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Full text of "Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für Vaterländische Kultur"

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Tibrary of the Museum 
COMPARATIVE ZOÖLOGY, 


AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS, 


Founded by private subscription, in 1861. 


N e L bee, 
Ueberſicht 


der 


Arbeiten und Ver ä änderungen 


der 


ſchleſiſchen Geſellſchaft für vaterländiſche Kultur 


i m Jahre 1837. 


Zur 


Kenntnißnahme für ſämmtliche einheimiſche und auswärtige wirkliche 
Herren Mitglieder der genannten Geſellſchaft. 


Breslau 1838. 
Gedruckt bei Graß, Barth und Comp. 


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Allgemeiner Bericht 
über 
die Arbeiten und Veränderungen der Geſellſchaft im Jahre 1837, 
vorgetragen 
in der allgemeinen Sitzung den 15ten December 


vom 


Dr. Johann Wendt, 


erſtem General-Secretair der Geſellſchaft. 


H. H. 
Den heutigen allgemeinen Bericht muß ich mit der Entſchuldigung unſeres verehrten 
Vicepräſes, des Herrn Rectors Reiche, eröffnen. Derſelbe iſt durch Kränklichkeit ab— 
gehalten worden, den Nekrolog der im Laufe dieſes Jahres verſtorbenen Mitglieder zu 
ſchreiben. Seit geſtern iſt ſein Befinden beſſer, aber doch noch nicht ſo weit gediehen, 
daß er der heutigen Sitzung beiwohnen und ſich ſelbſt entſchuldigen könnte; er behält es ſich 
vor, den Nekrolog in der allgemeinen Verſammlung des nächſten Monats vorzutragen. 

Die Thätigkeit der Geſellſchaft iſt im Laufe des zu Ende gehenden Jahres nicht 
geringer, wie in den letzten beiden verfloſſenen Jahren geweſen, und die Ueberſicht wird 
zeigen, daß in mehreren Richtungen ſich eine ausgezeichnete Wirkſamkeit herausgeſtellt hat. 

Mit Einſchluß der heutigen wurden in dieſem Jahre ſieben allgemeine Verſamm— 
lungen gehalten. Die Vorträge waren folgende: 

1) Ueber das Verhältniß der Jeſuiten in Preußen vom Jahre 1776 bis 1800, 
unter Mittheilung mehrerer darauf bezüglicher Aktenſtücke, vom Herrn Ober-Regierungs— 
Rathe Sohr. 

2) Ueber die Urſachen der geringen Kultur und Bevölkerung von Südamerika, 
vom Herrn Kaufmann Samuel Scholtz. 

3) Ueber den Verſteinerungs-Prozeß mit Experimental⸗ Erläuterung, vom Herrn 
Profeſſor Dr. Göppert. 

4) Ueber die Geſchichte und Statiſtik des Buchhandels, des Journal- und Zei— 
tungsweſens in den Jahren 1834 und 1835, vom Herrn Geheimen Rathe Profeſſor 
Dr. Weber. 

1 * 


5) Ueber Breslau's erfte botaniſche Gärten im ſechszehnten Jahrhunderte, vom 
Herrn Profeſſor Dr. Henſchel. 

6) Ueber das Aufdämmern der heutigen Staatsanſichten im ſiehzehnten Jahrhun⸗ 
derte, vom Herrn Profeſſor Dr. Schön. 

7) Ueber die Geſchichte der Kriege des großen Kurfürſten gegen Frankreich und 
Schweden von 1672 bis 1679, vom Herrn Geh. Archiv-Rathe Prof. Dr. Stenzel. 

8) Ueber die italieniſche Oper in Breslau im Anfange des ſechszehnten Jahrhun— 
derts, vom Herrn Dr. Kahlert. 

9) Ueber die Geſchichte des dreißigjährigen Krieges, und beſonders über die Zeit 
vom Prager Frieden bis zum Tode Ferdinands III. „und über den Kampf der Sachſen 
gegen die Schweden, vom Herrn Conſiſtorial-Rathe Menzel. 

10) Ueber die diesjährige Verſammlung der deutſchen Naturforſcher und Aerzte in 
Prag, vom General-Secretair. 

| 11) Ueber die drei welthiftorifchen wichtigen Abſchnitte der ſchleſiſchen Geſchichte, 
vom Herrn Geheimen Archiv-Rathe Profeſſor Dr. Stenzel. 

12) Ueber das königl. böhmiſche Muſeum und die Stiftung deſſelben, vom Herrn 
Profeſſor Dr. Göppert. — 


Nun folgt eine gedrängte kurze Ueberſicht der Arbeiten in den einzelnen Sectionen. 
Ueber die diesjährige Thätigkeit Ä 
der naturwiſſenſchaftlichen Section 


hat der Secretair derſelben, Herr Profeſſor Dr. Göppert, nachſtehenden kurzen, hier 
wörtlich abgedruckten, Bericht eingeſandt: 


Das ſteigende Intereſſe der Herren Mitglieder der naturwiſſenſchaftlichen Section 
machte es in dem verfloſſenen Jahre möglich, achtzehn verſchiedene Sitzungen halten zu 
können, in denen neun und zwanzig, nach Umſtänden auch durch Experimente erläuterte 
Vorträge und Mittheilungen. vorkamen. 

Ueber Aſtronomie: Herr Hauptmann Profeſſor Dr. v. Boguslawſki; über 
Phyſik: Derſelbe, ſo wie Herr Profeſſor Dr. Franken heim, Herr Director Ge— 
bauer und Herr Profeſſor Dr. Pohl; über Chemie: Herr Chemiker Duflos, die 
Herren Profeſſoren Dr. Fiſcher und Dr. Frankenheim, ſo wie der Secretair der 
Section; über phyſiſche Geographie und Geologie: die Herren Kammerherr 
Baron v. Forcade, Herr Geh. Medicinal-Rath Profeſſor Dr. Otto, Herr Kauf— 
mann S. F. Scholtz, Herr Oberſt-Lieutenant v. Strantz; von auswärtigen Mitglie- 
dern eine hierher gehörende Arbeit des Herrn Profeſſors Schramm zu Leobſchütz, die 
von dem Secretair der Section am 15. Februar vorgetragen wurde; über Zoologie: 
Herr Dr. phil. Gloger; über thieriſche Phyſiologie: Herr Prof. Dr. Pur— 
kinjez über Pflanzenphyſiologie und Petrefactenkunde: der Secretair der 


. 


Section. Intereſſante Mittheilungen empfing die Section durch Herrn Profeſſor Dr. 
Ratzeburg, welcher fein neueſtes Werk: „die Forſt-Inſekten,“ derſelben über: 
ſchickte, ſo wie von den Herren Verfaſſern die letzte Lieferung der klaſſiſchen Mondkarte, 
von Beer und Mädler, und eine Anzahl ſeltener Petrefakten von dem Herrn Profeſſor 
Heinrich zu Brünn. 

Gelegentliche, durch Verhandlungen über einzelne Vorträge veranlaßte Mittheilun— 
gen und Vorzeigungen intereſſanter Kunſt- und Natur-Produkte verdankt die Section 
dem Herrn Dr. med. Bürkner, Herrn Kammerherrn Baron v. Forcade, Herrn 
Lehrer Stütze, Herrn Dr. Pappenheim und Herrn Dr. Weidner, wie ſie ſich 
auch dem Herrn Profeſſor Dr. Frankenheim für die im Oktober gelieferte Ueberſicht 
der wichtigſten phyſikaliſch-chemiſchen Vorträge der Verſammlung der Naturforſcher 
zu Prag verpflichtet fühlt. 

Am 6. December fand ſtatutengemäß die Wahl des Secretairs für die nächſten zwer 
Jahre ſtatt. Wiewohl es, nach der Ueberzeugung des Referenten, dem Intereſſe der 
Section angemeſſener geweſen wäre, eine neue Wahl zu veranlaſſen, ließ man doch hierin 
keine Veränderung eintreten, und beehrte den bisherigen Secretair auch für die nächſten 
zwei Jahre mit Verwaltung dieſes Amtes. 

Aus dem Berichte des Secretairs der botanifchen Section, Herrn Profeſſor 
Wimmer, geht über die diesjährige Thätigkeit der genannten Abtheilung Folgendes 
hervor: 

In der Verſammlung 


der botaniſchen Section, 


am 23. Juni 1836, ſprach Herr Profeſſor Dr. Göppert über foſſile Koniferen aller 
Formationen, namentlich der in und mit Bernſtein vorkommenden. 

Herr Profeſſor Dr. Valentin zeigte unter dem Mikroſkope einige die Entwicke— 
lung der Pflanzengewebe betreffende Objekte. 

Der Secretair ſprach über die Verbreitung des Seneeio vernalis und der Came— 
lina austriaca in Schleſien. 

Am 13. April 1837 gab Herr Prof. Dr. Göppert einige Mittheilungen über 
die Flora der Lauſitz. Der Secretair berichtete über eine neue Art von Pinus von dem 
großen See an der Heuſcheuer, und gab ein Reſume aus dem vom Herrn Apotheker 
Neumann in Wünſchelburg darüber eingegangenen Aufſatze. Herr Dr. Schauer 
legte Zweige der Pinus austriaca aus dem hieſigen botaniſchen Garten vor. 

Am 10. November legte Herr Prof. Dr. Göppert, als neue Erſcheinungen der 
botaniſchen Literatur: „Kunze, Analecta Pteridographiea““ und „ §Corda Icones 
Fungorum *“ vor, fo wie Mittheilungen des Herrn Wundarztes Brettſchneider und 
Pharmaceuten Lind über die Flora der Umgegend von Priebus, Kupferberg und Groß⸗ 
Glogau. | 


— 6 — 


Der Secretair ſetzte die Unterſchiede von Pinus sylvestris und Pumilio und der 
dritten auf den Seefeldern der Grafſchaft Glatz wachſenden Pinus-Art in ihren Frucht⸗ 
zapfen, auseinander. Derſelbe legte als ein werthvolles Geſchenk des Herrn Apothekers 
Grabowski in Oppeln eine von demſelben eingeſandte Sammlung der ſelteneren 
Pflanzen Oberſchleſiens und des Geſenkes vor, und begleitete dieſelben mit einigen Ber 
merkungen. 

Auf die von dem Secretair den Herren Mitgliedern der Section mehrmals ſchrift⸗ 
lich und mündlich geſtellte Anfrage, ob Jemand für die nächſten Verſammlungen einen 
Vortrag oder eine Mittheilung zuzuſagen habe, erklärte ſich dazu außer dem Herrn Prof. 
Dr. Göppert Niemand bereit. 

Der Secretair der entomologiſchen Section, Herr Geheimer Hofrath Profeſſor 
Dr. Gravenhorſt, hat über dieſe Abtheilung Nachſtehendes eingeſandt: 


Die entomologiſche Section 


hat ſich in dem Jahre 1837 achtzehnmal verſammelt, und in den Zuſammenkünften wies 
derum manches Neue und Merkwürdige, ſowohl in Bezug auf Entomologie überhaupt, 
als auch in Hinſicht der vaterländiſchen Inſekten-Fauna, zur Sprache gebracht. Außer 
vielen kleinern Mittheilungen, kamen ſieben größere Vorträge vor, deren fünf von Herrn 
Schilling, zwei von den Herren Rendſchmidt und Roter mund gehalten wurden. 
Das Ausführlichere von den Beſchäftigungen der Section wird in dem gedruckten Be— 
richte veröffentlicht werden. 

Unter den Gäſten, die wir immer gern ſahen, hatten auch Herr Juſtizrath Krauſe, 
Herr Lehrer Matzeck und Herr Studioſus Schneider einige intereſſante Mittheilun— 
gen gemacht. 


Ueber die diesjährige Thätigkeit der Abtheilung für Sudetenkunde theilte der Se 


cretair, Herr Profeſſor Dr. Scholtz, folgenden Bericht mit: 


Die Section für die Sudetenkunde, 


in welcher nur wenige Sitzungen in dieſem Jahre abgehalten werden konnten, hat in 
demſelben in ähnlicher Weiſe wie früher den ihr vorgeſteckten Zweck zu verfolgen geſucht, 
wiewohl ihre Thätigkeit durch den empfindlichen Verluſt, welchen ſie durch den Abgang 
ihres bisherigen Secretairs und thätigſten Mitgliedes, des Herrn Hauptmann v. Vincke, 
erlitt, und dann durch mehrmonatliche Abweſenheit des an des Vorigen Stelle neu gewähl— 
ten Secretairs, des Hrn. Prof. Scholtz, jedesmal auf längere Zeit unterbrochen wurde. 
— Die Löſung einer der Hauptaufgaben, welche die Section zunächſt ſich geſtellt hat: 
die Begründung eines möglichſt genauen barometriſcheu Nivellements des Sudetenlandes, 
hat jedoch in keiner Beziehung weſentliche Störungen erfahren. Von ſämmtlichen Sta— 
tionen ſind die Beobachtungen größtentheils ſehr regelmäßig eingegangen, und die Herren 
Beobachter haben ſich, mit Ausnahme einiger, welche ihren Ort zu verlaſſen genöthiget 


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waren, aufs Neue zur Fortſetzung der Beobachtungen, welche in der Sitzung vom 16ten 
Juli d. J. für den Zeitraum eines Jahres beſchloſſen wurde, bereit erklärt. 


Ueber N | 
die medieiniſche Section 

iſt von dem Secretair derſelben, Herrn Hofrathe Dr. Borkheim, folgender Bericht 
eingegangen: 

In den erſten Tagen jeden Monats ſich regelmäßig verſammelnd, hat auch in 
dieſem Jahre die Section zwölf ordentliche Sitzungen gehalten, in welchen größtentheils 
Beobachtungen nur ſolcher Krankheitsfälle mitgetheilt wurden, die entweder in patholo— 
giſcher oder therapeutiſcher, oder auch anatomiſch-pathologiſcher Rückſicht ein beſonderes 
Intereſſe darboten. Durchſchnittlich wurden in jeder einzelnen Sitzung zwei Vorträge 
gehalten, außerdem aber auch nach Verſchiedenheit der, in denſelben beſprochenen Gegen— 
ſtände von den, in größerer oder geringerer Zahl verſammelten Herren Mitgliedern noch 
andere, auf jene bezügliche Mittheilungen mehr oder weniger ähnlichen Inhalts gemacht. 
Ein ſolcher, wie durch den engeren wiſſenſchaftlichen Verkehr gegebener, ſo auch die In— 
tereſſen der Verſammlung fördernder gegenſeitiger Austauſch von, durch naturgetreue 
Beobachtungen und wiederholt angeſtellte Verſuche gewonnenen Thatſachen und Erfahrun— 
gen und auf dieſe wiſſenſchaftlich begründeten Anſichten mußte die Unterhaltung eben ſo 
ſehr beleben, als zu größerer Thätigkeit anregen. So konnte ſich die Section in der, 
von ihr beabſichtigten geregelten Wirkſamkeit um ſo leichter erhalten, als mehrere der 
Herren Mitglieder, ſeit einer langen Reihe von Jahren zur Uebernahme von, in dieſem 
oder jenem Monate des laufenden Jahres beliebigſt zu haltenden Vorträgen mit dankens— 
werther Bereitwilligkeit ſich im voraus verpflichtend, nicht nur einen Theil ihrer Zeit und 
Kräfte auf die, in den Verſammlungen zu verhandelnden Gegenſtände verwenden, ſondern 
auch für den ungeſtörten Fortgang ihrer Arbeiten auf alle Weiſe Sorge tragen. Wo mit 
ſo gutem, ernſtem Willen ausdauernde Thätigkeit ſich paart, da dürfte eben ſowohl ein 
erwünſchter Erfolg gemeinſamer, auf die Erreichung gemeinnütziger Zwecke gerichteten 
Beſtrebungen zu hoffen ſeyn, als den derzeitigen Anforderungen der, das Gebiet unſerer 
Erkenntniß täglich erweiternden und der Wahrheit, die wir ſuchen, uns näher bringenden 
Wiſſenſchaft Genüge geleiſtet werden. — Der bisherige Secretair iſt für die nächſte 
Etatszeit wieder gewählt worden. 


Ueber die diesjährige Thätigkeit der ökonomiſchen Section berichtet der Secretair 
derſelben, Herr Geheime Hofrath Profeſſor Dr. Weber, Folgendes: 
Die ökonomiſche Section 


hat in dem bald abgelaufenen Etatsjahre 1837 zehn monatliche Sitzungen gehalten, jeden 
Monat eine, blos mit Ausnahme der Monate Auguſt und September. In denſelben 
ſind: 


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1) Schriftliche und mündliche Mittheilungen, theils vom Secretair, 
theils von andern Mitgliedern der Section, über folgende Gegenſtände gemacht worden: 


Ueber mehrere Pflanzen Acclimatiſationsverſuche nach, an Hrn. Bar. v. Kottwitz 


in Nimptſch darüber eingegangenen, Briefen; über die Bearbeitung des Mehls und Schroo⸗ 


tes aus getrockneten Kartoffeln (von dem eben anweſenden Herrn Amtsrathe Block); 
über das Lactolin; über Avery's neue Dampfmaſchine und den hydrauliſchen Kreiſel oder 
das Kreiſelrad, die Turbine Fourneyron's; über Hölbling's neues Ackerſyſtem; über In⸗ 
zucht des Viehes, beſonders der Schafe, und über die Kartoffelfütterung der Pferde; 
über einen neuen nutzbaren Häufel-Pflug für die Raps-Kultur; über die vom Herrn 
Domainen-Direktor Plathner in Kloſter Kamenz ausgeführte merkwürdige Verbeſſe— 
rung einer Wieſe durch Bewäſſerung; über die dortige Wieſenwirthſchaft überhaupt und 
die Grasweidewirthſchaft auf dem Kamenzer Vorwerke; über das Schützenbachſche Ver: 
fahren der Zuckerbereitung aus getrockneten Runkeln, und das Projekt der Anlage einer 
Central-Runkelrüben-Zuckerfabrikation nach dieſer und andern bewährten Verfahrens⸗ 
arten in Schleſien; über Zuckerbereitung aus Kürbiſſen; über den Anbau des Cheno- 
podium Quinoa aus Peru zum Gebrauche des Saamens gleich dem Reiße; über Rohr— 
mann's neue Kropfmühlen; über Anlage von Blitzableitern; über das Melken der Kühe; 
über Raps: Kultur in dieſem Jahre; über das Gamagras; über den Bager-, den 
Zugmayer'ſchen und den Kainziſchen Pflug; über die neue große Flachsbrechmaſchine des 


hieſigen Herrn Fabriken-Kommiſſarius Hoffmann; über des Herrn Maſchinenbauers 


Hoffmann zu Glogau neue Schraubenpreſſen; über die diesjährige landwirthſchaftliche 
Verſammlung in Dresden, nach Briefen von daher; und endlich ein Vortrag über Anlage 
eines ökonomiſchen Lehrinſtituts in Schleſien, in Bezug auf die in der ſchleſiſchen Chronik 
an die Section dieſerhalb kürzlich ergangene Aufforderung von dem Secretair d. S., und 
dergleichen mehr. 


2) Wurden nachſtehende Modelle, alle, bis auf eins, aus der Sammlung der 
Königl. Univerſität, vorgezeigt, als: die Modelle des Kainziſchen und Zugmayer ſchen 
Pfluges aus Prag und Wien, und einer Verbeſſerung des erſtern aus dem Glatziſchen; 
eines Baieriſchen Ziehbrunnens; einer Brückenwaage; eines Naſſauer Wieſenbeils und 
Wieſenſpatens; der neuen fahrbaren Dreſchmaſchine, und der Stubenmangel des Herrn 
Mechanikus Schulz junior hierſelbſt; der Wallisfurther Eckenraufe, der hydrauliſchen 
Preſſe, (vom Herrn Univerſitäts— Mechanikus Pinzger vorgezeigt). 


3) Wurden an Naturalien: natürliche Exemplare der ſehr empfohlenen Qua— 
dratwicke, Lathyrus sativus albus, desgleichen vom Chenopodium Quinoa, von der 
Rohan-Kartoffel und von der peruvianiſchen Kartoffel, letztere vom Herrn Kaufmann 
und Handelsgärtner Monhaupt junior hier in dieſem Jahre erbaut, fo wie Saamen— 
proben von Laybacher Winterlein und der engl. Chevalier-Gerſte vorgelegt. Ferner und 


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4) wurde auch ein vom Secretair der Section ſeit dem Jahre 1800 auf ſeinen 
Reiſen und ſonſt geſammeltes Kabinet von einigen funfzig Proben von Zucker, 
rohem und raffinirtem, und auch von Syrup aus Ahornſaft, Runkeln und Kartoffeln 
vorgezeigt, wie ſie namentlich von Lampadius in Freiberg zuerſt 1800, dann ſpäter von 
Achard in Cunern und Herrn Baron v. Koppy in Krayn in den Jahren 1810 — 1812, 
dann vom Herrn Apotheker Erler bei Breslau und dem Herrn Grafen v. Magnis in 
Eckersdorf in den Jahren 1826 — 37, vom Herrn Kammerrath Nathuſius in Althal— 
densleben aber im Jahre 1817, und in neueſter Zeit an mehreren Orten in Schleſien, 
Pommern, Böhmen, Polen, Galizien, aus Runkeln und Kartoffeln gemacht worden, 
aus Ahornſaft bereitet aber im Jahre 1811 in Wien vom Baron von Jacquin ihm zu— 
gekommen ſind. | 

Der Secretair hat ſich gefreut, auch bei jeder Sitzung mehrere der neueften Hefte 
und Blätter von Schriften und Journalen der 12 — 14 auswärtigen landwirthſchaft— 
lichen Vereine und Geſellſchaften vorlegen zu können, die noch immer fortfahren, dieſelben 
pünktlich einzuſenden, obgleich die Section, außer der jährlichen General-Ueberſicht der 
Geſammtarbeiten der ganzen Geſellſchaft, ihnen kein Gegengeſchenk machen kann, und ſie 
blos auf die Berichte über die in ihren Sitzungen vorgekommenen Verhandlungen verwei— 
ſen muß, die der Secretair der Section auch dies Jahr wiederum in dem unter ſeiner 
Mitwirkung von den Herren Schweitzer und Schubarth in Leipzig herausgegebenen Uni— 
verfalblatte der Landwirthſchaft mitgetheilt hat. 

In der letzten oder December-Sitzung ward auch die Wahl des Secretairs für die 
neue Etatszeit 1838 — 1839 vorgenommen, und fiel wiederum auf den bisherigen, 
der ſich auch bereit erklärte, fie anzunehmen, und ſomit das 26ſte Jahr dieſer feiner 
Amtsführung beginnt. 


Vom Secretair der pädagogiſchen Section, Herrn Senior Berndt, kam folgender 

kurzer Bericht ein: 
Die pädagogiſche Section 

hat ihre ſtille Thätigkeit in zehn Verſammlungen auch in dem abgeſchloſſenen Jahre fort— 
geſetzt, und wird in dem gedruckten Jahresberichte eine ausführliche Darſtellung ihrer 
Verhandlungen mittheilen. Die, von der Section veranſtaltete, Sammlung ſchleſiſcher 
Schulſchriften iſt durch Geſchenke der Herren Lehrer Adel, Senior Berndt, Inſpektor 
Dr. Francolm, Rektor Reiche, Profeſſor Stenzel und Profeſſor Wimmer um 
51 Nummern vermehrt worden, und zählt jetzt 534 Nummern in 11 Bänden, welche 
der Bibliothek unſerer Geſellſchaft einverleibt ſind. — Der bisherige Secretär iſt auch 
für die Etatszeit 1838 — 39 wiederum gewählt worden. 


Ueber die diesjährige Thätigkeit der hiſtoriſchen Section berichtet Herr Geheime 
Archiv-Rath Prof. Dr. Stenzel, als Secretair der genannten Section, Folgendes: 
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Die hiſtoriſche Section 
verſammelte ſich in dieſem Jahre fiebenmal. 


Folgende Vorträge wurden gehalten: 


Herr Konſiſtorial-Rath Menzel las ein Stück aus feiner Geſchichte des dreißig⸗ 
jährigen Krieges, die Zerſtörung Magdeburgs betreffend, vor. 

Herr Profeſſor Kuniſch gab 1) eine Darſtellung der innern Zustände Schleſiens 
im 12ten, 13ten und 14ten Jahrhunderte; 2) beurtheilte er den hiſtoriſchen Werth des 
vom Profeſſor Bozek herausgegebenen: Codex diplomaticus et epistolaris Moraviae, 
und knüpfte daran einige topographiſche Mittheilungen über den Gute-Graupe-Thurm 
in der Breslauer Neuſtadt und deſſen bevorſtehende Zerſtörung. 

Der Herr Geheime Hofrath Dr. Zemplin las einen Aufſatz vor über die älteſte 
Geſchichte der ſchleſiſchen Mineralquellen bis zum Jahre 1600. 

Der Herr Juſtiz-Rath Scholz ſprach über die Urſachen der Entſtehung und Ver— 
breitung des Hexenglaubens, und gab intereſſante Einzelnheiten aus Hexen-Prozeſſen in 
Coesfeld und Neiſſe an. 

Der Secretair erzählte 1) die Geſchichte des Krieges des großen Kurfürſten gegen 
Schweden in den Jahren 1675 bis 1679, theilte 2) Nachrichten aus ungedruckten Quel⸗ 
len über die geſchichtlich bisher wenig bekannten Burgen Rommesberg und Reczen mit, 
und forderte Stens, indem er nachwies, was in anderen weit kleineren Ländern für vater— 
ländiſche Geſchichte geſchehen ſei, auf zum engern Aneinanderſchließen derjenigen Mitglie— 
der, welche für dieſe in irgend einer Art etwas thun können und wollen, weil damit die 
hiſtoriſche Section der Mittelpunkt zur Anregung und Unterſtützung der Beſtrebungen 
zur Förderung der vaterländiſchen Geſchichte werde. 

Der bisherige Secretair wurde auch für die nächſte Etatszeit wieder gewählt. 


Ueber 
die Section für Kunſt und Alterthum 


hat der Secretair derſelben, Herr Medicinal-Ratl h Dr. Ebers, nachſteheſſpen Bericht 
eingeſandt: 


Es iſt bereits in unſerem vorigen Berichte angemerkt worden, welchen Umfang in 
gegenwärtiger Zeit die Kunſt⸗Ausſtellungen genommen haben und immer mehr nehmen 
werden, ſo zwar, daß dieſelben nun zu einem umfaſſenden Geſchäfte herangewachſen und 
die größten Verantwortlichkeiten herbeizuführen im Stande ſind. In Folge des Be— 
ſchluſſes der Kunſt-Section, d. d. den 14. Juni 1836, die Ausſtellungen nicht ſpäter, 
als zur Zeit des Wollmarktes ſtattfinden zu laſſen, wurden die Verhandlungen ſchon in 
Berlin im Oktober des eben genannten Jahres fortgeſetzt, und man vereinigte ſich über 
die Grundſätze der Gegenſeitigkeit, welche man bei allen Vereinen zu befolgen für uner— 
läßlich erachtete. 


— 11 


Zu Ordnern det Ausſtellung wurden die Herren Baron von Stein, Präſes der 
Geſellſchaft, der Dr. Kahlert, Maler Herrmann und der Dr. Ebers ernannt. 
Die Kunſt⸗Ausſtellung dieſes Jahres war, namentlich, was die Zahl der Kunſt— 
Gegenſtände anbelangt, die reichſte, welche in unſerer Stadt jemals geſehen worden iſt; 
ſie war ſo reich, daß ſie der bedeutend erweiterte Raum der ſchleſiſchen Geſellſchaft nicht 
aufzunehmen im Stande geweſen wäre; man war alſo genöthiget — wie derſelbe Reich— 
thum es auch an andern Orten geboten hatte — die Ausſtellung in zwei Hälften zu thei— 
len, und in der Mitte des Juni einen Theil nach Poſen abgehen zu laſſen, während bei 
uns ein neuer, von Stettin eingetroffener Transport von Kunſtſachen ausgeſtellt wurde; 
es war mithin dafür geſorgt, daß dieſer große Reichthum nicht erdrückend wurde, und daß 
die Kunſtfreunde einen wirklichen Genuß von den ausgeſtellten Werken haben konnten. 

Was das Geſchäft ſelbſt betrifft, fo war daſſelbe allerdings höchſt ſchwierig gewor— 
den, und nahm die ganze Aufmerkſamkeit der mit demſelben beauftragten Mitglieder in 
Anſpruch. Und noch iſt der Schluß deſſelben nicht erfolgt, da die gegenſeitige Rechnungs— 
legung der öſtlichen Vereine bis daher nicht zum Schluſſe hat gebracht werden können, 
obwohl wir unſere Rechnungen längſt unſerm General-Bevollmächtigten eingereicht haben. 
Leider müſſen wir im Voraus hinzufügen, daß die Koſten in gleichem Verhältniſſe mit 
dem Reichthume der ausgeſtellten Kunſtſachen geſtiegen find, und nach einer nur aproxi— 
mativen Berechnung 2000 Thaler betragen könnten. 

Die Zahl der ausgeſtellten Kunſtſachen im Jahre 1835 betrug etwa 450 Num— 
mern, während dieſelbe im Jahre 1837 bei weitem das Doppelte überſtieg. Mehrere 
im Kataloge: 

„Verzeichniß der Kunſtſachen und Gegenſtände höherer Induſtrie, welche von der 

Kunſt⸗Section der ſchleſiſchen vaterländiſchen Geſellſchaft und von dem Breslaui— 

ſchen Künſtler-Verein in den Sälen der ſchleſiſchen vaterländiſchen Geſellſchaft vom 

28. Mai bis Anfang Juli 1837 aufgeſtellt worden, fünf Auflagen,“ 
verzeichnete Gegenſtände waren hier nicht angelangt, wogegen ſich im Verlaufe der Aus— 
ſtellung ſelbſt eine Anzahl anderer, früher nicht angemeldeter Kunſtſachen einfanden. 


Im Beſonderen ergaben ſich folgende Reſultate: 
Ausgeſtellt waren: 
I. Gemälde und Zeichnungen. 
1) Hiſtoriſche Gemälde (hierunter 14 liel nn e ee MOB 


2) Landſchaften (eilf Sera) Aue . e 21 
3) Marinen , EEE Anne or 8 
4) Architekturen. r 


5) Genre-Gegenſtände (9 Kopien) , 3 srl DAT re 


6) Militairiſche Gegenſtändee 
7) Jagdſtücke . ee 
8) Thier- und Viehſtücke 1 
9) Stillleben, Blumen, Bruheftüde h Rah 
10) Portraits. „ 
11) Bildwerke, einſchließlich eine Kork⸗ Arbeit 


II. Hierzu traten noch: 
12) Kupferſtiche und Lithographien 
13) Atlaſſe und Panoramen 


14) Stickereien, Teppiche und andere weibliche Kunſt⸗ Arbeiten 
15) Künſtliche Wachsblumen . 


16) Porcellan-Arbeiten (hierunter auch mehrere eehte Gemälde), su 2 


der Pupkeſchen Manufaktur . 

- 77): Superne pong, are... 
18) BroncesArbeiten . . . „ 
19) Kunſtvolle Waffen und Feuer: Gewehre Fr 
SO Ellenaupe Arbeiten 27.0 0 
he as A re BER yet 
22) Maſchinen . Wee, 
23) Meteorologiſche Inſtrumente : 


+ + + + 


* + + + 


24) Goldene Rahmen und Proben debe (us der Mauufaktur ben arsch 


und Melzer) . . 
25) Kammmacher-Horn⸗ Arbeiten 33 
26) Buchbinder-Arbeiten . 


+ + + * + “ 


27) Modelle, meift landwirthſchaftliche, aus der Sammlung der Königl. Uni⸗ 


verſität (mitgetheilt durch Herrn . e Wir! Dr. d 
28) Kunſtvolle Linnen-Arbeiten l 


29) Proben ſchleſiſcher Zucker . b n 


* 


Summa 


d M O 


do QUO do dd INN 


986 


Die Bildwerke, Gemälde, Zeichnungen und andere Kunſt-Arbeiten rührten von 


408 verſchiedenen Meiſtern und Verfertigern her. 


Von den ausgeſtellten Sachen wurde verkauft für die Summe von 716 / Fries 
drichsd'or und für 595 Rthlr. 20 Sgr. in Courant, welches, in Silbergeld verwandelt, 
einen Betrag macht von 4566 Rthlrn. 25 Sgr. Der ſchleſiſche Kunſt-Verein nahm an 


dieſen Einkäufen mit 2250 Rthlrn. und Privatperſonen mit 2316 Rthlrn. Theil. 


Dieſe 


Berechnung iſt indeſſen nicht ganz vollſtändig, und eher höher als niedriger anzunehmen, 


RN .. — 


beſonders aus dem Grunde, weil die Ankäufe von Privatperſonen, und namentlich in 
Bezug auf mehrere Gegenſtände höherer Induſtrie, niemals ganz klar ermittelt werden 
können; nach ungefährer Schätzung dürften ſich die Ankäufe auf die Summe von 
5000 Rthlr. belaufen. Hierzu wären noch die Ausgaben des ſchleſiſchen Kunſt-Vereins 
zu rechnen, die er vor der Ausſtellung gemacht; z. B. den Stich des Diploms für ſeine 
Mitglieder u. ſ. f., die ſich auf mehrere hundert Thaler belaufen, und anzumerken: daß 
die trefflichen Arbeiten von Siegert und die großen hiſtoriſchen von Herrmann, ſo 
wie mehrere Kunſt-Arbeiten von Schleſiern, ebenfalls vor der Ausſtellung verkauft und 
uns für dieſe mitgetheilt worden waren, wodurch ſich für den Verkehr wohl noch 
1000 Rthlr. berechnen laſſen würden. 


Die Einnahme, welche die Ausſtellung brachte (ſiehe auch weiter unten), betrug an 
Entrée 2413 Rthlr., und zwar für die Geſellſchaften 2342 Rthlr. und für die Armen 
71 Rthlr., während ſich die Einnahme im Jahre 1835 für die Geſellſchaften 1676 Rthir. 
21 Sgr. 6 Pf. und für die Armen 30 Rthlr. 15 Sgr., mithin auf 1707 Rthlr. 6 Sgr. 
6 Pf. beliefen. In dieſem Jahre ſtellte ſich alfo ein Plus von 605 Rthlrn. 23 Sgr. 
6 Pf. heraus. Hierbei iſt nicht außer Acht zu laſſen, daß ſämmtliche Künſtler und deren 
Schüler, ſo wie die Mitglieder der ſchleſiſchen vaterländiſchen Geſellſchaft, die des ſchle— 
ſiſchen Kunſt-Vereins und des Breslauer Künſtler-Vereins zu den Ausſtellungen freien 
Eintritt hatten. Dieſe Erfolge ſind allerdings durch die großen Koſten der Ausſtellung, 
wenn auch nicht getrübt, doch vermindert, wie bei der ſpeciellen Rechnungslegung gezeigt 
werden wird. 


Als ferner für das Fortſchreiten künſtleriſcher Beſtrebungen geeignete und bewei— 
ſende Erſcheinungen müſſen wir, außer dem zahlreichern Beſuche der Ausſtellung, auch 
die wirkliche Benutzung derſelben und die gute Wirkung auf viele der beſuchenden Künſt— 
ler und Schüler derſelben rühmen; ſo große Beiſpiele haben vielfach den Sinn für die 
Studien geweckt, und man hat in der früheſten Tageszeit, wie am Abend, und wenn die 
Säle der Beſchauung noch nicht geöffnet waren, immer Künſtler in denſelben geſehen, 
welche dort ihre Studien machten. 


Wichtig in der äußern Erſcheinung war auch die Art der Produktivität in den aus— 
geſtellten Kunſtſachen; man ſahe mehr als ſonſt hiſtoriſche oder doch dieſem zugewendete 
und verwandte Gemälde; vorzüglich dann: ausgezeichnete Genre-Bilder und treffliche 
Landſchaften, überall das Studium der Natur vorleuchtend und die beengende Bahn des 
konventionellen Strebens verlaſſend; ſo fanden ſich ungewöhnlich wenig Portraits, 
und unter dieſen wenig ganz verfehlte; ganz untergeordnete Bildniſſe haben wir gleich 
ausgeſchloſſen. Die Auswahl trefflicher Lithographien und Kupferſtiche aus der neueſten 
Zeit war bedeutend, und wir wurden bei Ausſtellung dieſer durch Kunſtfreunde, beſonders 
aber durch die Kuſthandlungen der Herren Cranz, Karſch und Sommerbrodt, 
freundlich unterſtützt. 


14 — 


Endlich müſſen wir erwähnen, daß wir einzelne Gegenſtände der höheren Induſtrie 
von Werth ausſtellen konnten, obwohl dieſer Zweig im Ganzen ſehr ſparſam bedacht ge= 
weſen iſt; zu dieſen gehören die Arbeiten in Silber und Neuſilber, in Eiſen, in Por: 
zellan und in Gold-Rahmen. 

Für dieſen Bericht werden dieſe Andeutungen ausreichen, und es bleibt nur noch 
übrig, die Rechnung über das Ganze abzulegen, wie weit dieſes nämlich möglich if ehe 
und bevor die Rechnungen der übrigen Vereine abgeſchloſſen worden ſind. 


Ueberſi ch 


des Kaſſen⸗Beſtandes nach der Aft Hat bis zum 14. November 


1837. 
| Einnahme. ae 
Für Einlaß und verkaufte VBerzeihnife qq 2342166 
Ausgabe 

An die allgemeine Kaffe zur Miethe ein Fünftheil .. 468 15 3 
} Für Druckkoſten % „ „% „% T „ ai 232 1 5 
7) cheiten N u u % ee 982 11 

„Frachten und SLABEPOTIEOfIeN . . . . ui. 0 ne eo 597 23 
= Auffiht, Bedienung, Kaſſenverwaltung . ae 227 4. — 
„Ankauf und gg r W as 190 5 — 
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pf; Rene © Sn EN ae a een 7 — 3 
hn, . RN un \e 19| 11 | 4 
ba =» Zach SEE arg ge At re 


Gleichung. 
Einnahme .. . 2342 Rthlr. 16 Sgr. 6 Pf. 


er Her se 
bleiben Beſtand 306 Rthlr. 20 Sgr. - Pf. 5 
davon erhält die Kunft-Section die Hälfte mit „ae 3 10% . 
e 5» dor era ae enahide: 153 10 — 


0 


An dieſer Stelle erwähnen wir auch des Geſchenkes oder vielmehr der Ueberweiſung 
von 45 Gemälden, welche die Huld Sr. Majeſtät des Königs uns anvertraut hat. Dieſe 
Gemälde, aus der Sammlung des Königlichen Muſeums in Berlin, ſind uns, wie meh— 
rern andern Provinzen, übergeben worden, um die Kunſtbeſtrebungen in unſerer Stadt 
und Provinz zu unterſtützen. 

Aus den oben angeführten Ueberſchüſſen von 153 Rthlrn. 10 Sgr. wurden die 
Koſten der Verpackung dieſer Gemälde und der Frachten entnommen, welches eine Aus— 
gabe von 107 Rthlrn. 16 Sgr. 6 Pf. betragen hat; es find alſo von der eben gedach— 
ten Summe nur noch 45 Rthlr. 23 Sgr. 6 Pf. übrig geblieben. 


Die gedachten Gemälde, größtentheils den italieniſchen Schulen angehörend, haben 
zumeiſt ein hiſtoriſches Intereſſe, und gehören der Zeit vom 14ten und 15ten Jahrhun— 
dert, einige dem 16ten an, und nur wenige dem 17ten, mehrere werden auch den Künſt— 
lern als Studien dienen können. 


Die Abtheilung für die Kunſt hat im allgemeinen Intereſſe die Einfaſſung mehre— 
rer dieſer Bilder in Rahmen und die Reinigung mehrerer derſelben auf ihre Koſten über— 
nehmen müſſen. 

Außer dieſen Gemälden hat der ſchleſiſche Kunſt-Verein das von ihm für 69 Frie— 
drichsd'or erkaufte Gemälde von Zimmermann: „Chriſtus und die Jünger von 
Emaus,“ der Sammlung unſerer Geſellſchaft gewidmet, wodurch dieſelbe ein treffliches 
Gemälde erworben hat. Für die Kunſtſammlung wurden ferner erworben: die Denk— 
male der architektoniſchen Alterthümer im preußiſchen Antheil von Sachſen, die gräflich 
v. Raczinsky'ſchen Werke über die neuere deutſche Kunſt, und — als Geſchenk des Be— 
ſitzers — der Kunſt-Katalog des Herrn Baron Speck v. Sternburg. 


Wir hoffen, daß ſich die Sammlungen der Geſellſchaft durch Beiträge von Freun— 
den der Kunſt fort und fort vermehren ſollen. 


Nach uns, Seitens der übrigen Vereine, und unſers General- Bevollmächtigten, 
Herrn Juſtiz-Rath Remy, gewordenen Mittheilungen, dürfen wir erwarten, auch in 
dieſem Jahre den Freunden der Kunſt eine Anzahl vorzüglicher Gemälde vorſtellen zu 
können. a 

In der Schlußſitzung der Kunſt-Abtheilung vom 9. December wurden die Secre— 
taire derſelben, Medicinal-Rath Dr. Ebers und Dr. Kahlert, aufs Neue gewählt. 


Die Haupt-Rechnungslegung der Kunſt-Section, entworfen von unſerm Kaſſirer, 
Herrn Kaufmann Milde, befindet ſich hinter der allgemeinen Rechnung der ſchleſ. Ge— 
ſellſchaft; die für die Kunſt-Ausſtellung iſt (ſiehe oben) beſonders vorgelegt worden. 


Ueber die diesjährige Thätigkeit der techniſchen Section iſt von dem Geheimen 
Commercien-Rathe Oelsner folgender Bericht erſtattet worden: 


a ie 


In der techniſchen Section 


fanden in dem verfloſſenen Jahre neun Verſammlungen ſtatt, in welchen folgende Vor— 
träge, theils über Gegenſtände aus dem Gewerbeweſen, theils über ſo vieles damit Zu— 
ſammenſtimmende und dahin Einſchlagende, gehalten wurden: 

Herr Kaufmann Milde ſprach über den hydrauliſchen Kreiſel und deſſen neueſte 
Anwendung von Fourneyron. 

Der Geheime Commercien-Rath Oelsner hielt einen Vortrag über Technologie, 
worin er dieſelbe als die Wiſſenſchaft darſtellte, welche alle in den techniſchen Gewerben 
vorkommende Verarbeitungsakte zergliedere, und zeige, wie die Gegenſtände der Natur 
bearbeitet und in ihren verſchiedenen Stoffen mit einander verbunden werden, um gewiſſe 
beabfichtigte Zwecke hervorzubringen. Er ging, nachdem er den allgemeinen Begriff der 
Technologie feſtgeſtellt, zu der ſpeciellen über, wo er mehrere Gegenſtände, den Gewerbe— 
betrieb betreffend, genau auseinanderſetzte. 

Einen zweiten Vortrag hielt Derſelbe über die Fabrikation des Theers, Pechs und 
des damit verwandten Steinkohlentheers, zum Behuf der Dorn'ſchen Dachdeckung, des 
Chauſſeebaues und der Kanäle, zu welchen beiden letztern daſſelbe vorzüglich in England 
angewendet werde. | 

In einem dritten Vortrage unterfuchte er die Frage: Was ſagt uns die altefte Ge— 
ſchichte Schleſiens über das Entſtehen und die Bildung der Innungen und Zünfte, und 
was waren die Wirkungen deſſelben in dieſer Zeit auf das geſammte Gewerbeweſen? 

In einem vierten Vortrage, welchen Derſelbe beim Wiederbeginn der Verſamm— 
lungen in dem gegenwärtigen Winter-Semeſter hielt, ſprach er über den eigentlichen 
Zweck dieſer Section, und welche Gegenſtände vorzüglich von den Mitgliedern zu bear— 
beiten wären, um recht nützlich auf das Gewerbeweſen der Provinz einwirken zu kön— 
nen; und | 

in einem fünften Vortrage entwickelte Derfelbe die Thonerden, die vorzüglich im 
Gewerbeweſen im Gebrauche ſind, und beſtimmte daher insbeſondere den Charakter des 
Bolus, des Zimolith und der Walkererde, wo er von letzterer darſtellte, wie ſie, vermöge 
ihrer fetteinſaugenden Kraft, zur Hinwegnahme der Fettigkeit aus dem Tuche das Meiſte 
beitrage. 

Der Kammerherr Baron v. Forcade hielt einen Vortrag über die bisher in An— 
wendung gebrachten Materialien zur Deckung flacher Dächer in den nördlich gelegenen 
Ländern. 

In einer zweiten Verſammlung ſtellte Derſelbe eine Brückenwaage auf, von einem 
Breslauer Gewerbtreibenden verfertigt, und zeigte den Werth und die gute Einrichtung 
derſelben, wodurch ſie den im Auslande verfertigten nicht nachſtehe. 

Herr Chemiker Duflos hielt einen Vortrag über die Schwefelſäure, als ein 
Haupthülfsmittel für die Technik. 


— 17 —— 


In einer andern Verſammlung trug Derfelbe einen vom Herrn Apotheker Preuß 
zu Bolkenhain eingeſandten Aufſatz: Ueber die Verbindung des Oxygens mit Waſſer 
und einige Wirkungen dieſer Verbindung, insbeſondere auf das Schnellbleichen der Lein— 
wand, vor. 

Außerdem hieit Herr Chemiker Duflos noch in der Schlußverſammlung dieſes 
Jahres einen Vortrag über das Chlor und einige ſeiner Verbindungen in techniſcher Be— 
ziehung, welchen er durch Experimente erläuterte. 

Noch hatte die Section das Glück, in dieſem Jahre von den hohen Miniſterien der 
Finanzen und des Kultus einige huldreiche Schreiben über ihre Wirkſamkeit zu erhalten; 
zugleich waren dieſelben von einer Unterſtützung zur Anſchaffung von Reagentien bei che— 
miſchen Verſuchen und Unterſuchungen, ferner zu Modellen, Muſtern und Zeitſchriften 
techniſchen Inhalts begleitet. Wir erkennen dieſe gütigen Geſchenke mit dem ergebenſten 
Danke, indem wir ſie als die Wirkung, alles Gemeinnützige auf alle Art zu befördern, 
von Einem hohen Miniſterio der Finanzen, und dem daſſelbe dirigirenden Herrn Staats— 
Miniſter von Alvensleben Excellenz, ſo wie von Einem hohen Miniſterio des Kultus 
und dem daſſelbe dirigirenden Herrn Miniſter Freiherrn von Altenſtein Excellenz, 
dankbar anſehen, und uns ihres fernern Schutzes würdig zu machen bemüht ſein werden. 


Die ſonntägigen Zeichnenſtunden des Herrn Magiſter Mück e beſuchten: 
10 Formſtecher, 
1 Buchbinder, 
1 Tiſchler, 
1 Schloſſer, 
1 Zuckerbäcker, 
1 Gelbgießer, 


überhaupt 15 Lehrburſchen. 


Von dem Herrn Muſik-Direktor Mo ſewius, als Secretair der muſikaliſchen 
Section, iſt nachſtehender Bericht über die diesjährige Thätigkeit der genannten Abthei⸗ 
lung eingegangen: | 
Die muſikaliſche Section 


hat im verwichenen Jahre ſechs Sitzungen gehalten. In der erſten Verſammlung, am 
17. Januar, hielt Herr Dom-Kapellmeiſter Hahn einen Vortrag über den ehemaligen 
und heutigen Zuſtand des Muſikweſens in den katholiſchen Pfarrkirchen Breslau's. Die 
Abhandlung gab im erſten Abſchnitte eine Ueberſicht der Muſik-Anſtalten für die katho— 
liſchen Pfarrkirchen Breslau's, während des Zeitraumes von 1792 bis zur Säkulariſation 
1810. Als vorzügliche, die Kirchenmuſik fördernd, und mit hinreichenden, ſelbſt glän— 
zenden Mitteln unterſtützend, wurden genannt: 1) das reiche Auguſtiner-Stift auf dem 
Sande. Es beſoldete 14 Muſiker, 2 Organiſten und 6 Sängerknaben, unter der Auf— 
| 3 


PU EEE 


ſicht eines Präfekten; junge Studirende unterſtützten die Muſik; die älteren Muſiker 
erhielten 60 Thaler, die jüngeren 40 Thaler jährliches Gehalt, die Schüler Wohnung 
und Koſt unter zweckdienlicher Aufſicht. Die Oberaufſicht des geſammten Muſikweſens 
führte der Pater regens, welcher auch die Muſik bei den Aufführungen ſelbſt leitete. 
Unter ſeiner Aufſicht ſtand eine zum Stift gehörende muſikaliſche Bibliothek, und unter 
ihm war noch ein Chor-Rektor angeſtellt. 2) Das Prämonſtratenſer-Stift zu St. 
Vincenz hielt 12 Muſiker, 6 Knaben, einen Organiſten und einen geiſtlichen Regens. 
Die jungen Leute, welche die Muſik unterſtützten, erhielten freie Wohnung, Heizung und 
Licht. 3) Das Stift der Ordensritter mit dem rothen Sterne unterſtützte 30 bis 40 
junge Studirende; der Pater regens Gehirne machte ſich im erwähnten Zeitraume als 
tüchtiger Muſiker, Organiſt und Contrapunktiſt geltend. 4) St. Adalbert und St. Doro— 
thea hielten 10 Muſiker, 5 Knaben und eine unbeſtimmte Anzahl Studirender; an beiden 
Kirchen ſtand die Muſik ebenfalls unter einem geiſtlichen Regens. 5) Die Stiftskirche 
der Jeſuiten hielt 20 Freiſtellen im Convictorio für Studirende. — Der zweite Ab— 
ſchnitt ſchilderte die Periode der Säkulariſation bis jetzt. Profeſſor Zelter ordnete die 
Muſiken; ein Theil der muſikaliſchen Werke wurde nach Berlin genommen, ein anderer 
der hieſigen Bibliothek einverleibt. Bei jeder Kirche wurden, mit fixer Salarirung, 
2 Soprane, 2 Alte, 1 Tenor, 1 Baß, 4 Geiger, 1 Contrabaß, 2 Oboen, 2 Horniſten, 
1 Organiſt und 1 Balkentreter angeſtellt. Der Organiſt ſollte zugleich Regens Chori 
ſein; ſpäter wurde der erſte Geiger mit einer Gehaltszulage zum Regens befördert. Die 
Unterſtützung der Sängerknaben wurde aufgehoben, die Mädchen dadurch in die Kirchen— 
Chöre eingeführt. Zu St. Vincenz und St. Adalbert haben in der neueſten Zeit Herr 
Kanonikus Herber und Herr Pfarrer Cux ſich durch eigene Opfer den Beiſtand von 
Seminariſten erworben. — Im Verfolge wurden die Uebelſtände erwähnt, welche durch 
die Einladung von Gaſt-Sängern, noch mehr von berühmten Gaſt-Sängerinnen, bei 
großen Aufführungen zum Gottesdienſte entſtänden, dabei der ſchlechte Zuſtand der Or— 
geln geſchildert, und ſchließlich konkludirt, die Einrichtungen der frühern Periode ſeien 
für die Tonkunſt in den katholiſchen Kirchen bei weitem fördernder geweſen, als die der 
ſpäteren. 

In der zweiten Verſammlung am 7. März trug Herr Dr. Kahlert eine Abhand— 
lung: Ueber das muſikaliſche Element der Sprache, vor, und theilte zum Schluſſe aus 
einem Werke des Biographen Friedrichs des Großen, Preuß, einen Auszug über des 
großen Königs Kompoſitionen mit. 

In der dritten Verſammlung, am 12. Mai, wiederholte Herr Dr. Kahlert, auf 
beſondere Bitte des Secretairs der Section, ſeinen in der letzten General-Verſammlung 
der Geſellſchaft gehaltenen Vortrag: Ueber die italieniſche Oper im Anfange des 18ten 
Jahrhunderts zu Breslau, da eine bedeutende muſikaliſche Aufführung an jenem Abende 
die Mitglieder der muſikaliſchen Section verhindert hatte, dem intereſſanten Vortrage 
beizuwohnen. | 


6 — nn 


In Ermangelung von Vorträgen durch die Mitglieder felbft, welche, ungeachtet felbe 
von mehrern Seiten zugeſagt, bis dahin nicht eingegangen waren, trug der Secretair der 
Section in der vierten und fünften Verſammlung, den 17. und 24. Oktober, aus dem 
eben erſchienenen deutſchen Almanach eine Abhandlung von L. Rellſtab: Ueber den Zu— 
ſtand der Muſik in Deutſchland, vor. Die Abhandlung betrachtet alle Zweige 
der Tonkunſt: die Theater-, Kammer-, Kirchen-, Inſtrumental- und Virtuoſen-Muſik. 
Zum Schluſſe des Vortrages theilte der Secretair einige Bemerkungen über die Muſik— 
Aufführungen mit, welche zu Mainz bei der Aufdeckung von Gutenberg's Bildſäule ſtatt— 
gefunden hatten, und namentlich über das bei dieſer Gelegenheit aufgeführte Te Deum 
von der Kompoſition des als achtungs- und ehrenwerth bekannten Neukomm, vorzüg— 
lich über die Auffaſſung des Textes und ſeiner Behandlung als Militair- (eigentlich Pa— 
rade-) Muſik. Das Hervortreten fo ſeltſamer Kompoſitionen könnte befürchten laſſen, 
daß auch Deutſchland es aufgegeben habe, von einem höheren Standpunkte aus Kunſt— 
werke zu ſchaffen und zu betrachten; es iſt daher ein wahrer Troſt, daß die Abhandlung 
Rellſtab' 8, wenn wir auch nicht in allen Theilen ſeiner Anſicht beiſtimmen können, den— 
noch jene Furcht bannen hilft, und wenigſtens in einigen Richtungen der Kunſt ein höhe: 
res, edleres Leben unwiderſprechlich nachweiſt. 


Die ſechste Sitzung, am 5. December, wurde zum Vortrage einer Abhandlung des 
Secretairs der Section: Ueber den Kirchengeſang zur Reformationszeit, benutzt, und 
darin vorzüglich Luthers erſte, in der Ordnung deutſchen Gottesdienſtes zu Wittenberg 
um 1526 niedergelegte, ziemlich unbekannte Kompoſition der evangeliſchen Kirchengeſänge 
mitgetheilt. (Die Altar-Geſänge, Evangelien, Epiſteln und das deutſche Sanctus: 
„Jeſaia, dem Propheten, das geſchah.“) 

In der Einleitung des Vortrages wurde eine Abſchrift des Zeugniſſes vom churfürſt— 
lich ſächſiſchen Kapellmeiſter Johann Walther, Luthers Zeitgenoſſen, darüber, daß Luther 
die genannten Geſänge wirklich ſelbſt in Muſik geſetzt habe, vorgeleſen. Es ſteht in 
Praetorius Syntagma Musicum (Th. I, S. 447 — 453), und befindet ſich, nach 
Forkel's muſikaliſchem Almanach auf das J. 1784, S. 160, im Original-Manuſcript 
in der Albertiniſchen Bibliothek zu Coburg. 


Schließlich wurde zur Wahl eines Secretairs der Section für die künftige Etatszeit 
geſchritten; der bisherige Secretair wurde auch für dieſe erwählt, und nahm dieſe Wahl, 
mit der erneuerten Bitte um thätige Unterſtützung durch zahlreiche Beiträge, dankend an. 


Das Präſidium der Geſellſchaft 


hat ſich im Laufe dieſes Jahres achtmal verſammelt. Den wichtigſten Gegenſtand unſe— 
rer Sorgfalt bildeten die Angelegenheiten unſerer Bibliothek in Bezug auf ihre Einrich— 
tung, auf die Doubletten und auf die Anfertigung der e Verzeichniſſe. Die 


. 


diesjährige Kunſt-Ausſtellung und die uns von Sr. Majeſtät dem Könige anvertraute 
Bilderſammlung nahmen ebenfalls unſere Thätigkeit in Anſpruch. 

Im Laufe dieſes Jahres hatte das Präſidium zweimal die Veranlaſſung, die ſilberne 
Denkmünze, als eine Anerkennung und als ein freundliches Andenken an die Geſellſchaft, 
zu ertheilen. Dieſelbe erhielt Herr Dr. Elias Henſchel, das älteſte Mitglied der 
Geſellſchaft und einer ihrer Mitſtifter bei Gelegenheit feines 50jährigen Doctor = Zubi- 
läums, den 3. Januar dieſes Jahres. Die zweite dieſer ſilbernen Denkmünzen wurde 
dem Herrn Geheimen Hofrath Prof. Dr. Weber am 12. November überreicht, wo er 
den Tag ſeiner 25jährigen Wirkſamkeit als Secretair der ökonomiſchen Section unſerer 
Geſellſchaft feierte. 

Ueber den Kaſſen-Zuſtand iſt das Erfreuliche zu berichten, daß theils durch einige 
Erſparniſſe, theils durch einen ſehr zahlreichen Zutritt neuer Mitglieder, theils endlich 
durch das Hinzukommen des anſehnlichen Beitrags aus der Einnahme der Ausſtellung 
das im Laufe des vorigen Jahres, in Folge der neuen Vergrößerung und Einrichtung des 
Lokals, entftandene Deficit, in dieſem Jahre zum größten Theile wieder gedeckt wird. 


Wenn der Vermehrung unſers Kaſſenbeſtandes durch die Kunſtausſtellung Erwäh— 
nung geſchieht, fo wücden wir uns alle einer großen Undankbarkeit zeihen müſſen, wenn 
wir nicht die Bemühungen des Herrn Medicinal-Raths Dr. Ebers, ſowohl für das 
Beſte der Kunſt, als auch für das Beſte unſerer Geſellſchaft, mit den dankbarſten Ge: 
ſinnungen erkennen wollten. Wir wünſchen herzlich, daß Gott dieſem ehrenwerthen, um 
Schleſiens Kultur hochverdienten Manne noch lange die Kraft und die Freudigkeit in fei- 
nen Beſtrebungen erhalten möge! 


Die ueberſicht des Kaſſenzuſtandes iſt folgende: 


— 1 


Abfchluss 


der allgemeinen Kaſſe im December 1832. 


Effekten.] Courant. 


— — 
rthlr.ſgr.] pf. rthlr. ſgr.] pf. 
Met an e 8 ce center 2650 .. | 14625 5 
Einnahme. 
Zinſen von 2100 Rthlrn. ſchleſ. Pfandbr. pro Weih- 
. ͤA»Vb Era RE 42 
Zinſen von 450 Rthlrn. Staatsſchuldſch. pro Weih⸗ 
:. ß HF pa 
Zinſen von 2100 Rthlrn. ſchleſ. Pfandbr. pro Johanni 
F 00d EEE 
Zinſen von 450 Rthlrn. Staatsſchuldſch. pro Weih⸗ 
/// / / 8 8 
Eingegangene Beiträge und Eintrittsgelder. .. .. . 75 : 


Ein Fünftheil Einnahme der Kunſt-Ausſtellunnnng ... I 468|15| 3 


Ed 2650| . | . [207310] 8 


Div. Ausgaben des laufenden Jahres, incl. eingekaufte 
300 Rthlr. Staatsſchuldſcheine . 300. 1830156 


Dean Er na ne 11 a | | nd 2 


Bemerkung. 


Nachdem ſämmtliche Ausgaben des laufenden Jahres beſtritten worden, glaubte ich 
im Intereſſe der Geſellſchaft zu handeln, für den ungefähren Ueberſchuß von 300 Kthlrn. 
Staatsſchuldſcheine auf Effekten-Conto anzukaufen, da nicht mehr Zeit war, bei Einem 
hochlöblichen Prafidio deshalb anzufragen. 


Breslau, den 13. December 1837. C. Milde, 
z. 3. Kaſſen⸗ Direktor. 


AbfechInss 


der Kunſt⸗Seetions⸗Kaſſe im December 1837. 


Effekten.] Courant. 


— —— — — 5 


rthlr.ſgr.] pf. rthlr. sar. pf. 
ee 02.0 0 lekeln eie>a 1056|. |. 56 N 
Einnahme. 
Zinſen von 1000 Rthlrn. Staatsſchuldſcheine 2 Ter⸗ 
min Weihnachten 18890 „ ee e ee 
Zinſen von 1000 Rthlrn. Staatsſchuldſcheine pro Ter— 
Rh 0. 5 een ee 0, 20 . 


1050| . |. | 96 1910 


Ausgaben. 


An Tiſchler Simon für Tiſchler arbeit. 9119| 6 
An Gropius in Berlin für ein Muſeumm 5 
Für die Geſchichte der neuern Kunſt und Fortſetzung 

architekt. Alterthüm err mae 2615 
Für den Maler Stärker für Malerei per 18 Rthlr. 

/ an 9106. 
Für 100 Schilder an Pipenſtock in Sſerlohn rs 8110|. | 58 [246 

Be nn. HS Kill 
Breslau, den 13. December 1837. 
C. Milde, 


z. Z. Kaſſen⸗ Direktor. 


In dem Status der Mitglieder unſerer Geſellſchaft haben folgende Veränderungen 


Statt gefunden: 


— 283 — 


Im Laufe dieſes Jahres ſind vierzehn wirkliche einheimiſche und zwei wirkliche aus⸗ 
wärtige, und in der ganzen zweijährigen Etatszeit zuſammen vier und dreißig einhei— 
miſche und acht auswärtige Mitglieder aufgenommen worden. 

Die in dieſem Jahre hinzugetretenen ſind: 


A. Die wirklichen einheimiſchen: 
1) Herr Stadtrath und Ober-Syndikus Bartſch. 


2) — Oberlehrer Brettner. 
3) — Jiuſtizrath Dietrichs. 
4) — Curatus Görlich. 
5) — Dr. phil. und Privat-Docent Hildebrandt. 
6) — Licentiat der Theologie Kapellan Lange. 
7) — Chemiker J. M. Leidersdorff. 
8) — Kaufmann und Kunſtgärtner A. Mon haupt. 
9) — Ober- Landesgerichts-Präſident Oswald. 
10) — Juſtiz- und fürſtbiſchöflicher Konſiſtorial-Rath Scholtz. 
11) — Dr. med. Stern. 
12) — Regierungs- und Ober-Präſidial-Rath Storch. 


13) — Wundarzt erſter Klaſſe Weigert. 
14) — Pfarrer Weiß. 
B. Die wirklichen auswärtigen: 
1) Herr Gutsbeſitzer v. Walewsky, auf Parzymiechy bei Kaliſch. 
2) — Rittergutsbeſitzer v. Zezſchwitz, auf Girlachsdorf bei Reichenbach. 
C. Zu Ehren: Mitgliedern wurden aufgenommen: 
1) Herr Staatsrath Profeſſor Dr. Eichwaldt in Wilna. 


2) — Dr. med. Elias Henſchel in Breslau. 
3) — Hofrath und Leibarzt Dr. Hofer in Wien. 
4) — Baurath Langhans in Berlin. 


5) — Hauptmann Baron v. Vincke. 


D. Zu korreſpondirenden Mitgliedern wurden ernannt: 


1) Herr Dr. Corda, Cuſtos des böhmiſchen Muſeums in Prag. 

2) — Apotheker Grabowsky in Oppeln. 

3) — Profeſſor Dr. Korzeniewsky in Wilna. 

4) — Ober ⸗Stuhlmeiſter Kubinje in Ungarn. 

5) — Regierungsrath Baron v. Reibnitz in Poſen. 

6) — Stadtgerichts-Direktor Graf Schweinitz in Liebenthal. 


ann 


Ausgetreten ſind im Laufe dieſer Etatszeit: 
In der Hauptſtadt: 


1) Herr Lieutenant und Oekonomie-Kommiſſarius Bauer. 
2) — Juſtiz-Kommiſſarius Bolzenthal. 

3) — Kaufmann A. Lüſch witz. 

4) — Regierungs-Rath Scharfenort. 


Durch den Tod verlor die Geſellſchaft im Laufe dieſes Jahres: 
A. Wirkliche einheimiſche Mitglieder: 


1) Herr Wundarzt, Geburtshelfer und Vaccine-Inſtituts-Vorſteher Dietrich. 


2) — Gutsbeſitzer J. G. Korn. 

3) — Stadtrath und Buchhändler J. Korn. 
4) — Apotheker Krebs. 

5) — Stadt-Wundarzt Oelsner. 


6) — Profeſſor Prudlo. 
7) — Profeſſor Paul Scholz. 
B. Wirkliche auswärtige Mitglieder: 
1) Herr Pfarrer Kaluza, in Naſſiedel bei Fenn 
2) — Maler C. Schrötter. 
0, Ehren: Mitglieder: 
1) Herr Geh. Regierungs-Rath Bothe in Breslau. 


2) — Baron Audebert de Ferussac, Officier im franz. Generalſtabe in Paris. 
38) — Regierungs-Präſident Freiherr v. Lüttwitz, auf Gorkau bei Zobten. 


4) — Hauptmann v. Mückuſch in Troppau. 
5) — Aſſiſtenz-Rath Vater. 
D. Korreſpondirende Mitglieder: 


1) Herr Rathmann und Forſt-Inſpektor Bergemann in Löwenberg. 
2) — Hauptmann und Plankammer-Inſpektor Reymann in Berlin. 


Das Verzeichniß der Geſchenke, welche die Geſellſchaft im Laufe dieſes Jahres an 
Büchern und andern bemerkenswerthen Gegenſtänden erhielt, wird in der allgemeinen 


Ueberſicht zur öffentlichen Kenntniß gebracht werden. 


Zuwachs der Bibliotheken und Muſeen. 


Die Bibliotheken haben im Jahre 1837 einen Zuwachs von 803 Nummern erhal⸗ 
ten, wovon 728 der ſchleſiſchen Bibliothek, 75 aber der allgemeinen Bibliothek angehö— 
ren. Die Namen der Herren Geſchenkgeber, mit beigefügter Zahl der von denſelben 
geſchenkten Nummern, ſind, wie folgt: 


A. Bei der ſchleſiſchen Bibliothek: 


Der Breslauer Gewerbe-Verein 1 Nr., der Breslauer Künſtler-Verein 1 Nr., der 
Verein für Pferderennen und Thierſchau zu Breslau 2 Nrn., Hr. Studien-Direktor 
Prof. Dr. Becher in Liegnitz 1 Nr., Hr. Senior Berndt 39 Nrn., Hr. Medicinal⸗ 
Rath Prof. Dr. Betſchler 1 Nr., Hr. Regiments-Arzt Dr. Beyer in Ohlau 1 Nr., 
Frau Prof. Büſching 1 Nr., Hr. Dr. med. Burchard sen. 1 Nr., Hr. Privat⸗ 
Gelehrte K. Eitner 1 Nr., Hr. Dr. Friedländer in Berlin 1 Nr., Hr. Juſtizrath 
Grünig 1 Nr., Hr. Literat Herzel 1 Nr., Hr. Direktor Häniſch in Ratibor 
1 Nr., Hr. Prof. Dr. Hoffmann 35 Nrn., Hr. Dr. phil. Kahlert 1 Nr., Hr. 
Direktor Kawer au in Bunzlau 2 Nrn., Hr. Direktor Dr. Klopſch in Groß Glogau 
1 Nr., Hr. Direktor Prof. Körner ie Oels 1 Nr., Hr. Geh. Kriegsrath Kretſch⸗ 
mer in Anclam 1 Nr., Hr. Deſtillateur-Aelteſte und Vorſteher Kudraß 87 Nrn., Hr. 
Phyſikus Dr. Malik 1 Nr., Hr. Direktor Dr. Müller in Glaz 1 Nr., Hr. Kandidat 
Nowack 1 Nr., Hr. Dr. Ochmann in Oppeln 4 Nrn., Hr. Geh. Commercien⸗Rath 
Oelsner 1 Nr., Hr. Rekt. Prof. Reiche 2 Nrn., Hr. Curatus Dr. Sauer 2 Nrn., 
Hr. Direktor Prof. Dr. Schmieder in Brieg 2 Nrn., Hr. Direktor Prof. Scholz 
in Neiſſe 1 Nr., Hr. Dr. med. Scholtz 1 Nr., Hr. Prof. Schramm in Leobſchütz 
1 Nr., Hr. Ober-Regierungsrath Sohr 1 Nr., Hr. Buchhändler Sommerbrodt 
1 Nr., Hr. Oberſt-Lieutenant v. Strang 1 Nr., Hr. Lehrer Stütze 16 Nrn., Hr. 
Paſtor Thomas in Wünſchendorf 110 Nrn., die Königl. Univerſität zu Breslau 
36 Nrn., Hr. Hauptmann Baron v. Vincke 2 Nrn., Hr. Syndikus Walther in 
Sagan 218 Nrn., Hr. Forſt⸗Geometer Weber in Freiwaldau 1 Nr., Hr. Ober⸗Lan⸗ 
des⸗Gerichts-Referendarius Wiesner 38 Nrn., Hr. Direktor Prof. Dr. Wiſſowa in 
Leobſchütz 1 Nr., der Cuſtos der Bibliothek 8 Nrn., ein Ungenannter 1 Nr. | 


Gekauft wurden in dieſem Jahre für die ſchleſiſche Bibliothek 96 Nrn. 
| 4 


B. Bei der allgemeinen Bibliothek: 


Das Königl. hohe Miniſterium des Unterrichtes: Vorbilder für Handwerker, der 
landwirthſchaftliche Verein für das Großherzogthum Baden 1 Nr., der landwirthſchaft⸗ 
liche Verein im Königreiche Baiern 1 Nr., die k. k. patriotiſch⸗ökonomiſche Geſellſchaft 
im Königreiche Böhmen 3 Nrn., die k. k. mähriſch-ſchleſiſche Geſellſchaft zu Brünn 
2 Nrn., die k. preuß. techniſche Gewerbe-Deputation 1 Nr., die Nathuſiusſche Ge: 
werbe⸗Anſtalt zu Althaldensleben 1 Nr., der Gartenbau-Verein für das Königreich Han— 
nover 1 Nr., der Verein zur Beförderung der bildenden Künſte 1 Nr., der landwirth: 
ſchaftliche Verein für Kurheſſen 1 Nr., der landwirthſchaftliche Verein zu Marienwerder 
1 Nr., die meklenburgiſche Landwirthſchafts-Geſellſchaft 1 Nr., die k. preuß. märkiſch⸗ 
ökonomiſche Geſellſchaft zu Potsdam 2 Nrn., der Verein zur Beförderung des Garten— 
baues in den k. preuß. Staaten 1 Nr., der Verein zur Beförderung des Gewerbfleißes 
in Preußen 2 Nrn., der nieder- rheiniſche landwirthſchaftliche Verein 1 Nr., die ökono— 
miſche Geſellſchaft im Königreiche Sachſen 1 Nr., die kön. ſchleswig-holſtein-lauenbur⸗ 
giſche Geſellſchaft für die Sammlung und Erhaltung vaterländiſcher Alterthümer 1 Nr., 
die k. k. Landwirthſchafts⸗Geſellſchaft in Wien 1 Nr., der k. würtembergiſche landwirth— 
ſchaftl. Verein 1 Nr., der k. großbrittanniſche hannöverſche Gartenmeiſter Hr. Bayer 
1 Nr., die Herren Beer und Dr. Mädler in Berlin 1 Nr., Hr. Ober-Regierungs⸗ 
Rath Bothe 15 Nrn., Hr. Prof. Diebl in Brünn 7 Nrn., Hr. Chemiker Duflos 
1 Nr., Hr. Medicinal-Rath Dr. Ebers 2 Nrn., Hr. Prof. Dr. Glocker 2 Nrn., 
Hr. Prof. Dr. Göppert 2 Nrn., Hr. Oekonomie-Rath Gumprecht im Amte Oelſe 
1 Nr., Hr. Prediger Haupt in Görlitz 1 Nr., Hr. Prof. Dr. Hoffmann 1 Nr., 
Hr. Prof. Dr. Hünefeld in Greifswald 1 Nr., Hr. Dr. Kalina v. Jäthenſtein 
in Prag 1 Nr., Hr. Prof. Dr. Korzeniewski in Wilna 2 Nrn., Hr. Privatgelehrte 
Kuhnert 1 Nr., Hr. Dr. med. Lobethal 2 Nrn., Hr. Dr. Mädler in Berlin 
1 Nr., Hr. Mayer, fürſtl. ſchwarzenbergſ. Revident, 1 Nr., Hr. Privatgelehrte Pa: 
lazky in Prag 1 Nr., Hr. Diakon. Peſcheck in Zittau 2 Nrn., Hr. v. Pfaffenrath 
in Saalfeld 1 Nr., Hr. Rentamtmann Preusker in Großenhayn 2 Nrn., Hr. Prof. 
Dr. Ratzeburg in Neuſtadt-Eberswalde 1 Nr., Hr. Dr. Sachs in Berlin 2 Nrn., 
Hr. Dr. Schauer 1 Nr., Hr. Oberlehrer Dr. Schneider in Bunzlau 1 Nr., Hr. 
Dr. Simfon 1 Nr., Hr. Gutsbeſitzer Freiherr v. Speck-Sternburg auf Lützſchena 
1 Nr., Hr. General⸗Landſchafts-Repräſentant Baron v. Stein 1 Nr., Hr. Oberſt⸗ 
Lieutenant von Strantz 3 Nrn., Hr. Hauptmann Baron von Vincke 7 Nrn., Hr. 
Gutsbeſitzer von Wallenberg 1 Nr., Hr. Stadt-Phyſikus Dr. Weidner 1 Nr., 
Hr. Prof. Dr. Weiten weber in Prag 1 Nr., Hr. Geheime Medicinal-Rath Prof. 
Dr. Wendt 1 Nr., ein Ungenannter 1 Nr. | Ä | 


Durch Ankauf wurden neu erworben oder fortgeſetzt neun beſondere Werke. 


——— 


Die Chartenſammlung 
erhielt vom Hrn. Dr. Mädler in Berlin eine Nummer. 


Die Gemäldeſammlung 


erhielt vom ſchleſiſchen Kunſt⸗Verein ein Gemälde in Oel, von Zimmermann, Chriſtus 
mit den zwei Jüngern auf dem Wege nach Emaus. 


Die Mineralienfammlung 
wurde vermehrt durch Hrn. Kaufmann Scholtz um zehn Nummern, ſo wie durch Hrn. 
Prof. Heinrich und Hrn. Prof. Göppert, von denen der erſtere eine Anzahl thieri⸗ 
ſcher Petrefakten aus der Tertiär-Formation Mährens, letzterer vegetabiliſche aus der 
Steinkohlen-Formation Schleſiens einreichten. 


Herr Apotheker Grabowsky in Oppeln ſchenkte eine Sammlung der ſelteneren 
Pflanzen Oberſchleſiens und des Geſenkes. 


Schummel, 
3. 3. Cuſtos der Bibliotheken. 


Jetzt bitte ich die hochverehrten anweſenden Herren Mitglieder, zur Wahl des neuen 
Präſidiums für die künftige zweijährige Etatszeit zu ſchreiten. 


4 * 


Beribt 


uͤber 


die zii der naturwiſſenſchaftlichen Seetion der ſchleſiſchen Ge; 
ſellſchaft im Jahre 1837, 


von 


V. R. Göppert, 


zeitigem Secretair derſelbe n.) 


Die Section verſammelte ſich in dem verfloſſenen Jahre zu achtzehn verſchiedenen 
Malen, in denen folgende, je nach Erforderniſſe auch durch Experimente erläuterte, Vor— 
träge aus dem Gebiete der Aſtronomie, Phyſik, Chemie, n Petrefaktenkunde, 
Geographie, Zoologie und Phyſiologie gehalten wurden: 


I. A ſtro nomie. 


5 Hauptmann und Profeſſor Dr. von Boguslawſki theilte hierüber Fol— 
endes mit: 
5 1) Am 24. Mai berichtete Derſelbe über die Sternſchnuppen⸗ Beo bach— 
tungen, welche auf der hieſigen Sternwarte, in Folge einer Aufforderung des Herrn 
A. von Humboldt, um die Zeit der anſcheinenden Sternſchnuppen-Periode im No— 
vember v. J. angeſtellt worden ſind. 

Es hatten ſich ſeine ſämmtlichen Zuhörer und eine namhafte Zahl anderer Studi— 
render, welche ſich für dieſen Gegenſtand intereſſiren, zu dieſem Zwecke mit ihm vereinigt, 
mit dem geſtirnten Himmel noch recht vertraut gemacht, und den Entſchluß gefaßt, wäh— 
rend der vier Nächte, vom 11. bis zum 15. November, unter allen Umſtänden auf der 


) Da die Berichte über die Vorträge in einzelnen den hieſigen politiſchen Zeitungen beigegebenen 
Buͤlletins nicht mehr erſcheinen, und dadurch der Kaſſe der Geſellſchaft eine nicht unbedeutende 
Ausgabe erſpart wird, glaubte ſich der Secretair, im Intereſſe der Herren Mitglieder der Section, 
verpflichtet, in dem Haupt- Berichte ihre Original- Arbeiten in einer groͤßeren Ausdehnung, als 
fruͤher, mitzutheilen, um ſomit auch den auswaͤrtigen Freunden der Geſellſchaft einen anſchauli— 
cheren Begriff von der Thaͤtigkeit derſelben zu verſchaffen. Goͤppert. 


— 
— 29 


Sternwarte auszuharren, damit auch nicht der kleinſte günſtige Moment unbenutzt vor⸗ 
übergehen konnte. Ex | 

Das Dach des Univerſitäts-Gebäudes, welches auf beiden Seiten des Saales der 
Sternwarte nach ONO. und WSW. ſich hinzieht, trennte die Beobachter in zwei Haupt: 
abtheilungen. Auf der Nordſeite waren die 3 Fenſter nach NO., N. und NW. doppelt 
und dreifach beſetzt. Der Beobachter ſignaliſirte eine beobachtete Sternſchnuppe durch 
laute Angabe des Fenſters; der Poſten bei der Uhr von Kirchel notirte augenblicklich 
die Zeit bis auf die Secunde und die Weltgegend des Fenſters, und gab ohne Zeitverluſt 
laut die laufende Nummer der Sternſchnuppe auf dieſer Seite als Antwort zurück. 


In die Schreibtafel, die zu dem Beobachtungsfenſter gehörte, wurde dann ohne 

Säumen die laufende Nummer der Sternſchnuppe, Größe, beſondere Merkmale dabei, die 
Dauer ihrer Erſcheinung, der Lauf am Himmel und Name des Beobachters eingetragen, 
welcher ſich ſeiner Seits beeilte, die ſcheinbare Bahn des Meteors am Himmel auf die 
bereit liegende Sternkarte zu verzeichnen, und bei dem Endpunkte der Bahn, die durch 
eine Pfeilſpitze kenntlich gemacht wurde, die laufende Nummer zu ſetzen. 
Auf der Südſeite des Saales wurde an den drei Fenſtern nach SW., S. und SO., 
die eben ſo beſetzt waren, und von dem Poſten bei der Uhr von Gutkäs ein gleiches Ver— 
fahren beobachtet, wodurch es allein nur möglich ward, auch bei gehäuftem Erſcheinen die 
allermeiſten Sternſchnuppen ordentlich verzeichnen, und mit allen Nebenumſtänden noti— 
ren zu können. 

In der erſten Nacht vom 11ten zum 12. November war von 9 Uhr Abends bis 
gegen 4 Uhr Morgens der Himmel zwar anſcheinend heiter; dennoch wurden im Ganzen 
nur 40 Sternſchnuppen wahrgenommen und verzeichnet, alſo eine keinesweges ungewöhn— 
liche Zahl. 

Von dieſen wurden von hh 19m bis 12h 51 m, alfo in 3 St. 32 M. 15 beob- 
achtet; von 11 21m bis 3h 31m früh, mithin in 2 St. 10 M. 24, zuletzt um Ih 5m 
noch eine. An Helligkeit glich eine davon dem Jupiter, 6 einem Sterne erſter Größe; 
10 waren wie Sterne zweiter Größe und 23 noch kleiner. 

30 erſchienen auf der Nordſeite des Aequators, ja häufig ſehr nördlich, 4 zum Theil 
nördlich und ſüdlich, und nur 6 ganz ſüdlich von demſelben, doch ſo, daß 3 davon beim 
Aequator ihren Lauf begannen. 

Die Trübung des Himmels, welche gegen 4 Uhr Morgens ihren Anfang nahm, 
wurde den Tag über immer dichter, und verwandelte ſich zuletzt in völliges Regenwetter. 
Dennoch blieben in der Nacht vom 12. zum 13. November Alle, voll Eifers ausharrend, 
auf ihrem Platze, bis der anbrechende Morgen keine Beobachtung mehr geſtattete. 

Eben ſo hoffnungslos und gänzlich verhüllt zeigte ſich der Himmel auch in der Nacht 
vom 13ten zum 14ten. Von Viertelſtunde zu Viertelſtunde, ja in noch kürzeren Zeit— 
friſten, wurde der Himmel gemuſtert, ob ihm kein günſtiger Blick abzugewinnen ſein 


30 
— 0 


würde. — Da feierte endlich Beharrlichkeit und raſtloſer Eifer den ſchönſten vrlumph. 
Gegen 3 Uhr Morgens heiterte der Himmel ſich auf, und ſäumte auch nicht, den pracht⸗ 
vollen Anblick des erwarteten Feuerwerks darzubieten. 

Von 2h 56m an jagte ein feuriges Meteor das andere, fo daß die Aufzeichnung 
kaum ſchnell genug vor ſich gehen konnte. Sie waren größtentheils viel heller, als in 
der Nacht vom 11ten zum 12ten. Bis 50 56m wurden verzeichnet 4 fo groß und hell 
als die Venus, 13 vom Glanze des Jupiter, 33 wie Sterne erſter Größe, 46 wie 
Sterne zweiter, 42 kleinere und 8 ohne nähere Bezeichnung ihres Lichtglanzes, zuſam⸗ 
men 146. Zwölf hatten Schweife hinter ſich, wovon mehrere wie Sprühfeuer erſchie⸗ 
nen, deren Funken noch längere Zeit am Himmel ſichtbar blieben. | 


Die Haupt-Tummelplätze waren: 


1) ganz beſonders der Raum zwiſchen dem kleinen Bär durch den großen bis zum 
Haupthaare der Berenice; 

2) die Gegend um den Perſeus, die Caſſiopeja und Andromeda; und 

3) gegen Süden der Bezirk des Einhorns zwiſchen dem Kopfe der Waſſerſchlange, 
dem großen Hunde und dem Orion. 

Von dem Löwen ſelbſt gingen zwar nur wenige aus; allein wenn man ſich die auf⸗ 
gezeichneten Bahnen rückwärts verlängert dachte, ſo hatte es faſt den Anſchein, als wie⸗ 
ſen ſie meiſt auf die Gegend des Löwen hin. 

Lange, oder vielleicht noch nie, mag die Sternwarte ein ſo heiteres, frö hliches Trei⸗ 
ben geſehen haben! Mit inniger Luſt eilte Jeder, die gemachte Eroberung zu regiſtriren, 
und zurück auf den Poſten, um keine Gelegenheit zu neuen Triumphen zu verlieren. Eine 
laue Luft, gar nicht wie im November, wehte vom klaren, durchſichtigen Himmel herab. 
Vom Gipfel des Zodiacallichtes, welches, einer Pyramide gleich, am öſtl. Himmel 
heraufſtieg, glänzte das freundliche Licht des Jupiter hernieder; und dicht über dem— 
ſelben (es war gerade in derſelben Nacht die Zuſammenkunft beider Planeten) wie eine 
Purpurkrone der feurige Mars, gleichſam ein leuchtendes Symbol des Sieges über die 
Lichtmeteore, welche, Jupiters Donnerkeilen täuſchend ähnlich, nach allen Richtungen feinen 
Himmel durchſchwärmten. Das klare Silberlicht des Morgen ſterns vollendete dann 
das reizende Bild, welches noch lange in der Erinnerung derer fortleben wird, welche jene 
Nacht d der Wiſſenſchaft zum Opfer gebracht haben. — 

In der folgenden Nacht, vom 14ten zum 15ten, mußte das Haupt⸗Phänomen ſchon 
vorüber fein, weil im Laufe der ganzen Nacht, wenigſtens von 76 23m Abends bis 
5h 25m Morgens, bei größtentheils klarem Himmel, doch nur 142 Sternſchnuppen 
beobachtet und verzeichnet werden konnten. Sie folgten ſich auch weder fo raſch auf ein- 
ander, noch in ſo glänzender Geſtalt. 

Nur 2 erſchienen fo groß als die Venus, 5 wie Jupiter, nur 8 wie Sterne erſter 
Größe, 46 wie Sterne zweiter Größe, 73 wie dritter bis fünfter Größe, und endlich 8 


— 31 


ohne nähere Bezeichnung. Es zeigten ſich faſt unverändert dieſelben Hauptbezirke am 
Himmel, in der Richtung aber nicht eine ſo auffallende Regelmäßigkeit, als in der Nacht 
vom 13ten zum 14ten. al | 

Es ſcheint demnach, daß wir hier glücklicher geweſen find, als an vielen andern 
Orten, indem wir, wie man faſt glauben möchte, das Kommen, den Culminationspunkt 
und das Scheiden dieſer merkwürdigen periodiſchen Erſcheinung haben wahrnehmen und 
beobachten können. | | 

Obgleich ſich auch ſchon aus der Vertheilung der ſcheinbaren Bahnen dieſer Meteore 
noch eine Menge intereſſanter Folgerungen ableiten laſſen, ſo iſt doch die Ermittelung des 
durch Incandeſcenz uns ſichtbar gewordenen Theils ihrer wahren Bahn noch ungleich 
wichtiger. Daher war es zu wünſchen, daß auswärts gleichzeitig recht zahlreiche Beob— 
achtungen gemacht worden wären, und die Hoffnung geſteigert hätten, von mehreren An— 
fangs⸗ und Endpunkten die Parallaxen zu erhalten. 

Außer in Schleſien haben aber ſämmtliche auswärtige Beobachtungen, ſo weit ſie 
bekannt geworden ſind, wegen ganz verſchiedener Witterung, in dieſen vier Nächten nur 
zu ganz anderen Stunden gemacht werden können; in der Provinz aber ſind auf die 
durch öffentliche Blätter ergangene Aufforderung doch nur an drei Orten Beobachtungen 
angeſtellt worden. In der Nacht vom 11. zum 12. Novbr. zu Groß-Schottkau bei 
Canth unter 51° 3° Nordbreite 45,7 weſtlich von Breslau vom Herrn Baron Hugo 
von Rothkirch von 10h 58m Abends bis 2h Im Morgens 18 Sternſchnuppen; in 
der Nacht vom 13. zum 14. Nov. zu Groß-Sürchen bei Wohlau, 51° 17, Breite 
Im 18,05 weſtl. von Breslau, vom Hrn. Kandidat Jordan von 5h 15m bis 5h 30m 
Morgens 3 Sternſchnuppen; und in der Nacht vom 14. zum 15. Novbr. zu Liegnitz, 
51° 12,8“ Nordbreite Zu 30,4 weſtlich von Breslau, vom Herrn Profeſſor Keil von 
7h 20m bis 11h Abends 2 Meteore. | 

Unter dieſen Umſtänden iſt es als ein großes Glück zu betrachten, daß in der Nacht 
vom 11ten zum 12ten ſich zwei, in der vom 13ten zum 14ten ſich eine, und in der vom 
14ten zum 15ten ebenfalls eine Beobachtung als gemeinſchaftlich und zur Bahnbeftim- 
mung hinreichend erwieſen haben. 

1) Für den 11. Novbr. ergab ſich die Sternſchnuppe Breslau Nr. 16 erſter Größe, 
beobachtet um 14 21m von Herrn Maywald im kleinen Bären, Anfangspunkt: 220° 
gerade Aufſteigung, 77 nördliche Abweichung, Endpunkt: 244 gerade Aufſteigung, 70° 
nördliche Abweichung, identiſch mit Groß⸗Schottkau N. 15 im Drachen, Anfangspunkt: 
200° gr. Aufſt., 66° Abw., Endpunkt: 217° gr. Aufſt., 63° Abw. Hieraus fand 
ſich, nach Olber's Methode berechnet, der Punkt des Sichtbarwerdens des Meteors 
4,44 geogr. Meilen ſenkrecht über einem Punkte, / Meilen ſüdöſtlich von Sulau, der 
5,17 in Bogen öſtlich von Breslau unter 51“ 27,7“ Nordbreite liegt; der Punkt des 
Erlöſchens aber 3,08 geogr. Meilen hoch, über einem Punkte nicht weit von da, 1,87 
öſtlich von Breslau unter 51° 28,3 der Breite. Die berechneten Geſichtslinien gehen 


RA ERBEN 


beim Anfangspunkte nur um 0,08 Meilen, beim Endpunkte aber um 0,21 Meilen bei 
einander vorüber. Die Bahnlänge ergiebt ſich hieraus 1,49 Meilen. 

2) Eben ſo zeigte ſich am 11. November die Sternſchnuppe Breslau Nr. 22 erſter 
Größe, ebenfalls von Herrn Maywald, um Ah 4m, und auch im kleinen Bären von 
329° gr. Aufſt. und 86° Abw. bis 276° gr. Aufſt. und 75° Abw. beobachtet, als gleich 
mit der Groß- Schottkauer Nr. 18 eben da, nur etwas öſtlicher, von 242° gr. Aufſt. 
und 86° Abm. bis 252° gr. Aufſt. und 72° Abw. Sie fiel hiernach im Großherzog: 
thume Poſen zwiſchen Dolok, Kriewen und Goſtyn beinahe ſenkrecht von einer Höhe von 
15,21 geogr. Meilen über einem Punkte, der unter 51° 57,7“ Nordbr. und 8,3 Bogen⸗ 
minuten öſtlich von Breslau liegt, ſichtbar bis zu einer Höhe von 9,04 Meilen über 
einem Punkte herab, der unter 51“ 56,3“ der Breite und 5,97 öſtlich von Breslau ſich 
befindet, und durchſchoß daher in der kurzen Zeit ihrer Sichtbarkeit, die leider aber nicht 
angegeben iſt, 6,22 Meilen. Der Endpunkt, bei dem die Gefichtslinien nur 0,07 Meilen 
auseinander bleiben, iſt genauer 8 als der Anfangspunkt, bei welchem 0,43 Mei⸗ 
len zum Schluſſe fehlen. 

Der hieſige Beobachter, Hr. Maywald, hat nach einer von ihm ſelbſt entwickelten 
Methode (unter der allerdings richtigern Vorausſetzung, daß beide Beobachter nicht ge— 
rade abſolut dieſelben Punkte, alſo eigentlich vier, beobachtet haben, welche, bei Annahme 
einer geradlinigen Bewegung, in einer geraden Linie liegen) eben falls die Bahnen ſeiner 
beiden Sternſchnuppen vom 11. November berechnet, und folgende, nicht bedeutend ver- 
ſchiedenen Elemente gefunden: | 

a) Sternſchnuppe vom 11. bis 12. November um 1h 21,1": 

Anfangspunkt von Groß-Schottkau aus: 4,593 M. hoch im Zenith v. d. Punkte 51287 
52% N. Br. 5° 27" öſtlich von Breslau. 

Anfangspunkt von Breslau aus: 4,571 M. hoch im Zenith v. d. Punkte 51° 28° 
45" N. Br. 5° 21” öſtlich von Breslau. 

Endpunkt von Groß-Schottkau aus: 3,856 M. hoch im Zenith v. d. Punkte 9: 31’ 
37" N. Br. 2“ 20” öſtlich von Breslau. 

Endpunkt von Breslau aus: 3,790 M. hoch im Zenith v. d. Punkte 51.° 31’ 34” N. Br. 
2, 3“ öſtlich von Breslau. 

Länge des ſichtbaren Theils der Bahn 1,257 geogr. Meilen, welche, geradlinig ge: 
blieben, unter einem Winkel von 39° 42“ unfern Schloß Reißen unter 51° 47° 6” Nord: 
breite und 13° 56” weftlic von Breslau die Erdoberfläche erreicht haben müßte. 


b) Sternſchnuppe vom 11. bis 12. November um Ah 4, 5m: 
Anfangspunkt von Gr. Schottkau aus: 14,479 M. hoch im Zenith v. d. Punkte 51° 55 
1“ N. Br. 7° 43“ weſtlich von Breslau. 
Anfangspunkt v. Bresl. aus: 14,119 M. hoch i im Zenith v. d. Punkte 51° un 8" N. Br. 
77 35“ weſtlich von Breslau. | 


Endpunkt von Breslau aus: 9,342 M. hoch im Zenith v. d. Punkte 51° 56° 33" N. Br. 
5“ 53“ weſtlich von Breslau. 

Endpunkt von Groß-Schottkau aus: 8,960 M. hoch im Zenith v. d. Punkte 51567 
56” N. Br. 5° 45“ weſtlich von Breslau. 


Länge des ſichtbaren Theils der Bahn 5,548 Meilen, welche bei geradlinigem Fort: 
gange unter einem Winkel von 84° 6 unfern von da unter 52° 0° 2“ N. Breite und 
27 33,2“ weſtlich von Breslau den Erdboden getroffen haben würde. 


3) In der Nacht vom 13. zum 14. November gegen Morgen um 5h 24, 5m mitt⸗ 
lerer Breslauer Zeit wurde die Sternſchnuppe Nr. 135 erſter Größe hier von Herrn 
Scherzberg vom Fuße des Fuhrmanns bis zu dem des Perſeus von 79° gr. Aufſt. 
und 30 Abw. bis 50° gr. Aufft. und + 29 Abw., beobachtet; in Groß-Sürchen 
dagegen als Nr. 2 aus den Füßen der Zwillinge bis zwiſchen die Stierhörner von 96° 
gr. Aufſt. und + 25% Abw. bis 82° gr. Aufſt. und + 24° Abw. geſehen. Hieraus 
ergab ſich der Aufleuchtungspunkt 10,13 M. ſenkrecht über 51° 2,7“ N. Br. und 14,97 
weſtlich von Breslau, bei Oſtritz zwiſchen Görlitz und Zittau, der Erlöſchungspunkt aber 
3,06 Meilen über 51° 13,9“ Nordbreite und 41,6% weſtlich von Breslau, zwiſchen Lieg— 
nitz und Parchwitz. Die Länge des ſichtbaren Bahnſtücks betrug 8,22 Meilen. Die 
Geſichtslinien treffen faſt auf ein Haar zuſammen. 

4) Am 14. November endlich um 7h 23,7m Abends wurde die allererſte Stern— 
ſchnuppe hier am Orte von Hrn. Rädſch im Adler, von 284° gr. Aufſt. und + 11° 
Abm. bis 294° gr. Aufſt. und + 2° Abw., beobachtet; zu gleicher Zeit aber auch vom 
Herrn Profeſſor Keil in Liegnitz, auch vom Adler nach dem Horizonte zu ſich bewegend, 
von 297° gr. Aufſt. und + 11° Abw. bis 305° gr. Aufſt. und 1 Abw. Hieraus 
folgen: Entſtehungspunkt 13,32 Meilen hoch im Zenithe des Orts, deſſen Breite 50° 
36,0“, und deſſen weſtliche Länge von Breslau 2° 34,87, im Leutmeritzer Kreiſe von 
Böhmen zwiſchen Böhmiſch-Leipa und Auſche, Endpunkt 16,45 Meilen hoch im Zenith 
von 49° 56,5“ N. Br. und 2° 55,7“ weſtlich von Breslau, eine Meile ſüdlich von der 
Kreisſtadt Beraun, ſüdweſtl. von Prag. Dieſe Bahn, von einer Länge von 10,88 Mei: 
len, ging demnach etwas in die Höhe, während die drei andern ermittelten 
Bahnen fallend waren. Ein bedeutender Irrthum kann nicht vorwalten, denn die Ge— 
ſichtslinien treffen ziemlich gut zuſammen. 

Auch bei Brandes kamen im Jahre 1823 einige Beiſpiele der Art vor, wie damals 
überhaupt ähnliche Verhältniſſe in Höhe und Bahnlänge. 

Obgleich die Zahl von vier Bahnen viel zu gering iſt, um Folgerungen daraus her— 
leiten zu können, ſo giebt der Umſtand, daß ſie ſich ganz und gar den Brandesſchen Re— 
ſultaten anreihen, doch gewiſſermaßen ein Recht dazu, namentlich zu dem Urtheile über 
ihre Geſchwindigkeit. Zwar iſt gerade bei allen vieren der Vermerk der Zeitdauer der 
Erſcheinung unterblieben, allein man kann faſt mit Gewißheit daraus ſchließen, daß ſie 

3 


34 


zur Regel, d. h. zu den ſchnellen gehört haben, deren Dauer gewöhnlich nicht eine Se⸗ 
cunde überſteigt. 

Unter dieſer Vorausſetzung beträgt ihre relative Geschwindigkeit 6 bis 7 Meilen 
in der Secunde, alſo eine ſolche, die nur cosmiſchen Urſprungs ſein kann. i 

Allerdings gehört eine ſehr bedeutende Anzahl ermittelter Bahnen dazu, ae eine 
ſehr genaue Berechnung der Veränderungen, welche fie, durch die Perturbationen von Sei: 
ten der Erde aus großer Nähe, erlitten haben, um aus der Richtung ihres Laufes zu der— 
jenigen der Bewegung der Erde die relative Geſchwindigkeit auf abſolute reduciren, und 
dadurch endlich auf die Natur der Bahnen ſchließen zu können. Als erſte Annäherung iſt 
es aber gewiß mehr als erlaubt, elliptiſche Bahnen anzunehmen, welche dem Kreiſe näher 
als der Parabel ſtehen, alſo abſolute Geſchwindigkeiten, welche in der Nähe der Erdbahn 
4,1 M. in der Secunde nicht bedeutend überſteigen. Daß dann die relativen Geſchwindig— 
keiten ſich durchſchnittlich zu 7,76 M. herausſtellen müſſen, zeigt die Rechnung, aber auch 
ſchon beiläufig eine einfache Betrachtung. Wenn auf einem großen Platze, den eine bedeutende 
Anzahl Perſonen immerfort nach allen Richtungen durchkreuzen, wir ſelbſt über ihn hin— 
weg unſern Weg nehmen, und alle Diejenigen aufzeichnen, welche uns in den Weg kom— 
men, ſo werden wir nur eine ſehr kleine Zahl ſolcher erhalten, welche mit uns nahe eine 
gleiche Richtung verfolgen, weit mehr ſchon derer, welche querüber vor uns vorbeikom— 
men, am allermeiſten aber ſolche wahrgenommen haben, welche uns mehr oder weniger 
gerade entgegen gekommen ſind. Wir werden ſogar zu meinen verſucht werden, daß die 
große Mehrzahl gerade von dem Punkte aus zu uns hergeſtrömt ſei, zu welchem hin wir 
uns eben begeben hatten. 

Daraus folgt im Allgemeinen, daß, ſelbſt bei gleichförmiger Vertheilung aller Rich— 
tungen, immer ein Entgegenkommen am häufigſten beobachtet werden müſſe, und als 
Regel eine relative Geſchwindigkeit des Vorübergehens, welche bedeutend größer iſt, als 
die mittlere abſolute Geſchwindigkeit der ſich begegnenden. 

Die Anwendung auf das Verhalten der Sternſchnuppen zur Erde im Raume iſt 
leicht, bedarf aber zu triftigen Schlüſſen erſt noch einer ſehr anſehnlichen Reihe ſorgfältig 
und genau ermittelter Thatſachen. 

2. Am 2. Auguſt a) überreichte derſelbe der Geſellſchaft, im Auftrage des Herrn 
Dr. Mädler, eine Karte des Mars, welche alle diejenigen Flecken enthält, die 
Herr Dr. Mädler von 1830 bis 1837 in vier Oppoſitionen, auf dem Mars beobachtet, 
und als bleibend erkannt hat; 

b) theilte derſelbe, aus einem Schreiben des Herrn Dr. Mädler vom 8. Juni, 
die intereſſante Notiz mit, daß derſelbe, in Gemeinſchaft mit Herrn Profeſſor Encke, 
mit dem großen Refractor der Sternwarte in Berlin, den dreifachen Saturnsring 
deutlich geſehen, und vom Doppelfterne 7 Virginis, der eben erſt im Auseinandertreten 
begriffen iſt, ſchon Poſition und Diſtanz gemeſſen habe. 


35 2 
* 
— ä ů—— — — — 


c) An dieſe Proben gewaltiger optiſcher Leiſtung des Berliner Refractors knüpfte 
Ref. die Mittheilung des Berichtes, welchen der wirkliche Kaiſerl. Ruſſiſche Etatsrath 
v. Struve Excellenz über ſeine Beobachtungen der Doppelſterne mit dem 1 großen Dor⸗ 
pater Refractor, der in allen Stücken mit dem Berliner ganz gleich iſt, im Januar 1837 
an den Miniſter v. Ouvaroff erſtattet hat. Die wichtigſten Reſultate krönen bereits 
eine zwölfjährige Arbeit, die von nicht weniger als 2710 Doppelſternen die Ortsbeſtim— 
mungen und die genaueſten Mikrometermeſſungen errungen hat, nachdem dieſe Zahl erſt 
aus mehr als 120,000 Sternen herausgeleſen werden mußte. Dabei hat ſich auch bei 
& Lyrae, durch den nur optiſch nahe dabei befindlichen kleinen Stern, endlich eine be— 
ſtimmte jährliche Parallaxe ermitteln laſſen. 17 Beobachtungen gaben ſolche, freilich 
ſehr klein, aber doch entſchieden, zu 0,125“ mit dem wahrſcheinlichen Fehler von 
+ 0,055“, welche demnach eine Entfernung von 1½ Millionen Sonnenweiten 
(über 30 Billionen Meilen) bei demjenigen Sterne entſprechen würde, den wir ſeiner 
Helligkeit wegen für einen der nächſten zu halten berechtigt ſind. 

d) Ein ebenfalls vorgelegter Bericht Struve's, welchen derſelbe am 10. März d. J. 
der St. Petersburger Akademie über eine Abhandlung vorgetragen hat, die Profeſſor 
Argelander am 3. Febr. derſelben eingereicht hatte, hebt das wichtige Ergebniß mit 
ſeiner ganzen Bedeutſamkeit hervor, daß Argelander, bei äußerſt ſorgſamer Beſtimmung 
der 560 Sterne feines neuen Catalogs, und Vergleichung deſſelben mit den ältern, eben: 
falls zuverläſſigen, Bradley-Beſſelſchen und Piazziſchen Angaben, unzweideutige Spuren 
der Fortrückung des Sonnenſyſtems erhalten habe, wonach dieſelbe nach einem Punkte 
im Sternbilde des Herkules zu erfolgt, der ungefähr in der Mitte zwiſchen 1 und . in 
260 ° 50,8“ gerader Aufſteigung und 31° 17,3% nördlicher Abweichung liegt, und zwar 
jo, daß bei jener der wahrſcheinliche Fehler nur noch + 3° 27,6“ und bei dieſer nur 
noch + 2 19,6“ betragen kann. 

e) Theilte derſelbe, aus der vom Herrn Geheimen Regierungsrath Beſſel erhal— 
tenen Beſtimmung der Länge des einfachen Secundenpendels für Berlin, die Angaben 
mit, daß ſolche daſelbſt, unter 52° 30/26“ nördlicher Breite, und bei 106,62 Pariſer 
Fuß Seehöhe der Pendelkugel, 440,7354 Pariſer Linien, und auf den Seehorizont re: 
ducirt 440,7390 Pariſer Linien beträgt. 

f) Aus den ebenfalls vorgelegten, von Gauß und Weber herausgegebenen Re— 
ſultaten des magnetiſchen Vereins im Jahre 1836 ging nicht allein die immer fortſchrei— 
tende Ausdehnung deſſelben, und die fortwährende Mitwirkung Breslau's, ſondern auch 
mittelſt der graphiſchen Darſtellungen die merkwürdige Uebereinſtimmung aller Beobach— 
tungen, ſelbſt an ſehr entfernten Orten, aufs deutlichſte hervor. 

g) Endlich berichtete derſelbe über den Fortgang der ſechsunddreißigſtündigen Ba⸗ 
rometer-, Thermometer- u. ſ. w. Beobachtungen, welche alle Vierteljahre zunächſt für 
Sir John Herſchel auf dem Cap angeſtellt werden, und woran bereits gegen 26 Beob— 
tachter Theil nehmen. Sie erſtrecken ſich vom Pruth bis zur Oſtſee und zum Rheine, 

5 * 


Be u ns 


und verfprechen, künftig in ihren intereſſanten ers Stoff zu einem eigenen Vor⸗ 
trage darzubieten. 

3) Am 25. Oktober ſtattete derſelbe einen vorläufigen Bericht über die Stern⸗ 
ſchnuppen ab, welche in der Nacht vom 10. zum 11. Auguſt in großer Zahl 
beobachtet worden ſind. 

Da zur Zeit ihrer vermuthlichen periodiſchen Wiederkehr im November in Wirten 
Jahre gerade heller Vollmondsſchein einfallen wird, der für Beobachtungen dieſer Art im 
höchſten Grade ungünſtig iſt, ſo hatte Dr. Olbers ſchon früher darauf aufmerkſam 
gemacht, daß ſich, wie es ſcheine, auch in der Nacht vom 10. zum 11. Auguſt ein häufiger 
Sternſchnuppenfall einzuſtellen pflege, wie die Erfahrung d. J. nun auch nichts weniger 
als widerlegt hat. Es wurden hier am Orte wieder dieſelben Veranſtaltungen, wie im 
November v. J., mit auswärtigen Mitbeobachtern aber ausführlichere und beſtimmtere 
Verabredungen getroffen. — Die Erndte war über Erwartung reich, wird aber deshalb 
auch viel Zeit und Mühe zur Ausbeutung verlangen, hoffentlich jedoch ve im Verhält⸗ 
niſſe reichhaltigere Reſultate liefern. 

Bei der Uhr gegen Norden wurden 324, bei der gegen Süden 224 Sternſchnup⸗ 
pen notirt, zuſammen 548, bei den Beobachtern ſelbſt aber nur 536, und zwar: eine 
kleine Feuerkugel, 16 von der Helligkeit der Venus, 24 von der des Jupiter, 117 wie 
Sterne erſter Größe, 216 wie Sterne zweiter, 129 wie Sterne dritter Größe und 33 
noch kleinere. Die bei den Beobachtern fehlenden 12 ſind entweder ſogleich als wenn 
erkannte, oder für die Aufzeichnung zu unvollkommene Beobachtungen. 

Aber auch unter den 536 werden ſich noch manche als identiſch ergeben, und nnd 
andere auf den Sternkarten nicht aufzufinden ſein. Dagegen iſt aber eine noch viel 
größere Zahl unvollſtändig beobachteter Sternſchnuppen erſt gar nicht zur Anmeldung 
gekommen. Sie ſchienen nach Mitternacht etwas häufiger zu kommen, woran der Um— 
ſtand nur wenig Antheil zu haben ſchien, daß der Mond erſt um 10h 33m unterging. 

Denn es Pen 1 0 


No. 1 bis 50 zw. 9 4 17 mittl. Bresl. Zt. und 10 6 27, alſo innerhalb 62 10 


51 100 :10 8 2 = = fm a e ee 
101150 10 50 Se „ „ 1881 60 „ n (81 26 
10 200 » 11:22 31 -= ande 11 48 45 26 14 
201 250 11 49 . e 1214 5 „ „2459 
251 300 12 14 45: | =, = „ 0: 12 39 38 = :o 24 53 
501 350 12 40:48: hai Zaun 1,544. = „ 25 26 
351 = 400 2101 5 49 F Sie MG 1 30 25 zz, KL•—UäTtä pax 24 36 
401 2 450 3 1 33 32 EHT = MBH? N“ 4 59 30 Uu 25 58 
451 7 500 7 1 59 35 = 2 2 7 — 2 33 39 — 29172 3 34 4 
501 2 548 7 2 33 54 ae hie 318 112⁊hD•ßm⸗ = 45 17 


ihn. — 


1 Stunde 18%, Minuten vor und nach 12h 4m blieb ſich hiernach die Häufigkeit 
der Sternſchnuppen ziemlich gleich: ungefähr zwei auf die Minute. 

Mit Schweifen wurden im Ganzen 90 gezählt, wovon 40 allein nach Nordweſt zu, 
und 71 überhaupt an den drei benachbarten Fenſtern SW., NW. und N. Wir ſahen 
dorthin vermuthlich den abziehenden Sternſchnuppen nach. 

Bei den vielen gebrauchten Sternkarten, und dem Gewirre der darauf verzeichneten 
Bahnen, iſt es ſchwer, durch den bloßen Anblick eine entſchiedene Richtung herauszufin— 
den, welche, wenn ſie auch beſtehen ſollte, durch die jedenfalls bedeutende Parallaxe in 
den meiſten Fällen ſehr maskirt wird. Bei näherer Aufmerkſamkeit ſcheint ſich aber 
faft herauszuſtellen, daß die meiſten Bahnen rückwärts verlängert auf Algenib im Per- 
ſeus hinweiſen, oder vielleicht noch genauer auf eine Gegend der Milchſtraße zwiſchen 
dieſem Sterne und der Caſſiopeja, alſo doch ziemlich gerade nordwärts von dem Punkte 
der Ekliptik, auf welchen zu die Erde ihren Lauf nahm. Auch zeigen wieder, wie im 
November, die Endpunkte in der Regel einen größern Abſtand vom Nordpol, als die 
Anfangspunkte. 

Es ſind dies Mal ſo viel auswärtige Beobachtungen eingegangen, daß wir wohl 
der Hoffnung Raum geben dürfen, eine erwünſchte Zahl correſpondirender darunter zu 
finden, und zwar: 


a) Von Mirkau durch Herrn Profeffor Dr. Scholtz von 9h 55m bis 12h 19m, 
22 vollſtändige Bahnſtücke und 56 bloß vermerkte Meteore. 

b) Von Oels durch Herrn Prof. Dr. Bredow fünf gezeichnete Bahnen zwiſchen 
gh 44m und 10h Zm. 

e) Von Woinowitz bei Ratibor durch die Herren Oberlehrer Peſchke und Kelch 
die Bahnbeſchreibungen von 129 Sternſchnuppen zwiſchen 8h 55m und 1h 40m. 

d) Von Leobſchütz durch den Herrn Oberlehrer Dr. Fiedler die Bahnbeſchreibun— 
gen von 90 Meteoren von 9 15m bis 1h 58m. 

e) Von Neiſſe durch Herrn Prof. Petzeld die Bahnbeſchreibungen von 294 Stern— 
ſchnuppen von 9h 10m bis 1h 39m beobachtet. 

f) Von Habelſchwerdt durch Herrn Rector Marſchner 51 auf eine Sternkarte 
gezeichnete Bahnen nebſt Beſchreibung, beobachtet von 9h 16m bis 12h 86m. 

g) Von Liegnitz durch Herrn Profeſſor Keil 47 auf eine Sternkarte gezeichnete 
Bahnen aus der Zeit von Ih Om bis 12h 17m. 

h) Von Groß⸗Glogau durch Herrn Ober-Landes-Gerichts-Referendarius Woll— 
mann 17 eingezeichnete, von 9h Om bis 10h 21m beobachtete Bahnen. 

i) Von Berlin durch Herrn Prof. Dr. A. Erman 58 vollftändige und bereits 
reducirte Sternſchnuppenbeobachtungen von 12h 5m anfangend bis 3u 14, m. 


Ueberdies hat letzterer noch die Güte gehabt, von 34 am 14. November 1836 von 
9h 37m bis Ah 6% m a Sternſchnuppen die Poſitionen mitzutheilen, und da= 


— — 


durch Hoffnung gegeben, vielleicht auch von jener Zeit her noch einige Bahnen zu ermit— 
teln, wenn wir anders von beiden Punkten aus dieſelben eee haben ſehen 
können. 

Die Höhe würde dazu meiſt hinreichend ſein, wohl aber in wat Fällen nicht die In⸗ 
tenſität ihres Lichtes. Würden wir aber wirklich Hrn. Prof. A. Erman, ſei es nun vom 
Novembertermine 1836, oder von dem im Auguſt d. J., Bahnbeſtimmungen verdanken, 
ſo würden dieſe um ſo größeren Werth 3 weil die Standlinie eee. dort und 


hier ſo anſehnlich iſt. 
| HI. ee hr | | 
Herr Prof. Dr. Frankenheim theilte in zwei Sitzungen, den 15. Februar und 


15. März, einige Unterſuchungen über die Iſomerie mit, deren Inhalt wir in einem 
von ihm ſelbſt verfaßten Auszuge geben wollen: 


Die Anzahl der Körper, von denen man zwei oder mehrere iſomere Zuſtände kennt, 
wird zwar mit jedem Jahre größer; allein über die Bedingungen, unter welchen die eine 
oder die andere Form entſteht, und die Umſtände, welche ihren Uebergang in einander 
begleiten, iſt man noch im Dunkeln. In dieſer Beziehung bieten der Salpeter, das 
Queckſilberiodid und der Schwefel einige Aufſchlüſſe dar. Die Beobachtungen am Sal— 
peter ſind bereits in Poggendorfs Annalen erſchienen, das Uebrige wird nächſtens voll— 
ſtändiger bekannt gemacht werden. JIſomer will ich hier, vom phyſikaliſchen Stand— 
punkte aus, alle Körper nennen, welche bei gleicher elementarer Zuſammenſetzung eine 
conſtante, von dem Einfluſſe der Wärme auf das ſpecifiſche Gewicht, den Aggregatzu⸗ 
ſtänden und der mechaniſ chen Anordnung der Theile unabhängige Verſchiedenheit in 
ihren Eigenſchaften zeigen. 

Der Salpeter kryſtalliſirt unter gewöhnlichen Umſtänden in Formen, die ſich auf 
eine dem rhombiſchen Oktaeder des Aragonits ſehr nahe ſtehende Kryſtalliſation zurück- 
führen laſſen. Beobachtet man abe: eine dünne Schicht einer Salpeterlöſung während 
ihrer Kryſtalliſation unter dem Mikroſkop, ſo ſieht man Kryſtalle in großer Menge, die 
faft ohne Ausnahme auf ein Rhomboeder führen, das dem des ſalpeterſauren Natrons 
faſt ganz gleich, alſo dem des Kalkſpathes iſomorph iſt. Sie find iſolirt, rundum aus: 
gebildet und nur ſelten und in geringer Anzahl dendritiſch gruppirt. Eine ganz andere 
Beſchaffenheit haben die rhombiſchen oder prismatiſchen Kryſtalle. Sie entſtehen nur 
an ſehr wenigen Stellen; aber ſie haben eine ſo entſchieden dendritiſche Tendenz, daß ſie, 
einmal entſtanden, ſich über die ganze Flüſſigkeit hin ausdehnen und in kurzer Zeit ein 
weit größeres Volumen einnehmen, als die zahlreichen und meiſtens früher gebildeten 
Rhomboeder. Wo nun die Prismen in die Nähe der Rhomboeder kommen, werden 
dieſe zerſtört. Sie werden entweder aufgelöſt, indem die ſie umgebende, vorher geſättigte 
Flüſſigkeit einen Theil ihrer feſten Beſtandtheile an den prismatiſchen Salpeterkryſtall 


PRO 5 


abtritt und dadurch in den Stand geſetzt wird, wieder etwas von dem rhomboedriſchen, 
auflöslicheren Salpeter aufzunehmen, ſo daß die Prismen ſich ſo lange auf Koſten der 
Rhomboeder vergrößern, bis dieſe verſchwunden ſind; oder das Rhomboeder kommt 
durch eine der Bewegungen, an denen es in einer kryſtalliſirenden Flüſſigkeit niemals 
fehlt, mit einem Prisma in Berührung, zerfällt dann augenblicklich in kleine pris— 
matiſche Kryſtalle, und wächſt dann weiter und wirkt auf andere Rhomboeder, als 
wäre es urſprünglich als Prisma ausgeſchieden. Es iſt daher ſelten, daß in einem Tro— 
pfen von gewöhnlicher Dicke ſich ein Rhomboeder der Zerſtörung entzieht, ſo viele man 
auch während der Abdampfung ſah; ehe er ganz trocken geworden iſt, ſind alle Rhom— 
boeder zerſtört und man ſieht nur noch Afterkryſtalle des prismatiſchen Salpeters in der 
Form des rhomboedriſchen, die gewöhnlich aus einem lockeren Aggregate feiner Staub— 
theilchen ohne Zuſammenhang beſtehen. Iſt der Tropfen dagegen ſehr flach, ſo trocknet 
die Flüſſigkeit um die Rhomboeder auf, ehe dieſe von einem prismatiſchen Dendriten er— 
reicht werden, und ſie erhalten ſich dann wochenlang. Sie können mit der Hand und 
andern feſten Körpern berührt werden, ohne ſich zu verändern, und zeigen ſogar einen 
der Seitenlinie des Rhombus parallelen Durchgang. Deſſen ungeachtet iſt ihre Exiſtenz 
precair; denn oft, wenn ſie mit einem feſten Körper geritzt werden, und immer, wenn 
man ſie mit einem prismatiſchen Salpeterkryſtall berührt, werden ſie in die prismatiſche 
Art verwandelt. Zwar behalten ſie dabei ihre Geſtalt, und ſelbſt ihre Durchſichtigkeit 
wird nur ſehr wenig vermindert; aber im Momente der Verwandlung überziehen ſie 
ſich mit einem Schleier und verhalten ſich nun, in allen Beziehungen, wenn man z. B. 
etwas geſättigte Salpeterlöſung darauf bringt, oder ſie ganz ſchwach anfeuchtet, wie 
prismatiſcher Salpeter. Dieſelbe Wirkung wird auch durch eine hohe Temperatur her— 
vorgebracht; aber eine 110 Grad beträchtlich überſchreitende Wärme ſchadet den Rhom— 
boedern noch nicht. 

Es wurden auch Beobachtungen angeſtellt über die Bildung von Salpeter aus Sal— 
peterlöſungen, denen Säuren, Baſen oder Salze, z. B. ſalpeterſaures Natron, beige⸗ 
mengt waren; wo der Salpeter durch Verdampfung, oder wo er durch Abkühlung einer 
Löſung, oder durch Präcipitation mittelſt Alkohol, Kali oder Salpeterſäure entſtand; bei 
hoher Temperatur und bei — 9° C. 

Kohlenſaurer Kalk und ſalpeterſaures Kali haben daher eine Iſomor— 
phie in beiden Geſtalten; die eine Form findet ſich auch bei dem kohlenſauren Baryt, 
die andere bei dem ſalpeterſauren Natron, wodurch einerſeits Natron in die Reihe von 
Kali, Kalk, Baryt u. ſ. w., andererſeits Salpeterſäure neben die Kohlenſäure geſtellt 
wird. Es findet aber der merkwürdige Unterſchied zwiſchen den beiden iſomorphen Sal— 
zen ſtatt, daß in einer höheren Temperatur der prismatiſche Aragonit zerſtört wird und 
vermuthlich in den rhomboedriſchen Kalkſpath übergeht; bei dem Salpeter dagegen die 
prismatiſche Art es iſt, welche ſich in höherer Temperatur erhält und in welche die rhom— 
boedriſche Form durch Erhitzung übergeht. 


ti. ige 


Der Salmiak hat, wie das Eis und der prismatiſche Salpeter, eine ſo ftarke 
Neigung zu dendritiſchen Formen, daß es mir nur unter gewiſſen Umſtänden gelungen 
iſt, ihn in Einzelkryſtallen zu erhalten. Seine Kombinationen, obgleich dem teſſeralen 
Syſteme angehörig, ſind aber ſo conſtant verſchieden von den unter ähnlichen Umſtänden 
gebildeten des Chlor-Natriums oder -Kaliums, daß man er cht wird, an ſeiner Iſo⸗ 
morphie mit dieſen Salzen zu zweifeln. 

Wird der Salmiak zwiſchen zwei Glasplatten, die auf einem Eiſenbleche liegen, 
ſtark erhitzt, und noch heiß unter das Mikroſkop gebracht, ſo hat er das Anſehen einer 
geſchmolzenen kryſtalliniſchen Maſſe, deren Form aber, ganz verſchieden von der gewöhn⸗ 
lichen, dem zweigliedrigen Syſteme anzugehören ſcheint. Sobald die Temperatur bis 
auf einen gewiſſen Grad geſunken iſt, werden die Kryſtalle trübe und gehen dabei wahrz 
ſcheinlich in die gewöhnliche Art über. Man kann dieſe Umwandlung der beiden iſome⸗ 
ren Salmiakarten ſo oft wiederholen, als man will. 

Das rothe Queckſilber-Jodid wird bekanntlich durch Erhitzung gelb, und 
abgekühlt wieder roth. Man kann es in beiden Farben kryſtalliſirt erlangen. Aus ſei— 
nen Auflöſungen ſcheidet es ſich roth und tetragonal aus, und ſublimirt in höherer Tem⸗ 
peratur in ſchönen gelben Kryſtallen des monokliniſchen Syſtems. Selten ſind zwei iſo⸗ 
mere Körper fo ſcharf von einander getrennt, und kann der Uebergang des einen Zuſtan⸗ 
des in den andern ſo deutlich beobachtet werden, als hier. 

Wenn eine mit rothen Kryſtallen bedeckte Glastafel erwärmt wird, ſo werden ſie 
bei einer gewiſſen Temperatur gelb, und niemals behielt ein Kryſtall ſeine rothe Farbe. 
Wird dagegen das gelbe Salz abgekühlt, ſo bleiben die Kryſtalle meiſtentheils Tage 
lang gelb, ſelbſt wenn ſie mit fremden Körpern berührt werden. Früher oder ſpäter 
fängt die Umwandlung an. Aber ſo ſchnell ſie im Salpeter iſt, ſo langſam iſt ſie hier, 
und es vergehen zuweilen ganze Stunden, ehe die an einem Ende eines kaum „oo Linie 
großen Kryſtalls begonnene Farbenveränderung ſich nach dem andern Ende fortgepflanzt 
hat. Während dieſes Proceſſes ſind die beiden Theile des Kryſtalls, der gelbe und der 
rothe, in der Regel durch eine gerade, ſymmetriſch zum Kryſtall gelegene Linie von einan⸗ 
der getrennt. 

Gewöhnlich gehören die durch Sublimation entſtandenen Kryſtalle der gelben Art 
an; bei ſehr mäßiger Wärme kann man ſie jedoch auch roth und tetragonal erlangen. 
Es iſt auch nicht ſchwer, gelbe After-Kryſtalle in der Form der rothen und rothe in der 
Form der gelben zu erhalten. 

Wenn man eine mit rothen und gelben Kryſtallen bedeckte Glasplatte ſo ſchwach 
erwärmt, daß die Kryſtalle zwar ſublimirt werden, aber ihre Farbe nicht verändern, ſo 
ſieht man auch auf der obern Platte gelbe und rothe Kryſtalle durch einander. Da aber 
die Temperatur ſelbſt auf der andern Platte nie groß genug war, um die rothen Kryſtalle 
gelb zu machen, ſo mußte ſie auf der obern Platte noch niedriger bleiben. Wenn ſich daher 
hier gelbe Kryſtalle finden, ſo können ſie nur aus den gelben Kryſtallen der untern Platte 


1 —— 


entſtanden ſein, deren Dämpfe von der untern Platte aufgeſtiegen ſind und ſich auf der 
obern niedergeſchlagen haben. Aus dieſer Beobachtung geht alſo hervor, daß die der 
höheren Temperatur angehörige Art des Queckſilber-Jodids ſich nicht nur in niederen 
Temperaturen erhalten kann, wenn ſie in einer höheren gebildet iſt, ſondern ſich auch in 
niedern Temperaturen bildet, und daß der Dampf des gelben Jodids von dem des ro— 
then verſchieden iſt. 

Aehnliche Erſcheinungen, aber minder ausgezeichnet, bieten auch das Jodur, die 
Chloride und das Opyd des Queckſilbers dar. Ich werde ſie, nebſt einigen hier nicht 
angeführten Beobachtungen am Jodide, a. e. a. D. bekannt machen. 

Von einer andern Seite kann man die Erſcheinungen der Iſomerie am Schwefel 
unterſuchen. | 

Seine gewöhnliche Kryſtallform (Sa), wenn er in niedriger Temperatur gebildet 
wird, iſt eine rhombiſche Pyramide. Geſchmolzener Schwefel erſtarrt aber, wie Mit: 
ſcherlich zuerſt beobachtet hat, in Kryſtallen des monokliniſchen Syſtems (SB). Diefe 
Form nimmt der Schwefel, wie ich gefunden habe, auch an, wenn er in einer, feinem 
Schmelzpunkte naher Temperatur aus ſeinen Auflöſungen präcipitirt oder ſublimirt wird; 
die Kryſtalle bleiben nachher auch in gewöhnlicher Temperatur lange Zeit mnverändert 
und können unter dem Mikroſkope gemeſſen werden. Die Bedingungen, unter welchen 
dieſe beiden Schwefelarten, 8 und SB, entſtehen und in einander verwandelt werden, 
übergehe ich hier und beſchränke mich auf eine andere Veränderung, welche der Schwefel 
in hoher Temperatur erleidet. 

Eine kleine Quantität Schwefelblumen auf einer Glasplatte erwärmt, ſchmilzt zu 
einem farbloſen Tropfen, der ſich bis zu ſeiner Kryſtalliſation, die oft erſt nach acht Ta— 
gen und Wochen eintritt, nicht verändert. Daſſelbe iſt bei ſublimirten Schwefeltropfen 
der Fall. Werden aber dieſe waſſerhellen Tropfen allmälig ſtärker erwärmt, ſo werden 
ſie bald gelb und gehen dann durch Grün, das nur vorübergehend iſt, in Roth über. 
Dieſes wird mit dem Steigen der Temperatur immer dunkler, und bei einer dem Sied— 
punkte des Schwefels ſich nähernden Temperatur wird der Tropfen faſt ſchwarz und un— 
durchſichtig. In einem breiten Tropfen, deſſen Theile nicht gleich ſtark erwärmt worden 
ſind, kann man dieſe Varietäten gleichzeitig wahrnehmen. Wäre der rothe Schwefel 
durch eine allmälige und ſtetige Veränderung des gelben Schwefels entſtanden und daher 
nicht weſentlich von ihm verſchieden, ſo würde der Uebergang zwiſchen dem gelben und 
rothen Theile eines Tropfens ganz allmälig ſein. Aber dieſes iſt der Fall nicht; beide 
ſind vielmehr, wie bei dem Queckſilber-Jodid, der rothe und gelbe Theil eines Kryſtalls, 
durch eine Linie ſcharf getrennt, die ſich unter dem Mikroſkope lange Zeit erhält und 
ſelbſt nach der Abkühlung noch ſichtbar iſt. Der gelbe 8s wird daher wahrſcheinlich bei 
einer gewiſſen Temperatur zum rothen Sy, und dieſer behält, wie alle unter ähnlichen 
Umſtänden entſtandenen Körper, ſeinen Zuſtand auch in der Kälte eine Zeitlang bei. 
Daß es ſich hier um zwei iſomere Schwefelarten handelt, wird auch durch die Kryſtalli— 

6 


— 2 —— 


fation beftätigt. Der aus rothen, gelben und zuweilen auch weißen Theilen beftehende 
Schwefeltropfen kühlt ſich unter dem Mikroſkope ab und wird dadurch überſchmolzen. 
Nach einiger Zeit bildet ſich ein feſter Kern. Dieſer ſetzt ſich anfangs in deutlichen Kry— 
ſtallen, ſpäter ſcheinbar amorph über die ganze gleichartige Flüſſigkeit hin fort, bis dieſe 
vollſtändig erſtarrt iſt, geht aber keinesweges immer in die benachbarte Schwefelart 
über. Dieſe bleibt daher flüſſig, ob ſie gleich unmittelbar an feſten Schwefel ſtößt, was 
nach allen Erfahrungen, welche wir über die Abkühlung einer Flüſſigkeit unter ihrem 
Schmelzpunkte haben, unmöglich wäre, wenn nicht der flüſſige und der feſte Schwefel 
zwei verſchiedenen Arten angehörten. N 

Etwas Analoges habe ich auch an größern Mengen Schwefel beobachtet, die, auf 
2 300 oder darüber erwärmt, ſich an der Luft abkühlten. Die dunkle Farbe, welche 
er durch die hohe Temperatur erlangt hat, behält er auch nach ſeiner vollſtändigen Ab: 
kühlung, ſelbſt im Pulver, bei. Nach einiger Zeit entſtehen auf der Oberfläche hellere 
Flecke, die ſich allmälig über die ganze Maſſe ausbreiten. Die Grenze zwiſchen dem 
veränderten und unveränderten Theile des Schwefels iſt ſo ſcharf, daß ſie ſelbſt unter 
dem Mikroſkope als Linie erſcheint. Wenn man ein Stück durchbricht, ſo ſieht man, 
daß die Verwandlung nach Innen hin eben ſo raſch fortſchreitet, als über die Oberfläche. 
Im Waſſer iſt ſie eben ſo ſchnell als an der Luft; aber in heißem Waſſer und überhaupt 
in höherer Temperatur ſchreitet ſie beträchtlich ſchneller vor, als im kalten, und wenn 
die Abkühlung ſehr verzögert wird, ſo iſt die Verwandlung ſchon beendet, ehe der Schwe— 
fel ganz erkaltet iſt. 

Dieſe Iſomerieen werden noch durch eine ganz verſchiedene Reihe von Beobachtun— 
gen beſtätigt, nämlich durch die Geſchwindigkeit, mit der ein Thermometer, das ſich im 
Centrum eines mit erhitztem Schwefel gefüllten Kolbens befindet, herabſinkt. Dieſer Ver— 
ſuch verlangt jedoch einige Sorgfalt. Denn alle Flüſſigkeiten ſind ſchlechte Wärmeleiter, 
und die Wärme pflanzt ſich in ihnen faſt nur durch Vermiſchung fort. Je leichtflüſſiger 
ſie ſind, deſto ſtärker ſind die inneren Bewegungen und deſto gleichförmiger wird die 
Temperatur. Der flüſſige Schwefel fließt aber bei keiner Temperatur ganz leicht, und 
bei gewiſſen Temperaturen iſt er conſiſtenter, als Honig. Die Wärme pflanzt ſich daher 
im Schwefel nur ſehr langſam fort; ſie iſt ſehr ungleichförmig, und ich habe zuweilen 
zwiſchen zwei, nur wenige Linien von einander entfernten Schichten Unterſchiede von 
1 - 200 C. gefunden. 

Von einer Temperatur, die in verſchiedenen Verſuchen von 135 bis 240° variirte, 
kühlt ſich der Schwefel regelmäßig bis zu mehreren Graden unter ſeinem Schmelzpunkte 
ab. Dieſer iſt nach meinen Verſuchen etwas höher, als nach der gewöhnlichen Annahme, 
nämlich 112 2. Aber alle Flüſſigkeiten find fähig, ſich unter ihrem Schmelzpunkte ab— 
zukühlen, und keine im höheren Grade als Schwefel, der ſich in kleinen Tropfen wochen— 
lang bei 15° erhält. Er läßt ſich daher auch in größeren Maſſen, und ohne daß in dem 
Geſetze der Abkühlung irgend eine Störung wahrgenommen wird, auf 108 und ſelbſt 


mmm ̃ in 


105° C. abkühlen. Dann fängt er an, unter den gewöhnlichen Erſcheinungen zu erſtar— 
ren; das Thermometer ſteigt auf 112 und bleibt hier ſtationär. 

Auch bei einer höheren Wärme, als 260 kühlt ſich der Schwefel ziemlich regel— 
mäßig ab; aber bei dieſer Temperatur wurde die Abkühlung in den meiſten Verſuchen 
plötzlich unterbrochen; das Thermometer blieb ſtationär, oder oscillirte innerhalb we— 
niger Grade auf und ab, wie in einer erſtarrenden Flüſſigkeit, und erſt nach einigen Mi: 
nuten fing das Thermometer an, conftant zu ſinken. Zwar trat auch noch in niedrigern 
Temperaturen manche Unregelmäßigkeit ein, die Abkühlung war ungleichförmig, in hö— 
herer Temperatur zuweilen beträchtlich langſamer als bei 50° tiefer, ja zuweilen unter: 
brochen. Aber dieſes war lange nicht fo conſtant, als bei 250 — 260% und immer 
mit Ungleichförmigkeit in der Temperatur und mit ſtarker Klebrigkeit verbunden. Je 
länger der Schwefel einer höheren Temperatur ausgeſetzt war und je vollkommener er 
floß, deſto regelmäßiger war die Abkühlung. Auch bei der Erwärmung ſind Erſchei— 
nungen vorhanden, welche auf einen, bei jener Temperatur eintretenden, Wärmeproceß 
deuten. Das Thermometer bleibt, trotz dem, daß man den Schwefel dem Feuer aus— 
geſetzt läßt, lange Zeit ſtationär und ſteigt nachher um ſo raſcher. In der Nähe von 
250 — 260° abſorbirt alſo der ſich erwärmende Schwefel und emittirt der erkaltende 
eine bedeutende Quantität Wärme, die man mit demſelben Rechte latent nennen kann, 
wie die beim Schmelzen gebundene Wärme. Aber dieſe Wärme iſt nicht die Folge von 
einer Veränderung des Aggregatzuſtandes; denn der Schwefel iſt flüſſig ober- und unter— 
halb jener Temperatur; ſondern wir müſſen fie der Verwandlung eines Zuſtandes, Sg, 
in einen andern, Sy, alſo einer Iſomerie zuſchreiben. Bei 250 — 2600 fängt alſo der 
Schwefel an ſich zu verwandeln, und wenn man ihn lange Zeit in dieſer Temperatur er— 
hält, ſo wird die Verwandlung vielleicht auch beendigt; aber bei den Bedingungen, unter 
denen die Verſuche angeſtellt werden, dauert der Uebergang von Sy in Sg auch noch bei 
niedrigerer Temperatur fort, und äußert ſich durch eine Verzögerung in den Abkühlungs— 
zeiten. Sobald aber der Proceß vollendet iſt, welches ſich, wie wir gleich ſehen werden, 
auch in der Klebrigkeit zeigt, ſinkt das Thermometer faſt ſo regelmäßig, wie im 
Waſſer. 

Etwas Aehnliches in dem Gange des Thermometers, aber weniger complicirt, hat 
Rudberg vor einigen Jahren bei Metalllegirungen beobachtet. Homogene Metalle, 
wie Blei, Zinn, oder die chemiſche Verbindung von 1 Theile Blei und 3 Theilen Zinn, 
kühlten ſich regelmäßig bis zu ihrem Frierpunkte ab und blieben dann ſtationär, wie jeder 
frierende Körper. Aber jede andere, nicht chemiſche Legirung von Blei und Zinn hatte 
zwei ſtationäre Temperaturen, die eine war ungefähr bei 180% dem Schmelzpunkte jener 
Legirung, die andere lag höher und hing von der Menge Blei oder Zinn ab, die jener 
Legirung beigemiſcht war. In hoher Temperatur war es offenbar eine Auflöſung von 
Blei oder Zinn in jener ſchon bei 180° flüſſigen Legirung. Bei einer gewiſſen Tempe: 
ratur, die um ſo höher war, je mehr Blei aufgelöſt war, wurde die Löſung geſättigt, 

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BE 

das überflüſſige Blei follte ſich ausſcheiden und die Abkühlung dadurch zwar nicht unter: 
brochen, aber verzögert werden. Da Rudberg jedoch das Thermometer ſtationär fand, 
ſo hatte ſich vermuthlich die Legirung, welche die Rolle des Auflöſungsmittels ſpielt, 
etwas mit Blei oder Zinn überſättigt. Aus dieſer überſättigten Löſung ſchied ſich dann 
alles Ueber flüſſige aus, und ſo lange dieſes währte, konnte die Legirung nicht kälter wer— 
den. Nachher kühlte ſich die Legirung wieder ab, es ſchied ſich dabei ſtets Blei oder 
Zinn aus, bis endlich nichts mehr davon gelöſt war, und bloß die erftarrende, chemiſch 
als einfach anzuſehende Legirung übrig blieb. Der Proceß iſt durchaus dem einer in 
höherer Temperatur geſättigten Salzlöſung ähnlich und nur in dem zufälligen Umſtande 
davon verſchieden, daß in der Salzlöſung die ſpecifiſchen Gewichte des Salzes und der 
zurückbleibenden Löſung ſo ſehr von einander abweichen, daß ſich das Salz an den Boden 
ſetzt und die Flüſſigkeit faſt klar zurückbleibt; in den Metalllöſungen aber — ſogar wenn 
das ſpecifiſch jo ſchwere Queckſilber das Auflöſungsmittel iſt — der ausgeſchiedene feſte 
Beſtandtheil dem flüſſigen beigemengt bleibt und dem Ganzen eine gallertartige Conſiſtenz 
giebt. Eine ſehr geringe Quantität eines fremden Körpers reicht, wenn er fein vertheilt 
iſt, hin, einem flüſſigen faſt alle Beweglichkeit zu rauben. Man findet davon bei dem 
Queckſilber und einigen organiſchen Körpern auffallende Beiſpiele. 

Zwiſchen dem Verhalten der Legirung und des Schwefels in hohen Temperaturen 
finden nun freilich weſentliche Unterſchiede ſtatt, indem der Schwefel ein homogener Kör— 
per iſt, der ſich nicht wie die Legirung in einen feſten und einen flüſſigen Beſtandtheil 
ſcheiden kann; aber in einer Beziehung iſt Analogie vorhanden: in dem gleichzeitigen 
Auftreten von latenter Wärme und von Klebrigkeit. Der Schwefel zeigt bekanntlich in 
höheren Temperaturen eine Veränderung, die bis jetzt ganz iſolirt daſteht. Alle andern 
Flüſſigkeiten werden durch Wärme beweglicher, fließen viel leichter durch enge Röhren, 
ſtellen ihr hydroſtatiſches Gleichgewicht viel raſcher her, als in niedrigeren Temperaturen. 
Auch der Schwefel verhält ſich anfangs ſo; aber ſobald er bei ſeiner Erwärmung eine 
gewiſſe Grenze überſchritten hat, wird er ſchwerflüſſig und dann ſo klebrig, daß man 
das Gefäß umſtürzen kann, ohne daß er ausfließt. Bei noch ſtärkerer Erhitzung nimmt 
ſeine Flüſſigkeit wieder zu, und in der Nähe ſeines Siedpunktes iſt er ſo flüſſig wie 
Waſſer. Dumas giebt 170° und 210° als die Temperaturen an, wo die Zähigkeit 
beginnt, und wo ſie ihr Maximum erreicht haben ſoll. | 

Der gallertartige Zuftand wird gewöhnlich als eine Mittelftufe zwiſchen dem 
feſten und flüſſigen angeſehn. Aber ein ſchmelzender Körper iſt nur ſehr ſelten gallert— 
artig, dieſer Uebergang iſt vielmehr bei faſt allen Körpern ſo ſcharf, als der Uebergang 
in den Zuſtand des Dampfes; ſo iſt's beim Waſſer, ſo beim Schwefel ſelbſt. In einem 
gallertartigen Körper läßt ſich faſt ohne Ausnahme ein Gemenge zweier Stoffe nachwei— 
ſen, entweder eines feſten und eines flüſſigen, wie bei dem Thone, bei mehreren geron— 
nenen Flüſſigkeiten, bei vielen Oelen, Harzen; oder zweier flüſſiger Stoffe, wie in eini— 
gen Oelen, Queckſilberſalben u. ſ. w. In den wenigen Fällen, wo man den Mangel 


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an Homogenuität nicht unmittelbar erkennen kann, ſprechen die chemiſchen Eigenſchaften 
dafür. Der Schwefel iſt aber chemiſch identiſch, man mag ihn vor, während oder nach 
der Temperatur der Klebrigkeit analyſiren; ſie bildet nicht einmal den Uebergang zwi— 
ſchen dem feſten und flüſſigen Zuftande, ſondern nimmt einen weiten Raum zwiſchen zwei 
flüſſigen Zuſtänden ein. 

Was die für die Klebrigkeit des Schwefels angegebenen Temperaturen betrifft, ſo 
hat man wahrſcheinlich auf die ſehr ungleichförmigen Temperaturen, welche ſich in einer 
erwärmenden Schwefelmaſſe finden, nicht genug Rückſicht genommen. Der untere Theil 
des Schwefels, der dem Feuer oder dem Sandbade am nächſten ſteht, wird roth und 
klebrig, während der obere Theil noch feſt oder eben geſchmolzen iſt; man erlangt daher, 
je nachdem man mehr oder weniger ſtark umrührt oder langſam erhitzt, ſehr verſchiedene 
Temperaturen für das Maximum der Klebrigkeit. Ich habe den Schwefel, der bei 170° 
ſchon klebrig ſein ſoll, vollkommen flüſſig gefunden, als die ganze Maſſe faſt gleichförmig 
auf 190° bis 200° C. abgekühlt war, und dann wieder, als das Ganze gleichförmig 
auf 270“ ſtand. Ja ich fand ſogar im Schwefel, der eine längere Zeit in ſehr hoher 
Temperatur braun und flüſſig geweſen war, daß er ſich faſt ohne Spur von Klebrigkeit, 
aber auch ohne Sprung in der Abkühlungszeit bis zu ſeinem Frierpunkte abkühlen ließ. 
Wenn ſich aber der Schwefel langſam abkühlte, fo trat die Pauſe in der Abkühlung und 
die Klebrigkeit faſt gleichzeitig ein, und zwiſchen einer Unregelmäßigkeit in der Abkühlung 
und der Klebrigkeit fand offenbar ein Zuſammenhang ſtatt. 

Aus dieſen und andern Beobachtungen, die ich hier nicht im Detail mittheilen 
kann, geht hervor: daß der Schwefel bei einer von 260 nicht ſehr entfernten Tempe— 
ratur in einen andern iſomeren Zuſtand (Y) übergeht, dabei feine Farbe ändert und 
Wärme latent macht; daß der Sy aber, wenn er einmal entftanden iſt, feinen Zuſtand 
auch in niedriger Temperatur nicht gleich ändert, ſondern nur allmälig in die Zuſtände 
6 oder * übergeht; daß dieſer Uebergang um fo raſcher von Statten geht, an je mehr 
Stellen Sy mit Sß in Berührung ſteht, d. h. je ſtärker der Schwefel umgerührt wird 
und je länger er zwar unter 260% aber immer noch in einer hohen Temperatur verweilt; 
daß, wo der Schwefel lange Zeit bei etwa 300“ war, ſo daß man ihn als vollſtändig 
in den Zuſtand Sy verwandelt anſehen kann, er ſich bis zu feinem Frierpunkte abkühlen 
kann, ohne wieder in Sß überzugehen; und daß endlich die Klebrigkeit nichts iſt, als das 
Reſultat der Miſchung der Schwefelarten 88 und Sy, die ſich in dieſer Beziehung wie 
heterogene Körper verhalten. Sg oder &y, das letzte ſelbſt in Temperaturen unter 260° 
allein, find vollkommen flüſſig, aber 88 und Sy durch einander gemengt, find wie eine 
Emulſion, wo zwei Flüſſigkeiten, von beinahe gleichem ſpecifiſchen Gewichte, die ſich nicht 
auflöſen, mit einander gemengt ſind. 

Der Schwefel bietet in hoher Temperatur noch andere ſeltſame Erſcheinungen dar, 
die ich noch nicht vollſtändig erklären kann. Selbſt bei den reinſten Schwefelblumen, die 
ich mir verſchaffen konnte, und die ohne Rückſtand verdampften, wenn man ſie mäßig 


—— 


erwärmte, bildeten ſich bei ſtarker Erhitzung auf der Glasplatte oder im Kolben dunkel: 
braune mikroſkopiſche Körper, deren Anzahl mit der Erhitzung flieg, und beſonders zahl: 
reich wurden, wenn man den Schwefel bis zum Abbrennen erhitzte. Ferner entwickelten 
ſich aus den längſt geſchmolzenen Schwefelblumen eine Menge von Blaſen, deren Volu⸗ 
men das des compacten Schwefels weit überſtieg. Wie die Blaſen der Kohlenſäure aus 
gährenden Körpern, ſteigen ſie theils an die Oberfläche, theils werden ſie von der klebri— 
gen Flüſſigkeit zurückgehalten. Jene beſtehen aus keinem permanenten Gaſe und ſind 
ganz indifferent auf Pflanzenfarben; dieſe, die von der Flüſſigkeit zurückgehalten waren, 
wurden von ihr bei der Erkaltung wieder abſorbirt, fo daß fie ſpurlos verſchwanden. 
Gewöhnlicher Schwefeldampf, der erſt bei 420“ dem Druck der Luft das Gleichgewicht 
hält, kann es nicht geweſen ſein, und doch konnte er nicht wol etwas anderes als Schwe— 
feldampf enthalten. War es vielleicht der Dampf von 88, der eine höhere Elaſticität 
hat als Sy, aber in höherer Temperatur in Schwefel Sy übergeht? Auch bei dem Queck— 
ſilber-Jodid kann man die Exiſtenz zweier von einander verſchiedener Dämpfe nachwei— 
ſen, und bei den Kohlenwaſſerſtoff-Verbindungen giebt es mehrere iſomere Gaſe und 
Dämpfe. Das ſpecifiſche Gewicht des Schwefeldampfes gegen Waſſerſtoff iſt bekanntlich 
97 ſtatt 32,2, wie man aus ſeiner Wärme-Capacität und der Iſomorphie der Schwe— 
felſäure mit der Manganſäure und der Uebermanganſäure mit der Ueberchlorſäure hätte 
erwarten dürfen. Es iſt dieſes der Dampf von Sy; der Dampf von Sa und SB würde 
wol ein anderes Reſultat geben, wenn man ihn meſſen könnte; der Schwefel ſublimirt 
300 unter ſeinem Siedpunkte, dem Anſcheine nach viel leichter, als Schwefelſäure, 200 
unter dem ihrigen verdampft, ſo daß man wohl vermuthen darf, daß es nicht Aſchten 
Körper find, die bei 420° und bei 120° als Schwefeldampf exiſtiren. 


Selen verhält ſich in mehreren Beziehungen wie Schwefel. Eine plötzlich ein— 
tretende Farbenveränderung läßt auch bei ihm das Daſein von wenigſtens zwei iſomeren 
Zuſtänden erwarten; aber er iſt zu wenig durchſichtig, als daß man die feinen Verän— 
derungen, welche ſeine Tropfen oder Kryſtalle durch Temperaturwechſel erleiden, mit 
dem Mikroſkope unterſuchen könnte. Mit dem Thermometer würde er wahrſcheinlich 
ähnliche Reſultate zeigen, wie der Schwefel; aber dazu fehlte es mir an Material. 
Man kann ihn durch Sublimation und auch durch Abkühlung einer geſättigten Selen— 
löſung in Vitriolöl in Kryſtalle erhalten — durch Präcipitation der ſelenhaltigen Säure 
mit Waſſer iſt es mir nicht gelungen —; aber die Kryſtalle haben keine Aehnlichkeit 
mit dem rhombiſchen Schwefel, und auch mit dem monokliniſchen Schwefel ſcheint keine 
Iſomorphie ſtatt zu finden, wenn ſie auch demſelben Syſteme angehören ſollten. 


Nach den bisher angeſtellten Unterſuchungen kann man für die iſomeren Körper fol— 
gende Geſetze aufſtellen: 


1) Die iſomeren Körper haben verſchiedene Schmelz- und Siedpunkte; ihre Dämpfe 
haben verſchiedene ſpecifiſche Gewichte (Kohlenwaſſerſtoffe, Schwefel). 


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2 Sobald die Erwärmung eines der iſomeren Körper (A) eine gewiſſe Grenze 
me) überſchreitet, wird er zerſtört und geht in den andern Zuſtand (B) über. (Sal⸗ 
peter, Queckſilber-Jodid, Schwefel, Kohlenwaſſerſtoffe, mehrere Oxyde.) 


3) A kann nie in einer höheren Temperatur ſein, B aber wol in einer niederen 
nicht nur exiſtiren, ſondern ſogar entſtehen. (Aragonit, nach G. Rave's neuen Unter— 
ſuchungen, Salpeter, Queckſilber-Jodid, Schwefel.) Aber ſeine Exiſtenz iſt precair. 

4) Wenn B in einer niederern Temperatur als m? von A berührt wird, fo ver— 
wandelt es ſich von dem Berührungspunkte aus in A; aber die Dauer der Umwand— 
lung iſt ſehr verſchieden, bald augenblicklich über größere Räume (Salpeter), bald 
braucht fie ganze Stunden, um Js Linie zurückzulegen (Queckſilber-Jodid). 

- 5) Auch durch Berührung mit fremden Körpern, beſonders durch eine ſtarke Er— 
ſchütterung, durch Ritzen, wird B, wenn feine Temperatur unter m° ift, in A verwan— 
delt, jedoch nicht immer (Salpeter, Queckſilber-Jodid, Schwefel). 

6) Die Verwandlung von A in B iſt von Wärme-Entwickelung begleitet Te 
fel, Zirkonerde, Chromoxydul, mehrere antimonſaure Metallſalze). 


Der Uebergang von A und B iſt alſo in vielen Beziehungen dem zwiſchen dem fü 
ſigen und feſten Zuſtande ähnlich. In beiden Fällen iſt latente Wärme. Niemals kann 
ein Körper oberhalb ſeines Schmelzpunktes feſt ſein, aber unterhalb ſeines Schmelzpunk— 
tes kann er nicht nur im flüſſigen Zuſtande beharren, ſondern, wie ich ſchon längſt gezeigt 
habe, auch ſo entſtehen. Aber ſo wie der flüſſige Körper von dem feſten berührt wird, 
und auch durch andere Urſachen, erſtarret er augenblicklich. Indeſſen darf man ſich da— 
durch nicht verleiten laſſen, den Unterſchied der iſomeren Körper in eine Reihe zu ſtellen 
mit dem der Aggregat-Zuſtände, indem man etwa ſagte, daß ein Körper verſchiedene 
Zuſtände annehmen könnte, welche durch die Wärmemenge bedingt werden, einen, wo die 
Abſtoßung überwiege (gaſig), einen andern, wo zwar Anziehung vorherrſche, aber nach 
allen Seiten mit gleicher Intenſität (flüſſig), und endlich mehrere Zuftände, wo die An— 
ziehung nach verſchiedener Richtung ungleich ſei, aber nach verſchiedenen Verhältniſſen 
und Symmetrieen. Dieſe Anſicht wäre unrichtig; denn es iſt beim Schwefel und bei Koh— 
lenwaſſerſtoffen ausgemacht, daß auch Flüſſigkeiten einander iſomer ſein können, und bei 
dem Queckſilber-Jodid und vielen aus C, H und O beſtehenden Stoffen, daß auch Gaſe 
und Dämpfe es fein können, und bei vielen andern Körpern Schwefel, Arſenit, Phos— 
phor, Queckſilber iſt es ſehr wahrſcheinlich. Iſo mere Körper find vielmehr als gänzlich 
verſchiedene Körper anzuſehen, die nun in einer Eigenſchaft übereinſtimmen, und, phyſi— 
kaliſch betrachtet, weniger Aehnlichkeit mit einander haben, als mehrere iſomorphe Kör— 
per. Eine ſtärkere Analogie, als mit den Aggregatzuſtänden, haben ſie ſogar mit den 
verſchiedenen Hydraten eines Salzes, die in ihrer Entſtehung und Erhaltung in mehreren 
Umſtänden von ähnlichen Urſachen abhängen, als die iſomeren Körper. 


ee WE na 


Herr Profeſſor Dr. Pohl begann in einer Reihe von Vorträgen eine ſyſtematiſche 
Entwickelung und experimentale Darlegung der wichtigſten Erſcheinungen, welche ſeit der 
Entdeckung des Elektromagnetismus in dieſem neuen, an intereſſanten und 1 
Thatſachen fo reichen Gebiet der Naturkunde bekannt geworden find. 


Der erſte dieſer Vorträge fand ſchon im Jahre 1836 ftatt.*) Der Vortrage 
zeigte darin, mittelſt eines nach ſeiner Angabe zu dieſen und allen folgenden Verſuchen 
beſonders eingerichteten, unter dem Namen Side rophor bekannten einfachen galvani— 
ſchen Trogapparats, die an den galvaniſchen Proceß unzertrennlich geknüpfte Entſtehung 
des Magnetismus; er wies denſelben in allen Theilen der Kette und beſonders in dem— 
jenigen, welcher die beiden Pole der Kette als Schließungsdrath verbindet, unter vielfach 
abgeänderten Bedingungen nach, beſonders auch in der ſehr ſtarken magnetiſchen Erre— 
gung, welche ein mit dem Schließungsdrathe ſpiralförmig umgebenes hufförmiges Eiſen, 
im Augenblicke der Schließung der Kette, plötzlich annimmt, und eben ſo plötzlich bei 
deren Oeffnung wieder größtentheils verliert. Dabei wurde die Abhängigkeit der magne— 
tiſchen Pole von den chemiſchen Polen dargethan, und der augenblicklich eintretende Wech— 
ſel der magnetiſchen Polarität in den beiden Schenkeln des Hufeiſens, durch die Anwen— 
dung einer vom Herrn Prof. Pohl zu dieſem Behufe unter dem Namen Gyrotrop an— 
gegebenen Vorrichtung, mittelſt deren durch die bloße Umlegung eines metalliſchen Bü— 
gels die Enden des Schließungsdrathes mit den entgegengeſetzten Polen der Kette verbun— 
den werden, in mehreren Erfolgen gezeigt. Durch die Wiederholung dieſes Wechſels 
wurde der Anker des Hufeiſens in ſchnelle, auf und ab ſteigende Bewegung verſetzt, und 
die Möglichkeit der Anwendung dieſer Bewegung zu Mechanischen Zwecken anſchaulich 
gemacht. 

Der Vortragende ſetzte nun noch beſonders die Art der Vertheilung der magneti— 
ſchen Polarität an dem Schließungsdrathe auseinander; er zeigte, daß die beiden magne— 
tiſchen Polarwirkungen kreisförmig, unter entgegengeſetzter Richtung, in allen einzelnen 
Punkten des Schließungsdrathes tangential hervortreten, und legte dieſes Princip der 
Circularpolarität als die gemeinſame Norm für die Erklärung und das richtige Ver— 
ſtändniß aller bekannten und in den folgenden Vorträgen aufzuzeigenden Erſcheinungen 
aus dem Gebiete des Elektromagnetismus, zum Grunde. 

Dieſe Theorie unterſcheidet ſich namentlich von der Ampere'ſchen durch die Auffaſ— 
ſung des Magnetismus als Magnetismus, und die Anerkennung des faktiſchen Unterſchie— 
des und Gegenſatzes zwiſchen Elektricität und Magnetismus; während in der Ampsre'- 
ſchen Theorie dieſe beiden weſentlich verſchiedenen Seiten des galvaniſchen Proceſſes nicht 
nach ihrer Eigenthümlichkeit auseinander gehalten, ſondern alle Eeſcheinungen auf die 


*) Vergl. den vorjaͤhrigen Bericht, S. 42. 


a 


hypothetiſche Vorſtellung von elektriſchen Strömen zurückgeführt werden. Denn was 
gewöhnlich ein elektriſcher Strom genannt wird, und wobei man fälſchlich bei der unbe— 
ſtimmten Vorſtellung der Elektricität ſtehen bleibt, als wenn ſie ein ſelbſtſtändiges, eigen⸗ 
thümlich räthſelhaftes und fortdauernd wirkſames Agens wäre, das iſt im Sinne des 
Vortragenden nicht mehr Elektricität, ſondern vielmehr eine mit dem Verlaufe des Pro— 
ceſſes hervortretende chemiſche Wirkung, zu welcher die Elektricität, deren Weſen nur in 
Erregung beſteht, nichts als die bloße Tendenz und vorläufiger Entwickelungstrieb iſt; 
und der chemiſche Effekt, welcher im momentanen Verbrennungsproceſſe des elektriſchen 
Funken oder in der dauernden Wirkung des galvaniſchen Proceſſes ſtattfindet, wird nicht 
durch eine ſolche in Thätigkeit bleibende ſtrömende Elektricität erzeugt, ſondern tritt viel— 
mehr nur in ſo fern ein, als die elektriſche Erregung im naturgemäßen Verlaufe des Pro— 
ceſſes verſchwindet und durch den nunmehr Platz greifenden reelleren Effekt des Chemis— 
mus verdrängt und aufgehoben wird. Dagegen erſcheint ſodann in allen Theilen der 
von chemiſcher Thätigkeit ergriffenen Subſtanzen, fo weit fie nicht unmittelbar der chemi- 
ſchen Metamorphoſe durch Oxydations- oder Reduktions-Effekte unterliegen, der Magne— 
tismus, als Reaktion der früher vorhandenen Elektricität, indem nach der Anſicht des 
Vortragenden die magnetiſche Erregung die unausbleibliche, diametral entgegengeſetzte 
der elektriſchen iſt, und beide Momente ſtehen als unzertrennliche, gegenſeitig bedingte 
Pole am galvaniſchen Proceſſe einander eben ſo gegenüber, wie in der Elektricität an 
und für ſich die poſitive und negative Erregung, oder wie im Magnetismus die nördliche 
und ſüdliche Polarität, oder wie im Chemismus überhaupt und im chemiſchen Effekte des 
galvaniſchen Proceſſes die Orydation und Reduktion als nothwendige Gegenſätze vorhan— 
den und als ſolche auch naturgemäß zu unterſcheiden ſind. 


Die elektromagnetiſchen Erſcheinungen ſind hiernach ſämmtlich Folgen der anziehen— 
den und abſtoßenden Wirkungen der als ſolche reell hervortretenden magnetiſchen Polari— 
tät, und ergeben ſich damit, nach dem Princip der Circularpolarität, ohne Ausnahme 
auf ungezwungene Weiſe, während in der Ampere'ſchen Theorie die Anziehung oder Ab— 
ſtoßung, welche zwiſchen Elektromagneten erfolgt, je nachdem ſie in Bezug auf die Pole 
der Kette in übereinſtimmiger oder entgegengeſetzter Lage ſich befinden, den hypothetiſchen, 
in gleichem oder entgegengeſetztem Sinne fließenden elektriſchen Strömen, ohne irgend 
eine Ableitung und Motivirung zugeſchrieben wird, wobei dennoch mehrere Erſcheinungen 
nur gezwungen nach dieſer hypothetiſchen Annahme zu erklären ſind, und manche Folge— 
rungen, wie insbeſondere diejenige, wonach man ſich jeden Magnet als ſolchen nur als 
ein Syſtem von unerklärbaren elektriſchen Strömen vorzuftellen genöthiget iſt, das Ger 
präge einer erkünſtelten und naturwidrigen Anſicht darbieten. 


Der Vortragende bemerkte zuletzt noch, daß die ſämmtlichen elektromagnetiſchen Er— 
ſcheinungen ſich unter die folgenden drei Kategorieen bringen laſſen: 1) Wirkungen der 
Etektromagnete unter dem Einfluſſe des Erdmagnetismus; 2) Wirkungen derſelben im 

| 7 


Conflict mit andern gewöhnlichen Magneten; 3) gegenfeitige Wirkungen verſchiedener 
Elektromagnete *) auf einander. | 

Im nächſtverfloſſenen Jahre wurden in der phyſikaliſchen Section vom Hrn. Prof. 
Dr. Pohl zwei Vorträge gehalten, bei welchen derſelbe beſonders Erſcheinungen aus der 
erſten und zweiten der eben angeführten drei Kategorieen darlegte und entwickelte. Die 
Haupttheile des dabei benutzten, dem Herrn Pohl zugehörigen und nach ſeinen Ideen 
ausgeführten Apparates ſind nach einer Total-Anſicht derſelben in der beigefügten Zeich— 
nung dargeſtellt. Außer dem oben erwähnten Siderophor (a), der durch Senkung der 
an den Dräthen bei 2 befeftigten Zinkreifen, die in einem zur Hälfte mit der Flüſſigkeit 
angefüllten Kupfergefäße ſich befinden, beliebig in Wirkſamkeit geſetzt oder durch Hebung 
derſelben, ſo lange es erforderlich, unthätig gemacht werden kann, und dem Gyrotrop (b), 
zu welchem die Leitung von den beiden Polen der Kette (1 und 2) über eine zur Seite 
befindliche magnetiſche Bouſſole hingeführt iſt, um an der Ablenkung der Magnetnadel 
ſogleich die beginnende Thätigkeit der Kette wahrnehmen zu können, dient als Haupttheil 
des Apparates noch das Stativ (e), an deſſen Außenſeite die Leitung von dem Pol 1 bis 
in das mit Queckſilber gefüllte Gefäß q hinauf geht, während die Leitung von dem an— 
dern Pole 2, durch das Innere dieſes Stativs, bis in den gleichfalls mit Queckſilber an— 
gefüllten und von der concentriſchen Umgebung durch Iſolirung gehörig geſonderten mitt— 
leren Raum jenes Gefäßes q hinauf reicht. (Man muß ſich hierbei die beiden mittleren 
Oeffnungen auf der jenſeitigen Scheibe des Gyrotrop mit den beiden vordern Oeffnungen 
dieſer nehmlichen Scheibe durch den nach vorn geneigten, in das Queckſilber der Oeffnun— 
gen tauchenden, Gyrotropenbügel verbunden denken, indem durch eine entgegengeſetzte 
Lage dieſes Bügels die mittleren Oeffnungen mit den hintern verbunden werden, wodurch 
vermittelſt der ſich kreuzenden Dräthe des Gyrotrop die Polarität wechſelt und der Pol 1 
mit dem innern, der Pol 2 hingegen mit dem äußern Gefäß bei q in Verbindung kommt; 
man muß ſich zugleich auch noch die beiden mittleren Oeffnungen der dieſſeitigen Scheibe 
des Gyrotrop, die in den nächſt folgenden Verſuchen noch nicht unmittelbar in Anwen— 
dung kommt, einſtweilen durch einen beſonderen Drath verbunden denken.) Um nun 
die Erregung von jenen beiden zuletzt firirten Punkten, des äußern und mittlern Gefäßes 
bei q, weiter durch irgend einen beweglichen Leiter, z. B. durch den Drath e fig h, 
fortzupflanzen, fo wird derſelbe, vermittelſt des Trägers d, an einem oder einigen Co— 
confäden hängend, mit dem einen ſeiner beiden unten abwärts gebogenen Extreme, wel— 


) Elektromagnet heißt hier überall ein jeder metalliſcher oder auch nicht metalliſcher Korper, ſofern 
er elektromagnetiſche, alſo unter der Form der magnetiſchen Circularpolaritaͤt ſich darſtellende Wir⸗ 
kungen zeigt, nicht aber nur etwa ein durch einen ſpiralfoͤrmigen Schließungsdrath magnetiſirtes, 
die gewöhnliche magnetifche Longitudinalpolaritaͤt zeigendes Eiſen, welches eine leider zwar in Ge⸗ 
wohnheit gekommene, aber ganz falſche und nur zu Irrthuͤmern verankaſſende Beſchraͤnkung des 
urſpruͤnglichen Begriffes iſt. 


ches in der Drehungsare liegt, in das mittlere und mit dem andern in das äußere Gefäß 
bei q getaucht, und damit der magnetiſche Erregungskreis vollſtändig gebildet und ab— 
geſchloſſen. 

Nach der von Ampere angegebenen Einrichtung ſind die Enden des beweglichen 
Drathes an dem obern Theile deſſelben mit zwei in der Verticalaxe unter einander befind— 
lichen Spitzen in zwei Queckſilbernäpfe getaucht, zu welchen die Erregung von den beiden 
Polen der Kette in zwei geſonderten, auf entgegengeſetzten Seiten befindlichen Theilen der 
Leitung hinauf geführt wird. Dabei iſt indeß der Drath, wegen der größern Friction 
durch die Drehung auf einer Spitze, minder beweglich; außerdem geſtattet der feſte 
Theil der Zuleitung am obern Theile deſſelben keine vollſtändige Drehung des Drathes 
um ſeine Axe, und beſonders hat dieſe Einrichtung noch den Nachtheil, daß die Zuleitung 
mit ihrer eigenen magnetiſchen Erregung, von den beiden verſchiedenen Seiten her, ſtö— 
rende Einflüſſe durch anziehende und abſtoßende Wirkungen auf die beweglichen Theile 
des Apparats ausüben kann, was um ſo leichter geſchehen kann, da bei dieſer Anordnung 
des Apparats, wegen der geringeren Beweglichkeit des Drathes, eine größere und kräf— 
tiger wirkende galvaniſche Kette, als ſie außerdem erforderlich iſt, zur Ueberwindung der 
Friction angewandt werden muß, wenn die beabſichtigten Erſcheinungen mit hinlänglicher 
Beſtimmtheit und Lebhaftigkeit erfolgen ſollen. Bei der oben angegebenen Einrichtung 
iſt dagegen der an dem Coconfaden hängende Drath nicht allein ungleich beweglicher, 
ſondern er kann ſich zugleich ganz frei um ſeine Axe drehen, und die Zuleitung führt die 
entgegengeſetzten Erregungen von den beiden Polen der Kette nicht geſondert, ſondern bis 
zum Eintritte in den Drath auf einem und demſelben Wege, ſo daß ſie ſich bis dahin 
größtentheils gegenſeitig neutraliſiren, und nirgend durch vereinzelte Anziehungs- oder 
Abſtoßungs⸗ Effekte einen ſtörenden Einfluß auf die beweglichen Theile des Apparats aus— 
zuüben vermögen. 

Der Kupferdrath e fg h ſtellte in dem vom Hrn. Prof. Pohl damit vorgezeigten 
Verſuche die Einwirkung des Erdmagnetismus auf ihn, durch die Bewegung, in welche 
er bei dem Herablaſſen der Zinkreifen in die Flüſſigkeit des Siderophors, mit der begin— 
nenden Thätigkeit der Kette, ſogleich verſetzt wurde, und durch ſeine nach mehreren 
Schwingungen erfolgende Richtung in einer auf den magnetiſchen Meridian ſenkrechten 
Ebene, mit Entſchiedenheit dar. Sowohl bei dieſem als bei den übrigen noch anzufüh— 
renden Erfolgen wurde die theoretiſche Demonſtration, deren Darlegung hier für den 
Raum und Zweck des gegenwärtigen Berichtes zu weitläuftig ausfallen würde, in dem 
mündlichen Vortrage, nach dem Princip der Circularpolarität, ausgeführt, und der Er— 
folg ſelbſt unter mancherlei Abänderungen, in ſteter Uebereinſtimmung mit den theoreti— 
ſchen Beſtimmungen, dargeſtellt. So oft durch Umlegung des Gyrotropenbügels die Po— 
larität der Erregung, nachdem der Drath die feſte Stellung erlangt hatte, gewechſelt 
wurde, gerieth derſelbe von neuem in ſchwingende Bewegung, bis er abermals, jedoch 
mit verwechſelten Seiten, in der Normal-Ebene gegen den magnetiſchen Meridian zur 

7 * 


— 


Ruhe kam. Durch das wiederholte Umlegen des Gyrotropenbügels und den dadurch be— 
wirkten Polaritätswechſel nach jeder halben Umdrehung des Drathes konnte derſelbe in 
anhaltende Rotation verſetzt werden. Eben ſo wurde er auch aus ſeiner ruhenden Lage 
durch einen genäherten gewöhnlichen Magnet vertrieben und in Schwingung verſetzt, aus 
welcher er abermals, nach Entfernung des Magnets, wieder in die feſte Normalſtellung 
zurückkehrte. 

Der Vortragende zeigte darauf in einem neuen Verſuche die Wechſelwirkung des 
Erdmagnetismus und des Elektromagnetismus unter der Geſtalt einer anhaltenden, ſo— 
gleich mit der Schließung der Kette beginnenden und von ſelbſt im Gange bleibenden Ro— 
tation. Dies geſchah, indem an das Gefäß q noch eine Metallfcheibe geſetzt wurde, 
welche an ihrem Rande eine mit Queckſilber angefüllte kreisförmige Rinne trug, wäh— 
rend an dem Coconfaden, ſtatt des Drathes e fig h, ein einfacher, horizontal ſchwebender 
Drath von Kupfer aufgehängt wurde, der mit dem einen, etwas umgebogenen Ende in 
das Queckſilber der Rinne und mit einer kleinen Hervorragung unterhalb des Aufhänge— 
punktes in das Mittelgefäß bei q eintauchte. Das Princip der mit der beginnenden 
Thätigkeit der Kette ftattfindenden Bewegung dieſes Drathes iſt daſſelbe, wie beim vori— 
gen Verſuche; aber da dieſer Drath, vermöge ſeiner horizontalen Lage, in jedem Azi— 
muth ſtets auf dieſelbe Weiſe vom Erdmagnetismus ſollicitirt wird, ſo wird er durch 
denſelben, nicht wie jener, in Schwingungen, ſondern in eine anhaltende Rotation ver— 
ſetzt, und es hängt nur von der, mittelſt des Gyrotrop, beliebig zu ändernden Polaritäts— 
richtung ab, nach welcher Seite hin, ob von Oſt durch Nord nach Weſt, oder im entge— 
gengeſetzten Sinne, die Rotation erfolgt. Dem gemäß rotirte auch in dem angeſtellten 
Verſuche der Drath in derſelben Richtung, fo lange der Gyrotropenbügel feine Lage 
behielt, fing aber jedesmal an, in der entgegengeſetzten Richtung zu rotiren, ſobald mit 
der Umlegung des Bügels die Polarität umgekehrt wurde. Auch wurde durch einen 
genäherten Magnet die Rotation theils befördert, theils gehemmt, oder auch, der Rich— 
tung nach, völlig umgekehrt, je nachdem der Magnet mit einer dem Erdmagnetismus 
gleichnamigen oder entgegengeſetzten Polarität und mit mehr oder weniger Kraft, in 
größerer oder geringerer Nähe, auf den Drath wirkte. 

Diejenigen Wirkungen, welche in der zweiten von den oben angegebenen Kategorieen, 
nehmlich unter dem Conflict der wechſelſeitigen Thätigkeit zwiſchen Elektromagneten und 
gewöhnlichen Magneten, ſtattfinden, wurden von dem Vortragenden beſonders in drei 
verſchiedenen Rotations-Erfolgen dargeſtellt. 

In dem erſten derſelben rotirte ein die Kette ſchließender elektromagnetiſcher Drath 
um einen gewöhnlichen Magnet, mit großer Geſchwindigkeit und in einer durch den Gy— 
rotrop beliebig zu beſtimmenden Richtung, um einen gewöhnlichen cylindriſchen Stahl— 
magnet. Letzterer war in der Mitte des Gefäßes q aufgeſtellt, und der rotirende Ku— 
pferdrath, an dem Coconfaden hängend, ſchloß die Kette, indem er mit dem untern Ende 
in das Queckſilber der kreisförmigen Rinne des vorigen Verſuches tauchte, und an dem 


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53 


obern Ende durch ein daran befindliches kleines Queckſilbergefäß, und vermittelſt einer 
von da an ſich erſtreckenden, leicht anzubringenden Zwiſchenleitung, mit der Leitung im 
Innern des Stativs e und dadurch mit dem andern Pole der Kette in Verbindung ge— 


ſetzt wurde. 


In dem zweiten Verſuche rotirte ein kleiner Stahlmagnet um einen elektromagne— 
tiſch erregten Theil des geſchloſſenen Kreiſes der Kette. Die Verbindung der einzelnen 
Theile der Leitung war bei dieſem Erfolge ſo eingerichtet, daß in der Mitte des Queck— 
ſilbergefäßes bei q ein mit der innern Leitung des Rotationsſtativs (e) zuſammenhängen— 
der Kupferdrath aufgeſtellt wurde, an deſſen obern Theil ein kleines Queckſilbergefäß ſich 
befand, und in dieſes tauchte ein an den Coconfäden des Trägers d hängender bewegli— 
cher Drath, welcher zugleich den kleinen Magnet trug, mit dem einen Ende, während ſein 
anderes Ende durch Eintauchung in das Queckſilber der auch in den beiden vorhergehen— 
den Verſuchen benutzten kreisförmigen Rinne die Schließung des Kreiſes vollendete. Die 
Rotationsrichtung wurde auch hier beliebig, theils durch Verwechſelung der elektromagne— 
tiſchen Polarität mittelſt des Gyrotrop, theils dadurch beſtimmt, daß entweder der Süd— 
oder Nordpol des kleinen rotirenden Magneten, dem obern Ende des in der Mitte des 
Gefäßes q aufgeſtellten Drathes, um welchen die Rotation erfolgte, gegenüber geſtellt 
wurde. 


Endlich wurde noch in einem dritten, zu derſelben Kategorie gehörigen Erfolge ein 
cylindriſcher Stahlmagnet in anhaltende Rotation um feine eigene Axe verſetzt, während 
die Kette durch ihn ſelbſt geſchloſſen wurde; ſo daß er an und für ſich einen Theil des 
geſchloſſenen Kreiſes der Kette bildete. Dieſes geſchah, indem der Magnet, an den Co— 
confäden des Trägers hängend, mit feinem unteren Ende in das Mittelgefäß bei q 
tauchte, während zugleich ein an ſeiner Mitte mittelſt eines Ringes befindlicher Drath 
von da aus die Leitung bis zu dem Queckſilber der mehrmals erwähnten kreisförmigen 
Rinne, durch Eintauchung ſeines umgebogenen Endes in daſſelbe, fortſetzte. Die Ro— 
tation geſchah hierbei mit ſo großer Geſchwindigkeit, daß das Auge ihr kaum zu folgen 
vermochte, und die Richtung wurde auch bei ihr augenblicklich entweder durch Verwechſe— 
lung der elektromagnetiſchen Polarität, vermittelſt des Gyrotrop, oder durch Umkehrung 
des Magneten, je nachdem entweder ſein Süd- oder e in das mittlere Queckſil— 
bergefäß bei q eintauchte, verändert. 


Ueber einige, theils noch zu dieſer und der vorhergehenden Kategorie gehörige Er— 
folge, insbeſondere aber über die in dem bisherigen noch nicht erledigte Kategorie, hin— 
ſichtlich der Wechſelwirkungen verſchiedener Elektromagnete auf einander, ſind die theore— 
tiſchen Erörterungen mit den zugehörigen Verſuchen in den künftigen Mittheilungen, 
welche dieſe begonnene Reihe von Vorträgen zu einem Ganzen abſchließen werden, noch 
zu erwarten, und bleiben den Anführungen unſers nächſten Jahresberichtes vorbehalten. 


eee, 


II. Chemie. 


Herr Chemiker Duflos hielt folgende hierher gehörende Vorträge: 
1) ueber den Liq. ferri oxydati acetiei, als Gegengift bei 
Arſenikvergiftungen. 
2) Ueber ein neues chlorometriſches Verfahren, und 


3) Ueber Marſh Methode, die Gegenwart des N 5 mit⸗ 
telſt Waſſerſtoffgas zu entdecken. 


1) Im Verlaufe anderweitiger Unterſuchungen wurde ich veranlaßt, auch einige 
Verſuche über die Wirkſamkeit des von dem Königl. Medicinal-Collegium für Schleſien 
im Amtsblatte für 1836, St. XLII. als Gegenmittel bei Arſenikvergiftungen verord— 
neten Lig. ferri oxydati hydratiei anzuſtellen, welche mich zu dem Reſultate führten, daß 
das Eifenoryd allerdings als Mittel bei einer Arſenikvergiftung, das im lebenden Körper 
noch vorhandene Arſen unſchädlich zu machen, vor allen ſogenannten Gegengiften des Ar— 
ſeniks den Vorzug verdient, daß es jedoch, rückſichtlich des zu hoffenden guten Erfolges, 
nicht gleichgültig ſei, in welcher Form es angewendet werde. Die Anwendung in obiger 
Form z. B., welche ſich in allen Fällen wirkſam zeigt, wo die Vergiftung mit freier 
arſeniger oder freier Arſenſäure ſtattgefunden hat, bleibt ohne allen glücklichen Erfolg, 
wenn die eine oder die andere Säure an eine Baſe gebunden war, ſo wenn das Gift 
arſenigſaures Kali (Fowler's Solution) oder arſenſaures Kali (das in der Technik 
häufig angewandte und daher Vielen zugängliche Macquer's Doppelſalz) war, wie auch 
ſchon ein vorgekommener Fall der Art gezeigt (Mem. de l’academie royale de Mede- 
eine, IV. 298). In ſolchen Fällen daher, wo man ſich in Ungewißheit über die In⸗ 
dividualität des arſenikaliſchen Giftes befindet, iſt es wohl von Wichtigkeit, das Eiſen— 
oxyd in ſolcher Form anzuwenden, daß jedenfalls, wenn noch Hülfe möglich, ein günſti— 
ges Reſultat erwartet werden könne. Dieß iſt aber mit dem Lig. ferri oxydati aceticı 
der Fall, welchen man erhält, wenn zu dem, aus 4 Theilen ſalzfaurer Eiſenoxydlöſung, 
nach Vorſchrift der oben erwähnten Verordnung, erhaltenen, hydratifchen Eifenoryd drei 
Theile Eſſigſäure von 1,06 und dann ſo viel Waſſer, daß das Ganze 16 Theile betrage, 
zugeſetzt werden. Dieſe Flüſſigkeit, eine Auflöſung von eſſigſaurem Eifenoryd mit etwas 
vorwaltendem Oxyde, fällt die Arſenſäure und die arſenige Säure aus jeder Auflöſung 
nieder, ſie mögen frei oder in Verbindung mit Baſen darin enthalten ſein, und zwar 
reicht eine Unze davon hin, um unter andern 4 Unzen von der Fowler'ſchen Solution 
gänzlich zu zerlegen. Es ſcheint mir daher das erwähnte Mittel die ſchicklichſte Form 
zu fein, um das Eifenoryd als Gegenmittel des Arſeniks anzuwenden; je verdünnter mit 
Waſſer, deſto ſchneller iſt die Wirkung, daher wohl auch die Eſſigſäure dabei ohne 
ſchädliche Nebenwirkung ſein dürfte. 


55 


2) Bald nachdem Berthollet die Eigenſchaft des Chlorgaſes, organiſche ð arben 
zu zerſtören, erkannt, und Tennant die in techniſcher Beziehung nicht minder wichtige 
Entdeckung gemacht hatte, daß das Chlor die Fähigkeit beſitze, mit dem Kalke eine trockene 
Verbindung einzugehen, welche jene bleichende Eigenſchaft in eben demſelben Grade wie 
das freie Chlor ſelbſt beſaß, ohne gleichzeitig die anderweitigen zerſtörenden Wirkungen 
des letzteren auf die Pflanzenfaſern und die daraus gefertigten Gewebe zu äußern, erlangte 
auch, beſonders in Frankreich und England, die Anwendung des Chlorkalkes zum Bleichen 
der Leinwand, der Kattune und der Lumpen, Behufs der Papierfabrikation, eine ſo 
große Ausdehnung, daß deſſen Fabrikation bald Gegenſtand eines eigenen Induſtriezwei— 
ges wurde, und er ſelbſt nun zu den geſuchteſten Handelsartikeln gehört. Rückſichtlich 
feiner Zuſammenſetzung unterliegt aber der Chlorkalk des Handels mannichfaltigen Schwan— 
kungen, mit welchen die Bleichkraft deſſelben und ſomit auch ſein Werth für den Konſu— 
menten in genauem Zuſammenhange ſtehen. Nach den Verſuchen von Gay-Luſſac und 
Welter beſteht der chemiſch rein bereitete Chlorkalk genau aus gleichen Miſchungs-Gewich— 
ten Kalk, Chlor und Waſſer, oder in 100 Theilen aus 51,6 Kalk, 82 Chlor, 16,4 Waſſer, 
verhält ſich demnach als eine baſiſche Verbindung, woraus beim Auflöſen im Waſſer die 
Hälfte der Baſe ſich abſcheidet, während in die Auflöſung eine Verbindung, beſtehend aus 
1 M. G. Kalk und 2 M. G. Chlor, übergeht. Wie die chemiſche Konſtitution des Chlor— 
kalkes zu betrachten ſei, ob als eine Verbindung aus Calciumoxyd und Chlor, oder als 
ein Gemiſch aus Chlorcalcium und chlorigſaurem Kalk, iſt für die praftifche Anwendung 
deſſelben als Bleichmittel ohne Belang; denn ſo viel iſt gewiß, daß deſſen Bleichkraft der 
einen entſprechenden Menge freien Chlors genau gleichkommt, und Säuren, ſogar die 
Kohlenſäure, alles Chlor daraus als freies Chlor entwickeln, ſomit der chemiſch reine 
Chlorkalk für die Anwendung als ein auf nahe % feines urſprünglichen Raumes ver— 
dichtetes Chlorgas betrachtet werden kann. 

Dieſe Verhältniſſe gelten indeß, wie geſagt, nur für ein chemiſch reines Präparat, 
nicht aber für den Chlorkalk des Handels, deſſen Chlorgehalt ſelten 20 %, öfters viel 
weniger, bis auf 3 herab beträgt. Dieß rührt eines Theils daher, daß bei Bereitung 
im Großen die Erzielung einer chemiſch reinen Verbindung, wegen der Schädlichkeit des 
Chlorgaſes, mit unüberſteiglichen Schwierigkeiten verbunden iſt, auch die gleichzeitige 
Entſtehung von chlorſaurem Kalk, welcher nicht bleicht, dabei nicht ganz vermieden wer— 
den kann; andern Theils wird ſie auch durch die große Verſchiedenheit des rohen Kalk— 
ſteines, woraus man den gebrannten Kalk gewinnt, verurſacht, indem dieſer je nach ſei— 
ner phyſiſchen und chemiſchen Beſchaffenheit beim Löſchen bald mehr, bald weniger Waſſer 
einſaugt, und auch das Chlor bald mehr oder minder leicht abſorbirt. Alle dieſe Um: 
ſtände zuſammengenommen, würden indeß doch noch keine ſo enorme Abſtände zwiſchen 
dem Maximum und dem Minimum des Chlorgehaltes, wie fie wirklich vorkommen, ver: 
urſachen können, ſondern dieſe werden hauptſächlich durch die Gewinnſucht der Zwiſchen— 
händler bedingt, für welche die billigſte Waare auch die beſte iſt, und denen es viel lieber 


1 


iſt, wenn die Waare 10, anſtatt 15 Thaler gilt, als wenn ſie je nach dieſem Preiſe 
20 anftatt 10%, Chlor enthält. 

In Frankreich und England, wo die Chlorkalkbleiche bald nach ihrer Entdeckung in 
allen Beziehungen wiſſenſchaftlich erforſcht wurde, und der hieraus hervorgegangene ſach— 
gemäße Betrieb derſelben nicht wenig dazu beigetragen hat, die darauf Bezug habenden 
Induſtriezweige auf eine ſolche Stufe der Vollkommenheit zu bringen, als auf welcher ſie 
ſich in jenen Ländern gegenwärtig befinden, wurde der große Uebelſtand, welcher aus dem 
verſchiedenen Chlorgehalte des Chlorkalkes für den Konſumenten nothwendigerweiſe, ſo— 
wohl in pecuniärer, als auch in praktiſcher Beziehung, hervorgehen mußte, ſehr bald 
erkannt und beachtet. Die ausgezeichneteſten Chemiker, und unter dieſen beſonders Gay— 
Luſſac, deſſen Arbeiten im Gebiete der Naturwiſſenſchaft gleichzeitig dahin gerichtet ſind, 
die chemiſchen Naturgeſetze in allen Beziehungen zu erforſchen, und die Benutzung derſel— 
ben dem Phyſiker, wie dem Techniker möglichſt zugänglich zu machen, verſchmäheten es 
nicht, dieſem Gegenſtande ihre Aufmerkſamkeit zu ſchenken, indem fie ſich bemüheten, 
Verfahren ausfindig zu machen, mit deren Hülfe auch der in der chemiſchen Experimen— 
tirkunſt wenig Geübte in den Stand geſetzt würde, die Güte des entweder ſelbſt produ— 
cirten oder auf dem Wege des Handels bezogenen Chlorkalkes zu erkennen. 

Dieſer Abſchnitt der chemiſchen Probirkunſt iſt es nun, welchen man mit dem aller— 
dings etwas trivialen Namen Chlorometrie bezeichnet hat; denn nicht der abſolute Chlor— 
gehalt überhaupt iſt es, um deſſen Ermittelung zu thun iſt, ſondern nur diejenige Menge 
deſſelben wünſcht man kennen zu lernen, welche bei dem Zuſammenbringen des Chlorkalks 
oder auch des Chlorwaſſers mit organiſchen Farbeſtoffen farbenzerſtörend wirkt. Chlor— 
waſſer z. B., welches eine Zeitlang dem Lichte ausgeſetzt geweſen, hat an Bleichkraft, 
nicht aber an Chlorgehalt verloren, und Silberlöſung wird damit eben fo viel Chlorſilber 
erzeugen, als vorher. Die Abnahme der Bleichkraft rührt demnach nicht von einem Ver— 
luſte an Chlor her, ſondern ſie wird bedingt durch die unter dem Einfluſſe des Lichtes 
ftattgefundene Umwandelung eines Theils oder des ganzen Chlors in eine nicht bleichende 
Verbindung, nämlich in Chlorwaſſerſtoff, deſſen Reaction auf Silber-Solution, eben ſo 
wie die des freien Chlors, Bildung von Chlorſilber zur Folge hat. Anſtatt Chlorometrie 
würde man daher vielleicht richtiger Leucänometrie oder Bleichmeßkunſt ſagen können, 
um ſo mehr, als es durchaus noch unentſchieden iſt, ob es das Chlor iſt, welches bleicht, 
oder der durch ſeine Reaction entwickelte Sauerſtoff. 

In dankbarer Erinnerung an den Entdecker der Chlorbleiche nennen die Engländer 
das Bleichen mittelſt Chlors berthollettern und die Bleichmeßkunſt Berthollimetrie. 

Da der Chlorkalk hauptſächlich zum Bleichen dient, und dieß nur dadurch bewirkt, 
daß er ſelbſt zerſetzt oder zerſtört wird, indem er die Farben zerſtört, ſo lag es ſehr nahe, 
ſich zur Prüfung ſeiner Güte eines derjenigen Farbeſtoffe zu bedienen, die er ſchnell 
bleicht. In der That iſt auch das zuerſt von Gay-Luſſac angegebene chlorometriſche 
Verfahren hierauf baſirt. Es beſteht nämlich im Weſentlichen darin, daß zu einem 


— 


beſtimmten Vol. einer Auflöſung von Indigo in Schwefelſäure, von bekanntem Farbe⸗ 
ſtoffgehalt, eine vorher abgemeſſene Auflöſung von Chlorkalk in einer beſtimmten Menge 
Waſſer eingekocht, und mit dem Eintropfen unter Umrühren ſo lange fortgefahren wird, 
bis die blaue Farbe der Indigoauflöſung in Gelb übergegangen iſt. Dieſe Probe würde 
für die praktiſche Anwendung wenig zu wünſchen übrig laſſen, wenn der Farbeſtoffgehalt 
des Indigo's eine conſtante Größe, und die daraus gefertigte Tinktur mit der Zeit keine 
Alteration erlitt. Dieſe Bedingung findet aber keinesweges ſtatt, und die Indigoprobe 
erhält in Folge dieſes nur einen ſehr ſchwankenden relativen Werth. Um dieſem abzu— 
helfen, hat nun Gay-Luſſac in neuerer Zeit die Indigotinktur drei andern Löſungen ſub— 
ſtituirt, von denen eine oder die andere nach Belieben gebraucht werden kann. 1) Eine Lö— 
ſung von arſeniger Säure in Salzſäure; 2) eine Löſung von Kaliumeiſencyanür oder Blut— 
laugenſalz in Salzſäure haltigem Waſſer; 3) eine Löſung von ſalpeterſaurem Queckſilber— 
oxydul. Dieſe Löſungen werden ſo bereitet, daß ein gegebenes Volumen davon eine be— 
kannte Menge des Reactionsmittels enthält, und ſie werden dann kurz vor der Anwen— 
dung durch einen Tropfen Indigotinktur blau gefärbt. Darauf macht man ſich von dem 
zu prüfenden Chlorkalk eine Löſung in einem beſtimmten Maaße Waſſer, und unterſucht, 
wie viel davon zu einem beſtimmten Vol. von einer der Probeflüſſigkeit zugeſetzt werden 
muß, um in der Arſeniklöſung alle arſenige + in Arſenſäure, und in der Löſung des 
Blutlaugenſalzes alles Kaliumeiſencyanür in Kaliumeiſencyanid zu verwandeln. Dieß 
entſpricht nun genau einer conſtanten Menge Chlor, und der Zeitpunkt der vollſtändigen 
Umwandlung wird daran erkannt, daß das weiter hinzukommende Chlor nun auf das 
Indigopigment bleichend wirkt. Bei der Queckſilberorydul-Auflöſung bedarf es des Zu— 
ſatzes der Indigotinktur nicht; man hält ſie in einer Probirröhre mit Salzſäure, und 
ſetzt dann ſo lange Chlorkalklöſung zu, bis der Niederſchlag, welcher Queckſilberchlorür iſt, 
aufgelöſt iſt, was dadurch ſtattfindet, daß das unlösliche Chlorür ſich durch Abſorption 
des Chlors in lösliches Chlorid umwandelt. 

Dieſe Prüfungsmethoden ſind nun allerdings geeignet, viel poſitivere Reſultate zu 
liefern, als die Indigoprobe; indeß ſind ſie doch auch mit zwei nicht ganz unerheblichen 
Uebelſtänden verknüpft, welche ihren Werth ſehr vermindern; nämlich ſie erfordern ſo— 
wohl zur richtigen Bereitung der Probeflüſſigkeiten, als auch zur Ausführung der Prüfung 
ſelbſt, jedenfalls mehr chemiſche Sachkenntniß, als gewöhnlich bei dem Techniker ange— 
troffen wird, und endlich iſt bei keiner von den einzelnen Prüfungen auf den etwanigen 
Gehalt des Bleichſalzes an chlorſaurem Salze Rückſicht genommen. Chlorſalz iſt aber 
immer in größerer oder geringerer Menge vorhanden, und trägt bei der Anwendung der 
Bleichflüſſigkeit ohne Säurezuſatz, wie es unter andern bei der Leinwandbleiche nie an— 
ders ſtattfinden darf, nichts zur Farbenzerſtörung bei; bei den obigen Proben aber, wo, 
wie bei allen andern in Vorſchlag gebrachten, deren nähere Erweiſung ich, um nicht zu 
weitläuftig zu werden, übergehen will, eine ſaure Flüſſigkeit angewandt wird, erleidet 
das in der Bleichflüſſigkeit gleichzeitig enthaltene chlorſaure Salz durch die freiwerdende 

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— 58 


Salzſäure eine Zerlegung, wirkt dann auf die Probetinktur mehr oder weniger wie freies 
Chlor, und giebt dadurch Veranlaſſung, der geprüften Waare einen höhern Werth beis 
zulegen, als fie wirklich beſitzt. Zennek glaubte dieſem Uebelſtande dadurch abzuhel⸗ 
fen, daß er der ſchwefelſauren Indigoauflöſung eine neutrale ſpirituöſe Auflöſung von 
ſublimirtem Alizarin, dem rothen Farbeſtoffe der Krappwurzel, ſubſtituirte; indeß nicht 
allein, daß dieſes Pigment in dieſem Zuſtande der Reinheit nicht jedem zugänglich iſt, ſo 
kann außerdem das Auflöſungsmittel, nämlich der Weingeiſt, auch hier große Irrthü— 
mer, und zwar in entgegengeſetzter Beziehung, veranlaſſen; denn da es ſelbſt ſehr leicht 
vom Chlor entmiſcht wird, ſo muß das hierzu verwandte Chlor nothwendiger Weiſe der 
Schätzung entgehn, und der Werth des Chlorkalks in Folge dieſes ſich geringer ergeben, 
als er wirklich iſt. 

Allen dieſen Mängeln glaube ich nun dadurch zu entgehen, daß ich als Reactions— 
mittel eine Auflöſung von Schwefelcyaneiſen anwende, eine Verbindung, deren Farbe— 
Intenſität in gleichem Verhältniſſe ſteht zu ihrem Vermögen, Chlor zu abſorbiren, wobei 
unter Verluſt aller Farbe das Eiſen in Eifenoryd, der Schwefel in Schwefelſäure und 
das Cyan in Chlorcyan übergeführt wird, ohne daß die Neutralität der Miſchung zer— 
ſtört werde, ſomit auch ohne Mitwirkung des etwa vorhandenen chlorſauren Salzes. 
Ein M. G. Schwefelcyaneiſen, S 28 1 Gewichtstheile, abſorbirt genau 48 Volumen 
oder 106%, Gewichtstheile Chlorgas. Löſt man daher 35 Gran Schwefelcyan-Kalium 
und 47 Gran Eiſenliquor von 1,5, derſelbe, welcher unter dem Namen Liq. ferri 
mur. oxydati officinalis bekannt iſt, in 9918 Gr. Waſſer, ſo erhält man eine blutrothe 
Flüſſigkeit, worin genau 27 ½ Gr. waſſerleeres Schwefelcyaneiſen enthalten find, und 
wovon 100 Gr. genau 1 Gr. Chlor entſprechen. Will man nun den Chlorkalk auf 
ſeine Bleichkraft prüfen, ſo zerreibe man genau 50 Gr. davon mit 1000 Gr. Waſſer, 
laſſe die Löſung ſich abſetzen, wäge dann von der abgeklärten Flüſſigkeit 500 Gran ab, 
und ſetze dazu, unter Umrühren mit einem Glasſtabe, ſo lange von der Probetinktur zu, 
als noch eine Entfärbung ſtattfindet, oder bis die Farbe der Miſchung dauernd in Roth 
nüancirt wird. Jene verbrauchten 100 Gran von der Tinktur entſprechen genau 4% 
bleichendes Chlor in dem geprüften Chlorkalke. Auch Chlorwaſſer kann in gleicher 
Weiſe auf ſeinen Gehalt an freiem Chlor erforſcht werden. Gutes Chlorwaſſer enthält, 
bei mittlerer Temperatur und mittlerem Barometerſtande, mindeſtens ſein gleiches Vol. 
Chlorgas gelöſt, folglich wird 1 Kubikzoll Chlorwaſſer demGewichte nach nahe 1 Gr. Chlor 
enthalten, und 100 Gr. oder mehr / Kubikzoll von der Probetinktur, wenn 1 Kubif- 
zoll unter gleichen Wärme- und Druck-Verhältniſſen 297 Gran wiegt, entfärben. 

3) Der Beſitz eines Verfahrens, um in gerichtlich-mediciniſchen Fällen die Anwe— 
ſenheit auch der geringſten Menge von Arſenik in irgend einer Flüſſigkeit, einer Speiſe 
oder einem Arzneimittel auf ſolche evidente Weiſe darzulegen, daß kein weiterer Zweifel 
darüber obwalten könne, iſt von jeher für eine Sache der größten Wichtigkeit erachtet 
worden, wie ſich ſchon hinreichend daraus ergiebt, daß die ausgezeichneteſten Chemiker 


— 59 


ſich in Bemühungen, ein ſolches Verfahren ausfindig zu machen, und in Vorſchlägen dazu 
faſt erſchöpft haben. In der That erfreut ſich auch kein Abſchnitt aus der gerichtlichen 
Chemie ſolcher Präciſion, als derjenige, welcher von der qualitativen Ausmittelung des 
Arfeniks und von der Herſtellung deſſelben in feiner erkannteſten Form handelt, und 
einem ſachbewanderten und in dieſer Art von Unterſuchungen geübten Experimentator 
kann es bei genauer Befolgung der zur Erreichung dieſer Zwecke von dem einen oder dem 
andern bewährten Chemiker beſchriebenen Unterſuchungsmethoden keine weiteren Schwie— 
rigkeiten gewähren, auch ſolche Mengen von Arſenik, welche kaum ee Gran betragen, 
nicht allein zu erkennen, ſondern auch in reguliniſcher Form herzuſtellen, als in derjeni— 
gen, welche am geeigneteſten iſt, allen Zweifel über die Individualität dieſes Giftes zu 
heben. Man könnte daher wohl glauben, daß dieſer Gegenſtand nun als abgeſchloſſen 
und keiner weitern Vervollkommnung fähig betrachtet werden müſſe. Allein dem war 
nicht ſo, und alle in Vorſchlag gebrachten Unterſuchungsmethoden traf allerdings mehr 
oder weniger der Vorwurf, daß bei aller Präciſion, welche ſie gewährten, die Ausfüh— 
rung derſelben, bei den ſo mannichfaltig komplicirten Fällen, die bei Unterſuchungen der 
Art möglich ſind, doch immer einen ſehr geübten Experimentator, welcher das ganze Feld 
der gerichtlich-chemiſchen Analyſe inne habe, vorausſetze, um auch bei negativem Re— 
ſultate der betheiligten Parthei dieſelbe Ueberzeugung, wie bei poſitivem, gewähren zu 
können. In dieſer Beziehung alſo war es allerdings noch möglich, die gerichtliche Aus— 
mittelung des Arſeniks zu vervollkommnen, und dieſe Aufgabe hat nun auch neuerdings 
ein Engländer, James Marſh, glücklich gelöſt, und die von ihm empfohlene Ausmit— 
telungsmethode kann in der That zu den netteſten chemiſchen Experimenten gezählt wer— 
den; an Genauigkeit ſteht ſie keinem der bis jetzt in Ausübung geweſenen bewährteſten 
Verfahren nach; dabei iſt die Ausführung ſo leicht, bedarf ſo kurze Zeit, um zu einem 
beſtimmten Reſultate zu gelangen, und ſetzt ſo wenig ſpeciellere chemiſche Kenntniſſe vor— 
aus, daß ſie auch von dem Ungeübteſten in der chemiſchen Experimentirkunſt unternom— 
men werden kann. Dieß ſind aber alles Vortheile, welche, wie geſagt, den bisher üblichen 
Ausmittelungsmethoden mangelten. Denn dieſe erforderten bekanntlich, wenn das Cor— 
pus delieti ein organiſches Gemenge war, wie es am häufigſten der Fall iſt, daß es zu— 
erſt eine desorganiſirende Behandlung mit kauſtiſchen Alkalien, Salpeterſäuren oder Chlor 
unterworfen und dann mit Kalkwaſſer oder Schwefelwaſſerſtoffgas ausgefällt werde. Der 
bei Anweſenheit von Arſenik entſtandne Niederſchlag von arſenigſaurem Kalk oder Schwe— 
felarſenik wurde hierauf zu Metall reducirt, entweder mittelſt Waſſerſtoffgaſeso der auf 
irgend eine andere mehr oder minder umſtändliche Weiſe. Bis 8 Stunden war die kür— 
zeſte Zeit, welche zur Ausführung einer ſolchen Unterſuchung erfordert wurde. 

Die Methode von Marſh kennt dieſe Umwege nicht, fie erfordert nur, daß der 
Arſenik ſich in ſaurer Auflöſung befinde, gleichviel, ob gleichzeitig mit vielen oder wenigen 
organiſchen Subſtanzen vermengt, um es binnen höchſtens einigen Minuten in regulini— 

ſcher Form herzuſtellen. Sie iſt auf die Erfahrung baſirt, daß Waſſerſtoffgas, wenn es 
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im Augenblicke ſeiner Entwickelung mit Arſenik, entweder metalliſchen oder in ſaurer 
Auflöſung befindlichen, zuſammentrifft, ſich mit dieſem zum Arſenikwaſſerſtoffgas verei— 
nigt, eine Verbindung, welche die Eigenthümlichkeit beſitzt, ſchon durch die bloße Wir— 
kung einer erhöheten Temperatur, z. B. durch die Hitze einer Weingeiſtlampe, in ihre 
Beſtandtheile, Arſenik und Waſſerſtoffgas, zu zerfallen. Dieſes Verfahren iſt an ſich 
nicht neu, ſondern längſt bekannt, und ſchon Serullas hatte dadurch die Gegenwart 
von Arſenik in allem natürlichen Schwefelantimon und den daraus gefertigten Präparaten 
erkannt, indem er dieſen mit Salpeter verpuffte, dann mit ſchwarzem Fluß ſchmolz und den 
erhaltenen kaliumhaltigen Regulus im zerkleinerten Zuſtande mit Waſſer übergoß; hier— 
bei entwickelte ſich knoblauchartig riechendes Waſſerſtoffgas, welches beim Hindurchleiten 
durch eine glühende Glasröhre das Glas mit einem ſpiegelnden Ueberzuge von regulini— 
ſchem Arſenik überdeckte. 

Demungeachtet kam aber doch merkwürdiger Weiſe Niemand auf den glücklichen | 
Gedanken, nachzuforfchen, welchen Grad der Empfindlichkeit dieſe Ausſcheidungsmethode 
des Arſeniks beſitze, und in wie fern ſie wohl zur Ermittelung ſehr kleiner Mengen die— 
ſes Giftes in organiſchen Gemengen, als Speiſen, ausgebrochenen Flüſſigkeiten u. dergl. 
angewandt werden könne. ö 

Marſh hat zuerſt in neuerer Zeit Verſuche darüber angeftellt, und iſt zu ſehr bes 
friedigenden Reſultaten gelangt. Er brachte die auf Arſenik zu unterſuchende Flüſſigkeit, 
nachdem fie mit Salpeter- oder Schwefelſäure angeſäuert worden, mit metalliſchem Zink 
in Berührung; hierdurch wird Waſſerſtoffgas erzeugt, welches, wenn die fragliche Flüſ— 
ſigkeit auch nur die kleinſte Spur Arſenik enthält, arſenikhaltig war, und beim Verbren— 
nen in einem über der Flamme gehaltenen kalten Körper einen grauen Anflug von metal— 
liſchem Arſenik abſetzte. | 

Liebig hat die Verſuche wiederholt und die Reſultate beſtätigt, jedoch findet er, 
daß es zweckmäßiger ſei, wie ich mich auch überzeugt habe, das arſenikhaltige Waſſerſtoff— 
gas durch eine, mittelſt einer untergehaltenen Lampe an einer Stelle erhitzte, enge Glas⸗ 
röhre zu leiten, anſtatt es zu entzünden. Das metalliſche Arſenik lagert ſich oberhalb 
der erhitzten Stelle in Geſtalt eines grauen, metalliſch-glänzenden Ueberzuges ab. Lie— 
big beſtimmt die halbmillionfache Verdünnung als die Grenze der mit Sicherheit noch 
erkennbaren Reaction. 

Dieſe Empfindlichkeit iſt aber ſo groß, daß nicht genug Vorſicht in der Wahl der 
zur Anſtellung des Verſuchs anzuwendenden Reagentien, als der Säure und des Zinks, 
empfohlen werden kann. Beſonders darf daſſelbe Zinkſtück nicht zweimal angewandt wer: 
den, indem der Zink durch Berührung mit einer arſenhaltigen Flüſſigkeit ſelbſt arſen— 
haltig wird, und, wollte man es zu einem zweiten Verſuche anwenden, jedenfalls arſen— 
haltiges Waſſerſtoffgas entwickeln würde, wenn auch die Flüſſigkeit nichts davon enthielte. 
Eben ſo darf auch durchaus keine unrektificirte Schwefelſäure angewandt werden, welche 
nur ſehr ſelten frei von Arſen iſt. Ueberhaupt iſt es immer gerathen, einen vorläufigen 


1 


Verſuch mit der Säure und dem Zinke, welche man anwenden will, anzuſtellen, indem 
man das durch Gegenwirkung beider ſich entwickelnde Waſſerſtoffgas durch die erhitzte 
Glasröhre ſtrömen läßt. Bleibt die Glasröhre unbefleckt, ſo ſind beide Reagentien rein. 


Im Verfolg ſeiner Verſuche giebt Liebig auch eine Methode an, wie man das nach 
dem Verfahren von Berzelius durch Fällen der ſauren Flüſſigkeit mit Schwefelwaſſer— 
ſtoff erhaltene Schwefelarſen auf ähnliche Weiſe reduciren könne. Man ſoll den Schwe— 
felarſen in Kalilauge auflöſen, und die Flüſſigkeit mit eſſigſaurem Blei verſetzen, bis ein 
Tropfen davon mit Eſſigſäure keinen Niederſchlag mehr giebt, bei welchem Zeitpunkte 
alles Schwefelarſen in arſenige Säure verwandelt fein wird. Wird nun die Flüſſigkeit, 
ohne fie von dem entſtandenen Schwefelblei zu trennen, mit verdünnter Schwefelſäure im 
Uebermaaß verſetzt, ein Zinkſtück hineingelegt, und das ſich entwickelnde Waſſerſtoffgas 
langſam durch eine enge, an einer Stelle bis zum Glühen erhitzte Glasröhre geleitet, fo 
bleibt der charakteriſtiſche Anflug des Arſens niemals aus, ſelbſt wenn das Schwefelarſen 
nur 1 Milligramme oder 2 Gran betrug, und ſich vom Filter nur durch Uebergießen 
deſſelben mit verdünntem Aetzammoniak abnehmen ließ. 


Dieſen Umweg, um zu reguliniſchem Arſen zu gelangen, in dem Falle, wo der zu 
reducirende oder auf Arſen zu unterſuchende Körper frei iſt von organiſchen Gemengthei— 
ten und in concreter Form zur Unterſuchung vorliegt, halte ich übrigens für überflüſſig. 
Viel ſchneller und eben ſo ſicher gelangt man zum Ziele, wenn man den Körper mit dem 
Zwanzigfachen eines Gemiſches aus gleichen Theilen Sauerkleeſalz und kohlenſaurem Kalke 
mengt, das Gemenge in dem Schälchen, worin die Miſchung vorgenommen, möglichſt 
austrocknen läßt, etwa 7. bis höchſtens 7 Gran davon in ein vollkommen trockenes, 
2 Zoll langes, 1% Linien weites Glasrohr, welches an einem Ende verſchloſſen ift, bringt, 
durch behutſames Abſchütteln dafür ſorgt, daß nichts von dem Gemenge im obern Theile 
der Röhre hängen bleibt, dieſe dann am obern Ende mittelſt eines umwickelten Papier— 
ſtreifens faßt, ſie in etwas geneigter Lage langſam von oben nach unten über die Flamme 
einer Weingeiſtlampe führt, und endlich, ſobald man mit dem Erwärmen, welches die 
Entfernung der Luft zum Zweck hat, bis an das Gemenge gelangt iſt, die Löthrohrflamme 
auf letzteres richtet. Iſt nun darin Arſen enthalten, in welcher Form es auch ſei, ſo 
wird es ſich alsbald in Geftalt eines grauen, metalliſch glänzenden Ueberzuges am Glaſe 
oberhalb der durch das Löthrohr erhitzten Stelle auch ſublimiren. % Gran Schwefel— 
arſen oder arſenigſaures Kupfer ſind zu dieſem Verſuche hinreichend, und befinden ſich 
dieſe Körper in ſolcher geringen Menge in einer Flüſſigkeit ſuſpendirt, in Folge voran— 
gegangener Behandlung dieſer letzteren mit Schwefelwaſſerſtoff oder Kupferammoniak, 
daß ſie nach dem Filtriren nicht wohl vom Filter genommen werden können: ſo übergießt 
man letzteres mit etwas erwärmtem, verdünnten Aetzammoniak, läßt das Filtrat eintrock— 
nen, zerreibt nun den Rückſtand mit etwas von dem Gemenge aus Sauerkleeſalz und 
Kreide und verfährt mit dem Gemiſch wie oben. — Die Reduction findet durch das 


11 


aus dem kleeſauren Salze ſich entwickelnde Kohlenoxydgas ſtatt; der kohlenſaure Kalk 
hat nur zum Zwecke, einerſeits die Miſchung zu verdünnen, andererſeits die Entwäſſe⸗ 
rung des Gemenges zu erleichtern. Oxalſaurer Kalk iſt wegen des dieſem Salze eigen— 
thümlichen Decrepitirens nicht anwendbar. Das Sauerkleeſalz iſt überhaupt bei Reduc⸗ 
tionsverſuchen vor dem Löthrohre ein herrliches Mittel, und erſetzt vollkommen das von 
Göbel in Dorpat vorgeſchlagene ameiſenſaure Natron. 


Herr Duflos erläuterte nun dieſen Vortrag durch mehrere, aus der gerichtlich— 
mediciniſchen Praxis entnommene Verſuche, die auf der Stelle vorgenommen wurden, 
wodurch der ohnehin ſo klare Inhalt deſſelben noch mehr an Anſchaulichkeit gewann. 


Herr Profeſſor Dr. Fiſcher ſprach über die chemifche Natur der zu den Zündhüt— 
chen verwendeten Maſſen, die aus knallſauren und chlorſauren Salzen und Entzündung 
befördernden Subſtanzen, wie Schwefel, Phosphor, zu beſtehen pflegen, und insbeſondere 
über eine Sorte, die nicht knallſaures Queckſilber, ſondern knallſaures Kupferſalz ent— 
hielt, wodurch die leicht erfolgende Selbſtentzündung viel eher vermieden wird, da dieſes 
Salz ſehr ſchwer im Waſſer auflöslich und daher kaum kryſtalliſirbar iſt, während das 
knallſaure, durch Einwirkung der Feuchtigkeit der Luft aus der Zündmaſſe ausgezogene 
Queckſilber ſchnell kryſtalliſirt, und in dieſem kryſtalliſirten Zuſtande durch einen ſchwa⸗ 
chen Druck, Stoß und dergleichen leicht detonirt. 


In einer anderweitigen Sitzung legte derſelbe mehrere neuere, von Berzelius, Lie— 
big und Mitſcherlich angegebene Apparate vor, deren Anwendung das Verfahren bei 
Analyſen weſentlich erleichtern. 


Der Secretair der Section ſprach über die am 20. Septbr. 1836 bei dem Grund 
graben des neuen Badehauſes entdeckte neue mineraliſche Quelle zu Charlottenbrunn, wo— 
von der daſige Apotheker Herr Beinert eine muſterhafte Analyſe geliefert hat, die aus— 
führlich, nebſt einem ärztlichen Gutachten von dem Badearzt Herrn Dr. Lorenz über 
die von ihr zu erwartenden mediciniſchen Heilkräfte, im Juniſtück 1837 der ſchleſiſchen 
Provinzialblätter abgedruckt iſt. Auch Referent theilt die günftigen, über dieſelben aus— 
geſprochenen Erwartungen, namentlich von dem mit Molken in Verbindung geſetzten Ge— 
brauch derſelben, und erwähnt hier uur noch die Reſultate der oben erwähnten Analyſe. 


In einem Pfunde von 16 Unzen enthält fie: 


A. Flüchtige Beſtandtheile: 
Kohlenſaures Gas 17,6036 Kubikzoll. 


B. Feſte Beſtandtheile: 


Chlor⸗ Natrium + 0,9038 Gran. 
Waſſerleeres ſchwefelſaures Natrum .. . 
Kohlenfaures Natru nnn 0,5429 — 
Kohlenſaure Kalkerddeeeeeeeeeeeeeeee 1,8828 — 
Kohlen ſaure Talkerde 


S 
— 
© 
F 
1 
| 


Kohlen ſaures Eifenorydul «see. 0... 0,0595 — 
Schwefelſaure Kalkerde . 0,0122 — 
Kießeterde „ sera. e eee l ite 0,1502 — 
CCCP 
Extruftiwſto fekt e e e e 0,1005 — 


Summa . . . 3,9962 — 
Verluſt . . 4,0606 — 


4,0568 Gran. 


IV. Geologie. 


Herr Oberſtlieutenant v. Strantz hielt am 28. Januar einen Vortrag über 
Erdbildung, der Theorie und Erfahrung nach; Gebirgs-Emporhebungen, 
Senkungen und Neigungen der Schichten insbeſondere. Er gab erſtens eine kurze Ueber— 
ſicht der Syſteme von Büffon, la Plage, Cordier, Humphry Davy, de 
la Boche und Lyell, von der Erdbildung im Allgemeinen. Dann erwähnte er die 
Gelehrten, welche über die Emporhebungen ganzer Kontinente ſowohl, als Inſeln und 
Gebirge, zuerſt geſprochen: Hutton, Fichtel, Playfair und Leopold v. Buch, 
welchem letzteren wir eine Theorie über dieſen Gegenſtand verdanken; ferner die Herren 
Dufrenoy und Elie v. Beaumont, welche fie erweiterten; fo wie diejenigen, welche 
gegen die vergleichenden Gebirgsſyſteme Beaumont's Einwendungen machten: Sagry, 
Sedgwich und Profeſſor Dr. Müller; gegen die Erhebung ganzer Kontinente: Herr 
Greenoughz und endlich eine Mittheilung der verſchiedenen Anſichten über Emporhe— 
bungen und Senkungen von F. v. Charpentier, Paul Einbrodt und v. Car- 
nall. Letzterer ſpricht ſich am meiſten und ausführlichſten über die Senkungen und 
Schichtenaufrichtungen aus, behandelt dieſen Gegenſtand vollſtändig theoretiſch und giebt 
die gründlichſten Aufſchlüſſe über die Natur der Schiefer und Kohlengebirge. 


e 


Was nun die Emporhebungen und Senkungen betrifft, ſo glaubt Ref. auch ſeine 
Anſichten darüber nicht verſchweigen zu dürfen, in ſo fern Thatſachen dafür ſprechen, oder 
Hypotheſen einſtweilen aushelfen müſſen. Er tritt im Allgemeinen der Meinung Derje⸗ 
nigen bei, welche mit den Emporhebungen zugleich ein Nachſinken zuläſſig finden (F. v. 
Charpentier und v. Carnall), auch Hebungen mit Zurücklaſſung eines hohlen Raumes 
erkennen, wonach ſich mehrere Schichtenneigungen erklären laſſen (v. Carnall). 


Alle Erhebungen der Urgebirge laſſen auf Zurücklaſſung hohler Räume in großer 
Tiefe ſchließen. Dafür ſprechen die Erdbeben, welche in den Gebirgen ſowohl, als an 
ihrem Fuße, der noch weit unter die Ebene und dem Meere fortgehen kann, ihre Wirkung 
äußern. Ganz aus dem Innern kann dieſe Kraft nicht herrühren, ſonſt würden ſich nach 
der mindeſten Widerſtandslinie wirkend die Tiefländer erſchüttern und gleichzeitig, wie 
die Intenſität des Magnets, ſich überall verſpüren laſſen. Auch mehrere auf Einſturz 
hindeutende Schichten zeugen von unterliegenden partiellen Höhlen, die theilweiſe mit den 
größeren, ſo wie dieſe etwa mit einer Centralhöhle, in Verbindung ſtehen. 


Die gewöhnliche Annahme, daß der Granit im Schmelzungszuſtande die Erdkruſte 
mit den aufgelagerten Schichten gehoben und durchbrochen habe, bezweifelt derſelbe in ſo 
fern, als wir wiſſen, daß nicht die ausſtrömende Lava der Vulkane, ſondern die expan— 
ſiven Dämpfe es ſind, welche eine Hebung und einen Durchbruch bewirken; andererſeits 
müßte auch der überſtrömende Granit ſich auf die Schichten lagern, ein Fall, der nur 
höchſt ſelten im Kleinen vorkommt. So ein aufgelagerter Granit dürfte im gasförmigen 
Zuſtande, aus den Klüften zu Tage gehend, auf chemiſchem Wege ſich gebildet haben. 
Nehmen wir an, daß jene Erdkruſte, Träger der ſpäter niedergeſchlagenen Schichten, 
ſchon eine faſt erſtarrte Granitmaſſe war, auf der weiter in der Tiefe, mit Bezug auf 
die Erdwärme, eine zweite in noch plaſtiſch-teigartigem Zuſtande folge, ſo ergiebt ſich bei 
der Hebung jener Schichten eine Spaltung, aus welcher der noch teigartige Granit, zu 
Tage gehend, aufſteigt, mithin vorzugsweiſe die höchſten Punkte der Gebirge bildet. 
Es kann jedoch durch alleinige Berſtung ſolcher aufgelagerten Schichten auch in den Thä— 
lern, wie es oft der Fall, der Granit erſichtlich werden. — Was das Entſtehen der 
Vulkane und inſulariſche Aufſteigen der Baſalt- und Trachytmaſſen betrifft, ſo ſtimmt 
Ref. den allgemeinen Anſichten darüber bei. — Betreffend das Alter der Gebirge dünkt 
ihm, es ſei das Großartige meiſt dem Kleinen, den Erfahrungen neuerer Zeit, vorherge— 
gangen, wobei ein gleichzeitiges Alter kleinerer Bergmaſſen jedoch nicht in Abrede geſtellt 
wird. Die Beiſpiele von Erhebungen ganzer Ländermaſſen (Chili, Italien, Scandina— 
vien) werden noch von Mehreren in Zweifel gezogen, wogegen die Verſenkungen durch 
Einſtürze von Höhlen im Innern, in Folge der Erdbeben, mit großer Wahrſcheinlichkeit 
ſich ergeben (Portugal, Sicilien u. a. L.). Ihm dünkt ferner, der große Proceß der 
Erdbildung ſei bis zu einer neuen allgemeinen Erdumwälzung einſtweilen vollendet, und 
die Wahrnehmungen neuerer Zeit nur ein Nachhall. 


65 
— — —— — 


Noch mehr im Einzelnen äußerte ſich Referant über die Senkungen, die in den 
bat Fällen nicht ohne hohle Räume im Innern der Erdrinde denkbar ſind. Ihn 
ſprachen vorzugsweiſe die Annahmen des Herrn v. Carnall an; auch glaubt er, auf die 
Theorie und Erfahrung der Kriegsminen, nämlich der großen Kraft expanſiver Dämpfe 
und ihrer Wirkung nach der mindeſten Widerſtandslinje, noch hindeuten zu müſſen. 

1) Theilweiſe Rückſenkung, bei, oder Beine nach erfolgter Land- oder Berg⸗ 
Erhebung und Biegſamkeit der Maſſen. — Auf dieſem Wege bilden ſich alle große Hochs 
flächen, Berg-Plateaus, flache Kämme, Berg- und Gebirgs-Einſattlungen, mulden— 
förmige Senkungen, Stufen bei den Abfällen oder Gebirgszweigen, die hier gegen 
den Hauptrücken kürzer und Heilen befallen ; Degleichem Tervaſfen bei vulkaniſchen 
Bergen u. ſ. w. 

2) Rückſenkung durch Waſſerdruck, nämlich durch Parallelſtrömung und 
Ueberſturz, angenommen, nach Suvier, die Ländermaſſe erhöbe ſich aus dem Meere. — 
Dafür dürfte bei vielen Gebirgen die Seite ihres ſtärkſten Abfalls ſprechen: Seiten— 
druck bei denen, welche beiläufig der Meridianrichtung folgen (z. B. Andeskette, ſcandi— 
naviſche Alpen, Ghatesgebirge in Oſt-Indien); auch wo Ströme parallel am Fuße der 
Gebirge ziehen (Oder bei den Sudeten, Ebro bei den Pyrenäen, Po bei den Alpen). 
Desgleichen Druck durch Ueberſturz, bei allen Gebirgen und Hügelketten, welche dem 
Aequator gleichlaufend ziehn, ſüdlich; in Folge einer, von Norden nach Süden Hüfäger 
fundenen Urfluth, falls die Gebirge von dieſer überſtrömt worden. 

3) Thalſenkungen. — Die kleinen Gebirgsthäler, Vertikalthäler , dürſten 
einer Berſtung der Schichten, die bis zum Granit ſich erſtrecken kann, beizumeſſen ſein; 
die großen hingegen, Längenthäler, einer Spaltung und einem Nachſinken ihre Entſte— 
hung zu verdanken haben. — Bei Durchbruchskrateren gehn die, kleine Thäler bildenden 
Spalten, im Umkreiſe am Fuße des Kegelberges divergirend aus. — Thäler rt uf 
ſchwemmten Lande find hauptſächlich durch Waſſerſpülung hervorgebracht. 

4) Senkungen mit entgegengeſetzter Hebung (Verkippung). — Dieſe 
finden: bei allen dem Zerbrechen widerſtehenden Gebirgsſtücken (Schichtenlagen) met im 
sche nur ſtatt. 

5) Bergeinſenkung oder Einſturz nach längſt erfolgter Hebung; in Folge 
Ber hohlen Raumes im Innern. — Ein ſolches Berggewölbe kann bei zu großer Span⸗ 
nung, in Verlauf vieler Jahre, von ſelbſt einſtürzen, auch durch Erdbeben dazu veran⸗ 
laßt werden, wobei die Neigung der Schichten von ihrer Brechungslänge und Tiefe der 
Höhlung abhängt. Auf dieſe Art iſt das Entſtehen der Seen auf den Gebirgskämmen 
(St. Gotthard und St. Bernhard) und ihren Abfällen ſowohl, als die Bildung der ge— 

ſchloſſenen Thäler IN v. 3 in den er und Hinſchbatgen bal der wa 
denk badi 4 350 

6) Lrichterartige Wige un gun in Dergleichen ſind zweiten Jene, 

uche auf einen verloſchenen Vulkan hindeuten, und andere, welche durch plötzliche Ent⸗ 
9 


— 


ladung expanſiver Gaſe einen Erdauswurf mit theilweiſem Rückfall der erhobenen Maſſe, 
mithin eine ae bewirken zur Aufnahme vulkaniſcher Seen. mann 1 
Kriegsminen.) 

7) Einftüpze, welche keinen Höhlen ihre Senkung Dee ank en — 
Als ſolche kann man die ſteilen Küſtenfelſen mit ihren tiefen Schluchten erkennen, woſelbſt 
meiſt keine, oder eine waagerechte Schichtung ſtattfindet, und wo auch wohl eine Unter— 
ſpülung des Waſſers mit dazu beigetragen haben mag. (Vergl. im Großen die Küſten 
Islands und Norwegens, auch im Kleinen mehrere Berg- und Thalränder.) | 

8) Senkungen, welche ſich aus der Aufrichtung der Schichten er— 
geben. — Alle Aufrichtungen der Schichtenköpfe deuten auf Brechung eines feſten 
Stückes, als Folge einer Einſenkung in einem hohlen Raume, die, wo ſie zu Tage gehn, 
einen ſtehen gebliebenen feſten Punkt als Widerlager haben. — Ganz ſenkrecht aufge— 
richtete Schichten zeugen von Senkung auf beiden Seiten eines feſten Punktes, etwa Ein— 
ſturz zweier Berggewölbe. — Fächerartige Aufrichtung der Schichten (am St. Gott- 
hard und ſelbſt bei Mittelgebirgen) würden, auf ähnliche Art entſtehend, ſich denken 
laſſen, wobei zugleich ein Ueberſturz noch angenommen werden müßte. — Scheinbare 
Senkungen. Als ſolche ſind alle durch Erhebung bei einem Berge oder Gebirgsfalle 
aufgerichteten Schichten anzuſehen, deren partielle Neigung mit der allgemeinen zuſam⸗ 
menfällt, wie es namentlich bei Vulkanen oder ſonſtigen Rundgebirgen der Fall iſt, bei 
dieſen die Schichten nach allen Seiten ſich neigen, die Hebung mithin nicht zu ver⸗ 
kennen iſt. 

9) Flache Senkungen im aufgeſchwemmten Lande. — Dieſe ſind als 
eine Wirkung der Urfluth anzuſehen, in jenen auch die Thäler einer fortwährenden Waſ— 
ſerſpülung unterworfen ſind, die hier vorherrſchender, als im gebirgigen Lande und - 
ſigen Boden iſt. 

10) Ganz irreguläre Schichtung. — Dieſe kann bei jeder Verſenkung und 
Einſturz ſtattfinden, beſonders vulkaniſche Hebung mit Rückfall. Ueberhaupt müſſen 
alle Vorſchiebungen um ſo größer ausfallen, wenn man ſie mit dem Erdbeben in Ver— 
bindung bringt. 

Dann wurden Lyell's, Bouſſingault's, Davy's und Biot's Hypotheſen über die Ent— 
ſtehung und das Vorkommen der Erdbeben, auch Erfahrungen über Hebung und Senkung 
mitgetheilt, endlich eine Ueberſicht der durch den Bergbau ermittelten Erdtiefe gegeben. 

Am 15. Februar las der Secretair einen von dem Herrn Profeſſor Schramm zu 
Leobſchütz eingeſandten und verfaßten Aufſatz über den Urſprung der Waſſerquellen vor, 
von welchem wir hier, da er ſeitdem in einem eigenen Programme abgedruckt ward, nur 
einen kurzen Auszug mittheilen. 

Der Verfaſſer ſieht die gewöhnliche Theorie über den Urſprung der Quellen aus 
atmoſphäriſchen Niederſchlägen für nicht hinreichend an, um in ſehr trockener Jahreszeit 
die Fortdauer des Waſſergehaltes großer Ströme begreiflich zu finden, am wenigſten für 


67 


die Quellen, die entfernt von großen Gebirgen in der Ebene entſpringen. Er glaubt 
daher, daß das Meer in ſeiner Wirkung gegen das benachbarte Land als eine Waſſer— 
ſäule von großer Höhe zu betrachten ſei, die eine Verbreitung des Seewaſſers un— 
ter das Land bis in große Tiefen hinab bewirke. Dort werde daſſelbe ſeiner Theorie 
nach durch die hohe in größeren Tiefen ſtattfindende Temperatur in Dämpfe verwandelt, 
die, ihren Ausweg nach oben ſuchend, nicht nur eine große Menge Waſſer gegen die Erd— 
oberfläche verbreiteten, ſondern auch wohl zur Erzeugung von Erdbeben und Vulkanen 
mitwirken könnten. Auf dieſe Weiſe ließe ſich, nach der Anſicht des Verfaſſers, auch das 
Fließen der arteſiſchen Brunnen in Ebenen auf eine ungezwungenere Weiſe, als oe, die 
Annahme von heberförmigen Röhren, erklären. 

Ueber arteſiſche Brunnen gingen der Section mehrere Nachrichten zu, als: 

Herr Hauptmann Baron v. Vincke theilte eine briefliche Mittheilung des Herrn 
Prof. Petzelt in Neiſſe mit, betreffend den am daſigen Orte erfolglos gemachten Ver: 
ſuch, einen arteſiſchen Brunnen zu bohren. Freilich ging man nur bis zu der geringen 
Tiefe von 165 Fuß, woraus wohl klar erſcheint, daß man dies Unternehmen nicht eben 
ernſtlich beabſichtigte. 

Herr Kammerherr Baron von Forcade theilte einen Bericht über die Arbeiten 
bei Anlegung des arteſiſchen Brunnens auf dem Antonsplatze zu Dresden mit, der, ob— 
ſchon man bis zu 750 Fuß Pariſer Maaß Tiefe gelangte, doch kein Springwaſſer, ſon— 
dern nur die ſehr geringe Quantität von 18 Dresdner Meßkannen in einer Minute lie— 
ferte. Die Koſten deſſelben betrugen in Summa 8251 Rthlr. 17 Ggr. 9 Pf. 

Der Secretair der Section erwähnte hierbei des ebenfalls in Dresden, aber auf 
dem entgegengeſetzten rechten Elbufer gemachten Verſuchs, in einer nur wenig größeren 
Tiefe einen arteſiſchen Brunnen zu bohren, der aber endlich im Oktober 1836 eine ſehr 
bedeutende Quantität Springwaſſer liefert und fortdauernd noch unverändert fließt. 


V. Petrefakten kunde. 


Der Secretair der Section legte (am 1. März 1837) eine ausgezeichnete, dem 
Mineralienkabinette der Univerſität Berlin gehörende Sammlung der ſogenannten ver— 
ſteinerten Kornähren von Frankenberg in Heſſen vor, Bildungen, die größtentheils 
kohlenſaures Kupfer enthalten, und keinesweges zu Kornähren, ſondern zu den Cupreſſi— 
neen gehören, wie Bronn in einer trefflichen Abhandlung (Leonh. und Bronn Jahrb. 
der Mineral- Petrefaktenkunde 1828) zuerſt überzeugend nachgewieſen hat. Auch in 
jener Sammlung, deren Benutzung er der nicht genug zu rühmenden Liberalität des 
Herrn Profeſſors Dr. Weiß verdankt, befanden ſich nicht nur einzelne Aeſte mit ihren 
Blättern, ſondern auch Fruchtzapfen, und das mit zugleich vorkommende Holz entſprach 
durch ſeine Struktur den Coniferen, und inſofern den Cupreſſineen der Jetztwelt, als dieſe 
viel kleinere Holzzellen als die Arten der Gattung Pinus beſitzen, wobei freilich voraus⸗ 

9 * 


6 


geſetzt werden muß, * en e Keen ein Ahmliches Verhalten 
ſtattfand. 

Derſelbe hielt am 20. April einen bemonſtratiden Vortrag über die Struktur ber 
foſſilen, namentlich der verſteinerten Hölzer, zeigte, wie man nicht blos durch Schleifen 
in dünne Platten, ſondern auch mittelſt chemiſcher Mittel, indem man die verſteinernde 
Subſtanz durch geeignete Säuren (Salz- und Flußſäure) entfernte, den Bau derſelben 
unterſuchen könne, indem bei ſehr vielen dann noch fo viel organiſche Subſtanz zurüd- 
bliebe, um daraus auf die Abſtammung ſchließen zu können, was der Verfaſſer durch 
mehrere Beiſpiele belegt. Drei Schliffe, der eine vertikal und parallel der Rinde, um 
die Ausgänge der Markſtrahlen zu zeigen; ein anderer Vertikalſchliff parallel, den letz⸗ 
teren um ihren ſeitlichen Verlauf zu ſehen, fo wie ein transverſaler um die Stellung der 
Holz: und Gefäßbündel zu betrachten, ſind erforderlich, um Gattungen und Familien von 
eiuander zu unterſcheiden. Die Beſchaffenheit der verſteinernden Maſſe ſei allerdings wohl 
für die Beſchreibung, aber weniger für die Charakteriſtik wichtig, indem es gar häufig 
vorgekommen ſein möchte, daß ein und dieſelbe vielleicht geſellig in großer Verbreitung 
wachſende Art, wie z. B. Coniferen und die Mehrzahl der foſſilen Hölzer, gehört in dieſe 
Familie, durch ſehr verſchiedene mineraliſche Subſtanzen verſteinert worden ſeyn könne. 

Indem der Verfaſſer noch Einiges über die in den einzelnen geognoſtiſchen Formatio⸗ 
nen vorkommenden Hölzer anführt, und durch namentlich aus dem Rothliegenden her— 
ſtammende Exemplare nachwies, woher es wohl kam, daß man früher nichts als Palmen 
zu ſehen wähnte, die doch zu den Seltenheiten gehören, ſchloß er dieſe Skizzen, die erſt 
in längerer Zeit und nach oft wiederholten und mehr ausgedehnten Unterſuchungen erſt 
im Stande ſeyn dürften, ein wohlbegründetes Ganze zu liefern, erbat ſich jedoch noch— 
mals die freundliche Unterſtützung ſeiner geehrten REN und FREE von 
lebenden und foſſilen Hölzern. | 

Der Secretair der Section hielt am 4. December einen demonſtrdlven Wortrag 
über die Bildung der Verſteinerung auf naſſem Wege, deſſen weſentlicher Inhalt hier 
nachſtehend folgt: 

Im vorigen Jahre machte ich Verſuche bekannt, die zeigten, wie man Vegetabilien, 
welche in verſchiedenen metalliſchen oder erdigen Löſungen geweſen waren, durch Glühen 
und Verbrennen des Organiſchen in Erden und Metallen, mit Beibehaltung ihrer Struk— 
tur, zu verwandeln vermöchte. Später fand ich, daß der organiſche, bald aus Kieſel, 
Kali oder Kalk, oder aus einem Gemiſch von allen drei Stoffen beſtehende Rückſtand, 
welchen jede einzelne Zelle und jedes einzelne Gefäß nach dem Verbrennen liefert, nebſt 
dem in dieſelben aufgenommenen anorganiſchen Stoffe, dies vorzugsweiſe vermittele. Je 
mehr alſo von den letzteren Stoffen die Pflanzen aufnahmen, um ſo beſſer wird man die 
Form erhalten finden. Man kann ſich davon ſehr leicht überzeugen, wenn man mehrere 
mäßig dünne Vertikalſchnitte eines Holzes in konzentrirte Auflöſung von ſchwefelſaurem 
Eiſenorydul bringt, und ſie in verſchiedenen Zeiträumen, alſo das eine etwa 6, das an: 


5 


dere 12 Stunden oder längere Zeit darin liegen läßt, fie ſpäter glüht und dieſe Produkte 
mit den ebenfalls durchs Glühen erhaltenen Reſten eines nicht imprägnirten Stückchen 
Holzes von gleicher Größe vergleicht. Von letzterem, welches nur in zarten Umriſſen 
der frühern Geſtalt des Holzſtückes entſpricht, kann man durch erſtere die ſtufenweiſe ſich 
verbeſſernde Erhaltung der äußeren Geſtalt verfolgen, die dasjenige am beſten natürlich 
bewahrt haben wird, welches man am längſten in jener Auflöſung liegen ließ. Da nun 
alle Pflanzen, ja auch die zarteſten Theile derſelben, einen unverbrennlichen, der früheren 
organiſchen Form mehr oder minder entſprechenden Rückſtand, vielleicht deswegen nicht 
mit Unrecht Skelet genannt, zurücklaſſen, find die von mir beſchriebenen Verſuche auch 
noch einer großen Ausdehnung fähig, werden aber, da jene Rückſtände immer nur eine 
ſehr geringe Feſtigkeit beſitzen und ſelten ſehr haltbare Produkte liefern, wenn man die 
Subſtanzen auch längere Zeit, vielleicht Jahre lang einweichte. Nur einige Pflanzen, wie 
Clavaria coralloides Bull. und Blüthen von Erica mediterranea, welche ein Jahr 
lang in konzentrirter Auflöſung des ſalpeterſauren Silbers ſich befunden hatten, waren 
nach dem Glühen mit Erhaltung der Form in reguliniſches biegſames Silber verwandelt, 
wie ich bei der letzten Verſammlung der Naturforſcher zu Prag der vereinigten geognoſti— 
ſchen botaniſchen Section zu zeigen Gelegenheit hatte. Man kann ſie alſo wohl mit den 
wahren Verſteinerungen, d. h. den in Kalk, Kieſel oder Eiſen ſcheinbar verwandelten 
Vegetabilien, vergleichen, indem auch hier die Geſtalt bei gänzlich veränderten Beſtand— 
theilen unverändert blieb; doch dürfte ſich die Natur, wie ich ſchon im vorigen Jahre 
bemerkte, zur Bildung der durch ihre Feſtigkeit ſo ausgezeichneten Verſteinerungen wohl 
kaum eines ſo gewaltſamen Weges wie des Feuers bedient haben. Indem ich nun wei— 
ter mich bemühte, erhielt ich durch meinen geehrten Freund, Herrn Oberforſtrath Cotta 
in Tharand, *) und ſpäter durch Herrn Kaufmann Laspe in Gera, Stücke von einer 
Eiche der Jetztwelt, die von dem Letzteren in einem Bache bei Gera gefunden worden 
waren, und ſich theilweiſe in einem unbekannten Zeitraume in kohlenſauren Kalk verwan— 
delt hatten, bedeutende Feſtigkeit zeigten und ſelbſt Politur annahmen. Noch merkwür— 
diger erſcheint mir ein ebenfalls von Herrn Cotta mitgetheiltes Stück Buchenholz aus 
einer alten, wahrſcheinlich römiſchen Waſſerleitung im Bückeburgiſchen. Die Verſteine— 
rung hat ſich auf einzelne, der Länge nach durch das Holz ſich erſtreckende zylinderförmige 
Stellen beſchränkt, ſo daß man bei oberflächlichen Unterſuchungen wohl meinen könnte, 
es ſeien dort Riſſe oder durch Fäulniß entſtandene Lücken geweſen, die von dem Kalk aus⸗ 
gefüllt worden wären. Von Fäulniß iſt aber an dem, dieſe Stellen umgebenden Holz 
keine Spur wahrzunehmen, und bei mikroſkopiſcher Betrachtung ſieht man auf den ver— 
kalkten Theilen dieſelbe Struktur, wie auf dem benachbarten Holze. Nach dem Auflöſen 


g *) Herr Ober⸗Forſtrath Gotta beſitzt unſtreitig gegenwärtig die bedeutendſte Sammlung von verſtei⸗ 
nerten Hölzern, namentlich ſogenannter Staarſteine, wovon ein großer Theil angeſchliffen iſt und— 
ſomit in noch hoͤherem Grade einen unerſchoͤpflichen Schatz zu ergebnißreichen Studien darbietet. 


70 — 


der verſteinerten Stelle in Säuren blieb noch ſämmtliche organiſche, noch Gerbeſtoff ent⸗ 
haltende Subſtanz zurück, die aus Holz und punktirten Gefäßen beſtand, keineswegs ver⸗ 
kohlt, ſondern mit der natürlichen eigenthümlichen Farbe im Zuſammenhange unter ein⸗ 
ander erſchienen. Ein gleiches Verhalten beobachtete ich nun auch bei den vorweltlichen, 
in Kalk verwandelten Hölzern, wie z. B. in dem ſchwarzen marmorähnlichen Holze aus 
dem Uebergangsgebirge bei Hausdorf in der Grafſchaft Glatz, alſo der älteſten, über: 
haupt Verſteinerungen führenden Formation, bei dem aus dem Lias bei Kloſter Banz 
und Bamberg, ſo wie von Aidaniel aus der Krimm und dem berühmten Stamm von 
Craigleith in Schottland, welches erſtere mir Herr Dubois, letztere Herr L. C. Trevira⸗ 
nus zur literäriſchen Benutzung mitgetheilt hatten. Aus einem ebenfalls im Uebergangs— 
gebirge von Hausdorf in Kalk verwandelten Stigmaria fieoides, über deren Struktur 
man ſo lange zweifelhaft war, ſchied ich auf dieſe Weiſe noch vollkommen erhaltene Trep⸗ 
pengefäße. Bei dem aus der Grafſchaft Glatz betrug die Menge der die Struktur von 
Coniferen zeigenden keinesweges verkohlten, ſondern nur ſchwach gebräunten Faſern noch 
5 —7 p. C. Auch ſchied ſich hier noch Oel aus von brenzlichem kreoſotähnlichen Ge— 
ruche, welches alſo eben ſo wie oben im Eichenholze der Gerbeſtoff in die Verſteinerung 
mit übergegangen war. Am vollkommenſten erhält man die Faſern noch im Zuſammen⸗ 
hange, wenn man recht zarte Splitterchen mit ſehr verdünnter Salzſäure übergießt, weil 
bei der konzentrirten nicht nur die Säure ſelbſt, ſondern auch die durch die raſche Ent: 
wickelung der Kohlenſäure bewirkte Erſchütterung auf den Zuſammenhang derſelben zer- 
ſtörend einwirkte. Nachdem ich mich durch Verſuche überzeugt hatte, daß mäßig kon— 
zentrirte Flußſäure auf die vegetabiliſche Faſer nicht zerſetzend einwirke, bediente ich mich, 
um die Kieſel und Chalcedonhölzer in Beziehung auf ihren Gehalt an organiſchen Faſern 
zu unterſuchen, und fand, daß auch in den feſteſten, auf den Stahl Funken gebenden 
Maſſen, wie z. B. in den Stämmen von Buchau in Schleſien, vom Kiffhäuſer, Il⸗ 
menau, mehrern Geſchiebhölzer noch wohl erhaltene Gefäße vorhanden ſind, die nach Ent— 
fernung der Kieſelerde zurückblieben, und in den meiſten noch vollkommen hinreichen, um 
auf die Gattung des Holzes ſchließen zu laſſen. Es werden ſich hierin allerdings wohl 
noch manche Verſchiedenheiten hinſichtlich der Quantität der organiſchen Subftanzen er— 
geben, worauf ich eben ſpäter noch zurückkomme, da ich alle verſteinerten Hölzer nicht 
nur nach ihrer Struktur, ſondern auch nach dem hier angeführten chemiſchen Verhalten 
unterſuche. Doch können Arbeiten dieſer Art nur langſam vorſchreiten, weil außer dem 
geringen Vorarbeiten in dieſem Felde auch noch die Zubereitung der Hölzer zur Beobach— 
tung wie das Schleifen, welches man nur ſelbſt am beſten beſorgt, viel Zeit und Mühe 
erfordern. In den Hölzern, welche nur ſehr wenig organiſche Subſtanz enthalten, iſt 
dieſelbe offenbar erſt nach der Verſteinerung theils durch Verweſung unter fortdauernder 
Einwirkung von Wärme und Feuchtigkeit, theils durch Feuer vernichtet worden. Jedes 
Gefäß und jede Zelle war aber gewiſſermaßen als ein Steinkern zu betrachten, daher alſo 
auch ſolche Hölzer, wie z. B. ſehr viele der weißen glasartigen ungariſchen Opalhölzer, 


— 


die offenbar theilweiſe der Einwirkung des Feuers ausgeſetzt geweſen ſind, ihre Struktur 
noch bewahren. Um mich von der Richtigkeit dieſer Annahme zu überzeugen, ſetzte ich 
in einem kleinen Schmelztiegel feine geſchliffene Quer- und Längenſchnitte der verſteiner— 
ten Hölzer von Buchau in Schleſien und Chemnitz drei Viertelſtunden lang der Weißglüh— 
hitze eines Sefsſtrömſchen Ofens aus. Die verſchiedenartig holzähnlich gefärbten Hölzer 
waren milchweiß geworden, zeigten noch ganz deutlich die frühere, die Coniferen charak— 
teriſirende Struktur. Ein paar Stücke, welche ſich unmittelbar mit den Kohlen in Be— 
rührung befunden hatten, waren offenbar durch die Einwirkung des in denſelben enthal— 
tenen Kali's an ihrer Oberfläche glasartig. Da ich nun bis jetzt noch niemals foſſile 
Hölzer mit ſolchem Ueberzuge erhielt, wiewohl es ihnen nicht an Gelegenheit fehlen konnte, 
mit Kali in Berührung zu gelangen, ſo dürfte auch dieſer Verſuch in geologiſcher Hin— 
ſicht ein nicht ganz unwichtiges Reſultat liefern und mit beweiſen helfen, wie ſelten das 
Feuer hierbei thätig geweſen ſein mag. Nur unter den Opalhölzern aus Ungarn beſitze 
ich mehrere Stammſtückchen, deren Aeußeres vollkommen mürbe und milchweiß erſcheint, 
während der innere Theil noch ſehr viel organiſche, durch Flußſäure trennbare Faſern 
enthält. Durch Glühen wird auch der innere Theil vollkommen entfärbt und mürbe, 
woraus wohl hervorgeht, daß dies der Einwirkung des Feuers, aber erſt nach der Ver- 
ſteinerung, ausgeſetzt geweſen ſein mag. Bei einigen, wie z. B. bei manchen Hölzern 
aus der alten Steinkohle (Löbejin bei Halle, Neurode in der Grafſchaft Glatz, Radnitz in 
Böhmen), aber auch aus der Braunkohle (Bilie, von Meißner) erhält man, nach Ent— 
fernung der Kieſelerde, reine kohlige Maſſe, welche Foſſilien alſo entweder vor der Ver— 
kohlung oder nach derſelben, von dem kieſelhaltigen Fluidum durchdrungen wurden. Die 
älteren Naturforſcher bezeichneten ſie im Ganzen ſehr richtig als verſteinerte Holzkohle. 
Bei andern Hölzern ſieht man ganz deutlich an den deſtruirten Zellen, daß ſie im Zuſtande 
der Fäulniß von der verſteinerten Flüſſigkeit erfüllt wurden. | 
Auf gleiche Weiſe verhielten fih nun auch die in ſilberhaltiges Kupferoxyd verwan— 
delten Hölzer von Frankenberg in Heſſen, und in Thoneiſenſtein veränderte, durch ihre 
Feſtigkeit ſo ausgezeichneten Stämme, wie z. B. die von Schlackenwerth oder Ellbogen 
eigenthümlich die Schwefelkieshölzer. Entfernt man nehmlich durch Glühen den Schwe— 
fel, bleibt das Eifenoryd, und nimmt man durch Salpeterſäure das Eiſen weg, der 
Schwefel in der Form der Pflanzengefäße, zuweilen auch noch unverwandelt organifche 
Subſtanz zurück. | | 
Abgeſehen davon, daß wir vermittelſt dieſer Methode in manchen Fällen das bis— 
her der Unterſuchung der foſſilen Hölzer ſo ſtörend entgegenſtehende Schleifen entbehren 
können, ergeben ſich hieraus die vollkommenſten Aufſchlüſſe über die Beſchaffenheit und 
Bildung der Verſteinerung überhaupt. Es ſcheint nun nicht mehr unerklärlich, daß wir 
in den meiſten Fällen bei den verſteinerten Hölzern die einzelnen Abtheilungen derſelben, 
Rinde, Holz, Splint, Mark und die einzelnen Jahresringe, nicht blos wohl erhalteu, 
ſondern oft noch mit den natürlichen Farben, oder wenigſtens doch ſcharf von einander 


— 72 


getrennt, erblicken. Die verſteinerten Flüſſigkeiten durchdrangen zuerſt die Wände der 
Holzzellen und Gefäße, ſpäter wurden die Höhlungen derſelben ſelbſt ausgefüllt. Je 
gleichförmiger und ruhiger dies geſchah, um deſto wohl erhaltener erſcheint die Struktur 
und der Durchmeſſer der Gefäße. Es geht hieraus auch hervor, wie richtig im Allge- 
meinen die ältern Naturforſcher, von Agricola bis auf Walch, Schul ze und Schrö— 
ter, den Vorgang der Verſteinerung nicht als einen Erſetzungs- oder Subſtitutions-, 
ſondern als einen Imprägnations-Prozeß anſahen. Auch vermuthete ſchon Schulze (von 
den verſteinerten Hölzern, S. 5, Halle 177, S. 29) gegen Bondaroy (von den ver— 
ſteinerten Hölzern in den mineral. Beluſt. Th. 5, S. 438) und Tourette (Schröters 
lithogr. Journal, Th. II, S. 275), daß man bei Verſuchen, wie fie Carl in feiner: 
Doeimasia ossium fossilium mit verſteinerten Theilen von Thieren angeſtellt, deutliche 
Merkmale ſowohl einer vegetabiliſchen Grunderde, als anderer mit ſelbiger innigſt ver— 
bundener und von einem natürlichen Holze noch rückſtändiger Theile beobachten konnte. 
Nach Wallerius (ek. System. mineral. Th. II. Viennae 1778, p. 398) ſoll jedes 
wahre vegetabiliſche Petrefakt durch Deſtillation oder Calcination ähnliche Beſtandtheile 
(acidum et phlegma) wie Pflanzen der Jetztwelt liefern. Auch läßt ſich auf dieſe Weife 
leicht erklären, wie man halbverſteinerte Hölzer W wie de Neues en 
theilweiſe verkieſelte, verkalkte und vergypſte beſitze. ) n Nn 18 n: 


Was nun die verſteinernden Flüſſigkeiten ſelbſt betrifft, To war es fendt die Koh: 
lenſäure, die die Auflöſung des Eiſens, des Kupfers und des Kalkes, und das bloße Waſ⸗ N 
ſer, welches die der Kieſelerde vermittelt, welches, wie bekannt, dieſe Erde, wiewohl, nur 
in geringer Menge, auflöſt. Doch durften dieſe Auflöſungen auch nur von geringer Con⸗ 
centration fein, weil ſich fonft. Ueberzüge oder Inkruſtate bildeten, in welchen das 
Organiſche völlig abgeſchloſſen ſich wohl zu erhalten, aber nicht zu verſteinern vermochte. 
Man ſieht alſo auch hieraus, welcher lange Zeitraum zur Erzeugung derſelben erforderlich 
war. Eiſenſtein, nämlich Eiſenoxydul, bildet fich, auch durch das oben genannte Auflö⸗ 
ſungsmittel aus vermoderten Pflanzen bekanntlich noch vor unſern Augen, und vermag. 
auch gegenwärtig noch Vegetabilien zu verſteinern, wenn ſich dazu günſtige Gelegenheit 
darbietet. Ein ſolches merkwürdiges Beiſpiel fand ich im Herbſte des vorigen Jahres 
auf der Bibliothek zu Gotha, deſſen Mittheilung ich dem, leider für die Wiſſenſchaft viel 
zu früh verftorbenen, Herrn v. Hoff verdanke. Es iſt eine Faßdaube, welche in den 
Tiefen des Schloßbrunnens nachweislich 150 Jahre gelegen hat, und nun theilweiſe, na 
mentlich an den Stellen, wo die ganz oxydirten eiſernen Reifen fich, befanden, mit feftem 
A see weft und ſo f geworden r. U) es ſich an ae Stellen eee 


22 


9 Von dieſem in Gyps berwandelten Holze, welches nebſt dem in Kalk Dee am ferkehften 
131 vorkommt, wurde vor zwei Jahren ein 2 Centner ſchwerer Stamm in den Gypsgruben von Dir⸗ 
ſchel in Oberſchleſien entdeckt, welchen ich dem Muſeum der hieſigen Univerſitaͤt uͤberließ. 


läßt. Daß ſich Kalkverſteinerungen noch zu unfern Zeiten bilden können, beweiſen die 
oben erwähnten Beiſpiele von der Eiche und Buche; es fehlt alſo nur noch gegenwärtig 
eine Kieſelverſteinerung, um den für die geſammte Geologie gewiß 5 unwichtigen 
Satz, daß Verſteinerungen ſich noch heute, und alſo fortdauernd und nicht blos zu gewiſ— 
ſen Kataſtrophen bildeten, unbeſtreitbar nachzuweiſen. Die älteren Naturforſcher führ— 
ten mehrere Beiſpiele dieſer Art an,“) und ich bin überzeugt, daß, wenn wir aufhören 
werden, ihre Angaben als Täuſchungen und Irrthümer zu betrachten, die von ihnen ge— 
machten Beobachtungen nicht lange allein ſtehen werden. Jedoch nicht blos auf analy— 
tiſche, ſondern auch auf ſynthetiſche Weiſe läßt ſich die Bildung dieſer Verſteinerungen 
auf naſſem Wege anſchaulich machen. Auflöſung des Eiſens in Kohlenſäure haltigem 
Waſſer würde nur ſehr langſam zum Ziele führen. Da ich nun durch Verſuche fand, 
daß man auch innerhalb des Pflanzengewebes die Oxyde von metalliſchen Löſungen mit— 
telſt geeigneter Stoffe niederſchlagen kann, ſo benutzte ich das Verhalten, um möglichſt 
große Quantität Eifenoryd (durch Imprägnation mit ſchwefelſaurem Eiſenoxyd und Nie: 
derſchlagung mittelſt kohlenſaurem Natrums oder Ammoniums) in die Pflanzen zu brin— 
gen, ſo daß das Holz binnen wenigen Wochen ganz das Ausſehen des verſteinerten oder 
in Eiſen verwandelten Holzes erhielt, doch war es noch nicht ſehr feſt, weil, wie ſich bei 
näherer Betrachtung ergab, erſt die Wandungen und noch nicht die Lumina der Gefäße 
ausgefüllt waren, wozu offenbar längere Zeit erforderlich iſt. Daſſelbe kann man auch 
mit dem Kalk und, wie mir eine erſt in den letzten Tagen gemachte Erfahrung lehrt, ohne 
Zweifel auch mit der Kieſelerde erreichen. Gewöhnlich ſchlägt ſich a Kieſelerde aus ih— 
ren Auflöſungen in Alkalien durch Säuren in Pulverform nieder. Als ich aber vor drei— 
viertel Jahren in ſehr engen Gefäßen eine ſehr konzentrirte, durch organiſche Stoffe etwas 
braungefärbte Löſung von Kieſel in Kali mit konzentrirten mineraliſchen Säuren ver— 
miſchte, hatte ſich im Laufe der Zeit auf dem Boden eine feſte Maſſe von muſchligem 
Bruche, bedeutender das Glas ritzende Härte gebildet, die ſich ganz wie Feuerſtein ver— 
hielt. *) Da die Niederſchlagung der Kieſelerde auch innerhalb der Pflanzengefäße 
ſtattfindet, darf man hoffen, auch feſte künſtliche Kieſelverſteinerungen bereiten zu können. 


—— — 


„) Ob das kuͤrzlich in der Seine mit einem Schiffsanker gefundene Holz, welches Herr Becquerel 
in der Sitzung der Akademie (den 6. Novbr, d. v. J.) als verſteinert bezeichnete, hierher gehoͤrt, 
werden wohl ſpaͤtere Berichte naͤher entſcheiden. 

) Mit welcher der genannten Säuren dies am beſten gelingt, vermag ich in dieſem Augenblicke ſelbſt 
nicht zu beſtimmen, da das Gewonnene aus Verſehen aus den drei verſchiedenen Flaͤſchchen zuſam— 
mengeſchuͤttet wurde. Anfangs waren die Stuͤckchen noch ſehr ſproͤde und weich, daß fie beim Gluͤ— 
hen in Pulver zerfielen; als ich ſie aber nach 4 Wochen wieder auf dieſe Weiſe pruͤfte, hielten ſie 
das Feuer ſehr gut aus. Es erinnert dies an die, wenn ich nicht irre, in Frankreich gemachte 
Beobachtung, wo man noch weiche kiesliche Maſſe entdeckte, die erſt ſpaͤter an der Luft verhaͤrtete. 
Ich habe jene Verſuche 1 und hoffe näher zu beftätigen, was ich früher mehr zufällig, 

als abſichtlich auffand. 
10 


er ME 

Auf ähnliche Weiſe, wie die vegetabilifchen Verſteinerungen, ging nun wohl auch die Bil: 
dung der thieriſchen wie der Knochen vor ſich. Ein Theil der Gallerte ward durch Ein— 
wirkung des Waſſers entfernt, deren Stelle nun und die dadurch entſtandenen Lücken in 
dem phosphorſauren Kalk oder dem Gerüſte der Knochen kohlenſaurer Kalk oder Eiſen— 
oryd ausfüllten, die als ſpezifiſch ſchwerere und dichtere Maſſen den Knochen die größere 
Dichtigkeit und Schwere verliehen. Durch Imprägnation mit metalliſchen Subſtanzen 
und nachheriges Glühen werden die Knochen niemals ſchwerer, obſchon die metalliſchen 
oder erdigen Subſtanzen bis in die feinſten Kanälchen verbreitet erſcheinen. Die weichen 
thieriſchen Theile konnten aber eben ſo wenig wie die krautartigen ſaftigen Theile der 
Vegetabilien mit in die Metamorphoſe gezogen werden, weil bei der geringen Concentration 
der verſteinernden Flüſſigkeiten und bei der leichten Zerſetzbarkeit ihrer Struktur ſie weit 
früher verfaulten, bevor ſie ſich mit einer hinreichenden Menge imprägniren oder nur ver— 
härten konnten. Krautartige Pflanzen vermochten ſich in der Regel wohl nur in Form 
von Abdrücken oder auch in Subſtanz, abgeſchloſſen von Licht und Luft, unter Zutritt von 
Waſſer zu erhalten, wodurch ſie vielleicht allmalig ſich in braunkohlen- oder vielleicht ſelbſt 
in ſteinkohlenähnliche Subſtanz verwandelten. Ob ſie ſich immer nur auf naſſem Wege 
ohne Zuthun des Feuers bildeten, will ich durchaus nicht behaupten, indem ich nicht glaube, 
daß ſich jemals irgend ein geologiſches Geſetz auf alle Verhältniſſe anwenden läßt, aber 
in ſehr vielen Fällen mag es wohl ſo geſchehen ſein. Daß ſich Bitumen auf dieſe Weiſe 
bilden könne, habe ich oben bei Erwähnung des in Kalk verwandelten Holzes aus der 
Grafſchaft Glatz bemerkt, und noch mehr ſprechen dafür die in der älteren Kohlenforma— 
tion zwiſchen dem Schieferthon gefundenen, noch völlig biegſamen und nur ſchwach ge— 
bräunten Vegetabilien, die gewiß nicht ſo ſelten ſind, als man bisher anzunehmen geneigt 
war. So beſitze ich allein in meiner Sammlung aus der älteren Kohlenformation fol— 
gende, auf die erwähnte Weiſe erhaltene foſſile Pflanzen oder deren Theile: von Wal— 
denburg in Schleſien mehrere mir zunächſt ihrer Abſtammung nach noch unbekannte Saa— 
men; aus Kreuzburg in Oberſchleſien ebenfalls Saamen, das unter dem Namen Ale- 
thopteris Ottonis beſchriebene und abgebildete Farrnkraut, ein Lycopodium, ähnlich 
unſerm Lycopodium undulatum (die Blättchen laſſen ſich bei beiden noch in 3 Schich— 
ten zerlegen und gewähren natürlich vollkommene Einſicht in ihre Struktur); aus Zwickau 
eine ähnlich erhaltene Neuropteris und ein Farrnkraut mit Sporangien, an denen man 
noch den gegliederten Ring deutlich wahrnimmt, als das erſte Beiſpiel dieſer Art beſon— 
ders intereſſant. | 

Kurz vor meiner Ankunft in Bzrezina im Oktober d. J. fand Hr. Graf v. Stern: 
berg in dem der Erhaltung foſſiler Pflanzenreſte äußerſt ungünſtigen Kohlenſandſtein von 
Radnitz Bruckmannia mit fo wohl konſervirtem Saamen, daß deren Unterſuchung uns 
endlich wohl Aufklärung über dieſen ſo lange räthſelhaften Bürger der Vorwelt verſchaffen 
wird. Unſtreitig iſt bei der Verkohlung auf naſſem Wege auch die Wirkung des Druckes 
mit in Anſchlag zu bringen, wie der ganz einfache Verſuch das Zuſammenpreſſen friſcher 


0 


Blätter und Pflanzen lehrt, die ſich ſehr bald unter Einfluß von Wärme und Feuchtigkeit 
bräunen, was offenbar wohl nur als ein beginnender Verkohlungsprozeß zu betrachten 
iſt, während dieſelben Vegetabilien in bloßem Waſſer unter ähnlichen Verhältniſſen, mit 
Ausnahme der Einwirkung des Druckes, ſich viel länger erhalten. Unverändert blieben 
ſie faſt, wenn man ſie hermetiſch verſchließt, namentlich vom Schimmel unberührt, der 
vorzugsweiſe wenigſtens zum Unkenntlichmachen derſelben beiträgt. Auf dieſe letztere 
Weiſe bewahre ich mehrere Vegetabilien (die Blüthe einer Zitrone, junge Erbſen- und 
Linſenpflanzen, Sedum rupestre) ſeit anderthalb Jahren in Glasröhren hermetiſch ver— 
ſchloſſen auf, ohne daß ſie eine merkliche Veränderung, außer einer gelblich grünen 
Färbung, die aber bald in den erſten acht Tagen nach dem Einſchließen eintrat, bis jetzt 
erlitten hätten.“) Eine Anzahl anderer Vegetabilien, wie Blätter vom Acrostichum 
alcicorne, Tectaria coriacea Lk., Adiantum aethiopicum, Pteris arguta, Asple- 
nium Trichomanes, Aspidium molle, Juncus squarrosus, Blätter vom Thalic— 
trum minus, Chaerophyllum hirsutum, Equisetum palustre, Pinus sylvestris, 
legte ich am 12. Auguſt 1836 zwiſchen Thonplatten, und ſenkte ſie in einer offenen 
Krauſe in das Bett des 6 Fuß mit Waſſer angefüllten Graben im hieſigen botanifchen 
Garten. Als ich fie am 20. Auguſt 1837, alſo nach 12%, Monate, wieder heraus— 
nahm, ſo fand ich ſie im Ganzen, hinſichtlich der Form, ſehr wohl erhalten, aber ſtark 
gebräunt, namentlich die Tectaria, Aspidium molle, Juncus squarrosus, die Kie— 
ferblätter aber faſt noch grün. 

Wenn dieſe Verſuche auch zunächſt noch kein erhebliches Reſultat lieferten, ſo ſetze 
ich ſie doch fort, weil die von mir beobachtete Verfahrungsart, wenn ich nicht irre, viel— 
leicht dem Vorgange in der Urzeit, in welchem ſich Abdrücke jener Art bildeten, am mei— 
ſten ähneln dürfte. Ich habe daher die oben genannten Pflanzen, wieder in Thon ge— 
hüllt, auf ähnliche Weiſe verſenkt, um ſie erſt in ein paar Jahren an das Tageslicht zu 
ziehn. Welche Veränderungen zuſammengehäufte und befeuchtete Vegetabilien, unter Zu— 
tritt der atmoſphäriſchen Luft, erleiden, zeigen die ſehr intereſſanten Verſuche des Hrn. A. 
F. Wiegmann, durch die er nicht nur die Nachbildung von Torf, ſondern auch der 
Braunkohle bewirkte. — (Ueber die Entſtehung, Bildung und das Weſen des Torfes, 
vom Dr. A. F. Wiegmann, Profeſſor in Braunſchweig, 1837, S. 60 ꝛc.) 

Während meiner Anweſenheit in Prag zeigte mir der Dr. jur. Hr. Ritter Kalina 
v. Jäthenſtein, der ſich viel mit Unterſuchung der heidniſchen Opfer und Begräbniß— 
plätze Böhmens beſchäftiget, und auch bereits ein intereſſantes Werk im vorigen Jahre 


*) Am 1. Auguſt d. J. ſchloß ich einen Froſch und eine Kroͤte jede beſonders in ein hinreichend weites 
Cylinderglas ſo vorſichtig ein, daß ſie von der zum Zuſchmelzen des Glaſes erforderlichen hohen 
Temperatur nicht berührt wurden. Wie vorauszuſehen war, traten bald heftige Reſpirationsbe⸗ 
ſchwerden ein, die dem Leben dieſer Thiere ein Ende machten. Den Froſch bewahre ich noch auf; 
ſeine aͤußere n iſt natuͤrlich noch eben ſo unveraͤndert, wie die jener Pflanzen. 

10 * 


— 76 —— 


publicirte, Reſte der ausgehöhlten Baumſtämme, in welchen die Urbewohner Böhmens, 
alſo wenigſtens vor dem ten Jahrhunderte, ihre Todten zu begraben pflegten. Wie— 
wohl die Knochenreſte derſelben und alle anderen Verhältniſſe keine Spur von Einwir— 
kung des Feuers zeigten, fand ich doch dieſes den Coniferen angehörende Holz in glänzend 
ſchwärzliche, die Holzſtruktur freilich noch deutlich zeigende Braunkohle verwandelt. Ich 
führe dies Beiſpiel nur an, um die Aufmerkſamkeit der Forſcher auch auf ähnliche Fälle 
zu leiten, in denen ſich oft die Einwirkung eines Moments wird näher beſtimmen laſſen, 
den wir leider nur in geringem Maaßſtabe anwenden können, ich meine die Zeit. 


VI. Geographie. 


I. 


Am 1. Februar hielt Herr Kaufmann S. F. Scholtz ) einen Vortrag über 
einige der merkwürdigſten Erdbeben, die in neuerer Zeit in Chile und 
Peru ſtattgefunden haben. Er machte zuerſt darauf aufmerkſam, daß dieſe furcht— 
baren Naturerſcheinungen ſich nur an der Weſtküſte der genannten Länder, und beſonders 
am weſtlichen Abhange der Cordilleras, zeigen, und daß dagegen die nach Oſten liegenden 
Ebenen, ſo wie die Küſte von Buenos Ayres und Braſilien, davon befreit ſind, wogegen 
dieſe letzteren Gegenden von heftigen Gewittern heimgeſucht werden. Da nun aber dieſe 
elektriſchen Erſcheinungen an der Weſtküſte ganz unbekannt ſind, ſo hat es den Anſchein, 
als ob hier eine dieſer Erſcheinungen durch die andere ausgeſchloſſen würde. 


Die merkwürdigſten Erdbeben, deren in dieſem Vortrage Erwähnung geſchah, 
waren: 

1) Das Erdbeben vom April 1819, wodurch die Stadt Copiapo, im nördlichen 
Chile, ganz zerſtört wurde. Am 3. April wurden die erſten Stöße verſpürt, welche ſich 
in kürzern oder längern Pauſen bis zum 11. April folgten. Die heftigſten Erſchütterun— 
gen fanden am Aten und in der Nacht vom 11ten zum 12ten ſtatt. Die Grundmauer 
der Kirche La Merced, fo wie das Bett des Fluſſes, ſenkten ſich um 1½ Fuß, und im 
Hafen von Copiapo trat das Meer 700 Klaftern weit ins Land. 

2) Das Erdbeben vom 19. November 1822 in Valparaiſo war gleichfalls eines der 
heftigſten, welches Chile erlitten. Die erſten Stöße wurden gegen 10 Uhr Abends ver— 
ſpürt; es folgten aber ſchnell und mit großer Heftigkeit Erſchütterungen die ganze Nacht 
durch. Ein großes feuriges Meteor zeigte ſich am ſüdlichen Himmel, und heftige Regen— 
ſtröme, eine für dieſe Jahreszeit ganz ungewöhnliche Erſcheinung, folgten den Stößen. 


„) Derſelbe, welcher feinen mehrjährigen Aufenthalt in Suͤdamerika benutzte, um den Muſeen ſeinor 
Vaterſtadt einen Reichthum der dortigen Naturprodukte zuzuwenden, die fein Andenken ſtets un— 
vergeßlich machen werden. 


ie 


Die Erde blieb faſt einen ganzen Monat in beſtändiger Bewegung, fo daß viele Einwoh— 
ner in Valparaiſo, wie in St. Jago, auf Bergen, in Zelten, oder an Bord von Schiffen, 
Sicherheit ſuchten. — In Valparaiſo verloren gegen 100 Perſonen das Leben. Vor— 
züglich litt der Almendral, eine Vorſtadt von Valparaiſo, welche auf ſandigem Grunde 
ebaut iſt. | 
g Von vielen Seiten hat ſich das Gerücht verbreitet, als ob ſich durch dieß Erdbeben 
die Küſte von Chile bedeutend gehoben hätte. — So viel indeß dem Berichterſtat— 
ter aus eigner Beobachtung bekannt iſt, glaubt er berechtigt zu ſeyn, 
dieſem Gerüchte widerſprechen zu dür fen. Weder am Landungsplatze, 
noch an den Badeplätzen, war eine Veränderung des Ufers bemerkbar. 

Am Eingange des Hafens von Valparaiſo befindet ſich ein Felſen, deſſen Spitze bei 
niedrigem Meere nur wenig über dem Waſſerſpiegel hervorragt, und bei hohem Meere 
von den Wellen überſpült wird. Wäre die Küſte, wie man behauptet, durch das Erd— 
beben gehoben, ſo würde es an dieſem Felſen ſehr bemerkbar geweſen ſeyn. Frezier, 
welcher vor 125 Jahren in Valparaiſo war, erwähnt dieſes Felſens, der aber zu jener 
Zeit hätte unſichtbar ſeyn müſſen, wenn, wie Einige behaupten, die Küſte ſich gehoben 
hätte; denn auch gegenwärtig ragt derſelbe nur wenig über das Niveau des Meeres em— 
por. Die Kapitains Bower und Beecchy, von der königl. engl. Marine, haben beim 
Sondiren des Hafens keine Veränderung der Tiefe ſeit dem Erdbeben gefunden. 

Spätere Erdbeben, welche von Herrn S. in Chile, während ſeines dortigen Aufent— 
haltes von fünf Jahren, beobachtet wurden, boten nichts beſonders Merkwürdiges dar. 
Nur einmal wurde in dieſem Zeitraume eine wellenförmige Bewegung verſpürt; ſie kam 
von Weſten, und glich vollkommen der Bewegung eines Bootes, welches von einer rollen— 
den Welle hoch gehoben wird, und dann ſchnell fortgeriſſen wieder herabfällt. Die Be— 
wegung hatte durchaus keine Folgen. 

3) Ein ſehr heftiges Erdbeben beobachtete Herr S. in Lima am 30. März 1828 
am Palmſonntage. Es war ein ſchöner, heiterer Morgen, als um 7%, Uhr die Be: 
wohner Lima's durch die heftigſte Erſchütterung der Erde in Schrecken geſetzt wurden. 
In dem kurzen Zeitraume von 2 Minuten folgten zwei außerordentlich ſtarke Stöße, die 
hinlänglich waren, mehrere Häuſer ſo zu erſchüttern, daß von einigen die Balkons, von 
andern die ganze Front des Hauſes herabſtürzten. Es verloren 9 oder 10 Perſonen 
dabei das Leben. — In der Kirche La Merced fiel ein großer Theil der Decke herab; 
da aber zu einer ſo frühen Stunde nur wenige Leute in der Kirche waren, ſo kam glück— 
licherweiſe Niemand zu Schaden. Die Erſchütterung ſchien ganz von unten herauf, nicht 
ſeitwärts zu kommen. Man hatte auf feſtem Boden die Empfindung, als ob die Füße 
wechſelsweiſe gehoben würden, ohngefähr ſo, wie die eines Balkentreters, nur ſchneller. 
Die Hauptbewegung, welche in Bezug auf die Gebäude die zerſtörende war, beſtand in 
einem außerordentlich heftigen, ſchnellen Zittern. Je länger dieß Zittern anhält, je mehr 
ſcheint es an Stärke und Geſchwindigkeit zu gewinnen. Es ſchien dem Beobachter be— 


u MB 


merkenswerth, daß in dem Haufe, worin er fich befand, wo eine Menge Spiegel zur 
Schau ausgeſtellt und nur leicht an die Wand angelegt waren, kein einziger Spiegel um— 
geworfen oder zerſchlagen wurde, obgleich eine Mauer, welche den Hof des Hauſes von 
dem des Nachbars trennte, einſtürzte, und die Mauern des Hauſes Riſſe von Oben bis 
Unten, beſonders in den Ecken, bekamen. Der Umſtand, daß keiner der Spiegel umge— 
worfen wurde, ſcheint nur dadurch erklärlich zu werden, daß man annimmt, die Erſchüt⸗ 
terung ſey ganz perpendikulair geweſen. Dieß dürfte dadurch beſtätigt werden, daß aus 
den Waſchbecken und Krügen faft alles Waſſer herausgeworfen wurde. Obgleich man 
im Laufe des Tages und der darauf folgenden Nacht mehrere leichte Stöße bemerkte, ſo 
erfolgte doch keine weitere heftige Erſchütterung. 

In einer Limaer Zeitung wurde als eine Merkwürdigkeit erwähnt, daß durch dieß 
Erdbeben eine Vertiefung des Meeres zwiſchen dem Feſtlande und der Inſel San Lorenzo 
entſtanden ſey, welche nun verſtatte, daß größere Schiffe von Weſten her, zwiſchen der 
Inſel und dem Feſtlande, im Hafen von Callao einlaufen könnten. Dieſe Paſſage hat 
indeß ſchon von jeher exiſtirt, und Frezier erwähnt ſchon im Jahre 1713, daß dieſer 
Kanal 4 — 5 Faden tief, und alſo auch für größere Schiffe fahrbar, ſey. 

Im Hafen von Callao wurden am Bord der Schiffe die Stöße ſehr heftig empfun— 
den, und Seeleute, denen die Erſcheinung neu war, glaubten, der Meeresgrund habe ſich 
gehoben und an den Kiel der Schiffe geſtoßen. Das Senkblei belehrte ſie indeß bald, 
daß fie noch immer dieſelbe Tiefe hatten. Die zitternde Bewegung der Erde theilte ſich 
dem Waſſer mit, welches zu kochen ſchien, und durch das Waſſer wurden auch die Schiffe 
in eine ſo ſtark vibrirende Bewegung geſetzt, daß die Maſten ſich bogen und wie Reit— 
gerten hin und her ſchwankten. Am Bord eines engliſchen Kriegsſchiffes wurde ein Glied 
der ſtarken Ankerkette auf eine ſehr merkwürdige Art zuſammengedreht. 

4) Ein ſehr verderbliches Erdbeben fand in Peru am 18. September 1833 um 
6 Uhr Morgens ſtatt. Es erſtreckte ſich vorzüglich von Arica, Zacna über Moquegua 
bis Arequipa, das iſt zwiſchen 17° 127 bis 18° 26° ſüdlicher Breite. Die Erſchütte— 
rung war äußerſt heftig, beſonders in Arica und Tacna, wo ein großer Theil der Ge— 
bäude gänzlich zerſtört wurde, und viele Menſchen das Leben verloren. In der Kirche 
von Tacna verunglückten 30 Perſonen. — Herr Scholtz befand ſich zur Zeit dieſes Erd— 
bebens auf der Reiſe zwiſchen Moquegua und Arequipa in einer ganz einſamen Gegend, 
wo nur eine elende, halb verfallene Hütte ſtand. Von dieſer ſtürzten in wenigen Se— 
kunden die Spitzen der beiden Giebelenden herab. Ein dumpfes Getöſe ließ ſich bis in 
die entfernteſten Gebirge vernehmen, welches in der Nähe Aehnlichkeit mit dem Flügel— 
ſchlag einer Schaar großer Vögel hatte. Es ſchien, als ob das Geräuſch nicht durch un— 
terirdiſche Urſachen, ſondern durch die heftige Vibration der Oberfläche der Erde, her— 
vorgebracht würde. 

Dieß Erdbeben war für jene Gegenden ſehr zerſtörend. Die unglücklichen Folgen 
dieſer Erſchütterung müſſen indeß auch zum Theil der ſchlechten Bauart zugeſchrieben 


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werden. Die Häuſer in Tacna ſind größtentheils von gerundeten Flußſteinen erbaut, die 
nur durch angefeuchtete Lehmerde, ftatt Kalk, verbunden find. Den Wänden giebt man 
nicht durch Quer- oder Deckbalken eine größere Feſtigkeit. Bei dem gänzlichen Mangel 
an Bauholz in dieſen Gegenden iſt auch beinahe keine andere Bauart möglich. Die Hüt— 
ten der ärmeren Volksklaſſen ſind von Rohr gebaut, und haben daher nichts von Erdbe— 
ben zu befürchten. — In Valparaiſo, wo es an Bauholz nicht mangelt, hat man in 
neuern Zeiten angefangen, viele Häuſer von Bindwerk, mit Ziegeln ausgeſetzt, zu bauen. 

Auch in Lima iſt der obere Stock der größern Häuſer von Bindwerk, mit Rohr ausge— 
füllt und überworfen. Wenn auch dieſe Häuſer bei heftigen Erdbeben Springe und Riffe 
in der Bekleidung bekommen, ſo ſind ſie doch dem Einſturze nicht ausgeſetzt. Zum Glück 
ſind in dieſen Ländern die Gegenden, welche die Zerſtörungen der Erdbeben am meiſten 
erfahren, am wenigſten bewohnt. Die Städte Arica, Tacna, Moquegua ſind nur un— 
bedeutende Flecken, die durch große Entfernungen getrennt ſind, und die dazwiſchen lie⸗ 
genden Strecken ſind wüſte, ganz unbebaut und unbewohnt. 


So fürchterlich auch zuweilen dieſe Erſcheinungen ſind, ſo iſt doch nicht zu zweifeln, 
daß die Verheerungen in den nördlichen Gegenden Europa's durch Ueberſchwemmungen 
in ihren Folgen noch weit verderblicher werden. Es dürfte hinreichend ſeyn, hier nur 
an die Ueberſchwemmung von St. Petersburg, im November 1824, und von der Nord— 
ſeeküſte im Februar 1825, zu erinnern. Die Fälle ſind nur ſelten, wo Waaren oder 
Feldfrüchte durch Erdbeben leiden, oder wo Vieh dabei verunglückt. Wenn ſich dieß er⸗ 
eignet, ſo ſind die Erdbeben gewöhnlich auch mit Ueberſchwemmungen begleitet, wie dieß 
1746 bei Callao und 1835 bei Talcahuana der Fall war. 


II. 


Am 1. März theilte Herr Kaufmann S. F. Scholtz einige Bemerkungen über 
die neuerdings vorgeſchlagenen Handelswege nach Peru mit. In der 
Preuß. Staatszeitung waren unterm 29. und 80. Januar 1835 zwei Artikel erſchienen, 
in welchen eines Planes erwähnt wurde, einen neuen Handelsweg nach Peru, auf dem 
Amazonen-Strome (Marannon) und durch die mit demſelben verbundenen Flüſſe, einzu: 
ſchlagen. Im erſtern der erwähnten Artikel wurde geſagt, daß man beabſichtige, Flüſſe 
an der Oſtſeite der Kordillera, welche fi in den Amazonen-Strom ergießen, durch Ka- 
näle mit den Flüſſen der Weſtſeite in Verbindung zu bringen. Im zweiten Artikel wurde 
dieß jedoch dahin berichtiget, daß man nur das Projekt habe, eine Waſſer-Verbindung 
auf dem Amazonen-Strome und den Nebenflüſſen bis an den Fuß der öſtlichen Kordillera 
zu eröffnen. Von da ſollte die Verbindung zu Lande nach Lima und andern Theilen der 
Weſtküſte ſtattfinden. Der Vortheil, den man dabei beabſichtigte, war vorzüglich, die 
gefährliche Schifffahrt um das Kap Horn zu vermeiden. 


88 11 


Herr S. ſuchte nun zu zeigen, daß beide Pläne gleich unausführbar ſind. — Da 
an der Weſtküſte der Kordillera ſich kein Fluß durch Peru ins ſtille Meer ergießt, worauf 
eine Schifffahrt, ſelbſt nur in Kähnen, ſtattfinden könnte, und überdieß die Höhe der 
Kordillera, von mehr als 15,000 Fuß, unüberſteigliche Schwierigkeiten darbieten würde, 
ſo kann von einer Verbindung der öſtlichen und weſtlichen Flüſſe, durch Kanäle, nicht die 
Rede ſeyn. Herr S. zeigte ferner, daß gegenwärtig die Schifffahrt um's Kap Horn 
durchaus nicht ſo gefährlich ſey, als man gewohnt iſt, ſich vorzuſtellen, indem durch Ver— 
vollkommnung der Nautik, durch die Verbeſſerungen im Bau der Schiffe, ſo wie durch 
genauere Seekarten, die Gefahr ſehr vermindert werde, und daß mithin ein Hauptgrund, 
neue Wege zu ſuchen, wegfalle. Die Aſſuranz-Prämie für Waaren von Europa nach 
Chile und Peru iſt gewöhnlich 2% à 3 Procent, und für Waaren, die der Beſchädigung 
nicht ſehr ausgeſetzt find, nur 17% Procent. Dieß allein zeigt ſchon, daß die Gefahr 
nicht bedeutend ſeyn könne. 


In Rückſicht der Zeit würde überdies für den Verkehr ein bedeutender Nachtheil auf 
dem vorgeſchlagenen neuen Wege entſtehen, indem die Schifffahrt auf dem Amazonen— 
Strome aufwärts nur ſehr langſam ſtattzufinden vermag. Da die Nebenflüſſe, welche 
ſich in den Amazonen-Strom ergießen, nur auf einer kurzen Strecke ſchiffbar ſind, ſo 
würde ein langer, beſchwerlicher Landtransport, der nur durch Mauleſel zu bewerkſtelli— 
gen iſt, die Waaren ſehr vertheuern, und würden ſie auf dem weiten Wege, durch öfteres 
Auf- und Abpacken, weit mehr der Beſchädigung, als im Schiffe, ausgeſetzt ſeyn. Es 
müßten erſt Wege durch jene Gegenden gebahnt werden, wo jetzt noch ein dichter Urwald 
den Weg verſperrt, und wo ſelbſt dem einzelnen Wanderer der Durchgang nur möglich 
wird, wenn er mit Axt und Hackemeſſer ſich eine Bahn eröffnet. Bei der üppigen Vege- 
tation jener Gegenden überwachſen aber, in ſehr kurzer Zeit, Schlingpflanzen und Ge— 
wächſe aller Art jeden durchgehauenen Weg, ſo daß der nächſte Reiſende kaum eine Spur 
des vorigen Weges findet, und ſich wieder aufs neue Bahn brechen muß. 


Könnten indeß auch alle dieſe Hinderniſſe beſeitigt werden, ſo iſt doch zu erwarten, 
daß Braſilien, welches im Beſitz der Mündung und des größten Theils des Amazonen— 
fluſſes iſt, einen freien Verkehr auf dieſem Fluſſe mit Peru nicht erlauben würde. Da 
Peru nur dieſelben Produkte, wie Braſilien, als: Baumwolle, Zucker, Kaffee ꝛc., erzeu— 
gen und exportiren könnte, ſo würde Braſilien ein ſtarkes Motiv haben, dieſem Handel 
Peru's Hinderniſſe in den Weg zu legen, denſelben entweder ganz zu verbieten, oder mit 
hohen Zöllen zu belegen. Bis jetzt ſind die Gegenden, wo eine leichtere Verbindung mit 
den Flüſſen ftattfinden kann, noch ganz unbebaut. Die zerſtreuten Miſſionen ſind größ— 
tentheils eingegangen, und die Ufer jener Flüſſe werden faſt einzig nur von den herum— 
ſchweifenden Indiern beſucht. 


Herr S. machte nun noch aufmerkſam darauf, daß das vielbeſprochene Projekt, die 
Erdenge von Panama zu durchſtechen, um einen kürzern Weg ins ſtille Meer zu finden, 


Pur GE 


eben fo unausführbar, und für Peru und Chile wenigftens von keinem oder nur fehr ge— 
ringen Nutzen ſeyn würde. Bei der Höhe der Bergkette, welche das atlantifche Meer 
vom ſtillen Ocean trennt, und welche wohl 800 bis 1000 Fuß beträgt, iſt es gar nicht 
denkbar, daß ein Kanal bis zum Meeresſpiegel durchgeſtochen werden könnte, beſonders 
wenn man annimmt, daß derſelbe breit und tief genug ſeyn ſollte, um größere Schiffe 
durchzulaſſen. Die verſchiedene Höhe des einen oder des andern Oceans, wenn ſelbige 
wirklich ftattfindet, würde indeß kein Hinderniß ſeyn, weil der Unterſchied der Waſſer— 
höhe leicht durch ein paar Schleußen beſeitigt werden könnte. 


Ein Kanal, welcher von der Waſſerſcheide der Erdenge ausginge und nach beiden 
Seiten ſüdlich und nördlich herabfiele, könnte nur für kleinere Fahrzeuge fahrbar ſeyn. 
Die größern Schiffe müßten daher immer ihre Ladungen auf einer Seite der Erdenge 
ausladen, und dieſe dann, nachdem fie auf dem Kanale befördert worden, wieder in 
andere Schiffe verladen werden. Hierdurch aber möchten nicht nur große Koſten, 
ſondern auch ein längerer Aufenthalt entſtehen, und daher aller erwartete Vortheil 
verloren gehen. Es iſt vorauszuſehen, daß die Koſten eines ſolchen Kanals ſehr be— 
deutend ſeyn würden, und mithin müßten die Waaren, welche den Kanal paſſirten, ohne 
Zweifel mit einem hohen Zoll belegt werden, der wahrſcheinlich mehr betragen dürfte, 
als jetzt die Fracht und Aſſuranz auf dem Wege ums Kap Horn. Für Peru und Chile 
wäre ſelbſt eine freie Durchfahrt bei Panama, wenn ſelbige exiſtirte, von geringem 
Nutzen, weil Schiffe, von Europa nach Peru oder Chile beſtimmt, auf der Reiſe von 
der Erdenge aus, Wind- und Meeresſtrömung entſchieden gegen ſich haben. Dahin— 
gegen ſind Wind und Strömung den Schiffen, die ums Kap Horn gehn, günſtig, ſobald 
fie weſtlich vom Kap die Breite der magellanifchen Straße erlangt haben. Seitdem man 
die magellaniſche Straße genauer unterſucht hat, und man ſehr genaue Karten davon 
beſitzt, welche viele gute Häfen in der Straße angeben, iſt es ſehr wahrſcheinlich, daß 
dieſelben künftig weit mehr, als bisher, benutzt, und dadurch die Gefahren und 
Beſchwerden einer Reiſe um das Kap Horn ganz vermieden werden dürften. Am 
wahrſcheinlichſten iſt es noch, daß ſich durch den See von Nicaragua eine Waſſer-Ver— 
bindung der beiden Meere bewerkſtelligen läßt. Der Fluß St. Juan ergießt ſich aus dem 
See nach Oſten ins atlantifche Meer, zwiſchen dem 10ten und 11ten Grad nördlicher 
Breite, und nach Weſten zu iſt der See nur durch einen niedrigen, ſchmalen Landſtrich 
vom ſtillen Meere getrennt, durch welchen ſich eher ein Durchſtich bewerkſtelligen ließe, 
als durch den Iſthmus von Panama. Auch ſteht der See von Nicaragua weſtlich mit dem 
See von Leon in Verbindung, und aus dieſem letztern ließe ſich vielleicht noch leichter ein 
Kanal ins ſtille Meer machen. Wenn indeß auch der Nicaragua-See hinlängliche Tiefe 
hätte, ſo würden doch wegen der Seichtigkeit des Fluſſes St. Juan nur kleinere Fahrzeuge 
dieſen Weg einſchlagen können. Größere Schiffe müßten dann wieder in kleinere umladen, 
wodurch, wie ſchon erwähnt, große Koſten und viel Zeitverluſt verurſacht werden würden. 

11 


en, re 
III. 


Am 7. Juni theilte Herr Kaufmann S. F. Scholtz einige Nachrichten über die 
Silberminen von Pasco, welche er im Oktober und November 1833 beſuchte, 
mit.“) Dieſe Minen liegen auf dem hohen Rücken der Andes, in 14 bis 15,000 Fuß 
Höhe über der Meeresfläche. Der gewöhnliche Weg von Lima geht über Obrajillo, und 
führt anfangs durch ein fruchtbares Thal, ſteigt aber bald in die höhern Gebirge, einem 
kleinen Strom aufwärts folgend, bis zu deſſen Quellen am Fuß der hohen Bergſpitze, 
Siuda genannt. Hier ſieht man nur eine ſehr dürftige Vegetation. Ein ſchilfartiges Gras 
giebt nur eine magere Weide für wenige Schafe und Ziegen. Hier empfindet der Rei— 
ſende zuerſt die Beklemmung, welche durch die verdünnte Luft der höhern Atmoſphäre 
erzeugt wird, und unter den Eingebornen unter dem Namen puna oder serucha bekannt 
iſt. Empfindungen, welche Aehnlichkeit mit der Seekrankheit haben, und von Kopfweh, 
Uebelkeiten und Herzklopfen begleitet ſind, beläſtigen den Reiſenden. Auch Maulthiere 
leiden davon und erliegen oft, ſelbſt wenn ſie weniger beladen ſind, als in niedrig gelege— 
nen Gegenden. Der Weg führt über das hohe Tafelland der Kordillera, welches die 
Waſſerſcheide bildet. Man überſchreitet die Quellen mehrerer Bäche, welche nach Oſten 
zu ſtrömen, und ſich mit den Flüſſen vereinigen, die ihre Gewäſſer dem Amazonenſtrome 
zuführen. In dieſer Höhe iſt man häufigem Hagel und Schneegeſtöber, ſo wie hefti— 
gen Gewittern ausgeſetzt, welche letztere an der Küſte in den untern Gegenden ganz unbe⸗ 
kannt ſind. — Die Silberbergwerke, welche Herr S. beſuchte, liegen in einem Theile 
des hohen Gebirges, Cerro de Pasco genannt, wo ſich auch die Bevölkerung, welche 
der Bergbau herangezogen, angeſiedelt hat. Dieſer Punkt liegt 17% Meile nördlich von 
der alten Stadt Pasko, in 10° 35° ſüdlicher Breite, und von Lima 22 deutſche Meilen 
nach Nordoſt, entfernt. Wenn die Minen bearbeitet werden können und ergiebig ſind, 
verſammelt ſich in dieſer Gegend eine Volksmaſſe von 10 bis 15,000 Menſchen. So— 
bald aber größere Hinderniſſe eintreten, vermindert ſich die Bevölkerung ſchnell, indem 
Niemand gern in dieſen öden Gegenden verweilt, den nicht das Geſchäft des Bergbaues, 
oder der damit verbundene Handel, dort feſſelt. — Das Klima iſt auf dieſer Höhe von 
14,000 Fuß ſehr rauh und unangenehm. Gewitter und Regen wechſeln mit Hagel und 
Schneegeſtöber ab, und wenn man auch am Morgen durch einige Sonnenblicke erfreut 
wird, ſo kann man doch leicht zu Mittag Straßen und Dächer mit Schnee bedeckt ſehen. 
Die Umgegend bringt nichts hervor; denn obgleich hie und da etwas Gerſte angebaut 
wird, ſo kommt ſie doch nicht zur Reife, giebt keine Körner und liefert nur grün oder 
getrocknet als Stroh ein dürftiges Futter für Mauleſel. Alle Lebensbedürfniſſe werden 


„) Wir theilen dieſen Bericht in ſeiner ganzen Ausdehnung mit, weil nur wenige europaͤiſche Reiſende 
dieſe intereſſante Gegend bisher beſuchten. 


— A 


aus den niedrig gelegenen Gegenden, vorzüglich aus dem fruchtbaren Thal von Huanuco, 
nach dem Cerro *) gebracht, wo fie zu guten Preiſen verkauft werden, beſonders wenn 
die Minen eine reiche Ausbeute geben. Dieß hängt indeß vorzüglich davon ab, ob die 
Minen von Waſſer befreit werden können. Wenn gleich im Allgemeinen das Silbererz 
derſelben von geringem Gehalte iſt, ſo werden dieſe Bergwerke doch als die reichſten 
und ergiebigſten von Peru betrachtet. Indeß macht man ſich oft eine falſche Vorſtellung 
von dem Reichthume der Minen und überſchätzt ihren Werth nur allzuſehr. 

Von dem gewöhnlichen Erz liefert der ſpaniſche Centner von 100 Pfund etwa 3 bis 
4 Unzen Silber, was ſchon ergiebig genannt werden kann, und oft werden Erze bearbei— 
tet, die noch weniger als 3 Unzen reines Silber vom Centner geben. Es kommt wohl 
vor, daß man vom Centner Erz 6 bis 8 Mark Silber erhält, allein dieß ſind nur ſehr 
ſeltene Fälle, und wenn auch das Erz in einem Theile der Mine ſo reichhaltig iſt, ſo 
kann man mit Sicherheit darauf rechnen, daß dieſer Ertrag nicht anhaltend ſeyn wird. 
Die Hauptſchwierigkeit der Bearbeitung dieſer Minen iſt das Waſſer, welches oft die 
niedrig gelegenen Theile derſelben ganz unzugänglich macht, und auch in den höheren ſo 
ſteigt, daß ſie verlaſſen werden müſſen. Zwar laſſen ſich einige derſelben wohl durch 
Auspumpen reinigen, allein dieß iſt ſehr koſtſpielig und oft auch unzulänglich für die 
Dauer. Man iſt daher auf andere, mehr allgemeine und wirkſamere Mittel bedacht ge— 
weſen, die Minen vom Waſſer zu befreien. 


Hr. S. ging nun in eine Beſchreibung der Stollen, welche zur Ableitung des Waſ— 
ſers gemacht worden ſind, ein. — Der Stollen oder Socabon von St. Judas iſt der 
ältefte, allein fein Niveau liegt zu hoch und kann daher kein Waſſer aus den tiefer lie: 
genden Minen, welches die reichhaltigſten ſind, ableiten. Man hat daher einen andern 
Socabon (d. i. Stollen) angelegt, welcher 40 Varas**) (120 ſpan. Fuß) tiefer liegt. 
Dieſer Stollen, welcher in den See von Quiluacocha ausmündet, wurde 1805 angefan— 
gen, iſt aber nur ſehr langſam fortgeſchritten, und die Arbeit oft unterbrochen worden. 
Bei Vollendung dieſes Werks würden alle Minen, die 40 Varas unterhalb des Stollens 
von St. Judas liegen, vom Waſſer befreit und alſo leicht bearbeitet werden können. 
Der Stollen iſt 6 Fuß hoch und 6 Fuß breit, und hat am Boden einen Abzugsgraben 
von 3 Fuß Breite und Tiefe. Da in dem beſchränkten Raume nur 2 oder höchſtens 
4 Mann zugleich arbeiten können, ſo kam dieß Werk nur ſehr langſam vorwärts. — 
Um das Jahr 1815 ſchlug daher ein gewiſſer Uville vor, die Minen durch Dampf— 
maſchinen vom Waſſer zu reinigen, und es wurde zu dieſem Zwecke eine Kompagnie errich— 
tet, an deren Spitze beſagter Uville und das Handlungshaus von Abadia und Arizmendi 
in Lima ſtanden. Durch Vorſchüſſe, die man in England erhielt, gelang es, 4 Dampf 


) Cerro bedeutet allgemein „Berg — Gebirge.“ 
) Eine Vara hat s fpanifche Fuß = 32 Zoll Rheinlaͤndiſch. 
11 * 


ee Mo 


maſchinen von 36 bis 40 Pferdekraft nach Pasco zu bringen. Indeß, aller angewand- 
ten Mühen und Koſten ungeachtet, iſt es doch nur gelungen, eine einzige dieſer Dampf— 
maſchinen in Thätigkeit zu ſetzen, und zwar nur auf kurze Zeit und nicht mit der Wir— 
kung, die man ſich davon verſprochen. Zufolge des Kontrakts, welchen erwähnte Kom⸗ 
pagnie mit den Minen-Eignern abgeſchloſſen hatte, machte ſich die Kompagnie verbind— 
lich, den Schacht bis auf 40 Varas Tiefe unter den Stollen von St. Judas zu führen, 
und alſo eben ſo tief, als den Stollen von Quiluacocha. Man hofſte daher, alle Minen, 
welche zwiſchen den beiden Stollen lagen, auspumpen zu können. Dagegen machten ſich 
die Minen-Eigner anheiſchig, von dem Produkte, welches ſie aus den gereinigten Minen 
ziehen würden, den fünften Theil an die Kompagnie als Entſchädigung abzugeben. 

Die Dampfmaſchine im Diſtrikte von Santa Roſa iſt die einzige geweſen, welche 
einige Zeit mit Erfolg gearbeitet hat. Man hatte indeß den Schacht oder Brunnen 
nicht tiefer als 18 Varas geführt, weil man in dieſer Tiefe auf ſehr hartes Geſtein traf, 
und mithin mußten die darunter liegenden Minen doch auf die koſtſpielige Art, durch 
Handpumpen, gereiniget werden. Da man in dem größern und tiefer liegenden Stollen 
(Socabon de Quiluacocha) auch auf das harte Geſtein, bronce duro, ſtieß und die 
Arbeit ſehr langſam fortſchritt, ſo entſchloß man ſich, auf der halben Tiefe, oder ohnge— 
fähr 20 Varas unter dem Socabon von St. Judas, einen neuen Stollen anzulegen. 
Derſelbe traf ein günſtigeres Terrain und ſchritt raſch vorwärts, ſo daß dadurch viele 
Minen vom Waſſer befreit wurden. In Folge davon war auch 1833, in welchem Jahre 
Herr S. die Minen beſuchte, die Ausbeute reicher, als in irgend einem der früheren 
Jahre. Es wurden allein an Silber, welches die darauf haftenden Rechte bezahlte und 
zur Münze abgeliefert wurde, 244,071 Mark 4 Unzen gewonnen. Ein großer Theil 
des gewonnenen Silbers wird durch den Schleichhandel ausgeführt, und kommt daher 
nicht in das officielle Regiſter. In den früheren 8 Jahren iſt das Produkt der Minen 
1,176,679 Mark 2 Unzen geweſen, und alſo im Durchſchnitte das jährliche Produkt 
147,085 Mark. Dieſe Angaben ſind aus officiellen Quellen, enthalten daher aber nicht 
das Silber, was durch den Schleichhandel ausgeführt wird, und was man wohl zu 
einem Drittel mehr annehmen kann. 

Herr S. ſchilderte nun die Art, wie die Minen bearbeitet werden, indem die Eig⸗ 
ner entweder von reichern Kapitaliſten Vorſchüſſe erhalten, oder die Bearbeitung der 
Minen einem Andern überlaſſen, der alle Koſten der Förderung trägt, und dagegen von 
dem gewonnenen Erze ein Drittel oder die Hälfte an den Eigner abliefert, und den Reſt 
für ſich behält. Die Arbeiter werden größtentheils mit dem Produkte, d. i. mit dem 
rohen Silbererze, bezahlt. Jedesmal, wenn die Arbeiter die Grube verlaſſen, nehmen 
ſie in einem Tuche einen Theil des Erzes als Tagelohn mit ſich. Dieß verkaufen ſie ent— 
weder oder bearbeiten es ſelbſt, um das Silber durch Amalgamation zu gewinnen. Nur 
wenn Arbeiten in der Mine verrichtet werden, wobei kein Erz gefördert wird, oder wenn 
das Erz ſehr arm iſt, erhalten die Arbeiter Tagelohn. 


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Herr S. befchrieb nun die in Pasco gebräuchliche Methode, das Erz zu bearbeiten. 
Das gewonnene Silbererz wird erſt klein geſchlagen bis zur Größe von etwa einem Ku— 
bikzoll; dann wird es auf einer Art Mühlen, Ingenios genannt, zwiſchen großen Stei— 
nen von 9 Fuß Durchmeſſer gemahlen und dann geſchlemmt. Nachdem hier der leichtere, 
erdige Theil weggewaſchen iſt, kommt das gemahlene Erz in den ſogenannten Cir co. 
Dieß iſt ein runder Platz, mit flachen Steinen gepflaſtert und mit einer niedrigen Mauer 
umgeben. Man thut in einen Circo gegen 400 Centner Erz. Die erſte Operation iſt, 
daß man dieſe Maſſe mit circa 800 bis 1000 Pfund Salz vermiſcht, bei reichern Erzen 
ſogar bis 1500 Pfund. Hat man ärmere Erze zu bearbeiten, ſo thut man ſogleich das 
Queckſilber hinzu, bei reichhaltigern Erzen aber erſt 2 bis 3 Tage ſpäter. Sodann wird 
die Maſſe durch einander gerührt, welches auf den größern Werken durch 6 bis 8 Pferde 
oder Mauleſel geſchieht, die 10 bis 12 Stunden lang im Circo herumgetrieben werden. 
Bei kleinern Maſſen treten Männer mit bloßen Füßen die Miſchung, ohne jedoch üble 
Folgen davon zu ſpüren. Dieſe Operation wird nun mehrmals wiederholt. Von Zeit 
zu Zeit unterſucht man die Maſſe und ſieht, ob ſich das Queckſilber mit dem Silber ge— 
hörig verbunden hat. Iſt dieß der Fall, ſo kommt die Maſſe in Gruben, Tinas ge— 
nannt, wo fie gewaſchen wird. Die Erdtheile, welche kein Silber enthalten und ſich 
alſo auch nicht mit dem Queckſilber amalgamirt haben, werden fortgeſchwemmt, und das 
Amalgama, Pella genannt, bleibt zurück als ein ſchwerer, derber Teig. Es wird nun 
in leinene Beutel gethan, und indem es ſtark gedrückt wird, fließt das Queckſilber, wel— 
ches nicht mit dem Silber verbunden iſt, ab, und wird aufgefangen. Es bleibt indeß 
noch alles Queckſilber zurück, was ſich mit dem Silber amalgamirt hat. Dieß wird durch 
Feuer geſondert, wodurch die Maſſe auch eine Feſtigkeit gewinnt. Die ſo gewonnene 
Pella wird in einen großen thönernen Topf, Porongo genannt, gefüllt, ſo feſt, als es 
ſich thun läßt, ohne den Topf zu zerbrechen. Dieſer Topf hat einen engen Hals, in wel— 
chen ein eiſernes Rohr, von der Dicke eines Flintenlaufs, befeſtigt und mit Thon vollkom— 
men dicht verſchloſſen wird. Der Topf wird nun auf einen kleinen Heerd gelegt, die 
Mündung des Rohrs aber in ein etwas niedriger ſtehendes, mit kaltem Waſſer gefülltes 
Gefäß geleitet. Indem nun um den Topf ein ſtarkes Feuer gemacht und 6 bis 8 Stun— 
den unterhalten wird, verflüchtigt ſich alles Queckſilber und wird durch die eiſerne Röhre 
als Rauch in das Waſſer getrieben, wo es ſich wieder als Queckſilber niederſchlägt. 
Man rechnet, daß bei dem ganzen Amalgamations-Prozeß etwa 1 Pfund Queckſilber bei 
jeder Mark Silber, die gewonnen wird, verloren geht. Nachdem das Feuer abgenom— 
men und der Topf ſich verkühlt hat, wird er zerbrochen, und man erhält eine etwas po— 
röſe Maſſe Silber, plata pinna genannt. In dieſem Zuſtande kommt das Silber in 
Handel, oder es wird auch in das Schmelzhaus (callana) abgeliefert, wo es zu Barren 
umgeſchmolzen wird. Hier zahlt das Silber für jede Mark: 

% real an das Bergamt, tribunal de mineria, 
1 real zum Bau des Stollen von Quiluacocha, 


ei 3 


6 ſpaniſche Thaler für die Barre von circa 200 Mark, fürs Einſchmelzen. 
Ein real iſt 4 guten Groſchen gleich. 


Die Barren ſind beinahe ganz reines Silber, oder enthalten nur etwa 1 Procent 
Unreinigkeiten. Dem Geſetze nach müſſen dieſe Barren in die Münze geliefert werden, 
wo ſie nach folgeudem Münzfuße ausgeprägt werden: 


850 ſpaniſche Thaler, pesos fuertes, wiegen 100 Mark. Der Gehalt iſt: 


260 Theile feines Silber. .... 10 dineros 20 granos, 
28 Theile Zuſatz ... . 1 dineros 4 granos, 


288 Theile. 12 dineros. 


Die ſpaniſche oder caſtilianiſche Mark iſt etwa ½ Loth leichter als die cölniſche 
Mark, und wird in 8 Unzen getheilt. 


VII. Zoologie. 


In der Ver ſammlung der naturwiſſenſchaftlichen Section vom December lieferte 
der Dr. Phil. Gloger einen Nachtrag zu ſeinem Verzeichniſſe der ſchleſiſchen Wirbel- 
thiere, *) indem er Nachricht gab, über die, ihm endlich gelungene Auffindung von Fle— 
derthieren aus jener merkwürdigen Gattung, welcher man, wegen ihrer wunderlichen, 
mehr oder weniger blattähnlichen, hufeiſen- und lanzettförmigen Hautanhängſel an der 
Schnauzenſpitze, den Namen der Hufeiſennaſen gegeben hat (Rhinolophus). Eine 
Gattung, welche ſich auch durch den gänzlichen Mangel des ſogenannten Ohrdeckels vor 
den meiſten übrigen fledermausähnlichen Geſchöpfen auszeichnet, und von welcher 
bisher noch keine Art in unſerer Provinz beobachtet worden war; obwohl man, nach 
dem ſchon länger bekannten Vorkommen von einer derſelben, nicht bloß unter gleicher, 
ſondern ſelbſt unter höherer geagraphiſcher Breite (z. B. in Thüringen), nicht Urſache 
hatte, ihr Daſein auch bei uns in Zweifel zu ziehen. Wahrſcheinlich iſt die Urſache hier— 
von in dem eigentlichen Aufenthalte dieſer Thiere zu ſuchen, der ſich auch während des 
Sommers auf Felſenhöhlen zu beſchränken ſcheint (wohin die Flederthiere anderer Gat— 
tungen meiſt nur gelegentlich für die Zeit des Winters ihre Zuflucht nehmen), zu dem 
alſo auch bei weitem nicht alle Gegenden Gelegenheit darbieten. 


Die nunmehr bei uns beobachtete Art iſt von den beiden, bis jetzt als europäiſch be— 
kannten Hufeiſennaſen die kleinere, Rhinolophus hipposideros. Der Vortragende 
fand ſie, und zwar in einiger Anzahl, in den, bekanntlich nicht bedeutenden Tropfſtein— 


„) Schleſiens Wirbelthier-Fauna. Ein ſyſtematiſcher Ueberblick der in dieſer Provinz vorkommenden 
Saͤugethiere, Voͤgel, Amphibien und Fiſche. Breslau, 1833. ö 


ee ME 
höhlen zu Setzdorf, im Gebirge des Fürſtenthums Neiffe, öſtreichiſchen Antheils. Höchft 
wahrſcheinlich kommt ſie wohl auch noch in andern Höhlen unſers Gebirges vor. N 

Nächſtdem referirte Derſelbe, und zwar mit vorzüglicher Anerkennung, über die 
kürzlich erſchienene Systematische Uebersicht der Vögel Pommerns, von E. F. 
v. Homeyer (Anclam 1837), als das beſte derartige Werkchen überhaupt, nicht bloß 
in Bezug auf Pommern. 

Ferner legte Derſelbe die erſten ſiebzehn Hefte von Nilssons IIluminerade figu— 
rer till Scandinaviens Fauna, eine noch im Erſcheinen begriffene Reihe lithographir— 
ter Abbildungen von Säugethieren und Vögeln der ſcandinaviſchen Halbinfel, vor. Man 
überzeugte ſich hieraus mit wahrem Vergnügen, daß die Naturforſcher Schwedens in dem 
artiſtiſchen Theile ihrer ſo gediegenen Arbeiten nunmehr durch Künſtler unterſtützt wer— 
den, deren Leiſtungen ſich, namentlich im Bereiche der Lithographie, nicht allein dreiſt 
mit denen ihrer Kunſtgenoſſen im Auslande meſſen können, ſondern ſogar die beſſeren 
derſelben noch großentheils übertreffen. | 


Herr Kammerherr Baron v. Forcade legte eine Anzahl Knochen vor, die funf— 
zehn Fuß unter der Oberfläche in einem Mergellager, begleitet von braunkohlenähnlichem 
Holze, bei Polniſch-Ellgut im Oelsner Kreiſe gefunden worden waren. Nach der Be— 
ſtimmung des Herrn Geh. Medicinal-Rathes Dr. Otto gehörten fie folgenden Thieren 
an: 1) dem foſſilen Pferde, 2) einem foſſilen Hechte, Esox Ottonis Agass., und 
3) dem foſſilen Hirſche. b 


VII. Phyſiologie. 


a. Thieriſche Phyſiologie. 


Den 5. April theilte Herr Profeſſor Dr. Purkinje ſeine neueſten Beobachtungen 
über die Struktur des Gehirns mit, welche die gangliöſe Natur vieler ſeiner Parthieen 
beweiſen. Die ſchon im vorigen Jahre beſchriebenen gangliöſen Körperchen finden ſich 
conftant von beſtimmter Größe und Geſtalt an verſchiedenen beſtimmten Stellen der 
Hirnmaſſe, und zwar: 1) im großen Gehirne am auffallendften in der ſchwarzen 
Subſtanz der Hirnſchenkel, die ſie großentheils conſtituiren, indem hier jedes gan— 
gliöſe Körperchen mit einem dunkelbraunen Pigmentflecke bedeckt iſt. 2) An verſchiede— 
nen Stellen mehr oder weniger angehäuft im Thalamus der Sehnerven, in den knieför— 
migen Körpern und in den Vierhügeln. 3) Manche deutlich in den geſtreiften Körpern 
und an verſchiedenen Stellen der grauen Kortikalſubſtanz des großen Gehirns, insbeſon— 
dere aber in den hintern Lappen innerhalb der Markſubſtanz in der Nähe der gelben 
Subſtanz. 4) In den gerollten Wülſten des Ammonshorns zeigt ſich eine engere graue 
Schichte, welche mit einer großen Zahl tetraediſcher gangliöſer Körperchen erfüllt iſt. 
5) Im kleinen Gehirn zeigen ſich conftant an der Gränze zwiſchen der grauen und gelben 


en 


Subſtanz zahlreiche Phalangen gangliöſer birnförmiger Körperchen, mit dem dicken Ende 
nach Innen, mit dem dünnen nach Auſſen gelagert. 6) Im vierten Ventrikel in ſeinem 
vordern Horn zeigt ſich, auch äußerlich ſichtbar, eine roſtfarbige Subſtanz, welche gleich— 
falls aus gangliöſen pigmentreichen Körperchen zuſammengeſetzt iſt. 7) Die graue Schale 
des rhomboidiſchen Körpers im kleinen Gehirn und des Olivenkörpers iſt gleichfalls mit 
eckigen gangliöſen Körperchen durchſetzt. 8) Endlich finden ſich gangliöſe Körperchen in 
den grauen Schichten der Varolsbrücke, im Innern des verlängerten Marks und in der 
grauen Subſtanz des Rückenmarks, von ſeinem Anfange bis in den hinterſten mitt- 
leren Fadenenden. 

Den 26. April ſprach Derſelbe über ſeine neueſten Beobachtungen, betreffend die 
innerſte Struktur der Nerven. Bei ſehr dünnen Querſchnitten der Nervenbündel gelang 
es ihm, innerhalb der Markſubſtanz der einzelnen elementaren Nervencylinder in der 
Achſe deſſelben eine von der peripheriſchen verſchiedene, vollkommen helle eiweißartige 
Subſtanz zu entdecken, wodurch das Ganze den Anſchein hohler Kanäle zeigte, die ſich 
jedoch als ſolche bei näherer Betrachtung nicht beſtätigten. Bei dieſer Gelegenheit ver— 
breitete ſich Derſelbe über die Geſchichte der bisherigen Anſichten von der Hohlheit der 
Nerven und Nervencylinder bei älteren Anatomen, Fontana, Bogros, Ehrenberg. 
Durch Behandlung der Nerven in Holzeſſig und kohlenſauren Kali gelang es ihm, die 
Nerven zu härten und die Subſtanzen derſelben unterſcheidbarer zu machen, fo daß nun 
an ſehr feinen e die innere Struktur mikroſkopiſch ſehr deutlich demonſtrirt 
werden konnte. | 

Man kann ſich von dem Daſeyn einer eigenen eiweißartigen Subſtanz innerhalb 
des Marks des Nervencylinders auch durch Zerreißung deſſelben innerhalb des Waſſers 
überzeugen, wo ſich dann dieſe als ein waſſerhelles Band zwiſchen beiden Enden ſehr 
lange ausſpinnen läßt, ohne zu zerreißen. Dieſe bandartigen Fortſätze aus dem Innern 
der Markſubſtanz des Nervencylinders ſah und beſchrieb in neueſter Zeit zuerſt Remak 
in Berlin. Sie ſind mit der vom Prof. P. beobachteten limpiden Centralſubſtanz der 
Nervencylider durchaus identiſch. Und ſo mögen beide Beobachtungen, gleich originell 
beide, einander zur Erläuterung und Ergänzung dienen. 

Auch die elementare Hirnfaſer zeigt bei ihrer Zerreißung ähnliche albuminöſe, we— 
gen ihrer Limpidität kaum ſichtbare Faden zwiſchen den Enden, welche auf ähnliche 
Struktur wie die der Nervenchlinder hindeuten. 

Den 22. November ſprach Hr. Prof. P. über ſeine gemeinſchaftlich mit Hrn. Dr. 
Pappenheim vorgenommenen Unterſuchungen über die künſtliche Verdauung und über 
die Eigenſchaften des dabei verwendeten Laabs, welches als beſondere organiſche Subſtanz 
in der innern Drüſenſchichte des Magens (insbeſondere des Laabmagens der Wiederkäuer) 
enthalten ift. Seine Eigenſchaften find folgende: 

1) Es bringt die Milch für ſich, ohne Hinzuthun von Säure, auch nachdem es ab: 
gekocht worden, zur Gerinnung. Dieſe Eigenſchaft zeigt ſich beſonders bei neugebornen, 


ra 


an der Mutter faugenden Thieren wirkſam, und darf durchaus nicht als der Verdauung 
feindlich, ſondern als weſentliches Moment derſelben betrachtet werden, indem der ſo ge— 
ronnene Käſeſtoff erſt wieder von neuem aufgelöſt und ſo verdaut wird. 


2) Das Laab hat die Eigenſchaft für ſich (gehörig angefeuchtet und unter Einfluß 
der Luft und Wärme), ſchnell in Fäulniß zu gerathen, und auch in andern thieriſchen, 
ſonſt ſchwer faulenden Subſtanzen (Serum, Eiweiß) den Fäulungsproceß einzuleiten. 
Dieſe Eigenſchaft ſcheint ein weſentlicher Moment bei der Verdauung zu ſeyn, obgleich er 
für ſich noch nicht die Verdauung ſelbſt ausmacht. Es ſcheint, daß der zur Magen— 
und Darmverdauung nicht verwendete Reſt des Laabs im Dickdarme den Grund der 
ſchnellen Fäulniß der dort deponirten Stoffe abgiebt. 


3) Die Haupteigenſchaft des Laabs iſt ferner die, in Verbindung mit durch Waſ— 
ſer verdünnten Säuren, insbeſondere der Salzſäure, in organiſchen, Pflanzen- und Thier— 
Stoffen, bei warmblütigen Thieren, unter Einfluß der natürlichen Blutwärme, denjeni— 
gen organiſch-chemiſchen Verwandlungsproceß hervorzubringen, den wir Verdauung, und 
nach ſeinem Produkte, dem Chymus, die Chymification nennen. 


4) Endlich hat das Laab eine Zahl chemiſcher Eigenſchaften, deren vollkommene 
Ergründung noch zu erwarten ſteht. Dahin gehört: daß es im Waſſer, beſonders in 
verdünnten Säuren, vollkommen ien in Alkohol unlöslich und unzerſtörbar iſt. Aus 
ſeiner Waſſerlöſung wird durch Queckſilber und Bleiſalze, durch Gallusſäure und andere 
ein Theil niedergeſchlagen, der noch immer die Eigenſchaft, zu verdauen, eigen behält. 
Vielleicht daß ſich auf dieſem Wege der reine Verdauungsſtoff oder Pepſin (nach Schwann) 
wird darſtellen laſſen. | 


Zu künſtlichen Verdauungs-Verſuchen wählt man am zweckmäßigſten hartgekochtes 
Eiweiß, an dem ſich die Verdauungslöſung am reinſten zeigt. Noch ſchneller und auf— 
fallender zeigt ſich die Löſung an dem reinen Faſerſtoffe des Blutes. Unter allen Säu— 
ren, welche zur Combination einer künſtlichen Verdauungsflüſſigkeit angewendet werden 
können, iſt die Salzſäure am geeignetſten. Man kann aber auch die Säuren entbeh— 
ren, wenn man denſelben den ſauern Pol einer mäßigen galvaniſchen Säule ſubſtituirt, 
indem dieſer aus den Salzen des Laabs ſelbſt die e Quantität der Salzſäure 
abzuſcheiden im Stande iſt. 


Beſonders merkwürdig iſt die Eigenſchaft der Galle in Bezug auf das Laab, indem 
durch Beimiſchung derſelben, zu einer activen Verdauungs-Miſchung, der Verdauungs— 
Proceß augenblicklich zum Stillſtande gebracht wird. Wahrſcheinlich hat ein gleiches 
Verhalten im lebenden organiſchen Körper die Beſtimmung, im Zwölffingerdarm alle 
weitere Chymification aufzuheben, indem in dieſer Region die Nahrungsſtoffe in eine an— 
dere Metamorphoſe einzugehen beſtimmt ſind, wodurch ſie durch weitere Vermittelung 
der Chylusgefäße und Chylusdrüſen in den Chylus übergehen. 

| 12 


ee 


b. Pflanzen⸗Phyſiologie. 


Der Sekretair der Sektion lieferte am 7. Januar 1837 eine Zuſammenſtellung der 
Beobachtungen über das Vorkommen der Pflanzen in heißen Quellen und ungewöhnlich 
warmem Boden, von welcher er hier nur einen kurzen Abriß ſeiner eigenen Beobachtung 
liefert, da das Ganze bereits in Wiegmann's Archiv für Naturgeſchichte abgedruckt 
worden iſt. 


Die Beobachtung, die ich zu machen Gelegenheit hatte, bezieht ſich auf die Vegeta— 
tion, welche ſich auf einem in der Tiefe brennenden Kohlenflötze bei Planitz unweit Zwickau 
befindet. Dieſer Brand ſoll, nach der Angabe des Herrn v. Gutbier in ſeiner treff— 
lichen Beſchreibung des Zwickauer Schwarzkohlengebirges, Zwickau 1834, S. 81, im 
Jahre 1641 entftanden fein, als der kaiſerliche General Borry Zwickau beſetzte, „da 
man vorſätzlich Feuer in die Schächte geworfen habe.“ Dieſer Brand, der im J. 1670 
beſonders heftig gewüthet haben ſoll, dauert noch fort, und nimmt ein Terrain von 
400 Ellen Länge im Streichen und 200 Ellen Breite ein. Das Feuer hat daſelbſt eine 
Tiefe bis 90 Ellen unter der Oberfläche erreicht, und die dadurch entwickelten Dämpfe 
brechen aus mehrern Oeffnungen und Spaltungen hervor. An eig paar Punkten kommt 
das Flötz auch zu Tage. Das Ausſtreichen derſelben bezeichnet, nach Herrn v. Gutbier, 
im Sommer ganz verdorrter, im Winter durch die unterirdiſche Hitze, von un ent⸗ 
blößter ſchön grüner Raſen. 


Als ich dieſe intereſſanten Gegenden am 20. Oktober 1836 beſuchte, fiel mir ſchon 
in der Ferne, noch ehe ich den an einzelnen Stellen hervorbrechenden Rauch bemerkte, die 
von der geſammten Umgebung abſtechende Färbung des Raſens auf. Die Strecke, auf 
der man den Einfluß der unterirdiſchen Hitze nach der Tiefe des darunter liegenden bren— 
nenden Flötzes mehr oder minder bemerkt, iſt etwa 1800 Fuß lang, 900 Fuß breit, 
meiſtens flach und, wie es ſcheint, in Folge von alten Grubenarbeiten, ſchwach hügelig. 
Es wird von einer Fahrſtraße durchſchnitten und zur Linken von derſelben von einem Hü— 
gelrande eingefaßt. Nach rechts erhebt ſich die Gegend zu einer mäßig abfallenden Berg— 
wand. Links von der Straße ſcheint das brennende Flötz in der größten horizontalen 
Erſtreckung zu ſein, wiewohl ſich auch hier in der Entfernung von wenigen Schritten 
große Temperatur-Differenzen finden, wie z. B. an einer Stelle + 35 Grad, und acht 
Schritte davon nur + 16“. Gegen den Hügelrand verliert fie ſich allmälig, und hier 
kommen auch wieder größere Bäume vor, die auf der übrigen heißen Fläche fehlen. An 
einer Stelle, wo das Flötz zu Tage ſtreicht, fo wie an den Haupt-Ausgangspunkten der 
heißen Dämpfe, beobachtete ich 50 — 54 R.; auf den vorzugsweiſe mit Moos bedeckten 
hügeligen Erhabenheiten 35 — 36°, in dem mit üppigem Graſe bewachſenen, gegen den 
erhabenen Rand hin liegenden Theile 14 — 30° 


re Mi — 


Folgende Pflanzen fand ich überhaupt auf der Fläche, deren Boden in höherem oder 
geringerem Grade die Wirkung des unterirdiſchen Brandes ſpürte: Akotyledo— 
nen: Bryum cespiticium H., Br. argenteum H., Dicranum purpureum, Cli- 
macium dendroides W. et M., Funaria hygrometrica, Hypnum velutinum 
H., H. rutabulum, H. squarrosum H., H. splendens H., Polytrichum undu- 
latum H. — Monocotyledonen: Agrostis vulgaris, Juncus effusus, Poa 
annua. — Dicotyledonen: Achillea Millefolium, Alsine media, Apargia 
hastiles, Campanula rotundifolia, Carlina acaulis, Centaurea Jacea, Cheno- 
podium album, Chrysanthemum Leucanthemum, Erica vulgaris, Erodium 
cicutarium, Ervum hirsutum, Fragarıa vesca, Galium sylvaticum, Gera- 
nium molle, Hypericum humifusum, perforatum, Leontondon Taraxacum, 
Hypochaeris radıcata, Polygala vulgaris, Polygonum aviculare, Pımpinella 
Saxifraga, Plantago lanceolata, media, Prunus spinosa, Rosa canina, Rumex 
Acetosa, R. Acetosella, Ranunculus acris, R. repens, Serratula arvensis, 
Solidago Virgaurea, Tormentilla reptans, Thymus Serpyllum, Trifolium 
flexuosum Jeq., T. repens, Urtica urens, Veronica Chamaedrys. 


Alle dieſe Arten ſah ich auch in den nächſten Umgebungen dieſer heißen Stellen, 
nur waren ſie viel weniger entwickelt und nicht in voller Vegetation, wie dies bei den 
genannten der Fall iſt; namentlich blühte noch Tormentilla reptans ſehr reichlich, 
Erodium eicutarium, und das überall verbreitete, mit den Mooſen an den heißeſten 
Stellen vorkommende Hypericum humifusum zeigte 6 — 8 Zoll lange Sproſſen und 
eine Menge reifer Kapſeln, woraus ich, wie auch aus dem Zuſtande der oben erwähnten, 
größtentheils perennirenden Pflanzen mit Recht ſchloß, daß auch im heißen Sommer dieſe 
Stellen keinesweges der Vegetation gänzlich entbehren. Der wärmſte Punkt war eine 
mit ſechs Zoll dickem Raſen und einer leichten hölzernen Verkleidung bedeckte Schacht— 
mündung, nur Dieranum purpureum, Bryum cespiticium und argenteum, Fu- 
naria hygrometrica, und junge Pflanzen von Hypochaeris radicata, Poa annua, 
Polygonum aviculare, Agrostis vulgaris, waren hier in einem Boden, der durch 
50 warme, aus der Tiefe aufſteigende Dämpfe erhitzt ward, und ſelbſt noch in drei 
Zoll Tiefe 45° maß. 


Ich bedaure nur, nicht fortdauernd das Verhalten der Vegetation dort beobachten 
zu können; doch hat mir Herr Apotheker Laurentius in Zwickau verſprochen, dies 
namentlich im Winter zu thun, wo, wie begreiflich, auf jener Gegend der Schnee nie lie— 
gen bleibt, alſo nicht die niedere Temperatur des Bodens, ſondern nur die der Atmoſphäre 
hemmend auf die ſonſt gewiß ſehr weit vorſchreitende Vegetation einzuwirken vermag. 


Wenn es nun erlaubt iſt, aus dieſer allerdings nur vereinzelten Beobachtung einige 
Reſultate zu ziehen, ſo ergiebt ſich, übereinſtimmend mit andern ähnlichen, in der Ein— 
1 


we WE er 


leitung erwähnten Erfahrungen, z. B. mit der des Herrn A. von Humboldt, daß 
die hohe Temperatur des Bodens, da in der Umgebung dieſelben Pflanzen vorkommen, 
keinen Einfluß auf die Qualität der Arten ausübte, was hier um ſo eher hätte hervor— 
treten müſſen, da jene Gegend ſchon ſo lange Zeit in ſo hohem Grade erhitzt worden; 
ſo wie ferner, daß auch hier an den wärmſten Punkten nur Mooſe, alſo Pflanzen nie⸗ 
derer Organiſation gedeihen, was ſich an die oben erwähnten Beobachtungen anſchließt, 
welche die Exiſtenz von den, dieſen Familien verwandten Algen in noch höherer Tempe— 
ratur nachweiſen. 


— WM — 


Verhandlungen 
der bot aniſchen Seeti on 
in den Jahren 1836 und 1837. 


Inm Jahre 1836 hat die botaniſche Section nur eine Verſammlung, am 23. Juni, 
gehalten, in welcher, außer den Vortragenden, Niemand zugegen war. 


Herr Profeſſor Dr. Göppert ſprach über das Vorkommen der foſſilen Koniferen. 


Die Meinung, daß in den älteſten, Verſteinerungen führenden Schichten Dikotyledo— 
nen nicht vorkämen, iſt offenbar dadurch ſehr begünſtiget worden, daß Herr Adolph 
Brongniart die Koniferen in ſeinem Syſteme der vorweltlichen Pflanzen nicht zu den 
Dikotyledonen, ſondern mit den ihnen allerdings verwandten Cykadeen in eine eigene 
Klaſſe, unter dem Namen Phanerogamae gymnospermae, brachte, überdies aber 
anführte (deſſen Prodrome d'une hist. des veget. foss. p. 175), daß in der älteren 
Steinkohlenformation dergleichen nicht angetroffen würden. Wiewohl nun Graf Caſpar 
v. Sternberg zwei offenbar zu den Koniferen gehörende Zapfen, Conites cernuus 
und C. armatus, (Verſuch einer geognoſtiſch-botaniſchen Darſtellung der Vorwelt, III, 
tab. 29, f. 1. 2. und IV, tab. 46, f. 1.) beſchrieb und abbildete, Wit ham, Lindley 
und Hutton in ihren, die foſſile Flora England's betreffenden Werken ähnliche Belege 
mittheilten, ſcheint man doch jene von Brongniart aufgeſtellte Meinung nur ungern ver— 
laſſen zu wollen. Abgeſehen von dem zu den Koniferen gehörenden verſteinerten Holze, 
welches bekanntlich durch höchſt eigenthümliche Merkmale ſich leicht erkennen läßt, und 
von mir in den älteſten, Verſteinerung führenden Schichten Schleſiens gefunden ward, 
ſoll hier nur von den andern dafür ſprechenden Thatſachen, den Fruchtzapfen, die Rede 
ſeyn, die ich hiermit vorlege, nämlich 1) ein mit wohlerhaltener Achſe verſehenes Exem— 
plar aus dem Uebergangsgebirge von Landeshut, ähnlich der Abtheilung Abies, zugleich mit 
Calamites cannaeformis Schloth.; 2) ein zweites Exemplar, ähnlich der Abtheilung 
Picea aus dem Kohlenbergwerke bei Gleiwitz, mit Blättern von Lepidodendron und 
Cheilanthites elegans nob.; 3) und 4) aus dem Thoneiſenſtein zu Königshütte, ähn⸗ 
lich Pinus der Jetztwelt. Das eine dieſer in der Sammlung des Hrn. Geh. Medicinal— 
Raths Otto befindlichen Exemplare iſt in der Mitte gebrochen, ſo daß man auch ſogar 


6 


die innere, mit dem Bau der Zapfen der Jetztwelt übereinſtimmende Struktur deſſelben, 
die Lage der Samen zu erkennen vermag. Wir glauben, daß es, da über das hohe 
Alter der Formationen, in welchen die hier erwähnten Pflanzen vorkommen, kein Zweifel 
obwaltet, eines anderweitigen Beweiſes für die Gegenwart der Koniferen, alfo 
der Dikotyledonen in dem Uebergangsgebirge und der älteſten Stein— 
kohlenformation, nicht bedarf. Wir geſtatten nicht nur gern die Einſicht dieſer in— 
tereſſanten Exemplare, ſondern werden ſie auch ſpäter in der een unſerer Arbeiten 
über vorweltliche Flora näher beſchreiben und abbilden. 


Herr Profeſſor Dr. Valentin theilte ſeine neueren Beobachtungen über die Ent⸗ 
wickelung der Pflanzengewebe mit, und zeigte die betreffenden Objekte unter einem neuen 
Schiek-Piſtorſchen Mikroſkope. 


Der Secretair berichtete über die in dieſem Jahre außergewöhnliche Verbreitung 
des Senecio vernalis in Schleſien. Dieſe Pflanze war bis dahin nur an zwei Orten, 
und zwar nur ſparſam, gefunden worden, von Fuchs bei Roſenberg und von Meyer 
um Groß-Herliz bei Troppau. Im Mai dieſes Jahres entdeckte Herr Pharmazeut 
Krauſe dieſelbe an einigen Orten in der Umgegend von Breslau, namentlich bei Si- 
byllenort und auf der Viehweide vor Pöpelwitz in zahlreichen Exemplaren, wo dieſe 
Pflanze vorher niemals geſtanden hatte. Gleichzeitig theilte Hr. Apotheker Grabowski 
aus Oppeln mit, daß dieſelbe zu eben derſelben Zeit an ſechs verſchiedenen Orten in Ober— 
Schleſien, an einigen in bedeutender Menge, vorgekommen ſei, wo ſie gleichfalls früher 
noch nie gefunden worden war. Zur Erklärung dieſer Erſcheinung boten ſich die kon— 
ftanten Südoſtwinde dar, welche in dem vorangegangenen Herbſt und Frühjahre ges 
herrſcht hatten, mit denen der Same dieſes Senecio in größerer Menge als ſonſt her: 
übergeführt worden ſein konnte, da man vorläufig als das eigentliche Vaterland deſſelben 
Ungarn, wo er zuerſt entdeckt und beſchrieben wurde, und das benachbarte Galizien an— 
zuſehen hat, und es ſchien für dieſe Annahme das gleichzeitige Erſcheinen deſſelben an zer— 
ſtreuten und entlegenen Punkten Schleſiens zu ſprechen. Ref. wies darauf hin, wie an 
ſolchen Beiſpielen, wenn günſtige Gelegenheit dergleichen Beobachtungen darbietet, die 
allmälige Verbreitung mancher Arten nachgewieſen werden kann, daher auf dergleichen 
Erſcheinungen ſorgfältig geachtet werden müſſe. Ein anderes Beiſpiel ähnlicher Verbrei— 
tung gewährt Camelina austriaca, welche ebenfalls aus Südoſten nach Schleſien ge⸗ 
kommen, früherhin nur aus der Gegend von Troppau aufgeführt worden, dann bei Op— 
peln am Oderufer, und bei Breslau ebenfalls am Ufer der Oder gefunden worden ſei, 
an welchem letzteren Orte ſie ſich nun mehr und mehr zu verbreiten beginnt, ſo daß es 
nicht bezweifelt werden könne, daß ſie dem Fluſſe ihre weitere Verbreitung verdanke. — 
Nachträglich bemerkt Ref., daß der genannte Senecio im folgenden Jahre 1837 nicht 
wieder erſchienen iſt, wodurch die oben aufgeſtellte Annahme noch mehr beſtätiget zu 
werden ſcheint. 


1 — 


Am 10. April 1837 trug Ref. einen Aufſatz des Herrn Apotheker Neumann zu 
Wünſchelburg vor, welchen derſelbe an die Section eingefandt hatte, über eine auf den 
Seefeldern bei Reinerz und einigen ähnlichen Gebirgsmooren der königl. Oberförſterei 
Carlsberg in der Grafſchaft Glatz vorkommende noch unbeſchriebene Form der Gattung 
Pinus. Da die Ausdehnung dieſes intereſſanten Aufſatzes den vollſtändigen Abdruck 
deſſelben nicht geftattet: fo muß ſich Ref. begnügen, das Wichtigſte im Auszuge mitzu— 
theilen. 

Die fragliche Pinus-Form wächſt in den tiefſten Sümpfen der höheren Gebirgs— 
region der Grafſchaft Glaz, auf den Seefeldern bei Reinerz (2414 F. nach Lindner), 
auf dem großen See (2200 F.), dem Grundwaſſer- und Dohlen-See (2000 — 2100 F.) 
im Forſtrevier Carlsberg und Friedrichsgrund, und findet ſich weder in den Thälern, noch 
an trocknen Stellen, nie in Geſellſchaft von Pinus sylvestris. Sie bildet meiſt einen 
anſehnlichen, 30 — 70 F. hohen Baum mit in der Ferne ſchwarzgrüner Krone und dun— 
kelgrauem Stamme. An ungünſtigeren Stellen wird fie krüpelhaft, mit ſchiefem und 
verwachſenen Stamme, oder auch ſtrauchartig mit langen Aeſten und monftröfen Aus— 
wüchſen. In dieſem Zuftande heißt fie bei den Bewohnern der Gegend Knieholz, ſonſt 
Seekiefer. Mittlere Stammhöhe 30 — 40 Fuß, Dicke 75 bis 1 Fuß. Rinde in der 
Jugend glatt aſchgrau, dann riſſig und ſchuppig-blättrig, nie ſo tief aufgeriſſen, als an 
der Kiefer (P. sylvestris) und ohne die letzterer eigenthümliche roſtbraune dünnſchalige 
Epidermis. Aeſte dick und verhältnißmäßig kurz, an der Spitze aufſteigend; Zweige 
bogig, mit dunkel aſchgrauer Rinde. Blätter in Büſcheln zu zwei, in langer, oben weiß— 
licher, unten bräunlicher Scheide, 1%, —2 ½ Zoll lang, blaugrün, an der Spitze rund— 
lich zugeſpitzt. Zapfen dunkelroth, dann hellbraun, etwas glänzend, 1 — 1% Zoll lang, 
rundlich, dann kegelförmig, nachher eirund, unten gerundet, horizontal, ſitzend, meiſt 
einzeln, bisweilen zwei gegenüberſtehend. Hauptſchuppe 5 — 7 Linien lang. Pyramide 
mit einer Stachelſpitze in der Mitte des Nabels. Nußflügel 3 — 6 Linien lang, mit 
ſtumpfer Spitze. Samendecke braunſchwarz, punktirt. Samenkörner mit 6 — 7 Lappen. 
— Das Holz iſt friſch weißlich, getrocknet blaß ochergelb, dicht, feſt und ſchwer; etwa 
100 Jahrringe gehen auf einen Durchmeſſer von 2% Zoll. Auf den durch Waldbrände 
verwüſteten Seefeldern an der Menſe iſt ſie zwergiger und ſtrauchartiger; vollkommene, 
baumartige Exemplare finden ſich auf den angegebenen Stellen des Carlsberger Forſtes 
an durch hohe Waldungen geſchützten Stellen. Sie wurde auf trocknem Waldboden im 
Neſſelgrunder Forſte bei Grenzendorf kultivirt, und hat ihren Charakter beibehalten, ob= 
wohl die jüngeren Stämmchen eine größere Aehnlichkeit mit der Kiefer zeigen. — 

Alte Stöcke von 1 F. und darüber im Durchmeſſer finden ſich 7 F. und tiefer unter 
der Oberfläche der genannten Carlsberger Moore. Dieſe Erſcheinung findet ihre Erklä— 
rung in der Theorie der Torfbildung, und beweiſet augenfällig die zunehmende Ausdeh— 
nung dieſer Moore in vertikaler und — in Rückſicht auf die am Saume der letzteren 
ſtets ſiechenden und immer mehr verſchwindenden ſtarken Fichten — auch in horizontaler 


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Mini ae 


Richtung. Dieß, der traditionelle Name: See (Seefelder, großer See u. ſ. w.) flatt 
Sumpf oder Moor, und die auf denſelben noch vorhandenen tiefen, ſtagnirenden Pfützen, 
berechtigen beim Rückblick auf den Anfang dieſer Naturbildungen zu der Anſicht, daß 
unſere genannten Höhenſümpfe wohl in der Bildungsperiode unſerer (Quaderſandſtein) 
Gebirgsformation entſtandene Seen ſind, deren Bette durch die Wechſelwirkung des all— 
mälig in und auf ihnen gebildeten Pflanzenlebens und deſſen zwar abgeſtorbenen, aber 
nie ganz zerſtörten Produkten (gleichſam Pflanzenmumien) nach und nach ausgefüllt 
wurden, während ihr flüſſiger Inhalt, durch Quellen genährt, dagegen meiſt alles Ab— 
fluſſes ermangelnd, von jenen ſchwammigen vegetabiliſchen Maſſen aufgeſogen oder ver— 
drängt, in horizontaler Richtung ſich verbreiten mußte, wodurch die anfänglich engeren 
Gränzen dieſer Seen oder Sümpfe ſich immer mehr erweiterten, wo die Kultur dieß nicht 
durch Abzugskanäle verhinderte. — Von den andern in Vergleichung kommenden Pinus— 
Arten, als: P. rotundata Lk., humilis Lk., uncinata Ram,, zeigt fie weſentliche 
Abweichungen; am nächſten ſteht fie der P. Pumilio, und könnte vielleicht, inſofern jene 
durch klimatiſch-atmoſphäriſche Einflüſſe mehr deprimirt und gehemmt wäre, als die 
Grundform dieſer Art betrachtet werden. Einſtweilen wird der Name Pinus uliginosa 
für dieſelbe vorgeſchlagen. 

Der Ref. gab einen, die Verbreitung der Pflanzen betreffenden Beitrag, indem er 
diejenigen Arten aufzählte, welche von Oſten und Südoſten her bis nach Schleſien reichen, 
hier aber ihre weſtliche und reſp. nordweſtliche Gränze erreichen. Dieſe ſind: Euphor— 
bia lucida, an den Oderufern, ohne daß man eine Verbreitung durch den Fluß nach— 
weiſen kann, da ſie im höheren Oberſchleſien fehlt und wahrſcheinlich überhaupt tiefere 
Gegenden liebt. Euphorbia pilosa, kaum weiter weſtlich gefunden. Asperula ri- 
valis Smith (oder A. Aparine var. corollis breviter tubulatis campanulatis). 
Senecio vernalis. Anemone patens, welche hier wenigſtens die nordweſtliche Gränze 
hat; fie überſchreitet nicht einmal in Schleſien das rechte Oderufer. Conioselinum 
Fischeri, das auf dem Geſenke, ſo viel ſich bis jetzt ſchließen läßt, ſeine ſüdweſtliche 
Gränze erreicht. Dentaria glandulosa und Hacquetia Epipactis, welche nur im 
ſüdöſtlichen Saume von Schleſien vorkommen. Galega officinalis, nur um Troppau 
und Ratibor. Laserpitium Archangelica geht nicht über das Geſenke hinaus. Pe- 
dicularis sudetica, nach den bisherigen Erfahrungen nur auf das Rieſengebirge be— 
ſchränkt. en een cassubicus; was wir unter dieſem Namen aus den öſtlicheren 
Theilen Deutſchlands geſehen haben, gehörte durchaus dem R. auricomus an. Salix 
Starkeana Willd. (zu bicolor nach Fries, zu livida nach Koch), an einem verein: 
zelten Standorte. 

Am 10. November 1837 legte Herr Profeſſor Dr. Göppert, als neue intereſ— 
ſante Erſcheinungen der botaniſchen Literatur, Kunze Analecta Pteridographica und 
Corda Icones Fungorum vor, und verbreitete ſich über Inhalt und Bedeutung der— 
ſelben. Derſelbe legte Notizen über die Flora um Kupferberg und Groß-Glogau, mit— 


enn, ne 


getheilt vom Herrn Pharmazeut Lind, und dergleichen über die Flora um Priebus vom 
Herrn Wundarzt Bretſchneider mit, aus denen ſich als bemerkenswerthe und neue 
Fundorte herausſtellen: Allium ursinum bei Fiſchbach, Cephalanthera ensifolia 
a. d. Bleiberge, Cirsium heterophyllum bei Fiſchbach, Comarum palustre Jano— 
witzer Haide, Dentaria enneaphylla Bolzen ſchloß, Lunaria rediviva ebendaſelbſt, 
Veratrum Lobelianum häufig um Kupferberg, aber in der tieferen Gegend ſtets ver— 
kümmert und nie zur Blüthe gelangend; Muscari racemosum Gurkau bei Gr. Glogau; 
Levcojum vernum um Groß-Glogau; Triglochin maritimum ebendaſelbſt; Ar- 
nica montana (Johannisblume) bei Priebus; Erica Tetralix ebendaſelbſt auf naſſen 
Waldſtellen; Lycopodium Selago ebendafelbft; Illecebrum verticillatum eben- 
daſelbſt. | 

Ref, legte eine vom Herrn Apotheker Grabowski in Oppeln für das Herbarium 
der Geſellſchaft beſtimmte Sammlung intereſſanter Pflanzen aus der oberſchleſiſchen Ebene 
und dem Geſenke vor, und begleitete dieſelbe mit einigen Bemerkungen. Es befand ſich 
darunter: Epilobium virgatum Fries von Karlsbrunn, früher vom Ref. auf dem 
Zobtenberge gefunden; dieſe Pflanze ſcheint bei uns nur im Vorgebirge vorzukommen. 
Stellaria Frieseana Koch, d. i. graminea g. minor Fl. sil., die ſich vielleicht künftig 
durch Uebergänge mit St. graminea wird verbinden laſſen. Salix silesiaca caps. gla- 
bris: die jüngeren Blätter ſind bald glatt, bald weichhaarig; dieſe Form nähert ſich 
oft der S. hastata, welche dann durch ebene hellgrünere, nach unten mehr verſchmälerte, 
meiſt geſägte Blätter, dichtere und kürzere Kätzchen, kürzere Ovarien und zottige Schup— 
pen der Ovarien zu unterſcheiden iſt. Sal. acutifolia, von Nakel bei Oppeln, auch von 
Koch in der Synopsis Fl. Germ. als Art angefehen, die jedoch Ref. nur als var. an- 
gustifolia von Sal. praecox betrachten kann. Salix finmarchica iſt entweder Varie— 
tät der 8. myrtilloides oder Baſtard von dieſer und S. aurita, welches letztere Herr 
Grabowski vermuthet. Betula pubescens aus dem großen Keſſel im Geſenke. Dieſe 
Form bildet einen ſchönen Uebergang zu der B. carpathica aus dem Rieſengebirge. 
Cirsium rivulare: die Beſchreibung der Wurzelblätter fehlt bei den meiſten Autoren; 
die erſten mögen ſtets integra fein, daher die Varietäten & und 6 in der Fl. sil. zu 
berichtigen. Plantago montana vom Keſſel im Geſenke und im Garten kultivirt; in 
dieſen Exemplaren iſt die Pflanze in ihrer urſprünglichen Form kaum noch wieder zu 
erkennen. . 

Ref. legte die halbreifen und reifen Fruchtzapfen von Pinus sylvestris L. P. Pu- 
milio Haenke und P. uliginosa Neumann vor, und bewies daraus die völlige ſpezi— 
fiſche Differenz dieſer drei Arten. Da die genaue Beſchreibung der Fruchtzapfen der 
Pinus-Arten ein großes Deſiderat ift, fo läßt derſelbe eine ſolche hier folgen: 

P. sylvestris: Zapfen im unreifen Zuſtande kegelförmig, im geöffneten Zuſtande 
verkehrt eiförmig-länglich. Schild im unreifen Zuſtande viereckig oder der Länge nach 
rautenförmig, braun. Schuppen: obere abſtehend, untere ſtets geſchloſſen, lineal-läng— 

13 


ee —— 


lich, innen hohl, kaſtanienbraun, an der Spitze dreieckig. Schild: weißlich, viereckig, 
von der Schuppenfläche geſondert, erhebt ſich horizontal in den vortretenden Nabel. 
Nabel: rautenförmig gelblich mit kleiner Warze. 

P. Pumilio: Zapfen im unreifen Zuſtande ſchmal eiförmig, im geöffneten Zuſtande 
rundlich eiförmig. Schild im unreifen Zuſtande nach der Breite rautenförmig, mit weiſ— 
ſem, oft ſtark hervortretendem Nabel. Schuppen: alle abſtehend, auch die untern offen, 
ſpatelförmig, innen flach ſcherbenbraun, an der Spitze abgeſtutzt- gerundet, mit vortre⸗ 
tender Spitze der Mitte. Schild: hellbraun rautenförmig, von der Schuppenfläche ge: 
ſondert, der obere Theil mit der Axe des Zapfens parallel. Nabel: rautenförmig grau: 
braun, mit vortretender Falte. 

P. uliginosa: Zapfen im unreifen Zuſtande eiförmig, im geöffneten Zuſtande ei— 
förmig. Schuppen faſt aufrecht, die unteren geſchloſſen, ſpatelförmig, innen hohl, roſt— 
braun, an der Spitze gerundet und wulſtig. Schild kaſtanienbraun, rautenförmig, unten 
in die Schuppenfläche verlaufend, ſcharf aus der wulſtigen Schuppe ſich erhebend. Na: 
bel rundlich rautenförmig mit herabgebogener Spitze. 


Wimmer, 
z. 3. Sekretär. 


> Bde EN Zen ch 
| über | 
die Arbeiten der entomologiſchen Section 
| im Jahre 1837. 


Die entomologiſche Section hat in dieſem Jahre 15 Sitzungen gehalten, in denen 
folgende Vorträge, nach dem Syſteme der Inſekten geordnet, gehalten wurden. 


+ Coleoptera. 


Herr Schilling machte zwei, bis jetzt unbeſchriebene Arten Käfer bekannt, wor: 
über der, von Demſelben eingereichte, ſchriftliche Bericht Folgendes beſagt: 

1) Cryptocephalus Betulae nanae, n. sp. Flügeldecken von der Baſis bis vor 
die Mitte geſtreift, glänzend ſchwarz; Lippe, Fühler, Vorderbeine und Schienen der 
Hinterbeine gelb. Länge 17, Linie. Weibchen längs der Mitte des Bruſtſchildes mit 
einem, nach hinten ſich erweiternden und zwei Lappen bildenden gelben Streif. Länge 
17, bis 1%, Linien. Fundort die Glazer Seefelder auf Betula nana. 2) Donacia 
palustris, n. sp. Glänzend goldgrün, Bruſtſchild kupferfarben, Kopf und Fühler 
ſchwärzlich; Hinterſchenkel verdickt, gezähnt; Fußglieder braunröthlich; Flügeldecken 
punktirt⸗geſtreift. Länge 3 / Linie. Fundort die Glazer Seefelder. Bruſtſchild längs 
der Mitte vertieft. Variirt mit kupferfarbigem Bruſtſchilde. — Herr Schilling zeigte 
außerdem die Calandra granaria (den ſchwarzen Kornwurm), eben aus der, in einem 
Gerſtenkorne enthaltenen, Puppe auskriechend, vor. — Herr Rendſchmidt hielt einen 
Vortrag über die, in Schleſien einheimiſchen, Gattungen der Waſſerkäfer. In der Ein— 
leitung ſchilderte Derſelbe die allgemeinen Kennzeichen der erwähnten Käferfamilie, ihrer 
bis jetzt bekannten Larven und Puppen, ihre Lebensweiſe u. ſ. w. Dann gab Derſelbe 
eine Ueberſicht der, in Sturm's Fauna germanica aufgeſtellten deutſchen Gattungen 
der Waſſerkäfer: Dyticus, Acilius, Hydaticus, Cybister, Colymbetes, Lacophi- 
lus, Noterus, Hygrobia, Haliplus, Hydroporus, Hyphydrus und Spercheus, 
nebſt kritiſchen Bemerkungen über die Haltbarkeit mancher Gattungen. Der Vortrag 
war folgender: 30 

E 


— 10 — 


Ueber Waſſerkäfer. 
Vorgetragen in der Sitzung am 9. Maͤrz von Rendſchmidt. 


Die Inſektenjagd gewährt dem Entomologen viele Abwechſelung, beſonders der 
Fang der Käfer. Man ſucht fie in der Erde, auf feuchtem, trocknem oder ſandigem Bo⸗ 
den, unter Geſtrippe, Steinen, im Dünger, faulem Holze unter Rinde, auf Blättern 
und Blüthen der Kräuter, Sträucher und Bäume, in halbverweſeten Körpern der Thiere; 
man käſchert ſie in Luft und Waſſer. Höchſt anziehend iſt für den Coleopterologen der 
Fang im letztgenannten Elemente, weil er ihm oft eine reiche Ausbeute der merkwürdig⸗ 
ſten Geſchöpfe liefert. Nicht nur die Geſtalt, Farbe, Zeichnung, der Bau und die zweck— 
mäßige Einrichtung der Glieder feſſeln bei dieſen Thieren unſere Aufmerkſamkeit, ſondern 
auch ihre Bewegung im Waſſer, auf dem Lande und in der Luft; ihre Nahrung, Be— 
gattung, wie ihre Larven und Nymphen. | 

Faſt alle Waſſerkäfer find eiförmig geftaltet, haben einen ſtark gepanzerten Körper, 
Schwimmfüße mit fünfgliedrigen Tarſen, 3 Paar Palpen und entweder Faden- oder 
Kolbenfühler von 11 Gliedern. Die Larve lebt im Waſſer, hat einen langen zwölfring— 
lichen Leib, am Ende des Schwanzes zwei bewegliche Fäden, mit denen ſie athmen ſoll; 
einen langen Hals, großen platten Kopf, zwei Fühler und Freßſpitzen; auf jeder Seite 
ſechs Augen, zwei große Zangen, die ihr zum Fange der Ephemeren-Larven und anderer 
Inſekten dienen. Dieſe Zangen ſind ſeitwärts an der Spitze hohl und nicht bloß zum 
Feſthalten, ſondern auch zum Ausſaugen des Raubes beſtimmt. In manchen ſtehenden 
Wäſſern wimmelt es von dergleichen Larven, die eine außerordentliche Gefräßigkeit zeigen. 
Die großen machen ſich auch an Schnecken und Fiſche. 

Den Nymphenzuſtand hat Röſel genau beobachtet. Die Larve verläßt, wenn die 
Zeit ihrer Verwandlung kommt, das Waſſer und begiebt ſich in feuchte Erde, wo ſie ein 
länglichrundes Grübchen macht. Hier liegt ſie mit paarweis an einander gereihten Bei— 
nen, den Kopf nach vorn geneigt, einer Mumie ähnlich. Sie iſt von einer zarten Haut 
umſchloſſen, welche die Theile des künftigen Inſekts durchſchimmern läßt. So bleibt die 
Nymphe drei bis vier Wochen, und eine, die ſich im ſpäten Herbſt eingelegt hat, auch 
den Winter über. | | 

Das ausgebildete Thier begiebt ſich in das, ihm früher angewieſene Element, nimmt 
die oben erwähnte Nahrung zu ſich, ſchwimmt munter umher, durchſucht die Stengel und 
Blätter der Waſſergewächſe, oder liegt auf dem ſchlammigen Boden. Oft ruht es an 
der Oberfläche des Waſſers, den Kopf nach unten haltend, um mit dem Hintertheile Luft 
zu ſchöpfen. Von hier begiebt es ſich, wenn es verſcheucht wird, ſenkrecht hinab, indem 
es eine Luftblaſe nachſendet. Viele Arten verlaſſen, beſonders gegen Abend, auf einige 
Zeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt und fliegen umher. Früher bildeten alle Waſſerkäfer 
eine Familie, die in zwei Hauptabtheilungen zerfiel, in Diticus und Hydrophilus. 
Die Ditiken tragen meiſt fadenförmige Fühler, welche länger ſind als der Kopf; die Hy— 


ee ME 


drophilen dagegen haben die Fühlhörner am Ende keulenförmig, geblättert und kürzer 
als der Kopf. Das Bruſtbein bei den Ditiken endet mit zwei, bei den Hydrophilen mit 
einer Spitze. Ferner iſt der Körper bei den erſten oben platt und unten gewölbt, bei 
den letztern aber umgekehrt, oben gewölbt und unten platt. Endlich ſind die Vorderfüße 
der Männchen unter den Ditiken anders geſtaltet, indem fie runde Tellerchen mit Saug— 
näpfchen haben. Die flache Körpergeſtalt und die weit zahlreichern, an allen Theilen der 
Beine befindlichen Floßhaare machen, daß die Ditiken ſchnellere Schwimmer als die Hy— 
drophilen ſind. Beide Hauptabtheilungen wurden von neuern Entomologen in mehrere 
Geſchlechter geſchieden. Ich nehme hier die Geſchlechter der in Deutfchland vorkommen— 
den Ditiken, und werde ihre Kennzeichen, nach der Fauna von Sturm, in gedrängter 
Kürze angeben. 


1) Das Geſchlecht Diticus. Die Fühler 11gliedrig, das zweite Glied kurz, 
ein Paar dreigliedrige Zungenpalpen, zwei Paar Kinnladenpalpen, von denen 
das eine zwei-, das andere viergliedrig, zuſammen alſo 3 Paar Palpen. 

2) Acilius, hat das letzte Glied der Zungenpalpen ſchräg abgeſtutzt; der Körper 
iſt verhältnißmäßig nach hinten zu breiter, die Flügeldecken der Weibchen haben 
vier breite, mit langen anliegenden Haaren beſetzte Furchen. 

3) Hydaticus. Der Kopf breit, ſtumpf; das Halsſchild kurz; auf den Flügel— 
decken drei Reihen feiner Punkte. Bei Dejan heißt dieſes Geſchlecht Grapho— 
derus. 

4) Cybister. Der Körper verkehrt-eiförmig, die vordern Beine kurz, die hin— 
terſten ſtark, lang und ſehr plattgedrückt. Bis jetzt kennt man in Deutſchland 
bloß eine Art dieſes Geſchlechtes, es iſt Cybister Röselii, ſonſt Diticus mar— 
ginalis nach Roſſi. 

5) Colymbetes. Die Zungenpalpen wie bei den vorangegangenen dreigliedrig, 
jedoch die beiden erſten Glieder bedeutend kürzer als das letzte. Der Körper 
eiförmig, aber nach hinten etwas zugeſpitzt. Dieſes Genus enthält die meiſten 
Arten. 

6) Lacophilus. Unter den Zungenpalpen das erſte Glied kurz, das zweite 
und dritte gleichlang. | 

7) Noterus. Beim Manne das fünfte Fühlerglied ſehr groß, beim Weibe faft 
alle gleich, nur das ſiebente etwas ſtärker. 

8) Hygrobia, fonft Hydrachna. Das erſte Fühlerglied viel länger und dicker 
wie die folgenden. Der Körper faſt viereckig, ſo auch der Kopf, welcher weit 
hervorragt. 

9) Haliplus. Von der viergliedrigen Kinnladenpalpe iſt das dritte Glied lang, 
das letzte ſehr kurz und dünn. Der Körper dick, unten ſtark gewölbt, der Kopf 
klein und eiförmig. Auf der Bruſt ſind zwei dünne, ſchildförmige Anſätze. 


— 11 —— 


10) Hydroporus. Das Endglied der Lippenpalpen groß und abgeſtutzt; der 
Kopf breit und gewölbt; das Halsſchild faſt fo breit wie die Wurzel der Flü- 
geldecken, und hinten mit zwei Bogen ausgeſchweift. Das Bruſtbein wird durch 
eine eingedrückte Linie getheilt. 

11) Hyphydrus. Die Vorderfüße vier-, die hinterſten fünfgliedrig. Der Kör⸗ 
per iſt faſt kugelig- eiförmig, oben und unten ſtark gewölbt. Die Fühler find 
kurz, fadenförmig, dünn. Das Schildchen fehlt. 

12) Sperchus. Die Fühler ſiebengliedrig, das Wurzelglied ſehr klein, das zweite 
lang, die fünf letzten bilden eine durchblätterte Keule. 


In einer ſpätern Sitzung zeigte Herr Rendſchmidt viele kleine braune Käfer vor, 
die in Steinſalz von Wieliczka eingeſchloſſen waren, und, beſonders ihrer Fühler wegen, 
unter die Gattung Elmis gehörten, obgleich ſie übrigens im Körperbau viel Aehnliches 
mit einigen Ptinus-Arten hatten. — Herr Oberförſter Zebe aus Borutin bei Rati— 
bor, bei der Verſammlung am 13. Juli gegenwärtig, zeigte an, wie die Larven der 
ſchönen und ſeltnen Cetonia fastuosa in feiner Heimath in wilden Honigbienenſtöcken, 
und zwar in der Holzerde einer hohlen Eiche, leben und ſich verwandeln. — In der 
Schlußſitzung am 22. December wurde ein Schreiben des genannten Herrn Oberförſters 
vorgetragen, in welchem derſelbe ſeine Beobachtungen über einige, den Forſten ſchädliche 
Käfer mittheilte. Sie betrafen das Anobium emarginatum Duftſchm. Ratzeburg, 
den Attagenus pellio und viginti guttatus und den Anthrenus Scrophulariae. 
Mitgeſandt wurden Larven, zum Theil noch in der zerfreſſenen Rinde ſitzend, und ausge— 


bildete Käfer der zuerſt genannten 5 und ein noch lebendes Exemplar des zuletzt ge⸗ 
nannten Käfers. 


II. Hymenoptera. 


Herr Schilling hielt einen Vortrag über die Larven der Blattwespen (Ten: 
thredinetae), worin die Unterſchiede derfelben von den Raupen der Schmetterlinge, 


hinſichtlich der Anzahl und des Baues der Beine u. ſ. w., erläutert wurden. Der Vor— 
trag war folgender: 


Einige Bemerkungen über die Blattwespen. 
Vorgetragen in der Sitzung am 22. December von Schilling. 


Die Larven der Blattwespen haben große Aehnlichkeit mit den Schmetterlinge: 
raupen. 

Gödart, einer der berühmteſten Entomologen des verfloſſenen Jahrhunderts, hielt 
zwei Blattwespenlarven für Schmetterlingsraupen, und da bei ihrer Verwandlung, an— 
ſtatt der Schmetterlinge, Blattwespen auskamen, fo hielt er dieſelben, anſtatt feinen 


— 103 — 


Irrthum einzuſehen, für Ichneumonen; aber die Abbildung, welche er in ſeinem Werke 
von dieſen vorgeblichen Ichneumonen giebt, zeigt hinreichend ſeinen Irrthum. 
Scowohl die Raupen der Schmetterlinge, als auch die der Blattwespenlarven, ha— 
ben eine gleiche Anzahl von Klauenfüßen, nämlich ſechs an der Zahl; aber die Zahl der 
Hautfüße iſt beſtändig verſchieden. Es giebt keine Art von Raupen, die mehr als zehn 
Hautfüße hätte; und hingegen keine Blattwespenlarve, die nicht wenigſtens 12 Haut⸗ 
füße hätte; es giebt ſogar welche, die deren 14 bis 16 haben. 

Die Hautfüße der Blattwespenlarven ſind anders gebildet, als die der Raupen; 
letztere haben die Unterfläche mit hakenähnlichen ſteifen Haaren verſehen; dieſe Haken 
fehlen den Blattwespenlarven. 

Der Kopf der Blattwespen hat auf jeder Seite ein deutlich zu unterſcheidendes Auge; 
der Kopf der Raupen hingegen hat auf jeder Seite fünf bis ſechs in einem Halbkreiſe 
ſtehende Flecken, die dem unbewaffneten Auge kaum bemerkbar ſind; es iſt noch unent— 
ſchieden, ob dieſe Flecken als Augen dienen. 

Sehr merkwürdig iſt der Farbenwechſel, welchem die Blattwespenlarven bei der 
letzten Häutung unterworfen find. So iſt z. B. die Larve der Tenthredo Scrophu- 
lariae vor ihrer letzten Häutung perlgrau mit ſchwarzen Flecken; nach der letzten Häu— 
tung erſcheint ſie grün, und die ſchwarzen Flecke ſind verſchwunden. 

Die Geſpinnſte der Blattwespenlarven ſind in Anſehung ihrer Struktur oft ſehr 
merkwürdig, indem das äußere harte Geſpinnſte keinesweges mit dem inneren weichen 
zuſammenhängt, ſondern darin wie in einer Kapſel eingeſchloſſen iſt. 

Diejenigen Blattwespenlarven, welche im Spätjahre ſich einſpinnen, verwandeln 
ſich nicht ſo ſchnell, wie die Raupen, in Chryſaliden, ſondern bleiben vielmehr in ihrer 
Larvengeſtalt den ganzen Winter hindurch, und verpuppen ſich erſt kurze Zeit vor ihrer 
Verwandlung zum vollkommenen Inſekte. 

Wenn die Blattwespe in ihrem Geſpinnſte ihre vollendete Geſtalt erhalten hat, ſo 
iſt der erſte Gebrauch, welchen ſie von ihrem Gebiſſe macht, dies Geſpinnſt zu durch— 
beißen. f 

Der merkwürdigſte Theil der Blattwespe iſt der Legeſtachel des Weibchens. Die— 
ſes Inſtrument iſt eine wirkliche Säge, von einer hornartigen Maſſe, welche aber auch 
zugleich als Bohrer und Legeröhre dient, vermittelſt welcher ſie ihre Eier in die verſchie— 
denen Theile der Pflanzen legt. 


III. Hemiy ter a. 


Herr Schilling ſetzte die Unterſchiede einer, von ihm bei Breslau entdeckten, auf 
Clinopodium vulgare lebenden, Wanzenart (Phytocoris Clinopodii) von den 
zwei ähnlichen, bekannten Arten derſelben Gattung: Phytocoris Ulmi und Populi, 
auseinander. — Derſelbe hielt ferner folgenden Vortrag über die Gitterwanzen: 


— 14 —— 


Bemerkungen über die Gattung Tingis oder Bei 
Vorgetragen den 13. Juli 1837. 


Unter den Hemiptern mit kreuzförmig über einander liegenden Flügeln oder den ſo— 
genannten wanzenartigen Inſekten (Heteroptera) iſt die Gattung der Gitterflügler 
(Genus Tingis) durch ihre gitterartige Körperbedeckung und durch die Beſchaffenheit 
ihrer Fühler hinreichend ausgezeichnet, um nicht mit andern Kreuzflüglern verwechſelt 
werden zu können. Die zu dieſer Abtheilung gehörigen Inſekten ſind nur von geringer 
Größe, noch nicht ſo groß, als unſere Bettwanzen. 

Die Flügeldecken der Gitterflügler ſind nicht, wie bei den übrigen Heteroptern, an 
der Baſis dick oder lederartig, und nach außen dünn und häutig; ſie beſtehen vielmehr 
durchgängig aus einer häutigen, ſehr elaſtiſchen Subſtanz, und ſind durch viele ſich kreu— 
zende, ſogenannte Adern (eigentlich Luftkanäle) gegittert oder netzförmig durchzogen; die 
Maſchen oder Felder dieſer Gitter find ſchon mit dem bloßen Auge, deutlicher aber durch 
das Vergrößerungsglas wahrzunehmen. 

Wenn ſchon der bloße Name: wanzenartige Inſekten, bei den meiſten der Natur— 
geſchichte unkundigen Perſonen einen gewiſſen Abſcheu erregt, ſo ſcheinen die Gitterflügler 
recht eigentlich dazu beſtimmt, durch ihre zierliche und gefällige Form die üble Meinung 
zu beſeitigen, welche man ins Gemeine von den Kreuzflüglern hat. Der üble Geruch, 
wodurch mehrere wanzenartige Inſekten uns läſtig werden, iſt bei den Gitterflüglern 
durchaus nicht bemerkbar. 

Die Gitterflügler gehören zu den Heteroptern mit dreigliedriger Rüſſelſcheide 
(Cimicides. Latreille). Die Fühler find fo, wie bei den meiſten Heteroptern, vier: 
gliedrig; ſie ſtehen über dem Urſprunge des Rüſſels mit ihrer Baſis ſehr nahe an einan— 
der; das dritte Glied iſt viel länger, als die übrigen; das vierte iſt knopf- oder eiförmig. 

Die Rüſſelſcheide liegt im Stande der Ruhe in einem, unter der Bruſt befindlichen 
Längskanale; die Füße ſind kurz, der Körper von oben platt gedrückt. 

Es ſind von dieſer ausgezeichneten und ſcharf begränzten Gattung nur wenige Arten 
bekannt, wovon die Urſache wohl darin liegen mag, daß dieſe Thiere ſich meiſt an ver— 
borgenen Orten, unter Baumrinde, unter Steinen, im Mooſe oder im Sande aufhalten, 
und bei ihrer geringen Größe und langſamen Bewegung wenig dem forſchenden Auge 
bemerkbar werden. 

Die meiſten Arten haben längs dem Bruſtſchilde drei erhabene Linien (Kiele), 
einen längs der Mitte und zu jeder Seite einen; andere Arten find ohne ſolche erha— 
bene Längslinien. 

Bei einigen Arten ſind die Fühler haarig, bei andern glatt. Dieſem zu Folge 

theilt man die Gitterflügler in zwei Familien: u 
| a) mit gekieltem Bruſtſchilde; 

b) mit glattem Bruſtſchilde. 


— 15 —— 


Die Familie mit gekieltem Bruſtſchilde hat zwei Unterabtheilungen : 
1) mit nackten Fühlern; 
2) mit behaarten Fühlern. 


Erſte Familie der Gitterflügler: 
Mit gekieltem Bruſtſchilde. 


Erſte Unterabtheilung: mit nackten Fühlern. 

1) Diſtel-Gitterwanze (T. cardui). Bei dieſer Art find beſonders die 
drei Längskiele des Bruſtſchildes ſtark vortretend. Bruſtſchild und Flügeldecken ſind breit 
gerandet; der Rand durchs Mikroſkop erkennbar gegittert, und überdies mit ſchwärzli— 
chen Längs- und Querſtrichen gezeichnet. 

Um etwas Neues zu liefern, hat Hr. Herrich-Schäffer (in der Fortſetzung des 
Hahn'ſchen Werks über die wanzenartigen Inſekten) dieſe ſo bekannte Art, unter dem 
Namen: Monanthia angusticollis, als etwas Neues abgebildet und beſchrieben. 

2) Gerippte Gitterwanze (Tingis costata) iſt nicht bemerkbar länger, aber 
faſt um die Hälfte breiter, als die Diſtel-Gitterwanze; fie iſt eben fo wie dieſe mit drei 
ſcharfen Bruſtkielen und breitem, gegittertem Rande am Bruſtſchilde und an den Flü— 
geldecken verſehen; aber die geſtrichelte, ſchwarze Zeichnung fehlt bei dieſer Art 
gänzlich. | 

Nach Fallen's Citat ſoll in Panzer's Fauna Germ., Tafel 23, eine Abbildung bie 
fer Gitterwanze befindlich ſeyn, welches aber auf einem Irrthume beruhen muß, indem 
auf gedachter Tafel Tingis clavicornis abgebildet iſt, welche fi durch ihre ſtarken, 
keulenförmigen Fühler von allen übrigen, zu dieſer Gattung gehörigen Arten unterſcheidet. 

Auch dieſe allgemein verbreitete und bekannte Art hat Herr Herrich-Schäffer, 
um ſein „Mihi“ beifügen zu können, uns als etwas ganz Neues, unter dem Namen: 
Monanthia reticulata, aufgetiſcht. 

3) Hopfen-Gitterwanze (Tingis humuli), unterſcheidet ſich von den übri— 
gen, zu dieſer Familie gehörigen Arten dadurch, daß der Thorax nur einen Längskiel 
in der Mitte, und anſtatt der beiden Seitenkiele verdichtete Seitenränder am Thorax hat. 

4) Natterkopf-Gitterwanze (T. echii), unterſcheidet ſich von den übrigen 
Arten dieſer Familie beſonders durch ihren ſchwarzen Kopf, fo wie auch durch das ſchwarze 
Bruſtſchild mit grauen Seitenrändern. 


Zweite Unterabtheilung: mit behaarten Fühlern. 


5) Birnbaum-Gitterwanze (T. pyri). Dieſe und die folgenden beiden 
Arten unterſcheiden ſich von den übrigen durch ihre Flügeldecken, welche völlig durchſichtig 
ſind, wie Glas; anch der Rand des Bruſtſchildes iſt eben ſo durchſichtig. Die Birn— 

14 a 


— 106 


baum⸗Gitterwanze iſt von kurzer, eirunder Geſtalt; die Seitenränder der Flügeldecken 
und des Bruſtſchildes ſind durchſichtig, mit einfachen ſchwarzen Querlinien gegittert, und 
auf jeder Querlinie iſt ein dunkler Fleck. 

6) Kamm-Gitterwanze (T. cristata), unterſcheidet ſich von der vorher ge— 
nannten Art durch ihre mehr längliche Geſtalt und durch ihre hellbräunliche Farbe. 

Auch dieſe Gitterwanze hat Hr. Herrich-Schäffer zu einer neuen Art erhoben, und 
ihr den Namen T. affinis mihi beigelegt. b 

Wenn Herr Herrich-Schäffer ſo fortfährt, aus bekannten alten Arten neue zu 
ſchaffen, ſo werden wir leicht ein doppeltes Verzeichniß über dieſe Inſekten erhalten, ein— 
mal über die wirklich exiſtirenden, und zweitens über die nirgends als in ſeinem Kopfe 
exiſtirenden Arten. 

7) Stirnſtachel-Gitterwanze (T. spinifrons, Fn.), hat mit der T. pyri 
große Aehnlichkeit, unterſcheidet ſich aber von derſelben durch die vorſtehenden fünf bor— 
ſtenartigen Stacheln an der Stirn und durch den Mangel der dunkeln Flecken am Rande 
des Bruſtſchildes und der Flügeldecken. 

8) Gerandete Gitterwanze (Tingis marginata, Wolf), gehört zu den 
kleinſten Arten dieſer Sippſchaft. Scheint von Tingis carinata Panzer nicht ver— 
ſchieden zu ſeyn. | 

9) Rothäugige Gitterwanze (T. erythrophthalma Germar.), iſt von 
der vorhergehenden Art durch die weit ſchmälere Körpergeſtalt, durch die hellere Farbe 
und durch die großen, auch bei getrockneten Exemplaren ſchön ſcharlachrothen Augen 
kennbar. 

Zweite Familie mit glattem Bruſtſchilde. 

10) Schwarzköpfige Gitterwanze (T. capitata), omnium auctorum, 
wenn nicht etwa Herrich-Schäffer in den folgenden Heften dieſelbe zu einer neuen Art 
erhebt. — 


IV. Diy ter a. 


Herr Schilling machte eine neue Pilzmückenart in dem folgenden, am 19. Ok⸗ 
tober vorgetragenen, Aufſatze bekannt. 

I. Breithaarige Flachleibmücke (Platyura laticornis) n. s. (Meigen, 
Bd. I, S. 233), hellgraubraun, Hinterleib oben ſchwärzlich. Die Fühler von der Länge 
des Bruſtſchildes, breit und ganz dünn; Bruſtſtück: zwei ſchwarze Längslinien bilden ein 
ſpitzes, gleichſchenkeliges Dreieck, deſſen Baſis am Vorderrande des Bruſtſtückes, deſſen 
Spitze vor dem Schildchen liegt. Zwei andere, ſeitwärts liegende ſchwarze Längslinien 
ſchließen auf jeder Seite mit den Schenkeln des Triangels ein an beiden Enden zugeſpitz— 
tes Längsfeld ein. 

Länge des Körpers 57, Linie. 


nf 


Die Larven dieſer Mücke fand derſelbe den 24. Aug. 1837 auf der untern Seite eines 
lederartigen Blätterpilzes mit einſeitigem Hute, in einer hohlen Weide rechts an dem 
Fußſteige von Wiſa nach Hochkirch; ſie hatten das Anſehen der nackten Ackerſchnecken, 
von denen ſie ſich jedoch durch ihre ungemeine Lebhaftigkeit und durch ihre ſchnell abwech— 
ſelnde Verlängerung und Verkürzung des Körpers, beſonders der vordern Leibringe, un— 
terſchieden. Sie waren mit einer ſchleimigen Feuchtigkeit überzogen, und bezeichneten 
ihren Weg mit einer zurückgelaſſenen ſchlammigen Subſtanz, ſo wie die Schnecken. In 
ihrem letzten Zuſtande, bevor ſie in den Chryſalidenſtand übergingen, waren ſie faſt 
1 Zoll lang. Sie verfertigten zu ihrer Verpuppung ein zartes, lockeres, durchſichtiges 
Gewebe, in welchem ſich nach wenigen Tagen die Larve in eine phalänenartige Chryſalide 
verwandelte, aus der in Zeit von 10 Tagen die Mücke ausſchlüpfte. 

Es fanden ſich auf dem gedachten Pilze ſieben Larven, aus denen ſich jedoch nur vier 
als vollendetes Inſekt ausbildeten. 

II. Calandra granaria (der Kornwurm), wie er aus einem Gerſtenkorne aus— 
ſchlüpft, und in dieſem Zuſtande, durch Vitrioläther getödtet, mit dem Vordertheil des 

Körpers außerhalb des Gerſtenkornes befindlich iſt. 


Herr Schilling theilte ferner mündlich das Merkwürdigſte aus der Naturgeſchichte 
der Kriebelmücken (Simulia), nach eigenen Beobachtungen, mit. 

Der Unterzeichnete hielt folgenden Vortrag über einige, in Schleſien gefangene, 
neue oder in Schleſien noch nicht aufgefundene, oder wenigſtens ſeltene Arten aus den 
Meigenfchen Familien: Tabanii und Leptides. 

Aus der Familie Tabanii fing ich in dieſem Jahre, und zwar am 27. Juli, im 
Höllengrunde zwiſchen Silberberg und Wartha 2 Männchen des Silvius Vituli Fab., 
welche Art zu den ſeltenen in Schleſien zu gehören ſcheint. Sie ſieht, oberflächlich be— 
trachtet, dem Tabanus fulvus, Meigen, ſehr ähnlich, macht ſich aber als ein wahrer 
Silvius durch die drei deutlichen Nebenaugen und das, oben nicht ausgeſchnittene dritte 
Fühlerglied ſogleich kenntlich. 

Zweitens Chrysops. — 1) C. rufipes, Meigen. Von dieſem kannte Meigen 
nur das Weibchen; ich fing 6 Männchen, die nur zu dieſer Art gehören können. Sie 
unterſcheiden ſich vom Weibchen durch die, am Grunde nach dem Vorderrande hin weit 
breiter dunkelbraun gefärbten Flügel und durch die Färbung der Beine. Es ſind die 
vorderſten Schenkel bis zur Mitte oder etwas darüber hinaus ſchwarz, die Hinterſchenkel 
bis faſt zum Ende ſchwarz, und ſowohl die Vorder- als die Hinterſchenkel manchmal 
oben am Ende mit ſchwarzer Strieme verſehen, die mit der ſchwarzen Baſis zuſammen— 
hängt. 

2) C. marmoratus, Roſſi. Neu für Schleſiens Fauna. Ich beſitze drei gleich— 
gezeichnete Weibchen, während Meigen nur ein einziges, aus der Baumhauerſchen Samm— 


lung entlehntes, kannte. 
14 * 


n 


Drittens Haematopota. — Meigen führt in feinem zweiten Theile zwar nur 
eine deutſche Art, dieſer Gattung auf, beſchreibt aber vier Abarten derſelben, wovon die 
dritte nur dem Weibchen, die vierte nur dem Männchen nach bekannt iſt. Im ſechsten 
Bande giebt er zu, daß dieſe eben erwähnten Abarten, nämlich die dritte und vierte, die 
beiden Geſchlechter einer und derſelben neuen Art ſein könnten, ohne jedoch derſelben einen 
Namen zu geben. Ich beſitze ein Männchen, welches, bis auf einen Unterſchied der Farbe 
der Fühler, mit der vierten Abart übereinſtimmt, und jedenfalls einer andern Art, als 
pluvialis, angehört, die ich folgendermaßen benenne und bezeichne: Haematopota 
globulifera, n. sp. Antennis atris, articulo primo globoso, tertio vix primum 
superante, thorace nigro, albido lineato et punctato, abdomine nigro, articu- 
lis albido- marginatis, ultimis bifariam cinereo-maculatis, alis marmoratis. 

Bei H. pluvialis iſt der Kopf verhältnißmäßig breiter, die Fühler ſind verhält— 
nißmäßig etwas länger; das erſte Glied derſelben iſt faſt noch einmal ſo lang, als breit, 
und merklich kürzer als das dritte; endlich iſt das dritte Glied allemal am Grunde roſt— 
farben. Auch iſt der Hinterleib weniger platt, und nach dem Ende mehr allmälig ver— 
ſchmälert. a 
Ueber einzelne Arten der vierten Familie: Leptides, habe ich Folgendes zu be— 
merken: | 

I. Leptis. — Meigen bemerkt in feinem ſechsten Theile, daß die, bei Leptis 
bicolor. Fab. als Synonyme angeführte Arten: L. oculata Fab. und nubecula Fall. 
beſondere Arten ſind, deren Unterſchiede er hier genau angiebt. Ich fand bei Verglei— 
chung meiner Exemplare mit den Meigenſchen Berichtigungen, daß unter 46 Exemplaren 
meiner Sammlung nur 2 M. und 1 W. die wahre L. bicolor. Fab. find, die übrigen 
30 M. und 13 W. aber der L. nubecula Fall. angehören, welche letztere Art daher 
als neu für Schleſiens Fauna zu betrachten iſt. 

Von L. Vanellus Fab., welche Meigen im zweiten Bande als Abart von L. 
tringaria anführt, bemerkt er im ſechsten Bande, daß er, nachdem er ſie in Fabrizius 
Sammlung geſehen habe, ſie doch wohl für eigne Art halte. Ich beſitze davon 8 M. 
und 24 W. und ſie iſt alſo den ſchleſiſchen Arten zuzuzählen. 

L. notata, Gürtl. lernte ich erſt durch die verbeſſerte Beſchreibung im ſechsten 
Bande von Meigen richtig erkennen, und beſitze davon 6 M. und 4 W., die ich alle im 
Gebirge bei Silberberg und Charlottenbrunn fing. Außerdem befinden ſich in meiner 
Sammlung noch folgende, von Meigen nicht beſchriebene, Arten: 

Erſtens L. stig ma, n. sp. Kommt bei Breslau ſehr häufig vor, und könnte 
nur mit Meigens L. vitripennis und strigosa verwechſelt werden. Von L. vitripen- 
nis unterſcheidet ſie ſich in Folgendem: 

1) Sind die zwei erſten Fühlerglieder grau, das dritte röthlichgelb. 
2) Am Hinterleibe des Männchens iſt ſchon das fünfte Glied ſchwarz mit röth— 
lichgelbem Hinterrande, das te wie das öte oder wie das 7te ganz ſchwarz. 


— 109 — 


3) Der Bauch des Männchens iſt von der Baſis allemal bis zu Ende des äten, 
meiſt aber bis zu Ende des 4ten Gliedes gelb; die letzten 4 oder 3 Glieder 
ſind ganz ſchwarz. 

4) Die Hinterſchienen find ganz bräunlichgelb. 


Von Leptis strigosa iſt unſere Art folgendermaßen ver ſchieden: 


1) Das Untergeſicht und die Stirn find grauweiß (nicht roſtgelb). 
2) Die Bruſtſeiten ſind aſchgrau (nicht hellgelb). 
3) Die Flügel find an der Spitze graulich (nicht breit braun). 
4) Der Hinterleib hat einen ſchwarzen Seitenrand. 
5) Der Rückenſchild des Weibchens iſt, wie beim Männchen; nicht braungelb, 
mit einer ſchwarzen Rückenlinie. 


Wenn wir nun die Arten der erſten Meigenſchen Abtheilung mit, auf dem Rüſſel 
aufliegenden Taſtern, deren er zuſammen 16 anführt, unter einander vergleichen, ſo thei— 
len ſie ſich wieder in 2 Abtheilungen: 1. Stigmate fusco vel nigrofusco; 2. Stigmate 
pallido, fulvescente. Die erſte zählt mit unſerer neuen Art 13 Arten; die zweite 
nur 4 Arten. Unſere L. stigma würde folgende Diagnoſe erhalten müſſen: 


L. stigma, n. sp. antennis bası cinereis, apice fulvis; thorace cinereo, 
fusco 4-vittato; abdomine rufo flavo, trifarıam nigro-maculato, apice (ma- 
ris) nigro, ventre (maris) basi flavo, apice nigro, (feminae) fere toto nigro; 
alis fusco flavescente-hyalinis, stigmate simplici nigrofusco. 


Bei Pöpelwitz und Morgenau im Monat Mai und Juni häufig auf Sträuchern. 


Zweitens L. trist is, n. sp. Dem Aderverlauf nach allerdings unter die Gattung 
Leptis gehörig, den Fühlern nach nicht ganz; denn dieſe haben einen Endgriffel, nicht 
eine Endborſte. Iſt wegen des ſchwarzen Schildchens nicht mit L. luscipennis, Meigen, 
wegen der ganz ſchwarzen Beine nicht mit L. funebris, wegen der einfarbig grauen Flü— 
gel nicht mit L. nigra, nubecula, oculata, bicolor, wegen der einfachen dünnen, 
ſchwarzen Behaarung nicht mit L. aurata, helvola, flaveola, diadema und splen- 
dida Meigen, zu verwechſeln. Sollte ſie der Gattung Leptis einverleibt werden, ſo 
müßte ſie mit der folgenden eine eigene Unterabtheilung: Taſter aufwärts gekrümmt, 
dem Rüſſel anliegend, die zwiſchen die beiden Meigenſchen zu ſtellen wäre, bilden, und 
durch folgende Diagnoſe charakteriſirt werden: Atra, nigro pilosa, alis cinereis, 
margine antico fusco-cinereo, stigmate nigro, fem. Ich fing das Individuum 
im Glätzer Gebirge im Juli. 

Drittens L. einereo- fasciata, n. sp. Ein Männchen, im Bau dem Füh— 
ler ganz mit der L. tristis, fem., aber nicht im Aderverlauf mit demſelben überein— 
ſtimmend, aber in Rückſicht der Taſter zu derſelben Unterabtheilung gehörig; durch fol— 


— EEE ꝛm— 


gende Diagnoſe unterſcheidbar: L. cinereo-fasciata, n. sp. nigra, cinereo-villosa, 
abdomine cinereo-fasciato, alis sub- cinereis, stigmate fusco; genubus, ti- 
biisque testaceis, mas. Bei Sandberg am 26. Juni gefangen. 


Herr Lehrer Ma bed zeigte das, in Schleſien ſeltene, Chrysotoxum hortense, 
Meigen, am Fuße der hohen Menſe gefangen, vor. 


F. Hef benen 


Herr Klopſch zeigte am 27. April acht Stück geſunde Raupen von Euprepia 
Villica vor, die vom 16. April an mit nichts als Brod gefüttert worden waren, daſ— 
ſelbe wirklich angefreſſen hatten, und von denen zwei im Begriffe waren, ſich einzuſpinnen. 


Sechs von dieſen Raupen hatten ſich ſpäterhin verwandelt, und vollkommen ausge— 
bildete Schmetterlinge, von der gewöhnlichen Art gar nicht abweichend, gegeben, welche 
am 13. Juli vorgezeigt wurden. Herr Klopſch zeigte auch die lebenden Raupen von 
Bombyx Fagi und Noctua Artemisiae, ſo wie ein ausgebildetes Exemplar der, in 
Schleſien ſehr ſeltenen, Zygaena Ephialtes, an der Landeskrone gefangen, vor; welche 
letztere Art Herr Kandidat Schneider in einem, bei Liegnitz gefangenen, Exemplare 
ebenfalls zur Anſchauung vorlegte. — Herr Juſtiz-Rath Krauſe zeigte und beſchrieb 
eine, in der Promenade um Breslau gefangene, höchſt ſonderbare Aberration des Bom- 
byx dispar, und zwar in folgendem Vortrage: 


Liparis Dispar. Mas. Variet. 
Vorgetragen am 19. Oktober. 


Der Falter hat die gewöhnliche Größe und den Flügelbau des Mannes. Die Füh— 
ler und der Körper ſind durchaus männlich. Auf dem rechten Vorderflügel zieht von der 
Wurzel aus ein anfänglich ſchmaler, keilförmiger, ſchmutzig weißer Streif bis faſt in die 
Mitte des Flügels, biegt ſodann fanft abwärts nach dem Außenrande hin, fo daß von der 
Biegung an die ſchmutzig weiße Farbe zwei Drittheile des Flügels einnimmt. Der 
übrige Theil des Flügels bis zum Innen- und Vorderrande iſt gewöhnlich braungrau. 
In kleiner Entfernung von der Wurzel zieht ein ſchwärzlicher, nach vorn kolbiger Zacken— 
ſtreif durch den ganzen Flügel bis zum Innenrande; nicht weit davon ſteht eine ſchwarze 
gabelähnliche Zeichnung; etwas darunter ſeitwärts ein ſehr ſchmales hellbraunes Streif— 
chen. Dann folgen zwei ſchwarze wellenförmige zackige Streifen, von denen der erſte 
innere durch den ganzen Flügel zieht; der zweite ſetzt in dem weißen Theile kurz vor 
dem Anfange der braungrauen Färbung ab und verfolgt erſt von da ab ſeinen Lauf bis 
zum Ende des Innenrandes. 

Am Vorderrande ſtehen in faſt gleicher Entfernung ſechs ſchwarze Punkte. 


— 11 — 


Auf dem linken Vorderflü igel zieht von der Wurzel aus am Vorderrande ein, am 
Anfange ſchmaler, dann immer, jedoch nur wenig, bis zum Vorderrande zunehmender 
braungrauer Längsſtreifen. Der übrige Theil des Flügels iſt bis auf einen, einige Li- 
nien breiten, erſt hinter der Wurzel ausgehenden, bis zum Vorderrande führenden Strei— 
fen am Innenrande ebenfalls von ſchmutzig weißer Farbe. In dieſer zieht von der 
Wurzel aus ein kurzes, ſehr ſchmales ſchwarzgraues Streifchen, welches am Ende ſich 
abwärts ſenkt und theilt. Hierauf folgt eine faſt verloſchene ſchwärzliche Wellenlinie 
durch die ganze Flügelbreite; aus dieſer zieht ein ſchwarzbrauner keilförmiger grader 
kurzer Streifen bis faſt an den zweiten und letzten, wellenförmigen ſchwärzlichen Quer— 
ſtreifen, der vom Vorderrande in ſchiefer Richtung bis nach dem Innenrande herabläuft. 
An den eben gedachten keilförmigen Streifen ſchließt ſich faſt in der Mitte vom Außen— 
rande her eine hackenförmige Zeichnung an, unter welcher ſich noch eine verlofchene bräun— 
liche ſchmale Binde nach dem Innenrande fortzieht. Am Außenrande, faſt unten ſetzt 
ſich ein ſchwarzbraunes keilförmiges Fleckchen, das mit der Spitze bis an die letzte Wel— 
lenlinie reicht, mit dem Innenrande in Verbindung. Am Vorderrande ſtehen fünf 
ſchwarze Punkte. 

Der rechte Hinterflügel iſt, bis auf einen in der Mitte, bald hinter der Wurzel ſich 
herabziehenden, etwas gekrümmten keilförmigen, ſchmutzig weißen Streifen, in welchem 
faſt unten ein ſchwarzbrauner Punkt ſteht, und bis auf ein feines, ſchon von der Wurzel 
ausgehendes, eben ſo gefärbtes, aber mehr mit Braun überflogenes, jedoch nicht bis zum 
Außenrande reichendes feines, über dem vorgedachten breiten Streifen ſtehendes Streif— 
chen, braungelb, doch ſo gefärbt, daß der äußere Raum ſchwärzlich braun angelegt iſt. 

Der linke Hinterflügel iſt ebenfalls von gelbbrauner Farbe, bis auf einen, von der 
Wurzel aus ſich nach dem Außenrande ziehenden keilförmigen, jedoch noch einmal ſo brei— 
ten ſchmutzig weißen, etwas gekrümmten, faſt am Vorderrande liegenden Streifen, als 
es bei dem rechten Hinterflügel der Fall iſt. Ein kurzes hellbraunes Streifchen liegt in 
der Mitte des Streifens von der Wurzel aus; am Ende dieſes Streifens liegen in gleich 
abnehmender Größe und gleichweit von einander ſtehende ſchwarzbraune Strichchen. Am 
Vorderrande erblickt man einen ſehr ſchmalen ſchwarz angelegten Streifen. Die Franzen 
ſind hellbraun und weiß geſcheckt. 

Die Unterſeite der Flügel bietet keine bemerkenswerthe abweichende Zeichnung und 
Färbung dar. 


Von Herrn Klopſch wurde ein, vom Herrn Gymnaſial-Lehrer Zeller in Glo— 
gau eingegangenes, ſehr gehaltreiches Schreiben, lepidopterologiſchen Inhalts, vorge— 
leſen. — Die oben genannten Herren Schneider und Matzeck hatten den Bombyx 
Mundana und rubricollis bei Reinerz gefangen. 


Ins Gebiet der Zoologie überhaupt gehörend, wurden zwei Vorträge gehalten. 
Einer von Herrn Rotermund über den Zuwachs des Muſeums der Königlichen Uni— 


— 112 — 


verſität zu Breslau in den Jahren 1835 und 1836, an Wirbelthieren, als Vorläufer 
eines ſpäter zu haltenden Vortrages, worin der Zuwachs des 1 ene an 
Inſekten und Würmern dargelegt werden ſoll. 


Von 815 Schilling, i über Eingeweide⸗Würmer, welche in den Augen mancher 
Fiſche, z. B. Lucioperca communis und anderer, lebend vorkommen. 

In der Schlußſitzung hielten die Herren: Prof. Dr. Purkinje und Dr. med. 
Pappenheim Vorträge, ins Gebiet der Anatomie der Inſekten gehörend. 


In der noch übrigen Zeit wurden neu herausgekommene Hefte entomologiſcher 
Werke, welche für die Bibliothek der Geſellſchaft angeſchafft werden, ‚oder andere, zu die⸗ 
ſem Zwecke geliehene, Werke vorgezeigt. 


Schu mmel, 
3. 3. Viceſecretaͤr, 


im Auftrage des Herrn Secretaͤrs, des Herrn Geh. Hofraths, 
Prof. Dr. Gravenhorſt. 


— 13 —— 


Bericht 
der biftorifden Seetion 
für das Jahr 1837. 


In dieſem Jahre verſammelte ſich dia Section fiebenmal. 

Der Herr Conſiſtorial-Rath Menzel las aus ſeiner ungedruckten Geſchichte des 
dreißigjährigen Kriegs einen Abſchnitt, die Eroberung und Zerſtörung Magdeburgs am 
20. Mai 1636 betreffend, vor und berichtigte beſonders die von Schiller aus dem be— 
kannten Werke von Harte und dem Soldat Suedois entnommene und als hiſtoriſche 
Thatſache aufgeſtellte Sage, daß Tilly das Plündern und Morden angkordnet habe. 

Der Herr Profeſſor Dr. Kuniſch gab 

1) eine Darſtellung der inneren Zuſtände Schleſiens, beſonders vom 12ten bis zum 
14ten Jahrhunderte, und las 

2) eine Abhandlung über den hiſtoriſchen Werth von Boczeks Codex diplomati- 
cus et epistolaris Moraviae für die Geſchichte Schleſiens, woran er 

3) einige topographiſche Mittheilungen über den ſogenannten Gute-Graupe-Thurm 
zwiſchen der Neu- und Altſtadt Breslau und deſſen bevorſtehende Zerſtörung 
knüpfte. 

Der Herr Geheime Hofrath Dr. Zemplin las einen Aufſatz über die älteſte Ge— 
ſchichte der mineraliſchen Heilquellen in Schleſien bis zum Jahre 1600. 

Der Herr Juſtiz-Rath Scholz entwickelte die phyſiſchen und pſychiſchen Urſachen 
der Entſtehung und Verbreitung des Glaubens an Hexen, und theilte Einzelnheiten von 
Hexenproceſſen in Coesfeld und in Neiſſe mit. 

Der unterzeichnete Secretair las 

1) einen Abſchnitt aus ſeiner damals noch ungedruckten Geſchichte des großen Kur— 
fürſten, deſſen Krieg gegen Schweden im Jahre 1675 bis 1679 betreffend; 

2) gab er einige bisher unbekannte Nachrichten über die Burgen Reczen und Rom— 
mesberg und das ehemals den Tempelherren gehörige Klein-Oels, welche in den 
Beilagen Nr. 2 bis 4 enthalten ſind; 

3) theilte er mehrere Ergänzungen zur Geſchichte Heinrichs IV. von Breslau aus 
ungedruckten, zum Theile ihm vom Herrn Profeſſor Boczek zugekommenen 

15 5 


— 114 —— 


Nachrichten und aus gedruckten, doch nicht überall bekannten Werken mit, und 
ſuchte dadurch zu beweiſen, daß auch der, dem kein Archiv zu Gebote ſtehe, doch 
für Erweiterung der Geſchichtskunde Schleſiens thätig ſeyn könne. 


Hierbei drückte er lebhaft den Wunſch aus, daß die ſchleſiſche Geſchichte immer mehr 
Theilnahme erwecken möchte. Er berührte die früher ſchon öffentlich dargelegten Mängel 
derſelben und die Urſachen, welche die Beſchäftigung mit ſchleſiſcher Geſchichte erſchwer— 
ten, und gründete darauf folgende Vorſchläge. 


Erſtens möchte die Section, anſtatt, wie zum Theile bisher geſchehen, durch Be⸗ 
ſtrebungen nach mehreren Seiten hin die Kräfte zu verſplittern, ſich auf die Geſchichte 
Schleſiens beſchränken, und ſo eine, in dieſer großen Provinz noch N Geſellſchaft 
für die Landesgeſchichte erſetzen. 


Zweitens möchten alle diejenigen, welche einzelne Theile der Landesgeſchſchte bear⸗ 
beiten wollten, zuſammentreten, das öffentlich erklären, einander unterſtützen und viel: 
leicht dadurch Andere zur Unterſtützung einer ſo löblichen Sache wecken. Dieſes fand 
Anklang. Der Herr Profeſſor Göppert beſchäftigt ſich mit der Geſchichte der Botanik 
in Schleſien, der Herr Prof. Henſchel mit Geſchichte der Medicin, der Herr Geheime 
Hofrath Zemplin mit der Geſchichte der Bäder. Es mag nicht unbemerkt bleiben, 
daß dieſe drei Mitglieder ſämmtlich Aerzte ſind, welche, wie die Jahresberichte anderer 
Sectionen darlegen dürften, unter uns überhaupt viele, oft mit nicht geringer Aufopfe— 
rung verbundene Beweiſe ausgebreiteter wiſſenſchaftlicher Thätigkeit geben und ſicher 
Andere zur Nacheiferung erwecken werden. Wir wünſchen lebhaft, daß in unſerm Kreiſe 
und außerhalb deſſelben ihnen jede Unterſtützung zu Theil werden möge. Dazu gehört der 
dritte Vorſchlag des Secretairs, nehmlich, die Jahresberichte der hiſtoriſchen Section, 
welche bisher nur eine mehr oder weniger ausführliche Aufzählung der gehaltenen Vor— 
träge gaben, dahin zu erweitern, daß ſie die Vorträge zwar auch fernerhin anführten, 
außerdem aber auch mittheilten, erſtens zuverläßige Berichtigungen irriger, 8 35 allge⸗ 
mein für richtig angenommener geſchichtlicher Angaben, wie in der Beilage Nr. 1 ver— 
ſucht worden iſt. Solche Berichtigungen drängen ſich jedem Forſcher auf; wir 5 1 die 
Gelegenheit, ſie fruchtbar für die Landesgeſchichte aufzubewahren und bekannt zu machen; 
zweitens, kurze Aufſätze zur Bekanntmachung neuer oder Ergänzung mangelhafter Nach— 
richten über einzelne geſchichtliche Gegenſtände, etwa wie die Beilagen Nr. 2 bis 4, wo— 
hin auch Auszüge aus der Correſpondenz der Section (Beilage Nr. 5) gehören; drit— 
tens, Nachrichten von, die ſchleſiſche Geſchichte betreffenden Handſchriften und Urkunden, 
ſo wie Anfragen in Beziehung auf dieſelben. Es iſt nehmlich nicht zu zweifeln, daß ſich 
noch an vielen Orten Handſchriften und Urkunden befinden, deren Vorhandenſeyn den 
Freunden der Geſchichte völlig unbekannt oder doch nicht ſicher und nicht allgemein bekannt 
iſt. Unſere fleißigen Vorfahren haben viel geſammelt und über einzelne Gegenſtände 
Nachrichten hinterlaſſen, ſey es in der Form von bloßen Aufſätzen oder Abhandlungen, 


—— 115 —— 


oder Lebensbeſchreibungen oder auch in Briefen. Es wird fo einem Jeden Gelegenheit 
geboten, das, was er von ſolchen Gegenſtänden weiß, zum Nutzen für vaterländiſche Ge— 
ſchichte allgemein bekannt zu machen. Wir bitten, in dieſer Beziehung nichts für klein 
oder unbedeutend zu halten. Locales Intereſſe iſt vorherrſchend bei Provinzialgeſchichten. 
Nur dadurch, daß nach und nach die Exiſtenz deſſen, was für Geſchichte noch vorhanden 
iſt, bekannt wird, kann es möglich werden, einzelne Gegenſtände gründlicher als bisher 
zu bearbeiten. 

Wir fordern daher alle Mitglieder der Geſellſchaft und alle Freunde der Landesge— 
ſchichte auf, uns von dem, was ſie in dieſer Beziehung wiſſen, ſo genau und umſtändlich, 
als es ſeyn kann, in Kenntniß zu ſetzen, und die betreffenden Nachrichten an das Präſi— 
dium der Geſellſchaft für vaterländiſche Kultur oder an den unterzeichneten Secretair ein— 
zuſchicken. Der Secretair wird, ſobald es irgend ſeine Zeit erlaubt, ein Verzeichniß der, 
die ſchleſiſche Geſchichte betreffenden, in den Breslauer Bibliotheken befindlichen Hand— 
ſchriften liefern. 

Wenn wir hoffen dürfen, in der Section bald alle Freunde der Landesgeſchichte ver— 
einigt zu ſehn, ſo dürfen wir auch hoffen, daß die Jahresberichte derſelben alle Nachrich— 
ten werden mittheilen können, die zur Erweiterung der Geſchichtskunde des Landes nöthig 
und nützlich ſeyn möchten. 

Zuletzt erlauben wir uns noch darum zu bitten, der von der Geſellſchaft gegründeten 
Bibliothek für Schleſiſche Geſchichte eingedenk ſeyn zu wollen. Die Idee, von welcher 
der Unterzeichnete ausging, als er auf die Gründung einer ſolchen Bibliothek antrug, 
war, eine Vereinigung aller Druckſchriften zu bewirken, welche für die Geſchichte Schle— 
ſiens in irgend einer unmittelbaren Beziehung Bedeutung hätten. Gerade aus kleineren 
Einzelſchriften, welche theils leicht verlohren gehn, theils ſchwer aufzufinden ſind, wenn 
ſie auch aufbewahrt wurden, kam es vorzüglich an. Gelegenheitsſchriften, als — ältere 
Leichenpredigten, welche für die Genealogie unſers Adels eine Hauptquelle ſind, ferner 
Schulſchriften, und überhaupt Aufſätze, welche Auskunft über Gegenſtände geben, die den 
ehemaligen oder jetzigen Zuſtand Schleſiens berühren, wünſchen wir möglichſt vollſtändig 
zu vereinigen. Den meiſten Beſitzern ſind ſolche Schriften läſtig, einzeln meiſtens ohne 
Werth, vereinigt und zur Benutzung zugänglich, oft unſchätzbar. 

Jeder Beitrag, erſcheine er auch noch ſo unbedeutend, wird dankbar angenommen 
werden, und das Andenken des Gebers den Nachkommen bewahren. 


Breslau, den 18. Januar 1838. 
G. A. Stenzel. 


18 * 


— 116 —— 


Beilage Nr. 1. 


Zur Genealogie der Herzoge von Ober ⸗Schleſien. 


Zu den dunkelſten und mit den bis jetzt vorhandenen Urkunden noch nicht völlig auf- 
zuklärenden Gegenſtänden der Schleſiſchen Geſchichte gehört die Genealogie der Piaſten 
Ober-Schleſiens, um welche ſich, wie überhaupt um die Genealogie der Piaſten, Som— 
mersberg unſterblich verdient gemacht hat. Einige diplomatiſche Beiträge werden we— 
nigſtens einige Irrthümer berichtigen helfen. Im Allgemeinen bemerke ich, daß ich 
Schriftſteller und Urkunden, welche gedruckt ſind, wie gewöhnlich anführe, wenn ich das 
aber nicht thue, immer Urkunden citire, welche ſich im Originale, in Abſchrift, im Aus— 
zuge, oder doch verzeichnet, im Königlichen Provinzial-Archive befinden. Bei jeder Ein— 
zelnen den Ort, wo ſie ſich befinde, nachzuweiſen, würde überflüſſig ſeyn, da er ſich für 
den, welcher nähere Auskunft wünſcht, aus den Repertorien des Archivs in der Regel 
leicht ergiebt. a 

Kaſimir I. ſtarb nach Dlugoß, dem Sommersberg folgt, 6. Mai 1233. Sachs 
von Löwenheim X. S. 32, ſetzt das Jahr 1234 ohne Beweis. Böhme in feinen diplo- 
matiſchen Beiträgen I. S. 5 bewies in einer beſonders deshalb angeſtellten Unterſuchung 
aus einer Urkunde Heinrichs I. vom J. 1234 ohne Tag, daß bereits damals Kaſimir 
geſtorben war, da Heinrich I. ſich als Vormund der zwei Söhne Kaſimirs zeigt, und 
nahm deshalb, und weil das Necrologium von Czarnowanz den 13. Mai als Todestag 
angab, an, Kaſimir ſey 13. Mai 1234 geſtorben; allein in einer Urkunde vom Jahre 
1230 o. T. befreiete die Herzogin Viola mit ihren beiden Söhnen, die hier pueri ge— 
nannt werden, für das Seelenheil ihres Herrn (pro anima Domini) das dem Vinzenz 
kloſter zu Breslau gehörige Dorf Repten von vielen Laſten, alſo war Kaſimir damals 
ſchon todt. Die letzte von ihm ausgeſtellte Urkunde iſt vom J. 1228. Späteſtens alſo 
wäre er 13. Mai 1230 geſtorben. 

Miecislaus II. ſoll nach Dlugoß im J. 1246 geſtorben ſeyn, doch ſtellte er noch 
im Jahre 1251 eine Urkunde aus, war jedoch höchſt wahrſcheinlich ſchon todt, als im 
J. 1258 den 14. April ſein Bruder Wladislaus mit ſeiner Mutter Viola das Domini— 
kanerkloſter in Ratibor gründete, und feinen Bruder Miecislaus mit: bone memorie 
bezeichnet. Daß er bald nach dem J. 1249 geſtorben, ergiebt ſich aus Boguphal p. 64, 
aus dem Chron. Cracoviae p. 89, wo von ſeinem, obwohl leider ohne Jahrszahl noch 
vorhandenen Teſtamente geſprochen wird, aus welchem, als dem älteſten noch vorhande— 
nen Teſtamente in Schleſien, wir ſpäter intereſſante Mittheilungen machen werden. Aus 
der Urkunde vom J. 1258 ergiebt ſich auch, daß Viola nicht im J. 1251 ſtarb, wie 
Dlugoß angiebt, ſondern noch 1258 lebte. 


Wladislaus, der zweite Sohn Kaſimirs I., ſtarb nicht im J. 1272, wie die Alte 
ren Schleſiſchen Genealogen annehmen, auch nicht im J. 1288, wie Sommersberg aus 


— 117 —— 


Dlugoß ſchließt, denn noch im J. 1281 den 25. März gab er mit feiner Gemahlin Eu: 
femia den Prämonſtratenſern 100 Fränkiſche Hufen an der Mähriſchen Gränze zur 
Gründung eines Kloſters, während ſchon 1283 den 25. April ſein Sohn Kaſimir als 
regierender Herr auftritt und ſeinen Vater als verſtorben bezeichnet; alſo muß Wladis— 
laus zwiſchen 1281 und 1283 geſtorben ſeyn. Urkundeu ſeiner andern Söhne, der Her⸗ 
zoge Przemisl und Boleslaus, vom J. 1284 und 1285 bezeichnen ihn auch ſchon als ver— 
ſtorben. Damit fällt alles weg, was Dlugoß gelegentlich der Streitigkeiten Heinrichs IV. 
mit dem Biſchofe Thomas in den Jahren zwiſchen 1283 und 1288 in Beziehung auf 
den Herzog Wladislaus erzählt, und ſchon hieraus wird ſich ergeben, wie wichtig für die 
Kritik oft ſichere Angabe der Jahreszahlen ift. 


Beilage Nr. 2. 


b. Burg Reezen. 


In Schleſiſchen Urkunden des 13. Jahrhunderts erſcheinen unter den Zeugen häufig 
Caſtellane von Rezen, Redſen, Retſchen, Retſen, wie der Ort verſchieden in Original— 
Urkunden geſchrieben wird, zuerſt 1203 Hemeram, dann Theoderich, Mrotsco und zu— 
letzt bis 1290 Razzlaus, Dremlik genannt, ohne daß man im Stande geweſen wäre, die 
Burg mit Sicherheit aufzufinden, deren Burggrafen fie waren, 

Cosmas von Prag ſagt zum Jahre 1093, daß in dieſem Jahre Brzetislaus, Her— 
zog von Böhmen, Schleſien fürchterlich verheert habe, ſo daß auf der linken Seite der 
Oder von der Burg Reczen bis Glogau nur noch das Städtchen Nimptſch (op- 
pidum Nemsi) unberührt geblieben. 

Auch Palacki, der neueſte Geſchichtſchreiber Böhmens, hat das einfach erzählt, 
ohne eine Erklärung zu geben, die er nicht mit Unrecht eher von Schleſiern erwarten 
konnte. 

Ign der Regel wurde angenommen, unter Reczen ſey Rützen zu verſtehn, früher mit 
Herrnſtadt Hauptort eines Weichbildes im Schleſiſchen Sinne, oder Kreiſes und als an— 
geblicher erſter Sitz der Biſchöfe bekannt. Das ſtimmte indeſſen auf keine Weiſe zu der 
Nachricht des Cosmas von Prag, nach dem doch Reczen auf dem linken Oderufer jeden— 
falls nahe an der Oder und entfernt von Glogau zu ſuchen geweſen wäre. 

Rietſchütz bei Glogau, das jetzige Fräuleinſtift, konnte demnach der geſuchte Ort 
noch weniger ſeyn. Die Böhmen kamen in der Regel von Glatz aus durch den Wartha— 
Paß, wahrſcheinlich auch damals. 

Worbs in den Provinzialblättern, Band 58, S. 217 und 240, wollte Grätz im 
Troppauiſchen annehmen; allein dem ſtand ſchon ganz einfach entgegen, daß eben Trop— 

pau damals gar nicht zu Schleſien oder Polen, ſondern zu Böhmen oder eigentlich Mäh— 
ren gehörte. 


— 118 —ę— 


Nun bemerkt man, daß die Caſtellane von Reczen immer in Urkunden der Herzoge 
von Breslau, wie wir ſie nennen, als Zeugen erſcheinen. 

Weigel in ſeiner Beſchreibung Schleſiens, III. 123, ſagt: im Walde bei Ritſchen, 
Brieger Kreiſes, ſollen noch Rudera eines alten Schloſſus ſeyn. Auf der alten Weiland⸗ 
ſchen Fürſtenthums-Karte iſt der Rittſcher Wald zwiſchen Brieg und Ohlau, doch am 
rechten Oderufer auch zwiſchen Scheidelwitz und Peiſterwitz angemerkt; die Karte von 
Fils-Reymann nennt ihn Oderwald. Nun findet ſich eine Urkunde von Herzog Boles— 
laus (III.) von Schleſien — Liegnitz, ausgeſtellt zu Brieg am 2. September 1321, laut 
welcher er bekennt, daß Jeſcho von Wetdirowe, als Vormund der Erben des Jeſcho von 
Dobirgaſt, an den Nicolaus, Pfarrer von Reczen, und an deſſen Nachfolger 9 Hufen: 
in Gaio bei Olau, rechts vom Wege, der von Marſchwitz dahin führt, zurückgegeben 
habe. Von dieſen Hufen hätte der Pfarrer Nicolaus und deſſen Nachfolger 9 Malter 
Dreikorn und 6 Mark weniger einen Vierdung zu erheben gehabt, der Jeſcho Dobirgaſt 
jedoch die 9 Hufen viele Jahre der Kirche in Reczen gewaltſam vorenthalten und ein— 
genommen. Nun ſetzt Jeſcho Wetdirow den Nicolaus im Namen der Kirche von Reczen 
in den Beſitz der 9 Hufen, und der Herzog fügt hinzu, daß der Pfarrer von Reczen und 
deſſen Nachfolger Recht haben ſollen, die Bauern, welche auf den 9 Hufen ſitzen, zu 
pfänden; die Dienſte derſelben behält ſich jedoch Jeſcho von Wetdirowe für ſeine Mündel, 
die Kinder des Jeſcho Dobirgaſt, vor, wie das in der Urkunde des Ritters Simon Gal— 
licus und des Biſchofs Johann von Breslau ſtehe. Kein Caſtellan wird in dieſer Ur— 
kunde genannt, was doch höchſt wahrſcheinlich geſchehen wäre, wenn damals noch einer 
vorhanden geweſen. Das Dorf Gai liegt wie Marſchwitz ſüdweſtlich von Olau. 

In einer zweiten Urkunde vom 3. Juni 1340 beſtätigt Herzog Boleslaus von Lieg— 
nitz und Brieg, daß Michael Sellator Bud deſſen Söhne den Prediger mönchen zum heili⸗ 
gen Kreuze in Brieg gegeben haben / Garten: in Reczyn in monte castri cum 
fossato. Hier wird alſo der Berg ber Burg erwähnt, und da ſich zugleich nach dem 
Zeugniſſe des Herrn Prof. Kuniſch Weigels Nachricht beſtätigt und im Rittſcher Walde 
auf dem rechten Oderufer zwiſchen Brieg und Olau augenſcheinliche Ueberbleibſel von 
einer ehemaligen Burg auf einem Hügel befinden, ſo iſt es nun wohl außer Zweifel, daß 
dieſe die Ruinen der alten Burg Reczen find. 


Beilage Nr. 3˙ 


Die Burg auf dem Romsberge. 


Zwiſchen Strehlen und Münſterberg erheben ſich in einer Länge von etwa 2 Meilen 
und in einer Breite von etwa einer halben Meile eine Anzahl nicht ganz unanſehnlicher, 
zuſammenhängender Hügel, welche weſtlich zur Ohlau, öſtlich zum Krynflüßchen (das 
unter Strehlen in die Ohlau fließt) ihre Wäſſer ſchicken und von den beiden Flüßchen 


— 119 —— 


gewiſſermaßen eingeſchloſſen, ein für ſich beſtehendes, bis über 1000 Fuß Höhe anftei- 
gendes kleines Gebirge ausmachen. Den Hauptſtock bildet der auf den Karten mit dem 
Namen Ruhmoberg bezeichnete, 1198 Fuß hohe Berg, auf deſſen Spitze man die jetzt 
ſehr unſcheinbaren Ueberreſte alten Gemäuers entdeckt, auf welche wegen der herrlichen 
Ausſicht neuerdings ein Gebäude errichtet worden iſt. 

Luca in feiner Chronik S. 2143 und 2184 beſchreibt den Rommelsberg, wie er 
ihn nennt, und erzählt, daß am Fuße deſſelben ſeit der Mitte des 17ten Jahrhunderts 
Marmor gebrochen worden, deſſen man ſich bei Erbauung des Ohlauer Schloſſes bedient. 
Der Prieborner Marmor ift noch jetzt in Schlefien allgemein bekannt. Von dem Ge: 
mäuer auf dem Berge weiß er nichts. 

Zimmermann in feiner Beſchreibung von Schleſien (I. S. 64) ſagt, Prieborn habe 
ehemals denen von Czirn, die auf dem Rummelsberge ihre Burg hatten, gehört. Dieſe 
ſey auf Anſtiften des Domkapitels durch die Breslauer und Neiſſer Bürger 1429 zer— 
ſtört worden, weil der Beſitzer die Befehle der Herzoge von Brieg gegen das Domkapitel 
executirt habe. 

Henelius (Silesiographia renov. c. VIII, p. 659) giebt an, der Romesbeerg, 
das Schloß der Zirne, ſey im J. 1343, da ſie gegen 5 Biſchof und die Stadt Breslau 
feindſelig geweſen, vom Herzoge Wilhelm von Münſterberg zerſtört worden, wozu Si— 
napius (I, S. 1083) richtig bemerkt, das könne erſt im J. 1443 geſchehen ſeyn, feit- 
dem Herzog Wilhelm von Troppau Münſterberg erhalten. 

Dieſe Angaben widerſprechen einander und ſind außerdem nirgends beglaubigt. 

Folgendes iſt aus Urkunden genommen. 

Ich finde den Romsberg zuerſt erwähnt in einer Urkunde Herzog Ludwigs von Brieg 
vom J. 1427, wo dieſer: Tſchamberdorf unter dem Rabesperge gelegen in unſerm 
Strehliſchen Weichbilde nennt. 

Im J. 1439 bekannten Oppitz und Haynau von Czirnau aufm Schatzler und auf 
Polkenhain geſeſſen, nachdem Eliſabeth, Herzogin von Liegnitz und Brieg, bewilligt habe: 
daß wir den Berg und Haus, das der Romsberg genannt, zoird, im Strehlenſchen Weich— 
bilde, bauen, veſten und dem Lande zu Gute beſetzen mögen, ſolle es aller Aahetren 
von Liegnitz, Brieg und cher offen Schloß ſeyn. 

Im J. 1441 war Opitz v. Czirnaw Hauptmann von Strehlen. 

Im J. 1445 Donnerſtag vor St. Barbara verpfändeten die Herzoge Johann und 
Heinrich von Brieg und Lüben Land und Stadt Strehlen an Opitz und Hain v. Czir⸗ 
naw für 1750 Floren Ungr., und dieſe verpfändeten ihre Kleinodien für die beiden 
Herzoge. 

In demſelben Jahre 1445 vergünſtigten die Herzoge Johann und Heinrich, Gebrü— 
der, mit Wiſſen und Rathe der Landesälteſten, Manne und Getreuen, dem Opitz und Hain 
v. Czirnaw für ſie und ihre Erben, zu bauen, zu befeſtigen und anzurichten den Romis— 
berg, der do leit ober Prieborne in unſerm Strelniſchen Weichbilde, doch alſo, daß der— 


— 2 — 


ſelbige Berg und Haus uns und unſeren Nachkommenden Erbherren von Brieg und 
Strehlen ein offen Haus und Schloß ſeyn ſoll, ſo oft wir oder ſie das begeren. Auch 
ſollen ſie den Berg und die Feſte bauen, ohne des Landes Schaden und Niemanden darauf 
wider uns und unſere Nachkommen hauſen und hofen. | 

1447 Donnerſtag nach Bartholom. beftätigten die Herzoge Johann und Heinrich, 
daß Cunz von Hain an Opitz von Czirn Priborn verkauft habe, uud datirten die Ur— 
kunde: auf dem Romsberge; eben das geſchah Montag nach Jacobi 1448, als beide 
Herzoge beſtätigten, daß Cunz von Hain aufgelaſſen ſeine Vorwerke, Mühlen und Teiche 
zu Prieborn, wenn er ohne Erben ſtürbe, an Opitz v. Czirn. 

1448. dd. Strehlen Montag vor Mariae visitation, nennt ſich Oppitz v. Czirne 
ſelbſt: Hauptmann zu Strehlen auf dem Romisberge geſeſſen; 1451. Opitz v. Czirne 
auf dem Romsberge geſeſſen, Erbherr zu Niclasdorf; ſeit 1454. aber Hans v. Czirn 
auf dem Romsberge geſeſſen, Erbherr auf Niclasdorf. | 

Am 3. Juni 1455 einigten ſich Heinz v. Czirn aufn Bolkenhain geſeſſen, Heinz 
v. Peterswalde daſelbſt geſeſſen, und Hans v. Czirn aufm Romsberge geſeſſen, mit den 
Städten und Mannen im Ohlauiſchen und Nimptſchiſchen in Schuld ſachen Herzog Frie— 
drichs von deſſen Vater Hans und Vetter Heinrich her. 

1458 den 25. Mai findet ſich wieder Hans v. Czirn aufm Romsberg geſeſſen und 
deſſen Vetter Hayn v. Czirn. 1482 den 16. November einigten ſich Hans v. Czirn vom 
Romisberge und ſeine Geſchwiſter mit Herzog Friedrich von Liegnitz über die Haupt⸗ 
mannſchaft und den Halt Strehleu, die Opetz v. Czirn, des Hans Vater, und Hans und 
ſeine Geſchwiſter in Verſatz gehabt, und um das Schloß Romisberg, das erb— 
lich unſer der Czirne geweſt iſt, alſo: Herzog Friedrich zahlt an Hans v. Czirn 
und deſſen Geſchwiſter 2000 Ungar. Floren (wovon 1300 bezahlt ſind, 700 nächſte 
Oſtern über 2 Jahr bezahlt werden ſollen); dagegen verzichten Hans v. Czirn und deſ— 
ſen Geſchwiſter auf alle Gerechtſame ihres Vaters, wenn die Zahlung vollzogen ſeyn wird. 


1505 nennt ſich Hans v. Czirn zu Priborn noch Hauptmann, dann nicht mehr. 


1515 ſtarb Hans Czirn vom Romsberg und wurde in Crommendorf begraben, wo 
ſeine Vorfahren liegen. Er hinterließ 3 Söhne, Georg, Hans und Chriſtoph; der äl— 
tere Sohn wohnte in Tirpitz; die beiden Jüngſten hatten Prieborn und ſtarben ohne 
Erben. Georg hatte 4 Söhne. 

In einer Urkunde vom 22. November 1570 wurden die von Hans v. Czirn zu 
Prieborn hinterlaſſenen Güter, einer Beſtimmung vom J. 1551 gemäß, unter Georgs 
vier Söhne, Hans, Chriſtoph, Georg und Heinrich v. Czirne von Tirpitz getheilt und 
erwähnt, zu Priborn ſolle gehören ein Theil vom Romesberge beim Krippenſtein ge— 
nannt, gelegen an der Pogarter Gränze, zum zweiten Theile, Crommendorf und Tſcham— 
mendorf, auch der Buchwald und Rombsbergk, und beim dritten Theile wird der 
Hutung in dem Rombsberg erwähnt. 


—— 121 


Der vierte Sohn Heinrich Czirn von Tirpitz (ſtarb 1596) ſetzte das Geſchlecht fort 
durch ſeinen Sohn Heinrich, der 1615 ſtarb. Mit Heinrich Czirn auf Prieborn, Sie— 
benhuben, Krummendorf und Tſchammendorf ſtarb die Familie aus. f 

Herzog Chriſtian von Liegnitz gab die Herrſchaft Prieborn im J. 1665 dem von 
ſeinem Vater mit dem Fräulein v. Fritſch gezeugten Stiefbruder aus ungleicher Ehe, Au— 
guſt Grafen von Liegnitz, als Lehn unter königlicher Beſtätigung. 

Prieborn fiel nach Auguſts Tode 1672 an Brieg zurück, und kam ſo 1675 an die 
Krone Böhmen. Im J. 1687 wurde es an den Freiherrn Ludwig von Waffenberg für 
150,000 Floren verpfändet, von dem es die Charité in Berlin ablöſte, der es noch 

ehört. 
5 Von der Abbrechung oder Zerſtörung der Burg auf dem Romoberge, die doch ſicher 
in das 16te Jahrhundert fällt, hat ſich nichts auffinden laſſen. 


Beilage Nr. 4. 


Tempelherren in Schleſien. 


Der um die Geſchichte Schleſiens und der Lauſitz vielfach verdiente Worbs hat in 
feinem Neuen Archive für die Geſchichte beider genannter Länder (Th. II, S. 49 — 68) 
in einem Aufſatze: „die Tempelherren in Schleſien“ überſchrieben, ziemlich alles ge— 
ſammelt, was dieſen die Sage, als ihnen ehemals in Schleſien gehörige Beſitzungen zu— 
ſchreibt; allein die kritiſchen Grundſätze, welche er bei der Unterſuchung dieſes ſehr dun— 
keln Gegenſtandes anwendete, waren der Art, daß bei genauer Betrachtung ſich faſt alle 
ſeine, meiſtens aus Erhardts diplomatiſchen Beiträgen genommene Angaben, theils als 
völlig unſicher, theils als erweislich falſch erweiſen. 


Er geht davon aus, daß man als Regel annehmen dürfe: Schleſiſche Güter, die 
irgend einmal zum Bisthume Lebus gehört haben, beſonders wenn ſie in der Folge den 
Johannitern gegeben wurden, oder in der Nähe einer Johanniter-Commende lagen, gehör— 
ten vorher den Tempelherren. Wohlbrücks treffliche Geſchichte von Lebus hat das Irrige 
dieſer Behauptung einerſeits hinlänglich nachgewieſen, und die leider bis jetzt nur noch 
gewünſchte urkundliche Geſchichte der Johanniter-Commenden in Schleſien wird darthun, 
daß dieſer Orden zwar Güter der Templer nach deren Auflöſung erhielt, allein daß das 
nur mit wenigen der Fall war, während er bei weiten die meiſten lange vorher ſchon 
beſaß, oder doch nicht aus dem Nachlaſſe der Templer bekam. 


Ueber die Johanniter-Commenden in Schleſien iſt faſt nichts vorhanden, als ein 
äußerſt dürftiger Aufſatz, den der verſtorbene Aſſiſtenzrath Vater dem Herrn Gonfifto: 
rialrath Menzel zu deſſen topographiſcher Chronik Breslau's mittheilte, und der faſt nur. 
die allgemeinen Verhältniſſe des Ordens betrifft. 

16 


— 12 


Zum Beweiſe, daß die Johanniter faft überall, wo fie in Schlefien fpäter Com⸗ 
menden hatten, bereits vor der Aufhebung des Tempelherren-Ordens Güter und zum 
Theile Commenden beſaßen, die auch nicht, wie vorgegeben worden, von einer angebli— 
chen Beraubung des Tempelherren-Ordens durch Herzog Heinrich J. re: mag 
das Folgende, rein Urkundliche kurz angeführt werden. 


1) Tinz im Nimptſchiſchen beſaßen die Johanniter bereits unter dem Biſchofe Zi— 
roslaus (ſtarb 1180), als dieſer Biſchof die dortige Kirche weihete und ihnen 
den Zehnten von Tinz, Gleinitz, Peilau und noch 2 Dörfern und dann auch die 
2 zu Wartha und den Zehnten von vier Ortſchaften gab. 

2) Im J. 1238 geſtattete ihnen Herzog Heinrich I. das Dorf Loſſen im Briegi— 
sche welches ihnen bereits im J. 1207 gehörte, nach Deutſchem Rechte aus zu⸗ 
ſetzen. Im J. 1255 beſaßen ſie auch die benachbarten, von ihnen angelegten 
Dörfer Roſenthal, Jeſchen und Bonhuſen, welches letztere unter dieſem Namen 
nicht mehr vorhanden iſt; ferner Glofenau im Nimptſchiſchen. Seitdem wird 
neben Tinz auch Loſſen als Commende bezeichnet. Im J. 1284 wurde ihnen der 
Zehnten in Hilbersdorf bei Löwen, den ſie ſeit undenklichen Zeiten beſeſſen, be⸗ 
ſtätiget. 

3) In S trieg au erhielten ſie im J. 1203 die Peterskirche, im J. 1238 Paſezno 
(jetzt Zedlitz), im J. 1239 die Erlaubniß, Lüſſen nach Deutſchem Rechte auszu— 
ſetzen, und im J. 1255 gehörte ihnen, nach dem Zeugniſſe des von Wriſteynberk, 
Präceptors der Johanniter in Deutſchland, Böhmen, Polen und Mähren: Alt— 
Striegau, Stanowitz, Lüſſen und Zirlau zwiſchen Striegau und Freiburg, und 
Chehi, Lubeſow und Besni, die ich nicht auffinden kann, ferner die Zehnten von 
Gröben, „Zedlitz und Heidau. 

Im J. 1299 bezeugte Johann, Decan des Kreuzſtifts der Burg zu Breslau, 
daß Heinrich, der ehemalige Komtur von Striegau, im Auftrage Herzog Hein— 
richs V. die Mauer der Stadt Striegau vollſtändig erbauet habe. 

4) Das Patronatrecht der Kirche in Löwenberg erhielten ſie im Jahre 1281, in 
demſelben Jahre Warmbrunn und 250 Hufen Ackers, wozu ſie noch 100 Hufen 
am Zacken kauften. 

5) In Ober-Schleſien befaßen fie ſchon im Jahre 1224 Mak au bei Ratibor mit 
mehreren Ortſchaften, und im Troppauiſchen wurde ihnen 

6) Gröbnig im J. 1244 und dann im J. 1263 mit 6 Dörfern beſtätigt. 


Daß ſie bereits vor dem Anfange des 14ten Jahrhunderts Ernsdorf und Peterswaldau 
bei Reichenbach und auch wohl Plagwitz bei Löwenberg beſeſſen, bezweifle ich nicht, 
kann es aber jetzt noch nicht beweiſen. 

So bleiben nur die Johanniter-Commenden Corporis Christi und Klein-Oels 
übrig, welche die Tempelherren beſeſſen haben könnten. 


— 1233 — 


Ueber den Urſprung der Corporis-Christi- -Kirche haben wir erſt vor 2 Jahren 
entdeckt, daß ſie im J. 1317 erbauet wurde und bereits im J. 1339 zum Hoſpitale der 
Johanniter gehörte, über den Urfprung dieſes Hoſpitals aber hat ſich bis dahin keine 
Spur auffinden laſſen, und daß es vor den Johannitern den Tempelherren gehört habe, 
iſt eine Vermuthung ohne allen Grund. 

Was wir bis jetzt von den Tempelherren in Schleſien urkundlich wiſſen, ift Fol— 
gendes: | 
Im Leben der heiligen Hedwig, welches zuerft in feiner urfprünglichen Geftalt im 
Laufe dieſes Jahres in dem zweiten Bande der Sammlung Schleſiſcher Geſchichtſchreiber 
erſcheinen wird, finden wir im (ten Kapitel angegeben: Herzog Heinrich I. habe, auf 
Veranlaſſung ſeiner Gemahlin, der heiligen Hedwig, den Templern: Olesnicz geſchenkt, 
(quibusdam aliis religiosis de ordine templariorum impetravit a marito do- 
nari quedam magna predia, que Olsnicz vocantur in optimo terre solo, ubi 
procedente tempore multe sunt et magne ville locate). Das iſt die älteſte ge⸗ 
ſchichtliche Nachricht von den Templern in Schleſien. Der fleißige Kloſe in ſeiner Ge— 
ſchichte von Breslau (I. S. 376) führte fie an, da er die Quelle handſchriftlich vor ſich 
hatte. Eine handſchriftliche Anmerkung Kehrbergs zu ſeiner Geſchichte der Stadt Kö— 
nigsberg in der Neumark aus einer handſchriftlichen Geſchichte der Ballei Sonnenburg 
führt Ehrhardt in feinen diplomatiſchen Beiträgen (I. S. 20, Anmerk. 9) an: In 
Silesia habuerunt templarii ab anno 1226 domum in Olesnicz. Worauf ſich 
die beſtimmte Angabe des Jahres ſtützt, kann ich nicht ſagen, doch ſcheint es richtig zu 
ſeyn; denn im J. 1227 befreiete Biſchof Thomas urkundlich die in Olesniza wohnenden 
Templer vom Zehnten, den ſie von fünf Pflügen zu geben hatten, und gab der Kapelle 
in Wanſen zum Erſatze dieſer Zehnten den Zehnten in Breſin, welcher biſchöflich war. 

Im Jahre 1240 beſtimmte Biſchof Thomas, daß die Tempelherren, wenn ſie ihr 
Dorf Broſewitz (Broſetz) unfern von Klein-Oels von Deutſchen wollten erbauen laſſen, 
anſtatt des Zehnten neun Mark Silbers, wenn ſie es aber von ihren eigenen Leuten wür— 
den bauen laſſen, nur acht Mark Silbers entrichten ſollten. 

Fiebiger in feiner Ausgabe des Henelius (c. VII, S. 713) läugnet alſo mit Un⸗ 
recht und wahrſcheinlich gegen ſein beſſeres Wiſſen, daß Klein-Oels, denn dieſes iſt hier 
gemeint, ehemals den Tempelherren gehört habe, und behauptet eben ſo irrig, die Mal— 
theſer hätten es bereits ſeit dem Jahre 1243 beſeſſen. 

Die alte Aufſchrift einer Urkunde vom J. 1250, durch welche Pabſt Innocenz die 
Freiheiten der Tempelherren in Polen und Deutſchland beſtätigt, bei Ehrhardt a. a. O. 
I. S. 9 Anmerk., giebt an, die Brüder (des Templer-Ordens) hätten ihre Angelegen— 
heit dem Leonhard, Procurator des Herzogs Wladislaus von Schleſien und Polen, über— 
geben, und durch Herzog Heinrich, Erben von Polen und Herzog von Schleſien, dieſe 
Bulle in Liegnitz erhalten, doch möchte ich darauf nicht viel geben, indem das ſpäter ge— 

ſchrieben ſeyn muß, da ſich weder Wladislaus, Herzog von * und Polen, noch 


— 124 —— 


einer feiner Brüder, wohl aber fpäter, zu Anfange des 14ten Jahrhunderts, fein Neffe 
Heinrich von Glogau, Erbe von Polen nannte. Sicher iſt, daß die Templer ur lange 
in Oels blieben. 


Im Jahre 1260 beſaßen ſie Bankau, als Herzog Heinrich III. von 1 in 
Olesnitz mehrere Hufen jenes Dorfs von Laſten befreiete. 


Im J. 1288 bekannte Silveſter, Präceptor der Häuſer der Templer in Deutſch— 
land und Slavien, daß er feſtgeſetzt, es ſollten in dem Ordensdorfe Broſicz (Broſewitz) 
die Bauern von jeder Hufe dem Hauſe der Templer in Olſenicz jährlich einen Malter 
Korns und acht Scot entrichten. Unter den Zeugen wird genannt II. dietus ‚barvus, 
commendator in Olſenicz. Das bezieht ſich einigermaßen auf die bereits im J. 1241 
getroffenen Beſtimmungen über die Ausſetzung des Dorfs Broſewitz. 


Im J. 1294 bekannte zu Olesnitz Bertram, Komtur der Templer in Deutſchland, 
Böhmen, Polen und Mähren, mit dem Schulzen und den Bauern in Frauenhain (bei 
Klein-Oels) vertragen zu haben; der Schulz ſolle 4 Freihufen haben, ferner den Kret— 
ſcham, von welchem er jährlich 1% Mark zahle; die Kirche beſaß zwei Hufen für ſich 
und eine dritte zur baulichen Erhaltung und für die Lichter; den Nießbrauch der Mühle 
erhielt der Schulz gegen 7%, Mark jährlichen Zinſes. Außerdem waren noch 32 Hufen, 
welche jährlich jede den Zehntmalter und einen Vierdung entrichteten. Als Zeugen wer— 
den genannt die Schulzen von Kauern, Mergenau und Tempelfeld, als ohne Zweifel den 
Tempelherren gehöriger Güter. 


Im J. 1308 bekannte Januſſius, Präceptor des ee e ⸗Ordens und Mei: 
ſter des Hofs Oels, den Zehnten von drei Hufen in Gutſchdorf (Gotſchalksdorf) bei Strie— 


gau, welchen ein gewiſſer Hermann dem Hauſe hbermielen, der Witwe dieſes Hermann 
verkauft zu haben. 


Daß nun aber unter Olſenicz und Olesnitz von den vielen Oelſen in Schleſien gerade 
Klein⸗Oels im Briegiſchen gemeint ſey, und daß dieſes der Hauptort der bis jetzt bes 
kannten einzigen Commende der Templer in Schleſien geweſen, beweiſt eine Urkunde vom 
J. 1314, in welcher Conrad, genannt Gracz, jetzt Komtur des ehemals den Tempel— 
herren gehörigen Hofes in Oels, bei der Stadt Ohlau (eommendator seu preceptor 
curie quondam templariorum in Olsna, sita prope Olaviam civitatem) den 
Erbvoigt von Wanſen wegen zurückgehaltenen Zinſes von Fleiſch- und anderen Bänken 
vor den Generalvikar Biſchof Heinrichs von Breslau ladet und bezeugt, die Fleiſchbänke 
in Wanſen wären von den ehemaligen Templern erworben worden, und hätten ſeit Jah— 
ren mit vollem Rechte und Herrſchaft zum Hofe in Oels gehört. In der Zeit, als die 
Templer von dem genannten Hofe weggegangen, habe der Biſchof dieſen mit dem, was 
dazu gehörte, als verlaſſen betrachtet und verpfändet, worauf auch dem Komtur, was er 
in Anſpruch nahm, zugeſprochen wurde. 


— 125 


Hieraus ergiebt ſich alſo, daß Klein⸗Oels ein Sitz der Tempelherren, wahrſcheinlich 
vom J. 1226, urkundlich vom J. 1227 bis zur Aufhebung des Ordens war, daß die— 
ſelben Broſewitz, Frauenhain und Bankau, und unſtreitig auch Tempelfeld, Mergenau 
und Kauern beſaßen. Zwar werden ſich wahrſcheinlich aus Urkunden noch einige vor— 
züglich zu Klein-Oels gehörige Beſitzungen und Hebungen, die den Templern zuſtanden, 
entdecken laſſen, doch muß ich ſehr zweifeln, daß ſie in Schleſien mehr als dieſe Com— 
mende beſeſſen haben ſollten. Für die Beſitzung des Hofs in Breslau, den nachher die 
Johanniter als Corporis-Christi-Commende beſaßen, könnte nur die Vermuthung 
geltend gemacht werden, daß der Urſprung ganz unbekannt und von den Maltheſern nicht 
unabſichtlich verheimlicht ſey. 


Beilage Nr. 5. 


Correſpondenz nachricht. 


Unter dem 17. Juli v. J. theilte uns Herr v. Poſer, auf Domſel, das Folgende 
über von ihm veranſtaltete Nachgrabungen mit, was den Freunden des Alterthums nicht 
ohne großes Intereſſe ſeyn wird. 

„Voriges Jahr wurde auf hieſigem Territorium bei Eröffnung einer Sand— 
Grube ein männlicher Leichnam drei Fuß unter der Oberfläche der Erde, nebſt 
einem verroſteten Meſſer bei ihm gefunden; man ſammelte die ſchon ſtark ange— 
griffenen Knochen und beerdigte ſie.“ 

„Dieſes Jahr im Monat Juni wiederholte man die Sand-Grabungen, und 
traf beim Graben auf drei mit Feld-Steinen in Lehm gemauerte Heerde, circa 
7 Fuß im Durchmeſſer. Die Steine ſtark vom Feuer angegriffen, auf denſelben 
beinahe 8 Zoll Holz-Kohle; auf dem einen Heerde lag ein männlicher Leichnam 
mit vollen Zähnen, beim Kopfe ſtand eine, beim Körper zwei leere Urnen; ehe 
die Grabenden aufmerkſam wurden, zerſtörten ſie die zwei letzteren Urnen, die 
dritte, von ſehr gefälliger Form, mit recht geſchmackvollen eingetieften Zeichnun— 
gen verziert, am Kopfe ſtehend, wurde gut conſervirt herausgenommen und befin— 
det ſich in meinen Händen; ſie iſt fünf Zoll hoch, oben ſechs Zoll breit, unten 
drei Zoll, in der größten Weite acht Zoll, ſcheint nicht auf der Töpferſcheibe ge— 
formt — — und ift mit Silberglänzendem Staube überſtreut.“ — — 


Die beigelegte Zeichnung der Urne können wir jetzt leider nicht mittheilen, und die 
Fragen, welche der Herr Berichterſtatter dabei aufwirft, eben ſo wenig beantworten, 
indem man erſt aus zahlreichen genauen Unterſuchungen über die Begräbnißweiſe ver— 
ſchiedener Völkerſchaften, die öfters in verſchiedenen Zeiträumen daſſelbe Land bewohnt, 
vielleicht wird zu einigermaßen haltbaren Ergebniſſen kommen können. 


_— 126 —— 


Der Herr Dr. Friedländer zu Berlin theilte unter dem 21. Mai ein Schreiben 
Herzog Joachim Friedrichs von Liegnitz und Brieg an die Münſterbergiſchen Stände 
vom 12. Oktober 1593 mit, in welchem dieſer anzeigt, er mache ſich gefaßt, in eigener 
fürſtlicher Perſon gegen den allgemeinen grauſamen Feind, den Türken, auszuziehn, und 
bitte, weil taugliche Roſſe jetzt nicht um Geld zu haben wären, um ein gutes Leib-Roß. 


Der Herr Dr. Friedländer erbietet ſich, dergleichen Schreiben, jedoch von be⸗ 
deutenderem Werthe, von Zeit zu Zeit zu überſenden, was wir ſehr dankbar annehmen 
werden und uns erlauben, ihn zu ſeiner Erleichterung zu bitten, Schreiben der Art ſo 
viel als möglich nur im, fo viel es ſeyn kann, wörtlich getreuen Auszuge des Weſentlich⸗ 
ſten, wichtigere aber möglichſt vollſtändig an uns gelangen laſſen zu wollen. 


ee: 


Arbeiten 


der 


p äD0bagogiſchen Seetion. 


Erziehung. 


1. en Rector Morgenbeſ ſer beantwortete die Frage: „Soll das Verhältniſs 
„des Lehrers zum Schüler ein richterliches oder ein väterliches ſein?“ damit: Zwei 
Anſichten über dies Verhältniſs haben ſich bis jetzt geltend gemacht. Nach der einen 
wird der Lehrer als der Stellvertreter der Aeltern betrachtet, nach der andern dagegen 
iſt er ein nach beſondern Geſetzen verfahrender Richter. Obgleich die letztere herrſchend 
geworden zu ſein ſcheint, ſo iſt doch zum Beſten der Schule und der Menſchheit zu wün— 
ſchen, dafs fie es nicht noch mehr werde. Denn der Richter kann keine Rükkſicht auf die 
Subjectivität des Schülers nehmen, und eben ſo wenig Liebe von den Schülern erwarten. 
Die Schule iſt überhaupt als eine Familie, nicht aber als ein Staat zu betrachten, in 
dem die Schüler nur als Staatsglieder behandelt werden, während ſie in jener berükk— 
ſichtigende väterliche Liebe zu Zucht und Sitte führt. 


2. Herr Elementar-Hauptlehrer Otto machte auf die „Folgen der filanthropi— 
ſchen Erziehungsgrundſätze“ aufmerkſam. Ehemals galt nur die ſtrenge Erziehungs— 
weiſe, in der körperliche Zucht als Hauptmittel angeſehen wurde. Sie kam aus, die 
Filanthropie in die Mode, und machte das Lernen zum Spiel, wollte Gehorſam durch 
hätſchelnde Liebe erzielen. Beide Methoden ſind mangelhaft; nur in der Mitte liegt die 
Wahrheit. Die ſtrenge Weiſe bildete viel tüchtige Köpfe und kalte Herzen, die Filan— 
thropie öffnete durch weichliche Nachſicht der Jugend die Thore zu Willkühr, Eigenſinn, 
Dünkel und Ungehorſam. Sinnlichkeit, böſes Beiſpiel und Verführung wurden als un— 
bedeutende Feinde betrachtet, und traten um ſo mächtiger dem Erzieher entgegen. Das 
junge Deutſchland ſcheint als die Frucht einer ſolchen Erziehungsweiſe betrachtet werden 
zu müſſen. Ueberhaupt iſt eine zu gelinde Erziehung weit unheilvolle, als eine zu 
ſtrenge. Fluch ärnten oft Aeltern von ihren erwachſenen Kindern, welche Affenliebe ver— 
zogen und unglükklich gemacht hat. Ein Beiſpiel der Art wurde von einem 19jährigen 
Verbrecher aus Nantes mitgetheilt. Als Krebsſchäden der jetzigen Erziehungsweiſe in 
den höheren und mittleren Ständen werden betrachtet: Haſchen nach Glanz und äußerm 


— 113 —— 


Scheine, Vergnügungsſucht, Ueberhäufen mit Arbeit und Privatſtunden, Erziehung durch 
Hauslehrer, Ammen, Wärterinnen und Dienſtboten, Gewöhnung an Genuſs u. ſ. w. 

3. Herr Senior Berndt machte aufmerkſam auf den Eintrag, den öffentliche 
Schauſtellungen von plaſtiſchen Kunſtwerken der Sittlichkeit der Jugend thun. Dem 
Künſtler mag die Schönheit der körperlichen Form als höchſte Aufgabe ſeiner Darſtellun— 
gen gelten, daher die unverhüllte Schönheit die liebſte ſein, ohne daſs er etwas Unſittli— 
ches dabei denkt. Nicht allſo dem größten Theil der Beſchauer. Dem Reinen iſt zwar 
Alles rein, und ein fünfjähriges Kind wird z. B. eine Venus, Jo, Leda, ohne weiter 
etwas Arges zu denken, anſehen; indeſs doch ſchon die Erwachſenen in Verlegenheit ſetzen, 
wenn ſie fragen, was die Mädchen da eigentlich vorhaben, oder an ſich geſchehen laſſen. 
Schlimmer iſt es noch mit der reiferen Jugend, welche die lüſternen Blikke und die halb— 
lauten Aeußerungen der Erwachſenen, die keineswegs in der ſchönen Form allein Gefallen 
finden, nicht unbeachtet läſst, und ſo zu ſinnlichen Regungen gebracht wird, welche dem 
aufblühenden Geſchlechte wahrlich nicht frommen. 

Vor dieſen Regungen der Sinnlichkeit kann man die Jugend indeſs bewahren, in— 
dem man ſie von ſolchen Schauſtellungen fern hält. Anders iſt es mit ſolchen Bildwer— 
ken, welche von Kunſthandlungen der allgemeinſten Oeffentlichkeit Preis gegeben werden. 
Die ſchmutzigſten Aeußerungen des Geſchlechtstriebes finden zahlreiche Schauer, die ihren 
ſchnöden Witz nicht eben zurükkhalten, gleichviel, ob Schulkinder, von den Bildern ange— 
zogen, unter ihnen ſich befinden. Iſt das erwachſene Geſchlecht fo ſchamlos, daſs es 
Dingen, welche die Natur ſelbſt geheimniſsvoll verhüllt, durch Griffel und Pinſel ver: 
öffentlicht, daſs es ſolcher Veröffentlichungen laut ſich freut: ſo wird man doch den Spott— 
namen eines pedantiſchen Moraliſten durch das Verlangen, ſolche Schauſtellungen den 
Blikken der Jugend ganz zu entziehen, wahrlich nicht verdienen. 

Dieſe Andeutungen führten zu weitern Mittheilungen über die Richtung, welche die 
Künſte, namentlich in Frankreich, genommen haben die thieriſche Liebe durch Poeſie, 
Muſik und Bildwerke zu verherrlichen. 

4. Herr Rentamtmann Preusker in Breimbain (Königreich Sachſen) über: 
ſandte unſerer Geſell ſchaft zwei ſeiner Schriften: 

Bauſteine oder Andeutungen über ꝛc. Schulen. 
Ueber Jugendbildung, 1. 2. Heft. 
Die pädagogiſche Section wird über dieſelben im nächſten Jahre berichten. 

Herr Freiſchullehrer Riedel theilte im Auszuge mit Curtmanns Ideen über 
Gewerbſchulen für das weibliche Geſchlecht. Mit Recht behauptet der Ver— 
faſſer, daſs die Erziehung der Mädchen noch weit hinter der der Knaben zurükkſtehe. 
Keinesweges entſprechen die weiblichen Erziehungsanſtalten den Anforderungen der Zeit. 
Verlaſſe ein Mädchen vermeintlich ganz reif eine ſolche Anſtalt, ſo ſei ſie doch nicht ver— 
mögend, die Stelle einer tüchtigen Hausfrau auszufüllen, wirke daher nicht wohlthätig, 
oft vielmehr ſtörend, auf das Familienglükk ein, und könne, wenn ſie mittellos ſei, am 


— 129 —— 


allerwenigſten für feine Exiſtenz ſelbſtändig ſorgen. Gerade dieſen Uebelſtand, der be— 
ſonders für die unverheirathet gebliebenen Töchter der mittleren Stände ſehr fühlbar ſei, 
möchte der Verfaſſer nun einigermaßen beſeitigen, und deshalb ſchlägt er die Errichtung 
von Induſtrieſchulen vor, in denen die Mädchen Unterricht und Unterweiſung in leichten, 
dem weiblichen Geſchlechte angemeſſenen, Gewerbsfächern (Lederarbeiten, Kleidermacherei, 
Poſamentirer- und Tapezirer-Arbeiten, Uhrmacherei, Buchbinderei, Lithografiren, Gra— 
viren u. ſ. w.) von Lehrern und Lehrerinnen ertheilt werden ſollen. In den Zwiſchen— 
ſtunden ſollen die Mädchen angehalten werden, die Haushaltungsgeſchäfte zu beſorgen, 
ſich in Nadelarbeiten und der Hausbuchhaltung zu üben, und in dem, mit der Anſtalt zu 
verbindenden, Verkaufslokale thätig zu ſein. 

Die Section war der Meinung, daſs Geſetze und Einrichtungen, Sitte und Vorur— 
theil, ja wohl auch manche, nicht zu beſeitigende, Nachtheile der Errichtung einer ſolchen 
Anſtalt bei uns gerade entgegenſtehen. Dazu kommt, daſs das Weib nur in einem klei— 
nen Kreiſe, in dem der Familie, geiſtig und ſittlich gedeihen könne. 


Schulgeſchichte. 

Herr Seminar- Oberlehrer Scholz theilte den Hauptinhalt von Wilbergs „Erin— 
nerungen aus meinem Leben“ mit. Wilberg, Director der Bürgerſchule in Elberfeld, 
iſt ein Mann, der nicht eigentlich gelehrte, aber in hohem Grade pädagogiſche und Welt— 
bildung ſich erworben hat. Den erſten Grund legte ſein Großvater, ein ehrenwerther 
Küſter nach alter Art. Sodann bildete er ſich in einer Schule in Potsdam weiter aus, 
wo Mechanismus vorherrſchend, Stokk und Ruthe die Ordnungsſtifter waren. Später— 
hin kam er nach Rekahn, wo ihn Rochow ſehr lieb gewann. In der Folge führte ihn 
das Geſchikk nach Elberfeld, wo er namentlich für das Armenſchulweſen ſehr viel gewirkt 
hat. Sein Hauptgrundſatz iſt: Halte nicht bloß auf Gedächtniſskram, ſondern ſuche 
den Verſtand des Kindes zu wekken; führe es vor Allem zum Selbſtdenken und zur 
Selbſtthätigkeit. 


S chulſtatiſti k. 


Herr Senior Berndt gab über das Breslauer Schulweſen nach ſeinem Beſtande 
an Oſtern 1837 folgende Ueberſicht: | 


| A. Höhere Schulen. 1 
e 284. — 284 
J WR 1x MC A 189 — | 189 
/ re Durenihtii 4711 — 471 
J RN REN, 4311 — 431 
ehe wee ne ee 313 


N — ¶ K EEE EEE FETTE 
[ 1688 | — | 1688 
17 


1. 


= 
S DO D D 


Geppert 


„Latzel 
Löwenberg. 


Rhode 
Stiller. 
Thiemann. 
Werner 


— 10 


B. Mittelſchulen. 


a) Oeffentliche. 
Bürgerſchule zum heil. Geiſt 


Wilhelms ſchulte 10 se 
Magdalenen⸗ Mädchenſchule 11 0. i 


Das Eurfürftliche Orfanotrofium 


Koſtſchule der Urſulinerinnen 


b) Privatanſtalten. 


Hahn 


Nöſſelt . 
Preuß 


* + [2 + * 
* 

0 * * + + “ 
2 


+ 0 + + + + + 


* + 0 + + 


* 
C. Elementarſchulen. 
a) Oeffentliche. 


—— — — 


— 313 

: . — 105 
EEE 277 277 
4 12 24 
I 110 152% 152 
430 | 441 871 

nd 81 — 81 
n 43 — 43 
3 — 9 181 191 
l — 44 44 
RT AST, (RT 
Ai — ing 

2 74 — 19 19 
ne 45 45 

. — 34 34 
en — 87 87 


124 | 546 | 670 


Im Ganzen 542 975 | 1517 


1. Ffantelſche li N Nr. 1 . 202 
2. — UN, 9 420 194 
3. — — — — — III. 136 
4. a 174 
. g 136 
ü . E, Kl 167 
7. — — — H — VII. ; — 
88... — x VIII. N. 124 
9. . — KX. 125 
1 — —. . DE N Re 95 
11. Uebungsſchule im evangeliſchen Seminare . 83 
12. Reformirte Elementarſchule .. 134 
13. Labeler Pfarrſchule St. Adalbert 8 137 
14. — St. Dorothea b 133 


192 
169 
144 


32. 
33. 


+ 


SE 


A 


Sertolihe Pfarrſchule St. Maria auf dem Sande 
— — St. Matthias i 
. St. Mauritiununs 
— — — St. Michael is shi, 
— — — St. Nikolae 
— — St. Vinzenz NAAR 


Freche N Nr,, 


In er e ard 

er ee en 

— — IV.. 

ee. ene 

ee eee 

— — VIII. ERS LIOAN AN 

e eee Te) 
Hospitalſchule zum heil. Geiſte er 
Hospitalſchule zum heil. Grabe . 


.Hospitalſchule zur ſchmerzhaften Mutter . 
Pfeiferſche Frei ſchnlneͤ RT 
Mildeſche Freifhule . r 
Vereinigte Dom- und Kreuzſchule e e 
Induſtrieſchule der Urſulinerinnen . 
. Elementarfchule der Urſulinerinnen . 
Jergelitiſche Induſtrieſchule ul ce Vase 


b) Privatanſtalten. 
Bojanower . C 


Dobſchalls Abendſchule e 
„Gottwald 2 
. Hofmann Abendſchule nme 

Römhilds Abend ſchullll! cl 
ider ee n 
Warkotſches name .in 


Weber 8 + + * 


= * + + * > + 
/ ᷣͤ SETS TS TULRER STE RR 
1 4 4 N N 


Im Ganzen 


Kn. Mn. Sa. 
— — —— — 
89 71160 
118 73 191 
86 79 165 
61 38 99 
55 43 98 
220 50 270 
436 978 
79 101 180 
132 113 245 
81 85 166 
74 73 147 
119 | 145 264 
05 | 105 | -200 
92 73 165 
106 94 | 200 
81 921 172 
67 24 91 
59 — 59 
Ta 39 | 114 
26 26 52 
28 30 58 
40 50 99 
2834:.1:.,.177%8. Al 
— 65 65 
— 345 349 
— 121 121 
3994 | 4020 | 8014 
— 36 36 
20 8 28 
8 — 8 
55 39 94 
15 10 25 
2 11 23 
41 23 64 
8 23 46 
38 — 38 


ü :. TEE 


AN 


150 | 362 


— ᷣ , ]³˙Vä PETER RETTEN 


4206 | 4170 | 8376 


— MER — 


* . | 1 Kn. Mn. Sa. 
D. Kleinkinder-Bewahranſtalten. e 


1. Kleinkinder⸗Bewahranſtalt Nr. 1 


e ee 23 | | 
3. E. Bam — . an 3 1 * * 0 * “ 212 213 425 
4. — — — — — 4 
Es befanden ſich demnach Schüler | 
0 evang. e jüd. 
A. in den 5 höheren Schulen. . 1025 502 161 | 1688 | — | 1688 
B. in den 15 Mittelſchulen . 1037 2011279 | 542 | 975| 1517 
C. in den 49 Elementarſchulen . 529802754324 4206 4170 8376 
D. in den 4 Kleinkinder⸗ Bewahranſtalten 283 141 212 213 3425 


mithin in 73 Schulanſtalten . 76443598764 66485358 12006 


Davon erhalten freien Unterricht 
in A. ungefähr. 
in B. ungefähr.. 
in C. genau . . 4470 
in D. ungefähr. .. 212 


im Ganzen allſo 4924 oder etwa „ aller Schüler. 


Nicht mit aufgeführt ſind übrigens die Fachſchulen (die Diviſionsſchule, die Semi— 
narien, die Bauſchule, die Sonntagsſchule u. ſ. w.) 


Wird die Einwohnerzahl von Breslau zu 86,000 angenommen, ſo beſuchen von je 
100 Einwohnern 14 die Schule. 


Me / i ß i. „ Ae 


Herr Rector Reiche ſetzte die Mittheilungen aus ſeiner Bearbeitung des lutheri— 
ſchen Katechismus (vgl. Jahresbericht 1835. S. 125. 1836. S. 116) abermals fort, 
und zwar 

1. des dritten Gebotes. Feier ſetzt eine Ruhe voraus, darum iſt ein Feiertag 
ein Ruhetag. Ihn heiligen, heißt, „ihn zur Verehrung Gottes anwenden.“ Des Got: 
tesdienſtes Ordnung, Zwekk und Nothwendigkeit. Gottesdienſt nur Mittel, nicht Zwekk. 
Colliſion zwiſchen Gottesdienſt und der Gelegenheit zu einer guten Handlung. Darf am 
Feiertage gearbeitet werden? Nur Arbeiten, die unbedingt geſchehen müſſen, und nicht 


aufgehoben werden können. Der Feiertag ſoll außerdem ein Tag der Ruhe und Stär— 
kung für neue Arbeit ſein. Doch Müßigſein macht Langeweile; daher ſehnt ſich der 
Menſch an Feiertagen nach ſolcher Thätigkeit, die ihm gerade vorzugsweiſe Gefallen und 
Freude erregen (z. B. Spazirengehen, Lieblingsarbeiten). Freude aber erquikkt. Dies 
Erquikkungsmittel nun gehört beſonders dem Feiertage an. Solche Freude und Luſt ſoll 
aber von der Art fein, dafs fie das Wohlgefallen Gottes erhält. Allſo find unrechte und 
unerlaubte Freuden ſolche, die Gott nicht wohlgefallen. Selbſt ein erlaubtes Vergnügen 
wird ein unerlaubtes, wenn es verboten wird durch Aeltern, Sitte, Geſetz; wenn man 
darüber ſeine Berufsarbeit oder eine andere nothwendige Pflicht verſäumt; wenn es 
Andere ſtört; wenn es überſchreitende Geldausgaben verurſacht; wenn es unmäßig und 
W genoſſen wird. 

Des vierten Gebotes. Begriff der Liebe zu dem Nächſten: Man thut, was 
der Ren wünſcht, infofern dies nichts Sündliches iſt. Man thut es gern, bald, auf 
zarte Weiſe, und indem man Lohn und Dank in der Freude findet, etwas Liebes gethan 
zu haben. Beiſpiel ſolcher Liebe: eine Mutter, die ihr krankes Kind pflegt. Die Erde 
würde zum Paradieſe werden, wenn die Menſchen einander nur Liebes erwieſen. Rechte 
Liebe iſt allein die, welche ſich durch die That offenbart. Schilderung dieſer Liebe nach 
Paulus. Wer iſt mein Nächſter? Jeder, dem ich einen Liebesdienſt erweiſe, und wel— 
cher meines Dienſtes am nöthigſten bedarf. — Gott hat jedem lebenden Geſchöpfe eine 
Mutter gegeben, und dieſer die höchſte Liebe eingepflanzt; eben ſo einen Vater, der für 
daſſelbe aus Liebe ſorgt. Vater und Mutter ſind Gottes Stellvertreter auf Erden. Da— 
her ſind die Kinder ihnen ſchuldig: Ehrfurcht, unbedingten Gehorſam, Beſcheidenheit, 
Verſchwiegenheit über die Familienverhältniſſe, Zuvorkommenheit, Beachtung jedes Ver— 
botes, auch wenn es ſchwer erfüllbar iſt, Beiſtand im Alter, unverdroſſene Pflege in 
den letzten Lebenstagen. 

3. Die Witten aus Luthers Leben, von Guſtav Pfizer (Stutt⸗ 
gart 1836), durch Herrn Senior Berndt, ſprachen allgemein an, und erregten den 
Wunſch, dies Buch in den Händen der Lehrer zu wiſſen. 


ra ch 


Herr Rector Morgenbeſſer berichtet über Gepperts Lehrgang der Recht— 
ſchreibung und Interpunction (2fe Aufl. Breslau 1837). Nach Anführung des 
Inhaltes äußert der Ref., daſs er nicht wiſſe, für wen eigentlich dies Buch beſtimmt ſei, 
ob für den Lehrer oder den Schüler; denn es fehle eine Anweiſung zum Gebrauche deſ— 
ſelben. Ferner ſei nicht zu erſehen, ob die Uebungen mündlich oder ſchriftlich geſchehen 
ſollen Vieles in ihm ſei rein unnöthig, Anderes nicht an der gehörigen Stelle. Ganz 
fehle die Regel von dem Gebrauche der großen Buchſtaben; die Interpunctionslehre ſei 
dagegen gut, inſofern ſie ohne Satzlehre gegeben werden kann. Ref. iſt übrigens gegen 


au Wh ee 


das Abſchreiben, als einziges Unterrichtsmittel in der Orthografie, und hält es mehr mit 
dem Dictiren. — Herr Rector Reiche iſt der Anſicht, die Rechtſchreibung werde leich— 
ter auf rein mechaniſchem Wege gelernt, erſt mit vorſchreitender Sprachkenntniſs gelange 
das Kind zur orthografiſchen Einſicht. — Herr Seminar-Oberlehrer Scholz beklagt 
ſich, daſs der Vf. das Meiſte aus ſeinem Sprachſchüler wörtlich abgeſchrieben habe, ohne 

dieſe Quelle zu nennen. | 


Geometrie. 


1. Herr Oberlehrer Knie gab eine entwikkelnde Darftellung der Geometrie. Er 
rühmte die Vortrefflichkeit Euklids. Dieſer beziehe einen Lehrſatz immer auf einen an- 
dern, und nach deſſen Vorſchrift könne der Schüler keinen lükkenhaften Unterricht erhalten. 
Als Grundprincip der Geometrie betrachtet Hr. Knie die Idee der Bewegung, und zeigt, 
wie ſich aus der Bewegung des Punktes die Entſtehung der Linien, aus der der Linien 
Bildung und Dekkung der Dreiekke u. ſ. w. herleiten laſſe. 


2. Derſelbe zeigte zwei, von ihm ſinnreich ausgedachte, Maſchinen vor, durch 
welche Winkel in 3, 5, 7 u. ſ. w. ungleiche Theile zerfällt werden können, und verſprach, 
die Erzeugniſſe dieſer Maſchinen, welche den praktiſchen Mathematikern ſehr nützlich wer⸗ 
den dürften, auch theoretiſch zu begründen. 


Schreiben und Zeichnen. 


Herr Senior Berndt fuhr fort (vgl. B. 1836. S. 118), die Probe-Schrif— 
ten und -Zeichnungen, welche das evangeliſche Seminar, die Wilhelmsſchule, die 
Elementarſchulen 1 — 8, die Freiſchulen 3, 4, und die Hospitalſchulen zum heil. Geiſte 
und zum h. Grabe für die diesjährigen Prüfungen gearbeitet hatten, zur Anſicht vorzu— 
legen. Im Ganzen befriedigte alles Vorgelegte, vieles war vortrefflich. Eine gleiche 
Handſchrift ſcheint dagegen noch immer zu den unerfüllten Wünſchen zu gehören. 


J. C. G. Berndt. 


— BJ — 


Sabres: Bericht 
der 


EINE RER ER NTISET EEE D 


Wie ſehr auch die vortreffliche Methode, rein und unverfälſcht zu beobachten, den 
Alten nachzurühmen und nachzuahmen iſt, wie naturgetreu ſie in ihren hinterlaſſenen Wer— 
ken die Krankheitsgemählde gezeichnet haben; ſo war es doch nur die bloße Angabe der 
Symptome, ſofern ſie vornehmlich in die Erſcheinung tretende, alſo ſinnlich wahrnehm— 
bare Functions-Störungen bezeichnen, bei welcher ſie ſtehen blieben. Von den, dieſe als 
Wirkungen bedingenden Urſachen, den eigentlichen Vorgängen im Inneren des Organis— 
mus hatten ſie eine ſehr dürftige, d. h. der Theorie ihrer Zeit gemäße Kenntniß. Daher 
konnte von einer ſicheren Diagnoſtik ſo wenig als von einer rationellen Behandlung die 
Rede ſeyn. Bald wurden weſentlich verſchiedene Krankheiten, die aber nnter ähnlichen 
Symptomen ſich ſinnlich darſtellten, weil man ſich eben an dieſe hielt, auf gleiche 
Weiſe, bald nur der Form nach verſchiedene Krankheiten, ohne Rückſicht auf das oft 
identiſche Weſen derſelben, verſchieden behandelt. In dem einen wie in dem anderen 
Falle war alſo die Behandlung eine bloß ſymptomatiſche, auf unwiſſenſchaftlicher Empirie 
beruhende. Wenn auch nicht zu läugnen iſt, daß alle unſere Cur-Methoden einen mehr 
oder weniger empiriſchen Urſprung haben; ſo ſind doch die Fortſchritte, welche die Me— 
dicin im Laufe der Zeit gemacht hat, ſo wenig als der Einfluß zu verkennen, den die 
genauere Erforſchung innerer Krankheitszuſtände und ihrer nächſten Urſachen auf die rich: 
tige Würdigung der, in ihnen gegründeten Erſcheinungen hat, welche das kranke Leben 
uns darbietet. Je ſchwieriger es iſt, ähnliche Krankheitsformen nach diagnoſtiſchen Zei— 
chen zu trennen, und ſie nach ihren weſentlich verſchiedenen Urſachen zu behandeln, um ſo 
höher iſt das Verdienſt anzuſchlagen, welches in neuerer Zeit unter Anderen beſonders 
Wichmann durch Bearbeitung dieſes, bis zu ſeiner Zeit brach gelegenen Feldes ärztlichen 
Wiſſens um die praktiſche Medicin ſich erworben hat. Seitdem haben wir viele, früher 
räthſelhafte Krankheitszuſtände, deren Weſen man nicht begriff, und die man in dem 
noſologiſchen Syſtem von vornherein nach ihrem gemeinhin tödtlichen Ausgange zu be— 
zeichnen pflegte, näher kennen und richtiger behandeln gelernt. Mit der, wenn auch 
ſcheinbaren Vervielfältigung der diagnoſtiſch von einander getrennten Krankheitsformen 


— ͤ 14136 — 


iſt uns in vielen Fällen nicht nur eine tiefere und klarere Einſicht in das, den älteren 
Aerzten unbekannte Weſen derſelben, ſondern auch die Abwendbarkeit der Gefahr ſo man⸗ 
cher, in ihrem erſten Entſtehen noch begriffenen, nichts deſto weniger aber in der, von 
ihr zu nehmenden Richtung erkennbaren und durch ein zeit- und ſachgemäßes Verfahren 
leichter zu verhütenden, als, wenn ſie erſt ausgebildet oder gar bis zu ihrer Höhe ſchon 
vorgeſchritten iſt, zu heilenden Krankheit gegeben. Wie die hier mitzutheilenden Proto- 
koll⸗ Verhandlungen der Section darthun werden, hat auch fie in ihren diesjährigen Be— 
ſtrebungen ihre beſondere Aufmerkſamkeit auf den hier berührten Gegenſtand gerichtet 
und Alles das in den Kreis ihrer Wirkſamkeit gezogen, was wie zur Vervollkommnung 
der Wiſſenſchaft überhaupt, ſo auch zur Gebiets-Erweiterung und feſteren Begründung 
der Diagnoſtik ins Beſondere irgend beitragen kann. 


Den 6. Januar las Herr Geheime Rath Dr. Wendt: Kritiſche Beleuch— 
tung des, vom Hrn. Prof. Dr. Wolff in Nr. 46 der Vereins-Zeitung 
vorigen Jahres mitgetheilten Falles einer unglücklich verlaufenen 
Hydrophobie. Es betrifft derſelbe einen 31jährigen Mann (Tagelöhner), der, von 
einem der Wuth verdächtigen Hunde oberhalb des linken Mundwinkels gebiſſen, nach 
6 Wochen plötzlich hydrophobiſch wurde. Den 14. April 1836 in die Charité zu Berlin 
aufgenommen, wurden ihm während der Dauer der ganzen, von ihrem Ausbruche bis 
zum (den 15ten, Abends um 7 Uhr erfolgten) Tode in 37 Stunden verlaufenen Krank: 
heit außer einer Kalomel-Laxanz in 20% Stunden ZXVIjj Tinct. Opii crocat. in 
eben ſo vielen Doſen gereicht und in drei Aderläſſen über 5 Pfund Blut entzogen. Die— 
ſes, wenn auch nur verſuchsweiſe angewandte Verfahren dürfte ſo wenig Nachahmer fin— 
den, als die vermeinte bisherige Erfolgloſigkeit jedes anderen Verfahrens zur Wiederho— 
lung derartiger Verſuche auffordern. Wie viel eine antiphlogosis strenua hier ver⸗ 
möge, beweiſen eben ſowohl die, über die Wirkſamkeit ſtarker Blutausleerungen in der 
Hydrophobie von Schallern, Göden und Vogelſang mitgetheilten Erfahrungen, als die, 
in neueſter Zeit von den Herren DD. Guttwein (der freilich auch Kalomel gab) und 
Hochgeladen auf dieſelbe Weiſe und mit gleich glücklichem Erfolge behandelten Fälle. 
Die Anſicht des Herrn Prof. Wolff, nach welcher das Opium in ſteigenden und großen 
Gaben in der Hydrophobie wie im tetanus traumaticus und im delir. tremens, als 
analogen Zuſtänden, durch Herbeiführung des Schlafes, als der Krife acuter Nerven: 
Krankheiten, heilſam wirken könne, ſcheint durch die Erfahrungen der neueſten Zeit mehr 
widerlegt als beftätiget zu werden. Herr Geh. Rath W. gedachte mehrerer, mit Herrn 
Medicinal-Rath Dr. Hancke behandelten Fälle von (nach Operationen entftandenem) 
tetanus traumaticus, in deren einem Opium in ſteigenden Gaben und Bäder mit 
Kali caustie. vergebens angewandt wurden, während in den anderen die antiphlogi— 
ſtiſche Behandlung und die Anwendung des Kalomels ſich wirkſam und hülſreich bewies. 
Was das delir. tremens betrifft: fo bildet ſich hier bei einmal als Prädispoſition vor⸗ 


— la — 


handenem, durch die neueren anatomiſch-pathologiſchen Unterſuchungen nachgewieſenen 
gelatinöſen Extravaſat (hydrocephalus gelatinosus s. chronicus) ein erethiſtiſcher 
(ſubinflammatoriſcher) Zuſtand aus. Auch hier, wo das (nach Saunders) in großen 
Gaben zu reichende Opium nur nachtheilig wirken kann, hat die neueſte Zeit Blutentzie⸗ 
hungen, Brechweinſtein und Digitalis als beſonders wirkſam empfohlen, ſo daß nach 
den desfallſigen Erfahrungen des Dr. Kleß, vorſtehenden Arztes des Katharinen-Ho⸗ 
ſpitals in Stuttgardt, von allen ſolchen, auf dieſe Weiſe behandelten Kranken ihm nur 
Einer ſtarb. So lange uns alſo nichts Beſſeres zu Gebote ſteht, dürfte es auch in der 
Hydrophobie am gerathenſten ſeyn, von ſtarken Blutentziehungen, größeren Gaben Ka— 
lomel und öfteren Einreibungen deſſelben Gebrauch zu machen und das Uebrige der Zeit 
zu überlaſſen. 


Herr Medicinal-Rath Dr. Ebers las: Ueber Entzündung der Arterien 
(Arteriitis) aus inneren Urſachen, nach größten Theils eigenen Beob— 
achtungen. Als allgemeine Krankheit in acuter Form ſelten vorkommend, wird ſie 
weniger ſelten in chroniſcher Form, am ſeltenſten die (örtliche) Entzündung einzelner Ar— 
terien beobachtet. Obgleich Reil der Anſicht iſt, daß dem allgemeinen Gefäßfieber 
(synocha s. febris inflammatoria) eine allgemeine Entzündung der Gefäßhäute zu 
Grunde liege; ſo ſcheinen doch, wie ſchon P. Frank richtig bemerkt, beide mit einander 
nicht zu verwechſelnde, vielmehr weſentlich von einander verſchiedene Krankheitszuſtände 
zu ſeyn. Von den meiſten Beobachtern auf die Aorta und die pars thoracica derfelben 
bezogen, kann hier die Krankheit nicht anders als mit Lungen- und Herz-Entzündungen 
vielfach complicirt erſcheinen, und deshalb auch keine ſo klare Anſicht des Leidens ſelbſt, 
wie bei den, meiſt nach äußeren Verletzungen entſtandenen Entzündungen einzelner Arte— 
rien⸗Stämme geftatten. Als charakteriſtiſche Zeichen einer allgemeinen Arterien-Ent— 
zündung gelten: heftiges, aber regelmäßiges, zuweilen an den Karotiden, den Schläf— 
und Speicheldrüſen-Arterien dem Auge wahrnehmbares Klopfen aller Arterien mit ſehr 
hartem und mäßig geſchwinden, wiewohl gleichmäßigen Pulſe und einer heftigen, dem 
Kranken nicht nur höchſt läſtigen, ſondern bisweilen auch ſicht- und hörbaren, durch die 
zwar ſtarke aber regelmäßige Bewegung von der Palpitation des Herzens ſich unterſchei— 
dende Vibration deſſelben; große Unruhe und Raſtloſigkeit ohne Erſchwerung der Re— 
ſpiration u. ſ. w. In eine ſpeciellere Betrachtung des Gegenſtandes eingehend, machte 
Hr. E., mit beſonderer Bezugnahme auf die hieher gehörigen Schriftſteller, auf die 
verſchiedenen, in der Erfahrung als ſolche ſich darſtellenden Formen der Arteriitis und 
ihre Folgen aufmerkſam, und gab dann die Urſachen derſelben an. Obwohl letztere keine 
andere als ſolche ſind, welche Entzündung überhaupt hervorrufen; ſo ſcheint doch eine 
beſondere Individualität das Entſtehen gerade dieſer Entzündung zu begünſtigen, dagegen 
Gicht, Siphylis und andere Dyskraſieen mehr die chroniſche und die rein örtliche Form 
bedingen. Daß eine Krankheit, wie die fragliche, nicht nur das Leben gefährde, ſondern 

N 18 


un 


auch in den, bei Weitem meiſten Fällen mit dem Tode endige, bezeugen die, den darauf 
bezüglichen Beobachtungen der Schriftſteller faſt jedes Mal beigegebenen Sections-Be— 
richte. Was endlich die Heilart anbetrifft; ſo kann dieſe keine andere, als die, nach 
Umſtänden zu modificirende entzündungswidrige ſeyn. | 


Den 3. Februar diefen feinen Vortrag fortfegend, gab Herr Medicinal: Rath 
Dr. Ebers in gedrängtem Umriſſe nicht nur die diagnoſtiſchen, in ihrer Geſammtheit 
(Enſemble) die Artersitis charakteriſirenden, ſondern auch die diſtinctiven (pathognomo— 
niſchen) Kennzeichen der, ihr am nächſten ſtehenden Krankheiten, wie namentlich des ein. 
fachen Entzündungsfiebers (febr. inflammatoria genuina s. synocha auctorum), 
der Entzündung des Herzens (cardıtis) und des Herzbeutels (pericarditis) an. 
Schließlich theilte derſelbe einige, von ihm beobachtete, in Hinſicht ihres Verlaufes beſon— 
ders intereſſante und mit Glück behandelte Fälle von Arteriitis mit. 


Herr Dr. Grötzner theilte die Beobachtung eines Falles mit, in welchem eine, 
gegen 50 Jahr alte Frau, welche ſchon ſeit längerer Zeit an einer Leber-Verhärtung 
und fpäte: an einem Wechſelfieber (kebr. tertian. intermitt. larvat.) gelitten hatte, 
wie es ſchien, in Folge deſſelben bauchwaſſerſüchtig wurde. Die 45malige Punction ver— 
mochte ſo wenig die Wiederanſammlung des Waſſers zu verhüten, als ihr Leben länger 
gefriſtet werden konnte. Bei der Section fand man eine ſteatomatöſe Geſchwulſt 
von enormen Umfange am (äußeren) fundo uteri. 


Der Secretair theilte einige allgemeine Bemerkungen über den Nutzen der 
Leichen-Oeffnungen und über den Einfluß vorurtheilsfrei angeſtellter anatomiſch— 
pathologiſcher Unterſuchungen auf die Erkenntniß der Krankheiten mit. 


Den 3. März theilte Herr Geheime Hofrath Dr. Zemplin Einiges über 
Salzbrunn mit. Die dortigen Brunnen, namentlich der, mit Molken gemiſchte Ober— 
brunnen zeigen ſich, ſeinen desfalls gemachten zahlreichen Beobachtungen zu Folge, in der, 
von den älteren Pathologen phthis is secundaria genannten Form von phthisis 
pulmon. pituitosa beſonders wirkſam und um fo hülfreicher, je weniger dabei eine 
Tuberkel⸗Dyskraſie im Spiele iſt. Acute und chroniſche Exantheme, wie Maſern, Krätze, 
Flechten, Keuchhuſten, Siphylis, Gicht, unterdrückte Fuß-Schweiße und Geſchwüre, aller— 
lei Irregularitäten der Menſtruation, ganz beſonders aber Hämorrhoiden können, der 
Entwickelung dieſer Krankheitsform kürzere oder längere Zeit vorangehend, ſie urſächlich 
begründen. So wie in der Mehrzahl hieher gehöriger Fälle die fragliche Krankheits- 
form aus einem, längere Zeit beftandenen Unterleibsleiden (phthisis pulmon. ex hy- 
pochondriis) ſich hervorgebildet zu haben ſchien, was nicht nur aus der Auf- und Ne: 
beneinander-Folge der geſammten Krankheits-Erſcheinungen, ſondern auch dem äußeren 
Habitus des Kranken ſich folgern ließ; fo verdiene das, in anderen Fällen von ihm beob- 
achtete Lungenleiden ſpecieller als phthisis metastatica bezeichnet zu werden. 


n 


Außer den, hier in Betracht geſtellten Formen hatte er auch die, aus Nervenleiden ent: 
ſtehende Lungenſchwindſucht (phthi sis pulmon. nervosa), wie dieſe ſich meiſt 
beim weiblichen Geſchlechte zeigt, in Salzbrunn vielfach zu beobachten Gelegenheit. Den 
Beſchluß ſeines Vortrages machte die Mittheilung einiger, von ihm beobachteten intereſ— 
ſanten Fälle von, theils durch unterdrückte Krätze, theils durch ſchlecht geheilte Siphylis, 
theils endlich durch Vernarbung eines vorher offenen Geſchwürs begründeter phthisis 
metastatica. In allen dieſen und noch anderen, ihnen ähnlichen Fällen ſah er auf den 
mehrwöchentlichen Gebrauch des Salzbrunns das Lungenleiden in dem Maße immer mehr 
zurücktreten, als die urſprüngliche, mit demſelben in urſprünglichem Zuſammenhange 
ſtehende Krankheitsform wieder hervortrat. 


Herr Dr. Lüdicke theilte einen, von ihm geheilten Fall von passio iliaca 
mit. Es betraf derſelbe ein 20jähriges geſundes Mädchen, welches, ſeit ſeiner Kindheit 
an bisweilen näſſenden, bisweilen ſchuppigen Flechten auf der linken Wange und der rech— 
ten Schulter leidend, vor ſeiner Erkrankung von einem andern Arzte mit mehreren, theils 
innerlich, theils äußerlich angewandten Mercurial-Präparaten, dem Kali hydroiodic., 
plumb. acetic., sulphur. praecipitat. u. ſ. w. ohne die geringſte Veränderung des 

Flechten⸗Ausſchlages 15 Wochen lang behandelt wurde. Inzwiſchen hatte Erkältung 
einen Durchfall herbeigeführt. Während des Gebrauches des, zu ſeiner Hemmung in 
größeren Gaben (gr. / p. d.) verordneten reinen Opiums ftellten ſich bald hartnäckige 
Verſtopfung, unerträgliche Schmerzen im Unterleibe, unaufhörliches Erbrechen und im 
ferneren Verlaufe der, von jetzt an vom Hrn. L. behandelten Krankheit wahres Kothbre— 
chen ein. Unter den obwaltenden, wie die wiederholt angeſtellte Unterſuchung ergab, nicht 
durch eine Bruch-Einklemmung (Incarceration) gegebenen Umſtänden und bei der Er— 
folgloſigkeit aller, von ihm in Gebrauch gezogenen Mittel gewann er nicht nur die Anſicht, 
daß der fragliche Krankheitszuſtand für eine Darm-Einſchiebung (intussusceptio) zu 
halten ſei, ſondern es gelang ihm auch, die Gefahr der Krankheit mittelſt Anwendung 
des kohlenſauren Gaſes zu beſeitigen und Patientinn gründlich wieder herzuſtellen, wiewohl 
das frühere Flechtenübel nach wie vor fortbeſteht. Schließlich theilte er einige Bemer— 
kungen über das, in neueſter Zeit gegen passio iliaca verſuchte und als wirkſam em— 
pfohlene Einblaſen von Luft in den Darmkanal mit. 


Den 7. April theilte Herr Prof. Dr. Göppert Bemerkungen über die or— 
ganiſchen Beſtandtheile einiger Mineralquellen mit. Obgleich die, in der 
heutigen Chemie vorwaltende Tendenz, durch Zuſammenſetzung die Reſultate von Analy— 
ſen zu beſtätigen, bisher vorzugsweiſe anorganiſche Stoffe betraf; ſo darf man ſich doch, 
ſeitdem Wöhler ſelbſt Harnſtoff bereiten lehrte, auch für die organiſche Chemie und 
Phyſiologie viele Aufſchlüſſe von jener Richtung verſprechen. Für den praktiſchen Arzt 
iſt die, von Struve zuerſt angegebene Bereitungsweiſe der verſchiedenen Mineralwäſſer 
von beſonderer Wichtigkeit. Ohne die natürlichen jemals vollkommen zu erſetzen, werden 

1 


ia ME ee 
fie doch immer in der Reihe der Heilmittel einen eben fo ehrenvollen Platz einnehmen, 
als ihrem Erfinder zum größten Ruhme gereichen. Mannigfache Einwürfe gegen die 
Beſchaffenheit derſelben von chemiſcher Seite, z. B. in Anſehung des vermeintlich lockere— 
ren Gebunden ſeyns der Wärme oder des leichteren und ſchnelleren Erkaltens eines künſt— 
lich erwärmten Waſſers im Vergleich von Thermen, find in neueſter Zeit beſeitiget wor- 
den. Ueberhaupt bieten die neueren, von allen Seiten ſich beſtätigenden Erfahrungen 
von der, in der Tiefe immer mehr zunehmenden Wärme der Erde Urſachen dar, um auch 
ohne Annahme von Vulkanen die immer gleichbleibende Wärme der Quellen zu erklären, 
was namentlich für diejenigen von befonderer Bedeutung iſt, die, entfernt von vulkani⸗ 
ſchen Gebirgsarten, mitten im Urgebirge entſpringen. Die Hauptmomente dieſer Ent— 
deckungen berührend, bemerkte Hr. Prof. G., daß die Beobachtungen über die Wärme 
des, durch die arteſiſchen Brunnen zu Tage geförderten Waſſers jene Theorie noch mehr 
beſtätigten, und man, auf dieſe Erfahrungen geſtützt, wohl beſtimmen könnte, in welcher 
Tiefe unter der Oberfläche die Quelle irgend einer Therme zu finden ſei, was er durch 
mehrere Beiſpiele zu zeigen bemüht war. Sehr intereſſant iſt das Vorkommen von orga— 
niſchem Stoffe in den warmen Quellen. Unter verſchiedenen Namen, als: Baregine 
von Longchamp, Glairine von Anglada, Zoogen von Gimbernat, Zoothermin 
(oder auch Theiothermin) von Monheim bisher beſchrieben, beſteht derſelbe wahr— 
ſcheinlich überall aus einem Convolut von Thieren und Pflanzen, wie dieß auch von meh— 
reren Quellen nachgewieſen iſt. Ein beſonderes Intereſſe gewährte die, unter dem Mi— 
kroſkope und in mikroſkopiſchen Abbildungen vorgezeigten Oscillatorien und Conferven 
aus den Quellen von Karlsbad und Padua, über welche letztere berichtend, ſchon Plinius 
(histor. natural. lib. II, c. 106) bemerkt: Patavinorum aquis calidis herbae 
virentes innascuntur. Nachdem Hr. G. die Beziehungen dieſer Vorkommniſſe zu den 
künſtlichen Thermen angedeutet hatte, erwähnte er noch der foſſilen Infuſorien, und 
zeigte, wie die Schalen dieſer Thiere ſich zu erhalten vermochten. 


Herr Prof. Dr. Barkow theilte die Reſultate feiner neueſten Unter⸗ 
ſuchungen über den Winterſchlaf der höheren Thiere mit, die vorzüglich 
auf die Thätigkeit der Verdauungs-Organe während des Winterſchlafes, auf die Beſchaf— 
fenheit des Blutes und die, an den Leichen während des Winterſchlafes getödteter Thiere 
wahrgenommenen Erſcheinungen ſich bezogen. Die Fortdauer der Thätigkeit der Ver— 
dauungs⸗Organe während des Winterſchlafes wird erwieſen: 1) durch die, in geringe— 
rem oder höherem Grade Statt findende Abſonderung einer, bald nur gasförmigen, bald 
tropfbar flüſſigen, dem Darmſafte analogen Feuchtigkeit; 2) durch die intercurrirend 
eintretende Abſonderung einer ſauren, dem Magenſafte analogen, ein Mal beim Zieſel 
im Magen, ein anderes Mal beim Igel im Dickdarm von ihm gefundenen Feuchtigkeit; 
3) durch fortdauernde Thätigkeit der einſaugenden Gefäße des Darmkanals, und 4) durch 
fortwährendes Eintreten der Galle in den Darm und Entmiſchung derſelben. Die, in 


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der Gallenblaſe enthaltene Galle ift beim Igel im nicht lethargiſchen Zuftande von hellerer 
grüner Farbe, während des Winterſchlafes dunkelgrün, conſiſtenter und von ſtarkem, 
rein bitteren Geſchmacke. Im Dünndarm erkennt man einzelne Partikelchen von einge— 
tretener Galle. Im Dickdarm findet man ſie in mehreren Klümpchen von grüner Farbe 
angehäuft. Hier hat ſie den bitteren Geſchmack entweder ganz oder bis auf eine geringe 
Spur verloren und iſt dem Kothe im nicht lethargiſchen Zuftande ſehr ähnlich. — Da 
bei der, im hohen Grade fortdauernden Empfindlichkeit des Igels während des Winter— 
ſchlafes die Reſpiration auch durch die leiſeſte Berührung rege gemacht wird; fo erhält 
man das Blut dieſer Thiere, welche man öffnet, wahrſcheinlich ſchon einiger Maßen ver— 
ändert. Beim Abziehen der Haut vorzüglich aus den großen Haut-Arterien fließend, 
iſt es hellroth von Farbe, aber noch kalt und nicht ſehr dünnflüſſig. Die genauere Un— 
terſuchung ergab eine geringe Quantität Serum. — Die Leichen aller, während des 
Winterſchlafes von Hrn. B. getödteten Igel trockneten, ohne daß auch nur Eine in Fäul— 
niß übergegangen wäre, während andere, welche er, im nicht lethargiſchen Zuſtande ge— 
tödtet, in derſelben Temperatur liegen ließ, in wenigen Tagen von Fäulniß ergriffen 
wurden. — Endlich noch über die, von verſchiedenen Schriftſtellern angeſtellten Verglei— 
chungen des Winterſchlafes mit anderen Lebens-Erſcheinungen im geſunden und kranken 
Zuſtande, namentlich mit dem Embryonen-Leben, mit der aſiatiſchen Cholera, dem Scor— 
but und der Aſphyrie ſprechend, hob Hr. B. die Unterſchiede zwiſchen dem Winterſchlafe 
und der Afphyrie beſonders darum hervor, weil gerade dieſe die größte, allgemein ange— 
nommene Aehnlichkeit mit einander haben. Im Winterſchlafe ſich befindende Igel, welche 
er durch zu langes Untertauchen unter Waſſer in aſphyktiſchen Zuſtand verſetzt hat, ver— 
fielen, ſich ſpäter wieder erholend, auch von Neuem in den Winterſchlaf, wiewohl ſie 
nicht unmittelbar aus dem aſphyktiſchen Zuſtande in jenen zurückkehren, ſondern erſt voll— 
kommen erwachen und dann wieder in den Winterſchlaf verfallen. a 


Den 5. Mai ſtellte Herr Dr. Sachs der Verſammlung einen eilfjährigen, ſchwäch— 
lichen, blaß und kachektiſch ausſehenden und durch die Naſe ſprechenden (nieſelnden) Kna— 
ben vor, der, ſeitdem er im Januar d. J. die Grippe überſtanden, nicht nur an einer 
profuſen Schleimabſonderung aus der Naſe und öfterem Naſenbluten leidet, ſondern mit 
letzterem auch, und ſeitdem dieſes ſich verloren, durch häufiges Nieſen kleine, zum 
Theil lebendige Würmer (ascarıdes vermiculares) in großen Maffen ent 
leert. Um ſich das Entſtehen derſelben auf dem Wege einer ſogenannten generatio 
aequivoca zu erklären, glaubt Hr. S., auf ähnliche Beobachtungen Schönlein's hin— 
weiſend, mit ihm eine katarrhaliſche Affection wie aller anderen Schleim abſondernden 
Flächen (Katarrh im weiteren Sinne), fo auch hier der membrana pituitaria Schnei- 
deri (Katarrh im engeren Sinne) als Urſache dieſer ſo ſeltenen Erſcheinung annehmen 
zu dürfen. — Herr Dr. Guttentag war der Meinung, daß die fragliche Erſcheinung 
mit einem acuten Hirnleiden, an welchem er den Knaben vor 2 Jahren behandelt habe, 


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in urſächliche Verbindung zu bringen und zunächſt wohl für ein Symptom einer Krank⸗ 
heit der Stirnhöhlen zu halten ſei. — (Die Mittheilung eines, dem gegenwärtigen ziem— 
lich ähnlichen Falles findet ſich in der erſten Sammlung der Briefe an Aerzte von M. 
Herz. Mietau 1777, S. 157 — 58. Ein Arbeitsmann, der längere Zeit an einem ans 
haltenden inneren Schmerze in der Mitte des Stirnbeins gelitten hatte, ohne daß die nicht 
zu ermittelnde Urſache gehoben werden konnte, wurde durch den, bei ſtarkem Schnauben 
der Naſe aus dieſer erfolgten Abgang einer beträchtlichen Menge W Maden faſt 
augenblicklich von jenem befreit.) 


Herr Geh. Medic.-Rath Dr. Wendt las: Ueber die Noſologie der Gicht. 
Auf ſeine, in früheren Vorträgen über denſelben Gegenſtand entwickelten Anſichten ſich 
beziehend, betrachtet er die Neigung zur Vererdigung als den Grundcharakter der gichti— 
ſchen, ſo wenig aus einer materiellen Schärfe der Säfte zu erklärenden, als durch ſie 
nachzuweiſenden Dyskraſie. Die Entwickelung derſelben ſetze immer qualitative Verän— 
derungen in den verſchiedenen Richtungen mit ſpecifiſcher Grundlage in der Ernährung. 
So wie die Neigung der Säfte zur Verwäſſerung die hydropiſche Kachexie, die Tendenz 
der Maſſe zur Verzehrung die Kachexie der Tabes und das Streben zur Wucherung in 
der Ernährung das Grundweſen der Siphylis bildet, ſo conſtituirt die Neigung zur 
Vererdigung die Gicht, welche gleich anderen Krankheiten mit ſogenannter materieller 
Grundlage auf einer Diatheſis beruht, auf welche auch die Heilanzeige ſich ſtützen muß. 
Mit der Betrachtung der Gicht als wirklicher Kachexie iſt, wie einer Seits ihre weſent— 
liche Verſchiedenheit von dem Rheumatismus, als einer, durch anomale Diatheſis beding— 
ten Gelenk- und Muskel-Entzündung, ſo auch anderer Seits ihre auffallende Aehnlichkeit 
mit einer Krankheit der tiefſten Ernährung, der mit ihr zuſammenhängenden und in ei— 
nem Wechſel-Verhältniſſe ſtehenden Stein-Bildung gegeben. Für Letzteres ſpricht na— 
mentlich die naturgetreue Beobachtung der Gicht und ihrer, unter dem Eintritte des erdi— 
gen, auf mannigfache Weiſe modificirten Sediments erfolgenden Kriſen. Zu den wich— 
tigeren Formen der Gicht gehört die ſogenannte arthritis retenta (dysarthritis 
nonnullor. auctor.), welche, längere Zeit im Organismus, nicht ſelten unter ſehr bes 
deutenden, allen Mitteln trotzenden Beſchwerden ſich vorbereitend, bisweilen erſt im Alter 
einen regelmäßigen Anfall bildet. Eine eben ſo wichtige Form iſt arthritis retro— 
grada, bei welcher, wie bei keiner anderen Krankheitsform alle Theile des Körpers, 
die edelſten Organe und Eingeweide durch ſtellvertretende Bildungen und, gewöhnlich 
langfam und unmerklich, bisweilen jedoch ſchnell und unvermuthet erfolgende Ablagerun: 
gen lebensgefährlich bedroht werden. Die, beſonders der arthritis vaga eigenthümliche 
Neigung zu Uebertragungen iſt mit dem Weſen der Krankheit jo innig verſchmolzen, daß 
es hiezu keiner äußeren, oder doch nur einer ſehr geringen Veranlaſſung bedarf. Daher 
auch jedes ärztliche Eingreifen, geſchähe es auch nur in der wohlgemeinten Abſicht, den 
Anfall zu mildern und die, von der Ausbildung einer wahren conſtitutionellen Gicht un⸗ 


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zertrennlichen Schmerzen zu lindern, die Naturthätigkeit leicht ſtören und die traurigſten 
Folgen herbeiführen kann. Anders freilich verhält es ſich mit der, die edelſten Höhlen 
durch gefahrvolle Congeſtionen bedrohenden und als synocha gravissima verlaufenden 
febris arthritica acutissima. Als im ſtricten Sinne (arthritis va &öoxnrv) fo zu 
nennende Gicht ift die, durch ihren regelmäßigen Verlauf, ihre ſtereotype Wiederkehr und 
die nie fehlenden, auf die Extremitäten erfolgenden Ablagerungen kalkartiger Concremente 
ſich auszeichnende, ſo ſchmerzhaft ſie auch iſt, ſofern bei dieſer Dyskraſie innere Organe 
immer frei bleiben, das Leben nicht verkürzende arthritis organica anzuſehen. 
Ob zwar mit der praedispositio hereditaria zur Krankheit eine überwiegende Veno— 
ſität in den edelſten Eingeweiden der Ernährung (plethora abdominalis s. polycholia 
veterum) als die Quelle der gichtiſchen Opportunität gegeben iſt; ſo bedarf es doch zur 
Bildung gerade dieſer Krankheit noch anderer, von außenher ſie begünſtigenden Momente. 
Beſonders iſt es Trägheit und Unthätigkeit des Organismus, Mangel an körperlicher 
Bewegung. Wie ſehr Einige auch die Unterdrückung der Hautthätigkeit als oberſte Ur— 
ſache der Gicht geltend zu machen ſuchten, fo lehrt uns doch die Beobachtung, daß Gicht— 
anfälle durch Hemmung des Schweißes ſo wenig veranlaßt, als durch Hervorrufung deſ— 
ſelben geheilt werden, es fei denn, daß er, nach Kalk riechend, ſich kritiſch verhielte. So 
wie Ruhe, Trägheit und Unthätigkeit, die Neigung zur Vererdigung begünſtigend, die 
Ausbildung der Gicht befördert, ſo kann dieſe gegentheils, ſelbſt bei der entſchiedenſten 
Anlage, durch höchſt mögliche körperliche Anſtrengung lange verhütet werden. Auch wird, 
wenn von ärztlicher Behandlung der wahren, conſtitutionellen Gicht die Rede iſt, der 
Arzt einzelne, ſie begleitende, dem Kranken beſonders läſtige Zufälle wohl mildern, und 
durch ein rein prophylaktiſches Verfahren neue Anfälle verhüten, niemals aber einen in- 
sultus arthriticus ſelbſt ſicher heilen können. | 


Herr Dr. Burchard J. las: Beiträge zur Geſchichte der Geburts— 
hülfe in Schleſien, mit beſonderer Rückſicht auf die geburtshülflichen 
Lehr- Anſtalten. Wie weit auch in ihrer Ausbildung hinter den übrigen Disciplinen 
der Heilkunde zurückgeblieben, hat doch die Gebuctshülfe in neueſter Zeit verhältnißmäßig 
größere Fortſchrritte als jene gemacht. Ihre Entwickelung hemmend, trugen der Despo— 
tismus des Klerus, der herrſchende Zeitgeiſt, der Volks- und Aberglaube, die Geſetz— 
bücher, ja die Aerzte ſelbſt die Schuld ihrer früheren Verkümmerung. Erſt ſeit 1740, 
bis zu welcher Zeit in Schleſien keine Hebammen-Schulen und noch weniger eigentliche 
Lehr-Anſtalten der Geburtshülfe beftanden, wurden jene und im Fortgange der Zeit auch 
dieſe errichtet. Unter den Männern, welche ſeitdem die Geburtshülfe theils praktiſch 
ausgeübt, theils in Wort und Schrift gelehrt und um die Ausbildung der Geburt shülfe 
wie der Geburtshelfer in gleichem Maße ſich verdient gemacht haben, verdienen, außer 
Thebeſius in Hirſchberg und Oelsner in Ohlau, beſonders noch in Breslau der Zeit— 
folge nach Neubauer, Morgenbeſſer, Zirzow, und, ſeit 1811 als Lehrer der Geburtshülfe 


— W4 —— 


an der hieſigen Königl. Univerſität, Mendel, Andrée und endlich Betſchler genannt zu 
werden. Letzterem gebührt das dankbar anzuerkennende Verdienſt, neben der früher be— 
ftandenen ſtabilen Lehr-Anſtalt im Jahre 1828 noch ein ambulatoriſches Inſtitut errich— 
tet und ſo dem Intereſſe der Studirenden wie der hülfsbedürftigen Leidenden gedient zu 
haben. In dieſen 8 Jahren wurden in daſſelbe 5734, dagegen in die ſtabile Lehr-An— 
ſtalt ſeit dem 14ten Juni 1814 bis ult. December 1836, alſo in einem 3 Mal ſo 
großen Zeitraume, nur 4082 Individuen aufgenommen. 


Den 2. Juni theilte Herr Dr. Seidel mehrere ſeltenere Krankheitsfälle 
aus ſeiner Praxis mit. Nachdem er in wenigen Worten die Schickſale und den 
Wechſel der Syſteme der praktiſchen Medicin angedeutet und die Kriterien derſelben, als 
einer, im Verlaufe der Zeit geſchichtlich begründeten, über alle Syſteme erhabenen Er— 
fahrungswiſſenſchaft angegeben hatte, lenkte er die Aufmerkſamkeit auf den Mesmeris— 
mus, deſſen therapeutiſche, nur auf einzelne Fälle zu beſchränkende Anwendung eine um 
ſo größere Vorſicht erheiſche, als ſein früher häufiger Mißbrauch ihn in Mißcredit ge— 
bracht und ſeine zahlreichen Gegner vermocht habe, ihn als einen, jeder fernerweitigen Un— 
terſuchung unwürdigen Gegenſtand zu verdächtigen und ohne Weiteres aus dem Gebiete 
der praktiſchen Medicin zu verweiſen. Doch ſpreche fo Vieles für denſelben, als daß er 
der Vergeſſenheit übergeben zu werden verdiente. So wie bei der mesmeriſchen Cur 
durch Vermittelung des Sonnengeflechts die Thätigkeit des Gemüths- und Ganglien-, 
nicht aber des rein geiftigen Lebens, der Intelligenz, actu geſteigert wird, fo zeigt ſich 
auch theils ſchon während, theils als wohlthätige Folge derſelben eine Rückkehr der nor— 
malen Thätigkeit des Nervenſyſtems. Von beſonderem Intereſſe waren zwei, von Hrn. 
S. erzählte Fälle, in welchen die, von ihm mesmeriſirten Kranken, deren einer, ein 
Student der Theologie auf hieſiger Univerſität, ohne deutliche Veranlaſſung an täglich 
wiederkehrender Epilepſie, die andere, ein 17% Jahr altes, ſeit früheſter Kindheit 
kränkelndes und feit feinem ten Jahre durch das Eindringen einer Stricknadel in das 
linke Auge auf dieſem vollkommen amaurotiſches Mädchen, an proteusartigen Krämpfen 
bald kloniſcher, bald toniſcher Art litt, endlich in den Zuſtand des, bei letzterer bis zur 
Ekſtaſe geſteigerten Hellſehens (elairvoyance) verſetzt und alle hier angedeute— 
ten, bereits ſeit langer Zeit beſtandenen Zufälle glücklich gehoben wurden. Beſonders 
merkwürdig iſt die gleichzeitige Heilung der ſo lange beſtandenen Amauroſe durch die 
äußere Anwendung einer, von der hellſehenden Patientinn desfalls angegebenen und ihren 
ſinnlichen Eigenſchaften nach genau bezeichneten Miſchung von Tinct. Opii und Aqua 
amygdal. amarar. — Derſelbe brachte auch zwei, von ihm beobachtete Fälle 
von ſimulirten Krankheiten zur Kenntniß der Verſammlung. Der eine Fall 
von epilepsia diurna betraf ein 20jähriges, robuſtes, wie ſich ſpäter ergab, ſtets trä— 
ges, zur Arbeit ſchwer zu bewegendes Dienſtmädchen, welches in der mediciniſchen Klinik 
der hieſigen Univerſität mehrere Wochen hindurch ohne allen Erfolg behandelt wurde, bis 


— 4 —— 


es endlich, einer Simulation verdächtig und desfalls von Hrn. S. mit dem Glüheiſen 
bedroht, aus Furcht vor dieſem den Ausbruch der Krämpfe zu hindern verſprach und 
dieſe von Stunde an nicht mehr wiederkehrten. In dem anderen hieher gehörigen Falle 
ſollte eine, im Magen lebende, angeblich während des Schlafes durch den offenen Mund 
in denſelben gekommene Otter (coluber natrix) die ſonderbare Veranlaſſung zu den 
kloniſchen Krämpfen beſonders der unteren Extremität ſeyn, durch welche ein 33jähriges 
armes Landmädchen fo großes Aufſehen machte und fo allgemeine, ein gemächliches Aus— 
kommen ihm ſichernde Theilnahme erregte. Auch hier wurde der, ſeit mehreren Jahren 
geſpielte Betrug dieſer ſo merkwürdigen, Jahre lang mit ſtarken abführenden, Wurm 
treibenden, auflöſenden und Krampf ſtillenden Mitteln vergebens behandelten Kranken 
nach ihrer Aufnahme in die hieſige mediciniſche Klinik durch Hrn. S. entdeckt. Als fie 
endlich einer ſich allmählich ausbildenden phthisis pulmon. tuberculosa unterlag, 
fand man bei der Section zwar die Lungen desorganifirt, aber im Darmkanal A 
Spur einer Amphibie. 


Den 7. Juli las Herr Dr. Burchard I.: Ueber die Gebärmutter-Po— 
lyp en. Zuvörderſt von den organiſchen Krankheitszuſtänden der weiblichen Genitalien 
im Allgemeinen ſprechend, machte er auf die Beſtrebungen der neueren Zeit aufmerkſam, 
ſie ſchärfer von einander zu diſtinguiren, je nachdem ſie nämlich in krankhafter Umände— 
rung der normalen, oder in Erzeugung abnormer Gebilde beſtehen. Früher wurde eine 
nicht geringe Menge derſelben zu den Polypen gezählt, die, wie Levret zuerſt zeigt, dahin 
gar nicht gehört. Die gewöhnliche (formelle) Eintheilung in Schleim- und Fleiſch-Po— 
lypen der Gebärmutter könne uns um ſo weniger genügen, als dieſe ſich nicht nur in 
Abſicht ihrer morphologiſchen und hiſtologiſchen Verhältniſſe und pathogenetiſchen Erſchei— 
nungen, ſondern auch ihrer Prognoſe und Cur weſentlich von einander unterſcheiden, wie 
häufig ſie auch mit einander verwechſelt werden. Wie alle anderen organiſchen Krank— 
heitszuſtände der Gebärmutter, beruhen auch ſie auf einer, durch eine vorherrſchende Ver— 
ſtimmung der Bildungs fähigkeit (pseudoplasis) begründeten Anomalie der vegetativen 
Sphäre des geſammten Sexual-Syſtems. Mit dieſer qualitativ abnormen Productivi— 
tät find wie einer Seits allerlei Desorganifationen bald nur einzelner Gegenden, bald 
des Organs in feiner Totalität, fo auch anderer Seits die Paraſiten-Bildung (organi- 
satio aliena) gegeben, zu welcher eine theils angeborne, theils erworbene Dyskraſie 
und die klimakteriſchen Jahre beſonders geneigt machen. Zur genaueren Betrachtung der 
beiden vorgedachten Gattungen der Fleiſch- und Schleim-Polypen der Gebärmutter ſelbſt 
übergehend, gab dann Hr. B. die charakteriſtiſchen Unterſcheidungszeichen und pathogno— 
moniſchen Erſcheinungen einer jeden derſelben umſtändlich an. Durch wiederholt ange— 
ſtellte morphologiſche und hiſtologiſche Unterſuchungen glaubt er die Ueberzeugung gewon— 
nen zu haben, daß beide Gattungen von Excrescenzen über die Schleimhaut der Gebär— 
mutter pseudoplasmata von ganz verſchiedener Art, und daher auch in pathologiſcher 

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wie in diagnoſtiſcher Hinſicht von einander wohl zu unterſcheiden ſind. Wiewohl allerlei 
hyſteriſche Beſchwerden, eine vielleicht ſpecifiſche Dyskraſie, die veränderte Vegetation 
des Organs ſelbſt, ein, von ihm beobachteter periodiſcher Häutungsproceß u. ſ. w. auf 
das Vorhandenſeyn eines ſolchen Paraſiten mehr oder weniger hindeuten; ſo dürfte doch 
nur die aufmerkſame Unterſuchung mittelſt des Gefühls und Geſichts darüber Gewißheit 
geben. Zu den, auf einer niederen Stufe der pseudoplasis ſtehenden Paraſiten gehö— 
rend, iſt der Fleiſch-Polyp ein Paraſit mit peripheriſchem, an das Organ gebundenen 
Leben, während der, mit Unrecht zu den Pſeudogenerationen gezählte Schleim-Polyp 
nichts Anderes, als eine Degeneration der Schleimhaut iſt. 


Herr Dr. Goldſchmidt theilte mehrere Fälle von erysipelas recens- 
natorum mit. Der eine Fall von erysipelas congenitum betraf einen, eine Stunde 
vor Ankunft des herbeigerufenen Hrn. G. gebornen Knaben, deſſen genauere Betrachtung 
eine, unterhalb des Nabels anfangende, über die Inguinalgegend, die Geſchlechtstheile 
und die beiden unteren Extremitäten ſich verbreitende Röthe wahrnehmen ließ, welche, 
bei einem Druck ſich verlierend, augenblicklich wiederkehrte, ſobald dieſer nachließ; das 
Geſicht, der Hals, die Bruſt, die oberen Extremitäten, der Rücken und der obere Theil 
des Unterleibes waren ganz frei; die ergriffenen Theile fühlten ſich härtlich an und wa— 
ren geſchwollen, ihre Temperatur bedeutend erhöht, das Fieber aber mäßig; das ſehr 
unruhige, wimmernde Kind nahm im Laufe des Tages nicht die Bruſt und ſchlief gar 
nicht. Unter dieſen Umſtänden war die Prognoſe um ſo ungünſtiger zu ſtellen, als in 
den Abendſtunden des folgenden Tages auch Convulſionen eintraten. Nichts deſto weni— 
ger wurden nicht nur dieſe, ſondern auch der fieberhafte Zuſtand durch Anwendung 
zweckdienlicher Mittel beſeitiget und das Kind zwar geheilt, leider aber, von ſeiner Amme 
angeſteckt, ſpäter ſiphylitiſch und ſeitdem atrophiſch. — In den drei anderen, hieher 
gehörigen, von dieſem erysipel. congenit. wohl zu unterſcheidenden Fällen erkrankten 
die Kinder von respective dem Eten bis Iten Tage nach der Geburt. 


Den 4. Auguſt theilte Herr Dr. Seidel mehrere praktiſche, ihrer Sel— 
tenheit wegen beſonders beachtenswerthe Fälle mit. 1) Einen Fall von 
deutlich ausgeprägter febr. intermitt. octana, deren, drei Freitage nach ein— 
ander zu derſelben Stunde eingetretener Paroxysmus nach Anwendung des, gegen die 
Zeit feines muthmaßlichen (vierten) Eintritts in ſtarken Gaben gereichten Chinins nicht 
mehr wiederkehrte. 2) Einen Fall von metrorrhagia intermittens. Es 
betraf derſelbe eine 46jährige, übrigens geſunde und regelmäßig menſtruirte Frau, welche 
8 Tage nach Beendigung ihrer Regeln unter einem leichten Froſte, Kopf- und Rücken⸗ 
ſchmerzen ohne aufzufindende Veranlaſſung eine bedeutende Menge Blutes aus der Gebär— 
mutter verloren und drei ſolche Anfälle über den anderen Tag genau um dieſelbe Zeit 
erlitten hatte. Auch hier wurde durch das Chinin in hinreichender Gabe die Wiederkehr 
des Anfalles verhütet und Patientinn geheilt. 3) Beobachtung eines Falles von 


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plötzlich eintretender und oft Tage lang dauernder und eben fo plötz— 
lich wieder aufhörender vollkommener Stimmloſigkeit (aphonia). Bei 
übrigens ungeſtörtem Vonſtattengehen aller Functionen verliert die davon befallene 
38 jährige Patientinn ohne alle äußere Veranlaſſung oft mitten in der Rede momentan die 
Fähigkeit, auch nur einen unarticulirten Laut hervor zu bringen, und muß ſich durch ſicht⸗ 
bare Zeichen verſtändlich machen. Unter allen, gegen dieſes ſeit 6 Jahren beſtehende, 
von Hrn. S. wenigſtens eben ſo oft behandelte eigenthümliche Nervenleiden in Gebrauch 
gezogenen Mitteln ſchien eine solutio zinc. muriatic. in spirit. muriatico-aether. den 
Anfall am meiſten abzukürzen. 4) Heilung eines chroniſchen, Jahre lang 
beſtandenen Rheumatismus des rechten Kniees mittelſt Anwendung eines 
Pflaſters von Terebinth. cocta und eines, durch daſſelbe in Form eines erysipelas 
vesiculos. erregten, von Fieber, Geſchwulſt, Röthe, Schmerz und allgemeiner Abſchup— 
pung begleiteten Exanthems. 5) In einem Falle von physconia hepatis und 
ſehr geſtörter Gallen-Abſonderung wurde die daran Leidende durch eine Pillen-Maſſe 
aus Terpenthin, Rheum und Seife und den längeren Gebrauch friſch ausgepreßter Kräu— 
ter⸗Säfte (suce. herb. Millefol. und Chelidon. major.) vollſtändig geheilt. 6) Bei 
einer, zum fünften Male ſchwangeren Frau beobachtete Hr. S. nicht nur an den unteren 
Extremitäten, ſondern auch ſpäter am Unterleibe, an den Armen, den Brüſten, am 
Halſe, ſelbſt am behaarten Theile des Kopfes von Woche zu Woche an Zahl und Größe 
zunehmende varices. Wie bedenklich der Zuſtand der Schwangeren auch war, ſo wurde 
ſie doch zu rechter Zeit nicht allzuſchwer und ohne bedeutenden Säfteverluſt von einem 
ziemlich gut genährten Kinde entbunden, welches aber kurz nach der Geburt ſtarb. Bald 
darauf trat auch bei immer mehr ſinkenden Kräften der Tod der Entbundenen ſelbſt ein, 
ohne daß durch die nicht geſtattete Section die eigentliche Todesurſache näher nachgewieſen 
werden konnte. 7) Für die Wirkſamkeit hinreichend großer Gaben des Extract. Conii 
macul. gegen photophobia scrophulosa ſprechen mehrere, von Hrn. S. desfalls mit— 
getheilte Beobachtungen. Er läßt 3) deſſelben in 3) ag. destillat. aufgelöſt täglich zwei 
Mal je nach Verſchiedenheit des Alters zu 6— 8 — 10 — 12 Tropfen p. d. nehmen und 
in hartnäckigen Fällen wohl bis 30 Tropfen ſteigen, ohne jemals den Eintritt narkoti— 
ſcher Erſcheinungen bemerkt zu haben. 8) Die Mittheilung eines intereſſanten, von ihm 
mittelſt der täglich dreimaligen Anwendung der Salpeter-Salzſäure (zu 5 Gutt. p. d.) 
geheilten Falles von, bis zu theilweiſer Zerſtörung einzelner Gebilde bereits vorgeſchritte— 
ner dyscrasia siphylitica, gegen welche zwei Jahre lang die verſchiedenen Mercurial— 
Präparate, das ſalzſaure Gold und die Louvrier'ſche Schmier-Cur, anderer Mittel nicht 
zu gedenken, vergebens angewandt wurden, machte den Beſchluß ſeines Vortrages. 


Herr Dr. Lüdicke theilte die Beobachtung eines Falles von asthma 
aus einer beſonderen Urſache (asthma libidinosum) mit. Es betraf derſelbe 
einen 60jährigen Mann, der von Zeit zu Zeit Anfälle von asthma erlitt, welches von 

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Hrn. L. bis zur genaueren Ermittelung ſeiner Urſache als durch Hämorrhoidal- und 
gichtiſche Beſchwerden metaſtatiſch begründet angeſehen und dieſer Anſicht gemäß, wies 
wohl ohne allen Erfolg behandelt wurde. Durch Zufall entdeckte er, daß Patient, der, 
wie er verſicherte, aus Furcht vor ſiphylitiſcher, wie vor 10 Jahren erlittener Anſteckung, 
ſeitdem ſo wenig ein weibliches Weſen berührt als Onanie getrieben habe, ſeine ſinnliche 
Luſt durch das oft Stunden lange Zeichnen unzüchtiger Scenen und durch das Leſen ſol— 
cher Bücher befriedige. Durch derartige, Wochen lang dauernde, wenn auch angeblich 
nicht von Säfteverluſt begleitete Sinnesaufregungen hervorgerufen und unterhalten, 
wurde das fragliche, durch Arzneien vergebens bekämpfte asthma durch den ernſten Wil— 
len des Patienten geheilt. Ueber den nachtheiligen Einfluß, welchen von der Phantaſie 
beliebigſt geſchaffene wollüſtige Bilder auf den ganzen Organismus haben können und 
unter Umſtänden haben müſſen, belehrt, läßt er ſich nicht mehr von den Bewegungen ſo 
niedriger Sinnlichkeit beherrſchen und erfreut ſich ſeit einem Jahre ſeines früheren Ge— 
ſundheitswohls. — Hr. Dr. L. theilte ferner die Geſchichte eines, von ihm beobachteten 
Falles mit, in welchem ein, während der Pflege eines rotzkranken Pferdes von dieſem 
angeſteckter Mann, deſſen von Fieber, Halsſchmerzen und einem eigenartigen Exanthem 
begleitete Krankheit Hr. L. der Form und dem Verlaufe nach genau beſchrieb, nach einer 
vielwöchentlichen Behandlung mit ausleerenden Mitteln, Mineralſäuren, Antimonialien 
und Mercurialien und endlich auch, um dem, während des Gebrauches des Sublimats 
eingetretenen Ptyalismus zu begegnen, mit Kali hydroiodinic., wieder hergeſtellt wurde. 


Den 8. September machte Herr Prof. Dr. Göppert, mit Bezugnahme auf einen 
früheren (den 7. April d. J.) von ihm über denſelben Gegenſtand gehaltenen Vortrag, 
Mittheilungen über das organiſche Princip in warmen Quellen, meh— 
rere Arten von Algen (Oscillatorien) aus den Karlsbader und Landecker Thermen der 
Verſammlung vorlegend und ſie theils unter dem Mikroſkope, theils in mikroſkopiſchen 
Abbildungen, außerdem aber noch eine moxa artemisia Bataviensis (eine spec. arte- 
mis. Indic., deren wolligen Ueberzuges man ſich in China als Moxa bedient) vorzeigend. 


Herr Dr. Lüdicke theilte einen, vor Kurzem mit einem zweiten Collegen beobach— 
teten, durch Tabaks rauch-Klyſtiere geheilten Fall von volvulus mit. 
Ein 37jähriger Mann hatte ſich im Auguſt d. J. durch den zu reichlichen Genuß von 
Gurkenſalat und dazwiſchen getrunkener Milch einen Brechdurchfall zugezogen. Obwohl 
nach 15 breiartigen, ſehr fäculenten Leibesöffnungen die Diarrhoe endlich ſiſtirt wurde; 
ſo dauerte doch das, von jetzt an von Leibesverſtopfung begleitete Erbrechen ſo hartnäckig 
fort, daß der Krankheitszuſtand bedenklich wurde und alle Erſcheinungen des ileus 
(miserere) darbot. Bei der gänzlichen Unwirkſamkeit aller, desfalls in Gebrauch ge— 
zogenen inneren und äußeren Mittel wurde noch mittelſt eines eigenen, von Hrn. L. vor— 
gezeigten Apparats die Anwendung von Tabaksrauch-Klyſtieren und zwar mit ſo günſti— 


gem Erfolge verfucht, daß nach dreimaliger Wiederholung derfelben innerhalb J Stunde 
endlich eine reichliche Stuhlausleerung von circa 18 Pfund M. G. bewirkt und durch fie 
nicht nur das Erbrechen augenblicklich geſtillt, ſondern quch die Gefahr ſchon in wee 
Tagen beſeitiget und Patient glücklich wieder hergeſtellt wurde. 


Herr Apotheker Lockſtädt theilte Bemerkungen über einige, in neuerer 
Zeit empfohlene Arzneimittel mit. Zuvörderſt ſprach er über die Schwierig⸗ 
keit der Darſtellung eines ſtets gleich ſtarken Bittermandelwaſſers und über die Ungleich— 
artigkeit des blauſauren Gehalts der ag. amygdal. amar. ſowohl als der aq. lauro- 
cerasi, mit Bezugnahme auf die, von Schrader, Düflos, Geiger u. A. desfalls ange— 
ſtellten Unterſuchungen, aus denen ſich ergebe, daß, abgeſehen von der Darſtellung dieſer 
Wäſſer ſelbſt, in Folge fortſchreitender Zerſetzung der Gehalt an Blauſäure in denſelben 
gemindert werde und ſie daher für kein durchaus unveränderliches Mittel zu halten ſeyen. 
Er zeigte dann durch Verſuche, wie nach dem, von Wöhler und Liebig (ſ. Annal. d. Pharm. 
Bd. 22, S. 28) gemachten Vorſchlage, durch die vollſtändige, binnen einigen Minuten 
erfolgende Zerſetzung des, von ihm vorgezeigten Amygdalins (eines in den bitteren Man— 
deln präexiſtirenden Stoffes, auf deſſen Darſtellung, Eigenſchaften, Beſtandtheile und 
Zerſetzungsproducte er aufmerkſam machte), mittelſt Waſſers und Emulſins (des Eiweißes 
der Mandeln) Blauſäure und Bittermandelöl dargeſtellt werden und auf dieſe Weiſe das 
Bittermandel- oder Kirſchlorbeer-Waſſer faſt augenblicklich friſch und ſo bereitet werden 
könne, daß mit der Anwendung eines ſolchen ſtets gleichförmigen Präparats auch eine, 
ihr entſprechende, ſichere Wirkung gegeben ſei. Die, von Wöhler und Liebig E 
gene Formel: Rpe: amygd. dulc. 3jj contund. c. Aq. font. ut f. emuls. 3j; in 
colat. solv amygdalin. gr. XVIj, ergibt gr. j waſſerfreie Blauſäure + gr. VIjj 
Bittermandelöl S 5j Aq. amygdal. amar. opt. — Er zeigte ferner das, in den Rinden 
der Wurzeln vorzüglich der Aepfel-, Pflaumen- und Kirſchbäume von de Koninck in Gent 
entdeckte und als febrifugum zu gr. X— XV p. d. empfohlene Phlorrhizin (von 
6 S os die Rinde und 7 fıca die Wurzel), fo wie einige stipites, Blüthen, Samen 
und Blätter der mikania guaco (eupatorium Lam. und Bompl.) aus der Familie 
der Corymbiferen vor, die nach den gewöhnlichen Principien von ihm angeſtellte Analyſe 
der näheren Beſtandtheile der stipites ſchließlich angebend. 


Den 6. Oktober berichtete Herr Geh. Rath Dr. Wendt über die dies jäh— 
rige 15te Verſammlung deutſcher Natur forſcher und Aerzte in Prag, 
und lenkte die Aufmerkſamkeit beſonders auf die, in der mediciniſchen Section, zu wel— 
cher faſt die Hälfte der geſammten, gegen 400 Mitglieder zählenden Verſammlung und 
unter dieſen die gefeierteſten Fachgenoſſen und viele Notabilitäten der gelehrten Welt ge— 
hörten, verhandelten Gegenſtände. In den ſieben Sitzungen der mediciniſchen Section, 
in denen die Herren Geh. Rath Harleß aus Bonn, Hofrath Kreyſig aus Dresden 
und Berichterftatter abwechſelnd den Vorſitz führten, wurden nicht nur einige und zwanzig 


150 


zuſammenhängende Vorträge über Gegenſtände aus den Gebieten der theoretiſchen und 
praktiſchen Medicin, der operativen Chirurgie, der Augenheilkunde und Geburtshülfe 
meiſtens in deutſcher, zum Theil auch lateiniſcher und franzöſiſcher Sprache gehalten und 
nach Maßgabe ihres größeren oder geringeren Intereſſes hinterher noch in mehr oder 
minder lebhafter Unterhaltung beſprochen, ſondern auch viele Schriften vertheilt und eine 
Menge einzelner intereſſanter Beobachtungen und werthvoller Notizen mitgetheilt. Unter 
Anderen wurden auch von einigen Mitgliedern, dem Protomedicus, Herrn Dr. v. Yen: 
hoſſék aus Ofen aus eigenen Mitteln 100 Ducaten als Preis für die befte Beantwor— 
tung einer, die Hundswuth betreffenden Frage ausgeſetzt und vom Stadt-Phyſicus, 
Hrn. Dr. Schimko aus Olmütz die Beantwortung der (nach Form und Inhalt unten “) 
unverkürzt wieder gegebenen) Frage: Welches iſt das beſte Nahrungsmittel? 
aufgegeben. Ein beſonderes Intereſſe gewährte ein, an Ort und Stelle beobachteter 
Fall von atresıa uteri, welche, als ſolche erkannt, mit glücklichem Erfolge operirt 
wurde; eben fo der ſeltene Fall eines foetus in foetu bei einem 6jährigen Mäd— 
chen, als dem Gegenſtande der Beobachtung, welchen Einige jedoch für eine monſtröſe 
Bildung (monstrum per excessum) gehalten wiſſen wollten, unb endlich ein Fall 
von, nach Angabe des Patienten bereits ſeit dem Jahre 1828 in ihren darauf bezüglichen 
Erſcheinungen beſtehender, wiewohl im Fortgange der Zeit geſteigerter und allgemein da— 
für gehaltener inflammatıo chronica caudae equinae. Schließlich theilte 
der Herr Berichterſtatter auch Einiges über die Verhandlungen der anatomiſch-zoologi⸗ 
ſchen Section mit. 


Herr Medicinal-Rath Dr. Ebers las: Ueber die Behandlung der Ver— 
giftung durch concentrirte Schwefelſäure mit Liquor Kali carbonic. 
in großen Gaben, mit Bezugnahme auf den, vom Herrn Apotheker Böttcher zu Meuſel— 
witz (ſ. Beiträge zur prakt. Heilk. von Clarus. 1. Hft. 1834) desfalls gemachten Vorſchlag. 


) Quodnam naturae productum principem inter alimenta hominis meretur locum, seu quae 
substantia in minimo volumine maximam continet materiae nutrientis mitis quantitatem, 
quae sine stimulo dynamico processum vitalem nimium vel incitante, vel retardante, eun- 
dem potenter sustentare valeat, quae digestu sit facilis, nullasque creet molestias abdomi- 
nales; ab ipsis edentulis probe mandueari, salivaque misceri possit, nec ventriculum de- 
bilem offendat, nec fortem ignavia corrumpat et relaxet. Saporis sit ejusmodi, de quo 
praevie asseri possit, eum omnibus hominibus gratum futurum; ab iis, qui nutrimento re 
vera egent copiosiore, imprimis ab adsuetis quotidie assumi possit, neque unquam nau- 
seam pariat; omnique aetati, sexui et conditioni hominum conveniat; pretio vili, et ubi- 
que haberi possit; sub omni coelo proveniat; non facile corrumpatur, atque per annos 
conservari possit; praeparatione simplici, igne, si velis, nullo indigeat, atque ut ad nu- 
triendum, ita et ad satiandum hominem exigua ejus opus sit quantitate. Denique omnes 
hae proprietates experientia demonstrandae, praevie ex proprietatibus ejus physicis et che- 
micis aliquomodo elucescant. 


—— Bl —— 


Wiewohl Hr. E. die früher ihm vorgekommenen derartigen Fälle mittelft Anwendung der 
erforderlichen Antiphlogoſe und des Gebrauchs der magnesia mit mehr oder weniger 
Glück behandelte; ſo hat er dennoch in vier ſolchen, in neueſter Zeit beobachteten Fällen 
die empfohlene Anwendung einer concentrirten Auflöſung des kohlenſauren Kali's verſucht. 
Mit Ausnahme des erſten ſo behandelten Falles, in welchem, ſeitdem die betreffende Pat. 
das Gift genommen, bereits 48 Stunden verfloſſen und die Kräfte derſelben zu erſchöpft 
waren, um noch Hülfe erwarten zu können, zeigte ſich, den darauf bezüglichen Mitthei— 
lungen zu Folge, das fragliche Mittel ſo wirkſam und hülfreich, wie es bereits die alte 
Erfahrung zumal in großen Gaben bezeichnet hat. Ohne ein Mittel, welches, wie die 
magnesia, fo große Autorität für ſich hat, verwerfen zu wollen, wies er nicht nur die 
Schwierigkeiten nach, welche der Anwendung derſelben zu gleichem Zwecke entgegen ſtehen, 
ſondern zeigte auch, daß durch ſie kaum ſolche Wirkungen als durch, ſelbſt längere Zeit 
fortgeſetzte große Gaben des lig. Kali carbonic. ſich erzielen laſſen. 


Den 3. November ſprach Herr Prof. Dr. Barkow, über verſchiedene Ge— 
genſtände aus der menſchlichen Anatomie im normalen Zuſtande, aus 
der vergleichenden und pathologiſchen Anatomie Mittheilungen ma— 
chend, zuerſt über die Vertheilung der Arterien am penis des Menſchen. 
Die arteriae dorsales ſowohl als profundae zeigen ihrem Urſprunge und Verlaufe 
nach viel Aſymmetriſches. Die arter. penis der einen Seite gibt zuweilen gar keine 
arter. dorsalis, und dieſe wird alsdann durch einen oder mehrere Zweige der arter. 
dorsalis der anderen Seite erſetzt. Ganz gewöhnlich iſt aber die eine arter. dorsal. 
ſtärker als die andere, und in der Mehrzahl der Fälle wird die Eichel größtentheils nur 
von einer arter. dorsal. mit Blut verſorgt, die in der Regel an der Seite der Eichel 
hinter der corona glandis in der Mitte zwiſchen der oberen und unteren Mittellinie, 
ſeltener der einen oder anderen näher, in die Eichel tritt, erſt die eine Hälfte derſelben 
mit Zweigen verſorgend, dann, über die Harnröhre zur anderen Seite gehend, ſich hier 
verzweigt. Die arter. gland. iſt alfo gewöhnlich eine Fortſetzung der arter. dorsal. 
dextra oder sinistra. Nur einmal fand Hr. B. bis jetzt die arter. dorsal. dextra 
und sinistra gleich ſtark in die Eichel tretend und über der Harnröhre zu einem Bogen 
fi) vereinigend. Auch die arter. corpor. cavernos. penis entſpringen und verlaufen 
gewöhnlich aſymmetriſch. Daß ein Aft als einzige arter. profund. penis in das corp. 
cavernos. penis feiner Seite tritt und dieſes ganz verſorgt, iſt ſelten; gewöhnlich tre— 
ten 2, 3, 4 oder ſelbſt noch mehrere Zweige nach einander für ſich in ein corp. caver- 
nos., nachdem fie entweder aus dem Stamme der arter. penis oder der arter. pro- 
fund. oder der arter. dorsal. ihrer Seite, oder aus der arter. dorsal. oder profund. 
der entgegengeſetzten Seite entſprungen find. Die hintere Anſchwellung des corp. ca- 
vernos. urethrae oder bulbus erhält conſtant an jeder Seite eine ſtarke Arterie entwe— 
der aus der arter. penis ſelbſt, oder ſeltener aus der arter. scrotalis posterior. In 


u — 


dem, zwiſchen dem bulbus und der glans liegenden ſchmäleren Theile des corp. caver- 
nos. urethrae verläuft an jeder Seite ein langer und dünner, durch Vereinigung von 
Zweigen der arter. dorsalis und profunda penis gebildeter Arterien-Bogen. — Sehr 
ausführlich beleuchtete Hr. B. die, von Johannes Müller entdeckten arteriae heli- 
cinae und die darauf gegründete Theorie der Erection, deren Weſentlichſtes auf fol— 
gende Punkte ſich zurückführen laſſe: 1) die kleineren, nicht zur Ernährung des Gliedes 
verwendeten Arterien, vorzüglich im hinteren Theile des corp. cavernos. penis und 
urethrae theilen ſich in Quaſten oder Büſchel, welche 2) aus kleinen erweiterten, an 
ihren Enden gekrümmten Arterien beſtehen. 3) Sind dieſe Enden blind und ergießen 
durch außerhalb der Erection unſichtbare Oeffnungen das Blut unmittelbar in die größe— 
ren Venenzellen. Nach Hrn. B. Unterſuchungen aber kommt dieſe quaſtenartige Ver— 
theilung nicht allein den kleineren, ſondern auch den größeren und mittleren Arterien des 
corp. cavernos. penis und urethrae zu, und die blinden Enden exiſtiren nicht. Er 
hat nicht nur die angeblich blinden Enden der arter. helicinae ſich in kleinere, engere 
Arterien fortſetzen, ſondern letztere wieder ſich in feinere Quäſtchen theilen und einzelne 
Verlängerungen ſogar Anaſtomoſen mit benachbarten Arterien bilden ſehen. Beim Neu— 
gebornen fand er zwar die quaſtenförmige Theilung und beſtätigte in ſo fern Krauſe's 
Beobachtung; doch konnte er die Erweiterungen hier bis jetzt nicht wahrnehmen, und iſt 
geneigt, die Erweiterungen, die er auch an den feineren Arterien-Netzen fand, welche 
die venöſen Zellen umſpinnen, alle aus einer gemeinſchaftlichen Urſache, nämlich aus einer 
Ausdehnung in Folge des, während der Erectionen verlangfamten Blutlaufs zu erklären. 
An den Erweiterungen der größeren Arterien iſt dieſe Entſtehungsweiſe ganz augenſchein— 
lich. So fand er z. B. die, ins corp. cavernos. penis dringenden Arterien-Aeſte, da 
wo ſie die dichte Sehnenhaut durchbohren und durch dieſe an der Erweiterung gehindert 
werden, ſehr eng und gleich nach ihrem Eintritte ins corp. cavernos. bedeutend erwei— 
tert. An dieſen ſehr lehrreichen, vom Hrn. Prof. B. an einem anderen Orte ausführ— 
licher mitzutheilenden Vortrag, welchem mehr als 30, von ihm nach injicirten Präpa— 
raten angefertigte illuminirte Abbildungen zur Erläuterung dienten, knüpfte er eine Mit— 
theilung ſeiner Unterſuchungen über Erweiterungen und Verengerungen 
der Arterien der Vögel. Erweiterungen mit gleichzeitigen Verdickungen der Wände 
find allgemein im Anfange der aorta bis zur Mitte zwiſchen dem Urſprunge der arteria 
anonyma dextra und arter. coeliaca. Ferner fand er Erweiterungen am oberen 
Ende der carotides communes, dem Urſprunge der carotis externa und interna 
beim Haushahn und der Taube mit gleichzeitiger Verdickung der Wände. An den ver— 
dickten Wänden der aorta fand er folgende Lagen von Häuten: 1) die äußere oder Zell: 
haut, 2) eine Schicht rother Längſtfaſern, 3) eine Lage elaſtiſchen Gewebes, 4) eine 
Schicht rother Längſtfaſern und 5) die innere Haut. Die Schichten rother Faſern fand 
er beſonders ſtark bei der Gans. Mit den Verdickungen der Wände der aorta ver: 
ſchwinden auch die rothen Fafern, die er auch an den verdickten Wandungen der Karotiden 


2 


fo wie an der, von Tiedemann entdeckten merkwürdigen Erweiterung der arter. mesen- 
terica superior der Gans vermißte. — Sodann zeigte er Präparate von Entartungen 
der placenta bei Meerſchweinchen und ſprach über die Bedeutung der vasa omphalo- 
meseraica, die beim Meerſchweinchen noch bei der Geburt außerordentlich ſtark ſind, 
gleichſam einen zweiten Nabelſtrang darſtellen und allein an das Chorion ſich verzwei- 
gen, zu dem von den eigentlichen vasis umbilicalibus keine Zweige gehen. — Ueber 
die Stimmloſigkeit des Igels (erinaceus europaeus) ſprechend, zeigte er an 
Präparaten die großen sinus laryngis, zu denen (an jeder Seite) nur eine ſchmale 
Spalte führt, durch welche aber die Luft wahrſcheinlich dringt, die Taſchen ausdehnt und 
ſo, die Höhle des Kehlkopfes im hohen Grade verengend, die Stimmloſigkeit bewirkt. 
In zwei Thieren, welche laut ſchrieen, als er ſie tödtete, war der Kehlkopf ungewöhnlich 
groß, ſonſt zeigte dieſer ſo wenig als die Klappe des weichen Gaumens etwas Abweichen— 
des. — Endlich zeigte er noch einen alten Igel mit erdigen Ablagerungen in den Mus— 
kelfaſern der verſchiedenſten Gegenden des Körpers, im linken Ventrikel des Herzens, im 
Zwerchfelle, in den Rücken-Muskeln, den musc. deltoid., den äußeren und inneren 
Intercoſtal⸗Muskeln u. ſ. w. mit der Bemerkung vor, daß er für jetzt nicht entfcheiden 
wolle, ob dieſe Umwandlungen der Muskelfaſern nur aus einfachen erdigen Ablagerungen 
oder aus wirklicher Knochenbildung beſtehen, da er ſie nach vorheriger Einwirkung von 
Säuren noch nicht unterſucht habe. N | 


Herr Dr. Krauß las: Was leiftet Karlsbad in der Gicht? Theils ei: 
genen, theils von Karlsbader Aerzten mündlich ihm mitgetheilten Beobachtungen zu Folge, 
iſt die heilſame Wirkung der dortigen Quellen in der Gicht um ſo weniger zu bezweifeln, 
als ſie als das Reſultat einer gleichmäßigen Beziehung zum Blut- und Nervenſyſtem an— 
zuſehen iſt. Da nämlich die Anlage der, als Kachexie zu betrachtenden Gicht auf einer 
Veränderung des inneren organiſchen Lebensprozeſſes oder auf einer veränderten Kraſis 
des Blutes mit gleichzeitiger Störung des Abdominal-(Ganglien-) Nervenſyſtems be— 
ruht; ſo vermögen die Karlsbader Mineral-Wäſſer durch kräftige Anregung der Lebens— 
thätigkeit des Ganglienſyſtems, fo wie durch ihren Einfluß auf die Säftebildung alle, 
mit jener Kachexie gegebenen abnormen Zuſtände auf eine eben ſo ſichere, als heilſame 
Weiſe zu ändern, ſo zwar, daß ſie, die kritiſchen Heilbeſtrebungen der Natur zugleich 
fördernd, die günſtige Richtung nach außen hin durch ſogenannte Ablagerungen unter— 
ſtützen. Am meiſten leiſten dieſe Thermen bei fortdauernd wachſendem Uebel, ohne daß 
ſich Spuren innerer Reaction gegen die Dyskraſie der Säfte wahrnehmen laſſen. Hieher 
gehören alle Formen der, entweder als unvollkommene, oder anomale oder larvirte Gicht 
ſich geſtaltenden dysarthritis, welche eine ſtreng durchgeführte Karlsbader Kur theils 
vollkommen zu entfernen, theils wenigſtens ſo zu reguliren vermag, daß dadurch oft 
lebensgefährlich bedrohte edlere Organe befreiet werden. Anderer Seits kann aber auch 
der unvorſichtige Gebrauch der Quellen nachtheilig und unter Umſtänden ſelbſt Gefahr 

20 


11 — 


drohend werden. Dieß iſt beſonders dann der Fall, wenn die Cur während eines, durch 
ſie hervorgerufenen acuten Gichtanfalles fortgeſetzt wird, und ſtatt kritiſcher Entſcheidung 
eine Metaſtaſe nach inneren edleren Organen erfolgt, wenn durch zu vieles und zu heißes 
Trinken der Natur keine Zeit zur Ausbildung eines regulären Gichtanfalles gelaſſen wird 
und wenn endlich der, ſchon bei ſeiner Ankunft zu ſchwache Kranke durch die Cur ſelbſt 
vollends ſeine Kräfte verliert. Die genauere Angabe der neueſten chemiſchen Analyſe der 
Karlsbader Quellen und die, ihr entſprechende Feſtſtellung der Anzeigen und Gegenanzei— 
gen, ſo wie einige Bemerkungen über die, im Laufe dieſes Jahres nach Art der Marien— 
bader und Franzensbrunner dort eingerichteten Moorbäder bildeten den Beſchluß dieſes, 
durch Mittheilung mehrerer hieher gehörigen Krankheitsfälle beſonders intereſſirenden 
Vortrages. 5 

Den 8. December las Herr Prof. Dr. Henſchel: Zur Geſchichte der Cho— 
lera in Breslau 1837. Erſter ſtatiſtiſcher Beitrag: die zeitlichen, 
localen und Erkrankungs-Verhältniſſe in numeriſcher Hinſicht. Zu— 
vörderſt die, von ihm mit vielem Fleiß und großer Sorgfalt angefertigten, auf die Ent— 
wickelung, Verbreitung und den Verlauf der diesjährigen Epidemie bezüglichen Darſtel— 
lungen vorlegend, bemerkte derſelbe, daß er ſeiner Arbeit die amtlichen (Polizei-) Berichte 
zu Grunde gelegt und durch zweckdienliche Benutzung derſelben die, von ihm mitzuthei— 
lenden Refultate erlangt habe. Zu den ſpecielleren Angaben ſelbſt dann übergehend, be— 
trachtete er der Reihe nach: 1) die Erkrankungszeit in der diesjährigen Epidemie 
mit ihren verſchiedenen Perioden und Zeitabſchnitten. Von ihrem erſten Anfange, dem 
23. Mai bis zu ihrem Ende, dem 12. Oktober d. J., hatte die Krankheit 143 Tage, 
alſo bis in die 21ſte Woche, mithin ſo viele Wochen gedauert, als eine acute Krankheit 
Tage zu dauern pflegt. Mit vereinzelten Erkrankungen beginnend und eben ſo endigend, 
bildete ſie eine ſporadiſche Vor- und Nach-Epoche, in deren Mitte die, die 
epidemiſche Zeit der Krankheit zu nennende größte Breite derſelben fällt und eine 
große Menge gleichartiger Erkrankungen vorkam. 2) Die Erkrankungsorte nach 
den Straßen, Gaſſen und Plätzen der Stadt und Vorſtadt. 3) Die Erkrankungs— 
zahl mit gleichzeitiger Rückſicht auf die Verſchiedenheit des Alters, Geſchlechts, Standes, 
Gewerbes, der Lebensart u. ſ. w. Intereſſant beſonders iſt die Thatſache, daß unter 
1154 erkrankten Perſonen nur drei Krankenwärter in einem Hoſpitale, in welchem 
345 Cholera-Kranke verpflegt wurden, drei Todtengräber, welche zuſammen 627 Cho— 
lera-Leichen begruben, und keiner der 100, jene 1154 Individuen behandelnden Aerzte 
erkrankten. 4) Endlich den, nach dem Urſprunge und dem Fortgange der Krankheit zu 
unterſcheidenden (numeriſchen) Erkrankungsgang. Auf dieſe, hier nur in aller Kürze 
angedeuteten, im Zuſammenhange des Vortrages umſtändlich erörterten und als eben ſo 
viele Thatſachen anzuſehenden Erkrankungs-Momente gründet nun Hr. Prof. H. die 
Anſicht, daß der Gang, welchen die Krankheit bis zur Vollendung ihres Kreislaufes 
(eyclus) genommen, kein anderer als der der Oscillation (des wechſelsweiſe auf 


— 155 — 


einander folgenden Steigens und Fallens ſowohl in den Zeiten der Exacerbation als Re— 
miſſion) geweſen, und daß ein ſolches allgemeines, den ganzen Gang der Erkrankung in 
dieſer Epidemie tief geſetzlich durchdringendes, gleichſam organiſches Oscillations-Ver— 
hältniß nicht zu verkennen ſei.— 


Herr Prof. Dr. Göppert theilte einige Bemerkungen über das Wiederwarm— 
werden der Cholera-Leichen mit. Dieſe Erſcheinung biete ſich dem aufmerkſa— 
men Beobachter unmittelbar nach dem, an der cholera asphyctica oder exquisita 
erfolgten Tode, nicht ſelten auch in Verbindung mit einer Ausdehnung der krampfhaft 
zuſammengebogenen Glieder dar. Nur bei Unkundigen leicht Verdacht des Scheintodes 
oder möglichen Wiedererwachens zum Leben erweckend, erfolge jene, auf rein phyſikali— 
ſchen Gründen beruhende Erwärmung nach dem bekannten Geſetze der Wärmeleitung. 
Dem zu Folge entſtröme die, im Inneren des (todten) Körpers vorhandene, die Tempe— 
ratur der, denſelben umgebenden Atmoſphäre immer noch um mehrere Grade überſteigende 
Wärme und ſuche ſich ins Gleichgewicht zu ſetzen. Hiedurch eben werde die, in der Cho— 
lera wie in anderen Krankheiten zu beobachtende, wenn auch nur kurze Zeit nach dem 
Tode währende Erwärmung wie des Rumpfes ſo auch der Extremitäten vermittelt und 
auf dieſe Weiſe das fragliche Phänomen ſachgemäß erklärt. 


Durch das geneigte Vertrauen der hochverehrten Herren Mitglieder auch für die 
nächſt folgende Etatszeit zum Secretair der Section gewählt, kann Ref. dieſe Mittheilun— 
gen nicht ſchließen, ohne ſich der, ihm angenehmen Pflicht zu entledigen, Ihnen für die 
mannigfachen Beweiſe Ihres fo ſchätzbaren Wohlwollens, deſſen er ſich erfreuet, ergebenft 
zu danken, und die Verſicherung beizufügen, daß er durch treue und gewiſſenhafte Erfül- 
lung aller, mit dem Secretariats-Amte übernommenen Obliegenheiten Ihren Erwartun— 
gen zu entſprechen und ſomit auch die ihm neuerdings erwieſene Ehre zu verdienen nach 
Kräften bemüht ſeyn wird. 


Borkheim, z. 3. Secretair. 


20 * 


. 


Bericht 
uͤber 
die Thätigkeit der techniſchen Seetion 
Em e en nes . 


Die Fortſchritte Schleſiens im Fabrikweſen ſeit dem Jahre 1817 gewähren einen 
eben ſo intereſſanten als erfreulichen Anblick. Beinahe in allen Gewerben hat ſich ſeit 
dieſer Zeit, als der Periode, wo man ſich von den Widerwärtigkeiten des Krieges eini— 
germaßen erholt hatte, größere Anſtrengung, ein regeres Streben nach Vervollkommnung 
und eine verſtändigere Induſtrie an den Tag gelegt. Gewiſſe Gewerbe, die ſonſt weni— 
ger beachtet waren, wie das der Drechsler, Poſamentirer u. ſ. w., ſind bedeutungsvoller, 
ergiebiger und umfangsreicher geworden. Andere hat man auf eine rationale, und wenn 
man ſo ſagen darf, wiſſenſchaftliche Art zu betreiben angefangen, ſo daß aus bloßen me— 
chaniſchen Handwerkern denkende Gewerbetreibende geworden ſind, wie es z. B. in der 
Färberei, Seifenſiederei, Gerberei, in der Fabrikation der baumwollenen Gewebe und 
der Tuche geſchehen iſt. Das nehmliche iſt der Fall mit der Bebauung des Bodens und 
alle dem, was mit demſelben in Beziehung ſteht, der Viehzucht, inſonderheit der Schaf— 
zucht, ſo daß ihre gegenwärtige Geſtaltung mit der frühern kaum verglichen werden kann, 
obgleich der Fortſchritte noch größere zu machen ſeyn dürften. Dieſes allgemeine Fort— 
ſchreiten hat ſeinen Grund in der zweckmäßigern Einrichtung der Schulen und Bildungs— 
anſtalten, welche diejenigen Kenntniſſe und Wiſſenſchaften, die gewiſſen Gewerbsfächern 
zur Baſis dienen, mehr berückſichtigen und dadurch dem künftigen Gewerbtreibenden 
Materialien zum Nachdenken über ſein Gewerbe und die Art des beſſern Betriebes deſſel— 
ben darbieten. So ſind die Gewerbe allerdings auf eine höhere Stufe der Vollkommen— 
heit gehoben worden. Blieb nun der Schleſier in früherer Zeit in der Vervollkommnung 
ſeiner Fabrikate in einzelnen Zweigen zurück, ſo war hieran nicht der Mangel an Thätig— 
keit Urſache; denn thätig und arbeitſam war er ſtets, und es war ſein ernſtlicher Wunſch, 
die, welche von ſeinen Fabrikaten Gebrauch machten, nach Kräften zu befriedigen; aber 
er getraute ſich aus einer gewiſſen Schüchternheit nicht, ſogleich neuere Wege, wenn vom 
Auslande das Beſſere erſchien, einzuſchlagen; daher in der Zeit vor dem Jahre 1817 
nur wenig neue Fabriken gegründet, oder neue Gewerbe verſucht wurden; häufig war 


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man daher genöthiget, das Neuere und Beſſere aus dem Auskande zu holen. Sachſen 
3. B. ging immer in ſeiner Gewerbe-Kultur einen raſchern Gang, und behauptete nicht 
ſelten in ſeinen Arbeiten und Fabrikaten mit Recht den Vorrang. 

Dieſer Zuſtand hat ſich ſeit 20 Jahren gänzlich geändert; überall ſind nicht allein 
neue Fabriken entſtanden, ſondern die meiſten Gewerbe in einem hohen Grade vervoll— 
kommnet worden. Man werfe einen Blick auf unſere Kattunfabriken, und man kann 
ohne Prahlerei behaupten, daß ſie mit den engliſchen oder ſächſiſchen wetteifern. Die 
Tuchfabriken, denen das Land einen rohen Stoff von ſolcher Güte darbietet, daß er die 
Eiferſucht des Ausländers erregen kann, können ſich wohl mit Recht als Nebenbuhler mit 
den weſtlichen Bewohnern Europa's in ihren Erzeugniſſen meſſen. Iſt auch die kleinere 
Tuchmacherei, welche früher handwerksmäßig betrieben wurde, meiſtens untergegangen, 
ſo hat doch auch ſie an mehreren Orten einen höhern Schwung erhalten und ſich bedeu— 
tend vervollkommt. Eben ſo iſt es, wie ich bereits oben erwähnt habe, auch mit andern 
Gewerben gegangen. Das Gewerbe der Poſamentirer, welches ſich früher faſt auf bloße 
Knopfmacherei oder Verfertigung von Schnuren und Bändern einſchränkte, hat die völlige 
Natur einer kunſtreichen Fabrikbereitung angenommen, welche 65 ſtattlichſten Waaren, 
ſelbſt zum Ausputz bei Kunſtwerken, liefert. 

Die Eiſenfabrikation, ſo wie überhaupt die ganze Bearbeitung dieſes Metalls, von 
welchem Gewerbe ſie auch betrieben wird, hat auf gleiche Weiſe in Schleſien Fortſchritte 
gemacht, die in vieler Art beachtenswerth ſind. So iſt die Schmiedearbeit, in Abſicht 
der Federn, Achſen und der übrigen Nothwendigkeiten, welche dem Wagenbauer Bedürf— 
niß ſind, auch in vielen andern Beziehungen weit vollkommner geworden, als ſie ehedem 
war; auch die Schloſſerarbeiten haben ſich verbeſſert, und dabei hat die Wagenbauerei 
ſelbſt, die ſonſt nichts Ausgezeichnetes lieferte, jetzt einen verdienten Ruf erhalten. Welche 
bedeutenden Fortſchritte hat ferner die Roheiſen-Produktion nicht in Ober-Schleſien ge— 
macht! Die Eiſenwerke der Grafen Renard und Henkel von Donnersmark, der Für— 
ſten Hohenlohe, ja die königlichen Eiſenwerke zu Königshütte und mehrere andere, geben 
hiervon die beſten Beweiſe. — Die Stahlfabrik zu Königshuld hat ſich ſeit wenigen 
Jahren durch ihre Fabrikate allgemeinen Beifall erworben. Die dort gefertigten Geräthe 
des Landmanns, als: Senſen, Sicheln, Pflüge und mehrere andere Dinge, werden gleich 
den ausländiſchen geſucht, ſie bewähren ſich bei dem Gebrauche auf vorzügliche Weiſe 
und finden daher den ſtärkſten und beſten Abſatz. Vor allen andern aber verdient die 
in Breslau errichtete Maſchinen-Bau-Anſtalt der Herren Ruffer und Hoffmann eine eh- 
renvolle Erwähnung, welche alle die Maſchinen, die wir ſonſt aus England und andern 
Ländern bezogen, eben ſo gut und vollkommen liefert, wie wir ſie nur von dem Auslande 
erhalten konnten. 

Es iſt hier nicht der Ort, durch vollſtändige Anführung aller Thatſachen zu bewei— 
ſen, daß der Zuſtand der Gewerbe in den letzten Jahren ſich ungemein vervollkommnet 
habe; das Beigebrachte iſt ſchon hinreichend, darzuthun, daß ein weit größeres Streben 


— 158 —— 


nach Vervollkommnung in den Gewerben entſtanden iſt. Dieſes Streben, verbunden mit 
der dem Schleſier eigenthümlichen Betriebſamkeit, erweckte die gerechte Hoffnung, daß 
man in dem mit natürlichen Gütern ſo reich ausgeſtatteten Lande auch in den übrigen 
Zweigen des Gewerbes, in denen andere Länder noch den Vorrang behaupten, dieſen gleich 
zu kommen ſuchen werde, und die Mitglieder der techniſchen Section glauben eben dieſes 
Streben nicht beſſer unterſtützen zu können, als dadurch, daß ſie die neueſten Erfindungen 
und Verbeſſerungen des Auslandes zur allgemeinen Kunde bringen, auf deren Vortheile 
aufmerkſam machen und den Eifer, ſie nachzuahmen, einzuführen oder wenigſtens zu ver— 
ſuchen, anregen. Sie fühlen ſich daher auch zu der innigſten Dankbarkeit für die huld— 
reiche Unterſtützung verbunden, welche Ein Hohes Miniſterium des Handels und der 
Gewerbe ſowohl, als des Kultus ihnen auch in dem verfloſſenen Jahre gewährt hat. 
Durch ſie ſind ſie in den Stand geſetzt worden, die nothwendigen gewerblichen Zeitſchrif— 
ten anzuſchaffen und unter den Theilnehmern der Section in Umlauf zu bringen, damit 
dieſe ſich ſelbſt unterrichten, die gewonnenen Kenntniſſe und Anſichten in größern Kreiſen 
verbreiten und den Sinn für höhere Vervollkommnung beleben und nähren können. Eben 
ſo haben ſie durch dieſe Unterſtützung die Mittel erworben, chemiſchen Vorträgen, welche 
für einen großen Theil der Gewerbetreibenden von ſo großem Erfolge ſeyn können, um 
ihre Arbeiten auf eine rationellere Weiſe zu betreiben, und man könnte ſagen, in ihren 
geiſtigen Gehalt eindringen zu können, durch Verſuche Klarheit und Intereſſe zu geben. 
Sie finden ſich deshalb auf das dringendſte veranlaßt, dafür n innigen Dank öffent⸗ 
lich auszuſprechen. 


Herr Magiſter Mücke unterrichtete auch in dieſem Jahre mehrere Jünglinge, die 
ins Gewerbsleben übergingen, unentgeltlich im Zeichnen. Es waren deren 15 an der 
Zahl, und da der Lehrende mit höchſter Gewiſſenhaftigkeit zu Werke ging, ſo gewährten 
die Fortſchritte, welche die Lernenden machten, große Freude und Zufriedenheit. 


Die Vorträge derer, welche in den neun Verſammlungen des verfloſſenen Jahres 
ftattfanden, waren folgende, die wir hier in kurzen Auszügen mittheilen: 


I. Der Geheime Commercien-Rath Oelsner hielt folgende fünf Vorträge, und 
zwar: ! 
A. über Technologie. Er entwickelte zuerft, wie man den Begriff von Tech— 
nologie theils im Allgemeinen, theils im Speciellen zu nehmen habe. Die allgemeine 
Technologie zergliedere alle in den techniſchen Gewerben vorkommenden Verarbeitungs— 
Akte, und zeige, wie die verſchiedenartigſten Stoffe mit einander verbunden werden müſ— 
ſen, um gewiſſe beabſichtigte Zwecke zu verwirklichen. Doch ſtelle ſie nicht bloß dar, wie 
gleichartige und ungleichartige Stoffe mit einander vereinigt würden, ſondern auch wie 
andere wiederum von einander getrennt, manche verkleinert, andere vergrößert oder ver— 
dichtet werden können; kurz, wie alle Stoffe, die in den Gewerben vorkommen, Ge— 


— 19 — 


ftalt, Bildung und Schönheit erhalten. Er ging hierauf zu all den Gegenſtänden, 
womit ſich die allgemeine Technologie beſchäftige, über, und ſprach zuerſt über die Wir— 
kung und Anwendung der Kräfte, ſowohl der Menſchen als der Thiere, und ſetzte aus— 
einander, wie die Wirkung der Kraft des Thieres bei weitem die des Menſchen über— 
treffe; denn bei Laufrädern, worinn Menſchen oder Thiere die Umdrehung der Räder 
bewirken, ſei die des Eſels oder auch des Ochſen doppelt ſo groß als die eines Menſchen; 
die eines Maulthieres viertehalbmal und die eines Pferdes ſechsmal ſo groß. Nachdem 
derſelbe dieſe Verhältniſſe entwickelt und mit Beiſpielen belegt hatte, ging er zu den 
Kräften des Waſſers und Windes über. Er bemerkte, wie und auf welche Art der na— 
türliche Druck des Waſſers, insbeſondere bei Mühlenwerken, zum Betriebe derſelben zu 
benutzen ſei; wie bei Mehlmühlen durch Anlegung von zweckdienlichen Rädern das Waſ— 
ſer in den Stand geſetzt werde, auf unterſchlächtige ſowohl als oberſchlächtige Mühlräder 
am beſten zu wirken, und in wie fern das oberſchlächtige Waſſerrad vorzüglicher ſei als 
das unterſchlächtige. Nachher ſprach er von der Kraft des Windes und zeigte, daß ſie 
unter allen Betriebskräften, wenn man ſie bei Mühlen und Maſchinen zu gebrauchen 
ſuche, die unzuverläßigſte und ſchlechteſte ſei. Der Vortragende wendete ſich darauf zur 
Betrachtung der Dampfkräfte, als ſolcher, deren Gebrauch und Benutzung ganz allein 
dem Willen und der Dispoſition des Menſchen überlaſſen ſei, wogegen bei Waſſer- und 
Windkraft der Menſch von natürlichen Zufälligkeiten abhängig ſei. Er zeigte, wie die 
Dämpfe des ſiedenden Waſſers vermittelſt der Dampfmaſchinen zur Bewegung aller mög— 
lichen Maſchinen und zur Hervorbringung faſt aller nur denkbaren techniſchen Zwecke ge— 
braucht werden können. Das Waſſer verwandle ſich, indem es auf den Siedepunkt ge— 
bracht werde, nach und nach in Dämpfe, die ihrer Natur nach leichter als die atmoſphä— 
riſche Luft wären, ja 1500 mal leichter als das Waſſer, woraus fie entſtanden. Könnten 
fie nun aus dem Siedegefäße nicht entweichen, weil fie ſich in einem verſchloſſenen Keffel 
oder in einem andern Gefäße, welches mit einem Deckel feſt verdeckt wäre, befinden, ſo 
verdichteten ſie ſich, indem die Hitze in ihnen zuſammenbleibe, immer mehr und mehr, 
und gewännen dadurch an ausdehnender Kraft und Glaftieität. Vermöge dieſer ſuchten 
ſie mit großer Gewalt ſich in einem größern Raume auszudehnen, höben die ſchwerſten 
Maſſen in die Höhe, und wären im Stande, eine mit größerer oder geringerer Kraft, 
die man in ſeiner Macht habe, auf und nieder gehende Bewegung hervorzubringen, die 
man durch eine Menge verſchiedener Verrichtungen zu den mannichfaltigſten Zwecken be— 
nutzen könne. 


Der Vortragende ging nun auf die ſpecielle Technologie über, und zeigte, 
wie alle techniſchen Gewerbe ſich mit den Stoffen, die ihr Gegenſtand wären, in der Art 
beſchäftigen, daß ſie dieſelben durch alle Stufen bis zur beabſichtigten Vollendung ihres 
Fabrikates führen. Es gehörenl daher in ihr Gebiet die Geſammtheit der Gewerbe, und 
zwar: 


— 10 —— 


1) derjenigen, welche ihre rohen Stoffe aus dem Mineralreiche entnehmen, als: 
der Porzellan-, Glas- und Steingut-Fabrikation, auch Lithophanie; ferner Münz- und 
Uhrmacherkunſt, und die geſammte Eiſen- und Metall-Fabrikation u. ſ. w.; ! 

2) derjenigen, welche aus dem Pflanzenreiche ihre Grundftoffe ziehen, als: der 
Leinen- und Baumwollen⸗Fabrikation, der Zuckerſiedereien, Bierbrauereien, Branntwein⸗ 
brennereien, der Oel- und Eſſig-Fabrikationen, der Mehlbereitung und mehrere andere; 


3) derjenigen, denen das Thierreich die Stoffe liefert, als: der Wollen- und 
Leder-Fabrikation, der Seifenſiedereien, der Seiden-Manufakturen, der Darmſaiten⸗ 
und Federpoſen-Fabriken u. ſ. w. 


Eine Hauptaufgabe der ſpeciellen Technologie ſei, darzuthun und ET. wel⸗ 
chen überaus großen Einfluß das wiſſenſchaftliche Studium der angewandten Mathematik 
und der Naturwiſſenſchaften, inſonderheit der Chemie und Phyſik, auf eine bald leichtere, 
bald ſchneller fördernde, bald viel vollkommnere, gleichmäßigere Bearbeitung der verſchie— 
denartigen Stoffe der Fabrikation beweiſe. Es ſei kaum glaublich, welch eine Menge 
neuer Entdeckungen, wie viele Verbeſſerungen der Methode der Bearbeitung auf dieſem 
Wege in kurzer Zeit gemacht worden wären, und wie man zugleich eine weit größere Voll— 
kommenheit der Gewerbserzeugniſſe erreicht habe. Dampfmaſchinen zum Beiſpiel, welche 
die höchſte Betriebskraft, wo Waſſerkräfte oder andere mangelten, hervorbrächten, wären 
allein aus den Fortſchritten mechaniſcher Wiſſenſchaften hervorgegangen. Eben ſo hätten 
die Spinn- und Webemaſchinen, die Schnellpreſſen der Buchdrucker, die Scheer-, Operir— 
und Bürſtenmaſchinen, ſämmtliche Maſchinerien bei dem Münzweſen, ferner hydrauliſche 
Preſſen, die als Hülfswerkzeuge zu den mannichfaltigſten Erzeugniſſen angewendet wer— 
den, und viele andere Werkzeuge dieſer Art, den Naturwiſſenſchaften und der praktiſchen 
Mathematik allein ihr Entſtehen zu danken. 

Er warf daher noch einen Blick insbeſondere auf Chemie und Phyſik, und ent— 
wickelte, wie dieſelben in Verbindung mit einander vor allen andern den Einfluß auf 
Färberei wollener und baumwollener Waaren, auf Kattun- und Zeugdruckerei, auf das 
Schnellbleichen und andere in dieſe Fächer einſchlagende Beſchäftigungen, vorzüglich in 
neuern Zeiten, gehabt hätten, und wie durch ſie ſo unendlich vieles, z. B. das Schnell— 
bleichen, allein entſtanden wäre, da man vorher keine Ahnung davon gehabt hätte. Er 
nannte vor allen die Färbekunſt, als das Gewerbe, von dem man ſagen könne, es habe 
ſich, ſeitdem ſich daſſelbe ſo enge an die Chemie angeſchloſſen, zu einer Art von Wiſſen— 
ſchaft erhoben, und ſei gewiſſermaßen ſich feiner erſt bewußt geworden, ſeitdem es von 
einem bloßen mechaniſchen Treiben zu einer rationellen Bearbeitung ſeines Geſchäftes 
emporgeſtiegen ſei. Er zeigte, wie es beim Färben vorzüglich darauf ankäme, daß man 
die rechte Wahl der Farbematerialien oder Pigmente treffe, ihre Eigenſchaften und Wir— 
kungen, ſo wie ihre Verhältniſſe zu einander genau kenne und durch chemiſche Prüfungen 
ermittele, daß durch ſie auf den zu färbenden Gegenſtänden auch die beſtimmte Farbe 


— 161 —— 


erſchiene, und dieſe mit ihnen ſelbſt gleichſam ſich zu einem und demſelben Körper ver— 
ſchmelzten. Bei jeder chemiſchen Verbindung, alſo auch bei derjenigen des Färbens, ſei 
es aber nothwendig, daß einer von den Stoffen, welche dieſe Verbindung eingehen, ent⸗ 
weder der färbende oder der, welcher gefärbt werden ſoll, ſich im flüſſigen Zuſtande be— 
finde; oder daß wenigſtens ein flüſſiger Körper als Zwiſchenmittel zwiſchen beiden ange⸗ 
wendet werde und beide mit einander verbinde. Dieſe Auflöſung und Verbindung der 
Färbeſtoffe unter einander, welche durch dieſes Zwiſchenmittel hervorgebracht werde, heiße 
die Färbebrühe oder Färbeflotte oder das Färbebad. 

Er machte hierauf auf die nähere Verwandtſchaft und die ſchnellere und ſtärkere 
Einwirkung einiger Pigmente auf verſchiedenartige Zeuge aufmerkſam, indem manche 
Zeuge die Farben oder Pigmente ſtärker anzögen und feſter hielten, als andere. So 
z. B. hänge ſich größtentheils das Pigment an die Wollenzeuge feſter an, als an die 
baumwollenen; eben ſo an die ſeidenen Zeuge feſter, als an die leinenen Zeuge. Aus der 
Chemie lerne aber die Färbekunſt die Mittel kennen, dieſe Verwandtſchaft der Pigmente 
zu den zu färbenden Körpern zu verſtärken, und auch, wie man alle dieſe Fabrikate recht 
dauerhaft und ächt zu färben im Stande ſei. Er ließ ſich hierauf noch über das Beizen, 
als das Nothwendigſte beim Färben, aus, und nachdem er entwickelt hatte, wie Wärme 
eine jede chemiſche Verbindung befördere, gedachte er noch des Purpur, Blau und Gelb— 
färbens der verſchiedenartigen baumwollenen, leinenen und wollenen Gewebe, in Bezug 
auf die Leinen-, Wollen- und Baie ⸗Manufakturen, und ſchloß hiermit feinen 
Vortrag. 

B. Der Vortragende ſprach in der zweiten Verſammlung über Fabrikation des 
Pechs, Theers und Kienrußes und des damit verwandten Steinkohlentheers, 
zum Behuf der Dornſchen Bedachung. 

Er zeigte zuerſt, daß der Theer (pix liquida) ſchon Griechen, Römern, ja Mace— 
doniern bekannt geweſen und von ihnen auf mehrfache Weiſe angewendet worden ſei; 
wie uns denn auch Plinius vieles vom Gebrauch deſſelben erzähle. Er begriff aber unter 
dem Worte Theer ein jedes dickflüſſiges Gemenge von Harz und brenzlichem Oel aus 
Wurzelſtöcken von Nadelhölzern, als: aus Tannen, Fichten, Krummholz ꝛc., gezogen. 
Für den beſten Theer ſehe man den an, der aus den harzreichſten Nadelhölzern gewonnen 
würde. In den älteſten Zeiten, bemerkte der Vortragende, hätte man den Theer in 
Gruben verfertigt, oder, wie man es eigentlich nenne, geſchwehlt, und zwar in der 
Art, wie es heute noch die Schweden thun. Das Wichtigſte ſei immer bei dem Ver— 
fahren der Theerſchwehlerei, daß das Feuer nur glühe, ohne in Flammen auszu— 
brechen, weil ſonſt der Theer verloren gehen würde; bleibe indeß das Holz nur im glü— 
hend verglimmenden Zuſtande, ſo verlaſſe der Theer das Holz zuerſt dünnflüſſig, 
bald aber dickflüſſiger und zuletzt zäher. Er ſickere durch ſein Lager in eine Grube, von 
wo aus er durch eine Röhre oder Rinne in ein außerhalb der Grube befindliches Faß 
oder Gefäß geleitet werden könne. 

21 


— 162 


Ohngeachtet nun die Gewinnung des Theers in Gruben recht bequem ſei und ein 
gutes Erzeugniß liefere, ſo ſei ſie doch in ſo fern ſehr nachtheilig, als dadurch zu viel 
Theer verloren gehe. Man habe daher in neuern Zeiten durch Oefen, die man in thur m— 
artiger, cylindriſcher und kegelförmiger Geftalt errichte, die Operation des Abtheerens 
ſehr verändert, und ziehe, weil ſie viel gewinnreicher ſei, ſie allen übrigen, insbeſondere 
dem Theerſchwehlen in Meilern oder bloß in Haufen, welches man als die ſchlechteſte 
Methode anſehen könne, weit vor. 0 

Der Vortragende ging nun auf die Fabrikation des Theers ſelbſt über und zeigte, 
wie ſich durch die Zerſtörung der harzigen und ſalzigen Beſtandtheile des Holzes ſowohl 
das Sauerwaſſer als das Theer bilde. | 

Das Sauerwaſſer, auch Theergalle und Holzſäure genannt, ſei eine ſaure 
Flüſſigkeit, auf der ein fein fließendes Harz ſchwimme. Nachdem dieſes abgefloſſen, ent⸗ 
ſtehe der Theer, der dicker und von gelblicher Farbe ſei; zuletzt erſcheine aber der ſchwarze 
Theer, welches eigentlich derjenige ſei, den man vorzüglich benutzen könne. Alle dieſe 
Erzeugniſſe würden nun, nachdem der Theer dicker oder dünner, heller oder dunkler ſei, 
zu Wagentheer, Schiffstheer u. ſ. w. gebraucht, ſo wie man die Theergalle zu Reini⸗ 
gung des Eiſenblechs benutze. | 
6 Die verkohlten und gleichſam ausgebratenen Holzſtücke, welche nach dem Ausſchweh— 
len im Ofen zurückbleiben und als glänzende Kohlen erſcheinen, nenne man Pechgriefen, 
und verbrenne ſie entweder als Kohle, oder benutze ſie zu Kienruß. 


2) Der Vortragende ſprach hierauf über Pechſiederei, und entwickelte, wie das 
gelbe oder braune Theer noch nicht das gereinigte, ſondern ein Gemenge von ſchwach zer⸗ 
ſtörten Harztheilen des Holzes und den ätheriſchen, ölichten Theilen deſſelben ſei. Trenne 
man aber diefe feſten Harztheile von dem beigemengten Oele, ſo bilde ſich das Harz 
oder Pech. Dieſe Ausſcheidung beider Theile von einander ſei die Pechſiederei. Er 
erwähnte nun die vier Arten des Pechs oder Harzes, und zwar: 


1) des burgundiſchen Harzes oder weißen Pechs; 
2) des Geigenpechs oder Colophoniums; 

3) des gemeinen Harzes oder Pichpechs; 

4) des gemeinen Harzes oder Schiffspechs. 


Er ließ ſich über dieſe vier Arten von Pech ſo aus, daß er das weiße oder burgun— 
diſche Harz (resina alba, pix burgundica) als das reinſte, geläutertſte, von allen 
Unreinigkeiten befreiteſte darſtellte. Der Bildungsprozeß deſſelben ſei, daß man das 
Harz, welches im Frühjahre aus der Rinde des Fichtenbaumes herausſchwitze und man 
im Herbſt ſammle, in einem kupfernen Keſſel ſchmelze, durch Werg gieße, in der Kälte 
zu einer gelben harzigen Subſtanz erſtarren laſſe, und dann mit Waſſer oder Eſſig, wäh⸗ 
rend es noch im liquiden Zuſtande ſei, durchreibe. Werde nun das reinere weiße Harz 
nochmals geſchmolzen, bis alle inhärirenden Waſſertheile entwichen wären und es klar 


e, 


und durchſichtig ſchmelze; ſo entſtehe daraus das Colophonium oder Geigenpech. Das 
eigentliche Pech (pix) oder Schiffspech (pix navalis) werde bereitet, indem von ihm 
die anhängenden Oeltheile geſchieden würden und man den Reſt ſo lange abdunſten laſſe, 
bis die Maſſe erſtarrt ſei. | 

Er erwähnte hier noch des aus dem Theere entftehenden Kienöls (oleum pini) 
oder Krummholzöls oder Templinöls (oleum templini). 


3) Der Vortragende ging nun zur Kienrußſchwehlerei über, und bezeichnete 
den Kienruß (fuligo pini) als eine allgemein bekannte, lockere, leichte, kohlenartige 
Subſtanz, die zur Buchdruckerſchwärze und zu ſchwarzen Farben aller Art angewendet 
werde. Er entſtehe aus dem in der Kälte verdichteten Rauche, der ſich beſonders 
aus angezündeten harzigen Nadelhölzern oder aus brennendem Harze oder 
aus angezündetem Kienöl entwickele. Um nun den Kienruß entſtehen zu laſſen oder 
ihn aufzuſammeln, fände ein ziemlich ähnliches Verfahren wie bei dem Theerſchwehlen 
ſtatt. Man bediene ſich hierzu nehmlich eines Ofens mit einem ſehr lang hingeſtreckten 
Schornſteine, welcher ſich in eine luftdicht verſchloſſene, aus Brettern erbaute Kammer 
endige; dieſe habe nun in der Decke eine große Oeffnung, über welcher ein kegel— 
förmiges Sieb aufgeſtellt ſei. In dieſe Ofen würden nun harzreiche Kien— 
holzwurzeln oder überhaupt Wurzeln von harztragenden Bäumen und Pechgriefen 
gelegt, angezündet und verbrannt. Das Verbrennen der zum Ruß beſtimmten Subſtan⸗ 
zen müſſe jedoch ganz langſam geſchehen, und das Zuſtrömen der Luft ſorgfältig abgehal- 
ten werden, weil ſonſt der Rauch zu Aſche verbrennen würde, ohne Ruß zu bilden. Bei 
einem zweckmäßigen und regelmäßigen Verbrennen aber ſammle ſich der Rauch und ver— 
dichte ſich im hintern Theile der Kammer und des Siebes zu Ruß. Der feinſte Ruß ſei 
derjenige, der ſich in dem Siebe ſammle und Pfundruß genannt werde. In Ober— 
Schleſien brenne man einen Ruß aus Steinkohlen, der den Kienruß vollkommen erſetze. 


4) Er ging hierauf auf Steinkohlentheer und die Dorn'ſche Dachdeckung über. 
Der Steinkohlentheer werde eben ſo aus der Steinkohle fabricirt, als der Theer und 
Ruß aus den Kienſtöcken. Man bringe Steinkohlen in einen beſondern Verkohlungsofen, 
und zwar nicht, um bloß Coaks, ſondern auch alle Nebenprodukte des Deſtillations— 
Prozeſſes, als: Steinkohlentheer, Steinkohlenöl und ſaures Steinkohlen— 
waſſer und ein Gemenge von brennbaren Gasarten daraus zu ziehen. 

Die Steinkohle enthalte in ſich: Kohlenſtoff, Sauerſtoff und Waſſerſtoff, 
und außerdem eine erdige Beimengung verſchiedenartiger mineraliſcher 
Stoffe. Vorherrſchend bei ihr ſei das Bituminöſe, Fettige und Harzige. Sie 
ſei aus flüchtigen und feſten Stoffen zuſammengeſetzt, welche ſich durch trockne Deſtillation 
von einander ſcheiden laſſen. Die flüchtigen Stoffe würden nun gebildet zu Kohlen— 
waſſerſtoff-Gas, Oel erzeugendem Gas, Kohlenoryd-Gas, Kohlen— 
ſäure, zu Waſſer, Oel und brenzlicher Säure. 

21 * 


ee RR. 


Die feften Stoffe in der Steinkohle aber machten mit den erdigen Beftandtheilen 
den größten Theil des Kohlenſtoffes aus. Dieſe blieben nun als Steinkohle oder 
Coaks zurück. Der durch Deſtillation entſtandene, zur Syrup— Conſiſtenz eingedickte 
Steinkohlentheer gäbe allen Stoffen, mit denen er ſich verbinden könne, eine ungeheure 
Feſtigkeit, und bilde, wenn er mit trockner Erde, mit Aſche, Gerberlohe, Sand, oder 
auch mit Schlacken vermiſcht werde, nach geſchehener Trocknung eine dicke Cementlage. 
Dadurch erhalte er eine ſolche Undurchdringlichkeit gegen alles zuſtrömende Waſſer, daß 
derſelbe zu Kanal- und Waſſerbauten, nicht weniger zum Straßenbau, in genannter Ver⸗ 
miſchung, wenn drei Lagen deſſelben aufgetragen würden, völlig geeignet ſei, einen Kanal 
waſſerdicht und ſo feſt zu machen, daß ſeine Ufer vor dem Auswaſchen des Waſſers und 
der Waſſerfluthen geſichert wären. Bewieſen hätte dieſes der Engländer John Henry 
Kaſſel, welcher Steinkohlentheer und Steinkohlenöl nicht allein zum Kanal-, ſondern 
auch zum Straßenbau angewendet habe, worüber ihm auch den 19. April 1834 ein Pa⸗ 
tent ertheilt worden ſei. Auf beinahe ähnliche Weiſe habe nun der Fabriken-Commiſ— 
ſionsrath Dorn in Berlin das Steinkohlentheer zu einer neuen Art der Dachdeckung an— 
gewandt. Dieſe Dachdeckung ſei nach allen den Erfahrungen, die ſeit zehn Jahren nach 
ſeiner Anweiſung, die Dächer zu decken, gemacht worden wären, offenbar ſchützender bei 
Feuersgefahr, wohlfeiler und zur Gewinnung größeren und bequemeren Raumes nützlicher, 
als die gewöhnliche Bedachung, beſonders nachdem durch eine Menge Verbeſſerungen die 
erſte Erfindung eine größere Vollkommenheit erhalten habe. Für ländliche Wirthſchaftsge— 
bäude und Wohnungen des Landmanns ſei ſie viel zuträglicher, als das Strohdach, wel— 
ches gewöhnlich die Hütte des Letztern bedecke. Es ſchütze ihn nehmlich mehr bei Feuers— 
gefahren und ſei ungleich wohlfeiler ſelbſt als das Strohdach. Darauf gedachte der Vor— 
tragende noch der Vermiſchung des e mit andern Stoffen, und zeigte, 
wie und auf welche Weiſe die genannten Dächer gebildet ſein müſſen, indem er das Ge- 
haltvollſte, was in den Schriften über dieſen Gegenſtand von Dorn und Andern besagt 
worden, mittheilte und daher auf dieſe Schriften aufmerkſam machte. 


C. Ueber das Entſtehen der Tuchweberei und der aus derſelben hervor⸗ 
gegangenen Gewerbe, ſo wie über den Urſprung der Innungen und Zünfte in un— 
ſerer Provinz Schleſien. 


Der Vortragende erklärte zuerſt: daß, da dieſer Gegenſtand allein auf gefchichtli 
chen Angaben beruhe, er in der Behandlung deſſelben zum Theil hiſtoriſch würde zu 
Werke gehen müſſen; die Belege jedoch, auf denen die Angaben beruhten, an einem an- 
dern Orte anzuführen gedenke, da er fürchte, den Vortrag damit zu beläſtigen. 

In der Mitte des 12ten Jahrhunderts wäre Schleſien, als ein Theil Polens, größ- 
tentheils von Slaven bewohnt geweſen, die, wenn auch in manchen Gegenden noch Reſte 
von den alten Urbewohnern, den Deutſchen, aus Quadiſchen und Lygiſchen Stämmen vor⸗ 
handen geweſen, doch als das Hauptvolk und herrſchend erſchienen wären. Dieſe Slaven 


— 165 —— 


hätten ſich nun, wie aus Allem hervorginge, auf einer höchſt niedrigen Stufe der Kultur 
befunden, auch wahrſcheinlich nicht mit andern Völkern in Verbindung geſtanden, und 
ihre erſten und wichtigſten Bedürfniſſe aus dem Boden, auf dem ſie lebten, und von ih— 
ren Heerden gezogen. Ihre Kleidungsſtücke hätten ſie ſich, ſo wie es noch heute die Be— 
wohner in einigen Gegenden des innern Rußlands und Ungarns thun, aus den Häuten 
ihres Viehes oder aus grobwollenen gewebten Tüchern verfertiget, wozu ihnen die ſchon 
frühzeitig in Schleſien übliche Schafzucht die Materialien geliefert habe. Kurz, ſie wä— 
ren gleichweit von Luxus wie von Kultur entfernt geweſen. 

Erſt in der Mitte des 12ten Jahrhunderts, und zwar vom Jahre 1163 an, hätten 
ſich bei einer neuen politiſchen Geftaltung der Provinz auch ihre ganzen bisherigen Ver— 
hältniſſe geändert und ihre Nationalität hätte allmälig eine Umgeſtaltung erfahren. Bo— 
leslaus III, mit dem Beinamen Krzivouſti oder Krummaul, habe nehmlich bei ſeinem 
Tode im Jahre 1138 das mächtige, ausgebreitete polniſche Reich unter ſeine Söhne ge— 
theilt, und von ihm habe Wladislaus, der älteſte, einen großen Theil der Monar— 
chie, insbeſondere das Krakauiſche Gebiet und auch Schleſien, nebſt einer Art 
von Oberherrſchaft über ſeine Brüder erhalten. Er hätte jedoch als König 
von Polen und Beherrſcher Schleſiens das Schickſal, was er ſeinen Brüdern zugedacht, 
fie aus ihren, durch das väterliche Teſtament ihnen zuerkannten Beſitzungen zu verjagen, 
ſelbſt erfahren; denn ſie hätten ihn verjagt, und nur langwierige Kriege, beſonders aber 
die treue Hülfe und redliche Unterſtützung des deutſchen Kaiſers Friedrichs I., eines na— 
hen Verwandten der Adelheid, Gemahlinn des Königs Wladislaus, welche die Stief— 
ſchweſter ſeines Oheims Kaiſer Konrads III. war, hätten endlich den Erfolg gehabt, 
daß nach dem Tode des Wladislaus Schleſien den drei Söhnen deſſelben, Boleslaus altus 
(dem Langen), der ſich dem Kaiſer durch ſeine treuen Dienſte vor Mailand empfohlen, 
Konrad und Micislaus, als ein erb- und eigenthümliches Herzogthum im Jahre 1163 
überlaſſen worden wäre. Die drei Brüder hätten ſich nun in daſſelbe getheilt, ſo daß 
Boleslaus altus, der ältere, Mittelſchleſien, Micislaus Oberſchleſien und Konrad Nie— 
derſchleſien erhalten hätte. Bald wäre indeß den neuen Beherrſchern eine gewiſſe Vor— 
liebe der ſlaviſchen Bewohner Schleſiens zu den alten Beherrſchern bemerkbar geworden, 
und aus Beſorgniß, daß bei einer leicht vorkommenden Veranlafjung dieſelben ihnen un— 
treu werden möchten, wären ſie, da ſie zum Theil aus deutſchem Blute entſprungen 
und größtentheils unter Deutſchen erzogen worden wären, und auf alle Art getrachtet 
hätten, ihr Land zu bevölkern und deutſche Kultur in demſelben heimiſch zu machen, dem 
Beiſpiel Albrecht des Bären in der Mark, der Bewohner aus den Niederlanden in ſeine 
Marken aufgenommen, gefolgt und hätten ein Gleiches gethan. . 
| Es hatten nehmlich in dem Jahre 1157 Holland, Seeland, Friesland, Flandern, 

die Rheingegenden, und überhaupt ein großer Strich Landes nach den Niederlanden und 
Weſtphalen hin, durch große Ueberſchwemmungen der See und des Rheinſtromes unge— 
mein viel gelitten; denn in Holland war der Zuyderſee durchgebrochen und in Weſtphalen 


— 16 —— 


hatte ſich ſpäterhin der Dollard gebildet. Die Bewohner dieſer Gegenden, denen ihre 
Länder durch die Fluthen entriſſen worden, hätten nun nicht allein ihre Beſitzungen, fon: 
dern auch die Hoffnung, ihren Verluſt je wieder erſetzt zu ſehen, verloren. Dieſe Un— 
glücklichen waren ungewiß, wohin fie ſich wenden ſollten. Blieben fie im Lande, fo wa— 
ren ſie der bitterſten Armuth bloßgeſtellt; wanderten ſie aus, ſo fiel ihr ganzes Hab' 
und Gut, nach damaliger Sitte, dem Fürſten zu, deſſen Grenzen ſie betraten, und ſie 
ſelbſt verloren einen Theil ihrer Freiheitsrechte. Albrecht der Bär, um ſeine verwüſteten 
und menſchenleeren Ländereien zu bevölkern und ſich aufſätzigen und unruhigen Untertha— 
nen mit Kraft entgegenſtellen zu können, habe ſich über die Vorurtheile der Zeit hinweg: 
geſetzt, dieſe Unglücklichen in fein Land gerufen und ihnen nicht allein ihr Eigenthum ge⸗ 
laſſen, ſondern ihnen ſelbſt die Freiheit geſchenkt, und auf dieſe Art ſeine Ländereien mit 
braven Einwohnern, die einen ſolchen Fürſten lieben und hochachten mußten, bevölkert. 
Schleſtiens Herzöge, die von gleichen Geſinnungen wie Albrecht beſeelt geweſen, hätten 
nicht allein die aus jenen Ländern auswandernden Fremdlinge als freie Leute aufgenom— 
men, ſondern ihnen auch geſtattet, fortdauernd nach ihrem deutſchen Rechte zu leben und 
ihre Rechtshändel in ihrer Landesſprache zu entſcheiden. So wäre denn das teutoniſche, 
deutſche, ſpäter Magdeburgiſche Recht nach Schleſien gekommen, und das polniſche Czau⸗ 
den-Recht dadurch verdrängt worden. Dieſes aber habe vorzüglich das Land aus einer 
polniſchen Provinz in eine deutſche verwandelt. Die erſten Städte, wo ſich die neuen 
Anſiedler niederließen, wären wohl Neumarkt, Löwenberg, Goldberg, und überhaupt die 
Gebirgsgegenden, wo es, nach urkundlichen Nachrichten, noch große Wüſteneien gegeben 
habe, geweſen; denn in dieſen Orten habe ſich zuerſt teutoniſches oder deutſches Recht, 
einheimiſch gemacht. Auch 1178 habe Liegnitz ſich ſchon unter Boleslaus dem Langen 
vom polniſchen Rechte losgeſagt. Hundert Jahre beinahe aber ſpäter erſt Breslau, wel— 
ches im Jahre 1261 Magdeburgiſches Recht angenommen habe; Brieg aber habe gleich 
bei feiner Gründung deutſches Recht erhalten. Es wäre nun aber die Einführung deſſel⸗ 
ben von höchſter Wichtigkeit und zwar inſofern geweſen, als das deutſche Recht Gewerbe 
aller Art, auch ſelbſt Künſte, ungemein begünſtigt habe; daher auch erſt nach der Ein— 
wanderung dieſer Deutſchen, Gewerbe ſich zu ordnen, oder vielmehr zu entſtehen und auf— 
zublühen, angefangen hätten. Letzteres ſei vorzüglich bei der Woll- oder Tuchweberei 
der Fall geweſen, da ſie immer zu den erſten Beſchäftigungen eines ſich bildenden Volkes 
gehören, weil nächſt der Nahrung die Bekleidung das unentbehrlichſte Bedürfniß des 
Menſchen wäre. Man habe jedoch in Schleſien ſchon gewebt, ehe noch deutſche Anſiedler 
hier angekommen wären; zwar mehr wollenes als flachſenes Gewebe, da Schafe früh— 
zeitig in Schleſien, wegen der guten Weide, die ihnen das Land dargeboten, gezogen wor— 
den; weniger ſchiene man aber den Flachsbau getrieben zu haben; es fänden ſich jedoch 
hin und wieder Spuren des Flachsbaues ſowohl als der Leinweberei in ſehr früher Zeit 
im Gebirge; auch habe ja die heilige Hedwig im Anfange des 13ten Jahrhunderts ſchon 
Leinwandkleider unter die Gefangenen vertheilt, wiewohl leinene Gewebe ſelbſt im 15ten 


— 1 — 


Jahrhunderte noch immer eine ſolche Seltenheit geweſen, daß Diebe vorzüglich auf die 
leinenen Hemde ausgegangen wären. Die gewöhnliche Kleidung, die man auf dem bloßen 
Leibe getragen, wären indeß wollene Hemde geweſen. — Dieſe Wollweberei habe nun 
aber nicht bloß der Privatmann betrieben, ſondern ſie ſei auch bald Beſchäftigung der 
Nonnen und Mönche in den Klöſtern geworden, daher an dieſen Orten ſelbſt ſtarker Tuch— 


Alusſchnitt ſtattgefunden habe; dieſer aber ſei in der Folge, bei Entſtehung der Kaufhäu— 


fer, von den Herzögen denſelben in mehreren Edikten, die noch vorhanden, unterſagt 
worden; es heiße daher in dem einen Befehle des Kaiſers Wenzel ausdrücklich: 


„Auch den Nonnen (nec monsalıbes) ſoll es nicht mehr erlaubt ſeyn, ihre im 
„Kloſter verfertigten Tücher auszuſchneiden.“ 


Wollweberei hätten alſo, als ein altes, ſchon in den früheſten Zeiten in Schleſien bekann— 
tes und getriebenes Gewerbe, die neuen Ankömmlinge bereits vorgefunden, und für ſie 
habe dieſes um ſo erwünſchter ſeyn müſſen, als ſie gleiche Beſchäftigungen in ihren ſon— 
ſtigen Aufenthaltsörtern getrieben hätten, denn ſie wären auch größtentheils Wollweber 
geweſen, daher man ihre Gewerbe, die Tuchmacherei, das Flammander Handwerk 
genannt habe. Die Beſchäftigung, die dieſe Einwohner mitgebracht, wäre alſo zwar 
nichts Neues in Schleſien geweſen, doch hätte ſie zur Verbeſſerung und Vervollkommnung 
des Vorhandenen, und zur Entwickelung dieſes Gewerbes aus der erſten Rohheit, das 
Meiſte beigetragen; denn das erſte Tuch, was man zur Zeit, wo Schleſien noch ein Theil 
Polens war, und ſelbſt im Anfange der Regierung des Boleslaus des Langen im Lande 
verfertiget, wäre wohl nichts anderes geweſen, als was das Wattmehl der Inſulaner iſt, 
eine aus Wolle, Werg oder Leinen und groben Fäden gewürkte Maſſe, wozu ſich der We— 
ber die Stoffe zuerſt geſponnen, dann auf dem Webeſtuhl gewebt und hierauf mit den Füßen 
zuſammengetreten oder gewalkt, allenfalls gefärbt und geſchoren, und ſo in ſeinem rohe— 
ſten Zuſtande zu Gewändern gebraucht hätte. So wäre alles, was jetzt die Beſchäfti— 
gung von zehn Menſchen ſei, die Arbeit eines einzigen geweſen. Allmälig nun hätte man, 
vielleicht nach Anweiſung der neuen Pflanzbürger, die verſchiedenen, mit einander ver— 
mengten Stoffe mehr von einander abgeſondert. Man hätte ſie nicht mehr untereinander 
roh gemiſcht, ſondern zu dem einen bloß Wolle, zu dem andern bloß Flachs gewählt, oder 
auch nur regelmäßig die Gewebe mit einander gemiſcht, indem man die Kette rein aus 
Wolle und den Einſchlag aus Flachs genommen habe. So hätten ſich aus einer Beſchäf— 
tigung mehrere entwickelt, als: Tuchmacherei, Leinweberei und Zeugmacherei oder Parch— 
nerei. Aus dieſen Gewerben, die durch die Theilung der Stoffe entſtanden, wären indeß 
bald wieder mehrere hervorgegangen; denn da ſich die Weberei, und insbeſondere die 
Tuchmacherei, am früheſten vervollkommnet habe, ſo wäre das Scheeren oder Zurichten 
der Tücher auch in früherer Zeit von der Tuchmacherei in der Art getrennt worden, daß 
eben dieſes Scheeren und Zurichten der Tücher ein beſonderes Gewerbe geworden, und 
als ſolches von derſelben abgeſondert worden ſei. Auf gleiche Art und Weiſe aber, jedoch 


ze WE Zu 


ſpäter, habe ſich auch, da man in Holland eigene Maſchinen zum Dickmachen oder 
Walken für die Gewerbe erfunden und in Schleſien dieſe Erfindung angewendet habe, das 
Walken getrennt, und ſo wäre denn nach und nach eine Beſchäftigung aus der andern 
ausgeſchieden. Nachdem ſich nun ſo, gleichſam wie aus einem Knaul, der anfänglich alle 
Arten von Fäden in ſich enthalten habe, verſchiedene Fäden losgewickelt hätten, ſo hätten 
ſich mannichfache Gewerbe aus der Weberei, die zuerſt alle in ſich vereiniget, herausge— 
zogen, ſich getrennt und vereinzelt. Diejenigen Gewerbtreibenden aber, die nun gleiche 
Beſchäftigungen und Gewerbe mit einander getrieben, wären zuſammengetreten, und hät⸗ 
ten, ſo wie es in den Niederlanden der Fall früher ſchon geweſen wäre, Einigungen 
(Vereine) oder Innungen gebildet, wodurch ſie ſich in eine nähere Verbindung mit einan— 
der gebracht und gleichſam zu einem Ganzen vereiniget hätten. Dieſes Zuſammentreten 
in geſellſchaftliche Verbindungen hätte ſie zu Einrichtungen und Anordnungen veranlaßt, 
die ihr Gewerbe vor Nachtheil geſichert, aber auch die Mitglieder eines ſolchen Vereins 
angetrieben, reelle und gute Waare zu liefern, die des dafür geforderten Preiſes würdig 
ſei; ſo wären nun allmälig Innungen oder Zünfte und das ſogenannte Zunftweſen ent— 
ſtanden. Dieſe Vereinigungen wären nun bei ihrer Entſtehung höchſt bildungsreich für 
die Zunftgenoſſen, wie ſie ſich bald genannt hätten, geworden, ja ſogar auf die Moralität 
der Innungsgenoſſen wäre darinn Rückſicht genommen worden, indem ſie kein unmorali— 
ſches, ſchlechtes Mitglied unter ſich geduldet hätten, ſo daß dieſe Verbindungen nicht allein 
einen großen Einfluß auf die Verbeſſerung der Gewerbszweige und ihrer Fabrikate, ſon— 
dern auch auf die Civiliſation und Sittlichkeit gehabt hätten, daher auch die oberſten Re- 
gierungsbehörden ſich ſehr bald dieſer Verbrüderungen angenommen, ihnen ihren Schutz 
und ihre Autoriſation ertheilt, und überhaupt keine Zunft hätten entſtehen laſſen, wenn 
ihnen nicht vorher die Maßregeln und Grundſätze ihrer Einrichtung wären mitgetheilt 
worden. Die wohlthätige Folge dieſer Verbrüderungen ſei aber insbeſondere Vervoll— 
kommnung der Gewerbs-Erzeugniſſe geweſen, und dadurch ſei bald ein größerer Begehr 
und Abſatz entftanden, wodurch die Exiſtenz der Bearbeiter derſelben geſichert worden 
wäre. Nach den documentirten Nachrichten, die uns hier leiten, und worauf dieſe kurze 
Entwickelung begründet iſt, ſei wahrſcheinlich Liegnitz der erſte Ort oder wenigſtens einer 
der erſten geweſen, wo eine Innung, Zeche oder Zunft (von Zumfti, Zuſammenkunft, 
Verſammlung) der Tuchmacher von dem Stadtrath conſtituirt worden; denn aus den 
daſigen Stadtbüchern gehe hervor, daß ſchon im Jahre 1252 die Tuchmacher dort zünftig 
und durch geſetzliche Einrichtungen zum fleißigen und ordentlichen Betriebe ihres Gewer— 
bes mit einander verbunden geweſen wären. 

In Breslau dagegen wäre erſt 1272, nicht lange nach der Zeit, wo die Stadt Mag⸗ 
deburgiſches Recht angenommen, das Gewerbe der Tuchmacher zünftig geworden; in Lö— 
wenberg aber nach aller Wahrſcheinlichkeit ſchon früher; in Jauer wären die Tuchmacher 
1273 in eine Zunft zuſammengetreten. Dieſes Zuſammentreten in Zünfte hätte nun 
außer dem allgemeinen Guten noch die wohlthätige Folge gehabt, daß nun auch unter den 


we  —— 


Leuten, die einerlei Geſchäft betrieben, eine Aufſicht und Wachſamkeit über die von ihnen 
gefertigten Fabrikate, entſtanden wäre; denn nach einer Nachricht aus dem rathhäuslichen 
Archiv zu Liegnitz wäre ſchon in der Mitte des 13ten Jahrhunderts im Jahre 1260 da⸗ 
ſelbſt ein Schauamt geweſen, das aus einigen, des Handwerks kundigen, redlichen 
Männern beſtanden, welche die fertigen Waaren geprüft, und die ſchlechteren verworfen 
hätten; ja in der Handwerksordnung, die unter Kaiſer Siegismund im Jahre 1420 
hier in Breslau erſchienen, heiße es ſogar, daß die ſchlechten Tuche öffentlich verbrannt 
werden ſollten. 


Der Vortragende ſetzte nun auseinander, wie in Schleſien bis gegen das Ende des 
13ten Jahrhunderts, alſo bis 1299, die Schauen der Tücher ſchon in ganz Mittel- und 
Niederſchleſien allgemein verbreitet geweſen, und wie man dieſe Einrichtung als eine der 
wichtigſten und vorzüglichſten bei der Tuchfabrikation angeſehen habe. Auch wären um 
dieſe Zeit in den meiſten Fällen die Tuche öffentlich gewogen, geſiegelt und geſtempelt 
worden. Der Herzog Bolko I. von Schweidnitz, Vormund der Kinder Heinrichs V., 
habe im Jahre 1311 hier in Breslau die Verfügung getroffen, daß jedes Tuch, bei 
Strafe eines halben Vierdung, 34 Ellen lang ſeyn ſolle. Dieſe geſetzlichen Einrichtungen 
an dem einen Orte wären zuletzt Norm für die ganze Provinz geworden, und hätten dem 
Gewerbeweſen einen eigenthümlichen Charakter von Zuverläßigkeit und Rechtlichkeit ge⸗ 
geben. Denn ſelbſt in Oberſchleſien habe dieſe Gewerbsordnung ſtattgefunden; ſo wäre 
vom Jahre 1388 wegen Leobſchütz ſchon eine Verordnung vorhanden, nach welcher für 
dieſe Stadt beſtimmt worden ſei, wie lang und wie breit von den daſigen Tuchmachern 
ein Tuch gewebt werden ſolle. 


Auch im Jahre 1420 wäre in der bereits n Handwerksordnung vom Kai— 
ſer Siegismund die Länge eines langen Tuches auf 46 bis 50 Ellen, des mittleren auf 
40, und des kurzen auf 30 bis 33 Ellen, und die Breite ohne Ausnahme auf 48 Fäden, 
das heißt, ¼ Ellen Breite nach altem ſchleſiſchen Längenmaaße feſtgeſetzt worden. In 
einer Verordnung vom Jahre 1481 habe überdem noch der Magiſtrat zu Breslau befoh⸗ 
len, daß die Kämme zu 24 Fäden oder Gängen, wie ſie in der Neuſtadt üblich wären, 
abgeſchafft und künftig einerlei Kämme in beiden Städten gebraucht werden ſollten; 
nehmlich zu 48 Gängen, das heißt, ¼ Breite die feinen oder Vordertuche, die mittlern 
aber nur zu 46 Gängen, und die groben Tücher eben ſo. 


Die Kaiſer Wenzel und Siegismund, ſo wie die Herzöge zu Liegnitz und andere 
Fürſten, hielten mit der größten Strenge darauf, daß die zu verfertigenden Tücher aufs 
vollkommenſte und beſte zur Zufriedenheit der Käufer verfertiget wurden; daher ſie den 
Innungen oder den Gewerken auch alles zugeſtanden, was dieſe für ihren Zweck nothwen— 
dig fanden. So wären den Tuchmachern zu Liegnitz zum Abtrocknen ihrer Tücher Plätze 
zum Aufſtellen der Rahmen angewieſen worden. Auch wurde den Arbeitern der Luchs 
macher der Lohn genau beſtimmt, den ſie von ihren Meiſtern zu erhalten hätten, und die 
22 


— | — 


Arbeiten, denen ſich die Geſellen zu unterziehen hätten, angegeben. Dieſes geſchah, um 
Störungen und Unruhen vorzubeugen, die nicht ſelten in förmliche Rebellionen überge⸗ 
gangen wären. inen nl 

Noch erwähnte der Vortragende mehrerer Einrichtungen, die man zum Beſten dies 
ſes Gewerbes in Bezug auf Woll-Einkäufe getroffen habe, und wodurch gehindert 
worden ſei, daß Tuchmacher und Zeugmacher oder Parchner einander nachtheilig im 
Einkaufe der Wolle werden könnten. Hier entwickele ſich eine Seite, die es ſcheinbar mache, 
als ob das Zunftweſen, indem es ein Gewerbe von dem andern abgeſondert, dem Staats: 
körper ſchädlich werden könne, da das Intereſſe derer, die den Staatskörper bildeten, ges 
theilt und ſo der Zuſammenhang der Mitglieder des Staats unter einander geſtört würde. 
Es wäre daher das Ziel der oberſten Behörden geweſen, die verſchiedenen Zünfte wieder 
zu einem Ganzen zu vereinigen und ihnen ein allgemeines Intereſſe zu geben, und dieſes 
ſei durch das eigentliche Städteweſen bewirkt worden. In dieſem habe ſich nehmlich der 
ſogenannte dritte Stand oder Bürgerſtand entwickelt, der mit dem Zunftweſen zugleich 
entftanden fei, und fo die verſchiedenen Zunftgenoſſen zu einem Körper wiederum geeini— 
get habe. Es habe ſich nun dieſer Stand vom 13ten bis 15ten Jahrhundert in Schleſien 
ausgebildet, ſo wie er bereits ſchon früher in Italien, Frankreich, den Niederlanden und 
Deutſchland als der Stand erſchienen war, der die Mitte hielt zwiſchen dem Adel- und 
dem Bauernſtande. f 

Da nun auf dieſe Art Zunftweſen und Bürgerſtand gewiſſermaßen in Eines zuſam⸗ 
mengefloſſen fei, ja das eine zur Befeſtigung und Erhaltung des andern beitrug, fo hät: 
ten die Magiſträte in den Städten ſowohl als alle höhern Ortsbehörden das Zunftweſen 
vorzüglich berückſichtiget und ihm die höchſte Aufmerkſamkeit geſchenkt, und eben daher 
alle Einrichtungen und Statuten der Zünfte genau unterſucht und geprüft, damit kein 
Gewerbe dem andern hätte nachtheilig werden können, und alsdann dieſe Feſtſtellungen 
ſanktionirt. 6 ü | 

Dieſes beftätige vorzüglich die Bildung mehrerer Zünfte, insbefondere der Zuch- 
ſcheerer und Färber. Da die Tuchmacherei ſich mehr zu vervollkommnen begonnen hätte, 
hätten ſich manche Arbeiter in dieſem Geſchäfte mehr mit dem Ausſcheeren, Glattmachen 
und was wir jetzt Appretiren der Tücher nennen, als mit dem Spinnen und Weben der— 
ſelben, beſchäftiget, und daraus ſei am Ende das Gewerbe der Tuchſcheerer entſtanden. 
Schon vom Jahre 1318 fände ſich im rathhäuslichen Archive zu Liegnitz ein Privilegium 
der Tuchſcheerer, worin ihrer als einer eigenen Zunft gedacht, und ſie, wiewohl ſie mit 
den Tuchbereitern einerlei Beſchäftigung trieben, ſchon von ihnen getrennt, auch ihnen 
das Scheerenſchleifen als vorzügliche Beſchäftigung zuerkannt und ſie daher Tuchſcheerer 
und Scheerenſchleifer genannt wurden. Auch habe es zu dieſer Zeit ſchon Tuchſcheerer— 
Laden (domus rasoriae) in Liegnitz gegeben, die mit den Scheergaden (tabernae 
rasoriae) in Breslau wohl einerlei geweſen ſeyn möchten. Auch ſcheine man vom Preſ— 
ſen der Tücher ſchon einige Kenntniß gehabt zu haben; indeß pflegte man in dieſer Zeit 


— m — 


noch immer wehe die * * mangel, als zu Rbefen, wie wir aus dem Folgenden 
ſehen werden. 


Wie inmittelſt die bälle Staatsvermaftung, das gunftweſen auf alle Art begün⸗ 
ſtiget habe und in die Vorſchläge der Zünfte und Innungen eingegangen ſei, gehe aus 
Folgendem hervor: Es beklagten ſich (ſiehe Notulae communes im hieſigen Raths⸗ 
Archive) die Tuchſcheerer zu Breslau bei dem Rathe: 


„daß etliche aus den Tuchmachern und Knappen heimlich von den Leuten Gewand 
** nähmen und ſcheeren.“ 


Darauf wurde von dem Rathe berordnet: 


daß fürbas mehr kein Tuchmacher noch Knappe wider die Hauptmannſchaft 
„und Stadtgerechtigkeit, Gewohnheit, Ausſatzung und gutes altes Herkommen, 
„Gewand von den Leuten aufnehmen, noch ſcheeren, noch das in ihren Häuſern 
„geſtatten, noch verhängen ſollen, ſondern das Gewand in die Scheergaden wei- 
„ſen und tragen laſſen z, was aber die Tuchmacher ſich ſelbſt oder ihrem Geſinde 
„zu ſcheeren pflegen, mögen ſie ungehindert thun; würde aber bei den Tuchma⸗ 
„chern und Knappen Gewand heimlich gefunden und geſchoren, das ihnen nicht 
„gebührte, das ſolle im Voraus verloren ſeyn, und der Aufnehmer und Scheerer 
„deſſelben nach Erkenntniß des Raths geſtraft und gebüßet werden.“ 


Auch Walken nach niederländiſcher Erfindung wurden zu Jauer, Schweidnitz und Löwen⸗ 
berg unter Bolko I., dem thätigen Beförderer der Weberei und aller Gewerbe, gebaut, 
und auf dieſe Art wurde das eigene Walken der Wollweber, welches ſonſt durch Treten 
mit den Füßen geſchah, wie es auch jetzt noch in einigen Gegenden Aſiens und der Türkei 
der Fall iſt, aufgehoben. Auch die, die ſich mit dieſem Gewerbe beſchäftigen, die Wal⸗ 
ker, bildeten an einigen Orten eden eine PAR jedoch blieben fie was mit 
den Tuchmachern verbunden. 


In den Städten Liegnitz und Löwenberg ſonderten ſich im Jahre 1289 die Färber 
ebenfalls von den Tuchmachern ab. Denn im genannten Jahre wurde auf dem Neulande 
zu Liegnitz die erſte Farbeſtube angelegt, welche man wohl als die erſte, mit Kiepen und 
Keſſeln ausgeſtattete Färberei in Schleſien anſehen könne. Sie ſcheine indeß noch dem 
ganzen Mittel der Tuchmacher bis in das Jahr 1350 angehört zu haben; denn es habe 
die Einrichtung ſtattgefunden, daß ein jeder, der zum Gewerbe der Tuchmacher gehörte, 
eine gewiſſe Summe zur Unterhaltung der in dieſer Farbeſtube ſich befindenden Farbege⸗ 
räthſchaften jährlich habe zahlen müſſen. Dieſes wäre auch in Löwenberg bei der auf 
gleiche Weiſe eingerichteten Farbeſtube der Fall geweſen. In Breslau erbaten ſich indeß 
die Färber erſt im her 1468 von dem Magiſtrate die Zunftrechte, und zwar aus dem 
Grunde: N 

22 


— WER een 


„weil fie (die Färber) doch auch in Eintracht wie andere Handwerker allhier 
„zuſammen leben möchten, und weil ſie ohne eine ſolche Zeche und Ordnung hier 
„nicht wohnen könnten, da gegenwärtig keine Ordnung unter ihnen ſei.“ 


Der Magiſtrat gewährte ihnen ihre Bitte, weil er, wie es heißt, wünſche: 
„daß viele Leute und Handwerker allhier in der Stadt gerecht ſeyn möchten.“ 


Und fo traten denn auch fie ebenfalls in eine Zunft zuſammen; fie mußten aber dem Ma: 
giſtrate das Verſprechen leiſten: Niemanden in ihre Innung aufzunehmen, der nicht 
1) ſeine ehrliche Geburt beweiſen könne; 2) eine ehrliche und ordentliche 
Frau habe, wenn er verheirathet ſei, und 3) drei Jahre gelernt habe, daß er 
wiſſen müſſe, aus Waid und Indig gut Blau und ächt Grün, und aus Rauſch 
gut Schwarz zu färben; 4) wer aber mit Attichbeeren und allerlei böſen und 
unbeſtändigen Farben färben wolle, ſolle ſogleich aus dem Handwerke geſtoßen wer: 
den. Auch ſoll es ihnen 5) erlaubt ſeyn, Mangeln zu haben, um die Waaren darauf 
glatt zu machen; ferner könnten ſie 6) was ſie gefärbt hätten, verkaufen, in ganzen 
Stücken oder ellenweiſe, wie es ihnen beliebe. Um aber das Ueberſetzen und Vertheuern 
der Waaren zu verhindern, wären ihnen die Preiſe feſtgeſtellt worden, für die fie ſtück— 
und ellenweiſe färben ſollten. a 


So wie ſich nun die Gewerbe, deren Zweck die Bereitung der wollenen oder leine— 
nen oder von Wolle und Flachs gemiſchten Gewebe ſei, von einander geſondert hätten, ſo 
ſei das Nehmliche auch mit Gewerben anderer Art geſchehen. So ſtelle uns das Mittel— 
alter ſelbſt in Schleſien die Holzarbeiter, Zimmerleute, Tiſchler, Drechsler als in Eines 
vereiniget dar; bald aber wären ſie auch auseinander geſchieden und in verſchiedenen 
Zunftverfaſſungen aufgetreten; ja in manchen Verhältniſſen ſei man in der Trennung zu 
weit gegangen, und habe Beſchäftigungen, die beſſer vereiniget geblieben wären, von 
einander geriſſen. | 


Diefes fei der Gang der allmäligen Entwickelung der techniſchen Kultur hier in 
Schleſien geweſen; fie beginne gegen das Ende des 12ten Jahrhunderts und gehe unauf— 
haltſam bis in die Mitte des 15ten fort, in welcher Zeit Schleſiens Fabrikate fi) auszu— 
zeichnen angefangen hätten, welches der Handel Breslau's beweiſe, der um dieſe Zeit 
ſchon ungemein bedeutend geworden ſei. Die Einführung der Kaufhäuſer und die Er— 
richtung der Tuchkammern nach niederländiſcher Art hätten ihre wohlthätigen Wirkungen 
vorzüglich bewieſen, indem fie beigetragen hätten, Schleſien zu einem bedeutenden Hans. 
delslande zu erheben, wovon die genauere Entwickelung ſich der Vortragende auf eine 
andere Zeit vorbehalte. So viel ſei aber gewiß, daß in dem Grade, in welchem Zünfte 
und Innungen in frühern Zeiten den Gewerben genützt hätten, fie in den ſpätern, insbes 
ſondere in unſern gegenwärtigen Zeiten, denſelben nachtheilig geworden wären, weil all— 
mälig das Weſentliche aus den Augen gelaſſen worden, und an deſſen Stelle eine leere, 


a ——- 


das wahre Beſte mehr hindernde als fördernde Form getreten; daher die Aufhebung des 
Zunftweſens, ſo wie es ſich bis zu Anfange dieſes Jahrhunderts geſtaltet hatte, eben ſo 
nothwendig, als einſtens ſeine Errichtung geweſen ſei. 


D. Die Winter⸗ Verſammlungen eröffnete am 27. Oktober 1837 der Vortrage 
mit der Entwickelung des eigentlichen Zweckes der techniſchen Section, und zeigte, auf 
welche Gegenſtände vorzüglich Rückſicht zu nehmen ſei, damit die Wirkſamkeit dieſes 
Vereins ſich über das geſammte Gewerbeweſen in der Provinz auf das vortheilhafteſte 
auszubreiten vermöchte. — Er ſtellte zuerſt das Verhältniß des Bürgers zum Staate 
dar, und nachdem er deſſen Verpflichtungen gegen dieſen auseinander geſetzt hatte, zeigte 
er, wie und wodurch jede geordnete Staatsverwaltung zum Gedeihen ſeiner Gewerbetrei— 
benden handle und handeln müſſe. Hierauf entwarf er im Allgemeinen ein Bild von der 
zweckgemäßeſten Gewerbſamkeit eines Volkes in einem wohlgeordneten Staate, ſtellte 
dar, wie ſie in die Erſcheinung treten und auf welche Grundſätze ſie baſirt ſeyn müſſe, 
um ſowohl die Gewerbetreibenden zu beglücken, als den Staat, indem ſie wirkſam ſind, 
empor zu heben. Er machte dies klar durch einen Blick insbeſondere auf England, und 
zeigte, wie dieſes Problem dort am beſten gelöſt ſei. 

Der Vortragende ſtellte hierauf den Satz feſt, daß in einem Lande diejenigen $a= 
brikate vorzüglich bearbeitet werden müßten, zu denen die Natur deſſelben ſeinen Bewoh— 
nern beſondere Hülfsmittel anböte. Dahin gehöre 1) die Erzeugung des Grund— 
ſtoffes, ſo daß zum Beiſpiel, wo Wolle oder Flachs von großer Güte und in Menge 
gewonnen, wo Eiſen und andere Mineralien gefunden würden, die Woll- und Leinwe— 
berei, ſo wie die Bearbeitung des Eiſens, den Vorzug vor andern Gewerben verdienen 
würde. 2) Die Leichtigkeit, zu dem Beſitze des rohen Materials, wenn 
dieſes nicht im Lande ſelbſt erzeugt oder gefunden würde, zu gelangen, wie z. B. in 
England die Baumwollen-Fabriken einen großen Aufſchwung genommen hätten, weil 
man im Stande geweſen wäre, den rohen Stoff leicht und wohlfeil zu erhalten. 3) Die 
eigenthümliche Geſchicklichkeit der Einwohner zu gewiſſen mechani— 
ſchen Fertigkeiten, wie zum Beiſpiel in Gebirgsländern ſehr häufig künſtliche Holz— 
waaren, Stahlwaaren, Uhren und Aehnliches bereitet würde, wovon die Schweizer und 
andere Gebirgsvölker ein Beiſpiel geben. 

Nach dieſem beantwortete er die Frage: Wie und wodurch man die Bewohner ei— 
nes Landes befähige, mit Nutzen Fabriken zu betreiben? Sei in einem Lande einmal die 
Induſtrie geweckt und hinreichend für die Befriedigung der dringenden Bedürfniſſe durch 
ſie geſorgt, ſo daß man zu einem höhern Betriebe der Fabrikation übergehen könne oder 
müſſe, ſo ſei es nothwendig, daß man ſich nicht bloß auf den Mechanismus einſchränke, 
ſondern mit der gewöhnlichen Praxis die Theorie verbinde, die innere Natur der rohen 
Stoffe durch chemiſche und naturwiſſenſchaftliche Studien zu erforſchen, den Mechanismus 
durch die Hülfsmittel zu erleichtern und zu vervollkommnen ſuche, welche die mathemati— 


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ſchen Wiſſenſchaften, inſonderheit die Mechanik, an die Hand geben, den Sinn für das 
Schöne und Geſchmackvolle aber dadurch weng er die Jugend 2 Ame — 
ſchönen Muſtern genau zeichnen zu lernen. 

Dieß im Einzelnen noch eee zu Duthen, that der Bortzagende 9 wie 
insbeſondere richtige Begriffe über Gegenſtände aus der Chemie nicht bloß dem künftigen 
Färber und Apotheker, ſondern auch den meiſten Gewerbetreibenden auf die mannichfal⸗ 
tigſte Weiſe nützlich werden könnten, und bezog ſich auf ſeine Vorträge über die Kennt⸗ 
niſſe, die dem Gewerbetreibenden aus dem Gebiete der Naturwiſſenſchaften insbeſondere 
zu wiſſen nöthig wären. Er machte hier vorzüglich auf die Schätze aufmerkſam, welche 
Schleſien in dem Schooße ſeiner mütterlichen Erde berge, gedachte der Bearbeitung des 
Zinks, Eiſens und Kupfers, und bemerkte, daß wahrſcheinlich wohl des Verborgenen 
noch Manches in der Zukunft zu Tage gefördert werden könnte, da es bekannt ſei, daß 
unſer Schleſien ſelbſt noch edle Metalle, als Gold und Silber, in ſich enthalte. Es 
möchte ſich dann wiederholen, was bereits in Abſicht der Baumwollenfabriken geſchehen 
ſei, die auch eine Schöpfung der neuern Zeit wären und ziemlich raſch ſich bis zu einer 
bedeutenden Vollkommenheit erhoben hätten, daß ſich nehmlich neue Fabriken aus den neu 
aufgefundenen Stoffen entwickelten, die vielleicht wie dieſe einen ſchnellen Aufſchwung 
nähmen und der Provinz zum großen Nutzen gereichen dürften. 


E. Der Vortragende ſprach über die zur Familie der Argilliten gehörigen Thon⸗ 
erden Bolus, Cimolit und Walkererde. 


Da er ſich hier auf den ſchon im Jahre 1832 über dieſen Gegenſtand gehaltenen 
Vortrag bezog, ſo erwähnte er nur beiläufig der erſteren beiden Thonarten, und ſprach 
ſich insbeſondere über Walkererde noch in der Art aus, daß es, da ſie höchſt unentbehr— 
lich für gewiſſe Gewerbe ſei, von der größten Wichtigkeit jei, ihre Natur und ihre Wirk⸗ 
ſamkeit in allen Beziehungen kennen zu lernen. Sie ſei ein feiner, zarter, weich anzu⸗ 
fühlender, nach Schlamm riechender Mergel, der, gleich der Seife, ſich im Waſſer mit 
Schaum auflöſe, in der Luft zerfalle und im Feuer hart werde; ſie habe zur Grundfarbe 
das Olivengrüne, ſei weich und zerreiblich, ſo daß ſie ans Zerbrechliche grenze, fühle ſich 
indeß ſehr fett und beinahe kalt an, hänge aber nicht an der Zunge und habe ein ſehr ge⸗ 
ringes ſpecifiſches Gewicht. Die Hauptbeſtandtheile der Walkererde wären Kieſelerde 
mit viel Waſſer vermiſcht, Thonerde in ſtarker Maſſe, Eiſen-Oxyd, etwas eee ren, 
und Kalk. 

Die vorzüglichſte aller Arten von Walkererden ſei die zu Hampſhire in England 
gefundene, welche in ſtarkem Feuer zu einer braunen ſchwommigen Maſſe werde. Dieſe 
engliſche Walkererde dürfe jedoch bei Todesſtrafe nicht ausgeführt werden. u 

Die Erſcheinungen, die fie gäbe, wären folgende: N m une 

1) Wenn man ſie, mit Phosphor⸗ Sat vermiſcht, ins Gli ühfeuer bringe, ſo 
brauſe ſie auf. i 


— 175 —— 


2) Miſche man ſie mit Borax, ſo löſe fie ſich in demſelben langſam auf. 
c 3) Bringe man ſie mit Natron zuſammen, ſo entſtehe ein ſtarkes Aufbrauſen. 
4) Im Porzellanofen werde ſie zu einer dunkelgrau ſchwärzlich grünen Schlacke. 


Solle die Walkererde das leiſten, was man von ihr erwarte, ſo müſſe ſie durchaus 
frei von Eifenoryd ſeyn, mit dem fie häufig ſtark vermengt erſcheine; denn man brauche 
fie, um Fettigkeiten an ſich zu ziehen, das Eifenoryd aber hindere dieſe Wirkung. Ob 
nun Eiſenoxyd in der Walkererde vorhanden fei, erfahre man durch das Ausglühen der— 
ſelben; denn bleibe ſie weiß oder farbenlos, ſo habe ſie kein Eiſen in ſich; dagegen zeige 
fie, daß fie viel Eifenoryd in ſich enthalte, wenn fie ſich beim Glühen ſtark gelb oder 
ſtark roth färbt. Das charakteriſtiſche Merkmal einer guten Walkererde beſtehe darinn: 

„daß ſie ſand- und eiſenfrei ſei, im Waſſer leicht zergehe, ſich ſchwer von dem— 

„ſelben trenne, und das Oel, welches auf trockene Walkererde gegoſſen werde, 

„leicht einſauge und mit Waſſer miſchbar mache.“ 
Habe ſie dieſe Eigenſchaften, ſo wirke dieſes Foſſil höchſt vortheilhaft auf Wollfabrikate, 
indem es z. B. bei dem Walken des Tuches das Tuch erſt zum wirklichen Tuche bilde, es 
von aller Fettigkeit, die es, wenn es vom Weberſtuhle kommt, in ſich habe, befreie, es 
dicht und feſt mache, und ihm den wolligen Charakter, den es in den vorhergehenden Ma— 
nipulationen verloren hatte, wiedergebe, und ſo zur Vervollkommnung deſſelben das 
Meiſte beitrage. Die Vorzüge der guten Walkererde beſtänden darin: daß ſie das Tuch 
weit beſſer als ſelbſt Seife reinige, indem ſie in einem weit höheren Grade die ölichten 
Theile abſorbire. Auch mache ſie die Wolle weicher und zarter, weil ſie in das Fabrikat 
mehr einzudringen im Stande ſei. Dieſe Vortheile gewähre insbeſondere die engliſche 
Walkererde, und daher die Weichheit und Feinheit in engliſchen Tüchern. 

Der Vortragende fügte zuletzt noch hinzu, daß Tuchfabrikanten verſicherten, daß 
Tücher, mit feiner guter Walkererde gewalkt, von gewiſſen Farben weniger angegriffen 
werden, als wenn fie Seifwalke bekommen hätten, und daß fie auch gewiſſe Farben leich- 
ter annehmen und die Lebhaftigkeit derſelben länger erhalten, als andere, die mit andern 
Stoffen gewalkt wären. 

F. Noch ſprach der Vortragende über des Paraphim, das zu Blanzko in Mähren 
aus verkohltem Buchenholze gewonnen werde; denn man könne aus dem mit Holzeſſig ver⸗ 
miſchten Holztheer, welcher aus dem Holze herausfließe, auf chemiſchem Wege Dreierlei 
erzeugen: 1) Chryofod, ein feines, flüchtiges ätheriſches Oel; 2) Bleizucker, ein 
neutrales, eſſigſaures Bleiorydul; 3) Paraphim, eine ſeifenartige Maſſe, die eine ſtarke, 
aber ziemlich trockene Fettigkeit in ſich trage. Durch wiederholtes Reinigen werde dies 
Paraphim weiß wie Schnee und diene zum Ausſchmieren feiner Räderwerke, insbeſondere 
bei Uhren, da es ſelbſt in der Kälte nie wie das Oel ſtockicht werde. Auch brauche man es 
zum Einſchmieren der Wagenräder, die jährlich nur einmal geſchmiert werden dürften. 


— 2 — 


II. Herr Kaufmann und Kattunfabrikant Milde ſprach über die von Four— 
neyron verbeſſerten Kreiſelräder — Turbines — mit beſonderer Hinwei⸗ 
ſung auf die von dem Patentträger darüber veröffentlichten Kr in den Bulle- 
tins de la Societé d’encouragement. Juni 1835. 

Der Vortragende hat Gelegenheit gehabt, zwei ſolcher von Fin nehron konſtruirten 
Kreiſelräder in vollem Betriebe zu ſehen, mit denen die Eigner außerordentlich zufrieden 
find, und er iſt der beſtimmten Ueberzeugung, daß kein Waſſerrad, ſelbſt das Concilitfche 
nicht mit ſo viel Vortheil, als dieſes Kreiſelrad, an Orten angewendet werden kann, wo 
rückſtauchendes Waſſer der regelmäßigen Benutzung einer Waſſerkraft entgegentritt. Dort, 
wo die Fallhöhe einer Waſſerkraft ſo bedeutend iſt, daß ſie nicht mehr mittelſt eines 
Waſſerrades benutzt werden kann, wie-3. B. in St. Blaſien, leiſtet die Turbine die auf 
ſerordentlichſten Reſultate, und ſollte ſelbſt der reine Nutzeffekt der Fourneyronſchen Rä⸗ 
der nicht ſo bedeutend ſeyn, als ihn der Erfinder verſpricht, fo. bleibt immer feine Ver: 
beſſerung eine der wichtigſten und intereſſanteſten im Felde der Mechanik. 

(Siehe die neueſte Abhandlung der Herren Wedding und Brix in den Verband 
gen des Gewerbe-Vereins in Preußen. 1837. Ste Lieferung, die bei ihren Verſuchen 
einen Nutzeffekt von 90 und mehr Procent fanden.) 


III. Am 20. Februar ſprach Herr Kammerherr Baron von Forcade: „Ueber 
die bisher in Anwendung gebrachten Materialien zur Deckung flacher Dächer in den nörd⸗ 
lich gelegenen Ländern.“ | 

Nachdem der Vortragende in der Einleitung überſichtlich die Nachtheile der bei uns 
üblichen Metalldächer nachgewieſen hatte, ging er zur Aufzählung der Verſuche über, 
welche man bisher bei Herſtellung waſſerdichter, leichter, dauerhafter, wohlfeiler und 
feuerſicherer flacher Dächer durch Anwendung verſchiedenartiger Zuſammenſetzungen ge— 
macht hat. Er ſprach zuerſt von der in Finnland ſeit zwei Jahrzehnten zur Anwendung 
gekommenen Bedachung mit ſogenanntem Ueberzug- oder Dachpapier, wies die Verferti— 
gung, die unleugbaren Vortheile derſelben genauer nach und machte ſchließlich darauf auf— 
merkſam, daß dergleichen Papierdächer, nach den bisherigen Erfahrungen, ſechszehn 
Jahre gedauert haben, ohne daß eine Reparatur nöthig ward. Anderer Art ſind die in 
Schweden ſeit 30 Jahren üblichen Papierdächer; ſie ſind zwar eben ſo dauerhaft, wie 
die Finnländiſchen, aber nicht feuerſicher. Der Grund, weshalb die Finnländiſchen Da- 
cher bei uns bis jetzt noch keinen Eingang gefunden haben, liegt darin, daß wir das dazu 
nöthige Papier bisher noch nicht fabrizirt haben, was jedenfalls wünſchenswerth wäre. 
Der Vortragende ging darauf zu den in neuerer Zeit ſo vielfach beſprochenen Dornſchen 
Dächern über; er zeigte, daß, wenn in unſerer Provinz die damit gemachten Verſuche 
zum Theil mißglückten, dieß in der fehlerhaften Wahl der dazu erforderlichen Materialien 
und in ungenügender Vermiſchung derſelben ſeinen Grund habe. Es wurde darauf von 
der Bedachungsweiſe gehandelt, die der Direktor der Berliner Gas-Erleuchtungsanſtalt 


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Drory zur Anwendung gebracht hat; darauf von den Verſuchen, die ein Kaufmann in 
Berlin, Eduard Seymer, 1835 machte, und von den Dächern, die der Hauptmann 
a. D., Wilhelm Voight, zu Freienwalde im Regierungsbezirk Potsdam anlegen ließ. 
Am Schluſſe wies der Vortragende darauf hin, wie wichtig die Bereitung der Theerarten 
durch die neueren Bedachungsmethoden geworden iſt, und wie wenig dafür bis jetzt in 


unſerer Provinz geſchah. 


IV. Herr Chemiker Duflos hielt am 4. Decbr. einen Vortrag über die Schwe⸗ 
felſäure, als ein Haupthülfsmittel für die Induſtrie, welche er mit den Worten eines be— 
kannten chemiſchen Schriftſtellers begann: „Nicht Gold, nicht Silber bezeichnen die Höhe 
der Kultur, der geiſtigen und phyſiſchen Kraft der Völker, aber wohl die Vollendung in 
der Bearbeitung des Eiſens.“ Mit faſt demſelben Rechte, fügt nun der Vortragende 
hinzu, könnte man auch ſagen, daß es zur Beurtheilung der Induſtrieſtufe, auf welcher 
ſich eine Provinz, ein Land befindet, nichts weiter bedürfe, als zu wiſſen, wie viel Schwe— 
felſäure darin konſumirt werde; denn kaum giebt es wohl ein Gewerbe, eine Kunſt, ir— 
gend einen im Großen ausgeführten Induſtriezweig, welchem die Schwefelſäure nicht ein 
unentbehrliches Hülfsmittel zur Erlangung oder Beförderung ſeiner Zwecke geworden 
wäre, ſei es nun durch unmittelbare, oder durch mittelbare Anwendung. 

Hierauf verbreitete ſich der Vortragende zunächſt über die chemiſchen Beziehungen, 
die Zuſammenſetzung, die älteren und gegenwärtigen Gewinnungsweiſen der Schwefel— 
ſäure, je nach ihren verſchiedenen, in den Handel unter dem Namen engliſche und ſäch— 
ſiſche Schwefelſäure vorkommenden, Modificationen, erwähnte eines in neueſter Zeit in 
Vorſchlag gebrachten Bereitungsverfahrens der rauchenden Schwefelſäure, worauf ſich 
ein Engländer, Peregrine Philipps, ein Patent habe geben laſſen, und welches ſich auf 
Döbereiners Entdeckung gründet, daß fein zertheiltes Platin die Verbindung zwiſchen 
Schwefeligſäure-Gas und Sauerſtoff-Gas eben fo vermittele, wie die Verbrennung des 
Waſſerſtoff-Gaſes, und zeigte endlich, wie die Anwendung von Geräthſchaften aus Pla— 
tin, ungeachtet der großen Koſtbarkeit dieſes Metalles, doch im Weſentlichen das Meiſte 
dazu beigetragen habe, den Preis der Schwefelſäure ſo tief herabzuſetzen, und dadurch 
ihre Anwendung ſo allgemein zu machen. 

Der Vortragende ging dann zu näherer Angabe der Eigenſchaften der Schwefelſäure 
und den daraus entſpringenden techniſchen Anwendungen derſelben über, und erwähnte 
zuerſt, wie es zu den auszeichnenden Eigenthümlichkeiten dieſer Säure gehöre, daß ſie 
auf naſſem Wege durch keine andere Säure aus ihren Verbindungen mit Baſen ausge— 
trieben werden könne, während ſie dagegen mit wenigen Ausnahmen alle übrigen Säuren 
aus den genannten Verbindungen abſcheide, und wie die Schwefelſäure hierdurch für den 
techniſchen Chemiker zu einem der wichtigſten Hülfsmittel geworden ſei, um ſich und An— 
dern die übrigen, für viele Zweige der Induſtrie unentbehrlichen Säuren, als: Salpeter-, 
Phosphor, Salz⸗, Weinſteinſäure und noch viele andere, im iſolirten Zuſtande zu ver: 

23 


— — 


ſchaffen, indem in der That das Daſeyn und der Gebrauch faſt jeder andern Säure ſtets 
die Schwefelſäure vorausſetze, ſo daß demnach der Nutzen, welcher der Technik aus dem 
Beſitze jener Säuren erwächſt, mit auf die Schwefelſäure zurückfällt. 

Der Vortragende berührte ferner, wie wir derſelben eben erwähnten Eigenſchaft 
der Schwefelſäure die Gewinnung des Chlors und der Soda verdanken, zweier in das 
techniſche Leben tief eingreifender Subſtanzen, welche ebenfalls ohne die Schwefelſäure 
für die Technik kaum exiſtiren würden, deren Beſitz aber mit jedem Tage an Wichtigkeit 
gewinnt. Em gleiches Bewenden habe es mit den jetzt fo allgemein gewordenen, ſoge— 
nannten chemiſchen Zündhölzern, deren Anwendbarkeit auf der eigenthümlichen Reaction 
beruhe, welche ausſchließlich die Schwefelſäure auf das chlorſaure Kali ausübe; und auſ— 
ſerdem verdanke ja auch dieſes letztere, zur Bereitung der Zündhölzer und der jetzt ſo 
beliebten Blendfeuer unentbehrliche, Requiſit der Schwefelſäure ſein Daſeyn. 

Hierauf ließ ſich der Vortragende über das Verhalten der Schwefelſäure zu den 
Metallen und Metall-Oxyden aus, zeigte, wie dieſes verſchieden ſei je nach der Indivi— 
dualität der Metalle, und wie man dieſes verſchiedene Verhalten in der Technik mannich— 
faltig zu benutzen wiſſe. So benutze man die Eigenſchaft des Zinks, in Berührung mit 
Schwefelſäure das Waſſer zu zerlegen und den Waſſerſtoff daraus zu entbinden, um Waſ— 
ferftoff- Gas ſowohl im Großen zur Füllung der Luftballons, als auch im Kleinen behufs 
der ſogenannten Platinfeuerzeuge zu gewinnen. So habe ferner der niedrige Preis, zu 
welchem gegenwärtig die Schwefelſäure hergeſtellt werden könne, es möglich gemacht, das 
verſchiedene Verhalten dieſer Säure zu Kupfer, Silber und Gold zu benutzen, um aus 
Legirungen von Silber und Kupfer, welche geringe Mengen von Gold enthalten, das 
Silber kupferfrei herzuſtellen und gleichzeitig auch das Gold zu gewinnen, was bei dem 
früher üblichen Scheidungsverfahren auf trockenem Wege, dem Abtreiben und der Seige— 
rung, der Koſten wegen nicht möglich war; und man habe auf dieſe Weiſe aus jeder 
Million Preußiſche Thaler, welche innerhalb des Zeitraumes von 1764 bis 1825 geprägt 
waren, um 15,000 Thaler an Gold abgeſchieden und ſo dem Verkehre wiedergegeben. 
Das Scheidungsverfahren ſelbſt beſtehe darin, daß man das güldiſche Silber in zerklei— 
nertem Zuſtande in Platinkeſſeln mit gleichviel Schwefelſäure kocht, die Auflöſung dann 
von dem am Boden des Gefäßes in Geſtalt eines braunen Pulvers befindlichen Gold ab— 
gießt, dieſes noch einmal mit ſtarker Schwefelſäure in der Hitze behandelt, darauf abge— 
waſchen und getrocknet mit Borax im Graphittiegel ſchmilzt. Die ſchwefelſaure Silber— 
löſung wird in bleiernen Pfannen mit Kupferplatten in Berührung gebracht und ſo lange 
gelaſſen, bis alles Silber durch das Kupfer metalliſch abgeſchieden, worauf es ebenfalls 
geſammelt, abgewaſchen, getrocknet und mit Borax eingeſchmolzen wird. Die nach allen 
dieſen Operationen rückſtändige ſchwefelſaure Kupferlöſung, welche außer dem urſprüng— 
lichen, mit dem Silber verbunden geweſenen Kupfer auch dasjenige enthält, mittelſt deſ— 
ſen das Silber abgeſchieden worden, wird auf blauen Vitriol verarbeitet, oder durch 
Eiſen gefällt, wodurch man metalliſches Kupfer und ſchwefelſaures Eiſen (grünen Vitriol) 


— 


erhält, aus welchem letzteren durch Eintrocknen und Glühen die verbrauchte Schwefelſäure 
in Geſtalt von rauchender Schwefelſäure wieder gewonnen werden kann, aber nur zur 
Hälfte; denn die andere Hälfte davon iſt während des Auflöſens des Silbers und Ku— 
pfers in ſchwefelige Säure verwandelt worden und entwichen. 

Noch erwähnte der Vortragende der Anwendung der mit Waſſer verdünnten Schwe— 
felſäure, um Metallflächen von Kupfer, Meſſing, Eiſen oder Zink, welche zuſammenge— 
löthet oder mit andern Metallen, beſonders Zinn und Zink, überzogen werden ſollen, von 
allem Roſte, welcher die Vereinigung der Metalle verhindern würde, zu reinigen. Der 
Gebrauch der Schwefelſäure zu dieſem Behufe ſei beſonders bei der Fabrikation des 
Weißblechs, ſo wie auch bei der Verzinnung des Kupfers, wo ſie durchaus nicht durch 
Salzſäure erſetzt werden könne, wegen des Gehaltes der letzteren an ſchwefeliger Säure, 
von großer Wichtigkeit und zuerſt in England in Ausübung gekommen, und habe zum 
Theile den Vorzug des engliſchen Weißbleches vor andern begründet. 

Hierauf ging der Vortragende auf das Verhalten der Schwefelſäure gegen Pflan— 
zen- und Thierſtoffe über, und machte zuerſt darauf aufmerkſam, wie die energiſche und 
zerſtörende Wirkung, welche die unverdünnte Schwefelſäure auf die genannten Körper 
ausübt, hauptſächlich durch die große Anziehung dieſer Säure zum Waſſer bedingt werde, 
in deren Folge ſie nicht allein letzteres den Körpern, welche ſolches enthalten und mit den 
ſie in gegenſeitiger Berührung gebracht werde, entzieht, ſondern auch deſſen Bildung ver— 
anlaßt, wenn der ihr dargebotene Körper zwar kein Waſſer, aber doch deſſen Beſtand— 
theile, Waſſerſtoff und Sauerſtoff, enthält. Nun enthielten aber die Pflanzen- und 
Thierkörper oder die ſogenannten organiſchen Stoffe überhaupt, Waſſerſtoff, Sauerſtoff 
und Kohlenſtoff, als vorherrſchende Hauptbeſtandtheile; kämen fie daher mit Schwefel: 
ſäure in Berührung, ſo würde ihr Waſſerſtoff und Sauerſtoff zu Waſſer, der Kohlenſtoff 
würde ausgeſchieden und färbe, indem er ſich in der Säure auflöſe, dieſe dunkel. Auch 
mit verdünnter Schwefelſäure geſchehe daſſelbe, wenn man ſie auf dem organiſchen Kör— 
per eintrocknen laſſe, und man könne dieſes Verhalten mit Vortheil dazu benutzen, um 
das Vorhandenſeyn von freier Schwefelſäure in ſauren Flüſſigkeiten, welche ſchwefelſaure 
Salze enthalten könnten, zu entdecken. Um z. B. den Eſſig auf eine etwanige Verfäl— 
ſchung mit Schwefelſäure zu prüfen, bedeckt man ein Gefäß, worin Waſſer ſiedet, mit 
einer weißen Untertaſſe, ſtreicht etwas Zuckerauflöſung darauf und bringt, nachdem dieſe 
eingetrocknet iſt, einen Tropfen des zu prüfenden Eſſigs auf dieſen, ohne die Taſſe von 
dem das ſiedende Waſſer enthaltenden Gefäße wegzunehmen. Reiner Eſſig bewirkt keine 
Schwärzung; wenn ſie erfolgt, iſt er mit Schwefelſäure verfälſcht. 

Der Vortragende zeigte ferner, wie die zerſetzende Einwirkung, welche die Schwe— 
felſäure auf die organiſchen Stoffe ausübt, nicht für alle Subſtanzen dieſer Art in glei— 
chem Maaßſtabe ſtattfinde, ſondern mannichfaltige Verſchiedenheiten darbiete, je nach der 
Eigenthümlichkeit und Beſchaffenheit dieſer Stoffe, und je nach dem Grade der Stärke 
der angewandten Säure und der dabei obwaltenden Temperatur. Die genaue Erfor— 

23 * 


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ſchung aller dieſer Verhältniſſe habe uns denn auch in den Stand geſetzt, auch in dieſer 
Beziehung von der Schwefelſäure vielen und großen Nutzen zu ziehen. 8 

Der Vortragende ließ ſich nun hierüber in ein näheres Detail ein, berührte nament⸗ 
lich die Anwendung und Wirkungsweiſe der Schwefelſäure beim Raffiniren des Rüböls 
und des Terpentinöls, beim Bleichen des Palmöls, bei der Fabrikation von Stärkezucker, 
bei der Ausſcheidung des Zuckers aus dem Runkelrübenſafte, beim Bleichen der Leinwand 
und des Kattuns, bei der Sächſiſchblau-Färberei, und erwähnte, in Bezug auf dieſen letztern 
Gegenſtand, wie der Vorzug, welchen man beim Auflöſen des Indigo's der rauchenden 
Schwefelſäure vor der engliſchen einräumt, weſentlich in der Abweſenheit von Salpeter— 
ſäure, welche in wenigen Sorten von engliſcher Schwefelſäure fehle, begründet ſei, da 
bekanntlich die Salpeterſäure den Indigo mit großer Leichtigkeit zerſetzt und die Ent- 
ſtehung gelber Verbindungen veranlaßt, wodurch die Indigofarbe in Grün nüancirt 


erde. 

Endlich ſprach der Vortragende noch über die verſchiedenen Verunreinigungen und 
Verfälſchungen, denen die Schwefelſäure ausgeſetzt ſei, und auf welche Rückſicht zu neh⸗ 
men, im Intereſſe des Konſumenten liege, ſo wie über die Mittel, ſie zu erforſchen. 
Derſelbe machte beſonders in dieſer Beziehung auf den Arſenik-, Salpeterſäure- und 
übergroßen Waſſergehalt der Schwefelſäure aufmerkſam. Der Gehalt der Schwefelſäure 
an Arſenik, aus dem zu ihrer Bereitung angewandten arſenikhaltigen Schwefel herrüh: 
rend, könne zuweilen ſo bedeutend ſeyn, daß dadurch die mit Anwendung ſolcher Säure 
bereiteten, zum Genuß beſtimmten Produkte, z. B. der Stärke- und Runkelrüben-Sy⸗ 
rup, ſo wie die daraus gefertigten geiſtigen und ſauren Flüſſigkeiten, vergiftet werden 
könnten, wenn der Konſument nicht dafür Sorge trägt, dieſen argen Feind der menſch— 
lichen Geſundheit aus der Säure zu entfernen. Dieß könne aber dadurch leicht erreicht 
werden, daß man in die mit 6 bis 10 Theilen Waſſer verdünnte Säure ein Procent mit 
Waſſer zerrührte Kalkſchwefelleber, welche in jeder Apotheke vorräthig zu haben ſei, 
ſchüttet, das Ganze wohl umrührt, in einem offenen Gefäße ſich abklären läßt und dann 
abgießt. Der Arſenik befindet ſich in Form von Schwefelarſenik oder Operment am 
Boden des Gefäßes. 

Die Verunreinigung der Schwefelſäure mit Salpeterſäure ſei beſonders dann von 
ſchädlichem Einfluſſe, wenn die Säure zur Auflöſung des Indigo's angewandt werden 
ſolle; es ſei daher jedem Konſumenten anzurathen, ſeine Säure vor ſolcher Anwendung 
zu prüfen, was am beſten mittelſt des Indigo's ſelbſt ſich ausführen laſſe. Man gießt 
einige Tropfen von einer ſehr verdünnten, mittelſt rauchender Schwefelſäure bereiteter 
Indigoauflöſung auf eine weite Untertaſſe, bedeckt damit einen Topf, worin Waſſer ſiedet, 
und bringt nun nach dem Eintrocknen einen Tropfen der zu prüfenden, vorher mit gleich⸗ 
viel Waſſer verdünnten Schwefelſäure darauf. War die Säure frei von Salpeterſäure, 
ſo erleidet der blaue Flecken keine Veränderung; gegenfalls wird er weiß, gelb oder grün. 
— Auch die rauchende Schwefelſäure enthalte zuweilen Salpeterſäure; dieß rühre aber 


— 5 


daher, daß die Vitriolöl-Fabrikation bei der Deſtillation des Vitriols eines Theils, um 
die Condenſation der Schwefelſäuredämpfe zu erleichtern, andern Theils aber auch aus 
Gewinnſucht, nicht ſelten engliſche Schwefelſäure vorzuſchlagen pflegen, deren Salpeter⸗ 
ſäuregehalt natürlicherweiſe auch in die alſo gewonnene rauchende Säure übergeht. 

Ein übergroßer Waſſergehalt der Schweſelſäure werde dadurch bedingt, entweder 
daß das Einkochen nicht lange genug fortgeſetzt, oder daß die Säure nicht hinlänglich vor 
Berührung mit der Luft geſchützt worden. Das für die Praxis tauglichſte Mittel, um 
die Schwefelſäure auf ihre Stärke zu prüfen, ſei die zur Erforſchung des ſpecifiſchen Ge— 
wichtes ſchwerer Flüſſigkeiten beſtimmte Senkwaage. Eine gute engliſche Schwefelſäure 
müſſe ein ſpecifiſches Gewicht zwiſchen 1,84 und 1,85 beſitzen, d. h. ein Glas, welches 
genau 100 Gran Waſſer faßt, muß davon 184 bis 185 Gran aufnehmen. Eine ſolche 
Säure enthalte 19%, Waſſer und 81% reine Säure, widerſtehe dem Einfluſſe der Kälte 
und könne ohne Gefahr zu Winterszeit in kalten Räumen aufbewahrt werden, da ſie erſt 
bei — 35 C. erſtarre. Eine Säure, deren ſpecifiſches Gewicht nur 1,78 beträgt, enthalte 
31% Waſſer und erſtarre ſchon bei einer Temperatur von + 4 C. Die rauchende 
Säure zeige ein ſpecifiſches Gewicht zwiſchen 1,88 und 1,90 und erſtarre ſchon bei 0 

Für ſolche Fälle, wo man den reinen Säuregehalt einer verdünnten Schwefelſäure 
kennen zu lernen wünſcht, die Senkwaage aber zu dieſem Behufe nicht anwendbar ſei, 
wie z. B. bei der Zerlegung von ſchwefelſaurem Indigo mittelſt eſſigſauren Bleies behufs 
der Bereitung eines den Kattun nicht zerfreſſenden Tafelblaues, theilte der Vortragende 
folgendes Prüfungsverfahren mit: Man läßt ſich in einer Apotheke genau 25 Gr. ge⸗ 
brannte Magneſia abwägen und in einem etwa 4 Loth faſſenden Glaſe mit 2 Loth Waſſer 
übergießen; hierzu gießt man von einer genau abgewogenen Menge der zu prüfenden 
Säure unter jedesmaligem Umſchütteln ſo lange tropfenweiſe zu, bis alles zu einer klaren 
Flüſſigkeit aufgelöft iſt, und beſtimmt hierauf, wie viel hierzu von der Säure nothwen— 
dig geweſen. Dieſe verbrauchte Menge entſpricht aber genau 50 Gr. reiner waſſerleerer 
Säure. 5 

Schließlich erinnerte der Vortragende nochmals, daß die Schwefelſäure bei aller 
ihrer großen Nützlichkeit doch auch ein energiſches Zerſtörungsmittel für alles Organiſche 
iſt, und daher denjenigen, welche damit umzugehen haben, nicht genug Vorſicht in der 
Handhabung dieſer Subſtanz zu empfehlen ſei. Wo ein Tropfen unverdünnte Schwe— 
felſäure auf ein Kleidungsſtück, Papier und dergleichen fällt, entſteht ein Loch, gleichſam 
als wenn die Stelle mit einem glühenden Eiſen berührt worden wäre, und eben ſo, wie 
wenn in letzterem Falle die glimmende Stelle nicht ausgelöſcht worden iſt, die Verſengung 
immer weiter um ſich greift, ſo auch mit der Schwefelſäure, wenn die davon betroffene 
Stelle nicht ſogleich ſorgfältig ausgewaſchen wird. Stark mit Waſſer verdünnte Schwe— 
felſäure wirke dagegen nicht zerſtörend, wenn man nur dafür Sorge trägt, ſie durch Aus— 
waſchen mit Waſſer zu entfernen, oder ſie durch Benetzen der betroffenen Stelle mit einer 
alkaliſchen Flüſſigkeit unwirkſam zu machen. Verſäume man aber eine von dieſen Vor⸗ 


ſichtsmaaßregeln und laſſe die Säure auf das Zeug eintrocknen, ſo werde es endlich mürbe 
und zerfalle wie Zunder. 

Wenn man ſich die Hände mit concentrirter Schwefelſäure begoſſen habe, müſſe 
man zuerſt die Kleider entfernen, dann die betroffenen Stellen der Haut mit trockenem 
Sande oder Aſche abreiben, hierauf mit Waſſer waſchen, und endlich ganz ſo wie ge— 
wöhnliche Brandwunden mit zerriebenen rohen Kartoffeln behandeln. Noch ſchrecklicher 
in ſeinen Wirkungen ſei der innerliche Genuß der concentrirten Schwefelſäure, ſei es nun 
in Folge eines Mißgriffes oder einer abſichtlichen Vergiftung. Nur die möglichſt ſchnelle 
Anwendung chemiſch gegenwirkender Mittel, welche an und für ſich ſelbſt keine verletzende 
Wirkung auf den Organismus ausüben, könne Rettung bringen. Unter den hierzu qua— 
lificirten Mitteln gebühre aber der gebrannten Magneſia, wovon 1 Loth hinreichend ſei, 
um 2 Loth Schwefelſäure zu neutraliſiren, der Vorzug. In Ermangelung dieſes Mittels 
könne auch geſchabte oder geſchlemmte Kreide angewandt werden, doch ſei hierzu doppelt 
ſo viel als von der Magneſia erforderlich. Auch Seifenwaſſer werde empfohlen, indeß 
ſtehe dieſes Mittel dem oben genannten weit nach, indem, außer dem Ekelerregendem deſ— 
ſelben, 60 — 80 Theile davon kaum hinreichten, daſſelbe zu Wen als 1 Loth ge: 
brannter Magneſia oder 2 Loth Schlemmkreide. 

Am 18. December hielt Herr Duflos einen Vortrag über das Chlor in techniſcher 
Beziehung, berührte zuerſt die chemiſchen Verhältniſſe, dann die Darſtellungsweiſe dieſes 
Körpers und ging hierauf zu einer näheren Auseinanderſetzung ſeiner Eigenſchaften und 
der Wirkungen, welche derſelbe auf andere Stoffe ausübt, über, zeigte durch Verſuche 
die dieſem Körper noch in ausgedehnterem Maaße als dem Sauerſtoffe zukommende Ei— 
gen ſchaft, ſich mit vielen Metallen ſchon bei gewöhnlicher Temperatur unter Feuerentwicke— 
lung zu verbinden, und bezeichnete ihn als den weſentlich wirkſamen Beſtandtheil des ſo— 
genannten Königswaſſers, deſſen man ſich gewöhnlich zur Auflöſung der in Säuren un- 
löslichen Metalle, als Gold, Platin, bedient. 

Hierauf ließ ſich der Vortragende in näheres Detail über die in techniſcher Bezie— 
hung ungleich wichtigeren Reactionen, welche das Chlor in Berührung mit färbenden, 
riechenden und anſteckenden Stoffen organiſchen Urſprungs darbietet, ein. Er entwickelte, 

wie das Chlor, ähnlich der Schwefelſäure, ein kräftiges Zerſtörungsmittel der Pflanzen— 
und Thierſtoffe ſei und ganz beſonders durch Waſſerſtoffentziehung wirke, indem die ge— 
nannten Stoffe, wenn ſie mit Chlor in Berührung kommen, ſchnell ihres Waſſerſtoffes 
beraubt und dadurch zerſetzt werden, gleichviel, ob die Stoffe riechen, ſtinken, gefärbt 
ſind oder nicht. Das Chlor werde dabei ſelbſt in Chlorwaſſerſtoff oder Salzſäure umge— 
wandelt. Sei aber den organiſchen Stoffen der Waſſerſtoff entzogen, ſo ſei auch ihre 
Exiſtenz vernichtet, und mit dieſer Geruch, Geſtank und Farbe. Auf dieſer Entwaſſer— 
ſtoffung beruhe die bleichende Wirkung des Chlors, feine Geruchlosmachung fauliger Aus— 
flüſſe und ſeine Zerſtörung der anſteckenden Krankheitsſtoffe, deren Träger der Waſſer— 
ſtoff, der ſubtilſte aller ponderabeln irdiſchen Stoffe, ſei. Der Vortragende bezeichnete 


se FR u 


Berthollet und Guyton-Morveau als diejenigen, welche zuerſt dieſe Wirkſamkeit des von 
Scheele entdeckten Chlors erkannten und ſie zum Vortheile der Induſtrie und zum Wohle 
der menſchlichen Geſellſchaft zu benutzen lehrten. 

Berthollet errichtete zu Javelle bei Paris eine Anſtalt, wo baumwollene und leinene 
Gewebe mittelſt Chlors gebleicht wurden. Anfangs habe man ſich des Chlorwaſſers be— 
dient, was wegen des ſchädlichen Einfluſſes des freien Chlors auf die Geſundheit der Ar— 
beiter und wegen der nachtheiligen Wirkung der in Folge des Bleichproceſſes entſtehenden 
Salzſäure auf die Pflanzenfaſern, eine, große Vor- und Umſicht erfordernde Operation 
geweſen ſei, daher die Entdeckung von Berthollet erſt durch die Beobachtung deſſelben 
Naturforſchers ihren vollen Werth erlangt habe, daß das Chlor die Eigenthümlichkeit 
beſitze, ſich wie mit dem Waſſer, eben ſo auch mit den Alkalien ſo zu verbinden, daß in 
der entſtehenden Verbindung die nachtheilbringenden, aber nicht die nützlichen Eigenſchaf— 
ten deſſelben aufgehoben ſeyen. Chlornatron und Chlorkali (Eau de Javelle) ſeyen 
daher an die Stelle des Chlors getreten, bis Tennant die in ökonomiſcher Beziehung wich— 
tige Entdeckung machte, daß Kalk mit gleichem Nutzen an die Stelle der viel theuerern 
Pottaſche und Soda angewandt werden könne; und ſeitdem habe auch der Gebrauch des 
Chlorkalks (in England Tennant's Bleichpulver genannt) ſo an Umfang gewonnen, daß 
deſſen Fabrikation ein eigener Induſtriezweig geworden und derſelbe nun zu den kurſirend— 
ſten Handelsartikeln gehöre. 

Der Vortragende entwickelte nun weitläuftig die Art und Weiſe, wie der Chlorkalk 
bereitet werde, ſeine Zuſammenſetzung, ſeine phyſiſchen und chemiſchen Eigenſchaften, ſein 
Verhalten gegen Waſſer, Licht, Luft und Säuren, die Art und Weiſe ſeiner Wirkungen 
auf Leinwand und Kattun, welche für beide Stoffe weſentlich verſchieden ſei und daher 
auch eine verſchiedene Applikation erheiſche. Er zeigte, wie dadurch, daß man dieſen 
Verhältniſſen nicht die gehörige Aufmerkſamkeit ſchenkt, großer Schaden herbeigeführt 
werden könne, und wie der Mißkredit, worin in manchen Gegenden die Chlorkalkbleiche 
gefallen, eben dieſer Nichtbeachtung der verſchiedenen Wirkungsart des Chlorkalks, je 
nachdem derſelbe ohne oder mit Säure angewandt werde, zugeſchrieben werden müſſe. 
Chlorkalk mit Säure wirke wie freies Chlor, welches wegen ſeiner zerſtörenden Wirkung 
auf die Flachsfaſern nie oder doch nur mit größter Vorſicht unmittelbar zum Bleichen der 
Leinwand und der Lumpen, behufs der Fabrikation eines guten haltbaren Papiers, ans 
gewandt werden dürfe, daher auch beim Bleichen mittelſt Chlorkalks alle Umſtände forg= 
fältig vermieden werden müßten, welche Freiwerden von Chlor herbeiführen könnten. 

Der Vortragende ſetzte dieſe Umſtände näher auseinander, und bemerkte, wie in 
Großbritannien das Bleichen mittelſt Chlors (bertholletern) bald nach ſeiner Entdeckung 
in allen Beziehungen rationell erforſcht und ausgeübt worden ſei, die Chlorbleiche weſent— 
lich dazu beigetragen habe, den dortigen Bleichwaaren den Vorrang vor allen übrigen 
zu verſchaffen. Es ſei indeß nicht in Abrede zu ſtellen, daß der Werth der Chlorkalk⸗ 
bleiche ſich nicht für jedes Land nach einem gleichen Maaßſtabe abſchätzen laſſe; für Eng⸗ 


anne ie 


land zum Beiſpiel, wo die Bleichplätze wegen des hohen Getreidepreiſes ſehr theuer, die 
Arbeitslöhne ſehr hoch ſind, und der Chlorkalk, wegen des niedrigeren Salzpreiſes, viel 
wohlfeiler iſt, als bei uns, ſei dieſer Werth ſehr hoch, bedeutend höher als in Schleſien, 
anzuſchlagen. Dazu komme noch, daß der engliſche Bleicher die möglichen Nachtheile der 
Chlorkalkbleiche meiſtens noch dadurch umgeht, daß er die Chlorkalklauge nicht unmittel- 
bar anwendet, ſondern ſie vorher durch Wechſelzerſetzung mit Glauberſalz und einen über: 
ſchüſſigen Zuſatz von Soda in baſiſche Chlorſoda umwandelt, und dadurch eine Bleich— 

lauge erzielt, welche unter keinen Verhältniſſen der Leinwand nachtheilig iſt, was eben— 
falls nur in nr aus den eben angeführten Gründen in dieſer Ausdehnung ausführ⸗ 
bar ſei. 

Der Vortragende erörterte hierauf die anderweitigen Anwendungen des Chlors, 
Chlorkalks und der Chlorſoda als farbenzerſtörende Mittel, machte auf die beſondern 
Fälle aufmerkſam, wo der eine und der andere der genannten Stoffe vorzugsweiſe ange⸗ 
wandt werden müſſe, und hob beſonders die Wichtigkeit der Chlorſoda hervor, als ein 
Mittel, der inländiſchen Leinwand, nach vorangegangener Naturbleiche, die letzte Vollen⸗ 
dung zu geben, und ſie in den Stand zu ſetzen, auf den Märkten die Konkurrenz mit der 
irländiſchen Leinwand aushalten zu können. Er theilte in dieſer Beziehung die von une 
ſerm berühmten Technologen, Prof. Runge, angegebene Verfahrungsweiſe mit, welche 
darin beſteht, die Leinwand in ein lauwarmes Bad, das auf 1000 Pfund Waſſer 20 bis 
50 Chlorſodalauge enthält, zu bringen, fie darin fo lange herum zu arbeiten, als noch 
eine Verbeſſerung in der Farbe erfolgt, und dann gut zu ſpülen. 

Die Chlornatronlauge ſelbſt werde folgendermaßen bereitet: 

20 Pfund Chlorkalk von 16 bis 20 / Chlorgehalt werden in 200 Pfund Waſſer 
vertheilt, mit einer Auflöſung von 24 Pfund Glauberſalz in 100 Pfund Waſſer unter 
Umrühren vermiſcht, nach dem Ablagern die klare Flüſſigkeit abgelaſſen und dazu noch 
eine Auflöſung von 2 bis 3 Pfund kohlenſaures Natron zugeſetzt. — Zur Bereitung und 
Aufbewahrung dieſer Lauge kann man ſich hölzerner Gefäße bedienen, welche vorher mit 
einem Firniß aus 2 Theilen Wachs und einem Theile Colophonium heiß überzogen wor= 
den ſind. 

Der Vortragende nahm nun hierbei Gelegenheit, darauf aufmerkſam zu machen, 
wie wichtig es für den Konſumenten in pekuniärer und auch in techniſcher Beziehung ſei, 
den Chlorkalk beim Ankaufe und vor der Anwendung auf ſeinen Gehalt an bleichendem 
Chlor zu prüfen, da dieſes bei dem Chlorkalke des Handels zwiſchen 20 bis 3 Procent 
herab variire. Derſelbe erwähnte mehrerer zu dieſem Behufe in Vorſchlag und auch in 
Anwendung gekommener Prüfungsmethoden, zeigte aber zugleich, wie alle dieſe Prüfungs⸗ 
weiſen an dem gemeinſchaftlichen Uebelſtande leiden, daß an deren richtige Ausführung 
Bedingungen geknüpft ſind, deren Erfüllung ſelten in der Macht des Praktikers ſteht, 
und theilte gleichzeitig mit, wie es ihm gelungen ſei, eine Prüfungsmethode ausfindig zu 
machen, welche, wie es ſcheine, allen Borderungen genüge, nämlich den 9 der 


ne, , 


Genauigkeit, der Wohlfeilheit, der ſchnellen und leichten Ausführbarkeit auch von Seiten 
derjenigen, welche aller Uebungen in der chemiſchen Experimentirkunſt ermangeln. 

Der weſentliche Vorzug dieſes neuen chlorometriſchen Verfahrens beſtehe darin, daß 
die zu deſſen Ausführung nöthige Tinktur ihre Farbe nicht einem organiſchen, daher leicht 
veränderlichen, Farbenſtoffe verdanke, wie die zu gleichem Behufe angewandte Indigo— 
Tinktur, ſondern einer chemiſchen Verbindung von genau bekannter Zuſammenſetzung, 
welche, um entfärbt zu werden, eine konſtante Menge Chlor erfordere. Es iſt dies nam: 
lich eine verdünnte Auflöſung von Schwefelcyaneiſen, welche man durch Vermiſchen zweier 
in beſtimmten Verhältniſſen bereiteter Auflöſungen von ſalzſaurem Eiſenoxyd und Schwe— 
felcyankalium (Kali anthrazothionicum), die leicht aus jeder Apotheke bezogen werden 
können, erhält. Dieſe blutrothe Flüſſigkeit wird ſowohl durch freies Chlor, als auch durch 
Chlorkalklauge vollſtändig entfärbt, indem an die Stelle des rothen Schwefelcyaneiſens 
durch Vermittelung des Chlors neue farbloſe Verbindungen entſtehen, und zwar erfordert 
eine in den Verhältniſſen von 3 Granen Schwefelcyankalium, 4 Gr. Eiſenliquor (Lig. 
ferri muriatici oxydatı Ph. Bor.) und 11 Loth oder 9 Kubikzoll Waſſer bereitete 
Tinktur ein gleiches Volumen Chlorgas zur Entfärbung. 

Will man daher irgend eine Chlorkalkſorte auf ihre Bleichkraft prüfen, ſo über— 
gieße man 50 Gr. davon mit einer beliebigen Menge Waſſers, welche indeß mindeſtens 
das Zwanzigfache betragen muß, ſchüttele das Ganze einige Minuten tüchtig unter einan— 
der, laſſe abſetzen, gieße dann genau die Hälfte in einem Probirglaſe klar ab, und ſetze 
endlich dazu unter fortdauerndem Umrühren von einer genau abgewogenen oder abgemeſ— 
ſenen Menge von der Probetinktur ſo lange zu, als noch Entfärbung ſtattfindet, oder bis 
das Gemiſch dauernd in Roth nüancirt wird. Das verbrauchte Quantum entſpricht 
genau einem gleichen Volumen Chlor in 25 Gr. von dem geprüften Chlorkalke. Der 
procentiſche Gehalt des Chlorkalkes an bleichendem Chlor dem Gewichte nach wird aber 
leicht gefunden, wenn man die Anzahl der verbrauchten Kubikzolle von der Tinktur mit 
4 multiplicirt, indem 1 Kubikzoll Chlorgas ſehr nahe 1 Gr. wiegt. 

Der Vortragende demonſtrirte das eben Mitgetheilte auf der Stelle durch den Ver— 
ſuch, und knüpfte an dieſen noch einige andere an, welche zum Zwecke hatten, im Gegen— 
ſatze damit zu zeigen, wie das Chlor nicht immer ein farbenzerſtörendes Mittel ſei, ſon— 
dern auch dazu dienen könne und auch in der Technik dazu angewandt werde, um Farben 
hervorzubringen und zu ſchönen. Beſonders ſei dieſes bei den Farbemitteln der Fall, 
deren Grundlage ein Metalloxyd iſt, welches mittelſt des Chlors, ſowohl des freien, als 
auch des an Kalk gebundenen, auf eine höhere Oxydationsſtufe von anderer oder dunkle— 
rer Farbe übergeführt werden kann, wie z. B. beim Blei- und Mangan-Oxyd und beim 
Eifenorydul in der Chemiſchblau-Färberei. 

Hierauf ging der Vortragende zur Darlegung der engen welche das Chlor in 
Form von Chlorwaſſer, Chlorkalk und Chlornatron auf Subſtanzen thieriſchen Urſprungs 
ausübt, über; er zeigte, wie das Chlor ſich auch in dieſer Beziehung äußerſt wohlthätig 

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u 


bewähre, zwar nicht als Bleichmittel, wo es nur nachtheilige Wirkungen äußere, aber 
als kräftigſtes Zerſtörungsmittel faſt aller, ſowohl von lebenden, als von todten Körpern 
ausgehenden Krankheitsſtoffen, Ausdünſtungen und Gerüchen, führte mehrere, aus dem 
praktiſchen Leben hergenommene, Fälle an, in denen die Anwendung des einen oder des 
andern der genannten Chlorpräparate ſich als ganz beſonders nützlich und wohlthätig er— 
gebe, und beſchrieb die für alle einzelnen Fälle paſſendſten Anwendungsweiſen. 

Endlich ſchloß Herr Duflos ſeinen Vortrag mit der Warnung, das in ſo viel— 
facher Beziehung höchſt wirkſame und nützliche Chlor darum doch nicht für ein Univerſal⸗ 
mittel zu halten, und machte auf mehrere Fälle aufmerkſam, in denen fein Gebrauch, ob⸗ 
gleich als nützlich angeprieſen, nicht allein nutzlos, ſondern oft auch ſchädlich ſich erweiſe, 
fo unter andern beim Wolle, Seide-, Haare-, Feder-, Knochen- und Elfenbein-Blei⸗ 
chen, beim Branntwein-Entfuſeln, beim Wachsbleichen, bei der Geruchlosmachung von 
ranzigen Fetten und Oelen. | 


V. Herr Apotheker Preuß aus Bolkenhain ſchickte einen Vortrag ein: Ueber 
die Verbindung des Oxygens mit Waſſer und einige Wirkungen dies 
ſer Verbindung. 

Am wenigſten beachtet, unterſucht und gekannt ſind bis jetzt unter den natürlichen 
Verbindungen unſtreitig diejenigen, welche die Naturforſcher deshalb Urſache zu haben 
glauben, als nicht chemiſche zu bezeichnen, weil ihre konſtituirenden Beſtandtheile ſich 
in nicht feſten Proportionen zu verbinden ſcheinen. Hierher gehören Vereinigungen ver— 
ſchiedenartiger Flüſſigkeiten, Auflöſungen feſter Körper in gasförmigen und flüſſigen, 
Verdichtungen gasförmiger und tropfbar flüffiger Stoffe in poröſen, feſten Maſſen, Ver: 
bindungen der Gaſe mit tropfbaren Flüſſigkeiten u. ſ. w. Obſchon bedeutende Namen 
ſich mit der Unterſuchung dieſer Gegenſtände beſchäftigten, ſo herrſcht dennoch darüber 
große Dunkelheit, ja man ſtößt ſelbſt auf Widerſprüche, welche bis gegenwärtig noch 
unaufgehellt blieben; inzwiſchen reichen die bereits vorhandenen Thatſachen hin, die 
quantitative Vereinigung gewiſſer Stoffe und die Wirkungen dieſer Verbindungen zu be— 
ſprechen, was ich nachfolgend ſpeziell in Bezug auf atmoſphäriſche Luft und namentlich 
deren wirkſamſten Beſtandtheil, das Oxygen, in Verbindung mit Waſſer nur für ei- 
nen Fall verſuchen will, ohne mich in ſpekulative, der Praxis nicht beſonders nützliche, 
Erörterungen über die Fragen: „chemiſche Verbindung,“ „Auflöſung,“ „mes 
chaniſche Vereinigung,“ einzulaſſen, was aber auch wirklich bei dem vorliegenden 
Gegenſtande von geringer Erheblichkeit ſeyn dürfte. 

Unverkennbar iſt der Einfluß, welchen die atmoſphäriſche Luft, d. h. das Stick— 
und hauptſächlich das Sauerſtoffgas, im Verein mit Waſſer, nicht allein auf alles thie⸗ 
riſche und Pflanzenleben, ſondern auch auf todte Gebilde organifcher Abkunft und ſelbſt 
auf viele anorganiſche Körper ausübt; überall ſieht man in Beziehung auf den todten 
Organismus Verweſen oder Verfaulen und Veränderung der früheren Form, wobei aller— 


—— 187 —— 


dings ein er ſer Grad von Wärme noch nöthig iſt, durch welchen die chemiſchen 
Kräfte geweckt werden. Durch Einwirkung der Beſtandtheile der Atmoſphäre, und in 
Folge der dadurch hervorgerufenen Entmiſchung jener Körper, ordnen ſich die primitiven 
Beſtandtheile derſelben mit den neu hinzukommenden zu anderen, den früheren Gebilden 
durch äußere Form und chemiſche Eigenſchaften ganz unähnlichen, neuen Verbindungen, 
und überall, wo das Leben des Organismus aufgehört hat, da beginnt die Thätigkeit der 
Naturkräfte, der Chemismus. Doch eben fo, wie zur Herbeiführung gewiſſer chemi- 
ſcher Thätigkeit eine gewiffe Wärme nöthig iſt, — da bei tieferen Temperaturen end— 
lich alle chemiſchen Aktionen aufhören, bei höheren dagegen aber ganz andere Wirkungen 
und Produkte geſchaffen werden, — eben ſo darf, zur Einleitung und zur Fortſetzung 
der chemiſchen Entmiſchung von Gebilden organiſcher Abkunft, weder das Sauerſtoffgas, 
noch das Waſſer fehlen; denn es ſind ja bekannte Thatſachen, daß man einerſeits ſogar 
Fleiſch nach Entfernung des Waſſers durch Trocknen und Aufbewahrung deſſelben in trock— 
ner Luft ohne die geringſte Veränderung lange Zeit erhalten kann; andererſeits iſt aber 
derſelbe Erfolg ſehr wahrſcheinlich, wenn es leicht möglich wäre, ebenfalls Fleiſch in ganz 
luftleerem Waſſer aufzubewahren, wenigſtens ſcheinen die Thatſachen, daß Fleiſch, mit 
Salz imprägnirt (ſogenanntes Pökelfleiſch) oder daſſelbe in Kohlenpulver gelegt, längere 
Zeit vor dem Verderben geſchützt werden kann, dafür zu ſprechen; denn im erſten Falle 
wird durch die geſättigte Salzauflöſung die Abſorption des Sauerſtoffgaſes gehindert, da 
bekanntlich die von Waſſer abſorbirten Gaſe vermitteiſt Auflöſen von Salzen wieder aus 
dem Waſſer ausgeſchieden werden können; im zweiten Falle aber die Kohle ſelbſt daſſelbe 
einſaugt, ohne es an das Fleiſch wieder abzugeben, und ſo einen Ueberzug bildet, der als⸗ 
dann für das Gas undurchdringlich iſt. 

Zieht man hierbei noch die ausgezeichneten Eigenſchaften der von Thenard entdeckten 
Verbindung des Waſſers mit Sauerſtoff, des Waſſerſtoff- Superoxyds, in Betracht, fo 
dürfte man noch weniger an den chemiſchen Wirkungen der atmoſphäriſchen Luft, im 
Verein mit Waſſer, zweifeln, wenn man nicht den Einwurf machen könnte, jene wäre 
von den Chemikern, was auch der Name ſchon hinlänglich bezeichnet, als eine durch eigen— 
thümliches chemiſches Verfahren dargeſtellte, und ſich vielleicht durch manche Eigenſchaft 
von dieſer unterſcheidende, rein chemiſche Verbindung anerkannt, während dieſe kaum als 
eine Auflöſung oder nur als eine bloße mechaniſche Vereinigung des Sauerſtoffgaſes mit 
dem Waſſer zu betrachten ſei. Dem ſei nun wie ihm wolle, ſo iſt Luft und Waſſer in 
der Atmoſphäre, ſo wie in allen meteoriſchen Wäſſern immer vereinigt, wenn auch durch 
Erhöhung oder Erniedrigung der Temperaturen des Luftkreiſes in ihren ſonſt bedeutenden 
Einflüſſen verſchieden, deshalb aber doch bei allen gewerblichen Geſchäften, bei welchen 
auf ihre Wirkungen gerechnet werden muß, von zu hoher Wichtigkeit, als daß ſie über⸗ 
ſehen werden dürften. Bei einer Temperatur von + 15,5 Celſius und bei gewöhnli— 
chem Barometerſtande fanden Dalton und Henry, daß 1000 Maaß Waſſer 15 bis 25 
Maaß Stickgas verſchluckten. Unter gleichen Temperatur- und Druckverhältniſſen ver⸗ 

24 * 


PO, Een 


ſchluckte daſſelbe Volumen Waſſer aber 37 bis 40 vo. Sauerſtoffgas. v. Sauffure, 

der über den vorliegenden Gegenſtand die meiſten und auch faſt genaueſten Unterſuchungen 
angeſtellt hat, giebt ſogar die Menge des abſorbirten Stickgaſes, bei 1000 Maaß Waſ⸗ 

fer, auf 42, und die des Sauerſtoffgaſes auf 65 Maaß an, — dabei war die Tempera⸗ 
tur noch 2,5 höher, als bei den Dalton-Henryſchen Verſuchen; eben fo enthält, nach 
Alexander v. Humboldt und Gay-Luſſac, Schneewaſſer und das Waſſer der Seine circa 
0,04 atmoſphäriſche Luft. Auch unterſuchten ſie die, aus verſchiedenen Wäſſern erhalte— 
nen Gasmengen, und fanden im Regen- und Schneewaſſer die größere Menge Sauerſtoff— 
gas; dabei bemerkten ſie, daß daſſelbe, im Vergleich mit andern Gaſen, ausnehmend 
ſchnell abſorbirt wird, und, einmal mit Waſſer verbunden, ſich weit ſchwieriger von die— 
ſem wieder trennt, als namentlich das Stickgas. Henry kochte im pneumatiſchen Appa⸗ 
rate mit atmoſphäriſcher Luft geſättigtes Waſſer und ſah das Stickgas zuerſt entweichen, 
während ſich noch immer Sauerſtoffgas entwickelte, nachdem das erſtere längſt verſchwun— 
den war. Schon Prieſtley bemerkte, daß, wenn er zu ausgekochtem Waſſer, welches ſich 
in der Torricelliſchen Leere befand, irgend ein beliebiges Gas brachte, dieſes abſorbirt 
wurde, wenn er die Barometerröhre neigte, und umgekehrt, daß es ſich zum Theil wieder 
entwickelte, ſobald er die Röhre aufrichtete. Henry aber hat ein, von Dalton und 
v. Sauſſure beſtätigtes Geſetz aufgefunden, nach welchem die permanenten Gaſe bei 
einer und derſelben Temperatur von dem Waſſer immer in demſelben 
Volumen abſorbirt werden, der Druck mag ſo groß oder ſo klein ſeyn 
wie er wolle. Es wird daher bei größerem Drucke von übrigens gleichen Maaß— 
theilen Waſſer eine größere Gewichtsmenge Luft abſorbirt werden, als bei gerin— 
gerem Drucke, und dieſe Gewichtsmenge des abſorbirten Gaſes wird ſich bei gleichen 
Temperaturen ſo verhalten, wie der auf dem Gaſe laſtende Druck. Ganz denſelben 
Einfluß, welchen der Druck auf die Abſorption der Safe durch Waſſer ausübt, zeigt auch 
die Veränderung der Temperatur; denn Dalton hat gezeigt, daß ebenfalls bei 
jeder Temperatur das Volumen des abſorbirten Gaſes, in übrigens glei— 
chem Volumen Waſſer, gleichgroß iſt, oder, was hieraus folgt, daß die Gewichts— 
menge des abſorbirten Gaſes bei fallender Temperatur zu-, bei ſteigender aber 
abnimmt, und daher wird ſich die Gewichts menge des abſorbirten Gaſes wie ſeine 
Temperaturen verhalten. Entſchiedenen Einfluß endlich auf die Schnelligkeit der Abſorp— 
tion hat die mechaniſche Zertheilung der zu abſorbirenden Gaſe in die kleinſten Bläschen, 
um ihre Berührungsoberfläche mit dem Waſſer dadurch möglichſt zu vergrößern. 

Werden zwei Gaſe zugleich mit Waſſer in Berührung gebracht, ſo verbindet ſich 
dasjenige derſelben in größerer Menge mit dem Waſſer, welches darin am reichlichſten 
abſorbirbar iſt; war aber von dem weniger abſorbirbaren Gaſe das Waſſer ſchon ge— 
ſättiget, ſo wird dies durch das Hinzutreten des leichter verſchluckbaren Gaſes zum größe— 
ren Theile wieder ausgeſchieden. Iſt dagegen in dem Gasgemiſche das weniger abſor— 
birbare Gas in größerer Menge vorhanden, als das andere ſich leichter verbindende, ſo 


Be RE 


wirkt allerdings die Maſſe des erſteren auf die aufzulöſende Quantität des an ob⸗ 
ſchon es ſich dennoch in weit größerer Menge verbindet, als es bei dem erſteren der Fall 
ſeyn würde, ſelbſt wenn die gemiſchten Gasvolumina beider gleich wären. Die Verſuche 
von A. v. Humboldt und Gay-Luſſac und Carradori ſtellen feſt, daß das Gefrieren des 
Waſſers die von demſelben abſorbirten Gaſe am vollkommenſten wieder daraus entfernt, 
und zwar beſſer noch als bloßes Erhitzen. Ferner wird die Entbindung der durch Waſſer 
abſorbirten Gaſe bewirkt: durch Luftverdünnung oder verminderten Druck; durch in 
Waſſer auflösbare Subſtanzen, wie z. B. Salze, und durch beſondere mechaniſche Ver⸗ 
anlaſſungen, wie Hineinbringen von eckigen oder ſpitzigen Körpern u. ſ. w. Prieſtley 
unterſuchte das in einem hölzernen Troge faulig gewordene Waſſer, und fand es frei von 
allem Sauerſtoffgas, — es hatte ſich mit der organiſchen Materie verbunden. In dieſer 
Art wirkt das Sauerſtoffgas, in Verbindung mit den meteoriſchen Wäſſern, auf alle 
todten Körper organiſcher Abkunft in der Natur, indem es ſich mit ihnen verbindet, ſie 
zerſtört und verändert, und eben ſo wirkt dieſes Gas auf das Pigment der Flachsfaſer, 
während dieſelbe, von feſterer Organiſation, längere Zeit der Zerſtörung widerſteht, je— 
ner färbende Stoff aber leicht verändert wird. Aus dem bereits Vorausgeſchickten erhellt 
nur zu deutlich, warum die Leinwandbleiche im Frühlinge, wo man bei der herrſchenden 
niedrigen Temperatur alles Waſſer als mit Sauerſtoffgas möglichſt geſättiget annehmen 
kann, die ſchnellſte und die beſte iſt. 

Daſſelbe beſtätiget die für viele Unternehmer noch immer ſo gefährliche Chlorbleiche; 
denn wie bekannt, entwickelt chlorhaltiges Waſſer, den Sonnenſtrahlen ausgeſetzt, Sauer— 
ſtoffgas, welches als das allein bleichende Prinzip anzuſehen iſt, und das Chlor tritt mit 
dem Waſſerſtoffe des zerſetzten Waſſers zu Salzſäure zuſammen, welcher weder jemals 
bleichende Eigenſchaften gezeigt hat, noch der Pflanzenfaſer nützlich iſt, uneingedenk der 
zur Zerſetzung des Chlorkalks von unwiſſenden Arbeitern oft ſehr im Uebermaaß ange: 
wendeten Schwefelſäure. Die Anſicht, daß Sauerſtoffgas das bleichende Prinzip ſei, 
wird noch durch manchen anderen Umſtand unterſtützt. So durch die Erfahrung der 
Bleicher, nach welcher ſtarke Thaue bei kühlen Morgen der Bleiche beſonders günſtig 
ſind, was nur von dem, durch die größte Zertheilung des Waſſers und durch die kühle 
Temperatur in vergrößertem Maaße abſorbirten Sauerſtoffgaſe des Waſſers herrührt; 
eben ſo durch die negative Thatſache, daß im Sommer dieſelben, zur Bleiche erforderli— 
chen, wirkſamen und immer in derſelben Quantität angewendeten Mittel, wie Alkalien, 
Waſſer, Luft und ſogar erhöhetes Sonnenlicht nicht fähig ſind, denſelben Effekt, wie in 
dem kühlen Frühlinge hervorzubringen, was ganz unerklärbar wäre, wenn nicht das 
Dalton'ſche Geſetz, über die Verbindung der Gaſe mit Waſſer bei verſchiedenen Tempe— 
raturen, hierüber Aufſchluß gäbe, wonach ſich der Mangel des aufgelöſten Sauerſtoff— 
gaſes im Waſſer bei erhöheter Temperatur während des Sommers durch den Mangel 
feiner Wirkungen dokumentirt. Geht nun aus der Eigenfchaft des Thenard'ſchen Waſ— 
ſerſtoffſuperoryds, faſt augenblicklich zu bleichen, und aus den, jedem Laien auffallenden, 


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energifchen Wirkungen des Schneewaſſers die überzeugende Wahrſcheinlichkeit für jenes 
Theorem hervor, ſo muß der Praktiker eine Methode wünſchen, nach welcher bequem und 
billig ein an Sauerſtoffgas reichhaltiges Waſſer dargeſtellt werden kann. Die Berei— 
tungsart des Waſſerſtoffſuperoxyds iſt bis jetzt noch jo umſtändlich und koſtſpielig, ob— 
ſchon Liebig und Wöhler ein abgekürztes Verfahren zur Herſtellung des dazu erforder: 
lichen Bariumſuperoxydhydrats bekannt machten, daß es bis jetzt zum techniſchen Ge— 
brauche gewiß nicht anwendbar ſeyn dürfte, auch würde die Anwendung deſſelben immer 
wieder einige Sachkenntniß bei den Perſonen, die damit arbeiten ſollten, vorausſetzen, 
wenn auch nicht zu leugnen iſt, daß das Waſſerſtoffſuperoxyd die beſte Bleiche vielleicht 
für jedes dieſelbe bedürfende Material abgeben würde. Stellt man hingegen die, von 
den genannten Phyſikern und Chemikern erforſchten Umſtände zuſammen, unter welchen 
die Vereinigung des Sauerſtoffgaſes am reichlichſten mit dem Waſſer erfolgt, ſo ſind 
dieſe: Erniedrigung der Temperatur; verſtärkter Druck; Vergrößerung der Berüh— 
rungsfläche; — Bedingungen, welche ſämmtlich leicht erfüllt werden können. Denn um 
ein ſtark abgekühltes Waſſer zu erzielen, benutze man zuvörderſt die kühle Temperatur 
des Quellwaſſers, welches, in verdeckte, vor Erwärmung geſchützte Reſervoirs geleitet, 
dort durch Verdunſtung noch mehr abgekühlt werden könnte, wenn über die Oberfläche 
des Waſſers ein Luftſtrom geführt würde, der dadurch, daß er aus den Räumen eines 
fallenden Waſſers genommen, an ſich ſchon kalt wäre. Gewiſſe Vorrichtungen zeigen 
ſogar die Möglichkeit, mit Hülfe von Luftverdünnung die Verdunſtung, und alſo auch 
die Abkühlung des Waſſers noch zu verſtärken, ſo daß daſſelbe auf dieſe Weiſe in ganz 
kurzer Zeit dem Nullpunkte des Thermometers ziemlich nahe gebracht werden könnte, 
oder mindeſtens eine Temperatur herſtellte, bei welcher das Waſſer, ſich in den größten 
Verhältniſſen mit atmoſphäriſcher Luft und reſp. Sauerſtoffgas zu fättigen, die Fähigkeit 
beſäße. Nach der, nach Bedürfniß oder nach Möglichkeit erfolgten, Abkühlung des Waſ— 
ſers müßte daſſelbe in einer Kompreſſionsmaſchine, welche ſo eingerichtet wäre, daß, ohne 
die Arbeit zu unterbrechen, der nicht abſorbirte Theil der Luft von ſelbſt wieder fortge— 
ſchafft würde, mit der atmoſphäriſchen Luft, unter dem Drucke von beiläufig mehreren 
Atmoſphären und unter feinſter Zertheilung der Gaſe, in Berührung gebracht werden, 
wobei allerdings Wärme frei werden müßte, welche auf die Abſorption der Gaſe nach— 
theiligen Einfluß ausübt; jedoch ließe ſich auch dieſem Uebelſtande durch eine einfache 
Vorrichtung begegnen. 

Eine ſolche, unter höheren Druck- und niedrigeren Temperatur-Verhältniſſen her— 
geſtellte, Vereinigung der Atmoſphären-Luft mit dem Waſſer muß, ſobald ſie aus der 
Kompreſſionsmaſchine in eine wärmere Temperatur und unter geringeren Druck gelangt, 
einen bedeutenden Theil des verſchluckten Gaſes wieder entbinden, da aber das, in ſeinen 
Wirkungen ſo indifferente Stickgas ſich ſchwieriger mit dem Waſſer verbindet und ſich 
aus der Vereinigung mit demſelben weit leichter wieder entbindet als das, von dem Waſ— 
fer mit vieler Begierde abſorbirbare und, einmal in Verbindung, von ihm ſehr zurück- 


es 


gehaltene Sauerſtoffgas, ſo wird ſich, unter den eben erwähnten veränderten äußeren 
Verhältniſſen, das Stickgas zuerſt entwickeln müſſen; in dem Verhältniſſe aber, wie die 
Gegenwart des Stickgaſes in der Verbindung mit dem Waſſer abnimmt, wächſt dagegen 
die auflöſende Kraft des Waſſers zu dem ihm näher verwandten Sauerſtoffgaſe, für wel— 
ches, nach Entweichung des Stickgaſes, ſich auch die ſeiner Auflösbarkeit günſtigen Rau- 
mesverhältniſſe im Waſſer vergrößern, und man gewinnt, bei Hinzuziehung des Um— 
ſtandes, daß in Folge der ſtattfindenden Gasentwickelung die Temperatur des Waſſers 
niedrig gehalten wird, immer mehr die Ueberzeugung, nach der hier entwickelten Methode 

ein, an Sauerſtoffgas möglichſt reichhaltiges Waſſer zum techniſchen Gebrauche darſtellen 
zu können, welches indeß ſogleich verbraucht werden müßte. 


Möge das Fortſchreiten im vaterländiſchen Gewerbfleiße immer mehr und mehr 
zunehmen und lebendiger werden, damit die Gewerbe aller Art an Vollkommenheit ge— 
winnen, der Handel dadurch befördert und ausgebreitet werde und aus allem dieſen 
Glück und Heil für die Provinz hervorgehe! | 


Oelsner, Mild e, 


Vorſtand. Secretair. 


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