Vasis,  De  or.  Nr.  12. 

—  Wilkins,  rhet.  Ide  or.  PNr.  7. 
Wolff,  De  Clausulis  Nr.  24. 
Zingler,  Cic.  hist.  Nr.  20. 


Bericht  über  die  Arbeiten  zu  den  römischen  Rednern 
(im  weiteren  Sinne,  mit  Ausschluss  von  Cicero,  Corni- 
ficius,  Seneca,  Quintilian,  Calpurnius  Flaccus,  Apuleius, 
Ausonius  und  der  christlichen  Schriftsteller)  aus  den 
Jahren  1897-1902 


von 


Professor  Dr.  Karl  Burkhard 

in  Wien. 


Der  folgende  Bericht  schließt  sich  an  die  im  93.  Bande  (1897  IIj 
S.  77 — 115  erschienenen  Besprechungen  an  und  reicht  bis  Ende  1902. 
Die  Beschaffung  gewisser  Arbeiten  wurde  nur  durch  das  freundliche 
Entgegenkommen  ihrer  Verfasser  ermöglicht,  wofür  ich  auch  hier  meinen 
besten  Dank  sage. 

Mit  *  bezeichnete  Schriften  konnte  der  Berichterstatter  nicht 
selbst  einsehen. 

A.    Allgemeiner  Teil. 

Der  Rhythmus  der  kunstvollen  Prosarede  ist  Gegenstand  folgen- 
der Schriften: 

1.  H.  Bornecqne,  Quid  de  structura  rhetorica  praeceperint 
grammatici  atque  rhetores  Latini.  Parisiis  apud  Aem.  Bouillon  1898, 
8.  XI  und  88  p. 

2.  E.  Norden,  Über  dieGeschichte  des  rhythmischen  Satzschlusses, 
B.  II  Anhang  II  S.  909—960  des  Werkes  'Die  antike  Kunstprosa . 

3.  H.  Bornecqne,  Les  lois  metriques  de  la  prose  oratoire 
latine  d'apres  le  Pan6gyriqae  de  Trajan.  Rev.  phil.  XXIV  (1900) 
201—236. 

Bornecqne  bietet  in  der  erstgenannten  Schrift  für  diejenigen, 
welche   sich  mit    der    clausula   rhetorica    eingehender  beschäftigen 


156     Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897—1902.  (Burkhard.) 

wollen,  eine  sorgfältige  Sammlung  der  Vorschriften,  die  die  römischen 
ürammatiker  und  Reiluer  (im  allgemeinen)  über  diesen  rhytiiniischen 
Satzschluß  gegeben  haben.  Im  einleitenden  Teile  führt  er  die  alten 
lateinischen  Schriftsteller  auf,  die  über  die  Klausel  handeln,  ver- 
zeichnet dann  die  von  den  Rednern  und  Grammatikern  für  den  rhyth- 
mischen Satzschluß  und  einzelne  Versfüße  gebrauchten  Ausdrücke 
(z.  B.  für  jene:  clausula,  structura  rhetorica,  für  diese:  trochaeus, 
Choreus)  und  gibt  endlich  eine  alphabetische  Übersicht  der  von  ihm 
benutzten  Schriften.  Dei-  erste  Teil  (S.  1  — 13)  handelt  vom  Numerus. 
Nicht  nur  die  Dichtung,  auch  die  ungebundene  Rede  weist  einen  ge- 
wissen Numerus  auf,  den  die  Natur  selbst  geschaffen  hat.  Er  verdankt 
sein  Dasein  nicht  nur  dem  Wohlgefallen,  sondern  auch  dem  Nutzen 
und  wohl  auch  der  Notwendigkeit.  Zwischen  den  Worten  gibt  es  kurze, 
aber  wichtige  Ruhepunkte.  Sie  treten  besonders  am  Schlüsse  der  Perioden 
zutage  und  geben  so  Anlaß  zur  Entstehung  der  Klauseln.  Ihnen  muß 
sich  Form  und  Kasus  der  Wörter  und  die  Wortstellung  anpassen.  Es 
gibt  zwar  nur  eine  Art  Numerus,  den  poetischen,  der  sich  auch  in  der 
Prosa  findet,  aber  hier  erscheint  er  etwas  verändert,  wie  B.  an  der 
Hand  der  alten  Gewährsmänner  ausführt.  Wie  diese  in  ihren  Ansichten 
von  der  Entstehung  und  dem  Wesen  des  Numerus  übereinstimmen,  so 
weichen  sie  auch  in  der  Frage,  in  welchem  Teile  der  Rede  er  anzu- 
wenden sei  (Abschn.  3),  nur  wenig  voneinander  ab.  Im  zweiten  Teil 
(S.  14—55)  behandelt  B.  die  Klauseln.  Er  findet  (Abschn.  1),  daß 
sich  über  die  zu  befolgenden  Gesetze  nichts  Sicheres  aus  den  Gramma- 
tikern und  Bhetoren  gewinnen  lasse,  weil  sie  entweder  untereinander 
nicht  ganz  einig  sind  oder  keine  Vorschriften  geben,  oder  wenn  irgend- 
wo   Vorschriften    mangeln,    meistens    zu    wenig    Beispiele    bieten.     Im 

2,  Abschnitte  bespricht  der  Verf.  einzelne  Klauseln  nach  der  Silben- 
zahl des  letzten  Wortes  (ein-  bis  sechssilbige)  und  kommt  zu  folgendem 
Ergebnis.  Die  meisten  Grammatiker  und  Rhetoren  stimmen  in  der 
Anwendung  gewisser  Versfüße  überein,  nämlich  des  Amphibracliys  und 
Bakchius,    Daktylus    und    Kretikus,    Molossus    und    Autibakchius,    des 

3.  Päon  und  lonicus  a  minore,  Antispast  und  1.  Epitrit,  Ditrochäus 
und  2.  Epitrit.  Die  übrigen  Füße  wurden  entweder  selten  verwendet, 
so  daß  die  Grammatiker  nur  wenige  Beispiele  für  die  Aufstellung  von 
Vorschriften  zur  Verfügung  hatten;  oder  es  herrschte  im  Gebrauche 
bei  einzelnen  Schriftstellern  den  verschiedeneu  Zeiten  und  Geschmacks- 
richtungen entsprechend  keine  Einigkeit  wie  beim  Jambus.  Der 
3,  Abschnitt  handelt  von  der  Einteilung  und  Benennung  der  Klauseln. 
Der  dritte  Teil  ist  'De  fontibus  grammaticoium  ac  rhetorum'  betitelt. 
Da  die  Grammatiker  und  Rhetoren  wenigstens  zum  Teile  auf  ältere 
Quellen  zurückgehen,  untersucht  B.,  aus  welchen  Quellen  sie  geschöpft 


Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897— 190-2.  (Burkhard.)     157 

haben,  um  womöglich  die  Glaubwürdigkeit  der  einzelnen  Gewährs- 
männer bestimmen  und  in  Fragen,  in  denen  sie  uneinig  sind,  leichter 
eine  Entscheidung  treffen  zu  können.  Behandelt  sind  Cicero,  Caesius 
Bassus,  Quintilian,  Jnba,  Probus  und  Sacerdos,  Diomedes,  Rnfinns, 
Martianus  Capeila.  ])ie  Untersuchung  lührt  zu  keinen  sicheren  Anhalts- 
punkten für  die  Bestimmung  der  Glaubwürdigkeit.  Im  vierten  Teil 
(S.  73 — 83)  berichtet  B.  über  die  geschichtliche  Entwickelung  dos  rhytl)- 
mischen  Satzschlnsses  nach  den  Zeugnissen  der  lateinischen  Grammatiker 
und  Rhetoreu. 

lu  der  Couclusio  (S.  84  f.)  faßt  der  Verf.  die  Ergebnisse  seiner 
Untersnchungeu  etwa  foIgenderraaCen  zusammen:  Die  Grammatiker  und 
Rhetoren  stimmen  miteinander  übeiein,  in  welchem  Teile  der  Rede  die 
Klausel  zu  verwenden  ist,  sie  sind  auch  einer  Meinung  in  bezug  auf 
gewisse  Klauseln,  doch  so,  dal.'«  das,  was  sie  sagen,  nicht  deutlich  er- 
klärt wird  oder  dali  oft  die  Beispiele  mit  den  Vorschriften  nicht 
stimmen.  Meistens  aber  geben  sie  über  wissenswerte  Dinge  keine  Vor- 
schrilten  oder  wenn  sie  solche  geben,  darf  man  ihnen  nicht  immer 
Glauben  beimessen.  Wenn  man  daher  einen  tieferen  Einblick  in  den 
Salzschluß  bei  den  Schriftstellern  gewinnen  will,  muß  man  vor  allem 
die  Klauseln  bei  allen  Schriftstellern  untersuchen  und  dann  die  von 
diesen  gebrauchten  Klauseln  mit  den  von  den  Grammatikern  und  Rhe- 
toreu derselben  Zeit  lobend  erwähnten  vergleichen. 

Dieser  Teil  führt  uns  auf  Nordens  Abhandlung,  aus  der  wir 
die  wichtigsten  Punkte  meist  wörtlich  herausheben.  In  den  Allge- 
meinen Vorbemerkungen  stellt  N.  S.  910  folgende  'Postulate"  anf, 
die  man  nicht  außer  acht  lassen  dürfe:  1.  Das  gesamte  Altertum  hat 
den  Rhythmus  der  kunstvollen  Prosarede  vor  allem  in  den  Schlüssen 
der  Kola  gefunden,  wo  er  durch  die  Pausen  naturgemäß  am  deutlichsten 
hervorti'at.  Auf  sie  werden  also  auch  wir  unser  Hauptaugenmerk  zu 
richten  haben.  2.  Für  die  Erkenntnis  von  Einzelheiten  haben  die 
Analysen  der  späteren  Rhetoreu  keinen  Wert,  da  in  ihnen  die  falschen 
metrischen  Theorien  des  Alterturas  auf  die  Rhetorik  übertragen  werden. 
3.  Wir  müssen  die  verschiedenen  Zeiten  auseinander  zu  halten  suchen: 
denn  der  Rhythmus  des  Demosthenes  ist  majestätisch  und  an  keine  be- 
stimmten Gesetze  gebunden;  dagegen  ist  der  Rhythmus  der  späteren 
Schönredner  zierlich  und  eintönig;  hier  ist  alles  geregelt,  hier  lassen 
sich  also  bestimmte  Gesetze  aufstellen.  4.  Das  Einfachste  ist,  wie 
überall,  auch  hier  das  Wahrste. 

Nach  einer  Untersuchung  des  rhythmischen  Baues  Demosthenischer 
Perioden  (911 — 917)  und  solcher  der  späteren  griechischen  Prosa 
(917—923)  kommt  N.  zu  folgenden,  auch  für  die  lateinische  Kunst- 
prosa wichtigen  Ergebnissen.     1.  Die  Größe  des  Demosthenes  in  betreff 


158     Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897—1902.  (Burkhard.) 

des  rhythmischen  Baus  seiner  Perioden  beruht  darauf,  daß  er  keine  be- 
stimmte Theorie  befolgt,  wie  sie  ihm  von  den  Neueren  augedichtet 
wird,  sondern  daß  er  in  wundervoller  Mannigfaltigkeit  den  Rhythmus, 
speziell  den  des  Satzschlusses,  jedesmal  ein  energisches  Abbild  des  Ge- 
dankens sein  läßt.  2.  Jedoch  heben  sich  bei  ihm  aus  der  unerschöpf- 
lichen Fülle  der  satzschließenden  Rhythmen  folgende  als  besonders  be- 
vorzugt heraus: 


1. 

-^ü-^-ü 

2. 

—  u  —  —  u  - 

3. 

-^  vv  —  —  V 

4. 

—  UV  -'  —  u 

5. 

-^  ü  —  0 

3.  Von  diesen  treten  3  und  4  später  ganz  zurück,  da  man  die  große 
evep7eta  der  Daktylen  (Choiiamben)  nicht  mehr  zum  Ausdruck  bringen 
konnte  oder  wollte.  Dagegen  drängen  sich  die  Formen  1,  2,  5  mehr 
und  mehr  hervor,  und  zwar  noch  mit  der  Modifikation,  daß  einzelne 
Längen  dieser  Klauseln  aufgelöst  werden  können,  was  Demosthenes  in 
seiner  prinzipiellen  —  aus  seiner  SeivorrjC  sich  ergebenden  —  Abneigung 
gegen  Häufung  von  Kürzen  mied.  Die  am  meisten  charakteristischen 
Formen  des  rhythmischen  Satzschlusses  der  nachdemosthenischen 
griechischen  Kunstprosa  sind  also: 


la. 

^0  ^-^ü 

2a. 

-^  ü 

u  - 

b. 

\j'v  V  —  -^  ü 

b. 

V  u  - 

—  —  u  - 

c. 

-^  uu  -^  Ü 

c. 

-^  u 

u—  u  - 

d. 

—  ü  —  u  Ü 

d. 

-^  KJ 

3a.    — 

ö 

—  V 

b.    o'u 

u 

—  0 

4.  Diese  Klauseln  sind  in  der  griechischen  Kunstprosa  zwar  ganz 
besonders  bevorzugt  worden,  aber  nie  zur  ausschließlichen  Herrschaft 
gelangt.  Daß  diese  rhythmischen  Satzschlüsse  in  die  lateinische  Kunst- 
prosa von  dem  Augenblicke  an  aufgenommen  wurden,  wo  diese  in  den 
Bereich  des  Hellenismus  trat,  daß  sie  in  ihr  bald  zur  ausschließlichen 
Herrschaft  gelangten  und  (mit  einer  Unterbrechung  zu  Beginn  des 
Mittelalters)  bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters  unbedingte  Geltung  er- 
hielten, wird  in  den  Abschnitten  1 .  die  Theori    und  2,  die  Praxis  nach- 


Bericht  üb.  d  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897—1902.  (Burkhard.)     159 

gewiesen.  Im  ei-sten  gibt  N.  die  Zeugnisse.  Berücksichtigt  sind  Cicero, 
Quintilian,  Gellius,  Terentianus  Maurus,  Victorinus.  C.  Julius  Victor 
und  Martianus  Capeila.  Im  zweiten  werden  die  Klauseln  1.  vor  Cicero, 
2.  bei  Ciceio,  3.  bei  seinen  Zeiti^enossen,  4.  bei  den  Schriftstellern  der 
Kaiserzeit,  5.  im  Mittelalter  behandelt.  Wir  besprechen  die  Klauseln 
der  für  uns  in  Betracht  kommenden  Redner  unter  den  betreffenden 
Namen.  Die  beiden  Schlndteile  der  gründlichen  Abhiuidlun-r  handeln 
von  den  Folgerungen  für  unsere  Texte  und  der  Terminologie  des  rhyth- 
mischen Satzschlusses  (1.  structura.  dictamen,  2.  clausula,  cursus). 

Diese  Forschungen  ergänzt  die  dritte  Abhandlnug,  indem  sie  den 
Anfang  und  die  Mitte  des  rhythmischen  Satzes  in  der  Rede 
zum  Gegenstände  einer  soigfältigeu  Unteisnchuug  macht.  Bornecqae 
beginnt  mit  dem  Hinweis  auf  das  Ergebnis  neuerer  Arbeiten,  daß  es 
im  Lateinischen  eine  Prosa  gebe,  in  der  das  Ende  des  Satzes  metrischen 
Gesetzen  unterworfen  sei,  die  um  so  strenger  seien,  je  weiter  man  sich 
von  Cicero  entferne,  der  dieses  Mittel,  den  Ohren  der  Zuhörer  oder 
Leser  zu  schmeicheln,  der  asiatischen  Beredsamkeit  entlehnt  zu  haben 
scheine.  In  dieser  Prosa  bestimme  die  metrische  Form  des  letzten 
"Wortes  des  Satzes  die  metrische  Form  der  vorhergehenden  Worte  in 
dem  Sinne,  daß  die  drei  letzten  Füße  des  Satzes  nicht  demselben 
Rhythmus  angehören  dürften,  und  anderseits,  daß  der  Wechsel  desselben 
Rhythmus  möglichst  nahe  dem  Satzende  zum  Vorschein  kommen  müsse. 
So  erklärten  sich,  um  ans  den  unzähligen  Beispielen  die  häutii^'sten  hervor- 
zuheben, die  Satzschlüsse:  oras  |  ferant;  iret  |  andi;  scripserint  I  aadi; 
oras  ferantur ;  scrip|serint  scripse  rint;  esse  videlatur.  Die  Frage 
liegt  nahe,  ob  gleichartige  Gesetze  auch  den  Anfang  und  die  Mitte  des 
Satzes  beherrschen.  Nach  dem  übereinstimmenden  Zeugnisse  der  latei- 
nischen Grammatiker  und  Rhetoren  (Cicero,  Qnintilian,  Diomedes, 
Julias  Victoi),  deren  Worte  der  Verf.  anführt,  darf  der  Rhythmus, 
wenn  er  sich  auch  vornehmlich  am  Ende  des  Satzes  findet,  in  keinem 
andern  Teil  des  Satzes  fehlen.  Über  das  Wesen  dieses  Rhythmus 
äußern  sich,  wie  nun  B.  zeigt,  alle  genannten  Gewährsmänner  weniger 
bestimmt  als  über  die  auf  das  Sa:zende  bezüglichen  Gesetze,  wiewohl 
auch  diese  bei  ihnen  unbestimmt  genug  sind.  B.  ermittelt  aus  ihren 
oft  verworrenen  Vorschriften  folgende  Gesetze: 

A)  Für  den  Anfang  der  Sätze:  1.  Man  muß  vorzugsweise  mit 
einer  Länge  beginnen  oder  in  deren  Ermangelung  mit  zwei  Kürzen, 
die  einer  Länge  entsprechen.  2.  Mau  muß  vermeiden,  daß  der  Anfang 
des  Satzes  dem  Anfang  eines  gebräuchlichen  Verses  ähnlich  sei.  3.  Man 
muß  vorzugsweise  im  Anfang  des  Satzes  den  Spondeus,  Daktylus, 
Kretikus  oder  den  1.  Päon  berücksichtigen.  B)  Für  die  Mitte  der 
Sätze.    L  Man  muß  eine  Aufeinanderfolge  von  Füßen  meiden,  die  einem 


160     Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1807-1902.  (Burkhard.) 

Verse  ähnlich  sind.  2.  Die  verschiedenen  Füße  müssen  in  einem  be- 
stimmten Mai3e  gemischt  sein,  d.  h.  wahrscheinlich  in  dem  Maße,  welches 
in  dem  Satze  die  Ähnlichkeit  mit  einem  Verse  vermeidet.  3.  Man  kann 
überall  den  I.  Päon  und  den  Dochmius  unter  der  Bedingung  finden, 
daß  dieser  nicht  mehr  als  zweimal  in  der  Reibe  wiederholt  ist. 

Diese  Gesetze  sucht  nun  der  Verf.  am  Panegyrikus  des  Plinins  zu 
verdeutlichen  und  zu  prüfen  (siehe  unter  19).  Er  kommt  zu  einem  ähn- 
lichen Ergebnis  wie  in  seiner  lateinischen  Abhandlung.  (Siehe  unter  l.) 
Während  er  dort  ermittelte,  daß  die  Grammatiker  zwar  in  den  allge- 
meinen Theorien  einig  sind,  daß  man  aber  im  einzelnen  bei  ihnen  alles 
mögliche  finden  könne,  findet  er  hier,  daß  sie  in  den  allgemeinen 
Theorien  auch  einig  sind,  daß  aber  die  besonderen  Vorschriften  es  an 
Schärfe  fehlen  lassen  oder  daß  es  nicht  die  sind,  welche  die  Schrift- 
steller befolgt  haben.  —  Bs.  Auffassung  bekämpft  K.  Hofacker  in  seiner 
Dissertation  De  clausulis  C.  Caecili  Plini  Secundi  (Bonn  1903),  über 
die  wir  bei  nächster  Gelegenheit  berichten  werden. 

B.    Besonderer  Teil. 

I.    Die  Zeit  des  Freistaates  nnd  des  Aagostns. 

Die  Arbeiten  dieses  Zeitraumes  bewegen  sich  fast  ausschließlich 

aaf   literarhistorischem  oder  stilistischem  Gebiete.     Für  dieses  kommt 

hauptsächlich  Nordens  grundlegendes  Werk  in  Betracht,  das  auch  für 
die  Kaiserzeit  reichen  Stoff  bietet. 

Vorciceronianische  Redner. 

4.  Norden  kennzeichnet  S.  170—174  den  Stil  der  Redner: 
a)  P.  Cornelius  Scipio  Aemilianus  Africanus  minor  (kunstvolle 
PeriodisieruDg,  Wortspiel,  rßoiiodoL  xou  xivatSou,  Klimax),  b)  M.  Äemilius 
Lepidus  Porcina  (zum  erstenmal  ein  artifex  stilus),  c)  C.  Papirius 
Carbo  (nach  Cic.  Brut.  105),  d)  C.  Gracchus  (Pathos,  scharfe  Gegen- 
überstellung der  Begriffe  und  der  energischen  Klausel  mit  den  zwei 
Ki'etikern,  tdoxioXia,  Klimax  in  der  Form  des  rpixojXov  und  gehoben 
diiirch  das  sehr  starke  ojxotoTeXeuTov  (vgl.  auch  S.  178),  e)  C.  Fannius 
(rhythmisches  Element  stark  hervortretend.  Kretischer  Rhythmus  und 
Ditrochaeus),  f)  Q.  Lutatius  Catulus  (als  Redner  vor  allem  wegen 
seiner  gewählten,  auf  sorgfältigen  lautphysiologischen  Erwägungen  be- 
ruhenden Aussprache  der  Buchstaben  gerühmt;  vgl.  R.  Büttner,  Porcius 
Licinus  u.  d.  lit.  Kreis  d.  Q.  Lut.  Catulus,  Leipz.  1893,  p.  160 ff.), 
g)  Q.  Caecilius  Metellus  Nnmidicus  (stark  beeinflußt  durch  die 
griechische  Rhetorik  in  Verwendung  des  Rhythmus  und  der  Wort- 
fignren),  h)  C.  Papirius  Carbo  ('asiauische'  Periode)  i)  u.  k)  M.  An- 
tonius und  L.  Licinius  Crassus  (,jener  legte  kein  großes  Gewicht 


Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897—1902.  (Burkhard.)     Ißl 

auf  die  Schönheit  der  Worte,  ohne  darum  nachlässig  zu  sein;  Crassus 
dagegen  war  nach  allem,  was  wir  aus  Cicero  wissen,  ein  Anhänger  der 
'asianischen'  Rhetorik.  Er  liebte  es,  nicht  in  langen  Perioden,  sondern 
kurzen  Satzgliedern  zu  sprechen.") 

Caelius. 

5.  G.  Landgraf  tritt  Arch.  X  225  f.  für  die  ep.  fam.  VIII  5,  1 
im  Mediceus  überlieferte  adjektivische  Form  nugns  der  Umgangs-  und 
Volkssprache  (^  nugax  nichtsnutzig)  ein:  qui  tarn  nugas  esset. 

C.  Licinius  Calvus. 

G.  *  Calvus,  Edition  complete  des  fragments  et  des  temoignages 
ctude  biographique  et  litteraire  par  F.  Plessis,  avec  un  essai  sur  la 
polemique  de  Ciceron  et  des  Attiques  par  J.  Poirot,  Paris  1896, 
Klincksieck.     III,  107  S.     8.     fr.  3. 

Über  diese  dem  Berichterstatter  nicht  bekannt  gewordene  Ausgabe 
bemerkt  0.  Roßbach.  BphW  XVII  (1897)  S.  811—812:  „Der  Verf. 
gibt  in  diesem  hübsch  ausgestatteten  Bändchen  eine  Zusammenstellnng 
und  Besprechung  der  wenigen  uns  überkommenen  Bruchstücke  des 
C.  Licinius  Calvus.  Die  dichterischen  hatte  er  bereits  1885  in  den 
Annales  de  la  faculte  des  lettres  de  Caen  unter  dem  Titel  Etüde  bio- 
graphique et  litteraire  herausgegeben  [Vgl.  auch  JB  1895  II  S.  231  j. 
Jetzt  hat  er  diese  Abhandlung  umgearbeitet  und  erweitert  und  von 
J.  Poirot,  einem  Zöglinge  der  Ecole  Normale  Superieure,  die  prosaischen 
Fragmente  des  Calvus  sammeln  und  einen  Essai  sur  la  polemique  de 
Ciceron  et  des  Attiques  hinzufügen  lassen.  Die  wenig  über  zwanzig 
zählenden  Verse  und  Bruchstücke  von  Versen  des  Calvus  werden  sorg- 
fältig erklärt,  sogar  die  Versarten  angegeben  .  .  .  aber  Neues  kaum  bei- 
gebracht .  .  .  Anzuerkennen  ist,  daß  PI.  in  der  Kritik  sonst  größere 
Vorsicht  übt  als  ßährens.  Wenige  Vorarbeiten  konnte  Poirot  für  die 
Sammlung  der  prosaischen  Bruchstücke  benützen  .  .  .  Sie  sind  noch 
weniger  zahlreich  als  die  poetischen  Fragmeute  und  gewähren,  da  sie 
wegen  seltener  Formen  und  Redewendungen  zitiert  sind,  keinen  deut- 
lichen Einblick  in  die  Eigenart  des  Redners.  Sie  und  die  folgenden 
Temoignages  scheinen  sorgfältig  gesammelt  zu  sein  ,  .  .  Auf  einer  so 
unsicheren  Grundlage  ist  es  schwer,  ein  solides  Gebäude  aufzuführen. 
Vieles  wird  daher  in  der  Charakteristik  und  Lebensbeschreibung  des 
Calvus  immer  hypothetisch  bleiben.  Aber  was  wir  von  ihm  wissen  und 
vermuten  können,  hat  PI.  klar,  geschmackvoll  und  mit  genügender  Kennt- 
nis der  deutschen  philologischen  Literatur  ausgeführt  .  .  .  Schwächer  sind 
Poirots  Ausführaugen  .  .  ."  Über  diese  urteilt  Büttner  in  seiner  An- 
zeige NphR  1897  S.  325—327:  „Die  ausführliche  Darstellung  des  Streites 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVII.    (1903.    II.}       1 1 


162     Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897 — 1902.  (Burkhard.) 

der  Attiker  unter  den  römischen  Rednern  mit  Cicero  von  J.  Poirot  (S.  68  — 
102)  dürfte  in  Einzelheiten  Widerspruch  erfahren,  das  Wesen  der  Schule 
selbst  aber  ist  im  allgemeinen  gewiß  richtig  erfaßt  und  dargelegt." 

7.  Nach  E.  Norden  S.  263  stilisierte  dieser  Redner  wohl 
ebenso  wie  Brutus  und  die  übrigen  Atticisten  seine  Reden  unrhj'thmisch 
(vgl.  PoUio).     Die  folgende  Abhandlung 

8.  *C.  Curcio,  De  Cicerouis  et  Calvi  reliquorumque  Atticorum 
arte  dicendi  quaestiones  (Acide  prope  Catiuam  1899  VI  und  88  p.),  die  dem 
Berichterstatter  leider  nicht  zugänglich  war,  wurde  von  A.  Ciraa  Boficl  VI 
p.  178—181  und  von  E.  T(eza?)  Rcr  1899  p.  483  besprochen. 

Marcus  Brutus. 

9.  OttoSeeck,  Das  Geburtsjahr  des  Marcus  Brutus.    Rh.  Mus. 
.  NF.     LVI  S.  631—634. 

Über  das  Lebensalter  des  Brutus,  sagt  Seeck,  besitzen  wir  zwei 
bestimmte  Angaben,   die  aber  zueinander  im  Widerspruche  stehen.     In 
der  Schrift,  die  Cicero  mit  seinem  Namen  überschrieben  hat,  sagt  er  zu 
ihm  94,  324  anuis  ante  decem  causas  agere  coepit,  quam  tu  es  natus. 
Hortensius,    auf  den  sich  der    erste  Teil  des  Satzes  bezieht,    ist  nach 
einer  anderen  Stelle  (64,    229)  desselben  Buches  im  Jahre.  95  v.  Chr. 
zuerst  als  Redner  aufgetreten,  wonach  Brutus  um  85  geboren  sein  müßte. 
Dagegen  schreibt  Velleius  (II  72,  1):    hunc  exitum  M.  Bruti    partium 
septimum  et  tricesimum  annum  agentis  fortuna  esse  voluit.     Die  Kata- 
strophe bei  Philippi  trat  ganz  am  Ende  des  Jahres  42.  jedenfalls  nicht 
vor  der  zweiten  Hälfte  des  November,  vielleicht  erst  im  Dezember  ein 
(Belege  gibt  Seeck  in    der    ersten  Anmerkung).     Mithin  fiele  hiernach 
die  Geburt  des  Brutus    in  das  Jahr  78  oder  frühestens  in    die  letzten 
Tage  79.     Livius  (epit.  124)  bestimmt  sein  Alter  nur  durch  die  runde 
Zahl  'ungefähr  40  Jahre',  die  sich  mit  beiden  Angaben  gleich  gut  ver- 
einigen läßt.    Um  den  Widerspruch  mit  Velleius  zu  lösen,  'der  für  diese 
Frage  ebenfalls    eine  Quelle  ersten  Ranges  ist,    da   man   zur  Zeit    des 
Augustus    über    die  Personalien    des    berühmtesten    unter    den    Cäsar- 
mördern ohne  Zweifel  noch  sehr  genau  unterrichtet  war',  nimmt  Seeck 
eine  Verderbnis  der  Cicerohandschriften  an  und  empfiehlt,  hinter  'decem' 
ein  'Septem'  einzuschieben.    Velleius  Paterculus'  Angabe  wird  auch  durch 
die    übereinstimmenden    Zeugnisse    Pliitarchs   (Brutus   3)    und  Appians 
(b.  c.  II  112)  unterstützt.    Wollen  wir  nicht  annehmen,  schließt  S.,  daß 
eine   gemeinsame  Quelle    des  Plutarch  und  Appian    systematisch    nach 
den  Gesichtspunkten  gefälscht  war,    den  Brutus  jünger  zu  machen,   als 
er  tatsächlich  war,   was   doch  sehr  geringe  Wahrscheinlichkeit  hat,   so 
behält  Cicero    oder   vielmehr   seine    handschriftliche   Überlieferung   in. 
diesem  Falle  unrecht. 


Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1S97— 1902.  (Burkhard.)     1#33 

10.  Zum  Stile  des  Redners  bemerkt  Norden  219,  1,  262,  939, 
daß  er  wie  alle  Atticisten  absichtlich  die  rhythmische  Komposition  der 
Rede  vermied  (Qnint.  IX  4.  76  u.  Tac.  dial.  21)  uud  daß  ihm  die  Form 
_L.  u  —  ^  ü  unsympathisch  war;  von  der  als  asianisch  geltenden  Form 
-^  U  —  ü  dürfe  man  es  erst  recht  vermuten. 

Einem  andern  Berichterstatter  zugehörig  ist  die  Untersuchung  von 

11.  *J.  Valeton,  M.  Brutus  und  sein  Briefwechsel.    Versl.  en 
mededecl.  d.  Kgl.  Akad.  van  wetenschappen  IV  1  1,  p.  8 76. 

Asinius  PoUio. 

12.  Zum  Stile  bemerkt  :N  or den  262  mit  Hinweis  auf  (^uint.  IX 
4,  76,  daß  Pollio  geflissentlich  salopp  und  unrhythmisch  schrieb,  indem 
er  sich  nicht  scheute,  die  Worte  absichtlich  zu  verstellen,  nur  der  Zer- 
störung des  Ehythmus  zuliebe. 

M,  Valerius  Messalla  Corvinus. 

13.  a)  Friedrich  Marx,  Das  Todesjahr  des  Redners  Messalla. 
WSt  XIX  (1897)  150—155. 

An  der  übereinstimmenden  Überlieferung  Suetons  und  Frontins, 
daß  Messalla  im  Jahre  13  n.  Chr.  gestorben  sei,  festhaltend,  übersetzt 
und  erklärt  Marx  die  Stelle  Ovids  ex  Ponte  I  7  27—30,  in  welcher 
die  Gelehrten  seit  Nippferdey  einen  Widerspruch  gegenüber  Suetons  uad 
Frontins  Angabe  erblickt  haben.  (Vgl.  JB  LXXXIV  [1895J  II  S.  173.) 
Er  findet,  daß  diese  Angabe  mit  den  Worten  Ovids  nicht  streitet,  sondern 
uns  dieselbe  erst  verständlich  macht,  beziehungsweise  deren  einzig  mög- 
liche Erklärung  bestätigt:  Messalla  hat  die  Verbannung  Ovids  noch  erlebt 
und  seinen  Freund  nicht  verleugnet.  Als  der  Redner  starb,  verfaßte 
der  Dichter  in  Tomi  eine  (heute  verlorene)  Nenia  auf  ihn,  die  nicht 
zu  seinem  Leichenbegängnis  gesungen  wurde,  sondern  ein  beschriebenes 
Blatt  Papier  geblieben  ist.  Diesen  Versuch  hält  Schanz  II  1,  §.  215 
S.  19  für  ebenso  verfehlt  wie  den  Gruppes  und  entscheidet  sich  für  die 
'bestrickende'  von  uns  JB  a.  a.  0.  besprochene  Vermutung  Schulz'. 

b)  Über  die  Landgrafsche  Vermutung,  nach  der  Asinius  Pollio 
als  Redakteur  und  Herausgeber  des  Cäsar- Hirtianischen  Nachlasses  und 
als  Verfasser  des  bellum  Africanum  anzu.«;ehen  ist  (vgl.  Jß  a.  a.  0.  167), 
handelt  Schanz  P  §  122  S.  213  in  ablehnendem  Sinne.  Die  Hypothese 
sei  tot  und  könne  nicht  mehr  ins  Leben  zurückgerufen  werden. 

II.  Die  Kaiserzeit. 

Die  meisten  Schriften  befassen  sich  mit  der  Sprache  der  Redner 
und  der  Verbesserung  ihrer  Texte.    Eine  umfassendere  Darstellung  des 

11* 


164     Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897—1902.  (Burkhard.) 

Si>racl)gebrauches  erhalten  zum  erstenmal  die  gallischen  Lobredner, 
wälirend  die  übrigen  Redner  besonders  nach  der  rhetorisch-stilistischen 
Seite  hin  berücksichtigt  erscheinen.  Auch  die  häufige  Wiederkehr 
gleicher  oder  ähnlicher  Redewendungen  und  Gedanken,  die  teils  auf 
den  Einriul.'.  der  Rhetorenschulen ,  teils  auf  unmittelbare  Nachahmung 
zurückzuführen  sind,  wird  in  mehreren  Untersuchungen  nachgewiesen. 
In  textkritischer  Hinsicht  wurde    am  meisten  Fronto  gefördert. 

14.  Casirairus  Morawski,  Observationum  de  rhetoribus  Latiois 
auctarium.    Eos  V  (1899)  1—6  (auch  S.-A.),  von  demselben 

15.  Rhetorum  Romanorum  ampullae.  Diss.  phil.  class.  acad. 
litt.  Cracov.  (Wydzial  filolog).  XXXII  (1901)  333-352  und 

16.  Parallelismoi  sive  de  locutionum  aliquot  usu  et  fatis  apud 
auctores  Graecos  nee  non  Latinos.  Ebenda  XXXIV  (1902)  236 — 
256  (auch  S.-A.). 

Diese  Schriften  können  als  Fortsetzung,  bezw.  Ergänzung  der 
vom  Bericliterstatter  (JB  1897  II.  86  ff.)  besprochenen  Untersuchungen 
des  Verf.  angesehen  werden.  In  der  ersten  stellt  M.  zunächst  die 
Einwirkung  der  Rhetorenschulen  auf  Livius  an  Stellen  des  40.  42.  und 
45.  Buches  fest,  beleuchtet  dann  durch  Beispiele  die  Übertreibungen, 
die  sich  die  rhetorisch  geschulten  Geschichtschreiber  in  der  Schilderung 
von  Siegen  oder  Niederlagen  zuschulden  kommen  ließen,  Übertreibungen, 
von  denen  auch  Livius  und  Cicero,  trotzdem  sie  die  unwahren  Berichte 
der  Geschichtschreiber  brandmarken,  nicht  frei  zu  sprechen  seien.  Im 
folgenden  Absatz  wird  gezeigt,  wie  die  Schriftsteller  bei  der  Verherr- 
lichung von  Siegen  überreichlich  rhetorische  Figuren,  ungewöhnliche 
Redensarten  und  überraschende  Sentenzen  verwandten.  Bei  dieser 
Gelegenheit  wird  eine  Redewendung  Ciceros  auf  den  Redner  Lykurg 
zurückgeführt,  von  dem  sie  auch  andere  übernommen  haben.  Zum 
Schlüsse  verfolgt  der  Verf.  eine  von  diesen  Redewendungen,  die  bestimmt 
waren,  den  Kriegsruhm  zu  vergrößern,  bei  Cicero,  Livius,  Velleios, 
Florus  und  Curtius  Rufus. 

Die  zweite  Schrift  handelt  in  zehn  Abschnitten  von  dem  Einfluß 
der  Rhetorenschulen  auf  die  Schriftsteller  der  römischen  Kaiserzeit. 
Obw^ohl  der  ältere  Seneka  die  scholastischen  Tändeleien  verurteilte  und 
bekämpfte,  linden  sich  solche,  wie  M.  zeigt,  schon  bei  seinem  Sohne 
(Abschn.  I).  Dieser  zeigt  sich  schon  in  den  Gesprächen,  Tragödien, 
und  Briefen  als  beredter  Verteidiger  des  Selbstmordes,  den  er  an  sich 
vollzog.  Denselben  Gedanken  vertrat  auch  der  ältere  (und  wie  wir 
gleich  hinzufügen  wollen ,  der  jüngere)  Plinius  (II).  Die  beliebte 
Redewendung  'nocentem  facere'  (Sen.  contr.  II  1,  4)  wird  bei  Seneka, 
dem  älteren  Plinius,    Statins,  Juveual  und  Tacitns  nachgewiesen  (III). 


Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1S97— 1902,  (Burkhard.)     165 

Ähnlicbe  Gedanken  wie  'magnum  pietutis  aigumeutum  tilio  carus  pater 
etiam  post  supplicium'  (Sen,  contr.  VII,  1,  7)  führt  M.  im  IV.  Ab- 
schnitt aus  Valerius  Maximus  an,  der  überhaupt  vieles  mit  den  Kednerii 
gemein  hat,  dann  aus  dem  Philosophen  Seneka,  Tacitus  und  dem  jüngeren 
Plinjus  (pan.  88  und  11).  Im  V.  Abschnitte  zeigt  AI.,  daß  der  Paue- 
gyrikus  des  Plinius  zahlreiche  Anklänge  an  das  1 .  Buch  der  Histoi  ieii 
des  Tacitus  oder  Nachbildungen  desselben  enthalte  (Plin.  pan.  7  und 
10  und  Tue.  bist.  I  15— IG).  Die  Adoption  Nerva-Trajan  erinnert 
nämlich  unwillkürlich  an  Galba-Piso  (Wülffliu  im  Arch.  XII  350). 
Selbst  der  von  Cestius  Pius  (Sen.  contr.  I  2,  8)  bei  der  Schilderung 
der  Sitten  der  Seeräuber  gewagte  Ausspruch:  'quibus  inter  tot  tanta 
maiora  scelera  virginem  stuprare  innocentia  est"  fand  Nachahmung  bei 
Junius  Gallio  (Sen.  contr.  VII  1,  12),  wie  M.  im  VI.  Abschnitt  er- 
wähnt.    Diese  Proben  mögen  genügen. 

Ergänzungen  zu  dieser  Abhandlung  bietet  der  gelehrte  Verf. 
in  seinen  Parallelismoi  Abschn.  V,  S.  17  (250)  ff.  Für  Plinius  den 
Jüngeren  und  den  VI.  Panegyrikus  vgl.  man  bes.  S.  20  (253). 

C.    Plinius  Caecilius  Secundus. 
Den  Bericht  über  Plinius  eröffnen  wir  mit  einem  Nachtrage: 
]7.     Casimirus  Morawski,  De  sermone  scriptorum  Latinorum 
aetatis    (juae    dicitur    argeutea  observationes.     Eos  11  (1895)  1 — 12 
(S.-A.) 

Der  Verf.  führt  S.  5  f.  unter  den  Gemeinplätzen,  an  denen  die 
Römer  ein  besonderes  Wohlgefallen  fanden,  'genus  est  rogandi  rogare 
non  posse"  aus  Sen.  Contr.  X  4,  6  an,  eine  Redeweise,  die  in  ähnlicher 
Form  besonders  häuög  bei  Seneka  dem  Sohne  wiederkehrt.  Auch 
Plinius  zeigt  sie  im  Panegyrikus  70  (67,  4  Bahr.).  S.  6  Aum.  1  wird 
auch  auf  die  Ähnlichkeit  des  Stiles  im  Panegyrikus  mit  dem  taciteischen 
(den  Dialogus  und  die  Germania  abgerechnet)  hinsichtlich  des  Ge- 
brauches der  Asyndeta  bei  drei  Gliedern  (Subst.,  Adj.  oder  Verben) 
hingewiesen,^)  S.  10  f.  wird  der  Stil  der  Lobrede,  der  ein  hervor- 
ragendes Denkmal  der  tändelnden  Schulrhetorik  bilde,  kurz  gekenn- 
zeichnet und  besonders  die  bei  dem  Redner  beliebte  Steigerung  an 
mehreren  Beispielen  gezeigt  und  endlich  werden  einige  auffallende 
Ähnlichkeiten  in  der  Behandlung  des  Stoffes  und  in  der  Ausdrucksweise 
zwischen  dem  jüngeren  Seneka  und  unserem  Plinius  aufgedeckt,  die 
auf  eine  Nachahmung  des  letzteren  schließen  lassen;  vgl.  auch  Paralle- 
lismoi S.  13  (246).     Daß  Plinius  gelegentlich  Cicero  stark  nachahmte. 


')   Über  die  Nachahmung  des  1.  Buches  der  Historien  vgl.  die  Beob- 
achtungen desselben  Verf.  oben  unter  15,  Abschn.  V. 


166     Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897—1902.  (Burkhard.) 

ist  besonders  seit  der  gründlichen  Untersuchung  Guido  Susters  über 
das  Verhältnis  des  Panegyrikas  zur  Rede  für  Marcellus  (vgl.  JB  1895 
n  180  f.),  von  einzelnen  Stellen  wie  Cic.  Phil.  II  31,  77:  Plin.  Pan.  74 
(WSt  IX  171)  zu  schweigen,  zur  Genüge  bekannt.  Ich  erinnere  nur 
deshalb  daran,  um  einem  etwaigin  falschen  Schlüsse  aus  den  Worten 
Nordens  I  S.  319  Anm.  1  *M.  Hertz,  Renaissance  und  Rococo  in  der 
röni.  Lit.  (Berlin  1865)  11  irrt,  wenn  er,  auf  solche  Äußerungen 
[wie  Ep.  IV  8,  4  f,  I  5,  12  f.j  bauend,  den  Plinius  zu  einem  Cicero- 
nianer  macht:  es  sind  das  Phrasen,  denen  weder  die  Praxis  der  Briefe 
noch  des  Panegyrikus  entspricht',  vorzubeugen. 

Eine  gediegene  Chai'akteristik  des  plinianischen  Stils  gibt 

18.  Norden,  S.  318  ff  (vgl.  auch  S.  280—282  und  299).  Er 
sagt  in  der  Hauptsache  über  den  Redner  folgendes:  Der  Grundzug 
seines  Wesens,  die  Eitelkeit,  zeigt  sich  auch  in  seinem  Stil.  Alles  ist 
geleckt  und  gedrechselt.  Aus  seinen  einander  widersprechenden  Urteilen 
über  die  Schreibart  heben  sich  drei  Punkte  scharf  heraus:  Erstens 
liebte  er  das  Volle,  ja  bis  zum  Übermaß  Volle,  zweitens  die  zierlich 
geputzte  Diktion:  an  Isaeus  bewunderte  er  verba  quaesita  et  exculta; 
drittens  hat  er  Vergnügen  an  scharf  zugespitzten  Sentenzen,  besonders 
wenn  diese  bis  an  die  Grenze  des  Erlaubten  herangingen  und  gewisser- 
maiJea  am  Abgrund  schwebten  (vgl.  bes.  Ep.  IX  26).  Seiner  Theorie 
entspricht  die  Praxis,  die  wir  außer  an  einigen  Briefen  besonders  an 
dem  Panegyrikus  beobachten,  diesem  hervorragendsten  Denkmal  epideik- 
tischer  Beredsamkeit  aus  der  Kaiserzeit,  welches  in  der  Folge  eine 
solche  Bedeutung  erlangen  sollte.  Gibt  uns  Seneka  in  seinen  rhetorischen 
Büchern  wesentlich  die  Theorie  der  neuen  Beredsamkeit,  so  Plinius  in 
seiner  Rede  ihre  praktische  Anwendung.  Das  hier  Gebotene  ist  aller- 
dings für  die  Nerven  moderner  Menschen  zu  viel;  eine  Antithese  jagt 
die  andere  und  man  möchte  ihm  mit  seinen  eigenen  Worten  zurufen: 
fere  in  nullo,  o  bone,  enuntiato  non  peccas. 

Wie  Seneka  der  Sohn  hat  auch  Plinius  d.  J.  den  rhythmischen 
Satzschluß  sehr  sorgfältig  beobachtet.  (Norden  S,  942,  wo  der  An- 
fang des  Panegyrikus  als  Probe  gegeben  wird.)  Dieses  Urteil  bestätigt 

19.  (=3)  H.  Bornecque  (S.  205)  mit  den  Worten  'chez  lui 
(Pline  le  jeune),  les  regles  de  la  prose  metrique  sont  appliquees  avec 
une  regularite  presque  monotone".  Dieser  Umstand  war  für  den  Ge- 
lehrten auch  einer  der  Hauptgründe,  warum  er  zur  Beleuchtung  der 
oben  (S.  159  f.)  für  den  Anfang  und  die  Mitte  der  rhythmischen  Sätze 
aufgestellten  Gesetze  den  Panegyrikus  des  Plinius  wählte.  Der  Unter- 
suchung wurde  der  Text  von  Bährens  zugrunde  gelegt,  daneben  auch 
Keils  Ausgabe  berücksichtigt.  Nachdem  B.  für  den  Anfang  des 
Satzes   die  Regeln  oder  Grundsätze,    denen  er  gefolgt  ist,  zusammen- 


Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897  -  1902.  (Burkhard.)     167 

gestellt  hat,  behandelt  er  1.  zweisilbigre,  2.  dreisilbige  und  3.  vier- 
silbige Anfangswörter  oder -Gruppen/)  nach  der  Quantität  geordnet,  in 
27  Typen  (Mustern).  Er  gibt  mit  Ausschreibung  der  Stellen  genau  an, 
wie  oft  jedes  Muster  vorkommt  und  welche  Versfüße  oder  metrische 
Gruppen  ihm  folgen.  So  erscheint  beispielsweise  der  Typus  'ferant' 
27nial  und  zwar  folgen  ihm  10  mal  Spondeen  (z.  B.  Pan.  XXV  22,  19 
Bahr,  datum  est  Ins  qui),  G  mal  Jamben  (z.  B.  XII  12,  2  vident  enim 
Roraanum  XLVI  40,  3  in-Iiis  enim  quae  a  malis,  von  einem  Kretikus 
gefolgt),  4  mal  Kretiker,  3  mal  Anapäste.  2  mal  Päone  (Form  4),  von 
einem  Spondeus  gefolgt,  2  mal  Choriamben.  B.  folgert,  dal!  man 
nach  einem  AnfangsworL  des  Typus  'feiant'  den  Spoudeus  oder  Kretikus 
oder  Jambus,  von  einem  Spondeus  gefolgt,  wenn  der  Jambus  durch  die 
Paitikel  'enim'  gebildet  wird,  oder  den  Anapäst  oder  den  4.  Päon  an- 
trefien  kann  und  berechnet,  daß  in  den  gültigen  Beispielen  der  Rhythmus 
18  mal  nach  dem  ersten  und  5  mal  nach  dem  zweiten  FuCe  unterbrochen 
ist.  Diese  Gesetze  bestätigt  die  Untersuchung  des  10.  Buches  der 
Briefe  des  Pliuius.  Am  Schlüsse  des  Abschnittes  S.  222  f.  faDt  der 
Verf.  die  gewonnenen  Gesetze  etwa  folgendermaLien  zusammen:  Von 
gewissen  Einschränkungen  und  Ausnahmen  abgesehen,  darf  derselbe 
Rhythmus  nicht  festgehalten  werden  a)  über  einen  Fuß,  wenn 
der  Satz  mit  Worten  oder  Gruppen  vom  Typus  'pertinent,  laudatur, 
recipiant,  potuisse,  poUiceor'  beginnt,  d.  h.  mit  Worten  oder  Gruppen, 
welche  fünf  Zeiteinheiten  entsprechen;  b)  über  zwei  Füße,  wenn  der 
Satz  mit  Worten  oder  Gruppen  des  Typus  .ferant,  esset,  videor,  videant, 
araare,  habuerat,  meruisti,  senatui,  rettulisse,  coniunxisse'  beginnt,  d.  h. 
mit  Worten  oder  Gruppen,  die  drei  oder  sieben  Einheiten  gelten  und 
solchen,  welche  im  Werte  von  vier  oder  sechs  keinen  Hexameter  be- 
ginnen können;  c)  über  drei  Füße,  wenn  der  Satz  mit  Worten  des 
Typus  'essent,  audirent,  restituunt,  coninngere,  audivissent'  beginnt, 
d.  h.  mit  Worten  oder  Gruppen ,  die  mit  einer  zwei  Einheiten  ent- 
haltenden Länge  beginnen  und  in  einen  daktylischen  oder  anapästischen 
Vers  eintreten  können. 

In  ähnlicher  Weise  gibt  B.  auch  für  die  Mitte  des  Satzes  das 
von  ihm  eingeschlagene  Verfahren  an  und  stellt  mit  gewissen  Vorbe- 
halten für  Plinius  folgendes  Gesetz  fest:  Im  Innern  eines  metrischen 
Einschnitttes,  in  irgend  welchem  Teile  des  Satzes,  mit  Abzug  der  drei 
ersten  und  der  drei  letzten  Füße,  welche  strengeren  Gesetzen  unter- 
worfen sind,  darf  man  nicht  mehr  als  vier  dem  gleichen  daktylischen, 
anapästischen ,    trochäischen    oder    jambischen    Rhythmus    angehörige 


*)   Ähnliche  Regeln  sind,  wie  sich  B.  überzeugt  hat,  auch  bei  fünf- 
oder  mehrsilbigen  Anfangswörtern  oder  -Gruppen  angewendet. 


168     Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897—1902.  (Burkhard.) 

Füße  finden.  Dieses  Gesetz  erläutert  B.  an  der  Anfangs-  und  SchluO- 
periode  des  1.  Kap.;  hierauf  stellt  er  alle  Ausnahmen  von  der  mit- 
geteilten Regel  aus  dem  ganzen  Panegyrikus  zusammen  und  findet,  daß 
sich  von  den  25  Ausnahmen  10  leicht  berichtigen  lassen,  so  daß  endgültig 
nur  15  vi'irkliche  Ausnahmen  übrigbleiben. 

Im  4.  Abschnitt  untersucht  B  ,  ob  diese  Gesetze  wirklich  von 
Plinius  dem  Jüngeren  gewollte  Gesetze  und  nicht  Gesetze  der  Sprache 
seien.  Zu  diesem  Zwecke  vergleicht  er  hinsichtlich  des  Anfangs  der 
Sätze  mit  dem  Panegyrikus  die  "Werke  Katos,  Sallusts  und  Ciceros  und 
stellt,  um  das  Wesentlichste  hervorzuheben,  ziffernmäßig  fest,  daß  sich 
bei  dl  esen  Schriftstellern  achtmal  mehr  Unregelmäßigkeiten 
als  bei  Plinius  finden  und  daß  die  lateinische  Sprache  aus  sich  selbst 
einen  Rhythmus  schaift:  nach  dem  ersten  Fuß  36  mal  (Plinius  48), 
nach  dem  zweiten  32V2mal  (Plin.  43),  nach  dem  dritten  18V2mal 
(Plin.  8),  nach  dem  vierten  und  darüber  hinaus  13  mal  (Plin.  0).  Aus 
der  Vergleichung  erhellt,  daß  sich  Plinius  ernstlich  bemüht  hat,  die 
Regeln,  welchen  er  folgte,  anzuwenden.  Dasselbe  gilt  von  der  Mitte 
des  Satzes.  Eine  Vergleichnng  des  Panegyrikus  mit  Schriften  von  Kato, 
Varro,  Cäsar,  Sallust,  Cicero,  Servius  Sulpicius,  Livius,  Tacitus  ergibt, 
daß  wir  im  Panegyrikus  zwölfmal  weniger  Ausnahmen  finden 
als  in  jenen.  Daraus  folgert  B.,  daß  das  von  Plinius  d.  J.  ange- 
wandte Gesetz  kein  Gesetz  der  Sprache  ist. 

Der  5.  Abschnitt  zeigt,  was  man  nunmehr  von  den  Vorschriften 
der  Grammatiker  zu  halten  habe.     (Siehe  unter  3,  S.   160.) 

Der  Schlußteil  (6)  handelt  von  der  praktischen  Anwendung 
der  aus  Licht  gezogenen  Gesetze.  Er  enthält  die  Ergebnisse  für  die 
Textherstellung  (18  Stellen),  für  die  Erklärung,  für  die  Setzung  der 
Satzzeichen,  für  die  Prosodie  und  die  Aufdeckung  eines  Lukrezischen 
Zitates  'infidum  mare'  LXVI  62,  5.  Aus  dieser  sorgfältigen  Untersuchung 
gewinnen  wir  im  allgemeinen  eine  vollkommenere  und  deutlichere  Vor- 
stellung von  dem  Rhythmus  in  der  lateinischen  Prosarede  und  lernen 
im  besonderen  in  dieser  Hinsicht  das  Verhältnis  Plinius  des  Jüngeren 
zu  einer  Reihe  hervorragender  Schriftsteller  kennen. 

20.  *R.  B.  Steel e,  Chiasmus  in  the  epistles  of  Cicero,  Seneca, 
Pliny  and  Fronto  (in  den  Studies  in  honour  of  Basil  L.  Gildersleeve, 
Baltimore  1902.  The  John  Hopkins  Press.  IX  517  S.  gr.  8. 
6  Dollars). 

Diese  Arbeit  findet  man  unter  Fronto  (28)  besprochen,  da  sie 
rücksichtlich  des  Plinius  in  den  Bericht  über  seine  Briefe  gehört. 

Eine  Neubearbeitung  des  Textes  des  Panegyrikus  ver- 
danken wir  C.  F.  W.  Müller  in  der  Gesamtausgabe  des  Plinius  unter 
dem  Titel 


Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern.  1807— rJO-2.  (Burkhard.)     169 

21.  C.  Plini  Caecili  Secundi  epistulaiuni  libri  iiovem,  epistularum 
ad  Traiannm  liber,  panegyricus.  Recognovit  C.  F.  W.  Mu eller. 
Lipsiae  in  aed.  B.  G.  Teiibneii  MCMIII.  VII  und  392  S.     8. 

Zugrunde  gelegt  ist  das  handschriftliche  Material  von  Bährens, 
Der  Nachtrag  desselben  Gelehrten  (Rh.  Mus.  XXX  403  — 4G5)  und 
die  Untersuchungen  Guido  Susters  'Notizia  e  classiticazione  dei  codici 
contenenti  il  panegyrico  di  Plinio  a  Traiano'  (Torino  1S8S,  S.-A.  aus 
Kiv.  lil.  X\l)  und  'Nuovi  emendamenti  al  paueg.  di  Plinio"  (Torino 
1889,  S.-A.  ebend.  XVII)')  finden  sich  leider  ebensowenig  berück- 
sichtigt als  die  unter  Nr.  3  besprochene  Abhandlung  von  H.  Boruecque 
(Rev.  phil.  XXIV  201—236,  bes.  232  f.),  -)  obwohl  der  Herausgeber, 
wie  man  sich  auf  Schritt  und  Tritt  überzeugen  kann,  zweifellos  bemüht 
war,  die  einschlägigen  Arbeiten  bis  in  die  neueste  Zeit  vollständig  heranzu- 
ziehen. Entspricht  somit  die  Ausgabe  im  Hinblick  auf  die  verwendeten 
Hilfsmittel  nur  zum  Teil  unseren  Erwartungen,  so  verdient  dagegen  das 
kritische  Verfahren  im  allgemeinen  volle  Anerkennung.  Das  Hauptver- 
dienst des  Herausgebers  ist,  den  Text  von  vielen  überflüssigen  Konjekturen 
des  geistreichen  Kritikers  Bährens  befreit  und  der  handschriftlichen 
Überlieferung  wieder  zu  ihrem  Rechte  verholfen  zu  haben.  "W^o  weder 
diese  noch  die  vorgebrachten  Verbesserungsvoi  schlage  den  Herausgeber 
ganz  befriedigten,  begnügte  er  sich,  den  Sitz  des  Fehlers  anzudeuten. 
Von  eigenen  Vermutungen  machte  er  im  Texte  nur  spärlichen  Ge- 
brauch. Eine  eingehendere  Besprechung  dieser  Pliniusausgabe,  die  be- 
greiflicherweise nur  teilweise  die  vergriffene  grolle  Ausgabe  Keils  ersetzen 
kann,  hat  der  Berichterstatter  ZöG  54  (1903)  407—409  veröffentlicht. 

22.  *R.  Sabbadini,  Poggio  e  Guarino  e  il  Panegirico  di  Plinio. 
Boficl  V  11,  p.  252—253. 

23.  ''Allaiu,  Pline  le  Jeuue  avocat.  Discours  de  rentree,  Be- 
san^on  1899,  Millot  freies  et  Ci.  73  p.  Rec:  Bulletin  bibliogr.  et 
pedag.  du  Mus6e  Beige. 

P.  Annius  Florus.. 

24.  *R.  Sabbadini,  De  numeris  in  dialogo,  iiui  Vergilius  an 
poeta  inscribitur.     Riv.  fil.  1897,  4,  p.  600  seq. 

25.  Zum  Stil  bemerkt  Norden  II  S.  600.  Anm.  3:  Das  Schriftcheu 
'Vergilius  poeta  an  orator'  ist  stilistisch  erheblich  einfacher  als  das 
Enkomion  (cf.  G.  Lafaye,  De  poetarum  et  oratorum  apud  veteres  certa- 

1)  Vgl.  darüber  JB  189.0  H  Nr.  2G  und  29.  Die  'Notizia  e  olassifica- 
zione  .   .  .'  ist  übrigens  auch  bei  Schanz  II  2  (1901 -J  §  445  S.  270  erwähnt. 

^)  Für  die  Beurteilung  des  Apographum  Bertiniense  kommt  auch 
R.  Noväks  Untersuchung  (unter  39)  in  Betracht. 


170     Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897—1902.  (Burkhard.) 

minibus  [Paris  1883]  82  f.),  aber  wir  werden  uns  natürlich  hüten,  daraus 
2n  folgern,  daß  es  von  einem  andern  Verfasser  stamme. 

26.  Textverbesserongeu  schlägt  J.  van  der  VlietMn.  XXVI 
S.  276  vor:  Zu  183,  4  (Roßbach)  pulcherrimurum  (für  plurimarum)  ar- 
borum,  184,  1  nascentem  amicitiam  fovehamus  (für  foederabamus). 

M.  Cornelius  Fronto. 

Über  seinen  Stil  handelt 

27.  Norden,  I  362  if.  Er  sagt  im  wesentlichen  folgendes: 
Fronto,  der  Hauptvertreter  des  lateinischen  Archaismus,  der  begeisterte 
Verehrer  der  ältesten  Literatur,  der  erbitterte  Feind  des  Neoterikers 
Seneka,  ist  Attizist  gewesen  so  gut  wie  seine  griechischen  Kollegen. 
Bei  der  Nachahmung  des  Altattischen  sind  dem  eitlen  Sophisten  einige 
sprachliche  Verstöße  unterlaufen ,  wie  v.  Wilamowitz  im  Prooemium 
Göttingen  1884,  9  gezeigt  hat.  Fronto  überträgt  auf  die  lateinische 
Sprache  ein  den  Attizisteu  geläutiges  Bild :  die  apyaia  fjvofxaxa  sind  ihnen 
die  ooxt[xa,  die  anderen  die  aöozijxa  oder  xißo-/)Xa.  Wie  die  Attizisten  warnt 
er  vor  Neubildung  von  Worten,  nam  id  quidem  absurdum  est  (Fronto 
S.  162,5),  Wie  Pollux  und  Phrynichos  hat  er  sich  aus  den  alten  Autoren 
Exzerpte  für  den  Wortgebrauch  gemacht  und  seine  Schüler,  dazu  auge- 
halten. Fronto  war  schon  zu  seinen  Lebzeiten  eine  Zelebrität :  er  selbst 
spricht  von  seiner  secta  (S.  95,  2  v.  u).  Er  blieb  lange  in  Mode;  sein 
Name  war  im  4.  Jahrhundert  so  typisch,  daß  er  für  Musterverse  ver- 
wendet wurde.  Mit  dem  6.  Jahrhundert  verschwindet  unser  Rhetor. 
Die  einander  widersprechenden  Urteile  bei  Makrobius  sat.  VI,  wo 
Fronto  ein  Vertreter  des  siccum  genus  dicendi  heißt  und  dem  gallischen 
Rhetor  Sapaudus  (Corp.  Script,  eccl.  lat.  Vind.  XI  206) ,  der  von  ihm 
sagt,  er  sei  nützlich  ad  pompam,  erklärt  Norden  (S.  365  A.  3)  trefiflich 
damit,  daß  beide  verschiedene  Redearten  im  Sinne  haben.  Zum  Beweise 
zeigt  er  unmittelbar  darauf,  wie  zugleich  mit  dem  Stoffe  auch  die  Stil- 
arten wechseln. 

Zum  Streite  der  Rhetoreu  und  Philosophen  erinnert  Norden  I  250 
Anm.  2  daran,  daß  unter  allen  Rhetoren  der  Kaiserzeit  Fronto  am  un- 
glücklichsten über  den  Wettbewerb  der  Philosophie  ist,  da  sie  ihm  sogar 
seinen  kaiserlichen  Zögling  abspenstig  machte  (Fronto  146,  150, 
154  N.). 

28.  (=  20)    *R.  B.  Steele,  Chiasmus  in  the  epistles  of  Cicero, 
Seneca,  Pliuy  and  Fronto. 

Von  dieser  Abhandlung  sagt  der  ungenannte  Berichterstatter  in 
der  WklPh  XIX  (1902)  895:  „Die  Wiederholung  der  gleichen  Worte 
und  antithetische  Ausdrucksweise    beeinflussen  die  chiastische  Stellung. 


Bericht  üb.  d  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  18'.)7— 1902.  (Burkhard.)     1 7 1 

Adverbia  werden  regelmäßig  als  Mittelglieder  verwendet,  abgesehen  von 
Fronto,  bei  dem  sich  nur  wenige  Beispiele  dafür  linden.  Handelt  es 
sich  um  Paare  von  Substantiven  und  Adjektiven,  so  zieht  Seneka  vor, 
die  Substantiva  zueinander  zu  setzen,  Fronto  die  Adjektiva,  während 
Cicero  und  Plinins  freier  verfahren.  Aul'er  Seneka  verwenden  alle 
Pronomina  in  chiastischer  Stellung  und  zwar  meist  so,  daß  sie  in  der 
Mitte  stehen.  Seneka  braucht  selten  Paare  von  Substantiven  mit  ab- 
hängigen Genetiven  so,  und  nur  Pliuius  zeigt  eine  Vorliebe  dafür,  in 
diesem  Falle  die  Genetive  in  die  Mitte  zu  setzen.  Stehen  Substantiva 
und  Verba  chiastisch,  so  neigt  Seneka  dazu,  die  Substantiva  als  Innen- 
glieder, Fronto  sie  als  Außenglieder  zu  verwenden.  Seneka  hat  gerade 
diese  Art  von  Chiasmus  am  häufigsten,  auch  so,  daß  die  Substantiva  von 
demselben  Verbum  abhängen.  ,  Alle,  außer  Seneka,  neigen  dazu,  präpo- 
sitionale  Ausdrücke  zusammenzustellen." 

29.  H.  Blase  erwähnt  Arch.  IX  (1896)  491  als  merkwürdigen 
Konjunktiv  (Fronto  p.  46,  10,  N  =  Naber),  der  von  zweiter  Hand  her- 
rührt und  der  Formel  'amabo'  (*amabo  te')  vollkommen  entspricht:  'et 
amem  te'  .  .  . 

Die  Vorliebe  Froutos  für  den  Infinitivus  historicus  zeigt 

30.  Ed.  Wölfflin,  indem  er  Arch.  X  (1898)  179  bemerkt,  daß 
dieser  Rhetor  in  einer  Charakterschilderung  p.  207  N  nicht  weniger  als 
17  Infin.  bist,  augewendet  habe. 

31.  Edmund  Hauler  liest  WSt  XXIV  (1902)  519—522  nach 
Hinweis  auf  die  im  JB  1897  II  92  f.  unter  16.  und  17.  erwähnten  Ab- 
handlungen zu  den  'Principia  historiae"  S.  204,  18  ff.  N.  adversws  für 
adversum  und  tempon'6-  für  temporibus,  fort/a  für  fortissima,  das  Mai  aus 
der  Randglosse  des  Korrektors  in  den  Text  gesetzt  hat;  22  f.  semper 
a<d>  siiperstitem mordens  adit  für  semper  .  .  persistere;  204,  24 — 205,  2 
sind  die  Worte  Ubi — extitit  der  Randbemerkung  der  2.  Iland  entnommen, 
der  Text  schaltet  zwischen  proposcit  und  omnibus  noch  eine  Erläuterung 
von  magnuii  ducem,  nämlich  id  est  pensis  p<arem>  propositis  und  nach 
duritia  das  Partizip  ortis  ein;  206, 12  f.  ist  sicher :  instaurandi  <auc>tor, 
sehr  wahrscheinlich  in  der  Lücke  existens,  im  nächsten  Satze  omnibus 
<vitae>  artibus;  Per  <midtum  ettam  mter>  e%t  fortunam  variam>  \  ex- 
periri  et  <gnaviter>  milites  in  campo  exercere;  206,  18  f.  apud  signa 
infrequentes,  ||  <freti  armis>,  praesidiis  va|gi,  <€xploratorum  mo->\re 
palantes,  de  meridie  |  <ad  posterum>  temulenlti;  207,  5  labem  <:i)ro 
re  Lucius>  coercuit,  10  neqne  fei  adversus,  15  lava^ws  (svonm.-  über 
der  Zeile)  für  lavari,  2lj)roprie  für  pro ;  208,  2  ist  ebenso  wie  in  der  dazu 
gehörigen  Glosse  der  Genetiv  certaminis  von  dem  bisher  nicht  gelesenen 
Substantiv  fuga  abhängig;  die  nächste  Randbemerkung  der  2.  Hand  lautet 
De  legib(us)  anxia  fuit  <air>  a  für  De  legibus  <amori8> ,  3  per  tot  ... . 


172     Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897  -  1902.  (Burkhard.) 

discrimina  curas  et  consilia  dispergere,  üon  luxnrias ,  ducen^a  tametsi 
profuäit  spolia.  11  if.  <m>  mag<nis>  yersultare  campestribas 
(caiiipestria  substantivisch  verwendet). 

Eine  von  Haiiler  'neuentzifferte  Glosse  zur  gleichen  Spalte  der 
entsprechenden,  leider  sehr  abgeschürften  Seite  24G  des  Ambrosianischen 
Palimpsestes  De  Parthorum  belli  more  lehrt,  dal!  auf  dieser  Kolumne 
die  Darstellung  der  parthischen  Kriegführung  ihre  Fortsetzung  fand. 
Daran  schloß  sich  der  Bericht  über  das  Abschicken  von  Gesandten  und 
Briefschaften  seitens  Verus  an  den  Partherkönig  Vologaesus'.  H.  liest 
nämlich  am  Ende  der  Seite  Paucis  ante  dieb{us)  L<Mciu>s  adVologaesum, 
was  sich  durch  das  auf  S.  245  unmittelbar  folgende  litteras  ultro  dederat, 
bellum  si  vellet  condicionibus  poneret  ergänze. 

32.  Robert  Novdk  bietet  WSt  XIX  (1897)  242—257  neben 
neuen  Belegstellen  für  frühere  Vermutungen  teils  neue  Verbesserungs- 
vorschläge, teils  verteidigt  er  die  Überlieferung.  Die  sorgfältige  Be- 
obachtung der  Sprache  Frontos  führt  den  Verf.  auch  zu  kleineren 
beachtenswerten  Ausläufen,  z.  B.  über  den  Gebrauch  des  verstärkenden 
-met  bei  den  Personalpiouomina  und  Possessiva  und  der  Negation  haud. 

33.  Zerstreute  Stellen: 

a)  W.  Heraeus  vermutet  'Zur  Kritik  und  Erklärung  der  Servius- 
scholien'  Herm.  XXXIV  (1899)  163,  daß  dem  Servius  bei  den  Worten 
Ad  Aen.  1 409  Sunt  raultae  (elocutioues)  unius  partis  utrique  sufficientes, 
ut  tenemiir  amicitiis:  ridiculum  enim  est  si  addas  'mutuis',  cum  amicitiae 
utrumque  significent,  sicut  Fronto  testatur  die  Stelle  des  Fronte  ep.  ad 
M.  Caesarem  IV  3  p.  65 N  Id  quoque  ne  ignores:  pleraque  in  oratione 
ordine  immutato  vel  rata  verba  fiunt  vel  supervacanea ,  'navem  trire- 
mem'  rite  dixerim,  'triremem  navem'  supervacaneo  addiderim  vor- 
geschwebt habe,  während  Naber  jene  Worte  in  seiner  Ausgabe  des 
Fronto  unter  die  Fragmente  (S   262)  gesetzt  hat. 

b)  Edmund  Hauler  veröffentlicht  einzelne  Textverbesserungen 
WSt  XXn  (1900)  140  f.,  318  XXIII  (1901)  338  und  XXIV  (1902)  232. 

34.  *C.  Brakman,  Frontoniana  LH.,  Traiecti  ad  Rhenura  1902. 
Typis  expressit  J.  J.  M.  Molijo.     8.     43  u.  42  S, 

Die  Dissertation  enthält  nach  E.  Haulers  eingehender  Besprechung 
ZöG  1903  1.  H.,  S.  32—37  in  zwei  Teilen  zahlreiche  Lesungsversuche  des 
Verf.  auf  Grund  eigener  Einsicht  in  den  Paiirapsest,  Vermutungen 
zum  Frontotext  und  einen  Aufsatz  über  die  Chronologie  der  Briefsamm- 
lung, in  dem  Ansätze  Th.  Mommsens  (Herm.  VIII  198  ff.)  bekämpft 
werden.  Da  B.  in  Anbetracht  des  ümfanges  des  Palimpsestes  (lOG  Vati- 
kanische und  282  Ambrosianische  Seiten)  und  der  schwierigen  Ent- 
zifferung viel  zu  wenig  Zeit  verwendet  und  auch  die  neueste  Literatur 


Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1S97 — 1902.  (Burkhard.)     173 

uicht  vollständig  herangezogen  hat,  so  ist  es  begreiflich,  daß  sich  in 
seiner  Arbeit  allerlei  Versehen  und  Verstöße  finden.  Vor  diesen  wäre 
er  größtenteils  bewahrt  worden,  wenn  er  sich  vorher  mit  Hanler,  von 
dessen  gründlichen  Vorarbeiten  er  Kenntnis  haben  mußte,  ins  Einver- 
nehmen gesetzt  hätte.  Unter  solchen  Umständen  dürften  B.s  Ergebnisse 
der  dem  Abschlüsse  nahen  Ausgabe  Haulers  nur  geringen  Nutzen  bringen. 

35.  E.  Ilauler,  'Sallustzitate  bei  Fronte",  Rh.  Mus.  N.  F.  LIV 
161—175  (S.-A.). 

Obwohl  diese  Abhandlung  besser  in  den  Bericht  über  Sallust 
hineinpaßt,  sollen  doch  die  Hauptpunkte  auch  hier  erwähnt  werden. 
Mit  dem  Abschnitte  auf  S.  108 — 111  der  Naberschen  B'rontoausgabe, 
in  welchem  der  Khetor  Auszüge  aus  Ciceros  Rede  y^rö  Caelio  und  aus 
Sallust  Bella  mitteilt,  um  zu  Redefiguren  (Epanaphora)  und  rhetorischen 
Schilderungen  von  Land  und  Leuten  Beispiele  zu  bringen,  einem  für 
die  Sallustkritik  überaus  wichtigen  Abschnitte,  ist  es  recht  schlimm 
bestellt,  Hauler  gelang  es,  bei  der  Nachprüfung  des  Froutopalimpsestes 
nicht  nur  einzelne  Stellen  zu  verbessern,  sondern  auch  den  bisherigen 
Sallusttext  um  mehrere  Seiten  zu  vermehren,  so  daß  der  Umfang  der 
Zitate  jetzt  fast  verdoppelt  erscheint  —  gewiß  ein  wertvoller  Gewinn! 
Der  Verf.  bespricht  zunächst  die  Aufeinanderfolge  der  den  Sallusttext 
überliefernden  Seiten,  dann  die  Abweichungen,  welche  Frontos  Sallust- 
text von  unserer  besten  Überlieferung  ausweist,  und  zeigt  endlich,  daß 
unser  Sallusttext  auch  einzelne  größere  Auslassungen  erfahren  hat. 
Die  Abweichungen  sind  verhältnismäßig  gering  und  geeignet,  „uns  be- 
züglich der  Güte  unseres  Sallusttcxtes  im  allgemeinen  zu    beruhigen*. 

Kutilius  Lupus. 

36.  *Th.  Krieg,  Quaestiones  Rutilianae.  Diss.  inaug.  Jena  1896 
(auch  in  Comment.  philol.  Jenenses  VI  ]  p.  1  —48).  Angez.  v.  0.  Roß- 
bach BphW  1898  Nr.  15  p.  455—456  und  verwertet  von  Schanz  III  2, 
190P  S.  345  f.  Hier  wird  auch  die  von  K.  (S.  38)  angefochtene  An- 
gabe Quintilians  (IX  2,  102)  verteidigt. 

Panegyrici. 

37.  Otto  Kehding,    De   panegyricis   Latinis   capita    quattuor. 
Marpurgi  Cattorum  1899,    54  S.  8.    (Marburger  Doktordissertation.) 

Von  den  vier  Kapiteln  dieser  durch  Birt  angeregten  Promolions- 
fichrift  gehört  das  zweite  (Quomodo  Claudianus  in  panegyricis  et  epi- 
thalamiis  componendis  Menandrum  rhetorem  secutus  sit)  und  das  vierte 
(Quomodo  Claudianus  panegyricos  Graecos  imitatus  sit)  in  das  Gebiet 
eines  anderen  Berichterstatters.     Im  ersten  Kap.  zeigt  der  Verf.,  wie 


174     Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897—1902.  (Burkhard.) 

Mamertinus,  Nazarius,  Pacatus  und  andere  Lobredner  nach  den  Vor- 
schriften des  Rhetors  Menander  ihre  Reden  verfaßt  und  ausgestattet 
Laben.  In  dem  exordium  der  ersten  Rede  (pan.  II  in  Bährens  Ausgabe, 
dessen  Zählung  auch  im  folgenden  berücksichtigt  ist)  fügt  Maraertinns 
keinen  einzigen  selbständigen  Gedanken  hinzu,  sondern  hängt  vollständig 
von  Menander  ab,  ebenso  folgte  er  in  den  sich  anschließenden  Kapp.  4—12 
diesem  Rhetor.  In  der  zweiten  Rede  (III)  ist  er  nicht  nur  in  der 
kunstgerechten  Anordnung  des  Stoffes  von  ihm  abhängig,  sondern 
berücksichtigt  auch  in  Einzelheiten  seine  Vorschriften.  Weniger  ab- 
hängig erscheint  der  Verfasser  der  V.  Lobrede.  Andere  Vorschriften 
Menanders  beobachteten  die  Verfasser  der  VII.  und  IX.  Rede,  z.  B. 
die  Vergleichungeu  (cu'f/piaei;),  die  besonders  bei  dem  letzteren  häufig 
sind.  Ein  deutlicheres  Bild  der  Nachahmung  bietet  die  umfangreiche 
Rede  des  Nazarius  (X),  Nicht  nur  die  ganze  Anordnung  und  insbeson- 
dere der  Schlußteil  (peroratio)  zeigt  die  Abhängigkeit  von  Menander, 
sondern  auch  viele  andere  Stellen.  Zahlreiche  Spuren  der  Nachahmung 
finden  sich  auch  in  der  XI.  und  XII.  Rede.  Wie  Mamertinus  in  der 
Abfassung  des  ersten  Teiles  seiner  Rede  und  in  der  Beschreibung  von 
Einzelheiten  sein  Vorbild  verrät,  so  befolgt  auch  Pacatus  nicht  nur  die 
allgemeinen  Vorschriften  des  Rhetors,  sondern  zeigt  sich  im  einzelnen 
auffallend  abhängig.  Vor  allem  sind  bei  Pacatus,  dessen  Rede  aller- 
dings auch  bedeutend  länger  ist,  die  cu^xpiaetc  zahlreich.  Im  dritten 
Kap.  untersucht  K.  mit  Beziehung  auf  die  Einleitung  Birts  zu  seiner 
Ausgabe  des  Claudianus,  wie  dieser  Dichter  die  Verfasser  lateinischer 
Lobreden  nachgeahmt  hat.  Zu  diesem  Zwecke  vergleicht  er  Stellen  des 
Claudianus  mit  solchen  des  jüngeren  Plinius,  Mamertinus,  Nazarius,. 
Pacatus  und  anderen.  An  den  meisten  dieser  Stellen  liegt  die  Über- 
einstimmung zwischen  Claudianus  und  seinen  Vorgängern  in  dem 
sprachlichen  Ausdruck,  bisweilen  enthält  die  Zusammenstellung  schmuck- 
lose Stellen  der  Redner,  die  bei  Claudiau  mit  dichterischem  Schmucke 
erweitert  sind,  endlich  sind  auch  Stellen  nur  der  ähnlichen  Gedanken 
wegen  vergleichungsweise  angeführt.  Am  augenscheinlichsten  ist  natür- 
lich die  Nachahmung  bei  den  ersten  Gruppen,  wenn  auch  hier  einiges 
als  Gemeingut  der  Rhetorenschulen  gelten  mag,  z.  B.  zu  Claud.  v.  341 
Ne  timeare  times:  Naz.  c.  18,  p.  227,  13  nil  magis  timuisti  quam  ne- 
timereris:  Pac.  c.  35,  p.  302,  31  qui  nihil  magis  timuerat  quam  timeri, 
Stellen,  auf  die  ich  schon  ZöG  1896  S.  1139  aufmerksam  gemacht 
habe;  vgl.  auch  Wölfflin,  Arch.  XII  S.  348. 

Die  sprachlich-textkritisehe  Seite  behandeln 

38.    Georgius  Chruzander,  De  elocutione  panegyricorum  vete- 

rum  Gallicanorum    quaestiones.     Commentatio    academica.     Upsaliaa 

1897.     115  S.  8,  und 


Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednero,  1897—1902.  (Burkhard.)     175 
39.    RobertusNoväk,  In  panegyricos  Latinos  studia  grammatica 

V 

et  critica.    Pragae  1901.  83  S.  8.  (Sonderabdrnck  aus  „Ceske  Museum 
Filologicke"  vol.  VII.) 

Von  der  richtigen  Ansicht  ausgehend,    daß    mau    ein   sichereres 
Urteil  über  die  vielbesprochene  Verfasserfrage  bei  den  gallischen  liob- 
rednern  (vgl.  Jß  1895  II.  [LXXXIV]  S.  222  f.,  1897  II.  [LXXXXIII] 
S.  107  ff.)   oJine  vollständige   Kenntnis    ihrer  Sprache    nicht    gewinnen 
könne,    stellt  Chruzander    zum    erstenmal   eine   umfassendere  Unter- 
suchung über  den  Sprachgebrauch  dieser  Redner  an.    Seine  Abhandlung 
zerfällt  iu  drei  Teile :  I.  Gebrauch  und  Bedeutung  einzelner  Ausdrücke 
(S.  5—70),  II.  Partikeln  (S.  70-82),  III.  Syntax  (S.  83—109).     Die 
'Addenda'  (S.  110—115)  enthalten   einiges  über   die  Wortstellung  und 
die  Ellipse.    Im  ersten  Teile  werden  zunächst  solche  Ausdrücke  ange- 
führt, welche  nur  bei  Dichtern  vorkommen  oder  von  den  Prosaschrift- 
stellern ziemlich  selten  gebraucht  sind;  dann  solche,  die  nur  bei  unsern 
Lobrednern  oder  auch  bei  den  späteren  Schriftstellern  sich  finden  (je 
1  in  VIII  und  IX,    8  in  X  und  je  3   in  XI  und  XII).     Der    zweite 
Teil    zeigt    die  Unterschiede  vom    klassischen  Sprachgebrauch    an    den 
Adverbien  (S.  71 — 75),   Konjunktionen  (S.  75—79)  und  Präpositionen 
(S.  79 — 82).    Über  die  Deklinations-  und  Koujugationsforraeu  verweist 
Ch.  auf  Götzes  Abhandlung  (Gymn.-Progr.  v.  Leer  1891)  und  auf  die 
Untersuchung  des  Berichters  (WSt  1886,  S.  170  ff.)-    Die  Formenlehre 
schließen  einige  Bemerkungen  über  Komparativ-  und  Superlativformen 
ab.    Der  dritte  Teil  ist  solchen  syntaktischen  Erscheinungen  gewidmet, 
die  vom  Gebrauche  der  besten  Schriftsteller  abweichen  oder  bei  diesen 
seltener    vorkommen.     Der  Verf.  spricht    über   die   Kasus,    Adjekfiva, 
Pronomina,  Modi  und  Tempora,  den  Infinitiv,  das  Gerundium  uud  Ge- 
rundiv   (hier    am   Schlüsse  eine  Ergänzung  zu  Götze),    das  Supin  uud 
zuletzt  über   das  Partizip.     Eine  erschöpfende  Darstellung  des  Sprach- 
gebrauches ist  damit  noch  nicht  gegeben.     Aber  das  lag  in  Rücksicht 
auf  die  Fülle  des  Stoffes  und  die   beschränkte  Zeit  auch   nicht  in   der 
Absicht   des  Verf.     Daß    unter    anderem    eine   genauere  Untersuchung 
darüber,    wie    sich  die  Redner  in  den  Redefigureu  voneinander  unter- 
scheiden und  wie  sie  einander  und  die  übrigen  römischen  Schriftsteller 
nachgeahmt  haben,    sehr   erwünscht   wäre,    erwähnt   Ch.   selbst.     Eine 
gründliche  Vorarbeit  und  zwar  für  die  Allitteration  bietet  F.  Ranninger 
im  Gymnasialprogramm  von  Landau  1895,  wozu  ich  in  der  Besprechung 
a.  a.  0.  LXXXXIII  S.  110  ff.    mehrere   Ergänzungen    gegeben    habe; 
über  Nachahmungen  vergleiche  man  meine  Anzeige  des  Programmes  von 
Olivior  Klose  (Die   beiden  au  Maxiraianus  Augustus  gerichteten  pane- 
gyrici  latini,    Salzburg  1895)  ZöG  1896,    S.  1138  ff.,    wo    man    auch 
einige    sprachliche  Beobachtungen  findet.      Außerdem  ist    wohl   neben 


1  7t)     Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1S97— 1002.  (Burkhard.) 

dem  Hinweis  auf  die  Abweichungen  vom  klassischen  Sprachgebrauch 
eiue  Behandlung  des  Sprachstoffes  nach  der  lexikalischen  Seite  hin 
unerläßlich,  um  die  Häufigkeit  oder  Seltenheit  oder  das  Fehlen  eines 
Ausdruckes  bei  den  verschiedenen  Ilednern  feststellen  zu  können.  So 
erscheint  es  z.  B.  bemerkenswert,  daß  'trans'  bei  den  Lobrednern 
durch  'ultra'  fast  ganz  verdrängt  ist.  Es  findet  sich  überhaupt  nur 
einmal  in  VI  (S.  154,  17  trans  Rhenum);  ebend.  kommt  einmal 
149,  1  auch  ultra  (modal)  vor.  Für  'trans'  hat  II  'ultra'  und  zwar 
nur  95,  20  (u.  Rhenum),  III  dagegen  das  nur  noch  IX  203,  12, 
X  219,  27  und  XII  283,  25  überlieferte  'extra':  114,  8  (e.  terminos). 
Das  mag  zugleich  als  Ergänzung  zu  dem  Abschnitte  über  die  Prä- 
positionen dienen,  zu  dem  ich  au  einem  anderen  Orte  einen  kleinen 
Beitrag  gelegentlich  zu  liefern  gedenke.  Außerdem  mögen  noch  folgende 
Bemerkungen  hier  ihren  Platz  finden.  In  der  Einleitung  S.  3  sind  die 
Untersuchungen  von  Otto  Seeck  (Neue  Jahrb.  f.  Phil.  u.  Päd.  1888) 
und  0.  Klose  (s.  o.)  nicht  berücksichtigt.  S.  12  vermisse  ich:  II,  p.  97,  1 
astu  ohne  Attribut.  S.  18  wird  wohl  mit  Weymann  und  Kubier  (Arch. 
YIII  129,  136)  die  Lesart  der  besten  Hs  (Upsaliensis)  continari  statt 
Cbruzanders  continuari  (für  continuare  des  Apogr.  Bert.)  herzustellen 
sein.  Siehe  auch  Noväk  S.  4 !  S.  72  hätte  für  die  Stellung  von  'igitur' 
auch  Plinius  der  J.  und  Tacitus  angeführt  werden  können;  übrigens 
ist  auch  schon  bei  Cicero  die  Stellung  am  Anfange  des  Satzes  nicht  selten. 
Über  'inde'  —  pan.  V  p.  147,  19  ist  et  vor  'inde  est  quod'  zu  ergänzen  — 
habe  ich  ausführlich  Acta  sem.  phil.  Erl.  S.  169  f.  gehandelt  und  allein 
über  'inde  est  quod'  nach  mir  Götze  in  den  Quaest.  Eum.,  was  dem 
Verf.  offenbar  entgangen  ist.  S.  82  ist  zu  'ultra'  im  temporalen  Sinne 
VII  177,  14  und  X  243,  16  anzuführen.  Zu  S.  89:  Der  Reziprozitäts- 
begriff wird  auch  noch  auf  andere  Weise  ausgedrückt;  vgl.  III  16  (114,  2) 
se  barbarae  iiationes  vicissim  lacerent  et  excidant,  alteruis  dimicatio- 
nibus  et  insidiis  clades  suas  duplicent  ....  transrhenauas  expeditiones 
farore  percitae  in  semet  imitentur.  (Siehe  Götze  a.  a.  0.  S.  44  f.  und 
meine  Ergänzung  JB  S.  109.) 

Eine  vi-ertvolle  Ergänzung  zu  dieser  Untersuchung  und  beachtens- 
werte Beiträge  zur  Textkritik  enthält  NovÄks  Abhandlung.  In  der 
Einleitung  gedenkt  der  Verf.  der  Verdienste  und  Fehler  Bährens'  und 
erwähnt  die  seitdem  veröffentlichten  Arbeiten  und  Beiträge  zum  Sprach- 
gebrauch der  gallischen  Lobreduer  (hinzuzufügen  ist  der  kleine  Beitrag 
des  Berichterstatters  WSt  VI  [1884]  S.  322  ff.  und  seine  obengenannte 
Anzeige  der  Kloseschen  Abhandlung).  Die  Untersuchung  beginnt  mit 
dem  Nachweis,  daß  Bährens  das  Apographum  Bertiniense  (Bert.)  weit 
überschätzt  und  aus  ihm  zahlreiche  falsche  Lesarten  in  den  Text  seiner 
Ausgabe  aufgenommen  habe.    Dieser  Kodex  stamme  nämlich  nicht,  wie 


Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1S97  — 1902.  (Burkhard.)     177 

B.  behauptet,  aus  derselben  Vorlage  wie  der  verschollene  Magiintinus 
(il),  sondern  aus  der  Vorlage  des  Upsalieusis  (A)  oder  wahrscheinlicher 
aus  diesem  selbst.  Durch  die  Wiederauftiudung  von  A  habe  Bert,  sehr 
viel  von  seinem  Werte  verloren.  (Nicht  erwähnt  ist,  ob  hierbei  die 
unten  (unter  41)  genannte  Nachvergleichung  des  A  durch  Strümberg 
berücksichtigt  wurde.)  Der  nächste  Abschnitt  S.  5 — 7  ist  den  'clausulae 
rhythmicae'  gewidmet,  die  in  neuerer  Zeit,  insbesondere  seit  dem  Er- 
scheinen der  'Antiken  Kunstprosa'  Nordens  mit  Vorliebe  behandelt 
werden.  Vgl.  die  Literatur  bei  F.  Gatscha,  Quaesiionum  Apuleianarum 
capita  tria  (Dissertat.  Vind.  VI  p.  159),  ferner  die  Untersuchungen 
von  H.  Bornecque  unter  Nr.  1  und  3  unseres  Berichtes.  Wie  N. 
ermittelt,  sind  auch  unsere  Lobredner  denen  beizuzählen,  welche  am 
Satzende  vor  einem  stärkeren  Satzzeichen  den  Schluß  _i_v  .!_k)  oder 
_^  u ;_  u  oder  _l_ü  j_\j  ^^  oder  _?_  u  ^.  _l.  u  j^  lieb  gewonnen,  den  hexa- 
metrischen Ausgang  _j^v  v  —  u  aber  geflissentlich  entweder  durch  die 
Wortstellung  oder  Auswahl  der  Worte  und  Formen  vermieden  haben. 
Nur  scheinbar  hätten  wir  einen  hexametrischen  Ausgang  in  Stellen  wie 
II  98,  5  consentiendo  retinetis,  III  108,  10  ambo  seuiores,  115,  25  quaero 
rationem,  VIII  235,8  consuetudo  cohibebit  vor  uns,  da  die  Endung 
•0  bei  vielen  Wörtern  zur  Zeit  dieser  Redner  nicht  selten  kurz  ge- 
messen worden  sei.  Es  bleiben  nur  ganz  wenige  Stellen  übrig,  die  N. 
durch  eine  geringfügige  Änderung  mit  dem  gewonnenen  Gesetze  in  Ein- 
klang bringr.  Es  leuchtet  ein,  daß  diese  Beobachtung  einerseits  die 
richtige  Beurteilung  der  Überlieferung  beider  Handschrifteufamilien 
lürdert,  anderseits  für  die  Textgestaltung  von  besonderem  Werte  ist, 
wie  dies  N.  im  zweiten  Teile  seiner  Abhandlung  au  einer  Reihe  von 
Stellen  zeigt.  Im  folgenden  handelt  der  Verf.  kurz  vom  Chiasmus 
(mit  Beziehung  auf  Chruzauders  Abhandlung)  und  gibt  Beispiele  von 
der  sehr  beliebten  Anaphora  (vgl.  auch  die  von  mir  Acta  S.  181  und 
WSt  VI  [1884J  324  gegebenen  Beispiele).  Dann  erfahren  wir  einiges 
über  den  Gebrauch  der  Konjunktionen  'atque,  que,  et,  quippe,  utpote, 
enim,  etenim,  sed  enim,  at  enim,  namque,  nempe,  ueve,  nee  und  der 
Präpositionen  'propter,  ob,  prae',  sowie  über  die  Stellung  der  Präpo- 
sitionen. Den  Schluß  der  sprachlichen  Untersuchungen  bilden  einige 
Beobachtungen  über  den  Gebrauch  der  mit  *met'  zusammengesetzten 
Fürwörter,  der  Formen  'sese  (tute)',  worüber  schon  Götze  (Quaest. 
Eumen.  S.  18)  gehandelt  hat,  und  der  Pronomina  'quisque,  quivis, 
quilibet". 

Mit  Benützung  dieser  Ergebnisse  und  weiterer    sprachlicher  Be- 
obachtungen bespricht  N.  in  dem  darauffolgenden  besonderen  Teil  zahl- 
reiche Stellen  aller  elf  Lobredner.    Sein  Verfahren  kann  im  allgemeinen 
nur  gebilligt  werden  und  führt    auch  vielfach    zu    sichtbaren  Erfolgen. 
Jahresbericht  für  Altertumswissenschaft.    Bd.  CXVII.    (1903.    II.)       12 


178     Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897-1902.  (Burkhard.) 

Nicht  selten  finde  ich  auch  Beobachtungen  und  Vermutungen,  die  ich 
vor  Jahren  in  meinem  Handexemplare  angemerkt  habe,  durch  N.  be- 
stätigt (so  insbesondere  zu  den  Stellen  238,21;  245,1;  280.22).  Etwas 
zu  ausgiebig  macht  der  Verf.  wohl  von  der  Annahme  der  Doppel- 
schreibuug  (Dittograpliie)  Gebrauch.  Ein  Widerspruch  scheint  es  mir, 
wenn  N.  einerseits  nach  dem  Vorgange  Chruzanders  (S.  2)  den  Sprach- 
gebrauch des  Plinius  ganz  ausschließt,  anderseits  aber  den  der  übrigen 
Lobreden,  die  von  verschiedenen  Verfassern  herrühren  und  zeitlich  doch 
auch  mehr  oder  weniger  weit  anseinanderliegen,  nicht  selten  als  gemein- 
sames Sprachgut  behandelt.  Zum  Schlüsse  greife  ich  noch  einige 
Stellen  zur  Besprechung  heraus.  S.  89,  18  (Bahr.)  schlug  schon  Götze 
in  seinen  Quaestiones  Eumenianae  'consecrasse'  vor  und  wiederholte 
diese  Vermutung  in  einem  größeren  kritischen  Beitrag  (NJklPh  145 
[1892]  S.  851  ff.),  der  zweifelsohne  Noväk  entgangen  ist.  Dies  schließe 
ich  insbesondere  aus  den  Stelleu  110,  14;  111,  2;  181,  29;  185,  20,  an 
denen  N.  zu  demselben  Ergebnis  wie  Götze  kommt,  ihn  aber  nicht  er- 
wähnt. S.  110,  7  scheint  mir  die  allitterierende  Verbindung  'planctu 
ploratuque  .  .  .  praesago  praecanebant  nicht  unbeabsichtigt  und  ich 
möchte  daher  lieber  die  auch  bei  Plinius  d.  A.  und  später  bei  TertuUian 
belegte  Form  'praecanebant'  halten  oder  nach  dem  klassischen  Sprach- 
gebrauch 'praecinebant'  schreiben,  als  eine  Dittographie  von  'prae'  an- 
nehmen. S.  150,  II  spricht  gegen  das  Grutersche  'idem'  (statt  'id  ex') 
und  für  die  Beibehaltung  von  'id'  ohne  'ex'  allerdings  der  Sprach- 
gebrauch der  Lobredner  II,  III,  IV,  VII,  IX — XII,  doch  wertvoller 
wären  Belege  aus  derselben  Rede  (VI)  gewesen.  Diese  aber  hat  ebenso- 
wenig wie  V  und  VIII  entsprechende  Beispiele  aufzuweisen;  vielmehr 
fehlt  in  ähulich  gebauten  Sätzen  'id'  V  21  (147,  27),  VIII  13  (191,  16) 
u.  bes.  VI  6  (153,  9)  ut  quod  invicem  vobis  verecuudia  negabat,  libere 
vos  in  imagine  cerneretis,  9  (155,  11)  ne,  quem  totius  vitae  summa- 
rumque  rerum  socium  semper  habuisses,  in  alicuius  facti  communitate 
desereres.  Ich  bin  daher,  von  anderen  Gründen  abgesehen,  noch  nicht 
überzeugt,  daß  an  unserer  Stelle  'id'  für  'idem'  geschrieben  werden  müsse. 

40.  Zu  XI  20  (260,22)  empfiehlt  K.  Burkhard  WSt  XXIII 
S.  338  nostvae  für 'ternos'  zu  lesen  oder  'ternos'  einfach  zu  streichen ; 
letzteres  tut  auch  Novdk  a.  a.  0.  S.  73. 

41.  Einen  Beitrag  zur  Handschriftenkunde  enthält  Elver 
Strömberg,  'Ad  codicem  Upsaliensem,  qui  Panegja'icos  veteres  Latinos 
continet'  in  Eranos  acta  philologica  suecaua  vol.  II  (1897)  S.  46 — 47. 
St.  hat  die  zuletzt  von  Bährens  für  seine  Ausgabe  der  Paneg.  (1874) 
verwendete  beste  Hs  (aus  dem  15.  Jht. ;  vgl.  Bährens  praef.  XI  seqq.) 
nachverglichen  und  bringt  85  Berichtigungen  oder  Ergänzungen.  Bährens 
hat  öfters  falsch  gelesen  und  manche  Lesarten  übersehen. 


Bericht  üb.  d.  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897—1902.  (Burkhard.)     179 


Q.   Aurelins  Symmachus. 

42.     S.  A.  Nah  er,  Durievio  pareutatur.    Mn.  XXVI  277—286. 

Nach  einem  warmen  Nachruf  aut  Du  Ricu  teilt  uns  N.  mit,  daC 
er  vor  Jahren  die  Reden  des  Symmachus  mit  Durievius  herausgeben 
wollte.  Dieser  hatte  auch  schon  die  Vergleichnng  tür  diesen  Zweck 
gemacht,  verzögerte  aber  wiederholt  den  Abschluß  der  Arbeit  und  starb 
endlich,  ohne  seine  Sammlungen  verwertet  zu  haben.  Als  N.  von  der 
"Witwe  des  Gelehrten  die  Vcrgleichuug  erhielt,  verglich  er  sie  sogleich 
mit  Seecks  Ausgabe  (1883)  und  da  zeigte  es  sich,  daC,  von  wenigen 
Seiten  abgesehen,  die  N.  erwähnt,  die  Vergleichungen  beider  in  allen 
wesentlichen  Punkten  übereinstimmen  und  daü  nichts  Neues  für  die  Ver- 
besserung des  Textes  aus  den  hiuterlassencn  Papieren  gewonnen  werden 
könne.  Im  Anschlüsse  an  diese  Mitteilungen  gibt  N.  eigene  Beobachtungen 
zu  Symmaclius  (S.  282 — 286)  bekannt.  Symmachus  scheine  sich  in  den 
"Worten  'Quid  apat— calcatur'  (Ep.  III 10)  selbst  verspottet  zu  haben.  Er 
habe  Besseres  gesehen  und  gut  geheißen,  aber  Schlechteres  befolgt,  um 
den  Zeitgenossen  zu  gefallen  Ep.  II]  11,  44  u.  V.  9.  (Vgl.  weiter 
unten  das  Urteil  Nordens.)  Alte  Schriftsteller  erwähne  er  selten. 
Wohl  nur  einmal  den  Demosthenes  Ep.  I  23;  dabei  bleibe  es  fraglich, 
ob  S.  unmittelbar  aus  D.  geschöpft  oder  den  Gemeinplatz  bei  einem 
anderen  gefunden  habe.  Außerdem  seien  einigemal  Plautus,  Terenz, 
Vergils  Georgica  und  ziemlich  selten  Cicero  erwähnt.  Symmachus  scheine 
wenig  Bücher  besessen  zu  haben.  (Dagegen  ist  zu  bemerken,  daß 
Gull.  Kroll,  De  Q.  Aurelii  Symmachi  studiis  Graecis  et  Latinis, 
Breslau  1891  [JB  1897  II  114]  25  römische  Schriftsteller  von  Nävius 
bis  Ausonius  namhaft  macht,  mit  deren  Werken  S.  mehr  oder  weniger 
vertraut  war,  insbesondere  Terenz,  Vergil,  Sallust,  Cicero,  Horaz,  Lukan, 
Valerius  Maximus,  Livius,  beide  Plinius,  Ovid,  Silius,  Juvenal,  Tacitus 
Fronte  und  wahrscheinlich  Gellius.  Auch  Norden  bezeichnet  S.  577 
neben  den  Komikern  die  Schriftsteller  Sallust  und  Fronto  als  solche, 
die  S.  mit  Vorliebe  las.)  Aus  einer  anderen  Stelle  schließt  Naber,  daß 
Symmachus'  Geschichtskenntnisse  nicht  groß  gewesen  seien.  Der  letzte 
Teil  des  Aufsatzes  befaßt  sich  mit  Textkritik.  Zuerst  tritt  N.  gegen 
Seecks  Konjektur  praestavistis  p.  287,  9  (Seeck)  mit  dem  Hinweise  auf 
die  klassische  Form  praestitisse  p.  288,  33;  330,  18  u.  335,  16  auf.  Dann 
macht  er  folgende  Verbesserungsvorschläge:  322,  13  deornatur  für  ado- 
ratur  (demoratur  Seeck),  p.  324,  33  laborem  sine  duritie  (tür  pernicie), 
325,  12  viiiceret  für  iniret,  325;  34  multa  für  nulla,  327,  27  <quae> 
quasi  securus,  331,  12  uvidioris  (so  schon  Kießliug)  für  ubidiovis. 

12* 


180     Bericht  üb.  d,  Arbeiten  zu  d.  römisch.  Rednern,  1897-  11)02.  (Burkhard.) 

43.  Ep.  III  11  liest  Norden  S.  577  (im  Hinblick  auf  Fronto 
p.  161  N  veterem  monetam  sectator)  sectator  (für  spectator)  tibi  veteris 
monetae  solus  supersum. 

Über  den  Stil  des  Symmachus  äußert  sich 

44.  Norden  S.  642  ff.  ungefähr  in  folgender  Weise.  Wie  sich 
S.  mit  liebevollem  Entzücken  in  die  Literatur  der  herrlichen,  durch 
ihre  bitteren  Sckicksale  nur  noch  verklärten  Vergangenheit  versenkte, 
so  suchte  er  sich  auch  in  seinem  Stil  von  den  Ausschreitungen  der 
Modernen  freizuhalten  (Ep.  I  89),  aber  Wollen  und  Können  deckten 
sich  nicht  (III  11).  Er  verleugnet  in  seinem  Stil  nicht  den  Einfluß 
seiner  durch  einen  gallischen  Rhetor  (möglicherweise  durch  den  aus 
Burdigala  gebürtigen  Minervius)  erhaltenen  Ausbildung.  Überall  zeigt 
sich  in  seinen  Briefen  und  Reden  dieselbe  Zierlichkeit  (besonders  Anti- 
thesen mit  dem  üblichen  Zierat),  die  in  den  panegyrischen  Reden  mit 
starkem  Pathos  vermischt  wird,  wohl  kadenzierte  Sätze  mit  strenger 
Beobachtung  des  rhythmischen  Kursus  am  Schluß,  jedes  Wort  über- 
dacht. Sein  stilistisches  Ideal  ist  der  jüngere  Plinius,  dessen  Manier 
er  gelegentlich  durch  ein  paar  Archaismen  nach  Frontos  Muster  auf- 
putzt, ohne  in  die  Geschmacklosigkeiten  eines  Apuleius  oder  Sidonius 
zu  verfallen.  Einmal  hat  er  es  verstanden,  aufs  tiefste  zu  ergreifen 
in  jener  berühmten,  im  J.  384  an  Theodosius  gerichteten  Relation 
(=  ep.  X  3)  über  den  Altar  der  Victoria  und  den  Kult  der,  Vesta. 

45.  *Melicus  S.  IT.,  De  Q.  Aurelio  Symmacho  postremo  apud 
Romanos  veteris  humanitatis  magistro  ac  defensore  über.  16.  Sassari 
1898,  in  aedibus  Joanuis  Gallitii  56  p. 


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DiPfiUnNlla  ;:  .  J«'^   (-       I3UO 


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3  schritte  der  klassischen 

jo  Altertumswißsenschaft 

Bd.  116-117 


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