Skip to main content

Full text of "Jahreshefte des Vereins f©r vaterl©Þndische Naturkunde in W©rttemberg"

See other formats


X*^.       i 


•' '%' 


^:^f^' 


^•M 


^^ 


^r?v^.'^-^^t 


^*^     . 


^^  ^i^^^fe 


•r% 


y-  ^K 


fi'&f 


5ia 


;c^ 


i 


^     -.^' 


^.•^ 


\»^" 


^^^^ 


M 


Die  Autoren  sind  allein  verantwortlich  für  den  Inhalt  ihrer 
Mitteilungen. 

Von  Abhandlungen  und  Sitzungsberichten  erhalten  die  Autoren 
auf  Verlangen  25  Separat- Abzüge  gratis;  eine  grössere  Zahl  gegen 
Erstattung  der  Herstellungskosten. 


Die  verehrlichen  Mitglieder  des 

Vereins  für  vaterländische  Naturkunde 

in  Württemberg 

sind  höflich  ersucht,  behufs  richtiger  Zusendung  der  „Jahreshefte" 
der  Verlagshandlung  von  jedem  Wechsel  ihres  Wohnortes 
Anzeige  zu  machen. 


Einband-Decken  zu  den  Jahresheften. 

Auf  mehrfaches  Verlangen  haben  wir  zu  den  Jahresheften 

Einband-Deeken  in  brauner  Leinwand  ä  70  Pf. 

herstellen  lassen,  und  zwar  von  Jahrgang  1884  an  (mit  Beginn  des 
vergrösserten  Formates). 

Vom  Jahrgang  1898  an  können  die  Jahreshefte  gleich  gebunden 
zum  Preise  von  M.  6. — ■  geliefert  werden. 

Falls  Sie  die  Decken  zu  haben  wünschen,  so  bitte  gef.  zu 
verlangen. 

E.  Schweizerbart'sche  Verlagshandlung  (E.  Koch). 


K       HOrBUCHDRUCKERE)     7U     CUTTENBCRG.     CAftL    GRUNINGER,     STUTTGART. 


JäÖRESHEFTE 


jr^ 


J) 


des 


Vereins  für  ^  vaterländische  Naturkunde 


m 


Württemberg. 


Herausgegeben  von  dessen  Redaktionskommission 

Prof,  Dr.  Eb.  Fraas,  Prof.  Dr.  C.  Hell,  Prof.  Dr.  0.  Kirchner, 
Prof.  Dr.  K.  Lampert,  Prof.  Dr.  A.  Schmidt. 


VIERUNDFUNFZIGSTER  JAHRGANG. 

Mit  9  Tafeln. 


— 'H'^'H— 


Stuttgart. 

E.  Schweizerbart'sche  Verlagshandlung  (E.  Nägele). 

1898. 


r 


^  ^T^aur^^i^'^ 


JÄHRESHEFTE 


des 


Vereins   für  vaterländische  Naturkunde 


in 


Württemberg. 


Herausgegeben  von  dessen  Redaktionskommission 

Prof.  Dr.  Eb.  Fraas,  Prof.  Dr.  C.  Hell,  Prof.  Dr.  0.  Kirchner, 
Prof.  Dr.  K.  Lampert,  Prof.  Dr.  Aug.  Schmidt. 


VIERUNDFUNFZIGSTER  JAHRGANG. 

Mit  9  Tafeln. 


-o-9-=C§<.^H|>-9.^- 


Stuttgart. 

E.  Schweizerbart'sche  Verlagshandlung  (E.  Nägele). 

1898. 


Hofbuclidruckerei  Zu  Gutenberg  (Carl  Grüninger)  in  Stuttgart. 


Inhalt. 


I.  Angelegenheiten  des  Vereins. 

Bericht  über   die  52.  Generalversammlung  am  24.  Juni  1897  in  Reutlingen,    Von 
Prof.  Dr.  Kurt  Lampert.  S.  I. 
Rechenscliaftsbericht  für  das  Jahr  1896—1897.  S.  II. 
Wahl  des  Vorstandes  des  Ausschusses.  S.  III, 
Zuwachsverzeichnisse  der  Sammlungen  des  Vereins: 

A.  Zoologische  Sammlung.  S.  X. 

B.  Botanische  Sammlung.   S.  XIII. 

C.  Mineralogisch-palaeontologische  Sammlung.  S.  XV. 

D.  Vereinshibliothek.  S.  XVII. 
Rechnungsabschluss  für  das  Jahr  1896—1897.  S.  XXVI. 

Nekrolog  des  Direktors  Dr.  0.  v.  Fr  aas.  S.  XXIX. 

j,  „     W.  Möricke  von  G.  Steinmann.  S.  XXXIV. 

„  „     Buchhändlers  Ed.  Koch  von  Pfarrer  Dr.  Engel.  XXXVIH. 

Vorträge  bei  der  Generalversammlung. 

Engel,  Pfarrer  Dr.  in  Eislingen:  Petrefakten  in  Petrefakten.  S.  LH. 
Gussmann,  Pfarrer  in  Eningen:  Der  Braune  Jura  von  Eningen  und  Umgebung. 
S.  XLV. 

Sitzungsberichte. 

Wissenschaftliche  Abende  des  Vereins  in  Stuttgart. 

Sitzung  vom  14.  Oktober  1897.  Lampert,  Prof.  Dr.:  Wassertiere  im  Winter. 
S.  LXIII.  —  Fr  aas,  Prof.  Dr.  E.:  Über  einige  interessante  Verwitterungs- 
erscheinungen. S.  LXIV. 

Sitzung  vom  11.  November  1897.  Cranz,  Prof.  Dr. C:  Über  Geschossabweichungen. 
S.  LXV.  —  Eichler,  Kustos:  Steinnüsse  aus  der  Südsee.  S.  LXVI. 

Sitzung  vom  9.  Dezember  1897.  Vosseier,  Dr.:  Über  biologische  Beobach- 
tungen auf  seiner  algerischen  Reise  1897.  S.  LXVII. 

Sitzung  vom  13.  Januar  1898.  Fr  aas,  Prof.  Dr. :  Über  Krankheitserscheinungen 
an  fossilen  Crinoiden.  S.  LXX.  —  Klunzinger,  Prof.  Dr.:  Über  das 
Formalin  und  seine  konservierenden  Eigenschaften.  S.  LXX. 

Sitzung  vom  10.  Februar  1898.  Kirchner,  Prof.  Dr.:  Über  die  Feige  und 
ihre  Befruchtung.  LXXIL  —  Voss  el  er,  Dr.:  Über  Schildläuse.  S.  LXXIV. 

Sitzung  vom  29.  Februar  1898.  Koch,  Prof.  Dr.  R. :  Über  elektrische  Schwin- 
gungen und  die  Telegraphie  ohne  Draht.  S.  LXXVI. 

Sitzung  vom  10.  März  1898.  Reuss,  Dr.  A.:  Über  Schusswirkung  der  Klein- 
kaliber-Geschosse auf  den  menschlichen  Körper.  S.  LXXIX.  —  Hof  mann, 
Prof. :  Statistisches  über  die  Haustiere  in  Württemberg.  S.  LXXX. 


IV  Inhalt. 

OberschwäbischerZweigvercin. 

Sitzimg  in  Aulendorf  am  2.  Februar  1898.  Kreuser,  Direktor:  Über  einen 
Gräberfund  beim  Zellerhof.  S.  LXXXI.  —  Lampert,  Prof.  Dr.:  Über 
die  Saugwürmer.  S.  LXXXII. 

S  c  h  w  a  r  z  w  ä  1  d  e  r  Z  w  e  i  g  v  e  r  e  i  n. 

Sitzung  in  Tübingen  am  21.  Dezember  1897.  Hesse,  Dr.:  Über  die  Sehorgane 
des  Amphioxus.  S.  LXXXIII.  —  Koken,  Prof.  Dr.:  Über  Ehamphorhyn- 
chus ;  ferner :  Über  den  tertiären  Menschen.  S.  LXXXTV.  —  0  o  r  r  e  n  s  , 
Dr. :  Über  die  ungeschlechtliche  Vermehrung  der  Laubmoose.    S.  LXXXV. 

II.  Abhandlungen. 

Branco,  Prof.  Dr.  W. :  Die  menschenähnlichen  Zähne  aus  dem  Bohnerz  der 
schwäbischen  Alb.  I.  Die  bisher  bekannten  fossilen  Reste  menschenähn- 
licher Affen.  IL  Die  im  Bohnerze  der  schwäbischen  Alb  gefundenen  Zähne. 
III.  Die  Frage  der  Abstammung  des  Menschen.    Mit  Taf.  I— III.  S.  1. 

Hü  eher,  Dr.  Theodor,  Oberstabsarzt:  Synopsis  der  deutschen  Blindwanzen 
(Hemiptera  heteroptera,  Farn.  Capsidae).     IIL  Teil.  S.  228. 

Philippi,  Dr.  E. :  Die  Fauna  des  unteren  Trigonodus-Dolomits  vom  Hühner- 
feld bei  Schwieberdingen  und  des  sogenannten  „Cannstatter  Kreidemergels ". 
Mit  Taf.  IV— IX.  S.  146. 

Rumm,  Dr.  C. :  Die  Giftwirkung  der  gegen  die  Peronospora  viticola  verwendeten 
Kupfervitriol-Kalkmischung  (Bordeaux-Brühe)  auf  Spirogyra  longata.  S.  322. 

Stettncr,  IL:  Ein  Profil  durch  den  Hauptmuschelkalk  bei  Vaihingen  a.  d.  Enz. 
S.  303. 

Erdbeben-Kommission. 

Bericht  über  die  vom  1.  März  1897  bis  1.  3Iärz  1898  in  Württemberg  und  Hohen- 
zoUern  beobachteten  Erdbeben.  S.  328. 

Kleinere  Mitteilungen. 

Diez,  Rud. :  Eurycera  Teucrii  Host.   Eine  für  Deutschland  neue  Wanze.  S.  329. 
Holder,   Dr.  v.,  Obermedizinalrat:   Eine  Erwiderung  auf  eine  poetische  Licenz 

des  Pfarrer  Dr.  Engel.  S.  330. 
Eichler,  J.:  Picoa  Carthusiana   Tulasne  im  Schwarzwald.  S.  331. 


ÄUG   2   nm 


I.  Angelegenheiten  des  Vereins. 


Bericht  über  die  zweiundfiinfzigste  Greneralversammluiig 

am  24.  Juni  1897  in  Reutlingen. 
Von  Prof.  Dr.  Kurt  Lampert. 

Ein  sonniger  Johannisfeiertag ,  der  echte  Sommertag,  führte 
eine  bedeutende  Anzahl  der  Mitglieder  des  Vereins  in  die  alte  Reichs- 
stadt Reutlingen.  Zu  den  vielen  Stuttgartern  gesellten  sich  unter- 
wegs noch  zahlreiche  Freunde,  so  dass,  als  auch  noch  der  Zug  von 
Tübingen  mehrere  Mitglieder  gebracht  hatte ,  es  eine  stattliche  An- 
zahl war,  die  sich  zum  Versammlungslokal,  der  Bundeshalle,  begab, 
wo  bereits  zahlreiche  Herren  aus  Reutlingen  sich  eingefunden  hatten. 
Der  grosse  Saal  hatte  in  reicher  Pflanzendekoration  ein  festliches 
Gewand  angelegt,  das  besonders  Kunstgärtner  Schlegel  zu  danken 
ist.  Altem  Brauch  gemäss  war  auch  wieder  eine  Ausstellung 
naturhistorischer  Gegenstände  eingerichtet,  die  von  dem  Sammeleifer 
in  Reutlingen  beredtes  Zeugnis  ablegte.  Vor  allem  mochten  wir 
hervorheben  die  Sammlung  von  Käfern  und  Petrefakten  von  Lehrer 
Z  wiesele,  die  Käfersammlung  von  Prof.  D  i  e  z ,  die  Schmetterlings- 
sammlung von  Kaufmann  Göbel,  die  Sammlung  von  Puppen  und 
lebenden  Raupen  von  Lehrer  Kühner,  die  Sammlung  von  Petre- 
fakten aus  dem  braunen  Jura  von  Pfarrer  Gussmann.  Lebende 
Reptilien,  darunter  auch  eine  Kreuzotter,  hatte  Lehrer  Koch  von 
Auingen  ausgestellt,  Hildebrand  eine  schöne  Pentacrlnus-F\a,ite 
und  Binder  von  Ehingen  neue  Funde  von  Nusplingen. 

Die  Versammlung  wurde  eröffnet  durch  den  1.  Vorsitzenden, 
Prof.  Dr.  Kirchner.  Als  Schriftführer  fungierten  Prof.  Dr.  A.  Schmidt 
und  Prof.  Dr.  E.  Fr  aas.  Im  Namen  der  Stadt  und  in  Vertretung 
des    Oberbürgermeisters    begrüsste    sodann   Apotheker   Finckh    die 

Jalireshefta  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  a 


—   II   — 

Anwesenden,  während  Dr.  Steinacker  als  Vorsitzender  des  natur- 
wissenschaftlichen Vereins  Reutlingen  der  Freude  Ausdruck  gab,  dass 
Reutlingen  als  Ort  der  Generalversammlung  gewählt  worden  sei. 

Hierauf  verlas  Prof.  Dr.  Lampert  folgenden  Rechenschafts- 
bericht für  das  Jahr  1896/97. 

Reclienscliaftsbericht  für  das  Jahr  1896/97. 

Über  das  abgelaufene  Vereinsjahr  1896/97  habe  ich  die  Ehre 
Ihnen  folgenden  Bericht  zu  erstatten : 

Die  Generalversammlung  des  vorigen  Jahres  fand,  wie  Sie  wissen, 
in  Stuttgart  statt  und  wir  hatten  das  Vergnügen,  zu  den  Stuttgarter 
Mitgliedern  auch  eine  ziemliche  Anzahl  Freunde  von  auswärts  bei 
uns  zu  begrüssen.  Die  dankenswerte  Unterstützung  mehrerer  Mit- 
glieder hatte  eine  sehr  hübsche  Ausstellung  ermöglicht,  über  welche 
Sie,  wie  auch  über  die  Vorträge,  die  bei  der  Generalversammlung 
gehalten  worden,  Näheres  in  dem  gedruckten  Bericht  finden  werden. 

Eine  wesentliche  Aufgabe  der  Generalversammlung  bestand  in 
der  Beratung  der  neuen  Statuten,  welche  im  ganzen  in  der  Fassung 
angenommen  wurden,  wie  sie  aus  der  Kommission  hervorgegangen 
und  Ihnen  seiner  Zeit  zur  Kenntnisnahme  und  zu  eventuellen  Vor- 
schlägen zugestellt  wurden.  Wir  wollen  hoffen,  dass  auch  unter  den 
neuen  Statuten,  die  übrigens  keine  durchgreifende  Änderung  zeigen, 
der  Verein  fernerhin  gedeihe  und  wachse. 

Mit  Ungeduld  werden  Sie  das  Erscheinen  des  Jahresheftes  er- 
wartet haben  und  ich  muss  in  diesem  Punkt  allerdings  sehr  an  Ihre 
Nachsicht  appellieren ;  die  löbliche  Absicht,  zu  sparen,  Hess  uns  zu- 
nächst auf  nur  wenig  Manuskript  rechnen,  allein  am  Ende  stellte 
sich  heraus,  dass  das  Heft  doch  zu  dünn  geworden  wäre  und  so 
musste  noch  an  die  Beschaffung  weiterer  Manuskripte  gegangen 
werden,  was  auch,  vor  allem  dank  der  Bereitwilligkeit  Prof.  Kirch- 
ner's,  gelang.  Das  Heft  liegt  nun  gedruckt  vor  und  wird  in  diesen 
Tagen  zum  Versand  gelangen. 

In  demselben  werden  Sie  neben  einer  Reihe  Abhandlungen  aus 
den  verschiedensten  Gebieten  auch  die  Sitzungsberichte  über  die 
wissenschaftlichen  Abende  in  Stuttgart,  die  Sitzungen  des  ober- 
schwäbischen Zweigvereins  und  des  Schwarzwaldzweigvereins  finden 
und  hieraus  erkennen ,  dass  in  diesen  Versammlungen  ein  reges 
Interesse  herrscht.  Im  ganzen  wurden  auf  allen  diesen  Versamm- 
lungen 34  Vorträge  gehalten  resp.  Mitteilungen  gemacht;  es  be- 
teiligten  sich   hieran    und    an   der   folgenden  Diskussion  45  Redner. 


—   III   — 

Die  starke  Verspätung  in  der  Ausgabe  des  Heftes  hat  den 
Missstand  im  Gefolge ,  dass  der  Kassier  noch  keinen  definitiven 
Rechnungsabschluss  machen  konnte,  doch  kann  ich  Ihnen  einstweilen 
versichern ,  dass  der  Abschluss  ein  zufriedenstellender  sein  Mrird. 
Nach  seitheriger  Übung  bitte  ich  Sie,  einen  Herrn  mit  der  Prüfung 
und  Erteilung  der  Entlastung  zu  betrauen  und  möchte  hierzu  Herrn 
Dr.  Beck  vorschlagen. 

In  der  Zahl  der  Mitglieder  ist  der  Verein  wiederum  etwas, 
wenn  auch  leider  nur  wenig  gestiegen,  nämlich  um  fünf  Mitglieder, 
neu  eingetreten  sind  41  Mitglieder,  welcher  Ziffer  aber  die  Verlust- 
zahl 36  infolge  Austritts  und  Tod  gegenübersteht.  Der  Tod  hat 
wiederum  viele  und  schmerzliche  Lücken  gerissen.  In  erster  Linie 
ist  es  an  diesem  Platz  meine  Pflicht,  nochmals  unseres  lieben  Hof- 
rats Seyffardt  mit  den  wärmsten  Worten  des  Dankes  in  der  Er- 
innerung zu  gedenken.  Volle  30  Jahre,  von  1860  bis  1890,  hat  er 
das  Amt  des  Kassiers  des  Vereins  bekleidet,  und  Sie  wissen  alle,  in 
welch  trefflicher  W^eise  der  unermüdlich  thätige  Mann  für  unsere 
Finanzen  besorgt  war,  wie  er  sich  die  pünktlichste  Erfüllung  dieses 
freiwilligen  und  wahrlich  nicht  mühelosen  Ehrenamtes  zur  Pflicht 
machte.  Von  der  leider  grossen  Zahl  der  Mitglieder,  die  der  Verein 
durch  den  Tod  verlor,  sei  besonders  noch  des  Herrn  Prof.  Dr.  v.  Wolff 
gedacht,  von  dem  die  Jahreshefte  manchen  wichtigen  Beitrag  ent- 
halten, und  des  erst  jüngst  verstorbenen  Oberförsters  Dr.  Frank, 
in  welchem  besonders  der  oberschwäbische  Zweigverein  ein  eifriges 
Mitglied  betrauert. 

Dass  der  Verein  sich  der  Anteilnahme  der  Mitglieder  erfreut, 
dürfen  wir  auch  wieder  aus  mehreren  Zuwendungen  ersehen,  die  den 
Sammlungen  und  der  Bibliothek  von  Vereinsmitgliedern  zu  teil  wurden. 
Ihre  Namen  finden  Sie  bei  den  Zuvvachsverzeichnissen  zusammengestellt. 

Sie  werden  mir  beistimmen ,  wenn  ich  nochmals  allen  diesen 
Gebern  den  besten  Dank  des  Vereins  ausspreche. 

Gegen  den  Rechenschaftsbericht  wird  kein  Widerspruch  erhoben. 

Bei  der  sodann  erfolgten 

Wahl  des  Vorstandes  und  des  Ausschusses 

ergab  sich  folgendes  Resultat: 

erster  Vorstand 

Prof.  Dr.  Kirchner-Hohenheim, 

zweiter  Vorstand 

Prof.  Dr.  Lamp er t- Stuttgart. 


—     IV     — 

Bei  der  Wahl  des  Ausschusses  wird   die   ausscheidende  Hälfte 
wiedergewählt. 

Der  Ausschuss  setzt  sich  demgemäss  folgendermassen  zusammen : 

Neugewählte  Hälfte  (Ausschussmitglieder  bis  24.  Juni  1899): 
Bergratsdirektor  Dr.  K.  v.  Baur  von  Stuttgart, 
Prof.  Dr.  H.  Hell  von  Stuttgart, 
Prof.  Dr.  B.  Klunzinger  von  Stuttgart, 
Prof.  Dr.  A.  Leuze  von  Stuttgart, 
Geh.  Hofrat  Prof.  Dr.  0.  Schmidt  von  Stuttgart, 
Sanitätsrat  Dr.  W.  Steudel  von  Stuttgart. 

Im  Ausschuss  bleiben   zurück   (Ausschussmitglieder   bis 
24.  Juni  1898): 

Dr.  C.  Beck  von  Stuttgart, 
Prof.  Dr.  W.  v.  Branco  von  Hohenheim, 
Präsident  A.  v.  Dorr  er  von  Stuttgart, 
Prof.  Dr.  Th.  Eimer  von  Tübingen, 
Buchhändler  E.  Koch  von  Stuttgart, 
Prof.  Dr.  A.  Schmidt  von  Stuttgart, 
Prof.  Dr.  A.  Sigel  von  Stuttgart. 

Statutengemäss    wurden    später    vom    Ausschuss    gewählt    als 
Sekretäre: 

Prof.  Dr.  A.  Schmidt, 
Prof.  Dr.  E.  Fr  aas. 

Kustoden    der    Sammlungen,     und    als    solche    Ausschuss- 
mitglieder : 

Prof.  Dr.  K.  Lampert, 
Prof.  Dr.  E.  Fr  aas, 
Kustos  J.  Eichler. 

Als  Bibliothekar: 

Kustos  J.  Eichler. 

Als  Kassier: 

Buchhändler  E.  Koch,  und  nach  dessen  Tod  Dr.  C.  Beck. 

Als  Rechnungsprüfer: 

Dr.  C.  Beck,  später  Hofrat  Clessler. 

Für  die  nächste  Generalversammlung  wurde  allgemein  gewünscht, 
wieder  einmal  in  das  Unterland  zu  gehen;  es  wurde  Öhringen  ins 
Auge  gefasst,  jedoch  dem  Ausschuss  freie  Hand  gelassen,  eine  andere 
Bestimmung  zu  treffen. 


_    V    — 

Nach  Erledigung  dieser  geschäftlichen  Angelegenheiten  be- 
gannen die  Vorträge. 

Den  ersten  derselben  hielt  Pfarrer  Gussmann  von  Eningen 
über  „Der  braune  Jura  von  Eningen  und  Umgebung". 
(Der  Vortrag  findet  sich  im  vorliegenden  Jahresheft  abgedruckt.) 

Den  schwarzen  Jura  oder  Lias  führte  ein  Vortrag  von 
Lehrer  Z wiesele  vor,  aus  dem  hervorging,  wie  Reuthngens  Um- 
gebung reich  ist  an  Fundplätzen  aus  allen  sechs  Stufen  dieser  geo- 
logischen Periode.  Die  umfassende,  im  Saal  aufgestellte  Sammlung 
von  Fundstücken,  die  meistens  das  Eigentum  des  Vortragenden 
waren,  bewies,  was  Sammeleifer  hier  zusammenzubringen  vermag. 
Der  Redner  betonte  in  seinem  Vortrag  stets  auch  die  praktische 
Verwertbarkeit  der  einzelnen  Schichten,  so  besonders  des  Posidonien- 
schiefers ,  dessen  Gehalt  an  bituminösen  Kohlenwasserstoffen  (etwa 
12  7o)  zu  Begründung  der  Schieferölfabrik  Reutlingen  Veranlassung  gab, 
die  freilich  später  der  Einführung  des  Petroleums  unterliegen  musste. 

Als  dritter  Redner  schilderte  Prof.  Dr.  E.  Fr  aas  seine  Streif- 
züge in  der  ägyptisch-arabischen  Wüste,  welche  er  im 
Frühjahr  in  Begleitung  von  Dr.  Mangold  von  Stuttgart  gemacht. 
In  Kairo  schon  trat  dem  Redner  das  afrikanische  Leben  in  seiner 
ganzen  Farbenpracht  und  sinnverwirrenden  Mannigfaltigkeit  entgegen. 
Schon  am  zweiten  Tag  ging  es  hinaus  in  die  Wüste,  wobei  sich  der 
Vortragende  der  Begleitung  Dr.  Seh weinfurth's  zu  erfreuen  hatte, 
der  mit  grösster  Liebenswürdigkeit  den  Führer  machte.  Die  Auf- 
gaben und  Gesichtspunkte ,  die  sich  dem  Geologen  in  der  Wüste 
entgegendrängen,  sind  ganz  andere,  als  bei  uns;  während  bei  uns 
das  Auge  des  Geologen  hauptsächlich  palaeontologisch  geübt  wird, 
sind  in  der  Wüste  die  Petrefakten  zwar  auch  vorhanden,  allein  man 
sammelt  nur,  soweit  es  nötig  ist  zum  Erkennen  der  Schichten;  was 
in  der  Wüste  immer  und  immer  wieder  den  Geologen  fesselt,  ist 
ein  Problem  der  dynamischen  Geologie,  das  Problem  der  Wüsten- 
bildung. In  erster  Linie  sind  zu  berücksichtigen  die  Trockenheit 
und  die  Hitze ,  und  als  Hauptfaktor,  der  in  grösstem  Massstab  ein- 
wirkt, ist  der  Wind  zu  betrachten.  In  fesselnder  Sprache  schildert 
der  Vortragende  die  Poesie  eines  Rittes  in  die  Wüste ;  in  sausendem 
Eselsritt  geht  es  durch  den  letzten  bewohnten  Ort,  gefolgt  von 
schreienden  Eselsjungen,  durch  die  fruchtbare  Zone  des  Nilthals 
hinein  in  die  Wüste.  Der  Kontrast  ist  verblüffend;  reiches,  frucht- 
bares Schwemmland,  des  Nils,  und  ein  Schritt  weiter,  die  nackte, 
kahle  Wüste,  nur  Sand  und  Stein.    Aber  dass  man  auch  hier  sammeln 


—     VI     — 

kann,  hat  der  Redner  bewiesen;  die  sog.  „Dreikanter",  d.  h.  Steine, 
die  durch  das  Sandgebläse  dreikantig  geschliffen  sind,  die  gefärbten 
Steine  und  viele  andere  Handstücke  bildeten  ein  wichtiges  Demon- 
strationsmaterial zu  dem  interessanten  Vortrag.  Eingehend  schilderte 
Redner  die  Bildung  der  Thäler,  der  sog.  Wadi,  die  nicht  wie  bei 
uns  sich  allmählich  senken,  hierbei  immer  breiter  werdend,  sondern 
in  Terrassen  abfallen.  Aber  nicht  nur  der  Geologe  findet  genug  des 
Fesselnden  bei  einem  Ritt  in  die  Wüste,  sondern  auch  die  anderen 
Naturwissenschaften  kommen  zu  ihrem  Recht  und  die  besonders  von 
Dr.  Mangold  angelegten  zoologischen  Sammlungen,  die  erst  vor 
ein  paar  Tagen  im  Naturalienkabinett  in  Stuttgart  eingetroffen  und 
noch  kaum  ausgepackt  sind ,  legen  hierfür  sprechenden  Beweis  ab, 
wenn  auch  das  Tierleben  in  der  Wüste  ein  armes  genannt  werden 
muss.  Es  ist  fast  selbstverständlich,  dass  die  Wüsfcentiere  ihrem 
Aufenthaltsort  prächtig  angepasst  sind,  und  der  Redner  führt  hierfür 
zahlreiche  Beispiele  an ,  teils  von  solchen  Arten ,  die  in  ihrer  gelb- 
lichen Farbe  sich  ein  Wüstenkleid  angezogen  haben,  teils  von  solchen, 
die  aktiv,  wenn  man  so  sagen  darf,  nachhelfen  und  sich,  wie  dies 
ein  kleiner  Käfer  thut,  mit  Sand  beladen,  so  dass  sie  einem  wandeln- 
den Sandkügelchen  gleichen.  Als  Repräsentant  der  Wüstenfauna 
machte  eine  lebende  stattliche  Warneidechse,  das  „Landkrokodil" 
Herodot's,  die  Honneurs,  die  während  des  Vortrags  auf  dem  Podium 
hin  und  her  spazierte.  Als  Repräsentanten  typischer  Wüstenpflanzen 
und  ihrer  Anpassung  schilderte  Redner  die  Jerichorose  und  die  Salz- 
pflanzen. Auch  der  Archäologe  kommt  bei  einer  Forschung  in  der 
Wüste  nicht  zu  kurz.  Die  Prähistorie  setzt  in  Ägypten  ein  mit  der 
prädynastischen  Zeit,  entsprechend  unserer  Steinzeit.  Unzweifelhaft 
sind  die  Funde  von  Steinartefakten,  allein  Redner  mahnt  zur  Vor- 
sicht und  warnt,  jeden  Feuersteinsplitter  für  ein  geschlagenes  Arte- 
fakt zu  halten,  denn  infolge  des  grossen  Temperaturwechsels  bei  Tag 
und  Nacht  springen  oft  von  Feuersteinen  Splitter  ab,  die  völlig  den 
bekannten  palaeolithischen  Feuersteinmessern  gleichen. 

Drei  Wochen ,  die  allzu  rasch  vergangen  waren ,  dauerte  der 
Aufenthalt  in  Kairo,  da  bot  sich  dem  Vortragenden  Gelegenheit  zu 
einer  höchst  interessanten  Reise  nach  Oberägypten.  Der  alte 
Plan,  den  Nil  und  das  Rote  Meer  durch  eine  Eisenbahn  zu  verbinden, 
soll  wieder  aufgenommen  werden,  und  Prof.  Fr  aas  ward  engagiert 
zu  einer  geologischen  Untersuchung  der  Trace  von  Keneh  nach 
Kosseir.  Kaum  war  der  Kontrakt  unterzeichnet,  so  war  auch  schon 
die  Ausrüstung   besorgt,    der   Dragoman   zur    Besorgung   der   Kara- 


—     YII     — 

wane  vorausgeschickt.  Am  23.  April  brachen  der  Redner  und 
Dr.  Mangold  auf,  um  nach  23stündiger  heisser  Eisenbahnfahrt  und 
Nilfahrt  in  Keneh  einzutreffen  und  ihre  Karawane  zu  übernehmen, 
die  aus  12  Kamelen,  dem  Dragoman,  einem  Koch,  einem  persön- 
lichen Diener  und  einer  Anzahl  Beduinen  vom  Stamm  der  Ababde 
unter  ihrem  Führer  bestand.  Voll  Humor  schildert  der  Redner  die 
Freuden  und  Leiden  eines  dreiwöchenthchen  Kamelrittes  durch  die 
gluthauchende  Wüste  bei  einer  bis  56^  Geis,  steigenden  Hitze.  Durst 
und  wieder  Durst  war  die  Hauptsignatur  und  da  infolge  abnormer 
Trockenheit  die  Brunnen  ausgetrocknet  waren ,  so  erwies  sich  der 
mitgenommene  Wasservorrat  als  zu  klein  und  gestattete  nur  den 
Genuss  von  fünf  Flaschen  Mineralwasser  pro  Tag  für  die  beiden 
Reisenden  zusammen.  Der  Anfang  der  Reise  gestaltete  sich  sehr 
monoton ;  interessant  waren  nur  die  Luftspiegelungen,  und  auch  als 
die  Karawane  ins  Gebirge  eingetreten  war,  zeigte  sich  bald  wieder 
eine  gewisse  Monotonie  in  der  immerwährenden  Wiederholung  des 
gleichen  Typus  der  Bergformen.  Hier  wurden  sorgfältige  geologische 
Untersuchungen  angestellt,  auch  Spuren  altägyptischer  Kultur  in 
Form  von  Felseninschriften  und  Resten  eines  Tiefbaues  auf  Gold 
gefunden.  In  Kürze  giebt  der  Redner  eine  Schilderung  des  Aufbaues 
des  Gebirges,  dessen  Kern  krystalhnischer  Schiefer  ist,  an  welche 
sich  palaeozoische  Grauwacken  mit  Durchbrüchen  von  Dioriten  und 
jüngeren  Graniten  anschliessen.  Am  3.  Mai  gelangte  die  Karawane 
in  Kosseir  an,  wo  ein  zweitägiger  Aufenthalt  genommen  wurde,  um 
das  Korallenriff  zu  besuchen,  dessen  unbeschreibliche  Schönheit 
Redner  in  den  glühendsten  Farben  schildert.  Auf  der  Rückreise 
zum  Nil  hatte  der  Redner  Gelegenheit,  in  einem  furchtbaren  Chamsin- 
sturm  aus  eigener  Erfahrung  die  Macht  des  Wüstenwindes,  der  die 
Sandkörner  mit  einem  Getöse  ähnlich  einem  Hagelschauer  vor  sich 
hertreibt,  und  den  Gipfelpunkt  der  Wüstentemperatur  kennen  zu 
lernen.  In  Luxor,  bei  den  Trümmern  des  gewaltigen  Ammontempels 
endete  die  Expedition,  und  bald  führte  der  Dampfer  die  beiden 
Reisenden  nilabwärts,  die  nach  kurzer  Rast  in  Kairo  die  Heimfahrt 
antraten,  reich  beladen  mit  naturwissenschaftlicher  Ausbeute  und 
voll  der  schönsten  Eindrücke. 

Als  nächster  Redner  sprach  Pfarrer  Dr.  Engel  von  Eislingen 
über  „Petrefakten  in  Petref akten".  (Der  Vortrag  ist  im 
Jahresheft  abgedruckt.) 

Es  war  der  Uhrzeiger  schon  weit  in  den  Nachmittag  hinein- 
gerückt,   als  dieses  reiche  wissenschaftliche  Programm  erledigt  war 


—     VIII     — 

und  die  Teilnehmer  sich  zum  gemeinschaftlichen  Essen  im  oberen 
Saal  der  Bundeshalle  begaben,  an  welchem  fast  100  Personen 
teilnahmen.  In  trefflicher  Rede  brachte  der  1.  Vorstand,  Prof. 
Dr.  Kirchner,  das  erste  Hoch  auf  den  König  aus,  einen  Vergleich 
ziehend  zwischen  jenen  Zeiten,  die  man  mit  Unrecht  die  guten  alten 
Zeiten  nennt,  wo  die  Reichsstadt  Reutlingen  in  Fehde  stand  mit  den 
Grafen  von  Württemberg,  wo  Unrecht  und  Gewaltthat  herrschte, 
und  unseren  Tagen,  wo  die  Gegensätze,  die  keiner  Zeit  fehlen,  auf 
legalem  Weg  ihre  Entscheidung  finden  und  ein  geliebter  Fürst  sein 
Scepter  schirmend  hält  über  Handel  und  Wandel,  über  Kunst  und 
Wissenschaft.  Regierungspräsident  v.  Bei  Uno  gedachte  in  an- 
erkennenden Worten  der  Verdienste  des  Vereins  um  das  naturwissen- 
schaftliche Leben  Württembergs  und  trank  auf  das  fernere  Gedeihen 
des  Vereins.  Auf  die  Stadt  Reutlingen,  wo  der  Verein  bei  seiner 
Wanderversammlung  eine  so  freundliche  Aufnahme  gefunden,  brachte 
Prof.  Dr.  Lampert  ein  Hoch  aus.  Noch  manche  Ansprache  würzte 
das  in  angeregtester  Stimmung  verlaufende  Mahl ;  vor  allem  erfreute 
Pfarrer  Dr.  Engel  in  hohem  Mass  die  Gesellschaft  durch  eines  seiner 
launigen  Gedichte;  Dr.  Reihlen  weihte  den  Damen  sein  Glas, 
Kr  au  SS  von  Ravensburg  brachte  Grüsse  von  Oberschwaben  und 
Prof.  Dr.  Klunzinger  gedachte  der  Redewendungen  und  Anekdoten, 
in  welchen  der  Volkswitz,  in  harmlosen  kleinen  Bosheiten  sich  ge- 
fallend, sich  mit  der  alten  Reichsstadt  und  ihren  kernigen  Bewohnern 
beschäftigt,  worauf  Fischer  von  Reutlingen  in  ebenso  zutreffender 
wie  humoristischer  Weise  diesem  entgegentrat.  —  Nur  kurze  Zeit 
blieb  noch  nach  Beendigung  des  Essens  zur  Besichtigung  der  städti- 
schen naturwissenschaftlichen  Sammlungen,  die  vor  allem  den  eifrigen 
Bestrebungen  des  naturwissenschaftlichen  Vereins  ihr  Entstehen  ver- 
dankten, und  unter  trefflicher  Führung  zu  einem  Besuch  der  herrlichen 
Marienkirche,  in  der  eifrige  Bauthätigkeit  herrscht.  Die  meisten  Gäste 
entführte  der  Zug  schon  allzubald,  während  anderen  nach  der  Hitze  des 
Tages  der  Garten  des  „Kronprinzen"  noch  ein  kühles  Plätzchen  bot. 

Zuwaehs-Verzeiehnisse  der  Sammlungen  des  Vereins. 

Verzeichnis  der  Schenkgeber  in  alphabetischer  Folge. 

(Die  in  Klammern  hier  und  da  beigefügten  Abkürzungen  beziehen  sich 
auf  die  Abkürzungen  in  den  Verzeichnissen.) 

Bader,  Apotheker,  Lauffen  a.  N. 
Bartholomäi,  Lehrer,   Gmünd. 
Bauer,  Apotheker,  Buchau  a.  F. 


IX 


Beck,  Dr.,   Stuttgart. 

V.  Biberstein,   Oberförster,  Rosenfeld. 

Binder,  Dr.,   Arzt  in  Neuffen. 

Blezinger,  Hofrat,   Crailsheim. 

Bossler,   Schullehrer,  Pfallingen. 

Bub  eck,  Kaufmann,  Stuttgart. 

Burk,  Gymnasiast,    Stuttgart. 

Dieter  ich,   Pfarrer,   Wittlingen. 

Diez,  Professor,  Reutlingen.     (Dz.) 

Dörr,  Apotheker,  Ergenzingen. 

Eulenstein,   Frau  Baurat,   Stuttgart. 

V.  Euting,   Baudirektor,   Stuttgart. 

V.  Falkenstein,   Ober-Amtmann,  Nürtingen. 

Fe  cht,  Fräulein,  Heidenheim. 

Feucht,  Einjähr. -Freiw.,  z.  Z.   Stuttgart. 

Fischbach,   Oberforstrat,   Stuttgart.      (Fschb.) 

Fischer,   Hilfspräparator,   Stuttgart.      (Fsch.) 

Fraas,  Dr.,  Prof.,  Stuttgart. 

Fritz,   Oberlehrer,   Stuttgart. 

Gaus,   Professor,  Heidenheim. 

Gerstner,  Instrumentenmacher,   Stuttgart.      (Gstr.) 

V.   Gültlingen,   Premierlieutenant,  Wiblingen. 

Gussmann,  Pfarrer,  Eningen. 

Halm,  Dr.,   Crailsheim. 

Haug,  A.,  und  C.  Münzenmayer,  Untertürkheim. 

Haug,  Ober-Reallehrer,  Ulm.      (Hg.) 

Haug,   Reallehrer,   Ravensburg. 

Heck,   Oberförster,  Adelberg. 

Hermann,  Lehrer,   Kocherstetten. 

Hoff  mann,   Dr.,  Verlagsbuchhändler,   Stuttgart.      (Hffm.) 

Holland,   Oberförster,  Heimerdingen. 

Jäger,  Präparator,   Stuttgart. 

Käst,  Postrevisor,   Stuttgart. 

Kerz,  Präparator,   Stuttgart. 

Klopfer,  Lehrer,   Stuttgart. 

Koch,   Oberförster,   Ellwangen. 

Kopp,  Assistent,  Biberach.      (Kp.) 

Krauss,  Fabrikant,  Ravensburg. 

Kunz  sen.,  Xylograph,   Stuttgart. 

Lampert,  Dr.,  Prof.,   Stuttgart. 

Lauffer,   Oberlehrer,   Geislingen. 

Mangold,  W.,   Lauffen  a.  N. 

Mayer,   Oberförster,  Dornstetten. 

Ostertag,   Kaufmann,   Stuttgart.      (Ostg.) 

Pfizenmayer,  Forstrat,  Blaubeuren. 

Probst,  Dr.,  Kämmerer,  Essendorf. 

Rentz,   Oberförster,   Tettnang. 

Rettich,  Professor,  Stuttgart.     (Reh.) 


—     X     — 

Schaible,  Lehrer,  Esslingen.      (Schbl.) 

Schrader,  Feuerbach.     (Schrd.) 

Schwendtner,   Oberförster,   Ochsenhausen.      (Schwendt.) 

Simon,  Reallehrer  a.  D.,  Aalen. 

Steichele,  Apotheker,   Freudenstadt. 

Stettner,  Lehrer,  Vaihingen  a.  Enz. 

Steudel,   Dr.,   Sanitätsrat,   Stuttgart.      (St dl.) 

V.  d.  Trappen,  Arthur,  Stuttgart.     (Trp.) 

Vo sseler,  Dr.,  Stuttgart. 

Wacker,   Geschäftsführer,  Pfullingen. 

Wagner,  Lehrer,   Sontheim  a.   Brenz. 

Warth,  Stadtpfleger,  Stuttgart.     (Wth.) 

Wurm,  Dr.,  Hofrat,  Teinach. 

Zell  er,  Dr.,  Medizinalrat,  Winnenthal. 


A.  Zoologische  Sammlung. 

(Konservator:  Prof.  Dr.   K.   Lampert.) 
Sämtliche  Tiere  wurden  der  Vereinssammlung  als  Geschenk  überwiesen: 

I.  Säugetiere. 

Myoxus  quercinus  Bl.  S,  gemeiner  Gartenschläfer,  ein  Exemplar  von  Em- 
berg  im  Schwarzwald  (Dr.  Wurm)  und  ein  Exemplar  von  Dorn- 
stetten  (Oberförster  Mayer). 

Vespertilio  murinus  L. ,  gemeine  Speckmaus ,  Schloss  Berneck  (Freih. 
F.  V.   Gültlingen). 

Mus  musciilus  L.,  Hausmaus,  isabellfarbige  Varietät,  Stuttgart  (Präpa- 
rator Jäger). 

Hirschfährten  in  Gypsabgüssen  (Forstrat   Pfizenmayer). 

II.  VögeL 

Larus  ridibundus  L. ,  Lachmöve ,  Friedrichshafen  (Oberförster  Rentz  in 
Tettnang),  durch  gütige  Vermittelung  des  Herrn  Oberförster  Eifert 
in  Hirsau. 

III.  Amphibien. 

Bufo  variabiUs  Pall.  ,  Wechselkröte ,  Revier  Adelberg  bei  Schorndorf 
(Oberförster  Heck). 

IV.  Fische. 

Carassiiis  vulgaris  Nils.  ,    Karausche ,    Rems   bei  Waiblingen  (Xylograph 

Kunz). 
Cyprinus  carpio  L.,  Karpfen,  Bärensee  bei  Stuttgart,  Kgl.  Hofjagdamt. 
Salmo  fario  L. ,  Forelle ,    in  der   Laute   bei    Freudenstadt ,  Missbildung 

wohl  durch  frühere  Verletzung  hervorgerufen  (Apotheker  Steichele). 
ioto  vulgaris  Fl.,  Treische,  Neckar  bei  Lauffen  (W.  Mangold). 


—     XI     — 

V.  Insekten'. 

1.  Lepidoptera. 
Pap.  podalirius  L.  mit  verkümmertem  Hinterflügel  (Kst.)- 
Apatura  iris  S.,  Raupe  (Gymnasiast  Burk). 
Zeuzera  pyrina  L.,  Raupe  (Präparator  Kerz). 
Eier  von  Arctia  flavia  und  Lasicocampa  pruni  (Stdl.). 
Brotolomia  meticulosa  L.,  Stuttgart  (V,). 

Gespinst  von  Sat.  pyri  statt  zu  einem  Cocon  über  eine  Glasscheibe  ge- 
sponnen, Winnenthal  (Medicinalrat  Dr.  Zeller). 
Cocon  von  Harpya  vinula,  Stuttgart  (Bbck.). 
Cerostoma  xylostella  L.,  Stuttgart  (Stdl.). 

;,  persicella  F.,  „  „ 

GrapJwlitJia   Woeheriana  Schiff.,  Teinach  (Stdl). 
Cemiostoma  lahiirnella  Stt.,  Stuttgart  (Stdl.). 

Tortrix  reticulana  Hb.,  „  „ 

Lionetia  primifoliella  Hb.,  „  „ 

Micropteryx  semipurpurella  Stph.,  „  „ 

Orgya  antiqua  L.  nebst  Cocons,  ,,  „ 

2.   Coleoptera. 

Cicindela,  Larve,  Kirchheim  (Reh.). 

Änthrenus,  Larven,  Puppen,  Stuttgart  (V.). 

Bembidion  iibiale,  Murgthal  (Ostg.),  neu  für  die  Sammlung. 
5,  littorale  Ol.,  Murgthal  (Ostg.). 

„  atrocoeruleum  Stph.,  „  „ 

„  fasciolatum  Dft.  var.  coeruleimi,  „  „         neu. 

Cepidodera  ferruginea  Scop.,  „  „  „ 

Äpion  suhulatuni  Kieby,    Reutlingen  (auf  Lathyr.  pratensis)  (Dz.),  neu. 
„      flavimanuni  Gyll.,  „  »  » 

„       astragali  Payk.,  „  (auf  Astrag.  ghjcipliyU.)    „  » 

„       superciliosum  Gyll.,  Esslingen  (auf  Birke)  „  „ 

„       simum  Gekm.,  Neckarsulm  (auf  Hyperic.  perforat.)  „  „ 

„      xoallipes  Kieby,  „  (auf  MercuriaL  perenn.)         „  „ 

„       spencei  Kikby,   Reutlingen  „  „ 

„       gracilipes  Dietb.,        „  (auf  Trifol.  medium)  „  „ 

;,       rußrostre  F.,  „  (auf  Malva  sylvestris)  „  „ 

„       ononicola  Bach.,         „  (auf  Ononis  repens)  „  „ 

„       livescerum  Schönh.  „  „ 

„       marcliicum  Hbst.,  Oberthal  (auf  Teucrium  serrod.)  „  „ 

Bendroctonus  micans  Duft,  nebst  Frassstücken,  Hürbel  bei  Ochsenhausen 
(Schwendt.). 

Bostrychus  curvidens  Geem.  nebst  Frassstücken,  Börtlingen  (Fschb.). 

PolygrapJms  puhescens  „  „  (Fschb.). 

Cryphalus  piceae  Rtzb.  „  „  „ 

Coleopteren  aus  Windenblüten  und  Minen  von  Salix  alba,  Stuttgart  (Stdl.). 

^  Das  Verzeichnis  der  Insekten  wurde  von  Herrn  Dr.  Vo  sseler  zusammen- 
gestellt. 


—     XII     — 

Carabus  auratus  L.  var,,  Stuttgart  (Trp.),  neu. 

„         irregularis  F.,  ,,  ,, 

„         convexus  F.,  Böblinger  Wald  (Fsch.). 

„         canceUatus  III.,  ,,  ,,  ,, 

Coleopteren  (Doubletten),  ,,  „  „ 

3.  Hymen optera. 

Tenthrediniden,  mehrere  Arten  darunter. 

Macrophya  rustica  L.,      Böblinger  Wald  (Fsch.). 

Tenthredo  albicornis  F.,  ,,  ,,  ,, 

„  Schaffen  Kl.,         „  „  „ 

;,  cingulum  K.,  ,,  ,,  ,, 

Ichneumoniden  mit  den  Wirtspuppen  darunter,   Stuttgart  (Hffm.). 

Exochüum  circuniflexum  L. 

Paniscus  testaceus  Gb. 

Ichneumoniden  nebst  Wirten,   Stuttgart  und  Veringen  (Stdl.). 

Li/da  2)ratensis  Fab.    nebst   Gehäuse    an  Fop.  tremida,    Berneck    (Stdl.). 

Nestbauten  mehrerer  Arten  von  Megachile,  Hoplopus,  Crossocerus,  Biberach 
(Kp.). 

Eriocampa  adumbrata  Klg.  (Kirschenblattwespe)  mit  Frassstücken,  Nür- 
tingen (Oberamtmann  v.  Falkenstein). 

Ichneumonidenpuppen  an  einer  Cara&MS-Larve,  Feuerbach  (Schrd.). 

Gimhex  saliceti  Zad.,  Ulm  (Hg.). 

Andrena  flessae  Pz.,      ,,         ,, 

Fezomaclms,  „        ,, 

4.  Diptera. 

Verschiedene  Dipteren,  Murgthal  (Ostg.). 

,,  ,,  teils  in  Blättern  von  Bumex  minierend,  teils  Para- 

siten von  Raupen  (mit  den  Wirten)   (Stdl.). 

„  ,,  Böblinger  Wald  (Fsch.). 

Tacfiina-Eier  an  Raupen  von  Sjjh-  ligustri,  Stuttgart  (Gstn.). 

5.  Orthopteren. 

Ileconema  variuni  F.,  Stuttgart  (Stdl.). 

Äcridium,  Murgthal  (Ostg.). 

Gryllotalpa  viügaris  L.,  Esslingen,  Eier  und  Junge  (Schbl.). 

6.  Rhynchota. 

Coccus  vitis  L.  nebst  davon  befallenen  Reben,   Stuttgart  (Wth.). 
Hemipteren  und  Cikaden,  Böblinger  Wald  (Fsch.). 

Eurjjcera  teucrii  Hokst.  ,    aus  Gallen  von  Teucrium  montan.,    PfuUingen 
(Dz.),  neu  für  Deutschland. 

Neuroptera,  Trichoptera. 
Phryganeenlarven,  Esslingen   (Schbl.). 
Ba'i'tis  mit  Eiern,  Stuttgart  (Stdl.). 
Stenophylax  lafipennis  Cubt.,   Veringen  (Stdl.). 
Taeniopteryx  trifasciatus  Pict.,  Stuttgart  (Stdl.). 


—     XIII     — 

B.  Botanische  Sammlung. 

(Konservator:  Kustos  J.  Eichler.) 

Als  Geschenke : 

Aquilegia  vulgaris  L.,  weissblühend,  Ulm,   an  der  Wilhelmsburg  (v.  Biber- 
stein). 

NupTiar  luteum  Sm.,  Ravensburg,   im  Altvfasser  der  Schüssen   (v.  Biber- 
stein). 

Barharaea  intermedia  Bokeau  ,    Lauffen  a.  N. ,    an  einem  Wassergraben 
(Bader). 

Barbaraea  vulgaris  ß.  arcuata  Rchb,,  Lauffen  a.  N.,  im  Überschwemmungs- 
gebiet des  Neckars  in  einem  Weidengebüsch  (Bader). 

Ärahis  hirsufa  Scop.,  Urach,  an  der  Sirchinger  Steige  (Simon). 
„  „        var.  sagittata  DC,  ebendaher  (Simon). 

Garciamine  impatiens  L.,  Lauifen  a.  N.,  auf  der  Neckarinsel. 

Sisymhrium  austriacum  Jacq.,  Lauffen  a.  N.,  an  der  Kirchenmauer  (Bader). 
„  columnae  Jacq.,  Lauffen  a.  N.,  in  der  Nähe  des  Bahndamms 

(Bader). 

Farsetia  incana  R.  Br.,  Pfullingen  (Bossler). 

Viola  elatior  Fb.,  Bölgenthal  OA.  Crailsheim,  im  Ufergebüsch  der  Jagst 
(Simon). 

Drosera  rotundifolia  L.,  Birkhof  bei  Gschwend  (v.  Biberstein). 
„        longifolia  L.,  ebendaher  (v.  Biberstein). 

Melandrium  silvestre  Roehling,  weissblühend ,  Ulm ,  in  der  Friedrichsau 
(v.  Biberstein). 

Trifolium  ochroleucum  L. ,    am  Farrenberg  bei  Thalheim  (v.  Biberstein). 

Spiraea  salicifolia  L.,  verwildert,  Kappel  bei  Buchau  a.  F.,  in  der  grossen 
Kiesgrube  (Bauer). 

Spiraea  Äruncus  L.,  Butschhof  bei  Epfendorf  OA.  Oberndorf  (v.  Biber- 
stein). 

Oenothera  miiricata  L.,    an  der  Illermündung  bei  Ulm  (v.  Biberstein). 

Hippuris  vidgaris  L.,  Ulm,  im  warmen  Wässerle  (v.   Biberstein). 

Myricaria  germanica  Desv.  ,  Ulm ,    an  der  Illermündung  (v.  Biberstein). 

Rihes  alpinum  L.,  Bietigheim,  in  Hecken  (v.  Biberstein). 

Äsperula  taurina  L.,  Berg  bei  Stuttgart,  im  Wäldchen  hinter  der  kgl. 
Villa  am  Abhang  gegen  den  Kanal;  Mai  1894  (Simon)  (ob  an- 
gesalbt?). 

CepJialaria  transsilvanica  Scheadee,  Schnaitheim — Königsbronn,  beim 
Eisenbahntunnel  seit  Jahren  in  Menge ;  soll  während  des  Tunnel- 
baues bei  der  Bauhütte  im  Wald  ausgesät  worden  sein  (Simon, 
Fecht). 

Betasites  albus  Gäetn.  ,  Isingen  OA.  Sulz,  im  ,,Eich'wald"  (v.  Biber- 
stein). 

Aster  salignus  Wind.,  Abtsgemünd,  im  Ufergebüsch  des  Kochers  (Simon). 

Bellidiastrum  Michelii  Cass.  ,  Ergenzingen  OA.  Rottenburg ,  im  Nadel- 
wald (Dörr). 

ÄcMllea  nohilis  L.,  Lauffen  a.  N,  und  Kirchheim  a.  N.  (Bader). 


—    XIV     — 

Arnica  montana  L.,  Ebersberg  bei  Gsehwend  (v.  Biberstein). 

Pyröla  chlornntha  Swaktz,  Ravensburg,  im  Hohwald  (v.  Biberstein). 
„        minor  L.,   Mergelstetten  bei  Heidenheim  (Fecht). 
„        rotundifolia  L.,  Heidenheim,  im  Schlosswald  (Fecht). 

Phacelia  tanacetifoUa  Bentham  (Farn,  der  Hydrophyllaceae) ,  verwildert 
im  Rommeisthal  oberhalb  Obernau  (OA.  Rottenburg)  bei  der 
Mühlenrviine  (Dörr). 

NB.  Die  in  Californien — Arizona  gemeine  Pflanze  wird  in  Deutsch- 
land und  Frankreich  häufig  als  Gartenzierpflanze  kultiviert,  ver- 
wildert vielfach  und  ist  an  einigen  Orten  schon  massenhaft  auf- 
getreten. 

Echinospermum  Lapjmla  Lehmann,  Lauffen  a.  N.   (Bader). 

JMyosotis  versicoJor  Peks.,  Burgholzhof  bei  Cannstatt  (Simon). 

,,         stricta  Link,  Lauffen  a.  N.,    im  Forchenwald  der  Ulrichsheide 

(Bader) ;  Aalen,  im  Tannenwäldle  (Simon). 
,,         caespitosa  Schultz,    Lauffen  a.  N. ,    auf  der  Seewiese  (Bader). 

Cerinthe  alpina  Kitaibel,  vorübergehend  bei  Pfullingen  am  nördlichen 
Abhang  der  Wanne  (Wacker). 

Pedicularis  süvatica  L.,  weissblühend,  Engelhardtsweiler  OA.  Ellwangen, 
im  Schimmeleswald  (Koch). 

Oröbanclie  minor  Sutton,  Bonfeld — Biberach  (OA.  Heilbronn)  auf  Triföl. 
prat  (Feucht). 

Orobanche  rubens  Wallr.,  Heidenheim,  im  Schlosswald  (Fecht).  Aalen, 
im  Langert  (v.   Biberstein). 

Sideritis  montana  L.,  Pfullingen,  am   Georgenberg  (Bossler). 

Utricularia  vulgaris  L.,  Arnegg  OA.  Blaubeuren,  im  Torfstich  (v.  Biber- 
stein). 

Primula  farinosa  L.,  Ravensburg  (v.   Biberstein). 

Thesium  montanum  Ehrh.  ,  am  Farrenberg  bei  Thalheim  (v.  Biber- 
stein). 

Hippophae  rhamnoides  L.,  Oggelshauser  Halde  am  Federsee  (Bauer). 

Parietaria  ramiflora  Moench,  Lauffen  a.  N.  (Bader). 

Bidomus  umbeUatus  L. ,  im  Altwasser  des  Neckars  zwischen  Kirchheim 
und  Lauffen  (Bader). 

Cppripedium  Caiceolus  L.,  Ringgenburg  bei  Essenhausen  OA.  Ravensburg 
(v.   Biberstein). 

Ophrys  arachnites  Murr.,  Hohenneuffen  (Binder).  Farrenberg  bei  Thal- 
heim (v.   Biberstein). 

Orchis  angusüfolius  Wimm.,  Lauffen  a.  N.,  auf  der  Seewiese  (Bader). 
,,      paUens  L.,   Aalen,  im  Staatswald  Heuteich  (v.  Biberstein). 

Anacamptis  pyramidalis  Richard,  Sersheim  OA.  Vaihingen,  am  Barten- 
berg (v.   Biberstein). 

Coeloglossum  viride  Hartm.,  Farrenberg  bei  Thalheim  auf  einer  Bergwiese 
(v.   Biberstein). 

Herminium  3Ionorchis  R.  Br.,  Heidenheim,    im  Katzenthal  (Fecht). 

Elymus  canadensis  L.,  vorübergehend  auf  einem  Schutthaufen  bei  Urach 
(Dieterich). 

Setaria  viridis  P.  B.,  Pfullingen,  am  Georgenberg  (Bossler). 


—     XV    — 

Setaria  glauca  P.  B.,  Pfullingen,  auf  Äckern  des  Roth  und  im  Thalacker 

(Bossler). 
Polypodnmi  vulgare  L.,  Kirchberg  OA.  Sulz,  am  Eisenbühl  (v.  Biberstein). 


Hüdenbrandtia  rivularis  Bk^b.,   auf  Steinen  im  Krummbach  bei  Ochsen- 
hausen OA.  Biberach  (Reuss). 


Choiromyces  maeandriformis  Vittadini,  Revier  Justingen  OA.  Blaubeuren 
(Pfizenmaier). 

C.  Mineralogiscli-palaeontologische  Sammlung. 

(Konservator:  Prof.  Dr.  E.  Fr  aas.) 
Als  Geschenke: 

a)  Mineralien: 

Bergkrystall  (gefärbt)  von  Sasbach  (Schwarzwald), 

von  Herrn  Dr.   C.  Beck  in  Stuttgart; 
Doppelspate  von  Salmendingen, 

von  Herrn  Dr.  J.   Vosseier  in  Stuttgart; 
Kalkspatdruse  von  üntertürkheim, 

von  Herrn  Oberlehrer  Fritz  in  Stuttgart. 

b)  Gesteine: 

Hornblende-Granat-Schiefer,   err.   von  Ravensburg, 
Gneissbreccie,  ,,       „  ,, 

Gault,  ,,       „  ,, 

von  Herrn  Fabrikant  Kr  aus  s  in  Ravensburg. 


c)  Petrefakten: 

Fünf  prachtvolle  Zähne  von  Mastodon  angustidens  aus  der  Molasse  von 
Heggbach  (Originale  zu  H.  v.  M  e  y  e  r), 

von  Herrn  Kämmerer  Dr.   Probst,  Essendorf; 
Cbw(/ena-Bank,  Miocän  von  Altheim, 

von  Herrn  Reallehrer  Gaus  in  Heidenheim; 
Elephas  primigenius,    2,50  m  langer  wohlerhaltener  Stosszahn  aus  dem 
Lehm  von  üntertürkheim, 
von  den  Herren  A.  Haug  und  C.  Münzenmayer,  üntertürkheim; 
NothosaurusSchndiUze,       Muschelkalk,  Crailsheim. 
Nothosaurus  Ändriani,  ,,  ,, 

Chemnitzia  (vergypst),  ,,  ,, 

Spiriferina  fragiUs,  ,,  ,, 

Tanystropliaeus  conspiciius,         ,,  ,, 

von  Herrn  Hofrat  R.  B  1  e  z  i  n  g  e  r  in  Crailsheim ; 
Ceratites  antecedens,  Wellengebirge,  Dornstetten, 

von  Herrn  Lehrer  Bartholomäi  in  Gmünd; 


—     XVI     — 

reiche  Sammlung  aus  Trias  und  Jura,  gesammelt  von  j  Baurat  Eulen- 
stein ;   als  besonders  wichtige  Stücke  sind  hervorzuheben : 
Ceratites  antecedens,  Wellengebirge,  Freudenstadt, 

,,         Btickii,  ,,  ,, 

Ämmonites  cliscoideus,  Brauner  Jura  ß,  Gosheim, 
,,  coronatus,  Brauner  Jura  d,  Lauffen, 

,,  Wuerttembergiais,  Brauner  Jura  e,  Lauffen, 

Bhahdocidaris  nöbiUs,  Weisser  Jura  y,  Nusplingen, 
Ämmonites  Doublieri,  Weisser  Jura  d,  Sigmaringen, 
Hemicidaris  crenidans  Weisser  Jura  £,  Nollhaus, 
von  Frau  Baurat  Eulenstein  in  Stuttgart; 
Ämmonites  Charmassei,  Lias  a,  Vaihingen, 

„  fissüohatus,  Brauner  Jura  ;',  Bissingen, 

,,  äff.   Tessonianus,         ,,  ,,       ,,  ,, 

Terehratula  dorsoplana,  „  ,,      ,,  ,, 

Fleurotomaria  armata,  ,,  ,,       ,,  ,, 

von  Herrn  Prof.  Dr.  E.  F  r  a  a  s  in  Stuttgart ; 
Ceratites  nodosus  (krank),  Muschelkalk,  Cannstatt, 
Ämmonites  Beineckianus  (mit  Ohren),  Weisser  Jura  y,  Thieringen, 
5,  coronatus  (Lobenstück),  Brauner  Jura  d,  Lauffen, 

von  Herrn  Lehrer  Klopfer  in  Stuttgart; 
Eleplias  antiqims  (Backzahn),  Diluvium,  Feuerbach, 
Bhinoceros  ticliorliinus  (Zähne),        ,,  ,, 

von  Herrn  Schrader  in  Feuerbach ; 
Nautilus  aperturatus,  Brauner  Jura  y,  Eningen, 
Ämmonites  Gervillii,  ,,  ,,      ,,  ,, 

von  Herrn  Pfarrer  Gussmann  in  Eningen; 
Spiriferina  fragilis,  Muschelkalk,  Kocherstetten, 

von  Herrn  Lehrer  Hermann  in  Kocherstetten ; 
Belodonten-Zähne,  Stubensandstein,  Aixheim, 
Muschelkalkfossilien,  von  Schwenningen, 

von  Herrn  Lehrer  Stettner  in  Vaihingen  a.   Enz; 
Äpiocrinus  mespiliformis  und  rosaceus,  durch  Mycostoma  deformierte  Kelche, 

Weisser  Jura  C,  von  Sontheim, 
Armglieder  von  Äpiocrinus,  Weisser  Jura  C,  von  Sontheim, 

von  Herrn  Lehrer  Wagner  in  Sontheim  a.   Br. ; 
Äpiocrinus-^i\Q\&,  durch  3Iycostoma  deformiert.  Weisser  Jura  ^,  Heidenheim, 
imn;<a -Wirbel,  Miocän,   Oellingen, 
Delphin-Zähne,         ,,  ,, 

von  Herrn  Oberförster  Holland  in  Heimerdingen, 
Ämmonites  macrocephalus,  Brauner  Jura  e,  Pfäffingen, 

von  Herrn  Baudirektor  v.   Euting  in  Stuttgart; 
Äraucaria  (Voltzia)  n.  sp.  aus  dem  Muschelkalk  von  Oberscheffach, 

von  Herrn  Dr.  Halm  in  Crailsheim; 
Belodon-Resi^  (Interclavicula,   Scapula,  Schädel  von  Mystriosuchus  plani- 
rostris),  Stubensandstein  von  Aixheim, 

von  Herrn  Reallehrer  Haug  in  Ravensburg. 


—     XVII    — 
D.  Die  Vereinsbibliothek. 

(Bibliothekar:  Kustos  J.  Eichler.) 

Zuwachs  vom   1.  Januar  bis  31,  Dezember  1897. 

a.  Durch  Geschenke  und  Kauf: 

Durch  Schenkung  von  Büchern  etc.  haben  sich  folgende  Mitglieder 
und  Freunde  des  Vereins  um  denselben  verdient  gemacht : 

Bechold,  H.,  Verlagsbachhändler,  Frankfurt  a.  M.      (B.) 

Verein  für  Naturkunde  in  Braunschweig.      (Br.) 

Eimer,  Prof.  Dr.  Th.,  Tübingen.     (E.) 

Gran  er,  Dr.  F.,  Oberforstrat,   Stattgart.     (G.) 

Hartmann,  Dr.  J.,   Oberstudienrat,  Stuttgart.     (H.) 

Lampert,  Prof.  Dr.   K.,  Konservator,   Stuttgart.     (La.) 

Lutz,  Dr.  K.   G.,  Schullehrer,   Stuttgart.     (Lu.) 

Oberrheinischer  geologischer  Verein.     (0.) 

K.   Universitätsbibliothek  zu  Upsala.      (ü.) 

Winter 'sehe  Verlagsbuchhandlung,  Leipzig-Heidelberg.      (W.) 

Wolf  fing,  Dr.  E.,  Privatdozent,   Stuttgart.      (Wo.) 

Zahn,  Dr.  A.,  Pfarrer,  Stuttgart.      (Z.) 

Erben  des  f  Hofmarschalls  Dr.  Max  Graf  v.  Zeppelin,  Stuttgart.   (Ze.) 

I.  Akademie-  und  Gesellschaftsschriften. 

,,Aus  der  Heimat."  Organ  des  Deutschen  Lehrervereins  für  Natur- 
kunde.   Herausgegeben  von  Dr.  K.  G.  Lutz.    10.  Jahrg.    1897.   (Lu.) 

Entomologische  Nachrichten.  Herausgegeben  von  Dr.  F.  Karsch.  23.  Jahrg. 
1897. 

Oberrheinischer  geologischer  Verein:  Bericht  über  die  30.  Versammlung 
zu  Mülhausen  i.   E.     1897.    (0.) 

Societas  entomologica.     Jahrg.  XI,    19 — 24;  XII,    1  — 17. 

Societe  entomologique  de  France:  Annales  Jahrg.  1896,  Vol.  LXV,  2 — 4. 
—   Bulletins   1896  No.    19—21;    1897  No.    1—16. 

Stettiner  entomologische  Zeitung.    Jahrg.   57  und  Jahrg.  58  No.  1 — 6. 

Tübinger  zoologische  Arbeiten.  Heraasgegeben  von  Prof.  Dr.  G.  H.  Th.  Eimer. 
Bd.  II    No.   1  —  8,  Leipzig   1896  —  97.    (E.) 

„Zoologische  Garten,"  Der.     Jahrg.   37  No.    11—12;  Jahrg.   38. 

IL  Schriften  allgemein  naturwissenschaftlichen 

Inhalts. 

Graner,  Oberforstrat  Dr.  F.,  Der  Schwarzwald  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung des  württembergischen  Anteils.  (Sep.-Abdr.  a.  d.  Forst- 
wissensch.   Centralblatt.)     Berlin   1897.     8".     (G.) 

III.  Zoologie  (excl.  Entomologie). 

Bronn,  Dr.  H.  G.,  Klassen  und  Ordnungen  des  Thierreiches.  Fortgesetzt 
von  Dr.   W.  Leche.    Bd.  VI  Abt.   5  Lief.   45  u.   46.    (W.) 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  b 


—     XVIII     — 

Frivaldszky,  J.,  Aves  Hungariae.    Budapest  1891,    8°.    (Ze.) 
Her  man,    Otto,    Die  Elemente  des  Vogelzuges    in  Ungarn    bis    1891. 
Budapest   1895.    Folio.    (Ze.) 

—  Über  die  ersten  Ankunftszeiten  der  Zugvögel  in  Ungarn  (Frühjahrs- 

zug).   Budapest   1891.    4°.    (Ze.) 
Lampert,  Prof.  Dr.  K.,  Das  Leben  der  Binnengewässer.    Leipzig  1897  ff. 

Lief.   1,  2.    8°.    (La.) 
Leverkühn,  Paul,  Bericht  über  eine  Reise  nach  Ungarn  im  Frühjahr 

1891.    Budapest  1891.    (Ze.) 
Lischke,   C.  E.,  Japanische  Meeres-Conchylien.    Cassel   1869 — 1875. 

3  Bde.    4".    (Z.) 
Ornithologischer  Kongress,  II.  internationaler  zu  Budapest  1891. 

Hauptbericht.    Budapest  1892.    Folio.    (Ze.) 
Palmen,  J.  A.,  Referat  über  den  Stand  der  Kenntnis  des  Vogelzuges. 

Budapest   1891.    4*^.    (Ze.) 
Reiser,  0.,  Die  Vogelsammlung  des  bosnisch-hereegowinischen  Landes- 
museums in  Sarajewo.    Budapest   1891.     8*^.    (Ze.) 
Sharp  e,    R.  Bowdler,    A  review  of  recent  attempts  to  classify  Birds. 

Budapest   1891.    8".    (Ze.) 
Zoologiska  Studier,    Festskrift  Wilhelm  Lilljeborg    tillegnad 

pä  han  ättionde  födelsedag    af  Svenske  Zoologer.     Upsala   1896. 

4°.    (ü.) 

III a.  Entomologie. 

Schenkling,  Sigm.,  Nomenciator  coleopterologicus.  Frankfurt  a.  M. 
1894.    8^    (B.) 

Schütte,  H.,  Insektenbüchlein.  (Die  wichtigsten  Feinde  und  Freunde 
der  Landwirthschaft  aus  der  Klasse  der  Insekten.)  Mit  200  far- 
bigen Abbildungen.      Stuttgart   1897.     12*'.    (Lu.) 

IV.  Botanik. 

Hartmann,  W.,  De  discrimine  generico  Betulae  et  Alni.  Stuttgart 
1794.    (H.) 

—  Verschiedene  Manuskripte,  Pflanzengeogr.  Inhalts.    (H.) 
Hartmann,   G.  W.,   95  Blatt  mit  colorierten  Originalabbildungen  von 

Schwämmen  aus  der  Umgebung  von  Backnang  und  Tübingen  aus 
den  Jahren   1824  und   1825.    (H.) 

V.  Mineralogie,  Geologie,  Palaeontologie. 
Newton,  A.,  Fossil  birds.     Budapest   1891.    Folio.    (Ze.) 

VII.  Chemie,  Physik,  Mathematik,  Astronomie,  Meteorologie. 

Forst  er,  Alfred,  Studien  zur  Entwickelungsgeschichte  des  Sonnen- 
systems.    Stuttgart   1885.    8°.    (Ze.) 

Wölffing,  Dr.  E.,  Die  singulären  Punkte  der  Flächen.  (Habilitations- 
schrift.)    Dresden   1896.    8°.    (Wo.) 


—     XIX     - 

IX.  Schriften   verschiedenen  Inhalts. 

Braunschweig  im  Jahre  1897.  (Festschrift  für  die  Teilnehmer  an  der 
69.  Versammlung  Deutscher  Naturforscher  und  Ärzte  zu  Braun- 
schweig 1897.)     Braunschweig  1897.    8°.    (Br.) 

b.  Durch  Austausch  unserer  Jahresheft e:^ 

American  association    for  the   advancement    of    science:    Pro- 

ceedings  of  the  45  meeting  held  at  Buffalo,  N.  Y.,   1896. 
American  geographical  society:  Bulletins  Vol.  XXIX,   1897. 
Amiens.      Societe  Lineenne  du  nord  de  la  France. 
Amsterdam.     K.Akademie  van  wetenschappen :  Jaarhoek  voor   1896. 

—  Verhandelingen  (Natuurkunde)    1.  sectie :    deel  V    No.   3 — 8; 

2.  sectie:    deel  II    No.   2;   deel  V    No.  4 — 10.  —  Verslagen  der 

Zittingen  (Natuurkunde)  deel  V.   1896/97. 
Augsburg.     Naturwiss.  Verein  für  Schwaben  und  Neuburg. 
Badischer  botanischer  Verein:  Mitteilungen  No.    137 — 141. 
Baltimore.     Johns  Hopkins  University. 
Bamberg.     Naturforschender  Verein. 

Basel.     Naturforschende   Gesellschaft:  Verhandlungen  Bd.  XI,   3. 
Bayerische    botanische   Gesellschaft    zur    Erforschung    der    heimischen 

Flora:  Berichte  Bd.  V,    1897. 
Bayerisches  K.   Oberbergamt  (München). 
Belgique.     Academie    R.    des    sciences    etc.:    Bulletins    ser.    3    Tomes 

XXIX— XXXIII,  1895  —  97.  —  Annuaires  Vol.  LXII  u.  LXIII,  1896 

bis   1897. 

—  Societe   entomologique :    Annales    T.  XXXIX    u.    XL.    —    Memoires 

T.  III,  IV,  V. 

—  Societe  geologique :  Annales  T.  XXIV,    1. 

—  Societe  R.  malacologique. 

Bengal.     Asiatic  society  of  Bengal  (Calcutta) :  Journal  n.  s.  Vol.  LXIV, 

p.  I,  II.   —   Proceedings  Jahrg.    1895. 
Bergen's  Museum:  Aarbog  for   1896.   —  Sars,   G.  0.,   an  account  of 

the  Crustacea  of  Norway  Vol.  II,   3 — 8. 
Berlin.     K.    Akademie    der    Wissenschaften:    Physikal.    Abhandlungen 

a.    d.    Jahre    1896.    —    Sitzungsberichte     1896     No.    40—53    u. 

1897,  No.   1—39. 

—  Entomologischer    Verein:     Berliner    entomolog.    Zeitschr.    Bd.    XLI 

H.   2  —  4  u.  Bd.  XLII  H.'  1—2. 

—  K.  geolog.  Landesanstalt  und  Bergakademie:  Jahrbuch   1895. 

—  Gesellschaft  naturforschender  Freunde:   Sitzungsber.    1896. 

Bern.     Naturforschende    Gesellschaft:    Mitteilungen    a.    d.    Jahre   1895 

u.   1896. 
Bodensee.     Verein  für  Geschichte  des  B.  u.  seiner  Umgebung  (Lindau): 

Schriften  H.   25. 


^  Von  den  Gesellschaften,  hinter  deren  Namen  sich  keine  Angaben  finden, 
sind  dem  Verein  während  des  Jahres  1897  keine  Tauschschriften  zugegangen. 

b* 


—     XX     — 

Bologna.     R.  Accad.  d.  science  dell'  Istituto  di  Bologna. 
Bonn.     Naturhistorischer  Verein  d.  preuss.  Rheinlande  etc.:  Verhand- 
lungen Jahrg.   53  H.   2  u.   Jahrg.   54  H.    1. 

—  Niederrheinische  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde :    Sitzungs- 

berichte Jahrg.    1896   u.   1897  H.    1. 
Bordeaux.     Soc.  des  sciences  physiques  et  naturelles. 
Boston.    American  Academy  of  arts  and  sciences:  Proceedings  Vol.  XXXI 

u.  Vol.  XXXII  H.   1  —  15.   —  Memoirs  Vol.  XII,   2,   3. 

—  Society    of   natural   history :    Proceedings  Vol.  XXVII    p.   75 — 330. 
Brandenburg.     Botanischer  Verein  für  die  Provinz  B. :  Verhandlungen 

Jahrg.   38. 

Braunschweig.     Verein  für  Naturwissenschaft:  Jahresberichte  No.  10 

(1895—1897). 
Bremen.     Naturwissenschaftlicher  Verein:   Abhandlungen  Bd.  XIV,    2. 
Brunn.     Naturforschender  Verein:   Verhandlungen  Bd.  XXXIV. 

—  Ber.  d.  meteorolog.  Komm.  Bd.  XIV. 

Buenos  Aires.     Museo  nacional:  Anales  T.  V.  —  Memorias  de  1894 
bis   1896. 

Buffalo  Society  of  natural  sciences. 

California.     Academy  of  sciences  (San  Francisco). 

Cambridge.     Museum    of    comparative    zoology    at    Harvard    College: 

Annual  report  for  1895/96  u.  1896/97.   —  Bulletins  Vol.  XXVIII, 

3;  Vol.  XXX,   2—6;  Vol.  XXXI,    1—4.   —  Memoirs  Vol.  XIX, 

2;  Vol.  XX— XXII. 
Canada.     The  Canadian  Institute  (Toronto):  Proceedings,  New  series, 

Vol.  I,   1,  No.    1. 

—  Geological    and    natural    history    survey    (Ottawa) :     Annual    report 

Vol.  VIII  mit  geologischen  Karten  No.   585 — 588. 

—  Geological  survey  (Ottawa):   Whiteaves,  J.  F.,  Palaeozoic  fossils 

Vol.  m,  3. 

—  Royal  Society  (Ottawa)-:  Proc.  Trans,  for  1896   (2  ser.  Vol.  II). 
Cape  of  good  hope.      Geological    commission:    Annual    report    1896. 

—  Saunders ,    H.    P. ,    Bibliography    of   South    African    geology, 

parts  I  u.  II,   1897. 
Gas  sei.     Verein  für  Naturkunde. 
Catania.     Accademia  Gioenia  di  sc.  nat. :    Bulletino,   nuova  ser.  fasc. 

46—49. 

Cherbourg.     Societe  nationale   des  sc.   nat.   et  math.. 
Chicago.     Field  Columbian  Museum:   Publications  No.    1 — 20. 
Christiania.     Archiv  for  Mathematik  og  Naturvidenskab. 

—  K.  Universität:   Programm  für  das   1.  Sem.    1895   (Barth,   J. ,  Nor- 

ronaskaller.     Crania  antiqua  in    parte    orientali  Norwegiae    meri- 
dionalis  inventa). 

—  Norske  Nordhavs  Expedition  1876  —  1878:  H.  XXIII  Zoologi  (Tuni- 

cata);   H.  XXIV  Botany  (Protophyta). 

—  Fauna  ISIorvegica  Bd.  I  (Sars,   G.   0. ,  Phyllocarida  og  Phyllopoda). 
Cincinnati.     Soc.   of  natural  history:  Journal  Vol.  XIX,   1 — 2. 


-     XXI     - 

Colmar.     Naturhistorische    Gesellschaft:    Mitteilungen   N.  F.    Bd.   III, 

1895—96. 
Cordoba.     Academia  nacional   de    ciencias:    Boletin    Vol.  XV,    1 — 3. 
Costa  Rica.     Museo  nacional :  Alfara,  A.,  Mamiferos  de  C.  R.  1897; 

Tristan,  J.  F.,  Insectos  de  C.  R.  1897;  Biolley,  P.,  Moluscos 

terrestres    y   fluviatiles    de    la    meseta    central    de    C.    R.    1897; 

Tondur,  A.,  Flora  de  C.  R.  1897;  Underwood,  C.  F.,  Fauna 

de  C.  R.    1897. 
Danzig.     Naturforschende  Gesellschaft:   Schriften  N.  F.   Bd.  IX,   2. 
Darm  Stadt.     Grossh.  Hess.  Geol.  Landesanstalt. 

—  Verein  für  Erdkunde  etc.:  Notizblatt  4  F.  H.    17, 
Davenport  (Iowa).     Acad.   of  nat.  sciences:  Proc.  Vol.  VI. 
Deutsche    geologische    Gesellschaft:    Zeitschrift    Bd.    XLVIII,    3 — 4; 

XLIX,   1—2. 
Dijon.     Acad.  des  sciences  etc.. 

Donaueschingen.     Verein  für  Gesch.  und  Naturgesch.  der  Baar. 
Dorpat.      Naturforscher-Gesellschaft:   Archiv  Ser.   2   Bd.  XI,   2. 

—  Naturforscher- Gesellschaft  b.   d.  Universität:   Sitzungsber.  Bd.  XI,  2. 
Dresden.     Naturwissenschaftliche    Gesellschaft   Isis:    Sitzungsber.   und 

Abhandl.  Jahrg.    1896  H.   2,   1897  H.   1. 
Dublin.     Royal  Dublin  Society. 
Edinburgh.     R.  physical  society :  Proceedings  Vol.  XIII,  2. 

—  Royal  Society. 

Erlangen.     Physikalisch-medizinische  Societät:   Sitzungsber.  H.   28. 

France.  Societe  geologique :  Bulletins  Vol.  XXIV,  8,  9;  XXV,  1,  2. 
—  Comptes  rendus  des  seances  XXIV,   1896. 

: —  Societe  zoologique:   Bulletin  Tome  XXI,    1896. 

Frankfurt  a.  M.  Senckenbergische  naturforschende  Gesellschaft:  Be- 
richt von   1897. 

Freiburg  i.  Br.     Naturforschende  Gesellschaft. 

Geneve.    Soc.  de  physique  et  d'hist.  naturelle:  Memoires  Vol.  XXXII,  2. 

Genova.     Museo  civico  di  storia  nat.:   Annali  ser.   2   Vol.  XVII. 

Giessen.  Oberhessische  Gesellschaft  für  Natur-  und  Heilkunde:  Be- 
richte Bd.  XXXI. 

Glasgow.  Natural  history  society :  Transactions,  New  series.  Vol.  IV, 
3  u.  V,  I. 

Görlitz.     Naturforschende  Gesellschaft. 

Graubünden.   Naturforschende  Gesellschaft:  Jahresbericht  N.  F.  Bd.  XL. 

Greifswald.  Naturw.  Verein  von  Neu-Vorpommern  und  Rügen:  Mit- 
teilungen Bd.  xxvni. 

Halifax.     Nova  Scotian  Institute  of  Science:  Proc.  Vol.  II,  2, 

Halle.     Naturforschende  Gesellschaft. 

—  Verein  für  Erdkunde:   Mitteilungen  Jahrg.   1897. 

—  Kais.  Leopoldinisch-Carolinische  Akademie  d.  Naturforscher:  Leopol- 

dina Bd.  XXXII,   12;  XXXIII,   1—11. 

—  Naturw.  Verein  für  Sachsen  und  Thüringen :    Zeitschrift  für  Natur- 

wissenschaften Bd.  LXIX  H.   5—6;  LXX  H.    1—2. 
Hamburg.    Naturw.  Verein:  Abhandlungen  Bd.  XV. 


—     XXIl     - 

Hamburg.  Verein  für  naturw.  Unterhaltung:  Verhandlungen  3.  F., 
Bd.  IV. 

—  Wissenschaftliche  Anstalten. 

Hanau.     Wetterauische  Gesellschaft    für  die  gesamte  Naturkunde. 
Hannover.     Naturhistorische  Gesellschaft. 

Harlem.  Fondation  de  P.  Teyler  van  der  Hülst:  Archives  du  Musee 
Teyler,   Ser.   2  Vol.  V,   3. 

—  Societe  hollandaise  des  sciences :  Archives  neerlandaises  des  sciences 

exaetes    et  naturelles,    Vol.  XXX,    4,   5;   Ser.   2  Tome  I,   1 — 3. 

—  Oeuvres  completes  de  Chr.  Huygens,  Vol.  VH. 
Heidelberg.    Naturhist.-medizin.  Verein:  Verhandlungen  N.  F.  Bd.  V,  5. 
Helsingfors.     Societas  pro  fauna  et  flora  Fennica:  Acta  Vol.  XI.  — 

Meddelanden  Haft  22. 
Hermannstadt.      Siebenbürgischer  Verein  für  Naturwissenschaften. 
Hohenheim.      Kgl.    württ.    landwirtschaftliche    Akademie:    Programm 

für   1897. 
Innsbruck.     Naturw.-medizin.   Verein:   Berichte  Jahrg.   22. 
Italia.     R.  comitato  geologico :  Bollettino,   anno   27  u.   28. 

—  Societä  entomologica :  Bollettino  XXVIII,   3,  4. 
Karlsruhe.     Naturwissenschaftlicher  Verein. 
Kiel-Helgoland.     Kommission    zur    wissenschaftl.    Untersuchung    der 

deutschen  Meere :  Wissenschaftl.  Meeresuntersuchungen ,  N.  F., 
Bd.  II,   1:  Abt.   2;  n,  2. 

Königsberg.  Physikalisch-ökonomische  Gesellschaft:  Schriften  Jahr- 
gang 37. 

Landshut.     Botanischer  Verein. 

Lausanne.  Societe  Vaudoise  des  sciences  naturelles :  Bulletins,  4  ser. 
Vol.  XXXn  No.   122;  Vol.  XXXIII  No.    123—124. 

Leiden.  Nederlandsche  Dierkundige  Vereeniging:  Catalogus  der  Biblio- 
thek, 4.   Ausg.    1897. 

Leipzig.     Naturforschende    Gesellschaft:    Sitzungsber.    Jahrg.   22 — 23. 

Liege.      Societe  royale  des  sciences:  Memoires,   2   ser.  Vol.  XIX. 

Linz.  Museum  Francisco-Carolinum :  Bericht  55.  —  Beiträge  zur 
Landeskunde   49.   —   Bibliothekskatalog   1897. 

—  Verein  für  Naturkunde:  Jahresbericht  No.   26. 

London.  Geological  Society:  Quarterly  Journal  Vol.  LIII,  1 — 3.  — 
General  Index  to  the  first  50  Voll. 

—  Linnean  Society:    Journal,    a)  Botany   No.  218 — 228;    b)  Zoology 

No.    163—167.  —  Proceedings  Jahrg.    1895/96. 

—  Zoological  Society:  Proceedings  for   1896  No.   4;    for   1897  No.    1, 

2,   3.  —  Transactions  Vol.  XIV,   3. 
Lund.    Universitas:  Acta  Vol.  XXXII.  —  Festskrift  (Elof  Tegner) :  Lunds 

Universität   1872—1897. 
Luxemburg.     Institut  R.   grand-ducal :   Publications  Vol.  XXV. 

—  Verein    Luxemburger    Naturfreunde   ,, Fauna" :    Fauna    Jahrg.    1896. 
Luzern.     Naturforschende  Gesellschaft:   Mitteilungen  H.    1. 

Lyon.     Academie  des  sciences  etc.. 

—  Museum  d'histoire  naturelle. 


—   xxni   — 

Lyon.     Societe  d'agriculture  etc. 

Magdeburg.     Naturwissenschaftlicher  Verein. 

Mannheim.     Verein  für  Naturkunde. 

Marburg.  Gesellschaft  zur  Beförderung  der  gesamten  Naturwissen- 
schaften:  Sitzungsberichte  Jahrg.    1896. 

Marseille.     Faculte  des  sciences  :  Annales  Tome  VI,  4 — 6;   VIII,  1 — 4. 

Mecklenburg.  Verein  der  Freunde  der  Naturgeschichte  (Rostock): 
Archiv  Jahrg.   50.  —  Register  für  Jahrg.   31 — 50. 

Metz.     Societe  d'histoire  naturelle. 

Mexico.  Sociedad  Mexicana  de  historia  natural:  La  Naturaleza, 
Ser.   2  T.  II  No.   10—11. 

Milano.  R.  istituto  Lombardo  di  scienze  e  lettere:  Rendiconti,  ser.  2* 
Vol.  XXIX. 

Moskau.  Societe  imperiale  des  naturalistes :  Bulletins  1896,  3 — 4; 
1897,    1. 

Napoli.  R.  Accad.  delle  scienze  fisiche  e  mat. :  Atti  Ser.  2  Vol.  VIII. 
—  Rendiconti  Ser.   3   Vol.  III. 

—  Zoologische  Station :  Mitteilungen  XII,  4. 

Nassauischer  VereinfürNaturkunde  (Wiesbaden):  Jahrbücher  Jahrg.  50. 
Nederlandsch  Indie.    Natuurkundige  Vereeniging  i.  N.  I.   (Batavia): 

Natuurkundige  Tijdschrift  deel  L,  LVI ;  Alfabet.  Register  für  deel  I — L. 
Neuchätel.      Societe  des  sciences  naturelles. 
New  Haven.     Connecticut  academy  of  arts  and  sciences. 
New    South   Wales.     Linnean    Society    of   N.   S.  W.    (Sydney):    Pro- 

ceedings  2.  Ser.  Vol.  X,   4;  Vol.  XXI,   1—4;  XXII,   1—2. 

—  R.   Society:  Journals  and  Proceedings  Vol,  XXX. 

New  York  Academy  of  sciences:  Annais  Vol.  V,  9 — 12;  VI,  7 — 12; 
IX,  4—5.  —  Transactions  Vol,  XV. 

—  State  museum:  Annual  report  48. 

New  Zealand.     Colonial  Museum  and  laboratory  of  the  survey. 

—  Institute  (Wellington). 
Normandie.     Societe  Linneenne  (Caen). 

—  Societe  geologique  (Havre). 
,,Notarisia." 

Nürnberg.     Naturhist.  Gesellschaft:  Jahresber.  u.  Abhandl.  Bd.  X,  5. 

Offenbach.     Verein  für  Naturkunde. 

Padova.     Societä    Veneto-Trentina    di    scienze    naturale:    Atti    Ser.  2 

Vol.  III,   1. 
Paris.     Societe  de  speleologie :  Spelunca.  Tome  II;  III,   9  — 11. 
Passau.     Naturhistorischer  Verein. 
Philadelphia.     Academy  of  natural  sciences :  Proceedings  Jahrg.  1896 

No.   2—3;   1897  No.    1. 

—  American  philosophical  society :    Proceedings  No.   151,    152,    154. 

—  Transactions  Vol.  XIX  No.    1. 

—  Wagner  Free  Institute. 

Pisa.     Societä    Toscana    di    scienze    naturali:    Memorie    Vol.    XV.    — 

Processi  verbali  Vol.  X  p.   168—242. 
Prag.     Naturhist.  Verein  Lotos. 


—     XXIV     - 

Pressburg.     Verein  für  Natur-  und  Heilkunde. 

Regensburg.     Naturw.  Verein. 

Rheinpfalz.      Naturw.    Verein    „Pollichia"    (Dürkheim):    Mitteilungen 

53.  Jahrg.  H.  10;   54.  Jahrg.  H.  11.  —  Beilage:  Mehlis,  Dr.  C, 

Der  Drachenfels  bei  Dürkheim  a.   H.  II.  Abt. 
Riga.      Naturforscher-Verein:  Korrespondenzblatt  Jahrg.   39. 
Rio  de  Janeiro.     Museu  nacional:  Archivos  Vol.  VIII. 
Roma.     Accademia  Pontificia  dei  nuovi  Lincei:  Atti  Jahrg.   50. 

—  R.  Accademia  dei  Lincei:   Atti  Ser.   5,  Rendiconti  Vol.  VI,    1   sem. 

u.   2   sem.  H.   1  —  10. 

Rover eto.     Museo   civico:  Publicazioni  31   u.   32. 

Santiago  de  Chile.  Deutscher  wissenschaftlicher  Verein:  Verhand- 
lungen Bd.  II,   4;  m,   1—4. 

St.  Gallische  naturwissenschaftl.  Gesellschaft:  Bericht  über   1894/95. 

St.  Louis.     Academy  of  science :   Transactions  Vol.  VII,   4 — 16. 

St.  Petersburg.  Comite  geologique:  Bulletins  Vol.  XV,  5 — 9  u. 
suppl.;  XVI,   1—2.   —  Memoires  Vol.  XIV,  2—5. 

—  Russisch-kaiserl.  mineralogische   Gesellschaft:  Verhandlungen  2   ser. 

Bd.  XXXII,  XXXIII  Lief.   2;  XXXIV  Lief.   1,  2.  —  Materialien 
zur  Geologie  Russlands  Bd.  XVIII. 

—  Kais.  Akademie  der  Wissenschaften:   Bulletins  ser.  5  Bd.  III,   2 — 5; 

IV,   1—5;  V,    1  —  5;  VI,    1—5;  VII,   1  —  2.  —  Memoires  Vol.  III, 
3,   4,   7,   9;  Vol.   V,    1. 

—  Physikalisches  Central-Observatorium :  Annalen  Jahrg.   1895. 
Schlesische  Gesellschaft  für  vaterländische  Kultur:    Jahresbericht  74 

Ergänzungsheft  5. 

Schleswig-Holstein.  Naturwissenchaftlicher  Verein  für  Schleswig- 
Holstein  (Kiel):  Schriften  Bd.  XI,   1. 

Schweiz.  Allgemeine  Schweizer  Gesellschaft  für  die  gesamten  Natur- 
wissenschaften (Bern) :  Neue  Denkschriften  Bd.  XXXV. 

—  Schweizerische  botanische  Gesellschaft  (Zürich) :  Berichte  H.   7. 

—  Schweizerische  geol.  Gesellschaft  (Bern) :  Eclogae  geologicae  Bd.  V,  1. 

—  Schweizerische   naturforschende  Gesellschaft  (Bern):    Verhandlungen 

der  78.  Jahresversammlung.  —  Beiträge    zur  geologischen  Karte 
der  Schweiz  Lief.   30,   36,   37. 

—  Schweizerische  entomologische  Gesellschaft:  Mitteilungen  Vol.  IX,  10 

u.  X,   1. 

Sitten  (Sion).  La  Murithienne,  Soc.  valaisanne  des  sc.  nat. :  Bulle- 
tins Fase.   23—25. 

Steiermark.     Naturw.   Verein  (Graz):  Mitteilungen  Jahrg.    1896. 

Stockholm.  K.  Svenska  Vetenskaps  Akademie:  Handlingar  Bd.  XXVIII. 
—  Bihänge  Bd.  XXII.  —  Üfversigt  Jahrg.  53.  —  Meteorol  Jakt- 
tagelser  Bd.  XXXIV. 

Stuttgart.     Ärztlicher  Verein:  Jahresbericht  Jahrg.   24. 

Tokio.  College  of  science,  imperial  university,  Japan:  Journal  Vol.  IX, 
2  ;  X,   2. 

Tor  in  o.  R.  Accademia  delle  scienze:  Atti  Vol.  XXXII.  —  Osservazioni 
meteor.   1896. 


-     XXV     - 

Trieste.     Societä  Adriatica  di  sc.  nat, 

Tromsö  Museum. 

Tübingen.     K.    Universitätsbibliothek:    Universitätsschriften    a.    d.    J. 

1896/97;    15  Dissertationen  der  naturwissenschaftlichen  Fakultät. 
Ungarische    geologische    Gesellschaft    (Budapest):    Földtani    Közlöny 

Bd.  XXVI,   11  —  12;  XXVII,   1—7. 

—  K.  geologische    Anstalt:    Jahresbericht    für    1894.   —    Mitteilungen 

a.   d.  Jahrb.  Bd.  XI,    1 — 5   mit  Atlas. 

—  Karpathen-Verein  (Iglö) :  Jahrbuch  XXIV. 

United  States  (o.  N.  Am.).     Commission  of  Fish  and  Fisheries :   Com- 
missioners  report  for   1893  —  1895   (Voll.   19—21). 

—  Department   of   Agriculture :    Yearbook   1896.  —   Farmers    Bulletin 

No.   54.   —  N.   american  Fauna  H.   13. 

—  Department    of    the    Interior    (Geological    survey) :    Annual    report 

Vol.  XVI,   1;  XVII. 
Upsala.     Regia  Societas  scientiarum :  Nova  acta  Ser.  3  Vol.  XVII,    1, 

—  Geological  Institution  of  the  university :   Bulletins  Vol.  III,   1. 
Victoria.      Public  library,  Museums  and  National  Gallery. 
Washington.      Smithsonian   Institution:    Annual  report    of  the  board 

of  regents  for   1893/94,    1894/95, 

—  Report  of  the  ü.  S.  National  Museum  for  1894. 

—  Bulletins  of  the  U.   S.  National  Museum  No.   47. 

—  Smithsonian  Contributions  to  knowledge  Vol.  XXIX  No.  1033,  1034; 

XXX— XXXII. 

—  Smithsonian  miscellaneous  Collections  Vol.   XXXV,    1038;  XXXVII, 

1035,   1039;  XXXVIII,    1031,   1037,  1075;  XXXIX,  1071,  1072, 

1073,    1077. 
Wernigerode.     Naturw.  Verein  des  Harzes:   Schriften  Jahrg.    11. 
Westfälischer  Provinzial-Verein  für  Wissenschaft  und  Kunst  (Münster): 

Jahresbericht  für   1895/96. 
Wien.      Kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften,    math. -naturw.  Klasse: 

Sitzungsberichte  Bd.  CV:    1,   2   a  u.  b,   3. 

—  K.  K.  geologische  Reichsanstalt:   Jahrbuch  46  No.  2 — 4;   47  No.  1. 

—  Verhandlungen   1896  No.    13—18;    1897. 

—  K.  K.  naturhistorisches  Hofmuseum:  Annalen  XI,   2 — 4;   XII,    1. 

—  K.  K.   zoologisch-botanische  Gesellschaft :  Verhandlungen  Bd.  XLVII. 

—  Verein  zur  Verbreitung  naturw.  Kenntnisse  :   Schriften  Bd.  XXXVII. 
Württemberg.      K.   statistisches    Landesamt:    Württ.    Jahrbücher    für 

Statistik  und  Landeskunde  Jahrg.  1895  u.  1896.  —  Geognost. 
Übersichtskarte  von  Württemberg  in  1  :  600  000.  3.  verb.  Ausg. 
1897.  —  Deutsches  Meteorol.  Jahrbuch:  Württemberg  Jahrg.  1895 
u.  1896.  —  Atlasblatt  Liebenzeil,  neu  bearb.  von  Prof.  Dr.  E.  Fraas. 

—  Beschreibung  des  Oberamts  Ulm   1897. 

■ —   Schwarzwaldverein  (Stuttgart)  :   ,,Aus  dem  Schwarzwald"  Jahrg.   IV, 
6;   V. 

Würzburg.     Physikalisch-medizinische     Gesellschaft:     Sitzungsberichte 
Jahrg.    1896.  —  Verhandlungen  Bd.  XXX. 


-     XXVI     - 

Zürich.  Naturforschende  Gesellschaft:  Vierteljahresschrift  Jahrg.  41: 
Supplement;  42  No.  1 — 2.  —  Neujahrsblatt  auf  das  Jahr  1897. 
—  Katalog  des  eidgenöss.  Polytechnikums  in  Zürich.   6.  Aufl.  1897. 

Zwickau.     Verein  für  Naturkunde:  Jahresberichte   1896. 

Der  vom  Rechner  des  Vereins,  Herrn  Dr.  Carl  Beck,  ausgestellte 
und  von  Herrn  Hofrat  C 1  e  s  s  1  e  r  geprüfte 

Rechmings-Abschluss 

für  das  Vereinsjahr   1.  Juli   1896/97  stellt  sich  folgendermassen: 

Einnahmen : 

Kassenbestand  am   1.  Juli   1896 160  M.  99  Pf. 

Zinsen  aus  den  Kapitalien 664  ,,  04  ,, 

Mitgliederbeiträge 3765  ,,  — ■  ,, 

Ausgeloste  Kapitalien       300  ,,  —  ,, 

4890  M.   03   pT. 

Ausgaben: 

Vermehrung  der  Bibliothek 50  M.  —  Pf. 

Verleger-  und  Buchbinderkosten 2346 

Schreibmaterialien,  Kopialien,  Porti 355 

Gehalte,  Saalmiete,  Inserate 288 

Erdbebenkommission,   Zweigvereine 275 

Steuer,   Bankierkosten 50 

3365  M.   98  Pf. 

Einnahmen 4890  M.    03  Pf. 

Ausgaben 3365     ,,     98    ,, 


35 
17 
30 

88 
28 


Kassenvorrat 1524  M.   05  Pf. 

Vermögensberechnung. 

Kapitalien  nach  ihrem  Nennwert 16  100  M.  —  Pf. 

Kassenvorrat 1  524  „  05    ,, 

17  624  M.  05  Pf. 

dasselbe  betrug  am   1.  Juli   1896     .......     16  560  ,,  99    ,, 

somit  Zunahme  gegen  das  Vorjahr 
— ;    •       1063  M.   06  Pf. 

Im  Vereinsjahr   1895/96  betrug  die  Zahl  der  Mitglieder      .     748 
Hierzu  die   41   eingetretenen  Mitglieder: 

Fromm,  E.,  Prof.   cand.  in  Urach. 

Gi essler,   H.,   Professor  in  Stuttgart. 

Spohn,  Julius,  Kommerzienrat  in  Ravensburg. 

Spohn,   Georg,  Dr.  in  Ravensburg. 

Reinhardt,   Theodor,   Kaufmann  in  Ravensburg. 

Wolf,  E.,  Reallehrer  in  Öhringen. 

Salter,  Sigmund,  Realitätenbesitzer  in  Wien. 


—    XXVII     - 

Übertrag  .     .      748 
Setteler,  Forstwart  in  Bietigheim. 
Rath,  Emil,  Dr.  Prof.  cand.   in  Esslingen. 
Mangold,   Carl,  Dr.  med.  in  Esslingen. 
Koch,  Theodor,  Apotheker  in  Stuttgart. 
Mayser,   Edwin,   Professor  in  Heilbronn. 
St  oll,  Konrad,  Dr.  med.   in  Stuttgart. 
Lutz,  Adolf,  Rossarzt  in  Cannstatt. 
Kiess,   Oberamtstierarzt  in  Tübingen. 
Gottschalk,  Ed.,  Dr.  med.  in  Stuttgart. 
Weil,  Emanuel,  Dr.  med.  in  Stuttgart. 
Souchay,  Dr.   med.   in  Stuttgart. 
Rheineck,   Georg,  Bildhauer  in  Stuttgart. 
Duvernoy,  Julius,  in  Stuttgart. 
Specht,  Aug.,  Kunstmaler  in  Stuttgart. 
Jackh,  Eug,,  Apotheker  in  Ulm. 
Fischer,  Heinr.,  Dr.  med.  in  Biberach. 
Buob,  Paul,  Hüttenamtsassisteut  in  Schussenried. 
Kuhn,  E.,  Assistenztierarzt  in  Stuttgart. 
Beer,  Karl,  Kaplaneiverweser  in  Unter-Essendorf. 
Binder,   Dr.,  Sanitätsrat  in  Pfullingen. 
Renk enb erger,  W.,  Realamtsverweser  in  Stuttgart. 
Müller,  Oberförster  in  Freudenstadt. 
Gmünd,  Verein  für  Naturkunde, 
Häberle,  Hermann,  Assistenzarzt  in  Stuttgart. 
Hoffmann,  R.,   Dr.,   Tierarzt  in  Trossingen. 
Weil,  Max,  Dr.  med.  in  Stuttgart, 
Zimmermann,  Wilh.,  Dr.  med.  in  Stuttgart. 
Bartholomäi,  Schullehrer  in  Böffingen. 
V.  Biberstein,  Julius,   Oberförster  in  Rosenfeld. 
Muff,   Oberamtsrichter  in  Reutlingen. 
Ferri,  Kaufmann  in  Plieningen, 
Entress,  Franz,  Fabrikant  in  Stuttgart. 
Gugler,  Ed.,  Bauinspektor  in  Stuttgart. 
Steinacker,  Dr.  med.  in  Reutlingen 

41 

789 

Hiervon  ab  die  48  ausgetretenen    und    gestorbenen  Mit- 
glieder : 

V.  Hayn,  Freiherr,  Kgl.   Kapjmerherr  in  Stuttgart,  f 

Lechler,   Oberförster  in  Enzklösterle. 

Abt,  Apotheker  in  Untertürkheim,  f 

Hartmann,  Dr.  in  Altshausen. 

Bielmeyer,  Domänendirektor  in  Aulendorf,  t 

Weizenegger,   Oberlehrer  in  Ochsenhausen. 

Kammerer,  Robert,   Dr.  med.  in  Stuttgart,  f 

V.  Alberti,  Bergingenieur  in  Chemnitz. 


-     XXVIII     — 

Übertrag  .     .      789 
Rauscher,   Oberamtstierarzt  in  Tübingen,  f 
Reitmayer,   Paul,  Dr.  med.   in  Buchau.   f 
Blezinger,  Apotheker  in  Hall,  f 
Linser,  Dr.,   Oberamtsarzt  in  Aalen,  f 
V.  Martens,  Baudirektor  in  Stuttgart. 
Mesmer,   Schultheiss  in  Altshausen. 
Eisenlohr,  Dr.  med.  in  München. 
Dietrich,  Dr.   med.   in  Eutingen.  f 
V.  Lander  er,  Landgerichtspräsident  in  Stuttgart. 
Seyffardt,  Eduard,   Hofrat  in  Stuttgart,  f 
Burkardt,  Forstrat  in   Cannstatt. 
Roman,   Max,  Dr.  med.   in  Brackenheim,  f 
V.  S ecken dorff,   Oberamtsrichter  in  Urach. 
V.  Wolff,   Dr.,  Professor  in  Stuttgart,  f 
Pfeilsticker,  Landgerichtsrat  in  Biberach. 
Müller,  Richard,  Kommerzienrat  in  Mochenwangen.  f 
Neuburger,  Anstaltsverwalter  in  Schussenried.  f 
Heck,  Oberförster  in  Adelberg. 
Werfer,  Dr.,   Oberamtsarzt  in  Ellwangen. 
Ritter,   Oberförster  in  Schrozheim. 
Deffner,  Wilhelm,  in  Esslingen,  f 
Hos  er,  Julius,  Privatier  in  Stuttgart,  f 
Frank,  Dr.,   Oberförster  in  Schussenried.  f 
Kreuzhage,  Dr.  in  Hohenheim.  f 

Schott  von  Schottenstein,    Oberregierungsrat    in  Reut- 
lingen, t 
Nachtigal,  Max,  Dr.   med.   in  Stuttgart,  f 
Höchstetter,  Dr.  med.  in  Metzingen,  f 
Haas,  Theodor,  Professor  in  Stuttgart,  f 
Öffinger,  Richard,  Apotheker  in  Cannstatt.  f 
Gmelin,  Dr.   in  Fratte  di  Salerno. 
Eisele,  Stadttierarzt  in  Leutkirch. 
Weil,  Redakteur  in  Ellwangen. 
Rapp,   Oberamtsbaumeister  in  Saulgau.  t 
Biesinger,   Dr.,   Oberamtsarzt  in  Rottenburg,  f 
Eifert,   Stud.  in  Tübingen. 
V.   Marchthaler,  Dr.  med.  in  Heilbronn. 
Hell,  Dr.,  Generalarzt  in  Ulm. 
Blumhardt,   Stud.  jur.   in  Tübingen. 
Krick,  Revieramtsassistent  in  Esslingen. 
Jäger,  Heinr.,  Dr.,  Stabsarzt  in  Königsberg 

48 

741 
es  verbleiben  daher  am  Ende  des  Rechnungsjahres  .     741   Mitglieder, 
gegenüber  dem  Vorjahre  mit •     748  Mitgliedern, 

eine  Abnahme  von 7  ,, 


Nekrologe. 


Zum  Gedächtnis  an  Direktor  Dr.  Oskar  v.  Fraas. 
Von  Prof.  Dr.  K.  Lampert. 

Am  22.  November  vergangenen  Jahres  verschied  Direktor 
Dr.  Oskar  v.  Fraas.  Mit  seinem  Tode  hat  die  Wissenschaft  der 
Geologie  und  Palaeontologie ,  sowie  der  Anthropologie  eine  ihrer 
Zierden,  Württemberg  einen  seiner  bedeutendsten  und  bekanntesten 
Söhne,  der  Verein  für  vaterländische  Naturkunde  eines  seiner  ältesten 
und  treuesten  Mitglieder  und  langjähriges  Mitglied  des  Vorstandes 
verloren,  und  ungewöhnlich  gross  ist  der  Kreis  der  Verehrer  und 
Freunde,  die  in  dem  Dahingegangenen  den  Lehrer  und  Berater,  den 
treuen  Freund  betrauern. 

Noch  kurz  vor  seinem  Ende,  das  ruhig  und  schmerzlos  dem 
Greis  sich  näherte,  hat  Fraas  es  dankbar  anerkennend  ausgesprochen, 
dass  er  mit  Befriedigung  zurückschauen  dürfe  auf  ein  reiches  Leben.- 

Und  wahrlich ,  wie  dieses  Leben  reich  ausgestattet  war  mit 
glänzenden  Gaben  des  Geistes  und  einem  empfänglichen  Gemüt,  so 
darf  es  auch  ein  an  Erfolgen  reiches  genannt  werden. 

Geboren  am  17.  Januar  1824  als  Sohn  des  Pfarrers  und  Dekans 
Fraas  zu  Lorch,  war  auch  Oskar  Fraas  zur  theologischen  Laufbahn 
bestimmt  und  schlug  den  in  Württemberg  für  das  theologische  Studium 
üblichen  Bildungsgang  ein.  Die  Absolvierung  des  Landexamens,  das 
Seminar  in  Blaubeuren  und  schliesslich  das  Stift  in  Tübingen  sind  die 
einzelnen  Etappen  dieser  Laufbahn.  Aber  wie  Fraas  in  der  Wahl  des 
Berufs  dem  Vater  folgte,  so  hatte  er  von  diesem  auch  den  Sinn  und 
das  Verständnis  für  die  Naturwissenschaften  geerbt.  Die  Ammoniten- 
sammlung,  die  sein  Vater  als  Dekan  in  Balingen  im  Laufe  der  Jahre  zu^ 
sammengebracht  hatte,  bot  sicher  auch  dem  Sohn  Anregung  und  An- 
leitung zum  Sammeln  in  den  versteinerungsreichen  Schichten  der  Heimat. 

In  Tübingen  ward  Fraas  vollauf  Gelegenheit,  dieser  Neigung 
weiter  nachzugehen  und  wissenschaftlich  auszubilden,  denn  hier  wirkte 
in  hohem  Grade  anregend  der  feurige  Qu enste dt  als  Lehrer  der  Palae- 
ontologie, den  später  sein  dankbarer  Schüler  Fraas  den  praeceptor 
Sueviae  nannte.  Sicher  war  unter  den  zahlreichen  Schülern,  die  zu 
Quenstedt's  Füssen  sassen,  Fraas  der  eifrigsten  einer,  und  so  sehen 


—     XXX     — 

wir,  wie  der  junge  Theologe  einen  akademischen  Preis  mit  einer 
Arbeit  über   die    geognostischen  Verhältnisse  Tübingens    davonträgt. 

Zunächst  blieb  Fraas  dem  gewählten  theologischen  Berufe  treu 
und  kam  als  Vikar  nach  Balingen  und  Leutkirch  und  später  als 
Pfarrer  nach  Laufen  a.  d.  Eyach.  Sein  Amt  gestattete  es  ihm,  sein 
Lieblingsstudium  weiterzutreiben,  und  die  Gegend,  in  welche  ein 
günstiges  Geschick  ihn  versetzt  hatte ,  bot  ihm  hierzu  Anregung  in 
Fülle.  Es  ist  bezeichnend  für  Fraas,  wie  er  sein  geologisches  Wissen 
in  Zeiten  der  Not  für  seine  arme  Gemeinde  praktisch  zu  verwerten 
wusste.  Auf  seine  Anregung  hin  sammelte  jung  und  alt  die  präch- 
tigen Versteinerungen  der  Balinger  Gegend,  der  kundige  Pfarrherr 
nahm  Präparation,  Bestimmung,  Ordnung  und  den  Verkauf  der  Fos- 
silien in  die  Hand  und  mancher  Gulden  floss  der  bedürftigen  Ge- 
meinde zu,  deren  Pfarrer  es  verstand,  mit  der  Zauberformel  der 
Naturwissenschaft  aus  „Steinen  Brot  zu  machen". 

Zugleich  aber  wurde  der  Name  des  Laufener  Pfarrers  in  geo- 
logischen und  palaeontologischen  Kreisen  immer  mehr  bekannt,  eine 
Reihe  wissenschaftlicher  Publikationen  hatte  ihm  in  der  Gelehrten- 
welt bereits  einen  Platz  gesichert  und  es  war  naheliegend,  dass  die 
Wahl  auf  ihn  fiel ,  als  es  sich  darum  handelte ,  für  die  Besorgung 
der  geologischen  Sammlung  am  K.  Naturalienkabinett  in  Stuttgart 
eine  neue  Kraft  zu  gewinnen. 

Schon  seit  alters  hatte  man  in  Württemberg  auch  den  Versteine- 
rungen Beachtung  geschenkt  und  schon  die  alte  Raritätenkammer, 
der  Anfang  des  heutigen  Naturalienkabinetts,  enthielt  einige  Selten- 
heiten. Viel  ging  freilich  verloren  zur  Zeit,  als  das  Naturalienkabinett 
bald  da,  bald  dort  in  unzulänglicher  Weise  untergebracht  wurde, 
allein  als  dasselbe  1826  das  neue  Heim  bezog,  gelangte  noch  manch- 
mal ein  wertvolles  Stück  mit  in  die  Sammlung,  wir  erinnern  nur  an 
die  schon  1700  gemachten  Mammutfunde  von  Cannstatt,  denen 
1816  die  berühmte  Gruppe  der  Stosszähne  von  ebenda  folgte.  Man- 
ches neue  kostbare  Stück  kam  hinzu,  und  so  erwies  es  sich  als 
dringend  notwendig,  ausschliesshch  für  den  geologisch-palaeontologisch- 
mineralogischen  Teil  der  Sammlung  eine  eigene  Kraft  zu  gewinnen. 
1854  wurde  hierzu  Fraas  berufen,  zunächst  provisorisch,  um  nach 
zwei  Jahren  mit  dem  Titel  Professor  zum  Konservator  dieser  Ab- 
teilung des  Naturalienkabinetts  ernannt  zu  werden. 

Welch  gute  Wahl  die  Regierung  hiermit  getroffen,  zeigt  ein 
Gang  durch  die  Sammlung,  wie  wir  sie  heute  im  Naturalienkabinett 
sehen.     Besonders  der  Parterresaal  wird  sein  Andenken  stets  lebendig 


—    XXXI    — 

erhalten.  Die  prächtige  Sammlung,  in  welcher  dem  Besucher  ein 
umfassendes  Bild  der  Geologie  und  Palaeontologie  Württembergs 
gegeben  wird,  wie  kein  Museum  der  Welt  in  ähnlicher  Vollständig- 
keit von  einem  anderen  Lande  es  zu  bieten  vermag,  ist  zum  grössten 
Teil  sein  eigenstes  Werk.  Zu  dem,  was  bereits  vorhanden  war,  hat 
er  in  unermüdlicher  Sammelthätigkeit  eine  Fülle  neuen  Materials 
gefügt.  In  jahrzehntelang  fortgesetzten  Exkursionen,  landauf,  landab 
die  Schichten  durchklopfend,  hat  er  den  grössten  Teil  dem  versteine- 
rungsreichen heimischen  Boden  entnommen,  und  manches  kostbare 
Stück,  welches  heute  die  Sammlung  ziert,  ist  seinen  reichverzweigten 
persönlichen  Beziehungen  mit  allen  Geologen  des  Landes,  seiner 
persönlichen  Liebenswürdigkeit  und  seinem  Eifer  für  die  vaterländische 
Sammlung,  der  Stolz  seines  Lebens,  zu  verdanken. 

Zugleich  mit  der  Vermehrung  der  Sammlung  war  Fraas  auf 
eine  mustergültige  Aufstellung  derselben  bedacht,  mit  welchem  Er- 
folg, weiss  jeder,  der  einmal  diese  Sammlung  besucht  hat.  Wie  die 
von  seinem  Kollegen  Krauss  durchgeführte  biologische  Aufstellung 
der  Tierwelt  Württembergs  einen  Überblick  giebt  über  die  lebende  Fauna 
des  Landes,  so  verfolgt  der  Besucher  der  palaeontologischen  einheimi- 
schen Sammlung  die  Bewohner  Schwabens  durch  alle  Formationen 
hindurch  bis  zu  den  jüngsten  diluvialen  Vertretern  der  Tierwelt. 

Von  vielen  Tausenden  werden  jährlich  die  Sammlungen  besucht, 
und  der  einfachste  Mann  vom  Lande ,  der  nach  Stuttgart  kommt, 
weiss  von  ihnen  zu  erzählen,  aber  auch  weit  über  die  Grenzen  des 
Landes  hinaus  ist  die  Sammlung  in  wissenschaftlichen  Kreisen  berühmt; 
hier  liegen  die  berühmten  Belodon-Funde ,  die  Schar  der  Ichthyo- 
saurier und  Labyrinthodonten,  die  Schätze  von  Nattheim,  Holzmaden, 
Steinheim,  Nusplingen,  die  Äetosaurus-Gm^ipe  u.  a.,  zum  Teil  Unika 
und  vielfach  Originale  zu  Publikationen  verschiedener  Autoren. 

Vielfach  hat  Fraas  selbst  die  Bearbeitung  in  die  Hand  genommen, 
und  diese  Jahreshefte  verdanken  ihm  besonders  eine  Reihe  palae- 
ontologischer  Abhandlungen. 

Ebenso  eifrig  wie  als  Palaeontologe ,  ja  vielleicht  noch  mehr, 
war  Fraas  für  Erforschung  der  heimischen  Geologie  thätig ;  die  Geo- 
logie erfreut  sich  in  Württemberg  seit  lange  der  staatlichen  An- 
erkennung und  thatkräftigen  Unterstützung;  als  sprechendes  Zeugnis 
hierfür  liegen  die  grosse  geognostische  Specialkarte  und  die  Schilde- 
rungen der  geognostischen  Profile  der  Bahnlinien  vor;  sie  verdanken 
in  der  Mehrzahl  Fraas  ihre  Entstehung.  Fraas  war  es  auch,  der 
zuerst  dem  Studium  der  Moränenbildungen  in  Oberschwaben  näher  trat. 


—     XXXII     — 

So  eifrig  Fraas  die  geliebte  Heimat  durchforschte,  so  zog  es 
ihn  doch  auch  hinaus  in  weitere  Fernen ;  zweimal  besuchte  er  den 
Orient.  1865  und  1866  waren  Ägypten,  die  Sinaihalbinsel  und 
Palästina  das  Ziel  seiner  Reise  und  seiner  Forschungen ;  seine  hier- 
über veröffentlichten  Untersuchungen  sind  grundlegend  geworden  für 
die  Geologie  dieser  Länder.  Ein  zweites  Mal  folgte  er  dem  Rufe 
Rüstern  Pascha's,  des  Gouverneurs  von  Syrien,  zu  einer  geologi- 
schen Untersuchung  des  Libanon.  Eine  Tour  durch  Spanien  und 
Südfrankreich  war  die  letzte  Reise  ausserhalb  Deutschlands. 

Die  geologischen  und  palaeontologischen  Studien  führten  Fraas 
auch  zur  Anthropologie.  Mit  gleichem  Eifer  und  gleichem  Erfolg 
wie  den  Resten  ausgestorbener  Tiergeschlechter,  ging  er  auch  den 
Spuren  von  geschichtlichen  Menschen  in  Schwaben  nach.  Die  be- 
rühmten Funde  der  Schussenquelle,  die  uns  einen  Einblick  gestatten 
in  das  Leben  des  Menschen  aus  der  Rentierzeit,  wurden  von  Fraas 
bearbeitet,  und  mit  seinem  Namen  sind  die  Ausgrabungen  des  Hohlen- 
steins,  jener  mächtigen  Bärenhöhle,  des  Hohlefels  und  der  Ofnet 
verknüpft,  und  wies  er  hier  den  Menschen  auf  der  tiefen  Stufe  der 
Steinzeit  nach,  so  brachte  er  aus  den  mächtigen  Grabhügeln  bei 
Ludwigsburg,  dem  Kleinaspergle  und  der  Belleremise,  jene  prächtigen 
Schmuckstücke  zu  Tage,  die  beweisen,  dass  hier  ein  grosser  germa- 
nischer Heerführer  zur  Ruhe  bestattet  wurde.  Die  anthropologische 
Gesellschaft  Württembergs  verehrt  ihn  als  ihren  Gründer  und  lang- 
jährigen Vorsitzenden. 

Was  Fraas  erforschte  und  gesehen,  das  wollte  er  auch  anderen 
zukommen  lassen.  Er  wollte  nicht  nur  die  Fachgenossen  bekannt 
machen  mit  neuen  Entdeckungen,  sondern  er  hielt  es  für  vereinbar 
mit  der  Würde  des  Gelehrten,  auch  ein  grösseres  Publikum  teil- 
nehmen zu  lassen  an  dem  Genuss,  welcher  dem  Forscher  bei  seinen 
Arbeiten  zu  teil  wird,  und  es  einzuführen  in  die  von  ihm  geliebte 
Wissenschaft.  In  Wort  und  Schrift  sich  einer  glänzenden  Darstellung 
erfreuend,  hatte  er  sich  stets  eines  dankbaren  Hörerkreises  zu  er- 
freuen, wenn  er  auf  Versammlungen  des  Vereins  oder  bei  anderer 
Gelegenheit  von  seinen  Reisen  berichtete,  und  nicht  minder  fanden 
seine  populären  Schriften,  vor  allem  das  Werk  „Vor  der  Sündflut", 
einen  weiten  Leserkreis.  Was  Fraas  von  Quenstedt  gesagt,  gilt  auch 
von  ihm;  auch  er  ist  ein  praeceptor  Sueviae  geworden,  ein  Lehrer 
seines  Volkes.  Wenn  in  Schwaben  die  Geologie  Wurzel  geschlagen 
hat,  wie  nirgends  sonst,  wenn  sie  geradezu  ein  Gemeingut  des  Volkes 
geworden  ist,  so  dass  fast  in  jedem  Örtchen  ein  Sammler  sitzt  und 


—    XXXIII     — 

die  verschiedensten  Benifskreise  sich  an  der  geologischen  Erforschung 
des  Landes  beteihgen,  so  ist  dies  nach  Qiienstedt  ein  Hauptverdienst 
von  Fraas.  Landauf,  landab  war  Fraas  wohlbekannt,  der  einfachste 
Steinklopfer  kannte  den  leutseligen  Mann  und  der  „alte  Fraas"  wird 
im  "Volke  noch  lange  unvergessen  bleiben. 

Es  ist  nicht  verwunderlich,  dass  eine  derartige  Persönlichkeit, 
wie  sie  Fraas  war,  auch  ausserhalb  seiner  Fachstudien  vielfach  eine 
Rolle  spielte,  und  es  ist  nur  beinahe  erstaunlich,  wie  er  auch  hierzu 
die  Zeit  fand.  So  sehen  wir  ihn  im  Vorstand  des  Obst-  und  Wein- 
bauvereins, an  der  Akademie  Hohenheim  trug  er  jahrelang  das  Fach 
des  Weinbaus  vor,  und  das  Vertrauen  seiner  Mitbürger  Hess  ihn  auch 
ins  politische  Leben  eintreten  und  berief  ihn  für  eine  Reihe  von 
Jahren  in  den  Gemeinderat  der  Stadt  Stuttgart. 

40  Jahre  lang  hat  Fraas  sein  Amt  als  Konservator  der  palae- 
ontologisch-geologisch-mineralogischen  Abteilung  des  K.  Naturalien- 
kabinetts bekleidet,  zuletzt  noch  seinem  ihm  im  Tod  vorangegangenen 
Kollegen  Direktor  v.  Krauss  in  der  Stellung  des  I.  Konservators 
folgend ;  mit  zurückgelegtem  siebzigsten  Lebensjahre  veranlassten 
ihn  die  Beschwerden  des  Alters,  die  sich  stärker  fühlbar  machten, 
dem  ihm  ans  Herz  gev/achsenen  und  treu  besorgten  Amt  Lebewohl 
zu  sagen  und  in  den  Ruhestand  zu  treten,  bei  welcher  Gelegenheit  er 
von  dem  Staat  in  Anerkennung  seiner  hohen  Verdienste  durch  Ver- 
leihung des  Titels  Direktor  und  Erhebung  in  den  persönlichen  Adels- 
stand geehrt  wurde.  Er  hatte  die  freudige  Beruhigung,  dass  das, 
was  er  geschaffen,  erhalten  und  in  seinem  Geiste  fortgeleitet  werden 
würde,  denn  er  durfte  den  Sohn  als  seinen  Nachfolger  sehen  und 
so  wurde  er  auch  selbst  den  Räumen  nicht  fremd,  in  denen  er  zum 
Besten  der  Wissenschaft  und  des  Staates  so  lange  gewirkt.  Oft  und 
gern  noch  kam  er  von  seinem  schönen  Landsitz,  wo  er  ein  wohl- 
verdientes otium  cum  dignitate  genoss,  herab,  um  wieder  seinen 
palaeontologischen  Saal  und  sein  Arbeitszimmer  zu  besuchen.  Voll 
Interesses  verfolgte  er  das  Wachsen  der  Sammlung  und  freute  sich 
jedes  neuen  Stückes,  jedes  neuen  glücklichen  Fundes  im  wohldurch- 
forschten und  immer  noch  an  Seltenheiten  reichen  schwäbischen 
Boden.  Wie  sein  ganzes  Denken  das  Naturalienkabinett  war,  so 
wird  auch  er  unvergessen  bleiben,  denn  wie  mit  der  schwäbischen 
Geologie  und  dem  wissenschaftlichen  Leben  Württembergs  überhaupt, 
so  ist  der  Name  Oskar  Fraas  mit  dem  K.  Naturalienkabinett  auf 
immer  unzertrennlich  verbunden. 


Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898. 


Wilhelm  Möricke. 

Geb.  16.  Juni  1861,  f  9.  November  1897. 
Von  G.  Steinraann,  Freiburg  i.  B. 

Die  Nachricht  von  dem  Ableben  Wilhelm  Möricke's  dürfte 
von  allen,  die  dem  jungen  Gelehrten  persönlich  nahe  standen,  mit 
dem  Gefühle  eines  herben ,  unerwarteten  Verlustes ,  von  jenen ,  die 
ihn  nur  aus  seinen  Schriften  kannten ,  mit  aufrichtigem  Bedauern 
aufgenommen  worden  sein.  Bedeutete  sein  Tod  ja  nicht  das  natur- 
gemässe  Erlöschen  eines  Geistes,  der  ein  ganzes  Lebenswerk  voll- 
bracht hatte,  sondern  das  jähe  Zerschneiden  des  Lebensfadens  eines 
Mannes,  der  gerade  im  Begriffe  stand,  sein  reiches  Wissen  und 
Können,  seine  vielseitige  Erfahrung  zum  Nutzen  der  lernenden  Jugend 
und  der  Wissenschaft  zu  verwerten.  Gerade  als  er  die  erste  Stufe 
der  akademischen  Laufbahn,  die  venia  legendi,  erreicht  hatte  und 
sich  anschickte,  seine  Vorlesungen  an  der  Freiburger  Hochschule  zu 
beginnen,  wurde  er  für  immer  abgerufen. 

Wilhelm  Möricke  war  am  26.  Juni  1861  auf  dem  väterlichen 
Gute  Hohenbuch  in  Württemberg  geboren,  wo  er  bis  zu  seinem 
siebenten  Lebensjahre  Unterricht  durch  seine  Grossmutter  und  durch 
Hauslehrer  erhielt.  Als  dann  sein  Vater  zum  Landtagsabgeordneten 
gewählt  war  und  im  Jahre  1868  nach  Stuttgart  übersiedelte,  besuchte 
er  die  Vorschule  und  das  Gymnasium  der  Landeshauptstadt,  später 
dasjenige  von  Hall,  wo  er  seine  Maturitätsprüfung  ablegte. 

Als  Kind  hatten  ihn  weniger  die  geräuschvollen  Jugendspiele 
angezogen,  als  vielmehr  eine  ruhige  und  bedachtsame  Betrachtung 
der  Natur.  Schon  früh  äusserte  sich  seine  Vorliebe  für  die  Natur- 
beobachtung in  dem  Eifer,  mit  welchem  er  allerhand  Gegenstände, 
namentlich  Minerahen  und  Versteinerungen  sammelte.  Dieser  Neigung 
folgte  er  auch  in  der  Wahl  seines  Berufes,  als  er  nach  absolviertem 
Militärjahr  die  Universität  bezog.  In  München,  Leipzig  und  Frei- 
berg i.  S.  suchte  er  sich  während  mehrerer  Jahre  bei  hervorragenden 
Lehrern,  im  besondern  bei  Zittel,  Gümbel,  Zirkel,  Credner 
und  Stelzner,  eine  möglichst  vielseitige  Ausbildung  in  Mineralogie, 


—    XXXV     — 

Geologie  und  Palaeontologie  zu  verschaffen.  Daneben  erwarb  er  sich 
auf  wiederholten  Reisen  in  Deutschland,  der  Schweiz,  Tirol,  sowie 
in  Böhmen  und  Ungarn  ausgedehnte  geologische  und  auch  berg- 
männische Kenntnisse.  Am  Schlüsse  seiner  üniversitätsstudien  pro- 
movierte er  in  München  mit  einer  Schrift  aus  dem  Gebiete  der 
Palaeontologie  (No.  I). 

Als  Feld  für  weitere  wissenschaftliche  Studien  wählte  er  sich 
Chile,  wo  sein  älterer  Bruder  als  Arzt  und  Professor  an  der  santia- 
giner  Hochschule  damals  lebte.  Zahlreiche  Empfehlungen ,  welche 
ihm  dieser  an  die  Bergwerksbesitzer  und  -Beamten  verschaffte,  ge- 
währten ihm  die  Möglichkeit,  seine  Reise  während  der  Jahre  1889 
und  1890  auf  einen  grossen  Teil  der  chilenischen  Kordillere,  im  be- 
sondern auf  den  erzreichen  Distrikt  des  Nordens  auszudehnen.  Auf 
dieser  Reise  war  er  bestrebt,  einerseits  manche  Lücken  in  der  Schicht- 
folge der  Kordillere  auszufüllen,  die  frühere  Reisende,  wie  der  Ver- 
fasser dieser  Zeilen,  hatten  lassen  müssen,  anderseits  aber  das  Verhält- 
nis genauer  zu  untersuchen,  in  welchem  die  massigen  Gesteine  des  Ge- 
birges zu  den  Sedimenten  stehen.  Als  weiterer  Gegenstand  seines  Inter- 
esses drängte  sich  ihm  das  auffällige  Abhängigkeitsverhältnis  zwischen 
Erzgängen  und  Massengesteinen  auf,  welches  vielleicht  kaum  irgendwo 
auf  der  Erde  deutlicher  ausgeprägt  ist  als  gerade  im  nördlichen  Chile. 

Die  ersten  Veröffentlichungen  nach  seiner  Rückkehr  (No.  II, 
in,  IV)  beziehen  sich  auf  die  beiden  letztgenannten  Themata. 

Nachdem  er  sich  dann  kurze  Zeit  in  München  aufgehalten 
hatte,  siedelte  er  im  Jahre  1891  nach  Freiburg  i.  B.  über,  wo  er 
in  Gemeinschaft  mit  dem  Verfasser  sich  während  der  nächsten  vier 
Jahre  der  wissenschaftlichen  Verarbeitung  des  reichen  Fossilmaterials 
aus  Jura,  Kreide  und  Tertiär  Chiles  widmete,  welches  von  dem  Ver- 
fasser und  ihm  selbst  gesammelt  worden  war  (No.  VI ,  VIII ,  IX). 
Daneben  beschäftigte  ihn  andauernd  die  Frage  nach  dem  gesetz- 
raässigen  Auftreten  der  Erzgänge  nicht  allein  in  Bezug  auf  Chile 
und  die  angrenzenden  Teile  Südamerikas,  sondern  auch  in  Rücksicht 
auf  die  allgemeine  Gesetzmässigkeit  (No.  VII). 

Aus  diesem  Studium  erwuchsen  ihm  neue  Probleme,  zu  deren 
Lösung  ihm  eine  nochmalige  Bereisung  des  erzreichen  Distriktes  des 
mittleren  und  nördlichen  Chiles  notwendig  erschien.  Daher  wandte  er 
sich,  nachdem  er  von  der  Berliner  Akademie  zu  diesem  Zwecke  das  Hum- 
boldt-Stipendium erhalten  hatte,  zum  zweiten  Male  dorthin  (Sommer 
1895).  Dieses  Mal  besuchte  er  besonders  diejenigen  Erzvorkommnisse, 
welche  er  auf  seiner  ersten  Reise  gar  nicht  oder  nur  unvollkommen  hatte 


—     XXXVI     — 

untersuchen  können,  prüfte  dieselben  auf  die  Gesetzmässigkeit  ihres 
Auftretens  hin  und  bestimmte -das  gegenseitige  Altersverhältnis  der 
Massengesteine  mit  grösserer  Schärfe,  als  es  ihm  früher  möglich 
gewesen  war.  Über  dieses  letzte  Ergebnis  berichtete  er  zunächst 
nach  seiner  Rückkehr  nach  Europa  im  Sommer  1896  an  die  Berliner 
Akademie  (No.  X),  wandte  sich  dann  aber  der  Ausarbeitung  seiner 
Beobachtungen  über  die  gesetzmässige  Verbreitung  und  Abhängigkeit 
der  Erzvorkommnisse  in  Chile  zu.  Eine  zusammenfassende  Arbeit 
über  diesen  Gegenstand  reichte  er  im  Frühjahre  1897  an  der  Frei- 
burger Hochschule  zum  Zwecke  der  Habilitation  ein  (No.  XI) ;  seine 
Habilitation  selbst  erfolgte  im  Juni  desselben  Jahres. 

In  seinen  Vorlesungen,  die  mit  dem  Wintersemester  1897/98 
beginnen  sollten,  gedachte  er  besonders  die  Lehre  von  den  Erz-  und 
Minerallagerstätten  zu  behandeln,  und  er  hoffte  durch  Einbeziehung 
der  Produktionsstatistik  und  der  wahrscheinlichen  Produktionsmöglich- 
keit der  Edelmetalle  auch  einen  grösseren  Zuhörerkreis  aus  den 
Studierenden  der  Nationalökonomie  zu  gewinnen,  was  ihm  auch 
zweifellos  gelungen  wäre.  Weiter  stand  der  Plan  fest,  im  Verein 
mit  dem  Verfasser  eine  ausführliche  Beschreibung  der  geologischen 
Verhältnisse  der  chilenischen  Kordillere  herauszugeben ,  wozu  auch 
^chon  gewisse  Vorbereitungen  getroffen  waren. 

Allein  schon  im  Sommer  1897  begannen  bei  ihm  sich  die  An- 
zeichen eines  Gehirnleidens  in  immer  stärker  auftretenden  Kopf- 
schmerzen und  in  der  Unfähigkeit  zu  andauernder  geistiger  Arbeit 
geltend  zu  machen.  Am  Schlüsse  des  Sommersemesters  kehrte  er 
daher  zu  seiner  Familie  in  Stuttgart  zurück.  Es  sollte  ihm  nicht 
vergönnt  sein,  seine  Thätigkeit  wieder  aufzunehmen.  Seine  Krank- 
heit, zu  welcher  der  Grund  auf  seinen  Reisen  gelegt  gewesen  zu 
sein  scheint,  verschlimmerte  sich  immer  mehr  und  der  9.  November 
setzte  seinen  schweren  Leiden  ein  Ende. 

Möricke's  Persönlichkeit  wird  allen,  die  ihn  gekannt  haben,  nur 
sympathisch  gewesen  sein,  da  sie  sein  offenes  und  gutherziges  Wesen, 
seine  verständige  und  vorurteilslose  Denkart  und  sein  Interesse  für 
alles  Schöne  und  Gute  schätzen  mussten.  Seiner  Familie  und  seinen 
Freunden  war  er  nicht  minder  treu  ergeben  als  seiner  Wissenschaft. 
Diese  verdankt  ihm  ausser  mannigfachen  wichtigen  Beobachtungen 
über  die  Geologie  und  Palaeontologie  Chiles  wesentlich  mit  den 
Nachweis,  welcher  besonders  auch  durch  die  Arbeiten  seines  ver- 
storbenen Lehrers  Stelzner  und  seines  Freundes  Vogt  in  Christiania 
erbracht  worden  ist,  dass  die  Verteilung  verschiedener  Klassen  von 


—     XXXVII     — 

Erzvorkommnissen  an  das  Auftreten  bestimmter  Gruppen  von  Eruptiv- 
gesteinen strenge  gebunden  ist  und  dass  ihr  Bestand  zu  dem  der 
zugehörigen  Massengesteine  hinzugefügt  werden  muss,  um  die  wahre 
Zusammensetzung  der  ursprünglichen  Schmelzflüsse  zu  erhalten.  In 
dieser  Beziehung  bildet  seine  letzte  Schrift  auch  den  Abschluss  seiner 
Forschungen. 

Seine  Schriften  sind : 

(I)   1889.    Die  Crustaceen    der  Stramberger  Schichten.     (Palaeonto- 
graphica,  Supplement  II,  6.  —  Palaeontologische  Mitteilungen  III,  2 
p.   45,   72  t.   6.)     Promotionsschrift. 
(II)    1891.    Das  Eruptivgebiet    des  S.  Cristöbal  bei  Santiago,    Chile. 
(Tschermak's  Mitteilungen  XII  S.   143—155.) 

(III)  1891,  Einige  Beobachtungen  über  chilenische  Erzlagerstätten 
und  ihre  Beziehungen  zu  Eruptivgesteinen.  (Ebenda  XII  S.  186 
bis   198.) 

(IV)  1892.  Vergleichende  Studien  über  Eruptivgesteine  und  Erzführung 
in  Chile  und  Ungarn.  (Berichte  der  uaturf.  Gesellsch.  zu  Frei- 
burg i.  B.  Bd.  VI  S.   121  —  133.) 

(V)   1893.    Über  grosse  Enargitkrystalle  aus  Chile.     (XXVI.  Bericht 

d.   oberrh.  geolog.  Vereins  S.   50 — 51.) 
(VI)    1894.    Versteinerungen    des    Lias    und    ünteroolith    von    Chile. 

(Beiträge   z.   Geologie   u.  Palaeontologie  v.  Südamerika,  herausg. 

V.  Steinmann,  II,  —  N.  Jahrb.  f.  Min.  etc,  Beilageb.  IX  S.  1  —  100 

t.   1—6.) 
(VII)   1895.    Über    edle    Silbererzgänge    in   Verbindung    mit    basischen 

Eruptivgesteinen.     (Zeitschr,  f.  prakt.   Geologie   1895    S.   4 — 10.) 
(VIII)    1895.    Die  Gastropoden  und  Bivalven  der  Quiriquina-Schichten. 

(Beitr.  z.  Geol.  u.  Pal,  v.  Südamerika  III.   —  N,  Jahrb.  f.  Min.  etc. 

Beilageb.  X  S.   95—114  t.   7.) 
(IX)   1896.    Versteinerungen  der  Tertiärformation  in  Chile,    (Ebenda  IV. 

—  N.  Jahrb.  f.  Min,  etc.  Beilageb.  X  S.   548—612  t.   11  —  13.) 
(X)   1896.    Geologisch-petrographische    Studien    in    den    chilenischen 

Anden.    (Sitzungsber.  d.  kgl.  preuss.  Akad,  d.  Wissensch.  Bd.  XLIV 

S.  1161—1174.) 
(XI)   1897,    Die  Gold-,   Silber-  und  Kupfererzlagerstätten  in  Chile  und 

ihre  Abhängigkeit  von  Eruptivgesteinen,    (Ber.  d.  naturf.  Gesellsch. 

zu  Freiburg  i.  B.  Bd.  X  S.  152—200.)     Habilitationsschrift. 


Buchhändler  Eduard  Koch,  f  Stuttgart,  1.  Dezember  1897. 
Von  Pfarrer  Dr.  Engel  in  Eislingen. 

Die  einfache  Pflicht  der  Dankbarkeit  gebietet  es ,  dass  neben 
den  beiden  andern  Männern  der  Naturwissenschaft,  die  der  Tod  im 
letzten  Jahr  unserer  Heimat  und  unserem  Verein  geraubt  hat,  und 
deren  Lebensgang  in  diesen  Blättern  verzeichnet  steht,  an  derselben 
Stelle  auch  des  Obengenannten  trauernd  und  rühmend  gedacht 
werde,  den  wir  am  3.  Dezember  des  vorigen  Jahres  begraben  mussten. 
Hat  doch  derselbe  nahezu  drei  Decennien  hindurch  die  Jahreshefte 
des  Vereins  für  vaterländische  Naturkunde  in  Württemberg  in  muster- 
hafter Weise  verlegt,  so  dass  für  die  Weiterführung  auch  dieser  Zeit- 
schrift sein  Verlust  ein  fast  unersetzlicher  genannt  werden  muss. 
Geben  wir  denn  zunächst  eine  kurze  Darstellung  über  den  äusseren 
Lebensgang  des  Entschlafenen. 

Eduard  Friedrich  Koch  war  als  das  älteste  von  sieben  Ge- 
schwistern am  10.  Juli  1838  in  Grossaspach,  OA.  Backnang,  geboren, 
wo  sein  Vater  damals  Pfarrer  war.  Nachdem  letzterer  in  Heilbronn  als 
Stadtpfarrer  und  später  als  Dekan  seinen  Wohnsitz  genommen  hatte, 
besuchte  der  Sohn  vom  Jahre  1847  an  das  dortige  Gymnasium,  und 
schon  damals  regte  sich  in  ihm  ein  eifriger  Sammeltrieb,  namentlich 
von  Naturgegenständen.  Von  Haus  aus  zum  Theologen  bestimmt, 
fühlte  er  indes  bald,  dass  ihm  ein  anderer  Lebensberuf  beschieden 
sei.  So  verliess  er  mit  16  Jahren  die  Schule,  mit  dem  festen  Ent- 
schluss,  Buchhändler  zu  werden.  Seine  Lehr-  und  Wanderjahre  ver- 
brachte er  in  den  renommiertesten  Geschäften  zu  Heidelberg  (1853 
bis  57),  Braunschweig  (1857—59),  Freiburg  i.  Br.  (1859—61  und 
wieder  1863—67)  und  Leipzig  (1861—63),  bis  er  im  Oktober  1867 
die  rasch  zu  einer  gewissen  Blüte  gelangte  Schweizerbart'sche  Ver- 
lagshandlung in  Stuttgart  und  damit  eine  selbständige  Lebensstellung 
erwarb.  Von  da  an,  also  während  voller  30  Jahre,  blieb  er  in  der 
schwäbischen  Hauptstadt,  wo  er  zuerst  (1867 — 69)  allein,  dann  in 
den  folgenden  zwei  Jahren  (1869 — 71)  mit  seinem  indes  in  den  Euhe- 
stand   getretenen   und    zu  ihm    gezogenen  Vater,    und  nach  dessen 


—     XXXIX     — 

baldigem  Hingang  sein  ganzes  übriges  Leben  hindurch  (1871 — 97) 
vollends  mit  einer  jüngeren  Schwester  zusammen  wohnte ,  die  ihm 
sein  leeres  Haus  zu  einer  behaglichen  eigenen  Heimstätte  umzu- 
schaffen  verstand.  Früher  durch  vielfache  Beschäftigung  mit  der 
Geschichtswissenschaft  zum  Studium  der  Münzkunde  angeregt,  hatte 
er  bereits  eine  stattliche  numismatische  Sammlung  sich  erworben, 
die  aber  bald  seinem  noch  grösseren  Sammeleifer  auf  geologischem 
Gebiete  weichen  musste.  Zum  Studium  der  Naturwissenschaften  und 
insonderheit  der  Palaeontologie  war  er  schon  in  Heidelberg  ge- 
kommen, wo  er  die  Vorlesungen  von  Leonhard  über  Geologie  und 
Mineralogie  besuchte.  Der  Neigung  zu  dieser  Wissenschaft  und  ins- 
besondere der  Anlegung  einer  hervorragenden  Petrefaktensammlung 
widmete  er  von  neuem  auch  neben  seinem  eigentlichen  Lebensberuf 
nahezu  seine  ganze  Zeit  und  Kraft,  was  aber  wiederum  nur  in  be- 
fruchtendster Weise  auf  jenen  Hauptberuf  zurückwirken  konnte,  da 
er  sich  nach  und  nach  in  seinem  Verlag  auf  die  Herausgabe  von 
ausschliesslich  naturwissenschaftlichen  Werken  beschränkte.  Mit 
grosser  Thatkraft  und  rastlosem  Eifer  betrieb  er  alles,  was  er  in  die 
Hand  nahm,  und  brachte  denn  auch  bald  seine  Sammlung  wie  sein 
Geschäft  auf  eine  beneidenswerte  Höhe.  Von  Haus  aus  mit  eiserner 
Körper-  wie  Willenskraft  ausgerüstet,  bot  seine  Erscheinung  zeit- 
lebens ein  Bild  strotzender  Gesundheit.  Da  mit  einem  Male  brachen 
seine  Kräfte,  nachdem  eine  schwere  Herz-  und  Gefässentartung  etwa 
zwei  Jahre  vor  seinem  Tod  bei  ihm  aufgetreten  war.  Ein  leichter 
Schlaganfall  mahnte  ihn  im  Sommer  1896  an  das,  was  bevorstand. 
Er  suchte  und  fand  auch  anscheinend  Heilung  durch  eine  längere 
Luftkur  in  Urach,  infolge  deren  er  seine  Arbeit  nahezu  im  früheren 
Umfang  wieder  aufnehmen  und  noch  ein  volles  Jahr  fortführen  konnte. 
Da  nahte  auf  einmal,  und  rascher  als  er  und  seine  Freunde  es  wohl 
dachten,  seine  Stunde.  Am  Abend  des  30.  November  1897  ward  er 
im  Kreise  von  Bekannten  von  einem  erneuten  Schlaganfall  betroffen, 
der  nach  wenigen  Stunden  seinem  unermüdeten  Schaffen  für  immer 
ein  Ziel  setzte.  Er  selbst  hatte  sich  oft  einen  solchen  Tod  gewünscht, 
wie  er  ihm  nun  wirklich  beschieden  ward.  Um  ihn  trauern  vier  Ge- 
schwister, zwei  Schwestern  und  zwei  Brüder,  von  denen  der  eine 
Oberstabsarzt  in  Ludwigsburg,  der  andere  Stadtpfarrer  in  Pfungstadt 
(Hessen)  ist,  derselbe,  der  seinerzeit  Hofprediger  bei  dem  ersten  Bul- 
garenfürsten Alexander  in  Sofia  gewesen  war.  Mit  ihnen  standen  aber 
trauernd  am  Grab  noch  eine  grosse  Anzahl  von  Berufsgenossen,  Ge- 
lehrten und  Freunden  des  so  rasch  aus  dem  Leben  gerufenen  Mannes. 


-     XL     - 

Dies  veranlasst  uns,  demselben  weiter  einige  Worte  zu  widmen 
zunächst  bezüglich  seines  Wirkens  in  seinem  eigentlichen, Berufsfach 
als  Vertreter  eines  der  bedeutendsten  wissenschaftlichen  Verlags- 
geschäfte Deutschlands.  Dass  der  alte  Schweizerbart'sche  Verlag 
mit  Recht  heute  so  bezeichnet  werden  mag  und  dass  er  überhaupt 
diese  Höhe  und  Blüte  erreicht  hat,  ist  einzig  der  Thatkraft  und  dem 
Unternehmungsgeist  Koch's  zu  verdanken.  Von  dem  Umfang,  den 
das  Geschäft  unter  seiner  Leitung  nach  und  nach  angenommen  hat, 
zeugt  am  besten  der  neueste,  wenige  Tage  nach  seinem  Tode  her- 
ausgekommene Katalog.  Unter  den  darin  aufgeführten  nicht  weniger 
als  210  Nummern  führen  wir  in  ersterer  Linie  von  periodisch  er- 
scheinenden naturwissenschaftlichen  Zeitschriften  an : 

Palaeontographica,  Beiträge  zur  Naturgeschichte  der  Vorzeit, 
43  Bände,  mit  Generalregister  und  Supplementen,  die  einen  Wert 
von  ^lahezu  3000  Mk.   repräsentieren; 

Palaeontologische  Mitteilungen  aus  dem  Museum  des  K. 
bayr.  Staats,  von  Oppel  begründet,  von  Zittel  bis  heute  fort- 
gesetzt; 

Jahreshefte  des  Vereins  für  vaterländische  Naturkunde  in  Württem- 
berg (54  Bände) ; 

Fundberichte  aus  Schwaben  über  vorgeschichtliche,  römische 
und  merowingische  Altertümer,  herausgegeben  von  Prof.  Dr. 
G.   Sixt; 

Neues  Jahrbuch  für  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeonto- 
logie,  64  Bände,  nebst  Beilagebänden  und  Repertorium  (Personen-, 
Orts-  und  Sachregister),  derzeit  herausgegeben  von  B  auer  (Mar- 
burg), Dam  es  (Berlin)  und  L  i  e  b  i  s  c  h  (Göttingen),  einen  Katalog- 
wert von  ca.   1200  Mk.  darstellend. 

Die  Schriftleiter  der  beiden  letztgenannten  Werke  haben  bereits 
in  warmen  Nachrufen  ihrer  Trauer  um  den  Verstorbenen  Ausdruck 
gegeben  und  seinen  Verlust  als  einen  für  Fortführung  auch  ihrer 
Zeitschriften  überaus  herben  bezeichnet.  Nicht  anders  mag  es  denen 
zu  Mut  sein,  die  bezüglich  Herausgabe  von  Separatwerken  mit  Koch 
seit  Jahren  in  Verbindung  standen. 

In  seinem  Verlag  erschienen  nämlich  nicht  nur  fast  alle  geo- 
logischen Werke  der  heimischen,  sondern  auch  eine  grosse  Zahl 
ausserwürttembergischer  Autoren.  Wir  nennen,  um  nur  die  wich- 
tigsten hervorzuheben,  etwa  die  folgenden: 

Quenstedt,    Die  Ammoniten  des  Schwäbischen  Jura,    1885  ff.,   ein 

dreibändiges  Monumentalwerk; 
Oppel,    Über  jurassische  Cephalopoden  und  Crustaceen; 
B  ran  CO,  seine  drei  Hauptwerke:    (Entwickelungsgeschichte  der  Ce- 


—     XLI    — 

phalopoden  ,  Vulkanembryonen  Schwabens  und  fossile  Menschen- 
zähne aus  den  Bohnerzen  der  schwäbischen  Alb),  deren  letzteres 
erst  nach  Koch's  Tod  erschien ; 

Fraas,  Vater  und  Sohn,  nämlich  Dr.  Oskar:  Äefosaurus  ferrahts, 
Geognostische  Beschreibung  von  Württemberg;  Geognostische 
Wandkarte  von  Württemberg;  Dr.  Eberhard:  Die  Labyrintho- 
donten  der  schwäbischen  Trias  und  die  schwäbischen  Triassaurier ; 

Engel,   Geognostischer  Wegweiser  durch   Württemberg; 

Klunzinger,    Die  Fische  des  Roten  Meeres; 

Probst,  Klima  und  Gestaltung  der  Erdoberfläche,  sowie  Über  einige 
Gegenstände  aus  dem  Gebiete  der  Geophysik ; 

Plieninger,  Ein  neuer  Flugsaurier  aus  dem  oberen  Lias  Schwabens. 

Von  nicht  schwäbischen  Gelehrten,  die  eine  Anzahl  ihrer  Werke 
im  Koch'schen  Verlage  erscheinen  Hessen,  seien  beispielsweise  nur 
genannt  die  Namen  vonBerwerth,  Eichwald,  Frech,  Göppert, 
Ferd.  und  Fr.  Adolf  Römer,  Rosenbusch,  Rothpletz,  Schimper, 
Zittel  u.  a. 

Ein  ganz  besonderes  Verdienst  erwarb  sich  aber  unseres  Er  ach- 
tens Koch  auch  dadurch,  dass  er  die  bedeutsamsten  zeitgenössischen 
Werke  englischer  Naturforscher  und  Gelehrten  in  autorisierten 
Übersetzungen  uns  zugänglich  machte.  In  dieser  Hinsicht  ist  wohl 
in  erster  Stelle  der  Name  Darwin's  zu  nennen,  dessen  sämtliche 
Schriften,  von  J.  Victor  Carus  übersetzt,  sowohl  als  „gesammelte 
Werke"  in  16,  als  auch  in  einer  „Auswahl"  von  6  Bänden  bei  Koch 
herauskamen.  Wenn  Darwin ,  der  seinen  Verlegern  gegenüber  als 
sehr  misstrauisch  galt,  gerade  an  die  Firma  Koch  sich  wandte,  so 
liegt  schon  darin  eine  überaus  ehrenvolle  Anerkennung  für  deren 
Inhaber.  Mit  20  Nummern  in  43  Bänden  und  einem  Wert  von 
ca.  300  Mk.  finden  wir  denn  diese  Werke  im  neuesten  Katalog  ver- 
zeichnet. Darwin  selbst  stand  mit  Koch  in  jahrelangem  Briefwechsel, 
der  oft  genug  über  das  bloss  Geschäftliche  hinausging.  Neben  Darwin's 
sind  es  sodann  die  Werke  von  Herbert  Spencer,  die  ebenfalls  in 
autorisierter  Übersetzung  (von  Dr.  B.  Vetter  und  Caru  s)  in  11  Bänden 
unter  dem  Titel :  „System  der  synthetischen  Philosophie"  bei  Koch  her- 
auskamen.   Auch  sie  stellen  einen  Katalogwert  von  ca.  150  Mk.  dar. 

Bei  allen  diesen  Werken,  die  im  Laufe  der  Zeit  im  Koch'schen 
Verlage  erschienen,  hat  der  Verleger  ganz  besonderen  Fleiss  auch  auf 
die  beigegebenen  Abbildungen  verwendet  und  für  möglichst  feine 
technische  Reproduktion  aufs  ängstlichste  Sorge  getragen.  Hat  er 
sich  doch  nicht  nur  selbst  immer  tüchtiger  in  das  Gebiet  der  in 
dieser   Beziehung    so    rasch   und   riesig   fortgeschrittenen    modernen 


—     XLII     - 

Technik  hineingearbeitet,  sondern  eben  auch  durch  seinen  Verlag 
jenes  Kunsthandwerk  in  der  schwäbischen  Hauptstadt  ganz  wesent- 
lich gefördert  und  zur  Ausführung  immer  höherer  Aufgaben  ermutigt. 

Ganz  besonders  aber  ist  an  dem  Entschlafenen  in  seiner  Eigen- 
schaft als  Verleger  hervorzuheben  die  innige  Hingabe  für  und  das 
selbstthätige  Mitarbeiten  an  den  Werken ,  die  durch  seine  Hände 
gingen.  Hier  eben  zeigte  er  sich  nicht  bloss  als  praktisch  gewiegter 
Geschäftsmann,  sondern  gleichzeitig  als  verständnisinniger  Berater, 
liebenswürdiger  Mithelfer  und  rücksichtsvoller  Freund,  was  ihm  denn 
auch  das  unbedingte  Vertrauen  der  Autoren  zuführte.  Wohl  jeder, 
der  in  dieser  Beziehung  mit  Koch  zu  thun  gehabt  hat ,  wird  ihm 
dieses  ehrende  Zeugnis  ausstellen.  Und  in  der  That,  wir  haben  oft 
gestaunt  über  die  riesige  Arbeitskraft  des  Mannes,  der  Seite  für 
Seite  der  Korrekturbogen  durchsah  mit  einer  Genauigkeit  und  Schärfe, 
dass  kaum  ein  Fehlerchen  mehr  zu  finden  war.  Daneben  sprang  er 
öfters  mit  grosser  Opferwilligkeit  ein  bei  der  Herausgabe  von  Werken, 
bei  denen,  vom  geschäftlichen  Standpunkt  aus  betrachtet,  kein  oder 
kaum  ein  klingender  Gewinn  zu  erhoffen  war,  wie  er  denn  auch  gern 
seine  CHches  anderen  zur  Benützung  überliess,  wenn  nur  der  Sache 
damit  gedient  war,  für  welche  er  selbst  leibte  und  lebte. 

Was  wir  vorhin  von  Koch's  Beziehung  zu  Darwin  sagten,  das 
darf  man  ohne  weiteres  auch  auf  sein  Verhältnis  zu  den  meisten 
übrigen  Autoren  übertragen,  die  ihm  ihre  Geistesprodukte  zur  Ver- 
öffentlichung anvertrauten.  Koch  stand  mit  fast  allen  in  persön- 
lichem und  brieflichem  Verkehr,  er  kannte  insbesondere  weitaus  die 
Mehrzahl  der  deutschen  Geologen  von  den  Versammlungen  her,  die 
er  fleissig  besuchte,  wie  er  denn  auch  umgekehrt  hier  und  überall, 
wo  er  auftrat,  als  stets  gern  gesehener  Gast  begrüsst  und  aufs  ehren- 
vollste behandelt  wurde. 

Ein  derartiges  Wesen  verschaffte  unserem  Freund  auch  sonst 
eine  Reihe  von  Vertrauensposten,  die  ihm  ungesucht  übertragen 
wurden.  So  war  er  langjähriger  Kassier  des  Vereins  für  vaterländische 
Naturkunde,  wie  er  denn  auch  dieselbe  Stellung  beim  Württ.  anthro- 
pologischen Verein  seit  dessen  Gründung  vor  26  Jahren ,  und  nicht 
minder,  so  viel  uns  bekannt,  beim  Oberrheinischen  Geologenverein 
bekleidete.  Mit  Recht  legte  daher  Dr.  Eb.  Fraas  namens  jener  beiden 
erstgenannten  Vereine  je  einen  Lorbeerkranz  an  Koch's  Grab  nieder. 
Dazu  fügte  er  aber  noch  einen  dritten,  gewiss  ebenso  wohl  ver- 
dienten, den  er  mit  warmen  Worten  dem  „Sammler"  und  „Freund" 
widmete,    der   seit   langen    Jahren    als   eine    der    Hauptzierden    der 


—  xmi  — 

schwäbischen  Geologen  und  bei  allen  Vereinigungen  derselben  mitt- 
ratend  und  mitthatend  erschienen  war.  ' 

Auch  wir  können  nicht  umhin,  zum  Schluss  noch  gerade  diese 
beiden  Züge  aus  dem  reichen  Leben  und  Wirken  des  Geschiedenem 
mit  ein  paar  Worten  zu  berühren,  wäre  doch  ein  wirkliches  Stück 
von  dem  Mann  unterschlagen,  wenn  man  seine  Sammlungen  vergässe. 

Seit  Jahrzehnten  nahm  Koch  unter  den  Petrefaktensammlern 
Württembergs  eine  der  ersten,  wo  nicht  die  allererste  Stelle  ein. 
Und  zwar  machte  er  sich  schliesslich  fast  nur  noch  mit  den  Ver- 
steinerungen des  schwäbischen  Jura,  und  unter  diesen  wiederum  vor- 
zugsweise mit  dessen  Ammonshörnern  zu  thun,  in  richtiger  Weise 
das  Wort  des  Dichters  zu  seinem  Symbolum  erwählend,  dass  „in 
der  Beschränkung  zeigt  sich  erst  der  Meister".  Als  Meister  aber 
im  vollsten  Sinne  des  Wortes  erwies  sich  dieser  Sammler,  der  stets 
seinen  Stolz  darein  setzte,  nur  tadellose  Stücke  in  seinen  Kästen  zu 
haben.  Wohl  hatte  er  früher  auch  fremdländisches  Material  in 
schönen  Suiten  in  seinem  Besitz.  Desgleichen  wusste  er  sich  aus 
den  schwäbischen  Trias-  und  Tertiärschichten  (Saurierreste  aus 
Muschelkalk  und  Lettenkohle;  Säugetierknochen  von  Steinheim  und 
Ulm)  mit  das  Beste  und  Feinste  beizulegen.  Und  solche  Schätze 
zu  erwerben,  scheute  er  weder  Mühe  noch  Zeit,  weder  Überredung 
noch  Geld;  kaufte  er  doch  jeweils  ganze  Sammlungen  an,  ledigUch 
wegen  etlicher  darin  liegender  Seltenheiten,  die  er  behielt,  um  das 
übrige  nachher  wieder  an  Händler  abzugeben.  Doch  entäusserte  er 
sich  im  Laufe  der  Jahre  auch  aller  nicht  jurassischen  Petrefakten 
wieder,  die  er  um  massigen  Preis  und  um  sie  der  Heimat  zu  er- 
halten, dem  K.  Naturalienkabinett  abtrat,  und  behielt  schliesslich  in 
weiser  Selbstbeschränkung  nur  noch  Jurafossile,  die  aber  auch,  in- 
sonderheit, wie  gesagt,  die  Ammoniten,  an  Reichhaltigkeit,  Mannig- 
faltigkeit und  Schönheit  der  Exemplare  ihresgleichen  suchten.  Sind 
doch  eine  grosse  Anzahl  derselben  als  Originale  in  den  verschieden- 
sten wissenschaftlichen  Werken  (allein  im  grossen  Quenstedt'schen 
Ammonitenwerk  gegen  100  Stück)  beschrieben  und  abgebildet.  Kein 
Wunder,  dass,  um  diese  einzigartige  Sammlung  zu  sehen,  Gelehrte 
aus  aller  Herren  Ländern  unsern  Koch  besuchten,  und  dass  er  selbst, 
der  unverheiratet  geblieben  war,  oft  von  diesen  Ammoniten  als  von 
„seinen  Kindern"  zu  reden  pflegte. 

Um  in  ihren  Besitz  zu  kommen,  war  ihm,  wie  schon  angeführt 
wurde,  kein  Opfer  zu  gross.  Er  stand  daher  mit  allen  schwäbischen 
Sammlern   und  Händlern   in  Verbindung,    machte   aber  auch  selbst, 


—    XLIV     — 

allein  und  in  Begleitung  geologischer  Freunde,  unzählige  Exkursionen 
in  „seinen  Jura",  den  er  „wie  seine  Hosentasche"  kannte.  Dutzend- 
mal  war  er  im  Laufe  von  vielen  Sommern  im  Eldorado  schwäbischer 
Sammler,  in  der  Balinger  Gegend,  auf  dem  Lochen  und  Bollert; 
dutzendmal  an  der  Wutach,  wo  das  badische  Zollhaus  als  Stütz- 
punkt diente,  um  von  da  die  Steilhalden  am  Eichberg  und  Buchberg 
„abzuklopfen"  oder  die  Hochebene  des  Randen  zu  durchwandern- 
Und  wie  manche  fröhliche  Stunde  brachte  er  auf  solchen  Wanderungen 
zu  im  Kreis  der  Freunde,  zumal  derer  vom  „Steigenklub",  wenn 
es  galt,  am  Ipf  und  im  Ries,  in  der  Staufen-  oder  Zollerngegend, 
bei  Metzingen  oder  bei  Immendingen  zu  klopfen.  War  und  blieb 
er  doch  einer  der  treuesten  und  eifrigsten  Mitglieder  dieser  zwang- 
losen Vereinigung  schwäbischer  Geologen  bis  zu  seinem  Tod  und 
fehlte  kaum  jemals  bei  einer  ihrer  Exkursionen  oder  Zusammen- 
künfte. Mit  Recht  legte  darum  Fraas  eben  im  Namen  dieser  „Steigen- 
klubler"  den  dritten  Kranz  auf  das  Grab  des  so  rasch  aus  ihrer 
Mitte  geeilten ;  denn  8  Tage,  ehe  man  ihn  in  die  Erde  bettete,  hatte 
er  noch  einer  solchen  Versammlung  und  wenige  weitere  Tage  vor- 
her, der  Beerdigung  des  alten  „Papa  Fraas",  anscheinend  in  bester 
Gesundheit,  angewohnt.  Und  gewiss  allen,  die  ihm  näher  standen, 
ist  er  auch  ein  Freund  in  des  Wortes  voller  Bedeutung  gewesen. 


Vorträge  bei  der  Generalversammlung. 


I. 
Der  Braune  Jura  von  Eningen  und  Umgebung. 

Von  Pfarrer  G-ussraann  in  Eningen. 

Es  könnte  wohl  als  ein  Wagnis  erscheinen,  wenn  ich  es  unter- 
nehme, Ihnen  über  den  Braunen  Jura  von  Eningen  und  seiner  Um- 
gebung einige  Mitteilungen  zu  machen,  da  gerade  diese  Eninger 
Schichten  wohl  zu  den  bekanntesten  und  am  meisten  durchforschten 
des  ganzen  schwäbischen  Jura  gehören  und  auch  schon  mehrfach 
beschrieben  worden  sind.  Ich  erinnere  nur  an  die  Werke  von  Quen- 
STEDT,  Fraäs,  Engel,  die  Monographie  von  Krimmel  u.  a.  So  findet 
man  denn  auch  Eninger  Petrefakten  nicht  bloss  in  den  württem- 
bergischen Sammlungen,  sondern  wohl  in  denen  von  ganz  Deutsch- 
land und  darüber  hinaus.  Ich  darf  da  nur  die  berühmten,  nur  hier 
in  solcher  Fülle  und  Schönheit  vorkommenden  Hamiten  erwähnen. 
Es  ist  auch  nicht  meine  Absicht,  Ihnen  eine  erschöpfende  wissen- 
schaftliche Abhandlung  über  das  genannte  Thema  zu  geben,  sondern 
ich  wollte  nur,  da  unsere  Hauptversammlung  heute  in  Reutlingen 
tagt,  Ihnen  einige  Funde  aus  der  Nähe  vorführen,  nämlich  solches, 
was  ich  selbst  in  den  neun  Jahren  meines  Eninger  Aufenthaltes  hier 
gesucht,  beobachtet  und  gesammelt  habe,  und  daran  einige  Erläute- 
rungen anknüpfen,  wohl  auch  einige  Fragen  berühren,  die  zu  weiterer 
Forschung  Anregung  geben  können.  Die  Schichten,  die  ich  dabei 
im  Auge  habe,  sind  die  des  mittleren  und  teilweise  oberen  Braunen 
Jura,  y — £  nach  der  QüENSTEDi'schen  Einteilung. 

Wenn  wir  von  Reutlingen  aus  zurAchalm  emporsteigen  und 
zwar  auf  der  Südseite  derselben,  so  kommen  wir  nach  Zurücklegung 
etwa  des  ersten  Drittels  auf  ein  Plateau,  das  sich  in  einem  Bogen 
um  dieselbe  herumzieht  und  auf  dessen  äusserstem  südwestlichen 
Rande    die  Eifertshöhe,    ein   bekannter   hübscher   Aussichtspunkt, 


—    XLVI    — 

liegt.  Wir  sind  damit  auf  der  Terrasse  des  Braunen  Jura  /,  der 
sogen.  „Blauen  Kalke",  welche  wir  schon  an  einigen  Punkten  des 
Aufstieges  in  den  Weinbergen  die  Köpfe  herausstrecken  sahen,  an- 
gelangt. Wir  sehen  auch  sofort  eine  Reihe  von  Steinbrüchen,  in 
welchen  jene  Blauen  Kalke  gebrochen  und  ausgebeutet  werden  und 
zwar  teils  als  Bausteine,  teils  als  Pflastersteine  oder  auch  zu  Strassen- 
einsatz  und  -Beschotterung.  Die  Mächtigkeit  dieser  Blauen  Kalke, 
ebenso  ihre  Dichtigkeit  ist  eine  verschiedene  und  beträgt  ca.  2 — 3  m. 
Unter  denselben  liegt  ein  schwarzblauer  Thon,  der  ganz  petrefakten- 
leer  ist.  Die  Blauen  Kalke  werden  von  den  Arbeitern  wieder  in 
mehrere  Schichten  eingeteilt,  die  ich  in  dem  grössten  mittleren 
Steinbruch  gemessen  habe  und  die  in  folgender  Ordnung  von  unten 
nach  oben  aufeinander  folgen : 

1.  Ein  gelber  Sandstein  (in  der  Mitte  zuweilen  noch  blau), 
40  cm  mächtig,  der  zu  Bauzwecken  verwendet  wird. 

2.  Die  Hauptschicht,  der  Eninger  Pflasterstein,  1  — 1,20  m 
dick,  der  übrigens  in  den  nach  vorne  gelegenen  Brüchen  viel  schwächer 
wird,  ja  fast  ganz  verschwindet. 

3.  Der  sogen.  „Eiserne",  ein  harter  Kalk,  in  welchem  haupt- 
sächlich die  in  diesen  Schichten  vorkommenden  Petrefakten,  nament- 
Hch  Isocardia  aaJensis,  in  ganzen  Lagern  sich  finden,    15  cm  dick. 

4.  Der  „Wollene",  ein  rauh  und  sandig  sich  anfühlender, 
ziemlich  weicher  Kalkstein,  der  beinahe  wertlos  ist;  und  endlich 

5.  die  „Platte",  ca.  20 — 25  cm  dick,  eine  ebenfalls  ziemlich 
weiche,  wertlose  Kalkschicht,  welche  den  Übergang  zum  Braunen 
Jura  d  bildet. 

Die  dieser  Schicht  eigentümlichen  Petrefakten  ziehen  sich 
so  ziemlich  durch  sämtliche  Bänke  hindurch,  namentlich  finden  sie 
sich  in  dem  sogen.  „Eisernen"  (s.  o.),  Peden  demissus  hauptsächlich 
in  den  Pflastersteinen.  Ich  führe  folgende  von  mir  selbst  gefun- 
dene an: 

Ammoniten:  Am.  Gervilln  in  prächtigen  Exemplaren  und  der 
kleinere  Am.  contractus  mit  lang  vorgestrecktem  Ohr ;  ferner  verschie- 
dene zur  Soiverhyi-ijrxx^'^Q  gehörige  Arten:  Am.  Sowerbyi,  arenahis, 
Tessoniamis  mit  mancherlei  Übergängen  und  Variationen,  meist  flache 
Scheiben,  endlich  Am.  Humphriesicmus ,  jedoch  meistens  verdrückt; 

Nautilus  aperturatus,   zum   Teil  in   sehr  grossen  Exemplaren. 

Belemniten:  Ein  Vorläufer  des  Bei.  giganteus,  jedoch  kleiner 
und  schlanker,  mit  riesigen  Alveolen,  sodann  oben  ein  kleiner 
Bei.  hrevis; 


—     XLVII     — 

Trigonia  clavellata,  meist  aufgeklappt  (die  sogen.  „Schmetter- 
linge"), 

Peden  demissus  mit  schönen  glänzenden  Schalen  (die  sogen. 
„Ochsenaugen"), 

Isocardia  aalensis, 

Nucida  aalensis, 

Cucidlaea  ohlonga, 

Modiola  modiolata, 

Pholadomya  ßdicula, 

Ästarte  elegans, 

Myacites  gregarius  und  Jurassi, 

Pinna  cuneata, 

Pleurotomaria  (armata  ?). 

Die  Terrasse  der  Blauen  Kalke,  des  obersten  Gliedes  von  Braunem 
Jura  y,  senkt  sich  allmählich  gegen  das  Dorf  Eningen  hin,  so  dass 
wir  dort  bei  der  ScHEYTi'schen  Brauerei  dieselben  Schichten  und 
Aufschlüsse  finden  wie  oben  auf  der  Eifertshöhe. 

Über  den  Blauen  Kalken  beginnt  Braun-Jura  d,  und  hier 
kommt  vor  allem  in  Betracht  der  Abraum  über  den  ersteren.  Schon 
20  cm  über  der  „Platte"  liegt  eine  Breccie  mit  einer  Masse  meist 
zerdrückter,  zuweilen  jedoch  auch  vollständig  erhaltener  Petrefakten, 
eine  kurze  Strecke  weiter  oben  ein  zweiter  petrefaktenhaltiger  Streifen, 
während  höher  hinauf  der  Thon  ziemlich  leer  wird.  Wo  der  Ab- 
raum 172 — 2  m  übersteigt,  wird  nicht  mehr  gebrochen,  da  die  Weg- 
schaffung des  ersteren  zu  mühevoll  und  kostspielig  ist. 

In  dem  gen.  Abraum  fanden  sich  folgende  Petrefakten:  Zu- 
weilen, aber  selten,  Nachzügler  von  Am.  contractus  und  Sotverhyi, 
Bei.  hrevis ;  sehr  häufig  sind  die  drei  Austern :  Ostrea  edidiformis 
(diese  am  häufigsten),  cristagaUi  und  pectiniformis,  ferner  Trigonia 
clavellata  (hier  zuweilen  geschlossen)  und  costata,  Perna  mytiloides, 
Myacites  gregarius,  Mya  depressa,  Pholodomya  3Iurchisonii,  Modiola 
modiolata,  Pleurotomaria  armata  (elongata?),  Turho  ornatus.  Stacheln 
von  Cidarites  maximus,  zuweilen  kommen  die  bekannten  Muschel- 
knollen mit  Cerithium  echinatum  und  verschiedenen  Muschelschalen, 
auch  einem  Am.  Braikenridgii  und  Serpulen  vor.  Endlich  fand 
ich  in  einem  Schwefelkiesknollen  Diadema  (depressum?)  und  PJiyn- 
chonella  spinosa. 

Der  mittlere  Braune  Jura  d,  auf  welchem  der  grösste  Teil  von 
Eningen  liegt,  ist  wenig  aufgeschlossen.  Es  sind  meist  dunkle  Thone, 
wie  es  scheint,  von  einzelnen  Kalkbänken  durchzogen ;  dieselben  sind 


—     XLVIII     — 

jedoch  in  der  Thalsohle  zum  grössten  Teile  mit  einer  starken  Schicht 
von  Weiss-Jurageröll  bedeckt,  so  dass  die  Braun-Juraschicht  selten 
zu  Tage  tritt.  Dies  zeigte  sich  bei  den  im  Jahre  1895  behufs  der 
Anlegung  einer  Wasserleitung  veranstalteten  Grabungen,  bei  denen 
nur  sehr  weniges  von  Petrefakten  gefunden  wurde,  nämlich  ein 
(übrigens  unvollständiger)  Am.  f Urticur inatns,  daneben  ein  verkiester 
Nautilus  lineatus,  Ostrea  pediniformis  und  Lucina  Zieteni. 

Festeren  Grund  bekommen  wir  erst  wieder  bei  der  Coronaten- 
bank,  welche  an  verschiedenen  Stellen  rings  um  Eningen  zu  Tage 
tritt,  z.  B.  am  Wege  zum  Achalmhof,  eine  kleine  Strecke  über  dem 
Anwesen  des  Kunstgärtners  Kall,  sodann  in  einem  kleinen  Bächlein 
rechts  von  der  Metzinger  Strasse,  ferner  im  unteren  Teil  der  alten 
Heusteige  zwischen  dem  Schiesshaus  und  der  Hamitenbank,  und 
endlich  unmittelbar  vor  dem  Pfarrhaus,  wo  sie  beim  Graben  der 
gen.  Wasserleitung  aufgedeckt  wurde.  Hier  kamen  in  einer  harten 
blauen  Kalkbank  mehrere ,  zum  Teil  sehr  schöne  Exemplare  von 
Am.  coronatus  (eines  davon  mit  einer  Schwefelkieskruste  überzogen) 
zu  Tage,  unmittelbar  darüber  Am.  Humphriesianus  plicatissimus  und 
ein  schon  ins  Geschlecht  der  Parkinsonier  gehöriger  Ammonit.  Auch 
Ostrea  pectiniformis  und  cristagalU,  sowie  Modiola  modiolata  finden 
sich  in  dieser  Schicht.  Auffallend  ist,  dass  die  Coronatenbank  vor 
dem  Pfarrhaus  ziemlich  tiefer  liegt  als  an  den  übrigen  angeführten 
Orten,  so  dass  auch  hier  die  schon  oben  bei  Braun- Jura  /  berührte 
Senkung  der  Schichten  gegen  die  Mitte  des  Dorfes   hin   sich    zeigt. 

Gehen  wir  vom  Pfarrhause  aus  durch  das  sogen.  Oberdorf  auf 
der  Strasse  St.  Johann  zu,  so  zeigt  sich  hinter  der  am  äussersten 
Ende  des  Dorfes  gelegenen  Ziegelhütte  ein  Fundplatz,  der  früher, 
solange  die  dortigen  Thone  als  Material  zur  Ziegelbereitung  benützt 
wurden,  eine  ziemlich  reiche  Ausbeute  an  Petrefakten  lieferte.  Der- 
selbe ist  leider  jetzt  verschüttet.  Dagegen  fand  ich  nur  120  Schritte 
weiter  oben  am  Bachbett  eine  Stelle,  wo  ich  eine  Zeitlang  graben 
konnte  und  die  ohne  Zweifel  mit  jener  ersteren  hinter  der  Ziegel- 
hütte identisch  ist.  Krimmel  in  seiner  Abhandlung  „Über  den  Braunen 
Jura  £  1886"  unterscheidet  im  Oberdelta  drei  Regionen :  1.  die  des 
Am.  haculatus  und  Harn,  haculatus .,  2.  die  des  Am.  subfurcatiis, 
dubius  und  des  Ham.  hifurcati ,  3.  die  der  Trigonia  clavellata  und 
weist  die  gen.  Stelle,  die  er  mit  dem  alten,  längst  nicht  mehr  zu- 
gänglichen Fundorte,  dem  „Feuersee",  von  dem  Quenstedt  zuerst 
den  Ham.  haculatus  erhielt,  identifiziert,  der  ersteren  zu.  Leider 
ist,  da  der  ehemalige  Feuersee  in  eine  Baumwiese  umgewandelt  ist, 


—     XLIX    — 

eine  Vergleiclmng  mit  jener  Fundstelle  nicht  mehr  möglich.  Aber 
abgesehen  hiervon,  halte  ich  jene  KmMMEL'sche  Ansicht  und  die  darauf 
fussende  Unterscheidung  der  gen.  drei  Regionen  nicht  für  zutreffend. 
Vor  allem  kann  ich  einer  Unterscheidung  einer  Region  des  Am. 
haadatus  und  siibfiircatus  (Ziet.)  oder  hifurcatus  (Qu.)  nicht  zu- 
stimmen. Überall,  wo  ich  Untersuchungen  anstellte,  sowohl  hier 
als  weiter  oben  in  der  Hamiten-  und  Clavellatenbank,  fand  ich  beide 
Ammoniten  nebeneinander  und  durch  verschiedene  Übergänge  mit- 
einander verbunden,  so  dass  man  bei  manchen  Exemplaren  im  Zweifel 
ist,  zu  welcher  Species  man  sie  rechnen  soll.  Sodann  fand  ich  an 
der  gen.  Stelle  von  Hamiten  oder  Baculiten  keine  Spur,  wohl  aber 
sämtliche  Petrefakten,  welche  weiter  oben  in  der  Clavellatenbank 
vorkommen,  nämlich  vor  allem  Trigonia  clavellata  in  reicher  Fülle 
und  ganz  in  denselben  Formen  wie  an  der  Heusteige,  ferner  Schalen 
von  Trig.  costata  und  oben  eine  sehr  gut  erhaltene  Trig.  interlaevi- 
gata,  sodann  Ammoniten,  deren  Formen  schwanken  zwischen  Am. 
baculatus  und  hifurcatus,  meist  schlecht  erhalten,  Cerithium  echmatum 
in  ganzen  Bänken,  eine  Bostellaria,  Cucidlaea  concinna,  Nucula  varians 
und  Palmae,  Bei.  fusiformis,  auch  Schalenstücke  von  Lucina  Zieteni, 
Sanguinolaria  undulata  etc.  Da  nun  diese  sämtlichen  Petrefakten, 
wie  schon  gesagt,  zusammenstimmen  mit  den  weiter  oben  an  der 
sogen.  Heusteige  in  der  zwischen  der  Hamiten-  und  Parkinsonschicht 
liegenden  Clavellatenbank,  so  wird  wohl  angenommen  werden  müssen, 
dass  die  Bank  hinter  der  Ziegelhütte  mit  derselben  identisch  ist. 
Ob  nun  die  tiefere  Lage  derselben  von  einem  allmählichen  Einfallen 
der  Schichten,  wie  wir  sie  schon  oben  bemerkt  haben,  oder  von 
einer  Verwerfung  oder  von  einer  Abrutschung  der  Schicht  an  der 
betreffenden  Bergseite  herrührt,  liesse  sich  nur  durch  genaue  Unter- 
suchungen und  Grabungen  ermitteln. 

Gehen  wir  nun  von  hier  aus  weiter  auf  der  nach  St.  Johann 
führenden  alten  Strasse,  der  sogen.  Heusteige,  so  stossen  wir  ober- 
halb des  Schiesshauses,  wie  schon  angeführt,  wieder  auf  die  Coro- 
natenbank,  welche  kürzlich  durch  die  Wasserleitung  aufgedeckt 
wurde ,  sodann  folgen  graublaue ,  petrefaktenleere  Thone ,  bis  wir 
schliesslich  ca.  12  cm  über  jener  auf  die  berühmte  Hamitenschicht 
stossen.  Der  in  anderen  Gegenden,  z.  B.  in  der  Umgebung  von 
Balingen,  vorkommende  rötliche  Bifurkatenoolith  fehlt  hier  vollständig. 
Unter  einer  ca.  20  cm  starken  Kalksteinbank  liegen  bis  zu  einer 
Tiefe  von  60 — 80  cm  in  grauen  Thon  eingebettet  die  zierlichen,  in 
glänzenden  Schwefelkies  verwandelten  Exemplare  des  Ham.  hifurcati, 

Jabreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkuude  in  Württ.  1898.  d 


zum  Teil  wolilerhalten  bis  zur  Anfangsblase ,  zum  Teil  mehr  oder 
weniger  defekt  und  teilweise  zerdrückt  oder  zerstört.  Wenn  man 
eine  grössere  Anzahl  derselben  beisammen  hat  und  miteinander  ver- 
gleicht, so  zeigen  sich  alsbald  gewisse  Unterschiede.  Zunächst  ist 
zu  bemerken,  dass  unmittelbar  unter  der  Kalkbank  die  grösseren, 
gröberen,  auch  meist  weniger  gut  erhaltenen  Hamiten  vorkommen, 
tiefer  unten  feinere,  zierlichere,  auch  in  grösserer  Anzahl  besser  er- 
haltene Exemplare.  Sodann  zeigen  manche,  namentlich  der  ersteren, 
eine  doppelte  Stachelreihe  auf  jeder  Seite,  andere  eine  einfache, 
während  wieder  andere  derselben  entbehren  und  nur  eine  Furche 
die  über  den  Rücken  gehenden  Rippen  durchschneidet.  Wieder  zeigt 
sich  ein  Unterschied  zwischen  normal  und  zwischen  excentrisch- 
spiralförmig  gewundenen  Exemplaren;  einzelne  sind  länglich  gestreckt, 
andere  stärker  gebogen ;  endlich  finden  sich  auch  ganze  Knollen  von 
vielfach  zerdrückten  oder  verbogenen  Hamiten,  welche  meist  durch 
Schwefelkies  miteinander  verbunden  sind.  Bei  manchen  Exemplaren 
lässt  sich  noch  die  nicht  verkieste,  zerdrückte  Wohnkammer  erkennen, 
bei  anderen  ist  der  Kopf  verdickt  und  aufgeschwollen,  sogar  zum  Teil 
in  einen  dicken ,  traubenförmigen  Schwefelkiesknollen  verwandelt. 
Überhaupt  finden  sich  solche  traubenförmige  Schwefelkiese  massen- 
haft im  Hamitenlager.  Mit  den  Hamiten  zusammen  kommen  noch 
zahlreiche  Belemniten  (hauptsächlich  Sei.  fusiformis,  sodann  auch 
canalicidatns  und  giganteus) ,  Am.  hifurcahts  und  hacidotus ,  Trig. 
clavellata,  GeritJiium  ecJiinahtm  (und  gramdatocostatum),  Nuctda  Palmae, 
lacrmiae  und  variahilis,  auch  kleine  Cucullaeen,  Astarten  u.  dergl.  vor. 

Über  der  Kalkbank,  welche  das  Hamitenlager  bedeckt,  finden 
wir  wieder  graublaue  Thone,  die  sehr  petrefaktenarm  sind;  ich  fand 
hier  nur  Bei.  giganteus,  hier  und  da  eine  Schale  von  Trig.  clavellata, 
auch  einen  Muschelknollen  mit  Am.  hiftircatus  und  zahlreichen  zer- 
drückten Muschelschalen. 

Steigen  wir  um  7 — 8  m  höher,  so  stossen  wir  auf  die  schon 
genannte  Clavellatenbank,  so  genannt  nach  den  hier  zahlreich  vor- 
kommenden Schalen  der  Trigonia  clavellata,  neben  der  sich  übrigens 
auch  Trig.  costata  findet,  sowie  die  übrigen  schon  S.  XLIX  ge- 
nannten Petrefakten. 

Über  der  Clavellatenbank  hegt  wieder  eine  doppelte  Kalk- 
schicht, welche  hier  anfängt  oolithisch  zu  werden,  was  bei 
der  unteren  über  den  Hamiten  liegenden  noch  nicht  der  Fall  ist.  In 
derselben  fand  ich  einen  grossen,  leider  nicht  gut  erhaltenen  Am.  Par- 
Jcinsoni  gigas  mit  völlig  rundem  Rücken  ohne  sichtbare  Furche. 


—  LI     — 

Nur  1 — IV2  in  höher  folgt  dann  die  Schicht  des  verkiesten 
Am.  Parkinsoni,  der  hier  in  besonders  schönen  Exemplaren  gefunden 
wurde,  ferner  in  demselben  Lager  Am.  ance^is  carinatus  und  exstinctiis, 
Am.  euryodus  und  ein  kleiner,  glatter  Am.  fiiscus,  ferner  Trig.  inter- 
laevigata,  Bei.  canaliculahis ,  Goniomya  V-scrqjta,  Ostrea  Knorri, 
CucuUaea  concinna,  eine  kleine  Plioladomya  u.  a.  Gleich  über  den 
verkiesten  Parkinsoniern  befindet  sich  ein  doppeltes  Lager  von  Den- 
talium  Parkinsoni,  die  unteren  meist  zerdrückt,  ferner  die  hübsche 
weissschalige  Astarte  depressa  und  sodann  unzählige  Schalen  eines 
grossen  zerdrückten  Ammoniten,  Am.  Parkinsoni  gigas  oder  Am.  laevi- 
plex.  In  der  zuweilen  noch  erhaltenen  Wohnkammer  des  letzteren 
findet  man  Am.  fuscus  und  besonders  prächtige  Exemplare  von  Phyn- 
chonella  Eningensis,  welche  ich  in  den  darüber  liegenden  Thonen  nur 
zerdrückt  fand.  Auch  an  der  Achalm,  wo  über  dem  zum  Hofe  führenden 
Wege  die  ParkinsoniSchicht  zu  Tage  tritt,  finden  sich  die  gen.  Schalen- 
stücke massenhaft,  zum  Teil  innen  noch  mit  Lobenresten  versehen. 

Gehen  wir  in  dem  genannten  Bachriss  weiter  aufwärts,  so  sehen 
wir  hier  und  da  eine  Trigonienschale  oder  einen  Belemniten  oder 
eine  Ostrea  Knorri  herausschauen.  Besonders  aber  finden  wir 
zwischen  der  Dentalium-  und  der  weiter  oben  liegenden  Macro- 
cephalus-^chiohi  eine  deutlich  hervortretende  Bank,  in  welcher  zahl- 
reiche Am.  fuscus,  häufig  schön  verkiest  und  mit  Ohren  versehen, 
ferner  ein  Lager  von  Serpula  tetragona,  Posidonia  Parkinsoni,  Rhyn- 
clioneUa  varians  und  hier  und  da  ein  goldglänzender  Am.  cf.  Königi 
(Qu.)  sich  finden.  Die  Trig.  interlaevigata  ist  verschwunden  und 
hat  der  costata  Platz  gemacht,  welche  sich  vollends  hinaufzieht  bis 
zur  MacrocephaluS'Schicht. 

Diese  bildet  wieder  einen  charakteristischen,  durch  den  ganzen 
schwäbischen  Jura  sich  hinziehenden  Horizont.  Nur  sind  an  dieser 
Stelle  in  den  fetten  dunklen  Thonen  fast  sämtliche  Ammoniten,  z.  B. 
Am.  macrocephalus,  triplicatus,  hullatus  etc.,  verdrückt ;  zuweilen  findet 
man  sie  aber  auch  gut  erhalten  und  dann  mit  einem  Schwefelkies- 
harnisch überzogen.  So  fand  ich  hier  einen  verkiesten  Am.  macro- 
cephalus  und  microstoma,  auch  fuscus  und  Schalen  von  Trig.  costata. 
Übrigens  ist's  nicht  überall  so.  An  anderen  Stellen  in  der  Umgebung 
von  Eningen  finden  sich  diese  Ammoniten  wie  sonst  verkalkt  und 
dann  gut  erhalten.  Namentlich  sollen  früher  an  der  Fortsetzung  der 
sogen.  Heergasse  zwischen  dem  Dorf  und  dem  Bürzlesberg  beim 
Graben  einer  Wasserleitung  zahlreiche  schöne  Exemplare  in  dieser 
Schichte  gefunden  worden  sein. 

d* 


-     LH     — 

n. 

Petrefakten  in  Petrefakten. 

Von  Pfarrer  Dr.  Engel  in  Eislingen. 

Unser  verehrter  und  liebenswürdiger  Freund,  der  verewigte 
Professor  F.  Nies  in  Hohenheim ,  hielt  des  öfteren  auf  geologischen 
Versammlungen  Vorträge  über  die  sogen.  Wassersteine,  den  Enhydros 
oder,  wie  sein  Namensvetter  A.  Nies  richtiger  geschrieben  haben  will, 
Enhygros  des  Plinius,  d.  h.  über  das  merkwürdige  Vorkommen  von 
Wassertropfen  in  Achat-  oder  Chalcedonmandeln,  die,  weil  meist 
eine  Gaslibelle  enthaltend,  vor  dem  Auge  des  Beobachters  sich  hin 
und  her  bewegen  lassen.  Nies  hat  über  diesen  Gegenstand  auch 
mehrfach  kleinere  Veröffentlichungen  gemacht  (diese  Jahreshefte, 
Jahrg.  42,  S.  57  ff.  1886 ;  Bericht  der  XTX.  Versamml.  des  oberrhein. 
geolog.  Ver.  S.  23.  1886;  Bericht  der  XX.  Versamml.  des  oberrhein. 
geolog.  Ver.  S.  24.  1887),  wobei  er  allerdings  nicht  auf  die  etwaige 
Erklärung  dieses  seltsamen  Vorkommens  sich  einliess ,  sondern  nur 
über  die  ebenfalls  merkwürdige  Thatsache  referierte,  dass  der  Flüssig- 
keitsinhalt dieser  „Wassersteine"  sich  vermindere  oder  vermehre,  je 
nachdem  das  Experimentierobjekt  längere  Zeit  der  Trockenheit  oder 
Feuchtigkeit  ausgesetzt  werde. 

In  freilich  nur  sehr  äusserlicher  Anlehnung  an  solche  in  Kiesel- 
gesteine eingeschlossene  Wassertropfen  möchte  ich  unter  Vorführung 
einiger  ganz  besonders  auffallender  Stücke  heute  ein  paar  Worte 
reden  über  „Petrefakten  in  Petrefakten",  d.  h.  über  Ver- 
steinerungen, die  von  andern  Versteinerungen  umschlossen  sind,  be- 
ziehungsweise in  deren  Schalen  oder  Kammern  stecken.  Nicht  um 
das  Aufsitzen  von  Schmarotzern  oder  Pseudoschmarotzern  auf  fremden 
Schalen  oder  Steinkernen  von  solchen  handelt  es  sich  also  hier,  wie 
ich  davon  vor  zwei  Jahren  (diese  Jahreshefte,  Jahrg.  51,  S.  LXXXI, 
1895)  gesprochen  habe,  ebensowenig  wohl  um  symbiotische  Vor- 
gänge, welche  diese  Curiosa  hervorgerufen  hätten,  sondern  einfach 
um  die  Thatsache,  dass  wir  des  öfteren  in  unsern  Petrefaktenschalen 
eingeschlossene  Reste  von  ganz  anderen  Tieren  finden,  die  an  und 
für  sich  nicht  das  geringste  mit  denen  zu  thun  haben ,  in  deren 
Gehäuse  sie  sitzen.  Schon  die  Art  des  Vorkommens  deutet  darauf 
hin ,  dass  es  sich  hier  in  weitaus  den  meisten  Fällen  um  zufällige 
und  rein  mechanische  Bildungsformen  handelt,  und  insofern  hat  auch 
die  Erklärung  dieser  Dinge  durchaus  keine  Schwierigkeit.  Wer  schon 
an  einem  Meeresufer  umhergewandelt  und  Muscheln  und  Schnecken 


—     LIII     — 

im  Sande  zusammengelesen,  oder  auch  wer  in  den  marinen  Tertiär- 
sanden etwa  des  Mainzer  Beckens  (Weinheim  bei  Alzey)  oder  in  den 
französischen  Faluns  (bei  Bordeaux)  und  in  dem  englischen  Crag 
Petrefakten  gesammelt  hat,  der  weiss  aus  hundertfacher  Erfahrung, 
dass  insbesondere  die  Gehäuse  grösserer  Tiere  (Bivalven  und  Gastero- 
poden)  nicht  bloss  mit  Sand  erfüllt  sind ,  sondern  dass  in  diesem 
Sand  in  der  Regel  eine  ganze  Menge  von  kleineren  Schalen  oder 
Schalentrümmern  stecken,  die  dann  gerade  an  solch  geschützten 
Stellen  besonders  gut  erhalten  sind. 

Ganz  ähnlich  haben  wir  uns  den  Vorgang  in  älteren  Forma- 
tionen zu  denken,  insbesondere  im  Jura,  mit  dem  wir  uns  heute 
•ausschliesslich  beschäftigen  wollen,  und  dem  auch  die  sämtlichen 
Belegstücke  entstammen,  die  wir  der  Versammlung  unterbreiten 
können.  Wie  in  den  heutigen  Meeren  oder  in  denjenigen  aus  der  Ter- 
tiärzeit hauptsächlich  grosse  Schnecken  und  doppelschalige  Muscheln 
es  sind ,  welche  solche  Fremdkörper  in  sich  schhessen ,  so  ist  das- 
selbe auch  in  den  jurassischen  Schichten  der  Fall,  nur  dass  hier  zu 
den  beiden  genannten  Molluskenschalen  noch  die  der  Cephalopoden 
hinzukommen,  ja  bei  dem  Vorwiegen  dieser  Tiergruppe  im  Jura,  zu- 
mal der  Ammoniten  und  Belemniten,  die  Sache  hauptsächlich  in 
diesen  und  zwar  in  deren  Wohnkammern  zur  Erscheinung  kommt. 
Ganz  natürlicherweise :  stirbt  ein  derartiges  Tier ,  so  sinkt  seine 
Schale  auf  den  Meeresboden;  das  Fleisch  und  sämtliche  Weichteile 
verfaulen,  die  Ligamente  der  Schliessmuskeln  lösen  sich,  und  so 
klaffen  sofort  nach  dem  Tod  seines  Bewohners,  z.  B.  die  Schalen 
einer  Bivalve  auseinander,  und  dem  Schlamm  oder  Meersand  ist 
Thür  und  Thor  zum  Eindringen  geöffnet.  Liegt  solch  eine  auf- 
geklappte Muschelschale  in  der  Nähe  des  Ufers,  wo  das  Spiel  der 
Wellen  fortwährend  andere  Gehäuse  umherrollt,  so  werden  natürlich 
mit  dem  eindringenden  Sand  oder  Schlamm  auch  die  letzteren  mit 
in  den  Hohlraum  der  Muschel  spazieren,  und  das  Gehäuse  der 
letzteren  gewährt  in  der  That  die  günstigste  Gelegenheit  für  die 
Erhaltung  der  eingeschwemmten  Fremdkörper.  Es  ist  daher  kein 
Wunder,  dass  hier  oft  die  zartesten  Dinge,  wie  Cidaritenstacheln, 
papierdünne  Schälchen  von  Austern,  Phcateln  etc.  zum  Vorschein 
kommen,  die  uns  sicherhch  sonst  für  immer  verloren  gegangen  wären. 

Ganz  besonders  eigneten  sich  für  Konservierung  solchen  Klein- 
zeugs die  Wohnkammern  von  Cephalopoden,  die  oft  wahre  Fund- 
gruben für  fremde  Versteinerungen  bilden,  im  Jura  namentlich  die- 
jenigen des  Nautilus  und  der  Ammoniten.     Der  praktische  Sammler  • 


—    LIV     - 

lässt  daher,  zumal  an  Lokalitäten  und  in  Schichten,  wo  diese  Dinge 
gern  vorkommen,  nicht  leicht  eine  solche  Wohnkammer  unzerklopft; 
kann  er  doch  fast  sicher  darauf  rechnen,  dass  ihm  aus  diesem  Hohl- 
raum oft  ein  ganzes  Nest  von  seltenen  und  zierlichen  Petrefakten 
zufällt,  die  er  anderweitig  schwerlich  oder  überhaupt  nicht  bekommen 
hätte.  Je  grösser  aber  das  Cephalopodengehäuse ,  desto  mannig- 
faltiger ist  natürlich  auch  das  Heer  der  darin  begrabenen  Ver- 
steinerungen. 

Wir  erinnern  in  dieser  Beziehung  nur  an  die  Wolmkammern 
des  grossen  Ämmonites  penicillatus  Qu.  aus  dem  OjjaUnus-Thon 
(Braun- Jura  a),  der,  ein  echter  Lytoceras,  in  seinem  mächtigen 
Schlund  oft  eine  Unmasse  von  Petrefakten  beherbergt.  Man  sehe 
sich  in  dieser  Hinsicht  einmal  das  Stück  an,  das  Quenstedt  im 
Jura  (Taf.  43,  31)  abgebildet  hat,  und  das  man  in  ganz  ähnlicher 
Weise  immer  wieder  trifft.  Insbesondere  zartschalige  Schnecken  mit 
den  Flügelansätzen,  kleinere  Ammoniten  mit  Mundsaum  und  Ohren 
erhalten  (Ämm.  opalinus  Rein.)  ,  Rhynchonellen ,  die  sonst  in  dieser 
Schichte  für  Schwaben  eine  ungemeine  Seltenheit  sind,  und  anderes 
Zeug  klopft  man  meist  aus  solchen  zerschlagenen  Wohnkammern 
heraus.  Auch  der  Nautilus  eignete  sich  vortrefflich  hierzu,  ist  doch 
dessen  Wohnkammer  (man  betrachte  sich  den  lebenden  Naut.  pom- 
pilius  L.)  meist  von  sehr  bedeutender  Grösse,  so  dass  sie  also  einen 
stattlichen  Vorrat  von  kleineren  Schalen  in  sich  aufnehmen  kann. 
Aber  auch  grössere  Belemniten  sind  uns  schon  begegnet,  die  in  der 
letzten  „Schüssel"  der  Alveole,  d.  h.  also  ebenfalls  in  ihrer  Wohn- 
kammer, anderweitige  Versteinerungen  eingeschlossen  erhielten ;  wir 
werden  unten  ein  Beispiel  davon  näher  beschreiben. 

Neben  den  Cephalopodenwohnkammern ,  die  sich  wohl  meist 
bald  nach  ihrem  Versinken  auf  den  Boden  des  Meeres  mit  Sand 
oder  Schlamm  und  bei  dieser  Gelegenheit  auch  mit  fremden  Schalen 
anfüllten,  sind  es  hauptsächlich  die  Zweischaler,  bei  denen  derselbe 
Vorgang  eintrat  und  eintreten  musste,  aus  dem  vorhin  angegebenen 
Grund,  weil  diese  Muscheln  sofort  nach  dem  Absterben  des  Tiers 
aufklappen  und  daher  ebenfalls  mit  Sand  oder  Schlamm  auf  dem 
Grunde  des  Meeres  sich  anfüllen.  Gewisse  Arten  solcher  Zweischaler 
bleiben  allerdings,  insbesondere  unter  gewissen  Umständen  geschlossen; 
so  findet  man  nicht  nur  am  heutigen  Meeresufer  Exemplare  von 
Mactra,  Solen,  Cardlum  etc.  häufig  noch  mit  beiden  fest  verbun- 
denen Schalen  im  Sand,  sondern  auch  in  den  alten  Formationen,  und 
zwar   eben   im  Jura   haben  sich  z.  B.  die  Pholadomyen,    Trigonien, 


—     LV     - 

dann  Arten  aus  den  Gattungen  Ciicullaea^  Isoarca,  Venus,  Nucula  etc. 
meist  als  Doppelschalen  erhalten.  Dass  aber  auch  in  solchen  ge- 
schlossenen Muschelgehäusen  hin  und  wieder  Fremdkörper  stecken, 
darf  nicht  allzusehr  in  Erstaunen  setzen;  sind  ja  doch  auch  diese 
Schalen  stets  mit  Steinmasse,  d.  h.  mit  ursprünglichem  Meerschlamm 
ausgefüllt,  zum  deutlichen  Beweis,  dass  eine  kleine  Lücke  unter 
allen  Umständen  vorhanden  gewesen  sein  muss,  durch  welche  Sand 
und  Schlick,  also  eventuell  auch  kleine  Schälchen  zwischen  die 
Schalen  eingeführt  werden  konnten  und  eingeführt  worden  sind. 
Wir  geben  unten  auch  hiervon  ein  sehr  instruktives  und  eigentüm- 
lich sich  darstellendes  Beispiel. 

Am  wenigsten  günstig  für  Beherbergung  von  fremden  Körpern 
dürften  die  Brachiopodengehäuse  sein;  denn  diese  bleiben  auch  nach 
dem  Tod  ihrer  Bewohner,  soweit  uns  bekannt,  fast  hermetisch  ver- 
schlossen. Daher  findet  man  auch  häufig  den  Innenraum  der  Tere- 
brateln  und  Rhynchonellen  statt  mit  Steinmasse  vielmehr  mit  Kalk- 
spatkrystallen  austapeziert,  und  so  giebt  die  Natur  hier  selbst  Ge- 
legenheit, das  Armgerüste  blosszulegen.  Der  kohlensaure  Kalk  konnte 
im  Wasser  gelöst  natürlich  durch  die  Poren  der  Schale  eindringen 
und  setzte  sich  dann  in  Krystallform  an  der  Innenwand  wieder  ab. 
Unter  diesen  Umständen  sollte  man  es  fast  für  unmöglich  halten, 
dass  eine  fremde  Schale  in  den  Innenraum  eines  Brachiopoden  ge- 
langte ;  und  doch  haben  wir  auch  dies  schon  beobachtet  und  werden 
unten  ein  Beispiel  davon  bringen. 

Dieselbe  Schwierigkeit  bezüglich  der  Aufnahme  anderer  Schalen 
machen  auch,  so  sollte  man  meinen,  die  sogen.  Luftkammern  der 
Cephalopoden.  Dass  in  deren  Wohn kammern  leicht  solches  fremde 
Zeug  Eingang  findet,  ja,  dass  dieselben  recht  eigentlich  eine  Art 
Stapelplatz  dafür  bilden,  haben  wir  bereits  angeführt.  Natürlich 
auch ,  denn  sie  sind  ja  nach  aussen  offen  und  bilden  meist  weite 
und  mächtige  Hohlräume,  die  sich  rasch  mit  Schlamm,  Sand  und 
den  darin  begrabenen  Schalen  füllen.  Ganz  anders  jene  Luftkammern, 
die  gegen  die  Aussenwelt  vollständig  abgeschlossen  sind,  mit  Aus- 
nahme allerdings  der  Siphonaltute,  welche  sie  durchsetzt;  das  ist 
aber  eine  so  enge  Röhre,  dass  ein  fremder  Körper  von  auch  nur 
einigermassen  grösserem  Volumen  unmöglich  sich  durchschieben  kann. 
Nicht  einmal  Schlamm  scheint  eingedrungen ,  sondern  jener  Kanal 
jeweils  rasch  verstopft  worden  zu  sein ;  denn  gar  häufig  sind  die 
Wohnkammern  unserer  Ammoniten,  wie  wir's  vorhin  von  den  Brachio- 
poden angaben,  mit  Kalkspat,  Pyrit  —  und  sonstigen  Krystallen  aus- 


—     LVI     — 

tapeziert,  wogegen  die  Wohnkammern  —  ganz  naturgemäss  —  mit 
Steinmasse  erfüllt  sind.  Jene  krystallisierten  Substanzen  können  auch 
hier  nur  in  gelöstem  Zustand  durch  die  Poren  der  Schale  hindurch- 
gesickert sein.  Und  doch  kommt  es  vor ,  dass  auch  in  den  Luft- 
kammern unserer  Ammoniten  sich  hin  und  wieder  Petrefakten  finden. 
Möglich,  dass  die  Schale  seiner  Zeit  irgendwo  ein  Loch  bekommen 
hatte,  das  dann  das  Eindringen  von  Fremdkörpern  gestattete.  Jetzt 
haben  wir  es  ja  freilich  im  Jura  fast  nur  noch  mit  Steinkernen  zu 
thun ,  die  uns  nicht  mehr  verstatten ,  zu  sagen ,  wie  die  einstige 
Schale  ausgesehen  hat  oder  was  aus  ihr  geworden  ist. 

Wir  haben  oben  behauptet,  dass  Bivalven  und  Wohnkammern 
von  Cephalopoden  wohl  die  günstigste  Gelegenheit  darbieten  für  Auf- 
nahme von  fremden  Tieren  oder  Tierresten.  Die  Frage  wäre  nur 
die,  ob  diese  fremden  Tiere  noch  lebend  in  die  betreffenden  Hohl- 
räume gelangt,  oder  ob  erst  ihre  leeren  Gehäuse  durch  den  Wellen- 
schlag eingespült  worden  sind.  Manches  könnte  für  die  erste  An- 
nahme sprechen,  so  insbesondere  die  meist  vollständige  Erhaltung 
dieser  Schalen,  auch  deren  zartester  Teile,  z.  B.  Ohrenansätze  der 
Ammoniten  etc.  Auch  Analogien  mögen  hier  angeführt  werden,  d.  h. 
Vorkommnisse  aus  der  Jetztzeit  wie  aus  längst  vergangenen  Erd- 
perioden, die  zweifellos  darthun,  dass  unter  Umständen  ein  (lebendes) 
Tier  eine  leere  Schnecken-  oder  Muschelschale  zu  seiner  Herberge 
nimmt.  Man  denke  an  unsere  Einsiedlerkrebse ,  die  ganz  regel- 
mässig in  dem  Gehäuse  einer  Schnecke  sich  ihre  Wohnung  ein- 
richten ,  wobei  sie  den  weichen  Hinterleib  nur  dann  ans  Tageslicht 
bringen,  wenn  sie  genötigt  sind,  das  zu  klein  gewordene  Schnecken- 
haus mit  einem  grösseren  zu  vertauschen ,  im  übrigen  aber  zeit- 
lebens nur  Kopf  und  Scheren  aus  der  Mietwohnung  hervortreten 
lassen,  die  sie  sich  kostenlos  verschafft  haben.  Etwas  Ahnliches 
musste  es  zur  Triaszeit  unter  gewissen  Umständen  mit  manchen 
Ophiuren  gewesen  sein,  wenn  wir  daran  erinnern,  dass  z.  B.  die 
Äspidura  (Ophiura)  scutellata  Br.  in  dem  Muschelkalk  von  Crails- 
heim nie  anders  gefunden  wird,  als  auf  Steinkernen  der  31yophoria 
laevigata  Schl.  sitzend.  Dr.  Eb.  Fraas  hat  (Neues  Jahrbuch  für 
Min.  etc.  1888,  Bd.  I  S.  171  u.  172)  über  dieses  eigenartige  Vor- 
kommen und  den  auch  anderweitig  höchst  interessanten  Erhaltungs- 
zustand jener  Ophiurenreste  ausführlich  berichtet,  und  ich  stimme 
völlig  mit  ihm  überein  (cf.  diese  Jahreshefte,  51.  Jahrg.  1895, 
S.  LXXXIII)  in  der  Annahme,  dass  der  lebende  Schlangenstern  der- 
einst in  dem  leeren  Gehäuse    des  Zweischalers  seine  Wohnung  auf- 


-     LVII     — 

geschlagen  hatte,  sei's,  um  darin  Schutz  gegen  Feinde  und  die  Un- 
bilden der  Wogen  zu  suchen,  sei's,  weil  ihm  die  Natur  hier  über- 
haupt einen  bequemen  Unterschlupf  sozusagen  vor  die  Nase  ge- 
führt hatte.  Möglich  wäre  es  freilich  auch  immerhin,  dass  das  noch 
lebende  Muscheltier  oder  wenigstens  dessen  fleischige  Masse  nach 
dem  Tode  desselben  von  der  Ophiure  als  leckerer  Bissen  ausgesaugt 
und  aufgefressen  worden  wäre,  wofür  dann  jene  in  gerechter  Nemesis 
damit  gebüsst  hätte,  dass  sie  nach  gehaltener  Mahlzeit  in  ihrer 
schnöde  eroberten  Wohnung  von  eindringendem  Schlamm  erstickt 
und  so  ihr  Skelett  uns  bis  heute  erhalten  wurde.  Keinenfalls  kann 
man  hier  von  Symbiose  reden,  denn  es  handelt  sich  ja  nicht  um 
zwei  Tiere,  die  während  des  Lebens  in  irgendwelcher  Gemeinschaft 
miteinander  standen.  Ebensowenig  ist  dies  natürlich  der  Fall  bei 
denjenigen  Tieren ,  deren  Schalen  wir  etwa  in  Ammonitenkammern 
finden.  Denn  selbst  angenommen,  dieselben  hätten  noch  lebend  in 
diesen  Kammern  gewohnt  und  sie  als  bequeme  Herberge  benützt, 
wie  jene  Ophiuren  des  Muschelkalks  oder  wie  unsere  heutigen  Ein- 
siedlerkrebse, so  war  doch  jedenfalls  das  Ammonitentier  längst  tot, 
und  sein  leeres  Gehäuse  auf  den  Grund  des  Meeres  gesunken ,  als 
jene  andern  Schaltiere  sich  häuslich  darin  niederliessen.  Im  übrigen 
glauben  wir  es  nicht,  oder  lassen  es  höchstens  für  Ausnahmefälle 
gelten,  dass  die  Tiere,  deren  Schalen  wir  jetzt  in  den  Cephalopoden- 
wohnkammern  treffen,  lebend  und  freiwiUig  hineingeschlüpft  sind, 
hegen  vielmehr  die  feste  Überzeugung,  dass  es  sich  dabei  um  einen 
rein  mechanischen  und  zufälligen  Vorgang  handelt,  sofern  die  Wellen 
mit  dem  Sand  und  Schlamm ,  den  sie  in  die  leeren  Räume  der 
Muschel-  und  Schneckenschalen  einführten,  gleichzeitig  auch  die 
darin  begrabenen,  also  ebenfalls  längst  gestorbenen  anderweitigen 
Tiere,  beziehungsweise  deren  Gehäuse  mitbrachten.  Es  scheint  diese 
Annahme  auch  dadurch  bestätigt  zu  werden,  dass  wir  zumal  in  den 
Wohnkammern  grosser  Ammoniten  neben  manchen  allerdings,  wie 
schon  erwähnt,  tadellos  erhaltenen  Schalen  auch  wieder  eine  Menge 
Trümmer  und  Bruchstücke  von  solchen  zu  sehen  bekommen,  wie 
es  eben  der  Wellenschlag  an  einem  Seestrand  zusammen  zu  bringen 
pflegt.  Immerhin  soll  nicht  geleugnet  werden,  dass  dann  und  wann 
auch  in  unsern  Fällen  das  faulende  Fleisch  eines  gestorbenen  und 
auf  den  Boden  des  Wassers  gesunkenen  Nautilus  oder  Ammoniten 
eine  Masse  kleineren  Tierzeugs  zu  leckerem  Schmauss  angelockt 
hat;  denn  „wo  ein  Aas  ist,  da  sammeln  sich  die  Raben "^ ,  und  die 
Fleischmasse  eines  Penicillaten  dürfte  immerhin  gross  genug  gewesen 


—     LVIII     — 

sein,  um  Hunderten  von  Schneckchen  Nahrung  auf  Wochen  hinein 
zu  verschaffen  ^ 

Ein  Beispiel  dieser  Art  führt  auch  Qüenstedt  an,  und  hier 
wenigstens  scheint  an  der  Richtigkeit  solcher  Deutung  kaum  zu 
zweifeln  sein.  Es  sind  dies  die  kleinen  Amm.  ceratophagus  Qu., 
deren  Schälchen  meist  in  ungeheurer  Menge  in  den  „Mumien"  des 
Posidonienschiefers  begraben  liegen,  d.  h.  in  jenen  Geoden,  die  gern 
Knochen  von  Sauriern,  Fischen  etc.  enthalten.  Qüenstedt  hält  diese 
kleinen  Ammonitenschalen,  die  er  unter  dem  eben  angeführten  Namen 
im  Jura  beschreibt  und  abbildet  (Jura  Taf.  36 ,  7) ,  für  Brut  von 
Amm.  fimhriatus  Sow. ,  wie  er  auch  gewisse  eigentümliche  Ringe, 
die  manchmal  auf  der  feinblättrigen  Schale  gerade  von  Amm.  fim- 
hriatus sitzen  (Jura  Taf.  36,  4  u.  6),  für  Knorpelringe  von  Cephalo- 
poden  hält,  die  von  jenen  Ammoniten  verspeist  und  deren  unver- 
dauliche Reste,  was  eben  solche  Knorpel  waren,  wieder  ausgeworfen 
worden,  und  so  auf  die  Schale  gelangt  seien.  „Die  faulenden  Stoffe 
mögen  dem  Tierchen  zur  Nahrung  gedient  haben,"  lesen  wir  bei 
der  näheren  Beschreibung  jenes  Amm.  ceratophagns  im  Text  (Jura 
S.  254),  und  etwas  Ahnliches  mag  es  mit  kleinen  Gasteropoden  sein, 
wenn  wir  dieselben  manchmal  haufenweise  beisammentreffen,  wie 
z.  B.  Euom2)halus  minutus  Ziet.  (Quenst.  ,  Jura  Taf.  43 ,  28) ,  den 
wir  bis  jetzt  immer  in  der  Torulosus-Schichte  des  unteren  Braun- 
Jura  a  und  zwar  meist  nesterweise  gefunden  haben  (vgl.  Qüenst., 
Jura  S.  316,  wo  es  nur  heisst,  das  Schneckchen  „scheine"  dem 
Braunen  Jura,  beziehungsweise  dessen  untersten  Bänken  anzugehören). 
Auch  an  den  merkwürdigen  „Schneckenstinkstein"  sei  hier 
erinnert,  der  hauptsächlich  im  fränkischen  Jura,  aber  auch  in 
Schwaben  vorkommt  (Qüenst.,  Jura  S.  262  Taf.  37,  10),  und  zwar 
stets  in  denjenigen  Schichten  des  Posidonienschiefers,  die  besonders 
reich  sind  an  Fisch-  und  Saurierresten,  an  Exemplaren  grosser 
Ammoniten,  Tintenfische  u.  dgl.  Dürfte  nicht  auch  hier  an  ähnliche 
Ursachen  zu  denken  sein,  die  das  Zusammenströmen  solch  massen- 
haften tierischen  Kleinzeugs  veranlasst  hätten?  Immerhin  geben,  wie 
uns  scheint,  derartige  Vorkommnisse  einen  Fingerzeig  dafür,  wie  wir 
es  uns  zu  erklären  haben,  wenn  wir  manchmal  in  unseren  Schichten 
einzelne  Versteinerungen  nester-  und  haufenweise  beieinander  treffen. 
Sicher  handelt  es  sich  hier  nicht  immer  um  Zusammenschwemmung  und 
um  rein  äusserliche  und  zufällige  Faktoren,  wenn  wir  auch  zugeben, 

^  Vorausgesetzt,  dass  die  Schnecken  sich  von  Fleisch  genährt  hätten. 
Anm.  d.  Ked. 


-     LIX    — 

dass  für  gewöhnlich  zutreffen  wh-d,  was  wh*  oben  über  die  Ein- 
führung von  Fremdkörpern  in  Muschelschalen  sagten,  dass  nämlich 
dabei  meist  an  ein  mechanisches  Eingeschwemmtsein  zu  denken  sei. 
Anders  ist  dies  natürlich  bei  den  verschiedenen  Arten  von 
Bohrern  (Bohrrauscheln,  Bohrwürmern  etc.),  die  ihre  Löcher  keines- 
wegs bloss  in  Holz  oder  Stein,  sondern  sehr  häufig  auch  in  Schalen 
von  Schnecken  und  Muscheln,  in  Korallenstöcke  etc.  eingraben. 
Schon  im  unteren  Lias  finden  wir  solche  Dinge,  wenn  auch  hier  die 
Löcher  fast  immer  in  Geoden  und  Kalkknollen  liegen  (Fistulana 
nannte  sie  Quenstedt,  Jura  Taf.  12,  12).  Ganz  besonders  häufig 
erscheinen  sie  dann  wieder  im  mittleren  Braun- Jura,  wo  die  dicken 
Schalen  der  dortigen  Austern  (Ostrea  cristagalU  Schl.  ,  eduUformis 
ScHL.  und  pediniformis  Schl.),  sowie  die  mächtigen  Kegel  des  Belem- 
nites  giganteus  Qu.  oft  ganz  von  dem  kleinen  Litlioäomus  pygmaeus 
Qu.  (Jura  S.  430  Taf.  59,  6)  durchlöchert,  auch  die  etwas  tiefer 
vorkommenden  Korallenstöcke  (von  Zollern,  Attenhofen)  manchmal 
mit  Schneckchen,  Seeigelresten,  Brachiopoden  durchspickt  sind.  End- 
lich trifft  man  solche  Dinge  in  dem  Hauptkorallenhorizont  unseres 
schwäbischen  Jura,  in  den  Nattheimer  Schichten  des  weissen  Jura  £, 
die  ebenfalls  eine  Lithodomus-kvt  {Lithodomus  siliceus  Qu.)  gar  nicht 
selten  in  ihrem  Schosse  bergen.  Quenstedt  (Jura  S.  759  Taf.  93, 
2  und  3)  scheint  zwar  einen  Unterschied  zwischen  den  grösseren 
(Fig.  3)  und  kleineren  Exemplaren  (Fig.  2)  insofern  machen  zu  wollen, 
als  er  andeutet,  nur  die  letzteren  haben  Korallenstöcke  angebohrt, 
die  ersteren  finden  sich  dagegen  in  gewöhnlichem  Kalkgestein.  Wir 
möchten  nicht  so  scharf  trennen ;  haben  wir  doch  Exemplare  ganz 
von  Form  und  Grösse  des  Taf.  93,  3  abgebildeten  gar  nicht  selten 
in  Korallen  gefunden ;  ja  es  wollte  uns  scheinen,  als  ob  diese  Bohrer 
damals  sogar  ausschliesslich  Korallenstöcke  als  Grundlage  ihrer  Be- 
hausung benützt  hätten.  Natürlich  ist  auch  hier  überall  nicht  von 
symbiotischen  Verhältnissen  zu  reden ,  sondern  die  Bohrmuscheln 
haben  benützt,  was  sie  gerade  vorfanden,  und  in  Ermangelung  von 
gewöhnlichen  Steinen  waren  ihnen  dann  Muscheln ,  Korallenstöcke 
u.  dergl.  ein  durchaus  willkommener  Ersatz.  Anderseits  darf  man 
aber  hier  auch  nicht  an  zufällige  Einführung  denken ;  denn  die  Tiere 
haben  ja  in  den  von  ihnen  gebohrten  Löchern  gelebt,  allerdings 
nachdem  die  angebohrte  Muschel  längst  zu  Grunde  gegangen  und 
ihr  Gehäuse  auf  den  Meeresboden  gesunken  war.  Im  übrigen  kommt 
es  ja  noch  heute  vor,  dass  dicke  Muschelschalen  noch  zu  Lebzeiten 
der  darin  steckenden  Muschel  von  Schmarotzern  aller  Art  angefressen 


-     LX     - 

oder  als  Unterlage  benützt  werden,  wie  ebenso  die  Korallenriffe  un- 
zähligem Tierzeug  zum  Aufenthaltsort  dienen,  auch  wenn  die  Korallen 
an  der  Oberfläche  der  Stöcke  noch  lustig  leben  und  weiterbauen. 
AVenn  wir  darum  in  unseren  fossilen  Korallengebilden  ähnliches  finden, 
brauchen  wir  uns  in  keiner  Weise  darüber  aufzuhalten.  Nur  können 
wir  hier  nicht  im  eigentlichen  Sinn  des  Wortes  von  „Petrefakten  in 
Petrefakten"  reden,  weil  diese  Bohrer  lebend  ihre  Herbergen  bezogen 
und  die  Erbauer  der  letzteren  teilweise  vielleicht  auch  noch  lebten, 
als  dies  geschah. 

Mit  unserem  Gegenstand  stehen  also  die  letztgenannten  Vor- 
kommnisse nur  in  entfernter  Beziehung;  denn  wir  wollten  ja  doch 
jiur  von  solchen  Versteinerungen  reden ,  die  im  Innenraum  anderer 
Versteinerungen  sich  finden.  Und  dabei  möchten  wir  namentlich 
noch  auf  die  Wohnkammern  eines  grossen  Ammoniten  aus  dem 
Braunen  Jura  s  hinweisen ,  welche  ganz  ähnlich  wie  diejenigen  des 
Amm.  penicillatus  oft  eine  Menge  kleinen  Tierzeugs  „im  Maul"  haben. 
Es  ist  Amm.  laeviplex,  wie  ihn  Quenstedt  (Jura  S.  481)  genannt 
hat,  dessen  glatte  Schalenbruchstücke  (von  der  Wohnkammer)  sich 
besonders  häufig  in  der  Reutlinger  Gegend  (Eningen,  Neuffen,  Beuren) 
einstellen.  Merkwürdig  ist  dabei  jedenfalls,  dass  eine  sonst  sehr 
seltene  Terebratel  {Pihynchonella  Eningensis  Qu.,  Jura  Taf.  66,  33) 
besonders  gern  in  der  Wohnkammer  dieses  Ammoniten  steckt.  Ja, 
ein  vertrauenswerter  Sammler  hat  mir  seiner  Zeit  mitgeteilt,  dass 
er  dieselbe  sogar  nur  „im  Maul"  des  Amm.  laeviplex  gefunden  habe, 
während  Quenstedt  (Jura  S.  497)  allerdings  bloss  von  der  Schichte 
des  Amm.  laeviplex  redet,  wo  sie  in  „harten  Kalkmergeln"  liege. 
Sei  dem ,  wie  ihm  wolle ,  so  viel  mag  jedenfalls  der  praktische 
Sammler  sich  merken,  dass  er  in  Schichten,  wo  auf  derartige  Dinge 
zu  rechnen  ist,  die  Wohnkammern  grosser  Cephalopoden  nicht  un- 
zerschlagen  lassen  soll ,  da  dieselben  vielfach  Fundgruben  für  eine 
Menge  schöner,  oft  seltener  und  nur  auf  diese  Weise  zu  bekommender 
Petrefakten  sind.  Es  geht  hier  dem  Palaeontologen  ähnlich  wie  dem 
Malakozoologen,  der,  um  seltene  Schnecken  und  Muscheln  zu  be- 
kommen, gerne  die  Gehäuse  der  Phryganidenlarven  sammelt ;  haben 
doch  diese  Tiere  oft  die  seltensten  Schalen ,  die  der  Mensch  gar 
nicht  finden  würde ,  zusammengetragen  und  zu  einem  Panzerkleid 
um  ihren  weichen  Leib  herumgelegt,  das  zum  zierlichsten  gehört, 
was  man  sehen  kann.  Und,  wie  gesagt,  manches  Unikum  von 
Schneckchen  und  Müschelchen  ist  auf  diese  Weise  und  mit  Hilfe 
dieser  Phryganiden  schon  in  unsere  Sammlungen  gekommen. 


—     LXI    — 

Nun  aber  möchten  wir  zum  Schluss  noch  ein  paar  Stücke  zur 
Anschauung  und  Besprechung  bringen,  die  durch  die  eigentümliche 
Art,  in  welcher  hier  „Petrefakten  in  Petrefakten"  stecken,  immerhin 
ein  besonderes  Interesse  erregen.     Wir  legen  zunächst 

1.  den  Steinkern  einer  Grypliaca  arcuata  Lam.  vor,  in  dessen 
Innerem  ein  kleiner  Peden  glaber  Ziet.  steckt,  der  beim  zufälligen 
Zerschlagen  des  Stückes  zum  Vorschein  kam.  Das  Exemplar  stammt 
aus  dem  Lias  a  (Arietenkalk)  der  Gmünder  Gegend;  die  Erklärung 
der  Sache  macht  natürlich  nicht  die  geringste  Schwierigkeit.  Wir 
werden  hier  einfach  anzunehmen  haben,  dass  mit  dem  Schlamm,  der 
in  die  geöffnete  oder  ihres  Deckels  beraubte  Bivalve  eindrang,  auch 
die  zuvor  schon  darin  begrabene  Pecfew-Schale  in  jene  eingeführt 
wurde.     Etwas  grössere  Schwierigkeit  bereitet  das  Stück 

2.  einer  Isoarca  striatissima  Gold  f.,  die  im  Innern  eine  tadel- 
los erhaltene,  ganz  von  Kalkspat  durchdrungene  Terebratel  {JRliyn- 
chonella  lacunosa  Qu.)  birgt.  Wie  soll  diese  letztere  an  ihren  gegen- 
wärtigen Platz  gekommen  sein,  da  doch  die  betreffende  Bivalve  hier 
wie  fast  immer,  wo  sie  vorkommt,  mit  geschlossenen  Schalen  er- 
scheint? Nun,  da  der  Innenraum  jetzt  mit  Steinmasse  ausgefüllt 
ist,  so  muss  also  dereinst  auch  dieser  Meerschlamm  Gelegenheit  ge- 
habt haben,  zwischen  die  Schalen  einzudringen ;  und  da  wir  es  bei 
dem  betreffenden  Exemplar  lediglich  mit  einem  Steinkern  zu  thun 
haben,  so  kann  ja  überhaupt  nichts  Bestimmtes  über  den  seiner- 
zeitigen Zustand  der  Schalen  ausgesagt  werden.  Möglich,  dass  die- 
selben, nachdem  sie  auf  den  Meeresboden  gesunken  waren,  ein  Loch 
bekamen,  durch  das  dann  Schlamm  und  Terebratel  leicht  ins  Innere 
gelangen  konnte.  Das  Stück  stammt  aus  einem  Schwammstotzen 
des  Weissen  Jura  ß  von  der  langen  Steige  am  Mösselberg  und  nimmt 
sich  allerdings  höchst  seltsam  aus.     Viel  einfacher  erscheint 

3.  eine  kleine  Äst  arte  depressa  Goldf.  (Quenstedt,  Jura 
Taf.  67,  33)  aus  dem  Braunen  Jura  s  von  Bell,  die  in  einer  anderen 
Versteinerung  eingeschlossen  ist.  Ob  diese  letztere  das  Bruchstück 
eines  Ammoniten  oder  einer  Bivalve  {Pholadomya  oder  Trigonia) 
darstellt,  dürfte  schwer  zu  entscheiden  sein.  Die  Frage,  wie  das 
Müschelchen  in  diesen  Innenraum  gekommen  sei,  findet  aber  sehr 
leicht  ihre  Beantwortung  in  der  oben  angegebenen  Weise :  der 
Schlamm,  der  jetzt  als  Steinmasse  das  Ganze  erfüllt,  hat  die  Astarte 
in  sich  geborgen ,  und  so  wurde  diese  mit  jenem  in  den  Hohlraum 
geführt.     Ebenso  muss  es  bei  der 

4.  Terebratula  hisuffarcinata  Schloth.    aus  Weiss-Jura  / 


-     LXII     — 

vom  Stuifen  gegangen  sein,  die  in  ihrem  Innern  einen  reizenden 
kleinen  Zweischaler  beherbergt.  Es  wird  wohl  eine  Plicatula  sein, 
wie  sie  Qüenstedt  (Jura  Taf.  78,  5)  abbildet;  doch  könnte  man  dabei 
auch  an  den  bekannten  und  nicht  seltenen  Spondylus  pygmaeus  Qu. 
denken  (Jura  Taf.  81,  88 — 90).  Da  indes  letzterer  fast  immer  auf 
anderen  Schalen  aufsitzt,  heissen  wir  das  Ding,  das  jedenfalls  isoliert 
im  Schlamm  gesteckt  haben  muss,  eher  Plicatula.  Für  unseren  Zweck 
ist's  ja  freilich  gleichgültig,  da  es  sich  hier  lediglich  um  die  Frage 
handelt,  wie  dieser  fremde  Gegenstand  in  eine  vollkommen  ge- 
schlossene Brachiopodenschale  gekommen  sein  soll.  Allein  die  Schale 
der  Terebratel  fehlt  eben  auch  hier ;  wir  haben  lediglich  den  Steinkern 
vor  uns,  und  so  nehmen  wir  eben  wieder  an,  die  Schale  sei  auf  irgend 
eine  Weise  verletzt  worden  und  durch  dieses  Loch  kam  dann  der 
Schlamm  und  das  darin  versteckte  Müschelchen  ins  Innere  der  Tere- 
bratel.    Wir  legen   als   letztes  und   vielleicht   interessantestes  Stück 

5.  die  Alveole  eines  grösseren  Belemniten  aus  Braun-Jura  a 
vor,  in  dessen  Innerm  ein  tadelloser  Ämm.  opalinus  Rein,  steckt. 
Das  Stück  stammt  aus  der  Krumm  von  Ottenbach  und  scheint  immer- 
hin einiges  Kopfzerbrechen  zu  bereiten.  Indes  ist  auch  hier  die  Er- 
klärung wohl  nicht  schwer;  handelt  es  sich  doch  offenbar  um  die 
Wohnkammer  der  Cephalopoden ,  die  ja  offen  war  und  also  leicht 
mit  Sand  oder  Schlamm  sich  anfüllen  konnte.  In  demselben  lag 
nun  neben  kleineren  Muscheln,  deren  weisse  Schalenfragmente  eben- 
falls mit  begraben  sind,  das  Exemplar  eines  Ämm.  opalinus,  das  dann 
den  Hohlraum  des  letzten  „Schüsselchens"  der  Alveole  gerade  aus- 
füllte. Dass  hier  wie  in  all  den  genannten  Fällen  die  Sache  ledig- 
lich durch  zufälliges  Zerschlagen  der  Stücke  für  uns  zum  Vorschein 
kam,  brauchen  wir  wohl  kaum  erst  beizufügen. 

Auch  das  ist  nicht  nötig  zu  sagen,  dass  es  sich  bei  diesem 
Gegenstand  eigentlich  mehr  nur  um  Curiosa  handelt,  die  kaum  einer 
längeren  Erörterung  wert  sind.  Und  doch,  wenn  die  heutige  Wissen- 
schaft auch  mit  Recht  die  einst  so  hoch  ge werteten  „Naturspiele" 
vergangener  Jahrhunderte  mehr  oder  weniger  bei  Seite  geschafft  hat : 
wir  meinen,  nicht  bloss  Raritätensammler,  sondern  auch  wissenschaft- 
lich geschulte  Palaeontologen  dürften  solchen  „Specialibus"  ein  biss- 
chen Aufmerksamkeit  schenken ;  wird  doch  dadurch  auf  manche  Ge- 
biete der  Vorzeit  ein  Licht  geworfen,  die  uns  der  Natur  der  Sache 
nach  meist  gänzlich  verschlossen  sind.  Darauf  die  Augen  der  Fach- 
genossen zu  lenken,  ist  der  Zweck  dieser  Zeilen. 


Sitzungsberichte. 


Wissenschaftliche  Abende  des  Vereins  in  Stuttgart. 

Sitzung  vom   14.  Oktober   1897. 

Der  erste  Abend  nach  Verlauf  des  Sommers ,  welcher  sich  eines 
sehr  starken  Besuches  erfreute ,  wurde  eröffnet  von  dem  seitherigen 
Vorsitzenden,  Sanitätsrat  Dr.  Steudel,  Die  darauf  erfolgende  Wahl 
ergab  für  den  laufenden  Winter  als  ersten  Vorsitzenden  den  seitherigen 
Stellvertreter,  Prof.  Dr.  Fr  aas,  als  zweiten  Vorsitzenden  Prof.  Dr. 
V.  Branco-Hohenheim,  während  das  Amt  des  Schriftführers,  wie  seit 
vielen  Jahren,  wieder  Prof.  Dr.  Lampert  übernahm.  Den  ersten  Vor- 
trag hielt  Prof.  Dr.  Lampert  über  das  Thema:  Wassertiere  im 
Winter.  Erst  seit  ungefähr  einem  Jahrzehnt  werden  über  diese  Frage 
exakte  Untersuchungen  in  grösserem  Massstab  angestellt,  und  es  zeigt 
sich,  dass  auch  heute  noch  sehr  viel  in  dieser  Richtung  zu  thun  ist. 
Redner  hat  bei  seinem  Vortrage  besonders  die  Tierwelt  der  kleineren 
Seen,  Teiche  und  Tümpel  im  Auge,  während  bei  Flüssen  und  Bächen, 
wie  bei  grossen  Seen  infolge  der  Bewegung  des  Wassers  resp.  der 
grossen  Tiefe  die  Verhältnisse  anders  liegen.  —  Von  den  Wirbeltieren 
bringen  ausser  den  Fischen  nur  noch  einige  Arten  Frösche  und  Kröten 
den  Winter  im  Wasser  zu,  während  andere  Kröten  und  die  Molche  sich 
zum  Winterschlaf  auf  das  Land  begeben.  Von  den  Fröschen  und 
Fischen  wird  oft  behauptet,  dass  sie  völlig  ein-,  ja  durchfrieren  können 
und  doch  beim  Auftauen  des  Eises  wieder  zu  vollem  Leben  erwachen. 
Nach  genauen  Untersuchungen,  besonders  v.  Koch's,  ist  dies  nicht 
richtig.  Bei  Durchfrieren  tritt  stets  der  Tod  ein.  Jedoch  sind  in  der 
Natur  diese  Tiere  auch  in  nur  massig  tiefen  Tümpeln  von  etwa  1  m 
Tiefe  geschützt,  besonders  wenn  der  Boden  schlammig  ist.  In  tieferen 
Tümpeln  hat  bekanntlich  das  Wasser  am  Grunde  etwa  +  4  *'  C,  bei 
welcher  Temperatur  es  seine  grösste  Dichtigkeit  besitzt.  Sinkt  bei  ge- 
ringerer Tiefe  die  Wassertemperatur  bis  auf  etwa  0  "^  C,  so  tritt  die 
sogenannte  Kältestarre  ein,  ein  dem  Winterschlaf  der  Säugetiere  ähn- 
licher lethargischer  Zustand,  der  bei  völlig  herabgesetzter  Lebensthätig- 
keit  ohne  Schädigung  des  Tieres  wochenlang  dauern  kann.  Frösche  und 
viele  Fische,  besonders  die  karpfenähnlichen,  graben  sich  im  Schlamm 
ein.  Eine  grosse  Gefahr  für  Fische  kann  das  völlige  Ausfrieren  der 
Weiher  bringen,    ebenso  bei  Zufrieren  der  Weiher  eintretender  Sauer- 


—     LXIV     — 

Stoffmangel.  Die  grosse  Schar  der  wirbellosen  Tiere  des  Wassers,  die 
sogenannte  Mikrofauna ,  verhält  sich  im  Winter  verschieden.  Eine 
Vergleichung  unserer  im  Sommer  und  im  Winter  erlaugten  Ausbeute 
zeigt ,  dass  im  Winter  manche  grössere  Gruppen  in  den  kleineren 
stehenden  Gewässern  völlig  fehlen,  so  die  Moostiere,  die  Schwämme, 
zahlreiche  Wasserflöhe,  der  Süsswasserpolyp ;  dagegen  finden  sich  auch 
im  Winter  Insekten,  Insektenlarven,  Mollusken,  Würmer,  mehrere  Gat- 
tungen kleiner  Kruster  und  andere  niedere  Tiere.  Bei  vielen  bewirkt 
die  Winterkälte  ebenfalls  einen  winterschlafähnlichen  Zustand  und  wir 
wissen  z.  B.,  dass  die  Teichschnecke  erst  bei  +  12  °  C.  wächst.  Wie 
sich  in  dieser  Beziehung  die  einzelnen  Arten  verhalten,  welches  für  sie 
die  kritische  Temperatur  ist,  müssen  erst  noch  Detailuntersuchungen 
lehren.  Andere  niedere  Wassertiere  sind  mit  der  Fähigkeit  ausgerüstet,^ 
auch  dem  Nullpunkt  nahestehende  Wassertemperatur  zu  ertragen;  so 
finden  wir  unter  dem  Eis  oft  in  grosser  Anzahl  die  kleinen  Hüpferlinge, 
die  vielfach  sogar  Eiersäckchen  tragen  und  auch  in  anderen  Ordnungen, 
so  z.  B.  bei  den  Muschelkrebsen  und  den  Milben,  kennen  wir  einzelne 
Arten,  die  so  kälteliebend  sind,  dass  sie  sich  nur  im  ersten  Frühjahr 
im  Schnee-  und  Eiswasser  finden ,  um  dann  wieder  zu  verschwinden. 
Bei  den  oben  erwähnten ,  im  Winter  fehlenden  Tieren  findet  sich  die 
Einrichtung,  dass  durch  sogenannte  Dauerkeime  für  die  Erhaltung  der 
Art  gesorgt  ist,  wenn  auch  das  Individuum  selbst  zu  Grunde  geht. 
Redner  bespricht  diese  bei  den  einzelnen  Ordnungen  mit  verschiedenen 
Namen  belegten  Dauerkeime  näher  bei  den  Moostieren,  bei  den  Schwäm- 
men und  bei  den  Wintereier  bildenden  Wasserflöhen.  Bei  den  Schwämmen 
kann  das  Fasergerüst  der  Stöcke  im  Winter  erhalten  bleiben  und  die 
im  Winter  zu  sogenanntem  Gemmulae  zerfallene  Masse  keimt  im  Früh- 
jahr neu  aus;  ähnlich  encystieren  sich  auch  viele  andere  Tiere.  Zur 
Erklärung  des  Vortrags  dienten  zahlreiche  mikroskopische  Präparate 
von  Dauerkeimen  und  Abbildungen  derselben.  An  der  sich  anschlies- 
senden Erörterung  beteiligten  sich  Prof.  Dr,  SiEGLiN-Hohenheim ,  Dr. 
VossELEE  und  Prof.  Dr.  Klunzingee. 

Als  zweiter  Redner  des  Abends  sprach  Prof.  Dr.  Fraas  über 
einige  interessante  Verwitterungserscheinungen.  Nach 
einigen  einleitenden  Worten  über  die  Verwitterungserscheinungen  im 
allgemeinen,  diese  hauptsächliche  Triebfeder  im  steten  Stoffwechsel  der 
Natur ,  ging  der  Redner  auf  einige  specielle  Fälle  über ,  zu  denen  er 
ein  reichhaltiges  und  sorgfältig  ausgewähltes ,  sehr  charakteristisches 
Demonstrationsmaterial  vorlegte.  Die  ruhige ,  auflösende  Kraft  des 
Regenwassers  führt  zur  Bildung  von  Rinnen  und  Runsen.  Besonders 
ist  es  das  Wasser  in  Form  von  Schnee,  welches  in  grossem  Massstab 
Verwitterungen  und  Formveränderungen  des  Gesteines  herbeiführt,  wie 
uns  dies  die  Schratten  oder  Karren  in  den  Alpen  zeigen.  In  festem 
Gestein  sind  hier  tiefe  Rinnen  gegraben  und  dass  es  nicht  die  Kraft 
des  fliessenden  Wassers  ist,  beweist  die  Schrattenbildung  auf  horizon- 
talen Schichten.  Die  Einwirkung  von  Tieren  auf  die  Gesteine  wurde 
an  den  bekannten  Furchensteinen  vom  Bodensee  und  an  solchen,  die 
Redner  am  Strand  von  Miramare  bei  Triest  gesammelt  hatte,   erläutert; 


-     LXY     — 

im  Süsswasser  sind  es  besonders  Insektenlarven,  die  in  den  Kalkalgen- 
überzug der  Gesteine  Gänge  graben ,  wodurch  das  auflösende  Wasser 
Zutritt  zu  der  Oberfläche  des  Gesteins  bekommt  und  hier  Furchen 
gräbt;  im  Meer  arbeiten  Bohrmuscheln,  Bohrschwämme  und  andere 
Organismen  an  der  Zernagung  der  Gesteine.  Dass  auch  die  Pflanzen- 
wurzeln eine  auflösende  Kraft  auf  die  Gesteine  ausüben,  zeigte  Material 
aus  den  Neckarschottern  bei  Rottenburg.  Ausserlich  ganz  ähnliche 
Gestalt  nehmen  die  Kiesel  der  Küste  an,  auf  welchen  das  Sandgebläse 
und  das  Abrieseln  des  Quarzsandes  nicht  nur  eine  merkwürdige  Glättung, 
sondern  auch  tief  eingegrabene  Rinnen  und  Furchen  hervorbringt.  Mit 
scharfem  Blick  hatte  der  Redner  auf  seiner  Reise  in  der  ägyptischen 
Wüste  typisches  Material  für  diese  eigenartigen  Wirkungen  von  Wind 
und  Sand  gesammelt.  Ganz  ähnliche  Erscheinungen  lassen  sich  auch 
vielfach  an  den  Kiesen  unserer  älteren  Diluvialablagerungen  beobachten, 
und  der  Vortragende  zieht  daraus  den  Schluss ,  dass  in  den  Inter- 
glacialperioden  ein  Steppen-  respektive  Wüstenklima  bei  uns  geherrscht 
habe,  wie  dies  auch  durch  die  Funde  der  Fauna  erwiesen  ist,  und  dass 
in  jener  Zeit  der  durch  die  Luft  wirbelnde  Staub  —  unser  heutiger  Löss 
und  Lehm  —  jene  merkwürdigen  Glättungen  der  Kiese  bewirkt  habe. 
Durch  jähen  Temperaturwechsel,  starke  Insolation  nach  kühler  Nacht, 
kann  sogar  unter  hörbarem  Ton  ein  Abspringen  kleinerer  Gesteinsstücke 
erfolgen ;  das  viel  verherrlichte  Klingen  der  Memnonssäule  bei  Tages- 
anbruch wird  hierauf  zurückgeführt,  und  Redner  konnte  eine  Kalkplatte 
von  Solnhofen  mit  herausgesprungenem  Stück  vorzeigen ,  wofür  er  die 
gleiche  Erklärung  annimmt.  Anschliessend  gab  Dr.  Vosseier  noch  nähere 
Mitteilung  über  den  Fundort  einiger  von  ihm  in  der  algerischen  Wüste 
gefundenen  Gesteine,   die  Spuren  der  Sandwirkung  zeigen. 


Sitzung  vom    11.  November   1897. 

Bei  Beginn  des  Abends  erfüllte  der  Vorsitzende,  Prof.  E.  Fr  aas, 
zunächst  die  traurige  Pflicht,  des  vor  einigen  Tagen  verstorbenen  Dr. 
Wilhelm  Mör icke  zu  gedenken.  In  warmen  Worten  wies  der  Redner, 
der  in  dem  Geschiedenen  auch  einen  persönlichen  Freund  verloren,  auf 
den  Verlust  hin,  welchen  die  Wissenschaft  durch  Möricke's  Tod  erlitten. 
Besonders  die  Geologie  Chiles  verdankt  ihm  wertvolle  Förderung,  und 
zu  bald  hat  ihm  der  Tod  die  Feder  aus  der  Hand  genommen,  denn 
von  seiner  letzten  Forschungsreise  in  Chile  hat  Möricke  nur  noch  einen 
kurzen  Reisebericht  erstattet;  die  Sammlung  des  Naturalienkabinetts 
verdankt  Dr.   Möricke  manch  wertvolles  Stück  aus  Chile. 

Als  Hauptredner  des  Abends  sprach  Prof.  Dr.  C.  Cranz  (Ober- 
realschule, Technische  Hochschule)  über  Geschossabweichungen 
und  hierbei  besonders  über  die  Geschosspendelungen,  deren  Ursache,  Ver- 
lauf und  Wirkungen.  Über  die  Theorie  dieser  Schwankungen  der  Ge- 
schossachse herrscht  noch  die  grösste  Meinungsverschiedenheit.  Magnus 
und  KuMMEK  äusserten  die  Ansicht,  dass  die  Geschosspendelung  so  lang- 
sam erfolge,    dass    selbst   bei    grossen  Schussweiten  die  Geschossachse 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  6 


—     LXVI     — 

höchstens  einen  halben  Kegel  um  den  Schwerpunkt  zu  beschreiben  ver- 
möge;  ähnlich  General  v.  Wille  1896.  Nach  den  Berechnungen  hervor- 
ragender Ballistiker,  wie  Oberst  v.  Wuich,  Hauptmann  Haupt  u.  a.,  soll 
dabei  die  Geschossspitze  stets  auf  der  rechten  Seite  der  Flugbahn- 
ebene verbleiben.  Die  bisher  berechnete  Zeit  für  einen  vollen  Umlauf 
der  Geschossspitze  stimmt  ganz  und  gar  nicht  mit  den  Beobachtungen, 
die  bekannt  wurden  und  die  der  Redner  anführt.  Derselbe  hat  nun 
eine  neue  Theorie  zur  Erklärung  aufgestellt  und  giebt  mit  Hilfe  von 
Zeichnungen  und  Experimenten  an  einem  Rotationsapparat  seine  Er- 
gebnisse an:  Die  Geschossachse  führt  zwei  Bewegungen  aus,  eine  lang- 
same Präzessionsbewegung ,  wonach  die  Geschossspitze  eine  spiralen- 
artige Kurve  beschreibt,  welche  die  Seitenabweichungen  bedingt,  und 
zweitens  eine  raschere  Nutationsbewegung  infolge  eines  Anfangsstosses 
(durch  Vibration  des  Gewehrlaufes  oder  Bücken  des  Rohrs  u.  dergl.); 
diese  Nutationen  sind  nach  Ansicht  des  Redners  das ,  was  man  mit- 
unter mit  blossem  Auge  wahrnimmt  und  was  Prof.  Neesen  photogra- 
phierte ,  nicht  die  Präzessionsbewegungen.  Die  Unterscheidung  ist 
wichtig,  weil  beide  Bewegungen  ganz  verschiedenen  Gesetzen  folgen. 
Sie  haben  Bedeutung  erstens  für  die  Beurteilung  der  Geschossstabilität 
wegen  der  Streuung  und  zweitens  für  den  Militärarzt  wegen  der  Beur- 
teilung der  Geschosswunden.  Die  sehr  raschen  Nutationen  (zum  Teil 
200  pro  Sekunde)  können  recht  wohl  stossartig,  aushöhlend,  zertrüm- 
mernd wirken.  Das  Nähere  müsste  die  Momentphotographie  ergeben. 
Redner  giebt  noch  an,  durch  welche  Schiessversuche  endgültige  Ent- 
scheidung über  die  Frage  erzielt  werden  könnte.  Es  liegen  bisher  zu 
"wenig  Versuche  vor.  Von  zwei  gleich  schweren  Geschossen,  aus  Alu- 
minium und  Blei ,  müsste  das  längere  Aluminiumgeschoss  langsamere 
Nutationen,  schnellere  Präzessionsbewegungen  ausführen.  Auch  Schwer- 
punktsverlegung führt  zum  Ziel.  Die  Erörterung,  an  der  sich  Dr.  Reuss, 
Dr.  E.  Müller,  Prof.  Dr.  Branco,  Dr.  Piesbergen,  Dr.  Voss  e  1er 
beteiligten ,  trug  einen  vorwiegend  medizinischen  Charakter  und  be- 
schäftigte sich  mit  den  Schusswirkungen  unserer  Infanteriewaffe,  haupt- 
sächlich mit  der  Frage,  ob  die  bei  Schüssen  erfolgende  Zertrümmerung 
des  Schädels  und  der  grossen  Markknochen  als  eine  hydrodynamische 
Wirkung  bezeichnet  werden  könne. 

Die  weiteren  Mitteilungen  trugen  botanischen  Charakter,  während 
die  geplanten  palaeontologischen  Mitteilungen  wegen  der  vorgeschrittenen 
Zeit  wegfallen  mussten.  Kustos  Eichler  (königliches  Naturalienkabinett) 
legte  einige  der  seit  Mitte  der  1870er  Jahre  nach  Deutschland  ein- 
geführten, anfänglich  mit  dem  Namen  ,, Tahiti-Nüsse"  bezeichneten,  in 
neuerer  Zeit  häufiger  Wassernüsse  (auch  ,, australische  Nüsse",  ivory 
nuts)  genannten  Steinnüsse  aus  der  Südsee  vor.  Es  sind  dies  die  dunkel- 
braunen bis  schwarzen,  bis  7  cm  im  Durchmesser  haltenden  kugeligen 
Samen  zweier  Palmenarten,  Coclococcus  carolinensis  Dingler  und  C.  salo- 
monensis  Warbürg  ,  die  nicht ,  wie  ursprünglich  von  den  Händlern  an- 
gegeben und  durch  den  Namen  Sagus  aniicarum  Wendland  zum  Ausdruck 
gebracht  worden  war,  auf  den  Freundschaftsinseln  vorkommen,  sondern 
auf  den  westlichen  Karolinen-  und  den  Salomonsinseln.     Über  die  Natur 


-     LXVII    — 

der  Stammpflanze  ist  jedoch  bis  jetzt  noch  sehr  wenig  bekannt.  Die 
etwas  abgeplatteten ,  von  einer  Seite  mit  einer  bis  über  die  Mitte 
reichenden  Höhlung  versehenen  Samen  besitzen  ebenso  wie  die  aus 
Südamerika  stammenden  Steinnüsse  (Samen  von  Phi/telephas-krten)  ein 
elfenbeinartiges  und  ebenso  hartes  Nährgewebe  und  eignen  sich  daher 
wie  jene  vorzüglich  zur  Herstellung  der  sogenannten  Steinnussknöpfe 
für  Kleidungsstücke  und  anderer  kleiner  Drechslerwaren ;  ihre  Grösse 
ermöglicht  besonders  die  Herstellung  der  in  neuerer  Zeit  an  Damen- 
mänteln u.  s.  w.  beliebten  grossen  Knöpfe.  Die  Einfuhr,  die  bis  jetzt 
ganz  über  Hamburg  erfolgt  und  bei  der  die  gerippte  Coelococcus  salo- 
monensis  weitaus  überwiegt,  betrug  im  Jahre  1895  13  000  Ctr.  bei  einem 
Preis  von   6 — 20  Mk.   pro  Ctr. 

Der  gleiche  Redner  legte  sodann  mehrere  Exemplare  einer  erst- 
mals im  November  vorigen  Jahres  im  Schwarzwald  (OA.  Neuenbürg) 
von  Kaufmann  C.  Co  mm  er  eil,  z.  Z.  in  Ludwigsburg,  gefundenen  Kart- 
häuser Trüffel  {Picoa  CartJmsiana  Tulasne)  vor,  die  bis  jetzt  nur 
von  einem  Fundort  in  der  Nähe  des  Karthäuser-Klosters  bei  Grenoble 
in  der  Dauphinee  bekannt  war.  Die  nähere  Mitteilung  über  diesen 
interessanten  Fund  findet  sich  im  vorliegenden  Jahresheft    abgedruckt. 


Sitzung  vom  9.  Dezember   1897. 

Am  Beginn  des  Abends  hatte  der  Vorsitzende,  Prof.  Dr.  E.  Fr  aas, 
zunächst  die  traurige  Pflicht  zu  erfüllen ,  der  seit  der  letzten  Zu- 
sammenkunft in  Stuttgart  aus  dem  Leben  geschiedenen  Mitglieder  zu 
gedenken.  Rasch  nacheinander  hatte  der  Tod  eingegriffen  in  die  natur- 
wissenschaftlichen Kreise  Württembergs.  Dem  Nestor  der  schwäbischen 
Geologie,  Direktor  Fr  aas,  der  lange  Jahre  hindurch  die  Seele  des 
Vereins  und  dessen  Führer  gewesen  war,  ist  bald  Buchhändler  Koch 
in  den  Tod  gefolgt;  als  unermüdlich  thätiger  Verleger  der  ,, Jahres- 
hefte" und  als  treuer  Kassier  des  Vereins  hat  er  sich  um  diesen  die 
grössten  Verdienste  erworben;  und  kaum  gaben  wir  ihm  das  letzte  Ge- 
leite, so  raffte  ein  gleicher  jäher  Tod  Dr.  Max  Graf  v.  Zeppelin 
dahin,  der  voll  offenen  Blickes  für  die  Schönheiten  der  Natur,  ein 
eifriger  Freund  der  Naturwissenschaften  und  selbst  wissenschaftlich 
thätig  auch  ein  reges  Vereinsmitglied  und  Besucher  der  Vereinsabende 
gewesen  war.  Zu  Ehren  der  Dahingegangenen  erhoben  sich  die  An- 
wesenden von  den  Sitzen. 

Sodann  hielt  Dr.  Vosseler  einen  Vortrag  über:  Biologische 
Beobachtungen  auf  seiner  algerischen  Reise  1897.  Redner 
schilderte  zunächst  die  von  ihm  zurückgelegte  Strecke.  Anfangs  Juni 
wurde  von  Algier  aus  die  Reise  nach  Süden  angetreten,  zuerst  Blidah 
mit  seinen  ausgedehnten  Orangengärten,  dann  Medeah  besucht,  beide 
Städte  noch  im  Gebiet  der  Küste  und  des  kleinen  Atlas  gelegen. 
Auf  einer  sehr  anstrengenden  Postwagenfahrt  ging  die  Reise  weiter 
nach  Laghouat.  Hierbei  wurde  das  Hochplateau  der  Steppen  und 
Dünen  und  der  grosse  Atlas  überschritten.     Letzterer  steht  an  Schön- 


—     LXVITI     — 

heit  und  Grösse  der  Berge  weit  gegen  den  mit  Unrecht  so  genannten 
„kleinen"  Atlas  zurück.  Die  Fahrt  dauerte  drei  Tage  und  zwei 
Nächte  mit  nur  kurzen  Unterbrechungen.^  Laghouat  liegt  am  Rande 
der  grossen  algerischen  Sahara  malerisch  in  einem  Sattel  zwischen 
zwei  Bergen,  vollständig  in  der  Wüste.  Nach  längerem  Aufenthalt  da- 
selbst wurde  die  Rückreise  über  Djelfa,  Bou-Saada  und  Aumale  aus- 
geführt. Von  diesen  Städten  wurden  zum  Zweck  zoologischer  Studien 
zahlreiche  Exkursionen  in  die  Umgebungen  gemacht.  Von  Aumale  aus 
besuchte  der  Vortragende  sodann  das  bis  zu  2900  m  hohe  Djurdjura- 
gebirge,  das  sich  beinahe  in  der  Mitte  der  grossen  Kabylie  nahe  der 
Küste  hinzieht.  Mit  der  Rückkehr  von  dort  nach  Algier  in  den  letzten 
Tagen  des  Juli  war  die   ergebnisreiche  Rundreise  beendet. 

Hierauf  wurden  zahlreiche   biologische  Beobachtungen  als  Ergeb- 
nisse der  Reise    geschildert.     Dieselben    beschränkten    sich    vorwiegend 
auf  die  Heuschreckenfauna.     Da  das  Frühjahr  sehr  trocken,  der 
Sommer  viel  früher  als  gewöhnlich  mit  abnormer  Hitze  eingetreten  war, 
verschwanden    die    Insektengruppen,    deren  Entwicklung    ins  Frühjahr 
fällt,   viel  früher  als  sonst.     Gerade  an  den  Orthopteren,  besonders  den 
Heuschrecken  sind,    weil  ihre  Reife    erst  in  der  jedem  Tierleben  sonst 
ungünstigen  Jahreszeit  eintritt,   die  interessantesten  Anpassungserschei- 
nungen an  Hitze,   Trockenheit  und  Dürre  etc.  zu  beobachten.    Viele   der 
geschilderten  Schutz-   und  Trutzvorrichtungen  der  Orthopteren  sind  weit 
im  Insektenreich  verbreitet.    Die  nächstliegende  Waffe,   der  Feinde  sich 
zu  erwehren,  ist  das  Gebiss.    Dasselbe  dient  bei  den  Laubheuschrecken 
(Locustiden) ,    zu    denen    unser    grünes    Heupferd    zählt ,    zugleich    zum 
Morden  der  Beutetiere.     Einige  Locustiden  treiben  auch    im  Freileben 
Kannibalismus.       Die    vorwiegend    pflanzenfressenden    Feldheuschrecken 
(Acridier) ,  leicht  an  ihren    kurzen  Fühlern    kenntlich ,    versuchen    selt- 
samerweise   kaum    von    ihren    starken    Kiefern    dem    Feinde    gegenüber 
Gebrauch  zu  machen.       Dagegen    wissen    dieselben    sich    sehr    gut  mit 
den  stachelbewehrten  Schienen  der  Hinterbeine  zu  verteidigen.     Laub- 
und Feldheuschrecken    pflegen    fast    ausnahmslos    in    der  Gefahr    einen 
dickbraunen  Saft  aus  dem  Mund    abzugeben ,    der    widerlich  schmeckt. 
Eine    originelle  Waffe    bilden    die  Vorderbeine    der  Gottesanbeterinnen, 
die  zugleich  zum  Erfassen  der  Beutetiere  eingerichtet  sind.     Die   Ohr- 
würmer wissen  mit  ihren  Hinterleibszangen  zu  kneifen,  selbst  die  mensch- 
liche Haut  zu  verwunden.    Ohrwürmer  und  Schaben  (Kakerlaken)  machen 
sich  ihren  Feinden    durch  Absonderung    stinkender  Säfte    unangenehm. 
Manche  Laub-  und  Feldheuschrecken  entgehen  dadurch  dem  Ergriffen- 
werden,  dass  sie  die  Hinterbeine,   wie   der  Krebs  die  Scheren,   willkür- 
lich   abzustossen    vermögen.      Auch    noch    andere  Arten    der  Selbstver- 
stümmelung beobachten  wir  unter    den  Laubheuschrecken.      So  beissen 
sich  viele  Arten  die  Vorderbeine   oder  die  Fühler  ab,   sobald  sie  ergriffen 
sind.     Der  Zweck  dieser  Handlung  ist  offenbar  der,   Blut  zum  Fliessen 
zu  bringen,  welches  für  den  Feind  giftig  oder  wenigstens  unangenehm 
ist.     Eine    sehr    vollkommene   Einrichtung    in    dieser    Hinsicht    besitzen 
die  mit  einer  Trutzfarbe  versehenen  Grillenheuschrecken  und  eine  diesen 
verwandte  Art.     Die  erstere  vermag    durch    eine    in    der  Schulter  aller 


—     LXIX     — 

sechs  Beine  angebrachte  Pore  dem  Feinde  kräftige  Blutstrahlen  ent- 
gegenzusenden ,  diese  spritzt  aus  nur  einer  Spalte  des  Vorderbrust- 
rückens ebenfalls  ihr  eigenes  Blut.  Dem  Menschen  schadet  nach 
wiederholten  Versuchen  dieses  gewiss  höchst  seltsame  Verteidigungs- 
mittel nicht.  Viel  besser  noch  als  durch  die  geschilderten  Einrichtungen 
sind  die  meisten  Orthopteren  der  Wüste  geschützt  durch  oft  geradezu 
wunderbare  Anpassungserscheinungen,  welche  sie  an  ihren  Aufenthalts- 
orten häufig  vollständig  unsichtbar  machen.  Viele  Acridier  sind  seltsamer- 
weise nur  ganz  kleinen  Bezirken  des  Bodens  in  Farbe  und  Zeichnung  an- 
gepasst  und  suchen,  wenn  daraus  vertrieben,  stets  dahin  zurückzukehren. 
Manche  sind  sich  ihrer  Unsichtbarkeit  vollkommen  bewusst  und  bleiben 
bei  Annäherung  eines  Feindes  unbeweglich  sitzen,  während  andere  Arten 
sofort  auffliegen.  Diese  tragen  unter  den  dem  Boden  gleich  gefärbten 
Oberflügeln  lebhaft  rot ,  gelb  oder  blau  gefärbte  Unterflügel ,  welche 
während  des  Fluges  das  Auge  des  Verfolgers  blenden.  Viele  Arten 
sind  holzigen  Stengeln,  grünen  Pflanzen,  dürrem  Gras  u.  s.  w.  angepasst 
oder  täuschen ,  wie  an  einer  Gottesanbeterin  beobachtet  wurde ,  im 
Winde  bewegte  Windenblüten  vor.  Zum  Entfliehen  stehen  den  Ortho- 
pteren verschiedene  Hilfsmittel  zu  Gebote.  Die  Kakerlaken  rennen  un- 
gemein rasch.  Die  meisten  Feldheuschrecken  springen  und  fliegen  sehr 
gewandt,  selbst  durch  Schwimmen  vermögen  sie  sich  unter  Umständen 
zu  retten.  Eine  kaum  1  cm  lange  Grillenart  springt  nahezu  1  m  weit. 
Die  Wanderheuschrecke  fliegt  so  gewandt  und  ausdauernd  wie  eine 
Libelle.  Nur  in  einem  Fall  bei  einer  mittelgrossen  Feldheuschrecke 
wurde  eine  Verteidigung  mittels  eines  schnarrenden  Geräusches,  welches 
das  Tier  beim  Ergreifen  ertönen  Hess,  beobachtet.  Zum  Schluss  dieses 
Abschnittes  erwähnte  Redner  noch  die  Einrichtungen,  durch  welche  die 
Eier  der  Orthopteren  geschützt  werden.  Dieselben  werden  vielfach  in 
Pflanzenstengel  eingebohrt,  in  Erde  vergraben  oder  mit  einer  schaumigen, 
erhärtenden  Masse  umgeben  (Gottesanbeterinnen).  Aus  den  anderen 
Ordnungen  der  niederen  Tiere  schlössen  sich  sodann  noch  Mitteilungen 
über  Wanderungen  der  Landasseln,  das  Vorkommen  der  Wasserasseln 
in  Algerien  und  über  die  Fauna  der  Binnengewässer  an.  Eine  kleine, 
vollkommen  weisse  Landschnecke  war  in  einem  Gebiet  so  häufig,  dass 
eine  weit  über  1  qkm  umfassende  Strecke  davon  besät  und  weiss 
gefärbt  war.  Staunenerregend  war  ein  Präparat  einer  Feldwanze,  welche 
in  Form  und  Farbe  des  Körpers  die  von  ihr  bewohnte  Pflanze  aufs 
vollkommenste  nachäfft.  —  Der  fesselnde  Vortrag  gab  noch  zu  mannig- 
fachen Bemerkungen    aus    dem    zahlreichen    Zuhörerkreis  Veranlassung. 


Sitzung  vom   13.  Januar   1898. 

Den  Abend  eröffnete  der  Vorsitzende,  Prof.  Dr.  Fr  aas,  mit  einigen 
geschäftlichen  Mitteilungen  ;  u.  a.  wurde  bestimmt,  dass  künftighin  die 
wissenschaftlichen  Abende  pünktlich  um  8  Uhr  beginnen  sollen.  Seit 
dem  letzten  Vereinsabend  hat  der  Verein  leider  abermals  ein  Stuttgarter 
Mitglied  und  eifrigen  Teilnehmer  der  Vereinsabende  verloren,    nämlich 


Herrn  J.  Scheiffele,  dessen  Hinganges  der  Vorsitzende  mit  warmen 
Worten  gedachte. 

Den  ersten  Vortrag  hielt  sodann  Prof.  Dr.  Fr  aas  über  das 
Thema:  „Krankheitserscheinungen  an  fossilen  Crinoiden". 
An  den  längst  ausgestorbenen  Gattungen  und  Arten  der  Seelilien  oder 
Crinoiden,  welche  einst  Bewohner  unserer  Trias-  und  Jurameere  waren, 
beobachten  wir  nicht  selten  krankhafte  Veränderungen  sowohl  des 
Stieles  wie  der  Krone,  welche  meist  in  eigenartigen  Auftreibungen  be- 
stehen. Eine  Erklärung  hierfür  liefern  uns  die  heute  lebenden  Seelilien, 
wie  sie  besonders  durch  die  weltberühmte  Expedition  des  ,,Challenger" 
in  grösserer  Anzahl  aus  den  Tiefen  der  Meere  bekannt  geworden  sind. 
Wir  finden  nämlich  häufig,  dass  ein  Parasit,  der  den  Namen  Myzostoma 
führt,  an  den  Crinoiden  schmarozt.  Bald  sitzt  er  dem  Kelch,  bald  den 
Fangarmen  auf,  bald  auch  gräbt  und  bohrt  er  sich  in  die  kalkigen 
Hartgebilde  der  Seelilien  ein.  Der  eigenartige  Parasit  ist  jedenfalls 
—  geologisch  gesprochen  —  uralt  und  damit  hängt  es  sicher  zusammen, 
dass  er  auch  im  zoologischen  System  eine  unsichere  Stellung  einnimmt, 
indem  der  Parasitismus  seine  ursprünglichen  Beziehungen  zu  anderen 
Gruppen  verwischt  hat.  An  fossilen  Crinoiden  können  wir  natürlich 
nur  die  Wirkungen  diesen  Parasiten  in  Gestalt  verschiedenartiger  Auf- 
blähungen mit  wurmförmigen  Gängen  im  Innern  der  Kalkteile  erkennen. 
Besonders  häufig  finden  wir  diese  Auftreibungen  an  den  Apiocriniten 
des  oberen  Weiss- Jura,  sehr  selten  an  den  Encriniten  des  Muschel- 
kalkes, gar  nicht  an  den  Pentacriniten  des  Lias.  Die  letztere  Erschei- 
nung erklärt  der  Redner  aus  der  Thatsache ,  dass  die  Pentacriniten, 
wie  die  schönen  Stücke  im  Naturalienkabinett  beweisen,  an  schwimmen- 
dem Treibholz  ansassen,  also  ein  pseudopelagisches  Leben  führten,  die 
Apiocriniten  dagegen  auf  dem  Boden  festsassen.  Ein  reiches,  auch 
sonst  palaeontologisch  interessantes  Material  verdankt  das  Naturalien- 
kabinett Lehrer  Wagner  in  Sontheim  a.  Br.,  einem  trefflichen  Sammler 
im  oberen  weissen  Jura.  Besonders  sind  die  von  Parasiten  aufgetrie- 
benen und  in  ihrem  Wachstum  gestörten  Kelche  von  Apiocriniten  von 
Interesse,  weil  sie  durch  die  abnorme  Verkalkung  auch  eine  Erhaltung 
von  Skelettteilen  aufweisen,  welche  sonst  meist  abgefallen  sind,  so  dass 
der  Parasit  hier  dem  Palaeontologen  einen  Dienst  erweist.  Im  Anschluss 
an  den  durch  reiches  Demonstrationsmaterial  erläuterten  Vortrag  gab 
Prof.  Dr.  Lampert  eine  kurze  Schilderung  der  zoologischen  Stellung 
des  in  seiner  Gestalt  scheibenförmigen  Myzostoma,  welches  meist  anhangs- 
weise zu  den  Spinntieren  gestellt  wird,  und  legte  von  dem  grossen 
Challenger-Werk  den  betreffenden  Band  vor,  welcher  eine  monographische 
Bearbeitung  dieser  Gattung  enthält. 

Den  zweiten  Vortrag  hielt  Prof.  Dr.  Klunzinger  über  das 
Formalin  und  seine  konservierenden  Eigenschaften.  Das 
Formalin,  ein  Fabrikname  für  die  wässerige  40  '^/oige  Lösung  des  gas- 
förmigen Formaldehyds ,  gehört  zu  den  Methylverbindungen  und  wird 
im  grossen  besonders  von  der  ,, Chemischen  Fabrik  auf  Aktien,  vormals 
Schering  in  Berlin",  dargestellt,  indem  Holzgeistdämpfe  über  glühendes 
Platin  geleitet  werden  und  das  sich    entwickelnde   Gas  in  Wasser  auf- 


—     LXXI     — 

gefangen  Avird ;  im  kleinen  kann  man  es  mittels  der  bekannten  Dö- 
berein'schen  Lampe  entwickeln.  Das  Gas  hat  einen  stechenden  Geruch, 
ebenso  die  Lösung,  welche  sehr  reizend  auf  die  Schleimhäute  der  Nase, 
des  Mundes,  des  DarmkanaJs  und  die  Bindehaut  des  Auges  wirkt,  auch 
die  äussere  Haut  welk  macht ;  bei  manchen  Leuten  zeigen  sich  idiosyn- 
kratische  Hautentzündungen ,  nervöse  Erscheinungen ,  wie  Kehlkopf- 
krampf u.  dgl.  Eigentlich  giftig  ist  der  Stoff  aber  nicht  und  obige 
Erscheinungen  sind  meist  vorübergehend.  Ziemlich  gross  ist  die  Zer- 
setzbarkeit  des  Formalins,  wobei  sich  Ameisensäure  und  das  unlösliche 
Paraformaldehyd  bildet.  Die  ersten  Vorteile  des  Formalins  für  Kon- 
servierungszwecke sind,  dass  es  mit  Wasser  und  Spiritus  in  jedem  Ver- 
hältnis mischbar  ist ,  dass  es  nicht  brennt ,  dass  es ,  weil  es  nur  in 
Verdünnungen  von  1 — 4  ^/o  in  Wasser  angewendet  wird,  sehr  billig 
ist,  und  dass  es,  im  Gegensatz  zu  Spiritus,  stets  hell  und  weiss  bleibt. 
Misslich  ist,  dass  es  schon  bei  —  2,5^  C.  gefriert,  was  seine  Anwen- 
dung in  der  Kälte  ausgesetzten  Räumen ,  wie  z.  B.  in  der  Sammlung 
von  Hohenheim,  verbietet.  Obwohl  schon  1867  dargestellt,  ist  das 
Formalin  näher  erst  bekannt  geworden,  seit  Aeonson  und  Trillot  1892 
Studien  veröffentlichten  über  seine  desinfizierenden  und  desodorisierenden 
Eigenschaften,  denen  die  Arbeiten  von  F.  Blum  über  seine  härtenden 
und  fixierenden  und  von  H.  Blum  über  seine  konservierenden  Wirkungen 
folgten.  Als  Härtungs-  und  Fixierungsmittel  hat  es  sich  in  der  mikro- 
skopischen Technik  im  allgemeinen  sehr  gut  bewährt ;  über  seinen 
Vorteil  von  Konservierung  von  Tieren  und  Pflanzen  sind  die  Meinungen 
noch  geteilt.  Die  Erhaltung  der  Farben ,  die  man  als  Hauptvorzug 
gegenüber  den  Spirituspräparaten  gepriesen  hat,  ist  zwar  ein  Vorteil, 
aber  kein  durchgängiger,  denn  die  gelben  und  roten  Farben,  z.  B.  beim 
Goldfisch ,  vergehen  rasch ,  und  vielleicht  halten  auch  andere  Farben 
nicht  dauernd  oder  nur  bei  Abhaltung  des  Lichts.  Von  den  Pflanzen- 
farben erhält  sich  am  besten  das  Grün.  Als  vortreffliche  Methode  zur 
Erhaltung  der  Farben  der  Organe,  wie  Fleisch,  Leber,  Milz,  haben  sich 
die  Versuche  von  Jones  1896  und  Keysekling  mit  Formalinsalzlösung, 
nachheriger  Behandlung  mit  Alkohol  und  Aufbewahrung  in  Glycerin 
bewährt.  Im  Gegensatz  zu  Spirituspräparaten ,  bei  welchen  die  Kon- 
servierung durch  Wasserentziehung  geschieht,  findet  hier  ausser  bei 
dünnen  Schlangen  und  anderen  Reptilien  keine  Schrumpfung  statt;  die 
Gegenstände  bleiben  turpid,  hart  und  elastisch,  ja  es  zeigt  sich  eher 
eine  gewisse  Schwellung ;  man  vereinigt  daher  häufig  beide  Konser- 
vierAngsmethoden :  erst  Einlegen  in  Formalin ,  dann  Aufbewahren  in 
Alkohol.  Sehr  gut  eignet  sich  Formalin  für  Tiere  mit  Gallerte ,  wie 
Quallen  und  mit  Schleim ,  wie  Mollusken ,  da  der  Schleimstoff  nicht 
gerinnt ,  wie  im  Spiritus.  Fische  erhalten  sich  besonders  gut  im  all- 
gemeinen und  das  Mittel  ist  auch  bereits  bei  den  Fischern  zur  Auf- 
bewahrung ihrer  Köderfische  beliebt.  Auch  für  Plankton  fand  der 
Vortragende  Formalin  als  das  beste  Aufbewahrungsmittel,  das  ein  An- 
fertigen von  mikroskopischen  Präparaten  vielfach  entbehrlich  macht. 
Den  Geruch  erachtet  der  Vortragende  für  kein  Hindernis  bei  Demon- 
strations-    und    Zergliederungszwecken ,     da     er    durch     kürzeres    oder 


—    LXXII    — 

längeres  Einlegen  in  Wasser  verschwindet,  ja,  die  Präparate  können 
dann  getrocknet  und  ohne  Schaden  in  die  Hand  gegeben  werden.  Um 
Präparate  mit  ausgestreckten  Tentakeln  zu  erhalten ,  eignet  sich  For- 
malin  nicht,  sondern  die  Tiere  müssen  vorher  mit  einem  Betäubungs- 
mittel, z.  B.  Cocain,  abgetötet  werden.  Zur  Abtötung  ist  Formalin 
überhaupt  nicht  zu  empfehlen,  da  die  Tiere  darin  sehr  langsam  ab- 
sterben. Ein  Nachteil  des  Formalins  ist  endlich  noch  die  Verlederung  aller 
WeichteiTe  bis  auf  die  Knochenhaut  mit  der  Unmöglichkeit  der  Wiederauf- 
weichung; die  Verwendung  zum  Skelettieren  ist  hiermit  ausgeschlossen; 
anderseits  ist  es  nicht  ausgeschlossen ,  dass  durch  die  stets  sich  bil- 
dende Ameisensäure  die  Kalkskelette  allmählich  angegriffen  werden. 
Im  ganzen  fasst  der  Vortragende  seine  Ansicht  über  das  Formalin  dahin 
zusammen,  dass  seine  Verwendung  eine  neue  Aera  für  die  Museen  be- 
zeichnen dürfte.  Die  Erörterung,  an  der  sich  Prof.  Dr.  Lampert,  Dr. 
Vosseier,  Prof.  Dr.  Sussdorf,  Prof.  Dr.  Fr  aas,  Kustos  Eichler  betei- 
ligten, zeigte,  dass  das  Formalin  nicht  durchweg  so  günstig  beurteilt  wird, 
wie  vom  Vorredner.  Besonders  waren  fast  alle  Redner  gegen  das  For- 
malin eingenommen  wegen  seiner  unangenehmen  Einwirkungen  auf  den 
menschlichen  Organismus;  einzelne  drastische  Schilderungen  bewiesen, 
dass  bei  den  für  Formalin  empfindliche  Personen  geradezu  ein  Heroismus 
dazu  gehört,  ständig  mit  diesem  Mittel  zu  arbeiten.  Bezüglich  seiner 
Vortrefflichkeit  als  Konservierungsmittel  waren  die  Ansichten  geteilt, 
doch  wurde  von  den  meisten  Rednern  betont,  dass  es  sich  wenigstens 
für  einige  Sachen  vorzüglich  eigne,  dass  man  jedoch  über  die  Zeit 
der  Versuche  noch  nicht  hinaus  sei.  Die  sehr  vorgeschrittene  Zeit  Hess 
die  lebhafte  Diskussion  abbrechen,  welche  sonst  wohl  noch  manche 
interessante  Bemerkung  zu  Tage  gefördert  hätte. 


Sitzuncp  vom   10.  Februar   1898. 


'  o 


Den  ersten  Vortrag  hielt  Prof.  Dr.  Kirchner  von  Hohenheim 
über  das  Thema:  ,,Die  Feige  und  ihre  Befruchtung."  Der 
Redner  betonte  einleitend ,  dass  er  zwar  nichts  Neues  sagen  könne, 
hatte  aber  sicher  recht ,  wenn  er  annehmen  zu  dürfen  glaubte ,  dass 
manchem  der  Anwesenden  das  merkwürdige  Verhältnis  der  Feige  zu 
einem  Insekt  und  die  Bedeutung  des  letzteren  für  die  Befruchtung  der 
Feige  nicht  in  allen  Einzelheiten  bekannt  sei;  denn  obwohl  schon  den 
Alten  diese  Bedeutung  klar  war,  ist  eine  wissenschaftliche  Aufklärung 
doch  erst  vor  einigen  Jahren  erfolgt.  Redner  begann  mit  der  Schil- 
derung des  Blütenstandes  der  Feige,  der  bekanntlich  der  Frucht  der 
Feige  ähnlich  ist  und  deshalb  als  ,, Blütenkrug"  bezeichnet  wird;  das 
Innere  dieses  Blütenkrugs  ist  mit  Blüten  besetzt,  die  stets  eingeschlech- 
tig und  von  sehr  einfachem  Bau  sind;  an  seinem  Scheitel  besitzt  der 
Krug  eine  kleine  Öffnung ,  an  der  nach  innen  gebogene  Hochblätter 
stehen.  Bei  der  Reife  der  ,, Feige"  wird  der  Blütenboden  dick  und 
fleischig,  mit  süssem  Saft  gefüllt,  die  innere  Höhlung  wird  geschlossen 
und    besitzt    kleine    körnchenartige    Früchtchen.       Die    Verteilung    der 


—    LXXIII    — 

Blüten  zeigt  Verschiedenheiten ,  die  zweierlei  Feigenbäume  zu  unter- 
scheiden erlauben.  Schon  dem  Altertum  waren  diese  beiden  Sorten 
wohlbekannt :  erstens  die  gewöhnliche  kultivierte  Feige,  lat.  ficus,  griech. 
EQivsög ,  und  zweitens  die  wilde  Feige,  lat.  capri-ficus,  griech.  (jfK/;. 
Nur  die  zahme  Feige  liefert  saftige,  süsse  Feigen,  der  Caprificus  da- 
gegen trockene,  harte.  Aber  von  alter  Zeit  her  stammen  die  Berichte, 
dass  die  zahmen  Feigen  besser  ausreifen,  respektive  vor  dem  Abfallen 
geschützt  sind,  wenn  sich  ein  wilder  Feigenbaum  in  ihrer  Nähe  be- 
findet. Es  sollten  sich  in  den  wilden  Feigen  kleine  Insekten  befinden, 
welche  herausschlüpfen,  auf  die  zahmen  Feigen  übergehen  und  diese 
zur  Reife  und  Vollkommenheit  bringen.  Daher  pflegte  man  in  die 
Nähe  der  Feigenbäume  einen  Caprificus  zu  pflanzen  oder  man  hängte 
abgeschnittene  wilde  Feigen  in  die  Äste  des  zahmen  Baumes;  dieser 
Gebrauch  war  bekannt  unter  dem  Namen  der  Caprifikation.  Schon 
Theophkast  schreibt  hierüber,  und  nach  ihm  Plixius:  ,,Es  ist  unmöglich, 
durch  Kultur  aus  einem  wilden  einen  zahmen  Feigenbaum  zu  machen," 
und  fährt  dann  fort:  ,,Die  Feigen  werfen  vor  dem  Reifen  sehr  leicht 
die  Frucht  ab.  Dagegen  wendet  man  als  Hilfsmittel  die  Caprifikation 
an;  denn  aus  den  darüber  gehängten  wilden  Früchten  schlüpfen  kleine 
Fliegen  (y.ir^peg)  heraus  und  fressen  und  durchbohren  das  Auge  der 
Feige;  sie  entstehen  aus  dem  Samen;  Beweis  dafür  ist,  dass,  wenn  sie 
herauskommen,  in  der  wilden  Feige  keine  Samen  sind.  Das  Caprifi- 
zieren  geschieht,  damit  die  aus  den  wilden  Feigen  herausschlüpfenden 
iprivsg  das  auf  dem  Scheitel  der  Feige  befindliche  Auge  öffnen.  Wenn 
dies  geschehen,  fressen  sie  die  meiste  Feuchtigkeit  aus  der  Feige  heraus 
und  verschaffen  der  äusseren  Luft  Zugang  und  Durchzug.  Dadurch 
werden  die  Früchte  vor  dem  Abfallen  bewahrt."  Die  Methode  der 
Caprifikation  hat  sich  in  vielen  Gegenden  bis  heute  erhalten.  Sie  ist 
allgemein  in  Griechenland ,  auf  den  griechischen  Inseln ,  auf  den  Mal- 
teser Inseln,  in  Sizilien,  im  ehemaligen  Königreich  Neapel,  in  Nieder- 
Andalusien,  Valencia,  Estremadura,  Murcia,  Algier  und  Tripolis,  Syrien 
und  Kleinasien.  Dagegen  wird  nicht  caprifiziert  in  Nord-  und  Mittel- 
italien, Sardinien,  Tirol,  Südfrankreich,  Nordspanien  und  Portugal, 
Ägypten,  auf  den  Canaren  und  Azoren.  Dass  das  Wesen  der  Capri- 
fikation in  der  Thätigkeit  der  die  Feigen  bewohnenden  Insekten  liegt, 
hatten  schon  die  Alten  klar  erkannt ;  aber  worin  besteht  diese  Thätig- 
keit? Unsere  heutigen  Kenntnisse  von  der  Bedeutung  der  Insekten  für 
die  Bestäubung  vieler  Pflanzen  lassen  vermuten,  dass  es  sich  auch  bei 
der  Caprifikation  darum  handelt ;  das  ist  auch  in  der  That  der  Fall, 
aber  unter  sehr  merkwürdigen  gegenseitigen  Anpassungen.  Das  Feigen- 
insekt ist  eine  kleine  Hymenoptere  aus  der  Abteilung  der  Chalcididen 
mit  Namen  Blastoßiaga  grossortmi.  Sie  legt  ihre  Eier  in  die  weibliche 
Blüte  der  Feige;  in  derselben  entwickelt  sich  das  Insekt  und  vollzieht 
als  Gegenleistung  die  Befruchtung.  Entsprechend  den  drei  Generationen 
des  Insekts  haben  die  Feigen  dreimal  im  Jahre  Blütezeit.  Die  Blüten- 
stände werden  mit  verschiedenen  Namen  unterschieden.  Beim  wilden 
Feigenbaum  heissen  die  überwinternden  Blütenstände  Mamme ;  ihnen 
folgen  die  im  Juni   reifenden  Profichi  und  vom  August  bis  gegen  Winter 


—     LXXIV     — 

reifen  die  Mammoni.  Alle  Blütenstände  der  wilden  Feige  enthalten 
im  unteren  Teil  weibliche  Blüten,  im  oberen  mehr  oder  weniger  männ- 
liche Blüten.  Die  Mamme  dienen  dem  Feigeninsekt  zur  Überwinterung ; 
im  Frühjahre  verlassen  die  Tiere  die  Blütenstände  und  dringen  in  die 
Profichi  ein ;  hier  legen  sie  in  die  weiblichen  Blüten  je  ein  Ei,  so  dass 
die  weiblichen  Blüten  sich  zu  einer  Galle  umbilden ,  welche  statt  des 
pflanzlichen  nun  einen  tierischen  Embryo  enthält;  erst  wenn  die  jungen 
Insekten  aus  dieser  Galle  ausschlüpfen ,  brechen  nun  die  männlichen 
Blüten  auf  und  die  Insekten  beladen  sich  beim  Umherkriechen  mit 
Pollenstaub,  gelangen  schliesslich  nach  aussen  und  tragen  nun  den 
Pollenstaub  auf  andere  Feigen  über.  Dies  sind  entweder  wieder  wilde 
Feigen  oder  zahme.  In  den  wilden  Feigen  wiederholt  sich  das  Spiel ; 
auch  hier  werden  die  weiblichen  Blüten  angestochen  und  dienen  einer 
Insektenlarve  zur  Wohnung  und  Nahrung.  So  ergiebt  sich  schliesslich 
als  Resultat,  dass  die  wilden  Feigen  nur  ganz  ausnahmsweise  Samen 
produzieren,  vielmehr,  da  die  weiblichen  Blüten  durch  das  Insekt  zerstört 
werden,  hierdurch  in  rein  männliche  Bäume  umgewandelt  werden.  Anders 
bei  der  zahmen  Feige  ;  auch  hier  unterscheidet  man  drei  Generationen, 
die  in  oben  entsprechender  Reihenfolge  Fiori  di  fico ,  Pedagnuoli,  Ci- 
marnoli  heissen.  Aber  sämtliche  Blütenstände  der  zahmen  Feige  be- 
sitzen nur  weibliche  Blüten.  Eine  Befruchtung  kann  also  nur  von  der 
wilden  Feige  aus  und  nur  durch  Vermittelung  des  Insekts  erfolgen  und 
dies  ist  möglich ,  wenn  wilde  Feigen  neben  zahmen  stehen.  Der  Ge- 
fahr, dass  das  eingewanderte  Insekt  auch  die  Blüten  der  zahmen  Feige 
ansticht,  hat  die  Natur  dadurch  vorgebeugt,  dass  die  letzteren  einen 
weit  längeren  Griffel  besitzen,  als  die  Blüten  der  wilden  Feige,  so  dass 
der  Legstachel  nicht  eindringen  kann.  Sicher  ist  diese  merkwürdig 
komplizierte  Einrichtung  ein  Beweis,  dass  diese  Einrichtung  früher  für 
die  Möglichkeit  des  Reifens  der  Feigen  notwendig  gewesen ,  und  die 
Caprifikation  spricht  für  die  scharfe  Beobachtungsgabe  der  alten  Völker. 
Heute  ist  der  ganze  Prozess  nicht  mehr  notwendig ,  denn  in  mehr- 
tausendjähriger Kultur  der  Feige  ist  zur  Bildung  des  saftigen  Frucht- 
fleisches eine  Befruchtung  überflüssig  geworden ,  wie  wir  in  ähnlicher 
Weise  auch  kernlose  Äpfel  u.  s.  w.  kennen,  und  auch  die  Vermehrung 
erfolgt  nicht  durch  Samen,  sondern  durch  Ableger.  Die  Caprifikation 
ist  also  ein  uralter,  heute  aber  unnützer  Gebrauch.  Die  Gattung  Fiats 
hat  ca.  600  Arten  in  warmen  Ländern  der  ganzen  Erde  mit  ähnlichem 
Blütenbau.  Am  einfachsten  bei  dem  Subgenus  ürostigma,  wo  männliche 
und  weibliche  Blüten  regellos  durcheinanderstehen ;  dann  nehmen  die 
männlichen  Blüten  den  oberen  Teil  des  Blütenstandes  ein  und  zuletzt 
bildet  sich  der  Unterschied  von   Gallen  und  Samenblüten  aus. 

Hatte  dieser  Vortrag  die  Bedeutung  eines  Insekts  für  eine  Kultur- 
pflanze in  positiver  Richtung  gezeigt ,  so  bot  der  zweite  ein  Bild  der 
Schädlichkeit  eines  Insekts  für  den  Obstbau;  als  zweiter  Redner  sprach 
nämlich  Dr.  Vo  sseler  über  ,,Schil  dl  äuse".  Zunächst  gab  Redner 
eine  Darstellung  der  Lebensweise  und  der  Anatomie  dieser  Pflanzen- 
feinde. Mit  langem  Saugrüssel  begabt  finden  sie  ihre  Nahrung  in 
Pflanzensäften,  indem  sie  sich  an  der  Oberfläche  der  Pflanze  einbohren. 


—     LXXV     — 

Die  Weibchen  verändern  sich,  wenn  sie  sich  einmal  festgesogen  haben, 
indem  die  Gliedmassen  verkümmern  und  schliesslich  bilden  die  älteren 
Weibchen  eine  schildkrötenartige,  lederartige  Schale,  unter  deren  Schutz 
die  Eier  auch  nach  dem  Absterben  der  Mutter  bis  zum  Ausschlüpfen 
liegen.  Die  Fortpflanzung  findet  teils  parthenogenetisch ,  teils  ge- 
schlechtlich statt.  Fast  auf  allen  Pflanzen  finden  sich  Vertreter  dieser 
Ordnung,  am  meisten  auf  Holzpflanzen,  deren  jede  beinahe  eine  speci- 
fische  Schildlaus  aufweist.  Auch  Zimmerpflanzen  leiden  bekanntlich 
vielfach  darunter.  Neuerdings  haben  bekanntlich  Schildläuse  als  Feinde 
des  amerikanischen  Obstes  viel  von  sich  reden  gemacht  und  der  Redner 
wandte  sich  daher  speciell  den  amerikanischen  Arten  zu.  Als  verderb- 
lichste von  allen  gilt  die  schwarze  Schildlaus,  Lecanium  oleae.  Sie 
befällt  fast  alle  Obstbäume,  besonders  aber  solche  mit  ausdauernden 
Blättern,  wie  Citrone  und  Olive.  Die  rote  Schildlaus  (Äspidiotus  au- 
rantiij  kommt  besonders  auf  Citronenbäumen,  oft  neben  der  schwarzen, 
vor;  die  dritte,  neuerdings  in  erster  Linie  genannte  Art,  die  sogenannte 
San-Jose-Schildlaus  (Äspidiotus  perniciosus)  befällt  mit  Vorliebe 
Obstbäume  mit  abwerfendem  Laub  und  verschont  beinahe  keine  Art 
derselben.  Im  Santa  Clara-Thal  mit  dem  San  Jose-Distrikt,  sowie  im  süd- 
lichen Kalifornien  ist  der  von  ihr  angerichtete  Schaden  gegen  früher 
ganz  bedeutend  zurückgegangen ,  doch  ist  es  ein  Irrtum ,  zu  glauben, 
dass  er  ganz  verschwunden  sei.  Klimatische  Einflüsse  vernichten  sie 
bisweilen,  auch  Pilzkrankheiten  scheinen  verheerend  zu  wirken.  Natür- 
liche Feinde  des  Insektes  sind  zwei  Marienkäferchen  ,  beziehungsweise 
deren  Larven.  Der  Redner  besprach  sodann  die  verschiedenen  in 
Amerika  üblichen  Mittel  zur  Bekämpfung  der  Schildläuse.  Citronen- 
bäume  werden  in  Südkalifornien  hauptsächlich  mit  der  Cyanwasserstoff- 
methode  behandelt ,  zu  welchem  Zweck  die  Bäume  mit  Zelttuch  über- 
deckt und  unter  demselben  40 — 45  Minuten  der  Einwirkung  der  giftigen 
Gase  ausgesetzt  werden.  Auch  Dampf  wird  angewendet,  zum  Teil  auch 
in  Verbindung  mit  einem  insektentötenden  Mittel ,  scheint  aber  nicht 
übermässig  zweckmässig  erfunden  worden  zu  sein.  In  dritter  Linie 
kommen  Waschmittel  zur  Anwendung.  Das  wichtigste  Mittel  gegen  die 
San-Jose-Schildlaus  für  Kalifornien  ist  die  Kalk-Schwefelsalzbrühe,  deren 
Wirkung  oft  ganz  erstaunlich  ist.  Die  Brühe  wird  hergestellt  aus 
40  T.  ungelöschten  Kalkes,  20  T.  Schwefel,  15  T.  Salz.  Die  Bespritzung 
erfolgt  ein-  bis  mehreremale  im  Jahre,  besonders  im  Winter.  Seltsamer- 
weise scheint  die  Wirkung  in  trockenen  Gegenden  sehr  zuverlässig,  in 
feuchten  dagegen  ziemlich  unzuverlässig  zu  sein :  im  Osten  der  Vereinig- 
ten Staaten  steht  ihr  Wert  in  geringem  Ansehen.  Sehr  bemerkens- 
werte Erfolge  werden  in  Kalifornien  mit  der  Einführung  der  oben 
erwähnten  natürlichen  Feinde  erzielt.  Seit  1870  bis  1893  ist  die  San- 
Jose-Schildlaus  im  Westen  Amerikas  bekannt;  von  1893  datiert  ihre 
Einwanderung  im  Osten;  woher  der  Feind  stammt,  ist  noch  ungewiss. 
Zum  Schluss  wies  der  Vortragende  auf  die  Gefahr  der  Einschleppung 
und  die  Bedeutung  entomologischer  üntersuchungsstationen  hin.  An 
den  Vortrag  knüpfte  sich  noch  eine  längere  Erörterung. 


—     LXXVI     — 


Sitzung  vom  29.  Februar   1898. 

In  der  Aula  der  K.  Technischen  Hochschule  sprach  Prof.  Dr. 
R.  Koch  über  „elektrische  Schwingungen  und  die  Tele- 
graphie  ohne  Draht".  Die  Schwerkraft,  die  elektrischen  und  mag- 
netischen Kräfte  hielt  man  bis  vor  kurzem  für  Fernkräfte,  d.  h.  Kräfte, 
die  ohne  Vermittelung  eines  Zwischenmediums  wirkten.  Für  die  elek- 
trischen und  magnetischen  Kräfte  wurde  von  Faeaday  diese  Wirkungs- 
weise geleugnet  und  für  diese  Kräfte  eine  Wirkung,  die  sich  von  Teilchen 
zu  Teilchen  durch  das  Zwischenmedium  hindurch  fortpflanzt,  angenommen. 
Dieser  Idee  wurde  durch  Maxwell  eine  mathematische  Grundlage  ge- 
geben. Es  existieren  nun  auch  gewisse  Erscheinungen ,  die  bei  Kon- 
densatoren auftreten,  welche  diese  Auffassung  stützen,  indem  sie  die 
Einwirkung  des  Zwischenmediums  auf  die  von  elektrischen  Körpern  auf- 
einander ausgeübten  Kräfte  darthun.  Aus  dieser  Annahme  ergeben  sich 
nun  wichtige  Folgerungen.  Es  müsste,  wenn  die  Kraftwirkung  durch  Ein- 
wirkung von  Teilchen  zu  Teilchen  stattfände,  eine  gewisse  Zeit  verfliessen, 
bis  sich  die  Wirkung  von  einem  Punkte  des  Raumes  zum  anderen 
fortgepflanzt  hätte.  Die  Geschwindigkeit  einer  solchen  Fortpflanzung 
lässt  sich  theoretisch  berechnen.  Eine  elektrische  Störung  würde  sich 
nämlich    mit   einer  Geschwindigkeit,    die    der    des    Lichtes    gleichkäme 

(300000  s^) ,  fortpflanzen.      Würde  man  nun    auf   irgend  eine  Weise 

periodisch  elektrische  Störungen  (elektrische  Schwingungen)  hervor- 
rufen, so  würden  sich  diese  in  Form  von  Wellen  durch  das  Zwischen- 
medium —  den  Isolator  —  ausbreiten.  Solche  elektrische  Schwingungen 
liefert  nun  z.  B.  die  Entladung  einer  Leydener  Flasche  ;  die  Zeitdauer 
einer  einzelnen  Schwingung  beträgt  Yioooo  bis  Yiooooooo  Sek.  Diese 
Schwingungsdauer  lässt  sich  aus  bekannten  oder  leicht  zu  bestimmenden 
Grössen  des  angewandten  Apparates  berechnen.  Beträgt  die  Oscillations- 
dauer  bei  der  Entladung  einer  Flasche  ^/loooooo  Sekunde,  so  würde  die 
Länge  der  elektrischen  Welle  300  m  betragen ,  da  die  Länge  gleich 
ist  dem  Produkt  aus  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  (300  000  000  m) 
und  Schwingungsdauer  (Vioooooo  Sek.).  Um  die  Richtigkeit  dieser  Hypo- 
these zu  prüfen,  würde  es  notwendig  sein,  eine  solche  Welle  wirklich 
zu  messen;  stimmte  dann  diese  gemessene  Länge  mit  der  berechneten 
überein,  so  würde  damit  die  Richtigkeit  der  FAKADAx-MAxwELL'schen 
Hypothese  überaus  wahrscheinlich  werden.  Es  ist  das  Verdienst  von 
Hertz,  eine  solche  Messung  zuerst  ausgeführt  zu  haben,  indem  es  ihm 
gelang,  kürzere  und  damit  messbare  Wellen  zu  erzeugen.  Die  Messung 
der  Länge  einer  Welle  kann  in  folgender  Weise  erfolgen.  Stösst  ein 
Wellenzug  gegen  eine  feste  Wand  (z.  B.  Wasserwellen  gegen  eine  Kai- 
mauer) ,  so  findet  bekanntlich  eine  Zurückwerfung  der  Wellen  statt ; 
diese  zurücklaufenden  Wellen  werden  sich  mit  den  ankommenden  kreuzen 
(interferieren) ;  hierdurch  entsteht  eine  besondere  Art  von  Schwingung, 
die  sogenannte  ,, stehende  Schwingung",  bei  der  einzelne  bestimmte 
Punkte  (die  Knoten)  in  Ruhe  bleiben,  während  die  dazwischen  liegenden 
Teilchen    (Schwingungsbäuche)    gleichzeitige    Schwingungen    ausführen ; 


—     LXXVII     - 

die  Knoten  befinden  sich  in  Abständen  von  einer  halben  Wellenlänge 
von  einander.  Gerade  so  müssten  auch  elektrische  Wellen  —  wenn 
anders  sie  existieren  —  an  einer  leitenden  Wand  eine  Zurückwerfung 
erleiden  und  hierbei  Veranlassung  zur  Entstehung  stehender  Schwingungen 
mit  Knoten  und  Bäuchen  geben ;  in  den  Knoten  würden  wir  Minima, 
in  den  Bäuchen  Maxima  der  elektrischen  Kraft  haben.  Hektz  konnte 
nun  diese  Knoten  bei  den  elektrischen  Wellen  nachweisen  und  dadurch 
einmal  den  Beweis  liefern,  dass  sich  solche  bisher  nur  angenommenen 
elektrischen  Wellen  durch  den  Raum  hindurch  fortpflanzen,  dann  aber 
konnte  er  ihre  Wellenlänge  selbst  bestimmen  und  aus  der  Überein- 
stimmung der  beobachteten  Werte  mit  den  berechneten  auf  die  Richtig- 
keit der  Hypothesen  von  Fabaday  und  Maxwell  schliessen. 

Hertz  hat  diese  Knoten  nachgewiesen  mit  Hilfe  von  Resonatoren. 
Ein  solcher  Resonator  ist  ein  kreisförmig  gebogener  Draht,  dessen  Enden 
sich  beinahe  berühren ;  hat  er  die  richtige  Länge ,  so  führt  die  Elek- 
tricität  in  ihm  Schwingungen  aus ,  wenn  er  von  elektrischen  Wellen 
getroffen  wird  —  gerade  so  wie  beim  Hineinsingen  in  ein  Klavier  die- 
jenige Saite  erklingt,  deren  Eigenton  hineingesungen  ist.  Das  Vor- 
handensein von  Schwingungen  im  Resonatordraht  zeigt  sich  in  auf- 
tretenden kleinen  Fünkchen  an  der  Unterbrechungsstelle,  die  jedoch 
wegen  ihrer  geringen  Grösse  nur  mit  der  Lupe  im  verdunkelten  Raum 
wahrgenommen  werden  können. 

Eine  Vorrichtung  von  Bkanly  ist  für  die  Demonstration  günstiger. 
In  ein  mit  Metallfeilicht  angefülltes  Rohr  ragen  zwei  Drähte ;  dieses 
Rohr  ist  durch  einen  Stromanzeiger  und  ein  Element  zu  einem  Kreise 
geschlossen;  im  natürlichen  Zustand  ist  der  Widerstand  des  Rohres 
so  gross,  dass  am  Stromanzeiger  kein  Strom  zu  konstatieren  ist,  weil 
der  Widerstand  des  lose  im  Rohr  liegenden  Metallfeilicht  zu  gross  ist. 
Wird  jedoch  dieses  Rohr  von  elektrischen  Wellen  getroffen,  so  nimmt 
sein  Widerstand  momentan  ab  und  der  Strommesser  zeigt  einen  Strom 
an.  Eine  Erschütterung  des  Rohres  vermehrt  sofort  den  Widerstand 
derartig ,  dass  der  Apparat  wieder  stromlos  wird.  Vermittelst  dieses 
Apparates  können  nun  die  Eigenschaften  der  elektrischen  Wellen  leicht 
nachgewiesen  werden  ;  es  lässt  sich  zeigen,  dass  die  elektrischen  Strö- 
mungen sich  geradlinig  fortpflanzen ,  dass  sie  von  leitenden  Wänden 
zurückgeworfen  werden ,  dass  sie  beim  Übergang  von  einem  Mittel  in 
ein  anderes  an  der  Grenzfläche  eine  Brechung  erleiden,  dass  sie  polari- 
siert sind,  dass  sie  der  Beugung  unterworfen  sind  u.  s.  w.  Kurz,  es 
lassen  sich  an  ihnen  alle  Eigenschaften  nachweisen,  die  uns  beim  Licht 
bekannt  sind.  Wegen  der  Übereinstimmung  der  Gesetze  der  Fort- 
pflanzung der  strahlenden  Wärme  mit  denen  des  Lichtes  hat  man 
seiner  Zeit  bekanntlich  beide  identifiziert,  d.  h.  die  strahlende  Wärme 
ebenfalls  wie  das  Licht  als  transversale  Schwingungen  des  Äthers  auf- 
gefasst;  die  durch  die  Versuche  von  Hertz  nachgewiesene  Überein- 
stimmung der  Gesetze  der  elektrischen  Wellen  mit  denen  des  Lichts 
berechtigt  uns  wiederum ,  das  Licht  als  elektrische  Schwingungen  zu 
betrachten ;  diese  Anschauung  bildet  die  Grundvorstellung  der  elektro- 
magnetischen Lichttheorie. 


-     LXXVIII     - 

Marconi's  sogenannte  Telegraphie  ohne  Draht  beruht  nun  auf 
der  Benutzung  solcher  HERXz'scher  elektrischer  Wellen,  die  auf  einer 
Station  erzeugt  werden  und  auf  der  anderen  (der  Empfangsstation)  auf 
eine  BßANLY'sche  Röhre  wirken.  Während  jedoch  bisher  derartige 
Wellen  nur  auf  kürzere  Entfernungen  wirksam  blieben,  ist  es  Marconi 
gelungen,  solche  auf  grössere  Entfernungen  hin  zu  entsenden,  indem  er 
sowohl  vom  Geber  wie  Empfänger  ein  Ende  mit  der  Erde,  das  andere 
mit  einem  senkrecht  in  die  Luft  aufragenden  langen  Drahte  verband; 
ferner  hat  er  eine  sinnreiche  Vorrichtung  konstruiert,  durch  die  er  den 
auf  der  Empfangsstation  in  der  BBANLy'schen  Röhre  durch  die  elek- 
trischen Wellen  ausgelösten  Strom  dazu  benutzt,  um  vermittelst  eines 
Relais  und  sogenannten  Lokalstromes  einen  der  bekannten  Telegraphen- 
apparate in  Thätigkeit  zu  versetzen ,  auf  dessen  Papierstreifen  dann 
die  Depesche  in  gewöhnlicher  Weise  in  der  Form  von  Strichen  und 
Punkten  erscheint.  Je  länger  man  den  erwähnten  Luftdraht  macht, 
um  so  weiter  gelingt  es  elektrische  Wellen  zu  entsenden.  So  gelang 
es  in  folgende  Entfernungen  Depeschen  zu  senden : 

über    den    Bristol-Kanal    auf   eine    Entfernung   von    5   km    bei    einer 

Länge  des  Luftdrahtes  von   50  m ; 
bei  Spezia   auf   eine  Entfernung  von   16,3   km    bei    einer  Länge    des 

Luftdrahtes  von  34  m; 
bei    Berlin    auf   eine    Entfernung    von    21   km    bei    einer    Länge    des 

Luftdrahtes  von   300  m; 
die  letzte  weiteste  Entfernung  würde  ungefähr  der  Distanz  Stuttgart — 
Plochingen  entsprechen. 

Mit  der  Erde  in  Verbindung  stehende  Leiter  (also  Bäume,  Berge  etc.), 
die  den  Weg  der  elektrischen  Wellen  kreuzen,  hindern  jedoch  die  Aus- 
breitung derselben,  ebenso  scheint  eine  verschiedene  Beschaffenheit  der 
Luft  (also  Temperaturunterschiede,  Staubgehalt  etc.)  schädlich  zu  wirken, 
so  dass  nur  bei  reiner  Luft  und  Fehlen  von  Hindernissen  die  Wellen 
bis  in  jene  grösseren  Entfernungen  sich  fortpflanzen. 

Bis  jetzt  steht  jedoch  auch  der  auf  kurze  Entfernungen  beschränkten 
Anwendung  der  Telegraphie  ohne  Draht  hindernd  entgegen ,  dass  eine 
solche  Depesche  von  jedem  mit  dem  BBANLx'schen  Rohr  aufgefangen 
werden  kann  —  also  wie  seiner  Zeit  die  Depeschen  des  alten  optischen 
Telegraphen  —  jedermann  zugänglich  sind.  Die  nächste  Aufgabe  würde 
mithin  die  sein ,  Sender  zu  erfinden ,  die  nur  Wellen  von  bestimmter 
Länge  aussenden ,  dann  würde  nur  der  auf  diese  bestimmte  Wellen- 
länge abgestimmte  Empfänger  auf  diese  reagieren;  bis  jetzt  ist  eine 
solche  Abstimmung  des  Empfängers  nicht  möglich,  da  der  Sender  Wellen 
der  verschiedensten  Länge  gleichzeitig  giebt. 

Man  sieht,  wir  stehen  vorerst  nur  an  der  Pforte  eines  neuen 
Gebietes,  das  sich  aber  durch  weitere  Entdeckungen  zu  ungeahnter 
Grösse  ausdehnen  könnte. 


LXXIX 


Sitzung  vom   10.   März   1898. 

Den  ersten  Vortrao;  hielt  Dr.  A.  Reuss,  Oberstabsarzt  II.  Klasse 
der  Landwehr,  über:  „Schusswirkung  der  Kleinkaliber -Ge- 
schosse auf  den  menschlichen  Körpe r".  Der  Vortragende  stützte 
sich  in  seinem  Referat  hauptsächlich  auf  die  zwei  Werke  :  H.  Bikchek, 
Generalarzt  des  II.  schweizerischen  Armeekorps,  ,,Neue  Untersuchungen 
über  die  Wirkung  der  Handfeuerwaffen",  mit  Atlas  von  40  Tafeln, 
1896/97,  und  Prof.  P.  Bkuns:  ,,Über  die  Wirkung  und  kriegschirurgische 
Bedeutung  der  Selbstladepistole  System  Mauser  1897",  zu  welchem  Prof. 
Bruns  noch  die  Originalphotographien  nach  Röntgen  in  natürlicher 
Grösse ,  sowie  einige  Knochenpräparate  und  Schädel  in  dankenswerter 
Weise  überlassen  hatte. 

Die  jetzigen  Infanteriegeschosse  bestehen  fast  alle  aus  Hartblei 
mit  einem  Stahlmantel  und  eiförmiger  Spitze  im  Gewicht  von  2,15  gr, 
mit  einem  Kaliber  von  7,5 — 8  mm  und  einer  Anfangsgeschwindigkeit  von 

600  —  640  m  pro  Sekunde,    woraus    sich    nach    der   Formel  -^    v^    die 

Arbeitsleistung  =  lebendige  Kraft  von  320  mkgr  berechnen  lässt. 
Das  Zündnadelgewehr  hatte  nur  140  mkgr  im  Anfang.  Die  Selbstlade- 
pistole hat  7,63  mm  Kaliber,  das  Geschoss  ist  5,5  gr  schwer,  Anfangs- 
geschwindigkeit 425  m,  lebendige  Kraft  daher  50  mkgr  gleich  dem 
Infanteriegewehr  auf  1000  m  Distanz. 

Im  Prinzip  geht  die  Wirkung  dieser  Geschosse  dahin,  dass  sie 
durch  Aufhebung  der  Molekularkohäsion  zertrümmernd 
auf  jedes  Gewebe  wirken,  soweit  es  in  ihrer  Flugbahn 
liegt. 

In  der  Haut  macht  das  Geschoss  glatte,  wie  mit  dem  Messer 
ausgestanzte  Löcher  beim  Einschuss  bei  senkrechtem  Aufschlag,  kreis- 
runde vom  Durchmesser  des  Kalibers  in  nahen  Entfernungen,  in  grösseren 
allmählich  abnehmend,  da  dann  nur  die  Spitze  zertrümmernd  wirkt  und 
die  Elasticität  der  Haut  daneben  noch  zur  Geltung  kommt.  Bei  schiefem 
Aufschlag  oval.  Die  Ausschüsse  unregelmässig,  oft  zerrissen,  häufig 
grösser,  ja  sogar  sehr  ausgedehnt,  besonders  bei  Knochenschüssen  durch 
die  mitgerissenen  Gewebetrümmer,  hier  und  da  waren  Schlitze  ohne 
Substanzdefekt.  In  den  Sehnen  ebensolche  Schlitze  ohne  Defekt.  In 
den  Muskeln  glatte  runde,  etwas  trichterförmig  sich  erweiternde 
Kanäle. 

Die  Blutgefässe  werden  auch  glatt  durchschlagen  ohne  Quet- 
schung, wobei  öfters  Gewebebrücken  zwischen  den  Enden  erhalten  bleiben 
und  gefährliche  Blutungen  bedingen. 

Bei  den  Knochen  wird  der  direkt  getroffene  Teil  zu  Sand  zer- 
trümmert, die  Umgebung  des  Defekts  durch  Fortleitung  des  Stosses, 
sowie  durch  die  Keilwirkung  der  eiförmigen  Spitze  besonders  bei  den 
Diaphysen  der  langen  Röhrenknochen  in  viele  kleinere  und  wenigere 
grössere  Splitter  zerschlagen  (ersteres  bei  nahen ,  letzteres  bei  Fern- 
schüssen), deren  Entstehung  durch  typische  Sprunglinien  nach  Bircher 
an    den  Tafeln    demonstriert    wird.      Die  Ausdehnung    der  Splitterungs- 


—     LXXX     - 

Zone  ist  in  allen  Distanzen  ungefähr  gleich  gross  und  richtet  sich  nach 
der  Härte  der  verschiedenen  Knochen  (vergl.  Messeker  Über  Elasticität 
und  Festigkeit  der  menschlichen  Knochen).  Die  Knochentrümmer  werden 
in  die  Weichteile  hineingetrieben  und  verursachen  hier  eine  Zer- 
trümmerungshöhle, die  um  so  ausgedehnter  ist,  je  geringer  die 
Schussdistanz,  bei  Nahschüssen  bis  zur  Haut  sich  erstrecken  kann. 

Dabei  wird  das  Geschoss  selbst  oft  deformiert  und  wirkt  dann 
noch  verheerender  beim  Ausschuss.  Lochschüsse  kommen  bei  diesen 
Knochen  erst  über  1600 — 2000  m  Distanz  vor.  Bei  Streifschüssen 
bricht  der  Knochen  durch  eine  einfache  Fraktur  quer  oder  schief  durch. 

Die  Epiphysen  der  langen  Knochen  und  die  spongiösen 
Knochen  zeigen  trichterförmige  Schusskanäle  bei  Nahschüssen  mit 
Fissuren  und  Sprüngen  mit  nur  geringer  Weichteilzertrümmerung. 

Die  platten  Knochen  weisen  reine  Lochschüsse  mit  geringen  Fissuren 
auf.  Dieselbe  Verletzung  zeigen  entfernte  Schädel;  bei  Voll- 
sch adeln  kommt  bis  auf  1600 — 2000  m  Entfernung  die  Übertragung 
des  Stosses  auf  den  flüssig-weichen  Lihalt  dazu,  die  früher  ,, hydrau- 
lisch", jetzt  ,, hydrodynamisch"  genannte  Wirkung,  welche  die  Knochen- 
kapsel zersprengt,  bei  Nahschüssen  (Selbstmördern  etc.)  mit  der  Haut- 
decke, in  mittlerer  Entfernung  mit  allmählich  abnehmender  Stärke  und 
Zahl  der  Knochensprünge.  Auch  hier  hat  Birchek  in  seinem  Atlas 
Versuche  abgebildet,  welche  den  Vorgang  im  einzelnen  erklären. 

Das  leere  Herz  zeigt  Lochschüsse,  das  bluterfüllte  Zerreissung 
durch  die  obenerwähnte  hydrodynamische  Wirkung.  Die  Lungen  zeigen 
meist  relativ  enge  glatte  Schusskanäle  mit  guter  Prognose  für  die 
Heilung. 

Leber,  Milz  und  Nieren  werden  durch  die  hydrodynamische 
Wirkung  auf  das  weiche  Parenchym  ohne  stützendes  elastisches  Binde- 
gewebe zerfetzt.  Magen  und  Darmkanal  meist  multipel  durch- 
löchert, wenn  mit  Inhalt  erfüllt,   oft  zerrissen. 

Schliesslich  werden  noch  die  drei  Schiessversuche  von  Brdtjs  mit 
der  Mauserpistole  auf  mehrere  hintereinander  aufgestellte  Leichen  an- 
geführt, wobei  auf  10  und  50  m  Distanz  je  zwei  Leichen  mit  mehreren 
Knochenzertrümmerungen  durchbohrt,  das  Geschoss  in  der  dritten  stecken 
blieb  und  auf  300  m  der  Oberarmknochen  der  ersten  Leiche  zer- 
schmettert und  die  Muskeln  der  zweiten  in  7  cm  langem  Kanal  durch- 
schossen wurden.  Es  entspricht  das  der  Wirkung  des  Infanteriegewehrs 
auf  1100,    1400  und  auf  3000  m  Distanz. 

Den  zweiten  Vortrag  hielt  Prof.  Hofmann  (K.  tierärztl.  Hoch- 
schule): ,, Statistisches  über  die  Haustiere  in  Württemberg." 
An  interessanten  Tabellen  erörterte  der  Vortragende  die  mancherlei 
Schwankungen,  welche  die  einzelnen  Gattungen  der  Haustiere  im  Verlauf 
der  letzten  60  Jahre  durchgemacht  haben.  Völlig  verschwunden  sind 
Esel  und  Maultier,  welche  einst  eine  nicht  unwesentliche  Rolle  spielten. 
Bemerkenswerte  Kurven  zeigt  die  Pferdezucht ;  auffallenderweise  ist  das 
Halten  der  Schafe  als  Haustiere  stark  zurückgegangen,  was  jedenfalls 
mit  dem  Abschluss  des  französischen  Marktes,  der  geringeren  Vorliebe 
unserer  Bevölkerung  für  Hammelfleisch  und  der  Ausnützung  des  Landes 


-     LXXXI    — 

für  Kulturzwecke  statt  für  Weidezwecke  zusammenhängt.  Dagegen 
ist  die  Aufzucht  des  Schweines  bedeutend  gestiegen  und  das  Schwein, 
welches  so  vielfach  verwendbar  ist,  kann  auch  als  das  hauptsäch- 
lichste Haustier  betrachtet  werden. 


Oberschwäbischer  Zweigverein. 

Sitzung  in  Aulendorf  am  2.  Februar   1898, 

Nach  langer  Zwischenzeit  versammelte  sich  der  Verein  wieder  am 
Lichtmessfeiertag  in  Aulendorf.  Eine  stattliche  Zahl  von  Mitgliedern 
war  erschienen ;  leider  fehlte  der  seitherige  Vorsitzende  Dr.  Freiherr 
Rieh.  V.  Koenig-Warthausen,  der  durch  Krankheit  abgehalten  war.  An 
seiner  Stelle  leitete  Apotheker  Dr.  Leube  von  Ulm  die  Versammlung. 
Er  verlas  ein  Schreiben  des  Vorstandes,  in  welchem  dieser  sein  Zurück- 
treten von  dem  Amte,  das  er  25  Jahre  lang  inne  gehabt  hatte,  an- 
kündigte und  für  das  erfahrene  Vertrauen  dankte,  dem  Vereine  neue 
jKräfte  und  frisches  Gedeihen  wünschend.  Nachdem  sich  die  Anwesenden 
zu  Ehren  der  im  vergangenen  Jahre  hingeschiedenen  Mitglieder,  Ober- 
förster Dr.  Frank,  Dr.  Max  Graf  Zeppelin  und  Direktor  Dr.  v.  Fraas, 
erhoben  hatten,  wies  Prof.  Dr.  Lampert  von  Stuttgart  auf  die  notwendig 
gewordene  Vervollständigung  des  Ausschusses  hin.  Dr.  Leube  machte 
den  Vorschlag,  Dr.  v.  Koenig-Warthausen  zum  Ehrenvorstand  und 
den  nach  Stuttgart  übergesiedelten  seitherigen  Schriftführer,  Hofrat 
Dr.  Finkh,  zum  korrespondierenden  Mitglied  zu  ernennen.  Der  Vor- 
schlag fand  allgemeine  Zustimmung.  In  den  Ausgchuss  wurden  ge- 
wählt: Direktor  Dr.  Kreuser  von  Schussenried  als  Vorsitzender,  Prof. 
Dr.  Pilgrim  von  Ravensburg  als  Schriftführer,  Oberamtsarzt  Dr.  Palm  er 
von  Biberach  und  Fabrikant  Kr  aus  s  von  Ravensburg  als  weitere  neue 
Mitglieder;  von  früher  her  sind  in  dem  Ausschuss  Kammerer  Pfarrer 
Dr.  Probst  von  Essendorf  und  Apotheker  Dr.  Leube  von  Ulm. 

Die  Reihe  der  Vorträge  eröffnete  Direktor  Kreuser  mit  einer 
Mitteilung  über  einen  Gräberfund,  der  anlässlich  der  Herstellung  einer 
Hochdruckwasserleitung  beim  Zellerhof,  unweit  Schussenried,  gemacht 
wurde.  Es  fanden  sich  in  dem  ausgegrabenen  Gemäuer,  das  3,3  m 
lang  und  1,2 — 2  m  breit  und  von  eiförmigem  Grundriss  ist,  ein  Arm- 
ring und  andere  Artefakten  von  Bronze,  ein  Schädeldach  und  Stücke 
von  Röhrenknochen ;  aus  einem  zweiten  Stirnbein  folgte ,  dass  zwei 
Personen  dort  bestattet  worden  waren.  Die  aufgefundenen  Gegenstände 
weisen  auf  keltische  Völkerschaften  der  Hallstadtperiode  hin  und  dürften 
etwa  2000  Jahre  alt  sein.  Prof.  Dr.  Fraas  machte  auf  die  anthro- 
pologisch-prähistorische Bedeutung  des  Fundes  aufmerksam.  Der  be- 
schriebene Grabtypus  findet  sich  häufig  auf  der  Alb,  selten  aber  in 
Oberschwaben,  jedoch  weicht  der  Schussenrieder  Fund  durch  seinen 
Steinsatz  am  Boden  von  den  Albgräbern  ab ,  in  denen  sich  Brand- 
stätten und  Aschenurnen  vorfinden ,  ausserdem  noch  oft  Skelette.  — 
Nachdem  Fabrikant  Krauss  auf  die  Gründung  des  oberschwäbischen 
Zweigvereins    vor    25  Jahren  hingewiesen    und  der  sieben  Gründer  ge- 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  f 


—     LXXXII     — 

dacht  hatte,  hielt  Prof.  Dr.  Lampert  einen  Vortrag  über  die  Saug- 
würmer,  ein  Kapitel  der  Parasitenkunde.    An  der   degenerierten  Leber 
eines  Schafes  fand  Redner  einen   20  cm  langen,   5  — 10  cm  breiten  Aus- 
wuchs,  aus  dem  beim  Aufschneiden  eine  braune  Flüssigkeit  floss ,    im 
Innern    befanden    sich   1  — 1,5  cm    lange,    ^U — ^2   cm    breite  Würmer, 
Leberegel  (Distomum  hepaticuni),  deren  Entwickelungsgeschichte  besonders 
interessant  ist.     Die  Saugwürmer    zeichnen    sich  durch  einen  ausgebil- 
deten   Generationswechsel    aus.      Aus    dem  Ei    entstehen    zunächst    ge- 
schlechtslose Tiere,    aus    denen    andere    durch  Sprossung   hervorgehen, 
bis  nach  einer  Reihe  von  solchen  wieder  ein  geschlechtsreifes  Tier  ent- 
steht.     Die    Entwickelungsgeschichte    der    Wirbeltierparasiten    hat    be- 
sonders   Professor    LEUKAKT-Leipzig    aufgeklärt.       Das    Geschlechtstier 
schmarotzt    stets    bei    einem  Wirbeltier    im  Verdauungstraktus ,    in  der 
Lunge  oder  in  der  Harnblase.      Die   Eier    gelangen    nach    aussen,    und 
es  gehen  mikroskopisch  kleine,  bewimperte  Tierchen  daraus  hervor,   die 
im  Wasser  schwärmen  oder  sich  in  sehr  feuchter  Erde    bewegen.      Die 
Larve  muss  in  ein  Weichtier  (Schnecke  oder  Muschel)   gelangen.     Dort 
verliert    sie    die  Wimpern  und  bildet    sich    zu    einem    Schlauche ,    dem 
Keimschlauche,   aus;   darin  entstehen  Keimlinge,  sogenannte  Cercarien, 
die  vorne  einen    kleinen  Stachel ,    hinten    ein  Schwänzchen  haben ;    sie 
bohren  sich   durch  den  Schlauch  und  gelangen    freischwimmend  wieder 
ins  Wasser.     Dort  suchen  sie  als  zweiten  Wirt  ein  Insekt,   ein  Amphi- 
bium    oder    einen   Fisch    auf.      Mit  dem  Stachel    bohren   sie    sich    ein, 
während  der  Schwanz  draussen  bleibt  und  abgestossen  wird.    Das  Tier 
zieht  sich  in  das  Innere    des  Wirts    und   kapselt    sich    dort   ein ,    wird 
aber  nie   geschlechtsreif,    wenn    es    nicht    samt    seinem  Wirt   gefressen 
wird  und  in  den  Magen  eines  Wirbeltieres  gelangt;   erst  dort  entwickelt 
es  sich   zum    geschlechtsreifen  Saugwurm.     Von    dieser    typischen  Ent- 
wickelungsgeschichte kommen  manche  Ausnahmen  vor  :   der  Keimschlauch 
kann  statt  Cercarien  wieder  Keimschläuche  produzieren,    die  abermals 
Keimschläuche  erzeugen  können,    so  dass  aus  einem  Ei  sich  400  Cer- 
carien   bilden    können.      Es  kann  auch  der  zweite  Wirt  wegfallen  und 
die  Cercarien  sich  an   Grashalmen  u.  dgl.   einkapseln.    Dies  ist  speciell 
beim  Leberegel  der  Fall,  denn  mit  dem  Futter  gelangen  dann  die  Cer- 
carien in  das  Schaf.     Die  Fruchtbarkeit    kann    eine    sehr    grosse    sein, 
so  legt  z.   B.  der  Leberegel  Tausende    von  Eiern    ein ,    so    dass    einem 
Aussterben  dieser  Parasiten  vorgebeugt  ist,    obgleich    ihnen  auf  ihrem 
Entwickelungsgange  viele  Gefahren  drohen.    Besonders  unter  den  Schaf- 
herden Australiens  hat  der  Leberegel  grosse  Verheerungen  angerichtet; 
bis  zu  ein  Drittel  des  Bestandes  gingen  an  der  Leberfäule  zu  Grund; 
bedeutende  Preise  wurden  für  ein  Gegenmittel  ausgeschrieben.    Obwohl 
man  seit  zwei  Jahren  die  Entwickelungsgeschichte  der  Leberegels  kennt, 
hat  man  noch  kein  Mittel  gefunden,   denselben  unschädlich  zu  machen. 
Praktische  Schäfer  wissen  schon  lange,   dass  die  Leberfäule  auf  nassen 
Wiesen  besonders  häufig  entsteht.     Auch   im  Menschen    sind  Leberegel 
schon  gefunden  worden,  wahrscheinlich  durch  Brunnenkresse  eingeführt. 
In  Japan  hat  Dr.   BÄLZ-Tokio    einen  Saugwurm  als  Lungenparasit    be- 
obachtet, der  phthisisähnliche  Erscheinungen  hervorruft,  die  aber  nicht 


—     LXXXIII     — 

lebensgefährlich  sind.     Lebhafter  Beifall  wurde  dem  Redner  für  seinen 
lehrreichen  Vortrag  gespendet. 

Prof.  Dr.  Fr  aas  sprach  hierauf  noch  über  die  interessanten 
Petrefakten,  die  Fabrikant  Krauss  mitgebracht  hatte;  unter  denselben 
war  der  Abdruck  eines  Skolopenders  aus  der  Steinkohlenformation  be- 
sonders merkwürdig.  Nach  einer  Pause  gab  er  sodann  sehr  anziehende 
Mitteilungen  über  seine  ägyptische  Reise.  Es  handelte  sich  dabei  be- 
kanntlich um  die  geologische  Untersuchung  des  Gebiets  zwischen  Kene 
am  Nil  und  Kosseir  am  Roten  Meere.  Begeisterter  Beifall  lohnte  den 
Redner  für  die  lebendigen  und  packenden  Schilderungen  seiner  interes- 
santen Reise.  Noch  traf  ein  Danktelegramm  des  seitherigen  Vorstandes 
von  Warthausen  ein,  womit  der  offizielle  Teil  der  Versammlung  seinen 
Abschluss  fand.  Auf  dem  Weg  nach  dem  Bahnhof  hatte  man  Gelegen- 
heit, zwar  nicht  mit  dem  Chamsin,  den  Prof.  Dr.  Fraas  so  trefflich 
nach  seinen  Wüstenerinnerungen  geschildert,  wohl  aber  mit  seinem 
oberschwäbischen  Kollegen,  dem  Föhn,  zu  kämpfen. 


Schwarzwälder  Zweigverein. 

Sitzung  in  Tübingen  am  21.  Dezember  1897. 

In  Vertretung  des  abwesenden  Vorstandes,  Prof.  Dr.  Eimer,  er- 
öffnet Dr.  Fickert  die  zahlreich  besuchte  Versammlung,  gedenkt  der 
im  Laufe  des  Jahres  verstorbenen  eifrigen  Vereinsmitglieder  (Dr.  Höch- 
stetter,  Direktor  v.  Fraas,  Buchhändler  Koch)  und  schlägt  unter 
allgemeinem  Beifall  den  Prof.  Dr.  Vöchting  als  Vorsitzenden  für  die 
Sitzung  vor.  Darauf  sprach  Dr.  Hesse  über  ,,die  Sehorgane  des 
Amphioxus".  Nachdem  der  Redner  auf  die  Bedeutung  dieses  Tieres 
für  unsere  Vorstellung  von  den  ältesten  Wirbeltierahnen  hingewiesen 
hat,  bespricht  er  die  früheren  Ansichten  über  die  Sehorgane  desselben: 
die  naheliegende  Annahme,  dass  der  Sitz  der  Lichtwahrnehmung  in 
einem  Pigmentfleck  am  Vorderende  des  Hirnes  zu  suchen  sei,  wird 
durch  die  wechselnde  Gestalt  und  Lage  dieses  Pigmentfleckes  zweifel- 
haft ;  dann  aber  zeigen  Versuche,  dass  die  Amphioxus  auch  dann  noch 
auf  Lichtreize  reagieren,  wenn  man  ihnen  das  Vorderende  samt  Gehirn 
und  Pigmentfleck  abschneidet,  ja,  dass  selbst,  wenn  man  solch  geköpftes 
Individuum  halbiert,  das  vordere  wie  das  hintere  Teilstück  deutliche 
Reaktion  bei  plötzlicher  Belichtung  erkennen  lässt.  Im  Rückenmark 
des  Tieres  kennt  man  schon  seit  lange  eine  grosse  Anzahl  Pigment- 
flecken, die  bisher  aber  wenig  beachtet  wurden.  Nähere  Untersuchung 
zeigt,  dass  dies  keine  soliden  Haufen  von  Pigmentkörnchen,  sondern 
dass  sie  schalenförmig  ausgehöhlt  sind  und  von  einer  Seite  her  kappen- 
artig einer  Zelle  aufsitzen,  die  sich  auf  der  anderen  Seite  in  eine  Faser 
auszieht;  soweit  die  Zelle  in  der  Pigmentschale  steckt,  ist  ihre  Ober- 
fläche dicht  mit  kleinen,  parallel  gestellten  Stiftchen  besetzt,  die  auf 
Schnitten  als  dunkler  Saum  erscheinen.  Dies  ist  völlig  der  Bau,  wie 
wir  ihn  von  den  Becheraugen  mancher  Würmer  kennen,  und  man  kann 


—     LXXXIV     - 

daher  auch  diese  Organe  des  Amphioxus  als  einfachste  Augen  be- 
trachten. Diese  Augenpunkte  sind  im  Rückenmark  segmental  ange- 
ordnet; sie  beginnen  im  dritten  Segment  (jederseits  zwei),  im  vierten 
Segment  finden  sich  über  30,  nach  der  Mitte  des  Tieres  zu  nimmt 
die  Zahl  beträchtlich  ab  und  wird  gegen  den  Schwanz  hin  immer  spär- 
licher. Auf  Querschnitten  liegen  die  Augen  zu  beiden  Seiten  und 
unterhalb  vom  Centralkanal  des  Rückenmarks,  und  zwar  sind  die  Pig- 
raentbecher  der  links  gelegenen  Augen  nach  rechts  oben,  die  der  rechts 
gelegenen  nach  rechts  unten  gerichtet,  so  dass  sie  für  eine  Beleuchtung 
von  der  rechten  Seite  her  angeordnet  erscheinen.  Dies  ist  wahrschein- 
lich darauf  zurückzuführen,  dass  die  Tierchen,  wenn  sie  aus  dem  Sande 
hervorkommen,  meist  auf  der  Seite  liegen. 

Prof.  Dr.  Koken  sprach  hierauf  über  „Rhamphorhynchus". 
In  einem  Steinbruch  bei  Nusplingen,  wo  schon  früher  mit  Erfolg  nach 
Versteinerungen  gegraben  wurde ,  hat  sich  bei  Wiederaufnahme  der 
Ausgrabungen  ein  sehr  gut  erhaltenes  Skelett  eines  Rhamphorhi/nchus 
gefunden.  Dieser  gehört  mit  Pterodadijlus  zu  der  Familie  der  Flug- 
saurier, einer  Gruppe  vogelähnlicher  Reptilien ;  vom  Pterodacfi/lus  unter- 
scheidet er  sich  durch  seinen  langen  Schwanz ,  der  mit  starken  ver- 
knöcherten Sehnen  versehen  ist  und  sicher  an  seinem  Ende,  wahrscheinlich 
seiner  ganzen  Länge  nach,  eine  Flughaut  trug.  Die  Vordergliedmassen 
übertreffen  die  hinteren  bei  weitem  an  Grösse  und  sind  zu  Flugwerk- 
zeugen geworden  durch  eine  Haut,  die  sich  zwischen  Ober-  und  Unter- 
arm und  dem  innersten  Finger  ausspannt ;  die  übrigen  Finger  sind  frei 
und  dienten  dem  Tiere  wohl  beim  Gehen.  Die  Knochen  sind  alle 
pneumatisch,  was  auf  ein  Vorhandensein  von  Luftsäcken  schliessen  lässt, 
wie  sie  die  Vögel  besitzen.  Auch  das  Gehirn  der  Flugsaurier  gleicht 
dem  der  Vögel  weit  mehr  als  irgend  einem  Reptiliengehirn.  Es  ist 
durchaus  nicht  ausgeschlossen,  dass  die  Flugsaurier  in  naher  verwandt- 
schaftlicher Beziehung  zu  den  Vögeln  stehen ;  das  Vorhandensein  von 
Zähnen  wäre  kein  Hinderungsgrund  für  eine  solche  Annahme ;  denn 
auch  Arcliaeopteryx  und  Ichthi/ornis  haben  bezahnte  Kiefer.  Bei  man- 
chen Rhamphorhynchen  ist  das  vordere  Kieferende  unbezahnt,  woraus 
auf  das  Auftreten  einer  Hornscheide  um  die  vorderste  Schnabelspitze 
zu  schliessen  wäre.  —  Weiter  spricht  Prof.  Dr.  Koken  über  den 
„tertiären  Menschen".  Man  kennt  zwar  schon  eine  grosse  Anzahl 
Funde  aus  tertiären  Schichten,  die  auf  das  Vorhandensein  von  Menschen 
zur  Tertiärzeit  hindeuten.  Bisher  wurden  aber  alle  für  nicht  beweis- 
kräftig erachtet.  Zwei  Funde  jedoch  dürften  keinem  Zweifel  begegnen. 
Der  erste  besteht  in  einer  Anzahl  behauener  Feuersteinstücke,  die  zu- 
sammen mit  einem  Hipparion-Zaiine  in  einer  zweifellos  tertiären  Schicht 
gefunden  wurden;  besonders  beweiskräftig  ist  eines  der  Stücke,  das 
man  allgemein  als  ein  Steinmesser  anerkannt  hat.  Die  Fundschicht 
ist  ein  Konglomerat,  und  die  Stücke  mussten  teilweise  erst  aus  dem 
Gestein  herausgearbeitet  werden.  Dieser  Fund  wurde  in  Burma,  östlich 
vom  Irawaddi,  gemacht.  Der  zweite  Fund  stammt  aus  den  Pampas- 
schichten Südamerikas.  Die  Lössbildungen ,  die  diese  Schichten  zu- 
sammensetzen, sind  zum  Teil  recht  alt.    Die  beiden  obersten  Schichten 


—     LXXXV     — 

gehören  dem  Alluvium  an,  die  folgende,  mit  einer  ganzen  Anzahl  er- 
loschener Arten  und  Gattungen ,  ist  dem  Diluvium  zuzurechnen ;  die 
vierte  endlich,  die  Hauptschicht,  enthält  einen  so  hohen  Prozentsatz 
erloschener  Arten  und  Gattungen,  dass  man  sie  sicher  für  tertiär  halten 
muss.  In  dieser  Schicht,  dem  Pampeano,  finden  sich  zahlreiche  Spuren 
des  Menschen,  besonders  im  mittleren  Teile,  wo  ausser  Waffen,  Feuer- 
stätten und  bearbeiteten  Knochen  auch  Skelette  von  Menschen  vor- 
kommen. Interessant  ist  besonders  ein  Fund,  wo  man  unter  dem  Schilde 
eines  Glyptodon  in  einer  Grube  das  Skelett  eines  Menschen  fand,  aber 
keine  Spur  des  G-lyptodon-^kQlQiis;  es  wurde  der  Schild  also  als  Hütten- 
dach benützt;  man  findet  auch  solche  Glyptodon-^chxXdiQ,  die  senkrecht 
aufgestellt  waren,  wohl  als  Windschirme.  Die  Menschen  gehörten  einer 
kleinen  Rasse  an  mit  ausgesprochen  dolichocephalem  Schädel ;  solche 
Schädel  finden  sich  auch  noch  im  Diluvium,  zum  Teil  mit  Spuren 
künstlicher  Deformierung,  wie  sie  jetzt  noch  bei  südamerikanischen 
Völkern  gebräuchlich  ist.  Aber  die  jetzigen  Bewohner  jener  Gegenden 
sind  brachycephal,  können  also  mit  jenen  des  Tertiärs  und  der  Diluvial- 
zeit nicht  in  direktem  Zusammenhange  stehen. 

Es  folgte  ein  Vortrag  von  Dr.  Correns  über  ,,die  ungeschlecht- 
liche Vermehrung  der  Laubmoose".  Die  Vermehrung  der  Laub- 
moose geschieht  teils  durch  Sporen ,  teils  durch  ungeschlechtliche 
Brutorgane,  welche  an  den  verschiedensten  Teilen  des  aus  der  Spore 
hervorgegangenen  Mooses  entstehen  können.  Die  Spore  wächst  zu- 
nächst zu  einem  verästelten  fadenartigen  Gebilde  aus,  dem  Protonema; 
an  diesen  Fäden  entstehen  Knospen,  die  je  ein  beblättertes  Moos- 
stämmchen  aus  sich  hervorgehen  lassen ;  in  den  Blattachsen  dieser 
Stämmchen  stehen,  wie  bei  den  höheren  Pflanzen,  Knospen  und  neben 
ihnen  Zellfäden ,  sogenannte  Rhizoiden  und  an  der  Spitze  des  Haupt- 
sprosses entwickeln  sich  die  Geschlechtsorgane,  entweder  männliche  und 
weibliche  auf  dem  gleichen  Pflänzchen  oder  auf  verschiedenen ;  zwischen 
ihnen  stehen  fadenförmige  Gebilde,  die  Paraphysen.  Beinahe  jeder  von 
diesen  Teilen  eines  Mooses  kann  zur  ungeschlechtlichen  Fortpflanzung 
befähigt  sein.  Ein  Stückchen  des  Protonema  vermag  wieder  zu  einem 
ganzen  Protonema  auszuwachsen,  an  dem  Knospe  und  Moosstämmchen 
entstehen ;  Stücke  des  Stämmchens ,  die  Blätter ,  die  achselständigen 
Rhizoiden,  die  Paraphysen  sind  noch  lebensfähig :  einzelne  ihrer  Zellen 
wachsen  aus  und  erzeugen  ein  Protonema ,  an  dem  sich  dann  wieder 
beblätterte  Stämmchen  entwickeln.  Häufig  bilden  sich  die  Paraphysen 
zu  besonderen  Brutkörpern  um.  In  der  Natur  ist  dieser  Art  der  Ver- 
mehrung gewöhnlich  dadurch  Vorschub  geleistet,  dass  alle  diese  Teile 
leicht  abbrechen  und  so  zu  selbständigem  Auswachsen  gelangen ;  bis- 
weilen bilden  sich  auch  bei  den  Blättern  besondere  Zellreihen  aus, 
Trennzonen ,  in  denen  leicht  eine  Abtrennung  geschieht.  Höchst  be- 
merkenswert ist  es,  dass  nicht  wie  bei  den  Lebermoosen  jede  einzelne 
Zelle  im  stände  ist,  ein  neues  Pflänzchen  aus  sich  zu  erzeugen,  sondern 
es  sind  einzelne ,  mit  besonderen  Eigenschaften  ausgestattete  Zellen, 
die  das  vermögen,  während  die  Nachbarzellen  nicht  dazu  im  stände 
sind.    Jene  Zellen,  die  Nematogonen,  sind  ausserordentlich  plasmareich, 


~     LXXXYI    — 

enthalten  keine  Reservestoffe  (Stärke  u.  a.)  und  haben  nach  aussen  eine 
dünne  Membran,  während  die  umliegenden  Zellen  eine  resistente  Mem- 
bran besitzen  und  viel  Reservematerial  in  sich  schliessen.  —  Die  Bil- 
dung besonderer  Brutkörper  findet  nicht  bei  allen  Moosen  statt,  und 
unter  denen,  die  solche  ausbilden,  überwiegen  die  getrennt  geschlecht- 
lichen. Bei  solchen  Moosen,  die  an  verhältnismässig  ungünstigen, 
(isolierten)  Standorten  wachsen,  wie  an  Holzzäunen  oder  Alleebäumen,  ist 
häufig  die  Vermehrung  durch  Bildung  von  Brutkörpern  erleichtert.  — 
Es  folgte  sodann  eine  Mitteilung  von  Prof.  Dietz  (Reutlingen)  über 
eine  für  unsere  Gegend  neue  Wanze;  von  Teucrium  chamaedrys  ist 
eine  kleine  Wanze  (Eurycera  clavicornis)  bekannt,  die  Gallenbildungen 
an  den  Blütenknospen  veranlasst.  Eine  ähnliche  Art  (Eurycera  Teucrii) 
fand  Redner  zahlreich  an  Teucrium  montanum  unserer  Alb ;  diese  Wanze 
war  bisher  nur  von  südlicheren  Fundorten  (Südösterreich,  Italien,  Süd- 
frankreich) bekannt.  Sie  findet  sich  im  Juli  und  August  und  erzeugt 
ebenfalls  Gallenbildungen  an  den  jungen  Blütenknospen  (vergl.  die  Ab- 
handlung unter  ,, Kleinere  Mitteilungen"  S.  329).  —  Zum  Schluss  zeigt 
Dr.  Correns  das  Leuchtmoos  vor  und  bespricht  die  Entstehung  des 
Leuchtens.     An  die  Sitzung  schloss  sich  ein  gemeinsames  Mittagessen. 


IL  Abhandlungen. 


Die  mensehenähnliehen  Zähne  aus  dem  Bohnerz  der 

sehwäbisehen  Alb. 

Von  Prof.  Dr.  W.  Branco-Hohenheim. 
Mit  Taf.  I-III. 

Einleitung. 

„Die  menschenähnlichen  Zähne,"  diese  allgemein  gehaltene  Be- 
zeichnung habe  ich  für  die  in  dieser  Arbeit  beschriebenen  Zähne  aus 
dem  Bohnerz  der  schwäbischen  Alb  gewählt,  weil  es  nicht  möglich 
ist,  dieselben  mit  so  absoluter  Sicherheit  zu  bestimmen,  wie  das 
nötig  ist,  wenn  man  ihnen  einen  Namen  geben  wollte. 

Sie  können  nur  einem  Menschen  oder  einem  Menschenaffen  an- 
gehören. Meiner  festen  Überzeugung  nach,  deren  Gründe  ich  im 
folgenden  darzulegen  haben  werde ,  ist  letzteres  der  Fall ,  sind  sie 
entweder  mit  dem  Dryopifhecus  aus  dem  Miocän  Südfrankreichs  ident, 
oder  ihm  doch  nahe  verwandt. 

Freilich  bin  ich  zu  dieser  Überzeugung  erst  hindurchgedrungen 
durch  lange,  immer  wieder  neu  auftauchende  Zweifel,  ob  nicht  doch 
etwa,  wie  einstens  Rick.  Owen  meinte,  wirkliche  Menschenzähne  vor- 
liegen könnten.  Da  diese  isolierten  Zähne  so  überaus  schwer  zu 
bestimmen  sind,  so  habe  ich  dieselben  Herrn  Gaüdry  in  Paris  ge- 
schickt (s.  S.  3)  mit  der  Bitte,  dieselben  mit  denen  des  fossilen 
Dryopithecus  vergleichen  zu  wollen.  Die  Ansicht  dieses  Herrn  geht 
dahin,  dass  sie  denen  des  Bryopitliecus  ähneln  und  eher  von  Menschen- 
affen als  von  Menschen  herrühren  werden.  Eine  feste  Bestimmung 
wagte  aber  auch  eine  Autorität  wie  Herr  Gaudry  nicht  vorzunehmen; 
so  wird  man  von  mir  nicht  verlangen  können-,  dass  ich ,  zumal  ich 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  1 


—      2     — 

nicht  in  der  Lage  war,  diese  Zähne  mit  den  Originahen  des  Dryo- 
pithecus  zu  vergleichen,  UnmögHches  möghch  mache. 

Welche  Ansicht  man  nun  aber  auch  über  diese 
Zähne  gewinnen  möge  —  in  jedem  der  beiden  möglichen 
Fälle  dürften  sie  zu  dem  Interessantesten  und  Wichtig- 
sten gehören,  was  wir  an  fossilen  Resten  in  Württem- 
berg besitzen: 

Fossil  nämlich  sind  diese  Zähne  auf  jeden  Fall. 
Dafür  birgt  weniger  ihr  Vorkommen  in  den  Bohnerzen; 
denn  wie  der  miocänen  Fauna  derselben  auch  jüngere, 
diluviale  Reste  beigemengt  sind,  so  könnten  ja  noch 
später  sogar  auch  Reste  lebender  Wesen  in  dieselbe 
geraten  sein.  Aber  ihr  Erhaltungszustand  ist  ganz  der- 
selbe, wie  derjenige  der  miocänen  Zähne,  sogar  der 
sogen.  Zahntürkis  findet  sich  bei  ihnen,  ganz  wie  bei 
jenen   Zähnen   miocäner   Säugetiere    aus   dem  Bohne rz. 

Liegen  nun  hier  Reste  eines  fossilen  Affen  vor  — 
und  das  ist  meiner  Ansicht  nach,  wie  gesagt,  der  Fall 
—  so  sind  das  die  menschenähnlichsten  Zähne,  welche 
wir  von  einem  Affen  bisher  kennen;  ihnen  gleichen  in 
dieser  Eigenschaft  nur  noch  die  im  Miocän  Südfrank- 
reichs gefundenen,  welche  man  Dryopithecus  genannt  hat. 

Wer  aber  diese  Zähne  doch  etwa  für  menschliche 
erklären  wollte,  der  würde  sie  damit  zu  einem  noch 
viel  wichtigeren  und  interessanteren  Gegenstande  machen. 
Denn  erstens  wären  es  dann  wohl  die  ältesten  Menschen- 
zähne, die  wir  bisher  kennen,  gar  tertiäre;  und  zweitens 
wären  es  die  affenähnlichsten  Menschenzähne,  die  man 
bisher  gefunden  hat,  wodurch  ein  entwickelungsgeschicht- 
licher  Ausblick  von  allergrösster  Wichtigkeit  ge- 
wonnen wäre. 

So  verdienen  in  jedem  Falle  diese  Zähne  eine  sorg- 
fältige Beschreibung  und  Untersuchung. 

Begonnen  wurde  diese  Arbeit  von  mir  bereits  im  Jahre  1893 
in  Tübingen.  Die  Möglichkeit  ihrer  Beendigung  verdanke  ich  jetzt 
der  Liebenswürdigkeit  meiner  Herren  Kollegen  v.  Eck,  E.  Fraas  und 
Koken,  welche  mir  das  in  der  Tübinger  und  den  Stuttgarter  beiden 
Sammlungen  befindUche  Material  mit  dankenswertester  BereitwilUg- 
keit  anvertrauten.    Auch  Herr  Dr.  Beck  in  Stuttgart  hatte  die  Güte, 


—     3     — 

mir  einen  weiteren,  in  seinem  Besitze  befindlichen  Zahn  zu  über- 
lassen. Die  Fundorte  der  Zähne  sind :  Salmendingen,  Trochtelfingen, 
Melchingen,  Ehingen. 

Wo  es  sich  um  zum  Teil  so  subtile  Merkmale  handelt,  wie  bei 
den  Unterschieden  zwischen  Zähnen  nahe  verwandter  Tiere,  da  ge- 
währt die  Vergleichung  von  Abbildungen  und  Beschreibungen  allein 
oft  nicht  die  zur  Entscheidung  erforderliche  Sicherheit.  Es  bedarf 
der  Vergleichung  mit  den  Originalstücken.  Im  vorliegenden  Falle 
war  das  um  so  mehr  notwendig,  als  die  schwäbischen  Zähne  auf 
Grund  der  Beschreibung  gewisse  Unterschiede  von  denen  des  Dryo- 
pithems  erkennen  liessen,  welche  es  zweifelhaft  machen  mussten,  ob 
dieselbe  Art  wie  in  Frankreich  vorliege. 

Ich  kann  daher  gar  nicht  lebhaft  genug  dem  Danke  Ausdruck 
geben,  mit  welchem  ich  dem  berühmten  Palaeontologen  Frankreichs, 
Herrn  Albert  Gaudry,  verpflichtet  bin.  In  wirklich  unermüdlicher 
Liebenswürdigkeit  hat  der  genannte  Herr  zuerst  meine  Fragen  und 
Bitten  um  Aufschluss  über  gewisse  Merkmale  des  DryopitJiecns  be- 
antwortet; dann  die  ihm  zugesendeten  Abbildungen  der  schwäbischen 
fraglichen  Zähne  mit  denen  des  Bryopithecns  verglichen ;  schliesslich, 
als  auch  das  nicht  zum  endgültigen  Ziele  führte,  den  Vergleich  mit 
den  ihm  dann  zugeschickten  Originalexemplaren  vollzogen. 

In  gleicher  Weise  bin  ich  zu  Dank  verpflichtet  noch  den  fol- 
genden Vorstehern  bezw.  Assistenten  der  Sammlungen,  deren  Material 
an  Schädeln  ich  vergleichen  durfte.  In  Tübingen:  Herrn  Prof. 
Dr.  Eimer.  In  Stuttgart:  den  Herren  Prof.  Dr.  Labipert  und  Dr.  Büch- 
ner, zoologische  Sammlung  des  Naturalienkabinetes ,  sowie  Prof. 
Dr.  Sussdorf,  anatomische  Sammlung  der  tierärztlichen  Hochschule. 
In  Berlin :  Herrn  Geheimerat  Prof.  Dr.  Waldeyer,  anatomische  Samm- 
lung ;  Herrn  Geheimerat  Prof.  Dr.  Möbius,  sowie  Herrn  Dr.  Matschie, 
zoologische  Sammlung  des  Museums  für  Naturkunde ;  Herrn  Prof. 
Dr.  Nehring,  zoologische  Sammlung  der  landwirtschaftlichen  Hoch- 
schule. In  Greifswald:  Herrn  Dr.  Reibisch,  zoologische  Sammlung 
und  Herrn  Dr.  Triepel,  anatomische  Sammlung  der  Universität.  End- 
lich schulde  ich  noch  verbindlichen  Dank  Herrn  Prof.  Dr.  Gysi  in 
Zürich ,  welcher  die  grosse  Liebenswürdigkeit  hatte ,  mir  eine  Ab- 
schrift der  mir  nicht  zugänglichen  Masstabellen  zugehen  zu  lassen, 
welche  Black  hinsichtlich  der  Dimensionen  menschlicher  Zähne  ver- 
öffentlicht hat. 


I.  Die  bisher  gefundenen  Reste  fossiler  menschenähnlicher 

Affen. 

Es  giebt  heute  bekanntlich  vier  Gattungen  menschenähnlicher 
Affen ,  von  welchen  zwei  in  Asien  ihren  Wohnsitz  haben :  Gibbon 
und  Orang-Utan;  zwei  in  Afrika:  Gorilla  und  Chimpanse.  Nur  also 
der  alten  Welt  gehören  sie  an. 

Der  artenreichste,  zugleich  kleinste,  ist  der  Gibbon. 

Vom  Gorilla  lässt  Hartmann  nur  die  eine  Art,  G.  Gina,  gelten. 
Zwar  haben  Alix  und  Bouvier  eine  zweite  Species,  G.  Mayema^  auf- 
gestellt. Aber  Hartmann  weist  dem  gegenüber  auf  die  zahlreichen 
Unterschiede  hin,  welche  er  an  Schädeln  und  Skeletten  von  Gorillas 
desselben  Alters  und  gleichen  Geschlechtes  beobachtet  hat,  nach 
denen  er  „vielleicht  ein  halbes  Dutzend  oder  mehr  Gorillaspecies 
aufzustellen"  im  stände  wäre.  Unterschiede,  die  seiner  Ansicht  nach 
indessen  rein  individueller  Natur  wären. 

Vom  Chimpanse  dagegen,  dessen  gewöhnliche,  gewissermassen 
typische  Form  der  Troglodytes  niger  ist,  dürften  wohl  mehrere  Arten 
unterscheidbar  sein. 

Beim  Orang-Utan  ^  ist  es  fraglich ;  Selenka  will  wohl  nur  ver- 
schiedene Rassen,  nicht  aber  Arten  erkennen. 

Von  keiner  dieser  Gattungen  lässt  sich  behaupten,  dass  sie  in 
allen  Stücken  dem  Menschen  am  nächsten  stehe.  Vielmehr  kommt 
letzterem  die  eine  Gattung  in  diesen  Eigenschaften ,  die  andere  in 
jenen  näher.  Wenn  man  aber  die  Gesamtheit  aller  Merkmale  eines 
jeden  dieser  vier  Geschlechter  summiert,  so  lässt  sich  doch  sagen, 
dass  dem  Menschen  der  Gibbon  am  fernsten ,  der  Chimpanse  am 
nächsten  steht.  Diese  relativ  grösste  Menschenähnlichkeit  des  Chim- 
panse gilt  auch  von  den  wichtigsten  aller  Merkmale,  dem  Bau  und 
den  Windungsverhältnissen  des  Gehirnes  und  dem  Rückenmark^;  und 


*  Der  Name  Orang-Utan  schreibt  sich  her  von  den  Wörtern  Orang  =  lilensch 
und  Utan  =  zum  Walde  gehörig,  bedeutet  also  Waldmensch,  wie  Hart  mann 
(Die  menschenähnlichen  Affen.  S.  233,  Anm.)  nach  v.  Martens  anfühi-t.  Die 
gewöhnliche,  falsche  Schreibweise  Orang-Utang  dagegen  würde  einen  verschuldeten 
Menschen  bezeichnen. 

^  W  a  1  d  e  y  e  r ,  Über  die  menschenähnlichen  Affen.  Rede  in  der  26.  allgem. 
Versamml.  d.  deutschen  Ges.  f.  Anthropologie,  Ethnologie,  Urgeschichte  in  Cassel. 
August  1895 ;  Correspondenzblatt  der  Gesellschaft.  1895.  S.  106—108.  Siehe  auch 
den  Bericht  von  Max  Bartels  in  Leopoldina  1895.  S.  75. 


—    5     — 

sie  zeigt  sich  auch  darin,  dass  er  der  gelehrigste  und  zähmbarste 
aller  ist^ 

Wie  die  lebenden  Anthropomorphen  nur  der  alten  Welt  an- 
gehören, so  kennt  man  auch  fossile  Vertreter  derselben  nur  aus 
Europa-Asien;  und  wie  es  nur  vier  lebende  Gattungen  giebt,  so  ist 
auch  die  Zahl  der  fossilen  auf  nur  vier  bezw.  fünf  beschränkt.  Diese 
fossilen  Reste  aber  sind  nicht  nur  überaus  selten ,  sondern  auch 
die  einzelnen  Gattungen  sind  hier  meist  durch  sehr  mangelhafte 
Reste  vertreten,  daher  sehr  unvollständig  bekannt. 

Bei  Absehen  von  dem  Oberarm  des  Dryopithecus ,  den  Ober- 
schenkeln des  Flioliylobates  und  Pithecanthroinis,  sowie  dem  Schädel- 
dache des  letzteren,  kennt  man  nur  Kiefer  und  Zähne  fossiler 
Menschenaffen. 

Vor  allem  gilt  dieses  Mangelhafte  von  den  beiden  in  den  Siwalik 
Hills  gefundenen  Resten,  die  wir  zunächst  betrachten  wollen. 

Hier  hat  sich  E.  Dubois^  das  grosse  Verdienst  erworben,  ihre 

^  Keiner  der  lebenden  Anthropomorphen,  sagt  Häckel,  kann  als  der 
nach  jeder  Richtung  hin  menschenähnlichste  bezeichnet  werden  (Häckel,  Anthropo- 
genie.  1872.  S.  491).  Jeder  steht  in  gewissen  Beziehungen  dem  Menschen  näher, 
in  anderen  ferner.  Der  Gorilla  nähert  sich  ihm  am  meisten  in  der  Bildung  von 
Hand  und  Fuss ;  der  Chimpanse  in  wichtigen  Merkmalen  der  Schädelbildung ;  der 
Orang  in  der  Entwickelung  des  Gehirnes;  der  Gibbon  in  derjenigen  des  Brustkastens. 

Diese  letztere  Gattung  ist  bekanntlich  ausgezeichnet  durch  die  relativ 
längsten  Ai-me  und  zugleich  geringste  absolute  Körpergrösse.  Wie  Waldej^er 
feststellte,  ist  auch  das  Gehirn  des  Gibbon  demjenigen  des  Menschen  am  unähn- 
lichsten. Dass  trotzdem  dieser  Gibbontypus,  als  der  am  meisten  generalisierte, 
in  tertiärer  Zeit  der  Ausgangspunkt  verschiedener  höher  organisierter  Typen 
geworden  sein  könnte ,  werden  wir  später  besprechen  (s.  Die  Abstammung  des 
Menschen,  Abschnitt  III). 

Waldeyer  führt  aus,  Avie  in  Summa  der  Chimpanse  doch  der  menschen- 
ähnlichste aller  Anthropomorphen  sei.  Sogar  in  einzelnen  Kleinigkeiten  tritt 
diese  Ähnlichkeit  hervor.  So  hat  z.  B.  der  Mensch  am  harten  Gaumen  zwei 
kleine  Höckerchen,  zwischen  welchen  ein  Blutgefäss  verläuft.  Bisweilen  verbinden 
sich  diese  Höckerchen  im  Bogen  über  dem  letzteren ,  so  dass  sie  nun  eine  Art 
von  Thor  über  diesem  Blutgefässe  bilden.  Es  hat  ferner  der  harte  Gaumen 
beim  Menschen  hinten  einen  Stachel,  die  Spina  nasalis  posterior.  Genau  diese 
selben  Bildungen,  die  Höckerchen  wie  den  Stachel,  zeigt  der  Gaumen  des  Chim- 
pansen.  Der  Orang  zeigt  wenigstens  bisweilen  die  Höckerchen ;  aber  bei  Gorilla 
und  Gibbon  fehlen  dieselben.  Der  Gorilla  hat  an  Stelle  des  Stachels  einen  Ein- 
schnitt, der  allerdings  bisweilen  auch  beim  Menschen  vorkommt.  Beim  Gibbon 
aber  verläuft  ein  eigentümlicher  Querkamm  über  den  harten  Gaumen,  der  eben- 
falls hier  und  da  beim  Menschen  auftritt. 

^  E.  Dubois,  Über  drei  ausgestorbene  Menschenaffen.  N.  Jahrb.  f.  Min. 
etc.  1897.  Bd.  1.  S.  83—104.  Taf.  2,  3,  4. 


—     6     — 

Reste  in  den  betreffenden  Sammlungen  aufzusuchen  und  zu  studieren. 
Ein  solches  auf  Autopsie  gegründetes  Urteil  hat  natürlich  einen  um 
so  grösseren  Wert,  je  subtiler  die  Merkmale  sind,  auf  die  es  an- 
kommt, je  schwieriger  es  also  ist,  durch  die  Abbildung  und  Be- 
schreibung sich  eine  genügende  Anschauung  zu  verschaffen,  und  das 
gilt  in  hohem  Masse  von  diesen  Affenresten. 

I.  Asiatische  fossile  IVIenschenaffen. 

Den  Siwalik-Schichten  Indiens  entstammen  zwei  verschiedene 
Anthropomorphenreste. 

Zu  Simia,  dem  Orang,  ist  von  Falconer  und  Prinsep  ^  eine 
obere  Canine  gestellt  worden.  Da  dieselbe  leider  verloren  gegangen 
ist,  konnte  sich  auch  E.  Dubois  kein  Urteil  über  diese  Bestimmung 
verschaffen.  Wer  sich  indessen  mit  Affenzähnen  beschäftigt  hat, 
wird  ihm  beipflichten,  dass  es  auf  Grund  eines  einzigen  Eckzahnes 
nicht  möglich  ist,  zu  einer  sicheren  generischen  Bestimmung  zu  ge- 
langen. 

Es  ist  daher  die  Bestimmung  dieses  Restes  als  zu  Orang  ge- 
hörig, wenn  auch  aus  geographischen  Gründen  recht  wahrscheinlich, 
so  doch  aus  zoologischen  fraglich  und  wir  müssen  offenbar,  bis  auf 
weitere  Erfunde,  den  Namen  dieser  Gattung,  als  einer  fossilen, 
streichen. 

1.  Als  eine  neue  Anthropomorphengattung ,  Palaeopithecus 
sivalensis,  beschrieb  dann  Lydekker-  einen  zerbrochenen  Oberkiefer 
aus  den  Siwalik-Schichten,  den  er  jedoch  später  für  eine  Chimpansen- 
art  erklärte  und  Troglodites  oder  Anthropopithecus  sivalensis  be- 
nannte. Da  der  Chimpanse  jetzt  nur  in  Afrika  lebt,  so  musste  diese 
Bestimmung  eine  wesentliche  Stütze  der  Ansicht  sein,  dass  Afrikas 
Tierwelt  aus  Asien  eingewandert  sei. 

E.  DuBOis  zerstört  indessen  diesen  Beweisgrund,  indem  er  Ly- 
dekker's  Bestimmung  für  ganz  irrtümlich  erklärt.  Durch  richtigere 
Zusammenfügung  der  beiden  Hälften  dieses  Oberkiefers  erhält  E.  Du- 
bois zunächst  das  Bild  eines  schmaleren  Gaumens  und  zweier  paralleler 
Zahnreihen  an  Stelle  des  breiteren  Gaumens  und  der  nach  vorn  kon- 
vergierenden Zahnreihen,  welche  Lydekker's  Abbildung  angiebt.  Dar- 
aus ,  wie  aus  anderen  Merkmalen  folgert  er ,    dass  dieser  Anthropo- 


*  Palaeontological  Memoirs,  edited  by  Ch.  Murchison.  London  1868. 
I.  S.  304—307;  II.  S.  578. 

-  Memoirs  of  the  Geological  Survey  of  India.  Palaeont.  Indica.  Ser.  X. 
Vol.  4.  Suppl.  1.  S.  2.  Taf.  I  Fig.  1  u.  la. 


morphe  aus  den  Siwalik-Schicliten  weder  eine  Art  des  Chimpansen 
ist,  noch  überhaupt  irgend  einer  anderen  lebenden  Gattung  angereiht 
werden  kann ;  dass  er  vielmehr  einem  selbständigen,  ausgestorbenen 
Geschlechte  angehört,  welches  hinsichtlich  der  geringeren  Breite  des 
Gaumens,  bezw.  der  Zahnreihen,  eher  eine  tiefere  Stellung  in  der 
Reihe  der  Menschenaffen  einzunehmen  scheint. 

Da  die  Zähne  dieses  Oberkiefers  auch  nicht  eine  Spur  von  den 
für  den  Chimpansen  (und  Orang)  so  kennzeichnenden  Runzeln  oder 
Schmelzleisten  erkennen  lassen ,  so  ist  nicht  zu  verstehen ,  wie  Ly- 
DEKKER  zu  einer  solchen  Bestimmung  gelangen  konnte,  zumal  sich 
für  dieselbe  auch  noch  Schwierigkeiten  aus  der  geographischen  Ver- 
breitung ergaben.  Es  ist  das  eine  Anschauung,  welche  sich  auch 
dem,  der  nur  nach  Text  und  Abbildungen  sein  Urteil  zu  bilden  ver- 
mag, aufdrängen  muss.  Da  Lydekker  ausdrücklich  „the  absence  of 
the  rugosities  on  the  crown  surface"  hervorhebt,  so  geht  daraus 
wohl  hervor,  dass  er  das  nicht  etwa  als  eine  Folge  der  Abkauung, 
sondern  als  ein  Art-Merkmal  der  fossilen  Form  betrachtet.  Merk- 
würdigerweise sagt  Lydekker  nicht,  dass  ausser  dem  Orang  auch 
der  Chimpanse  eine  gerunzelte  Kaufläche  besitze,  dass  sich  also  die 
fossile  fragliche  Form  in  dieser  Hinsicht  nicht  nur  vom  Orang,  son- 
dern auch  vom  Chimpansen  unterscheide.  Die  naheliegende  Er- 
klärung, dass  Lydekker  in  Calcutta  zur  Vergleichung  etwa  nur  ab- 
gekaute, der  Runzelung  beraubte  Gebisse  des  lebenden  Chimpansen 
gehabt  habe,  ist  hinfällig,  da  der  Autor  sich  auf  Owen's  Odonto- 
graphie  bezieht.     Ich  vermag  mir  das  nicht  zu  erklären. 

Mit  vollstem  Rechte  stellt  daher  E.  Dubois  den  von  Lydekker 
ursprünglich  gegebenen  Gattungsnamen  wieder  her  und  kennzeichnet 
die  Gattung  dahin : 

Palaeoirithecus  zeigt  zu  keiner  der  lebenden  Gattungen  eine 
nähere  Verwandtschaft,  er  steht  also  ganz  selbständig  da.  Er  nimmt 
in  dieser  Familie  keine  hohe,  eher  vielleicht  eine  niedrigere  Stellung 
ein,  als  die  anderen  Glieder  derselben,  weil  die  Breite  seines  knöchernen 
Gaumens  relativ  eine  ebenso  geringe  ist,  wie  beim  Gorilla,  welcher 
in  dieser  Hinsicht  am  tiefsten  steht  und  nur  noch  von  Dryopithecus 
übertroffen  wird.  Die  Molaren  ähneln  denen  vom  Gibbon  und  Chim- 
pansen, jedoch  am  meisten  denen  des  Menschen! 

Dieses  letztere  scheint  mir  insofern  bemerkenswert,  als  auch 
die  Zähne  von  Dryopithecus  (s.  unter  No.  5)  so  sehr  denen  des 
Menschen  ähneln. 

Palaeopithecus  aus  den  Siwalik  Hills  mag  pliocänen  Alters  sein, 


-     8     — 

könnte  jedoch,  da  die  Siwalik-Fauna  wohl  Verschiedenalteriges  um- 
fasst,  auch  dem  Miocän  angehören. 

2.  Aus  den  später^  in  dieser  Arbeit  angegebenen  Gründen 
glaube  ich  den  in  Java  gefundenen  Fithecanthropus  erectus 
E.  DuBOis  weder  für  eine  Übergangsform  aus  Affe  in  Mensch,  noch 
für  einen  Menschen,  sondern  für  eine  echte  anthropomorphe  Affen- 
gattung halten  zu  müssen.  Ich  gehe  daher  hier  nicht  näher  auf 
diese  Form  ein ;  dieselbe  stammt  aus  altdiluvialen  oder  jüngstpliocänen 
Schichten. 

II.  Europäische  fossile  Menschenaffen. 

3.  Derjenige  fossile  Anthropomorphe,  welcher  die  meisten  Reste 
bisher  gehefert  hat,  ist  die  von  P.  Gervais  als  Pliopithecus  antiqttus 
bezeichnete  Gattung.  Aber  auch  hier  sind  es  nur  bezahnte  Unter- 
und  Oberkiefer,  die  uns  zu  Gebote  stehen;  von  anderen  Resten  des 
Skelettes  ist  auch  hier  bisher  nichts  bekannt. 

Pliopithecus  ist  in  Frankreich  an  verschiedenen  Orten  gefunden, 
welche  seine  ehemalige  Verbreitung  über  einen  grossen  Flächenraum 
des  Landes  ahnen  lassen.  Denn  nicht  nur  im  SW.  des  Landes, 
nahe  dem  Nordfusse  der  Pyrenäen  im  Dep.  Gers,  hat  dieser  Affe 
gelebt,  sondern  auch  im  SO.,  nahe  dem  W.-Fusse  der  Alpen  im 
Dep.  Isere ;  ja  sogar  im  N.,  nördlich  von  Paris,  im  Orleanais.  Das 
sind  zwar  nur  wenige,  vereinzelte  Fundorte.  Lidem  dieselben  aber 
einen  sehr  grossen  Teil  Frankreichs  zwischen  sich  fassen,  thun  sie 
dar,  dass  dieser  Menschenähnliche  damals  wohl  das  ganze  heutige 
Frankreich  bewohnt  hat. 

Doch  seine  Verbreitung  ist  eine  noch  viel  grössere  gewesen. 
Denn  weiter  gegen  0.,  bei  Elgg  in  der  nördlichen  Schweiz,  Kanton 
Zürich,  und  noch  viel  weiter  östlich,  bei  Göriach  in  Steyermark, 
kennt  man  aus  gleichalterigen  Braunkohlenlagern  Kiefer  desselben. 
So  ist  dieser  miocäne  Menschenaffe  damals,  soviel  wir  bis  jetzt  schon 
wissen,  in  einem  Mindestgebiete  von  etwa  14  Längengraden  heimisch 
gewesen,  das  sich  nahezu  vom  Atlantischen  Ocean  bis  zum  Adriati- 
schen  Meere  erstreckte. 

Diese  von  Gervais  als  neue  Gattung  beschriebene  Form  wurde 
jedoch  später  mehr  und  mehr  in  engste  Beziehungen  zu  dem  leben- 
den  Gibbon    gebracht;    und    schliesslich    sprachen    Schlosser^   und 

1  Vergl.  in  dem  Abschnitt  III:  „Die  Frage  der  Abstammung  des  Menschen" 
sub  Pithecanthrojms. 

^  Schlosser,  Die  Affen,  Lemuren  .  .  .  des  europäischen  Tertiärs.  Wien 
1887  bei  Holder.  Teil  I.  S.  9  ii.  15—16. 


—     9     — 

ZiTTEL  ^  mit  mehr  oder  weniger  Bestimmtheit  aus,  dass  sie  mit  dem 
Gibbon  ident  sei. 

E.  DüBois  ist  jedoch  der  Ansicht,  dass  wir  in  Pliopüheciis  eine 
ganz  selbständige  ausgestorbene  Gattung  vor  uns  haben  (1.  c.  S.  96), 
welche  nur  in  der  Grösse  mit  den  Gibbons  übereinstimmt,  im  übrigen 
aber  dieser  Gattung  nicht  näher  steht,  als  irgend  einer  anderen 
lebenden.  Doch  sagt  Dubois  (1.  c.  S.  93)  an  anderer  Stelle  wieder, 
Plioxnthecus  gehöre  seinem  Zahnbau  nach  „unzweifelhaft  zu  derselben 
Familie  wie  die  Gibbons". 

„Merkwürdigerweise  schliesst  er  sich"  —  sagt  E.  Dübois  — 
„durch  die  schmalen  Incisiven,  die  Form  der  Canini  und  den  senk- 
rechten Yorderrand  der  vorderen  Prämolaren,  durch  die  lang- 
gestreckte Gestalt  und  den  Talon  der  dritten  Molaren,  sowie  durch 
die  lange  und  schiefe  Symphyse  des  Unterkiefers  seinem  Zeitgenossen, 
dem  Drpojnthecus ,  an.  Doch  weicht  er  von  diesem,  ausser  durch 
seine  Grösse,  auch  durch  die  Divergenz  der  Zahnreihen  nach  hinten 
und  die  Kürze  des  vorderen  Prämolars  ab." 

E.  DuBOJS  hebt  dann  weiter  hervor,  dass  dieser  PUopithecus, 
der  sogleich  zu  besprechende  Dryopüliecus  und  wohl  auch  der  jüngere, 
zuerst  erwähnte  Palaeopithecus  einer  und  derselben  fossilen  Gruppe 
von  primitiven  Menschenaffen  angehörten. 

4.  Pliohylobates  eppelsheime^isis  g.  n.  E.  Dubois.  Schon 
seit  vielen  Jahrzehnten  kennt  man  aus  der  bekannten  Lagerstätte 
fossiler  Säugetiere  bei  Worms  einen  Oberschenkelknochen  von  sehr 
grosser  Menschenähnlichkeit.  Demzufolge  hat  denn  auch ,  wie  uns 
Jäger ^  mitteilt,  Schleiermacher  diesen  Oberschenkel  für  den  eines 
etwa  12  jährigen  Mädchens  gehalten  ;  immerhin  aber  schickte  er  doch 
einen  Abguss  desselben  an  Cuvier  zur  Begutachtung.  Die  erbetene 
Meinungsäusserung  des  berühmten  Mannes  blieb  jedoch,  trotz  mehr- 
facher Anfragen,  aus.  Später  wurde  dann  von  Kauf  je  ein  Abguss 
an  Owen  und  Lartet  gesendet  und  diese  beiden  Autoren  äusserten 
sich  in  übereinstimmender  Weise  dahin,  dass  der  fragliche  Ober- 
schenkel einem  gibbonartigen  Tiere  zuzuschreiben  sei. 

Diesem  seinem  Urteile  fügte  dann  Owen  noch  weiter  hinzu, 
dass  in  gleicher  Weise  auch  der  in  Südfrankreich  bei  St.  Gaudens 
gefundene  Oberarm,  welchen  wir  bei  Dryopithecus  (unter  No.  5) 
besprechen   werden,   von    einem   gibbonartigen  Affen  herrühre.     Da 

1  Zittel,  Handbuch  der  Palaeontologie.  1893.  Bd.  4.  S.  709. 
^  Hylohates  Fontani  Owen   in  Beiträge   zur  Kenntniss   der   urweltlichen 
Säugethiere.    Darmstadt  1861.  Heft  5. 


—     10     — 

nun  dieser  mit  Dryopithecus  zusammen  gefundene  Oberarm  jeden- 
falls nur  dieser  Gattung  zugeschrieben  werden  kann,  so  folgt  weiter 
daraus,  dass  auch  Brijointliecus  von  Owen  zur  Familie  der  Gibbons 
gerechnet  wird. 

Genau  dasselbe  Urteil  fällte  Lartet  insofern ,  als  er  an  Kaüp 
schrieb,  dass  der  Eppelsheimer  Oberschenkel,  den  er  ja  als  von 
einem  Gibbon  herstammend  erklärt  hatte,  sehr  wohl  dem  Dryo- 
pithecus angehört  haben  könne.  Dass  Dryopithecus  selbst  den  Gib- 
bons nahe  verwandt  sei,  hatte  Lartet  auch  wohl  schon  durch  den 
Namen  desselben,  „Baumaffe",  andeuten  wollen,  welcher  auf  die 
Lebensweise  der  Gibbons  anspielt. 

Auf  Grund  dieser  Urteile  ergiebt  sich  also,  dass  nach  dem  Ur- 
teile von  Owen  und  Lartet  einerseits  der  Eppelsheimer  Oberschenkel 
einem  Mitgliede  der  Gibbonfamilie  angehört  und  dass  von  ihnen 
anderseits  auch  Dryopithecus  der  letzteren  zugezählt  wird. 

Aber  gerade  darum  wird  die  Zugehörigkeit  des  Eppelsheimer 
Schenkelknochens  zu  Dryopithecus  unsicher.  Es  hat  ja,  wie  wir 
sahen,  gleichzeitig  mit  letzterem  und  ebenfalls  sowohl  in  Deutsch- 
land als  auch  in  Frankreich  noch  ein  zweites  Mitglied  der  Familie 
der  Gibbons  gelebt,  Fliopithecus  (s.  unter  No.  3).  Der  Eppelsheimer 
Oberschenkel  könnte  also  an  sich  ebenso  gut  diesem  Pliopithecus 
angehört  haben  als  dem  Dryopithecus. 

Gegen  eine  Vereinigung  mit  Dryopithecus  und  sicher  wohl  auch 
mit  Pliopithecus  spricht  sich,  auf  Grund  geologischer  Erwägungen, 
Zittel  aus.  Dieser  Autor  ^  ist  nämlich  der  Ansicht ,  dass  das  bei 
dem  beträchtlich  verschiedenen  Alter  der  Ablagerungen  von  Eppels- 
heim  und  St.  Gaudens  höchst  unwahrscheinlich  sei. 

Allerdings  gehört  die  Fauna  von  Eppelsheim,  je  nach  der  ver- 
schiedenen Auffassung,  in  das  untere  Pliocän,  bezw.  oberste  Miocän, 
diejenige  von  St.  Gaudens  dagegen  in  das  mittlere  Miocän.  Indessen 
die  Fauna  der  Eppelsheimer  Stufe  ^  führt  doch  verschiedene  Gat- 
tungen, welche  auch  gleichzeitig  dem  Mittelmiocän  zukommen,  wie 
DinotJt,erium^  Ämphicyoii,  Hyaenarctos.  Es  wäre  also  von  vornherein 
immerhin  nicht  unmöglich ,  dass  auch  Dryopithecus  zu  diesen ,  aus 
der  einen  Stufe  in  die  andere  übergehenden  Formen  gehören  könnte. 
Das  geologische  Moment  könnte  mithin  wohl  kein  unüberwindliches 
Hindernis  für  die  Vereinigung  jenes  Knochens  mit  Dryopithecus  bilden, 
und  Gleiches  gilt  dann  hinsichtlich  des  Fliopithecus. 

»  Handbuch  der  Palaeontologie.  Bd.  IV.  1893.  S.  710. 

^  Also  Eppelsheimer  Sand,  Belvedereschotter,  Congerienschichten. 


—    11    — 

Schlosser^  stellt  daher  auch  den  Eppelsheimer  Oberschenkel 
unbeanstandet  zu  der  Gattung  Dryopithecus. 

Auch  Pohlig  vereinigt  den  fraglichen  Knochen  mit  Bri/opithectiS. 
Zugleich  sucht  er  den  Beweis^  zu  führen,  dass  dieser  Eppelsheimer 
Oberschenkel  menschenähnlicher  sei  als  der  irgend  eines  anderen 
lebenden  Anthropomorphen.  Unter  letzteren  kommt  nach  ihm  das 
Femur  des  Chimpansen  zwar  in  der  allgemeinen  Gestaltung  dem- 
jenigen des  Menschen  am  nächsten,  aber  es  fehlt  ihm  jede  Spur  der 
für  den  Menschen  kennzeichnenden  Linea  aspera.  Diese  findet  sich 
freilich  beim  Gorilla,  aber  dieser  weicht  wieder  in  der  allgemeinen 
Gestalt  des  Knochens  weit  vom  Menschen  ab.  Noch  weniger 
menschenähnlich  ist  das  Femur  des  Orang,  da  hier  nicht  nur  die 
allgemeine  Gestalt  abweicht,  sondern  auch  die  Linea  aspera  nur 
leise  angedeutet  ist. 

Dem  gegenüber  vereinigt  nun,  wie  Pohlig  hervorhebt,  das  frag- 
liche Eppelsheimer  Femur  die  allgemeine  menschenähnliche  Gestal- 
tung mit  dem  Dasein  einer  deutlichen  Linea  aspera.  Dieser  fossile 
Oberschenkelknochen  bietet  mithin  nach  ihm  einen  höheren  Grad 
von  Übereinstimmung  mit  dem  Menschen,  als  das  bei  irgend  einem 
der  lebenden  (und  fossilen)  anthropomorphen  Affen  der  Fall  ist.  Von 
einer  Zusammengehörigkeit  mit  einem  Gibbon,  wie  Owen  will,  kann 
dagegen,  nach  Pohlig,  gar  keine  Rede  sein. 

Völlig  anders  lautet  das  Urteil,  zu  welchem  jetzt  E.  Dubois 
nach  Untersuchung  des  Eppelsheimer  Oberschenkels  gelangte  (1.  c. 
S.  97).  Er  stellt  sich,  gegen  Pohlig,  ganz  auf  den  Standpunkt 
Owen's,  bestätigt  also  die  grosse  Ähnlichkeit  mit  dem  Gibbon  und 
sagt :  „Ich  fand  den  fossilen  Knochen  nicht  im  mindesten  menschen- 
ähnlicher als  jeden  Oberschenkelknochen  von  Hylohates.^  Ja,  weiter- 
gehend als  Owen,  erklärt  er,  dass  überhaupt  gar  kein  Unterschied 
gegenüber  dem  gleichnamigen  Knochen  des  lebenden  Gibbon  sei,  als 
die  etwas  ansehnlichere  Grösse.  Das  Eppelsheimer  Femur  misst 
284  mm  Länge;  die  grössten  lebenden  Siamangs  dagegen  haben 
237  mm,  die  kleinsten  205  mm,  so  dass  die  Differenz  zwischen  dem 
Eppelsheimer  und  dem  grössten,  47  mm,  nur  wenig  grösser  ist,  als 
die  zwischen  dem  grössten  und  kleinsten  Siamang  mit  32  mm.  Der 
Eppelsheimer  Affe  überragte  an  Grösse  einen  erwachsenen  Siamang 
kaum   um   ein  Fünftel,    in    der  Gestalt   seines  Femur   glich   er  ihm 

'  Die  Affen,  Lemuren  ,  .  .  des  europäischen  Tertiärs.  Wien  1887  bei  Hol- 
der. Teil  I.  S.  15. 

^  Sitzungsberichte  d.  Niederrhein,  Ges.  Bonn.  15.  Febr.  1892.  S.  12. 


—     12     — 

aber  so  völlig,  dass  er  vielleicht  nur  der  Art  nach  vom  Gibbon  unter- 
schieden ist.  Doch  benennt  er  ihn,  da  doch  möglicherweise  auch 
die  Gattung  eine  andere  sei,  als  Pliohylohates^  um  dann  wenigstens 
die  Verwandtschaft  mit  Hylobatcs  anzudeuten. 

Zu  Bryopithecus  passt  der  Eppelsheimer  Oberschenkel  nach 
DuBOis  schon  seiner  Grösse  wegen  nicht,  denn  Dryopithecus  hatte 
die  Grösse  eines  Chimpansen,  war  also  stattlicher,  als  der  Eppels- 
heimer Affe. 

Da  man  den  Oberschenkel  von  Dryopithecus  und 
PliopitJiecus  nicht  kennt,  so  würde  ich  es  für  vorsich- 
tiger halten,  wenn  auf  diesen  Eppelsheimer  Knochen 
hin  nicht  eine  neue  Gattung  gegründet  worden  wäre. 
Gerade  weil  E.  Dubois  die  Zugehörigkeit  dieses  Knochens 
zum  Gibbontypus  nachweist,  wird  mir  die  Selbständig- 
keit dieser  Gattung  Pliohylohates  um  so  unsicherer; 
denn  wir  werden  weiter  unten^  sehen,  dass  —  entgegen 
DuBois'  Ansicht  —  Bryopithecus  und  Pliopithecus  doch 
wohl  ebenfalls  zum  Gibbon typus  gehören. 

5.  Eine  ganz  sicher  selbständige,  also  ausgestorbene  Gattung 
Menschenähnlicher  ist  der  schon  mehrfach  genannte  Dryopithecus 
Fontani  Lartet.  Dieser  besitzt  für  die  vorliegende  Arbeit  eine 
ganz  besondere  Bedeutung  dadurch,  dass  die  in  derselben  beschrie- 
benen Zähne  aus  dem  Bohnerz  der  schwäbischen  Alb  dieser  Gattung 
allem  Anschein  nach  angehören. 

Im  südwestlichen  Frankreich,  bei  St.  Gaudens,  Haute-Garonne, 
wurden  vor  nunmehr  vierzig  Jahren  zwei  Hälften  eines  Unterkiefers 
entdeckt,  welcher  einem  jugendlichen  Tiere  zugehört  haben  musste, 
denn  seine  Backenzähne  zeigten  noch  keinerlei  Abnutzungsflächen. 
Es  ist  das  um  so  wichtiger  für  die  vorliegende  Arbeit,  als  auch 
einige  der  fraglichen  schwäbischen  noch  keinerlei  Abkauung  zeigen, 
also  die  Gestalt  der  Kaufläche  im  reinsten  Erhaltungszustande  dar- 
bieten. Lartet^  erkannte,  dass  dieser  Unterkiefer  einem  menschen- 
ähnlichen Affen  angehöre  und  nannte  die  Gattung  Dryopithecus, 
Baumaffe;  denn  ein  gleichfalls  aufgefundener  Oberarm  machte  es  ihm 
durch  seine  Gestalt  Avahrscheinlich ,  dass  sein  Träger  auf  Bäuman 
gehaust  habe. 

An  demselben  Fundorte  St.  Gaudens  fand  sich  nun  vor  einigen 


*  In  Abschnitt  III:  Die  Frage  der  Abstamnnnig  des  Menschen. 
2  Compt.  rend.  T.  43.  Paris.  28.  Juli  1856. 


1 


o 


Jahren  abermals  ein  Unterkiefer,  welcher  von  A.  Gaudry  ^  beschrieben 
und  abgebildet  wurde.  Dieser  Kiefer  ist  besser  erhalten  als  der 
erstgefundene,  aber  seine  Zähne  befinden  sich  bereits  in  einem  massig 
abgekauten  Zustande.  Das  feine  Detail  der  Schmelzleisten,  durch 
welche  Brijopithecus ^  ähnlich  wie  Chimpanse  und  Orang-Utan,  ge- 
kennzeichnet wird,  ist  daher  bei  diesem  Exemplare  bereits  verwischt. 
Wir  haben  mithin  auch  für  diejenigen  unserer  fraglichen  schwäbi- 
schen Zahne ,  deren  Abkauung  sich  stärker  bemerkbar  macht ,  auf 
gleicher  Stufe  befindliche  Vergleichsstücke. 

Der  Oberarm  des  Bry opitheciis.  Gleichzeitig  mit  dem 
erstgefundenen  Unterkiefer  des  Dryopithecus  wurde  auch  ein  Ober- 
arm gefunden  und  von  Lartet  beschrieben,  der  jedenfalls  nur  dem 
Dryopithecus  angehören  kann.  Wie  der  Kiefer  einem  jugendlichen 
Individuum  angehörte ,  bei  dem  ÄP  noch  gar  nicht  vorhanden ,  die 
anderen  Zähne  noch  keine  Abnutzungsflächen  zeigten,  so  stammte 
auch  der  Oberarm  von  einem  jugendlichen  Individuum  her ;  denn 
an  beiden  Enden  fehlen  die  Epiphysen.  Der  Körper  des  Knochens 
hat  einen  auffallend  gerundeten  Querschnitt,  wie  man  das,  nach 
Lartet,  bei  dem  Hylobates  und  den  Faultieren  findet.  Die  Crista 
condyloidea  aber  ist  stärker  als  beim  Gibbon,  also  menschenähnlicher. 
Lartet  schliesst  daraus,  dass  Dryopithecus  mehr  Geschicklichkeit  als 
Muskelkraft  besessen  und  wesentlich  auf  Bäumen  gelebt  habe. 

Lartet  giebt  nicht  die  Masse  des  Knochens,  der  im  übrigen 
nicht  viel  von  den  Autoren  berücksichtigt  wurde.  Owen  sagt  jedoch 
von  demselben  (s.  unter  4.  bei  Pliohylohates),  dass  er  einem  gibbon- 
artigen Tiere  angehört  habe,  und  Pohlig  (s.  ebenda)  ist  der  Ansicht, 
dass  er  der  menschenähnhchste  Oberarm  unter  allen  Anthropomorphen 
sei  und  dem  Dryopithecus  zugeschrieben  werden  müsse. 

Jedenfalls  wohnt  diesem  Oberarmknochen,  trotz  seiner  mangel- 
haften Erhaltung,  eine  gewisse  Wichtigkeit  inne:  Es  handelt  sich 
darum,  die  Stellung  zu  erkennen,  welche  Dryopithecus  in  der  Reihe 
der  anthropomorphen  Affen  einnimmt.  Bei  der  sehr  verschiedenen, 
aber  stets  gegenüber  dem  Menschen,  grossen  Länge  der  Arme  der 
Menschenaffen  wäre  es  nun  von  Wichtigkeit,  wenigstens  ungefähr 
eine  Vorstellung  von  der  Länge  des  Oberarmes  bei  Dryopithecus 
zu  haben. 

Auf  Grund  von  Lartet's  in  halber  Grösse  gegebenen  Zeichnung 
messe  ich  für  den  Oberarm  von  Dryopithecus  eine  Länge  von  etwa 

^  Le  Dryopithecus.  Mem.  Soc.  geol.  France.  1890.  T.  I.  Fase.  1.  S.  1—11. 
Taf.  I. 


—     14     — 

23  cm  ohne  Epiphysen  und  einen  geringsten  Durchmesser  des  Schaftes 
von  ungefähr  1,8  cm. 

An  verschiedenen  Exemplaren  des  Hylohates  leuciscus  bestimmte 
ich  die  Länge  des  Oberarmes  ohne  Gelenkenden  zu  17  und  18  cm, 
den  geringsten  Durchmesser  etwa  zu  1,2  cm.  An  mehreren  Exem- 
plaren von  Hylohates  syndactylus  die  Länge  zu  19  und  20  cm,  den 
geringsten  Durchmesser  zu  ebenfalls  etwa  1,2  cm;  auch  bei  H.  syn- 
dactylns  sind  die  Zähne  noch  ganz  bedeutend  kleiner,  als  die  von 
Dryopithecus. 

Das  sind  natürlich  nur  sehr  ungefähre  Längenmasse,  da  man 
in  den  nicht  mitgemessenen  Gelenkenden  ein  grösseres  oder  kleineres 
Stück  fortlassen  kann.  Immerhin  ist  doch  hervorzuheben,  dass  ein 
Missverhältnis  zwischen  jener  Länge  von  nur  23  cm  des  Oberarmes 
von  Dryopülteciis  und  der  bedeutenden  Grösse  seines  Gebisses  be- 
steht. Nach  der  Grösse  der  französischen  Zähne  und  des  Kiefers, 
Taf.  III  Fig.  1  und  2  dieser  Arbeit  zeigt  dieselben,  müsste  das  be- 
treffende Individuum  einen  sehr  viel  längeren  (als  23  cm)  Schaft 
des  Oberarmes  besitzen,  wenn  seine  Arme  verhältnismässig  ebenso 
lang  wie  die  des  Gibbon  gewesen  wären.  Dieser  ist  bekanntlich 
der  langarmigste  der  Menschenaffen. 

Wir  haben  daher  zwei  Möglichkeiten:  Entweder  gehört 
jener  Oberarm  des  Dryopithecus ,  den  Lärtet  abbildet, 
einem  sehr  viel  jüngeren  Individuum  an,  als  der  von 
ihm  gezeichnete  Unterkiefer.  Dafür  spricht  vielleicht 
das  Fehlen  der  Epiphysen.  Ich  weiss  indessen  nicht,  in  wel- 
chem Lebensalter  die  Epiphysen  mit  dem  Schafte  bei  den  Menschen- 
affen verknöchern  und  zu  einem  festen  Knochen  verschmelzen.  Es 
möchte  fast  scheinen,  als  wenn  der  Altersunterschied  beider  Indivi- 
duen doch  kein  so  grosser  gewesen  sein  könne ;  denn  die  Molaren 
des  Unterkiefers  sind  noch  intakt,  M^  fehlt  noch. 

Oder  wir  haben  in  diesem  miocänen  Menschen- 
affen eine  Gattung  vor  uns,  welche  kurzarmiger,  also 
menschenähnlicher  war,  als  alle  lebenden  Anthropo- 
morphen.  Es  wird  in  Abschnitt  IV  No.  2  dieser  Arbeit  darüber 
gesprochen  werden,  dass  in  tertiärer  Zeit  Anthropomorphe  möglicher- 
weise durch  Kurzarmigkeit  den  ersten  Anstoss  zum  aufrechten  Gange 
und  damit  zu  höherer  Gehirnthätigkeit  erhalten  haben  könnten. 
Wäre  daher  Dryojnthecus  in  der  That  kurzarmiger  als  die  lebenden 
Menschenaffen  gewesen,  so  würde  er  nicht  nur  die  menschenähnlichsten 
Zähne,  sondern  auch  die  menschenähnlichsten  Arme  besessen  haben! 


—     15     — 

Für  jetzt  kann  man  darüber  leider  nichts  Sicheres  aussagen. 
Im  Auge  zu  behalten  ist  jedenfalls,  dass  der  geringste  Durchmesser 
des  Oberarmes  von  DryopitJiecus  1,8  cm  ist,  bei  jenen  lebenden 
Gibbons  nur  1,2  cm,  obgleich  die  Längen  23  und  20  cm  nicht  so 
sehr  verschieden  sind;  das  spräche  wieder  dafür,  dass  der 
Knochen  einem  viel  robusteren,  an  Statur  grösseren, 
aber  trotzdem  verhältnismässig  viel  kurzarmigeren 
Tiere  angehört  hätte,  als  Hylohates  es  ist. 

Es  ist  oben  bereits  gesagt  w^orden,  dass  Pohlig  diesen  Ober- 
arm des  Dryopithecus  für  menschenähnlicher  als  diejenigen  anderer 
Anthropomorplien  erklärte.  Da  nun  dieser  Autor  auch  den  bei  Eppels- 
heim  gefundenen  Oberschenkel  für  den  menschenähnlichsten  aller 
Affenfemora  erklärt  und  ihn  zugleich  ebenfalls  dem  Dryopitliecus  zu- 
schreibt, so  ist  diese  Gattung  nach  Pohlig,  weil  mit  dem  menschen- 
ähnlichsten Oberschenkel  und  Oberarm  versehen,  von  allen  Anthropo- 
morplien die  dem  Menschen  am  nächsten  stehende.  Pohlig  sucht 
mithin  das  früher  von  Lartet  gefällte  Urteil  wiederherzustellen  und 
gelangt  zu  einer  Reihenfolge  der  Anthropomorphen,  welche  derjenigen 
Gaudry's  ganz  entgegengesetzt  ist.  Wenn  wir  mit  der  dem  Menschen 
nächststehenden  Form  beginnen,  so  ergiebt  sich  nämlich  nach 

Pohlig:  1.  Dryopithecus;  2.  Chimpanse  und  Gorilla;  3.  Orang. 

Gaudey:  1.  Chimpanse;  2.  Orang — Gibbon — Pliojnthecus ;  3.  Go- 
rilla; 4.  DryopitJiecus. 

So  stehen  sich  also  zwei  schroff  entgegengesetzte  Ansichten 
gegenüber:  Die  eine  Ansicht  verweist  diese  Anthropomorphenreste 
zu  den  niedrigst  stehenden  Menschenaffen,  die  andere  giebt  ihnen 
den  höchsten  Rang  noch  über  dem  heutigen  Chimpansen.  Wir  sahen 
indessen,  dass  auch  Dübois  sich  hinsichtlich  des  Femur  gegen  Pohlig 
ausspricht. 

Auf  den  vorhergehenden  Seiten  haben  wir  einen  Überblick 
gewonnen  über  das  spärliche  Material,  welches  von  fossilen  Menschen- 
affen bisher  bekannt  geworden  ist.  Wenn  wir  Pithecanthropiis  als 
Anthropomorphen  (s.  Abschnitt  III:  „Die  Frage  der  Abstammung  des 
Menschen"  sub  Fitliecanthropus)  auffassen  und  die  Gattung  Simia 
aus  den  Siwalik  Hüls  als  zu  mangelhaft  begründet  ausser  Betracht 
lassen,  haben  wir  also  fünf  bezw.  vier  Geschlechter  fossiler  Menschen- 
affen zu  nennen : 

I.  Asiatische : 
Palaeopithecus  sivalensis  (Lyd.)  E.  Dübois,   aus  Indien,  plio- 
cänen?  Alters;  ein  bezahnter  Oberkiefer  bekannt. 


—     16     — 

Pithecantliropus  erectus  E.  Dübois,  aus  Java,  altdiluvialen 
oder  jüngstpliocänen  Alters;  ein  Schädeldach,  zvi'ei  Zähne,  ein 
Oberschenkel  bekannt. 

II.  Europäische: 

Pliopithecus  antiqi(us  P.  Gervais,  aus  Frankreich,  der  Schweiz, 
Steyermark,    miocänen  Alters;    Unter-  und  Oberkiefer  bekannt. 

Dryopithecus  Fontani  Lartet,  aus  Frankreich,  miocänen  Alters, 
auch  aus  dem  Bohnerz  der  schwäbischen  Alb ;  zwei  Unterkiefer 
und  ein  Oberarm  (Frankreich),  sowie  zehn  lose  Zähne  (Alb) 
bekannt. 

Pliohylohates  eppelsheimensis  E.  Dubois,  aus  Deutschland, 
pliocänen  Alters;  ein  Oberschenkel  bekannt.  Selbständigkeit 
der  Gattung  fraglich.  ^ 

II.  Die   im  Bohnerze    der   schwäbischen  Alb   gefundenen 

menschenähnlichen  Zähne. 

Die  schwäbische  Alb  hat  zu  zwei  wiederholten  Malen  Affen 
zum  Wohnsitze  gedient,  deren,  wenn  auch  spärliche,  Reste  uns  heute 
Zeugnis  davon  geben,  dass  diese  in  ihren  höheren  Teilen  als  „Rauhe 
Alb"  bezeichnete  Hochfläche  nicht  immer  diesen  Namen  verdient  hat. 

Noch  heute  lebt  auf  Gibraltars  Felsen,  künstlich  geschont,  ein 
Trupp  jener  Affengattung,  Macacus  oder  Iniius ,  welche  einstmals 
auf  den  schneeweissen  Felsen  der  Alb  ihr  Spiel  trieb.  Hedinger  ^  hat 
die  Reste  derselben  in  einer  Höhle,  dem  „Heppenloch"  bei  Kirch- 
heim unter  Teck,  gefunden  und  als  Inuus  suevicus  beschrieben.  Sie 
mögen  der  pliocänen  Epoche  angehören. 


1  N.  Jahrb.  f.  Min.  etc.  1891.  I.  S.  169.  Obgleich  in  einer  Höhle  gefunden 
giebt  Hedinger  dem  Inuus  suevicus  kein  diluviales,  sondern  ein  pliocänes  Alter. 
Es  ist  das  ja,  in  Anbetracht  einerseits  der  nicht  hohen  Temperatur  zu  quartärer 
Zeit,  anderseits  des  grösseren  Wärmebedürfnisses  der  lebenden  Inuus-Arten, 
einleuchtend.  Hinweisen  möchte  ich  nur  darauf,  dass  auch  in  Südfrankreich, 
nördlich  der  Pyrenäen,  ein  Inuus  durch  Harle  entdeckt  wurde,  welcher  in  einer 
Spalte  gleichfalls  zusammen  mit  Resten  diluvialer  Tiere  lag.  Von  den  Franzosen 
aber  wird  das  diluviale  Alter  dieses  Inuus,  welcher  der  heutigen  auf  Gibraltar 
lebenden  Art  sehr  nahe  steht,  nicht  bezweifelt,  wenn  man  ihn  auch  natürlich 
einer  interglacialen  Epoche  zuteilt  (Compt.  rend.  1892.  Bd.  114.  S.  1236).  —  Auch 
in  Algier  ist  ein  Macacus  oder  Inuus  zusammen  mit  quartären  Tierresten  ge- 
funden und  demselben  ein  diluviales  Alter  zugeschrieben  worden  (ibid.  1895. 
Bd.  II.  S.  157 — 160).  In  beiden  Fällen  wird  das  durchaus  glaublich  sein,  da  es 
in  diluvialer,  bezw.  interglacialer  Zeit  natürlich  in  Südfrankreich  und  noch  mehr 
in  Algier  wärmer  gewesen  sein  muss,  als  auf  der  schwäbischen  Alb. 


—     17     — 

Vermutlich  viel  früher  hat  aber  noch  eine  andere  viel  höher 
stehende  Gattung  von  Affen  auf  der  Alb  gehaust,  welche  den  Menschen- 
ähnlichen angehört  (vergl.  das  in  der  Einleitung  auf  S.  1 — 3  Gesagte). 
Ihre  Reste  finden  sich  jetzt  in  dem  Bohnerz  der  Alb  bei  und  nahe 
Salmendingen. 

Bereits  im  Jahre  1850  wurden  von  Jäger  ^  zwei  aus  den  Bohn- 
erzen  von  Salmendingen  stammende  Backenzähne  beschrieben  und 
abgebildet.  Der  eine,  damals  Eigentum  des  Professor  Fleischer,  be- 
findet sich  jetzt  im  Mineralienkabinet  zu  Stuttgart.  Er  hatte  zwei 
Wurzeln  und  stimmte  „vollkommen  mit  dem  dritten,  rechten,  unteren 
Backzahne  des  erwachsenen  Menschen  überein" ,  namentlich  mit 
demjenigen  eines  javanischen  Schädels  ^,  wie  Jäger  sagte. 

Der  andere  Zahn,  Fig.  50  bei  Jäger,  war  nur  eine  Schmelz- 
kappe ,  welche  jedoch  „ganz  dieselbe  Form"  besass,  wie  jener.  Er 
war  Eigentum  des  Professor  Kürr.  Dieser  an  „Farbe  mehr  licht- 
braune" Zahn  befindet  sich  jetzt  in  der  geologischen  Sammlung  der 
Technischen  Hochschule  zu  Stuttgart ;  ich  gebe  ihn  wieder  in  Taf.  II 
Fig.  5. 

QüENSTEDT  sagt,  Jäger  hätte  diese  beiden  Zähne  nicht  für  fossil, 
sondern  für  recente  und  für  nur  eingeschwemmte  Menschenzähne 
erklärt.  Ich  finde  in  Jäger's  Worten  keinen  Beweis  für  eine  solche 
Auffassung;  er  spricht  sich  vielmehr  nicht  entschieden  für  das  eine 
oder  andere  aus,  vielleicht  noch  eher  für  die  Fossilität  dieser  beiden 
Zähne  als  gegen  dieselbe  ^.  Indessen  mag  Quenstedt  wohl  aus  Jäger's 
Munde  ein  solches  Urteil  gehört  haben. 

Der  letzterwähnte,  KüRR'sche,  Zahn  wurde  seiner  Zeit  an  R.  Owen 
nach  London  geschickt  und  dort  ebenfalls  als  „unzweifelhafter  Menschen- 
zahn" bestimmt,  wie  uns  Quenstedt^  berichtet.  Ein  gleiches  Urteil 
fällte   Professor  Arnold  in    Tübingen,    der    damalige  Anatom,    über 


1  Verhandl.  Kaiserl.  Leopoldin.-Carolin.  Akad.  Bd.  22  Abt.  2.  1850.  S.  810. 
Taf.  68  Fig.  49  u.  50. 

^  Da  dieser  Zahn  vorn  eine  kleine,  hinten  aber  eine  grosse  Reihefläche  be- 
sitzt, so  miiss  auch  hinter  ihm  noch  ein  Zahn  gesessen  haben.  Da  man  nun 
nicht  die  zwar  nicht  völlig  unmögliche,  aber  doch  durch  nichts  bewiesene  An- 
nahme machen  kann,  dass  unser  Alfe  ausnahmsweise  noch  einen  W  gehabt  habe, 
so  dürfte  jener  Zahn  nicht,  Avie  Jäger  sagt,  ein  W,  sondern  eher  ein  M^  sein. 
Derselbe  ist  abgebildet  bei  Jäger  1.  c.  Fig.  49;  in  vorliegender  Arbeit  auf  Taf.  11 
Fig.  2. 

2  Jäger  sagt  1.  c.  S.  810,  dass  beide  Zähne  in  Bezug  „auf  Abreibung  und 
Grlättung  mit  vielen  Zähnen  urweltlicher  Säugetiere  übereinkommen". 

*  Diese  Jahreshefte.  1853.  Jahrg.  9.  S.  69. 

Jahresliefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  189S.  2 


—     18     — 

drei  weitere  derartige  Zähne ,  welche  von  Qüenstedt  inzwischen  er- 
worben worden  waren.  Der  Vergleich  zeigte,  dass  dieselben  eben- 
falls den  drittletzten  Molaren  „bei  Mongolen,  Finnen  und  Mohren" 
glichen  (ebenda  S.  68). 

Aber  Qüenstedt  Hess  sich  trotz  dieser  von  drei  Seiten  erfolgten 
Bestimmung  der  Zähne  als  vom  Menschen  herrührend  nicht  gefangen 
nehmen.  Zunächst  stellte  er  fest,  dass  die  Zähne  wirklich  fossil 
seien,  wie  das  bewiesen  werde  durch  ihr  Aussehen,  sowie  durch  das 
gelegentliche  Vorkommen  der  blauen  Färbung,  welche  man  als  „Zahn- 
türkis" bezeichnet.  Dann  äusserte  er  seine  Zweifel  darüber,  dass 
wirklich  Menschenzähne  vorlägen.  Er  schöpfte  dieselben  zum  Teil 
aus  dem  Umstände,  dass,  einschliesslich  des  ganz  gleichen  Fleischer'- 
schen  Zahnes,  hier  nicht  weniger  als  fünf  Backenzähne  von  gleicher 
Form ,  also  von  derselben  Stellung  im  Gebisse ,  und  nur  in  rechts 
und  links  abweichend,  gefunden  seien.  Da  der  Mensch,  wie  Qüen- 
stedt sagte,  „sechzehnfach"  verschiedene  Zähne  besitze,  so  wäre 
es  auffällig  gewesen,  wenn  man  an  verschiedenen  Orten  fünf  gleiche 
menschliche  Zähne  gefunden  haben  sollte  ^. 

Auch  im  Jahre  1856  hob  Qüenstedt^  nochmals  hervor,  dass 
„über  die  Untrüglichkeit  der  Bestimmung  (nämlich  als  Menschen- 
zähne) noch  Zweifel  bleiben". 

Inzwischen  äusserte  sich  auch  Giebel  ^  über  diese  Zähne.  Er  war 
jedoch  sehr  skeptisch  gegenüber  der  von  Qüenstedt  behaupteten 
Fossilität  der  fraglichen  Zähne.  Auch  recente  Knochen  könnten  unter 
besonders  günstigen  Bedingungen  ganz  dieselbe  Beschaffenheit  an- 
nehmen, wie  fossile.  Um  diesen  Einspruch  recht  zu  verstehen,  muss 
man  jedoch  bedenken,  dass  derselbe  entstand  unter  dem  Eindruck  der 
ersten  Mitteilung  Qüenstedt's,  nach  welcher  diese  Zähne  erstens  vom 
Menschen  sta;jimten,  zweitens  aber  auch  echt  fossil  seien  und 
drittens  sogar  dem  Miocän  oder  gar,  nach  v.  Alberti,  dem  Eocän 
angehörten.  Übrigens  drückt  sich  Qüenstedt  gar  nicht  so  sicher 
darüber  aus,  dass  wirklich  Menschenzälme  vorlägen,  wie  Giebel  das 

*  Qüenstedt  hat  2  der  von  ihm  erworbenen  Zähne  1.  c.  auf  Taf.  VII  in 
Fig.  11,  12,  13  abgebildet.    Die  Erklärung  der  Tafel  findet  sich  erst  auf  S.  365. 

^  Sonst  und  Jetzt.  S.  245.    Tübingen  bei  Laupp. 

"  Zeitschr.  f.  d.  gcs.  Naturwissenschaften.  Halle  1853.  Bd.  I.  S.  122—124. 
Ich  entnehme  diese  Notiz  aus  H.  Eck,  Verzeichnis  der  mineralogischen,  geo- 
gnostischen,  urgeschichtlichen  und  balneographischen  Litteratur  von  Baden,  Würt- 
temberg, Hohenzollern.  Heidelberg  1890  u.  1891.  C.  Winter.  Heft  1  u.  2. 
1288  Seiten;  einem  Litteraturverzeichnisse  von  ganz  aussergewöhnlicher  Reich- 
haltigkeit. 


—     19     — 

annimmt.  Er  äussert  vielmehr,  wie  wir  sahen,  seine  Zweifel.  Aber 
Giebel  macht  es  hier  Quenstedt  gegenüber  ganz  so,  wie  dieser  gegen- 
über Jäger:  Jeder  konstruiert  sich  aus  dem  Munde  des  anderen  eine 
feste ,  bestimmt  ausgesprochene  Ansicht ,  die  er  nun  bekämpft  und 
lässt  dabei  ausser  acht,  dass  der  andere  doch  nur  ganz  bedingt  sich 
äusserte. 

Man  empfängt  aus  dem  allem  ein  offenbar  getreues  Abbild  des 
Hin-  und  Herschwankens,  wie  das  bei  einer  Frage  von  solcher  Wichtig- 
keit und  zugleich  so  grosser  Schwierigkeit  der  Entscheidung  nicht 
anders  möglich  war. 

Schon  drei  Jahre  nach  diesen  Mitteilungen  Jäger"s,  Qüenstedt's 
und  Giebel's  begann  sich  ein  Umschwung  zu  grösserer  Sicherheit  zu 
vollziehen.  Zunächst  kam  Obermedizinalrat  v.  Jäger  ^  auf  diese  Zähne 
zurück  und  betonte  die  Notwendigkeit,  dieselben  nochmals  zu  unter- 
suchen. Denn  nachdem  Lartet  den  Dryopifhecus  in  Frankreich 
kennen  gelehrt  habe,  sei  es  doch  wahrscheinlich,  dass  auch  diese 
Zähne  von  der  Alb  nicht  dem  Menschen,  sondern  einem  Menschen- 
ähnlichen angehört  hätten. 

Später  wurde  dann  in  den  Bohnerzen  von  Salmendingen  noch 
ein  weiterer  Zahn  gefunden ,  welcher  aber  im  Gegensatze  zu  jenem 
ziemlich  stark  abgekaut  ist.  Auch  von  diesem  sagte  Quenstedt^,  dass 
er  „ebensogut  für  Menschen-  als  für  Affenzähne  gehalten  werden" 
könne. 

Dieser  abgekaute  Zahn  wurde  nun  vor  ungefähr  20  Jahren, 
wie  seiner  Zeit  der  KuRR'sche  ^,  nach  London  an  R.  Owen  geschickt 
und  von  demselben  als  Affenzahn  erkannt.  So  wurde  Qüenstedt's 
Misstrauen,  das  er  von  Anfang  an  gegen  die  menschliche  Herkunft 
dieser  Zähne  ausgesprochen  hatte,  bestätigt.  Zugleich  hatte  ihn  wohl 
auch  die  inzwischen  zu  seiner  Kenntnis  gelangte  Abbildung  des 
Dryopithecus  Fontani  von  St.  Gaudens  zu  weiterer  Sicherheit  ge- 
führt ;  denn  nun  sprach  er  mit  ganzer  Bestimmtheit  aus,  dass  diese 
Zähne  den  menschenähnlichen  Affen  zuzuschreiben  seiend 

In  neuester  Zeit  führt  dann  Schlosser  ^  in  seiner  grossen  Mono- 
graphie der  Affen  u.  s.  w.  bei  der  Besprechung  des  Dryopithecus  die 


1  Diese  Jahreshefte.  1859.  Bd.  15.  S.  36. 

2  Klar  und  Wahr.    Tübingen  1872  bei  Laupp.  S.  108. 
^  AVie  Herr  Präparator  Kocher  mir  mitteilte. 

*  Handbuch  der  Petrefaktenkunde.  2.  Aufl.  1867.  S.  32.  3.  Aufl.  1885.  S.  37. 
^  Die  Aö'en,  Lemuren,  Chiropteren  .  .  .  des  europäischen  Tertiärs.    Beiträge 
zur  Palaeontologie  v.  Österreich-Ungarn.    "Wien  1887  bei  Holder.  Bd.  6. 

2* 


-     20     — 

Zähne  von  der  Alb  als  hierher  gehörig  an ;  und  ebenso  erwähnt 
Hedinger  ^  bei  Besprechung  seines  Inuus  suevicus  zweier  Zähne  der 
Tübinger  Sammlung  und  sagt  von  diesen,  sowie  von  einem  weiteren, 
im  Naturalienkabinet  zu  Stuttgart  befindlichen ,  dass  man  hier  an 
Dryopithecus  werde  denken  müssen. 

Abgesehen  von  diesen  kurzen  Äusserungen  und  einer  Abbildung 
ist  bisher  keinerlei  eigentliche  nähere  Untersuchung  aller  dieser  Zähne 
aus  unseren  Bohnerzen  der  Alb  erfolgt.  Es  handelte  sich  bisher 
immer  nur  um  kurz  hingeworfene  Meinungen  ohne  gleichzeitige  Be- 
gründung derselben.    Damit  aber  scheint  es  doch  nicht  genug  gethan. 

Einmal  verdient  ein  fossiles  Wesen  von  so  hervorragender, 
aussergewöhnlicher  Wichtigkeit  eine  eingehende  Untersuchung,  Be- 
schreibung und  Begründung  der  Bestimmung.  Gegenüber  einer  fossi- 
len Schnecke  oder  Muschel  reicht  es  hin ,  ohne  weiteres  zu  sagen, 
es  sei  die  und  die  Art.  Gegenüber  einem  zoologisch  so  überaus 
wichtigen,  zugleich  so  überaus  seltenen  Wesen  genügt  das  nicht. 

Zweitens  steht  es  bisher  durchaus  nicht  fest,  dass  unsere 
schwäbischen  Zähne  nun  wirklich  zu  Dryopltheais  oder  einer  anderen 
Affengattung  gehören.  Nach  den  über  diese  Gattung  veröffentlichten 
Abbildungen  ist  nämlich  eine  sichere  Bestimmung  überhaupt  unmög- 
lich. Die  von  Gaudry  gegebene  Abbildung  der  Zähne  des  Dryopithecus 
genügt  darum  nicht,  weil  diese  Zähne  bereits  abgekaut  sind,  während 
unsere  fraglichen  schwäbischen  Zähne  zum  Teil  noch  gar  keine  Usur- 
fiächen  besitzen,  also  ganz  anders  aussehen.  Die  von  Lartet  ge- 
gebene Abbildung  hat  freilich  zum  Gegenstande  ganz  ebenso  unver- 
letzte Zähne  wie  unsere  in  Rede  stehenden.  Aber  wiederum  die 
Darstellung  dieser  Zähne  ist  so,  dass  man  gar  nicht  das  Nötige  zu 
erkennen  vermag.  Namentlich  fehlt  das  Wichtigste,  eine  Abbildung 
der  Kaufläche,  nach  welcher  allein  eine  Bestimmung  möglich  sein 
könnte;  und  die  Beschreibung  ist  völlig  ungenügend  dazu. 

Sodann  war  es  bisher  überhaupt  noch  gar  nicht  sicher  ent- 
schieden, ob  in  diesen  schwäbischen  Zähnen  nicht  doch  etwa  Menschen- 
zähne vorliegen.  Ihre  Ähnlichkeit  mit  gewissen  Menschenzähnen  ist 
nämlich  eine  so  grosse,  dass  ich  während  dieser  meiner  Arbeit  lange 
Zeit  hindurch  immer  wieder  in  Zweifel  darüber  geraten  bin,  ob  ich 
denn  wirklich  auch  Affen-  und  nicht  Menschenzähne  vor  mir  habe. 
Weder  Lartet  noch  Gaudry  aber  heben  eine  so  grosse,  verwirrende 
Ähnlichkeit  des  Gebisses  von  Bryopüheciis  mit  dem  des  Menschen 
hervor. 

"■  N.  Jahrb.  f.  Min.  etc.  1891.  B<1.  I.  S.  170. 


—     21     — 

Es  gewährt  nämlich  die  Art  und  Weise  des  Vorkommens  unserer 
schwäbischen  Zähne   keinerlei  zwingenden   Beweis    dafür ,    dass    der 
Gedanke  an  Menschen  völlig  auszuschliessen  sei.    Nach  freundlicher 
Mitteilung  des  Herrn  Direktor  0.  v.  Fraas  sind  die  aus  den  Bohnerzen 
der  Alb  stammenden  Versteinerungen  seiner  Zeit  stets  nur  von  den 
in  den  Gruben  arbeitenden  Leuten  gesammelt  worden.    Diese  brachten 
dann,    ihre  Taschen  voll  von  fossilen  Zähnen,    letztere  bunt  durch- 
einander gemengt,    zum  Verkaufe.     Nie  ist  nach  Horizonten  in  den 
Bohnerzen  gesammelt  worden;  falls  das  überhaupt  ein  Resultat  ge- 
geben hätte,  was  niemand  sagen  kann.     Darum    erhielt  man  Zähne 
miocänen,  pliocänen,  diluvialen  und  recenten  Alters  bunt  durcheinander 
gemengt,  da  alle  diese  im  Bohnerze  vorkommen.    Unsere  fraglichen 
Zähne   könnten   mithin    an    und    für    sich    ganz    gut   dem   lebenden 
Menschen  angehören.     Der  blosse  Fundort,   bezw.  sein  geologisches 
Alter,  würden  eine  solche  Annahme  nicht  zu  widerlegen  vermögen. 
Doch  weiter :  Die  beiden  in  Frankreich  gefundenen  Kiefer  des 
Dryopitliecus  schliessen  durch  ihre  Form  ohne  weiteres  den  Gedanken 
aus,  dass  hier  menschliche  Reste  vorliegen  könnten.     Dagegen  haben 
sich  auf  der  Alb  leider  keine  anderen  Knochen  als  nur  losse  Zähne 
gefunden,  so  dass  der  Beweisgrund  der  Kiefergestalt  hier  ganz  fehlt, 
somit    die   überraschend  grosse  Ähnlichkeit  der  Zähne    mit   solchen 
des  Menschen  sich  in  den  Vordergrund  drängt. 

Die  Schwierigkeit  des  Vergleiches  unserer  fraglichen  Zähne  mit 
den  französischen  des  Dryopitliems  ist  so  gross,  dass  Herr  Gaudry, 
welchem  ich  anfänglich  nur  die  vergrösserten  Zeichnungen  unserer 
Zähne  mit  der  Bitte  um  freundliche  Vergleichung  derselben  zusandte, 
eine  sichere  Bestimmung  derselben,  selbst  auch  nur  eine  generische, 
ablehnen  musste.  Unter  solchen  Umständen  wird  man  in  der  bis- 
herigen Benennung  unserer  fraglichen  Zähne  als  Dryopithecus  nur 
ein  Raten,  durchaus  aber  kein  sicheres  Bestimmen  erkennen  müssen. 
Soweit  überhaupt  bloss  auf  Grund  der  Abbildungen  des  Dryo- 
pitliems ein  Vergleich  für  mich  möglich  war,  stellte  sich  nun  sogleich 
heraus,  dass  gewisse  Unterschiede  von  denen  des  französischen 
Dryopithecus  entschieden  vorhanden  waren,  woraus  sich  ebenfalls 
die  Notwendigkeit  näherer  Untersuchung   ergab. 

Endlich  war,  seit  jener  Benennung  unserer  Zähne  durch  Quen- 
STEDT  als  Dryojntheciis,  eine  Anzahl  weiterer  Zähne  gefunden  worden, 
so  dass  heute  nicht  weniger  als  10  vorliegen.  Unter  diesen  aber 
befinden  sich  1  unterer  Milchprämolar  und  2  dem  Oberkiefer  an- 
gehörende Molaren:  zwei  Zahnarten,  welche. man  bisher  von  Dryo- 


—     22     — 

pithecus   noch  gar  nicht  kennt,    welche  also    die  Kenntnis  der  Gat- 
tung erweitern  würden. 

Bei  solcher  Lage  der  Dinge  erschien  es  nicht  als  überflüssig, 
sondern  im  Gegenteil  wie  eine  Notwendigkeit,  an  die  Untersuchung 
dieser  Zähne  heranzutreten,  gleichviel,  ob  das  Endergebnis  nun  wirk- 
lich zu  einer  Identifizierung  mit  Drijopitliecus  führen  oder  auf  eine 
andere,  noch  unbekannte  Form  der  Anthropomorphen  hinweisen,  oder 
aber  wieder  zurück  zu  der  ersten  Bestimmung,  zum  Menschen,  lenken 
würde.  Alle  drei  Möglichkeiten  mussten  ins  Auge  gefasst  werden, 
alle  drei  drängten  sich  auch  während  der  Arbeit,  eine  der  andern 
den  Rang  streitig  machend,  abwechselnd  in  den  Vordergrund. 

Die  Oberkiefermolaren   beim  IVIenschen  und  lebenden  Menschenaffen. 

Ich  schicke  voraus,  dass  die  in  dieser  Arbeit  an- 
gewendete Zählung  der  Zähne  die  von  Hensel  eingeführte 
ist.  Also  an  einem  vollständigen  Säugergebisse  von 
den  beiden  mittelsten  Schneidezähnen  angefangen: 

l\  P,  P,  C,  P^  P3,  P2,  pi,  M\  M^,  W. 

Bevor  ich  zur  näheren  Besprechung  und  Vergleichung  der  fossilen 
Zähne  übergehe,  welche  mir  aus  dem  Bohnerz  der  Alb  vorliegen, 
sollen  einige  Bemerkungen  über  die  entsprechenden  Zähne  bei  Mensch 
und  bei  lebenden  Anthropomorphen  vorausgeschickt  werden,  um 
Anhaltspunkte  zur  Vergleichung  zu  gewinnen.  Es  handelt  sich  um 
zwei  fossile  Molaren  des  Oberkiefers  und  sieben  des  Unterkiefers,  sowie 
um  einen  unteren  Milchbackenzahn.  Wir  werden  daher  unsere  Bemer- 
kungen auch  nur  auf  diese  Zahnarten  bei  Mensch  und  lebenden 
Anthropomorphen  auszudehnen  haben. 

Bei  beiden  ist  die  Breite  der  dem  Oberkiefer  angehörenden 
Molaren  von  aussen  nach  innen  grösser  als  die  Länge  von  vorn 
nach  hinten.  Bei  beiden  ist  die  Anordnung  der  Höcker  an  den 
Backenzähnen  dieselbe ;  nur  in  Bezug  auf  Variabilität  der  Zahl  der 
Höcker,  sowie  in  Höhe  derselben,  Länge  der  Zahnkrone  von  vorn 
nach  hinten,  bezw.  also  Breite  derselben,  Oberflächenbeschaffenheit 
und  Wurzelstellung  walten  mehr  oder  weniger  starke  Unterschiede  ob. 

a)  Beim  Menschen  bestehen  die  oberen  Molaren  im  allgemeinen 
aus  vier  Höckern,  nämlich  zwei  äusseren,  zwei  inneren.  Der  vordere 
Innenhöcker  wird  mit  dem  hinteren  Aussenhöcker  durch  einen  Kamm 
verbunden.  Der  hintere  Innenhöcker  ist  durch  eine  Furche  etwas 
vom  Zahn  abgeschnürt. 


—     23     — 

Bedenkt  man,  dass  die  Zahl  aller  Menschen  auf  der  Erde  un- 
gefähr gegen  1500  Millionen  betragen  mag,  so  wird  man  es  nicht 
nur  begreiflich,  sondern  eigentlich  selbstverständlich  finden,  dass  die 
Zahl  der  Höcker  ihrer  Molaren  keine  völlig  unveränderliche,  konstante 
ist;  denn  je  reicher  an  Individuen  eine  Art  ist,  desto  mehr  Ab- 
weichungen von  der  Norm  werden  sich  einstellen. 

Diese  Variabilität  der  menschlichen  Bezahnung  geht  deutlich 
hervor  aus  der  Verschiedenheit  der  Angaben,  welche  von  namhaften 
Autoren  verschiedener  Nationalität  hinsichtlich  unseres  Gebisses  ge- 
macht werden.  Es  lässt  sich  das,  wie  Cope  hervorhob  \  nur  dadurch 
erklären,  dass  die  verschiedenen  Völker  nicht  gleichzähnig  sind.  So 
führt  CuviER  an ,  dass  von  den  oberen  Molaren  des  Menschen  der 
erste  vier,  der  zweite  und  dritte  nur  drei  Höcker  besitzen,  wogegen 
in  amerikanischen  Werken,  wie  Sharpey  and  Qüäin's  Anatomy,  gesagt 
wird,  dass  alle  drei  Molaren  vierhöckerig  sind. 

Durch  Untersuchung  zahlreicher  Schädel  ist  nun  Cope  zu  den 
untenstehenden  Ergebnissen  gelangt,  wobei  die  Anzahl  der  Höcker 
durch  Zahlen  namhaft  gemacht  ist  und  kleine,  d.  h.  reduzierte  Höcker 
als  Brüche  (V2)  angegeben  sind  ^. 

Die  Zahl  der  Höcker  an  Oberkiefermolaren  beim  Menschen 
variierte  nach  Cope's  Beobachtungen  in  der  folgenden  Weise : 
4-4-4  I  4-4-3V2  I  4-3V2-3V2  I  4-4-3  I  4-3V2-3  I  4-3-3. 

Die  Formel  mit  den  meisten  Höckern,  4 — 4 — 4  für 
M\  M^,  M^,  kommt  nur  bei  den  drei  niedrigststehenden  der 
untersuchten  Rassen,  Malayen,  Australier,  Neger,  vor. 

Umgekehrt  die  Formel  mit  den  wenigsten  Höckern, 
also  den  reduziertesten  Molaren,  4 — 3 — 3  Höcker,  findet 
sich  vorwiegend  nur  bei  Europäern  und  deren  über- 
seeischen Abkömmlingen,  wie  Amerikanern.  Bei  den 
niedrig  stehenden  Rassen  dagegen  tritt  sie  selten  auf; 
nur  bei  den  Eskimos  waltet  sie  vor. 

Letzteres  ist  vielleicht  bemerkenswert;  denn  Boyd  Dawkins  be- 
hauptet, dass  die  ältesten  Bewohner  Englands  und  anderer  Teile 
Europas  Eskimos  gewesen  seien,  weil  die  Kunstprodukte  des  Höhlen- 
menschen der  Diluvialzeit  ident  mit  denen  der  Eskimos  seien.  So 
wäre  die  Eskimorasse  diejenige ,  welche  zuerst  unter  den  Menschen 

^  On  Lemurine  Inversion  in  human  dentition.  American  Naturalist.  Bd.  20. 
1886.  S.  941-947. 

2  Es  bedeutet  also  für  den  Oberldefer  die  Formel  4—3—3,  dass  der  M^ 
4  Höcker  besitzt,  M-  und  "SP  dagegen  nur  3. 


—        24:        — 

von  dieser  Reduktion  der  Höckerzahl  der  Oberkiefermolaren  ergriffen 
wurde. 

Diese  Reduktion  aber  bedeutet  für  den  Menschen  nichts  Anderes 
als  eine  Rückkehr  der  Bezahnungsweise  von  derjenigen  der  höchst- 
stehenden,  der  Menschenaffen,  zu  derjenigen  der  niedrigststehenden, 
der  Halbaffen  eocäner  Zeiten.  Vergleichen  wir  nämlich  diese  Höcker- 
zahlen des  Menschen  mit  denen  bei  Affen,  so  zeigt  sich,  dass  die 
Lemuren  sehr  häufig  oben  am  ersten  Molar  vier,  am  zweiten  und 
dritten  aber  nur  drei  Hocker  besitzen ,  wogegen  bei  den  anthropo- 
morphen  Affen  alle  oberen  Molaren  vierhöckerig  sind. 

Wir  finden  also  im  allgemeinen  bei  den  höchst- 
stehenden Menschen,  den  Kulturrassen,  Übereinstim- 
mung mit  den  niedrigststehenden,  den  Halbaffen;  und 
umgekehrt  im  allgemeinen  bei  den  Völkern  mit  niedri- 
gerer Kultur  eine  Übereinstimmung  mit  den  höchst- 
organisirten  Affen,  den  Menschenähnlichen. 

CoPE  schöpft  daraus  die  Vorstellung,  dass  alle  Menschen  ur- 
sprünglich die  höhere  Höckerzahl  der  Menschenaffen  besassen,  und 
dass  mit  der  Kultur  nun  eine  Verringerung  der  Höcker  sich  vollziehe. 
Wie  aber  nach  allgemein  herrschender  Anschauung  die  mehrhöcke- 
rigen Zähne  überhaupt  erst  aus  einhöckerigen  sich  allmählich  ge- 
bildet haben \  so  spricht  auch  Cope  in  seiner  Arbeit^  die  Überzeugung 
aus,  dass  wiederum  die  Vorfahren  dieser  ältesten  Menschen  mit  vier- 
höckerigen, nur  dreihöckerige  obere  Molaren  besessen,  resp.  erworben 
hätten  und  ein  vierter  dann  später  noch  hinzugetreten  wäre. 

Cope  nimmt  mithin  erst  Erwerb  des  vierten  Höckers,  dann 
wieder  Verlust  desselben  an. 

Dadurch  wird  der  Vorgang  freilich  komplizierter,  und  Topinaed 
und  mit  ihm  Schlosser^  legen  denn  auch  Verwahrung  dagegen  ein, 
dass  der  Kulturmensch  allmählich  den  vierten  Höcker  wieder  verliere. 


'  Entweder  durch  Verschmelzung  oder  durch  Knospung;  s.  darüber  Teil  II 
dieser  Arbeit,  Abschn.  III:  Die  Ursachen  der  Reduktion  des  Gebisses,  unter  No.  7. 

^  Die  Ursache  dieser  Verringerung  der  Höckerzahl  ist,  Avie  Cope  sagt, 
schwer  zu  ergründen.  Da  drei-  und  vierhöckerige  Molaren  dieselbe  Länge  be- 
sitzen, so  kann  diese  Art  der  Reduktion  nicht  in  einer  Beschränkung  des  ihnen 
zur  Verfügung  stehenden  Raumes  im  Kiefer  gesucht  werden.  Im  allgemeinen 
kann  man  sagen,  dass  zu  dreihöckerigen  Molaren  Aveniger  Zahnmaterial  verbraucht 
wird,  da  ein  Dreieck  bei  derselben  Basis  geringereu  Inhalt  besitzt  als  ein  Quadrat. 
(American  Naturalist.  Bd.  20.  1886.  S.  944.) 

^  T  0  p  i  n  a  r  d ,  De  l'evolution  des  molaires  et  premolaires  chez  les  Primates 
et   en   particulier  chez   Fhomme.     „L' Anthropologie."    Paris   1892.   S.   641 — 710. 


—     25     — 

Das  sind  ja  natürlich  Dinge,  bei  welchen  das  Meinen  und 
Glauben  eine  grössere  Rolle  spielt  als  das  Wissen.  Indessen  da 
zweifellos  eine  Reduktion  des  Gebisses  sich  seit  tertiären  Zeiten 
durch  die  ganze  Reihe  der  Säuger  verfolgen  lässt,  wie  in  Teil  II 
dieser  Arbeit  behandelt  wird,  so  ist  nicht  einzusehen,  warum  diese 
Reduktion  sich  nicht  auch  in  dem  Verschwinden  des  vierten  Höckers 
der  oberen  Molaren  bethätigen  sollte.  An  und  für  sich  erschiene  das 
als  eine  ganz  glaubhafte  Sache. 

Nach  Cope's  oben  mitgeteilten  Untersuchungen  variiert  beim 
Menschen  die  Zahl  der  Höcker  zwischen  4,  S^/g  und  3.  Diese  Re- 
duktion kann  aber  doch  noch  weiter  gehen,  Topinard  berichtet  auch 
über  das  Verschwinden  des  dritten  Höckers,  so  dass  deren  Zahl  sich 
schliesslich  auf  2  beschränkt.  Am  relativ  häufigsten  findet  sich  das 
erklärlicherweise  bei  M^,  der  ja  bekanntlich  bis  zum  völligen  Ver- 
schwinden reduziert  werden  kann.  Aber  umgekehrt  kann  auch  ein- 
mal die  Höckerzahl  noch  um  einen  fünften  vermehrt  werden, 

so  dass  also  die  Höcker  an  Oberkiefermolaren  des 
Menschen  der  Zahl  nach  zwischen  5,  4,  3,  2  variieren 
können. 

b)  Beim  Menschenaffen  ist  der  Bau  der  Oberkiefermolaren 
ganz  ähnlich  wie  der  vollzählige  des  Menschen,  d.  h.  diese  Molaren 
sind  vierhöckerig;  zwei  der  Höcker  liegen  an  der  Aussen-,  zwei  an 
der  Innenseite.  Der  quere  Kamm ,  sowie  die  leichte  Abschnürung 
des  hinteren  Innenhöckers  sind  ganz  wie  beim  Menschen  vorhanden. 
Diese  Zahngestalt  aber  ist  wohl  beim  Anthropomorphen  wesenthch 
konstanter  als  beim  Menschen ;  auch  Topinard  in  seiner  oben  an- 
gezogenen Arbeit  bestätigt  das.  Bedenkt  man,  dass  gegenüber  den 
anderthalb  Milliarden  Menschen  nur  wenige  Tausend  Menschenaffen 
existieren  mögen ,  so  muss  es  auch  von  vornherein  wahrscheinlich 
sein,  dass  sich  an  einer  so  winzigen  Zahl  von  Individuen  gar  nicht 
eine  so  ähnlich  reiche  Variabilität  bethätigen  kann,  wie  bei  jener 
so  ungeheuer  viel  grösseren. 

Aber  es  ist  doch  immerhin  Vorsicht  bei  solchen  Aussprüchen 
nötig,  denn  gegenüber  dem  ungeheuren  Materiale  an  Menschenzähnen, 
welche  man  untersucht  hat,  ist  dasjenige  der  untersuchten  Anthropo- 
morphenzähne  doch  auch  wieder  ganz  verschwindend  klein.  Selenka 
dürfte  wohl  von  allen  Forschern  am  besten  im  stände  sein,  auf  Grund 

Ich  kenne  den  Inhalt  der  mir  nicht  zugänglich  gewesenen  Arbeit  nur  aus 
Schlosser 's  sehr  ausführlichem  Referat  im  Archiv  f.  Anthi'opologie  für  das 
Jahr  1892.  S.  157—159. 


-     26     - 

des  so  sehr  reichen ,  von  ihm  gesammelten  Materiales  vom  Orang, 
Untersuchungen  über  Variabihtät  der  Bezahnung  anzustellen. 

Dass  sich  zunächst  Unterschiede  des  Geschlechtes,  wenigstens 
beim  Gorilla,  bemerkbar  machen,  sagte  schon  Hartmann  ^  Nach  ihm 
lassen  beim  männlichen  Gorilla  alle  drei  oberen  Molaren  eine  regel- 
mässigere,  symmetrischere  Anordnung  der  Höcker  erkennen  als  beim 
Weibchen,  bei  welchem  die  Höcker  mehr  alternieren  und  dadurch 
menschenähnlicher  werden.  Auch  für  die  unteren  Molaren  ist  nach 
ihm  beim  Weibchen  die  Ähnlichkeit  mit  dem  Menschen  grösser. 

Was  sodann  den  Weisheitszahn  anbetrifft,  so  variiert  dieser 
auch  bei  den  Anthropomorphen,  indem  er  bald  kleiner  als  die  beiden 
vorderen  Molaren,  bald  grösser  als  diese  ist.  Es  kann  hier  auch  das 
Mass  der  Reduktion  bezw.  Vergrösserung  in  beiden  Kiefern  ein  ganz 
verschiedenes  sein.  So  besitzt  der  Chimpanse  No.  2559  der  Stutt- 
garter zoologischen  Sammlung  einen  M^,  der  im  Oberkiefer  nur  stark 
von  vorn  nach  hinten  verkürzt,  im  Unterkiefer  aber  bereits  zu  einem 
blossen  Knopf  reduziert  ist.  Bei  fossilen  Anthropomorphen  zeigt 
sich  M^  gleichfalls  bisweilen  reduziert.  Man  wird  Pithecanthropus  ja 
unter  diesen  aufführen  dürfen,  da  seine  Eigenschaft  als  Übergangsforra 
immerhin  noch  umstritten  ist  (vergl.  darüber  Abschnitt  HI :  Die  Frage 
der  Abstammung  des  Menschen  sub  3  b).  E.  Dübois^  giebt  nun  für 
M^  sup.  desselben  die  folgenden  Masse  an:  Breite  15,3  mm,  Länge 
11,3  mm,  so  dass  also  auch  hier  eine  Verkürzung  von  vorn  nach 
hinten  bemerkbar  ist.  An  M^  sup.  misst  Dubois  ^  bei  Pithecanthropus 
eine  Breite  von  14  mm  und  eine  Länge  von  12  mm,  was  also  eine 
viel  geringere  Verkürzung  als  bei  M^  ergiebt. 

Immerhin  wird  wohl  die  Zahl  der  Höcker  bei  M^  und  M'  kon- 
stanter sein  als  beim  Menschen. 

Die  Unterkiefermolaren  bei   Mensch  und  Anthropomorphen. 

Während  die  vollzähligen  Molaren  des  Oberkiefers  bei  Mensch 
und  Anthropomorphen  oben  vierhöckerig  und  dreiwurzelig  sind,  be- 
sitzen diejenigen  des  Unterkiefers  fünf  Höcker,  aber  nur  zwei  Wurzeln. 
Zwei  der  Höcker  liegen  an  der  Innenseite ;  drei  befinden  sich  an  der 
äusseren ,  jedoch  so ,  dass  beim  Menschen  der  dritte ,  hinterste  be- 
reits halb  an  die  Hinterseite  des  Zahnes  gerückt  ist. 


*  Die  anthropomorphen  Affen. 
^  Pithecanthropus  erectus  S.  15. 


3  Anatomischer  Anzeiger.  1896.  Bd.  12.  Heft  1.  S.  16. 


—     27     — 

a)  Der  Mensch.  Wie  im  Oberkiefer  ausnahmsweise  noch  ein 
fünfter  Höcker  erscheinen  kann,  so  im  Unterkiefer  ausnahmsweise 
noch  ein  sechster,  ja  sogar,  nach  Topinard,  auch  einmal  ein  siebenter. 
Der  sechste  erscheint  in  solchen  Fällen  an  der  Innen-,  der  siebente 
an  der  Aussenseite. 

In  gleicher  Weise,  wie  im  Oberkiefer  aber  auch  ein  Höcker 
bisweilen  fehlt,  so  dass  nur  drei  vorhanden  sind,  so  kann  der  Molar 
des  Menschen  auch  im  Unterkiefer  nur  aus  vier,  ja  bisweilen  nur 
aus  drei  oder  sogar  nur  aus  zwei  Höckern  gebildet  sein.  Nach  Topi- 
nard erscheint  der  Fünfhöckertypus  bei  M^  und  nach  diesem  bei 
M^  am  reinsten;  M^  dagegen  hat  meist  nur  vier  Höcker. 

Wir  finden  also  bei  Unterkiefermolaren  des  Men- 
schen eine  starke  Variabilität  der  Höcker  zahl,  welche 
7,  6,  5,  4,  3,  2  betragen  kann. 

b)  Die  Menschenaffen  zeigen,  wie  schon  für  den  Oberkiefer 
bemerkt,  grössere  Konstanz  hinsichtlich  der  Zahl  der  Höcker,  welche 
nach  Topinard  an  M^  und  M^  immer  5  beträgt.  Ob  das  ausnahmslos 
gilt,  muss  ich  auch  hier  bezweifeln.  Baume  (1.  c.  S.  221)  berichtet, 
dass  bei  Mensch,  Orang  und  Gibbon  M^  inf.  und  ebenso  der  ihm 
gleiche  P  d^  inf.  fünf  Höcker  besitzen,  beim  Chimpanse  dagegen 
nur  vier.  Gerade  umgekehrt  erwähnt  Lartet  (1.  c.  Fig.  2),  dass  der 
Chimpanse  an  M^  und  M^  inf.  je  fünf  Höcker  besitze,  an  M^  jedoch 
nur  vier.  Das  sind  schon  Widersprüche,  die  auf  Variation  auch  bei 
M^  und  M^  inf.  der  Menschenaffen  schliessen  lassen. 

In  welcher  Weise  M^  bei  Anthropomorphen  variiert,  zeigen 
folgende  Beobachtungen:  Ich  habe  schon  erwähnt,  dass  der  untere 
Weisheitszahn  bei  einem  Chimpanse  zu  einem  blossen  Knopfe  re- 
duziert war.  Lartet  giebt  an,  dass  M^  bei  Gibbon  Lar  (1.  c.  Fig.  4) 
nur  vier  Höcker  besitze,  Gibbon  Siamang  aber  fünf.  Bei  einem 
anderen  Chimpanse  habe  ich  beobachtet ,  dass  derselbe  ^  an  M^ 
unten  entschieden  fünf,  ja  eigentlich  noch  einen  sechsten  Höcker 
besitzt.  Ebenso  hat  Gorilla  bisweilen  an  M^  des  Unterkiefers  noch 
einen  kleinen  sechsten  Höcker. 

Wenn  also  ausgesprochen  wurde,  dass  die  Zahnreihe  bei  Mensch 
und  Menschenaffe  sich  in  Bezug  auf  ihr  Volumen  entgegengesetzt 
verhalte,  dass  beim  Menschen  das  Volumen  der  Molaren  vom  vorder- 
sten bis  zum  hintersten  ab-,  beim  Anthropomorphen  aber  zunehme, 
so   ist   das  nicht  immer  richtig.     Diese  namentlich  von  Pruner-Bey 


^  No.  4120  der  zoologischen  Sammlung  zu  Greifswald. 


—     28     — 

aufgestellte  Behauptung  hat  schon  Lambert  ^  zurückgewiesen.  Im 
allgemeinen  ist  ja  allerdings  beim  Menschen  M^  kleiner  als  M^  und 
M\  während  bei  den  Anthropomorphen  vielfach  M^  gross,  selbst 
grösser  als  M"  und  JVP  ist.  Aber  letzteres  ist  keineswegs  bei  allen 
Anthropomorphen  der  Fall  und  ersteres  nicht  bei  allen  Menschen. 
Man  kann  daher  mit  Lambert  wohl  nur  sagen ,  dass  in  dieser  Hin- 
sicht die  Zähne  der  Kulturrassen  des  Menschen  an  dem  einen  Ende 
der  Reihe  stehen,  diejenigen  der  Menschenaffen  an  dem  anderen  und 
dass  die  Negervölker  in  der  Mitte  zwischen  beiden  stehen.  Nur  die 
so  sehr  verschiedene  Grösse  der  Canine  bildet,  wie  es  scheint,  eine 
unüberbrückte  Kluft  zwischen  den  Anthropomorphen  mit  dem  grossen, 
tierischen,  eine  Waffe  bildenden  Eckzahn  und  den  Menschen  mit 
der  harmlosen,  klein  gewordenen  Canine. 

Höhe  der  Höcker,  Oberflächenbeschaffenheit,  Wurzeln,  Länge  der 
Molaren  bei  Mensch  und  Menschenaffen. 

Die  Gestalt  und  die  Höhe  dieser  Höcker  ist  bei  den  Menschen- 
affen, da  diese  in  mehrere  Gattungen  zerfallen,  natürlich  auch  eine 
mehrfach  verschiedene ,  während  das  bei  der  einen  Gattung  Homo 
nicht  der  Fall  ist. 

Was  zunächst  die  Höhe  der  Höcker  anbetrifft,  so  sind  letztere 
beim  Gorilla  am  höchsten ;  sie  sitzen  auf  der  Kaufläche  fast  wie 
Zapfen  auf. 

Nach  Gorilla  kommt  wohl  der  Mensch.  Die  Höcker  sind  hier 
schon  niedriger  und  nicht  mehr  so  zapfenförmig,  bilden  aber  am  in- 
takten Zahne  noch  ganz  ansehnliche  Hervorragungen. 

Wenn  man  die  kleinen  Zähne  des  Gibbon  sich  bis  auf  mensch- 
liche Dimensionen  vergrössert  denkt  (Taf.  H  Fig.  3j,  erhält  man 
Höcker  von  ganz  ähnlicher  Grösse,  wie  beim  Menschen. 

Ausgesprochen  niedriger  sind  die  Höcker  beiChimpans  undOrang. 

Diese  Höcker  haben  nun  bei  den  lebenden  Anthropomorphen 
entweder  eine  glatte  oder  eine  mit  Leisten,  bezw\  Furchen  besetzte 
Oberfläche. 

Bei  dem  Orang  ist  die  ganze  Kaufläche  dicht  mit  Schmelz- 
leisten, zwischen  denen  sich  natürlich  Furchen  befinden,  bedeckt 
(Taf.  n  Fig.  8  und  Taf.  I  Fig.  3).  Dieselbon  nutzen  sich  schnell  beim 
Gebrauche  ab;  ihre  wirkliche  Beschaffenheit  lässt  sich  daher  am 
besten  nur  an  noch  nicht  durchgebrochenen  Molaren  erkennen.    Der- 


1  Compt.  rend.  Acad.  Paris  1876.  S.  92. 


—     29     — 

artige  Leisten  verlaufen  übrigens  auch  über  die  unbenutzten  Prä- 
molaren. Sogar  an  der  Innenseite  der  Canine  und  der  Milchincisiven 
zeigen  sich  einige  Leisten. 

Auch  beim  Chimpanse  ist  die  Kaufläche  mit  den  genannten 
Leisten,  bezw.  Furchen  zwischen  denselben,  bedeckt.  Jedoch  kann 
man,  besonders  an  noch  nicht  durchgebrochenen  Molaren,  erkennen, 
dass  dieses  Merkmal  etwas  schwächer  ausgebildet  ist,  als  beim  Orang. 

Dem  gegenüber  stehen  die  beiden  anderen  Anthropomorphen 
mit  glatter  Kaufläche  ohne  solche  Leisten;  doch  lässt  sich  beim 
Gorilla  ein  leiser  Ansatz  zu  solchen  bisweilen  erkennen. 

Der  Mensch  steht  in  dieser  Hinsicht  zwischen  diesen  beiden 
Gruppen  von  Anthropomorphen,  doch  schliesst  er  sich  mehr  an  die 
letztere  als  an  die  erstere  an.  Das  heisst,  die  Kulturrassen  des 
Menschen  haben  im  allgemeinen  glatte  Höcker;  es  kommen  aber 
auch  Leisten,  bezw.  Furchen  auf  den  Höckern  der  Molaren  vor,  wie 
z.  B.  Fig.  9  u.  10  auf  Taf.  H  und  Taf.  I  Fig.  5  beweist.  Bei  den 
niederer  stehenden  Völkern  finden  sich  diese  Leisten  wohl  häufiger 
auf  den  Molaren.  Nie  aber  wird  man  eine  gleich  starke  Ausbildung 
derselben,  wie  bei  Orang  und  Chimpans,  beobachten.  Es  ist  freilich 
in  dieser  Hinsicht  der  Vergleich  sehr  erschwert,  da  streng  genommen 
die  Beobachtung  nur  an  noch  nicht  oder  doch  eben  erst  durch- 
gebrochenen Zähnen  erfolgen  sollte.  Schädel  aber  mit  solchem  Ge- 
bisse sind  in  den  Sammlungen  recht  selten. 

Li  den  genannten  beiden  Beziehungen  ergeben  sich  also  zwei 
Gruppen  mit  gegensätzlichem  Verhalten : 

Orang  und  Chimpans  haben  niedrige  Höcker,  dafür  aber  eine 
durch  jene  Leisten,  bezw.  Furchen  wie  Reibeisen  gestaltete  Oberfläche 
der  Molaren. 

Gorilla  und  Gibbon  haben,  besonders  ersterer,  höhere  Höcker, 
dafür  aber  glatte  Oberfläche  der  Molaren. 

Der  Mensch  nimmt  in  Bezug  auf  die  Höhe  seiner  Höcker,  wie 
auch  hinsichtlich  jener  Leisten,  bezw.  Furchen  auf  deren  Oberfläche 
eine  vermittelnde  Stellung  zwischen  beiden  Gruppen  ein. 

Die  Wurzeln  verhalten  sich  bei  Mensch  und  Menschenähnlichen 
dahin  übereinstimmend,  dass  die  oberen  (Prämolaren  und)  Molaren 
drei  Wurzeln  besitzen,  eine  innere  und  zwei  äussere.  Die  unteren 
aber  haben  zwei  Wurzeln;  doch  lässt  sich  erkennen,  dass  eine  grössere 
Zahl  ursprünglich  wohl  vorhanden  gewesen  sein  muss.  Ein  junger 
Orang  in  der  Stuttgarter  Sammlung,  dem  mit  grösster  Mühe  die 
beiden  Prämolaren  herausgenommen  wurden ,  zeigte  an  dem  hinter- 


-     30     — 

sten,  P\  ganz  deutlich,  dass  jede  der  beiden  Wurzeln  aus  je  zwei 
miteinander  verschmolzenen  bestand,  so  dass  deren  vier  als  ursprüng- 
lich angenommen  werden  müssen.  Der  vorderste,  P^,  liess  nur  an 
seiner  vorderen  Wurzel  durch  eine  Längsrinne  eine  solche  Verschmel- 
zung aus  zweien  erkennen,  so  dass  dieser  Zahn  früher  wohl  einmal 
dreiwurzelig  gewesen  sein  mag.    Schlosser  ^  hat  Ahnliches  beobachtet. 

Diese  Wurzeln  divergieren  im  allgemeinen  bei  den  Menschen- 
affen stärker  als  beim  Menschen ;  der  Versuch,  einem  Schädel  einen 
Backenzahn  auszuziehen,  stösst  daher  bei  Anthropomorphen  stets  auf 
sehr  starken  Widerstand,  daher  Beobachtungen  darüber,  ob  diese 
Verschmelzungen  allgemein  auftreten,  wohl  nicht  angestellt  sind. 
Auch  für  Pithecanthropns  (s.  Abschnitt  III.  3  b)  macht  E.  Dübois 
geltend,  dass  M^  wie  M^  so  stark  divergierende  Wurzeln  besitzen,  Avie 
das  an  menschlichen  Zähnen  bisher  nie  beobachtet  wurde.  Virchow 
erwähnt  allerdings,  dass  Houze  einen  menschlichen  Zahn  mit  gleich 
starker  Divergenz  der  Wurzeln  beobachtet  habe ;  indessen  das  ist,  wie 
Virchow^  betont,  doch  nur  eine  sehr  grosse  Seltenheit,  eines  der 
„pithecoiden"  Merkmale. 

Die  relative  Länge  der  Zahnkrone  ^  ist  bei  Mensch  und  Anthropo- 
morphen keineswegs  dieselbe.  Vor  allem  ist  der  Gibbon  durch  die 
Länge  seiner  Molaren  ausgezeichnet  und  in  gleicher  Weise  die  hier 
zu  besprechenden  fossilen  Molaren  aus  dem  Bohnerze  der  Alb,  wäh- 
rend der  Mensch  kürzere,  breitere  Molaren  besitzt.  Es  ist  das  sehr 
erklärlich,  wenn  man  sich  erinnert,  dass  die  Anthropomorphen  eine 
lange  Schnauze  haben,  der  Mensch  aber  ein  viel  weniger  vorspringen- 
des Gesicht,  in  dem  mithin,  bei  gleicher  Zahl  der  Zähne,  viel  weniger 
Längenraum  für  letztere  zu  Gebote  steht. 

Milchbackenzähne  bei  Mensch  und  Menschenaffen. 

Bei  Mensch  und  Anthropomorphen'*  besitzt  der  hinterste  Milch- 
zahn, oben  wie  unten,  die  volle  Zusammensetzung  eines  echten 
Molaren,  wogegen  P  d^  (und  P  d^)  die  Gestalt  von  P^  (bezw.  P^)  er- 

^  Die  Affen,  Lemmen  .  .  .  I.  S.  52. 

^  27.  allgem.  Versamml.  d.  deutsch.  Ges.  f.  Anthropologie,  Ethnologie,  Ur- 
geschichte in  Spej'er.  3. — 7.  Aug.  1896.  Bericht  darüber  in  der  Leopoldina  1897. 
Heft  33.  Xo.  3.  S.  47. 

^  Also  die  Dimension  von  vorn  nach  hinten  im  Vergleich  zur  Breite,  von 
aussen  nach  innen. 

■*  Aber  auch  bei  allen  Affen  der  neuen  Welt,  sowie  bei  den  fossilen  Pseudo- 
lemuriden  Adapis  und  Hyopsodus ,  wie  Schlosser  hervorhebt  (Die  Affen ,  Le- 
muren  .  .  .  I.  S.  52). 


-     31     — 

langt  haben.  Es  gleicht  also  hier  wie  dort  der  letzte  Milchbacken- 
zahn P  d^  so  ziemlich  dem  ersten  definitiven  Backenzahn  M\  nur 
ist  er  kleiner  als  der  Molar.  Beide  haben  mithin  im  allgemeinen 
bei  Mensch  und  Menschenaffen  oben  4,  unten  5  Höcker  und  unter- 
scheiden   sich    dadurch    stark    von    den  anderen  Milchbackenzähnen. 

Die  bleibenden  Zähne  sehen ,  wie  wir  im  vorhergehenden  be- 
sprochen haben,  bei  Mensch  und  Menschenaffen  im  allgemeinen  recht 
verschieden  aus.  Die  Milchbackenzähne  der  Menschen  und  der  An- 
thropomorphen  sind  dagegen  einander  viel  ähnlicher  als  die  bleiben- 
den. Das  gilt  nicht  nur  von  den  Kronen,  sondern  auch  von  den 
Wurzeln,  deren  die  oberen  Milchbackenzähne  drei,  die  unteren  zwei 
besitzen  ^ 

Während  nun  aber  beim  Anthropomorphen  der  Milchbackenzahn 
doch  seinem  Ersatzzahne  sehr  ähnlich  ist,  macht  sich  beim  Menschen 
ein  offenbarer  Unterschied  zwischen  beiden  bemerkbar.  Hier  blieb 
der  Milchzahn  noch  der  alten,  affenähnlichen  Form  getreu,  während 
der  Ersatzzahn  eine  andere  erhielt.  Infolgedessen  sind  eben  bei  den 
Anthropomorphen  die  Ersatzzähne  den  Milchzähnen  des  Menschen 
ähnlicher  als  den  Ersatzzähnen  desselben,  wie  Schlosser  das  alles 
ausführlicher  besprach. 

Die  beiden  Oberkiefermolaren  aus  dem  Bolinerz  der  Alb. 
Taf.  I  Fig.    1   und  2. 

Die  Zahl  der  mir  zu  Gebote  stehenden  fossilen  Zähne  des  Ober- 
kiefers aus  dem  Bohnerz  der  Alb  ist  leider  eine  sehr  geringe;  sie 
beschränkt  sich  auf  2  Molaren,  von  welchen  der  eine,  völlig  un- 
benutzt, ein  Keimzahn  (Fig.  1),  der  andere  aber  stark  abgekaut  ist 
(Fig.  2).  Die  Wichtigkeit  dieser  beiden  Zähne  ist  jedoch  um  so 
grösser,  als  bisher  in  Frankreich  nur  zwei  bezahnte  Unterkiefer  von 
Dryopithecus  gefunden  worden  sind ;  so  dass  wir  in  diesen  beiden 
Molaren  die  einzigen  bisher  bekannten  Oberkieferzähne  dieser  Gattung, 
zu  welcher  unsere  fraglichen  Molaren  wohl  zu  stellen  sind,  kennen 
lernen. 

Beide  Zähne  stammen  von  demselben  Fundorte,  Melchingen, 
her.  Der  eine  gehört  der  linken  (Fig.  1) ,  der  andere  der  rechten 
(Fig.  2)  Oberkieferhälfte  an.  Bei  dem  so  sehr  verschiedenen  Grade 
der  Abnutzung  ist  es  kaum  anzunehmen,  dass  beide  von  einem  und 


^  Baume,  Versuch  einer  Entwickelungsgeschichte  des  Gebisses.    Leipzig 
bei  Felix.  1886.  S.  226. 


—     32     — 

demselben  Individuum  herrühren  sollten.  Es  sei  denn,  dass  der  Ab- 
gekaute ein  M\  der  Keimzahn  ein  ]\P,  oder  gar  M'^  fs.  später)  wäre, 
da  diese  erst  später  durchbrechen.  Das  ist  aber  gar  nicht  wahrschein- 
lich. Es  bricht  nämlich  bei  den  Menschenähnlichen  der  Weisheits- 
zahn verhältnismässig  früher  als  beim  Menschen  durch  (s.  später), 
so  dass  M^  bis  zu  diesem  Augenblicke  noch  nicht  entfernt  so  stark 
abgenutzt  sein  könnte,  als  dieser  fragliche  Zahn  es  ist.  Ich  möchte 
daher  beide  Zähne  nicht  demselben,  sondern  zwei  verschiedenen 
Individuen  zuschreiben. 

Da  der  abgekaute  Zahn  (Fig.  2)  vorn  und  hinten  eine  Reibe- 
fläche besitzt,  so  muss  er  notwendig  noch  von  einem  anderen  Molar 
gefolgt    gewesen    sein.     Es    dürfte   daher  ein  M^  oder  M^  vorliegen. 

Der  andere,  unbenutzte  (Fig.  1)  Keimzahn  hat  noch  keine 
Reibeflächen  aufzuweisen,  gestattet  daher  eine  darauf  gegründete 
Schlussfolgerung  nicht.  Ob  wir  in  ihm  einen  M^  oder  M^,  vielleicht 
gar  M^  zu  sehen  haben,  lässt  sich  bei  einem  isolierten  Zahne  und 
einer,  hinsichtlich  ihrer  Oberkieferzähne  noch  völlig  unbekannten 
Gattung  nicht  sicher  feststellen. 

Wenn  wir  nun  diese  beiden  Oberkiefermolaren  aus  dem  Bohn- 
-erz  mit  denen  des  Menschen  und  der  anderen  Anthropomorphen  ver- 
gleichen, so  ergiebt  sich  das  Folgende : 

Die  allgemeine  Gestalt  ist  vollkommen  die  auf  S.  22 — 26  geschil- 
derte der  Oberkiefermolaren  bei  Menschen  und  Menschenähnlichen : 
Vier  Höcker,  drei  Wurzeln,  grössere  Breite  als  Länge,  wie  letzteres 
aus  den  folgenden  Zahlen  hervorgeht: 

Länge  Breite  Länge :  Breite 

mm  mm  wie 

Zahn  aus  dem  Bohnerz' M      9,0  10,9  100  :  121,1 

Keimzahn  aus  dem  Bohnerz^  .    .    .    .    M    10,7  11,3  100  :  105,6 

Chimpans^ 31'  10,8  11,1  100  :  105,5 

„  M^  11.0  11,4  100  :  103,6 

Gorüla* W  14,8  15,4  100  :  104,2 

„  M-  16,7'  16,6  100  :     99,4 

3P  14  15,7  100  :  112,1 

Hylobates  leuciscus'" M^     6,1  6.5  100  :  106,5 

M^^     6,5  7,1  100  :  109 

„  ,  JP    5,2  6  100  :  115,4 

1  Fig.  2  Taf.  I. 

2  Fig.  1  Taf.  I. 

^  No.  2598  der  Stuttgarter  Sammlung,  jung,  SP  noch  nicht  durchgebrochen. 
*  No.  2624  $  der  Stuttgarter  zoologischen  Sammlung. 
5  No.     675  $     „  ,  , 


—     33     — 

Länge  Breite  Länge :  Breite 

mm  mm  wie 

Hylobates  leuciscus^ M^     6                 6,5  100  :  108,3 

M^     6,7              6,2  100  :     92,5 

„           BP     5,5              6  100  :  109,1 

syndactyliis'' W     7,2              7,7  100  :  107 

„                   ,                M''     8                 8  100  :  100 

„                M^^    8  8  100  :  100 

Orange M'  11,1  12,7  100  :  114,4 

„     " W  12,0  13,0  100  :  108,3 

„      ^ W  14,7  14,8  100  :  100,7 

M-  14,0  15,8  100  :  112,9 

W  12,6  14,8  100  :  117,5 

Homo^ W  10,7  11,8  100  :  110,3 

BP     9,2  11,5  100  :  125,0 

BP    8,6  10,6  100  :  123,3 

Pithecanthropus' BP  12,0  14,0  100  :  116,6 


Hinsichtlich  des  Wertes  dieser  Messungen  verweise  ich  auf  das, 
bei  Besprechung  der  Unterkiefermolaren  in  der  Anmerkung  8  unter 
S.  47  Gesagte. 

Bei  der  Vergleichung  der  Grössenverhältnisse  müssen  wir  vöHig 
absehen  von  dem  zuerst  aufgeführten  Molar  aus  den  Bohnerzen 
(Taf.  I  Fig.  2).  Dieser  ist  nicht  nur  oben  abgekaut,  sondern  auch 
vorn  und  hinten  von  seinen  Nachbarn  so  abgeschliffen,  dass  er  an 
Länge  verlor,  seine  relative  Breite  daher  viel  zu  bedeutend  erscheint. 
Diese  Erklärung  dürfte  einleuchtender  sein  als  die,  ja  mögliche  An- 
nahme, dass  der  abgekaute  Zahn  ein  in  seiner  Länge  von  Nath- 
ans reduzierter  M^  sei,  der  von  einem  M'^  ausnahmsweise  gefolgt  war. 

An  absoluter  Grösse  wie  relativer  Breite  stimmt  der  andere, 
nocli.  unbenutzte  Molar  (Taf.  I  Fig.  1)  aus  dem  Bobnerz,  wie  man 
sieht,  völlig  mit  M^  des  Chimpansen  überein;  und  auch  an  M^  des- 
selben schliesst  er  sich  eng  an. 

Eißohates  und  Gorilla  folgen  demnächst.  Der  Orang  dagegen 
hat  verhältnismässig  breitere  Zähne;    gegenüber  einem  Breitenindex 

^  No.  2414  der  Stuttgarter  zoologischen  Sammlung. 

2  No.  2013  $  der  Stuttgarter  zoologischen  Sammlung.  Das  grösste  der 
Gibbonexemplare. 

3  ]^o_  38  (lej.  Stuttgarter  Sammlung,  jung,  M^  noch  nicht  durchgebrochen. 
*  No.  5023  der  Berliner  landwirtschaftlichen  Hochschule,  ganz  intakter  Zahn. 
^  No.  337  der  Stuttgarter  Sammlung,    schon  erwachsen,  Zähne  noch  gut 

erhalten. 

6  Nach  Black,  s.  S.  44. 

'  Nach  E,  Dubois,  Anatomischer  Anzeiger  1896.  Bd.  12.  S.  16. 

Jahresliefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde   in  Württ.  1898.  3 


-     34     - 

von  105,5  bei  dem  Bohnerzzahne  und  dem  Chimpansen,  sowie  von 
92,  99,  104,  106  u.  s.  w.  bei  Hißohates  und  Gorilla,  stehen  beim 
Orang  Breitenindices  von  108,  112,  114,  117.  Nur  bei  dem  M^ 
des  dritten  Orangexemplares  ist  der  Breitenindex  geringer,  nämlich 
100,7.  Dieses  Gebiss  zeigt  übrigens  schön  eine  von  ]\P  bis  zu  ÄP 
mehr  und  mehr  zunehmende  Breite,  bezw.  abnehmende  Länge  der 
Molaren. 

Auch  der  Mensch  zeigt  mit  seinen  Breitenindices  110,  125,  123, 
gegenüber  den  105,5  dort,  dass  er  breitere  Zähne  besitzt. 

Aus  dem  Gesagten  folgt  also,  dass  unser  Oberkiefermolar  aus 
dem  Bohnerz  schmäler,  bezw.  länger  ist  als  der  Molar  des  Menschen 
und  jener  Anthropomorphen.  Ein  Ergebnis,  welches  sich  am  Unter- 
kiefer, an  einer  grösseren  Zahl  von  Zähnen,  wiederholt.  An  abso- 
luter Grösse  dagegen  stimmt  er  ungefähr  mit  den  Mittelzahlen  für 
M'  des  Menschen  überein. 

Wollte  man  indessen  aus  dieser  Übereinstimmung  schliessen, 
dass  unser  Affe  aus  dem  Bohnerz  auch  dieselbe  durchschnittliche 
Körpergrösse  wie  ein  Mensch  gehabt  habe,  so  wäre  das  wohl  nicht 
zulässig.  Er  wird  vielmehr  wohl  kleiner  als  ein  Mensch  gewesen 
sein;  denn  die  Anthropomorphen  haben  in  ihren  verhältnismässig 
grösseren,  bezw.  längeren  Kiefern  mehr  Platz  als  der  Mensch,  daher 
im  Verhältnis  zu  ihrer  Körperhöhe  grössere  Zähne.  Auch  die  Dimen- 
sionen der  Unterkieferzähne  führen  zu  demselben  Schlüsse.  Nur  der 
eine  dort  (S.  43)  in  erster  Linie  aufgeführte  Unterkiefermolar  mit 
13,1  mm  Länge,  während  die  von  Black  beim  Menschen  beobachtete 
grösste  Länge  nur  12  mm  beträgt,  übertrifft  menschliche  Verhält- 
nisse ziemlich  stark.  Es  muss  also  dieser  Zahn  der  Rest  eines  Tieres 
von  ausnahmsweiser  Grösse  sein. 

Doch  nicht  nur  durch  seine  verhältnismässig  geringere  Breite, 
bezw.  grössere  Länge  weicht  dieser  Oberkiefermolar  von  dem  des 
Menschen  ab.  Auch  an  den  Höckern  zeigt  sich  ein  Unterschied : 
Der  hintere  Innenhöcker  nämlich,  welcher  beim  Menschen  kleiner 
als  die  drei  anderen  zu  sein  pflegt,  hat  bei  dem  Bohnerzmolar  kaum 
eine  geringere  Grösse  als  die  drei  anderen.  An  Höhe  ist  er  dem 
vorderen  Innenhöcker  und  hinteren  Aussenhöcker  gleich,  während 
er  den  vorderen  Aussenhöcker  darin  ein  wenig  übertrifft  (vergl.  Fig.  1  a 
und  Ib). 

Die  Kaufläche  dieses  Molaren  ist  überzogen  von  Schmelzleisten 
(s.  S.  28).  Dieselben  sind  zwar  nicht  so  zahlreich,  wie  beim  Orang 
(Taf.  I    Fig.  3)    und    Chimpanse.      Aber    sie    sind    doch   zahlreicher. 


-So- 


wie ich  sie  an  irgend  einem  der  zahlreichen  Menschenschädel,  die 
ich  daraufhin  prüfen  konnte,  gefunden  habe.  Sogar  an  der  Aussen- 
und  besonders  Innenseite  (Fig.  1  a  u.  b)  der  Höcker  treten  sie  auf.  Ich 
gebe  zur  Vergleichung  den  M'  des  linken  Oberkiefers  eines  Hotten- 
totten ^,  an  welchem  diese  Schmelzleisten  besonders  stark  ausgebildet 
sind  (Taf.  I  Fig.  5).  Ein  Menschenzahn  mit  derartigen  Leisten  macht 
natürlich  einen  ganz  anderen  Eindruck  als  der  entsprechende  normale, 
d.  h.  glatte  eines  Europäers  und  wird  dadurch  dem  hier  in  Rede 
stehenden  Zahn  aus  den  Bohnerzen  ähnlich.  Aber  die  geringere 
Ausbildung  der  Schmelzleisten  auf  der  Kaufläche,  ihr  Fehlen  oder 
doch  ihre  Geringfügigkeit  an  der  Aussen-  und  Innenseite  der  Höcker, 
der  geringere  Umfang  des  hinteren  Innenhöckers  und  die  höheren 
Höcker  unterscheiden  doch  diesen  Hottentottenzahn  von  dem  aus  dem 
Bohnerz. 

Auch  darin  zeigt  sich  ein  weiterer  Unterschied  unseres  Bohnerz- 
zahnes  von  dem  Molaren  des  Menschen,  dass  ersterer  am  vorderen 
und  hinteren  Ende  je  eine  tiefe  Querfurche  besitzt,  welche  beim 
Menschen  wohl  nur  ganz  ausnahmsweise  in  dieser  Weise  stark  aus- 
gebildet erscheint  (Taf.  I  Fig.  5).  Auch  an  den  Unterkieferzähnen 
macht  sich  dieser  Unterschied  bemerkbar  (Taf.  II  Fig.  9  u.  10). 

Endlich  findet  sich  je  an  der  Aussen-  und  an  der  Innenseite 
unseres  Bohnerzzahnes  ein  in  den  Schmelz  eingesenktes  Grübchen, 
welches  dem  Menschen  fehlt.  Dieselben  entstehen  dadurch,  dass 
die  die  Höcker  trennenden  Furchen  an  der  Aussen-  und  Innenseite 
des  Zahnes  tiefer  einschneiden,  als  das  beim  Menschen  der  Fall 
ist,  und  an  ihrem  Ende  dann  eine  Einsenkung,  diese  Grübchen,  er- 
zeugen (Taf.  I  Fig.  lau.  Ib). 

Wenn  wir  nun  auf  der  anderen  Seite  unseren  Bohnerzzahn  mit 
dem  entsprechenden  der  lebenden  und  fossilen  Anthropomorphen 
vergleichen,  so  ergiebt  sich,  dass  er  durch  seine  Schmelzleisten  sich 
an  die  Gruppe  Orang — Chimpans  anlehnt.  Stellen  wir  ihn  nun  aber 
dem  auf  Taf.  I  Fig.  3  abgebildeten  M^  des  linken  Oberkiefers  vom 
Orang  und  dem  des  Chimpansen  gegenüber,  so  zeigt  sich  zwar  im 
allgemeinen  Übereinstimmung,  im  besondern  aber  ebenfalls  Ab- 
weichung in  den  folgenden  Punkten : 

Es  sind  zunächst  die  Schmelzleisten  viel  geringer  als  beim 
Orang  und  Chimpanse. 

Die    an   der   Aussen-  und  Innenseite   hinablaufenden   Furchen, 


'■  Xo.  932  der  Stuttgarter  Sammlung. 

3* 


-     36     — 

durch  welche  die  Höcker  getrennt  werden,  sind  etwas  deutUcher  als 
beim  Orang;  beim  Chimpanse  beobachtete  ich  sie  jedoch  in  derselben 
Stärke,  wie  sie  denn  überhaupt  ein  Merkmal  bilden,  welches  den  Zahn 
der  menschenähnlichen  Affen  von  dem  der  Menschen  unterscheidet. 

Das  kleine  Grübchen  an  der  Innenseite  fehlt  dem  Orang  ganz, 
was  eben  mit  dem  hier  geringeren  Einschneiden  der  Furchen  zu- 
sammenhängt. Ob  die  Zähne  des  Orang  aber  in  dieser  Hinsicht 
nicht  etwa  variieren,  wäre  noch  zu  untersuchen. 

Des  weitern  scheint  dem  Orang  die  hintere  Querfurche  (Taf.  I 
Fig.  3)  zu  fehlen.  Die  vordere  ist  zwar  beim  Orang  vorhanden,  aber 
doch  nicht  ganz  so  stark  ausgebildet,  wie  bei  dem  Bohnerzzahn. 

Endlich  sind  die  Höcker  beim  Orang  und  Chimpanse  weniger 
hoch  als  bei  dem  Bohnerzzahn.  Daher  sind  auch  der  schräge  Kamm, 
welcher  von  dem  hinteren  Aussen-  zum  vorderen  Innenhöcker  ver- 
läuft, und  der  Querkamm,  welcher  vom  hinteren  Aussen-  zum  hinteren 
Innenhöcker  hinüberzieht  (s.  Figur  S.  41),  beim  Orang  und  Chimpanse 
weniger  stark  entwickelt. 

Während  alle  diese  besprochenen  Punkte  sich  an  dem  Taf.  I 
Fig.  1  abgebildeten  unbenutzten  Zahne  aus  dem  Bohnerz  feststellen 
lassen,  bietet  der  in  Fig.  2  wiedergegebene  abgekaute  nur  wenig 
sichere  Anhaltspunkte  zum  Vergleiche ;  von  vornherein  könnte  daher 
der  Zweifel  entstehen,  ob  er  auch  sicher  derselben  Gattung  angehöre 
wie  jener.  Indessen  sind  fossile  Anthropomorphen  so  sehr  selten,  dass 
seine  Zugehörigkeit  zu  jenem  überaus  wahrscheinlich  ist.  Beide  stammen 
sogar  von  demselben  Fundorte.  Dass  aber  auf  der  Alb  gleichzeitig 
und  an  demselben  Orte  zwei  verschiedene  Arten  oder  gar  Geschlechter 
von  Anthropomorphen  gelebt  haben  sollten ,  wäre  eine  doch  zu  ge- 
wagte Annahme.  Ist  es  doch  schon  eine  ungemein  grosse  Seltenheit, 
dass  man  eine  einzige  Gattung  derselben  findet.  Ganz  dieselbe 
Überlegung  gilt  natürlich  hinsichtlich  der  anderen  Frage,  ob  diese 
Oberkiefer  und  die  nachher  zu  besprechenden  ünterkieferzähne  der- 
selben Art  der  Gattung  zuzurechnen  seien.  Hier  wäre  diese  Frage 
noch  etwas  berechtigter,  weil  nämlich  die  mehrfach  erwähnten 
Schmelzleisten  an  dem  intakten  Oberkieferzahne  entschieden  etwas 
stärker  ausgebildet  sind,  als  an  den  ebenso  unbenutzten  Unterkiefer- 
zähnen. Aber  aus  demselben  Grunde  müssen  wir  Ober-  und  Unter- 
kiefermolaren als  zusammengehörig  betrachten ,  weil  das  Gegenteil, 
zwei  verschiedene  Arten,  gar  zu  unwahrscheinlich  wäre. 

Der  in  Kede  stehende  abgekaute  Zahn  lässt  noch  die  drei  Wur- 
zeln erkennen  (Taf.  I  Fig.  2a  und  2b),  welche  im  Oberkiefer  Anthropo- 


—     37     - 

morphen  und  Menschen  besitzen.  Keine  derselben  ist  unverletzt 
erhalten.  Die  innere  besteht  nur  noch  aus  einem  kurzen  Stumpfe. 
Die  vordere  äussere  lässt  gar  nur  ihre  Ansatzstelle  noch  erkennen 
und  lediglich  die  hintere  äussere  ist  etwa  in  ihrer  halben  Länge 
erhalten.  Soviel  man  danach  zu  erkennen  vermag,  gehen  diese  drei 
Wurzeln  nicht  in  ganz  so  starker  Weise  auseinander,  w^ie  das  bei 
Anthropomorphen  der  Fall  zu  sein  pflegt,  wie  das  E.  Dubois  auch 
von  Pifhecanthropns  hervorhebt.  Doch  konnte  ich  mir  über  diesen 
Punkt  kein  v^irklich  sicheres  Urteil  verschaffen,  da  es  natürlich  nicht 
statthaft  ist,  den  in  den  Sammlungen  befindlichen  Schädeln  von 
Anthropomorphen  viel  Backenzähne  auszuziehen. 

Von  den  Höckern  dieses  zweiten  Zahnes  sind  die  beiden  der 
Innenseite  (Fig.  2  b)  stärker  abgekaut  als  die  der  Aussenseite  (Fig.  2  a), 
wie  das  wohl  die  Regel  bei  den  Affen  zu  sein  scheint.  Der  vordere 
Aussenhöcker  ist  am  höchsten  erhalten.  Von  den  Schmelzleisten, 
welche  der  unbenutzte  Zahn  Fig.  1  zeigt,  ist  gar  nichts  mehr  zu 
bemerken;  die  vordere  Querfurche  (Figur  S.  41)  ist  ganz,  die  hintere 
fast  ganz  weggekaut;   nur   der  schräge  Kamm   ist  noch  erkennbar. 

Die  Dimensionen,  bereits  auf  S.  33  besprochen,  bieten  nichts 
Auffallendes  dar.  Der  Zahn  ist  etwas  kleiner  als  der  völhg  un- 
benutzte erste;  namentlich  seine  Länge  ist  geringer,  was  sich  leicht 
erklärt,  da  er  vorn  und  hinten  je  eine  grosse  Reibefläche  durch 
seinen  Vorder-  und  Hinterzahn  erlitten  hat. 

An  diesem  abgenutzten  Zahne  fehlt  auch  auf  der  Aussen-  wie 
Innenseite  das  Grübchen,  welches  an  dem  unbenutzten  Molar  sehr 
deutlich  auftritt.  Ich  glaube  aber  diesen  Umstand  ebenfalls  nur  auf 
die  Abnützung  des  Zahnes  schieben  zu  sollen,  die  ja,  wenn  auch 
in  minderem  Grade  als  die  Kaufläche,  ebenfalls  die  Seitenwände  der 
Zahnkrone  abreibt,  namentlich  bei  Affen,  welche  ihre  Zähne  nicht, 
wie  der  Kulturmensch,  schonen. 

In  diesem  abgekauten  Zustande,  in  welchem  die  kennzeichnen- 
den Merkmale  des  Zahnes  verloren  gegangen  sind,  gleicht  oder  ähnelt 
dieser  Oberkiefermolar  erklärlicherweise  auch  Affen  der  nicht  mit 
Schmelzleisten  versehenen  Gruppe  der  lebenden  Anthropomorphen. 
So  ist  z.  B.  die  Ähnlichkeit  mit  dem  M^  aus  dem  rechten  Oberkiefer 
des  Gibbon  (Taf.  I  Fig.  4),  bis  auf  des  letzteren  geringere  Grösse, 
auffallend  stark.  Doch  hat  Hylobates  leuciscus  an  der  Innenseite 
(Fig.  4  b)  einen  Kragen,  der  dort  ganz  fehlt.  Ebenso  aber  ist  M^ 
oder  M^  eines  Chimpansen  im  abgekauten  Zustande  ähnlich  dem  in 
Rede  stehenden.    Es  sind  eben  aus  abgekauten  Zähnen  keine  sicheren 


—     38     — 

Schlüsse  zu  ziehen,  soweit  diese  sich  auf  subtile  Merkmale  gründen 
müssen. 

Die  Unterkieferzähne  aus  dem  Bohnerz. 


Zwei  ganz  unbenutzte 
Molaren 


Zwei  wenig  abgekaute 
Molaren 


Taf.  11  Fig.  1.    M  unten  rechts,  Keimzabn,   Melcliingen, 

Tübinger  Sammlung. 
„      „      ^^     6.    M  unten  links,    ganz  unbenutzt,  Troch- 

telfingen,  Tübinger  Sammlung. 
„       „      „      2.    M  unten  rechts,   Salmendingen,   Natura- 

lienkabinet  Stuttgart. 
„       „      „     5.    M  unten  rechts,   Salmendingen,     Techn. 

Hochschule  Stuttgart. 
r   „      „      ,     7.   M  unten  links,  Ehingen,  Dr.  Beck,  Stutt- 
Zwei  stärker  abge-    I  gart. 

kaute  Molaren        i  nicht  abgebüdet.  M  unten  rechts ,    Melchingen ,    Tübinger 
^  Sammlung.     Zerbrochen. 

Ein   abgeschliffener     TTaf.  II  Fig.  4.    M  unten  rechts,    Melchingen,    Tübinger 

Molar  \  Sammlung. 

Ein  letzter  Milch-     j"   „       „      „    11.  Pd^  unten  links,  Salmendingen,  Tübinger 
prämolar  ^  Sammlung. 

Während  von  Molaren  des  Oberkiefers  nur  zwei  vorliegen,  sind 
von  Zähnen  des  Unterkiefers  acht  vorhanden ,  und  zwar  fünf  der 
rechten,  drei  der  linken  Kieferhälfte  angehörig. 

Von  diesen  acht  Zähnen  sind  zwei  Molaren  noch  ganz  unbenutzt, 
so  dass  man  die  Skulptur  derselben  in  völliger  Klarheit  erkennen 
kann.  Der  eine,  rechte  (Taf.  II  Fig.  1),  ist  ein  Keimzahn,  nur  aus 
der  Schmelzkappe  bestehend,  noch  ohne  jede  Spur  von  Dentinaus- 
füllung derselben.  Bei  dem  anderen,  linken  (Taf.  II  Fig.  6),  ist  die 
Schmelzkappe  bereits  mit  Dentin  ausgefüllt ;  die  Wurzeln  aber  sind 
abgebrochen.  Wahrscheinlich  hatten  sich  an  diesem  noch  völlig  un- 
versehrten Zahne  noch  keine  fertigen,  unten  geschlossenen  Wurzeln 
gebildet. 

An  diese  beiden  völlig  frischen  Zähne  reihen  sich  zunächst 
zwei  andere  Molaren ,  bei  welchen  die  Abkauung  schon  ein  wenig 
gewirkt  hat,  so  dass  die  über  die  Kaufläche  verlaufenden  Schmelz- 
leisten bereits  abgerieben  sind.  Beide  gehören  der  rechten  Kiefer-^ 
hälfte  an.  Die  Höcker  selbst  aber  sind  noch  völlig  frisch  erhalten; 
nur  ein  wenig  sind  ihre  Spitzen  abgerieben,  daher  sie  etwas  gerun- 
deter erscheinen  als  im  unbenutzten  Zustande.  Der  eine  dieser  beiden 
Zähne  (Taf.  II  Fig.  2)  zeigt  beide  vollständig  erhaltenen  Wurzeln.  An 
dem  anderen  (Taf.  II  Fig.  5)  sind  dieselben  so  weit  abgebrochen, 
dass  nur  noch  die  mit  Dentin  erfüllte  Schmelzkappe  vorhanden  ist; 
also  ganz  wie  bei  dem  oben  erwähnten  Zahne  Taf.  II  Fig.  6. 


-     39     - 

Abermals  etwas  weiter  vorgeschritten  zeigt  sich  die  Abkauung 
bei  zwei  weiteren  Molaren.  Nicht  nur  die  Schmelzleisten  der  Kau- 
fläche sind  abgerieben,  sondern  auch  die  Spitzen  der  Höcker  sind 
in  grosser  Regelmässigkeit  so  weit  abgekaut,  dass  auf  jedem  der 
Höcker  eine  kreisrunde  „Kunde"  erscheint,  in  welcher  die  innere 
Füllmasse  des  Schmelzes,  das  Dentin,  herausschaut.  Der  eine,  rechte, 
nicht  abgebildete  Zahn,  ist  zerbrochen,  ein  Höcker  fehlt.  Man  be- 
merkt nur  eine  einzige  kleine,  kreisrunde  Kunde  auf  dem  hinteren 
Innenhöcker.  Der  in  Taf.  H  Fig.  7  wiedergegebene  linke  ist  bereits 
etwas  stärker  abgekaut;  alle  drei  Innenhöcker  besitzen  kreisrunde 
Kunden.  Beide  liegen  nur  in  Gestalt  dentinerfüllter  Schmelzkappen 
vor;  es  sind  also  auch  hier  die  Wurzeln  ganz  ebensoweit  abgebrochen, 
bezw.  abgerieben ,  wie  an  den  Zähnen  Fig.  5  und  6.  Mit  anderen 
Worten,  bei  diesen  vier  Zähnen  ist  das  Dentin  gerade  nur  so  weit 
erhalten,  als  es  durch  die  Schmelzkappe  geschützt  war.  Da  diese 
letztere  an  ihren  Rändern  ganz  unverletzt  ist,  so  können  wir  nicht 
annehmen,  dass  die  Wurzeln  im  harten  Zustande  abgebrochen  wurden, 
denn  in  diesem  Falle  würde  gewiss  auch  ein  Teil  der  Schmelzkappe 
hier  und  da  mitverletzt  und  ausgesplittert  worden  sein.  Vielmehr 
muss  das  Dentin  sich  in  einem  so  weit  erweichten,  mürben  Zustande 
befunden  haben,  dass  die  Wurzeln  mit  leichter  Mühe  abbröckeln  oder 
abgerieben  werden  konnten.  Bei  fossilen  Elefantenzähnen  ist  ein 
solch  ervv^eichter  Zustand  des  Stosszahndentins  wohl  öfter  beobachtet 
worden. 

So  haben  wir  also  in  diesen  drei  Paar  Molaren  zugleich  drei 
verschiedene  Stadien  der  Abkauung  vor  uns.  Es  wird  dadurch  die 
Möglichkeit  gewährt,  die  Vergleichung  der  Zähne  mit  anderen  fast 
in  besserer  Weise  zu  führen ,  als  wenn  selbst  alle  sechs  völlig  un- 
abgekaut  wären. 

Da  M\  M^,  M^  nacheinander  erscheinen ,  also  nacheinander 
abgekaut  werden,  so  könnte  die  Frage  wachgerufen  werden,  ob  wir 
in  diesen  drei  Paar  Zähnen  nicht  etwa  jene  drei  Zahnnummern 
eines  einzigen  Individuums  vor  uns  haben,  dergestalt,  dass  wir  in 
dem  ersten,  unverletzten  Stadium  die  beiden  M^  zu  sehen  hätten ; 
im  zweiten,  etwas  abgekauten,  die  beiden  M'-* ;  im  dritten,  am  meisten 
abgekauten,  die  beiden  M^ 

In  dem  ersten,  ganz  unberührten  Stadium  befinden  sich  in  der 
That  ein  rechter  und  ein  linker  Molar ;  indessen  der  eine  stammt 
von  Melchingen,  der  andere  von  Trochtelfingen.  Es  liegen  hier  also 
sicher  Reste  zweier  verschiedener  Individuen  vor. 


—     40     — 

Die  im  zweiten  Stadium  befindlichen  Molaren  stammen  aller- 
dings beide  vom  selben  Fundort,  Salmendingen.  Aber  sie  gehören 
beide  der  rechten  Kieferhälfte  an.  Bei  dem  genau  gleichen  Grade 
der  Abkauung  möchte  man  daher  auch  hier  nicht  annehmen,  dass 
etwa  ein  M*  und  ein  M^  der  rechten  Kieferhälfte  eines  und  desselben 
Individuums  vorliegen  könnten.  Wahrscheinlicher  ist  es  vielmehr, 
dass  dies  zwei  gleichnamige  Molaren  zweier  ebenfalls  verschiedener 
Individuen  sind. 

Im  dritten  Stadium  finden  wir  zwar  wieder  je  einen  rechten 
und  einen  linken  Molar.  Da  aber  der  eine  von  Melchingen,  der 
andere  von  Ehingen  stammt,  so  müssen  hier  abermals  zwei  ver- 
schiedene Individuen  vorliegen. 

Wenn  nun  auch  die  Stadien  der  Abkauung  bei  diesen  sechs 
Molaren  dreifach  verschiedene  sind,  so  stimmt  doch  der  Bauplan  bei 
allen  völlig  überein.  Alle  sechs  sind  deutlich  fünfhöckerig  und  die 
Anordnung  und  relative  Grösse  der  Höcker  ist  ganz  dieselbe.  Der 
vordere  der  beiden  Innenhöcker  ist  stets  der  höchste ;  die  anderen 
sind  ungefähr  gleich  hoch.  Auch  den  grössten  Umfang  besitzt  dieser 
vordere  Innenhöcker ;  ihm  folgt  dann  in  dieser  Hinsicht  der  vordere 
der  drei  Aussenhöcker. 

Der  hintere  Aussenhöcker  ist  nicht  wie  beim  Menschen  an  die 
Hinterseite  des  Zahnes  gedrängt,  sondern  steht  an  der  Aussenseite, 
und  zwar  fast  genau  dem  hinteren  Innenhöcker  gegenüber,  ebenso 
wie  der  vordere  Aussenhöcker  fast  genau  dem  vorderen  Innenhöcker 
gegenüberliegt.  So  stehen  sich  also  an  der  Aussen-  und  Innenseite  je 
die  beiden  vordersten  und  die  beiden  hintersten  Höcker  fast  gegenüber; 
der  mittlere  der  drei  Aussenhöcker  hat  daher  kein  Gegenüber  in 
Gestalt  eines  Hügels ;  er  steht  der  breiten  Lücke  oder  Vertiefung 
zwischen  den  beiden  Innenhöckern  gegenüber. 

Auch  Herr  A.  Gaudry  hob  in  seinem  Schreiben  an  mich  (S.  57) 
hervor,  dass  dieser  hintere  Aussenhöcker  nicht  an  die  Hinterseite 
gerückt  sei,  sondern  bei  allen  diesen  Zähnen  aus  dem  Bohnerz,  welche 
mindestens  vier  Individuen  angehören,  an  der  Aussenseite  verbleibe, 
ein  Verhalten,  das  man  beim  Menschen  nur  ganz  ausnahmsweise  treffe. 
Auch  seien  die  Gipfel  der  Höcker  ein  wenig  mehr  an  den  Aussen-, 
bezw.  Innenrand  des  Zahnes  gerückt,  und  die  mittlere  Vertiefung 
zwischen  den  Höckern  der  Aussen-  und  der  Innenseite  sei  ein  wenig 
tiefer,  als  beides  beim  Menschen  der  Regel  nach  der  Fall  wäre. 

Diese  fünf  Hügel  sind  nicht  nur  durch  Vertiefungen  getrennt,  son- 
dern in  letzteren  verlaufen  auch  scharfe,  wie  mit  dem  Messer  eingeschnit- 


—     41     — 

tene,  also  ganz  schmale  Furchen,  welche  dann  an  der  Aiissenseite  des 
Zahnes  fast  bis  an  das  untere  Ende  der  Schmelzkappe  hinabreichen. 
An  der  Innenseite  ist  letzteres  nicht  der  Fall.  Es  verläuft  einmal  in 
der  Mitte  der  Kaufläche  von  vorn  nach  hinten  eine  Längsfurche, 
durch  welche  die  inneren  Hügel  von  den  äusseren  getrennt  werden. 
Ungefähr  rechtwinkehg  zu  dieser  —  daher  das  Ganze  „Kreuzfurche" 
beim  Menschen  genannt  wird  —  laufen  nun  von  der  Aussenseite 
her  die  beiden,  den  mittleren  Aussenhügel  einschliessenden  Quer- 
furchen. Dieselben  konvergieren  und  treffen  sich  schliesslich  in 
einem  Punkte,  indem  sie  die  Längsfurche  dadurch  verwerfen,  also 
aus  ihrem  geraden  Verlaufe  drängen.  An  diesem  Vereinigungspunkte 
mündet  auch  die  von  der  Innenseite  herkommende  Querfurche,  welche 
den  vorderen  Innenhügel  vom  hinteren  trennt.  Aber  an  dem  best 
erhaltenen,    dem  Keimzahne  (Taf.  II  Fig.  1),    sieht  man,    dass   auch 


Fig.  1.    Schema  eines  Unter-  und  Oberkieferzahnes  aus  dem  Bohnerz. 
a;  vordere  Querfurche,  y  hintere  Querfurche ,   k  schräger  Kamm  zwischen  a  und  b ,  q  Quer- 
kamm  zwischen  a  und  d,   c,  d  die  beiden  Innenhöcker,  a,  b  bezw.  e  die  beiden,  bezw.  drei 

Aussenhöcker. 


diese  Querfurche  gedoppelt  ist,  so  dass  also  zwischen  dieser  Doppe- 
lung auch  an  der  Innenseite  eigentlich  noch  ein,  wenn  auch  ganz 
kleiner  und  niedriger,  mittlerer  Innenhöcker  entsteht.  Ersichtlich 
ist  dieser  aber  nur  ein  Teil  des  hinteren  Innenhöckers,  von  diesem 
also  abgeschnürt,  kein  selbständiger  Hügel.  Auch  am  Oberkiefer- 
molar sahen  wir,  dass  solche  Furchen  an  der  Aussen-  wie  Innenseite 
ebenfalls  tief  hinabreichen  und  jederseits  in  einem  Grübchen  endigen. 
Von  einem  solchen  Grübchen  ist  an  den  ünterkiefermolaren  jedoch 
nichts  zu  bemerken. 

Ich  beschreibe  diese  Furchen  so  genau  teils  um  des  Vergleiches 
willen,  teils  weil  sich  mit  Hilfe  dieser  als  ganz  zweifellos  beweisen 
lässt,  dass  ein  fernerer  Zahn  (Taf.  II  Fig.  4)  ebenfalls  nur  dem  Unter- 
kiefer angehören  kann  und  nicht  dem  Oberkiefer,  dem  man  ihn 
infolge  seiner  Kürze  vielleicht  zuschreiben  möchte. 


—     42     — 

Furchen  in  so  starker  Ausbildung  und  an  der  Seite  so  weit 
hinabreichend ,  wie  oben  geschildert ,  sind  nun  ausgesprochen  ein 
Merkmal  der  Menschenähnlichen,  nur  selten  der  Menschen;  indessen 
Hartmann  ^  hebt  hervor,  dass  man  bei  letzteren  bisweilen  doch  auch 
gleiches  Verhalten  der  Furchen  wie  bei  ersteren  finde. 

Diese  ünterkiefermolaren  aus  dem  Bohnerze  der  Alb  gleichen 
in  ihrer  allgemeinen  Gestalt,  besonders  in  einem  Stadium  der  Ab- 
kauung, in  welchem  ihre  Schmelzleisten  eben  verschwunden  sind 
(s.  Taf.  II  Fig.  2  und  5),  so  sehr  dem  M^  oder  M^  des  Menschen, 
dass  man  sie  wohl  für  Menschenzähne  halten  möchte,  wie  das  R.  Owen 
auch  that.  Dieses  Abkauungsstadium  war  es  auch  besonders,  welches 
im  Verlaufe  der  Untersuchung  immer  aufs  neue  den  Gedanken  wieder 
entstehen  Hess,    dass  doch  etwa  Menschenzähne  vorliegen  könnten. 

Indessen  ausser  den  oben  bereits  erwähnten  beiden  Abwei- 
chungen vom  Menschentypus  finden  wir  ein  drittes  vom  Menschen 
abweichendes  Merkmal  in  der  starken  Ausbildung  einer  vorderen 
und  hinteren  Querfurche.  Dieselben  sind  an  dem  unabgekauten 
Stadium  der  beiden  Zähne  (Taf.  II  Fig.  1  und  6)  natürhch  am  besten 
erhalten  und  von  so  bedeutender  Tiefe,  wie  das  beim  Menschen  wohl 
nur  ausnahmsweise  der  Fall  ist ,  für  andere  Anthropomorphe  aber 
kennzeichnend  ist,  wie  das  z.  B.  der  M^  inf.  des  Orang  (Taf.  II  Fig.  8) 
zeigt.  Im  Stuttgarter  Naturalienkabinet  zeigt  ein  Judenschädel  aus 
Malta,  No.  1581,  die  vordere  Querfurche  auch  recht  deutlich. 

Ein  viertes  Merkmal ,  welches  diese  ünterkiefermolaren  als 
einem  Menschenaffen  angehörig  erweist,  besteht  in  den  Schmelzleisten, 
welche  auf  der  Kaufläche  von  den  Höckern  in  die  zwischen  letzteren 
gelegenen  Tiefen  hinab  laufen.  Wir  erkennen  dieselben  wiederum 
nur  an  dem  völlig  unbenutzten  Stadium  der  beiden  Molaren  (Taf.  II 
Fig.  1  und  6).  Bereits  bei  Besprechung  der  Obeikiefermolaren  ist 
das  Nähere  über  diese  Leisten  gesagt  worden  (S.  28).  Hier  muss 
ich  nur  wiederholen,  dass  bemerkenswerterweise  an  dem  Oberkiefer- 
molar die  Schmelzleisten  entschieden  etwas  stärker  ausgebildet  sind 
als  an  denen  des  Unterkiefers ;  und  dass  sie  ferner  an  letzteren  bei 
dem  in  Taf.  II  Fig.  1  abgebildeten  Zahne  sich  etwas  stärker  ent- 
wickelt zeigen,  als  bei  dem  in  Taf.  II  Fig.  6  dargestellten. 

So  sehen  wir,  dass  dieses  Merkmal  der  Leisten  an  den  Zähnen 
aus  den  Bohnerzen  nicht  in  völlig  gleicher  Stärke  auftritt.  Es  macht 
dieser  Umstand  daher  den  Eindruck,  als  wenn  es  sich  um  eine  erst 


'  Die  anthropomorplien  Affen. 


—     43     — 

kürzlich  erworbene,  daher  noch  hm  und  her  schwankende  Eigen- 
schaft handle,  die  sich  dann  später  im  Chimpanse  und  besonders 
dem  Orang  mehr  und  mehr  gesteigert  habe. 

Ein  fünftes  Affenmerkmal  endlich  zeigt  sich  in  dem  Längen- 
Breiten- Verhältnisse  der  ünterkiefermolaren.  So  ähnlich  auch  das 
der  Schmelzleisten  bereits  beraubte  zweite  Abkauungsstadium  (Taf.  II 
Fig.  2  und  5)  der  fraglichen  Zähne  aus  dem  Bohnerz  dem  Menschen 
sein  mag  —  das  Längen-Breiten-Verhältnis  ist  doch  ein  anderes. 
Unsere  fossilen  Zähne  sind,  gegenüber  ihrer  Breite,  verhältnismässig 
länger  als  die  des  Menschen.  Ich  gebe  zu  diesem  Zwecke  die  Masse 
der  in  Rede  stehenden  6  Molaren  des  Unterkiefers. 


Original  der 

Taf.  11  Fig-.  1  . 

„      ■,,      »     6  • 
o 

n        !)        »      "  • 

n        5)        ))      ^  • 

7  . 
n         n         7)        ' 

Nicht  abgebildet^ 


Länge  Breite  Länge  :  Breite 

mm            mm  wie 

13.1  11,0  100  :  81,0  \^    Erstes  Stadium: 

11,0            9,3  100  :  84,5  /  Unberührte  Zähne. 

12.0  9,8  100  :  81,7)^  Zweites  Stadimu: 
11,8            9,8  100  :  83,0/  Etwas  abgekaut. 

11.1  9,0  100  :  81,0 \^  Drittes  Stadium: 

5,0  j  Stäi 


.    11,0  9,2  100  :  83,5/  Stärker  abgekaut. 

Diese  Zahlen  müssen  wir  mit  den  entsprechenden  des  Menschen 
vergleichen,  um  festzustellen,  ob  die  fraglichen  Zähne  aus  dem 
Bohnerz  verhältnismässig  länger  bezw.  schmäler  sind  gegenüber  den 
im  allgemeinen  kürzeren  bezw.  breiteren  des  Menschen.  Das  aber  ist 
sehr  schwer  darzuthun ;  denn  bei  jedem  einzelnen  menschlichen  Ge- 
bisse, dessen  Masse  ich  angeben  würde,  könnte  man  sagen,  dass 
dieselben,  in  Anbetracht  der  so  starken  Variabilität  des  Menschen, 
gar  nichts  bewiesen. 

Ich  will  daher  Mittelzahlen  des  Menschen  anführen^,  welche 
das  Mittel  aus  der  Länge  zahlreicher  Zähne  und  dann  das  Mittel 
aus  der  Breite  eben  derselben  Zähne  geben.  Man  wird  dadurch 
wohl  ein  Bild  von  einem  Durchschnittszahne  des  Menschen  erhalten. 

Aus  einer  sehr  grossen  Zahl  genauer  Messungen  an  mensch- 
lichen Zähnen  hat  Blake  ^  die  unten  folgenden  Durchschnittszahlen 
für  die  Grössenverhältnisse  der  Zähne  gefunden.    Das  Untersuchungs- 

^  Der  Zahn  ist  zerbrochen,  daher  nur  ungefähres  Mass  angegeben 
werden  kann. 

^  Wobei  sich  natürlich  auch  wieder  einwerfen  lässt,  dass  dieselben  sich 
auf  europäische  Völker  beziehen  und  nicht  auch  auf  solche,  die  in  der  Kultur 
tiefer  stehen,  daher  vielleicht  andere  Verhältnisse  aufzuweisen  haben. 

^  Descriptive  anatomy  of  the  human  teeth.  citiert  nach  Gysi  in  Schweize- 
rische Vierteljahrsschrift  für  Zahnheilkunde  Bd.  5,  No.  1.  1895.  Sonderabzug- 
S.  8.  Fig.  10. 


44     — 


Oberkiefer  des  Menschen: 


Mesio-distal- 

Labio-  od.  Bucco- 

Höhe  der  Krone 

Durchmesser  der 
Krone 

lingual-Durch- 
messer  der  Krone 

mm 

mm 

mm 

3Iittel 

10,0 

9,0 

7,0 

I^    grösste 

12,0 

10.0 

8,0 

kleinste 

8,0 

8,0 

7,0 

Büttel 

8,8 

6,4 

6,0 

I^    grösste 

10,5 

7,0 

7,0 

kleinste 

8,0 

5,0 

5,0 

Mittel 

9,5 

7,6 

8,0 

C     grösste 

12.0 

9,0 

9,0 

kleinste 

8,0 

7,0 

7,0 

Mittel 

8,2 

7,2 

9,1 

P'^     grösste 

9,0 

8,0 

10.0 

kleinste 

7,0 

7,0 

8,0 

Mittel 

7,5 

6,8 

8,8 

P^     grösste 

9,0 

8,0 

10.0 

Länge :  Breite 

kleinste 

7,0 

6,0 

7,5 

wie 

Mittel 

7.7 

10,7 

11.8 

100:110,3 

M'    grösste 

9,0 

12,0 

12,0 

kleinste 

7,0 

9,0 

11,0 

Slittel 

7,2 

9,2 

11.5 

100 :  125 

M'-     grösste 

8.0 

10,0 

12,5 

kleinste 

6,0 

7,0 

10,0 

j\Iittel 

6.3 

8,6 

10,6 

100 :  123,3 

M*    grösste 

8,0 

11,0 

14,5 

kleinste 

5,0 

7,0 

8,0 

material  bestand  aus  Gebissen  der  amerikanischen  Bevölkerung,  welche 
aus  einer  Mischung  aller  hauptsächlichsten  europäischen  Völker  her- 
vorgegangen ist.  Daher  geben  diese  Untersuchungen  wohl  ein  ge- 
treues Bild  der  Zahndimensionen  der  Kulturvölker.  Da  mir  die  Zeit- 
schrift, in  welcher  Blake  publizierte,  nicht  zugänglich  war,  so  wandte 
ich  mich  an  Herrn  Dr.  Gysi,  Universität  Zürich,  von  welchem  Blake 
in  einer  später  zu  nennenden  Arbeit  citiert  war.  Der  genannte  Herr 
hatte  die  sehr  grosse  Liebenswürdigkeit,  mir  die  folgende  Tabelle 
Blake's   abzuschreiben   und  zugehen  zu  lassen.     Bei  der  Schwierig- 


-     45     - 


ünterk] 

lefer  des  Menschen: 

Mesio-distal- 

Labio-  od.  Bucco- 

Höhe  der  Krone 

Durchmesser  der 
Krone 

lingual-Durch- 
messer  der  Krone 

mm 

mm 

mm 

Mittel 

8,8 

5,4 

6,0 

I'    grösste 

10,5 

6,0 

6.5 

kleinste 

7,0 

5,0 

5,5 

Mittel 

9,6 

5,9 

6,4 

I^    grösste 

12,0 

6,5 

7,5 

kleinste 

7,0 

5,0 

6,0 

Mittel 

10,3 

6,9 

7,9 

C    grösste 

12,0 

9,0 

10,0 

kleinste 

8,0 

5,0 

6,0 

Mittel 

7,8 

6,9 

7.7 

P^    grösste 

9,0 

8,0 

8,0 

kleinste 

6,5 

6,0 

7,0 

Mittel 

7,9 

7.1 

8,0 

P'     grösste 

10,0 

8,0 

9,0 

Länge :  Breite 

kleinste 

6,0 

6,5 

7,0 

■wie 

:\üttel 

7,7 

11,2 

10.3 

100 :  92 

M^     grösste 

10,0 

12,0 

11,5 

kleinste 

7,0 

11,0 

10,0 

Mittel 

6,9 

10,7 

10,1 

100 :  94,4 

M-    grösste 

8,0 

11,0 

10,5 

kleinste 

6,0 

10.0 

9,5 

Mittel 

6,7 

10,7 

9,8 

100 :  91,6 

M^'    grösste 

8,0 

12,0 

10,5 

kleinste 

6,0 

8,0 

9,0 

keit,  die  Arbeit  Blake's  zu  erlangen,  wird  es  nicht  unerwünscht  sein, 
wenn  ich  die  ganze  Tabelle,  auch  für  Zähne,  die  hier  nicht  in  Frage 
kommen,  wiedergebe.  Die  „Höhe  der  Krone"  wurde  gemessen  von 
der  Schneidekante  bezw.  dem  Aussenhöcker  bis  zur  Zahnfleischlinie 
der  Aussenfiäche. 

Der  „Mesio-distal-Durchmesser"  der  Krone ,  also  das ,  was  ich 
Länge  nannte,  ist  der  grösste  Durchmesser  in  dieser  Richtung  an 
den  beiden  Proximal-Kontaktpunkten.  Denn  die  Zähne  wurden  natür- 
lich in  zusammenhängenden  Gebissen,  nicht  einzeln,  gemessen. 


—     46     - 

Der  „labio-  bezw.  bucco-linguale  Durchmesser"  ist  der  grösste 
Durchmesser  in  dieser  Richtung;  also  meine  „Breite"  der  Krone. 
Bei  den  Schneidezähnen  liegt  er  an  der  Zahnfleischlinie ;  bei  den 
Prämolaren  und  Molaren  befindet  er  sich  gewöhnlich  auf  der  Mitte 
der  Kronenlänge,  aber  hier  und  da  auch  an  der  Zahnfleischlinie,  be- 
sonders bei  M^  und  M^  sup.  ^ 

Aus  der  Vergleichung  dieser  Zahlen  menschlicher  Molaren  mit 
den  oben  angeführten  unserer  Molaren  aus  dem  Bohnerz  ergiebt  sich 
das  Folgende :  Wie  bei  dem  Oberkieferzahne ,  so  stimmt  auch  bei 
diesen  ünterkiefermolaren  die  absolute  Grösse  mit  dem  bei  dem 
Menschen  vorkommenden  überein.  Die  Längen  der  Molaren  aus  dem 
Bohnerz  schwanken  von  11,0  bis  12  mm  (in  einem  Falle  bis  13,1  mm). 
Beim  Menschen  haben  wir  nach  Blake  für  M^  als  kleinste  Länge 
11  mm,  als  grösste  12  mm,  also  ganz  dieselben  absoluten  Längen; 
nur  der  eine  Keimzahn  aus  dem  Bohnerz  mit  13,1  mm  Länge  über- 
trifft das  beim  Menschen  Vorkommende. 

Vergleichen  wir  sodann  das  Verhältnis  zwischen  Länge  und 
Breite,  wie  es  unseren  Bohnerzmolaren  zukommt,  gegenüber  den 
menschlichen,  so  sehen  wir,  dass  die  Bohnerzmolaren  verhältnis- 
mässig länger,  bezw.  schmaler  sind,  als  die  des  Menschen. 

Bei  einer  gleichgesetzten  Länge  von  100  ist  nämlich  die  Breite 
bei  den  Unterkiefermolaren 

aus  dem  Bohnerz  nur  81 — 84,5;  dagegen 
beim  Menschen    .    M^  92 

M^  94,4 

Von  M^,  als  dem  sehr  variablen,  sehe  ich  ab. 

Folglich  sind  die  fraglichen  Bohnerzmolaren  fast  genau  um 
10  7o  relativ  schmaler,  bezw.  länger  als  die  des  Menschen ;  ein  Er- 
gebnis, zu  welchem  uns  in  gleicher  Weise  die  Untersuchung  des 
Oberkieferzahnes  geführt  hatte. 

Wir  wollen  nun  aber  unsere  Unterkieferzähne  aus  dem  Bohnerz 
noch  mit  denen  der  anthropomorphen  Affen  vergleichen.  Ich  habe 
gemessen  im  Unterkiefer  bei: 


^  Blake  führt  in  seiner  Tabelle  noch  andere,  hier  fortgelassene  blasse 
an:  Totallänge,  Länge  der  Wurzel,  Mesio-distal-Diarchmesser  des  Zahnhalses, 
Höhe  der  Kurve  der  Zahnflcischlinie. 


47 


Länge 
mm 

Chimpans' M^  11,4 

]\P  12,0 

Orange SP  12.8 

„     3 W  14,9 

]\P  15,5 

„        M^  14,6 

Gorilla*  unten. W  15,3 

„         M^  16,0 

„         M^  16,2 

HyJohates^  leuciscus SP     6 

M^     6,7 

.  M3     5,9 

.    .■ SP     6 

.  M^     6,6 

.  SP    5,1 

„         '  syndactylus SI^     8,0 

SP    8,5 

SP    8,7 


^  No.  2598  der  Stuttgarter  zoologischen  Sammlung. 
^  No.  38   der  Stuttgarter  zoologischen  Sammlung 
nicht  durchgebrochen. 

^  No.  337  der  Stuttgarter  zoologischen  Sammlung. 

*  No.  2624,  $  der  zoologischen  Sammlung  zu  Stuttgart. 

5  No.     675,  $ 


Breite 

Länge 

:  Breite 

mm 

wie 

10,3 

100  : 

90,3 

11,2 

100  : 

93,3 

11,8 

100  : 

92.2 

13,0 

100  : 

87.2 

13,9 

100  : 

90,0 

12.8 

100  : 

87,7 

13,5 

100  : 

88,2 

14,6 

100  : 

91,3 

14,0 

100  : 

86,4 

5 

100  : 

:  83,3 

5.6 

100  : 

:  83,6 

5,2 

100  : 

:  88,1 

5 

100  : 

83,3 

6.0 

100  : 

:  90,9 

5,7 

100  : 

:  111,0 

5,8 

100  : 

:  72,5 

7,0 

100  : 

:  82,3 

6,9 

100  : 

:  79,3» 

mg. 

lg.  Ganz 

jung, 

SI^  noc] 

» 


n 


r> 


n 


T. 


ji 


Das  grösste  Ex- 


6  No.  2414, 

'  No.  2013,  ? 
emplar  von  allen. 

^  Es  ist  nun  hinsichtlich  dieser  vergleichenden  SIessungen  allerdings  her- 
vorzuheben, dass  die  Länge  von  Zahnkronen,  welche  im  vollzähligen  Gebisse 
sitzen,  sich  nicht  ebenso  genau  bestimmen  lässt,  Avie  bei  unseren  isolierten  und 
intakten  resp.  Keimzähnen  aus  dem  Bohnerz.  Denn  die  im  Gebiss  des  erwach- 
senen Tieres  sitzenden  Molaren  haben,  wie  auch  an  anderer  Stelle  hervorgehoben, 
durch  die  Abreibung  des  vor  und  hinter  ihnen  stehenden  Zahnes  an  Länge  ver- 
loren, und  das  in  um  so  höherem  Grade,  je  älter  das  Tier  war.  Es  muss  also 
bei  allen  oben  gemessenen  Zähnen  lebender  Anthropomorphen  die  Länge  der 
Zahnkrone  etwas  zu  kurz,  resp.  der  Breitenindex  ein  wenig  zu  gross  erscheinen. 
Dasselbe  wird  jedenfalls  wohl  auch  von  den  durch  Blake  gemessenen  Menschen- 
zähnen gelten.  Da  indessen  auf  solche  Weise  sämtliche  oben  aufgeführten  SIes- 
sungen an  Zähnen  lebender  Formen  unter  diesem  selben  Fehler  leiden,  so  dürfte 
letzterer  beim  Vergleiche  das  Bild  nicht  wesentlich  stören ;  nur  erscheinen  natür- 
lich die  Bohnerzmolaren  dadurch  noch  etwas  relativ  länger,  als  sie  ohnedies  sind. 

Eine  andere  Schwierigkeit  ist  die,  dass  man  zwar  die  Breite  der  im  Ge- 
bisse sitzenden  Zahnkronen  mit  dem  Schieberzirkel  ganz  genau  bestimmen  kann, 
dass  man  jedoch  die  Bestimmung  der  Länge  mit  dem  gewöhnlichen  Zirkel  vor- 
nehmen muss,   so   dass  Länge  und  Breite  mit  zwei  verschiedenen  Instrumenten 


—     48     - 

Vergleichen  wir  auf  Grund  dieser  Messungen  unsere  Bohnerz- 
zähne  mit  denen  lebender  Anthropomorphen ,  so  erhalten  wir  für 
Chimpans,  Orang  und  Gorilla  dasselbe  Ergebnis,  wie  beim  Menschen : 
Die  Bohnerzmolaren  des  Unterkiefers  sind,  wie  die  des  Oberkiefers, 
relativ  schmaler,  bezw.  länger  als  diejenigen  der  genannten  drei  Affen. 
Denn  es  haben  die  Molaren 

aus  dem  Bohnerz  einen  Breitenindex  von 81 — 84,5, 

vom  Chirapanse,  Orang,   Gorilla  einen  Breitenindex  von    87 — 93,3. 

Nur  die  Molaren  des  Gibbon  machen  eine  Ausnahme ,  indem 
ihr  Breitenindex  im  allgemeinen  zwischen  82  und  83  schwankt,  also 
ungefähr  dieselbe  relative  Länge,  bezw.  Schmalheit  besitzt,  wie  die 
aus  dem  Bohnerz.  Abgesehen  von  den  Dimensionen  ist  aber  auch 
die  allgemeine  Gestalt  der  Krone  und  der  Höcker  bei  unseren  ünter- 
kiefermolaren  aus  dem  Bohnerz  der  des  Gibbon  sehr  ähnlich  (vergl. 
Taf.  II  Fig.  3),  Bei  M^  und  M^  in  vollzähligen  Gebissen  ist  das  oft 
nicht  so  vollkommen  zu  sehen,  weil  durch  die  vordere  und  hintere 
Reibefläche  die  Länge  der  Krone  ^  verringert  erscheint.  Daher  kann 
man  das  an  M^  verhältnismässig  noch  am  besten  erkennen,  weil 
hier  wenigstens  das  Hinterende  des  Zahnes  nicht  durch  einen  weiteren 
Molaren  abgerieben  ist. 

Es  fällt  mir  namenthch  auf,  dass,  wie  ich  es  von  unseren  Bohn- 
erzmolaren sagte ,  auch  bei  diesen  Gibbonzähnen  je  der  vordere 
Aussen-  und  Innenhöcker,  sowie  je  der  hintere  Aussen-  und  Innen- 
höcker so  ziemlich  einander  gegenüberstehen,  so  dass  gegenüber  dem 
mittleren  Aussenhöcker  kein  Höcker,  sondern  die  breite  Senke  liegt, 
welche  den  vorderen  und  hinteren  Innenhöcker  von  einander  trennt. 
Dagegen  beobachtete  ich  bei  Hylohates  syndadyliis  ^,  dass  der  vordere 
Aussen-  dem  vorderen  Innenhöcker,  dann  aber  der  mittlere  Aussen- 
dem  hinteren  Innenhöcker  gegenüberliegen,  so  dass  der  hintere  Innen- 
höcker an  das  Hinterende  des  Zahnes  gerückt  ist,  ganz  wie  wir  das 
beim  menschlichen  Molar  und  dem  einzigen  Milchzahn  P  d^  (S.  54) 
aus  dem  Bohnerz  der  Alb  finden ;  wogegen  bei  allen  Molaren  aus 
dem  Bohnerz  der  hintere  Innenhöcker  mehr  an  die  Innenseite  ge- 
rückt ist. 

Vorgreifend   möchte   ich   hier   noch    einen   letzten  Unterschied 


bestimmt  wurden.  Indessen  auch  hier  trifft  dies  sämtliche  gemessenen  Molaren 
in  gleichem  Masse  und  nur  die  isolierten  Bohnerzmolaren  Hessen  sich  auch  der 
Breite  nach  in  den  Scliicberzii-kel  einklemmen. 

^  Von  vorn  nach  hinten. 

^  No.  2013,  Weibchen,  Stuttgarter  Sammlung. 


-     49     — 

unserer  Bohnerzzähne  von  denen  des  Menschen  erwähnen  (S.  56). 
Dieser  hegt  nämhch  in  der  abweichenden  Gestalt  dieses  hintersten 
Milchbackenzahnes,  an  welchem  das  Gattungsmerkmal,  die  bedeutende 
relative  Länge  der  Zähne,  ganz  besonders  hervortritt.  Der  ent- 
sprechende Milchbackenzahn  von  Chimpanse  und  Orang  ist  relativ 
kürzer  als  der  Bohnerzmilchzahn  ^ 

Fassen  wir  nun  das  Ergebnis  der  Untersuchung  der  Frage  zu- 
sammen, ob  unsere  fraglichen  Bohnerzzähne  einem  Menschen  oder 
einem  anthropomorphen  Affen  angehören ,  so  finden  wir  das  Fol- 
gende für 

die  fraglichen  Bohnerzmolaren: 

1.  Ihre  absolute  Grösse  stimmt  im  Ober-  wie  Unter- 
kiefer mit  dem  beim  Menschen  Vorkommenden  überein. 
Nur  der  eine  Keimzahn  (Taf.  11  Fig.  1)  überstieg  das  von 
Blake  gemessene  Maximum  menschlicher  Grösse  noch 
um  1,1  mm  Länge.  Trotzdem  werden  wir  für  den  ehe- 
maligen Träger  der  Bohnerzmolaren,  da  er  offenbar 
ein  Anthropomorpher  war,  auf  eine  etwas  geringere 
Körpergrösse  als  die  durchschnittliche  des  Menschen 
schliessen  müssen  (S.  34). 

2.  Sie  sind  im  Ober-  wie  Unterkiefer  verhältnis- 
mässig länger,  bezw.  schmaler  als  die  des  Menschen, 
des  Chimpanse,  Orang  und  Gorilla  (S.  34,  43).  Von  leben- 
den Anthropomorphen  sind  nur  die  Unterkiefermolaren 
des  Gibbon  relativ  ebenso  lang,  bezw.  schmal. 

3.  Im  Oberkiefer  und  Unterkiefer  ist  ihre  Kaufläche 
mit  Schmelzleisten  bedeckt,  wie  wir  sie  bei  Orang  und 
Chimpanse  finden,  nur  in  geringerer  Zahl,  wie  dort. 
Beim  Menschen  pflegen  dieselben  zu  fehlen,  wenn  aber 
ausnahmsweise  vorhanden,  nicht  so  stark  zu  sein,  wie 
am  Oberkieferzahne  aus  dem  Bohnerz  (S.  28,  34,  42). 

4.  Ihre  Ober-  wie  Unterkiefermolaren  besitzen 
eine  starke  vordere  und  hintere  Quer  furche.  Beim 
Menschen  fehlt  sie  oder  ist  doch  nicht  an  beiden  Enden 
vorhanden  (S.  41  x  und  ^  der  Figur  unter  S.  42). 

5.  An  diesen  Oberkiefer-  wie  Unterkiefermolaren 
ziehen  die  über  die  Kaufläche,  in  den  Tiefen  zwischen 
den  Höckern  verlaufenden  Furchen  tiefer  an  der  Aussen- 


^  Über  den  Gibbon  habe  ich  in  dieser  Hinsicht  leider  kein  Urteil. 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  4 


—    50    — 

und  Innenseite  hinab,    als  das  beim  Menschen  der  Fall 
zu  sein  pflegt  (S.  35,  41,  42). 

6.  Am  Oberkjefermolar  mündet  das  Ende  dieser 
Furchen,  an  der  Aussen-  wie  Innenseite,  je  in  einem 
Grübchen.  Beim  Menschen  fehlt  dieses  Merkmal  in 
solcher  Ausbildung  der  Regel  nach  (S.  35,  36). 

7.  Im  Oberkiefer  ist  ihr  hinterer  Innen höcker  un- 
gefähr ebenso  gross,  wie  die  anderen  drei  Höcker.  Beim 
Menschen  pflegt  er  kleiner  zu  sein,  als  letztere  drei 
(S.  34). 

8.  An  ihren  Unterkiefermolaren  steht  der  hintere 
der  drei  Aussenhöcker  noch  voll  und  ganz  an  der  Aussen- 
seite.  Beim  Menschen  ist  er  halb  an  die  Hinterseite 
gerückt  (S.  40). 

9.  Die  Gipfel  der  Höcker  ihrer  Unterkiefermolaren 
sind  etwas  mehr  an  die  Aussen-,  bezw.  Innenwand  ge- 
rückt und  die  Vertiefungen  zwischen  ihnen  schneiden 
etwas  tiefer  ein,  als  das  beim  Menschen  der  Fall  zu 
sein*pflegt. 

10.  Der  als  Pd^  gedeutete  hinterste  Milchbacken- 
zahn kann  ganz  unmöglich  einem  Menschen  zugehören; 
in  diesem  Zahne  liegt  ebenso  zweifellos  der  Rest  eines 
Anthropomorphen  vor,  wie  in  den  beiden  Oberkieferzähnen. 

11.  Doch  noch  einen  letzten  Grund  möchte  ich  an- 
führen, welcher  gegen  die  Deutung  dieser  Molaren  als 
Menschenzähne  spricht:  Beim  Menschen  sind  die  Mo- 
laren unter  sich  verschieden  in  ihrer  Gestalt,  insofern, 
als  namentlich  M^  von  den  beiden  vorderen  abzuweichen 
pflegt.  Wenn  wir  nun  im  Bohnerz  an  vier  verschie- 
denen Örtlichkeiten  sechs  Unterkiefer  molaren  von  immer 
wieder  ganz  gleicher  Gestalt,  bei  Absehen  von  dem 
Grade  ihrer  Abnutzung,  finden,  so  spricht  das  eher  da- 
für, dass  das  Wesen,  welchem  diese  Zähne  angehörten, 
nicht  verschieden-,  sondern  gleichgestaltete  Molaren 
besass,  also  kein  Mensch  war.  Dieser  Grund  besagt 
nicht  sehr   viel,   aber   er   reiht   sich  doch  den  anderen  an  ^ 


*  Es  ist  derjenige,  welchen  allein  Quenstcdt  anführte,  um  seine  Ansicht, 
dass  doch  Affenzähne  vorliegen  möchten,  zu  begründen.  Aber  Quenstedt  über- 
trieb, indem  er  sagte,  dass  der  Mensch  sechzehnfach  verschiedene  Zähne  habe, 
dieses  Wesen  aus  dem  Bohnerz  jedoch  nur  gleiche.    Selbstverständlich  darf,  wenn 


-     51     - 

So  sehen  wir  also,  dass  unsere  Molaren  aus  dem 
Bolmerze  der  Alb  in  zehn  verschiedenen  Punkten  von 
dem  abweichen,  was  an  Menschenzähnen  die  Regel  zu 
sein  pflegt.  Ein  jedes  dieser  zehn  Merkmale  möchte 
allein  für  sich  nicht  genügen,  um  die  Frage  zu  ent- 
scheiden, ob  wir  hier  Zähne  eines  Menschen  oder  eines 
menschenähnlichen  Äff  en  vorunshaben,  denn  ein  jedes 
dieser  Merkmale  ist  nur  klein,  unscheinbar  und  fast 
jedes  derselben  tritt  hier  und  da  auch  beim  Menschen 
auf,  Ihre  Gesamtheit  aber  liefert,  wie  mir  scheint, 
den  zwingenden  Beweis,  dass,  trotz  der  bestechenden 
Ähnlichkeit  mit  menschlichen  Molaren,  dennoch  ein 
Affe  vorliegt. 

12.  Wir  haben  demnach  in  diesen  Zähnen  aus  dem 
Bohnerz    der  Alb  Reste    eines  Anthropomorphen   vor  uns. 

13.  Sowie  die  Unterkiefermolaren  durch  eine  schwache 
Abkauung  ihrer  Schmelzleisten  beraubt  sind,  gleichen 
sie  in  ihrer  allgemeinen  Gestalt  hochgradig  denen  des 
Gibbon,  wenn  man  nur  letztere  genügend  vergrössert, 
und  denen  des  Menschen:  Auf  der  einen  Seite  ist  mit 
dem  Gibbon  diese  Ähnlichkeit  darum  noch  etwas  grösser, 
weil  bei  diesem  auch  die  relative  Länge  der  Zahnkrone 
ebenso  bedeutend  ist;  mit  dem  Menschen  dagegen  dar- 
um ein  wenig  geringer,  weil  dessen  Molaren  relativ 
kürzer  sind. 

Auf  der  anderen  Seite  ist  wieder  die  Ähnlichkeit 
mit  dem  Menschen  darum  grösser,  weil  die  absolute 
Grösse  beider  übereinstimmt  und  weil  vor  allem  beim 
Menschen  nicht  selten  auch  ebensolche  Schmelzleisten 
auftreten;  mit  dem  Gibbon  dagegen  geringer,  weil 
dieser  nie  solche  Schmelzleisten  besitzt  und  seine  Zähne 
relativ  viel  kleiner  sind.  Bei  den  ganz  intakten  Bohn- 
erzmolaren  tritt  daher  diese  Ähnlichkeit  mit  dem  Gib- 
bon zurück. 

14.  Unsere  fraglichen  Bohnerz-Ünterkief ermolaren 
stehen  mithin  zwischen  denen  von  Mensch  und  Gibbon 
und   zwar  nahe  an  jedem  der  beiden;   wie  mir  scheinen 

uns  von  diesem  Wesen  nur  Molaren  zur  Prüfung  vorliegen,  auch  vom  Menschen 

nur  die  Verschiedenheit  seiner  Molaren,  nicht  aber  diejenige  aller  Zahnarten  zum 

Vergleiche  herangezogen  werden. 

4* 


—     52     — 

will,  aber  doch  noch  näher  am  Menschen,  als  am  Gib- 
bon wegen  der  Schmelzleisten.  Ist  dem  aber  so,  dann 
sind  es  die  menschenähnlichsten  Molaren,  welche  wir 
bisher  an  einem  lebenden  oder  fossilen  Affen  kennen. 
Würde  man  trotzdem  aber  in  diesen  Zähnen  Reste 
des  Menschen  erkennen  wollen,  so  hätte  man  in  ihnen 
die  affenähnlichsten  Molaren,  welche  man  bei  Menschen 
—  soweit  meine  Kenntnis  reicht  —  kennt;  zugleich 
auch,  sehr  wahrscheinlich  wenigstens,  Zähne  eines 
tertiären  Menschen:  Ein  Ergebnis,  durch  welches  unsere 
Zähne  aus  dem  Bohnerz  der  Alb  noch  viel  wichtiger 
für  die  Erkenntnis  der  genetischen  Beziehungen  des 
Menschen  werden  würden,  als  das  in  ihrer  Eigenschaft 
als  Affenzähne  der  Fall  ist. 

Taf.  II  Fig.  4.     M  unten  rechts  aus  dem  Bohnerz. 

Noch  zwei  andere  Zähne  liegen  vor. 

Zunächst  der  in  Taf.  II  Fig.  4  abgebildete  Molar  des  rechten 
Unterkiefers,  welcher  einen  ganz  überraschenden  Widerspruch  in  sich 
zu  bergen  scheint.  Dieser  Zahn  scheint  ebenfalls  ein  Keimzahn,  da 
er  nur  aus  einer  Schmelzkappe  besteht  wie  der  in  Taf.  II  Fig.  1  ab- 
gebildete. Gleich  diesem  zeigt  sich  auch  nicht  eine  Spur  von  Dentin 
in  dieser  Schmelzkappe ;  ja ,  der  Schmelz  ist  sogar  dünner  als  bei 
dem  in  Taf.  II  Fig.  1  abgebildeten. 

Trotz  dieses,  scheinbar  keinen  Zweifel  übrig  lassenden  Ver- 
haltens aber  hat  dieser  Molar  vorn  und  hinten  bereits  eine  starke 
ebene  Schlifffläche ,  welche  sicher  nur  durch  die  Reibung  der  vor 
und  hinter  ihm  gesessenen  beiden  Zähne  erzeugt  worden  sein  kann. 
Er  muss  daher  in  der  Zahnreihe  bereits  eine  ganze  Zeit  lang  funktio- 
niert haben,  d.  h.  er  kann  gar  nicht  mehr  als  dentinloser  Keimzahn 
im  Kiefer  gesteckt  haben. 

Ein  zweiter  Grund  spricht  ebenfalls  für  eine  solche  Ansicht. 
Dieser  Molar  besitzt  auch  bereits  starke  Abnutzungsflächen  auf  seiner 
Kaufläche.  Diese  Usuren  sind  so  stark,  dass  schon  jede  Spur  von 
Schmelzleisten  verschwunden  ist.  Nun  könnte  man  ja  freilich  meinen, 
diese  Abnutzung  sei  erst  nach  dem  Tode  des  Tieres,  etwa  bei  dem 
Transport,  erzeugt  worden.  Indessen  könnte  das  bei  einem  Keim- 
zahn sicher  nicht  eingetreteii  sein,  da  dieser  noch  im  Kiefer  sitzt 
und  geschützt  ist.  Wenn  er  aber  bereits  isoliert  gewesen  wäre,  so 
würde  ein  Keimzahn  dabei  zerbrochen  sein. 


—     53     - 

Unter  solchen  Umständen  bleibt  die  einzig  mögliche  Erklärung 
die,  dass  man  keinen  wirklichen  Keimzahn  vor  sich  habe,  sondern 
nur  einen  scheinbaren :  nämlich  nur  die  der  Wurzeln  und  der  ganzen 
Dentinfüllung  beraubte  Schmelzkappe  eines  schon  funktionierenden 
Molaren.  Dass  dieser  Molar  sogar  bereits  längere  Zeit  in  Thätigkeit 
war,  geht,  wie  schon  gesagt,  aus  der  vorderen  und  hinteren  Reibe- 
fläche hervor.  War  er  aber  längere  Zeit  in  Thätigkeit,  dann  sind 
die  Usuren  auf  seiner  Kaufläche  auch  wirklich  durch  Gebrauch  des 
Zahnes  beim  Kauen,  nicht  aber  erst  durch  den  Transport  desselben 
nach  dem  Tode  des  Tieres  entstanden. 

Die  anscheinend  schwer  zu  erklärende  Thatsache,  dass  dieser 
abgenutzte  Molar  unter  der  Scheingestalt  eines  Keimzahnes  auftritt, 
ist  doch  leicht  zu  verstehen,  wenn  man  das  Verhalten  der  anderen 
Zähne  betrachtet.  Unter  den  neun  anderen  Backenzähnen  befinden 
sich  zwei  Keimzähne  und  zwei  mit  vollständigen  Wurzeln  versehene. 
An  einem  fünften  sind  die  Wurzeln  nur  noch  als  Stümpfe  vorhanden. 
Bei  den  vier  anderen  sind  die  Wurzeln  bis  an  den  unteren  Rand 
der  Schmelzkrone  abgebrochen  und  zerstört,  so  dass  also  jetzt  vier, 
mit  Dentin  gerade  nur  noch  erfüllte  Schmelzkappen  vorliegen.  Wie 
schon  früher  gesagt  (S.  39),  muss  die  Dentinmasse  sehr  erweicht 
gewesen  sein,  wenn  das  ganze  schmelzlose  untere  Ende  der  Zähne 
in  solcher  Weise  abgebrochen  werden  konnte,  ohne  dass  gleichzeitig 
die  Krone  auch  nur  im  geringsten  beschädigt  wurde. 

In  der  That  ist  das  in  der  Schmelzkappe  sitzende  Dentin  noch 
heute  so  weich,  dass  es  sich  mit  dem  Fingernagel  ritzen  lässt.  Es 
war  daher  sehr  wohl  möglich,  dass  aus  einer  der  Schmelzkappen 
das  Dentin  allmählich  ganz  herausfiel,  so  dass  dieser  Molar  nun  als 
Pseudo-Keimzahn  erscheint ;  und  nur  der  Umstand  bleibt  auffallend, 
dass  das  Dentin  so  völlig,  bis  auf  den  letzten  Rest,  aus  der  Schmelz- 
kappe herausbröckeln  konnte. 

Infolge  der  vorderen  und  hinteren  Reibefläche  ist  die  Länge 
dieses  Molaren  eine  viel  geringere  als  bei  den  anderen,  wie  aus 
folgenden  Zahlen  hervorgeht: 


Molar 
Taf.     Fig. 

Länge 
mm 

Breite 
mm 

Länge  :  Breite 
wie 

II        4 

9,6 

9,3 

100  :  96,9 

Dem  gegenüber  stehen  die  Masse  der  anderen  Molaren,  bei 
welchen  die  Breite  zwar  auch  meist  dieselbe  wie  hier  ist,  um  9  mm 
herumschwankt,  die  Länge  jedoch  zwischen  11  und  12  mm  sich  be- 
wegt, so  dass  der  Breitenindex  81  bis  84  beträgt  gegen  fast  97  hier. 


—     54     — 

Dieser  Umstand,  sowie  die  fast  gänzliche  Reduktion  des  dritten, 
hinteren  Aussenhöckers,  wodurch  der  Zahn  fast  vierhockerig  erscheint, 
legen  den  Gedanken  nahe,  dass  entweder  der  Weisheitszahn  des 
Unterkiefers  oder  aber  einer  der  beiden  vorderen  Molaren  des  Ober- 
kiefers vorliegen  möchten. 

Trotzdem  stehen  beiden  Annahmen  Schwierigkeiten  entgegen : 
Die  deutlich  ausgesprochene  „Kreuzfurche"  (S.  41)  beweist  unwider- 
leglich, dass  wir  hier  keinen  Ober-,  sondern  einen  Unterkieferzahn 
vor  uns  haben.  Die  hintere  starke  Schlifffläche  aber  beweist  weiter, 
dass  letzterer  kein  Weisheitszahn  gewesen  sein  kann ,  sondern  von 
einem  hinteren  Molar  gefolgt  gewesen  sein  muss.  Seine  Deutung 
als  M^  wäre  daher  nur  statthaft,  wenn  man  die  ganz  in  der  Luft 
schwebende  Annahme  machen  wollte ,  dass  hier  noch  ein  M'^  vor- 
handen gewesen  sei.  Nun  ist  das  freilich  nach  Selenka  bei  Orang 
gar  nicht  so  selten  der  Fall  (s.  später) ;  es  wäre  daher,  da  der  Zahn 
für  einen  M^  oder  M^  viel  zu  kurz  ist,  auch  nicht  so  sehr  gewagt, 
ihn  für  einen  M^  zu  erklären  und  damit  zugleich  das  Dasein  noch 
eines  M*  hinter  ihm  als  gesichert  anzusehen.  Aber  das  bleibt  natür- 
lich doch  immer  eine  Annahme. 

Taf.  II  Fig.  11.     Pd^  unten  links  aus  dem  Bohnerz. 

Der  zweite  der  beiden  Zähne,  welche  von  den  übrigen  Unter- 
kiefermolaren aus  dem  Bohnerz  abweichen,  hat  zwar  die  fünfhöckerige 
Beschaffenheit  und  eine  ähnliche,  von  vorn  nach  hinten  langgestreckte 
Gestalt  wie  diese.  Aber  seine  absolute  Grösse  ist  geringer  und  die 
relative  Länge  der  Krone  noch  grösser,  so  dass  der  Breitenindex 
noch  etwas  geringer  wird. 

Länge        Breite     Länge  :  Breite 
mm  mm  wie 

Der  fragliche  Zahn  hat  1*0,2  8,1  100  :  79,4 

Jene  anderen  Zähne  haben  11,  12  (13)     9  (11)  100  :  81—84 

Man  könnte  nun  die  geringere  Grösse  so  deuten  wollen,  dass  hier 
der  Molar  eines  wesenthch  kleineren  Individuums  mit  entsprechend 
kleineren  Zähnen  vorläge.  Dem  steht  jedoch  entgegen,  dass  bei 
genauerer  Betrachtung  die  Gestalt  eine  etwas  abweichende  ist  von 
der  aller  anderen  Molaren  aus  dem  Bohnerz.  Bei  diesen  ist  nämhch 
der  hintere  Aussenhöcker  nicht  an  die  Hinterseite  gerückt,  sondern 
bleibt  an  der  Aussenseite,  so  dass  der  Molar  am  Hinterrande  nicht 
schmal,  sondern  ziemlich  breit  endigt.  Bei  dem  fraglichen  Zahne 
der  Fig.  11    ist   dagegen    der   genannte   Höcker   an   die   Hinterseite 


-     55     — 

gedrängt,  so  dass  sich  der  Umriss  des  Zahnes  nach  hmten  merkhch 
verjüngt. 

Unter  diesen  Umständen  dürfte  auch  die  von  Herrn  Gaddry 
geteilte  Deutung  gelten,  dass  wir  hier  keinen  Molar,  sondern  den  hin- 
tersten unteren  Milchprämolar  vor  uns  haben,  welcher  ja,  wie  früher 
(S.  30)  erwähnt,  bei  den  Menschen  und  Anthropomorphen  ganz  den 
Charakter  der  Molaren  besitzt;  so  dass  es  nicht  überraschen  kann, 
wenn  er  einem  Molar  ungefähr  gleicht,  was  sein  Ersatzzahn,  der 
Prämolar,  gar  nicht  mehr  thut.  Die  Abkauung  dieses  Zahnes  ist 
so  weit  vorgeschritten,  dass  von  Schmelzleisten  nichts  mehr  zu  sehen 
ist.  Die  vordere  Querfurche  ist  noch  deutlich  zu  erkennen,  die  hintere 
nicht  mehr.  Die  Stärke  der  Abkauung  entspricht  daher  ungefähr 
dem  auf  S.  38    erwähnten  zweiten  Abkauungsstadium   der  Molaren. 

Die  beiden  Wurzeln,  welche  Zahl  ja  allen  unteren  Molaren  und 
Prämolaren  zukommt,  sind  an  diesem  Milchbackenzahne  erhalten, 
besitzen  aber  ein  auffallendes  Merkmal : 

Die  hintere  Wurzel  ist  von  aussen  nach  innen  plattgedrückt, 
d.  h.  sie  hat  ihren  grössten  Durchmesser  in  der  Richtung  von  vorn 
nach  hinten  ^.  Die  vordere  Wurzel  ist  umgekehrt  mehr  von  vorn 
nach  hinten  flachgedrückt,  sie  hat  also  ihren  grössten  Durchmesser 
von  aussen  nach  innen  ^. 

An  einem  jungen  Orang  der  Stuttgarter  Sammlung  zeigten  sich 
beide  Wurzeln  als  völlig  gleich,  indem  beide  von  vorn  nach  hinten 
plattgedrückt  waren  ^.  Andere  Milchbackenzähne  von  lebenden  An- 
thropomorphen   standen    mir  jedoch   nicht  mit  Wurzeln  zu  Gebote. 

Auf  meine  Bitte  hatte  Herr  Kollege  Eimer  in  Tübingen  die 
Liebenswürdigkeit,    den   fraglichen   Zahn   mit   den  Milchzähnen   der 


^  Dieselbe  ist  in  Fig.  IIa  rechts,  in  Fig.  IIb  links  in  der  Zeiclinung 
zu  sehen. 

"  Welcher  daher  auf  der  Ebene  dieser  Zeichnung  nicht  zum  Ausdruck 
gelangt. 

^  No.  38.  Erst  M'  war  eben  erschienen,  daher  muss  wohl  der  vor  ihm 
stehende  Zahn  noch  dem  Milchgebiss  angehören.  Ich  stütze  mich  hierbei  auf  die 
von  Hartmann  (Die  menschenähnlichen  Affen)  S.  172  gegebenen  Daten  über 
den  Zahnwechsel  der  Anthropomorphen:  Von  Magitot  (Bulletin  soc.  d' Anthro- 
pologie. Paris  1869.  S.  113)  und  Giglioli  (ebenda  S.  83)  ist  gezeigt  worden, 
dass  derselbe  in  derselben  Reihenfolge  wie  beim  Menschen  sich  vollzieht.  Zu- 
nächst von  Milchzähnen  erscheinen:  1.  Die  unteren  Incisiven.  2.  Die  oberen  I. 
3.  P-.  4.  P^  5.  C.  Der  Durchbruch  der  bleibenden  Zähne  vollzieht  sich  dann 
weiter  in  der  folgenden  Reihe:  1.  M^  2.  Untere  I.  3.  Obere  I.  4.  Die  P.  5.  C. 
6.  M^   7.  W. 


—    56     — 

dortigen  Anthropomorplienschädel  zu  vergleichen  und  mir  Wachs- 
abgüsse derselben  zuzusenden.  Das  Ergebnis  ging  gleichfalls  dahin, 
dass  hier  der  hintere  Milchbackenzahn  eines  Menschenaffen  vorliegen 
müsse,  da  derjenige  des  Menschen  eine  viel  mehr  quadratische  Krone 
besitzt,  die  hinten  nicht  schmäler  ist  als  vorn.  Auch  sind  die  Wurzeln 
des  menschlichen  Milchbackenzahnes  viel  breiter,  zudem  beide  unten 
ebenso  breit  wie  oben,  länger  und  beide  von  vorn  nach  hinten  stark 
plattgedrückt ;  auch  divergieren  sie  viel  stärker  und  haben  die  Neigung 
sich  zu  spalten,  so  dass  drei  bis  vier  Zacken  entstehen.  Herr  Eimer 
betont  aber  die  grosse  Variabilität  der  Wurzeln,  auf  welche  letztere 
mithin  weniger  Gewicht  zu  legen  ist. 

Der  Vergleich  mit  dem  hintersten  Milchbackenzahn  des  Chim- 
panse  lehrte ,  dass  die  beiderseitigen  Kronen  ziemlich  ähnlich  sind, 
aber  ebenfalls  darin  abweichen,  dass  der  Chimpansezahn,  wie  der 
des  Menschen,  kürzer,  quadratischer,  hinten  also  nicht  so  spitz  ist; 
auch  besitzt  er  hinten  zwei  kleine  Höcker. 

Mit  Milchzähnen  von  Orang  und  Gorilla  ist  der  fragliche  Zahn 
nicht  zu  vergleichen.  Welche  Gestalt  der  entsprechende  Milchzahn 
des  Gibbon  besitzt,  war  leider  mangels  solcher  Zähne  hier  nicht 
festzustellen. 

Fassen  wir  das  Gesagte  zusammen,  so  ergiebt  sich  das  Folgende  : 

Der  fragliche  Zahn  ist  nicht  mit  dem  hintersten  Milchbacken- 
zahn des  Menschen,  Orang,  Gorilla  und  Chimpanse  zu  vergleichen; 
diese  sind  quadratischer  im  Umriss  der  Krone  und  beide  Wurzeln, 
soweit  bekannt,  sind  gleichsinnig  zusammengedrückt. 

Dagegen  ähnelt  der  fragliche  Zahn  den  definitiven  anderen 
Molaren  aus  dem  Bohnerze  (wie  des  lebenden  Gibbon).  Namentlich 
zeigt  er  sich  darin  denselben  zugehörig,  dass  seine  Krone  dieselbe 
relative  grosse  Länge,  bezw.  Schmalheit  besitzt,  durch  welche  alle 
unsere  Zähne  aus  dem  Bohnerz,  gegenüber  denen  des  Menschen, 
ausgezeichnet  sind.  Aber  er  weicht  von  diesen  anderen  Zähnen  doch 
ab :  durch  merkUch  geringere  absolute  Grösse,  durch  noch  bedeuten- 
dere relative  Länge  bezw.  Schmalheit  und  durch  das  ausgesprochen 
spitzere  Hinterende,  indem  der  fünfte  Höcker  nicht  mehr  an  der 
Seite   steht,    wie  bei  jenen,    sondern  ganz  nach  hinten  gerückt  ist. 

Es  bleibt  mithin  nur  übrig  anzunehmen,  dass  dieser  Zahn 

entweder  dem  definitiven  Gebisse  einer  anderen  Art  bezw.  Gattung 
von  Menschenaffen  angehört,  als  alle  anderen  Zähne  aus  dem  Bohnerz, 

oder  dass  er  dem  Milchgebisse  derselben  Art  und  Gattung  wie 
diese  zugehört. 


—     57     — 

Die  erstere  Annahme  ist,  in  Anbetracht  der  überaus  grossen 
Seltenheit  fossiler  Menschenaffen,  eine  ganz  unwahrscheinhche ;  es 
ist  das  derselbe  Grund,  welchen  wir  schon  einmal  geltend  machen 
mussten. 

Wenn  dem  so  ist ,  dann  muss  wohl  ein  Milchzahn  vorliegen ; 
und  es  kann  dann  nur  der  hinterste  Backenzahn,  P  d\  des  Milch- 
gebisses sein. 

Vergleichung  der  Bohnerzzähne  mit  Dryopithecus  Fontani  Lartet. 

Nachdem  wir  so  die  Ansicht  begründet  haben,  dass  unsere 
fraghchen  Zähne  aus  dem  Bohnerze  der  Alb  nicht  von  Menschen 
herrühren  können,  sondern  dass  in  ihnen  wirklich  der  Rest  eines 
anthropomorphen  Affen  vorliegt,  werden  wir  zu  prüfen  haben,  ob 
letzterer  ident  sei  mit  dem  Dryopithecus  Fontani  Lartet  von  St.  Gau- 
dens  in  Frankreich,  wie  das  schon  früher  von  Quenstedt,  wenn  auch 
ohne  Beweisführung,  als  wahrscheinlich  angenommen  wurde  (S.  19). 
Eine  solche  Beweisführung  war  aber  auch  so  lange  ganz  unmöglich, 
als  man  die  Zähne  nicht  mit  denen  des  Dryopitltecus  an  Ort  und 
Stelle  verglich ;  denn  die  von  Lartet  gegebene  Beschreibung  der- 
selben genügt  nicht,    um  daraufhin  eine  Identifizierung  zu  gründen. 

Es  ist  auch  mit  Hilfe  der  in  neuester  Zeit  von  Gaudry  ver- 
öffentlichten Arbeit  über  den  zweiten,  erst  jüngst  gefundenen  Kiefer 
des  Dryopithecus  nicht  möglich,  völlig  klar  über  diese  Frage  zu  werden. 

Ja,  selbst  bei  Gegenüberstellung  der  Originalien  unserer  Bohn- 
erzzähne mit  denen  des  Dryopithecus  in  Paris  schreibt  eine  Autori- 
tät wie  Herr  Gaudry,  welcher  die  grosse  Liebenswürdigkeit  hatte, 
die  Stücke  zu  vergleichen,  dass  er  eine  völlig  sichere  Entscheidung 
nicht  geben  könne.  „Je  partage  votre  embarras.  L'idee  qui 
se  presente  tout  d'abord  c'est  que  vos  dents  sont  des  dents 
humaines  melangees  accidentellement  avec  des  fossiles  .  .  . 
Cependant  je  suis  porte  ä  penser,  que  vos  dents  ne  sont 
pas  d'un  homme,  mais  d'un  singe  voisin  des  Dryopithe- 
ques  .  .  .  Ms.  Boül  et  Verneau,  Directeur  de  la  Revue  d'Anthro- 
pologie  et  Mr.  Filhol  ont  vu  vos  pieces;  ils  croient  comme 
moi  qu'elles  sont  plutot  d'un  singe  que  d'un  homme.  Je 
vous  presente  mes  observations  avec  toutes  les  reserves, 
.  .  .  .  craignant  toujours  les  erreurs  avec  des  pieces  isolees. 

Von  den  in  Taf.  H  Fig.  1  und  6  abgebildeten  beiden,  noch 
ganz  unbenutzten  Molaren  schreibt  Herr  Gaudry  speciell :  „  elles  ont 
l'aspect  Dryopithecus."" 


-     58     - 

Um  dem  Leser  ein  eigenes  Urteil,  soweit  das  eben  möglich  ist, 
zu  gewähren,  gebe  ich  zunächst  die  Merkmale  der  Zähne  des  Bryo- 
pithecus,  wie  sie  durch  Lartet  und  Gaudry  festgestellt  wurden,  wobei 
ich  auch  das  über  andere  Zähne  als  Molaren  Gesagte  anführe,  weil 
ich  später  noch  über  Dryopithecus  zu  sprechen  haben  werde. 

Nach  Lartet  sind  die  Unterkieferzähne  von  Bryojnthecus  ge- 
kennzeichnet durch  die  folgenden  Eigenschaften : 

1.  Die  Alveolen  der  I  sind  seitlich  sehr  zusammengedrückt. 

2.  C  schliesst  sich  hart  an  P^  an.  Was  Lartet  weiter  von 
der  Canine  sagt,  wird  durch  Gaudry,  welcher  einen  besser  erhaltenen 
Unterkiefer  beschrieb,  berichtigt. 

3.  P^,  der  vorderste  Prämolar,  ist  viel  höher  als  P^  P^  hat 
zwei  Höcker  wie  beim  Menschen;  nur  dass  diese  schiefer,  schräger 
stehen  als  bei  letzterem.  Bei  den  anderen  Affen  hat  P^  nur  einen 
Höcker;  lediglich  beim  Gorilla  findet  sich  bisweilen  noch  ein 
schwacher  zweiter. 

4.  P^,  der  hinterste  Prämolar,  hat,  wie  bei  allen  Affen,  vorn 
zwei  Höcker,  hinten  einen  Talon,  bestehend  aus  konvexer  Schneide. 

5.  M^  besitzt  fünf  Höcker. 

6.  M^  ist  gestaltet  wie  M\  aber  grösser  als  dieser.  Auch  tritt 
auf  der  Aussenseite  an  der  Basis  die  Spur  eines  Basalwulstes  (collet) 
auf,  welcher  bei  M^  fehlt. 

Gaudry  stellt  die  Unterschiede,  welche  die  Unterkieferbezahnung 
des  Dryopithecus  von  derjenigen  des  Menschen  unterscheidet,  auf 
Grund  eines  besser  erhaltenen  zweiten  Kiefers  in  der  folgenden 
Weise  fest: 

1.  C  hat  eine  noch  einmal  so  lange  Krone  als  die  anderen 
Zähne.  Er  besitzt  aussen  am  Vorderrande  eine,  allerdings  ganz 
schwache  Furche,  welche  beim  Menschen  fehlt.  C  steht  in  der 
Seitenfront  der  Zahnreihe,  beim  Menschen  in  der  Vorderfront. 

2.  P^  ist  grösser,  länger,  spitzer,  höher  als  beim  Menschen. 
Sein  Lmenhöcker  ist  kaum  bemerkbar,  beim  Menschen  sehr  deutlich. 

3.  P\  also  der  hinterste  Prämolar,  ist  gleichfalls,  wie  P^,  affen- 
ähnlich; d.  h.  er  ist  viel  länger  als  breit,  dagegen  beim  Menschen 
ebenso  lang  als  breit.  Das  kommt  daher,  dass  bei  Bryopithecus 
der  hintere  Höcker  an  P"^  deutlich  entwickelt  ist. 

4.  Die  M.  sind  verhältnismässig,  d.  h.  gegenüber  ihrer  Breite, 
länger  (von  vorn  nach  hinten)  als  beim  Menschen,  Chimpanse, 
Orang  und  Gorilla.  Ihre  Höcker  sind  etwas  höher  als  beim  Menschen, 
Chimpanse    und   Orang.     Der    hinterste    der    drei   Aussenhöcker   ist 


—     59     — 

stärker  entwickelt  als  beim  Menschen  und  auch  noch  stärker  als 
beim  Orang  und  Chimpanse.  M^  besitzt  an  der  Aussenseite  einen 
ganz  kleinen  Basalwulst  (bourrelet) ,  welcher  dem  Menschen  und 
den  grossen  lebenden  Anthropomorphen  fehlt.  Die  Kaufläche  der 
Molaren  ist  runzeliger  als  beim  Menschen,  d.  h.  also  sie  besitzt 
Schmelzleisten. 

Stellen  wir  nun  diesen  Merkmalen  des  Dryopithecus  diejenigen 
unserer  isolierten  Zähne  aus  dem  Bohnerz  der  schwäbischen  Alb 
gegenüber,  so  zeigt  sich  zunächst  eine  Verschiedenheit  des  beider- 
seitigen Materiales: 

Von  Dryopithecus  in  Frankreich  sind  erhalten:  Die  Canine, 
Prämolaren  und  Molaren  zweier  Unterkiefer,  sowie  diese  Kiefer. 
Die  Zähne  befinden  sich  einmal  in  wenig  benutztem ,  das  andere 
Mal  in  abgekautem  Zustande. 

Von  unseren  Bohnerzzähnen  liegen  vor:  Aus  dem  Unterkiefer 
der  hinterste  Milchbackenzahn  und  eine  Anzahl  loser  Molaren;  aus 
dem  Oberkiefer  zwei  Molaren. 

Das  beiderseitige  Material  deckt  sich  also  nur  in  den  Unter- 
kiefermolaren, nur  diese  sind  direkt  vergleichbar.  Bei  diesen  aber 
zeigt  sich  die  folgende  Übereinstimmung: 

1.  Bei  Dryopithecus  wie  bei  unseren  Bohnerzzähnen  sind  die 
Molaren,  gegenüber  ihrer  Breite,  länger  als  die  ihnen  sehr  ähnlichen 
des  Menschen,  sowie  die  des  Chimpanse,  Orang  und  Gorilla. 

2.  Hier  wie  dort  zeigen  sich  an  unbenutzen  Molaren  auf  der 
Kaufläche  Schmelzleisten,  wie  sie  nur  ziemlich  selten  dem  Menschen 
eigen  sind. 

3.  Hier  wie  dort  ist  der  hinterste  der  drei  Aussenhöcker  stärker 
entwickelt  als  beim  Menschen  und  nicht  so  an  die  Hinterseite  ge- 
drängt wie  bei  letzterem. 

4.  Hier  wie  dort  ist  der  Typus  der  Molaren  übereinstimmend, 
sehr  menschenähnlich. 

Der  untere  Milchprämolar  und  die  beiden  oberen  Molaren  unserer 
schwäbischen  Zähne  entziehen  sich  dem  direkten  Vergleiche  mit  den 
französischen,  weil  diese  Zahnkategorien  dort  fehlen.  Aber  sie  zeigen 
in  Bezug  auf  Punkt  1  und  2  volle  Übereinstimmung  mit  dem  dort 
erwähnten  Verhalten,  d.  h.  sie  sind  ebenfalls  relativ  länger  als  beim 
Menschen  und  mit  Schmelzleisten  versehen. 

Nachdem  nun  auf  S.  51  dargethan  worden  ist,  dass 
unsere  Zähne  aus  dem  schwäbischen  Bohnerz  mit  ganz  über- 
wiegender Wahrscheinlichkeit  nicht   dem   Menschen,    son- 


-     60     — 

dem  einem  Menschenaffen  angehören  müssen  —  glaube  ich 
auf  Grund  der  soeben  aufgeführten,  übereinstimmenden 
Merkmale  weiter  als  bewiesen  annehmen  zu  dürfen,  dass 
unsere  Zähne  der  Gattung  Dryopithecus  zuzurechnen  sind, 
deren  Kenntnis  durch  das  schwäbische  Material  nun  in  etwas  er- 
weitert wird. 

Eine  andere  Frage  ist  aber  die,  ob  auch  dieselbe  Art  wie  in 
Frankreich  vorliegt.  Das  ist  schwer  zu  entscheiden,  da  neben  dem 
Übereinstimmenden  doch  auch  Unterschiede  sich  bemerkbar  machen : 

Bei  dem  französischen  Drijopitheciis  zeigt  sich  an  M^  inf.  ein 
Basalwulst.  Von  einem  solchen  ist  an  unseren  schwäbischen  Zähnen 
nichts  zu  erkennen.  Allerdings  lässt  sich  für  letztere  nicht  direkt 
erweisen,  dass  unter  ihnen  sich  ein  M^  befindet.  Indessen  wäre  es 
ein  sehr  sonderbarer  Zufall,  wenn  unsere  sechs  ünterkiefermolaren 
sämtlich  nur  den  M^  darstellen  sollten.  (Für  M^  möchte  man  sie 
infolge  ihrer  gestreckten  Gestalt  am  allerwenigsten  halten.)  Vielmehr 
ist  es  doch  äusserst  wahrscheinlich,  dass  unter  ihnen  der  eine  oder 
andere  dem  M^  angehöre. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  ein  solcher  Unterschied  ein  genügendes 
Merkmal  abgiebt,  um  eine  andere  Art  darauf  zu  gründen.  Hier  ist 
einmal  hervorzuheben,  dass  an  dem  einen  unserer  schwäbischen  Ober- 
kiefermolaren, an  Aussen-  wie  Innenseite,  zwar  kein  Basalwulst,  aber 
doch  je  ein  Basalgrübchen  auftritt,  wodurch  immerhin  angedeutet 
ist,  dass  sich  hier  ebenfalls  eine  Neigung  zu  basalen  Bildungen  zeigt. 

Bei  dem  Gorilla  tritt  Derartiges  ebenfalls  auf.  Schon  Lärtet 
hebt  zum  Vergleiche  hervor,  dass  bei  diesem  (1.  c.  Fig.  6)  auch  solche 
„vestiges  de  collet  saillant"  erscheinen.  An  dem  Gorillaweibchen 
No.  2624  des  Stuttgarter  zoologischen  Museums  konnte  ich  an  allen 
drei  Molaren  Grübchen  beobachten,  in  welchen  bei  M^  und  M^  sich 
eine  Andeutung  kleiner  Basalwärzchen  befindet.  Es  handelt  sich 
hier  aber  wohl  um  Merkmale,  welche  der  Variation  fähig  sind.  Da- 
her scheint  mir,  dass  auf  diese  Dinge  kein  so  grosses  Gewicht  zu 
legen  sei. 

Trotzdem  aber  wird  m.an  die  Identität  unserer  fossilen  Bohnerz- 
zälme  mit  denen  des  französischen  Dryointjiecus  nicht  mit  absoluter 
Sicherheit  aussprechen  dürfen,  und  wir  können  das  um  so  weniger 
thun,  als  wir  im  Bohnerz  zwei  Zahngattungen  besitzen,  welche  von 
dem  französischen  Dryopithecus  bisher  nicht  bekannt  sind,  nämlich 
zwei  Oberkiefermolaren  und  einen  Milchbackenzahn,  zudem  letzteren 
von    ganz   eigenartiger   Form    und   erstere    durch    besonders   starke 


—     61     — 

Rauhigkeiten  gekennzeichnet.  Niemand  aber  kann  sagen,  ob  die 
französische  Art  sich  gleichgestaltet  erweisen  würde,  wenn  man  von 
ihr  diese  beiden  Zahngattungen  fände ;  ja,  man  kann  sogar  im  Zweifel 
darüber  sein,  ob  man  die  Identität  der  schwäbischen  Gattung  mit 
der  französischen  als  derart  genügend  bewiesen  erachten  solle,  dass 
man  ihr  den  Geschlechtsnamen  der  letzteren  geben  dürfe.  Ich  habe 
aus  diesem  Grunde  den  Namen  Bri/opithecus  nicht  im  Titel  dieser 
Arbeit  angewendet. 

Da  es  aber  bei  der  sehr  grossen  Seltenheit  der  Gattungen 
anthropomorpher  Affen  immerhin  viel  wahrscheinlicher  sein  dürfte, 
dass  auf  der  Alb  und  in  Frankreich  dieselbe  Gattung  gelebt  hat, 
nicht  aber  zwei  verschiedene ,  so  wird  man  wohl  die  Zähne  aus 
unseren  Bohnerzen  als  Dryointhecus  sp.  benennen  dürfen. 

Ich  werde  daher,  auch  um  nicht  immer  umschreiben  zu  müssen, 
fernerhin  in  dieser  Arbeit  unsere  Zähne  aus  dem  Bohnerz  der  Alb 
als  Dryopithecus  bezeichnen. 


III.  Die  Frage  der  Abstammung  des  Menschen. 

Die  Alternative,  ob  der  Mensch  plötzlich  aus  dem  Nichts  er- 
schaffen sei  oder  sich  allmälig  aus  niedriger  stehenden  Wesen  ent- 
wickelt habe,  „ist  bei  uneingeschränktem  Gebrauch  des  Verstandes 
überhaupt  nicht  mehr  aufzuwerfen"  \  sagt  Oscar  Schmidt  in  seinem 
unten  angezogenen  Buche.  Es  ist  in  der  That  nicht  der  mindeste 
zoologische  Grund  vorhanden,  dass  das  höchstorganisierte  Lebewesen, 
welches  auf  dieser  Erde  besteht^,  auf  andere  Weise  ins  Leben  ge- 
treten sein  sollte  als  alle  anderen  niedriger  organisierten  Wesen. 

Wenige  Jahrzehnte  erst  sind  dahingegangen,  seit  Darwin  schrieb ; 
und  doch  hat  diese  seine  entwickelungsgeschichtliche  Lehre  bereits 
in  einem  Siegeszuge  sondergleichen  die  ganze  naturforschende  Welt 
sich  unterworfen.  Nur  ein  oder  einige  Menschenalter  noch  kann 
es  währen,  und  die  Entwickelungslehre  ^  wird  ein  Allgemeingut  aller 
Kulturmenschen  geworden  sein.     Gegenwärtig  freilich   ist   derselben 

^  Oscar  Schmidt,  Die  Säugetiere  in  ihrem  Verhältnis  zur  Vorwelt. 
Leipzig  1894  bei  Brockhaus.  S.  269. 

*  Auf  den  Planeten  anderer  Fixsterne  mag  es  noch  höher  organisierte  Wesen 
geben;  jedenfalls  wird  eine  Lebewelt  dort  nicht  fehlen;  aber  sie  Avird  dort,  weil 
andere  Verhältnisse  obwalten,  andere  Formen  angenommen  haben.  Der  Gedanke, 
dass  unter  den  mindestens  mehi-eren  Hundert  Millionen,  vielleicht  wirklich  un- 
endlich vielen  Fixsternen  nur  der  eine  einzige,  unsere  Sonne,  Planeten  habe, 
gehabt  habe,  haben  werde,  auf  denen  organisches  Leben  möglich  ist,  möglich 
war  oder  sein  wird  —  dieser  Gedanke  würde  so  überaus  unwahrscheinlich  sein, 
würde  von  einer  so  beschränkten  Auffassung  der  Welt  diktiert  sein,  dass  wir 
ihn  kurzweg  zurückweisen  müssen.  Wenn  überhaupt  Analogieschlüsse  irgend- 
welche Berechtigung  besitzen,  so  dürfen  wir  auch  von  den  Verhältnissen  in  unserem 
Planetensystem,  bez.  der  Erde,  auf  andere  schliesscn. 

^  Man  kann  nicht  den  Ausdruck  „Darwinismus"  anwenden,  denn  dieser 
umfasst  nicht  nur  Dar win's  Ansicht,  dass  die  Organismen  sich  auseinander  ent- 
wickelt haben  (Entwickelungslehre),  sondern  auch  die  Erklärungsversuche,  welche 
Darwin  über  die  Ursachen  dieser  Entwickelung  gemacht  hat.  Diese  Erklärungs- 
versuche aber  sind  eben  so  strittiger  Natiu:  wie  jene  Entwickelungslehre  allgemein 
aufgenommen  ist. 


-     63     — 

noch  ein  ansehnlicher  Teil  der  nichtnaturwissenschaftlichen  Mensch- 
heit abhold ;  und  zwar,  wie  es  scheinen  will,  wesentlich  darum,  weil 
hier  die  Ansicht  verbreitet  ist,  die  Entwickelungslehre  sei  unvereinbar 
mit  dem  Glauben  an  Gottheit  und  Unsterblichkeit,  einem  Glauben, 
den  man  sich  nicht  rauben  lassen  will.  Das  ist  ein  Irrtum.  Wer 
an  Gott  und  Unsterblichkeit  nicht  glauben  will,  bedurfte  dazu  nicht 
erst  der  Entwickelungslehre.  Lange  vor  Darwin  schon  ist  von  diesem 
Unglauben  ausgiebiger  Gebrauch  gemacht  worden.  Wem  dagegen 
der  Glaube  an  Gott  und  Unsterbhchkeit  ein  Bedürfnis  ist,  der  wird 
durch  die  Entwickelungslehre  nicht  im  mindesten  daran  gehindert; 
ja,  im  Gegenteil,  er  kann  durch  diese  Lehre  nur  zu  einer  durch- 
geistigteren Vorstellung  von  der  Gottheit  kommen:  Insofern,  als  für 
ihn  an  die  Stelle  des  Schöpfers  der  mosaischen,  richtiger  assyrisch- 
babylonischen oder  gar  noch  älteren  Schöpfungsgeschichte,  welcher 
sich  damit  begnügt,  zahllose  Tier-  und  Pflanzenarten  einzeln  ins 
Dasein  zu  rufen,  ein  Schöpfer  tritt,  welcher  die  Urzelle  schafft,  bezw. 
aus  Unorganischem  entstehen  lässt,  aber  in  diesen  Schöpfungsakt 
den  eines  Gottes  würdigen  Gedanken  der  Entwicklung  zu  immer 
Höherem  legt,  bis  hinauf  zum  Höchsten,  dem  Menschen,  dem  Träger 
der  unsterblichen  Seele.  Diese  Vereinbarkeit  der  Entwickelungslehre 
mit  dem  Glauben  an  übersinnliche  Dinge  ist  schon  im  Anfang  der 
siebziger  Jahre  durch  Rudolf  v.  Schmid  ^  gezeigt  worden ,  zu  einer 
Zeit,  in  welcher  Darwin's  Lehre  noch  jüngsten  Datums  und  weitesten 
Kreisen  ein  Stein  des  Anstosses  war. 

Wer  nun  aber  auf  dem  Boden  der  Entwickelungslehre  steht, 
für  den  wird  damit  der  zoologische  Ausblick  nach  den  ältesten  An- 
fängen eines  jeden  Lebewesens,  folglich  auch  des  Menschen,  ein 
selbstverständlicher;  der  wird  nach  Übergangsformen  suchen.  Darum 
überrascht  es,  wenn  Rudolf  Virchow^  die  Frage  nach  einer  Über- 
gangsform von  Tier  zu  Mensch  eine  unlogische  nennt:  „Ein  Wesen 
ist  entweder  ein  Mensch  oder  ein  Tier.  Eine  Übergangsform  kommt 
von  einem  Tiere  her,  welches  sich  metamorphosieren  soll.  Solange 
dieses  noch  nicht  metamorphosiert  ist,  muss  man  es  mithin  als  Tier 
betrachten.  Ist  es  aber  metamorphosiert,  dann  ist  es  ein  Mensch."  So 
etwa  lautet  der  von  Virchow  ausgesprochene  Gedankengang,  soweit 


^  Die  Darwin'schen  Theorien  und  ihre  Stellung  zur  Philosophie,  Religion 
und  Moral.     Barmen  bei  H.  Klein.    400  S. 

2  Bericht  über  die  27.  allgemeine  Versammlung  der  deutschen  Gesellschaft 
für  Authi-opologie,  Ethnologie,  Urgeschichte  in  Speyer.  3.-7.  Awg.  1896.  In  der 
Leopoldina.  März  1897.  S.  46  ff. 


—     64     - 

ich  denselben  dem  unten  angeführten  Berichte  über  seine  Rede  ent- 
nehmen kann. 

Auch  Chapman  ^  hat  früher  schon,  wenn  auch  in  etwas  anderer 
Begründung,  eine  ähnUche  Ansicht  ausgesprochen:  „A  missing  link 
ought  not  to  be  expected  to  be  found;"  denn  unter  den  anthropo- 
morphen  wie  niederen  Affen,  lebenden  und  fossilen,  findet  sich  keiner, 
welcher  als  Ahne  des  Menschen  betrachtet  werden  kann,  d.  h.  wel- 
cher dem  Urmenschen  oder  dem  Uraffen  und  noch  weniger  dem  ge- 
meinsamen Vorfahren  beider  gleichen  könnte.  Alle  diese  Affen 
stammen  offenbar  von  einer  gemeinsamen  Stammform  ab,  und  ebenso 
rühren  alle  Menschenrassen  von  einem  gemeinsamen  Ahnherrn  her. 
Diese  beiden  aber,  der  Uraffe  und  der  Urmensch,  sind  wieder  einer 
gemeinsamen  Stammform  entsprossen. 

Soviel  sich  das  für  mich  verstehen  lässt,  handelt  es  sich  hier 
doch  wohl  nur  um  ein  Fechten  um  Worte?  Insofern,  als  Chapman 
sagen  will :  Unter  „missing  link"  versteht  man  eine  Übergangsform 
aus  dem ,  was  man  heute  Mensch  nennt ,  in  das ,  was  man  heute 
Affe  nennt.  Eine  solche  aber  hat  es  nie  gegeben,  sondern  Mensch 
und  Affe  sind  zwei  verschiedene,  in  uralter  Zeit  einer  gemeinsamen 
Stammform  entsprossene  Zweige.  Diese  Stammform  aber  kann  nicht 
als  missing  link  hingestellt  werden,  denn  sie  verbindet  ja  nicht  das, 
was  heute  unter  Affe  und  Mensch  verstanden  wird,  sondern  nur  jenen 
Uraffen  und  Urmenschen. 

Offenbar  kann  man  unter  den  Ausdrücken  „Übergangsform, 
missing  link,  verbindendes  Ghed"  Verschiedenes  verstehen  und  darum 
lässt  sich  streiten ,  ob  ihnen  im  vorliegenden  Falle  ein  WirkHches 
zu  Grunde  liegt.  Wir  wei'den  unter  der  gesuchten  Übergangsform 
uns  ein  Wesen  denken ,  welches  bereits  in  damaliger ,  längstver- 
gangener Zeit  eine  höhere  Organisation  besass,  als  sie  den  heute 
höchststehenden  Tieren,  den  anthropomorphen  Affen,  zukommt.  Es 
wird  das  also  ein  Wesen  sein,  welches  vor  allem  die  Merkmale  eines 
aufrechten  Ganges  an  sich  trug  und  ein ,  im  Verhältnis  zu  seiner 
Körpergrösse,  nennenswert  grösseres  Gehirn  besass,  als  diese. 

Ob  man  ein  solches  Wesen,  wenn  man  es  findet,  noch  als  Tier 
bezeichnen  wollte  oder  als  Übergangsform,  Bindeglied,  missing  link, 
das  wäre  —  so  scheint  mir  —  lediglich  Geschmackssache.  Jeden- 
falls würde  das  an  der  Sache  gar  nichts  ändern.    Es  wäre  eben  ein 


'Chapman,    On   the  structnre  of  the    gorilla.     Ebenda    1878.     Phil- 
adelphia 1879.  S.  394. 


—     65     — 

tierisches  Wesen,  weiter  zum  Menschen  hin  fortgeschritten,  als  alle 
lebenden. 

Thatsächlich  hat  E.  Dübois  nun  bereits  ein  solches  fossiles 
Wesen  gefunden:  den  Pithecanthropus ,  von  welchem  weiter  unten 
die  Rede  sein  wird.  Ich  stimme  hier  ganz  denen  bei,  welche  in 
dieser  Form  nur  einen  menschenähnlichen  Affen  sehen ;  aber  es  ist 
jedenfalls  einer,  der  höher  stand,  als  die  heutigen  Anthropomorphen, 
welcher  näher  zum  Menschen  hingeschritten  war,  als  diese.  Nun 
denke  man,  dass  sich  abermals  ein  fossiler  Anthropomorpher  fände, 
der  noch  stärker  ausgeprägte  menschliche  Eigenschaften  besässe ; 
und  dann  nochmals  einer,  bei  welchem  das  in  noch  höherem  Grade 
der  Fall  wäre ;  denn  das  sind ,  da  wir  bereits  den  Plthecanthroims 
mit  seinem  für  einen  Affen  abnorm  grossen  Gehirne  gefunden  haben, 
keineswegs  unvernünftige,  sondern  ganz  zulässige  Annahmen.  Dann 
wäre  doch  thatsächlich  die  anatomische  Scheidewand  zwischen  Mensch 
und  anthropomorphen  Affen  vollständig  überbrückt  durch  eine  Stufen- 
leiter dreier  Wesen;  und  es  wäre  ganz  gleichgültig,  ob  wir  für  alle 
drei  im  System  eine  Gruppe  der  „Übergangsformen  zwischen  Mensch 
und  Affe"  schaffen  wollten;  oder  sie  alle  drei  bei  den  Anthropo- 
morphen unterbrächten;  oder  zwei  derselben  noch  zu  diesen,  den 
dritten,  höchststehenden  aber  bereits  zu  den  Menschen  zählen  wollten. 

1.  Der  Grad  von  Monschenähnlichkeit  heute  lebender  anthropomorpher 

Affen. 

Schon  vor  fast  200  Jahren  hat  E.  Tyson  ^  das  ausgesprochen, 
was  HuxLEY  später  bewies,  indem  er  der  Reihe  nach  alle  einzelnen 
Organe  der  Affen  und  des  Menschen  miteinander  verglich : 

Dass  nämlich  die  Unterschiede  zwischen  Mensch  und  den  ihm 
nächststehenden  anthropomorphen  Affen  nicht  grösser  seien,  als  die- 
jenigen zwischen  diesen  höchstorganisierten  und  den  niedriger  stehen- 
den Affen. 

In  ähnlicher ,  etwas  schärfer  umgrenzter  Weise  drückte  sich 
dann  Häckel^  aus,  indem  er  sagte:  „dass  die  anatomischen  Ver- 
schiedenheiten ,  welche  den  Menschen  von  den  höchstentwickelten 
Katarrhinen  (Orang ,  Gorilla ,  Chimpanse)  scheiden ,  nicht  so  gross 
sind,  als  diejenigen,  welche  diese  letzteren  von  den  niedrigsten  (Meer- 
katze, Makako,  Pavian)  Katarrhinen  trennen." 

^  Orang-outang ,  sive  Homo  sylvestris.  Londres  1699.  S.  92.  Siehe  bei 
Deniker,  Eecherclies  anatomiques  et  embryologiques  sur  les  singes  anthro- 
poides.   These  presentee  ä  la  faculte  des  sciences  de  Paris.  1886.  S.  253. 

2  Häckel,  Anthropogenie.  1.  Aufl.  1872.  S.  489. 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  5 


-     66     - 

Vielfach  ist  jener  Ausspruch  Huxley's  angegriffen,  vielfach  ver- 
teidigt worden ;  aber  das ,  was  Huxley  festgestellt  hatte ,  blieb  im 
allgemeinen  zu  Recht  bestehen.  In  Bezug  auf  die  Muskiilatur  hat 
Deniker^  gezeigt,  dass  Bischof  unrecht  habe;  denn  nicht,  wie 
letzterer  wollte,  beträgt  die  Zahl  der  dem  Gorilla,  gegenüber  dem 
Menschen,  fehlenden  Muskeln  dreizehn,  sondern  nur  drei.  Dazu  ge- 
sellen sich  als  fernerer  Unterschied  zwei  Muskeln,  welche  der  Gorilla 
besitzt,  während  sie  dem  Menschen  doch  wenigstens  auch  ausnahms- 
weise zukommen.  Darauf  aber  beschränkt  sich,  nach  Deniker,  die 
ganze  Abweichung  des  Gorilla  vom  Menschen  in  Bezug  auf  die 
Muskulatur ;  und  ganz  dasselbe  gilt  nach  ihm  auch  von  den  anderen 
Anthropomorphen  bis  auf  wenige,  geringfügige  Unterschiede^. 

Auch  die  Unterschiede  hinsichtlich  der  Extremitäten  sind  nicht 
derartige,  wie  man  wohl  geltend  gemacht  hat.  Es  ist  darauf  hin- 
gewiesen worden,  dass  der  Fuss  der  Affen  auch  zum  Greifen  ein- 
gerichtet sei,  während  das  dem  Menschen  abgehe.  Nun  ist  aller- 
dings unbestreitbar,  dass  bei  ersteren  die  grosse  Zehe  etwas  mehr 
als  bei  letzteren  absteht,  indem  das  Cuneiforme  I  an  seiner  Innen- 
seite etwas  anders  beschaffen  ist.  Allein  einmal  verhalten  sich  darin, 
wie  Herve^  zeigte,  die  verschiedenen  Menschen  recht  verschieden. 
Es  finden  sich  hier  am  Abduktor  der  grossen  Zehe  alle  Übergänge 
von  der  normalen  Bildung  an,  bei  welcher  sich  der  Abduktor  erst 
ganz  unten  teilt,  bis  hin  zu  der  bei  den  Anthropomorphen  herr- 
schenden, bei  welchen  diese  Teilung  hoch  hinaufgerückt  ist.    Zweitens 


1  Ebenda.  S.  254. 

^  Chapman  kommt  am  Schlüsse  seiner  Untersuchungen  über  den  Gorilla 
(On  the  structure  of  the  Gorilla.  Proceedings  of  the  Acad.  of  nat.  sc.  of  Phil- 
adelphia. 1878.  Philadelphia  1879.  S.  384)  und  den  Chimpanse  (On  the  structiu'e 
of  the  Chimpanzee.  Ebenda  1879.  Philadelphia  1880.  S.  52—64)  zu  dem  Ergebnisse, 
dass  der  Chimpanse  dem  Menschen  ebenso  nahe  steht,  wie  der  Gorilla,  dass  aber 
beide  Anthi-opomorphe  in  gewissen  Punkten ,  nämlich  in  dem  Fehlen  gCAvisser 
Muskeln,  weniger  menschenähnlich  sind,  als  selbst  die  niederer  stehenden  Affen. 
—  In  seiner  Arbeit  über  den  Orang  (On  the  structure  of  the  Orang  ütang. 
Ebenda  1880.  Philadelphia  1881.  S.  160—175)  stellte  er  dann  fest,  dass  dieser 
wieder  in  anderen  Punkten  dem  Menschen  sich  mehr  nähert,  als  Gorilla  und 
Chimpanse  das  thun.  Während  der  Orang  nach  ihm  eng  mit  den  Gibbons  ver- 
wandt ist,  steht  der  Chimpanse  in  näheren  Beziehungen  zu  den  Makaken,  und 
die  Kluft  zwischen  diesen  letzteren  und  Semnojnthecus  wird  überbrückt  diu'ch 
Mesopithecus  aus  dem  Obermiocän. 

^  Les  pretendus  Qnadrumanes.  Bulletin  soc.  d'Anthi'opologie  de  Paris. 
1889.  S.  680—717.  Ich  citiere  die  mir  nicht  zugängige  Arbeit  nach  Schlosser 's 
Litteraturbcricht  für  Zoologie  im  Archiv  für  Anthi'opologie. 


-     67     — 

aber  steht  beim  menschlichen  Embryo  die  grosse  Zehe  immer  noch 
ziemhch  weit  ab,  ganz  wie  bei  den  Affen,  infolge  der  Beschaffenheit 
des  Cuneiforme  I.  So  sind  also  auch  in  dieser  Beziehung  Mensch 
und  Anthropomorphe  durch  keinerlei  fundamentale  Unterschiede  ge- 
trennt. Die  Hinterextremität  der  letzteren  ist  ebenso  ein  echter 
Fuss,  wie  diejenige  der  ersteren. 

Noch  geringer  sind  die  Unterschiede  bei  der  Vorderextremität. 
Die  Hand  der  Anthropomorphen  ist  von  der  menschlichen  nicht 
wesentlich  verschieden;  in  osteologischer  Beziehung  ist  sie  es  gar 
nicht.  Sogar  ein  bei  den  meisten  Affen  an  der  Hand  auftretender 
Knochen,  das  Centrale  Carpi,  welches,  dem  Naviculare  am  Fusse 
entsprechend,  der  Hand  einen  Fusscharakter  verleihen  könnte,  selbst 
dieser  Knochen  findet  sich  beim  menschlichen  Embryo.  Aber  auch 
beim  erwachsenen  Menschen  ist  er  hier  und  da  noch  erhalten. 
Oruber  hat  ihn,  wie  Leboucq  ^  anführt,  unter  5000  Fällen  15 mal 
gefunden.  Dieses  Centrale  Carpi  ist  also  hier  wie  dort  vorhanden 
und  ein  Bestandteil  der  typischen  Hand". 

Gleichfalls  durchaus  nicht  durchgreifender  Natur  ist  ein  wei- 
teres Merkmal,  welches  durch  die  aufrechte  Haltung  des  Menschen 
seine  Bedeutung  erhält.  Den  anthropomorphen  Affen  fehlt  nämlich 
am  Femur  der  sogen,  dritte  Trochanter;  ein  Vorsprung,  an  welchen 
sich  der  Musculus  gluteus  maximus  anheftet,  durch  den  die  aufrechte 
Haltung  des  Menschen  bedingt  wird.  Dieser  dritte  Trochanter  ist 
nun  aber  im  menschlichen  Geschlechte  keineswegs  gleichmässig  ent- 
wickelt, sondern  bei  den  auf  höherer  Stufe  befindlichen  Rassen  soll 
er  nach  Houze  häufiger  auftreten  als  bei  den  auf  niedrigerer  stehen- 
den. Wundersam  ist  dabei  freilich,  dass  er  am  häufigsten  sein  soll' 
bei  dem  Menschen  der  Rentierzeit  Belgiens. 

Ein  Schwanz  fehlt  im  allgemeinen  Menschen  wie  Anthropo- 
morphen. Hier  wie  dort  tritt  er  jedoch  beim  Embryo  auf  und  bleibt 
dann  ausnahmsweise  nach    der  Geburt  (Chimpanse).      Alle   mensch- 

^  Recherches  sur  la  morphologie  du  Carpe  chez  les  Mammiferes.  Arcliives 
de  Biologie  par  van  Beneden  et  van  Bambecke.  1884.  T.  5.  S.  52. 

^  Der  Regel  nach  verschwindet  es  beim  menschlichen  Embryo  von  drei 
Monaten.  Nicht,  indem  es  durch  Atrophie  verloren  ginge,  sondern  dui'ch  Ver- 
schmelzung, so  dass  man  das  Scaphoideum  betrachten  muss  als  entstanden  aus 
der  Vereinigung  des  Radiale  mit  dem  Centrale  (ebenda  S.  39  u.  78),  wie  das 
schon  Owen  aussprach. 

^  Houze,  Le  troisieme  trochanter  de  l'homme  et  des  animaux.  Bulletin 
soc.  anthropologique  de  Belgique,  Bruxelles  1893.  Ich  eitlere  nach  dem  Litte- 
laturberichte  von  Schlosser  im  Archiv  für  Anthropologie. 

5* 


—     68     - 

liehen  Embryonen  ^  besitzen  auf  solche  Weise  im  ersten  bis  dritten 
Monate  ihres  Lebens  einen  über  das  untere  Rumpfende  frei  hervor- 
ragenden Schwanz,  dessen  oberes  Ende  wirbelhaltig,  dessen  unteres 
wirbelfrei  ist,  „der  nicht  nur  äusserlich  in  Form  und  Grösse  den 
Schwanzbildungen  z.  B.  von  Säugetierembryonen  derselben  Entwicke- 
lungsstufe  völlig  gleicht,  sondern  diesen  embryonalen  Säugetier- 
schwänzen auch  völlig  homolog  ist." 

Aber  auch  bei  ganz  reifen  menschlichen  Früchten  kommen 
solche  schwanzförmigen  Anhänge  gar  nicht  selten  vor.  Sie  pflegen 
dann  sogar  nach  der  Geburt  des  Kindes  noch  erheblich  weiter  zu 
wachsen,  so  dass  sie  die  Länge  und  Dicke  eines  ausgebildeten  mensch- 
lichen Fingers  erreichen.  Dabei  können  sie  später  bisweilen  mehr 
oder  weniger  stark  behaart  werden,  und  in  seltenen  Fällen  können 
sie  sogar  leichter  Bewegungen  fähig  sein. 

Kurz,  die  Ähnlichkeit  mit  echten  Tierschwänzen  kann  eine  ganz 
auffällige  werden,  und  wie  sich  für  die  stets  vorkommenden  Schwänze 
der  menschlichen  Embryonen  die  Homologie  mit  denen  tierischer 
Embryonen  nachweisen  Hess,  so  hat  man  auch  für  diese  bisweilen 
vorkommenden  Schwänze  des  fertigen  Menschen  dargethan,  dass  sie 
homolog  sind  dem  weichen  Endstücke  des  Schwanzes  fertiger  Tiere  ^. 


*  Vergl.  W.  Waldey er,  Die  Cauclalanlmnge  des  jilensclien.  Sitzuiigsber. 
d.  Akad.  d.  Wiss.  Berlin.  Math.-naturw.  Mitth.  Berlin  1896.  Heft  7.  S.  349—358. 

^  Es  sind  unter  diesen  beim  Menschen  auftretenden  Caudalanhängen  zwei 
Gruppen  zu  unterscheiden.  Die  einen,  welche  Virchow  als  „ Wirbelschwänze " 
bezeichnet,  enthalten  Wirbel  oder  doch  Wirbelrudimente,  wobei  jedoch  niemals- 
die  Zahl  dieser  Wirbel  eine  grössere  ist,  als  sie  normal  dem  Steissbein  zukommt. 
Die  anderen,  welche  er  „weiche  Schwänze"  benannte,  entbehren  einer  solchen 
festen  Achse.  Aber,  und  die  Untersuchungen  von  Waldey  er  und  Piatnitzky 
ergänzten  diejenigen  Virchow 's,  es  zeigte  sich  doch,  dass  sich  im  Oentrum 
mancher  solcher  weichen  Menschenschwänze  ein  axialer  Strang  dahinzieht,  dem 
offenbar  eine  vertebrale  oder  spinale  Bedeutung  zukommt.  Ausserdem  liess  sich 
nachweisen,  dass  diese  weichen  Menschenschwänze  bisweilen  von  einer  grossen 
Arterie,  von  Nervenstämmchen  und  gestreiften  Muskelbündeln  durchzogen  werden. 

Von  alters  her  führen  die  weichen  Caudalanhänge  des  Menschen  den  Namen 
Caudae  suillae;  erst  durch  diese  Untersuchungen  ist  jedoch  die  Berechtigung^ 
einer  solchen  Bezeichnung  erwiesen  worden.  Bei  den  geschwänzten  Säugetieren 
nämlich  ist  das  äusserste  distale  Ende  des  Schwanzes  ebenfalls  wirbelfrei,  weich 
und  zeigt  ganz  diese  selbe  Beschaffenheit  wie  beim  Menschen ;  namentlich  bei 
dem  distalen  Ende  des  Schweineschwanzes  war  die  Übereinstimmung  eine  grosse. 

Mindestens  gewisse  Formen  dieser  weichen  Menschenschwänze  sind  also 
zweifellos  homolog  den  Tierschwänzen ;  und  ganz  dasselbe  gilt  auch  von  den 
weichen  Schwänzen,  welche  bei  schwanzlosen  Affen,  Avie  dem  Chimpanse  und  dem 
Inuus  ecaudatus  auftreten  können. 


—    69    —       - 

Bemerkenswert  ist  nun ,  wie  Deniker's  ^  Untersuchungen  am 
Fötus  von  Gorilla  und  Gibbon  feststellten,  dass  der  embryonale  Gorilla 
sogar  einen  kürzeren  Schwanz   als  der  embryonale  Mensch  besitzt  ^ 

Schon  seit  langer  Zeit  ist  die  Thatsache  anerkannt,  dass  die 
Anthropomorphen  in  der  Jugend  und  im  embryonalen  Zustande  dem 
Menschen  sehr  viel  ähnlicher  sind  als  im  erwachsenen'.  Vom  embryo- 
nalen Stadium  an  bis  hin  zum  Durchbruch  der  ersten  Milchbacken- 
zähne ,  also  etwa  bis  zum  vollendeten  ersten  Lebensjahre ,  ist  die 
Übereinstimmung  mit  dem  Menschen  eine  überraschende.  Die  Art 
der  Entwickelung  und  das  Wachstum  des  Körpers  und  seiner  Organe 
erfolgen  fast  in  derselben  Weise  wie  beim  Menschen.  Erst  mit  dem 
Erscheinen  der  ersten  Milchbackenzähne  ändert  sich  das  Bild.  Das 
Wachstum  des  Schädels  nach  vorn  und  oben  hört  beinahe  auf  und 
beschränkt  sich  auf  den  hinteren  und  unteren  Teil  desselben.  Die 
Zunahme  des  Gehirns  bleibt  von  nun  an  fast  gleich  Null,  wohl  aber 
verlängern  sich  die  Kiefer  nach  vorn  und  damit  nimmt  die  Pro- 
gnathie reissend  zu. 

Als  Embryo  fast  mit  dem  eines  Negers  zu  verwechseln,  bis 
zum  etwa  ersten  Lebensjahre  noch  sehr  menschenähnlich,  entsteht 
bei  dem  Anthropomorphen  von  da  an  schnell  die  Herausbildung  der 
Eigenschaften,  welche  diesen  vom  Menschen  unterscheiden*.  Und 
diese  unterscheidenden  Merkmale  sie  gipfeln  in  dem  Gehirn,  das  an 
Masse  und  Windungen  bei  den  Anthropomorphen  viel  geringwertiger 
ist  als  beim  Menschen. 

So  finden  wir  Beziehungen  der  anthropomorphen  Affen  in  dem- 
selben Masse  nach  oben,  zum  Menschen,  wie  nach  unten,  zu  den 
niedrigstehenden  Affen.  Lässt  man  nun,  was  doch  niemand  bestreiten 
wird,    diese  Beziehungen   als  Zeichen   von  Blutsverwandtschaft   un- 


*  Recherches  anatomiques  et  embryologiques  sur  les  singes  anthropoides. 
These  presentee  ä  la  faculte  des  sciences  de  Paris.  1886. 

^  Man  könnte  hinzufügen,  dass  auch  der  fertige  Mensch  in  seinen  4 — 5 
Caudalwirbeln  eigentlich  einen  längeren  Schwanz  habe  als  der  Chimpanse,  welchem 
nur  deren  2 — 3  zukommen,  falls  man  unter  „Schwanz-'  nicht  nur  eine  frei  aus 
dem  Körper  heraushängende,  allseitig  mit  Integument  bedeckte  Bildung  (Wal- 
deyer)  verstehen  wollte,  sondern,  wie  z.  B.  Fol  und  andere,  auch  eine  jede  im 
Fleisch  steckende  Verlängerung  der  Wirbelsäule  über  das  Kreuzbein  hinaus  (Fol, 
Sur  la  queue  de  l'embryon  humain.  Compt.  rend.  hebdom.  Acad.  d.  sc.  Paris. 
1885.  T.  100.  S.  1469—1472). 

3  Deniker,  Ebenda  S.  255, 

*  Vergl.  Teil  II  dieser  Arbeit,  „Reduktion  der  Zahnzahl  bei  Mensch  und 
Affen."     Selenka. 


—     70     — 

beanstandet  gelten  zwischen  den  höheren  und  den  niederen  Affen, 
so  wird  man  genau  ebenso  oder  noch  viel  mehr  die  Verwandtschaft 
dieser  höheren  Affen  mit  dem  Menschen  anerkennen  müssen ,  von 
dem  sie  ja  durch  geringere  Unterschiede  getrennt  sind  als  von  jenen. 
Ist  dem  aber  so,  dann  wird  auch  dem  Versuche  die  Berechtigung 
nicht  versagt  werden  dürfen,  sich  eine  Vorstellung  zu  bilden  von 
den  Wegen,  auf  welchen  etwa  der  Entwickelungsgang  des  Menschen- 
stammes verlaufen  sein  könnte,  wenn  wir  nur  dabei  nicht  vergessen, 
dass  es  sich  um  so  versteckte,  so  entfernt  von  dem  heute  liegenden 
Wege,  um  so  verwischte  Fährten  handelt,  dass  der  Verfolg  derselben 
zunächst  nur  in  einem  suchenden  Umhertasten  bestehen  kann. 

2.    Welche   Eigenschaft    könnte    vielleicht   tertiären    Anthropomorphen 
den  Anstoss  zu  höherer  Entwickelung  gegeben  haben? 

Zu  irgend  einer  Zeit  müssen  einmal  innerhalb  der  tierischen 
Vorfahren  des  Menschen  Wesen  entstanden  sein,  welche  durch  den 
Besitz  gewisser  Eigenschaften  den  Anstoss  erhielten  zu  einem  Auf- 
schwünge, der  ihre  Nachkommen  hoch  über  alle  anderen  Wesen 
erheben  sollte.  Auf  das  Nebensächliche  der  Frage  ist  bereits  im 
Vorhergehenden  (S.  64)  hingewiesen  worden ,  welchen  Namen  man 
diesen  Wesen  zu  geben  habe,  ob  man  sie  noch  als  anthropomorphe 
Affen  oder  als  Übergangsformen  bezeichnen  solle. 

Sehr  viel  wichtiger  ist  jedenfalls  die  Frage,  welche  Eigenschaft 
es  wohl  gewesen  sein  mag,  die  zuerst  den  Anstoss  zu  einem  so 
gewaltigen  Aufschwünge  gegeben  habe. 

Indem  Rütimeyer  auf  die  wilde  Menschenfratze  des  erwachsenen, 
namentlich  männlichen  Anthropomorphen  hinweist  gegenüber  dem 
so  sehr  Menschenähnlichen  des  jugendlichen  und  des  weiblichen 
Tieres,  findet  er  die  Ursache  dieser  überraschenden,  nach  abwärts 
statt  nach  aufwärts  führenden  Entwickelung  des  Individuums  in  der 
Härte  des  Kampfes  ums  Dasein  ^,  welchen  der  männliche  Anthropo- 
morphe in  seinem  Leben  zu  führen  hat.  „Und  wenn  wir  fragen, 
v/elchem  bösen  Feinde  der  so  schöne  Anfang  (d.  h.  die  grosse  Men- 
schenähnlichkeit des  jugendlichen  Menschenaffen)  unterlag,  so  müssen 
wir  uns  sagen,  dass  es  wirkhch  gutenteils  die  Not  des  Lebens,  der 
Kampf  ums  Dasein  war,  der  diese  Blüte  knickte."  Je  mehr  es 
für   ein  Tier  die  Pflicht  des  körperlichen  Lebens  ist,   die  tierischen 


^  Rütimeyer,  Die  Grenzen  der  Tierwelt.    Zwei  Vorträge.    Basel  1868 

bei  SCHWEIGHAUSER.   S.  52. 


—     71     — 

Leidenschaften  zu  kultivieren,  hart  zu  kämpfen  für  Nahrung,  für 
Fortpflanzung,  gegen  Feinde,  desto  mehr  wird  es  seine  Zähne,  seine 
Muskeln,  seine  Sinnesorgane  kräftigen  und  in  diesen  Dienst  stellen 
müssen;  und  das  alles  wird  sich  vollziehen  auf  Kosten  der  Ent- 
wickelung  des  Gehirns. 

Nicht  der  in  seinen  Folgen  allzu  viel  gepriesene  harte  Kampf 
ums  Dasein  vermochte  den  Anthropomorphen  auf  die  Höhe  des 
Menschen  zu  bringen,  sondern  umgekehrt  die  Härte  dieses  Kampfes 
war  es,  die  ihn  abhielt,  diese  Höhe  zu  erklimmen. 

Als  Prüfstein  für  die  Richtigkeit  dieses  Gedankenganges  könnte 
man  wohl  fordern  wollen,  dass  durch  Fernhalten  dieses  Kampfes,  in 
der  Gefangenschaft,  aus  dem  jugendlichen  Anthropomorphen  sich  ein 
dem  Menschen  näher  bleibendes  Wesen  erziehen  lassen  müsse.  Mit 
nichten!  Vergeblich  würde  man  diese  Leistung  vom  Individuum 
erwarten,  das  ja  in  den  Fesseln  liegt,  welche  die  vieltausendjährige 
Geschichte  seiner  Art  ihm  auferlegt.  Das  Individuum  steht  unter 
dem  Zwange  seiner  Geburt,  seiner  Abstammung,  seiner  Artahnen. 
Nur  wenn  die  Geschichte  der  ganzen  Art,  durch  viele  Tausende  und 
Abertausende  von  Jahren  hindurch ,  rückgängig  gemacht  werden 
könnte ,  würde  vielleicht  die  Knospe ,  die  in  dem  kindergleichen, 
jugendlichen  Anthropomorphen  schlummert,  zum  Treiben,  zur  Ent- 
faltung gebracht  werden  können. 

Der  Kampf  ums  Dasein  musste  also  erleichtert  sein,  wenn  die 
Möglichkeit  einer  Entwickelung  menschlicher  Wesen  aus  tierischen 
gegeben  sein  sollte.  Und  diese  Erleichterung,  sie  konnte  zunächst 
wohl  nur  bestehen  in  einer  besseren  Ausrüstung  zum  Kampfe,  durch 
welche  das  betreffende  Wesen  begünstigter  war,  als  alle  anderen 
Tiere,  durch  welche  es  in  stand  gesetzt  wurde,  sich  leichter  durchs 
Leben  zu  schlagen,  leichter  über  seine  Widersacher  zu  triumphieren 
als  diese  und  endlich  die  Herrschaft   über   alle  Tiere   zu   gewinnen. 

Fragen  wir  uns  aber,  in  welchem  Organe  wohl  diese  Zauber- 
macht gelegen  haben  mag,  so  fällt  der  Blick  auf  unsere  Hand.  Die 
vom  Staube  des  Erdbodens,  von  dem  niedrigen  Dienste  eines  Geh- 
werkzeuges befreite  Hand  musste  geboren  werden ,  aus  dem  Vier- 
füssler  musste  der  Zweifüssler  entstehen  und  der  erste  Anstoss  zu 
diesem  Wunder  war  gegeben. 

Von  verschiedener  Seite  ist  denn  auch  betont  worden,  dass 
—  wie  Dames  kurz  und  treffend  sich  ausdrückt  —  der  Mensch  zu- 
erst mit  den  Beinen  Mensch  geworden  sei;  dass  also  vor  allem 
erst   auf  zwei  Beinen    gehende  Geschöpfe    entstanden    sein   müssen, 


—     72     — 

bevor  sich  ihre  Nachkommen    überhaupt  zum  Menschen  entvvickehi 
konnten  ^ 

Das  ist  sehr  einleuchtend ;  denn  erst  von  dem  Augenbhcke  an, 
in  welchem  dieses  hypothetische  Wesen  den  aufrechten  Gang  an- 
genommen hatte,  waren  ihm  ja  die  Arme  frei  geworden  zu  selbständi- 
gem Handeln  ohne  Rücksicht  auf  die  bisherige  Verpflichtung  zur 
Unterstützung  des  Körpers  beim  Gehen.  Zu  höherer  Beschcäftigung 
konnten  sie  nun  verwendet  werden,  und  damit  erst  erhielt  das  Ge- 
hirn den  Anstoss,  nachzudenken  über  das  Wie?  dieser  Verwenduno^ 
der  Arme  und  der  Hände.  Immer  neue  und  neue  Aufgaben  er- 
wuchsen so  allmälig  dem  Gehirne,  und  im  gleichen  Schritte  mit 
diesen  Aufgaben  wuchs  die  Thätigkeit  des  Gehirnes,  bildete  dieses 
sich  aus.  Denn  alles,  was  die  Menschheit  mit  ihren  Händen  schafft 
an  Werken  des  Krieges,  der  Gewerbe,  der  Kunst,  der  Wissenschaft  — 
das  alles  konnte  ja  erst  dann  erdacht  werden  von  dem  Gehirne,  sowie 
überhaupt  Hände,  vom  Dienste  als  Gehwerkzeuge  befreit,  vorhanden 
waren,  es  auszuführen. 

Aber  noch  in  weiterer  Beziehung  führte  diese  Befreiung  der 
Arme  vom  Gehdienste  zu  einer  Befreiung  jenes  hypothetischen  Wesens: 
Noch  heute  werden  von  den  anthropomorphen  Affen  die  Arme  beim 
Gehen  und  Stehen  mit  zur  Stütze  des  Körpers  verwendet.  Dazu 
bedürfen  sie  natürlich  der  Stützpunkte  und  das  sind  die  Bäume ; 
ihr  Leben  spielt  sich  daher  notgedrungen  heute  zumeist  in  den 
Wäldern  ab.  Als  aber  jene  hypothetische  Form  ohne  Hilfe  der 
stützenden  Arme  völlig  aufrecht  gehen  gelernt  hatte,  da  war  sie 
zugleich  auch  befreit  von  den  Schranken,  welche  der  Wald  ihr  setzte, 
da  konnte  sie ,  wie  das  Schlosser  hervorhob  ^ ,  wandern  und  sich 
allerorten  über  die  Erde  ausbreiten. 

Unter  allen  Säugern  giebt  es  ausser  dem  Menschen  nur  noch  ein 
Wesen,  welchem  ein  Körperglied  zu  Gebote  steht,  das  in  der  Art  seiner 
Verwendung  eine  Analogie  zu  dem  menschlichen  Arme  darbietet:  Das 
ist  der  Elefant  mit  seinem  Rüssel.  Wie  der  Mensch  erst  durch  die 
Befreiung  seiner  Arme  zu  einer  so  gewaltigen  Entvvickelung  seines 
Gehirnes  gelangt  ist,  so  hat,  wie  Ch.  Morris  hervorhebt^,  auch  der 
Elefant  seine  unter  den  Tieren  hervorragende  intellektuelle  Entwicke- 
lung  nur  diesem,  einem  Arme  ähnlich  wirkenden  Rüssel  zu  verdanken. 

^  Vergl.  Morris  in  der  unten  angeführten  Ai'beit ;  ferner  D  a  m  e  s , 
Deutsche  Rundschau.  1896.  S.  387. 

2  Litteraturbericht  f.  d.  Jahr  1885  im  Archiv  f.  Anthropologie.  S.  289. 
^  The  making  of  man.  American  Naturalist.     Bd.  20.  1886.  S.  495. 


-     73     - 

Nehmen  wir  den  obigen  Gedankengang  als  richtig  an,  dass 
also  in  der  Erwerbung  des  aufrechten  Ganges  der  erste  Anstoss  zum 
Menschwerden  lag,  so  entsteht  sofort  die  weitere  Frage  nach  der 
Ursache  dieser  Erwerbung;  denn  irgend  ein  Grund  muss  doch  vor- 
handen gewesen  sein,  welcher  jenes  hypothetische  Wesen  veranlasste, 
seine  Arme  nicht  zur  Stütze  beim  Gehen  zu  benützen,  sondern  auf- 
recht zu  gehen. 

Ch.  Morris  hat  versucht,  hierauf  eine  Antwort  zu  geben.  Er 
glaubt  ^  diese  in  zwei  Dingen  zu  finden :  In  dem  grossen  Gewichte 
des  Körpers  und  in  der  Kürze  der  Arme,  welche  jenen  hypothetischen 
Wesen  zukamen.  Auch  heute  lebt  der  grösste  Menschenaffe,  der 
Gorilla,  vorwiegend  auf  der  Erde ;  und  das  ist  wahrscheinlich  darum 
der  Fall,  weil  sein  bedeutendes  Körpergewicht  ein  Leben  und  eine 
Fortbewegung  auf  den  Ästen  der  Bäume  erschwert.  In  gleicher 
Weise,  schliesst  Morris,  werden  jene  Menschenaffen,  aus  welchen 
der  Mensch  entsprang,  durch  die  Schwere  und  Grösse  ihres  Körpers 
veranlasst  worden  sein,  das  Leben  auf  Bäumen  aufzugeben,  welches 
ihre  Vorfahren  geführt  hatten^. 

Auf  solche  Weise,  mit  der  Übersiedelung  auf  den  ebenen  Boden, 
war  die  eine  Bedingung  gegeben,  welche  zum  aufrechten  Gange 
hinüberführte.  Aber  noch  ein  Zweites  musste  hinzukommen,  um 
einen  solchen  zu  ermöglichen  oder  gar  zu  erzwingen :  die  Kürze 
der  Arme  (1.  c.  S.  347,  348).  Bekanntlich  haben  die  heutigen  • 
menschenähnlichen  Affen  z.  T.  längere  (Gorilla,  Chimpanse) ,  z.  T. 
sogar  sehr  viel  längere  Arme  (Orang,  Gibbon)  als  der  Mensch.  Bei 
letzteren  beiden  anthropomorphen  Gattungen  reichen  sie  sogar  bis 
an  die  Knöchel  hinab.  Mehr  oder  weniger  (Gibbon)  benutzen  daher 
alle  diese  heutigen  Menschenaffen  ihre  Arme  mit  als  Gehwerkzeuge 
oder  doch  wenigstens  als  Stützen,  wenn  sie  von  ihren  Bäumen 
heruntergestiegen  sind  und  auf  dem  Boden  sich  fortbewegen.  Jene 
Affen  aber,  von  welchen  die  Entwickelung  zum  Menschen  ausging, 
schliesst  Morris,  müssen  bereits  ähnlich  kurze  Arme  gehabt  haben 
wie  der  heutige  Mensch ;  denn  so  lange  die  Arme  eine  solche  Länge 
besassen,  dass  sie  überhaupt  bequem  zum  Gehen  benutzt  werden 
konnten,  wird  das  auch  geschehen  sein.  Sowie  aber  durch  die  Kürze 
der  Arme  eine  Benützung  derselben  als  Gehwerkzeuge  sehr  erschwert, 


^  C  h.  Morris,  Frorn  brüte  to  man.  American  Naturalist.  Bd.  24.  1890. 
S.  341—350. 

^  Vergl.  im  Gegenteil  dazu  die  Ansicht  von  Kollmann  (S.  112  ff.),  welche 
umgekehrt  auf  kleine  menschliche  Ahnen  hinausläuft. 


-     74     — 

fast  zur  Unmöglichkeit  geworden  war,  wurden  ihre  Besitzer  zum  auf- 
rechten Gange  gezwungen,  sowie  sie  die  Bäume  verliessen,  um  auf 
der  Erde  zu  gehen. 

Morris  ist  überhaupt  der  Ansicht,  dass  jene  anthropomorphen 
Affen,  von  welchen  der  Mensch  seinen  Ursprung  nahm,  dem  Menschen 
im  Körperbau  bereits  sehr  ähnlich  waren,  so  dass  also  nicht  der 
Körperbau  sich  wesentlich  veränderte,  indem  aus  dem  Aifen  ein 
Mensch  wurde,  sondern  mehr  das  Gehirn. 

Durch  die  Schwere  der  Körper  zum  Aufgeben  des  Baumlebens 
veranlasst,  auf  dem  Erdboden  durch  die  Kürze  der  Arme  zum  auf- 
rechten Gange  gezwungen,  durch  diese  beiden  Umstände  zur  Be- 
freiung der  Arme  vom  bisherigen  Dienste  bei  der  Unterstützung  des 
Körpers  gelangt,  durch  diese  Befreiung  der  Arme  zu  lebhafterer 
Thätigkeit,  Entfaltung  und  Zunahme  des  Gehirnes  angeregt  —  das 
wäre  also  die  obige  Schlussfolge. 

Dieselbe  hat  etwas  Bestechendes.  Zwar  kann  man  einwerfen, 
dass  unter  den  lebenden  anthropomorphen  Affen  gerade  der  am  besten 
Aufrechtgehende,  der  Gibbon  ^,  nicht  etwa  die  kürzesten  Arme  habe, 
sondern  umgekehrt,  neben  dem  Orang,  die  längsten.  Indessen  lässt 
sich  hierauf  zweierlei  erwidern:  Einmal,  dass  der  Gibbon  vom  Auf- 
rechtgehen doch  nur  selten  Gebrauch  macht,  da  er  selten  von  den 
Bäumen  herniedersteigt.  Zweitens  aber,  dass  der  obige  Gedanken- 
gang keineswegs  behauptet,  der  etwas  grössere  oder  geringere  Grad 
des  Aufrechtgehens  hänge  von  der  etwas  geringeren  oder  grösseren 
Länge  der  Arme  ab,  stehe  zu  letzterer  direkt  in  umgekehrtem  Ver- 
hältnisse. Sondern  er  greift  nur  den  einen  extremen  Fall  auf  und 
behauptet :  Wenn  die  Arme  so  sehr  kurz  sind,  dass  ihre  Benutzung 
zum  vierfüssigen  Gehen  auf  ebener  Erde  dem  Tiere  ausgesprochene 
Unbequemlichkeiten  und  Schwierigkeiten  verursacht,  dann  wird  es 
diese  Benützung  unterlassen  und  sich  den  zweifüssigen  Gang  an- 
gewöhnen. 

Wir  werden  am  Schlüsse  dieses  Abschnittes  sehen,  wie  Cope 
auch  hinsichtlich  des  Fusses  der  Ansicht  ist,    dass  derselbe  bei  der 


^  Nach  dem  Gibbon  kommt  hinsichtlich  des  aufrechten  Ganges  wohl  der 
Gorilla;  der  Chimpanse  und  der  Orang  aber  dürften  nur  seltener  denselben  an- 
nehmen. Von  Wichtigkeit  ist  es,  dass,  wie  Ch.  Morris  (The  making  of  man. 
The  American  Naturalist.  Vol.  20.  1886.  S.  493—505)  hervorhebt,  der  Gorilla 
gerade  wenn  er  angegriffen  ist,  stets  Gebrauch  von  dieser  Fähigkeit  macht; 
denn  welch  gewaltiges  Förderungsmittcl  der  körperlichen  Entwickelung  der 
Lebewelt  im  Kampfe  liegt,  ist  ja  bekannt. 


—       (0      — 

gesuchten  Stammform  des  Menschengeschlechtes  bereits  ebenso  wie 
beim  heutigen  Menschen  ein  Gehfuss  gewesen  sei. 

Bisher  können  wir  unter  den  fossilen  Menschenaffen  kein  solches 
Wesen  nachweisen,  wie  es  Morris  im  Auge  hat.  Vielleicht,  weil  wir 
dasselbe  bisher  nur  noch  nicht  gefunden  haben.  Das  wäre  sehr  er- 
klärlich ;  denn  die  Reste  fossiler  Menschenaffen  sind  ganz  überaus 
selten.  Von  vornherein  ist  daher  die  übergrosse  Wahrscheinlichkeit 
dafür,  dass  die  Reste  gerade  eines  derartigen  Menschenaffen  über- 
haupt noch  nicht  aufgefunden  wären.  Aber  denkbar  wäre  es  doch 
immerhin,  dass  unter  den  wenigen  bisher  bekannten  fossilen  Gattungen 
anthropomorpher  Affen  sich  bereits  die  gesuchte  Form  verbergen 
könnte.  Darum  „verbergen" ,  weil  wir  diese  fossilen  Formen  erst 
mangelhaft  kennen,  und  von  denselben  noch  keine  ganzen  Skelette, 
also  namentlich  keine  zu  einem  Individuum  gehörigen  Arme,  Beine 
und  Becken  gefunden  haben,  an  welchen  man  das  Vorhandensein 
dieser  Eigenschaften  mit  Sicherheit  darthun  könnte  (vergl.  S.  13, 
Der  Oberarm  von  Dryopithecus). 

3.  Zwei  fossile  anthropomorphe  Affen  mit  gewissen,  auffallend 
menschenähnlichen  Eigenschaften. 

Dryopithecus. 

Wir  haben  gesehen,  in  wie  hochgradiger  Weise  die  Zähne  einer 
dieser  fossilen  anthropomorphen  Gattungen,  des  Dryopithecus^  denen 
des  Menschen  gleichen  (S.  51).  Diese  Ähnlichkeit  ist  grösser,  als 
bei  irgend  einer  anderen  lebenden  oder  fossilen  Gattung  der  anthropo- 
morphen Affen.  Ja,  sie  ist  so  überraschend  gross,  dass  seiner  Zeit 
von  Autoritäten  auf  diesem  Gebiete  die  isolierten  Zähne  unseres 
schwäbischen  Dryopithecus  für  echte  Menschenzähne  erklärt  wurden 
(S.  17)  und  dass  auch  mir  während  ihrer  Untersuchung  immer 
wieder  aufs  neue  die  Frage  auftauchte,  ob  ich  nicht  Menschenzähne 
vor  mir  habe.  Der  Gedanke  liegt  daher  ziemlich  nahe,  ob  wir  nicht 
in  diesem  Dryopithecus  eine  solche  Form  gefunden  haben  könnten, 
welche  nicht  nur  im  Gebiss,  sondern  auch  in  dem  aufrechten 
Gange  und  der  Kürze  ihrer  Arme,  kurz  im  ganzen  Körperbau,  dem 
Menschen  ähnlicher  gewesen  ist,  als  irgend  eine  andere  der  lebenden 
und  fossilen  Gattungen  der  Anthropomorphen.  So  ähnlich,  dass 
man  sie  als  den  Ausgangspunkt  des  Menschengeschlechtes  betrachten 
könnte. 

Dieser  Gedanke  lag  um  so  näher,  als  auch  von  Lartet,  welcher 
seiner   Zeit    einen   Unterkiefer    des   Dryopithecus   in  Frankreich   ge- 


—     76     — 

fanden  hatte  \  auf  Grund  der  Zahngestalt,  der  (vermeinthchen)  Kürze 
der  Schnauze,  der  Steilheit  der  Kinnlinie  und  des  späten  Erschei- 
nens der  Weisheitszähne,  dem  DryopitJieciis  die  erste  Stelle  in  der 
Reihe  aller  lebenden  wie  fossilen  Menschenaffen  zuerkannt  worden 
war.  Diese  Auffassung  wurde  allgemein  geteilt;  und  als  man  nun 
vollends  in  Frankreich  bei  Thenay  ^  in  tertiären  Schichten  P'euerstein- 
splitter  gefunden  hatte,  welche  ganz  den  Eindruck  erweckten,  dass 
sie  vom  Menschen  geschlagen  worden  seien,  während  doch  ein  Mensch 
in  tertiären  Schichten  noch  nicht  mit  Sicherheit  bekannt  ist  —  so 
war  es  erklärlich,  dass  man  den  Dryopithccus  mit  denselben  in  Ver- 
bindung zu  bringen  versuchte.  Daher  sprach  Gaudry  früher  einmal 
die  Ansicht  aus  ^,  falls  die  Splitter  nicht  natürlich,  sondern  wirklich 
künstlich  geschlagen  wären,  so  sei  die  einfachste  Annahme  die,  dass 
Dryopithecus  dieselben  erzeugt  habe.  In  ähnlicher  Weise  äusserte 
sich  auch  Mortillet,  indem  er  derartige  Feuersteine  und  Holzkohlen 
im  Tertiär  auf  irgend  einen  hypothetischen  Menschenähnlichen  zurück- 
führte ^ 

Gegenüber  solchen  Deutungen  machte  Zittel  geltend,  dass  sich 
diese  Feuersteinsplitter  durch  nichts  von  den,  durch  meteorologische 
Einflüsse  auf  natürlichem  Wege  zersprungenen  unterscheiden,  welche 
z.  B.  den  Boden  der  libyschen  Wüste  meilenweit  bedecken'^. 

Aber  zugleich  war  auch  schon  Gaüdry,  auf  Grund  eines  zweiten, 
besser  erhaltenen  Unterkiefers  von  Dryopithecus,  den  man  in  Frank- 
reich fand  (S.  13),  zu  einer  Ansicht  gelangt,  welche  der  von  Lartet 
begründeten  direkt  widersprach.  So  wurde  denn  Dryopithecus  aus 
seiner  herrschenden  Stellung  unter  den  Anthropomorphen  völlig  ge- 
stürzt. Hatte  er  bisher  für  den,  dem  Menschen  ähnlichsten  der- 
selben gegolten,  so  erklärte  ihn  Gaudry  nun  für  den,  dem  Menschen 
unähnlichsten.  Aus  der  ersten  Stelle  der  Reihe  kam  er  an  die  letzte. 
Hatte  man  früher  die  Reihenfolge  mit  ihm  dicht  hinter  dem  Menschen 
eröffnet,  so  ordnete  Gaudry  nun  umgekehrt  die  Anthropomorphen  in 
dieser  Weise : 

Chimpanse,  Orang — Gibbon — Pliojntheciis,  Gorilla,  Dryopithecus, 

1  Compt.  rend.  Acad.  Paris.  T.  43.  28.  Juli  1856. 

^  Loire  et  Cher. 

^  Enchainements  du  monde  animal.     Paris  1878.  S.  241. 

*  Mortillet,  La  prehistorique  antiquite  de  rhomrne.  Bibliotheriue  des 
Sciences  contemporaires.  Vol.  L  Paris  1883.  Ich  eitlere  nach  dem  Referat  von 
Schlosser  im  Litteraturbericht  f.  Zoologie  f.  d.  Jahr  1884  im  Archiv  für  An- 
thropologie. 

^  Handbuch  der  Palaeontologie.    München  1893.  Bd.  IV.  S.  719. 


—      77     — 

ZiTTEL  ^  pflichtete  diesem  vernichtenden  Urteile  Gaüdry's  bei. 
Schlosser^  dagegen  hielt  die  LARTEi'sche  Ansicht  aufrecht,  dass 
Dnjopithecus  infolge  seiner  Zahnform  in  der  That  der  menschen- 
ähnlichste unter  den  Anthropomorphen  sei,  wenn  er  auch  durchaus 
den  Gedanken  zurückwies,  dass  er  der  Stammvater  des  Menschen 
sein  könne.  Auch  Pohlig,  indem  er  den  Eppelsheimer  Oberarm  dem 
Bnjopitliecns  zuschrieb  (s.  S.  15),  erklärte  sich  wegen  der  Beschaffen- 
heit dieses  Knochens  für  grösste  Menschenähnlichkeit  der  Gattung, 
während  wiederum  E.  Dubois  dem  schroff  widersprach. 

Unter  solchen  Umständen  wird  es  angezeigt  sein,  auf  diese  Ver- 
hältnisse näher  einzugehen.  Ich  will  daher  zunächst  die  von  Schlosser 
gegebene  Begründung  dieses  seines  Urteiles  darlegen  und  dasselbe 
sodann  mit  der  von  Gaüdry  gegebenen  thun,  welcher  im  Gegenteil 
diesen  Anthropomorphen  seiner  grossen  Menschenähnlichheit  ent- 
kleidet. In  jedem  der  beiden  Fälle  sollen  darauf  die  Gegengründe 
geltend  gemacht  werden,  welche  abschwächend  wirken  können. 

Wenn  Schlosser  den  Gedanken  verneint,  dass  man  in  Bryo- 
pithecus  eine  Ausgangsform  des  Menschengeschlechtes  erblicken  könne, 
so  stützt  er  sich  hierbei  auf  die  folgenden  Verhältnisse : 

Die  Kaufläche  der  Molaren  dieses  Affen  zeigt  eigentümliche 
Schmelzleisten  (S.  34,  42),  welche  sich  stets  beim  Chimpanse  und  Orang 
und  bisweilen  beim  Menschen  wiederfinden  (S.  28).  Diese  Leisten  sind 
nun  aber  bei  dem  Chimpanse  und  Orang  sehr  zahlreich  und  scharf, 
beim  Menschen  (Taf.  1  Fig.  5)  recht  selten,  während  sie  bei  Brijo- 
pithecus  eine  Mittelstellung  einnehmen  (Taf.  II  Fig.  9, 10).  Nun  ist  diese 
auffallende  Eigenschaft  der  Zähne  zweifelsohne  nicht  etwas  von  ur- 
alten Zeiten  her  Ererbtes,  sondern  ein  erst  im  Laufe  der  geo- 
logischen Zeiten  Entstandenes,  das  wir  bei  Dryopithecus  zum  ersten 
Male  unter  den  anthropomorphen  Affen  beobachten.  Diese  Eigen- 
schaft hat  sich  dann,  nach  Schlosser,  weiter  vererbt  und  gesteigert; 
wenigstens  finden  wir  sie  in  sehr  starker  Ausbildung  bei  dem  Chim- 
panse und  Orang,  so  dass  man  wohl  meinen  möchte,  dass  diese 
Gattungen  ihre  Leisten  von  Dryopithecus  ererbt  haben,  also  seine 
Nachkommen  seien.  Dahingegen  kann,  so  folgert  Schlosser,  schwer- 
lich der  Mensch  ein  Nachkomme  des  Dryopithecus  sein ;  denn  dann 
müsste  ja  auch  beim  Menschen  diese  Eigenschaft  eine  weitere  Steige- 


^  Handbuch  der  Palaeontologie.  Bd.  4.  S.  710. 

2  Die  Affen,  Leninren,  Chiropteren,  Insectivoren  und  Fleischfresser  des 
europäischen  Tertiärs.  Beiträge  zur  Palaeontologie  Österreich-Ungarns.  Wien 
1887.  S.  288. 


—     78     — 

rung  erfahren  haben,  wogegen  gerade  umgekehrt  diese  Leisten  beim 
europäischen  Menschen  selten  und  auch  bei  niederer  stehenden  Völ- 
kern  immer   noch  seltener  entwickelt  sind,    als  beim  Dryopitheciis. 

Eine  solche  Folgerung  hat  vieles  für  sich.  Indessen  kann  man 
dagegen  mehreres  geltend  machen:  Einmal  nämlich  kommen  aller- 
dings beim  heutigen  Menschen  solche  Leisten,  wenn  auch  nicht 
gerade  sehr  selten ,  so  doch  immerhin  nur  als  aussergewöhnliche 
Bildung  vor.  Aber  gerade  der  Umstand,  dass  diese  Leisten  bei  den 
wilden  Völkern  verhältnismässig  häufiger  auftreten,  als  bei  den  Kultur- 
lassen  des  Menschen,  spricht  —  falls  er  wirklich  genau  richtig  ist 
(S.  29)  ■ —  dafür,  dass  diese  Eigenschaft  jetzt  allmälig  verloren 
geht,  dass  sie  also  bei  dem  Menschen  längstvergangener  Zeiten  viel 
häufiger  gewesen  sein  dürfte. 

Nun  darf  man  natürlich  in  dieser  Hinsicht  unseren  Dryopitheciis^ 
welcher  der  miocänen  Epoche  angehört  (S.  16),  nicht  vergleichen 
mit  dem  heutigen  Menschen ,  sondern  nur  mit  demjenigen  tertiärer 
Zeiten  (s.  später).  Ist  es  aber  wahrscheinlich,  dass  diese  ältesten  Ver- 
treter des  Menschengeschlechtes  derartige  Zahnleisten  allgemein  be- 
sessen haben,  so  würde  gerade  das  Umgekehrte  von  dem  sich  er- 
geben ,  was  Schlosser  folgert :  Es  würden  diese  Leisten  nicht  ein 
trennendes  Merkmal,  sondern  ein,  dem  ältesten  Menschen  und  dem 
Dryopitheciis  gemeinsames  Band  bilden,  welches  somit  gerade  um- 
gekehrt für  die  Abstammung  des  Menschen  vom  Dryopitheciis  spräche. 

Einem  solchen  Gedankengange  würde  man  allerdings  wiederum 
einwerfen  dürfen,  dass  diese  Bildung  der  Zahnleisten  sich  dann  ja 
bei  dem  einen  Nachkommen  des  Dryopitheciis ,  dem  Menschen,  all- 
mälig verringert,  bei  den  anderen  Nachkommen,  dem  Chimpanse 
und  Orang,  dagegen  allmälig  verstärkt  haben  würde,  was  nicht 
sehr  wahrscheinlich  wäre.  Indessen  ganz  unmöglich  wäre  das  doch 
nicht;  denn  warum  sollte  nicht  irgend  eine  Eigenschaft  einer  Stamm- 
form sich  bei  dem  einen  Zweige  derselben  abschwächen,  bei  dem 
anderen  Zweige  dagegen  verstärken,  wenn  die  Bedingungen,  welche 
das  bewirken ,  hier  wie  dort  entgegengesetzte  sind  ^.  Gerade  wenn 
wirklich  bei  den  Kulturrassen  des  Menschen  diese  Leisten  seltener 
vorkommen,  als  bei  den  wilden  Völkern,  so  könnte  man  das  viel- 
leicht so  erklären,  dass  durch  die  bei  den  Kulturrassen  des  Menschen 
stattfindende  weichere  Zubereitung  der  Speisen,   also  durch  das  in- 


*  Vergl.   „Über   die  Ursachen   der  Zahnreduktionen  und  Zahnformen"   in 
Teil  n  dieser  Arbeit. 


—     79     — 

folge  davon  sehr  herabgeminderte  Kaugeschäft,  die  Leisten  sich  ver- 
mindern. Wogegen  sie  umgekehrt  dann  bei  mangehider  Zubereitung 
der  Speisen  und  dadurch  sehr  vermehrtem  Kaugeschäfte  sich  ver- 
mehren müssten,  was  ihre  Bildung  bei  Orang  und  Chimpanse  er- 
klären würde. 

Es  Hesse  sich  aber  auch  zweitens  geltend  machen,  dass  das 
Vorhandensein  der  Leisten  bei  Orang  und  Chimpanse  durchaus  nicht 
notwendig  einen  Beweis  genetischer  Beziehungen  zwischen  ihnen  und 
Bryopitheciis  gewähren  müsse.  In  Taf.  I  Fig.  8,  9  ist  der  Molar 
eines  den  Anthropomorphen  ganz  fernstehenden,  platyrrhinen  Schweif- 
affen, einer  Pithecia  aus  Brasilien,  besprochen  und  dargestellt  worden, 
welcher  trotzdem,  und  zwar  ganz  ausnahmsweise  unter  den  Affen, 
in  hohem  Masse  diese  Leisten  besitzt.  Offenbar  hat  diese  Affen- 
gattung die  Leisten  doch  ganz  unabhängig  von  Dryopitheciis  er- 
worben ;  es  könnte  daher  auch  bei  Chimpanse  und  Orang  das  Gleiche 
immerhin  möglich  sein.  Dasselbe  gilt  aber  auch  vom  Menschen; 
kurz,  diese  Schmelzleisten  dürfen  wohl  nur  mit  Vorsicht  für  ver- 
wandtschaftliche Spekulationen  verwendet*  werden. 

Ob  aber  Schlosser  nicht  trotzdem  das  Wahrscheinlichere  ge- 
troffen hat,  wenn  er  meint,  dass  Dryopitheciis  der  Vorfahr  von  Chim- 
panse und  Orang  sei,  dagegen  mit  dem  Menschen  durch  kein  engeres 
Band  verknüpft  würde,  das  ist  freilich  eine  andere  Frage.  Immerhin 
sind  diese  Leisten  bei  Orang  und  Chimpanse  so  viel  stärker  als  bei 
Dryopitheciis  ausgebildet,  sind  infolgedessen  die  Höcker  ihrer  Zähne 
so  sehr  viel  geringer  entwickelt,  als  bei  letzterem,  dass  man  un- 
bestritten behaupten  kann: 

Die  Zähne  des  Dryo2)ithecus  sind,  was  Leisten  und 
Höcker,  also  allgemeine  Gestalt,  anbetrifft,  denen  des 
Menschen  weit  ähnlicher,  als  denen  des  Chimpanse  und 
Orang.  Soweit  daher  allein  auf  Grund  der  Zahngestalt 
die  grössere  oder  geringere  Verwandtschaft  zweier 
Tierformen  überhaupt  festgestellt^  werden  dürfte,  könnte 
man  in  vorliegendem  Falle  sagen,  dass  Dryopithecns 
dem  Menschen  näher  verwandt  ist,  als  dem  Orang  und 
Chimpanse,  dass  folglich  Dryopitliecus  auch  in  der 
Reihe  der  menschenähnlichen  Affen  die  vorderste  Stel- 


^  Es  kann  die  Ähnlichkeit  der  Zahnform,  ebenso  wie  die  Ähnlichkeit  anderer 
Bildungen,  unter  Umständen  bekanntlich  sehr  irre  führen,  indem  sie  zwei  ver- 
schiedenen Tiergruppen   nicht   durch  Erbschaft  des  einen  vom  anderen,   sondern 


durch  selbständigen  Erwerb  überkommen  ist. 


—     so- 
lang, hinter  dem  Menschen,  erhalten  müsste.   Diesen  letzteren 
Teil  des  Schlusses  spricht  übrigens  Schlosser,  wie  wir  sahen,  in  der- 
selben Schärfe  aus ;  nur  den  ersteren  aber  verneint  er. 

Bei  solcher  Betrachtungsweise  ergiebt  sich  aber  sogleich  eine 
Schwierigkeit.  Wir  fanden  (S.  51),  dass  die  Zähne  des  Dryopitheciis 
denen  des  Gibbon  ebenfalls  ausserordentlich  ähnlich  sind ;  dass  mithin 
beide,  Dri/opithecus  wie  Gibbon,  Molaren  besitzen,  welche  den  mensch- 
lichen ähnlicher  sind,  als  die  der  anderen  Anthropomorphen. 

Nun  gilt  aber  der  Gibbon  —  trotz  dieser,  übrigens  bisher  wohl 
wenig  beachtet  gewesenen  grossen  Menschenähnlichkeit  im  Gebisse 
und  trotzdem  er  mehr  und  besser  aufrecht  geht,  als  die  übrigen 
Anthropomorphen  —  dennoch  wegen  anderer  Eigenschaften  als  der 
dem  Menschen  am  fernsten  stehende  Menschenaffe.  Folglich  müsste 
ein  gleich  vernichtendes  Urteil  auch  den  Dnjopltliecus  treffen  — 
falls  man  nicht  etwa  den  Gibbon ,  wie  von  vereinzelten  Forschern 
geschehen  ist,  doch  für  eine  dem  Menschen  sehr  nahestehende  Form 
erklären  wollte. 

So  sehr  bestechend  es  daher  auch  sein  möchte,  auf  Grund  der 
Zahnform  den  Grad  der  Verwandtschaft  auch  dieser  Tiere  festzu- 
stellen ,  so  zeigt  sich  doch ,  dass  notwendig  auch  andere  Merkmale 
zu  berücksichtigen  sind.  Wir  wollen  daher  jetzt  die  Gründe  be- 
sprechen ,  welche  eine  Autorität  wie  Gaüdry  bewogen ,  trotz  dieser 
dem  Menschen  so  ähnlichen  Zahnform  den  Dryopithecus  gerade  um- 
gekehrt für  den  am  wenigsten  menschenähnlichen  der  anthropo- 
morphen Affen  zu  erklären.  Ich  werde  auch  hier  einem  jeden  der 
von  Gaudry  geltend  gemachten  Gründe  das  entgegenhalten,  was  sich 
denselben  einwerfen  lässt. 

Das  Hauptgewicht  legt  Gaudry  bei  der  Beurteilung  dieser  Frage 
auf  die  Länge  der  Schnauze,  welche  Dryopitheciis  gehabt  hat;  also 
auf  das  grössere  oder  geringere  Mass  seiner  Prognathie.  Diese  er- 
achtet er  als  massgebend  für  die  grössere  oder  geringere  Menschen- 
ähnlichkeit, also  für  die  Stellung  der  betreffenden  Gattung  in  der 
Reihe  der  Anthropomorphen.  Lartet  hatte  gelehrt,  dass  Dryopitheciis 
eine  ganz  besonders  kurze  Schnauze  gehabt  habe.  Gaudry  schliesst 
auf  das  gerade  Gegenteil,  und  zwar  unter  der  folgenden  Begründung: 

Mit  längeren,  d.  h.  stärker  vorspringenden,  Kiefern  geht,  ceteris 
paribus,  Hand  in  Hand  eine  längere  Zahnreihe,  da  diese  ja  die  Kiefer 
erfüllt.  Das  spricht  sich  besonders  aus  in  der  Länge  des  Raumes, 
welchen  in  der  Zahnreihe  die  Prämolaren  und  der  Eckzahn  ein- 
nehmen.   Dieser  Raum  ist  beim  Menschen  viel  kürzer  als  selbst  beim 


-     81     — 

jungen  Menschenaffen ,  der  doch  noch  weit  menschenähnHcher  ist, 
als  der  erwachsene.  In  noch  viel  besserer  Weise  aber  lässt  sich 
nach  Gaüdry  der  grössere  oder  geringere  Grad  dieser  Prognathie  er- 
kennen aus  dem  Verhältnis  zwischen  Länge  und  Breite  der  ganzen 
Zahnreihe.  Ich  werde  weiter  unten  diese  Zahlen  wiedergeben  und 
will  hier  nur  vorgreifend  bemerken,  dass  Dryopithecus,  gegenüber  der 
Breite  seiner  Zahnreihe,  die  grösste  Länge  der  letzteren  besitzt. 

In  solcher  Weise,  so  schliesst  Gaüdry,  erkennt  man  am  besten, 
dass  Dryopithecus  eine  längere  Schnauze  hatte,  als  irgend  ein  anderer 
der  Anthropomorphen.  Allerdings  hatte  Lartet  aus  dem  zuerst  ge- 
fundenen Unterkiefer  seiner  Zeit  gerade  das  Umgekehrte  gefolgert. 
Indessen  hob  Gaüdry  hervor,  dass  dieser  erstgefundene  Kiefer,  wie 
aus  dem  Fehlen  jeglicher  Abnutzung  an  den  Zähnen  hervorgeht,  von 
einem  jugendlichen  Tiere  herrühre ;  und  solche  sind  bei  den  Affen 
stets  menschenähnlicher  als  die  alten ;  wogegen  der  letztgefundene 
Kiefer  einem  alten  Tiere  gehöre.  So  ist  denn  beim  jungen  Anthropo- 
morphen auch  die  Schnauze  verhältnismässig  weniger  vorspringend 
als  beim  alten.  Zudem  war  noch  bei  dem  erstgefundenen,  jugend- 
lichen 'Kiefer  das  vordere  Ende  abgebrochen,  daher  eine  Restauration 
Irrtümern  ausgesetzt,  welchen  Lartet  unterlag,  während  Gaüdry  die- 
selben vermied. 

Auch  Milne-Edwards  ^  schloss  sich  dieser  Auffassung  Gaudry's 
an,  indem  er  ausführte,  die  Prognathie  sei  bei  diesem  Affen  so  stark, 
dass  man  weit  eher  auf  einen  Quadru-  als  einen  Bipeden  schliessen 
müsse.  Der  Unterkiefer  nähere  sich  mehr  demjenigen  des  Gorilla, 
als  dem  irgend  eines  anderen  Anthropomorphen. 

Man  kann  nun  aber  das  Mass  der  Prognathie  auch  in  der  Weise 
bestimmen,  dass  man  Breite  und  Länge  nicht  des  Gebisses,  sondern 
des  Kiefers  misst.  Es  ist  nämhch  Bonwill  durch  die  unten  näher 
erläuterten  Messungen  an  mehr  als  200  Schädeln  von  Menschen  zu 
dem  Satze  gelangt,  dass  der  normale  menschliche  Schädel  in  seinen 
Kiefern  ein  gleichseitiges  Dreieck  darbietet,  und  A.  Gysi^  hat  diese 
Untersuchungen  noch  weiter  geometrisch  konstruierend  verfolgt. 
Wenn  Bonwill  freilich  diese  seine  Entdeckung  in  eine  Parallele 
bringt  mit  der  Entdeckung  des  Gravitationsgesetzes,  so  dürfte  das 
wohl  zu  viel   sein   und   nicht   anerkannt   werden.     Davon    aber    ab- 


1  Compt.  rend.  hebd.  Acad.  d.  sc.  Paris  1890.  T.  110.  S.  373. 

^  Vergl.  in  A.  Gysi,  Die  geometrische  Konstruktion  eines  menschlichen 
oberen,  bleibenden,  normalen  Gebisses  mittlerer  Grösse.  Schweizerische  Viertel- 
jahrsschrift für  Zahnheilkunde.   Bd.  5.  No.  1.   1895.  18  S.   1  Taf.   Sonderabzug. 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde   in  Württ.  1898.  6 


—     82     — 

gesehen  gelangte  er  zu  den  folgenden  Ergebnissen   hinsichtlich   des 
Menschen : 

Am  Unterkiefer  ist  die  Entfernung  zwischen  den  Mittelpunkten 
der  beiden  Gelenkköpfe  des  Kiefers  stets  gleich  der  Entfernung  von 
jedem  dieser  beiden  Mittelpunkte  bis  zu  dem  Berührungspunkte  der 
Schneidekanten  der  beiden  mittleren  unteren  Incisiven. 

Ebenso  ist  am  Oberkiefer  die  Entfernung  zwischen  den  Mittel- 
punkten der  zwei  Gelenkpfannen  an  der  Schädelbasis  stets  gleich  der 
Entfernung  von  jedem  dieser  beiden  Mittelpunkte  bis  zu  dem  Be- 
rührungspunkte der  Schneidekanten  der  beiden  mittleren  oberen 
Incisiven. 

Kurz  gesagt:  Im  Ober-  und  im  Unterkiefer  ist  je  ein  gleich- 
seitiges Dreieck  gegeben  durch  die  folgenden  drei  Punkte :  1 .  Be- 
rührungspunkt der  Schneidekanten  der  beiden  mittleren  Incisiven. 
2.  und  3.  Die  beiden  Mittelpunkte  der  Gelenkpfannen  im  Oberkiefer 
bezw.  der  Gelenkköpfe  im  Unterkiefer.  Dabei  ergab  sich,  dass  die 
Seite  dieses  gleichseitigen  Dreieckes  im  Durchschnitt  genau  100  mm 
lang  ist;  sie  schwankte  bei  den  verschiedenen  Rassen  zwischen  92 
und  108  mm. 

Da  mir,  wie  in  der  Anmerkung  gesagt,  die  bei  uns  seltenen 
Zeitschriften  nicht  erreichbar  waren,  in  denen  diese  Arbeit  veröffent- 
licht wurde,  so  kann  ich  nicht  sagen,  an  welchen  Menschenrassen 
Bonwill  seine  Messungen  angestellt  hat  und  ob  oder  mit  welcher 
Einschränkung  auf  gewisse  Rassen  er  sein  Gesetz  feststellt.  Jeden- 
falls aber  hat  er  dasselbe  nur  für  möglichst  orthognathe  Schädel 
geltend  gemacht;  denn  meine  unten  folgenden  Messungen  zeigen, 
dass  das  gleichseitige  Dreieck  sich,  wie  ja  selbstverständlich,  sofort 
in  ein  gleichschenkeliges  verwandelt,  bei  welchem  die  Basis  kürzer 
ist  als  jede  der  beiden  anderen  Seiten,  sowie  man  Neger  untersucht. 
Interessant  ist,  dass  diese  Neger  sämtlich  stärker  prognath  sind  als  der 
gleichfalls  gemessene  weibliche  Kretin,  obgleich  ich  nur  solche  Neger- 
schädel auswählte,  bei  welchen  die  Zähne  möglichst  senkrecht  standen. 
Andernfalls,  bei  schräger  Stellung  der  Zähne,  wird  die  Prognathie 
scheinbar  noch  viel  grösser,  als  sie  dem  Kieferbau  nach  wirklich  ist, 
d.  h.  das  gleichseitige  Dreieck  wird  noch  spitzer. 


Gysi  citiert  hier  die  mir  nicht  zugängliche  Arbeit  BonwilTs:  American  Sj'St. 
of  Dent.  Surv.  Vol  11,  p.  487.  In  dem  mir  gleiclifalls  nicht  zugänglichen  Lippin- 
cott's  Magazine,  August  1890,  gebraucht  Bomvill  in  „Why  I  deny  evolution"  den 
Vergleich  mit  dem  Gravitationsgesetz,  wie  ich  dem  Aufsatze  von  C aha  11  entnahm: 
The  teeth  as  evidence  of  evolution.  American  Naturalist.  Bd.  24.  1890.  S.  224  ff. 


-     83     — 

Ich  messe  die  Seiten  des  Dreiecks  so  wie  Bonwill  und  ver- 
stehe in  der  folgenden  Tabelle  unter  „Breite"  die  Entfernung  zwischen 
den  oben  unter  2.  und  3.  angegebenen  Mittelpunkten  der  Gelenk- 
köpfe, bezw.  Pfannen,  und  unter  „Länge"  die  Entfernung  dieser 
Mittelpunkte  von  der  in  1  angegebenen  Berührungsstelle  der  mitt- 
leren Incisiven.  Bei  diesen  Messungen  ist  die  „Breite"  stets  am 
Unterkiefer  genauer  bestimmbar  als  am  Oberkiefer,  da  sich  von  den 
Gelenkköpfen  der  Mittelpunkt  leichter  finden  lässt  als  von  den  Ge- 
lenkpfannen. Ich  habe  daher  für  den  Oberkiefer  stets  die  am  Unter- 
kiefer genauer  gemessene  „Breite"  eingesetzt,  wenn  ich  auch  am 
Oberkiefer  eine  ein  wenig  abweichende  „Breite"  mass.  Die  „Länge" 
der  Dreiecksseite  am  Oberkiefer  ist  dagegen  meist  wirklich  eine 
etwas  grössere  als  die  am  Unterkiefer,  weil  die  oberen  Zähne  über 
die  unteren  oft  übergreifen. 

Ich  wende  mich  nun  zuvörderst  zu  den  oben  erwähnten, 
von  Gaudry  gegebenen  Zahlen  für  Breite  und  Länge  des  Gebisses 
von  Anthropomorphen  und  Menschen.  Des  leichteren  Überblickes 
wegen  hebe  ich  die ,  gegenüber  der  Breite  verhältnismässige  Länge 
des  Gebisses  durch  fetten  Druck  hervor. 

Breite    Länge  Breite  :  Länge  des  Gebisses 
mm  mm  = 

Bryopithecus 40  71  100  :  177 

Gorilla 60  100  100  :  166 

Orang 59  85  100  :  144 

Chimpanse 52  70  100  :  134 

Sogen.   Hottentotten-Venus  56  55  100  :    98 

Um  aber  zu  prüfen ,  ob  und  wie  weit  etwa  diese  Verhältnis- 
zahlen bei  einer  und  derselben  Gattung  variieren  könnten,  habe  ich 
die  folgenden  Messungen  an  Unterkiefern  gemacht,  wobei  möglichst 
in  mittlerem  Lebensalter  stehende,  also  mit  nur  massig  abgenutztem, 
vollzähligem  Gebiss  versehene  Schädel  genommen  wurden.  Da  die 
Länge  des  Gebisses  so  sehr  von  der  senkrechten  oder  schrägen 
Stellung  der  Schneidezähne,  wie  auch  von  der  Art  der  Messung 
beeinflusst  wird,  so  müssen  notwendig  Unterschiede  gegenüber  Gaudry's 
Angaben  entstehen.  Auf  diese  Unterschiede  kommt  es  daher  hier 
nicht  an,  sondern  nur  auf  die  Variabilität. 


—     84 


Breite  Länge  Breite  :  Länge  des  Gebisses 

mm  mm  = 

Orangi 62  100  100  :  161  (150  im  Oberkiefer) 

„     '' 59,5  86,6  100  :  145 

„     " 58,6  83  100  :  141 

Gorilla^ 67,4  98,7  100  :  146 

r>      ' 64,8  93',6  100  :  144|  Nur  bis  an  den 

„       "^ 68,4  96,9  100:  14lUlveolai'rand  der 

„      ' 70,0  98,5  100 :  140  J   Incisiven  gem. 

Chimpanse» 52,4         70,0         100:134 

]  Nl^r  bis  an  den 

^ 60,0         76,8         100  :  128  Alveolarrand  der 

j   Incisiven   gem. 

Hylohates  Uuciscus^'^      30,5         38,3         100:125,5 

Aus  diesen  Zahlen  geht  hervor,  dass  bei  den  von  mir  gemesse- 
nen Schädeln  Orang  und  Gorilla  ungefähr  dasselbe  Längen-Breiten- 
Verhältnis  im  Gebiss  besitzen,  so  dass  der  Längenindex  bei  beiden 
ungefähr  zwischen  146 — 140  schwankt.  Einen  Unterschied,  wie 
Gaudry  ihn  zu  Gunsten  bezw.  Ungunsten  des  Gorilla  feststellte,  zeigen 
mithin  die  von  mir  gemessenen  Schädel  nicht.  Diese  Verhältnisse 
scheinen  also  zu  variieren. 

Aber  ganz  wie  bei  Gaüdry,  so  folgt  auch  bei  mir  Chimpanse 
erst  hinter  Orang  und  Gorilla,  und  zwar  mit  einem  Längenindex 
von  nur  134—128. 

Hinter  Chimpanse  kommt  dann  Gibbon  mit  125,5. 

Es  würde  sich  daher  hinsichtlich  der  verhältnismässigen  Länge 
des  Gebisses  die  folgende  Reihe  ergeben : 

Mensch ;  Gibbon  ;  Chimpanse ;  Orang — Gorilla. 

Nachdem  wir  so,  um  einen  Ausdruck  für  den  Grad  der  Pro- 
gnathie zu  gewinnen,  die  Länge  des  Gebisses  in  Beziehung  zur  Breite 
desselben  gebracht  haben,  wollen  wir  den  Grad  der  Prognathie  doch 
auch  noch  nach  der  von  Bonwill  aufgestellten  Art  der  Messung  be- 
stimmen ,  indem  wir  Länge  und  Breite  des  Kiefers  verschiedener 
Formen  miteinander  vergleichen  (s.  S.  81), 

^  No.  337,  Stuttgarter  Sammlung. 

*  No.  4876,  Berliner  landwirtschaftliche  Hochschule. 
3  No.  5021,         „ 

*  No.  4119,  Greifswalder  zoologische  Sammluug. 
«No.  4118, 

'  No.  4116, 
'  No.  4117, 

^  No.  4486,  Berliner  landwirtschaftliche  Hochschule. 
®  No.  4120,  Greifswalder  zoologische  Sammlung. 
"  No.  675,  Stuttgarter  Sammlung. 


85 


t 

F  n  t  e  r  k 

ief  er 

'. 

Oberki 

ief  er. 

Breite 

Länge  Breite : 

Länge 

Breite  Länge 

Breite : 

Länge 

mm 

mm 

= 

= 

mm 

mm 

= 

Bonwill's  Messungen 

1  100 

100 

100: 

:100 

100 

100 

100: 

100 

Kretine^ 

.     89 

98 

100: 

110 

89 

102 

100: 

115 

Mumie  aus  Ägypten  ^ 

.     98,7 

109,5 

100: 

:111 

98,7 

110,7 

100: 

112 

Keger,  Eunuch*  .    . 

.     98,7 

111 

100: 

112,5 

98,7 

111 

100: 

112,5 

Nago-Neger^    .    .    . 

.     87,5 

105,5 

100: 

120 

87,5 

105,5 

100: 

120 

Monbuttu-Neger  ^    . 

— 

— 

- 

- 

97 

120 

100: 

124 

Orang^ 

.     99 

169 

100: 

170,7 

99 

175 

100: 

176,7 

Hylobates  leuciscus  ^ 

.     43,8 

64,2 

100: 

146,6 

43,8 

65 

100: 

148,4 

Aus  den  obigen  Messungen  ergiebt  sich  das  Folgende :  Wenn 
man  als  normal  für  den  Menschen  den  orthognathen  Zustand  be- 
zeichnen will,  bei  welchem  der  Kiefer  das  gleichseitige  Dreieck 
Bonwill's  darbietet,  so  kann  man  für  die  anthropomorphen  Affen 
als  normal  den  prognathen  Zustand  bezeichnen ,  bei  welchem  der 
Kiefer  ein  gleichschenkeliges  Dreieck,  mit  spitzerem  Winkel  an  der 
Spitze,  bildet.  Dieser  Winkel  ist  bei  den  verschiedenen  Gattungen 
mehr  oder  weniger  spitz ,  d.  h.  sie  haben  eine  mehr  oder  weniger 
vorspringende  Schnauze.  Am  wenigsten  ist  das  wieder  der  Fall  bei 
Hylobates  leuciscus.  Es  zeigt  sich  nun,  dass  bei  den  Negern 
der  Kiefer  ein  so  spitzes  Dreieck  bilden  kann,  dass 
diese  Bildung  fast  genau  in  der  Mitte  steht  zwischen 
dem  normalen  orthognathen  Menschen  und  dem  am 
wenigsten  prognathen  Menschenaffen,  dem  Gibbon. 
Fig.  3  u.  4  auf  Taf.  III  giebt  die  Kiefer  des  oben  aufgeführten  Nago- 
Negers  aus  Westafrika. 

So  ist  also  auch  bei  dieser  Art  der  Messung  Gibbon,  bezw. 
die  Art  leuciscus,  der  mit  verhältnismässig  kürzestem  Kiefer  ver- 
sehene Anthropomorphe,  so  dass  er  wiederum,  wie  bei  voriger  Art  des 
Messens,  in  der  Reihe  der  Affen  dem  Menschen  am  nächsten  steht. 


^  100  ist  Durchschnitt;   die  Zahlen  schwanken  zwischen  94  und  108  mm. 

^  Dieser  Schädel  einer  Kretine,  No.  1628  der  Stuttgarter  Sammlung,  ent- 
stammt dem  Leprosen-Haus  zu  Salzburg. 

^  Muinien-Schädel  No.  1627  der  Stuttgarter  Sammlung. 

*  Neger  No.  1625  der  Stuttgarter  Sammlung. 

^  Nago-Neger  No.  1201  der  Stuttgarter  Sammlung.  Herr  Dr.  Vo sseler 
hatte  die  Liebenswürdigkeit,  diesen  Schädel  zu  photographieren ;  die  Figur  auf 
Taf.  III  zeigt  denselben. 

•^  Monbuttu-Neger  No.  24139  der  Berliner  anatomischen  Sammlung.  Da  die  In- 
cisiven  im  Oberkiefer  fehlen,  so  ist  diese  Messung  nicht  genau,  sondern  nur  ungefähr. 

"'  Oraug  No.  337  der  Stuttgarter  Sammlung,  Männchen,  erwachsen. 

®  Gibbon  No.  675  der  Stuttgarter  Sammlung,  Männchen,  erwachsen. 


-     86     — 

Wir  erhalten  also  mit  Hilfe  dieser  von  Bonwill  vorgeschlagenen 
Dreiecksmessungen  des  Kiefers  die  nachstehende  Reihenfolge  der 
anthropomorphen  Affen : 

Orthognather  Mensch.     Prognather  Mensch.     Gibbon.     Orang. 
Länge:  100  120-124  146  176. 

Dieses  Ergebnis  scheint  mir  nun  von  einer  gewissen  Bedeutung 
für  die  Frage  nach  der  Stellung,  welche  dem  Dryopithecus  in  der 
Reihe  der  anthropomorphen  Affen  zukommt:  Denn  wenn  der 
Gibbon,  also  derjenige  anthropomorphe,  welcher  nach  fast 
allgemeiner  Auffassung  dem  Menschen  am  fernsten  steht, 
dennoch  in  dem  Grrade  seiner  Prognathie  dem  Menschen 
am  nächsten  kommt,  wenn  er  ihm  so  nahe  kommt,  dass  in 
dieser  Eigenschaft  die  prognathen  Menschen  nur  ebenso- 
viel über  ihm  stehen,  als  sie  unter  den  orthognathen 
anderen  Menschen  stehen  — •  dann  müsste  doch  eigent- 
lich das  Mass  der  Prognathie  nur  einen  untergeordneten 
Wert  für  diese  Frage  besitzen. 

Diese  Auffassung  aber  erfährt  durch  die  folgenden  Gründe  noch 
eine  weitere  Unterstützung: 

Es  gab  eine  Zeit,  sie  liegt  nicht  weit  zurück,  da  glaubte  man, 
dass  unter  den  Menschen  Prognathie  der  Regel  nach  nur  bei  niederen 
Rassen  auftrete;  da  glaubte  man,  die  weisse  Rasse  sei  derart  durch 
Orthognathie  ausgezeichnet,  dass  prognathe  Kiefer  entweder  eine 
pathologische  Erscheinung  oder  doch  nur  alveolar-prognath  seien  ^. 
Je  mehr  aber  die  Schädel  heutiger  und  früherer  europäischer  Ge- 
schlechter untersucht  wurden,  desto  häufiger  wurden  die  Angaben 
über  Prognathie  bei  Europäern.  Nicht  nur  die  Schädel  aus  den 
an  2000  Jahre  alten  Franken-  und  Alemannengräbern,  sondern 
auch  die  deutschen  Schädel  der  Jetztzeit  zeigen  häufig,  wie  Koll- 
mann  hervorhebt,    eine  Prognathie,    welche  ganz  bedeutende  Grade 

^  Es  giebt  (verg-l.  die  nächste  Anmerkung)  zwei  Arten  von  Prognathie : 
Die  eigentliche  Prognathie  entsteht  durch  eine,  über  das  Normale  hinausgehende 
Entwickelung  des  Ober-  und  Zwischenkiefers,  wozu  sich  ein  gewisser  Grad  von 
Knickung  der  Basilarknochen  gesellt.  Bei  starker  Ausbildung  werden  alle  Knochen 
des  Gesichtsschädels  und  selbst  die  Zahnwurzeln,  welche  dann  ganz  schief  in 
ihren  Alveolen  stecken,  mit  hineingezogen.  Die  uneigentliche,  alveolare  Progna- 
thie besteht  darin ,  dass  nur  der  Alveolarfortsatz  des  Kiefers  schief  steht ,  also 
vorgestreckt  ist,  in  welchem  unter  Umständen  die  Zähne  sogar  noch  gerade  sitzen 
können.  Beide  Arten  sind  indessen  derart  durch  Übergänge  miteinander  ver- 
bunden und  dem  Wesen  nach  so  dasselbe,  dass  man  sie  nicht  einander  gegenüber- 
stellen kann.    Sie  sind  nur  dem  Grade  nach  unterschieden. 


—     87     — 

annehmen  kann  \  In  den  Piossdorfer  Reihengräbern  ist  nach  Koll- 
aiANN  ein  Schädel  mit  einem  Profilwinkel  von  84°  gefunden ;  in  anderen 
Fällen  fand  man  solche  von  80 — 86°.  Das  sind  Zahlen,  wie  sie  die 
x\ustralneger  aufweisen.  Das  alles  sind  aber  keineswegs  etwa  krank- 
haft veränderte  Schädel,  sondern  im  übrigen  ganz  normale.  An 
30  normalen  Männerschädeln  deutscher  Abkunft  aus  der  Jetztzeit 
hat  Welker  nicht  weniger  als  43  "/^  überhaupt  prognath  zu  nennende 
gefunden,  wenn  man  nämlich  in  diesem  Falle  einen  Nasenwinkel  von 
59 — 66,5°  als  orthognath,  von  über  66,5°  als  prognath  bezeichnet. 
Bei  2  Schädeln  von  diesen  30  deutschen  war  die  Prognathie  sogar 
grösser  als  bei  5  von  Welker  gemessenen  Australnegern  I 

In  anderen  europäischen  Rassen  gelangte  man  zu  ganz  ähn- 
lichen Ergebnissen.  Es  sind  eben  prognathe  Schädel  in  allen  Kultur- 
völkern und  gar  nicht  so  selten  zu  fiinden ;  während  umgekehrt,  mitten 
im  Herzen  von  Afrika,  die  Prognathie  fehlen  kann.  Prognathie  kommt, 
wie  Kollmann  darthut,  als  normale  Erscheinung  überall  vor,  bei 
Kultur-  und  Naturvölkern,  in  der  prähistorischen  Zeit  wie  in  unseren 
Tagen^.  Nicht  also  der  Grad  der  Prognathie,  sondern  die 
relative  Häufigkeit  derselben  innerhalb  eines  Volkes  be- 
stimmt die  Prognathie  oder  Orthognathie  der  betreffenden 
Rasse;  denn  dieser  Grad  kann  ja  bei  einem  Europäerschädel 
grösser  sein  als  bei  dem  eines  Negers. 

Wir  sehen  nach  diesen  Untersuchungen  Kollmann's  und  anderer, 
dass  zwar  durch  die  Häufigkeit  der  Prognathie  in  einer  Menschen- 
rasse dieser  letzteren  der  Charakter  einer  auf  niedriger  Stufe  stehen- 
den verliehen  wird ;  dass  aber  Prognathie  an  sich  bei  dem  Einzel- 
individuum gar  nichts  beweist,  da  sie  auch  bei  den  höchst  stehenden 
Rassen  auftritt. 

Ist  das  nun  unzweifelhaft  richtig,  so  werden  wir  diesem  Merk- 
male der  grösseren  oder  geringeren  Prognathie  kein  so  grosses  Ge- 
wicht beilegen  dürfen,  wie  man  das  früher  thun  zu  müssen  ver- 
meinte. So  wie  das  aber  für  den  Menschen  gilt,  wird  es  da  nicht 
auch  für  die  menschenähnlichen  Affen  seine  Geltung  haben? 

Wenn  wir  daher  bei  Dryopithecus  finden,  dass  er  auf 
der   einen  Seite    der   am   meisten  prognathe  der  Anthropo- 


^  Kollmann,  Korrespondenzblatt  d.  deutsch.  Ges.  f.  Antlirop.,  Ethnol., 
Urgeschichte,  Jahrg.  1880.  S.  152  des  Sitzungsber.  der  11.  allg.  Vers. 

^  Vergl.  auch  Kotz  ins,  Sur  l'etude  craniologique  des  races  humaines. 
Compte  rendu  7  session  dii  congres  Internat.  d'Anthropol.  Stockholm  1874.  S.  693. 
Ich  eitlere  nach  K  oll  mann. 


—     88     - 

morphen  ist,  dass  er  aber  auf  der  anderen  Seite  unter  allen 
Anthropomorphen  die  menschenähnlichsten  Zähne  besitzt, 
werden  wir  da  nicht  ebenfalls  dem  letzteren  Merkmale 
einen  höheren  Wert  für  die  Bestimmung  der  Stellung  zu- 
gestehen müssen,  welche  der  Gattung  Dryopithecus  in  der 
Reihe  der  Anthropomorphen  einzuräumen  ist? 

Dazu  kommt  aber  noch  ein  weiteres:  Von  Dryopitliems  sind 
bisher  nur  bekannt :  Erstens  der  junge,  durch  sehr  geringe  Prognathie 
ausgezeichnete  Unterkiefer.  Zweitens  der  alte,  durch  sehr  starke 
Prognathie  gekennzeichnete;  beide  aus  Südfrankreich.  Ebenso  nun, 
wie  bei  den  Menschen  der  Grad  dieser  Prognathie  variiert,  könnte 
das  auch  bei  den  Anthropomorphen  der  Fall  sein.  Es  ist  daher 
sehr  gut  möglich ,  dass  das  alte ,  männliche  Exemplar  von  Dryo- 
pithecus^ an  dessen  Unterkiefer  Gaudry  die  bedeutende  Länge  der 
Schnauze  feststellte,  ein  besonders  stark  prognathes  Individuum  ge- 
wesen sein  kann,  welches  darin  seine  Geschlechtsgenossen  übertraf. 

Inwieweit  ein  solcher  Schluss  auf  die  Anthropomorphen  statt- 
haft ist,  wird  hoffentlich  recht  bald  entschieden  werden  durch  die 
Untersuchungen,  welche  Selenka  an  einem  Materiale  von  solcher 
Pieichhaltigkeit  anstellt,  wie  solches  noch  nie  einem  Forscher  auch 
nur  annähernd  zu  Gebote  gestanden  hat;  denn  Selenka  hat  vom 
Orang-Utan,  allein  an  selbstgewonnenen  Schädeln,  300  mit  nach 
Europa  gebracht.  Die  Messungen,  welche  ich  an  den  auf  S.  84 
aufgeführten  Anthropomorphen  anstellen  konnte,  haben  jedenfalls 
ein  gewisses,  wenn  auch  nicht  grosses  Mass  von  individueller  Varia- 
bilität der  Prognathie  ergeben. 

Wir  haben  indessen  diese  Frage  noch  nicht  erschöpft,  und 
damit  in  dieser  Hinsicht  den  Vergleich  des  Dryopithecus  mit  anderen 
Anthropomorphen  und  dem  Menschen  noch  nicht  zu  Ende  geführt, 
wenn  wir  nicht  auch  noch  darüber  uns  klar  geworden  sind,  ob 
denn  überhaupt  Prognathie  bei  Menschen  und  Prognathie  bei  Tieren 
ihrem  Wesen  nach  so  weit  dasselbe  sind,  dass  sie  zwei  vergleichbare 
Grössen  bilden. 

Diese  Frage  erscheint  vielleicht  überflüssig;  dass  sie  es  aber 
durchaus  nicht  ist,  wird  die  folgende  Betrachtung  lehren : 

In  seiner  so  inhaltsreichen  Zootechnic  generale  geht  Cornevim 
bei  der  Definition  dieses  Begriffes  an  Tieren  davon  aus ,  dass  eine 
absolute  Orthognathie  auch  bei  keinem  Menschen  vorkommt.  Die 
Menschen  sind  mithin  sämtlich  mehr  oder  weniger  prognath  und  die 
Tiere  sind  das  nur  in  einem  höheren  Grade  als  wir.    Wie  man  aber 


—     89     — 

bei  den  Menschen  trotzdem  die  geringen  Grade  der  Prognathie  als 
Orthognathie  bezeichne,  so  könne  man  auch  bei  den  Tieren  von  Ortho- 
gnathie reden,  indem  man  darunter  einen  Zustand  versteht  ^,  bei  dem 
Ober-  und  Unterkiefer  derart  aufeinanderschUessen,  dass  die  unteren 
Schneidezähne  genau  auf  die  oberen  treffen,  bezw.  bei  Wiederkäuern 
auf  den  Wulst  des  Oberkiefers,  in  welchem  die  Incisiven  sitzen  müssten. 
Prognathie  dagegen  trete  beim  Tiere  ein,  wenn  der  eine  Kiefer  den 
anderen  überragt.  Ist  der  Oberkiefer  der  längere,  wie  bei  den  Lepo- 
rinen,  so  habe  man  die  seltene  obere  Prognathie.  Ist  umgekehrt 
der  Unterkiefer  länger ,  wie  beim  Buldog ,  so  habe  man  die  ver- 
hältnismässig häufigere  untere  Prognathie.  Diese  untere  Prognathie 
entsteht  aber  nicht  etwa  durch  Verlängerung  des  Unterkiefers,  sondern 
durch  Verkürzung,  oder  besser  frühzeitige  Wachstumsbeendigung  des 
Oberkiefers.  Bis  zum  Excess  gesteigert  muss  diese  Prognathie  beim 
Tiere  die  Aufnahme  der  Nahrung  so  erschweren,  dass  dasselbe  zu 
Grunde  geht. 

Man  sieht,  dass  das,  was  Cornevin  unter  Ortho-  und  Progna- 
thie beim  Tiere  verstanden  wissen  will,  sich  gar  nicht  mehr  deckt 
mit  dem  Begriffe,  welchen  man  beim  Menschen  mit  diesen  Aus- 
drücken verbindet;  denn  ein  Tier,  welches  von  Cornevin  darum  als 
orthognath  bezeichnet  wird,  weil  die  unteren  Incisiven  genau  auf 
die  oberen  treffen,  kann  eine  sehr  stark  vorspringende  Schnauze 
besitzen ,  also  nach  dem  bisherigen  Begriffe  überaus  prognath  sein. 
Es  erscheint  daher  nicht  zulässig,  diese  von  Cornevin  vorgeschlagene 
Bezeichnungsweise  für  die  Tiere  anzunehmen,  weil  auf  solche  Weise 
Missverständnisse  entstehen  müssen. 

Aber  wenn  auch  diese  Bezeichnungsweise  namentlich  für  ver- 
gleichende Zwecke  störend  wirkt,  so  ist  Cornevin,  nach  dem  Aus- 
gangspunkte seiner  Erklärung,  doch  entschieden  der  Auffassung,  dass 
die  Prognathie  am  Menschen-  und  am  Tierschädel  durch  dieselben 
Ursachen  hervorgerufen  werde,  also  dasselbe  sei. 

Einer  solchen  Meinung  ist  Ranke  ^  durchaus  nicht.  Er  stützt 
sich  hierbei  auf  die  Untersuchungen,  welche  Virchow  und  Langer 
angestellt  haben.  Aus  diesen  geht  hervor,  dass  beim  Menschen  die 
wahre  Prognathie  weniger  hervorgerufen  wird  durch  die  Länge  des 
Gaumens,  also  durch  die  Tiefe  des  Oberkiefers;  diese  varhert  aller- 
dings,   aber   doch   nicht   so  stark.     Sondern  dass  sie  viel  mehr  be- 


^  Cornevin,  Traite  de  zootechnic  generale.  Paris,  Bailliere.  1891.  S.  490. 
2  Eanke,  Der  Mensch.  1894.  Bd.  2.  S.  246. 


—     90     — 

dingt  wird  durch  die  Entfernimg  des  Hinterhauptsloches  vom  Hinter- 
rande des  Gaumens ;  je  grösser  diese,  desto  mehr  wird  dadurch  der 
Oberkiefer  nach  vorn  geschoben,  desto  stärker  wird  also  die  wahre 
Prognathie.  Diese  Entfernung  des  Hinterhauptsloches  vom  Gaumen- 
hinterrande ist  aber  abhängig  von  der  mehr  oder  weniger  steilen 
Stellung  des  Grundteiles  des  Hinterhauptbeines;  in  der  Lage  dieses 
Knochens  müssen  wir  daher,  nach  Virchow  und  Laxger,  die  Haupt- 
ursache der  wahren  Prognathie  suchen  ;  und  nur  eine  geringere  Ursache 
der  letzteren  liegt  in  der  Länge  bezw.  Tiefe  des  Oberkiefers  selbst. 

Ranke  ^  ist  daher  der  Ansicht,  dass  die  normale  menschliche 
und  die  tierische  Prognathie  ihrem  Wesen  und  Prinzip  nach  völlig 
verschieden  seien.  Die  tierische  ist  ihm  bedingt  durch  das  Zurück- 
bleiben des  Wachstums  des  Hirnschädels  gegenüber  dem  länger  an- 
dauernden Wachstum  des  Gesichtsschädels,  so  dass  sich  ein  ganz 
flacher  Sattelwinkel  ergiebt.  Die  wahre  menschliche  Prognathie  ist 
ihm  dagegen  bedingt  durch  übermächtige  Gehirnentwickelung  gegen- 
über der  des  Gesichtes ,  wodurch  die  Schädelbasis  und  der  Sattel- 
winkel stark  geknickt  werden  ^. 

Es  ist  nun  ja  in  der  That  nicht  zu  bestreiten,  dass  bei  dem 
Tiere ,  speciell  hier  dem  Menschenaffen ,  das  Wachstum  des  Hirn- 
schädels frühzeitig  beendet  wird  und  dass  darum  die  weiter  fort- 
wachsenden Kiefer  sich  mehr  und  mehr  vor  denselben  vorschieben. 
Und  ebenso  ist  sicher,  dass  z.  B.  beim  Neger  das  Wachstum  des 
Hirnschädels  viel  längere  Zeit  andauert.  Immerhin  aber  wachsen 
beim   Neger   doch   auch    die   Kiefer   weiter   fort   und    schieben   sich 


^  Ranke,  Der  Mensch.  I.  S.  405. 

2  Der  Sattel-  oder  Basalwinkel  zeigt  die  Stärke  der  Knickung  der  Schädel- 
basis an.  Sein  einer  Schenkel  verläuft  vom  Vorderende  des  Hinterhauptsloches 
schräg  aufwärts  bis  zum  Mittelpunkte  der  Rücklehne  des  Türkensattels,  der 
andere  Schenkel  geht  in  horizontaler  Lage  vom  letzteren  Punkte  bis  zum  Mittel- 
punkte der  Stirnnasennaht.  Indem  beim  Menschen  das  Hinterhauptsloch  nach 
unten  gerichtet  ist,  dergestalt,  dass  der  Schädel  etwa  senkrecht  auf  der  Wirbel- 
säule sitzt,  gewissermassen  auf  dieser  aufgespiesst  ist,  läuft  der  erstere  der 
beiden  Schenkel  des  Basalwinkels  scharf  aufwärts,  und  dadurch  wird  der  "Winkel 
stark  geknickt,  d.  h.  einem  rechten  ähnlich,  nur  etwas  grösser.  —  Beim  Menschen- 
affen dagegen  ist  das  Hinterhauptsloch  nicht  nach  unten,  sondern  mehr  nach 
hinten  gerichtet,  dergestalt,  dass  der  Schädel  nach  vorn  von  der  Wirbelsäule 
herabhängt.  Dadurch  läuft  der  erstere  der  beiden  Schenkel  des  Basalwinkels 
nur  wenig  aufwärts ,  mehr  horizontal ,  wie  der  zweite ;  der  Winkel  wird  daher 
nicht  stark  geknickt,  d.  h.  er  nähert  sich  zwei  Rechten,  einer  Geraden.  (Vergl. 
Ranke,  Der  Mensch.  I.  S.  424  und  425,  wo  der  Sattelwinkel  an  Abbildungen 
dargestellt  ist.) 


—     91     — 

daher  z.  T.  infolge  stärkeren  "Wachstums  mehr  und  mehr  vorsprung- 
artig  vor.  Wenn  dieses  Vorschieben  auch  z.  T.  durch  das  von  Virchow 
und  Langer  betonte  Wachstum  anderer  Knochen  bewirkt  wird,  zum 
anderen  Teil  verdanken  es  doch  die  Kiefer  ihrem  eigenen  Wachs- 
tum, ganz  wie  bei  den  Affen. 

Es  will  mir  daher  scheinen,  dass  menschliche  und  tierische 
Prognathie  ihrem  Wesen  nach  doch  nur  teilweise ,  nicht  aber  so 
völlig  von  einander  verschieden  seien,  dass  man  sie  gar  nicht  mit- 
einander vergleichen  könnte.  Ist  dem  aber  so,  dann  bleibt  auch 
die  obige  vergleichende  Betrachtung  über  die  Stellung  des  Dnjopühe- 
cus  zu  Recht  bestehen. 

Gaudry  stützt  jedoch  sein  Urteil  über  die  dem  JDryopithecus 
zukommende  systematische  Stellung  keineswegs  nur  auf  die  Länge 
der  Schnauze.  Er  führt  noch  ein  zweites  Merkmal  an,  welches  mit 
schwerem  Gewichte  in  die  Wagschale  fällt. 

Es  wird  nämlich  durch  Gaudry  nachgewiesen,  dass  bei  Dnjo- 
pithecus  auch  die  Breite  des  der  Zunge  zur  Verfügung  stehenden  Raumes 
geringer  ist  als  bei  irgend  einem  anderen  der  Menschenähnlichen. 
Einmal  verlaufen  die  beiden  Zahnreihen  verhältnismässig  näher  als 
bei  jenen  nebeneinander,  so  dass  demzufolge  auch  die  Zunge  schmäler 
sein  musste  als  bei  jenen.  Zweitens  aber  ist  das  Kinn,  die  Unter- 
kiefersymphyse ,  so  dick ,  dass  die  Zunge  sich  auch  weniger  weit 
nach  vorn  und  vorn-unten  ausstrecken  konnte.  Bei  der  grossen 
Bedeutung,  welche  die  Zunge  für  die  Sprache  besitzt,  hält  Gaudry  dies 
für  einen  überaus  wichtigen  Beweis  der  Inferiorität  des  Dryoplthecus. 

So  sehr  das  auch  einleuchtet,  so  kann  doch  immerhin  hervor- 
gehoben werden ,  dass  gerade  der  als  am  niedrigststehend  geltende 
Anthropomorphe ,  der  Gibbon ,  eine  weniger  verdickte  ünterkiefer- 
symphyse  besitzt    als   die  anderen ,    höher  stehenden  Menschenaffen. 

Gaudry  giebt  vergleichende  Abbildungen,  bei  welchen  das  Halb- 
kreisförmige der  Zahnreihe  des  menschlichen  Unterkiefers  in  scharfen 
Gegensatz  tritt  zu  dem  ungefähren  Parallelisraus  der  Zahnreihen  (von 
M^  bis  zur  Canine)  der  Anthropomorphen  und  ganz  besonders  des 
Dryoplthecus. 

Aber  auch  in  dieser  Beziehung  muss  doch  daran  erinnert  werden, 
dass  bei  vielen  wilden  Völkern  hier  eine  Annäherung  an  den  Affen- 
typus stattfindet.  So  hebt  z.  B.  Nehring  hervor,  dass  bei  dem  Sam- 
baqui-Schädel  —  welcher  demjenigen  des  Pithecanthropus  E.  Dübois 
in  einem  Punkte  so  ähnlich  ist  (vergl.  darüber  in  Teil  II)  —  die  Reihen 
der  Backenzähne  annähernd  parallel  verlaufen,   so  dass  sie  mit  den 


—     92     — 

Schneidezähnen  keinen  Halbkreis,  sondern  einen  stumpfen  Winkel 
bilden.  Dasselbe  beobachtete  er  an  dem  Schädel  eines  Cayapö-Indianers 
aus  Brasilien  V  Man  wolle  auch  die  in  Taf.  III  dieser  Arbeit  ge- 
gebene Fig.  3  u.  4  von  der  Zahnreihe  eines  Nago-Negers  vergleichen, 
welche  Ähnliches  erkennen  lässt. 

Allerdings  ist  damit  zugegeben,  dass  dieses  von  Gaudry  hervor- 
gehobene Merkmal  ein  inferiores  ist,  denn  das  sind  inferior  stehende 
Menschenrassen.  Aber  dasselbe  erleidet  doch  zugleich  eine  gewisse 
Abschwächung  dadurch,  dass  es  sich  eben  bei  Menschen  überhaupt 
wiederfinden  lässt. 

Noch  auf  ein  drittes  Kennzeichen  weist  Gaudry  hin,  welches 
die  alte  Ansicht  von  der  hohen  Stellung  des  Dnjopühecus  in  der 
Reihe  der  Anthropomorphen  erschüttert. 

Mit  Hilfe  einer  vergleichenden  Abbildung  stellt  er  fest,  dass 
die  Profillinie  des  Kinnes  bei  Dryopitliecus  ganz  ebenso  schräg  von 
vorn-oben  nach  hinten-unten  verläuft  wie  bei  dem  Chimpanse,  dass 
also  Dryopühccus  gar  keine  grössere  Menschenähnlichkeit  in  dieser 
Hinsicht  besitze. 

Wiederum  aber  kann  man  auch  hier  geltend  machen,  dass 
gerade  der  Gibbon,  wie  schon  Lartet  beobachtete,  ein  senkrechteres 
Kinn  als  alle  anderen  Anthropomorphen  besitzt.  Da  dieser  nun  als 
der  am  wenigsten  menschenähnliche  von  allen  gilt  und  doch  das 
am  meisten  menschenähnliche  Kinn  besitzt,  so  kann  der  Wert  dieses 
Merkmales  kein  besonders  hoher  sein. 

Dasselbe  ergiebt  sich  aber  auch  daraus,  dass  verschiedene  der 
lebenden,  niedrigstehenden  Cehus-k^en  Unterkiefer  besitzen,  welche 
menschenähnlicher  gestaltet  sind,  als  diejenigen  der  hochorganisierten 
Anthropomorphen!  Auch  hat  Ameghino  sogar  aus  dem  Eocän  von 
Patagonien  Affen  beschrieben,  welche  den  lebenden  Cebiden  verwandt 
sind  und  bereits  ebensolche  Unterkiefer  von  sehr  menschenähnlicher 
Gestalt  besitzen". 

Wenn   nun    auf  der   einen   Seite  niedriger  stehende  Affen    ein 


^  Zeitschrift  für  Ethnologie.    Berlin  1895.    S.  713. 

^  Ich  eitlere  nach  Schlosser 's  Eeferat  im  Archiv  für  Anthropologie, 
Litteraturbericht  für  Zoologie  f.  d.  Jahr  1892.  S.  142.  Die  Arbeit  Ameghino's 
liegt  in  französischer  Übersetzung  vor  von  Trouessart:  Les  singes  eocenes  de 
Patagonie  austral  d'apres  M.  Fl.  Ameghino.  Revue  scientifique.  Paris  1892, 
t.  49.  S.  148,  149.  Die  Namen  Homunciilus,  Homocentrus,  Anthropoi)s  sollen 
darauf  anspielen,  aber  sie  beweisen  natürlich  gar  nichts  für  eine  nahe  Verwandt- 
schaft mit  dem  Menschen. 


—     93     - 

menschenähnliclieres  Kinn  als  höher  stehende  besitzen,  so  zeigt  auf 
der  anderen  Seite  auch  der  Schädel  des  Menschen  keineswegs  immer 
ein  vorstehendes  Kinn.  So  besitzen  z.  B.  die  beiden  prähistorischen 
Unterkiefer  aus  dem  Diluvium  der  Schipka-Höhle  und  von  La  Nau- 
lette  ein  nur  sehr  wenig  hervorstehendes  knöchernes  Kinn.  Sie 
haben ^  im  Profil  eine  so  steile  Vorderfläche,  dass  eine  Annäherung 
an  den  Affentypus  gar  nicht  zu  verkennen  ist.  Das  sind  freilich 
fossile  Schädel.  Gleiches  Verhalten  aber  zeigen  nach  Hartmann  bis- 
weilen auch  die  Unterkiefer  heutiger  Papüa-Schädel. 

Man  sieht  aus  dem  Gesagten,  dass  auch  dieses,  das  Kinn  des 
Dryopithecus  betreffende  Merkmal  der  Inferiorität  etwas  von  seiner 
Bedeutung  verliert. 

Doch  Gaudry  macht  noch  auf  ein  viertes  Kennzeichen  aufmerk- 
sam, durch  welches  angedeutet  wird,  dass  man  dem  Dryojnthecus 
keine  so  grosse  Menschenähnlichkeit  zuschreiben  dürfe,  wie  Lartet 
geglaubt  habe: 

Es  ist  bekannt,  dass  die  Weisheitszähne,  M^,  beim  Menschen 
erst  zwischen  dem  18.  bis  30.  Lebensjahre  erscheinen,  d.  h.  erst  lange, 
nachdem  die  Caninen  und  Prämolaren  des  Milchgebisses  durch  de- 
finitive Zähne  ersetzt  sind.  Nun  hatte  Lartet,  auch  darin  die  grosse 
Menschenähnlichkeit  des  Dryopithecus  betonend ,  gezeigt ,  dass  bei 
diesem  ebenfalls  alle  Milchzähne  bereits  ersetzt  waren ,  bevor  M' 
durchbrach,  wogegen  bei  allen  anderen  Affen  M^  umgekehrt  früher 
erschiene,  bevor  die  Ersatzcanine  durchbräche. 

Beide  Behauptungen  Lartet's  sucht  Gaüdry  abzuschwächen. 
Was  zunächst  den  letzteren  Punkt  anbetrifft,  so  berichtigt  er  Lartet 
dahin ,  dass  sich  die  Affen  keineswegs ,  wie  dieser  meinte ,  gleich- 
massig  verhalten^,  indem  M^  bei  einigen  gleichzeitig  mit  C,  bei 
anderen  später  als  C  erscheint. 

Wenn  ich  nun  aber  die  von  Lartet  an  bestimmten  Anthropo- 
morphen  gemachten  Beobachtungen^  mit  den  von  Gaüdry  an  ganz 
denselben  Formen  angestellten  vergleiche,  so  ergiebt  sich  eine  Gegen- 
sätzlichkeit des  von  beiden  Forschern  Beobachteten. 

1.  Nach  Owen,  Lartet  und  Düvernoy  ergab  sich : 


^  Eanke,  Der  Mensch.  2.  Aufl.  1894.  Teil  IL  S.  53.  Auch  Hartmann 
giebt  eine  Abbildung  desselben  in  „Die  menschenähnlichen  Affen".  Leipzig  1883. 
S.  113.  Fig.  37. 

^  Den  Hylohates  hatte  Lartet  selbst  schon  ausgenommen. 

3  Compt.  rend.  hebd.  Ac.  d.  sc.  Paris.  Bd.  43.  1846.  S.  220. 


—     94     — 

Bei  Orang: 

„     Chimpanse:  Stets  war  M^  schon  erschienen,  bevor  der  letzte 

^     Gorilla:  |  Milchzahn,  die  Canine,  durchbrach. 

„     Semnopithectis:  ] 

„     Hylöbates:  M^  erschien  nach  C. 
2.  Nach  Gaudry  ergab  sich: 
Bei  Orang:  M^  war  noch  nicht  erschienen,  als  C  bereits  da  war. 

„     Chimpanse :  M^  und  C  erschienen  gleichzeitig. 

„     Semnopithecus:  ]VP  und  C   erschienen   fast   gleichzeitig,    C   nur 
ein  wenig  früher. 

„     Hylohates:  M^  und  C  erschienen  gleichzeitig. 

Man  erkennt  mit  leichter  Mühe  aus  diesen  gegensätzlichen 
Angaben  beider  Parteien,  dass  bei  einer  und  derselben  Anthropo- 
morphen-,  überhaupt  Affengattung,  diese  Verhältnisse  zu  variieren 
scheinen.  Das  aber  wäre  nicht  nur  nicht  wunderbar,  sondern  von 
vornherein  zu  erwarten.  Denn  wenn  beim  Menschen  M^  hier  mit 
dem  18.  Jahre  erscheint,  dort  mit  dem  30.,  da  überhaupt  gar  nicht, 
so  möchte  man  voraussetzen,  dass  diese  Verhältnisse  bei  den  Men- 
schenähnlichen ebenfalls  variieren. 

In  dieser  Beziehung  vermag,  wenigstens  über  den  Orang-Utan, 
niemand  so  sichere  Auskunft  zu  geben ,  wie  Selenka  \  welcher  in 
der  bisher  noch  von  keinem  Forscher  auch  nur  annähernd  erreichten 
Lage  war,  an  300  Schädel  des  Orang  untersuchen  zu  können.  Selenka 
stellte  am  Dauergebiss  die  folgende  Durchbruchsreihe  fest: 

1.  M\    Dieser  erscheint  ausnahmslos  zuerst.    Darauf  längere  Pause, 
dann 

2.  M^,  P,  P,   aber   in   wechselnder   Reihenfolge.    Wieder   längere 
Pause,  darauf 

3.  P^  und  P^,  auch  in  wechselnder  Reihenfolge.   Unmittelbar  darauf 

4.  C,  der  aber  sehr  langsam  wächst.    Abermals  längere  Pause,  dann 

5.  W. 

6.  und  7.  Eventuell  nun  M^  und  M^ 

Nach  diesen  Forschungen  hätten  wir  also,  mindestens  beim 
Orang,  in  Bezug  auf  das  Erscheinen  von  C  und  M^  genau  dieselbe, 
nicht  aber  eine  entgegengesetzte  Reihenfolge  wie  beim  Menschen: 
Nach  dem  Erscheinen  von  Ersatz  C  eine  längere  Pause,  dann  erst 
Dnrchbruch  von  M^,  nur  dass  die  Pause  natürlich  wohl  bei  weitem 
nicht  so  lange  dauert  als  beim  Menschen. 

*  Die  Rassen  und  das  Gebiss  des  Orang-Utan.  Sitzungsber.  Akad.  d.  Wiss. 
Berlin.  Math.-pbysik.  Kl.  19.  März  1896.  S.  7. 


—     95     — 

Ein  Variieren  zwischen  dem  Erscheinen  von  C  und  ÄP  scheint 
allerdings  bei  Orang  nicht  zu  erfolgen,  wohl  aber  ein  solches  zwischen 
dem  Durchbruche  von  M^,  I\  P  und  P\  P^. 

Von  Interesse  ist  die  von  Dietlein  gemachte  Beobachtung,  dass 
beim  Menschen  der  Durchbruch  der  Canine  sexuell  verschiedenzeitig 
erfolgt.  W,  Dietlein^  hat  nämlich  an  sehr  grossem  Materiale 
(7500  Personen)  festgestellt,  dass  der  Eckzahn  der  Mädchen  im  Ober- 
"wie  Unterkiefer  durchschnittlich  um  ^4  Jahre  früher  durchbricht  als  bei 
Knaben.  Offenbar  ist  das  eine  Folge  der  beim  weiblichen  Geschlechte 
früher  auftretenden  Pubertät.  Auch  M^  bricht  bei  den  Mädchen 
oben  6,  unten  7  Monate  eher  durch  als  bei  den  Knaben. 

Nach  Dietlein  findet  sich  aber  auch  ein  ganz  analoges  Ver- 
halten bei  männlichen  und  weibhchen  Anthropomorphen ,  so  dass 
sich  vielleicht  dadurch  gewisse  gegensätzliche  Angaben  verschiedener 
Autoren  erklären  lassen. 

Auch  in  Bezug  auf  Dryopithecus  zeigt  nun  aber  Gaudry,  dass 
Läetet  nicht  recht  hatte,  wenn  er  für  diesen  Anthropomorphen  ein 
menschenähnliches  spätes  Durchbrechen  des  M^  annahm.  Der  zweit- 
gefundene Unterkiefer  Hess  nämlich  erkennen,  dass  M^  sehr  bald 
nach  C  erschienen  sein  muss.  Ob  es  sich  hier  etwa  um  sexuelle 
Unterschiede  handelt?  Der  von  Lartet  gefundene  Unterkiefer,  welcher 
nach  diesem  Autor  eine  so  kleine  Canine  besitzen  soll,  gehörte  viel- 
leicht einem  Weibchen  an.  Auf  solche  Weise  würde  sich  bei  Lartet's 
Kiefer  die  kleine  Canine  und  ihr  gegen  M^  früherer  Durchbruch  als 
Merkmal  eines  Weibchens  von  BnjopitJiecus  erklären,  bei  Gaüdry's 
Unterkiefer  das  gegenteilige  Verhalten  als  solches  eines  Männchens. 

Wie  dem  nun  auch  sei,  auf  alle  Fälle  wird  bei  Bryopithecns 
M^  nicht  sehr  lange  nach  C  erschienen  sein,  so  dass  ein  Unterschied 
gegenüber  dem  heutigen  Menschen  vollauf  besteht.  Aber,  vergleichen 
wir  da  nicht  abermals  Ungleichwertiges,  wenn  wir  den  Zahnwechsel 
des  miocänen  Dryopithecus  mit  demjenigen  des  heutigen  Menschen 
in  Parallele  stellen?  Das  würde  doch  nur  dann  ein  brauchbares  Er- 
gebnis liefern,  wenn  das  Gebiss  im  Laufe  der  geologischen  Zeiten, 
der  Stammesentwickelung,  etwas  Starres,  Unveränderliches  geblieben 
wäre.  Das  ist  jedoch  nicht  der  Fall.  Eine  Entwickelungsrichtung 
geht  bei  den  Säugern  hinaus  auf  allmälige  Verkürzung  der  Kiefer, 
also  Verringerung  der  Zahnzahl,  da  in  dem  kürzeren  Kiefer  natürlich 


^  Über  Zahnwechsel  und  verwandte  Fragen.    Anatomischer  Anzeiger.  1895. 
Bd.  10.  S.  354-357. 


—     96     — 

nur  noch  eine  kleinere  Zahl  von  Zähnen  Platz  findet.  Bei  dem 
heutigen  Menschen  zeigt  sich  das  unter  anderem  auch  darin,  dass 
äP,  die  Weisheitszähne,  teilweise  erst  spät  (18. — 30.  Lebensjahr)  er- 
scheinen, teilweise  überhaupt  nicht  mehr  zum  Vorschein  kommen, 
ganz  fehlen  (vergl.  darüber  in  Teil  II  dieser  Arbeit). 

Diese  heutigen  Verhältnisse  beim  Menschen  sind  aber  erst  etwas 
allmählich  Gewordenes.  Wir  müssen  daher  annehmen,  dass  bei  dem 
Menschen  der  Tertiärzeit  M^  noch  niemals  fehlte  und  dass  er  bereits 
in  früherem  Lebensalter,  vor  dem  18. — 30.  Jahre,  erschien.  Viel- 
leicht galt  das  schon  von  dem  diluvialen  Menschen.  Freilich  kennen 
wir  den  Menschen  der  Tertiärzeit  noch  nicht  und  Schädel  des  di- 
luvialen sind  so  selten ,  dass  wir  die  Richtigkeit  einer  solchen  An- 
sicht für  den  Menschen  nicht  direkt  beweisen  können.  Indessen  aus 
der  Thatsache,  dass  M'"*  beim  Menschen  jetzt  im  Verschwinden  be- 
griffen ist,  können  wir  doch  schliesöen,  dass  er  früher  ein  ebenso 
stetiger  Bestandteil  des  Gebisses  war,  wie  die  anderen  Zähne,  dass 
er  früher  auch  zeitiger  erschien  als  jetzt,  dass  er  also  in  dieser  Hin- 
sicht keinen  Unterschied  gegenüber  Dryopitliecus  gezeigt  haben  mag. 

Wenn  wir  daher  nach  dieser  Richtung  hin  den  tertiären  Bnjo- 
pitliecus  vergleichen  mit  anderen  Affen  oder  mit  dem  Menschen,  so 
müssten  wir  eigentlich  tertiäre  Zahnwechselverhältnisse  hier  mit 
tertiären  dort  vergleichen,  nicht  aber  tertiäre  hier  mit  heutigen  dort. 
Thun  wir  das ,  so  ergiebt  sich ,  dass  bei  Bryopitliecus  die  M^  ver- 
mutlich ähnlich  frühzeitig  erschienen  sind,  als  das  bei  dem  damaligen, 
bezw.  bald  nach  ihm  erschienenen  Menschen  noch  der  Fall  war. 
Unmöglich  konnte  doch  bei  dem  miocänen  Dryopitheciis  die  Re- 
duction  der  Zahnzahl  bereits  so  weit  vorangeschritten  sein,  wie  bei 
dem  heutigen  Menschen.  Wenn  nun  weiter  sich  zeigt,  dass  unter 
den  heute  lebenden  Affen  sich  hinsichtlich  des  Erscheinens  der  M^ 
manche  menschenähnlicher  verhalten,  als  Dri/opithecHS,  so  kann  auch 
das  nicht  wundernehmen.  Denn  unter  der  so  grossen  Zahl  von 
Affen  wird  die  Reduction  der  Zahnzahl  nicht  zu  gleicher  Zeit  ein- 
treten, sondern  bei  den  einen  früher,  bei  den  anderen  später.  Ganz 
ebenso  wie  beim  heutigen  Menschen  M^  hier  schon  mit  dem  18., 
dort  erst  mit  dem  30.  Jahre,  da  überhaupt  gar  nicht  mehr  erscheint. 

Noch  in  einem  letzten  Punkte  endlich  berichtigt  Gaudry  die 
IjARTET'sche  Auffassung  von  der  hohen  Stellung  des  Bryopifheciis : 
Lartet  glaubte,  auf  eine  geringe  Grösse  der  Canine  schliessen  zu 
müssen,  was  allerdings  ein  hochgradig  menschenähnliches  Merkmal 
sein  würde.    Auch  hier  aber  zeigte  Gaudry  an  der  Hand  des  besser 


—     97     — 

erhaltenen  zweiten  Unterkiefers,  dass  der  Eckzahn  durchaus  nicht 
menschenähnhch  kurz  war,  sondern  dass  er  eine  Krone  besass,  welche 
diejenige  der  anderen  Zähne  etwa  um  das  Doppelte  überragte. 

Es  ist  das  ein  Punkt,  gegen  welchen  sich  wenig  Abschwächen- 
des einwerfen  lässt.  Man  könnte  nur  ebenso  wie  bei  ]\P  hervor- 
heben ,  dass  einerseits  der  Mensch  der  Tertiärzeit  vermutlich  eben- 
falls noch  recht  tierische,  lange  Eckzähne  besessen  haben  wird,  wie 
sich  solche  ja  ganz  ausnahmsweise  (s.  später  in  Teil  II)  auch  heute  noch 
beim  Menschen  finden,  dass  auch  anderseits  die  heutigen  anthropo- 
morphen  Affen  wohl  ebenso  lange  Caninen,  z.  T.  noch  längere  be- 
sitzen, als  Dryopithecus. 

Es  wird  daher  durch  dieses  Merkmal  allerdings  Lartet's  Be- 
hauptung widerlegt,  nicht  aber  bewiesen,  dass  Dryopitheciis  auch  in 
dieser  Hinsicht  die  letzte  Stelle  in  der  Reihe  der  Anthropomorphen 
verdiene. 

Ziehen  wir  nun  die  Summe  dieser  Betrachtungen,  so  ergiebt 
sich  das  Folgende :  Gaudry  hält  den  Dryopithecus  für  den  am  wenig- 
sten menschenähnlichen  der  Anthropomorphen,  weil  derselbe 

1.  die  verhältnismässig  längste  Zahnreihe,  also  relativ  längste 
Schnauze  besass ; 

2.  den  verhältnismässig  schmälsten  und  kürzesten  Raum  für 
die  Zunge  darbot; 

3.  durchaus  nicht  ein  so  steiles  Kinn  besass,  wie  Lartet  meinte; 

4.  weil  bei  ihm  M^  schon  bald  nach  dem  Wechsel  des  letzten 
Milchzahnes  erschien ; 

5.  weil  die  Krone  der  Canine  ungefähr  doppelt  so  lang  war, 
als  diejenige  der  anderen  Zähne. 

Einem  jeden  dieser  Gründe  konnten  wir  den  Einwurf  gewisser 
Gegengründe  machen,  wodurch  die  ersteren  abgeschwächt  werden. 
Aber  trotzdem  bleibt  zu  Recht  bestehen,  dass  dieser  Anthropomorphe 
nur  als  ein  Affe  und  nicht  etwa  als  eine  Übergangsform  zum  Menschen 
betrachtet  werden  kann  und  dass,  wie  Gaudry  zeigte,  seine  Eigen- 
schaften durchaus  nicht  so  hochgradig  menschenähnliche  sind,  wie 
Lartet  meinte. 

Ob  freilich  dieser  Affe  wirklich  wegen  der  Länge  seiner  Schnauze 
und  der  Schmalheit  des  der  Zunge  zu  Gebote  stehenden  Raumes  — 
denn  das  sind  die  entscheidenden  Gründe  —  an  die  letzte  Stelle  in 
der  Reihe  der  Menschenähnlichen  zu  setzen  ist  oder  ob  er  nicht 
doch  wegen  der  grossen  Menschenähnlichkeit  seiner  Molaren  dem 
Menschen  näher  steht,  darauf  möchte  vv'ohl,  je  nach  subjektivem  Er- 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Katurkuado  ia  V.'ürtt.  1S98.  7 


—     98     — 

messen,  die  Antwort  verschieden  ausfallen.  Hoffentlich  bringen 
fernere  Erfunde  weiteres  Licht  über  Schädel  und  Skelettbildung  dieser 
Anthropomorphengattung ,  welche  durch  die  menschenähnlichsten 
Zähne  ausgezeichnet  ist,  welche  daher  vor  allen  anderen  Arten  die 
Frage  anregt,  ob  in  mitteltertiären  Zeiten  nicht  Menschenaffen  ge- 
lebt haben,  welche  dem  Menschen  ähnlicher  waren,  als  das  die 
heutigen  Vertreter  dieser  Affenfamilie  sind. 

Wie  berechtigt  diese  Frage  ist,  wird  durch  das  Dasein  einer 
zweiten  fossilen,  geologisch  jüngeren  Gattung  anthropomorpher  Affen 
bewiesen,  welche  abermals  in  einer  anderen  Beziehung  hochgradig 
menschenähnlich  war:  der  Gattung  Pithecanthropus. 

Pithecanthropus. 

Bekanntlich  hat  E.  Dübois  ^  den  Gattungsnamen  Pithecanthropus 
für  ein  von  ihm  entdecktes  fossiles  Wesen  gewählt,  um  anzudeuten, 
dass  dieses  die  von  vielen  gesuchte  Übergangsform  vom  Affen  zum 
Menschen  sei.  Wohl  kein  anderes  fossiles  Wesen  hat  ein  so  allgemeines 
Interesse  erregt,  wohl  nur  sehr  wenige  haben  einen  so  vielseitigen 
Austausch  völlig  entgegengesetzter  Meinungen  erweckt,  wie  dieser 
Pithecanthroinis.  Von  den  einen  gedeutet  als  zweifelloser  Mensch, 
von  den  anderen  als  echter  Affe,  von  den  dritten  als  unbestreitbare 
Übergangsform  zwischen  Mensch  und  Menschenaffe,  „schwankt  sein 
Charakterbild  in  der  Geschichte"   der  Palaeontologie. 

Ich  bin  der  Ansicht,  dass  hier  ein  fossiler  Menschenaffe  vor- 
liegt. In  einer  Vereinsschrift  wie  der  vorliegenden  dürfte  es  aber 
angezeigt  sein,  wenn  ich  der  Begründung  dieser  Ansicht  einiges  Er- 
läuternde voranschicke,  welches  engeren  Fachgenossen  natürhch  be- 
kannt ist. 

Das  Gestein,  in  welchem  die  Reste  dieses  so  heiss  umstrittenen 
Wesens  gefunden  wurden,  wird  gebildet  durch  lose  vulkanische  Aus- 
würflinge, welche  ins  Wasser  gelangten  und  auf  solche  Weise  ge- 
schichtet wurden.  Diese  vulkanischen  Sande  und  Lapilli  sind  jedoch 
nicht  mehr  weich,  sondern  bereits  zu  festen  Gesteinen  erhärtet,  eine 
Thatsache,  aus  welcher  hervorgeht,  dass  dieselben  schon  vor  recht 
langer  Zeit  abgesetzt  worden  sind.  Ganz  dieselbe  Thatsache  folgt 
aus  der  Lagerung  dieser  Schichten;   denn   die  ursprüngliche,  wage- 


^  Fithecanthroinis  erectas.  Eine  menschenähnliche  Übergangsfonu  aus 
Java.  2  Taf.,  3  Textfiguren.  Batavia  1894.  Vergl.  auch  ferner:  E.  Dubois  in 
Zeitschr.  f.  Ethnologie.  1895.  Jahrg.  27.  S.  723  und  Anatomischer  Anzeiger.  1896. 
Bd.  12.  S.  1. 


-     99     — 

rechte  Lage  derselben  hat  sich  bereits  in  eine  von  3  bis  zu  15°  ge- 
neigte verwandelt. 

Beide  Umstände  sprechen  mithin  dafür,  dass  es  sich  um  eine 
nicht  mehr  ganz  junge  Ablagerung  handeln  dürfte.  Dieser  Eindruck 
wird  aber  noch  verstärkt  durch  die  Versteinerungen,  welche  sich  in 
diesen  Schichten  finden :  Zahlreiche  Reste  einer  kleinen ,  Äxis- 
ähnlichen  Hirsch-Art;  häufige  Reste  von  Stegodon;  ferner  Buhalus, 
Leptobos ,  Bos  elaplius  (Portax),  JRhinoceros ,  Hippopotamus  ^  Sus, 
Felis,  Hyaena.  Endlich  eine  riesenhafte  Manis ^  ein  Schuppentier, 
welches  die  heute  lebende  Art  Javas  um  das  Dreifache  an  Grösse 
überragte. 

Die  Vergleichung  dieser  Fauna  lehrt,  dass  dieselbe  Beziehungen 
besitzt  sowohl  zu  der  pliocänen  der  Siwaliks  als  auch  zu  der  wohl 
altquartären  von  Narbada  im  westlichen  Vorderindien.  Dass  sie 
jünger  ist,  als  die  pliocäne  der  Siwaliks,  steht  fest.  Es  kann  daher 
nur  die  Frage  sein,  ob  sie  jungpliocän  oder  bereits  altdiluvial  ist. 
Der  Unterschied  ist  nicht  gross;  aber  bei  der  Wichtigkeit,  welche 
diesem  Wesen  auf  alle  Fälle  zukommt,  wäre  es  immerhin  von  Be- 
deutung, wenn  sich  diese  Frage  mit  Sicherheit  entscheiden  Hesse. 
Das  ist  jedoch  sehr  schwer,  denn  bei  der  Altersbestimmung  von 
Säugetierfaunen  tritt  störend  der  Umstand  hervor,  dass  der  Ent- 
wickelungsgang,  welchen  diese  höchst  organisierten  Tiere  genommen 
haben,  nicht  auf  der  ganzen  Erde  ein  gleichmässiger  und  gleich- 
zeitiger gewesen  ist.  Wir  müssen  unterscheiden  zwischen  wirklicher 
Oleichalterigkeit  und  blosser  Gleichwertigkeit  zweier  Faunen,  bei 
vv^elcher  letzteren  durchaus  nicht  zugleich  auch  genaue  Gleichalterig- 
keit  vorhanden  zu  sein  braucht,  sondern  nur  ein  gleichwertiger  Ent- 
wickelungszustand  vorliegen  kann,  wie  ich  das  bei  anderer  Gelegen- 
heit eingehender  dargelegt  habe^  E.  Dübois  erklärt  die  den  Pithec- 
ünthropus  begleitende  Fauna  für  vermutlich  älter  als  die  Narbada- 
Fauna,  also  als  jungpliocän.  Dames^  ist  dagegen  der  Ansicht,  dass 
■sie  mit  dieser  gleichalterig,  mithin  ungefähr  altquartär  sei.  Jeden- 
falls ist  die  Mehrzahl  der  Arten,  welche  mit  Dryopitliecus  zusammen 
gefunden  wurden,  bereits  ausgestorben ;  sogar  eine  Gattung  und  zwei 
Untergattungen  sind  schon  seitdem  von  der  Erde  verschwunden. 

Dazu  gesellt  sich  nun  noch  der  weitere  Umstand,  dass  der  Er- 

^  W.  Branco,  Über  eine  fossile  Säiigetierfauna  von  Punin  bei  Eiobamba 
in  Ecuador.  Palaeontolog.  Abhandl.  von  Dames  u.  Kaj'ser.  Bd.  I.  Heft  2. 
S.  157.     Berlin  1883  bei  G.  Reimer. 

2  Deutsche  Rundscliau.  1896.  Heft  12. 

7* 


—     100     - 

haltungszustand  der  Knochen  ebenfalls  auf  ein  ziemlich  beträcht- 
liches Alter  schliessen  lässt;  denn  dieselben  sind  durch  den  Ver- 
steinerungsprocess  schon  sehr  schwer  und  härter  als  Marmor  ge- 
worden. So  wiegt  z.  B.  das  Femur  von  F'dhecanthropns  nicht  weniger 
als  1  kg,  d.  h.  mehr  als  das  Doppelte  eines  gleichgrossen  Ober- 
schenkelknochens vom  Menschen. 

Alle  diese  petrographischen,  palaeontologischen  und  stratigraphi- 
schen  Thatsachen  sprechen  in  übereinstimmender  Weise  dafür,  dass 
das  Alter  der  mit  Pithecanthropiis  vergesellschafteten  Fauna  kein 
ganz  jugendliches  sein  kann.  Ob  es  aber  in  die  Zeiten  fällt,  welche 
vom  Pliocän  zum  Pleistocän  hinüberführen,  oder  ob  es  noch  aus- 
gesprochen der  ersteren  oder  schon  der  letzteren  Epoche  angehört, 
das  dürfte  schwer  zu  sagen  sein. 

Inmitten  dieser  Fauna  wurden  die  leider  nur  sehr  sparsamen 
Reste  des  fraglichen  Wesens  gefunden :  Ein  Schädeldach,  zwei  Backen- 
zähne, ein  Oberschenkelknochen.  Auch  der  Umstand  ist  ungünstig, 
dass  die  Zusammengehörigkeit  dieser  drei  Teile  zu  einem  und  dem- 
selben Individuum  nicht  vöUig  einwandsfrei  ist.  Es  wurde  nämlich 
zuerst,  im  Jahre  1891,  neben  vielen  Resten  der  obengenannten  Säuge- 
tiere und  Reptilien,  ein  Backenzahn  gefunden.  Derselbe  lag  in  der 
üferwand  des  in  das  Gelände  eingeschnittenen  Begawan-Flusses, 
12^ — 15  m  unter  der  Erdoberfläche  und  ungefähr  1  m  unter  dem 
Trockenzeitpegel  des  Flusses.  An  derselben  Stelle,  nur  einen  Monat 
später,  entdeckte  man  dann  das  Schädeldach,  so  dass  die  Zusammen- 
gehörigkeit dieser  beiden  Teile  wohl  unbestreitbar  ist. 

Der  Oberschenkelknochen  dagegen  fand  sich  15  m  weiter  strom- 
abwärts. Dass  er  erst  ein  Jahr  später  gefunden  wurde,  ist  natür- 
lich ganz  nebensächlich.  Wichtig  dagegen  ist,  dass  er  in  demselben 
Niveau  lag  wie  jene,  wodurch  zunächst  mindestens  die  Gleichzeitig- 
keit seiner  Ablagerung  mit  derjenigen  der  beiden  anderen  Reste 
sicher  erwiesen  ist.  Der  Umstand  nun,  dass  dieses  Femur  nicht 
genau  an  derselben  Stelle  lag  wie  jene,  wird  von  manchen  als  Stütze 
ihrer  Ansicht  erachtet,  dass  beiderlei  Reste  nicht  zusammengehören; 
dass  der  Oberschenkel  einem  Menschen,  die  Zähne  und  das  Schädel- 
dach dagegen  einem  menschenähnlichen  Affen  zuzurechnen  seien. 

Eine  solche  Schlussfolgerung  wird  jedoch  keiner,  der  palaeonto- 
logisch  zu  arbeiten  gewöhnt  ist,  gelten  lassen:  Nicht  weniger  als 
400  Kisten  voll  fossiler  Knochen  sind  an  jener  Fundstätte  gesammelt 
worden.  Alle  diese  Reste  gehören  ausnahmslos  den  obengenannten 
Huftieren,  Carnivoren  etc.  an ;  nur  die  in  Rede  stehenden  vier  Stücke 


—     101     — 

sind  anders  beschaffen;  und  von  diesen  sollte  nun  die  eine  Hälfte 
einem  Menschen,  die  andere  einem  Affen  angehören,  während  doch 
sonst  weder  von  dem  Einen  noch  von  dem  Anderen  ein  weiterer 
Rest  gefunden  wurde?  Das  wäre  über  alle  Massen  unwahrscheinlich; 
mit  angenäherter  Sicherheit  kann  man  vielmehr  schliessen ,  dass 
Schädel,  Zähne  und  Oberschenkel  einer  und  derselben  Gattung,  sogar 
einem  und  demselben  Individuum  angehören. 

Dazu  kommt,  dass  diese  Knochen  an  ihrer  Oberfläche  eine  so 
vorzügliche  Erhaltung  besitzen,  dass  sie  unmöglich  bereits  als  ver- 
einzelte Knochen  durch  das  Wasser  verfrachtet  worden  sein  können. 
Es  handelt  sich  hier  allem  Anschein  nach  um  einen  einzigen,  einst- 
mals im  Wasser  getriebenen ,  schon  sehr  stark  verwesten  Kadaver, 
von  dem  zuerst  der  Schädel,  bald  darauf  der  Schenkel  losgelöst 
wurden,  während  der  Rest  vielleicht  noch  weiter  schwamm.  Die 
Frage  kann  also  nur  sein :  Was  war  das  für  ein  Wesen :  Mensch 
oder  Affe  oder  Übergangsform  zwischen  beiden? 

Bei  dem  Oberschenkel  überwiegen  die  Ähnlichkeiten  mit  dem 
Menschen ,  bei  dem  Schädeldache  dagegen  die  mit  dem  Affen  und 
zwar,  nach  Virchow,  speciell  mit  demjenigen  Menschenaffen,  welcher 
noch  heute  auf  derselben  Insel,  auf  Java  wohnt,  mit  dem  Gibbon.  Die 
allgemeine  Form  des  fraglichen  Schädels  sei  ganz  die  eines  Gibbon, 
wenn  auch  eines  solchen  von  riesiger  Grösse.  Viele  erklären  ihn 
daher  als  den  eines  Affen ;  und  Virchow  erläutert  das  —  vergl.  dar- 
über auf  S.  106  —  indem  er  den  ümriss  des  fraglichen  Schädels  und 
darüber  den ,  auf  das  Doppelte  vergrösserten  eines  Gibbon  zeichnet. 
Beide  Umrisse  decken  sich  zwar  nicht  völlig,  haben  doch  aber  ganz 
ähnlichen  Verlauf.  Einen  so  flachen  und  niedrigen  Schädel  kennt 
man,  wie  Virchow  betont,  bisher  von  keinem  Menschen;  selbst  die 
beiden  berühmten  des  Neander-Thales  und  von  Spy,  selbst  diejenigen 
lebender  Mikrocephalen  sind  höher.  Ebenso  ist  die  sehr  starke  Ein- 
schnürung des  Schädels  in  der  Schläfengegend  völlig  so  wie  man  sie 
bei  Affen  findet. 

So  bestechend  das  wirkt,  die  Sache  ist  damit  doch  keineswegs 
bereits  endgültig  zu  Gunsten  eines  Affen  entschieden.  Einmal  näm- 
lich hat  Nehring  gezeigt,  dass  ganz  dasselbe  Mass  von  Einschnürung 
auch  beim  Menschen  auftreten  kann  K  Zweitens  aber  bereitet  die 
Grösse  des  fraglichen  Schädels  uns  Schwierigkeiten,  solange  wir  ihn 
für  den  eines  Affen  erklären :  Selbst  der  Schädel  eines  erwachsenen 


^  Über  einen  Sambaqui-Schädel.   Sitzungsber.  Ges.  naturf.  Freunde.  Berlin. 


—     102     — 

Chimpanse  ist  nämlich  um  ein  volles  Drittel  kürzer  als  der  frag- 
liche, obgleich  aus  der  Länge  des  gefundenen  Oberschenkels  hervor- 
geht, dass  die  Körpergrösse  des  Fithccanthropns  ungefähr  die  gleiche 
gewesen  ist  wie  die  eines  Chimpanse,  also  etwa  die  mittlere  eines 
Menschen.  Dem  verhältnismässig,  d.  h.  zur  Körperhöhe,  grossen 
Schädel  des  Pithecanthropics  entspricht  natürlich  auch  ein  verhältnis- 
mässig sehr  grosses  Gehirn,  wie  man  es  bei  keinem  Affen  annähernd 
kennt.  Der  Inhalt  des  Schädelraumes  beträgt  nämlich  900  cm^, 
während  er  bei  den  grössten  Menschenaffen  nur  500,  ganz  ausnahms- 
weise bis  600  cm^  misst. 

Darauf  baut  Dubois  nun  seine  Schlussfolgerung :  Man  kann  sich 
ja  freilich ,  sagt  er ,  einen  ganz  riesigen  Gibbon  denken ,  so  gross, 
dass  sein  Schädel  ebenfalls  900  cm^  fasst ;  dann  aber  müsste  sein 
Körper  zwei-  bis  dreimal  so  gross  sein  wie  der  eines  grossen  Gorilla 
oder  Menschen.  Dementsprechend  müsste  auch  der  Kauapparat  dieses 
Riesenaffen  ein  gewaltiger  gewesen  sein ;  aber  nichts  an  dem  frag- 
lichen Schädel  lässt  die  Ansatzstellen  so  mächtiger  Muskeln  sehen ; 
sie  waren  also  nicht  vorhanden. 

Es  sprechen  mithin  sowohl  die  zu  geringe  Grösse  des  Ober- 
schenkelknochens, als  auch  das  Fehlen  gewaltiger  Kaumuskeln  gegen 
die  Annahme,  dass  dieses  Wesen  eine  solche  Riesengestalt  besessen 
habe,  wie  sie  einem  Affen  nach  der  Grösse  des  Schädels  zukommen 
müsste.  Zudem  ist  das  Grosshirn  des  Pithecanthropns  nach  Dubois- 
fast  eben  so  hoch  gewölbt  wie  dasjenige  der  beiden  berühmten  ur- 
alten Menschenschädel  des  Neander-Thales  und  von  Spy.  Folglich, 
so  schliesst  E.  Dubois,  kann  dieses  Wesen  kein  Affe  gewesen  sein, 
sondern    nur  ein  Mensch  oder  eine  Übergangsform  zwischen  beiden. 

Aber  selbst  wenn  man  sich  trotzdem,  so  folgert  Dübois  weiter, 
einen  so  übergewaltig  grossen  Gibbon  vorstellen  wollte,  welcher  den 
Menschen  zwei-  bis  dreimal  an  Grösse  übertrifft,  so  liesse  sich  doch 
ein  solches  Phantasiebild  mit  der  Lebensweise  dieser  Affen  nicht  in 
Einklang  bringen.  Ein  Gibbon  lebt  auf  Bäumen,  wo  er  sich  in 
rascher  Flucht  von  einem  Aste  zum  anderen  schwingt.  Unter  einem 
solchen  Riesenkörper  von  3 — 4  Centner  Gewicht  würden  aber  die 
Äste  wohl  so  vielfach  abgebrochen  sein  und  bei  einer  solchen  Körper- 
länge von  3 — 4  m  würde  dieser  Menschenaffe  so  wenig  durch  das 
Gewirr  der  Äste  haben  seinen  Weg  finden  können,  dass  er  ein 
Phantasiegebilde  bleiben  muss.  Wir  dürfen  uns  daher  den  Besitzer 
des  fraglichen  Schädels  doch  nur  als  von  etwa  Menschengrösse  vor- 
stellen. 


—     103     — 

Ist  dem  so,  dann  stehen  wir  aber,  sagt  Dubois,  vor  der  Alterna- 
tive ,  dass  der  fragliche  Schädel  für  einen  Menschen  viel  zu  klein, 
für  einen  Menschenaffen  viel  zu  gross  ist,  mit  anderen  Worten,  dass 
er  an  Grösse  und  Gehirninhalt  wieder  voll  Mensch,  noch  voll  Affe  ist. 

Gegen  eine  Zugehörigkeit  zum  Affen  führt  E.  Dübois  aber  noch 
zwei  weitere  Gründe  an.  Wenn  wir  das  Skelett  von  Mensch  und 
Affe  vergleichen,  so  sitzt  beim  Menschen  der  Schädel  auf  der  Wirbel- 
säule fast  wie  ein  Knopf  auf  einer  Fahnenstange,  d.  h.  der  Schädel 
ist  beinahe  in  seiner  Mitte  aufgespiesst  auf  der  Wirbelsäule.  Beim 
Menschenaffen  dagegen  geht,  um  beim  Bilde  zu  bleiben,  die  Fahnen- 
stange nicht  durch  die  Mitte  des  Knopfes,  sondern  sie  liegt  excen- 
trisch-  Der  Schädel  ist  hier  also  mit  seinem  hinteren  Ende  an  der 
Wirbelsäule  aufgehängt.  Das  Hinterhauptsloch  liegt  mithin  beim 
Affen  mehr  nach  hinten,  beim  Menschen  mehr  nach  der  Mitte  der 
Schädelbasis  zu. 

Vergleichen  wir  damit  den  fraglichen  Schädel,  so  zeigt  sich,  dass 
sein  Hinterhauptsloch  weiter  nach  vorn  gerückt  ist,  also  menschen- 
ähnlicher liegt,  als  bei  irgend  einem  Affen  der  alten  Welt.  Eine 
weitere  Menschenähnlichkeit  liegt  in  der  starken  Vorwärtsbiegung 
des  Nackenteiles  der  Hinterhauptsschuppe :  Eine  Eigenschaft,  die  man 
beim  Menschen  in  Beziehung  bringt  zu  dem  aufrechten  Gange,  die 
mithin  bei  dem  fraglichen  Wesen  ebenfalls  für  aufrechten  Gang  spricht. 

So  zeigt  sich  also  in  den  verschiedenen  Merkmalen  des  frag- 
lichen Schädels,  in  Umriss,  relativer  Grösse  und  den  letztgenannten 
beiden  Punkten,  eine  Disharmonie.  Es  liegen  Merkmale  des  Menschen 
und  des  Menschenaffen  vereint  nebeneinander,  und  so  erklären  sich 
denn  die  vollkommen  entgegengesetzt  lautenden  Urteile  der  Forscher 
über  denselben.  Während  Autoritäten  wie  Hamann.  Ten  Kate,  Koll- 
mann, W.  Krause,  Joh.  Ranke,  Selenka,  Virchow,  Waldeyer,  v.  Zittel 
den  Schädel  ganz  bestimmt  für  den  eines  Affen  erklären,  wird  er 
ebenso  sicher  für  den  eines  Menschen  gedeutet  von  Ctjnningham, 
Keith,  Lydekker,  Martin,  Matschie,  Topinard,  Türner.  Wenn  nun 
so  gewiegte  Forscher  zu  derart  diametral  entgegengesetzten  An- 
schauungen in  dieser  Beziehung  gelangen  konnten,  so  spricht  in 
der  That  dieser  Umstand  allein  schon  zu  Gunsten  der  von  Dübois 
vertretenen  Ansicht,  dass  eben  weder  Mensch  noch  Affe,  sondern 
ein  Mittelding  zwischen  beiden  vorhege:  Eine  Ansicht,  die  von 
Männern  wie  E.  Dübois,  Dames,  Häckel,  Manouvrier,  Marsh,  Nehring, 
Pettit,  Vernaü  geteilt  wird. 

Die   beiden  Zähne    bringen    gleichfalls   keine  sichere  Entschei- 


—     104    — 

düng.  Sie  gleichen  denen  des  Menschen,  besitzen  jedoch  auch  ab- 
weichende Merkmale.  Wie  ausserordentlich  schwer  es  aber  sein 
kann,  isolierte  Zähne  des  Menschen  von  denen  eines  anthropomorphen 
Affen  zu  unterscheiden,  das  hat  die  Untersuchung  der  Zähne  des 
JDryopitheciis  in  dem  ersten  Abschnitt  unserer  Arbeit  gezeigt.  Zumal 
bei  dem  einen  dieser  beiden  Zähne  gestaltet  sich  die  Sache  schwierig, 
weil  er  ein  Weisheitszahn  ist  und  diese,  namentlich  beim  Menschen, 
sehr  stark  variieren.  Aus  der  von  Dübois  gegebenen  Abbildung  lässt 
sich  leider  in  dieser  Hinsicht  ein  eigenes  Urteil  nicht  gewinnen,  ob- 
gleich dieser  M^  noch  fast  unbenutzt  ist. 

Gerade  in  diesem  letzteren  Umstände  liegt  aber  etwas  recht 
Auffallendes.  Die  Untersuchung  des  fraglichen  Schädels  zeigt,  dass 
er  bereits  verwachsene  Nähte  besitzt,  also  einem  Wesen  angehört, 
das  schon  ein  höheres  Alter  erreicht  hatte.  Die  geringe  Abnutzung 
des  Zahnes  dagegen  spricht  umgekehrt  für  seine  Zugehörigkeit  zu 
einem  jüngeren  Wesen  \  Yv^ir  haben  freihch  in  diesem  Zahne  einen 
M^  vor  uns,  und  dieser  erscheint  erst  später  als  die  anderen  Backen- 
zähne, namentlich  allerdings  beim  Menschen  (vergl.  S.  93  ff.).  Viel- 
leicht Hesse  sich  darin  eine  Erklärung  finden ;  aber  schwierig  bleibt 
dieser  Widerspruch  dennoch. 

Während  nun  das  fragliche  Schädeldach  zu  so  sehr  verschiede- 
nen Auslegungen  führte,  sind  gegenüber  dem  Oberschenkelknochen 
die  meisten  Forscher  darin  einig,  dass  er  dem  des  Menschen  gleicht, 
bezw.  letzterem  auch  angehört.  Die  Unterschiede  in  der  Gestalt 
des  Femur  bei  den  verschiedenen  Anthropomorphen  und  dem  Menschen 
sind  nur  geringe.  Im  allgemeinen  zeigt  sich  ein  Abweichen  darin, 
dass  bei  den  Menschenaffen  der  Oberschenkelknochen  fast  gerade, 
beim  Menschen  aber  etwas  nach  vorn  gebogen  ist,  welche  Biegung 
sich  wohl  allmählich  durch  die  Last  des  Körpers  infolge  des  Auf- 
w^ärtsgehens  vollzogen  hat.  Der  fragliche  Oberschenkelknochen  nun 
steht  in  dieser  Hinsicht  zwischen  beiden,  d.  h.  er  ist  nur  etwas  ge- 
bogen, wie  man  das  aber  doch  auch  bei  manchen  Menschen  findet. 
Das  könnte  nun  dafür  sprechen,  dass  das  fragliche  Wesen  sich  mehr 
des  aufrechten  Ganges  befleissigte :  Ein  Schluss,  zu  welchem  Dubois 
auch  durch  die  starke  Biegung  des  Nackenteiles  der  Hinterhaupts- 
schuppe gelangt  war. 


^  Das  aber  um  so  mehr,  als  zwar  der  heutige  Kulturmensch  seine  Zähne 
schont,  teils  mit  Absicht,  teils  weil  er  zarter  Zubereitetes  geniesst;  der  Wilde 
aber ,  ebenso  wie  der  Affe,  und  sicher  auch  jenes  fragliche  Wesen ,  nutzen  ihre 
Zähne  schonungsloser  ab. 


—     105     — 

Aus  dem  allem  ergiebt  sich,  wie  Dames  hervorhob,  dass  Pithec- 
anthropus,  dieses  fragliche  Wesen,  mit  dem  Schädel  mehr  Affe,  mit 
den  Beinen  mehr  Mensch  gewesen  ist;  dass  er  also  gerade  die  Vor- 
stellung erfüllt,  welche  man  sich,  bevor  man  Fithecanthropiis  kannte, 
von  dem  "Wesen  gemacht  hat,  welches  den  Übergang  zwischen  Mensch 
und  Aife  bilden  würde  (s.  S.  64). 

Gewiss  sind  diese  Gxünde  bestechend.  Aber  es  giebt  doch 
auch  andere,  welche  auf  die  Affennatur  des  Pithecanthropns  hinweisen. 

Soweit  es  daher  überhaupt  statthaft  ist,  in  einer  so  wichtigen 
Frage  nur  auf  Grund  von  Abbildung  und  Beschreibung  eine  Ansicht 
öffentlich  auszusprechen,  möchte  ich  das  Folgende  geltend  machen: 

Was  den  von  E.  Dubois  abgebildeten  Weisheitszahn  anbetrifft  \ 
so  besitzt  derselbe  zunächst  eine  auffallend  starke  Einschnürung  der 
Krone,  welche  Dubois  auch  im  Texte  hervorhebt.  Ganz  dasselbe 
Merkmal  ist  mir  aber  an  unbenutzten  Zähnen  des  Chimpanse  und 
Orang  aufgefallen.  Dubois  macht  ferner  die  grosse  Kürze  des  Durch- 
messers der  Krone  von  vorn  nach  hinten  geltend  als  Zeichen  dafür, 
dass  dieser  M^  bereits  eine  starke  Reduktion,  also  ein  menschliches 
Merkmal  zeige.  Indessen  dem  gegenüber  lässt  sich  sagen,  dass  bei 
den  Menschenaffen  M^  ebenfalls  reduziert  sein  kann.  Ich  habe  schon 
früher  den  Chimpanse  der  Stuttgarter  Sammlung  (s.  S.  27)  angeführt, 
dessen  M"*  oben  stark  reduziert  ist,  während  M^  unten  sogar  zum 
blossen  Knopfe  herabgesunken  erscheint.  Auch  das  Divergieren  der 
beiden  Wurzeln  dieses  Zahnes  ist  so  stark,  dass  man  eher  den  ge- 
waltigen Kiefer  eines  Affen,  als  den  eines  Menschen  dabei  vor  Augen 
haben  möchte.  Endlich  aber  zeigt  die  Kaufläche  des  Zahnes  einige 
Schmelzleisten,  bezw.  Furchen,  und  das  ist  ein  Merkmal  (S.  28), 
welches  zwar  beim  Menschen  auch  vorkommen  kann,  jedoch  immer 
ein  anthropomorphes  genannt  werden  muss.  Freilich,  gerade  beim 
Gibbon,  an  den  man,  wenn  man  Vikchow's  oben  dargelegter  Ansicht 
folgen  wollte ,  zunächst  denken  würde ,  besitzen  die  Zähne  nicht 
solche  Leisten. 

Aus  der  geringen  Biegung  des  Femur  glaube  ich  nichts  weiter 
ableiten  zu  sollen,  als  dass  dieses  Wesen  vielleicht  den  aufrechten 
Gang  etwas  mehr  gepflegt  hat,  als  die  lebenden  Anthropomorphen. 
Da  nun  die  letzteren  sich  in  dieser  Hinsicht  nicht  völlig  gleich  ver- 
halten, so  ist  sehr  gut  ein  Affe  denkbar,  der  in  noch  höherem  Grade 
als  der  Gibbon,  welcher  am  besten  aufrecht  geht,  diese  Eigenschaft 
besessen  hat. 

'  Der  andere  ist  bereits  stärker  abgekaut,  der  Weisheitszahn  aber  noch  intakt 


—     106     — 

Der  Umriss  des  Schädeldaches  von  Pithecanthropus  deckt  sich, 
wie  ViRCHOW  sagt,  ziemlich  mit  dem  eines  Gibbon.  Beide  haben  auch 
dieselbe  Heimat,  die  Insel  Java.  Wir  kennen  heute  zwar  nur  sehr 
viel  kleinere  Gibbonarten.  Es  läge  aber  darin  allein  kein  Grund, 
die  Annahme  zurückzuweisen,  dass  früher  eine  grosse  Art  dieses  Ge- 
schlechtes gelebt  habe ;  und  das  um  so  weniger,  als  ja  die  diluviale 
Zeit,  in  welcher  oder  kurz  vor  welcher  Fithecantliroims  gelebt  hat, 
überhaupt  das  Zeitalter  riesiger  Tiergestalten  war.  Kommt  doch 
zusammen  mit  Pithecanthropus  ein  Schuppentier,  eine  3Ianis-kvi, 
vor,  welches  dreimal  so  gross  als  die  jetzt  lebenden  Arten  ist.  An 
und  für  sich  also  wäre  ein  Gibbon  von  etwa  Menschengrösse,  wie 
solche  aus  seinen  Schenkelknochen  ungefähr  hervorgeht,  nicht  nur 
gut  denkbar,  sondern  er  würde  auch  in  den  Bahmen  seiner  Zeit  gut 
hineinpassen.  Ausserdem  ist  hervorzuheben,  dass  Gorilla,  Orang  und 
Chimpanse  Anthropomorphengattungen  sind ,  welche  an  Arten  arm 
sind,  bezw.  gar  nur  eine  einzige  Art  besitzen,  während  vom  Gibbon 
eine  ganze  Anzahl  von  Arten  bekannt  ist.  Auch  unter  den,  wenn 
auch  sehr  seltenen,  fossilen  Anthropomorphen  sind  die  Gibbons  und 
ihre  Verwandten  verhältnismässig  am  häufigsten.  Es  würde  daher 
der  Erfund  einer  neuen  Anthropomorphenform  gerade  bei  oder  in 
der  Verwandtschaft  der  Gattung  des  Gibbon  am  ehesten  voraus- 
gesetzt werden  können. 

Aber  die  Zähne  sind  entschieden  nicht  dem  Gibbon  ähnlich, 
da  sie  Rauhigkeiten  besitzen,  welche  für  Orang  und  Chimpanse,  nicht 
aber  für  Gibbon  kennzeichnend  sind.  Auch  ist  das  Schädeldach,  wie 
Herr  Kollege  Eimer  mir  freundlichst  nach  Besichtigung  des  Originales 
mitteilte,  eher  einem  Chimpanse  ähnlich,  als  einem  Gibbon,  so  dass 
die  Hylobates-^a.tnv  nicht  erwiesen  zu  sein  scheint. 

Auch  gegenüber  der  Affennatur  überhaupt  ist  der  oben  dar- 
gelegte, von  DüBOis  gemachte  Einwurf  schwerwiegend,  dass  ein  Affe 
von  Menschengrösse  nicht  annähernd  ein  so  grosses  Gehirn,  wie  es 
Pithecanthrojnis  besass,  haben  könnte  und  es  gilt  in  der  That  auch 
von  anderen  Tieren  das  Gesetz,  dass  die  grossen  Arten  im  Verhältnis 
zu  ihrem  Körpergewichte  bedeutend  weniger  Gehirn  besitzen,  als  die 
kleineren  ^. 

Nach  unseren  heutigen  Erfahrungen  dürfte  daher  ein  etwa 
menschengrosser  Affe  kein  so  grosses  Gehirn  besitzen,  wie  Pithec- 


^  Wie  das  z.  B.  für  die  Hunde  Eüdinger  darlegte.   Verhandl.  d.  aiiatom. 
Ges.  a.  d.  8.  Vers,  zu  Strassburg.    Jena  1894.  S.  173—176. 


—     107     — 

anthropus  es  thatsächlich  besass.  Wer  also  annimmt,  dass  letzterer 
nichts  weiter  als  ein  Affe  war,  der  muss  für  diesen  Affen,  in  Bezug 
auf  die  Gehirngrösse ,  eine  Ausnahmestellung  in  Anspruch  nehmen ; 
und  das  ist  allerdings  eine  missliche  Sache. 

Aber  würde  denn  nicht  ein  Wesen,  welches  die  von  vielen  so 
sehnsüchtig  gesuchte  Brücke  von  dem  Tiere  zum  Menschen  bildet, 
ebenfalls  eine  Ausnahmestellung  im  ganzen  Tierreiche  einnehmen? 
Wir  kennen  auf  der  einen  Seite  bisher  kein  solches  Übergangswesen, 
und  wir  kennen  auf  der  anderen  Seite  bisher  keinen  Affen  mit  ver- 
hältnismässig so  grossem  Gehirne. 

Was  ist  nun,  angesichts  des  Pithecanthropus,  die  weniger  kühne, 
also  die  wahrscheinlichere  Annahme :  Dass  man  in  ihm  einen  Affen  mit 
ungewöhnlich  grossem  Gehirne  vor  sich  habe,  oder  dass  man  in  ihm 
das  noch  viel  ungewöhnlichere  Bindeglied  zwischen  Tier  und  Mensch 
gefunden  habe? 

Ich  glaube ,  man  muss  doch  zugeben ,  wahrscheinlicher  sei  es 
immer  noch,  einen  solchen  abweichenden  Affen  zu  finden,  als  das 
gesuchte  Bindeglied.  Zudem  giebt  E.  Dübois  selbst  zu,  dass  unter 
den  lebenden  Anthropomorphen  eine  Gibbonart,  Hylobates  agilis, 
einen  (zwar  absolut  kleineren,  aber  doch  ausnahmsweise)  ähnlich 
hochgewölbten  Schädel  besitze. 

Doch  noch  ein  weiteres  hätte  ich  geltend  zu  machen :  Keines 
der  lebenden  Anthropomorphengeschlechter  steht  dem  Menschen  in 
allen  Stücken  am  nächsten.  Das  eine  gleicht  ihm  besonders  in  diesen 
Eigenschaften,  das  andere  in  jenen.  Es  ist  daher  sehr  gut  eine 
bisher  noch  unbekannte  Anthropomorphengattung  denkbar,  welche 
dem  Menschen  in  einer  abermals  neuen  Beziehung,  in  der  verhältnis- 
mässigen Gehirn-  und  Schädelgrösse,  vielleicht  auch  in  der  Biegung 
des  Femur,  am  nächsten  kommt,  ohne  dass  sie  darum  gerade  ein 
Vorfahr  des  Menschen  gewesen  sein  muss.  Sie  hat  vielleicht  wiederum 
in  anderen  Stücken  dem  Menschen  ferner  gestanden,  als  jene  anderen 
Geschlechter.  Ich  gebe  zu,  dass  es  mehr  und  weniger  wichtige 
Merkmale  giebt  und  dass  die  Gehirngrösse  zu  den  allerwichtigsten 
gehört.  Wenn  wir  daher  aus  den  lebenden  und  fossilen  Anthropo- 
morphen, nach  ihrer  näheren  oder  weiteren  Stellung  zum  Menschen, 
eine  Reihe  bilden  sollten,  so  würden  wir  Pithecanthropus  wohl  an 
die  Spitze  dieser  Reihe  stellen  müssen.  Daraus  folgt  aber  zunächst 
doch  nur,  dass  er  unter  den  bisher  bekannten  Anthropomorphen 
der  höchststehende  Affe  ist,  nicht  dass  er  auch  ein  direkter  Vorfahr 
des  Menschen,  das  gesuchte  Bindeglied  zu  diesem  sein  muss. 


—     108     — 

Noch  einen  letzten  Grund  möchte  ich  geltend  machen,  welcher, 
meiner  Ansicht  nach,  gegen  die  Deutung  des  Pithecanthropus  als 
der  Übergangsform  aus  dem  Affen  in  den  Menschen  spricht:  Mag 
Tltliecantliropus  in  altdiluvialer  oder  jüngstpliocäner  Zeit  gelebt 
haben,  in  jedem  Falle  ist  das,  geologisch  gesprochen,  ein  nicht  sehr 
fernliegender  Zeitabschnitt.  Wenn  man  sich  nun  den  unendlich 
langen,  mühsehgen  Weg  vorstellt,  welcher  zurückgelegt  werden 
musste,  falls  aus  dem  Affen  ein  Mensch  hervorgehen  sollte  —  wenn 
man  weiter  bedenkt,  dass  in  mitteldiluvialer,  ich  meine  interglacialer 
Zeit,  mit  Sicherheit  bereits  ein  echter  Mensch  vorhanden  war,  so 
sollte  man  doch  meinen,  dass  der  Zeitraum  vom  Altdiluvium  bezw. 
Jüngstpliocän  bis  hin  zum  Mitteldiluvium  viel  zu  kurz  gewesen  sei, 
um  eine  so  gewaltige  Umwandlung  heranreifen  lassen  zu  können. 
Diese  Überlegung  wird  aber  um  so  zwingender,  je  mehr  man  gelten 
lässt,  dass  schon  lange  vor  mitteldiluvialer  Zeit,  ja  vielleicht  schon 
lange  vor  Fltliecantliropus  Menschen  gelebt  haben.  Mit  anderen 
Worten:  Ich  möchte  meinen,  dass  der  Übergang  vom  Affen  zum 
Menschen  in  eine  viel  frühere  Zeit  fällt,  als  die,  in  welcher  PifJicc- 
cmthropus  lebte.  Das  Dasein  eines  Menschen  bereits  in  tertiärer  Zeit, 
schon  lange  \ov  Pithecanthropus^  ist  allerdings  nicht  erwiesen  (s.  später) ; 
aber  ich  habe  die  Empfindung,  als  wenn  Pithecantliropus  viel  zu  spät 
entstanden  sei  für  die  Rolle,  welche  Dubois  ihm  zuweist. 

Wenn  ich  das  Gesagte  noch  einmal  kurz  zusammenfassen  soll, 
so  möchte  ich  die  Ansicht  vertreten: 

In  Pithecantliropus  liegt  ein  Affe  vor,  der  nach  den  Rauhig- 
keiten seines  Zahnes  eher  an  Orang  oder  Chimpanse  erinnert  als 
an  Gibbon. 

Die  Zeit,  in  welcher  der  Mensch  sich  aus  tierischen  Vorfahren 
entwickelte,  möchte  ich  lieber  in  eine  wesentlich  frühere  Epoche 
verlegen  als  die  war,  in  welcher  Pithecanthropus  lebte. 

Da  jedes  der  jetzigen  anthropomorphen  Geschlechter  in  einzelnen 
Eigenschaften  besonders  menschenähnlich  ist,  so  bietet  auch  die  An- 
nahme eines  fossilen  Anthropomorphen  nichts  Wunderbares,  der  hin- 
sichtlich der  Gehirngrösse  mehr  als  alle  anderen  menschenähnlich  war. 

Die  Wahrscheinhchkeit,  dass  man  eine  fossile  Anthropomorphen- 
gattung  mit  bisher  nicht  bekannter  Gehirngrösse  gefunden  hat,  dürfte 
viel  grösser  sein,  als  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  man  das  bisher 
nicht  bekannte  Bindeglied  zwischen  Affe  und  Mensch  entdeckt  hat. 

Bei  der  ungemein  grossen  Wichtigkeit  für  die  Entwickelungs- 
lehre,  welche  das  Auffinden  einer  Übergangsform  aus  dem  Tiere  in 


—     109     — 

den  Menschen  besitzen  würde,  will  es  mir  endlich  auch  vorsichtiger 
und  richtiger  erscheinen,  auf  Grund  so  sehr  mangelhafter  Reste  nicht 
das  viel  Unwahrscheinlichere,  die  Entdeckung  des  Bindegliedes,  an- 
zunehmen, sondern  das  Wahrscheinlichere,  die  Auffindung  einer  neuen 
Anthropomorphenart  oder  -Gattung. 

Unsere  Betrachtungen  über  Dryopithecus  und  Pithec- 
anthropus  führten  uns  dahin,  dass  wir  zwar  weder  den  einen 
noch  den  anderen  dieser  fossilen  Anthropomorphen  als  ein 
Übergangsglied  desAffen  zumMenschen  betrachten  können; 
dass  aber  doch  in  diesen  ausgestorbenen  Formen  uns  zwei 
Gattungen  dieser  Familie  vorliegen,  welche  gewisse  hoch- 
gradig menschenähnliche  Merkmale  besitzen:  Dryopithe- 
cus die  menschenähnlichsten  Zähne,  Pithecanthropiis  den 
menschenähnlichsten  Gehirnschädel  und  damit  wohl  auch 
ein  entsprechendes  Gehirn. 

Ob  den  genannten  beiden  Gattungen  ausser  diesen 
Eigenschaften  noch  andere  von  so  grosser  Anthropomorphie 
innegewohnt  haben,  ist  bei  der  Geringfügigkeit  ihrer  Reste 
bisher  leider  nicht  festzustellen.  Thatsache  ist,  dass  wir 
hier  zwei  ausgestorbene  Gattungen  vor  uns  haben,  welche, 
jede  wieder  in  einer  anderen  Eigenschaft,  die  heute  leben- 
den Anthropomorphen  in  Menchenähnlichkeit  übertreffen. 

Es  ist  daher  gar  nicht  unmöglich,  dass-  in  früheren 
Zeiten  anthropomorphe  Affen  gelebt  haben,  welche  dem 
Menschen  auch  im  allgemeinen  näher  standen  als  die  heute 
noch  lebenden  Vertreter  ihrer  Familie,  so  dass  diese  letztere 
imLaufe  derZeiten  einen  Entwickelungsgang  eingeschlagen 
hätte,  welcher  nicht  höher  hinauf-,  sondern  tiefer  hinab- 
geführt hätte.  In  Teil  II  dieser  Arbeit^  sind  weitere  Gründe 
dargelegt  worden,  welche  für  eine  solche  Ansicht  sprechen 
könnten. 

Durchaus  nicht  notwendig  ist  die  Forderung,  dass  diese 
fossilen  Formen  in  allen  Stücken  dem  heutigen  Menschen 
näher  gestanden  haben  müssten.  Vielmehr,  wie  unter  den 
jetzigen  Anthropomorphen  der  Eine  in  dieser,  der  Andere 
wieder  in  jener  Eigenschaft  dem  Menschen  am  nächsten 
kommt,  so  wird  das  auch  unter  den  fossilen  Vertretern  der 
Fall  gewesen  sein. 


Rethiktion  des  Gebisses  bei  Aifeii. 


—     110     — 

Wir  dürfen  dabei  zugleich  nicht  vergessen,  dass,  so- 
bald wir  uns  einmal  auf  den  Boden  der  Entwickelungslehre 
stellen,  auch  der  Mensch  sich  verändert  haben  muss,  dass 
derselbe  also  zu  tertiärer  Zeit  demjenigen  der  Jetztzeit 
ebenfalls  in  manchen  Eigenschaften  noch  nicht  gleich  war. 
Es  kann  mithin  eine  fossile  Gattung  der  Anthropomorphen, 
welche  von  dem  heutigen  Menschen  in  gewissen  Dingen 
abweicht,  doch  dem  tertiären  Menschen  in  eben  diesen 
Dingen  wohl  näher  gestanden  haben. 

Um  in  dem  Folgenden  leichter  verständlich  zu  sein,  gebe  ich 
hier  eine  Wiederholung  der  auf  S.  9  gemachten  Zusammenstellung 
der  fünf  fossilen  Gattungen  anthropomorpher  Affen : 

I.  Asiatische  Gattungen: 
-fPalaeopithecus  sivalensis  (Lyd.)  E.  Dubois.  Indien,  pliocän? 
FWiecanthropus  erecfus  E.  Dubois,  Java,  altdiluvial  oder  jüngstpliocän. 

IL  Europäische  Gattungen: 
■fPUopitheais  antiqims  P.  Gervais,  Frankreich,  Schweiz,  Steyermark, 
miocän, 
Pliohylohates  eppelsheimensis  E.  Dubois,  Deutschland,  pliocän. 
•fDryopithecus  Fontani  Lartet,  Frankreich,  miocän.    Auch  aus  dem 
Bohnerz  der  schwäbischen  Alb. 

Ausser  den  im  Obigen  genannten  Formen  kennen  wir  nur  noch 
aus  den  Sivalik  Hills  Indiens  eine  ganz  ungenügend  durch  einen 
Eckzahn  vertretene  Gattung,  welche  nach  Lydekker  dem  Orang 
ident  sein  soll.  Natürlich  ist  das  keine  genügende  Unterlage,  um 
das  Vorkommen  dieser  Gattung  als  wirklich  erwiesen  anzusehen. 

Es  hat  nun  E.  Dubois  (S.  5)  geltend  gemacht,  dass  in 
tertiärer  Zeit  eine  „primitive"  Gruppe  Menschenähnlicher  gelebt  habe, 
welcher  er  die  drei,  oben  mit  einem  Kreuz  versehenen  Gattungen 
Pliopithecus ,  Dryopithecns  und ,  als  wahrscheinlich  auch ,  Palaeo- 
pithemis  zurechnete.  Er  betont  ausdrücklich,  dass  diese  primitive 
Gruppe  gleichweit  von  jeder  der  heute  lebenden  Gattungen  entfernt 
stehe,  dass  sie  namentlich  nicht  dem  Gibbon  näher  verwandt  sei, 
als  den  anderen  Geschlechtern. 

Ich  habe  aber  am  angezogenen  Orte  schon  darauf  hingewiesen, 
dass  sich  in  seinen  Worten  ein  Widerspruch  findet,  wenn  er  (1.  c.  S.  93) 
an  anderer  Stelle  sagt,  dass  aus  dem  Zahnbau  des  Pliopithecus  un- 
zweifelhaft seine  Zugehörigkeit  zu  der  Familie  der  Gibbons  hervor- 
gehe.    Ich   glaube ,    dass    Dubois    mit   diesen    letzteren  Worten    hin- 


—    111    — 

sichtlich  der  Stellung  des  Pliopithecus  dem  Thatsächlichen  näher 
gekommen  ist,  als  mit  jenen  ersteren. 

Es  hat  auch  schon  früher  Dames  ^  die  Ansicht  ausgesprochen, 
dass,  mit  Ausnahme  des  Pithecanthrojms  ^  ^  alle  fossilen  Anthropo- 
morphen  mehr  oder  weniger  enge  Beziehungen  zum  Gibbon  haben. 
Die  Wichtigkeit  einer  solchen  Thatsache  sieht  er  im  Folgenden : 
Der  Gibbon  ist  der  niedrigst  organisierte,  zugleich  aber  der  generali- 
sierteste der  Menschenähnlichen ;  er  geht  trotz  seiner  überaus  langen 
Arme  mehr  aufrecht  als  die  anderen  Affen,  er  tritt  auch  mit  der 
ganzen  Sohle  auf  und  nicht,  wie  die  drei  anderen  Gattungen,  mehr 
mit  der  Aussenseite. 

Auch  Kollmann  hat  sich  eben  dahin  geäussert,  Gorilla,  Chim- 
panse  und  Orang  seien  zu  sehr  specialisiert ,  als  dass  von  solchen 
Wesen  die  Abzweigung  neuer  Typen  erwartet  werden  könnte.  Hier- 
gegen gestatte  gerade  ein  derartig  generalisierter  Gibbontypus  eine 
Abzweigung  oder  Entstehung  neuer  Formen  aus  ihm  heraus.  Koll- 
mann sucht  daher  die  Stammform  des  Menschen  unter  früheren 
Gibbonformen  (s.  S.   112  ff.). 

Meiner  Ansicht  nach  trifft  diese  von  Dames  und  Kollmann  ver- 
tretene Auffassung  entschieden  das  Richtige.  Wer  die  Molaren 
des  Pliopithecus  betrachtet,  wird  zugeben  müssen,  dass 
dieselben  unter  allen  lebenden  Menschenaffen  am  meisten 
an  diejenige  des  Gibbon  sich  anschliessen. 

Dasselbe  gilt  aber  meiner  Ansicht  nach  auch  von  den 
Molaren  des  Dryopithecus  einschliesslich  der  hier  be- 
schriebenen, aus  dem  Bohnerz  der  Alb  stammenden  Zähne^. 
Namentlich  wenn  die  Zähne  des  Dryopithecus  etwas  ab- 
gekaut sind,  tritt  diese  Ähnlichkeit  mit  denen  des  Gibbon 
scharf  hervor.  Im  unbenutzten  Zustande  zeigen  sie  einige 
Schmelzleisten,  was  darauf  hinweisen  könnte,  dass  aus 
dieser  alten  generalisierten  Gibbonfamilie  sich  auch  Orang 
und  Chimpanse  abgezweigt  haben,  bei  welchen  die  Bil- 
dung dieser  Schmelzleisten  in  hohem  Grade  gesteigert 
erscheint,  während  sie  bei  den  anderen  Nachkommen,  den 
heutigen  Gibbons,  sich  ganz  verloren  hätte. 


1  Pithecanthrojms.     „Deutsche  Rundschau"  1896.     Heft  12.  S.  381. 

^  AVelchen  er  mit  E.  Ddbois  als  eine  Übergangsform  zmschen  Affe  und 
Mensch  auffasst. 

3  Ich  habe  zum  Beweise  dessen  einen  Zahn  des  Gibbon  im  vergrösserten 
Massstabe  abbilden  lassen  (Taf.  II  Fig.  3). 


—     112     — 

Während  aber  durch  die  Gestalt  der  Molaren  des  Pllo- 
und  des  Dryoplthecus  die  Zugehörigkeit  dieser  Gattungen 
auf  der  einen  Seite  zu  einer  primitiven  Familie  der  Gib- 
bons wahrscheinlich  wird  — 

so  wird  auf  der  anderen  Seite  durch  die  grosse  Ähn- 
lichkeit dieser  Molaren  mit  denen  des  Menschen  auch 
wieder  der  Verdacht  rege,  dass  die  Gattung  Homo  dieser 
alten  Familie  der  Gibbons  entsprossen  sein  möchte  oder 
doch  mit  derselben  näher  verwandt  sein,  d.  h.  gemeinsamer 
Wurzel  entstammen  könnte. 

Vielleicht  wäre  in  Betracht  zu  ziehen,  ob  etwa  auch 
Pithecanthropus  ein  Abkömmling  dieser  Familie  von  Gib- 
bonen  sein  könnte,  bei  welchem  die  Natur  in  der  Aus- 
bildung des  Gehirnes  weiter  zu  dem  heute  Menschlichen 
vorstiess,  als  bei  irgend  einem  anderen  bisher  bekannten 
Affen.  ViKCHOW  hat,  wie  wir  sahen  (S.  101,  106),  diese  Form 
ja  für  einen  Gibbon  erklärt,  Eimer  dagegen  bestreitet  das 
(vergl.  auch  das  von  Kollmann  Gesagte  im  nächsten  Abschnitte). 

2.  Die  Körpergrösse  des  früheren  Menschen. 

Wer  mit  E.  Dübois  den  Pithecanthropus  für  das  Übergangsglied 
aus  dem  Affen  in  den  Menschen  ansieht,  der  vertritt  damit  unaus- 
gesprochen zugleich  auch  die  Ansicht,  dass  die  ersten  Menschen  un- 
gefähr dieselbe  Körpergrösse  besessen  haben,  wie  der  heutige  Mensch ; 
denn  PühecantJiroptts  ist  ungefähr  von  menschlicher  Grösse  gewesen. 

In  der  That,  wenn  man  sich  die  menschlichen  Vorfahren  der 
heutigen  Menschenrassen  vorstellt,  so  wird  man  unwillkürlich  von 
der  Idee  beherrscht  sein,  dass  dieselben  zwar  auf  einer  geringeren 
Kulturstufe  gestanden  haben ,  dass  sie  aber  nicht  von  geringerer 
Körpergrösse  gewesen  seien,  als  der  heutige  Mensch.  Ja,  umgekehrt 
sogar  wird  man  eher  geneigt  sein,  sich  dieselben  mit  einer  höheren 
Gestalt  begabt  zu  denken,  indem  man  von  der  ganz  richtigen  Vor- 
stellung ausgeht,  dass  durch  das  Kulturleben  und  durch  die  starke 
Beanspruchung  der  Gehirnthätigkeit  der  Körper  allmälig  verweich- 
licht, geschädigt,  geschwächt  wurde. 

Auf  der  anderen  Seite  kann  man  freilich  geltend  machen,  dass 
die  Haustiere  den  Beweis  liefern,  wie  nicht  selten  gerade  durch  die 
Kultur  eine  grössere  Körpergestalt  entstanden  ist.  Indessen  es  decken 
sich  die  Begriffe  „Kultur"  in  diesen  beiden  Fällen  nicht  ganz.  Beim 
Haustiere  ist  „Kultur"  gleichbedeutend  mit  besserer  Pflege  und  Er- 


—     113     — 

nährung,  sowie  mit  Auswahl  der  zu  paarenden  Tiere.  Beim  Menschen 
dagegen  liegt  in  diesem  Ausdrucke  vor  allem  ein  Zustand  höherer 
Gesittung,  höherer  geistiger  Thätigkeit.  Aber  ein  kultureller  Fort- 
schritt nach  dieser  Richtung  hin  hat  doch  auch  ganz  denselben  Fort- 
schritt im  Gefolge,  welchen  die  „Kultur"  für  die  Haustiere  mit  sich 
bringt,  nämlich  bessere  Pflege  und  bessere  Ernährung,  wenigstens 
für  viele. 

Die  Kultur  wirkt  also  auf  den  menschlichen  Körper  und  seine 
Grösse  nach  zwei  entgegengesetzten  Richtungen  hin  ein :  Teils 
schädigend,  schwächend,  verkleinernd,  teils  aber  auch  stärkend,  ver- 
grössernd.  Ob  diese  Richtungen  sich  das  Gleichgewicht  halten  oder 
ob  die  eine,  bezw.  die  andere  obsiegt  und  im  Laufe  der  Zeiten  ob- 
gesiegt hat,  das  dürfte  schwer  zu  entscheiden  sein;  das  wird  sich 
aber  auch  im  allgemeinen  gar  nicht  beantworten  lassen ,  da  es  in 
verschiedenen  Fällen  sich  verschieden  damit  verhalten  wird. 

Nur  so  viel  geht  aus  dieser  Überlegung  hervor,  dass  wir  nicht 
ohne  weiteres  die  Berechtigung  haben ,  uns  das  menschliche  Ge- 
schlecht von  Anfang  an  in  derselben  Körpergrösse  vorzustellen,  welche 
dasselbe  heute  besitzt.  Es  wäre  sehr  wohl  möglich,  dass  die  ersten' 
Menschen  von  grösserer  oder  aber  von  geringerer  Körpergrösse  ge- 
wesen seien,  als  die  heutigen.  Daraus  würde  dann  natürlich  folgen, 
einerseits,  dass  die  Wesen,  aus  welchen  jene  Anfänge  des  Menschen- 
geschlechtes hervorgingen,  ebenfalls  eine  bedeutendere  oder  aber 
eine  geringere  Grösse  besessen  haben  müssten ;  anderseits,  dass  das 
Menschengeschlecht  erst  allmälig  bald  hier,  bald  dort  grössere, 
bezw.  kleinere  Rassen  gezeitigt  hätte ,  so  dass  sich  Reste  dieser 
grösseren,  bezw.  kleineren  Menschen  möglicherweise  noch  bis  in  die 
heutige  Zeit  erhalten  haben  könnten. 

Riesenmenschenrassen  kennt  man  bisher  auf  der  Erde  nicht, 
wohl  aber  Zwerg-  oder  besser  Pygmäenrassen;  und  zwar  hat  man 
letztere  sowohl  unter  der  heutigen  Bevölkerung  der  Erde  als  auch 
unter  der  früheren,  der  prähistorischen,  gefunden.  Auf  diesen  That- 
sachen  fussend  hat  denn  Kollmann  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass 
die  Vorfahren  der  heutigen  Menschenrassen  Europas  ganz  allgemein 
von  kleinem  Wüchse ,  Pygmäen ,  gewesen  seien ,  dass  wir  unsere 
heutige  Körpergrösse    also    erst    allmälig    erlangt   hätten  ^     Es   sind 


^  Pygmäen  in  Europa.  Verhandl.  d.  anatom.  Ges.  a.  d.  8.  Vers,  zu  Strassburg, 
Jena  1894.  S.  206—214.  Pygmäen  sind  normal  entwickelte  Menschen  von  geringer 
Körpergrösse,  also  nicht  zu  verwechseln  mit  Zwergen,  -welche  eben  nicht  normal 
entwickelte ,   sondern   degenerierte  Individuen  körperlich  grosser  Menschen  sind. 

Jahreshefte    d.  Vereins  f.  vaterl.  iNatiirkunde  in  Württ.  1S9S.  8 


—     114     — 

nämlich  nicht  nur  am  Schweizerbild  bei  Schaffhausen  Reste  solcher 
prähistorischen  (neolithischen)  Pygmäen  von  Kollmann  gefunden  wor- 
den, sondern  Sergi  in  Rom  hat  auch  in  Sicilien,  Sardinien  und  Süd- 
italien aus  Schädeln  das  ehemalige  Dasein  einer  solchen  kleinen 
Menschenrasse  nachgewiesen ;  auch  Plinius  und  andere  klassische 
Schriftsteller  sprechen  bereits  von  dem  Dasein  derselben  in  Europa. 
So  lässt  sich  jetzt  schon  die  ehemalige  Verbreitung  dieser  Pygmäen- 
rasse von  der  Schweiz  zum  Mittelmeer  und  bis  in  den  Osten  Europas 
feststellen.  In  Europa  bestehen  aber  offenbar  noch  heute  Reste 
dieser  kleinen  Menschenrasse  weiter  fort.  In  Itahen  kommen  sie 
überall  vor;  ja,  Sergi  giebt  nach  den  Rekrutierungslisten  an,  dass 
sie  in  manchen  Bezirken  in  der  stattlichen  Zahl  von  13 — 16  %  auf- 
träten. In  allen  Gouvernements  Russlands,  vom  Schwarzen  Meere 
bis  zum  Ladoga-See,  von  Kasan  bis  Volhynien  sind  sie,  nach  Koll- 
mann, zu  finden.  Sicher  werden  aber  auch  in  den  übrigen  Ländern 
Europas  wenigstens  vereinzelte  Reste  noch  vorhanden  sein. 

Auch  heute  noch  leben  in  weiter  Verbreitung  Pygmäen  in 
Oceanien,  Asien  und  Afrika.  In  Centralasien  ist  wieder  ganz  neuer- 
dings auf  der  Hochsteppe  des  Pamir  ein  bisher  unbekanntes  Zwerg- 
volk entdeckt  worden,  dessen  Haustiere  von  ähnlich  zwerghaftem 
Wüchse  sind.  Wenn  indessen  die  Ansicht  der  Erforscher  dieser  Pyg- 
mäen, der  dänischen  Offiziere  Olissen  und  Felipsen,  richtig  sein 
sollte,  dass  die  zwerghafte  Entwickelung  dieses  Volkes  auf  die  kärg- 
liche Ernährung  in  den  unwirtlichen  Bergsteppen  des  Pamir  zurück- 
zuführen ist  —  für  welche  Ansicht  der  ebenfalls  zwerghafte  Wuchs 
der  Haustiere  spricht  —  dann  würde  man  diese  Pygmäen  allerdings 
nicht  als  einen  Rest  der  kleinen  ürrassen  des  Menschengeschlechtes 
zu  betrachten  brauchen,  denn  es  könnte  sich  in  diesem  Falle  ebenso- 
wohl um  klein  gewordene  Nachkommen  einer  einst  gross  ge- 
wesenen Rasse  handeln  \ 

Für  die  afrikanischen  Zwergvölker  hat  Schlichter^  nachgewiesen, 
dass  nicht  nur  im  Urwaldgebiete  Pygmäen  wohnen,  sondern  auch 
im  waldfreien,  bergigen  Südostteile  des  Kontinentes.  Könnte  man 
sie  vielleicht  im  Waldgebiete,  wie  jene  des  Pamir,  nur  für  degeneriert, 
dem  Urwaldleben  angepasst  hinstellen  wollen,  so  würde  eine  solche 
Erklärung  sofort  fallen  müssen  im  Hinblick  auf  jene  Bewohner  des 


^  Ich  entnehme  Obiges  nach  Fertigstellung  des  Manuskripts  dem  Stutt- 
garter Neuen  Tagblatt.  1897.  März. 

^  Vergl.  seinen  Aufsatz  im  Schwäbischen  Merkur.  11.  März  1896.  S.  507 
und  508  der  Schwäbischen  Chi-onik. 


—     115     — 

waldfreien  Gebietes.  Schlichter  kommt  so  im  Verlaufe  seiner  Unter- 
suchungen zu  dem  Ergebnisse,  dass  diese  Pygmäen  die  letzten,  wenn- 
gleich noch  recht  verbreiteten  Keste  einer  ehemaligen  Urbevölkerung 
sind,  welche  ausschliesslich  aus  Pygmäen  bestand  und  sich  vom  West- 
sudan bis  zum  Osthorn  Afrikas  und  von  da  bis  zum  Kap  der  Guten 
Hoffnung  ausdehnte.  Auch  hier  findet  sich  Bestätigung  in  den  An- 
gaben der  Schriftsteller  des  Altertums;  denn  auch  wenn  man  von 
Homer,  Ovid,  Jüvenal  und  anderen  Dichtern  absieht,  so  berichten 
doch  in  zuverlässiger  Weise  Aristoteles,  Strabo,  Pomponiüs,  Mela, 
Pliniüs,  Herodot  über  die  äquatorialen  Pygmäen  Afrikas  ihrer  Zeiten. 
Die  Körpergrösse  dieser  Pygmäen  schwankt  zwischen  1,20  und 
1,50  m  Höhe.  Sievers  ^  giebt  für  die  kleinsten  Menschenrassen  der 
Erde  die  folgenden  Zahlen  an: 

Lappen 138 — 150  cm 

Eskimo 140—150    „ 

Buschmänner 130 — 140     „ 

Batua 130—145     „ 

Akka 124—140    „ 

Abongo 130—150    „ 

Unter  solchen  Umständen  erlangt  die  Ansicht  eine  gewisse  Be- 
deutung, dass  die  ältesten  Vorfahren  des  Menschengeschlechtes  Pyg- 
mäen gewesen  seien.  Ist  dem  so ,  dann  müsste  natürlich  auch  die 
Affengattung,  aus  welcher  sich  diese  Zwerge  entwickelten,  von  wesent- 
lich geringerer  Körpergrösse  gewesen  sein ,  als  der  heutige  Mensch 
sie  besitzt.  Demzufolge  würde  man  dann  aber  auch  Pithecanthropus, 
welcher  etwa  die  Grösse  des  letzteren  hat,  unmöglich  für  den  Vor- 
fahren des  Menschengeschlechtes  erklären  dürfen.  Daher  ist  denn 
Kollmann  der  Ansicht,  dass  Pithecanthropus  keine  Übergangsform, 
«ondern  ein  riesenhafter  Gibbon  gewesen  sei,  welcher  eben  wegen 
dieser  gewaltigen  Grösse^  an  der  Grenze  der  Variabilität  angelangt 
und  ein  Dauertypus  geworden  sei.  Ein  solcher  aber  kann  nicht  ein 
Übergangsglied  bilden.  Derartige  Übergangsformen  zwischen  Mensch 
und  Affe  müssten  vielmehr  aus  kleinen  Affen  hervorgegangen  sein. 
Diese  kleinen  Affengestalten  aber,  aus  welchen  jene  alten  Pygmäen- 

1  Die  Zwergvölker  in  Afrika.  28.  Bericht  d.  Oberhessischen  Ges.  f.  Natur- 
und  Heilkunde.   Giessen  1892.  S.  114—117. 

^  Vergl.  in  E.  Dubois,  Pithecanthropus  erectus,  betrachtet  als  eine  wirk- 
liche tJbergangsform  und  als  Stammform  des  Menschen.  Zeitschr.  f.  Ethnologie. 
Berlin  1895.  Jahrg.  27.  S.  740,  die  Ausführungen,  welche  Kollmann  an  Pithec- 
anthropus knüpft. 

8* 


—     116     - 

menschen  entsprangen,  müssen  nach  ihm  allerdings  auch  den  Gib- 
bons angehört  haben:  denn  die  heutigen  Gibbons  haben  nicht  nur. 
im  Verhältnis  zu  ihrer  Körpergrösse  das  grösste  Gehirn  unter  allen 
Anthropomorphen ,  sondern  auch  ihr  Gehirnschädel  entbehrt  der 
Knochenleisten,  welche  bei  den  drei  anderen,  grossen  Anthropo- 
morphengeschlechtern  zum  Ansatz  der  gewaltigen  Kaumuskeln  dienen 
und  damit  „eine  weitere  Ausdehnung  des  Gehirnschädels  wie  in  eherne 
Fesseln  schlugen". 

Das  Gehirn  jener  oben  besprochenen  Pygmäenvölker  ist  natür- 
hch,  entsprechend  ihrer  geringeren  Grösse,  auch  von  absolut  ge- 
ringerem Gewichte,  als  dasjenige  grösserer  Menschen.  Ihre  Gehirn- 
kapazität schwankt  zwischen  1000  und  1300  cbcm,  während  dieselbe 
bei    den   grossen    europäischen  Rassen   3 — 400  cbcm   mehr  beträgt. 

Das  absolute  Gewicht  ist  übrigens  keineswegs  entscheidend  für 
die  Leistung  des  Gehirnes.  Man  glaubte  allerdings  früher  einmal, 
dass  der  Mensch  das  absolut  schwerste  Gehirn  besitze.  Allein  diese 
noch  im  Altertum  wurzelnde  Meinung  musste  aufgegeben  werden,  als 
man  bei  dem  Elefanten  und  Walfisch  noch  schwerere  Gehirnmassen 
kennen  lernte. 

Ebenso  wenig  haltbar  erwies  sich  die  andere  Ansicht,  dass  dem 
Menschen  wenigstens  im  Verhältnis  zu  dem  Gewichte  des  ganzen 
Körpers  das  schwerste  Gehirn  zukomme;  denn  während  beim  Menschen 
das  Gehirngewicht  nur  V35  bis  Vae  '^^n  dem  Körpergewichte  beträgt, 
ist  bei  einer  Anzahl  von  Vögeln  und  kleinen  Säugern ,  namentlich 
Affen,  das  Gehirn  verhältnismässig  viel  schwerer:  sein  Gewicht  steigt 
hier  selbst  bis  zu  V^g  von  demjenigen  des  ganzen  Körpers,  so  dass 
diese  Tiere  (gewisse  Vögel)  verhältnismässig  dreimal  so  viel  Gehirn- 
masse besitzen,  wie  der  Mensch  ^. 

Erst  in  einer  dritten  Beziehung  lässt  sich  das  Übergewicht  der 
Thätigkeit  des  menschlichen  Gehirnes  auch  in  dem  verhältnismässigen 
Übergewichte  seiner  Masse  erkennen :  Wenn  man  nämlich  bei  den 
verschiedenen  Tieren  das  Gewicht  ihres  Gehirnes  und  Rückenmarkes 
miteinander  vergleicht.  Es  leuchtet  ja  ein ,  dass  der  Mensch  für 
seine  tierischen  Verrichtungen,  Bewegung  und  Empfindung,  wie  für 
seine  vegetativen,  Ernährung  und  Fortpflanzung,  an  Rückenmark  und 
peripherischer  Nervenmasse  einem  ihm  gleich  grossen  und  gleich 
schweren  Tiere,  wie  z.  B.  dem  Gorilla,  etwa  gleichkommen  wird, 
dass  er  aber  für  seine  so  viel  grösseren  geistigen  Verrichtungen  ein  ent- 


^  Ranke,  Der  Mensch.  I.  S.  551 — 552. 


—     117     — 

sprechend  grösseres  Mass  von  Gehirnmasse  gebrauchen  muss.  In 
sehr  klarer  Weise  hat  Joh.  Ranke  ^  neuerdings  diese  Beziehungen 
festgestellt^  und  gezeigt,  dass  der  Mensch  durch  eine  breite  Kluft 
von  den  Tieren  getrennt  ist,  wenn  das  Gewicht  des  Gehirnes  mit 
dem  des  Rückenmarkes  und  der  Augen  verghchen  wird;  denn  im 
Verhältnis  zu  Rückenmark  und  Augen  als  Sinnesorganen,  wie  zu 
dem  ganzen  übrigen  Nervensystem,  besitzt  der  Mensch  unter  allen 
Wirbeltieren  das  schwerste  Gehirn. 
Es  ist  nämlich  das  Gehirn 
bei  dem  Menschen  50  mal  schwerer  als  das  Rückenmark^ 

„       „     Gorilla^      20-17    „  „  „       „ 

„     anderen  Säugern  5 — 2      „  „  „       „  „ 

„        „     Vögeln        10—2      „  „  „       „  „ 

„     dem   Frosche    etwa   2      „  „  «       n  v 

„        „     Schellfisch  „     ebenso  schwer         r>       r>  n 

Ähnlich    verhält   es   sich  mit  den  Augen.     Es  ist  nämlich  das 
"Oehirn 

bei  dem  Manne  etwa  100  mal  schwerer  als  die  Augen  ^, 
bei  den   Säugetieren  nur  8 — 6 — 1,7  mal  schwerer  als  die  Augen. 
Es   geht   auch    aus    diesen  Untersuchungen   die  hier  mehrfach 
betonte  Thatsache  hervor,  dass  sich  unmöglich  enge  genetische  Be- 
ziehungen knüpfen  lassen  zwischen  dem  heutigen  Menschen  und  den 
heutigen  anthropomorphen  Affen,  denn  beide  stehen  jetzt  am  äussersten 

1  Correspondenzblatt  der  deutschen  Gesellschaft  für  Anthropologie,  Ethno- 
logie und  Urgeschichte.  Jahrg.  26.  1895.  S.  100—106. 

^  Wobei  von  dem  Gewichte  der  peripherischen  Nerven  abgesehen  werden 
musste,  wegen  der  Schwierigkeit,  dasselbe  festzustellen. 

ä  oder  Gehirngewicht :  Eückenmarkgewicht  = 


100  : 

2     Mensch 

100 

10  Sperling 

100  : 

5—6  Gorilla 

100 

50  Henne 

(  100 

22     Siebenschläfer 

100 

57  weiblicher  Frosch 

t  100 

47     Kuh 

100 

100  Schellfisch 

*  Für  die  anthropomorphen  Aifen  sind  leider  derartige  Bestimmungen  noch 
nicht  ausgeführt  worden.  Schätzungsweise  aber  lässt  sich  sagen,  dass  der  Gorilla 
bei  einem  Rückenmarksgewichte  glöich  dem  des  Menschen,  also  etwa  28  g,  da- 
gegen einem  Gehirngewichte  von  nur  500  g  (gegen  1200,  1300,  1400  g  beim 
Menschen)  ein  Verhältnis  von  100  :  5—6  besitzt,  d.  h.  sein  Gehirn  ist  nur  20-  bis 
17  mal  so  schwer  als  das  Rückenmark. 
^  oder  Gehirn-  :  Augengewicht  = 

100  :     1  Mensch  100  :  18  Pferd 

100  :  12  grosser  Hund  100  :  21  Siebenschläfer 

100  :  16  Kuh  100  :  60  Kaninchen 


-     118     — 

Ende  zweier  stark  divergierender  Zweige.  Um  engere  genetische 
Beziehungen  finden  zu  können  zwischen  dem  Menschen  und  den 
Menschenähnhchen ,  dazu  bedürfte  es  des  Hinabtauchens  in  längst- 
vergangene Zeiten  und  des  Aufdeckens  fossiler  Reste,  nicht  nur  von 
einem,  sondern  von  beiden,  welche  vermutlich  hier  wie  dort  den 
heute  lebenden  unähnlich  sich  erweisen  würden;  aber  vielleicht  der 
Mensch  in  sehr  viel  höherem  Grade  unähnlich  als  der  Anthropo- 
morphe. 

Noch  in  jetziger,  alluvialer  Zeit,  ja  sogar  noch  vor  verhältnis- 
mässig wenigen  Jahrtausenden,  stand  auch  der  europäische  Mensch 
auf  der  niedrigen  Entwickelungsstufe ,  welche  die  heute  am  tiefsten 
stehenden  wilden  Völker  einnehmen,  wie  uns  das  seine  Geräte,  seine 
Waffen  und  Kunstprodukte  sowie  die  übrigen  Spuren  seiner  Lebens- 
weise beweisen.  Und  dennoch  hat  er  in  dieser  —  geologisch  ge- 
sprochen —  kurzen  Spanne  Zeit  sich  entwickelt  bis  zu  dem,  was 
er  heute  ist. 

Seit  gewaltig  viel  längerer  Zeit,  seit  dem  mittleren  Miocän, 
kennen  wir  menschenähnliche  Affen.  Und  alles  spricht  dafür,  dass 
dieselben  während  dieser  ungeheuren  Zeiträume  entweder  auf  ganz 
derselben  Entwickelungsstufe  stehen  geblieben  sind,  oder  aber,  dass 
sie  gar  einen  absteigenden  Entwickelungsgang  eingeschlagen  haben; 
so  dass  dann  ihre  Vorfahren,  oder  wenigstens  eine  Abteilung  der- 
selben, vielleicht  begabter,  entwickelungsfähiger  waren,  als  die  heuti- 
gen Vertreter  der  Anthropomorphen. 

Auf  jeden  Fall  sind  die  beiden  heutigen  Endgheder  dieser 
beiden  Zweige,  trotz  vieler  Ähnlichkeit  in  körperlicher  Beziehung, 
doch  in  dem  Wesentlichsten  einander  sehr  unähnlich  geworden. 
Nicht  daher  diese  einander  bereits  unähnlich  gewordenen  Endglieder 
beider  divergierender  Zweige  können  uns  den  Aufschluss  geben, 
welchen  wir  erwarten,  sondern  die  Anfangsglieder  dieser  Zweige 
gilt  es  zu  finden,  nahe  der  Stelle,  an  welcher  Beide  dem  Haupt- 
aste entsprossten. 

Es  kann  auch  unmöglich  zum  gewünschten  Ziele  führen,  wenn 
wir  fossile  Menschenaffen  mit  dem  heutigen  Menschen  vergleichen; 
denn  wenn  wir  selbst  vielleicht  das  richtige  Anfangsglied  des  Anthropo- 
morphenzweiges  finden,  aber  dasselbe  nur  mit  dem  Endgliede  des 
Menschenzweiges  vergleichen  könnten,  so  müssten  sich  selbstver- 
ständlich auch  da  noch  gewichtige  Unterschiede  ergeben. 

Trotzdem  bleibt  uns  zunächst,  bis  wir  fossile  Menschen  tertiärer 
Zeit  zum  Vergleiche  haben,  nichts  Anderes  übrig,  als  den  heutigen 


—     119     — 

Menschen  zum  Vergleichsobjekte  zu  nehmen.  Nur  darf  man  dann 
die  sich  hierbei  notwendig  ergebende  Ungleichheit  nicht  als  sicheren 
Beweis  dafür  betrachten  wollen,  dass  die  Kluft  zwischen  Mensch 
und  Tier  unüberbrückbar  ist. 

Ich  habe  oben  gesagt,  dass  Pithecanthropus  auch  darum  nicht 
ein  Übergangsglied  zwischen  Mensch  und  Affe  zu  sein  scheine,  weil 
dieser  Übergang  sich,  wie  ich  annehmen  möchte,  bereits  lange  be- 
vor Pithecantliropus  lebte,  vollzogen  haben  dürfte  (S.  108).  Wenn 
man  fragt,  zu  welcher  Zeit  zum  ersten  Male  Wesen  aufgetreten 
sein  mögen,  welche  den  Namen  „Mensch"  verdienten,  so  ist  ja  aller- 
dings Thatsache,  dass  die  ältesten,  ganz  sicher  beglaubigten  Spuren 
des  Menschen  nur  aus  der  diluvialen  Epoche  zwischen  den  beiden 
Hauptvergletscherungen  stammen. 

Mit  Recht  daher  sträubt  man  sich ,  auf  Grund  bisheriger  un- 
sicherer Beweise  das  Dasein  des  Menschen  zur  Tertiärzeit  für  er- 
wiesen anzuerkennen.  Aber  an  und  für  sich  ist  der  tertiäre  Mensch 
eine  notwendige  Voraussetzung ,  um  die  geographische  Verbreitung 
des  quartären  verstehen  zu  können.  Aus  Europa,  Asien,  Nord-  und 
Südamerika  kennt  man  jetzt  bereits  Spuren  des  quartären  Menschen. 
Wie  sollte  man  nun,  und  viele  haben  das  schon  früher  hervorgehoben, 
diese  weite  Verbreitung  des  diluvialen  Menschen  erklären,  wenn 
nicht  schon  in  tertiärer  Zeit  Menschen  vorhanden  gewesen  wären 
und  von  ihren  Entstehungscentren  aus  bereits  damals  in  diese  von 
einander  so  entfernten  Gegenden  gewandert  wären?  Denn  in  dilu- 
vialer Zeit  mussten  die  Wanderungen  durch  die,  Europa  wie  Nord- 
amerika bedeckenden  Gletschermassen  mindestens  sehr  erschwert 
werden. 

Nun  wird  freilich  eingeworfen ,  zu  tertiärer  Zeit  könne  noch 
gar  nicht  der  Mensch  von  heutzutage  gelebt  haben,  da  er  sich  seit 
jener  Zeit  ebenso  wie  die  Tierwelt  hätte  verändert  haben  müssen. 
Allein  dieser  Einwand  ist  einmal  nicht  völlig  stichhaltig,  da  es  stets 
neben  zahlreichen  Formen  von  kurzer  Lebensdauer,  welche  die  Zeit 
einer  Formationsabteilung  nicht  überlebten,  auch  solche  von  langer 
Dauer   gegeben   hat^     Mit   Bezug   darauf  hebt   Schlosser^   hervor, 


1  Vergl.  Morse,  Man  in  the  Tertiaries;  The  American  Naturalist  1884. 
Vol.  18.  S.  1001 — 1031.  Schaafliausen,  L'homme  prehistoriqne ;  Congres  inter- 
national d'anthropologie  et  d'arclieologie  prehistoriqne.  Lisbonne  1884.  S.  140—150. 
Zaborowsky,  L'homme  tertiaire.     Revue  scientitlque  1885.  S.  426 — 432. 

-  Litteraturbericht  f.  Zoologie  f.  d.  Jahr  1885  im  Archiv  für  Anthropolo- 
gie S.  160  sub  Arcelin. 


—     120     — 

dass  nicht  nur  die  meisten  heutigen  Säugetiergattungen  bereits  zur 
Phocänzeit  gelebt  haben ,  sondern  dass  auch  —  nach  Schlosser's 
Auffassung  —  alle  anthropomorphen  Affengattungen  damals  schon 
bestanden,  z.  T.  sogar  bis  in  das  Miocän  zurückgehen.  Warum  also 
nicht  auch  die  Gattung  Horno?^ 

Zweitens  aber  handelt  es  sich  hierbei  gar  nicht  darum,  dass 
der  heutige  Mensch,  die  Species  Homo  sapiens^  bereits  zu  tertiärer 
Zeit  gelebt  haben  soll.  Es  ist  im  Gegenteil^  viel  wahrscheinlicher, 
dass  dieser  tertiäre  Homo  einer  anderen  Art,  als  der  heutigen,  an- 
gehört habe;  einer  Art,  welche  nicht  nur  in  Bezug  auf  die  den 
Menschen  besonders  kennzeichnenden,  geistigen  Eigenschaften  noch 
auf  einer  sehr  niedrigen  Entwicklungsstufe  stand,  sondern  auch  in 
ihrem  Zahn-  und  Knochenbau  noch  gewisse  kleine  Unterschiede  vom 
heutigen  Menschen  aufwies. 

Ich  rede  absichtlich  hier  nur  von  „Unterschieden",  nicht  von 
einer  „niedrigeren  Entwickelungsstufe"  des  Knochenbaues;  denn 
keineswegs  darf  man  bei  allen  körperlichen  Merkmalen  des  heutigen 
Menschen,  den  anthropomorphen  Affen  gegenüber,  ohne  weiteres  von 
höherer  Organisation  reden.  Mit  Recht  spricht  vielmehr  Schlosser 
von  einer  Degeneration  des  Menschen  in  gewissen  körperlichen 
Eigenschaften. 

Freilich,  von  diesem  pliocänen  Menschen  kennen  wir  bisher 
keine  Knochenreste.  Aber  ist  das  auffallend?  Gewiss  nicht.  Die 
Gesamtzahl  aller  lebenden  Anthropomorphen  auf  Erden  mag  nicht 
sehr  viele  Tausend  betragen^.-  Noch  viel  dürftiger  aber  mag  die 
Zahl  der  pliocänen  Menschen  gewesen  sein.  Winzige  Reste  nur  sind 
von  fossilen  Anthropomorphen  auf  uns  gekommen.  Nur  ein  wunder- 
barer Zufall  könnte  es  also  sein,  der  uns  die  Reste  des  seltenen 
Menschen  der  pliocänen  Epoche  erhalten  hätte. 

Auf  tertiäre,  vielleicht  gar  mitteltertiäre  Schichten  werden  wir 
mithin  unser  Augenmerk  richten  müssen,  wenn  wir  überhaupt  ein  Über- 
gangsglied zwischen  Mensch  und  Affe  finden  wollen.  Weit  eher  als 
PithecmüJiropus  scheint  mir  daher  unser  mitteltertiärer  schwäbischer 
Dryopithecus  mit  seinen  so  überraschend  menschenähnlichen  Zähnen, 
nicht  etwa  ein  Übergangsglied  zu  bilden,  sondern  als  Zeitgenosse  im 
stände  gewesen  zu  sein,  den  Menschen  in  statu  nascendi  zu  erblicken. 


'  Ob   man   sich   freilich  der  Ansicht  anschliessen  darf,    dass  die  heutigen 
antlu-opomorphen  Gattungen   bereits  damals  bestanden,   darüber  vergl.  S.  6 — 16. 
'■'  Yergl.  Schlosser,  1.  c.  S.  289. 

«  Schlosser,  1.  c.  S.  289. 


-     121     — 

Einstweilen  freilich  kennen  wir  weder  Überreste  der  ersten, 
„Mensch"  zu  nennenden  Wesen,  noch  auch  Überreste  jenes  höchst- 
organisierten Zweiges  der  anthroporaorphen  Affen,  aus  welchem  dieser 
Mensch  entsprang.  Ob  Pithecanthroiyus  etwa  der  letzte  Nachkomme 
eines  in  der  Entwickelung  bergab  gegangenen  Seitenastes  dieses 
höchstorganisierten  anthropomorphen  Zweiges  ist,  ob  in  Dyyojnfhecus 
nicht  ein  Mitglied,  wohl  aber  ein  Verwandter  dieses  Zweiges  vor- 
liegt, darüber  würde  man  erst  ein  Urteil  gewinnen  können,  wenn 
das  Skelett  beider  Gattungen  bekannt  wäre. 

Das  aber  werden  wir  wohl  festhalten  dürfen,  dass  die 
heutigen  anthropomorphen  Affen  nur  entferntere  Ver- 
wandte des  Menschen  sind;  dass  die  näheren  Verwandten, 
die  Vorfahren  des  Menschen  unter  einer  längst  ausgestorbe- 
nen Gattung  der  Anthropomorphen  zu  suchen  sind,  welche 
dem  Menschen  ähnlicher  im  Körperbau  war  —  namentlich 
hinsichtlich  der  Kürze  der  Arme  und  des  aufrechten  Ganges, 
wohl  auch  der  Schädelgrösse  —  als  die  heute  lebenden. 

Bemühungen,  den  Stammbaum  des  Menschengeschlechtes  zu  erkennen. 

Ebenso ,  wie  man  versuchte ,  ein  Bild  zu  gewinnen  von  der 
Gestaltung  jenes  Anthropomorphen ,  dem  einst  die  Gattung  Homo 
entsprang,  hat  man  auch  den  Versuch  gemacht,  eine  Vorstellung  zu 
erhalten  von  dem  Wege,  welchen  die  Entwickelung  der  Säugetier- 
welt zurückgelegt  haben  mag  seit  Beginn  der  Tertiärzeit  bis  hin 
zu  dem  Punkte,  an  welchem  sich  jene  hypothetische  Gattung  der 
Anthropomorphen  bildete.  So  lange  man  nur  festhält,  dass  das  Ver- 
suche sind,  noch  nicht  aber  Beweise,  kann  die  Sache  dadurch  nur 
gewinnen.  Je  verschiedenartiger  die  Standpunkte,  von  welchen  aus 
man  versucht,  das  Licht  auf  einen  Gegenstand  zu  werfen,  desto 
eher  werden  wir  allmälig  in  den  Stand  gesetzt,  denselben  zu  er- 
kennen. 

Bekanntlich  sind  die  Affen  der  alten  Welt  von  denen  der  neuen 
Welt  durch  gewisse  Merkmale  scharf  geschieden. 

Die  neuwelthchen  besitzen  (fast)  alle  ein  weniger  reduziertes 
Gebiss  ^  von  36  Zähnen ,  eine  breite  Nasenscheidewand  und  nach 
aussen  gerichtete  Nasenlöcher,  wie  das  ihr,  auf  die  flache  Nase  hin- 
weisender Name,  platyrrhine  Affen,  besagt. 

Die  altweltlichen  dagegen,    die  katarrhinen,  haben  bereits  ein 


1  Teil  II.  Abschnitt  IL.  B. 


—     122     — 

stärker  reduziertes  Gebiss  von  nur  32  Zähnen,  eine  schmale  Nasen- 
scheidewand und  nach  unten  stehende  Nasenlöcher. 

Ganz  diese  selben  drei  Merkmale  der  Katarrhinen  besitzt  aber 
auch  der  Mensch.  Es  wird  dadurch  ohne  weiteres  wahrscheinlich, 
dass  letzterer  mit  den  Affen  der  alten  Welt  näher  verwandt  ist,  mit 
denen  der  neuen  Welt  aber  nicht. 

Soviel  wir  bisher  von  fossilen  Affen  kennen,  lassen  sich  auch 
hier,  bei  den  Katarrhinen,  sogar  bis  ins  Miocän  hinab  ^  ganz  die- 
selben Unterscheidungsmerkmale  beider  Unterordnungen  verfolgen. 
Wir  dürfen  daher  wohl  mit  einer  gewissen  Sicherheit  annehmen, 
dass  bereits  in  der  mittleren  Tertiärzeit  beide  Unterordnungen  scharf 
von  einander  geschieden  waren.  Daraus  ergiebt  sich  aber  weiter, 
dass  wir  nicht  beide  direkt  auf  eine  gemeinsame  Stammform  zurück- 
führen können,  sondern  dass  für  jede  dieser  beiden  Unterordnungen 
eine  eigene  Stammform  bestanden  haben  muss,  welcher  sie  entsprang. 

Da  die  neuweltlichen,  die  amerikanischen  Affen  selbst  heute 
noch  eine  grössere  Zahnzahl  besitzen ,  so  müssen  wir  sie  als  die 
primitiveren  betrachten,  welche  den  Formen  alttertiärer  Zeiten  mit 
zahlreichen  Zähnen  offenbar  noch  näher  stehen.  Wogegen  die  euro- 
päisch-asiatischen, von  dem  vielzahnigen  Urtypus  bereits  weiter  ent- 
fernt, als  die  entwickelteren  anzusehen  sind,  was  auch  im  Einklang 
steht  mit  der  Thatsache,  dass  ihnen  die  Menschenähnlichen  ent- 
sprungen sind. 

Die  Logik  dieser  Sätze  erscheint  zwingend,  wir  finden  ihre 
grossen  Züge  wieder  in  dem  folgenden  Stammbaum  (s.  S.  123),  wel- 
chen schon  vor  langer  Zeit  Häckel  "^  gegeben  hat. 

Auch  Oskar  Schmidt  gelangt  zu  ähnlicher  Auffassung  wie 
Häckel.  Wie  dieser  bestreitet  er  jeden  näheren  Zusammenhang 
zwischen  den  alt-  und  den  neuweltlichen  Affen  ^.  Er  führt  diejenigen 
der  neuen  Welt  auf  Insektenfresser-artige  Stammformen  zurück,  die- 
jenigen der  alten  Welt,  also  auch  die  Anthropomorphen  und  den 
Menschen ,  auf  Dickhäuter-artige ,  indem  er  sich  auf  Ähnlichkeiten 
der  Zahnformen  stützt. 

In  der  That  erinnern  die  bunodonten  Backenzähne  des  Menschen 
und  der  menschenähnlichen  Affen  an  die  Höckerzähne  gewisser 
Pachydermen ,    namentlich   der  Schweine.     Es    gelangen  aus  diesem 


1  Vergl.  Teil  11.  Abschnitt  II.  B. 

^  Häckel,  Antliropogenie.  1872.  S.  478  u.  487.    Natürliche  Schöpfungs- 
geschichte. 1874.  S.  571  ff. 

^  Die  Sängetiere  in  ihrem  Verhältnis  zur  Vorwelt.   Leipzig  1884.  S.  2^8. 


—     123 


Mensch 


Affenmensch  (noch  sprachlos) 


Gorilla 


Chimpanse 


Orang 


Gibhon 


Afrikanische 


Asiatische 


Menschenaffen 
Anthropomorphe 

Katarrhine  Affen 
(der  alten  Welt) 


Platyrrhine  Affen 
(der  neuen  Welt) 


Lemuren 
Haihaffen 

Grunde  auch  Gaudry^  und  Filhol  zu  dieser  selben  Ansicht;  und 
der  von  Filhol  für  die  eocänen  Pseudolemuriden  gewählte  Name 
„Pachylemuriden"  soll  der  Vorstellung  Ausdruck  geben,  dass  zwischen 
Affen  und  Lemuren  einerseits  und  Pachydermen,  speciell  Suiden, 
anderseits  eine  nähere  Verwandtschaft  bestehe. 

Demgegenüber  ist  aber  Schlosser-  anderer  Meinung.  Er  be- 
tont, dass  eine  gleichartige  Ausbildung  der  Zähne,  sogar  auch  eben- 
falls des  Schädels,  nicht  notwendig  die  Folge  genetischer  Beziehungen 
sein  muss,  sondern  zufällig  durch  gleiche  Nahrung  entstanden  sein 
kann.  Nur  weil  die  Nahrung  der  altweltlichen  Affen  derjenigen  der 
Huftiere  ähnlich  war,  entstand  unabhängig  von  einander  hier  wie  dort 
eine  ähnliche  Zahngestalt.  Wogegen  bei  denjenigen  Affen ,  welche 
die  omnivore  Lebensweise  beibehielten,  die  Annäherung  der  Zahn- 
gestalt an  den  Huftiertypus  eine  geringere  bheb. 

Die  Verwandtschaft  der  Affen  und  Lemuren  mit  den  Pachy- 
dermen besteht  nach  Schlosser  also  ledighch  darin,  dass  beide  von 
Insektivoren-ähnlichen  Vorfahren  mit  trituberkularen ,  bezw.  tuber- 
kularsektorialen  Molaren  und  sehr  einfachen  Prämolaren,  sowie  fünf 
Zehen  hervorgegangen  sind. 


^  Enchainements  du  monde  animal.     Paris. 
2  Die  Affen,  Lemuren Teil  I.  S.  53. 


—     124     — 

Es  lässt  sich  im  allgemeinen  gegen  diese  Erklärung  nichts  ein- 
Avenden,  da  es  feststeht,  dass  übereinstimmende  Organisation  sich 
nicht  selten  bei  zwei  Tiergruppen  findet,  welche  gar  keine  nähere 
Verwandtschaft  besitzen ,  so  dass  dann  diese  übereinstimmenden 
Merkmale  entschieden  nicht  als  gemeinsames  Erbteil  von  demselben 
Vorfahren  erlangt  sein  können,  sondern  unabhängig  von  einan- 
der infolge  übereinstimmender  Lebensweise  erworben  sein  müssen. 
Jene  Ansicht  Schlosser's  ist  daher  im  allgemeinen  durchaus  un- 
angreifbar; ob  sie  in  diesem  besonderen  Falle  aber  auch  angewendet 
werden  darf,  das  wird  natürlich  strittig  bleiben. 

Thatsache  ist  jedenfalls ,  dass  Zähne  trotz  ihrer  Härte  offen- 
bar ein  sehr  biegsames  Material  sind,  welches  unter  verschiedenen 
Einflüssen  im  Laufe  der  Zeiten  sehr  verschiedenartige  Formen 
annahm  ^ 

Wir  stehen  hier  vor  einem  tiefgreifenden  Unterschiede  der 
Meinungen,  deren  jede  gute  Gründe  für  sich  anzuführen  vermag: 
Während  jene  jeden  näheren  Zusammenhang  zwischen  den  Affen 
der  alten  und  der  neuen  Welt  in  Abrede  stellen,  gesteht  ihn  Schlosser 
zu  und  bringt,  gerade  umgekehrt,  die  Anthropomorphen  und  damit 
den  Menschen  in  genetischen  Zusammenhang  mit  gewissen  platyr- 
rhinen  Affen  Südamerikas  ^ : 

Wenn  wir,  so  etwa  sagt  er,  unter  den  heute  lebenden  Affen  Um- 
schau halten,  welches  die  den  Anthropomorphen  nächst  verwandten 
sein  möchten,  so  wird  eine  Berücksichtigung  der  geographischen  Ver- 
breitung uns  irre  führen.  Gleich  den  Anthropomorphen  gehören  be- 
kanntlich die  Cynopithecinen,  also  speciell  auch  der  Pavian,  der  alten 
Welt  an ;  und  es  wird  in  der  That  vielfach  eine  nähere  Verwandt- 
schaft beider  angenommen.  Schlosser  ist  jedoch  der  Ansicht,  dass 
das   ganz   irrig   sei;    denn    ihre  Verschiedenheit   sei  mindestens  eine 


^  Vergl.  Teil  II  in  Abschnitt  III,  besonders  sub  7.  und  8. 

^  Das  ist  nun  freilich  nicht  so  zu  verstehen,  als  wenn,  nach  Schlosser, 
die  Anthropomorphen  direkt  von  den  Platyrrhinen  abstammen  sollten ;  sondern 
beide  würden  sich  von  einer  gemeinsamen,  noch  unbekannten  Stammform  ab- 
gezweigt haben,  die  dann  ihrerseits  wieder  von  einem  generalisierten  Halbaffen  mit 

3:1.4.3 

„'.,''„  =  44  Zähnen  herrühren  Avürde.     (Schlosser,   Die  Affen,  Lemuren, 

o  .  1  .  4  .  o 

Chiropteren,  Insectivoren  und  Fleischfresser  des  europäischen  Tertiärs.  Beiträge 
zur  Palaeontologie  Österreich-Ungarns,  red.  v.  Mojsisovics  und  Xeumayr.  Bd.  6,  7 
Teil  I.  S.  10,  54.  Wien  18§7  bei  Holder.  Siehe  auch  das  eigene,  sehr  ausführ- 
liche und  gute  Referat  des  Verfassers  im  Archiv  für  Anthropologie.  Bd.  17, 
Litteraturbericht  für  Zoologie.  S.  279—300.) 


—     125     — 

ebenso  grosse,  wie  beispielsweise  unter  den  Paarhufern  die  zwischen 
Hirschen  und  Schweinen. 

Viel  näher  dagegen  sind  den  altweltlichen  Anthropomorphen,  und 
damit  auch  dem  Menschen,  die  der  Neuen  Welt  angehörenden  platyr- 
rhinen  Affen  verwandt:  Der  hochgewölbte  Schädel,  welchen  z.  B.  der 
Rollaffe,  Cebus,  besitzt,  ist  überhaupt  der  menschenähnlichste  unter 
allen  Affen.  Bei  einem  anderen  Platyrrhinen,  dem  Springaffen,  CaUlthrix^ 
zeigt  die  ganze  Gesichtspartie  vielfache  Anklänge  an  diejenige  des 
Menschen.  Wieder  eine  andere  Form,  der  Schweifaffe,  Pithecia,  be- 
sitzt Molaren ,  welche  in  ihrem  Baue  sehr  lebhaft  an  die  (vergL 
Taf.  I  Fig.  8,  9)  Backzähne  des  Chimpanse  erinnern.  Bei  (fast)  allen 
Platyrrhinen  stehen  die  Höcker  dieser  Molaren  sich  alternierend 
gegenüber,  ganz  wie  wir  das  bei  den  Anthropomorphen  finden ;  wo- 
gegen sie  bei  den  Pavianen  und  anderen  Cynopithecinen  paarweise 
gegenüberliegen.  Auch  die  Prämolaren  reden  dieselbe  Sprache  zu 
uns;  denn  bei  den  Platyrrhinen  und  Anthropomorphen  sind  diese 
Zähne  viel  kürzer,  als  das  bei  den  Cynopithecinen  der  Fall  ist.  Das 
alles  sind  Züge,  aus  welchen,  nach  Schlosser,  klar  hervorgeht,  dass 
den  Anthropomorphen,  und  damit  dem  Menschen,  die  neuweltlichen 
Platyrrhinen  viel  näher  verwandt  sind,  als  die  altweltlichen  Cyno- 
pithecinen. Oder  mit  anderen  Worten :  Die  Anthropomorphen,  und 
damit  der  Mensch,  sind  nach  Schlosser  nichts  Anderes  als  weiter 
fortgeschrittene  Nachkommen  von  Cebus-  und  CaUithrix-aitigen  Vor- 
läufern, d.  h.  von  Platyrrhinen. 

Freilich  ergiebt  sich  hier  eine  gewisse  Schwierigkeit.  Da  Ame- 
GHiNO  im  Eocän  von  Patagonien  Reste  von  Cebiden  fand,  so  müssen 
wir  daraus  folgern,  dass  die  heutigen  Platyrrhinen  in  Südamerika,, 
ihrer  jetzigen  Heimat,  auch  entstanden  sind.  Ist  dem  nun  so,  dann 
würde  es  aber  auch  wahrscheinlich,  dass  in  gleicher  Weise  die  An- 
thropomorphen, welche  sich  in  alter  Tertiärzeit  von  jenen  abgezweigt, 
aus  jenen  entwickelt  haben,  in  südamerikanischen  Schichten  jener 
Zeit  begraben  liegen.  Eine  solche  Erwartung  aber  ist,  bis  jetzt 
wenigstens,  noch  nicht  durch  Funde  bestätigt  worden.  Ob  nun  spätere 
Erfunde  zeigen  werden,  dass  die  Anthropomorphen  dennoch  in  Süd- 
amerika ihren  Ursprung  genommen  haben,  oder  ob  das  in  einem 
anderen  Erdteile  aus  dorthin  ausgewanderten  Platyrrhinen  geschehen 
ist  —  das  ist  völlig  unentscheidbar.  Eines  müssen  wir  indessen  fest- 
halten :  Die  Herausbildung  des  Anthropomorphenstammes  aus  dem 
der  Platyrrhinen  erfolgte  bereits  in  alttertiärer,  etwa  oligocäner  Zeit. 
Die    damaligen  Platyrrhinen,   welche  die  Stammväter  der  Anthropo- 


126 


morphen  waren,  werden  mithin  noch  eine  zum  Teil  andere  Organi- 
sation gehabt  haben,  als  die  heutigen  ^ 

Legt  man  sich  nun  aber  die  weitere  Frage  vor,  welchen  Ur- 
sprunges denn  nun  wieder  diese  eocänen  Cebus-avtigen  Platyrrhinen 
gewesen  sein  mögen,  von  denen  die  Anthropomorphen  sich  abzweigten, 
so  werden  wir  von  Schlosser  als  wahrscheinlich  auf  Halbaffen,  Le- 
muren,  hingewiesen,  die  in  ältester  Tertiärzeit  aus  dem  Norden 
Amerikas  nach  dem  Süden  gewandert  sein  mögen  ^ 

Die  Ansicht  Schlosser's  würde  sich  also  in  der  folgenden  Weise 
als  Schema  darstellen : 


Quartär      Mensch    Chimpanse    Orang       Gorilla    Gibbon 


Pliocän 


\-       / 

Chimpanse    Orang 


Platyrrhinae 


Oberes  Miocän 


X*  (Anthropo-  Plio 

morphe       pithecus 
Formen 


Unteres  Miocän 


Oligocän 


Eocän 


x^  (Ce&tts-etc. 
Formen) 


x'  (Lemurine  Formen) 


^  Schlosser,  Über  die  Beziehungen  der  ausgestorbenen  Säugetierfaunen  . . . 
Biologisches  Centralblatt.     Bd.  8.  No.  19.  S.  628. 

^  Während  so  die  Anthropomorphen  aus  südamerikanischen  Platj'rrhinen, 
CefcMS-artigen  Formen  hervorgegangen  sein  dürften,  haben  die  ihnen  vermeintlich 
so  nahestehenden  Paviane ,  überhaupt  die  Cynopithecinen ,  nach  Schlosser 
(Ebenda.  Biologisches  Centralblatt.  1888.  Bd.  8.  S.  628),  einen  anderen  Ursprung, 
Sie  gehen  nach  ihm  zweifellos  auf  pseudolemuride  Formen  des  nordamerikanischen 
Puercobed  (ältestes  Eocän)  zurück ;  und  zwar  auf  Hyopsodus-&xt\g&  Formen. 
Allein  bisher  fehlt  uns  noch  ein  jedes  Bindeglied  zwischen  beiden,   so  dass  die 


—     127     — 

Hierbei  würde  x^  die  lemurine  Stammform  bedeuten ;  x^  würde 
die  unbekannte  Cebus-  oder  Callithr ix- artige  Stammform  darstellen, 
aus  welcher  einerseits  der  Zweig  der  heutigen  Platyrrhinen ,  ander- 
seits der  Zweig  der  Anthropomorphen  und  Menschen  hervorging. 

Dieser  letztere  Zweig  würde  im  Untermiocän,  bei  x^,  eine  weitere 
Gabelung  erlitten  haben,  durch  die  sich  der  Zweig  abspaltete,  wel- 
chem der  heutige  Gibbon  entsprang. 

Eine  abermalige,  dreisprossige  Gabelung  würde,  bei  x^,  zur 
obermiocänen  Epoche  sich  ereignet  haben.  Hier  wäre  nach  einer 
Richtung  hin  der  Gorilla  entstanden.  Nach  der  zweiten  Richtung 
hin  wäre  unser  Dryojnthecus  hervorgegangen,  dessen  Nachkommen 
wir,  nach  Schlosser,  in  dem  Orang  und  Chimpanse  vor  uns  sehen. 
Eine  dritte  Richtung  ist  in  dunkle  Nacht  gekleidet;  in  ihr  würden 
sich  Formen  herausgebildet  haben,  denen  in  pliocäner  Zeit  der  Mensch 
entsprang.  Der  Mensch,  d.  h.  die  Gattung  Homo,  aber  damals  noch 
keineswegs  die  heutige  Art  Homo  sapiens,  sondern  eine  andere, 
auf  weit  mehr  dem  Tier  genäherter  Stufe  befindliche  Art  des  Menschen. 

Wenn  wir  uns  schliesslich  zu  der  von  E.  Dubois  vertretenen 
Auffassung  wenden,  so  ergiebt  sich  dieselbe  aus  dem  unten  folgenden 
Schema.  Er  nimmt  als  Ausgangspunkt  der  Menschen  und  anthropo- 
morphen Affen  ^  eine  Form  an,  welche  er  Prothylohates  nennt:  Eine 
noch  sehr  generalisierte  Form ,  die  ebenso  wie  ihre  noch  lebenden 
nächsten  Verwandten,  die  Hylohates  oder  Gibbon,  neben  mancher 
menschlichen  Eigenschaft  noch  sehr  viel  von  den  Merkmalen  ihrer 
tiefer  stehenden,  den  Meerkatzen  ähnlichen  Ahnen  besass. 

Ein  Nachkomme  dieses  hypothetischen  Prothi/hbates  ist  dann 
der  in  Indiens  Siwalik-Schichten  gefundene  PalaeopitJiecus.  Wie 
E.  DüBOis  auf  Grund  seines  Studiums  der  Reste  desselben  in  Cal- 
cutta  feststellt,  sind  auch  bei  dieser  Gattung  Züge  des  Gibbon  mit 
solchen  des  Menschen  gemischt. 

In  dem  Pithecanthropus  erecUis  von  Java  würden  wir,  nach 
E.  DuBOis,  wiederum  einen  Abkömmling  dieses  Palaeopithecus  zu  er- 
blicken haben.  Auch  hier  finden  wir  eine  Vereinigung  menschlicher 
Merkmale  mit  solchen  des  Gibbon ;  aber  es  überwiegen  bereits  die 
menschlichen ,    die    dann   in    den  weiteren  Nachkommen  des  Plthec- 


Umwandlungen,  welche  die  Cynopithecinen  hierbei  erlitten,  rein  theoretisch  kon- 
struiert sind.  Im  Obermiocän  müsste  jedenfalls  diese  Umwandlung  sich  schon  gänz- 
lich vollzogen  gehabt  haben ;  denn  die  aus  dieser  wie  pliocäner  Zeit  bekannten  fossilen 
Cynopithecinen  schliessen  sich  bereits  eng  an  den  lebenden  Typus  derselben  an. 
1  Anatomischer  Anzeiger.  Bd.  12.  1896.  Heft  1.  S.  21. 


-     128     — 

anthrojnis,  dem  Menschen,  sich  mehr  und  mehr  m  den  Vordergrund 
drängen. 

Unseren  Dryopühecus  betrachtet  E.  Dübois  als  einen  erloschenen 
Seitenzweig,  welcher  noch  vor  dem  hypothetischen  Frothylobates  dem 
Stamme  der  Affen  entsprang. 

Erst  später  bildeten  sich  dann  drei  weitere,  heute  noch  lebende 
Seitenzweige :  Derjenige  der  Gibbons,  in  welchen  mithin  jene  genera- 
lisierten Merkmale  der  Stammform  sich  bis  auf  die  Jetztzeit  erhalten 
haben;  ihm  gehören  der  fossile  Pliopithecus  und  der  fossile  Fllo- 
Jtt/Iohates  ^  von  Eppelsheim  an. 

Der  zweite  Zweig  wäre  derjenige  des  Orangs.  Dem  dritten 
würden  gemeinsam  Gorilla  und  Chimpanse  entspringen. 

Die  folgende  Übersicht,  in  welcher  die  drei  hypothetischen 
Formen  in  Klammern  stehen,  veranschaulicht  E.  Dübois'  Meinung  in 
Ergänzung  der  HÄCKEL'schen : 


PI  eist  0-    Cercopitheciclae  Gibbon  Orang  Mensch  Chimpanse  Gorilla  Platyrrhini 

cän  \  \  \  I  / 


Eocän 


(ÄrcJu- 
pithecus) 


*  So  benennt  Dübois  den  fraglichen  Oberschenkel  von  Eppelsheim,  wel- 
cher von  anderen  dem  Dnjopithecus  zugeschrieben  wird.   Vergl.  S.  9  dieser  Arbeit. 


—     129     — 

Es  wäre  vermessen,  jetzt  bereits,  wo  noch  so  viele  und  ent- 
scheidende fossile  Formen  uns  unbekannt  sind,  die  eine  dieser  beiden 
entgegengesetzten  Anschauungen  als  die  entschieden  richtige  er- 
klären zu  wollen.  Wohl  aber  wird  es  ein  gewisses  Interesse  be- 
sitzen, zu  sehen,  wie  weit  man  allein  auf  die  Zahl  der  Zähne  hin 
zu  einigen  Wahrscheinlichkeitsschlüssen  über  die  Verwandtschaft  der 
in  Rede  stehenden  Formen  gelangen  kann.  Ich  verweise  zu  dem 
Zwecke  auf  die  folgenden  in  Teil  II  gemachten  Angaben: 

Es  haben  in  eocäner  Epoche  zwei  Gruppen  affenartiger  Tiere 
gelebt :  die  Pseudolemuriden ,  welche  ein  Gebiss  von  44  und  die 
echten  Lemuriden,  welche  ein  solches  von  ungefähr  30  Zähnen  be- 
sassen ;  ferner  kommen  den  heutigen  Lemuren  36  Zähne ,  den  neu- 
weltlichen Affen  ebenfalls  36,  den  altweltlichen  dagegen  schon  seit 
miocäner  Epoche  nur  32  zu. 

Da  die  heutigen  Lemuren  noch  jetzt  eine  höhere  Zahnzahl  auf- 
weisen ,  als  die  eocänen ,  so  geht  allein  schon  aus  diesem  Grunde 
hervor  (s.  Teil  IP),  dass  sie  unmöglich  die  Nachkommen  jener  eocänen 
sein  können.  Heutige  und  eocäne  Lemuren  müssen  vielmehr  not- 
wendig zwei  verschiedene  Zweige  eines  Stammes  bilden,  von  welchen 
der  letztere  ausgestorben  sein  dürfte. 

Wiederum  allein  schon  aus  der  verschiedenen  Zahnzahl  geht 
dann  weiter  hervor,  dass  dieser  eben  erwähnte  Stamm,  welchem 
heutige  und  eocäne  Lemuren  entsprangen,  nicht  in  den  Pseudo- 
lemuriden gesucht  werden  darf.  Denn  wenn  zu  eocäner  Epoche, 
also  gleichzeitig,  diese  Pseudolemuriden  mit  44  und  echte  Lemuriden 
mit  etwa  nur  30  Zähnen  gelebt  haben,  so  können  letztere  nicht  wohl 
von  ersteren  abstammen.  Vielmehr  werden  beide  höchstens  Zweige 
eines  wiederum  älteren  Stammes  sein  können,  von  welchem  der  eine, 
die  Pseudolemuriden,  altertümlich  blieb,  der  andere,  die  echten  Le- 
muren des  Eocän,  sich  schnell  reducierte  und  dann  ausstarb  ^. 

Gehen  wir  zu  den  echten  Affen  über,  welche  teils  32,  teils 
36  Zähne  besitzen,  so  ist  auch  hier  eine  Abstammung  von  den  bisher 
bekannten  eocänen  echten  Lemuren  allein  schon  darum  unmöglich, 
weil   letztere  bereits   in  jener  uralten  Zeit  eine  geringere  Zahnzahl, 


^  Die  Keduktion  des  Gebisses  und  ihre  Ursachen. 

2  Aus  anderen  der  Bezahnung  entnommenen  Gründen  hat  Schlosser 
bereits  dargethan  (Die  Affen,  Lemuren.  Teil  I.  S.  39,  40),  dass  die  heutigen  Le- 
muriden genetisch  nichts  zu  thun  haben  mit  den  eocänen.  Nur  die  Tarsiiden 
bilden  unter  den  Halbaffen  nach  ihm  einen  Anknüpfungspunkt  zwischen  Pseudo- 
lemuriden und  Lemuriden. 

.Tahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  9 


—     130 


etwa  30,  erlangt  hatten,  als  die  Affen  sie  heute  noch  besitzen.  Aber 
auch  schon  in  miocäner  Epoche  befand  sich  die  32  betragende  Zahn- 
zahl der  altweltlichen  Affen  auf  derselben  Stufe  wie  heute;  und 
ebenso  scheint  diejenige  der  fossilen  neuwelthchen  Affen  auch  be- 
reits dieselbe  wie  heute  gewesen  zu  sein,  36  ^  Wenn  man  nun  er- 
wägt, dass  die  Pseudolemuriden  bis  an  das  Ende  der  eocänen  Epoche 
44  Zähne  behielten,  dass  dies  vielleicht  noch  bis  in  den  Beginn  der 
miocänen  hinein  der  Fall  war^,  so  wird  aus  dieser  starken  Ver- 
schiedenheit der  Zahnzahl  sehr  wahrscheinlich,  dass  auch  die  echten 
Affen  nicht  von  den  Pseudolemuriden  abgeleitet  werden  können^. 
Es  wird  daher  aus  der  Zahnzahl  wahrscheinlich,  dass  echte 
Affen,  Halbaffen  und  Pseudolemuriden  drei  verschiedene  Zweige  sind, 
die  einem  noch  unbekannten  Stamme  entsprangen,  wie  das  durch 
das  folgende  Schema  angedeutet  werden  soll. 

Echte  Affen 


Quartär      altweltliche     neuweltliche     heutige  Lemuriden 
n.  Pliocän     32  Zähne        36  Zähne  36  Zähne 


Miocän 


Eocän 


32  Zähne        36  Zähne 


Eocäne 
Lemiu'iden 
30  Zähne 


Pseudo- 
lemuriden 
44  Zähne 

/ 


Auf  Grund  anderer,  wichtigerer  Merkmale  als  der  Zahnzahl 
gelangt  Schlosser  zu  ähnlichem  Ergebnisse.  Halbaffen  und  Affen 
sind  nach  ihm  auf  creodonte  Formen  zurückzuführen*.  Die  Affen 
aber  haben  auf  diesem  Wege  zuerst  ein  Halbaffenstadium  durch- 
laufen ;  und  letzterem  sind  als  Seitenzweig  die  alttertiären  Pseudo- 
lemuriden entsprungen.  Die  europäischen  Pseudolemuriden  starben 
aus ;  den  nordamerikanischen  aber  entstammt  die  Gruppe  der  echten 


^  Doch  kennt  man  hier  wesentlich  nur  jüngere  Vertreter. 

^  Der  einzige  bisher  bekannte  miocäne  Pseudolemuride ,  Laopithecus ,  ist 
noch  nicht  völlig  seinem  Gebisse  nach  bekannt. 

"  Wie  das  Schlosser  ebenfalls  aus  anderen  Gründen  schon  darthat 
(1.  c.  S.  10,  19).  Nur  die  Cynopithecinen  möchte  er  vielleicht  in  Beziehung  zu 
den  Hj'opsodiden,  einer  Gruppe  der  Pseudolemuriden,  bringen. 

"  Die  Affen,  Lemuren  .  .  .  Teil  III.  S.  102. 


-     131     — 

Affen,  welche  nach  ihrem  Vertreter,  dem  Pavian,  die  Cynopithecinen 
genannt  wird  ^. 

Wir  haben  früher  auf  S.  73  gesehen ,  dass  Morris  bei  der  so 
viel  gesuchten  Stammform  des  Menschengeschlechtes  von  der  Vor- 
stellung ausgegangen  war,  sie  habe  die  menschliche  Kürze  der  Arme 
nicht  erst  erworben,  sondern  bereits  ererbt.  Es  ist  dort  auch  er- 
wähnt worden,  dass  E.  D.  Cope,  auf  dessen  Anschauung  wir  erst 
an  dieser  Stelle  eingehen  können,  da  sie  bis  auf  die  Stammform 
wiederum  dieser  menschlichen  Stammform  zurückgreift,  auch  in  Bezug 
auf  den  Fuss  zu  solcher  Auffassung  gelangte,  dass  dieser  als  Gehfuss 
nicht  erst  erworben,  sondern  längst  ererbt  gewesen  sei.  Es  geht 
daraus  hervor,  dass  Cope  die  Stammformen  des  Menschengeschlechtes 
sich  zu  keiner  Zeit  als  auf  Bäumen  lebend  vorstellt 

Bekanntlich  sind  bei  den  Affen  Hand  und  Fuss  als  Greiforgane 
ausgebildet;  bei  den  Menschen  aber  gilt  das  nur  von  der  Hand,  wo- 
gegen der  Fuss  ein  Gehorgan  ist.  Nun  meint  Cope,  bei  der  Stamm- 
form beider  hätten  sich  Hand  und  Fuss  in  dieser  Beziehung  bereits 
ganz  wie  heute  beim  Menschen  verhalten.  Der  Fuss  sei  daher  beim 
Menschen  das,  was  er  war,  ein  Gehfuss,  geblieben ;  beim  Affen  aber 
habe  er  sich  notgedrungen  später  in  einen  Greiffuss  verwandelt,  weil 
er  durch  das  Leben  der  Tiere  auf  den  Bäumen  dazu  geworden  sei. 
In  der  That  haben  in  alttertiärer  Zeit  Wesen  gelebt,  welche 
nach  dieser  Richtung  hin  die  Bedingungen  erfüllen,  welche  nach 
Cope  von  der  Stammform  des  Menschen  und  Affen  zu  erwarten  sind. 
Wesen ,  deren  Hand  ein  Greiforgan ,  deren  Fuss  aber  ein  Gehorgan 
war,  ganz  wie  heute  noch  beim  Menschen.  Es  ist  das  die  Gattung 
Phenacodus;  und  Cope  glaubt  nun  die  gesuchte  Stammform  beider 
erkennen  zu  müssen  entweder  direkt  in  der  Gattung  Phenacodus, 
oder  doch  in  einem  ähnlichen  Geschlecht  der  Condylarthra  ^. 

Es  sind  das  Formen ,  welche  wesentlich  dem  ältesten  Eocän 
Nordamerikas ,   vereinzelt  auch  Europas ,  angehören  ^.     Sie  erweisen 

^  Allerdings  ist  das  insofern  schwer  zu  erweisen,  als  uns  hier  noch  die 
Zwischenglieder  fehlen;  denn  fossile  Cynopithecinen  kennen  wiv  bisher  erst  seit 
■dem  Pliocän. 

^  Cope,  Notes  on  Phenacodus.  The  Geological  Magazine.  London  1886; 
S.  238—239.  S.  auch:  The  American  Naturalist.  1888.  S.  660—663.  Ebenda 
1882.  S.  1029  u.  334.    S.  auch  Teil  II  dieser  Arbeit,  Abschnitt  II,  Perissodactyla. 

^  Kütimeyer  hat  auch  im  obereocänen  Bohnerz  von  Egerkingen  bei 
Solothurn  Backenzähne  gefunden,  Avelche  er  als  zu  Phenacodus  gehörig  bestimmen 
zu  können  glaubte.  Lemoine  fand  im  ältesten  Eocän  bei  Reims  vollständigere 
Eeste. 

9* 


—     132 


sich  als  die  primitivsten  Vertreter  der  Huftiere,  erinnern  dabei  aber 
äusserlich  stärker  an  Raubtiere,  als  an  erstere.  Aus  dieser  Stamm- 
form wären  einerseits  Affen  und  Menschen,  andererseits  Huftiere  und 
auch  die  Carnivoren  hervorgegangen,  was  sich  schematisch  in  der  fol- 
genden Weise  darstellen  würde: 

Hominidae        Simiidae        Cercocebidae        Tarsidae        Lemuridae 


Anthropomorphae 


üngulata 


Cebidae 


Adapidae 


-Phenacodontidae 


Dieser  Anschauung  Cope's,  dass  in  Phenacodus  die  Stammform 
von  Menschen,  Affen  und  Huftieren  vorliege,  schliesst  sich  auch  Topi- 
NARD  ^  an.  Wollte  man  annehmen,  folgert  er,  dass  der  Mensch  in  letzter 
Linie  vom  Affen  abstamme,  so  würde  man  zu  dem  wenig  wahrschein- 
lichen Schlüsse  gezwungen,  dass  der  nur  der  Bewegung  dienende  Fuss 
des  Phenacodus  sich  zuerst,  beim  Affenstadium,  in  ein  Greiforgan  um- 
gewandelt und  dann,  beim  Menschenstadium,  wieder  in  ein  einfaches 
Lokomotionswerkzeug  zurückverwandelt  habe.  Indessen  Topinard 
bleibt  nicht  endgültig  bei  diesem  Gedankengange,  wie  Schlosser  be- 
tonte. Denn  später  gelangt  er  zu  dem  gegenteiligen  Schlüsse,  dass 
der  Mensch  doch  von  irgend  einem  bisher  noch  unbekannten  Affen 
abstammen  müsse,  weil  der  Bau  des  Gehirnes  bei  beiden  der  näm- 
liche ist.  Darin  aber  liege  ein  viel  wichtigeres  Moment  für  die  Er- 
kennung verwandtschaftlicher  Beziehungen,  als  in  dem  Bau  der  Be- 
wegungsorgane, welche  sich  leichter  verändern  können. 

Während  so  Cope  die  Condylarthra  (Phenacodus)  als  Ausgangs- 
punkt nimmt,  greift  Schlosser^  auf  die  Creodonten,  die  ältesten 
Fleischfresser,  zurück,  wie  sich  das  aus  dem  folgenden  Bilde  ergiebt: 

^  Les  dernieres  etages  de  la  genealogie  de  l'homme.  Revue  d'Anthropo- 
logie.  1888.  S.  298—332.  Ich  eitlere  nach  Schlosser's  Litteraturbericht  im 
Archiv  für  Anthropologie,  da  ich  das  Buch  nicht  erhielt. 

^  M.  Schlosser,  Beiträge  zur  Stammesgeschichte  der  Huftiere  und  Ver- 
such einer   Systematik  der  Paar-  und  Unpaarhufer.    Morphologisches  Jalu-buch. 


—     133     — 


Hyrax      Ungulata      Lemuren      Quadrumanen      Carnivoren      Insectivoren 


-Creodonta  placental 


Darin  liegt  jedoch  keinerlei  Unterschied  in  der  Auffassung,  denn 
CoPE  ist  ganz  derselben  Ansicht,  dass  die  Huftiere  von  Fleischfressern, 
Creodonten  abstammen.  Er  begründet  diese  Ansicht  nach  zwiefacher 
Richtung  hin:  Einmal  nämlich  besitzen  die  geologisch  ältesten  Huf- 
tiere, besonders  im  Bau  von  Hand  und  Fuss,  überhaupt  auch  im 
Bau  der  ganzen  Extremitäten,  viel  Übereinstimmendes  mit  demjenigen 
der  Fleischfresser^.  Zweitens  aber  kann  man  die  Zahnformen  der 
Huftiere  auf  derjenigen  der  alten  Fleischfresser  ableiten^. 

Der  Unterschied  zwischen  diesen  beiden  Ordnungen  ist  übrigens 
nicht  so  gross ,  als  er  scheinen  könnte.  Wenn  nämlich  auch  die 
Creodontia  als  älteste  Carnivoren  und  die  Condylarthra  als  älteste 
Ungulaten  in  ganz  verschiedene  Ordnungen  gestellt  werden  müssen, 
weil  sie  die  Ausgangsglieder  zweier  heute  so  scharf  getrennten  Ord- 
nungen sind,  so  darf  man  doch  nicht  in  den  Irrtum  verfallen,  auch 
diese  Ausgangsglieder  sich  bereits  als  ebenso  scharf  geschieden  vor- 
zustellen. Sehr  treffend  sagt  Zittel^  in  dieser  Beziehung:  „Wäre 
es    möglich,    den    Tiergestalten    der    Cernays-    und    Puerco-Periode 


Bd.  12.  1886.  S.  1—136.  Die  oben  ausgesprochene  Ansicht  findet  sich  auch  in 
dem  Referat  des  Verfassers  über  seine  soeben  genannte  Arbeit  im  Litteratur- 
bericht  für  Zoologie  für  das  Jahr  1886,  Archiv  für  Anthropologie.  S.  139. 

*  C  0  p  e ,  The  trituberculate  Type  of  superior  Molar  and  the  origin  of  the 
quadritnberculate.  „Science."  1883.  Vol.  2.  S.  338.  Vergl.  über  dieses  Thema 
auch  Cope  in  American  Naturalist.  1883.  S.  407  und  in  Proceedings  of  the 
American  Philosophical  Soc.  Philadelphia  1883.  S.  324— 326.  Siehe  auch  Schlos- 
se r '  s  Litteraturbericht  darüber  im  Archiv  für  Anthropologie.  1884. 

^  Die  ältesten  tertiären  Säuger,  so  auch  die  Creodonta,  haben  im  Ober- 
kiefer Molaren,  welche  durch  drei  Höcker  gebildet  werden,  nur  selten  durch  vier. 
Diejenigen  der  Huftiere,  welche  letztere  geologisch  jünger  sind,  bestehen  dagegen 
aus  vier  Höckern.  Ein  solcher  Quadritubercularzahn  aber  kann  nur  hervor- 
gegangen sein  aus  einem  tritubercularen,  indem  sich,  nach  Cope's  Auffassung, 
an  der  Innenseite  des  Zahnes  den  drei  ursprünglichen  Höckern  später  noch  ein 
vierter  zugesellte.  Vergl.  den  Abschnitt  I  in  Teil  11.  Auch  Morris  (The 
making  of  Man.  The  American  Naturalist.  1886.  S.  493 — 505)  hat  übrigens  den 
Menschen  in  letzter  Linie  auf  carnivore  Formen  zurückgeführt. 

^  Handbuch  der  Palaeontologie.  Bd.  4.  S.  726. 


—     134     — 

(ältestes  Tertiär)  Leben  einzuhauchen  und  sie  unter  unsere  heutige 
Säugetierfauna  zu  versetzen,  so  würde  vermuthch  jeder  Zoologe  die 
damaligen  Creodontia ,  Condylarthra ,  Pachylemuria  und  Amblypoda 
in  eine  einzige  einheitliche  Ordnung  zusammenbringen." 

Wir  sind  am  Ende :  Wenn  wir  die  körperliche  Beschaffenheit 
der  Menschen  und  Menschenaffen  miteinander  vergleichen,  so  zeigt 
sich  eine  so  überaus  grosse,  so  ins  Kleine  gehende  Ähnlichkeit,  dass 
diese  nur  in  einer  Blutsverwandtschaft  beider  ihre  zoologische  Er- 
klärung finden  kann. 

Aber  wenn  wir  dann  das  Mass  dessen  betrachten,  was  an  Denken 
und  sittlichem  Empfinden  solche  Menschen  leisten,  die,  leuchtenden 
Meteoren  gleich,  den  Ihrigen  den  Weg  erhellen  und  das  vergleichen 
mit  dem  Gehirn-  und  Seelenleben  der  Menschenaffen  —  dann  klafft 
eine  so  gewaltige  Kluft  auf,  dass  man  die  versteht,  welche  den  Kopf 
schütteln  vor  dem  Gedanken  einer  Blutsverwandtschaft. 

Steigen  wir  jedoch  hinab  von  jenen  lichten  Höhen  der  Mensch- 
heit in  deren  Tiefen,  zu  den  Völkern  ohne  Kultur,  zu  den  Wilden, 
deren  Sprache  auf  armselige,  wenige  Worte  beschränkt  ist,  weil  ihr 
Gehirn-  und  Gemütsleben  nahe  dem  Nullpunkte  steht,  vergleichen 
wir  diese  Tiefen  der  Menschheit  mit  den  Menschenaffen,  dann  wird 
die  vorher  so  breite  Kluft  zu  einer  schmalen. 

Ist  nun  aber  Fortentwickelung  des  Menschen  Erbteil,  dann 
müssen  diese  heute  noch  Wilden  doch  ebenfalls  bereits  avancierte 
Menschen  sein,  müssen  also  ihre  Vorfahren  zu  diluvialer  oder  tertiärer 
Zeit  so  gut  wie  sprachlos  gewesen  seien,  weil  ihr  Hirn-  und  Gemüts- 
leben und  ihr  sittliches  Empfinden  nur  eine  geringe  Zahl  von  Be- 
griffen namhaft  zu  machen  forderte.  Damit  sind  wir  aber  nahe  dem 
Anfangspunkte,  an  welchem  die  Kluft  zwischen  Mensch  und  Menschen- 
affe noch  so  flach  und  schmal  verläuft,  dass  sie  keine  hemmende 
Grenze  mehr  bildet,  sondern  den  Verkehr  zwischen  hüben  und  drüben 
gestattet.  Wie  diese  Wesen  beschaffen  waren,  die  zuerst  die  Kluft 
übersprangen,  das  wissen  wir  nicht  aus  Kenntnis,  das  können  wir 
bisher  nur  ahnen  und  dem  haben  wir  im  Abschnitt  III  Worte  gegeben. 

Wir  haben  im  vorstehenden  versucht,  über  die  Vergangenheit 
des  Menschenstammes  einige  Vorstellungen  zu  gewinnen;  so  mag 
es  auch  gestattet  sein,  über  die  Zukunft  desselben  Gedanken  zu 
hegen  und  auszusprechen. 

In  Teil  II  ^  wird  gezeigt  werden,  welche  Vorstellung  man  sich 


*  s.  Teil  II  am  Schluss  des  Abschnittes  II. 


—     135     — 

hinsichtlich  der  zukünftigen  Bezahnung  des  Menschengeschlechtes 
mit  ziemlicher  Sicherheit  bilden  darf.  Wenigstens  soweit  das  die 
nächste  Zukunft  desselben  betrifft;  denn  ob  man  die  fernere  Folge- 
rung zu  ziehen  hat,  dass  die  Zahl  der  Zähne  sich  schliesslich  einmal 
bis  zum  Verschwinden  aller  steigern  wird  oder  ob  und  wo  es  hier 
einen  Haltepunkt  geben  muss  —  das  entzieht  sich  doch  zu  sehr  der 
Beurteilung  ^ 

Es  soll  hier  versucht  werden,  ob  es  möglich  ist,  von  der  zu- 
künftigen Entwickelung  des  Schädels  und  der  geistigen  Eigenschaften 
des  Menschen  ein  Bild  zu  erhalten. 

Der  einstige  ,,Obermenscli". 

Mit  der  Entstehung  des  Menschen  aus  dem  Tiere  wurde  die 
Grenzlinie  überschritten,  welche  die  körperliche  Entwickelung  der 
Lebewelt  von  der  geistigen  trennt.  Aber,  so  sagt  Ch.  Morris^,  in 
dem  heutigen  Menschen  sehen  wir  nicht  etwa  schon  das  Endprodukt 
dieser  geistigen  Entwickelung,  sondern  erst  den  Anfang  derselben, 
nicht  bereits  das  Reifestadium  eines  vollendeten,  sondern  erst  das 
Kindheitsstadium  eines  beginnenden  neuen  Entwickelungsprozesses, 
des  geistigen  in  der  Lebewelt :  Eines  Prozesses ,  in  welchem  das 
Gehirnorgan  mehr  und  mehr  die  Überhand  über  den  Körper  erlangen 
wird,  so  dass  das  einstige  Endprodukt  ein  Wesen  werden  muss,  von 
dessen  Bau  wir  uns  keine  rechte  Vorstellung  zu  machen  vermögen. 

Man  gelangt  auf  solche  Weise  zu  einem  „Übermenschen"  der 
Zukunft,  zu  dem  Nietzsche  in  seiner  philosophischen  Lehre  kam^ 
welche  ja  auf  dem  Begriffe  der  Entwickelung  aufgebaut  ist.  Logisch 
könnte  es  damit  vielleicht  auch  allmälig  zu  einer  Umwälzung  mancher 
Anschauungen  und  Empfindungen,  zu  einer  „Umwertung  aller  Werte" 
kommen,  wie  Nietzsche  annimmt,  vorausgesetzt,  dass  die  Entwicke- 
lung wirklich  immer  weiter  nur  in  derselben  Richtung  voranschreitet 
und  dass  die  Lebewelt  wirklich  so  lange  auf  der  Erde  ihre  Daseins- 
bedingungen erfüllt  findet,  bis  diese  neue  Stufe  der  Entwickelung 
von  ihr  erklommen  ist. 

Aber  einer  solchen  Lehre  und  Anschauungsweise  legen  sich, 
wie  mir  scheinen  will,  zwei  Schwierigkeiten  in  den  Weg: 

Wenn  sie  den  Begriff  der  Entwickelung  in  dem  Sinne  erfasst, 
dass  dieselbe  notgedrungen  immer  weiter  und  weiter  fortschreiten 
muss,   weil    der  „Wille   zur  Macht",    der  das  alles  bewirkt,    unauf- 

^  s.  Teil  II  am  Schluss  des  Abschnittes  II. 
-  American  Naturalist.  Bd.  20.  1886.  S.  505. 


—     136     - 

hörlich  anhält  —  dann  heisst  es  doch  auf  halbem  Wege  stehen 
bleiben,  wenn  man  in  diesem  Entwickelungsprozesse  den  „Über- 
menschen" als  das  einstige  Endziel  betrachtet.  Logisch  wäre  es 
doch,  auch  den  „Übermenschen"  wiederum  nur  als  eine  der  Etappen 
hinzustellen,  welche  es  auf  diesem  Wege  der  Entwickelung  zu  immer 
Höherem  geben  müsste;  einem  Wege,  der  ein  Ende  nur  finden 
könnte  in  der  Erreichung  des  denkbar  Höchsten,  der  Vollkommenheit: 
Vorausgesetzt,  dass  der  Begriff  der  Entwickelung  in  dem  obigen 
Sinne  richtig  definiert  wäre.     Aber  das  kann  zweifelhaft  sein. 

Das  zweite,  eigentlich  das  Hauptgebrechen  einer  solchen  Lehre 
scheint  mir  eben  in  der  nicht  bewiesenen ,  daher  in  diesem  Falle 
vielleicht  falschen ,  Voraussetzung  zu  liegen ,  auf  welcher  die  ganze 
Lehre  sich  aufbaut:  dass  nämlich  „Entwickelung"  notwendig  eine 
immer  in  derselben  Richtung  voranschreitende  Fortbildung  sein  müsse. 

In  körperlicher  Hinsicht  lassen  sich  genug  Beispiele  dafür  an- 
führen, dass  dem  nicht  so  ist,  sondern  dass  die  Entwickelung  nach 
der  einen  Richtung  hin  oft  nur  eine  Zeit  lang  fortschreitet,  nur  so 
lange,  bis  der  betreffende  Stamm  dadurch  zu  Grunde  gerichtet  und 
dem  Untergänge  verfallen  ist.  Ich  will  als  ein  Beispiel  nur  die  Gat- 
tung Machairodus  anführen: 

Wenn  irgend  etwas  den  Raubtieren  Macht  verleiht,  so  ist  es 
das  Gebiss  und  in  diesem  besonders  der  gewaltige  Eckzahn ,  mit 
dem  sie  wie  mit  einem  Dolche  ihren  Feind  nicht  nur  durchbohren, 
sondern  auch  an  ihren  eigenen  Körper  festnageln  können.  Nirgends 
aber  im  Tierreich  hat  dieser  „Wille  zur  Macht",  wie  man  diese 
Entwickelungstendenz  der  Eckzähne  zu  grösserer  Stärke  doch  auch 
bezeichnen  könnte,  sich  so  gewaltig  nach  dieser  Richtung  hin  be- 
thätigt,  wie  bei  jener  Löwengattung  tertiärer  Zeiten,  welche  man 
Machairodus^  Säbelzahn,  genannt  hat.  Denn  hier  hat  sich  der  Eck- 
zahn, zu  einer  immer  fürchterlicheren  Waffe  anwachsend,  mehr  und 
mehr  vergrössert,  bis  er  schliesslich  in  Gestalt  eines  gewaltigen 
krummen  Dolches  zum  Maule  herausragte. 

Aber  eben  damit  war  auch  das  Ende  dieser  Entwickelungs- 
richtung  erreicht;  denn  das  Tier  konnte  schliesslich  den  Rachen  nicht 
mehr  weit  genug  aufsperren,  um  seinem  Gegner  den  langen  Säbel- 
zahn in  das  Fleisch  zu  bohren :  Es  ging  zu  Grunde  offenbar  an  dem 
von  ihm  erreichten  Übermass  seiner  Entwickelungsrichtung. 

Wir  werden  später  in  gleicher  Weise  den  von  Baume  aus- 
gesprochenen Gedanken  ablehnen,  dass  die  auf  Reduktion  der  Zahn- 
zahl hinauslaufende  Entwickelungsrichtung  der  Säugetiere  notwendig 


—     137     — 

dereinst  in  allgemeiner  Zahnlosigkeit  gipfeln  müsse  (Teil  II  am  Schlüsse 
des  Abschnittes  II), 

Ebenso  auch  können  wir  es  als  unwahrscheinlich  erachten,  dass 
die  auf  immer  grössere  Ausbildung  der  Gehirnthätigkeit  hinauslaufende 
Entwickelungsrichtung  der  Menschheit  durch  Millionen  von  Jahren 
hindurch  anzudauern,  sich  zu  potenzieren  vermöchte.  Wie  dort,  bei 
Machairodns ,  schliesslich  der  Untergang  durch  das  Übermass  jener 
Entwickelungsrichtung  herbeigeführt  wurde,  so  könnte  auch  hier, 
beim  Menschen,  sehr  wohl  der  Untergang  des  Körpers,  eine  Unfähig- 
keit zu  leben,  sich  zu  ernähren,  fortzupflanzen,  zu  verteidigen,  er- 
zielt werden,  wenn  das  Gehirn  sich  ad  infinitum  in  den^Vordergrund 
drängen  würde. 

Es  ergiebt  sich  aus  dem  Gesagten  das  Folgende : 

Die  Entwickelung  der  Lebewelt  auf  Erden  kann 
notgedrungen  nur  eine  zeitlich  beschränkte  und  keine 
unbegrenzte  sein,  weil  alle  Existenzbedingungen  für 
die  Lebewelt  einmal  auf  der  Erde  mit  der  Erkaltung 
der  Sonne  aufhören  müssen. 

Innerhalb  dieses  ihr  überhaupt  nur  zur  Verfügung 
stehenden  Zeitraumes  aber  besteht  die  „Entwickelung" 
keineswegs  nur  in  dem  kontinuierlichen  Fortschiessen 
auf  der  einmal  eingeschlagenen  Bahn.  Sondern,  so- 
wie für  jede  einzelne  der  zahlreichen  Entwickelungs- 
richtungen  ein  Gipfel  erreicht  ist,  erfolgt  der  Abstieg, 
eventuell  auch  die  Vernichtung. 

Ob  daher  für  das  Menschengeschle  cht  dieser  Gipfel 
bereits  mit  ungefähr  dem  jetzigen  Menschen  erreicht 
ist;  oder  ob  der  „Übermensch"  noch  erreicht  werden 
wird;  oder  ob  gar  nach  diesem  ein  noch  höherer  Mensch 
sich  entwickeln  wird,  das  lässt  sich  schlechterdings 
nicht  erkennen, 

R.  Arndt  ^  fasst  jedes  Genie,  jedes  Talent,  jede  höhere  Be- 
gabung als  ein  Zeichen  der  Degeneration  auf.  Danach  müsste  das 
Menschengeschlecht  seine  steigende  geistige  Entwickelung  der  fort- 
gesetzten Entartung  einer  immer  mehr  anwachsenden  Zahl  seiner 
Mitglieder  verdanken.  Eine  Entwickelung  in  jene  „übermenschlichen" 
oder  gar  noch  höheren  Geistesverhältnisse  hinein  würde  damit  also 
bedeuten,  dass  das  Menschengeschlecht  mit  Erreichung  dieser  Etappe 
gänzlich  entartet,  somit  dem  Untergange  verfallen  sein  würde. 

^  Artung  und  Entartung.     Greif swald  1895. 


—     138     — 

Ganze  Gattungen  und  Ordnungen  von  Lebewesen  sind  erloschen, 
indem  sie  ihrer  Entwickelungsrichtung,  in  welche  die  Natur  sie 
hineintrieb,  nicht  gerecht  zu  werden  vermochten  und  auf  Abwege 
gerieten,  welche  ihnen  den  Untergang  brachten.  So  auch  könnte 
der  Menschenstamm  vielleicht  dereinst  scheitern  an  der  Grösse  der 
Aufgabe,  welche  die  Natur  ihm  zuerteilt  hat,  an  der  Höhe  seiner 
Entwickelungsrichtung,  welcher  seine  körperlichen  Verhältnisse  nicht 
gewachsen  sein  würden. 

Der  Kampf  ums  Dasein,  das  ist  das  gewaltige  Mittel,  welches 
den  geistigen  Fortschritt  der  Menschheit  erzwingt.  Aber  wenn  Rüti- 
MEYER  (S.  70)  das  Richtige  trifft,  so  gilt  das  doch  nur  von  einem 
Kampfe,  welcher  sich  innerhalb  massiger  Grenzen  hält.  Sobald  da- 
gegen der  Kampf  sich  derart  steigern  sollte,  dass  unablässig  alle 
Kraft  des  Individuums  verbraucht  werden  muss  zur  Erfüllung  seiner 
körperlichen  Aufgaben,  der  Ernährung,  der  Verteidigung,  der  Fort- 
pflanzung —  dann  müssten  im  selben  Masse  auch  alle  zarteren 
geistigen  Blüten  wieder  abgestreift  werden,  welche  ihm  von  seinen 
Vorfahren  als  Erbteil  überkommen  waren,  müsste  mehr  und  mehr 
das  Tier  im  Menschen  wieder  zur  Herrschaft  gelangen. 

Das  wäre  der  Abstieg  von  der  erlangten  Höhe,  an  Stelle  eines 
Aufstieges  zu  neuer  Höhe !  Muss  dieser  Kampf,  wenn  einst  die  Erde 
von  Menschen  übervölkert  sein  würd,  so  erbittert  sich  gestalten,  dass 
der  Abstieg  beginnt? 

Allem  Anscheine  nach  wäre  der  Tag  der  Übervölkerung  gär 
nicht  so  fern  (Teil  H  in  Abschnitt  HI  sub  2  b),  an  welchem  die 
Menschheit  erkennen  kann,  ob  die  Schroffheit  dieses  Kampfes  wirk- 
lich jene  Folgen  zeitigt.  Zwar  giebt  es  Träumende,  welche  ein  Bild 
zukünftigen  ewigen  Friedens  umgaukelt.  Aber  wenn  sie  erwachen, 
werden  sie  sehen,  dass  sie  Unnatürliches  geträumt  haben,  denn  der 
Kampf  ums  Dasein  ist  das  Natürliche,  liegt  in  der  Natur  begründet  : 

Erbarmungslos  herrscht  er  am  Himmel ,  im  Weltenraum.  Je 
grösser  die  Masse,  desto  stärker  die  Anziehungskraft,  so  lautet  dort 
das  Naturgesetz,  welches  das  kleinere  Gestirn  rettungslos  in  die  Ge- 
walt des  grösseren  hineinzwingt. 

Ebenso  brutal  waltet  er  auf  der  Erdoberfläche,  unter  den  Ge- 
steinen 5  wo  das  härtere ,  widerstandsfähigere  triumphiert ,  während 
das  weichere  dem  nagenden  Zahne  der  Zeit  unterliegt,  verschwindet, 
weggewischt  wird. 

Grausam  wütet  er  unter  den  wilden  Pflanzen  der  Wiese  und 
des  Waldes ,    unter   den   wilden  Tieren ,    die  eines  dem  anderen  die 


.—     139     — 

Nahrung,  die  Fortpflanzung  streitig  machen.  Aber  während  dieser 
Kampf  im  Weltenraum  und  auf  der  Erdoberfläche  unaufhörhch  weiter 
fort  tobt,  findet  er  bei  jenen  Lebewesen  ein  Ende:  schon  hat  der 
Mensch  auf  weiten  Länderstrecken  diesem  Kampfe  der  wilden  Pflanzen 
und  Tiere  ein  Ziel  gesetzt,  indem  er  sie  ausrottete.  Und  die  Zeit 
ist  nicht  ferne,  da  wird  dieser  Kampf  ausgetobt  haben,  weil  es  dann 
keine  wilden  Pflanzen  und  Tiere  mehr  giebt,  weil  der  Mensch  nur 
noch  Kulturpflanzen  und  Kulturtiere  duldet,  die  er  in  seinen  Willen, 
in  seine  Zwecke  hineinzwingt. 

So  wird  für  Pflanzen  und  Tiere  sicher  einst  der  von  den 
Menschen  so  ersehnte  Zustand  des  Friedens  anbrechen,  an  welchem, 
abgesehen  natürlich  von  den  Kleinlebewesen,  die  sich  dem  Einflüsse 
des  Menschen  stets  entziehen  werden,  der  wilde  Kampf  ums  Dasein 
ausgetobt   hat,    weil   des  Menschen   mächtige  Hand   ihn  verhindert. 

Dem  Menschen  selbst  aber  wird  schwerlich  der  Tag  nahen, 
an  welchem  auf  dieser  Erde  sein  Kämpfen  ein  Ende  findet.  Im 
Gegenteil,  nachdem  der  Mensch  alle  Pflanzen  und  Tiere  vergewaltigt, 
ihnen  das  Leben  oder  die  Freiheit  geraubt  haben  wird,  muss  für  ihn 
selbst  der  Kampf  nur  um  so  wilder  auflohen.  Gesittung  und  Christen- 
tum mögen  die  allzu  schroff'e  Form  desselben  mildern,  aber  ihn  ver- 
nichten, das  können  sie  nicht. 

Zu  welchem  der  beiden  Ziele  wird  er  den  Menschen  dann  hin- 
führen; zum  Aufstieg  oder  zum  Abstieg?  Wir  hoffen  zum  ersteren, 
aber  Hoffnung  kann  trügen.  Doch  wenn  schon  die  Erforschung  der 
Vergangenheit  des  Menschenstammes  uns  kaum  zu  bewältigende 
Rätsel  stellt  —  wenn  wir  vermessen  seine  Zukunft  ergründen  wollen, 
dann  legt  statt  jeder  Anwort  sich  um  unsere  Augen  eine  Binde. 


Teil  n  dieser  Arbeit  —  unter  dem  Titel  „Art  und  Ursachen 
der  Reduktion  des  Gebisses  bei  Säugern"  —  folgt  nicht  in  diesen 
Jahresheften,  sondern  als  Programmschrift  der  Akademie  Hohenheim 
für  1897,  daher  in  erweiterter  Form. 


—     140     — 


Tafelerklärungen. 


Taf.  I. 

Fossile  Zähne:  Fig.  1,  2,  6,  7;  Tübinger  Sammlung. 

Fig,    1.      Keimzahn,  linker  Oberkiefermolar ;  7i  \  a,.  d.  Bohnerz  von  Melchingen. 

1  V.  oben ;  1  a  v.  d.  Aussenseite ;  1  b  v.  d.  Innenseite. 

„      2.     Abgekauter  rechter  Oberkiefermolar,   W  oder  JP;   Vi)   ^-  ^-  Bobnerz 
von  Melchingen. 

2  V.  oben ;  2  a  v.  d.  Aussenseite ;  2  b  v.  d.  Innenseite. 

„      6.      Keimzahn,  rechter  Unterkiefermolar  (abgebildet  in  Taf.  II  Fig.  1),  v.  d. 

Unterseite  gesehen;  7i '>  a-  d.  Bohnerz  von  Melchingen. 
„      7.      Keimzahn,  linker  Oberkiefermolar  (abgebildet  in  Taf.  I  Fig.  1),  v.  d. 

Unterseite  gesehen ;  7i  \  ^-  d.  Bohnerz  von  Melchingen. 

Recente  Zähne:  Fig.  3,  4,  5,  8,  9. 

Fig.    3.      M'  oben  links  des  Orang;  7i '>  Naturalienkabinet  Stuttgart. 

3  V.  oben;  3  a  v.  d.  Aussenseite;  3  b  v.  d.  Innenseite. 

„      4.      M^  oben  rechts   von   Gibbon   (Hylobaies  leuciscus);   Naturalienkabinet 
Stuttgart. 

4  V.  oben ;  über  7i ;  4  a  v.  d.  Aussenseite ;  4  b  v.  d.  Innenseite. 
„      5.      M*  oben  links  eines  Hottentotten;  7i ;  Naturalienkabinet  Stuttgart. 

5  V.  oben ;  5  a  v.  d.  Aussenseite ;  5  b  v.  d.  Innenseite. 

„      8.     M*  unten  rechts  von  Fithecia ;  7i ;  Naturalienkabinet  Stuttgart. 
„     9.     M^  oben  rechts  von  Pithecia ;  ^i  j  Naturalienkabinet  Stuttgart. 

Taf.  II. 

Fossile  Zähne  aus  dem  Bohnerz:  Fig.  1,  2,  4,  5,  6,  7,  11. 

a  V.  d.  Aussenseite;  b  v.  d.  Innenseite. 

Fig.    1.      Keimzahn,  Molar  unten  rechts;  -/i ;  von  Melchingen;  Tübinger  Sammlung. 
„      2.      Molar  unten  rechts ;  -/i ;  von  Salmendingen ;  Naturalienkabinet  Stuttgart. 
„      4.      Molar  unten  rechts ;  7i  '■>  von  Melchingen ;  Tübinger  Sammlung. 
„      5.      Molar  unten   rechts ;    7i  >   ^^n   Salmendingen ;    Technische  Hochschule 

Stuttgart. 
„      6.     Molar  unten  links;  7i '>  g*°z  unbenutzt,  von  Trochtelfingen ;  Tübinger 

Sammlung. 
„      7.      Molar  unten  links ;  7i  '>  von  Ehingen  ;  Dr.  Beck's  Sammlung,  Stuttgart. 
„    11.      Letzter   ]\Iilchbackenzahn   unten   links,    Pd';   7i ;   ^^n   Salmendingen; 

Tübinger  Sammlung. 


—     141     — 

Recente  Zähne:  Fig.  3,  8,  9,  10. 

Fig.    3.     IP  unten  rechts  von  Hylobates  leuciscus ;  über  ^/j ;  Naturalienkabinet 
Stuttgart. 
„      8.     M'  unten  links  vom  Orang ;  ^/j ;  Naturalienkabinet  Stuttgart. 
„      9.     M'  unten  links  eines  Zigeuners ;  7i  5  Naturalienkabinet  Stuttgart. 
„    10.     M^  unten  rechts  eines  Franzosen;  7^;  Naturalienkabinet  Stuttgart. 

Taf.  m. 

Fossile  Zähne  von  St.  Gaudens,  Frankreich:  Fig.  1,  2. 

Fig.   1.     Unterkiefer  yon  DryopüJiecus  Fontani  Laktet,  Copie  nach  Gaudry ;  Vi« 
„     2.     Derselbe  von  oben. 

Recente  Zähne:  Fig.  3,  4. 

„      3.     Unterkiefer  eines  Nago-Negers ;  Vi ;  Naturalienkabinet  Stuttgart. 
4.     Oberkiefer  desselben. 


nhalts-Verzeichnis  zu  Teil  I. 


Einleitung  (S.  1—3). 

I.   Die   bisher  bekannten  fossilen  Reste   menschenähnlicher  Affen   (S.  4), 
I.  Asiatische   (S.  6):    Orang?;    Palaeopithecus    sivalensis   (S.  7);    Pithec- 

anthropus  erectus  (S.  8). 
II.  Europäische:  Pliopithecus  erectus  (S.  8);   Pliohylobates  eppelsheimensis 
(S.  9);  Dryopithecus  Fontani  (S.  12). 

II.   Die  im  Bohnerze  der  schwäbischen  Alb   gefundenen  Zähne. 

Geschichtliches  (S.  16). 

Die  Variabilität  der  Oberkiefermolaren   bei  Mensch  und  leben- 
den Anthropomorphen  (S.  22). 

a)  Bei  Menschen  (S.  22).  Die Höckerzabl  kann  zwischen  5,  4,  3,  2  variieren. 
Die  Kulturvölker  haben  im  allgemeinen  die  geringere  Höckerzahl,  die 
niedrigstehenden  Rassen  die  höhere;  Cope,  Topinard,  Schlosser. 

b)  Bei  Menschenaffen  (S.  25).  Die  Höckerzahl  ist  konstanter;  M*  variiert 
aber  auch  hier. 

Die  Variabilität  im  Unterkiefer  (S.  2(3). 

a)  Bei  Menschen  (S.  27).  Die  Zahl  der  Höcker  kann  7,  6,  5,  4,  3,  2 
betragen. 

b)  Bei  Menschenaffen  (S.  27).     Die  Zahl  kann  auch  hier  variieren. 
Höhe,    Oberflächen-Beschaffenheit,    Wurzeln,    Länge    der    Mo- 
laren bei  Mensch  und  Menschenaffen  (S.  28). 

Milchprae molaren  bei  Mensch  und  lebenden  Menschenaffen  (S.30). 

Pd^  gleicht  M'.  Die  Milchbackenzähne  sind  bei  beiden  viel  ähnlicher  als 
die  bleibenden  Zähne.  Die  Milchbackenzähne  ähneln  aber  ihren  Ersatz- 
zähnen bei  Anthropomorphen  stärker,  als  das  beim  Menschen  der  Fall  ist. 
Die  beiden  fossilen  Oberkiefermolaren  aus  dem  Bohnerz  der 
Alb  (S.  31). 

Vergleichung  ihrer  Grössenverhältnisse  (S.  32).  Sie  sind  schmäler  bezw. 
länger  als  bei  Mensch  und  anderen  Anthropomorphen  (S.  34).  Der  hintere 
Innenhöcker  ist  grösser  (S.  34) ,  die  Schmelzleisten  stärker  als  bei  Mensch 
(S.  35) ;  die  vordere  und  hintere  Querfurche  (S.  35) ;  Grübchen  an  der  Aussen- 
und  Innenseite  als  Endigungspunkte  der  tief  hinabgehenden  Zahnfurchen 
(S.  35).  Vergleichung  des  Keimzahnes  aus  dem  Bohnerz  mit  den  Oberkiefer- 
molaren der  Anthropomorphen  (S.  35).  Der  abgekaute  Zahn  aus  dem  Bohn- 
erz (S.  36). 


-     143     — 

Die  acht  fossilen  Unterkiefer.     Zähne  aus  dem  Bohnerz  (S.  38). 

Sieben  Molaren ,  1  Milchprämolar  (S.  38) ;  sie  stammen  von  mindestens 
3 — 4  verschiedenen  Individuen  (S.  40).  Die  Höcker.  Die  Kreuzfurche,  die 
vordere  und  hintere  Querfurche ,  die  Schmelzleisten ,  die  Länge  des  Zahnes 
(S.  41).  Durchschnittliche  Maximal-  und  Minimaldimensionen  menschlicher 
Zähne  nach  Blake  (S.  44).  Vergleich  mit  dem  Menschen  (S.  46)  und  den 
lebenden  Anthropomorphen  (S.  48).  Zusammenfassung  der  Ergebnisse  des 
Vergleiches  (S.  49).  Die  Zähne  aus  dem  Bohnerz  gehören  sicher  einem 
Menschenähnlichen  an  (S.  51).  Der  kurze  Unterkiefer-Molar  ein  scheinbarer 
Keimzahn  (S.  52).  Der  Milchzahn  aus  dem  Bohnerz  (S.  54).  Vergleichung 
der  Zähne  mit  denen  des  Dryopithecus  Fontani  Lartet  aus  Frankreich  (S.  57). 

ni.  Die  Frage  der  Abstammung  des  Menschen. 

Einleitung  (S.  62).    Die  Frage  nach  dem  Bestehen  von  Übergangsformen  zwischen 
Mensch  und  Thier  (S.  63). 

1.  Der  Grad  von  Menschenähnlichkeit  heut  lebender  anthropo- 
morpher  Affen  (S.  65). 

Schon  vor  200  Jahren  lehrte  Tyson,  dass  die  Unterschiede  zwischen 
Mensch  und  anthropomorphen  Affen  nicht  grösser  seien ,  als  die  zwischen 
letzteren  und  den  niedriger  stehenden  Affen  (S.  65).  Gewisse  Unterschiede 
zwischen  Affe  und  Mensch  in  Muskulatur  (S.  66),  Fuss,  Hand,  drittem  Tro- 
chanter  des  Femur,  Schwanz,  Gehirn,  embryonalem  Zustande  (S.  69). 

2.  Welche  Eigenschaft  könnte  vielleicht  tertiären  Menschen- 
affen den  Anstoss  zu  höherer  Entwickelung  gegeben  haben? 
(S.  70).  Zu  grosse  Härte  des  Kampfes  ums  Dasein  musste  eine  geistige 
Entwickelung  verhindern  (S.  71).  Der  erste  Schritt  auf  dem  Wege  zum 
Menschen  hat  wahrscheinlich  darin  bestanden,  dass  eine  Gattung  der 
menschenähnlichen  Affen  in  tertiärer  Zeit  den  aufrechten  Gang  annahm. 
Erst  später   hätte   sich  dann  das  Gehirn  vergrössert.     Welche  Ursache  gab 

.  die  Veranlassung,  den  aufrechten  Gang  anzunehmen?  Die  Grösse  des  Körper- 
gewichtes und  die  Kürze  der  Arme,  Morris  (S.  73).  Cope,  der  Gehfuss  (S.  75). 

3.  Zwei  fossile  anthropomorphe  Affen  mit  gewissen,  auffallend 
menschenähnlichen  Eigenschaften  (S.  75). 

a)  Dryopithecus.  Prüfung  der  Frage,  ob  Drj'opithecus  der  Vorfahr  des 
Menschengeschlechtes  gewesen  sein  könnte  (S.  75).  Gaudrt,  von  Zittel, 
Schlosser  verneinen  dieselbe.  Gründe,  welche  Schlosser  für  seine  Ansicht 
geltend  macht  und  was  man  denselben  entgegenhalten  kann  (S.  77). 
Dryopithecus  hat  die  menschenähnlichsten  Zähne  (S.  79),  Fünf  Gründe 
welche  Gaudry  dafür  geltend  macht,  dass  Dryopithecus  trotz  der  menschen- 
ähnlichsten Zähne  doch  der  dem  Menschen  fernstehende  anthropomorphe 
Affe  sei. 

Grosse  Länge  der  Schnauze  bei  Dryopithecus  (S.  80).  In  wie  weit  ist  man 
berechtigt,  den  Grad  der  Prognatlüe  für  mehr  massgebend  hinsichtlich  der 
Beurteilung  des  Verwandtschaftsgrades  zu  erachten  als  die  Ähnlichkeit  der 
Zähne.  Bestimmung  der  Stärke  der  Prognathie:  Bonwill's  Dreieck  (S.  81); 
nach  Gaudry  (S.  83).  Der  Gibbon,  der  am  wenigsten  prognathe  Anthropo- 
morphe; gewisse  Neger  mitten  zwischen  Gibbon  und  den  orthognathen 
Menschen  stehend  (S.  85).   Vorkommen  starker  Prognathie  bei  Europäern 


—     144     — 

(S.  87).  Ist  Prognathie  bei  Mensch  und  bei  Tieren  dem  Wesen  nach  das- 
selbe?  (S.   88).  GORNEVIN,   ViRCHOW,  Langer. 

1.  Nutzanwendung  auf  Dryopithecus  (S.  91). 

2.  Geringe  Breite  des  der  Zunge  zu  Gebote  stehenden  Raumes  bei  Dryo- 
pithecus (S.  91).  In  wie  weit  verliert  auch  dieses  Merkmal  der  In- 
feriorität etwas  von  seinem  Gewichte? 

3.  Mangelndes  Kinn  bei  Dryopithecus  (S.  92).  Abschwächung  auch  dieses 
Merkmales  als  Beweismittel  für  seine  Inferiorität. 

4.  Frühzeitiges  Erscheinen  der  Weisheitszähne  bei  Dryopithecus  (S.  93).  In 
wie  fern  auch  dieses  Merkmal  nicht  so  voll  beweiskräftig  ist. 

5.  Länge  der  Tanine  (S.  96). 

b)  Pithecanthropus.  Die  Frage,  ob  Pithecanthropus  der  Vorfahr  des 
Menschengeschlechts  gewesen  sein  könnte  (S.  98).  Reste  des  Pithecanthropus- 
und  Art  ihres  Vorkommens  (S.  99).  Gründe,  welche  Dubois  für  die 
Übergangsstellung  des  Pithecanthropus  zwischen  Mensch  und  Affe  geltend 
machte  (S.  102).  Gründe,  welche  trotzdem  seine  Affennatur  wahrschein- 
licher machen  (S.  107).     Zusammenfassung  derselben  (S.  108), 

E.  Dubois'  „primitive"  Gruppe  Menschenähnlicher  aus  der  Tertiärzeit 
ist  nach  ihm  den  Gibbons  nicht  näher  verwandt  als  den  anderen  lebenden 
Gattungen  (S.  110).  Entgegengesetzte  Ansicht  (S.  111);  Dames,  Koll- 
mann. 

4.  Die  Körpergrösse  des  früheren  Menschen  und  die  Zeit,  in 
welcher  derselbe  entstanden  sein  mag  (S.  112). 

Die  Frage ,  ob  die  ersten  Menschen  grösser  oder  kleiner  waren ,  als  die 
heutigen  (S.  112).  Heutige  und  prähistorische  Pj'gmäenrassen  des  Menschen 
(S.  113);  ihre  Körpergrösse  (S.  115).  Kollmann,  Die  ersten  Menschen 
waren  Pygmäen.  Gehirngrösse  der  Pygmäen  (S.  116).  Verhältnis  des  Ge- 
hirngewichtes zum  Körper-  und  Rückenmarkgewichte  beim  Menschen  (S.  116). 
Man  darf  nicht  Menschenaffen  der  Tertiärzeit  mit  dem  heutigen  Menschen 
in  Parallele  bringen,  sondern  müsste  sie  mit  gleichalterigen  fossilen  Menschen 
vergleichen  (S.  118).   Die  Frage  nach  dem  Menschen  der  Tertiärzeit  (S.  119). 

5.  Bemühungen  den  Stammbaum  des  Menschengeschlechtes  zu 
erkennen  (S.  121).  Entgegengesetzte  Ansichten  über  die  Verwandtschaft 
der  alt-  und  neuweltlichen  Affen;  Häckel  (S.  122),  0.  Schmidt,  Filhol, 
Gaudry,  Schlosser  (S.  123),  E.  Dubois  (S.  127).  Versuch,  lediglich  auf 
Grund  der  Zahnzahl  gewisse  Wahrscheinlichkeitsschlüsse  zu  erlangen  (S.  129). 
Ansichten  von  Cope  (S.  131)  und  Schlosser  (S.  133)  über  die  alttertiären 
Säuger,  aus  welchen  die  Stammform  des  Menschen  entsprungen  sein  könnte. 

6.  Der  einstige  „Übermensch"  (S.  135). 

Schwierigkeiten,  welche  sich  der  Annahme  einer  Entwickelung  zum  „Über- 
menschen" entgegenstellen. 


Die  Fauna    des  unteren  Trigonodus  -  Dolomits  vom 

Hühnerfeld  bei  Schwieberdingen  und  des  sogenannten 

„Cannstatter  Kreidemergels". 

Von  Dr.  E.  Philipp!  in  Berlin. 
Mit  Taf.  IV— IX. 

Der  schwäbisch-nordschweizerische  Muschelkalk  erfreut  sich 
keines  sonderlich  guten  Rufes,  sagt  ihm  doch  einer  der  besten  Kenner 
der  deutschen  Trias,  Fridolin  Sandberger,  „eine  grosse  Einförmig- 
keit der  Facies"  nach.  Gewiss  ist  es  richtig,  dass  manche  von 
den  charakteristischen  Bänken,  die  in  Franken  und  Thüringen  zur 
Gliederung  der  grösseren  Abteilungen  herangezogen  werden,  im 
schwäbischen  Muschelkalke  fehlen ;  auch  der  Fossilreichtum  und 
der  Erhaltungszustand  der  Petrefakten  lassen  oft  viel  zu  wünschen 
übrig  und  mancher  eifrige  Sammler  Schwabens  hat  sich  durch  diese 
Gründe  bestimmen  lassen ,  dem  undankbaren  Muschelkalk  den  Rücken 
zu  kehren,  um  im  Jura  leichtere  und  bessere  Beute  zu  machen. 

Erfreulicherweise  giebt  es  auch  im  schwäbischen  Muschelkalke 
nicht  wenige  Ausnahmen  von  der  Regel.  Die  Oolithe  von  Marbach 
bei  Villingen ,  um  nur  einige  wenige  Punkte  herauszugreifen ,  sind 
altbekannt  und  ihre  prachtvollen  Versteinerungen  in  allen  Samm- 
lungen verbreitet.  Die  schönen  Exemplare  von  Femphix  Sueiirl  aus 
den  Steinbrüchen  von  Untertürkheim  und  anderen  Punkten  sind  bei 
allen  Sammlern  berühmt.  Crailsheim  gilt  schon  längst  als  ein  klassi- 
scher Punkt  in  der  deutschen  Trias.  Die  bekannteste  und  am  meisten 
aufgesuchte  Fundstelle  im  schwäbischen  Muschelkalke  ist  aber  wohl 
neuerdings  das  Hühnerfeld  bei  Schwieberdingen. 

Schwieberdingen  liegt  im  Strohgäu,  auf  der  fruchtbaren  Letten- 
kohlenfläche,  die  sich  im  Nordwesten  des  Stuttgart- Cannstatter 
Beckens  ausdehnt.     Auf  der  leichtwelligen  Ebene    fehlen  natürliche 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  10 


—     146     — 

Aufschlüsse  fast  ganz;  nur  dort,  wo  sich  die  Bäche  ihr  Bett  ge- 
graben haben,  tritt  anstehendes  Gestein,  zumeist  der  oberste  Muschel- 
kalk zu  Tage,  der  in  zahlreichen  Brüchen  als  Bau-  und  Schotter- 
material ausgebeutet  wird.  Ein  solcher,  übrigens  seit  langer  Zeit 
schon  aufgegebener  Muschelkalkbruch,  der  den  Abhang  des  Hühner- 
feldes, halbwegs  zwischen  Schwieberdingen  und  Münchingen,  an- 
schneidet, hat  die  fossilreichen  Schichten  aufgeschlossen,  deren  E'auna 
im  folgenden  besprochen  werden  soll. 

Die  geologische  Vorgeschichte  der  Schwieberdinger  Schichten 
ist  eine  sehr  kurze ;  der  Fundpunkt  wurde  im  Jahre  1865  von  Oskar 
Fraas  bei  der  Aufnahme  des  Blattes  Stuttgart  entdeckt  und  kurz 
beschrieben.  Seitdem  ist  derselbe  nur  manchmal  gelegentlich  er- 
wähnt worden,  so  bei  Qüenstedt,  Gastropoden,  S.  278,  Engel,  geo- 
gnostischer  Wegweiser ,  2.  Aufl.  S.  72  etc. ,  eine  eingehende  Dar- 
stellung der  geologischen  Verhältnisse  und  zusammenhängende  Be- 
schreibung seiner  Fauna  ist  noch  nicht  gegeben  worden.  Um  so 
eifriger  wurde  dafür  im  Hühnerfeld  gesammelt,  in  die  staatlichen 
Sammlungen  Württembergs  und  in  die  Hände  von  Privatsammlern 
gelangte  im  Laufe  der  Zeit  ein  Material,  wie  es  reicher  und  besser 
erhalten  wohl  wenig  andere  Fundpunkte  in  der  deutschen  Trias  ge- 
liefert haben.  Auch  jetzt  ist  die  Fundstelle  noch  keineswegs  er- 
schöpft; noch  im  Herbst  1896  habe  ich  in  Gesellschaft  von  Herrn 
Oberförster  Holland  von  Heimerdingen  und  Herrn  Lehrer  Stettner 
von  Stuttgart,  denen  ich  für  ihre  Unterstützung  meinen  besten  Dank 
ausspreche,  eine  Woche  lang  die  fossilreichen  Schichten  ausgebeutet 
und  bin  mit  Schätzen  reich  beladen  heimgezogen. 

Besonderen  Dank  schulde  ich  den  Herren  Prof.  E.  Fräas  und 
Dr.  Beck  in  Stuttgart  und  Prof.  Koken  in  Tübingen,  die  mir  die  in 
ihrem  Besitz  befindlichen  oder  ihrer  Obhut  anvertrauten  Petrefakten 
von  Schwieberdingen  bereitwilligst  überliessen,  ausserdem  den  Herren 
Geh,  Kammerrat  Dr.  v.  Strombeck  in  Braunschweig  und  Prof.  Benecke 
in  Strassburg  i.  E.,  die  mich  mit  wertvollem  Vergleichsmaterial  ver- 
sahen. Bei  der  ziemlich  schwierigen  Durcharbeitung  des  Gastro- 
podenmaterials  unterstützten  mich  ausserdem  Heri;  Prof.  Koken  und 
Dr.  Johannes  Böhm  durch  mannigfaltige  Ratschläge.  Leider  war  es 
mir  nicht  möglich,  die  Sammlungen  der  Stuttgarter  technischen  Hoch- 
schule zu  benutzen,  da  Herr  Prof.  Dr.  v.  Eck  durch  andauernde  Kränk- 
lichkeit verhindert  war,  mir  das  gewiss  sehr  reiche  Material,  das  er 
durch  zwanzigjährige  Sammelthätigkeit  zusammengebracht  hat,  zu 
übersenden. 


147 


Geologische  Beschreibung  des  Fundortes  am  Hühnerfeld. 

Die  ältesten  Schichten,  die  in  dem  Steinbruch  am  Hühnerfeld 
anstehen,  sind  die  sogen.  Bröckelbänke  des  oberen  Muschelkalks, 
dünngeschichtete ,  unebenflächige ,  blaue  Kalke ,  die  vorwiegend  als 
Strassenschotter  gebrochen  werden.  'Sie  werden  überlagert  von  einer 
massigen,  blauen  Kalkbank,  dem  wilden  Fels,  der  wohl  als  das  Lager 
des  Ceratites  semipartitus  anzusehen  und  dem  Crailsheimer  „Pelz" 
gleich  zu  stellen  ist.  Über  dieser  Bank  folgt  nach  meiner  Auffassung 
der  Trigonodus-J)o\om\t  oder  die  dolomitische  Region ,  wie  diese 
Schichtgruppe  nach  dem  Vorgange  der  reichsländischen  Geologen 
vielleicht  besser  genannt  wird.  Sie  beginnt  mit  einer  30  cm  mäch- 
tigen Bank  von  grauem,  verwittert  gelblichem  Dolomit,  darüber  stellen 
sich  dann  die  petrefaktenreichen  weicheren  Schichten  ein,  die  die 
Lokalität  Schwieberdingen  rühmlichst  bekannt  gemacht  haben.  Die 
unterste  fossilführende  Schicht  ist  geringmächtig  und  enthält  vor- 
zugsweise Gervillien,  die  in  einem  etwas  thonigen  Dolomitsand  lose 
und  meist  in  sehr  schöner  Erhaltung  liegen.  Eine  dünne  Lage  von 
Dolomit,  Thon  und  einer  eigentümlichen  humösen,  teilweise  sehr 
lockeren  Masse,  die  beim  Angraben  einen  eigentümlichen  Geruch 
ausströmte ,  trennt  die  Gervillienschicht  von  der  Hauptfossilschicht, 
die  ungefähr  eine  Mächtigkeit  von  30  cm  besitzt;  diese  besteht  fast 
nur  aus  Schalen  und  Schalentrümmern,  die  teils  in  gelben  Dolomit 
verwandelt ,  teils  verkieselt  sind.  Meist  bilden  diese  Massen  lose 
Agglomerate,  nur  an  einigen  Punkten,  wo  Verkieselung  vorherrscht, 
sind  die  Schalen  zu  grossen  Klumpen  zusammengebacken.  Hier,  in 
der  Hauptfossilschicht  herrschen  Myophorien,  besonders  laevigata  vor. 
Die  oberen  ^s  der  weicheren  Fossilschichten  bildet  ein  Wechsel  von 
Dolomitsanden  und  festen  Dolomitbänkchen ,  der  nicht  übermässig 
reich  an  Petrefakten  ist.  Im  Hangenden  dieser  weicheren  Schichten 
lagert  eine  kompakte,  ausserordentlich  feste  Dolomitbank  von  1,30  m 
Mächtigkeit,  die  zum  Teil  gesprengt  werden  musste,  um  die  Fossil- 
schichten zu  erreichen.  Über  ihr  trifft  man  noch  einmal  eine  Schicht 
von  30  cm  Dolomitsand,  die  'aber  nur  kleine  Gastropoden  enthält, 
dann  folgen  bis  zur  Höhe  des  Abhanges  eine  ca.  80  cm  mächtige 
kompakte  Dolomitbank ,  ein  weiteres  Bänkchen  von  Dolomitsand 
ebenfalls  mit  Gastropoden  und  ca.  2  m  dünn  geschichtete,  meist 
ziemlich  stark  zerfallene  Dolomite.  Die  obersten  Schichten  des 
Trigonodus-T)o\om\iQs  mit  dem  Leitfossil  Trigonodu.s  Sandbergeri  und 
dem  erstaunlichen  Reichtum  an  Älyophoria  Goldfussi  sind  am  Hühner- 

10* 


—     148     — 

felde  nicht  mehr  aufgeschlossen.  Erörterungen  über  das  Alter  der 
Schwieberdinger  Fauna  werden  am  besten  an  den  palaeontologischen 
Befund  anzuknüpfen  sein ;  hier  möchte  ich  nur  einige  Worte  über 
den  Charakter  der  fossilreichen  Schichten  einflechten.  Ich  glaube, 
dass  man  es  hier  mit  einer  Strandbildung,  mit  einem,  sit  venia  verbo, 
Muschelbonebed  zu  thun  hat.  Die  losen  Muschelagglomerate,  deren 
Zusammensetzung  von  Schritt  zu  Schritt  wechselt,  in  denen  fest- 
sitzende Formen  wie  Austern  sehr  selten  sind,  Brachiopoden  ganz 
fehlen ,  Cephalopoden  nur  in  Bruchstücken  vorkommen ,  in  denen 
überhaupt  die  Menge  der  zerbrochenen  die  der  heilgebliebenen  Stücke 
gewaltig  übertrifft,  lassen  kaum  eine  andere  Erklärung  zu.  Eine 
Reihe  von  anderen  Dingen,  die  wir  am  recenten  Muschelstrande  be- 
obachten können ,  tritt  auch  hier  auf,  so  z.  B.  die  ungleichartige 
Verteilung  der  rechten  und  linken  Schalen. 

So  finden  sich  von  den  Gervillien,  soweit  sie  nicht  in  doppel- 
schaligen  Exemplaren  vorkommen,  fast  immer  nur  die  linken,  hoch- 
gewölbten Schalen,  von  der  rechten,  flachen  habe  ich  nur  ein  ein- 
ziges, loses  Exemplar  gesehen. 

Die  Vermutung  liegt  nahe ,  dass  die  gewölbten  Klappen  dem 
Wellenschlage  mehr  Angriffspunkte  boten  und  deshalb  ans  Ufer  ge- 
schleudert wurden,  während  die  flachen  glatt  auf  dem  Boden  liegend 
nicht  mitgerissen  wurden.  Weniger  leicht  ist  zu  erklären,  dass  auch 
bei  den  gleichklappigen  Myophorien  die  Zahl  der  isolierten  linken 
Schalen  die  der  rechten  etwa  um  das  Dreifache  übersteigt.  In  der 
eingangs  erwähnten  schwarzen,  humösen  Schicht  glaube  ich  eine  An- 
häufung von  Tangen  erblicken  zu  dürfen,  wie  wir  sie  am  Strande 
ja  so  häufig  zu  sehen  Gelegenheit  haben. 

Oskar  Fraas  glaubt  in  den  Schwieberdinger  Schichten  oberen 
Muschelkalk,  d.  h.  das  Semipartitus-  oder  Nodos iis-^iveau.  sehen  zu 
müssen,  der  durch  den  überlagernden  Trigonodus-Dolomit  erst  nach- 
träglich unter  dem  Einfluss  der  Atmosphärilien  dolomitisiert  worden 
ist.  Ich  kann  mich  seiner  Ansicht  nicht  anschliessen,  glaube  viel- 
mehr, dass  die  Fossilschichten  im  echten  Trigonodus-Bolomit.,  aller- 
dings in  dessen  unterster  Abteilung  liegen,  wie  neuerdings  auch 
Eberhard  Fraas  und  Engel  annehmen.  Nur  insofern  stimme  ich  mit 
Oskar  Fraas  überein,  als  ich  ebenso  wie  er  überzeugt  bin,  dass  die 
Auslaugung  der  Schichten  und  der  Zerfall  zu  Dolomitsand  unter  dem 
Einfluss  der  Tageswässer,  die  in  dem  zerklüfteten  Trigonodus-Bohmit 
auch  zu  tieferen  Schichten  leichten  Zutritt  hatten,  erfolgte;  sie 
mussten  sich  an  den  vorher  erwähnten  thonigen  Schichten  des  fossil- 


-     149     — 

reichen  Horizontes  stauen  und  hauptsächlich  hier  ihre  auslaugende 
und  präparierende  Arbeit  leisten.  In  der  That  liess  sich  beim  Aus- 
beuten der  Fundstelle  beobachten,  dass  die  fossilführenden  Schichten 
stellenweise  reichlich  Feuchtigkeit  enthielten,  während  die  kompakten 
Dolomite  im  Hangenden  naturgemäss  ganz  trocken  waren. 

Erhaltungszustand  der  Fossilien. 

Weitaus  der  grösste  Teil  der  Fossilien  ist  in  gelben  Dolomit 
verwandelt,  dessen  Analyse  einen  Gehalt  von  18 "/q  Magnesiaoxyd 
ergab;  das  Gestein  steht  also  Normaldolomit,  der  21,74 7o  MgO 
enthält,  bereits  sehr  nahe. 

In  diesem  Erhaltungszustande  treten  die  feinsten  Einzelheiten 
der  Schalenskulptur  und  des  Schlossbaues  heraus.  Auffallend  ist, 
dass  sich  das  Ligament  bei  sämtlichen  doppelschaligen  Formen,  bei 
denen  es  ein  äusseres  ist,  ebenfalls  in  krystallinem  Dolomit  erhalten 
hat.  Bei  den  Gervillien  bemerkt  man  in  einzelnen  Fetzen  einen  dunk- 
len, aus  SiOa  bestehenden  Überzug,  der  gegen  die  hellgelbe  Farbe  der 
Schalen  deutlich  absticht  und  in  dem  man  wohl  mit  Sicherheit  die 
Epidermis  vermuten  darf;  bei  einzelnen  Gastropoden  ist  auch  die 
Färbung,  allerdings  nur  in  Strukturverschiedenheiten  der  krystallinen 
Substanz,  die  die  Schale  ersetzt  hat,  deutlich  wahrzunehmen. 

Sehr  viel  ungünstiger  ist  der  Erhaltungszustand  der  verkieselten 
Schalen,  da  die  Kieselsubstanz  Schlösser  und  Skulptur  meist  nur  in 
den  gröbsten  Umrissen  wiedergegeben  hat.  Öfters  sind  die  Schalen 
teils  verkieselt,  teils  dolomitisiert,  zuweilen  beobachtet  man,  wie  die 
Kieselringe  in  die  gelbe  Dolomitschale  eingeätzt  erscheinen. 

Beschreibung  der  Fauna. 

Ich  habe  in  den  meisten  Fällen  von  langen  Synonymen-Ver- 
zeichnissen  abgesehen,  die  bei  den  bekannteren  Formen  die  Arbeit, 
ohne  notwendig  zu  sein,  ungewöhnlich  belasten  würden.  Nur  dort 
habe  ich  ein  Synonymen-  und  Citatenverzeichnis  vorausgeschickt,  wo 
weniger  bekannte  Arten  vorlagen  oder  wo  bis  jetzt  getrennt  ge- 
haltene zusammengezogen  werden  mussten. 

Spongia. 

Rhizocorailium  Zenk. 

RJiis 0 c  0 r  all  tum  jenense  Zenk. 

Die  unter  diesem  Namen  bekannten  Körper,  die  in  grossen 
Mengen  manche  Schichtflächen  des  unteren  Muschelkalks  bedecken. 


—     150    — 

haben  sich,  allerdings  sehr  selten,  auch  bei  Schwieberdingen  gefunden. 
Sehr  bemerkenswert  ist,  dass  sie  hier  nicht  an  die  Schichtoberfläche 
gebunden  sind,  sondern  eine  kompakte  Dolomitbank  durchwachsen  und 
dass  sich  auf  ihrer  eigentümlich  verzierten  Oberfläche  kleine  Gastro- 
poden, Schalentrümmer  etc.  finden.  Dies  spricht  entschieden  dafür, 
dass  das  BMsocoralUum  ein  organischer  Körper  ist,  wahrscheinlich  ein 
Hornschwamm,  wie  Beyeich  und  andere  Forscher  anzunehmen  neigten. 

Lamellibranehia. 

Ostrea  L.  (Terquemia  Täte). 

Ostrea  (Terquemia)  complicata  Goldf. 

Sehr  selten  kommt  eine  Auster  mit  zahlreichen,  hohen,  scharfen 
Rippen  vor,  die  der  GoLDFUss'schen  Art  am  nächsten  steht.  Ich  halte 
es  übrigens  nicht  für  angängig,  mit  vorstehender  Art  Ostrea  difforniis  Gf. 
zu  vereinigen ,  wie  es  Alberti  thut ;  diese  Form  stellt  mit  ihren 
flacheren,  gerundeten  und  wenig  zahlreichen  Rippen,  die  sich  gegen 
den  Wirbel  hin  fast  verlieren,  einen  ganz  anderen  Typus  dar.  Zu 
bemerken  ist  übrigens,  dass  Ostrea  crista  difforniis  Schloth.  ,  unter 
welchem  Namen  Alberti  die  beiden  GoLDFDSs'schen  Arten  vereinigt, 
ein  etwas  abgeriebenes  Exemplar  der  0.  complicata  Goldf.  ist,  wie 
die  Besichtigung  des  Originalstückes  leicht  erkennen  Hess.  Um  Ver- 
wechselungen vorzubeugen,  wird  man  jedoch  gut  thun,  den  Schlotheim'- 
schen  Namen  ganz  fallen  zu  lassen.  Unter  den  deutschen  Arten 
steht  0.  complicata  Goldf.  der  0.  montis  Caprilis  v.  Klipst.  aus  den 
Raibler  und  der  nahe  verwandten  0.  Haiäingeriana  Emmr.  aus  den 
Kössener  Schichten  am  nächsten. 

Placunopsis  Morr.   und  Lyc. 
Placunopsis  ostracina  v.  Schloth.  sp.   —  Taf.  VII  Fig.   10. 

Chamites  ostracinus  v.  Schloth.,  Petref.  S.  215. 

Ostracites  sessilis        „  „  r>        ^-  ^37  (pars).  Nachtr.  II,  S.  111.  t.  36 

f.  la. 
Ostrea  xüacunoides  Goldf.,  Petr.  Germ.  S.  19.  t.  79  f.  1. 

„       subcuioinia         „  „  „       S.  19.  t.  79  f.  2. 

„       ScMbleri  „  „  „       S.  19,  t.  79  f.  3. 

Serpula  serpentina  Schmid  &  Schleiden,  Geogn.  Verh.  d.  Saalth.   S.  38.  t.  4  f.  1. 

„  „  „        N.  Jahrb.  f.  Min.  etc.  1853.  S.  19. 

Anomia  (Ostrea)  tenuis  Dunker,   Palaeontogr.  I.  S.  287.  t.  31  f.  27 — 29. 
Lima  concinna  Dünker,   Palaeontogr.  I.  S.  292.  t.  34  f.  30. 
Ostrea  placunoides    Giebel,  Lieskau.   S.  12. 
Placunopsis  plana  „  „  S.  13.  t.  2  f.  6, 

,  gracilis         „  „  S.  13.  t.  6  f.  2. 


—     151    — 

Plaeunopsis  obliqua  Giebel,  Lieskau,  S.  13.  t.  6  f.  3. 
Anomia  Andraei  „  „  S.  14.  t.  2  f.  14. 

„        heryx  „  ,  S.  14.  t.  6  f.  5. 

alta  „  ,  S.  14.  t.  6  f.  6. 

Ostrea  subanomia  var.  tenuis,  orhica,  reniformis,  Sehubier i,  genuina,  rugifera, 
turpis,  beryx  v.  Schauroth,  Z.  d.  d.  g.  G.  1857.  IX.  S.  90—94.  t.  6.  f.  1—8. 
,       ostracina  v.  Schloth.  sp.,  v.  Seebach,  Z.  d.  d.  g.  G.  1861.  XIII.  S.  568. 
Anomia  beryx  Gieb.,  v.  Seebach,  ebeuda  S.  570.  t.  14.  f.  5. 
Plaeunopsis  plana  Gieb.,  v.  Seebach,  ebenda  S.  572. 
Ostrea  subanomia  Mstr.,  v.  Alberti,  Überblick.  S.  66. 
Anomia?  Beryx  Gieb.,  v.  Alb.,  Überblick.  S.  68. 
Plaeunopsis  plana  Gieb.,  v.  Alb.,  Überblick.  S.  69. 
„  obliqua  Gieb.,  v.  Alb.,  Überblick.  S.  70. 

„  gracilis  Gieb.,  v.  Alb.,  Überblick.  S.  70. 

Ostrea  ostracina  Schloth.  sp.,  Eck,  Oberscblesien.  S.  50. 

„  „         Schloth.,  Benkcke,  Geognostisch-palaeont.  Beitr.  II.  S.  42.  t.  3 

f.  7,  8. 
Terquemia  ostracina  Schloth.  sp.,  Nötling,  Z.  d.  d,  g.  G.  1880.  XXXII.  S.  322. 

Wie  aus  obigem  Synonymenverzeichnis  hervorgeht,  ist  die  vor- 
hegende Form  ziemhch  vielgestaltig  und  hat  darum  die  älteren 
Autoren  veranlasst,  sie  bei  sehr  verschiedenen  Arten  und  Gattungen 
unterzubringen.  Zuvörderst  ist  festzustellen,  ob  der  ScHLOTHEiM'sche 
Chamites  ostracinus  zu  den  Ostreiden  oder  zu  den  Anomiiden  ge- 
hört. Gegen  die  Zugehörigkeit  zu  Ostrea  und  ihren  Verwandten 
sprechen  verschiedene  Punkte.  Ch.  ostracinus  ist  häufig  auf  anderen 
Körpern  aufgewachsen,  aber  konstant  mit  der  kleineren,  flachen 
Klappe  wie  Anomia,  während  bei  den  Austern  stets  die  grössere 
Klappe  aufwächst.  Bei  Ch.  ostracinus  verdickt  sich  die  Schale  am 
Rande  und  bildet  einen  massiven  Ring,  der  bei  aufgewachsenen 
Exemplaren  häufig  noch  vorhanden  ist,  wenn  der  mittlere ,  dünnere 
Teil  der  Schale  bereits  aufgelöst  ist,  und  der  dann  mit  Serpula  ver- 
wechselt worden  ist. 

Ich  glaube,  dass  Ch.  ostracinus  zum  Genus  Plaeunopsis  zu 
stellen  ist,  das  von  Morris  und  Lycett  für  Anomiiden  mit  undurch- 
bohrter  Unterschale  und  transversalem  Ligament  aufgestellt  worden 
ist;  hierin  stimme  ich  mit  Herrn  Prof.  Benecke  überein,  der  mir 
seine  Ansicht  über  diesen  Punkt  freundlichst  mitteilte. 

Die  Unterschale  von  PI.  ostracina  ist  stets  flach,  auch  wenn 
sie  nicht  auf  fremden  Körpern  aufgewachsen  ist.  Die  Oberschale 
ist  konvex,  variiert  aber  bezüglich  ihrer  Wölbung  und  ihres  Um- 
risses ganz  ausserordenthch.  Neben  sehr  hochgewölbten  Klappen 
finden  sich  solche,  die  sich  nur  wenig  von  den  Unterklappen  unter- 


.   —     152     - 

scheiden,  wie  ich  das  namentlich  an  hervorragend  schönen  Stücken 
beobachtete,  die  von  Nötling  in  Niederschlesien  gesammelt  wurden. 
In  der  Mehrzahl  der  Fälle  finden  sich  die  Unterschalen  allein  auf 
Fremdkörpern  aufsitzend,  während  die  Oberschalen  isoliert  vor- 
kommen. Das  Museum  für  Naturkunde  in  Berlin  bewahrt  jedoch 
eine  Anzahl  von  Stücken  auf,  auf  denen  beide  Schalen  im  Zusammen- 
hang erhalten  sind. 

Die  Oberfläche  der  grossen  Klappe  erscheint  bald  glatt,  bald 
mit  radialen  feinen  Linien  verziert.  Giebel  und  einige  Autoren  nach 
ihm  haben  auf  dieses  Merkmal  hin  die  radialgestreiften  Formen  als 
Placunopsis  von  Ostrea  ostracina  der  Autoren  abgetrennt.  Dem- 
gegenüber ist  zu  bemerken,  dass  das  Original  von  v.  Schlotheim's 
Ch.  ostracinus,  das  vor  mir  liegt,  ebenfalls  eine  feine  Radialskulptur 
besitzt.  Die  Deutlichkeit,  mit  der  dieselbe  auftritt,  scheint  haupt- 
sächlich von  dem  bei  deutschen  Triasbivalven  ja  bekanntlich  sehr 
ungleichartigen  Erhaltungszustand  abzuhängen. 

Dass  eine  schräg  über  die  Schale  laufende  Streifung,  die  von 
einigen  Autoren  als  Artmerkmal  angesehen  wurde,  nur  vom  Auf- 
wachsen auf  gerippte  Muscheln,  wohl  hauptsächlich  Lima -Arten, 
herrührt,  bedarf  kaum  der  Erörterung.  Die  Gestalt  der  grösseren 
Klappe  ist,  wie  gesagt,  äusserst  variabel,  ich  glaube  aber  nicht,  dass 
man  neben  PI.  ostracina  eine  andere  Art  ausscheiden  kann.  Nach 
den  Prinzipien,  von  denen  Giebel  bei  Aufstellung  seiner  Arten  von 
Änomia  und  Placuno])sis  ausgegangen  ist,  wäre  die  lebende  Änomia 
ephippium  in  geradezu  unzählige  Arten  zu  zerspalten. 

Die  Ligamentgrube  konnte  ich  bei  keinem  meiner  Exemplare 
mit  voller  Sicherheit  erkennen;  nach  v.  Seebach  1.  c.  S.  572  ist  bei 
PI.  plana  =  ostracina  eine  dreiseitige  Bandgrube  zu  beobachten,  wie 
sie  nach  Morris'  und  Lycett's  Diagnose  auch  die  jurassischen  P?«- 
cunopsis-kxien  zu  besitzen  scheinen.  Möglicherweise  ist  aber  über 
die  Lage  des  Ligaments  bei  Placunopsis  noch  nicht  das  letzte  Wort 
gesprochen.  Es  wurde  nur  ein  sehr  grosser,  kreisrunder,  subcentraler 
Muskeleindruck  bemerkt. 

Das  Genus  Placunopsis  ist  noch  zu  wenig  bekannt,  um  direkte 
Beziehungen  zu  den  übrigen  Anomiiden  herleiten  zu  können ;  viel- 
leicht ist  Placunopsis  der  Stammvater  von  Änomia,  was  dadurch 
wahrscheinlich  gemacht  wird,  dass  bei  Änomia  im  Jugendzustande 
die  kleine  Klappe  noch  un  durchbohrt  ist  und  das  Foramen  sich  erst 
später  durch  eine  Einbuchtung  des  Randes  bildet. 


—     153     — 

Pecten  Klein. 
Pecten  laevigatus  v.  Schlote,  sp. 
Ein  Bruchstück. 

Pecten  discites  v.  Schlote,  sp. 

Ein  verkieseltes  Exemplar,  das  die  von  v.  Seebach,  v.  Alberti  u.  a. 
besprochene  feine  Radialstreifung  deutlich  zeigt. 

Gervillia  Defr. 

Die  Gattung  Gervillia  ist  von  Defrance  (Dict.  des  sciences 
naturelles  T.  18,  S.  505.  1820)  für  eine  Kreideform  (G.  solenoides) 
aufgestellt  und  von  Deslongchamps  (Rec.  Soc.  Linn.  Calvados  I.  S.  126) 
und  d'Orbigny  (Paleont.  fran9.  terr.  cret.  III.  S.  48)  erweitert  und 
befestigt  worden.  Das  Genus  BaJcevellia,  das  King  im  Jahre  1848 
für  Zechsteinformen  aufstellte,  unterscheidet  sich  in  keinem  einzigen 
Merkmal  von  Gervillia.  Sowohl  die  beiden  Muskeleindrücke  wie  die 
Ciicullaea-ähnViehen  Reihenzähne,  die  King  in  seiner  Diagnose  her- 
vorhebt (Perm,  fossils,  Paleont.  Soc.  III.  1850.  S.  166),  werden  be- 
reits in  d'Orbigny's  Diagnose  vom  Jahre  1843  für  Gervillia  angeführt. 
Richtung  und  Form  der  Zähne  ist  ausserdem,  selbst  bei  ein  und  der- 
selben Art  von  Gervillia,  so  veränderlich,  wie  Credner  (GervilHen 
der  Triasformation  in  Thüringen.  N.  Jahrb.  f.  Min.  etc.  1851.  S.  641  ff.) 
bereits  gezeigt  hat  und  wie  ich  bestätigen  kann,  dass  dieses  Merk- 
mal sogar  für  die  Artenunterscheidung  nur  mit  grosser  Vorsicht  zu 
gebrauchen  ist.  Alle  anderen  Kennzeichen,  wie  die  äussere  Form, 
die  Breite  der  Ligamentarea,  der  Abstand  der  Wirbel  von  einander, 
sind  bei  Bahevellia  ebenso  variabel  wie  bei  Gervillia.  Es  liege  also 
keinerlei  Grund  vor,  das  Genus  Bakevellia  etwa  auch  nur  als  Unter- 
gattung beizubehalten  und  ich  wiederhole  daher  die  bereits  von 
V.  Grünewaldt  (Verst.  d.  schles.  Zechsteingebirges.  Z.  d.  d.  g.  G. 
III.  1851.  S.  264),  von  v.  Seebach  (1.  c.  S.  588)  und  anderen  ge- 
stellte Forderung,  das  Genus  BaJcevellia  King  aus  der  Litteratur,  in 
der  es  sich  mit  Zähigkeit  bis  jetzt  gehalten  hat,  endgültig  ver- 
schwinden zu  lassen. 

Hoernesia  Laube. 

Im  Jahre  1866  trennte  Laube  (Fauna  der  Schichten  von  St.  Cas- 
sian  II.  Denkschr.  d.  Wiener  Akad.,  math.-naturw.  Klasse,  Bd.  25, 
S.  53)  das  Genus  Hoernesia  ab,    das  die  Bestimmung  hatte,    „alle 


—     154     — 

jene  Arten  zu  umfassen ,  welche  bisher  als  Gervülia  des  Muschel- 
kalks galten."  Sein  Hauptvertreter  sollte  in  der  deutschen  Trias 
Gcrv.  sociaUs,  in  der  alpinen  Gerv.  Johannis  Austriae  sein.  Die 
Unterschiede  zwischen  Hoernesia  und  den  Jara-  und  Kreidegervil- 
lien  wären  vor  allem  im  Zahnbau  zu  suchen,  der  bei  den  tria- 
dischen Formen  im  Gegensatz  zu  den  jüngeren  ein  sehr  kon- 
stanter sein  sollte ;  wie  bereits  erwähnt ,  ist  aber  gerade  bei  den 
Triasgervillien  der  Zahnbau  aussergewöhnlich  veränderhch.  Ferner 
soll  bei  den  Triasformen  das  Ligament  nicht  in  einer  schrägen  Ab- 
dachung der  Schale,  sondern  in  einer  horizontal  gestreiften  Rinne 
liegen,  welche  durch  eine  Verlängerung  der  Schale  nach  innen  ge- 
bildet wird.  Zu  letzterem  möchte  ich  gleich  hervorheben,  dass  diese 
Verhältnisse  ganz  sekundär  und  von  der  Dicke  und  Wölbung  der 
Schalen  abhängig  sind ;  thatsächlich  zeigen  sehr  dickschalige  Exem- 
plare von  Gerv.  socialis  und  die  sehr  flache  Gerv.  mytiloides  die- 
selbe Lage  der  Ligamentarea  wie  die  jüngeren  Formen. 

Das  bezeichnendste  Merkmal  für  Hoernesia  soll  aber,  abgesehen 
von  der  Ungleichheit  der  Klappen  und  der  Neigung  zur  Drehung  der 
Schale,  das  Auftreten  eines  Septums  im  Wirbel  der  grösseren  (linken) 
Schale  sein,  zu  dessen  beiden  Seiten  sich  trichterförmige  Höhlungen 
befinden.  Stellt  man  dieses  Kennzeichen  in  den  Vordergrund ,  wie 
das  BiTTNER,  (Lamellibranchiaten  von  St.  Cassian,  Abh.  d.  k.  k.  geol. 
Reichsanst.  XVHL  L  S.  81)  thut,  so  ist  von  den  alpinen  Formen 
nur  ein  Teil,  von  deutschen  Triasgervillien  nur  Gervülia  subglobosa 
Credn.  zur  Gattung  Hoernesia  zu  stellen,  während  Gerv.  socialis 
danach  zu  Gervülia  s.  str.  gehören  müsste.  Das  ist  aber  für  mich 
ein  Beweis,  dass  die  Fassung  des  Genus  Hoernesia  in  der  von  Bittner 
vorgeschlagenen  Form  keine  natürliche  sein  kann ;  ich  glaube,  dass 
sich  niemand  so  leicht  der  Anschauung  entziehen  kann,  dass  Gerv. 
socialis  und  suhglohosa  sehr  nahe  miteinander  verwandt  sind  und 
gegenüber  sämtlichen  anderen  Gervillien  der  deutschen  Trias  eine 
Sonderstellung  einnehmen.  Ich  halte  übrigens  die  dreieckige  Ver- 
dickung der  Schale,  die  bei  Gerv.  socialis  unter  dem  Wirbel  liegt 
und  die  bereits  Credner  1.  c.  S.  645  erwähnt,  für  ein  Analogen  des 
medianen  Septums,  aus  dem  sich  dieses  bei  stärkerer  Aufwölbung 
der  hnken  Schale  entwickelte.  Häufig  findet  sich  zwischen  dieser 
Verdickung  und  dem  Vorderrande  bei  Gerv.  socialis  bereits  eine  flache 
Bucht;  ebenso  ist  die  Furche,  welche  auf  der  Aussenseite  der  linken 
Schale  den  Wirbel  nahezu  halbiert  und  die  nach  Bittner  in  Zu- 
sammenhang mit  dem  inneren  Septum  stehen  soll,  bei  Gerv.  socialis 


—    155    — 

öfters  schon  vorhanden.  Ich  möchte  vorschlagen,  die  Gattung  Hoer- 
nesia ,  wie  dies  v.  Zittel  thut ,  als  Subgenus  von  Gervillia  zu  be- 
trachten und  ihr  folgende  Diagnose  zu  geben :  Formen  mit  stark 
gewölbter  linker  und  flacher  bis  konkaver  rechter  Klappe.  Wirbel 
der  linken  Klappe  stark  übergebogen  und  auf  der  Aussenseite  durch 
eine  mehr  oder  minder  deutliche  Furche  geteilt.  Die  rechte  Klappe 
mit  zwei  schräg  nach  hinten  verlaufenden,  verschieden  stark  diver- 
gierenden flachen  Rippen.  Die  vorderen  Zähne  der  linken  Klappe 
sind  durch  eine  schmale  Leiste  (Septum)  oder  durch  eine  oft  spitz 
dreieckig  nach   unten   verlaufende  Verdickung    der  Schale   gestützt. 

In  der  alpinen  Trias:      Hoernesia  Johannis Äustriae  Kupst.  sp. 

„  bipartita  Mer.  sp. 

„  Sturi  WöHRM.  sp. 

„  Stoppanii  Par.  sp. 

In  der  deutschen  Trias :         „  socialis  Schlote,  sp. 

„  siibglobosa  Credn.  sp. 

Hoernesia  socialis  v.  Schlote,  sp.  —  Taf.  IV  Fig.  1 — 5. 

Hoernesia  socialis  ist  bei  Schwieberdingen  sehr  häufig,  besonders 
in  den  untersten  Schichten  der  fossilführenden  Lagen.  Meistens  sind 
die  beiden  Klappen  noch  im  Zusammenhang  erhalten.  Seltener  fand 
sich  die  grössere,  gewölbte  Klappe  einzeln.  Eine  einzelne,  kleinere 
Klappe  hat  sich  merkwürdigerweise  in  den  Schwieberdinger  Schichten 
bisher  nur  einmal  gefunden.  Hinsichtlich  der  Grösse ,  Dicke  und 
Wölbung  der  Schalen  ist  H.  socialis  äusserst  veränderlich.  Inter- 
essanter ist  es,  dass  auch  der  Schlossbau  sehr  variabel  ist,  was 
übrigens  Credner  (N.  Jahrb.  f.  Min.  etc.  1851.  S.  644)  bereits  be- 
merkt hat. 

Bekanntlich  besitzt  die  gewölbte  linke  Klappe  im  allgemeinen 
vorn  zwei  Schlosszähne.  In  einzelnen ,  übrigens  seltenen  Fällen  ist 
der  vordere  dieser  beiden  Zähne  nach  vorn  abwärts  geneigt  und 
bildet  mit  dem  Schlossrande  einen  nach  hinten  offenen  Winkel  von 
100 — 120'',  mit  dem  hinteren  Zahne  einen  solchen  von  ca.  40°.  In  an- 
deren Fällen  steht  der  vordere  Schlosszahn  auf  der  Längsrichtung  des 
Schlossrandes  senkrecht  (Taf.  IV  Fig.  2)  und  bildet  mit  dem  Hinter- 
zahne einen  Winkel  von  ca.  30*^.  Meistenteils  sind  aber  beide  Schloss- 
zähne nach  hinten  gerichtet  und  parallel  oder  nahezu  parallel  (Taf.  IV 
Fig.  3).  Manchmal  verschwindet  der  hintere  Kardinalzahn  ganz  und 
an  seine  Stelle  tritt  eine  Anzahl  von  flachen,  schmalen  Leisten, 
wie  das  bereits  Credner  beobachtet  hat  (Taf.  IV  Fig.  5).    Über  die 


-     156     — 

hinteren  Seitenzähne  Hegen  keine  Beobachtungen  vor,  da  meist  nur 
die  vordere  Hälfte  der  linken  Klappen  erhalten  ist.  Die  Breite  des 
Ligamentfeldes,  ebenso  die  Breite  und  Form  der  Ligamentgruben  ist 
wie  alles  andere  sehr  veränderlich,  ob  es  auch  die  Anzahl  der  Liga- 
mentgruben ist,  kann  ich  nicht  mit  Sicherheit  angeben,  wiewohl  es 
mir  ziemlich  wahrscheinlich  vorkommt. 

Die  Yorderzähne  werden  durch  eine  massive  Verdickung  der 
Schlossplatte  gestützt,  die  ich  als  das  Analogon  des  Septums  von 
Hoernesia  subglobosa  auffasse.  Manchmal  verschmilzt  dieselbe  völlig 
mit  dem  Vorderrande,  meist  bleibt  aber  eine  mehr  oder  minder  flache 
Bucht  frei,  wie  dies  Taf.  IV  Fig.  2  deutlich  zeigt.  Dieser  Verstärkung 
der  Schlossplatte  entspricht  auf  der  Aussenseite  der  grossen  Klappe 
eine  Furche,  die  von  der  Mitte  des  Wirbels  nach  der  Mitte  des  Unter- 
randes verläuft  und  die  von  Bittner  als  charakteristisch  für  die 
Gattung  Hoernesia  angesehen  wird.  Der  vordere  Muskeleindruck 
liegt  an  der  Hinterseite  der  Schlossplattenverdickung  und  ist  an 
manchen  Stücken,  z.  B.  an  dem  Taf.  IV  Fig.  2  abgebildeten,  sehr 
deutlich  zu  erkennen. 

Fast  sämtliche  Exemplare  von  H.  socialis  bestehen  aus  hell- 
gelber ,  spätiger  Dolomitsubstanz ;  an  den  meisten  ist  an  einzelnen 
Stellen  ein  bräunlicher  Überzug  von  Kieselsubstanz  bemerkbar,  der 
sehr  scharf  die  Anwachsstreifung  wiedergiebt.  Die  Skulptur  tritt 
sogar  in  diesen  Kieselüberzügen,  die  in  einzelnen  unregelmässigen 
Fetzen  die  Schale  bedecken,  deutlicher  hervor  als  auf  der  Schale 
selbst.  Ich  bin  überzeugt,  dass  man  es  hier  mit  Fetzen  einer  ziemlich 
dicken  Epidermis  zu  thun  hat;  schliesslich  ist  es  ja  auch  nicht  so 
wunderbar,  dass  diese  sich  ebenfalls  in  einer  Schicht  erhalten  hat, 
in  der  fast  ausnahmslos  das  Ligament  konserviert  wurde. 

Gervillia  Goldfussi  v.  Strome,  sp.  —  Taf.  IV  Fig.  6,  7. 

Pterinea  Goldfussi  v.  Strojibeck,  Z.  cl.  d.  g.  G.  1849.  I.  S.  189. 
BakevelUa  costata  var.  Goldfussii  v.  Schauroth,  Z.  d.  d.  g.  G.  1857.  IX.  S.  106. 
t.  5  f.  5. 

Nicht  selten  ist  bei  Schwieberdingen  eine  kleine  glatte  Gervillia 
mit  ziemlich  stark  geblähten  Schalen,  die  nur  eine  zarte  Anwachs- 
streifung aufweisen.  In  den  Fossilverzeichnissen  von  Schwieberdingen 
bei  Engel  und  in  den  Erläuterungen  zu  Blatt  Stuttgart  der  Württem- 
bergischen geologischen  Karte  figuriert  sie  als  Gerv.  polyodonta^  mit 
der  sie  jedoch  gar  nichts  zuf  thun  hat ;  sie  steht  vielmehr  in  ihrer 
äusseren  Form  der  Gerv.  costata  nahe.    Diese  glatten  Gervillien  vom 


-     157     - 

costata-Ty^us  hat  v.  Strombeck  P^mwaea  Goldfussii  gen?Lnnt;  Credner 
(1.  c.  S.  649)  zog  diese  Art  als  Varietät  zu  Gerv.  costata,  ebenso 
V.  ScHAüROTH,  während  sie  v.  Alberti,  Überbhck  S.  89,  zu  Gerv.  suh- 
costata  stellt.  Ich  glaube  jedoch,  dass  Gerv.  Goldfussi  v.  Stromb.  sp. 
eine  selbständige  Art  ist,  die  sich  von  Gerv.  costata  ebenso  durch 
den  Mangel  der  Längsberippung,  wie  von  Gerv.  subcostata  durch  die 
ihr  fehlende  Radialberippung  unterscheidet,  Steinkerne  von  Gerv. 
Goldfussii  und  costata  dürften  allerdings  nicht  auseinander  zu  halten 
sein.  Hinsichtlich  der  Wölbung  der  beiden  Klappen  ist  Gerv.  Gold- 
fussi ziemlich  veränderlich,  wie  die  Fig.  6  und  7  auf  Taf.  IV  an- 
deuten sollen. 

Gervillia  Fraasi  n.  sp.  —  Taf.  IV  Fig.  9. 

Das  K.  Naturalienkabinett  in  Stuttgart  besitzt  eine  höchst  eigen- 
tümliche Gervillia  aus  Schwieberdingen.  Sie  unterscheidet  sich  von 
den  übrigen  Gervillien  der  deutschen  Trias  hauptsächlich  dadurch, 
dass  der  schmale,  mittlere  Teil  vom  hinteren  Flügel  sehr  scharf  ge- 
trennt ist.  Gegen  den  Wirbel  zu  ist  der  Steilabfall,  der  diese  beide 
Teile  der  Schale  trennt,  sogar  ausgekehlt.  Die  beiden  Klappen  sind 
nahezu  gleichmässig  aufgewölbt,  doch  ist  der  Wirbel  der  linken  be- 
deutend stärker  übergebogen  als  der  der  rechten.  Ein  vorderer  Flügel 
scheint  fast  gar  nicht  vorhanden  zu  sein.  Im  ganzen  sind  bei  dieser 
Form,  die  mir  nur  in  einem  doppelschaligen  Stück  vorliegt,  drei 
Ligamentgruben  zu  beobachten.  Der  Achsenwinkel  beträgt  ca.  35®. 
Die  Anwachsstreifung  ist  sehr  grob,  Radialskulptur  aber  nicht  zu 
beobachten. 

Die  eigentümliche  Form  gehört  zu  den  schlanksten  Gervillien 
der  deutschen  Trias.  Ich  glaube,  dass  sie  Gerv.  costata  am  nächsten 
steht,  bei  der  manche  Varietäten  bereits  eine  sehr  deutliche  Kante 
zwischen  dem  mittleren  Teil  und  dem  hinteren  Flügel  zeigen. 

Ich  widme  die  interessante  Art  Herrn  Prof.  Eb.  Fräas  in  Stuttgart. 

Gervillia  alata  n.  sp.  —  Taf.  IV  Fig.  10. 

Zu  demselben  Typus  gehörig ,  wie  die  vorige ,  aber  noch  ab- 
erranter,  ist  eine  kleine  Form,  von  der  das  K.  Naturalienkabinett  in 
Stuttgart  zwei  Exemplare  aufbewahrt.  Hier  ist  der  vordere  Flügel 
ebenfalls  durch  eine  Furche  vom  Rücken  getrennt,  die  allerdings 
lange  nicht  so  tief  ist  wie  die,  welche  den  hinteren  abtrennt.  Der 
mittlere  Teil  ist  schmal,  hochgewölbt  und  in  der  linken  Klappe  stark 
übergebogen.     Sehr  eigentümlich  ist  der  hintere  Flügel  ausgebildet, 


—     158     ~ 

der  in  eine  lange  Spitze  ausgezogen  ist,  der  dieser  Art  ganz  das 
Aussehen  mancher  Avicula-Arten  verleiht.  Dass  man  es  wirklich 
mit  einer  Gervillia  zu  thun  hat,  beweist  die  isolierte  Klappe,  welche 
vier  oder  fünf  dichtgedrängte,  senkrecht  zur  Schlosskante  stehende 
Ligamentgruben  erkennen  lässt. 

Anwachsstreifung  stark,  auch  schwache  Radialskulptur  zu  er- 
kennen. 

Gerv.  alata  erinnert  mit  ihrem  stark  verlängerten  Hinterflügel 
an  Zechstein-Arten,  besonders  Gerv.  cerafophaga  Schloth.  sp.  (King, 
Permian  fossils,  t.  14.  S.  27). 

Gervillia  suhcostata  Gf.  sp.  —  Taf.  IV  Fig.  8. 

Nicht  selten  sind  bei  Schwieberdingen  radialgerippte  Gervillien, 
die  ich  wegen  ihres  ziemlich  bedeutenden  Axenwinkels  und  ihrer 
groben  Berippung  zu  Gerv.  suhcostata  stelle.  Öfters  sind  die  Rippen 
wellig  gebogen,  wie  man  an  dem  schönen  Exemplar  das  ich  abbilde, 
erkennen  kann.  Ich  will  übrigens  hier  bemerken ,  dass  das  von 
V.  Schauroth  (Zeitschr.  d.  deutsch,  geol.  Ges.  1857.  t.  5  f.  13)  als 
Bahevellia  lineata  var.  paiicisulcata  beschriebene  und  von  v.  Alberti 
(Überbhck  S.  90)  zu  Gerv.  substriata  gestellte  Fossil  eine  echte 
Gerv.  suhcostata  ist. 

Modiola  Lam. 
Ilodiola  cf.  triquetra  v.  Seeb.  Taf.  V  Fig.  1. 

Modiola  triquetra  v.  Seeb.,  Z.  d.  d.  g.  G.  1861.  XUI.  S.  559.  t.  14  f.  6  a,  b. 

„  „V.  Alberti,  Überblick  S.  97. 

Bisher  nur  in  zwei  Exemplaren  hat  sich  in  Schwieberdingen 
eine  Modiola  gefunden,  die  in  allen  wesentlichen  Punkten  Seebach's 
M.  triquetra  so  nahe  steht,  dass  ich  es  nicht  wage,  für  sie  eine 
eigene  Art  zu  errichten.  Der  Wirbel  ist  sehr  weit  nach  vorn  gerückt, 
so  dass  der  vordere  Flügel  fast  gänzlich  verkümmert  ist.  Der  Schloss- 
rand ist  gerade  und  bildet  mit  dem  Hinterrande  einen  deutlich  ab- 
gesetzten Winkel,  reicht  aber  nicht  so  tief  herunter  wie  bei  der 
Weimarer  Form.  Der  Bauchrand  ist  wie  bei  jener  leicht  konkav, 
die  Anwachsstreifung  deutlich.  An  den  angewitterten  Stellen  ist  die 
für  die  Mytiliden  charakteristische  radialfaserige  Struktur  der  Schale 
deutlich  erkennbar.  Das  Schwieberdinger  Fossil  ist  etwas  stärker 
aufgebläht  wie  Seebach's.  Ävicida  acuta  Goldf.,  t.  116  f.  8,  die  Al- 
berti zu  deren  Synonymen  stellt,  unterscheidet  sich  durch  das  sehr 
deutliche,  breite,  vordere  Ohr. 


—     159     — 

Modiola  myoconchaeformis  nov.  sp.  —  Taf.  V  Fig.  2. 
Nicht  selten  bei  Schwieberdingen  ist  eine  sonderbare  Form,  die 
■V.  Seebach's  LitJwclomus  rhomhoidalis  nahe  steht.    Nach  ihrem  ganzen 
Habitus  sollte  man  viel  eher   eine  Myoconcha  als  eine  Modiola  ver- 
muten,   das  innere  Ligament  und  die  radialfaserige  Schalenstruktur 
sichern  ihr  aber  einen  Platz  bei  den  Mytiliden.    Der  Schlossrand  ist 
gerade  und  ungefähr  halb  so  lang  als  die  ganze  Schale,  an  ihn  setzt 
sich  mit  scharfer  Kurve,  aber  nicht  winklich,  ein  ebenfalls  gerader 
Hinterrand.    Der  Bauchrand  ist  schwach  konvex  und  im  allgemeinen 
dem  Schlossrand,  in  den  er  durch  einen  stark  gebogenen  aber  nicht 
winklichen  Vorderrand  übergeht,  parallel.   Der  Wirbel  steht  weit  nach 
vorn,  von  ihm  verlauft  zur  Hinterecke  die  stärkste  Schalenwölbung. 
Von  Lithodomus  rhomhoidalis  unterscheidet  sich  unsere  Art  vorzugs- 
weise durch  den  viel  kürzeren  Schlossrand  und  geringere  Wölbung. 
Von  den  übrigen  Modiola-kxiQn  unterscheidet  sich  Lithodomus 
rhomhoidalis  wie  diese  Art  durch  die  sehr  starke  Verbreiterung  des 
vorderen  Flügels,  wodurch  der  Bauchrand  dem  Schlossrand  parallel 
wird.      Trotzdem    möchte    ich   beide   nicht   zu   Lithodomus    stellen, 
da   sie  sich  durch  ihre  flache  Form   und   die  diagonale  Aufwölbung 
hinlänglich   unterscheiden.     Ausserdem   spricht  das  Vorkommen  der 
freien  Schalen  im  Muschelbonebed  von  Schwieberdingen  sehr  gegen 
eitle  bohrende  Thätigkeit. 

Myoconcha  Sow. 
Bezüglich  der  sogen.  Myoconchen  der  Trias  herrscht  heute 
noch  eine  grosse  Unsicherheit.  Die  ersten  Arten  der  deutschen  Trias 
(Goldfussii,  gastrochaena ,  Thielaui  etc.)  wurden  Ende  der  vierziger 
und  Anfang  der  fünfziger  Jahre  aufgestellt  und  von  den  Autoren 
dem  Genus  Modiola  zugewiesen,  wobei  jedoch  schon  damals  auf  die 
Annäherung  an  das  aus  Jura  und  Kreide  bekannte  Genus  Myoconcha 
hingewiesen  wurde,  v.  Schaüroth  verglich  die  DüNKER'sche  Modiola 
Goldfussii  (SitzungsUer.  d.  Wiener  Akad.  1855.  XVII.  513)  mit  der 
permischen  Gattung  Pleuro2)horus  King  und  fand  den  Schlossbau 
durchaus  ident.  Im  Jahre  1859  vereinigte  v.  Schauroth  die  Gattung 
Fleurophorus  mit  der  von  Hall  (Palaeontology  of  New  York.  1847. 
I.  S.  300)  für  eine  Devon-Form  aufgestellten  und  von  Mac  Coy  er- 
weiterten Gattung  GUdophonis.  Fast  gleichzeitig  wurde  der  Name 
Myoconcha  durch  Berger  (Verstein.  d.  Roth,  N.  Jahrb.  f.  Min.  etc. 
1859.  S.  169.  t.  3  f.  9)  für  die  DüNKER'sche  Modiola  Goldfussii  in 
Anwendung  gebracht   und    wenig   später   suchte   v.  Seebach    (Trias- 


—     160     — 

conchylien,  Z.  d.  d.  g.  G.  1861.  XIII.  S.  623)  nachzuweisen,  dass 
Pleurojjhorus  und  wahrscheinlich  auch  zum  grössten  Teil  Clido- 
pTiorus  nur  Synonyma  von  Myoconclia  darstellen.  Seitdem  ist  für 
die  Arten  der  deutschen  Trias  vorwiegend  die  Gattungsbezeichnung 
Myoconcha  angewendet  worden,  ohne  dass  Pleurophorus  und  Clido- 
pJionis  ganz  verdrängt  wurden.  Die  Arten  der  alpinen  Trias  sind  nach 
dem  Vorgange  d'Orbigny's  (Prodrome,  I.  S.  200)  allgemein  zum  Genus 
Myoconcha  gestellt  worden. 

Mittlerweile  hat  Hall  (24*^  Report  of  the  State  Museum  of 
New  York.  1870.  S.  228)  selbst  nachgewiesen,  dass  Glidoplionis 
Nuculidenzähne  besitzt  (vergl.  Beüshausen,  Lamellibranch.  d.  rhein. 
Devon.  Abh.  d.  k.  preuss.  Landesanst.  XVII.  1895.  S.  100),  also  in 
einen  ganz  anderen  Formenkreis  gehört  wie  Myoconcha.  Dies  muss 
Waagen  übersehen  haben,  der  (Salt  Range  Fossils  I.  1887.  S.  215, 
216,  225)  Glidophorus  in  die  Verwandtschaft  von  Pleurophoriis  stellt 
und  scharf  von  Myoconcha  trennt. 

Man  hat  es  also  für  die  triadischen  Formen  nur  noch  mit  den 
Gattungen  Myoconcha  und  Pleurophoriis  zu  thun,  über  deren  Be- 
ziehungen zu  einander  in  letzter  Zeit  Beüshausen  (1.  c.  S.  421)  sich 
ausgesprochen  hat.  Dieser  Autor  trennt  im  Gegensatz  zu  v.  Seebach 
Pleurophorus  wieder  als  selbständige  Gattung  von  Myoconcha  auf 
Grund  des  Zahnbaues.  Pleurophorus  soll  nach  King's  Diagnose  durch 
zwei  divergierende  Kardinalzähne  und  durch  den  Besitz  hinterer 
Seitenzähne  ausgezeichnet  sein,  während  Myoconcha  nur  einen  Kar- 
dinalzahn in  der  rechten  und  eine  entsprechende  Grube  in  der  linken 
Klappe  besitzen  soll,  wie  Sowerby  bereits  in  seiner  Diagnose  von 
Myoconcha  crassa  betont.  Nach  Beüshaüsen's  Ausführungen  würde 
Myoconcha  Thielaui  v.  Stromb.  sp.,  welche  nach  v.  Seebach  (Z.  d.  d. 
g.  G.  1861.  XIII.  t.  XV  f.  2,  b)  einen  deutlichen  hinteren  Seiten- 
zahn besitzt,  zum  Genus  Pleurophorus  und  zu  den  Cypriniden  ge- 
hören, während  andere  triadische  Arten  bei  3Iyoconcha  und  den 
Modiolopsiden  verbleiben. 

Das  vorliegende  Material  gab  mir  Gelegenheit,  näher  auf  diese 
Verhältnisse  einzugehen.  Es  waren  vornehmlich  zwei  Fragen,  welche 
sich  da  aufdrängten :  1)  Hat  v.  Seebach  und  vor  ihm  v.  Grune- 
wald! (Z.  d.  d.  g.  G.  1851.  III.  S.  258)  bei  jurassischen  Myo- 
conchen  eine  Ligamentleiste  für  einen  hinteren  Seitenzahn  gehalten, 
besitzt  also  Myoconcha  keinen  hinteren  Seitenzahn  und  entfernen 
sich  daher  die  echten  Myoconchen  durch  ihren  Zahnbau  weit  von 
Pleurojyhorus    und    2)    welche    triadischen    Arten    gehören,     diese 


—     161     — 

scharfe  Trennung  vorausgesetzt,  zu  Fleurophorus  und  welche  zu 
Myoconcha  ? 

Die  erste  Frage,  ob  3IyoconcJia  hintere  Seitenzähne  besitzt  oder 
nicht,  ist  sehr  leicht  zu  entscheiden :  man  braucht  nur  einen  Blick  auf 
die  Abbildung,  die  Zittel  von  der  schönen  Myoconcha  düataia  Zitt. 
(Bivalv.  d.  Gosaugebilde,  Denkschr.  d.  math.-naturw.  Kl.  d.  kais.  Akad. 
d.  Wiss.  Bd.  XXV.  t.  11  f.  16)  giebt,  zu  vs^erfen,  um  sich  zu  ver- 
gewissern, dass  selbst  bei  den  jüngsten  Formen  von  Myoconcha  noch 
ein  sehr  deutlicher  hinterer  Seitenzahn  in  der  linken  Klappe  an  der- 
selben Stelle,  wie  bei  Fleurophorus^  nämlich  dort,  wo  der  Oberrand 
zum  Hinterrand  umbiegt,  auftritt.  In  der  rechten  Klappe  beobachtet 
man  bei  Sowerby's  Original  (Min.  Conch.  t.  467)  von  Myoconcha  crassa 
eine  entsprechende  ziemlich  starke  Verbreiterung  des  Oberrandes. 

Bezüghch  der  Schlosszähne  von  Myoconcha  habe  ich  an  den 
von  mir  untersuchten  Stücken  des  Berliner  Museums  folgendes  be- 
obachtet. Stark  und  deutlich  ist  nur  der  Hauptzahn  der  rechten 
Klappe,  dem  in  der  linken  eine  tiefe  Grube  entspricht.  Zwischen 
dieser,  dem  vertieften  vorderen  Muskeleindruck  und  dem  Aussen- 
rande  liegt  in  der  linken  Klappe  eine  dreieckige  Platte,  welche  sich 
zuweilen  etwas  über  den  Aussenrand  erhebt  und  alsdann  als  Zahn 
aufgefasst  werden  darf.  Über  der  Zahngrube  verläuft  dem  Aussen- 
rande  und  der  Ligamentstütze  nahezu  parallel  eine  lange  Leiste,  das 
Äquivalent  des  oberen  Kardinalzahnes  auf  King's  bekannter  Abbildung 
(Perm.  foss.  t.  15  f.  16b). 

Genau  dasselbe,  nicht  mehr  und  nicht  weniger,  habe  ich  an 
den  schönen  Schalenexemplaren  von  Pleurophorus  costatus  Brown, 
die  Beyrich  in  Schlesisch-Hangsdorf  bei  Logau  gesammelt  hat,  be- 
obachten können.  Übrigens  lässt  auch  die  Abbildung,  die  Geinitz 
(Dyas,  t.  12  f.  34)  von  Pleurophorus  costatus  Brown  giebt,  nur  den 
einen  Zahn  der  rechten  Klappe  deutlich  hervortreten.  W^ieweit  King's 
Abbildung  schematisiert  ist,  kann  ich  ohne  Kenntnis  des  Originals 
nicht  beurteilen,  bei  den  mir  vorhegenden  Stücken  von  Pleurophorus 
und  Myoconcha  stimmen  die  Schlosselemente  in  ihrer  Lage  so  über- 
ein, dass  ich  mit  v.  Grünewaldt  und  v.  Seebach  die  Einziehung  des 
Genus  Pleurophorus  beantragen  muss. 

Der  Zahnbau  der  triadischen  Arten,  soweit  ich  ihn  untersuchen 
konnte,  entspricht  durchaus  dem  von  Myoconcha.  Am  besten  Hessen 
sich  diese  Verhältnisse  an  den  dickschaligen  Formen  aus  den  lom- 
bardischen Raibler  Schichten  beobachten,  die  übrigens  immer  zum 
Genus  Myoconcha  gestellt  worden  sind.    Bezüglich  der  äusseren  Form 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  11 


—     162     — 

und  der  Schalenskulptur  existieren  zwischen  den  palaeozoischen  und 
den  jüngeren  Myoconchen  keine  wesentlichen  Unterschiede. 

Nach  dem,  was  ich  eben  über  den  Schlossbau  der  Gattung 
Myoconclia  sagte,  ergiebt  sich  von  selbst,  dass  ich  dieselbe  zu  den 
Heterodonten  stellen  muss.  Sehr  eng  sind  die  Beziehungen  zu  Car- 
dita ^  speciell  zu  den  langgestreckten  Formen  mit  hinterem  Seiten- 
zahn, die  —  ob  mit  Recht  oder  Unrecht,  lasse  ich  dahingestellt  — 
als  Palaeocardita  abgetrennt  worden  sind.  Ein  Vergleich  der  bereits 
citierten  Abbildung  in  King's  Permian  fossils  t.  15  f.  16  b  mit 
Gardita  crenata  Goldf.  (Bittner,  Lamellibranch.  von  St.  Cassian, 
Abh.  d.  k.  k.  geol.  Reichsanst.  XVIII.  H.  1.  t.  IV  f.  11)  wird  am 
besten  davon  überzeugen.  Doch  gehe  ich  nicht  so  weit,  wie  Deshayes 
(Descr.  des  animaux  sans  vertebres.  1860.  L  S.  752),  3Iyoconcha  direkt 
mit  Cardita  zu  vereinigen.  Dass  bei  der  nahe  verwandten  Ästarte 
öfters  hintere  Seitenzähne  vom  gleichen  Charakter  wie  bei  MyocoHcha 
und  Palaeocardita  auftreten,  dürfte  bekannt  sein. 

Ich  stelle  also,  um  die  gewonnenen  Resultate  zusammenzufassen, 
die  Forderung : 

1.  Das  Genus  PleuropJiorus  King  zu  gunsten  von  Myoconclia 
SowERBY  aufzugeben. 

2.  Myoconclia  mit  Cardita  und  Astarte  zu  der  Familie  der 
Carditidae  Deshayes  oder  Astartidae  Gray  (wie  letzteres  auch  Zittel, 
Grundzüge  S.  288,  mit  Pleurophorus  thut)  zu  vereinigen. 

Myoconclia  laevis  n.  sp.  —  Taf.  V  Fig.  3. 

Aus  dem  K.  Naturalienkabinett  liegt  mir  eine  linke  Klappe  vor, 
die  sich  durch  ihren  Zahnbau  als  zu  Myoconclia  gehörig  ausweist, 
durch  ihren  gesamten  Habitus  aber  sich  weit  von  allen  Myoconchen 
der  deutschen  Trias  entfernt.  Der  Hauptunterschied  besteht  darin, 
dass  der  Oberrand  mit  dem  Hinterrand  keinen  scharf  abgesetzten 
Winkel  bildet,  sondern  in  einer  flachen  Kurve  in  ihn  übergeht.  Die 
beiden  diagonalen  Kanten,  die  bei  Myoconclia  gastrochaena  und  Gold- 
fussii  vom  Wirbel  nach  dem  Hinterrande  verlaufen,  sind  nicht  vor- 
handen, doch  liegt  die  stärkste  Aufwölbung  der  Klappe  in  der  Rich- 
tung der  unteren  Schrägkante.  Der  Unterrand  ist  nicht  vollständig 
erhalten,  es  lässt  sich  aber  erkennen,  dass  derselbe  gar  nicht  oder 
nur  sehr  wenig  eingebuchtet  gewesen  sein  kann.  Der  Vorderrand 
ist  ebenfalls  weggebrochen,  der  sehr  stumpfe  Wirbel  lag  augenschein- 
lich etwas  zurück  wie  bei  Myoc.  Goldfussii.  Im  Inneren  der  Klappe 
ist  die  hintere  Zahngrube  sehr  deutlich.    Das  Ligamentfulcrum  nimmt 


—     16o     — 

fast  die  Hälfte  der  Länge  des  Oberrandes  ein.  Die  Wirbelpartie  ist 
durch  Gesteinsmasse  verklebt  und  lässt  nur  noch  etwas  von  der  tiefen 
Hauptzahngrube  beobachten. 

In  ihren  Umrissen  steht  ihr  Myoc.  Brunneri  v.  Hauer,  namentlich 
die  var.  angulosa  Salomon  (Marmolata,  Palaeontogr.  XLII.  t.  5  f.  33) 
am  nächsten,  die  jedoch  Radialskulptur  besitzt,  während  unsere  Form 
nur  Anwachsstreif ung  aufweist. 

Myoconcha  gastrochaena  Gieb.  sp.  —  Taf.  V  Fig.  4. 

Mytihis  gastrochaena  Dunk.  sp.,  Giebel,  Lieskau  S.  34.  t.  5  f.  1. 

Myoconcha  gastrochaena   Dunk.  sp.,   v.  Seebach,  Weimar.  Trias.     Z.  d.  d.  g.  G. 

1861.  XIII.  S.  80.  t.  2  f.  3  a,  b,  c. 
■?        ^  j,  Dunk.  sp.,  v.  Alberti,  Überblick  S.  130.  t.  3  f.  3. 

j,  „  Dunk.  sp..  Eck,  Oberschlesien  S.  57,  102. 

„  „  Gieb.  sp.,  Eck,  Rüdersdorf  S.  91.  t.  1  f.  7. 

Aus  Schwieberdingen  liegen  nur  drei  Myoconchen  von  oblongem 
ümriss,  mit  zwei  Diagonalkanten  und  ziemlich  deutlicher  Einbuchtung 
des  Unterrandes  vor,  die  nach  Eck's  Definition  (Rüdersdorf  S.  90, 
91)  zur  Species  gastrochaena  gehören.  Das  Ligament,  das  an  zwei 
derselben  erhalten  ist,  ist  lang  und  dünn.  Die  drei  Exemplare  weichen 
in  ihren  Dimensionen  stark  von  einander  ab. 

Astarte  Sow. 
Astarte  triasina  F.  Rom.  —  Taf.  VH  Fig.  8. 

Von  dieser  Art  liegt  nur  ein  Exemplar  vor,  das  gut  mit  Römer's 
Abbildung  (Palaeontogr.  L  t.  36  f  1 — 6)  wie  mit  Stücken  aus  dem 
Oolith  von  Willebadessen,  die  ich  zum  Vergleiche  heranzog,  über- 
einstimmt. 

Trigonodus  Sandb. 

Trigonodus  praeco  n.  sp    —  Taf.  VI  Fig.  11. 

In  der  Sammlung  des  K.  Naturalienkabinetts  zu  Stuttgart  fanden 
sich  drei  flache ,  ziemlich  unscheinbare  Zweischaler  unter  der  Be- 
zeichnung j^TelUna"  sp.  Es  bedurfte  keiner  allzulangen  Untersuchung, 
um  zum  Schlüsse  zu  gelangen,  dass  die  so  bezeichnete  Art  weder 
mit  der  recenten  Tellina,  noch  mit  den  zu  Tellina  gestellten  Trias- 
formen, wie  edentida  Gieb.,  etwas  gemein  hat.  Viel  schwieriger  ge- 
staltete sich  die  Frage,  wohin  dann  aber  diese  sonderbaren  Formen 
zu  stellen  seien,  und  ich  konnte  lange  zu  keinem  bestimmten  Schlüsse 
kommen,  bis  mir  die  Untersuchung  einer  Zweischaler-Suite  aus  den 

roten  Schiernplateau-Schichten  die  Sicherheit  brachte,  dass  die  rätsel- 

11* 


—     164     — 

haften  Schwieberdinger  Formen  zu  nichts  anderem  gehören  könnten, 
als  zu  Trigonochis.  Die  drei  Exemplare  des  Naturalienkabinetts  sind 
doppelklappig  und  lassen  vom  Schloss  nichts  erkennen,  besitzen  aber 
sämtliche  noch  das  Ligament.  Der  Wirbel  liegt  noch  im  ersten  Drittel 
der  Schalenbreite,  ist  nach  vorn  geneigt,  schw^ach  eingerollt  und  er- 
hebt sich  so  gut  wie  gar  nicht  über  den  Schlossrand.  Eine  Lunula 
fehlt.  Schlossrand,  Vorderrand  und  Unterrand  bilden  wie  bei  sämt- 
lichen Trigonodus-Axien  eine  gleichmässig  gekrümmte,  nahezu  halb- 
kreisförmige Kurve.  Nach  der  Hinterecke  verlauft  vom  Wirbel  eine 
deutliche  Diagonalkante.  Der  Hinterrand,  von  der  Hinterecke  bis 
zum  $chlossrande ,  mit  dem  er  einen  deutlichen  Winkel  bildet,  ist 
gerade.  Ebenso  zeigt  der  lange  Schlossrand  hinter  den  Wirbeln  fast 
gar  keine  Krümmung.  Die  nicht  sehr  gut  erhaltenen  Schalen  lassen 
nur  eine  grobe  Anwachsstreifung  erkennen.  Das  Ligament  ist  länger 
und  schmäler  als  das  von  Myojjlioria  und  nimmt  nahezu  die  Hälfte 
des  hinteren  Feldchens  ein. 

Die  Dimensionen  sind  bei  dem  kleinsten,  am  besten  erhaltenen 
Exemplare : 

Höhe :    12  mm. 
Breite:  19  mm, 
Dicke:     6  mm; 
bei  dem  zweitgrössten : 

Höhe :  16  mm, 
Breite:  24  mm, 
Dicke :      5  mm  (etwas  verdrückt). 

Wenn  man  ohne  Kenntnis  des  Schlosses  eine  Bivalve  überhaupt 
einem  bestimmten  Genus  anreihen  darf,  so  muss  man  diese  eigen- 
tümlichen, flachen  Formen  mit  ausgesprochen  Cardinien-artigem  Umriss 
unbedingt  zu  Trigonodus  stellen. 

Trigonodus  pracco,  wie  ich  die  Schwieberdinger  Art  nenne, 
scheint  unter  den  wenigen,  sonst  noch  bekannten  Arten  der  Sand- 
BERGER'schen  Gattung  die  flachste  zu  sein.  Von  Tr.  Sandbergeri 
V.  Alberti,  der  Leitform  des  obersten  sogen.  I'rigonodus-Bolomits, 
unterscheidet  sie  sich  ausserdem  durch  den  fast  gar  nicht  hervor- 
tretenden Wirbel  und  den  geraden,  mit  dem  Hinterrande  einen  deut- 
lichen Winkel  bildenden  Schlossrand.  Letzteres  Kennzeichen  erinnert 
an  Tr.  rahlensis  Gredler  aus  den  roten  Schlernplateau-Schichten 
(v.  Wöhrmann  uud  Koken,  Die  Fauna  der  Raibler  Schichten  vom 
Schlernplateau.  Z.  d.  d.  g.  G.  1892.  XLHI.  S.  184.  t.  7  f.  1—8). 
Die   alpine  Art   besitzt  jedoch   nicht   die   so    scharf  ausgesprochene 


—     165    — 

Diagonalkante  der  schwäbischen ,  ebensowenig  wie  den  geraden 
Hinterrand. 

Ob  Trigonodus  mit  Cardinia  in  enger  verwandtschaftHcher  Be- 
ziehung steht,  wie  v.  Wöhrmann  (Jahrb.  d.  k.  k.  geol.  Reichsanst. 
1893.  S.  27)  annimmt,  ist  mir  durchaus  fragUch.  Wenn  auch  beide 
Gattungen  in  ihrer  äusseren  Form  sich  sehr  nahe  zu  stehen  scheinen, 
so  muss  doch  betont  werden,  dass  die  Unterschiede  im  Schlossbau 
sehr  bedeutende  sind  und  durch  keine  verbindende  Form  überbrückt 
werden.  Ich  halte  es  für  wahrscheinlich,  dass  es  sich  bei  der  nicht  zu 
leugnenden  Ähnlichkeit  in  der  äusseren  Form  nur  um  eine  Konvergenz- 
erscheinung handelt.  Dagegen  glaube  ich  v.  Wöhrmann  durchaus  recht 
geben  zu  müssen,  wenn  er  Trigonodus  von  Myoplwria  ableitet. 
Trigonodus  unterscheidet  sich  im  Schlossbau  eigentlich  nur  dadurch 
von  Myoplwria^  dass  die  Verlängerung  des  Hauptzahns  der  linken 
Klappe  nach  hinten,  die  bei  Myophoria  bereits  sehr  deutlich  hervor- 
tritt, bei  Trigonodus  zum  selbständigen  Zahn  wird.  Wie  nahe  sich 
beide  Genera  in  der  äusseren  Form  stehen,  lehrt  am  besten  ein  Ver- 
gleich von  Myophoria  ovata  mit  Trigonodus  rablensis. 

Trigonodus  praeco  besitzt  vielleicht  noch  mehr  Myophoria- 
Charaktere  als  die  anderen  Arten  seiner  Gattung.  Das  spitz  aus- 
gezogene Hinterende,  der  gerade  Schloss-  und  Hinterrand  und  die 
gut  markierte  Diagonalkante  erinnern  lebhaft  an  manche  Varietäten 
von  MyopJioria  laevigata,  wie  die  auf  Taf.  HI  Fig.  5  abgebildete. 

Ich  nenne  die  Schwieberdinger  Art  Trigonodus  praeco,  weil 
sie  der  Vorläufer  für  den  weitverbreiteten  und  so  ausserordentlich 
häufigen  Trigonodus  Sandbergeri  v.  Alb.  ist.  Ob  sich  Trigonodus 
im  deutschen  Triasmeere  von  Myophoria  abzweigte  und  ob  die  drei 
Arten  der  deutschen  Trias  unmittelbar  auseinander  abzuleiten  sind, 
erscheint  mir  sehr  fraglich.  Ich  glaube,  dass  sowohl  die  Arten  des 
Trigonodus-I)o\Qm\i^  wie  die  des  Keupers  {Tr.  Hornschuhi  BERa.  sp.) 
aus  einem  Meere  einwanderten,  das  auch  das  mediterrane  Meer  von 
Zeit  zu  Zeit  mit  Schlamm-  und  Uferformen  versah,  wenn  lokale  Er- 
eignisse, wie  z.  B.  vulkanische  Ausbrüche,  Hebungen  etc.,  dort  ihnen 
geeignete  Lebensbedingungen  schufen. 

Myophoria  Bronn. 
Myophoria  laevigata  v.  Alb.  sp.  —  Taf.  VI  Fig.  1 — 7. 

Bei  weitem  das  häufigste  Fossil  der  Schwieberdinger  Schichten 
ist  Myophoria  laevigata;  die  Art  variiert,  wie  dies  bei  so  massen- 
haft vorkommenden  oft  der  Fall  ist,   stark,  und  ich  könnte  nach  den 


-      166     — 

Prinzipien,  die  für  die  Ammonitenbestimmung  meistens  Anwendung 
gefunden  haben,  mindestens  5  neue  Species  schaffen.  Ich  halte  e» 
jedoch  für  zweckmässiger ,  die  vom  Typus  am  weitesten  sich  ent- 
fernenden Formen  als  Varietäten  auszuscheiden. 

Hohe  Varietäten  mit  spitzem  Wirbel,  wie  Giebel  (1.  c.  t.  3  f.  1) 
sie  von  Lieskau  abbildet,  sind  selten.  Am  häufigsten  sind  solche, 
die  einen  Kardinalwinkel  von  ca.  100'',  gerade  Diagonalkante  und 
massig  steil  abfallendes  Hinterfeld  besitzen,  wie  sie  Goldfuss  (Petr. 
Germ.  H.  t.  135  f.  12  a)  abbildet.  Diese  Formen,  die  übrigens  genau 
mit  denen  des  Rüdersdorfer  Schaumkalks  übereinstimmen,  möchte 
ich  als  den  Typus  bezeichnen  (Taf.  VI  Fig.  1). 

Daneben  treten  Formen  auf,  die  die  Tendenz  haben,  ihre  Hinter- 
seite stark  zu  verlängern;  dadurch  entsteht  Giebel's  (Ncoschisoäus) 
elongatus  (1.  c.  t.  5  f.  3),  den  ich  jedoch  nur  als  eine  Varietät  an- 
sehen kann,  die  mit  dem  Typus  durch  alle  Übergänge  verbunden  ist. 
Taf.  VI  Fig.  2  stellt  eine  extrem  verlängerte  var.  elonyata  dar,  die 
mir  in  einigen  Exemplaren  vorliegt. 

Schwieberdingen    eigentümlich   scheint    eine  Varietät   zu   sein, 

die  ich  als 

var.  elargata 

bezeichne  (Taf.  VI  Fig.  3).  Das  hintere  Feld  hat  sich  bei  ihr  an- 
sehnlich verbreitert  und  bildet  mit  dem  Vorderfelde  an  der  Diagonal- 
kante einen  weit  flacheren  Winkel,  als  dies  beim  Typus  der  Fall  ist. 
Der  Schlossrand  hinter  dem  Wirbel  ist  gerade  und  schliesst  mit  dem 
Hinterrande  einen  deutlichen  Winkel  von  ca.  130"  ein,  während  bei 
der  typischen  Form   beide  Ränder  im  Bogen  ineinander  übergehen. 

Zu  den  flachen  Formen  mit  breitem  Hinterfelde  gehört  noch  die 
var.  rotunda  (Taf.  VI  Fig.  4), 
welche  im  Habitus  der  vorhergehenden  sehr  nahe  steht.    Der  Schloss- 
rand bildet  bei  ihr  jedoch  mit  dem  Hinterrande  keinen  Winkel,  son- 
dern geht  in  einem  flachen  Bogen  in  ihn  über. 

Schhesslich    verschwindet    die    Diagonalkante    fast    vollständig 

und  es  entsteht  eine 

var.  ovalis  (Taf.  VI  Fig.  5), 

die  sich  bereits  der  Mi/ophoria  ovata  sehr  stark  nähert. 

Im  Zahnbau  ist  Myophoria  laevigata  meist  etwas  konstanter. 
Hier  sind  es  vorzugsweise  die  Hauptzahngrube  der  linken,  bezw. 
der  Hauptzahn  der  rechten  Klappe,  die  in  ihrer  Breite  starken  Ver- 
änderungen unterworfen  sind.  Hohe  schmale  Formen  besitzen  natur- 
gemäss    eine  schmälere,    breite  Varietäten    eine    verbreiterte  Haupt- 


—     167     — 

zahngrube.  Wie  stark  die  Veränderlichkeit  in  dieser  Hinsicht  ist,  wird 
man  am  besten  an  den  Fig.  6  und  7  auf  Taf.  VI  erkennen,  wo  ich 
zwei  extreme  Formen  nebeneinander  gestellt  habe.  Ziemlich  variabel 
ist  ausserdem  die  Stärke  des  vordersten  Zahnes  in  der  linken  Klappe. 
Die  Skulptur  besteht  durchweg,  abgesehen  von  der  Diagonal- 
kante und  den  Radiallinien  des  Hinterfeldes,  nur  aus  einer  mehr  oder 
minder  kräftigen  Anwachsstreifung.  Doppelschalige  Exemplare,  die 
übrigens  selten  sind,  zeigen  ein  kurzes,  aber  sehr  kräftiges  Ligament, 
das  mit  dem  der  lebenden  Trigonia  vollständig  übereinstimmt.  Auf- 
fallend ist,  dass  unter  den  losen  Klappen  die  Zahl  der  linken  un- 
gefähr dreimal  so  gross  ist,  als  die  der  rechten. 

Myophoria  cardissoides  v.  Schlote,  sp. 

Diese  Leitform  des  Wellenkalkes  hat  sich  bisher  nur  in  einem 
kleinen,  doppelklappigen  Exemplar,  das  aber  die  Eigentümlichkeiten 
seiner  Art  sämtlich  aufweist,  gefunden. 

Myophoria  vulgaris  v.  Schloth.  sp.  —  Taf.  VI  Fig.  8. 

Seltener,  als  die  vorige,  kommt  eine  Myophoria  der  vulgaris- 
Gruppe  vor,  die  in  den  Sammlungen  als  vulgaris^  elegans,  intermedia 
und  curvirostris  liegt  und  bei  den  Sammlern  meist  unter  letzterem 
Namen  bekannt  ist.  31.  elegans  unterscheidet  sich  durch  ihre  eigen- 
tümliche Skulptur  hinlänglich  von  sämtlichen  Formen  der  vulgaris- 
Gruppe,  V.  Schlotheim's  M.  curvirostris  besitzt  6  radiale  Rippen  und 
gehört  in  die  Verwandtschaft  von  31.  Goläfussii  v.  Alb.  sp.  Gold- 
Fuss'  Lyrodoii  curvirostris  (Petr.  Germ.  H.  S.  198.  t.  135  f.  15)  ist 
überhaupt  zu  streichen,  denn  er  bildet  unter  dieser  Bezeichnung  eine 
Form  der  vtdgaris-GmpTpe  ab,  die  mit  3£.  intermedia  bezw.  vulgaris 
ident  ist.  Es  fragt  sich  demnach  nur  noch,  ob  man  auf  die  Schwieber- 
dinger  3dyoplioria  den  Namen  vidgaris  oder  intermedia  anwenden  soll. 
Nach  v.  Seebach  (Zur  Kritik  der  Gattung  Myophoria  etc.  Nachr. 
d.  kön.  Ges.  d.  Wiss.  etc.  zu  Gott.  1867.  S.  375  ff.)  unterscheiden 
sich  beide  Arten  durch  den  Abstand,  den  die  vordere  Rippe  mit 
der  Diagonalkante  bildet.  Das  Verhältnis  dieses  Abstandes  zur  Länge 
der  Diagonalkante,  vom  Wirbel  aus  gemessen,  soll  bei  vulgaris  = 
1  :  2^4  sein ,  bei  intermedia  1  :  4  übersteigen.  Beiden  Arten  ge- 
meinsam ist  eine  feine  Längsberippung ,  die  bei  erhaltener  Schale 
wie  auf  Skulptursteinkernen  zu  sehen  ist  und  die  überhaupt  für  alle 
Formen  der  WM^^am-Gruppe  charakteristisch  ist.  Ich  habe  sie  ebenso 
wie  an  den  beiden  ebengenannten  Arten  bei  M.  simplex,  pes  anseris, 


■     —     168     — 

transversa^  StrucJcmanni  und  Kefersteini  beobachten  können.  Ich 
habe  nun  das  von  v.  Seebach  als  ausschlaggebend  bezeichnete  Ver- 
hältnis von  Rippenabstand  zur  Rippenlänge  an  einer  grösseren  An- 
zahl Schwieberdinger  Myophorien  gemessen  und  gefunden ,  dass  in 
dieser  Hinsicht  unsere  Formen  in  der  Mitte  zwischen  der  typischen 
31.  vulgaris  und  M.  intermedia  stehen,  insofern  als  das  Verhältnis 
bei  ihnen  zwischen  1  :  3  und  1  :  4  schwankt.  Da  es  aber  in  den 
meisten  Fällen  näher  an  1  :  3  liegt,  glaube  ich,  die  Schwieberdinger 
Myoplioria   mit   gutem  Gewissen   zu  M.  vulgaris  ziehen  zu  dürfen. 

Es  verdient  übrigens  hervorgehoben  zu  werden ,  dass  Formen 
der  vulgär is-GvM^^Q  mit  sehr  engem  Rippenabstande  nicht  auf  Letten- 
kohle und  obersten  Muschelkalk  beschränkt  sind,  sondern  bereits  im 
Wellenkalk  auftreten,  wie  ein  von  Pröscholdt  (Programm  der  Real- 
schule in  Meiningen  1879)  abgebildetes  Exemplar  beweist.  Es  muss  nach 
alledem  in  Frage  gestellt  werden,  ob  M.  intermedia  noch  als  eigene 
Art  oder  nicht  besser  als  Varietät  von  M.  vulgaris  aufzufassen  sei. 

Schloss  und  Ligament  von  M.  vulgaris  weichen  von  dem  von 
M.  laevigata  nicht  ab.     Doppelklappige  Exemplare  sind  häufig. 

Ilyophoria  elegans  Dünk.  —  Taf.  VI  Fig.  9. 

Diese  Art,  welche  sich  durch  ihre  Berippung  leicht  von  sämt- 
lichen Arten  der  Vtdgaris-Gxwi^'^e  unterscheiden  lässt,  ist  sehr  selten 
bei  Schwieberdingen.  Sie  ist  bekanntlich  dadurch  ausgezeichnet, 
dass  scharfe,  hohe  Längsrippen  vom  Vorderrande  bis  zu  der  Furche 
ziehen,  welche  vor  der  Diagonalkante  verläuft.  Hier  werden  die 
Rippen  bedeutend  schwächer  und  ihre  Zahl  verdoppelt  sich.  Hinter 
der  Diagonalkante  vereinigt  sich  jedoch  ein  Teil  der  eingeschobenen 
Rippen  wieder  mit  den  Hauptrippen.  Schloss  und  Ligament  an  den 
Schwieberdinger  Exemplaren  nicht  erkennbar. 

Myoplioria  Goldfussii  v.  Alb.  sp.  —  Taf.  VI  Fig.  10. 

Diese  Art  ist  nach  M.  laevigata  die  häufigste  Myophorie  von 
Schwieberdingen.  Sie  giebt  keine  Veranlassung  zu  besonderen  Be- 
merkungen. 

Pseudocorbula  n.  g. 

Wir  kommen  nun  zu  einem  der  heikelsten  und  schwierigsten 
Kapitel  der  deutschen  Triasfauna,  zu  den  sogen.  Corbulen.  Es  sind 
kleine,  meist  schlecht  erhaltene  und  unscheinbare  Formen,  die  in 
der  deutschen  Trias  vom  Roth  bis  zum  Gypskeuper  verbreitet   sind, 


—     169     — 

aber  erst  in  der  Lettenkohle  und  speciell  im  Gypskeuper  durch 
ihr  massenhaftes  Auftreten  wichtig  werden.  Die  älteren  Autoren 
standen  diesen  Formen  ziemlich  ratlos  gegenüber  und  brachten  sie 
bei  CucuUaea,  Nucula,  zweifelnd  auch  schon  bei  Corbida  unter. 
Erst  V.  ScHAüROTH  vereinigte  (Z.  d.  d.  g.  G.  1857.  IX.  S.  119) 
alle  naheverwandten  Formen  in  der  Gattung  Corbula  und  unter- 
scheidet drei  Gruppen,  die  nach  seiner  Auffassung  nur  Varietäten  eines 
Typus  sind : 

Corhula  gregaria  Mstr.  sp. 
„        incrassata  Mstr.  sp. 
„        nuculiformis  Zenk.  sp. 

C.  dubia  Mstr.  ist,  wie  v.  Schaüroth  erkannte,  nur  ein  Synonym 
für  C.  gregaria.  In  der  Petrefaktenkunde  (1.  Aufl.  S.  530.  t.  44 
f.  17)  bildet  Qüenstedt  als  Cyclas  Keuperina  eine  Form  ab,  die,  so- 
weit die  schlechte  Figur  erkennen  lässt,  mit  einer  der  hohen,  kurzen 
Arten,  wie  gregaria  und  incrassata,  ident  ist.  Dagegen  bildet  v.  Al- 
berti  (Überblick  t.  2  f.  8  a — c)  als  C.  Keuperina  Qu.  sp.  eine  lang- 
gestreckte Form  ab,  die  sicher  nichts  mit  der  QuENSTEorschen  zu 
thun  hat.  v.  Alberti's  C?  elongata  (1.  c.  S.  122.  t.  2  f.  9)  gehört  wahr- 
scheinlich nicht  zu  den  triadischen  Corbulen.  Nun  noch  ein  Wort 
über  „C.  friasina".  F.  Kömer  (Verst.  a.  d.  Muschelkalk  von  Willebad- 
essen, Palaeontogr.  I.  S.  314  t.  36  f.  18)  beschrieb  eine  kurze,  hohe 
Form  als  C?  triasina,  die  v.  Alberti  ganz  mit  Recht  unter  die 
Synonyma  von  C.  gregaria  stellt.  Sandberger  (Würzb.  naturw.  Zeitschr. 
V.  S.  221)  stellt  jedoch  v.  Schaüroth's  Tancreäia  triasina  (1.  c. 
S.  124  t.  7  f.  1)  zu  Corbula.  Ich  habe  jedoch  feststellen  können, 
dass  V.  Schaüroth's  T.  triasina  nicht  zu  Corbula  gehört.  C.  triasina. 
Sandb.  sp.  gehört  zu  den  langgestreckten  Cor&w/a-Typen  und  ist  ident 
mit  C.  Keuperina  v.  Alb.  non  Quenst.  Soviel  über  die  „Arten"  von 
Corbula  in  der  Trias. 

Dass  das  Genus  Corbula  schon  in  der  Trias  vorkommt,  ist  von 
vornherein  nicht  sehr  wahrscheinlich,  denn  sowohl  Corbula  wie  ihre 
nächsten  Verwandten  repräsentieren  einen  ziemlich  modernen  Typus 
und  haben  ihre  grösste  Verbreitung  im  Tertiär  und  in  der  Gegenwart. 
Die  Frage,  ob  die  bei  Corbula  geführten  Triasformen  wirklich  zu 
diesem  Genus  gehören,  lässt  sich  bei  der  trefflichen  Erhaltung  des 
Schwieberdinger  Materials  leicht  mit  nein  beantworten.  Sämtliche 
doppelschaligen  Formen  —  es  liegen  mir  über  100  vor  —  besitzen 
nämlich  ein  äusseres  Ligament  und  sind  nahezu  vollständig  gleich- 
klappig.     Zu  demselben   negativen  Resultat   führt   die  Untersuchung 


-     170     — 

der  Schlosscharaktere.  Die  Gattung  Corhula  besitzt  bekanntlich  in 
der  rechten  Klappe  einen  massiven,  nach  aufwärts  gebogenen  Haupt- 
zahn, hinter  dem  die  grosse  dreieckige  Zahngrube,  in  der  sich  zu- 
gleich das  Ligament  befestigt,  liegt.  Einige  Arten,  speciell  die  brakische 
Untergattung  Potamoniya,  besitzen  auch  noch  einen  hinteren  Seitenzahn. 
In  der  stets  kleineren  linken  Klappe  liegt  der  Zahn  hinter  der  Haupt- 
zahn- und  Ligamentgrube ,  und  bisweilen  ist  noch  eine  kleinere 
hintere  Zahngrube  vertreten.     Die  Zahnformel  ist  also  bei  Corhula: 

L  (0)  10 
K  (1)  Ol 

Bei  den  triadischen  sogen.  „Corbulen"  besitzt  ebenfalls  die  rechte 
Klappe  den  Hauptzahn;  er  ist,  wie  der  von  Corhula,  ziemlich  lang, 
massiv  und  nach  oben  gekrümmt,  läuft  jedoch  nicht  in  eine  Spitze 
aus,  sondern  endigt  stumpf  löffeiförmig.  Auf  der  Oberseite  ist  er, 
wie  ein  echter  Corhula-Zahn,  etwas  ausgehöhlt.  Dieser  Hauptzahn, 
dessen  Eindruck  auch  auf  Steinkernen  öfters  noch  gut  zu  erkennen 
ist,  war  wohl  für  die  meisten  Autoren  die  Veranlassung,  unsere  Trias- 
formen bedingungslos  zu  Corhula  zu  stellen.  Hinter  dem  Haupt- 
zahn bei  den  Triasformen  fehlt  jedoch  die  breite  Zahngrube  von 
Corhula  vollständig,  dagegen  ist  vor  demselben  eine  flache  runde 
Zahngrube  sichtbar.  Dementsprechend  besitzt  die  linke  Klappe  eine 
breite  Zahngrube  für  den  Hauptzahn  der  rechten  Klappe,  und  vor 
ihr  einen  kleinen  runden  Zahn,  der  dem  Schlossrande  unmittelbar 
aufsitzt.     Die  Zahnformel  der  „Trias-Corbulen"  ist   also; 

L  Ol 

R  10 
die  Unterschiede  der  echten  Corhula  von  den  triadischen  „Corbulen" 
sind  also : 

Corhula.  _  Trias- Cor&?<?a." 


n 


Stark  ungleichklappig.  Fast  gleichklappig. 

Wirbel  nach   hinten  eingerollt.         Wirbel  nach  vorn  eingerollt. 

_  -    ,        L   0    10  „  ,    ,       L  Ol 

Zannbau  ^  .^.    „■,  Zahnbau  „     ^ 

ix  (1)  Ol  K  10 

Ligament  innerlich.  Ligament  äusserhch. 

Dass  die  beiden  Gattungen  auch  nicht  entfernt  miteinander 
verwandt  sind,  bedarf  nach  obiger  Zusammenstellung  kaum  einer 
weiteren  Erklärung.  Schwieriger  zu  lösen  ist  die  Frage,  in  welchen 
Formenkreis  die  „Corbulen"  der  Trias,  für  die  ich  den  Namen  Pseiido- 
corhula  einführen  möchte,  gehören. 


—     171     — 

Ich  glaube,  dass  hier  Benecke  (Ber.  d.  naturf.  Ges.  in  Freiburg 
i.  B.  X.  2.  S.  28)  das  Richtige  getroffen  hat,  der  die  deutschen  „Trias- 
corbulen"  in  die  Nähe  des  von  v.  Wöhrmann  aufgestellten  (Jahrb. 
d.  k.  k.  geol.  Reichsanst.  1889.  S.  221)  Genus  Myophoriopis  (nicht 
-opsis,  wie  Benecke  schreibt)  aus  den  alpinen  Raibler  und  Cassianer 
Schichten  bringt.  In  der  That  steht  „Corbida  gregaria"  der  3It/o- 
pJioriopis  JRosthorni  Bode  sp.  in  ihrer  äusseren  Gestalt  sehr  nahe  und 
unterscheidet  sich,  wie  Benecke  bereits  (1.  c.)  hervorhebt,  eigentlich 
nur  durch  das  Fehlen  der  konzentrischen  Berippung ,  die  die  alpine 
Gattung  besitzt.  Stärker  sind  die  Unterschiede  im  Schlossbau,  wie 
ein  Vergleich  mit  den  von  Bittner  (Abh.  d.  k.  k.  geol.  Reichsanst. 
XVIII.  t.  13  f.  16,  17)  gegebenen  guten  Abbildungen  zeigt.  Myo- 
pJwriopis  Rosthorni  Boue  sp.  besitzt  in  der  linken  Klappe  noch  einen 
hinteren  Kardinalzahn  und  eine  vordere,  schwach  angedeutete  Zahn- 
grube, in  der  rechten  hinter  dem  Hauptzahn  noch  eine  Zahngrube 
und   einen   ganz   schwachen  Vorderzahn.     Ihre  Zahnformel  ist  also : 

L   lÖI(O) 
R   OIÖ(I) 
während  die  von  Pseudocorhtda 

L  Ol 

R  10 

lautet. 

Ausserdem  besitzt  der  Hauptzahn  der  rechten  Klappe  bei  3Iyo- 
pJwriopis  nicht  die  breit-hakenförmige  Gestalt,  die  für  den  analogen 
Zahn  bei  Pseudocorbula  bezeichnend  ist ;  und  endlich  konnte  ich  bei 
den  von  mir  untersuchten  Schlössern  der  deutschen  Triasform  nie 
die  Querstreifung  wahrnehmen,  die  an  den  Zähnen  von  3Iyoplioriopis 
beobachtet  wurde.  Ich  vermute,  dass  3Iyophoriopis  und  Pseudo- 
corbula aus  derselben  Wurzel  stammen,  dass  jedoch  bei  der  Gattung 
der  deutschen  Trias  der  ursprünglich  reichere  Zahnbau  sich  verein- 
fachte. Beide  Gattungen  stellt  man  wohl  bis  auf  weiteres  am  besten 
zu  den  Astartiden. 

Pseudocorbula  Sandbergeri  n.  g.  n.  sp.  —  Taf.  V  Fig.  5.  7.  8. 

Zu  den  häufigsten  Vorkommnissen  in  Schwieberdingen  gehört 
eine  Psettdocorbtda,  die  in  der  Sammlung  des  K,  Naturalienkabinetts 
unter  der  Bezeichnung  „  Tancredia  triasina" ,  in  der  Tübinger  Uni- 
versitätssammlung bei  den  unbestimmbaren  Bivalven  lag.  Sie  ge- 
hört zu  den  Formen  mit  stumpfem  Schlosswinkel,  deren  Länge  die 
Höhe   bedeutend   übersteigt ,    also    in   die  Nähe  von  Ps.  Keuperina 


—     172     — 

V.  Alb.  sp.  non  Qüenst.  (v.  Alb.  Überblick  t.  2  f.  8  a— c).  Von  der 
genannten  Form  aus  dem  Gypskeuper,  die  v.  Alberti  abbildet,  unter- 
scheidet sich  jedoch  die  unserige  durch  ihre  etwas  kürzere  Gestalt, 
die  scharf  abgesetzte  Hinterecke,  das  viel  breitere  Hinterfeld  etc. 
Vielleicht  ist  die  Schwieberdinger  Art  ident  mit  Sandberger's  „  Corbula 
triasina" ,  die  bei  Würzburg  aus  dem  gleichen  Horizont  angegeben 
wird.  Allein  Sandberger  identifiziert  seine  Art  mit  v.  Schaüroth's 
„Tancreclia  triasina"  (1.  c.  S.  124  t.  7  f.  1),  die  sicher  nicht  zu 
Pseudocorbula  gehört ;  selbst  wenn  also  die  Würzburger  mit  unserer 
Art  übereinstimmt,  was  ich  vorläufig  nicht  entscheiden  kann,  da 
Sandberger  die  seinige  nicht  abbildet  und  mir  seine  Exemplare  nicht 
vorliegen,  so  müsste  sie  doch  neu  benannt  werden.  Für  die  Schwieber- 
dinger Form  schlage  ich  den  Namen  Pseiidocorhda  Sandbergeri  vor. 

Zahnbau :  bereits  bei  der  Gattungsdiagnose  beschrieben.  Ver- 
hältnisse gemessen  an  dem  abgebildeten  Exemplar,  das  den  Typus 
darstellt. 

Breite  13  mm.     Höhe  10  mm.     Dicke  7  mm. 

Der  nahezu  mittelständige  Wirbel  ist  nach  vorn  eingerollt.  Vor 
ihm  liegt  eine  deutliche,  tiefe  Lunula,  die  aber  nicht  durch  eine 
Kante  abgegrenzt  ist,  wie  dies  bei  der  alpinen  Myophoriopis  der 
Fall  ist.  Dagegen  trennt  hinter  dem  Wirbel  eine  scharfe  Kante  ein 
schmales,  langes  Ligamentfeld  ab,  dessen  vorderstes  Drittel  das  lange, 
ziemlich  kräftige  Ligament  einnimmt.  Eine  zweite  scharfe  und  meist 
nach  aussen  konvexe  Kante  verläuft  vom  Wirbel  zur  Hinterecke ; 
vor  ihr  zeigt  die  Schale  fast  immer  eine  seichte  Depression,  die  eine 
leichte  Ausbuchtung  des  Unterrandes  zur  Folge  hat,  wie  dies  in  ver- 
stärktem Masse  bei  manchen  Vertretern  der  Gattung  MyopJionopis 
der  Fall  ist.  Skulptur:  Ziemlich  deutliche  Anwachsstreifung ,  be- 
sonders auf  dem  Hinterfelde. 

Unsere  Art  ist  ganz  schwach  ungleichklappig,  insofern  als  die 
linke  Klappe  meist  etwas  stärker  gewölbt  ist,  eine  Eigentümlich- 
keit, die  Myophoriopis  RostJiorni  Boue  sp.  nach  Bittner  (1.  c.  S.  113) 
ebenfalls  besitzt.  Bei  Corbida  ist  bekannthch  die  rechte  Klappe 
erheblich  grösser  als  die  linke. 

Pseudocorbula  Sandbergeri  ist  besonders  in  den  verkieselten 
Schichten  des  Profils  sehr  häufig,  wo  sie,  meist  in  unvollkommener 
Erhaltung,  fast  immer  in  getrennten  Schalen  vorkommt.  Die  schönen 
doppelschaligen  Exemplare,  die  in  Dolomit  verwandelt  sind,  stammen 
meist  aus  der  schwarzen,  bituminösen  Schicht  und  wurden  wahr- 
scheinlich in  Tang  eingehüllt  an  den  Strand  geworfen. 


—     173     — 

Neben  den  sehr  häufigen,  typischen  Formen  kommen  ziemhch 
selten  kürzere  Varietäten  mit  stark  hervorspringendem  Wirbel  vor, 
die  zu  Pseudocorhula  gregarea  Mstr.  sp.  hinüberleiten.  Ich  bilde 
eine  solche  auf  Taf.  II  Fig.  6  als 

var.  gregaroides 

aus  der  Sammlung  des  Herrn  Dr.  Beck  in  Stuttgart  ab. 

Tancredia  Lycett. 
Tancredia  BenecJcei  n.  sp.     Taf.  VI  Fig.  12. 

Es  sind  sehr  unsichere  Formen,  die  bisher  in  der  Trias  zum 
Genus  Tancredia  gestellt  worden  sind.  Tancredia  triasina,  die 
V.  Schauroth  (Z.  d.  d.  g.  G.  1857.  IX.  S.  124.  t.  7  f.  1)  aus  dem 
Coburger  Grenzdolomit  beschreibt,  ist  eine  kleine  glatte  Bivalve 
mit  deutlicher  Schrägkante  und  mittelständigem  Wirbel,  die  sehr 
wenig  Tancrediencharakter  besitzt.  Die  drei  Bivalven  in  Qüen- 
stedt's  Jura  (t.  1  f.  29—31),  die  v.  Alberti  (Überblick  S.  147)  an 
Tancredia  triasina  anschliesst,  stellen  drei  verschiedene  Species  dar ; 
solange  man  nicht  mehr  an  ihnen  erkennen  kann,  als  auf  Qoenstedt's 
Abbildung,  bleiben  sie  am  besten  dort,  wohin  sie  der  Autor  selbst 
gestellt  hat,  nämlich  bei  den  „unsicheren  Bivalven". 

Die  Bivalven,  die  ich  zu  dem  bisher  mit  Sicherheit  mir  aus 
Jura  und  Kreide  bekannten  Genus  Tancredia  stellen  möchte,  sind 
sehr  unscheinbar,  das  grösste  Exemplar  besitzt  7  mm  Höhe  bei 
872  iiim  Breite  und  3  mm  Dicke.  Auf  den  ersten  Blick  machen 
sie  den  Eindruck  einer  Nuciäa  und  unter  diesem  Namen  lagen  sie 
auch  in  den  Sammlungen.  Sieht  man  genauer  zu,  so  bemerkt  man, 
dass  ein  äusseres,  ziemlich  kräftiges  Ligament  vorhanden  ist  und 
dass  der  wenig  eingerollte  Wirbel  auf  der  Hinterseite  der  Schale  liegt. 
Vor  dem  Wirbel,  der  etwas  nach  vorn  geneigt  ist,  liegt  wie  bei 
Tancredia  securiformis  Dünk.  sp.  aus  dem  Halberstädter  Lias  eine 
ziemlich  lange ,  schmale  Lunula.  Die  Vorderseite  läuft  nicht ,  wie 
bei  vielen  Tancredia- kxiQw^  zu  einer  Spitze  aus,  sondern  ist  gerundet. 
Der  Hinterrand  und  der  schwach  konvexe  Unterrand  bilden  mitein- 
ander einen  deutlich  ausgeprägten  Winkel  nach  dem  vom  Wirbel  aus 
die  für  Tancredia  so  charakteristische  Schrägkante  verläuft.  Ebenso 
stossen  Hinterrand  und  Schlossrand  am  Hinterende  des  schmalen 
Ligamentfeldes  winklich  aneinander.  Die  Oberfläche  besitzt  bis  auf 
eine  ziemlich  schwache  Anwachsstreifung  keine  Skulptur.  In  ihrer 
äusseren    Gestalt   steht   die  Schwieberdinger  Art  Tancredia  planata 


—     174     — 

Morris  und  Lycett  (Mollusca  from  the  Great  Oolithe ,  Paleontogra- 
pliical  Society.  1854.  Part  IL  t.  13  f.  10)  sehr  nahe,  zeigt  vielleicht 
sogar  den  Genuscharakter  noch  deutlicher  als  die  Hauptoolithart. 

Einige  Abweichungen  vom  Typus  der  jurassischen  Tancredien 
lässt  der  innere  Bau  erkennen.  Die  Mantellinie  ist  auf  der  Hinter- 
seite nicht  senkrecht  abgestutzt  wie  dort,  wodurch  eine  Annäherung 
an  die  Sinupalliaten  entsteht,  sondern  verläuft  gerundet  zum  hinteren 
Muskeleindruck.  Das  Schloss  konnte  ich  nur  an  einer  linken  Klappe 
studieren :  es  besteht  aus  einer  deutlichen  Aufwölbung  des  Schloss- 
randes vor  dem  Wirbel,  hinter  der  eine  tiefe,  dreieckige  Grube  liegt. 
Ob  ein  hinterer  Seitenzahn  vorhanden  war,  lässt  sich  nicht  erkennen, 
ein  vorderer  Zahn  oder  Zahngrube  fehlen  jedenfalls. 

Ich  glaube,  dass  man  in  dem  sehr  einfachen  Zahnbau  keinen 
Grund  hat,  die  Schwieberdinger  Form  generisch  von  der  komplizierter 
gebauten  Tancredia  abzutrennen ;  auch  bei  Tancredia  sind  die  haupt- 
sächlichsten Elemente  des  Zahnbaus  in  der  linken  Klappe  ein  vor- 
derer Kardinalzahn,  der  oft  nahezu  mit  dem  Schlossrande  verschmilzt, 
und  eine  tiefe  dreieckige  Zahngrube.  Dass  die  Seitenzähne  oft  sehr 
wenig  ausgeprägt  sind,  davon  kann  man  sich  auf  Taf.  13  Morris  u. 
Lycett  1.  c.  überzeugen. 

Die  einzige  Triasform,  die  ich  mit  der  unserigen  vergleichen 
kann ,  ist  Stopp ani's  Corhula  praemmtia  (Paleontologie  lombarde. 
Petrifications  d'Esino.  S.  82.  t.  16  f.  14,  15),  die  Salomon  als  Tellina? 
praenuntia  Stopp,  sp.  auch  von  der  Marmolata  erwähnt  (Palaeonto- 
graphica  XXXXII.  S.  171.  t.  5  f.  40,  41).  Der  Wirbel  liegt  bei 
der  alpinen  Art  ebenfalls  hinter  der  Mitte ;  auch  die  hintere  Schräg- 
kante und  die  Kante  der  Ligamentarea ,  die  die  beiden  Ecken  des 
Hinterrandes  bedingen,  sind  vorhanden.  Die  untere  Hinterecke  liegt 
jedoch  viel  höher  als  bei  der  schwäbischen  Art,  die  Hinterfläche  wird 
infolgedessen  sehr  viel  schmäler;  ausserdem  tritt  der  Wirbel  bei 
der  alpinen  Art  fast  gar  nicht  hervor.  Das  Schloss  zeigen  weder 
die  Esino-  noch  die  Marmolata-Formen,  so  dass  die  generische  Über- 
einstimmung derselben  mit  der  Schwieberdinger  Tancredia  nicht  mit 
voller  Sicherheit  nachzuweisen  ist,  obgleich  sie  mir  sehr  wahrscheinhch 
ist.  Stoppani's  Angabe,  dass  bei  Corhula  praenuntia  eine  Mantel- 
bucht zu  beobachten  sei,  bedarf  sehr  der  Bestätigung. 

Ich  widme  das  interessante  Schwieberdinger  Fossil,  von  dem 
mir  ungefähr  20  Exemplare  aus  der  Tübinger  Sammlung  und  aus 
der  Sammlung  des  Naturalienkabinetts  vorliegen,  meinem  verehrten 
Lehrer,  Herrn  Professor  E.  W.  Benecke. 


—     175     — 

Unicardium  d'Orb. 

Unicardium  Schniidii  Gein.  sp.   —  Taf.  V  Fig.  9. 

Unbestimmbarer  Steinkeru,  v.  Schlotheim,  Nachträge  zur  Petrefaktenkunde.    t.  33 

f.  5. 
Area?  Schmidü  H.  B.  Geinitz,  N.  Jahrb.  f.  Min.  etc.  1842.  S.  577.  t.  10  f.  9. 
?  Venus  ventriosa  Dünker,  Palaeontogr.  I.  S.  301.  t.  35  f.  8. 
Pholadomya  Schmidi  v.  Seebäch,   Z.  d.  d.  g.  G.  1861.  XIII.  S.  635. 
Lucina  Schmidü  v.  Alberti,  Überblick  S.  145. 

Wie  die  Citate  zeigen,  hat  diese  Form  den  Autoren  einige  Ver- 
legenheit bereitet  und  ist  von  einem  zum  anderen  Genus  gewandert. 
Meiner  Anschauung  nach  unterHegt  es  keinem  Zweifel,  dass  man  es 
mit  einem  Repräsentanten  der  Gattung  Unicardium  zu  thun  hat. 
Die  Art  steht  Dünker's  Unicardium  rugosum  aus  dem  Halberstädter 
Psilonoten-Lias  sehr  nahe ;  sie  unterscheidet  sich  von  ihr  nur  durch 
etwas  schwächere  Anwachsstreifung  und  den  geraden  Schlossrand. 
Zähne  fehlen  wie  bei  der  Liasart  vollständig.  Das  Ligament,  das 
auf  einer  Leiste  liegt,  ist  lang  und  schmal  und  meist  nur  schwer 
zu  erkennen.  Unic.  Credneri  Giebel  sp.  aus  dem  Schaumkalk  von 
Lieskau  ist  eine  selbständige  Art  und  darf  nicht,  nach  dem  Vorgange 
V.  Alberti's  und  v.  Seebach's,  mit  unserer  vereinigt  werden;  sie  unter- 
scheidet sich  leicht  durch  den  viel  stärker  vorspringenden  Wirbel 
und  die  grössere  Höhe. 

Anoplophora  Sandb. 
Anoplopliora  lettica  Quenst.  sp.  —  Taf.  VH  Fig.  5. 

Änodonta  lettica  Qüenstedt,  Petrefaktenk.  1.  Aufl.  S.  529.  t.  44  f.  16. 

„  ,       Qüenstedt,  Petrefaktenk.  3.  Aufl.  S.  805.  t.  63  f.  28. 

„         (jregaria  Qüenstedt,  Petrefaktenk.  2.  Aufl.  S.  630.  t.  59  f.  9. 

„  „         Qüenstedt,  Petrefaktenk.  3.  Aufl.  S.  805.  t.  63  f.  29. 

Myacites  hrevis  v.  Schädroth,  Z.  d.  d.  g.  G.  1857.  IX.  S.  119.  t.  6  f.  16. 

„         longus  Y.  Schauroth,  Z.  d.  d.  g.  G.  1857.  IX.  S.  118.  t.  6  f.  15. 

j,         letticus   BoRNEMANN ,    Organische   Reste   der   Lettenkohle   S.   15.   t.   1 
f.  3—5. 
Lucina  Bomani  v.  Alberti,  Überblick  S.  143.  t.  4  f.  4. 

Uniona  maritima  Pohlig,  Palaeontogr.  Bd.  27.  S.  119.  t.  13  f.  9 — 16.  t.  14  f.  25. 
Anoplophora  lettica  v.  Koenen,  Z.  d.  d.  g.  G.  1881.  XIII.  S.  685.  t.  26  f.  4,  5. 

Unter  der  Bezeichnung  Anoplophora  lettica  fasst  man  nach 
V.  Koenen's  Vorgang  Formen  von  ziemlich  verschiedenartigem  Habitus 
zusammen.  Bei  Quenstedt's  Änodonta  lettica  liegt  der  Wirbel  weit 
nach  vorn  und  springt  so  gut  wie  gar  nicht  vor ;  eine  Lunula  fehlt, 
ebenso  eine  vom  Wirbel  nach  hinten  verlaufende  Kante ;  der  Umriss 


—     176     — 

ist  regelmässig  oval,  ohne  jede  Ecke.  v.  Schaüroth's  Myacites  hrevis 
und  longus  und  noch  mehr  v.  Alberti's  Lucina  Momani  besitzen 
hingegen  einen  deutlich  hervortretenden ,  der  Schalenmitte  ge- 
näherten Wirbel,  eine  deutliche  Lunula  und  eine  vom  Wirbel 
nach  einer  ziemlich  scharfen  Hinterecke  ausstrahlende  Kante.  Trotz 
dieser  offenbar  grossen  Unterschiede  zwischen  den  extremen  Formen 
glaube  ich  doch,  v.  Koenen  Recht  geben  zu  müssen,  wenn  er 
sie  zu  einer  Art  vereinigt.  Wie  ich  bereits  an  dem  Material 
des  Berliner  Museums  erkennen  konnte,  herrsche  bei  den  An- 
oplophoren  der  Lettenkohle  eine  ausserordentliche  Variabilität  und 
wenn  irgendwo,  so  muss  bei  diesen  massenhaft  auftretenden  und 
meist  ungenügend  erhaltenen  Dingen  der  Artbegriff  möglichst  weit 
gefasst  werden. 

Anoplophora  lettica  ist  bei  Schwieberdingen  ziemlich  häufig, 
hat  sich  aber  bisher  nur  in  doppelschaligen  Exemplaren  gefunden. 
Die  Grösse  der  Lettenkohlenformen  erreichen  unsere  nie,  das  grösste 
Stück  ist  20  mm  lang,  11  mm  breit,  die  meisten  sind  aber  erhebhch 
kleiner.  In  ihrer  Form  halten  unsere  Stücke  ungefähr  die  Mitte 
zwischen  v.  Schaüroth's  Myacites  hrevis  und  longus.  Wirbel,  Lunula 
und  hintere  Schrägkante  sind  überall  deutlich  ausgeprägt.  Das  Liga- 
ment ist  ziemlich  kräftig,  aber  nicht  sehr  lang,  und  nimmt  nicht, 
wie  V.  Koenen  (1.  c.  S.  683)  vermutet,  die  ganze  Area,  sondern  nur 
ungefähr  den  dritten  Teil  derselben  ein.  Die  Schalen  sind  sehr  dünn 
und  meist  mehr  oder   weniger   beschädigt.     Schloss   nicht   sichtbar. 

Nucula  Lam. 
Nucula   Goldfussii  v.  Alb.  —  Taf.  VII  Fig.  7. 

Nucula  cuneata  Mstr.  Goldfuss,  Petr.  Germ.  II.  S.  152.  t.  124  f.  13. 
„  „       Gf.,  Giebel,  Lieskau  S.  45.  t.  6  f.  7, 

,        Goldfussii  V.  Alberti,  Überblick  S.  101. 

Die  kleine,  an  ihrer  schlanken  Form  und  relativ  sehr  bedeuten- 
den Höhe  leicht  kennthche  Art  hat  sich  nur  in  wenigen  Exemplaren 
gefunden,  die  aber  ihre  Zugehörigkeit  zum  Genus  Nucula  ausser 
Zweifel  setzen. 

Leda  Schum.  " 
Leda  BecJci  n.  sp.  —  Taf.  VH  Fig.   1. 

Die  Art  liegt  mir  nur  in  drei  Exemplaren  vor,  sie  ist  massig 
gewölbt;    vor  den  weit  nach  der  Mitte  gerückten  und    nach    hinten 


—     177     — 

gewendeten  Wirbeln  liegt  keine  Lunula,  hinter  ihnen  jedoch  ein  deut- 
liches Feldchen.  Die  Hinterseite  lauft  in  eine  scharfe ,  etwas  nach 
oben  gerichtete  Spitze  aus. 

Von  allen  mir  bekannten  Triasformen  steht  ihr  Leda  sulcellata 
MsTR.  sp.  von  St.  Cassian  am  nächsten;  der  Schwieberdinger  Art 
fehlt  jedoch  die  deutliche  Furche  vor  der  Leiste,  welche  das  Feldchen 
begrenzt,  die  konzentrische  Streifung  und  die  Lunula,  die  L.  sul- 
cellata auszeichnen.  Das  Band  ist  bei  unserer  Art  wohl  sicher 
innerlich,  sie  gehört  daher  zum  Genus  Leda  s.  str.  und  nicht  zu 
Phaenodesmia,  wohin  Bittner  (Lamellibranchiaten  der  alpinen  Trias 
1.  Revision  der  Lamellibranchiaten  von  St.  Cassian.  Abh.  d.  k.  k. 
geol.  Reichsanst.  Bd.  XVIIL  H.  1.  S.  146)  die  meisten  Exemplare 
von  L.  sulcellata  gestellt  hat.  Ich  widme  diese  interessante  Art 
Herrn  Dr.  Beck  in  Stuttgart. 

Macrodon  Lyc. 

Macrodon  Beyrichi  v.  Strome,  sp.  —  Taf.  VH  Fig.  6. 

=  Area  triasina  F.  Rom.  =  Area  socialis  Gieb. 

Citate  bei  Nötling,   Entwickelung  der  Trias  in  Niederschlesieii.    Z.  d.  d.  g.  G, 
1880.  XXXII.  S.  325. 

Ziemlich  selten  kommt  bei  Schwieberdingen  ein  kleines  Macrodon 
mit  breitem  Wirbel,  scharfer  Diagonalkante  und  spitzer  Hinterecke 
vor,  das  sehr  gut  mit  den  Jugendexemplaren  von  Macrodon  Beyrichi 
übereinstimmt,  die  Nötling  (1.  c.  S.  325  t.  14  f.  5)  aus  dem  Schaum- 
kalk Niederschlesiens  beschreibt.  Ich  konnte  mich  an  den  Originalen 
Nötling's  und  an  einer  prachtvollen  Suite,  die  das  Museum  für  Natur- 
kunde in  Berlin  aus  den  Wehrauer  Schichten  besitzt,  davon  über- 
zeugen, dass  die  kleinen  Formen  mit  scharfer  Diagonalkante  und 
scharfer  Hinterecke  thatsächlich  durch  alle  Übergänge  mit  den  grossen 
Exemplaren  mit  stumpfer  Diagonalkante  und  Hinterecke  verbunden 
sind.  Auch  die  wenigen  Stücke,  die  mir  aus  Schwieberdingen  vor- 
liegen, weichen  in  diesen  Merkmalen  etwas  von  einander  ab. 

Thracia  Blainv. 
TJiracia  mactroides  v.  Schlote,  sp.  —  Taf.  YII  Fig.  9. 

Leider  liegt  mir  von  dieser  Art  nur  ein  Exemplar  vor,  das  teil- 
weise Steinkern  ist  und  daher  das  Ligament  nicht  mehr  erkennen 
lässt.  Auffallend  ist  es,  dass  bei  unserem  Stück  wie  bei  v.  Schlot- 
heim's  Original  (Nachtr.  z.  Fetrefaktenk.  t.  33  f.  4)  die  linke  Klappe 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  12 


—     178     — 

grösser  ist  als  die  rechte,  ohne  dass  an  eine  Verdrückung  zu  denken 
wäre,  während  bei  den  jüngeren  Arten  von  Thracia  gerade  das  Um- 
gekehrte zu  beobachten  ist.  Ich  sehe  hierin  keinen  Grund,  die  Trias- 
form, die  in  allen  übrigen  Punkten  mit  jungmesozoischen  und  tertiären 
Formen  übereinstimmt,  generisch  zu  trennen,  besonders,  da  ich  die 
gleichen  Verhältnisse  auch  noch  bei  jurassischen  Thracien  hin  und 
wieder  beobachten  konnte.  Punktstreifen,  wie  sie  v.  Seebach  (1.  c 
t.  15  f.  5a)  abbildet,  besitzt  unser  Exemplar  nicht,  jedoch  ist  die 
Oberfläche  der  ziemlich  dicken  Schale  eigentümlich  rauh,  wie  dies 
auch  bei  jüngeren  Formen  der  Fall  ist. 

Pleuromya  Aa. 

Pleuroniya  Echi  n.  sp.  —  Taf.  VII  Fig.  4. 

Mir  liegen  einige  Pleuromyen  vor,  welche  sich  von  den  übrigen 
Pleuromyen  des  Muschelkalks,  die  sich  um  PI  musctiloides  v.  Schloth.  sp. 
gruppieren,  weit  entfernen.  Sie  erreichen  nie  die  Grösse  der  nms- 
culoides-Gvu^^e,   das  grösste  Exemplar  aus  Schwieberdingen  besitzt 

18  mm  Breite 
bei    12  mm  Höhe 
und  10  mm  Dicke. 

Ausserdem  ist  der  Wirbel  viel  weiter  nach  der  Mitte  gerückt, 
als  dies  dort  der  Fall  ist;  unsere  Formen  erinnern  infolgedessen 
bei  flüchtiger  Betrachtung  etwas  an  Unicardmm.  Die  Wirbel  sind 
massig  stark  angeschwollen  und  eingerollt.  Hinter  ihnen  trennt 
eine  scharfe  Kante  ein  schmales  Ligamentfeld  ab.  Das  Ligament 
selbst  nimmt  etwa  den  vierten  Teil  desselben  ein ,  es  ist  lang  und 
ziemlich  kräftig.  Die  Hinterseite  scheint  schwach  abgestutzt;  leider 
ist  der  Hinterrand  bei  keinem  Stück  vollständig  erhalten,  so  dass 
sich  nicht  angeben  lässt,  wie  weit  die  Schalen  hinten  klaffen.  Der 
Unterrand  ist  gleichmässig  gerundet,  eine  Einbuchtung,  wie  sie 
PL  nmsculoides  zeigt,  fehlt  ganz.  Am  Vorderrande  scheinen  die 
Schalen  ganz  schwach  zu  klaffen.  Die  Skulptur  besteht  aus  einer 
sehr  feinen,  nur  bei  gut  erhaltenen  Stücken  erkennbaren  Anwachs- 
streifung. 

Aus  der  deutschen  Trias  ist  mir  keine  Art  bekannt,  die  mit 
der  unserigen  näher  verwandt  ist.  Aus  den  Alpen  kommt  ihr  PL  Feda- 
jana  Sal.  ziemlich  nahe,  die  Salomon  (Palaeontogr.  XXXXII.  S.  173. 
f.  52)  beschreibt. 


-     179     — 

Pleuromya  n.  sp.  —  Taf.  A'II  Fig.  3. 

Wohl  sicher  auch  zu  Pleuromya  gehörig  ist  eine  Form,  die  ich 
für  das  Tübinger  Museum  in  Schwieberdingen  sammelte.  Sie  unter- 
scheidet sich  von  der  vorhergehenden  durch  den  schlankeren,  nicht 
aufgetriebenen  Wirbel  und  überhaupt  durch  viel  geringere  Dicke. 
Anwachsstreifung  und  Ligamentfeld  sind  wie  bei  der  vorigen  Art. 
Leider  sind  die  Schalenränder  nicht  erhalten,  so  dass  es  unmöglich 
ist,  eine  vollständige  Beschreibung  des  Fossils  zu  liefern. 

Homomya  Ag. 

Die  triadischen  sogen.  Panopaeen  gehören  zum  Genus  Homomya^ 
wie  es  v.  Zittel  jetzt  fasst,  und  schliessen  sich  eng  an  die  liassischen 
Formen,  wie  Hom.  subrugosa  Dünk.  sp.  aus  den  Halberstädter  Psilo- 
noten-Schichten ,  an.  Die  Gattung  Homomya  steht  Panopaea  sehr 
nahe  und  unterscheidet  sich  im  wesentlichen  von  ihr  nur  durch  die 
viel  dünnere  Schale,  den  Mangel  an  Zähnen  und  durch  die  erheblich 
seichtere  Mantelbucht. 

Homomya  Koheni  n.  sp.  —  Taf.  VII  Fig.  2. 

Unter  den  triadischen  Homomyen  kann  man  einen  stark  klaffen- 
den Typus  unterscheiden,  zu  dem  Panopaea  agnota  v.  Alb.  (Über- 
blick S.  147.  t.  4  f.  6)  gehört,  und  einen  schwachklaffenden,  der 
von  Pan.  Älbertii  Voltz  (ÜberbHck  S.  149.  t.  5  f.  1)  repräsentiert 
wird.  Die  Homomya,  welche  bei  Schwieberdingen  nicht  besonders 
selten  ist,  aber  immer  nur  in  Bruchstücken  vorkommt,  schliesst  sich 
an  die  schwachklaffende  Gruppe  an.  Von  Pan.  Älbertii  Voltz  aus 
dem  unteren  Muschelkalk  unterscheidet  sich  unsere  Art  durch  ihren 
viel  schwächer  hervortretenden  Wirbel,  durch  den  scharf  abgestutzten 
Hinterrand,  der  bei  jener  gerundet  ist  und  durch  die  schwächere 
Anwachsstreifung,  die  erst  nach  den  Rändern  zu  kräftig  wird.  Ausser- 
dem klaffen  die  Schalen  der  Schwieberdinger  Homomya,  auch  wenn 
sie  auf  der  Unterseite  ganz  geschlossen  sind,  bereits  unmittelbar 
hinter  dem  Ligament,  während  sie  bei  Pan.  Älbertii  Voltz  auch 
noch  ein  gutes  Stück  hinter  dem  Wirbel  geschlossen  bleiben  und 
erst  ziemlich  weit  hinten  plötzlich  auseinandergehen.  Das  Liga- 
ment ist  in  seinen  Dimensionen  merkwürdig  veränderlich,  am 
schwächsten  bei  dem  abgebildeten  Exemplar.  An  gut  erhaltenen 
Stücken  bemerkt  man  noch  die  Homomya  eigentümliche  Körnelung 
der  Oberfläche. 

12* 


—     180     — 

Gastropoda. 
Worthenia  de  Kon. 

Die  Worthenien  sind  Pleurotomariiden ,  für  die  Kittl  (Gastro- 
poden  von  St.  Cassian,  Ann.  d.  k.  k.  naturh.  Hofmuseums  VI.  S.  181) 
folgende  Diagnose  aufstellt:  „Gehäuse  mehr  oder  weniger  kegel- bis 
kreiseiförmig,  längsgestreift,  Nabel  meist  fehlend  oder  schlitzförmig, 
Umgänge  kantig,  meist  mit  zwei  Lateralkanten,  Apicalseite  der  Um- 
gänge abgeflacht  oder  dachförmig.  Schlitzband  eine  schmale,  er- 
habene, meist  simsartige  Leiste  bildend,  auf  der  oberen  Lateralkante 
aufsitzend;  unterhalb  der  letzteren  eine  breite,  flache  Längsrinne. 
Basis  meist  gewölbt,  häufig  mit  einer  Nabelfurche." 

In  der  deutschen  Trias  wird  die  Gattung  Worthenia  durch  die 
Gruppe  der  Pleurotomaria  Albertiana  Wissm.  vertreten,  welche  Giebel 
(Lieskau  S.  58)  in  drei  Arten  zerlegt  hat:  in  PL  Albertiana  mit 
spitzem,  PI.  Leysseri  mit  mittlerem  und  PI.  Hausmanni  mit  stumpfem 
Gehäusewinkel. 

Worthenia  Leysseri  Gieb.  sp. 

Pleurotomaria  Leysseri  Giebel,  Lieskau  S.  59.  t.  5  f.  10. 

„  „         Giebel,  v.  Alberti,  Überblick  S.  165. 

Trochus  Albertinus  Qüenstedt  ,  Petrefakteukunde ,  Gastropodeu  S.  375.   t.  200 

f.  5—7. 

Die  Worthenien,  weiche  bei  Schwieberdingen  nicht  gerade  selten 
sind,  gehören  zu  den  mittleren  Formen  und  stehen  Giebel's  Worthenia 
Leysseri  aus  dem  Schaumkalke  von  Lieskau  ausserordentlich  nahe. 
Im  allgemeinen  tritt  bei  den  Schwieberdinger  Formen  die  Quer- 
streifung sehr  gegen  die  Längsstreifung  zurück,  die  Kante  unter  der 
Naht  ist  daher  meist  nicht  in  eine  Reihe  von  Knötchen  aufgelöst, 
wie  das  bei  den  Formen  des  unteren  Muschelkalks  konstant  der 
Fall  ist.  Auch  die  schuppigen  Erhöhungen  auf  dem  Schlitzbande, 
wie  sie  Giebel  hervorhebt,  sind  meist  nicht  sichtbar.  Ich  halte  das 
aber  für  keinen  Grund,  die  Schwieberdinger  Worthenien  von  W.  Leysseri 
zu  trennen,  speciell,  da  einzelne  Exemplare  die  Knötchenreihe  und 
das  schuppige  Schlitzband  deutlich  zeigen. 

Tretospira  Koken. 

Die  Gattung  Tretospira  wurde  von  Koken  (Wöhrmann  u.  Koken, 
Raibler  Schichten  vom  Schiernplateau,  Z.  d.  d.  g.  G.  1892.  XXXXIV. 
S.  196)  für  eine  Form  aus  den  Raibler  und  Heiligkreuzschichten  auf- 
gestellt.    Sie  umfasst  nach  Koken's  Diagnose  Gehäuse  mit  treppen- 


—     181     - 

förmig  abgesetzten  Windungen,  deren  Aussenseite  mit  der  Oberseite 
nahezu  einen  rechten  Winkel  bildet.  Spiralrippen  besonders  auf  der 
Aussen-  und  Unterseite  entwickelt,  Anwachsstreifen  auf  der  Ober- 
seite nach  rückwärts ,  auf  der  Aussenseite  nach  vorn  konvex  ge- 
bogen. Mündung  mit  verdickter  Innenlippe,  nach  oben  spitz  zu- 
laufend, nach  unten  verschmälert.  Marmolata  und  Esinokalk,  Cassianer 
und  Raibler  Schichten,  oberer  deutscher  Muschelkalk. 

Tretospira  sulcata  v.  Alb.  sp.  —  Taf.  VIII  Fig.  1. 

Pleurotomaria  sulcata  v.  Alb.,  Überblick  S.  165.  t.  6  f.  5  a,  b. 

Turhonüla  striata   Qüenstedt,    Petrefakteukunde ,    Gastropoden   S.  381.   t.  200 

f.  27  b  non  a. 
Tretospira  sulcata  v.  Alb.,  Joh.  Böhm,  Gastropoden  des  Marmolatakalks,  Palae- 

ontogr.  XXXXII.   S.  301. 
Tretospira  sulcata  v.  Alb.,  Koken,  Leitfossilien  S.  602. 

Die  meisten  Tretospiren  aus  Schwieberdingen  sind  mit  v.  Al- 
BERTi's  Pleurotomaria  sulcata,  deren  schönes  Original  aus  dem  Cann- 
statter  Kreidemergel  mir  vorliegt,  völlig  ident.  Ober-  und  Aussen- 
seite setzen  in  einem  scharfen  Winkel  von  einander  ab;  letztere 
schmücken  9 — 10  Spirallinien,  welche  sehr  viel  enger  stehen,  als 
dies  v.  Albertus  Figur  angiebt.  Auf  der  Oberseite  verläuft  nur  eine, 
meist  sehr  undeutliche  Spiralleiste.  Der  letzte  Umgang  ist  sehr  hoch : 
seine  Höhe  verhält  sich  zu  der  der  gesamten  übrigen  Umgänge  wie  4 : 3. 

Tretospira  striata  Quenst.  sp.  —  Taf.  YIII  Fig.  2. 

Tnrhonilla  striata  Quenst.,  Handb.  d.  Petrefaktenk.  2.  Aufl.  1867.  S.  502.  Textfig.  110. 
„  „       Quenst.,  Petrefaktenkimde,  Gastropoden  S.  382.  t.  200  f.  27  a 

non  b. 

Quenstedt's  Turhonilla  striata,  deren  Original  ich  vor  mir  habe, 
ist  in  der  That  von  v.  Alberti's  Pleurotomaria  sulcata  specifisch  ver- 
schieden. Ober-  und  Aussenseite  setzen  nicht  scharf  aneinander  ab, 
ausserdem  trägt  die  Oberseite  eine  sehr  deutliche  Spiralleiste  in  ihrer 
Mitte  und  eine  schwächere  an  der  Naht.  Die  Umgänge  wachsen 
sehr  viel  langsamer  an,  als  dies  bei  der  vorigen  Art  der  Fall  war; 
die  Höhe  des  letzten  Umgangs  verhält  sich  zu  der  der  früheren  wie 
1  :  1.  Tretospira  striata  erscheint  infolgedessen  sehr  viel  schlanker 
als  die  vorige  Art. 

Die  beiden  bisher  aus  der  deutschen  Trias  bekannt  gewordenen 
Tretospiren  zeigen  zu  keiner  alpinen  Art  engere  Verwandtschafts- 
beziehungen. Am  nächsten  kommt  ihnen  noch  Tret.  multistriata 
V.  WöHRM.  aus  den  Cassianer  und  Raibler  Schichten  Süd-Tirols. 


—     182 


Loxonema  Phillips. 

Koken  hat  seiner  Zeit  betont,  welche  hohe  Bedeutung  die  Loxo- 
nematiden  für  die  Geschichte  des  Gastropodenstammes  besitzen  (Über 
die  Entwickelung  der  Gastropoden  vom  Cambrium  bis  zur  Trias, 
N.  Jahrb.  f.  Min.  etc.  Beil.-Bd.  VI.  S.  440).  „Die  Loxonematiden 
treten,  je  mehr  die  Palaeontologie  ihren  Formenreichtum  aufdeckt, 
immer  bedeutender  aus  der  Menge  der  palaeozoischen  Gastropoden 
heraus  als  ein  Stamm,  der  schon  im  Untersilur  selbständig  vertreten 
war,  dessen  Verzweigungen  aber  erst  in  mesozoischer  Zeit  ihre  Haupt- 
entfaltung erlangen." 

„In  der  Trias  vollzieht  sich  der  Übergang  zu  den  am  Anfange 
der  Siphonostomen  stehenden  Cerithiaceen  und  Verwandten,  zu  Tricho- 
tropiden  und  Cancellariiden ,  ja  es  scheint,  als  ob  nicht  allein  die 
modernen  Siphonostomen  von  ihnen  abstammen,  sondern  dass  auch 
die  jetzt  als  Opisthobranchiaten  charakterisierten  Tectibranchier  lange 
Zeit  mit  den  älteren  Loxonematiden  zusammenhängen  und  erst  im 
Carbon  sich  selbständiger  machen." 

Nach  Koken's  klarer  Diagnose  sind  die  echten  Loxonemen  turm- 
förmige  Schnecken  mit  tiefen  Nähten  und  Anwachsstreifen,  welche 
die  verkehrt  S-förmig  ausgebuchtete  Gestalt  der  Aussenlippe  wieder- 
holen und  meistens  deutlich  hervortreten.  Die  Columella  ist  etwas 
gedreht,  ein  falscher  Nabel  oder  eine  enge  Nabelspalte  häufig.  Die 
Windungen  greifen  zuweilen  stark  übereinander,  und  der  Oberrand 
presst  sich  dann  dicht  an  die  vorhergehende  Windung.  Die  Mündung 
ist  höher  als  breit,  die  Aussenlippe  nach  vorn  und  seitwärts  ver- 
längert, ein  Ausguss  meist  deutlich. 

Loxonema  cf.  Schlotheimii  Qu.  sp.  —  Taf.  VIII  Fig.  4. 

V.  Schlotheim's  uubenannter  Turbinit  des  Muschelkalks,  Petrefaktenk.,  Nacbtr.  U. 

S.  108.  t.  37  f.  7. 
Turrüella  obsolet a  v.  Ziet.,  Verst.  Württ.  S.  47.  t.  36  f.  1. 
„        V.  Ziet.,  Gieb.,  Lieskau  S.  69.  t.  7  f.  2. 
Melania  Schlotheimii  Qdenst.,  Flötzgebirge  Württembergs  S.  31. 
Loxonema  ohaoleta  d'Orbigny,  Prodrome  S.  172. 

Melania  Schlotheimii  Quenst.,  Petrefakteuk.  1852.  S.  412.  t.  33  f.  14. 
Turritella  ohsoleta  v.  Ziet.,  v.  Seeb.,  Triasconch.,  Z.  d.  d.  g.  G.    1861.    S.  646. 
Turritella  ohsoleta  v.  Schlote,  sp.,  v.  Alb.,  Überblick  S.  172.  t.  6  f.  9  a,  b. 
Ghemnitzia  ohsoleta  v.  Ziet.  sp.,  Eck,  Oberscblesien  S.  58  u.  103. 

„  „       V.  Ziet.  sp.,  Eck,  Rüdersdorf  S.  92. 

Melania  Schlotheimii  Quenst.,   Petrefakteiikunde ,    Gastropoden   S.  221.    t.  192 
f.  60,  62,  63. 


—     183     - 

Zu  Loxonema  gestellt  von  Koken,   N.  Jahrb.  f.  Min.  etc.   Beil. -Bd.  VI.   S.  441. 
Heterocosmia  obsoleta  v.  Ziet.  sp.,  Koken,  Leitfossilien  S.  600. 

Von  Schlotheim's  Buccinites  ohsoletus  (Nachtr.  z.  Petrefaktenk. 
S.filOS.  t.  32  f.  8),  den  er  als  aus  dem  Muschelkalk  stammend  an- 
giebt,  ist  ein  Pteroceren-Steinkern  aus  dem  Portland,  wie  bereits 
QüENSTEDT  in  dem  Flötzgebirge  Württembergs  nachgewiesen  hat. 
Später  griff  v.  Zieten  den  ScHLoxHEiM'schen  Namen  wieder  auf,  identi- 
fizierte aber  seine  Form  nicht  mit  der  von  v,  Schlotheim  1.  c.  t.  32 
f.  8,  sondern  mit  der  t.  32  f.  7  abgebildeten  Schnecke,  von  welcher 
V.  Schlotheim  im  Text  (S.  108)  sagt:  „Die  gewöhnlichste  Art  der 
sogen.  Turbiniten,  aus  Muschelflötzkalk,  welche  stets  als  Steinkerne 
vorkommen  und  in  ihrer  ganzen  Form  verraten,  dass  sie  nicht  dem 
Geschlechte  Turbo  Lin.,  sondern  andern  Schneckenarten  angehören, 
daher  sie  auch  nur  alsdann  richtig  bestimmt  werden  können,  wenn 
sie  sich  vollständig  mit  Schale  auffinden."  Quenstedt  drang  mit 
vollem  Recht  darauf,  dass  die  Speciesbezeichnung  „ohsoletus",  als 
ursprünglich  für  eine  Juraform  aufgestellt,  wegfallen  müsse,  und  führte 
statt  dessen  die  Bezeichnung  Melania  Schlotheimii  ein.  Trotzdem 
aber  Quenstedt  mit  gewohnter  Zähigkeit  an  seiner  Bezeichnung  fest- 
hielt, ist  er  nicht  damit  durchgedrungen,  und  die  Mehrzahl  der  Autoren 
hat  die  Bezeichnung  (TurriteUa  etc.)  obsoleta  v.  Ziet.  angenommen, 
indem  sie  sich  dabei  auf  v.  Zieten's  wenig  gelungene  Abbildung 
(1.  c.  t.  36  f.  1)  bezieht. 

Dass  diese  „gewöhnlichste  Art"  der  deutschen  Trias  von  den 
älteren  Autoren  bei  sehr  verschiedenen  Gattungen  untergebracht  war, 
bedarf  kaum  der  Erwähnung.  Herrschte  doch  in  der  Litteratur  über 
die  Triasgastropoden  bis  in  die  jüngste  Zeit  eine  kaum  wiederzu- 
gebende Verwirrung,  die  erst  durch  die  sorgfältigen  Arbeiten  von 
Koken,  Kittl  und  Joh.  Böhm  beseitigt  wurde.  Koken  stellte  die  frag- 
hche  Art  anfänglich  (N.  Jahrb.  f.  Min.  etc.  Beil.-Bd.  VI.  S.  441),  wie 
lange  vor  ihm  bereits  einmal  d'Orbigny,  zu  Loxonema.  Er  schreibt 
in  seiner  wertvollen  Arbeit:  „Über  die  Entwickelung  der  Gastropoden 
vom  Cambrium  bis  zur  Trias"  :  „Sehr  glatte  (Loxonema-) Arier],  die 
sich  schon  im  Unterdevon  einstellen,  und  deren  Anwachsstreifung 
nur  selten  zu  beobachten  ist,  haben  zu  Verwechselungen  Anlass  ge- 
geben. —  In  der  Trias  hat  sich  der  Typus  ebenfalls  noch  in  Chem- 
nitsia  obsoleta  Sohl.  sp.  (Wellenkalk)  und  deperdita  Gf.  erhalten." 
Später  hat  Koken  (Leitfossilien  S.  600)  (Chemnitzia)  obsoleta  zu  seiner 
Gattung  Heterocosmia  gestellt,  die  er  mit  folgenden  Worten  charak- 
terisiert hat  (Gastropoden  der  Schiernschichten,  Z..  d.  d.  g.  G.   1892. 


—     184     - 

S.  30):  „Erste  Windungen  mit  scharfen  Querrippen,  folgende  mit 
Gitterskulptur,  Schlusswindung  mit  wenigen  undeutlichen  Kanten  und 
welligen  Spiralrunzeln.  Windungen  gerundet,  Schlusswindung  mit 
deutlichem  Ausguss.     Anwachsstreifen   ausgebuchtet." 

Nun  ist  es  mir  nicht  gelungen,  weder  an  dem  zu  L.  ohsoletum 
gestellten  Gehäuse  von  Schwieberdingen  und  den  Stücken  des  Ber- 
liner Museums  für  Naturkunde,  noch  an  den  Abbildungen  von 
Giebel  ,  v.  Alberti  ,  Qüenstedt  u.  a. ,  die  für  Heterocosmia  charak- 
teristische Skulptur  zu  erkennen.  Allerdings  giebt  Giebel  (1.  c.  S.  69) 
neben  deutlichen  Wachstumsfalten  sehr  schwache  undeutliche  Längs- 
rippen an,  die  bisweilen  auf  den  mittleren  Umgängen  auftreten  und 
kaum  mehr  als  erhabene  Linien  sind.  Auch  bei  dem  Schwieberdinger 
Exemplare  habe  ich  eine  ganz  feine,  mit  dem  Auge  kaum  wahrnehm- 
bare Längsstreifung ,  oder  besser.  Wellung,  gesehen.  Bei  keinem 
Stück  zeigte  sich  jedoch  die  Querskulptur  der  Anfangswindungen  und 
die  durch  Verbindung  mit  der  Längsskulptur  hervorgerufene  Gitter- 
zeichnung auf  den  späteren  Windungen. 

Ich  glaube,  dass  Koken  deswegen  genötigt  war  (Ghemnitzia) 
obsoleta  zu  Heterocosmia  zu  stellen ,  weil  er  diese  Art  mit  Bronn's 
Turbonilla  diibia  vereinigte,  bei  der  allerdings  die  ersten  Windungen 
Querskulptur  zeigten.  (Chemnitzia)  obsoleta  unterscheidet  sich  jedoch 
von  T/irh.  dubia,  wie  ein  Vergleich  von  f.  9  t.  6  in  Alberti's  Über- 
blick mit  f.  10  t.  12  in  Bronn's  Lethaea  (3.  Aufl.)  zeigt,  durch  ihre 
höheren,  schief  gestellten  Windungen,  namentlich  durch  die  sehr  viel 
grössere  Höhe  der  Schlusswindung  und  durch  die  Form  der  Mündung, 
die  bei  obsoleta  länglichoval,  bei  dubia  kreisrund  ist. 

Ich  glaube,  dass  man  danach  am  besten  thut,  (Ghemnitsia) 
obsoleta  v.  Ziet.  sp.  zu  den  glatten  Loxonemen  zurückzuversetzen, 
deren  Typus  in  der  Abteilung  der  Laevigata  de  Koninck  im  Carbon 
reichlich  vertreten  ist. 

Es  wurde  bereits  oben  daraufhingewiesen,  dass  die  QuENSTEDi'sche 
Speciesbezeichnung  für  Schlotheim's  unbenannten  Muschelkalk- 
turbiniten  die  einzig  korrekte  war,  aber  von  der  Mehrzahl  der  Autoren 
nicht  angenommen  wurde.  Sieht  man  nun  in  der  fraglichen  Form 
ein  Loxonema,  so  ist  man  dadurch  genötigt,  auf  die  QüENSTEDx'sche 
Bezeichnung  zurückzukommen,  da  der  Name  Loxonema  obsoletiim  von 
de  Koninck  (Faune  du  calc.  carbonif.  de  la  Belgique.  III.  S.  49.  t.  6 
f.  28,  29)  bereits  an  eine  Carbonform  vergeben  worden  ist. 

Die  Gestalt  von  Lox.  Schlotheimii  Qu.  sp.  ist  durch  die  guten 
Abbildungen  von  v.  Schlotheim  (Nachtr.  t.  32  f.  7),  Giebel  (Lieskau 


-     185     — 

t.  7  f.  2)  und  V.  Alberti  (Überblick  t.  6  f.  9)  genügend  bekannt. 
An  vollständig  erhaltenen  Stücken  zählt  man  sieben  ziemlich  starke, 
aber  gleichmässig  gewölbte  Windungen,  deren  Längsrichtung  mit  der 
Achse  einen  Winkel  von  ungefähr  60°  einschliesst.  Der  letzte  Um- 
gang ist  bedeutend  höher,  auch  relativ  breiter  als  die  übrigen;  an 
der  Mündung  gemessen  ist  er  etwas  höher  als  die  gesamte  übrige 
Spindel. 

Aus  den  Schwieberdinger  Schichten  liegen  mir  fünf  Windungen 
eines  grossen  Loxonema  vor,  das  ich  von  Lox.  Sehlotheimii  Qu.  sp. 
vorläufig  nicht  specifisch  trennen  möchte,  trotzdem  es  nicht  in  allen 
Punkten  mit  v.  Schlothedi's  Original  übereinstimmt.  Von  der  Mün- 
dung ist  nur  der  obere  Teil  vorhanden,  der  einen  gerundet  ovalen 
ümriss  besitzt.  Die  Schlusswindung  ist  stark  gewölbt,  aber  nicht 
so  hoch,  als  dies  bei  dem  Typus  der  Art  der  Fall  ist;  die  darauf- 
folgenden höheren  Windungen  verflachen  sich  etwas,  werden  aber 
nicht  so  flach,  wie  die  Anfangswindungen  von  Fusus  Hehlii.  Die 
Anwachslinien  sind  ziemlich  deutlich;  die  der  letzten  Windung 
stehen  anfänglich  ungefähr  senkrecht  auf  der  Naht,  biegen  sich 
aber  sehr  bald  nach  rückwärts  um  und  verlaufen»  in  flachem ,  nach 
vorn  geöffnetem  Bogen  über  die  Seitenflanke ,  um  erst  ziemlich 
tief  auf  der  Basis  in  die  nach  vorn  konvexe  Richtung  überzu- 
gehen. Übrigens  ist  der  Verlauf  der  Anwachsstreifung  bei  der  Schwie- 
berdinger Form  derselbe  wie  bei  dem  carbonischen  Lox.  tvalcidio- 
dorense  de  Kon.  (Calc.  carbonif.  Part.  III.  t.  5  f.  5).  Am  vor- 
letzten Umgange  bemerkt  man  eine  ganz  schwache  Spiralwellung 
der  Aussenseite,  die  aber  bei  seithch  auffallendem  Licht  überhaupt 
erst  erkennbar  wird. 

Solange  mir  nicht  vollständiger  erhaltenes  Material  aus  dem 
oberen  Muschelkalk  vorliegt,  mag  ich  die  Schwieberdinger  Form  von 
dem  jedenfalls  sehr  nahe  verwandten  Lox.  Sehlotheimii  Qu.  sp.  nicht 
trennen.  Übrigens  ist  zu  bemerken,  dass  Formen  mit  hoher  Spira 
und  verhältnismässig  niedriger  Endmündung  auch  im  unteren  Muschel- 
kalk bereits  auftreten  und  bisher  allgemein  zu  Lox.  Sehlotheimii  = 
Chemnit^ia  ohsoleta  gestellt  worden  sind. 

Loxonema  Johannis  Böhmi  n.  sp.  —  Taf.  VIII  Fig.  3. 

Nicht  selten  ist  bei  Schwieberdingen  ein  glattes  Loxonema,  das 
sich  durch  einen  sehr  kleinen  Gehäusewinkel  und  flache,  aber  gleich- 
mässig gewölbte  Windungen  auszeichnet.  Die  Höhe  des  letzten  Um- 
gangs beträgt  kaum  mehr  als  die  Hälfte  der  Windungshöhe  der  ge- 


—     186     — 

samten  früheren  Umgänge.  Die  Windungen  sind,  wie  bei  Loxonema 
ohsöletum,  ziemlich  schief  zur  Achse  gestellt.  Durch  diese  Verhält- 
nisse nähert  sich  die  Schwieberdinger  Art  einigermassen  Giebel's 
Chemnitzia  Haueri  (1.  c.  S.  63.  t.  7  f.  4) ,  von  der  sie  .sich  aber 
durch  ihre  viel  höheren  Windungen  und  ihre  noch  schlankere  Gestalt 
gut  unterscheiden  lässt. 

Loxonema  loxonematoides  Gieb.  sp. 

Chemnitzia  loxonematoides  Giebel,  Lieskau  S.  63.  t.  7  f.  5. 
Loxonema  loxonematoides  Giebel  sp.,  Koken,  Leitfossilien  S.  601. 

Neben  den  drei  eben  angeführten  grossen  Arten  findet  sich  auch 
eine  kleinere  mit  langsam  anwachsenden  Windungen ;  sie  erreicht 
mit  sechs  Umgängen  erst  eine  Höhe  von  24  mm.  Die  Windungen 
sind  wie  bei  Loxonema  ScMotheimii  stark  gewölbt.  Das  mir  vor- 
liegende Exemplar  stimmt  gut  mit  Giebel's  Abbildung,  auch  die 
schwielige  Verdickung  der  Spindel,  die  er  hervorhebt,  scheint  vor- 
handen zu  sein. 

Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  sind  noch  mehrere  Loxonema- 
Arten  bei  Schwieberdingen  vertreten,  deren  specifische  Bestimmung 
ihr  Erhaltungszustand  jedoch  nicht  erlaubt.     Ich  bilde  nur  noch  als 

Loxonema  sp.   —  Taf.  VIII  Fig.  5 

eine  Form  mit  langsam  anwachsenden,  gleichmässig  gewölbten  Um- 
gängen ab,  die  im  Habitus  an  Loxonema  cochleatum  de  Koninck  (1.  c. 
Part  HL    S.  43.   t.  4  f.  18,  19)  erinnert. 

Loxonema  (Heterocosmia?)  Hehlii  v.  Zieten  sp.  Taf.  VIII  Fig.  6. 

Unter  den  turmförmigen  Schnecken,  die  leider  bei  Schwieber- 
dingen sämtlich  recht  schlecht  erhalten  sind,  ist  der  altbekannte 
Fusns  Hehlii  am  häufigsten.  Spiralstreifung ,  die  nach  v.  Albertus 
Abbildung  (Überblick  t.  6  f.  11)  sehr  deutlich  sein  müsste ,  ist  nur 
an  einzelnen  Stücken  schwach  zu  erkennen,  auch  die  Nahtkante  ist 
nicht  so  scharf  ausgeprägt  wie  dort.  Die  Anwachsstreifen  bilden 
auf  der  Aussenseite  keinen  flachen  Bogen,  wie  bei  Loxonema  Schlot- 
heimii  Qu.  sp.,  sondern  verlaufen  fast  gerade  und  biegen  gegen  die 
Naht  und  auf  der  Unterseite  scharf  nach  vorn  um. 

Höchstwahrscheinlich  ist  auch  die  Gattung  Chomnitzia  im 
weiteren  Sinne  in  Schwieberdingen  vertreten.  Was  hierhin  gestellt 
werden  könnte,  ist  jedoch  so  fragmentarisch  erhalten,  dass  ich  von 
einer  Beschreibung  dieser  Reste  absehen  möchte. 


—     187     — 

Katosira  Koken. 

Das  Genus  Katosira  wurde  von  Koken  (N.  Jahrb.  f.  Min.  etc. 
1892.  II.  S.  31  und  Z.  d.  d.  g.  G.  1892.  XXXXIV.  S.  203)  für  hoch- 
gewundene Schnecken  mit  kurzem  Ausguss,  starken  Querrippen  und 
feineren  Spiralrippen,  die  auf  der  Basis  besonders  deutlich  werden, 
aufgestellt.  In  der  alpinen  Trias  hat  sich  Katosira  in  mehreren  Arten 
in  den  Cassianer  und  Raibler  Schichten  gefunden,  in  der  deutschen 
Trias  ist  sie  bisher  noch  nicht  nachgewiesen  worden. 

Katosira  solitaria  n.  sp.  —  Taf.  VIII  F'ig.  7. 

Leider  liegt  mir  von  dieser  höchst  interessanten  Form  nur  ein 
Exemplar  vor,  dessen  Apex  und  Mündung  abgebrochen  sind.  Die 
Umgänge,  deren  das  vorliegende  Stück  noch  sechs  besitzt,  sind  flach 
und  wachsen  sehr  langsam  an ;  sie  sind  mit  starken  Querrippen  be- 
setzt, von  denen  ich  auf  dem  vorletzten  Umgange  elf  zählen  konnte. 
Die  Querrippen  sind  meist  gerade,  stehen  aber  nicht  ganz  im  rechten 
Winkel  zur  Naht.  Auf  dem  letzten  Umgang  verflachen  sich  die 
Rippen  allmählich  und  verschwinden  schliesslich  in  der  Nähe  der 
Mündung  fast  ganz.  Die  Mündung  scheint  einen  kurzen  Ausguss 
zu  besitzen.  Die  für  Katosira  bezeichnende  Spiralstreifung  der  Basis 
besitzt  unser  Stück  nicht,  ich  vermute,  dass  sie  durch  Abreibung 
verloren  gegangen  ist,  die  sich  auch  sonst  bemerkbar  macht.  Hin- 
gegen zeigen  die  oberen  Umgänge  noch  Spuren  der  Längsskulptur, 
die  sich  hauptsächlich  in  einer  eigentümlichen  Krenelierung  der  Quer- 
rippen ausspricht. 

Die  Cassianer  Katosiren,  die  Kittl  (Ann.  d.  k.  k.  naturhist.  Hofmus. 
1894.  IX.  S.  162  ff.)  anführt,  unterscheiden  sich  von  der  Schwieber- 
dinger  Art  teils  durch  ihre  stärker  gewölbten  Umgänge,  teils  durch 
abweichende  Skulptur.  Näher  kommt  ihr  Katosira  fragilis  Koken 
(Z.  d.  d.  g.  G.  1892.  S.  205.  t.  16  f.  1,  2)  aus  den  roten  Schlern- 
plateauschichten ,  die  sich  jedoch  noch  leicht  durch  die  stärker 
gewölbten  Umgänge,  die  dichter  stehenden  Querrippen  und  den 
spitzeren  Apicalwinkel  unterscheiden  lässt.  Die  Art  des  Schwieber- 
dinger  Trigonodus-T)o\oTmiQ^  nimmt  in  allen  diesen  Punkten  eine 
Mittelstellung  zwischen  K.  fragilis  Koken  und  K.  undulata  Ziet. 
sp.  (Pal.  fr.  terr.  jur.  II.  S.  35.  t.  237  f.   16)  aus  dem  Lias  ein. 

K.  solitaria  n.  sp.  wäre  somit  die  einzige  Vertreterin  ihres 
Genus  in  der  deutschen  Trias,  wenn  nicht  Turhonilla  noäulifera  Dünk. 
(Palaeontogr.  I.  S.  306.  t.  35  f.  22)  aus  oberschlesischem  Muschel- 
kalk besser  zu  Katosira  als  zu  Zygopleura  zu  rechnen  ist,  was  sich 


-     188     — 

allerdings    bei    dem  Erhaltungszustande    dieses   Unikums    wohl   sehr 
schwer  feststellen  lässt. 

Promathildia  Andreae. 

Die  triadischen  „Cerithien"  werden  jetzt  wohl  allgemein  nach 
dem  Vorgange  von  Koken  (N.  Jahrb.  f.  Min.  etc.  Beil. -Bd.  VI.  S.  459) 
zu  Promathilda  oder  Promathildia  Andreae  gestellt,  die  neuerdings 
von  V.  ZiTTEL  (Grundzüge  der  Palaeontologie  S.  341)  mit  Mathilda 
Semper  vereinigt  wird.  Promathildia  umfasst  turmförmige  Gehäuse 
mit  Cerithien-artiger  Skulptur,  die  sich  aus  Spiralkielen  und  Quer- 
rippen zusammensetzt  und  mehr  oder  minder  deutlichem  Ausguss. 
Was  Promathildia  hauptsächlich  von  den  Cerithien  trennt,  ist  ausser 
der  Form  der  Mündung  ihr  heterostrophes  Embryonalende :  die  ersten 
1 — iVo  Windungen  stehen  winklig  von  der  Spirale  ab,  wie  dies 
Koken  (N.  Jahrb.  f.  Min.  etc.  Beil.-Bd.  VI.  S.  459.  Textfig.  25)  darstellt. 

Promathildia  ornata  v.  Alb.  sp. 

Turhonilla  ornata  v.  Alb.,  Überblick  S.  176.  t.  7  f.  4. 
Promathildia  ornata  v.  Alb.  sp.,  Koken,  Leitfossilien  S.  601. 

Die  sonst  im  Trigonodtts-D olomit  nicht  seltene  Art  hat  sich 
nur  in  wenigen,  schlecht  erhaltenen  Exemplaren  bei  Schwieberdingen 
gefunden.  Nähere  Beziehungen  zu  einer  alpinen  Art  besitzt  sie 
meiner  Anschauung  nach  nicht. 

Undularia  Koken. 

Für  die  „Chemnitzien  d'Orbigny's,  welche  sich  dem  Typus  der 
Chemnitzia  scalata  anschliessen",  stellte  Koken  im  Jahre  1892  die 
Gattung  Undularia  mit  folgender  Diagnose  auf  (Z.  d.  d.  g.  G.  1892. 
S.  200). 

„Gehäuse  hoch  verlängert,  mit  kantigen  Umgängen;  die  Nähte 
rinnenförmig  vertieft.  Aussenseite  der  Umgänge  meist  konkav,  Basis 
flach  oder  massig  konvex,  durch  eine  Kante  oder  einen  vorspringenden 
Kiel  abgetrennt.  Mündung  winklig,  nach  vorn  verlängert,  mit  leicht 
gedrehtem  Ausguss.  Aussenlippe,  nach  dem  Verlauf  der  Anwachs- 
streifen zu  schliessen,  ausgebuchtet.  Die  Windungen  besitzen  ausser 
der  die  Basis  abgrenzenden  Kante  meist  noch  eine  Anschwellung 
unter  der  Naht.  Beide  Kanten  sind  häufig  geknotet. "  Wenig  später 
glaubten  Kittl  (Gastropoden  der  Marmolata,  Jahrb.  d.  k.  k.  geol. 
Reichsanst.  1894.  XXXXIV.  S.  153)  und  Joh.  Böhm  (Marmolata, 
Palaeontographica   XXXXII.    S.  268)    nachweisen   zu   können,    dass 


-     189     -  - 

Koken  in  der  Gattung  JJndularia  zwei  verschiedene  Formengruppen 
zusammengefasst  habe,  von  denen  sich  die  eine  an  JJndularia  scalata 
der  deutschen,  die  andere  an  JJ.  excavata  der  alpinen  Trias  anschhesst. 
KiTTL  behess  nun  der  /S'crtZate-Gruppe  den  Namen  JJndularia  und 
wandte  für  die  JS'^rcayato-Gruppe  die  Bezeichnung  Protorcula  an ;  im 
Gegensatz  zu  ihm  sah  Jon.  Böhm  in  der  Excavata-Gvm^^e  den  Typus 
von  JJndularia  und  stellte  für  JJ.  scalata  und  ihre  Verwandten  das 
Genus  Toxonema  auf.  In  einem  Referat  über  beide  Arbeiten  (N.  Jahrb. 
f.  Min.  etc.  1897.  I.  S.  382)  hebt  jedoch  Koken  ausdrücklich  hervor, 
„dass  JJndulnria  auf  den  Stromhites  scalatus  Schlote,  basiert  ist, 
also  diese  Art  als  Typus  zu  gelten  hat."  Danach  ist  Jon.  Böhm's 
Gattung  Toxonema  einzuziehen  und  eventuell  die  Gruppe  der  JJn- 
dularia excavata  neu  zu  benennen. 

JJndularia  scalata  v.  Schloth.  sp.  —  Taf.  VIII  Fig.  8. 

Altere  Citate  in 
Alberti,  Übersicht  S.  174. 

JJndularia  scalata  v.  Schloth.  sp.,  Koken,  Schiern,  Z.  d.  d.  g.G.  1892.  S.  200. 
Toxonema  scalatum  Schloth.   sp. ,   Jon.  Böhm,   Marmolata ,   Palaeontographica 

XXXXII.  S.  268. 
Undularia  scalata  Schlote,  sp.,  Koken,  Leitfossilien  S.  600. 

Aus  Schwieberdingen  liegen  mir  ein  ziemlich  vollständig  er- 
haltenes Exemplar  mit  sechs  Windungen,  sowie  einige  Bruchstücke 
vor,  die  ich  von  den  Formen  des  norddeutschen  unteren  Muschel- 
kalks nicht  specifisch  zu  trennen  vermag.  Übrigens  ist  Koken's  An- 
gabe ,  dass  sich  JJndularia  scalata  bisher  nur  im  unteren  Muschel- 
kalke gezeigt  habe  (N.  Jahrb.  f.  Min.  etc.  1897.  I.  S.  383)  nicht 
genau,  da  v.  Alberti  (Überblick  S.  175)  die  Art  bereits  aus  dem 
oberen  Muschelkalke  Schwabens  citiert.  Neben  ihr  scheint  bei  Schwieber- 
dingen noch  eine  zweite,  schlankere  JJndularia  vorzukommen,  was 
mir  aber  von  ihr  vorliegt,  genügt  nicht,  um  sie  specifisch  genauer 
zu  bestimmen. 

Eustylus  KiTTL. 

Unter  der  Bezeichnung  Eustylus  hat  Kittl  (Gastrop.  von 
St.  Cassian,  Ann.  d.  k.  k.  naturhist.  Hofraus.  IX.  1894)  turmförmige 
Formen  mit  sehr  langsam  anwachsenden ,  glatten ,  flachen  und 
nicht  stufig  abgesetzten  Umgängen  und  flachen  Nähten  zusammen- 
gefasst. Ich  habe  seiner  Zeit  (Z.  d.  d.  g.  G.  1895.  S.  730)  angenommen, 
dass   Eustylus  im    deutschen   Muschelkalk   durch    das   von   Dünker 


—     190     — 

(Palaeontogr.  I.  t.  35  f.  2)  als  Turhonüla  abgebildete  Fossil  aus 
unterem  Muschelkalk  Oberschlesiens  repräsentiert  sei,  muss  aber  ge- 
stehen, dass  mir  jetzt  seine  Zugehörigkeit  zu  Eustyhis  ziemlich  frag- 
lich erscheint.  Aus  Schwieberdingen  liegen  mir  nur  ein  Stück  und 
ein  Fragment  vor,  die  aber  wohl  mit  Sicherheit  zu  dem  KiTTL'schen 
Genus  zu  stellen  sind. 

Eustylns  Älbertii  n.  sp.   —  Taf.  VIII  Fig.  9. 

Die  Schwieberdinger  Art  gehört  zu  der  von  Kittl  (Ann.  d.  k.  k. 
naturhist.  Hofmus.  IX.  195)  aufgestellten  Gruppe  des  Eustylns  mili- 
taris,  die  sich  durch  hohe,  fast  cylindrische  Gehäuse  und  durch  den 
Mangel  einer  Spindelhöhlung  auszeichnet.  Sie  unterscheidet  sich 
von  sämtlichen  mir  bekannten  Arten  der  alpinen  Trias  durch  ihre 
höheren,  rascher  anwachsenden  Windungen.  Die  sehr  flachen  Um- 
gänge, von  denen  an  dem  einen  Stück  6  erhalten  sind,  erscheinen 
fast  vollständig  glatt  und  zeigen  nur  unter  der  Lupe  hier  und  da 
eine  Anwachsstreifung,  die  gerade  über  die  Windung  verläuft.  Ausser- 
dem zeigt  unser  Exemplar  eine  leichte  Verbiegung,  die  sicher  nicht 
durch  nachträgliche  Verdrückung  entstanden  ist  und  die  an  Eulima 
erinnert.  An  alpinen  Eustylus-Arten  scheint  diese  Eigentümlichkeit 
bisher  noch  nicht  beobachtet  zu  sein.  Die  gleiche  Art  kommt  im 
sogen.  Cannstatter  Kreidemergel  vor  und  wurde  von  v.  Alberti  mit 
Melania  Koninckeana  Mste.  =  Eustylns  KonincM  Mstr.  sp.  iden- 
tifiziert. 

Protonerita  Kittl. 

Die  Arbeiten  von  Koken,  Kittl  und  Joh.  Böhm  über  Gastro- 
poden der  alpinen  Trias  haben  ergeben,  dass  ein  Teil  der  Natica- 
ähnlichen  Formen  zu  den  Neritiden  im  engeren  Sinne  zu  stellen  ist. 
Bezeichnend  ist  für  alle  diese  Gastropoden  die  Resorption  der  inneren 
Windungen,  daneben  die  „rapide  Rückbiegung  der  Anwachsstreifen". 
(Koken,  Gastropoden  der  Trias  um  Hallstatt,  Jahrb.  d.  k.  k.  geol. 
Reichsanst.  1896.  S.  100.)  Koken  stellte  im  Jahre  1892  die  Gattung 
Neritaria  für  eine  Neritide  der  Schlernplateauschichten  auf,  die  durch 
ein  kleines,  bauchiges  Gehäuse  und  eine  „callöse  Verdickung  der 
Innenlippe  mit  einem  scharfen ,  der  Längsrichtung  der  Lippen  par- 
allelen Zahne"  ausgezeichnet  ist. 

Kittl  hielt  Koken's  Neritaria  für  ungenügend  begründet  und 
stellte  eine  neue  Gattung  Protonerita  auf,  als  deren  Typus  Fr.  cal- 
citica  aus  dem  Marmolatakalke  angesehen  wurde.    Protonerita  sollte 


-     191     — 

die  Gattung  Neritaria  mit  umfassen,  die  von  Koken  in  erster  Linie 
hervorgehobene  Neritaria-FaMe  der  Innenlippe  sollte  kein  konstantes 
Merkmal  sein.  Jon.  Böhm  vereinigte  später  Kittl's  Protoneriten  und 
Koken's  Neritarien  unter  dem  Genusnamen  Neritaria.  Ich  halte  diese 
Vereinigung  für  nicht  statthaft,  denn  thatsächlich  stellen  Neritaria 
similis  Koken  vom  Schiern  und  Protonerita  calcitica  zwei  recht  un- 
ähnliche Typen  dar.  Zu  dieser  Ansicht  neigt  auch  Koken,  wenn  er 
(Gastropoden  der  Trias  um  Hallstatt.  S.  99)  sagt:  „Bei  sehr  vielen 
Arten  der  alpinen  und  germanischen  Trias  muss  ich  meinem  palae- 
ontologischen  Empfinden  Zwang  anthun,  wenn  ich  sie  als  Neritaria 
aufführe,  da  mir  der  Habitus  nicht  jener  der  Gruppe  der  N.  similis 
zu  sein  scheint  und  es  mir  nicht  möglich  war,  durch  Präparation 
die  kleine  schiefe  Falte  der  Neritarien  nachzuweisen.  Für  solche 
Arten  hätte  ich  gern  den  Namen  Protonerita  beibehalten,  der  ein- 
fach besagt,  dass  man  es  mit  triassischen  Neritiden  zu  thun  hat, 
deren  Einreihung  in  eine  der  aufgestellten  Gattungen  nicht  gelang." 

Ich  glaube,  dass  der  Genusname  Neritaria  beizubehalten  ist 
für  die  Formengruppe  der  Neritaria  similis  Koken,  mit  deutlicher 
Falte  auf  der  Innenlippe,  Protonerita  für  die  Reihe  der  Protonerita 
calcitica  Kittl,  bei  der  die  Neritarienfalte  fehlt  oder  jedenfalls  kein 
konstantes  Merkmal  bildet. 

Die  iVa^ica-ähnhchen  Formen  der  deutschen  Trias  sind,  wie 
Koken  ausführt,  meist  noch  sehr  wenig  bekannt  und  unsicher  in  ihrer 
generischen  Stellung.  Ich  glaube,  die  nachstehenden  beiden  Formen 
mit  Sicherheit  an  die  Protoneriten  des  Marmolatakalkes  anschliessen 
zu  können. 

Protonerita  spirata  v.  Schloth.  sp.  —  Taf.  YIII  Fig.  10 — 15. 

Neritites  spiratus  v.  Schlotheim,  Petrefaktenkunde  S.  110. 
Natica  Gaillardoti  Giebel,  Lieskau  S.  64.  t.  5  f.  8,  13. 

„       matercula  Quenstedt,  Gastropoden  S.  278.  t.  195  f.  13,  14, 

„       ülita  Quenstedt,  Gastropoden  S.  278.  t.  195  f.  15. 

Quenstedt  beschreibt  (Gastropoden  S.  278)  aus  den  Schwieber- 
dinger  Schichten  eine  Natica  mit  folgenden  Worten :  „Vom  Rücken  r 
aus,  wie  von  der  Mündung  m,  gleicht  sie  bereits  so  ausgezeichnet 
tertiären  Typen,  dass  man  sie  als  Natica  matercula  für  die  Mutter 
der  späteren  ausgeben  könnte."  Mir  sind  irgendwelche  näheren  Be- 
ziehungen zu  tertiären  Typen  nicht  aufgefallen,  wohl  aber  scheint 
mir  N.  matercula  ident  zu  sein  mit  der  Form  des  deutschen  Schaum- 
kalks, die  gewöhnhch  unter  der  Bezeichnung  „N.   Gaillardoti'^  auf- 


—     192     — 

geführt  wird.  Ich  habe  auf  Taf.  VIII  Fig.  11  eine  derartige  Form  aus 
dem  Schaumkalke  von  Gross-Hartmannsdorf  in  Niederschlesien  zum 
Vergleiche  mit  der  Schwieberdinger  Art  abbilden  lassen;  auch  Giebel's 
N.  Gaillaräoti  unterscheidet  sich  nach  Abbildung  und  Text  durchaus 
nicht  von  Qüenstedt's  N.  matercula.  Nun  unterscheidet  sich  aber 
die  typische  A'.  Gaülardoti  aus  dem  elsässischen  Muschelsandstein 
von  der  norddeutschen  Art  durch  ein  höheres  Gewinde  und  ausser- 
dem dadurch,  dass  sie  konstant  grösser  wird.  Wahrscheinlich  sind 
auch  noch  andere  Unterschiede  vorhanden,  die  ich  an  den  verdrückten 
Stücken  der  echten  N.  Gaülardoti  im  Berliner  Museum  nicht  er- 
kennen konnte ,  denn  Herr  Prof.  Koken  ,  der  von  ihr  unverdrückte 
Exemplaie  in  den  Händen  hatte,  schrieb  mir,  dass  er  sie  für  gänz- 
lich verschieden  von  Qüenstedt's  N.  matercula  halte. 

Die  bisher  mit  N.  Gaülardoti  Lefr.  vereinigte  Form  des  Schaum- 
kalkes ist  zuerst  von  v.  Schlotheim  als  Neritites  spiratus  beschrieben 
worden.  Sein  Original,  das  ich  auf  Taf.  VIII  Fig.  12  abbilde,  ist 
ein  scharfer  Steinkern  aus  dem  Schaumkalk  der  Arensburg  in  der 
Hainleite. 

Protonerita  spirata  v.  Schloth.  sp.  zeichnet  sich  durch  ein  sehr 
niedriges  Gewinde  aus.  Formen,  wie  die  Taf.  VIII  Fig.  10  abgebildete, 
gehören  bereits  zu  den  am  höchsten  aufgewundenen.  Die  Nähte  sind 
auf  den  ersten  Windungen  ziemlich  seicht,  bei  alten  Gehäusen  ent- 
steht jedoch  zwischen  dem  letzten  und  vorletzten  Umgang  eine  ziem- 
lich tiefe  Rinne.  Der  Nabel  ist  durch  die  dicke  Innenlippe  meist 
vollständig  verdeckt;  Formen,  bei  denen  „die  Nabelgegend  ganz 
vom  Callus  verschmiert"  ist,  die  sich  aber  sonst  nicht  weiter  unter- 
scheiden, trennte  Qüenstedt  als  Natica  illita  ab.  Die  Mündung 
ist  hochoval,  manchmal  nahezu  kreisrund.  Die  Anwachsstreifen,  die 
nicht  an  allen  Exemplaren  deutlich  sind,  stehen  tangential  zum 
vorhergehenden  Umgange.  Resorption  der  inneren  Windungen  ist 
an  Steinkernen  wie  an  manchen  Naturpräparaten  von  Schalen- 
exemplaren deutlich  zu  beobachten,  sehr  deutlich  zeigt  sie  auch 
das  Original  des  ScHLOTHEiM'schen  Neritites  spiratus.  Manche  Stücke 
dieser  und  der  folgenden  Art  zeigen  eine  eigentümliche  Zickzack- 
zeichnung der  Schale,  die  wohl  sicher  auf  frühere  Farbenstreifen  zu- 
rückzuführen ist;  sie  gleicht  durchaus  der  Farbenzeichnung  von 
Naticopsis  cassiana  Mstr.  sp.  bei  Kittl  (Gastropoden  von  St.  Cassian, 
Ann.  d.  k.  k.  naturh.  Hofmus.  VII.  t.  9  f.  9),  die  wohl  sicher  eben- 
falls eine  Protonerita  ist. 


—     193     — 

Protonerita  coarctata  Qu.  sp.  —  Taf.  IX  Fig.  1. 
Natica  coarctata  Quenstedt,  Petrefaktenkunde  2.  Aufl.  S.  498.  Textfig.  108. 
,,  „  Quenstedt,  Gastropodeu  S.  278.  t.  195  f.  17,  18. 

Diese  Art  unterscheidet  sich  von  der  vorigen  durch  etwas  höheres 
Gewinde,  seichtere  Nähte,  den  kreisrunden  Durchschnitt  der  Windung 
und  durch  ihre  plötzlich  verbreiterte  Mündung.  Übrigens  sind  diese 
und  die  vorige  Art  durch  alle  Übergänge  miteinander  verknüpft. 
Quenstedt's  Angabe,  dass  das  Gewinde  von  Natica  coarctata  nur  von 
unten  sichtbar  sei,  ist  unrichtig;  bei  seinem  Original  zu  f.  17,  das 
vor  mir  liegt,  sind  die  obersten  Windungen  abgebrochen ;  an  intakten 
Stücken  sind  die  Anfangswindungen  jedenfalls  auch  von  der  Seite 
sichtbar,  wie  das  bei  den  Protoneriten  des  Marmolatakalkes  auch 
der  Fall  ist.  Resorptionserscheinungen  sind  wie  bei  der  vorigen  Art 
häufig  zu  beobachten. 

Neritaria  Koken. 

Neritaria  Bunheri  v.  Schauroth  sp.  —  Taf.  IX  Fig.  2. 
Bissoa   StrombecJci  var.   DunJceri  v.   Schaüroth,  Z.   d.  d.  g.  G.    1857.    S.  138 
t.  7  f.  10. 

Ich  stelle  die  vorliegende  Form,  von  der  mir  nur  wenige  Ge- 
häuse vorliegen,  nur  mit  Vorbehalt  zu  Neritaria ,  denn  ich  konnte 
an  ihr  weder  die  Falte  auf  der  Innenlippe  noch  die  Resorption  der 
inneren  Windungen  beobachten.  Hingegen  sind  die  bei  Neritaria 
häufig  vorhandenen  Querfalten  an  der  Naht  ebenfalls  zu  bemerken. 
Auch  schhesst  sich  die  Schwieberdinger  Art  in  ihrer  äusseren  Form 
eng  an  Neritaria  similis  Koken  vom  Schlernplateau  und  an  die 
il/aw(^eZ5?oAi-Gruppe  von  St.  Cassian  an. 

Das  Gewinde  ist  niedrig,  die  Nähte  sehr  flach;  bei  den  ver- 
kieselten  Stücken  verschwinden  sie  sogar  meist  vollständig.  Der 
letzte  Umgang  ist  sehr  hoch  und  bedeckt  den  vorhergehenden  zum 
grössten  Teil.  Die  Mündung  ist  unten  gerundet,  oben  zugespitzt, 
die  Innenlippe  ist  umgeschlagen  und  bedeckt  mit  einer  schwieligen 
Verdickung,  die  jedoch  nicht  so  stark  ausgebildet  zu  sein  scheint, 
wie  bei  den  alpinen  Formen,  den  Nabel.  Von  Skulptur  ist  meistens 
gar  nichts  zu  bemerken ;  nur  an  sehr  gut  erhaltenen  Stücken  bemerkt 
man  die  bereits  erwähnten  Nabelfalten. 

Die  Schwieberdinger  Art  scheint  mit  Dunker's  Bissoa  Strom- 
hecki  var.  Dunkeri  aus  dem  Grenzdolomit  der  Lettenkohle  ident  zu 
sein.  Nahe  steht  ihr  jedenfalls,  wie  auch  v.  Schaüroth  schon  her- 
vorhebt, die  von  Dunker  aus  dem  Kalk  von  Chorzow  beschriebene 
?Littorina  Göpperti  (Palaeontogr.  I.  S.  306.  t.  35  f.  20,  21). 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  13 


—     194     — 

Hologyra  Koken. 

Die  Hologyren  sind  nach  Koken  „Neriten  ohne  resorbierte  Win- 
dungen". Das  Gehäuse  ist  niedrig,  im  Alter  fast  kughg,  „die  Innen- 
hppe  ist  umgeschlagen  und  plattenartig,  ohne  Zähne  und  Kerben, 
und  liegt  im  erwachsenen  Zustande  der  Windung  fest  auf.  Bei 
jugendUchen  Exemplaren  wird  sie  von  dieser  durch  einen  falschen 
Nabel  getrennt,  der  von  einer  scharfen,  in  die  AussenHppe  übergehenden 
Spiralkante  umschrieben  und  von  einer  Schwiele  durchzogen  wird." 

Hologyra  Eyerichi  Nötl.  sp.  —  Taf.  IX  Fig.  3. 
Natica  Eyerichi  Nötling,   Z.  d.  d.  g.  G.  1880.   XXXII.   S.  330.   t.  14  f.  9,  9  a. 

Die  kleine  Hologyren- Art ,  die  bei  Schwieberdingen  ziemlich 
selten  vorkommt,  gehört  zu  der  OaWwa^a-Gruppe.  Von  Hologyra 
carinata  Koken  vom  Schlernplateau  unterscheidet  sie  sich  durch  die 
viel  schwächer  aufgeblähten  Umgänge,  das  höhere  Gewinde  und  durch 
eine  feine  aber  deutliche  Querstreifung.  Sie  stimmt  gut  mit  H.  Eye- 
riclii  Nötl.  aus  niederschlesischem  Schaumkalk,  deren  Grösse  sie 
jedoch  nie  erreicht.  Sehr  nahe  verwandt,  vielleicht  ident  ist  H.  Ogilviae 
JoH.  Böhm  aus  den  oberen  St.  Cassianer  Schichten  von  Cortina 
d'Ampezzo. 

Platychilina  Koken. 

Die  Gattung  Platychilina  umfasst  nach  Koken  niedrige  Gehäuse 
mit  sehr  rasch  anwachsenden  Windungen,  schräg  gestellter,  erweiterter 
Mündung  und  abgeplatteter  Innenlippe.  „Die  Skulptur  besteht  aus 
fadenförmigen  Anwachsstreifen  und  schrägen  Höckern,  die  anfänglich 
stark,  knotenförmig  und  in  regelmässige  Längsreihen  geordnet,  auf 
der  Schlusswindung  mehr  oder  weniger  verzerrt  sind."  Platychilina 
ist  bisher  nur  aus  der  alpinen  Trias  bekannt  geworden. 

Platychilina  germanica  nov.  sp.  —  Taf.  IX  Fig.  5. 

Leider  liegen  mir  von  dieser  äusserst  interessanten  Form  nur 
zwei  grobverkieselte  Gehäuse  vor,  die  ihre  Speciescharaktere  nur  zum 
Teil  erkennen  lassen.  Das  Gewinde  ist  sehr  niedrig  und  erhebt  sich 
fast  gar  nicht  über  den  letzten  Umgang,  wie  dies  auch  bei  Platy- 
chilina pustulosa  MsTR.  sp.  und  CainalU  Stopp,  sp.  der  Fall  ist.  Die 
Nähte  sind  verhältnismässig  tief,  wenigstens  beim  letzten  Umgang 
Die  Mündung  ist  breit,  die  Innenlippe  abgeflacht  und  stark  callös, 
und  springt  gegen  das  Innere  der  Mündung   vor.     Die  Skulptur   ist 


—     195     — 

leider  wegen  der  groben  Verkieselung  der  Gehäuse  nicht  besonders 
deutlich.  Man  erkennt  eine  Reihe  von  unregelmässigen  flachen  Knoten, 
die  unmittelbar  unter  der  Naht  verläuft ;  das  entfernt  die  Schwieber- 
dinger  Platychüina  erheblich  von  den  alpinen  Formen,  bei  denen  die 
obere  Knotenreihe  ziemlich  weit  von  der  Naht  absteht.  Eine  zweite 
Reihe  von  sehr  unregelmässigen  Knoten  grenzt  die  Aussenseite  des 
Umgangs  von  der  Unterseite  ab.  Die  „fadenförmigen  Anwachsstreifen " 
sind  nicht  zu  beobachten.  Neben  den  beiden  Hauptknotenreihen 
scheinen  auf  der  Aussenseite  noch  unregelmässig  gestellte  kleinere 
Knötchen  aufzutreten,  die  eine  sehr  eigentümliche  Skulptur  hervor- 
rufen, die  lebhaft  an  die  von  Fl.  Wöhrmanni  Koken  (Z.  d.  d.  g.  G. 
1892.  t.  11  f.  6)  erinnert. 

Natica  Lam. 
Subgenus  Amauropsis  MöRCh. 
Ämauropsis  gregaria  v.  Schlote,  sp.  —  Taf.  IX  Fig.  4. 
Ältere  Citate  in  v.  Alberti,  Überblick  S.  168. 

Ampullaria  pullula  Quenstedt,  Gastropoden  S.  279.  t.  195  f.  19,  20. 
Chemnitzia  gregaria  v.  Schl.  sp.,  Koken,  Leitfossilieu,  S.  600. 

Bezüglich  der  Natica  gregaria  aut.  herrscht  eine  ziemliche  Ver- 
wirrung ;  ich  halte  es  für  wahrscheinlich ,  dass  die  älteren  Autoren 
recht  verschiedene  Formen  unter  diesem  Sammelbegriff  vereinigt 
haben,  doch  kann  ich  jetzt  auf  diese  Frage  nicht  eingehen,  da  mir 
nicht  genügend  Material  zur  Verfügung  steht.  Ich  sehe  als  Typus 
der  Natica  gregaria  Gehäuse  mit  niedrigem  Gewinde,  kantigen  Um- 
gängen und  hoher  letzter  Windung  an,  wie  Giebel  sie  abbildet 
(Lieskau  t.  5  f.  4  u,  5  [als  turris]).  Diese  Formen  dürfen  nicht  zu 
Chemnitzia  gestellt  werden,  was  Koken  befürwortet,  sondern  gehören 
wohl  zweifellos  zu  Amauropsis.  Ähnliche  Arten  finden  sich  bei 
Cassian ,  wie  Giebel  bereits  hervorhebt ;  am  nächsten  scheint  der 
deutschen  Art  dort  Amauropsis  Sanctae  Crucis  zu  stehen. 

Die  kleine  Ampullaria  pullula,  die  Quenstedt  aus  Schwieber- 
dingen  beschreibt,  ist  schwerlich  von  Amauropsis  gregaria.,  als 
deren  Jugendform  ich  sie  ansehe,  specifisch  zu  trennen.  Meist  ist 
das  Gewinde  etwas  höher  und  die  Endwindung  niedriger,  als 
bei  den  Lieskauer  Formen,  doch  sind  die  wenigen  mir  vorliegenden 
Exemplare  untereinander  schon  ziemlich  variabel.  Die  Schwieber- 
dinger  Formen  bleiben  meist  klein.  Bemerkenswert  ist,  dass  in 
dem  gleichaltrigen  „Cannstatter  Kreidemergel"  Amauropsis  gregaria 

13* 


—     196     — 

V.  Schlote,  sp.    weit   zahlreicher  und  in  grösseren  Exemplaren  vor- 
kommt. 

Neben  der  typischen  Form  findet  sich  sehr  selten  in  Schwieber- 
dingen  eine  Varietät  mit  hohem  Gewinde,  die  einigermassen  an  das 
von  GoLDFDSS  III.  t.  193  f.  3  als  Turbo  gregarms  abgebildete  Fossil 
erinnert.  Die  wenigen  Stücke,  die  mir  vorliegen,  sind  sämtlich  viel 
grösser  als  die  Exemplare  des  Art-Typus. 

Cephalopoda. 

Cephalopoden-Reste  sind  bei  Schwieberdingen  recht  selten.  Mir 
liegen  nur  sechs  Stücke ,  sämtlich  dem  kgl.  Naturalienkabinett  in 
Stuttgart  gehörig,  vor,  von  denen  drei  zu  den  Nautiliden,  die  anderen 
drei  zu  den  Ceratiten  zu  rechnen  sind. 

Nautilus  Breyn. 
Nautilus  (Temnocheilus)  suevicus  nov.  sp.  —   Taf.  IX  Fig.  6. 

Von  dieser  Art  liegt  mir  nur  ein  Exemplar  vor,  von  dem  nur 
die  eine  Seite  erhalten  ist,  diese  allerdings  ungewöhnlich  schön.  Von 
der  Gruppe  des  Nautilus  hidorsatus  v.  Schloth.,  die  zu  Tretnatodiscus 
zu  stellen  ist,  unterscheidet  sich  unsere  Form,  von  allem  anderen 
abgesehen,  durch  den  flach  gewölbten,  nicht  in  der  Mitte  gefurchten 
Wirbel.  Der  Querschnitt  der  Windungen  ist  ungefähr  quadratisch, 
die  Umgänge  wachsen  rasch  an,  umfassen  sich  aber  ziemlich  wenig. 
Die  Windung  steigt  vom  Nabel  bis  zu  einer  scharf  markierten  Nabel- 
kante steil  in  die  Höhe,  die  Seitenflanke  der  Windung  ist  flach  und 
kaum  nach  aussen  konvex.  Die  Externseite,  wie  bereits  erwähnt, 
schwach  gewölbt.  Zwischen  Seitenflanke  und  Externseite  verläuft 
ein  schwach  knotiger  Kiel,  über  der  Nabelkante  auf  der  Seitenflanke 
eine  schwache,  spirale  Depression,  die  auch  bei  alpinen  Teninocheilus- 
Arten  erkennbar  ist.  Eine  schwache  Spiralstreifung  der  Nabelwand 
ist  besonders  auf  den  jüngeren  Umgängen  zu  erkennen. 

Sehr  deutlich  und  für  das  Subgenus  Temnocheilus  charakte- 
ristisch ist  der  Verlauf  der  Anwachsstreifung.  Die  Anwachsstreifen 
stehen  auf  der  Nahtlinie  senkrecht  und  verlaufen  bis  zur  Nabelkante 
in  einem  flach  nach  auswärts  konkaven  Bogen.  An  der  Nabelkante 
biegen  sie  scharf  nach  rückwärts  und  verlaufen  nahezu  geradlinig 
zur  Externkante ;  diese  scharfe  Rückwärtsbiegung  behalten  die  An- 
wachsstreifen auch  auf  der  Externseite  bei,  sie  stossen  also  auf  der 
Mitte  derselben    mit  sehr   spitzem  Winkel   zusammen.     Diesem  Ver- 


—     197     — 

lauf  der  Anwachsstreifung  muss  eine  scharfe,  spitze  Einbuchtung  des 
Mundrandes  auf  der  Externseite  entsprechen,  worauf  die  Bezeichnung 
Temnocheüus  anspielen  soll. 

Von  Kammerscheidewänden  und  Sipho  lässt  das  vollständig  be- 
schalte Exemplar  nichts  erkennen. 

Unter  den  alpinen  Formen  steht  der  beschriebenen  Temnocheüus 
Cassianus  E.  v.  M.  (Ceph.  d.  mediterr.  Triasprovinz  S.  268.  t.  79  f.  1) 
ziemlich  nahe. 

Pleur onautilus  s^. 

Die  beiden  hierher  gehörigen  Stücke  sind  leider  sehr  frag- 
mentarisch ;  bei  dem  grösseren  sind  die  inneren  Windungen  ziemlich 
gut  erhalten,  die  letzte  Windung  aber  zum  grössten  Teil  zerstört,  an 
dem  anderen  Stücke  sind  nur  die  Bruchstücke  von  zwei  Windungen 
erhalten.  Das  grössere  Bruchstück  ist  ziemlich  evolut,  aber  nicht  so 
stark,  wie  viele  Vertreter  der  Gattung  in  der  alpinen  Trias.  Die  Win- 
dung steigt  steil  vom  Nabel  in  die  Höhe,  eine  Nabelkante  —  oder 
Knotenreihe  —  fehlt.  Erst  in  einem  ziemlich  bedeutenden  Abstand 
vom  Nabel  beginnen  die  dicken,  flachen,  nach  vorn  leicht  konkaven 
Kippen,  mit  denen  zahlreiche,  ziemlich  grobe  Anwachsstreifen  parallel 
laufen.  Auf  den  inneren  Windungen  ist  die  Berippung  nur  sehr 
schwach  angedeutet.  Das  kleinere  Bruchstück  scheint  zu  einer  an- 
deren Species  zu  gehören,  die  sich  durch  stärkere  Involution  und 
schwächere  Berippung  unterscheidet. 

Ceratites  de  Haan. 

Ceratites  nodosus  de  Haan  var.  densinodosus  0.  Fraas. 

Taf.  IX  Fig.  7. 
Von  Ceratites  nodosus  liegen  in  der  Sammlung  des  kgl.  Natura- 
lienkabinetts zwei  Bruchstücke,  leider  lässt  sich  nicht  mit  voller 
Sicherheit  erkennen,  ob  es  Fragmente  der  Wohnkammer  oder  der 
gekammerten  Windungen  sind,  da  die  Stücke  beschalt  und  von  einer 
einheitlichen  Dolomitmasse  ausgefüllt  sind.  Besonders  das  eine  Stück  ist 
durch  engstehende,  stark  alternierende  Margin alknoten  ausgezeichnet 
und  hat  0.  Fraas  veranlasst,  eine  neue  Species,  Ceratites  densinodosus, 
zu  begründen.  Abgesehen  davon,  dass  das  Bruchstück  wohl  nicht 
genügt,  um  eine  neue  Art  daraufhin  abzugliedern,  ist  es  wohl  kaum 
angängig,  diese  dem  Typus  von  Ceratites  nodosus  noch  ziemlich  nahe- 
stehende Form  als  selbständige  Art  zu  führen ,  während  sehr  viel 
aberrantere  noch  immer  als  Ceratites  nodosus  bezeichnet  werden. 
Die  Varietät  mit   den   engstehenden,    alternierenden  Marginalknoten 


198 


a 

s 

Wahrscheinlich     auch     im     Trigonodus- 
Dolomit. 

Sehr    wahrscheinlich    auch    im     oberen 
Muschelkalk  und  Trigouodus-Do\om\t. 

Vielleicht  nahe  verwandt  mit  Lühodomus 
rhomboidalis  v.  Seeb. 

Wahrscheinlich  auch  im  Esinokalk 

CO 

c8 

Eh 

•  p-t 
P4 

< 

ne^qojqog 
agiqrea 

II        1     1     1     1     1         1     1     II     1        1     1     1     1     i 

uajqoiqog 

aSUBISS'BQ 

II        1     II     1     1        1     1     1     1     1        1     1     1     1     1 

3Il'BJ['B:^'BIOraj13J\[ 

i     1        1     1   +   1     1        11     i     II        1     II     i  + 

5llt35n8R3Sn]^ 

•^nn  'qos^nap  = 
311'BJipqosni^  •dyv 

1   -        1   ++   II        1     1     1     i     1        1     II     II 

oä 
•1— 1 

ü 

P 

8iqoJin8i;8'7 

11       +1  +  +  +     +   1     1     1     1        1   +   1     1   + 

UdßMqpuvg  -uoß 
-ux  %im.  -^jqoiqog 

1   -      +  +  +  +  -      +1111        1  +   1     1  + 

■^Xe^-snsopo^ 
pun  -ua;Tqoo.ij[, 

3IIB5ipqosui^ 

I+++++-      +II+I        I++I+ 

+  +    +  +  +  +  +    +  M  +  1       1  ++  1  + 

1 

1.  Bhizocorallium  jenense  Zenk.  ss.  .     .     . 

2.  Ostrea  (Terquemia)  complicata  Gf.  ss.  . 

3.  Placunopsis  ostracina  v.  Schloth.  sp.  ss. 

4.  Pecten  laevigatus  v.  Schloth.  sp.  ss.     . 

5.  „       discites  v.  Schloth.  sp.  ss.     .     . 

6.  Hoernesia  socialis  v.  Schloth.  sp.  hh.  . 

7.  GervilUa  Goldfussi  v.  Strome,  sp.  h.    . 

8.  ,,         subcostata  Gf.  sp.  h.      .     .     . 

9.  „         Fraasi  n.  sp.  ss 

10.  „         alata  n.  sp.  ss 

11.  Modiola  cf.  triquetra  v.  Seeb.  ss.     .    . 

12.  „         myoconchaeformis  n.  sp.  h. 

13.  Myoconcha  laevis  n.  sp.  ss 

14.  „           gastrochaena  ss 

15.  Astarte  triasina  F.  Rom.  ss 

16.  Trigonodus  praeco  n.  sp.  ss 

17.  Myophoria  laevigata  v.  Alb.  sp.  hh.     . 

—     199 


a3 

13 

s 
2 

o 

tß 

^ 

s 

ö 

m 

W 

TS 

<v 

^^ 

'Ö 

;-l 

^ 

^ 

F^ 

0) 

'^3 

a> 

-*-j 

-ti 

1 

05 

Ö 

<-* 

a 

~u» 

r/-; 

d 

iH 

ö 

CO 
•  1— ) 

O 

o 

'S 

c3 

Ö 

cö 

es 

h  wei 
eitet. 

ü 

> 

CO 

1 

o   ;h 

o  ^ 

■4J 

f3 

*^ 

*^  > 

^ 

a> 

Ä 

C 

J 

o 

ni 

o 

o   tn 

•  1— 1 

OJ 

- 

(\) 

Hl« 

(p  .i^ 

(D  n3 

<» 

s 

"ösH 

CS 


TS 


o 


_    OJ    s 
.S  ■'-'  s^ 

S    Si    <» 


13  2 

•S  ^  -*^ 

■^  S  .23    C 

o       •— ' 

rO     cS     O 


rH 

Ü 

Ö 

S 

g^ 

t/J 
es 

-S 

•s 

5U 

H 

«  a 

_  o 
'S"© 

So 
^  2 


I        I 


I      I    I      I 


+ 


+  +  + 


I     +  I 


+  + 


+  +  +  +      I      I  + 


+ 


+  +  +  +     I     +' 


+  + 


I      + 


+  +  +  + 


+  1     + 


+  + 


+     I  + 


+  +  +  I 


+  I     + 


+  + 


+ 


+     I  + 


w 

Eh 
O 

W 

o 


cQ  m 

OD 

'S  > 

S  ."« 

Co  ^ 


'S 
e 


t 


03 

CO 

S 


■'S»        "^ 


m 

m 

. 

a 

Ol 

Ph 

CO 

M 

m 

K] 

hJ 

o 

p 

-^ 

o 
o 
o 

s 


►Jsl 


S 
^ 


&Q    '— 

s    2 


w 
o 
w 

o 


'« 

Ä| 

!- 

O^ 

C-v 

»H 

o 

S 

to 

^ 

o 


CO 
-TS 


xn     H 

CO 


tS 


CO    C5    O    1-H    (M 
T-H    tH    (N    W    (M 


CO 


CD    C-    CO    C5    O    i-H    (M 
CM    (M    C<1    (M    CO    ec    CO 


P4 
CO 


CO 

CO 


■43 


g 


CO 

CO 


• 

• 

• 

* 

CO 

33 

tn 

Ph 

CO 

pH 
CO 

CO 

P3       . 

CO 

P<  O" 

-ä? 

s   • 

< 

•s 

i§ 

'« 

o 

> 

rv 

?2 

e     • 

e 

o 

xonem 

.   SS. 

HO 


CO    Cq 


O 

o 


»^ 


Bf 


CO 


CO    CO 


C-    CO    C5 

CO    CO    CO 


200 


<u 

SS 

Die  Gattung  Katosira  in  der  alpinen  Trias 
verbreitet. 

Soll  nach  v.  Alberti  auch  noch  im  Grenz- 
dolomit  sich   finden;    eine    nahe  Ver- 
wandte im  Marmolatakalk. 

Eustylus  in  der  alpinen  Trias  häufig. 
Wahrscheinlich   in   der  deutschen   Trias 
weit  verbreitet. 

Sehr  nahe   verwandte  Formen   noch   im 
Gypskeuper, 

Verwandte  Arten  in  der  alpinen  Trias. 

CO 

ce 

•p-H 

EH 

<o 

a 

.1-4 

Ph 

ugjqoiqog 
agjqi'B'a; 

II       !          II      II    II    !       1    1    1        1 

U9!;qoiqog 

jaUBISS-BQ 

II     1       II    M  1  1  1     1  ;  1      1 

3l{'BJl'B;'G|0ra,T'BJ\[ 

II     1       1  1    1  1  1  1  1     III      1 

3lt'B5lI9qosni\[ 

•^un  qos^nap  = 

jfli^Jlpqosnj^  -d^y 

11     1       1  +  1  1  1  1  +    1  II      1 

CO 

o3 

•  i-H 

o 

Q 

9iqojin9^:j9rj 

11    ^"-       1  ^-    1  +  1  1  "-"■     III      1 

Udß.idqpuvg  -uoß 
-iu,x  ^lui  -^qoiqog 

+  1    +      1  -    1  1  1  i  +    1  II      1 

•^\e^-snsopojs[ 
pun  -a9:)Tqoo.ix 

+1+      1-    1111+    11+    + 

51115  Jipqosnjf 
,i9J9:ja£][ 

11+      I+1-+1+     111      1 

Cd 

»—1 

CS] 

> 

1^ 
h« 

CO 

8 

o 

•40 

« 

s 
s 

1 

ö 

41.  Katosira  solitaria  n.  sp.  ss 

42.  Undiüaria  scalata  v.  Scelote.  sp.  ss.  . 

43.  Eustylus  Albertii  n.  sp.  ss 

44.  Protonerita  spirata  v.  Scelote.  sp.  hh. 

45.  „           coarctata  Qu.  sp.  hh.     .     . 

46.  Neritaria  Dunkeri  v.  Schaur.  sp.  s. 

47.  Hologyra  Eyerichi  Nötl.  sp.  ss.  .     .     . 

48.  Platychilina  germanica  n.  sp.  ss.      .     . 

49.  Ämauropsis  gregaria  v.  Schlote,  sp.  s. 

50.  Nautilus  (Temnocheilus)  suevicusn.s^.ss. 

51.  Pleuronuutilus  sp.  ss 

52.  Ceratites  nodosus  de  Haan   var.  densi- 
nodosus  0.  Fr  AAS  ss 

53.  Ceratites  semipartitus  Montf.  sp.  ss.     . 

—     201     — 

ist  übrigens  auch  im  echten  Muschelkalk  verbreitet ;  auch  der  inter- 
essante Ceratites  nodosus  aus  den  Buchensteiner  Schichten  von 
Recoaro  gehört  in  diese  Gruppe. 

Ein  Lobenstück  von  Ceratites  nodosus  (Typus),  das  in  thonigem 
Kalk  erhalten  ist,  stammt  wohl  nicht  aus  den  eigentlichen  Schwieber- 
dinger  Schichten,  sondern  aus  den  sie  unterlagernden  Bänken  des 
echten  Nodosus-E^ovizontes. 

Ceratites  semipartitus  Montf.  sp. 

Das  mir  vorliegende  Stück  von  Ceratites  semipartitus  ist  bereits 
von  Eck  (Z.  d.  d.  g.  G.  XXXL  1879.  S.  276—279.  t.  4  f.  5)  beschrie- 
ben und  abgebildet  worden.  Es  ist  ein  als  Steinkern  erhaltenes  Loben- 
stück mit  5  Kammerscheidewänden ;  besonders  auffällig  ist,  dass  sich 
auf  sämtlichen  5  Kammern  Spuren  des  Haftringes  in  Gestalt  grubiger 
Vertiefungen  erhalten  haben. 

Geologische  Stellung  der  Schwieberdinger  Schichten. 

Die  petrefaktenreichen  Schichten  des  Hühnerfelds  bei  Schwieber- 
dingen  wurden  von  ihrem  Entdecker,  Oskar  Fraas,  in  das  Nodosus- 
Niveau  gestellt.  Später  hat  Eberhard  Fraas  bei  der  Revision  des 
Blattes  Stuttgart  der  württembergischen  geologischen  Karte  die 
Schwieberdinger  Fauna  in  den  Triyonodus-DoAoTmt^  und  zwar  in 
dessen  untere  Abteilung  versetzt  und  Th.  Engel  ist  ihm  darin  in 
der  zweiten  Auflage  seines  bekannten  Führers  gefolgt.  Ich  schliesse 
mich  in  diesem  Punkte  vollständig  den  Anschauungen  der  beiden 
letztgenannten  Forscher  an.  Wie  ich  bereits  eingangs  erwähnt  habe, 
rechne  ich  die  30  cm  mächtige  Dolomitbank,  die  unmittelbar  unter 
den  weicheren  Schwieberdinger  Schichten  liegt,  noch  zum  Trigonodus- 
Dolomit  und  ziehe  erst  unter  ihr  die  Grenze  gegen  das  Semipartitus- 
Niveau.  Von  den  Schichten  mit  Trigonodus  Sandbergeri  v.  Alb.,  die 
die  höchsten  Horizonte  des  Trigonodus-Dolomits  einnehmen  und  die 
in  dem  Steinbruch  am  Hühnerfeld  selbst  nicht  mehr  aufgeschlossen 
sind,  werden  die  Schwieberdinger  Schichten  durch  ziemlich  mächtige, 
teilweise  sehr  massige  Dolomite  getrennt.  Die  berühmte  Fauna  von 
Schwieberdingen  liegt  also  zwischen  dem  Horizont  des  Trigonodus 
Sandbergeri  im  engeren  Sinne ,  der  den  Trigonodus-Dolomit  nach 
oben  abschliesst,  und  dem  Semipartitus~^i\ ea,u;  sie  nimmt  also  das- 
selbe Niveau  ein,  wie  das  reiche,  sogen.  Muschelkalk-Bonebed  von 
Crailsheim.  Wenn  man  sich  vergegenwärtigt,  dass  die  Schwieber- 
dinger  fossilreichen    Schichten    durchaus    den    Habitus    von   Strand- 


—     202     — 

bildungen  besitzen,  wie  ich  bereits  hervorhob,  so  wird  man  wohl 
der  Wahrheit  am  nächsten  kommen ,  wenn  man  in  ihnen  Bildungen 
sieht,  die  in  ihrem  g  eologischen  AI  ter  und  in  ihrer  Ent- 
stehungsweise dem  Crailsheimer  Muschelkalkbonebed 
ungefähr  äquivalent  sind. 

Der  Annahme,  dass  die  Schwieberdinger  Schichten  über  dem 
Semipartitus-'^iyea.u.,  im  unteren  Trigonodtis-Dolomit  liegen,  wieder- 
spricht ihre  Fauna  nicht.  Naturgemäss  kommt  ein  Hauptbestand- 
teil derselben  (25  Arten  von  53)  bereits  im  oberen  Muschelkalk  vor. 
Auffällig  ist  immerhin  das  vollständige  Fehlen  von  Terebratula 
vulgaris  und  die  grosse  Seltenheit  mancher  Arten ,  die  im  oberen 
Muschelkalk  sehr  gewöhnlich  sind,  wie  Peden  discites ,  laevigatus, 
Placunopsis  ostracina  u.  a.  Sehr  bemerkenswert  ist  das  Vorkommen 
von  Ceratites  nodosus  und  semiparütus ,  die  sich  allerdings  nur  in 
Bruchstücken  und  als  grosse  Seltenheiten  gefunden  haben;  dies 
scheint  zu  bekräftigen,  dass  der  Stamm  des  Ceratites  nodosus  im 
deutschen  Triasbecken  nicht  völlig  nach  Ablagerung  der  Semipartitus- 
Schichten  ausstarb,  wie  ja  auch  der  Fund  von  Ceratites  Schmidii 
im  thüringischen  Grenzdolomit  andeutet.  Dass  ein  sehr  grosser  Teil 
der  Schwieberdinger  Fauna  (26  Arten  von  53)  bereits  im  unteren 
Muschelkalk,  besonders  im  Schaumkalk,  vorkommt,  ist  bei  den  in- 
nigen, faunistischen  Beziehungen  zwischen  unterem  und  oberem 
Muschelkalk  nicht  verwunderlich.  Dass  Schwieberdingen  scheinbar 
mehr  Arten  mit  dem  unteren  als  mit  dem  oberen  Muschelkalk  ge- 
meinsam hat,  liegt  an  der  vorzüglichen  Erhaltung  speciell  mancher 
Schaumkalkfaunen,  die  die  Aufstellung  zahlreicher  Arten  ermöglichte, 
deren  Auffindung  bei  der  mangelhaften  Erhaltung  der  Fossilien  im 
oberen  Muschelkalk  dort  bisher  nicht  möglich  war. 

Die  Fauna  des  Trigonodus-Dolomites  im  engeren  Sinne  steht, 
soweit  sie  bekannt  ist,  der  Schwieberdinger  ziemlich  nahe,  zeichnet 
sich  aber  durch  das  Auftreten  von  Trigonodtis  Sandbergeri  v.  Alb., 
der  im  Hühnerfeld  noch  fehlt,  und  durch  die  grosse  Häufigkeit  von 
Myopiwria  Goldfussii  v.  Alb.  sp.  aus. 

Neben  zahlreichen  weitverbreiteten  und  wohlbekannten  Arten 
der  Schwieberdinger  Schichten  kommen  solche  vor,  die  bisher  aus 
deutschem  Muschelkalk  nicht  beschrieben  worden  sind  und  die  fast 
alle  selten  oder  sehr  selten  gefunden  wurden.  Diese  neuen  Arten 
kann  man  zweckmässig  in  zwei  Gruppen  teilen:  Erstens  in  solche, 
die  wohlbekannten  Species  der  deutschen  Trias  nahe  verwandt  sind, 
und  die  sich  auch  wohl  in  anderen  Schichten  finden  mögen ,   wenn 


-     203     — 

man  in  ihnen  mit  demselben  Eifer  sucht  wie  bei  Schwieberdingen. 
Zu  ihnen  gehören  Gervillia  Fraasi  n.  sp. ,  alata  n.  sp. ,  Modiola 
myoconchaeformis  n.  sp.,  Pleuromya  Ecld  n.  sp. ,  Pletfromya  sp., 
Homomya  Kokeni  n.  sp.  Die  Formengruppen ,  denen  diese  Arten 
angehören,  sind  sämtlich  in  der  deutschen  Trias,  z.  T.  durch  sehr 
gewöhnliche  Fossilien  vertreten.  Eine  zweite  Gruppe  bilden  die  neuen 
Arten,  die  sich  mehr  oder  minder  an  alpine  Formen  anschliessen, 
die  teils  in  Sedimenten  der  deutschen  Trias  überhaupt  noch  nicht 
nachgewiesen  wurden  oder  doch  stets  als  Einwanderer  aus  dem  Welt- 
meere betrachtet  wurden.  Zu  ihnen  gehören  Myoconcha  laevis  n.  sp., 
Trigonodus praeco  n.  sp.,  Tancredia  Benechei  n.  sp.,  Leda  BecM  n.  sp.,, 
Tretospira  sulcata  v.  Alb.  sp.,  striata  Qu.  sp.,  Katosira  solitaria  n.  sp., 
Eustylus  Alhertii  n.  sp. ,  Platychilina  germanica  n.  sp. ,  Nautilus 
( Temnocheilus)  suevims  n.  sp.  Diese  Arten  sind  einzig  und  allein 
von  Bedeutung  für  die  Frage,  ob  der  Schwieberdinger  Horizont  mit 
einem  Formationsgliede  der  alpinen  Trias  in  nähere  Beziehung  zu 
setzen  ist.  Die  mit  anderen  Formationsgliedern  der  deutschen  Trias 
gemeinsamen  Arten  der  Schwieberdinger  Schichten  sind ,  wenn  sie 
auch  in  den  Alpen  vorkommen ,  für  die  Entscheidung  dieser  Frage 
völlig  unbrauchbar;  da  der  untere  Muschelkalk  in  der  deutschen  und 
alpinen  Trias  zahlreiche  Arten  gemeinsam  besitzt  und  wie  erwähnt, 
nicht  wenig  Arten  des  unteren  Muschelkalks  noch  in  Schwieberdingen 
vorkommen,  würde  die  Hereinziehung  dieser  Formen  zu  dem  Trug- 
schlüsse führen,  dass  unter  den  alpinen  Sedimenten  der  Muschelkalk 
im  Sinne  der  älteren  Autoren  (Recoaro-Stufe  bei  Bittner)  dem  Tri- 
gonodi(S-Do\omit  zeitlich  sehr  nahe  steht. 

3Iyoconcha  laevis  n.  sp.,  von  der  mir  nur  eine  linke  Klappe  zur 
Untersuchung  vorlag,  erinnert  an  Myoconcha  Brunneri  v.  Hau.  sp. 
aus  dem  Salvatore-Dolomit,  Esino-  und  Marmolatakalk,  besitzt  aber 
deren  Radialskulptur  nicht. 

Die  Gattung  Trigonodus  ist  in  den  Alpen  auf  die  Raibler  Schichten 
beschränkt  (vergl.  v.  Wöhrmann,  Über  die  systematische  Stellung  der 
Trigoniden  und  die  Abstammung  der  Najaden,  Jahrb.  d.  k.  k.  geol. 
Reichsanst.  1893.  S.  21).  Stellt  man  den  deutschen  Trigonodus- 
Dolomit  noch  zum  Muschelkalk ,  wie  es  wohl  am  natürlichsten  ist, 
so  fehlt  die  Gattung  Trigonodus  der  Lettenkohle  überhaupt;  denn 
die  Leitform  des  Trigonodus-J)o\om\is^  Trigonodus  Sandbergeri,  steigt 
nicht  in  die  Lettenkohle  hinauf  und  Tr.  Hornschuchi  Berg,  sp.,  den 
V.  Wöhrmann  irrtümlich  (1.  c.  S.  24)  in  die  Lettenkohle  versetzt,  liegt 
in  der  Lehrbergschicht,    also  noch  über  dem  Schilfsandstein. 


—     204     - 

Jedenfalls  wird  man  sich  nicht  auf  das  Auftreten  von  Trirjonoäus 
im  alpinen  und  germanischen  Triasmeere  berufen  dürfen,  wenn  man 
die  Gleichalterigkeit  von  Lettenkohle  und  Raibler  Schichten  zu  be- 
weisen sucht.  Die  Schwieberdinger  Art,  Tr.  praeco  n.  sp. ,  steht 
augenscheinlich  völlig  isoliert  und  verrät  weder  zu  alpinen  noch  zu 
ausseralpinen  Formen  nähere  Beziehungen. 

Isoliert  steht  auch  die  interessante  Tancredia  BenecJcei  n.  sp. 
Ob  sie  zu  demselben  Genus  gehört  wie  Teilina  ? praenuntia  Stopp,  sp. 
aus  dem  Marmolata-  und  Esinokalk,  konnte  noch  nicht  mit  Sicherheit 
festgestellt  werden,  sicher  ist  aber  jedenfalls,  dass  sie  von  der  alpinen 
Art  specifisch  verschieden  ist. 

Leda  Becki  n.  sp.  steht  der  Cassianer  L.  sulceUata  Mstr.  sp. 
ziemlich  nahe. 

Die  Gastropodengattung  Tretospira^  die  in  der  deutschen  Trias 
bisher  auf  die  Schwieberdinger  Schichten  und  den  gleichalterigen 
„Cannstatter  Kreidemergel"  beschränkt  zu  sein  scheint,  ist  in  den 
Alpen  in  den  Marmolata-,  Cassianer  und  Raibler  Schichten  vertreten; 
den  beiden  deutschen  Arten  steht  Tretospira  midtistriata  aus  den 
Raibler  Schichten  vom  Schlernplateau  am  nächsten,  ohne  dass  sie 
mit  einer  derselben  direkt  identifiziert  werden  kann. 

Noch  weiter  verbreitet  ist  in  den  Alpen  die  Gattung  Katosira, 
die  in  der  deutschen  Trias  bisher  nur  durch  ein  Unikum  aus  Schwieber- 
dingen  repräsentiert  zu  sein  scheint.  Diese  Katosira  solitaria  n.  sp. 
steht  der  Raibler  K.  fragilis  Koken  ziemlich  nahe,  mindestens  ebenso 
nahe  aber  liasischen  Katosiren,  so  dass  aus  dem  Vorkommen  dieser 
Art  wohl  keine  bestimmten  Schlüsse  zu  ziehen  sind.  Die  Gattung 
Eustylus  ist  aus  dem  Marmolatakalk ,  den  Cassianer  Schichten  und 
den  Hallstätter  Kalken  bekannt;  der  Schwieberdinger  EusUjlus  er- 
innert an  manche  Arten  aus  der  Gruppe  des  Eustylus  milüaris  aus 
den  beiden  erstgenannten  Ablagerungen,  ist  aber  mit  keiner  derselben 
zu  identifizieren.  Ebenso  unterscheidet  sich  Platychüina  germanica 
n.  sp.  von  den  in  der  ladinischen  Stufe  und  in  den  Raibler  Schichten 
weit  verbreiteten  Arten,  wie  bereits  in  der  Speciesbeschreibung  her- 
vorgehoben wurde.  Nautilus  (Temnocheilus)  suevicus  n.  sp.  endlich 
nähert  sich  dem  Temnocheilus  Cassianus  E.  v.  M. ,  es  ist  aber  zu 
bemerken,  dass  dieser  Typus  in  den  Hallstätter  Kalken  wiederkehrt. 

Dass  die  Schwieberdinger  Fauna  gewisse  Beziehungen  zu  der 
der  ladinischen  Stufe  und  den  faunistisch  dieser  nahestehenden  Raibler 
Schichten  besitzt,  scheint  durch  das  Auftreten  der  eben  besprochenen 
Arten  festzustehen;    anderseits  erscheint  es  aber  als    ebenso    sicher, 


—     205     - 

class  die  Schwieberdinger  Schichten  auf  Grund  dieser  Arten 
nicht  mit  einem  bestimmten  enger  abgegrenzten  Horizont 
der  alpinen  Trias  in  Verbindung  gebracht  werden  können. 
Zur  Zeit  des  unteren  Trigonodus-BolomitH  scheint  eine  Einwanderung 
von  gewissen  Formen  in  die  deutsche  Triassee  stattgefunden  zu  haben, 
wie  eine  solche  für  den  oberen  TrigonocUis-Bolomit  und  für  den  Nodosus- 
Kalk  ausser  Frage  steht.  Da  aber  die  neueinwandernden  Arten  nicht 
mit  alpinen  specifisch  übereinstimmen ,  so  ist  eine  direkte  Einwan- 
derung aus  dem  alpinen  Meere  kaum  annehmbar.  Ich  bin  viel- 
mehr der  Ansicht,  dass  diese  Formen,  wie  Ceratites  nodosus  und 
Trigonodus  Sandbergeri,  aus  einem  dritten  Meere  stammten,  das  mit 
dem  alpinen  wie  mit  dem  germanischen  Meere  in  Verbindung  stand; 
vielleicht  war  dies  dasselbe  Meer,  in  das  sich  die  Fauna  des  unteren 
Muschelkalks  in  der  Periode  des  mittleren  Muschelkalks  zurückzog, 
um  zur  Zeit  des  Trochitenkalks  wieder  in  die  germanische  See  ein- 
zudringen. Ich  möchte  es  nicht  für  ausgeschlossen  halten,  dass  uns 
in  dieser  Richtung  noch  Überraschungen  bevorstehen,  wie  das  äusserst 
merkwürdige  Auftreten  einer  Fauna  mit  Tr.  Sandhergeri  in  mecklen- 
burgischen Geschieben  eine  ist. 

Der  Cannstatter  Kreidemergel. 

Mitte  der  fünfziger  Jahre  wurde  in  Cannstatt  ein  Bohrloch 
niedergestossen,  dessen  Bohrregister  uns  dank  der  Beschreibung  von 
0.  Fraas  (diese  Jahresh.  1857.  S.  131  ff.)  erhalten  ist  und  das  durch 
v.  Alberti  zu  einer  gewissen  Berühmtheit  gelangt  ist.  Aus  einer 
Tiefe  von  ungefähr  55  m  wurde  nämlich  ein  weiches,  kreideartiges 
Gestein  emporgebracht,  das  von  v.  Alberti  als  „Cannstatter  Kreide- 
mergel" bezeichnet  wurde  und  dessen  gut  erhaltene  Faunula  nach 
ihm  in  engster  Beziehung  zu  der  Cassianer  Fauna  stehen  sollte. 
Nach  V.  Alberti's  Angaben  wäre  der  „Cannstatter  Kreidemergel"  für 
den  Vergleich  alpiner  und  ausseralpiner  Triasbildungen  daher  von 
einschneidender  Bedeutung. 

Die  Schichtenfolge  im  Bohrloch  IV  bei  Cannstatt  ist  nach  v.  Al- 
berti (Überblick  S.  21)  folgende : 

1.  Diluvium  22,570  m. 

2.  Keupermergel,  teils  in  buntem,  teils  in  grauem  Farbenwechsel, 
mehr  oder  minder  sandig  oder  gypshaltig  35,428  m. 

3.  Kreidemergel  in  Verbindung  mit  vielen  organischen,  ver- 
kieselten  Resten,  welche  z.  T.  ein  wahres  Kieselgerippe  bilden  (Cann- 
statter Kreidemergel)  2,852  m. 


—     206     — 

4.  Doloraitischer  Kalk  (Horizont  Beaumont's)  2,570. 

5.  Graue  Sandsteine  und  Thonmergel  der  Lettenkohlengruppe 
undurclisunken  6,060  m. 

No.  4  ist  der  obere  Dolomit  i  bei  v.  Alberti,  Grenzdolomit  an- 
derer Autoren,  der  hier  unrichtigerweise  mit  dem  Horizont  Beaumont's 
parallelisiert  wird;  No.  3,  der  „Cannstatter  Kreidemergel",  k  bei 
V.  Alberti,  bildet  also,  wie  der  Autor  auch  noch  weiter  ausführt,  die 
Basis  des  Gypskeupers.  Nach  v.  Alberti  ist  der  „Cannstatter  Kreide- 
mergel" bisher  an  keiner  Lokalität  Schwabens  im  Anstehenden  wie- 
dergefunden worden ,  was  in  den  schlechten  Aufschlüssen  und  Ver- 
rutschungen seinen  Grund  haben  soll,  unter  denen  der  Gypskeuper 
mehr  wie  ein  anderes  Formationsglied  zu  leiden  habe. 

Nach  V.  Alberti  scheint  somit  die  geologische  Stellung  des 
„Cannstatter  Kreidemergels"  völlig  sicher  und  über  jeden  Zweifel 
erhaben,  gehen  wir  aber  auf  0.  Fraas'  Originalprofil  des  Bohrlochs  IV 
zurück,  so  gewinnt  die  Sache  ein  ganz  anderes  Gesicht.  Unter  einer 
Decke  von  52'  mächtigen  Diluvialablagerungen  liegen  79'  bunte  und 
graue,  gypsführende  Letten;  darunter  wurde  ein  vollständiges  Letten- 
kohlenprofil durchsunken,  das  ich  unverkürzt  wiedergebe  (1.  c.  S.  137): 
16'  Thonmergel   im  Wechsel    mit   graublauem   kieseligen  Kalk, 

4'  kieselreicher  Sandstein  mit  Mergeln, 

3'  dunkler  mergeliger  Sandstein, 

4'  Thonmergel, 
17'  helle  und  dunkle  Mergel, 

5'  fester  Sandstein  mit  Schwefelkies, 

5'  Thonmergel, 

2'  dunkler  Thon  (hier  die  Hauptquelle). 

Dass  dies  thatsächlich  ein  Lettenkohlen-  und  kein  Keuperprofil 
ist,  beweist  am  besten  die  Sauerwasserführung,  die  im  ganzen  Cann- 
statter Becken  an  die  Letten  der  Lettenkohle  geknüpft  ist.  0.  Fraas 
sagt  darüber  mit  nicht  misszuverstehender  Deutlichkeit:  „Die  un- 
teren Letten  der  Lettenkohle  sind  also  hier  die  Sauerwasser* 
bring  er."  Erst  der  Dolomit  unter  der  Letten  kohle  enthält 
die  Fauna  des  Cannstatter  Kreidemergels.  Fraas  schreibt  darüber 
(1.  c.  S.  138):  „In  No.  IV  ist  der  Prozess  der  Auslaugung  noch 
schöner.  Hier  ist  die  20'  mächtige  Dolomitbank  noch  deutlich  zu 
erkennen,  aber  jede  Spur  von  Kalk-  und  Bittererde  ist  verschwunden, 
es  ist  nur  noch  das  Kieselskelett  der  Schichte  vorhanden,  daraus 
sämtliche  Muscheln  des  Dolomits  verkieselt  zum  Teil  in  ausgezeich- 
neter Pracht  zum  Vorschein   kamen."     Die  Sandsteine    und  Mergel, 


—     207     — 

die  nach  v.  Alberti  unter  dem  „Cannstatter  Kreidemergel"  liegen  und 
die  Lettenkohle  darstellen  sollen,  sind  nach  Fkaas  nichts  anderes  als 
ausgelaugter  oberer  Muschelkalk.  „Wo  weiter  unten  Muschelkalk 
lagern  sollte,  sind  wieder  die  Wechsel  von  Thonmergeln  und  harten 
Kalktrümmern,  Kieselknauern ,  Sandkalken;  mitunter  ward  auch  die 
eine  oder  andere  charakteristische  Muschel  (Fiisus  Hehli,  GervüUa 
socialis)  heraufgefördert. " 

Erscheint  es  demnach  aus  rein  geologischen  Gründen  bereits 
als  sehr  wahrscheinlich,  dass  der  „Cannstatter  Kreidemergel"  im 
Niveau  des  Trigono.dus-Bolomites  liegt,  so  wird  diese  Annahme  durch 
die  Untersuchung  seiner  Fauna  vollauf  bestätigt.  Durch  die  Liebens- 
würdigkeit von  Herrn  Prof.  Eb.  Fraas  bin  ich  in  den  Stand  gesetzt, 
das  wertvolle  Material  einer  erneuten  Untersuchung  unterziehen  zu 
können.  Es  hat  sich  dabei  herausgestellt,  dass  die  Faunula  des 
„Cannstatter  Kreidemergels"  zu  der  Schwieberdinger  ausserordentlich 
nahe  Beziehungen  aufweist,  während  sie  gleich  dieser  mit  der  Cas- 
sianer  Fauna  nicht  zu  parallelisieren  ist. 

Ich  muss  hier  der  Ansicht  von  Fraas  und  von  v.  Alberti  ent- 
gegentreten, dass  die  Faunula  des  Cannstatter  Kreidemergels  durch- 
wegs verkieselt  ist.  Von  den  FossiHen,  die  das  Bohrloch  IV  geliefert 
hat,  sind  nur  einige  wenige  verkieselt,  die  übrigen  sind  wie  in 
Schwieberdingen  in  spätigen  Dolomit  verwandelt.  Auch  ist,  ebenso 
wie  dort,  bei  den  doppelschaligen  Stücken  nicht  selten  das  Ligament 
erhalten.  Abgesehen  von  der  weiss-grauen  Färbung,  die  die  Cann- 
statter Petrefakten  auszeichnet,  stimmt  also  ihr  Erhaltungszustand 
aufs  beste  mit  dem  der  Schwieberdinger  Fauna  überein. 

Dass  die  Cannstatter  Faunula  auch  sonst  die  engsten  Be- 
ziehungen zur  Schwieberdinger  zeigt,  ergiebt  die  nachstehende  Revision. 

Zuerst  führt  v.  Alberti  14  Arten  auf,  die  mit  Cassianer  Fossilien 
ident  sein  sollen. 

Serpula  pygmaea. 

Das  so  bezeichnete  Stück  fand  sich  nicht  mehr  unter  den  Fossilien 
des  „Cannstatter  Kreidemergels",  jedenfalls  war  es  ein  sehr  zweifel- 
haftes Objekt. 

Pecten  di  seit  es. 

Ein  Bruchstück.  Diese  Art  kommt  aber  nicht  bei  St.  Cassian  vor. 

Gervillia  socialis. 
Ebenfalls  nicht  in  St.  Cassian  vertreten. 


—     208     — 

Area  formosissima. 
Das  einzige,  aber  sehr  gut  erhaltene  Exemplar,  das  v.  Alberti 
auf  der  Etikette  als  Area  formosa  Klipst.  bezeichnet  hat,  ist  ein 
typisches  Macrodon  Beyrichi  v.  Strome,  sp.  und  hat  mit  Cucullaea 
(Macroäon)  formosissima  d'Orb.  sp.  gar  nichts  zu  thun.  Von  der 
feinen  Radialstreifung,  die  der  Cassianer  Art  eigen  ist,  ist  nichts  zu 
bemerken,  die  Hinterecke  ist  spitz,  die  Hinterseite  konkav  eingebogen, 
wie  das  für  die  Jugendformen  von  Macrodon  Beyrichi  charakte- 
ristisch ist. 

Area  impressa. 

Sicher  ist  die  so  bezeichnete  Art  das  Fossil,  das  in  v.  Alberti's 
Sammlung  als  ,,Arca  socialis?  Giebel"  etikettiert  ist.  Das  Stück, 
das  etwras  schlechter  als  das  eben  besprochene  erhalten  ist,  ist  eine 
ältere  Form  von  Macrodon  Beyrichi. 

Nucula  sulcellata. 

Unter  dieser  Bezeichnung  fanden  sich  vier  schlecht  erhaltene 
kleine  Bivalven,  von  denen  zwei  überhaupt  unbestimmbar  sind,  die 
anderen  zwei  zu  Pseudocorhida  Sandhergeri  gehören. 

Modiola  similis. 
Münster's  Modiola  similis  ist,  wie  Bittner  (St.  Cassian  1.  c. 
S.  42)  gezeigt  hat,  überhaupt  zu  streichen,  da  die  Art  auf  ein  ganz 
ungenügend  erhaltenes  Stück  basiert  ist.  Die  Cannstatter  Form,  die 
unter  der  Bezeichnung  Modiola  similis  Münster  in  v.  Alberti's  Samm- 
lung liegt,  ist  eine  neue  Art,  die  ich 

Modiola.  Alhertiana  n.  sp.   —  Taf.  IX  Fig.  8 

benenne.  Das  einzige  Exemplar,  das  aber  vorzüglich  erhalten  ist,  besitzt 
4  mm  Breite,  9  mm  Höhe,  S^/g  mm  Dicke. 
Der  Wirbel  ist  spitzig.  Von  dem  schmalen,  hochgewölbten 
mittleren  Teil  setzen  sich  ein  vorderer  und  ein  hinterer  Flügel  scharf 
ab.  Der  Ligamentrand  ist  lang  und  verläuft  geradlinig  bis  zu  der 
scharf  hervortretenden  Ecke,  die  ihn  vom  Hinterrande  trennt.  An 
dieser  Ecke  erreicht  die  Form  ihre  grösste  Breite.  Die  Skulptur 
besteht  aus  sehr  feinen  Anwachsstreifen.  Unter  den  3Iodiola-kvien 
der  alpinen  und  deutschen  Trias  scheint  der  unserigen  keine  besonders 
nahe  zu  stehen;  in  manchen  Punkten  ähnelt  ihr  etwas  Modiola  gra- 
cilis  Klipst.  aus  St.  Cassian. 


—     209     — 

Modiola  dimidiata. 

Modiola  dimidiata  Münst.  ist  nach  Bittner  „eine  zweifelhafte 
und  keineswegs  genügend  sicher  gestellte  Art"  (1.  c.  S.  47).  Jeden- 
falls hat  die  v.  Alberti  so  genannte  Form  des  „Cannstatter  Kreide- 
mergels" keinerlei  nähere  Beziehungen  zu  2IodioIa  dimidiata,  die  nach 
V.  Münster  „an  die  jungen  Individuen  der  Modiola  Rillana  aus  dem 
Lias  erinnert".  Das  einzige  Exemplar  dieser  neuen  Art  gehört  vielmehr 
einem  ganz  eigentümlichen  Typus  an,  der  in  Schwieberdingen  durch 
Modiola  myoconchaeformis  n.  sp.  vertreten  ist.  Ich  schlage  für  sie 
die  Bezeichnung 

Modiola  cannstattiensis  n.  sp.  —  Taf.  VI  Fig.  9 
vor.     Das  merkwürdige  Unikum  ist  eine  kleine  Form  von 

7  mm  Breite,  13  mm  Höhe,  4  mm  Dicke, 
die  durch  ihren  stark  verbreiteten  Vorder-  und  Hinterflügel  einen 
durchaus  Myoconchen-ähnlichen  Habitus  erhält.  Dass  sie  nicht  zu 
Myoconclia  gehört,  beweist  am  deutlichsten  das  Fehlen  einer  Liga- 
mentarea.  Modiola  cannstattiensis  steht  in  der  äusseren  Form  Modiola 
myoconchaeformis  sehr  nahe,  unterscheidet  sich  aber  durch  das  Vor- 
handensein einer  scharfen  Furche,  die  den  schmalen  mittleren  Teil 
von  dem  breiten  vorderen  Flügel  trennt ;  auch  der  Hinterflügel  setzt 
sich  vom  Mittelteil  deutlicher  ab,  als  bei  der  Schvvieberdinger  Art. 
Im  übrigen  besteht  die  Skulptur  nur  aus  Anwachsstreifen,  die  etwas 
gröber  sind,  als  bei  der  vorigen  Art. 

Mytilus  Münsteri  Klipst. 

Unter  dieser  Bezeichnung  liegen  in  der  v.  ALBERTi'schen  Samm- 
lung drei  Bruchstücke,  von  denen  aber  nur  eines  einem  nicht 
näher  bestimmbaren  Mytiliden  anzugehören  scheint.  Sie  werden  in 
V.  Alberti's  Verzeichnis  nicht  erwähnt. 

Myophoria   Whateleyae. 

Die  von  v.  Alberti  so  bezeichneten  Stücke  sind  sicher  ident 
mit  Myophoria  Goldfussii  v.  Alb.  sp. 

Aiioplophora  musculoides? 

Ich  konnte  dieses  Stück  nicht  finden ;  übrigens  kommt  die  Art 
bei  St.  Cassian  nicht  vor. 

Natica  pulla  {Althaussii  v.  Klipst.). 
Ident  mit  Protonerita  spirata  v.  Schloth.  sp. 

Jchreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde   in  Württ.  1898.  14 


—     210     — 

Natica  gregar ia. 
Kommt  bei  St.  Cassian  nicht  vor. 

Natica  Cassiana. 

Zwei  kleine,  grobverkieselte  Schneckchen,  die  vielleicht  zu  den 
Jugendformen  der  vorigen  =  pullula  Quenst.  gestellt  werden  müssen. 

Ausserdem  citiert  v.  Alberti  noch  acht  Arten,  die  solchen  von 
St.  Cassian  äusserst  nahe  stehen  sollen.  Davon  sind  die  kleinen 
Schwämme,  die  an  Achilleum  polymorphum  v.  Klipst.  und  Ach.  pora- 
ceum  V.  Klipst.  erinnern  sollen,  höchst  fragwürdige  Objekte,  deren 
organischer  Ursprung  kaum  nachzuweisen  ist.  Die  Schalen,  die  v.  Al- 
berti mit  Cassianella  temiistria  Münst.  zusammenbringt,  gehören  zu 
Gervillia  suhcostata.  Die  mit  Isocardia  minuta  v.  Klipst.  und  Isoc. 
rostrata  Münst.  verglichenen  Formen  sind  Bruchstücke  von  Uni- 
cardium  SchmidU  Gein.  sp.  Die  Pleurotomaria,  die  mit  Fleurotomaria 
Beaumontii  v.  Klipst.  verglichen  wird,  ist  eine  Worthenia  Leysseri 
GiEB.  sp.,  Melania  Koninckana  Münst.  =  Eustylus  Alherüi  n.  sp., 
wie  bereits  erwähnt,  und  endlich  Melania  larva  v.  Klipst.  ist  eine 
nicht  näher  bestimmbare  Loxonematide. 

So  viel  über  die  14  Arten,  die  nach  v.  Alberti  bestimmt, 
und  über  die  acht  Arten,  die  wahrscheinlich  die  Mergel  von 
Cannstatt  mit  St.  Cassian  gemein  haben  sollen.  Wie  ersichtlich,  hat 
sich  auch  nicht  eine  dieser  Cannstatter  Arten  bisher  in  St.  Cassian 
nachweisen  lassen.  Über  die  übrigen  Arten  des  „Cannstatter  Kreide- 
mergels", die  V.  Alberti  citiert,  möchte  ich  mir  noch  folgende  Be- 
merkungen erlauben: 

3IyoconcJia  cannstattiensis  v.  Alb. 

(Überbhck  S.  133.  t.  3  f.  1)  ist  sicher  keine  Myoconclia.  Dass  die  so 
bezeichnete  isolierte  Klappe  zahnlos  ist,  hat  der  Autor  selbst  schon 
hervorgehoben.  Was  auf  seiner  Figur  den  Eindruck  einer  vorderen 
Muskelleiste  macht,  ist  eine  zufällig  bei  der  Verkieselung  des  Gehäuses 
entstandene  Wulst.  Höchstwahrscheinlich  ist  dieses  Fossil  eine  Ano- 
XÜophora  lettica  Qu.  sp.,  eine  3Tyoconcha  ist  es  ganz  sicher  nicht. 

Ein  als  Nuada  midata  v.  Klipst.?  etikettiertes  Fossil  ist  ein 
Unicardium  SchmidU  Gein.  sp. 

Fe  den  Alberti  i  und  Myoconclia  gastrochaena,  die 
citiert  worden ,  fanden  sich  in  v.  Alberti's  Sammlung  nicht  mehr 
vor;  da  ihr  Auftreten  durchaus  nicht  unwahrscheinlich  ist,  führeich 
sie  bei  der  Aufzählung  der  Cannstatter  Fossilien  mit  den  anderen  auf. 


211 


Ein  als  „Cyprina  Es  eher  i  Giebel?"  etikettiertes  Fossil,  das  in 
der  Aufzählung  nicht  berücksichtigt  wurde,  ist  wahrscheinlich  ein  Uni- 
cardium,  scheint  aber  von  Unicardium  Sclimidii  Gein.  sp.  verschieden. 

Kurz  zusammengefasst  hat  also  die  erneute  Untersuchung  des 
„Cannstatter  Kreidemergels"  und  seiner  Fauna  folgendes  ergeben: 
1.  Die  von  v.  Alberti  beschriebene  Fauna  stammt  aus  stark  zersetzten 
Kalken  oder  Dolomiten,  die  unter  der  Lettenkohle  liegen.  2.  Der 
Erhaltungszustand  der  Cannstatter  Fauna  ist  durchaus  derselbe 
wie  der  der  Schwieberdinger  Petrefakten.  3.  Von  den  21  mit 
Sicherheit  bestimmbaren  Arten  des  „Cannstatter  Kreidemergels"  sind 
17  aus  Schwieberdingen  bekannt ;  darunter  sind  zwei  Arten,  die  sich 
an  anderen  Punkten  überhaupt  noch  nicht  gefunden  haben.  Mit  der 
Cassianer  Fauna,  mit  der  v.  Alberti  sie  in  erster  Linie  verglich, 
hat  die  Cannstatter  keine  Art  gemeinsam. 

Übersicht  der  Fauna  des  ,, Cannstatter  Kreidemergels". 


Vorkommen 

Philippi 

V.  Albep.ti,  Überblick  S. 

286,  87 

in 

Schwieber- 
dingen 

?  ? 

cf.  Achilleum  polymorphtim 

__ 

V.  Klipst. 

?  ? 

cf.  Achilleum  poraceum  v. 

Klipst. 

— 

?? 

Serpula  pygmaea 

— 

1. 

Placunopsis  ostracina 

V.   SCHLOTH.   sp. 

Ostrea  subanomia 

+ 

2. 

Pecten  discites  v.  Schloth.  sp. 

Pecten  discites 

+ 

3. 

„       ?  Alhertii  Gf. 

„       Albertü 

4. 

Hoernesia  socialis  v.  Schlote. 

Gervillia  socialis 

+ 

5. 

sp. 

Gervillia  subcostata  Gf.  sp. 

cf.  Cassianella  tenuistria 

+ 

6. 

Modiola  Alhertiana  n.  sp. 

Modiola  similis 

7. 

„         cannstattiensis  n.  sp. 
? 

,,         dimidiata 
Mytilus  Münsteri 

— 

8. 

3Iyoconcha  gastrochaenaGiEB. 

Myoconcha  gastrochaena 

+ 

9. 

Myophoria  vulgaris  v.Schloth. 

sp. 

Myophoria  laevigaia  v.  Alb.  sp. 

Myoplioria  vulgaris 

+ 

10. 

„           laevigata 

+ 

11. 

„         GoldfussÜY.  Alb.  s^. 

„            Whateleyae 

+ 

12. 

Pseudocorbula  Sandbergeri 

Nucula  sulcellata 

+ 

13. 

n.  g.  n.  sp. 

Unicardium  Schmidii 

Gein.  sp.                                 1 

„        nndata  v.  Klipst.? 
cf.  Isocardia  minuta  v.  Klipst.? 
cf.         „          rostrata  Mstr. 

1 
1 

+ 

14. 

Unicardium  sp. 

Cyprina  Escheri  Gieb. 

1 

— 

14* 


212     — 


Philippi 

V.  Alberti,  Überblick  S.  286,  87. 

Vorkommen 

in 

Schwieber- 

dingen 

15. 

Anoplophora  lettica 

Qu.  sp. 

Myoconcha  cannstattiensis 
Anoplophora  musculoides 

+ 

16. 
17. 

Macrodon  Beyrichi 
V.  Strome,  sp. 
Worthenia  Leysseri 

GlEB. 

{ 

sp. 

Area  formosissima 

„      impressa 
cf.    Pleurotomaria  Beaumontii 
V.  Klipst. 

+ 

18. 
19. 

Tretospira  sulcata  v 
Eustylus  Albertii  n. 

Alb. 
sp. 

sp. 

Pleurotomaria  sulcata  v.  Alb. 
Melania  Koninckana  Mstr. 

+ 
+ 

? 

„        larva  v.  Klipst. 

— 

20. 

Protonerita  spirata 

V.    SCHLOTH.    sp. 

Natica  pulla  (Althausii)  v.  Klipst. 

+ 

21. 

Amauropsis  gregaria 

V.   ScHLOTH.   sp. 

/ 

{ 

„      gregaria  v.  Schloth.  sp. 
„       cassiana 

+ 

Die  Stellung  des  Trigonodus-Dolomits  in   der    deutschen  Trias. 

Über  die  Stellung,  die  man  dem  Trigonodiis-Bolomit  zuzuweisen 
hat,  ist  man  immer  noch  nicht  einig.  Die  preussische  und  nach 
ihrem  Vorbild  die  elsass-lothringische  Landesanstalt  stellen  ihn  zur 
Lettenkohle,  und  damit  nach  ihrer  Einteilung  zum  Keuper,  während 
er  auf  der  geologischen  Karte  von  Württemberg,  im  Einverständnis 
mit  vielen  unserer  besten  Triaskenner,  zum  Muschelkalk  gerechnet  wird. 

In  Württemberg  war  es  besonders  Oscar  Fraas,  der  im  Gegen- 
satz zu  QüENSTEDT  die  Forderung  stellte,  den  „Malbstein"  der  Letten- 
kohle zuzurechnen.  Er  hat  seinen  Standpunkt  auf  S.  13  der  Be- 
gleitworte zum  Atlasblatt  Stuttgart  festgelegt,  wo  er  ausführt:  „Die 
Gründe,  welche  dem  Verfasser  die  Ansicht  aufdrängen,  den  Malbstein 
zur  Lettenkohlengruppe  zu  zählen  und  den  Hauptmuschelkalk  mit 
den  blauen  Kalken  abzuschliessen ,  sind:  1.  Nach  400'  einförmigen, 
sich  durchweg  gleichbleibenden  Kalkgebirges  stellt  sich  hier  ein  neues, 
ein  Dolomitgebirge  ein.  Petrographischer  Grund.  2.  Mit  diesem 
Wechsel  traten  neue  Arten  gestreifter  Myophorien  und  schlanker  Pleuro- 
phoren  in  grosser  Menge  auf  und  ziehen  sich  sofort  durch  die  ganze 
Lettenkohle  bis  zur  unteren  Keupergrenze  hin.  Es  reichen  zwar  die 
Krebse  und  Tcrebratula  des  Muschelkalks  in  den  Malbstein  hinein, 
aber  kein  Ceratites  mehr.  Zudem  liegt  zwischen  dem  Hauptmuschel- 
kalk und  dem  Malbstein  an  sehr  vielen  Orten  das  erste  Bonebed  mit 
Fisch-    und    Saurierresten,    namentlich    mit    dem    ersten    Ceratodus 


—     213     — 

(Höfen),  der  später  im  Hohenecker  Kalk  zum  leitenden  Fossil  der 
Lettenkohle  wird.  Palaeontologischer  Grund.  3.  Der  Malbstein  bildet 
in  der  horizontalen  Verbreitung  die  Unterlage  der  Lettenkohlenflächen, 
an  den  Thalrändern  die  hohe  Stirne.  Das  geognostische  Bild  des 
Ganzen  träte  viel  plastischer  hervor,  wenn  die  Farbe  der  Ebene  sich 
gegen  die  Farbe  des  Thaies  abhöbe.  Orographischer  Grund.  4.  Der 
Malbstein  ist  nur  am  Neckar  hin  unmittelbar  auf  die  blauen  Kalke 
abgelagert,  an  Kocher  und  Jagst  tritt  ein  kräftiges  Lettengebirge 
zwischen  Hauptmuschelkalk  und  Dolomit.  Reichere  Bonebeds,  dunkle 
Thone,  lichtere  Mergel  stellen  sich  ein,  ehe  die  Dolomitbänke  zur 
Ablagerung  kommen.  Hier  wird  erst  bei  der  Anlage  der  Karte  die 
Schwierigkeit  zu  Tage  treten,  den  Malbstein  mit  der  Grundfarbe  des 
Hauptmuschelkalks  statt  der  Lettenkohle  bezeichnet  zu  haben.  Karto- 
graphischer Grund.  Die  Kommission  war  in  ihrer  VHL  Sitzung  vom 
17.  Dezember  1863  abweichender  Ansicht  und  betonte  namentlich 
die  längst  hergebrachte  Ansicht  von  der  Zusammengehörigkeit  des 
Hauptmuschelkalks  und  des  Dolomits  und  des  sandigen  Anfangs  der 
Lettenkohle,  und  wurde  Verfasser  in  Betreff  seiner  abweichenden 
Ansicht  wegen  der  Darstellung  auf  der  Karte  überstimmt." 

Soweit  Oscar  Fraas.  Dem  gegenüber  möchte  ich  betonen,  dass 
ich  seinen  ersten,  petrographischen,  Grund  nicht  für  stichhaltig  halten 
kann.  Die  Trigonodus-Schichien  besitzen  eine  sehr  veränderliche 
chemische  Zusammensetzung,  so  dass  der  Ausdruck  „Dolomit"  nicht 
in  allen  Fällen  passt ;  speciell  bei  Würzburg,  von  wo  die  Bezeichnung 
^TrigonodusSchichten"^  stammt,  sind  dieselben  rein  kalkig.  Gegen 
den  zweiten ,  palaeontologischen ,  Grund  möchte  ich  anführen ,  dass 
MyopJioria  Goldfussii  bereits  im  echten  Hauptmuschelkalk  vorkommt, 
dass  die  Pleurophoren,  die  ebenfalls  dort  sich  schon  finden,  wenigstens 
im  unteren  Malbstein  keineswegs  häufig  sind  und  dass  die  Fauna 
von  Schwieberdingen  weit  mehr  an  die  Muschelkalk-  als  an  die 
Lettenkohlenfauna  erinnert.  Ceratiten  treten,  wenn  auch  selten,  auch 
bei  Schwieberdingen,  und  sogar  im  Grenzdolomit,  noch  auf.  Der 
dritte ,  orographische ,  Grund  scheint  mir  vielmehr  gegen  als  für 
die  Ansicht  von  Fraas  zu  sprechen :  Der  Gegensatz  zwischen  den  im 
Muschelkalk  und  Malbstein  eingerissenen  Thälern  zu  den  Letten- 
kohlenhochebenen tritt  doch  ungleich  deutlicher  hervor,  wenn  man 
die  Grenze  an  den  obersten  Thalrand,  statt  in  den  Steilabfall  hinein, 
verlegt.  Die  Lettenkohle  liegt,  wie  Herr  Prof.  v.  Eck  mir  gegenüber 
sehr  treffend  bemerkte,  auf  dem  Trigonodus-Dolomii^  wie  der  unterste 
Lias  auf  dem  obersten  Keuper ;  und  es  wird  doch  wahrlich  niemanden 


—     214     — 

einfallen,  aus  orographischen  Gründen  die  obere  Keupergrenze  in 
Schwaben  anders  ziehen  zu  wollen,  als  über  dem  steileren  Abhang, 
den  der  Pihätkeuper  bildet. 

Dass  im  nördlichen  Schwaben  Lettenschichten  und  lokal  auch 
ein  Bonebed  sich  häufig  zwischen  die  als  Glaukonitkalk  entwickelten 
TrigonodusSchichten  und  den  Hauptmuschelkalk  einschieben  und 
die  Abgrenzung  erschweren,  soll  nicht  geleugnet  w^erden.  Ander- 
seits treten  Schieferthone  mit  Estherien,  wie  aus  dem  Profil  Künzelsau 
der  Begleitworte  zu  den  Atlasblättern  Mergentheim  etc.  (S.  17,  Eber- 
hard Fraas)  hervorgeht,  bereits  im  Semi23artitus-Wiyea.u  auf  und  fehlen 
an  der  Grenze  gegen  die  Trigonodus-lßa.nk.  Es  würde  also  eine 
heillose  Verwirrung  entstehen,  wenn  man  diese  Mergelbänke,  die 
augenscheinlich  kein  konstantes  Niveau  einhalten,  zur  Abgrenzung 
von  Lettenkohle  und  Muschelkalk  benützen  würde. 

Was  mich  ausser  faunistischen  und  praktischen  Gründen  be- 
sonders bestimmt,  die  Trigonodus-Schichten  noch  zum  Muschelkalke 
zu  rechnen,  ist  folgende  Erwägung:  Die  obersten  Schichten  dieses 
Horizontes  sind  durch  ganz  Württemberg  faunistisch  und  öfters  auch 
petrographisch  sehr  gleichartig  entwickelt,  ich  zweifle  also  nicht,  dass 
ihre  obere  Grenze  überall  dasselbe  Niveau  innehält.  Hingegen  ist 
ihre  Mächtigkeit  eine  äusserst  ungleichmässige,  sie  schwillt  am  oberen 
Neckar  bis  zu  30  m  an  und  reduziert  sich  bei  Neidenfels  an  der 
fränkischen  Grenze  auf  0,20  m.  Diese  Verhältnisse  lassen  vermuten, 
dass  die  untere  Grenze  des  Trigonodus-Dolomits  in  sehr  verschie- 
denen Niveaus  verläuft,  d.  h.  dass  am  oberen  Neckar  die  Semipartüus- 
Zone  und  vielleicht  auch  ein  Teil  der  Nodosus-Ka\ke  in  der  Facies 
massiger  dolomitischer  Kalke  oder  Dolomite  entwickelt  sein  mag. 
Gestützt  wird  meine  Anschauung  durch  die  Beobachtung  von  Eber- 
hard Fraas  (Atlasblatt  Mergentheim  etc.  S.  19),  dass  in  der  Tauber- 
gegend, wo  die  Trigonodus-J)o\om\te  wieder  zu  erheblicher  Mächtig- 
keit anschwellen,  der  Semipartitus-Uonzont  fehlt. 

Ich  glaube  daher,  dass  es  den  praktischen  Bedürfnissen  des 
Feldgeologen  am  besten  entspricht,  wenn  man  die  Grenze  von  Muschel- 
kalk und  Lettenkohle  über  dem  Trigonodns-Bolomit  zieht  und  dass 
man  aus  faunistischen  Gründen  nichts  gegen  diese  Abgrenzung  ein- 
wenden kann. 

Die  Grenze  von  Lettenkohle  und  Muschelkalk  in  den  Alpen. 

Ich  bin  ursprünglich  an  die  Untersuchung  der  Schwieberdinger 
Fauna  in  der  Erwartung  gegangen,  dass  die  in  ihr  enthaltenen  „al- 


-     215     — 

pinen  Formen"  mir  erlauben  würden,  den  Schwieberdinger  Horizont 
in  bestimmte  Beziehungen  zu  einem  Formationsgliede  der  alpinen 
Trias  zu  setzen.  In  diesen  Erwartungen  bin  ich,  wie  ich  oben  aus- 
geführt habe,  enttäuscht  worden.  Trotzdem  sind  die  Nachforschungen, 
die  ich  in  dieser  Richtung  anstellte,  für  mich  nicht  gänzlich  erfolglos 
gewesen ;  denn  sie  haben  mir  erlaubt,  mir  ein  Urteil  über  eine  Frage 
zu  bilden,  die  zu  den  anziehendsten  in  der  gesamten  Geologie  ge- 
hört, nämlich  über  die  Parallelisierung  der  alpinen  und  ausseralpinen, 
d.  h.  deutschen,  Triassedimente. 

Die  Frage ,  wo  die  untere  Keupergrenze  in  der  alpinen  Trias 
zu  ziehen  sei,  oder,  etwas  anders  ausgedrückt,  welche  Formations- 
glieder der  deutschen  Trias  als  Äquivalente  der  Cassianer  und  der 
Raibler  und  CarditaSchichten  aufzufassen  seien,  ist  seit  über  dreissig 
Jahren  eifrig  diskutiert  worden. 

Ich  muss  von  einer  Besprechung  der  älteren  Literatur,  die  über 
diesen  Punkt  existiert,  absehen,  und  will  mich  auf  die  beiden  jüngst 
erschienenen  Schriften  von  Benecke  (Lettenkohle  und  Lunzer  Schichten, 
Ber.  d.  naturf.  Ges.  zu  Freiburg  i.  B.  X.  2)  und  Bittner  (Über  die 
stratigraphische  Stellung  des  Lunzer  Sandsteins  in  der  Triasformation, 
Jahrb.  d.  k.  k.  geol.  Reichsanst.  1897.  XXXXVII.  3)  beschränken, 
die  fast  ausschliesslich  diesem  Gegenstande  gewidmet  sind.  Die  von 
Benecke  vertretene  Ansicht  ist  kurz  zusammengefasst  folgende:  Die 
Fauna  des  Muschelkalks  überdauert  die  Lettenkohlenperiode  und  tritt 
im  Grenzdolomit  der  Lettenkohle  noch  einmal  mit  allen  ihren  charak- 
teristischen Eigentümlichkeiten  auf.  Die  faunistische  Grenze  zwischen 
Muschelkalk  und  Keuper  verläuft  also  oberhalb  des  Grenzdolomits. 
Mit  dieser  Grenzlinie,  nicht  mit  der  unteren  Grenze  der  Lettenkohle, 
ist  die  untere  Keupergrenze  in  den  Alpen  zu  vergleichen,  die  von 
einigen  Forschern,  hauptsächlich  Bittner,  zwischen  der  mittleren, 
kalkarmen  (Lunz-Raibler)  Gruppe  und  der  unteren  Kalkgruppe  (Wetter- 
stein-Esinokalk  etc.)  angenommen  wird.  Die  Flora  der  Lettenkohle 
hingegen  ist  eine  Keuperflora  im  allgemeinen,  und  die  Lunzer  ist 
ebenso  mit  der  des  Schilfsandsteins  wie  mit  ihr  in  Beziehung  zu  setzen. 

Für  die  Auffassung  von  Benecke  spricht  mit  Entschiedenheit 
das  von  Weiss  (Z.  d.  d.  g.  G.  1877.  S.  257)  und  anderen  beobachtete 
Gesetz,  dass  im  allgemeinen  die  Floren  der  Faunen  voraneilen,  dass 
z.  B.  die  Zechsteinfiora  bereits  mesozoischen,  die  Rhätflora  bereits  basi- 
schen Habitus  besitzt.  Tritt  also  eine  Keuperflora  schon  unterhalb 
der  Keupergrenze  auf,  so  beweist  sie  danach  eigentlich  nichts  anderes, 
als  dass  die  Keupergrenze  richtig  gezogen  ist.     Auch  muss  ich   ge- 


—     216     — 

stehen ,  dass  es  meinem  persönlichen  Empfinden  besser  entspricht, 
die  Lettenkohle  zum  Muschelkalk  statt  zum  Keuper  zu  stellen.  Eine 
andere  Frage  ist,  ob  die  untere  Keupergrenze ,  wenn  man  sich  auf 
den  rein  faunistischen  Standpunkt  stellt,  dann  bereits  unmittelbar 
über  dem  Grenzdolomit  zu  ziehen  ist.  Hierin  muss  ich  von  Benecke's 
Anschauung  entschieden  'abweichen.  Ich  glaube  nicht,  dass  die  Fauna 
des  Gypskeupers  neu  eingewanderte  Elemente  enthält,  sondern  möchte 
annehmen,  dass  sie  sich  aus  den  letzten  Vertretern  der  aussterbenden 
Muschelkalkfauna  zusammensetzt.  Wohlbekannte  Muschelkalkformen, 
wie  Myophoria  laevigata,  vulgaris,  elegans  und  Goldfussii  steigen 
in  den  Gypskeuper  hinauf,  was  E.  E.  ScHMm  (Jahrb.  d.  k.  preuss. 
Landesanst.  1883.  S.  291)  nachgewiesen  hat.  Cyclas  Keuperina, 
die  Benecke  mit  Myoplioriopis  Bostliorni  Boue  sp.  vergleicht,  ist 
nach  meiner  Auffassung  zu  dem  in  den  Alpen  nicht  vertretenen 
Genus  Fseuäocorhula  zu  rechnen ,  und  kommt  bereits  im  Muschel- 
kalk vor.  Von  den  Gastropoden  scheint,  wie  Blanckenhorn  (Trias 
am  Nordrande  der  Eifel,  Abhandl.  z.  geol.  Specialk.  v.  Preussen. 
VI.  2.  S.  107)  nachweist,  besonders  die  im  Muschelkalk  verbreitete 
Gruppe  der  Amauropsis  (Natica)  gregaria  v.  Schloth.  sp.  vertreten 
zu  sein.  Die  Arten  von  Anoplophora  und  Pleuromya,  die  im  Gyps- 
keuper noch  vorzukommen  scheinen,  sind  wenig  charakteristisch, 
dürften  aber  am  leichtesten  auf  Arten  der  Lettenkohle  zurückzuführen 
sein.  Endlich  Myophoria  Kefersteini  Mstr.  =  BaihJiana  Boue  sp. 
Es  ist  eine  Thatsache,  dass  eine  Myophoria,  die  mit  der  Myoph. 
Kefersteini  aus  den  Raibler  Schichten  ident  oder  äusserst  nahe  ver- 
wandt ist,  im  Gypskeuper  vorkommt;  hätte  ich  daran  früher  ge- 
zweifelt, so  hätten  mich  die  Abgüsse  der  v.  SANDBERGER'schen  Originale 
davon  überzeugen  müssen,  die  Herr  Prof.  Benecke  mit  gewohnter 
Liebenswürdigkeit  mir  übersandte.  Ganz  unbedingt  wäre  das  Vor- 
kommen von  3Iyoph.  Kefersteini  Mstr.  von  ausschlaggebender  Be- 
deutung, wenn  nicht  in  der  Lettenkohle  in  Myoph.  transversa  Strückm. 
eine  sehr  nahe  verwandte  Form  existierte,  die  E.  E.  Schmid  (1.  c. 
S.  291)  sogar  mit  ihr  identifizieren  will.  Ich  muss  gestehen,  dass 
ich,  bei  den  engen  Beziehungen  zwischen  3Iyoph.  transversa  Struckm. 
zu  31yoph.  Kefersteini  Mstr.  aus  dem  Gypskeuper,  ebenfalls  zu  der 
Ansicht  neige,  dass  die  letztere  aus  der  in  der  Lettenkohle  häufigen 
Art  hervorgegangen,  bezw.  dass  sie  nur  eine  Varietät  derselben  sei; 
jedenfalls  scheint  mir  eine  Notwendigkeit,  eine  Einwanderung  aus 
dem  alpinen  Meere  in  diesem  Falle  anzunehmen,  durchaus  nicht  vor- 
zuliegen.    Ich  glaube    daher,    dass    man    durch   faunistische  Gründe 


—     217     — 

nicht  dazu  geführt  werden  kann,  den  Gypskeuper  mit  den  Raibler 
Schichten  in  Parallele  zu  stellen,  dass  im  Gypskeuper  keine  alpinen 
Arten  einwanderten,  sondern  dass  in  ihm  die  alte  Muschelkalkfauna 
allmählich  erlosch. 

Ich  bin  daher  der  Ansicht,  dass  mit  der  Verschiebung  der  un- 
teren Keupergrenze ,  wie  sie  Benecke  vorschlägt ,  für  den  Vergleich 
alpiner  und  germanischer  Triassedimente  nicht  viel  gewonnen  ist. 
Erstens,  weil  die  faunistische  Grenze  des  Muschelkalks  noch  höher 
zu  liegen  scheint  als  sie  von  Benecke  angenommen  wird,  und  zweitens, 
weil  es  wohl  behauptet,  aber  keineswegs  bewiesen  ist,  dass  die  untere 
Keupergrenze  in  den  Alpen  mit  der  Grenze  der  unteren  Kalkmasse 
(Esinokalk-Schlerndolomit)  gegen  die  Raibler  oder  CarditaSchichien 
zusammenfällt.  Bei  diesem  Punkte  angelangt,  jnüssen  wir  uns  den 
Anschauungen  von  Bittner  zuwenden,  die  am  schärfsten  in  folgenden 
Worten  seiner  letzten  Arbeit  ausgesprochen  sind. 

„Und  da  diese  natürliche  Fünfteilung  der  alpinen  Trias  den 
heute  noch  allgemein  angenommenen,  ebenfalls  natürlichen  fünf  Haupt- 
gruppen der  deutschen  Trias  aufs  beste  entspricht,  so  glaubte  und 
glaube  ich  hinreichenden  Grund  zu  haben  zur  Annahme,  dass  diese 
Übereinstimmung  keine  zufällige,  sondern  ebenfalls  eine  in  natürlichen 
Verhältnissen  begründete  sei  Da  sich  nun  die  natürliche  mittlere, 
kalkarme  Gruppe  der  alpinen  Trias ,  die  Lunz-Raibler  Gruppe ,  mit 
der  ebenso  natürlichen  mittleren  Gruppe  der  deutschen  Trias,  der 
Lettenkohlengruppe,  auf  dem  Wege  dieses  Vergleiches  zu  decken 
scheint,  somit  die  schon  von  Stur  behauptete  und  mit  Gründen  be- 
legte Anschauung  von  der  Äquivalenz  der  Lunzer  Sandsteine  mit  der 
Lettenkohle  auch  auf  diesem  Wege  als  zunächstliegend  zu  Tage  tritt, 
habe  ich  darin  einen  wesentlichen  Stützpunkt  für  deren  Richtigkeit 
zu  erkennen  geglaubt  und  —  ganz  so  wie  Stur  —  daraus  sofort 
auf  den  Muschelkalkcharakter  sämtlicher  in  den  Alpen  darunter 
liegenden  ohnehin  aufs  engste  miteinander  verknüpften  Ablagerungen 
der  unteren  Kalkgruppe  geschlossen."  (Jahrb.  d.  k.  k.  geol.  Reichs- 
anst.  1897.  XXXXVII.  3.  S.  431.) 

Zuerst  ein  Wort  über  die  Fünfteilung  der  alpinen  und  ausser- 
alpinen  Trias.  Die  Fünfteilung  der  alpinen  Trias,  wie  sie  Bittner 
nach  vorwiegend  lithologischen  Gesichtspunkten  vorgenommen  hat 
(wie  die  Bezeichnungen  untere,  mittlere,  obere  kalkarme,  untere  und 
obere  Kalkgruppe  besagen) ,  besitzt  den  Vorzug  grosser  Einfachheit 
und  passt  sich  im  allgemeinen  den  natürlichen  Verhältnissen  gut  an. 
Jedenfalls  kann  mit  diesen  Bezeichnungen  der  mit   alpinen  Verhält- 


—     218     — 

nissen  nicht  vertraute  Geologe  einen  gewissen  Begriff  verbinden,  was 
ich  bei  den  älteren  und  jüngeren  Namen,  mit  denen  uns  v.  Mojsisovics 
überschüttet  hat,  für  ausgeschlossen  halte.  Die  Fälle,  in  denen  z.  B. 
die  untere  Kalkgruppe  überwiegend  aus  kalkarmen  Gesteinen,  die 
mittlere  und  obere  kalkarme  Gruppe  aus  Kalken  und  Dolomiten  be- 
steht, dürfen  immerhin  als  Ausnahmefälle  gelten  und  werden  der 
Verbreitung  der  BiTXNER'schen  Einteilungsweise  nicht  im  Wege  stehen. 

Nach  eben  diesen  lithologischen  Momenten  kann  man  aber  in 
der  deutschen  Trias  nur  drei  Stufen  unterscheiden,  Buntsandstein, 
Muschelkalk  und  Keuper.  Den  Gegensatz  der  alpinen  und  ausser- 
alpinen  Trias  in  lithologischer  Beziehung  und  die  Beziehungen  der 
deutschen  Triasglieder  zu  einander  hat  wohl  Süess  am  schärfsten  mit 
den  Worten  charakterisiert:  „Die  klastischen  und  sublitoralen,  lacustren 
und  salinaren  Ablagerungen  treten  in  der  deutschen  Trias  weit  mehr 
hervor,  und  in  ihrer  triadischen  Anordnung,  Buntsandstein,  Muschel- 
kalk und  Keuper,  stellt  sich  diese  Entwickelungsform  als  das  Beispiel 
eines  Cyklus  mit  der  Linse  von  Kalkstein  in  seiner  Mitte  dar." 

Die  Abgliederung  des  Rhät  in  der  deutschen  Trias  erfolgte 
aus  rein  faunistischen ,  nicht  aus  lithologischen  Gründen.  Hätte 
man  in  den  Mergeln  und  Sandsteinen  der  obersten  Keuperschichten 
nicht  eine  besondere,  mit  der  des  offenen  Weltmeeres  wieder  über- 
einstimmende Fauna  aufgefunden,  ich  glaube,  es  wäre  niemandem 
eingefallen,  hier  eine  besondere  Stufe  abzugliedern.  Die  faunistische 
und  floristische  Unselbständigkeit  der  Lettenkohle  ist  von  Benecke 
u.  a.  bereits  hervorgehoben  worden,  in  lithologischer  Beziehung  bietet 
sie  ebenfalls  kaum  etwas  Eigenartiges.  Die  Bonebeds  und  Estherien- 
bänke  kommen  im  Muschelkalk  bereits  vor,  letztere  wiederholen  sich 
bekanntlich  auch  im  Gypskeuper,  der  Lettenkohlensandstein  ist  manch- 
mal im  Handstück  vom  Schilfsandstein  nicht  zu  unterscheiden  und 
der  Grenzdolomit  steht  Muschelkalkgesteinen  (mittlerer  Muschelkalk) 
lithologisch  sehr  nahe.  Aber  selbst  wenn  die  Lettenkohle  ein  litho- 
logisch,  floristisch  und  faunistisch  vollständig  selbständiges  Gebilde 
wäre,  könnte  man  sie  stratigraphisch  nicht  den  grossen  Formations- 
gliedern, wie  Muschelkalk  und  Buntsandstein,  gleichstellen,  sondern 
nur  Unterabteilungen  derselben,  etwa  mittlerem  Muschelkalk  etc. 

Gesetzt  nun  den  Fall,  es  existierten  wirklich  in  der  deutschen  wie 
in  der  alpinen  Trias  fünf  ungefähr  gleichwertige  lithologische  Gruppen, 
so  müsste,  wenn  „diese  natürliche  Fünfteilung  der  alpinen  Trias  den 
heute  noch  allgemein  angenommenen,  ebenfalls  natürlichen  fünf  Haupt- 
gruppen der  deutschen  Trias  aufs  beste  entspricht",  die  Reihenfolge 


—     219     — 

der  Gruppen  in  der  deutschen  Trias  dieselbe  sein  wie  in  der  alpinen, 
d.  h.  es  musste  hier  wie  dort  ein  Alternieren  kalkreicher  und  kalk- 
armer Gruppen  stattfinden.  Thatsächlich  folgt  auf  die  untere  kalk- 
arme Gruppe  auch  in  der  deutschen  Trias  eine  untere  Kalkgruppe 
(Buntsandstein  und  Muschelkalk).  Die  Lettenkohle  im  Gegensatz 
zum  Muschelkalk  als  mittlere  kalkarme  Gruppe  zu  bezeichnen,  kann 
Bedenken  erregen,  mag  aber  noch  hingehen.  Darüber  sollte  nach 
Bittner's  Schema  eine  obere  Kalkgruppe  kommen,  es  folgt  aber  der 
bekanntlich  sehr  kalkarme  Keuper.  Die  obere  kalkarme  Gruppe,  das 
Rhät,  ist  in  manchen  Gegenden  Deutschlands  gegenüber  dem  Keuper 
noch  als  kalkreich  zu  bezeichnen.  In  der  oberen  deutschen  Trias 
stimmt  also  Bittner's  der  alpinen  Trias  entnommene  Fünfteihmg  nicht 
mehr.  Die,  nach  lithologischen  Momenten  gezogene  Grenze  zwischen 
III  und  IV,  zwischen  Lunzer  Schichten  und  Opponitzer  Kalk,  besagt, 
dass  auf  kalkärmere  Sedimente  wieder  kalkige  folgen.  Die  Grenze 
zwischen  Lettenkeuper  und  Gypskeuper  aber  besagt,  dass  hier  ver- 
hältnismässig kalkarme  Schichten  von  noch  viel  kalkärmeren  über- 
lagert werden.  Wie  diese  beiden  Grenzlinien,  nur  nach  der  Gesteins- 
beschaffenheit, miteinander  identifiziert  werden  können,  ist  mir  un- 
verständlich. Wenn  der  Inhalt  und  die  Grenze  von  III  und  IV  in 
der  alpinen  und  in  der  deutschen  Trias  einen  so  grundverschiedenen 
Charakter  besitzen,  so  wird  es  mir  Bittner  nicht  verübeln,  wenn  ich 
mich  gegen  die  Grenze  von  II  und  III,  die  vielumstrittene  untere 
Keupergrenze,  etwas  skeptisch  verhalte.  Nach  dem  eben  Besprochenen 
kann  ich  die  Notwendigkeit  nicht  einsehen,  mit  der  die  Grenze  von 
Muschelkalk  und  Lettenkohle  (die,  wie  erwähnt ,  bei  den  deutschen 
Geologen  recht  verschieden  gezogen  wird)  mit  der  lithologischen 
Grenze  der  unteren  Kalkgruppe  gegen  die  mittlere  kalkarme  Gruppe 
in  den  Alpen  zusammenfallen  muss.  Weswegen  soll  gerade  hier, 
während  das  in  anderen  Triasschichten  nicht  der  Fall  ist,  .die  Ände- 
rung der  Sedimentation  im  gleichen  Sinne  und  gleichzeitig  im  Welt- 
meer und  im  germanischen  Becken  erfolgen.  Sehen  wir  doch,  dass 
Ereignisse,  die  die  germanische  See  in  der  fühlbarsten  Weise  treffen, 
wie  die  Bildung  von  Gyps-  und  Steinsalzlagern  und  ä(ie  zeitweilige 
Unterbrechung  fast  allen  organischen  Lebens  zur  Zeit  des  mittleren 
Muschelkalks ,  sich  im  alpinen  Meere ,  wo  sie  sich  zwischen  den 
Brachiopodenschichten  des  Muschelkalks  und  den  Buchensteiner 
Kalken  bemerkbar  machen  mussten,  in  keiner  Weise  verfolgen  lassen. 
Mir  scheint  aus  allen  diesen  Punkten  hervorzugehen,  dass  die 
germanische  und  alpine  Trias ,    vom  unteren  Muschelkalk  an ,  litho- 


—     220     — 

logisch  inkommensurabel  sind;  was  aber  für  einen  Vergleich  ihrer 
Sedimente  noch  mehr  ins  Gewicht  fällt,  ist,  dass  sie  vom  unteren 
Muschelkalk  an  auch  faunistisch  inkommensurabel  werden.  Der  alpine 
Muschelkalk  im  älteren  Sinne,  d.  h.  bis  zur  TrinodosiisStuie  inklusive, 
steht,  wie  schon  oft  hervorgehoben,  dem  deutschen  unteren  Muschel- 
kalk sehr  nahe.  Dass  im  Muschelkalk  von  Recoaro  die  meisten  Formen 
mit  Arten  des  deutschen  Wellenkalkes  ident  sind,  ist  längst  bekannt; 
aber  auch  die  Fauna  des  übrigen  alpinen  Muschelkalkes  steht  der 
deutschen  Wellenkalkfauna  nahe  genug.  Ich  wähle  zum  Vergleich 
den  lombardischen  alpinen  Muschelkalk ,  weil  dessen  Fossilien  vor 
kurzer  Zeit  durch  Tommasi  (La  Fauna  del  calcare  conchigliare  [Muschel- 
kalk] di  Lombardia.  Pavia  1894)  einer  erneuten  Bearbeitung  unter- 
zogen worden  sind.  Wir  finden  da,  um  nur  einiges  herauszugreifen, 
Terebratula  vulgaris,  Lima  lineata  und  striata,  Hinnites  comptus, 
Peden  discites  und  laevigatus,  Macrodon  Beyrichi,  Myophoria  vul- 
garis, Goldfiissi  elegans,  AnopJopliora  omisculoides,  Lucina  Schmidt, 
Thracia  mactroides,  Natica  Gaillardoti  und  gregaria  u.  a.  m. 
Von  86  Arten  des  lombardischen  Muschelkalks  finden  sich  nach 
Tommasi  38  im  deutschen  Muschelkalke  wieder!  Speciell  ein  Teil 
der  Cephalopoden  des  alpinen  Muschelkalkes  taucht,  wenn  auch  nur 
in  wenigen  und  seltenen  Arten,  im  deutschen  unteren  Muschel- 
kalk auf.  Vertreter  der  Gruppe  des  Ceratites  hinodosus  und  trino- 
dosus  und  der  Gattungen  Äcrochordiceras  und  Ptychites  sind  in 
Deutschland  nachgewiesen  worden.  Man  darf  behaupten,  dass  zur 
Zeit  des  unteren  Muschelkalkes  die  Fauna  des  alpinen  Meeres,  wenn 
sie  auch  viel  reicher  war,  mit  der  des  deutschen  Triasmeeres  in 
wesentlichen  Punkten  Übereinstimmung  zeigte.  Das  ändert  sich  aber 
in  der  darauffolgenden  Periode,  der  ladinischen  Stufe  Bittner's,  der 
alten  norischen  Stufe  v.  Mojsisovics'.  Die  Muschelkalkfauna  wird 
allmählich  aus  dem  alpinen  Meere  verdrängt,  am  raschesten  weichen 
die  Cephalopoden,  am  zähesten  scheinen  sich  die  Brachiopoden  und 
Bivalven  gehalten  zu  haben.  Diese  letzteren  besitzen  im  Marmolata- 
kalk  und  vielleicht  auch  im  Esinokalk  noch  vorwiegend  Muschel- 
kalkhabitus, wiewohl  ihre  Arten  meist  nicht  mehr  mit  Muschelkalk- 
arten identifiziert  werden  können.  In  den  Cassianer  Schichten  treten 
hingegen  zahlreiche  neue  Formenkreise  auf,  gegen  die  die  wenigen 
Gruppen,  die  freilich  mit  abgeänderten  Arten  aus  dem  Muschelkalk 
persistierten,  vollständig  zurücktraten.  Thatsächlich  konnte  bisher 
auch  nicht  eine  einzige  Zweischalerart  des  deutschen  Muschelkalks 
in  der  überaus  reichen  Fauna  von  St.  Cassian  nachgewiesen  werden. 


—     221     — 

Die  nahen  Beziehungen  der  Raibler  Fauna  zur  Cassianer  sind  be- 
kannt; wenn  aber  Bittner  auf  Grund  dieser  anerkannten  That- 
sache  behauptet:  „Wir  haben  auch  über  den  Lunzer  Schichten  eine 
Muschelkalkfauna"  (1.  c  S.  444),  so  ist  das  unrichtig,  denn  die 
Cassianer  Schichten  beherbergen,  wie  gesagt,  eben  keine  Muschel- 
kalkfauna. Dass  die  Cassianer  Fauna  über  den  Lunzer  Schichten 
noch  einmal  auftritt,  ist  ein  sehr  interessantes  und  bemerkenswertes 
Faktum,  das  aber  in  keinerlei  Zusammenhang  steht  mit  der  That- 
sache,  dass  die  Muschelkalkfauna  in  der  deutschen  Trias  bis  zum 
Grenzdolomit  und  noch  über  ihn  hinaus  persistiert. 

Während  nach  Ablagerung  der  Recoaro-Stufe  im  alpinen  Meere 
die  Fauna  sich  mehr  oder  weniger  rasch  veränderte,  lebte  im  deut- 
schen Muschelkalkmeere  nach  einer  kurzen  Unterbrechung  zur  Zeit 
des  mittleren  Muschelkalks  die  Fauna  des  unteren  Muschelkalks  in 
ihren  wesentlichsten  Bestandteilen  fort.  Eine  direkte  Einwande- 
rung aus  dem  alpinen  Meere  scheint  nicht  stattzufinden,  wenigstens 
stimmen  die  in  das  Meer  des  oberen  deutschen  Muschelkalks  ein- 
wandernden Formen  fast  ausnahmslos  nicht  specifisch  mit  alpinen 
überein,  wenn  sie  auch  alpinen  Gattungen  angehören.  Dies  scheint 
zu  beweisen,  dass  sie  entweder  einen  sehr  weiten  Weg  von  ihrer 
alpinen  Heimat  bis  zum  deutschen  Muschelkalkmeere  zurücklegten 
oder  dass  sie  aus  einem  dritten  Meere  stammten,  das  dem  alpinen 
und  dem  germanischen  Meere  zwar  gleiche  Gattungen,  aber  nicht 
idente  Arten  lieferte.  Jedenfalls  sind  diese  Einwanderer  zur  genauen 
Parallelisierung  alpiner  und  ausseralpiner  Horizonte  nicht  geeignet. 
Die  alpine  und  die  germanische  Triasfauna  schlagen  nach  der  Zeit 
des  unteren  Muschelkalks  ganz  andere  Entwickelungsrichtungen  ein 
und  sind  nicht  mehr  direkt  miteinander  vergleichbar.  Dies  zeigt 
deutlich  die  verhältnismässig  reiche  Fauna  von  Schwieberdingen,  die 
vage  Beziehungen  zur  Marmolata-,  Cassianer  und  Raibler  Fauna  zu- 
gleich zeigt.  Unter  diesen  Verhältnissen  ist  der  von  Tornqüist  ge- 
machte Fund  von  Ceratites  nodosus  bei  Recoaro  von  besonderer 
Bedeutung,  da  er  darauf  hindeutet,  dass  die  Grenze  von  Lettenkohle 
und  Muschelkalk  in  den  Alpen  nicht  allzu  hoch  über  den  Buchen- 
steiner Schichten  und  wahrscheinlich  noch  innerhalb  der  unteren 
Kalkmasse  Bittner's  verlaufen  mag. 

Da  für  einen  Vergleich  dieser  alpinen  und  ausseralpinen  Sedi- 
mente die  tierischen  Versteinerungen  fast  völlig  versagen ,  so  hat 
man  versucht,  durch  eine  Vergleichung  der  pflanzlichen  Fossilien  zum 
Ziele  zu  kommen.     Ganz  besonders  Stur  war  es,  der  in  den  Pflanzen 


—     222     — 

der  Lunzer  Schichten  Äquivalente  der  deutschen  Lettenkohlenflora 
erblickte,  und  Bittner  schloss  sich  ihm  aufs  engste  an.  An  Stür's 
Ansichten  ist  gar  nicht  zu  zweifeln,  wenn  man  die  Sätze  liest,  die 
er  in  einer  seiner  letzten  Publikationen  (Die  obertriadische  Flora  der 
Lunzer  Schichten  und  des  bituminösen  Schiefers  von  Raibl,  Sitzungsber. 
d.  k.  Akad.  d.  Wiss.  1885.  IIL  Bd.  S.  7)  diesem  Gegenstande  widmet: 
„Es  kann  gar  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  diese  Flora  der 
Lunzer  Schichten  in  den  nordöstlichen  Alpen  vollkommen  ident  und 
gleichwertig  ist,  mit  jener  Flora  vorerst,  die  Heer  in  seiner  Urwelt 
der  Schweiz  (1865.  p.  47) ,  ferner  in  seiner  Flora  fossilis  Helvetiae 
(1877.  2.  Abt.)  von  der  „Neuen  Welt"  an  der  Birs  bei  Basel  aus- 
führlich beschrieben  hat,"  und  wenige  Zeilen  weiter:  „Ferner  unter- 
liegt es  keinem  Zweifel,  dass  die  Flora  der  Lettenkohle  in  der  Um- 
gegend von  Stuttgart,  wie  Haidinger  schon  vor  vielen  Jahren  erkannt 
hatte,  ident  ist  mit  der  Flora  unserer  Lunzer  Schichten."  Trotz 
dieser  so  bestimmt  ausgesprochenen  Ansicht  eines  so  sorgfältigen 
Arbeiters  wie  Stur  halte  ich  die  Frage  der  Altersgleichheit  oder 
Verschiedenheit  für  Lettenkohle  und  Lunzer  Schichten  noch  nicht 
für  definitiv  gelöst.  Stur  giebt  in  seiner  eben  angeführten  Publi- 
kation ein  Verzeichnis  der  Lunzer  Pflanzen,  in  dem  er  17  Gattungen 
mit  58  Arten  citiert.  Unter  diesen  58  Arten  der  Lunzer  Schichten 
sind  45  von  Stur  neu  benannt.  Die  neueste  Übersicht  der  Letten- 
kohlenflora hat  Benecke  (1.  c.  S.  21)  zusammengestellt.  Ein  Ver- 
gleich derselben  mit  Stür's  Verzeichnis  ergiebt  folgendes  Resultat: 
Von  den  17  Gattungen  der  Lunzer  Schichten  werden  nur  sechs  aus 
der  Lettenkohle  citiert,  von  den  58  Arten  aber  im  ganzen  nur  vier: 
Danaeopsis  marantacea  Presl  sp. ,  Equisetnm  arenacenm  Jag.  sp., 
Pterophylhtm  longifolinm  Jag.  und  brevipenne  Kurr.  Dagegen  haben, 
nach  den  SiuR'schen  und  BENECKE''schen  Verzeichnissen,  die  Lunzer 
Schichten  und  der  Schilfsandstein  ebenfalls  vier  Arten  gemein- 
schaftlich ,  nämlich :  Eqiiisetum  arenaceum  Jag.  sp. ,  Clathropteris 
reticulata  Kurr,  Pterophyllum  brevipenne  Kurr  und  FteroplujUmn 
longifolium  Jag.  So  sieht  also  an  der  Hand  der  neuesten  Fossillisten 
die  weitgehende  Übereinstimmung  zwischen  Lettenkohle  und  Lunzer 
Schichten  aus! 

Aus  diesen  Daten  scheint  mir  mit  Sicherheit  hervorzugehen, 
dass  die  Flora  der  Lunzer  Schichten  wie  die  der  Lettenkohle  und 
des  Schilfsandsteins  einer  gründlichen  Revision  unterzogen  werden 
muss,  ehe  man  über  die  näheren  Beziehungen  dieser  Floren  zu  ein- 
ander auch  nur   ein  Wort   verlieren   kann.     Dies    ist   auch    die  An- 


—     223     — 

schauung  eines  durchaus  unparteiischen  Beurteilers,  des  Herrn 
Dr.  PoTONiE  in  Berhn,  der  mir  auf  mein  Befragen  in  der  liebens- 
würdigsten Weise  Auskunft  gab. 

Meine  Anschauung  über  die  Beziehungen  zwischen  alpiner  und 
germanischer  Trias  ist  ungefähr  folgende,  wenn  ich  das  vorher  Ge- 
sagte kurz  zusammenfassen  darf.  Den  fünf  natürlichen,  lithologischen 
Gruppen  der  alpinen  Trias  stehen  die  drei  alten  lithologischen  Gruppen 
der  deutschen  Trias  gegenüber.  Von  den  Grenzlinien,  die,  wohl- 
verstanden nach  lithologischen  Gesichtspunkten,  gezogen  werden 
können,  ist  nur  die  Buntsandstein-Muschelkalkgrenze  für  alpine  und 
germanische  Trias  gemeinschaftlich  durchzuziehen.  Dass  die  Grenzen, 
die  in  der  oberen  Trias  in  den  Alpen  wie  in  Deutschland  nach 
lithologischen  Momenten  abgesteckt  wurden,  auch  nur  in  einem  Falle 
miteinander  übereinstimmen ,  ist  unwahrscheinlich ,  zum  mindesten 
unbewiesen.  Auch  die  Faunen  geben  keine  genügenden  Anhalts- 
punkte für  einen  Vergleich  der  alpinen  und  germanischen  oberen 
Trias;  denn  sie  haben  sich,  von  der  Zeit  des  unteren  Muschelkalks 
an,  in  ganz  verschiedener  Weise  entwickelt,  ohne  sich  gegenseitig 
direkt  zu  beeinflussen  oder  Formen  direkt  auszutauschen.  Eine 
Ausnahme  scheint  bis  heute  nur  Ceratites  noäosns  zu  machen.  Ob 
so  nahe  Beziehungen  zwischen  den  Floren  der  Lettenkohle  und  der 
Lunzer  Schichten  bestehen ,  dass  man  mit  Stür  und  Bittner  ein 
gleiches  Alter  dieser  Ablagerungen  annehmen  kann,  bedarf  noch  des 
Beweises;  die  bisherigen  Daten  er  lauben  j  edenfalls  einen 
so  weitgehenden  Schluss  nicht. 

Ich  stehe  in  der  Frage  der  Parallelisierung  alpiner  und  ausser- 
alpiner  Sedimente  auf  dem  Standpunkt,  den  Benecke  vor  dreissig 
Jahren  einnahm,  als  er  in  seiner  bekannten  Schrift  „Über  einige 
Muschelkalk-Ablagerungen  der  Alpen"  (Geogn.-pal.  Beitr.  IL  S.  62) 
sagte:  „Unter  allen  zwischen  alpinen  und  ausseralpinen  Triasbildungen 
gezogenen  Parallelen  hat  keine  eine  gleiche  Anerkennung  gefunden, 
als  die  von  Oppel  und  Süess  zuerst  ausgesprochene  Gleichstellung 
der  Kössener  Schichten  und  der  obersten  Keuperschichten  Schwabens. 
Mit  Recht  bezeichnet  man  auch  das  Jahr  1856  als  ein  epoche- 
machendes in  der  Geschichte  der  Alpen-Geologie.  Seitdem  sind 
mancherlei  weitere  Versuche  gemacht  worden,  auch  die  tiefer  liegen- 
den Schichten  in  Übereinstimmung  zu  setzen,  ohne  dass  man  jedoch 
viel  weiter  gekommen  wäre,  als  die  drei  ausseralpinen  Glieder  der 
Trias  im  grossen  und  ganzen  wiederzuerkennen.  Auch  dies  gilt 
eigentlich   nur   von    dem   bunten   Sandstein   und    dem   Muschelkalk, 


—     224     — 

denn  der  alpine  Keuper  trägt  in  sich  selbst  nur  wenig  Kennzeichen, 
welche  an  ausseralpine  Bildungen  gleichen  Namens  erinnern." 

In  den  dreissig  Jahren,  die  verflossen  sind,  seitdem  Benecke 
diese  Worte  niederschrieb,  hat  sich  unsere  Kenntnis,  speciell  der 
alpinen  Triasfaunen,  ganz  ausserordentlich  erweitert.  Aber  gerade 
durch  die  neuen  und  eigenartigen  Gestalten,  die  die  alpine  Trias  in 
reicher  Fülle  geliefert  hat,  ist  die  Kluft  zwischen  ihr  und  der  ger- 
manischen Trias  nicht  überbrückt,  sondern  im  Gegenteil  vertieft 
worden.  So  lange  man  für  einen  Vergleich  alpiner  und  ausseralpiner 
Keuperschichten  nicht  mehr  Anhaltspunkte  besitzt,  als  heute ,  muss 
man  sich  begnügen,  in  den  Alpen  „die  drei  ausseralpinen  Glieder 
der  Trias  im  grossen  und  ganzen  wiederzuerkennen"  und  ist  es  vor- 
läufig, wie  vor  dreissig  Jahren,  nicht  möglich,  „auch  Unterabteilungen 
des  Keupers  der  beiderseitigen  Gebiete  schärfer  miteinander  in  Ver- 
gleich zu  ziehen." 


Erklärung  zu  Tafel  lY— IX. 

Tafel  IV. 

Fig.  1.  Hoernesia  socialis  v.  Schloth.  sp.,  von  der  linken  Seite.  S.  155. 
„la.         „  „„„  „     von  der  Oberseite. 

„Ib.         „  „         „  „  „     von  der  rechten  Seite. 

„2.  „  „         „  „  „     Schloss  der  linken  Klappe.    Vorderer 

Kardinalzahn  senkrecht   zur  Längsrichtung   der  Ligamenttläche.     Innere 

Stütze  der  Schlossplatte  und  Bucht  davor  deutlich. 
,     3  u.  4.     Hoernesia  socialis  v.  Schlote,  sp. ,  Schloss  der  linken  Klappe,  die 

beiden  Kardinalzähne  annähernd  parallel.  S.  155. 
„     5.  Hoernesia  socialis  v.  Schloth.  sp.,  Schloss  der  linken  Klappe,  der  hintere 

Kardinalzahn  in  „Cucnllaeenartige"  Reihenzälmclien  aufgelöst.  S.  155. 
„     6.  Gervillia    Goldfussi  v.  Strome,  sp. ,    flaches   Exemplar,    von   der  linken 

Seite.   S.  156. 
„     6a.  Gervillia  Goldfussi  v.  Strome,  sp.,  von  der  Oberseite. 
j,6b.  „  „  »n  »     '^'on  der  rechten  Seite. 

j,     7.  „  „  „         „  „     geblähtes  Exemplar,  von  der  linken 

Seite,  vergrössert.   S.  156. 
„     7  a.  Gervillia  Goldfussi  v.  Strome,  sp.,  von  der  Oberseite. 
„8.  „  suhcostata  Gf.  sp.,  linke  Klappe.  S.  158. 

„9.  ,         Fraasi  n.  sp.,  von  der  linken  Seite,  vergrössert.   S.  157. 

„9  a.         „  „         „     „     von  der  Oberseite,  vergrössert. 

„9  b.         „  „         „     „     von  der  rechten  Seite,  vergrössert. 

„  10.  „  alata  n.  sp.,  von  der  linken  Seite,  vergrössert.   S.  157. 

„10  a.         „  „       „     „     linke  Klappe  von  innen,  vergrössert. 

Die  Originale   der  Fig.  1—5  und  7   befinden   sich  in   der  Tübinger  Uni- 
versitätssammlung, die  der  Fig.  6,  8—10  im  K.  Naturalienkabinett  in  Stuttgart. 


—     225     — 

Tafel  V. 

Fig.  1.  Modiola  cf.  triquetra  v.  Seeb.,  von  der  linken  Seite,  vergrössert.  S.  158. 

,,     1  a.       „  „  „  »       j)        '^OD  der  Hinterseite. 

„     2.         „         w?/oconcÄfflf/ö?-»iis  n.  sp.,  von  der  rechten  Seite,  vergrössert.  S.  159. 

,,     2  a.       „  „  von  der  Hinterseite. 

„     3.  Myoconcha  laevis  n.  sp.,  linke  Klappe,  Aussenseite.   S.  162, 

„     3  a.         „  ,,       „     „     linke  Klappe,  Innenseite. 

.,     4.  „  gastrochaena  Gieb.  sp.,  von  der  rechten  Seite.  S.  163. 

,,     4  a.        „  .,  ..        .,     von  der  Oberseite. 

,,     5.  Pseudocorhula  Sandbergeri  n.  g.,  n.  sp.,  von  der  linken  Seite,  vergrössert. 
S.  171. 

,,     5  a.  Pseudocorhula  Sandbergeri  n.  g.,  n.  sp.,  von  der  Oberseite. 

„     ob.  „  „  „    „     „     „     von  der  Vorderseite. 

„6.  ,,  ,,  ,,    „    „     „    var.  ^rje^aroiVZes  von  der  linken 

Seite,  vergrössert.    S.  173. 

,,     6a.  Pseudocorbula  Sandbergeri  n.  g.,  n.  sp.,  von  der  Oberseite. 

„    6  b.  „  „  „   „     „    „    von  der  Vorderseite. 

„     7.  „  „  „    ,,     „     „     Schloss  der  linken  Klappe,  ver- 

grössert.  S.  170. 

.,     8.  Pseudocorbula   Sandbergeri  n.  g. ,    n.  sp. ,    Schloss   der   rechten  Klappe, 
Vorderansicht,  vergrössert.    S.  170. 

„     8  a.  Pseudocorbula  Sandbergeri  n.  g. ,   n.  sp. ,   Schloss   der  rechten  Klappe, 
Seitenansicht. 

„     9.   Unicardium  Schmidii  Gein.  sp.,  von  der  linken  Seite.   S.  175. 

„     9  a.  „  „  „        ,,     von  der  Oberseite. 

,,     9  b.  ,,  ,,  .,        „     Innenseite. 

Die  Originale  der  Fig.  1 — 3  und  8  befinden  sich  in  der  Tübinger  Uni- 
versitätssammlung, die  der  Fig.  4,  5,  7,  9  im  K.  Naturalienkabinett  in  Stuttgart; 
von  Fig.  6  in  der  Sammlung  des  Herrn  Dr.  Beck  in  Stuttgart. 

Tafel  VI. 

Fig.  1.  Mgoplioria  laevigata  v.  Alb.  sp. ,  Typus,   von  der  linken  Seite.   S.  165. 

„     la.        „  „  „  „  „  Typus,  von  der  Oberseite. 

,,     2.           ,,  „  „  ,,  „  var.   elongata,   linke  Klappe.   S.  166. 

3.  ,,  „  „  „  ,,  var.   elargata ,  linke  Klappe.    S.  ,166. 

4.  „  „  „  „  „  var.  rotunda,  linke  Klappe.   S.  166. 

5.  „  „  „  „  „  var.  ocalis,  rechte  Klappe,  vergrössert. 
S.  166. 

„     6.  Myoplioria  laevigata  v.  Alb.  sp. ,   Schloss  der  linken  Klappe,   mit   sehr 

schmaler  Hauptzahngrube.   S.  167. 
,,     7.  Myoplwria  laevigata  v.  Alb.  sp. ,   Schloss  der   linken  Klappe ,   mit  sehr 

breiter  Hauptzahngrube.    S.  167. 
,,     8.  Myoplwria  vulgaris  v.  Schlote,  sp. ,   von  der  linken  Seite,  vergrössert. 

S.  167. 
„     8  a.  Myoplwria  vulgaris  v.  Schloth.  sp.,  von  der  Oberseite. 
.,     9.  ,,  elegans  Dünk.,  linke  Klappe,  vergrössert.    S.  168. 

„  10.  „  Goldfussii  v.  Alb.  sp. ,  linke  Klappe ,  vergrössert.     S.  168. 

„  10  a.  „  ,,  ,,      ,,       „     von  der  Oberseite. 

Jahreshefte    d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  15 


5) 


—     226     — 

Fig.  11.   Trigonodus  praeco  ii.  sp.,  von  der  linken  Seite,  vergrüssert.    S.  163. 

„    IIa.        „  „        „     „    von  der  Oberseite. 

„     12.  Tancredia  Beneckei  n.  sp.,  von  der  linken  Seite,  vergrössert.    S.  173. 

„     12  a.        „  .,  „     ,,     von  der  Oberseite. 

Die  Originale  der  Fig.  1 — 7  und  10  befinden  sich  in  der  Tübinger  Uni- 
versitätssammlung, die  der  Fig.  8,  9,  11  und  12  im  K.  Naturalienkabinett  in 
Stuttgart. 

Tafel  VII. 

Fig.  1.  Leda  BecTci  n.  sp.,  von  der  linken  Seite,  vergrüssert.    S.  176. 

,,     la.    ,,         ,,       „     „     von  der  Oberseite. 

,,     2.  Komomya  KoJceni  n.  sp.,  von  der  linken  Seite.    S.  179. 

„     2  a.       „  „        ,,     ,,     von  der  Oberseite. 

,,     3.  Pleuromya  n.  sp.,  von  der  rechten  Seite.    S.  179. 

„    3  a.        „  „     „    von  der  Oberseite. 

„    4.  „  Eclci  n.  sp.,  von  der  rechten  Seite.    S.  178. 

„    4  a.        „  „      „     „    von  der  Oberseite. 

„     4  b.        „  „      „     „     von  der  Vorderseite. 

„     5.  Anoplopliora  lettica  Qüenst.  sp.,  von  der  rechten  Seite.    S.  175. 

„     5  a.  „  „  ,,  „     von  der  Oberseite. 

„     6.  Macrodon  Beyrichi  v.  Strome,  sp.,  rechte  Klappe.     S.  177. 

„     7.  Nuciila  Goldfussü  v.  Alb.,  von  der  linken  Seite.     S.  176. 

„     7  a.      ,,  ,,  ,,      ,,      von  der  Oberseite. 

„     8.  Ästarte  triasina  F.  Eöm.,  von  der  linken  Seite.    S.  161. 

,,     8  a.      „  ,,  „        von  der  Oberseite. 

„     9.  Thracia  mactroides  v.  Schloth.  sp.,  von  der  rechten  Seite.    S.  177. 

„    9  a.      „  „  „        ,,  ,,     von  der  Oberseite. 

„  10.  Blacimopsis  ostracina  v.  Schloth.  sp. ,   rechte  Klappe,   Aussenseite  ver- 
grössert.   S.  150. 

„  10a.  Placimopsis  ostracina  v.  Schloth.  sp.,  rechte  Klappe,  Innenseite. 

Die  Originale  der  Fig.  1,  3,  6,  8,  9  befinden  sich  in  der  Tübinger  Uni- 
versitätssammlung, der  Fig.  2,  4,  5,  7,  10  im  K.  Naturalienkabinett  in  Stuttgart. 

Tafel  VIII. 

Fig.  1.  Tretospira  sulcaia  v.  Alb.  sp.,  vergrüssert.    S.  181. 

„  2.  „  striata   Quenst.   sp. ,    vergrüssert.     Original    zu   Quenstedt, 

Gastropoden.   t.  200  f.  27  a.   S.  181. 

„  3.  Loxonema  Johannis  Böhmi  n.  sp.,  Mündungsseite.   S.  185. 

,j  3  a.        „  „  „       „     ,,     Rückenseite. 

„  4.  „  Schlotheimü  Qüenst.  sp.    S.  182. 

„  5.  „  sp.   S.  186. 

„  6.  ,,  (Heterocosmia)  Hehlii  v.  Ziet.  sp.,  S.  186. 

,,  7.  Katosira  solitaria  n.  sp.,  Mündungsscite,  vergrössert.    S.  187. 

„  7  a.       „  „         „     „     Rückenseite,  vergrössert. 

„  8.   Undularia  scalata  v.  Schloth.  sp.   S.  189. 

„  9.  Enstylus  Alhertii  n.  sp.,  Mündungsseite.     S.  190. 

.,  9  a,       ,,  ,,         ,,     ,,     Rückenseite. 

„  10.  Protonerita  spirata  v.  Schloth.  sp.,  Mündungsseite.   S.  192. 


—     227     - 

Fig.  10a.  Protonerita  spirata  v.  Schlote,  sp.,  Oberseite.   S.  192. 
„     11.  „  „         ,,         „  „    aus  Schaumkalk  von  Niederschlesien) 

Mündungsseite.    S.  192. 
„    IIa.  Protonerita  spirata  v.  Schlote,  sp.,  Oberseite. 

„     12.  ,,  „         ,,         ,,  ,,     Original    des    Neritites   S2yiratus 

V.  ScELOTBEiM,  Petrefaktenkunde  S.  110,  aus  Schaumkalk  der  Arensburg 
in  der  Hainleite.   S.  192. 
„     13.  Protonerita  spirata  v.  Schlote,  sp.,  Steinkern,  Oberseite.   S.  192. 
,,     14.  ,,  ,,         „  ,,  ,,     Naturpräparat,  zeigt  die  Resorption 

der  inneren  Windungen.    S.  192. 
„     15.  Protonerita  spirata  v.  Schlote,  sp.,  mit  Farbenstreifen.   S.  192. 

Die  Originale  der  Fig.  2,  5,  6,  10,  13,  14,  15  befinden  sich  in  der  Tübinger 
Universitätssammlung,  die  der  Fig.  1,  3,  4,  7,  8,  9  im  K.  Naturalienkabinett  in 
Stuttgart,  11  und  12  in  der  palaeontologischen  Sammlung  des  Museums  für  Natur- 
kunde in  Berlin. 

Tafel  IX. 

Fig.  1.  Protonerita  coarctata  Qüenst.  sp.,  Mündungsseite.   S.  193. 

„    la.        „  „  ,,  „    Rückenseite. 

„     Ib.        „  „  „  ,,    Oberseite. 

„     2.  Neritaria  Bimkeri  v.  Schaur.  sp. ,   Mündungsseite,  vergrössert.    S.  193. 

„     2  a.        „  „  „         „  „     Rückenseite. 

„     2  b.        „  „  „         „  „     Oberseite. 

„     3.  Holo(jijra  EyericM  Nötl.  sp.,  Mündungsseite,  vergrössert.   S.  194. 

„     3  a.       ,,  „  „        „     Rückenseite. 

„     3  b.        „  „  „         „     Oberseite. 

„     4.  Amauropsis  gregaria  v.  Schlote,  sp.,  Jugendform  =  Ampullaria  pullula 
QuENST.,  Mündungsseite,  vergrössert.    S.  195. 

,,     4a.  Amauropsis  gregaria  v.  Schlote,  sp.,  Rückenseite. 

„     4  b.  „  „         „         „  „     Oberseite. 

„     5.  Platycliilina  germanica  n.  sp.,  Mündungsseite,  vergrössert.   S.  194. 

„     5  a.         „  „  „     ,,     Rückenseite. 

„     5  b.         „  „  „     „     Oberseite. 

,,     6.  Nautilus  (Temnocheilus)  suevicus  n.  sp.,  von  der  Seite.   S.  196. 

„     6  a.       „  „  „         „     „     vom  Rücken. 

„    6  b.      „  „  „         „     „    Querschnitt. 

„     7.  Ceratites  nodosus  de  Haan   var.  densinodosus  0.  Fraas  ,   von   der  Seite. 
S.  197. 

„     7  a.  Ceratites  nodosus  de  Haan  var.  densinodosus  0.  Fraas  ,   vom  Rücken. 

„     8.  Modiola  Albertiana  n.  sp.,  von  der  rechten  Seite,  vergrössert,  „Cannstatter 
Kreidemergel ".   S.  208. 

,,     8  a.  Modiola  Albertiana  n.  sp.,  von  der  Hinterseite. 

„     9.  Modiola  cannstattiensis  n.  sp.,  von  der  rechten  Seite,  vergrössert,  „Cann- 
statter  Kreidemergel". 

„     9  a.  Modiola  cannstattiensis  n.  sp.,  von  der  Hinterseite. 

Die  Originale  der  Fig.  1,  3,  4  befinden  sich  in  der  Tübinger  Universitäts- 
sammlung, die  der  Fig.  5,  6,  7,  8,  9  im  K.  Naturalienkabinett  in  Stuttgart,  2  in 
der  Sammlung  des  Herrn  Dr.  Beck  in  Stuttgart. 

15* 


Synopsis  der  deutsehen  Blindwanzen  (Hemiptera 
heteroptera,  Farn.  Capsidae). 

Von  Dr.  Theodor  Hüeber,  Oberstabsarzt  in  Ulm. 

III.   Teil. 

Div.  Bryocoraria*. 

Leib  klein,  glänzend.  Scheitel  hinten  leicht  ausgerandet.  Kopf- 
schild stark  vorragend.  Augen  an  ihrer  Innenseite  nicht  ausgerandet, 
völlig  parallel,  das  Pronotumende  nicht  berührend.  Fühler  nahe  dem 
Augenende,  innseits,  eingefügt.  Pronotum  vorne  schmal  aber  deutlich 
eingeschnürt,  am  Grunde  wie  abgestutzt,  an  den  Hinterecken  zu- 
gespitzt. An  den  Halbdecken  ist  die  Cubitalader  über  die  Mitte  hinaus 
tief  eingedrückt,  weiterhin  abgebrochen.  Die  Flügelzelle  ist  ohne 
Haken.  Die  hinteren  Hüften  stehen  von  den  Epipleuren  ab.  Hinter- 
schenkel weder  verdickt  noch  verlängert.  Schienen  abgestutzt.  Das 
letzte  Tarsalglied  verdickt.  Diese  Tiere  leben  auf  Farnkräutern. 
Reuter. 

A.  Schnabel  dick,  fast  bis  zum  Ende  der  Mittelbrust  reichend,  sein 
erstes  Glied  beinahe  kürzer  als  der  Kopf.  Pronotum  stark  in 
die  Breite  gehend,  dicht  punktiert.  Hinterbrust  glänzend.  Leib 
kurz  eiförmig,  fast  kahl.  Gattung   1,  Monalocoris  Dahlb. 

AA.  Schnabel  dick,  nicht  über  die  Mitte  der  Mittelbrust  reichend. 
Pronotum  länglich-trapezoidal,  mit  dunkler  Einschnürung  an  der 
Spitze.     Hinterbrust  glanzlos.     Leib    sparsam    und    fein    behaart. 

Gattung  2,  Bryocoris  Fall,   (nach  Reütek). 

Monalocoris  Dahlbom. 

Eiförmig,  glänzend,  punktiert,  scheinbar  kahl,  jedoch  mit  spär- 
lichen anliegenden  gelben  Härchen  besetzt.     Kopf  stark   abschüssig. 


*  Nach  Reuter.   Ecvis.  critic.  Capsinar.  praec.  Scand.  et  Fenn.  1875.  I. 
p.  84  und  II.  p.  79. 


—     229     — 

in  die  Quere  gezogen,  zwischen  den  Augen  3— 4 mal  so  breit  wie 
ein  Augendurchmesser.  Fühler  etwas  länger  als  der  halbe  Leib.  Der 
dicke  Schnabel  überragt  kaum  die  Mittelhüften.  Pronotum  (Vorder- 
rücken) breiter  als  lang  (1,5  : 1),  trapezförmig,  gewölbt,  dicht  punktiert, 
nach  vorne  verengt  und  mit  einem  schmalen  glatten  Qiierstreifen 
versehen;  der  Vorderrand  deutlich,  wenn  auch  nur  schmal,  abgeschnürt, 
Seiten  und  Grund  leicht  abgerundet.  Ansatz  des  Schildchens  vom 
hinteren  Pronotumrand  überragt.  Mittelbrust  kurz,  nach  hinten  aus- 
gebuchtet. Hinterbrust  gewölbt,  mit  höckerigen  Luftlöchern.  Halb- 
decken ausgebildet,  wenn  auch  etwas  kurz,  seitlich  abgerundet,  gleich 
dem  äusseren  Piande  des  Cuneus  (Keil),  welcher  vom  Corium  durch 
einen  tiefen  Einschnitt  abgesetzt  ist.  Membran  mit  nur  einer  Zelle. 
Beine  schlank,  massig  lang.  Nicht  dimorph.  —  Die  Nymphe  breit 
eiförmig. 

18  (414)  filicis  LiNNE. 

Cimex  filicis  abdomine  membranaceo  depresso,  elytroruni  api- 
eibus  capite  pedibusque  lividis,  corpore  nigro.     Linne. 

P.  filicis  piceus  nitidus:  capite,  pedibus  elytrorumque  margine 
pallidis.     Fallen. 

Eiförmig,  heller  oder  dunkler  pechbraun  (d.  h.  gelblichbraun 
bis  schwarz) ,  glänzend ,  fein  gelbbraun  behaart.  Der  gelbrötliche 
Kopf  an  der  Spitze  schwarz,  Scheitel  vom  Hals  durch  eine  rundliche 
Furche  geschieden,  die  schwarzen  Augen  kugelig  vorspringend.  Das 
gelbliche  Grundglied  der  Fühler  etwa  von  Kopfeslänge,  ihr  zweites 
Glied  272 mal  ^^  ^Siwg  als  das  erste,  hell,  mit  dunkler  Spitze,  ihr 
drittes  Glied  länger  als  das  vierte,  letztere  beide  dunkel  und  ziemhch 
behaart.  Pronotum  (mit  Ausnahme  seiner  blassen  Hinterecken)  schwarz, 
gewölbt,  glänzend  und  tief  punktiert ;  vorne  quer  eingedrückt,  hinten 
aufgeworfen,  an  den  Seiten  gerade,  am  Grunde  abgerundet;  Schildchen 
dreieckig.  Die  dunkeln  Halbdecken  punktiert,  fein  behaart  mit  blass- 
gelblichem  Seitenrande.  Membran  rauchbraun.  Beine  blassgelb,  fein 
behaart;    Hinterschenkel   mit    dunklem   Fleck.     Länge    2 — 2^4  mm. 

Nach  WoLFF  ist  die  junge  Larve  grün,  je  älter  sie  wird,  desto 
bräuner  wird  ihre  Farbe.  Die  noch  junge  Wanze  hat  eine  braungelbe 
Farbe,  die  mit  dem  Alter  immer  dunkler  wird,  so  dass  am  Ende  das 
ganze  Tier  ausser  den  Füssen  und  Fühlhörnern  schwarz  ist. 

Cimex  filicis  Linne,  Syst.  Nat.  Ed.  X,  1758,  443,  16.  —  Faun. 
Suec.  1761,  247,  919.  —  Houttuin,  Nat.  Hist.  1765,  I,  X,  342,  16. 
—  P.  Müller,  Linn.  Nat.  1774,  V,  483,  20. 


—     230     — 

Acantliia  filicis  Wolff,  Icon.  Cimic.   1801,  II,  46,  43,  fig.  43. 

Lygaens  filicis  Fallen,  Monogr.  Cim.  Suec.  1807,  92,  74. 

Fliytocoris  filicis  Fallen,  Hemipt.  Suec.  1829,  108,  61.  — 
Hahn,  Wanz.  Ins.  1834,  II,  86,   fig.  172. 

Capsus  filicis  Herrich-Sciiäffer,  Nom.  entom.  1835,  p.  51.  — 
Meyer,  Schweiz.  Rhynchot.  1843,  p.  71,  43.  —  F.  Sahlberg,  Monogr. 
Geoc.  Fenn.  1848,  113,  50.  —  Kirschbaum,  Rhynchot.  Wiesbadens, 
1855,  70,  76.  —  Flor,  Rhynchot.  Livlands,  1860,  I,  p.  539,  39.  — 
Thomson,  Opusc.  entom.  1871,  433,  55. 

Bryocoris  filicis  Kolenati,   Melet.  entom.  1845,  II,  129,  115. 

Monalocoris  filicis  Dahlbom  ,  Anmärk.  öfver  Ins.  in  Vet.  Ak. 
Handl.  1851,  209  ut  typus.  —  Fieber,  Criter.  z.  gener.  Theilg.  d. 
Phytocor.  1859,  12.  —  Europ.  Hemipt.  1861,  238.  —  Douglas  and 
Scott,  Brit.  Hemipt.  1865,  279,  1  and  pL  X,  fig.  2.  —  Reuter,  Rev. 
crit.  Caps.  1875,  79,  1.  —  Rev.  synon.  1888,  284,  256.  —  Saunders, 
Synops.  of.  Brit.  Hemipt.  Het.  1875,  278,  1.  —  Snellen  van  Vollen- 
hoven,  Hemipt.  Neerland.  1878,  146.  —  Püton,  Cat.  1886,  p.  46,  1. 

—  Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889,  p.  40.  —  Saunders,  Hemipt.  Het. 
of  the  Brit.  Islands,  1892,  p.  229. 

Bayern:  In  Wäldern  auf  Farnkraut  (Polypodium  felix,  mas. 
et  fem.  Linne),  im  Sommer  in  hiesiger  (Nürnberger)  Gegend  gar 
nicht  selten.  Hahn.  —  Bei  Bamberg  in  Wäldern  auf  Farnkräutern. 
Funk.  —  Württemberg.  Roser.  —  Bei  Beuron  7.  97  gefunden. 
Hüeber.  — ■  Elsass-Lothringen :  Sur  les  fougeres  des  Vosges ,  de  la 
foret  de  Vendenheim,  de  Saint-Avold.  Commun.  Reiber-Püton.  — 
Nassau :  M  W  bei  Wiesbaden,  hin  und  wieder,  z.  B.  am  gewachsenen 
Stein,  in  Menge  auf  Fteris  aquilina  L. ,  nur  einmal  auf  Äsplenium 
filix  fem.  Bernh.  gefunden;  6 — 9.  Kirschbaum.  —  Westfalen:  Im 
Hochsommer  und  Herbst  an  schattigen  Lokalitäten  auf  Pteris  nicht 
selten.  Westhoff.  —  Schleswig-Holstein :  In  Laubwäldern  auf  Farn- 
kräutern nicht  selten.  Wüstnei.  —  Mecklenburg:  In  Wäldern  auf 
Farnkräutern  vom  Juni   bis  Ende  August   sehr   zahlreich.     Raddatz. 

—  Thüringen :  Bei  Gotha  überall  nicht  selten.  Kellner-Breddin.  — 
Schlesien:  Gewöhnlich  in  Gemeinschaft  mit  C.  Ptcridis  Fall,  auf 
Aspidiuni  filix  fem.,  weniger,  wie  es  scheint,  auf  Aspid.  filix  mas. 
Meist  in  hügelichen  Gegenden  und  im  Gebirge;  von  Mitte  Mai  bis 
Anfang  August.  Schultz;  —  in  der  Ebene  und  im  Gebirge,  auf 
Aspid,  filix  fem.,  im  Juli  und  August  ziemlich  häufig.  Assmann.  — 
Provinz  Preussen.     Brischke. 


—     231     — 

Diese  kleine  Wanze  lebt  auf  dem  männlichen  und  weiblichen 
Farnkraut  {Polypodium  filix  mas.  et  folminä  Linne)  in  Europa.  Sie 
ist  kaum  so  gross  als  ein  Floh.     Wolff. 

Auf  Poli/podium  ßlix  mas.,  Pteris  aquilina  und  anderen  blühen- 
den Farnen  im  August,  September  in  Wäldern  und  Hainen.  Wohl 
durch  ganz  Europa.     Fieber. 

Habitat  in  Pteridi  aquilina,  Polysticho  et  Asplenio  sat  frequens. 
Europa  tota.     Reuter, 

[Schweiz:  Eine  sehr  weit  verbreitete,  obschon  nicht  überall 
vorkommende  Art;  erscheint  schon  vor  Mitte  Mai  bis  gegen  Ende 
August  gesellschaftlich  auf  Farnkraut  {Polypoäium  felix  Linne)  an 
lichten  Waldabhängen.  Meyer.  —  In  Wäldern  und  an  Waldsäumen 
auf  blühenden  Farnkräutern  von  Anfang  Mai  bis  im  Oktober  wohl 
über  die  ganze  waldige  Schweiz  verbreitet,  von  der  Ebene  bis  zu 
4000'  s.  M.  Stellenweise  gesellschaftlich.  Frey-Gessner.  —  Grau- 
bünden :  Auf  Farnkräutern  am  Bergabhang  von  Cavorgia  bei  Sedrun 
gefunden.  Killias.  —  Tirol :  Auf  Farnen  bis  fast  zur  subalpinen 
Region ,  Sommer.  Auf  der  Stamser  Alpe  u.  s.  w.  Gredler.  — 
Steiermark:    Auf  Polypodium ,  Pteris  u.  s.  w.  häufig.     Eberstaller. 

—  Nieder- Osterreich:    Bei  Gresten   auf  Farnen   häufig.     Schleicher. 

—  Böhmen:  In  schattigen  Wäldern  auf  verschiedenen  Farnkräutern, 
namentlich  Aspidium  filix  mas.  und  Pteris  aquilina,  überall  nicht 
selten;  7—9.  Duda.  —  Livland :  Auf  Äspid.  filix  häufig,  im  Juni, 
Juli,  September.     Flor.] 

Bryocoris  Fallen. 
In  beiden  Geschlechtern  dimorph  und  dabei  einander  äusserlich 
sehr  unähnlich:  die  geflügelten,  sehr  seltenen  Tiere  gestreckt,  mehr 
eiförmig ;  die  ungeflügelten  (bezw.  mit  gekürzten  Decken  versehenen) 
Individuen  mehr  birnförmig,  ohne  Keil  und  ohne  Glashaut.  —  Leib 
sehr  fein  behaart.  —  Der  kurze  dreieckige ,  hinten  gewölbte  Kopf 
fällt  nach  vorne  fast  senkrecht  ab,  ist  also  stark  geneigt  und  zwischen 
den  Augen  zweimal  so  breit  als  lang.  Der  vorne  glatte  und  gewölbte 
Scheitel  ist  nach  hinten  zu  aufgebogen ;  das  gewölbte  Kopfschild 
durch  eine  Vertiefung  von  der  Stirne  getrennt.  —  Der  Schnabel  ist 
kurz  und  dick,  seine  Spitze  ragt  nur  wenig  über  das  erste  Hüften- 
paar hinaus.  —  Die  Fühler  sind  beim  S  etwas  länger,  beim  $  etwas 
kürzer  als  der  Körper;  ihr  erstes  Glied  ist  Vl^xndX  so  lang  als  der 
Kopf,  das  zweite  zweimal  so  lang  wie  das  erste  und  sich  nach  der 
Spitze  zu  langsam  verdickend,  das  dritte  und  vierte  Glied  ist  faden- 


—     232     — 

förmig,  ersteres  länger  als  das  vierte,  beide  zusammen  länger  als 
das  zweite.  —  Das  Pronotum  ist  länglich  trapezoidal,  und  zwar  bei 
der  entwickelten  (geflügelten)  Form  breit,  und  nach  den  geraden 
Seiten  zu  gewölbt,  vorne  gerade,  mit  deuthcher  Einschnürung;  in 
seiner  Mitte  zwei  Schwielen ;  bei  den  ungeflttgelten  (brachypteren) 
Tieren  ist  das  Pronotum  weniger  geneigt,  weniger  gewölbt  und  nach 
vorne  zu  auch  weniger  verschmälert.  —  Die  Halbdecken  (Hemielytren) 
sind  entweder  vollständig  entwickelt  (bei  beiden  Geschlechtern),  die 
Spitze  des  Hinterleibs  überragend,  glatt,  durchscheinend,  ziemlich 
parallelseitig  und  mit  sehr  grossem  Keil  (Cuneus),  aber  nur  einer 
Grundzelle  versehen,  oder  —  bei  der  häufigeren,  unentwickelten  Form 
—  gewölbt,  verkürzt,  einen  Teil  des  Hinterleibs  unbedeckt  lassend, 
fein  und  deutlich  punktiert,  ohne  Keil  und  ohne  Membran.  Die  Beine 
sind  lang  und  dünn. 

19  (415)  x)teridis  Fallen. 

Bryocoris  Pteridis  corpore  nigro  ovato :  ano  albo ;  elytris  pallidis 
Fallen. 

Niger,  antennis  pronoto  scutello  elytris  pedibus  anoque  pallidis. 
Long.  Vs'"-     Bukmeister. 

Dunkelglänzend,  fein  gelblich  behaart;  After  gelblich;  ebenso 
die  1.  Hälfte  der  Fühler,  d.  h.  das  1.  und  ^3  des  2.  Gliedes;  Beine 
lang,  schlank,  hell,  mit  fein  gelblich  behaarten  Schienen  und  schwarzem 
letzten  Fussglied. 

Die  makroptere  (geflügelte)  Form  ist  schmal;  das  vorne  ver- 
tiefte Pronotum  runzelig  punktiert.  Innerer  Augenrand  hell.  Die 
durchscheinenden  langen  gelbbraunen  Decken  zeigen  fein  punktierten 
dunklen  Clavus,  dunkeln  Keilrand  und  dunkeln  Fleck  am  Ende  des 
Coriums;  die  hellbraune  Membran  hat  einen,  oft  auch  zwei  glashelle 
Flecken.  Das  bei  dieser  Form  stärker  gewölbte  und  stark  geneigte 
Pronotum  ist  nach  vorne  zu  sehr  verschmälert,  abgeschnürt  und 
dunkel.     Länge  3 — 4  mm. 

Bei  der  brachypteren  Form  sind  die  gewölbten  sehr  fein  punk- 
tierten Decken  kürzer  als  der  Leib,  ohne  Clavus,  Cuneus  und  Mem- 
bran, und  nach  der  Spitze  zu  verbreitert  und  abgerundet ;  ihre  Farbe 
ist  schmutzig  hellgelb,  und  zwar  bei  den  $  meist  einfarbig,  bei  den 
S  mit  dunklem  Clavus,  dunklem  Aussenfleck  und  ebensolchem  mitt- 
leren Längsstreif.  Das  Pronotum  ist  hier  weniger  gewölbt,  weniger 
geneigt,  nach  vorne  kaum  verschmälert,  und  zeigt  einen  dunkeln, 
glatten,    etwas  wulstigen  Querstreif  hinter  seinem  Vorderrand;    das 


-     233     — 

Schildchen  ist  hier  nicht  so  dunkel  wie  bei  der  langfiügeligen  Form. 
Länge  2 — 3  mm. 

Capsus  Pteridis  Fallen,  Monogr.  Cimic.  Suec.  1807,  105,  20. 

—  Germar  in  Ahrens  Faun.  Ins.  Europ.  1813,  fasc.  X,  tab.  13.  — 
Meyer,  Schweiz.  Rhynchot.  1843,  114,  109.  —  Flor,  Rhynchot.  Liv- 
lands,  1860,  I,  540,  40.  —  Thomson,  Opusc.  entom.  IV,  434,  56. 

Halticus  Pteridis  Bürmeister,  Handb.  d.  Entom.  1835,  IL  278,  6. 

Bnjocoris  Pteridis  Fallen,  Hemipt.  Suec.  1829,  152,  1.  — 
Zetterstedt,  Ins.  Lappon.  1840,  266,  1.  —  F.  Sahlberg,  Monogr. 
Geoc.  Fenn.  1848,  124,  2.  —  Kolenati,  Melet.  entom.  1857,  II,  129, 
116.  —  Fieber,  Europ.  Hemipt.  1861,  238.  —  Douglas  and  Scott, 
Brit.  Hemipt.  1865,  277,  1  and  plate  X,  fig.  1  und  1*.  —  Saunders, 
Synops.  of  Brit.  Hemipt.  Het.  1875,  278,  1.  —  Reuter,  Rev.  crit. 
Caps.  1875,  80,  1.  —  Püton,  Cat.  1886,  46,  1.  —  Atkinson,  Cat. 
of  Caps.  1889,  4L  —  Saunders,  Hemipt.  Het.  of  the  Brit.  Islands, 
1892,  228. 

Bayern :  Bei  Bamberg  auf  den  Adlerfarnen  im  Hauptsmoore. 
Funk.  —  Württemberg :  Bei  Ulm,  im  Wiblinger  Staatswald,  Spätsommer ; 
ein  langflügeliges  Exemplar  auf  der  Böfinger  Halde,  8.  7.  93.    Hüeber. 

—  Baden :  Bei  Fahrnau,  im  September,  gefunden  von  Hartmann.  — 
Elsass-Lothringen :  Sur  les  fougeres  des  forets  vosgiennes.  Pas  rare, 
mais  toujours  brachyptere.  —  Supplement :  Un  ex.  macroptere.  7.  Foret 
de  Remiremont  (F.).  Reiber-Puton.  —  Westfalen:  Ein  weibliches 
Stück,  7.  10.  77,  bei  Wolbeck  im  Tiergarten  gekätschert  von  West- 
hoff. —  Schleswig-Holstein  :  Wie  M.  ßlicis  L.  auf  Farnen  und  stellen- 
weise nicht  selten.  Wüstnel  —  Mecklenburg:  Von  Anfang  Juni  bis 
Ende  September  auf  Farnkräutern  in  Wäldern  sehr  häufig;  solche 
Männchen,  welche  vollkommen  ausgebildete  Flugorgane  haben,  fand 
ich  nur  in  geringer  Anzahl.  Raddatz.  —  Thüringen :  Bei  Gotha 
überall  nicht  selten.  Kellner-Breddin.  —  Schlesien :  Sehr  häufig  auf 
Asindium  filix  fem.  Scholtz.  —  In  hügelichen  Gegenden  und  in  den 
Vorbergen  auf  Aspid.  filix  fem.,  im  Juli  und  August,  ziemlich  häufig. 
Assmann. 

Auf  Pteris  aquilina  in  Wäldern,  durch  ganz  Europa.     Fieber. 

Habitat  in  Pteride  aquilina,  Polysticho  et  Asplenio  minus  fre- 
quens.     Europa  praecipue  borealis.     Reuter. 

[Schweiz :  Bis  jetzt  nur  in  der  nördlichen  Schweiz  in  hohen 
Bergwäldern  aufgefunden.     Meyer.  —  Auf  Pteris  aquilina  in  höher 


—     234     — 

gelegenen  Wäldern  oft  zahlreich,  im  August  und  Oktober,  bis  nahezu 
3000'  s.  M.  Frey-Gessner.  —  Graubünden:  Auf  Adlerfarnen,  bei 
Sedrun  gefunden.  Killias.  —  Tirol :  In  Nord-Tirol  und  um  Bozen 
in  höhern  Waldungen  einigemal  beobachtet;  auf  Ft.  aqnllina.  — 
Bei  Vils.  Gredler.  —  Steiermark :  Auf  Pt.  aqinlina  in  Waldständen. 
Eberstaller.  —  Nieder-Österreich :  Bei  Gresten  auf  Farnen  in  Wäl- 
dern. Schleicher.  —  Böhmen :  In  Wäldern  auf  Farnkräutern ,  be- 
sonders Pt.  aquilina^  ziemlich  selten ;  ich  habe  diese  Art  aus  Pisek 
(makroptere  Form)  und  Teplitz  (brachypter) ;  auch  bei  Eger,  7.  Duda. 
—  Livland :  Sehr  zahlreich  auf  Farnkräutern  in  schattigen  Gebüschen, 
von  Juni  bis  Ende  September;    geflügelte  und  ungeflügelte.     Flor.] 

Div.  Capsaria*. 

Kopf  senkrecht  oder  geneigt,  nur  äusserst  selten  gerade  vor- 
gestreckt, die  Zügel  (Lorae)  nicht  abgeschieden,  der  Scheitel  nur 
selten  mit  Längsfurche  (in  welchem  Falle  dann  das  erste  Fussglied 
niemals  länger  als  das  zweite  ist) ;  die  Augen  weichen  an  ihrem 
Innenrand  gegen  die  Spitze  zu  auseinander,  und  sind  häufig  aus- 
gebuchtet; der  Schnabel  läuft  gegen  sein  Ende  allmählich  spitz  zu; 
der  Vorderrücken  (Pronotum)  ist  durch  eine  ringförmige  Einschnürung 
an  der  Spitze  scharf  gezeichnet,  seine  Seiten  sind  meist  abgestumpft 
und  nur  sehr  selten  gegen  die  Spitze  zu  gerandet  (in  welchem  Falle 
der  Kopf  senkrecht  steht  oder  das  erste  Fussglied  nicht  länger  als 
das  zweite  ist) ;  die  Halbdecken  der  geflügelten  (makropteren)  Form 
zeigen  einen  wohlausgebildeten  Keil  (Cuneus)  und  eine  Membran  mit 
zwei  Zellen;  die  Flügelzelle  ist  ohne  Haken  (^=  klauenartiges  Ende 
der  Nebenader) ;  der  Fortsatz  (Xyphus)  der  Vorderbrust  ist  ausgehöhlt 
oder  eben  und  an  seinen  Seiten  meist  gerandet;  die  Hinterhüften 
stehen  von  den  Epipleuren  der  Halbdecken  massig  weit  ab;  an  den 
Füssen  ist  das  dritte  Glied  nicht  verdickt;  die  Klauen  zeigen  freie, 
grosse,  auseinanderstehende  Haftläppchen;  der  Geschlechtsabschnitt 
(Genitalsegment)  des  Männchens  ist  unten  gewölbt,  sein  Endlappen 
zugespitzt,  nach  oben  gebogen  und  dort  geöffnet,  sowie  links  in  eine 
mehr  oder  weniger  tiefe  Bucht  ausgezogen.     Reuter**. 

Anm.    Bei  dieser  Division  ist  der  mit  Scheitellängsfurche  ver- 

*  Von  hier  ab  hält  sich  meine  kompilatorische  Bearbeitung  an  den  kürzlich 

erschienenen  5.  Band  von  0.  M.  Eeuter's  Hemiptera  Gymnocerata  Europae,  Helsing- 

fors  189(5.  —  Die  Keihenfolge  ist  (s.  Vorrede)  umgekehrt,  bezw,  absteigend.    H. 

**  0.  M.  Reuter,  Hern.  Gj'mn.  Eur.  V.  tom.,  1896,  p.  5,    (Aus  dem  Latein 

übertragen.)     H. 


-     235     — 

sehene  Kopf  niemals  vorgestreckt  und  dabei  gleichzeitig  das  erste 
Fussglied  lang;  hierdurch  unterscheiden  sich  die  Capsaria  von  den 
Miraria;  von  den  Myrmecoraria  unterscheiden  sie  sich  dadurch,  dass 
die  Halbdecken  der  makropteren  Form  einen  Keileinschnitt  und  eine 
zweizeilige  Membran  aufweisen;  von  den  Bryocoraria  unterscheiden 
sie  sich  durch  die  zweizelHge  Membran  und  durch  die  an  ihrer  Spitze 
nicht  erweiterten  Fussglieder;  von  den  Pilophoraria  dadurch,  dass 
am  Kopf  kein  Zügel  (Lora,  unterer  Wangenteil)  abgesondert  ist,  dass 
die  Flügelzelle  keinen  Haken  hat  und  dass  die  hinteren  Hüften  von 
den  Epipleuren  der  Halbdecken  nur  wenig  abstehen;  von  den  Myrm-e- 
cophyaria,  Hypseloecaria ,  Laboparia,  Cremnorrhinaria  etc.  dadurch, 
dass  das  Pronotum  vorne  abgeschnürt  ist;  von  den  Dicypharia  und 
Cyllocoraria  durch  die  grossen,  an  ihrem  Ende  blattartig  erweiterten 
und  auseinandergespreitzten  Haftläppchen  der  Klauen.     Reuter. 

Übersicht  der  Gattungen  der  Division  Capsaria  nach  Reuter 
(Hemipt.   Gymn.  Europ.  V.  tom.   p.   347  —  356). 

1.  (36.)    Leib  auf  der  Oberseite  (mit  Ausnahme  des  Kopfes)  einschliess- 

lich der  Halbdecken  [bei  der  Gattung  Stethocomis  letztere  nur 
schwach]  getüpfelt  oder  fein  punktiert,  am  Schildchen  jedoch 
meist  nur  schwach ;  auch  das  Pronotum  ist  nur  äusserst  selten 
weitläufig  punktiert,  in  welch  letzterem  Falle  Clavus  nebst  Corion 
gegen  ihren  Ansatz  hin  ziemlich  kräftig  punktiert  und  der  Cuneus 
kürzer  ist  als  an  seinem  Grunde  breit.  Scheitel  meist  gerandet. 
Leib  bisweilen  mit  dichtem,  polsterartigem  Gitterwerk  (Haarflaum) 
überdeckt,  nach  dessen  Entfernung  sich  jedoch  eine  deutliche 
Punktierung  zeigt;    Pronotum  manchmal  dicht  und  tief  gefurcht. 

2.  (3.)    Membran  mit  flaumartigen  liegenden  Härchen  bedeckt.     Halb- 

decken des  Weibchens  oft  stark  gekürzt,  ohne  Membran.  Kopf 
kurz,  hinter  den  vorspringenden  Augen  eingeschnürt.  Pronotum 
stark  vertieft  punktiert,  mit  queren,  ineinanderfliessenden,  glänzen- 
den niederen  Schwielen,  deren  Ränder  scharf  eingegraben.  Schild- 
chen mit  einem  mehr  oder  weniger  deutlichen  Längskiel  versehen. 
An  den  hinteren  Füssen  ist  das  erste  Glied  erheblich  länger  als 
das  zweite.     Leib  lang  behaart.  Bothynotus  Fieb. 

3.  (2.)    Membran  glatt,  unbehaart. 

4.  (5.)    Schildchen  zeigt  sich  als  schmaler,  hoher,  hinten  gekrümmter 

Kamm.  Kopf  kurz,  hinter  den  Augen  eingeschnürt.  Pronotum 
stark  vertieft  punktiert,  mit  nur  wenigen  zerstreuten  Schwielen, 
an  seiner  Spitze  zu  einer  grossen  halsförmigen  Einschnürung  ver- 
engt. An  den  Hinterfüssen  ist  das  erste  Glied  deutlich  länger 
als  das  zweite.  Halbdecken  dünn,  seitlich  erweitert.  Leib  lang 
behaart.  Stethocomis  Fieb.* 


*  In  Deutschland  bis  jetzt  noch  nicht  gefunden!?     H. 


—     236     — 

5.  (4.)    Schildchen  nicht  zu  einem  hohen  Kamm  erhoben,  jedoch  oft 

mehr  oder  weniger  gewölbt. 

6.  (7.)    An  den  Hinterfüssen  ist  das  erste  Glied  so  lang  wie  die  zwei 

letzten  zusammengenommen.  An  den  Fühlern  sind  die  letzten 
Glieder  nur  kurz.  Scheitel  gerandet.  Leib  oben  vertieft  punktiert, 
nebst  Fühlern  und  Beinen  zart  behaart.  AUoeotomus  Fieb. 

7.  (6.)     An    den  Hinterfüssen    (Tarsen)    ist    das    erste  Glied    deutlich, 

meist  sogar  um  viel  kürzer  als  die  beiden  letzten  zusammen. 

8.  (9.)     [Leib  oben  mit  einem  dichten,  bräunlich  schimmernden  Polster 

überzogen.  Pronotum  dicht  vertieft  querreihig  punktiert  oder 
gefurcht,  ziemlich  wagerecht.  Scheitel  breit,  beim  Männchen  deut- 
lich gerandet.  Kopf,  von  der  Seite  gesehen,  kürzer  als  hoch, 
mit  ineinanderfliessender  Stirn  und  Kopfschild ,  sowie  hohen 
Wangen,  von  oben  gesehen  ungefähr  ^/^  —  ^/^  schmäler  als  das 
Pronotum.  Halbdecken  des  Weibchens  verkürzt.  Farbe  schwarz. 
Die  von  F.  Sahlbeeg  auf  den  Inseln  Bering  und  Sitka  ge- 
fundene Gattung  Irhisia  Reut.] 

9.  (8.)    Pronotum  getüpfelt  oder  fein  punktiert,  selten  tief  quergerunzelt 

und  in  diesem  Falle  von  grüner  Farbe. 

10.  (19.)    Scheitel  nur  an  den  Seiten  fein  oder  undeutlich  gerandet,   oft 

ganz  ungerandet.     Leib  niemals  einfarbig  grün. 

11.  (12.)    Kopf  dick,  deutlich  breiter  als  der  Grundteil  des  Pronotum. 

Wangen  hoch.  Augen  nach  vorne  stark  auseinanderweichend, 
ihr  innerer  Rand  ziemlich  gerade.  Pronotum  am  Grunde  ab- 
gestutzt, seine  Winkel  abgerundet.  An  den  Hinterfüssen  ist  das 
erste  Glied  nur  wenig  länger  als  das  zweite.  Capsus  Fabr. 

12.  (11.)  Kopf  etwa  ums  Doppelte  oder  noch  mehr  schmäler  als  das  Pronotum. 

13.  (14.)     [Kopfschild  kaum  vorspringend.     Kopf  senkrecht,   etwa  zwei- 

mal schmäler  als  der  Ansatz  des  Pronotum ,  von  vorne  gesehen 
kaum  kürzer  als  samt  den  Augen  breit.  Scheitel  abgeflacht, 
schmal.  Das  erste  Fühlerglied  überragt  die  Spitze  des  Kopf- 
schilds nur  wenig,  die  beiden  letzten  sind  zusammengenommen 
länger  als  das  zweite.  Pronotum  stark  vertieft  punktiert.  An 
den  Füssen  sind  zwei  Glieder  dem  jeweils  ersten  an  Länge  ziem- 
lich gleich. 

Die  nur  in  Griechenland   lebende  Gattung  SaundersieUa  Reut.] 

14.  (13).    Kopfschild  (Clypeus)  mehr  oder  weniger  vorspringend.     Kopf 

geneigt  und  meist  schmäler  als  der  Grundteil  des  Pronotum. 

15.  (18.)    Pronotum  stark  vertieft  punktiert.     Halbdecken  kräftig  punk- 

tiert. An  den  Hinterfüssen  ist  (mit  Ausnahme  von  CaniptohrocMs 
punctulatits)  der  untere  Rand  des  ersten  Gliedes  meist  deutlich 
länger  als  jener  des  zweiten.  An  den  Fühlern  sind  die  beiden 
letzten  Glieder  zusammengenommen  meist  kürzer  als  das  zweite. 

16.  (17.)    Das  erste  Fühlerglied  überragt  erheblich  die  Spitze  des  Kopf- 

schilds. Letzteres  selbst  springt  stark  vor.  Das  Pronotum  ist 
am  Grunde  fast  dreimal  breiter  als  an  der  Spitze.  Die  Augen 
sind  wenig  ausgebildet.  Die  Klauen  sind  an  ihrem  Grunde  meist 
gezähnt.  Deraeocoris  Stal. 


—     237     — 

17.  (16.)    Das  erste  Fühlerglied   überragt   die  Spitze    des  Kopfschildes 

nicht  oder  doch  nur  wenig.  Kopf  kurz  und  in  die  Quere  ge- 
zogen.    An  der  Membran  ist  die  Brachialader  stark  gebogen, 

Camptobrochis  Fieb. 

18.  (15.)    Pronotum  sparsam  und  ziemlich    schwach   punktiert.     Halb- 

decken fein  getüpfelt.  An  den  Hinterfüssen  ist  der  untere  Rand 
des  zweiten  Gliedes  ebenso  lang  wie  jener  des  ersten.  Die  zwei 
letzten  Fühlerglieder  sind   zusammen  länger  als  das  zweite. 

Liocoris  Fieb. 

19.  (10.)    Scheitel  hinten  vollständig  gerandet,   der  gekielte  Rand  bis- 

weilen in  seiner  Mitte  etwas  niedriger,  äusserst  selten  findet  sich 
auf  den  Seiten  nur  eine  zarte  vertiefte  Querlinie,  in  welch  letz- 
terem Falle  der  Leib  einfarbig  grün  ist. 

20.  (25.)    Leib   oben  wie  unten  mit  einem  dichten  Polster  von  zarten, 

leicht  abreissbaren,  goldenen,  erzfarbenen,  silbernen  oder  weissen 
Härchen  bedeckt. 

21.  (22.)    Leib  hoch  gewölbt,    auf  der  Oberseite  kräftig  vertieft  punk- 

tiert. Kehle  kurz.  Pronotum  mit  starker  Einschnürung  an  seiner 
Spitze.  Öffnungen  der  Hinterbrust  (Metastethium)  deutlich  sicht- 
bar.    Die  zwei  ersten  Glieder  der  Hintertarsen  gleich  lang. 

Qiaragochilus  Fieb. 

22.  (21.)    Pronotum    und  Halbdecken    ziemlich    fein    punktiert.      Kehle 

massig  lang.  Pronotum  mit  ziemlich  feiner  Einschnürung  an  der 
Spitze.  Die  Öffnungen  der  Hinterbrust  bilden  einen  zarten  Spalt 
und  sind  kaum  wahrnehmbar.  Das  zweite  Glied  der  Hintertarsen 
ist  deutlich  länger  als  das  erste. 

23.  (24.)    Kopfschild     weniger     vorspringend.       Pronotum     vollständig 

schwarz ,  an  seinem  Grunde  wenig  mehr  als  halb  so  breit  wie 
lang.  Halbdecken  des  Weibchens  ziemlich  stark  gerundet-erweitert, 
auch  jene  des  Männchens  an  den  Seiten  geschweift,  Keil  nicht 
oder  nur  wenig  länger  als  am  Grunde  breit.    Poli/merus  Hahn. 

24.  (23.)    Kopfschild  ziemlich  stark  vorspringend.     Pronotum  wenigstens 

mit  blassem  Saum  am  Grunde.  Halbdecken  des  Männchens  mit 
parallel  laufenden  Seiten  und  mit  einem  Keil,  der  meist  deutlich 
länger  ist  als  an  seinem   Grunde  breit.  Foecüosci/tus  Fieb. 

25.  (20.)    Leib  wenigstens  auf  der  Unterseite  ohne  zarte,  zerbrechliche 

goldene,  erzfarbene,  silberne  oder  weisse  Härchen,  fein  flaumhaarig 
oder  ziemlich  kahl. 

26.  (35.)    An    den  Hinterfüssen    ist    das    zweite    Glied    mindestens    am 

unteren  Rande  wenig  oder  kaum  länger  als  das  erste,  das  dritte 
länger  als  das  zweite ,  oft  ganz  erheblich.  Die  Augen  ragen 
weniger  weit  über  die  Wangen  vor. 

27.  (28.)     [Hinterschenkel  viel  dicker  und  länger  als  die  übrigen.     Kopf 

von  der  Seite  gesehen  hoch,  fast  zweimal  so  viel  als  lang.  Scheitel 
gleichmässig  gerandet.  Wangen ,  besonders  beim  Weibchen ,  er- 
höht. Zweites  Fühlerglied  viel  länger  als  der  Kopf  breit.  Halb- 
decken an  den  Seiten  abgerundet.     Keil  stark  geneigt. 


—     238     — 

Drei    nur    im    südlichen    Europa    lebende   Arten    der    Gattung 
Cyplwdcma  Fieb.*] 

28.  (27.)    Hinterschenkel  kaum   oder  nur  wenig  länger  und  dicker   als 

die  vorderen.  Kopf  von  der  Seite  gesehen  weniger  hoch,  min- 
destens nicht  ganz  zweimal  so  lang  als  hoch.  Keil  nur  massig 
schräg. 

29.  (30.)    [Fühler    deutlich    am    unteren    vorderen    Augenrand    innseits 

eingefügt.  Kopf  wenig  mehr  als  Ys  so  schmal  als  das  Fronotum 
an  seinem  Grunde,  von  vorne  gesehen  kaum  quer.  Scheitel  gleich- 
massig  gerandet.  Fronotum  mit  dunkler  Einschnürung  an  der 
Spitze.      Öffnungen  der  Hinterbrust  nicht  sichtbar. 

Nur  eine,  in  Schweden  lebende  palaearktische  Art  der  Gattung 
Zyijimus  Fieb.*J 

30.  (29.)    Fühler  so  ziemlich  oberhalb  des  vordem  Augenendes  innseits 

eingefügt.  Fronotum  mit  glatter,  glänzender,  vorderer  Einschnü- 
rung.     Öffnungen  der  Hinterbrust  deutlich. 

31.  (32.)    Fronotum    zwischen    den    Schwielen    bis    zur    vorderen    Ein- 

schnürung vertieft  punktiert.  Kopf  nur  etwa  Y.<j  schmäler  als 
das  Fronotum  an  seinem  Grunde.  Scheitel  in  der  Mitte  bedeu- 
tend feiner  gerandet.  Erstes  Fühlerglied  das  Ende  des  Kopf- 
schildes berührend.     Keil  kaum  länger  als  am  Grunde  breit. 

Camptozijgmn  Reut. 

32.  (31.)    Fronotum  zwischen  den  Schwielen  vorne  glatt  und   gewölbt. 

Scheitel  gleichmässig  gerandet.  Erstes  Fühlerglied  die  Spitze  des 
Kopfschildes  überragend.      Keil  länglich-dreieckig. 

33.  (34.)    [Kopf  von  vorne   gesehen    ziemlich    stark    in    die   Quere    ge- 

zogen, fast  doppelt  so  schmal  als  das  Fronotum  an  seinem  Grunde, 
Kehle  kaum  zu  unterscheiden.     Fronotum  tief  punktiert. 

Nur  in  Sibirien !   —  Lijgidea  Reut.] 

34.  (33.)    Kopf  von    vorne    gesehen    fast    ebenso    lang    als    breit.     Die 

deutlich  ausgebildete  Kehle  liegt  in  der  Ebene  des  Mundes. 
Fronotum  mit  tiefen  Runzeln  versehen,  welche  nach  vorne  in  eine 
glatte  Schwiele  zusammenfliessen.  Plesiocorls  Fieb. 

35.  (26.)    An  den  Hinterfüssen  ist  das  zweite  Glied  deutlich  länger  als 

das  erste ,  das  dritte  gleich  lang  wie  das  zweite  oder  fast  noch 
kürzer  als  dieses.  Scheitel  nicht  breit,  oft  sogar  schmal.  Augen 
ziemlich  weit  über  die  Wangen  vorragend ,  im  oberen  Teil  ihres 
inneren  Randes  meist  nur  wenig  auseinanderweichend,  dann  aber 
oft  plötzlich  mehr  oder  weniger  tief  ausgebuchtet.  Kehle  kaum 
angedeutet  oder  deutlich  schief.   Öffnungen  der  Hinterbrust  deutlich. 

Lygus  Fieb.  Reut. 

36.  (1.)    Leib  auf  seiner  Oberseite  nicht  punktiert,  glatt,  lediglich  das 

Fronotum  bisweilen  runzelig,  nur  selten  fein  getüpfelt  oder  punk- 
tiert.    Halbdecken  glatt  oder  verschwommen  gestichelt.     Scheitel 


*  Die   neuere   Nomenklatur   (Reuter's)   weicht   erheblich   von  jener   des 
jüngsten  Puton'schen  Katalogs  der  palaearktischen  Hemipteren,  3.  Aufl.,  1886,  ab. 

H. 


—     239     — 

ungerandet  oder  nur  um  die  Augen  kurz  und  verschwommen  ge- 
randet.      Keil  meist  länger  als  an  seinem  Grunde  breit. 

37.  (38.)    Scheitel  beiderseits  gegen  die  Augen   zu    kurz,    stumpf   und 

verschwommen  gerandet,  in  seiner  Mitte  breit  ungerandet.  Fühler 
schlank,  ihr  erstes  Glied  überragt  die  Spitze  des  Kopfes  nicht, 
das  zweite  ist  haarfein.  An  den  Hinterfüssen  ist  das  dritte  Glied 
mindestens  ebenso  lang  als  die  zwei  ersten  zusammen. 

DicJirooscijtus  Fieb. 

38.  (37.)    Scheitel  vollständig  randlos.     Das  erste  Fühlerglied  überragt 

meist  die  Spitze  des  Kopfes. 

39.  (88.)    Scheitel  selten  (abgesehen  von  drei  ausländischen  Gattungen 

nur  bei  Adelphocoris  und  Megacoeliim)  mit  feiner  Längsfurche,  in 
diesem  Falle  sind  die  Seiten  des  Pronotum  nicht  gerandet  oder 
ist  der  Kopf  senkrecht  oder  doch  stark  geneigt  und  dabei  die 
Stirne  gegen  die  Spitze  zu  meist  stark  abfallend. 

40.  (87.)    Pronotum  ohne  eine  die  Seiten  überragende  Querfurche ;  nur 

selten  ist  diese  Furche  über  die  Seiten  hin  etwas  verlängert; 
in  letzterem  Falle  (es  handelt  sich  dabei  nur  um  die  ausserdeutsche 
Gattung  Epimecellus  und  vielleicht  noch  um  die ,  gleichfalls  süd- 
liche, bis  jetzt  noch  unbekannte  makroptere  Form  von  Gryllocoriä) 
ist  das  zweite  Fühlerglied  kolbig  verdickt. 

41.  (86.)    Wangen  vertieft  oder  gewöhnlich,  nur  selten  hoch;   in  letz- 

terem Falle  sind  die  Seiten  des  Pronotum  vollständig  abgestumpft 
oder  doch  nur  an  der  äussersten  Spitze,  neben  der  Einschnürung, 
gerandet  oder  der  Kopf  ist  geneigt  und  erheblich  länger  als 
hinten  breit. 

42.  (85.)    Zügel  (Lorae)  nicht  oder  nur  selten  backenartig  gewölbt,   in 

welch  letzterem  Falle-  die  Wangen  nieder  oder  doch  nicht  hoch  sind. 

43.  (80.)     Die  Hinterschenkel  überragen  das  Leibesende  nicht  oder  nur 

äusserst  seiten  (letzteres  nur  bei  dem  südeuropäischen  Calocoris 
siüphureus  und  dem  in  Syrien  lebenden  Megacoelum  pcUucens,  deren 
erstes  Fühlerglied  kürzer  als  das  Pronotum  ist) ,  dabei  sind  sie 
dünn  und  gerade  oder  leicht  cylindrisch,  nur  an  der  Spitze  ein 
wenig  verdünnt,  aber  nicht  platt  erweitert  und  gegen  das  Ende 
allmählich  ziemlich  stark  zugespitzt  und  zusammengedrückt.  Erstes 
Fühlerglied  deutlich  kürzer  als  das  Pronotum,  äusserst  selten  (nur 
bei  dem  in  Griechenland  lebenden  Calocoris  prmceps,  dessen  zweites 
Fühlerglied  an  der  Spitze  kolbig  ist  und  bei  dem  brachypteren 
Weibchen  von  Ischnoscellcoris)  gleich  lang  wie  jenes. 

44.  (47.)    Erstes  Glied  der  Hintertarsen  zweimal  länger  als  das  zweite. 

Schnabel  die  Hinterhüften  überragend. 

45.  (46.)    Erstes  Glied  der  Hinterfüsse  (Tarsen)    nicht    dicker    als    das 

zweite.  Leib  ziemlich  in  die  Länge  gezogen,  auf  seiner  Oberseite 
etwas  gewölbt.  Kopf  von  der  Seite  gesehen  breiter  als  der  Kopf- 
schild hoch,  mit  vertieften  Wangen.  Fühler  im  vordersten  Drittel 
des  inneren  Augenrandes  eingefügt.  Öffnungen  der  Hinterbrust 
nur  klein.  Stenotus  Jak. 

46.  (45.)    Erstes   Glied    der   Hinterfüsse    weit    dicker    als    die    übrigen. 


—     240     — 

Leib  länglich-eiförmig,  ziemlich  kräftig.  Wangen  hoch.  Fühler 
am  vorderen  Augenende  innseits  eingefügt,  mit  ihrem  kräftig  ent- 
wickelten ersten  Glied  die  Spitze  des  Kopfschildes  nicht  oder  nur 
•wenig  überragend ;  ihr  zweites  Glied  gegen  sein  Ende  zu  allmäh- 
lich verdickt.      Öffnungen  der  Hinterbrust  gross. 

Facliypterna  Fibij.  * 

47.  (44.)    Erstes  Glied  der  Hinterfüsse    kürzer    oder    ebenso    lang    wie 

das  zweite,  äusserst  selten  deutlich  länger  als  dieses,  in  welchem 
Falle  der  Schnabel  die  mittleren  Hüften  nicht  oder  nur  wenig, 
die  hinteren  niemals  überragt. 

48.  (40.)     [Membran-Zelle  ziemlich  gross  und  an  ihrer  Spitze  breit  ab- 

gerundet. Keil  (wenigstens  beim  Weibchen)  kaum  länger  als  am 
Grunde  breit.  Die  zwei  ersten  Fühlerglieder  dick ,  das  zweite 
(beim  Weibchen)  keulenförmig.  Vordere  Einschnürung  des  Prono- 
tum  so  dick  wie  das  erste  Fühlerglied,  an  den  Seiten  schmäler. 
Die  in  Nord-Afrika  lebende  Gattung  Eurijcyrtus  Reut.] 

49.  (48.)    Membran  (der  makropteren  Form)  mit  ziemlich  grosser  Zelle, 

welche  vorne  einen  spitzen  oder  abgerundeten  Winkel  zeigt; 
äusserst  selten  (Megacoelum)  ist  derselbe  ziemlich  stumpf  ab- 
gerundet, in  welchem  Falle  die  Fühlerglieder  fadenförmig  sind 
und  das  Pronotum  vorne  nur  zart  abgeschnürt  ist. 

50.  (51.)    Schnabel  die  Mitte  der  Mittelbrust  nicht  überragend,   äusserst 

selten  (nur  bei  Br.  llneelliis)  kaum  bis  zum  vorderen  Ende  der 
•  Mittelbrust  reichend.  Stirne  an  der  Spitze  über  den  Grund  des 
Kopfschildes  aufgebläht  vorragend.  Kopfschild  senkrecht.  Die 
zwei  letzten  Fühlerglieder  zusammen  kürzer  als  das  zweite.  Vor- 
dere Einschnürung  des  Pronotum  breit.  Oberseite  des  Leibes 
behaart.  Geschlechtsabschnitt  des  Männchens  abgestutzt,  auf 
seiner  Unterseite  behaart.  Bracliycoleus  Fieb. 

51.  (50.)    Der  Schnabel  überragt  die  Mitte  der  Mittelbrust. 

52.  (55.)    Auf  dem  Corium  findet  sich  zwischen  der  Brachial-  und  der 

Cubital-Ader  eine  deutlich  erhabene,  mittlere,  an  ihrem  cubitalen 
Ende  gegabelte  Längsader.  An  den  Hinterfüssen  ist  das  erste 
Glied  nur  wenig  dicker  als  das  zweite,  dabei  an  seinem  Ende  tief 
ausgeschnitten  und  sein  unterer  Rand  deutlich  länger  als  jener 
des  zweiten.  Vorderhüften  kurz.  Schienen  mit  kurzen  zarten 
Dornen  besetzt.  Fühler  am  oder  sogar  etwas  über  dem  vorderen 
Augenende  innseits  eingefügt.  Seitenrand  des  Pronotum  gegen 
die  Spitze  zu  mehr  oder  weniger  zugeschürft. 

53.  (54.)    Leib  eiförmig.     Kopf  von  vorne  gesehen  so  lang    wie    breit. 

Kopfschild  stark  vorspringend,  am  Grunde  von  der  Stirne  ziem- 
lich deutlich  geschieden.  Die  vorragenden  Augen  stossen  an  das 
Pronotum.  Der  Schnabel  überragt  die  mittleren  Hüften  nur  wenig 
und  erreicht  mit  seinem  ersten  Gliede  die  Mitte  des  Fortsatzes 
der  Vorderbrust.     Zweites  Fühlerglied  nicht  oder  nur  wenig  länger 

*  Die  einzit^e  Art  dieser  (Tattuiig  lebt  im  Hochgebirge  (Steiermark,  Krain, 
Frankreich)  auf  Koniferen,  besonders  der  Zirbelkiefer,  und  wurde  bis  jetzt  auf 
deutschem  Boden  noch  nicht  gefunden.  H. 


—     241     — 

als  der  Grundrand  des  Pronotum.  Pronotum  wenigstens  ^/^ 
kürzer  als  am   Grunde  breit.     Beine  ziemlich  kurz. 

Actinotus  Reut. 

54.  (53.)    Leib  ziemlich  in  die  Länge    gezogen.     Kopf   von    vorne    ge- 

sehen erheblich  länger  als  breit,  Stirne  und  Kopfschild  in  einem 
breiten  Bogen  zusammenfliessend.  Augen  vom  Pronotum  etwas 
abstehend.  Der  Schnabel  erreicht  gerade  oder  kaum  die  mittleren 
Hüften ,  sein  erstes  Glied  reicht  mit  Mühe  bis  zum  Kopfgrund. 
Zweites  Fühlerglied  länger  als  der  Grundrand  des  Pronotum. 
Pronotum  selbst  kaum  oder  nur  wenig  kürzer  als  am  Grunde 
breit,  zeigt  im  hinteren  Winkel  zu  beiden  Seiten  einen  stumpfen 
Eindruck.  Pycnopterna   Fieb. 

55.  (52.)    Corium  nur  von  einer  Brachial-  und  einer  Cubitalader  durch- 

zogen. 

56.  (77.)    Scheitel  ziemlich  selten  (nur  bei  den  Gattungen  Epimecellus, 

Ädelphocoris,  Megacoelum)  mit  vertiefter  mittlerer  Längslinie ,  in 
welchem  Falle  der  Kopf  senkrecht  steht  oder  doch  stark  geneigt 
ist,  dabei  von  der  Seite  gesehen  kürzer  als  an  seinem  Grunde 
hoch,  der  Kopfschild  wenig  oder  gar  nicht  vorspringt  und  mit 
der  Stirne  fast  zusammenfliesst  oder  doch  von  dieser  kaum  merk- 
lich abgegrenzt  ist. 

57.  (58.)     [Halbdecken    (der    bis   jetzt    bekannten  Formen)    bei    beiden 

Geschlechtern  verkürzt,  ohne  Membran,  an  der  Spitze  gegen  die 
Fuge  (Commissura)  hin  stark  schief  abgestutzt.  Leib  länglich- 
eiförmig, mit  silbernem  Flaum  bedeckt,  auf  der  Oberseite  schwarz 
behaart.  Kopf  stark  geneigt,  von  vorne  gesehen  erheblich  länger 
als  breit,  Stirne  und  Kopfschild  in  breitem  Bogen  zusammen- 
fliessend. Wangen  hoch.  Fühler  ziemlich  unter  dem  vorderen 
Augenende  eingefügt,  ihr  erstes  Glied  über  die  Hälfte  kürzer  als 
der  Kopf  von  vorne  gesehen ,  das  zweite  Fühlerglied  an  seiner 
Spitze  verdickt.  Pronotum  (der  bis  jetzt  bekannten  Formen)  be- 
deutend länger  als  an  seinem  Grunde  breit,  mit  stumpfen,  in  der 
Mitte  breit  gerundeten  Seiten  und  breiter  vorderer  Einschnürung, 
die  jedoch  nur  an  den  Seiten  deutlich  hervortritt;  seine  Schwielen 
sind  nicht  abgegrenzt. 

Nur    eine    ausserdeutsche    (südeuropäische    u.    s.    w.)    Art    der 
Gattung  Äphanosoma  Costa.] 

58.  (57.)    Halbdecken  ausgebildet,  nur  selten  (Gattung  Alloeonotiis)  beim 

Weibchen  gekürzt,  in  welchem  Falle  eine,  wenn  auch  sehr  kurze 
Membran  vorhanden  ist  und  die  Fühler  durchgehend  schlanke  sind. 

59.  (72.)    Pronotum  mit   breiter   vorderer  Einschnürung,    noch    breiter 

als  der  Grund  des  zweiten  Fühlergliedes,  selten  nur  mit  diesem 
gleich  breit,  in  welch  letzterem  Falle  der  von  der  Seite  gesehene 
Kopf  wenigstens  so  lang  wie  hoch  ist  oder  der  vorspringende 
Kopfschild  sich  von  der  Stirne  gut  abhebt  oder  die  zwei  letzten 
Fühlerglieder  zusammen  kürzer  sind  als  das  zweite. 

60.  (63.)    Pronotum  mit  grossen  wagerechten  Schwielen,   die  sich  von 

oben  gesehen  bis  auf  die  Seitenränder  erstrecken ;    seine    hintere 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  16 


—     242     — 

Fläche  ist  gegen  die  Schwielen  zu  geneigt.  Kopf  von  vorne  ge- 
sehen länger  als  breit.  Kopfschild  wenig  oder  kaum  vorragend. 
Fühler  vorne  an  den  Augen,  innseits,  eingefügt,  ihr  erstes  Glied 
ungefähr  halb  so  lang  als  der  von  vorne  gesehene  Kopf. 

61.  (62.)    [Glieder  der  Hinterfüsse  gleich  dick,    das  zweite  länger    als 

das  erste,  sein  unterer  Rand  frei  und  ebenso  lang  wie  jener  des 
ersten,  das  dritte  Glied  ungefähr  ebenso  lang  wie  die  zwei  ersten 
zusammen.  Leib  schmal  und  in  die  Länge  gezogen.  Am  Kopf 
bilden  Stirne  und  Kopfschild  einen  breiten  Bogen,  das  Kopfschild 
selbst  springt  nur  wenig  vor  und  ist  an  seinem  Grunde  durch 
einen  seichten  Eindruck  von  der  Stirne  geschieden.  Zweites 
Fühlerglied  an  seiner  Spitze  verdickt  und  zweimal  so  lang  als 
das  Pronotum  am  Grunde  breit.  Seiten  des  Pronotum  vorne, 
gegen  die  Schwielen  zu ,  gerandet ,  in  der  Mitte  kräftig  aus- 
gebuchtet. 

Nur  eine,  in  Taurien  lebende  Art  der  Gattung  Epimecellus  Reut.] 

62.  (61.)    Erstes  Glied  der  Hinterfüsse  nur  wenig  dicker  als  das  zweite, 

an  seinem  Ende  oberseits  tief  ausgeschnitten ,  sein  Unterrand 
erheblich  länger  als  jener  des  zweiten.  Leib  länglich- eiförmig. 
Am  Kopf  fällt  die  Stirne  allmählich  ab  und  springt  das  an  seinem 
Grunde  von  der  Stirne  nur  schwach  abgeschiedene  Kopfschild 
leicht  vor.     Die  Seiten  des  Pronotum  sind  stumpf. 

Homodemus  Fieb.  Reut. 

63.  (60.)    Schwielen  des  Pronotum  äusserst  selten  (nur  bei  Alloeonotus) 

bis  auf  die  Seiten  ausgedehnt,  in  welchem  Falle  das  Pronotum 
glockenblumenförmig,  seitlich  gebuchtet  und  das  erste  Glied  der 
Hinterfüsse  weit  kürzer  als  das  zweite  ist.  Unterer  Rand  des 
ersten  Gliedes  der  Hinterfüsse  selten  länger  als  jener  des  zweiten, 
meist  nur  so  lang  oder  sogar  noch  kürzer  als  jener  Rand. 

64.  (69.)    Augen  an  ihrem  Grunde  vom  Vorderrand  des  Pronotum  deut- 

lich mehr  oder  weniger  abstehend.  Leib  ziemlich  oder  deutlich 
in  die  Länge  gezogen.  Zweites  Fühlerglied  erheblich  länger  als 
der  Grundrand  des  Pronotum.  Letzteres  selbst  meist  nur  wenig 
oder  kaum  kürzer  als  an  seinem  Grunde  breit. 

65.  (66.)    [Kopf  von  der  Seite  gesehen  so  lang    wie  hoch.     Kopfschild 

stark  vorspringend.  Wangen  hoch.  Zweites  Fühlerglied  gegen 
seine  Spitze  zu  kaum  oder  nur  ganz  leicht  verdickt.  Leib  schwarz, 
mit  gelblicher  oder  rötlicher  Zeichnung. 

Die  hierher  zählenden  fünf  palaearktischen  Arten  der  Gattung 
Gri/pocoris  Doügl.  et  Sc.  finden  sich  nur  in  Spanien ,  Palästina, 
Syrien,  Kaukasus.] 

6Q.  (65.)  Kopf  von  der  Seite  gesehen  länger  als  hoch.  Kehle  leicht 
schräg  oder  nahezu  wagerecht.  Stirne,  mit  Ausnahme  ihrer  Spitze, 
nahezu  wagerecht.     Leib  länglich. 

67.  (68.)  [Gesichtswinkel  spitz.  Fühler  schlank,  ihr  erstes  Glied  ver- 
längert, das  zweite  linear.  Pronotum  am  Grunde  abgestutzt  oder 
gebuchtet,  den  Grund  des  Schildchens  nicht  überdeckend.  Wangen 
hoch.     Unterer  Rand    des    ersten  Gliedes    der  Hinterfüsse    kürzer 


—     243     — 

als  jener  des  zweiten.  Äusserer  Rand  der  vorderen  Hüftpfannen 
vorspringend,   von  oben  her  sehr  gut  zu  erkennen. 

Zwei  in  Ungarn,   der  Walachei  und  in  Sibirien   lebende  Arten 
der  Gattung  Odontoplati/s  Fieb.] 

68.  (67.)    [Gesichtswinkel  fast  gerade.     Die    zwei    ersten  Fühlerglieder 

gegen  ihre  Spitze  zu  ziemlich  stark  verdickt.  Wangen  von  mitt- 
lerer Höhe.  Unterer  Rand  des  ersten  Gliedes  der  Hinterfüsse 
ebenso  lang  wie  jener  des  zweiten. 

Nur    eine    in   Klein-Asien   lebende    Art    der    Gattung    Poecilo- 
notus  Reut.] 

69.  (64.)    Augen  an  den  Grund  des  Pronotum  stossend,  die  facettierten 

Erhöhungen  nur  selten  am  hinteren  Saum  ohne  Sehfelder  (Calo- 
coris  offinis,  alpestris,  sulphureusj ,  die  Erhöhungen  selbst  aber 
dicht  an  das  Pronotum  reichend. 

70.  (71.)    Männchen  und  Weibchen  von  verschiedenem  Aussehen.    Männ- 

chen ziemlich  in  die  Länge  gezogen,  mit  langen  Halbdecken; 
Weibchen  länglich-oval,  mit  gekürzten  Halbdecken,  ohne  Keil- 
abschnitt und  mit  ganz  ungewöhnlich  kurzer  Membran,  von  der 
sich  nur  am  inneren  Rande  etwas  wahrnehmen  lässt.  Seiten  des 
Pronotum  gebuchtet,  beim  Männchen  nach  vorne  zu  stark  ver- 
schmälert, beim  Weibchen  mehr  glockenblumenförmig ;  der  Grund- 
rand ist  abgestutzt  oder  (beim  Weibchen)  gebuchtet  und  den 
Ansatz  des  Schildchens  nicht  im  geringsten  überdeckend,  Augen 
kaum  an  das  Pronotum  stossend.  Die  zarten  Fühler  am  unteren 
Viertel  der  Augen  innseits  eingefügt.  Zweites  Glied  der  Hinter- 
füsse ebenso  lang  wie  das  erste,  das  dritte  nur  wenig  kürzer  als 
das  zweite.  Schienen  mit  ziemlich  langen  Dornen  besetzt.  Ge- 
schlechtsabschnitt des  Männchens  linkerseits  abgestutzt. 

Alloeonotus  Fieb. 

71.  (70.)    Männchen  und  Weibchen  von  gleichem  Aussehen.     Leib  lang- 

oval oder  länglich.  Pronotum  ^/^  bis  ^/^  kürzer  als  am  Grunde 
breit,  an  den  Seiten  nicht  oder  nur  leicht  gebuchtet,  den  Ansatz 
des  Schildchens  wenigstens  schmal  überdeckend.  Geschlechts- 
abschnitt des  Männchens  linkerseits  meist  mit  einer  Falte  an  der 
Öffnung  oder  mit  einem  kleinen  Höcker  oder  Zahn  versehen. 

Calocoris  Fieb.     Reut. 

72.  (59.)    Pronotum  mit  schmaler  vorderer  Einschnürung,  noch  schmäler 

als  das  zweite  Fühlerglied  an  seinem  Grunde,  selten  etwa  so 
breit  wie  jenes.  Kopf  senkrecht  oder  ziemlich  stark  geneigt,  von 
der  Seite  gesehen  deutlich  kürzer  als  hoch.  Kopfschild  kaum 
oder  nur  leicht  vorspringend ,  mit  der  Stirne  zusammenfliessend 
oder  von  ihr  durch  einen  sehr  verschwommenen  Eindruck  se- 
schieden.  Der  Scheitel  zeigt  häufig  eine  mehr  oder  weniger  deut- 
liche vertiefte  zarte  Längslinie.  Die  Schenkel  sind  ziemlich  kahl 
oder  nur  mit  aufgerichteten  Haaren  besetzt,  niemals  mit  längerem 
Flaum  überzogen.  Die  Schienen  tragen  meist  ziemlich  lange  kleine 
Dorne,  manchmal  sind  letztere  sogar  sehr  lang.  Die  langen  Fühler 
sind  über  dem  vorderen  Augenende  eingefügt,    ihre  zwei    letzten 

IG* 


—     244     — 

Glieder  sind  wenig  oder  gar  nicht  dünner  als  das  zweite  oder 
wenigstens  dessen  unterer  Teil,  zusammen  sind  sie  länger  als  das 
zweite,  ihr  viertes  Glied  ist  wenigstens  um  ^5  kürzer  als  das  dritte. 

73.  (76.)    Die  ziemlich  grosse  Membranzelle    bildet    am    vorderen  Ende 

einen  spitzen  oder  abgerundeten  Winkel.  Schildchen  und  Halb- 
decken mit  goldenem  oder  silbernem,  leicht  abschilferndem  Flaum 
bedeckt.  Geschlechtsabschnitt  des  Männchens  am  linken  Winkel 
des  Oberrandes  mit  kleinem  Dorn  oder  scharfem,  halbaufgerichtetem 
Zahne. 

74.  (75.)    Pronotum  deutlich  in  die   Quere  gezogen,  sein  vorderer  Ein- 

schnitt frei  von  aufstehenden  steifen  Haaren.  Schildchen  kaum 
gewölbt.  Ädeli^hocoris  Reut. 

75.  (74.)    [Pronotum  wenig  kürzer  als  am  Grunde  breit,    nach  hinten 

zu  stark  gewölbt,  mit  verschwommenen  Schwielen  bedeckt,  in 
seiner  vorderen  Einschnürung  mit  steifen,  aufrechtstehenden 
borstigen  Haaren  besetzt.     Schildchen  gewölbt. 

Nur  eine  persische  Art  der  Gattung  Trichoplioroncus  B,evt.] 

76.  (73.)    Die  ziemlich  grosse  Membranzelle  ist  an  ihrer  Spitze  merk- 

lich stumpf  abgerundet.  Oberseite  des  Leibes  ohne  flaumige  Be- 
deckung. Pronotum  in  die  Quere  gezogen,  nach  hinten  zu  stark 
gewölbt,  sein  vorderer  Einschnitt  kahl.  Schildchen  an  seiner  Spitze 
gewölbt.  Fühler  in  der  Mitte  oder  fast  über  der  Mitte  des  Kopfes 
in  der  Ausbuchtung  der  Augen  eingefügt.  Geschlechtsabschnitt 
des  Männchens  im  vorderen  Winkel  linkerseits  mit  einem  Dorn 
an  der  Öffnung  oder  mit  einem  starken,  nach  rückwärts  gerich- 
teten Zahne  versehen.  Megacodum  Fieb. 

77.  (56.)    Scheitel  mit  vertiefter  Längslinie,    beim  brachypteren  Weib- 

chen bisweilen  ohne  solche.  Kopf  von  der  Seite  gesehen  ebenso 
lang  als  hoch.  Kopfschild  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  vom 
Grunde  stark  vorspringend  und  senkrecht  gestellt.  Kehle  ganz 
oder  fast  wagerecht.  Wangen  tief,  oft  sehr  tief  gelegen.  Fühler 
fast  in  der  Mitte  der  Augenlinie  innseits  eingefügt.  Schenkel 
sämtlich  schlank,  ziemlich  linear. 

78.  (79.)     [Der  Schnabel  erreicht    das   vordere  Ende    der  Hinterhüften. 

Die  drei  letzten  Fühlerglieder  sind  gleich  dick.  Die  Seitenränder 
des  Pronotum  sind  leicht  zugeschärft.  Weibchen  mit  entwickelten 
Decken,  dem  Männchen  ähnlich. 

Nur  eine  in   den  Mittelmeerländern  lebende  Art  der  Gattung 
Pantiliodes  Noualh.] 

79.  (78.)    [Schnabel    das    vordere  Ende    der    Mittelhüften    kaum    über- 

ragend. Seitenränder  des  Pronotum  nur  wenig  zugeschärft  (Männchen) 
oder  stumpf  (Weibchen),  Pronotum  selbst  beim  Weibchen  kurz 
glockenförmig,  sein  hinterer  Teil  quer  gestrichelt.  Männchen  und 
Weibchen  einander  unähnlich,  letzteres  mit  abgekürzten  Halbdecken. 
Nur  eine  nordafrikanische  Art  der  Gattung  IsdmosceJicoris  Reut.] 

80.  (43.)    Hinterschenkel  lang,  zusammengedrückt-erweitert,  etwa  vom 

Grunde  oder  wenigstens  von  der  Mitte  aus  gegen  die  Spitze  zu 
sich    langsam    verjüngend    und    das   Hinterleibsende    meist    über- 


—     245    — 

ragend.  Das  erste  Fühlerglied  wenigstens  ebenso  lang  wie  das 
Pronotum,  nur  sehr  selten  um  ein  Geringes  kürzer  als  jenes  und 
dabei  meist  ziemlich  lang  behaart  oder  mit  borstenartigen  (bis- 
weilen leicht  abreissenden)  Haaren  besetzt,   oft  bunt  gefärbt. 

81.  (84.)     Seiten  des  Pronotum  vollständig  ungerandet.     Membran  meist 

dicht  grau  gesprenkelt  und  an  ihrem  äusseren  Rande  mit  zwei 
deutlichen  durchsichtigen  Flecken. 

82.  (83.)     [Schnabel  die  Mittelhüften  kaum  überragend.     Erstes  Fühler- 

glied kaum  so  lang  wie  das  Pronotum.  Pronotum  am  Grund- 
rande breit  abgerundet  und  in  seiner  Mitte  deutlich  gekrümmt. 
Hinterschenkel  das  Leibesende  nicht  überragend.  Schienen  mit 
zarten,  kleinen  Dornen  besetzt. 

Nur  eine  in  Algier  lebende  Art  der  Gattung  EremohieUus  Reut.] 

83.  (82.)    Schnabel    die    hinteren    Hüften    ziemlich    lang    überragend. 

Erstes  Fühlerglied  nur  sehr  selten  um  ein  Geringes  kürzer  als 
das  Pronotum.  Schienen  der  Hinterbeine  wenigstens  gegen  ihre 
Spitze  zu  mit  kleinen  Dornen  besetzt,  die  mindestens  so  lang 
sind  als  die  Schienen  dick,  oft  aber  noch  erheblich  länger ;  selten 
sind  sie  nur  lang  behaart.  Phytocoris  Fall.     H.  Sch, 

84.  (81.)    Seiten  des  Pronotum  nach  vorne  leicht  gerandet.     Membran 

durchsichtig  oder  opalartig,  ihr  innerer  Saum  und  ein  länglicher 
Fleck  unterhalb  der  Spitze  der  grösseren  Zelle  bräunlich  oder 
graulich.  Kopf  vorgestreckt ,  von  oben  gesehen  wenigstens  so 
lang  als  am   Grunde  breit,  vorne  zugespitzt.         Miridius  Fibb. 

85.  (42.)     [Zügel  (Lorae)  stark  backenartig  gewölbt.    Wangen  so  hoch 

wie  die  Augen.  Kopf  von  der  Seite  gesehen  kürzer  als  hoch. 
Kopfschild  mit  der  Stirne  in  einem  Bogen  zusammenfliessend. 
Pronotum  deutlich  in  die  Quere  gezogen,  seine  Seiten  fast  gerade 
oder  nur  leicht  gebogen,  seine  Fläche  nach  vorne  zu  etwas  ge- 
neigt. Unterer  Rand  des  ersten  Gliedes  der  Hinterfüsse  ebenso 
lang  wie  jener  des  zweiten.  Halbdecken  des  Weibchens  abgekürzt, 
jedoch  mit  deutlichem  Keil  und  kurzer  Membran. 

Nur  eine    in    den  Pyrenäen    und  Karpathen    lebende  Art    der 
Gattung  Horvathia  Reut.] 

86.  (41.)    Wangen  hoch,  nur  selten  um  ein  Geringes  niedriger  als  die 

Augen.  Kopf  senkrecht  gestellt.  Scheitel  breit.  Kopfschild  senk- 
recht oder  leicht  geneigt.  Fühler  am  vorderen  Augenende  oder 
unterhalb  desselben  eingefügt.  Pronotum  ziemlich  in  die  Quere 
gezogen ,  an  seinen  Seiten  gegen  die  Schwielen  zu  mehr  oder 
weniger  dick  gerandet.  Halbdecken  des  Weibchens  bisweilen  ab- 
gekürzt. Lopus  Hahn.     Reut. 

87.  (40.)   [Seiten  des  Pronotum  vollständig  abgestumpft,  seine  Schwielen 

in  einen  queren,  in  der  Mitte  eingeschnürten  und  beiderseits  über 
die  Seiten  hinaus  verlängerten  Buckel  zusammenfliessend,  hinter 
welchem  sich  eine  die  Seite  überragende  Furche  findet;  die  hintere 
Fläche  des  Pronotum  gewölbt.  Kopf  senkrecht  stehend ,  kürzer 
als  hoch,   mit  geradem   Gesichtswinkel.      Wangen  hoch. 

Zwei  südeuropäische  Arten    der  Gattung  Dionconotus  Reut.] 


—     246     -^ 

88.  (39.)    Scheitel  und  Stirne  fast  wagerecht,    mit  vertiefter   mittlerer 

Längsfurche.  Pronotum  mit  zugeschärften,  vorne  gerandeten  Seiten. 
Gesichtswinkel  gerade.     Kehle  wagerecht. 

89.  (90.)    [Fühler  lang,   zart,  ihre  letzten  Glieder   zusammengenommen 

länger  als  das  zweite.  Kopf  von  der  Seite  gesehen  länger  als 
hoch.  Stirne  an  ihrer  Spitze  kurz  senkrecht.  Beine  lang.  Erstes 
Glied  der  Hinterfüsse  erheblich  kürzer  als  das  zweite. 

Nur    eine,    in    Süd-Russland    und    Sibirien    lebende    Art    der 
Gattung  AUorJtinocoris  Reut.] 

90.  (89.)    Fühler  ziemlich  kräftig,  die  letzten  Glieder  zusammengenommen 

um  die  Hälfte  kürzer  als  das  zweite,  das  vierte  Glied  bedeutend 
schlanker  als  das  dritte.  Kopf  von  der  Seite  gesehen  kürzer  als 
hoch.  Stirne  nach  vorne  in  einen  spitzigen  Lappen  ausgezogen, 
der  den  Ansatz  des  Kopfschildes  bedeckt.  Beine  ziemlich  kurz. 
Erstes  Glied  der  Hinterfüsse  so  lang  wie  das  zweite. 

Pantüius  CüET. 

Paiitilius   CüRT. 

Leib  gross,  langgestreckt,  mit  nahezu  gleichlaufenden  Decken. 
—  Der  kurze  Kopf  ist  ziemlich  stark  geneigt,  über  die  Augen  breiter 
als  lang,  von  der  Seite  gesehen  kürzer  als  hoch.  Scheitel  und  Stirne 
liegen  fast  in  einer  Ebene,  ersterer  zeigt  eine  tiefe  Längsfurche,  letztere 
überragt  mit  einem  verlängerten  zipfligen  Lappen  den  Grund  des 
Kopfschildes ,  das  durch  einen  tiefen  queren  Eindruck  deutlich  ge- 
schieden ist.  —  Die  Wangen  sind  hoch,  die  Kehle  wagerecht.  —  Der 
Schnabel  reicht  fast  bis  zu  den  Mittelhüften ,  sein  erstes  Glied  bis 
zum  Fortsatz  der  Vorderbrust.  -^  Die  grossen,  vorspringenden,  an 
ihrem  inneren  Rande  gebuchteten  Augen  stossen  an  das  Pronotum; 
in  ihrer  Ausbuchtung  bezw.  deren  unterer  Hälfte  sind  die  faden- 
förmigen aber  kräftig  gebildeten  Fühler  eingefügt,  die  kaum  kürzer 
als  der  Körper  sind ;  ihr  erstes  Glied  ist  cylindrisch ,  kürzer  als  der 
Kopf  und  fast  so  lang  wie  das  Pronotum ;  das  zweite  ist  das  längste 
(dreimal  so  lang  wie  das  erste)  und  gegen  seine  Spitze  zu  deutlich 
verdickt;  das  dritte  Glied  ist  kürzer  als  das  zweite  und  ebenso  lang 
wie  das  erste;  das  vierte  Glied  ist  schlanker  und  kürzer  als  das 
dritte.  —  Das  Pronotum  ist  breiter  als  lang,  trapezförmig,  nach  vorne 
zu  verschmälert  und  geneigt,  nach  hinten  zu  gewölbt;  seine  vordere 
Einschnürung  (Hals)  ist  so  breit  wie  das  zweite  Glied  dick;  es  ist 
mit  querstehenden  Schwielen  bedeckt;  seine  geraden  Seitenränder 
sind  schneidend  scharf  und  nach  vorne  zu  gerandet;  die  Hinterecken 
sind  abgerundet.  Das  kleine  dreieckige  Schildchen  ist  gewölbt  und 
hat  am  Grunde  eine  vertiefte  Querlinie  (Rinne).  —  Die  den  Leib 
etwas  überragenden  5    parallelständigen  Halbdecken  sind  vollkommen 


—     247     - 

entwickelt;  der  Keil  ist  iVginal  so  lang  als  breit.  —  Die  schlanken 
mittelgrossen  Beine  sind  leicht  behaart,  ihre  Hinterschenkel  kurz  und 
kaum  dicker  als  die  vorderen ;  die  Hinterschienen  sind  mit  feinen 
Dornen  besetzt.  Die  Fussglieder  sind  kurz,  ihr  erstes  Glied  fast  so 
lang  wie  das  zweite,  das  dritte  Glied  das  längste,  das  zweite  das 
kürzeste.  —  Beide  Geschlechter  sind  einander  ähnlich;  am  vorderen 
Kande  des  Geschlechtsabschnitts  des  Männchens  findet  sich  linker- 
seits ein  stumpfer  Zahn. 

Diese  Gattung  ist  durch  die  Form  von  Kopf  und  Fühlern,  be- 
sonders durch  den  tief  gefurchten  Scheitel ,  das  sehr  lange  zweite, 
das  kurze  dritte  und  noch  kürzere  vierte  Fühlerglied  u.  s.  w.  von 
allen  andern  wohl  unterschieden. 

20  (416)  tunicatus  Fabr. 

L.  supra  ferrugineo-fuscus  corpore  elytrorumque  margine  flavis. 
Fabricius. 

P.  tunicatus  supra  ferrugineus  nigro-irroratus ,  corpore  elytro- 
rumque margine  flavis.     Fallen. 

Grünrot,  karminrot,  rotbraun,  bräunlichgelb,  grüngelb  oder 
schmutzig  hellgelb,  dabei  mit  feinen  unregelmässigen  schwarzen  Punkten 
und  Fleckchen  gesprenkelt  und  mit  feinen,  kurzen,  angedrückten 
schwarzen  und  gelblichen  Härchen  besetzt ;  die  Unterseite  (einschl. 
Beine)  ist  mehr  hellgelb  oder  gelbgrün,  die  Oberseite  mehr  braunrot 
oder  rostfarben.  Bei  heller  Färbung  werden  die  schwarzen  Tüpfel 
deutlicher;  aus  diesen  gehen  auch  die  schwarzen  Härchen  hervor, 
während  die  hellen  dem  gleichfarbenen  Grunde  entspringen.  —  Die 
Schnabelspitze  ist  schwarz,  ebenso  (schmal)  der  Kopfschild  und  der 
Rand  der  Fühlerhöcker.  —  Die  ziemlich  kräftigen,  rostfarbenen,  gelb- 
braunen oder  auch  blassen  und  mehr  oder  weniger  rotgefleckten  Fühler 
sind  mit  kurzen  feinen  schwarzen  Härchen  bedeckt;  ihr  cylindrisches 
erstes  Glied  ist  am  Grunde  dünn  und  dabei  schwarz  punktiert;  das 
zweite  hell  mit  dunkler  Spitze;  das  dritte  am  Grunde  gelblichgrün, 
am  Ende  rotbraun ;  das  vierte  bräunlichrot  mit  schmalem  gelbgrünem 
Grundsaum.  —  Das  quere,  vorn  abgeschnürte  und  dann  rasch  aufs 
Doppelte  sich  verbreiternde  Pronotum  hat  bei  gelblichem  Grund  einen 
schmalen  schwarzen  Seitenrand.  Die  Spitze  des  Schildchens  ist  gelb- 
lich oder  grüngelb.  —  Die  Halbdecken  überragen  bei  beiden  Ge- 
schlechtern den  Hinterleib  und  zeigen  einen  schmalen,  blassen  (hell- 
gelben) äusseren  Rand,  während  sie  am  inneren  Rand  gesättigt  rot 
sind;  der  vordere  Rand  des  Corium  ist  schwarz.    Der  gelblichgrüne 


—     248     — 

Keil  ist  an  Grund,  Spitze  und  Innenrand  rot  oder  braunrot  gefärbt. 
Die  schwarzgraue  oder  bräunliche  Membran  hat  rote  Adern  mit  einem 
blassen  Fleck  unter  den  Zellen  und  der  Keilspitze  und  einem  dunklen 
dreieckigen  vorderen  Randfleck,  der  sich  bis  zur  Spitze  hin  erstreckt. 
Ihre  innere  Zelle  bildet  an  der  Spitze  einen  scharf  ausgeprägten 
Winkel.  —  Der  Hinterleib  ist  auf  der  Oberseite  braun  oder  schwarz 
mit  schmalem  gelben  Seitenrand;  auf  seiner  Unterseite  gelblichgrün 
und  jederseits  mit  einer  Reihe  kleiner  schwarzer  Punkte  (Stigmata) 
besetzt.  —  Die  Beine  sind  schmutziggelb,  oft  auch  grünlich;  die 
Schenkel  schwarz  getüpfelt  und  mit  kurzen  schwarzen  Härchen  be- 
deckt; die  Schienen  röthch,  besonders  an  der  Spitze;  die  Tarsen 
gelblich  oder  rotbraun,  die  Spitze  des  dritten  Klauengliedes  dunkler. 
Die  Männchen  sind  mehr  langgestreckt,  die  Weibchen  mehr  länglich- 
eiförmig.    Länge  7 — 10  mm. 

Ci7nex  tunicatus  Fabriciüs,  Spec.  Ins.  1781,  II,  396,  186.  — 
Rossi,  Faun.  Etrusc.  1790,  H,  246,  1334. 

Cimex  gothicus  Geoffroy  in  Foürcroy,  Entom.  Paris.  1785,  200, 
18,  non  LiNNE. 

Lygaeus  tunicatus  Fabriciüs,  Entom.  Syst.  1794,  IV,  170,  121. 

—  Syst.  Rhyng.  1803,  233,  148.  —  Latreille,  Hist.  Nat.  1804,  XII, 
221,  37. 

Wliris  tunicatus  Fallen,  Monogr.  Cim.  Suec.  1807,  79,  41.  — 
Germar,  Faun.  Ins.  Europ.  1819,  V,  23.  —  Thomson,  Opusc.  entom. 
1871,  IV,  417,  11. 

Phytocoris  tunicatus  Fallen,  Hemipt.  Suec.  1829,  85,  18.  — 
Spinola,  Essai  .  .  .  1831,  p.  189. 

Lopus  tunicatus  Herrich-Schäffer  ,   Nom.  entom.   1835,  p.  47. 

—  Meyer,  Schweiz.  Rhynchot.  1843,  40,  3.  —  Kirschbaum,  Rhynchot. 
Wiesbadens,  1855,  37,  13.  —  Flor,  Rhynchot.  Livlands,  1860,  I, 
441,  1.  —  Snellen  van  Vollenhoven,  Hemipt.  Neerland.  1878,  160. 

Gonometopus  tunicatus  Fieber,  Criter.  z.  gener.  Theilg.  d.  Phytocor. 
1859,  16  ut  typus.  —  Europ.  Hemipt.  1861,  249. 

Pantilius  tunicatus  Cürtis,  Charact.  on  some  undescr.  Gen.  and 
Spec.  in  Entom.  Mag.  1833,  I,  p.  197  ut  typus.  —  Westwood,  In- 
trod.  of  the  mod.  class.  of  Ins.  1840,  II,  Syn.  p.  121.  —  Douglas 
and  Scott,  Brit.  Hemipt.  1865,  333,  1  und  pl.  XI,  fig.  2.  —  Reuter, 
Rev.  crit.  Caps.  1875,  17,  1.  —  Saunders,  Synops.  of  Brit.  Hemipt. 
Het.  1875,  262,  1.  —  Puton,  Cat.  1886,  p.  46,  1.  —  Reuter,  Rev. 
synon.  1888,  245,  210.  —  Atkinson,  Cat.  of  Caps,  1889,  p.  53.  — 


—     249     — 

Saunders,  Hemipt.  het.  of  the  Brit.  Islands,  1892,  230.   —  Reuter, 
Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  1896,  V,  p.  324,  1. 

Bayern :  Bei  Regensburg  selten.  Kittel.  —  Bei  Bamberg  häufig 
auf  Haselstauden.  Funk.  —  Württemberg.  Roser.  —  Bei  Ulm  im 
Spätsommer  und  Herbst  auf  Haselnusssträuchern  zeitweise  nicht 
selten.  Hüeber.  —  Elsass-Lothringen :  Sur  les  coudriers;  assez  rare. 
Remiremont,  Gerardmer,  Ville,  Grimont,  9.  Reiber-Puton.  —  Nassau: 
M  W  bei  Wiesbaden  und  Mombach ;  auf  Erlen  z.  B.  an  dem  Well- 
ritzbach häufig.  Ich  klopfte  öfters  von  einem  mittelgrossen  Erlen- 
baum ein  Dutzend  Exemplare  dieser  sonst  seltenen  Art,  9  bis  Ende 
10.  Ich  fand  M  und  W  rot  und  grün,  doch  waren  die  letzteren 
häufiger  grün,  die  ersteren  häufiger  rot.  Kirschbaum.  —  Westfalen : 
Nicht  selten ;  von  mir  im  August  und  September  jährlich  hier  bei 
Münster  einzeln  im  Garten  auf  Birnenbäumen  und  Corylus  gesammelt. 
Westhoff.  —  Schleswig-Holstein :  Nachdem  ich  am  18.  9.  92  ein  S 
dieser  Art  bei  Satrupholz  im  Fliegen  erbeutet  hatte,  wurde  ich  auf 
diese  Art  aufmerksam  und  habe  dieselbe  dann  auch  teils  einzeln, 
teils  in  kleinen  Gesellschaften  von  Haselnusssträuchern  bei  Sonder- 
burg geklopft.  Es  ist  ein  herbstliches  Tier,  welches  in  der  zweiten 
Hälfte  des  September  und  im  Oktober  entwickelt  ist.  Wüstnei.  (Nach- 
trag 1894.  6.  Stück.)  —  Mecklenburg:  Im  September  und  Oktober  in 
Laubwäldern  auf  Erlen  und  Haselbüschen,  aber  in  den  meisten  Jahren 
selten.  Sowohl  die  grünen,  als  auch  die  rotgefärbten  kommen  hier 
vor.  Raddatz.  —  Schlesien :  Im  Herbst  auf  allerhand  Gesträuch ; 
nicht  gemein.  Scholtz.  —  In  der  Ebene  und  im  Gebirge,  das  ganze 
Jahr  hindurch  auf  allerhand  Gesträuch,  nicht  selten  u.  s.  w.  Assmann. 
—  Provinz  Preussen.     Brischke. 

Auf  Corylus  avellana ,  wohl  im  ganzen  Gebiete  (Europa) ,  oft 
häufig.     Fieber. 

Habitat  in  Corylo  avellana!  et  Alno  glutinosa!  etiam  in  Pruno 
domestica  (Westhoff),  Betula  (Edwards),  Berberide  (Nohr)  :  Europa 
tota  usque  in  Fennia  meridionali  (Alandia ! ,  circa  Abo !)  et  Suecia 
media  (Stockholm!).  —  Caucasus.     Reuter. 

[Schweiz :  Eine  sehr  schöne,  wie  es  scheint,  ziemlich  weit  ver- 
breitete ,  dennoch  aber  seltene  und  immer  nur  ganz  einzeln  vor- 
kommende Art.  Man  findet  sie  erst  nach  der  Mitte  September  bis 
zum  10.  oder  15.  Oktober  auf  Nesseln  und  Haselgesträuchen,  be- 
sonders an  sonnigen  Waldrändern.  Variiert  vom  Grasgrünen  bis  ins 
lebhafteste  Karminrote,    Meyer.  —  Desgleichen;  ziemlich  selten  und 


—     250     — 

meist  einzeln.  Frey-Gessner.  —  Graubünden:  Bei  Chur  und  Tarasp. 
KiLLiAS.  —  Tirol:  Von  Trient  mitgeteilt  (Bert.).  Lebt  auf  Haseln 
und  Nesseln,  jedoch  in  Tirol  gewiss  sehr  selten.  Gredler.  —  Steier- 
mark :  Auf  Älnus ;  ziemlich  häufig.  Eberstaller.  —  Nieder-Öster- 
reich :  Bei  Gresten  auf  Erlen,  nicht  selten.  Schleicher.  —  Böhmen: 
Im  Sommer  in  Wäldern  und  in  Anlagen,  auf  Corylus  avellana;  wohl 
überall  verbreitet,  doch  ziemlich  selten.  Duda.  — Livland:  Ziemlich 
selten;  7,  8,  9;  einmal  auf  Nussstrauch.     Flor.] 

Lop  HS  Hahn,  Reut. 

Leib  länglich,  Seiten  der  Halbdecken  gleichlaufend ;  Farbe  schwarz 
oder  dunkelbraun  und  dabei  rot,  gelb  oder  weisslich  gebändert  bezw. 
gefleckt.  —  Kopf  senkrecht,  von  oben  gesehen  stark  quer,  über  die 
Augen  272 mal  ^^  breit  als  lang,  hinter  denselben  ganz  kurz  ein- 
geschnürt. Scheitel  breit,  ohne  Längsfurche.  Stirne  vom  Kopfschild 
durch  keine  Vertiefung  geschieden.  Wangen  hoch,  meist  höher  als 
die  Augen.  Kehle  kurz.  Augen  massig  vorspringend,  nach  vorne  zu 
etwas  auseinander  weichend.  Schnabel  die  Hinterhüften  niemals 
überragend.  Fühler  etwa  so  lang  wie  der  Leib,  ihr  erstes  Glied  etwa 
von  Kopfeslänge,  das  gerade  zweite  das  längste.  —  Das  trapezförmige 
Pronotum  vorne  breit  eingeschnürt,  seine  Seitenränder  zugeschärft, 
nach  vorne  auch  gerandet.  Die  deutlichen  queren  vorderen  Schwielen 
stehen  ziemlich  auseinander.  Schildchen  gewölbt,  am  Grunde  etwas 
bedeckt.  —  Halbdecken  beim  Männchen  immer  entwickelt  und  etwas 
länger  als  der  Hinterleib ,  beim  Weibchen  etwas  kürzer  als  dieser, 
bisweilen  auch  erheblicher  gekürzt,  aber  immer  mit  deutlicher  Mem- 
bran; Brachial-  und  Cubitalader  springen  stark  vor,  der  Keil  ist 
(wenigstens  beim  Männchen)  länglich  dreieckig,  die  Membran  mit 
ziemlich  grosser  länghcher  Zelle.  —  Die  Hinterschenkel  sind  etwas 
länger  als  die  andern,  aber  kaum  verdickt ;  die  Schienen  (besonders 
die  hintern)  mit  kurzen  kleinen  Dornen  besetzt.  Tarsen  verschieden, 
ihre  Klauen  einfach. 

Reuter  bringt  (Hemipt.  Gymn.Europ.  V,  p.  391 — 392)  eine  Über- 
sichtstabelle von  elf  palaearktischen  Arten  der  Gattung  Lopus^  denen 
sich  noch  eine  (von  Jakovleff  beschriebene)  persische  Art  anschliesst. 
In  Deutschland  kommen  hiervon  nur  die  zwei  Arten  (jotJäcus  L.  und 
cingulatus  F.  vor.  Lopus  mas.  Rossi  findet  sich  zwar  (nach  Reuter) 
auch  in  Krain  und  Kärnten,  gehört  aber  zweifellos  dem  südlichen 
Europa  an ;  Lopus  flavomarginatus  Don.  erstreckt  sich  von  England 
und  Irland   über  Frankreich   bis    Korsika   und    Belgien   und   könnte 


—    251     — 

deshalb  möglicherweise  auch  noch  auf  deutschem  Gebiete  gefunden 
werden;  ähnlich  auch  sulcatus  Fieb.;  Lopus  lineolatus  Brülle  wird 
von  Roser  für  Württemberg  angegeben,  wohl  irrthümUch,  denn  sein 
Vaterland  ist  das  südliche  Europa. 

21  (417)  cmgidatus  Fabr. 

M.  fuscus  capite  thoraceque  lineis  tribus,  elytris  margine  omni 
albo.     Fabricius. 

Fusco-niger ,  pronoti  linea  media ,  elytrorum  margine  lineaque 
diagonali  albis;  corpore  variegato.     Long.  3"^     Burmeister. 

Verschwommen  dunkelbraun  oder  schwärzlich,  glanzlos,  behaart, 
an  Kopf,  Brustschild,  Schildchen  und  Decken  mit  weissgelblichen 
und  roten  Streifen,  Strichen  und  Flecken  wechselnd  gezeichnet.  — 
Kopf  so  lange  als  am  Grunde  samt  den  Augen  breit;  Stirne  ziemlich 
gewölbt;  Scheitel  zweimal  (beim  Männchen  272 mal)  breiter  als  der 
Augendurchmesser;  Kehle  sehr  kurz  (d),  oder  kaum  angedeutet  (?). 
Wangen  höher  als  die  Augen.  Schnabel  die  Hinterhüften  etwas  über- 
ragend. Fühler  schwarz  und  (besonders  am  Grunde)  mit  weissem 
Flaumhaar  überzogen;  dabei  sind  dieselben  fast  unter  dem  vorderen 
Augenrande  eingefügt.  —  Pronotum  kürzer  als  bei  der  anderen  Art 
igothicus  L.),  an  seinem  Vorderrande  mit  ringförmigem  Wulst,  seitlich 
mit  deutlich  abgegrenzten  Schwielen;  der  Hinterrand  deutlich  ge- 
buchtet, an  den  Seiten  (besonders  beim  Männchen)  ziemlich  stark 
gerundet;  seine  Oberfläche  nicht  punktiert.  —  Die  Halbdecken  über- 
ragen beim  Männchen  den  Hinterleib,  bei  Weibchen  sind  sie  etwas 
gekürzt.  —  Schenkel  und  Schienen  sind  lang  weisslich  behaart.  — 
Länge  S  6^/^,  $  6  mm. 

Die  Zeichnung  ist  ziemlichem  Wechsel  unterworfen  und  wird 
von  jedem  Autor  anders  geschildert.  Hahn  beschreibt  sie  folgender- 
massen :  „Die  Augeneinfassung  und  ein  Längsstrich  auf  dem  Schild- 
chen gelbrot;  eine  Mittellinie  über  den  Kopf,  der  Vorderrand  und 
die  Seitenränder,  dann  eine  Mittellinie  und  zwei  Längsflecken  am 
Grunde  des  Rückenschildes,  sowie  drei  gerade  Längsstreifen  und  die 
Spitzen  der  Halbdecken  gelblichweiss."  —  Dabei  unterscheidet  er 
noch  zwei  Abänderungen :  b.  mit  Purpuranflug  an  Kopf,  Rückenschild, 
Schildchen  und  Halbdecken,  —  und  c.  betreffend  Färbung  von 
Schenkeln  und  Schienen  der  hinteren  Beinpaare  (erstere  weissgefleckt, 
letztere  braunrot).  —  Klug  (Burmeister)  schildert  die  Zeichnung  fol- 
gendermassen :  „Der  schwarze  Leib  hat  an  jeder  Seite  des  Bauches 
einen  weissen  Streif,    der  beim  Auge  entspringt  und  bis  zum  After 


—     252     — 

hinabläuft.  Scheitel  mit  weissem  Längsstreif  und  gleichem  Fleck 
neben  den  Augen.  Vorderrücken  mit  weisser  Längslinie  und  einem 
rötlichen  Fleck  daneben.  Schildchen  mit  rotem  Längsstreif.  Flügel- 
decken mit  zwei  oder  drei  weissen  Streifen,  die  äussersten  am  Rande." 

—  Die  neueste  Beschreibung  Reuter's  (Hemipt.  Gymn.  Europ.  V, 
316)  lautet  anders,  aber  nicht  einfacher. 

Ciniex  cmgidatus  Fabricius,  Mant.  Ins.  1787,  307,  287. 
Cimex  marginellus  Schrank,  Faun.  Boic.   1801,  94,  1157. 
Miris  cingulatus  Fabricius,  Entom.  Syst.  1794,  IV,  186,  12.  — 
Syst.  Rhyngot.  1803,  255,  13. 

Lopus  alhomarginatus  Hahn,  Wanz.  Ins.  1831,  I,  140,  fig.  72. 

—  Costa,  Cimic.  Regn.  Neapolit.  Cent.  1852,  III,  33,  2.  —  Fieber, 
Europ.  Hemipt.  1861,  p.  267.   —  Püton,  Cat.  1886,  p.  46,  1. 

Lopus  alhostriatiis  Herrich-Schäffer,  Nom.  entom.  1835,  p.  47. 

—  Meyer,  Schweiz.  Rhynchot.  1843,  40,  4.  —  Kirschbaum,  Rhynchot. 
Wiesbadens,  1855,  38,  15. 

Fkytocoris  alhostriatus  Klug  in  Bürmeister,  Handb.  d.  Entom. 
1835,  II,  271,  21. 

Lopus  cingulatus  Stal,  Hemipt.  Fabr.  1868,  I,  89,  1.  —  Atkinson, 
Cat.  of  Caps.  1889,  p.  54.   —  Reuter,  Rev.  synon.   1888,  245,  211. 

—  Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  1896,  V,  p.  316,  9. 

Bayern :  Bei  Regensburg  selten ;  bei  Nürnberg  nicht  selten ;  bei 
Dinkelsbühl.    Kittel. — Bei  Bamberg.    Funk.  —  Württemberg:  Roser. 

—  Bei  Ulm,  6  und  7,  in  den  Seitenthälern  der  Alb,  auf  Pflanzen; 
in  manchen  Jahren  nicht  selten.  Hüeber.  —  Elsass  -  Lothringen : 
Commun  partout.  Reiber-Puton.  —  Nassau:  M  W  bei  Wiesbaden 
und  Mombach;  auf  Waldwiesen  und  Blossen  häufig,  aber  nicht  überall; 
5 — 6.  Kirschbaum.  —  Westfalen:  Auf  dürrem  Sandboden  sehr  selten. 
Westhoff.  —  Schlesien :  An  sonnigen,  grasigen  Lehnen,  doch  nicht 
überall;  sehr  häufig  bei  Ober-Salzbrunn.  Scholtz.  —  In  der  Ebene 
und  im  Vorgebirge ,  an  sonnigen  grasigen  Leimen ,  im  Juli ,  nicht 
häufig.     Assmann. 

Vaterland:  Deutschland,  Frankreich  und  Schweden.  Man  findet 
sie  im  Spätsommer  auf  Waldwiesen  im  Grase  und  auf  Blumen.  In 
hiesiger  (Nürnberger)  Gegend  nicht  selten.     Hahn. 

Auf  Blumen  im  Herbst.     Burmeister. 

Auf  Wiesen,  an  sonnigen  Hügeln  und  Bergabhängen,  auf  Gras, 
Gebüsch,  jungen  Eichen.     6 — 7.     Fieber. 


—    253     — 

Habitat  in  Verbasco  lychniti  (Schrank)  ,  Gallo  (Frey-Gessner), 
Echio ,  Erigerone ,  Chenopodio  etc.  (Düda)  :  Guestphalia  (Münster), 
D.  Westhoff;  Belgiuin;  Gallia!;  Nassovia,  Bavaria;  Bohemia;  Silesia; 
Moravia;  Helvetia  usque  ad  3000' s.  m. ;  Hungaria;  Croatia!  Tauria, 
Rossia  meridionalis  (Sarepta);    Hispania,  Sicilia,  Graecia,    Anatolia! 

—  Algeria.     Reuter. 

[Schweiz :  Von  Mitte  Juni  bis  gegen  Ende  Juli  an  sehr  wenigen 
Stellen  der  mittleren  und  nordöstlichen  Schweiz,  besonders  in  bergich- 
ten  Gegenden,  an  sonnigen,  gras-  und  gebüschreichen  Abhängen,  und 
wo  er  vorkommt,  ziemlich  gemein.  Meyer.  —  Stellenv/eise  in  bergich- 
ten  Gegenden,  besonders  längs  des  Jura,  an  sonnigen,  üppig  grasigen 
und  blumigen  Abhängen  bis  zu  3000'  s.  M.,  hauptsächlich  auf  Ga- 
lium-Arten,  an  den  Fundorten  ausserordentlich  zahlreich.  Von  Mitte 
Juni  bis  Anfang  August  u.  s.  w.  Frey-Gessner.  —  Böhmen :  An 
trockenen  unbebauten  Orten,  auf  Ecliium,  Erigeron,  Chenopodium 
und  anderen  Schuttpflanzen,  überall  nicht  selten.     Duda.] 

22  (418)  gotliicus  L. 

L.  niger  scutello  elytrorumque  apicibus  coccineis,  antennis  apice 
capillaribus.  Linne.  Fabriciüs.  —  Var. :  C.  albomarginatus  niger 
oculorum  orbita  elytrorumque  margine  pallidis.     Fabriciüs. 

C.  gothicus  niger  pilosus,  elytris  margine  pallidis :  apice  scutel- 
loque  coccineis.  Fallen.  —  Var. :  C.  albomarginatus  niger  pilosus : 
elytris  margine  albis.     Fallen. 

Niger,  aurantiaco-variegatus,    elytrorum  margine  externo  albo. 

—  Var.  a :  Pronoti  margine,  scutello  appendiceque  aurantiacis,  tibiis 
fuscis.  —  Var.  b  (=  Caps,  alhomarginatns  F.,  Chn.  superciliosus  L.) : 
Pronoto  scutello  appendiceque  concoloribus.     Burmeister. 

Länglich-eiförmig,  schwarz,  glanzlos,  mit  langen  abstehenden 
schwarzen  Haaren  bedeckt.  —  Kopf  stark  geneigt,  etwa  dreimal  so 
breit  wie  der  Querdurchmesser  eines  Auges.  Wangen  deutlich  höher 
als  die  Augen.  Neben  jedem  Auge,  nach  innen  zu,  je  ein  schmaler 
gelbroter  Fleck.  Schnabel  pechbraun,  fast  die  Hinterhüften  erreichend. 
Fühler  unterhalb  des  vorderen  Augenrandes,  innseits,  eingefügt,  am 
ersten  und  zweiten  Glied  mit  zerstreuten  borstenartigen  Haaren  be- 
setzt ;  das  erste  Glied  etwas  kürzer  als  der  Kopf,  das  lineare  zweite 
Glied  etwa  2  72  mal  länger  als  das  erste  und  ungefähr  gleich  lang 
mit  dem  Grundrand  des  Pronotum ;  das  vierte  Glied  länger  als  das 
dritte,  die  beiden  letzten  Glieder  zusammen  so  lang  wie  das  zweite. 

—  Pronotum  wenig  geneigt,  fast  flach  und  glatt,  nach  vorne  zu  stark 


—     254     — 

verschmälert,  sein  Vorderrand  nur  halb  so  lang  wie  der  abgestutzte 
Grundrand,  seine  fast  geraden  scharfen  Seiten  (mit  Ausnahme  der 
Hinterecken)  mehr  oder  weniger  schmal  rotgelb  gezeichnet  (manch- 
mal, siehe  unten,  auch  nicht).  —  Schildchen  schwarz,  an  der  Spitze 
gelbrot.  —  Die  chagrinierten ,  leicht  getüpfelten  (bei  Weibchen  ge- 
kürzten und  den  Hinterleib  selten  überragenden)  Halbdecken  haben 
einen  blassen  (weisslichen,  hellgelben  oder  rotgelben)  Randsaum.  Der 
Keil  ist,  mit  Ausnahme  von  schwarzer  Spitze  und  schwarzem  Innen- 
rand, gleichfalls  rötlich.  Die  Membran  ist  schwarz  und  hat  schwarze 
Adern.  —  Die  schwarzen  Beine  sind  an  Schenkeln  und  den  (manch- 
mal pechbraunen)  Schienen  mit  langen  aufrechtstehenden  Haaren 
besetzt.  —  Auf  der  Unterseite  des  Hinterleibs  findet  sich  meist, 
rechts  wie  links ,  eine  Reihe  gelbroter  Tüpfel.  —  Länge :  S  7  mm, 
^  6 — 6^/2  mm. 

Die  Zeichnung  unterhegt  sowohl  in  ihrer  Ausdehnung  wie  auch 
in  ihrer  Intensität  (hell  bis  zinnoberrot)  grossem  Wechsel.  Während 
bei  der  typischen  Form  gothicus  L.  die  Seitenränder  des  Pronotum, 
das  Schildchen  (mit  Ausnahme  seines  Grundes)  und  der  Keil  zinnober- 
rot, die  Lederhaut  (mit  Ausnahme  der  Spitze)  aber  gelb  gesäumt  ist, 
ist  die  Varietät  superciliosns  Lin.  (=  alhomarginatus  Fab.  Fall. 
[nee  Hahn!],  affinis  Jak.)  ganz  schwarz  bis  auf  den  schmal  gelblich- 
weissen  äusseren  Rand  der  Lederhaut  und  oft  auch  ein  helleres 
Fleckchen  am  inneren  Augenrande  beiderseits. 

Neuerdings  unterscheidet  Reuter  (Hem.  Gymnoc.  Europ.  V, 
1896,  p.  315)  4  Spielarten: 

Var.  a:  Von  schwarzem  Grunde  heben  sich  gelbrot  (mennig- 
rot, zinnoberrot)  ab :  die  Seitenränder  des  Pronotum  (beim  Männchen 
nicht  ganz  bis  zu  dessen  Grunde),  aber  nicht  immer,  sodann  die 
Seitenteile  (Epipleuren)  der  Vorderbrust,  die  Spitze  des  Schildchens, 
ein  Teil  des  Keils  (während  dessen  innerer  Grundwinkel  und  die 
Spitze  schwarz  sind)  und  häufig  auch  noch  seitliche  Bauchflecke. 
Blassgelb  (oder  auch  goldgelb)  ist  der  Seitenrand  des  Corium,  oft 
aber  nur  bis  zum  schwarzen  Grunde  des  Keils  hin. 

Var.  /?,  elegans  Reut.  :  Wie  Var.  a ,  nur  dass  der  rote  Seiten- 
rand des  Pronotum  sich  bis  zu  dessen  Grundrand  hin  erstreckt; 
weiterhin  findet  sich  hier  noch  ein  gelbroter  Fleck  auf  der  Leder- 
haut, der  durch  die  Cubitalader  hindurchgeht,  deren  Mitte  überragt 
und  mit  dem  Seitenrande  zusammenfliesst.     S 

Var.  y :  Wie  Var.  a,  nur  dass  die  Seiten  des  Pronotum  lediglich 
neben  den  Schwielen  schmal  safranfarben  sind. 


—     255     — 

Var.  ö,  superciliosiis  Linne.  - —  [Cimex  SKperciliosus  Linne,  Syst, 
Nat.  1767,  Ed.  XII,  728,  85.  —  Lygaeus  alhomarginatus  Fabr., 
Entom.  Syst.  1794,  IV,  180,  168.  —  Coqüebert,  Illustr.  Icon.  1799, 
41,  t.  10,  f.  12.  —  Capsus  alhomarginatus  Fabr.,  Syst.  Rhyng.  1803, 
244,  24.  —  Latreille,  1804.  —  Fallen,  Monogr.  Cim.  1807,  98,  2. 
—  Hemipt.  Suec.  1829,  117,  3.  —  Lopus  affinis  Jakowleff,  Bullet. 
de  Mose.  1876,  III,  115.  —  Lopus  gothicus  L.  var.  ß  Fieber,  Europ. 
Hemipt.  1861,  267,  3.  —  Loptus  gothicus  var.  superciliosus  Reuter, 
Rev.  crit.  Caps.  1875,  18,  1.  —  Rev.  synon.  1888,  II,  247,  213.  — 
Hemipt.  Gymn.  Europ.  1896,  V,  315.  —  Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889, 
54.  —  Saunders,  Hemipt.  Het.  of  the  Brit.  Islands,  1892,  231. J  — 
Pronotum,  Schildchen  und  Halbdecken  schwarz,  nur  die  Seitenränder 
der  Lederhaut  (Corium),  bisweilen  auch  der  äusserste  Seitenrand  des 
Pronotum  gleich  hinter  der  Einschnürung  und  die  Spitze  des  Schild- 
chens weisslich.  Die  Seitenblätter  (Epipleuren)  der  Vorderbrust  gegen 
den  Rand  hin ,  mitunter  auch  die  Ränder  der  Hüften ,  die  Bauch- 
öffnungen (Stigmata,  Orificia)  und  Flecke  zu  beiden  Seiten  des  Bauches 
sind  ebenfalls  häufig  hell. 

Anm.  Die  bis  jetzt  auf  deutschem  Boden  noch  nicht  gefun- 
denen, wohl  aber  in  den  Nachbarländern  vorkommenden,  drei  ver- 
wandten Arten  zeigen  folgende  abweichende  Merkmale : 

L.  sulcatus  FiEB.  ähnlich  gezeichnet  wie  gothicus  L. ,  nur  die 
Färbung  blasser  und  statt  der  steifen  borstenartigen  Haare  nur  mit 
kurzem  zarten  Flaum  bedeckt;  die  Form  ist  mehr  länger,  das  Pronotum 
vorne  schmäler,  dessen  Seiten  gebuchtet  und  das  Schildchen  gefurcht. 

L.flavomar ginatus  Do^ow.  (miles  Dougl.  Sc.)  unterscheidet  sich 
von  den  anderen  durch  seine  braun  er e  Färbung;  er  ist  mit  feinem 
blassen,  anliegendem  Flaumhaar  bedeckt,  das  an  Fühlern  und  Beinen 
kaum  sichtbar.  Überdies  ist  sein  viertes  Fühlerglied  lang  (länger 
als  das  dritte),  das  Pronotum  vorne  merklich  enger,  sodann  sind  die 
Halbdecken  seitlich  nur  ganz  schmal  blass  gesäumt  und  die  Schienen 
wie  Hinterschenkel  mit  blassem  Ring  versehen. 

L.  mat.  Rossi  ist  gleichfalls  mit  zartem,  blassem  Flaum  über- 
zogen, seine  Halbdecken  sind  ganz  schwarz,  nur  der  Keil  ist  hell- 
rot mit  schwarzer  Spitze,  Weiterhin  sind  noch  rot:  das  ganze 
Schildchen,  die  Seiten  des  Pronotum  und  ein  gekürzter  Mittelstreif 
auf  demselben ;  zwischen  Augen  und  Nacken  findet  sich  ein  drei- 
eckiger hellroter  Fleck. 

L.  lineolatns  Brülle  (Brüle?,  Expedition  de  More,  1832,  p.  76, 
t.  31,  f.  6  und  7)   lebt   nur   in  den  Mittelmeerländern   (nach  Roser 


—     256     — 

in  Württemberg!)  und  wird  von  Herrich-Schäffer  (Wanz.  Ins.  1836, 
III,  45,  Fig.  260)  als  L.  ruhrostriatus  beschrieben:  ^L.  fuscus,  vitta 
media  capitis,  thoracis,  scutelli  et  singuli  elytri,  horumque  margine 
externo  cum  appendice  miniaceis." 

Cimex  gothicus  Linne,  Syst.  Nat.  Ed.  X,  1758,  447,  51.  — 
Faun.  Suec.  1761,  257,  966.  —  Houttüin,  Nat.  Hist.  1765,  I,  X, 
361,  51.  —  P.  Müller,  Linn.  Nat.  1774,  V,  495,  73.  —  Fabriciüs, 
Syst.  Entom.  1775,  726,  147.  —  Razoümowsky,  Hi.st.  Nat.  du  Jorat, 
1789,  I,  184,  126. 

Cimex  sanguineo-guttatus  Goeze,  Entom.  Beytr.  1787,  II,  275,  7. 

Cimex  albomarginatus  Preyssl,  Beobachtungen  im  Böhmerwald, 
1793,  219,  16. 

Cimex  Lichnitidis  Schrank,  Faun.  Boic.  1801,  94,  1158. 

Lygaeus  gothicus  Fabriciüs,  Entom.  Syst.  1794,  IV,  180,  162. 
—  WoLFF,  Icon.  Cimic.  1800,  I,  33,  fig.  33. 

Capsus  gothicus  Fabriciüs,  Entom.  Syst.  Rhyng.  1803,  244, 
20.  —  Latreille,  Hist.  Nat.  1804,  XII,  232,  17.  —  Panzer,  Faun. 
Ins.  Germ.  1805,  92,  15.  —  Fallen,  Monogr.  Cim.  Suec.  1807,  98, 
3.  —  Hemipt.  Suec.  1829,  117,  4.  —  Flor,  Rhynchot.  Livlands, 
1860,  I,  479,  7.  —  Thomson,  Opusc.  entom.  1871,  341,  46. 

Phytocoris  gothicus  Burmeister,  Handb.  d.  Entom.  1835,  II, 
271,  22.  —  Spinola,  Essai  .  .  .  1837,  188  (ut  typus  subgeneris).  — 
Costa,  Cimic.  reg.  Neap.  Cent.  1838,  I,  49,  1.  —  Blanchard,  Hist. 
d.  Ins.  1840,  136,  2.  —  Meyer,   Schweiz.  Rhynchot.  1843,  41,  5. 

Lopus  gothicus  Hahn,  Wanz.  Ins.  1831,  I,  12,  fig.  5.  —  Herrich- 
Schäffer,  Nom.  entom.  1835,  47.  —  Kolenati,  Melet.  entom.  1845, 
II,  100,  73.  —  Kirschbaum,  Rhynchot.  Wiesbadens,  1855,  37,  14.  — 
Fieber,  Criter.  z.  gener.  Theilg.  d.  Phytocor.  1859,  20  (ut  typus).  — 
Europ.  Hemipt.  1861,  267,  3.  —  Douglas  and  Scott,  Brit.  Hemipt. 
1865,  475,  1.  —  Saunders,  Synops.  of  Brit.  Hemipt.  Het.  1875, 
263,  1.  —  Snellen  van  Vollenhoven,  Hemipt.  Neerland.  1878,  186.  — 
Puton,  Cat.  1886,  46,  2.  —  Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889,  54.  — 
Saunders,  Hemipt.  Het.  of  the  Brit.  Islands,  1892,  231.  —  Reuter, 
Rev.  crit.  Caps.  1875,  18,  1.  —  Rev.  synon.  1888,  246,  212.  — 
Hemipt.  Gymnoc.  Europ.   1896,  V,  314,  8. 

Bayern :  Überall  gemein.  Kittel.  —  Bei  Bamberg  auf  niederen 
Pflanzen  und  Gesträuchen.  Funk.  —  Württemberg:  Roser.  —  Bei 
Ulm,    6 — 8,    auf   verschiedenen  Pflanzen    nicht   selten.     Hüeber.  — 


,      —     257     — 

Elsass-Lothringen :  Eemiremont;  rare.  Vosges,  Vendenheim:  souvent' 
tres-commun.  La  variete  sans  taches  rouges  sur  les  cories  semble 
assez  rare.  Reiber-Puton.  —  Nassau :  M  W  bei  Wiesbaden ;  auf 
Waldwiesen,  jedoch  nicht  überall,  häufig,  6.  Exemplare  mit  schwarzem 
Schildchen  waren  selten,  die  Var.  alhomarginaUis  Fall,  etwas  häu- 
figer. Kirschbaum.  —  Westfalen :  Wie  L.  alhomarginatiis  Hahn  vor- 
kommend ,  aber  nicht  so  selten.  Alle  bis  jetzt  hier  gesammelten 
Stücke  gehören  der  Var.  a  typica  Reut.  an.  Westhoff.  —  Schles- 
wig-Holstein :  Überall  in  Wäldern  auf  Galium.  Die  Var.  superciUosus  L. 
einzeln  unter  der  Stamrnart.  Wüstnel  —  Mecklenburg:  Auf  Wald- 
wiesen mitunter  häufig  im  Juni  bis  Anfang  August.  Die  Var.  albo- 
marginatus  Fall,  habe  ich  hier  nur  einmal  zu  Anfang  August  bei 
Markgrafenheide  gefunden,  Raddatz*.  —  Schlesien:  Auf  verschie- 
denen Pflanzen,  doch,  wie  es  scheint,  vorzugsweise  auf  der  grossen 
Brennnessel  {Urtica  dioica  L.);  häufig  in  der  Ebene  sowohl  als  im 
Gebirge.  Scholtz.  —  In  der  Ebene  und  im  Vorgebirge,  häufig,  auf 
niederen  Pflanzen.     Assmann.  —  Provinz  Preussen.     Brischke. 

Diese  Wanze  hält  sich  in  Europa  auf  verschiedenen  Gewächsen, 
vorzüglich  aber  auf  der  grossen  Brennnessel  {Urtica  dioica  L.)  auf. 
WoLFF  (1806).    Hahn  (1831). 

Überall  nicht  selten,  besonders  auf  Urtica  dioica  L.    Burmeister. 

Auf  Wiesen,  Feldrainen,  an  Getreideähren,  auf  Urtica  dioica, 
Galium,  auf  sonnigen  grasigen  Anhöhen  etc.  durch  ganz  Europa 
verbreitet.     Fieber. 

Habitat  in  Urtica  (Hahn,  Fieber),  Galio  (Wüstnei,  Fieber),  Rubo 
idaeo  (Edwards),  Epilobio  (Lethierry),  Achillea  (Duda),  Crataego 
oxyacantha  et  Pruno  spinosa  (Spitzner)  :  tota  Europa  usque  in  Suecia 
media  (Stockholm!).  —  Helvetia  usque  ad  2 — 3000'  s.  M.  —  Sibiria 
(Krasnojarsk,  Osnatjennaja!).     Reuter. 

(Schweiz :  Am  ganzen  Jura-Zuge  und  in  hügelichten  Gegenden 
der  mittleren  und  nordöstlichen  Schweiz  von  Anfang  Juni  bis  zu 
Ende  Juli  mehr  oder  weniger  häufig.  Dass  diese  Art,  wie  Hahn 
sagt,  auf  der  grossen  Brennnessel  {Urtica  dioica  L.)  vorkomme,  ist 
wohl  nur  zufällig.  Ich  fand  sie  stets  an  heissen,  gegen  Mittag  ge- 
legenen Abhängen  im  Getreide  oder  auf  Ononis  und  Galiimi,  auf 
welcher  letzteren  Pflanze  sie  besonders  in  grosser  Individuenzahl 
vorkam  und  die  Honigsäfte  der  Blumen  aussaugte.  Meyer.  —  Desgl. 
Seltener  ist  die  Var.  superciUosus  L.  an  den   nämlichen  Lokalitäten 


*  Laut   handschriftlicliein  Vermerk  Konow's   auch  var.  superciUosus  L. 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  17 


—     258     — 

zu  finden  und  noch  seltener  eine  Varietät,  die  mit  Ausnahme  zweier 
Flecken  an  den  Augen  und  dem  Aussenrand  der  Halbflügel  ganz 
schwarz  ist;  beide  Varietäten  aus  dem  Jura  um  Aarau,  2 — 3000' 
s.  M.  Frey-Gessner.  —  Steiermark:  Auf  Wiesen  und  Feldrainen 
auf  Getreide  und  verschiedenen  Pflanzen  gemein.  Eberstaller.  — 
Nieder-Üsterreich :  Bei  Gresten  auf  sonnigen  Wiesen ,  nicht  selten. 
Schleicher.  —  Böhmen:  An  Feldrainen  und  in  Hecken,  aui  Galium, 
AchiUea,  im  Frühjahr  auch  auf  blühenden  Sträuchern  (Crataegus, 
Prunus  spinosa),  wohl  überall  verbreitet,  doch  nicht  immer  gemein. 
DüDA.  —  Livland :  Auf  Weidengebüsch  in  feuchten  Heuschlägen,  nicht 
besonders  häufig,  im  Juni  und  Juli.     Flor.) 

3Iiridius  Fieb. 

Leib  bei  beiden  Geschlechtern  länglich- eiförmig,  mit  feinem 
blassem  Flaum  bedeckt.  —  Kopf  vorgestreckt,  vorne  zugespitzt,  etwas 
länger  als  am  Grunde  hoch,  Scheitel  weder  gerandet  noch  gefurcht. 
Kopfschild  fast  in  gleicher  Höhe  mit  der  Stirne  (horizontaler  Ge- 
sichtswinkel), von  letzterer  jedoch  durch  eine  vertiefte  Querlinie 
geschieden.  Wangen  beim  Weibchen  höher  als  beim  Männchen. 
Kehle  wagerecht,  die  Hälfte  des  Kopfes  einnehmend.  Augen  klein, 
wenig  vorragend,  am  inneren  Rande  nicht  gebuchtet.  Schnabel  sehr 
lang,  bis  zur  Mitte  des  Hinterleibs,  sein  erstes  Glied  über  die  Mitte 
der  Vorderhüften  hinausreichend.  —  Die  langen,  schlanken,  mit  sehr 
feinem  Flaum  bedeckten  Fühler  sind  im  vorderen  Drittel  des  inneren 
Augenrandes  eingefügt;  ihr  erstes,  kräftig  entwickeltes,  fast  cylin- 
drisches ,  steif  behaartes  Glied  ist  etwas  länger  als  das  Pronotum ; 
das  zweite  Glied  1 72 mal  länger  als  das  erste  und  merklich  dünner; 
das  dritte  und  vierte  Glied  fast  fadenförmig,  das  dritte  halb  so  lang 
wie  das  zweite.  —  Das  kurze ,  trapezförmige  Pronotum  zeigt  bei 
vorderer  deutlicher  halsartiger  Einschnürung  gerade,  scharfe,  vorne 
etwas  gerandete  Seiten ;  sein  Grundrand  ist  zweimal  so  breit  als  der 
vordere;  die  nach  vorne  zu  leicht  geneigte  Scheibe  ist  flach  gewölbt; 
die  Schwielen  deutlich  vortretend.  Das  ziemlich  kleine  dreieckige 
Schildchen  ist  am  Grunde  frei.  —  Die  Halbdecken  sind  länger  als 
der  Hinterleib  und  an  den  Seiten  leicht  gerundet ;  der  etwas  schmale, 
länglich-dreieckige  Keil  ist  gegen  das  Corium  zu  geneigt.  Die  Mem- 
bran ist  hyalin  (glas-)  oder  opal  (milchartig),  ihr  innerer  Rand  und 
ein  länglicher  Fleck  unterhalb  der  Spitze  der  grösseren  Zelle  braun 
oder  grau.  —  Öffnungen  der  Hinterbrust  deutlich.  —  Beine  lang, 
kräftig ;  die  langen  Hinterschenkel  zusammengedrückt,  die  Spitze  des 


—     259     — 

Hinterleibs  überragend ;  Schienen  mit  feinen  dornartigen  Haaren  be- 
setzt. Tarsen  kurz ;  das  erste  Glied  der  Hintertarsen  kürzer  als  das 
zweite,  das  dritte  länger  als  das  zweite.     Klauen  einfach. 

Miridius  unterscheidet  sich  von  der  Gattung  Phytocoris  durch 
den  Bau  des  Kopfes,  die  Zeichnung  der  Membran  und  die  vorne 
leicht  gerandeten  Seitenränder  des  Pronotum. 

*  quadrivirgatus  Costa. 

Blass ,  gelblichweiss  (ockergelb ,  strohgelb) ,  fein  gelbhch  be- 
haart. —  Kopf  von  oben  gesehen  so  lang  wie  das  Pronotum;  von 
der  Seite  gesehen  etwa  nur  Vs  so  lang  als  am  Grunde  hoch.  — 
Pronotum  an  seinem  Grunde  zweimal  so  breit  als  am  Vorderrande, 
nach  hinten  zu  etwas  erhöht.  Schildchen  gewölbt.  —  Vom  Munde 
bis  zum  Ende  des  Schildchens  ziehen  sich  über  Kopf,  Pronotum  und 
Schildchen  zwei  länghche  rotbraune  Streifen ;  die  Seiten  des  Prono- 
tum sind  gleichfalls  braun,  so  dass  also  auf  diesem  sich  vier  Streifen 
finden.  —  Hinterleib  oben  braun  oder  gelbbraun,  unten  gelblich  mit 
zwei  pechbraunen  Streifen  zu  jeder  Seite.  —  Fühler  gelblich  oder 
blass,  fein  rotbraun  gefleckt  und  mit  feinem  Flaumhaar  bedeckt ;  ihr 
erstes  Glied  oft  rötlich  und  deutlich  länger  als  das  Pronotum,  auch 
stehen  die  Härchen  hier  aufrecht.  —  Halbdecken:  Clavus  nach  aussen 
breit  braun,  Adern  blass;  Corium  zwischen  den  Adern  braun;  Cuneus 
in  der  Mitte  rotbraun,  am  Rande  blass ;  Membran  rauchig  mit  blassen 
Nerven  (Adern) ,  auf  jeder  Seite  ein  dunkler  Fleck.  —  Beine  blass, 
mehr  oder  weniger  gelblich  oder  bräunlich,  dabei  rotbraun  gesprenkelt, 
so  dass  sie  wie  marmoriert  aussehen ;  Hinterschenkel  (wenigstens  in 
ihrer  vorderen  Hälfte)  rostfarben  oder  dunkelbraun;  Schienen  (wie 
schon  oben  bemerkt)  spärlich  mit  kurzen,  starken,  dornartigen,  röt- 
lichen oder  bräunlichen  Haaren  bedeckt.  —  Länge  9 — 12  mm. 

Miris  quadrivirgatus  Costa,  Cimic.  regn.  Neapolit.  Cent.  HI, 
1852,  254,  3.  —  Douglas  and  Scott,  Brit.  Hemipt.  1865,  300,  1 
and  pl.  X,  fig.  7.  —  Saunders,  Synops.  of  Brit.  Hemipt.  Het.  1875, 
266,  1. 

Miris  Heldenhorgi  Stal,  Öfvers.  Vet.  Akad.  Förh.  XH,  1855,  187. 

Miridius  quadrivirgatus  Fieber,  Europ.  Hemipt.  1861,  258.  — 
PuTON,  Cat.  1886,  47,  1.  —  Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889,  56.  — 


*  Verfasser  hat  gute  Gründe  für  die  Annahme,  dass  hei  der  Namhaft- 
machung  des  deutschen  Fundorts  ein  Irrtum  mit  unterläuft  und  hringt  deshalb 
diese  Art  einstweilen  ohne  laufende  Nummer. 

17* 


—     260     — 

Saunders,  Hemipt.  Het.  of  the  Brit.  Islands,  1892,  233.  —  Reuter, 
Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  1896,  V,  303,  1. 

Bei  Crefeld   (Mus.  Berol.).    Reüter.     (Rev.  d'Ent.  1890,    243.) 

In  Italien,  Spanien.     Fieber. 

Italie,  France,  Grande-Bretagne,  Espagne  et  Portugal.  Püton 
(Cat.  3.  Ed.  1886,  47). 

A  few  speciraens  taken  at  Deal  by  sweeping  dwarf  sallows  in 
August.     It  appeared  to  be  very  local.     Douglas  and  Scott  (1865). 

Habitat  locis  aridis  (Dubois),  in  Gramineis  (Carpentier  et  Du- 
BOis):  Anglia!,  Belgium  (Tournai),  Borussia  (Crefeld!),  Gallia!,  Corsica!, 
Lusitania,  Hispania,  Baleares,  Sardinia,  Sicilia,  Italia  media  et  meri- 
dionalis,  Dalmatia!,  Graecia!  —  Algeria,    Tunisia.     Reuter  (1896). 

Phijtocoris  Fall.,  H.  Sch. 
Körper  beim  Männchen  länglich,  beim  Weibchen  mehr  länglich- 
eiförmig, manchmal  fast  eiförmig;  Oberseite  im  allgemeinen  dunkel, 
dabei  aber  doch  mannigfach  (grünlich,  graugrün,  braunrot  u.  s.  w.) 
gefärbt  und  dunkel  schattiert;  überdies  mehr  oder  weniger  mit  feinem 
Flaumhaar  bedeckt  und  zwar  ist  diese  Behaarung  vielfach  doppelt 
bezw.  von  zweierlei  Art,  indem  zwischen  anliegenden  schwarzen 
Härchen  sich  hellere  Haare  zerstreut  vorfinden.  —  Kopf  verschieden 
gestaltet,  senkrecht  oder  geneigt,  beim  Männchen  nie  mehr  als  von 
doppelter  Augenbreite ,  oft  weniger ,  beim  Weibchen  etwas  breiter, 
jedoch  selten  mehr  als  von  doppelter  Augenbreite.  —  Scheitel  (be- 
sonders beim  Männchen)  schmal ,  ohne  Rand ,  ohne  Längsfurche. 
Kopfschild  (Clypeus)  immer  stark  vorspringend ;  Stirne  verschieden 
gestaltet;  Wangen  nieder.  —  Die  gekörnten  runden  Augen  ragen 
merklich  vor,  erstrecken  sich  ziemlich  weit  über  die  Wangen  hin 
und  sind  am  inneren  Rande  meist  gebuchtet.  —  Der  lange  Schnabel 
überragt  die  hinteren  Hüften  um  ein  gut  Teil;  sein  erstes  Glied 
reicht  bis  an  den  Fortsatz  der  Vorderbrust.  —  Die  dünnen,  meist 
fadenförmigen  Fühler  sind  so  lang  oder  länger  als  der  Leib  (nicht 
die  Halbdecken!)  und  in  einer  Ausbuchtung  der  Augen,  unterhalb 
deren  Mitte,  eingefügt ;  ihr  erstes  Glied  ist  (bald  mehr,  bald  weniger) 
verlängert  (selten  kürzer  als  das  Pronotum),  dabei  mehr  oder  weniger 
verdickt,  hell  von  Farbe  mit  dunklen  Flecken  und  mit  zerstreuten, 
steifen,  borstenartigen  Haaren  besetzt.  Die  drei  anderen  Fühlerglieder 
sind  zart  und  fadenförmig.  —  Das  kurze,  trapezförmige  Pronotum 
hat  vorne  eine  ringförmige  Einschnürung  (Hals),  dahinter  zwei  mehr 
oder  weniger  stark  hervortretende ,  querstehende  Schwielen ,  gerade 


—     261     — 

Seiten  und  geraden  Vorderrand,  der  nur  halb  so  breit  ist  wie  der 
meist  etwas  gebogene,  breit  abgerundete  oder  (ausschl.  Winkel)  ab- 
gestutzte Hinterrand.  Die  Fläche  des  Pronotum  ist  nur  leicht  ge- 
wölbt, mit  verschwommenen  Punkten  besetzt  und  nach  vorne  zu 
etwas  geneigt;  Hinterwinkel  abgerundet.  —  Das  dreieckige  Schildchen 
ist  leicht  gewölbt  und  an  seinem  Grunde  frei.  —  Die  Mittelbrust 
ist  nach  hinten  zu  gewölbt,  in  der  Mitte  breit  und  tief  eingedrückt. 
Die  Hinterbrust  ist  vorne  gewölbt.  Geschlechtsabschnitt  des  Männ- 
chens ist  links  unten  ziemlich  stark  gekrümmt,  bisweilen  mit  einem 
Zahn  versehen;  am  Spitzenlappen  unterseits  ein  feiner,  oft  nur  an- 
gedeuteter Längskiel.  —  Halbdecken  mit  gleichlaufenden,  selten 
etwas  gebogenen  Seiten,  dabei  mehr  oder  weniger  verlängert,  beim 
Weibchen  bisweilen  massig  gekürzt,  selten  kürzer  als  der  Hinterleib. 
Ihre  Adern  (Nerven)  treten  nicht  besonders  hervor.  Das  Corium  hat 
am  Ende  oft  einen  glänzenden  rhombischen  Fleck ;  Membran  fein 
schwarz  gesprenkelt.  — ■  Beine  lang,  ziemlich  dünn;  das  erste  und 
mittlere  Paar  meist  gleich  lang,  das  dritte  (hintere)  Paar  mit  langen, 
das  Hinterleibsende  überragenden  Schenkeln ;  am  Grunde  sind  letztere 
ziemhch  verdickt  (auch  seitlich  zusammengedrückt),  während  sie  sich 
gegen  die  Spitze  zu  allmählich  verjüngen;  dabei  sind  sie  mehr  oder 
weniger  (rot,  braun,  schwärzlich)  gesprenkelt.  An  den  Füssen  (Tarsen) 
ist  das  erste  Glied  kürzer  als  das  zweite,  das  dritte  ungefähr  so 
lang  wie  das  zweite.     Die  Klauen  sind  einfach. 

Diese  Gattung  ist  von  den  anderen  durch  mehrere  Merkmale 
wohl  geschieden :  durch  die  schlanken  Fühler  und  Beine,  durch  die 
den  Hinterleib  überragenden,  am  Grunde  etwas  verdickten,  alsdann 
sich  verjüngenden  und  meist  stark  zusammengedrückten  Schenkel 
und  durch  das  meist  bunte,  mit  steifen  Haaren  besetzte  erste  Fühler- 
glied. —  Die  Arten  dieser  Gattung  leben  auf  Bäumen  und  Pflanzen ; 
sie  klettern  auf  den  Stämmen  und  Zweigen  der  Bäume  umher  und 
stellen  den  Blattläusen  und  kleinen  Larven  nach  (Kältenbach),  wo- 
bei sie  durch  ihre  flechtenähnliche  Färbung  unterstützt  werden. 

Keuter  zählt  neuerdings  49  palaearktische  Arten  der  Gattung 
Fliytocoris  auf,  von  denen  jedoch  nur  zehn  in  Deutschland  und 
weitere  sieben  in  den  nächst  angrenzenden  Ländern  vorkommen.  — 
Die  Übersetzung  von  Reüter's  Conspectus  specierum  (Hemipt.  Gymn. 
Europ.  1896,  V,  p.  380 — 390)  würde  hier  zu  weit  führen;  ich  bringe 
zunächst  eine  Übersetzung  von  Saunders  (Hemipt.  Het.  of  the 
Brit.  Islands,  1892,  234)  kurzer  analytischer  Übersichtstabelle  der 
acht    englischen  Arten,    welche    (mit  Ausnahme    des    uns   fehlenden 


—     262     — 

Ph.  Beuteri  Saunders)    auch  die  deutschen  Arten  bis  auf  drei   sehr 
seltene*  umfasst: 

(12)   1.    Mittlere  Schienen  mit  quer  gestellten  Ringen  (Bän- 
dern, Streifen). 

(3)  2,  Grundglied  der  Fühler  mit  drei  längsverlaufenden 
schwarzen  Streifen Populi. 

(2)  3,  Grundglied  der  Fühler  schwarz  marmoriert,  aber 
ohne  schwarze  Längslinien. 

(7)  4.    Die  schwarzen  Streifen  (Querbänder)    der   Mittel- 

schienen sind  schmäler  als  der  dazwischenliegende 
weisse  Raum. 

(6)  5,  Pronotum-Seiten  fast  immer  breit  schwarz,  Halb- 
decken nicht  besonders  lang,  abgesehen  von  ganz 
seltenen  Spielarten  scharf  und  deutlich  schwarz  ge- 
fleckt, Hinterschenkel  von  gewöhnlicher  Länge      .    .      Tiliae. 

(5)  6.  Pronotum-Seiten  nicht  breit  schwarz.  Halbdecken 
sehr  lang  und  undeutlich  gescheckt,  Hinterschenkel 
sehr  lang  und  dünn longipennis. 

(4)  7.    Die  schwarzen  Bänder  (Querstreifen)    der   Mittel- 

schienen breiter   als  das  dazwischenliegende  Weisse. 
(9)  8.    Erstes  Fühlerglied  länger   als  das  vierte  ....     cUmidiatus. 

(8)  9.    Erstes  Fühlerglied  so    lang   oder    kürzer    als    das 

vierte. 
(11)   10.    Erstes  Fühlerglied   fast    so    lang    wie  Kopf   und 

Pronotum  zusammen   . Beuteri. 

(10)   11.    Erstes  Fühlerglied  nicht  ganz  so  lang   als  Kopf 

und  Pronotum  zusammen Pini. 

(1)   12.    Mittlere  Schienen  ohne   Querstreifen. 
(14)   13,    Grundglied  der  Fühler   nicht   verdickt    und    mit 

langen  borstigen  Haaren  besetzt übni. 

(13)  14.    Grundglied  der  Fühler  schwach  verdickt,   Haare 

sehr  kurz  und  fein varipes. 

Der  wenn  auch  nicht  mehr  neuen,  so  doch  äusserst  scharfen 
und  eingehenden  Zergliederung  unserer  Phytocoris-Avten  in  Reüter's 
Revisio  critica  Capsinarum,  1875,  p.  20 — 29  fehlen  zwar  die  (bei 
uns  seltenen)  Fh.  dimicliatus  Kirsche,  und  hirsutulns  Flor,  während 


*  Der  nördliche  Pä.  intricatiis  Flor  lebt  in  Schweden,  Finnland,  Liv- 
land  u.  s.  w.  und  kommt  auf  deutschem  Boden  nur  in  Schleswig-Holstein  vor, 
während  von  Ph.  hirsutuhis  Flor  Ms  jetzt  auf  deutschem  Gebiet  (Mecklenburg) 
nur  ein  Männchen  von  Eaddatz  gefunden  wurde;  von  Ph.  minor  Kirsche. 
ebenso  nur  ein  einziges  Exemplar,  7,  54,  von  Kirschbaum,  bei  Mombach  am 
Rhein.  Ich,  für  meinen  Teil,  wage  nicht  zu  entscheiden,  ob  es  sich  bei  solchen 
Einzelfunden  nicht  sowohl  um  eine  neue  Art,  als  vielmehr  um  eine  interessante 
seltene  Spielart  handeln  dürfte.  H. 


—     263     — 

dieselbe  eine  Varietät  von  Fh.  Populi  L.  als  eigene  Art  (distinctus 
DouGL.)  aufführt.  Gleichwohl  halte  ich  es  für  erwünscht,  deren 
deutsche  Übersetzung  hier  anzuschliessen : 

A.  Alle  Schienen  mit  drei  schwarzen  oder  braunen  Ringen.  Hinter- 
schenkel vor  der  Spitze  meist  mit  weisslicher  oder  blasser  schiefer 
Binde.  Oberseite  mit  schwarzen  Haaren  zwischen  hellem  Flaum. 
Erstes  Fühlerglied  schwach  oder  kaum  verdickt,  das  zweite  an 
seinem  Grunde  und  oft  auch  in  der  Mitte  weiss,  das  dritte  an 
seinem  Grunde  weiss.  Membran  mit  hellen  Adern ,  die  teilweise 
mehrfach  dunkelbraun  oder  schwärzlich  sind.  Kopfschild  von  der 
Stirne  durch  einen  verschwommenen  Eindruck  nicht  scharf  ge- 
schieden. Die  zu  beiden  Seiten  des  Kopfes  liegenden  Augen  stehen 
fast  senkrecht.  Geschlechtsabschnitt  des  Männchens  oberhalb  der 
linken  Ausbuchtung  nicht  in  einen  Zahn  ausgezogen,  oberer  Rand 
der  Öffnung  abgestutzt.     Aufenthalt   auf  Bäumen.     Art   1 — 6. 

B.  Erstes  Fühlerglied  mit  drei  langen,  durchlaufenden,  schwarzen  und 
zwei  weissen  Streifen,  zweites  Glied  1^/^ — 2 mal  länger  als  das 
erste,  drittes  Glied  um  ^/g  kürzer  als  das  zweite,  viertes  kürzer 
als  das  dritte,  die  zwei  letzten  zusammen  wenig  länger  als  das 
zweite.  Augen  vorspringend.  Stirne  beim  Männchen  kaum  schmäler 
als  das  Auge.     Art   1  —  2. 

G.  Erstes  Fühlerglied  so  lang  als  das  Pronotum  und  der  halbe  Kopf 
zusammen.     Art  1.  PopuU  L. 

mit  der  ausgedehnter  dunkler  gezeichneten  var.  b  ($). 

NB.  Der  dieser  Art  in  Färbung  und  Zeichnung  sehr  ähnliche 
Ph.  dimidiatus  Kieschb.  unterscheidet  sich  von  ihr  durch  geringere 
Grösse ,  durch  die  beim  Weibchen  kaum  vorstehenden  Augen, 
durch  die  zwischen  den  Augen  breitere  Stirne,  durch  das  etwas 
kürzere,  lehmfarben  getüpfelte,  nicht  länglich  gestrichelte 
erste  Fühlerglied  und  durch  das  schmälere,  glänzende  und  stärker 
schwarz  gezeichnete  Pronotum. 

CG.  Erstes  Fühlerglied  kaum  länger  als  das  Pronotum.     Oberseite  des 
Leibes  sehr  dunkel,  fast  ganz  schwarz.     Art  2. 

distinctus  Dougl.  et  Scott. 
NB.  Kleiner  als  Ph.  Popidi,  das  erste  Fühlerglied  weit  kürzer, 
die  dunkle  Körperfärbung  weit  mehr  ausgedehnt  und  auf  der 
Oberseite  mit  zerstreuten  kupferfarbenen  Haaren  bedeckt.  —  Von 
dem  ähnlichen  Ph.  dimidiatus  Kieschb.  durch  das  schwarz-  und 
blass  gestrichelte  (nicht  lehmfarbig  getüpfelte !)  erste  Fühlerglied, 
sowie  auch  durch  die  mehr  vorstehenden  Augen  unterschieden.  — 
Durch  eben  diese  Merkmale,  sowie  besonders  auch  durch  die  dunkle 
Färbung  unterscheidet  er  sich  gut  von  Ph.  intricatus. 

BB.  Erstes  Fühlerglied  blass  und  schwarz  oder  dunkelbraun  getüpfelt, 
nicht  länglich  gestrichelt.     Art  3 — 6, 

D.  Pronotum  blass  oder  grünlich,  an  den  Seiten  breit  und  deutlich 
schwarz  gesäumt.     Erstes  Fühlerglied   auf  seiner  Unterseite  voll- 


,  —     264    — 

ständig  schwarz ,  auf  der  Oberseite  mit  drei  bis  vier  schiefen, 
blassen  oder  weissen  Streifen  gezeichnet;  zweites  Glied  kaum  um 
mehr  als  die  Hälfte  länger  als  das  erste,  die  letzten  zusammen 
deutlich  länger  als  das  zweite.     Art  3.  Tiliae  F. 

mit  den  Varietäten  a,  typica;  b,  signata;  c;  d,  cretacea. 

NB.  var.  cretacea  ist  dem  Männchen  von  Ph.  longipennis  Flor 
var.  decolorata  ziemlich  ähnlich,  jedoch  kürzer,  mehr  schwarz- 
braun gezeichnet  und  auch  an  Stirne,  Augen  und  Fühlern  anders 
gebaut. 

DD.  Pronotum  an  den  Seiten  gar  nicht  oder  doch  (gegen  seinen  Grund 
zu)  nur  undeutlich  schwarz  gesäumt.      Art  4 — 6. 

E.  Erstes  Fühlerglied  so  lang  wie  das  Pronotum  und  der  halbe  Kopf 
zusammengenommen ,  auf  seiner  Unterseite  meist  weiss ;  zweites 
Glied  fast  zweimal  so  lang  wie  das  erste ;  drittes  etwa  ^/^  kürzer 
als  das  zweite ;  viertes  kürzer  als  das  dritte ;  die  beiden  letzten 
zusammen  so  lang  wie  das  zweite.  Art  4.  longipennis  Flok. 
mit  var.   a  (decolorata)  und  var.  b  (signata). 

NB.  Ph.  dimidiatus  Kieschb.  unterscheidet  sich  von  longipennis 
durch  seine  etwas  kürzeren  Fühlerglieder,  durch  den  zwischen  den 
Augen  breiteren  Scheitel  und  den  auf  der  Oberseite  meist  viel 
schwärzeren  Leib. 

EE.  Erstes  Fühlerglied    nicht   oder    kaum    länger    als    das    Pronotum. 
Art  5—6. 

F.  Kopfschild  vorne  die  Mitte  des  ersten  Fühlerglieds  nicht  erreichend. 
Kopf  ziemlich  stark  geneigt.  Cubital-Ader  der  Membran  nicht 
verdickt,  selten  etwas  dunkler.  Erstes  Fühlerglied  kaum  länger 
als  das  Pronotum.  Hinterschenkel  etwa  7  mal  länger  als  breit. 
Art  5.  intricatus  Flor. 

NB.  Von  dem  ähnlichen  Ph.  dimidiatus  Kirsche,  durch  das 
kürzere  erste  und  dritte  Fühlerglied,  durch  das  nicht  halbschwarze 
Pronotum,  durch  die  beim  Männchen  schmälere  Stirne,  sowie  durch 
die  beim  Weibchen  über  die  Scheitelebene  nicht  vorspringenden 
und  weniger  kugeligen  Augen  unterschieden.  Von  Ph.  Pini  unter- 
scheidet er  sich  durch  die  längeren  Fühler,  sowie  dadurch,  dass 
das  erste  Glied  etwas  länger  als  das  Pronotum,  das  dritte  Glied 
fast  nur  halb  so  lang  wie  das  zweite,  der  Scheitel  des  Männchens 
zwischen  den  Augen  schmäler  ist ,  die  Seiten  des  Pronotum  ge- 
buchtet sind,  die  Cubital-Ader  der  Membran  nicht  verdickt  und 
die  Leibesoberfläche  meist  nur  wenig  und  verschwommen  bräun- 
lich-rostrot gescheckt  ist. 

FF.  Kopfschild  vorne  die  Mitte  des  ersten  Fühlergliedes  erreichend. 
Kopf  weniger  stark  geneigt.  Membran  mit  schwärzlicher  und 
verdickter  Cubital-Ader.  Erstes  Fühlerglied  nicht  länger  als  das 
Pronotum.  Ilinterschenkel  ziemlich  kurz  und  verdickt,  meist  nur 
etwa  das  Fünffache  länger  als  breit.  Art  G.  Pini  Kirsche. 
mit  drei  Farbenvarietäten  a,  b,  c.  —  Die  Nymphe  ist  in  der 
Färbung  dem  Imago  sehr  ähnlich. 


—     265     — 

AA.  Nur  die  Vorderschienen  mit  drei  schwachen  schwarzbraunen  Ringen, 
die  hinteren  an  ihrem  Grunde  breit  schwarzbraun.  Membran  mit 
gelbroten  Adern.  Weibchen  kürzer  als  das  Männchen,  seine  Halb- 
decken am  Rande  ausgerundet  und  den  Hinterleib  kaum  über- 
ragend;  bisweilen  sind  sie  gekürzt.  Art  7 — 8. 
G.  Erstes  Fühlerglied  fein  und  lang.  Stirne  abschüssig.  Kopfschild 
von  der  Stirne  kaum  geschieden.  Augen  zu  Seiten  des  Kopfes 
fast  senkrecht  gelegen.     Art   7.  TJlmi  L.  Fall. 

mit  einer  makropteren  (Halbdecken  etwa  Y^  länger  als  der  Hinter- 
leib) und  einer  brachypteren  (Halbdecken  so  lang  wie  der  Hinter- 
leib) Form. 

NB.  Die  dem  Imago  an  Farbe  sehr  ähnliche  Nymphe  hat  fast 
ungefleckte  Vorderschienen,  während  ihre  Hinterschienen  drei 
deutliche  rotbraune  Ringe  zeigen. 

GG.  Erstes  Fühlerglied  nicht  länger  als  das  Pronotum  und  dabei  ver- 
dickt. Stirne  nur  wenig  geneigt  und  vom  vorspringenden  Kopf- 
schild durch  einen  tiefen  Eindruck  geschieden.  Kopf  leicht  ge- 
neigt. Geschlechtsabschnitt  des  Männchens  linkerseits  tief  aus- 
gebuchtet, oberhalb  des  Ausschnittes  in  einen  starken  Zahn  aus- 
gezogen, am  oberen  Rande  gleichfalls  ein  vorspringender  Zahn. 
Art  8.  varipes  Boh. 

ebenfalls  mit  makropterer  und  brachypterer  Form,  (bei  ersterer 
sind  die  Halbdecken  länger  als  der  Hinterleib,  bei  letzterer  gleich 
lang).      7  bezw.   6   mm. 

'^'meridionalis  H.  Sch. 

Blassgelblich  (unten  heller),  auf  der  Oberseite  mit  ziemlich 
langem  gelben  Flaumhaar  bedeckt  (ohne  schwarze  Haare  dazwischen!); 
dabei  orangegelb  gezeichnet,  und  zwar  haben  diese  Farbe  ein  Fleck 
an  der  Stirne,  zu  Seiten  der  Augen;  zwei  oder  vier  Tüpfelchen  an 
der  vorderen  Einschnürung  und  vier  Streifen  hinter  den  Schwielen 
des  Pronotum.  —  Kopf  ziemlich  stark  geneigt,  von  oben  gesehen 
quer.  Der  an  seiner  Spitze  schwarze  Schnabel  reicht  bis  zur  Mitte 
des  Hinterleibs.  —  Fühler  lang  und  blass ;  das  schlanke  erste  Glied 
kaum  länger  als  das  Pronotum,  manchmal  leicht  gelblich  getüpfelt 
und  mit  steifen  langen  Haaren  besetzt;  das  vierte  Glied  so  lang  wie 
das  erste.  —  Das  weissliche,  nicht  getüpfelte  Pronotum  hat  leicht 
gebuchtete  Seiten;  seine  Fläche  ist  etwas  nach  vorne  geneigt.  Schild- 
chen ungefleckt.  Epipleuren  der  Vorderbrust  goldgelb  gefleckt.  — 
Halbdecken  dicht  und  fein  orangegelb  getüpfelt ;  die  weisshche,  blass- 
gelb geäderte  Membran  ist  dicht  und  fein  grau  getüpfelt.  —  Beine 
hell;  Hinterschenkel  (mit  Ausnahme  des  Grundes)  goldgelb;  Schienen 
mit  ziemlich  langen  feinen  Dornen  besetzt.  —  Länge  b^J^ — 5^4  mm. 
(Nach  Reuter.) 


—     266     — 

Fhytocoris  meridionalis  Herrich-Schäffer  ,  Nom.  entom.  1835, 
p.  48.  —  Fhytocoris  Signoreti  Perris  (Mülsant)  ,  Ann.  Soc.  Linn. 
Lyon,  1857,  IV,  p.  163.  —  Fieber,  Europ.  Hemipt.  1861,  258,  2. 
—  PüTON,  Cat.  1886,  p.  47,  32.  —  Reuter,  Ann.  Soc.  Entom.  Fr. 
Ser.  V,  1877,  t.  VIT,  31,  26,  t.  11  f.  7.  —  Hemipt.  Gymnoc.  Europ. 
1896,  V,  p.  245,  2.  —  Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889,  p.  67. 

France,  Italic,  Grece,  Espagne  et  Portugal,  Allemagne  et  Autriche. 
PüTON  (1886). 

Auf  Quercus  Cerris  in  Nieder-Österreich  nach  Herrn  P.  Loew; 
Wien,  von  Herrn  Mann  gesammelt.  (Mus.  Vienn.)  Reuter.  (Ann. 
Hemipt.  1881,  190.) 

France,  Spain,  Italy,  Greece,  Germany.    Atkinson  (1889). 

Habitat  in  Quercu :  Gallia  meridionalis ! ,  D.  D.  Perris  ,  Puton, 
Dominique  et  Montandon;  Italia  borealis  (Stazzano),  D.  Ferrari; 
lUyria  (Gorice!),  Dr.  Hensch;  Austria  inferior!,  D.  D.  Mann  et  P.  Loew, 
Hungaria  (Simontornya) ,  Dr.  Horvath;  Graecia!,  D.  D.  Krueper  et 
Oertzen.     Reuter  (1896). 


*  Das  von  Dr.  Handlirsch  auf  einer  Eiche  bei  Dornbach  (Öster- 
reich) gefundene  und  von  Prof.  Reuter  (Hemipt.  Gymnoc.  Europ. 
1896,  V,  p.  245,  3)  als  nova  species:  ^Phytocoris  Handlirschi^  be- 
schriebene Weibchen  dürfte  doch  wohl  nur  eine  Spielart  von  Ph.  meri- 
dionalis H.  ScH.  sein,  von  der  es  sich  durch  den  oben  leicht  glän- 
zenderen Leib,  durch  das  anders  gezeichnete,  besonders  in  der  hinteren 
Hälfte  dicht  graubraun  getüpfelte  Pronotum,  durch  die  auf  den  Halb- 
decken (ausser  dem  gelblichen  Flaum  noch)  befindlichen  schwarzen 
Haare ,  durch  die  mit  schwarzen  Borstenhaaren  besetzten  gelbrot 
gezeichneten  Hinterschenkel ,  durch  die  schwach  braun  geringelten 
Vorderschienen  und  durch  die  mit  braunen  zarten  Dornen  versehenen 
Hinterschienen  wohl  unterscheiden  soll  (Bastard?!). 


**  Fhytocoris  cdhofasciatus  Fieber  (Europ.  Hemipt.  1861,  259, 
3.  —  Puton,  Cat.  1886,  47,  35.  —  Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889, 
63.  —  Reuter,  Ann.  Soc.  Entom.  Fr.  Ser.  V,  1877,  31,  27,  t.  II  f.  8. 
—  Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  1896,  V,  250,  8  und  t.  10  f.  9)  lebt 
nach  Reuter  in  Spanien,  Frankreich  (Isere ,  Nizza),  Süd-Schweiz, 
Nord-Italien,  Dalmatien  und  Griechenland  auf  Pinus  (silvestris  und 
pinea)  und  wurde,  nach  Frey-Gessner,  nur  einmal  in  einigen  Stücken 


—     267     — 

von  Meyer  bei  Siders  in  Wallis  auf  Föhren  erbeutet.  —  Diese  Art 
zeigt  bei  bräunlichgelber  Färbung  eine  (zwei-  bis  dreimalige)  breite 
weisse  Bänderung  über  Halbdecken  einschliesslich  Schildchen;  eine 
weisse,  braun  punktierte  Membran  mit  gelbroten  Adern ;  stark  rötlich- 
gelbe (am  Grunde  mehr  gestrichelte,  am  Ende  mehr  gelblich-gefleckte) 
Schenkel;  bleiche,  braun  gezeichnete  Schienen;  bräunlichgelbe,  weiss- 
geringelte  Fühler,  deren  zwei  letzte  Glieder  schwarz,  und  4 — 6  schwarze 
Haarbüschel  am  hinteren  Pronotumrand.  Der  von  oben  gesehene 
Kopf  erscheint  in  die  Quere  gezogen  und  kürzer  als  das  Pronotum, 
von  der  Seite  gesehen  kürzer  als  hoch. 

?  minor  Kirschbaum. 

Redter  beschreibt  diese,  ihm  selbst  unbekannte  Art  (Hemipt. 
Gymnoc.  Europ.  V,  251,  9)  wie  folgt:  Länglich,  dunkel,  verschwommen 
gelblichrostbraun,  mit  Ausnahme  des  ersten  Fühlerglieds  kaum  dunkel 
gesprenkelt,  schwarz  behaart  zwischen  deutlichem  hellem  Haarflaum; 
erstes  Fühlerglied  verwischt  gelblich,  rotbraun  getüpfelt,  so  lang  wie 
das  Pronotum;  das  zweite  Glied  272 mal  länger  als  das  erste,  ver- 
schwommen braungelb,  am  Grund  und  in  der  Mitte  kaum  etwas 
blasser ;  die  letzten  Glieder  graubraun ,  gleichlang ,  jedes  etwa  nur 
halb  so  lang  wie  das  zweite ,  das  dritte  am  Grunde  weisslich ;  die 
rötlichen  Schenkel  mit  gelblichen  Punkten  bestreut,  die  Schienen 
mit  ziemlich  verwischten  dunklen  Ringen;  Kopf  stark  geneigt  mit 
rotbraunen  Querstrichen,  Kopfschild  leicht  vorspringend,  Scheitel  (S) 
kaum  breiter  als  das  Auge ;  Halbdecken  verschwommen  gelbbraun, 
am  Grunde,  am  inneren  Ende  des  Corium  und  an  der  Spitze  des 
Keils  etwas  dunkler ,  Membran  mit  rotbraunen  Adern.  Länge :  S 
272  Linien.     Reuter  (nach  E.  Kirschbaum). 

Nach  Reuter  soll  sich  diese  Art  von  den  andern  verwandten 
Arten  durch  Färbung  und  Beschaffenheit  der  Fühler  unterscheiden. 
Von  Ph.  pini  Kirschb.  durch  geringere  Grösse  und  blassere  Färbung, 
durch  das  kürzere  Pronotum,  dessen  Schwielen  nicht  hervortreten, 
sowie  durch  das  zweite  längere  und  dritte  kürzere  Fühlerglied.  Von 
Ph.  albofasciatus  Fieb.  ,  der  sie  nahe  zu  stehen  scheint ,  weicht  sie 
durch  die  Farbe  des  dritten  Fühlerglieds  und  die  verschwommenen 
Schwielen  des  Pronotum  ab. 

Kirschbaum  giebt  als  Unterscheidungsmerkmale  von  der  (von 
ihm  gleichfalls  zuerst  beschriebenen)  Ph.  pini  n.  sp.  an ,  dass  ihr 
drittes  Fühlerglied  nur  halb  so  lang  als  das  zweite  (während  dasselbe 
bei  pini  fast  ^4  so  lang).     Beide  seien  hellbräunhch,  während  aber 


—     268     — 

pmi  rötlich  und  schwärzlich  gescheckt  ist  und  der  Aussenrand  der 
Halbdecken  und  die  Membrannaht  schwärzliche  Punktflecken  zeigen, 
ist  minor  kleiner  von  Gestalt,  viel  heller  gescheckt,  ohne  schwärz- 
liche Punktflecken ,  und  treten  bei  ihr  die  filzigen  weissen  Härchen 
mehr  hervor.  1 

Fhytocoris  minor  Kirschbaum,  Rhynchot.  Wiesbadens,  1855, 
S.  (9,  22  und)  40,  22.  —  Puton,  Cat.  1886,  47,  10.  —  Fieber, 
Europ.  Hemipt.  1861,  261,  Anm.  —  Reuter,  Ann.  Soc.  Entom.  Fr. 
Ser.  V,  1877,  VIT,  33,  t.  2  f.  8.  —  Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  1896, 
V,  251,  9. 

Ein  männhches  Exemplar,  15.  7.  1854,  von  Kirschbaum  bei 
Mombach  am  Rhein  auf  Kiefer  (mit  Fh.  pini)  gefangen !  —  Da  dürfte 
es  sich  doch  wohl  nur  um  eine  Spielart  handeln!?     H. 

23  (419)  Tiliae  Fabr. 

L.  virescens :    fasciis  tribus  fuscis ;  media  angulata.     Fabricius. 

P.  Tiliae  virescens,  linea  thoracis  laterali  fasciisque  tribus  ely- 
trorum  nigris.     Fallen. 

Länglich,  weisslichgrün ,  gelblichgrün  oder  grauhchweiss  und 
dabei  (mit  Ausnahme  des  Kopfes)  mehr  oder  weniger  dunkelbraun 
oder  schwarz  getüpfelt  und  gefleckt  (marmoriert),  nach  dem  Tode 
häufig  gelblich  verblassend;  dabei  mit  wirrem  hellem  Flaum  und 
dazwischen  mit  anliegenden  schwarzen  Haaren  bedeckt.  Eine  sehr 
hübsche,  aber  auch  ausserordentlich  variierende  Art,  das  eine  Mal  fast 
ganz  schwarz  gefleckt  mit  gelber  Zeichnung  und  breitem  gelbem 
Seitenfleck,  das  anderemal  grünlich  mit  nur  wenigen  zerstreuten 
dunklen  Flecken,  und  zwischen  diesen  beiden  Extremen  der  grösste 
Wechsel  in  Zeichnung  und  Färbung.  —  Kopf  vollständig  blass  und 
ungefleckt,  von  oben  gesehen  deutlich  quer,  von  vorne  gesehen  so 
lang  wie  breit.  Scheitel  von  Augenbreite  oder  etwas  darüber.  Kopf- 
schild wenig  vortretend.  Der  blassgelbe,  an  seiner  Spitze  schwarze 
Schnabel  reicht  bis  zum  zweiten  Bauchabschnitt.  —  Fühler  dunkel ; 
erstes  Glied  auf  der  Unterseite  vollständig  schwarz ,  oberseits  weiss 
gefleckt  bezw.  mit  2 — 4  weissen  Streifen  und  dabei  mit  langen  dunklen 
steifen  Haaren  besetzt;  das  zweite  Glied  fast  mehr  als  die  Hälfte 
länger  mit  zwei  weissen  Ringen;  das  dritte  nur  am  Grunde  schmal 
weiss ;  die  beiden  letzten  zusammen  länger  als  das  zweite.  —  Pro- 
notum  nach  vorne  geneigt  mit  breit  und  scharf  schwarz-gerandeten 


—     269     — 

Seiten ;  auch  am  Grunde  findet  sich  ein  in  seiner  Mitte  jedoch  unter- 
brochener schwarzer  Saum.  —  Schildchen  und  Halbdecken  schwarz 
marmoriert,  jedoch  nach  Ausdehnung  und  Art  ausserordentlich  wech- 
selnd, beim  Männchen  im  allgemeinen  schwärzer  und  zusammen- 
hängender, beim  Weibchen  öfters  unregelmässige  Querbinden  bildend. 
Die  Halbdecken  selbst  überragen  stets  das  Hinterleibsende,  beim  Männ- 
chen mehr  als  beim  Weibchen.  Ihre  Membran  ist  hyalin,  grau  ge- 
tüpfelt mit  weisslichen  Adern.  —  Beine  blass,  die  Schenkel  schwarz 
oder  dunkelbraun  gefleckt,  die  Schienen  schwarz  geringelt  und  mit 
feinen  blassen  Dornen  besetzt.  —  Länge  b^/^—Q^j^  mm. 

Diese  Art  unterscheidet  sich  von  allen  andern  durch  ihre  glän- 
zendere hellere  Zeichnung,  durch  ihre  blassere  Färbung  und  die  da- 
zwischen eingestreute ,  scharf  abgegrenzte  und  weniger  zusammen- 
fliessende  schwarze  Zeichnung.  Von  Ph.  longipennis  Flor  unter- 
scheidet sie  sich  durch  die  kürzeren  Fühler,  Beine  und  Halbdecken, 
durch  ihren  breiteren  Bau  und  ihre  meist  ins  Grüne  schillernde 
Färbung. 

Reuter  unterscheidet  neuerdings  (Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  V, 
257,  15)  sechs  Varietäten : 

Var.  a,  cretacea  Reut.  Weisslich,  verschwommen  dunkelbraun 
gezeichnet,  Pronotum  mit  breit  schwarzbraunen  Seiten  und  vier 
schwarzen  Strichen  an  seinem  Grundrand ;  an  der  Spitze  des  Schild- 
chens zwei  kleine,  auseinandergehende  dunkle  Streifen;  Halbdecken 
mit  zwei  breiten  verschwommenen  dunklen  Querbinden,  die  eine  vor 
der  Mitte,  die  andere  vor  dem  Rautenfleck  an  der  Spitze. 

Var.  ß,  typica :  Auf  der  Oberseite  grünlichweiss,  Pronotum  und 
Schildchen  wie  bei  Var.  a  gezeichnet,  nur  dass  die  Zeichnung  selbst 
lebhaft  schwarz  ist,  die  Streifen  vor  dem  Grundrande  oft  zusammen- 
fliessen  und  an  den  Halbdecken  sich  auf  dem  Corium  ein  den  dritten 
Teil  desselben  einnehmender  schwarzer  Fleck  findet,  während  der 
Aussenrand  schwarz  gescheckt  und  der  Keil  gegen  seine  Spitze  zu 
schwarz  getüpfelt,  letztere  selbst  aber  gelbbraun  ist.     $. 

Var.  y ,  signata  Reut.  :  Wie  Var.  ß ,  nur  dass  die  Halbdecken 
mit  dichterem  Schwarz  marmoriert  sind  und  die  Kommissur,  der 
Grund  des  Corium,  ein  Fleck  unterhalb  der  Mitte  und  ein  Fleck  am 
inneren  Ende  (letzterer  vorne  deutlich  schwarz  abgegrenzt)  weissHch 
ist,  während  der  Clavus  schwärzlich  gefleckt  und  der  Cuneus  wie 
bei  Var.  ß  ist;  am  Pronotum  fliesst  der  schwarze  Seitensaum  mit 
der  schwarzen  Binde  am  Grunde  oft  zusammen,  welch  letztere  schmal 
und  wenigstens  in  ihrer  Mitte  unterbrochen  ist.     6. 


-     270     — 

Var.  d,  ferruginea  Westhoff:  Wie  Var.  /,  nur  dass  die  Farbe 
der  Oberseite  leicht  ins  Rostbraune  schillert,     d*. 

Var.  «,  maculosa  Westhoff  :  Halbdecken  mit  zusammenfliessen- 
den,  stark  ausgedehnten,  tiefschwarzen  Flecken;  der  Schildchenrand 
des  Clavus,  die  Naht,  ein  mittlerer  schiefer  Fleck  auf  dem  Corium, 
ein  rhombischer  Tüpfel  an  dessen  Ende,  einzelne  kleinere  Punkte 
sowie  der  Grund  des  Cuneus  blass;  Pronotum  und  Schildchen  wie 
bei  Var.  ß. 

Var.  C,  marmorata  Douglas  and  Scott:  Auf  der  Oberseite 
grünlichweiss ;  am  Pronotum  fliesst  der  seitiiche  Saum  und  die  Binde 
am  Grunde  zusammen,  indem  letztere  in  einen  sehr  grossen,  oft  bis 
zu  den  Schwielen  reichenden,  nach  hinten  zu  gebuchteten  Fleck  aus- 
gezogen ist  (dabei  sind  die  Schwielen  selbst,  zwei  hinter  denselben 
befindliche,  bis  zur  Grundbinde  reichende  Flecke  und  der  Grundsaum 
selbst  in  seiner  Mitte  ziemlich  breit  grünlichweiss).  Am  Schildchen 
finden  sich  zwei  auseinanderstrebende  schwarze  Streifen;  auf  den 
Halbdecken  zwei  breite,  schwarze,  blassgesprenkelte  Binden,  deren 
eine  vor  der  Mitte  des  Corium,  innseits,  sich  nach  dem  Clavus  hin- 
zieht und  daselbst  erweitert,  während  die  andere  gegen  die  Spitze 
des  Corium  zu,  innseits,  oberhalb  des  blassen  Endflecks  des  Corium, 
tief  ausgebuchtet,  sowie  am  Keil  ein  Streif  am  Grunde  des  inneren 
Randes  nebst  der  Spitze  ziemlich  breit  schwarz  gefärbt  ist. 

Cimex  tiliae  Fabriciüs,  Gen.  Ins.  1776,  301,  153 — 154. 

Lygaeus  tiliae  Fabriciüs,  Entom.  Syst.  1794,  IX,  174,  137.  — 
Syst.  Rhyng.  1803,  237,  169.  —  Fallen,  Monogr.  Cimic.  Suec.  1807, 
79,  40. 

Miris  tiliae  Latreille,  Hist.  Nat.  1804,  XII,  224,  14. 

Phytocoris  populi  Meyer,  Schweiz.  Rhynchot.  1843,  t.  7  fig.  1. 

Capsus  tiliae  F.  Sahlberg,  Monogr.  Geoc.  Fenn.  1848,  98,  14. 
—  Thomson,  Opusc.  entom.  1871,  IV,  418,  4. 

Phytocoris  marmoratus  Douglas  and  Scott,  Entom.  Monthl. 
Magaz.   1869,  p.  261   (==  varietas  nigredine  valde  extensa). 

Phytocoris  tiliae  Fallen,  Hemipt.  Suec.  1829,  85,  17.  —  Kirsch- 
baum ,  Rhynchot.  Wiesbadens,  1855,  39,  18.  —  Fieber,  Criter.  z. 
gener.  Theilg.  d.  Phytocor.  1859,  18.  —  Europ.  Hemipt.  1861,  260, 
10.  —  Douglas  and  Scott,  Brit.  Hemipt.  1865,  303,  2  and  t.  10  f.  8. 

*  Wegen  jeder,  oft  nur  einmal  gefundenen,  vielleicht  nur  postmortalen 
Farbenabweichung  eine  eigene  Varietät  aufzustellen,  geht  doch  wohl  etwas  weit! 

H. 


—    271     — 

—  Reuter  ,  Hemipt.  Gymnoc.  Sc.  et  Fenn.  38 ,  3.  —  Revis.  crit. 
Caps.  1875,  22,  3.  —  Ann.  Soc.  Entom.  Fr.  1877,  16,  4,  tab.  7. 

—  Revis.  synon.  1888,  250,  220.  —  Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  1896, 
V,  p.  257,  15  et  t.  9  f.  2  (var.).  —  Saünders,  Synops.  of  Brit.  Hemipt. 
Het.  1875,  265,  4.  —  Hemipt.  Het.  of  the  Brit.  Islands,  1892,  235. 

—  Snellen  van  Vollenhoven,  Hemipt.  Neerl.  1878,  180.  —  Pdton, 
Cat.  1886,  47,  4.  —  Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889,  67. 

Bayern:  Bei  Augsburg,  Göggingen.  Kittel.  —  Bei  Bamberg. 
Funk.  —  Württemberg.  Roser.  —  Elsass-Lothringen :  Sur  les  tilleuls ; 
Remiremont,  Val  de  Ville;  rare.  Metz;  assez  commun.  Reiber-Püton. 
> —  Nassau:  M  W  bei  Wiesbaden;  auf  Eichen  und  auf  Erlen,  nicht 
selten ;  7 — 8.  Kirschbaum.  —  Westfalen :  Wie  longipennis  Flor  ver- 
breitet und  wohl  fast  gleich  häufig.  Sie  lebt  vornehmlich  auf  Eichen, 
dann  aber  auch  auf  Corylus ,  Betida  und  Tilia;  die  Form  typicus 
Reut,  kaum  bei  uns  ausgebildet,  signatus  Reut,  die  Normalform. 
Var.  ferrugineus  (=  Var.  c  Reut.)  selten.  Var.  cretaceus  Reut,  nicht 
so  selten ;  bei  Münster  an  Lindenbäumen  im  August  und  September. 
Var.  maculosus  ein  Stück,  8.  80,  bei  Münster  auf  Querciis  gefunden. 
Westhoff.  —  Schleswig-Holstein :  An  Lindenstämmen  oft  nicht  selten. 
Wüstnei.  —  Mecklenburg :  Von  Anfang  August  bis  Anfang  Oktober 
in  Gärten  und  Laubwäldern  einzeln.  Raddatz.  —  Schlesien:  Th.  populih. 
mit  ß  Var.  tiliae  F.  (weisslich  oder  gelbrötlich  und  russigschwarz 
gefleckt ;  die  mannigfachsten  Übergänge  in  der  Färbung  zur  Stamm- 
form zeugen  gegen  ihre  Artgültigkeit) :  Von  Ende  Juli  bis  Ende  August 
auf  Weiden  und  Pappeln,  auch  auf  Linden.  Schultz.  —  Provinz 
Preussen :  Brischke. 

Durch  ganz  Europa  einzeln.    An  Eichen,  Erlen,  Linden.    Fieber. 

Habitat  in  Tilia!,  Queren!,  Populo!,  Acere  (P.  Loew),  Alno 
(Credler)  ,  Corylo  et  Betula  (Westhoff)  ,  Ulmo  (Norman  ,  Spitzner, 
DuBOis) ,  Salice  (Frey-Gessner  ,  Gredler)  ,  Pruno  ceraso  (Spitzner), 
Castanea  vesca  (Ferrari),  Lauro  nobili  (Horvath)  :  Norvegia  (Toeien) ; 
Suecia  (usque  ad  Stockholm !) ,  Fennia  meridionalis  (Abo !) ,  Livonia 
(Kokenhusen)  ,  Dania,  Schlesvigia-Holsatia,  Mecklenburgia,  Borussia, 
Batavia,  Belgium,  Britannia  tota,  Gallia,  Nassovia,  Bavaria,  Bohemia, 
Moravia,  Helvetia,  Tirolia,  Hungaria,  Halicia,  Lusitania,  Liguria, 
Graecia!     Reuter  (1896). 

[Schweiz :  Im  Mai,  Juni  und  Juli  noch  unausgebildet  ohne  Decken, 
dann  von  Ende  Juh  an  bis  gegen  Mitte  Oktober  fast  allenthalben 
entwickelt;  aber  stets  nur  einzeln,  in  Schächen  und  schattigen  Orten, 


•    —     272     — 

auf  Weiden-,  Pappel-  und  Eschengesträuchen.  Variiert  in  Farbe  und 
Zeichnung  ausserordentlich  vom  Weisslichen  bis  ins  Dunkelmoosgrüne. 
Die  ziemlich  seltene  Var.  tüiae  Fabr.  ist  russigschwarz ,  mit  hell- 
oder  gelbrötlich  bleibenden  Stellen  (Taf.  7  Fig.  4).  Meyer*.  — 
P.  tüiae  Fab.  (=  Meyer,  Taf.  7  Fig.  4,  ist  aber  zu  schön  grün  illu- 
miniert) auf  Weiden,  Pappeln,  Linden  und  anderen  Bäumen  und  Ge- 
sträuchen nicht  häufig.  Frey-Gessner.  —  Tirol:  Auf  Weiden,  Pappeln 
und  Linden;  Strasse  im  Unterinnthal,  an  Erlen  im  Juli.  Gredler. 
—  Böhmen:  Auf  Lindenstämmen  in  Anlagen  und  Alleen,  seltener 
auf  anderen  Bäumen,  wohl  überall  verbreitet,  doch  in  manchen  Jahren 
recht  selten.  Duda.  —  England:  On  limes  and  other  trees,  not  rare 
and  generally  distributed.     Saünders.] 

24  (420)  longipennls  Flor. 

Länger,  schmäler,  blässer  (und  glanzloser  gefleckt)  als  die  an- 
deren Arten,  fast  gleichbreit,  ziemlich  sparsam  und  nur  schwach 
dunkel  (grau,  schwarzbraun,  schwärzlich)  gezeichnet,  unten  heller 
als  oben :  dabei  mit  wirrem  hellem  Flaum  und  dazwischen,  besonders 
auf  den  Halbdecken,  mit  bald  anliegenden,  bald  aufgerichteten  schwarzen 
Haaren  besetzt.  Von  der  ganzen  matten  Oberfläche  zeigt  höchstens 
das  Pronotum  manchmal  leichteren  Glanz.  Beine,  Fühler  und  Halb- 
decken sind  sehr  lang.  —  Kopf  stark  geneigt,  fast  senkrecht,  etwa 
^3  so  breit  wie  der  Grund  des  Pronotum,  von  oben  gesehen  quer, 
von  der  Seite  gesehen  ziemlich  kürzer  als  hoch,  von  vorne  gesehen 
so  lang  ($)  oder  etwas  kürzer  (d)  als  breit;  dabei  (wie  bei  Fh.  tüiae) 
ohne  dunklere  Zeichnung,  einfarbig  gelblichbraun.  —  Kopfschild  wenig 
vorspringend,  von  der  stark  geneigten  Stirne  kaum  abgegrenzt.  — 
Scheitel  beim  Männchen  sehr  schmal ,  nur  etwa  halb  so  breit  wie 
das  sehr  grosse  und  stark  gewölbte  Auge  (beim  Weibchen  höchstens 
Vs  breiter).  —  Der  blassgelbe,  an  seiner  Spitze  schwarze  Schnabel 
reicht  bis  zum  dritten  Bauchabschnitt.  —  Die  grauen  Fühler  lang, 
länger  als  das  ganze  Tier;  ihr  schlankes,  helles,  dunkel  getüpfeltes 
und  mit  ziemlich  langen,  silberweissen ,  aufrechtstehenden  Haaren 
besetztes  erstes  Glied  ist  so  lang  wie  Kopf  und  Pronotum  zusammen ; 
das  zweite  und  dritte  Glied  ist  am  Grunde  schmal  weiss  (beim  zweiten 
meist  noch  ein  breites  gelbes  Band  unterhalb  der  Mitte);  das  dritte 
Glied  etwa  ^/^  so  lang  wie  das  zweite ;  das  vierte  nicht  oder  nur 
wenig  kürzer  als  das  dritte ;    die    beiden   letzten  Glieder   zusammen 


* 


Nach  Reuter  (Rev.  synon.  250,  220)  entspricht  jedoch  nur  die  Abbildung 


SIeyer's  Taf.  7  Fig.  1  der  Ph.  tiliae  Fabr.  H. 


—     273     — 

so  lang  wie  das  zweite  Glied.  —  Pronotum  (gleich  den  Halbdecken) 
wechselnd  graulich  schwarzbraun  gezeichnet,  anderthalbmal  so  breit 
wie  lang,  vorne  (hinter  der  Einschnürung)  nur  halb  so  breit  wie 
hinten ,  mit  gebuchteten  (leichtkonkaven)  Seiten ,  mit  nach  vorne 
ziemlich  geneigter  Fläche  und  mit  langen,  etwas  angedrückten  schwärz- 
lichen Haaren.  —  Die  langen,  parallelständigen  Halbdecken  überragen 
(beim  Männchen  um  die  Hälfte,  beim  Weibchen  um  ein  Drittel  ihrer 
Länge)  den  Hinterleib,  haben  nur  schwache  dunkle  Zeichnung  und 
an  ihrer  Spitze  einen  glänzenden  (im  vorderen  Winkel  schwarz  ab- 
gegrenzten) Rautenfleck.  Der  blass-gelbhchgraue ,  oft  auch  etwas 
röthch  angeflogene  Cuneus  ist  gegen  sein  Ende  dunkelbraun  oder 
schwärzlich  bestäubt  und  an  seiner  Spitze  lehmfarben.  Die  glashelle 
(hyaline)  Membran  ist  sparsam  graubraun  getüpfelt  und  besitzt  weiss- 
liche  Adern ;  nur  die  Cubitalader  ist  schwarzbraun.  —  Die  sehr 
langen,  dünnen,  blassgelben,  mit  langen,  halbaufgerichteten  feinen 
weissen  Haaren  versehenen  Beine  haben  blasse,  erst  gegen  ihre  Spitze 
zu  dunkel  getüpfelte  Schenkel  und  dreifach  schwarzgeringelte  (ge- 
bänderte) Schienen  (besonders  deutlich  am  hintersten  Beinpaar) ; 
dabei  sind  die  dunklen  Ringe  erheblich  schmäler  als  das  dazwischen- 
liegende Weiss ;  ausserdem  sind  die  Schienen  noch  mit  langen,  blass- 
bräunlichen, dornartigen  Haaren  besetzt;  auch  die  (etwa  siebenmal 
länger  als  breiten)  Hinterschenkel  sind  mit  langen  angedrückten 
Haaren  versehen.  Die  Tarsen  sind  gelbbraun.  —  Der  Geschlechts- 
abschnitt des  Männchens  ist  linkseits  der  Öffnung  abgestutzt.  — • 
Länge  6^4 — 772  '^™- 

Diese  Art  unterscheidet  sich  von  Fh.  tiliae  durch  ihren  schmäleren 
Bau  und  durch  die  nicht  breit  und  nicht  scharf  schwarz-gesäumten 
Seiten  des  Pronotum.  —  Von  Ph.  popuU  durch  die  Zeichnung  des 
ersten  Fühlerglieds.  —  Von  Ph.  dimidiatus  Kirschb.  (dessen  Var.  y 
dieser  Art  an  Farbe  sehr  ähnelt)  ausser  dem  blassen  Kopf  durch  die 
längeren  Fühler.  —  Von  Ph.  intricatus  Flor  (dem  sie  durch  den 
schmäleren  Scheitel  des  Männchens  ähnelt)  ist  sie  dadurch  unter- 
schieden, dass  dieser  noch  schmäler,  blässer,  mehr  ins  Weissgelbliche 
spielend  und  sein  erstes  Fühlerglied  länger  ist. 

Reuter  (Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  1896,  V,  259  ff.)  unterscheidet: 
Var.  a,  typica :  Oberseite  weisslich  ;  Kopf  gleichfarbig  und  nicht 
gezeichnet;  Pronotum  an  seinem  Grundrande  mit  4 — 6  schwarzen 
Strichen ;  Schildchen  gegen  die  Spitze  zu  mit  zwei  schwarzen,  aus- 
einanderweichenden kleinen  Streifen ;  Halbdecken  spärlich  schwarz 
oder   dunkelbraun    getüpfelt,    vor   der   Spitze   mit    zeichnungsfreiem 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde   in  Württ.  1898.  18 


—     274     - 

rautenförmigem  Fleck,  der  nach  vorne  zu  einen  schmalen  schwarzen 
Saum  hat. 

Var.  ß,  signata  Reut.  :  Wie  Var.  a,  jedoch  sind  die  Seiten  und 
der  Grundrand  des  Pronotum  nur  undeutlich  und  verschwommen 
dunkelbraun  oder  bräunlich;  am  Schildchen  sind  die  Grundwinkel 
und  zwei  bindenartige  Flecke  schwarzbraun ;  die  Halbdecken  sind 
dichter  schwarz-  oder  dunkelbraun  marmoriert,  der  an  der  Spitze 
befindliche,  nicht  gezeichnete  Rautenfleck  besitzt  nach  vorne  zu  einen 
erheblich  breiteren  schwarzen  Saum  und  oft  noch  vor  seiner  Mitte 
einen  queren  Fleck;  am  Kopfe  finden  sich  bisweilen  schmale  bräun- 
liche Striche  auf  der  Stirne  und  ebensolche  Flecke  auf  dem  Kopf- 
schild, sowie  gleichfarbene  Linien  auf  den  Zügeln  (Lorae). 

Phytocoris  Fopuli  Kirschbaum,  Rhynchot.  Wiesbadens,  1855, 
38,  16.     Wahrscheinhch ! 

Fhytocoris  dimidiatus  Fieber,  Europ.  Hemipt.  1861,  260,  9.  — 
Douglas  and  Scott,  Brit.  Hemipt.  1865,  307,  4. 

Capsus  longipennis  Thomson,  Opusc.  entom.  1874,  IV,  418,  5. 

Fhytocoris  longipennis  Flor,  Rhynchot.  Livlands,  1860,  H,  601, 
6.  —  Reuter,  Rev.  crit.  Caps.  1875,  24,  4.  —  Hemipt.  Gymnoc.  Sc. 
et  Fenn.  40,  4.  —  Ann.  Soc.  Entom.  Fr.  Ser.  V,  1877,  16,  5,  t.  7. 
—  Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  1896,  V,  259,  16.  —  Saunders,  Synops. 
of  Brit.  Hemipt.  Hat.  1875,  264,  2.  —  Hemipt.  Het.  of  the  Brit. 
Islands,  1892,  236.  —  Püton,  Cat.  1886,  47,  5.  —  Atkinson,  Cat. 
of  Caps.  1889,  65. 

Württemberg:  Bei  Ulm,  an  Waldrändern  von  Sträuchern  und 
Bäumen  (Laubholz)  geklopft  (Klosterwald,  Illerholz,  Wiblinger  Staats- 
wald); 8;  selten.  Hüeber.  —  Elsass-Lothringen:  Vosges:  Remiremont. 
Strasbourg :  Forets  de  Walbourg,  sur  le  charme  et  le  chene ;  a.  c.  en 
juilles.  Rhin:  Sur  le  saule;  8.  Reiber-Puton.  —  Westfalen:  Um 
Münster  besonders  auf  Eichen,  dann  aber  auch  auf  Linden  und  an- 
deren Laubhölzern  verbreitet  und  besonders  im  Herbst  (August  bis 
Oktober)  nicht  selten.  Die  Form  longipennis  Flor  (=  decolorata 
Reut.)  bei  Münster  einmal  von  mir  gefangen.  Var.  signatus  Reut. 
(=  Fopidi  Kirsche.,  dimidiatus  Fieb.,  longipennis  Thoms.)  um  Münster 
die  Stammform  und  überall  nicht  selten;  unter  Linden,  auf  Eichen 
u.  8.  w. ;  8.  9.  Westhoff,  —  Schleswig-Holstein:  longicornis  Flor 
auf  Gebüsch  in  Wäldern  stellenweise  nicht  selten.  Wüstnei.  — 
Mecklenburg :  Fk.  longipennis  Flor,  Thoms.  (=  popnli  Fall.  Kirsche.) 


-     275     — 

von  Ende  Juli  bis  Mitte  September  in  allen  Laubwäldern  auf  den 
Blättern  der  Haselgebüsche  und  anderer  Sträucher  häufig.    Raddatz. 

Aus   Deutschland   (von   Dr.  Förster   als  Fhyt.  tiliae).     Fieber. 

Habitat  in  Quercu  (Westhoff,  ipse),  Fago.  Tilia  (J.  Sahlberg, 
Westhoff)  ,  Corylo  (Saunders)  ,  Populo  (Dübois  ,  Lethierry)  ,  Pruno 
domestico,  Platano  et  Acere,  Salice  (Dübois)  :  Suecia  (Skane !),  Fennia 
meridionalis!  (usque  ad  61°  30');  Livonia  (Kokenhusen),  Danial,  Schles- 
vigia-Holsatia ,  Mecklenburgia ,  Batavia,  Belgium,  Iria,  Scotia!  et 
Anglia ! ,  Gallia ! ,  Helvetia ! ,  Bohemia ,  Hungaria ,  Halicia ,  Moldavia. 
Reuter  (1896). 

[Schweiz:  Wie  Jiirsutulus  Flor  bisher  als  bleiche  Varietät  mit 
populi  vermischt.  Einige  Exemplare  in  Meyer's  Sammlung  aus  Burg- 
dorf.    Frey-Gessner.  —  Livland:  Zwei  W,  Mitte  August.     Flor.] 

25  (421)  Fopuli  Linne. 

L.  oblongus  albus  fuscoque  nebulosus.     Fabricius. 

P.  populi  pallescens  albo  fuscoque  nebulosus.     Fallen. 

Ph.  Populi.  Viridi-pallens  sub-pubescens,  antennis  elytris  pedi- 
busque  nigro-variegatis.     Long  3'".     Bürmeister. 

P.  Populi  L.  pallescens,  pubescens,  albo-  et  fusco-variegatus ; 
antennis  et  pedibus  pallidis,  fusco-irroratis ,  femoribus  basi  albidis, 
antennarum  articulo  secundo  et  tertio  annulo  ad  basin  albo;  mem- 
brana  hyalino-nitente,  extus  maculis  didymis  albis.  Long.  SYg'". 
Sahlberg. 

Länglich-eiförmig,  fast  gleichbreit,  glanzlos,  auf  der  Oberseite 
schmutzig  blass,  grauweiss  oder  ockerfarben  und  mehr  oder  weniger 
dunkelbraun  oder  schwarz  gescheckt,  selten  grösstenteils  schwarz 
(Var.  distindus),  dabei  mit  zartem  Flaumhaar  bedeckt.  —  Kopf  sehr 
stark  geneigt,  von  oben  gesehen  quer,  von  der  Seite  gesehen  kürzer 
als  hoch,  von  vorne  gesehen  so  lang  wie  breit,  dabei  bräunlichgelb 
und  mit  verschiedenen  kleinen  schwarzen  Fleckchen  und  Strichelchen 
gezeichnet.  —  Kopfschild  leicht  vorragend,  von  der  abschüssigen 
Stirne  nur  durch  einen  verschwommenen  Eindruck  geschieden.  — 
Scheitel  beim  Männchen  kaum  von  Augenbreite,  beim  Weibchen  etwas 
breiter.  —  Die  stark  vorspringenden  Augen,  zu  beiden  Seiten  des 
Kopfes  fast  senkrecht  gelegen,  sind  bei  beiden  Geschlechtern  gross, 
gewölbt  und  die  Scheitelfläche  überragend.  —  Der  Schnabel  reicht 
bis  zum  vierten  Bauchabschnitt.  —  Die  dunklen,  schlanken,  faden- 
förmigen Fühler  sind  etwa  74  länger  als  der  Körper;  ihr  erstes  Glied 
ist  so  lang  als  Kopf  und  Pronotum  zusammen,  fast  so  lang  wie  das 

18* 


—     276     — 

dritte,  ganz  leicht  verdickt  und  (bei  Annahme  hellen  Grundes)  mit 
drei  schwarzen  Längsstreifen  versehen  (Saunders)  oder,  was  dasselbe, 
auf  schwarzem  Untergrund  mit  zwei  durchlaufenden,  langen,  weiss- 
lichen,  oft  sehr  schmalen  Streifen  besetzt  (Reuter),  dabei  noch  mit 
wenigen  langen  borstigen  weisslichen  Haaren  besetzt ;  das  zweite 
Glied  ist  doppelt  so  lang  wie  das  erste,  und,  gleich  dem  dritten,  am 
Grunde  schmal  weisslich ;  bisweilen  hat  das  zweite  Glied  auch  noch 
einen  weisslichen  Ring  unterhalb  der  Mitte ;  das  vierte  Glied  ist 
kaum  kürzer  als  das  dritte;  die  beiden  letzten  zusammen  so  lang 
wie  das  erste.  —  Das  trapezförmige  Pronotum  hat  leicht  gebuchtete 
(konkave)  Seiten,  ist  vorne  ums  Doppelte  schmäler  als  am  Grunde, 
daselbst  auch  mehr  oder  weniger  breit  weissgelblich  oder  weissrötlich, 
und  hinten  sowie  auf  den  Seiten  wechselnd  breit  schwarz ;  der  Grund- 
rand ist  wieder  weisslich.  —  Das  etwas  gewölbte  dunkle  Schildchen 
hat  feine  blasse  Seitenstreifen  und  einen  sich  nach  vorn  erweiternden 
weisslichen  Mittelstreif.  —  Die  hellen  Epipleuren  der  Vorderbrust 
zeigen  zwei  schwarze  Flecke;  die  Mittelbrust  ist  fast  ganz,  die  Hinter- 
brust an  den  Seiten  schwarzbraun ;  die  Offnungen  weisslich.  Der 
Hinterleib  ist  oben  (Rücken)  schwarz,  unten  (Bauch)  beim  Männchen 
schwarz  und  v/eiss  gerandet,  beim  Weibchen  weisslich  mit  schwarz 
geflecktem  Rande.  Der  Geschlechtsabschnitt  des  Männchens  ist  auf 
der  linken  Seite  der  Öffnung  abgestutzt.  —  Die  Halbdecken  sind 
mehr  oder  weniger  schwarz  gefleckt,  mit  feinem  silbernen  Flaumhaar 
bedeckt,  zwischen  welchem  sich  halbniederliegende  schwarze  Haare 
vorfinden;  am  Ende  des  Corium  ein  heller  glänzender  viereckiger 
Fleck ;  die  glashelle  (hyaline)  grau  getüpfelte  Membran  hat  weissliche 
Adern,  doch  ist  die  Cubitalader  vollständig  und  oft  auch  die  Brachial- 
ader an  ihrem  Ansatz  schwärzlich.  —  Von  den  blassgelben,  schlanken 
langen  Beinen  ist  das  hinterste  Paar  das  längste ;  die  Schenkel  sind 
schwarz  gesprenkelt,  aber  nicht  besonders  dicht  oder  ausgebreitet; 
die  hinteren  haben  vor  ihrer  Spitze  eine  schiefe  blasse  Binde  und 
vereinzelte  längere  abstehende  Haare;  die  Schienen  sind  schwarz 
geringelt  und  mit  langen  weisslichen  feinen  Dornen  besetzt. —  Länge 
6 — 7Y2  Toam  (das  Weibchen  etwas  länger  als  das  Männchen). 

Diese  Art  ist  von  allen  Verwandten  durch  die  Zeichnung  des 
ersten  Fühlerglieds  (hellgelblich  -  längsstreifig  auf  dunklem  Grunde, 
ein  oberer  und  zwei  untere  seitliche  helle  Längsstreifen)  leicht  zu 
imterscheiden. 

Reuter  (Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  V,  261,  17)  unterscheidet 
neuerdings  vier  Spielarten : 


—     277     - 

Var.  a:  Halbdecken  schwarz;  mehrere  Randflecke,  die  Kom- 
missur, ein  grösserer  ziemlich  abgerundeter  Fleck  in  der  Mitte  und 
ein  zweiter  rautenförmiger  vor  der  Spitze,  sowie  zahlreiche  zerstreute 
kleinere  Fleckchen  weisslich. 

Var. /5:  Halbdecken  mit  einem  verschwommenen  Fleck  in  der  Mitte. 

Var.  y  (intennedius  Reut.)  :  Halbdecken  fast  vollständig  schwarz, 
nur  6 — 7  kleinere  Fleckchen  am  äusseren  Rande  und  ein  Fleck  vor 
der  Spitze  ziemlich  hell. 

Var.  d  (distinckis  Dougl.  et  Sc):  Halbdecken,  mit  Ausnahme 
eines  rautenförmigen  Flecks  vor  der  Spitze,  vollständig  schwarz; 
Fühler  manchmal  fast  ganz  schwarz;  an  der  oberen  Hälfte  der  Schiene 
zwei  oft  zusammenfliessende  Ringe. 

Cimex  Poptdi  Linne,  Syst.  Nat.  Ed.  X,  1759,  449,  73.  —  Faun. 
Suec.  1761,  257,  963.  —  Houttüin,  Nat.  Hist.  1765,  I,  X,  370,  73. 

—  P.  MüLLEB,  Linn.  Nat.  1774,  V,  503,  109.  —  Fabriciüs,  Syst. 
Entom.  1775,  727,  154.  —  Donovan,  Nat.  Hist.  of  Brit.  Ins.  1798, 
VH,  95,  t.  202  f.  2.  —  Shaw,  General  Zoology,  1806,  166. 

Lygaeus  Populi  Fabriciüs,    Entom.  Syst.  1794,  IV,  174,  138. 

—  Syst.  Rhyng.  1803,  237,  171.  —  Fallen,  Monogr.  Cim.  Suec. 
1807,  79,  39. 

Miris  j^opuli  Latreille,  Hist.  Nat.  1804,  XII,  225,  16. 

Phytocoris  distindus  Douglas  and  Scott,  Brit.  Hemipt.  1865, 
302,  1. 

Capsus  Popidi  Thomson,  Opusc.  entom.  1871,  419,   6. 

Phytocoris  intermedüis  Reuter,  Ann.  Soc.  Entom.  Fr.  Ser.  V, 
1877,  14,  2,  t.  VII. 

Phytocoris  Popiü'i  Fallen,  Hemipt.  Suec.  1829,  84,  16.  — 
Herrich-Schäffer,  Nom.  entom.  1835,  47.  —  Burmeister,  Handb.  d. 
Entom.  1835,  II,  268,  9.  —  Westwood,  Introd.  of  the  mod.  class. 
of  ins.  1840,  II,  Syn.  122,  ut  typus.  —  F.  Sahlberg,  Monogr.  Geoc. 
Fenn.  1848,  90,  1.  —  Kirschbaum,  Rhynchot.  Wiesbadens,  1855,  38, 
16.  —  Flor,  Rhynchot.  Livlands,  1860  (I,  413,  1,  teilweise,  und) 
II,  594,  3.  —  Fieber,  Europ.  Hemipt.  1860,  260,  8.  —  Reuter,  Hemipt. 
Gymnoc.  Sc.  et  Fenn.  37,  2.  —  Rev.  crit.  Caps.  1875,  20,  1.  — 
Ann.  Soc.  Entom.  Fr.  Ser.  V,  1877,  15,  3,  t.  7.  (14,  1,  t.  7,  t.  2 
f.  1).  —  Revis.  synon.  1888,  249,  218.  —  Hemipt.  Gymnoc.  Europ. 
1896,  V,  261,  17.  —  Saunders,  Synops.  of  Brit.  Hemipt.  Het.  1875, 
264,  3,  teilweise!   —  Hemipt.  Het.  of  the  Brit.  Islands,  1892,  235. 

—  PüTON,  Cat.  1886,  47,  3.  —  Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889,  66. 


-     278     — 

Bayern :  Bei  Regensburg  gemein.  Kittel.  —  Bei  Bamberg. 
Funk.  —  Württemberg:  Roser.  —  Bei  Ulm  sehr  selten;  Glacis,  Lauter- 
thal, je  1  Stück ;  8  und  9.  Hüeber.  —  Elsass-Lothringen :  Deux  ex. 
ä  Remiremont  (franz.  Vogesen !)  en  juillet  1877,  sur  un  grand  saule 
de  riviere  (P.).  Reiber-Pdton  (Suppl.).  —  Nassau:  M  W  bei  Wies- 
baden; auf  Eichen  nicht  selten;  7.  Kirschraum.  —  Westfalen:  Bei 
Münster  sehr  selten.  Westhoff.  —  Schleswig-Holstein :  Nicht  selten 
an  Pappel-  und  Weidenstämmen ,  Juni  bis  August.  W^üstnei.  — 
Mecklenburg:  Im  Juli  an  den  Stämmen  alter  Kopfweidenbäume  selten. 
Raddatz.  —  Schlesien :  popidi  L.  mit  Var.  tiliae  F. :  in  der  Ebene 
und  im  Gebirge,  von  Mitte  Juni  bis  Ende  August  auf  Pappeln,  Weiden, 
Eichen,  Birken  und  Linden,  mitunter  auch  auf  Obstbäumen.  Assmann. 
—  Provinz  Preussen.     Brischke. 

Überall  häufig  in  Gärten,  Gebüschen,  auf  Wiesen.    Burmeister. 

An  Weiden  und  Lindenstämmen  in  den  Rissen  der  Rinde;  durch 
ganz  Europa,  einzeln.     Fieber. 

Habitat  in  Populo  balsamifera,  Salice  caprea  et  Sorbu  aucuparia 
rarius;  Europa  praecipue  media.     Reuter  (1875). 

Habitat  in  Populo,  Salice,  Sorbu,  Alno  incana,  Ulmo  et  Acere 
(ipse),  Fraxino  (Frey-Gessner),  Tilia  (Thonless);  Fennia  meridionalis! 
(usque  ad  61*^),  Suecia  (Stockholm!),  Norvegia  (usque  ad  Dovre, 
Throndhjem),  Germania  borealis,  Guestphalia,  Batavia,  Gallia,  Nas- 
sovia,  Bavaria,  Bohemia,  Silesia,  Moravia,  Tirolia!,  Helvetia,  Carinthia!, 
Austria,  Hungaria,  Halicia,  Moldavia;  Sardinia,  Sicilia,  Graecia! 
Reuter  (1896). 

[Schweiz:  populi  L.  =  Mey.  Rh.  Taf.  7  Fig.  1*,  in  dieser  Ab- 
bildung nur  durch  die  langen  Fühler  in  Verbindung  mit  der  dunklen 
Farbe  als  solcher  von  den  sehr  nahe  verwandten  Species  zu  erkennen. 
Im  Mai,  Juni  und  Juli  noch  unausgebildet  ohne  Decken.  Dann  von 
Ende  Juli  bis  gegen  Mitte  Oktober  entwickelt  fast  allenthalben  in 
Schächen,  auf  Weiden,  Pappel-  und  Eschengebüschen  vorkommend, 
doch  stets  einzeln.  Frey-Gessner.  —  Nieder-Österreich :  Bei  Gresten 
auf  Birken,  sehr  selten.  Schleicher.  —  Böhmen:  Auf  Stämmen  alter 
Linden ,  Pappeln  und  Weiden ,  infolge  seiner  Farbe  und  Zeichnung 
manchmal  recht  schwer  zu  finden;  7 — 8  überall  nicht  selten.    Duda.] 

Phirsutulus  Flor. 

Länglich-eiförmig,  fast  gleichbreit,  blass  gelblichgrau  mit  schwarzer 
Zeichnung  (unterseits  hellgelb  mit  braun),  glanzlos,  mit  wirrem  weissem 

*  Diese  Figur  gehört  (Reuter,  Eev.  syn.  1888,  250)  zu  Ph.  tiliae  Fab.  H. 


—     279     — 

Flaumhaar  und  dazwischen  halb  anliegenden  schwarzen  Haaren  be- 
deckt, ähnlich  wie  bei  Fh.  mtricatus,  aber  stärker  als  bei  Ph.  populi. 
—  Kopf  stark  geneigt,  schmutzig  blassgelb,  nur  wenig  gezeichnet, 
Kopfschild  und  Stirne  nur  durch  einen  ganz  schwachen  Eindruck 
geschieden.  Scheitel  von  Augenbreite.  Augen  ($)  stark  vorspringend 
(wie  bei  Ph.  populi  $).  Schnabel  bis  zum  dritten  Hinterleibsabschnitt 
reichend.  —  Pronotum  vorne,  hinter  der  Einschnürung,  etwa  um  die 
Hälfte  schmäler  als  am  Grunde,  seine  Seiten  gerade,  vorne  gelblich, 
hinten  schwarz,  die  Seitenränder  (fast  bis  vorne)  gleichfalls  schwarz ; 
der  Hinterrand  schmal  blass  gesäumt.  Das  helle  Schildchen  zeigt 
zwei  sich  einander  nähernde  schwarze  Längsflecke  und  je  einen 
schwarzen  Fleck  im  Grundwinkel.  —  Die  blass-gelbgrauen  Hälbdecken 
sind  unregelmässig  dunkelbraun  und  schwarz  gescheckt,  gegen  den 
inneren  Coriumrand  zu  dichter.  Die  glashelle  Membran  ist  grau  ge- 
tüpfelt und  hat  schwarze  Adern.  —  Die  grauschwarzen  Fühler  sind 
erheblich  länger  als  der  Körper;  ihr  erstes,  weissgetüpfeltes  Glied 
ist  etwas  länger  als  das  Pronotum  und  mit  dichten  langen  Borsten- 
haaren besetzt;  das  zweite  Glied  ist  etwa  zweimal  so  lang  wie  das 
erste;  das  dritte  ^5  kürzer  als  das  zweite;  Glied  2  und  3  sind  am 
Grunde  schmal  hell  gesäumt;  die  beiden  letzten  Glieder  zusammen 
sind  kaum  länger  als  das  zweite.  —  Die  Beine  ähnlich  wie  bei 
Ph.  longipennis ;  die  Schenkel  ziemlich  lang  (abstehend,  hell)  be- 
haart, sparsam  schwarz  und  dunkel  gescheckt;  die  Hinterschenkel 
etwa  siebenmal  länger  als  an  der  dicksten  Stelle  breit;  die  Schienen 
schwarz  geringelt  (wie  bei  Ph.  populi)  und  mit  kleinen  Dornen  be- 
setzt. —  Länge  ($)  etwa  5  mm. 

Diese  Art  soll  sich  von  Ph.  Populi  durch  eine  weniger  satte 
(d.  h.  hellere)  Färbung,  durch  andere  (dichtere)  Behaarung,  durch 
kürzeres  und  anders  gezeichnetes  erstes  Fühlerglied  (nach  Flor  durch 
geringere  absolute  und  relative  Länge  desselben)  unterscheiden.  — 
Reuter  hält  diese  Art  für  ähnlich  mit  Ph.  confiisus  Reut.,  nur  dass, 
bei  geringerer  Körpergrösse,  das  erste  Fühlerglied  kürzer,  das  zweite 
länger  ist  bezw.  sei,  und  die  Augen  (des  Weibchen)  stärker  vor- 
springen. 

Reuter  selbst  (und  ihm  stand  wohl  viel  Material  zur  Verfügung) 
kennt  diese  Art  nicht  aus  eigener  Anschauung!  —  Flor  gründet 
seine  Beschreibung  auf  ein  einziges ,  Ende  August  im  Gras  unter 
einem  Eichbaum  bei  Nitau  in  Livland  gefundenes  Weibchen!  — 
Raddatz  will  im  August  in  einem  mecklenburgischen  Laubwald  ein 
hierher  gehöriges  Männchen  gefangen  haben !  —  Ich  persönlich  wage 


-     280     — 

nicht  zu  entscheiden,  ob  ein  solcher  einmaliger  Einzelfund  (zumal 
bei  so  wenig  abweichenden  Merkmalen)  zur  Annahme  und  Aufstellung 
einer  neuen  Art  berechtigt,  und  ob  Jiirsutidus  Flor  denn  nicht  bloss 
eine  seltene  Spielart  von  Fh.  populi  sein  sollte? 

Phytocoris  hirsutulus  Flor,  Rhynchot.  Livlands  1861,  II,  597,  4. 
—  Reuter,  Ann.  Soc.  Entom.  Fr.  (Spec.  Gener.  Phyt),  Ser.  V,  1877, 
32,  tab.  7.  —  Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  1896,  V,  264,  19.  —  Puton, 
Cat.  1886,  47,  7.  —  Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889,  64. 

Mecklenburg :  Ein  Männchen,  welches  ich  zu  dieser  Art  ziehen 
muss,  fing  ich  im  Laubwalde  bei  Schlemmin  am  4.  August.    Raddatz. 

Habitat  in  Quercetis  (Flor)  ;  Livonia  (Flor)  ;  Mecklenburgia, 
sec.  D.  Raddatz.    Reuter  (1896). 

[Schweiz:  Wurde  bisher  als  bleiche  Varietät  mit  P.  populi 
zusammengeworfen ;  scheint  bei  uns  häufiger  zu  sein  als  populi  L. 
und  an  den  nämlichen  Orten  vorkommend ;  Juli  und  August.  Frey- 
Gessner.  —  Livland :  Ein  W  Ende  August ,  im  Grase  unter  einem 
Eichbaum.     Flor.] 

26  (422)  dwiidiatus  Kirschb. 

Ph.  dimidiatus  S  $:  S^/^'"  long.,  ^e'"  ^^^- ■>  oblongus,  ochro- 
leucus,  nigro-maculatus  aut  nebulosus,  laevis,  parum  nitens,  nigro- 
pilosus,  pallide  pubescens;  antennis  corpore  longioribus,  articulo 
1  capitis  cum  pronoto  longitudine ;  prothoracis  dimidio  posteriore 
nigro ,  margine  albido ;  scutello  striis  tribus  fuscis ;  hemielytris  fere 
nigris  (d)  aut  albido-nigroque-nebulosis  ($).     Kirschbaum. 

Dark  or  pale  grayish-yellow ,  clothed  with  depressed,  curled, 
silverwhite  hairs,  intermixed  with  somewhat  erect  black  ones.  An- 
tennae:  2°^  Joint  brownish,  with  a  broad  pale  band  in  the  middle; 
tibiae  with  3  brown  bands.     Douglas  and  Scott. 

Länglich,  blass  weisslichgelb  oder  graugelblich,  dabei  mehr  oder 
weniger  schwarz  gescheckt  (das  S  dunkler  als  das  $),  mit  weissem, 
filzigem  Flaumhaar  bedeckt,  zwischen  welchem  sich  bald  abstehende, 
bald  anliegende  (Corium)  schwarze  Haare  vorfinden.  Pronotum  und 
Schildchen  besitzen  mehr  oder  weniger  Glanz,  die  Halbdecken  sind 
matt.  —  Der  stark  nach  unten  geneigte  Kopf  ist  von  der  Seite  ge- 
sehen viel  kürzer  als  hoch,  von  vorne  gesehen  so  lang  wie  breit, 
von  gelblicher  Farbe  und  mit  feinen  dunkelbraunen  Querlinien  auf 
dem  leicht  vorspringenden,  von  der  Stirne  nur  schwach  geschiedenen 
Kopfschild  gezeichnet.    Der  Scheitel  hat  beim  Männchen  etwa  Augen- 


—     281     - 

breite,  während  er  beim  Weibchen    erheblich   breiter   ist.     Die    fast 
senkrecht  gestellten,  etwas  vorspringenden  Augen  ragen  (beim  Männ- 
chen mehr)   über  die  Scheitelfläche   vor.     Der   blasse  Schnabel   hat 
eine    schwarze    Spitze.   —   Das   trapezförmige,    glänzende,    nach 
vorne  ziemlich  stark  geneigte  Pronotum  zeigt  am  Vorderrande   den 
ringförmigen  Wulst,    deutliche  Schwielen  und  schwarze  Behaarung; 
dabei  ist   es    etwa  Vs    kürzer   als   an  seinem  Grunde    breit   und   in 
seiner  hinteren  Hälfte  schwarz  oder  schwarzbraun,  gleichwie  die  leicht- 
konkaven Seiten,  während  der  Grundrand  selbst  mit  drei  nach  vorne 
vorspringenden  Ecken  oder  Zipfeln  (zwei  stumpfe  seitlich,  ein  spitzer 
mittlerer)    hell   ist.     Das    gelbbraune,    schwarz   behaarte  Schildchen 
zeigt  drei   dunkelbraune  Längsstreifen   und   bräunliche  Vorderecken, 
während  seine  Spitze  hell  ist.    Die  Seiten  der  Vorderbrust  sind  oben 
schwarz,  unten  hell.    Die  Mittelbrust  ist  schwarz,  ebenso  der  Hinter- 
leib des  Männchens.  —  Die    glanzlosen  Halbdecken    sind   im   allge- 
meinen schwarz  mit  helleren   bräunlichen  Tüpfeln   und    anliegenden 
schwarzen  Haaren;    vor  ihrer  Spitze  findet  sich  ständig  ein  blasser, 
glänzender,  rautenförmiger  Fleck;    beim  Weibchen   sind   die  Decken 
durchgehends   heller.     Die   glasartige,    helle,    graubraun    getüpfelte 
Membran  hat  weissliche  Adern,  nur  die  Kubitalader  und  meist  auch 
der  Grund  der  Brachialader  ist  schwarz.  —  Die  dünnen,  schwarzen 
Fühler  sind  länger  als  der  Körper  und   fein   anliegend   behaart;    ihr 
erstes ,    verhältnismässig    dickstes  Glied   ist   so    lang   wie  Kopf  und 
Pronotum  zusammen,  schwarz  gescheckt  auf  blasser  Grundfarbe  (nicht 
mit  langen  schwarzen  Linien !)  und  ziemlich  dicht  mit  langen  steifen, 
weissen  und  braunen  aufrechtstehenden  Haaren  besetzt;  das  dunkle 
zweite  und   dritte  Glied   ist   am  Grunde   schmal    gelblichweiss ;    das 
zweite  zeigt  meist  noch  einen  weissen  Ring  unterhalb  der  Mitte,  ist 
(länger  als  bei  tiliae!)  etwa  doppelt  so  lang  wie  das  stärkere  erste, 
jedoch  kürzer  als  die  beiden  letzten  Glieder  zusammen;    das   dritte 
Glied  ist  75 — V4  kürzer  als  das  zweite ;  das  vierte  wenig  kürzer  als 
das  erste ;    das  dritte  und  vierte  zusammen  länger   als    das  zweite ; 
das  zweite,    dritte  und  vierte  Glied  fein  anliegend    behaart.   —  Die 
langen    dünnen    graulichweissen  Beine    sind   mit   zarten ,    etwas   ab- 
stehenden weissen  Härchen  bedeckt ;    ihre  Schenkel  sind   gegen   die 
Spitze  zu  schwarz   marmoriert,    die  Hinterschenkel    etwa   siebenmal 
länger  als  an  ihrer  dicksten  Stelle   breit.     Die  Schienen    (besonders 
die  vorderen)  sind  dreifach  geringelt  und  mit  feinen  blassen  Dornen 
besetzt.     Die  Fussglieder  sind   bräunlich.  —  Länge   bei   beiden  Ge- 
schlechtern 6^3 — 7  mm. 


—     282     - 

Nach  Kirschbaum  steht  Pli.  dimidiatus  zwischen  popidi  und 
tiliai\  hat  mit  beiden  die  bedeutende  Länge  des  ersten  Fühlergliedes 
gemeinsam,  unterscheidet  sich  aber  von  populi  durch  den  breiteren 
Zwischenraum  der  Augen  und  durch  die  etwas  kürzeren  Fühler  wie 
Fühlerglieder;  von  tüiae  durch  das  längere  zweite  Fühlerglied;  von 
beiden  aber  durch  seine  Zeichnung  und  Färbung,  besonders  durch 
die  stets  dunkle  Hinterhälfte  des  Vorderrückens  (Pronotum)  und  durch 
seine  merklich  glänzendere  Oberfläche. 

Nach  Reuter  unterscheidet  sich  Ph.  dimidiatus  leicht  von  den 
nächst  verwandten  Arten  durch  sein  glänzendes  Pronotum; 
ausserdem  von  Ph.  populi  L.  durch  die  Zeichnung  des  ersten  Fühler- 
gliedes, durch  die  beim  Weibchen  weniger  vorspringenden  Augen 
und  durch  den  (zwischen  den  Augen)  etwas  breiteren  Scheitel;  von 
Ph.  longipennis  Flor  durch  kräftigeren  Körperbau,  durch  kürzere 
Fühler  und  Beine,  durch  den  erheblich  breiteren  Scheitel  des  Männ- 
chens, durch  die  beim  Männchen  weit  kleineren  und  auch,  beim 
Weibchen  weniger  gewölbten  und  weniger  vorragenden  Augen,  sowie 
durch  die  blassen  Ringel  der  Mittelschienen,  welche  hier  nicht  breiter 
als  die  schwarzen  Zwischenräume  sind;  von  Ph.  Beuten  Saunders 
durch  den  etwas  grösseren  Körper,  durch  das  längere  erste  und  das 
deutlich  kürzere  vierte  Fühlerglied*;  von  Ph.  intricatus  Flor  durch 
das  etwas  längere  erste  Fühlerglied  und  das  erheblich  kürzere  zweite, 
während  das  vierte  deutlich  kürzer  als  das  erste,  der  Scheitel  bei 
beiden  Geschlechtern  erheblich  breiter,  der  Körperbau  etwas  kräftiger 
ist  und  die  Färbung  meist  mehr  ins  Schwarze  geht;  von  Ph.  pini 
Kirsche,  und  dessen  nächsten  Verwandten  unterscheidet  er  sich  durch 
den  Bau  der  Fühler  (indem  das  erste  [Grund-]  Glied  so  lang  wie 
Pronotum  und  Kopf  zusammen  ist)  und  durch  die  längeren  Hinter- 
schenkel. 

Häufig  scheint  diese  Art  gerade  nicht  zu  sein:  Iürschbaum 
kannte  nur  zwei,  bei  Wiesbaden  im  Juli  auf  Eichen  gefangene 
Exemplare  (S  und  $) ;  Douglas  und  Scott  gründeten  ihre  (besonders 
nach  Färbung  und  Zeichnung)  sehr  eingehende  Beschreibung  des 
Ph.  dubius  auf  ein  einziges  im  Juni  auf  einem  Pflaumenbaum  bei 
Darenth  Wood  (England)  gefundenes  Exemplar,  auf  dessen  Besonder- 
heit sie  von  Fieber  aufmerksam  gemacht  wurden ;  auch  in  den 
deutschen  Lokalfaunen  nahm  Pit.  dimidiatus  bisher   eine   recht   be- 

*  Nach  Saunders  ist  Ph.  dimidiatus  auch  bedeutend  schlanker,  mehr 
gefleckt,  weniger  braun  gefärbt,  hat  ein  verhältnismässig  kürzeres  drittes  und 
längeres  erstes  Fühlerglied,  letzteres  deutlich  länger  als  das  vierte. 


—     283     — 

scheidene  Stellung  ein,  wobei  allerdings  die  Möglichkeit  in  Betracht 
zu  ziehen  ist,  dass  diese  Art  von  den  einzelnen  Sammlern  u.  s.  w. 
vielfach  nicht  als  solche  erkannt  und  vielleicht  mit  ihren  nächsten 
Verwandten  verwechselt  wird.  Neuerdings  werden  allerdings  von 
Reuter  (siehe  unten)  zahlreiche  Fundorte  namhaft  gemacht. 

Phytocoris  dimidiatus  Kirschbaum,  Rynchot.  Wiesbaden,  1855, 
39,  17  und  122,  2.  —  Reuter,  Ann.  Soc.  Entom.  Fr.  Ser.  V,  VII,  1877, 
17,  6.  —  Medd.  Soc.  F.  et  Fl.  Fenn.  V,  167,  51.  —  Rev.  synon. 
1888,  249,  219.  —  Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  1896,  V,  265,  20.  — 
PüTON,  Cat.  1886,  47,  6.  —  Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889,  64.  — 
Saunders,  Hemipt.  Het.  of  the  Brit.  Islands,  1892,  237. 

Fhytocoris  diibius  Douglas  and  Scott,  Brit.  Hemipt.  1865,  305,  3. 

Vielleicht  gehören  noch  hierher:  Cimex  umbratilis  Linne, 
Syst.  Nat.  1758,  Ed.  X,  448,  61.  —  Faun.  Suec.  1761,  254,  951. 
—  Cimex  inquinatus  Fabriciüs,  Mant.  Ins.  1787,  304,  250.  —  Ly- 
gaeus  inquinatus  Fabriciüs,  Entom.  Syst.  1794,  IV,  1794,  173,  134. 
• —  Syst.  Rhyng.  1803,  236,  161.  —  Miris  inquinatus  Latreille, 
Hist.  Nat.  Xn,  1804,  222,  11.  — 

?  Elsass  :  Remiremont  (franz.  Vogesen !)  un  exemplaire.  Reiber- 
PuTON.  —  Nassau:  Scheint  selten,  nur  einmal  (W)  bei  Wiesbaden, 
7,  gefangen.  Kirschbaum.  —  Westfalen :  Sehr  selten ;  30.  9.  79  bei 
Münster  ein  einzelnes  Individuum  unter  Eichen  gekätschert  von 
Westhoff.  —  Mecklenburg:  Ich  fing  nur  zwei  Weibchen  zu  Anfang 
August  bei  Markgrafenheide.     Raddatz. 

Habitat  in  Quercu  (Kirschbaum,  Saunders,  Westhoff,  ipse), 
Pruno  domestica  (Douglas  et  Scott),  Populo  [etiam  in  Pino,  forsitan 
cum  Ph.  intricato  confusus]  (Dubois)  :  Fennia  meridionalis  (Helsing- 
fors!,  Kimito!),  Suecia  (Helsingborg!),  Mecklenburgia,  Batavia,  Scotia!, 
Angha !,  Gallia,  Nassovia,  Thueringia,  Bohemia,  Helvetia,  Hispania  (?), 
sec.  D.  Prof.  Bolivar,  Austria  (Lipiza!).    Reuter  (1896). 

[Schweiz:  Zwei  Exemplare  in  Bremi's  Sammlung  unter  populi 
und  ein  Stück  in  Meyer's  Sammlung  aus  Burgdorf,  wo  die  Art  auf 
Erlen  alljährlich  vorkommt.  Frey-Gessner.  —  Graubünden:  Selten; 
einmal  bei  Chur.    Killias.] 

27  (423)  intricatus  Flor. 

Länglich-eiförmig,  fast  gleichbreit,  glanzlos,  blass  grüngelb  oder 
graugelblich,    mit    schwarzen    Flecken    wechselnd    marmoriert.     Die 


—     284     — 

Behaarung  ist  sehr  verschieden :  während  die  Unterseite  des  Körpers 
einschl.  Beine  fein  hell  behaart  ist,  finden  sich  auf  der  Oberseite 
dreierlei  Sorten  von  Haaren:  kurze,  helle,  anliegende,  leicht  glänzende 
als  wirres  Flaumhaar;  ziemlich  lange,  helle,  aufgerichtete  Haare 
(besonders  an  Kopf  und  Pronotum) ;  schwarze  halbliegende  Haare 
(besonders  auf  dem  hinteren  Teil  der  Halbdecken).  —  Der  fast  senk- 
recht stehende  Kopf  erscheint  von  oben  gesehen  quer,  von  der  Seite 
gesehen  weit  kürzer  als  hoch;  er  ist  gelbbraun  gefärbt  und  dabei 
(auf  Stirne,  Scheitel,  Kopfschild,  Zügeln)  mit  dunkelbraunen  oder 
schwarzen  Punkten,  Streifen  und  Flecken  wechselnd  gezeichnet.  Das 
nur  wenig  vorspringende  Kopfschild  ist  von  der  Stirne  kaum  ge- 
schieden. Der  Seheitel  ist  beim  Männchen  schmaler  als  ein  Augen- 
durchmesser, beim  Weibchen  etwas  breiter  als  ein  solcher.  Die 
schwarzen,  gekörnten,  zu  Seiten  des  Kopfes  fast  senkrecht  liegenden, 
beim  Männchen  sehr  grossen  Augen  erheben  sich  kaum  ($)  oder 
merklich  (S)  über  die  Scheitelfläche.  Die  dunklen  Fühler  sind  länger 
als  der  Leib ;  ihr  erstes  Glied  ist  schlank,  so  lang  wie  das  Pronotum, 
weiss  getüpfelt  [nach  Flor  gelblich  mit  zahlreichen  braunen  unter- 
einander sich  hier  und  da  fast  maschig  verbindenden  Sprenkeln  an 
der  Ober-  und  Innenseite]  und  mit  zahlreichen  blassen  Borstenhaaren 
besetzt ;  das  zweite  und  dritte  Glied  ist  am  Grunde  schmal  weiss- 
lich,  das  zweite  bisweilen  in  seiner  Mitte  breit  blass  und  zweimal 
länger  als  das  erste  Glied;  das  dritte  Glied  ist  nur  halb  so  lang 
wie  das  zweite ;  das  vierte  kaum  kürzer  als  das  erste ;  die  beiden 
letzten  zusammen  kaum  länger  als  das  zweite.  Der  schmutzig-gelbe, 
an  seiner  Spitze  schwärzliche  Schnabel  reicht  bis  zum  dritten  oder 
vierten  Bauchabschnitt.  —  Pronotum  graulich,  nach  vorne  zu  heller, 
mit  schwarzer,  bisweilen  gebrochener  Binde  vor  dem  Grundrand,  auf 
der  vorderen  Einschnürung  zwei  graue  oder  leicht  rostfarbene  Flecke; 
es  ist  etwa  l^gi^al  so  breit  wie  lang  und  hat  schwach  gebuchtete 
(konkave)  Seiten.  Schildchen  mit  zwei  dunklen  Flecken  in  den 
Vorderecken  und  zwei  dunklen,  nach  hinten  zu  auseinanderweichenden 
Längsstreifen.  Mittelbrust  braun  oder  schwarz.  Pleuren  weiss  mit 
bräunlichen  Flecken.  Bauch  an  den  Seiten  fast  ganz  schwarz,  nur 
in  seiner  Mitte  schmal  schmutzig  weissgelb ;  beim  Männchen  herrscht 
die  dunkle  Färbung  vor.  —  Halbdecken  lang,  blass  graugelb,  wech- 
selnd und  unregelmässig  schwarz  oder  dunkelbraun  getüpfelt,  an  der 
Spitze  stets  mit  einem  blassen,  fast  rhombischen,  am  Grunde  schwarz 
gesäumten  Fleck.  Membran  glashell,  wechselnd  unregelmässig  schwarz- 
grau gefleckt,  mit  blassen  Nerven ;  nur  die  Kubitalader  ist  vollständig 


—     285    — 

und  die  Brachialader  an  ihrem  Grunde  schwärzlich.  —  Die  hellen 
Beine  sind  mit  ziemlich  langen  blassen  Haaren  besetzt ;  die  Schenkel 
schwarz  gescheckt,  am  Grunde  blass ;  die  Hinterschenkel  etwa  sieben- 
mal länger  als  an  der  dicksten  Stelle  breit.  Die  Schienen  zeigen 
ziemlich  breite  schwarze  Ringel  (bei  den  mittleren  so  breit  wie  die 
weissen  Zwischenräume)  und  feine  gelbbraune  zarte  Dorne.  —  Länge 
bei  beiden  Geschlechtern  6V2  —  7  mm. 

Nach  Flor  hat  diese  Art  eine  dem  Fh.  pini  Kirschbaum  sehr 
ähnliche  Färbung,  unterscheidet  sich  jedoch  scharf  durch  die  ver- 
schiedene Länge  der  Fühler  und  ihrer  einzelnen  Glieder,  sowie  durch 
die  auf  dem  Scheitel  einander  beträchtlich  mehr  genäherten  Augen. 

Nach  Reuter  unterscheidet  sich  Fh.  intricatus  Flor  durch 
folgende  Merkmale :  von  Fh.  Feuteri  Saunders  durch  etwas  grösseren 
Leib ,  schmäleren  Scheitel ,  grössere  Augen  (besonders  beim  Männ- 
chen), erheblich  anders  gestaltete  Fühler  (zweites  Glied  sehr  lang); 
von  Fh.  dimidiatus  Kirschbaum  durch  das  kürzere  erste  Fühlerglied, 
durch  das  erhebhch  längere  zweite ,  durch  den  schmäleren  Scheitel 
beim  Männchen  und  durch  das  weniger  glänzende  Pronotum;  von 
Fh.  hirsnhäus  Flor  durch  den  grösseren  Körperbau  und  durch  die 
beim  Weibchen  über  die  Scheitelfläche  weniger  vorspringenden  Augen; 
von  confusus  Reuter  durch  den  Bau  der  Fühler,  die  mehr  grauliche 
Färbung  und  den  schmäleren  Kopf;  von  longipennis  Flor  durch  die 
mehr  grauliche  Färbung,  durch  das  kürzere  erste  Fühlerglied,  durch 
die  weniger  vorstehenden  Augen,  durch  den  beim  Männchen  etwas 
breiteren  Scheitel  und  durch  die  breiteren  schwarzen  Ringel  an  den 
Schienen;  von  Fh.  pini  Kirschbaum  durch  den  Bau  von  Kopf  und 
Fühlern,  durch  das  vorne  mehr  verschmälerte  Pronotum,  durch  die 
längeren  Halbdecken  und  durch  die  längeren  und  schlankeren  Schenkel. 

Fhytocoris  intricatus  Flor,  Rhynchot.  Livlands,  1861,  H,  603, 
7.  —  Reuter,  Hemipt.  Gymnoc.  Sc.  et  Fenn.  41 ,  5.  —  (Rev.  crit. 
Caps.  1875,  25,  5.)  —  Ann.  Soc.  Entom.  Fr.  Ser.  V,  1877,  18,  8, 
tab.  7.  —  Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  1896,  V,  267,  21.  —  Puton, 
Cat.  1886,  47,  9.  —  Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889,  65, 

Schleswig-Holstein  :  In  einigen  Stücken  in  Madskov  bei  Sonder- 
burg von  Gebüsch  geklopft,  August  1891.  Wüstnei  (Nachtrag,  6.  Stück). 

Habitat  in  Abiete  excelsa  (ipse) :  Suecia  (Stockholm !) ,  Fennia 
meridionalis !  (usque  ad  62°  20'),  Livonia;  Schlesvigia-Holsatia ! ,  Bel- 
gium  (Bruxelles).  —  Sibiria  occidentalis  (Tjumen!)  D.  Dr.  Sundman. 
Reuter  (1896). 


-     286     — 

*  Beut  er  i  Satjnders. 

Diese,  in  Deutschland  bis  jetzt  noch  nicht  gefundene  Art  hat 
nach  Reuter  (analyt.  Tabelle  in  H.  G.  E.  V,  385)  als  von  den  nächst 
Verwandten  abweichende  Merkmale:  „Erstes  Fühlerglied  wenig  länger 
als  das  Pronotum,  zweites  Fühlerglied  etwa  7$ — ^U  länger  als  das 
erste;  Scheitel  so  breit  wie  das  Auge  (c?)  oder  ungefähr  ^j- — ^/g 
breiter  ($).  Oft  dicht  dunkel  gescheckt."  —  Die  Färbung  scheint 
sehr  zu.  wechseln ,  denn  Reuter  beschreibt  eine  Varietät  a ,  /J ,  / 
(p.  268).  —  Diese  Art  unterscheidet  sich  nach  Reuter  (p.  269) 
weiterhin  von  Ph.  dimidiatus  Kirschbaum  durch  die  weniger  vor- 
stehenden Augen,  durch  das  glanzlose  Pronotum,  durch  die  kürzeren 
Fühler,  deren  letztes  Glied  fast  so  lang  wie  das  erste  und  durch 
die  kürzeren  Hinterschenkel ;  von  Ph.  intricatus  Flor  durch  die  weit 
weniger  gewölbten  Augen,  durch  den  breiteren  Scheitel,  durch  ihr 
zweites  Fühlerglied  und  durch  die  weit  kürzeren  Halbdecken  und 
Schenkel;  von  Ph.  pini  Kirschraum  durch  das  etwas  längere  erste, 
durch  das  deutlich  nicht  ganz  doppelt  so  lange  (wie  das  erste)  zweite 
Fühlerglied,  durch  die  etwas  schlankeren  Hinterschenkel  und  durch 
die  dunklere  Färbung, 

Nach  Saünders  (Hemipt.  Het.  of  the  Brit.  Islands,  1892,  236), 
der  dieser  englischen  Art  (in  Trans.  Entom.  S.  London,  1875,  265) 
den  Namen  gab,  nachdem  dieselbe  schon  von  Douglas  and  Scott 
(Brit.  Hemipt.  1865,  309,  5)  als  Ph.  crassipes  (nicht  zu  verwechseln 
mit  Ph.  crassipes  Flor,  Rhynchot.  Livlands,  1861,  H,  606 ,  8 !)  be- 
schrieben worden  war,  ist  sie  „kleiner,  kürzer  und  dunkler  als 
Ph.  longipennis  Flor  ;  ihr  erstes  Fühlergrundglied  ist  kürzer  als 
Kopf  und  Pronotum,  das  zweite  Fühlerglied  ungefähr  lV4nial  so  lang 
als  das  dritte ,  das  vierte  so  lang  wie  das  erste ;  das  Pronotum  ist 
an  Seiten  und  Grund  (manchmal  auch  noch  mit  einer  Rückenlinie 
nach  dem  Grund  zu)  dunkler;  das  Schildchen  hat  an  seiner  Spitze 
einen  blassen  Strich,  manchmal  ist  es  auch  vollständig  blass;  die 
Halbdecken  sind  braun  mit  helleren  Tönen  marmoriert,  manchmal 
aber  auch  fast  ganz  dunkel;  Cuneus  dunkel;  Corium  mit  dem  ge- 
wöhnlichen blassen  Fleck;  Beine  mit  marmorierten  Schenkeln  und 
geringelten  Schienen ,  wobei  am  mittleren  Paar  die  dunklen  Ringe 
breiter  als  die  hellen  Zwischenräume  sind.  Länge  6  mm.  Lebt  auf 
Obstbäumen  u.  s.  w."  —  Douglas  und  Scott  glauben,  dass  dieses 
Tier  von  den  verschiedenen  Sammlern  bisher  für  den  sehr  ähnlichen 
Ph.  popidi  gehalten  wurde ;  ihre  Tiere  wurden  von  Fieber  geprüft, 
sie  selbst  fanden  solche  nie  mit  anderen  Arten  zusammen,  aber  (in 


-     287     — 

England)  ziemlich  häufig  beim  Streifen,  im  August,  auch  auf  Apfel- 
bäumen. Douglas  und  Scott  gaben  ihr  nachfolgende  (allerdings 
auch  auf  die  anderen  Phytocoris- Arten  mehr  oder  weniger  passende) 
Diagnose:  „Dunkelgrau  oder  dunkelgelbgrau,  bedeckt  mit  anliegenden, 
gekräuselten,  weissen  Härchen,  zwischen  welchen  sich  einzelne  auf- 
rechtstehende schwarze  Haare  finden ;  zweites  Fühlerglied  in  seiner 
Mitte  mehr  oder  weniger  deutlich  blass ;  Schienen  mit  drei  schwarzen 
oder  bräunlichen  Ringen." 

Phytocoris  crassipes  Douglas  et  Scott,  Brit.  Hemipt.  1865, 
309,  5  (nee  Flor!). 

Phytocoris  Eeuteri  Saunders,  Synops.  of  Brit.  Hemipt.  Het. 
1876,  265,  5.  —  Hemipt.  Het.  of  the  Brit.  Islands,  1892,  236.  — 
Reuter,  Ann.  Soc.  Entom.  Fr.  Ser.  V,  1877,  17,  7,  tab.  7.  —  Hemipt. 
Gymnoc.  Europ.  1896,  V,  268,  22.  —  Püton,  Cat.  1886,  47,  8.  — 
Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889,  67. 

Habitat  in  Pyro  (Douglas),  Ulmo  (Lethierry),  Populo  (Horvath)  : 
Anglia!,  Batavia!,  D.  Fokker;  GaUia  (Lille!)  D.  LEiraERRY;  Hungaria 
(Novü,  Dänos!),  D.  Dr.  Horvath;  Romania  (Bucarest!),  Dr.  Montan- 
don.   Reuter  (1896). 

Danach  scheint  diese  Art  nicht  mehr,  wie  bisher  angenommen, 
specifisch  englisch  zu  sein  und  könnte  möglicherweise  auch  bei  uns 
gefunden  werden. 

28  (424)  pini  Kirsche. 

Ph.  pini,  S  9  2V2 — 3'"  long.,  7^'"  lat.,  oblongus,  laevis,  opacus, 
dilute  flavo-ferrugineus  nigricanti-ferrugineoque-adspersus  aut  nebu- 
losus,  nigro-pilosus,  pallide  pubescens;  antennis  corporis  longitudine, 
articulo  1  prothoracis  longitudine,  4  quam  3  breviore ;  capite  valde 
declivi.    Kirschbaum. 

Länglich  gebaut  und  dabei  doch  ziemlich  kurz,  glanzlos,  ver- 
schwommen weisslichgrau  oder  gelbrötlich  bei  schwarzer,  bräunlicher 
oder  roströtlicher  Scheckung  und  Tüpfelung ;  Unterseite  grösstenteils 
braun ;  dabei  mit  weissem  filzigen  Flaumhaar  und  dazwischen  auch 
mit  längeren,  mehr  abstehenden  weissen  oder  auch  schwarzen  Haaren 
bedeckt  (letzteres,  jedoch  ziemlich  niederliegend,  auf  der  hinteren 
Hälfte  der  Halbdecken).  —  Kopf  stark  geneigt,  von  oben  gesehen 
leicht  quer,  von  der  Seite  gesehen  viel  kürzer  als  hoch,  mit  braunen 
oder  rostroten  Punkten,  Stricheln  und  Flecken.  Kopfschild  wenig 
vorragend,    von  der  Stirne  kaum,    wohl  aber  von  den  Wangen  ge- 


—     288     — 

schieden.  Scheitel  beim  Männchen  von  Augenbreite,  beim  Weibchen 
noch  um  V3  breiter.  Der  blasse,  an  seiner  Spitze  schwarze  Schnabel 
reicht  bis  zum  dritten  Bauchabschnitt.  Die  schwarzen  länglichen 
Augen  ragen  nur  wenig  vor.  —  Das  trapezförmige,  stark  geneigte 
und  schwarz  behaarte  Pronotum  ist  vorne  breiter  als  bei  den  meisten 
anderen  Arten  dieser  Gattung,  l^s  so  breit  wie  lang,  hat  gerade 
Seitenränder,  vorne  einen  ringförmigen  Wulst  mit  deutlichen  Schwielen 
und  ist  daselbst  gelbbraun  mit  einzelnen  rostroten  Tupfen,  während 
seine  hintere  Hälfte  grau  ist  mit  unregelmässigem  (mitunter  in  sechs 
dunkle  Querstriche  geteilten)  schwärzlichem  Querstreif;  der  Hinter- 
rand selbst  ist  wieder  gelblich.  Das  gelbbraune  Schildchen  hat  rote, 
oft  (besonders  beim  Männchen)  auch  schwärzliche  Zeichnung,  meist 
in  beiden  Vorderecken  und  jederseits  nahe  der  Hinterecke.  Die 
Seiten  des  Vorderbruststückes  (Epipleuren)  sind  gelblich  mit  ver- 
schwommenen rotbraunen  Längsstrichen ;  beim  Männchen  oben  dunkel- 
braun, unten  hell.  Die  Mittelbrust  und  die  Seiten  der  Hinterbrust 
sind  schwärzlich,  ebenso  wie  der  Hinterleib  des  Männchens.  —  Die 
Halbdecken  überragen  den  Hinterleib  massig  und  sind  weissgraulich 
oder  verschwommen  schmutzig-gelblich  und  dabei  dicht  und  unregel- 
mässig dunkelbraun  oder  schwärzlich  gescheckt,  wobei  die  dunkle 
Färbung  (besonders  gegen  die  Spitze  des  Coriums  zu)  manchmal 
überwiegt;  oft  erscheinen  sie  auch  hellbräunlich  mit  dunkelrotbraunen, 
beim  Männchen  schwärzlichen  Punkten,  letztere,  in  Fleckenform, 
besonders  am  Aussenrande  der  Halbdecken  und  an  der  Membran- 
naht; vor  der  Spitze  findet  sich  der  nahezu  rautenförmige  blasse 
Fleck.  Die  Adern  der  glasartigen,  grau  und  braun  getüpfelten  Mem- 
bran sind  weisslich,  die  Kubitalader  jedoch  ist  verdickt  und  voll- 
ständig schwarz.  —  Die  grauschwarzen  dünnen  Fühler  sind  etwa 
von  Körperlänge;  ihr  erstes,  verhältnismässig  dickstes  Glied  (dicker 
als  bei  den  anderen  verwandten  Fhytocoris-kxten)  ist  ebenso  lang 
als  das  Pronotum,  weiss  getüpfelt  (oder,  bei  hell  angenommener 
Grundfarbe,  dunkelrotbräunlich  zusammenfliessend  gesprenkelt)  und 
mit  einigen  braunen  steifen  Haaren  besetzt;  das  zweite  Fühlerglied 
ist  etwa  zweimal  so  lang  (beim  Männchen  noch  mehr)  als  das  erste 
und  hat  einen  blassen  Ring  hinter  seiner  Mitte;  überdies  ist  es, 
gleich  dem  dritten  Ghede,  an  seinem  Grunde  schmal  weisslich;  das 
dritte  Fühlerglied  ist  fast  ^4  so  lang  als  das  zweite;  das  vierte 
so  lang  wie  das  erste ,  kürzer  (^3)  als  das  dritte ;  die  beiden 
letzten  Glieder  zusammen  so  lang  wie  das  zweite.  —  Die  langen 
dünnen  Beine  (wie  bei  longipennis)  sind  ziemlich  kurz  behaart;  ihre 


—     289     — 

Schenkel  sind  schwarz  oder  dunkelrotbraun  gescheckt,  besonders 
gegen  die  Spitze  zu,  an  ihrem  Grunde  weisslich ;  die  Hinterschenkel 
sind  etwas  kürzer  und  dicker  als  bei  den  anderen  verwandten  Arten, 
nur  etwa  fünfmal  länger  als  an  der  dicksten  Stelle  breit,  vor  ihrer 
Spitze  mit  weisslicher  Binde;  die  Schienen  (besonders  die  vorderen) 
sind  ziemlich  breit  schwarz  geringelt  und  mit  zarten  gelbbraunen 
Dornen  (länger  als  die  Schenkel  dick)  besetzt;  an  den  mittleren 
Schienen  sind  die  dunklen  Bänder  erheblich  breiter  als  die  blassen 
Zwischenräume.  Die  Fussgheder  (Tarsen)  sind  bräunhch.  Länge : 
Männchen  574,  Weibchen  6V2  mm. 

Diese  Art  unterscheidet  sich  von  den  bisher  beschriebenen 
(vorstehenden)  Phytocoris- Alten  durch  ihre  kürzeren  Halbdecken, 
durch  ihren  weniger  länglichen  (kürzeren,  stämmigeren)  Körperbau, 
durch  das  auffallend  kürzere  und  weniger  starke  erste  Fühlerglied, 
sowie  durch  ihre  kürzeren  Schenkel  (besonders  am  dritten  Beinpaar). 
In  Zeichnung  und  Färbung  ähnelt  sie  dem  PJi.  Eeuteri,  in  der  Be- 
haarung dem  Ph.  intricatus. 

Phytocoris  Populi  Zetterstedt,  Ins.  Lappon.  1840,  273,  9  (aus- 
schliesslich Synonyme). 

Phytocoris  crassipes  Flor,  Ehynchot.  Livlands,  1861 ,  II,  606, 
8.  —  ?  Douglas  and  Scott,  Brit.  Hemipt.  1865,  309,  5. 

Capsus  (Phytocoris)  minor  Thomson,  Opusc.  entom.  IV,  1871, 
418,  3. 

Phytocoris  Pini  Kirschbäum,  Rhynchot.  Wiesbadens,  1855,  40, 
21  und  123,  3.  —  Fieber,  Europ.  Hemipt.  1861,  261,  11.  —  Dou- 
glas and  Scott,  Entom.  Monthl.  Mag.  XI,  144.  —  Saunders,  Synops. 
of  Brit.  Hemipt.  Het.  1875,  265,  6.  —  Hemipt.  Het.  of  the  Brit. 
Islands,  1892,  237.  —  Reuter,  Hemipt.  Gymnoc.  Sc.  et  Fenn.  42,  6.  — 
Rev.  crit.  Caps.  1875,  26,  6.  —  Ann.  Soc.  Entom.  Ser.  V,  1877, 
19,  10,  tab.  Vn.  —  Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  1896,  V,  269,  23.  — 
PüTON,  Cat.  1886,  47,  12.  —  Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889,  66. 

Elsass-Lothringen :  Sur  les  sapins.  Vosges :  Remiremont ,  La 
Vancelle,  Hohkoenigsbourg ;  assez  commun.  Metz.  Reiber-Puton.  — 
Nassau :  M  W  bei  Wiesbaden  und  Mombach ;  auf  Kiefern,  im  Schier- 
steiner Wald  ,  besonders  im  Mombacher  Wald ,  nicht  selten.  7  bis 
Anfang  9.  Kirschbaum.  —  Westfalen  :  Einzeln  bei  Münster  auf  Pinus 
silvestris  gefangen;  7.  77  auf  der  Coerheide.  Westhoff.  —  Thüringen: 
Im  Thüringer  Wald,  selten.    Kellner- Breddin.  —  Mecklenburg:  Von 

Jalireshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Katurkunde  in  Württ.   1898.  19 


-     290     — 

Mitte  August   bis  Mitte  September   auf  Kiefern   in   den   Barnstorfer 
Tannen,   Cramonstannen  und  auf  der  Föhre  nicht  selten.     Kaddatz. 

In  Deutschland.    Fieber. 

Habitat  in  Pino  silvestri  (Kirschbaum,  ipse)  et  P.  austriaca 
(P.  LoEw),  Abiete  excelsa  (Püton,  Horvath),  etiam  in  Junipero  (Nor- 
man) :  Lapponia,  sec.  Zetterstedt,  Suecia  (Stockholm !),  Fennia  meri- 
dionalis  (usque  ad  61°  30'),  Livonia,  Mecklenburgia,  Batavia!,  Bel- 
gium,  Scotia!,  Anglia,  Gallia!,  Nassovia,  Thueringia,  Bohemia,  Hel- 
vetia ! ,  Tirolia ,  Austria  inferior ! ,  Hungaria ,  Halicia ,  Moldavia, 
Hispania  (?),  sec.  D.  Chicote,  Sicilia!    Reuter  (1896). 

[Schweiz :  crassipes  Flor  hat  sehr  viele  Ähnlichkeit  mit  dimi- 
diatus  Kirschbaum.  Ausschliesslich  auf  Föhren  im  September  einzeln 
und  nicht  gerade  selten ,  im  ganzen  Jurazug  bei  Aarau ,  soweit  die 
Föhrenzone  reicht.  Frey-Gessner.  —  Graubünden:  Bei  Sedrun  auf 
Pinus  picea.  Killias.  —  Tirol:  crassipes  Flor  auf  dem  Ritten, 
einzeln  auf  Föhren.  Gredler.  —  Nieder-Österreich:  Bei  Gresten  auf 
Fichten  und  Lärchen,  selten.  Schleicher.  —  Böhmen:  In  Wäldern 
auf  Kiefern  und  Fichten;  um  Wartenberg,  7 — 8,  ziemlich  gemein, 
auch  aus  Chodau;  sonst  wenig  beobachtet.  —  Bei  Königgrätz,  7, 
auf  Fichten  einzeln.  Duda.  —  Livland:  2  W  Ende  Juli,  Mitte  Au- 
gust.   Flor.] 

*jumperi  Frey-Gessner. 

Lang  gestreckt-eiförmig,  fast  gleichbreit,  die  Weibchen  etwas 
kürzer  und  gedrungener  als  die  Männchen,  glanzlos,  graugelblich 
oder  graurötlich  mit  dunkelbrauner  bezw.  schwarzer  Zeichnung ;  öfters 
neigt  die  Färbung  mehr  ins  Blutrote,  die  Zeichnung  ist  dann  rot- 
braun ;  dabei  mit  feinen  blassen  Haaren  besetzt ,  zwischen  welchen 
sich  (besonders  auf  dem  Pronotum)  auch  mehr  oder  weniger  schwarze 
Haare  verteilt  finden.  —  Der  gelbliche,  rostbraun  gezeichnete  Kopf 
erscheint  von  oben  gesehen  leicht  quer,  von  der  Seite  gesehen  etwas 
kürzer  als  hoch.  Der  Kopfschild  ragt  stark  vor;  der  Scheitel  ist 
beim  Männchen  um  ^j^,  beim  Weibchen  um  ^4  breiter  als  das  Auge. 
Die  Augen  selbst  erscheinen,  besonders  beim  Männchen,  von  oben 
gesehen  fast  kreisrund.  —  Das  Pronotum  ist  breiter  als  lang,  matt, 
geradseitig  und  mit  ziemlich  starken  zerstreuten  schwarzen  Haaren 
besetzt ;  von  Farbe  ist  es  grau  bis  rötlichbraungelb ,  vorne  heller, 
nach  hinten  zu  allmählich  dunkler  werdend;  vor  dem  hellen  Hinter- 
rand findet  sich  eine  (oft  unterbrochene,  mitunter  in  sechs  ineinander- 
fliessende  Flecke  aufgelöste)  schwarze  Querbinde.    Halsring  (vordere 


-    291     - 

Einschnürung)  braungelb  mit  zwei  dunklen  Flecken.  Unterseite  des 
Pronotum  braun  mit  unregelmässigen  hellen  Flecken.  Vorderbrust 
(um  die  Hüften)  gelblich;  Mittel-  und  Hinterbrust  schwarz;  Hinter- 
leib hell  und  dunkel  gefleckt,  seine  einzelnen  Abschnitte  schwarz 
gerandet.  Schildchen  mehr  oder  weniger  schwarzbraun  oder  rostrot 
gezeichnet  und  gefleckt.  —  Halbdecken  grau  bis  braungelb  mit 
sammetartigen  braunschwarzen  Flecken  (besonders  am  Aussenrand 
von  Corium ,  Cuneus ,  an  der  Membrannaht  u.  s.  w.).  Die  graue, 
auch  gelbbraune,  mannigfach  getüpfelte  und  gefleckte  Membran  hat 
gelbhche,  teilweise  auch  rötliche  Nerven;  die  Cubital-Ader  ist  bräun- 
lich, an  der  Spitze  manchmal  blutrot.  Die  schwarzbraunen  Fühler 
sind  von  Körperlänge ;  ihr  erstes,  leicht  verdicktes  Glied  ist  so  lang 
wie  das  Pronotum  hinten  breit,  dabei  dunkel  mit  weisslicher  Scheckung 
und  zerstreut  abstehend  behaart;  das  zweite  Glied  ist  doppelt  so 
lang  ($)  oder  noch  länger  (6)  als  das  erste,  bräunlich,  sein  Grund 
und  ein  Ring  in  der  Mitte  hell ;  das  dritte  Glied  ist  7*  so  lang  als 
das  zweite  und  an  seinem  Grunde  ziemlich  breit  weiss;  das  vierte 
braunschwarze  Glied  ist  fast  so  lang  wie  das  erste,  —  Die  Beine 
sind,  im  Verhältnis  zu  den  anderen  Phytocoris-kvten,  kräftig  gebaut 
und  von  gelber  Grundfarbe;  die  Schenkel  dicht  schwarzbraun  oder 
rostbraun  gescheckt,  ihre  Innenseite  meist  blass;  die  Hinterschenkel 
sind  überwiegend  schwarzbraun,  nur  ihr  Grundviertel  ist  weisslich. 
Die  Vorderschienen  sind  gelblichweiss  mit  schwarzbraunen  Punkten 
und  Binden,  die  Hinterschienen  in  ihrer  Grundhälfte  gelblichweiss 
mit  breitem  schwarzem  Ring  nahe  dem  Grunde ,  in  ihrem  oberen 
Teil  braungelb  mit  dunkler  Fleckung  und  Ringelung.  —  Länge  5  bis 
672  °^^5  ^^^  Männchen  immer  grösser  als  die  Weibchen. 

Phytocoris  Juniperi  Frey-Gessner,  Mitteil.  d.  Schweiz.  Entom. 
Ges.  1865,  I,  302.  —  Reuter,  Ann.  Soc.  Entom.  Fr.  VH,  1877,  22, 
14,  t.  2  f.  4.  —  Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  1896,  V,  277,  30.  — 
PüTON,  Cat.  1886,  47,  16.  —  Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889,  65. 

Habitat  in  Junipero  communi  (Frey-Gessner),  Calycotome  spi- 
nosa  PuTON  (in  der  Rev.  d'Entom.  irrtümlich  als  Ph.  femoralis  auf- 
geführt): Helvetia(Jura!,  2000—2500'  Aarau!,  Vallis!);  Gallia  (Saint- 
Baume!,  Saint-TropezI,  Lamalou!,  Saint-Antonin!,  Amelie!,  Nyons!, 
Rennes  le  Bains!,  Var,  Beziers,  D.  D.  Püton  et  Lethierry;  Dal- 
matia  (Lesina!),  D.  Novak;  Herzegovina  (Bilek!),  Illyria  (Görz !), 
D.  Dr.  Hensch.    Reuter  (1896). 

[Schweiz :  Auf  Juniperus  communis  in  lichten  Föhren- Wäldern. 

19* 


—     292     — 

An   sonnigen   trocknen  Halden    des   Jura   2000—2500'    ü.  M.      Bei 
Aarau  von  Mitte  Juli  bis  Mitte  August  ziemlich  selten.  Frey-Gessner.] 

29  (425)  tdmi  Linne. 

Lygaeus  floralis  supra  obscure  griseus  elytris  apice  puncto 
rubro,  femoribus  posticis  elongatis  nigris.     FABRicros. 

Lygaeus  viridus  obscurus  elytris  obscure  ferrugineis :  punctis 
duobus  apicis  albidis.     Fabriciüs. 

Miris  ülmi  supra  rubiginosus  elytris  striis  sanguineis,  alis  postice 
albo  fuscoque  variis.     Fabriciüs. 

Miris  longicornis  ferrugineus ,  elytris  macula  apicis  sanguinea, 
femoribus  posticis  elongatis  variegatis,  membrana  nigra  albo-punctata. 

WOLFF. 

Lygaeus  ülmi  supra  rubiginosus  pubescens:  corpore  nigro; 
membrana,  articulo  antennarura  primo  pedibusque  nebulosis;  puncto 
apicis  elytrorum  et  nervo  membranae  sanguineo.     Fallen. 

Phytocoris  longicornis  luteo-ferrugineus ,  sub-pubescens,  supra 
fusco-irroratus,  femoribus  posticis  apice  tibiisque  fusco-nigris.  Bür- 
meister. 

Lang-eiförmig  (das  Weibchen  mehr  oval,  mit  kürzeren  Decken, 
und  deshalb  scheinbar  etwas  verhüttet),  mit  fast  parallelen  Seiten, 
sehr  fein  gelblich  (fleckig)  behaart,  dazwischen  (Oberseite)  mit  ein- 
zelnen längeren,  mehr  abstehenden,  schwarzen  Haaren.  Oberseite 
rötlich  oder  bräunhchrot  (zimmtfarben) ,  und  in  gleicher  Farbe  ge- 
scheckt (marmoriert).  Unterseite  etwas  dunkler  bis  schwarz.  —  Der 
einfarbig  rostrote  Kopf  ist  geneigt,  leicht  in  die  Quere  gezogen,  von 
oben  gesehen  etwa  V4  kürzer  als  das  Pronotum,  von  vorne  gesehen 
wenig  länger  als  breit,  von  der  Seite  gesehen,  so  lang  wie  hoch. 
Die  ziemlich  abfallende  Stirn  ist  leicht  gewölbt  und  vom  vorspringen- 
den Kopfschild  durch  einen  tiefen  Eindruck  geschieden.  Der  Scheitel 
ist  beim  Männchen  um  Vs  ^  beim  Weibchen  um  V2  breiter  als  der 
Augendurchmesser.  Die  schwarzbraunen  Augen  stehen  beim  Männchen 
ziemlich  vor,  erscheinen  von  oben  gesehen  kreisrund  und  erheben 
sich  über  die  Scheitelfläche,  letzteres  beim  Männchen  noch  mehr 
als  beim  Weibchen.  Der  gelbbraune  Schnabel  reicht  mit  seiner 
schwarzen  Spitze  bis  zum  vierten  Hinterleibsabschnitt.  —  Das  ziem- 
lich gleichfarbene  Pronotum  ist  vorne  eng,  etwa  V5  kürzer  als  hinten 
breit  (beim  brachypteren  Weibchen  fast  so  lang  wie  breit),  vorne  be- 
haart und  hat  rückwärts,  kurz  vor  dem  schmal  rotgelben  Hinterrand, 
einen  dunkelbraunen  oder  schwarzen  Querstreif;    seine  Fläche  neigt 


—     293     — 

ziemlich  nach  vorn  und  seine  Seiten  sind  leicht  gebuchtet.  Das 
helle,  rotgelbe,  einfarbige  Schildchen  hat  an  der  Spitze  manchmal 
2  schiefe  strichartige  braune  Fleckchen.  Der  blass  behaarte  Bauch 
ist  gleichfalls  rotbraun;  die  Öffnungen  sind  blassgelblich;  der  Ge- 
schlechtsabschnitt des  Männchen  linkerseits  der  Öffnung  ist  ab- 
gestutzt. —  Die  langen  gleichbreiten  Halbdecken  überragen  beim 
Männchen  ziemlich  weit  den  Hinterleib ;  bei  dem  Weibchen  sind  sie 
kürzer,  doch  giebt  es,  nach  Reuter,  auch  langflügelige  Weibchen. 
Die  Decken  sind  ziemlich  gleichfarbig  rötlich  mit  leichterer  oder 
stärkerer  heller  und  dunkler  Tüpfelung,  bezw.  durchscheinenden 
hellen  Fleckchen  und  einem  hellen  trapezförmigen  Fleck  im  hinteren 
Winkel  des  Corium ;  der  Aussenrand  ist  braun  gescheckt ;  der  Clavus 
meist  dunkler  als  das  Corium  und  an  seinem  äussersten  Ende  schwarz; 
der  Seitenrand  (gegen  die  Spitze  zu),  sowie  die  äussere  Hälfte  des 
Cuneus  ist  blutrot,  sein  Grund  blass,  weisslich  glasartig.  Die  Adern 
der  graumarmorierten  Membran  sind  gleichfalls  rot.  —  Die  sehr 
langen  dünnen  Fühler  sind  blass  gelbbraun  und  mit  zerstreuten  kräf- 
tigen schwarzen  Borstenhaaren  besetzt;  ihr  schlankes  erstes  Glied 
ist  etwa  so  lang  wie  das  Pronotum,  blass  mit  rostroter  Tüpfelung 
und  mit  langen,  steifen  Haaren  besetzt  (welche  länger  sind  als  das 
Glied  selbst  dick  ist) ;  das  zweite  Glied  ist  etwa  doppelt  so  lang 
wie  das  erste  und  an  seinem  Grunde  blass ;  das  dritte  Glied  etwa 
^/g  kürzer  als  das  zweite ;  das  vierte  kaum  kürzer  als  das  erste ;  die 
beiden  letzten  zusammen  von  bräunlicher  Farbe  und  kaum  länger 
als  das  zweite.  —  Die  ziegelfarbenen  Beine  sind  an  den  Hüften 
blassgelb ;  ihre  Schenkel  sind  mehr  oder  weniger  dicht  und  dunkel- 
rotbraun gescheckt  (marmoriert),  die  Spitze  hell ;  die  Schienen  sind 
im  allgemeinen  blass  mit  Ausnahme  des  dunklen  Grundes ;  die  Vorder- 
schienen sind  vorne  braun  und  haben  überdies  noch  zwei  ver- 
schwommene bräunliche  Ringe;  die  Hinterschienen  sind  an  ihrem 
Grunde  rötlich  oder  bräunlich  und  dabei  gelblichweiss  gefleckt.  — 
Länge  6V4 — ^^/g  mm,  die  Männchen  im  allgemeinen  grösser  als  die 
Weibchen. 

Nach  Reuter  unterscheidet  sich  diese  Art  von  der  früher  viel 
hiermit  verwechselten  (vergleiche  Synonyme  !)  folgenden  {varipes  Boh.) 
durch  den  Bau  von  Kopf,  Fühlern  und  männlichem  Geschlechts- 
abschnitt; am  Kopf  und  vorne  am  Pronotum  finden  sich  hier  keine 
blassen  Flecke,  die  Zeichnung  der  Halbdecken  ist  eine  andere  und 
der  Keil    (Cuneus)    an   seinem    Grunde    auswärts    weisslich-glasartig. 

Nach   Saunders   unterscheidet   sich   ulmi  L.  von   varipes   Boh. 


—     294     — 

durch  die  fein  gescheckten,  dichter  behaarten  nnd  von  dunklen  Linien 
freien  Halbdecken. 

Nach  Douglas  und  Scott  sind  bei  der  hier  nächstfolgenden 
(mit  der  eben  beschriebenen  häufig  verwechselten)  Art  die  Fühler 
bedeutend  kürzer,  Kopf  und  Thorax  haben  eine  blasse  Linie  unter 
ihrer  Mitte,  das  Corium  hat  einen  deutlichen,  grossen,  blassen,  rhom- 
boidalen Fleck  neben  dem  Cuneus,  und  die  hinteren  Schenkel  haben 
stets  zwei  breite  gelbweisse,  unregelmässige,  fast  bindenartige  Streifen. 

Cimex  JJlmi  Linne,  Syst.  Nat.  Ed.  X,  1758,  449,  74.  —  Faun. 
Suec.  1761,  257,  964.  —  Houttuin,  Nat.  Hist.  1765,  I,  X,  370,  74. 

—  P.  Müller,  Linn.  Nat.  1774,  V,  503,    110.  —  Fabriciüs,   Syst. 
Entom.  1775,  727,  155. 

Cimex  ßoralis  Fabriciüs,  Mant.  Ins.  1787,  303,  248. 
Lygaeus  ftoralis  Fabriciüs,   Entom.  Syst.  1794,  IV,  171,  127. 

—  Syst.  Rhyng.  1803,  235,  156. 

Miris  ulmi  Fabriciüs,  Entom.  Syst.  1794,  IV,  188,  16.  — 
Latreille,  Hist.  Nat.  1804,  XII,  229,  40. 

Lygaeus  vividus  Fabriciüs,  Syst.  Rhyng.  1803,  237,  170. 

Capsus  Ulmi  Fabriciüs,  Syst.  Rhyng.  1803,  256,  17.  —  Thomson, 
Opusc.  entom.  1871,  IV,  418,  1. 

Miris  longicornis  Wolff,  Icon.  Cimic.  1804,  IV,  155,  149, 
fig.  149. 

Miris  floralis  Latreille,  Hist.  Nat.  1804,  XII,  221,  3. 

Miris  vividus  Latreille,  Hist.  Nat.  1804,  XII,  224,  15. 

Lygaeus   Ulmi  Fallen,  Monogr.  Cimic.  Suec.  1807,  82,  47. 

Fhytocoris  longicornis  Bürmeister,  Handb.  d,  Entom.  1835,  II, 
269,  10. 

Phytocoris  divergens  Meyer,  Stettin.  Entom.  Zeitg.  1841,  II, 
87.  —  Schweiz.  Rhynchot.  1843,  44,  3.  —  Kirschbaum,  Rhynchot. 
Wiesbadens,  1855,  39,  19.  —  Fieber,  Criter.  z.  gener.  Theilg.  d. 
Phytocor.  1859,  18.  —  Europ.  Hemipt.  1861,  259,  6.  —  Flor, 
Rhynchot.  Livlands,  1860,  I,  415,  2  und  1861,  II,  594,  2.  —  Douglas 
and  Scott,  Brit.  Hemipt.  1865,  311,  6.  —  Snellen  van  Vollenhoven, 
Hemipt.  Neerland.  1878,  178. 

Fhytocoris  ßoralis  Stal,  Hemipt.  Fabr.  1868,  I,  87,  1. 

Phytocoris  Ulmi  Fallen,  Hemipt.  Suec.  1829,  89,  25.  —  Herrich- 
ScHÄFFER,  Nom.  entom.  1835,  47.  —  Saünders,  Synops.  of  Brit.  Hemipt. 
Het.  1875,  266,  8.  —  Hemipt.  Het.  of  the  Brit.  Islands,  1892,  237. 

—  Reuter  (Hemipt.  Gymnoc.   Sc.  et  Fenn.  43,  7).    Rev.  crit.  Caps. 


—     295    — 

1875,  28,  7.  —  Ann.  Soc.  Entom.  Fr.  Ser.  V,  1877,  24,  17,  tab.  7. 

—  Rev.  synon.  1888,  250,  221.  —  Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  1896, 

V,  281,  33.  —  PüTON,  Cat.  1886,  47,  20.  —  Atkinson,  Cat.  of  Caps. 
1889,  68. 

Bayern:  Bei  Regensburg  gemein;  bei  Bamberg,  Nürnberg,  Augs- 
burg ,  Freising.  Kittel  ,  Funk.  —  Württemberg :  Roser.  —  In  der 
Umgebung  Ulms  nicht  selten.  Hüeber.  —  Elsass-Lothringen :  Region 
vosgienne  surtout;  pas  rare.  6 — 8.  REffiER-PuTON.  —  Nassau:  diver- 
gens  Meyer  M  W  bei  Wiesbaden;  auf  Eichen  und  mit  Ulmi  L.  im 
Gras  auf  Waldblössen  zwischen  jungen  Eichen,  z.  B.  hinter  dem 
Turnplatz,  nicht  selten.  7—8.  Kirschbaum.  — Westfalen:  Ulmi  L., 
Fäll,  nee  Fab.,  H.  Schäffer  (=  äivergens  Meyer)  überall  um  Münster 
auf  Laubholz  (Eichen,  Corylus,  Ulmus)  häufig  von  Juli  bis  September 
in  Alleen,  an  Waldrändern,  in  Hecken  u.  s.  w.  Sehr  selten  auf 
Nadelholz  heimatend.  Form,  brachypt.  $  seltener;  bei  Münster  ge- 
sammelt von  Westhoff.  —  Schleswig-Holstein :  Auf  verschiedenen 
Pflanzen  im  Laubwalde  und  in  den  Knicks  häufig.  Wüstnei.  — 
Mecklenburg :  In  den  Gärten  der  Vorstadt  (Rostock)  und  am  Walle 
von  Anfang  Juli  bis  Mitte  August  häufig.  (Die  uhni  Kirsche.,  Flor, 
welche  ich  aus  dem  südlichen  Deutschland  besitze,  habe  ich  hier 
noch  nicht  gefunden.)  Raddatz.  —  Thüringen :  Nicht  selten.  Kellner- 
Breddin.  —  Schlesien:  äivergens  Meyer  mit  Ulmi,  doch  14  Tage 
bis  drei  Wochen  später,  auf  Weiden-  und  Birkengebüsch,  Nesseln  u.s.w. 
Scholtz.  —  In  der  Ebene  und  im  Gebirge,  im  August,  auf  Pappeln, 
Weiden,  Birken,  Nesseln  und  Spiraea  salicifolia,  stellenweise  häufig. 
Assmann.  —  Provinz  Preussen.    Brischke. 

Wie  Ph.  Populi  in  Gärten,  Gebüschen,  auf  Wiesen,  aber  seltener, 
mehr  im  mittleren  und  südüchen  Deutschland,  nicht  in  Schweden. 
Burmeister. 

In  Gärten  auf  Pibes  rubrum,  in  Waldblössen  auf  jungen  Eichen, 
auch  auf  Weiden  und  Pappeln.    Fieber. 

Habitat  in  Ulmo  (Linne,  Westhoff),  Acere  (P.  Loew),  Pruno 
(Spitzner,  Duda),  Alno  incana  (Flor),  Quercu  (Fieber,  Schioedte,  West- 
hoff, Lethierry,  Dubois  etc.),  Betula  (Assmann,  Schioedte,  Duda), 
Corylo  (Westhoff,  Duda),  Crataego  (Duda),  Salice  (Assmann,  ipse), 
Spiraea  salicifolia  (Assmann),  interdum  etiam  in  Coniferis  (Horvath), 
in  Pino  silvestri  (Kolbe),  in  Junipero  (P.  Loew)  ;  per  totam  fere  Eu- 
ropam  usque  in  Fennia  meridionali  (Abo!).    Reuter  (1896). 

[Schweiz:    äivergens  ist   weit   allgemeiner   verbreitet   als   ulmi 


—    296     — 

und  findet  sich  fast  allenthalben ;  erscheint  stets  14  Tage  bis  drei 
Wochen  früher  als  ulmi  und  findet  sich  mehr  auf  Weiden-  und 
Pappelgesträuchen,  in  Schächen  und  grossen  Gärten  als  auf  wilden 
Anhöhen.  Meyer.  —  Allgemeiner  verbreitet  als  ulmi  und  findet  sich 
fast  allenthalben,  sowohl  an  trockenen  Burglehnen  als  in  Schächen, 
längs  der  Flüsse  und  Bäche  der  Ebenen,  erscheint  stets  ein  paar 
Wochen  früher  als  tdmi.  In  den  Schächen  um  Aarau  und  im  Jura 
bis  3000'  s.  M.  häufig.  Frey-Gessner.  —  Graubünden:  Malans,  Chur, 
Tarasp.  Killias.  —  Tirol:  Nicht  weniger  häufig  als  «<?mi ;  Telfs;  am 
Ritten,  im  August;  in  Haslach  bei  Bozen.  Gredler.  —  Steiermark: 
Ph.  Ulmi  L.  (?!  H.)  gemein  auf  Gesträuchen  und  verschiedenen 
Pflanzen  trockener  Wiesen.  Eberstaller.  —  Nieder-Österreich :  diver- 
gens  Meyer  auf  Gesträuch  nicht  häufig.  —  divergens  Meyer  auf  Ge- 
sträuch nicht  häufig.  Schleicher.  —  Böhmen:  tdmi  L.  (=  diver- 
gens Meyer)  an  Waldrändern  und  in  Anlagen,  auf  Eichen,  Birken, 
Schlehdorn  und  anderen  Sträuchern,  auch  in  Gärten  auf  Bibes,  7,  8, 
allgemein  verbreitet.    Dudä.  —  In  Livland  selten;  7  und  8.    Flor.] 

30  (426)  varipes  Boheman. 

Das  Männchen  längHch  gestreckt,  das  Weibchen  länglich- 
eiförmig, dem  vorigen  {ulmi  L.)  in  der  Färbung  ähnelnd  (und  des- 
halb auch  öfters  damit  verwechselt,  aber  bei  näherer  Prüfung  un- 
schwer zu  unterscheiden),  im  allgemeinen  mehr  gelblichrot,  aber  auch 
bräunlichrot,  rotgrau,  dabei  glanzlos  und  mit  blassem  Flaumhaar  be- 
deckt, zwischen  dem  sich  weniger  auffallende  niederliegende  schwarze 
Haare  vorfinden.  Als  charakteristische  Zeichnung  ziehen  sich  hier 
über  Kopf  und  Pronotum,  zwischen  den  rotgescheckten  Streifen,  eine 
feine  mittlere  und  zwei  seitliche  gelbliche  Längslinien  hin,  die  erstere 
auch  noch  über  das  rot  gezeichnete  Schildchen.  —  Der  massig  ge- 
neigte Kopf  ist  länger  als  bei  den  meisten  anderen  Phytocoris- Avten^ 
von  oben  gesehen  nahezu  dreieckig,  von  der  Seite  gesehen  länger 
als  hoch,  von  vorne  gesehen  deutlich  länger  als  breit.  Die  wenig 
schiefe  Stirne  ist  vom  stark  vorspringenden  Kopfschild  durch  eine 
tiefe  winklige  Einsenkung  geschieden.  Der  Scheitel  ist  nahezu  doppelt 
so  breit  als  eines  der  schwarzen,  kaum  vorspringenden  Augen ;  letztere 
selbst  erscheinen  von  oben  (auch  beim  Männchen)  länglich,  da  sie 
wegen  der  geringen  Kopfneigung  mit  ihrem  Längsdurchmesser  sehr 
schräg  stehen  (im  Gegensatz  zu  der  mehr  oder  weniger  senkrechten 
Augenstellung  der  meisten  anderen  Phytocoris-Avten).  —  Pronotum 
kürzer  als  am  Grunde  breit  (etwa  V/^  so  breit  wie  lang),  mit  ziem- 


—     297     — 

lieh  geraden  Seiten,  mehr  oder  weniger  hellbräunlich  und  häufig 
(aber  nicht  immer)  mit  einer  dunklerbraunen  Binde  vor  dem  schmal 
weisslichen  Hinterrand.  (Der  drei  feinen  weissen  Längsstriche  wurde 
bereits  oben  gedacht.)  Brust  bräunlich  oder  rötlich,  mit  hellem  Seiten- 
fleck ;  hell  sind  weiterhin  die  Pfannenränder  und  die  Öffnungen. 
Bauch  rötlich  oder  bräunlich.  Geschlechtsabschnitt  des  Männchens 
am  oberen  Rande  linkseits  in  einen  fast  wagerechten  dornartigen  Zahn 
ausgezogen.  —  Die  Halbdecken  sind  beim  Weibchen  so  lang  wie 
der  Hinterleib  und  seitlich  gerundet,  während  sie  beim  Männchen 
den  Hinterleib  überragen  und  gleichseitig  (parallelständig)  sind ;  dabei 
sind  sie  mehr  oder  weniger  unregelmässig  dunkel  gefleckt  mit  schmal 
gescheckten  Seitenrändern,  mit  einem  hellen  Längsfleck  am  Grunde 
und  einem  fast  rhombischen  Fleck  an  der  Spitze  (Flor  beschreibt 
die  Decken  als  rötlichgelb,  stellenweise  fein  silberhaarig,  mit  helleren 
und  dunkleren  schräg  nach  innen  gerichteten  Längsstreifen,  welche 
zuweilen  aber  auch  fehlen) ;  an  ihrem  äusseren  Rande  und  am  Keil 
sind  sie  rötlich  gefleckt  (purpurrot  marmoriert);  letzterer  (d.  h.  der 
Keil)  ist  am  Grunde  (oder  wenigstens  am  inneren  Winkel)  ziemlich 
blass,  an  der  Spitze  schwarz.  Die  dicht  grau  getüpfelte  Membran 
hat  rote  (teilweise  auch  braune)  Adern.  —  Die  Fühler  sind  im  all- 
gemeinen blassgelblich;  das  erste  Glied  etwas  verdickt,  von  wech- 
selnder Länge,  bräunlichrot  mit  hell  gescheckt  und  mit  kurzen  gleich- 
farbenen  Borstenhaaren  (nicht  länger  als  das  Glied  dick)  besetzt; 
zweites  Glied  doppelt  so  lang  wie  das  erste,  einfarbig  dunkel,  mit 
blassem  Grunde ;  das  dritte  Glied  kürzer  als  das  zweite ;  das  vierte 
kaum  kürzer  als  das  erste ;  die  beiden  letzten  zusammen  erheblich 
länger  als  das  zweite.  —  Beine  weissgelblich ,  mit  dicht  rotbraun 
gescheckten  Schenkeln,  die  hinteren  dunkler  als  die  vorderen;  Schienen 
mit  gelbbräunlichen  Dornen  besetzt;  die  vorderen  mit  zwei  bräun- 
lichen Ringen  und  brauner  Spitze ;  die  mittleren ,  zuweilen  rötlich 
gescheckt ,  mit  schmalem  Ring  am  Grunde ;  die  hinteren  Schienen 
am  Grunde  braun.  —  Länge  6 — 772,  *^i®  Männchen  etwa  1  mm 
grösser  als  die  Weibchen. 

Nach  Reuter  unterscheidet  sich  diese  Art  von  der  vorigen 
(ulmi  L.)  durch  den  längeren  Kopf,  die  fast  wagerechte  Stirne,  den 
breiteren  Scheitel ,  die  weniger  vorragenden  Augen ,  sodann  durch 
das  dickere  erste  FühlergHed,  die  blassen  Flecke  an  Kopf  und  vor- 
derem Pronotum  und  die  blasse  Längslinie  auf  dem  Schildchen.  — 
Saünders  giebt  als  Unterscheidungsmerkmale  an :  das  dickere ,  mit 
spärlichen  Borstenhaaren  besetzte  erste  Fühlerglied,  die  blasse  Mittel- 


—     298     — 

linie  am  Kopf,  die  drei  kurzen  weisslichen  Striche  auf  dem  vorderen 
Teil  des  Pronotum ,  der  breitere  Scheitel ,  die  blasse  Mittellinie  am 
Schildchen,  die  ungefleckten ,  mit  dunklen  Längsstreifen  versehenen 
Halbdecken  und  der  vollständig  rote  Cuneus. 

Reuter  unterscheidet  weiterhin  eine  Var.  a\  „erstes  Fühler- 
glied kaum  länger  als  das  Pronotum",  und  eine  Var.  /?,  leptocerus: 
„erstes  Fühlerglied  so  lang  als  Pronotum  und  Kopf  bis  zur  Augen- 
mitte (von  oben  gesehen)  und  dabei  etwas  schlanker  als  bei  a" : 
also,  mit  anderen  Worten  (siehe  oben!):  „erstes  Fühlerghed  von 
wechselnder  Länge  und  Dicke  ? ! "  Die  neuere  systematische  Zer- 
splitterung geht  gerade  bei  der  Gattung  Phytocoris  oft  recht  weit. 
Ganz  abgesehen  von  vielen  auf  Wechsel  der  (ohnehin  sehr  unbestän- 
digen) Färbung  und  Zeichnung  begründeten  Spielarten  wurden,  auf 
Grund  einer  einmal  gefundenen  abweichenden  Form,  neue  Arten 
beschrieben,  die  vorher  niemand  kannte  und  weiterhin  niemand  mehr 
zu  Gesicht  bekam.  Inwieweit  solches  begründet  und  ob  da  nicht 
ein  oder  der  andere  Zwitter,  Bastard  u.  s.  w.  mitunterläuft,  das 
mögen  die  massgebenden  Autoritäten  verantworten ! 

3Iiris  Ulmi  Fabbicius,  Syst.  Rhyngot.  1803,  256,  17  vielleicht! 

Phytocoris  Ulmi  Herrich-Schäffer  ,  Wanz.  Ins.  1835,  III,  9, 
fig.  234.  —  Meyer,  Schweiz.  Rhynchot.  1843,  43,  2.  —  Kirschbaum, 
Rhynchot.  Wiesbadens,  1855,  40,  20.  —  Flor,    Rhynchot  Livlands, 

1860,  I,  416,  3  und  1861,  II,  593,   1.  —  Fieber,    Europ.  Hemipt. 

1861,  259,  5.  —  Douglas  and  Scott,  Brit.  Hemipt.  1865,  313,  7. 
Phytocoris  varipes  Boheman,  Entom.  ant.  södr.  Suerge  in  Vet. 

Akad.  Handl.  1852,  pag.  107.  —  Reuter,  Hemipt.  Het.  Sc.  et  Fenn. 
44,  8.  (Rev.  crit.  Caps.  1875,  28,  8.)  —  Ann.  Soc.  Entom.  France 
Ser.  V,  1877,  27,  20,  tab.  7.  —  Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  V,  1896, 
285,  36.  —  Saunders,  Synops.  of  Brit.  Hemipt.  Het.  1875,  265,  7. 
—  Hemipt.  Het.  of  the  Brit.  Islands,  1892,  238.  —  Püton,  Cat. 
1886,  47,  23.  —  Atkjnson,  Cat.  of  Caps.  1889,  68. 

Capsus  varipes  Thomson,  Opusc.  entom.  IV,  418,  2. 

Phytocoris  irroratus  Perris,  Ann.  Soc.  Linn.  Lyon.  1857,  IV, 
16  (=  varietas  supra  rufo-testacea). 

Württemberg:  Bei  Backnang,  9.  Hueber.  —  Elsass-Lothringen : 
Idem,  partout.  5 — 8.  Plus  souvent  sur  les  plantes  que  sur  les  arbres. 
Reiber-Püton.  —  Nassau:  {ulmi  L.)  M  W  bei  Wiesbaden,  Mombach; 
im  Gras    auf  Waldblössen,    z.  B.    am   Weg   nach    der   griechischen 


—     299     — 

Kapelle,  im  Mombacher  Kiefernwald,  sehr  häufig,  7 — 9,  so  früh  als 
Fh.  divergens,  aber  noch  viel  später.  Kirschbaum,  —  Schleswig- 
Holstein:  Varipes  Boheman  {uhni  L.,  Meyer,  Fieber)  an  gleichen  Orten 
mit  ulmi  L.,  Fall,  (divergens  Meyer,  Fieber),  aber  seltener.    Wüstnei. 

—  Mecklenburg :  Bei  Feldberg  (laut  handschriftl.  Vermerk).    Konow. 

—  Thüringen :  ülnii  L.  überall  nicht  selten.  Kellner-Breddin.  — 
Schlesien :  Ulmi  L.  {Fh.  Clinopodii  Schill.)  von  Mitte  Juli  bis  Mitte 
August  auf  niedrigem  Ulmen-  und  Eichengebüsch,  auf  Erlen,  in 
Heiden  und  vorzüglich  häufig  an  manchen  Orten  auf  Clinopodium 
vulgare  u.  s.  w.  Scholtz.  —  In  der  Ebene  und  im  Gebirge,  von 
Mitte  Juli  bis  Mitte  September,  auf  niedrigem  Ulmen-  und  Eichen- 
gebüsch, Erlen,  Heidekraut  um  Clinopodium  vulgare,  meist  sehr  häufig. 
Assmann.  —  Provinz  Preussen.    Brischke. 

Vaterland:  Deutschland  und  Schweden.  Auf  Ulmen  und  anderen 
Gebüschen  im  August.     Hier  (Nürnberg)  gar   nicht   gemein.     Hahn. 

An  verschiedenen  Pflanzen  auf  grasigen  Triften,  Hügeln,  Feld- 
rainen, an  Gallum  ochroleucum,  auf  Ribes  rubrum,  an  jungen  Eichen. 
Fieber. 

Habitat  locis  aridis  (Dübois),  in  Calluna  (Boheman,  Luchs,  Flor, 
Ferrari),  Thymo  et  Trifolio  (Frank),  in  Compositis  (P.  Loew),  Cirsio 
(Mason),  Tanaceto  (Schummel),  Artemisia  et  Plantagine  cynope  (Fer- 
rari), Spartio  (Duda),  Clinopodio  (Schilling),  Linaria  vulgari  (Spitzner), 
Galio  (Fieber,  Spitzner),  Ribe  rubro  (Fieber),  Rubo  fruticoso  (Douglas 
et  Scott),  interdum  in  Coniferis  (Horvath),  in  Pino  (Thomson),  Juni- 
pero  (Frey-Gessner)  :  maxima  Europae  pars  usque  in  Norvegia  meri- 
dionah,  Suecia  meridionali  (Skane!)  et  Livonia.    Reuter  (1896). 

[Schweiz :  In  der  mittleren  und  nördlichen  Schweiz ,  nach  der 
Mitte  Juli  bis  Ende  August,  an  sehr  sonnigen,  gebüschreichen  Ab- 
hängen, auf  niedrigem  Eichengebüsche,  an  heissen  Hügeln  und  ab- 
geholzten Waldabhängen  oft  in  grosser  Menge.  Meyer.  —  In  der 
mittleren  und  nördlichen  Schweiz,  von  Mitte  Juli  bis  Ende  September, 
an  sehr  sonnigen,  gebüschreichen  Abhängen,  auf  niedrigem  Eichen- 
gebüsch, auf  Juniperus  u.  a.  m.,  meist  einzeln,  seltener  gesellschaft- 
lich; in  Bremi's  Sammlung  als  Fh.  fragilis  Bremi,  bezeichnender 
Name,  denn  die  Arten  des  Gen.  Fhytocoris  sind  ausserordentlich 
zart  und  brüchig,  und  man  hat  die  grösste  Sorgfalt  anzuwenden, 
dass  nicht  wenigstens  die  Hinterbeine  abfallen.  Frey-Gessner.  — 
Tirol :  Ulmi  L.  an  Erlenstämmen  der  Auen  und  Wälder  bei  Peters- 
berg und  Telfs  im  Juli  häufig;  in  der  Umgebung  von  Bozen  auf 
Eichen  und  in  Valsugana.   Gredler.  —  Nieder-Österreich :  Bei  Gresten 


—     300     — 

auf  Gesträuch  und  trockenen  Wiesen,  häufig.  Schleicher.  —  Böhmen : 
Varipes  Boheman  =  ulmi  Fabricius  an  sonnigen  Waldrändern  und 
in  Hecken,  auf  Spartium,  Gal'mm  und  anderen  Pflanzen,  überall 
ziemlich  selten ;  7,  8.  Düda.  —  Livland :  Auf  Heidekrautflächen,  im 
Juli,  August,  September,  ziemlich  vereinzelt.    Flor.] 


*  Phytocoris  exoletus  Costa,  Cimic.  Reg.  Neap.  Cent.  1852,  HI, 
35,  fig.  5.  —  Reoter,  Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  V,  1896,  287,  37. 
—  Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889,  64  [mit  den  Synonymen :  Ph.  albi- 
cans Reuter  (Ann.  Soc.  Entom.  Fr.  Ser.  V,  29,  23,  tab.  7).  — 
Ph.  unicolor  Reuter  (Öfv.  Finska  Vet.  Soc.  Förh.  XXH,  15,  12).  — 
Ph.  riparum  Ferrari  (Ann.  Mus.  Civ.  Gen.  Ser.  H,  562,  322,  tab.  12)] 
gehört  dem  südlichen  Europa  an,  wurde  jedoch  (nach  Frey-Gessner) 
von  FoREL  nicht  selten  bei  St.  Prex  im  Kanton  Waadt  ge- 
funden. —  Fieber  (Europ.  Hemipt.  259,  5)  bezeichnet  exoletus  Costa 
als  eine  blasse,  weniger,  und  bräunlich  gestrichelte  Varietät  von 
varipes  Boheman,  der  sie  im  allgemeinen  sehr  ähnlich.  —  Reuter 
giebt  als  Unterscheidungsmerkmale  von  letzterer  an :  eine  sehr  blasse, 
lichte ,  nur  gelbliche  Färbung  bei  nur  ganz  leichter  und  schwacher 
Braunzeichnung,  sowie  gelbliches  Flaumhaar  statt  der  weiss  gefleckten 
Halbdecken;  weiterhin  das  vollständige  Fehlen  der  schwarzen  Haare; 
das  längere,  weniger  dicke  und  einfarbige  erste  Fühlerglied ;  die  noch 
weniger  vorspringenden  Augen ;  den  breiteren  (mindestens  um  zwei 
Augendurchmesser!)  Scheitel;  das  schmälere  Pronotum;  den  statt- 
licheren, mehr  in  die  Länge  gehenden  Körper  des  Weibchens,  dessen 
Halbdecken  am  äusseren  Rande  weniger  nach  aussen  geschweift  sind. 

Habitat  locis  aridis  (Azam),  in  Anthylli  vulneraria  (Ferrari),  in 
Thymo  (Puton)  ,  Helvetia ,  sec.  D.  Noualhier  ;  Gallia  meridionalis 
(Frejus,  D.  Dr.  Horväth,  Avignon,  D.  Noualhier),  Hispania  (Madrid, 
Huejas-Sierra ,  Brunete),  Sardinia,  Liguria  (Stazzano!),  Graecia 
(Peloponnesos !).    Reuter  (1896). 

*  ustidatus  Herrich-Schäffer. 

Hellgelblichgrün.  Das  starke  Fühlerwurzelglied  und  die  Hinter- 
schenkel schmutzig  karminrot,  weisslich  gefleckt.  Ende  der  Vorder- 
und  Mittelschenkel  rot,  —  dicht  punktiert.  Die  ganze  Membrannaht 
und  Cuneusspitze  schmutzig  karminrot.  Schienbeine,  Fussglieder  und 
die  oberen  Fühlglieder  hellgrün.  Rücken  und  Unterseite  gelbgrün- 
lich.    Membran  schmutzig,    Zellrippen  weissUch.    3  $  2 — "^^W"'  — 


—     301     — 

Um  Prag,  in  Böhmen  vor  Jahren  in  mehreren  Exemplaren  gesammelt* 

Fieber. 

Phytocoris  ustulatus  Herrich- Schäffer,  Nomencl.  entom.  1835, 
47.  —  Fieber,  Europ.  Hemipt.  1861,  258,  1.  —  Puton,  Cat.  1886, 
47,  29.  —  Atkinson,  Cat.  of  Caps.  1889,  68.  —  Reuter,  Ann.  Soc. 
Entom.  Fr.  Ser.  V,  1877,  29,  24,  tab.  7.  —  Hemipt.  Gymnoc.  Europ. 
V,  1896,  290,  39. 

Habitat  in  herbidis  aridis,  ex  gr.  in  Centaurea  paniculata,  Lino^ 
syri  vulgari  et  Senecione  jacobaea  (P.  Loew)  :  Bohemia,  sec.  Fieber; 
Moravia  (Prossnitz,  D.  Spitzner);  Tirolia,  D.  Gredler,  Austria 
inferior,  D.  P.  Loew,  Croatia,  Hungaria,  D.  Dr.  Horvath.  Liguria, 
D.  Dr.  Ferrari,  Illyria,  D.  Schreiber.    Reuter  (1896). 

*incanus  Fieber. 

Männchen  länglich,  Weibchen  mehr  eiförmig,  von  weissgrauer 
Farbe  und  mit  weissem  Flaumhaar  besetzt,  dazwischen  (besonders 
auf  den  Halbdecken)  liegende  schwarze  Haare.  Als  charakteristische 
Zeichnung  findet  sich  auf  der  Mitte  des  Pronotum  eine  feine  (manch- 
mal mehr  oder  weniger  deutlich  braun  gerandete)  sich  noch  auf  das 
Schildchen  fortsetzende  weisse  Linie.  —  Kopf  leicht  geneigt; 
Stirne  wenig  schief,  vorne  abgestutzt;  Kopfschild  insgesamt  stark 
vorspringend  und  durch  einen  tiefen  winkligen  Einschnitt  am  Grunde 
wohl  markiert.  Scheitel  von  mehr  als  Augenbreite  (beim  Weibchen 
fast  das  Doppelte).  Der  weisse,  an  seiner  Spitze  bräunliche  Schnabel 
überragt  ein  gut  Teil  die  Hinterhüften.  Augen  von  oben  kreisrund 
anzuschauen.  —  Pronotum  beim  Männchen  vorne,  hinter  der  Ein- 
schnürung nur  halb  so  breit  als  am  Grunde,  seine  Fläche  nach  vorne 
geneigt,  sein  Hinterrand  abgerundet;  beim  Weibchen  am  Grunde 
fast  doppelt  so  breit  als  lang,  nach  vorne  nur  wenig  verengt,  oben 
flach,  der  Hinterrand  (oberhalb  des  Schildchens)  ziemlich  breit  ge- 
buchtet. Farbe  und  Zeichnung  wechselnd,  dabei  mit  weissem  Flaum- 
haar bedeckt;  am  Grundsaum  (aber  nicht  immer)  eine  sehr  zarte 
braune  Binde.  Hinterleib  unten  graubraun  und  dicht  weisslich  be- 
haart. —  Halbdecken  beim  Männchen  lang  mit  ausgebildeter,  weiss- 
adriger  Membran;  beim  Weibchen  abgekürzt,  die  Mitte  des  Hinter- 
leibs kaum  überragend,  an  der  Spitze  ziemlich  eng  abgerundet,  mit 
nur  ganz  schmaler  Membran ;  Farbe  und  Zeichnung  wechselnd,  meist 
mit  schiefer  braunfleckiger  Binde.  —  Fühler  weisslich  ;  ihr  cylindrisches 
erstes  Glied  ist  beim  Männchen  schlank  und  so  lang   wie    das  Pro- 


—     302     — 

notam,  beim  Weibchen  dicker  und  länger  als  das  Pronotum;  dabei 
meist  dicht  grau  gefleckt  und  mit  kurzem  Borstenhaar  besetzt ;  das 
zweite  GUed  hat  braune  Spitze  und  einen  verschwommenen  braunen 
Ring  vor  der  Mitte ;  das  dritte  Glied  ist  blassbraun ,  am  Grunde 
weisslich ;  die  beiden  letzten  Glieder  zusammen  sind  erheblich  länger 
als  das  zweite  Glied.  —  Beine  hell;  Schenkel  am  Grunde  weisslich, 
sonst  ziemlich  dicht  grau  oder  schwarzbraun  getüpfelt,  die  hinteren 
am  meisten.  Schienen  mit  feinen  Dornen  besetzt ;  die  vorderen  oben 
und  unten  bräunhch  und  ausserdem  noch  mit  zwei  bräunlichen  Ringen ; 
die  mittleren  Schienen  mit  einem  Ringe  nahe  dem  Grunde  und  an 
der  Spitze  bräunlich ;  Hinterschienen  (wenigstens  auf  der  Unterseite) 
mit  zwei  dunklen  Ringen  und  mehreren  dunklen  Punkten.  Fuss- 
glieder  braun.  —  Am  Geschlechtsabschnitt  des  Männchens  sind  die 
Ränder  der  Öifnung  abgestutzt.  —  Länge:  $  ^Ys ,  <S  6V3 — 7  mm. 
(Nach  Reüter,  gekürzt.) 

Phytocoris  incanns  Fieber,  Wien.  Entom.  Monatsschrift,  YIII, 
1864,  326,  11.  —  Pdton,  Cat.  1886,  47,  26.  —  Atkinson,  Cat.  of 
Caps.  1889,  64.  —  Reuter,  Ann.  Soc.  Entom.  Fr.  (Ser.  V),  YII, 
1877,  28,  22,  tab.  7.  —  Hemipt.  Gymnoc.  Europ.  V,  1896,  296,  45. 

Habitat  in  gramine  (Horvath):  Austria  inferior  (Wien!), 
D.  P.  LoEw;  Hungaria  (Budapest,  Duplaj),  D.  Dr.  Horvath;  Graecia 
(Attica !),  D.  Dr.  Krüeper  ;  Rossia  meridionalis  (Theodosia,  D.  Dr.  Hor- 
vath, Sarepta!,  D.  D.  Becker  et  Jakovleff);  Caucasus!,  D.  Leder; 
Turcomannia  (Hadscha  Kala!),  D.  Dr.  Horvath;  Turkestan  (Varsa- 
minor!),  D,  Fedtschenko.    Reüter  (1896). 

(Fortsetzung  folgt.) 


Ein  Profil  durch  den  Hauptmusehelkalk  bei 
Vaihingen  a.  d.  Enz. 

Von  a.  Stettner. 

Ein  Muschelkalkprofil  zu  veröffentlichen  ist  noch  immer  nicht 
ganz  überflüssig;  denn  unsere  Kenntnis  des  Muschelkalks  und  der 
Trias  überhaupt  ist  verglichen  mit  der  des  Jura  doch  bis  heute  eine 
recht  bescheidene  geblieben.  Zwar  hat  v.  Alberti  in  seinen  Schriften 
ein  wertvolles  Material  niedergelegt,  und  auch  Qüenstedt  giebt  z.  B. 
im  Flözgebirge  Württembergs  einen  guten  Überblick  über  die  tria- 
sischen Gebilde;  aber  zu  einer  ebenso  gründlichen  Bearbeitung  der 
Triasformation,  wie  sie  der  Jura  erfahren  durfte,  ist  es  noch  nicht 
gekommen.  Zum  grössten  Teil  ist  dies  auch  begreiflich.  Ganz  ab- 
gesehen vom  Buntsandstein  und  Keuper  mit  ihrer  Fossilarmut  fehlen 
an  den  meisten  Punkten  zum  Sammeln  einladende  oder  gar  heraus- 
fordernde Fossilschichten,  und  leitende  Horizonte  wollen  sich  nur 
selten  einstellen.  So  kommt  es ,  dass  selbst  in  den  Begleitworten 
zu  den  Atlasblättern  der  geognostischen  Specialkarte  von  Württem- 
berg, soviel  wertvolle  Beobachtungen  dort  auch,  namentlich  von  0. 
und  E.  Fraas,  niedergelegt  sind,  doch  eine  vollständige  Übersicht 
über  den  Muschelkalk  noch  nicht  möglich  ist,  so  dass  E.  Fraas  über 
das  Gäu  und  die  Umgegend  von  Vaihingen  bemerkt^:  „Bei  der 
grossen  Einförmigkeit  des  geognostischen  Verhaltens  auf  unserem 
Blatte  lassen  sich  einzelne  Unterabteilungen  im  Hauptmuschelkalk 
nicht  machen,  kaum  dass  obere  und  untere  Horizonte  an  den  Schich- 
ten selbst  erkannt  werden  können"  u.  s.  w.  „Besondere  Profile  wur- 
den auf  unserem  Blatte  nicht  aufgenommen,  da  es  zu  sehr  an 
festen,  leitenden  Horizonten  fehlt  ^."     „Die  Entwickelung  des  Haupt- 


'  Begleitworte  zu  Atlasblatt  Stuttgart.  1895.  S.  18. 
2  a.  a.  0.  S.  17. 


—     304     — 

muschelkalks  ist  die  gewöhnliche  petrefaktenarme  Facies,  wie  sie  im 
ganzen  oberen  Gäu  und  Strohgäu  vorherrscht  und  lädt  nur  wenig 
zu  eingehenderem  Studium  ein.  Gute  Aufschlüsse  sind  teils  in  Stein- 
brüchen, teils  an  den  Steilgehängen,  namentlich  im  Enzthal  zu  treffen, 
bieten  aber  im  ganzen  wenig  Interesse,  da  es  fast  gänzlich  an  Petre- 
fakten  führenden  Horizonten  fehlt ,  welche  eine  Gliederung  ermög- 
lichen \"  Wer  mit  den  Verhältnissen  im  Muschelkalk  vertraut  ist, 
wird  dies  durchaus  zutreffend  finden ;  hier  in  diesen  Gegenden  hat 
man  es  fast  durchweg  mit  hohen  mauerartigen  Kalkwänden  zu  thun, 
die  immer  dasselbe  Bild  gewähren  und  dem  Sammler  selten  einmal 
eine  Muschel  liefern ;  und  selbst  da,  wo  reiche  Muschelbänke  sich  ein- 
stellen und  es  an  guten  Aufschlüssen  nicht  mangelt,  ist  eine  Glie- 
derung nur  mit  Mühe  zu  erreichen. 

Das  nachstehende  Profil  will  und  kann  also  nichts  besonders 
Interessantes  und  Wertvolles  enthalten,  sondern  nur  eine  Zusammen- 
stellung der  in  den  einzelnen  Bänkchen  des  Hauptmuschelkalks  der 
Vaihinger  Gegend  beobachteten  Petrefakten,  aus  einer  Gegend  also, 
die  als  geologisch  steril  im  Verruf  ist,  aber  eben  dadurch  auch  zeigen, 
dass  sogar  in  den  petrefaktenärmsten  Landesteilen  fast  in  jedem  un- 
bedeutenden Kalkbänkchen  etwas  zu  finden  ist,  dass  es  also  doch 
möglich  wäre,  bei  einiger  Ausdauer  ein  Profil  fertigzustellen,  und  es 
darum  mit  der  Zeit  gelingen  könnte,  aus  der  Kombinierung  einer  grösseren 
Anzahl  solcher  detaillierten  Lokalprofile  ein  Gesamtprofil  des  Muschel- 
kalks zu  konstruieren,  das,  wie  ich  glaube,  nicht  minder  exakt  sein 
dürfte  als  manche  Juraprofile.  Es  soll  also  hiermit  vor  allem  eine 
Ergänzung  zu  den  durch  v.  Alberti^  aus  der  Rottweiler  und  E.  Fraas^ 
aus  der  Crailsheimer  Gegend  bekannt  gewordenen  genauen  Profilen 
nun  auch  aus  einer  bisher  weniger  genau  untersuchten  Gegend  ge- 
geben werden ,  von  der  zwar  auch  schon  Muschelkalkprofile  von 
Paulus*  vorhegen;  aber  die  letzteren  fassen  mehr  das  Gesteinsmaterial 
als  die  Petrefakteneinschlüsse  ins  Auge  und  erlauben  deshalb  kaum 
eine  Vergleichung  mit  andern  Profilen,  und  vor  allem  findet  nur  ein 
Teil  des  Hauptmuschelkalks  darin  ohne  genaue  Gliederung  eine  Dar- 
stellung. 

Das  vorliegende  Profil  ist  entstanden  aus  der  möglichst  genauen 


1  Bcgleitworte  zum  Atlasblatt  Liebenzell.  1897.  S.  20. 

2  V.  Alberti,  Halurgische  Geologie.  1852.  S.  431—436. 

^  Begleitworte  zu  den  Atlasblättern  Mergentheira,  Niederstetten,  Künzelsau 
und  Kirchberg.  1892.  S.  15—21. 

*  Begleitworte  zu  den  Atlasblättern  Besigheim  und  Maulbronn.  1865.  S.  12, 


-     305     — 

Aufzeichnung  und  Vergleichung  selbst  unbedeutender  Bänkchen  von 
etwa  40  Aufschlüssen  im  Hauptmuschelkalk  um  Vaihingen  a.  E.  In 
erster  Linie  sind  die  Aufschlüsse  zwischen  Rosswag  und  Vaihingen 
und  zwischen  Vaihingen  und  Illingen  darin  berücksichtigt;  und  auch 
hier  sind  vor  allem  solche  Punkte  den  Aufzeichnungen  zu  Grunde 
gelegt  worden,  die  schon  längere  Zeit  den  Einflüssen  der  Atmo- 
sphärilien ausgesetzt  sind,  zu  Petrefaktensammlungen  sich  mehr 
eignen  und  auch  den  Gesteinscharakter  der  einzelnen  Horizonte  ge- 
wöhnlich deutlicher  erkennen  lassen  als  frische  Anschnitte,  die  auf 
den  ersten  Anblick  kaum  eine  Verschiedenheit  der  Schichtung  und 
der  Festigkeit  der  Schichten  erkennen  lassen ,  jedenfalls  von  Petre- 
fakten  kaum  eine  Spur  aufweisen.  Es  mag  dadurch  freilich  die 
■Angabe  der  Mächtigkeit  der  einzelnen  Bänkchen  etwas  ungenau 
geworden  sein;  doch  dürfte  diese  Ungenauigkeit  nicht  all  zu  gross 
sein ,  da  durchweg  Mittelwerte  aus  mehreren  Messungen  an- 
gegeben sind. 

Die  Resultate  der  Notierungen  wurden  auch  verglichen  mit 
Aufschlüssen  im  Metterthal  und  Strohgäu;  daraus  hat  sich  ergeben, 
dass  das  nachfolgende  Profil  im  grossen  Ganzen,  fast  bis  in  die 
kleinsten  Einzelheiten  gilt  von  Leonberg  an  bis  zur  Metter.  Natür- 
lich zeigt  die  Mächtigkeit  einzelner  Schichten  Schwankungen  von 
20—30  cm ;  an  Stelle  des  Thons  tritt  manchmal  Kalk  und  umgekehrt. 
Davon  abgesehen  aber  zeigt  sich  ein  ganz  auffallendes  Konstant- 
bleiben von  Mächtigkeit  und  Material,  ein  sehr  deutlicher  Beweis, 
dass  wir  hier  am  Ostrande  des  Schwarzwaldes  nicht,  wie  schon  ver- 
mutet ^  und  namenthch  im  Hinblick  auf  das  Schwieberdinger  Hühner- 
feld ausgesprochen  worden  ist^,  eine  üferbildung  oder  eine  Ablagerung 
an  nicht  allzuferner  Küste  vor  uns  haben,  sondern  eine  Bildung 
auf  dem  ruhigen  Grunde  der  Tiefsee.  Wo,  wie  es  hier  der  Fall  ist, 
einzelne  Bänke  auf  viele  Kilometer  Entfernung  kaum  um  einen 
einzigen  Centimeter  in  der  Mächtigkeit  schwanken ,  muss  die 
Ablagerung  so  ruhig  vor  sich  gegangen  sein,  wie  dies  nur  in 
weit  von  dem  sedimentstoffliefernden  Festlande  entfernten  Meeres- 
teilen der  Fall  ist. 

Die  Gesamtmächtigkeit  des  Hauptmuschelkalks 
der   Vaihinger   Gegend   beträgt    ungefähr    85  m.     In    Betreff  seiner 


1  Vgl.  diese  Jahreshefte  1894.  S.  547—552. 

^  Vgl.  Philipp!,  Über  die  Muschelkalkfauna  von  Schwieberdingen ;  Zeit- 
schrift der  deutschen  geol.  Gesellschaft  1897,  Verhandlungen  S.  34;  leider  kam 
mir  diese  Arbeit  erst  während  der  Korrektur  zu  Gesicht. 

Jahieshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturkunde  in  Württ.  1898.  20 


—     306     — 

Gliederung  glaubte  ich  von  weiteren  Unterabteilungen  absehen  zu 
sollen ,  da  eine  solche  sich  doch  nur  auf  eine  grössere  Zahl  von 
Profilen  gründen  darf.  Die  Trochitenkalke,  welche  sich  sicher 
noch  genauer  gliedern  lassen,  da  manche  Muscheln  und  auch  PempJiix 
in  verschiedenen  Gegenden  eine  bestimmte  Höhe  einzuhalten  pflegen, 
werden  in  untere,  gekennzeichnet  durch  grossen  Muschelreichtum 
und  namentlich  durch  die  Mergelregion  mit  3Iyophoria  vulgaris 
und  Gervillia  costata  (Horizont  von  Hassmersheim),  mittlere 
—  Hauptencrinusbänke  —  und  obere  —  Ceratites  nodosus 
var.  compressus  Sandb.  und  wenig  Encrinus  —  eingeteilt; 
die  Grenzbank  gegen  die  nun  folgenden  Nodosus-lidilke  bildet  die 
im  Fränkischen  weit  besser  ausgebildete  Spiriferenbank. 

Die  Unterregion  (ca.  10  m) ,  von  der  das  Liegende  leider 
nicht  ganz  erreicht  werden  konnte,  ist  bei  Rosswag  an  zwei  Stellen 
am  besten  aufgeschlossen ;  die  petrefaktenreichste  ist  südöstlich  vom 
Orte  hart  an  der  Enz  gelegen  ;  dort  ist  man  auch  nicht  mehr  weit 
vom  Liegenden  entfernt,  denn  gleich  einige  hundert  Meter  flussauf- 
wärts  befindet  man  sich  auf  dem  Kalktuffe,  der  sich  wie  überall  in 
der  Gegend  aus  den  Quellen  absetzt,  die  den  Schichten  zwischen 
Salzgebirge  und  Muschelkalk  entspringen.  Ganze  Platten  sind  hier 
vollständig  von  Steinkernen  zahlreicher  Muschel-  und  Schnecken- 
schalen bedeckt,  unter  denen  MyopJioria  vulgaris  Schloth.,  Gervillia 
socialis  Schloth.  und  costata  Schloth.,  Lima  striata  Schloth.,  Pecten 
laevigatus  und  discites  Schloth.,  Terehratula  vulgaris  Schloth.  die 
häufigsten  sind.  Mergelbänke  wechseln  mit  Brockelkalken  und  festen 
dickbankigen  Kalken  ab,  die  bereits  Encrinus  liliiformis  Schloth.  in 
grosser  Zahl  enthalten. 

Darüber  folgen  die  Hauptencrinusbänke  (22  m).  Voll- 
ständige Exemplare  des  Encrinus  fehlen  bis  jetzt.  Wenn  man  aber 
die  nicht  seltenen  Arme  mit  den  Pinnulae  sieht  (Rosswag,  Weissach), 
darf  man  die  Hoffnung ,  ganze  Kronen  zu  finden ,  nicht  aufgeben. 
Man  kann ,  von  einzelnen  weniger  mächtigen  Bänken  abgesehen, 
drei  Horizonte  in  den  Hauptencrinusschichten  unterscheiden,  deren 
unterster  der  wichtigste  und  reichhaltigste  ist;  er  liefert  auch  (be- 
sonders bei  Rosswag)  die  meisten  sonstigen  Petrefakten;  die  höher 
gelegenen  sind  vielfach  von  Brockelbänken  durchsetzt,  die  keine 
Trochiten  enthalten. 

Je  höher  man  in  den  Schichten  hinaufkommt,  desto  spärlicher 
wird  Encrimis  liliiformis  Schloth.,  und  schon  stellt  sich  Cera- 
tites nodosus  Schloth.  in  der  kleinen  dachen  Ynrietäit  conqjressiis 


—     307     — 

Sandb.  {subnodosus  Münster)  ein  (6,5  m),  der  viel  tiefer  im 
Muschelkalk  noch  vorkommt,  als  gewöhnlich  angegeben 
wird.  Erst  in  der  allerletzten  Trochitenbank  findet  sich  zusammen 
mit  C.  nodosus  var.  compressiis  Sandb.,  Spiriferina  fragilis 
ScHLOTH.  (Enzweihingen) ,  welche  die  deutliche  obere  Grenze  der 
Trochitenkalke  bezeichnet  und  auch  schon  früher  von  Qüenstedt  ^ 
unterhalb  Vaihingen  gefunden  worden  ist. 

Ganz  ähnlich  verhält  sich  die  Lagerung  und  Gliederung  des 
Muschelkalks  in  der  Gegend  von  Rottweil  bis  Villingen  (Deisslingen, 
Marbach) ;  die  Mächtigkeit  der  Encrinus-K.3Jik&  ist  freilich  beträcht- 
lich geringer  als  im  schwäbischen  Unterlande ;  aber  im  oberen  Drittel 
trifft  man  ebenfalls  Ceratites  nodosus  var.  compressus  zwischen  mehr 
bröckeligen  Kalken  mit  nur  wenig  Resten  von  Encrinus;  darunter 
liegen  erst  die  reichhaltigen  JE^ncrÄn^s-Schichten,  in  denen  sich  Peden 
discites  ebenfalls  besonders  häufig  einstellt,  und  die  bekannten  Mar- 
bacher  Rogensteine  (auch  bei  Deisslingen),  und  unter  diesen  kommen 
thonig-kalkige  Bildungen. 

Das  etwa  50  m  mächtige  Gebirge  über  den  35  m  Encrinus- 
Kalken  ist  schwierig  zu  gliedern.  Scheiden  wir  zunächst  die  oberen 
dolomitischen  Schichten  ab,  die  v.  Alberti^  unter  den  Namen  „un- 
terer dolomitischer  Kalkstein"  oder  „dolomitischer  Kalk" 
zum  unteren  Keuper  oder  zur  Lettenkohlengruppe  stellte,  und  die 
E.  Fraas^  als  Trigonodus-DoXomii  vom  Hauptmuschelkalk  trennt. 
Ob  diese  Schichten  noch  zum  Muschelkalk,  wie  dies  im  Profil  ge- 
schehen ist,  oder  schon  zur  Lettenkohle  gerechnet  werden  müssen, 
lassen  wir  dahingestellt,  v.  Alberti'*,  Paulus  und  Bach^  und  E.  Fraas^ 
geben  für  diese  Schichten  eine  sehr  wechselnde  Mächtigkeit  an,  und 
in  der  That  schwankt  auch  im  oberen  Hauptmuschelkalk  die  Masse 
des  Dolomits  ganz  erheblich,  wie  dies  von  den  genannten  Autoren 
vollkommen  richtig  angegeben  wird,  und  wie  dies  im  nachfolgenden 
Profil  gleichfalls  angedeutet  ist.  Sieht  man  aber  genauer  zu,  so 
zeigt  sich,  dass  wohl  der  Dolomit  erheblich  verschieden  mächtig  ist 


^  Qüenstedt,  Das  Flözgebirge  Württembergs.  1851.  S.  66. 

2  V.  Alberti,  Überblick  über  die  Trias.  1861.  S.  17  u.  274. 

3  Zeitschrift  der  deutseben  geolog.  Gesellschaft.  XLIV.  1892.  S.  565—569. 
Begleitworte  zum  Atlasblatt  Stuttgart.  1895.  S.  19. 

*  V.  Alberti,  Halurgische  Geologie.  1852.  I.  S.  420  ff. 

—  Überblick  über  die  Trias.  1864.  S.  17. 
^  Begleitworte  zu  den  Atlasblättern  Maulbronn  und  Besigheim.  1865.  S.  12. 
®  Begleitworte  zu  Atlasblatt  Stuttgart.  1895.  S.  19. 

20* 


—     308     — 

(von  32  m  bis  zu  1  m) ,  nicht  aber  die  einzelnen  Schichten.  Es 
ergiebt  sich  nämhch  bei  der  Vergleichung  zahlreicher  Punkte  nicht 
ein  Wechsel  der  Mächtigkeit,  sondern  der  Facies:  Kalk 
und  Dolomit  vertreten  sich  gegenseitig.  Eben  dieser  Facies- 
v\rechsel  im  oberen  Muschelkalk  ist  es,  der  zu  mancherlei  Irrtümern 
Veranlassung  gegeben  hat,  die  eine  ganz  falsche  Vorstellung  über 
die  Lagerungsverhältnisse  daselbst  ermöglichten.  So  hat  man,  um 
nur  ein  Beispiel  aus  der  Gegend  von  Vaihingen  zu  nennen,  die  Fossil- 
schichten im  Schwieberdinger  Hühnerfeld  ^  zum  Trigonodus-Dolomit 
gerechnet,  die  durch  ihren  Reichtum  an  Kalkspatskalenoedern  in  den 
Kluftflächen  berühmten  Muschelkalkbrüche  von  Grosssachsenheim  ^ 
zum  Hauptmuschelkalke,  v^ährend  an  beiden  Orten  die  Schichten 
demselben  geologischen  Horizonte  angehören,  nur  dass  hier  Kalk-, 
dort  Dolomitfacies  vorliegt.  Ebenso  hat  deshalb  seiner  Zeit  v.  Alberti  ^ 
den  ganzen  über  den  Encrinits-Kalken  liegenden  Muschelkalk  in 
der  Gegend  von  Rottweil  zum  dolomitischen  Kalke  und  damit  zur 
Lettenkohlengruppe  gezählt. 

Aus  diesem  Grunde  wird  es  sich  empfehlen,  nur  jene  lichtasch- 
grauen porösen  Dolomite  in  der  obersten  Region,  welche  allein  Tri- 
gonodus  Sandher geri  Alb.  enthalten ,  T r  l g ono du s -T)  o\ o mit  zu 
nennen  und  von  den  Dolomit-  (bezw.  Kalk-)  Schichten  darunter  zu 
trennen,  die  dieses  Fossil  nicht  enthalten.  Auf  der  Grenze  findet 
sich  überdies  auch  die  wichtigste  Stylolithenbank  und  an  fast  allen 
Punkten  ein,  wenn  auch  unbedeutendes,  Bonebed.  Von  der  Letten- 
kohle ist  der  Trigonodus-T)o\om.\i  ebenfalls  durch  ein  Bonebed  ge- 
trennt. In  der  Hauptsache  handelt  es  sich  hier  um  eine  2,8  m 
mächtige  Felsbank ,  welche  gewöhnlich  die  hohe  Stirne  der  Thal- 
ränder bildet;  die  oberen  30  cm  bestehen  an  den  meisten  Punkten 
(z.  B.  Wasserwerk  Vaihingen,  Rieth,  Leudelsbach Verwerfung,  ünter- 
riexingen,  Zuffenhausen)  fast  ganz  aus  den  schlecht  erhaltenen  Stein- 
kernen von  Trigonodus  Sandbergeri  Alb.  und  MyopJioria  Goldfussi 
Alb.  ;  auch  Pecten  laevigatus  Schlote,  und  Gervillien  finden  sich  dann 
und  wann.  Die  ganze  übrige  Masse  des  gewöhnlich  sehr  weichen 
Malbsteins  enthält  nur  selten  Spuren  von  Fossilien ;  ebenso  ist  es  in 
den  darüberliegenden,  mit  Thon  durchsetzten  2,5  m  Kalken  und  Do- 
lomiten, die  durch  ein  bei  Illingen  und  besonders  bei  Zuffenhausen 

^  Begleitworte  zu  Atlasblatt  Stuttgart.  1895.  S.  20. 
^  Engel,  Geognost.  Wegweiser.  1896.  S.  68. 

3  V.  Alberti,   Halurgische  Geologie.   1852.   S.  429—436;  Überblick  über 
die  Trias.  1864.  S.  17. 


—     309     — 

gut  entwickeltes  Bonebed  von  den  Mergeln  und  Sandsteinen  der 
Lettenkohle  geschieden  sind. 

Unter  dem  Trigonodus-Bolomit  und  dem  Crailsheimer  Bonebed, 
das  bei  uns  vielleicht  durch  das  unbedeutende  Bonebed  unter  dem 
Malbstein  angedeutet  ist,  kommt  in  Franken  die  Semipartitus- 
Zone.  Ceratites  semipartitus  Buch  ist  bis  jetzt  in  der  Vaihinger 
Gegend  noch  nicht  gefunden,  wohl  aber  liegt  er  vom  Schwieber- 
dinger  Hühnerfeld  vor  als  vereinzeltes  Fundstück.  Da  er  also  so 
gut  wie  ganz  fehlt,  dafür  aber  das  Schwieberdinger  Hühnerfeld  ^  in 
Bezug  auf  Fossilreichtum  die  hervorragendste  Fundstelle  in  dieser 
Region  unter  dem  Trigonodus-Bolomit  ist,  habe  ich  in  dem  Profil 
die  Schichten  unter  dem  Trigonodtis-Dolomit  als  Schwieberdinger 
Schichten  bezeichnet.  Ob  diese  Bezeichnung  allgemein  verwendet 
werden  kann ,  mag  die  Zukunft  entscheiden ;  ich  halte  aber  dafür, 
dass  sie  in  der  Gegend  von  Leonberg  und  Zuffenhausen  bis  ins  Enz- 
und  Metterthal  einstweilen  am  geeignetsten  ist.  Überall,  wo  durch 
die  Sickerwasser  diese  Schichten  ausgelaugt  sind,  zeigen,  sich,  wenn 
auch  nicht  immer  so  gut  erhalten  wie  im  Schwieberdinger  Hühner- 
feld, die  bekannten  in  Dolomitspat  verwandelten  Muscheln  und 
Schnecken  oder  doch  reine  Muschelbreccien,  welche  den  Schwieber- 
dinger verkieselten  Breccien  vollkommen  gleichen.  Ausser  Schwieber- 
dingen  sind  besonders  Höfingen ,  Zuffenhausen ,  Rutesheim ,  Flacht, 
Enzweihingen  und  auch  Vaihingen  zu  nennen.  Der  Reichtum  an 
Myophorien,  namentlich  M.  Goldfussi  Alb.  und  M.  laevigata  Goldf., 
die  von  hier  an  bis  zur  oberen  Lettenkohle  leitend  sind,  aber  auch 
grossen  Gervillien  kann  als  besonders  charakteristisch  für  den 
Schwieberdinger  Horizont  gelten.  Ob  die  Schwieberdinger  Schichten 
dem  Semipartitus-Hoi'izont  entsprechen,  oder  ob  sie  nur  zum  Teil 
dorthin  zu  rechnen  sind,  ebenso  ob  noch  weitere  1 — 1,5  m  darunter 
hierher  gehören,  wäre  erst  festzustellen. 

Unserem  Profil  zufolge  sind  die  Schwieberdinger  Schichten 
ca.  7,5  m  mächtig.  Die  unterste,  ca.  1  m  mächtige  Felsbank  ist 
die  eigentliche  Schwieberdinger  Fossilschichte,  darüber  folgen  Dolo- 
mite oder  Kalke,  die  sich  bei  der  Verwitterung  rauh  platten^;  ein 
etwa  3 — 3,5  m  mächtiger  rauher  Fels  fast  ohne  Schichtung  (der 
Wilde)    beschliesst    diese  Schichten   unter    dem  Trigonodus-Do\om.it. 


^  Über  die  Fauna  des  Schwieberdinger  Hühnerfelds,  vgl.  Begleitworte  zu 
Atlasblatt  Stuttgart.  1895.  S.  20. 

^  Begleitworte  zu  Atlasblatt  Stuttgart.  1895.  S.  19;  dort  sind  aber  diese 
Schichten  noch  zum  Malb  gerechnet. 


—     310     — 

Wo  sie  ausgelaugt  sind,  trifft  man  überall  in  ihrem  Liegenden  Dolo- 
mitsand und  darin  die  in  gelben  Bitterspat  verwandelten  Muschel- 
schalen, wenn  auch  nirgends  so  schön  erhalten  wie  in  Schwieber- 
dingen.  Am  besten  ist  die  Erhaltung  derselben  vielleicht  noch  bei 
Höfingen,  wo  die  Auslaugung  selber  tiefer  hinabgeht  als  in  Schwieber- 
dingen;  doch  lassen  sich  die  dortigen  den  Schwieberdingern  immer 
noch  kaum  an  die  Seite  stellen.  Bei  Zuffenhausen  ist  die  Auslaugung 
wohl  noch  kräftiger  erfolgt  als  in  Schwieberdingen ,  dafür  zerfallen 
aber  dort  auch  die  Muschelschalen  in  gelblichweissen  Dolomitsand. 
Bei  Vaihingen  (z.  B.  am  Wasserwerk)  trifft  man  hier  und  da  sowohl 
zuunterst  als  auch  noch  im  Liegenden  des  „Wilden"  gut  erhaltene 
Schnecken.  Bei  Enzweihingen ,  Rutesheim,  Flacht  und  Mönsheim^ 
werden  die  Schwieberdinger  Schichten  aus  mächtigen  Kornsteinbänken 
gebildet,  von  denen  besonders  die  unterste,  der  Schwieberdinger 
Fossilschichte  entsprechende,  zum  Teil  vollkommene  Muschelbreccien, 
auch  mit  verkieselten  Fossilien,  darstellt.  Im  übrigen  aber  herrscht 
gerade  in  dem  Schwieberdinger  Horizonte  die  grösste  Fossilarmut 
des  gesamten  Hauptmuschelkalks. 

Eine  bemerkenswerte  Erscheinung  im  ganzen  oberen  Haupt- 
muschelkalk, soweit  er  dolomitisch  ist,  sind  zahlreiche  Stylolithen- 
bil düngen,  die  sich  fast  in  jeder  Bank  einmal  einstellen,  aber 
meistens  nicht  besonders  deuthch  sind.  Die  wichtigste  ist,  wie  schon 
erwähnt  wurde ,  zwischen  Wildem  und  Malb ;  die  schönsten  Exem- 
plare erhält  man  wohl  bei  ünterriexingen. 

Weiterhin  fallen  hier  an  sehr  vielen  Orten  eisenhaltige  Schichten 
auf.  Schon  Paulus  und  Bach^  haben  darauf  aufmerksam  gemacht 
und  unter  den  „charakteristischen  Bänken"  des  Hauptmuschelkalks 
den  Eisenkalk  aufgeführt.  Er  kann  aber  keineswegs  als  beson- 
dere Bank  gelten ;  denn  er  hält,  wie  auch  Paulus  und  Bach  bemerkt 
haben,  nicht  immer  dieselbe  Lage  ein,  da  es  sich  hier  nur  um  eine 
Bildung  durch  Sickerwasser  handeln  kann.  Bei  Klein-Sachsenheim 
bildet  das  Eisen  schon  im  Lettenkohlensandstein  kräftige  Schalen- 
überzüge; weiterhin  im  Metterthal  sind  die  Bänke  hart  unter  der 
Lettenkohle  oder  auch  die  fossilreichen  TrigonodiisSchichten  mit 
ihren  Petrefakten  rot  gefärbt.  Bei  Illingen  ziehen  sich  in  tieferen 
Lagen  horizontale  rote  Streifen  durch  das  Gestein ;  bei  Schwieber- 
dingen,   Zuffenhausen  und  Höfingen  findet  man  Fetzen   bräunlichen 

^  Vgl.  auch  Begleitworte  zu  Atlasblatt  Liebenzeil.  1897.  S.  21. 
^  Begleitworte  zu  den  Atlasblättern  Bcsigheim  und  Maulbronn.  1865.  S.  10; 
vgl.  hierüber  auch  v.  Alberti,  Überblick  über  die  Trias.  1864.  S.  14. 


—     311     — 

Thones  in  den  ausgelaugten  Schichten  und  in  den  darunter  zur  Tiefe 
führenden  Spalten,  und  zwischen  Stammheim  und  Zuffenhausen  bildet 
ein  zäher  brauner  Thon  im  Schwieberdinger  Horizont  ganze  Schichten. 
Es  mag  sonach  nicht  unwahrscheinlich  sein,  dass  die  Auslaugungen 
im  oberen  Hauptmuschelkalk  mit  der  Bildung  dieser  eisenschüssigen 
Schichten  im  engsten  Zusammenhange  stehen. 

Bevor  wir  zur  Besprechung  des  Nodostis-Ksdks  weitergehen,  soll 
noch  einiges  über  die  Gliederung  des  Dolomits  im  Hauptmuschel- 
kalk eingefügt  werden.  Wie  notwendig  es  ist,  den  Dolomit  im 
oberen  Muschelkalk  nicht  einfach  als  Trigonodus-Bolomit  zu  bezeich- 
nen oder  zur  Lettenkohlengruppe  zu  stellen ,  sondern  die  einzelnen 
Schichten  desselben  nach  ihren  Einschlüssen  zu  gliedern  und  mit 
denen  anderer  Gegenden  zu  parallelisieren,  mag  wieder  ein  Bhck  auf 
die  Schichtenentwickelung  der  Rottweiler  Gegend  zeigen.  Dort  ist 
dieser  dolomitische  Kalkstein,  wie  auch  v.  Alberti^  angiebt,  32  m 
mächtig ;  wenn  aber  v.  Alberti  seiner  Zeit  diese  32  m  mit  den  ca.  6  m 
oder  noch  weniger  (bis  1  m)  Dolomit  im  mittleren  und  nördlichen 
Württemberg  gleichsetzte,  so  kann  dies  nur  aus  der  Nichtbeachtung  des 
Facieswechsels  erklärt  werden ;  denn  auch  dort  trifft  man  Trigonodus 
Sandhergeri  Alb.  nur  in  den  obersten  3,5 — 4  m  zusammen  mit 
MyopJioria  Goldfussl  Alb.,  M.  laevigata  Goldf.,  M.  vulgaris  Schlote., 
Natica  gregaria  Schloth.  ,  die  ganze  Bänke  füllt  (Rottweil  gegen 
Gölsdorf)  und  vielen  kleinen  Gervillien.  Die  Dolomitisierung  der 
Schichten  geht  aber  noch  sehr  tief  hinab  durch  den  Nodos us-B.onzont, 
ja  bis  in  die  oberen  £'ncrm««5-Schichten ;  so  gehört  z.  B.  die  Bank 
grosser  Terebrateln  bei  Schwenningen  und  Rottenmünster,  die 
V.  Alberti^  in  den  Horizont  des  Trigonodus  Sandhergeri  stellte,  noch 
zum  iVö(?ö5WS-Kalke ;  darüber  kommt  noch  durch  mehrere  Meter  der 
typische  Nodosus  vor.  Die  Vergleichung  der  dolomitischen  Schichten 
im  Lande  umher  zeigt  deutlich,  dass  die  Dolomitisierung  des  Muschel- 
kalks in  den  südlichen  Landesteilen  am  tiefsten  geht  (bei  Villingen 
bis  in  den  Encrinus-Kdi\]s.^  bei  Rottweil  fast  noch  durch  den  ganzen 
Nodosus-Ka)L]s)  ;  je  weiter  man  nach  Norden  geht,  in  desto  geringeren 
Tiefen  trifft  man  das  Gestein  dolomitisch.  Bei  Leonberg  sind  nicht 
nur  die  Schwieberdinger  Schichten,  sondern  selbst  noch  einzelne 
Bänke  darunter  dolomitisch;  schon  bei  Gross-Sachsenheim  und  Besig- 
heim  sind  dieselben  Schichten  bloss  noch  kalkig,  und  ganz  im  Norden 


1  V.  Alberti,  Überblick  über  die  Trias.  1864.  S.  17. 

2  V.  Alberti,  ÜberbUck  über  die  Trias.  1864.  S.  155. 


—    312    — 

Württembergs  verschwindet  der  Dolomit  auch  aus  den  höheren 
Schichten  völlig  oder  fast  völlig.  Was  die  Ursache  dieser  verschie- 
denen Dolomitisierung  des  oberen  Muschelkalks  ist,  mag  hier  dahin- 
gestellt bleiben.  Immerhin  ist  es  auffallend,  dass  das  Wellen- 
gebirge ein  ähnliches  Verhalten  im  nördlichen  und  südlichen  Württem- 
berg zeigt. 

Der  Nodosus-K&lk  (34  m)  zwischen  Encrinus  und  Schwieber- 
dinger  Schichten  w^ird  durch  eine  sehr  bezeichnende,  leider  nicht  an 
allen  Orten  gleich  reichhaltige  Cycloides-^cMohi  [Terehratula  vul- 
garis var.  cycloides  Zenk.)  in  zwei  Hälften  geteilt  (Vaihingen 
bei  der  Seemühle ,  Aurich ,  Höfingen ,  Neckarweihingen) ;  die  beste 
Fundstelle  für  diese  Terebrateln  ist  bei  der  Seemühle,  wo  eine  Kalk- 
bank fast  ganz  aus  ihnen  besteht  und  auch  viele  aus  den  Thonen 
auswittern  und  bequem  aufgelesen  werden  können.  In  der  ünter- 
region  des  Nodosus-KoSks,,  die  aus  vielen  Thonen  und  Brockelkalken 
besteht,  findet  man  überaus  reichlich  (Vaihingen,  Enzweihingen, 
Neckarweihingen)  den  kleinen,  etwa  12  cm  grossen  Ceratites  no- 
dostis  var.  compressus  Sandb.  und  in  den  höheren  Lagen  derselben 
auch  eine  ebenfalls  kleine,  sehr  dicke  und  rundrückige  Form.  Hier 
sind  auch  andere  Petrefakten  nicht  selten :  Nautilus  hidorsatus 
ScHLOTH.,  Lima  striata  Schloth.,  Pedcn  laevigattis  Schloth.,  Ostrea 
suhanomia  Goldf.  ,  0.  decemcostata  Alb.  ,  Gervillia  socialis  Goldf,, 
Nuctda,  Corbula,  Dentalium  laeve  Schloth.  u.  a.  Über  dem  Cycloides- 
Horizont  werden  die  Lagen  fester  und  zwischen  den  Brockelkalken 
stellen  sich  nach  oben  auch  dickere  Bänke  ein.  Die  Schichten  sind 
recht  fossilarm,  und  selbst  das  Leitfossil  Ceratites  nodosus  Schloth. 
typus  ist  nicht  häufig.  Ganz  oben  kommt  eine  Region  mit  den 
ca.  22  cm  grossen  grobrippigen  Exemplaren  des  Ceratiten 
(Vaihingen,  Heimerdingen).  Hier  trifft  man  dann  auch  viele  und 
grosse  Exemplare  von  Gervillia  socialis  Schloth.  Die  stark  thonigen 
Schichten  unmittelbar  unter  den  Schwieberdinger  Schichten  enthalten 
Discina  silesiaca  Gein.  (Vaihingen  und  Heimerdingen)  und  bei  Vaihingen 
noch  Calamitenreste.  Ob  weitere  Unterabteilungen  (Pemphix ,  der 
bei  Höfingen  ca.  8  m  über  der  Cycloidcs-Bank  ein  Lager  einzuhalten 
scheint;  Fecten  laevigattis  Schloth.)  zu  machen  sind,  lässt  sich  noch 
nicht  feststellen. 

Heben  wir,  bevor  wir  das  Profil  durch  den  Hauptmuschelkalk 
bei  Vaihingen  a.  E.  im  einzelnen  geben,  noch  einmal  die  wichtigsten 
Fossilschichten  heraus,  so  ergiebt  sich  für  diese  Gegend  ungefähr 
folgende  Übersicht: 


—     313 


Grenzbonebed  und  Lettenkohle. 


5,3  m     TW^OHO^^Ms-Dolomit. 


7,5  m 


4,7  m 


17,2  m 
2,8  m 
9,6  m 

6,5  m 

21,6  m 
5,4  m 


Hauptstylolithenbank  und  Bonebed. 
Schwieberdinger  Schichten. 


f 


Discina  silesiaca  Gein. 
Ceratites  nodosics  Scni,.,  grosse,  grobrippige 
Form. 

Gervillia  socialis  Schlote. 
Pecten  laevigatus  Schloth. 
Ceratites  nodosus  typus  Schloth. 
Terehratula  vulgaris  var.  cydoides  Zenk. 
Ceratites  nodosus  var.  cowpressus  Sandb. 

Spiriferina  fragilis  Goldf. 
Ceratites  nodosus  var.  compressus  Sandb. 

und  Encrinus  liliiformis  Schloth. 
Haupt- JE'wcrmj^s-Bänke  (3). 
Horizont  der  MyopJwria  imlgaris  Schloth. 
und  Gervillia  costata  Schloth.  (Horizont 
von  Hassmersheim). 


Trigonodus-Dolomit    5,3  m 
Schwieberdinger 
Schichten  {Semi- 
2)artitus-ZonQ?) 


I 


7,5  m 


Nodosus-Ksdk 


34,3  m 


■  Trochitenhorizont .   33,5  m 


Da  bis  zur  Anhydritgruppe  noch   einige  Meter   fehlen,   beträgt   die  Ge- 
samtmächtigkeit etwa  85  m. 


o 
ö 


1,5  m 


gelbliche  und  graue  Thone  mit  Dolomit- 
und  Sandzwischenlagen. 


0,35  m 


Dolomitbänke  und  Thone. 


0,2  m 


blauer,  verwittert  grauer,  mit  Spat  durch- 
setzter Kalk.  Bonebed:  Acrodus 
lateralis  Aq. 


Beim  Wasserwerk  Vai- 
hingen unter  dem 
Sandstein  derLetten- 
kohle  0,06  mBastard- 
sandstein  mit  Bone- 
bed. 


CD 

a 

:cS 

ISl 

Ö 
<o 
t-i 
rh   cn 

'TS  'S 

GM 


o  "^ 

o 
o 


0,3  m 


Thone,  dunkle  Schiefer  und  einige  Dolomitbänkchen.    Myophoria 
Goldfussi  Alb. 


0,5  m 


blauer  Kalk  mit  unbedeutenden  Thonzwischenlagen. 


1,1  m       grauer  dolomitischer  Kalk,  stellenweise  grauer  Dolomit. 


I  lichtgelbe  dolomitische  Platten ,   am  Vaihinger  Wasserwerk  mit 
'  Koprolithen. 


2,8  m 


Trigonodus-V)o\ova.\t:  poröser,  aschgrauer  oder  gelblicher 
Dolomit,  Malbstein.  Besonders  in  den  oberen  Lagen  Tri- 
gonodus  Sandher  g  er  i  Alb.,  Myopjlioria  Goldfussi 
Alb.,  seltener  Pecten  laevigatus  Schloth,  und  Gervillia  socialis 
Schloth. 


—     314 


3,4  m 


a 

rC 
O 

CO 

bC 

C 

•I— 1 

'Ö 
05 
O) 

P= 

r« 

CO 


2,55  m 


Grauer  Dolomit  oder  dolomiti- 
scher Kalk  (der  „Wilde"),  kaum 
einmal  mit  einigen  thonigen 
Einlagerungen,  je  nach  der 
Verwitterung  und  Auslaugung 
verschieden :  hart-dolomitisch, 
groh-krystallinisch,  kalkig,  brö- 
selig, eckig-brockig.  Die  lau- 
tersten Schichten  sind  hin  und 
wieder  ausgelaugt  und  zeigen 
dann  (Vaihingen  a.  E.)  die 
Schwieberdinger  Petrefakten  in 
Dolomitspat  verwandelt:  3Iyo- 
phoria  vulgaris  Schloth., 
31.  Goldfussi  Alb.,  31.  laevi- 
gata  Goldf.,  GerviUia  socialis 
Schloth.  ,  Chemnitzia  Schlot- 
heimii  Qu. 

Zuoberst  Hauptstylolithen- 
bank  und  ein  unbedeutendes 
B  0  n  6  b  e  d  (Fischzähnchen, 
Äcrodus  lateralis  Ag.). 


Im  ScIlvvieberdiDger  Höhncrfeld. 

Im  Hangenden  des  Steinbruchs 
ist  von  dem  Wilden  noch  1,5 
bis  2,5  m  dolomitisches,  in 
eckige  Brocken  zerfallenes  Ge- 
stein anstehend. 

Darunter  ist  eine  0,25  m  mäch- 
tige Schichte  von  Dolomit- 
sand  mit  Schnecken  {Chem- 
nitzia Schlotheimii  Qu. ,  Na- 
tica  sp.). 


Dolomitfacies :  l,2mfein-krystal- 
linischer  Dolomit,  bei  der  Ver- 
witterung sich  rauh  plattend, 

1,35  m  grob-krystallinischer  Do- 
lomit, sich  rauh  plattend. 

Kalkfacies:  2,55  m  blaue  (graue) 
Kalke  mit  einigen  Stylolithen. 


0,9  m  fein-krystallinischer  Do- 
lomit, schon  stark  verwittert. 

0,2 — 0,3  m  Dolomitsand  mit 
Schneckenf NaticaJßlyojiJioria 
Goldfussi  Alb.  ,  GerviUia  so- 
cialis SCHL. 

1,2  m  massiger  dolomitischer 
Kalkfels ,   grob  -  krystallinisch. 

0,1  m  Dolomitsand,  hauptsächlich 
mit  Schnecken  {Chemnitzia  und 
Natica) ,  GerviUia  subcostata 
Goldf.,  3Iyophoria  Goldfussi 
Alb.,  31.  vulgaris  Sohl.,  31.  lae- 
vigata  Goldf. 


0.5  m 


Thonige  Platten  oder  fein-kry- 
stallinischer plattiger  Dolomit, 
hie  und  da  Stylolithen;  bei 
Vaihingen  und  Enzweihingen 
Saurierknochen. 


0,4  m  thonig-dolomi tische  Schicht, 
stellenweise  Steinmergel  mit 
Saurierresten. 


1,0  m 


Dolomitfels  oder  dolomitischer 
Kalk,  hie  und  da  mit  Stylolithen; 
bei  Enzweihingen,   Rutesheim 


0,8—0,9  m  Schwieberdinger 

Fossilschichten,  und  zwar: 

0,4  m  dolomitischer  Sand,  haupt- 


1,0  m 


—     315     — 

u.  s.  w.  Kornstein  mit  einer 
Muschelbreccie,  in  der,  teilweise 
vefkieselt,  Myoplioria  vulgaris 
ScHL.,  M.  Goldfussi  Alb., 
M.  laevigata  Goldf.,  Gervillia 
socialis  Sohl.,  G.  siibcostata 
Goldf.,  Nucula  sp.,  Tancredia 
iriasina  Sch.\ur.  ,  Chemnitsia 
Schlotheimn  Qu.,  Natica  gre- 
garia  Sohl,  neben  anderen 
deutlich  zu  erkennen  sind. 


sächlich  mit  grossen  M  y  o  - 
p  h  0  r  i  e  n ;  dunkle  dolomitische 
Sande  mit  verkieselten  Fos- 
silien, in  eine  Breccie  aus 
verkieselten  Muscheln 
übergehend;  Steinmergel  und 
zähe  Letten  mit  Tancredia 
triasina  Schaur;  Dolomitsand, 
hauptsächlich  mit  Gervillien. 

0,2 — 0,3  m  Steinmergel,  teilweise 
krystallinisch-dolomitisch  (Sau- 
rierreste). 

0,2  m  Dolomitsand  mit  Myo- 
phorien  und  Schnecken. 

Über  die  in  diesen  Schichten  ge- 
sammelten Petrefakten  ver- 
gleiche Begleitworte  zu  Atlas- 
blatt Stuttgart  1895,  p.  20, 
Eine  genauere  Bearbeitung 
wird  diese  Fauna  durch  Herrn 
Dr.  E.  Philippi  erfahren. 


drei  Thonbänke,  unterste  und  oberste,  je  0,4  m,  dazwischen  blaue 

oder  dolomitische  Kalke. 
In  den  Thonbänken  Discina  silesiaca  Gein.,  Saurierknochen  und 

Calamitenreste.     Manchmal   sind   bloss   1,6  m  Brockel- 
1,6  m  kalke  entwickelt. 

Im    Schwieberdinger   Hühnerfeld    sind    diese   Schichten 

stellenweise  auch  noch  tiefere,  durch  Auslaugung  ganz  in  eine 

thonige  Masse  verwandelt,  worin  die  Kalkbänke  durch  Knauer- 

einlagerungen  noch  angedeutet  sind. 


feste  blaue  Kalkbank  oder  dolomitischer  Kalk  mit  spätigen 
Muschelschalen  und  grossen  Gervillia  socialis  Schloth.  ;  bei 
Enzweihingen  und  Eberdingen  eine  Muschelbreccie;  bei 
Höfingen  in  Dolomitspat  verwandelte  Gervillien  u.  a. 


0,3  m 


blaue  Brockelkalke  mit  Gervillia  socialis  Schloth.,  Lima  striata 
Schloth.,  Corbula  gregaria  Schloth. 


0,9  m 


Thone    und    Brockelkalke.      C er atites    nodosus    Schloth., 
grosse  (0,22  m)  grobrippige  Form. 


0,3  m 


blaue  Kalke,  bröckelig,  obere  0,3  m  festere  Bank  mit  spätigen 
1,3  m  Muschelschalen.     C  er  atites  nodosus,  grobrippig.     Ger- 

villia socialis  Sohl. 


0,3  m 


Thon  und  Brockelkalk. 


—     316 


1,4  m 


0,2  m 


1,6  m 


feste  blaue  Kalke  mit  spätigen  Muschelschalen  im  Wechsel  mit 
thonigenBrockelkalken.  Grosse  GervilliasocialisScHhOTH., 
Ceratites  nodosus-Tyyns  Schlote.,  Mytüiis  eduli- 
formis  Schlote.,  Saurierknochen. 


Thon  und  Brockelkalk. 


kry  Stallini  sehe  Kalke  mit  spätigen  Muschelschalen. 
Pecten  laevifjatusScuhOTB.,  grosse  GervilUa  socialis  Schlote., 
Litna  striata  Schlote.,    Ceratites  nodosus-Ty])\is  Scelote. 


CO 

H 

I 

w 


05 

e 
O 

CO 

ns 

■1-3 

o 


o 

w 


0,85  m 


zwei  feste  blaue  Kalkbänke  mit  spätigen  Muschelschalen,  durch 
eine  0,15  m  mächtige  Thonbank  getrennt. 


0,2  m 


Thon  und  thoniger  Kalk. 


1,0  m 


krystallinischer  und   dichter  Kalk.     GervilUa  socialis  Scelote., 
Lima  striata  Scelote. 


0,45  m 


Thone  und  Brockelkalke. 


0,2  m 


feste  Kalkbank. 


1,0  m 


Brockelkalk,  thonig. 


0,9  m 


festere  blaue  Kalke  (obere  Bank  0,3  m  mächtig).  Ceratites  no- 
(ZosMS- Typus  Schlote.,  Myacites  musculoides  Scbloth.,  Ger- 
vilUa socialis  Schlote. 


0,3  m 


Thon   und   thoniger  Kalk.     Ceratites   nodosus-Typus  Scelote., 
.  GervilUa  socialis  Schlote.,   Myophoria  vulgaris   Schlote., 
Terehrattda  vulgaris  var.  cycloides  Zenk.,  Chemniizia  Schlot- 
Jieimii  Qu.,  Fischzähne  und  -schuppen. 


1,2  m 


krystallinische  und   dichte  Kalke   mit   spätigen  Muschelschalen. 
Ceratites  wociosMS-Typus  Schlote.  {Pemphix  Sueurii  Mey.). 


0,3  m 


Thone  und  thonige  Kalke. 


4,0  m 


thonige  Brockelkalke  mit  einigen  unbedeutenden  krystallinischen 
Bänkchen.  Ceratites  nodosus- Typus  Scelote.,  Nautilus 
bidorsatus  Schlote.  ,  Lima  striata  Schlote.  ,  Pecten  laevi- 
gatus  Scelote.,  3Iyoplwria  vidgaris  Scelote.,  GervilUa  so- 
cialis Schlote.,  Ostrea  suhanomia  Mühst.,  Natica  sp. 


0,3  m 


krystallinischer  Kalk. 


0,5  m     1  Thon. 


0,3  m       graue  krystallinische  Kalkbank. 


3,5  m 


Brockelkalk  mit  Ceratites  «o(?osMS-Typus  Schlote. 


317     — 


0,1  m 


krystallinische  Kalkbank  mit  spätigen  Muschelschalen. 
Myoplioria  vulgaris  Schloth.,  Terebratula  vulgaris  var.  cycloides 
Zenk. 


Knauerbänke  und  Thon,  dazwischen  ein  krystallinisches  Bänkchen. 
Ceratites  nodosus  var.  compressus  Sandb.  und  C.  nodosus-Typus 
Schloth.,  Terebratula  vulgaris  var.  cycloides  Zenk. 


Gycloides-Schichten:  mehrere  Kalkbänke,  erfüllt  mit  Tere- 
bratula vulgaris  var.  cycloides  Zenk.,  und  einige 
thonige  oder  bröckelige  Zwischenlager. 

Myoplioria  vulgaris  Schloth.,  Pecten  laevigatus  Schloth.,  Ger- 
villia  socialis  Schloth.,  Nothosaurus-ZB.\m. 


0,8  m 


schieferige  Thone  mit  Kalkplättchen. 


0,2  m 


krystallinischer  Kalk  mit  einigen  Terebratula  vulgaris  var.  cy- 
cloides Zenk. 


0,25  m 


Brockelkalk  mit  Gervillia  socialis  Schloth. 


0,2  m 


krystallinische  Kalkbank  mit  spätigen  Muschelschalen. 


1,4  m 


Brockelkalk.     Grosse    Terebratula  vulgaris  Schloth.  ,    Corbula 
gregaria  Münst. 


0,3  m 


Thon. 


0,1  m 


feste  Kalkbank. 


0,4  m 


Brockelkalk. 


0,3  m 


Thon. 


4,0  m 


Brockelkalke  mit  Ceratites  nodosus  var.  compressus  Sandb. 
und  namentlich  einer  ebenso  kleinen ,  sehr  breit-  und 
rundrückigen  Form,  Nautilus  bidorsatus  Schloth., 
Lima  striata  Schloth.,  Corbula  gregaria  Schloth. 


0,8  m 


Thone,  Knauerbänke  und  eine  festere  Kalkbank. 

Hauptlager  des  Ceratites  nodosus  var.  compressus 
Sandb.  ;  eine  Bank  besteht  fast  nur  aus  diesem  Ceratiten. 
Nautilus  bidorsatus  Schloth.,  Lima  striata  Schloth.,  Ostrea 
decemcostata  Münst.  ,  Pecten  laevigatus  Schloth.  ,  Gervillia 
socialis  Schlote.,  Mytilus  eduliformis  Schloth.,  Chemnitsia 
Schlotheimii  Qu.,  Natica  gregaria  Schloth.,  Ostrea  subanomia 
Münst.;  Simosaurus-Wivhei. 


—     318 


CO   Q 


a 

o 
ts: 

o 


1,8  m 


Brockelkalke.  Ceratites  nodosus  var.  compressus  Sandb., 
Nautilus  bidorsatus  Schloth.,  Lima  striata  Schlote.,  Lima 
costata  MüNST.,  Ostrea  decemcostata  Münst.,  Mytilus  eduli- 
formis  Schloth.  ,  Pecten  laevigatus  Schlote.  ,  Gervillia  so- 
cialis  Schlote.  ,  Corhula  gregaria  Münst.  ,  3Iyophoria  vul- 
garis Sceloth.,  Dentalium  laeve  Scbloth.,  Natica  gregaria 
Schlote.,  Terebratula  vxdgaris  Scelote. ,  Discina  silesiaca 
Gein.,  Cidaritenstacheln,  Fischschuppen  und  -zähnchen. 


1 

<1> 

S-i 

^ 

'1^ 

a 

•  ^^ 

<rf 

•  pH 

^ 

P< 

C/J 

0,2  m 


krystallinische  Kalke  (1  oder  2  Bänkchen),  darin  spärlich  En- 
criniis  liliiformis  Scelote.,  Ceratites  nodosus 
var.  comi^ressus  Sandb.  und  (bei  Enzweihingen)  Spiri- 
ferina  fragilis  Goldf. 


0,15  m 


Thone  und  Platten. 


o 
■< 

CO 


O 


c3 

CO 

CO 

o 


CO 


CO 


f^ 


o 
N 

o 


Kl 

u 

.£2 

O 


0,35  m 


0,2  m 


krystallinische  Kalkbänke,  hie  und  da  dolomitisch,  mit  einzelnen 
Trochiten,  Ceratites  nodosus  var.  compressus  Sandb., 
Terebratula  vulgaris  Scelote. 


0,3  m 

Thone  und  dünne  Platten  mit  Ceratites  nodosus  var.  compressus 

Sandb. 

0,5  m 

blaue  Kalke,  einzelne  Bänkchen  krystallinisch. 

0,1  m 

krystallinischer  Kalk  mit  spätigen  Muschelschalen. 

0,15  m 

Thon. 

0,3  m 

Brockelkalk. 

krystallinischer  Kalk  oder  Dolomit  mit  grossen  Kalkspatadern; 
einige  Trochiten,  Pecten  discites  Scelote.,  Gervillia 
socialis  Schlote.,  Terebratula  vulgaris  Schlote. 


0,7  m 


Brockelkalke    und    Knauerbänke,    bei    der    Seemühle    löcherig 

(Schaumkalke). 
Lima  striata  Schlote.,  Gervillia  socialis  Scelote.,  Terebratula 

viägaris  Scelote.,  Natica  gregaria  Scelote. 


0,3  m 


Thone  und  thonige  Kalke.     Myacites  musculoides  Scelote. 


0,2  m 


krystallinischer  Kalk. 


0,35  m 


JSncri «WS-Bank,  dolomitisch-sandig. 


0,7  m 


Brockelkalk,  unten  Thon. 


0,2  m 


krystallinischer  Kalk  mit  spätigen  Muschelschalen,  Pecten  discites. 


0,1 


m 


Thon.    Ter ebr  atula  vulgaris  ScRLOTB..,  Ceratites  nodo- 
sus var.  compr essus  Sandb. 


—    319 


0,2  m 


krystallinischer  Kalk,  reich  an  Muschelschalen. 
Terebratula  vulgaris  Schlote.  ,  Lima  striata  Schlote. 
decemcostata  Münst.,  Ghemnitzia  Schlotheimii  Qu. 


Ostrea 


0,2  m 


Brockelkalk. 


0,3  m 


krystallinischer  Kalk. 

Geratites   nodosus   v  a r.   co mp ressus  Sändb.  ,    Gervillia 
socialis  Schlote.,  Terebratula  vulgaris  Schloth. 


0,1  m 


Thon  und  Brockelkalk. 


0,7  m 


Brockelkalk  (bei  der  Seemühle  0,45  m). 


0,2  m 


Thon  mit  Geratites  nodosus  var.  compressus  Sandb. 
{subnodosus  Münst.),  kleinen  (0,08  m)  Exemplaren,  Terebratula 
vulgaris  Schlote.  ,  Ostrea  sessilis  Sceloth.  ,  Pecten  discites 
ScELOTH.,  Myacites  musculoides  Schlote. 


0,25  m 


krystallinischer  Kalk,  gegen  oben  tr ochitenhaltig. 


0,45     m  blauer  Kalk  mit  muscheligem  Bruch. 


0,35  m 


krystallinischer  Kalk  mit  Pecten  discites  Schlote. 


0,3  m 


Brockelkalk. 


krystallinischer  Kalk  mit  spätigen  Muschelschalen,  teilweise  dolo- 
mitisch-sandig. 


1,85  m 


Encrinus-Ksilke,  meist  krystallinisch ,  getrennt  durch  drei 
unbedeutende  thonige  und  blaue  kalkige  Bänkchen  (bei  der 
Seemühle  1,45  m).  JEncrinus  liliiformis,  Ostrea  decemcostata 
Münst.,  Pecten  discites  Schlote. 


1,0  m 

blaue  Kalke. 

0,3  m 

krystallinischer  Kalk,  spärlich  Encrinus. 

0,1  m 

thoniger  Kalk. 

0,3  m 

krystallinischer  Kalk,  gegen  oben  tr  ochitenhaltig. 

0,2  m 

Thon  und  thoniger  Kalk. 

t),2  m 

krystallinischer  Kalk. 

0,2  m 

Brockelkalk. 

0,2  m 


krystallinischer  Kalk. 


320 


0,4  m 

Thon  und  Brockelkalk. 

0,1  m 

krystallinischer  Kalk. 

1,7  m 

Brockelkalk. 

o 

0,5  m 

Thon  und  einige  Plättchen  mit  Encrinus,  Terebratula  vul- 
garis SCHLOTH. 

a 

CO 

0,5  m 

Encrinus-Ba.nk,  krystallinisch,  mit  spätigen  Muschelschalen. 
Pecten  discites  Schloth.,  Lima  striata  Schlote. 

0,2  m 

Thone. 

1 

0,7  m 

blaue  Kalke. 

0,1  m 

krj'stallinischerKalk  mit  Kalkspatadern.   Pecten  discites  Schlote. 

1,2  m 

blauer  Kalk. 

o 

0,1  m 

krystallinischer  Kalk  mit  spätigen  Muschelschalen 

1 

4,4  m 

blauer  Kalk.    Lima  striata  Schlote.,  Gervillia  sociaUs  Schlote. 

1  5  ni 

Encrinus-Bän'ke,  sehr  reichhaltige,  obere  0,1  m  mit  l'ere- 

o 

f? 

hratula  vidgaris  Scelote.  erfüllt.     Pecten  discites  Schloth. 

s 

^ 

0,2  m 

Thon  und  Brockelkalk. 

'S 

0,5  m 

massige  blaue  Kalkbank. 

S 

2,5  m 

blaue,  dünngeschichtete  Kalke. 

sehr  reichhaltige  Encrinus-Bank.     Cidaritenstacheln ,  Tere- 

bratula ruhjaris  Schloth.,  Pecten  discites  Schlote.,  P.  laevi- 

1,0  m 

gatus  Schlote.  ,  Hi}inites  comptus  Ghcb.  ,  Lima  striata 
Schlote.,  L.  costata  Mdnst. ,  Gervillia  socialis  Schlote., 
Myophoria  vulgaris  Scelote. 

'S  w 

Thone  und   einige   feste,   mit  Petrefakten   bedeckte  Bänkchen; 

SCHLO 

0,8  m 

G  e  r  V  i  1 1  i  e  n  platten.  Terebratula  vulgaris  Schlote.  ,  Ger- 
villia socialis  Scelote.,  G.  costata  Schlote.,  Myophoria 

on  d 
ata 

vulgaris  Scelote. 

"Sog 

iJncr  in  MS- Bänke.     Cidaritenstacheln,    Terebratula  vulgaris 

Scelote.,  Hinnites  comptus  Gieb.,  Pecten  laevigatus  Schlote., 

1^ 

0,5  m 

P.  discites  Scelote.,  Lima  striata  Scelote.,  Gervillia  socialis 

o    • 

Scelote.,  Mytilus  eduliformis  Schlote.,  Myoplioria  vulgaris 

CO    O 

Scbloth. 

Thone  und  Petref aktenplatten :  G  er  vi  11  ien platten  {G.  socialis 

ca.  1.2  m 

und  costata  Scelote.),   JMyophorienplatten   (ilf.  vulgaris 

Scelote.)  und  Tereb  ratein  platten.    Ausserdem  Encrinus, 

Hinnites,  Lima,  Cidaritenstacheln. 

321 


O  E-i 
-«  O 
Sin  J 


TS 


'Sc.e 

Ol    rS 

o 
.9  CS 


OD 


•£ 


f=q 


CO 

2  « 


0,3  m 

feste  Kalke,  wenig  Encrimis,  Lima  striata  Schloth. 

ca.  1,5  m 

Thone  mit  Petrefaktenplatten :  Terebratula  vulgaris  Schloth., 
Ostrea  complicata  Goldf.,  Lima  striata  Schloth.,  Gervillia 
costata  Schloth.,  Mytilus. 

0,2  m 

feste  blaue  Kalkbank  mit  Muschelschalen.  Encrinus,  Cida- 
riten stacheln,  Lima  striata  und  L.  costata  Schloth.,  Gervillia. 

0,3  m 

bröckelige  Kalke:  Encrinus,  Terebratula  vulgaris  Schloth., 
Pecten  laevigatus  Schloth.,  Lima  striata,  Gervillia  socialis 
und  costata  Schloth. 

0,3  m 

feste  blaue  Kalkbank  mit  Encrinus. 

0,3  m 

Thon. 

?  m 

Kalkbank  mit  Encrinus. 

Bis  zur  Anhydritgruppe  fehlen  wohl  noch  etwa  4 — 5  m. 

Jahreshefte  d.  Vereins  f.  vaterl.  Naturktinde  in  Württ.  1898. 


21 


Die  Giftwirkung  der  gegen  die  Peronospora  vitieola 
verwendeten  Kupfervitriol-Kalkmisehung  (Bordeaux- 
brühe) auf  Spirogyra  longata. 

Von  Dr,  O.  Rumm.  in  Stuttgart. 

Als  im  Jahre  1878  die  gefährliche  Peronospora  vitieola  von 
Amerika  aus  nach  Frankreich  eingeschleppt  wurde  und  in  wenigen 
Jahren  ihren  Siegeslauf  durch  fast  alle  Weinbaugegenden  unseres 
Erdteils  hielt,  da  musste  man  in  der  That  ernstliche  Befürchtungen 
in  Betreff  der  Zukunft  des  europäischen  Weinbaus  hegen.  Erlagen 
doch  in  manchen  Bezirken  die  Jahreserträge  fast  völlig  der  neuen 
Krankheit,  und  stand  man  doch  dieser  letzteren  eine  Zeitlang  gänz- 
lich ratlos  gegenüber !  Viele  Bekämpfungsmittel  wurden  damals  in 
Vorschlag  gebracht,  von  denen  man  heute  sicher  weiss,  dass  sie 
entweder  ohne  jeglichen  Wert  sind  oder  aber  den  Schmarotzer  mit 
seiner  Wirtspflanze  schädigen.  Von  allen  verwendeten  Mitteln  dürfte 
wohl  auch  jetzt  noch  die  von  Millardet  (Bordeaux)  zuerst  gebrauchte 
Kupfervitriol-Kalkmischung  oder  deren  durch  Zuckerzusatz 
erreichte  Abänderung  als  das  beste  Bekämpfungsmittel  der  Perono- 
spora gelten.  Bekanntlich  wird  die  ursprüngliche  Bordeauxbrühe 
durch  Vermischen  von  zu  Brei  gelöschtem  Kalk  und  Kupfervitriol- 
lösung nach  im  übrigen  ziemlich  verschiedenen  Rezepten  hergestellt. 
Die  Litteratur  über  ihre  Erfolge ,  ihre  vorteilhafteste  Zusammen- 
setzung, Zeit  und  Methode  ihrer  Anwendung  u.  s.  w.  ist  in  der 
kurzen  Spanne  von  10 — 12  Jahren  eine  sehr  umfangreiche  geworden. 
Im  Sommer  1892  stellte  ich  eingehende  Versuche  über  die  Wirkungs- 
weise der  Bordeauxbrühe  an,  wodurch  ich  nachweisen  konnte,  dass 
diese  Mischung  (abgesehen  von  ihrer  Giftwirkung  auf  den  Schmarotzer) 
auch  direkt  gesunde,  von  der  Peronospora  nicht  be- 
fallene Reben  fördernd  beeinflusst,  dass  es  sich  bei  diesem 
Einfluss  nicht  mehr  um  Kupfervitriol  und  Kalk,  sondern  um  die  aus 
diesen  Stoffen  hervorgehenden  Verbindungen :   nichtätzendes  Kupfer- 


—     323     — 

hydroxyd  (Cu  (0  H)2) ,  Gips  (Ca  S  04^  .  2  Aq)  und  Calciumkarbonat 
(CaCOg)  handelt,  und  endlich  dass  diese  Wirkung  ohne  spektro- 
skopisch nachweisbare  Kupfer  aufnähme  durch  die 
Blätter  zu  stände  kommt ^.  Anschliessend  an  diese  Untersuchungen 
machte  ich  es  mir  im  Winter  1894/95  zur  Aufgabe,  nun  auch  die 
Grösse  der  Giftwirkung  der  Bordeauxbrühe  und  ihrer  Bestand- 
teile auf  niedere  Lebewesen  systematisch  zu  erforschen.  Als 
Versuchsobjekt  diente  mir  hierzu  —  mangels  an  Conidien  und  Zoo- 
sporen von  Peronospora  viticola  —  neben  anderem  Spirogyra  longata, 
eine  für  derartige  Arbeiten  ausserordentlich  geeignete,  auf  die  ge- 
ringsten Giftmengen  sehr  charakteristisch  reagierende  Alge.  Die 
Ergebnisse  meiner  diesbezüglichen  Untersuchungen  veröffentlichte  ich 
1895  in  Bd.  I  Abt.  1  von  „Fünfstück's  Beiträgen  zur  wissenschaft- 
lichen Botanik".  1897  hielt  ich  über  diese  Arbeiten  im  Verein  für 
vaterländische  Naturkunde  zu  Stuttgart  einen  Vortrag,  der  sich  vor- 
wiegend mit  der  physiologischen  Seite  der  Frage  befasste  und  dessen 
Inhalt  ich  hier  an  Stelle  eines  kürzeren  Referats  etwas  ausführlicher 
mitteilen  möchte. 

Spirogyra  longata  besitzt  für  gewöhnlich  nur  ein,  von  rechts 
unten  nach  links  oben  ansteigendes,  nach  innen  rinnenartig  gewölbtes, 
seitlich  mit  vielen  zierlichen  Zacken  besetztes  Chlorophyllband.  Sie 
wird  durch  Kupfervitriollösungen  verschiedener  Konzentration  im 
wesentlichen  auf  drei  in  ihren  äusseren  Erscheinungsformen  sehr 
verschiedene  Arten  abgetötet:  entweder  wird  das  zweischneidige 
Chlorophyllband  walzenförmig,  bleibt  am  Plasma  in  seiner  ursprüng- 
lichen Lage  haften,  zieht  sich  aber  mit  letzterem  bis  zu  50  7o  nach 
Länge  und  Breite  ins  Zellinnere  zurück  (Plasmolyse);  oder  das 
Band  verändert  sich  wie  oben,  ohne  dass  das  Plasma  von  der  Mem- 
bran losgetrennt  wird  (eigentlich  chemische  Vergiftung) ;  oder 
endlich  das  Band  löst  sich  unter  nachfolgender  Querschnittsdefor- 
mation vom  Plasma,  begiebt  sich  annähernd  in  die  Zellenachse  und 
zieht  sich  dann  wurmförmig  in  sich  selbst  zu  einem  Ballen  zusammen 
(oligodynamische  Vergiftung,  Nägeli).  Letztere  Abtötungsart 
war  noch  zu  konstatieren,  wenn  ich  ein  kleines  Algenbündel  auf  dem 
Objektträger  in  einige  Tropfen  einer  Lösung  brachte,  die  auf  1  cbm 
Wasser  nur  1  g  Kupfervitriol  enthielt.  < 

Meine  Bordeauxbrühe  bestand  aus  3  kg  Kupfervitriol  und  2  kg 
gelöschtem  Kalk  und  war  auf  100  1  Mischung  verdünnt ;  sie  musste 

1  Berichte  der  Deutsch.  Bot.  Gesellschaft  1893.  S.  79—93  und  S.  445 
bis  452. 

21* 


—     324     — 

nach  einfacher  chemischer  Rechnung  1,17  kg  Kupferhydroxyd, 
2,07  kg  Gips  und  1,11  kg  überschüssigen  Kalk  enthalten.  Nach 
diesen  Verhältniszahlen  bereitete  ich  mir  auch  Brühen  der  einzelnen 
Bestandteile,  wohl  wissend,  dass  die  Bordeauxbrühe  der  Praxis  sich 
von  meiner  ideellen  morphologisch  in  mehrfacher  Hinsicht  unter- 
scheidet :  denn  beim  Vermischen  der  Kalkmilch  mit  der  Kupfervitriol- 
lösung werden  die  ungelösten  und  ungelöschten  Kalkteilchen  von 
letzterer  angeätzt;  die  gleichzeitig  entstehenden  schwerlöslichen  Um- 
setzungsprodukte (Gips  und  Kupferhydroxyd)  durchdringen  einander 
und  die  festen  Kalkteilchen  mechanisch  (wenigstens  teilweise), 
so  dass  die  Bordeauxmischung  alle  drei  chemischen  Verbindungen 
nicht  gleich  massig  gesondert,  daher  auch  nicht  gleich- 
mässig  frei  aktiv  enthält. 

Meine  Untersuchungen  erstreckten  sich  auf  die  drei  genannten 
Primärbestandteile  und  auf  deren  sämtliche  binäre  und  ternäre 
Mischungen  in  verschiedenen  Konzentrationen  (Ausgangspunkt  die 
obenerwähnten  quantitativen  Verhältnisse  einer  ideellen  Bordeaux- 
brühe als  Normalkonzentrationen  1,0).  Sämtliche  Stoffe  wurden  auf 
dem  Objektträger  je  in  zwei  Reihen  durchgeprüft:  als  „Brühen" 
(d.  h.  mit  festen  Partikeln)  und  als  Filtrate.  Erwähnen  will  ich 
noch,  dass  ich  die  Kupferbrühe  durch  Fällung  aus  Kupfervitriollösung 
mittels  klarer  Kalklösung,  Kalk-  und  Gipsbrühe  durch  direktes  Ab- 
wägen der  betreffenden  Stoffe  herstellte.  Jeder  Versuch  wurde 
V4  Stunde,  Vg  St.,  ^U  S*-.  etwa  3  St.  und  endlich  24  St.  nach 
seinem  Beginn  abgelesen.  Auf  Grund  dieser  zweimal  mit  guter 
Übereinstimmung  angestellten  Untersuchungen  kam  ich  zu  folgenden 
Ergebnissen. 

I.    Bezüglich    der   Primärbestandteile    der   Bordeauxbrühe. 

1.  Vom  Kupferhydroxyd  ist  in  gekochtem  und  abfiltriertem 
Brunnenwasser  oder  in  Schneewasser  nicht  so  viel  gelöst,  als  zu 
einer  sichtbaren  Erkrankung  von  Spiroyyra  nötig  ist.  Nur  die  festen 
Hydroxydteilchen  wirken  —  und  zwar  nur  bei  direkter  Berührung 
mit  den  Algen  —  schädlich  auf  letztere  ein,  quantitativ  etwa  Ve  so 
stark  als  die  Kupfervitriolmenge ,  aus  der  sie  gefällt  wurden.  Be- 
rühren viele  Kupferteilchen  die  einzelne  Zelle,  so  zieht  sich  das 
Chlorophyllband  vom  Plasma  zurück  und  zerreisst  in  mehrere  Stücke; 
das  Plasma  trennt  sich  in  unregelmässigen,  meist  konkav-buchtigen 
Umrissen  von  der  Membran ;  es  bleibt  aber  an  einzelnen  Punkten 
der  letzteren  (fast  immer  da,  wo  sich  aussen  Kupferteilchen  befinden), 


—     325     — 

sowie  an  den  stark  aufquellenden,  sich  dunkelbraun  färbenden  Quer- 
wänden hängen ;  nachträglich  tritt  Bräunung  des  Zellinhalts  ein. 
Kommen  hingegen  nur  wenige  Kupferteilchen  mit  den  Algen  in 
Berührung,  so  erhalten  wir  teilweise  Erscheinungen  ähnlich  denen 
der  oligodynamischen  Vergiftung  durch  Kupfervitriol :  das  Chlorophyll- 
band ballt  sich  im  Zellinnern ;  aber  daneben  zeigt  sich  schwacher 
seitlicher  Plasmarückzug  mit  Anheftungspunkten ,  sowie  geringere 
Trübung  des  Zellinhalts,  schwächere  Quellung  und  Bräunung  der 
Zellquerwände  als  bei  Anwesenheit  von  viel  Kupferhydroxyd, 

2.  Das  Calciumhydroxyd  kann  die  Algen  nur  dann  ungünstig 
beeinflussen,  wenn  seine  Lösung  nicht  unter  5^  heruntersinkt.  Spiro- 
gyra-ZeWen,  welche  von  starkbasischer  Kalklösung  abgetötet  wer- 
den, kürzen  ihr  allmählich  walzenförmig  werdendes  Chlorophyllband 
derart,  dass  sich  dasselbe  mit  Ausnahme  einer  Längszone  vom  Plasma 
lostrennt  und  in  mehr  oder  weniger  langgestreckter  Form  an  der 
einen  Seite  des  Plasmaschlauches  hängen  bleibt.  Der  Zellinhalt  er- 
starrt durch  grobkörnige  Ausscheidung;  er  wird  undurchsichtig, 
während  die  Zellwände  wasserhell  bleiben.  Erst  nachträglich  zieht 
sich  das  Plasma  ziemlich  gleichmässig,  aber  schwach  von  der  Mem- 
bran zurück.  Schwächere  Kalklösungen  lassen  kürzere  Chlorophyll- 
walzen bis  eirunde  Gebilde  entstehen  und  verursachen  nur  lokalisierte, 
verzögerte  Erstarrung,  sowie  stärkeren  nachträglichen  Rückzug  des 
Plasmas. 

3.  Gips  bewirkt  keinerlei   erkennbare  Schädigung  der  Algen. 

IL  Bezüglich  der  binären  Mischungen  der  Bestandteile  der 

Bordeauxbrühe. 

1.  Der  Gips  besitzt  gegenüber  dem  Calcium-  oder  Kupfer- 
hydroxyd keine  entgiftenden  Eigenschaften. 

2)  In  Calcium-  und  Kupferhydroxydmischungen  tritt  ein:  a)  bei 
starker  Basicität :  Tod  der  Algen  wie  in  reiner  Kalkbrühe ;  der  Ein- 
fluss  des  Kupfers  wird  durch  den  Kalk  aufgehoben ;  b)  bei  schwacher 
und  sehr  schwacher  Basicität  (Kalklösung  unter  ~) :  Verzögerung 
der  Algenerkrankung  um  bis  über  10  Stunden,  sodann  normales  Zu- 
grundegehen der  Algen  an  Kupferhydroxyd ;  c)  bei  neutraler  Mischung: 
Tod  wie  in  reiner  Kupferbrühe. 

III.  In  der  frischgefällten  Bordeauxbrühe 

tritt,  je  nachdem  'der  Kalk  mehr  oder    weniger   genügend    gelöscht 
war,    eine   kleine    quantitative   Verminderung    der    Giftwirkung    des 


—     326     — 

Kupferhydroxyds  ein ,  indem  alsdann  ein  Teil  des  Kupfers  in  den 
obersten  Schichten  der  Kalkfragmente  nutzlos  angehäuft  wird.  Na- 
mentlich aber  wird  der  Kalk  durch  diese  Imprägnation  mit  Kupfer- 
hydroxyd eines  grossen  Teils  seines  Einflusses  beraubt.  Das  Filtrat 
der  Bordeauxbrühe  wirkt  nur  nach  Massgabe  des  in  ihm  gelösten 
Kalkes  auf  Spirogyra  ein. 

IV.  Beim  Austrocknen  der  Bordeauxbrühe-Flecken 

geht  die  Giftwirkung  des  Kalkes  infolge  seiner  Neutralisation  durch 
die  Kohlensäure  der  Luft  teilweise  verloren.  Die  entstandene  Calcium- 
karbonatdecke  erhöht  die  Festigkeit  und  Beständigkeit  der  Flecken 
und  vermindert  deren  Aktivität  gegen  Spirogyra.  Der  Gips  hin- 
gegen verringert  die  Beständigkeit  und  Festigkeit  der  Flecken,  be- 
wirkt aber  anderseits  durch  seine  teilweise  Auflösung  bei  Wieder- 
befeuchtung eine  allmähliche  gleichmässigere  Verteilung  des  Kupfers 
auf  den  Blättern. 

Über  die  Frage ,  wie  die  Giftwirkung  des  Kupfer-  und  des 
Calciumhydroxyds  zu  stände  komme,  kann  ich  auf  Grund  einiger 
Versuche  folgendes  mitteilen:  1.  Das  Calciumhydroxyd  wird  von  den 
Algen  nachweislich  absorbiert.  Es  lässt  sich  annehmen,  dass  die 
Erstarrung  des  Zellinhalts  durch  die  mit  dem  Kalkeintritt  parallel 
gehenden  Neutralisationsvorgänge  hervorgerufen  wird.  2.  Die  That- 
sachen ,  die  uns  Calcium-  und  Kupferhydroxydmischungen  ergeben 
haben,  erklären  sich  leicht,  wenn  man  annimmt,  dass  von  Beginn 
der  Einwirkung  des  Kupferhydroxyds  an  Spuren  dieses  Stoffes,  welche 
durch  aus  den  Algen  austretende  Säuren  gelöst  werden,  wenigstens 
bis  in  die  Wandsysteme  der  Algen  vordringen  und  den  Tod  der 
letzteren  bewirken-'.  Dann  wird  hinzugefügte  Kalklösung:  a)  wenn 
sie  stark  ist,  diese  Säuren  neutralisieren,  den  Kupfereinfluss  elimi- 
nieren und  von  sich  aus  den  Tod  der  Algen  herbeiführen ;  b)  wenn 
sie  schwach  ist  und  selbst  nicht  mehr  giftig  wirken  kann,  diese 
Säuren  nur  längere  oder  kürzere  Zeit  neutralisieren,  ebensolange 
das  Kupfer  ausschalten  und  letzteres  erst  dann  seinen  verderbhchen 
Einfluss  auf  die  Algen  ausüben  lassen,  wenn  der  erste  Überschuss 
an  austretender  Säure  zu  stände  kommt. 

Gestützt  auf  die  Annahme  des  Austritts  saurer  Stoffe  aus  den 
Algen  und  der  damit   verbundenen  Bildung  löslicher  Kupfersalze  ist 


*  Die  Speicherung  von  Kupfer  durch  erkrankte  Algenzellen  ist  experi- 
mentell nachgewiesen. 


~     327     — 

es  uns  möglich,  einige  Anhaltspunkte  für  die  Vergleichung  der  Todes- 
arten in  Kupfervitriollösung  einer-  und  Kupferhydroxydbrühe  ander- 
seits zu  gewinnen.  Letztere  wirkt  in  lokaler  Anhäufung  grösserer, 
fester  Kupfermassen,  ersteres  in  gleichmässiger  Verteilung  ge- 
ringer Mengen  gelösten  Kupfers.  Daher  werden  bei  Anwendung 
von  Kupferhydr oxydbrühe  von  verschiedenen  Oberflächenpunkten  der 
Algen  aus  in  gleichen  Zeiten  verschieden  grosse  Kupfermengen 
eintreten  und  infolgedessen  auch  Erscheinungen  in  der  einzelnen  Zelle 
zeitigen,  die  verschiedenen  Konzentrationen  von  Kupfervitriollösung 
entsprechen.  Stark  verdünnte  Kupferhydroxydbrühe  wirkt  anfangs 
wohl  wie  oligodynamische  Kupfervitriollösung;  weiterer  Eintritt  von 
Kupferspuren  wird  den  Zellinhalt  trüben  und  den  Rückzug  des  Plas- 
mas an  den  Stellen  verhindern  müssen,  wo  die  Kupferteilchen  den 
Algen  anliegen  (Entstehung  der  Anheftungspunkte).  Konzentrierte 
Kupferbrühe  wird  folgendermassen  einwirken  müssen :  Die  ersten 
Kupferspuren  verursachen  oligodynamischen  Rückzug  des  Chlorophyll- 
bandes mit  Kürzungstendenz  verbunden ;  weitere  Mengen  eintretenden 
Kupfers  bringen  Zustände  hervor,  in  denen  die  Chlorophyllbänder 
wie  bei  chemisch  wirkender  Kupfervitriollösung  ihre  Lage  nicht  ver- 
ändern :  beide  Prinzipien  veranlassen ,  miteinander  kämpfend ,  die 
Zerreissung  der  Chlorophyllbänder.  Weiterhin  müssen  auch  hier  wie 
bei  verdünnter  Kupferhydroxydbrühe  Anheftungspunkte  entstehen. 
Die  starke  Bräunung  des  Zellinhalts  und  die  Quellung  der  Querwände 
setze  ich  auf  Rechnung  des  ümstandes,  dass  die  grossen  Kupfer- 
partikel viel  mehr  Kupfer  von  einzelnen  Punkten  aus  in  die  Zellen 
senden,  als  dies  selbst  in  plasmolytisch  wirksamen  Kupfervitriol- 
lösungen der  Fall  ist;  doch  bedarf  dieser  letztere  Punkt  noch  wei- 
terer Aufklärung  durch  entsprechende  Versuche. 


Erdbeben-Kommission. 


Berieht  über  die  vom  1.  März  1897  bis.  1.  März  1898 
in  Württemberg  und  Hohenzollern  beobachteten 

Erdbeben. 

Von  A.  Schmidt. 

Einziger  Fall :  Herr  Lehrer  Arb  ,  meteorologischer  Beobachter 
in  Baldern,  OA.  Neresheim,  berichtet  ausBaldern,  26.  November 
1897,  über  zwei  daselbst  beobachtete  Erdbebenerscheinungen,  erste, 
beobachtet  im  Schulhaus  IL  Stock,  im  Bette  2^  47'  vorm.  M.  E.  Z. 
nach  Telegraphenuhr  verifiziert,  zweite  beobachtet  in  dem  100  m 
entfernten  Gasthof  zum  Adler,  L  Stock,  3^  40'  vorm.  im  Bette. 
Erste,  etwa  10  Sekunden  langes  Zittern,  zweite,  zwei  Stösse  mit 
4 — 6  Sekunden  Zwischenzeit,  jeder  wie  der  Knall  eines  losgehenden 
Gewehres,  ausserdem  ein  Knistern  wahrnehmbar  und  ein  15 — 20  Se- 
kunden andauerndes  Zittern.  Erste  und  zweite  sich  scheinbar  von 
N. — S.  fortpflanzend.     Beidemal  ertönten  die  Federn  von  Uhren. 

Im  Laufe  des  Berichtsjahres  wurden  auf  der  Erdbebenbeobach- 
tungsstation Hohenheim  zu  folgenden  Zeiten  M.  E.  Z.  Beobachtungen 
gemacht,  —  die  Zeiten  durch  telephonische  Anfrage  bei  Hofuhr- 
macher Kutter  verifiziert : 

1897  3.  März.  1^^  37'  40"  p.,  2.  JuH.  11^^  46'  0"  a.,  15.  Juli. 
1^  0'  5"  a.,  19.  Juh.  1211  35.  17//  p^  6  August.  12i»  51'  21"  p., 
17.  September.  1^  44'  10"  a.,  21.  September.  10^  48'  52"  a.,  23.  Sep- 
tember. 4:^  25'  30"  p.,  28.  November.  9^  24'  45"  p.,  8.  Dezember. 
1^  21'  28"  a. 

1898  21.  Januar.  3^  14'  10"  p.,  2.  Februar.  5'^  32'  10"  p., 
17.  Februar.  1^  53'  18"  a.,  17.  Februar.  1^  58'  28"  p. 


Kleinere  Mitteilungen. 


Eurycera  Teucrii  HOST. 

Eine  für  Deutschland  neue  Wanze. 

Von  Rud.  Diez  in  Reutlingen. 

Am  23.  Juli  1897  machte  ich  mit  Oberstabsarzt  Dr.  Hüeber 
von  Ulm,  dem  eifrigen  Hemipterologen,  dem  wir  die  Fauna  germanica, 
Hemiptera  heteroptera  verdanken,  einen  Ausflug  von  Reutlingen  auf 
die  Wanne  bei  Pfullingen.  Ich  fing  bei  dieser  Gelegenheit  einige 
Exemplare  von  Eurycera  clavicornis  Foürc.  Fieb.,  einer  kleinen,  zur 
Familie  der  Tingididen  gehörigen  Wanze,  die  sich  besonders  durch 
die  im  Verhältnis  zu  ihrer  Grösse  unförmhch  dicken,  keulenförmigen 
Fühler  auszeichnet  und  dieser  Umstand  brachte  naturgemäss  das 
Gespräch  auf  die  Lebensweise  dieses  interessanten  Tierchens.  Es 
lebt  nämlich  in  den  Blüten  von  Teucrium  chamaedrys ,  die  durch 
Ansaugen  monströs  verunstaltet  und  zu  gallenähnlichen  Blasen  auf- 
getrieben werden.  Nach  einigem  Suchen  gelang  es  uns  auch,  diese 
Gallenbildungen  an  der  dort  nicht  selten  vorkommenden  Pflanze 
aufzufinden.  Zufällig  erwähnte  mein  Begleiter  hierbei,  dass  es  noch 
eine  zweite  Art  der  Gattung  Eurycera  gebe,  die  aber  in  Deutsch- 
land noch  nicht  gefunden  worden  sei.  Kurze  Zeit  nachher  kamen 
wir  am  Bergabhang  über  eine  Stelle,  wo  der  Boden  dicht  rasenförmig 
mit  dem  niedrigen,  gelblich-weiss  blühenden  Teucrium  montanum 
bewachsen  war.  Das  vorausgegangene  Gespräch  veranlasste  mich, 
auch  diese  Teucrium-Ait  auf  solche  gallenartigen  Bildungen  zu  unter- 
suchen. In  der  That  fand  ich  kugelförmig  angeschwollene,  verdickte 
Kelche  und  beim  Offnen  eines  solchen  kam  eine  Eurycera  zum  Vor- 
schein, die  sich  freilich  beim  Betrachten  mit  dem  blossen  Auge  kaum 
von  Eurycera  clavicornis  zu  unterscheiden  schien.  Doch  deutete 
die  sehr  abweichende  Bildung  der  Gallen  und  die  andere  Futter- 
pflanze auch  auf  eine  andere  Art  hin.  Die  Untersuchung  zu  Hause 
bestätigte  diese  Vermutung.  Es  war  in  der  That  die  bis  jetzt  in 
Deutschland  nicht  beobachtete  Eurycera  Teucrii.  Nach  Fieber  findet 
sie  sich  in  Österreich  und  Italien  auf  verkrüppelten  Blütenquirlen 
des  Teucrium  montanum.  Püton  bezeichnet  sie  als  selten  und  giebt 
als  Fundorte  Ronen,  Cette,  Hyeres,  Corse  an.  Gredler  hat  sie  einmal 
in    Tirol   an    einem    dürren  Abhang    am    Kollerer  Berge    gesammelt. 


—     330     — 

Nach  Graber  kommt  sie  in  Südtirol,  nach  Eberstaller  in  Steiermark 
bei  Brück  a.  M.  auf  Teucrium  montanum  vor. 

Acht  Tage  nach  dem  erwähnten  Ausflug,  am  31.  Juli  v.  J., 
suchte  ich  den  Fundort  noch  einmal  auf  und  da  gelang  es  mir,  in 
Zeit  von  etwa  einer  Stunde  über  100  Stück  dieser  Eurycera  Teucrii 
zu  sammeln.  Alle  fanden  sich  in  den  kugelförmig  aufgeblasenen 
Kelchen,  die  keine  Spur  der  Blüte  mehr  erkennen  Hessen,  während 
bei  Teucrium  chamaedrys  gerade  die  letztere  blasig  aufgetrieben  war. 
Die  Kelchzähne  schlössen  oben  entweder  dicht  zusammen,  dann  aber 
fand  ich  im  Innern  in  der  Regel  noch  die  Larve,  oder  sie  Hessen 
eine  kleine  Öffnung  frei,  in  welchem  Fall  meist  das  ausgebildete 
Insekt  die  Höhlung  bewohnte.  —  Es  wäre  nun  von  Interesse,  fest- 
zustellen, ob  das  Vorkommen  von  Eurycera  Teucrii  auf  diesen  einen 
Fundort  beschränkt  ist  oder  ob  sie  sich  sonst  an  der  schwäbischen 
Alb,  wo  ja  Teucrium  montanum  häufig  wächst  und  auch  die  übrigen 
Verhältnisse  dieselben  sein  werden  wie  an  der  Wanne  bei  PfuUingen, 
findet.  Ich  wäre  den  Freunden  der  Natur  dankbar,  wenn  sie  in 
dieser  Richtung  Beobachtungen  anstellen  und  mir  ihre  Wahrnehmungen 
mitteilen  würden. 


Herr  Pfarrer  Dr.  Engel  hat  sich  während  seiner  Rede  über 
den  fossilen  Menschen  in  der  Versammlung  des  Vereins  in  Ulm  am 
25.  März  1897  (S.  LXVII  dieser  Jahreshefte)  einer  poetischen  Licenz 
überlassen  über  meine  Ansicht  in  Betreff  des  Fundes  des  Herrn  Dr. 
DüBOis.  Herr  Engel  meint,  ich  halte  den  betreffenden  Schädel  für 
den  eines  Menschen  und  den  in  einiger  Entfernung  von  demselben 
ausgegrabenen  Oberschenkelknochen  für  den  eines  Affen.  Die  aller- 
meisten Anatomen  haben  im  Gegenteil,  ebenso  wie  ich,  nie  daran 
gezweifelt,  dass  der  Schädel  von  einem  Affen  stammt.  Nur  über 
die  Herkunft  des  Oberschenkelknochens  ist  meines  Wissens  bis  jetzt 
keine  Einigung  erfolgt.  Ich  bin  aber  überzeugt,  dass  es  niemand 
eingefallen  wäre,  den  Knochen  für  den  eines  Affen  zu  halten,  wenn 
er  nicht  in  der  Nähe  des  Affenschädels  gefunden  worden  wäre.  So- 
weit ich  dies,  nach  den  mir  allein  zugänglichen  Lichtbildern,  beur- 
teilen kann,  hat  der  Schenkelknochen  alle  Eigenschaften  eines 
menschlichen. 

Stuttgart,  im  September  1897. 

Dr.  V.  Holder,  Obermedizinalrat. 


—     331     — 

Picoa  Carthusiana  TuLASNE  im  Schwarzwald 

von  J.  Eichler. 

Im  November  1896  erhielt  das  kgl.  Naturalien-Kabinett  durch 
Herrn  Kollaborator  Offner  in  Wildbad  eine  frische  „Trüffel  aus  dem 
Schwarzwald" ,  die  Herr  Kaufmann  C.  Commerell  zu  Anfang  des 
Monats  im  Wald  an  der  Strasse  von  Röthenbach  nach  Dennach  (OA. 
Neuenbürg)  zusammen  mit  noch  etwa  70 — 80  weiteren  Exemplaren 
gefunden  hatte.  Das  übersandte  Exemplar,  das  ich  bei  genauerer 
Untersuchung  als  Picoa  Carthusiana  Tulasne  (=  Leucangium 
carthusianum  [Tul.]  Paoletti)  bestimmte ,  war  eine  etwas  unregel- 
mässige längliche  Knolle  von  schwarzer,  ins  Violette  gehender  Farbe, 
die  5  cm  in  der  Länge  und  3 — 4  cm  in  der  Dicke  mass.  Die  wei- 
teren Exemplare  hatten  leider  den  Weg  zur  Küche  gefunden  und 
waren,  obgleich  sie  nicht  als  besonders  wohlschmeckend  erfunden 
worden  waren ,  zur  Zeit  der  Einsendung  schon  verspeist  worden* 
Nach  Mitteilung  des  Herrn  Commerell  variierten  dieselben  in  der 
Grösse  zwischen  der  einer  Haselnuss  und  der  einer  mittleren  Kar- 
toffel; doch  soll  sich  unter  ihnen  auch  ein  besonders  grosses  Exem- 
plar befunden  haben,  das  V4  Pfund  gewogen  habe,  während  das 
Gewicht  der  gesamten  Ausbeute  3 — 3,5  kg  betragen  habe. 

Bei  der  ausserordentlichen  Seltenheit  dieses  Trüffelpilzes,  der 
bis  dahin,  wie  es  scheint,  nur  einmal,  und  zwar  von  den  Gebrüdern 
Tulasne  im  September  1857  in  der  Nähe  des  Karthäuser  Klosters 
bei  Grenoble  (Dauphine)  aufgefunden  und  von  ihnen  in  den  Vor- 
bemerkungen zur  2.  Auflage  ihrer  „Fungi  hypogaei"  1862,  pag.  XXIV, 
beschrieben  worden  war  (mit  der  freudigen  Bemerkung:  „Nihil  autem, 
inter  decem  annos  proxime  praeteritos,  nobis  pretiosius,  de  fungis 
hypogaeis  loquimur,  nancisci  contigit  quam  Picoam  novam  .  .  .),  er- 
weckte dieser  neuerliche  Fund  begreiflicherweise  das  lebhafteste 
Interesse  der  an  dem  Fund  beteiligten  Herren,  und  Herr  Commerell 
grub  daher  im  folgenden  Jahre  1897  während  eines  kurzen  Aufent- 
haltes in  Höfen  anfangs  Oktober  aufs  neue  nach  den  seltenen  Knollen. 
Er  fand  in  der  That  abermals  etwa  50  Stück,  die  hinsichtlich  der 
Grösse  wiederum  zwischen  einer  Haselnuss  und  einer  mittleren  Kar- 
toffel variierten.  Das  grösste  der  von  diesem  Funde  an  das  Kgl. 
Naturalienkabinett  eingesandten  Exemplare  war  eine  etwas  zusammen- 
gedrückte Knolle  von  6,5  cm  Länge,  6  cm  Breite  und  3,5  cm  Dicke. 
Leider  erwiesen  sich  bei  der  Untersuchung  die  Fruchtkörper  als  noch 
nicht  ganz    ausgereift;    das   Fleisch   war   noch   rein    weiss   und   die 


-     332     - 

Sporen  waren  noch  nicht  gefärbt.  Auch  waren  die  aufgefundenen 
Exemplare  mit  wenigen  Ausnahmen  von  (FHegen-)  Larven  stark  an- 
gefressen und ,  wohl  infolge  der  anhaltenden  feuchten  Witterung, 
vielfach  in  Fäulnis  übergegangen,  so  dass  die  1897er  Ausbeute  kein 
typisches  Sammlungsmaterial  darbietet. 

Was  die  Fundstelle  anbetrifft,  so  liegt  dieselbe  nach  dem  Be- 
richt des  Herrn  Commerell  neben  einer  durch  gemischten  Hochwald 
führenden  Strasse,  und  zwar  auf  einer  Strecke  von  etwa  300  m, 
wo  der  Wald  nur  aus  Buchen  und  Weisstannen  gebildet  wird  und 
wo  ferner  der  vorwiegend  aus  Kalk  bestehende  Strassenabraum  seit- 
wärts aufgeschüttet  wird.  Nur  in  dem  unter  dieser  Kalkdecke  hegen- 
den Humus  fanden  sich  die  Pilze,  und  zwar  die  kleineren  in  der 
Tiefe  von  8 — 10  cm,  während  die  grösseren  näher  an  der  Oberfläche 
lagen  und  zum  Teil  sogar  über  dieselbe  etwas  hervorragten.  Neben 
dem  Kalkdamm  gegen  den  Wald  zu  fand  sich  kein  einziges  Exem- 
plar und  ebenso  verschwanden  auch  die  Pilze,  wo  Rottannen  (Picea 
excelsa  Lk.)  neben  der  Strasse  standen.  Auf  der  anderen  Seite  der 
letzteren,  wo  das  Terrain  mit  einer  Böschung  gegen  die  Strasse 
abfällt  und  kein  Abraum  auf  dem  Waldboden  aufgelagert  wird,  fand 
sich  bei  eifrigem  Suchen  ein  einziges  Exemplar. 

Die  Untersuchung  der  Fruchtkörper  ergab  im  wesentlichen 
Übereinstimmung  mit  der  Beschreibung,  die  Tulasne  (1.  c.)  und  neuer- 
dings Ed.  Fischer  in  Rabenhorst's  Kryptogamenflora  von  Deutschland, 
2.  Aufl.  Bd.  I  Abt.  5  (1896),  pag.  80,  nach  den  in  Alkohol  auf- 
bewahrten TuLASNE'schen  Originalexemplaren  von  P.  Carth.  gaben. 
In  einigen  Punkten  jedoch  ergaben  sich  Abweichungen  von  diesen 
Beschreibungen.  So  ist  namentlich  die  Variation  in  der  Grösse  eine 
bedeutendere  als  die  von  Fischer  angegebene ;  wie  bereits  angegeben, 
wechselt  der  Durchmesser  zwischen  1,5  cm  und  6,5  cm  und  dürfte 
vielleicht  noch  grösser  werden,  da  das  erwähnte  ^/^  Pfund  schwere 
Exemplar  vermuthch  noch  grössere  Dimensionen  gehabt  hat.  Das 
Innere  des  Fruchtkörpers  besteht  aus  einem  weissen,  an  der  Luft  etwas 
gelblich  werdenden  Geflecht  von  Hyphen,  deren  Weite  12  bis  15  ju 
beträgt.  In  der  bis  240  f.i  dicken  Rindenschicht  werden  die  Hyphen 
etwas  dicker,  sind  mehrfach  verzweigt  und  septiert  und  gegen  die 
Oberfläche  gerichtet.  Der  Inhalt  dieser  Rindenschicht  ist  im  äusseren 
Drittel  dunkelviolett  gefärbt,  wodurch  die  violettschwarze  Farbe  der 
Rinde  hervorgerufen  wird.  Einzelne  der  Rindenhyphen  verlängern 
sich  über  die  Oberfläche  hinaus  zu  Haaren,  deren  Enden  abgerundet 
sind  und  deren  Inhalt  ebenfalls  violett  gefärbt  ist.    In  dem  inneren 


-     333     — 

Gewebe  sind  die  vielfach  in  einen  Stiel  ausgezogenen  keulenförmigen 
Sporenschläuche  unregelmässig  eingestreut;  doch  erscheinen  sie  zu 
kleinen  Gruppen  zusammengedrängt,  so  dass  die  Schnittfläche  ein 
feinflockiges  Aussehen  erhält.  Sie  sind  im  ganzen  inneren  Gewebe 
bis  an  die  Rinde  zerstreut;  eine  ascusfreie  Geflechtszone  unter  der 
Rinde  wurde  nur  stellenweise  beobachtet.  Die  Länge  der  Schläuche 
ohne  Stiel  beträgt  126 — 153  /<,  ihre  Breite  63 — 72  (.i.  Die  charakte- 
ristischen citronenförmigen  Sporen  sind  67 — 81  f.i  lang  und  27 — 36  [i 
breit.  Die  Dicke  der  farblosen  Membran  beträgt  2 — 3  (.i.  Unreif 
sind  sie  farblos  und  enthalten  zwei  bis  drei  grosse  Oltropfen;  im 
Zustand  der  Reife,  der  bei  uns  zu  Ende  Oktober  und  anfangs  No- 
vember einzutreten  scheint,  zeigen  sie  einen  bräunlichgelben  (olive- 
farbigen) Inhalt.  —  Der  Pilz  ist  —  wie  bereits  angegeben  wurde  — 
nicht  besonders  schmackhaft. 


Jahreshefte  d.  Vereins  f.   vaterländische  llaturkiinde  1898. 


Tafel  I. 


3. 


:i\ 


m 


0 


^ 


u 

s» 


a 


4-i 


«j_s<JJ3-C?' 


r 


7. 


5^ 


Lichtdruck   der   Hofkunstanstalt  von   Martin   Rommel   &   Co.,   Stuttgart. 


Jahreshefte  cl.  Vereins  f.   vaterländische  Naturkunde   1898. 


Tafel  II. 


1'= 


/"'^^s 


10. 


\^''     •       !:^ 


'4^5 


^ 


// 


^ 


4t 


S. 


Ife^^^ 


.y? 


s^- 


IL 


llif 


9. 


nf> 


Lichtdruck  der  Hofkunstanstalt  von   Martin    Romme!   &:   Co.,   Stuttgart. 


Jahresheffe  d.    Vereins  f.   vaterländische  Naturkunde  1898. 


Tafel  UI. 


Fig.  I  und  2  :    Unterkiefer  von  Dryopithecus   Kontani 
nach   Gaiidrv. 


l''ig.  3  und  4:    Unter-  und  Oberkiefer  eines 
Nago-Negers  ;   Naturalienkabinet  Stuttgart. 


J.iL-litdnici:  der  n<.fl:mi5luii(,tült  v.m  fllurtin  Ilommcl  £l  V.o..  Stuttgan. 


Sahresheße  d.  Vereins  f.   vaierländische  TLaturkunde  1898. 


Tafel  n: 


//,. 


■4-   Ja  ■ 


..,..:  ^-V.i-äa8fc 


;::;   7. 


I 


9b.    ! 


Ü''' 


ßa. 


10  a. 


lU. 


E  Okmaitadel.  et  litk. 


Drucker  P.  Bredel,  B  erlin . 


Sahresheße  d.  Vereins  f.   vaterländische  Tlaturkunde  1898. 


Tafel  \. 


'»^ 


W 


-'-^ 


I 
1 


.»«**». 


9. 


I 


-s^f 


^ 


.^4 


i-.Oa. 


/;/,. 


E  OhaTLanadel.  et  litli . 


/y// 


Druck\r  P.  Bredel, P  - 


Sahresheße  d.  Vereins  f.   vaterländische  Tlaturkunde  1898. 


Tafel  Y\. 


^^ 


^   { 


V, 


5*^    ^    *^.. 


/^ 


II. 


Uli. 


/!^k    in,, 


■^ 


r#i, 


I2a. 


12. 


E.Ohmajia  del   eL  liüi- 


Druck  vp.  Bredel/Berlin 


Sahresheße  d.  Vereins  f.    vaterländische  Tiaturkunde   1898.  Tafel  \1I 


■---^":^--'.r^i"- 


r4s,:;^r;^i  ■ 


A-S 


'm.  'Ib. 


^ 


Sa. 


Ä-V«- 


.;»'?>>.- 


lih,. 


\ 


■*'-.S!;S.-it-cs:-,5S8»---' 


.ai_-.  ael     -L     lltll 


Di-Tj.ck\rP  Bredel,  Eeriin. 


Jahresheße  d.  Vereins  f.    vaterländische  Tlaturkunde  1898. 


Taie]  MW. 


EOhrrLaimdel.  et  iiLh. 


Lr-ackv  P  Bredel,  Berhri.. 


Jahresheße  d.  Vereint  f  vaterländische  Tlaturh^nds  1898. 


Taiel  L\. 


"^  //> 


,.c^^ 


m-'5'- 


,^^- 


%j!^ 


3b. 


'4  a 


.^ift-füä^ 


Ha. 


\  . 


h^ 


im    1- 


E.Ohmanii  del.  et  litK. 


*l 


AJ 


I 


Druckvr  P.  Bredel,  B erlirL . 


f 

Die  Autoren  sind  allein  verantwortlich  für  den  Inhalt  ihrer 
Mitteilungen. 

Von  Abhandlungen  und  Sitzungsberichten  erhalten  die  Autoren 
auf  Verlangen  25  Separat -Abzüge  gratis;  eine  grössere  Zahl  gegen 
Erstattung  der  Herstellungskosten. 


Die  verehrlichen  Mitglieder  des 

Vereins  für  vaterländische  Naturkunde 

in  Württemberg 

sind  höflich  ersucht,  behufs  richtiger  Zusendung  der  ,. Jahreshefte" 
der  Verlagshandlung  von  jedem  Wechsel  ihres  Wohnortes 
Anzeige  zu  machen. 


EinTDand-Decken  zu  den  Jahresheften. 

Auf  mehrfaches  Verlangen  haben  wir  zu  den  Jahresheften 

Einband-Deeken  in  brauner  Leinwand  ä  70  Pf. 

herstellen  lassen,  und  zwar  von  Jahrgang  1884  an  (mit  Beginn  des 
vergrösserten  Formates). 

Vom  Jahrgang  1898  an  können  die  Jahreshefte  gleich  gebunden 
zum  Preise  von  M.  6. — ■  geliefert  werden. 

Falls  Sie  die  Decken  zu  haben  wünschen,  so  bitten  gef.  zu 
verlangen. 

E.  Schweizerbart'sche  Verlagshandlung  (E.  Nägele). 


K.     HOrBUCHOnUCREIIEI    ZO     OUTTENBERQ.     CAfIL     CflONINGER.     STUTTGART. 


^^^. 


9'. 


\*'y4;^'*.' 


^:^5^: 


g-K- 


w  m 


"^:u 


.**! 


y  '■^ 


•««'• 


;Ö'- 


■y^  yi 


^y^ 


^ 


"^ 


W^M 


¥^^  '"^: 


% 


&j^ 


.<£"  -ü^ 


A-*^' 


^ 


Wi 


^; 


•^■. 


'^■^->^- 


^.'