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Die Autoren sind allein verantwortlich für den Inhalt ihrer
Mitteilungen.
Von Abhandlungen und Sitzungsberichten erhalten die Autoren
auf Verlangen 25 Separat- Abzüge gratis; eine grössere Zahl gegen
Erstattung der Herstellungskosten.
Die verehrlichen Mitglieder des
Vereins für vaterländische Naturkunde
in Württemberg
sind höflich ersucht, behufs richtiger Zusendung der „Jahreshefte"
der Verlagshandlung von jedem Wechsel ihres Wohnortes
Anzeige zu machen.
Einband-Decken zu den Jahresheften.
Auf mehrfaches Verlangen haben wir zu den Jahresheften
Einband-Deeken in brauner Leinwand ä 70 Pf.
herstellen lassen, und zwar von Jahrgang 1884 an (mit Beginn des
vergrösserten Formates).
Vom Jahrgang 1898 an können die Jahreshefte gleich gebunden
zum Preise von M. 6. — ■ geliefert werden.
Falls Sie die Decken zu haben wünschen, so bitte gef. zu
verlangen.
E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Koch).
K HOrBUCHDRUCKERE) 7U CUTTENBCRG. CAftL GRUNINGER, STUTTGART.
JäÖRESHEFTE
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J)
des
Vereins für ^ vaterländische Naturkunde
m
Württemberg.
Herausgegeben von dessen Redaktionskommission
Prof, Dr. Eb. Fraas, Prof. Dr. C. Hell, Prof. Dr. 0. Kirchner,
Prof. Dr. K. Lampert, Prof. Dr. A. Schmidt.
VIERUNDFUNFZIGSTER JAHRGANG.
Mit 9 Tafeln.
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Stuttgart.
E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Nägele).
1898.
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JÄHRESHEFTE
des
Vereins für vaterländische Naturkunde
in
Württemberg.
Herausgegeben von dessen Redaktionskommission
Prof. Dr. Eb. Fraas, Prof. Dr. C. Hell, Prof. Dr. 0. Kirchner,
Prof. Dr. K. Lampert, Prof. Dr. Aug. Schmidt.
VIERUNDFUNFZIGSTER JAHRGANG.
Mit 9 Tafeln.
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Stuttgart.
E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Nägele).
1898.
Hofbuclidruckerei Zu Gutenberg (Carl Grüninger) in Stuttgart.
Inhalt.
I. Angelegenheiten des Vereins.
Bericht über die 52. Generalversammlung am 24. Juni 1897 in Reutlingen, Von
Prof. Dr. Kurt Lampert. S. I.
Rechenscliaftsbericht für das Jahr 1896—1897. S. II.
Wahl des Vorstandes des Ausschusses. S. III,
Zuwachsverzeichnisse der Sammlungen des Vereins:
A. Zoologische Sammlung. S. X.
B. Botanische Sammlung. S. XIII.
C. Mineralogisch-palaeontologische Sammlung. S. XV.
D. Vereinshibliothek. S. XVII.
Rechnungsabschluss für das Jahr 1896—1897. S. XXVI.
Nekrolog des Direktors Dr. 0. v. Fr aas. S. XXIX.
j, „ W. Möricke von G. Steinmann. S. XXXIV.
„ „ Buchhändlers Ed. Koch von Pfarrer Dr. Engel. XXXVIH.
Vorträge bei der Generalversammlung.
Engel, Pfarrer Dr. in Eislingen: Petrefakten in Petrefakten. S. LH.
Gussmann, Pfarrer in Eningen: Der Braune Jura von Eningen und Umgebung.
S. XLV.
Sitzungsberichte.
Wissenschaftliche Abende des Vereins in Stuttgart.
Sitzung vom 14. Oktober 1897. Lampert, Prof. Dr.: Wassertiere im Winter.
S. LXIII. — Fr aas, Prof. Dr. E.: Über einige interessante Verwitterungs-
erscheinungen. S. LXIV.
Sitzung vom 11. November 1897. Cranz, Prof. Dr. C: Über Geschossabweichungen.
S. LXV. — Eichler, Kustos: Steinnüsse aus der Südsee. S. LXVI.
Sitzung vom 9. Dezember 1897. Vosseier, Dr.: Über biologische Beobach-
tungen auf seiner algerischen Reise 1897. S. LXVII.
Sitzung vom 13. Januar 1898. Fr aas, Prof. Dr. : Über Krankheitserscheinungen
an fossilen Crinoiden. S. LXX. — Klunzinger, Prof. Dr.: Über das
Formalin und seine konservierenden Eigenschaften. S. LXX.
Sitzung vom 10. Februar 1898. Kirchner, Prof. Dr.: Über die Feige und
ihre Befruchtung. LXXIL — Voss el er, Dr.: Über Schildläuse. S. LXXIV.
Sitzung vom 29. Februar 1898. Koch, Prof. Dr. R. : Über elektrische Schwin-
gungen und die Telegraphie ohne Draht. S. LXXVI.
Sitzung vom 10. März 1898. Reuss, Dr. A.: Über Schusswirkung der Klein-
kaliber-Geschosse auf den menschlichen Körper. S. LXXIX. — Hof mann,
Prof. : Statistisches über die Haustiere in Württemberg. S. LXXX.
IV Inhalt.
OberschwäbischerZweigvercin.
Sitzimg in Aulendorf am 2. Februar 1898. Kreuser, Direktor: Über einen
Gräberfund beim Zellerhof. S. LXXXI. — Lampert, Prof. Dr.: Über
die Saugwürmer. S. LXXXII.
S c h w a r z w ä 1 d e r Z w e i g v e r e i n.
Sitzung in Tübingen am 21. Dezember 1897. Hesse, Dr.: Über die Sehorgane
des Amphioxus. S. LXXXIII. — Koken, Prof. Dr.: Über Ehamphorhyn-
chus ; ferner : Über den tertiären Menschen. S. LXXXTV. — 0 o r r e n s ,
Dr. : Über die ungeschlechtliche Vermehrung der Laubmoose. S. LXXXV.
II. Abhandlungen.
Branco, Prof. Dr. W. : Die menschenähnlichen Zähne aus dem Bohnerz der
schwäbischen Alb. I. Die bisher bekannten fossilen Reste menschenähn-
licher Affen. IL Die im Bohnerze der schwäbischen Alb gefundenen Zähne.
III. Die Frage der Abstammung des Menschen. Mit Taf. I— III. S. 1.
Hü eher, Dr. Theodor, Oberstabsarzt: Synopsis der deutschen Blindwanzen
(Hemiptera heteroptera, Farn. Capsidae). IIL Teil. S. 228.
Philippi, Dr. E. : Die Fauna des unteren Trigonodus-Dolomits vom Hühner-
feld bei Schwieberdingen und des sogenannten „Cannstatter Kreidemergels ".
Mit Taf. IV— IX. S. 146.
Rumm, Dr. C. : Die Giftwirkung der gegen die Peronospora viticola verwendeten
Kupfervitriol-Kalkmischung (Bordeaux-Brühe) auf Spirogyra longata. S. 322.
Stettncr, IL: Ein Profil durch den Hauptmuschelkalk bei Vaihingen a. d. Enz.
S. 303.
Erdbeben-Kommission.
Bericht über die vom 1. März 1897 bis 1. 3Iärz 1898 in Württemberg und Hohen-
zoUern beobachteten Erdbeben. S. 328.
Kleinere Mitteilungen.
Diez, Rud. : Eurycera Teucrii Host. Eine für Deutschland neue Wanze. S. 329.
Holder, Dr. v., Obermedizinalrat: Eine Erwiderung auf eine poetische Licenz
des Pfarrer Dr. Engel. S. 330.
Eichler, J.: Picoa Carthusiana Tulasne im Schwarzwald. S. 331.
ÄUG 2 nm
I. Angelegenheiten des Vereins.
Bericht über die zweiundfiinfzigste Greneralversammluiig
am 24. Juni 1897 in Reutlingen.
Von Prof. Dr. Kurt Lampert.
Ein sonniger Johannisfeiertag , der echte Sommertag, führte
eine bedeutende Anzahl der Mitglieder des Vereins in die alte Reichs-
stadt Reutlingen. Zu den vielen Stuttgartern gesellten sich unter-
wegs noch zahlreiche Freunde, so dass, als auch noch der Zug von
Tübingen mehrere Mitglieder gebracht hatte , es eine stattliche An-
zahl war, die sich zum Versammlungslokal, der Bundeshalle, begab,
wo bereits zahlreiche Herren aus Reutlingen sich eingefunden hatten.
Der grosse Saal hatte in reicher Pflanzendekoration ein festliches
Gewand angelegt, das besonders Kunstgärtner Schlegel zu danken
ist. Altem Brauch gemäss war auch wieder eine Ausstellung
naturhistorischer Gegenstände eingerichtet, die von dem Sammeleifer
in Reutlingen beredtes Zeugnis ablegte. Vor allem mochten wir
hervorheben die Sammlung von Käfern und Petrefakten von Lehrer
Z wiesele, die Käfersammlung von Prof. D i e z , die Schmetterlings-
sammlung von Kaufmann Göbel, die Sammlung von Puppen und
lebenden Raupen von Lehrer Kühner, die Sammlung von Petre-
fakten aus dem braunen Jura von Pfarrer Gussmann. Lebende
Reptilien, darunter auch eine Kreuzotter, hatte Lehrer Koch von
Auingen ausgestellt, Hildebrand eine schöne Pentacrlnus-F\a,ite
und Binder von Ehingen neue Funde von Nusplingen.
Die Versammlung wurde eröffnet durch den 1. Vorsitzenden,
Prof. Dr. Kirchner. Als Schriftführer fungierten Prof. Dr. A. Schmidt
und Prof. Dr. E. Fr aas. Im Namen der Stadt und in Vertretung
des Oberbürgermeisters begrüsste sodann Apotheker Finckh die
Jalireshefta d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. a
— II —
Anwesenden, während Dr. Steinacker als Vorsitzender des natur-
wissenschaftlichen Vereins Reutlingen der Freude Ausdruck gab, dass
Reutlingen als Ort der Generalversammlung gewählt worden sei.
Hierauf verlas Prof. Dr. Lampert folgenden Rechenschafts-
bericht für das Jahr 1896/97.
Reclienscliaftsbericht für das Jahr 1896/97.
Über das abgelaufene Vereinsjahr 1896/97 habe ich die Ehre
Ihnen folgenden Bericht zu erstatten :
Die Generalversammlung des vorigen Jahres fand, wie Sie wissen,
in Stuttgart statt und wir hatten das Vergnügen, zu den Stuttgarter
Mitgliedern auch eine ziemliche Anzahl Freunde von auswärts bei
uns zu begrüssen. Die dankenswerte Unterstützung mehrerer Mit-
glieder hatte eine sehr hübsche Ausstellung ermöglicht, über welche
Sie, wie auch über die Vorträge, die bei der Generalversammlung
gehalten worden, Näheres in dem gedruckten Bericht finden werden.
Eine wesentliche Aufgabe der Generalversammlung bestand in
der Beratung der neuen Statuten, welche im ganzen in der Fassung
angenommen wurden, wie sie aus der Kommission hervorgegangen
und Ihnen seiner Zeit zur Kenntnisnahme und zu eventuellen Vor-
schlägen zugestellt wurden. Wir wollen hoffen, dass auch unter den
neuen Statuten, die übrigens keine durchgreifende Änderung zeigen,
der Verein fernerhin gedeihe und wachse.
Mit Ungeduld werden Sie das Erscheinen des Jahresheftes er-
wartet haben und ich muss in diesem Punkt allerdings sehr an Ihre
Nachsicht appellieren ; die löbliche Absicht, zu sparen, Hess uns zu-
nächst auf nur wenig Manuskript rechnen, allein am Ende stellte
sich heraus, dass das Heft doch zu dünn geworden wäre und so
musste noch an die Beschaffung weiterer Manuskripte gegangen
werden, was auch, vor allem dank der Bereitwilligkeit Prof. Kirch-
ner's, gelang. Das Heft liegt nun gedruckt vor und wird in diesen
Tagen zum Versand gelangen.
In demselben werden Sie neben einer Reihe Abhandlungen aus
den verschiedensten Gebieten auch die Sitzungsberichte über die
wissenschaftlichen Abende in Stuttgart, die Sitzungen des ober-
schwäbischen Zweigvereins und des Schwarzwaldzweigvereins finden
und hieraus erkennen , dass in diesen Versammlungen ein reges
Interesse herrscht. Im ganzen wurden auf allen diesen Versamm-
lungen 34 Vorträge gehalten resp. Mitteilungen gemacht; es be-
teiligten sich hieran und an der folgenden Diskussion 45 Redner.
— III —
Die starke Verspätung in der Ausgabe des Heftes hat den
Missstand im Gefolge , dass der Kassier noch keinen definitiven
Rechnungsabschluss machen konnte, doch kann ich Ihnen einstweilen
versichern , dass der Abschluss ein zufriedenstellender sein Mrird.
Nach seitheriger Übung bitte ich Sie, einen Herrn mit der Prüfung
und Erteilung der Entlastung zu betrauen und möchte hierzu Herrn
Dr. Beck vorschlagen.
In der Zahl der Mitglieder ist der Verein wiederum etwas,
wenn auch leider nur wenig gestiegen, nämlich um fünf Mitglieder,
neu eingetreten sind 41 Mitglieder, welcher Ziffer aber die Verlust-
zahl 36 infolge Austritts und Tod gegenübersteht. Der Tod hat
wiederum viele und schmerzliche Lücken gerissen. In erster Linie
ist es an diesem Platz meine Pflicht, nochmals unseres lieben Hof-
rats Seyffardt mit den wärmsten Worten des Dankes in der Er-
innerung zu gedenken. Volle 30 Jahre, von 1860 bis 1890, hat er
das Amt des Kassiers des Vereins bekleidet, und Sie wissen alle, in
welch trefflicher W^eise der unermüdlich thätige Mann für unsere
Finanzen besorgt war, wie er sich die pünktlichste Erfüllung dieses
freiwilligen und wahrlich nicht mühelosen Ehrenamtes zur Pflicht
machte. Von der leider grossen Zahl der Mitglieder, die der Verein
durch den Tod verlor, sei besonders noch des Herrn Prof. Dr. v. Wolff
gedacht, von dem die Jahreshefte manchen wichtigen Beitrag ent-
halten, und des erst jüngst verstorbenen Oberförsters Dr. Frank,
in welchem besonders der oberschwäbische Zweigverein ein eifriges
Mitglied betrauert.
Dass der Verein sich der Anteilnahme der Mitglieder erfreut,
dürfen wir auch wieder aus mehreren Zuwendungen ersehen, die den
Sammlungen und der Bibliothek von Vereinsmitgliedern zu teil wurden.
Ihre Namen finden Sie bei den Zuvvachsverzeichnissen zusammengestellt.
Sie werden mir beistimmen , wenn ich nochmals allen diesen
Gebern den besten Dank des Vereins ausspreche.
Gegen den Rechenschaftsbericht wird kein Widerspruch erhoben.
Bei der sodann erfolgten
Wahl des Vorstandes und des Ausschusses
ergab sich folgendes Resultat:
erster Vorstand
Prof. Dr. Kirchner-Hohenheim,
zweiter Vorstand
Prof. Dr. Lamp er t- Stuttgart.
— IV —
Bei der Wahl des Ausschusses wird die ausscheidende Hälfte
wiedergewählt.
Der Ausschuss setzt sich demgemäss folgendermassen zusammen :
Neugewählte Hälfte (Ausschussmitglieder bis 24. Juni 1899):
Bergratsdirektor Dr. K. v. Baur von Stuttgart,
Prof. Dr. H. Hell von Stuttgart,
Prof. Dr. B. Klunzinger von Stuttgart,
Prof. Dr. A. Leuze von Stuttgart,
Geh. Hofrat Prof. Dr. 0. Schmidt von Stuttgart,
Sanitätsrat Dr. W. Steudel von Stuttgart.
Im Ausschuss bleiben zurück (Ausschussmitglieder bis
24. Juni 1898):
Dr. C. Beck von Stuttgart,
Prof. Dr. W. v. Branco von Hohenheim,
Präsident A. v. Dorr er von Stuttgart,
Prof. Dr. Th. Eimer von Tübingen,
Buchhändler E. Koch von Stuttgart,
Prof. Dr. A. Schmidt von Stuttgart,
Prof. Dr. A. Sigel von Stuttgart.
Statutengemäss wurden später vom Ausschuss gewählt als
Sekretäre:
Prof. Dr. A. Schmidt,
Prof. Dr. E. Fr aas.
Kustoden der Sammlungen, und als solche Ausschuss-
mitglieder :
Prof. Dr. K. Lampert,
Prof. Dr. E. Fr aas,
Kustos J. Eichler.
Als Bibliothekar:
Kustos J. Eichler.
Als Kassier:
Buchhändler E. Koch, und nach dessen Tod Dr. C. Beck.
Als Rechnungsprüfer:
Dr. C. Beck, später Hofrat Clessler.
Für die nächste Generalversammlung wurde allgemein gewünscht,
wieder einmal in das Unterland zu gehen; es wurde Öhringen ins
Auge gefasst, jedoch dem Ausschuss freie Hand gelassen, eine andere
Bestimmung zu treffen.
_ V —
Nach Erledigung dieser geschäftlichen Angelegenheiten be-
gannen die Vorträge.
Den ersten derselben hielt Pfarrer Gussmann von Eningen
über „Der braune Jura von Eningen und Umgebung".
(Der Vortrag findet sich im vorliegenden Jahresheft abgedruckt.)
Den schwarzen Jura oder Lias führte ein Vortrag von
Lehrer Z wiesele vor, aus dem hervorging, wie Reuthngens Um-
gebung reich ist an Fundplätzen aus allen sechs Stufen dieser geo-
logischen Periode. Die umfassende, im Saal aufgestellte Sammlung
von Fundstücken, die meistens das Eigentum des Vortragenden
waren, bewies, was Sammeleifer hier zusammenzubringen vermag.
Der Redner betonte in seinem Vortrag stets auch die praktische
Verwertbarkeit der einzelnen Schichten, so besonders des Posidonien-
schiefers , dessen Gehalt an bituminösen Kohlenwasserstoffen (etwa
12 7o) zu Begründung der Schieferölfabrik Reutlingen Veranlassung gab,
die freilich später der Einführung des Petroleums unterliegen musste.
Als dritter Redner schilderte Prof. Dr. E. Fr aas seine Streif-
züge in der ägyptisch-arabischen Wüste, welche er im
Frühjahr in Begleitung von Dr. Mangold von Stuttgart gemacht.
In Kairo schon trat dem Redner das afrikanische Leben in seiner
ganzen Farbenpracht und sinnverwirrenden Mannigfaltigkeit entgegen.
Schon am zweiten Tag ging es hinaus in die Wüste, wobei sich der
Vortragende der Begleitung Dr. Seh weinfurth's zu erfreuen hatte,
der mit grösster Liebenswürdigkeit den Führer machte. Die Auf-
gaben und Gesichtspunkte , die sich dem Geologen in der Wüste
entgegendrängen, sind ganz andere, als bei uns; während bei uns
das Auge des Geologen hauptsächlich palaeontologisch geübt wird,
sind in der Wüste die Petrefakten zwar auch vorhanden, allein man
sammelt nur, soweit es nötig ist zum Erkennen der Schichten; was
in der Wüste immer und immer wieder den Geologen fesselt, ist
ein Problem der dynamischen Geologie, das Problem der Wüsten-
bildung. In erster Linie sind zu berücksichtigen die Trockenheit
und die Hitze , und als Hauptfaktor, der in grösstem Massstab ein-
wirkt, ist der Wind zu betrachten. In fesselnder Sprache schildert
der Vortragende die Poesie eines Rittes in die Wüste ; in sausendem
Eselsritt geht es durch den letzten bewohnten Ort, gefolgt von
schreienden Eselsjungen, durch die fruchtbare Zone des Nilthals
hinein in die Wüste. Der Kontrast ist verblüffend; reiches, frucht-
bares Schwemmland, des Nils, und ein Schritt weiter, die nackte,
kahle Wüste, nur Sand und Stein. Aber dass man auch hier sammeln
— VI —
kann, hat der Redner bewiesen; die sog. „Dreikanter", d. h. Steine,
die durch das Sandgebläse dreikantig geschliffen sind, die gefärbten
Steine und viele andere Handstücke bildeten ein wichtiges Demon-
strationsmaterial zu dem interessanten Vortrag. Eingehend schilderte
Redner die Bildung der Thäler, der sog. Wadi, die nicht wie bei
uns sich allmählich senken, hierbei immer breiter werdend, sondern
in Terrassen abfallen. Aber nicht nur der Geologe findet genug des
Fesselnden bei einem Ritt in die Wüste, sondern auch die anderen
Naturwissenschaften kommen zu ihrem Recht und die besonders von
Dr. Mangold angelegten zoologischen Sammlungen, die erst vor
ein paar Tagen im Naturalienkabinett in Stuttgart eingetroffen und
noch kaum ausgepackt sind , legen hierfür sprechenden Beweis ab,
wenn auch das Tierleben in der Wüste ein armes genannt werden
muss. Es ist fast selbstverständlich, dass die Wüsfcentiere ihrem
Aufenthaltsort prächtig angepasst sind, und der Redner führt hierfür
zahlreiche Beispiele an , teils von solchen Arten , die in ihrer gelb-
lichen Farbe sich ein Wüstenkleid angezogen haben, teils von solchen,
die aktiv, wenn man so sagen darf, nachhelfen und sich, wie dies
ein kleiner Käfer thut, mit Sand beladen, so dass sie einem wandeln-
den Sandkügelchen gleichen. Als Repräsentant der Wüstenfauna
machte eine lebende stattliche Warneidechse, das „Landkrokodil"
Herodot's, die Honneurs, die während des Vortrags auf dem Podium
hin und her spazierte. Als Repräsentanten typischer Wüstenpflanzen
und ihrer Anpassung schilderte Redner die Jerichorose und die Salz-
pflanzen. Auch der Archäologe kommt bei einer Forschung in der
Wüste nicht zu kurz. Die Prähistorie setzt in Ägypten ein mit der
prädynastischen Zeit, entsprechend unserer Steinzeit. Unzweifelhaft
sind die Funde von Steinartefakten, allein Redner mahnt zur Vor-
sicht und warnt, jeden Feuersteinsplitter für ein geschlagenes Arte-
fakt zu halten, denn infolge des grossen Temperaturwechsels bei Tag
und Nacht springen oft von Feuersteinen Splitter ab, die völlig den
bekannten palaeolithischen Feuersteinmessern gleichen.
Drei Wochen , die allzu rasch vergangen waren , dauerte der
Aufenthalt in Kairo, da bot sich dem Vortragenden Gelegenheit zu
einer höchst interessanten Reise nach Oberägypten. Der alte
Plan, den Nil und das Rote Meer durch eine Eisenbahn zu verbinden,
soll wieder aufgenommen werden, und Prof. Fr aas ward engagiert
zu einer geologischen Untersuchung der Trace von Keneh nach
Kosseir. Kaum war der Kontrakt unterzeichnet, so war auch schon
die Ausrüstung besorgt, der Dragoman zur Besorgung der Kara-
— YII —
wane vorausgeschickt. Am 23. April brachen der Redner und
Dr. Mangold auf, um nach 23stündiger heisser Eisenbahnfahrt und
Nilfahrt in Keneh einzutreffen und ihre Karawane zu übernehmen,
die aus 12 Kamelen, dem Dragoman, einem Koch, einem persön-
lichen Diener und einer Anzahl Beduinen vom Stamm der Ababde
unter ihrem Führer bestand. Voll Humor schildert der Redner die
Freuden und Leiden eines dreiwöchenthchen Kamelrittes durch die
gluthauchende Wüste bei einer bis 56^ Geis, steigenden Hitze. Durst
und wieder Durst war die Hauptsignatur und da infolge abnormer
Trockenheit die Brunnen ausgetrocknet waren , so erwies sich der
mitgenommene Wasservorrat als zu klein und gestattete nur den
Genuss von fünf Flaschen Mineralwasser pro Tag für die beiden
Reisenden zusammen. Der Anfang der Reise gestaltete sich sehr
monoton ; interessant waren nur die Luftspiegelungen, und auch als
die Karawane ins Gebirge eingetreten war, zeigte sich bald wieder
eine gewisse Monotonie in der immerwährenden Wiederholung des
gleichen Typus der Bergformen. Hier wurden sorgfältige geologische
Untersuchungen angestellt, auch Spuren altägyptischer Kultur in
Form von Felseninschriften und Resten eines Tiefbaues auf Gold
gefunden. In Kürze giebt der Redner eine Schilderung des Aufbaues
des Gebirges, dessen Kern krystalhnischer Schiefer ist, an welche
sich palaeozoische Grauwacken mit Durchbrüchen von Dioriten und
jüngeren Graniten anschliessen. Am 3. Mai gelangte die Karawane
in Kosseir an, wo ein zweitägiger Aufenthalt genommen wurde, um
das Korallenriff zu besuchen, dessen unbeschreibliche Schönheit
Redner in den glühendsten Farben schildert. Auf der Rückreise
zum Nil hatte der Redner Gelegenheit, in einem furchtbaren Chamsin-
sturm aus eigener Erfahrung die Macht des Wüstenwindes, der die
Sandkörner mit einem Getöse ähnlich einem Hagelschauer vor sich
hertreibt, und den Gipfelpunkt der Wüstentemperatur kennen zu
lernen. In Luxor, bei den Trümmern des gewaltigen Ammontempels
endete die Expedition, und bald führte der Dampfer die beiden
Reisenden nilabwärts, die nach kurzer Rast in Kairo die Heimfahrt
antraten, reich beladen mit naturwissenschaftlicher Ausbeute und
voll der schönsten Eindrücke.
Als nächster Redner sprach Pfarrer Dr. Engel von Eislingen
über „Petrefakten in Petref akten". (Der Vortrag ist im
Jahresheft abgedruckt.)
Es war der Uhrzeiger schon weit in den Nachmittag hinein-
gerückt, als dieses reiche wissenschaftliche Programm erledigt war
— VIII —
und die Teilnehmer sich zum gemeinschaftlichen Essen im oberen
Saal der Bundeshalle begaben, an welchem fast 100 Personen
teilnahmen. In trefflicher Rede brachte der 1. Vorstand, Prof.
Dr. Kirchner, das erste Hoch auf den König aus, einen Vergleich
ziehend zwischen jenen Zeiten, die man mit Unrecht die guten alten
Zeiten nennt, wo die Reichsstadt Reutlingen in Fehde stand mit den
Grafen von Württemberg, wo Unrecht und Gewaltthat herrschte,
und unseren Tagen, wo die Gegensätze, die keiner Zeit fehlen, auf
legalem Weg ihre Entscheidung finden und ein geliebter Fürst sein
Scepter schirmend hält über Handel und Wandel, über Kunst und
Wissenschaft. Regierungspräsident v. Bei Uno gedachte in an-
erkennenden Worten der Verdienste des Vereins um das naturwissen-
schaftliche Leben Württembergs und trank auf das fernere Gedeihen
des Vereins. Auf die Stadt Reutlingen, wo der Verein bei seiner
Wanderversammlung eine so freundliche Aufnahme gefunden, brachte
Prof. Dr. Lampert ein Hoch aus. Noch manche Ansprache würzte
das in angeregtester Stimmung verlaufende Mahl ; vor allem erfreute
Pfarrer Dr. Engel in hohem Mass die Gesellschaft durch eines seiner
launigen Gedichte; Dr. Reihlen weihte den Damen sein Glas,
Kr au SS von Ravensburg brachte Grüsse von Oberschwaben und
Prof. Dr. Klunzinger gedachte der Redewendungen und Anekdoten,
in welchen der Volkswitz, in harmlosen kleinen Bosheiten sich ge-
fallend, sich mit der alten Reichsstadt und ihren kernigen Bewohnern
beschäftigt, worauf Fischer von Reutlingen in ebenso zutreffender
wie humoristischer Weise diesem entgegentrat. — Nur kurze Zeit
blieb noch nach Beendigung des Essens zur Besichtigung der städti-
schen naturwissenschaftlichen Sammlungen, die vor allem den eifrigen
Bestrebungen des naturwissenschaftlichen Vereins ihr Entstehen ver-
dankten, und unter trefflicher Führung zu einem Besuch der herrlichen
Marienkirche, in der eifrige Bauthätigkeit herrscht. Die meisten Gäste
entführte der Zug schon allzubald, während anderen nach der Hitze des
Tages der Garten des „Kronprinzen" noch ein kühles Plätzchen bot.
Zuwaehs-Verzeiehnisse der Sammlungen des Vereins.
Verzeichnis der Schenkgeber in alphabetischer Folge.
(Die in Klammern hier und da beigefügten Abkürzungen beziehen sich
auf die Abkürzungen in den Verzeichnissen.)
Bader, Apotheker, Lauffen a. N.
Bartholomäi, Lehrer, Gmünd.
Bauer, Apotheker, Buchau a. F.
IX
Beck, Dr., Stuttgart.
V. Biberstein, Oberförster, Rosenfeld.
Binder, Dr., Arzt in Neuffen.
Blezinger, Hofrat, Crailsheim.
Bossler, Schullehrer, Pfallingen.
Bub eck, Kaufmann, Stuttgart.
Burk, Gymnasiast, Stuttgart.
Dieter ich, Pfarrer, Wittlingen.
Diez, Professor, Reutlingen. (Dz.)
Dörr, Apotheker, Ergenzingen.
Eulenstein, Frau Baurat, Stuttgart.
V. Euting, Baudirektor, Stuttgart.
V. Falkenstein, Ober-Amtmann, Nürtingen.
Fe cht, Fräulein, Heidenheim.
Feucht, Einjähr. -Freiw., z. Z. Stuttgart.
Fischbach, Oberforstrat, Stuttgart. (Fschb.)
Fischer, Hilfspräparator, Stuttgart. (Fsch.)
Fraas, Dr., Prof., Stuttgart.
Fritz, Oberlehrer, Stuttgart.
Gaus, Professor, Heidenheim.
Gerstner, Instrumentenmacher, Stuttgart. (Gstr.)
V. Gültlingen, Premierlieutenant, Wiblingen.
Gussmann, Pfarrer, Eningen.
Halm, Dr., Crailsheim.
Haug, A., und C. Münzenmayer, Untertürkheim.
Haug, Ober-Reallehrer, Ulm. (Hg.)
Haug, Reallehrer, Ravensburg.
Heck, Oberförster, Adelberg.
Hermann, Lehrer, Kocherstetten.
Hoff mann, Dr., Verlagsbuchhändler, Stuttgart. (Hffm.)
Holland, Oberförster, Heimerdingen.
Jäger, Präparator, Stuttgart.
Käst, Postrevisor, Stuttgart.
Kerz, Präparator, Stuttgart.
Klopfer, Lehrer, Stuttgart.
Koch, Oberförster, Ellwangen.
Kopp, Assistent, Biberach. (Kp.)
Krauss, Fabrikant, Ravensburg.
Kunz sen., Xylograph, Stuttgart.
Lampert, Dr., Prof., Stuttgart.
Lauffer, Oberlehrer, Geislingen.
Mangold, W., Lauffen a. N.
Mayer, Oberförster, Dornstetten.
Ostertag, Kaufmann, Stuttgart. (Ostg.)
Pfizenmayer, Forstrat, Blaubeuren.
Probst, Dr., Kämmerer, Essendorf.
Rentz, Oberförster, Tettnang.
Rettich, Professor, Stuttgart. (Reh.)
— X —
Schaible, Lehrer, Esslingen. (Schbl.)
Schrader, Feuerbach. (Schrd.)
Schwendtner, Oberförster, Ochsenhausen. (Schwendt.)
Simon, Reallehrer a. D., Aalen.
Steichele, Apotheker, Freudenstadt.
Stettner, Lehrer, Vaihingen a. Enz.
Steudel, Dr., Sanitätsrat, Stuttgart. (St dl.)
V. d. Trappen, Arthur, Stuttgart. (Trp.)
Vo sseler, Dr., Stuttgart.
Wacker, Geschäftsführer, Pfullingen.
Wagner, Lehrer, Sontheim a. Brenz.
Warth, Stadtpfleger, Stuttgart. (Wth.)
Wurm, Dr., Hofrat, Teinach.
Zell er, Dr., Medizinalrat, Winnenthal.
A. Zoologische Sammlung.
(Konservator: Prof. Dr. K. Lampert.)
Sämtliche Tiere wurden der Vereinssammlung als Geschenk überwiesen:
I. Säugetiere.
Myoxus quercinus Bl. S, gemeiner Gartenschläfer, ein Exemplar von Em-
berg im Schwarzwald (Dr. Wurm) und ein Exemplar von Dorn-
stetten (Oberförster Mayer).
Vespertilio murinus L. , gemeine Speckmaus , Schloss Berneck (Freih.
F. V. Gültlingen).
Mus musciilus L., Hausmaus, isabellfarbige Varietät, Stuttgart (Präpa-
rator Jäger).
Hirschfährten in Gypsabgüssen (Forstrat Pfizenmayer).
II. VögeL
Larus ridibundus L. , Lachmöve , Friedrichshafen (Oberförster Rentz in
Tettnang), durch gütige Vermittelung des Herrn Oberförster Eifert
in Hirsau.
III. Amphibien.
Bufo variabiUs Pall. , Wechselkröte , Revier Adelberg bei Schorndorf
(Oberförster Heck).
IV. Fische.
Carassiiis vulgaris Nils. , Karausche , Rems bei Waiblingen (Xylograph
Kunz).
Cyprinus carpio L., Karpfen, Bärensee bei Stuttgart, Kgl. Hofjagdamt.
Salmo fario L. , Forelle , in der Laute bei Freudenstadt , Missbildung
wohl durch frühere Verletzung hervorgerufen (Apotheker Steichele).
ioto vulgaris Fl., Treische, Neckar bei Lauffen (W. Mangold).
— XI —
V. Insekten'.
1. Lepidoptera.
Pap. podalirius L. mit verkümmertem Hinterflügel (Kst.)-
Apatura iris S., Raupe (Gymnasiast Burk).
Zeuzera pyrina L., Raupe (Präparator Kerz).
Eier von Arctia flavia und Lasicocampa pruni (Stdl.).
Brotolomia meticulosa L., Stuttgart (V,).
Gespinst von Sat. pyri statt zu einem Cocon über eine Glasscheibe ge-
sponnen, Winnenthal (Medicinalrat Dr. Zeller).
Cocon von Harpya vinula, Stuttgart (Bbck.).
Cerostoma xylostella L., Stuttgart (Stdl.).
;, persicella F., „ „
GrapJwlitJia Woeheriana Schiff., Teinach (Stdl).
Cemiostoma lahiirnella Stt., Stuttgart (Stdl.).
Tortrix reticulana Hb., „ „
Lionetia primifoliella Hb., „ „
Micropteryx semipurpurella Stph., „ „
Orgya antiqua L. nebst Cocons, ,, „
2. Coleoptera.
Cicindela, Larve, Kirchheim (Reh.).
Änthrenus, Larven, Puppen, Stuttgart (V.).
Bembidion iibiale, Murgthal (Ostg.), neu für die Sammlung.
5, littorale Ol., Murgthal (Ostg.).
„ atrocoeruleum Stph., „ „
„ fasciolatum Dft. var. coeruleimi, „ „ neu.
Cepidodera ferruginea Scop., „ „ „
Äpion suhulatuni Kieby, Reutlingen (auf Lathyr. pratensis) (Dz.), neu.
„ flavimanuni Gyll., „ » »
„ astragali Payk., „ (auf Astrag. ghjcipliyU.) „ »
„ superciliosum Gyll., Esslingen (auf Birke) „ „
„ simum Gekm., Neckarsulm (auf Hyperic. perforat.) „ „
„ xoallipes Kieby, „ (auf MercuriaL perenn.) „ „
„ spencei Kikby, Reutlingen „ „
„ gracilipes Dietb., „ (auf Trifol. medium) „ „
;, rußrostre F., „ (auf Malva sylvestris) „ „
„ ononicola Bach., „ (auf Ononis repens) „ „
„ livescerum Schönh. „ „
„ marcliicum Hbst., Oberthal (auf Teucrium serrod.) „ „
Bendroctonus micans Duft, nebst Frassstücken, Hürbel bei Ochsenhausen
(Schwendt.).
Bostrychus curvidens Geem. nebst Frassstücken, Börtlingen (Fschb.).
PolygrapJms puhescens „ „ (Fschb.).
Cryphalus piceae Rtzb. „ „ „
Coleopteren aus Windenblüten und Minen von Salix alba, Stuttgart (Stdl.).
^ Das Verzeichnis der Insekten wurde von Herrn Dr. Vo sseler zusammen-
gestellt.
— XII —
Carabus auratus L. var,, Stuttgart (Trp.), neu.
„ irregularis F., ,, ,,
„ convexus F., Böblinger Wald (Fsch.).
„ canceUatus III., ,, ,, ,,
Coleopteren (Doubletten), ,, „ „
3. Hymen optera.
Tenthrediniden, mehrere Arten darunter.
Macrophya rustica L., Böblinger Wald (Fsch.).
Tenthredo albicornis F., ,, ,, ,,
„ Schaffen Kl., „ „ „
;, cingulum K., ,, ,, ,,
Ichneumoniden mit den Wirtspuppen darunter, Stuttgart (Hffm.).
Exochüum circuniflexum L.
Paniscus testaceus Gb.
Ichneumoniden nebst Wirten, Stuttgart und Veringen (Stdl.).
Li/da 2)ratensis Fab. nebst Gehäuse an Fop. tremida, Berneck (Stdl.).
Nestbauten mehrerer Arten von Megachile, Hoplopus, Crossocerus, Biberach
(Kp.).
Eriocampa adumbrata Klg. (Kirschenblattwespe) mit Frassstücken, Nür-
tingen (Oberamtmann v. Falkenstein).
Ichneumonidenpuppen an einer Cara&MS-Larve, Feuerbach (Schrd.).
Gimhex saliceti Zad., Ulm (Hg.).
Andrena flessae Pz., ,, ,,
Fezomaclms, „ ,,
4. Diptera.
Verschiedene Dipteren, Murgthal (Ostg.).
,, ,, teils in Blättern von Bumex minierend, teils Para-
siten von Raupen (mit den Wirten) (Stdl.).
„ ,, Böblinger Wald (Fsch.).
Tacfiina-Eier an Raupen von Sjjh- ligustri, Stuttgart (Gstn.).
5. Orthopteren.
Ileconema variuni F., Stuttgart (Stdl.).
Äcridium, Murgthal (Ostg.).
Gryllotalpa viügaris L., Esslingen, Eier und Junge (Schbl.).
6. Rhynchota.
Coccus vitis L. nebst davon befallenen Reben, Stuttgart (Wth.).
Hemipteren und Cikaden, Böblinger Wald (Fsch.).
Eurjjcera teucrii Hokst. , aus Gallen von Teucrium montan., PfuUingen
(Dz.), neu für Deutschland.
Neuroptera, Trichoptera.
Phryganeenlarven, Esslingen (Schbl.).
Ba'i'tis mit Eiern, Stuttgart (Stdl.).
Stenophylax lafipennis Cubt., Veringen (Stdl.).
Taeniopteryx trifasciatus Pict., Stuttgart (Stdl.).
— XIII —
B. Botanische Sammlung.
(Konservator: Kustos J. Eichler.)
Als Geschenke :
Aquilegia vulgaris L., weissblühend, Ulm, an der Wilhelmsburg (v. Biber-
stein).
NupTiar luteum Sm., Ravensburg, im Altvfasser der Schüssen (v. Biber-
stein).
Barharaea intermedia Bokeau , Lauffen a. N. , an einem Wassergraben
(Bader).
Barbaraea vulgaris ß. arcuata Rchb,, Lauffen a. N., im Überschwemmungs-
gebiet des Neckars in einem Weidengebüsch (Bader).
Ärahis hirsufa Scop., Urach, an der Sirchinger Steige (Simon).
„ „ var. sagittata DC, ebendaher (Simon).
Garciamine impatiens L., Lauifen a. N., auf der Neckarinsel.
Sisymhrium austriacum Jacq., Lauffen a. N., an der Kirchenmauer (Bader).
„ columnae Jacq., Lauffen a. N., in der Nähe des Bahndamms
(Bader).
Farsetia incana R. Br., Pfullingen (Bossler).
Viola elatior Fb., Bölgenthal OA. Crailsheim, im Ufergebüsch der Jagst
(Simon).
Drosera rotundifolia L., Birkhof bei Gschwend (v. Biberstein).
„ longifolia L., ebendaher (v. Biberstein).
Melandrium silvestre Roehling, weissblühend , Ulm , in der Friedrichsau
(v. Biberstein).
Trifolium ochroleucum L. , am Farrenberg bei Thalheim (v. Biberstein).
Spiraea salicifolia L., verwildert, Kappel bei Buchau a. F., in der grossen
Kiesgrube (Bauer).
Spiraea Äruncus L., Butschhof bei Epfendorf OA. Oberndorf (v. Biber-
stein).
Oenothera miiricata L., an der Illermündung bei Ulm (v. Biberstein).
Hippuris vidgaris L., Ulm, im warmen Wässerle (v. Biberstein).
Myricaria germanica Desv. , Ulm , an der Illermündung (v. Biberstein).
Rihes alpinum L., Bietigheim, in Hecken (v. Biberstein).
Äsperula taurina L., Berg bei Stuttgart, im Wäldchen hinter der kgl.
Villa am Abhang gegen den Kanal; Mai 1894 (Simon) (ob an-
gesalbt?).
CepJialaria transsilvanica Scheadee, Schnaitheim — Königsbronn, beim
Eisenbahntunnel seit Jahren in Menge ; soll während des Tunnel-
baues bei der Bauhütte im Wald ausgesät worden sein (Simon,
Fecht).
Betasites albus Gäetn. , Isingen OA. Sulz, im ,,Eich'wald" (v. Biber-
stein).
Aster salignus Wind., Abtsgemünd, im Ufergebüsch des Kochers (Simon).
Bellidiastrum Michelii Cass. , Ergenzingen OA. Rottenburg , im Nadel-
wald (Dörr).
ÄcMllea nohilis L., Lauffen a. N, und Kirchheim a. N. (Bader).
— XIV —
Arnica montana L., Ebersberg bei Gsehwend (v. Biberstein).
Pyröla chlornntha Swaktz, Ravensburg, im Hohwald (v. Biberstein).
„ minor L., Mergelstetten bei Heidenheim (Fecht).
„ rotundifolia L., Heidenheim, im Schlosswald (Fecht).
Phacelia tanacetifoUa Bentham (Farn, der Hydrophyllaceae) , verwildert
im Rommeisthal oberhalb Obernau (OA. Rottenburg) bei der
Mühlenrviine (Dörr).
NB. Die in Californien — Arizona gemeine Pflanze wird in Deutsch-
land und Frankreich häufig als Gartenzierpflanze kultiviert, ver-
wildert vielfach und ist an einigen Orten schon massenhaft auf-
getreten.
Echinospermum Lapjmla Lehmann, Lauffen a. N. (Bader).
JMyosotis versicoJor Peks., Burgholzhof bei Cannstatt (Simon).
,, stricta Link, Lauffen a. N., im Forchenwald der Ulrichsheide
(Bader) ; Aalen, im Tannenwäldle (Simon).
,, caespitosa Schultz, Lauffen a. N. , auf der Seewiese (Bader).
Cerinthe alpina Kitaibel, vorübergehend bei Pfullingen am nördlichen
Abhang der Wanne (Wacker).
Pedicularis süvatica L., weissblühend, Engelhardtsweiler OA. Ellwangen,
im Schimmeleswald (Koch).
Oröbanclie minor Sutton, Bonfeld — Biberach (OA. Heilbronn) auf Triföl.
prat (Feucht).
Orobanche rubens Wallr., Heidenheim, im Schlosswald (Fecht). Aalen,
im Langert (v. Biberstein).
Sideritis montana L., Pfullingen, am Georgenberg (Bossler).
Utricularia vulgaris L., Arnegg OA. Blaubeuren, im Torfstich (v. Biber-
stein).
Primula farinosa L., Ravensburg (v. Biberstein).
Thesium montanum Ehrh. , am Farrenberg bei Thalheim (v. Biber-
stein).
Hippophae rhamnoides L., Oggelshauser Halde am Federsee (Bauer).
Parietaria ramiflora Moench, Lauffen a. N. (Bader).
Bidomus umbeUatus L. , im Altwasser des Neckars zwischen Kirchheim
und Lauffen (Bader).
Cppripedium Caiceolus L., Ringgenburg bei Essenhausen OA. Ravensburg
(v. Biberstein).
Ophrys arachnites Murr., Hohenneuffen (Binder). Farrenberg bei Thal-
heim (v. Biberstein).
Orchis angusüfolius Wimm., Lauffen a. N., auf der Seewiese (Bader).
,, paUens L., Aalen, im Staatswald Heuteich (v. Biberstein).
Anacamptis pyramidalis Richard, Sersheim OA. Vaihingen, am Barten-
berg (v. Biberstein).
Coeloglossum viride Hartm., Farrenberg bei Thalheim auf einer Bergwiese
(v. Biberstein).
Herminium 3Ionorchis R. Br., Heidenheim, im Katzenthal (Fecht).
Elymus canadensis L., vorübergehend auf einem Schutthaufen bei Urach
(Dieterich).
Setaria viridis P. B., Pfullingen, am Georgenberg (Bossler).
— XV —
Setaria glauca P. B., Pfullingen, auf Äckern des Roth und im Thalacker
(Bossler).
Polypodnmi vulgare L., Kirchberg OA. Sulz, am Eisenbühl (v. Biberstein).
Hüdenbrandtia rivularis Bk^b., auf Steinen im Krummbach bei Ochsen-
hausen OA. Biberach (Reuss).
Choiromyces maeandriformis Vittadini, Revier Justingen OA. Blaubeuren
(Pfizenmaier).
C. Mineralogiscli-palaeontologische Sammlung.
(Konservator: Prof. Dr. E. Fr aas.)
Als Geschenke:
a) Mineralien:
Bergkrystall (gefärbt) von Sasbach (Schwarzwald),
von Herrn Dr. C. Beck in Stuttgart;
Doppelspate von Salmendingen,
von Herrn Dr. J. Vosseier in Stuttgart;
Kalkspatdruse von üntertürkheim,
von Herrn Oberlehrer Fritz in Stuttgart.
b) Gesteine:
Hornblende-Granat-Schiefer, err. von Ravensburg,
Gneissbreccie, ,, „ ,,
Gault, ,, „ ,,
von Herrn Fabrikant Kr aus s in Ravensburg.
c) Petrefakten:
Fünf prachtvolle Zähne von Mastodon angustidens aus der Molasse von
Heggbach (Originale zu H. v. M e y e r),
von Herrn Kämmerer Dr. Probst, Essendorf;
Cbw(/ena-Bank, Miocän von Altheim,
von Herrn Reallehrer Gaus in Heidenheim;
Elephas primigenius, 2,50 m langer wohlerhaltener Stosszahn aus dem
Lehm von üntertürkheim,
von den Herren A. Haug und C. Münzenmayer, üntertürkheim;
NothosaurusSchndiUze, Muschelkalk, Crailsheim.
Nothosaurus Ändriani, ,, ,,
Chemnitzia (vergypst), ,, ,,
Spiriferina fragiUs, ,, ,,
Tanystropliaeus conspiciius, ,, ,,
von Herrn Hofrat R. B 1 e z i n g e r in Crailsheim ;
Ceratites antecedens, Wellengebirge, Dornstetten,
von Herrn Lehrer Bartholomäi in Gmünd;
— XVI —
reiche Sammlung aus Trias und Jura, gesammelt von j Baurat Eulen-
stein ; als besonders wichtige Stücke sind hervorzuheben :
Ceratites antecedens, Wellengebirge, Freudenstadt,
,, Btickii, ,, ,,
Ämmonites cliscoideus, Brauner Jura ß, Gosheim,
,, coronatus, Brauner Jura d, Lauffen,
,, Wuerttembergiais, Brauner Jura e, Lauffen,
Bhahdocidaris nöbiUs, Weisser Jura y, Nusplingen,
Ämmonites Doublieri, Weisser Jura d, Sigmaringen,
Hemicidaris crenidans Weisser Jura £, Nollhaus,
von Frau Baurat Eulenstein in Stuttgart;
Ämmonites Charmassei, Lias a, Vaihingen,
„ fissüohatus, Brauner Jura ;', Bissingen,
,, äff. Tessonianus, ,, ,, ,, ,,
Terehratula dorsoplana, „ ,, ,, ,,
Fleurotomaria armata, ,, ,, ,, ,,
von Herrn Prof. Dr. E. F r a a s in Stuttgart ;
Ceratites nodosus (krank), Muschelkalk, Cannstatt,
Ämmonites Beineckianus (mit Ohren), Weisser Jura y, Thieringen,
5, coronatus (Lobenstück), Brauner Jura d, Lauffen,
von Herrn Lehrer Klopfer in Stuttgart;
Eleplias antiqims (Backzahn), Diluvium, Feuerbach,
Bhinoceros ticliorliinus (Zähne), ,, ,,
von Herrn Schrader in Feuerbach ;
Nautilus aperturatus, Brauner Jura y, Eningen,
Ämmonites Gervillii, ,, ,, ,, ,,
von Herrn Pfarrer Gussmann in Eningen;
Spiriferina fragilis, Muschelkalk, Kocherstetten,
von Herrn Lehrer Hermann in Kocherstetten ;
Belodonten-Zähne, Stubensandstein, Aixheim,
Muschelkalkfossilien, von Schwenningen,
von Herrn Lehrer Stettner in Vaihingen a. Enz;
Äpiocrinus mespiliformis und rosaceus, durch Mycostoma deformierte Kelche,
Weisser Jura C, von Sontheim,
Armglieder von Äpiocrinus, Weisser Jura C, von Sontheim,
von Herrn Lehrer Wagner in Sontheim a. Br. ;
Äpiocrinus-^i\Q\&, durch 3Iycostoma deformiert. Weisser Jura ^, Heidenheim,
imn;<a -Wirbel, Miocän, Oellingen,
Delphin-Zähne, ,, ,,
von Herrn Oberförster Holland in Heimerdingen,
Ämmonites macrocephalus, Brauner Jura e, Pfäffingen,
von Herrn Baudirektor v. Euting in Stuttgart;
Äraucaria (Voltzia) n. sp. aus dem Muschelkalk von Oberscheffach,
von Herrn Dr. Halm in Crailsheim;
Belodon-Resi^ (Interclavicula, Scapula, Schädel von Mystriosuchus plani-
rostris), Stubensandstein von Aixheim,
von Herrn Reallehrer Haug in Ravensburg.
— XVII —
D. Die Vereinsbibliothek.
(Bibliothekar: Kustos J. Eichler.)
Zuwachs vom 1. Januar bis 31, Dezember 1897.
a. Durch Geschenke und Kauf:
Durch Schenkung von Büchern etc. haben sich folgende Mitglieder
und Freunde des Vereins um denselben verdient gemacht :
Bechold, H., Verlagsbachhändler, Frankfurt a. M. (B.)
Verein für Naturkunde in Braunschweig. (Br.)
Eimer, Prof. Dr. Th., Tübingen. (E.)
Gran er, Dr. F., Oberforstrat, Stattgart. (G.)
Hartmann, Dr. J., Oberstudienrat, Stuttgart. (H.)
Lampert, Prof. Dr. K., Konservator, Stuttgart. (La.)
Lutz, Dr. K. G., Schullehrer, Stuttgart. (Lu.)
Oberrheinischer geologischer Verein. (0.)
K. Universitätsbibliothek zu Upsala. (ü.)
Winter 'sehe Verlagsbuchhandlung, Leipzig-Heidelberg. (W.)
Wolf fing, Dr. E., Privatdozent, Stuttgart. (Wo.)
Zahn, Dr. A., Pfarrer, Stuttgart. (Z.)
Erben des f Hofmarschalls Dr. Max Graf v. Zeppelin, Stuttgart. (Ze.)
I. Akademie- und Gesellschaftsschriften.
,,Aus der Heimat." Organ des Deutschen Lehrervereins für Natur-
kunde. Herausgegeben von Dr. K. G. Lutz. 10. Jahrg. 1897. (Lu.)
Entomologische Nachrichten. Herausgegeben von Dr. F. Karsch. 23. Jahrg.
1897.
Oberrheinischer geologischer Verein: Bericht über die 30. Versammlung
zu Mülhausen i. E. 1897. (0.)
Societas entomologica. Jahrg. XI, 19 — 24; XII, 1 — 17.
Societe entomologique de France: Annales Jahrg. 1896, Vol. LXV, 2 — 4.
— Bulletins 1896 No. 19—21; 1897 No. 1—16.
Stettiner entomologische Zeitung. Jahrg. 57 und Jahrg. 58 No. 1 — 6.
Tübinger zoologische Arbeiten. Heraasgegeben von Prof. Dr. G. H. Th. Eimer.
Bd. II No. 1 — 8, Leipzig 1896 — 97. (E.)
„Zoologische Garten," Der. Jahrg. 37 No. 11—12; Jahrg. 38.
IL Schriften allgemein naturwissenschaftlichen
Inhalts.
Graner, Oberforstrat Dr. F., Der Schwarzwald mit besonderer Berück-
sichtigung des württembergischen Anteils. (Sep.-Abdr. a. d. Forst-
wissensch. Centralblatt.) Berlin 1897. 8". (G.)
III. Zoologie (excl. Entomologie).
Bronn, Dr. H. G., Klassen und Ordnungen des Thierreiches. Fortgesetzt
von Dr. W. Leche. Bd. VI Abt. 5 Lief. 45 u. 46. (W.)
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. b
— XVIII —
Frivaldszky, J., Aves Hungariae. Budapest 1891, 8°. (Ze.)
Her man, Otto, Die Elemente des Vogelzuges in Ungarn bis 1891.
Budapest 1895. Folio. (Ze.)
— Über die ersten Ankunftszeiten der Zugvögel in Ungarn (Frühjahrs-
zug). Budapest 1891. 4°. (Ze.)
Lampert, Prof. Dr. K., Das Leben der Binnengewässer. Leipzig 1897 ff.
Lief. 1, 2. 8°. (La.)
Leverkühn, Paul, Bericht über eine Reise nach Ungarn im Frühjahr
1891. Budapest 1891. (Ze.)
Lischke, C. E., Japanische Meeres-Conchylien. Cassel 1869 — 1875.
3 Bde. 4". (Z.)
Ornithologischer Kongress, II. internationaler zu Budapest 1891.
Hauptbericht. Budapest 1892. Folio. (Ze.)
Palmen, J. A., Referat über den Stand der Kenntnis des Vogelzuges.
Budapest 1891. 4*^. (Ze.)
Reiser, 0., Die Vogelsammlung des bosnisch-hereegowinischen Landes-
museums in Sarajewo. Budapest 1891. 8*^. (Ze.)
Sharp e, R. Bowdler, A review of recent attempts to classify Birds.
Budapest 1891. 8". (Ze.)
Zoologiska Studier, Festskrift Wilhelm Lilljeborg tillegnad
pä han ättionde födelsedag af Svenske Zoologer. Upsala 1896.
4°. (ü.)
III a. Entomologie.
Schenkling, Sigm., Nomenciator coleopterologicus. Frankfurt a. M.
1894. 8^ (B.)
Schütte, H., Insektenbüchlein. (Die wichtigsten Feinde und Freunde
der Landwirthschaft aus der Klasse der Insekten.) Mit 200 far-
bigen Abbildungen. Stuttgart 1897. 12*'. (Lu.)
IV. Botanik.
Hartmann, W., De discrimine generico Betulae et Alni. Stuttgart
1794. (H.)
— Verschiedene Manuskripte, Pflanzengeogr. Inhalts. (H.)
Hartmann, G. W., 95 Blatt mit colorierten Originalabbildungen von
Schwämmen aus der Umgebung von Backnang und Tübingen aus
den Jahren 1824 und 1825. (H.)
V. Mineralogie, Geologie, Palaeontologie.
Newton, A., Fossil birds. Budapest 1891. Folio. (Ze.)
VII. Chemie, Physik, Mathematik, Astronomie, Meteorologie.
Forst er, Alfred, Studien zur Entwickelungsgeschichte des Sonnen-
systems. Stuttgart 1885. 8°. (Ze.)
Wölffing, Dr. E., Die singulären Punkte der Flächen. (Habilitations-
schrift.) Dresden 1896. 8°. (Wo.)
— XIX -
IX. Schriften verschiedenen Inhalts.
Braunschweig im Jahre 1897. (Festschrift für die Teilnehmer an der
69. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte zu Braun-
schweig 1897.) Braunschweig 1897. 8°. (Br.)
b. Durch Austausch unserer Jahresheft e:^
American association for the advancement of science: Pro-
ceedings of the 45 meeting held at Buffalo, N. Y., 1896.
American geographical society: Bulletins Vol. XXIX, 1897.
Amiens. Societe Lineenne du nord de la France.
Amsterdam. K.Akademie van wetenschappen : Jaarhoek voor 1896.
— Verhandelingen (Natuurkunde) 1. sectie : deel V No. 3 — 8;
2. sectie: deel II No. 2; deel V No. 4 — 10. — Verslagen der
Zittingen (Natuurkunde) deel V. 1896/97.
Augsburg. Naturwiss. Verein für Schwaben und Neuburg.
Badischer botanischer Verein: Mitteilungen No. 137 — 141.
Baltimore. Johns Hopkins University.
Bamberg. Naturforschender Verein.
Basel. Naturforschende Gesellschaft: Verhandlungen Bd. XI, 3.
Bayerische botanische Gesellschaft zur Erforschung der heimischen
Flora: Berichte Bd. V, 1897.
Bayerisches K. Oberbergamt (München).
Belgique. Academie R. des sciences etc.: Bulletins ser. 3 Tomes
XXIX— XXXIII, 1895 — 97. — Annuaires Vol. LXII u. LXIII, 1896
bis 1897.
— Societe entomologique : Annales T. XXXIX u. XL. — Memoires
T. III, IV, V.
— Societe geologique : Annales T. XXIV, 1.
— Societe R. malacologique.
Bengal. Asiatic society of Bengal (Calcutta) : Journal n. s. Vol. LXIV,
p. I, II. — Proceedings Jahrg. 1895.
Bergen's Museum: Aarbog for 1896. — Sars, G. 0., an account of
the Crustacea of Norway Vol. II, 3 — 8.
Berlin. K. Akademie der Wissenschaften: Physikal. Abhandlungen
a. d. Jahre 1896. — Sitzungsberichte 1896 No. 40—53 u.
1897, No. 1—39.
— Entomologischer Verein: Berliner entomolog. Zeitschr. Bd. XLI
H. 2 — 4 u. Bd. XLII H.' 1—2.
— K. geolog. Landesanstalt und Bergakademie: Jahrbuch 1895.
— Gesellschaft naturforschender Freunde: Sitzungsber. 1896.
Bern. Naturforschende Gesellschaft: Mitteilungen a. d. Jahre 1895
u. 1896.
Bodensee. Verein für Geschichte des B. u. seiner Umgebung (Lindau):
Schriften H. 25.
^ Von den Gesellschaften, hinter deren Namen sich keine Angaben finden,
sind dem Verein während des Jahres 1897 keine Tauschschriften zugegangen.
b*
— XX —
Bologna. R. Accad. d. science dell' Istituto di Bologna.
Bonn. Naturhistorischer Verein d. preuss. Rheinlande etc.: Verhand-
lungen Jahrg. 53 H. 2 u. Jahrg. 54 H. 1.
— Niederrheinische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde : Sitzungs-
berichte Jahrg. 1896 u. 1897 H. 1.
Bordeaux. Soc. des sciences physiques et naturelles.
Boston. American Academy of arts and sciences: Proceedings Vol. XXXI
u. Vol. XXXII H. 1 — 15. — Memoirs Vol. XII, 2, 3.
— Society of natural history : Proceedings Vol. XXVII p. 75 — 330.
Brandenburg. Botanischer Verein für die Provinz B. : Verhandlungen
Jahrg. 38.
Braunschweig. Verein für Naturwissenschaft: Jahresberichte No. 10
(1895—1897).
Bremen. Naturwissenschaftlicher Verein: Abhandlungen Bd. XIV, 2.
Brunn. Naturforschender Verein: Verhandlungen Bd. XXXIV.
— Ber. d. meteorolog. Komm. Bd. XIV.
Buenos Aires. Museo nacional: Anales T. V. — Memorias de 1894
bis 1896.
Buffalo Society of natural sciences.
California. Academy of sciences (San Francisco).
Cambridge. Museum of comparative zoology at Harvard College:
Annual report for 1895/96 u. 1896/97. — Bulletins Vol. XXVIII,
3; Vol. XXX, 2—6; Vol. XXXI, 1—4. — Memoirs Vol. XIX,
2; Vol. XX— XXII.
Canada. The Canadian Institute (Toronto): Proceedings, New series,
Vol. I, 1, No. 1.
— Geological and natural history survey (Ottawa) : Annual report
Vol. VIII mit geologischen Karten No. 585 — 588.
— Geological survey (Ottawa): Whiteaves, J. F., Palaeozoic fossils
Vol. m, 3.
— Royal Society (Ottawa)-: Proc. Trans, for 1896 (2 ser. Vol. II).
Cape of good hope. Geological commission: Annual report 1896.
— Saunders , H. P. , Bibliography of South African geology,
parts I u. II, 1897.
Gas sei. Verein für Naturkunde.
Catania. Accademia Gioenia di sc. nat. : Bulletino, nuova ser. fasc.
46—49.
Cherbourg. Societe nationale des sc. nat. et math..
Chicago. Field Columbian Museum: Publications No. 1 — 20.
Christiania. Archiv for Mathematik og Naturvidenskab.
— K. Universität: Programm für das 1. Sem. 1895 (Barth, J. , Nor-
ronaskaller. Crania antiqua in parte orientali Norwegiae meri-
dionalis inventa).
— Norske Nordhavs Expedition 1876 — 1878: H. XXIII Zoologi (Tuni-
cata); H. XXIV Botany (Protophyta).
— Fauna ISIorvegica Bd. I (Sars, G. 0. , Phyllocarida og Phyllopoda).
Cincinnati. Soc. of natural history: Journal Vol. XIX, 1 — 2.
- XXI -
Colmar. Naturhistorische Gesellschaft: Mitteilungen N. F. Bd. III,
1895—96.
Cordoba. Academia nacional de ciencias: Boletin Vol. XV, 1 — 3.
Costa Rica. Museo nacional : Alfara, A., Mamiferos de C. R. 1897;
Tristan, J. F., Insectos de C. R. 1897; Biolley, P., Moluscos
terrestres y fluviatiles de la meseta central de C. R. 1897;
Tondur, A., Flora de C. R. 1897; Underwood, C. F., Fauna
de C. R. 1897.
Danzig. Naturforschende Gesellschaft: Schriften N. F. Bd. IX, 2.
Darm Stadt. Grossh. Hess. Geol. Landesanstalt.
— Verein für Erdkunde etc.: Notizblatt 4 F. H. 17,
Davenport (Iowa). Acad. of nat. sciences: Proc. Vol. VI.
Deutsche geologische Gesellschaft: Zeitschrift Bd. XLVIII, 3 — 4;
XLIX, 1—2.
Dijon. Acad. des sciences etc..
Donaueschingen. Verein für Gesch. und Naturgesch. der Baar.
Dorpat. Naturforscher-Gesellschaft: Archiv Ser. 2 Bd. XI, 2.
— Naturforscher- Gesellschaft b. d. Universität: Sitzungsber. Bd. XI, 2.
Dresden. Naturwissenschaftliche Gesellschaft Isis: Sitzungsber. und
Abhandl. Jahrg. 1896 H. 2, 1897 H. 1.
Dublin. Royal Dublin Society.
Edinburgh. R. physical society : Proceedings Vol. XIII, 2.
— Royal Society.
Erlangen. Physikalisch-medizinische Societät: Sitzungsber. H. 28.
France. Societe geologique : Bulletins Vol. XXIV, 8, 9; XXV, 1, 2.
— Comptes rendus des seances XXIV, 1896.
: — Societe zoologique: Bulletin Tome XXI, 1896.
Frankfurt a. M. Senckenbergische naturforschende Gesellschaft: Be-
richt von 1897.
Freiburg i. Br. Naturforschende Gesellschaft.
Geneve. Soc. de physique et d'hist. naturelle: Memoires Vol. XXXII, 2.
Genova. Museo civico di storia nat.: Annali ser. 2 Vol. XVII.
Giessen. Oberhessische Gesellschaft für Natur- und Heilkunde: Be-
richte Bd. XXXI.
Glasgow. Natural history society : Transactions, New series. Vol. IV,
3 u. V, I.
Görlitz. Naturforschende Gesellschaft.
Graubünden. Naturforschende Gesellschaft: Jahresbericht N. F. Bd. XL.
Greifswald. Naturw. Verein von Neu-Vorpommern und Rügen: Mit-
teilungen Bd. xxvni.
Halifax. Nova Scotian Institute of Science: Proc. Vol. II, 2,
Halle. Naturforschende Gesellschaft.
— Verein für Erdkunde: Mitteilungen Jahrg. 1897.
— Kais. Leopoldinisch-Carolinische Akademie d. Naturforscher: Leopol-
dina Bd. XXXII, 12; XXXIII, 1—11.
— Naturw. Verein für Sachsen und Thüringen : Zeitschrift für Natur-
wissenschaften Bd. LXIX H. 5—6; LXX H. 1—2.
Hamburg. Naturw. Verein: Abhandlungen Bd. XV.
— XXIl -
Hamburg. Verein für naturw. Unterhaltung: Verhandlungen 3. F.,
Bd. IV.
— Wissenschaftliche Anstalten.
Hanau. Wetterauische Gesellschaft für die gesamte Naturkunde.
Hannover. Naturhistorische Gesellschaft.
Harlem. Fondation de P. Teyler van der Hülst: Archives du Musee
Teyler, Ser. 2 Vol. V, 3.
— Societe hollandaise des sciences : Archives neerlandaises des sciences
exaetes et naturelles, Vol. XXX, 4, 5; Ser. 2 Tome I, 1 — 3.
— Oeuvres completes de Chr. Huygens, Vol. VH.
Heidelberg. Naturhist.-medizin. Verein: Verhandlungen N. F. Bd. V, 5.
Helsingfors. Societas pro fauna et flora Fennica: Acta Vol. XI. —
Meddelanden Haft 22.
Hermannstadt. Siebenbürgischer Verein für Naturwissenschaften.
Hohenheim. Kgl. württ. landwirtschaftliche Akademie: Programm
für 1897.
Innsbruck. Naturw.-medizin. Verein: Berichte Jahrg. 22.
Italia. R. comitato geologico : Bollettino, anno 27 u. 28.
— Societä entomologica : Bollettino XXVIII, 3, 4.
Karlsruhe. Naturwissenschaftlicher Verein.
Kiel-Helgoland. Kommission zur wissenschaftl. Untersuchung der
deutschen Meere : Wissenschaftl. Meeresuntersuchungen , N. F.,
Bd. II, 1: Abt. 2; n, 2.
Königsberg. Physikalisch-ökonomische Gesellschaft: Schriften Jahr-
gang 37.
Landshut. Botanischer Verein.
Lausanne. Societe Vaudoise des sciences naturelles : Bulletins, 4 ser.
Vol. XXXn No. 122; Vol. XXXIII No. 123—124.
Leiden. Nederlandsche Dierkundige Vereeniging: Catalogus der Biblio-
thek, 4. Ausg. 1897.
Leipzig. Naturforschende Gesellschaft: Sitzungsber. Jahrg. 22 — 23.
Liege. Societe royale des sciences: Memoires, 2 ser. Vol. XIX.
Linz. Museum Francisco-Carolinum : Bericht 55. — Beiträge zur
Landeskunde 49. — Bibliothekskatalog 1897.
— Verein für Naturkunde: Jahresbericht No. 26.
London. Geological Society: Quarterly Journal Vol. LIII, 1 — 3. —
General Index to the first 50 Voll.
— Linnean Society: Journal, a) Botany No. 218 — 228; b) Zoology
No. 163—167. — Proceedings Jahrg. 1895/96.
— Zoological Society: Proceedings for 1896 No. 4; for 1897 No. 1,
2, 3. — Transactions Vol. XIV, 3.
Lund. Universitas: Acta Vol. XXXII. — Festskrift (Elof Tegner) : Lunds
Universität 1872—1897.
Luxemburg. Institut R. grand-ducal : Publications Vol. XXV.
— Verein Luxemburger Naturfreunde ,, Fauna" : Fauna Jahrg. 1896.
Luzern. Naturforschende Gesellschaft: Mitteilungen H. 1.
Lyon. Academie des sciences etc..
— Museum d'histoire naturelle.
— xxni —
Lyon. Societe d'agriculture etc.
Magdeburg. Naturwissenschaftlicher Verein.
Mannheim. Verein für Naturkunde.
Marburg. Gesellschaft zur Beförderung der gesamten Naturwissen-
schaften: Sitzungsberichte Jahrg. 1896.
Marseille. Faculte des sciences : Annales Tome VI, 4 — 6; VIII, 1 — 4.
Mecklenburg. Verein der Freunde der Naturgeschichte (Rostock):
Archiv Jahrg. 50. — Register für Jahrg. 31 — 50.
Metz. Societe d'histoire naturelle.
Mexico. Sociedad Mexicana de historia natural: La Naturaleza,
Ser. 2 T. II No. 10—11.
Milano. R. istituto Lombardo di scienze e lettere: Rendiconti, ser. 2*
Vol. XXIX.
Moskau. Societe imperiale des naturalistes : Bulletins 1896, 3 — 4;
1897, 1.
Napoli. R. Accad. delle scienze fisiche e mat. : Atti Ser. 2 Vol. VIII.
— Rendiconti Ser. 3 Vol. III.
— Zoologische Station : Mitteilungen XII, 4.
Nassauischer VereinfürNaturkunde (Wiesbaden): Jahrbücher Jahrg. 50.
Nederlandsch Indie. Natuurkundige Vereeniging i. N. I. (Batavia):
Natuurkundige Tijdschrift deel L, LVI ; Alfabet. Register für deel I — L.
Neuchätel. Societe des sciences naturelles.
New Haven. Connecticut academy of arts and sciences.
New South Wales. Linnean Society of N. S. W. (Sydney): Pro-
ceedings 2. Ser. Vol. X, 4; Vol. XXI, 1—4; XXII, 1—2.
— R. Society: Journals and Proceedings Vol, XXX.
New York Academy of sciences: Annais Vol. V, 9 — 12; VI, 7 — 12;
IX, 4—5. — Transactions Vol, XV.
— State museum: Annual report 48.
New Zealand. Colonial Museum and laboratory of the survey.
— Institute (Wellington).
Normandie. Societe Linneenne (Caen).
— Societe geologique (Havre).
,,Notarisia."
Nürnberg. Naturhist. Gesellschaft: Jahresber. u. Abhandl. Bd. X, 5.
Offenbach. Verein für Naturkunde.
Padova. Societä Veneto-Trentina di scienze naturale: Atti Ser. 2
Vol. III, 1.
Paris. Societe de speleologie : Spelunca. Tome II; III, 9 — 11.
Passau. Naturhistorischer Verein.
Philadelphia. Academy of natural sciences : Proceedings Jahrg. 1896
No. 2—3; 1897 No. 1.
— American philosophical society : Proceedings No. 151, 152, 154.
— Transactions Vol. XIX No. 1.
— Wagner Free Institute.
Pisa. Societä Toscana di scienze naturali: Memorie Vol. XV. —
Processi verbali Vol. X p. 168—242.
Prag. Naturhist. Verein Lotos.
— XXIV -
Pressburg. Verein für Natur- und Heilkunde.
Regensburg. Naturw. Verein.
Rheinpfalz. Naturw. Verein „Pollichia" (Dürkheim): Mitteilungen
53. Jahrg. H. 10; 54. Jahrg. H. 11. — Beilage: Mehlis, Dr. C,
Der Drachenfels bei Dürkheim a. H. II. Abt.
Riga. Naturforscher-Verein: Korrespondenzblatt Jahrg. 39.
Rio de Janeiro. Museu nacional: Archivos Vol. VIII.
Roma. Accademia Pontificia dei nuovi Lincei: Atti Jahrg. 50.
— R. Accademia dei Lincei: Atti Ser. 5, Rendiconti Vol. VI, 1 sem.
u. 2 sem. H. 1 — 10.
Rover eto. Museo civico: Publicazioni 31 u. 32.
Santiago de Chile. Deutscher wissenschaftlicher Verein: Verhand-
lungen Bd. II, 4; m, 1—4.
St. Gallische naturwissenschaftl. Gesellschaft: Bericht über 1894/95.
St. Louis. Academy of science : Transactions Vol. VII, 4 — 16.
St. Petersburg. Comite geologique: Bulletins Vol. XV, 5 — 9 u.
suppl.; XVI, 1—2. — Memoires Vol. XIV, 2—5.
— Russisch-kaiserl. mineralogische Gesellschaft: Verhandlungen 2 ser.
Bd. XXXII, XXXIII Lief. 2; XXXIV Lief. 1, 2. — Materialien
zur Geologie Russlands Bd. XVIII.
— Kais. Akademie der Wissenschaften: Bulletins ser. 5 Bd. III, 2 — 5;
IV, 1—5; V, 1 — 5; VI, 1—5; VII, 1 — 2. — Memoires Vol. III,
3, 4, 7, 9; Vol. V, 1.
— Physikalisches Central-Observatorium : Annalen Jahrg. 1895.
Schlesische Gesellschaft für vaterländische Kultur: Jahresbericht 74
Ergänzungsheft 5.
Schleswig-Holstein. Naturwissenchaftlicher Verein für Schleswig-
Holstein (Kiel): Schriften Bd. XI, 1.
Schweiz. Allgemeine Schweizer Gesellschaft für die gesamten Natur-
wissenschaften (Bern) : Neue Denkschriften Bd. XXXV.
— Schweizerische botanische Gesellschaft (Zürich) : Berichte H. 7.
— Schweizerische geol. Gesellschaft (Bern) : Eclogae geologicae Bd. V, 1.
— Schweizerische naturforschende Gesellschaft (Bern): Verhandlungen
der 78. Jahresversammlung. — Beiträge zur geologischen Karte
der Schweiz Lief. 30, 36, 37.
— Schweizerische entomologische Gesellschaft: Mitteilungen Vol. IX, 10
u. X, 1.
Sitten (Sion). La Murithienne, Soc. valaisanne des sc. nat. : Bulle-
tins Fase. 23—25.
Steiermark. Naturw. Verein (Graz): Mitteilungen Jahrg. 1896.
Stockholm. K. Svenska Vetenskaps Akademie: Handlingar Bd. XXVIII.
— Bihänge Bd. XXII. — Üfversigt Jahrg. 53. — Meteorol Jakt-
tagelser Bd. XXXIV.
Stuttgart. Ärztlicher Verein: Jahresbericht Jahrg. 24.
Tokio. College of science, imperial university, Japan: Journal Vol. IX,
2 ; X, 2.
Tor in o. R. Accademia delle scienze: Atti Vol. XXXII. — Osservazioni
meteor. 1896.
- XXV -
Trieste. Societä Adriatica di sc. nat,
Tromsö Museum.
Tübingen. K. Universitätsbibliothek: Universitätsschriften a. d. J.
1896/97; 15 Dissertationen der naturwissenschaftlichen Fakultät.
Ungarische geologische Gesellschaft (Budapest): Földtani Közlöny
Bd. XXVI, 11 — 12; XXVII, 1—7.
— K. geologische Anstalt: Jahresbericht für 1894. — Mitteilungen
a. d. Jahrb. Bd. XI, 1 — 5 mit Atlas.
— Karpathen-Verein (Iglö) : Jahrbuch XXIV.
United States (o. N. Am.). Commission of Fish and Fisheries : Com-
missioners report for 1893 — 1895 (Voll. 19—21).
— Department of Agriculture : Yearbook 1896. — Farmers Bulletin
No. 54. — N. american Fauna H. 13.
— Department of the Interior (Geological survey) : Annual report
Vol. XVI, 1; XVII.
Upsala. Regia Societas scientiarum : Nova acta Ser. 3 Vol. XVII, 1,
— Geological Institution of the university : Bulletins Vol. III, 1.
Victoria. Public library, Museums and National Gallery.
Washington. Smithsonian Institution: Annual report of the board
of regents for 1893/94, 1894/95,
— Report of the ü. S. National Museum for 1894.
— Bulletins of the U. S. National Museum No. 47.
— Smithsonian Contributions to knowledge Vol. XXIX No. 1033, 1034;
XXX— XXXII.
— Smithsonian miscellaneous Collections Vol. XXXV, 1038; XXXVII,
1035, 1039; XXXVIII, 1031, 1037, 1075; XXXIX, 1071, 1072,
1073, 1077.
Wernigerode. Naturw. Verein des Harzes: Schriften Jahrg. 11.
Westfälischer Provinzial-Verein für Wissenschaft und Kunst (Münster):
Jahresbericht für 1895/96.
Wien. Kaiserl. Akademie der Wissenschaften, math. -naturw. Klasse:
Sitzungsberichte Bd. CV: 1, 2 a u. b, 3.
— K. K. geologische Reichsanstalt: Jahrbuch 46 No. 2 — 4; 47 No. 1.
— Verhandlungen 1896 No. 13—18; 1897.
— K. K. naturhistorisches Hofmuseum: Annalen XI, 2 — 4; XII, 1.
— K. K. zoologisch-botanische Gesellschaft : Verhandlungen Bd. XLVII.
— Verein zur Verbreitung naturw. Kenntnisse : Schriften Bd. XXXVII.
Württemberg. K. statistisches Landesamt: Württ. Jahrbücher für
Statistik und Landeskunde Jahrg. 1895 u. 1896. — Geognost.
Übersichtskarte von Württemberg in 1 : 600 000. 3. verb. Ausg.
1897. — Deutsches Meteorol. Jahrbuch: Württemberg Jahrg. 1895
u. 1896. — Atlasblatt Liebenzeil, neu bearb. von Prof. Dr. E. Fraas.
— Beschreibung des Oberamts Ulm 1897.
■ — Schwarzwaldverein (Stuttgart) : ,,Aus dem Schwarzwald" Jahrg. IV,
6; V.
Würzburg. Physikalisch-medizinische Gesellschaft: Sitzungsberichte
Jahrg. 1896. — Verhandlungen Bd. XXX.
- XXVI -
Zürich. Naturforschende Gesellschaft: Vierteljahresschrift Jahrg. 41:
Supplement; 42 No. 1 — 2. — Neujahrsblatt auf das Jahr 1897.
— Katalog des eidgenöss. Polytechnikums in Zürich. 6. Aufl. 1897.
Zwickau. Verein für Naturkunde: Jahresberichte 1896.
Der vom Rechner des Vereins, Herrn Dr. Carl Beck, ausgestellte
und von Herrn Hofrat C 1 e s s 1 e r geprüfte
Rechmings-Abschluss
für das Vereinsjahr 1. Juli 1896/97 stellt sich folgendermassen:
Einnahmen :
Kassenbestand am 1. Juli 1896 160 M. 99 Pf.
Zinsen aus den Kapitalien 664 ,, 04 ,,
Mitgliederbeiträge 3765 ,, — ■ ,,
Ausgeloste Kapitalien 300 ,, — ,,
4890 M. 03 pT.
Ausgaben:
Vermehrung der Bibliothek 50 M. — Pf.
Verleger- und Buchbinderkosten 2346
Schreibmaterialien, Kopialien, Porti 355
Gehalte, Saalmiete, Inserate 288
Erdbebenkommission, Zweigvereine 275
Steuer, Bankierkosten 50
3365 M. 98 Pf.
Einnahmen 4890 M. 03 Pf.
Ausgaben 3365 ,, 98 ,,
35
17
30
88
28
Kassenvorrat 1524 M. 05 Pf.
Vermögensberechnung.
Kapitalien nach ihrem Nennwert 16 100 M. — Pf.
Kassenvorrat 1 524 „ 05 ,,
17 624 M. 05 Pf.
dasselbe betrug am 1. Juli 1896 ....... 16 560 ,, 99 ,,
somit Zunahme gegen das Vorjahr
— ; • 1063 M. 06 Pf.
Im Vereinsjahr 1895/96 betrug die Zahl der Mitglieder . 748
Hierzu die 41 eingetretenen Mitglieder:
Fromm, E., Prof. cand. in Urach.
Gi essler, H., Professor in Stuttgart.
Spohn, Julius, Kommerzienrat in Ravensburg.
Spohn, Georg, Dr. in Ravensburg.
Reinhardt, Theodor, Kaufmann in Ravensburg.
Wolf, E., Reallehrer in Öhringen.
Salter, Sigmund, Realitätenbesitzer in Wien.
— XXVII -
Übertrag . . 748
Setteler, Forstwart in Bietigheim.
Rath, Emil, Dr. Prof. cand. in Esslingen.
Mangold, Carl, Dr. med. in Esslingen.
Koch, Theodor, Apotheker in Stuttgart.
Mayser, Edwin, Professor in Heilbronn.
St oll, Konrad, Dr. med. in Stuttgart.
Lutz, Adolf, Rossarzt in Cannstatt.
Kiess, Oberamtstierarzt in Tübingen.
Gottschalk, Ed., Dr. med. in Stuttgart.
Weil, Emanuel, Dr. med. in Stuttgart.
Souchay, Dr. med. in Stuttgart.
Rheineck, Georg, Bildhauer in Stuttgart.
Duvernoy, Julius, in Stuttgart.
Specht, Aug., Kunstmaler in Stuttgart.
Jackh, Eug,, Apotheker in Ulm.
Fischer, Heinr., Dr. med. in Biberach.
Buob, Paul, Hüttenamtsassisteut in Schussenried.
Kuhn, E., Assistenztierarzt in Stuttgart.
Beer, Karl, Kaplaneiverweser in Unter-Essendorf.
Binder, Dr., Sanitätsrat in Pfullingen.
Renk enb erger, W., Realamtsverweser in Stuttgart.
Müller, Oberförster in Freudenstadt.
Gmünd, Verein für Naturkunde,
Häberle, Hermann, Assistenzarzt in Stuttgart.
Hoffmann, R., Dr., Tierarzt in Trossingen.
Weil, Max, Dr. med. in Stuttgart,
Zimmermann, Wilh., Dr. med. in Stuttgart.
Bartholomäi, Schullehrer in Böffingen.
V. Biberstein, Julius, Oberförster in Rosenfeld.
Muff, Oberamtsrichter in Reutlingen.
Ferri, Kaufmann in Plieningen,
Entress, Franz, Fabrikant in Stuttgart.
Gugler, Ed., Bauinspektor in Stuttgart.
Steinacker, Dr. med. in Reutlingen
41
789
Hiervon ab die 48 ausgetretenen und gestorbenen Mit-
glieder :
V. Hayn, Freiherr, Kgl. Kapjmerherr in Stuttgart, f
Lechler, Oberförster in Enzklösterle.
Abt, Apotheker in Untertürkheim, f
Hartmann, Dr. in Altshausen.
Bielmeyer, Domänendirektor in Aulendorf, t
Weizenegger, Oberlehrer in Ochsenhausen.
Kammerer, Robert, Dr. med. in Stuttgart, f
V. Alberti, Bergingenieur in Chemnitz.
- XXVIII —
Übertrag . . 789
Rauscher, Oberamtstierarzt in Tübingen, f
Reitmayer, Paul, Dr. med. in Buchau. f
Blezinger, Apotheker in Hall, f
Linser, Dr., Oberamtsarzt in Aalen, f
V. Martens, Baudirektor in Stuttgart.
Mesmer, Schultheiss in Altshausen.
Eisenlohr, Dr. med. in München.
Dietrich, Dr. med. in Eutingen. f
V. Lander er, Landgerichtspräsident in Stuttgart.
Seyffardt, Eduard, Hofrat in Stuttgart, f
Burkardt, Forstrat in Cannstatt.
Roman, Max, Dr. med. in Brackenheim, f
V. S ecken dorff, Oberamtsrichter in Urach.
V. Wolff, Dr., Professor in Stuttgart, f
Pfeilsticker, Landgerichtsrat in Biberach.
Müller, Richard, Kommerzienrat in Mochenwangen. f
Neuburger, Anstaltsverwalter in Schussenried. f
Heck, Oberförster in Adelberg.
Werfer, Dr., Oberamtsarzt in Ellwangen.
Ritter, Oberförster in Schrozheim.
Deffner, Wilhelm, in Esslingen, f
Hos er, Julius, Privatier in Stuttgart, f
Frank, Dr., Oberförster in Schussenried. f
Kreuzhage, Dr. in Hohenheim. f
Schott von Schottenstein, Oberregierungsrat in Reut-
lingen, t
Nachtigal, Max, Dr. med. in Stuttgart, f
Höchstetter, Dr. med. in Metzingen, f
Haas, Theodor, Professor in Stuttgart, f
Öffinger, Richard, Apotheker in Cannstatt. f
Gmelin, Dr. in Fratte di Salerno.
Eisele, Stadttierarzt in Leutkirch.
Weil, Redakteur in Ellwangen.
Rapp, Oberamtsbaumeister in Saulgau. t
Biesinger, Dr., Oberamtsarzt in Rottenburg, f
Eifert, Stud. in Tübingen.
V. Marchthaler, Dr. med. in Heilbronn.
Hell, Dr., Generalarzt in Ulm.
Blumhardt, Stud. jur. in Tübingen.
Krick, Revieramtsassistent in Esslingen.
Jäger, Heinr., Dr., Stabsarzt in Königsberg
48
741
es verbleiben daher am Ende des Rechnungsjahres . 741 Mitglieder,
gegenüber dem Vorjahre mit • 748 Mitgliedern,
eine Abnahme von 7 ,,
Nekrologe.
Zum Gedächtnis an Direktor Dr. Oskar v. Fraas.
Von Prof. Dr. K. Lampert.
Am 22. November vergangenen Jahres verschied Direktor
Dr. Oskar v. Fraas. Mit seinem Tode hat die Wissenschaft der
Geologie und Palaeontologie , sowie der Anthropologie eine ihrer
Zierden, Württemberg einen seiner bedeutendsten und bekanntesten
Söhne, der Verein für vaterländische Naturkunde eines seiner ältesten
und treuesten Mitglieder und langjähriges Mitglied des Vorstandes
verloren, und ungewöhnlich gross ist der Kreis der Verehrer und
Freunde, die in dem Dahingegangenen den Lehrer und Berater, den
treuen Freund betrauern.
Noch kurz vor seinem Ende, das ruhig und schmerzlos dem
Greis sich näherte, hat Fraas es dankbar anerkennend ausgesprochen,
dass er mit Befriedigung zurückschauen dürfe auf ein reiches Leben.-
Und wahrlich , wie dieses Leben reich ausgestattet war mit
glänzenden Gaben des Geistes und einem empfänglichen Gemüt, so
darf es auch ein an Erfolgen reiches genannt werden.
Geboren am 17. Januar 1824 als Sohn des Pfarrers und Dekans
Fraas zu Lorch, war auch Oskar Fraas zur theologischen Laufbahn
bestimmt und schlug den in Württemberg für das theologische Studium
üblichen Bildungsgang ein. Die Absolvierung des Landexamens, das
Seminar in Blaubeuren und schliesslich das Stift in Tübingen sind die
einzelnen Etappen dieser Laufbahn. Aber wie Fraas in der Wahl des
Berufs dem Vater folgte, so hatte er von diesem auch den Sinn und
das Verständnis für die Naturwissenschaften geerbt. Die Ammoniten-
sammlung, die sein Vater als Dekan in Balingen im Laufe der Jahre zu^
sammengebracht hatte, bot sicher auch dem Sohn Anregung und An-
leitung zum Sammeln in den versteinerungsreichen Schichten der Heimat.
In Tübingen ward Fraas vollauf Gelegenheit, dieser Neigung
weiter nachzugehen und wissenschaftlich auszubilden, denn hier wirkte
in hohem Grade anregend der feurige Qu enste dt als Lehrer der Palae-
ontologie, den später sein dankbarer Schüler Fraas den praeceptor
Sueviae nannte. Sicher war unter den zahlreichen Schülern, die zu
Quenstedt's Füssen sassen, Fraas der eifrigsten einer, und so sehen
— XXX —
wir, wie der junge Theologe einen akademischen Preis mit einer
Arbeit über die geognostischen Verhältnisse Tübingens davonträgt.
Zunächst blieb Fraas dem gewählten theologischen Berufe treu
und kam als Vikar nach Balingen und Leutkirch und später als
Pfarrer nach Laufen a. d. Eyach. Sein Amt gestattete es ihm, sein
Lieblingsstudium weiterzutreiben, und die Gegend, in welche ein
günstiges Geschick ihn versetzt hatte , bot ihm hierzu Anregung in
Fülle. Es ist bezeichnend für Fraas, wie er sein geologisches Wissen
in Zeiten der Not für seine arme Gemeinde praktisch zu verwerten
wusste. Auf seine Anregung hin sammelte jung und alt die präch-
tigen Versteinerungen der Balinger Gegend, der kundige Pfarrherr
nahm Präparation, Bestimmung, Ordnung und den Verkauf der Fos-
silien in die Hand und mancher Gulden floss der bedürftigen Ge-
meinde zu, deren Pfarrer es verstand, mit der Zauberformel der
Naturwissenschaft aus „Steinen Brot zu machen".
Zugleich aber wurde der Name des Laufener Pfarrers in geo-
logischen und palaeontologischen Kreisen immer mehr bekannt, eine
Reihe wissenschaftlicher Publikationen hatte ihm in der Gelehrten-
welt bereits einen Platz gesichert und es war naheliegend, dass die
Wahl auf ihn fiel , als es sich darum handelte , für die Besorgung
der geologischen Sammlung am K. Naturalienkabinett in Stuttgart
eine neue Kraft zu gewinnen.
Schon seit alters hatte man in Württemberg auch den Versteine-
rungen Beachtung geschenkt und schon die alte Raritätenkammer,
der Anfang des heutigen Naturalienkabinetts, enthielt einige Selten-
heiten. Viel ging freilich verloren zur Zeit, als das Naturalienkabinett
bald da, bald dort in unzulänglicher Weise untergebracht wurde,
allein als dasselbe 1826 das neue Heim bezog, gelangte noch manch-
mal ein wertvolles Stück mit in die Sammlung, wir erinnern nur an
die schon 1700 gemachten Mammutfunde von Cannstatt, denen
1816 die berühmte Gruppe der Stosszähne von ebenda folgte. Man-
ches neue kostbare Stück kam hinzu, und so erwies es sich als
dringend notwendig, ausschliesshch für den geologisch-palaeontologisch-
mineralogischen Teil der Sammlung eine eigene Kraft zu gewinnen.
1854 wurde hierzu Fraas berufen, zunächst provisorisch, um nach
zwei Jahren mit dem Titel Professor zum Konservator dieser Ab-
teilung des Naturalienkabinetts ernannt zu werden.
Welch gute Wahl die Regierung hiermit getroffen, zeigt ein
Gang durch die Sammlung, wie wir sie heute im Naturalienkabinett
sehen. Besonders der Parterresaal wird sein Andenken stets lebendig
— XXXI —
erhalten. Die prächtige Sammlung, in welcher dem Besucher ein
umfassendes Bild der Geologie und Palaeontologie Württembergs
gegeben wird, wie kein Museum der Welt in ähnlicher Vollständig-
keit von einem anderen Lande es zu bieten vermag, ist zum grössten
Teil sein eigenstes Werk. Zu dem, was bereits vorhanden war, hat
er in unermüdlicher Sammelthätigkeit eine Fülle neuen Materials
gefügt. In jahrzehntelang fortgesetzten Exkursionen, landauf, landab
die Schichten durchklopfend, hat er den grössten Teil dem versteine-
rungsreichen heimischen Boden entnommen, und manches kostbare
Stück, welches heute die Sammlung ziert, ist seinen reichverzweigten
persönlichen Beziehungen mit allen Geologen des Landes, seiner
persönlichen Liebenswürdigkeit und seinem Eifer für die vaterländische
Sammlung, der Stolz seines Lebens, zu verdanken.
Zugleich mit der Vermehrung der Sammlung war Fraas auf
eine mustergültige Aufstellung derselben bedacht, mit welchem Er-
folg, weiss jeder, der einmal diese Sammlung besucht hat. Wie die
von seinem Kollegen Krauss durchgeführte biologische Aufstellung
der Tierwelt Württembergs einen Überblick giebt über die lebende Fauna
des Landes, so verfolgt der Besucher der palaeontologischen einheimi-
schen Sammlung die Bewohner Schwabens durch alle Formationen
hindurch bis zu den jüngsten diluvialen Vertretern der Tierwelt.
Von vielen Tausenden werden jährlich die Sammlungen besucht,
und der einfachste Mann vom Lande , der nach Stuttgart kommt,
weiss von ihnen zu erzählen, aber auch weit über die Grenzen des
Landes hinaus ist die Sammlung in wissenschaftlichen Kreisen berühmt;
hier liegen die berühmten Belodon-Funde , die Schar der Ichthyo-
saurier und Labyrinthodonten, die Schätze von Nattheim, Holzmaden,
Steinheim, Nusplingen, die Äetosaurus-Gm^ipe u. a., zum Teil Unika
und vielfach Originale zu Publikationen verschiedener Autoren.
Vielfach hat Fraas selbst die Bearbeitung in die Hand genommen,
und diese Jahreshefte verdanken ihm besonders eine Reihe palae-
ontologischer Abhandlungen.
Ebenso eifrig wie als Palaeontologe , ja vielleicht noch mehr,
war Fraas für Erforschung der heimischen Geologie thätig ; die Geo-
logie erfreut sich in Württemberg seit lange der staatlichen An-
erkennung und thatkräftigen Unterstützung; als sprechendes Zeugnis
hierfür liegen die grosse geognostische Specialkarte und die Schilde-
rungen der geognostischen Profile der Bahnlinien vor; sie verdanken
in der Mehrzahl Fraas ihre Entstehung. Fraas war es auch, der
zuerst dem Studium der Moränenbildungen in Oberschwaben näher trat.
— XXXII —
So eifrig Fraas die geliebte Heimat durchforschte, so zog es
ihn doch auch hinaus in weitere Fernen ; zweimal besuchte er den
Orient. 1865 und 1866 waren Ägypten, die Sinaihalbinsel und
Palästina das Ziel seiner Reise und seiner Forschungen ; seine hier-
über veröffentlichten Untersuchungen sind grundlegend geworden für
die Geologie dieser Länder. Ein zweites Mal folgte er dem Rufe
Rüstern Pascha's, des Gouverneurs von Syrien, zu einer geologi-
schen Untersuchung des Libanon. Eine Tour durch Spanien und
Südfrankreich war die letzte Reise ausserhalb Deutschlands.
Die geologischen und palaeontologischen Studien führten Fraas
auch zur Anthropologie. Mit gleichem Eifer und gleichem Erfolg
wie den Resten ausgestorbener Tiergeschlechter, ging er auch den
Spuren von geschichtlichen Menschen in Schwaben nach. Die be-
rühmten Funde der Schussenquelle, die uns einen Einblick gestatten
in das Leben des Menschen aus der Rentierzeit, wurden von Fraas
bearbeitet, und mit seinem Namen sind die Ausgrabungen des Hohlen-
steins, jener mächtigen Bärenhöhle, des Hohlefels und der Ofnet
verknüpft, und wies er hier den Menschen auf der tiefen Stufe der
Steinzeit nach, so brachte er aus den mächtigen Grabhügeln bei
Ludwigsburg, dem Kleinaspergle und der Belleremise, jene prächtigen
Schmuckstücke zu Tage, die beweisen, dass hier ein grosser germa-
nischer Heerführer zur Ruhe bestattet wurde. Die anthropologische
Gesellschaft Württembergs verehrt ihn als ihren Gründer und lang-
jährigen Vorsitzenden.
Was Fraas erforschte und gesehen, das wollte er auch anderen
zukommen lassen. Er wollte nicht nur die Fachgenossen bekannt
machen mit neuen Entdeckungen, sondern er hielt es für vereinbar
mit der Würde des Gelehrten, auch ein grösseres Publikum teil-
nehmen zu lassen an dem Genuss, welcher dem Forscher bei seinen
Arbeiten zu teil wird, und es einzuführen in die von ihm geliebte
Wissenschaft. In Wort und Schrift sich einer glänzenden Darstellung
erfreuend, hatte er sich stets eines dankbaren Hörerkreises zu er-
freuen, wenn er auf Versammlungen des Vereins oder bei anderer
Gelegenheit von seinen Reisen berichtete, und nicht minder fanden
seine populären Schriften, vor allem das Werk „Vor der Sündflut",
einen weiten Leserkreis. Was Fraas von Quenstedt gesagt, gilt auch
von ihm; auch er ist ein praeceptor Sueviae geworden, ein Lehrer
seines Volkes. Wenn in Schwaben die Geologie Wurzel geschlagen
hat, wie nirgends sonst, wenn sie geradezu ein Gemeingut des Volkes
geworden ist, so dass fast in jedem Örtchen ein Sammler sitzt und
— XXXIII —
die verschiedensten Benifskreise sich an der geologischen Erforschung
des Landes beteihgen, so ist dies nach Qiienstedt ein Hauptverdienst
von Fraas. Landauf, landab war Fraas wohlbekannt, der einfachste
Steinklopfer kannte den leutseligen Mann und der „alte Fraas" wird
im "Volke noch lange unvergessen bleiben.
Es ist nicht verwunderlich, dass eine derartige Persönlichkeit,
wie sie Fraas war, auch ausserhalb seiner Fachstudien vielfach eine
Rolle spielte, und es ist nur beinahe erstaunlich, wie er auch hierzu
die Zeit fand. So sehen wir ihn im Vorstand des Obst- und Wein-
bauvereins, an der Akademie Hohenheim trug er jahrelang das Fach
des Weinbaus vor, und das Vertrauen seiner Mitbürger Hess ihn auch
ins politische Leben eintreten und berief ihn für eine Reihe von
Jahren in den Gemeinderat der Stadt Stuttgart.
40 Jahre lang hat Fraas sein Amt als Konservator der palae-
ontologisch-geologisch-mineralogischen Abteilung des K. Naturalien-
kabinetts bekleidet, zuletzt noch seinem ihm im Tod vorangegangenen
Kollegen Direktor v. Krauss in der Stellung des I. Konservators
folgend ; mit zurückgelegtem siebzigsten Lebensjahre veranlassten
ihn die Beschwerden des Alters, die sich stärker fühlbar machten,
dem ihm ans Herz gev/achsenen und treu besorgten Amt Lebewohl
zu sagen und in den Ruhestand zu treten, bei welcher Gelegenheit er
von dem Staat in Anerkennung seiner hohen Verdienste durch Ver-
leihung des Titels Direktor und Erhebung in den persönlichen Adels-
stand geehrt wurde. Er hatte die freudige Beruhigung, dass das,
was er geschaffen, erhalten und in seinem Geiste fortgeleitet werden
würde, denn er durfte den Sohn als seinen Nachfolger sehen und
so wurde er auch selbst den Räumen nicht fremd, in denen er zum
Besten der Wissenschaft und des Staates so lange gewirkt. Oft und
gern noch kam er von seinem schönen Landsitz, wo er ein wohl-
verdientes otium cum dignitate genoss, herab, um wieder seinen
palaeontologischen Saal und sein Arbeitszimmer zu besuchen. Voll
Interesses verfolgte er das Wachsen der Sammlung und freute sich
jedes neuen Stückes, jedes neuen glücklichen Fundes im wohldurch-
forschten und immer noch an Seltenheiten reichen schwäbischen
Boden. Wie sein ganzes Denken das Naturalienkabinett war, so
wird auch er unvergessen bleiben, denn wie mit der schwäbischen
Geologie und dem wissenschaftlichen Leben Württembergs überhaupt,
so ist der Name Oskar Fraas mit dem K. Naturalienkabinett auf
immer unzertrennlich verbunden.
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898.
Wilhelm Möricke.
Geb. 16. Juni 1861, f 9. November 1897.
Von G. Steinraann, Freiburg i. B.
Die Nachricht von dem Ableben Wilhelm Möricke's dürfte
von allen, die dem jungen Gelehrten persönlich nahe standen, mit
dem Gefühle eines herben , unerwarteten Verlustes , von jenen , die
ihn nur aus seinen Schriften kannten , mit aufrichtigem Bedauern
aufgenommen worden sein. Bedeutete sein Tod ja nicht das natur-
gemässe Erlöschen eines Geistes, der ein ganzes Lebenswerk voll-
bracht hatte, sondern das jähe Zerschneiden des Lebensfadens eines
Mannes, der gerade im Begriffe stand, sein reiches Wissen und
Können, seine vielseitige Erfahrung zum Nutzen der lernenden Jugend
und der Wissenschaft zu verwerten. Gerade als er die erste Stufe
der akademischen Laufbahn, die venia legendi, erreicht hatte und
sich anschickte, seine Vorlesungen an der Freiburger Hochschule zu
beginnen, wurde er für immer abgerufen.
Wilhelm Möricke war am 26. Juni 1861 auf dem väterlichen
Gute Hohenbuch in Württemberg geboren, wo er bis zu seinem
siebenten Lebensjahre Unterricht durch seine Grossmutter und durch
Hauslehrer erhielt. Als dann sein Vater zum Landtagsabgeordneten
gewählt war und im Jahre 1868 nach Stuttgart übersiedelte, besuchte
er die Vorschule und das Gymnasium der Landeshauptstadt, später
dasjenige von Hall, wo er seine Maturitätsprüfung ablegte.
Als Kind hatten ihn weniger die geräuschvollen Jugendspiele
angezogen, als vielmehr eine ruhige und bedachtsame Betrachtung
der Natur. Schon früh äusserte sich seine Vorliebe für die Natur-
beobachtung in dem Eifer, mit welchem er allerhand Gegenstände,
namentlich Minerahen und Versteinerungen sammelte. Dieser Neigung
folgte er auch in der Wahl seines Berufes, als er nach absolviertem
Militärjahr die Universität bezog. In München, Leipzig und Frei-
berg i. S. suchte er sich während mehrerer Jahre bei hervorragenden
Lehrern, im besondern bei Zittel, Gümbel, Zirkel, Credner
und Stelzner, eine möglichst vielseitige Ausbildung in Mineralogie,
— XXXV —
Geologie und Palaeontologie zu verschaffen. Daneben erwarb er sich
auf wiederholten Reisen in Deutschland, der Schweiz, Tirol, sowie
in Böhmen und Ungarn ausgedehnte geologische und auch berg-
männische Kenntnisse. Am Schlüsse seiner üniversitätsstudien pro-
movierte er in München mit einer Schrift aus dem Gebiete der
Palaeontologie (No. I).
Als Feld für weitere wissenschaftliche Studien wählte er sich
Chile, wo sein älterer Bruder als Arzt und Professor an der santia-
giner Hochschule damals lebte. Zahlreiche Empfehlungen , welche
ihm dieser an die Bergwerksbesitzer und -Beamten verschaffte, ge-
währten ihm die Möglichkeit, seine Reise während der Jahre 1889
und 1890 auf einen grossen Teil der chilenischen Kordillere, im be-
sondern auf den erzreichen Distrikt des Nordens auszudehnen. Auf
dieser Reise war er bestrebt, einerseits manche Lücken in der Schicht-
folge der Kordillere auszufüllen, die frühere Reisende, wie der Ver-
fasser dieser Zeilen, hatten lassen müssen, anderseits aber das Verhält-
nis genauer zu untersuchen, in welchem die massigen Gesteine des Ge-
birges zu den Sedimenten stehen. Als weiterer Gegenstand seines Inter-
esses drängte sich ihm das auffällige Abhängigkeitsverhältnis zwischen
Erzgängen und Massengesteinen auf, welches vielleicht kaum irgendwo
auf der Erde deutlicher ausgeprägt ist als gerade im nördlichen Chile.
Die ersten Veröffentlichungen nach seiner Rückkehr (No. II,
in, IV) beziehen sich auf die beiden letztgenannten Themata.
Nachdem er sich dann kurze Zeit in München aufgehalten
hatte, siedelte er im Jahre 1891 nach Freiburg i. B. über, wo er
in Gemeinschaft mit dem Verfasser sich während der nächsten vier
Jahre der wissenschaftlichen Verarbeitung des reichen Fossilmaterials
aus Jura, Kreide und Tertiär Chiles widmete, welches von dem Ver-
fasser und ihm selbst gesammelt worden war (No. VI , VIII , IX).
Daneben beschäftigte ihn andauernd die Frage nach dem gesetz-
raässigen Auftreten der Erzgänge nicht allein in Bezug auf Chile
und die angrenzenden Teile Südamerikas, sondern auch in Rücksicht
auf die allgemeine Gesetzmässigkeit (No. VII).
Aus diesem Studium erwuchsen ihm neue Probleme, zu deren
Lösung ihm eine nochmalige Bereisung des erzreichen Distriktes des
mittleren und nördlichen Chiles notwendig erschien. Daher wandte er
sich, nachdem er von der Berliner Akademie zu diesem Zwecke das Hum-
boldt-Stipendium erhalten hatte, zum zweiten Male dorthin (Sommer
1895). Dieses Mal besuchte er besonders diejenigen Erzvorkommnisse,
welche er auf seiner ersten Reise gar nicht oder nur unvollkommen hatte
— XXXVI —
untersuchen können, prüfte dieselben auf die Gesetzmässigkeit ihres
Auftretens hin und bestimmte -das gegenseitige Altersverhältnis der
Massengesteine mit grösserer Schärfe, als es ihm früher möglich
gewesen war. Über dieses letzte Ergebnis berichtete er zunächst
nach seiner Rückkehr nach Europa im Sommer 1896 an die Berliner
Akademie (No. X), wandte sich dann aber der Ausarbeitung seiner
Beobachtungen über die gesetzmässige Verbreitung und Abhängigkeit
der Erzvorkommnisse in Chile zu. Eine zusammenfassende Arbeit
über diesen Gegenstand reichte er im Frühjahre 1897 an der Frei-
burger Hochschule zum Zwecke der Habilitation ein (No. XI) ; seine
Habilitation selbst erfolgte im Juni desselben Jahres.
In seinen Vorlesungen, die mit dem Wintersemester 1897/98
beginnen sollten, gedachte er besonders die Lehre von den Erz- und
Minerallagerstätten zu behandeln, und er hoffte durch Einbeziehung
der Produktionsstatistik und der wahrscheinlichen Produktionsmöglich-
keit der Edelmetalle auch einen grösseren Zuhörerkreis aus den
Studierenden der Nationalökonomie zu gewinnen, was ihm auch
zweifellos gelungen wäre. Weiter stand der Plan fest, im Verein
mit dem Verfasser eine ausführliche Beschreibung der geologischen
Verhältnisse der chilenischen Kordillere herauszugeben , wozu auch
^chon gewisse Vorbereitungen getroffen waren.
Allein schon im Sommer 1897 begannen bei ihm sich die An-
zeichen eines Gehirnleidens in immer stärker auftretenden Kopf-
schmerzen und in der Unfähigkeit zu andauernder geistiger Arbeit
geltend zu machen. Am Schlüsse des Sommersemesters kehrte er
daher zu seiner Familie in Stuttgart zurück. Es sollte ihm nicht
vergönnt sein, seine Thätigkeit wieder aufzunehmen. Seine Krank-
heit, zu welcher der Grund auf seinen Reisen gelegt gewesen zu
sein scheint, verschlimmerte sich immer mehr und der 9. November
setzte seinen schweren Leiden ein Ende.
Möricke's Persönlichkeit wird allen, die ihn gekannt haben, nur
sympathisch gewesen sein, da sie sein offenes und gutherziges Wesen,
seine verständige und vorurteilslose Denkart und sein Interesse für
alles Schöne und Gute schätzen mussten. Seiner Familie und seinen
Freunden war er nicht minder treu ergeben als seiner Wissenschaft.
Diese verdankt ihm ausser mannigfachen wichtigen Beobachtungen
über die Geologie und Palaeontologie Chiles wesentlich mit den
Nachweis, welcher besonders auch durch die Arbeiten seines ver-
storbenen Lehrers Stelzner und seines Freundes Vogt in Christiania
erbracht worden ist, dass die Verteilung verschiedener Klassen von
— XXXVII —
Erzvorkommnissen an das Auftreten bestimmter Gruppen von Eruptiv-
gesteinen strenge gebunden ist und dass ihr Bestand zu dem der
zugehörigen Massengesteine hinzugefügt werden muss, um die wahre
Zusammensetzung der ursprünglichen Schmelzflüsse zu erhalten. In
dieser Beziehung bildet seine letzte Schrift auch den Abschluss seiner
Forschungen.
Seine Schriften sind :
(I) 1889. Die Crustaceen der Stramberger Schichten. (Palaeonto-
graphica, Supplement II, 6. — Palaeontologische Mitteilungen III, 2
p. 45, 72 t. 6.) Promotionsschrift.
(II) 1891. Das Eruptivgebiet des S. Cristöbal bei Santiago, Chile.
(Tschermak's Mitteilungen XII S. 143—155.)
(III) 1891, Einige Beobachtungen über chilenische Erzlagerstätten
und ihre Beziehungen zu Eruptivgesteinen. (Ebenda XII S. 186
bis 198.)
(IV) 1892. Vergleichende Studien über Eruptivgesteine und Erzführung
in Chile und Ungarn. (Berichte der uaturf. Gesellsch. zu Frei-
burg i. B. Bd. VI S. 121 — 133.)
(V) 1893. Über grosse Enargitkrystalle aus Chile. (XXVI. Bericht
d. oberrh. geolog. Vereins S. 50 — 51.)
(VI) 1894. Versteinerungen des Lias und ünteroolith von Chile.
(Beiträge z. Geologie u. Palaeontologie v. Südamerika, herausg.
V. Steinmann, II, — N. Jahrb. f. Min. etc, Beilageb. IX S. 1 — 100
t. 1—6.)
(VII) 1895. Über edle Silbererzgänge in Verbindung mit basischen
Eruptivgesteinen. (Zeitschr, f. prakt. Geologie 1895 S. 4 — 10.)
(VIII) 1895. Die Gastropoden und Bivalven der Quiriquina-Schichten.
(Beitr. z. Geol. u. Pal, v. Südamerika III. — N, Jahrb. f. Min. etc.
Beilageb. X S. 95—114 t. 7.)
(IX) 1896. Versteinerungen der Tertiärformation in Chile, (Ebenda IV.
— N. Jahrb. f. Min, etc. Beilageb. X S. 548—612 t. 11 — 13.)
(X) 1896. Geologisch-petrographische Studien in den chilenischen
Anden. (Sitzungsber. d. kgl. preuss. Akad, d. Wissensch. Bd. XLIV
S. 1161—1174.)
(XI) 1897, Die Gold-, Silber- und Kupfererzlagerstätten in Chile und
ihre Abhängigkeit von Eruptivgesteinen, (Ber. d. naturf. Gesellsch.
zu Freiburg i. B. Bd. X S. 152—200.) Habilitationsschrift.
Buchhändler Eduard Koch, f Stuttgart, 1. Dezember 1897.
Von Pfarrer Dr. Engel in Eislingen.
Die einfache Pflicht der Dankbarkeit gebietet es , dass neben
den beiden andern Männern der Naturwissenschaft, die der Tod im
letzten Jahr unserer Heimat und unserem Verein geraubt hat, und
deren Lebensgang in diesen Blättern verzeichnet steht, an derselben
Stelle auch des Obengenannten trauernd und rühmend gedacht
werde, den wir am 3. Dezember des vorigen Jahres begraben mussten.
Hat doch derselbe nahezu drei Decennien hindurch die Jahreshefte
des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg in muster-
hafter Weise verlegt, so dass für die Weiterführung auch dieser Zeit-
schrift sein Verlust ein fast unersetzlicher genannt werden muss.
Geben wir denn zunächst eine kurze Darstellung über den äusseren
Lebensgang des Entschlafenen.
Eduard Friedrich Koch war als das älteste von sieben Ge-
schwistern am 10. Juli 1838 in Grossaspach, OA. Backnang, geboren,
wo sein Vater damals Pfarrer war. Nachdem letzterer in Heilbronn als
Stadtpfarrer und später als Dekan seinen Wohnsitz genommen hatte,
besuchte der Sohn vom Jahre 1847 an das dortige Gymnasium, und
schon damals regte sich in ihm ein eifriger Sammeltrieb, namentlich
von Naturgegenständen. Von Haus aus zum Theologen bestimmt,
fühlte er indes bald, dass ihm ein anderer Lebensberuf beschieden
sei. So verliess er mit 16 Jahren die Schule, mit dem festen Ent-
schluss, Buchhändler zu werden. Seine Lehr- und Wanderjahre ver-
brachte er in den renommiertesten Geschäften zu Heidelberg (1853
bis 57), Braunschweig (1857—59), Freiburg i. Br. (1859—61 und
wieder 1863—67) und Leipzig (1861—63), bis er im Oktober 1867
die rasch zu einer gewissen Blüte gelangte Schweizerbart'sche Ver-
lagshandlung in Stuttgart und damit eine selbständige Lebensstellung
erwarb. Von da an, also während voller 30 Jahre, blieb er in der
schwäbischen Hauptstadt, wo er zuerst (1867 — 69) allein, dann in
den folgenden zwei Jahren (1869 — 71) mit seinem indes in den Euhe-
stand getretenen und zu ihm gezogenen Vater, und nach dessen
— XXXIX —
baldigem Hingang sein ganzes übriges Leben hindurch (1871 — 97)
vollends mit einer jüngeren Schwester zusammen wohnte , die ihm
sein leeres Haus zu einer behaglichen eigenen Heimstätte umzu-
schaffen verstand. Früher durch vielfache Beschäftigung mit der
Geschichtswissenschaft zum Studium der Münzkunde angeregt, hatte
er bereits eine stattliche numismatische Sammlung sich erworben,
die aber bald seinem noch grösseren Sammeleifer auf geologischem
Gebiete weichen musste. Zum Studium der Naturwissenschaften und
insonderheit der Palaeontologie war er schon in Heidelberg ge-
kommen, wo er die Vorlesungen von Leonhard über Geologie und
Mineralogie besuchte. Der Neigung zu dieser Wissenschaft und ins-
besondere der Anlegung einer hervorragenden Petrefaktensammlung
widmete er von neuem auch neben seinem eigentlichen Lebensberuf
nahezu seine ganze Zeit und Kraft, was aber wiederum nur in be-
fruchtendster Weise auf jenen Hauptberuf zurückwirken konnte, da
er sich nach und nach in seinem Verlag auf die Herausgabe von
ausschliesslich naturwissenschaftlichen Werken beschränkte. Mit
grosser Thatkraft und rastlosem Eifer betrieb er alles, was er in die
Hand nahm, und brachte denn auch bald seine Sammlung wie sein
Geschäft auf eine beneidenswerte Höhe. Von Haus aus mit eiserner
Körper- wie Willenskraft ausgerüstet, bot seine Erscheinung zeit-
lebens ein Bild strotzender Gesundheit. Da mit einem Male brachen
seine Kräfte, nachdem eine schwere Herz- und Gefässentartung etwa
zwei Jahre vor seinem Tod bei ihm aufgetreten war. Ein leichter
Schlaganfall mahnte ihn im Sommer 1896 an das, was bevorstand.
Er suchte und fand auch anscheinend Heilung durch eine längere
Luftkur in Urach, infolge deren er seine Arbeit nahezu im früheren
Umfang wieder aufnehmen und noch ein volles Jahr fortführen konnte.
Da nahte auf einmal, und rascher als er und seine Freunde es wohl
dachten, seine Stunde. Am Abend des 30. November 1897 ward er
im Kreise von Bekannten von einem erneuten Schlaganfall betroffen,
der nach wenigen Stunden seinem unermüdeten Schaffen für immer
ein Ziel setzte. Er selbst hatte sich oft einen solchen Tod gewünscht,
wie er ihm nun wirklich beschieden ward. Um ihn trauern vier Ge-
schwister, zwei Schwestern und zwei Brüder, von denen der eine
Oberstabsarzt in Ludwigsburg, der andere Stadtpfarrer in Pfungstadt
(Hessen) ist, derselbe, der seinerzeit Hofprediger bei dem ersten Bul-
garenfürsten Alexander in Sofia gewesen war. Mit ihnen standen aber
trauernd am Grab noch eine grosse Anzahl von Berufsgenossen, Ge-
lehrten und Freunden des so rasch aus dem Leben gerufenen Mannes.
- XL -
Dies veranlasst uns, demselben weiter einige Worte zu widmen
zunächst bezüglich seines Wirkens in seinem eigentlichen, Berufsfach
als Vertreter eines der bedeutendsten wissenschaftlichen Verlags-
geschäfte Deutschlands. Dass der alte Schweizerbart'sche Verlag
mit Recht heute so bezeichnet werden mag und dass er überhaupt
diese Höhe und Blüte erreicht hat, ist einzig der Thatkraft und dem
Unternehmungsgeist Koch's zu verdanken. Von dem Umfang, den
das Geschäft unter seiner Leitung nach und nach angenommen hat,
zeugt am besten der neueste, wenige Tage nach seinem Tode her-
ausgekommene Katalog. Unter den darin aufgeführten nicht weniger
als 210 Nummern führen wir in ersterer Linie von periodisch er-
scheinenden naturwissenschaftlichen Zeitschriften an :
Palaeontographica, Beiträge zur Naturgeschichte der Vorzeit,
43 Bände, mit Generalregister und Supplementen, die einen Wert
von ^lahezu 3000 Mk. repräsentieren;
Palaeontologische Mitteilungen aus dem Museum des K.
bayr. Staats, von Oppel begründet, von Zittel bis heute fort-
gesetzt;
Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württem-
berg (54 Bände) ;
Fundberichte aus Schwaben über vorgeschichtliche, römische
und merowingische Altertümer, herausgegeben von Prof. Dr.
G. Sixt;
Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Palaeonto-
logie, 64 Bände, nebst Beilagebänden und Repertorium (Personen-,
Orts- und Sachregister), derzeit herausgegeben von B auer (Mar-
burg), Dam es (Berlin) und L i e b i s c h (Göttingen), einen Katalog-
wert von ca. 1200 Mk. darstellend.
Die Schriftleiter der beiden letztgenannten Werke haben bereits
in warmen Nachrufen ihrer Trauer um den Verstorbenen Ausdruck
gegeben und seinen Verlust als einen für Fortführung auch ihrer
Zeitschriften überaus herben bezeichnet. Nicht anders mag es denen
zu Mut sein, die bezüglich Herausgabe von Separatwerken mit Koch
seit Jahren in Verbindung standen.
In seinem Verlag erschienen nämlich nicht nur fast alle geo-
logischen Werke der heimischen, sondern auch eine grosse Zahl
ausserwürttembergischer Autoren. Wir nennen, um nur die wich-
tigsten hervorzuheben, etwa die folgenden:
Quenstedt, Die Ammoniten des Schwäbischen Jura, 1885 ff., ein
dreibändiges Monumentalwerk;
Oppel, Über jurassische Cephalopoden und Crustaceen;
B ran CO, seine drei Hauptwerke: (Entwickelungsgeschichte der Ce-
— XLI —
phalopoden , Vulkanembryonen Schwabens und fossile Menschen-
zähne aus den Bohnerzen der schwäbischen Alb), deren letzteres
erst nach Koch's Tod erschien ;
Fraas, Vater und Sohn, nämlich Dr. Oskar: Äefosaurus ferrahts,
Geognostische Beschreibung von Württemberg; Geognostische
Wandkarte von Württemberg; Dr. Eberhard: Die Labyrintho-
donten der schwäbischen Trias und die schwäbischen Triassaurier ;
Engel, Geognostischer Wegweiser durch Württemberg;
Klunzinger, Die Fische des Roten Meeres;
Probst, Klima und Gestaltung der Erdoberfläche, sowie Über einige
Gegenstände aus dem Gebiete der Geophysik ;
Plieninger, Ein neuer Flugsaurier aus dem oberen Lias Schwabens.
Von nicht schwäbischen Gelehrten, die eine Anzahl ihrer Werke
im Koch'schen Verlage erscheinen Hessen, seien beispielsweise nur
genannt die Namen vonBerwerth, Eichwald, Frech, Göppert,
Ferd. und Fr. Adolf Römer, Rosenbusch, Rothpletz, Schimper,
Zittel u. a.
Ein ganz besonderes Verdienst erwarb sich aber unseres Er ach-
tens Koch auch dadurch, dass er die bedeutsamsten zeitgenössischen
Werke englischer Naturforscher und Gelehrten in autorisierten
Übersetzungen uns zugänglich machte. In dieser Hinsicht ist wohl
in erster Stelle der Name Darwin's zu nennen, dessen sämtliche
Schriften, von J. Victor Carus übersetzt, sowohl als „gesammelte
Werke" in 16, als auch in einer „Auswahl" von 6 Bänden bei Koch
herauskamen. Wenn Darwin , der seinen Verlegern gegenüber als
sehr misstrauisch galt, gerade an die Firma Koch sich wandte, so
liegt schon darin eine überaus ehrenvolle Anerkennung für deren
Inhaber. Mit 20 Nummern in 43 Bänden und einem Wert von
ca. 300 Mk. finden wir denn diese Werke im neuesten Katalog ver-
zeichnet. Darwin selbst stand mit Koch in jahrelangem Briefwechsel,
der oft genug über das bloss Geschäftliche hinausging. Neben Darwin's
sind es sodann die Werke von Herbert Spencer, die ebenfalls in
autorisierter Übersetzung (von Dr. B. Vetter und Caru s) in 11 Bänden
unter dem Titel : „System der synthetischen Philosophie" bei Koch her-
auskamen. Auch sie stellen einen Katalogwert von ca. 150 Mk. dar.
Bei allen diesen Werken, die im Laufe der Zeit im Koch'schen
Verlage erschienen, hat der Verleger ganz besonderen Fleiss auch auf
die beigegebenen Abbildungen verwendet und für möglichst feine
technische Reproduktion aufs ängstlichste Sorge getragen. Hat er
sich doch nicht nur selbst immer tüchtiger in das Gebiet der in
dieser Beziehung so rasch und riesig fortgeschrittenen modernen
— XLII -
Technik hineingearbeitet, sondern eben auch durch seinen Verlag
jenes Kunsthandwerk in der schwäbischen Hauptstadt ganz wesent-
lich gefördert und zur Ausführung immer höherer Aufgaben ermutigt.
Ganz besonders aber ist an dem Entschlafenen in seiner Eigen-
schaft als Verleger hervorzuheben die innige Hingabe für und das
selbstthätige Mitarbeiten an den Werken , die durch seine Hände
gingen. Hier eben zeigte er sich nicht bloss als praktisch gewiegter
Geschäftsmann, sondern gleichzeitig als verständnisinniger Berater,
liebenswürdiger Mithelfer und rücksichtsvoller Freund, was ihm denn
auch das unbedingte Vertrauen der Autoren zuführte. Wohl jeder,
der in dieser Beziehung mit Koch zu thun gehabt hat , wird ihm
dieses ehrende Zeugnis ausstellen. Und in der That, wir haben oft
gestaunt über die riesige Arbeitskraft des Mannes, der Seite für
Seite der Korrekturbogen durchsah mit einer Genauigkeit und Schärfe,
dass kaum ein Fehlerchen mehr zu finden war. Daneben sprang er
öfters mit grosser Opferwilligkeit ein bei der Herausgabe von Werken,
bei denen, vom geschäftlichen Standpunkt aus betrachtet, kein oder
kaum ein klingender Gewinn zu erhoffen war, wie er denn auch gern
seine CHches anderen zur Benützung überliess, wenn nur der Sache
damit gedient war, für welche er selbst leibte und lebte.
Was wir vorhin von Koch's Beziehung zu Darwin sagten, das
darf man ohne weiteres auch auf sein Verhältnis zu den meisten
übrigen Autoren übertragen, die ihm ihre Geistesprodukte zur Ver-
öffentlichung anvertrauten. Koch stand mit fast allen in persön-
lichem und brieflichem Verkehr, er kannte insbesondere weitaus die
Mehrzahl der deutschen Geologen von den Versammlungen her, die
er fleissig besuchte, wie er denn auch umgekehrt hier und überall,
wo er auftrat, als stets gern gesehener Gast begrüsst und aufs ehren-
vollste behandelt wurde.
Ein derartiges Wesen verschaffte unserem Freund auch sonst
eine Reihe von Vertrauensposten, die ihm ungesucht übertragen
wurden. So war er langjähriger Kassier des Vereins für vaterländische
Naturkunde, wie er denn auch dieselbe Stellung beim Württ. anthro-
pologischen Verein seit dessen Gründung vor 26 Jahren , und nicht
minder, so viel uns bekannt, beim Oberrheinischen Geologenverein
bekleidete. Mit Recht legte daher Dr. Eb. Fraas namens jener beiden
erstgenannten Vereine je einen Lorbeerkranz an Koch's Grab nieder.
Dazu fügte er aber noch einen dritten, gewiss ebenso wohl ver-
dienten, den er mit warmen Worten dem „Sammler" und „Freund"
widmete, der seit langen Jahren als eine der Hauptzierden der
— xmi —
schwäbischen Geologen und bei allen Vereinigungen derselben mitt-
ratend und mitthatend erschienen war. '
Auch wir können nicht umhin, zum Schluss noch gerade diese
beiden Züge aus dem reichen Leben und Wirken des Geschiedenem
mit ein paar Worten zu berühren, wäre doch ein wirkliches Stück
von dem Mann unterschlagen, wenn man seine Sammlungen vergässe.
Seit Jahrzehnten nahm Koch unter den Petrefaktensammlern
Württembergs eine der ersten, wo nicht die allererste Stelle ein.
Und zwar machte er sich schliesslich fast nur noch mit den Ver-
steinerungen des schwäbischen Jura, und unter diesen wiederum vor-
zugsweise mit dessen Ammonshörnern zu thun, in richtiger Weise
das Wort des Dichters zu seinem Symbolum erwählend, dass „in
der Beschränkung zeigt sich erst der Meister". Als Meister aber
im vollsten Sinne des Wortes erwies sich dieser Sammler, der stets
seinen Stolz darein setzte, nur tadellose Stücke in seinen Kästen zu
haben. Wohl hatte er früher auch fremdländisches Material in
schönen Suiten in seinem Besitz. Desgleichen wusste er sich aus
den schwäbischen Trias- und Tertiärschichten (Saurierreste aus
Muschelkalk und Lettenkohle; Säugetierknochen von Steinheim und
Ulm) mit das Beste und Feinste beizulegen. Und solche Schätze
zu erwerben, scheute er weder Mühe noch Zeit, weder Überredung
noch Geld; kaufte er doch jeweils ganze Sammlungen an, ledigUch
wegen etlicher darin liegender Seltenheiten, die er behielt, um das
übrige nachher wieder an Händler abzugeben. Doch entäusserte er
sich im Laufe der Jahre auch aller nicht jurassischen Petrefakten
wieder, die er um massigen Preis und um sie der Heimat zu er-
halten, dem K. Naturalienkabinett abtrat, und behielt schliesslich in
weiser Selbstbeschränkung nur noch Jurafossile, die aber auch, in-
sonderheit, wie gesagt, die Ammoniten, an Reichhaltigkeit, Mannig-
faltigkeit und Schönheit der Exemplare ihresgleichen suchten. Sind
doch eine grosse Anzahl derselben als Originale in den verschieden-
sten wissenschaftlichen Werken (allein im grossen Quenstedt'schen
Ammonitenwerk gegen 100 Stück) beschrieben und abgebildet. Kein
Wunder, dass, um diese einzigartige Sammlung zu sehen, Gelehrte
aus aller Herren Ländern unsern Koch besuchten, und dass er selbst,
der unverheiratet geblieben war, oft von diesen Ammoniten als von
„seinen Kindern" zu reden pflegte.
Um in ihren Besitz zu kommen, war ihm, wie schon angeführt
wurde, kein Opfer zu gross. Er stand daher mit allen schwäbischen
Sammlern und Händlern in Verbindung, machte aber auch selbst,
— XLIV —
allein und in Begleitung geologischer Freunde, unzählige Exkursionen
in „seinen Jura", den er „wie seine Hosentasche" kannte. Dutzend-
mal war er im Laufe von vielen Sommern im Eldorado schwäbischer
Sammler, in der Balinger Gegend, auf dem Lochen und Bollert;
dutzendmal an der Wutach, wo das badische Zollhaus als Stütz-
punkt diente, um von da die Steilhalden am Eichberg und Buchberg
„abzuklopfen" oder die Hochebene des Randen zu durchwandern-
Und wie manche fröhliche Stunde brachte er auf solchen Wanderungen
zu im Kreis der Freunde, zumal derer vom „Steigenklub", wenn
es galt, am Ipf und im Ries, in der Staufen- oder Zollerngegend,
bei Metzingen oder bei Immendingen zu klopfen. War und blieb
er doch einer der treuesten und eifrigsten Mitglieder dieser zwang-
losen Vereinigung schwäbischer Geologen bis zu seinem Tod und
fehlte kaum jemals bei einer ihrer Exkursionen oder Zusammen-
künfte. Mit Recht legte darum Fraas eben im Namen dieser „Steigen-
klubler" den dritten Kranz auf das Grab des so rasch aus ihrer
Mitte geeilten ; denn 8 Tage, ehe man ihn in die Erde bettete, hatte
er noch einer solchen Versammlung und wenige weitere Tage vor-
her, der Beerdigung des alten „Papa Fraas", anscheinend in bester
Gesundheit, angewohnt. Und gewiss allen, die ihm näher standen,
ist er auch ein Freund in des Wortes voller Bedeutung gewesen.
Vorträge bei der Generalversammlung.
I.
Der Braune Jura von Eningen und Umgebung.
Von Pfarrer G-ussraann in Eningen.
Es könnte wohl als ein Wagnis erscheinen, wenn ich es unter-
nehme, Ihnen über den Braunen Jura von Eningen und seiner Um-
gebung einige Mitteilungen zu machen, da gerade diese Eninger
Schichten wohl zu den bekanntesten und am meisten durchforschten
des ganzen schwäbischen Jura gehören und auch schon mehrfach
beschrieben worden sind. Ich erinnere nur an die Werke von Quen-
STEDT, Fraäs, Engel, die Monographie von Krimmel u. a. So findet
man denn auch Eninger Petrefakten nicht bloss in den württem-
bergischen Sammlungen, sondern wohl in denen von ganz Deutsch-
land und darüber hinaus. Ich darf da nur die berühmten, nur hier
in solcher Fülle und Schönheit vorkommenden Hamiten erwähnen.
Es ist auch nicht meine Absicht, Ihnen eine erschöpfende wissen-
schaftliche Abhandlung über das genannte Thema zu geben, sondern
ich wollte nur, da unsere Hauptversammlung heute in Reutlingen
tagt, Ihnen einige Funde aus der Nähe vorführen, nämlich solches,
was ich selbst in den neun Jahren meines Eninger Aufenthaltes hier
gesucht, beobachtet und gesammelt habe, und daran einige Erläute-
rungen anknüpfen, wohl auch einige Fragen berühren, die zu weiterer
Forschung Anregung geben können. Die Schichten, die ich dabei
im Auge habe, sind die des mittleren und teilweise oberen Braunen
Jura, y — £ nach der QüENSTEDi'schen Einteilung.
Wenn wir von Reutlingen aus zurAchalm emporsteigen und
zwar auf der Südseite derselben, so kommen wir nach Zurücklegung
etwa des ersten Drittels auf ein Plateau, das sich in einem Bogen
um dieselbe herumzieht und auf dessen äusserstem südwestlichen
Rande die Eifertshöhe, ein bekannter hübscher Aussichtspunkt,
— XLVI —
liegt. Wir sind damit auf der Terrasse des Braunen Jura /, der
sogen. „Blauen Kalke", welche wir schon an einigen Punkten des
Aufstieges in den Weinbergen die Köpfe herausstrecken sahen, an-
gelangt. Wir sehen auch sofort eine Reihe von Steinbrüchen, in
welchen jene Blauen Kalke gebrochen und ausgebeutet werden und
zwar teils als Bausteine, teils als Pflastersteine oder auch zu Strassen-
einsatz und -Beschotterung. Die Mächtigkeit dieser Blauen Kalke,
ebenso ihre Dichtigkeit ist eine verschiedene und beträgt ca. 2 — 3 m.
Unter denselben liegt ein schwarzblauer Thon, der ganz petrefakten-
leer ist. Die Blauen Kalke werden von den Arbeitern wieder in
mehrere Schichten eingeteilt, die ich in dem grössten mittleren
Steinbruch gemessen habe und die in folgender Ordnung von unten
nach oben aufeinander folgen :
1. Ein gelber Sandstein (in der Mitte zuweilen noch blau),
40 cm mächtig, der zu Bauzwecken verwendet wird.
2. Die Hauptschicht, der Eninger Pflasterstein, 1 — 1,20 m
dick, der übrigens in den nach vorne gelegenen Brüchen viel schwächer
wird, ja fast ganz verschwindet.
3. Der sogen. „Eiserne", ein harter Kalk, in welchem haupt-
sächlich die in diesen Schichten vorkommenden Petrefakten, nament-
Hch Isocardia aaJensis, in ganzen Lagern sich finden, 15 cm dick.
4. Der „Wollene", ein rauh und sandig sich anfühlender,
ziemlich weicher Kalkstein, der beinahe wertlos ist; und endlich
5. die „Platte", ca. 20 — 25 cm dick, eine ebenfalls ziemlich
weiche, wertlose Kalkschicht, welche den Übergang zum Braunen
Jura d bildet.
Die dieser Schicht eigentümlichen Petrefakten ziehen sich
so ziemlich durch sämtliche Bänke hindurch, namentlich finden sie
sich in dem sogen. „Eisernen" (s. o.), Peden demissus hauptsächlich
in den Pflastersteinen. Ich führe folgende von mir selbst gefun-
dene an:
Ammoniten: Am. Gervilln in prächtigen Exemplaren und der
kleinere Am. contractus mit lang vorgestrecktem Ohr ; ferner verschie-
dene zur Soiverhyi-ijrxx^'^Q gehörige Arten: Am. Sowerbyi, arenahis,
Tessoniamis mit mancherlei Übergängen und Variationen, meist flache
Scheiben, endlich Am. Humphriesicmus , jedoch meistens verdrückt;
Nautilus aperturatus, zum Teil in sehr grossen Exemplaren.
Belemniten: Ein Vorläufer des Bei. giganteus, jedoch kleiner
und schlanker, mit riesigen Alveolen, sodann oben ein kleiner
Bei. hrevis;
— XLVII —
Trigonia clavellata, meist aufgeklappt (die sogen. „Schmetter-
linge"),
Peden demissus mit schönen glänzenden Schalen (die sogen.
„Ochsenaugen"),
Isocardia aalensis,
Nucida aalensis,
Cucidlaea ohlonga,
Modiola modiolata,
Pholadomya ßdicula,
Ästarte elegans,
Myacites gregarius und Jurassi,
Pinna cuneata,
Pleurotomaria (armata ?).
Die Terrasse der Blauen Kalke, des obersten Gliedes von Braunem
Jura y, senkt sich allmählich gegen das Dorf Eningen hin, so dass
wir dort bei der ScHEYTi'schen Brauerei dieselben Schichten und
Aufschlüsse finden wie oben auf der Eifertshöhe.
Über den Blauen Kalken beginnt Braun-Jura d, und hier
kommt vor allem in Betracht der Abraum über den ersteren. Schon
20 cm über der „Platte" liegt eine Breccie mit einer Masse meist
zerdrückter, zuweilen jedoch auch vollständig erhaltener Petrefakten,
eine kurze Strecke weiter oben ein zweiter petrefaktenhaltiger Streifen,
während höher hinauf der Thon ziemlich leer wird. Wo der Ab-
raum 172 — 2 m übersteigt, wird nicht mehr gebrochen, da die Weg-
schaffung des ersteren zu mühevoll und kostspielig ist.
In dem gen. Abraum fanden sich folgende Petrefakten: Zu-
weilen, aber selten, Nachzügler von Am. contractus und Sotverhyi,
Bei. hrevis ; sehr häufig sind die drei Austern : Ostrea edidiformis
(diese am häufigsten), cristagaUi und pectiniformis, ferner Trigonia
clavellata (hier zuweilen geschlossen) und costata, Perna mytiloides,
Myacites gregarius, Mya depressa, Pholodomya 3Iurchisonii, Modiola
modiolata, Pleurotomaria armata (elongata?), Turho ornatus. Stacheln
von Cidarites maximus, zuweilen kommen die bekannten Muschel-
knollen mit Cerithium echinatum und verschiedenen Muschelschalen,
auch einem Am. Braikenridgii und Serpulen vor. Endlich fand
ich in einem Schwefelkiesknollen Diadema (depressum?) und PJiyn-
chonella spinosa.
Der mittlere Braune Jura d, auf welchem der grösste Teil von
Eningen liegt, ist wenig aufgeschlossen. Es sind meist dunkle Thone,
wie es scheint, von einzelnen Kalkbänken durchzogen ; dieselben sind
— XLVIII —
jedoch in der Thalsohle zum grössten Teile mit einer starken Schicht
von Weiss-Jurageröll bedeckt, so dass die Braun-Juraschicht selten
zu Tage tritt. Dies zeigte sich bei den im Jahre 1895 behufs der
Anlegung einer Wasserleitung veranstalteten Grabungen, bei denen
nur sehr weniges von Petrefakten gefunden wurde, nämlich ein
(übrigens unvollständiger) Am. f Urticur inatns, daneben ein verkiester
Nautilus lineatus, Ostrea pediniformis und Lucina Zieteni.
Festeren Grund bekommen wir erst wieder bei der Coronaten-
bank, welche an verschiedenen Stellen rings um Eningen zu Tage
tritt, z. B. am Wege zum Achalmhof, eine kleine Strecke über dem
Anwesen des Kunstgärtners Kall, sodann in einem kleinen Bächlein
rechts von der Metzinger Strasse, ferner im unteren Teil der alten
Heusteige zwischen dem Schiesshaus und der Hamitenbank, und
endlich unmittelbar vor dem Pfarrhaus, wo sie beim Graben der
gen. Wasserleitung aufgedeckt wurde. Hier kamen in einer harten
blauen Kalkbank mehrere , zum Teil sehr schöne Exemplare von
Am. coronatus (eines davon mit einer Schwefelkieskruste überzogen)
zu Tage, unmittelbar darüber Am. Humphriesianus plicatissimus und
ein schon ins Geschlecht der Parkinsonier gehöriger Ammonit. Auch
Ostrea pectiniformis und cristagalU, sowie Modiola modiolata finden
sich in dieser Schicht. Auffallend ist, dass die Coronatenbank vor
dem Pfarrhaus ziemlich tiefer liegt als an den übrigen angeführten
Orten, so dass auch hier die schon oben bei Braun- Jura / berührte
Senkung der Schichten gegen die Mitte des Dorfes hin sich zeigt.
Gehen wir vom Pfarrhause aus durch das sogen. Oberdorf auf
der Strasse St. Johann zu, so zeigt sich hinter der am äussersten
Ende des Dorfes gelegenen Ziegelhütte ein Fundplatz, der früher,
solange die dortigen Thone als Material zur Ziegelbereitung benützt
wurden, eine ziemlich reiche Ausbeute an Petrefakten lieferte. Der-
selbe ist leider jetzt verschüttet. Dagegen fand ich nur 120 Schritte
weiter oben am Bachbett eine Stelle, wo ich eine Zeitlang graben
konnte und die ohne Zweifel mit jener ersteren hinter der Ziegel-
hütte identisch ist. Krimmel in seiner Abhandlung „Über den Braunen
Jura £ 1886" unterscheidet im Oberdelta drei Regionen : 1. die des
Am. haculatus und Harn, haculatus ., 2. die des Am. subfurcatiis,
dubius und des Ham. hifurcati , 3. die der Trigonia clavellata und
weist die gen. Stelle, die er mit dem alten, längst nicht mehr zu-
gänglichen Fundorte, dem „Feuersee", von dem Quenstedt zuerst
den Ham. haculatus erhielt, identifiziert, der ersteren zu. Leider
ist, da der ehemalige Feuersee in eine Baumwiese umgewandelt ist,
— XLIX —
eine Vergleiclmng mit jener Fundstelle nicht mehr möglich. Aber
abgesehen hiervon, halte ich jene KmMMEL'sche Ansicht und die darauf
fussende Unterscheidung der gen. drei Regionen nicht für zutreffend.
Vor allem kann ich einer Unterscheidung einer Region des Am.
haadatus und siibfiircatus (Ziet.) oder hifurcatus (Qu.) nicht zu-
stimmen. Überall, wo ich Untersuchungen anstellte, sowohl hier
als weiter oben in der Hamiten- und Clavellatenbank, fand ich beide
Ammoniten nebeneinander und durch verschiedene Übergänge mit-
einander verbunden, so dass man bei manchen Exemplaren im Zweifel
ist, zu welcher Species man sie rechnen soll. Sodann fand ich an
der gen. Stelle von Hamiten oder Baculiten keine Spur, wohl aber
sämtliche Petrefakten, welche weiter oben in der Clavellatenbank
vorkommen, nämlich vor allem Trigonia clavellata in reicher Fülle
und ganz in denselben Formen wie an der Heusteige, ferner Schalen
von Trig. costata und oben eine sehr gut erhaltene Trig. interlaevi-
gata, sodann Ammoniten, deren Formen schwanken zwischen Am.
baculatus und hifurcatus, meist schlecht erhalten, Cerithium echmatum
in ganzen Bänken, eine Bostellaria, Cucidlaea concinna, Nucula varians
und Palmae, Bei. fusiformis, auch Schalenstücke von Lucina Zieteni,
Sanguinolaria undulata etc. Da nun diese sämtlichen Petrefakten,
wie schon gesagt, zusammenstimmen mit den weiter oben an der
sogen. Heusteige in der zwischen der Hamiten- und Parkinsonschicht
liegenden Clavellatenbank, so wird wohl angenommen werden müssen,
dass die Bank hinter der Ziegelhütte mit derselben identisch ist.
Ob nun die tiefere Lage derselben von einem allmählichen Einfallen
der Schichten, wie wir sie schon oben bemerkt haben, oder von
einer Verwerfung oder von einer Abrutschung der Schicht an der
betreffenden Bergseite herrührt, liesse sich nur durch genaue Unter-
suchungen und Grabungen ermitteln.
Gehen wir nun von hier aus weiter auf der nach St. Johann
führenden alten Strasse, der sogen. Heusteige, so stossen wir ober-
halb des Schiesshauses, wie schon angeführt, wieder auf die Coro-
natenbank, welche kürzlich durch die Wasserleitung aufgedeckt
wurde , sodann folgen graublaue , petrefaktenleere Thone , bis wir
schliesslich ca. 12 cm über jener auf die berühmte Hamitenschicht
stossen. Der in anderen Gegenden, z. B. in der Umgebung von
Balingen, vorkommende rötliche Bifurkatenoolith fehlt hier vollständig.
Unter einer ca. 20 cm starken Kalksteinbank liegen bis zu einer
Tiefe von 60 — 80 cm in grauen Thon eingebettet die zierlichen, in
glänzenden Schwefelkies verwandelten Exemplare des Ham. hifurcati,
Jabreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkuude in Württ. 1898. d
zum Teil wolilerhalten bis zur Anfangsblase , zum Teil mehr oder
weniger defekt und teilweise zerdrückt oder zerstört. Wenn man
eine grössere Anzahl derselben beisammen hat und miteinander ver-
gleicht, so zeigen sich alsbald gewisse Unterschiede. Zunächst ist
zu bemerken, dass unmittelbar unter der Kalkbank die grösseren,
gröberen, auch meist weniger gut erhaltenen Hamiten vorkommen,
tiefer unten feinere, zierlichere, auch in grösserer Anzahl besser er-
haltene Exemplare. Sodann zeigen manche, namentlich der ersteren,
eine doppelte Stachelreihe auf jeder Seite, andere eine einfache,
während wieder andere derselben entbehren und nur eine Furche
die über den Rücken gehenden Rippen durchschneidet. Wieder zeigt
sich ein Unterschied zwischen normal und zwischen excentrisch-
spiralförmig gewundenen Exemplaren; einzelne sind länglich gestreckt,
andere stärker gebogen ; endlich finden sich auch ganze Knollen von
vielfach zerdrückten oder verbogenen Hamiten, welche meist durch
Schwefelkies miteinander verbunden sind. Bei manchen Exemplaren
lässt sich noch die nicht verkieste, zerdrückte Wohnkammer erkennen,
bei anderen ist der Kopf verdickt und aufgeschwollen, sogar zum Teil
in einen dicken , traubenförmigen Schwefelkiesknollen verwandelt.
Überhaupt finden sich solche traubenförmige Schwefelkiese massen-
haft im Hamitenlager. Mit den Hamiten zusammen kommen noch
zahlreiche Belemniten (hauptsächlich Sei. fusiformis, sodann auch
canalicidatns und giganteus) , Am. hifurcahts und hacidotus , Trig.
clavellata, GeritJiium ecJiinahtm (und gramdatocostatum), Nuctda Palmae,
lacrmiae und variahilis, auch kleine Cucullaeen, Astarten u. dergl. vor.
Über der Kalkbank, welche das Hamitenlager bedeckt, finden
wir wieder graublaue Thone, die sehr petrefaktenarm sind; ich fand
hier nur Bei. giganteus, hier und da eine Schale von Trig. clavellata,
auch einen Muschelknollen mit Am. hiftircatus und zahlreichen zer-
drückten Muschelschalen.
Steigen wir um 7 — 8 m höher, so stossen wir auf die schon
genannte Clavellatenbank, so genannt nach den hier zahlreich vor-
kommenden Schalen der Trigonia clavellata, neben der sich übrigens
auch Trig. costata findet, sowie die übrigen schon S. XLIX ge-
nannten Petrefakten.
Über der Clavellatenbank hegt wieder eine doppelte Kalk-
schicht, welche hier anfängt oolithisch zu werden, was bei
der unteren über den Hamiten liegenden noch nicht der Fall ist. In
derselben fand ich einen grossen, leider nicht gut erhaltenen Am. Par-
Jcinsoni gigas mit völlig rundem Rücken ohne sichtbare Furche.
— LI —
Nur 1 — IV2 in höher folgt dann die Schicht des verkiesten
Am. Parkinsoni, der hier in besonders schönen Exemplaren gefunden
wurde, ferner in demselben Lager Am. ance^is carinatus und exstinctiis,
Am. euryodus und ein kleiner, glatter Am. fiiscus, ferner Trig. inter-
laevigata, Bei. canaliculahis , Goniomya V-scrqjta, Ostrea Knorri,
CucuUaea concinna, eine kleine Plioladomya u. a. Gleich über den
verkiesten Parkinsoniern befindet sich ein doppeltes Lager von Den-
talium Parkinsoni, die unteren meist zerdrückt, ferner die hübsche
weissschalige Astarte depressa und sodann unzählige Schalen eines
grossen zerdrückten Ammoniten, Am. Parkinsoni gigas oder Am. laevi-
plex. In der zuweilen noch erhaltenen Wohnkammer des letzteren
findet man Am. fuscus und besonders prächtige Exemplare von Phyn-
chonella Eningensis, welche ich in den darüber liegenden Thonen nur
zerdrückt fand. Auch an der Achalm, wo über dem zum Hofe führenden
Wege die ParkinsoniSchicht zu Tage tritt, finden sich die gen. Schalen-
stücke massenhaft, zum Teil innen noch mit Lobenresten versehen.
Gehen wir in dem genannten Bachriss weiter aufwärts, so sehen
wir hier und da eine Trigonienschale oder einen Belemniten oder
eine Ostrea Knorri herausschauen. Besonders aber finden wir
zwischen der Dentalium- und der weiter oben liegenden Macro-
cephalus-^chiohi eine deutlich hervortretende Bank, in welcher zahl-
reiche Am. fuscus, häufig schön verkiest und mit Ohren versehen,
ferner ein Lager von Serpula tetragona, Posidonia Parkinsoni, Rhyn-
clioneUa varians und hier und da ein goldglänzender Am. cf. Königi
(Qu.) sich finden. Die Trig. interlaevigata ist verschwunden und
hat der costata Platz gemacht, welche sich vollends hinaufzieht bis
zur MacrocephaluS'Schicht.
Diese bildet wieder einen charakteristischen, durch den ganzen
schwäbischen Jura sich hinziehenden Horizont. Nur sind an dieser
Stelle in den fetten dunklen Thonen fast sämtliche Ammoniten, z. B.
Am. macrocephalus, triplicatus, hullatus etc., verdrückt ; zuweilen findet
man sie aber auch gut erhalten und dann mit einem Schwefelkies-
harnisch überzogen. So fand ich hier einen verkiesten Am. macro-
cephalus und microstoma, auch fuscus und Schalen von Trig. costata.
Übrigens ist's nicht überall so. An anderen Stellen in der Umgebung
von Eningen finden sich diese Ammoniten wie sonst verkalkt und
dann gut erhalten. Namentlich sollen früher an der Fortsetzung der
sogen. Heergasse zwischen dem Dorf und dem Bürzlesberg beim
Graben einer Wasserleitung zahlreiche schöne Exemplare in dieser
Schichte gefunden worden sein.
d*
- LH —
n.
Petrefakten in Petrefakten.
Von Pfarrer Dr. Engel in Eislingen.
Unser verehrter und liebenswürdiger Freund, der verewigte
Professor F. Nies in Hohenheim , hielt des öfteren auf geologischen
Versammlungen Vorträge über die sogen. Wassersteine, den Enhydros
oder, wie sein Namensvetter A. Nies richtiger geschrieben haben will,
Enhygros des Plinius, d. h. über das merkwürdige Vorkommen von
Wassertropfen in Achat- oder Chalcedonmandeln, die, weil meist
eine Gaslibelle enthaltend, vor dem Auge des Beobachters sich hin
und her bewegen lassen. Nies hat über diesen Gegenstand auch
mehrfach kleinere Veröffentlichungen gemacht (diese Jahreshefte,
Jahrg. 42, S. 57 ff. 1886 ; Bericht der XTX. Versamml. des oberrhein.
geolog. Ver. S. 23. 1886; Bericht der XX. Versamml. des oberrhein.
geolog. Ver. S. 24. 1887), wobei er allerdings nicht auf die etwaige
Erklärung dieses seltsamen Vorkommens sich einliess , sondern nur
über die ebenfalls merkwürdige Thatsache referierte, dass der Flüssig-
keitsinhalt dieser „Wassersteine" sich vermindere oder vermehre, je
nachdem das Experimentierobjekt längere Zeit der Trockenheit oder
Feuchtigkeit ausgesetzt werde.
In freilich nur sehr äusserlicher Anlehnung an solche in Kiesel-
gesteine eingeschlossene Wassertropfen möchte ich unter Vorführung
einiger ganz besonders auffallender Stücke heute ein paar Worte
reden über „Petrefakten in Petrefakten", d. h. über Ver-
steinerungen, die von andern Versteinerungen umschlossen sind, be-
ziehungsweise in deren Schalen oder Kammern stecken. Nicht um
das Aufsitzen von Schmarotzern oder Pseudoschmarotzern auf fremden
Schalen oder Steinkernen von solchen handelt es sich also hier, wie
ich davon vor zwei Jahren (diese Jahreshefte, Jahrg. 51, S. LXXXI,
1895) gesprochen habe, ebensowenig wohl um symbiotische Vor-
gänge, welche diese Curiosa hervorgerufen hätten, sondern einfach
um die Thatsache, dass wir des öfteren in unsern Petrefaktenschalen
eingeschlossene Reste von ganz anderen Tieren finden, die an und
für sich nicht das geringste mit denen zu thun haben , in deren
Gehäuse sie sitzen. Schon die Art des Vorkommens deutet darauf
hin , dass es sich hier in weitaus den meisten Fällen um zufällige
und rein mechanische Bildungsformen handelt, und insofern hat auch
die Erklärung dieser Dinge durchaus keine Schwierigkeit. Wer schon
an einem Meeresufer umhergewandelt und Muscheln und Schnecken
— LIII —
im Sande zusammengelesen, oder auch wer in den marinen Tertiär-
sanden etwa des Mainzer Beckens (Weinheim bei Alzey) oder in den
französischen Faluns (bei Bordeaux) und in dem englischen Crag
Petrefakten gesammelt hat, der weiss aus hundertfacher Erfahrung,
dass insbesondere die Gehäuse grösserer Tiere (Bivalven und Gastero-
poden) nicht bloss mit Sand erfüllt sind , sondern dass in diesem
Sand in der Regel eine ganze Menge von kleineren Schalen oder
Schalentrümmern stecken, die dann gerade an solch geschützten
Stellen besonders gut erhalten sind.
Ganz ähnlich haben wir uns den Vorgang in älteren Forma-
tionen zu denken, insbesondere im Jura, mit dem wir uns heute
•ausschliesslich beschäftigen wollen, und dem auch die sämtlichen
Belegstücke entstammen, die wir der Versammlung unterbreiten
können. Wie in den heutigen Meeren oder in denjenigen aus der Ter-
tiärzeit hauptsächlich grosse Schnecken und doppelschalige Muscheln
es sind , welche solche Fremdkörper in sich schhessen , so ist das-
selbe auch in den jurassischen Schichten der Fall, nur dass hier zu
den beiden genannten Molluskenschalen noch die der Cephalopoden
hinzukommen, ja bei dem Vorwiegen dieser Tiergruppe im Jura, zu-
mal der Ammoniten und Belemniten, die Sache hauptsächlich in
diesen und zwar in deren Wohnkammern zur Erscheinung kommt.
Ganz natürlicherweise : stirbt ein derartiges Tier , so sinkt seine
Schale auf den Meeresboden; das Fleisch und sämtliche Weichteile
verfaulen, die Ligamente der Schliessmuskeln lösen sich, und so
klaffen sofort nach dem Tod seines Bewohners, z. B. die Schalen
einer Bivalve auseinander, und dem Schlamm oder Meersand ist
Thür und Thor zum Eindringen geöffnet. Liegt solch eine auf-
geklappte Muschelschale in der Nähe des Ufers, wo das Spiel der
Wellen fortwährend andere Gehäuse umherrollt, so werden natürlich
mit dem eindringenden Sand oder Schlamm auch die letzteren mit
in den Hohlraum der Muschel spazieren, und das Gehäuse der
letzteren gewährt in der That die günstigste Gelegenheit für die
Erhaltung der eingeschwemmten Fremdkörper. Es ist daher kein
Wunder, dass hier oft die zartesten Dinge, wie Cidaritenstacheln,
papierdünne Schälchen von Austern, Phcateln etc. zum Vorschein
kommen, die uns sicherhch sonst für immer verloren gegangen wären.
Ganz besonders eigneten sich für Konservierung solchen Klein-
zeugs die Wohnkammern von Cephalopoden, die oft wahre Fund-
gruben für fremde Versteinerungen bilden, im Jura namentlich die-
jenigen des Nautilus und der Ammoniten. Der praktische Sammler •
— LIV -
lässt daher, zumal an Lokalitäten und in Schichten, wo diese Dinge
gern vorkommen, nicht leicht eine solche Wohnkammer unzerklopft;
kann er doch fast sicher darauf rechnen, dass ihm aus diesem Hohl-
raum oft ein ganzes Nest von seltenen und zierlichen Petrefakten
zufällt, die er anderweitig schwerlich oder überhaupt nicht bekommen
hätte. Je grösser aber das Cephalopodengehäuse , desto mannig-
faltiger ist natürlich auch das Heer der darin begrabenen Ver-
steinerungen.
Wir erinnern in dieser Beziehung nur an die Wolmkammern
des grossen Ämmonites penicillatus Qu. aus dem OjjaUnus-Thon
(Braun- Jura a), der, ein echter Lytoceras, in seinem mächtigen
Schlund oft eine Unmasse von Petrefakten beherbergt. Man sehe
sich in dieser Hinsicht einmal das Stück an, das Quenstedt im
Jura (Taf. 43, 31) abgebildet hat, und das man in ganz ähnlicher
Weise immer wieder trifft. Insbesondere zartschalige Schnecken mit
den Flügelansätzen, kleinere Ammoniten mit Mundsaum und Ohren
erhalten (Ämm. opalinus Rein.) , Rhynchonellen , die sonst in dieser
Schichte für Schwaben eine ungemeine Seltenheit sind, und anderes
Zeug klopft man meist aus solchen zerschlagenen Wohnkammern
heraus. Auch der Nautilus eignete sich vortrefflich hierzu, ist doch
dessen Wohnkammer (man betrachte sich den lebenden Naut. pom-
pilius L.) meist von sehr bedeutender Grösse, so dass sie also einen
stattlichen Vorrat von kleineren Schalen in sich aufnehmen kann.
Aber auch grössere Belemniten sind uns schon begegnet, die in der
letzten „Schüssel" der Alveole, d. h. also ebenfalls in ihrer Wohn-
kammer, anderweitige Versteinerungen eingeschlossen erhielten ; wir
werden unten ein Beispiel davon näher beschreiben.
Neben den Cephalopodenwohnkammern , die sich wohl meist
bald nach ihrem Versinken auf den Boden des Meeres mit Sand
oder Schlamm und bei dieser Gelegenheit auch mit fremden Schalen
anfüllten, sind es hauptsächlich die Zweischaler, bei denen derselbe
Vorgang eintrat und eintreten musste, aus dem vorhin angegebenen
Grund, weil diese Muscheln sofort nach dem Absterben des Tiers
aufklappen und daher ebenfalls mit Sand oder Schlamm auf dem
Grunde des Meeres sich anfüllen. Gewisse Arten solcher Zweischaler
bleiben allerdings, insbesondere unter gewissen Umständen geschlossen;
so findet man nicht nur am heutigen Meeresufer Exemplare von
Mactra, Solen, Cardlum etc. häufig noch mit beiden fest verbun-
denen Schalen im Sand, sondern auch in den alten Formationen, und
zwar eben im Jura haben sich z. B. die Pholadomyen, Trigonien,
— LV -
dann Arten aus den Gattungen Ciicullaea^ Isoarca, Venus, Nucula etc.
meist als Doppelschalen erhalten. Dass aber auch in solchen ge-
schlossenen Muschelgehäusen hin und wieder Fremdkörper stecken,
darf nicht allzusehr in Erstaunen setzen; sind ja doch auch diese
Schalen stets mit Steinmasse, d. h. mit ursprünglichem Meerschlamm
ausgefüllt, zum deutlichen Beweis, dass eine kleine Lücke unter
allen Umständen vorhanden gewesen sein muss, durch welche Sand
und Schlick, also eventuell auch kleine Schälchen zwischen die
Schalen eingeführt werden konnten und eingeführt worden sind.
Wir geben unten auch hiervon ein sehr instruktives und eigentüm-
lich sich darstellendes Beispiel.
Am wenigsten günstig für Beherbergung von fremden Körpern
dürften die Brachiopodengehäuse sein; denn diese bleiben auch nach
dem Tod ihrer Bewohner, soweit uns bekannt, fast hermetisch ver-
schlossen. Daher findet man auch häufig den Innenraum der Tere-
brateln und Rhynchonellen statt mit Steinmasse vielmehr mit Kalk-
spatkrystallen austapeziert, und so giebt die Natur hier selbst Ge-
legenheit, das Armgerüste blosszulegen. Der kohlensaure Kalk konnte
im Wasser gelöst natürlich durch die Poren der Schale eindringen
und setzte sich dann in Krystallform an der Innenwand wieder ab.
Unter diesen Umständen sollte man es fast für unmöglich halten,
dass eine fremde Schale in den Innenraum eines Brachiopoden ge-
langte ; und doch haben wir auch dies schon beobachtet und werden
unten ein Beispiel davon bringen.
Dieselbe Schwierigkeit bezüglich der Aufnahme anderer Schalen
machen auch, so sollte man meinen, die sogen. Luftkammern der
Cephalopoden. Dass in deren Wohn kammern leicht solches fremde
Zeug Eingang findet, ja, dass dieselben recht eigentlich eine Art
Stapelplatz dafür bilden, haben wir bereits angeführt. Natürlich
auch , denn sie sind ja nach aussen offen und bilden meist weite
und mächtige Hohlräume, die sich rasch mit Schlamm, Sand und
den darin begrabenen Schalen füllen. Ganz anders jene Luftkammern,
die gegen die Aussenwelt vollständig abgeschlossen sind, mit Aus-
nahme allerdings der Siphonaltute, welche sie durchsetzt; das ist
aber eine so enge Röhre, dass ein fremder Körper von auch nur
einigermassen grösserem Volumen unmöglich sich durchschieben kann.
Nicht einmal Schlamm scheint eingedrungen , sondern jener Kanal
jeweils rasch verstopft worden zu sein ; denn gar häufig sind die
Wohnkammern unserer Ammoniten, wie wir's vorhin von den Brachio-
poden angaben, mit Kalkspat, Pyrit — und sonstigen Krystallen aus-
— LVI —
tapeziert, wogegen die Wohnkammern — ganz naturgemäss — mit
Steinmasse erfüllt sind. Jene krystallisierten Substanzen können auch
hier nur in gelöstem Zustand durch die Poren der Schale hindurch-
gesickert sein. Und doch kommt es vor , dass auch in den Luft-
kammern unserer Ammoniten sich hin und wieder Petrefakten finden.
Möglich, dass die Schale seiner Zeit irgendwo ein Loch bekommen
hatte, das dann das Eindringen von Fremdkörpern gestattete. Jetzt
haben wir es ja freilich im Jura fast nur noch mit Steinkernen zu
thun , die uns nicht mehr verstatten , zu sagen , wie die einstige
Schale ausgesehen hat oder was aus ihr geworden ist.
Wir haben oben behauptet, dass Bivalven und Wohnkammern
von Cephalopoden wohl die günstigste Gelegenheit darbieten für Auf-
nahme von fremden Tieren oder Tierresten. Die Frage wäre nur
die, ob diese fremden Tiere noch lebend in die betreffenden Hohl-
räume gelangt, oder ob erst ihre leeren Gehäuse durch den Wellen-
schlag eingespült worden sind. Manches könnte für die erste An-
nahme sprechen, so insbesondere die meist vollständige Erhaltung
dieser Schalen, auch deren zartester Teile, z. B. Ohrenansätze der
Ammoniten etc. Auch Analogien mögen hier angeführt werden, d. h.
Vorkommnisse aus der Jetztzeit wie aus längst vergangenen Erd-
perioden, die zweifellos darthun, dass unter Umständen ein (lebendes)
Tier eine leere Schnecken- oder Muschelschale zu seiner Herberge
nimmt. Man denke an unsere Einsiedlerkrebse , die ganz regel-
mässig in dem Gehäuse einer Schnecke sich ihre Wohnung ein-
richten , wobei sie den weichen Hinterleib nur dann ans Tageslicht
bringen, wenn sie genötigt sind, das zu klein gewordene Schnecken-
haus mit einem grösseren zu vertauschen , im übrigen aber zeit-
lebens nur Kopf und Scheren aus der Mietwohnung hervortreten
lassen, die sie sich kostenlos verschafft haben. Etwas Ahnliches
musste es zur Triaszeit unter gewissen Umständen mit manchen
Ophiuren gewesen sein, wenn wir daran erinnern, dass z. B. die
Äspidura (Ophiura) scutellata Br. in dem Muschelkalk von Crails-
heim nie anders gefunden wird, als auf Steinkernen der 31yophoria
laevigata Schl. sitzend. Dr. Eb. Fraas hat (Neues Jahrbuch für
Min. etc. 1888, Bd. I S. 171 u. 172) über dieses eigenartige Vor-
kommen und den auch anderweitig höchst interessanten Erhaltungs-
zustand jener Ophiurenreste ausführlich berichtet, und ich stimme
völlig mit ihm überein (cf. diese Jahreshefte, 51. Jahrg. 1895,
S. LXXXIII) in der Annahme, dass der lebende Schlangenstern der-
einst in dem leeren Gehäuse des Zweischalers seine Wohnung auf-
- LVII —
geschlagen hatte, sei's, um darin Schutz gegen Feinde und die Un-
bilden der Wogen zu suchen, sei's, weil ihm die Natur hier über-
haupt einen bequemen Unterschlupf sozusagen vor die Nase ge-
führt hatte. Möglich wäre es freilich auch immerhin, dass das noch
lebende Muscheltier oder wenigstens dessen fleischige Masse nach
dem Tode desselben von der Ophiure als leckerer Bissen ausgesaugt
und aufgefressen worden wäre, wofür dann jene in gerechter Nemesis
damit gebüsst hätte, dass sie nach gehaltener Mahlzeit in ihrer
schnöde eroberten Wohnung von eindringendem Schlamm erstickt
und so ihr Skelett uns bis heute erhalten wurde. Keinenfalls kann
man hier von Symbiose reden, denn es handelt sich ja nicht um
zwei Tiere, die während des Lebens in irgendwelcher Gemeinschaft
miteinander standen. Ebensowenig ist dies natürlich der Fall bei
denjenigen Tieren , deren Schalen wir etwa in Ammonitenkammern
finden. Denn selbst angenommen, dieselben hätten noch lebend in
diesen Kammern gewohnt und sie als bequeme Herberge benützt,
wie jene Ophiuren des Muschelkalks oder wie unsere heutigen Ein-
siedlerkrebse, so war doch jedenfalls das Ammonitentier längst tot,
und sein leeres Gehäuse auf den Grund des Meeres gesunken , als
jene andern Schaltiere sich häuslich darin niederliessen. Im übrigen
glauben wir es nicht, oder lassen es höchstens für Ausnahmefälle
gelten, dass die Tiere, deren Schalen wir jetzt in den Cephalopoden-
wohnkammern treffen, lebend und freiwiUig hineingeschlüpft sind,
hegen vielmehr die feste Überzeugung, dass es sich dabei um einen
rein mechanischen und zufälligen Vorgang handelt, sofern die Wellen
mit dem Sand und Schlamm , den sie in die leeren Räume der
Muschel- und Schneckenschalen einführten, gleichzeitig auch die
darin begrabenen, also ebenfalls längst gestorbenen anderweitigen
Tiere, beziehungsweise deren Gehäuse mitbrachten. Es scheint diese
Annahme auch dadurch bestätigt zu werden, dass wir zumal in den
Wohnkammern grosser Ammoniten neben manchen allerdings, wie
schon erwähnt, tadellos erhaltenen Schalen auch wieder eine Menge
Trümmer und Bruchstücke von solchen zu sehen bekommen, wie
es eben der Wellenschlag an einem Seestrand zusammen zu bringen
pflegt. Immerhin soll nicht geleugnet werden, dass dann und wann
auch in unsern Fällen das faulende Fleisch eines gestorbenen und
auf den Boden des Wassers gesunkenen Nautilus oder Ammoniten
eine Masse kleineren Tierzeugs zu leckerem Schmauss angelockt
hat; denn „wo ein Aas ist, da sammeln sich die Raben "^ , und die
Fleischmasse eines Penicillaten dürfte immerhin gross genug gewesen
— LVIII —
sein, um Hunderten von Schneckchen Nahrung auf Wochen hinein
zu verschaffen ^
Ein Beispiel dieser Art führt auch Qüenstedt an, und hier
wenigstens scheint an der Richtigkeit solcher Deutung kaum zu
zweifeln sein. Es sind dies die kleinen Amm. ceratophagus Qu.,
deren Schälchen meist in ungeheurer Menge in den „Mumien" des
Posidonienschiefers begraben liegen, d. h. in jenen Geoden, die gern
Knochen von Sauriern, Fischen etc. enthalten. Qüenstedt hält diese
kleinen Ammonitenschalen, die er unter dem eben angeführten Namen
im Jura beschreibt und abbildet (Jura Taf. 36 , 7) , für Brut von
Amm. fimhriatus Sow. , wie er auch gewisse eigentümliche Ringe,
die manchmal auf der feinblättrigen Schale gerade von Amm. fim-
hriatus sitzen (Jura Taf. 36, 4 u. 6), für Knorpelringe von Cephalo-
poden hält, die von jenen Ammoniten verspeist und deren unver-
dauliche Reste, was eben solche Knorpel waren, wieder ausgeworfen
worden, und so auf die Schale gelangt seien. „Die faulenden Stoffe
mögen dem Tierchen zur Nahrung gedient haben," lesen wir bei
der näheren Beschreibung jenes Amm. ceratophagns im Text (Jura
S. 254), und etwas Ahnliches mag es mit kleinen Gasteropoden sein,
wenn wir dieselben manchmal haufenweise beisammentreffen, wie
z. B. Euom2)halus minutus Ziet. (Quenst. , Jura Taf. 43 , 28) , den
wir bis jetzt immer in der Torulosus-Schichte des unteren Braun-
Jura a und zwar meist nesterweise gefunden haben (vgl. Qüenst.,
Jura S. 316, wo es nur heisst, das Schneckchen „scheine" dem
Braunen Jura, beziehungsweise dessen untersten Bänken anzugehören).
Auch an den merkwürdigen „Schneckenstinkstein" sei hier
erinnert, der hauptsächlich im fränkischen Jura, aber auch in
Schwaben vorkommt (Qüenst., Jura S. 262 Taf. 37, 10), und zwar
stets in denjenigen Schichten des Posidonienschiefers, die besonders
reich sind an Fisch- und Saurierresten, an Exemplaren grosser
Ammoniten, Tintenfische u. dgl. Dürfte nicht auch hier an ähnliche
Ursachen zu denken sein, die das Zusammenströmen solch massen-
haften tierischen Kleinzeugs veranlasst hätten? Immerhin geben, wie
uns scheint, derartige Vorkommnisse einen Fingerzeig dafür, wie wir
es uns zu erklären haben, wenn wir manchmal in unseren Schichten
einzelne Versteinerungen nester- und haufenweise beieinander treffen.
Sicher handelt es sich hier nicht immer um Zusammenschwemmung und
um rein äusserliche und zufällige Faktoren, wenn wir auch zugeben,
^ Vorausgesetzt, dass die Schnecken sich von Fleisch genährt hätten.
Anm. d. Ked.
- LIX —
dass für gewöhnlich zutreffen wh-d, was wh* oben über die Ein-
führung von Fremdkörpern in Muschelschalen sagten, dass nämlich
dabei meist an ein mechanisches Eingeschwemmtsein zu denken sei.
Anders ist dies natürlich bei den verschiedenen Arten von
Bohrern (Bohrrauscheln, Bohrwürmern etc.), die ihre Löcher keines-
wegs bloss in Holz oder Stein, sondern sehr häufig auch in Schalen
von Schnecken und Muscheln, in Korallenstöcke etc. eingraben.
Schon im unteren Lias finden wir solche Dinge, wenn auch hier die
Löcher fast immer in Geoden und Kalkknollen liegen (Fistulana
nannte sie Quenstedt, Jura Taf. 12, 12). Ganz besonders häufig
erscheinen sie dann wieder im mittleren Braun- Jura, wo die dicken
Schalen der dortigen Austern (Ostrea cristagalU Schl. , eduUformis
ScHL. und pediniformis Schl.), sowie die mächtigen Kegel des Belem-
nites giganteus Qu. oft ganz von dem kleinen Litlioäomus pygmaeus
Qu. (Jura S. 430 Taf. 59, 6) durchlöchert, auch die etwas tiefer
vorkommenden Korallenstöcke (von Zollern, Attenhofen) manchmal
mit Schneckchen, Seeigelresten, Brachiopoden durchspickt sind. End-
lich trifft man solche Dinge in dem Hauptkorallenhorizont unseres
schwäbischen Jura, in den Nattheimer Schichten des weissen Jura £,
die ebenfalls eine Lithodomus-kvt {Lithodomus siliceus Qu.) gar nicht
selten in ihrem Schosse bergen. Quenstedt (Jura S. 759 Taf. 93,
2 und 3) scheint zwar einen Unterschied zwischen den grösseren
(Fig. 3) und kleineren Exemplaren (Fig. 2) insofern machen zu wollen,
als er andeutet, nur die letzteren haben Korallenstöcke angebohrt,
die ersteren finden sich dagegen in gewöhnlichem Kalkgestein. Wir
möchten nicht so scharf trennen ; haben wir doch Exemplare ganz
von Form und Grösse des Taf. 93, 3 abgebildeten gar nicht selten
in Korallen gefunden ; ja es wollte uns scheinen, als ob diese Bohrer
damals sogar ausschliesslich Korallenstöcke als Grundlage ihrer Be-
hausung benützt hätten. Natürlich ist auch hier überall nicht von
symbiotischen Verhältnissen zu reden , sondern die Bohrmuscheln
haben benützt, was sie gerade vorfanden, und in Ermangelung von
gewöhnlichen Steinen waren ihnen dann Muscheln , Korallenstöcke
u. dergl. ein durchaus willkommener Ersatz. Anderseits darf man
aber hier auch nicht an zufällige Einführung denken ; denn die Tiere
haben ja in den von ihnen gebohrten Löchern gelebt, allerdings
nachdem die angebohrte Muschel längst zu Grunde gegangen und
ihr Gehäuse auf den Meeresboden gesunken war. Im übrigen kommt
es ja noch heute vor, dass dicke Muschelschalen noch zu Lebzeiten
der darin steckenden Muschel von Schmarotzern aller Art angefressen
- LX -
oder als Unterlage benützt werden, wie ebenso die Korallenriffe un-
zähligem Tierzeug zum Aufenthaltsort dienen, auch wenn die Korallen
an der Oberfläche der Stöcke noch lustig leben und weiterbauen.
AVenn wir darum in unseren fossilen Korallengebilden ähnliches finden,
brauchen wir uns in keiner Weise darüber aufzuhalten. Nur können
wir hier nicht im eigentlichen Sinn des Wortes von „Petrefakten in
Petrefakten" reden, weil diese Bohrer lebend ihre Herbergen bezogen
und die Erbauer der letzteren teilweise vielleicht auch noch lebten,
als dies geschah.
Mit unserem Gegenstand stehen also die letztgenannten Vor-
kommnisse nur in entfernter Beziehung; denn wir wollten ja doch
jiur von solchen Versteinerungen reden , die im Innenraum anderer
Versteinerungen sich finden. Und dabei möchten wir namentlich
noch auf die Wohnkammern eines grossen Ammoniten aus dem
Braunen Jura s hinweisen , welche ganz ähnlich wie diejenigen des
Amm. penicillatus oft eine Menge kleinen Tierzeugs „im Maul" haben.
Es ist Amm. laeviplex, wie ihn Quenstedt (Jura S. 481) genannt
hat, dessen glatte Schalenbruchstücke (von der Wohnkammer) sich
besonders häufig in der Reutlinger Gegend (Eningen, Neuffen, Beuren)
einstellen. Merkwürdig ist dabei jedenfalls, dass eine sonst sehr
seltene Terebratel {Pihynchonella Eningensis Qu., Jura Taf. 66, 33)
besonders gern in der Wohnkammer dieses Ammoniten steckt. Ja,
ein vertrauenswerter Sammler hat mir seiner Zeit mitgeteilt, dass
er dieselbe sogar nur „im Maul" des Amm. laeviplex gefunden habe,
während Quenstedt (Jura S. 497) allerdings bloss von der Schichte
des Amm. laeviplex redet, wo sie in „harten Kalkmergeln" liege.
Sei dem , wie ihm wolle , so viel mag jedenfalls der praktische
Sammler sich merken, dass er in Schichten, wo auf derartige Dinge
zu rechnen ist, die Wohnkammern grosser Cephalopoden nicht un-
zerschlagen lassen soll , da dieselben vielfach Fundgruben für eine
Menge schöner, oft seltener und nur auf diese Weise zu bekommender
Petrefakten sind. Es geht hier dem Palaeontologen ähnlich wie dem
Malakozoologen, der, um seltene Schnecken und Muscheln zu be-
kommen, gerne die Gehäuse der Phryganidenlarven sammelt ; haben
doch diese Tiere oft die seltensten Schalen , die der Mensch gar
nicht finden würde , zusammengetragen und zu einem Panzerkleid
um ihren weichen Leib herumgelegt, das zum zierlichsten gehört,
was man sehen kann. Und, wie gesagt, manches Unikum von
Schneckchen und Müschelchen ist auf diese Weise und mit Hilfe
dieser Phryganiden schon in unsere Sammlungen gekommen.
— LXI —
Nun aber möchten wir zum Schluss noch ein paar Stücke zur
Anschauung und Besprechung bringen, die durch die eigentümliche
Art, in welcher hier „Petrefakten in Petrefakten" stecken, immerhin
ein besonderes Interesse erregen. Wir legen zunächst
1. den Steinkern einer Grypliaca arcuata Lam. vor, in dessen
Innerem ein kleiner Peden glaber Ziet. steckt, der beim zufälligen
Zerschlagen des Stückes zum Vorschein kam. Das Exemplar stammt
aus dem Lias a (Arietenkalk) der Gmünder Gegend; die Erklärung
der Sache macht natürlich nicht die geringste Schwierigkeit. Wir
werden hier einfach anzunehmen haben, dass mit dem Schlamm, der
in die geöffnete oder ihres Deckels beraubte Bivalve eindrang, auch
die zuvor schon darin begrabene Pecfew-Schale in jene eingeführt
wurde. Etwas grössere Schwierigkeit bereitet das Stück
2. einer Isoarca striatissima Gold f., die im Innern eine tadel-
los erhaltene, ganz von Kalkspat durchdrungene Terebratel {JRliyn-
chonella lacunosa Qu.) birgt. Wie soll diese letztere an ihren gegen-
wärtigen Platz gekommen sein, da doch die betreffende Bivalve hier
wie fast immer, wo sie vorkommt, mit geschlossenen Schalen er-
scheint? Nun, da der Innenraum jetzt mit Steinmasse ausgefüllt
ist, so muss also dereinst auch dieser Meerschlamm Gelegenheit ge-
habt haben, zwischen die Schalen einzudringen ; und da wir es bei
dem betreffenden Exemplar lediglich mit einem Steinkern zu thun
haben, so kann ja überhaupt nichts Bestimmtes über den seiner-
zeitigen Zustand der Schalen ausgesagt werden. Möglich, dass die-
selben, nachdem sie auf den Meeresboden gesunken waren, ein Loch
bekamen, durch das dann Schlamm und Terebratel leicht ins Innere
gelangen konnte. Das Stück stammt aus einem Schwammstotzen
des Weissen Jura ß von der langen Steige am Mösselberg und nimmt
sich allerdings höchst seltsam aus. Viel einfacher erscheint
3. eine kleine Äst arte depressa Goldf. (Quenstedt, Jura
Taf. 67, 33) aus dem Braunen Jura s von Bell, die in einer anderen
Versteinerung eingeschlossen ist. Ob diese letztere das Bruchstück
eines Ammoniten oder einer Bivalve {Pholadomya oder Trigonia)
darstellt, dürfte schwer zu entscheiden sein. Die Frage, wie das
Müschelchen in diesen Innenraum gekommen sei, findet aber sehr
leicht ihre Beantwortung in der oben angegebenen Weise : der
Schlamm, der jetzt als Steinmasse das Ganze erfüllt, hat die Astarte
in sich geborgen , und so wurde diese mit jenem in den Hohlraum
geführt. Ebenso muss es bei der
4. Terebratula hisuffarcinata Schloth. aus Weiss-Jura /
- LXII —
vom Stuifen gegangen sein, die in ihrem Innern einen reizenden
kleinen Zweischaler beherbergt. Es wird wohl eine Plicatula sein,
wie sie Qüenstedt (Jura Taf. 78, 5) abbildet; doch könnte man dabei
auch an den bekannten und nicht seltenen Spondylus pygmaeus Qu.
denken (Jura Taf. 81, 88 — 90). Da indes letzterer fast immer auf
anderen Schalen aufsitzt, heissen wir das Ding, das jedenfalls isoliert
im Schlamm gesteckt haben muss, eher Plicatula. Für unseren Zweck
ist's ja freilich gleichgültig, da es sich hier lediglich um die Frage
handelt, wie dieser fremde Gegenstand in eine vollkommen ge-
schlossene Brachiopodenschale gekommen sein soll. Allein die Schale
der Terebratel fehlt eben auch hier ; wir haben lediglich den Steinkern
vor uns, und so nehmen wir eben wieder an, die Schale sei auf irgend
eine Weise verletzt worden und durch dieses Loch kam dann der
Schlamm und das darin versteckte Müschelchen ins Innere der Tere-
bratel. Wir legen als letztes und vielleicht interessantestes Stück
5. die Alveole eines grösseren Belemniten aus Braun-Jura a
vor, in dessen Innerm ein tadelloser Ämm. opalinus Rein, steckt.
Das Stück stammt aus der Krumm von Ottenbach und scheint immer-
hin einiges Kopfzerbrechen zu bereiten. Indes ist auch hier die Er-
klärung wohl nicht schwer; handelt es sich doch offenbar um die
Wohnkammer der Cephalopoden , die ja offen war und also leicht
mit Sand oder Schlamm sich anfüllen konnte. In demselben lag
nun neben kleineren Muscheln, deren weisse Schalenfragmente eben-
falls mit begraben sind, das Exemplar eines Ämm. opalinus, das dann
den Hohlraum des letzten „Schüsselchens" der Alveole gerade aus-
füllte. Dass hier wie in all den genannten Fällen die Sache ledig-
lich durch zufälliges Zerschlagen der Stücke für uns zum Vorschein
kam, brauchen wir wohl kaum erst beizufügen.
Auch das ist nicht nötig zu sagen, dass es sich bei diesem
Gegenstand eigentlich mehr nur um Curiosa handelt, die kaum einer
längeren Erörterung wert sind. Und doch, wenn die heutige Wissen-
schaft auch mit Recht die einst so hoch ge werteten „Naturspiele"
vergangener Jahrhunderte mehr oder weniger bei Seite geschafft hat :
wir meinen, nicht bloss Raritätensammler, sondern auch wissenschaft-
lich geschulte Palaeontologen dürften solchen „Specialibus" ein biss-
chen Aufmerksamkeit schenken ; wird doch dadurch auf manche Ge-
biete der Vorzeit ein Licht geworfen, die uns der Natur der Sache
nach meist gänzlich verschlossen sind. Darauf die Augen der Fach-
genossen zu lenken, ist der Zweck dieser Zeilen.
Sitzungsberichte.
Wissenschaftliche Abende des Vereins in Stuttgart.
Sitzung vom 14. Oktober 1897.
Der erste Abend nach Verlauf des Sommers , welcher sich eines
sehr starken Besuches erfreute , wurde eröffnet von dem seitherigen
Vorsitzenden, Sanitätsrat Dr. Steudel, Die darauf erfolgende Wahl
ergab für den laufenden Winter als ersten Vorsitzenden den seitherigen
Stellvertreter, Prof. Dr. Fr aas, als zweiten Vorsitzenden Prof. Dr.
V. Branco-Hohenheim, während das Amt des Schriftführers, wie seit
vielen Jahren, wieder Prof. Dr. Lampert übernahm. Den ersten Vor-
trag hielt Prof. Dr. Lampert über das Thema: Wassertiere im
Winter. Erst seit ungefähr einem Jahrzehnt werden über diese Frage
exakte Untersuchungen in grösserem Massstab angestellt, und es zeigt
sich, dass auch heute noch sehr viel in dieser Richtung zu thun ist.
Redner hat bei seinem Vortrage besonders die Tierwelt der kleineren
Seen, Teiche und Tümpel im Auge, während bei Flüssen und Bächen,
wie bei grossen Seen infolge der Bewegung des Wassers resp. der
grossen Tiefe die Verhältnisse anders liegen. — Von den Wirbeltieren
bringen ausser den Fischen nur noch einige Arten Frösche und Kröten
den Winter im Wasser zu, während andere Kröten und die Molche sich
zum Winterschlaf auf das Land begeben. Von den Fröschen und
Fischen wird oft behauptet, dass sie völlig ein-, ja durchfrieren können
und doch beim Auftauen des Eises wieder zu vollem Leben erwachen.
Nach genauen Untersuchungen, besonders v. Koch's, ist dies nicht
richtig. Bei Durchfrieren tritt stets der Tod ein. Jedoch sind in der
Natur diese Tiere auch in nur massig tiefen Tümpeln von etwa 1 m
Tiefe geschützt, besonders wenn der Boden schlammig ist. In tieferen
Tümpeln hat bekanntlich das Wasser am Grunde etwa + 4 *' C, bei
welcher Temperatur es seine grösste Dichtigkeit besitzt. Sinkt bei ge-
ringerer Tiefe die Wassertemperatur bis auf etwa 0 "^ C, so tritt die
sogenannte Kältestarre ein, ein dem Winterschlaf der Säugetiere ähn-
licher lethargischer Zustand, der bei völlig herabgesetzter Lebensthätig-
keit ohne Schädigung des Tieres wochenlang dauern kann. Frösche und
viele Fische, besonders die karpfenähnlichen, graben sich im Schlamm
ein. Eine grosse Gefahr für Fische kann das völlige Ausfrieren der
Weiher bringen, ebenso bei Zufrieren der Weiher eintretender Sauer-
— LXIV —
Stoffmangel. Die grosse Schar der wirbellosen Tiere des Wassers, die
sogenannte Mikrofauna , verhält sich im Winter verschieden. Eine
Vergleichung unserer im Sommer und im Winter erlaugten Ausbeute
zeigt , dass im Winter manche grössere Gruppen in den kleineren
stehenden Gewässern völlig fehlen, so die Moostiere, die Schwämme,
zahlreiche Wasserflöhe, der Süsswasserpolyp ; dagegen finden sich auch
im Winter Insekten, Insektenlarven, Mollusken, Würmer, mehrere Gat-
tungen kleiner Kruster und andere niedere Tiere. Bei vielen bewirkt
die Winterkälte ebenfalls einen winterschlafähnlichen Zustand und wir
wissen z. B., dass die Teichschnecke erst bei + 12 ° C. wächst. Wie
sich in dieser Beziehung die einzelnen Arten verhalten, welches für sie
die kritische Temperatur ist, müssen erst noch Detailuntersuchungen
lehren. Andere niedere Wassertiere sind mit der Fähigkeit ausgerüstet,^
auch dem Nullpunkt nahestehende Wassertemperatur zu ertragen; so
finden wir unter dem Eis oft in grosser Anzahl die kleinen Hüpferlinge,
die vielfach sogar Eiersäckchen tragen und auch in anderen Ordnungen,
so z. B. bei den Muschelkrebsen und den Milben, kennen wir einzelne
Arten, die so kälteliebend sind, dass sie sich nur im ersten Frühjahr
im Schnee- und Eiswasser finden , um dann wieder zu verschwinden.
Bei den oben erwähnten , im Winter fehlenden Tieren findet sich die
Einrichtung, dass durch sogenannte Dauerkeime für die Erhaltung der
Art gesorgt ist, wenn auch das Individuum selbst zu Grunde geht.
Redner bespricht diese bei den einzelnen Ordnungen mit verschiedenen
Namen belegten Dauerkeime näher bei den Moostieren, bei den Schwäm-
men und bei den Wintereier bildenden Wasserflöhen. Bei den Schwämmen
kann das Fasergerüst der Stöcke im Winter erhalten bleiben und die
im Winter zu sogenanntem Gemmulae zerfallene Masse keimt im Früh-
jahr neu aus; ähnlich encystieren sich auch viele andere Tiere. Zur
Erklärung des Vortrags dienten zahlreiche mikroskopische Präparate
von Dauerkeimen und Abbildungen derselben. An der sich anschlies-
senden Erörterung beteiligten sich Prof. Dr, SiEGLiN-Hohenheim , Dr.
VossELEE und Prof. Dr. Klunzingee.
Als zweiter Redner des Abends sprach Prof. Dr. Fraas über
einige interessante Verwitterungserscheinungen. Nach
einigen einleitenden Worten über die Verwitterungserscheinungen im
allgemeinen, diese hauptsächliche Triebfeder im steten Stoffwechsel der
Natur , ging der Redner auf einige specielle Fälle über , zu denen er
ein reichhaltiges und sorgfältig ausgewähltes , sehr charakteristisches
Demonstrationsmaterial vorlegte. Die ruhige , auflösende Kraft des
Regenwassers führt zur Bildung von Rinnen und Runsen. Besonders
ist es das Wasser in Form von Schnee, welches in grossem Massstab
Verwitterungen und Formveränderungen des Gesteines herbeiführt, wie
uns dies die Schratten oder Karren in den Alpen zeigen. In festem
Gestein sind hier tiefe Rinnen gegraben und dass es nicht die Kraft
des fliessenden Wassers ist, beweist die Schrattenbildung auf horizon-
talen Schichten. Die Einwirkung von Tieren auf die Gesteine wurde
an den bekannten Furchensteinen vom Bodensee und an solchen, die
Redner am Strand von Miramare bei Triest gesammelt hatte, erläutert;
- LXY —
im Süsswasser sind es besonders Insektenlarven, die in den Kalkalgen-
überzug der Gesteine Gänge graben , wodurch das auflösende Wasser
Zutritt zu der Oberfläche des Gesteins bekommt und hier Furchen
gräbt; im Meer arbeiten Bohrmuscheln, Bohrschwämme und andere
Organismen an der Zernagung der Gesteine. Dass auch die Pflanzen-
wurzeln eine auflösende Kraft auf die Gesteine ausüben, zeigte Material
aus den Neckarschottern bei Rottenburg. Ausserlich ganz ähnliche
Gestalt nehmen die Kiesel der Küste an, auf welchen das Sandgebläse
und das Abrieseln des Quarzsandes nicht nur eine merkwürdige Glättung,
sondern auch tief eingegrabene Rinnen und Furchen hervorbringt. Mit
scharfem Blick hatte der Redner auf seiner Reise in der ägyptischen
Wüste typisches Material für diese eigenartigen Wirkungen von Wind
und Sand gesammelt. Ganz ähnliche Erscheinungen lassen sich auch
vielfach an den Kiesen unserer älteren Diluvialablagerungen beobachten,
und der Vortragende zieht daraus den Schluss , dass in den Inter-
glacialperioden ein Steppen- respektive Wüstenklima bei uns geherrscht
habe, wie dies auch durch die Funde der Fauna erwiesen ist, und dass
in jener Zeit der durch die Luft wirbelnde Staub — unser heutiger Löss
und Lehm — jene merkwürdigen Glättungen der Kiese bewirkt habe.
Durch jähen Temperaturwechsel, starke Insolation nach kühler Nacht,
kann sogar unter hörbarem Ton ein Abspringen kleinerer Gesteinsstücke
erfolgen ; das viel verherrlichte Klingen der Memnonssäule bei Tages-
anbruch wird hierauf zurückgeführt, und Redner konnte eine Kalkplatte
von Solnhofen mit herausgesprungenem Stück vorzeigen , wofür er die
gleiche Erklärung annimmt. Anschliessend gab Dr. Vosseier noch nähere
Mitteilung über den Fundort einiger von ihm in der algerischen Wüste
gefundenen Gesteine, die Spuren der Sandwirkung zeigen.
Sitzung vom 11. November 1897.
Bei Beginn des Abends erfüllte der Vorsitzende, Prof. E. Fr aas,
zunächst die traurige Pflicht, des vor einigen Tagen verstorbenen Dr.
Wilhelm Mör icke zu gedenken. In warmen Worten wies der Redner,
der in dem Geschiedenen auch einen persönlichen Freund verloren, auf
den Verlust hin, welchen die Wissenschaft durch Möricke's Tod erlitten.
Besonders die Geologie Chiles verdankt ihm wertvolle Förderung, und
zu bald hat ihm der Tod die Feder aus der Hand genommen, denn
von seiner letzten Forschungsreise in Chile hat Möricke nur noch einen
kurzen Reisebericht erstattet; die Sammlung des Naturalienkabinetts
verdankt Dr. Möricke manch wertvolles Stück aus Chile.
Als Hauptredner des Abends sprach Prof. Dr. C. Cranz (Ober-
realschule, Technische Hochschule) über Geschossabweichungen
und hierbei besonders über die Geschosspendelungen, deren Ursache, Ver-
lauf und Wirkungen. Über die Theorie dieser Schwankungen der Ge-
schossachse herrscht noch die grösste Meinungsverschiedenheit. Magnus
und KuMMEK äusserten die Ansicht, dass die Geschosspendelung so lang-
sam erfolge, dass selbst bei grossen Schussweiten die Geschossachse
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 6
— LXVI —
höchstens einen halben Kegel um den Schwerpunkt zu beschreiben ver-
möge; ähnlich General v. Wille 1896. Nach den Berechnungen hervor-
ragender Ballistiker, wie Oberst v. Wuich, Hauptmann Haupt u. a., soll
dabei die Geschossspitze stets auf der rechten Seite der Flugbahn-
ebene verbleiben. Die bisher berechnete Zeit für einen vollen Umlauf
der Geschossspitze stimmt ganz und gar nicht mit den Beobachtungen,
die bekannt wurden und die der Redner anführt. Derselbe hat nun
eine neue Theorie zur Erklärung aufgestellt und giebt mit Hilfe von
Zeichnungen und Experimenten an einem Rotationsapparat seine Er-
gebnisse an: Die Geschossachse führt zwei Bewegungen aus, eine lang-
same Präzessionsbewegung , wonach die Geschossspitze eine spiralen-
artige Kurve beschreibt, welche die Seitenabweichungen bedingt, und
zweitens eine raschere Nutationsbewegung infolge eines Anfangsstosses
(durch Vibration des Gewehrlaufes oder Bücken des Rohrs u. dergl.);
diese Nutationen sind nach Ansicht des Redners das , was man mit-
unter mit blossem Auge wahrnimmt und was Prof. Neesen photogra-
phierte , nicht die Präzessionsbewegungen. Die Unterscheidung ist
wichtig, weil beide Bewegungen ganz verschiedenen Gesetzen folgen.
Sie haben Bedeutung erstens für die Beurteilung der Geschossstabilität
wegen der Streuung und zweitens für den Militärarzt wegen der Beur-
teilung der Geschosswunden. Die sehr raschen Nutationen (zum Teil
200 pro Sekunde) können recht wohl stossartig, aushöhlend, zertrüm-
mernd wirken. Das Nähere müsste die Momentphotographie ergeben.
Redner giebt noch an, durch welche Schiessversuche endgültige Ent-
scheidung über die Frage erzielt werden könnte. Es liegen bisher zu
"wenig Versuche vor. Von zwei gleich schweren Geschossen, aus Alu-
minium und Blei , müsste das längere Aluminiumgeschoss langsamere
Nutationen, schnellere Präzessionsbewegungen ausführen. Auch Schwer-
punktsverlegung führt zum Ziel. Die Erörterung, an der sich Dr. Reuss,
Dr. E. Müller, Prof. Dr. Branco, Dr. Piesbergen, Dr. Voss e 1er
beteiligten , trug einen vorwiegend medizinischen Charakter und be-
schäftigte sich mit den Schusswirkungen unserer Infanteriewaffe, haupt-
sächlich mit der Frage, ob die bei Schüssen erfolgende Zertrümmerung
des Schädels und der grossen Markknochen als eine hydrodynamische
Wirkung bezeichnet werden könne.
Die weiteren Mitteilungen trugen botanischen Charakter, während
die geplanten palaeontologischen Mitteilungen wegen der vorgeschrittenen
Zeit wegfallen mussten. Kustos Eichler (königliches Naturalienkabinett)
legte einige der seit Mitte der 1870er Jahre nach Deutschland ein-
geführten, anfänglich mit dem Namen ,, Tahiti-Nüsse" bezeichneten, in
neuerer Zeit häufiger Wassernüsse (auch ,, australische Nüsse", ivory
nuts) genannten Steinnüsse aus der Südsee vor. Es sind dies die dunkel-
braunen bis schwarzen, bis 7 cm im Durchmesser haltenden kugeligen
Samen zweier Palmenarten, Coclococcus carolinensis Dingler und C. salo-
monensis Warbürg , die nicht , wie ursprünglich von den Händlern an-
gegeben und durch den Namen Sagus aniicarum Wendland zum Ausdruck
gebracht worden war, auf den Freundschaftsinseln vorkommen, sondern
auf den westlichen Karolinen- und den Salomonsinseln. Über die Natur
- LXVII —
der Stammpflanze ist jedoch bis jetzt noch sehr wenig bekannt. Die
etwas abgeplatteten , von einer Seite mit einer bis über die Mitte
reichenden Höhlung versehenen Samen besitzen ebenso wie die aus
Südamerika stammenden Steinnüsse (Samen von Phi/telephas-krten) ein
elfenbeinartiges und ebenso hartes Nährgewebe und eignen sich daher
wie jene vorzüglich zur Herstellung der sogenannten Steinnussknöpfe
für Kleidungsstücke und anderer kleiner Drechslerwaren ; ihre Grösse
ermöglicht besonders die Herstellung der in neuerer Zeit an Damen-
mänteln u. s. w. beliebten grossen Knöpfe. Die Einfuhr, die bis jetzt
ganz über Hamburg erfolgt und bei der die gerippte Coelococcus salo-
monensis weitaus überwiegt, betrug im Jahre 1895 13 000 Ctr. bei einem
Preis von 6 — 20 Mk. pro Ctr.
Der gleiche Redner legte sodann mehrere Exemplare einer erst-
mals im November vorigen Jahres im Schwarzwald (OA. Neuenbürg)
von Kaufmann C. Co mm er eil, z. Z. in Ludwigsburg, gefundenen Kart-
häuser Trüffel {Picoa CartJmsiana Tulasne) vor, die bis jetzt nur
von einem Fundort in der Nähe des Karthäuser-Klosters bei Grenoble
in der Dauphinee bekannt war. Die nähere Mitteilung über diesen
interessanten Fund findet sich im vorliegenden Jahresheft abgedruckt.
Sitzung vom 9. Dezember 1897.
Am Beginn des Abends hatte der Vorsitzende, Prof. Dr. E. Fr aas,
zunächst die traurige Pflicht zu erfüllen , der seit der letzten Zu-
sammenkunft in Stuttgart aus dem Leben geschiedenen Mitglieder zu
gedenken. Rasch nacheinander hatte der Tod eingegriffen in die natur-
wissenschaftlichen Kreise Württembergs. Dem Nestor der schwäbischen
Geologie, Direktor Fr aas, der lange Jahre hindurch die Seele des
Vereins und dessen Führer gewesen war, ist bald Buchhändler Koch
in den Tod gefolgt; als unermüdlich thätiger Verleger der ,, Jahres-
hefte" und als treuer Kassier des Vereins hat er sich um diesen die
grössten Verdienste erworben; und kaum gaben wir ihm das letzte Ge-
leite, so raffte ein gleicher jäher Tod Dr. Max Graf v. Zeppelin
dahin, der voll offenen Blickes für die Schönheiten der Natur, ein
eifriger Freund der Naturwissenschaften und selbst wissenschaftlich
thätig auch ein reges Vereinsmitglied und Besucher der Vereinsabende
gewesen war. Zu Ehren der Dahingegangenen erhoben sich die An-
wesenden von den Sitzen.
Sodann hielt Dr. Vosseler einen Vortrag über: Biologische
Beobachtungen auf seiner algerischen Reise 1897. Redner
schilderte zunächst die von ihm zurückgelegte Strecke. Anfangs Juni
wurde von Algier aus die Reise nach Süden angetreten, zuerst Blidah
mit seinen ausgedehnten Orangengärten, dann Medeah besucht, beide
Städte noch im Gebiet der Küste und des kleinen Atlas gelegen.
Auf einer sehr anstrengenden Postwagenfahrt ging die Reise weiter
nach Laghouat. Hierbei wurde das Hochplateau der Steppen und
Dünen und der grosse Atlas überschritten. Letzterer steht an Schön-
— LXVITI —
heit und Grösse der Berge weit gegen den mit Unrecht so genannten
„kleinen" Atlas zurück. Die Fahrt dauerte drei Tage und zwei
Nächte mit nur kurzen Unterbrechungen.^ Laghouat liegt am Rande
der grossen algerischen Sahara malerisch in einem Sattel zwischen
zwei Bergen, vollständig in der Wüste. Nach längerem Aufenthalt da-
selbst wurde die Rückreise über Djelfa, Bou-Saada und Aumale aus-
geführt. Von diesen Städten wurden zum Zweck zoologischer Studien
zahlreiche Exkursionen in die Umgebungen gemacht. Von Aumale aus
besuchte der Vortragende sodann das bis zu 2900 m hohe Djurdjura-
gebirge, das sich beinahe in der Mitte der grossen Kabylie nahe der
Küste hinzieht. Mit der Rückkehr von dort nach Algier in den letzten
Tagen des Juli war die ergebnisreiche Rundreise beendet.
Hierauf wurden zahlreiche biologische Beobachtungen als Ergeb-
nisse der Reise geschildert. Dieselben beschränkten sich vorwiegend
auf die Heuschreckenfauna. Da das Frühjahr sehr trocken, der
Sommer viel früher als gewöhnlich mit abnormer Hitze eingetreten war,
verschwanden die Insektengruppen, deren Entwicklung ins Frühjahr
fällt, viel früher als sonst. Gerade an den Orthopteren, besonders den
Heuschrecken sind, weil ihre Reife erst in der jedem Tierleben sonst
ungünstigen Jahreszeit eintritt, die interessantesten Anpassungserschei-
nungen an Hitze, Trockenheit und Dürre etc. zu beobachten. Viele der
geschilderten Schutz- und Trutzvorrichtungen der Orthopteren sind weit
im Insektenreich verbreitet. Die nächstliegende Waffe, der Feinde sich
zu erwehren, ist das Gebiss. Dasselbe dient bei den Laubheuschrecken
(Locustiden) , zu denen unser grünes Heupferd zählt , zugleich zum
Morden der Beutetiere. Einige Locustiden treiben auch im Freileben
Kannibalismus. Die vorwiegend pflanzenfressenden Feldheuschrecken
(Acridier) , leicht an ihren kurzen Fühlern kenntlich , versuchen selt-
samerweise kaum von ihren starken Kiefern dem Feinde gegenüber
Gebrauch zu machen. Dagegen wissen dieselben sich sehr gut mit
den stachelbewehrten Schienen der Hinterbeine zu verteidigen. Laub-
und Feldheuschrecken pflegen fast ausnahmslos in der Gefahr einen
dickbraunen Saft aus dem Mund abzugeben , der widerlich schmeckt.
Eine originelle Waffe bilden die Vorderbeine der Gottesanbeterinnen,
die zugleich zum Erfassen der Beutetiere eingerichtet sind. Die Ohr-
würmer wissen mit ihren Hinterleibszangen zu kneifen, selbst die mensch-
liche Haut zu verwunden. Ohrwürmer und Schaben (Kakerlaken) machen
sich ihren Feinden durch Absonderung stinkender Säfte unangenehm.
Manche Laub- und Feldheuschrecken entgehen dadurch dem Ergriffen-
werden, dass sie die Hinterbeine, wie der Krebs die Scheren, willkür-
lich abzustossen vermögen. Auch noch andere Arten der Selbstver-
stümmelung beobachten wir unter den Laubheuschrecken. So beissen
sich viele Arten die Vorderbeine oder die Fühler ab, sobald sie ergriffen
sind. Der Zweck dieser Handlung ist offenbar der, Blut zum Fliessen
zu bringen, welches für den Feind giftig oder wenigstens unangenehm
ist. Eine sehr vollkommene Einrichtung in dieser Hinsicht besitzen
die mit einer Trutzfarbe versehenen Grillenheuschrecken und eine diesen
verwandte Art. Die erstere vermag durch eine in der Schulter aller
— LXIX —
sechs Beine angebrachte Pore dem Feinde kräftige Blutstrahlen ent-
gegenzusenden , diese spritzt aus nur einer Spalte des Vorderbrust-
rückens ebenfalls ihr eigenes Blut. Dem Menschen schadet nach
wiederholten Versuchen dieses gewiss höchst seltsame Verteidigungs-
mittel nicht. Viel besser noch als durch die geschilderten Einrichtungen
sind die meisten Orthopteren der Wüste geschützt durch oft geradezu
wunderbare Anpassungserscheinungen, welche sie an ihren Aufenthalts-
orten häufig vollständig unsichtbar machen. Viele Acridier sind seltsamer-
weise nur ganz kleinen Bezirken des Bodens in Farbe und Zeichnung an-
gepasst und suchen, wenn daraus vertrieben, stets dahin zurückzukehren.
Manche sind sich ihrer Unsichtbarkeit vollkommen bewusst und bleiben
bei Annäherung eines Feindes unbeweglich sitzen, während andere Arten
sofort auffliegen. Diese tragen unter den dem Boden gleich gefärbten
Oberflügeln lebhaft rot , gelb oder blau gefärbte Unterflügel , welche
während des Fluges das Auge des Verfolgers blenden. Viele Arten
sind holzigen Stengeln, grünen Pflanzen, dürrem Gras u. s. w. angepasst
oder täuschen , wie an einer Gottesanbeterin beobachtet wurde , im
Winde bewegte Windenblüten vor. Zum Entfliehen stehen den Ortho-
pteren verschiedene Hilfsmittel zu Gebote. Die Kakerlaken rennen un-
gemein rasch. Die meisten Feldheuschrecken springen und fliegen sehr
gewandt, selbst durch Schwimmen vermögen sie sich unter Umständen
zu retten. Eine kaum 1 cm lange Grillenart springt nahezu 1 m weit.
Die Wanderheuschrecke fliegt so gewandt und ausdauernd wie eine
Libelle. Nur in einem Fall bei einer mittelgrossen Feldheuschrecke
wurde eine Verteidigung mittels eines schnarrenden Geräusches, welches
das Tier beim Ergreifen ertönen Hess, beobachtet. Zum Schluss dieses
Abschnittes erwähnte Redner noch die Einrichtungen, durch welche die
Eier der Orthopteren geschützt werden. Dieselben werden vielfach in
Pflanzenstengel eingebohrt, in Erde vergraben oder mit einer schaumigen,
erhärtenden Masse umgeben (Gottesanbeterinnen). Aus den anderen
Ordnungen der niederen Tiere schlössen sich sodann noch Mitteilungen
über Wanderungen der Landasseln, das Vorkommen der Wasserasseln
in Algerien und über die Fauna der Binnengewässer an. Eine kleine,
vollkommen weisse Landschnecke war in einem Gebiet so häufig, dass
eine weit über 1 qkm umfassende Strecke davon besät und weiss
gefärbt war. Staunenerregend war ein Präparat einer Feldwanze, welche
in Form und Farbe des Körpers die von ihr bewohnte Pflanze aufs
vollkommenste nachäfft. — Der fesselnde Vortrag gab noch zu mannig-
fachen Bemerkungen aus dem zahlreichen Zuhörerkreis Veranlassung.
Sitzung vom 13. Januar 1898.
Den Abend eröffnete der Vorsitzende, Prof. Dr. Fr aas, mit einigen
geschäftlichen Mitteilungen ; u. a. wurde bestimmt, dass künftighin die
wissenschaftlichen Abende pünktlich um 8 Uhr beginnen sollen. Seit
dem letzten Vereinsabend hat der Verein leider abermals ein Stuttgarter
Mitglied und eifrigen Teilnehmer der Vereinsabende verloren, nämlich
Herrn J. Scheiffele, dessen Hinganges der Vorsitzende mit warmen
Worten gedachte.
Den ersten Vortrag hielt sodann Prof. Dr. Fr aas über das
Thema: „Krankheitserscheinungen an fossilen Crinoiden".
An den längst ausgestorbenen Gattungen und Arten der Seelilien oder
Crinoiden, welche einst Bewohner unserer Trias- und Jurameere waren,
beobachten wir nicht selten krankhafte Veränderungen sowohl des
Stieles wie der Krone, welche meist in eigenartigen Auftreibungen be-
stehen. Eine Erklärung hierfür liefern uns die heute lebenden Seelilien,
wie sie besonders durch die weltberühmte Expedition des ,,Challenger"
in grösserer Anzahl aus den Tiefen der Meere bekannt geworden sind.
Wir finden nämlich häufig, dass ein Parasit, der den Namen Myzostoma
führt, an den Crinoiden schmarozt. Bald sitzt er dem Kelch, bald den
Fangarmen auf, bald auch gräbt und bohrt er sich in die kalkigen
Hartgebilde der Seelilien ein. Der eigenartige Parasit ist jedenfalls
— geologisch gesprochen — uralt und damit hängt es sicher zusammen,
dass er auch im zoologischen System eine unsichere Stellung einnimmt,
indem der Parasitismus seine ursprünglichen Beziehungen zu anderen
Gruppen verwischt hat. An fossilen Crinoiden können wir natürlich
nur die Wirkungen diesen Parasiten in Gestalt verschiedenartiger Auf-
blähungen mit wurmförmigen Gängen im Innern der Kalkteile erkennen.
Besonders häufig finden wir diese Auftreibungen an den Apiocriniten
des oberen Weiss- Jura, sehr selten an den Encriniten des Muschel-
kalkes, gar nicht an den Pentacriniten des Lias. Die letztere Erschei-
nung erklärt der Redner aus der Thatsache , dass die Pentacriniten,
wie die schönen Stücke im Naturalienkabinett beweisen, an schwimmen-
dem Treibholz ansassen, also ein pseudopelagisches Leben führten, die
Apiocriniten dagegen auf dem Boden festsassen. Ein reiches, auch
sonst palaeontologisch interessantes Material verdankt das Naturalien-
kabinett Lehrer Wagner in Sontheim a. Br., einem trefflichen Sammler
im oberen weissen Jura. Besonders sind die von Parasiten aufgetrie-
benen und in ihrem Wachstum gestörten Kelche von Apiocriniten von
Interesse, weil sie durch die abnorme Verkalkung auch eine Erhaltung
von Skelettteilen aufweisen, welche sonst meist abgefallen sind, so dass
der Parasit hier dem Palaeontologen einen Dienst erweist. Im Anschluss
an den durch reiches Demonstrationsmaterial erläuterten Vortrag gab
Prof. Dr. Lampert eine kurze Schilderung der zoologischen Stellung
des in seiner Gestalt scheibenförmigen Myzostoma, welches meist anhangs-
weise zu den Spinntieren gestellt wird, und legte von dem grossen
Challenger-Werk den betreffenden Band vor, welcher eine monographische
Bearbeitung dieser Gattung enthält.
Den zweiten Vortrag hielt Prof. Dr. Klunzinger über das
Formalin und seine konservierenden Eigenschaften. Das
Formalin, ein Fabrikname für die wässerige 40 '^/oige Lösung des gas-
förmigen Formaldehyds , gehört zu den Methylverbindungen und wird
im grossen besonders von der ,, Chemischen Fabrik auf Aktien, vormals
Schering in Berlin", dargestellt, indem Holzgeistdämpfe über glühendes
Platin geleitet werden und das sich entwickelnde Gas in Wasser auf-
— LXXI —
gefangen Avird ; im kleinen kann man es mittels der bekannten Dö-
berein'schen Lampe entwickeln. Das Gas hat einen stechenden Geruch,
ebenso die Lösung, welche sehr reizend auf die Schleimhäute der Nase,
des Mundes, des DarmkanaJs und die Bindehaut des Auges wirkt, auch
die äussere Haut welk macht ; bei manchen Leuten zeigen sich idiosyn-
kratische Hautentzündungen , nervöse Erscheinungen , wie Kehlkopf-
krampf u. dgl. Eigentlich giftig ist der Stoff aber nicht und obige
Erscheinungen sind meist vorübergehend. Ziemlich gross ist die Zer-
setzbarkeit des Formalins, wobei sich Ameisensäure und das unlösliche
Paraformaldehyd bildet. Die ersten Vorteile des Formalins für Kon-
servierungszwecke sind, dass es mit Wasser und Spiritus in jedem Ver-
hältnis mischbar ist , dass es nicht brennt , dass es , weil es nur in
Verdünnungen von 1 — 4 ^/o in Wasser angewendet wird, sehr billig
ist, und dass es, im Gegensatz zu Spiritus, stets hell und weiss bleibt.
Misslich ist, dass es schon bei — 2,5^ C. gefriert, was seine Anwen-
dung in der Kälte ausgesetzten Räumen , wie z. B. in der Sammlung
von Hohenheim, verbietet. Obwohl schon 1867 dargestellt, ist das
Formalin näher erst bekannt geworden, seit Aeonson und Trillot 1892
Studien veröffentlichten über seine desinfizierenden und desodorisierenden
Eigenschaften, denen die Arbeiten von F. Blum über seine härtenden
und fixierenden und von H. Blum über seine konservierenden Wirkungen
folgten. Als Härtungs- und Fixierungsmittel hat es sich in der mikro-
skopischen Technik im allgemeinen sehr gut bewährt ; über seinen
Vorteil von Konservierung von Tieren und Pflanzen sind die Meinungen
noch geteilt. Die Erhaltung der Farben , die man als Hauptvorzug
gegenüber den Spirituspräparaten gepriesen hat, ist zwar ein Vorteil,
aber kein durchgängiger, denn die gelben und roten Farben, z. B. beim
Goldfisch , vergehen rasch , und vielleicht halten auch andere Farben
nicht dauernd oder nur bei Abhaltung des Lichts. Von den Pflanzen-
farben erhält sich am besten das Grün. Als vortreffliche Methode zur
Erhaltung der Farben der Organe, wie Fleisch, Leber, Milz, haben sich
die Versuche von Jones 1896 und Keysekling mit Formalinsalzlösung,
nachheriger Behandlung mit Alkohol und Aufbewahrung in Glycerin
bewährt. Im Gegensatz zu Spirituspräparaten , bei welchen die Kon-
servierung durch Wasserentziehung geschieht, findet hier ausser bei
dünnen Schlangen und anderen Reptilien keine Schrumpfung statt; die
Gegenstände bleiben turpid, hart und elastisch, ja es zeigt sich eher
eine gewisse Schwellung ; man vereinigt daher häufig beide Konser-
vierAngsmethoden : erst Einlegen in Formalin , dann Aufbewahren in
Alkohol. Sehr gut eignet sich Formalin für Tiere mit Gallerte , wie
Quallen und mit Schleim , wie Mollusken , da der Schleimstoff nicht
gerinnt , wie im Spiritus. Fische erhalten sich besonders gut im all-
gemeinen und das Mittel ist auch bereits bei den Fischern zur Auf-
bewahrung ihrer Köderfische beliebt. Auch für Plankton fand der
Vortragende Formalin als das beste Aufbewahrungsmittel, das ein An-
fertigen von mikroskopischen Präparaten vielfach entbehrlich macht.
Den Geruch erachtet der Vortragende für kein Hindernis bei Demon-
strations- und Zergliederungszwecken , da er durch kürzeres oder
— LXXII —
längeres Einlegen in Wasser verschwindet, ja, die Präparate können
dann getrocknet und ohne Schaden in die Hand gegeben werden. Um
Präparate mit ausgestreckten Tentakeln zu erhalten , eignet sich For-
malin nicht, sondern die Tiere müssen vorher mit einem Betäubungs-
mittel, z. B. Cocain, abgetötet werden. Zur Abtötung ist Formalin
überhaupt nicht zu empfehlen, da die Tiere darin sehr langsam ab-
sterben. Ein Nachteil des Formalins ist endlich noch die Verlederung aller
WeichteiTe bis auf die Knochenhaut mit der Unmöglichkeit der Wiederauf-
weichung; die Verwendung zum Skelettieren ist hiermit ausgeschlossen;
anderseits ist es nicht ausgeschlossen , dass durch die stets sich bil-
dende Ameisensäure die Kalkskelette allmählich angegriffen werden.
Im ganzen fasst der Vortragende seine Ansicht über das Formalin dahin
zusammen, dass seine Verwendung eine neue Aera für die Museen be-
zeichnen dürfte. Die Erörterung, an der sich Prof. Dr. Lampert, Dr.
Vosseier, Prof. Dr. Sussdorf, Prof. Dr. Fr aas, Kustos Eichler betei-
ligten, zeigte, dass das Formalin nicht durchweg so günstig beurteilt wird,
wie vom Vorredner. Besonders waren fast alle Redner gegen das For-
malin eingenommen wegen seiner unangenehmen Einwirkungen auf den
menschlichen Organismus; einzelne drastische Schilderungen bewiesen,
dass bei den für Formalin empfindliche Personen geradezu ein Heroismus
dazu gehört, ständig mit diesem Mittel zu arbeiten. Bezüglich seiner
Vortrefflichkeit als Konservierungsmittel waren die Ansichten geteilt,
doch wurde von den meisten Rednern betont, dass es sich wenigstens
für einige Sachen vorzüglich eigne, dass man jedoch über die Zeit
der Versuche noch nicht hinaus sei. Die sehr vorgeschrittene Zeit Hess
die lebhafte Diskussion abbrechen, welche sonst wohl noch manche
interessante Bemerkung zu Tage gefördert hätte.
Sitzuncp vom 10. Februar 1898.
' o
Den ersten Vortrag hielt Prof. Dr. Kirchner von Hohenheim
über das Thema: ,,Die Feige und ihre Befruchtung." Der
Redner betonte einleitend , dass er zwar nichts Neues sagen könne,
hatte aber sicher recht , wenn er annehmen zu dürfen glaubte , dass
manchem der Anwesenden das merkwürdige Verhältnis der Feige zu
einem Insekt und die Bedeutung des letzteren für die Befruchtung der
Feige nicht in allen Einzelheiten bekannt sei; denn obwohl schon den
Alten diese Bedeutung klar war, ist eine wissenschaftliche Aufklärung
doch erst vor einigen Jahren erfolgt. Redner begann mit der Schil-
derung des Blütenstandes der Feige, der bekanntlich der Frucht der
Feige ähnlich ist und deshalb als ,, Blütenkrug" bezeichnet wird; das
Innere dieses Blütenkrugs ist mit Blüten besetzt, die stets eingeschlech-
tig und von sehr einfachem Bau sind; an seinem Scheitel besitzt der
Krug eine kleine Öffnung , an der nach innen gebogene Hochblätter
stehen. Bei der Reife der ,, Feige" wird der Blütenboden dick und
fleischig, mit süssem Saft gefüllt, die innere Höhlung wird geschlossen
und besitzt kleine körnchenartige Früchtchen. Die Verteilung der
— LXXIII —
Blüten zeigt Verschiedenheiten , die zweierlei Feigenbäume zu unter-
scheiden erlauben. Schon dem Altertum waren diese beiden Sorten
wohlbekannt : erstens die gewöhnliche kultivierte Feige, lat. ficus, griech.
EQivsög , und zweitens die wilde Feige, lat. capri-ficus, griech. (jfK/;.
Nur die zahme Feige liefert saftige, süsse Feigen, der Caprificus da-
gegen trockene, harte. Aber von alter Zeit her stammen die Berichte,
dass die zahmen Feigen besser ausreifen, respektive vor dem Abfallen
geschützt sind, wenn sich ein wilder Feigenbaum in ihrer Nähe be-
findet. Es sollten sich in den wilden Feigen kleine Insekten befinden,
welche herausschlüpfen, auf die zahmen Feigen übergehen und diese
zur Reife und Vollkommenheit bringen. Daher pflegte man in die
Nähe der Feigenbäume einen Caprificus zu pflanzen oder man hängte
abgeschnittene wilde Feigen in die Äste des zahmen Baumes; dieser
Gebrauch war bekannt unter dem Namen der Caprifikation. Schon
Theophkast schreibt hierüber, und nach ihm Plixius: ,,Es ist unmöglich,
durch Kultur aus einem wilden einen zahmen Feigenbaum zu machen,"
und fährt dann fort: ,,Die Feigen werfen vor dem Reifen sehr leicht
die Frucht ab. Dagegen wendet man als Hilfsmittel die Caprifikation
an; denn aus den darüber gehängten wilden Früchten schlüpfen kleine
Fliegen (y.ir^peg) heraus und fressen und durchbohren das Auge der
Feige; sie entstehen aus dem Samen; Beweis dafür ist, dass, wenn sie
herauskommen, in der wilden Feige keine Samen sind. Das Caprifi-
zieren geschieht, damit die aus den wilden Feigen herausschlüpfenden
iprivsg das auf dem Scheitel der Feige befindliche Auge öffnen. Wenn
dies geschehen, fressen sie die meiste Feuchtigkeit aus der Feige heraus
und verschaffen der äusseren Luft Zugang und Durchzug. Dadurch
werden die Früchte vor dem Abfallen bewahrt." Die Methode der
Caprifikation hat sich in vielen Gegenden bis heute erhalten. Sie ist
allgemein in Griechenland , auf den griechischen Inseln , auf den Mal-
teser Inseln, in Sizilien, im ehemaligen Königreich Neapel, in Nieder-
Andalusien, Valencia, Estremadura, Murcia, Algier und Tripolis, Syrien
und Kleinasien. Dagegen wird nicht caprifiziert in Nord- und Mittel-
italien, Sardinien, Tirol, Südfrankreich, Nordspanien und Portugal,
Ägypten, auf den Canaren und Azoren. Dass das Wesen der Capri-
fikation in der Thätigkeit der die Feigen bewohnenden Insekten liegt,
hatten schon die Alten klar erkannt ; aber worin besteht diese Thätig-
keit? Unsere heutigen Kenntnisse von der Bedeutung der Insekten für
die Bestäubung vieler Pflanzen lassen vermuten, dass es sich auch bei
der Caprifikation darum handelt ; das ist auch in der That der Fall,
aber unter sehr merkwürdigen gegenseitigen Anpassungen. Das Feigen-
insekt ist eine kleine Hymenoptere aus der Abteilung der Chalcididen
mit Namen Blastoßiaga grossortmi. Sie legt ihre Eier in die weibliche
Blüte der Feige; in derselben entwickelt sich das Insekt und vollzieht
als Gegenleistung die Befruchtung. Entsprechend den drei Generationen
des Insekts haben die Feigen dreimal im Jahre Blütezeit. Die Blüten-
stände werden mit verschiedenen Namen unterschieden. Beim wilden
Feigenbaum heissen die überwinternden Blütenstände Mamme ; ihnen
folgen die im Juni reifenden Profichi und vom August bis gegen Winter
— LXXIV —
reifen die Mammoni. Alle Blütenstände der wilden Feige enthalten
im unteren Teil weibliche Blüten, im oberen mehr oder weniger männ-
liche Blüten. Die Mamme dienen dem Feigeninsekt zur Überwinterung ;
im Frühjahre verlassen die Tiere die Blütenstände und dringen in die
Profichi ein ; hier legen sie in die weiblichen Blüten je ein Ei, so dass
die weiblichen Blüten sich zu einer Galle umbilden , welche statt des
pflanzlichen nun einen tierischen Embryo enthält; erst wenn die jungen
Insekten aus dieser Galle ausschlüpfen , brechen nun die männlichen
Blüten auf und die Insekten beladen sich beim Umherkriechen mit
Pollenstaub, gelangen schliesslich nach aussen und tragen nun den
Pollenstaub auf andere Feigen über. Dies sind entweder wieder wilde
Feigen oder zahme. In den wilden Feigen wiederholt sich das Spiel ;
auch hier werden die weiblichen Blüten angestochen und dienen einer
Insektenlarve zur Wohnung und Nahrung. So ergiebt sich schliesslich
als Resultat, dass die wilden Feigen nur ganz ausnahmsweise Samen
produzieren, vielmehr, da die weiblichen Blüten durch das Insekt zerstört
werden, hierdurch in rein männliche Bäume umgewandelt werden. Anders
bei der zahmen Feige ; auch hier unterscheidet man drei Generationen,
die in oben entsprechender Reihenfolge Fiori di fico , Pedagnuoli, Ci-
marnoli heissen. Aber sämtliche Blütenstände der zahmen Feige be-
sitzen nur weibliche Blüten. Eine Befruchtung kann also nur von der
wilden Feige aus und nur durch Vermittelung des Insekts erfolgen und
dies ist möglich , wenn wilde Feigen neben zahmen stehen. Der Ge-
fahr, dass das eingewanderte Insekt auch die Blüten der zahmen Feige
ansticht, hat die Natur dadurch vorgebeugt, dass die letzteren einen
weit längeren Griffel besitzen, als die Blüten der wilden Feige, so dass
der Legstachel nicht eindringen kann. Sicher ist diese merkwürdig
komplizierte Einrichtung ein Beweis, dass diese Einrichtung früher für
die Möglichkeit des Reifens der Feigen notwendig gewesen , und die
Caprifikation spricht für die scharfe Beobachtungsgabe der alten Völker.
Heute ist der ganze Prozess nicht mehr notwendig , denn in mehr-
tausendjähriger Kultur der Feige ist zur Bildung des saftigen Frucht-
fleisches eine Befruchtung überflüssig geworden , wie wir in ähnlicher
Weise auch kernlose Äpfel u. s. w. kennen, und auch die Vermehrung
erfolgt nicht durch Samen, sondern durch Ableger. Die Caprifikation
ist also ein uralter, heute aber unnützer Gebrauch. Die Gattung Fiats
hat ca. 600 Arten in warmen Ländern der ganzen Erde mit ähnlichem
Blütenbau. Am einfachsten bei dem Subgenus ürostigma, wo männliche
und weibliche Blüten regellos durcheinanderstehen ; dann nehmen die
männlichen Blüten den oberen Teil des Blütenstandes ein und zuletzt
bildet sich der Unterschied von Gallen und Samenblüten aus.
Hatte dieser Vortrag die Bedeutung eines Insekts für eine Kultur-
pflanze in positiver Richtung gezeigt , so bot der zweite ein Bild der
Schädlichkeit eines Insekts für den Obstbau; als zweiter Redner sprach
nämlich Dr. Vo sseler über ,,Schil dl äuse". Zunächst gab Redner
eine Darstellung der Lebensweise und der Anatomie dieser Pflanzen-
feinde. Mit langem Saugrüssel begabt finden sie ihre Nahrung in
Pflanzensäften, indem sie sich an der Oberfläche der Pflanze einbohren.
— LXXV —
Die Weibchen verändern sich, wenn sie sich einmal festgesogen haben,
indem die Gliedmassen verkümmern und schliesslich bilden die älteren
Weibchen eine schildkrötenartige, lederartige Schale, unter deren Schutz
die Eier auch nach dem Absterben der Mutter bis zum Ausschlüpfen
liegen. Die Fortpflanzung findet teils parthenogenetisch , teils ge-
schlechtlich statt. Fast auf allen Pflanzen finden sich Vertreter dieser
Ordnung, am meisten auf Holzpflanzen, deren jede beinahe eine speci-
fische Schildlaus aufweist. Auch Zimmerpflanzen leiden bekanntlich
vielfach darunter. Neuerdings haben bekanntlich Schildläuse als Feinde
des amerikanischen Obstes viel von sich reden gemacht und der Redner
wandte sich daher speciell den amerikanischen Arten zu. Als verderb-
lichste von allen gilt die schwarze Schildlaus, Lecanium oleae. Sie
befällt fast alle Obstbäume, besonders aber solche mit ausdauernden
Blättern, wie Citrone und Olive. Die rote Schildlaus (Äspidiotus au-
rantiij kommt besonders auf Citronenbäumen, oft neben der schwarzen,
vor; die dritte, neuerdings in erster Linie genannte Art, die sogenannte
San-Jose-Schildlaus (Äspidiotus perniciosus) befällt mit Vorliebe
Obstbäume mit abwerfendem Laub und verschont beinahe keine Art
derselben. Im Santa Clara-Thal mit dem San Jose-Distrikt, sowie im süd-
lichen Kalifornien ist der von ihr angerichtete Schaden gegen früher
ganz bedeutend zurückgegangen , doch ist es ein Irrtum , zu glauben,
dass er ganz verschwunden sei. Klimatische Einflüsse vernichten sie
bisweilen, auch Pilzkrankheiten scheinen verheerend zu wirken. Natür-
liche Feinde des Insektes sind zwei Marienkäferchen , beziehungsweise
deren Larven. Der Redner besprach sodann die verschiedenen in
Amerika üblichen Mittel zur Bekämpfung der Schildläuse. Citronen-
bäume werden in Südkalifornien hauptsächlich mit der Cyanwasserstoff-
methode behandelt , zu welchem Zweck die Bäume mit Zelttuch über-
deckt und unter demselben 40 — 45 Minuten der Einwirkung der giftigen
Gase ausgesetzt werden. Auch Dampf wird angewendet, zum Teil auch
in Verbindung mit einem insektentötenden Mittel , scheint aber nicht
übermässig zweckmässig erfunden worden zu sein. In dritter Linie
kommen Waschmittel zur Anwendung. Das wichtigste Mittel gegen die
San-Jose-Schildlaus für Kalifornien ist die Kalk-Schwefelsalzbrühe, deren
Wirkung oft ganz erstaunlich ist. Die Brühe wird hergestellt aus
40 T. ungelöschten Kalkes, 20 T. Schwefel, 15 T. Salz. Die Bespritzung
erfolgt ein- bis mehreremale im Jahre, besonders im Winter. Seltsamer-
weise scheint die Wirkung in trockenen Gegenden sehr zuverlässig, in
feuchten dagegen ziemlich unzuverlässig zu sein : im Osten der Vereinig-
ten Staaten steht ihr Wert in geringem Ansehen. Sehr bemerkens-
werte Erfolge werden in Kalifornien mit der Einführung der oben
erwähnten natürlichen Feinde erzielt. Seit 1870 bis 1893 ist die San-
Jose-Schildlaus im Westen Amerikas bekannt; von 1893 datiert ihre
Einwanderung im Osten; woher der Feind stammt, ist noch ungewiss.
Zum Schluss wies der Vortragende auf die Gefahr der Einschleppung
und die Bedeutung entomologischer üntersuchungsstationen hin. An
den Vortrag knüpfte sich noch eine längere Erörterung.
— LXXVI —
Sitzung vom 29. Februar 1898.
In der Aula der K. Technischen Hochschule sprach Prof. Dr.
R. Koch über „elektrische Schwingungen und die Tele-
graphie ohne Draht". Die Schwerkraft, die elektrischen und mag-
netischen Kräfte hielt man bis vor kurzem für Fernkräfte, d. h. Kräfte,
die ohne Vermittelung eines Zwischenmediums wirkten. Für die elek-
trischen und magnetischen Kräfte wurde von Faeaday diese Wirkungs-
weise geleugnet und für diese Kräfte eine Wirkung, die sich von Teilchen
zu Teilchen durch das Zwischenmedium hindurch fortpflanzt, angenommen.
Dieser Idee wurde durch Maxwell eine mathematische Grundlage ge-
geben. Es existieren nun auch gewisse Erscheinungen , die bei Kon-
densatoren auftreten, welche diese Auffassung stützen, indem sie die
Einwirkung des Zwischenmediums auf die von elektrischen Körpern auf-
einander ausgeübten Kräfte darthun. Aus dieser Annahme ergeben sich
nun wichtige Folgerungen. Es müsste, wenn die Kraftwirkung durch Ein-
wirkung von Teilchen zu Teilchen stattfände, eine gewisse Zeit verfliessen,
bis sich die Wirkung von einem Punkte des Raumes zum anderen
fortgepflanzt hätte. Die Geschwindigkeit einer solchen Fortpflanzung
lässt sich theoretisch berechnen. Eine elektrische Störung würde sich
nämlich mit einer Geschwindigkeit, die der des Lichtes gleichkäme
(300000 s^) , fortpflanzen. Würde man nun auf irgend eine Weise
periodisch elektrische Störungen (elektrische Schwingungen) hervor-
rufen, so würden sich diese in Form von Wellen durch das Zwischen-
medium — den Isolator — ausbreiten. Solche elektrische Schwingungen
liefert nun z. B. die Entladung einer Leydener Flasche ; die Zeitdauer
einer einzelnen Schwingung beträgt Yioooo bis Yiooooooo Sek. Diese
Schwingungsdauer lässt sich aus bekannten oder leicht zu bestimmenden
Grössen des angewandten Apparates berechnen. Beträgt die Oscillations-
dauer bei der Entladung einer Flasche ^/loooooo Sekunde, so würde die
Länge der elektrischen Welle 300 m betragen , da die Länge gleich
ist dem Produkt aus Fortpflanzungsgeschwindigkeit (300 000 000 m)
und Schwingungsdauer (Vioooooo Sek.). Um die Richtigkeit dieser Hypo-
these zu prüfen, würde es notwendig sein, eine solche Welle wirklich
zu messen; stimmte dann diese gemessene Länge mit der berechneten
überein, so würde damit die Richtigkeit der FAKADAx-MAxwELL'schen
Hypothese überaus wahrscheinlich werden. Es ist das Verdienst von
Hertz, eine solche Messung zuerst ausgeführt zu haben, indem es ihm
gelang, kürzere und damit messbare Wellen zu erzeugen. Die Messung
der Länge einer Welle kann in folgender Weise erfolgen. Stösst ein
Wellenzug gegen eine feste Wand (z. B. Wasserwellen gegen eine Kai-
mauer) , so findet bekanntlich eine Zurückwerfung der Wellen statt ;
diese zurücklaufenden Wellen werden sich mit den ankommenden kreuzen
(interferieren) ; hierdurch entsteht eine besondere Art von Schwingung,
die sogenannte ,, stehende Schwingung", bei der einzelne bestimmte
Punkte (die Knoten) in Ruhe bleiben, während die dazwischen liegenden
Teilchen (Schwingungsbäuche) gleichzeitige Schwingungen ausführen ;
— LXXVII -
die Knoten befinden sich in Abständen von einer halben Wellenlänge
von einander. Gerade so müssten auch elektrische Wellen — wenn
anders sie existieren — an einer leitenden Wand eine Zurückwerfung
erleiden und hierbei Veranlassung zur Entstehung stehender Schwingungen
mit Knoten und Bäuchen geben ; in den Knoten würden wir Minima,
in den Bäuchen Maxima der elektrischen Kraft haben. Hektz konnte
nun diese Knoten bei den elektrischen Wellen nachweisen und dadurch
einmal den Beweis liefern, dass sich solche bisher nur angenommenen
elektrischen Wellen durch den Raum hindurch fortpflanzen, dann aber
konnte er ihre Wellenlänge selbst bestimmen und aus der Überein-
stimmung der beobachteten Werte mit den berechneten auf die Richtig-
keit der Hypothesen von Fabaday und Maxwell schliessen.
Hertz hat diese Knoten nachgewiesen mit Hilfe von Resonatoren.
Ein solcher Resonator ist ein kreisförmig gebogener Draht, dessen Enden
sich beinahe berühren ; hat er die richtige Länge , so führt die Elek-
tricität in ihm Schwingungen aus , wenn er von elektrischen Wellen
getroffen wird — gerade so wie beim Hineinsingen in ein Klavier die-
jenige Saite erklingt, deren Eigenton hineingesungen ist. Das Vor-
handensein von Schwingungen im Resonatordraht zeigt sich in auf-
tretenden kleinen Fünkchen an der Unterbrechungsstelle, die jedoch
wegen ihrer geringen Grösse nur mit der Lupe im verdunkelten Raum
wahrgenommen werden können.
Eine Vorrichtung von Bkanly ist für die Demonstration günstiger.
In ein mit Metallfeilicht angefülltes Rohr ragen zwei Drähte ; dieses
Rohr ist durch einen Stromanzeiger und ein Element zu einem Kreise
geschlossen; im natürlichen Zustand ist der Widerstand des Rohres
so gross, dass am Stromanzeiger kein Strom zu konstatieren ist, weil
der Widerstand des lose im Rohr liegenden Metallfeilicht zu gross ist.
Wird jedoch dieses Rohr von elektrischen Wellen getroffen, so nimmt
sein Widerstand momentan ab und der Strommesser zeigt einen Strom
an. Eine Erschütterung des Rohres vermehrt sofort den Widerstand
derartig , dass der Apparat wieder stromlos wird. Vermittelst dieses
Apparates können nun die Eigenschaften der elektrischen Wellen leicht
nachgewiesen werden ; es lässt sich zeigen, dass die elektrischen Strö-
mungen sich geradlinig fortpflanzen , dass sie von leitenden Wänden
zurückgeworfen werden , dass sie beim Übergang von einem Mittel in
ein anderes an der Grenzfläche eine Brechung erleiden, dass sie polari-
siert sind, dass sie der Beugung unterworfen sind u. s. w. Kurz, es
lassen sich an ihnen alle Eigenschaften nachweisen, die uns beim Licht
bekannt sind. Wegen der Übereinstimmung der Gesetze der Fort-
pflanzung der strahlenden Wärme mit denen des Lichtes hat man
seiner Zeit bekanntlich beide identifiziert, d. h. die strahlende Wärme
ebenfalls wie das Licht als transversale Schwingungen des Äthers auf-
gefasst; die durch die Versuche von Hertz nachgewiesene Überein-
stimmung der Gesetze der elektrischen Wellen mit denen des Lichts
berechtigt uns wiederum , das Licht als elektrische Schwingungen zu
betrachten ; diese Anschauung bildet die Grundvorstellung der elektro-
magnetischen Lichttheorie.
- LXXVIII -
Marconi's sogenannte Telegraphie ohne Draht beruht nun auf
der Benutzung solcher HERXz'scher elektrischer Wellen, die auf einer
Station erzeugt werden und auf der anderen (der Empfangsstation) auf
eine BßANLY'sche Röhre wirken. Während jedoch bisher derartige
Wellen nur auf kürzere Entfernungen wirksam blieben, ist es Marconi
gelungen, solche auf grössere Entfernungen hin zu entsenden, indem er
sowohl vom Geber wie Empfänger ein Ende mit der Erde, das andere
mit einem senkrecht in die Luft aufragenden langen Drahte verband;
ferner hat er eine sinnreiche Vorrichtung konstruiert, durch die er den
auf der Empfangsstation in der BBANLy'schen Röhre durch die elek-
trischen Wellen ausgelösten Strom dazu benutzt, um vermittelst eines
Relais und sogenannten Lokalstromes einen der bekannten Telegraphen-
apparate in Thätigkeit zu versetzen , auf dessen Papierstreifen dann
die Depesche in gewöhnlicher Weise in der Form von Strichen und
Punkten erscheint. Je länger man den erwähnten Luftdraht macht,
um so weiter gelingt es elektrische Wellen zu entsenden. So gelang
es in folgende Entfernungen Depeschen zu senden :
über den Bristol-Kanal auf eine Entfernung von 5 km bei einer
Länge des Luftdrahtes von 50 m ;
bei Spezia auf eine Entfernung von 16,3 km bei einer Länge des
Luftdrahtes von 34 m;
bei Berlin auf eine Entfernung von 21 km bei einer Länge des
Luftdrahtes von 300 m;
die letzte weiteste Entfernung würde ungefähr der Distanz Stuttgart —
Plochingen entsprechen.
Mit der Erde in Verbindung stehende Leiter (also Bäume, Berge etc.),
die den Weg der elektrischen Wellen kreuzen, hindern jedoch die Aus-
breitung derselben, ebenso scheint eine verschiedene Beschaffenheit der
Luft (also Temperaturunterschiede, Staubgehalt etc.) schädlich zu wirken,
so dass nur bei reiner Luft und Fehlen von Hindernissen die Wellen
bis in jene grösseren Entfernungen sich fortpflanzen.
Bis jetzt steht jedoch auch der auf kurze Entfernungen beschränkten
Anwendung der Telegraphie ohne Draht hindernd entgegen , dass eine
solche Depesche von jedem mit dem BBANLx'schen Rohr aufgefangen
werden kann — also wie seiner Zeit die Depeschen des alten optischen
Telegraphen — jedermann zugänglich sind. Die nächste Aufgabe würde
mithin die sein , Sender zu erfinden , die nur Wellen von bestimmter
Länge aussenden , dann würde nur der auf diese bestimmte Wellen-
länge abgestimmte Empfänger auf diese reagieren; bis jetzt ist eine
solche Abstimmung des Empfängers nicht möglich, da der Sender Wellen
der verschiedensten Länge gleichzeitig giebt.
Man sieht, wir stehen vorerst nur an der Pforte eines neuen
Gebietes, das sich aber durch weitere Entdeckungen zu ungeahnter
Grösse ausdehnen könnte.
LXXIX
Sitzung vom 10. März 1898.
Den ersten Vortrao; hielt Dr. A. Reuss, Oberstabsarzt II. Klasse
der Landwehr, über: „Schusswirkung der Kleinkaliber -Ge-
schosse auf den menschlichen Körpe r". Der Vortragende stützte
sich in seinem Referat hauptsächlich auf die zwei Werke : H. Bikchek,
Generalarzt des II. schweizerischen Armeekorps, ,,Neue Untersuchungen
über die Wirkung der Handfeuerwaffen", mit Atlas von 40 Tafeln,
1896/97, und Prof. P. Bkuns: ,,Über die Wirkung und kriegschirurgische
Bedeutung der Selbstladepistole System Mauser 1897", zu welchem Prof.
Bruns noch die Originalphotographien nach Röntgen in natürlicher
Grösse , sowie einige Knochenpräparate und Schädel in dankenswerter
Weise überlassen hatte.
Die jetzigen Infanteriegeschosse bestehen fast alle aus Hartblei
mit einem Stahlmantel und eiförmiger Spitze im Gewicht von 2,15 gr,
mit einem Kaliber von 7,5 — 8 mm und einer Anfangsgeschwindigkeit von
600 — 640 m pro Sekunde, woraus sich nach der Formel -^ v^ die
Arbeitsleistung = lebendige Kraft von 320 mkgr berechnen lässt.
Das Zündnadelgewehr hatte nur 140 mkgr im Anfang. Die Selbstlade-
pistole hat 7,63 mm Kaliber, das Geschoss ist 5,5 gr schwer, Anfangs-
geschwindigkeit 425 m, lebendige Kraft daher 50 mkgr gleich dem
Infanteriegewehr auf 1000 m Distanz.
Im Prinzip geht die Wirkung dieser Geschosse dahin, dass sie
durch Aufhebung der Molekularkohäsion zertrümmernd
auf jedes Gewebe wirken, soweit es in ihrer Flugbahn
liegt.
In der Haut macht das Geschoss glatte, wie mit dem Messer
ausgestanzte Löcher beim Einschuss bei senkrechtem Aufschlag, kreis-
runde vom Durchmesser des Kalibers in nahen Entfernungen, in grösseren
allmählich abnehmend, da dann nur die Spitze zertrümmernd wirkt und
die Elasticität der Haut daneben noch zur Geltung kommt. Bei schiefem
Aufschlag oval. Die Ausschüsse unregelmässig, oft zerrissen, häufig
grösser, ja sogar sehr ausgedehnt, besonders bei Knochenschüssen durch
die mitgerissenen Gewebetrümmer, hier und da waren Schlitze ohne
Substanzdefekt. In den Sehnen ebensolche Schlitze ohne Defekt. In
den Muskeln glatte runde, etwas trichterförmig sich erweiternde
Kanäle.
Die Blutgefässe werden auch glatt durchschlagen ohne Quet-
schung, wobei öfters Gewebebrücken zwischen den Enden erhalten bleiben
und gefährliche Blutungen bedingen.
Bei den Knochen wird der direkt getroffene Teil zu Sand zer-
trümmert, die Umgebung des Defekts durch Fortleitung des Stosses,
sowie durch die Keilwirkung der eiförmigen Spitze besonders bei den
Diaphysen der langen Röhrenknochen in viele kleinere und wenigere
grössere Splitter zerschlagen (ersteres bei nahen , letzteres bei Fern-
schüssen), deren Entstehung durch typische Sprunglinien nach Bircher
an den Tafeln demonstriert wird. Die Ausdehnung der Splitterungs-
— LXXX -
Zone ist in allen Distanzen ungefähr gleich gross und richtet sich nach
der Härte der verschiedenen Knochen (vergl. Messeker Über Elasticität
und Festigkeit der menschlichen Knochen). Die Knochentrümmer werden
in die Weichteile hineingetrieben und verursachen hier eine Zer-
trümmerungshöhle, die um so ausgedehnter ist, je geringer die
Schussdistanz, bei Nahschüssen bis zur Haut sich erstrecken kann.
Dabei wird das Geschoss selbst oft deformiert und wirkt dann
noch verheerender beim Ausschuss. Lochschüsse kommen bei diesen
Knochen erst über 1600 — 2000 m Distanz vor. Bei Streifschüssen
bricht der Knochen durch eine einfache Fraktur quer oder schief durch.
Die Epiphysen der langen Knochen und die spongiösen
Knochen zeigen trichterförmige Schusskanäle bei Nahschüssen mit
Fissuren und Sprüngen mit nur geringer Weichteilzertrümmerung.
Die platten Knochen weisen reine Lochschüsse mit geringen Fissuren
auf. Dieselbe Verletzung zeigen entfernte Schädel; bei Voll-
sch adeln kommt bis auf 1600 — 2000 m Entfernung die Übertragung
des Stosses auf den flüssig-weichen Lihalt dazu, die früher ,, hydrau-
lisch", jetzt ,, hydrodynamisch" genannte Wirkung, welche die Knochen-
kapsel zersprengt, bei Nahschüssen (Selbstmördern etc.) mit der Haut-
decke, in mittlerer Entfernung mit allmählich abnehmender Stärke und
Zahl der Knochensprünge. Auch hier hat Birchek in seinem Atlas
Versuche abgebildet, welche den Vorgang im einzelnen erklären.
Das leere Herz zeigt Lochschüsse, das bluterfüllte Zerreissung
durch die obenerwähnte hydrodynamische Wirkung. Die Lungen zeigen
meist relativ enge glatte Schusskanäle mit guter Prognose für die
Heilung.
Leber, Milz und Nieren werden durch die hydrodynamische
Wirkung auf das weiche Parenchym ohne stützendes elastisches Binde-
gewebe zerfetzt. Magen und Darmkanal meist multipel durch-
löchert, wenn mit Inhalt erfüllt, oft zerrissen.
Schliesslich werden noch die drei Schiessversuche von Brdtjs mit
der Mauserpistole auf mehrere hintereinander aufgestellte Leichen an-
geführt, wobei auf 10 und 50 m Distanz je zwei Leichen mit mehreren
Knochenzertrümmerungen durchbohrt, das Geschoss in der dritten stecken
blieb und auf 300 m der Oberarmknochen der ersten Leiche zer-
schmettert und die Muskeln der zweiten in 7 cm langem Kanal durch-
schossen wurden. Es entspricht das der Wirkung des Infanteriegewehrs
auf 1100, 1400 und auf 3000 m Distanz.
Den zweiten Vortrag hielt Prof. Hofmann (K. tierärztl. Hoch-
schule): ,, Statistisches über die Haustiere in Württemberg."
An interessanten Tabellen erörterte der Vortragende die mancherlei
Schwankungen, welche die einzelnen Gattungen der Haustiere im Verlauf
der letzten 60 Jahre durchgemacht haben. Völlig verschwunden sind
Esel und Maultier, welche einst eine nicht unwesentliche Rolle spielten.
Bemerkenswerte Kurven zeigt die Pferdezucht ; auffallenderweise ist das
Halten der Schafe als Haustiere stark zurückgegangen, was jedenfalls
mit dem Abschluss des französischen Marktes, der geringeren Vorliebe
unserer Bevölkerung für Hammelfleisch und der Ausnützung des Landes
- LXXXI —
für Kulturzwecke statt für Weidezwecke zusammenhängt. Dagegen
ist die Aufzucht des Schweines bedeutend gestiegen und das Schwein,
welches so vielfach verwendbar ist, kann auch als das hauptsäch-
lichste Haustier betrachtet werden.
Oberschwäbischer Zweigverein.
Sitzung in Aulendorf am 2. Februar 1898,
Nach langer Zwischenzeit versammelte sich der Verein wieder am
Lichtmessfeiertag in Aulendorf. Eine stattliche Zahl von Mitgliedern
war erschienen ; leider fehlte der seitherige Vorsitzende Dr. Freiherr
Rieh. V. Koenig-Warthausen, der durch Krankheit abgehalten war. An
seiner Stelle leitete Apotheker Dr. Leube von Ulm die Versammlung.
Er verlas ein Schreiben des Vorstandes, in welchem dieser sein Zurück-
treten von dem Amte, das er 25 Jahre lang inne gehabt hatte, an-
kündigte und für das erfahrene Vertrauen dankte, dem Vereine neue
jKräfte und frisches Gedeihen wünschend. Nachdem sich die Anwesenden
zu Ehren der im vergangenen Jahre hingeschiedenen Mitglieder, Ober-
förster Dr. Frank, Dr. Max Graf Zeppelin und Direktor Dr. v. Fraas,
erhoben hatten, wies Prof. Dr. Lampert von Stuttgart auf die notwendig
gewordene Vervollständigung des Ausschusses hin. Dr. Leube machte
den Vorschlag, Dr. v. Koenig-Warthausen zum Ehrenvorstand und
den nach Stuttgart übergesiedelten seitherigen Schriftführer, Hofrat
Dr. Finkh, zum korrespondierenden Mitglied zu ernennen. Der Vor-
schlag fand allgemeine Zustimmung. In den Ausgchuss wurden ge-
wählt: Direktor Dr. Kreuser von Schussenried als Vorsitzender, Prof.
Dr. Pilgrim von Ravensburg als Schriftführer, Oberamtsarzt Dr. Palm er
von Biberach und Fabrikant Kr aus s von Ravensburg als weitere neue
Mitglieder; von früher her sind in dem Ausschuss Kammerer Pfarrer
Dr. Probst von Essendorf und Apotheker Dr. Leube von Ulm.
Die Reihe der Vorträge eröffnete Direktor Kreuser mit einer
Mitteilung über einen Gräberfund, der anlässlich der Herstellung einer
Hochdruckwasserleitung beim Zellerhof, unweit Schussenried, gemacht
wurde. Es fanden sich in dem ausgegrabenen Gemäuer, das 3,3 m
lang und 1,2 — 2 m breit und von eiförmigem Grundriss ist, ein Arm-
ring und andere Artefakten von Bronze, ein Schädeldach und Stücke
von Röhrenknochen ; aus einem zweiten Stirnbein folgte , dass zwei
Personen dort bestattet worden waren. Die aufgefundenen Gegenstände
weisen auf keltische Völkerschaften der Hallstadtperiode hin und dürften
etwa 2000 Jahre alt sein. Prof. Dr. Fraas machte auf die anthro-
pologisch-prähistorische Bedeutung des Fundes aufmerksam. Der be-
schriebene Grabtypus findet sich häufig auf der Alb, selten aber in
Oberschwaben, jedoch weicht der Schussenrieder Fund durch seinen
Steinsatz am Boden von den Albgräbern ab , in denen sich Brand-
stätten und Aschenurnen vorfinden , ausserdem noch oft Skelette. —
Nachdem Fabrikant Krauss auf die Gründung des oberschwäbischen
Zweigvereins vor 25 Jahren hingewiesen und der sieben Gründer ge-
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. f
— LXXXII —
dacht hatte, hielt Prof. Dr. Lampert einen Vortrag über die Saug-
würmer, ein Kapitel der Parasitenkunde. An der degenerierten Leber
eines Schafes fand Redner einen 20 cm langen, 5 — 10 cm breiten Aus-
wuchs, aus dem beim Aufschneiden eine braune Flüssigkeit floss , im
Innern befanden sich 1 — 1,5 cm lange, ^U — ^2 cm breite Würmer,
Leberegel (Distomum hepaticuni), deren Entwickelungsgeschichte besonders
interessant ist. Die Saugwürmer zeichnen sich durch einen ausgebil-
deten Generationswechsel aus. Aus dem Ei entstehen zunächst ge-
schlechtslose Tiere, aus denen andere durch Sprossung hervorgehen,
bis nach einer Reihe von solchen wieder ein geschlechtsreifes Tier ent-
steht. Die Entwickelungsgeschichte der Wirbeltierparasiten hat be-
sonders Professor LEUKAKT-Leipzig aufgeklärt. Das Geschlechtstier
schmarotzt stets bei einem Wirbeltier im Verdauungstraktus , in der
Lunge oder in der Harnblase. Die Eier gelangen nach aussen, und
es gehen mikroskopisch kleine, bewimperte Tierchen daraus hervor, die
im Wasser schwärmen oder sich in sehr feuchter Erde bewegen. Die
Larve muss in ein Weichtier (Schnecke oder Muschel) gelangen. Dort
verliert sie die Wimpern und bildet sich zu einem Schlauche , dem
Keimschlauche, aus; darin entstehen Keimlinge, sogenannte Cercarien,
die vorne einen kleinen Stachel , hinten ein Schwänzchen haben ; sie
bohren sich durch den Schlauch und gelangen freischwimmend wieder
ins Wasser. Dort suchen sie als zweiten Wirt ein Insekt, ein Amphi-
bium oder einen Fisch auf. Mit dem Stachel bohren sie sich ein,
während der Schwanz draussen bleibt und abgestossen wird. Das Tier
zieht sich in das Innere des Wirts und kapselt sich dort ein , wird
aber nie geschlechtsreif, wenn es nicht samt seinem Wirt gefressen
wird und in den Magen eines Wirbeltieres gelangt; erst dort entwickelt
es sich zum geschlechtsreifen Saugwurm. Von dieser typischen Ent-
wickelungsgeschichte kommen manche Ausnahmen vor : der Keimschlauch
kann statt Cercarien wieder Keimschläuche produzieren, die abermals
Keimschläuche erzeugen können, so dass aus einem Ei sich 400 Cer-
carien bilden können. Es kann auch der zweite Wirt wegfallen und
die Cercarien sich an Grashalmen u. dgl. einkapseln. Dies ist speciell
beim Leberegel der Fall, denn mit dem Futter gelangen dann die Cer-
carien in das Schaf. Die Fruchtbarkeit kann eine sehr grosse sein,
so legt z. B. der Leberegel Tausende von Eiern ein , so dass einem
Aussterben dieser Parasiten vorgebeugt ist, obgleich ihnen auf ihrem
Entwickelungsgange viele Gefahren drohen. Besonders unter den Schaf-
herden Australiens hat der Leberegel grosse Verheerungen angerichtet;
bis zu ein Drittel des Bestandes gingen an der Leberfäule zu Grund;
bedeutende Preise wurden für ein Gegenmittel ausgeschrieben. Obwohl
man seit zwei Jahren die Entwickelungsgeschichte der Leberegels kennt,
hat man noch kein Mittel gefunden, denselben unschädlich zu machen.
Praktische Schäfer wissen schon lange, dass die Leberfäule auf nassen
Wiesen besonders häufig entsteht. Auch im Menschen sind Leberegel
schon gefunden worden, wahrscheinlich durch Brunnenkresse eingeführt.
In Japan hat Dr. BÄLZ-Tokio einen Saugwurm als Lungenparasit be-
obachtet, der phthisisähnliche Erscheinungen hervorruft, die aber nicht
— LXXXIII —
lebensgefährlich sind. Lebhafter Beifall wurde dem Redner für seinen
lehrreichen Vortrag gespendet.
Prof. Dr. Fr aas sprach hierauf noch über die interessanten
Petrefakten, die Fabrikant Krauss mitgebracht hatte; unter denselben
war der Abdruck eines Skolopenders aus der Steinkohlenformation be-
sonders merkwürdig. Nach einer Pause gab er sodann sehr anziehende
Mitteilungen über seine ägyptische Reise. Es handelte sich dabei be-
kanntlich um die geologische Untersuchung des Gebiets zwischen Kene
am Nil und Kosseir am Roten Meere. Begeisterter Beifall lohnte den
Redner für die lebendigen und packenden Schilderungen seiner interes-
santen Reise. Noch traf ein Danktelegramm des seitherigen Vorstandes
von Warthausen ein, womit der offizielle Teil der Versammlung seinen
Abschluss fand. Auf dem Weg nach dem Bahnhof hatte man Gelegen-
heit, zwar nicht mit dem Chamsin, den Prof. Dr. Fraas so trefflich
nach seinen Wüstenerinnerungen geschildert, wohl aber mit seinem
oberschwäbischen Kollegen, dem Föhn, zu kämpfen.
Schwarzwälder Zweigverein.
Sitzung in Tübingen am 21. Dezember 1897.
In Vertretung des abwesenden Vorstandes, Prof. Dr. Eimer, er-
öffnet Dr. Fickert die zahlreich besuchte Versammlung, gedenkt der
im Laufe des Jahres verstorbenen eifrigen Vereinsmitglieder (Dr. Höch-
stetter, Direktor v. Fraas, Buchhändler Koch) und schlägt unter
allgemeinem Beifall den Prof. Dr. Vöchting als Vorsitzenden für die
Sitzung vor. Darauf sprach Dr. Hesse über ,,die Sehorgane des
Amphioxus". Nachdem der Redner auf die Bedeutung dieses Tieres
für unsere Vorstellung von den ältesten Wirbeltierahnen hingewiesen
hat, bespricht er die früheren Ansichten über die Sehorgane desselben:
die naheliegende Annahme, dass der Sitz der Lichtwahrnehmung in
einem Pigmentfleck am Vorderende des Hirnes zu suchen sei, wird
durch die wechselnde Gestalt und Lage dieses Pigmentfleckes zweifel-
haft ; dann aber zeigen Versuche, dass die Amphioxus auch dann noch
auf Lichtreize reagieren, wenn man ihnen das Vorderende samt Gehirn
und Pigmentfleck abschneidet, ja, dass selbst, wenn man solch geköpftes
Individuum halbiert, das vordere wie das hintere Teilstück deutliche
Reaktion bei plötzlicher Belichtung erkennen lässt. Im Rückenmark
des Tieres kennt man schon seit lange eine grosse Anzahl Pigment-
flecken, die bisher aber wenig beachtet wurden. Nähere Untersuchung
zeigt, dass dies keine soliden Haufen von Pigmentkörnchen, sondern
dass sie schalenförmig ausgehöhlt sind und von einer Seite her kappen-
artig einer Zelle aufsitzen, die sich auf der anderen Seite in eine Faser
auszieht; soweit die Zelle in der Pigmentschale steckt, ist ihre Ober-
fläche dicht mit kleinen, parallel gestellten Stiftchen besetzt, die auf
Schnitten als dunkler Saum erscheinen. Dies ist völlig der Bau, wie
wir ihn von den Becheraugen mancher Würmer kennen, und man kann
— LXXXIV -
daher auch diese Organe des Amphioxus als einfachste Augen be-
trachten. Diese Augenpunkte sind im Rückenmark segmental ange-
ordnet; sie beginnen im dritten Segment (jederseits zwei), im vierten
Segment finden sich über 30, nach der Mitte des Tieres zu nimmt
die Zahl beträchtlich ab und wird gegen den Schwanz hin immer spär-
licher. Auf Querschnitten liegen die Augen zu beiden Seiten und
unterhalb vom Centralkanal des Rückenmarks, und zwar sind die Pig-
raentbecher der links gelegenen Augen nach rechts oben, die der rechts
gelegenen nach rechts unten gerichtet, so dass sie für eine Beleuchtung
von der rechten Seite her angeordnet erscheinen. Dies ist wahrschein-
lich darauf zurückzuführen, dass die Tierchen, wenn sie aus dem Sande
hervorkommen, meist auf der Seite liegen.
Prof. Dr. Koken sprach hierauf über „Rhamphorhynchus".
In einem Steinbruch bei Nusplingen, wo schon früher mit Erfolg nach
Versteinerungen gegraben wurde , hat sich bei Wiederaufnahme der
Ausgrabungen ein sehr gut erhaltenes Skelett eines Rhamphorhi/nchus
gefunden. Dieser gehört mit Pterodadijlus zu der Familie der Flug-
saurier, einer Gruppe vogelähnlicher Reptilien ; vom Pterodacfi/lus unter-
scheidet er sich durch seinen langen Schwanz , der mit starken ver-
knöcherten Sehnen versehen ist und sicher an seinem Ende, wahrscheinlich
seiner ganzen Länge nach, eine Flughaut trug. Die Vordergliedmassen
übertreffen die hinteren bei weitem an Grösse und sind zu Flugwerk-
zeugen geworden durch eine Haut, die sich zwischen Ober- und Unter-
arm und dem innersten Finger ausspannt ; die übrigen Finger sind frei
und dienten dem Tiere wohl beim Gehen. Die Knochen sind alle
pneumatisch, was auf ein Vorhandensein von Luftsäcken schliessen lässt,
wie sie die Vögel besitzen. Auch das Gehirn der Flugsaurier gleicht
dem der Vögel weit mehr als irgend einem Reptiliengehirn. Es ist
durchaus nicht ausgeschlossen, dass die Flugsaurier in naher verwandt-
schaftlicher Beziehung zu den Vögeln stehen ; das Vorhandensein von
Zähnen wäre kein Hinderungsgrund für eine solche Annahme ; denn
auch Arcliaeopteryx und Ichthi/ornis haben bezahnte Kiefer. Bei man-
chen Rhamphorhynchen ist das vordere Kieferende unbezahnt, woraus
auf das Auftreten einer Hornscheide um die vorderste Schnabelspitze
zu schliessen wäre. — Weiter spricht Prof. Dr. Koken über den
„tertiären Menschen". Man kennt zwar schon eine grosse Anzahl
Funde aus tertiären Schichten, die auf das Vorhandensein von Menschen
zur Tertiärzeit hindeuten. Bisher wurden aber alle für nicht beweis-
kräftig erachtet. Zwei Funde jedoch dürften keinem Zweifel begegnen.
Der erste besteht in einer Anzahl behauener Feuersteinstücke, die zu-
sammen mit einem Hipparion-Zaiine in einer zweifellos tertiären Schicht
gefunden wurden; besonders beweiskräftig ist eines der Stücke, das
man allgemein als ein Steinmesser anerkannt hat. Die Fundschicht
ist ein Konglomerat, und die Stücke mussten teilweise erst aus dem
Gestein herausgearbeitet werden. Dieser Fund wurde in Burma, östlich
vom Irawaddi, gemacht. Der zweite Fund stammt aus den Pampas-
schichten Südamerikas. Die Lössbildungen , die diese Schichten zu-
sammensetzen, sind zum Teil recht alt. Die beiden obersten Schichten
— LXXXV —
gehören dem Alluvium an, die folgende, mit einer ganzen Anzahl er-
loschener Arten und Gattungen , ist dem Diluvium zuzurechnen ; die
vierte endlich, die Hauptschicht, enthält einen so hohen Prozentsatz
erloschener Arten und Gattungen, dass man sie sicher für tertiär halten
muss. In dieser Schicht, dem Pampeano, finden sich zahlreiche Spuren
des Menschen, besonders im mittleren Teile, wo ausser Waffen, Feuer-
stätten und bearbeiteten Knochen auch Skelette von Menschen vor-
kommen. Interessant ist besonders ein Fund, wo man unter dem Schilde
eines Glyptodon in einer Grube das Skelett eines Menschen fand, aber
keine Spur des G-lyptodon-^kQlQiis; es wurde der Schild also als Hütten-
dach benützt; man findet auch solche Glyptodon-^chxXdiQ, die senkrecht
aufgestellt waren, wohl als Windschirme. Die Menschen gehörten einer
kleinen Rasse an mit ausgesprochen dolichocephalem Schädel ; solche
Schädel finden sich auch noch im Diluvium, zum Teil mit Spuren
künstlicher Deformierung, wie sie jetzt noch bei südamerikanischen
Völkern gebräuchlich ist. Aber die jetzigen Bewohner jener Gegenden
sind brachycephal, können also mit jenen des Tertiärs und der Diluvial-
zeit nicht in direktem Zusammenhange stehen.
Es folgte ein Vortrag von Dr. Correns über ,,die ungeschlecht-
liche Vermehrung der Laubmoose". Die Vermehrung der Laub-
moose geschieht teils durch Sporen , teils durch ungeschlechtliche
Brutorgane, welche an den verschiedensten Teilen des aus der Spore
hervorgegangenen Mooses entstehen können. Die Spore wächst zu-
nächst zu einem verästelten fadenartigen Gebilde aus, dem Protonema;
an diesen Fäden entstehen Knospen, die je ein beblättertes Moos-
stämmchen aus sich hervorgehen lassen ; in den Blattachsen dieser
Stämmchen stehen, wie bei den höheren Pflanzen, Knospen und neben
ihnen Zellfäden , sogenannte Rhizoiden und an der Spitze des Haupt-
sprosses entwickeln sich die Geschlechtsorgane, entweder männliche und
weibliche auf dem gleichen Pflänzchen oder auf verschiedenen ; zwischen
ihnen stehen fadenförmige Gebilde, die Paraphysen. Beinahe jeder von
diesen Teilen eines Mooses kann zur ungeschlechtlichen Fortpflanzung
befähigt sein. Ein Stückchen des Protonema vermag wieder zu einem
ganzen Protonema auszuwachsen, an dem Knospe und Moosstämmchen
entstehen ; Stücke des Stämmchens , die Blätter , die achselständigen
Rhizoiden, die Paraphysen sind noch lebensfähig : einzelne ihrer Zellen
wachsen aus und erzeugen ein Protonema , an dem sich dann wieder
beblätterte Stämmchen entwickeln. Häufig bilden sich die Paraphysen
zu besonderen Brutkörpern um. In der Natur ist dieser Art der Ver-
mehrung gewöhnlich dadurch Vorschub geleistet, dass alle diese Teile
leicht abbrechen und so zu selbständigem Auswachsen gelangen ; bis-
weilen bilden sich auch bei den Blättern besondere Zellreihen aus,
Trennzonen , in denen leicht eine Abtrennung geschieht. Höchst be-
merkenswert ist es, dass nicht wie bei den Lebermoosen jede einzelne
Zelle im stände ist, ein neues Pflänzchen aus sich zu erzeugen, sondern
es sind einzelne , mit besonderen Eigenschaften ausgestattete Zellen,
die das vermögen, während die Nachbarzellen nicht dazu im stände
sind. Jene Zellen, die Nematogonen, sind ausserordentlich plasmareich,
~ LXXXYI —
enthalten keine Reservestoffe (Stärke u. a.) und haben nach aussen eine
dünne Membran, während die umliegenden Zellen eine resistente Mem-
bran besitzen und viel Reservematerial in sich schliessen. — Die Bil-
dung besonderer Brutkörper findet nicht bei allen Moosen statt, und
unter denen, die solche ausbilden, überwiegen die getrennt geschlecht-
lichen. Bei solchen Moosen, die an verhältnismässig ungünstigen,
(isolierten) Standorten wachsen, wie an Holzzäunen oder Alleebäumen, ist
häufig die Vermehrung durch Bildung von Brutkörpern erleichtert. —
Es folgte sodann eine Mitteilung von Prof. Dietz (Reutlingen) über
eine für unsere Gegend neue Wanze; von Teucrium chamaedrys ist
eine kleine Wanze (Eurycera clavicornis) bekannt, die Gallenbildungen
an den Blütenknospen veranlasst. Eine ähnliche Art (Eurycera Teucrii)
fand Redner zahlreich an Teucrium montanum unserer Alb ; diese Wanze
war bisher nur von südlicheren Fundorten (Südösterreich, Italien, Süd-
frankreich) bekannt. Sie findet sich im Juli und August und erzeugt
ebenfalls Gallenbildungen an den jungen Blütenknospen (vergl. die Ab-
handlung unter ,, Kleinere Mitteilungen" S. 329). — Zum Schluss zeigt
Dr. Correns das Leuchtmoos vor und bespricht die Entstehung des
Leuchtens. An die Sitzung schloss sich ein gemeinsames Mittagessen.
IL Abhandlungen.
Die mensehenähnliehen Zähne aus dem Bohnerz der
sehwäbisehen Alb.
Von Prof. Dr. W. Branco-Hohenheim.
Mit Taf. I-III.
Einleitung.
„Die menschenähnlichen Zähne," diese allgemein gehaltene Be-
zeichnung habe ich für die in dieser Arbeit beschriebenen Zähne aus
dem Bohnerz der schwäbischen Alb gewählt, weil es nicht möglich
ist, dieselben mit so absoluter Sicherheit zu bestimmen, wie das
nötig ist, wenn man ihnen einen Namen geben wollte.
Sie können nur einem Menschen oder einem Menschenaffen an-
gehören. Meiner festen Überzeugung nach, deren Gründe ich im
folgenden darzulegen haben werde , ist letzteres der Fall , sind sie
entweder mit dem Dryopifhecus aus dem Miocän Südfrankreichs ident,
oder ihm doch nahe verwandt.
Freilich bin ich zu dieser Überzeugung erst hindurchgedrungen
durch lange, immer wieder neu auftauchende Zweifel, ob nicht doch
etwa, wie einstens Rick. Owen meinte, wirkliche Menschenzähne vor-
liegen könnten. Da diese isolierten Zähne so überaus schwer zu
bestimmen sind, so habe ich dieselben Herrn Gaüdry in Paris ge-
schickt (s. S. 3) mit der Bitte, dieselben mit denen des fossilen
Dryopithecus vergleichen zu wollen. Die Ansicht dieses Herrn geht
dahin, dass sie denen des Bryopitliecus ähneln und eher von Menschen-
affen als von Menschen herrühren werden. Eine feste Bestimmung
wagte aber auch eine Autorität wie Herr Gaudry nicht vorzunehmen;
so wird man von mir nicht verlangen können-, dass ich , zumal ich
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 1
— 2 —
nicht in der Lage war, diese Zähne mit den Originahen des Dryo-
pithecus zu vergleichen, UnmögHches möghch mache.
Welche Ansicht man nun aber auch über diese
Zähne gewinnen möge — in jedem der beiden möglichen
Fälle dürften sie zu dem Interessantesten und Wichtig-
sten gehören, was wir an fossilen Resten in Württem-
berg besitzen:
Fossil nämlich sind diese Zähne auf jeden Fall.
Dafür birgt weniger ihr Vorkommen in den Bohnerzen;
denn wie der miocänen Fauna derselben auch jüngere,
diluviale Reste beigemengt sind, so könnten ja noch
später sogar auch Reste lebender Wesen in dieselbe
geraten sein. Aber ihr Erhaltungszustand ist ganz der-
selbe, wie derjenige der miocänen Zähne, sogar der
sogen. Zahntürkis findet sich bei ihnen, ganz wie bei
jenen Zähnen miocäner Säugetiere aus dem Bohne rz.
Liegen nun hier Reste eines fossilen Affen vor —
und das ist meiner Ansicht nach, wie gesagt, der Fall
— so sind das die menschenähnlichsten Zähne, welche
wir von einem Affen bisher kennen; ihnen gleichen in
dieser Eigenschaft nur noch die im Miocän Südfrank-
reichs gefundenen, welche man Dryopithecus genannt hat.
Wer aber diese Zähne doch etwa für menschliche
erklären wollte, der würde sie damit zu einem noch
viel wichtigeren und interessanteren Gegenstande machen.
Denn erstens wären es dann wohl die ältesten Menschen-
zähne, die wir bisher kennen, gar tertiäre; und zweitens
wären es die affenähnlichsten Menschenzähne, die man
bisher gefunden hat, wodurch ein entwickelungsgeschicht-
licher Ausblick von allergrösster Wichtigkeit ge-
wonnen wäre.
So verdienen in jedem Falle diese Zähne eine sorg-
fältige Beschreibung und Untersuchung.
Begonnen wurde diese Arbeit von mir bereits im Jahre 1893
in Tübingen. Die Möglichkeit ihrer Beendigung verdanke ich jetzt
der Liebenswürdigkeit meiner Herren Kollegen v. Eck, E. Fraas und
Koken, welche mir das in der Tübinger und den Stuttgarter beiden
Sammlungen befindUche Material mit dankenswertester BereitwilUg-
keit anvertrauten. Auch Herr Dr. Beck in Stuttgart hatte die Güte,
— 3 —
mir einen weiteren, in seinem Besitze befindlichen Zahn zu über-
lassen. Die Fundorte der Zähne sind : Salmendingen, Trochtelfingen,
Melchingen, Ehingen.
Wo es sich um zum Teil so subtile Merkmale handelt, wie bei
den Unterschieden zwischen Zähnen nahe verwandter Tiere, da ge-
währt die Vergleichung von Abbildungen und Beschreibungen allein
oft nicht die zur Entscheidung erforderliche Sicherheit. Es bedarf
der Vergleichung mit den Originalstücken. Im vorliegenden Falle
war das um so mehr notwendig, als die schwäbischen Zähne auf
Grund der Beschreibung gewisse Unterschiede von denen des Dryo-
pithems erkennen liessen, welche es zweifelhaft machen mussten, ob
dieselbe Art wie in Frankreich vorliege.
Ich kann daher gar nicht lebhaft genug dem Danke Ausdruck
geben, mit welchem ich dem berühmten Palaeontologen Frankreichs,
Herrn Albert Gaudry, verpflichtet bin. In wirklich unermüdlicher
Liebenswürdigkeit hat der genannte Herr zuerst meine Fragen und
Bitten um Aufschluss über gewisse Merkmale des DryopitJiecns be-
antwortet; dann die ihm zugesendeten Abbildungen der schwäbischen
fraglichen Zähne mit denen des Bryopithecns verglichen ; schliesslich,
als auch das nicht zum endgültigen Ziele führte, den Vergleich mit
den ihm dann zugeschickten Originalexemplaren vollzogen.
In gleicher Weise bin ich zu Dank verpflichtet noch den fol-
genden Vorstehern bezw. Assistenten der Sammlungen, deren Material
an Schädeln ich vergleichen durfte. In Tübingen: Herrn Prof.
Dr. Eimer. In Stuttgart: den Herren Prof. Dr. Labipert und Dr. Büch-
ner, zoologische Sammlung des Naturalienkabinetes , sowie Prof.
Dr. Sussdorf, anatomische Sammlung der tierärztlichen Hochschule.
In Berlin : Herrn Geheimerat Prof. Dr. Waldeyer, anatomische Samm-
lung ; Herrn Geheimerat Prof. Dr. Möbius, sowie Herrn Dr. Matschie,
zoologische Sammlung des Museums für Naturkunde ; Herrn Prof.
Dr. Nehring, zoologische Sammlung der landwirtschaftlichen Hoch-
schule. In Greifswald: Herrn Dr. Reibisch, zoologische Sammlung
und Herrn Dr. Triepel, anatomische Sammlung der Universität. End-
lich schulde ich noch verbindlichen Dank Herrn Prof. Dr. Gysi in
Zürich , welcher die grosse Liebenswürdigkeit hatte , mir eine Ab-
schrift der mir nicht zugänglichen Masstabellen zugehen zu lassen,
welche Black hinsichtlich der Dimensionen menschlicher Zähne ver-
öffentlicht hat.
I. Die bisher gefundenen Reste fossiler menschenähnlicher
Affen.
Es giebt heute bekanntlich vier Gattungen menschenähnlicher
Affen , von welchen zwei in Asien ihren Wohnsitz haben : Gibbon
und Orang-Utan; zwei in Afrika: Gorilla und Chimpanse. Nur also
der alten Welt gehören sie an.
Der artenreichste, zugleich kleinste, ist der Gibbon.
Vom Gorilla lässt Hartmann nur die eine Art, G. Gina, gelten.
Zwar haben Alix und Bouvier eine zweite Species, G. Mayema^ auf-
gestellt. Aber Hartmann weist dem gegenüber auf die zahlreichen
Unterschiede hin, welche er an Schädeln und Skeletten von Gorillas
desselben Alters und gleichen Geschlechtes beobachtet hat, nach
denen er „vielleicht ein halbes Dutzend oder mehr Gorillaspecies
aufzustellen" im stände wäre. Unterschiede, die seiner Ansicht nach
indessen rein individueller Natur wären.
Vom Chimpanse dagegen, dessen gewöhnliche, gewissermassen
typische Form der Troglodytes niger ist, dürften wohl mehrere Arten
unterscheidbar sein.
Beim Orang-Utan ^ ist es fraglich ; Selenka will wohl nur ver-
schiedene Rassen, nicht aber Arten erkennen.
Von keiner dieser Gattungen lässt sich behaupten, dass sie in
allen Stücken dem Menschen am nächsten stehe. Vielmehr kommt
letzterem die eine Gattung in diesen Eigenschaften , die andere in
jenen näher. Wenn man aber die Gesamtheit aller Merkmale eines
jeden dieser vier Geschlechter summiert, so lässt sich doch sagen,
dass dem Menschen der Gibbon am fernsten , der Chimpanse am
nächsten steht. Diese relativ grösste Menschenähnlichkeit des Chim-
panse gilt auch von den wichtigsten aller Merkmale, dem Bau und
den Windungsverhältnissen des Gehirnes und dem Rückenmark^; und
* Der Name Orang-Utan schreibt sich her von den Wörtern Orang = lilensch
und Utan = zum Walde gehörig, bedeutet also Waldmensch, wie Hart mann
(Die menschenähnlichen Affen. S. 233, Anm.) nach v. Martens anfühi-t. Die
gewöhnliche, falsche Schreibweise Orang-Utang dagegen würde einen verschuldeten
Menschen bezeichnen.
^ W a 1 d e y e r , Über die menschenähnlichen Affen. Rede in der 26. allgem.
Versamml. d. deutschen Ges. f. Anthropologie, Ethnologie, Urgeschichte in Cassel.
August 1895 ; Correspondenzblatt der Gesellschaft. 1895. S. 106—108. Siehe auch
den Bericht von Max Bartels in Leopoldina 1895. S. 75.
— 5 —
sie zeigt sich auch darin, dass er der gelehrigste und zähmbarste
aller ist^
Wie die lebenden Anthropomorphen nur der alten Welt an-
gehören, so kennt man auch fossile Vertreter derselben nur aus
Europa-Asien; und wie es nur vier lebende Gattungen giebt, so ist
auch die Zahl der fossilen auf nur vier bezw. fünf beschränkt. Diese
fossilen Reste aber sind nicht nur überaus selten , sondern auch
die einzelnen Gattungen sind hier meist durch sehr mangelhafte
Reste vertreten, daher sehr unvollständig bekannt.
Bei Absehen von dem Oberarm des Dryopithecus , den Ober-
schenkeln des Flioliylobates und Pithecanthroinis, sowie dem Schädel-
dache des letzteren, kennt man nur Kiefer und Zähne fossiler
Menschenaffen.
Vor allem gilt dieses Mangelhafte von den beiden in den Siwalik
Hills gefundenen Resten, die wir zunächst betrachten wollen.
Hier hat sich E. Dubois^ das grosse Verdienst erworben, ihre
^ Keiner der lebenden Anthropomorphen, sagt Häckel, kann als der
nach jeder Richtung hin menschenähnlichste bezeichnet werden (Häckel, Anthropo-
genie. 1872. S. 491). Jeder steht in gewissen Beziehungen dem Menschen näher,
in anderen ferner. Der Gorilla nähert sich ihm am meisten in der Bildung von
Hand und Fuss ; der Chimpanse in wichtigen Merkmalen der Schädelbildung ; der
Orang in der Entwickelung des Gehirnes; der Gibbon in derjenigen des Brustkastens.
Diese letztere Gattung ist bekanntlich ausgezeichnet durch die relativ
längsten Ai-me und zugleich geringste absolute Körpergrösse. Wie Waldej^er
feststellte, ist auch das Gehirn des Gibbon demjenigen des Menschen am unähn-
lichsten. Dass trotzdem dieser Gibbontypus, als der am meisten generalisierte,
in tertiärer Zeit der Ausgangspunkt verschiedener höher organisierter Typen
geworden sein könnte , werden wir später besprechen (s. Die Abstammung des
Menschen, Abschnitt III).
Waldeyer führt aus, Avie in Summa der Chimpanse doch der menschen-
ähnlichste aller Anthropomorphen sei. Sogar in einzelnen Kleinigkeiten tritt
diese Ähnlichkeit hervor. So hat z. B. der Mensch am harten Gaumen zwei
kleine Höckerchen, zwischen welchen ein Blutgefäss verläuft. Bisweilen verbinden
sich diese Höckerchen im Bogen über dem letzteren , so dass sie nun eine Art
von Thor über diesem Blutgefässe bilden. Es hat ferner der harte Gaumen
beim Menschen hinten einen Stachel, die Spina nasalis posterior. Genau diese
selben Bildungen, die Höckerchen wie den Stachel, zeigt der Gaumen des Chim-
pansen. Der Orang zeigt wenigstens bisweilen die Höckerchen ; aber bei Gorilla
und Gibbon fehlen dieselben. Der Gorilla hat an Stelle des Stachels einen Ein-
schnitt, der allerdings bisweilen auch beim Menschen vorkommt. Beim Gibbon
aber verläuft ein eigentümlicher Querkamm über den harten Gaumen, der eben-
falls hier und da beim Menschen auftritt.
^ E. Dubois, Über drei ausgestorbene Menschenaffen. N. Jahrb. f. Min.
etc. 1897. Bd. 1. S. 83—104. Taf. 2, 3, 4.
— 6 —
Reste in den betreffenden Sammlungen aufzusuchen und zu studieren.
Ein solches auf Autopsie gegründetes Urteil hat natürlich einen um
so grösseren Wert, je subtiler die Merkmale sind, auf die es an-
kommt, je schwieriger es also ist, durch die Abbildung und Be-
schreibung sich eine genügende Anschauung zu verschaffen, und das
gilt in hohem Masse von diesen Affenresten.
I. Asiatische fossile IVIenschenaffen.
Den Siwalik-Schichten Indiens entstammen zwei verschiedene
Anthropomorphenreste.
Zu Simia, dem Orang, ist von Falconer und Prinsep ^ eine
obere Canine gestellt worden. Da dieselbe leider verloren gegangen
ist, konnte sich auch E. Dubois kein Urteil über diese Bestimmung
verschaffen. Wer sich indessen mit Affenzähnen beschäftigt hat,
wird ihm beipflichten, dass es auf Grund eines einzigen Eckzahnes
nicht möglich ist, zu einer sicheren generischen Bestimmung zu ge-
langen.
Es ist daher die Bestimmung dieses Restes als zu Orang ge-
hörig, wenn auch aus geographischen Gründen recht wahrscheinlich,
so doch aus zoologischen fraglich und wir müssen offenbar, bis auf
weitere Erfunde, den Namen dieser Gattung, als einer fossilen,
streichen.
1. Als eine neue Anthropomorphengattung , Palaeopithecus
sivalensis, beschrieb dann Lydekker- einen zerbrochenen Oberkiefer
aus den Siwalik-Schichten, den er jedoch später für eine Chimpansen-
art erklärte und Troglodites oder Anthropopithecus sivalensis be-
nannte. Da der Chimpanse jetzt nur in Afrika lebt, so musste diese
Bestimmung eine wesentliche Stütze der Ansicht sein, dass Afrikas
Tierwelt aus Asien eingewandert sei.
E. DuBOis zerstört indessen diesen Beweisgrund, indem er Ly-
dekker's Bestimmung für ganz irrtümlich erklärt. Durch richtigere
Zusammenfügung der beiden Hälften dieses Oberkiefers erhält E. Du-
bois zunächst das Bild eines schmaleren Gaumens und zweier paralleler
Zahnreihen an Stelle des breiteren Gaumens und der nach vorn kon-
vergierenden Zahnreihen, welche Lydekker's Abbildung angiebt. Dar-
aus , wie aus anderen Merkmalen folgert er , dass dieser Anthropo-
* Palaeontological Memoirs, edited by Ch. Murchison. London 1868.
I. S. 304—307; II. S. 578.
- Memoirs of the Geological Survey of India. Palaeont. Indica. Ser. X.
Vol. 4. Suppl. 1. S. 2. Taf. I Fig. 1 u. la.
morphe aus den Siwalik-Schicliten weder eine Art des Chimpansen
ist, noch überhaupt irgend einer anderen lebenden Gattung angereiht
werden kann ; dass er vielmehr einem selbständigen, ausgestorbenen
Geschlechte angehört, welches hinsichtlich der geringeren Breite des
Gaumens, bezw. der Zahnreihen, eher eine tiefere Stellung in der
Reihe der Menschenaffen einzunehmen scheint.
Da die Zähne dieses Oberkiefers auch nicht eine Spur von den
für den Chimpansen (und Orang) so kennzeichnenden Runzeln oder
Schmelzleisten erkennen lassen , so ist nicht zu verstehen , wie Ly-
DEKKER zu einer solchen Bestimmung gelangen konnte, zumal sich
für dieselbe auch noch Schwierigkeiten aus der geographischen Ver-
breitung ergaben. Es ist das eine Anschauung, welche sich auch
dem, der nur nach Text und Abbildungen sein Urteil zu bilden ver-
mag, aufdrängen muss. Da Lydekker ausdrücklich „the absence of
the rugosities on the crown surface" hervorhebt, so geht daraus
wohl hervor, dass er das nicht etwa als eine Folge der Abkauung,
sondern als ein Art-Merkmal der fossilen Form betrachtet. Merk-
würdigerweise sagt Lydekker nicht, dass ausser dem Orang auch
der Chimpanse eine gerunzelte Kaufläche besitze, dass sich also die
fossile fragliche Form in dieser Hinsicht nicht nur vom Orang, son-
dern auch vom Chimpansen unterscheide. Die naheliegende Er-
klärung, dass Lydekker in Calcutta zur Vergleichung etwa nur ab-
gekaute, der Runzelung beraubte Gebisse des lebenden Chimpansen
gehabt habe, ist hinfällig, da der Autor sich auf Owen's Odonto-
graphie bezieht. Ich vermag mir das nicht zu erklären.
Mit vollstem Rechte stellt daher E. Dubois den von Lydekker
ursprünglich gegebenen Gattungsnamen wieder her und kennzeichnet
die Gattung dahin :
Palaeoirithecus zeigt zu keiner der lebenden Gattungen eine
nähere Verwandtschaft, er steht also ganz selbständig da. Er nimmt
in dieser Familie keine hohe, eher vielleicht eine niedrigere Stellung
ein, als die anderen Glieder derselben, weil die Breite seines knöchernen
Gaumens relativ eine ebenso geringe ist, wie beim Gorilla, welcher
in dieser Hinsicht am tiefsten steht und nur noch von Dryopithecus
übertroffen wird. Die Molaren ähneln denen vom Gibbon und Chim-
pansen, jedoch am meisten denen des Menschen!
Dieses letztere scheint mir insofern bemerkenswert, als auch
die Zähne von Dryopithecus (s. unter No. 5) so sehr denen des
Menschen ähneln.
Palaeopithecus aus den Siwalik Hills mag pliocänen Alters sein,
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könnte jedoch, da die Siwalik-Fauna wohl Verschiedenalteriges um-
fasst, auch dem Miocän angehören.
2. Aus den später^ in dieser Arbeit angegebenen Gründen
glaube ich den in Java gefundenen Fithecanthropus erectus
E. DuBOis weder für eine Übergangsform aus Affe in Mensch, noch
für einen Menschen, sondern für eine echte anthropomorphe Affen-
gattung halten zu müssen. Ich gehe daher hier nicht näher auf
diese Form ein ; dieselbe stammt aus altdiluvialen oder jüngstpliocänen
Schichten.
II. Europäische fossile Menschenaffen.
3. Derjenige fossile Anthropomorphe, welcher die meisten Reste
bisher gehefert hat, ist die von P. Gervais als Pliopithecus antiqttus
bezeichnete Gattung. Aber auch hier sind es nur bezahnte Unter-
und Oberkiefer, die uns zu Gebote stehen; von anderen Resten des
Skelettes ist auch hier bisher nichts bekannt.
Pliopithecus ist in Frankreich an verschiedenen Orten gefunden,
welche seine ehemalige Verbreitung über einen grossen Flächenraum
des Landes ahnen lassen. Denn nicht nur im SW. des Landes,
nahe dem Nordfusse der Pyrenäen im Dep. Gers, hat dieser Affe
gelebt, sondern auch im SO., nahe dem W.-Fusse der Alpen im
Dep. Isere ; ja sogar im N., nördlich von Paris, im Orleanais. Das
sind zwar nur wenige, vereinzelte Fundorte. Lidem dieselben aber
einen sehr grossen Teil Frankreichs zwischen sich fassen, thun sie
dar, dass dieser Menschenähnliche damals wohl das ganze heutige
Frankreich bewohnt hat.
Doch seine Verbreitung ist eine noch viel grössere gewesen.
Denn weiter gegen 0., bei Elgg in der nördlichen Schweiz, Kanton
Zürich, und noch viel weiter östlich, bei Göriach in Steyermark,
kennt man aus gleichalterigen Braunkohlenlagern Kiefer desselben.
So ist dieser miocäne Menschenaffe damals, soviel wir bis jetzt schon
wissen, in einem Mindestgebiete von etwa 14 Längengraden heimisch
gewesen, das sich nahezu vom Atlantischen Ocean bis zum Adriati-
schen Meere erstreckte.
Diese von Gervais als neue Gattung beschriebene Form wurde
jedoch später mehr und mehr in engste Beziehungen zu dem leben-
den Gibbon gebracht; und schliesslich sprachen Schlosser^ und
1 Vergl. in dem Abschnitt III: „Die Frage der Abstammung des Menschen"
sub Pithecanthrojms.
^ Schlosser, Die Affen, Lemuren . . . des europäischen Tertiärs. Wien
1887 bei Holder. Teil I. S. 9 ii. 15—16.
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ZiTTEL ^ mit mehr oder weniger Bestimmtheit aus, dass sie mit dem
Gibbon ident sei.
E. DüBois ist jedoch der Ansicht, dass wir in Pliopüheciis eine
ganz selbständige ausgestorbene Gattung vor uns haben (1. c. S. 96),
welche nur in der Grösse mit den Gibbons übereinstimmt, im übrigen
aber dieser Gattung nicht näher steht, als irgend einer anderen
lebenden. Doch sagt Dubois (1. c. S. 93) an anderer Stelle wieder,
Plioxnthecus gehöre seinem Zahnbau nach „unzweifelhaft zu derselben
Familie wie die Gibbons".
„Merkwürdigerweise schliesst er sich" — sagt E. Dübois —
„durch die schmalen Incisiven, die Form der Canini und den senk-
rechten Yorderrand der vorderen Prämolaren, durch die lang-
gestreckte Gestalt und den Talon der dritten Molaren, sowie durch
die lange und schiefe Symphyse des Unterkiefers seinem Zeitgenossen,
dem Drpojnthecus , an. Doch weicht er von diesem, ausser durch
seine Grösse, auch durch die Divergenz der Zahnreihen nach hinten
und die Kürze des vorderen Prämolars ab."
E. DuBOJS hebt dann weiter hervor, dass dieser PUopithecus,
der sogleich zu besprechende Dryopüliecus und wohl auch der jüngere,
zuerst erwähnte Palaeopithecus einer und derselben fossilen Gruppe
von primitiven Menschenaffen angehörten.
4. Pliohylobates eppelsheime^isis g. n. E. Dubois. Schon
seit vielen Jahrzehnten kennt man aus der bekannten Lagerstätte
fossiler Säugetiere bei Worms einen Oberschenkelknochen von sehr
grosser Menschenähnlichkeit. Demzufolge hat denn auch , wie uns
Jäger ^ mitteilt, Schleiermacher diesen Oberschenkel für den eines
etwa 12 jährigen Mädchens gehalten ; immerhin aber schickte er doch
einen Abguss desselben an Cuvier zur Begutachtung. Die erbetene
Meinungsäusserung des berühmten Mannes blieb jedoch, trotz mehr-
facher Anfragen, aus. Später wurde dann von Kauf je ein Abguss
an Owen und Lartet gesendet und diese beiden Autoren äusserten
sich in übereinstimmender Weise dahin, dass der fragliche Ober-
schenkel einem gibbonartigen Tiere zuzuschreiben sei.
Diesem seinem Urteile fügte dann Owen noch weiter hinzu,
dass in gleicher Weise auch der in Südfrankreich bei St. Gaudens
gefundene Oberarm, welchen wir bei Dryopithecus (unter No. 5)
besprechen werden, von einem gibbonartigen Affen herrühre. Da
1 Zittel, Handbuch der Palaeontologie. 1893. Bd. 4. S. 709.
^ Hylohates Fontani Owen in Beiträge zur Kenntniss der urweltlichen
Säugethiere. Darmstadt 1861. Heft 5.
— 10 —
nun dieser mit Dryopithecus zusammen gefundene Oberarm jeden-
falls nur dieser Gattung zugeschrieben werden kann, so folgt weiter
daraus, dass auch Brijointliecus von Owen zur Familie der Gibbons
gerechnet wird.
Genau dasselbe Urteil fällte Lartet insofern , als er an Kaüp
schrieb, dass der Eppelsheimer Oberschenkel, den er ja als von
einem Gibbon herstammend erklärt hatte, sehr wohl dem Dryo-
pithecus angehört haben könne. Dass Dryopithecus selbst den Gib-
bons nahe verwandt sei, hatte Lartet auch wohl schon durch den
Namen desselben, „Baumaffe", andeuten wollen, welcher auf die
Lebensweise der Gibbons anspielt.
Auf Grund dieser Urteile ergiebt sich also, dass nach dem Ur-
teile von Owen und Lartet einerseits der Eppelsheimer Oberschenkel
einem Mitgliede der Gibbonfamilie angehört und dass von ihnen
anderseits auch Dryopithecus der letzteren zugezählt wird.
Aber gerade darum wird die Zugehörigkeit des Eppelsheimer
Schenkelknochens zu Dryopithecus unsicher. Es hat ja, wie wir
sahen, gleichzeitig mit letzterem und ebenfalls sowohl in Deutsch-
land als auch in Frankreich noch ein zweites Mitglied der Familie
der Gibbons gelebt, Fliopithecus (s. unter No. 3). Der Eppelsheimer
Oberschenkel könnte also an sich ebenso gut diesem Pliopithecus
angehört haben als dem Dryopithecus.
Gegen eine Vereinigung mit Dryopithecus und sicher wohl auch
mit Pliopithecus spricht sich, auf Grund geologischer Erwägungen,
Zittel aus. Dieser Autor ^ ist nämlich der Ansicht , dass das bei
dem beträchtlich verschiedenen Alter der Ablagerungen von Eppels-
heim und St. Gaudens höchst unwahrscheinlich sei.
Allerdings gehört die Fauna von Eppelsheim, je nach der ver-
schiedenen Auffassung, in das untere Pliocän, bezw. oberste Miocän,
diejenige von St. Gaudens dagegen in das mittlere Miocän. Indessen
die Fauna der Eppelsheimer Stufe ^ führt doch verschiedene Gat-
tungen, welche auch gleichzeitig dem Mittelmiocän zukommen, wie
DinotJt,erium^ Ämphicyoii, Hyaenarctos. Es wäre also von vornherein
immerhin nicht unmöglich , dass auch Dryopithecus zu diesen , aus
der einen Stufe in die andere übergehenden Formen gehören könnte.
Das geologische Moment könnte mithin wohl kein unüberwindliches
Hindernis für die Vereinigung jenes Knochens mit Dryopithecus bilden,
und Gleiches gilt dann hinsichtlich des Fliopithecus.
» Handbuch der Palaeontologie. Bd. IV. 1893. S. 710.
^ Also Eppelsheimer Sand, Belvedereschotter, Congerienschichten.
— 11 —
Schlosser^ stellt daher auch den Eppelsheimer Oberschenkel
unbeanstandet zu der Gattung Dryopithecus.
Auch Pohlig vereinigt den fraglichen Knochen mit Bri/opithectiS.
Zugleich sucht er den Beweis^ zu führen, dass dieser Eppelsheimer
Oberschenkel menschenähnlicher sei als der irgend eines anderen
lebenden Anthropomorphen. Unter letzteren kommt nach ihm das
Femur des Chimpansen zwar in der allgemeinen Gestaltung dem-
jenigen des Menschen am nächsten, aber es fehlt ihm jede Spur der
für den Menschen kennzeichnenden Linea aspera. Diese findet sich
freilich beim Gorilla, aber dieser weicht wieder in der allgemeinen
Gestalt des Knochens weit vom Menschen ab. Noch weniger
menschenähnlich ist das Femur des Orang, da hier nicht nur die
allgemeine Gestalt abweicht, sondern auch die Linea aspera nur
leise angedeutet ist.
Dem gegenüber vereinigt nun, wie Pohlig hervorhebt, das frag-
liche Eppelsheimer Femur die allgemeine menschenähnliche Gestal-
tung mit dem Dasein einer deutlichen Linea aspera. Dieser fossile
Oberschenkelknochen bietet mithin nach ihm einen höheren Grad
von Übereinstimmung mit dem Menschen, als das bei irgend einem
der lebenden (und fossilen) anthropomorphen Affen der Fall ist. Von
einer Zusammengehörigkeit mit einem Gibbon, wie Owen will, kann
dagegen, nach Pohlig, gar keine Rede sein.
Völlig anders lautet das Urteil, zu welchem jetzt E. Dubois
nach Untersuchung des Eppelsheimer Oberschenkels gelangte (1. c.
S. 97). Er stellt sich, gegen Pohlig, ganz auf den Standpunkt
Owen's, bestätigt also die grosse Ähnlichkeit mit dem Gibbon und
sagt : „Ich fand den fossilen Knochen nicht im mindesten menschen-
ähnlicher als jeden Oberschenkelknochen von Hylohates.^ Ja, weiter-
gehend als Owen, erklärt er, dass überhaupt gar kein Unterschied
gegenüber dem gleichnamigen Knochen des lebenden Gibbon sei, als
die etwas ansehnlichere Grösse. Das Eppelsheimer Femur misst
284 mm Länge; die grössten lebenden Siamangs dagegen haben
237 mm, die kleinsten 205 mm, so dass die Differenz zwischen dem
Eppelsheimer und dem grössten, 47 mm, nur wenig grösser ist, als
die zwischen dem grössten und kleinsten Siamang mit 32 mm. Der
Eppelsheimer Affe überragte an Grösse einen erwachsenen Siamang
kaum um ein Fünftel, in der Gestalt seines Femur glich er ihm
' Die Affen, Lemuren , . . des europäischen Tertiärs. Wien 1887 bei Hol-
der. Teil I. S. 15.
^ Sitzungsberichte d. Niederrhein, Ges. Bonn. 15. Febr. 1892. S. 12.
— 12 —
aber so völlig, dass er vielleicht nur der Art nach vom Gibbon unter-
schieden ist. Doch benennt er ihn, da doch möglicherweise auch
die Gattung eine andere sei, als Pliohylohates^ um dann wenigstens
die Verwandtschaft mit Hylobatcs anzudeuten.
Zu Bryopithecus passt der Eppelsheimer Oberschenkel nach
DuBOis schon seiner Grösse wegen nicht, denn Dryopithecus hatte
die Grösse eines Chimpansen, war also stattlicher, als der Eppels-
heimer Affe.
Da man den Oberschenkel von Dryopithecus und
PliopitJiecus nicht kennt, so würde ich es für vorsich-
tiger halten, wenn auf diesen Eppelsheimer Knochen
hin nicht eine neue Gattung gegründet worden wäre.
Gerade weil E. Dubois die Zugehörigkeit dieses Knochens
zum Gibbontypus nachweist, wird mir die Selbständig-
keit dieser Gattung Pliohylohates um so unsicherer;
denn wir werden weiter unten^ sehen, dass — entgegen
DuBois' Ansicht — Bryopithecus und Pliopithecus doch
wohl ebenfalls zum Gibbon typus gehören.
5. Eine ganz sicher selbständige, also ausgestorbene Gattung
Menschenähnlicher ist der schon mehrfach genannte Dryopithecus
Fontani Lartet. Dieser besitzt für die vorliegende Arbeit eine
ganz besondere Bedeutung dadurch, dass die in derselben beschrie-
benen Zähne aus dem Bohnerz der schwäbischen Alb dieser Gattung
allem Anschein nach angehören.
Im südwestlichen Frankreich, bei St. Gaudens, Haute-Garonne,
wurden vor nunmehr vierzig Jahren zwei Hälften eines Unterkiefers
entdeckt, welcher einem jugendlichen Tiere zugehört haben musste,
denn seine Backenzähne zeigten noch keinerlei Abnutzungsflächen.
Es ist das um so wichtiger für die vorliegende Arbeit, als auch
einige der fraglichen schwäbischen noch keinerlei Abkauung zeigen,
also die Gestalt der Kaufläche im reinsten Erhaltungszustande dar-
bieten. Lartet^ erkannte, dass dieser Unterkiefer einem menschen-
ähnlichen Affen angehöre und nannte die Gattung Dryopithecus,
Baumaffe; denn ein gleichfalls aufgefundener Oberarm machte es ihm
durch seine Gestalt Avahrscheinlich , dass sein Träger auf Bäuman
gehaust habe.
An demselben Fundorte St. Gaudens fand sich nun vor einigen
* In Abschnitt III: Die Frage der Abstamnnnig des Menschen.
2 Compt. rend. T. 43. Paris. 28. Juli 1856.
1
o
Jahren abermals ein Unterkiefer, welcher von A. Gaudry ^ beschrieben
und abgebildet wurde. Dieser Kiefer ist besser erhalten als der
erstgefundene, aber seine Zähne befinden sich bereits in einem massig
abgekauten Zustande. Das feine Detail der Schmelzleisten, durch
welche Brijopithecus ^ ähnlich wie Chimpanse und Orang-Utan, ge-
kennzeichnet wird, ist daher bei diesem Exemplare bereits verwischt.
Wir haben mithin auch für diejenigen unserer fraglichen schwäbi-
schen Zahne , deren Abkauung sich stärker bemerkbar macht , auf
gleicher Stufe befindliche Vergleichsstücke.
Der Oberarm des Bry opitheciis. Gleichzeitig mit dem
erstgefundenen Unterkiefer des Dryopithecus wurde auch ein Ober-
arm gefunden und von Lartet beschrieben, der jedenfalls nur dem
Dryopithecus angehören kann. Wie der Kiefer einem jugendlichen
Individuum angehörte , bei dem ÄP noch gar nicht vorhanden , die
anderen Zähne noch keine Abnutzungsflächen zeigten, so stammte
auch der Oberarm von einem jugendlichen Individuum her ; denn
an beiden Enden fehlen die Epiphysen. Der Körper des Knochens
hat einen auffallend gerundeten Querschnitt, wie man das, nach
Lartet, bei dem Hylobates und den Faultieren findet. Die Crista
condyloidea aber ist stärker als beim Gibbon, also menschenähnlicher.
Lartet schliesst daraus, dass Dryopithecus mehr Geschicklichkeit als
Muskelkraft besessen und wesentlich auf Bäumen gelebt habe.
Lartet giebt nicht die Masse des Knochens, der im übrigen
nicht viel von den Autoren berücksichtigt wurde. Owen sagt jedoch
von demselben (s. unter 4. bei Pliohylohates), dass er einem gibbon-
artigen Tiere angehört habe, und Pohlig (s. ebenda) ist der Ansicht,
dass er der menschenähnhchste Oberarm unter allen Anthropomorphen
sei und dem Dryopithecus zugeschrieben werden müsse.
Jedenfalls wohnt diesem Oberarmknochen, trotz seiner mangel-
haften Erhaltung, eine gewisse Wichtigkeit inne: Es handelt sich
darum, die Stellung zu erkennen, welche Dryopithecus in der Reihe
der anthropomorphen Affen einnimmt. Bei der sehr verschiedenen,
aber stets gegenüber dem Menschen, grossen Länge der Arme der
Menschenaffen wäre es nun von Wichtigkeit, wenigstens ungefähr
eine Vorstellung von der Länge des Oberarmes bei Dryopithecus
zu haben.
Auf Grund von Lartet's in halber Grösse gegebenen Zeichnung
messe ich für den Oberarm von Dryopithecus eine Länge von etwa
^ Le Dryopithecus. Mem. Soc. geol. France. 1890. T. I. Fase. 1. S. 1—11.
Taf. I.
— 14 —
23 cm ohne Epiphysen und einen geringsten Durchmesser des Schaftes
von ungefähr 1,8 cm.
An verschiedenen Exemplaren des Hylohates leuciscus bestimmte
ich die Länge des Oberarmes ohne Gelenkenden zu 17 und 18 cm,
den geringsten Durchmesser etwa zu 1,2 cm. An mehreren Exem-
plaren von Hylohates syndactylus die Länge zu 19 und 20 cm, den
geringsten Durchmesser zu ebenfalls etwa 1,2 cm; auch bei H. syn-
dactylns sind die Zähne noch ganz bedeutend kleiner, als die von
Dryopithecus.
Das sind natürlich nur sehr ungefähre Längenmasse, da man
in den nicht mitgemessenen Gelenkenden ein grösseres oder kleineres
Stück fortlassen kann. Immerhin ist doch hervorzuheben, dass ein
Missverhältnis zwischen jener Länge von nur 23 cm des Oberarmes
von Dryopülteciis und der bedeutenden Grösse seines Gebisses be-
steht. Nach der Grösse der französischen Zähne und des Kiefers,
Taf. III Fig. 1 und 2 dieser Arbeit zeigt dieselben, müsste das be-
treffende Individuum einen sehr viel längeren (als 23 cm) Schaft
des Oberarmes besitzen, wenn seine Arme verhältnismässig ebenso
lang wie die des Gibbon gewesen wären. Dieser ist bekanntlich
der langarmigste der Menschenaffen.
Wir haben daher zwei Möglichkeiten: Entweder gehört
jener Oberarm des Dryopithecus , den Lärtet abbildet,
einem sehr viel jüngeren Individuum an, als der von
ihm gezeichnete Unterkiefer. Dafür spricht vielleicht
das Fehlen der Epiphysen. Ich weiss indessen nicht, in wel-
chem Lebensalter die Epiphysen mit dem Schafte bei den Menschen-
affen verknöchern und zu einem festen Knochen verschmelzen. Es
möchte fast scheinen, als wenn der Altersunterschied beider Indivi-
duen doch kein so grosser gewesen sein könne ; denn die Molaren
des Unterkiefers sind noch intakt, M^ fehlt noch.
Oder wir haben in diesem miocänen Menschen-
affen eine Gattung vor uns, welche kurzarmiger, also
menschenähnlicher war, als alle lebenden Anthropo-
morphen. Es wird in Abschnitt IV No. 2 dieser Arbeit darüber
gesprochen werden, dass in tertiärer Zeit Anthropomorphe möglicher-
weise durch Kurzarmigkeit den ersten Anstoss zum aufrechten Gange
und damit zu höherer Gehirnthätigkeit erhalten haben könnten.
Wäre daher Dryojnthecus in der That kurzarmiger als die lebenden
Menschenaffen gewesen, so würde er nicht nur die menschenähnlichsten
Zähne, sondern auch die menschenähnlichsten Arme besessen haben!
— 15 —
Für jetzt kann man darüber leider nichts Sicheres aussagen.
Im Auge zu behalten ist jedenfalls, dass der geringste Durchmesser
des Oberarmes von DryopitJiecus 1,8 cm ist, bei jenen lebenden
Gibbons nur 1,2 cm, obgleich die Längen 23 und 20 cm nicht so
sehr verschieden sind; das spräche wieder dafür, dass der
Knochen einem viel robusteren, an Statur grösseren,
aber trotzdem verhältnismässig viel kurzarmigeren
Tiere angehört hätte, als Hylohates es ist.
Es ist oben bereits gesagt w^orden, dass Pohlig diesen Ober-
arm des Dryopithecus für menschenähnlicher als diejenigen anderer
Anthropomorplien erklärte. Da nun dieser Autor auch den bei Eppels-
heim gefundenen Oberschenkel für den menschenähnlichsten aller
Affenfemora erklärt und ihn zugleich ebenfalls dem Dryopitliecus zu-
schreibt, so ist diese Gattung nach Pohlig, weil mit dem menschen-
ähnlichsten Oberschenkel und Oberarm versehen, von allen Anthropo-
morplien die dem Menschen am nächsten stehende. Pohlig sucht
mithin das früher von Lartet gefällte Urteil wiederherzustellen und
gelangt zu einer Reihenfolge der Anthropomorphen, welche derjenigen
Gaudry's ganz entgegengesetzt ist. Wenn wir mit der dem Menschen
nächststehenden Form beginnen, so ergiebt sich nämlich nach
Pohlig: 1. Dryopithecus; 2. Chimpanse und Gorilla; 3. Orang.
Gaudey: 1. Chimpanse; 2. Orang — Gibbon — Pliojnthecus ; 3. Go-
rilla; 4. DryopitJiecus.
So stehen sich also zwei schroff entgegengesetzte Ansichten
gegenüber: Die eine Ansicht verweist diese Anthropomorphenreste
zu den niedrigst stehenden Menschenaffen, die andere giebt ihnen
den höchsten Rang noch über dem heutigen Chimpansen. Wir sahen
indessen, dass auch Dübois sich hinsichtlich des Femur gegen Pohlig
ausspricht.
Auf den vorhergehenden Seiten haben wir einen Überblick
gewonnen über das spärliche Material, welches von fossilen Menschen-
affen bisher bekannt geworden ist. Wenn wir Pithecanthropiis als
Anthropomorphen (s. Abschnitt III: „Die Frage der Abstammung des
Menschen" sub Fitliecanthropus) auffassen und die Gattung Simia
aus den Siwalik Hüls als zu mangelhaft begründet ausser Betracht
lassen, haben wir also fünf bezw. vier Geschlechter fossiler Menschen-
affen zu nennen :
I. Asiatische :
Palaeopithecus sivalensis (Lyd.) E. Dübois, aus Indien, plio-
cänen? Alters; ein bezahnter Oberkiefer bekannt.
— 16 —
Pithecantliropus erectus E. Dübois, aus Java, altdiluvialen
oder jüngstpliocänen Alters; ein Schädeldach, zvi'ei Zähne, ein
Oberschenkel bekannt.
II. Europäische:
Pliopithecus antiqi(us P. Gervais, aus Frankreich, der Schweiz,
Steyermark, miocänen Alters; Unter- und Oberkiefer bekannt.
Dryopithecus Fontani Lartet, aus Frankreich, miocänen Alters,
auch aus dem Bohnerz der schwäbischen Alb ; zwei Unterkiefer
und ein Oberarm (Frankreich), sowie zehn lose Zähne (Alb)
bekannt.
Pliohylohates eppelsheimensis E. Dubois, aus Deutschland,
pliocänen Alters; ein Oberschenkel bekannt. Selbständigkeit
der Gattung fraglich. ^
II. Die im Bohnerze der schwäbischen Alb gefundenen
menschenähnlichen Zähne.
Die schwäbische Alb hat zu zwei wiederholten Malen Affen
zum Wohnsitze gedient, deren, wenn auch spärliche, Reste uns heute
Zeugnis davon geben, dass diese in ihren höheren Teilen als „Rauhe
Alb" bezeichnete Hochfläche nicht immer diesen Namen verdient hat.
Noch heute lebt auf Gibraltars Felsen, künstlich geschont, ein
Trupp jener Affengattung, Macacus oder Iniius , welche einstmals
auf den schneeweissen Felsen der Alb ihr Spiel trieb. Hedinger ^ hat
die Reste derselben in einer Höhle, dem „Heppenloch" bei Kirch-
heim unter Teck, gefunden und als Inuus suevicus beschrieben. Sie
mögen der pliocänen Epoche angehören.
1 N. Jahrb. f. Min. etc. 1891. I. S. 169. Obgleich in einer Höhle gefunden
giebt Hedinger dem Inuus suevicus kein diluviales, sondern ein pliocänes Alter.
Es ist das ja, in Anbetracht einerseits der nicht hohen Temperatur zu quartärer
Zeit, anderseits des grösseren Wärmebedürfnisses der lebenden Inuus-Arten,
einleuchtend. Hinweisen möchte ich nur darauf, dass auch in Südfrankreich,
nördlich der Pyrenäen, ein Inuus durch Harle entdeckt wurde, welcher in einer
Spalte gleichfalls zusammen mit Resten diluvialer Tiere lag. Von den Franzosen
aber wird das diluviale Alter dieses Inuus, welcher der heutigen auf Gibraltar
lebenden Art sehr nahe steht, nicht bezweifelt, wenn man ihn auch natürlich
einer interglacialen Epoche zuteilt (Compt. rend. 1892. Bd. 114. S. 1236). — Auch
in Algier ist ein Macacus oder Inuus zusammen mit quartären Tierresten ge-
funden und demselben ein diluviales Alter zugeschrieben worden (ibid. 1895.
Bd. II. S. 157 — 160). In beiden Fällen wird das durchaus glaublich sein, da es
in diluvialer, bezw. interglacialer Zeit natürlich in Südfrankreich und noch mehr
in Algier wärmer gewesen sein muss, als auf der schwäbischen Alb.
— 17 —
Vermutlich viel früher hat aber noch eine andere viel höher
stehende Gattung von Affen auf der Alb gehaust, welche den Menschen-
ähnlichen angehört (vergl. das in der Einleitung auf S. 1 — 3 Gesagte).
Ihre Reste finden sich jetzt in dem Bohnerz der Alb bei und nahe
Salmendingen.
Bereits im Jahre 1850 wurden von Jäger ^ zwei aus den Bohn-
erzen von Salmendingen stammende Backenzähne beschrieben und
abgebildet. Der eine, damals Eigentum des Professor Fleischer, be-
findet sich jetzt im Mineralienkabinet zu Stuttgart. Er hatte zwei
Wurzeln und stimmte „vollkommen mit dem dritten, rechten, unteren
Backzahne des erwachsenen Menschen überein" , namentlich mit
demjenigen eines javanischen Schädels ^, wie Jäger sagte.
Der andere Zahn, Fig. 50 bei Jäger, war nur eine Schmelz-
kappe , welche jedoch „ganz dieselbe Form" besass, wie jener. Er
war Eigentum des Professor Kürr. Dieser an „Farbe mehr licht-
braune" Zahn befindet sich jetzt in der geologischen Sammlung der
Technischen Hochschule zu Stuttgart ; ich gebe ihn wieder in Taf. II
Fig. 5.
QüENSTEDT sagt, Jäger hätte diese beiden Zähne nicht für fossil,
sondern für recente und für nur eingeschwemmte Menschenzähne
erklärt. Ich finde in Jäger's Worten keinen Beweis für eine solche
Auffassung; er spricht sich vielmehr nicht entschieden für das eine
oder andere aus, vielleicht noch eher für die Fossilität dieser beiden
Zähne als gegen dieselbe ^. Indessen mag Quenstedt wohl aus Jäger's
Munde ein solches Urteil gehört haben.
Der letzterwähnte, KüRR'sche, Zahn wurde seiner Zeit an R. Owen
nach London geschickt und dort ebenfalls als „unzweifelhafter Menschen-
zahn" bestimmt, wie uns Quenstedt^ berichtet. Ein gleiches Urteil
fällte Professor Arnold in Tübingen, der damalige Anatom, über
1 Verhandl. Kaiserl. Leopoldin.-Carolin. Akad. Bd. 22 Abt. 2. 1850. S. 810.
Taf. 68 Fig. 49 u. 50.
^ Da dieser Zahn vorn eine kleine, hinten aber eine grosse Reihefläche be-
sitzt, so miiss auch hinter ihm noch ein Zahn gesessen haben. Da man nun
nicht die zwar nicht völlig unmögliche, aber doch durch nichts bewiesene An-
nahme machen kann, dass unser Alfe ausnahmsweise noch einen W gehabt habe,
so dürfte jener Zahn nicht, Avie Jäger sagt, ein W, sondern eher ein M^ sein.
Derselbe ist abgebildet bei Jäger 1. c. Fig. 49; in vorliegender Arbeit auf Taf. 11
Fig. 2.
2 Jäger sagt 1. c. S. 810, dass beide Zähne in Bezug „auf Abreibung und
Grlättung mit vielen Zähnen urweltlicher Säugetiere übereinkommen".
* Diese Jahreshefte. 1853. Jahrg. 9. S. 69.
Jahresliefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 189S. 2
— 18 —
drei weitere derartige Zähne , welche von Qüenstedt inzwischen er-
worben worden waren. Der Vergleich zeigte, dass dieselben eben-
falls den drittletzten Molaren „bei Mongolen, Finnen und Mohren"
glichen (ebenda S. 68).
Aber Qüenstedt Hess sich trotz dieser von drei Seiten erfolgten
Bestimmung der Zähne als vom Menschen herrührend nicht gefangen
nehmen. Zunächst stellte er fest, dass die Zähne wirklich fossil
seien, wie das bewiesen werde durch ihr Aussehen, sowie durch das
gelegentliche Vorkommen der blauen Färbung, welche man als „Zahn-
türkis" bezeichnet. Dann äusserte er seine Zweifel darüber, dass
wirklich Menschenzähne vorlägen. Er schöpfte dieselben zum Teil
aus dem Umstände, dass, einschliesslich des ganz gleichen Fleischer'-
schen Zahnes, hier nicht weniger als fünf Backenzähne von gleicher
Form , also von derselben Stellung im Gebisse , und nur in rechts
und links abweichend, gefunden seien. Da der Mensch, wie Qüen-
stedt sagte, „sechzehnfach" verschiedene Zähne besitze, so wäre
es auffällig gewesen, wenn man an verschiedenen Orten fünf gleiche
menschliche Zähne gefunden haben sollte ^.
Auch im Jahre 1856 hob Qüenstedt^ nochmals hervor, dass
„über die Untrüglichkeit der Bestimmung (nämlich als Menschen-
zähne) noch Zweifel bleiben".
Inzwischen äusserte sich auch Giebel ^ über diese Zähne. Er war
jedoch sehr skeptisch gegenüber der von Qüenstedt behaupteten
Fossilität der fraglichen Zähne. Auch recente Knochen könnten unter
besonders günstigen Bedingungen ganz dieselbe Beschaffenheit an-
nehmen, wie fossile. Um diesen Einspruch recht zu verstehen, muss
man jedoch bedenken, dass derselbe entstand unter dem Eindruck der
ersten Mitteilung Qüenstedt's, nach welcher diese Zähne erstens vom
Menschen sta;jimten, zweitens aber auch echt fossil seien und
drittens sogar dem Miocän oder gar, nach v. Alberti, dem Eocän
angehörten. Übrigens drückt sich Qüenstedt gar nicht so sicher
darüber aus, dass wirklich Menschenzälme vorlägen, wie Giebel das
* Qüenstedt hat 2 der von ihm erworbenen Zähne 1. c. auf Taf. VII in
Fig. 11, 12, 13 abgebildet. Die Erklärung der Tafel findet sich erst auf S. 365.
^ Sonst und Jetzt. S. 245. Tübingen bei Laupp.
" Zeitschr. f. d. gcs. Naturwissenschaften. Halle 1853. Bd. I. S. 122—124.
Ich entnehme diese Notiz aus H. Eck, Verzeichnis der mineralogischen, geo-
gnostischen, urgeschichtlichen und balneographischen Litteratur von Baden, Würt-
temberg, Hohenzollern. Heidelberg 1890 u. 1891. C. Winter. Heft 1 u. 2.
1288 Seiten; einem Litteraturverzeichnisse von ganz aussergewöhnlicher Reich-
haltigkeit.
— 19 —
annimmt. Er äussert vielmehr, wie wir sahen, seine Zweifel. Aber
Giebel macht es hier Quenstedt gegenüber ganz so, wie dieser gegen-
über Jäger: Jeder konstruiert sich aus dem Munde des anderen eine
feste , bestimmt ausgesprochene Ansicht , die er nun bekämpft und
lässt dabei ausser acht, dass der andere doch nur ganz bedingt sich
äusserte.
Man empfängt aus dem allem ein offenbar getreues Abbild des
Hin- und Herschwankens, wie das bei einer Frage von solcher Wichtig-
keit und zugleich so grosser Schwierigkeit der Entscheidung nicht
anders möglich war.
Schon drei Jahre nach diesen Mitteilungen Jäger"s, Qüenstedt's
und Giebel's begann sich ein Umschwung zu grösserer Sicherheit zu
vollziehen. Zunächst kam Obermedizinalrat v. Jäger ^ auf diese Zähne
zurück und betonte die Notwendigkeit, dieselben nochmals zu unter-
suchen. Denn nachdem Lartet den Dryopifhecus in Frankreich
kennen gelehrt habe, sei es doch wahrscheinlich, dass auch diese
Zähne von der Alb nicht dem Menschen, sondern einem Menschen-
ähnlichen angehört hätten.
Später wurde dann in den Bohnerzen von Salmendingen noch
ein weiterer Zahn gefunden , welcher aber im Gegensatze zu jenem
ziemlich stark abgekaut ist. Auch von diesem sagte Quenstedt^, dass
er „ebensogut für Menschen- als für Affenzähne gehalten werden"
könne.
Dieser abgekaute Zahn wurde nun vor ungefähr 20 Jahren,
wie seiner Zeit der KuRR'sche ^, nach London an R. Owen geschickt
und von demselben als Affenzahn erkannt. So wurde Qüenstedt's
Misstrauen, das er von Anfang an gegen die menschliche Herkunft
dieser Zähne ausgesprochen hatte, bestätigt. Zugleich hatte ihn wohl
auch die inzwischen zu seiner Kenntnis gelangte Abbildung des
Dryopithecus Fontani von St. Gaudens zu weiterer Sicherheit ge-
führt ; denn nun sprach er mit ganzer Bestimmtheit aus, dass diese
Zähne den menschenähnlichen Affen zuzuschreiben seiend
In neuester Zeit führt dann Schlosser ^ in seiner grossen Mono-
graphie der Affen u. s. w. bei der Besprechung des Dryopithecus die
1 Diese Jahreshefte. 1859. Bd. 15. S. 36.
2 Klar und Wahr. Tübingen 1872 bei Laupp. S. 108.
^ AVie Herr Präparator Kocher mir mitteilte.
* Handbuch der Petrefaktenkunde. 2. Aufl. 1867. S. 32. 3. Aufl. 1885. S. 37.
^ Die Aö'en, Lemuren, Chiropteren . . . des europäischen Tertiärs. Beiträge
zur Palaeontologie v. Österreich-Ungarn. "Wien 1887 bei Holder. Bd. 6.
2*
- 20 —
Zähne von der Alb als hierher gehörig an ; und ebenso erwähnt
Hedinger ^ bei Besprechung seines Inuus suevicus zweier Zähne der
Tübinger Sammlung und sagt von diesen, sowie von einem weiteren,
im Naturalienkabinet zu Stuttgart befindlichen , dass man hier an
Dryopithecus werde denken müssen.
Abgesehen von diesen kurzen Äusserungen und einer Abbildung
ist bisher keinerlei eigentliche nähere Untersuchung aller dieser Zähne
aus unseren Bohnerzen der Alb erfolgt. Es handelte sich bisher
immer nur um kurz hingeworfene Meinungen ohne gleichzeitige Be-
gründung derselben. Damit aber scheint es doch nicht genug gethan.
Einmal verdient ein fossiles Wesen von so hervorragender,
aussergewöhnlicher Wichtigkeit eine eingehende Untersuchung, Be-
schreibung und Begründung der Bestimmung. Gegenüber einer fossi-
len Schnecke oder Muschel reicht es hin , ohne weiteres zu sagen,
es sei die und die Art. Gegenüber einem zoologisch so überaus
wichtigen, zugleich so überaus seltenen Wesen genügt das nicht.
Zweitens steht es bisher durchaus nicht fest, dass unsere
schwäbischen Zähne nun wirklich zu Dryopltheais oder einer anderen
Affengattung gehören. Nach den über diese Gattung veröffentlichten
Abbildungen ist nämlich eine sichere Bestimmung überhaupt unmög-
lich. Die von Gaudry gegebene Abbildung der Zähne des Dryopithecus
genügt darum nicht, weil diese Zähne bereits abgekaut sind, während
unsere fraglichen schwäbischen Zähne zum Teil noch gar keine Usur-
fiächen besitzen, also ganz anders aussehen. Die von Lartet ge-
gebene Abbildung hat freilich zum Gegenstande ganz ebenso unver-
letzte Zähne wie unsere in Rede stehenden. Aber wiederum die
Darstellung dieser Zähne ist so, dass man gar nicht das Nötige zu
erkennen vermag. Namentlich fehlt das Wichtigste, eine Abbildung
der Kaufläche, nach welcher allein eine Bestimmung möglich sein
könnte; und die Beschreibung ist völlig ungenügend dazu.
Sodann war es bisher überhaupt noch gar nicht sicher ent-
schieden, ob in diesen schwäbischen Zähnen nicht doch etwa Menschen-
zähne vorliegen. Ihre Ähnlichkeit mit gewissen Menschenzähnen ist
nämlich eine so grosse, dass ich während dieser meiner Arbeit lange
Zeit hindurch immer wieder in Zweifel darüber geraten bin, ob ich
denn wirklich auch Affen- und nicht Menschenzähne vor mir habe.
Weder Lartet noch Gaudry aber heben eine so grosse, verwirrende
Ähnlichkeit des Gebisses von Bryopüheciis mit dem des Menschen
hervor.
"■ N. Jahrb. f. Min. etc. 1891. B<1. I. S. 170.
— 21 —
Es gewährt nämlich die Art und Weise des Vorkommens unserer
schwäbischen Zähne keinerlei zwingenden Beweis dafür , dass der
Gedanke an Menschen völlig auszuschliessen sei. Nach freundlicher
Mitteilung des Herrn Direktor 0. v. Fraas sind die aus den Bohnerzen
der Alb stammenden Versteinerungen seiner Zeit stets nur von den
in den Gruben arbeitenden Leuten gesammelt worden. Diese brachten
dann, ihre Taschen voll von fossilen Zähnen, letztere bunt durch-
einander gemengt, zum Verkaufe. Nie ist nach Horizonten in den
Bohnerzen gesammelt worden; falls das überhaupt ein Resultat ge-
geben hätte, was niemand sagen kann. Darum erhielt man Zähne
miocänen, pliocänen, diluvialen und recenten Alters bunt durcheinander
gemengt, da alle diese im Bohnerze vorkommen. Unsere fraglichen
Zähne könnten mithin an und für sich ganz gut dem lebenden
Menschen angehören. Der blosse Fundort, bezw. sein geologisches
Alter, würden eine solche Annahme nicht zu widerlegen vermögen.
Doch weiter : Die beiden in Frankreich gefundenen Kiefer des
Dryopitliecus schliessen durch ihre Form ohne weiteres den Gedanken
aus, dass hier menschliche Reste vorliegen könnten. Dagegen haben
sich auf der Alb leider keine anderen Knochen als nur losse Zähne
gefunden, so dass der Beweisgrund der Kiefergestalt hier ganz fehlt,
somit die überraschend grosse Ähnlichkeit der Zähne mit solchen
des Menschen sich in den Vordergrund drängt.
Die Schwierigkeit des Vergleiches unserer fraglichen Zähne mit
den französischen des Dryopitliems ist so gross, dass Herr Gaudry,
welchem ich anfänglich nur die vergrösserten Zeichnungen unserer
Zähne mit der Bitte um freundliche Vergleichung derselben zusandte,
eine sichere Bestimmung derselben, selbst auch nur eine generische,
ablehnen musste. Unter solchen Umständen wird man in der bis-
herigen Benennung unserer fraglichen Zähne als Dryopithecus nur
ein Raten, durchaus aber kein sicheres Bestimmen erkennen müssen.
Soweit überhaupt bloss auf Grund der Abbildungen des Dryo-
pitliems ein Vergleich für mich möglich war, stellte sich nun sogleich
heraus, dass gewisse Unterschiede von denen des französischen
Dryopithecus entschieden vorhanden waren, woraus sich ebenfalls
die Notwendigkeit näherer Untersuchung ergab.
Endlich war, seit jener Benennung unserer Zähne durch Quen-
STEDT als Dryojntheciis, eine Anzahl weiterer Zähne gefunden worden,
so dass heute nicht weniger als 10 vorliegen. Unter diesen aber
befinden sich 1 unterer Milchprämolar und 2 dem Oberkiefer an-
gehörende Molaren: zwei Zahnarten, welche. man bisher von Dryo-
— 22 —
pithecus noch gar nicht kennt, welche also die Kenntnis der Gat-
tung erweitern würden.
Bei solcher Lage der Dinge erschien es nicht als überflüssig,
sondern im Gegenteil wie eine Notwendigkeit, an die Untersuchung
dieser Zähne heranzutreten, gleichviel, ob das Endergebnis nun wirk-
lich zu einer Identifizierung mit Drijopitliecus führen oder auf eine
andere, noch unbekannte Form der Anthropomorphen hinweisen, oder
aber wieder zurück zu der ersten Bestimmung, zum Menschen, lenken
würde. Alle drei Möglichkeiten mussten ins Auge gefasst werden,
alle drei drängten sich auch während der Arbeit, eine der andern
den Rang streitig machend, abwechselnd in den Vordergrund.
Die Oberkiefermolaren beim IVIenschen und lebenden Menschenaffen.
Ich schicke voraus, dass die in dieser Arbeit an-
gewendete Zählung der Zähne die von Hensel eingeführte
ist. Also an einem vollständigen Säugergebisse von
den beiden mittelsten Schneidezähnen angefangen:
l\ P, P, C, P^ P3, P2, pi, M\ M^, W.
Bevor ich zur näheren Besprechung und Vergleichung der fossilen
Zähne übergehe, welche mir aus dem Bohnerz der Alb vorliegen,
sollen einige Bemerkungen über die entsprechenden Zähne bei Mensch
und bei lebenden Anthropomorphen vorausgeschickt werden, um
Anhaltspunkte zur Vergleichung zu gewinnen. Es handelt sich um
zwei fossile Molaren des Oberkiefers und sieben des Unterkiefers, sowie
um einen unteren Milchbackenzahn. Wir werden daher unsere Bemer-
kungen auch nur auf diese Zahnarten bei Mensch und lebenden
Anthropomorphen auszudehnen haben.
Bei beiden ist die Breite der dem Oberkiefer angehörenden
Molaren von aussen nach innen grösser als die Länge von vorn
nach hinten. Bei beiden ist die Anordnung der Höcker an den
Backenzähnen dieselbe ; nur in Bezug auf Variabilität der Zahl der
Höcker, sowie in Höhe derselben, Länge der Zahnkrone von vorn
nach hinten, bezw. also Breite derselben, Oberflächenbeschaffenheit
und Wurzelstellung walten mehr oder weniger starke Unterschiede ob.
a) Beim Menschen bestehen die oberen Molaren im allgemeinen
aus vier Höckern, nämlich zwei äusseren, zwei inneren. Der vordere
Innenhöcker wird mit dem hinteren Aussenhöcker durch einen Kamm
verbunden. Der hintere Innenhöcker ist durch eine Furche etwas
vom Zahn abgeschnürt.
— 23 —
Bedenkt man, dass die Zahl aller Menschen auf der Erde un-
gefähr gegen 1500 Millionen betragen mag, so wird man es nicht
nur begreiflich, sondern eigentlich selbstverständlich finden, dass die
Zahl der Höcker ihrer Molaren keine völlig unveränderliche, konstante
ist; denn je reicher an Individuen eine Art ist, desto mehr Ab-
weichungen von der Norm werden sich einstellen.
Diese Variabilität der menschlichen Bezahnung geht deutlich
hervor aus der Verschiedenheit der Angaben, welche von namhaften
Autoren verschiedener Nationalität hinsichtlich unseres Gebisses ge-
macht werden. Es lässt sich das, wie Cope hervorhob \ nur dadurch
erklären, dass die verschiedenen Völker nicht gleichzähnig sind. So
führt CuviER an , dass von den oberen Molaren des Menschen der
erste vier, der zweite und dritte nur drei Höcker besitzen, wogegen
in amerikanischen Werken, wie Sharpey and Qüäin's Anatomy, gesagt
wird, dass alle drei Molaren vierhöckerig sind.
Durch Untersuchung zahlreicher Schädel ist nun Cope zu den
untenstehenden Ergebnissen gelangt, wobei die Anzahl der Höcker
durch Zahlen namhaft gemacht ist und kleine, d. h. reduzierte Höcker
als Brüche (V2) angegeben sind ^.
Die Zahl der Höcker an Oberkiefermolaren beim Menschen
variierte nach Cope's Beobachtungen in der folgenden Weise :
4-4-4 I 4-4-3V2 I 4-3V2-3V2 I 4-4-3 I 4-3V2-3 I 4-3-3.
Die Formel mit den meisten Höckern, 4 — 4 — 4 für
M\ M^, M^, kommt nur bei den drei niedrigststehenden der
untersuchten Rassen, Malayen, Australier, Neger, vor.
Umgekehrt die Formel mit den wenigsten Höckern,
also den reduziertesten Molaren, 4 — 3 — 3 Höcker, findet
sich vorwiegend nur bei Europäern und deren über-
seeischen Abkömmlingen, wie Amerikanern. Bei den
niedrig stehenden Rassen dagegen tritt sie selten auf;
nur bei den Eskimos waltet sie vor.
Letzteres ist vielleicht bemerkenswert; denn Boyd Dawkins be-
hauptet, dass die ältesten Bewohner Englands und anderer Teile
Europas Eskimos gewesen seien, weil die Kunstprodukte des Höhlen-
menschen der Diluvialzeit ident mit denen der Eskimos seien. So
wäre die Eskimorasse diejenige , welche zuerst unter den Menschen
^ On Lemurine Inversion in human dentition. American Naturalist. Bd. 20.
1886. S. 941-947.
2 Es bedeutet also für den Oberldefer die Formel 4—3—3, dass der M^
4 Höcker besitzt, M- und "SP dagegen nur 3.
— 24: —
von dieser Reduktion der Höckerzahl der Oberkiefermolaren ergriffen
wurde.
Diese Reduktion aber bedeutet für den Menschen nichts Anderes
als eine Rückkehr der Bezahnungsweise von derjenigen der höchst-
stehenden, der Menschenaffen, zu derjenigen der niedrigststehenden,
der Halbaffen eocäner Zeiten. Vergleichen wir nämlich diese Höcker-
zahlen des Menschen mit denen bei Affen, so zeigt sich, dass die
Lemuren sehr häufig oben am ersten Molar vier, am zweiten und
dritten aber nur drei Hocker besitzen , wogegen bei den anthropo-
morphen Affen alle oberen Molaren vierhöckerig sind.
Wir finden also im allgemeinen bei den höchst-
stehenden Menschen, den Kulturrassen, Übereinstim-
mung mit den niedrigststehenden, den Halbaffen; und
umgekehrt im allgemeinen bei den Völkern mit niedri-
gerer Kultur eine Übereinstimmung mit den höchst-
organisirten Affen, den Menschenähnlichen.
CoPE schöpft daraus die Vorstellung, dass alle Menschen ur-
sprünglich die höhere Höckerzahl der Menschenaffen besassen, und
dass mit der Kultur nun eine Verringerung der Höcker sich vollziehe.
Wie aber nach allgemein herrschender Anschauung die mehrhöcke-
rigen Zähne überhaupt erst aus einhöckerigen sich allmählich ge-
bildet haben \ so spricht auch Cope in seiner Arbeit^ die Überzeugung
aus, dass wiederum die Vorfahren dieser ältesten Menschen mit vier-
höckerigen, nur dreihöckerige obere Molaren besessen, resp. erworben
hätten und ein vierter dann später noch hinzugetreten wäre.
Cope nimmt mithin erst Erwerb des vierten Höckers, dann
wieder Verlust desselben an.
Dadurch wird der Vorgang freilich komplizierter, und Topinaed
und mit ihm Schlosser^ legen denn auch Verwahrung dagegen ein,
dass der Kulturmensch allmählich den vierten Höcker wieder verliere.
' Entweder durch Verschmelzung oder durch Knospung; s. darüber Teil II
dieser Arbeit, Abschn. III: Die Ursachen der Reduktion des Gebisses, unter No. 7.
^ Die Ursache dieser Verringerung der Höckerzahl ist, Avie Cope sagt,
schwer zu ergründen. Da drei- und vierhöckerige Molaren dieselbe Länge be-
sitzen, so kann diese Art der Reduktion nicht in einer Beschränkung des ihnen
zur Verfügung stehenden Raumes im Kiefer gesucht werden. Im allgemeinen
kann man sagen, dass zu dreihöckerigen Molaren Aveniger Zahnmaterial verbraucht
wird, da ein Dreieck bei derselben Basis geringereu Inhalt besitzt als ein Quadrat.
(American Naturalist. Bd. 20. 1886. S. 944.)
^ T 0 p i n a r d , De l'evolution des molaires et premolaires chez les Primates
et en particulier chez Fhomme. „L' Anthropologie." Paris 1892. S. 641 — 710.
— 25 —
Das sind ja natürlich Dinge, bei welchen das Meinen und
Glauben eine grössere Rolle spielt als das Wissen. Indessen da
zweifellos eine Reduktion des Gebisses sich seit tertiären Zeiten
durch die ganze Reihe der Säuger verfolgen lässt, wie in Teil II
dieser Arbeit behandelt wird, so ist nicht einzusehen, warum diese
Reduktion sich nicht auch in dem Verschwinden des vierten Höckers
der oberen Molaren bethätigen sollte. An und für sich erschiene das
als eine ganz glaubhafte Sache.
Nach Cope's oben mitgeteilten Untersuchungen variiert beim
Menschen die Zahl der Höcker zwischen 4, S^/g und 3. Diese Re-
duktion kann aber doch noch weiter gehen, Topinard berichtet auch
über das Verschwinden des dritten Höckers, so dass deren Zahl sich
schliesslich auf 2 beschränkt. Am relativ häufigsten findet sich das
erklärlicherweise bei M^, der ja bekanntlich bis zum völligen Ver-
schwinden reduziert werden kann. Aber umgekehrt kann auch ein-
mal die Höckerzahl noch um einen fünften vermehrt werden,
so dass also die Höcker an Oberkiefermolaren des
Menschen der Zahl nach zwischen 5, 4, 3, 2 variieren
können.
b) Beim Menschenaffen ist der Bau der Oberkiefermolaren
ganz ähnlich wie der vollzählige des Menschen, d. h. diese Molaren
sind vierhöckerig; zwei der Höcker liegen an der Aussen-, zwei an
der Innenseite. Der quere Kamm , sowie die leichte Abschnürung
des hinteren Innenhöckers sind ganz wie beim Menschen vorhanden.
Diese Zahngestalt aber ist wohl beim Anthropomorphen wesenthch
konstanter als beim Menschen ; auch Topinard in seiner oben an-
gezogenen Arbeit bestätigt das. Bedenkt man, dass gegenüber den
anderthalb Milliarden Menschen nur wenige Tausend Menschenaffen
existieren mögen , so muss es auch von vornherein wahrscheinlich
sein, dass sich an einer so winzigen Zahl von Individuen gar nicht
eine so ähnlich reiche Variabilität bethätigen kann, wie bei jener
so ungeheuer viel grösseren.
Aber es ist doch immerhin Vorsicht bei solchen Aussprüchen
nötig, denn gegenüber dem ungeheuren Materiale an Menschenzähnen,
welche man untersucht hat, ist dasjenige der untersuchten Anthropo-
morphenzähne doch auch wieder ganz verschwindend klein. Selenka
dürfte wohl von allen Forschern am besten im stände sein, auf Grund
Ich kenne den Inhalt der mir nicht zugänglich gewesenen Arbeit nur aus
Schlosser 's sehr ausführlichem Referat im Archiv f. Anthi'opologie für das
Jahr 1892. S. 157—159.
- 26 -
des so sehr reichen , von ihm gesammelten Materiales vom Orang,
Untersuchungen über Variabihtät der Bezahnung anzustellen.
Dass sich zunächst Unterschiede des Geschlechtes, wenigstens
beim Gorilla, bemerkbar machen, sagte schon Hartmann ^ Nach ihm
lassen beim männlichen Gorilla alle drei oberen Molaren eine regel-
mässigere, symmetrischere Anordnung der Höcker erkennen als beim
Weibchen, bei welchem die Höcker mehr alternieren und dadurch
menschenähnlicher werden. Auch für die unteren Molaren ist nach
ihm beim Weibchen die Ähnlichkeit mit dem Menschen grösser.
Was sodann den Weisheitszahn anbetrifft, so variiert dieser
auch bei den Anthropomorphen, indem er bald kleiner als die beiden
vorderen Molaren, bald grösser als diese ist. Es kann hier auch das
Mass der Reduktion bezw. Vergrösserung in beiden Kiefern ein ganz
verschiedenes sein. So besitzt der Chimpanse No. 2559 der Stutt-
garter zoologischen Sammlung einen M^, der im Oberkiefer nur stark
von vorn nach hinten verkürzt, im Unterkiefer aber bereits zu einem
blossen Knopf reduziert ist. Bei fossilen Anthropomorphen zeigt
sich M^ gleichfalls bisweilen reduziert. Man wird Pithecanthropus ja
unter diesen aufführen dürfen, da seine Eigenschaft als Übergangsforra
immerhin noch umstritten ist (vergl. darüber Abschnitt HI : Die Frage
der Abstammung des Menschen sub 3 b). E. Dübois^ giebt nun für
M^ sup. desselben die folgenden Masse an: Breite 15,3 mm, Länge
11,3 mm, so dass also auch hier eine Verkürzung von vorn nach
hinten bemerkbar ist. An M^ sup. misst Dubois ^ bei Pithecanthropus
eine Breite von 14 mm und eine Länge von 12 mm, was also eine
viel geringere Verkürzung als bei M^ ergiebt.
Immerhin wird wohl die Zahl der Höcker bei M^ und M' kon-
stanter sein als beim Menschen.
Die Unterkiefermolaren bei Mensch und Anthropomorphen.
Während die vollzähligen Molaren des Oberkiefers bei Mensch
und Anthropomorphen oben vierhöckerig und dreiwurzelig sind, be-
sitzen diejenigen des Unterkiefers fünf Höcker, aber nur zwei Wurzeln.
Zwei der Höcker liegen an der Innenseite ; drei befinden sich an der
äusseren , jedoch so , dass beim Menschen der dritte , hinterste be-
reits halb an die Hinterseite des Zahnes gerückt ist.
* Die anthropomorphen Affen.
^ Pithecanthropus erectus S. 15.
3 Anatomischer Anzeiger. 1896. Bd. 12. Heft 1. S. 16.
— 27 —
a) Der Mensch. Wie im Oberkiefer ausnahmsweise noch ein
fünfter Höcker erscheinen kann, so im Unterkiefer ausnahmsweise
noch ein sechster, ja sogar, nach Topinard, auch einmal ein siebenter.
Der sechste erscheint in solchen Fällen an der Innen-, der siebente
an der Aussenseite.
In gleicher Weise, wie im Oberkiefer aber auch ein Höcker
bisweilen fehlt, so dass nur drei vorhanden sind, so kann der Molar
des Menschen auch im Unterkiefer nur aus vier, ja bisweilen nur
aus drei oder sogar nur aus zwei Höckern gebildet sein. Nach Topi-
nard erscheint der Fünfhöckertypus bei M^ und nach diesem bei
M^ am reinsten; M^ dagegen hat meist nur vier Höcker.
Wir finden also bei Unterkiefermolaren des Men-
schen eine starke Variabilität der Höcker zahl, welche
7, 6, 5, 4, 3, 2 betragen kann.
b) Die Menschenaffen zeigen, wie schon für den Oberkiefer
bemerkt, grössere Konstanz hinsichtlich der Zahl der Höcker, welche
nach Topinard an M^ und M^ immer 5 beträgt. Ob das ausnahmslos
gilt, muss ich auch hier bezweifeln. Baume (1. c. S. 221) berichtet,
dass bei Mensch, Orang und Gibbon M^ inf. und ebenso der ihm
gleiche P d^ inf. fünf Höcker besitzen, beim Chimpanse dagegen
nur vier. Gerade umgekehrt erwähnt Lartet (1. c. Fig. 2), dass der
Chimpanse an M^ und M^ inf. je fünf Höcker besitze, an M^ jedoch
nur vier. Das sind schon Widersprüche, die auf Variation auch bei
M^ und M^ inf. der Menschenaffen schliessen lassen.
In welcher Weise M^ bei Anthropomorphen variiert, zeigen
folgende Beobachtungen: Ich habe schon erwähnt, dass der untere
Weisheitszahn bei einem Chimpanse zu einem blossen Knopfe re-
duziert war. Lartet giebt an, dass M^ bei Gibbon Lar (1. c. Fig. 4)
nur vier Höcker besitze, Gibbon Siamang aber fünf. Bei einem
anderen Chimpanse habe ich beobachtet , dass derselbe ^ an M^
unten entschieden fünf, ja eigentlich noch einen sechsten Höcker
besitzt. Ebenso hat Gorilla bisweilen an M^ des Unterkiefers noch
einen kleinen sechsten Höcker.
Wenn also ausgesprochen wurde, dass die Zahnreihe bei Mensch
und Menschenaffe sich in Bezug auf ihr Volumen entgegengesetzt
verhalte, dass beim Menschen das Volumen der Molaren vom vorder-
sten bis zum hintersten ab-, beim Anthropomorphen aber zunehme,
so ist das nicht immer richtig. Diese namentlich von Pruner-Bey
^ No. 4120 der zoologischen Sammlung zu Greifswald.
— 28 —
aufgestellte Behauptung hat schon Lambert ^ zurückgewiesen. Im
allgemeinen ist ja allerdings beim Menschen M^ kleiner als M^ und
M\ während bei den Anthropomorphen vielfach M^ gross, selbst
grösser als M" und JVP ist. Aber letzteres ist keineswegs bei allen
Anthropomorphen der Fall und ersteres nicht bei allen Menschen.
Man kann daher mit Lambert wohl nur sagen , dass in dieser Hin-
sicht die Zähne der Kulturrassen des Menschen an dem einen Ende
der Reihe stehen, diejenigen der Menschenaffen an dem anderen und
dass die Negervölker in der Mitte zwischen beiden stehen. Nur die
so sehr verschiedene Grösse der Canine bildet, wie es scheint, eine
unüberbrückte Kluft zwischen den Anthropomorphen mit dem grossen,
tierischen, eine Waffe bildenden Eckzahn und den Menschen mit
der harmlosen, klein gewordenen Canine.
Höhe der Höcker, Oberflächenbeschaffenheit, Wurzeln, Länge der
Molaren bei Mensch und Menschenaffen.
Die Gestalt und die Höhe dieser Höcker ist bei den Menschen-
affen, da diese in mehrere Gattungen zerfallen, natürlich auch eine
mehrfach verschiedene , während das bei der einen Gattung Homo
nicht der Fall ist.
Was zunächst die Höhe der Höcker anbetrifft, so sind letztere
beim Gorilla am höchsten ; sie sitzen auf der Kaufläche fast wie
Zapfen auf.
Nach Gorilla kommt wohl der Mensch. Die Höcker sind hier
schon niedriger und nicht mehr so zapfenförmig, bilden aber am in-
takten Zahne noch ganz ansehnliche Hervorragungen.
Wenn man die kleinen Zähne des Gibbon sich bis auf mensch-
liche Dimensionen vergrössert denkt (Taf. H Fig. 3j, erhält man
Höcker von ganz ähnlicher Grösse, wie beim Menschen.
Ausgesprochen niedriger sind die Höcker beiChimpans undOrang.
Diese Höcker haben nun bei den lebenden Anthropomorphen
entweder eine glatte oder eine mit Leisten, bezw\ Furchen besetzte
Oberfläche.
Bei dem Orang ist die ganze Kaufläche dicht mit Schmelz-
leisten, zwischen denen sich natürlich Furchen befinden, bedeckt
(Taf. n Fig. 8 und Taf. I Fig. 3). Dieselbon nutzen sich schnell beim
Gebrauche ab; ihre wirkliche Beschaffenheit lässt sich daher am
besten nur an noch nicht durchgebrochenen Molaren erkennen. Der-
1 Compt. rend. Acad. Paris 1876. S. 92.
— 29 —
artige Leisten verlaufen übrigens auch über die unbenutzten Prä-
molaren. Sogar an der Innenseite der Canine und der Milchincisiven
zeigen sich einige Leisten.
Auch beim Chimpanse ist die Kaufläche mit den genannten
Leisten, bezw. Furchen zwischen denselben, bedeckt. Jedoch kann
man, besonders an noch nicht durchgebrochenen Molaren, erkennen,
dass dieses Merkmal etwas schwächer ausgebildet ist, als beim Orang.
Dem gegenüber stehen die beiden anderen Anthropomorphen
mit glatter Kaufläche ohne solche Leisten; doch lässt sich beim
Gorilla ein leiser Ansatz zu solchen bisweilen erkennen.
Der Mensch steht in dieser Hinsicht zwischen diesen beiden
Gruppen von Anthropomorphen, doch schliesst er sich mehr an die
letztere als an die erstere an. Das heisst, die Kulturrassen des
Menschen haben im allgemeinen glatte Höcker; es kommen aber
auch Leisten, bezw. Furchen auf den Höckern der Molaren vor, wie
z. B. Fig. 9 u. 10 auf Taf. H und Taf. I Fig. 5 beweist. Bei den
niederer stehenden Völkern finden sich diese Leisten wohl häufiger
auf den Molaren. Nie aber wird man eine gleich starke Ausbildung
derselben, wie bei Orang und Chimpans, beobachten. Es ist freilich
in dieser Hinsicht der Vergleich sehr erschwert, da streng genommen
die Beobachtung nur an noch nicht oder doch eben erst durch-
gebrochenen Zähnen erfolgen sollte. Schädel aber mit solchem Ge-
bisse sind in den Sammlungen recht selten.
Li den genannten beiden Beziehungen ergeben sich also zwei
Gruppen mit gegensätzlichem Verhalten :
Orang und Chimpans haben niedrige Höcker, dafür aber eine
durch jene Leisten, bezw. Furchen wie Reibeisen gestaltete Oberfläche
der Molaren.
Gorilla und Gibbon haben, besonders ersterer, höhere Höcker,
dafür aber glatte Oberfläche der Molaren.
Der Mensch nimmt in Bezug auf die Höhe seiner Höcker, wie
auch hinsichtlich jener Leisten, bezw. Furchen auf deren Oberfläche
eine vermittelnde Stellung zwischen beiden Gruppen ein.
Die Wurzeln verhalten sich bei Mensch und Menschenähnlichen
dahin übereinstimmend, dass die oberen (Prämolaren und) Molaren
drei Wurzeln besitzen, eine innere und zwei äussere. Die unteren
aber haben zwei Wurzeln; doch lässt sich erkennen, dass eine grössere
Zahl ursprünglich wohl vorhanden gewesen sein muss. Ein junger
Orang in der Stuttgarter Sammlung, dem mit grösster Mühe die
beiden Prämolaren herausgenommen wurden , zeigte an dem hinter-
- 30 —
sten, P\ ganz deutlich, dass jede der beiden Wurzeln aus je zwei
miteinander verschmolzenen bestand, so dass deren vier als ursprüng-
lich angenommen werden müssen. Der vorderste, P^, liess nur an
seiner vorderen Wurzel durch eine Längsrinne eine solche Verschmel-
zung aus zweien erkennen, so dass dieser Zahn früher wohl einmal
dreiwurzelig gewesen sein mag. Schlosser ^ hat Ahnliches beobachtet.
Diese Wurzeln divergieren im allgemeinen bei den Menschen-
affen stärker als beim Menschen ; der Versuch, einem Schädel einen
Backenzahn auszuziehen, stösst daher bei Anthropomorphen stets auf
sehr starken Widerstand, daher Beobachtungen darüber, ob diese
Verschmelzungen allgemein auftreten, wohl nicht angestellt sind.
Auch für Pithecanthropns (s. Abschnitt III. 3 b) macht E. Dübois
geltend, dass M^ wie M^ so stark divergierende Wurzeln besitzen, Avie
das an menschlichen Zähnen bisher nie beobachtet wurde. Virchow
erwähnt allerdings, dass Houze einen menschlichen Zahn mit gleich
starker Divergenz der Wurzeln beobachtet habe ; indessen das ist, wie
Virchow^ betont, doch nur eine sehr grosse Seltenheit, eines der
„pithecoiden" Merkmale.
Die relative Länge der Zahnkrone ^ ist bei Mensch und Anthropo-
morphen keineswegs dieselbe. Vor allem ist der Gibbon durch die
Länge seiner Molaren ausgezeichnet und in gleicher Weise die hier
zu besprechenden fossilen Molaren aus dem Bohnerze der Alb, wäh-
rend der Mensch kürzere, breitere Molaren besitzt. Es ist das sehr
erklärlich, wenn man sich erinnert, dass die Anthropomorphen eine
lange Schnauze haben, der Mensch aber ein viel weniger vorspringen-
des Gesicht, in dem mithin, bei gleicher Zahl der Zähne, viel weniger
Längenraum für letztere zu Gebote steht.
Milchbackenzähne bei Mensch und Menschenaffen.
Bei Mensch und Anthropomorphen'* besitzt der hinterste Milch-
zahn, oben wie unten, die volle Zusammensetzung eines echten
Molaren, wogegen P d^ (und P d^) die Gestalt von P^ (bezw. P^) er-
^ Die Affen, Lemmen . . . I. S. 52.
^ 27. allgem. Versamml. d. deutsch. Ges. f. Anthropologie, Ethnologie, Ur-
geschichte in Spej'er. 3. — 7. Aug. 1896. Bericht darüber in der Leopoldina 1897.
Heft 33. Xo. 3. S. 47.
^ Also die Dimension von vorn nach hinten im Vergleich zur Breite, von
aussen nach innen.
■* Aber auch bei allen Affen der neuen Welt, sowie bei den fossilen Pseudo-
lemuriden Adapis und Hyopsodus , wie Schlosser hervorhebt (Die Affen , Le-
muren . . . I. S. 52).
- 31 —
langt haben. Es gleicht also hier wie dort der letzte Milchbacken-
zahn P d^ so ziemlich dem ersten definitiven Backenzahn M\ nur
ist er kleiner als der Molar. Beide haben mithin im allgemeinen
bei Mensch und Menschenaffen oben 4, unten 5 Höcker und unter-
scheiden sich dadurch stark von den anderen Milchbackenzähnen.
Die bleibenden Zähne sehen , wie wir im vorhergehenden be-
sprochen haben, bei Mensch und Menschenaffen im allgemeinen recht
verschieden aus. Die Milchbackenzähne der Menschen und der An-
thropomorphen sind dagegen einander viel ähnlicher als die bleiben-
den. Das gilt nicht nur von den Kronen, sondern auch von den
Wurzeln, deren die oberen Milchbackenzähne drei, die unteren zwei
besitzen ^
Während nun aber beim Anthropomorphen der Milchbackenzahn
doch seinem Ersatzzahne sehr ähnlich ist, macht sich beim Menschen
ein offenbarer Unterschied zwischen beiden bemerkbar. Hier blieb
der Milchzahn noch der alten, affenähnlichen Form getreu, während
der Ersatzzahn eine andere erhielt. Infolgedessen sind eben bei den
Anthropomorphen die Ersatzzähne den Milchzähnen des Menschen
ähnlicher als den Ersatzzähnen desselben, wie Schlosser das alles
ausführlicher besprach.
Die beiden Oberkiefermolaren aus dem Bolinerz der Alb.
Taf. I Fig. 1 und 2.
Die Zahl der mir zu Gebote stehenden fossilen Zähne des Ober-
kiefers aus dem Bohnerz der Alb ist leider eine sehr geringe; sie
beschränkt sich auf 2 Molaren, von welchen der eine, völlig un-
benutzt, ein Keimzahn (Fig. 1), der andere aber stark abgekaut ist
(Fig. 2). Die Wichtigkeit dieser beiden Zähne ist jedoch um so
grösser, als bisher in Frankreich nur zwei bezahnte Unterkiefer von
Dryopithecus gefunden worden sind ; so dass wir in diesen beiden
Molaren die einzigen bisher bekannten Oberkieferzähne dieser Gattung,
zu welcher unsere fraglichen Molaren wohl zu stellen sind, kennen
lernen.
Beide Zähne stammen von demselben Fundorte, Melchingen,
her. Der eine gehört der linken (Fig. 1) , der andere der rechten
(Fig. 2) Oberkieferhälfte an. Bei dem so sehr verschiedenen Grade
der Abnutzung ist es kaum anzunehmen, dass beide von einem und
^ Baume, Versuch einer Entwickelungsgeschichte des Gebisses. Leipzig
bei Felix. 1886. S. 226.
— 32 —
demselben Individuum herrühren sollten. Es sei denn, dass der Ab-
gekaute ein M\ der Keimzahn ein ]\P, oder gar M'^ fs. später) wäre,
da diese erst später durchbrechen. Das ist aber gar nicht wahrschein-
lich. Es bricht nämlich bei den Menschenähnlichen der Weisheits-
zahn verhältnismässig früher als beim Menschen durch (s. später),
so dass M^ bis zu diesem Augenblicke noch nicht entfernt so stark
abgenutzt sein könnte, als dieser fragliche Zahn es ist. Ich möchte
daher beide Zähne nicht demselben, sondern zwei verschiedenen
Individuen zuschreiben.
Da der abgekaute Zahn (Fig. 2) vorn und hinten eine Reibe-
fläche besitzt, so muss er notwendig noch von einem anderen Molar
gefolgt gewesen sein. Es dürfte daher ein M^ oder M^ vorliegen.
Der andere, unbenutzte (Fig. 1) Keimzahn hat noch keine
Reibeflächen aufzuweisen, gestattet daher eine darauf gegründete
Schlussfolgerung nicht. Ob wir in ihm einen M^ oder M^, vielleicht
gar M^ zu sehen haben, lässt sich bei einem isolierten Zahne und
einer, hinsichtlich ihrer Oberkieferzähne noch völlig unbekannten
Gattung nicht sicher feststellen.
Wenn wir nun diese beiden Oberkiefermolaren aus dem Bohn-
-erz mit denen des Menschen und der anderen Anthropomorphen ver-
gleichen, so ergiebt sich das Folgende :
Die allgemeine Gestalt ist vollkommen die auf S. 22 — 26 geschil-
derte der Oberkiefermolaren bei Menschen und Menschenähnlichen :
Vier Höcker, drei Wurzeln, grössere Breite als Länge, wie letzteres
aus den folgenden Zahlen hervorgeht:
Länge Breite Länge : Breite
mm mm wie
Zahn aus dem Bohnerz' M 9,0 10,9 100 : 121,1
Keimzahn aus dem Bohnerz^ . . . . M 10,7 11,3 100 : 105,6
Chimpans^ 31' 10,8 11,1 100 : 105,5
„ M^ 11.0 11,4 100 : 103,6
Gorüla* W 14,8 15,4 100 : 104,2
„ M- 16,7' 16,6 100 : 99,4
3P 14 15,7 100 : 112,1
Hylobates leuciscus'" M^ 6,1 6.5 100 : 106,5
M^^ 6,5 7,1 100 : 109
„ , JP 5,2 6 100 : 115,4
1 Fig. 2 Taf. I.
2 Fig. 1 Taf. I.
^ No. 2598 der Stuttgarter Sammlung, jung, SP noch nicht durchgebrochen.
* No. 2624 $ der Stuttgarter zoologischen Sammlung.
5 No. 675 $ „ , ,
— 33 —
Länge Breite Länge : Breite
mm mm wie
Hylobates leuciscus^ M^ 6 6,5 100 : 108,3
M^ 6,7 6,2 100 : 92,5
„ BP 5,5 6 100 : 109,1
syndactyliis'' W 7,2 7,7 100 : 107
„ , M'' 8 8 100 : 100
„ M^^ 8 8 100 : 100
Orange M' 11,1 12,7 100 : 114,4
„ " W 12,0 13,0 100 : 108,3
„ ^ W 14,7 14,8 100 : 100,7
M- 14,0 15,8 100 : 112,9
W 12,6 14,8 100 : 117,5
Homo^ W 10,7 11,8 100 : 110,3
BP 9,2 11,5 100 : 125,0
BP 8,6 10,6 100 : 123,3
Pithecanthropus' BP 12,0 14,0 100 : 116,6
Hinsichtlich des Wertes dieser Messungen verweise ich auf das,
bei Besprechung der Unterkiefermolaren in der Anmerkung 8 unter
S. 47 Gesagte.
Bei der Vergleichung der Grössenverhältnisse müssen wir vöHig
absehen von dem zuerst aufgeführten Molar aus den Bohnerzen
(Taf. I Fig. 2). Dieser ist nicht nur oben abgekaut, sondern auch
vorn und hinten von seinen Nachbarn so abgeschliffen, dass er an
Länge verlor, seine relative Breite daher viel zu bedeutend erscheint.
Diese Erklärung dürfte einleuchtender sein als die, ja mögliche An-
nahme, dass der abgekaute Zahn ein in seiner Länge von Nath-
ans reduzierter M^ sei, der von einem M'^ ausnahmsweise gefolgt war.
An absoluter Grösse wie relativer Breite stimmt der andere,
nocli. unbenutzte Molar (Taf. I Fig. 1) aus dem Bobnerz, wie man
sieht, völlig mit M^ des Chimpansen überein; und auch an M^ des-
selben schliesst er sich eng an.
Eißohates und Gorilla folgen demnächst. Der Orang dagegen
hat verhältnismässig breitere Zähne; gegenüber einem Breitenindex
^ No. 2414 der Stuttgarter zoologischen Sammlung.
2 No. 2013 $ der Stuttgarter zoologischen Sammlung. Das grösste der
Gibbonexemplare.
3 ]^o_ 38 (lej. Stuttgarter Sammlung, jung, M^ noch nicht durchgebrochen.
* No. 5023 der Berliner landwirtschaftlichen Hochschule, ganz intakter Zahn.
^ No. 337 der Stuttgarter Sammlung, schon erwachsen, Zähne noch gut
erhalten.
6 Nach Black, s. S. 44.
' Nach E, Dubois, Anatomischer Anzeiger 1896. Bd. 12. S. 16.
Jahresliefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 3
- 34 -
von 105,5 bei dem Bohnerzzahne und dem Chimpansen, sowie von
92, 99, 104, 106 u. s. w. bei Hißohates und Gorilla, stehen beim
Orang Breitenindices von 108, 112, 114, 117. Nur bei dem M^
des dritten Orangexemplares ist der Breitenindex geringer, nämlich
100,7. Dieses Gebiss zeigt übrigens schön eine von ]\P bis zu ÄP
mehr und mehr zunehmende Breite, bezw. abnehmende Länge der
Molaren.
Auch der Mensch zeigt mit seinen Breitenindices 110, 125, 123,
gegenüber den 105,5 dort, dass er breitere Zähne besitzt.
Aus dem Gesagten folgt also, dass unser Oberkiefermolar aus
dem Bohnerz schmäler, bezw. länger ist als der Molar des Menschen
und jener Anthropomorphen. Ein Ergebnis, welches sich am Unter-
kiefer, an einer grösseren Zahl von Zähnen, wiederholt. An abso-
luter Grösse dagegen stimmt er ungefähr mit den Mittelzahlen für
M' des Menschen überein.
Wollte man indessen aus dieser Übereinstimmung schliessen,
dass unser Affe aus dem Bohnerz auch dieselbe durchschnittliche
Körpergrösse wie ein Mensch gehabt habe, so wäre das wohl nicht
zulässig. Er wird vielmehr wohl kleiner als ein Mensch gewesen
sein; denn die Anthropomorphen haben in ihren verhältnismässig
grösseren, bezw. längeren Kiefern mehr Platz als der Mensch, daher
im Verhältnis zu ihrer Körperhöhe grössere Zähne. Auch die Dimen-
sionen der Unterkieferzähne führen zu demselben Schlüsse. Nur der
eine dort (S. 43) in erster Linie aufgeführte Unterkiefermolar mit
13,1 mm Länge, während die von Black beim Menschen beobachtete
grösste Länge nur 12 mm beträgt, übertrifft menschliche Verhält-
nisse ziemlich stark. Es muss also dieser Zahn der Rest eines Tieres
von ausnahmsweiser Grösse sein.
Doch nicht nur durch seine verhältnismässig geringere Breite,
bezw. grössere Länge weicht dieser Oberkiefermolar von dem des
Menschen ab. Auch an den Höckern zeigt sich ein Unterschied :
Der hintere Innenhöcker nämlich, welcher beim Menschen kleiner
als die drei anderen zu sein pflegt, hat bei dem Bohnerzmolar kaum
eine geringere Grösse als die drei anderen. An Höhe ist er dem
vorderen Innenhöcker und hinteren Aussenhöcker gleich, während
er den vorderen Aussenhöcker darin ein wenig übertrifft (vergl. Fig. 1 a
und Ib).
Die Kaufläche dieses Molaren ist überzogen von Schmelzleisten
(s. S. 28). Dieselben sind zwar nicht so zahlreich, wie beim Orang
(Taf. I Fig. 3) und Chimpanse. Aber sie sind doch zahlreicher.
-So-
wie ich sie an irgend einem der zahlreichen Menschenschädel, die
ich daraufhin prüfen konnte, gefunden habe. Sogar an der Aussen-
und besonders Innenseite (Fig. 1 a u. b) der Höcker treten sie auf. Ich
gebe zur Vergleichung den M' des linken Oberkiefers eines Hotten-
totten ^, an welchem diese Schmelzleisten besonders stark ausgebildet
sind (Taf. I Fig. 5). Ein Menschenzahn mit derartigen Leisten macht
natürlich einen ganz anderen Eindruck als der entsprechende normale,
d. h. glatte eines Europäers und wird dadurch dem hier in Rede
stehenden Zahn aus den Bohnerzen ähnlich. Aber die geringere
Ausbildung der Schmelzleisten auf der Kaufläche, ihr Fehlen oder
doch ihre Geringfügigkeit an der Aussen- und Innenseite der Höcker,
der geringere Umfang des hinteren Innenhöckers und die höheren
Höcker unterscheiden doch diesen Hottentottenzahn von dem aus dem
Bohnerz.
Auch darin zeigt sich ein weiterer Unterschied unseres Bohnerz-
zahnes von dem Molaren des Menschen, dass ersterer am vorderen
und hinteren Ende je eine tiefe Querfurche besitzt, welche beim
Menschen wohl nur ganz ausnahmsweise in dieser Weise stark aus-
gebildet erscheint (Taf. I Fig. 5). Auch an den Unterkieferzähnen
macht sich dieser Unterschied bemerkbar (Taf. II Fig. 9 u. 10).
Endlich findet sich je an der Aussen- und an der Innenseite
unseres Bohnerzzahnes ein in den Schmelz eingesenktes Grübchen,
welches dem Menschen fehlt. Dieselben entstehen dadurch, dass
die die Höcker trennenden Furchen an der Aussen- und Innenseite
des Zahnes tiefer einschneiden, als das beim Menschen der Fall
ist, und an ihrem Ende dann eine Einsenkung, diese Grübchen, er-
zeugen (Taf. I Fig. lau. Ib).
Wenn wir nun auf der anderen Seite unseren Bohnerzzahn mit
dem entsprechenden der lebenden und fossilen Anthropomorphen
vergleichen, so ergiebt sich, dass er durch seine Schmelzleisten sich
an die Gruppe Orang — Chimpans anlehnt. Stellen wir ihn nun aber
dem auf Taf. I Fig. 3 abgebildeten M^ des linken Oberkiefers vom
Orang und dem des Chimpansen gegenüber, so zeigt sich zwar im
allgemeinen Übereinstimmung, im besondern aber ebenfalls Ab-
weichung in den folgenden Punkten :
Es sind zunächst die Schmelzleisten viel geringer als beim
Orang und Chimpanse.
Die an der Aussen- und Innenseite hinablaufenden Furchen,
'■ Xo. 932 der Stuttgarter Sammlung.
3*
- 36 —
durch welche die Höcker getrennt werden, sind etwas deutUcher als
beim Orang; beim Chimpanse beobachtete ich sie jedoch in derselben
Stärke, wie sie denn überhaupt ein Merkmal bilden, welches den Zahn
der menschenähnlichen Affen von dem der Menschen unterscheidet.
Das kleine Grübchen an der Innenseite fehlt dem Orang ganz,
was eben mit dem hier geringeren Einschneiden der Furchen zu-
sammenhängt. Ob die Zähne des Orang aber in dieser Hinsicht
nicht etwa variieren, wäre noch zu untersuchen.
Des weitern scheint dem Orang die hintere Querfurche (Taf. I
Fig. 3) zu fehlen. Die vordere ist zwar beim Orang vorhanden, aber
doch nicht ganz so stark ausgebildet, wie bei dem Bohnerzzahn.
Endlich sind die Höcker beim Orang und Chimpanse weniger
hoch als bei dem Bohnerzzahn. Daher sind auch der schräge Kamm,
welcher von dem hinteren Aussen- zum vorderen Innenhöcker ver-
läuft, und der Querkamm, welcher vom hinteren Aussen- zum hinteren
Innenhöcker hinüberzieht (s. Figur S. 41), beim Orang und Chimpanse
weniger stark entwickelt.
Während alle diese besprochenen Punkte sich an dem Taf. I
Fig. 1 abgebildeten unbenutzten Zahne aus dem Bohnerz feststellen
lassen, bietet der in Fig. 2 wiedergegebene abgekaute nur wenig
sichere Anhaltspunkte zum Vergleiche ; von vornherein könnte daher
der Zweifel entstehen, ob er auch sicher derselben Gattung angehöre
wie jener. Indessen sind fossile Anthropomorphen so sehr selten, dass
seine Zugehörigkeit zu jenem überaus wahrscheinlich ist. Beide stammen
sogar von demselben Fundorte. Dass aber auf der Alb gleichzeitig
und an demselben Orte zwei verschiedene Arten oder gar Geschlechter
von Anthropomorphen gelebt haben sollten , wäre eine doch zu ge-
wagte Annahme. Ist es doch schon eine ungemein grosse Seltenheit,
dass man eine einzige Gattung derselben findet. Ganz dieselbe
Überlegung gilt natürlich hinsichtlich der anderen Frage, ob diese
Oberkiefer und die nachher zu besprechenden ünterkieferzähne der-
selben Art der Gattung zuzurechnen seien. Hier wäre diese Frage
noch etwas berechtigter, weil nämlich die mehrfach erwähnten
Schmelzleisten an dem intakten Oberkieferzahne entschieden etwas
stärker ausgebildet sind, als an den ebenso unbenutzten Unterkiefer-
zähnen. Aber aus demselben Grunde müssen wir Ober- und Unter-
kiefermolaren als zusammengehörig betrachten , weil das Gegenteil,
zwei verschiedene Arten, gar zu unwahrscheinlich wäre.
Der in Kede stehende abgekaute Zahn lässt noch die drei Wur-
zeln erkennen (Taf. I Fig. 2a und 2b), welche im Oberkiefer Anthropo-
— 37 -
morphen und Menschen besitzen. Keine derselben ist unverletzt
erhalten. Die innere besteht nur noch aus einem kurzen Stumpfe.
Die vordere äussere lässt gar nur ihre Ansatzstelle noch erkennen
und lediglich die hintere äussere ist etwa in ihrer halben Länge
erhalten. Soviel man danach zu erkennen vermag, gehen diese drei
Wurzeln nicht in ganz so starker Weise auseinander, w^ie das bei
Anthropomorphen der Fall zu sein pflegt, wie das E. Dubois auch
von Pifhecanthropns hervorhebt. Doch konnte ich mir über diesen
Punkt kein v^irklich sicheres Urteil verschaffen, da es natürlich nicht
statthaft ist, den in den Sammlungen befindlichen Schädeln von
Anthropomorphen viel Backenzähne auszuziehen.
Von den Höckern dieses zweiten Zahnes sind die beiden der
Innenseite (Fig. 2 b) stärker abgekaut als die der Aussenseite (Fig. 2 a),
wie das wohl die Regel bei den Affen zu sein scheint. Der vordere
Aussenhöcker ist am höchsten erhalten. Von den Schmelzleisten,
welche der unbenutzte Zahn Fig. 1 zeigt, ist gar nichts mehr zu
bemerken; die vordere Querfurche (Figur S. 41) ist ganz, die hintere
fast ganz weggekaut; nur der schräge Kamm ist noch erkennbar.
Die Dimensionen, bereits auf S. 33 besprochen, bieten nichts
Auffallendes dar. Der Zahn ist etwas kleiner als der völhg un-
benutzte erste; namentlich seine Länge ist geringer, was sich leicht
erklärt, da er vorn und hinten je eine grosse Reibefläche durch
seinen Vorder- und Hinterzahn erlitten hat.
An diesem abgenutzten Zahne fehlt auch auf der Aussen- wie
Innenseite das Grübchen, welches an dem unbenutzten Molar sehr
deutlich auftritt. Ich glaube aber diesen Umstand ebenfalls nur auf
die Abnützung des Zahnes schieben zu sollen, die ja, wenn auch
in minderem Grade als die Kaufläche, ebenfalls die Seitenwände der
Zahnkrone abreibt, namentlich bei Affen, welche ihre Zähne nicht,
wie der Kulturmensch, schonen.
In diesem abgekauten Zustande, in welchem die kennzeichnen-
den Merkmale des Zahnes verloren gegangen sind, gleicht oder ähnelt
dieser Oberkiefermolar erklärlicherweise auch Affen der nicht mit
Schmelzleisten versehenen Gruppe der lebenden Anthropomorphen.
So ist z. B. die Ähnlichkeit mit dem M^ aus dem rechten Oberkiefer
des Gibbon (Taf. I Fig. 4), bis auf des letzteren geringere Grösse,
auffallend stark. Doch hat Hylobates leuciscus an der Innenseite
(Fig. 4 b) einen Kragen, der dort ganz fehlt. Ebenso aber ist M^
oder M^ eines Chimpansen im abgekauten Zustande ähnlich dem in
Rede stehenden. Es sind eben aus abgekauten Zähnen keine sicheren
— 38 —
Schlüsse zu ziehen, soweit diese sich auf subtile Merkmale gründen
müssen.
Die Unterkieferzähne aus dem Bohnerz.
Zwei ganz unbenutzte
Molaren
Zwei wenig abgekaute
Molaren
Taf. 11 Fig. 1. M unten rechts, Keimzabn, Melcliingen,
Tübinger Sammlung.
„ „ ^^ 6. M unten links, ganz unbenutzt, Troch-
telfingen, Tübinger Sammlung.
„ „ „ 2. M unten rechts, Salmendingen, Natura-
lienkabinet Stuttgart.
„ „ „ 5. M unten rechts, Salmendingen, Techn.
Hochschule Stuttgart.
r „ „ , 7. M unten links, Ehingen, Dr. Beck, Stutt-
Zwei stärker abge- I gart.
kaute Molaren i nicht abgebüdet. M unten rechts , Melchingen , Tübinger
^ Sammlung. Zerbrochen.
Ein abgeschliffener TTaf. II Fig. 4. M unten rechts, Melchingen, Tübinger
Molar \ Sammlung.
Ein letzter Milch- j" „ „ „ 11. Pd^ unten links, Salmendingen, Tübinger
prämolar ^ Sammlung.
Während von Molaren des Oberkiefers nur zwei vorliegen, sind
von Zähnen des Unterkiefers acht vorhanden , und zwar fünf der
rechten, drei der linken Kieferhälfte angehörig.
Von diesen acht Zähnen sind zwei Molaren noch ganz unbenutzt,
so dass man die Skulptur derselben in völliger Klarheit erkennen
kann. Der eine, rechte (Taf. II Fig. 1), ist ein Keimzahn, nur aus
der Schmelzkappe bestehend, noch ohne jede Spur von Dentinaus-
füllung derselben. Bei dem anderen, linken (Taf. II Fig. 6), ist die
Schmelzkappe bereits mit Dentin ausgefüllt ; die Wurzeln aber sind
abgebrochen. Wahrscheinlich hatten sich an diesem noch völlig un-
versehrten Zahne noch keine fertigen, unten geschlossenen Wurzeln
gebildet.
An diese beiden völlig frischen Zähne reihen sich zunächst
zwei andere Molaren , bei welchen die Abkauung schon ein wenig
gewirkt hat, so dass die über die Kaufläche verlaufenden Schmelz-
leisten bereits abgerieben sind. Beide gehören der rechten Kiefer-^
hälfte an. Die Höcker selbst aber sind noch völlig frisch erhalten;
nur ein wenig sind ihre Spitzen abgerieben, daher sie etwas gerun-
deter erscheinen als im unbenutzten Zustande. Der eine dieser beiden
Zähne (Taf. II Fig. 2) zeigt beide vollständig erhaltenen Wurzeln. An
dem anderen (Taf. II Fig. 5) sind dieselben so weit abgebrochen,
dass nur noch die mit Dentin erfüllte Schmelzkappe vorhanden ist;
also ganz wie bei dem oben erwähnten Zahne Taf. II Fig. 6.
- 39 -
Abermals etwas weiter vorgeschritten zeigt sich die Abkauung
bei zwei weiteren Molaren. Nicht nur die Schmelzleisten der Kau-
fläche sind abgerieben, sondern auch die Spitzen der Höcker sind
in grosser Regelmässigkeit so weit abgekaut, dass auf jedem der
Höcker eine kreisrunde „Kunde" erscheint, in welcher die innere
Füllmasse des Schmelzes, das Dentin, herausschaut. Der eine, rechte,
nicht abgebildete Zahn, ist zerbrochen, ein Höcker fehlt. Man be-
merkt nur eine einzige kleine, kreisrunde Kunde auf dem hinteren
Innenhöcker. Der in Taf. H Fig. 7 wiedergegebene linke ist bereits
etwas stärker abgekaut; alle drei Innenhöcker besitzen kreisrunde
Kunden. Beide liegen nur in Gestalt dentinerfüllter Schmelzkappen
vor; es sind also auch hier die Wurzeln ganz ebensoweit abgebrochen,
bezw. abgerieben , wie an den Zähnen Fig. 5 und 6. Mit anderen
Worten, bei diesen vier Zähnen ist das Dentin gerade nur so weit
erhalten, als es durch die Schmelzkappe geschützt war. Da diese
letztere an ihren Rändern ganz unverletzt ist, so können wir nicht
annehmen, dass die Wurzeln im harten Zustande abgebrochen wurden,
denn in diesem Falle würde gewiss auch ein Teil der Schmelzkappe
hier und da mitverletzt und ausgesplittert worden sein. Vielmehr
muss das Dentin sich in einem so weit erweichten, mürben Zustande
befunden haben, dass die Wurzeln mit leichter Mühe abbröckeln oder
abgerieben werden konnten. Bei fossilen Elefantenzähnen ist ein
solch ervv^eichter Zustand des Stosszahndentins wohl öfter beobachtet
worden.
So haben wir also in diesen drei Paar Molaren zugleich drei
verschiedene Stadien der Abkauung vor uns. Es wird dadurch die
Möglichkeit gewährt, die Vergleichung der Zähne mit anderen fast
in besserer Weise zu führen , als wenn selbst alle sechs völlig un-
abgekaut wären.
Da M\ M^, M^ nacheinander erscheinen , also nacheinander
abgekaut werden, so könnte die Frage wachgerufen werden, ob wir
in diesen drei Paar Zähnen nicht etwa jene drei Zahnnummern
eines einzigen Individuums vor uns haben, dergestalt, dass wir in
dem ersten, unverletzten Stadium die beiden M^ zu sehen hätten ;
im zweiten, etwas abgekauten, die beiden M'-* ; im dritten, am meisten
abgekauten, die beiden M^
In dem ersten, ganz unberührten Stadium befinden sich in der
That ein rechter und ein linker Molar ; indessen der eine stammt
von Melchingen, der andere von Trochtelfingen. Es liegen hier also
sicher Reste zweier verschiedener Individuen vor.
— 40 —
Die im zweiten Stadium befindlichen Molaren stammen aller-
dings beide vom selben Fundort, Salmendingen. Aber sie gehören
beide der rechten Kieferhälfte an. Bei dem genau gleichen Grade
der Abkauung möchte man daher auch hier nicht annehmen, dass
etwa ein M* und ein M^ der rechten Kieferhälfte eines und desselben
Individuums vorliegen könnten. Wahrscheinlicher ist es vielmehr,
dass dies zwei gleichnamige Molaren zweier ebenfalls verschiedener
Individuen sind.
Im dritten Stadium finden wir zwar wieder je einen rechten
und einen linken Molar. Da aber der eine von Melchingen, der
andere von Ehingen stammt, so müssen hier abermals zwei ver-
schiedene Individuen vorliegen.
Wenn nun auch die Stadien der Abkauung bei diesen sechs
Molaren dreifach verschiedene sind, so stimmt doch der Bauplan bei
allen völlig überein. Alle sechs sind deutlich fünfhöckerig und die
Anordnung und relative Grösse der Höcker ist ganz dieselbe. Der
vordere der beiden Innenhöcker ist stets der höchste ; die anderen
sind ungefähr gleich hoch. Auch den grössten Umfang besitzt dieser
vordere Innenhöcker ; ihm folgt dann in dieser Hinsicht der vordere
der drei Aussenhöcker.
Der hintere Aussenhöcker ist nicht wie beim Menschen an die
Hinterseite des Zahnes gedrängt, sondern steht an der Aussenseite,
und zwar fast genau dem hinteren Innenhöcker gegenüber, ebenso
wie der vordere Aussenhöcker fast genau dem vorderen Innenhöcker
gegenüberliegt. So stehen sich also an der Aussen- und Innenseite je
die beiden vordersten und die beiden hintersten Höcker fast gegenüber;
der mittlere der drei Aussenhöcker hat daher kein Gegenüber in
Gestalt eines Hügels ; er steht der breiten Lücke oder Vertiefung
zwischen den beiden Innenhöckern gegenüber.
Auch Herr A. Gaudry hob in seinem Schreiben an mich (S. 57)
hervor, dass dieser hintere Aussenhöcker nicht an die Hinterseite
gerückt sei, sondern bei allen diesen Zähnen aus dem Bohnerz, welche
mindestens vier Individuen angehören, an der Aussenseite verbleibe,
ein Verhalten, das man beim Menschen nur ganz ausnahmsweise treffe.
Auch seien die Gipfel der Höcker ein wenig mehr an den Aussen-,
bezw. Innenrand des Zahnes gerückt, und die mittlere Vertiefung
zwischen den Höckern der Aussen- und der Innenseite sei ein wenig
tiefer, als beides beim Menschen der Regel nach der Fall wäre.
Diese fünf Hügel sind nicht nur durch Vertiefungen getrennt, son-
dern in letzteren verlaufen auch scharfe, wie mit dem Messer eingeschnit-
— 41 —
tene, also ganz schmale Furchen, welche dann an der Aiissenseite des
Zahnes fast bis an das untere Ende der Schmelzkappe hinabreichen.
An der Innenseite ist letzteres nicht der Fall. Es verläuft einmal in
der Mitte der Kaufläche von vorn nach hinten eine Längsfurche,
durch welche die inneren Hügel von den äusseren getrennt werden.
Ungefähr rechtwinkehg zu dieser — daher das Ganze „Kreuzfurche"
beim Menschen genannt wird — laufen nun von der Aussenseite
her die beiden, den mittleren Aussenhügel einschliessenden Quer-
furchen. Dieselben konvergieren und treffen sich schliesslich in
einem Punkte, indem sie die Längsfurche dadurch verwerfen, also
aus ihrem geraden Verlaufe drängen. An diesem Vereinigungspunkte
mündet auch die von der Innenseite herkommende Querfurche, welche
den vorderen Innenhügel vom hinteren trennt. Aber an dem best
erhaltenen, dem Keimzahne (Taf. II Fig. 1), sieht man, dass auch
Fig. 1. Schema eines Unter- und Oberkieferzahnes aus dem Bohnerz.
a; vordere Querfurche, y hintere Querfurche , k schräger Kamm zwischen a und b , q Quer-
kamm zwischen a und d, c, d die beiden Innenhöcker, a, b bezw. e die beiden, bezw. drei
Aussenhöcker.
diese Querfurche gedoppelt ist, so dass also zwischen dieser Doppe-
lung auch an der Innenseite eigentlich noch ein, wenn auch ganz
kleiner und niedriger, mittlerer Innenhöcker entsteht. Ersichtlich
ist dieser aber nur ein Teil des hinteren Innenhöckers, von diesem
also abgeschnürt, kein selbständiger Hügel. Auch am Oberkiefer-
molar sahen wir, dass solche Furchen an der Aussen- wie Innenseite
ebenfalls tief hinabreichen und jederseits in einem Grübchen endigen.
Von einem solchen Grübchen ist an den ünterkiefermolaren jedoch
nichts zu bemerken.
Ich beschreibe diese Furchen so genau teils um des Vergleiches
willen, teils weil sich mit Hilfe dieser als ganz zweifellos beweisen
lässt, dass ein fernerer Zahn (Taf. II Fig. 4) ebenfalls nur dem Unter-
kiefer angehören kann und nicht dem Oberkiefer, dem man ihn
infolge seiner Kürze vielleicht zuschreiben möchte.
— 42 —
Furchen in so starker Ausbildung und an der Seite so weit
hinabreichend , wie oben geschildert , sind nun ausgesprochen ein
Merkmal der Menschenähnlichen, nur selten der Menschen; indessen
Hartmann ^ hebt hervor, dass man bei letzteren bisweilen doch auch
gleiches Verhalten der Furchen wie bei ersteren finde.
Diese ünterkiefermolaren aus dem Bohnerze der Alb gleichen
in ihrer allgemeinen Gestalt, besonders in einem Stadium der Ab-
kauung, in welchem ihre Schmelzleisten eben verschwunden sind
(s. Taf. II Fig. 2 und 5), so sehr dem M^ oder M^ des Menschen,
dass man sie wohl für Menschenzähne halten möchte, wie das R. Owen
auch that. Dieses Abkauungsstadium war es auch besonders, welches
im Verlaufe der Untersuchung immer aufs neue den Gedanken wieder
entstehen Hess, dass doch etwa Menschenzähne vorliegen könnten.
Indessen ausser den oben bereits erwähnten beiden Abwei-
chungen vom Menschentypus finden wir ein drittes vom Menschen
abweichendes Merkmal in der starken Ausbildung einer vorderen
und hinteren Querfurche. Dieselben sind an dem unabgekauten
Stadium der beiden Zähne (Taf. II Fig. 1 und 6) natürhch am besten
erhalten und von so bedeutender Tiefe, wie das beim Menschen wohl
nur ausnahmsweise der Fall ist , für andere Anthropomorphe aber
kennzeichnend ist, wie das z. B. der M^ inf. des Orang (Taf. II Fig. 8)
zeigt. Im Stuttgarter Naturalienkabinet zeigt ein Judenschädel aus
Malta, No. 1581, die vordere Querfurche auch recht deutlich.
Ein viertes Merkmal , welches diese ünterkiefermolaren als
einem Menschenaffen angehörig erweist, besteht in den Schmelzleisten,
welche auf der Kaufläche von den Höckern in die zwischen letzteren
gelegenen Tiefen hinab laufen. Wir erkennen dieselben wiederum
nur an dem völlig unbenutzten Stadium der beiden Molaren (Taf. II
Fig. 1 und 6). Bereits bei Besprechung der Obeikiefermolaren ist
das Nähere über diese Leisten gesagt worden (S. 28). Hier muss
ich nur wiederholen, dass bemerkenswerterweise an dem Oberkiefer-
molar die Schmelzleisten entschieden etwas stärker ausgebildet sind
als an denen des Unterkiefers ; und dass sie ferner an letzteren bei
dem in Taf. II Fig. 1 abgebildeten Zahne sich etwas stärker ent-
wickelt zeigen, als bei dem in Taf. II Fig. 6 dargestellten.
So sehen wir, dass dieses Merkmal der Leisten an den Zähnen
aus den Bohnerzen nicht in völlig gleicher Stärke auftritt. Es macht
dieser Umstand daher den Eindruck, als wenn es sich um eine erst
' Die anthropomorplien Affen.
— 43 —
kürzlich erworbene, daher noch hm und her schwankende Eigen-
schaft handle, die sich dann später im Chimpanse und besonders
dem Orang mehr und mehr gesteigert habe.
Ein fünftes Affenmerkmal endlich zeigt sich in dem Längen-
Breiten- Verhältnisse der ünterkiefermolaren. So ähnlich auch das
der Schmelzleisten bereits beraubte zweite Abkauungsstadium (Taf. II
Fig. 2 und 5) der fraglichen Zähne aus dem Bohnerz dem Menschen
sein mag — das Längen-Breiten-Verhältnis ist doch ein anderes.
Unsere fossilen Zähne sind, gegenüber ihrer Breite, verhältnismässig
länger als die des Menschen. Ich gebe zu diesem Zwecke die Masse
der in Rede stehenden 6 Molaren des Unterkiefers.
Original der
Taf. 11 Fig-. 1 .
„ ■,, » 6 •
o
n !) » " •
n 5) )) ^ •
7 .
n n 7) '
Nicht abgebildet^
Länge Breite Länge : Breite
mm mm wie
13.1 11,0 100 : 81,0 \^ Erstes Stadium:
11,0 9,3 100 : 84,5 / Unberührte Zähne.
12.0 9,8 100 : 81,7)^ Zweites Stadimu:
11,8 9,8 100 : 83,0/ Etwas abgekaut.
11.1 9,0 100 : 81,0 \^ Drittes Stadium:
5,0 j Stäi
. 11,0 9,2 100 : 83,5/ Stärker abgekaut.
Diese Zahlen müssen wir mit den entsprechenden des Menschen
vergleichen, um festzustellen, ob die fraglichen Zähne aus dem
Bohnerz verhältnismässig länger bezw. schmäler sind gegenüber den
im allgemeinen kürzeren bezw. breiteren des Menschen. Das aber ist
sehr schwer darzuthun ; denn bei jedem einzelnen menschlichen Ge-
bisse, dessen Masse ich angeben würde, könnte man sagen, dass
dieselben, in Anbetracht der so starken Variabilität des Menschen,
gar nichts bewiesen.
Ich will daher Mittelzahlen des Menschen anführen^, welche
das Mittel aus der Länge zahlreicher Zähne und dann das Mittel
aus der Breite eben derselben Zähne geben. Man wird dadurch
wohl ein Bild von einem Durchschnittszahne des Menschen erhalten.
Aus einer sehr grossen Zahl genauer Messungen an mensch-
lichen Zähnen hat Blake ^ die unten folgenden Durchschnittszahlen
für die Grössenverhältnisse der Zähne gefunden. Das Untersuchungs-
^ Der Zahn ist zerbrochen, daher nur ungefähres Mass angegeben
werden kann.
^ Wobei sich natürlich auch wieder einwerfen lässt, dass dieselben sich
auf europäische Völker beziehen und nicht auch auf solche, die in der Kultur
tiefer stehen, daher vielleicht andere Verhältnisse aufzuweisen haben.
^ Descriptive anatomy of the human teeth. citiert nach Gysi in Schweize-
rische Vierteljahrsschrift für Zahnheilkunde Bd. 5, No. 1. 1895. Sonderabzug-
S. 8. Fig. 10.
44 —
Oberkiefer des Menschen:
Mesio-distal-
Labio- od. Bucco-
Höhe der Krone
Durchmesser der
Krone
lingual-Durch-
messer der Krone
mm
mm
mm
3Iittel
10,0
9,0
7,0
I^ grösste
12,0
10.0
8,0
kleinste
8,0
8,0
7,0
Büttel
8,8
6,4
6,0
I^ grösste
10,5
7,0
7,0
kleinste
8,0
5,0
5,0
Mittel
9,5
7,6
8,0
C grösste
12.0
9,0
9,0
kleinste
8,0
7,0
7,0
Mittel
8,2
7,2
9,1
P'^ grösste
9,0
8,0
10.0
kleinste
7,0
7,0
8,0
Mittel
7,5
6,8
8,8
P^ grösste
9,0
8,0
10.0
Länge : Breite
kleinste
7,0
6,0
7,5
wie
Mittel
7.7
10,7
11.8
100:110,3
M' grösste
9,0
12,0
12,0
kleinste
7,0
9,0
11,0
Slittel
7,2
9,2
11.5
100 : 125
M'- grösste
8.0
10,0
12,5
kleinste
6,0
7,0
10,0
j\Iittel
6.3
8,6
10,6
100 : 123,3
M* grösste
8,0
11,0
14,5
kleinste
5,0
7,0
8,0
material bestand aus Gebissen der amerikanischen Bevölkerung, welche
aus einer Mischung aller hauptsächlichsten europäischen Völker her-
vorgegangen ist. Daher geben diese Untersuchungen wohl ein ge-
treues Bild der Zahndimensionen der Kulturvölker. Da mir die Zeit-
schrift, in welcher Blake publizierte, nicht zugänglich war, so wandte
ich mich an Herrn Dr. Gysi, Universität Zürich, von welchem Blake
in einer später zu nennenden Arbeit citiert war. Der genannte Herr
hatte die sehr grosse Liebenswürdigkeit, mir die folgende Tabelle
Blake's abzuschreiben und zugehen zu lassen. Bei der Schwierig-
- 45 -
ünterk]
lefer des Menschen:
Mesio-distal-
Labio- od. Bucco-
Höhe der Krone
Durchmesser der
Krone
lingual-Durch-
messer der Krone
mm
mm
mm
Mittel
8,8
5,4
6,0
I' grösste
10,5
6,0
6.5
kleinste
7,0
5,0
5,5
Mittel
9,6
5,9
6,4
I^ grösste
12,0
6,5
7,5
kleinste
7,0
5,0
6,0
Mittel
10,3
6,9
7,9
C grösste
12,0
9,0
10,0
kleinste
8,0
5,0
6,0
Mittel
7,8
6,9
7.7
P^ grösste
9,0
8,0
8,0
kleinste
6,5
6,0
7,0
Mittel
7,9
7.1
8,0
P' grösste
10,0
8,0
9,0
Länge : Breite
kleinste
6,0
6,5
7,0
■wie
:\üttel
7,7
11,2
10.3
100 : 92
M^ grösste
10,0
12,0
11,5
kleinste
7,0
11,0
10,0
Mittel
6,9
10,7
10,1
100 : 94,4
M- grösste
8,0
11,0
10,5
kleinste
6,0
10.0
9,5
Mittel
6,7
10,7
9,8
100 : 91,6
M^' grösste
8,0
12,0
10,5
kleinste
6,0
8,0
9,0
keit, die Arbeit Blake's zu erlangen, wird es nicht unerwünscht sein,
wenn ich die ganze Tabelle, auch für Zähne, die hier nicht in Frage
kommen, wiedergebe. Die „Höhe der Krone" wurde gemessen von
der Schneidekante bezw. dem Aussenhöcker bis zur Zahnfleischlinie
der Aussenfiäche.
Der „Mesio-distal-Durchmesser" der Krone , also das , was ich
Länge nannte, ist der grösste Durchmesser in dieser Richtung an
den beiden Proximal-Kontaktpunkten. Denn die Zähne wurden natür-
lich in zusammenhängenden Gebissen, nicht einzeln, gemessen.
— 46 -
Der „labio- bezw. bucco-linguale Durchmesser" ist der grösste
Durchmesser in dieser Richtung; also meine „Breite" der Krone.
Bei den Schneidezähnen liegt er an der Zahnfleischlinie ; bei den
Prämolaren und Molaren befindet er sich gewöhnlich auf der Mitte
der Kronenlänge, aber hier und da auch an der Zahnfleischlinie, be-
sonders bei M^ und M^ sup. ^
Aus der Vergleichung dieser Zahlen menschlicher Molaren mit
den oben angeführten unserer Molaren aus dem Bohnerz ergiebt sich
das Folgende : Wie bei dem Oberkieferzahne , so stimmt auch bei
diesen ünterkiefermolaren die absolute Grösse mit dem bei dem
Menschen vorkommenden überein. Die Längen der Molaren aus dem
Bohnerz schwanken von 11,0 bis 12 mm (in einem Falle bis 13,1 mm).
Beim Menschen haben wir nach Blake für M^ als kleinste Länge
11 mm, als grösste 12 mm, also ganz dieselben absoluten Längen;
nur der eine Keimzahn aus dem Bohnerz mit 13,1 mm Länge über-
trifft das beim Menschen Vorkommende.
Vergleichen wir sodann das Verhältnis zwischen Länge und
Breite, wie es unseren Bohnerzmolaren zukommt, gegenüber den
menschlichen, so sehen wir, dass die Bohnerzmolaren verhältnis-
mässig länger, bezw. schmaler sind, als die des Menschen.
Bei einer gleichgesetzten Länge von 100 ist nämlich die Breite
bei den Unterkiefermolaren
aus dem Bohnerz nur 81 — 84,5; dagegen
beim Menschen . M^ 92
M^ 94,4
Von M^, als dem sehr variablen, sehe ich ab.
Folglich sind die fraglichen Bohnerzmolaren fast genau um
10 7o relativ schmaler, bezw. länger als die des Menschen ; ein Er-
gebnis, zu welchem uns in gleicher Weise die Untersuchung des
Oberkieferzahnes geführt hatte.
Wir wollen nun aber unsere Unterkieferzähne aus dem Bohnerz
noch mit denen der anthropomorphen Affen vergleichen. Ich habe
gemessen im Unterkiefer bei:
^ Blake führt in seiner Tabelle noch andere, hier fortgelassene blasse
an: Totallänge, Länge der Wurzel, Mesio-distal-Diarchmesser des Zahnhalses,
Höhe der Kurve der Zahnflcischlinie.
47
Länge
mm
Chimpans' M^ 11,4
]\P 12,0
Orange SP 12.8
„ 3 W 14,9
]\P 15,5
„ M^ 14,6
Gorilla* unten. W 15,3
„ M^ 16,0
„ M^ 16,2
HyJohates^ leuciscus SP 6
M^ 6,7
. M3 5,9
. .■ SP 6
. M^ 6,6
. SP 5,1
„ ' syndactylus SI^ 8,0
SP 8,5
SP 8,7
^ No. 2598 der Stuttgarter zoologischen Sammlung.
^ No. 38 der Stuttgarter zoologischen Sammlung
nicht durchgebrochen.
^ No. 337 der Stuttgarter zoologischen Sammlung.
* No. 2624, $ der zoologischen Sammlung zu Stuttgart.
5 No. 675, $
Breite
Länge
: Breite
mm
wie
10,3
100 :
90,3
11,2
100 :
93,3
11,8
100 :
92.2
13,0
100 :
87.2
13,9
100 :
90,0
12.8
100 :
87,7
13,5
100 :
88,2
14,6
100 :
91,3
14,0
100 :
86,4
5
100 :
: 83,3
5.6
100 :
: 83,6
5,2
100 :
: 88,1
5
100 :
83,3
6.0
100 :
: 90,9
5,7
100 :
: 111,0
5,8
100 :
: 72,5
7,0
100 :
: 82,3
6,9
100 :
: 79,3»
mg.
lg. Ganz
jung,
SI^ noc]
»
n
r>
n
T.
ji
Das grösste Ex-
6 No. 2414,
' No. 2013, ?
emplar von allen.
^ Es ist nun hinsichtlich dieser vergleichenden SIessungen allerdings her-
vorzuheben, dass die Länge von Zahnkronen, welche im vollzähligen Gebisse
sitzen, sich nicht ebenso genau bestimmen lässt, Avie bei unseren isolierten und
intakten resp. Keimzähnen aus dem Bohnerz. Denn die im Gebiss des erwach-
senen Tieres sitzenden Molaren haben, wie auch an anderer Stelle hervorgehoben,
durch die Abreibung des vor und hinter ihnen stehenden Zahnes an Länge ver-
loren, und das in um so höherem Grade, je älter das Tier war. Es muss also
bei allen oben gemessenen Zähnen lebender Anthropomorphen die Länge der
Zahnkrone etwas zu kurz, resp. der Breitenindex ein wenig zu gross erscheinen.
Dasselbe wird jedenfalls wohl auch von den durch Blake gemessenen Menschen-
zähnen gelten. Da indessen auf solche Weise sämtliche oben aufgeführten SIes-
sungen an Zähnen lebender Formen unter diesem selben Fehler leiden, so dürfte
letzterer beim Vergleiche das Bild nicht wesentlich stören ; nur erscheinen natür-
lich die Bohnerzmolaren dadurch noch etwas relativ länger, als sie ohnedies sind.
Eine andere Schwierigkeit ist die, dass man zwar die Breite der im Ge-
bisse sitzenden Zahnkronen mit dem Schieberzirkel ganz genau bestimmen kann,
dass man jedoch die Bestimmung der Länge mit dem gewöhnlichen Zirkel vor-
nehmen muss, so dass Länge und Breite mit zwei verschiedenen Instrumenten
— 48 -
Vergleichen wir auf Grund dieser Messungen unsere Bohnerz-
zähne mit denen lebender Anthropomorphen , so erhalten wir für
Chimpans, Orang und Gorilla dasselbe Ergebnis, wie beim Menschen :
Die Bohnerzmolaren des Unterkiefers sind, wie die des Oberkiefers,
relativ schmaler, bezw. länger als diejenigen der genannten drei Affen.
Denn es haben die Molaren
aus dem Bohnerz einen Breitenindex von 81 — 84,5,
vom Chirapanse, Orang, Gorilla einen Breitenindex von 87 — 93,3.
Nur die Molaren des Gibbon machen eine Ausnahme , indem
ihr Breitenindex im allgemeinen zwischen 82 und 83 schwankt, also
ungefähr dieselbe relative Länge, bezw. Schmalheit besitzt, wie die
aus dem Bohnerz. Abgesehen von den Dimensionen ist aber auch
die allgemeine Gestalt der Krone und der Höcker bei unseren ünter-
kiefermolaren aus dem Bohnerz der des Gibbon sehr ähnlich (vergl.
Taf. II Fig. 3), Bei M^ und M^ in vollzähligen Gebissen ist das oft
nicht so vollkommen zu sehen, weil durch die vordere und hintere
Reibefläche die Länge der Krone ^ verringert erscheint. Daher kann
man das an M^ verhältnismässig noch am besten erkennen, weil
hier wenigstens das Hinterende des Zahnes nicht durch einen weiteren
Molaren abgerieben ist.
Es fällt mir namenthch auf, dass, wie ich es von unseren Bohn-
erzmolaren sagte , auch bei diesen Gibbonzähnen je der vordere
Aussen- und Innenhöcker, sowie je der hintere Aussen- und Innen-
höcker so ziemlich einander gegenüberstehen, so dass gegenüber dem
mittleren Aussenhöcker kein Höcker, sondern die breite Senke liegt,
welche den vorderen und hinteren Innenhöcker von einander trennt.
Dagegen beobachtete ich bei Hylohates syndadyliis ^, dass der vordere
Aussen- dem vorderen Innenhöcker, dann aber der mittlere Aussen-
dem hinteren Innenhöcker gegenüberliegen, so dass der hintere Innen-
höcker an das Hinterende des Zahnes gerückt ist, ganz wie wir das
beim menschlichen Molar und dem einzigen Milchzahn P d^ (S. 54)
aus dem Bohnerz der Alb finden ; wogegen bei allen Molaren aus
dem Bohnerz der hintere Innenhöcker mehr an die Innenseite ge-
rückt ist.
Vorgreifend möchte ich hier noch einen letzten Unterschied
bestimmt wurden. Indessen auch hier trifft dies sämtliche gemessenen Molaren
in gleichem Masse und nur die isolierten Bohnerzmolaren Hessen sich auch der
Breite nach in den Scliicberzii-kel einklemmen.
^ Von vorn nach hinten.
^ No. 2013, Weibchen, Stuttgarter Sammlung.
- 49 —
unserer Bohnerzzähne von denen des Menschen erwähnen (S. 56).
Dieser hegt nämhch in der abweichenden Gestalt dieses hintersten
Milchbackenzahnes, an welchem das Gattungsmerkmal, die bedeutende
relative Länge der Zähne, ganz besonders hervortritt. Der ent-
sprechende Milchbackenzahn von Chimpanse und Orang ist relativ
kürzer als der Bohnerzmilchzahn ^
Fassen wir nun das Ergebnis der Untersuchung der Frage zu-
sammen, ob unsere fraglichen Bohnerzzähne einem Menschen oder
einem anthropomorphen Affen angehören , so finden wir das Fol-
gende für
die fraglichen Bohnerzmolaren:
1. Ihre absolute Grösse stimmt im Ober- wie Unter-
kiefer mit dem beim Menschen Vorkommenden überein.
Nur der eine Keimzahn (Taf. 11 Fig. 1) überstieg das von
Blake gemessene Maximum menschlicher Grösse noch
um 1,1 mm Länge. Trotzdem werden wir für den ehe-
maligen Träger der Bohnerzmolaren, da er offenbar
ein Anthropomorpher war, auf eine etwas geringere
Körpergrösse als die durchschnittliche des Menschen
schliessen müssen (S. 34).
2. Sie sind im Ober- wie Unterkiefer verhältnis-
mässig länger, bezw. schmaler als die des Menschen,
des Chimpanse, Orang und Gorilla (S. 34, 43). Von leben-
den Anthropomorphen sind nur die Unterkiefermolaren
des Gibbon relativ ebenso lang, bezw. schmal.
3. Im Oberkiefer und Unterkiefer ist ihre Kaufläche
mit Schmelzleisten bedeckt, wie wir sie bei Orang und
Chimpanse finden, nur in geringerer Zahl, wie dort.
Beim Menschen pflegen dieselben zu fehlen, wenn aber
ausnahmsweise vorhanden, nicht so stark zu sein, wie
am Oberkieferzahne aus dem Bohnerz (S. 28, 34, 42).
4. Ihre Ober- wie Unterkiefermolaren besitzen
eine starke vordere und hintere Quer furche. Beim
Menschen fehlt sie oder ist doch nicht an beiden Enden
vorhanden (S. 41 x und ^ der Figur unter S. 42).
5. An diesen Oberkiefer- wie Unterkiefermolaren
ziehen die über die Kaufläche, in den Tiefen zwischen
den Höckern verlaufenden Furchen tiefer an der Aussen-
^ Über den Gibbon habe ich in dieser Hinsicht leider kein Urteil.
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 4
— 50 —
und Innenseite hinab, als das beim Menschen der Fall
zu sein pflegt (S. 35, 41, 42).
6. Am Oberkjefermolar mündet das Ende dieser
Furchen, an der Aussen- wie Innenseite, je in einem
Grübchen. Beim Menschen fehlt dieses Merkmal in
solcher Ausbildung der Regel nach (S. 35, 36).
7. Im Oberkiefer ist ihr hinterer Innen höcker un-
gefähr ebenso gross, wie die anderen drei Höcker. Beim
Menschen pflegt er kleiner zu sein, als letztere drei
(S. 34).
8. An ihren Unterkiefermolaren steht der hintere
der drei Aussenhöcker noch voll und ganz an der Aussen-
seite. Beim Menschen ist er halb an die Hinterseite
gerückt (S. 40).
9. Die Gipfel der Höcker ihrer Unterkiefermolaren
sind etwas mehr an die Aussen-, bezw. Innenwand ge-
rückt und die Vertiefungen zwischen ihnen schneiden
etwas tiefer ein, als das beim Menschen der Fall zu
sein*pflegt.
10. Der als Pd^ gedeutete hinterste Milchbacken-
zahn kann ganz unmöglich einem Menschen zugehören;
in diesem Zahne liegt ebenso zweifellos der Rest eines
Anthropomorphen vor, wie in den beiden Oberkieferzähnen.
11. Doch noch einen letzten Grund möchte ich an-
führen, welcher gegen die Deutung dieser Molaren als
Menschenzähne spricht: Beim Menschen sind die Mo-
laren unter sich verschieden in ihrer Gestalt, insofern,
als namentlich M^ von den beiden vorderen abzuweichen
pflegt. Wenn wir nun im Bohnerz an vier verschie-
denen Örtlichkeiten sechs Unterkiefer molaren von immer
wieder ganz gleicher Gestalt, bei Absehen von dem
Grade ihrer Abnutzung, finden, so spricht das eher da-
für, dass das Wesen, welchem diese Zähne angehörten,
nicht verschieden-, sondern gleichgestaltete Molaren
besass, also kein Mensch war. Dieser Grund besagt
nicht sehr viel, aber er reiht sich doch den anderen an ^
* Es ist derjenige, welchen allein Quenstcdt anführte, um seine Ansicht,
dass doch Affenzähne vorliegen möchten, zu begründen. Aber Quenstedt über-
trieb, indem er sagte, dass der Mensch sechzehnfach verschiedene Zähne habe,
dieses Wesen aus dem Bohnerz jedoch nur gleiche. Selbstverständlich darf, wenn
- 51 -
So sehen wir also, dass unsere Molaren aus dem
Bolmerze der Alb in zehn verschiedenen Punkten von
dem abweichen, was an Menschenzähnen die Regel zu
sein pflegt. Ein jedes dieser zehn Merkmale möchte
allein für sich nicht genügen, um die Frage zu ent-
scheiden, ob wir hier Zähne eines Menschen oder eines
menschenähnlichen Äff en vorunshaben, denn ein jedes
dieser Merkmale ist nur klein, unscheinbar und fast
jedes derselben tritt hier und da auch beim Menschen
auf, Ihre Gesamtheit aber liefert, wie mir scheint,
den zwingenden Beweis, dass, trotz der bestechenden
Ähnlichkeit mit menschlichen Molaren, dennoch ein
Affe vorliegt.
12. Wir haben demnach in diesen Zähnen aus dem
Bohnerz der Alb Reste eines Anthropomorphen vor uns.
13. Sowie die Unterkiefermolaren durch eine schwache
Abkauung ihrer Schmelzleisten beraubt sind, gleichen
sie in ihrer allgemeinen Gestalt hochgradig denen des
Gibbon, wenn man nur letztere genügend vergrössert,
und denen des Menschen: Auf der einen Seite ist mit
dem Gibbon diese Ähnlichkeit darum noch etwas grösser,
weil bei diesem auch die relative Länge der Zahnkrone
ebenso bedeutend ist; mit dem Menschen dagegen dar-
um ein wenig geringer, weil dessen Molaren relativ
kürzer sind.
Auf der anderen Seite ist wieder die Ähnlichkeit
mit dem Menschen darum grösser, weil die absolute
Grösse beider übereinstimmt und weil vor allem beim
Menschen nicht selten auch ebensolche Schmelzleisten
auftreten; mit dem Gibbon dagegen geringer, weil
dieser nie solche Schmelzleisten besitzt und seine Zähne
relativ viel kleiner sind. Bei den ganz intakten Bohn-
erzmolaren tritt daher diese Ähnlichkeit mit dem Gib-
bon zurück.
14. Unsere fraglichen Bohnerz-Ünterkief ermolaren
stehen mithin zwischen denen von Mensch und Gibbon
und zwar nahe an jedem der beiden; wie mir scheinen
uns von diesem Wesen nur Molaren zur Prüfung vorliegen, auch vom Menschen
nur die Verschiedenheit seiner Molaren, nicht aber diejenige aller Zahnarten zum
Vergleiche herangezogen werden.
4*
— 52 —
will, aber doch noch näher am Menschen, als am Gib-
bon wegen der Schmelzleisten. Ist dem aber so, dann
sind es die menschenähnlichsten Molaren, welche wir
bisher an einem lebenden oder fossilen Affen kennen.
Würde man trotzdem aber in diesen Zähnen Reste
des Menschen erkennen wollen, so hätte man in ihnen
die affenähnlichsten Molaren, welche man bei Menschen
— soweit meine Kenntnis reicht — kennt; zugleich
auch, sehr wahrscheinlich wenigstens, Zähne eines
tertiären Menschen: Ein Ergebnis, durch welches unsere
Zähne aus dem Bohnerz der Alb noch viel wichtiger
für die Erkenntnis der genetischen Beziehungen des
Menschen werden würden, als das in ihrer Eigenschaft
als Affenzähne der Fall ist.
Taf. II Fig. 4. M unten rechts aus dem Bohnerz.
Noch zwei andere Zähne liegen vor.
Zunächst der in Taf. II Fig. 4 abgebildete Molar des rechten
Unterkiefers, welcher einen ganz überraschenden Widerspruch in sich
zu bergen scheint. Dieser Zahn scheint ebenfalls ein Keimzahn, da
er nur aus einer Schmelzkappe besteht wie der in Taf. II Fig. 1 ab-
gebildete. Gleich diesem zeigt sich auch nicht eine Spur von Dentin
in dieser Schmelzkappe ; ja , der Schmelz ist sogar dünner als bei
dem in Taf. II Fig. 1 abgebildeten.
Trotz dieses, scheinbar keinen Zweifel übrig lassenden Ver-
haltens aber hat dieser Molar vorn und hinten bereits eine starke
ebene Schlifffläche , welche sicher nur durch die Reibung der vor
und hinter ihm gesessenen beiden Zähne erzeugt worden sein kann.
Er muss daher in der Zahnreihe bereits eine ganze Zeit lang funktio-
niert haben, d. h. er kann gar nicht mehr als dentinloser Keimzahn
im Kiefer gesteckt haben.
Ein zweiter Grund spricht ebenfalls für eine solche Ansicht.
Dieser Molar besitzt auch bereits starke Abnutzungsflächen auf seiner
Kaufläche. Diese Usuren sind so stark, dass schon jede Spur von
Schmelzleisten verschwunden ist. Nun könnte man ja freilich meinen,
diese Abnutzung sei erst nach dem Tode des Tieres, etwa bei dem
Transport, erzeugt worden. Indessen könnte das bei einem Keim-
zahn sicher nicht eingetreteii sein, da dieser noch im Kiefer sitzt
und geschützt ist. Wenn er aber bereits isoliert gewesen wäre, so
würde ein Keimzahn dabei zerbrochen sein.
— 53 -
Unter solchen Umständen bleibt die einzig mögliche Erklärung
die, dass man keinen wirklichen Keimzahn vor sich habe, sondern
nur einen scheinbaren : nämlich nur die der Wurzeln und der ganzen
Dentinfüllung beraubte Schmelzkappe eines schon funktionierenden
Molaren. Dass dieser Molar sogar bereits längere Zeit in Thätigkeit
war, geht, wie schon gesagt, aus der vorderen und hinteren Reibe-
fläche hervor. War er aber längere Zeit in Thätigkeit, dann sind
die Usuren auf seiner Kaufläche auch wirklich durch Gebrauch des
Zahnes beim Kauen, nicht aber erst durch den Transport desselben
nach dem Tode des Tieres entstanden.
Die anscheinend schwer zu erklärende Thatsache, dass dieser
abgenutzte Molar unter der Scheingestalt eines Keimzahnes auftritt,
ist doch leicht zu verstehen, wenn man das Verhalten der anderen
Zähne betrachtet. Unter den neun anderen Backenzähnen befinden
sich zwei Keimzähne und zwei mit vollständigen Wurzeln versehene.
An einem fünften sind die Wurzeln nur noch als Stümpfe vorhanden.
Bei den vier anderen sind die Wurzeln bis an den unteren Rand
der Schmelzkrone abgebrochen und zerstört, so dass also jetzt vier,
mit Dentin gerade nur noch erfüllte Schmelzkappen vorliegen. Wie
schon früher gesagt (S. 39), muss die Dentinmasse sehr erweicht
gewesen sein, wenn das ganze schmelzlose untere Ende der Zähne
in solcher Weise abgebrochen werden konnte, ohne dass gleichzeitig
die Krone auch nur im geringsten beschädigt wurde.
In der That ist das in der Schmelzkappe sitzende Dentin noch
heute so weich, dass es sich mit dem Fingernagel ritzen lässt. Es
war daher sehr wohl möglich, dass aus einer der Schmelzkappen
das Dentin allmählich ganz herausfiel, so dass dieser Molar nun als
Pseudo-Keimzahn erscheint ; und nur der Umstand bleibt auffallend,
dass das Dentin so völlig, bis auf den letzten Rest, aus der Schmelz-
kappe herausbröckeln konnte.
Infolge der vorderen und hinteren Reibefläche ist die Länge
dieses Molaren eine viel geringere als bei den anderen, wie aus
folgenden Zahlen hervorgeht:
Molar
Taf. Fig.
Länge
mm
Breite
mm
Länge : Breite
wie
II 4
9,6
9,3
100 : 96,9
Dem gegenüber stehen die Masse der anderen Molaren, bei
welchen die Breite zwar auch meist dieselbe wie hier ist, um 9 mm
herumschwankt, die Länge jedoch zwischen 11 und 12 mm sich be-
wegt, so dass der Breitenindex 81 bis 84 beträgt gegen fast 97 hier.
— 54 —
Dieser Umstand, sowie die fast gänzliche Reduktion des dritten,
hinteren Aussenhöckers, wodurch der Zahn fast vierhockerig erscheint,
legen den Gedanken nahe, dass entweder der Weisheitszahn des
Unterkiefers oder aber einer der beiden vorderen Molaren des Ober-
kiefers vorliegen möchten.
Trotzdem stehen beiden Annahmen Schwierigkeiten entgegen :
Die deutlich ausgesprochene „Kreuzfurche" (S. 41) beweist unwider-
leglich, dass wir hier keinen Ober-, sondern einen Unterkieferzahn
vor uns haben. Die hintere starke Schlifffläche aber beweist weiter,
dass letzterer kein Weisheitszahn gewesen sein kann , sondern von
einem hinteren Molar gefolgt gewesen sein muss. Seine Deutung
als M^ wäre daher nur statthaft, wenn man die ganz in der Luft
schwebende Annahme machen wollte , dass hier noch ein M'^ vor-
handen gewesen sei. Nun ist das freilich nach Selenka bei Orang
gar nicht so selten der Fall (s. später) ; es wäre daher, da der Zahn
für einen M^ oder M^ viel zu kurz ist, auch nicht so sehr gewagt,
ihn für einen M^ zu erklären und damit zugleich das Dasein noch
eines M* hinter ihm als gesichert anzusehen. Aber das bleibt natür-
lich doch immer eine Annahme.
Taf. II Fig. 11. Pd^ unten links aus dem Bohnerz.
Der zweite der beiden Zähne, welche von den übrigen Unter-
kiefermolaren aus dem Bohnerz abweichen, hat zwar die fünfhöckerige
Beschaffenheit und eine ähnliche, von vorn nach hinten langgestreckte
Gestalt wie diese. Aber seine absolute Grösse ist geringer und die
relative Länge der Krone noch grösser, so dass der Breitenindex
noch etwas geringer wird.
Länge Breite Länge : Breite
mm mm wie
Der fragliche Zahn hat 1*0,2 8,1 100 : 79,4
Jene anderen Zähne haben 11, 12 (13) 9 (11) 100 : 81—84
Man könnte nun die geringere Grösse so deuten wollen, dass hier
der Molar eines wesenthch kleineren Individuums mit entsprechend
kleineren Zähnen vorläge. Dem steht jedoch entgegen, dass bei
genauerer Betrachtung die Gestalt eine etwas abweichende ist von
der aller anderen Molaren aus dem Bohnerz. Bei diesen ist nämhch
der hintere Aussenhöcker nicht an die Hinterseite gerückt, sondern
bleibt an der Aussenseite, so dass der Molar am Hinterrande nicht
schmal, sondern ziemlich breit endigt. Bei dem fraglichen Zahne
der Fig. 11 ist dagegen der genannte Höcker an die Hinterseite
- 55 —
gedrängt, so dass sich der Umriss des Zahnes nach hmten merkhch
verjüngt.
Unter diesen Umständen dürfte auch die von Herrn Gaddry
geteilte Deutung gelten, dass wir hier keinen Molar, sondern den hin-
tersten unteren Milchprämolar vor uns haben, welcher ja, wie früher
(S. 30) erwähnt, bei den Menschen und Anthropomorphen ganz den
Charakter der Molaren besitzt; so dass es nicht überraschen kann,
wenn er einem Molar ungefähr gleicht, was sein Ersatzzahn, der
Prämolar, gar nicht mehr thut. Die Abkauung dieses Zahnes ist
so weit vorgeschritten, dass von Schmelzleisten nichts mehr zu sehen
ist. Die vordere Querfurche ist noch deutlich zu erkennen, die hintere
nicht mehr. Die Stärke der Abkauung entspricht daher ungefähr
dem auf S. 38 erwähnten zweiten Abkauungsstadium der Molaren.
Die beiden Wurzeln, welche Zahl ja allen unteren Molaren und
Prämolaren zukommt, sind an diesem Milchbackenzahne erhalten,
besitzen aber ein auffallendes Merkmal :
Die hintere Wurzel ist von aussen nach innen plattgedrückt,
d. h. sie hat ihren grössten Durchmesser in der Richtung von vorn
nach hinten ^. Die vordere Wurzel ist umgekehrt mehr von vorn
nach hinten flachgedrückt, sie hat also ihren grössten Durchmesser
von aussen nach innen ^.
An einem jungen Orang der Stuttgarter Sammlung zeigten sich
beide Wurzeln als völlig gleich, indem beide von vorn nach hinten
plattgedrückt waren ^. Andere Milchbackenzähne von lebenden An-
thropomorphen standen mir jedoch nicht mit Wurzeln zu Gebote.
Auf meine Bitte hatte Herr Kollege Eimer in Tübingen die
Liebenswürdigkeit, den fraglichen Zahn mit den Milchzähnen der
^ Dieselbe ist in Fig. IIa rechts, in Fig. IIb links in der Zeiclinung
zu sehen.
" Welcher daher auf der Ebene dieser Zeichnung nicht zum Ausdruck
gelangt.
^ No. 38. Erst M' war eben erschienen, daher muss wohl der vor ihm
stehende Zahn noch dem Milchgebiss angehören. Ich stütze mich hierbei auf die
von Hartmann (Die menschenähnlichen Affen) S. 172 gegebenen Daten über
den Zahnwechsel der Anthropomorphen: Von Magitot (Bulletin soc. d' Anthro-
pologie. Paris 1869. S. 113) und Giglioli (ebenda S. 83) ist gezeigt worden,
dass derselbe in derselben Reihenfolge wie beim Menschen sich vollzieht. Zu-
nächst von Milchzähnen erscheinen: 1. Die unteren Incisiven. 2. Die oberen I.
3. P-. 4. P^ 5. C. Der Durchbruch der bleibenden Zähne vollzieht sich dann
weiter in der folgenden Reihe: 1. M^ 2. Untere I. 3. Obere I. 4. Die P. 5. C.
6. M^ 7. W.
— 56 —
dortigen Anthropomorplienschädel zu vergleichen und mir Wachs-
abgüsse derselben zuzusenden. Das Ergebnis ging gleichfalls dahin,
dass hier der hintere Milchbackenzahn eines Menschenaffen vorliegen
müsse, da derjenige des Menschen eine viel mehr quadratische Krone
besitzt, die hinten nicht schmäler ist als vorn. Auch sind die Wurzeln
des menschlichen Milchbackenzahnes viel breiter, zudem beide unten
ebenso breit wie oben, länger und beide von vorn nach hinten stark
plattgedrückt ; auch divergieren sie viel stärker und haben die Neigung
sich zu spalten, so dass drei bis vier Zacken entstehen. Herr Eimer
betont aber die grosse Variabilität der Wurzeln, auf welche letztere
mithin weniger Gewicht zu legen ist.
Der Vergleich mit dem hintersten Milchbackenzahn des Chim-
panse lehrte , dass die beiderseitigen Kronen ziemlich ähnlich sind,
aber ebenfalls darin abweichen, dass der Chimpansezahn, wie der
des Menschen, kürzer, quadratischer, hinten also nicht so spitz ist;
auch besitzt er hinten zwei kleine Höcker.
Mit Milchzähnen von Orang und Gorilla ist der fragliche Zahn
nicht zu vergleichen. Welche Gestalt der entsprechende Milchzahn
des Gibbon besitzt, war leider mangels solcher Zähne hier nicht
festzustellen.
Fassen wir das Gesagte zusammen, so ergiebt sich das Folgende :
Der fragliche Zahn ist nicht mit dem hintersten Milchbacken-
zahn des Menschen, Orang, Gorilla und Chimpanse zu vergleichen;
diese sind quadratischer im Umriss der Krone und beide Wurzeln,
soweit bekannt, sind gleichsinnig zusammengedrückt.
Dagegen ähnelt der fragliche Zahn den definitiven anderen
Molaren aus dem Bohnerze (wie des lebenden Gibbon). Namentlich
zeigt er sich darin denselben zugehörig, dass seine Krone dieselbe
relative grosse Länge, bezw. Schmalheit besitzt, durch welche alle
unsere Zähne aus dem Bohnerz, gegenüber denen des Menschen,
ausgezeichnet sind. Aber er weicht von diesen anderen Zähnen doch
ab : durch merkUch geringere absolute Grösse, durch noch bedeuten-
dere relative Länge bezw. Schmalheit und durch das ausgesprochen
spitzere Hinterende, indem der fünfte Höcker nicht mehr an der
Seite steht, wie bei jenen, sondern ganz nach hinten gerückt ist.
Es bleibt mithin nur übrig anzunehmen, dass dieser Zahn
entweder dem definitiven Gebisse einer anderen Art bezw. Gattung
von Menschenaffen angehört, als alle anderen Zähne aus dem Bohnerz,
oder dass er dem Milchgebisse derselben Art und Gattung wie
diese zugehört.
— 57 —
Die erstere Annahme ist, in Anbetracht der überaus grossen
Seltenheit fossiler Menschenaffen, eine ganz unwahrscheinhche ; es
ist das derselbe Grund, welchen wir schon einmal geltend machen
mussten.
Wenn dem so ist , dann muss wohl ein Milchzahn vorliegen ;
und es kann dann nur der hinterste Backenzahn, P d\ des Milch-
gebisses sein.
Vergleichung der Bohnerzzähne mit Dryopithecus Fontani Lartet.
Nachdem wir so die Ansicht begründet haben, dass unsere
fraghchen Zähne aus dem Bohnerze der Alb nicht von Menschen
herrühren können, sondern dass in ihnen wirklich der Rest eines
anthropomorphen Affen vorliegt, werden wir zu prüfen haben, ob
letzterer ident sei mit dem Dryopithecus Fontani Lartet von St. Gau-
dens in Frankreich, wie das schon früher von Quenstedt, wenn auch
ohne Beweisführung, als wahrscheinlich angenommen wurde (S. 19).
Eine solche Beweisführung war aber auch so lange ganz unmöglich,
als man die Zähne nicht mit denen des Dryopitltecus an Ort und
Stelle verglich ; denn die von Lartet gegebene Beschreibung der-
selben genügt nicht, um daraufhin eine Identifizierung zu gründen.
Es ist auch mit Hilfe der in neuester Zeit von Gaudry ver-
öffentlichten Arbeit über den zweiten, erst jüngst gefundenen Kiefer
des Dryopithecus nicht möglich, völlig klar über diese Frage zu werden.
Ja, selbst bei Gegenüberstellung der Originalien unserer Bohn-
erzzähne mit denen des Dryopithecus in Paris schreibt eine Autori-
tät wie Herr Gaudry, welcher die grosse Liebenswürdigkeit hatte,
die Stücke zu vergleichen, dass er eine völlig sichere Entscheidung
nicht geben könne. „Je partage votre embarras. L'idee qui
se presente tout d'abord c'est que vos dents sont des dents
humaines melangees accidentellement avec des fossiles . . .
Cependant je suis porte ä penser, que vos dents ne sont
pas d'un homme, mais d'un singe voisin des Dryopithe-
ques . . . Ms. Boül et Verneau, Directeur de la Revue d'Anthro-
pologie et Mr. Filhol ont vu vos pieces; ils croient comme
moi qu'elles sont plutot d'un singe que d'un homme. Je
vous presente mes observations avec toutes les reserves,
. . . . craignant toujours les erreurs avec des pieces isolees.
Von den in Taf. H Fig. 1 und 6 abgebildeten beiden, noch
ganz unbenutzten Molaren schreibt Herr Gaudry speciell : „ elles ont
l'aspect Dryopithecus.""
- 58 -
Um dem Leser ein eigenes Urteil, soweit das eben möglich ist,
zu gewähren, gebe ich zunächst die Merkmale der Zähne des Bryo-
pithecus, wie sie durch Lartet und Gaudry festgestellt wurden, wobei
ich auch das über andere Zähne als Molaren Gesagte anführe, weil
ich später noch über Dryopithecus zu sprechen haben werde.
Nach Lartet sind die Unterkieferzähne von Bryojnthecus ge-
kennzeichnet durch die folgenden Eigenschaften :
1. Die Alveolen der I sind seitlich sehr zusammengedrückt.
2. C schliesst sich hart an P^ an. Was Lartet weiter von
der Canine sagt, wird durch Gaudry, welcher einen besser erhaltenen
Unterkiefer beschrieb, berichtigt.
3. P^, der vorderste Prämolar, ist viel höher als P^ P^ hat
zwei Höcker wie beim Menschen; nur dass diese schiefer, schräger
stehen als bei letzterem. Bei den anderen Affen hat P^ nur einen
Höcker; lediglich beim Gorilla findet sich bisweilen noch ein
schwacher zweiter.
4. P^, der hinterste Prämolar, hat, wie bei allen Affen, vorn
zwei Höcker, hinten einen Talon, bestehend aus konvexer Schneide.
5. M^ besitzt fünf Höcker.
6. M^ ist gestaltet wie M\ aber grösser als dieser. Auch tritt
auf der Aussenseite an der Basis die Spur eines Basalwulstes (collet)
auf, welcher bei M^ fehlt.
Gaudry stellt die Unterschiede, welche die Unterkieferbezahnung
des Dryopithecus von derjenigen des Menschen unterscheidet, auf
Grund eines besser erhaltenen zweiten Kiefers in der folgenden
Weise fest:
1. C hat eine noch einmal so lange Krone als die anderen
Zähne. Er besitzt aussen am Vorderrande eine, allerdings ganz
schwache Furche, welche beim Menschen fehlt. C steht in der
Seitenfront der Zahnreihe, beim Menschen in der Vorderfront.
2. P^ ist grösser, länger, spitzer, höher als beim Menschen.
Sein Lmenhöcker ist kaum bemerkbar, beim Menschen sehr deutlich.
3. P\ also der hinterste Prämolar, ist gleichfalls, wie P^, affen-
ähnlich; d. h. er ist viel länger als breit, dagegen beim Menschen
ebenso lang als breit. Das kommt daher, dass bei Bryopithecus
der hintere Höcker an P"^ deutlich entwickelt ist.
4. Die M. sind verhältnismässig, d. h. gegenüber ihrer Breite,
länger (von vorn nach hinten) als beim Menschen, Chimpanse,
Orang und Gorilla. Ihre Höcker sind etwas höher als beim Menschen,
Chimpanse und Orang. Der hinterste der drei Aussenhöcker ist
— 59 —
stärker entwickelt als beim Menschen und auch noch stärker als
beim Orang und Chimpanse. M^ besitzt an der Aussenseite einen
ganz kleinen Basalwulst (bourrelet) , welcher dem Menschen und
den grossen lebenden Anthropomorphen fehlt. Die Kaufläche der
Molaren ist runzeliger als beim Menschen, d. h. also sie besitzt
Schmelzleisten.
Stellen wir nun diesen Merkmalen des Dryopithecus diejenigen
unserer isolierten Zähne aus dem Bohnerz der schwäbischen Alb
gegenüber, so zeigt sich zunächst eine Verschiedenheit des beider-
seitigen Materiales:
Von Dryopithecus in Frankreich sind erhalten: Die Canine,
Prämolaren und Molaren zweier Unterkiefer, sowie diese Kiefer.
Die Zähne befinden sich einmal in wenig benutztem , das andere
Mal in abgekautem Zustande.
Von unseren Bohnerzzähnen liegen vor: Aus dem Unterkiefer
der hinterste Milchbackenzahn und eine Anzahl loser Molaren; aus
dem Oberkiefer zwei Molaren.
Das beiderseitige Material deckt sich also nur in den Unter-
kiefermolaren, nur diese sind direkt vergleichbar. Bei diesen aber
zeigt sich die folgende Übereinstimmung:
1. Bei Dryopithecus wie bei unseren Bohnerzzähnen sind die
Molaren, gegenüber ihrer Breite, länger als die ihnen sehr ähnlichen
des Menschen, sowie die des Chimpanse, Orang und Gorilla.
2. Hier wie dort zeigen sich an unbenutzen Molaren auf der
Kaufläche Schmelzleisten, wie sie nur ziemlich selten dem Menschen
eigen sind.
3. Hier wie dort ist der hinterste der drei Aussenhöcker stärker
entwickelt als beim Menschen und nicht so an die Hinterseite ge-
drängt wie bei letzterem.
4. Hier wie dort ist der Typus der Molaren übereinstimmend,
sehr menschenähnlich.
Der untere Milchprämolar und die beiden oberen Molaren unserer
schwäbischen Zähne entziehen sich dem direkten Vergleiche mit den
französischen, weil diese Zahnkategorien dort fehlen. Aber sie zeigen
in Bezug auf Punkt 1 und 2 volle Übereinstimmung mit dem dort
erwähnten Verhalten, d. h. sie sind ebenfalls relativ länger als beim
Menschen und mit Schmelzleisten versehen.
Nachdem nun auf S. 51 dargethan worden ist, dass
unsere Zähne aus dem schwäbischen Bohnerz mit ganz über-
wiegender Wahrscheinlichkeit nicht dem Menschen, son-
- 60 —
dem einem Menschenaffen angehören müssen — glaube ich
auf Grund der soeben aufgeführten, übereinstimmenden
Merkmale weiter als bewiesen annehmen zu dürfen, dass
unsere Zähne der Gattung Dryopithecus zuzurechnen sind,
deren Kenntnis durch das schwäbische Material nun in etwas er-
weitert wird.
Eine andere Frage ist aber die, ob auch dieselbe Art wie in
Frankreich vorliegt. Das ist schwer zu entscheiden, da neben dem
Übereinstimmenden doch auch Unterschiede sich bemerkbar machen :
Bei dem französischen Drijopitheciis zeigt sich an M^ inf. ein
Basalwulst. Von einem solchen ist an unseren schwäbischen Zähnen
nichts zu erkennen. Allerdings lässt sich für letztere nicht direkt
erweisen, dass unter ihnen sich ein M^ befindet. Indessen wäre es
ein sehr sonderbarer Zufall, wenn unsere sechs ünterkiefermolaren
sämtlich nur den M^ darstellen sollten. (Für M^ möchte man sie
infolge ihrer gestreckten Gestalt am allerwenigsten halten.) Vielmehr
ist es doch äusserst wahrscheinlich, dass unter ihnen der eine oder
andere dem M^ angehöre.
Es fragt sich nun, ob ein solcher Unterschied ein genügendes
Merkmal abgiebt, um eine andere Art darauf zu gründen. Hier ist
einmal hervorzuheben, dass an dem einen unserer schwäbischen Ober-
kiefermolaren, an Aussen- wie Innenseite, zwar kein Basalwulst, aber
doch je ein Basalgrübchen auftritt, wodurch immerhin angedeutet
ist, dass sich hier ebenfalls eine Neigung zu basalen Bildungen zeigt.
Bei dem Gorilla tritt Derartiges ebenfalls auf. Schon Lärtet
hebt zum Vergleiche hervor, dass bei diesem (1. c. Fig. 6) auch solche
„vestiges de collet saillant" erscheinen. An dem Gorillaweibchen
No. 2624 des Stuttgarter zoologischen Museums konnte ich an allen
drei Molaren Grübchen beobachten, in welchen bei M^ und M^ sich
eine Andeutung kleiner Basalwärzchen befindet. Es handelt sich
hier aber wohl um Merkmale, welche der Variation fähig sind. Da-
her scheint mir, dass auf diese Dinge kein so grosses Gewicht zu
legen sei.
Trotzdem aber wird m.an die Identität unserer fossilen Bohnerz-
zälme mit denen des französischen Dryointjiecus nicht mit absoluter
Sicherheit aussprechen dürfen, und wir können das um so weniger
thun, als wir im Bohnerz zwei Zahngattungen besitzen, welche von
dem französischen Dryopithecus bisher nicht bekannt sind, nämlich
zwei Oberkiefermolaren und einen Milchbackenzahn, zudem letzteren
von ganz eigenartiger Form und erstere durch besonders starke
— 61 —
Rauhigkeiten gekennzeichnet. Niemand aber kann sagen, ob die
französische Art sich gleichgestaltet erweisen würde, wenn man von
ihr diese beiden Zahngattungen fände ; ja, man kann sogar im Zweifel
darüber sein, ob man die Identität der schwäbischen Gattung mit
der französischen als derart genügend bewiesen erachten solle, dass
man ihr den Geschlechtsnamen der letzteren geben dürfe. Ich habe
aus diesem Grunde den Namen Bri/opithecus nicht im Titel dieser
Arbeit angewendet.
Da es aber bei der sehr grossen Seltenheit der Gattungen
anthropomorpher Affen immerhin viel wahrscheinlicher sein dürfte,
dass auf der Alb und in Frankreich dieselbe Gattung gelebt hat,
nicht aber zwei verschiedene , so wird man wohl die Zähne aus
unseren Bohnerzen als Dryointhecus sp. benennen dürfen.
Ich werde daher, auch um nicht immer umschreiben zu müssen,
fernerhin in dieser Arbeit unsere Zähne aus dem Bohnerz der Alb
als Dryopithecus bezeichnen.
III. Die Frage der Abstammung des Menschen.
Die Alternative, ob der Mensch plötzlich aus dem Nichts er-
schaffen sei oder sich allmälig aus niedriger stehenden Wesen ent-
wickelt habe, „ist bei uneingeschränktem Gebrauch des Verstandes
überhaupt nicht mehr aufzuwerfen" \ sagt Oscar Schmidt in seinem
unten angezogenen Buche. Es ist in der That nicht der mindeste
zoologische Grund vorhanden, dass das höchstorganisierte Lebewesen,
welches auf dieser Erde besteht^, auf andere Weise ins Leben ge-
treten sein sollte als alle anderen niedriger organisierten Wesen.
Wenige Jahrzehnte erst sind dahingegangen, seit Darwin schrieb ;
und doch hat diese seine entwickelungsgeschichtliche Lehre bereits
in einem Siegeszuge sondergleichen die ganze naturforschende Welt
sich unterworfen. Nur ein oder einige Menschenalter noch kann
es währen, und die Entwickelungslehre ^ wird ein Allgemeingut aller
Kulturmenschen geworden sein. Gegenwärtig freilich ist derselben
^ Oscar Schmidt, Die Säugetiere in ihrem Verhältnis zur Vorwelt.
Leipzig 1894 bei Brockhaus. S. 269.
* Auf den Planeten anderer Fixsterne mag es noch höher organisierte Wesen
geben; jedenfalls wird eine Lebewelt dort nicht fehlen; aber sie Avird dort, weil
andere Verhältnisse obwalten, andere Formen angenommen haben. Der Gedanke,
dass unter den mindestens mehi-eren Hundert Millionen, vielleicht wirklich un-
endlich vielen Fixsternen nur der eine einzige, unsere Sonne, Planeten habe,
gehabt habe, haben werde, auf denen organisches Leben möglich ist, möglich
war oder sein wird — dieser Gedanke würde so überaus unwahrscheinlich sein,
würde von einer so beschränkten Auffassung der Welt diktiert sein, dass wir
ihn kurzweg zurückweisen müssen. Wenn überhaupt Analogieschlüsse irgend-
welche Berechtigung besitzen, so dürfen wir auch von den Verhältnissen in unserem
Planetensystem, bez. der Erde, auf andere schliesscn.
^ Man kann nicht den Ausdruck „Darwinismus" anwenden, denn dieser
umfasst nicht nur Dar win's Ansicht, dass die Organismen sich auseinander ent-
wickelt haben (Entwickelungslehre), sondern auch die Erklärungsversuche, welche
Darwin über die Ursachen dieser Entwickelung gemacht hat. Diese Erklärungs-
versuche aber sind eben so strittiger Natiu: wie jene Entwickelungslehre allgemein
aufgenommen ist.
- 63 —
noch ein ansehnlicher Teil der nichtnaturwissenschaftlichen Mensch-
heit abhold ; und zwar, wie es scheinen will, wesentlich darum, weil
hier die Ansicht verbreitet ist, die Entwickelungslehre sei unvereinbar
mit dem Glauben an Gottheit und Unsterblichkeit, einem Glauben,
den man sich nicht rauben lassen will. Das ist ein Irrtum. Wer
an Gott und Unsterblichkeit nicht glauben will, bedurfte dazu nicht
erst der Entwickelungslehre. Lange vor Darwin schon ist von diesem
Unglauben ausgiebiger Gebrauch gemacht worden. Wem dagegen
der Glaube an Gott und Unsterbhchkeit ein Bedürfnis ist, der wird
durch die Entwickelungslehre nicht im mindesten daran gehindert;
ja, im Gegenteil, er kann durch diese Lehre nur zu einer durch-
geistigteren Vorstellung von der Gottheit kommen: Insofern, als für
ihn an die Stelle des Schöpfers der mosaischen, richtiger assyrisch-
babylonischen oder gar noch älteren Schöpfungsgeschichte, welcher
sich damit begnügt, zahllose Tier- und Pflanzenarten einzeln ins
Dasein zu rufen, ein Schöpfer tritt, welcher die Urzelle schafft, bezw.
aus Unorganischem entstehen lässt, aber in diesen Schöpfungsakt
den eines Gottes würdigen Gedanken der Entwicklung zu immer
Höherem legt, bis hinauf zum Höchsten, dem Menschen, dem Träger
der unsterblichen Seele. Diese Vereinbarkeit der Entwickelungslehre
mit dem Glauben an übersinnliche Dinge ist schon im Anfang der
siebziger Jahre durch Rudolf v. Schmid ^ gezeigt worden , zu einer
Zeit, in welcher Darwin's Lehre noch jüngsten Datums und weitesten
Kreisen ein Stein des Anstosses war.
Wer nun aber auf dem Boden der Entwickelungslehre steht,
für den wird damit der zoologische Ausblick nach den ältesten An-
fängen eines jeden Lebewesens, folglich auch des Menschen, ein
selbstverständlicher; der wird nach Übergangsformen suchen. Darum
überrascht es, wenn Rudolf Virchow^ die Frage nach einer Über-
gangsform von Tier zu Mensch eine unlogische nennt: „Ein Wesen
ist entweder ein Mensch oder ein Tier. Eine Übergangsform kommt
von einem Tiere her, welches sich metamorphosieren soll. Solange
dieses noch nicht metamorphosiert ist, muss man es mithin als Tier
betrachten. Ist es aber metamorphosiert, dann ist es ein Mensch." So
etwa lautet der von Virchow ausgesprochene Gedankengang, soweit
^ Die Darwin'schen Theorien und ihre Stellung zur Philosophie, Religion
und Moral. Barmen bei H. Klein. 400 S.
2 Bericht über die 27. allgemeine Versammlung der deutschen Gesellschaft
für Authi-opologie, Ethnologie, Urgeschichte in Speyer. 3.-7. Awg. 1896. In der
Leopoldina. März 1897. S. 46 ff.
— 64 -
ich denselben dem unten angeführten Berichte über seine Rede ent-
nehmen kann.
Auch Chapman ^ hat früher schon, wenn auch in etwas anderer
Begründung, eine ähnUche Ansicht ausgesprochen: „A missing link
ought not to be expected to be found;" denn unter den anthropo-
morphen wie niederen Affen, lebenden und fossilen, findet sich keiner,
welcher als Ahne des Menschen betrachtet werden kann, d. h. wel-
cher dem Urmenschen oder dem Uraffen und noch weniger dem ge-
meinsamen Vorfahren beider gleichen könnte. Alle diese Affen
stammen offenbar von einer gemeinsamen Stammform ab, und ebenso
rühren alle Menschenrassen von einem gemeinsamen Ahnherrn her.
Diese beiden aber, der Uraffe und der Urmensch, sind wieder einer
gemeinsamen Stammform entsprossen.
Soviel sich das für mich verstehen lässt, handelt es sich hier
doch wohl nur um ein Fechten um Worte? Insofern, als Chapman
sagen will : Unter „missing link" versteht man eine Übergangsform
aus dem , was man heute Mensch nennt , in das , was man heute
Affe nennt. Eine solche aber hat es nie gegeben, sondern Mensch
und Affe sind zwei verschiedene, in uralter Zeit einer gemeinsamen
Stammform entsprossene Zweige. Diese Stammform aber kann nicht
als missing link hingestellt werden, denn sie verbindet ja nicht das,
was heute unter Affe und Mensch verstanden wird, sondern nur jenen
Uraffen und Urmenschen.
Offenbar kann man unter den Ausdrücken „Übergangsform,
missing link, verbindendes Ghed" Verschiedenes verstehen und darum
lässt sich streiten , ob ihnen im vorliegenden Falle ein WirkHches
zu Grunde liegt. Wir wei'den unter der gesuchten Übergangsform
uns ein Wesen denken , welches bereits in damaliger , längstver-
gangener Zeit eine höhere Organisation besass, als sie den heute
höchststehenden Tieren, den anthropomorphen Affen, zukommt. Es
wird das also ein Wesen sein, welches vor allem die Merkmale eines
aufrechten Ganges an sich trug und ein , im Verhältnis zu seiner
Körpergrösse, nennenswert grösseres Gehirn besass, als diese.
Ob man ein solches Wesen, wenn man es findet, noch als Tier
bezeichnen wollte oder als Übergangsform, Bindeglied, missing link,
das wäre — so scheint mir — lediglich Geschmackssache. Jeden-
falls würde das an der Sache gar nichts ändern. Es wäre eben ein
'Chapman, On the structnre of the gorilla. Ebenda 1878. Phil-
adelphia 1879. S. 394.
— 65 —
tierisches Wesen, weiter zum Menschen hin fortgeschritten, als alle
lebenden.
Thatsächlich hat E. Dübois nun bereits ein solches fossiles
Wesen gefunden: den Pithecanthropus , von welchem weiter unten
die Rede sein wird. Ich stimme hier ganz denen bei, welche in
dieser Form nur einen menschenähnlichen Affen sehen ; aber es ist
jedenfalls einer, der höher stand, als die heutigen Anthropomorphen,
welcher näher zum Menschen hingeschritten war, als diese. Nun
denke man, dass sich abermals ein fossiler Anthropomorpher fände,
der noch stärker ausgeprägte menschliche Eigenschaften besässe ;
und dann nochmals einer, bei welchem das in noch höherem Grade
der Fall wäre ; denn das sind , da wir bereits den Plthecanthroims
mit seinem für einen Affen abnorm grossen Gehirne gefunden haben,
keineswegs unvernünftige, sondern ganz zulässige Annahmen. Dann
wäre doch thatsächlich die anatomische Scheidewand zwischen Mensch
und anthropomorphen Affen vollständig überbrückt durch eine Stufen-
leiter dreier Wesen; und es wäre ganz gleichgültig, ob wir für alle
drei im System eine Gruppe der „Übergangsformen zwischen Mensch
und Affe" schaffen wollten; oder sie alle drei bei den Anthropo-
morphen unterbrächten; oder zwei derselben noch zu diesen, den
dritten, höchststehenden aber bereits zu den Menschen zählen wollten.
1. Der Grad von Monschenähnlichkeit heute lebender anthropomorpher
Affen.
Schon vor fast 200 Jahren hat E. Tyson ^ das ausgesprochen,
was HuxLEY später bewies, indem er der Reihe nach alle einzelnen
Organe der Affen und des Menschen miteinander verglich :
Dass nämlich die Unterschiede zwischen Mensch und den ihm
nächststehenden anthropomorphen Affen nicht grösser seien, als die-
jenigen zwischen diesen höchstorganisierten und den niedriger stehen-
den Affen.
In ähnlicher , etwas schärfer umgrenzter Weise drückte sich
dann Häckel^ aus, indem er sagte: „dass die anatomischen Ver-
schiedenheiten , welche den Menschen von den höchstentwickelten
Katarrhinen (Orang , Gorilla , Chimpanse) scheiden , nicht so gross
sind, als diejenigen, welche diese letzteren von den niedrigsten (Meer-
katze, Makako, Pavian) Katarrhinen trennen."
^ Orang-outang , sive Homo sylvestris. Londres 1699. S. 92. Siehe bei
Deniker, Eecherclies anatomiques et embryologiques sur les singes anthro-
poides. These presentee ä la faculte des sciences de Paris. 1886. S. 253.
2 Häckel, Anthropogenie. 1. Aufl. 1872. S. 489.
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 5
- 66 -
Vielfach ist jener Ausspruch Huxley's angegriffen, vielfach ver-
teidigt worden ; aber das , was Huxley festgestellt hatte , blieb im
allgemeinen zu Recht bestehen. In Bezug auf die Muskiilatur hat
Deniker^ gezeigt, dass Bischof unrecht habe; denn nicht, wie
letzterer wollte, beträgt die Zahl der dem Gorilla, gegenüber dem
Menschen, fehlenden Muskeln dreizehn, sondern nur drei. Dazu ge-
sellen sich als fernerer Unterschied zwei Muskeln, welche der Gorilla
besitzt, während sie dem Menschen doch wenigstens auch ausnahms-
weise zukommen. Darauf aber beschränkt sich, nach Deniker, die
ganze Abweichung des Gorilla vom Menschen in Bezug auf die
Muskulatur ; und ganz dasselbe gilt nach ihm auch von den anderen
Anthropomorphen bis auf wenige, geringfügige Unterschiede^.
Auch die Unterschiede hinsichtlich der Extremitäten sind nicht
derartige, wie man wohl geltend gemacht hat. Es ist darauf hin-
gewiesen worden, dass der Fuss der Affen auch zum Greifen ein-
gerichtet sei, während das dem Menschen abgehe. Nun ist aller-
dings unbestreitbar, dass bei ersteren die grosse Zehe etwas mehr
als bei letzteren absteht, indem das Cuneiforme I an seiner Innen-
seite etwas anders beschaffen ist. Allein einmal verhalten sich darin,
wie Herve^ zeigte, die verschiedenen Menschen recht verschieden.
Es finden sich hier am Abduktor der grossen Zehe alle Übergänge
von der normalen Bildung an, bei welcher sich der Abduktor erst
ganz unten teilt, bis hin zu der bei den Anthropomorphen herr-
schenden, bei welchen diese Teilung hoch hinaufgerückt ist. Zweitens
1 Ebenda. S. 254.
^ Chapman kommt am Schlüsse seiner Untersuchungen über den Gorilla
(On the structure of the Gorilla. Proceedings of the Acad. of nat. sc. of Phil-
adelphia. 1878. Philadelphia 1879. S. 384) und den Chimpanse (On the structiu'e
of the Chimpanzee. Ebenda 1879. Philadelphia 1880. S. 52—64) zu dem Ergebnisse,
dass der Chimpanse dem Menschen ebenso nahe steht, wie der Gorilla, dass aber
beide Anthi-opomorphe in gewissen Punkten , nämlich in dem Fehlen gCAvisser
Muskeln, weniger menschenähnlich sind, als selbst die niederer stehenden Affen.
— In seiner Arbeit über den Orang (On the structure of the Orang ütang.
Ebenda 1880. Philadelphia 1881. S. 160—175) stellte er dann fest, dass dieser
wieder in anderen Punkten dem Menschen sich mehr nähert, als Gorilla und
Chimpanse das thun. Während der Orang nach ihm eng mit den Gibbons ver-
wandt ist, steht der Chimpanse in näheren Beziehungen zu den Makaken, und
die Kluft zwischen diesen letzteren und Semnojnthecus wird überbrückt diu'ch
Mesopithecus aus dem Obermiocän.
^ Les pretendus Qnadrumanes. Bulletin soc. d'Anthi'opologie de Paris.
1889. S. 680—717. Ich citiere die mir nicht zugängige Arbeit nach Schlosser 's
Litteraturbcricht für Zoologie im Archiv für Anthi'opologie.
- 67 —
aber steht beim menschlichen Embryo die grosse Zehe immer noch
ziemhch weit ab, ganz wie bei den Affen, infolge der Beschaffenheit
des Cuneiforme I. So sind also auch in dieser Beziehung Mensch
und Anthropomorphe durch keinerlei fundamentale Unterschiede ge-
trennt. Die Hinterextremität der letzteren ist ebenso ein echter
Fuss, wie diejenige der ersteren.
Noch geringer sind die Unterschiede bei der Vorderextremität.
Die Hand der Anthropomorphen ist von der menschlichen nicht
wesentlich verschieden; in osteologischer Beziehung ist sie es gar
nicht. Sogar ein bei den meisten Affen an der Hand auftretender
Knochen, das Centrale Carpi, welches, dem Naviculare am Fusse
entsprechend, der Hand einen Fusscharakter verleihen könnte, selbst
dieser Knochen findet sich beim menschlichen Embryo. Aber auch
beim erwachsenen Menschen ist er hier und da noch erhalten.
Oruber hat ihn, wie Leboucq ^ anführt, unter 5000 Fällen 15 mal
gefunden. Dieses Centrale Carpi ist also hier wie dort vorhanden
und ein Bestandteil der typischen Hand".
Gleichfalls durchaus nicht durchgreifender Natur ist ein wei-
teres Merkmal, welches durch die aufrechte Haltung des Menschen
seine Bedeutung erhält. Den anthropomorphen Affen fehlt nämlich
am Femur der sogen, dritte Trochanter; ein Vorsprung, an welchen
sich der Musculus gluteus maximus anheftet, durch den die aufrechte
Haltung des Menschen bedingt wird. Dieser dritte Trochanter ist
nun aber im menschlichen Geschlechte keineswegs gleichmässig ent-
wickelt, sondern bei den auf höherer Stufe befindlichen Rassen soll
er nach Houze häufiger auftreten als bei den auf niedrigerer stehen-
den. Wundersam ist dabei freilich, dass er am häufigsten sein soll'
bei dem Menschen der Rentierzeit Belgiens.
Ein Schwanz fehlt im allgemeinen Menschen wie Anthropo-
morphen. Hier wie dort tritt er jedoch beim Embryo auf und bleibt
dann ausnahmsweise nach der Geburt (Chimpanse). Alle mensch-
^ Recherches sur la morphologie du Carpe chez les Mammiferes. Arcliives
de Biologie par van Beneden et van Bambecke. 1884. T. 5. S. 52.
^ Der Regel nach verschwindet es beim menschlichen Embryo von drei
Monaten. Nicht, indem es durch Atrophie verloren ginge, sondern dui'ch Ver-
schmelzung, so dass man das Scaphoideum betrachten muss als entstanden aus
der Vereinigung des Radiale mit dem Centrale (ebenda S. 39 u. 78), wie das
schon Owen aussprach.
^ Houze, Le troisieme trochanter de l'homme et des animaux. Bulletin
soc. anthropologique de Belgique, Bruxelles 1893. Ich eitlere nach dem Litte-
laturberichte von Schlosser im Archiv für Anthropologie.
5*
— 68 -
liehen Embryonen ^ besitzen auf solche Weise im ersten bis dritten
Monate ihres Lebens einen über das untere Rumpfende frei hervor-
ragenden Schwanz, dessen oberes Ende wirbelhaltig, dessen unteres
wirbelfrei ist, „der nicht nur äusserlich in Form und Grösse den
Schwanzbildungen z. B. von Säugetierembryonen derselben Entwicke-
lungsstufe völlig gleicht, sondern diesen embryonalen Säugetier-
schwänzen auch völlig homolog ist."
Aber auch bei ganz reifen menschlichen Früchten kommen
solche schwanzförmigen Anhänge gar nicht selten vor. Sie pflegen
dann sogar nach der Geburt des Kindes noch erheblich weiter zu
wachsen, so dass sie die Länge und Dicke eines ausgebildeten mensch-
lichen Fingers erreichen. Dabei können sie später bisweilen mehr
oder weniger stark behaart werden, und in seltenen Fällen können
sie sogar leichter Bewegungen fähig sein.
Kurz, die Ähnlichkeit mit echten Tierschwänzen kann eine ganz
auffällige werden, und wie sich für die stets vorkommenden Schwänze
der menschlichen Embryonen die Homologie mit denen tierischer
Embryonen nachweisen Hess, so hat man auch für diese bisweilen
vorkommenden Schwänze des fertigen Menschen dargethan, dass sie
homolog sind dem weichen Endstücke des Schwanzes fertiger Tiere ^.
* Vergl. W. Waldey er, Die Cauclalanlmnge des jilensclien. Sitzuiigsber.
d. Akad. d. Wiss. Berlin. Math.-naturw. Mitth. Berlin 1896. Heft 7. S. 349—358.
^ Es sind unter diesen beim Menschen auftretenden Caudalanhängen zwei
Gruppen zu unterscheiden. Die einen, welche Virchow als „ Wirbelschwänze "
bezeichnet, enthalten Wirbel oder doch Wirbelrudimente, wobei jedoch niemals-
die Zahl dieser Wirbel eine grössere ist, als sie normal dem Steissbein zukommt.
Die anderen, welche er „weiche Schwänze" benannte, entbehren einer solchen
festen Achse. Aber, und die Untersuchungen von Waldey er und Piatnitzky
ergänzten diejenigen Virchow 's, es zeigte sich doch, dass sich im Oentrum
mancher solcher weichen Menschenschwänze ein axialer Strang dahinzieht, dem
offenbar eine vertebrale oder spinale Bedeutung zukommt. Ausserdem liess sich
nachweisen, dass diese weichen Menschenschwänze bisweilen von einer grossen
Arterie, von Nervenstämmchen und gestreiften Muskelbündeln durchzogen werden.
Von alters her führen die weichen Caudalanhänge des Menschen den Namen
Caudae suillae; erst durch diese Untersuchungen ist jedoch die Berechtigung^
einer solchen Bezeichnung erwiesen worden. Bei den geschwänzten Säugetieren
nämlich ist das äusserste distale Ende des Schwanzes ebenfalls wirbelfrei, weich
und zeigt ganz diese selbe Beschaffenheit wie beim Menschen ; namentlich bei
dem distalen Ende des Schweineschwanzes war die Übereinstimmung eine grosse.
Mindestens gewisse Formen dieser weichen Menschenschwänze sind also
zweifellos homolog den Tierschwänzen ; und ganz dasselbe gilt auch von den
weichen Schwänzen, welche bei schwanzlosen Affen, Avie dem Chimpanse und dem
Inuus ecaudatus auftreten können.
— 69 — -
Bemerkenswert ist nun , wie Deniker's ^ Untersuchungen am
Fötus von Gorilla und Gibbon feststellten, dass der embryonale Gorilla
sogar einen kürzeren Schwanz als der embryonale Mensch besitzt ^
Schon seit langer Zeit ist die Thatsache anerkannt, dass die
Anthropomorphen in der Jugend und im embryonalen Zustande dem
Menschen sehr viel ähnlicher sind als im erwachsenen'. Vom embryo-
nalen Stadium an bis hin zum Durchbruch der ersten Milchbacken-
zähne , also etwa bis zum vollendeten ersten Lebensjahre , ist die
Übereinstimmung mit dem Menschen eine überraschende. Die Art
der Entwickelung und das Wachstum des Körpers und seiner Organe
erfolgen fast in derselben Weise wie beim Menschen. Erst mit dem
Erscheinen der ersten Milchbackenzähne ändert sich das Bild. Das
Wachstum des Schädels nach vorn und oben hört beinahe auf und
beschränkt sich auf den hinteren und unteren Teil desselben. Die
Zunahme des Gehirns bleibt von nun an fast gleich Null, wohl aber
verlängern sich die Kiefer nach vorn und damit nimmt die Pro-
gnathie reissend zu.
Als Embryo fast mit dem eines Negers zu verwechseln, bis
zum etwa ersten Lebensjahre noch sehr menschenähnlich, entsteht
bei dem Anthropomorphen von da an schnell die Herausbildung der
Eigenschaften, welche diesen vom Menschen unterscheiden*. Und
diese unterscheidenden Merkmale sie gipfeln in dem Gehirn, das an
Masse und Windungen bei den Anthropomorphen viel geringwertiger
ist als beim Menschen.
So finden wir Beziehungen der anthropomorphen Affen in dem-
selben Masse nach oben, zum Menschen, wie nach unten, zu den
niedrigstehenden Affen. Lässt man nun, was doch niemand bestreiten
wird, diese Beziehungen als Zeichen von Blutsverwandtschaft un-
* Recherches anatomiques et embryologiques sur les singes anthropoides.
These presentee ä la faculte des sciences de Paris. 1886.
^ Man könnte hinzufügen, dass auch der fertige Mensch in seinen 4 — 5
Caudalwirbeln eigentlich einen längeren Schwanz habe als der Chimpanse, welchem
nur deren 2 — 3 zukommen, falls man unter „Schwanz-' nicht nur eine frei aus
dem Körper heraushängende, allseitig mit Integument bedeckte Bildung (Wal-
deyer) verstehen wollte, sondern, wie z. B. Fol und andere, auch eine jede im
Fleisch steckende Verlängerung der Wirbelsäule über das Kreuzbein hinaus (Fol,
Sur la queue de l'embryon humain. Compt. rend. hebdom. Acad. d. sc. Paris.
1885. T. 100. S. 1469—1472).
3 Deniker, Ebenda S. 255,
* Vergl. Teil II dieser Arbeit, „Reduktion der Zahnzahl bei Mensch und
Affen." Selenka.
— 70 —
beanstandet gelten zwischen den höheren und den niederen Affen,
so wird man genau ebenso oder noch viel mehr die Verwandtschaft
dieser höheren Affen mit dem Menschen anerkennen müssen , von
dem sie ja durch geringere Unterschiede getrennt sind als von jenen.
Ist dem aber so, dann wird auch dem Versuche die Berechtigung
nicht versagt werden dürfen, sich eine Vorstellung zu bilden von
den Wegen, auf welchen etwa der Entwickelungsgang des Menschen-
stammes verlaufen sein könnte, wenn wir nur dabei nicht vergessen,
dass es sich um so versteckte, so entfernt von dem heute liegenden
Wege, um so verwischte Fährten handelt, dass der Verfolg derselben
zunächst nur in einem suchenden Umhertasten bestehen kann.
2. Welche Eigenschaft könnte vielleicht tertiären Anthropomorphen
den Anstoss zu höherer Entwickelung gegeben haben?
Zu irgend einer Zeit müssen einmal innerhalb der tierischen
Vorfahren des Menschen Wesen entstanden sein, welche durch den
Besitz gewisser Eigenschaften den Anstoss erhielten zu einem Auf-
schwünge, der ihre Nachkommen hoch über alle anderen Wesen
erheben sollte. Auf das Nebensächliche der Frage ist bereits im
Vorhergehenden (S. 64) hingewiesen worden , welchen Namen man
diesen Wesen zu geben habe, ob man sie noch als anthropomorphe
Affen oder als Übergangsformen bezeichnen solle.
Sehr viel wichtiger ist jedenfalls die Frage, welche Eigenschaft
es wohl gewesen sein mag, die zuerst den Anstoss zu einem so
gewaltigen Aufschwünge gegeben habe.
Indem Rütimeyer auf die wilde Menschenfratze des erwachsenen,
namentlich männlichen Anthropomorphen hinweist gegenüber dem
so sehr Menschenähnlichen des jugendlichen und des weiblichen
Tieres, findet er die Ursache dieser überraschenden, nach abwärts
statt nach aufwärts führenden Entwickelung des Individuums in der
Härte des Kampfes ums Dasein ^, welchen der männliche Anthropo-
morphe in seinem Leben zu führen hat. „Und wenn wir fragen,
v/elchem bösen Feinde der so schöne Anfang (d. h. die grosse Men-
schenähnlichkeit des jugendlichen Menschenaffen) unterlag, so müssen
wir uns sagen, dass es wirkhch gutenteils die Not des Lebens, der
Kampf ums Dasein war, der diese Blüte knickte." Je mehr es
für ein Tier die Pflicht des körperlichen Lebens ist, die tierischen
^ Rütimeyer, Die Grenzen der Tierwelt. Zwei Vorträge. Basel 1868
bei SCHWEIGHAUSER. S. 52.
— 71 —
Leidenschaften zu kultivieren, hart zu kämpfen für Nahrung, für
Fortpflanzung, gegen Feinde, desto mehr wird es seine Zähne, seine
Muskeln, seine Sinnesorgane kräftigen und in diesen Dienst stellen
müssen; und das alles wird sich vollziehen auf Kosten der Ent-
wickelung des Gehirns.
Nicht der in seinen Folgen allzu viel gepriesene harte Kampf
ums Dasein vermochte den Anthropomorphen auf die Höhe des
Menschen zu bringen, sondern umgekehrt die Härte dieses Kampfes
war es, die ihn abhielt, diese Höhe zu erklimmen.
Als Prüfstein für die Richtigkeit dieses Gedankenganges könnte
man wohl fordern wollen, dass durch Fernhalten dieses Kampfes, in
der Gefangenschaft, aus dem jugendlichen Anthropomorphen sich ein
dem Menschen näher bleibendes Wesen erziehen lassen müsse. Mit
nichten! Vergeblich würde man diese Leistung vom Individuum
erwarten, das ja in den Fesseln liegt, welche die vieltausendjährige
Geschichte seiner Art ihm auferlegt. Das Individuum steht unter
dem Zwange seiner Geburt, seiner Abstammung, seiner Artahnen.
Nur wenn die Geschichte der ganzen Art, durch viele Tausende und
Abertausende von Jahren hindurch , rückgängig gemacht werden
könnte , würde vielleicht die Knospe , die in dem kindergleichen,
jugendlichen Anthropomorphen schlummert, zum Treiben, zur Ent-
faltung gebracht werden können.
Der Kampf ums Dasein musste also erleichtert sein, wenn die
Möglichkeit einer Entwickelung menschlicher Wesen aus tierischen
gegeben sein sollte. Und diese Erleichterung, sie konnte zunächst
wohl nur bestehen in einer besseren Ausrüstung zum Kampfe, durch
welche das betreffende Wesen begünstigter war, als alle anderen
Tiere, durch welche es in stand gesetzt wurde, sich leichter durchs
Leben zu schlagen, leichter über seine Widersacher zu triumphieren
als diese und endlich die Herrschaft über alle Tiere zu gewinnen.
Fragen wir uns aber, in welchem Organe wohl diese Zauber-
macht gelegen haben mag, so fällt der Blick auf unsere Hand. Die
vom Staube des Erdbodens, von dem niedrigen Dienste eines Geh-
werkzeuges befreite Hand musste geboren werden , aus dem Vier-
füssler musste der Zweifüssler entstehen und der erste Anstoss zu
diesem Wunder war gegeben.
Von verschiedener Seite ist denn auch betont worden, dass
— wie Dames kurz und treffend sich ausdrückt — der Mensch zu-
erst mit den Beinen Mensch geworden sei; dass also vor allem
erst auf zwei Beinen gehende Geschöpfe entstanden sein müssen,
— 72 —
bevor sich ihre Nachkommen überhaupt zum Menschen entvvickehi
konnten ^
Das ist sehr einleuchtend ; denn erst von dem Augenbhcke an,
in welchem dieses hypothetische Wesen den aufrechten Gang an-
genommen hatte, waren ihm ja die Arme frei geworden zu selbständi-
gem Handeln ohne Rücksicht auf die bisherige Verpflichtung zur
Unterstützung des Körpers beim Gehen. Zu höherer Beschcäftigung
konnten sie nun verwendet werden, und damit erst erhielt das Ge-
hirn den Anstoss, nachzudenken über das Wie? dieser Verwenduno^
der Arme und der Hände. Immer neue und neue Aufgaben er-
wuchsen so allmälig dem Gehirne, und im gleichen Schritte mit
diesen Aufgaben wuchs die Thätigkeit des Gehirnes, bildete dieses
sich aus. Denn alles, was die Menschheit mit ihren Händen schafft
an Werken des Krieges, der Gewerbe, der Kunst, der Wissenschaft —
das alles konnte ja erst dann erdacht werden von dem Gehirne, sowie
überhaupt Hände, vom Dienste als Gehwerkzeuge befreit, vorhanden
waren, es auszuführen.
Aber noch in weiterer Beziehung führte diese Befreiung der
Arme vom Gehdienste zu einer Befreiung jenes hypothetischen Wesens:
Noch heute werden von den anthropomorphen Affen die Arme beim
Gehen und Stehen mit zur Stütze des Körpers verwendet. Dazu
bedürfen sie natürlich der Stützpunkte und das sind die Bäume ;
ihr Leben spielt sich daher notgedrungen heute zumeist in den
Wäldern ab. Als aber jene hypothetische Form ohne Hilfe der
stützenden Arme völlig aufrecht gehen gelernt hatte, da war sie
zugleich auch befreit von den Schranken, welche der Wald ihr setzte,
da konnte sie , wie das Schlosser hervorhob ^ , wandern und sich
allerorten über die Erde ausbreiten.
Unter allen Säugern giebt es ausser dem Menschen nur noch ein
Wesen, welchem ein Körperglied zu Gebote steht, das in der Art seiner
Verwendung eine Analogie zu dem menschlichen Arme darbietet: Das
ist der Elefant mit seinem Rüssel. Wie der Mensch erst durch die
Befreiung seiner Arme zu einer so gewaltigen Entvvickelung seines
Gehirnes gelangt ist, so hat, wie Ch. Morris hervorhebt^, auch der
Elefant seine unter den Tieren hervorragende intellektuelle Entwicke-
lung nur diesem, einem Arme ähnlich wirkenden Rüssel zu verdanken.
^ Vergl. Morris in der unten angeführten Ai'beit ; ferner D a m e s ,
Deutsche Rundschau. 1896. S. 387.
2 Litteraturbericht f. d. Jahr 1885 im Archiv f. Anthropologie. S. 289.
^ The making of man. American Naturalist. Bd. 20. 1886. S. 495.
- 73 -
Nehmen wir den obigen Gedankengang als richtig an, dass
also in der Erwerbung des aufrechten Ganges der erste Anstoss zum
Menschwerden lag, so entsteht sofort die weitere Frage nach der
Ursache dieser Erwerbung; denn irgend ein Grund muss doch vor-
handen gewesen sein, welcher jenes hypothetische Wesen veranlasste,
seine Arme nicht zur Stütze beim Gehen zu benützen, sondern auf-
recht zu gehen.
Ch. Morris hat versucht, hierauf eine Antwort zu geben. Er
glaubt ^ diese in zwei Dingen zu finden : In dem grossen Gewichte
des Körpers und in der Kürze der Arme, welche jenen hypothetischen
Wesen zukamen. Auch heute lebt der grösste Menschenaffe, der
Gorilla, vorwiegend auf der Erde ; und das ist wahrscheinlich darum
der Fall, weil sein bedeutendes Körpergewicht ein Leben und eine
Fortbewegung auf den Ästen der Bäume erschwert. In gleicher
Weise, schliesst Morris, werden jene Menschenaffen, aus welchen
der Mensch entsprang, durch die Schwere und Grösse ihres Körpers
veranlasst worden sein, das Leben auf Bäumen aufzugeben, welches
ihre Vorfahren geführt hatten^.
Auf solche Weise, mit der Übersiedelung auf den ebenen Boden,
war die eine Bedingung gegeben, welche zum aufrechten Gange
hinüberführte. Aber noch ein Zweites musste hinzukommen, um
einen solchen zu ermöglichen oder gar zu erzwingen : die Kürze
der Arme (1. c. S. 347, 348). Bekanntlich haben die heutigen •
menschenähnlichen Affen z. T. längere (Gorilla, Chimpanse) , z. T.
sogar sehr viel längere Arme (Orang, Gibbon) als der Mensch. Bei
letzteren beiden anthropomorphen Gattungen reichen sie sogar bis
an die Knöchel hinab. Mehr oder weniger (Gibbon) benutzen daher
alle diese heutigen Menschenaffen ihre Arme mit als Gehwerkzeuge
oder doch wenigstens als Stützen, wenn sie von ihren Bäumen
heruntergestiegen sind und auf dem Boden sich fortbewegen. Jene
Affen aber, von welchen die Entwickelung zum Menschen ausging,
schliesst Morris, müssen bereits ähnlich kurze Arme gehabt haben
wie der heutige Mensch ; denn so lange die Arme eine solche Länge
besassen, dass sie überhaupt bequem zum Gehen benutzt werden
konnten, wird das auch geschehen sein. Sowie aber durch die Kürze
der Arme eine Benützung derselben als Gehwerkzeuge sehr erschwert,
^ C h. Morris, Frorn brüte to man. American Naturalist. Bd. 24. 1890.
S. 341—350.
^ Vergl. im Gegenteil dazu die Ansicht von Kollmann (S. 112 ff.), welche
umgekehrt auf kleine menschliche Ahnen hinausläuft.
- 74 —
fast zur Unmöglichkeit geworden war, wurden ihre Besitzer zum auf-
rechten Gange gezwungen, sowie sie die Bäume verliessen, um auf
der Erde zu gehen.
Morris ist überhaupt der Ansicht, dass jene anthropomorphen
Affen, von welchen der Mensch seinen Ursprung nahm, dem Menschen
im Körperbau bereits sehr ähnlich waren, so dass also nicht der
Körperbau sich wesentlich veränderte, indem aus dem Aifen ein
Mensch wurde, sondern mehr das Gehirn.
Durch die Schwere der Körper zum Aufgeben des Baumlebens
veranlasst, auf dem Erdboden durch die Kürze der Arme zum auf-
rechten Gange gezwungen, durch diese beiden Umstände zur Be-
freiung der Arme vom bisherigen Dienste bei der Unterstützung des
Körpers gelangt, durch diese Befreiung der Arme zu lebhafterer
Thätigkeit, Entfaltung und Zunahme des Gehirnes angeregt — das
wäre also die obige Schlussfolge.
Dieselbe hat etwas Bestechendes. Zwar kann man einwerfen,
dass unter den lebenden anthropomorphen Affen gerade der am besten
Aufrechtgehende, der Gibbon ^, nicht etwa die kürzesten Arme habe,
sondern umgekehrt, neben dem Orang, die längsten. Indessen lässt
sich hierauf zweierlei erwidern: Einmal, dass der Gibbon vom Auf-
rechtgehen doch nur selten Gebrauch macht, da er selten von den
Bäumen herniedersteigt. Zweitens aber, dass der obige Gedanken-
gang keineswegs behauptet, der etwas grössere oder geringere Grad
des Aufrechtgehens hänge von der etwas geringeren oder grösseren
Länge der Arme ab, stehe zu letzterer direkt in umgekehrtem Ver-
hältnisse. Sondern er greift nur den einen extremen Fall auf und
behauptet : Wenn die Arme so sehr kurz sind, dass ihre Benutzung
zum vierfüssigen Gehen auf ebener Erde dem Tiere ausgesprochene
Unbequemlichkeiten und Schwierigkeiten verursacht, dann wird es
diese Benützung unterlassen und sich den zweifüssigen Gang an-
gewöhnen.
Wir werden am Schlüsse dieses Abschnittes sehen, wie Cope
auch hinsichtlich des Fusses der Ansicht ist, dass derselbe bei der
^ Nach dem Gibbon kommt hinsichtlich des aufrechten Ganges wohl der
Gorilla; der Chimpanse und der Orang aber dürften nur seltener denselben an-
nehmen. Von Wichtigkeit ist es, dass, wie Ch. Morris (The making of man.
The American Naturalist. Vol. 20. 1886. S. 493—505) hervorhebt, der Gorilla
gerade wenn er angegriffen ist, stets Gebrauch von dieser Fähigkeit macht;
denn welch gewaltiges Förderungsmittcl der körperlichen Entwickelung der
Lebewelt im Kampfe liegt, ist ja bekannt.
— (0 —
gesuchten Stammform des Menschengeschlechtes bereits ebenso wie
beim heutigen Menschen ein Gehfuss gewesen sei.
Bisher können wir unter den fossilen Menschenaffen kein solches
Wesen nachweisen, wie es Morris im Auge hat. Vielleicht, weil wir
dasselbe bisher nur noch nicht gefunden haben. Das wäre sehr er-
klärlich ; denn die Reste fossiler Menschenaffen sind ganz überaus
selten. Von vornherein ist daher die übergrosse Wahrscheinlichkeit
dafür, dass die Reste gerade eines derartigen Menschenaffen über-
haupt noch nicht aufgefunden wären. Aber denkbar wäre es doch
immerhin, dass unter den wenigen bisher bekannten fossilen Gattungen
anthropomorpher Affen sich bereits die gesuchte Form verbergen
könnte. Darum „verbergen" , weil wir diese fossilen Formen erst
mangelhaft kennen, und von denselben noch keine ganzen Skelette,
also namentlich keine zu einem Individuum gehörigen Arme, Beine
und Becken gefunden haben, an welchen man das Vorhandensein
dieser Eigenschaften mit Sicherheit darthun könnte (vergl. S. 13,
Der Oberarm von Dryopithecus).
3. Zwei fossile anthropomorphe Affen mit gewissen, auffallend
menschenähnlichen Eigenschaften.
Dryopithecus.
Wir haben gesehen, in wie hochgradiger Weise die Zähne einer
dieser fossilen anthropomorphen Gattungen, des Dryopithecus^ denen
des Menschen gleichen (S. 51). Diese Ähnlichkeit ist grösser, als
bei irgend einer anderen lebenden oder fossilen Gattung der anthropo-
morphen Affen. Ja, sie ist so überraschend gross, dass seiner Zeit
von Autoritäten auf diesem Gebiete die isolierten Zähne unseres
schwäbischen Dryopithecus für echte Menschenzähne erklärt wurden
(S. 17) und dass auch mir während ihrer Untersuchung immer
wieder aufs neue die Frage auftauchte, ob ich nicht Menschenzähne
vor mir habe. Der Gedanke liegt daher ziemlich nahe, ob wir nicht
in diesem Dryopithecus eine solche Form gefunden haben könnten,
welche nicht nur im Gebiss, sondern auch in dem aufrechten
Gange und der Kürze ihrer Arme, kurz im ganzen Körperbau, dem
Menschen ähnlicher gewesen ist, als irgend eine andere der lebenden
und fossilen Gattungen der Anthropomorphen. So ähnlich, dass
man sie als den Ausgangspunkt des Menschengeschlechtes betrachten
könnte.
Dieser Gedanke lag um so näher, als auch von Lartet, welcher
seiner Zeit einen Unterkiefer des Dryopithecus in Frankreich ge-
— 76 —
fanden hatte \ auf Grund der Zahngestalt, der (vermeinthchen) Kürze
der Schnauze, der Steilheit der Kinnlinie und des späten Erschei-
nens der Weisheitszähne, dem DryopitJieciis die erste Stelle in der
Reihe aller lebenden wie fossilen Menschenaffen zuerkannt worden
war. Diese Auffassung wurde allgemein geteilt; und als man nun
vollends in Frankreich bei Thenay ^ in tertiären Schichten P'euerstein-
splitter gefunden hatte, welche ganz den Eindruck erweckten, dass
sie vom Menschen geschlagen worden seien, während doch ein Mensch
in tertiären Schichten noch nicht mit Sicherheit bekannt ist — so
war es erklärlich, dass man den Dryopithccus mit denselben in Ver-
bindung zu bringen versuchte. Daher sprach Gaudry früher einmal
die Ansicht aus ^, falls die Splitter nicht natürlich, sondern wirklich
künstlich geschlagen wären, so sei die einfachste Annahme die, dass
Dryopithecus dieselben erzeugt habe. In ähnlicher Weise äusserte
sich auch Mortillet, indem er derartige Feuersteine und Holzkohlen
im Tertiär auf irgend einen hypothetischen Menschenähnlichen zurück-
führte ^
Gegenüber solchen Deutungen machte Zittel geltend, dass sich
diese Feuersteinsplitter durch nichts von den, durch meteorologische
Einflüsse auf natürlichem Wege zersprungenen unterscheiden, welche
z. B. den Boden der libyschen Wüste meilenweit bedecken'^.
Aber zugleich war auch schon Gaüdry, auf Grund eines zweiten,
besser erhaltenen Unterkiefers von Dryopithecus, den man in Frank-
reich fand (S. 13), zu einer Ansicht gelangt, welche der von Lartet
begründeten direkt widersprach. So wurde denn Dryopithecus aus
seiner herrschenden Stellung unter den Anthropomorphen völlig ge-
stürzt. Hatte er bisher für den, dem Menschen ähnlichsten der-
selben gegolten, so erklärte ihn Gaudry nun für den, dem Menschen
unähnlichsten. Aus der ersten Stelle der Reihe kam er an die letzte.
Hatte man früher die Reihenfolge mit ihm dicht hinter dem Menschen
eröffnet, so ordnete Gaudry nun umgekehrt die Anthropomorphen in
dieser Weise :
Chimpanse, Orang — Gibbon — Pliojntheciis, Gorilla, Dryopithecus,
1 Compt. rend. Acad. Paris. T. 43. 28. Juli 1856.
^ Loire et Cher.
^ Enchainements du monde animal. Paris 1878. S. 241.
* Mortillet, La prehistorique antiquite de rhomrne. Bibliotheriue des
Sciences contemporaires. Vol. L Paris 1883. Ich eitlere nach dem Referat von
Schlosser im Litteraturbericht f. Zoologie f. d. Jahr 1884 im Archiv für An-
thropologie.
^ Handbuch der Palaeontologie. München 1893. Bd. IV. S. 719.
— 77 —
ZiTTEL ^ pflichtete diesem vernichtenden Urteile Gaüdry's bei.
Schlosser^ dagegen hielt die LARTEi'sche Ansicht aufrecht, dass
Dnjopithecus infolge seiner Zahnform in der That der menschen-
ähnlichste unter den Anthropomorphen sei, wenn er auch durchaus
den Gedanken zurückwies, dass er der Stammvater des Menschen
sein könne. Auch Pohlig, indem er den Eppelsheimer Oberarm dem
Bnjopitliecns zuschrieb (s. S. 15), erklärte sich wegen der Beschaffen-
heit dieses Knochens für grösste Menschenähnlichkeit der Gattung,
während wiederum E. Dubois dem schroff widersprach.
Unter solchen Umständen wird es angezeigt sein, auf diese Ver-
hältnisse näher einzugehen. Ich will daher zunächst die von Schlosser
gegebene Begründung dieses seines Urteiles darlegen und dasselbe
sodann mit der von Gaüdry gegebenen thun, welcher im Gegenteil
diesen Anthropomorphen seiner grossen Menschenähnlichheit ent-
kleidet. In jedem der beiden Fälle sollen darauf die Gegengründe
geltend gemacht werden, welche abschwächend wirken können.
Wenn Schlosser den Gedanken verneint, dass man in Bryo-
pithecus eine Ausgangsform des Menschengeschlechtes erblicken könne,
so stützt er sich hierbei auf die folgenden Verhältnisse :
Die Kaufläche der Molaren dieses Affen zeigt eigentümliche
Schmelzleisten (S. 34, 42), welche sich stets beim Chimpanse und Orang
und bisweilen beim Menschen wiederfinden (S. 28). Diese Leisten sind
nun aber bei dem Chimpanse und Orang sehr zahlreich und scharf,
beim Menschen (Taf. 1 Fig. 5) recht selten, während sie bei Brijo-
pithecus eine Mittelstellung einnehmen (Taf. II Fig. 9, 10). Nun ist diese
auffallende Eigenschaft der Zähne zweifelsohne nicht etwas von ur-
alten Zeiten her Ererbtes, sondern ein erst im Laufe der geo-
logischen Zeiten Entstandenes, das wir bei Dryopithecus zum ersten
Male unter den anthropomorphen Affen beobachten. Diese Eigen-
schaft hat sich dann, nach Schlosser, weiter vererbt und gesteigert;
wenigstens finden wir sie in sehr starker Ausbildung bei dem Chim-
panse und Orang, so dass man wohl meinen möchte, dass diese
Gattungen ihre Leisten von Dryopithecus ererbt haben, also seine
Nachkommen seien. Dahingegen kann, so folgert Schlosser, schwer-
lich der Mensch ein Nachkomme des Dryopithecus sein ; denn dann
müsste ja auch beim Menschen diese Eigenschaft eine weitere Steige-
^ Handbuch der Palaeontologie. Bd. 4. S. 710.
2 Die Affen, Leninren, Chiropteren, Insectivoren und Fleischfresser des
europäischen Tertiärs. Beiträge zur Palaeontologie Österreich-Ungarns. Wien
1887. S. 288.
— 78 —
rung erfahren haben, wogegen gerade umgekehrt diese Leisten beim
europäischen Menschen selten und auch bei niederer stehenden Völ-
kern immer noch seltener entwickelt sind, als beim Dryopitheciis.
Eine solche Folgerung hat vieles für sich. Indessen kann man
dagegen mehreres geltend machen: Einmal nämlich kommen aller-
dings beim heutigen Menschen solche Leisten, wenn auch nicht
gerade sehr selten , so doch immerhin nur als aussergewöhnliche
Bildung vor. Aber gerade der Umstand, dass diese Leisten bei den
wilden Völkern verhältnismässig häufiger auftreten, als bei den Kultur-
lassen des Menschen, spricht — falls er wirklich genau richtig ist
(S. 29) ■ — dafür, dass diese Eigenschaft jetzt allmälig verloren
geht, dass sie also bei dem Menschen längstvergangener Zeiten viel
häufiger gewesen sein dürfte.
Nun darf man natürlich in dieser Hinsicht unseren Dryopitheciis^
welcher der miocänen Epoche angehört (S. 16), nicht vergleichen
mit dem heutigen Menschen , sondern nur mit demjenigen tertiärer
Zeiten (s. später). Ist es aber wahrscheinlich, dass diese ältesten Ver-
treter des Menschengeschlechtes derartige Zahnleisten allgemein be-
sessen haben, so würde gerade das Umgekehrte von dem sich er-
geben , was Schlosser folgert : Es würden diese Leisten nicht ein
trennendes Merkmal, sondern ein, dem ältesten Menschen und dem
Dryopitheciis gemeinsames Band bilden, welches somit gerade um-
gekehrt für die Abstammung des Menschen vom Dryopitheciis spräche.
Einem solchen Gedankengange würde man allerdings wiederum
einwerfen dürfen, dass diese Bildung der Zahnleisten sich dann ja
bei dem einen Nachkommen des Dryopitheciis , dem Menschen, all-
mälig verringert, bei den anderen Nachkommen, dem Chimpanse
und Orang, dagegen allmälig verstärkt haben würde, was nicht
sehr wahrscheinlich wäre. Indessen ganz unmöglich wäre das doch
nicht; denn warum sollte nicht irgend eine Eigenschaft einer Stamm-
form sich bei dem einen Zweige derselben abschwächen, bei dem
anderen Zweige dagegen verstärken, wenn die Bedingungen, welche
das bewirken , hier wie dort entgegengesetzte sind ^. Gerade wenn
wirklich bei den Kulturrassen des Menschen diese Leisten seltener
vorkommen, als bei den wilden Völkern, so könnte man das viel-
leicht so erklären, dass durch die bei den Kulturrassen des Menschen
stattfindende weichere Zubereitung der Speisen, also durch das in-
* Vergl. „Über die Ursachen der Zahnreduktionen und Zahnformen" in
Teil n dieser Arbeit.
— 79 —
folge davon sehr herabgeminderte Kaugeschäft, die Leisten sich ver-
mindern. Wogegen sie umgekehrt dann bei mangehider Zubereitung
der Speisen und dadurch sehr vermehrtem Kaugeschäfte sich ver-
mehren müssten, was ihre Bildung bei Orang und Chimpanse er-
klären würde.
Es Hesse sich aber auch zweitens geltend machen, dass das
Vorhandensein der Leisten bei Orang und Chimpanse durchaus nicht
notwendig einen Beweis genetischer Beziehungen zwischen ihnen und
Bryopitheciis gewähren müsse. In Taf. I Fig. 8, 9 ist der Molar
eines den Anthropomorphen ganz fernstehenden, platyrrhinen Schweif-
affen, einer Pithecia aus Brasilien, besprochen und dargestellt worden,
welcher trotzdem, und zwar ganz ausnahmsweise unter den Affen,
in hohem Masse diese Leisten besitzt. Offenbar hat diese Affen-
gattung die Leisten doch ganz unabhängig von Dryopitheciis er-
worben ; es könnte daher auch bei Chimpanse und Orang das Gleiche
immerhin möglich sein. Dasselbe gilt aber auch vom Menschen;
kurz, diese Schmelzleisten dürfen wohl nur mit Vorsicht für ver-
wandtschaftliche Spekulationen verwendet* werden.
Ob aber Schlosser nicht trotzdem das Wahrscheinlichere ge-
troffen hat, wenn er meint, dass Dryopitheciis der Vorfahr von Chim-
panse und Orang sei, dagegen mit dem Menschen durch kein engeres
Band verknüpft würde, das ist freilich eine andere Frage. Immerhin
sind diese Leisten bei Orang und Chimpanse so viel stärker als bei
Dryopitheciis ausgebildet, sind infolgedessen die Höcker ihrer Zähne
so sehr viel geringer entwickelt, als bei letzterem, dass man un-
bestritten behaupten kann:
Die Zähne des Dryo2)ithecus sind, was Leisten und
Höcker, also allgemeine Gestalt, anbetrifft, denen des
Menschen weit ähnlicher, als denen des Chimpanse und
Orang. Soweit daher allein auf Grund der Zahngestalt
die grössere oder geringere Verwandtschaft zweier
Tierformen überhaupt festgestellt^ werden dürfte, könnte
man in vorliegendem Falle sagen, dass Dryopithecns
dem Menschen näher verwandt ist, als dem Orang und
Chimpanse, dass folglich Dryopitliecus auch in der
Reihe der menschenähnlichen Affen die vorderste Stel-
^ Es kann die Ähnlichkeit der Zahnform, ebenso wie die Ähnlichkeit anderer
Bildungen, unter Umständen bekanntlich sehr irre führen, indem sie zwei ver-
schiedenen Tiergruppen nicht durch Erbschaft des einen vom anderen, sondern
durch selbständigen Erwerb überkommen ist.
— so-
lang, hinter dem Menschen, erhalten müsste. Diesen letzteren
Teil des Schlusses spricht übrigens Schlosser, wie wir sahen, in der-
selben Schärfe aus ; nur den ersteren aber verneint er.
Bei solcher Betrachtungsweise ergiebt sich aber sogleich eine
Schwierigkeit. Wir fanden (S. 51), dass die Zähne des Dryopitheciis
denen des Gibbon ebenfalls ausserordentlich ähnlich sind ; dass mithin
beide, Dri/opithecus wie Gibbon, Molaren besitzen, welche den mensch-
lichen ähnlicher sind, als die der anderen Anthropomorphen.
Nun gilt aber der Gibbon — trotz dieser, übrigens bisher wohl
wenig beachtet gewesenen grossen Menschenähnlichkeit im Gebisse
und trotzdem er mehr und besser aufrecht geht, als die übrigen
Anthropomorphen — dennoch wegen anderer Eigenschaften als der
dem Menschen am fernsten stehende Menschenaffe. Folglich müsste
ein gleich vernichtendes Urteil auch den Dnjopltliecus treffen —
falls man nicht etwa den Gibbon , wie von vereinzelten Forschern
geschehen ist, doch für eine dem Menschen sehr nahestehende Form
erklären wollte.
So sehr bestechend es daher auch sein möchte, auf Grund der
Zahnform den Grad der Verwandtschaft auch dieser Tiere festzu-
stellen , so zeigt sich doch , dass notwendig auch andere Merkmale
zu berücksichtigen sind. Wir wollen daher jetzt die Gründe be-
sprechen , welche eine Autorität wie Gaüdry bewogen , trotz dieser
dem Menschen so ähnlichen Zahnform den Dryopithecus gerade um-
gekehrt für den am wenigsten menschenähnlichen der anthropo-
morphen Affen zu erklären. Ich werde auch hier einem jeden der
von Gaudry geltend gemachten Gründe das entgegenhalten, was sich
denselben einwerfen lässt.
Das Hauptgewicht legt Gaudry bei der Beurteilung dieser Frage
auf die Länge der Schnauze, welche Dryopitheciis gehabt hat; also
auf das grössere oder geringere Mass seiner Prognathie. Diese er-
achtet er als massgebend für die grössere oder geringere Menschen-
ähnlichkeit, also für die Stellung der betreffenden Gattung in der
Reihe der Anthropomorphen. Lartet hatte gelehrt, dass Dryopitheciis
eine ganz besonders kurze Schnauze gehabt habe. Gaudry schliesst
auf das gerade Gegenteil, und zwar unter der folgenden Begründung:
Mit längeren, d. h. stärker vorspringenden, Kiefern geht, ceteris
paribus, Hand in Hand eine längere Zahnreihe, da diese ja die Kiefer
erfüllt. Das spricht sich besonders aus in der Länge des Raumes,
welchen in der Zahnreihe die Prämolaren und der Eckzahn ein-
nehmen. Dieser Raum ist beim Menschen viel kürzer als selbst beim
- 81 —
jungen Menschenaffen , der doch noch weit menschenähnHcher ist,
als der erwachsene. In noch viel besserer Weise aber lässt sich
nach Gaüdry der grössere oder geringere Grad dieser Prognathie er-
kennen aus dem Verhältnis zwischen Länge und Breite der ganzen
Zahnreihe. Ich werde weiter unten diese Zahlen wiedergeben und
will hier nur vorgreifend bemerken, dass Dryopithecus, gegenüber der
Breite seiner Zahnreihe, die grösste Länge der letzteren besitzt.
In solcher Weise, so schliesst Gaüdry, erkennt man am besten,
dass Dryopithecus eine längere Schnauze hatte, als irgend ein anderer
der Anthropomorphen. Allerdings hatte Lartet aus dem zuerst ge-
fundenen Unterkiefer seiner Zeit gerade das Umgekehrte gefolgert.
Indessen hob Gaüdry hervor, dass dieser erstgefundene Kiefer, wie
aus dem Fehlen jeglicher Abnutzung an den Zähnen hervorgeht, von
einem jugendlichen Tiere herrühre ; und solche sind bei den Affen
stets menschenähnlicher als die alten ; wogegen der letztgefundene
Kiefer einem alten Tiere gehöre. So ist denn beim jungen Anthropo-
morphen auch die Schnauze verhältnismässig weniger vorspringend
als beim alten. Zudem war noch bei dem erstgefundenen, jugend-
lichen 'Kiefer das vordere Ende abgebrochen, daher eine Restauration
Irrtümern ausgesetzt, welchen Lartet unterlag, während Gaüdry die-
selben vermied.
Auch Milne-Edwards ^ schloss sich dieser Auffassung Gaudry's
an, indem er ausführte, die Prognathie sei bei diesem Affen so stark,
dass man weit eher auf einen Quadru- als einen Bipeden schliessen
müsse. Der Unterkiefer nähere sich mehr demjenigen des Gorilla,
als dem irgend eines anderen Anthropomorphen.
Man kann nun aber das Mass der Prognathie auch in der Weise
bestimmen, dass man Breite und Länge nicht des Gebisses, sondern
des Kiefers misst. Es ist nämhch Bonwill durch die unten näher
erläuterten Messungen an mehr als 200 Schädeln von Menschen zu
dem Satze gelangt, dass der normale menschliche Schädel in seinen
Kiefern ein gleichseitiges Dreieck darbietet, und A. Gysi^ hat diese
Untersuchungen noch weiter geometrisch konstruierend verfolgt.
Wenn Bonwill freilich diese seine Entdeckung in eine Parallele
bringt mit der Entdeckung des Gravitationsgesetzes, so dürfte das
wohl zu viel sein und nicht anerkannt werden. Davon aber ab-
1 Compt. rend. hebd. Acad. d. sc. Paris 1890. T. 110. S. 373.
^ Vergl. in A. Gysi, Die geometrische Konstruktion eines menschlichen
oberen, bleibenden, normalen Gebisses mittlerer Grösse. Schweizerische Viertel-
jahrsschrift für Zahnheilkunde. Bd. 5. No. 1. 1895. 18 S. 1 Taf. Sonderabzug.
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 6
— 82 —
gesehen gelangte er zu den folgenden Ergebnissen hinsichtlich des
Menschen :
Am Unterkiefer ist die Entfernung zwischen den Mittelpunkten
der beiden Gelenkköpfe des Kiefers stets gleich der Entfernung von
jedem dieser beiden Mittelpunkte bis zu dem Berührungspunkte der
Schneidekanten der beiden mittleren unteren Incisiven.
Ebenso ist am Oberkiefer die Entfernung zwischen den Mittel-
punkten der zwei Gelenkpfannen an der Schädelbasis stets gleich der
Entfernung von jedem dieser beiden Mittelpunkte bis zu dem Be-
rührungspunkte der Schneidekanten der beiden mittleren oberen
Incisiven.
Kurz gesagt: Im Ober- und im Unterkiefer ist je ein gleich-
seitiges Dreieck gegeben durch die folgenden drei Punkte : 1 . Be-
rührungspunkt der Schneidekanten der beiden mittleren Incisiven.
2. und 3. Die beiden Mittelpunkte der Gelenkpfannen im Oberkiefer
bezw. der Gelenkköpfe im Unterkiefer. Dabei ergab sich, dass die
Seite dieses gleichseitigen Dreieckes im Durchschnitt genau 100 mm
lang ist; sie schwankte bei den verschiedenen Rassen zwischen 92
und 108 mm.
Da mir, wie in der Anmerkung gesagt, die bei uns seltenen
Zeitschriften nicht erreichbar waren, in denen diese Arbeit veröffent-
licht wurde, so kann ich nicht sagen, an welchen Menschenrassen
Bonwill seine Messungen angestellt hat und ob oder mit welcher
Einschränkung auf gewisse Rassen er sein Gesetz feststellt. Jeden-
falls aber hat er dasselbe nur für möglichst orthognathe Schädel
geltend gemacht; denn meine unten folgenden Messungen zeigen,
dass das gleichseitige Dreieck sich, wie ja selbstverständlich, sofort
in ein gleichschenkeliges verwandelt, bei welchem die Basis kürzer
ist als jede der beiden anderen Seiten, sowie man Neger untersucht.
Interessant ist, dass diese Neger sämtlich stärker prognath sind als der
gleichfalls gemessene weibliche Kretin, obgleich ich nur solche Neger-
schädel auswählte, bei welchen die Zähne möglichst senkrecht standen.
Andernfalls, bei schräger Stellung der Zähne, wird die Prognathie
scheinbar noch viel grösser, als sie dem Kieferbau nach wirklich ist,
d. h. das gleichseitige Dreieck wird noch spitzer.
Gysi citiert hier die mir nicht zugängliche Arbeit BonwilTs: American Sj'St.
of Dent. Surv. Vol 11, p. 487. In dem mir gleiclifalls nicht zugänglichen Lippin-
cott's Magazine, August 1890, gebraucht Bomvill in „Why I deny evolution" den
Vergleich mit dem Gravitationsgesetz, wie ich dem Aufsatze von C aha 11 entnahm:
The teeth as evidence of evolution. American Naturalist. Bd. 24. 1890. S. 224 ff.
- 83 —
Ich messe die Seiten des Dreiecks so wie Bonwill und ver-
stehe in der folgenden Tabelle unter „Breite" die Entfernung zwischen
den oben unter 2. und 3. angegebenen Mittelpunkten der Gelenk-
köpfe, bezw. Pfannen, und unter „Länge" die Entfernung dieser
Mittelpunkte von der in 1 angegebenen Berührungsstelle der mitt-
leren Incisiven. Bei diesen Messungen ist die „Breite" stets am
Unterkiefer genauer bestimmbar als am Oberkiefer, da sich von den
Gelenkköpfen der Mittelpunkt leichter finden lässt als von den Ge-
lenkpfannen. Ich habe daher für den Oberkiefer stets die am Unter-
kiefer genauer gemessene „Breite" eingesetzt, wenn ich auch am
Oberkiefer eine ein wenig abweichende „Breite" mass. Die „Länge"
der Dreiecksseite am Oberkiefer ist dagegen meist wirklich eine
etwas grössere als die am Unterkiefer, weil die oberen Zähne über
die unteren oft übergreifen.
Ich wende mich nun zuvörderst zu den oben erwähnten,
von Gaudry gegebenen Zahlen für Breite und Länge des Gebisses
von Anthropomorphen und Menschen. Des leichteren Überblickes
wegen hebe ich die , gegenüber der Breite verhältnismässige Länge
des Gebisses durch fetten Druck hervor.
Breite Länge Breite : Länge des Gebisses
mm mm =
Bryopithecus 40 71 100 : 177
Gorilla 60 100 100 : 166
Orang 59 85 100 : 144
Chimpanse 52 70 100 : 134
Sogen. Hottentotten-Venus 56 55 100 : 98
Um aber zu prüfen , ob und wie weit etwa diese Verhältnis-
zahlen bei einer und derselben Gattung variieren könnten, habe ich
die folgenden Messungen an Unterkiefern gemacht, wobei möglichst
in mittlerem Lebensalter stehende, also mit nur massig abgenutztem,
vollzähligem Gebiss versehene Schädel genommen wurden. Da die
Länge des Gebisses so sehr von der senkrechten oder schrägen
Stellung der Schneidezähne, wie auch von der Art der Messung
beeinflusst wird, so müssen notwendig Unterschiede gegenüber Gaudry's
Angaben entstehen. Auf diese Unterschiede kommt es daher hier
nicht an, sondern nur auf die Variabilität.
— 84
Breite Länge Breite : Länge des Gebisses
mm mm =
Orangi 62 100 100 : 161 (150 im Oberkiefer)
„ '' 59,5 86,6 100 : 145
„ " 58,6 83 100 : 141
Gorilla^ 67,4 98,7 100 : 146
r> ' 64,8 93',6 100 : 144| Nur bis an den
„ "^ 68,4 96,9 100: 14lUlveolai'rand der
„ ' 70,0 98,5 100 : 140 J Incisiven gem.
Chimpanse» 52,4 70,0 100:134
] Nl^r bis an den
^ 60,0 76,8 100 : 128 Alveolarrand der
j Incisiven gem.
Hylohates Uuciscus^'^ 30,5 38,3 100:125,5
Aus diesen Zahlen geht hervor, dass bei den von mir gemesse-
nen Schädeln Orang und Gorilla ungefähr dasselbe Längen-Breiten-
Verhältnis im Gebiss besitzen, so dass der Längenindex bei beiden
ungefähr zwischen 146 — 140 schwankt. Einen Unterschied, wie
Gaudry ihn zu Gunsten bezw. Ungunsten des Gorilla feststellte, zeigen
mithin die von mir gemessenen Schädel nicht. Diese Verhältnisse
scheinen also zu variieren.
Aber ganz wie bei Gaüdry, so folgt auch bei mir Chimpanse
erst hinter Orang und Gorilla, und zwar mit einem Längenindex
von nur 134—128.
Hinter Chimpanse kommt dann Gibbon mit 125,5.
Es würde sich daher hinsichtlich der verhältnismässigen Länge
des Gebisses die folgende Reihe ergeben :
Mensch ; Gibbon ; Chimpanse ; Orang — Gorilla.
Nachdem wir so, um einen Ausdruck für den Grad der Pro-
gnathie zu gewinnen, die Länge des Gebisses in Beziehung zur Breite
desselben gebracht haben, wollen wir den Grad der Prognathie doch
auch noch nach der von Bonwill aufgestellten Art der Messung be-
stimmen , indem wir Länge und Breite des Kiefers verschiedener
Formen miteinander vergleichen (s. S. 81),
^ No. 337, Stuttgarter Sammlung.
* No. 4876, Berliner landwirtschaftliche Hochschule.
3 No. 5021, „
* No. 4119, Greifswalder zoologische Sammluug.
«No. 4118,
' No. 4116,
' No. 4117,
^ No. 4486, Berliner landwirtschaftliche Hochschule.
® No. 4120, Greifswalder zoologische Sammlung.
" No. 675, Stuttgarter Sammlung.
85
t
F n t e r k
ief er
'.
Oberki
ief er.
Breite
Länge Breite :
Länge
Breite Länge
Breite :
Länge
mm
mm
=
=
mm
mm
=
Bonwill's Messungen
1 100
100
100:
:100
100
100
100:
100
Kretine^
. 89
98
100:
110
89
102
100:
115
Mumie aus Ägypten ^
. 98,7
109,5
100:
:111
98,7
110,7
100:
112
Keger, Eunuch* . .
. 98,7
111
100:
112,5
98,7
111
100:
112,5
Nago-Neger^ . . .
. 87,5
105,5
100:
120
87,5
105,5
100:
120
Monbuttu-Neger ^ .
—
—
-
-
97
120
100:
124
Orang^
. 99
169
100:
170,7
99
175
100:
176,7
Hylobates leuciscus ^
. 43,8
64,2
100:
146,6
43,8
65
100:
148,4
Aus den obigen Messungen ergiebt sich das Folgende : Wenn
man als normal für den Menschen den orthognathen Zustand be-
zeichnen will, bei welchem der Kiefer das gleichseitige Dreieck
Bonwill's darbietet, so kann man für die anthropomorphen Affen
als normal den prognathen Zustand bezeichnen , bei welchem der
Kiefer ein gleichschenkeliges Dreieck, mit spitzerem Winkel an der
Spitze, bildet. Dieser Winkel ist bei den verschiedenen Gattungen
mehr oder weniger spitz , d. h. sie haben eine mehr oder weniger
vorspringende Schnauze. Am wenigsten ist das wieder der Fall bei
Hylobates leuciscus. Es zeigt sich nun, dass bei den Negern
der Kiefer ein so spitzes Dreieck bilden kann, dass
diese Bildung fast genau in der Mitte steht zwischen
dem normalen orthognathen Menschen und dem am
wenigsten prognathen Menschenaffen, dem Gibbon.
Fig. 3 u. 4 auf Taf. III giebt die Kiefer des oben aufgeführten Nago-
Negers aus Westafrika.
So ist also auch bei dieser Art der Messung Gibbon, bezw.
die Art leuciscus, der mit verhältnismässig kürzestem Kiefer ver-
sehene Anthropomorphe, so dass er wiederum, wie bei voriger Art des
Messens, in der Reihe der Affen dem Menschen am nächsten steht.
^ 100 ist Durchschnitt; die Zahlen schwanken zwischen 94 und 108 mm.
^ Dieser Schädel einer Kretine, No. 1628 der Stuttgarter Sammlung, ent-
stammt dem Leprosen-Haus zu Salzburg.
^ Muinien-Schädel No. 1627 der Stuttgarter Sammlung.
* Neger No. 1625 der Stuttgarter Sammlung.
^ Nago-Neger No. 1201 der Stuttgarter Sammlung. Herr Dr. Vo sseler
hatte die Liebenswürdigkeit, diesen Schädel zu photographieren ; die Figur auf
Taf. III zeigt denselben.
•^ Monbuttu-Neger No. 24139 der Berliner anatomischen Sammlung. Da die In-
cisiven im Oberkiefer fehlen, so ist diese Messung nicht genau, sondern nur ungefähr.
"' Oraug No. 337 der Stuttgarter Sammlung, Männchen, erwachsen.
® Gibbon No. 675 der Stuttgarter Sammlung, Männchen, erwachsen.
- 86 —
Wir erhalten also mit Hilfe dieser von Bonwill vorgeschlagenen
Dreiecksmessungen des Kiefers die nachstehende Reihenfolge der
anthropomorphen Affen :
Orthognather Mensch. Prognather Mensch. Gibbon. Orang.
Länge: 100 120-124 146 176.
Dieses Ergebnis scheint mir nun von einer gewissen Bedeutung
für die Frage nach der Stellung, welche dem Dryopithecus in der
Reihe der anthropomorphen Affen zukommt: Denn wenn der
Gibbon, also derjenige anthropomorphe, welcher nach fast
allgemeiner Auffassung dem Menschen am fernsten steht,
dennoch in dem Grrade seiner Prognathie dem Menschen
am nächsten kommt, wenn er ihm so nahe kommt, dass in
dieser Eigenschaft die prognathen Menschen nur ebenso-
viel über ihm stehen, als sie unter den orthognathen
anderen Menschen stehen — • dann müsste doch eigent-
lich das Mass der Prognathie nur einen untergeordneten
Wert für diese Frage besitzen.
Diese Auffassung aber erfährt durch die folgenden Gründe noch
eine weitere Unterstützung:
Es gab eine Zeit, sie liegt nicht weit zurück, da glaubte man,
dass unter den Menschen Prognathie der Regel nach nur bei niederen
Rassen auftrete; da glaubte man, die weisse Rasse sei derart durch
Orthognathie ausgezeichnet, dass prognathe Kiefer entweder eine
pathologische Erscheinung oder doch nur alveolar-prognath seien ^.
Je mehr aber die Schädel heutiger und früherer europäischer Ge-
schlechter untersucht wurden, desto häufiger wurden die Angaben
über Prognathie bei Europäern. Nicht nur die Schädel aus den
an 2000 Jahre alten Franken- und Alemannengräbern, sondern
auch die deutschen Schädel der Jetztzeit zeigen häufig, wie Koll-
mann hervorhebt, eine Prognathie, welche ganz bedeutende Grade
^ Es giebt (verg-l. die nächste Anmerkung) zwei Arten von Prognathie :
Die eigentliche Prognathie entsteht durch eine, über das Normale hinausgehende
Entwickelung des Ober- und Zwischenkiefers, wozu sich ein gewisser Grad von
Knickung der Basilarknochen gesellt. Bei starker Ausbildung werden alle Knochen
des Gesichtsschädels und selbst die Zahnwurzeln, welche dann ganz schief in
ihren Alveolen stecken, mit hineingezogen. Die uneigentliche, alveolare Progna-
thie besteht darin , dass nur der Alveolarfortsatz des Kiefers schief steht , also
vorgestreckt ist, in welchem unter Umständen die Zähne sogar noch gerade sitzen
können. Beide Arten sind indessen derart durch Übergänge miteinander ver-
bunden und dem Wesen nach so dasselbe, dass man sie nicht einander gegenüber-
stellen kann. Sie sind nur dem Grade nach unterschieden.
— 87 —
annehmen kann \ In den Piossdorfer Reihengräbern ist nach Koll-
aiANN ein Schädel mit einem Profilwinkel von 84° gefunden ; in anderen
Fällen fand man solche von 80 — 86°. Das sind Zahlen, wie sie die
x\ustralneger aufweisen. Das alles sind aber keineswegs etwa krank-
haft veränderte Schädel, sondern im übrigen ganz normale. An
30 normalen Männerschädeln deutscher Abkunft aus der Jetztzeit
hat Welker nicht weniger als 43 "/^ überhaupt prognath zu nennende
gefunden, wenn man nämlich in diesem Falle einen Nasenwinkel von
59 — 66,5° als orthognath, von über 66,5° als prognath bezeichnet.
Bei 2 Schädeln von diesen 30 deutschen war die Prognathie sogar
grösser als bei 5 von Welker gemessenen Australnegern I
In anderen europäischen Rassen gelangte man zu ganz ähn-
lichen Ergebnissen. Es sind eben prognathe Schädel in allen Kultur-
völkern und gar nicht so selten zu fiinden ; während umgekehrt, mitten
im Herzen von Afrika, die Prognathie fehlen kann. Prognathie kommt,
wie Kollmann darthut, als normale Erscheinung überall vor, bei
Kultur- und Naturvölkern, in der prähistorischen Zeit wie in unseren
Tagen^. Nicht also der Grad der Prognathie, sondern die
relative Häufigkeit derselben innerhalb eines Volkes be-
stimmt die Prognathie oder Orthognathie der betreffenden
Rasse; denn dieser Grad kann ja bei einem Europäerschädel
grösser sein als bei dem eines Negers.
Wir sehen nach diesen Untersuchungen Kollmann's und anderer,
dass zwar durch die Häufigkeit der Prognathie in einer Menschen-
rasse dieser letzteren der Charakter einer auf niedriger Stufe stehen-
den verliehen wird ; dass aber Prognathie an sich bei dem Einzel-
individuum gar nichts beweist, da sie auch bei den höchst stehenden
Rassen auftritt.
Ist das nun unzweifelhaft richtig, so werden wir diesem Merk-
male der grösseren oder geringeren Prognathie kein so grosses Ge-
wicht beilegen dürfen, wie man das früher thun zu müssen ver-
meinte. So wie das aber für den Menschen gilt, wird es da nicht
auch für die menschenähnlichen Affen seine Geltung haben?
Wenn wir daher bei Dryopithecus finden, dass er auf
der einen Seite der am meisten prognathe der Anthropo-
^ Kollmann, Korrespondenzblatt d. deutsch. Ges. f. Antlirop., Ethnol.,
Urgeschichte, Jahrg. 1880. S. 152 des Sitzungsber. der 11. allg. Vers.
^ Vergl. auch Kotz ins, Sur l'etude craniologique des races humaines.
Compte rendu 7 session dii congres Internat. d'Anthropol. Stockholm 1874. S. 693.
Ich eitlere nach K oll mann.
— 88 -
morphen ist, dass er aber auf der anderen Seite unter allen
Anthropomorphen die menschenähnlichsten Zähne besitzt,
werden wir da nicht ebenfalls dem letzteren Merkmale
einen höheren Wert für die Bestimmung der Stellung zu-
gestehen müssen, welche der Gattung Dryopithecus in der
Reihe der Anthropomorphen einzuräumen ist?
Dazu kommt aber noch ein weiteres: Von Dryopitliems sind
bisher nur bekannt : Erstens der junge, durch sehr geringe Prognathie
ausgezeichnete Unterkiefer. Zweitens der alte, durch sehr starke
Prognathie gekennzeichnete; beide aus Südfrankreich. Ebenso nun,
wie bei den Menschen der Grad dieser Prognathie variiert, könnte
das auch bei den Anthropomorphen der Fall sein. Es ist daher
sehr gut möglich , dass das alte , männliche Exemplar von Dryo-
pithecus^ an dessen Unterkiefer Gaudry die bedeutende Länge der
Schnauze feststellte, ein besonders stark prognathes Individuum ge-
wesen sein kann, welches darin seine Geschlechtsgenossen übertraf.
Inwieweit ein solcher Schluss auf die Anthropomorphen statt-
haft ist, wird hoffentlich recht bald entschieden werden durch die
Untersuchungen, welche Selenka an einem Materiale von solcher
Pieichhaltigkeit anstellt, wie solches noch nie einem Forscher auch
nur annähernd zu Gebote gestanden hat; denn Selenka hat vom
Orang-Utan, allein an selbstgewonnenen Schädeln, 300 mit nach
Europa gebracht. Die Messungen, welche ich an den auf S. 84
aufgeführten Anthropomorphen anstellen konnte, haben jedenfalls
ein gewisses, wenn auch nicht grosses Mass von individueller Varia-
bilität der Prognathie ergeben.
Wir haben indessen diese Frage noch nicht erschöpft, und
damit in dieser Hinsicht den Vergleich des Dryopithecus mit anderen
Anthropomorphen und dem Menschen noch nicht zu Ende geführt,
wenn wir nicht auch noch darüber uns klar geworden sind, ob
denn überhaupt Prognathie bei Menschen und Prognathie bei Tieren
ihrem Wesen nach so weit dasselbe sind, dass sie zwei vergleichbare
Grössen bilden.
Diese Frage erscheint vielleicht überflüssig; dass sie es aber
durchaus nicht ist, wird die folgende Betrachtung lehren :
In seiner so inhaltsreichen Zootechnic generale geht Cornevim
bei der Definition dieses Begriffes an Tieren davon aus , dass eine
absolute Orthognathie auch bei keinem Menschen vorkommt. Die
Menschen sind mithin sämtlich mehr oder weniger prognath und die
Tiere sind das nur in einem höheren Grade als wir. Wie man aber
— 89 —
bei den Menschen trotzdem die geringen Grade der Prognathie als
Orthognathie bezeichne, so könne man auch bei den Tieren von Ortho-
gnathie reden, indem man darunter einen Zustand versteht ^, bei dem
Ober- und Unterkiefer derart aufeinanderschUessen, dass die unteren
Schneidezähne genau auf die oberen treffen, bezw. bei Wiederkäuern
auf den Wulst des Oberkiefers, in welchem die Incisiven sitzen müssten.
Prognathie dagegen trete beim Tiere ein, wenn der eine Kiefer den
anderen überragt. Ist der Oberkiefer der längere, wie bei den Lepo-
rinen, so habe man die seltene obere Prognathie. Ist umgekehrt
der Unterkiefer länger , wie beim Buldog , so habe man die ver-
hältnismässig häufigere untere Prognathie. Diese untere Prognathie
entsteht aber nicht etwa durch Verlängerung des Unterkiefers, sondern
durch Verkürzung, oder besser frühzeitige Wachstumsbeendigung des
Oberkiefers. Bis zum Excess gesteigert muss diese Prognathie beim
Tiere die Aufnahme der Nahrung so erschweren, dass dasselbe zu
Grunde geht.
Man sieht, dass das, was Cornevin unter Ortho- und Progna-
thie beim Tiere verstanden wissen will, sich gar nicht mehr deckt
mit dem Begriffe, welchen man beim Menschen mit diesen Aus-
drücken verbindet; denn ein Tier, welches von Cornevin darum als
orthognath bezeichnet wird, weil die unteren Incisiven genau auf
die oberen treffen, kann eine sehr stark vorspringende Schnauze
besitzen , also nach dem bisherigen Begriffe überaus prognath sein.
Es erscheint daher nicht zulässig, diese von Cornevin vorgeschlagene
Bezeichnungsweise für die Tiere anzunehmen, weil auf solche Weise
Missverständnisse entstehen müssen.
Aber wenn auch diese Bezeichnungsweise namentlich für ver-
gleichende Zwecke störend wirkt, so ist Cornevin, nach dem Aus-
gangspunkte seiner Erklärung, doch entschieden der Auffassung, dass
die Prognathie am Menschen- und am Tierschädel durch dieselben
Ursachen hervorgerufen werde, also dasselbe sei.
Einer solchen Meinung ist Ranke ^ durchaus nicht. Er stützt
sich hierbei auf die Untersuchungen, welche Virchow und Langer
angestellt haben. Aus diesen geht hervor, dass beim Menschen die
wahre Prognathie weniger hervorgerufen wird durch die Länge des
Gaumens, also durch die Tiefe des Oberkiefers; diese varhert aller-
dings, aber doch nicht so stark. Sondern dass sie viel mehr be-
^ Cornevin, Traite de zootechnic generale. Paris, Bailliere. 1891. S. 490.
2 Eanke, Der Mensch. 1894. Bd. 2. S. 246.
— 90 —
dingt wird durch die Entfernimg des Hinterhauptsloches vom Hinter-
rande des Gaumens ; je grösser diese, desto mehr wird dadurch der
Oberkiefer nach vorn geschoben, desto stärker wird also die wahre
Prognathie. Diese Entfernung des Hinterhauptsloches vom Gaumen-
hinterrande ist aber abhängig von der mehr oder weniger steilen
Stellung des Grundteiles des Hinterhauptbeines; in der Lage dieses
Knochens müssen wir daher, nach Virchow und Laxger, die Haupt-
ursache der wahren Prognathie suchen ; und nur eine geringere Ursache
der letzteren liegt in der Länge bezw. Tiefe des Oberkiefers selbst.
Ranke ^ ist daher der Ansicht, dass die normale menschliche
und die tierische Prognathie ihrem Wesen und Prinzip nach völlig
verschieden seien. Die tierische ist ihm bedingt durch das Zurück-
bleiben des Wachstums des Hirnschädels gegenüber dem länger an-
dauernden Wachstum des Gesichtsschädels, so dass sich ein ganz
flacher Sattelwinkel ergiebt. Die wahre menschliche Prognathie ist
ihm dagegen bedingt durch übermächtige Gehirnentwickelung gegen-
über der des Gesichtes , wodurch die Schädelbasis und der Sattel-
winkel stark geknickt werden ^.
Es ist nun ja in der That nicht zu bestreiten, dass bei dem
Tiere , speciell hier dem Menschenaffen , das Wachstum des Hirn-
schädels frühzeitig beendet wird und dass darum die weiter fort-
wachsenden Kiefer sich mehr und mehr vor denselben vorschieben.
Und ebenso ist sicher, dass z. B. beim Neger das Wachstum des
Hirnschädels viel längere Zeit andauert. Immerhin aber wachsen
beim Neger doch auch die Kiefer weiter fort und schieben sich
^ Ranke, Der Mensch. I. S. 405.
2 Der Sattel- oder Basalwinkel zeigt die Stärke der Knickung der Schädel-
basis an. Sein einer Schenkel verläuft vom Vorderende des Hinterhauptsloches
schräg aufwärts bis zum Mittelpunkte der Rücklehne des Türkensattels, der
andere Schenkel geht in horizontaler Lage vom letzteren Punkte bis zum Mittel-
punkte der Stirnnasennaht. Indem beim Menschen das Hinterhauptsloch nach
unten gerichtet ist, dergestalt, dass der Schädel etwa senkrecht auf der Wirbel-
säule sitzt, gewissermassen auf dieser aufgespiesst ist, läuft der erstere der
beiden Schenkel des Basalwinkels scharf aufwärts, und dadurch wird der "Winkel
stark geknickt, d. h. einem rechten ähnlich, nur etwas grösser. — Beim Menschen-
affen dagegen ist das Hinterhauptsloch nicht nach unten, sondern mehr nach
hinten gerichtet, dergestalt, dass der Schädel nach vorn von der Wirbelsäule
herabhängt. Dadurch läuft der erstere der beiden Schenkel des Basalwinkels
nur wenig aufwärts , mehr horizontal , wie der zweite ; der Winkel wird daher
nicht stark geknickt, d. h. er nähert sich zwei Rechten, einer Geraden. (Vergl.
Ranke, Der Mensch. I. S. 424 und 425, wo der Sattelwinkel an Abbildungen
dargestellt ist.)
— 91 —
daher z. T. infolge stärkeren "Wachstums mehr und mehr vorsprung-
artig vor. Wenn dieses Vorschieben auch z. T. durch das von Virchow
und Langer betonte Wachstum anderer Knochen bewirkt wird, zum
anderen Teil verdanken es doch die Kiefer ihrem eigenen Wachs-
tum, ganz wie bei den Affen.
Es will mir daher scheinen, dass menschliche und tierische
Prognathie ihrem Wesen nach doch nur teilweise , nicht aber so
völlig von einander verschieden seien, dass man sie gar nicht mit-
einander vergleichen könnte. Ist dem aber so, dann bleibt auch
die obige vergleichende Betrachtung über die Stellung des Dnjopühe-
cus zu Recht bestehen.
Gaudry stützt jedoch sein Urteil über die dem JDryopithecus
zukommende systematische Stellung keineswegs nur auf die Länge
der Schnauze. Er führt noch ein zweites Merkmal an, welches mit
schwerem Gewichte in die Wagschale fällt.
Es wird nämlich durch Gaudry nachgewiesen, dass bei Dnjo-
pithecus auch die Breite des der Zunge zur Verfügung stehenden Raumes
geringer ist als bei irgend einem anderen der Menschenähnlichen.
Einmal verlaufen die beiden Zahnreihen verhältnismässig näher als
bei jenen nebeneinander, so dass demzufolge auch die Zunge schmäler
sein musste als bei jenen. Zweitens aber ist das Kinn, die Unter-
kiefersymphyse , so dick , dass die Zunge sich auch weniger weit
nach vorn und vorn-unten ausstrecken konnte. Bei der grossen
Bedeutung, welche die Zunge für die Sprache besitzt, hält Gaudry dies
für einen überaus wichtigen Beweis der Inferiorität des Dryoplthecus.
So sehr das auch einleuchtet, so kann doch immerhin hervor-
gehoben werden , dass gerade der als am niedrigststehend geltende
Anthropomorphe , der Gibbon , eine weniger verdickte ünterkiefer-
symphyse besitzt als die anderen , höher stehenden Menschenaffen.
Gaudry giebt vergleichende Abbildungen, bei welchen das Halb-
kreisförmige der Zahnreihe des menschlichen Unterkiefers in scharfen
Gegensatz tritt zu dem ungefähren Parallelisraus der Zahnreihen (von
M^ bis zur Canine) der Anthropomorphen und ganz besonders des
Dryoplthecus.
Aber auch in dieser Beziehung muss doch daran erinnert werden,
dass bei vielen wilden Völkern hier eine Annäherung an den Affen-
typus stattfindet. So hebt z. B. Nehring hervor, dass bei dem Sam-
baqui-Schädel — welcher demjenigen des Pithecanthropus E. Dübois
in einem Punkte so ähnlich ist (vergl. darüber in Teil II) — die Reihen
der Backenzähne annähernd parallel verlaufen, so dass sie mit den
— 92 —
Schneidezähnen keinen Halbkreis, sondern einen stumpfen Winkel
bilden. Dasselbe beobachtete er an dem Schädel eines Cayapö-Indianers
aus Brasilien V Man wolle auch die in Taf. III dieser Arbeit ge-
gebene Fig. 3 u. 4 von der Zahnreihe eines Nago-Negers vergleichen,
welche Ähnliches erkennen lässt.
Allerdings ist damit zugegeben, dass dieses von Gaudry hervor-
gehobene Merkmal ein inferiores ist, denn das sind inferior stehende
Menschenrassen. Aber dasselbe erleidet doch zugleich eine gewisse
Abschwächung dadurch, dass es sich eben bei Menschen überhaupt
wiederfinden lässt.
Noch auf ein drittes Kennzeichen weist Gaudry hin, welches
die alte Ansicht von der hohen Stellung des Dnjopühecus in der
Reihe der Anthropomorphen erschüttert.
Mit Hilfe einer vergleichenden Abbildung stellt er fest, dass
die Profillinie des Kinnes bei Dryopitliecus ganz ebenso schräg von
vorn-oben nach hinten-unten verläuft wie bei dem Chimpanse, dass
also Dryopühccus gar keine grössere Menschenähnlichkeit in dieser
Hinsicht besitze.
Wiederum aber kann man auch hier geltend machen, dass
gerade der Gibbon, wie schon Lartet beobachtete, ein senkrechteres
Kinn als alle anderen Anthropomorphen besitzt. Da dieser nun als
der am wenigsten menschenähnliche von allen gilt und doch das
am meisten menschenähnliche Kinn besitzt, so kann der Wert dieses
Merkmales kein besonders hoher sein.
Dasselbe ergiebt sich aber auch daraus, dass verschiedene der
lebenden, niedrigstehenden Cehus-k^en Unterkiefer besitzen, welche
menschenähnlicher gestaltet sind, als diejenigen der hochorganisierten
Anthropomorphen! Auch hat Ameghino sogar aus dem Eocän von
Patagonien Affen beschrieben, welche den lebenden Cebiden verwandt
sind und bereits ebensolche Unterkiefer von sehr menschenähnlicher
Gestalt besitzen".
Wenn nun auf der einen Seite niedriger stehende Affen ein
^ Zeitschrift für Ethnologie. Berlin 1895. S. 713.
^ Ich eitlere nach Schlosser 's Eeferat im Archiv für Anthropologie,
Litteraturbericht für Zoologie f. d. Jahr 1892. S. 142. Die Arbeit Ameghino's
liegt in französischer Übersetzung vor von Trouessart: Les singes eocenes de
Patagonie austral d'apres M. Fl. Ameghino. Revue scientifique. Paris 1892,
t. 49. S. 148, 149. Die Namen Homunciilus, Homocentrus, Anthropoi)s sollen
darauf anspielen, aber sie beweisen natürlich gar nichts für eine nahe Verwandt-
schaft mit dem Menschen.
— 93 -
menschenähnliclieres Kinn als höher stehende besitzen, so zeigt auf
der anderen Seite auch der Schädel des Menschen keineswegs immer
ein vorstehendes Kinn. So besitzen z. B. die beiden prähistorischen
Unterkiefer aus dem Diluvium der Schipka-Höhle und von La Nau-
lette ein nur sehr wenig hervorstehendes knöchernes Kinn. Sie
haben ^ im Profil eine so steile Vorderfläche, dass eine Annäherung
an den Affentypus gar nicht zu verkennen ist. Das sind freilich
fossile Schädel. Gleiches Verhalten aber zeigen nach Hartmann bis-
weilen auch die Unterkiefer heutiger Papüa-Schädel.
Man sieht aus dem Gesagten, dass auch dieses, das Kinn des
Dryopithecus betreffende Merkmal der Inferiorität etwas von seiner
Bedeutung verliert.
Doch Gaudry macht noch auf ein viertes Kennzeichen aufmerk-
sam, durch welches angedeutet wird, dass man dem Dryojnthecus
keine so grosse Menschenähnlichkeit zuschreiben dürfe, wie Lartet
geglaubt habe:
Es ist bekannt, dass die Weisheitszähne, M^, beim Menschen
erst zwischen dem 18. bis 30. Lebensjahre erscheinen, d. h. erst lange,
nachdem die Caninen und Prämolaren des Milchgebisses durch de-
finitive Zähne ersetzt sind. Nun hatte Lartet, auch darin die grosse
Menschenähnlichkeit des Dryopithecus betonend , gezeigt , dass bei
diesem ebenfalls alle Milchzähne bereits ersetzt waren , bevor M'
durchbrach, wogegen bei allen anderen Affen M^ umgekehrt früher
erschiene, bevor die Ersatzcanine durchbräche.
Beide Behauptungen Lartet's sucht Gaüdry abzuschwächen.
Was zunächst den letzteren Punkt anbetrifft, so berichtigt er Lartet
dahin , dass sich die Affen keineswegs , wie dieser meinte , gleich-
massig verhalten^, indem M^ bei einigen gleichzeitig mit C, bei
anderen später als C erscheint.
Wenn ich nun aber die von Lartet an bestimmten Anthropo-
morphen gemachten Beobachtungen^ mit den von Gaüdry an ganz
denselben Formen angestellten vergleiche, so ergiebt sich eine Gegen-
sätzlichkeit des von beiden Forschern Beobachteten.
1. Nach Owen, Lartet und Düvernoy ergab sich :
^ Eanke, Der Mensch. 2. Aufl. 1894. Teil IL S. 53. Auch Hartmann
giebt eine Abbildung desselben in „Die menschenähnlichen Affen". Leipzig 1883.
S. 113. Fig. 37.
^ Den Hylohates hatte Lartet selbst schon ausgenommen.
3 Compt. rend. hebd. Ac. d. sc. Paris. Bd. 43. 1846. S. 220.
— 94 —
Bei Orang:
„ Chimpanse: Stets war M^ schon erschienen, bevor der letzte
^ Gorilla: | Milchzahn, die Canine, durchbrach.
„ Semnopithectis: ]
„ Hylöbates: M^ erschien nach C.
2. Nach Gaudry ergab sich:
Bei Orang: M^ war noch nicht erschienen, als C bereits da war.
„ Chimpanse : M^ und C erschienen gleichzeitig.
„ Semnopithecus: ]VP und C erschienen fast gleichzeitig, C nur
ein wenig früher.
„ Hylohates: M^ und C erschienen gleichzeitig.
Man erkennt mit leichter Mühe aus diesen gegensätzlichen
Angaben beider Parteien, dass bei einer und derselben Anthropo-
morphen-, überhaupt Affengattung, diese Verhältnisse zu variieren
scheinen. Das aber wäre nicht nur nicht wunderbar, sondern von
vornherein zu erwarten. Denn wenn beim Menschen M^ hier mit
dem 18. Jahre erscheint, dort mit dem 30., da überhaupt gar nicht,
so möchte man voraussetzen, dass diese Verhältnisse bei den Men-
schenähnlichen ebenfalls variieren.
In dieser Beziehung vermag, wenigstens über den Orang-Utan,
niemand so sichere Auskunft zu geben , wie Selenka \ welcher in
der bisher noch von keinem Forscher auch nur annähernd erreichten
Lage war, an 300 Schädel des Orang untersuchen zu können. Selenka
stellte am Dauergebiss die folgende Durchbruchsreihe fest:
1. M\ Dieser erscheint ausnahmslos zuerst. Darauf längere Pause,
dann
2. M^, P, P, aber in wechselnder Reihenfolge. Wieder längere
Pause, darauf
3. P^ und P^, auch in wechselnder Reihenfolge. Unmittelbar darauf
4. C, der aber sehr langsam wächst. Abermals längere Pause, dann
5. W.
6. und 7. Eventuell nun M^ und M^
Nach diesen Forschungen hätten wir also, mindestens beim
Orang, in Bezug auf das Erscheinen von C und M^ genau dieselbe,
nicht aber eine entgegengesetzte Reihenfolge wie beim Menschen:
Nach dem Erscheinen von Ersatz C eine längere Pause, dann erst
Dnrchbruch von M^, nur dass die Pause natürlich wohl bei weitem
nicht so lange dauert als beim Menschen.
* Die Rassen und das Gebiss des Orang-Utan. Sitzungsber. Akad. d. Wiss.
Berlin. Math.-pbysik. Kl. 19. März 1896. S. 7.
— 95 —
Ein Variieren zwischen dem Erscheinen von C und ÄP scheint
allerdings bei Orang nicht zu erfolgen, wohl aber ein solches zwischen
dem Durchbruche von M^, I\ P und P\ P^.
Von Interesse ist die von Dietlein gemachte Beobachtung, dass
beim Menschen der Durchbruch der Canine sexuell verschiedenzeitig
erfolgt. W, Dietlein^ hat nämlich an sehr grossem Materiale
(7500 Personen) festgestellt, dass der Eckzahn der Mädchen im Ober-
"wie Unterkiefer durchschnittlich um ^4 Jahre früher durchbricht als bei
Knaben. Offenbar ist das eine Folge der beim weiblichen Geschlechte
früher auftretenden Pubertät. Auch M^ bricht bei den Mädchen
oben 6, unten 7 Monate eher durch als bei den Knaben.
Nach Dietlein findet sich aber auch ein ganz analoges Ver-
halten bei männlichen und weibhchen Anthropomorphen , so dass
sich vielleicht dadurch gewisse gegensätzliche Angaben verschiedener
Autoren erklären lassen.
Auch in Bezug auf Dryopithecus zeigt nun aber Gaudry, dass
Läetet nicht recht hatte, wenn er für diesen Anthropomorphen ein
menschenähnliches spätes Durchbrechen des M^ annahm. Der zweit-
gefundene Unterkiefer Hess nämlich erkennen, dass M^ sehr bald
nach C erschienen sein muss. Ob es sich hier etwa um sexuelle
Unterschiede handelt? Der von Lartet gefundene Unterkiefer, welcher
nach diesem Autor eine so kleine Canine besitzen soll, gehörte viel-
leicht einem Weibchen an. Auf solche Weise würde sich bei Lartet's
Kiefer die kleine Canine und ihr gegen M^ früherer Durchbruch als
Merkmal eines Weibchens von BnjopitJiecus erklären, bei Gaüdry's
Unterkiefer das gegenteilige Verhalten als solches eines Männchens.
Wie dem nun auch sei, auf alle Fälle wird bei Bryopithecns
M^ nicht sehr lange nach C erschienen sein, so dass ein Unterschied
gegenüber dem heutigen Menschen vollauf besteht. Aber, vergleichen
wir da nicht abermals Ungleichwertiges, wenn wir den Zahnwechsel
des miocänen Dryopithecus mit demjenigen des heutigen Menschen
in Parallele stellen? Das würde doch nur dann ein brauchbares Er-
gebnis liefern, wenn das Gebiss im Laufe der geologischen Zeiten,
der Stammesentwickelung, etwas Starres, Unveränderliches geblieben
wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Eine Entwickelungsrichtung
geht bei den Säugern hinaus auf allmälige Verkürzung der Kiefer,
also Verringerung der Zahnzahl, da in dem kürzeren Kiefer natürlich
^ Über Zahnwechsel und verwandte Fragen. Anatomischer Anzeiger. 1895.
Bd. 10. S. 354-357.
— 96 —
nur noch eine kleinere Zahl von Zähnen Platz findet. Bei dem
heutigen Menschen zeigt sich das unter anderem auch darin, dass
äP, die Weisheitszähne, teilweise erst spät (18. — 30. Lebensjahr) er-
scheinen, teilweise überhaupt nicht mehr zum Vorschein kommen,
ganz fehlen (vergl. darüber in Teil II dieser Arbeit).
Diese heutigen Verhältnisse beim Menschen sind aber erst etwas
allmählich Gewordenes. Wir müssen daher annehmen, dass bei dem
Menschen der Tertiärzeit M^ noch niemals fehlte und dass er bereits
in früherem Lebensalter, vor dem 18. — 30. Jahre, erschien. Viel-
leicht galt das schon von dem diluvialen Menschen. Freilich kennen
wir den Menschen der Tertiärzeit noch nicht und Schädel des di-
luvialen sind so selten , dass wir die Richtigkeit einer solchen An-
sicht für den Menschen nicht direkt beweisen können. Indessen aus
der Thatsache, dass M'"* beim Menschen jetzt im Verschwinden be-
griffen ist, können wir doch schliesöen, dass er früher ein ebenso
stetiger Bestandteil des Gebisses war, wie die anderen Zähne, dass
er früher auch zeitiger erschien als jetzt, dass er also in dieser Hin-
sicht keinen Unterschied gegenüber Dryopitliecus gezeigt haben mag.
Wenn wir daher nach dieser Richtung hin den tertiären Bnjo-
pitliecus vergleichen mit anderen Affen oder mit dem Menschen, so
müssten wir eigentlich tertiäre Zahnwechselverhältnisse hier mit
tertiären dort vergleichen, nicht aber tertiäre hier mit heutigen dort.
Thun wir das , so ergiebt sich , dass bei Bryopitliecus die M^ ver-
mutlich ähnlich frühzeitig erschienen sind, als das bei dem damaligen,
bezw. bald nach ihm erschienenen Menschen noch der Fall war.
Unmöglich konnte doch bei dem miocänen Dryopitheciis die Re-
duction der Zahnzahl bereits so weit vorangeschritten sein, wie bei
dem heutigen Menschen. Wenn nun weiter sich zeigt, dass unter
den heute lebenden Affen sich hinsichtlich des Erscheinens der M^
manche menschenähnlicher verhalten, als Dri/opithecHS, so kann auch
das nicht wundernehmen. Denn unter der so grossen Zahl von
Affen wird die Reduction der Zahnzahl nicht zu gleicher Zeit ein-
treten, sondern bei den einen früher, bei den anderen später. Ganz
ebenso wie beim heutigen Menschen M^ hier schon mit dem 18.,
dort erst mit dem 30. Jahre, da überhaupt gar nicht mehr erscheint.
Noch in einem letzten Punkte endlich berichtigt Gaudry die
IjARTET'sche Auffassung von der hohen Stellung des Bryopifheciis :
Lartet glaubte, auf eine geringe Grösse der Canine schliessen zu
müssen, was allerdings ein hochgradig menschenähnliches Merkmal
sein würde. Auch hier aber zeigte Gaudry an der Hand des besser
— 97 —
erhaltenen zweiten Unterkiefers, dass der Eckzahn durchaus nicht
menschenähnhch kurz war, sondern dass er eine Krone besass, welche
diejenige der anderen Zähne etwa um das Doppelte überragte.
Es ist das ein Punkt, gegen welchen sich wenig Abschwächen-
des einwerfen lässt. Man könnte nur ebenso wie bei ]\P hervor-
heben , dass einerseits der Mensch der Tertiärzeit vermutlich eben-
falls noch recht tierische, lange Eckzähne besessen haben wird, wie
sich solche ja ganz ausnahmsweise (s. später in Teil II) auch heute noch
beim Menschen finden, dass auch anderseits die heutigen anthropo-
morphen Affen wohl ebenso lange Caninen, z. T. noch längere be-
sitzen, als Dryopithecus.
Es wird daher durch dieses Merkmal allerdings Lartet's Be-
hauptung widerlegt, nicht aber bewiesen, dass Dryopitheciis auch in
dieser Hinsicht die letzte Stelle in der Reihe der Anthropomorphen
verdiene.
Ziehen wir nun die Summe dieser Betrachtungen, so ergiebt
sich das Folgende : Gaudry hält den Dryopithecus für den am wenig-
sten menschenähnlichen der Anthropomorphen, weil derselbe
1. die verhältnismässig längste Zahnreihe, also relativ längste
Schnauze besass ;
2. den verhältnismässig schmälsten und kürzesten Raum für
die Zunge darbot;
3. durchaus nicht ein so steiles Kinn besass, wie Lartet meinte;
4. weil bei ihm M^ schon bald nach dem Wechsel des letzten
Milchzahnes erschien ;
5. weil die Krone der Canine ungefähr doppelt so lang war,
als diejenige der anderen Zähne.
Einem jeden dieser Gründe konnten wir den Einwurf gewisser
Gegengründe machen, wodurch die ersteren abgeschwächt werden.
Aber trotzdem bleibt zu Recht bestehen, dass dieser Anthropomorphe
nur als ein Affe und nicht etwa als eine Übergangsform zum Menschen
betrachtet werden kann und dass, wie Gaudry zeigte, seine Eigen-
schaften durchaus nicht so hochgradig menschenähnliche sind, wie
Lartet meinte.
Ob freilich dieser Affe wirklich wegen der Länge seiner Schnauze
und der Schmalheit des der Zunge zu Gebote stehenden Raumes —
denn das sind die entscheidenden Gründe — an die letzte Stelle in
der Reihe der Menschenähnlichen zu setzen ist oder ob er nicht
doch wegen der grossen Menschenähnlichkeit seiner Molaren dem
Menschen näher steht, darauf möchte vv'ohl, je nach subjektivem Er-
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Katurkuado ia V.'ürtt. 1S98. 7
— 98 —
messen, die Antwort verschieden ausfallen. Hoffentlich bringen
fernere Erfunde weiteres Licht über Schädel und Skelettbildung dieser
Anthropomorphengattung , welche durch die menschenähnlichsten
Zähne ausgezeichnet ist, welche daher vor allen anderen Arten die
Frage anregt, ob in mitteltertiären Zeiten nicht Menschenaffen ge-
lebt haben, welche dem Menschen ähnlicher waren, als das die
heutigen Vertreter dieser Affenfamilie sind.
Wie berechtigt diese Frage ist, wird durch das Dasein einer
zweiten fossilen, geologisch jüngeren Gattung anthropomorpher Affen
bewiesen, welche abermals in einer anderen Beziehung hochgradig
menschenähnlich war: der Gattung Pithecanthropus.
Pithecanthropus.
Bekanntlich hat E. Dübois ^ den Gattungsnamen Pithecanthropus
für ein von ihm entdecktes fossiles Wesen gewählt, um anzudeuten,
dass dieses die von vielen gesuchte Übergangsform vom Affen zum
Menschen sei. Wohl kein anderes fossiles Wesen hat ein so allgemeines
Interesse erregt, wohl nur sehr wenige haben einen so vielseitigen
Austausch völlig entgegengesetzter Meinungen erweckt, wie dieser
Pithecanthroinis. Von den einen gedeutet als zweifelloser Mensch,
von den anderen als echter Affe, von den dritten als unbestreitbare
Übergangsform zwischen Mensch und Menschenaffe, „schwankt sein
Charakterbild in der Geschichte" der Palaeontologie.
Ich bin der Ansicht, dass hier ein fossiler Menschenaffe vor-
liegt. In einer Vereinsschrift wie der vorliegenden dürfte es aber
angezeigt sein, wenn ich der Begründung dieser Ansicht einiges Er-
läuternde voranschicke, welches engeren Fachgenossen natürhch be-
kannt ist.
Das Gestein, in welchem die Reste dieses so heiss umstrittenen
Wesens gefunden wurden, wird gebildet durch lose vulkanische Aus-
würflinge, welche ins Wasser gelangten und auf solche Weise ge-
schichtet wurden. Diese vulkanischen Sande und Lapilli sind jedoch
nicht mehr weich, sondern bereits zu festen Gesteinen erhärtet, eine
Thatsache, aus welcher hervorgeht, dass dieselben schon vor recht
langer Zeit abgesetzt worden sind. Ganz dieselbe Thatsache folgt
aus der Lagerung dieser Schichten; denn die ursprüngliche, wage-
^ Fithecanthroinis erectas. Eine menschenähnliche Übergangsfonu aus
Java. 2 Taf., 3 Textfiguren. Batavia 1894. Vergl. auch ferner: E. Dubois in
Zeitschr. f. Ethnologie. 1895. Jahrg. 27. S. 723 und Anatomischer Anzeiger. 1896.
Bd. 12. S. 1.
- 99 —
rechte Lage derselben hat sich bereits in eine von 3 bis zu 15° ge-
neigte verwandelt.
Beide Umstände sprechen mithin dafür, dass es sich um eine
nicht mehr ganz junge Ablagerung handeln dürfte. Dieser Eindruck
wird aber noch verstärkt durch die Versteinerungen, welche sich in
diesen Schichten finden : Zahlreiche Reste einer kleinen , Äxis-
ähnlichen Hirsch-Art; häufige Reste von Stegodon; ferner Buhalus,
Leptobos , Bos elaplius (Portax), JRhinoceros , Hippopotamus ^ Sus,
Felis, Hyaena. Endlich eine riesenhafte Manis ^ ein Schuppentier,
welches die heute lebende Art Javas um das Dreifache an Grösse
überragte.
Die Vergleichung dieser Fauna lehrt, dass dieselbe Beziehungen
besitzt sowohl zu der pliocänen der Siwaliks als auch zu der wohl
altquartären von Narbada im westlichen Vorderindien. Dass sie
jünger ist, als die pliocäne der Siwaliks, steht fest. Es kann daher
nur die Frage sein, ob sie jungpliocän oder bereits altdiluvial ist.
Der Unterschied ist nicht gross; aber bei der Wichtigkeit, welche
diesem Wesen auf alle Fälle zukommt, wäre es immerhin von Be-
deutung, wenn sich diese Frage mit Sicherheit entscheiden Hesse.
Das ist jedoch sehr schwer, denn bei der Altersbestimmung von
Säugetierfaunen tritt störend der Umstand hervor, dass der Ent-
wickelungsgang, welchen diese höchst organisierten Tiere genommen
haben, nicht auf der ganzen Erde ein gleichmässiger und gleich-
zeitiger gewesen ist. Wir müssen unterscheiden zwischen wirklicher
Oleichalterigkeit und blosser Gleichwertigkeit zweier Faunen, bei
vv^elcher letzteren durchaus nicht zugleich auch genaue Gleichalterig-
keit vorhanden zu sein braucht, sondern nur ein gleichwertiger Ent-
wickelungszustand vorliegen kann, wie ich das bei anderer Gelegen-
heit eingehender dargelegt habe^ E. Dübois erklärt die den Pithec-
ünthropus begleitende Fauna für vermutlich älter als die Narbada-
Fauna, also als jungpliocän. Dames^ ist dagegen der Ansicht, dass
■sie mit dieser gleichalterig, mithin ungefähr altquartär sei. Jeden-
falls ist die Mehrzahl der Arten, welche mit Dryopitliecus zusammen
gefunden wurden, bereits ausgestorben ; sogar eine Gattung und zwei
Untergattungen sind schon seitdem von der Erde verschwunden.
Dazu gesellt sich nun noch der weitere Umstand, dass der Er-
^ W. Branco, Über eine fossile Säiigetierfauna von Punin bei Eiobamba
in Ecuador. Palaeontolog. Abhandl. von Dames u. Kaj'ser. Bd. I. Heft 2.
S. 157. Berlin 1883 bei G. Reimer.
2 Deutsche Rundscliau. 1896. Heft 12.
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haltungszustand der Knochen ebenfalls auf ein ziemlich beträcht-
liches Alter schliessen lässt; denn dieselben sind durch den Ver-
steinerungsprocess schon sehr schwer und härter als Marmor ge-
worden. So wiegt z. B. das Femur von F'dhecanthropns nicht weniger
als 1 kg, d. h. mehr als das Doppelte eines gleichgrossen Ober-
schenkelknochens vom Menschen.
Alle diese petrographischen, palaeontologischen und stratigraphi-
schen Thatsachen sprechen in übereinstimmender Weise dafür, dass
das Alter der mit Pithecanthropiis vergesellschafteten Fauna kein
ganz jugendliches sein kann. Ob es aber in die Zeiten fällt, welche
vom Pliocän zum Pleistocän hinüberführen, oder ob es noch aus-
gesprochen der ersteren oder schon der letzteren Epoche angehört,
das dürfte schwer zu sagen sein.
Inmitten dieser Fauna wurden die leider nur sehr sparsamen
Reste des fraglichen Wesens gefunden : Ein Schädeldach, zwei Backen-
zähne, ein Oberschenkelknochen. Auch der Umstand ist ungünstig,
dass die Zusammengehörigkeit dieser drei Teile zu einem und dem-
selben Individuum nicht vöUig einwandsfrei ist. Es wurde nämlich
zuerst, im Jahre 1891, neben vielen Resten der obengenannten Säuge-
tiere und Reptilien, ein Backenzahn gefunden. Derselbe lag in der
üferwand des in das Gelände eingeschnittenen Begawan-Flusses,
12^ — 15 m unter der Erdoberfläche und ungefähr 1 m unter dem
Trockenzeitpegel des Flusses. An derselben Stelle, nur einen Monat
später, entdeckte man dann das Schädeldach, so dass die Zusammen-
gehörigkeit dieser beiden Teile wohl unbestreitbar ist.
Der Oberschenkelknochen dagegen fand sich 15 m weiter strom-
abwärts. Dass er erst ein Jahr später gefunden wurde, ist natür-
lich ganz nebensächlich. Wichtig dagegen ist, dass er in demselben
Niveau lag wie jene, wodurch zunächst mindestens die Gleichzeitig-
keit seiner Ablagerung mit derjenigen der beiden anderen Reste
sicher erwiesen ist. Der Umstand nun, dass dieses Femur nicht
genau an derselben Stelle lag wie jene, wird von manchen als Stütze
ihrer Ansicht erachtet, dass beiderlei Reste nicht zusammengehören;
dass der Oberschenkel einem Menschen, die Zähne und das Schädel-
dach dagegen einem menschenähnlichen Affen zuzurechnen seien.
Eine solche Schlussfolgerung wird jedoch keiner, der palaeonto-
logisch zu arbeiten gewöhnt ist, gelten lassen: Nicht weniger als
400 Kisten voll fossiler Knochen sind an jener Fundstätte gesammelt
worden. Alle diese Reste gehören ausnahmslos den obengenannten
Huftieren, Carnivoren etc. an ; nur die in Rede stehenden vier Stücke
— 101 —
sind anders beschaffen; und von diesen sollte nun die eine Hälfte
einem Menschen, die andere einem Affen angehören, während doch
sonst weder von dem Einen noch von dem Anderen ein weiterer
Rest gefunden wurde? Das wäre über alle Massen unwahrscheinlich;
mit angenäherter Sicherheit kann man vielmehr schliessen , dass
Schädel, Zähne und Oberschenkel einer und derselben Gattung, sogar
einem und demselben Individuum angehören.
Dazu kommt, dass diese Knochen an ihrer Oberfläche eine so
vorzügliche Erhaltung besitzen, dass sie unmöglich bereits als ver-
einzelte Knochen durch das Wasser verfrachtet worden sein können.
Es handelt sich hier allem Anschein nach um einen einzigen, einst-
mals im Wasser getriebenen , schon sehr stark verwesten Kadaver,
von dem zuerst der Schädel, bald darauf der Schenkel losgelöst
wurden, während der Rest vielleicht noch weiter schwamm. Die
Frage kann also nur sein : Was war das für ein Wesen : Mensch
oder Affe oder Übergangsform zwischen beiden?
Bei dem Oberschenkel überwiegen die Ähnlichkeiten mit dem
Menschen , bei dem Schädeldache dagegen die mit dem Affen und
zwar, nach Virchow, speciell mit demjenigen Menschenaffen, welcher
noch heute auf derselben Insel, auf Java wohnt, mit dem Gibbon. Die
allgemeine Form des fraglichen Schädels sei ganz die eines Gibbon,
wenn auch eines solchen von riesiger Grösse. Viele erklären ihn
daher als den eines Affen ; und Virchow erläutert das — vergl. dar-
über auf S. 106 — indem er den ümriss des fraglichen Schädels und
darüber den , auf das Doppelte vergrösserten eines Gibbon zeichnet.
Beide Umrisse decken sich zwar nicht völlig, haben doch aber ganz
ähnlichen Verlauf. Einen so flachen und niedrigen Schädel kennt
man, wie Virchow betont, bisher von keinem Menschen; selbst die
beiden berühmten des Neander-Thales und von Spy, selbst diejenigen
lebender Mikrocephalen sind höher. Ebenso ist die sehr starke Ein-
schnürung des Schädels in der Schläfengegend völlig so wie man sie
bei Affen findet.
So bestechend das wirkt, die Sache ist damit doch keineswegs
bereits endgültig zu Gunsten eines Affen entschieden. Einmal näm-
lich hat Nehring gezeigt, dass ganz dasselbe Mass von Einschnürung
auch beim Menschen auftreten kann K Zweitens aber bereitet die
Grösse des fraglichen Schädels uns Schwierigkeiten, solange wir ihn
für den eines Affen erklären : Selbst der Schädel eines erwachsenen
^ Über einen Sambaqui-Schädel. Sitzungsber. Ges. naturf. Freunde. Berlin.
— 102 —
Chimpanse ist nämlich um ein volles Drittel kürzer als der frag-
liche, obgleich aus der Länge des gefundenen Oberschenkels hervor-
geht, dass die Körpergrösse des Fithccanthropns ungefähr die gleiche
gewesen ist wie die eines Chimpanse, also etwa die mittlere eines
Menschen. Dem verhältnismässig, d. h. zur Körperhöhe, grossen
Schädel des Pithecanthropics entspricht natürlich auch ein verhältnis-
mässig sehr grosses Gehirn, wie man es bei keinem Affen annähernd
kennt. Der Inhalt des Schädelraumes beträgt nämlich 900 cm^,
während er bei den grössten Menschenaffen nur 500, ganz ausnahms-
weise bis 600 cm^ misst.
Darauf baut Dubois nun seine Schlussfolgerung : Man kann sich
ja freilich , sagt er , einen ganz riesigen Gibbon denken , so gross,
dass sein Schädel ebenfalls 900 cm^ fasst ; dann aber müsste sein
Körper zwei- bis dreimal so gross sein wie der eines grossen Gorilla
oder Menschen. Dementsprechend müsste auch der Kauapparat dieses
Riesenaffen ein gewaltiger gewesen sein ; aber nichts an dem frag-
lichen Schädel lässt die Ansatzstellen so mächtiger Muskeln sehen ;
sie waren also nicht vorhanden.
Es sprechen mithin sowohl die zu geringe Grösse des Ober-
schenkelknochens, als auch das Fehlen gewaltiger Kaumuskeln gegen
die Annahme, dass dieses Wesen eine solche Riesengestalt besessen
habe, wie sie einem Affen nach der Grösse des Schädels zukommen
müsste. Zudem ist das Grosshirn des Pithecanthropns nach Dubois-
fast eben so hoch gewölbt wie dasjenige der beiden berühmten ur-
alten Menschenschädel des Neander-Thales und von Spy. Folglich,
so schliesst E. Dubois, kann dieses Wesen kein Affe gewesen sein,
sondern nur ein Mensch oder eine Übergangsform zwischen beiden.
Aber selbst wenn man sich trotzdem, so folgert Dübois weiter,
einen so übergewaltig grossen Gibbon vorstellen wollte, welcher den
Menschen zwei- bis dreimal an Grösse übertrifft, so liesse sich doch
ein solches Phantasiebild mit der Lebensweise dieser Affen nicht in
Einklang bringen. Ein Gibbon lebt auf Bäumen, wo er sich in
rascher Flucht von einem Aste zum anderen schwingt. Unter einem
solchen Riesenkörper von 3 — 4 Centner Gewicht würden aber die
Äste wohl so vielfach abgebrochen sein und bei einer solchen Körper-
länge von 3 — 4 m würde dieser Menschenaffe so wenig durch das
Gewirr der Äste haben seinen Weg finden können, dass er ein
Phantasiegebilde bleiben muss. Wir dürfen uns daher den Besitzer
des fraglichen Schädels doch nur als von etwa Menschengrösse vor-
stellen.
— 103 —
Ist dem so, dann stehen wir aber, sagt Dubois, vor der Alterna-
tive , dass der fragliche Schädel für einen Menschen viel zu klein,
für einen Menschenaffen viel zu gross ist, mit anderen Worten, dass
er an Grösse und Gehirninhalt wieder voll Mensch, noch voll Affe ist.
Gegen eine Zugehörigkeit zum Affen führt E. Dübois aber noch
zwei weitere Gründe an. Wenn wir das Skelett von Mensch und
Affe vergleichen, so sitzt beim Menschen der Schädel auf der Wirbel-
säule fast wie ein Knopf auf einer Fahnenstange, d. h. der Schädel
ist beinahe in seiner Mitte aufgespiesst auf der Wirbelsäule. Beim
Menschenaffen dagegen geht, um beim Bilde zu bleiben, die Fahnen-
stange nicht durch die Mitte des Knopfes, sondern sie liegt excen-
trisch- Der Schädel ist hier also mit seinem hinteren Ende an der
Wirbelsäule aufgehängt. Das Hinterhauptsloch liegt mithin beim
Affen mehr nach hinten, beim Menschen mehr nach der Mitte der
Schädelbasis zu.
Vergleichen wir damit den fraglichen Schädel, so zeigt sich, dass
sein Hinterhauptsloch weiter nach vorn gerückt ist, also menschen-
ähnlicher liegt, als bei irgend einem Affen der alten Welt. Eine
weitere Menschenähnlichkeit liegt in der starken Vorwärtsbiegung
des Nackenteiles der Hinterhauptsschuppe : Eine Eigenschaft, die man
beim Menschen in Beziehung bringt zu dem aufrechten Gange, die
mithin bei dem fraglichen Wesen ebenfalls für aufrechten Gang spricht.
So zeigt sich also in den verschiedenen Merkmalen des frag-
lichen Schädels, in Umriss, relativer Grösse und den letztgenannten
beiden Punkten, eine Disharmonie. Es liegen Merkmale des Menschen
und des Menschenaffen vereint nebeneinander, und so erklären sich
denn die vollkommen entgegengesetzt lautenden Urteile der Forscher
über denselben. Während Autoritäten wie Hamann. Ten Kate, Koll-
mann, W. Krause, Joh. Ranke, Selenka, Virchow, Waldeyer, v. Zittel
den Schädel ganz bestimmt für den eines Affen erklären, wird er
ebenso sicher für den eines Menschen gedeutet von Ctjnningham,
Keith, Lydekker, Martin, Matschie, Topinard, Türner. Wenn nun
so gewiegte Forscher zu derart diametral entgegengesetzten An-
schauungen in dieser Beziehung gelangen konnten, so spricht in
der That dieser Umstand allein schon zu Gunsten der von Dübois
vertretenen Ansicht, dass eben weder Mensch noch Affe, sondern
ein Mittelding zwischen beiden vorhege: Eine Ansicht, die von
Männern wie E. Dübois, Dames, Häckel, Manouvrier, Marsh, Nehring,
Pettit, Vernaü geteilt wird.
Die beiden Zähne bringen gleichfalls keine sichere Entschei-
— 104 —
düng. Sie gleichen denen des Menschen, besitzen jedoch auch ab-
weichende Merkmale. Wie ausserordentlich schwer es aber sein
kann, isolierte Zähne des Menschen von denen eines anthropomorphen
Affen zu unterscheiden, das hat die Untersuchung der Zähne des
JDryopitheciis in dem ersten Abschnitt unserer Arbeit gezeigt. Zumal
bei dem einen dieser beiden Zähne gestaltet sich die Sache schwierig,
weil er ein Weisheitszahn ist und diese, namentlich beim Menschen,
sehr stark variieren. Aus der von Dübois gegebenen Abbildung lässt
sich leider in dieser Hinsicht ein eigenes Urteil nicht gewinnen, ob-
gleich dieser M^ noch fast unbenutzt ist.
Gerade in diesem letzteren Umstände liegt aber etwas recht
Auffallendes. Die Untersuchung des fraglichen Schädels zeigt, dass
er bereits verwachsene Nähte besitzt, also einem Wesen angehört,
das schon ein höheres Alter erreicht hatte. Die geringe Abnutzung
des Zahnes dagegen spricht umgekehrt für seine Zugehörigkeit zu
einem jüngeren Wesen \ Yv^ir haben freihch in diesem Zahne einen
M^ vor uns, und dieser erscheint erst später als die anderen Backen-
zähne, namentlich allerdings beim Menschen (vergl. S. 93 ff.). Viel-
leicht Hesse sich darin eine Erklärung finden ; aber schwierig bleibt
dieser Widerspruch dennoch.
Während nun das fragliche Schädeldach zu so sehr verschiede-
nen Auslegungen führte, sind gegenüber dem Oberschenkelknochen
die meisten Forscher darin einig, dass er dem des Menschen gleicht,
bezw. letzterem auch angehört. Die Unterschiede in der Gestalt
des Femur bei den verschiedenen Anthropomorphen und dem Menschen
sind nur geringe. Im allgemeinen zeigt sich ein Abweichen darin,
dass bei den Menschenaffen der Oberschenkelknochen fast gerade,
beim Menschen aber etwas nach vorn gebogen ist, welche Biegung
sich wohl allmählich durch die Last des Körpers infolge des Auf-
w^ärtsgehens vollzogen hat. Der fragliche Oberschenkelknochen nun
steht in dieser Hinsicht zwischen beiden, d. h. er ist nur etwas ge-
bogen, wie man das aber doch auch bei manchen Menschen findet.
Das könnte nun dafür sprechen, dass das fragliche Wesen sich mehr
des aufrechten Ganges befleissigte : Ein Schluss, zu welchem Dubois
auch durch die starke Biegung des Nackenteiles der Hinterhaupts-
schuppe gelangt war.
^ Das aber um so mehr, als zwar der heutige Kulturmensch seine Zähne
schont, teils mit Absicht, teils weil er zarter Zubereitetes geniesst; der Wilde
aber , ebenso wie der Affe, und sicher auch jenes fragliche Wesen , nutzen ihre
Zähne schonungsloser ab.
— 105 —
Aus dem allem ergiebt sich, wie Dames hervorhob, dass Pithec-
anthropus, dieses fragliche Wesen, mit dem Schädel mehr Affe, mit
den Beinen mehr Mensch gewesen ist; dass er also gerade die Vor-
stellung erfüllt, welche man sich, bevor man Fithecanthropiis kannte,
von dem "Wesen gemacht hat, welches den Übergang zwischen Mensch
und Aife bilden würde (s. S. 64).
Gewiss sind diese Gxünde bestechend. Aber es giebt doch
auch andere, welche auf die Affennatur des Pithecanthropns hinweisen.
Soweit es daher überhaupt statthaft ist, in einer so wichtigen
Frage nur auf Grund von Abbildung und Beschreibung eine Ansicht
öffentlich auszusprechen, möchte ich das Folgende geltend machen:
Was den von E. Dubois abgebildeten Weisheitszahn anbetrifft \
so besitzt derselbe zunächst eine auffallend starke Einschnürung der
Krone, welche Dubois auch im Texte hervorhebt. Ganz dasselbe
Merkmal ist mir aber an unbenutzten Zähnen des Chimpanse und
Orang aufgefallen. Dubois macht ferner die grosse Kürze des Durch-
messers der Krone von vorn nach hinten geltend als Zeichen dafür,
dass dieser M^ bereits eine starke Reduktion, also ein menschliches
Merkmal zeige. Indessen dem gegenüber lässt sich sagen, dass bei
den Menschenaffen M^ ebenfalls reduziert sein kann. Ich habe schon
früher den Chimpanse der Stuttgarter Sammlung (s. S. 27) angeführt,
dessen M"* oben stark reduziert ist, während M^ unten sogar zum
blossen Knopfe herabgesunken erscheint. Auch das Divergieren der
beiden Wurzeln dieses Zahnes ist so stark, dass man eher den ge-
waltigen Kiefer eines Affen, als den eines Menschen dabei vor Augen
haben möchte. Endlich aber zeigt die Kaufläche des Zahnes einige
Schmelzleisten, bezw. Furchen, und das ist ein Merkmal (S. 28),
welches zwar beim Menschen auch vorkommen kann, jedoch immer
ein anthropomorphes genannt werden muss. Freilich, gerade beim
Gibbon, an den man, wenn man Vikchow's oben dargelegter Ansicht
folgen wollte , zunächst denken würde , besitzen die Zähne nicht
solche Leisten.
Aus der geringen Biegung des Femur glaube ich nichts weiter
ableiten zu sollen, als dass dieses Wesen vielleicht den aufrechten
Gang etwas mehr gepflegt hat, als die lebenden Anthropomorphen.
Da nun die letzteren sich in dieser Hinsicht nicht völlig gleich ver-
halten, so ist sehr gut ein Affe denkbar, der in noch höherem Grade
als der Gibbon, welcher am besten aufrecht geht, diese Eigenschaft
besessen hat.
' Der andere ist bereits stärker abgekaut, der Weisheitszahn aber noch intakt
— 106 —
Der Umriss des Schädeldaches von Pithecanthropus deckt sich,
wie ViRCHOW sagt, ziemlich mit dem eines Gibbon. Beide haben auch
dieselbe Heimat, die Insel Java. Wir kennen heute zwar nur sehr
viel kleinere Gibbonarten. Es läge aber darin allein kein Grund,
die Annahme zurückzuweisen, dass früher eine grosse Art dieses Ge-
schlechtes gelebt habe ; und das um so weniger, als ja die diluviale
Zeit, in welcher oder kurz vor welcher Fithecantliroims gelebt hat,
überhaupt das Zeitalter riesiger Tiergestalten war. Kommt doch
zusammen mit Pithecanthropus ein Schuppentier, eine 3Ianis-kvi,
vor, welches dreimal so gross als die jetzt lebenden Arten ist. An
und für sich also wäre ein Gibbon von etwa Menschengrösse, wie
solche aus seinen Schenkelknochen ungefähr hervorgeht, nicht nur
gut denkbar, sondern er würde auch in den Bahmen seiner Zeit gut
hineinpassen. Ausserdem ist hervorzuheben, dass Gorilla, Orang und
Chimpanse Anthropomorphengattungen sind , welche an Arten arm
sind, bezw. gar nur eine einzige Art besitzen, während vom Gibbon
eine ganze Anzahl von Arten bekannt ist. Auch unter den, wenn
auch sehr seltenen, fossilen Anthropomorphen sind die Gibbons und
ihre Verwandten verhältnismässig am häufigsten. Es würde daher
der Erfund einer neuen Anthropomorphenform gerade bei oder in
der Verwandtschaft der Gattung des Gibbon am ehesten voraus-
gesetzt werden können.
Aber die Zähne sind entschieden nicht dem Gibbon ähnlich,
da sie Rauhigkeiten besitzen, welche für Orang und Chimpanse, nicht
aber für Gibbon kennzeichnend sind. Auch ist das Schädeldach, wie
Herr Kollege Eimer mir freundlichst nach Besichtigung des Originales
mitteilte, eher einem Chimpanse ähnlich, als einem Gibbon, so dass
die Hylobates-^a.tnv nicht erwiesen zu sein scheint.
Auch gegenüber der Affennatur überhaupt ist der oben dar-
gelegte, von DüBOis gemachte Einwurf schwerwiegend, dass ein Affe
von Menschengrösse nicht annähernd ein so grosses Gehirn, wie es
Pithecanthrojnis besass, haben könnte und es gilt in der That auch
von anderen Tieren das Gesetz, dass die grossen Arten im Verhältnis
zu ihrem Körpergewichte bedeutend weniger Gehirn besitzen, als die
kleineren ^.
Nach unseren heutigen Erfahrungen dürfte daher ein etwa
menschengrosser Affe kein so grosses Gehirn besitzen, wie Pithec-
^ Wie das z. B. für die Hunde Eüdinger darlegte. Verhandl. d. aiiatom.
Ges. a. d. 8. Vers, zu Strassburg. Jena 1894. S. 173—176.
— 107 —
anthropus es thatsächlich besass. Wer also annimmt, dass letzterer
nichts weiter als ein Affe war, der muss für diesen Affen, in Bezug
auf die Gehirngrösse , eine Ausnahmestellung in Anspruch nehmen ;
und das ist allerdings eine missliche Sache.
Aber würde denn nicht ein Wesen, welches die von vielen so
sehnsüchtig gesuchte Brücke von dem Tiere zum Menschen bildet,
ebenfalls eine Ausnahmestellung im ganzen Tierreiche einnehmen?
Wir kennen auf der einen Seite bisher kein solches Übergangswesen,
und wir kennen auf der anderen Seite bisher keinen Affen mit ver-
hältnismässig so grossem Gehirne.
Was ist nun, angesichts des Pithecanthropus, die weniger kühne,
also die wahrscheinlichere Annahme : Dass man in ihm einen Affen mit
ungewöhnlich grossem Gehirne vor sich habe, oder dass man in ihm
das noch viel ungewöhnlichere Bindeglied zwischen Tier und Mensch
gefunden habe?
Ich glaube , man muss doch zugeben , wahrscheinlicher sei es
immer noch, einen solchen abweichenden Affen zu finden, als das
gesuchte Bindeglied. Zudem giebt E. Dübois selbst zu, dass unter
den lebenden Anthropomorphen eine Gibbonart, Hylobates agilis,
einen (zwar absolut kleineren, aber doch ausnahmsweise) ähnlich
hochgewölbten Schädel besitze.
Doch noch ein weiteres hätte ich geltend zu machen : Keines
der lebenden Anthropomorphengeschlechter steht dem Menschen in
allen Stücken am nächsten. Das eine gleicht ihm besonders in diesen
Eigenschaften, das andere in jenen. Es ist daher sehr gut eine
bisher noch unbekannte Anthropomorphengattung denkbar, welche
dem Menschen in einer abermals neuen Beziehung, in der verhältnis-
mässigen Gehirn- und Schädelgrösse, vielleicht auch in der Biegung
des Femur, am nächsten kommt, ohne dass sie darum gerade ein
Vorfahr des Menschen gewesen sein muss. Sie hat vielleicht wiederum
in anderen Stücken dem Menschen ferner gestanden, als jene anderen
Geschlechter. Ich gebe zu, dass es mehr und weniger wichtige
Merkmale giebt und dass die Gehirngrösse zu den allerwichtigsten
gehört. Wenn wir daher aus den lebenden und fossilen Anthropo-
morphen, nach ihrer näheren oder weiteren Stellung zum Menschen,
eine Reihe bilden sollten, so würden wir Pithecanthropus wohl an
die Spitze dieser Reihe stellen müssen. Daraus folgt aber zunächst
doch nur, dass er unter den bisher bekannten Anthropomorphen
der höchststehende Affe ist, nicht dass er auch ein direkter Vorfahr
des Menschen, das gesuchte Bindeglied zu diesem sein muss.
— 108 —
Noch einen letzten Grund möchte ich geltend machen, welcher,
meiner Ansicht nach, gegen die Deutung des Pithecanthropus als
der Übergangsform aus dem Affen in den Menschen spricht: Mag
Tltliecantliropus in altdiluvialer oder jüngstpliocäner Zeit gelebt
haben, in jedem Falle ist das, geologisch gesprochen, ein nicht sehr
fernliegender Zeitabschnitt. Wenn man sich nun den unendlich
langen, mühsehgen Weg vorstellt, welcher zurückgelegt werden
musste, falls aus dem Affen ein Mensch hervorgehen sollte — wenn
man weiter bedenkt, dass in mitteldiluvialer, ich meine interglacialer
Zeit, mit Sicherheit bereits ein echter Mensch vorhanden war, so
sollte man doch meinen, dass der Zeitraum vom Altdiluvium bezw.
Jüngstpliocän bis hin zum Mitteldiluvium viel zu kurz gewesen sei,
um eine so gewaltige Umwandlung heranreifen lassen zu können.
Diese Überlegung wird aber um so zwingender, je mehr man gelten
lässt, dass schon lange vor mitteldiluvialer Zeit, ja vielleicht schon
lange vor Fltliecantliropus Menschen gelebt haben. Mit anderen
Worten: Ich möchte meinen, dass der Übergang vom Affen zum
Menschen in eine viel frühere Zeit fällt, als die, in welcher PifJicc-
cmthropus lebte. Das Dasein eines Menschen bereits in tertiärer Zeit,
schon lange \ov Pithecanthropus^ ist allerdings nicht erwiesen (s. später) ;
aber ich habe die Empfindung, als wenn Pithecantliropus viel zu spät
entstanden sei für die Rolle, welche Dubois ihm zuweist.
Wenn ich das Gesagte noch einmal kurz zusammenfassen soll,
so möchte ich die Ansicht vertreten:
In Pithecantliropus liegt ein Affe vor, der nach den Rauhig-
keiten seines Zahnes eher an Orang oder Chimpanse erinnert als
an Gibbon.
Die Zeit, in welcher der Mensch sich aus tierischen Vorfahren
entwickelte, möchte ich lieber in eine wesentlich frühere Epoche
verlegen als die war, in welcher Pithecanthropus lebte.
Da jedes der jetzigen anthropomorphen Geschlechter in einzelnen
Eigenschaften besonders menschenähnlich ist, so bietet auch die An-
nahme eines fossilen Anthropomorphen nichts Wunderbares, der hin-
sichtlich der Gehirngrösse mehr als alle anderen menschenähnlich war.
Die Wahrscheinhchkeit, dass man eine fossile Anthropomorphen-
gattung mit bisher nicht bekannter Gehirngrösse gefunden hat, dürfte
viel grösser sein, als die Wahrscheinlichkeit, dass man das bisher
nicht bekannte Bindeglied zwischen Affe und Mensch entdeckt hat.
Bei der ungemein grossen Wichtigkeit für die Entwickelungs-
lehre, welche das Auffinden einer Übergangsform aus dem Tiere in
— 109 —
den Menschen besitzen würde, will es mir endlich auch vorsichtiger
und richtiger erscheinen, auf Grund so sehr mangelhafter Reste nicht
das viel Unwahrscheinlichere, die Entdeckung des Bindegliedes, an-
zunehmen, sondern das Wahrscheinlichere, die Auffindung einer neuen
Anthropomorphenart oder -Gattung.
Unsere Betrachtungen über Dryopithecus und Pithec-
anthropus führten uns dahin, dass wir zwar weder den einen
noch den anderen dieser fossilen Anthropomorphen als ein
Übergangsglied desAffen zumMenschen betrachten können;
dass aber doch in diesen ausgestorbenen Formen uns zwei
Gattungen dieser Familie vorliegen, welche gewisse hoch-
gradig menschenähnliche Merkmale besitzen: Dryopithe-
cus die menschenähnlichsten Zähne, Pithecanthropiis den
menschenähnlichsten Gehirnschädel und damit wohl auch
ein entsprechendes Gehirn.
Ob den genannten beiden Gattungen ausser diesen
Eigenschaften noch andere von so grosser Anthropomorphie
innegewohnt haben, ist bei der Geringfügigkeit ihrer Reste
bisher leider nicht festzustellen. Thatsache ist, dass wir
hier zwei ausgestorbene Gattungen vor uns haben, welche,
jede wieder in einer anderen Eigenschaft, die heute leben-
den Anthropomorphen in Menchenähnlichkeit übertreffen.
Es ist daher gar nicht unmöglich, dass- in früheren
Zeiten anthropomorphe Affen gelebt haben, welche dem
Menschen auch im allgemeinen näher standen als die heute
noch lebenden Vertreter ihrer Familie, so dass diese letztere
imLaufe derZeiten einen Entwickelungsgang eingeschlagen
hätte, welcher nicht höher hinauf-, sondern tiefer hinab-
geführt hätte. In Teil II dieser Arbeit^ sind weitere Gründe
dargelegt worden, welche für eine solche Ansicht sprechen
könnten.
Durchaus nicht notwendig ist die Forderung, dass diese
fossilen Formen in allen Stücken dem heutigen Menschen
näher gestanden haben müssten. Vielmehr, wie unter den
jetzigen Anthropomorphen der Eine in dieser, der Andere
wieder in jener Eigenschaft dem Menschen am nächsten
kommt, so wird das auch unter den fossilen Vertretern der
Fall gewesen sein.
Rethiktion des Gebisses bei Aifeii.
— 110 —
Wir dürfen dabei zugleich nicht vergessen, dass, so-
bald wir uns einmal auf den Boden der Entwickelungslehre
stellen, auch der Mensch sich verändert haben muss, dass
derselbe also zu tertiärer Zeit demjenigen der Jetztzeit
ebenfalls in manchen Eigenschaften noch nicht gleich war.
Es kann mithin eine fossile Gattung der Anthropomorphen,
welche von dem heutigen Menschen in gewissen Dingen
abweicht, doch dem tertiären Menschen in eben diesen
Dingen wohl näher gestanden haben.
Um in dem Folgenden leichter verständlich zu sein, gebe ich
hier eine Wiederholung der auf S. 9 gemachten Zusammenstellung
der fünf fossilen Gattungen anthropomorpher Affen :
I. Asiatische Gattungen:
-fPalaeopithecus sivalensis (Lyd.) E. Dubois. Indien, pliocän?
FWiecanthropus erecfus E. Dubois, Java, altdiluvial oder jüngstpliocän.
IL Europäische Gattungen:
■fPUopitheais antiqims P. Gervais, Frankreich, Schweiz, Steyermark,
miocän,
Pliohylohates eppelsheimensis E. Dubois, Deutschland, pliocän.
•fDryopithecus Fontani Lartet, Frankreich, miocän. Auch aus dem
Bohnerz der schwäbischen Alb.
Ausser den im Obigen genannten Formen kennen wir nur noch
aus den Sivalik Hills Indiens eine ganz ungenügend durch einen
Eckzahn vertretene Gattung, welche nach Lydekker dem Orang
ident sein soll. Natürlich ist das keine genügende Unterlage, um
das Vorkommen dieser Gattung als wirklich erwiesen anzusehen.
Es hat nun E. Dubois (S. 5) geltend gemacht, dass in
tertiärer Zeit eine „primitive" Gruppe Menschenähnlicher gelebt habe,
welcher er die drei, oben mit einem Kreuz versehenen Gattungen
Pliopithecus , Dryopithecns und , als wahrscheinlich auch , Palaeo-
pithemis zurechnete. Er betont ausdrücklich, dass diese primitive
Gruppe gleichweit von jeder der heute lebenden Gattungen entfernt
stehe, dass sie namentlich nicht dem Gibbon näher verwandt sei,
als den anderen Geschlechtern.
Ich habe aber am angezogenen Orte schon darauf hingewiesen,
dass sich in seinen Worten ein Widerspruch findet, wenn er (1. c. S. 93)
an anderer Stelle sagt, dass aus dem Zahnbau des Pliopithecus un-
zweifelhaft seine Zugehörigkeit zu der Familie der Gibbons hervor-
gehe. Ich glaube , dass Dubois mit diesen letzteren Worten hin-
— 111 —
sichtlich der Stellung des Pliopithecus dem Thatsächlichen näher
gekommen ist, als mit jenen ersteren.
Es hat auch schon früher Dames ^ die Ansicht ausgesprochen,
dass, mit Ausnahme des Pithecanthrojms ^ ^ alle fossilen Anthropo-
morphen mehr oder weniger enge Beziehungen zum Gibbon haben.
Die Wichtigkeit einer solchen Thatsache sieht er im Folgenden :
Der Gibbon ist der niedrigst organisierte, zugleich aber der generali-
sierteste der Menschenähnlichen ; er geht trotz seiner überaus langen
Arme mehr aufrecht als die anderen Affen, er tritt auch mit der
ganzen Sohle auf und nicht, wie die drei anderen Gattungen, mehr
mit der Aussenseite.
Auch Kollmann hat sich eben dahin geäussert, Gorilla, Chim-
panse und Orang seien zu sehr specialisiert , als dass von solchen
Wesen die Abzweigung neuer Typen erwartet werden könnte. Hier-
gegen gestatte gerade ein derartig generalisierter Gibbontypus eine
Abzweigung oder Entstehung neuer Formen aus ihm heraus. Koll-
mann sucht daher die Stammform des Menschen unter früheren
Gibbonformen (s. S. 112 ff.).
Meiner Ansicht nach trifft diese von Dames und Kollmann ver-
tretene Auffassung entschieden das Richtige. Wer die Molaren
des Pliopithecus betrachtet, wird zugeben müssen, dass
dieselben unter allen lebenden Menschenaffen am meisten
an diejenige des Gibbon sich anschliessen.
Dasselbe gilt aber meiner Ansicht nach auch von den
Molaren des Dryopithecus einschliesslich der hier be-
schriebenen, aus dem Bohnerz der Alb stammenden Zähne^.
Namentlich wenn die Zähne des Dryopithecus etwas ab-
gekaut sind, tritt diese Ähnlichkeit mit denen des Gibbon
scharf hervor. Im unbenutzten Zustande zeigen sie einige
Schmelzleisten, was darauf hinweisen könnte, dass aus
dieser alten generalisierten Gibbonfamilie sich auch Orang
und Chimpanse abgezweigt haben, bei welchen die Bil-
dung dieser Schmelzleisten in hohem Grade gesteigert
erscheint, während sie bei den anderen Nachkommen, den
heutigen Gibbons, sich ganz verloren hätte.
1 Pithecanthrojms. „Deutsche Rundschau" 1896. Heft 12. S. 381.
^ AVelchen er mit E. Ddbois als eine Übergangsform zmschen Affe und
Mensch auffasst.
3 Ich habe zum Beweise dessen einen Zahn des Gibbon im vergrösserten
Massstabe abbilden lassen (Taf. II Fig. 3).
— 112 —
Während aber durch die Gestalt der Molaren des Pllo-
und des Dryoplthecus die Zugehörigkeit dieser Gattungen
auf der einen Seite zu einer primitiven Familie der Gib-
bons wahrscheinlich wird —
so wird auf der anderen Seite durch die grosse Ähn-
lichkeit dieser Molaren mit denen des Menschen auch
wieder der Verdacht rege, dass die Gattung Homo dieser
alten Familie der Gibbons entsprossen sein möchte oder
doch mit derselben näher verwandt sein, d. h. gemeinsamer
Wurzel entstammen könnte.
Vielleicht wäre in Betracht zu ziehen, ob etwa auch
Pithecanthropus ein Abkömmling dieser Familie von Gib-
bonen sein könnte, bei welchem die Natur in der Aus-
bildung des Gehirnes weiter zu dem heute Menschlichen
vorstiess, als bei irgend einem anderen bisher bekannten
Affen. ViKCHOW hat, wie wir sahen (S. 101, 106), diese Form
ja für einen Gibbon erklärt, Eimer dagegen bestreitet das
(vergl. auch das von Kollmann Gesagte im nächsten Abschnitte).
2. Die Körpergrösse des früheren Menschen.
Wer mit E. Dübois den Pithecanthropus für das Übergangsglied
aus dem Affen in den Menschen ansieht, der vertritt damit unaus-
gesprochen zugleich auch die Ansicht, dass die ersten Menschen un-
gefähr dieselbe Körpergrösse besessen haben, wie der heutige Mensch ;
denn PühecantJiroptts ist ungefähr von menschlicher Grösse gewesen.
In der That, wenn man sich die menschlichen Vorfahren der
heutigen Menschenrassen vorstellt, so wird man unwillkürlich von
der Idee beherrscht sein, dass dieselben zwar auf einer geringeren
Kulturstufe gestanden haben , dass sie aber nicht von geringerer
Körpergrösse gewesen seien, als der heutige Mensch. Ja, umgekehrt
sogar wird man eher geneigt sein, sich dieselben mit einer höheren
Gestalt begabt zu denken, indem man von der ganz richtigen Vor-
stellung ausgeht, dass durch das Kulturleben und durch die starke
Beanspruchung der Gehirnthätigkeit der Körper allmälig verweich-
licht, geschädigt, geschwächt wurde.
Auf der anderen Seite kann man freilich geltend machen, dass
die Haustiere den Beweis liefern, wie nicht selten gerade durch die
Kultur eine grössere Körpergestalt entstanden ist. Indessen es decken
sich die Begriffe „Kultur" in diesen beiden Fällen nicht ganz. Beim
Haustiere ist „Kultur" gleichbedeutend mit besserer Pflege und Er-
— 113 —
nährung, sowie mit Auswahl der zu paarenden Tiere. Beim Menschen
dagegen liegt in diesem Ausdrucke vor allem ein Zustand höherer
Gesittung, höherer geistiger Thätigkeit. Aber ein kultureller Fort-
schritt nach dieser Richtung hin hat doch auch ganz denselben Fort-
schritt im Gefolge, welchen die „Kultur" für die Haustiere mit sich
bringt, nämlich bessere Pflege und bessere Ernährung, wenigstens
für viele.
Die Kultur wirkt also auf den menschlichen Körper und seine
Grösse nach zwei entgegengesetzten Richtungen hin ein : Teils
schädigend, schwächend, verkleinernd, teils aber auch stärkend, ver-
grössernd. Ob diese Richtungen sich das Gleichgewicht halten oder
ob die eine, bezw. die andere obsiegt und im Laufe der Zeiten ob-
gesiegt hat, das dürfte schwer zu entscheiden sein; das wird sich
aber auch im allgemeinen gar nicht beantworten lassen , da es in
verschiedenen Fällen sich verschieden damit verhalten wird.
Nur so viel geht aus dieser Überlegung hervor, dass wir nicht
ohne weiteres die Berechtigung haben , uns das menschliche Ge-
schlecht von Anfang an in derselben Körpergrösse vorzustellen, welche
dasselbe heute besitzt. Es wäre sehr wohl möglich, dass die ersten'
Menschen von grösserer oder aber von geringerer Körpergrösse ge-
wesen seien, als die heutigen. Daraus würde dann natürlich folgen,
einerseits, dass die Wesen, aus welchen jene Anfänge des Menschen-
geschlechtes hervorgingen, ebenfalls eine bedeutendere oder aber
eine geringere Grösse besessen haben müssten ; anderseits, dass das
Menschengeschlecht erst allmälig bald hier, bald dort grössere,
bezw. kleinere Rassen gezeitigt hätte , so dass sich Reste dieser
grösseren, bezw. kleineren Menschen möglicherweise noch bis in die
heutige Zeit erhalten haben könnten.
Riesenmenschenrassen kennt man bisher auf der Erde nicht,
wohl aber Zwerg- oder besser Pygmäenrassen; und zwar hat man
letztere sowohl unter der heutigen Bevölkerung der Erde als auch
unter der früheren, der prähistorischen, gefunden. Auf diesen That-
sachen fussend hat denn Kollmann die Ansicht ausgesprochen, dass
die Vorfahren der heutigen Menschenrassen Europas ganz allgemein
von kleinem Wüchse , Pygmäen , gewesen seien , dass wir unsere
heutige Körpergrösse also erst allmälig erlangt hätten ^ Es sind
^ Pygmäen in Europa. Verhandl. d. anatom. Ges. a. d. 8. Vers, zu Strassburg,
Jena 1894. S. 206—214. Pygmäen sind normal entwickelte Menschen von geringer
Körpergrösse, also nicht zu verwechseln mit Zwergen, -welche eben nicht normal
entwickelte , sondern degenerierte Individuen körperlich grosser Menschen sind.
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. iNatiirkunde in Württ. 1S9S. 8
— 114 —
nämlich nicht nur am Schweizerbild bei Schaffhausen Reste solcher
prähistorischen (neolithischen) Pygmäen von Kollmann gefunden wor-
den, sondern Sergi in Rom hat auch in Sicilien, Sardinien und Süd-
italien aus Schädeln das ehemalige Dasein einer solchen kleinen
Menschenrasse nachgewiesen ; auch Plinius und andere klassische
Schriftsteller sprechen bereits von dem Dasein derselben in Europa.
So lässt sich jetzt schon die ehemalige Verbreitung dieser Pygmäen-
rasse von der Schweiz zum Mittelmeer und bis in den Osten Europas
feststellen. In Europa bestehen aber offenbar noch heute Reste
dieser kleinen Menschenrasse weiter fort. In Itahen kommen sie
überall vor; ja, Sergi giebt nach den Rekrutierungslisten an, dass
sie in manchen Bezirken in der stattlichen Zahl von 13 — 16 % auf-
träten. In allen Gouvernements Russlands, vom Schwarzen Meere
bis zum Ladoga-See, von Kasan bis Volhynien sind sie, nach Koll-
mann, zu finden. Sicher werden aber auch in den übrigen Ländern
Europas wenigstens vereinzelte Reste noch vorhanden sein.
Auch heute noch leben in weiter Verbreitung Pygmäen in
Oceanien, Asien und Afrika. In Centralasien ist wieder ganz neuer-
dings auf der Hochsteppe des Pamir ein bisher unbekanntes Zwerg-
volk entdeckt worden, dessen Haustiere von ähnlich zwerghaftem
Wüchse sind. Wenn indessen die Ansicht der Erforscher dieser Pyg-
mäen, der dänischen Offiziere Olissen und Felipsen, richtig sein
sollte, dass die zwerghafte Entwickelung dieses Volkes auf die kärg-
liche Ernährung in den unwirtlichen Bergsteppen des Pamir zurück-
zuführen ist — für welche Ansicht der ebenfalls zwerghafte Wuchs
der Haustiere spricht — dann würde man diese Pygmäen allerdings
nicht als einen Rest der kleinen ürrassen des Menschengeschlechtes
zu betrachten brauchen, denn es könnte sich in diesem Falle ebenso-
wohl um klein gewordene Nachkommen einer einst gross ge-
wesenen Rasse handeln \
Für die afrikanischen Zwergvölker hat Schlichter^ nachgewiesen,
dass nicht nur im Urwaldgebiete Pygmäen wohnen, sondern auch
im waldfreien, bergigen Südostteile des Kontinentes. Könnte man
sie vielleicht im Waldgebiete, wie jene des Pamir, nur für degeneriert,
dem Urwaldleben angepasst hinstellen wollen, so würde eine solche
Erklärung sofort fallen müssen im Hinblick auf jene Bewohner des
^ Ich entnehme Obiges nach Fertigstellung des Manuskripts dem Stutt-
garter Neuen Tagblatt. 1897. März.
^ Vergl. seinen Aufsatz im Schwäbischen Merkur. 11. März 1896. S. 507
und 508 der Schwäbischen Chi-onik.
— 115 —
waldfreien Gebietes. Schlichter kommt so im Verlaufe seiner Unter-
suchungen zu dem Ergebnisse, dass diese Pygmäen die letzten, wenn-
gleich noch recht verbreiteten Keste einer ehemaligen Urbevölkerung
sind, welche ausschliesslich aus Pygmäen bestand und sich vom West-
sudan bis zum Osthorn Afrikas und von da bis zum Kap der Guten
Hoffnung ausdehnte. Auch hier findet sich Bestätigung in den An-
gaben der Schriftsteller des Altertums; denn auch wenn man von
Homer, Ovid, Jüvenal und anderen Dichtern absieht, so berichten
doch in zuverlässiger Weise Aristoteles, Strabo, Pomponiüs, Mela,
Pliniüs, Herodot über die äquatorialen Pygmäen Afrikas ihrer Zeiten.
Die Körpergrösse dieser Pygmäen schwankt zwischen 1,20 und
1,50 m Höhe. Sievers ^ giebt für die kleinsten Menschenrassen der
Erde die folgenden Zahlen an:
Lappen 138 — 150 cm
Eskimo 140—150 „
Buschmänner 130 — 140 „
Batua 130—145 „
Akka 124—140 „
Abongo 130—150 „
Unter solchen Umständen erlangt die Ansicht eine gewisse Be-
deutung, dass die ältesten Vorfahren des Menschengeschlechtes Pyg-
mäen gewesen seien. Ist dem so , dann müsste natürlich auch die
Affengattung, aus welcher sich diese Zwerge entwickelten, von wesent-
lich geringerer Körpergrösse gewesen sein , als der heutige Mensch
sie besitzt. Demzufolge würde man dann aber auch Pithecanthropus,
welcher etwa die Grösse des letzteren hat, unmöglich für den Vor-
fahren des Menschengeschlechtes erklären dürfen. Daher ist denn
Kollmann der Ansicht, dass Pithecanthropus keine Übergangsform,
«ondern ein riesenhafter Gibbon gewesen sei, welcher eben wegen
dieser gewaltigen Grösse^ an der Grenze der Variabilität angelangt
und ein Dauertypus geworden sei. Ein solcher aber kann nicht ein
Übergangsglied bilden. Derartige Übergangsformen zwischen Mensch
und Affe müssten vielmehr aus kleinen Affen hervorgegangen sein.
Diese kleinen Affengestalten aber, aus welchen jene alten Pygmäen-
1 Die Zwergvölker in Afrika. 28. Bericht d. Oberhessischen Ges. f. Natur-
und Heilkunde. Giessen 1892. S. 114—117.
^ Vergl. in E. Dubois, Pithecanthropus erectus, betrachtet als eine wirk-
liche tJbergangsform und als Stammform des Menschen. Zeitschr. f. Ethnologie.
Berlin 1895. Jahrg. 27. S. 740, die Ausführungen, welche Kollmann an Pithec-
anthropus knüpft.
8*
— 116 -
menschen entsprangen, müssen nach ihm allerdings auch den Gib-
bons angehört haben: denn die heutigen Gibbons haben nicht nur.
im Verhältnis zu ihrer Körpergrösse das grösste Gehirn unter allen
Anthropomorphen , sondern auch ihr Gehirnschädel entbehrt der
Knochenleisten, welche bei den drei anderen, grossen Anthropo-
morphengeschlechtern zum Ansatz der gewaltigen Kaumuskeln dienen
und damit „eine weitere Ausdehnung des Gehirnschädels wie in eherne
Fesseln schlugen".
Das Gehirn jener oben besprochenen Pygmäenvölker ist natür-
hch, entsprechend ihrer geringeren Grösse, auch von absolut ge-
ringerem Gewichte, als dasjenige grösserer Menschen. Ihre Gehirn-
kapazität schwankt zwischen 1000 und 1300 cbcm, während dieselbe
bei den grossen europäischen Rassen 3 — 400 cbcm mehr beträgt.
Das absolute Gewicht ist übrigens keineswegs entscheidend für
die Leistung des Gehirnes. Man glaubte allerdings früher einmal,
dass der Mensch das absolut schwerste Gehirn besitze. Allein diese
noch im Altertum wurzelnde Meinung musste aufgegeben werden, als
man bei dem Elefanten und Walfisch noch schwerere Gehirnmassen
kennen lernte.
Ebenso wenig haltbar erwies sich die andere Ansicht, dass dem
Menschen wenigstens im Verhältnis zu dem Gewichte des ganzen
Körpers das schwerste Gehirn zukomme; denn während beim Menschen
das Gehirngewicht nur V35 bis Vae '^^n dem Körpergewichte beträgt,
ist bei einer Anzahl von Vögeln und kleinen Säugern , namentlich
Affen, das Gehirn verhältnismässig viel schwerer: sein Gewicht steigt
hier selbst bis zu V^g von demjenigen des ganzen Körpers, so dass
diese Tiere (gewisse Vögel) verhältnismässig dreimal so viel Gehirn-
masse besitzen, wie der Mensch ^.
Erst in einer dritten Beziehung lässt sich das Übergewicht der
Thätigkeit des menschlichen Gehirnes auch in dem verhältnismässigen
Übergewichte seiner Masse erkennen : Wenn man nämlich bei den
verschiedenen Tieren das Gewicht ihres Gehirnes und Rückenmarkes
miteinander vergleicht. Es leuchtet ja ein , dass der Mensch für
seine tierischen Verrichtungen, Bewegung und Empfindung, wie für
seine vegetativen, Ernährung und Fortpflanzung, an Rückenmark und
peripherischer Nervenmasse einem ihm gleich grossen und gleich
schweren Tiere, wie z. B. dem Gorilla, etwa gleichkommen wird,
dass er aber für seine so viel grösseren geistigen Verrichtungen ein ent-
^ Ranke, Der Mensch. I. S. 551 — 552.
— 117 —
sprechend grösseres Mass von Gehirnmasse gebrauchen muss. In
sehr klarer Weise hat Joh. Ranke ^ neuerdings diese Beziehungen
festgestellt^ und gezeigt, dass der Mensch durch eine breite Kluft
von den Tieren getrennt ist, wenn das Gewicht des Gehirnes mit
dem des Rückenmarkes und der Augen verghchen wird; denn im
Verhältnis zu Rückenmark und Augen als Sinnesorganen, wie zu
dem ganzen übrigen Nervensystem, besitzt der Mensch unter allen
Wirbeltieren das schwerste Gehirn.
Es ist nämlich das Gehirn
bei dem Menschen 50 mal schwerer als das Rückenmark^
„ „ Gorilla^ 20-17 „ „ „ „
„ anderen Säugern 5 — 2 „ „ „ „ „
„ „ Vögeln 10—2 „ „ „ „ „
„ dem Frosche etwa 2 „ „ « n v
„ „ Schellfisch „ ebenso schwer r> r> n
Ähnlich verhält es sich mit den Augen. Es ist nämlich das
"Oehirn
bei dem Manne etwa 100 mal schwerer als die Augen ^,
bei den Säugetieren nur 8 — 6 — 1,7 mal schwerer als die Augen.
Es geht auch aus diesen Untersuchungen die hier mehrfach
betonte Thatsache hervor, dass sich unmöglich enge genetische Be-
ziehungen knüpfen lassen zwischen dem heutigen Menschen und den
heutigen anthropomorphen Affen, denn beide stehen jetzt am äussersten
1 Correspondenzblatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethno-
logie und Urgeschichte. Jahrg. 26. 1895. S. 100—106.
^ Wobei von dem Gewichte der peripherischen Nerven abgesehen werden
musste, wegen der Schwierigkeit, dasselbe festzustellen.
ä oder Gehirngewicht : Eückenmarkgewicht =
100 :
2 Mensch
100
10 Sperling
100 :
5—6 Gorilla
100
50 Henne
( 100
22 Siebenschläfer
100
57 weiblicher Frosch
t 100
47 Kuh
100
100 Schellfisch
* Für die anthropomorphen Aifen sind leider derartige Bestimmungen noch
nicht ausgeführt worden. Schätzungsweise aber lässt sich sagen, dass der Gorilla
bei einem Rückenmarksgewichte glöich dem des Menschen, also etwa 28 g, da-
gegen einem Gehirngewichte von nur 500 g (gegen 1200, 1300, 1400 g beim
Menschen) ein Verhältnis von 100 : 5—6 besitzt, d. h. sein Gehirn ist nur 20- bis
17 mal so schwer als das Rückenmark.
^ oder Gehirn- : Augengewicht =
100 : 1 Mensch 100 : 18 Pferd
100 : 12 grosser Hund 100 : 21 Siebenschläfer
100 : 16 Kuh 100 : 60 Kaninchen
- 118 —
Ende zweier stark divergierender Zweige. Um engere genetische
Beziehungen finden zu können zwischen dem Menschen und den
Menschenähnhchen , dazu bedürfte es des Hinabtauchens in längst-
vergangene Zeiten und des Aufdeckens fossiler Reste, nicht nur von
einem, sondern von beiden, welche vermutlich hier wie dort den
heute lebenden unähnlich sich erweisen würden; aber vielleicht der
Mensch in sehr viel höherem Grade unähnlich als der Anthropo-
morphe.
Noch in jetziger, alluvialer Zeit, ja sogar noch vor verhältnis-
mässig wenigen Jahrtausenden, stand auch der europäische Mensch
auf der niedrigen Entwickelungsstufe , welche die heute am tiefsten
stehenden wilden Völker einnehmen, wie uns das seine Geräte, seine
Waffen und Kunstprodukte sowie die übrigen Spuren seiner Lebens-
weise beweisen. Und dennoch hat er in dieser — geologisch ge-
sprochen — kurzen Spanne Zeit sich entwickelt bis zu dem, was
er heute ist.
Seit gewaltig viel längerer Zeit, seit dem mittleren Miocän,
kennen wir menschenähnliche Affen. Und alles spricht dafür, dass
dieselben während dieser ungeheuren Zeiträume entweder auf ganz
derselben Entwickelungsstufe stehen geblieben sind, oder aber, dass
sie gar einen absteigenden Entwickelungsgang eingeschlagen haben;
so dass dann ihre Vorfahren, oder wenigstens eine Abteilung der-
selben, vielleicht begabter, entwickelungsfähiger waren, als die heuti-
gen Vertreter der Anthropomorphen.
Auf jeden Fall sind die beiden heutigen Endgheder dieser
beiden Zweige, trotz vieler Ähnlichkeit in körperlicher Beziehung,
doch in dem Wesentlichsten einander sehr unähnlich geworden.
Nicht daher diese einander bereits unähnlich gewordenen Endglieder
beider divergierender Zweige können uns den Aufschluss geben,
welchen wir erwarten, sondern die Anfangsglieder dieser Zweige
gilt es zu finden, nahe der Stelle, an welcher Beide dem Haupt-
aste entsprossten.
Es kann auch unmöglich zum gewünschten Ziele führen, wenn
wir fossile Menschenaffen mit dem heutigen Menschen vergleichen;
denn wenn wir selbst vielleicht das richtige Anfangsglied des Anthropo-
morphenzweiges finden, aber dasselbe nur mit dem Endgliede des
Menschenzweiges vergleichen könnten, so müssten sich selbstver-
ständlich auch da noch gewichtige Unterschiede ergeben.
Trotzdem bleibt uns zunächst, bis wir fossile Menschen tertiärer
Zeit zum Vergleiche haben, nichts Anderes übrig, als den heutigen
— 119 —
Menschen zum Vergleichsobjekte zu nehmen. Nur darf man dann
die sich hierbei notwendig ergebende Ungleichheit nicht als sicheren
Beweis dafür betrachten wollen, dass die Kluft zwischen Mensch
und Tier unüberbrückbar ist.
Ich habe oben gesagt, dass Pithecanthropus auch darum nicht
ein Übergangsglied zwischen Mensch und Affe zu sein scheine, weil
dieser Übergang sich, wie ich annehmen möchte, bereits lange be-
vor Pithecantliropus lebte, vollzogen haben dürfte (S. 108). Wenn
man fragt, zu welcher Zeit zum ersten Male Wesen aufgetreten
sein mögen, welche den Namen „Mensch" verdienten, so ist ja aller-
dings Thatsache, dass die ältesten, ganz sicher beglaubigten Spuren
des Menschen nur aus der diluvialen Epoche zwischen den beiden
Hauptvergletscherungen stammen.
Mit Recht daher sträubt man sich , auf Grund bisheriger un-
sicherer Beweise das Dasein des Menschen zur Tertiärzeit für er-
wiesen anzuerkennen. Aber an und für sich ist der tertiäre Mensch
eine notwendige Voraussetzung , um die geographische Verbreitung
des quartären verstehen zu können. Aus Europa, Asien, Nord- und
Südamerika kennt man jetzt bereits Spuren des quartären Menschen.
Wie sollte man nun, und viele haben das schon früher hervorgehoben,
diese weite Verbreitung des diluvialen Menschen erklären, wenn
nicht schon in tertiärer Zeit Menschen vorhanden gewesen wären
und von ihren Entstehungscentren aus bereits damals in diese von
einander so entfernten Gegenden gewandert wären? Denn in dilu-
vialer Zeit mussten die Wanderungen durch die, Europa wie Nord-
amerika bedeckenden Gletschermassen mindestens sehr erschwert
werden.
Nun wird freilich eingeworfen , zu tertiärer Zeit könne noch
gar nicht der Mensch von heutzutage gelebt haben, da er sich seit
jener Zeit ebenso wie die Tierwelt hätte verändert haben müssen.
Allein dieser Einwand ist einmal nicht völlig stichhaltig, da es stets
neben zahlreichen Formen von kurzer Lebensdauer, welche die Zeit
einer Formationsabteilung nicht überlebten, auch solche von langer
Dauer gegeben hat^ Mit Bezug darauf hebt Schlosser^ hervor,
1 Vergl. Morse, Man in the Tertiaries; The American Naturalist 1884.
Vol. 18. S. 1001 — 1031. Schaafliausen, L'homme prehistoriqne ; Congres inter-
national d'anthropologie et d'arclieologie prehistoriqne. Lisbonne 1884. S. 140—150.
Zaborowsky, L'homme tertiaire. Revue scientitlque 1885. S. 426 — 432.
- Litteraturbericht f. Zoologie f. d. Jahr 1885 im Archiv für Anthropolo-
gie S. 160 sub Arcelin.
— 120 —
dass nicht nur die meisten heutigen Säugetiergattungen bereits zur
Phocänzeit gelebt haben , sondern dass auch — nach Schlosser's
Auffassung — alle anthropomorphen Affengattungen damals schon
bestanden, z. T. sogar bis in das Miocän zurückgehen. Warum also
nicht auch die Gattung Horno?^
Zweitens aber handelt es sich hierbei gar nicht darum, dass
der heutige Mensch, die Species Homo sapiens^ bereits zu tertiärer
Zeit gelebt haben soll. Es ist im Gegenteil^ viel wahrscheinlicher,
dass dieser tertiäre Homo einer anderen Art, als der heutigen, an-
gehört habe; einer Art, welche nicht nur in Bezug auf die den
Menschen besonders kennzeichnenden, geistigen Eigenschaften noch
auf einer sehr niedrigen Entwicklungsstufe stand, sondern auch in
ihrem Zahn- und Knochenbau noch gewisse kleine Unterschiede vom
heutigen Menschen aufwies.
Ich rede absichtlich hier nur von „Unterschieden", nicht von
einer „niedrigeren Entwickelungsstufe" des Knochenbaues; denn
keineswegs darf man bei allen körperlichen Merkmalen des heutigen
Menschen, den anthropomorphen Affen gegenüber, ohne weiteres von
höherer Organisation reden. Mit Recht spricht vielmehr Schlosser
von einer Degeneration des Menschen in gewissen körperlichen
Eigenschaften.
Freilich, von diesem pliocänen Menschen kennen wir bisher
keine Knochenreste. Aber ist das auffallend? Gewiss nicht. Die
Gesamtzahl aller lebenden Anthropomorphen auf Erden mag nicht
sehr viele Tausend betragen^.- Noch viel dürftiger aber mag die
Zahl der pliocänen Menschen gewesen sein. Winzige Reste nur sind
von fossilen Anthropomorphen auf uns gekommen. Nur ein wunder-
barer Zufall könnte es also sein, der uns die Reste des seltenen
Menschen der pliocänen Epoche erhalten hätte.
Auf tertiäre, vielleicht gar mitteltertiäre Schichten werden wir
mithin unser Augenmerk richten müssen, wenn wir überhaupt ein Über-
gangsglied zwischen Mensch und Affe finden wollen. Weit eher als
PithecmüJiropus scheint mir daher unser mitteltertiärer schwäbischer
Dryopithecus mit seinen so überraschend menschenähnlichen Zähnen,
nicht etwa ein Übergangsglied zu bilden, sondern als Zeitgenosse im
stände gewesen zu sein, den Menschen in statu nascendi zu erblicken.
' Ob man sich freilich der Ansicht anschliessen darf, dass die heutigen
antlu-opomorphen Gattungen bereits damals bestanden, darüber vergl. S. 6 — 16.
'■' Yergl. Schlosser, 1. c. S. 289.
« Schlosser, 1. c. S. 289.
- 121 —
Einstweilen freilich kennen wir weder Überreste der ersten,
„Mensch" zu nennenden Wesen, noch auch Überreste jenes höchst-
organisierten Zweiges der anthroporaorphen Affen, aus welchem dieser
Mensch entsprang. Ob Pithecanthroiyus etwa der letzte Nachkomme
eines in der Entwickelung bergab gegangenen Seitenastes dieses
höchstorganisierten anthropomorphen Zweiges ist, ob in Dyyojnfhecus
nicht ein Mitglied, wohl aber ein Verwandter dieses Zweiges vor-
liegt, darüber würde man erst ein Urteil gewinnen können, wenn
das Skelett beider Gattungen bekannt wäre.
Das aber werden wir wohl festhalten dürfen, dass die
heutigen anthropomorphen Affen nur entferntere Ver-
wandte des Menschen sind; dass die näheren Verwandten,
die Vorfahren des Menschen unter einer längst ausgestorbe-
nen Gattung der Anthropomorphen zu suchen sind, welche
dem Menschen ähnlicher im Körperbau war — namentlich
hinsichtlich der Kürze der Arme und des aufrechten Ganges,
wohl auch der Schädelgrösse — als die heute lebenden.
Bemühungen, den Stammbaum des Menschengeschlechtes zu erkennen.
Ebenso , wie man versuchte , ein Bild zu gewinnen von der
Gestaltung jenes Anthropomorphen , dem einst die Gattung Homo
entsprang, hat man auch den Versuch gemacht, eine Vorstellung zu
erhalten von dem Wege, welchen die Entwickelung der Säugetier-
welt zurückgelegt haben mag seit Beginn der Tertiärzeit bis hin
zu dem Punkte, an welchem sich jene hypothetische Gattung der
Anthropomorphen bildete. So lange man nur festhält, dass das Ver-
suche sind, noch nicht aber Beweise, kann die Sache dadurch nur
gewinnen. Je verschiedenartiger die Standpunkte, von welchen aus
man versucht, das Licht auf einen Gegenstand zu werfen, desto
eher werden wir allmälig in den Stand gesetzt, denselben zu er-
kennen.
Bekanntlich sind die Affen der alten Welt von denen der neuen
Welt durch gewisse Merkmale scharf geschieden.
Die neuwelthchen besitzen (fast) alle ein weniger reduziertes
Gebiss ^ von 36 Zähnen , eine breite Nasenscheidewand und nach
aussen gerichtete Nasenlöcher, wie das ihr, auf die flache Nase hin-
weisender Name, platyrrhine Affen, besagt.
Die altweltlichen dagegen, die katarrhinen, haben bereits ein
1 Teil II. Abschnitt IL. B.
— 122 —
stärker reduziertes Gebiss von nur 32 Zähnen, eine schmale Nasen-
scheidewand und nach unten stehende Nasenlöcher.
Ganz diese selben drei Merkmale der Katarrhinen besitzt aber
auch der Mensch. Es wird dadurch ohne weiteres wahrscheinlich,
dass letzterer mit den Affen der alten Welt näher verwandt ist, mit
denen der neuen Welt aber nicht.
Soviel wir bisher von fossilen Affen kennen, lassen sich auch
hier, bei den Katarrhinen, sogar bis ins Miocän hinab ^ ganz die-
selben Unterscheidungsmerkmale beider Unterordnungen verfolgen.
Wir dürfen daher wohl mit einer gewissen Sicherheit annehmen,
dass bereits in der mittleren Tertiärzeit beide Unterordnungen scharf
von einander geschieden waren. Daraus ergiebt sich aber weiter,
dass wir nicht beide direkt auf eine gemeinsame Stammform zurück-
führen können, sondern dass für jede dieser beiden Unterordnungen
eine eigene Stammform bestanden haben muss, welcher sie entsprang.
Da die neuweltlichen, die amerikanischen Affen selbst heute
noch eine grössere Zahnzahl besitzen , so müssen wir sie als die
primitiveren betrachten, welche den Formen alttertiärer Zeiten mit
zahlreichen Zähnen offenbar noch näher stehen. Wogegen die euro-
päisch-asiatischen, von dem vielzahnigen Urtypus bereits weiter ent-
fernt, als die entwickelteren anzusehen sind, was auch im Einklang
steht mit der Thatsache, dass ihnen die Menschenähnlichen ent-
sprungen sind.
Die Logik dieser Sätze erscheint zwingend, wir finden ihre
grossen Züge wieder in dem folgenden Stammbaum (s. S. 123), wel-
chen schon vor langer Zeit Häckel "^ gegeben hat.
Auch Oskar Schmidt gelangt zu ähnlicher Auffassung wie
Häckel. Wie dieser bestreitet er jeden näheren Zusammenhang
zwischen den alt- und den neuweltlichen Affen ^. Er führt diejenigen
der neuen Welt auf Insektenfresser-artige Stammformen zurück, die-
jenigen der alten Welt, also auch die Anthropomorphen und den
Menschen , auf Dickhäuter-artige , indem er sich auf Ähnlichkeiten
der Zahnformen stützt.
In der That erinnern die bunodonten Backenzähne des Menschen
und der menschenähnlichen Affen an die Höckerzähne gewisser
Pachydermen , namentlich der Schweine. Es gelangen aus diesem
1 Vergl. Teil 11. Abschnitt II. B.
^ Häckel, Antliropogenie. 1872. S. 478 u. 487. Natürliche Schöpfungs-
geschichte. 1874. S. 571 ff.
^ Die Sängetiere in ihrem Verhältnis zur Vorwelt. Leipzig 1884. S. 2^8.
— 123
Mensch
Affenmensch (noch sprachlos)
Gorilla
Chimpanse
Orang
Gibhon
Afrikanische
Asiatische
Menschenaffen
Anthropomorphe
Katarrhine Affen
(der alten Welt)
Platyrrhine Affen
(der neuen Welt)
Lemuren
Haihaffen
Grunde auch Gaudry^ und Filhol zu dieser selben Ansicht; und
der von Filhol für die eocänen Pseudolemuriden gewählte Name
„Pachylemuriden" soll der Vorstellung Ausdruck geben, dass zwischen
Affen und Lemuren einerseits und Pachydermen, speciell Suiden,
anderseits eine nähere Verwandtschaft bestehe.
Demgegenüber ist aber Schlosser- anderer Meinung. Er be-
tont, dass eine gleichartige Ausbildung der Zähne, sogar auch eben-
falls des Schädels, nicht notwendig die Folge genetischer Beziehungen
sein muss, sondern zufällig durch gleiche Nahrung entstanden sein
kann. Nur weil die Nahrung der altweltlichen Affen derjenigen der
Huftiere ähnlich war, entstand unabhängig von einander hier wie dort
eine ähnliche Zahngestalt. Wogegen bei denjenigen Affen , welche
die omnivore Lebensweise beibehielten, die Annäherung der Zahn-
gestalt an den Huftiertypus eine geringere bheb.
Die Verwandtschaft der Affen und Lemuren mit den Pachy-
dermen besteht nach Schlosser also ledighch darin, dass beide von
Insektivoren-ähnlichen Vorfahren mit trituberkularen , bezw. tuber-
kularsektorialen Molaren und sehr einfachen Prämolaren, sowie fünf
Zehen hervorgegangen sind.
^ Enchainements du monde animal. Paris.
2 Die Affen, Lemuren Teil I. S. 53.
— 124 —
Es lässt sich im allgemeinen gegen diese Erklärung nichts ein-
Avenden, da es feststeht, dass übereinstimmende Organisation sich
nicht selten bei zwei Tiergruppen findet, welche gar keine nähere
Verwandtschaft besitzen , so dass dann diese übereinstimmenden
Merkmale entschieden nicht als gemeinsames Erbteil von demselben
Vorfahren erlangt sein können, sondern unabhängig von einan-
der infolge übereinstimmender Lebensweise erworben sein müssen.
Jene Ansicht Schlosser's ist daher im allgemeinen durchaus un-
angreifbar; ob sie in diesem besonderen Falle aber auch angewendet
werden darf, das wird natürlich strittig bleiben.
Thatsache ist jedenfalls , dass Zähne trotz ihrer Härte offen-
bar ein sehr biegsames Material sind, welches unter verschiedenen
Einflüssen im Laufe der Zeiten sehr verschiedenartige Formen
annahm ^
Wir stehen hier vor einem tiefgreifenden Unterschiede der
Meinungen, deren jede gute Gründe für sich anzuführen vermag:
Während jene jeden näheren Zusammenhang zwischen den Affen
der alten und der neuen Welt in Abrede stellen, gesteht ihn Schlosser
zu und bringt, gerade umgekehrt, die Anthropomorphen und damit
den Menschen in genetischen Zusammenhang mit gewissen platyr-
rhinen Affen Südamerikas ^ :
Wenn wir, so etwa sagt er, unter den heute lebenden Affen Um-
schau halten, welches die den Anthropomorphen nächst verwandten
sein möchten, so wird eine Berücksichtigung der geographischen Ver-
breitung uns irre führen. Gleich den Anthropomorphen gehören be-
kanntlich die Cynopithecinen, also speciell auch der Pavian, der alten
Welt an ; und es wird in der That vielfach eine nähere Verwandt-
schaft beider angenommen. Schlosser ist jedoch der Ansicht, dass
das ganz irrig sei; denn ihre Verschiedenheit sei mindestens eine
^ Vergl. Teil II in Abschnitt III, besonders sub 7. und 8.
^ Das ist nun freilich nicht so zu verstehen, als wenn, nach Schlosser,
die Anthropomorphen direkt von den Platyrrhinen abstammen sollten ; sondern
beide würden sich von einer gemeinsamen, noch unbekannten Stammform ab-
gezweigt haben, die dann ihrerseits wieder von einem generalisierten Halbaffen mit
3:1.4.3
„'.,''„ = 44 Zähnen herrühren Avürde. (Schlosser, Die Affen, Lemuren,
o . 1 . 4 . o
Chiropteren, Insectivoren und Fleischfresser des europäischen Tertiärs. Beiträge
zur Palaeontologie Österreich-Ungarns, red. v. Mojsisovics und Xeumayr. Bd. 6, 7
Teil I. S. 10, 54. Wien 18§7 bei Holder. Siehe auch das eigene, sehr ausführ-
liche und gute Referat des Verfassers im Archiv für Anthropologie. Bd. 17,
Litteraturbericht für Zoologie. S. 279—300.)
— 125 —
ebenso grosse, wie beispielsweise unter den Paarhufern die zwischen
Hirschen und Schweinen.
Viel näher dagegen sind den altweltlichen Anthropomorphen, und
damit auch dem Menschen, die der Neuen Welt angehörenden platyr-
rhinen Affen verwandt: Der hochgewölbte Schädel, welchen z. B. der
Rollaffe, Cebus, besitzt, ist überhaupt der menschenähnlichste unter
allen Affen. Bei einem anderen Platyrrhinen, dem Springaffen, CaUlthrix^
zeigt die ganze Gesichtspartie vielfache Anklänge an diejenige des
Menschen. Wieder eine andere Form, der Schweifaffe, Pithecia, be-
sitzt Molaren , welche in ihrem Baue sehr lebhaft an die (vergL
Taf. I Fig. 8, 9) Backzähne des Chimpanse erinnern. Bei (fast) allen
Platyrrhinen stehen die Höcker dieser Molaren sich alternierend
gegenüber, ganz wie wir das bei den Anthropomorphen finden ; wo-
gegen sie bei den Pavianen und anderen Cynopithecinen paarweise
gegenüberliegen. Auch die Prämolaren reden dieselbe Sprache zu
uns; denn bei den Platyrrhinen und Anthropomorphen sind diese
Zähne viel kürzer, als das bei den Cynopithecinen der Fall ist. Das
alles sind Züge, aus welchen, nach Schlosser, klar hervorgeht, dass
den Anthropomorphen, und damit dem Menschen, die neuweltlichen
Platyrrhinen viel näher verwandt sind, als die altweltlichen Cyno-
pithecinen. Oder mit anderen Worten : Die Anthropomorphen, und
damit der Mensch, sind nach Schlosser nichts Anderes als weiter
fortgeschrittene Nachkommen von Cebus- und CaUithrix-aitigen Vor-
läufern, d. h. von Platyrrhinen.
Freilich ergiebt sich hier eine gewisse Schwierigkeit. Da Ame-
GHiNO im Eocän von Patagonien Reste von Cebiden fand, so müssen
wir daraus folgern, dass die heutigen Platyrrhinen in Südamerika,,
ihrer jetzigen Heimat, auch entstanden sind. Ist dem nun so, dann
würde es aber auch wahrscheinlich, dass in gleicher Weise die An-
thropomorphen, welche sich in alter Tertiärzeit von jenen abgezweigt,
aus jenen entwickelt haben, in südamerikanischen Schichten jener
Zeit begraben liegen. Eine solche Erwartung aber ist, bis jetzt
wenigstens, noch nicht durch Funde bestätigt worden. Ob nun spätere
Erfunde zeigen werden, dass die Anthropomorphen dennoch in Süd-
amerika ihren Ursprung genommen haben, oder ob das in einem
anderen Erdteile aus dorthin ausgewanderten Platyrrhinen geschehen
ist — das ist völlig unentscheidbar. Eines müssen wir indessen fest-
halten : Die Herausbildung des Anthropomorphenstammes aus dem
der Platyrrhinen erfolgte bereits in alttertiärer, etwa oligocäner Zeit.
Die damaligen Platyrrhinen, welche die Stammväter der Anthropo-
126
morphen waren, werden mithin noch eine zum Teil andere Organi-
sation gehabt haben, als die heutigen ^
Legt man sich nun aber die weitere Frage vor, welchen Ur-
sprunges denn nun wieder diese eocänen Cebus-avtigen Platyrrhinen
gewesen sein mögen, von denen die Anthropomorphen sich abzweigten,
so werden wir von Schlosser als wahrscheinlich auf Halbaffen, Le-
muren, hingewiesen, die in ältester Tertiärzeit aus dem Norden
Amerikas nach dem Süden gewandert sein mögen ^
Die Ansicht Schlosser's würde sich also in der folgenden Weise
als Schema darstellen :
Quartär Mensch Chimpanse Orang Gorilla Gibbon
Pliocän
\- /
Chimpanse Orang
Platyrrhinae
Oberes Miocän
X* (Anthropo- Plio
morphe pithecus
Formen
Unteres Miocän
Oligocän
Eocän
x^ (Ce&tts-etc.
Formen)
x' (Lemurine Formen)
^ Schlosser, Über die Beziehungen der ausgestorbenen Säugetierfaunen . . .
Biologisches Centralblatt. Bd. 8. No. 19. S. 628.
^ Während so die Anthropomorphen aus südamerikanischen Platj'rrhinen,
CefcMS-artigen Formen hervorgegangen sein dürften, haben die ihnen vermeintlich
so nahestehenden Paviane , überhaupt die Cynopithecinen , nach Schlosser
(Ebenda. Biologisches Centralblatt. 1888. Bd. 8. S. 628), einen anderen Ursprung,
Sie gehen nach ihm zweifellos auf pseudolemuride Formen des nordamerikanischen
Puercobed (ältestes Eocän) zurück ; und zwar auf Hyopsodus-&xt\g& Formen.
Allein bisher fehlt uns noch ein jedes Bindeglied zwischen beiden, so dass die
— 127 —
Hierbei würde x^ die lemurine Stammform bedeuten ; x^ würde
die unbekannte Cebus- oder Callithr ix- artige Stammform darstellen,
aus welcher einerseits der Zweig der heutigen Platyrrhinen , ander-
seits der Zweig der Anthropomorphen und Menschen hervorging.
Dieser letztere Zweig würde im Untermiocän, bei x^, eine weitere
Gabelung erlitten haben, durch die sich der Zweig abspaltete, wel-
chem der heutige Gibbon entsprang.
Eine abermalige, dreisprossige Gabelung würde, bei x^, zur
obermiocänen Epoche sich ereignet haben. Hier wäre nach einer
Richtung hin der Gorilla entstanden. Nach der zweiten Richtung
hin wäre unser Dryojnthecus hervorgegangen, dessen Nachkommen
wir, nach Schlosser, in dem Orang und Chimpanse vor uns sehen.
Eine dritte Richtung ist in dunkle Nacht gekleidet; in ihr würden
sich Formen herausgebildet haben, denen in pliocäner Zeit der Mensch
entsprang. Der Mensch, d. h. die Gattung Homo, aber damals noch
keineswegs die heutige Art Homo sapiens, sondern eine andere,
auf weit mehr dem Tier genäherter Stufe befindliche Art des Menschen.
Wenn wir uns schliesslich zu der von E. Dubois vertretenen
Auffassung wenden, so ergiebt sich dieselbe aus dem unten folgenden
Schema. Er nimmt als Ausgangspunkt der Menschen und anthropo-
morphen Affen ^ eine Form an, welche er Prothylohates nennt: Eine
noch sehr generalisierte Form , die ebenso wie ihre noch lebenden
nächsten Verwandten, die Hylohates oder Gibbon, neben mancher
menschlichen Eigenschaft noch sehr viel von den Merkmalen ihrer
tiefer stehenden, den Meerkatzen ähnlichen Ahnen besass.
Ein Nachkomme dieses hypothetischen Prothi/hbates ist dann
der in Indiens Siwalik-Schichten gefundene PalaeopitJiecus. Wie
E. DüBOis auf Grund seines Studiums der Reste desselben in Cal-
cutta feststellt, sind auch bei dieser Gattung Züge des Gibbon mit
solchen des Menschen gemischt.
In dem Pithecanthropus erecUis von Java würden wir, nach
E. DuBOis, wiederum einen Abkömmling dieses Palaeopithecus zu er-
blicken haben. Auch hier finden wir eine Vereinigung menschlicher
Merkmale mit solchen des Gibbon ; aber es überwiegen bereits die
menschlichen , die dann in den weiteren Nachkommen des Plthec-
Umwandlungen, welche die Cynopithecinen hierbei erlitten, rein theoretisch kon-
struiert sind. Im Obermiocän müsste jedenfalls diese Umwandlung sich schon gänz-
lich vollzogen gehabt haben ; denn die aus dieser wie pliocäner Zeit bekannten fossilen
Cynopithecinen schliessen sich bereits eng an den lebenden Typus derselben an.
1 Anatomischer Anzeiger. Bd. 12. 1896. Heft 1. S. 21.
- 128 —
anthrojnis, dem Menschen, sich mehr und mehr m den Vordergrund
drängen.
Unseren Dryopühecus betrachtet E. Dübois als einen erloschenen
Seitenzweig, welcher noch vor dem hypothetischen Frothylobates dem
Stamme der Affen entsprang.
Erst später bildeten sich dann drei weitere, heute noch lebende
Seitenzweige : Derjenige der Gibbons, in welchen mithin jene genera-
lisierten Merkmale der Stammform sich bis auf die Jetztzeit erhalten
haben; ihm gehören der fossile Pliopithecus und der fossile Fllo-
Jtt/Iohates ^ von Eppelsheim an.
Der zweite Zweig wäre derjenige des Orangs. Dem dritten
würden gemeinsam Gorilla und Chimpanse entspringen.
Die folgende Übersicht, in welcher die drei hypothetischen
Formen in Klammern stehen, veranschaulicht E. Dübois' Meinung in
Ergänzung der HÄCKEL'schen :
PI eist 0- Cercopitheciclae Gibbon Orang Mensch Chimpanse Gorilla Platyrrhini
cän \ \ \ I /
Eocän
(ÄrcJu-
pithecus)
* So benennt Dübois den fraglichen Oberschenkel von Eppelsheim, wel-
cher von anderen dem Dnjopithecus zugeschrieben wird. Vergl. S. 9 dieser Arbeit.
— 129 —
Es wäre vermessen, jetzt bereits, wo noch so viele und ent-
scheidende fossile Formen uns unbekannt sind, die eine dieser beiden
entgegengesetzten Anschauungen als die entschieden richtige er-
klären zu wollen. Wohl aber wird es ein gewisses Interesse be-
sitzen, zu sehen, wie weit man allein auf die Zahl der Zähne hin
zu einigen Wahrscheinlichkeitsschlüssen über die Verwandtschaft der
in Rede stehenden Formen gelangen kann. Ich verweise zu dem
Zwecke auf die folgenden in Teil II gemachten Angaben:
Es haben in eocäner Epoche zwei Gruppen affenartiger Tiere
gelebt : die Pseudolemuriden , welche ein Gebiss von 44 und die
echten Lemuriden, welche ein solches von ungefähr 30 Zähnen be-
sassen ; ferner kommen den heutigen Lemuren 36 Zähne , den neu-
weltlichen Affen ebenfalls 36, den altweltlichen dagegen schon seit
miocäner Epoche nur 32 zu.
Da die heutigen Lemuren noch jetzt eine höhere Zahnzahl auf-
weisen , als die eocänen , so geht allein schon aus diesem Grunde
hervor (s. Teil IP), dass sie unmöglich die Nachkommen jener eocänen
sein können. Heutige und eocäne Lemuren müssen vielmehr not-
wendig zwei verschiedene Zweige eines Stammes bilden, von welchen
der letztere ausgestorben sein dürfte.
Wiederum allein schon aus der verschiedenen Zahnzahl geht
dann weiter hervor, dass dieser eben erwähnte Stamm, welchem
heutige und eocäne Lemuren entsprangen, nicht in den Pseudo-
lemuriden gesucht werden darf. Denn wenn zu eocäner Epoche,
also gleichzeitig, diese Pseudolemuriden mit 44 und echte Lemuriden
mit etwa nur 30 Zähnen gelebt haben, so können letztere nicht wohl
von ersteren abstammen. Vielmehr werden beide höchstens Zweige
eines wiederum älteren Stammes sein können, von welchem der eine,
die Pseudolemuriden, altertümlich blieb, der andere, die echten Le-
muren des Eocän, sich schnell reducierte und dann ausstarb ^.
Gehen wir zu den echten Affen über, welche teils 32, teils
36 Zähne besitzen, so ist auch hier eine Abstammung von den bisher
bekannten eocänen echten Lemuren allein schon darum unmöglich,
weil letztere bereits in jener uralten Zeit eine geringere Zahnzahl,
^ Die Keduktion des Gebisses und ihre Ursachen.
2 Aus anderen der Bezahnung entnommenen Gründen hat Schlosser
bereits dargethan (Die Affen, Lemuren. Teil I. S. 39, 40), dass die heutigen Le-
muriden genetisch nichts zu thun haben mit den eocänen. Nur die Tarsiiden
bilden unter den Halbaffen nach ihm einen Anknüpfungspunkt zwischen Pseudo-
lemuriden und Lemuriden.
.Tahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 9
— 130
etwa 30, erlangt hatten, als die Affen sie heute noch besitzen. Aber
auch schon in miocäner Epoche befand sich die 32 betragende Zahn-
zahl der altweltlichen Affen auf derselben Stufe wie heute; und
ebenso scheint diejenige der fossilen neuwelthchen Affen auch be-
reits dieselbe wie heute gewesen zu sein, 36 ^ Wenn man nun er-
wägt, dass die Pseudolemuriden bis an das Ende der eocänen Epoche
44 Zähne behielten, dass dies vielleicht noch bis in den Beginn der
miocänen hinein der Fall war^, so wird aus dieser starken Ver-
schiedenheit der Zahnzahl sehr wahrscheinlich, dass auch die echten
Affen nicht von den Pseudolemuriden abgeleitet werden können^.
Es wird daher aus der Zahnzahl wahrscheinlich, dass echte
Affen, Halbaffen und Pseudolemuriden drei verschiedene Zweige sind,
die einem noch unbekannten Stamme entsprangen, wie das durch
das folgende Schema angedeutet werden soll.
Echte Affen
Quartär altweltliche neuweltliche heutige Lemuriden
n. Pliocän 32 Zähne 36 Zähne 36 Zähne
Miocän
Eocän
32 Zähne 36 Zähne
Eocäne
Lemiu'iden
30 Zähne
Pseudo-
lemuriden
44 Zähne
/
Auf Grund anderer, wichtigerer Merkmale als der Zahnzahl
gelangt Schlosser zu ähnlichem Ergebnisse. Halbaffen und Affen
sind nach ihm auf creodonte Formen zurückzuführen*. Die Affen
aber haben auf diesem Wege zuerst ein Halbaffenstadium durch-
laufen ; und letzterem sind als Seitenzweig die alttertiären Pseudo-
lemuriden entsprungen. Die europäischen Pseudolemuriden starben
aus ; den nordamerikanischen aber entstammt die Gruppe der echten
^ Doch kennt man hier wesentlich nur jüngere Vertreter.
^ Der einzige bisher bekannte miocäne Pseudolemuride , Laopithecus , ist
noch nicht völlig seinem Gebisse nach bekannt.
" Wie das Schlosser ebenfalls aus anderen Gründen schon darthat
(1. c. S. 10, 19). Nur die Cynopithecinen möchte er vielleicht in Beziehung zu
den Hj'opsodiden, einer Gruppe der Pseudolemuriden, bringen.
" Die Affen, Lemuren . . . Teil III. S. 102.
- 131 —
Affen, welche nach ihrem Vertreter, dem Pavian, die Cynopithecinen
genannt wird ^.
Wir haben früher auf S. 73 gesehen , dass Morris bei der so
viel gesuchten Stammform des Menschengeschlechtes von der Vor-
stellung ausgegangen war, sie habe die menschliche Kürze der Arme
nicht erst erworben, sondern bereits ererbt. Es ist dort auch er-
wähnt worden, dass E. D. Cope, auf dessen Anschauung wir erst
an dieser Stelle eingehen können, da sie bis auf die Stammform
wiederum dieser menschlichen Stammform zurückgreift, auch in Bezug
auf den Fuss zu solcher Auffassung gelangte, dass dieser als Gehfuss
nicht erst erworben, sondern längst ererbt gewesen sei. Es geht
daraus hervor, dass Cope die Stammformen des Menschengeschlechtes
sich zu keiner Zeit als auf Bäumen lebend vorstellt
Bekanntlich sind bei den Affen Hand und Fuss als Greiforgane
ausgebildet; bei den Menschen aber gilt das nur von der Hand, wo-
gegen der Fuss ein Gehorgan ist. Nun meint Cope, bei der Stamm-
form beider hätten sich Hand und Fuss in dieser Beziehung bereits
ganz wie heute beim Menschen verhalten. Der Fuss sei daher beim
Menschen das, was er war, ein Gehfuss, geblieben ; beim Affen aber
habe er sich notgedrungen später in einen Greiffuss verwandelt, weil
er durch das Leben der Tiere auf den Bäumen dazu geworden sei.
In der That haben in alttertiärer Zeit Wesen gelebt, welche
nach dieser Richtung hin die Bedingungen erfüllen, welche nach
Cope von der Stammform des Menschen und Affen zu erwarten sind.
Wesen , deren Hand ein Greiforgan , deren Fuss aber ein Gehorgan
war, ganz wie heute noch beim Menschen. Es ist das die Gattung
Phenacodus; und Cope glaubt nun die gesuchte Stammform beider
erkennen zu müssen entweder direkt in der Gattung Phenacodus,
oder doch in einem ähnlichen Geschlecht der Condylarthra ^.
Es sind das Formen , welche wesentlich dem ältesten Eocän
Nordamerikas , vereinzelt auch Europas , angehören ^. Sie erweisen
^ Allerdings ist das insofern schwer zu erweisen, als uns hier noch die
Zwischenglieder fehlen; denn fossile Cynopithecinen kennen wiv bisher erst seit
■dem Pliocän.
^ Cope, Notes on Phenacodus. The Geological Magazine. London 1886;
S. 238—239. S. auch: The American Naturalist. 1888. S. 660—663. Ebenda
1882. S. 1029 u. 334. S. auch Teil II dieser Arbeit, Abschnitt II, Perissodactyla.
^ Kütimeyer hat auch im obereocänen Bohnerz von Egerkingen bei
Solothurn Backenzähne gefunden, Avelche er als zu Phenacodus gehörig bestimmen
zu können glaubte. Lemoine fand im ältesten Eocän bei Reims vollständigere
Eeste.
9*
— 132
sich als die primitivsten Vertreter der Huftiere, erinnern dabei aber
äusserlich stärker an Raubtiere, als an erstere. Aus dieser Stamm-
form wären einerseits Affen und Menschen, andererseits Huftiere und
auch die Carnivoren hervorgegangen, was sich schematisch in der fol-
genden Weise darstellen würde:
Hominidae Simiidae Cercocebidae Tarsidae Lemuridae
Anthropomorphae
üngulata
Cebidae
Adapidae
-Phenacodontidae
Dieser Anschauung Cope's, dass in Phenacodus die Stammform
von Menschen, Affen und Huftieren vorliege, schliesst sich auch Topi-
NARD ^ an. Wollte man annehmen, folgert er, dass der Mensch in letzter
Linie vom Affen abstamme, so würde man zu dem wenig wahrschein-
lichen Schlüsse gezwungen, dass der nur der Bewegung dienende Fuss
des Phenacodus sich zuerst, beim Affenstadium, in ein Greiforgan um-
gewandelt und dann, beim Menschenstadium, wieder in ein einfaches
Lokomotionswerkzeug zurückverwandelt habe. Indessen Topinard
bleibt nicht endgültig bei diesem Gedankengange, wie Schlosser be-
tonte. Denn später gelangt er zu dem gegenteiligen Schlüsse, dass
der Mensch doch von irgend einem bisher noch unbekannten Affen
abstammen müsse, weil der Bau des Gehirnes bei beiden der näm-
liche ist. Darin aber liege ein viel wichtigeres Moment für die Er-
kennung verwandtschaftlicher Beziehungen, als in dem Bau der Be-
wegungsorgane, welche sich leichter verändern können.
Während so Cope die Condylarthra (Phenacodus) als Ausgangs-
punkt nimmt, greift Schlosser^ auf die Creodonten, die ältesten
Fleischfresser, zurück, wie sich das aus dem folgenden Bilde ergiebt:
^ Les dernieres etages de la genealogie de l'homme. Revue d'Anthropo-
logie. 1888. S. 298—332. Ich eitlere nach Schlosser's Litteraturbericht im
Archiv für Anthropologie, da ich das Buch nicht erhielt.
^ M. Schlosser, Beiträge zur Stammesgeschichte der Huftiere und Ver-
such einer Systematik der Paar- und Unpaarhufer. Morphologisches Jalu-buch.
— 133 —
Hyrax Ungulata Lemuren Quadrumanen Carnivoren Insectivoren
-Creodonta placental
Darin liegt jedoch keinerlei Unterschied in der Auffassung, denn
CoPE ist ganz derselben Ansicht, dass die Huftiere von Fleischfressern,
Creodonten abstammen. Er begründet diese Ansicht nach zwiefacher
Richtung hin: Einmal nämlich besitzen die geologisch ältesten Huf-
tiere, besonders im Bau von Hand und Fuss, überhaupt auch im
Bau der ganzen Extremitäten, viel Übereinstimmendes mit demjenigen
der Fleischfresser^. Zweitens aber kann man die Zahnformen der
Huftiere auf derjenigen der alten Fleischfresser ableiten^.
Der Unterschied zwischen diesen beiden Ordnungen ist übrigens
nicht so gross , als er scheinen könnte. Wenn nämlich auch die
Creodontia als älteste Carnivoren und die Condylarthra als älteste
Ungulaten in ganz verschiedene Ordnungen gestellt werden müssen,
weil sie die Ausgangsglieder zweier heute so scharf getrennten Ord-
nungen sind, so darf man doch nicht in den Irrtum verfallen, auch
diese Ausgangsglieder sich bereits als ebenso scharf geschieden vor-
zustellen. Sehr treffend sagt Zittel^ in dieser Beziehung: „Wäre
es möglich, den Tiergestalten der Cernays- und Puerco-Periode
Bd. 12. 1886. S. 1—136. Die oben ausgesprochene Ansicht findet sich auch in
dem Referat des Verfassers über seine soeben genannte Arbeit im Litteratur-
bericht für Zoologie für das Jahr 1886, Archiv für Anthropologie. S. 139.
* C 0 p e , The trituberculate Type of superior Molar and the origin of the
quadritnberculate. „Science." 1883. Vol. 2. S. 338. Vergl. über dieses Thema
auch Cope in American Naturalist. 1883. S. 407 und in Proceedings of the
American Philosophical Soc. Philadelphia 1883. S. 324— 326. Siehe auch Schlos-
se r ' s Litteraturbericht darüber im Archiv für Anthropologie. 1884.
^ Die ältesten tertiären Säuger, so auch die Creodonta, haben im Ober-
kiefer Molaren, welche durch drei Höcker gebildet werden, nur selten durch vier.
Diejenigen der Huftiere, welche letztere geologisch jünger sind, bestehen dagegen
aus vier Höckern. Ein solcher Quadritubercularzahn aber kann nur hervor-
gegangen sein aus einem tritubercularen, indem sich, nach Cope's Auffassung,
an der Innenseite des Zahnes den drei ursprünglichen Höckern später noch ein
vierter zugesellte. Vergl. den Abschnitt I in Teil 11. Auch Morris (The
making of Man. The American Naturalist. 1886. S. 493 — 505) hat übrigens den
Menschen in letzter Linie auf carnivore Formen zurückgeführt.
^ Handbuch der Palaeontologie. Bd. 4. S. 726.
— 134 —
(ältestes Tertiär) Leben einzuhauchen und sie unter unsere heutige
Säugetierfauna zu versetzen, so würde vermuthch jeder Zoologe die
damaligen Creodontia , Condylarthra , Pachylemuria und Amblypoda
in eine einzige einheitliche Ordnung zusammenbringen."
Wir sind am Ende : Wenn wir die körperliche Beschaffenheit
der Menschen und Menschenaffen miteinander vergleichen, so zeigt
sich eine so überaus grosse, so ins Kleine gehende Ähnlichkeit, dass
diese nur in einer Blutsverwandtschaft beider ihre zoologische Er-
klärung finden kann.
Aber wenn wir dann das Mass dessen betrachten, was an Denken
und sittlichem Empfinden solche Menschen leisten, die, leuchtenden
Meteoren gleich, den Ihrigen den Weg erhellen und das vergleichen
mit dem Gehirn- und Seelenleben der Menschenaffen — dann klafft
eine so gewaltige Kluft auf, dass man die versteht, welche den Kopf
schütteln vor dem Gedanken einer Blutsverwandtschaft.
Steigen wir jedoch hinab von jenen lichten Höhen der Mensch-
heit in deren Tiefen, zu den Völkern ohne Kultur, zu den Wilden,
deren Sprache auf armselige, wenige Worte beschränkt ist, weil ihr
Gehirn- und Gemütsleben nahe dem Nullpunkte steht, vergleichen
wir diese Tiefen der Menschheit mit den Menschenaffen, dann wird
die vorher so breite Kluft zu einer schmalen.
Ist nun aber Fortentwickelung des Menschen Erbteil, dann
müssen diese heute noch Wilden doch ebenfalls bereits avancierte
Menschen sein, müssen also ihre Vorfahren zu diluvialer oder tertiärer
Zeit so gut wie sprachlos gewesen seien, weil ihr Hirn- und Gemüts-
leben und ihr sittliches Empfinden nur eine geringe Zahl von Be-
griffen namhaft zu machen forderte. Damit sind wir aber nahe dem
Anfangspunkte, an welchem die Kluft zwischen Mensch und Menschen-
affe noch so flach und schmal verläuft, dass sie keine hemmende
Grenze mehr bildet, sondern den Verkehr zwischen hüben und drüben
gestattet. Wie diese Wesen beschaffen waren, die zuerst die Kluft
übersprangen, das wissen wir nicht aus Kenntnis, das können wir
bisher nur ahnen und dem haben wir im Abschnitt III Worte gegeben.
Wir haben im vorstehenden versucht, über die Vergangenheit
des Menschenstammes einige Vorstellungen zu gewinnen; so mag
es auch gestattet sein, über die Zukunft desselben Gedanken zu
hegen und auszusprechen.
In Teil II ^ wird gezeigt werden, welche Vorstellung man sich
* s. Teil II am Schluss des Abschnittes II.
— 135 —
hinsichtlich der zukünftigen Bezahnung des Menschengeschlechtes
mit ziemlicher Sicherheit bilden darf. Wenigstens soweit das die
nächste Zukunft desselben betrifft; denn ob man die fernere Folge-
rung zu ziehen hat, dass die Zahl der Zähne sich schliesslich einmal
bis zum Verschwinden aller steigern wird oder ob und wo es hier
einen Haltepunkt geben muss — das entzieht sich doch zu sehr der
Beurteilung ^
Es soll hier versucht werden, ob es möglich ist, von der zu-
künftigen Entwickelung des Schädels und der geistigen Eigenschaften
des Menschen ein Bild zu erhalten.
Der einstige ,,Obermenscli".
Mit der Entstehung des Menschen aus dem Tiere wurde die
Grenzlinie überschritten, welche die körperliche Entwickelung der
Lebewelt von der geistigen trennt. Aber, so sagt Ch. Morris^, in
dem heutigen Menschen sehen wir nicht etwa schon das Endprodukt
dieser geistigen Entwickelung, sondern erst den Anfang derselben,
nicht bereits das Reifestadium eines vollendeten, sondern erst das
Kindheitsstadium eines beginnenden neuen Entwickelungsprozesses,
des geistigen in der Lebewelt : Eines Prozesses , in welchem das
Gehirnorgan mehr und mehr die Überhand über den Körper erlangen
wird, so dass das einstige Endprodukt ein Wesen werden muss, von
dessen Bau wir uns keine rechte Vorstellung zu machen vermögen.
Man gelangt auf solche Weise zu einem „Übermenschen" der
Zukunft, zu dem Nietzsche in seiner philosophischen Lehre kam^
welche ja auf dem Begriffe der Entwickelung aufgebaut ist. Logisch
könnte es damit vielleicht auch allmälig zu einer Umwälzung mancher
Anschauungen und Empfindungen, zu einer „Umwertung aller Werte"
kommen, wie Nietzsche annimmt, vorausgesetzt, dass die Entwicke-
lung wirklich immer weiter nur in derselben Richtung voranschreitet
und dass die Lebewelt wirklich so lange auf der Erde ihre Daseins-
bedingungen erfüllt findet, bis diese neue Stufe der Entwickelung
von ihr erklommen ist.
Aber einer solchen Lehre und Anschauungsweise legen sich,
wie mir scheinen will, zwei Schwierigkeiten in den Weg:
Wenn sie den Begriff der Entwickelung in dem Sinne erfasst,
dass dieselbe notgedrungen immer weiter und weiter fortschreiten
muss, weil der „Wille zur Macht", der das alles bewirkt, unauf-
^ s. Teil II am Schluss des Abschnittes II.
- American Naturalist. Bd. 20. 1886. S. 505.
— 136 -
hörlich anhält — dann heisst es doch auf halbem Wege stehen
bleiben, wenn man in diesem Entwickelungsprozesse den „Über-
menschen" als das einstige Endziel betrachtet. Logisch wäre es
doch, auch den „Übermenschen" wiederum nur als eine der Etappen
hinzustellen, welche es auf diesem Wege der Entwickelung zu immer
Höherem geben müsste; einem Wege, der ein Ende nur finden
könnte in der Erreichung des denkbar Höchsten, der Vollkommenheit:
Vorausgesetzt, dass der Begriff der Entwickelung in dem obigen
Sinne richtig definiert wäre. Aber das kann zweifelhaft sein.
Das zweite, eigentlich das Hauptgebrechen einer solchen Lehre
scheint mir eben in der nicht bewiesenen , daher in diesem Falle
vielleicht falschen , Voraussetzung zu liegen , auf welcher die ganze
Lehre sich aufbaut: dass nämlich „Entwickelung" notwendig eine
immer in derselben Richtung voranschreitende Fortbildung sein müsse.
In körperlicher Hinsicht lassen sich genug Beispiele dafür an-
führen, dass dem nicht so ist, sondern dass die Entwickelung nach
der einen Richtung hin oft nur eine Zeit lang fortschreitet, nur so
lange, bis der betreffende Stamm dadurch zu Grunde gerichtet und
dem Untergänge verfallen ist. Ich will als ein Beispiel nur die Gat-
tung Machairodus anführen:
Wenn irgend etwas den Raubtieren Macht verleiht, so ist es
das Gebiss und in diesem besonders der gewaltige Eckzahn , mit
dem sie wie mit einem Dolche ihren Feind nicht nur durchbohren,
sondern auch an ihren eigenen Körper festnageln können. Nirgends
aber im Tierreich hat dieser „Wille zur Macht", wie man diese
Entwickelungstendenz der Eckzähne zu grösserer Stärke doch auch
bezeichnen könnte, sich so gewaltig nach dieser Richtung hin be-
thätigt, wie bei jener Löwengattung tertiärer Zeiten, welche man
Machairodus^ Säbelzahn, genannt hat. Denn hier hat sich der Eck-
zahn, zu einer immer fürchterlicheren Waffe anwachsend, mehr und
mehr vergrössert, bis er schliesslich in Gestalt eines gewaltigen
krummen Dolches zum Maule herausragte.
Aber eben damit war auch das Ende dieser Entwickelungs-
richtung erreicht; denn das Tier konnte schliesslich den Rachen nicht
mehr weit genug aufsperren, um seinem Gegner den langen Säbel-
zahn in das Fleisch zu bohren : Es ging zu Grunde offenbar an dem
von ihm erreichten Übermass seiner Entwickelungsrichtung.
Wir werden später in gleicher Weise den von Baume aus-
gesprochenen Gedanken ablehnen, dass die auf Reduktion der Zahn-
zahl hinauslaufende Entwickelungsrichtung der Säugetiere notwendig
— 137 —
dereinst in allgemeiner Zahnlosigkeit gipfeln müsse (Teil II am Schlüsse
des Abschnittes II),
Ebenso auch können wir es als unwahrscheinlich erachten, dass
die auf immer grössere Ausbildung der Gehirnthätigkeit hinauslaufende
Entwickelungsrichtung der Menschheit durch Millionen von Jahren
hindurch anzudauern, sich zu potenzieren vermöchte. Wie dort, bei
Machairodns , schliesslich der Untergang durch das Übermass jener
Entwickelungsrichtung herbeigeführt wurde, so könnte auch hier,
beim Menschen, sehr wohl der Untergang des Körpers, eine Unfähig-
keit zu leben, sich zu ernähren, fortzupflanzen, zu verteidigen, er-
zielt werden, wenn das Gehirn sich ad infinitum in den^Vordergrund
drängen würde.
Es ergiebt sich aus dem Gesagten das Folgende :
Die Entwickelung der Lebewelt auf Erden kann
notgedrungen nur eine zeitlich beschränkte und keine
unbegrenzte sein, weil alle Existenzbedingungen für
die Lebewelt einmal auf der Erde mit der Erkaltung
der Sonne aufhören müssen.
Innerhalb dieses ihr überhaupt nur zur Verfügung
stehenden Zeitraumes aber besteht die „Entwickelung"
keineswegs nur in dem kontinuierlichen Fortschiessen
auf der einmal eingeschlagenen Bahn. Sondern, so-
wie für jede einzelne der zahlreichen Entwickelungs-
richtungen ein Gipfel erreicht ist, erfolgt der Abstieg,
eventuell auch die Vernichtung.
Ob daher für das Menschengeschle cht dieser Gipfel
bereits mit ungefähr dem jetzigen Menschen erreicht
ist; oder ob der „Übermensch" noch erreicht werden
wird; oder ob gar nach diesem ein noch höherer Mensch
sich entwickeln wird, das lässt sich schlechterdings
nicht erkennen,
R. Arndt ^ fasst jedes Genie, jedes Talent, jede höhere Be-
gabung als ein Zeichen der Degeneration auf. Danach müsste das
Menschengeschlecht seine steigende geistige Entwickelung der fort-
gesetzten Entartung einer immer mehr anwachsenden Zahl seiner
Mitglieder verdanken. Eine Entwickelung in jene „übermenschlichen"
oder gar noch höheren Geistesverhältnisse hinein würde damit also
bedeuten, dass das Menschengeschlecht mit Erreichung dieser Etappe
gänzlich entartet, somit dem Untergange verfallen sein würde.
^ Artung und Entartung. Greif swald 1895.
— 138 —
Ganze Gattungen und Ordnungen von Lebewesen sind erloschen,
indem sie ihrer Entwickelungsrichtung, in welche die Natur sie
hineintrieb, nicht gerecht zu werden vermochten und auf Abwege
gerieten, welche ihnen den Untergang brachten. So auch könnte
der Menschenstamm vielleicht dereinst scheitern an der Grösse der
Aufgabe, welche die Natur ihm zuerteilt hat, an der Höhe seiner
Entwickelungsrichtung, welcher seine körperlichen Verhältnisse nicht
gewachsen sein würden.
Der Kampf ums Dasein, das ist das gewaltige Mittel, welches
den geistigen Fortschritt der Menschheit erzwingt. Aber wenn Rüti-
MEYER (S. 70) das Richtige trifft, so gilt das doch nur von einem
Kampfe, welcher sich innerhalb massiger Grenzen hält. Sobald da-
gegen der Kampf sich derart steigern sollte, dass unablässig alle
Kraft des Individuums verbraucht werden muss zur Erfüllung seiner
körperlichen Aufgaben, der Ernährung, der Verteidigung, der Fort-
pflanzung — dann müssten im selben Masse auch alle zarteren
geistigen Blüten wieder abgestreift werden, welche ihm von seinen
Vorfahren als Erbteil überkommen waren, müsste mehr und mehr
das Tier im Menschen wieder zur Herrschaft gelangen.
Das wäre der Abstieg von der erlangten Höhe, an Stelle eines
Aufstieges zu neuer Höhe ! Muss dieser Kampf, wenn einst die Erde
von Menschen übervölkert sein würd, so erbittert sich gestalten, dass
der Abstieg beginnt?
Allem Anscheine nach wäre der Tag der Übervölkerung gär
nicht so fern (Teil H in Abschnitt HI sub 2 b), an welchem die
Menschheit erkennen kann, ob die Schroffheit dieses Kampfes wirk-
lich jene Folgen zeitigt. Zwar giebt es Träumende, welche ein Bild
zukünftigen ewigen Friedens umgaukelt. Aber wenn sie erwachen,
werden sie sehen, dass sie Unnatürliches geträumt haben, denn der
Kampf ums Dasein ist das Natürliche, liegt in der Natur begründet :
Erbarmungslos herrscht er am Himmel , im Weltenraum. Je
grösser die Masse, desto stärker die Anziehungskraft, so lautet dort
das Naturgesetz, welches das kleinere Gestirn rettungslos in die Ge-
walt des grösseren hineinzwingt.
Ebenso brutal waltet er auf der Erdoberfläche, unter den Ge-
steinen 5 wo das härtere , widerstandsfähigere triumphiert , während
das weichere dem nagenden Zahne der Zeit unterliegt, verschwindet,
weggewischt wird.
Grausam wütet er unter den wilden Pflanzen der Wiese und
des Waldes , unter den wilden Tieren , die eines dem anderen die
.— 139 —
Nahrung, die Fortpflanzung streitig machen. Aber während dieser
Kampf im Weltenraum und auf der Erdoberfläche unaufhörhch weiter
fort tobt, findet er bei jenen Lebewesen ein Ende: schon hat der
Mensch auf weiten Länderstrecken diesem Kampfe der wilden Pflanzen
und Tiere ein Ziel gesetzt, indem er sie ausrottete. Und die Zeit
ist nicht ferne, da wird dieser Kampf ausgetobt haben, weil es dann
keine wilden Pflanzen und Tiere mehr giebt, weil der Mensch nur
noch Kulturpflanzen und Kulturtiere duldet, die er in seinen Willen,
in seine Zwecke hineinzwingt.
So wird für Pflanzen und Tiere sicher einst der von den
Menschen so ersehnte Zustand des Friedens anbrechen, an welchem,
abgesehen natürlich von den Kleinlebewesen, die sich dem Einflüsse
des Menschen stets entziehen werden, der wilde Kampf ums Dasein
ausgetobt hat, weil des Menschen mächtige Hand ihn verhindert.
Dem Menschen selbst aber wird schwerlich der Tag nahen,
an welchem auf dieser Erde sein Kämpfen ein Ende findet. Im
Gegenteil, nachdem der Mensch alle Pflanzen und Tiere vergewaltigt,
ihnen das Leben oder die Freiheit geraubt haben wird, muss für ihn
selbst der Kampf nur um so wilder auflohen. Gesittung und Christen-
tum mögen die allzu schroff'e Form desselben mildern, aber ihn ver-
nichten, das können sie nicht.
Zu welchem der beiden Ziele wird er den Menschen dann hin-
führen; zum Aufstieg oder zum Abstieg? Wir hoffen zum ersteren,
aber Hoffnung kann trügen. Doch wenn schon die Erforschung der
Vergangenheit des Menschenstammes uns kaum zu bewältigende
Rätsel stellt — wenn wir vermessen seine Zukunft ergründen wollen,
dann legt statt jeder Anwort sich um unsere Augen eine Binde.
Teil n dieser Arbeit — unter dem Titel „Art und Ursachen
der Reduktion des Gebisses bei Säugern" — folgt nicht in diesen
Jahresheften, sondern als Programmschrift der Akademie Hohenheim
für 1897, daher in erweiterter Form.
— 140 —
Tafelerklärungen.
Taf. I.
Fossile Zähne: Fig. 1, 2, 6, 7; Tübinger Sammlung.
Fig, 1. Keimzahn, linker Oberkiefermolar ; 7i \ a,. d. Bohnerz von Melchingen.
1 V. oben ; 1 a v. d. Aussenseite ; 1 b v. d. Innenseite.
„ 2. Abgekauter rechter Oberkiefermolar, W oder JP; Vi) ^- ^- Bobnerz
von Melchingen.
2 V. oben ; 2 a v. d. Aussenseite ; 2 b v. d. Innenseite.
„ 6. Keimzahn, rechter Unterkiefermolar (abgebildet in Taf. II Fig. 1), v. d.
Unterseite gesehen; 7i '> a- d. Bohnerz von Melchingen.
„ 7. Keimzahn, linker Oberkiefermolar (abgebildet in Taf. I Fig. 1), v. d.
Unterseite gesehen ; 7i \ ^- d. Bohnerz von Melchingen.
Recente Zähne: Fig. 3, 4, 5, 8, 9.
Fig. 3. M' oben links des Orang; 7i '> Naturalienkabinet Stuttgart.
3 V. oben; 3 a v. d. Aussenseite; 3 b v. d. Innenseite.
„ 4. M^ oben rechts von Gibbon (Hylobaies leuciscus); Naturalienkabinet
Stuttgart.
4 V. oben ; über 7i ; 4 a v. d. Aussenseite ; 4 b v. d. Innenseite.
„ 5. M* oben links eines Hottentotten; 7i ; Naturalienkabinet Stuttgart.
5 V. oben ; 5 a v. d. Aussenseite ; 5 b v. d. Innenseite.
„ 8. M* unten rechts von Fithecia ; 7i ; Naturalienkabinet Stuttgart.
„ 9. M^ oben rechts von Pithecia ; ^i j Naturalienkabinet Stuttgart.
Taf. II.
Fossile Zähne aus dem Bohnerz: Fig. 1, 2, 4, 5, 6, 7, 11.
a V. d. Aussenseite; b v. d. Innenseite.
Fig. 1. Keimzahn, Molar unten rechts; -/i ; von Melchingen; Tübinger Sammlung.
„ 2. Molar unten rechts ; -/i ; von Salmendingen ; Naturalienkabinet Stuttgart.
„ 4. Molar unten rechts ; 7i '■> von Melchingen ; Tübinger Sammlung.
„ 5. Molar unten rechts ; 7i > ^^n Salmendingen ; Technische Hochschule
Stuttgart.
„ 6. Molar unten links; 7i '> g*°z unbenutzt, von Trochtelfingen ; Tübinger
Sammlung.
„ 7. Molar unten links ; 7i '> von Ehingen ; Dr. Beck's Sammlung, Stuttgart.
„ 11. Letzter ]\Iilchbackenzahn unten links, Pd'; 7i ; ^^n Salmendingen;
Tübinger Sammlung.
— 141 —
Recente Zähne: Fig. 3, 8, 9, 10.
Fig. 3. IP unten rechts von Hylobates leuciscus ; über ^/j ; Naturalienkabinet
Stuttgart.
„ 8. M' unten links vom Orang ; ^/j ; Naturalienkabinet Stuttgart.
„ 9. M' unten links eines Zigeuners ; 7i 5 Naturalienkabinet Stuttgart.
„ 10. M^ unten rechts eines Franzosen; 7^; Naturalienkabinet Stuttgart.
Taf. m.
Fossile Zähne von St. Gaudens, Frankreich: Fig. 1, 2.
Fig. 1. Unterkiefer yon DryopüJiecus Fontani Laktet, Copie nach Gaudry ; Vi«
„ 2. Derselbe von oben.
Recente Zähne: Fig. 3, 4.
„ 3. Unterkiefer eines Nago-Negers ; Vi ; Naturalienkabinet Stuttgart.
4. Oberkiefer desselben.
nhalts-Verzeichnis zu Teil I.
Einleitung (S. 1—3).
I. Die bisher bekannten fossilen Reste menschenähnlicher Affen (S. 4),
I. Asiatische (S. 6): Orang?; Palaeopithecus sivalensis (S. 7); Pithec-
anthropus erectus (S. 8).
II. Europäische: Pliopithecus erectus (S. 8); Pliohylobates eppelsheimensis
(S. 9); Dryopithecus Fontani (S. 12).
II. Die im Bohnerze der schwäbischen Alb gefundenen Zähne.
Geschichtliches (S. 16).
Die Variabilität der Oberkiefermolaren bei Mensch und leben-
den Anthropomorphen (S. 22).
a) Bei Menschen (S. 22). Die Höckerzabl kann zwischen 5, 4, 3, 2 variieren.
Die Kulturvölker haben im allgemeinen die geringere Höckerzahl, die
niedrigstehenden Rassen die höhere; Cope, Topinard, Schlosser.
b) Bei Menschenaffen (S. 25). Die Höckerzahl ist konstanter; M* variiert
aber auch hier.
Die Variabilität im Unterkiefer (S. 2(3).
a) Bei Menschen (S. 27). Die Zahl der Höcker kann 7, 6, 5, 4, 3, 2
betragen.
b) Bei Menschenaffen (S. 27). Die Zahl kann auch hier variieren.
Höhe, Oberflächen-Beschaffenheit, Wurzeln, Länge der Mo-
laren bei Mensch und Menschenaffen (S. 28).
Milchprae molaren bei Mensch und lebenden Menschenaffen (S.30).
Pd^ gleicht M'. Die Milchbackenzähne sind bei beiden viel ähnlicher als
die bleibenden Zähne. Die Milchbackenzähne ähneln aber ihren Ersatz-
zähnen bei Anthropomorphen stärker, als das beim Menschen der Fall ist.
Die beiden fossilen Oberkiefermolaren aus dem Bohnerz der
Alb (S. 31).
Vergleichung ihrer Grössenverhältnisse (S. 32). Sie sind schmäler bezw.
länger als bei Mensch und anderen Anthropomorphen (S. 34). Der hintere
Innenhöcker ist grösser (S. 34) , die Schmelzleisten stärker als bei Mensch
(S. 35) ; die vordere und hintere Querfurche (S. 35) ; Grübchen an der Aussen-
und Innenseite als Endigungspunkte der tief hinabgehenden Zahnfurchen
(S. 35). Vergleichung des Keimzahnes aus dem Bohnerz mit den Oberkiefer-
molaren der Anthropomorphen (S. 35). Der abgekaute Zahn aus dem Bohn-
erz (S. 36).
- 143 —
Die acht fossilen Unterkiefer. Zähne aus dem Bohnerz (S. 38).
Sieben Molaren , 1 Milchprämolar (S. 38) ; sie stammen von mindestens
3 — 4 verschiedenen Individuen (S. 40). Die Höcker. Die Kreuzfurche, die
vordere und hintere Querfurche , die Schmelzleisten , die Länge des Zahnes
(S. 41). Durchschnittliche Maximal- und Minimaldimensionen menschlicher
Zähne nach Blake (S. 44). Vergleich mit dem Menschen (S. 46) und den
lebenden Anthropomorphen (S. 48). Zusammenfassung der Ergebnisse des
Vergleiches (S. 49). Die Zähne aus dem Bohnerz gehören sicher einem
Menschenähnlichen an (S. 51). Der kurze Unterkiefer-Molar ein scheinbarer
Keimzahn (S. 52). Der Milchzahn aus dem Bohnerz (S. 54). Vergleichung
der Zähne mit denen des Dryopithecus Fontani Lartet aus Frankreich (S. 57).
ni. Die Frage der Abstammung des Menschen.
Einleitung (S. 62). Die Frage nach dem Bestehen von Übergangsformen zwischen
Mensch und Thier (S. 63).
1. Der Grad von Menschenähnlichkeit heut lebender anthropo-
morpher Affen (S. 65).
Schon vor 200 Jahren lehrte Tyson, dass die Unterschiede zwischen
Mensch und anthropomorphen Affen nicht grösser seien , als die zwischen
letzteren und den niedriger stehenden Affen (S. 65). Gewisse Unterschiede
zwischen Affe und Mensch in Muskulatur (S. 66), Fuss, Hand, drittem Tro-
chanter des Femur, Schwanz, Gehirn, embryonalem Zustande (S. 69).
2. Welche Eigenschaft könnte vielleicht tertiären Menschen-
affen den Anstoss zu höherer Entwickelung gegeben haben?
(S. 70). Zu grosse Härte des Kampfes ums Dasein musste eine geistige
Entwickelung verhindern (S. 71). Der erste Schritt auf dem Wege zum
Menschen hat wahrscheinlich darin bestanden, dass eine Gattung der
menschenähnlichen Affen in tertiärer Zeit den aufrechten Gang annahm.
Erst später hätte sich dann das Gehirn vergrössert. Welche Ursache gab
. die Veranlassung, den aufrechten Gang anzunehmen? Die Grösse des Körper-
gewichtes und die Kürze der Arme, Morris (S. 73). Cope, der Gehfuss (S. 75).
3. Zwei fossile anthropomorphe Affen mit gewissen, auffallend
menschenähnlichen Eigenschaften (S. 75).
a) Dryopithecus. Prüfung der Frage, ob Drj'opithecus der Vorfahr des
Menschengeschlechtes gewesen sein könnte (S. 75). Gaudrt, von Zittel,
Schlosser verneinen dieselbe. Gründe, welche Schlosser für seine Ansicht
geltend macht und was man denselben entgegenhalten kann (S. 77).
Dryopithecus hat die menschenähnlichsten Zähne (S. 79), Fünf Gründe
welche Gaudry dafür geltend macht, dass Dryopithecus trotz der menschen-
ähnlichsten Zähne doch der dem Menschen fernstehende anthropomorphe
Affe sei.
Grosse Länge der Schnauze bei Dryopithecus (S. 80). In wie weit ist man
berechtigt, den Grad der Prognatlüe für mehr massgebend hinsichtlich der
Beurteilung des Verwandtschaftsgrades zu erachten als die Ähnlichkeit der
Zähne. Bestimmung der Stärke der Prognathie: Bonwill's Dreieck (S. 81);
nach Gaudry (S. 83). Der Gibbon, der am wenigsten prognathe Anthropo-
morphe; gewisse Neger mitten zwischen Gibbon und den orthognathen
Menschen stehend (S. 85). Vorkommen starker Prognathie bei Europäern
— 144 —
(S. 87). Ist Prognathie bei Mensch und bei Tieren dem Wesen nach das-
selbe? (S. 88). GORNEVIN, ViRCHOW, Langer.
1. Nutzanwendung auf Dryopithecus (S. 91).
2. Geringe Breite des der Zunge zu Gebote stehenden Raumes bei Dryo-
pithecus (S. 91). In wie weit verliert auch dieses Merkmal der In-
feriorität etwas von seinem Gewichte?
3. Mangelndes Kinn bei Dryopithecus (S. 92). Abschwächung auch dieses
Merkmales als Beweismittel für seine Inferiorität.
4. Frühzeitiges Erscheinen der Weisheitszähne bei Dryopithecus (S. 93). In
wie fern auch dieses Merkmal nicht so voll beweiskräftig ist.
5. Länge der Tanine (S. 96).
b) Pithecanthropus. Die Frage, ob Pithecanthropus der Vorfahr des
Menschengeschlechts gewesen sein könnte (S. 98). Reste des Pithecanthropus-
und Art ihres Vorkommens (S. 99). Gründe, welche Dubois für die
Übergangsstellung des Pithecanthropus zwischen Mensch und Affe geltend
machte (S. 102). Gründe, welche trotzdem seine Affennatur wahrschein-
licher machen (S. 107). Zusammenfassung derselben (S. 108),
E. Dubois' „primitive" Gruppe Menschenähnlicher aus der Tertiärzeit
ist nach ihm den Gibbons nicht näher verwandt als den anderen lebenden
Gattungen (S. 110). Entgegengesetzte Ansicht (S. 111); Dames, Koll-
mann.
4. Die Körpergrösse des früheren Menschen und die Zeit, in
welcher derselbe entstanden sein mag (S. 112).
Die Frage , ob die ersten Menschen grösser oder kleiner waren , als die
heutigen (S. 112). Heutige und prähistorische Pj'gmäenrassen des Menschen
(S. 113); ihre Körpergrösse (S. 115). Kollmann, Die ersten Menschen
waren Pygmäen. Gehirngrösse der Pygmäen (S. 116). Verhältnis des Ge-
hirngewichtes zum Körper- und Rückenmarkgewichte beim Menschen (S. 116).
Man darf nicht Menschenaffen der Tertiärzeit mit dem heutigen Menschen
in Parallele bringen, sondern müsste sie mit gleichalterigen fossilen Menschen
vergleichen (S. 118). Die Frage nach dem Menschen der Tertiärzeit (S. 119).
5. Bemühungen den Stammbaum des Menschengeschlechtes zu
erkennen (S. 121). Entgegengesetzte Ansichten über die Verwandtschaft
der alt- und neuweltlichen Affen; Häckel (S. 122), 0. Schmidt, Filhol,
Gaudry, Schlosser (S. 123), E. Dubois (S. 127). Versuch, lediglich auf
Grund der Zahnzahl gewisse Wahrscheinlichkeitsschlüsse zu erlangen (S. 129).
Ansichten von Cope (S. 131) und Schlosser (S. 133) über die alttertiären
Säuger, aus welchen die Stammform des Menschen entsprungen sein könnte.
6. Der einstige „Übermensch" (S. 135).
Schwierigkeiten, welche sich der Annahme einer Entwickelung zum „Über-
menschen" entgegenstellen.
Die Fauna des unteren Trigonodus - Dolomits vom
Hühnerfeld bei Schwieberdingen und des sogenannten
„Cannstatter Kreidemergels".
Von Dr. E. Philipp! in Berlin.
Mit Taf. IV— IX.
Der schwäbisch-nordschweizerische Muschelkalk erfreut sich
keines sonderlich guten Rufes, sagt ihm doch einer der besten Kenner
der deutschen Trias, Fridolin Sandberger, „eine grosse Einförmig-
keit der Facies" nach. Gewiss ist es richtig, dass manche von
den charakteristischen Bänken, die in Franken und Thüringen zur
Gliederung der grösseren Abteilungen herangezogen werden, im
schwäbischen Muschelkalke fehlen ; auch der Fossilreichtum und
der Erhaltungszustand der Petrefakten lassen oft viel zu wünschen
übrig und mancher eifrige Sammler Schwabens hat sich durch diese
Gründe bestimmen lassen , dem undankbaren Muschelkalk den Rücken
zu kehren, um im Jura leichtere und bessere Beute zu machen.
Erfreulicherweise giebt es auch im schwäbischen Muschelkalke
nicht wenige Ausnahmen von der Regel. Die Oolithe von Marbach
bei Villingen , um nur einige wenige Punkte herauszugreifen , sind
altbekannt und ihre prachtvollen Versteinerungen in allen Samm-
lungen verbreitet. Die schönen Exemplare von Femphix Sueiirl aus
den Steinbrüchen von Untertürkheim und anderen Punkten sind bei
allen Sammlern berühmt. Crailsheim gilt schon längst als ein klassi-
scher Punkt in der deutschen Trias. Die bekannteste und am meisten
aufgesuchte Fundstelle im schwäbischen Muschelkalke ist aber wohl
neuerdings das Hühnerfeld bei Schwieberdingen.
Schwieberdingen liegt im Strohgäu, auf der fruchtbaren Letten-
kohlenfläche, die sich im Nordwesten des Stuttgart- Cannstatter
Beckens ausdehnt. Auf der leichtwelligen Ebene fehlen natürliche
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 10
— 146 —
Aufschlüsse fast ganz; nur dort, wo sich die Bäche ihr Bett ge-
graben haben, tritt anstehendes Gestein, zumeist der oberste Muschel-
kalk zu Tage, der in zahlreichen Brüchen als Bau- und Schotter-
material ausgebeutet wird. Ein solcher, übrigens seit langer Zeit
schon aufgegebener Muschelkalkbruch, der den Abhang des Hühner-
feldes, halbwegs zwischen Schwieberdingen und Münchingen, an-
schneidet, hat die fossilreichen Schichten aufgeschlossen, deren E'auna
im folgenden besprochen werden soll.
Die geologische Vorgeschichte der Schwieberdinger Schichten
ist eine sehr kurze ; der Fundpunkt wurde im Jahre 1865 von Oskar
Fraas bei der Aufnahme des Blattes Stuttgart entdeckt und kurz
beschrieben. Seitdem ist derselbe nur manchmal gelegentlich er-
wähnt worden, so bei Qüenstedt, Gastropoden, S. 278, Engel, geo-
gnostischer Wegweiser , 2. Aufl. S. 72 etc. , eine eingehende Dar-
stellung der geologischen Verhältnisse und zusammenhängende Be-
schreibung seiner Fauna ist noch nicht gegeben worden. Um so
eifriger wurde dafür im Hühnerfeld gesammelt, in die staatlichen
Sammlungen Württembergs und in die Hände von Privatsammlern
gelangte im Laufe der Zeit ein Material, wie es reicher und besser
erhalten wohl wenig andere Fundpunkte in der deutschen Trias ge-
liefert haben. Auch jetzt ist die Fundstelle noch keineswegs er-
schöpft; noch im Herbst 1896 habe ich in Gesellschaft von Herrn
Oberförster Holland von Heimerdingen und Herrn Lehrer Stettner
von Stuttgart, denen ich für ihre Unterstützung meinen besten Dank
ausspreche, eine Woche lang die fossilreichen Schichten ausgebeutet
und bin mit Schätzen reich beladen heimgezogen.
Besonderen Dank schulde ich den Herren Prof. E. Fräas und
Dr. Beck in Stuttgart und Prof. Koken in Tübingen, die mir die in
ihrem Besitz befindlichen oder ihrer Obhut anvertrauten Petrefakten
von Schwieberdingen bereitwilligst überliessen, ausserdem den Herren
Geh, Kammerrat Dr. v. Strombeck in Braunschweig und Prof. Benecke
in Strassburg i. E., die mich mit wertvollem Vergleichsmaterial ver-
sahen. Bei der ziemlich schwierigen Durcharbeitung des Gastro-
podenmaterials unterstützten mich ausserdem Heri; Prof. Koken und
Dr. Johannes Böhm durch mannigfaltige Ratschläge. Leider war es
mir nicht möglich, die Sammlungen der Stuttgarter technischen Hoch-
schule zu benutzen, da Herr Prof. Dr. v. Eck durch andauernde Kränk-
lichkeit verhindert war, mir das gewiss sehr reiche Material, das er
durch zwanzigjährige Sammelthätigkeit zusammengebracht hat, zu
übersenden.
147
Geologische Beschreibung des Fundortes am Hühnerfeld.
Die ältesten Schichten, die in dem Steinbruch am Hühnerfeld
anstehen, sind die sogen. Bröckelbänke des oberen Muschelkalks,
dünngeschichtete , unebenflächige , blaue Kalke , die vorwiegend als
Strassenschotter gebrochen werden. 'Sie werden überlagert von einer
massigen, blauen Kalkbank, dem wilden Fels, der wohl als das Lager
des Ceratites semipartitus anzusehen und dem Crailsheimer „Pelz"
gleich zu stellen ist. Über dieser Bank folgt nach meiner Auffassung
der Trigonodus-J)o\om\t oder die dolomitische Region , wie diese
Schichtgruppe nach dem Vorgange der reichsländischen Geologen
vielleicht besser genannt wird. Sie beginnt mit einer 30 cm mäch-
tigen Bank von grauem, verwittert gelblichem Dolomit, darüber stellen
sich dann die petrefaktenreichen weicheren Schichten ein, die die
Lokalität Schwieberdingen rühmlichst bekannt gemacht haben. Die
unterste fossilführende Schicht ist geringmächtig und enthält vor-
zugsweise Gervillien, die in einem etwas thonigen Dolomitsand lose
und meist in sehr schöner Erhaltung liegen. Eine dünne Lage von
Dolomit, Thon und einer eigentümlichen humösen, teilweise sehr
lockeren Masse, die beim Angraben einen eigentümlichen Geruch
ausströmte , trennt die Gervillienschicht von der Hauptfossilschicht,
die ungefähr eine Mächtigkeit von 30 cm besitzt; diese besteht fast
nur aus Schalen und Schalentrümmern, die teils in gelben Dolomit
verwandelt , teils verkieselt sind. Meist bilden diese Massen lose
Agglomerate, nur an einigen Punkten, wo Verkieselung vorherrscht,
sind die Schalen zu grossen Klumpen zusammengebacken. Hier, in
der Hauptfossilschicht herrschen Myophorien, besonders laevigata vor.
Die oberen ^s der weicheren Fossilschichten bildet ein Wechsel von
Dolomitsanden und festen Dolomitbänkchen , der nicht übermässig
reich an Petrefakten ist. Im Hangenden dieser weicheren Schichten
lagert eine kompakte, ausserordentlich feste Dolomitbank von 1,30 m
Mächtigkeit, die zum Teil gesprengt werden musste, um die Fossil-
schichten zu erreichen. Über ihr trifft man noch einmal eine Schicht
von 30 cm Dolomitsand, die 'aber nur kleine Gastropoden enthält,
dann folgen bis zur Höhe des Abhanges eine ca. 80 cm mächtige
kompakte Dolomitbank , ein weiteres Bänkchen von Dolomitsand
ebenfalls mit Gastropoden und ca. 2 m dünn geschichtete, meist
ziemlich stark zerfallene Dolomite. Die obersten Schichten des
Trigonodus-T)o\om\iQs mit dem Leitfossil Trigonodu.s Sandbergeri und
dem erstaunlichen Reichtum an Älyophoria Goldfussi sind am Hühner-
10*
— 148 —
felde nicht mehr aufgeschlossen. Erörterungen über das Alter der
Schwieberdinger Fauna werden am besten an den palaeontologischen
Befund anzuknüpfen sein ; hier möchte ich nur einige Worte über
den Charakter der fossilreichen Schichten einflechten. Ich glaube,
dass man es hier mit einer Strandbildung, mit einem, sit venia verbo,
Muschelbonebed zu thun hat. Die losen Muschelagglomerate, deren
Zusammensetzung von Schritt zu Schritt wechselt, in denen fest-
sitzende Formen wie Austern sehr selten sind, Brachiopoden ganz
fehlen , Cephalopoden nur in Bruchstücken vorkommen , in denen
überhaupt die Menge der zerbrochenen die der heilgebliebenen Stücke
gewaltig übertrifft, lassen kaum eine andere Erklärung zu. Eine
Reihe von anderen Dingen, die wir am recenten Muschelstrande be-
obachten können , tritt auch hier auf, so z. B. die ungleichartige
Verteilung der rechten und linken Schalen.
So finden sich von den Gervillien, soweit sie nicht in doppel-
schaligen Exemplaren vorkommen, fast immer nur die linken, hoch-
gewölbten Schalen, von der rechten, flachen habe ich nur ein ein-
ziges, loses Exemplar gesehen.
Die Vermutung liegt nahe , dass die gewölbten Klappen dem
Wellenschlage mehr Angriffspunkte boten und deshalb ans Ufer ge-
schleudert wurden, während die flachen glatt auf dem Boden liegend
nicht mitgerissen wurden. Weniger leicht ist zu erklären, dass auch
bei den gleichklappigen Myophorien die Zahl der isolierten linken
Schalen die der rechten etwa um das Dreifache übersteigt. In der
eingangs erwähnten schwarzen, humösen Schicht glaube ich eine An-
häufung von Tangen erblicken zu dürfen, wie wir sie am Strande
ja so häufig zu sehen Gelegenheit haben.
Oskar Fraas glaubt in den Schwieberdinger Schichten oberen
Muschelkalk, d. h. das Semipartitus- oder Nodos iis-^iveau. sehen zu
müssen, der durch den überlagernden Trigonodus-Dolomit erst nach-
träglich unter dem Einfluss der Atmosphärilien dolomitisiert worden
ist. Ich kann mich seiner Ansicht nicht anschliessen, glaube viel-
mehr, dass die Fossilschichten im echten Trigonodus-Bolomit., aller-
dings in dessen unterster Abteilung liegen, wie neuerdings auch
Eberhard Fraas und Engel annehmen. Nur insofern stimme ich mit
Oskar Fraas überein, als ich ebenso wie er überzeugt bin, dass die
Auslaugung der Schichten und der Zerfall zu Dolomitsand unter dem
Einfluss der Tageswässer, die in dem zerklüfteten Trigonodus-Bohmit
auch zu tieferen Schichten leichten Zutritt hatten, erfolgte; sie
mussten sich an den vorher erwähnten thonigen Schichten des fossil-
- 149 —
reichen Horizontes stauen und hauptsächlich hier ihre auslaugende
und präparierende Arbeit leisten. In der That liess sich beim Aus-
beuten der Fundstelle beobachten, dass die fossilführenden Schichten
stellenweise reichlich Feuchtigkeit enthielten, während die kompakten
Dolomite im Hangenden naturgemäss ganz trocken waren.
Erhaltungszustand der Fossilien.
Weitaus der grösste Teil der Fossilien ist in gelben Dolomit
verwandelt, dessen Analyse einen Gehalt von 18 "/q Magnesiaoxyd
ergab; das Gestein steht also Normaldolomit, der 21,74 7o MgO
enthält, bereits sehr nahe.
In diesem Erhaltungszustande treten die feinsten Einzelheiten
der Schalenskulptur und des Schlossbaues heraus. Auffallend ist,
dass sich das Ligament bei sämtlichen doppelschaligen Formen, bei
denen es ein äusseres ist, ebenfalls in krystallinem Dolomit erhalten
hat. Bei den Gervillien bemerkt man in einzelnen Fetzen einen dunk-
len, aus SiOa bestehenden Überzug, der gegen die hellgelbe Farbe der
Schalen deutlich absticht und in dem man wohl mit Sicherheit die
Epidermis vermuten darf; bei einzelnen Gastropoden ist auch die
Färbung, allerdings nur in Strukturverschiedenheiten der krystallinen
Substanz, die die Schale ersetzt hat, deutlich wahrzunehmen.
Sehr viel ungünstiger ist der Erhaltungszustand der verkieselten
Schalen, da die Kieselsubstanz Schlösser und Skulptur meist nur in
den gröbsten Umrissen wiedergegeben hat. Öfters sind die Schalen
teils verkieselt, teils dolomitisiert, zuweilen beobachtet man, wie die
Kieselringe in die gelbe Dolomitschale eingeätzt erscheinen.
Beschreibung der Fauna.
Ich habe in den meisten Fällen von langen Synonymen-Ver-
zeichnissen abgesehen, die bei den bekannteren Formen die Arbeit,
ohne notwendig zu sein, ungewöhnlich belasten würden. Nur dort
habe ich ein Synonymen- und Citatenverzeichnis vorausgeschickt, wo
weniger bekannte Arten vorlagen oder wo bis jetzt getrennt ge-
haltene zusammengezogen werden mussten.
Spongia.
Rhizocorailium Zenk.
RJiis 0 c 0 r all tum jenense Zenk.
Die unter diesem Namen bekannten Körper, die in grossen
Mengen manche Schichtflächen des unteren Muschelkalks bedecken.
— 150 —
haben sich, allerdings sehr selten, auch bei Schwieberdingen gefunden.
Sehr bemerkenswert ist, dass sie hier nicht an die Schichtoberfläche
gebunden sind, sondern eine kompakte Dolomitbank durchwachsen und
dass sich auf ihrer eigentümlich verzierten Oberfläche kleine Gastro-
poden, Schalentrümmer etc. finden. Dies spricht entschieden dafür,
dass das BMsocoralUum ein organischer Körper ist, wahrscheinlich ein
Hornschwamm, wie Beyeich und andere Forscher anzunehmen neigten.
Lamellibranehia.
Ostrea L. (Terquemia Täte).
Ostrea (Terquemia) complicata Goldf.
Sehr selten kommt eine Auster mit zahlreichen, hohen, scharfen
Rippen vor, die der GoLDFUss'schen Art am nächsten steht. Ich halte
es übrigens nicht für angängig, mit vorstehender Art Ostrea difforniis Gf.
zu vereinigen , wie es Alberti thut ; diese Form stellt mit ihren
flacheren, gerundeten und wenig zahlreichen Rippen, die sich gegen
den Wirbel hin fast verlieren, einen ganz anderen Typus dar. Zu
bemerken ist übrigens, dass Ostrea crista difforniis Schloth. , unter
welchem Namen Alberti die beiden GoLDFDSs'schen Arten vereinigt,
ein etwas abgeriebenes Exemplar der 0. complicata Goldf. ist, wie
die Besichtigung des Originalstückes leicht erkennen Hess. Um Ver-
wechselungen vorzubeugen, wird man jedoch gut thun, den Schlotheim'-
schen Namen ganz fallen zu lassen. Unter den deutschen Arten
steht 0. complicata Goldf. der 0. montis Caprilis v. Klipst. aus den
Raibler und der nahe verwandten 0. Haiäingeriana Emmr. aus den
Kössener Schichten am nächsten.
Placunopsis Morr. und Lyc.
Placunopsis ostracina v. Schloth. sp. — Taf. VII Fig. 10.
Chamites ostracinus v. Schloth., Petref. S. 215.
Ostracites sessilis „ „ r> ^- ^37 (pars). Nachtr. II, S. 111. t. 36
f. la.
Ostrea xüacunoides Goldf., Petr. Germ. S. 19. t. 79 f. 1.
„ subcuioinia „ „ „ S. 19. t. 79 f. 2.
„ ScMbleri „ „ „ S. 19, t. 79 f. 3.
Serpula serpentina Schmid & Schleiden, Geogn. Verh. d. Saalth. S. 38. t. 4 f. 1.
„ „ „ N. Jahrb. f. Min. etc. 1853. S. 19.
Anomia (Ostrea) tenuis Dunker, Palaeontogr. I. S. 287. t. 31 f. 27 — 29.
Lima concinna Dünker, Palaeontogr. I. S. 292. t. 34 f. 30.
Ostrea placunoides Giebel, Lieskau. S. 12.
Placunopsis plana „ „ S. 13. t. 2 f. 6,
, gracilis „ „ S. 13. t. 6 f. 2.
— 151 —
Plaeunopsis obliqua Giebel, Lieskau, S. 13. t. 6 f. 3.
Anomia Andraei „ „ S. 14. t. 2 f. 14.
„ heryx „ , S. 14. t. 6 f. 5.
alta „ , S. 14. t. 6 f. 6.
Ostrea subanomia var. tenuis, orhica, reniformis, Sehubier i, genuina, rugifera,
turpis, beryx v. Schauroth, Z. d. d. g. G. 1857. IX. S. 90—94. t. 6. f. 1—8.
, ostracina v. Schloth. sp., v. Seebach, Z. d. d. g. G. 1861. XIII. S. 568.
Anomia beryx Gieb., v. Seebach, ebeuda S. 570. t. 14. f. 5.
Plaeunopsis plana Gieb., v. Seebach, ebenda S. 572.
Ostrea subanomia Mstr., v. Alberti, Überblick. S. 66.
Anomia? Beryx Gieb., v. Alb., Überblick. S. 68.
Plaeunopsis plana Gieb., v. Alb., Überblick. S. 69.
„ obliqua Gieb., v. Alb., Überblick. S. 70.
„ gracilis Gieb., v. Alb., Überblick. S. 70.
Ostrea ostracina Schloth. sp., Eck, Oberscblesien. S. 50.
„ „ Schloth., Benkcke, Geognostisch-palaeont. Beitr. II. S. 42. t. 3
f. 7, 8.
Terquemia ostracina Schloth. sp., Nötling, Z. d. d, g. G. 1880. XXXII. S. 322.
Wie aus obigem Synonymenverzeichnis hervorgeht, ist die vor-
hegende Form ziemhch vielgestaltig und hat darum die älteren
Autoren veranlasst, sie bei sehr verschiedenen Arten und Gattungen
unterzubringen. Zuvörderst ist festzustellen, ob der ScHLOTHEiM'sche
Chamites ostracinus zu den Ostreiden oder zu den Anomiiden ge-
hört. Gegen die Zugehörigkeit zu Ostrea und ihren Verwandten
sprechen verschiedene Punkte. Ch. ostracinus ist häufig auf anderen
Körpern aufgewachsen, aber konstant mit der kleineren, flachen
Klappe wie Anomia, während bei den Austern stets die grössere
Klappe aufwächst. Bei Ch. ostracinus verdickt sich die Schale am
Rande und bildet einen massiven Ring, der bei aufgewachsenen
Exemplaren häufig noch vorhanden ist, wenn der mittlere , dünnere
Teil der Schale bereits aufgelöst ist, und der dann mit Serpula ver-
wechselt worden ist.
Ich glaube, dass Ch. ostracinus zum Genus Plaeunopsis zu
stellen ist, das von Morris und Lycett für Anomiiden mit undurch-
bohrter Unterschale und transversalem Ligament aufgestellt worden
ist; hierin stimme ich mit Herrn Prof. Benecke überein, der mir
seine Ansicht über diesen Punkt freundlichst mitteilte.
Die Unterschale von PI. ostracina ist stets flach, auch wenn
sie nicht auf fremden Körpern aufgewachsen ist. Die Oberschale
ist konvex, variiert aber bezüglich ihrer Wölbung und ihres Um-
risses ganz ausserordenthch. Neben sehr hochgewölbten Klappen
finden sich solche, die sich nur wenig von den Unterklappen unter-
. — 152 -
scheiden, wie ich das namentlich an hervorragend schönen Stücken
beobachtete, die von Nötling in Niederschlesien gesammelt wurden.
In der Mehrzahl der Fälle finden sich die Unterschalen allein auf
Fremdkörpern aufsitzend, während die Oberschalen isoliert vor-
kommen. Das Museum für Naturkunde in Berlin bewahrt jedoch
eine Anzahl von Stücken auf, auf denen beide Schalen im Zusammen-
hang erhalten sind.
Die Oberfläche der grossen Klappe erscheint bald glatt, bald
mit radialen feinen Linien verziert. Giebel und einige Autoren nach
ihm haben auf dieses Merkmal hin die radialgestreiften Formen als
Placunopsis von Ostrea ostracina der Autoren abgetrennt. Dem-
gegenüber ist zu bemerken, dass das Original von v. Schlotheim's
Ch. ostracinus, das vor mir liegt, ebenfalls eine feine Radialskulptur
besitzt. Die Deutlichkeit, mit der dieselbe auftritt, scheint haupt-
sächlich von dem bei deutschen Triasbivalven ja bekanntlich sehr
ungleichartigen Erhaltungszustand abzuhängen.
Dass eine schräg über die Schale laufende Streifung, die von
einigen Autoren als Artmerkmal angesehen wurde, nur vom Auf-
wachsen auf gerippte Muscheln, wohl hauptsächlich Lima -Arten,
herrührt, bedarf kaum der Erörterung. Die Gestalt der grösseren
Klappe ist, wie gesagt, äusserst variabel, ich glaube aber nicht, dass
man neben PI. ostracina eine andere Art ausscheiden kann. Nach
den Prinzipien, von denen Giebel bei Aufstellung seiner Arten von
Änomia und Placuno])sis ausgegangen ist, wäre die lebende Änomia
ephippium in geradezu unzählige Arten zu zerspalten.
Die Ligamentgrube konnte ich bei keinem meiner Exemplare
mit voller Sicherheit erkennen; nach v. Seebach 1. c. S. 572 ist bei
PI. plana = ostracina eine dreiseitige Bandgrube zu beobachten, wie
sie nach Morris' und Lycett's Diagnose auch die jurassischen P?«-
cunopsis-kxien zu besitzen scheinen. Möglicherweise ist aber über
die Lage des Ligaments bei Placunopsis noch nicht das letzte Wort
gesprochen. Es wurde nur ein sehr grosser, kreisrunder, subcentraler
Muskeleindruck bemerkt.
Das Genus Placunopsis ist noch zu wenig bekannt, um direkte
Beziehungen zu den übrigen Anomiiden herleiten zu können ; viel-
leicht ist Placunopsis der Stammvater von Änomia, was dadurch
wahrscheinlich gemacht wird, dass bei Änomia im Jugendzustande
die kleine Klappe noch un durchbohrt ist und das Foramen sich erst
später durch eine Einbuchtung des Randes bildet.
— 153 —
Pecten Klein.
Pecten laevigatus v. Schlote, sp.
Ein Bruchstück.
Pecten discites v. Schlote, sp.
Ein verkieseltes Exemplar, das die von v. Seebach, v. Alberti u. a.
besprochene feine Radialstreifung deutlich zeigt.
Gervillia Defr.
Die Gattung Gervillia ist von Defrance (Dict. des sciences
naturelles T. 18, S. 505. 1820) für eine Kreideform (G. solenoides)
aufgestellt und von Deslongchamps (Rec. Soc. Linn. Calvados I. S. 126)
und d'Orbigny (Paleont. fran9. terr. cret. III. S. 48) erweitert und
befestigt worden. Das Genus BaJcevellia, das King im Jahre 1848
für Zechsteinformen aufstellte, unterscheidet sich in keinem einzigen
Merkmal von Gervillia. Sowohl die beiden Muskeleindrücke wie die
Ciicullaea-ähnViehen Reihenzähne, die King in seiner Diagnose her-
vorhebt (Perm, fossils, Paleont. Soc. III. 1850. S. 166), werden be-
reits in d'Orbigny's Diagnose vom Jahre 1843 für Gervillia angeführt.
Richtung und Form der Zähne ist ausserdem, selbst bei ein und der-
selben Art von Gervillia, so veränderlich, wie Credner (GervilHen
der Triasformation in Thüringen. N. Jahrb. f. Min. etc. 1851. S. 641 ff.)
bereits gezeigt hat und wie ich bestätigen kann, dass dieses Merk-
mal sogar für die Artenunterscheidung nur mit grosser Vorsicht zu
gebrauchen ist. Alle anderen Kennzeichen, wie die äussere Form,
die Breite der Ligamentarea, der Abstand der Wirbel von einander,
sind bei Bahevellia ebenso variabel wie bei Gervillia. Es liege also
keinerlei Grund vor, das Genus Bakevellia etwa auch nur als Unter-
gattung beizubehalten und ich wiederhole daher die bereits von
V. Grünewaldt (Verst. d. schles. Zechsteingebirges. Z. d. d. g. G.
III. 1851. S. 264), von v. Seebach (1. c. S. 588) und anderen ge-
stellte Forderung, das Genus BaJcevellia King aus der Litteratur, in
der es sich mit Zähigkeit bis jetzt gehalten hat, endgültig ver-
schwinden zu lassen.
Hoernesia Laube.
Im Jahre 1866 trennte Laube (Fauna der Schichten von St. Cas-
sian II. Denkschr. d. Wiener Akad., math.-naturw. Klasse, Bd. 25,
S. 53) das Genus Hoernesia ab, das die Bestimmung hatte, „alle
— 154 —
jene Arten zu umfassen , welche bisher als Gervülia des Muschel-
kalks galten." Sein Hauptvertreter sollte in der deutschen Trias
Gcrv. sociaUs, in der alpinen Gerv. Johannis Austriae sein. Die
Unterschiede zwischen Hoernesia und den Jara- und Kreidegervil-
lien wären vor allem im Zahnbau zu suchen, der bei den tria-
dischen Formen im Gegensatz zu den jüngeren ein sehr kon-
stanter sein sollte ; wie bereits erwähnt , ist aber gerade bei den
Triasgervillien der Zahnbau aussergewöhnlich veränderhch. Ferner
soll bei den Triasformen das Ligament nicht in einer schrägen Ab-
dachung der Schale, sondern in einer horizontal gestreiften Rinne
liegen, welche durch eine Verlängerung der Schale nach innen ge-
bildet wird. Zu letzterem möchte ich gleich hervorheben, dass diese
Verhältnisse ganz sekundär und von der Dicke und Wölbung der
Schalen abhängig sind ; thatsächlich zeigen sehr dickschalige Exem-
plare von Gerv. socialis und die sehr flache Gerv. mytiloides die-
selbe Lage der Ligamentarea wie die jüngeren Formen.
Das bezeichnendste Merkmal für Hoernesia soll aber, abgesehen
von der Ungleichheit der Klappen und der Neigung zur Drehung der
Schale, das Auftreten eines Septums im Wirbel der grösseren (linken)
Schale sein, zu dessen beiden Seiten sich trichterförmige Höhlungen
befinden. Stellt man dieses Kennzeichen in den Vordergrund , wie
das BiTTNER, (Lamellibranchiaten von St. Cassian, Abh. d. k. k. geol.
Reichsanst. XVHL L S. 81) thut, so ist von den alpinen Formen
nur ein Teil, von deutschen Triasgervillien nur Gervülia subglobosa
Credn. zur Gattung Hoernesia zu stellen, während Gerv. socialis
danach zu Gervülia s. str. gehören müsste. Das ist aber für mich
ein Beweis, dass die Fassung des Genus Hoernesia in der von Bittner
vorgeschlagenen Form keine natürliche sein kann ; ich glaube, dass
sich niemand so leicht der Anschauung entziehen kann, dass Gerv.
socialis und suhglohosa sehr nahe miteinander verwandt sind und
gegenüber sämtlichen anderen Gervillien der deutschen Trias eine
Sonderstellung einnehmen. Ich halte übrigens die dreieckige Ver-
dickung der Schale, die bei Gerv. socialis unter dem Wirbel liegt
und die bereits Credner 1. c. S. 645 erwähnt, für ein Analogen des
medianen Septums, aus dem sich dieses bei stärkerer Aufwölbung
der hnken Schale entwickelte. Häufig findet sich zwischen dieser
Verdickung und dem Vorderrande bei Gerv. socialis bereits eine flache
Bucht; ebenso ist die Furche, welche auf der Aussenseite der linken
Schale den Wirbel nahezu halbiert und die nach Bittner in Zu-
sammenhang mit dem inneren Septum stehen soll, bei Gerv. socialis
— 155 —
öfters schon vorhanden. Ich möchte vorschlagen, die Gattung Hoer-
nesia , wie dies v. Zittel thut , als Subgenus von Gervillia zu be-
trachten und ihr folgende Diagnose zu geben : Formen mit stark
gewölbter linker und flacher bis konkaver rechter Klappe. Wirbel
der linken Klappe stark übergebogen und auf der Aussenseite durch
eine mehr oder minder deutliche Furche geteilt. Die rechte Klappe
mit zwei schräg nach hinten verlaufenden, verschieden stark diver-
gierenden flachen Rippen. Die vorderen Zähne der linken Klappe
sind durch eine schmale Leiste (Septum) oder durch eine oft spitz
dreieckig nach unten verlaufende Verdickung der Schale gestützt.
In der alpinen Trias: Hoernesia Johannis Äustriae Kupst. sp.
„ bipartita Mer. sp.
„ Sturi WöHRM. sp.
„ Stoppanii Par. sp.
In der deutschen Trias : „ socialis Schlote, sp.
„ siibglobosa Credn. sp.
Hoernesia socialis v. Schlote, sp. — Taf. IV Fig. 1 — 5.
Hoernesia socialis ist bei Schwieberdingen sehr häufig, besonders
in den untersten Schichten der fossilführenden Lagen. Meistens sind
die beiden Klappen noch im Zusammenhang erhalten. Seltener fand
sich die grössere, gewölbte Klappe einzeln. Eine einzelne, kleinere
Klappe hat sich merkwürdigerweise in den Schwieberdinger Schichten
bisher nur einmal gefunden. Hinsichtlich der Grösse , Dicke und
Wölbung der Schalen ist H. socialis äusserst veränderlich. Inter-
essanter ist es, dass auch der Schlossbau sehr variabel ist, was
übrigens Credner (N. Jahrb. f. Min. etc. 1851. S. 644) bereits be-
merkt hat.
Bekanntlich besitzt die gewölbte linke Klappe im allgemeinen
vorn zwei Schlosszähne. In einzelnen , übrigens seltenen Fällen ist
der vordere dieser beiden Zähne nach vorn abwärts geneigt und
bildet mit dem Schlossrande einen nach hinten offenen Winkel von
100 — 120'', mit dem hinteren Zahne einen solchen von ca. 40°. In an-
deren Fällen steht der vordere Schlosszahn auf der Längsrichtung des
Schlossrandes senkrecht (Taf. IV Fig. 2) und bildet mit dem Hinter-
zahne einen Winkel von ca. 30*^. Meistenteils sind aber beide Schloss-
zähne nach hinten gerichtet und parallel oder nahezu parallel (Taf. IV
Fig. 3). Manchmal verschwindet der hintere Kardinalzahn ganz und
an seine Stelle tritt eine Anzahl von flachen, schmalen Leisten,
wie das bereits Credner beobachtet hat (Taf. IV Fig. 5). Über die
- 156 —
hinteren Seitenzähne Hegen keine Beobachtungen vor, da meist nur
die vordere Hälfte der linken Klappen erhalten ist. Die Breite des
Ligamentfeldes, ebenso die Breite und Form der Ligamentgruben ist
wie alles andere sehr veränderlich, ob es auch die Anzahl der Liga-
mentgruben ist, kann ich nicht mit Sicherheit angeben, wiewohl es
mir ziemlich wahrscheinlich vorkommt.
Die Yorderzähne werden durch eine massive Verdickung der
Schlossplatte gestützt, die ich als das Analogon des Septums von
Hoernesia subglobosa auffasse. Manchmal verschmilzt dieselbe völlig
mit dem Vorderrande, meist bleibt aber eine mehr oder minder flache
Bucht frei, wie dies Taf. IV Fig. 2 deutlich zeigt. Dieser Verstärkung
der Schlossplatte entspricht auf der Aussenseite der grossen Klappe
eine Furche, die von der Mitte des Wirbels nach der Mitte des Unter-
randes verläuft und die von Bittner als charakteristisch für die
Gattung Hoernesia angesehen wird. Der vordere Muskeleindruck
liegt an der Hinterseite der Schlossplattenverdickung und ist an
manchen Stücken, z. B. an dem Taf. IV Fig. 2 abgebildeten, sehr
deutlich zu erkennen.
Fast sämtliche Exemplare von H. socialis bestehen aus hell-
gelber , spätiger Dolomitsubstanz ; an den meisten ist an einzelnen
Stellen ein bräunlicher Überzug von Kieselsubstanz bemerkbar, der
sehr scharf die Anwachsstreifung wiedergiebt. Die Skulptur tritt
sogar in diesen Kieselüberzügen, die in einzelnen unregelmässigen
Fetzen die Schale bedecken, deutlicher hervor als auf der Schale
selbst. Ich bin überzeugt, dass man es hier mit Fetzen einer ziemlich
dicken Epidermis zu thun hat; schliesslich ist es ja auch nicht so
wunderbar, dass diese sich ebenfalls in einer Schicht erhalten hat,
in der fast ausnahmslos das Ligament konserviert wurde.
Gervillia Goldfussi v. Strome, sp. — Taf. IV Fig. 6, 7.
Pterinea Goldfussi v. Strojibeck, Z. cl. d. g. G. 1849. I. S. 189.
BakevelUa costata var. Goldfussii v. Schauroth, Z. d. d. g. G. 1857. IX. S. 106.
t. 5 f. 5.
Nicht selten ist bei Schwieberdingen eine kleine glatte Gervillia
mit ziemlich stark geblähten Schalen, die nur eine zarte Anwachs-
streifung aufweisen. In den Fossilverzeichnissen von Schwieberdingen
bei Engel und in den Erläuterungen zu Blatt Stuttgart der Württem-
bergischen geologischen Karte figuriert sie als Gerv. polyodonta^ mit
der sie jedoch gar nichts zuf thun hat ; sie steht vielmehr in ihrer
äusseren Form der Gerv. costata nahe. Diese glatten Gervillien vom
- 157 -
costata-Ty^us hat v. Strombeck P^mwaea Goldfussii gen?Lnnt; Credner
(1. c. S. 649) zog diese Art als Varietät zu Gerv. costata, ebenso
V. ScHAüROTH, während sie v. Alberti, Überbhck S. 89, zu Gerv. suh-
costata stellt. Ich glaube jedoch, dass Gerv. Goldfussi v. Stromb. sp.
eine selbständige Art ist, die sich von Gerv. costata ebenso durch
den Mangel der Längsberippung, wie von Gerv. subcostata durch die
ihr fehlende Radialberippung unterscheidet, Steinkerne von Gerv.
Goldfussii und costata dürften allerdings nicht auseinander zu halten
sein. Hinsichtlich der Wölbung der beiden Klappen ist Gerv. Gold-
fussi ziemlich veränderlich, wie die Fig. 6 und 7 auf Taf. IV an-
deuten sollen.
Gervillia Fraasi n. sp. — Taf. IV Fig. 9.
Das K. Naturalienkabinett in Stuttgart besitzt eine höchst eigen-
tümliche Gervillia aus Schwieberdingen. Sie unterscheidet sich von
den übrigen Gervillien der deutschen Trias hauptsächlich dadurch,
dass der schmale, mittlere Teil vom hinteren Flügel sehr scharf ge-
trennt ist. Gegen den Wirbel zu ist der Steilabfall, der diese beide
Teile der Schale trennt, sogar ausgekehlt. Die beiden Klappen sind
nahezu gleichmässig aufgewölbt, doch ist der Wirbel der linken be-
deutend stärker übergebogen als der der rechten. Ein vorderer Flügel
scheint fast gar nicht vorhanden zu sein. Im ganzen sind bei dieser
Form, die mir nur in einem doppelschaligen Stück vorliegt, drei
Ligamentgruben zu beobachten. Der Achsenwinkel beträgt ca. 35®.
Die Anwachsstreifung ist sehr grob, Radialskulptur aber nicht zu
beobachten.
Die eigentümliche Form gehört zu den schlanksten Gervillien
der deutschen Trias. Ich glaube, dass sie Gerv. costata am nächsten
steht, bei der manche Varietäten bereits eine sehr deutliche Kante
zwischen dem mittleren Teil und dem hinteren Flügel zeigen.
Ich widme die interessante Art Herrn Prof. Eb. Fräas in Stuttgart.
Gervillia alata n. sp. — Taf. IV Fig. 10.
Zu demselben Typus gehörig , wie die vorige , aber noch ab-
erranter, ist eine kleine Form, von der das K. Naturalienkabinett in
Stuttgart zwei Exemplare aufbewahrt. Hier ist der vordere Flügel
ebenfalls durch eine Furche vom Rücken getrennt, die allerdings
lange nicht so tief ist wie die, welche den hinteren abtrennt. Der
mittlere Teil ist schmal, hochgewölbt und in der linken Klappe stark
übergebogen. Sehr eigentümlich ist der hintere Flügel ausgebildet,
— 158 ~
der in eine lange Spitze ausgezogen ist, der dieser Art ganz das
Aussehen mancher Avicula-Arten verleiht. Dass man es wirklich
mit einer Gervillia zu thun hat, beweist die isolierte Klappe, welche
vier oder fünf dichtgedrängte, senkrecht zur Schlosskante stehende
Ligamentgruben erkennen lässt.
Anwachsstreifung stark, auch schwache Radialskulptur zu er-
kennen.
Gerv. alata erinnert mit ihrem stark verlängerten Hinterflügel
an Zechstein-Arten, besonders Gerv. cerafophaga Schloth. sp. (King,
Permian fossils, t. 14. S. 27).
Gervillia suhcostata Gf. sp. — Taf. IV Fig. 8.
Nicht selten sind bei Schwieberdingen radialgerippte Gervillien,
die ich wegen ihres ziemlich bedeutenden Axenwinkels und ihrer
groben Berippung zu Gerv. suhcostata stelle. Öfters sind die Rippen
wellig gebogen, wie man an dem schönen Exemplar das ich abbilde,
erkennen kann. Ich will übrigens hier bemerken , dass das von
V. Schauroth (Zeitschr. d. deutsch, geol. Ges. 1857. t. 5 f. 13) als
Bahevellia lineata var. paiicisulcata beschriebene und von v. Alberti
(Überbhck S. 90) zu Gerv. substriata gestellte Fossil eine echte
Gerv. suhcostata ist.
Modiola Lam.
Ilodiola cf. triquetra v. Seeb. Taf. V Fig. 1.
Modiola triquetra v. Seeb., Z. d. d. g. G. 1861. XUI. S. 559. t. 14 f. 6 a, b.
„ „V. Alberti, Überblick S. 97.
Bisher nur in zwei Exemplaren hat sich in Schwieberdingen
eine Modiola gefunden, die in allen wesentlichen Punkten Seebach's
M. triquetra so nahe steht, dass ich es nicht wage, für sie eine
eigene Art zu errichten. Der Wirbel ist sehr weit nach vorn gerückt,
so dass der vordere Flügel fast gänzlich verkümmert ist. Der Schloss-
rand ist gerade und bildet mit dem Hinterrande einen deutlich ab-
gesetzten Winkel, reicht aber nicht so tief herunter wie bei der
Weimarer Form. Der Bauchrand ist wie bei jener leicht konkav,
die Anwachsstreifung deutlich. An den angewitterten Stellen ist die
für die Mytiliden charakteristische radialfaserige Struktur der Schale
deutlich erkennbar. Das Schwieberdinger Fossil ist etwas stärker
aufgebläht wie Seebach's. Ävicida acuta Goldf., t. 116 f. 8, die Al-
berti zu deren Synonymen stellt, unterscheidet sich durch das sehr
deutliche, breite, vordere Ohr.
— 159 —
Modiola myoconchaeformis nov. sp. — Taf. V Fig. 2.
Nicht selten bei Schwieberdingen ist eine sonderbare Form, die
■V. Seebach's LitJwclomus rhomhoidalis nahe steht. Nach ihrem ganzen
Habitus sollte man viel eher eine Myoconcha als eine Modiola ver-
muten, das innere Ligament und die radialfaserige Schalenstruktur
sichern ihr aber einen Platz bei den Mytiliden. Der Schlossrand ist
gerade und ungefähr halb so lang als die ganze Schale, an ihn setzt
sich mit scharfer Kurve, aber nicht winklich, ein ebenfalls gerader
Hinterrand. Der Bauchrand ist schwach konvex und im allgemeinen
dem Schlossrand, in den er durch einen stark gebogenen aber nicht
winklichen Vorderrand übergeht, parallel. Der Wirbel steht weit nach
vorn, von ihm verlauft zur Hinterecke die stärkste Schalenwölbung.
Von Lithodomus rhomhoidalis unterscheidet sich unsere Art vorzugs-
weise durch den viel kürzeren Schlossrand und geringere Wölbung.
Von den übrigen Modiola-kxiQn unterscheidet sich Lithodomus
rhomhoidalis wie diese Art durch die sehr starke Verbreiterung des
vorderen Flügels, wodurch der Bauchrand dem Schlossrand parallel
wird. Trotzdem möchte ich beide nicht zu Lithodomus stellen,
da sie sich durch ihre flache Form und die diagonale Aufwölbung
hinlänglich unterscheiden. Ausserdem spricht das Vorkommen der
freien Schalen im Muschelbonebed von Schwieberdingen sehr gegen
eitle bohrende Thätigkeit.
Myoconcha Sow.
Bezüglich der sogen. Myoconchen der Trias herrscht heute
noch eine grosse Unsicherheit. Die ersten Arten der deutschen Trias
(Goldfussii, gastrochaena , Thielaui etc.) wurden Ende der vierziger
und Anfang der fünfziger Jahre aufgestellt und von den Autoren
dem Genus Modiola zugewiesen, wobei jedoch schon damals auf die
Annäherung an das aus Jura und Kreide bekannte Genus Myoconcha
hingewiesen wurde, v. Schaüroth verglich die DüNKER'sche Modiola
Goldfussii (SitzungsUer. d. Wiener Akad. 1855. XVII. 513) mit der
permischen Gattung Pleuro2)horus King und fand den Schlossbau
durchaus ident. Im Jahre 1859 vereinigte v. Schauroth die Gattung
Fleurophorus mit der von Hall (Palaeontology of New York. 1847.
I. S. 300) für eine Devon-Form aufgestellten und von Mac Coy er-
weiterten Gattung GUdophonis. Fast gleichzeitig wurde der Name
Myoconcha durch Berger (Verstein. d. Roth, N. Jahrb. f. Min. etc.
1859. S. 169. t. 3 f. 9) für die DüNKER'sche Modiola Goldfussii in
Anwendung gebracht und wenig später suchte v. Seebach (Trias-
— 160 —
conchylien, Z. d. d. g. G. 1861. XIII. S. 623) nachzuweisen, dass
Pleurojjhorus und wahrscheinlich auch zum grössten Teil Clido-
pTiorus nur Synonyma von Myoconclia darstellen. Seitdem ist für
die Arten der deutschen Trias vorwiegend die Gattungsbezeichnung
Myoconcha angewendet worden, ohne dass Pleurophorus und Clido-
pJionis ganz verdrängt wurden. Die Arten der alpinen Trias sind nach
dem Vorgange d'Orbigny's (Prodrome, I. S. 200) allgemein zum Genus
Myoconcha gestellt worden.
Mittlerweile hat Hall (24*^ Report of the State Museum of
New York. 1870. S. 228) selbst nachgewiesen, dass Glidoplionis
Nuculidenzähne besitzt (vergl. Beüshausen, Lamellibranch. d. rhein.
Devon. Abh. d. k. preuss. Landesanst. XVII. 1895. S. 100), also in
einen ganz anderen Formenkreis gehört wie Myoconcha. Dies muss
Waagen übersehen haben, der (Salt Range Fossils I. 1887. S. 215,
216, 225) Glidophorus in die Verwandtschaft von Pleurophoriis stellt
und scharf von Myoconcha trennt.
Man hat es also für die triadischen Formen nur noch mit den
Gattungen Myoconcha und Pleurophoriis zu thun, über deren Be-
ziehungen zu einander in letzter Zeit Beüshausen (1. c. S. 421) sich
ausgesprochen hat. Dieser Autor trennt im Gegensatz zu v. Seebach
Pleurophorus wieder als selbständige Gattung von Myoconcha auf
Grund des Zahnbaues. Pleurophorus soll nach King's Diagnose durch
zwei divergierende Kardinalzähne und durch den Besitz hinterer
Seitenzähne ausgezeichnet sein, während Myoconcha nur einen Kar-
dinalzahn in der rechten und eine entsprechende Grube in der linken
Klappe besitzen soll, wie Sowerby bereits in seiner Diagnose von
Myoconcha crassa betont. Nach Beüshaüsen's Ausführungen würde
Myoconcha Thielaui v. Stromb. sp., welche nach v. Seebach (Z. d. d.
g. G. 1861. XIII. t. XV f. 2, b) einen deutlichen hinteren Seiten-
zahn besitzt, zum Genus Pleurophorus und zu den Cypriniden ge-
hören, während andere triadische Arten bei 3Iyoconcha und den
Modiolopsiden verbleiben.
Das vorliegende Material gab mir Gelegenheit, näher auf diese
Verhältnisse einzugehen. Es waren vornehmlich zwei Fragen, welche
sich da aufdrängten : 1) Hat v. Seebach und vor ihm v. Grune-
wald! (Z. d. d. g. G. 1851. III. S. 258) bei jurassischen Myo-
conchen eine Ligamentleiste für einen hinteren Seitenzahn gehalten,
besitzt also Myoconcha keinen hinteren Seitenzahn und entfernen
sich daher die echten Myoconchen durch ihren Zahnbau weit von
Pleurojyhorus und 2) welche triadischen Arten gehören, diese
— 161 —
scharfe Trennung vorausgesetzt, zu Fleurophorus und welche zu
Myoconcha ?
Die erste Frage, ob 3IyoconcJia hintere Seitenzähne besitzt oder
nicht, ist sehr leicht zu entscheiden : man braucht nur einen Blick auf
die Abbildung, die Zittel von der schönen Myoconcha düataia Zitt.
(Bivalv. d. Gosaugebilde, Denkschr. d. math.-naturw. Kl. d. kais. Akad.
d. Wiss. Bd. XXV. t. 11 f. 16) giebt, zu vs^erfen, um sich zu ver-
gewissern, dass selbst bei den jüngsten Formen von Myoconcha noch
ein sehr deutlicher hinterer Seitenzahn in der linken Klappe an der-
selben Stelle, wie bei Fleurophorus^ nämlich dort, wo der Oberrand
zum Hinterrand umbiegt, auftritt. In der rechten Klappe beobachtet
man bei Sowerby's Original (Min. Conch. t. 467) von Myoconcha crassa
eine entsprechende ziemlich starke Verbreiterung des Oberrandes.
Bezüghch der Schlosszähne von Myoconcha habe ich an den
von mir untersuchten Stücken des Berliner Museums folgendes be-
obachtet. Stark und deutlich ist nur der Hauptzahn der rechten
Klappe, dem in der linken eine tiefe Grube entspricht. Zwischen
dieser, dem vertieften vorderen Muskeleindruck und dem Aussen-
rande liegt in der linken Klappe eine dreieckige Platte, welche sich
zuweilen etwas über den Aussenrand erhebt und alsdann als Zahn
aufgefasst werden darf. Über der Zahngrube verläuft dem Aussen-
rande und der Ligamentstütze nahezu parallel eine lange Leiste, das
Äquivalent des oberen Kardinalzahnes auf King's bekannter Abbildung
(Perm. foss. t. 15 f. 16b).
Genau dasselbe, nicht mehr und nicht weniger, habe ich an
den schönen Schalenexemplaren von Pleurophorus costatus Brown,
die Beyrich in Schlesisch-Hangsdorf bei Logau gesammelt hat, be-
obachten können. Übrigens lässt auch die Abbildung, die Geinitz
(Dyas, t. 12 f. 34) von Pleurophorus costatus Brown giebt, nur den
einen Zahn der rechten Klappe deutlich hervortreten. W^ieweit King's
Abbildung schematisiert ist, kann ich ohne Kenntnis des Originals
nicht beurteilen, bei den mir vorhegenden Stücken von Pleurophorus
und Myoconcha stimmen die Schlosselemente in ihrer Lage so über-
ein, dass ich mit v. Grünewaldt und v. Seebach die Einziehung des
Genus Pleurophorus beantragen muss.
Der Zahnbau der triadischen Arten, soweit ich ihn untersuchen
konnte, entspricht durchaus dem von Myoconcha. Am besten Hessen
sich diese Verhältnisse an den dickschaligen Formen aus den lom-
bardischen Raibler Schichten beobachten, die übrigens immer zum
Genus Myoconcha gestellt worden sind. Bezüglich der äusseren Form
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 11
— 162 —
und der Schalenskulptur existieren zwischen den palaeozoischen und
den jüngeren Myoconchen keine wesentlichen Unterschiede.
Nach dem, was ich eben über den Schlossbau der Gattung
Myoconclia sagte, ergiebt sich von selbst, dass ich dieselbe zu den
Heterodonten stellen muss. Sehr eng sind die Beziehungen zu Car-
dita ^ speciell zu den langgestreckten Formen mit hinterem Seiten-
zahn, die — ob mit Recht oder Unrecht, lasse ich dahingestellt —
als Palaeocardita abgetrennt worden sind. Ein Vergleich der bereits
citierten Abbildung in King's Permian fossils t. 15 f. 16 b mit
Gardita crenata Goldf. (Bittner, Lamellibranch. von St. Cassian,
Abh. d. k. k. geol. Reichsanst. XVIII. H. 1. t. IV f. 11) wird am
besten davon überzeugen. Doch gehe ich nicht so weit, wie Deshayes
(Descr. des animaux sans vertebres. 1860. L S. 752), 3Iyoconcha direkt
mit Cardita zu vereinigen. Dass bei der nahe verwandten Ästarte
öfters hintere Seitenzähne vom gleichen Charakter wie bei MyocoHcha
und Palaeocardita auftreten, dürfte bekannt sein.
Ich stelle also, um die gewonnenen Resultate zusammenzufassen,
die Forderung :
1. Das Genus PleuropJiorus King zu gunsten von Myoconclia
SowERBY aufzugeben.
2. Myoconclia mit Cardita und Astarte zu der Familie der
Carditidae Deshayes oder Astartidae Gray (wie letzteres auch Zittel,
Grundzüge S. 288, mit Pleurophorus thut) zu vereinigen.
Myoconclia laevis n. sp. — Taf. V Fig. 3.
Aus dem K. Naturalienkabinett liegt mir eine linke Klappe vor,
die sich durch ihren Zahnbau als zu Myoconclia gehörig ausweist,
durch ihren gesamten Habitus aber sich weit von allen Myoconchen
der deutschen Trias entfernt. Der Hauptunterschied besteht darin,
dass der Oberrand mit dem Hinterrand keinen scharf abgesetzten
Winkel bildet, sondern in einer flachen Kurve in ihn übergeht. Die
beiden diagonalen Kanten, die bei Myoconclia gastrochaena und Gold-
fussii vom Wirbel nach dem Hinterrande verlaufen, sind nicht vor-
handen, doch liegt die stärkste Aufwölbung der Klappe in der Rich-
tung der unteren Schrägkante. Der Unterrand ist nicht vollständig
erhalten, es lässt sich aber erkennen, dass derselbe gar nicht oder
nur sehr wenig eingebuchtet gewesen sein kann. Der Vorderrand
ist ebenfalls weggebrochen, der sehr stumpfe Wirbel lag augenschein-
lich etwas zurück wie bei Myoc. Goldfussii. Im Inneren der Klappe
ist die hintere Zahngrube sehr deutlich. Das Ligamentfulcrum nimmt
— 16o —
fast die Hälfte der Länge des Oberrandes ein. Die Wirbelpartie ist
durch Gesteinsmasse verklebt und lässt nur noch etwas von der tiefen
Hauptzahngrube beobachten.
In ihren Umrissen steht ihr Myoc. Brunneri v. Hauer, namentlich
die var. angulosa Salomon (Marmolata, Palaeontogr. XLII. t. 5 f. 33)
am nächsten, die jedoch Radialskulptur besitzt, während unsere Form
nur Anwachsstreif ung aufweist.
Myoconcha gastrochaena Gieb. sp. — Taf. V Fig. 4.
Mytihis gastrochaena Dunk. sp., Giebel, Lieskau S. 34. t. 5 f. 1.
Myoconcha gastrochaena Dunk. sp., v. Seebach, Weimar. Trias. Z. d. d. g. G.
1861. XIII. S. 80. t. 2 f. 3 a, b, c.
■? ^ j, Dunk. sp., v. Alberti, Überblick S. 130. t. 3 f. 3.
j, „ Dunk. sp.. Eck, Oberschlesien S. 57, 102.
„ „ Gieb. sp., Eck, Rüdersdorf S. 91. t. 1 f. 7.
Aus Schwieberdingen liegen nur drei Myoconchen von oblongem
ümriss, mit zwei Diagonalkanten und ziemlich deutlicher Einbuchtung
des Unterrandes vor, die nach Eck's Definition (Rüdersdorf S. 90,
91) zur Species gastrochaena gehören. Das Ligament, das an zwei
derselben erhalten ist, ist lang und dünn. Die drei Exemplare weichen
in ihren Dimensionen stark von einander ab.
Astarte Sow.
Astarte triasina F. Rom. — Taf. VH Fig. 8.
Von dieser Art liegt nur ein Exemplar vor, das gut mit Römer's
Abbildung (Palaeontogr. L t. 36 f 1 — 6) wie mit Stücken aus dem
Oolith von Willebadessen, die ich zum Vergleiche heranzog, über-
einstimmt.
Trigonodus Sandb.
Trigonodus praeco n. sp — Taf. VI Fig. 11.
In der Sammlung des K. Naturalienkabinetts zu Stuttgart fanden
sich drei flache , ziemlich unscheinbare Zweischaler unter der Be-
zeichnung j^TelUna" sp. Es bedurfte keiner allzulangen Untersuchung,
um zum Schlüsse zu gelangen, dass die so bezeichnete Art weder
mit der recenten Tellina, noch mit den zu Tellina gestellten Trias-
formen, wie edentida Gieb., etwas gemein hat. Viel schwieriger ge-
staltete sich die Frage, wohin dann aber diese sonderbaren Formen
zu stellen seien, und ich konnte lange zu keinem bestimmten Schlüsse
kommen, bis mir die Untersuchung einer Zweischaler-Suite aus den
roten Schiernplateau-Schichten die Sicherheit brachte, dass die rätsel-
11*
— 164 —
haften Schwieberdinger Formen zu nichts anderem gehören könnten,
als zu Trigonochis. Die drei Exemplare des Naturalienkabinetts sind
doppelklappig und lassen vom Schloss nichts erkennen, besitzen aber
sämtliche noch das Ligament. Der Wirbel liegt noch im ersten Drittel
der Schalenbreite, ist nach vorn geneigt, schw^ach eingerollt und er-
hebt sich so gut wie gar nicht über den Schlossrand. Eine Lunula
fehlt. Schlossrand, Vorderrand und Unterrand bilden wie bei sämt-
lichen Trigonodus-Axien eine gleichmässig gekrümmte, nahezu halb-
kreisförmige Kurve. Nach der Hinterecke verlauft vom Wirbel eine
deutliche Diagonalkante. Der Hinterrand, von der Hinterecke bis
zum $chlossrande , mit dem er einen deutlichen Winkel bildet, ist
gerade. Ebenso zeigt der lange Schlossrand hinter den Wirbeln fast
gar keine Krümmung. Die nicht sehr gut erhaltenen Schalen lassen
nur eine grobe Anwachsstreifung erkennen. Das Ligament ist länger
und schmäler als das von Myojjlioria und nimmt nahezu die Hälfte
des hinteren Feldchens ein.
Die Dimensionen sind bei dem kleinsten, am besten erhaltenen
Exemplare :
Höhe : 12 mm.
Breite: 19 mm,
Dicke: 6 mm;
bei dem zweitgrössten :
Höhe : 16 mm,
Breite: 24 mm,
Dicke : 5 mm (etwas verdrückt).
Wenn man ohne Kenntnis des Schlosses eine Bivalve überhaupt
einem bestimmten Genus anreihen darf, so muss man diese eigen-
tümlichen, flachen Formen mit ausgesprochen Cardinien-artigem Umriss
unbedingt zu Trigonodus stellen.
Trigonodus pracco, wie ich die Schwieberdinger Art nenne,
scheint unter den wenigen, sonst noch bekannten Arten der Sand-
BERGER'schen Gattung die flachste zu sein. Von Tr. Sandbergeri
V. Alberti, der Leitform des obersten sogen. I'rigonodus-Bolomits,
unterscheidet sie sich ausserdem durch den fast gar nicht hervor-
tretenden Wirbel und den geraden, mit dem Hinterrande einen deut-
lichen Winkel bildenden Schlossrand. Letzteres Kennzeichen erinnert
an Tr. rahlensis Gredler aus den roten Schlernplateau-Schichten
(v. Wöhrmann uud Koken, Die Fauna der Raibler Schichten vom
Schlernplateau. Z. d. d. g. G. 1892. XLHI. S. 184. t. 7 f. 1—8).
Die alpine Art besitzt jedoch nicht die so scharf ausgesprochene
— 165 —
Diagonalkante der schwäbischen , ebensowenig wie den geraden
Hinterrand.
Ob Trigonodus mit Cardinia in enger verwandtschaftHcher Be-
ziehung steht, wie v. Wöhrmann (Jahrb. d. k. k. geol. Reichsanst.
1893. S. 27) annimmt, ist mir durchaus fragUch. Wenn auch beide
Gattungen in ihrer äusseren Form sich sehr nahe zu stehen scheinen,
so muss doch betont werden, dass die Unterschiede im Schlossbau
sehr bedeutende sind und durch keine verbindende Form überbrückt
werden. Ich halte es für wahrscheinlich, dass es sich bei der nicht zu
leugnenden Ähnlichkeit in der äusseren Form nur um eine Konvergenz-
erscheinung handelt. Dagegen glaube ich v. Wöhrmann durchaus recht
geben zu müssen, wenn er Trigonodus von Myoplwria ableitet.
Trigonodus unterscheidet sich im Schlossbau eigentlich nur dadurch
von Myoplwria^ dass die Verlängerung des Hauptzahns der linken
Klappe nach hinten, die bei Myophoria bereits sehr deutlich hervor-
tritt, bei Trigonodus zum selbständigen Zahn wird. Wie nahe sich
beide Genera in der äusseren Form stehen, lehrt am besten ein Ver-
gleich von Myophoria ovata mit Trigonodus rablensis.
Trigonodus praeco besitzt vielleicht noch mehr Myophoria-
Charaktere als die anderen Arten seiner Gattung. Das spitz aus-
gezogene Hinterende, der gerade Schloss- und Hinterrand und die
gut markierte Diagonalkante erinnern lebhaft an manche Varietäten
von MyopJioria laevigata, wie die auf Taf. HI Fig. 5 abgebildete.
Ich nenne die Schwieberdinger Art Trigonodus praeco, weil
sie der Vorläufer für den weitverbreiteten und so ausserordentlich
häufigen Trigonodus Sandbergeri v. Alb. ist. Ob sich Trigonodus
im deutschen Triasmeere von Myophoria abzweigte und ob die drei
Arten der deutschen Trias unmittelbar auseinander abzuleiten sind,
erscheint mir sehr fraglich. Ich glaube, dass sowohl die Arten des
Trigonodus-I)o\Qm\i^ wie die des Keupers {Tr. Hornschuhi BERa. sp.)
aus einem Meere einwanderten, das auch das mediterrane Meer von
Zeit zu Zeit mit Schlamm- und Uferformen versah, wenn lokale Er-
eignisse, wie z. B. vulkanische Ausbrüche, Hebungen etc., dort ihnen
geeignete Lebensbedingungen schufen.
Myophoria Bronn.
Myophoria laevigata v. Alb. sp. — Taf. VI Fig. 1 — 7.
Bei weitem das häufigste Fossil der Schwieberdinger Schichten
ist Myophoria laevigata; die Art variiert, wie dies bei so massen-
haft vorkommenden oft der Fall ist, stark, und ich könnte nach den
- 166 —
Prinzipien, die für die Ammonitenbestimmung meistens Anwendung
gefunden haben, mindestens 5 neue Species schaffen. Ich halte e»
jedoch für zweckmässiger , die vom Typus am weitesten sich ent-
fernenden Formen als Varietäten auszuscheiden.
Hohe Varietäten mit spitzem Wirbel, wie Giebel (1. c. t. 3 f. 1)
sie von Lieskau abbildet, sind selten. Am häufigsten sind solche,
die einen Kardinalwinkel von ca. 100'', gerade Diagonalkante und
massig steil abfallendes Hinterfeld besitzen, wie sie Goldfuss (Petr.
Germ. H. t. 135 f. 12 a) abbildet. Diese Formen, die übrigens genau
mit denen des Rüdersdorfer Schaumkalks übereinstimmen, möchte
ich als den Typus bezeichnen (Taf. VI Fig. 1).
Daneben treten Formen auf, die die Tendenz haben, ihre Hinter-
seite stark zu verlängern; dadurch entsteht Giebel's (Ncoschisoäus)
elongatus (1. c. t. 5 f. 3), den ich jedoch nur als eine Varietät an-
sehen kann, die mit dem Typus durch alle Übergänge verbunden ist.
Taf. VI Fig. 2 stellt eine extrem verlängerte var. elonyata dar, die
mir in einigen Exemplaren vorliegt.
Schwieberdingen eigentümlich scheint eine Varietät zu sein,
die ich als
var. elargata
bezeichne (Taf. VI Fig. 3). Das hintere Feld hat sich bei ihr an-
sehnlich verbreitert und bildet mit dem Vorderfelde an der Diagonal-
kante einen weit flacheren Winkel, als dies beim Typus der Fall ist.
Der Schlossrand hinter dem Wirbel ist gerade und schliesst mit dem
Hinterrande einen deutlichen Winkel von ca. 130" ein, während bei
der typischen Form beide Ränder im Bogen ineinander übergehen.
Zu den flachen Formen mit breitem Hinterfelde gehört noch die
var. rotunda (Taf. VI Fig. 4),
welche im Habitus der vorhergehenden sehr nahe steht. Der Schloss-
rand bildet bei ihr jedoch mit dem Hinterrande keinen Winkel, son-
dern geht in einem flachen Bogen in ihn über.
Schhesslich verschwindet die Diagonalkante fast vollständig
und es entsteht eine
var. ovalis (Taf. VI Fig. 5),
die sich bereits der Mi/ophoria ovata sehr stark nähert.
Im Zahnbau ist Myophoria laevigata meist etwas konstanter.
Hier sind es vorzugsweise die Hauptzahngrube der linken, bezw.
der Hauptzahn der rechten Klappe, die in ihrer Breite starken Ver-
änderungen unterworfen sind. Hohe schmale Formen besitzen natur-
gemäss eine schmälere, breite Varietäten eine verbreiterte Haupt-
— 167 —
zahngrube. Wie stark die Veränderlichkeit in dieser Hinsicht ist, wird
man am besten an den Fig. 6 und 7 auf Taf. VI erkennen, wo ich
zwei extreme Formen nebeneinander gestellt habe. Ziemlich variabel
ist ausserdem die Stärke des vordersten Zahnes in der linken Klappe.
Die Skulptur besteht durchweg, abgesehen von der Diagonal-
kante und den Radiallinien des Hinterfeldes, nur aus einer mehr oder
minder kräftigen Anwachsstreifung. Doppelschalige Exemplare, die
übrigens selten sind, zeigen ein kurzes, aber sehr kräftiges Ligament,
das mit dem der lebenden Trigonia vollständig übereinstimmt. Auf-
fallend ist, dass unter den losen Klappen die Zahl der linken un-
gefähr dreimal so gross ist, als die der rechten.
Myophoria cardissoides v. Schlote, sp.
Diese Leitform des Wellenkalkes hat sich bisher nur in einem
kleinen, doppelklappigen Exemplar, das aber die Eigentümlichkeiten
seiner Art sämtlich aufweist, gefunden.
Myophoria vulgaris v. Schloth. sp. — Taf. VI Fig. 8.
Seltener, als die vorige, kommt eine Myophoria der vulgaris-
Gruppe vor, die in den Sammlungen als vulgaris^ elegans, intermedia
und curvirostris liegt und bei den Sammlern meist unter letzterem
Namen bekannt ist. 31. elegans unterscheidet sich durch ihre eigen-
tümliche Skulptur hinlänglich von sämtlichen Formen der vulgaris-
Gruppe, V. Schlotheim's M. curvirostris besitzt 6 radiale Rippen und
gehört in die Verwandtschaft von 31. Goläfussii v. Alb. sp. Gold-
Fuss' Lyrodoii curvirostris (Petr. Germ. H. S. 198. t. 135 f. 15) ist
überhaupt zu streichen, denn er bildet unter dieser Bezeichnung eine
Form der vtdgaris-GmpTpe ab, die mit 3£. intermedia bezw. vulgaris
ident ist. Es fragt sich demnach nur noch, ob man auf die Schwieber-
dinger 3dyoplioria den Namen vidgaris oder intermedia anwenden soll.
Nach v. Seebach (Zur Kritik der Gattung Myophoria etc. Nachr.
d. kön. Ges. d. Wiss. etc. zu Gott. 1867. S. 375 ff.) unterscheiden
sich beide Arten durch den Abstand, den die vordere Rippe mit
der Diagonalkante bildet. Das Verhältnis dieses Abstandes zur Länge
der Diagonalkante, vom Wirbel aus gemessen, soll bei vulgaris =
1 : 2^4 sein , bei intermedia 1 : 4 übersteigen. Beiden Arten ge-
meinsam ist eine feine Längsberippung , die bei erhaltener Schale
wie auf Skulptursteinkernen zu sehen ist und die überhaupt für alle
Formen der WM^^am-Gruppe charakteristisch ist. Ich habe sie ebenso
wie an den beiden ebengenannten Arten bei M. simplex, pes anseris,
■ — 168 —
transversa^ StrucJcmanni und Kefersteini beobachten können. Ich
habe nun das von v. Seebach als ausschlaggebend bezeichnete Ver-
hältnis von Rippenabstand zur Rippenlänge an einer grösseren An-
zahl Schwieberdinger Myophorien gemessen und gefunden , dass in
dieser Hinsicht unsere Formen in der Mitte zwischen der typischen
31. vulgaris und M. intermedia stehen, insofern als das Verhältnis
bei ihnen zwischen 1 : 3 und 1 : 4 schwankt. Da es aber in den
meisten Fällen näher an 1 : 3 liegt, glaube ich, die Schwieberdinger
Myoplioria mit gutem Gewissen zu M. vulgaris ziehen zu dürfen.
Es verdient übrigens hervorgehoben zu werden , dass Formen
der vulgär is-GvM^^Q mit sehr engem Rippenabstande nicht auf Letten-
kohle und obersten Muschelkalk beschränkt sind, sondern bereits im
Wellenkalk auftreten, wie ein von Pröscholdt (Programm der Real-
schule in Meiningen 1879) abgebildetes Exemplar beweist. Es muss nach
alledem in Frage gestellt werden, ob M. intermedia noch als eigene
Art oder nicht besser als Varietät von M. vulgaris aufzufassen sei.
Schloss und Ligament von M. vulgaris weichen von dem von
M. laevigata nicht ab. Doppelklappige Exemplare sind häufig.
Ilyophoria elegans Dünk. — Taf. VI Fig. 9.
Diese Art, welche sich durch ihre Berippung leicht von sämt-
lichen Arten der Vtdgaris-Gxwi^'^e unterscheiden lässt, ist sehr selten
bei Schwieberdingen. Sie ist bekanntlich dadurch ausgezeichnet,
dass scharfe, hohe Längsrippen vom Vorderrande bis zu der Furche
ziehen, welche vor der Diagonalkante verläuft. Hier werden die
Rippen bedeutend schwächer und ihre Zahl verdoppelt sich. Hinter
der Diagonalkante vereinigt sich jedoch ein Teil der eingeschobenen
Rippen wieder mit den Hauptrippen. Schloss und Ligament an den
Schwieberdinger Exemplaren nicht erkennbar.
Myoplioria Goldfussii v. Alb. sp. — Taf. VI Fig. 10.
Diese Art ist nach M. laevigata die häufigste Myophorie von
Schwieberdingen. Sie giebt keine Veranlassung zu besonderen Be-
merkungen.
Pseudocorbula n. g.
Wir kommen nun zu einem der heikelsten und schwierigsten
Kapitel der deutschen Triasfauna, zu den sogen. Corbulen. Es sind
kleine, meist schlecht erhaltene und unscheinbare Formen, die in
der deutschen Trias vom Roth bis zum Gypskeuper verbreitet sind,
— 169 —
aber erst in der Lettenkohle und speciell im Gypskeuper durch
ihr massenhaftes Auftreten wichtig werden. Die älteren Autoren
standen diesen Formen ziemlich ratlos gegenüber und brachten sie
bei CucuUaea, Nucula, zweifelnd auch schon bei Corbida unter.
Erst V. ScHAüROTH vereinigte (Z. d. d. g. G. 1857. IX. S. 119)
alle naheverwandten Formen in der Gattung Corbula und unter-
scheidet drei Gruppen, die nach seiner Auffassung nur Varietäten eines
Typus sind :
Corhula gregaria Mstr. sp.
„ incrassata Mstr. sp.
„ nuculiformis Zenk. sp.
C. dubia Mstr. ist, wie v. Schaüroth erkannte, nur ein Synonym
für C. gregaria. In der Petrefaktenkunde (1. Aufl. S. 530. t. 44
f. 17) bildet Qüenstedt als Cyclas Keuperina eine Form ab, die, so-
weit die schlechte Figur erkennen lässt, mit einer der hohen, kurzen
Arten, wie gregaria und incrassata, ident ist. Dagegen bildet v. Al-
berti (Überblick t. 2 f. 8 a — c) als C. Keuperina Qu. sp. eine lang-
gestreckte Form ab, die sicher nichts mit der QuENSTEorschen zu
thun hat. v. Alberti's C? elongata (1. c. S. 122. t. 2 f. 9) gehört wahr-
scheinlich nicht zu den triadischen Corbulen. Nun noch ein Wort
über „C. friasina". F. Kömer (Verst. a. d. Muschelkalk von Willebad-
essen, Palaeontogr. I. S. 314 t. 36 f. 18) beschrieb eine kurze, hohe
Form als C? triasina, die v. Alberti ganz mit Recht unter die
Synonyma von C. gregaria stellt. Sandberger (Würzb. naturw. Zeitschr.
V. S. 221) stellt jedoch v. Schaüroth's Tancreäia triasina (1. c.
S. 124 t. 7 f. 1) zu Corbula. Ich habe jedoch feststellen können,
dass V. Schaüroth's T. triasina nicht zu Corbula gehört. C. triasina.
Sandb. sp. gehört zu den langgestreckten Cor&w/a-Typen und ist ident
mit C. Keuperina v. Alb. non Quenst. Soviel über die „Arten" von
Corbula in der Trias.
Dass das Genus Corbula schon in der Trias vorkommt, ist von
vornherein nicht sehr wahrscheinlich, denn sowohl Corbula wie ihre
nächsten Verwandten repräsentieren einen ziemlich modernen Typus
und haben ihre grösste Verbreitung im Tertiär und in der Gegenwart.
Die Frage, ob die bei Corbula geführten Triasformen wirklich zu
diesem Genus gehören, lässt sich bei der trefflichen Erhaltung des
Schwieberdinger Materials leicht mit nein beantworten. Sämtliche
doppelschaligen Formen — es liegen mir über 100 vor — besitzen
nämlich ein äusseres Ligament und sind nahezu vollständig gleich-
klappig. Zu demselben negativen Resultat führt die Untersuchung
- 170 —
der Schlosscharaktere. Die Gattung Corhula besitzt bekanntlich in
der rechten Klappe einen massiven, nach aufwärts gebogenen Haupt-
zahn, hinter dem die grosse dreieckige Zahngrube, in der sich zu-
gleich das Ligament befestigt, liegt. Einige Arten, speciell die brakische
Untergattung Potamoniya, besitzen auch noch einen hinteren Seitenzahn.
In der stets kleineren linken Klappe liegt der Zahn hinter der Haupt-
zahn- und Ligamentgrube , und bisweilen ist noch eine kleinere
hintere Zahngrube vertreten. Die Zahnformel ist also bei Corhula:
L (0) 10
K (1) Ol
Bei den triadischen sogen. „Corbulen" besitzt ebenfalls die rechte
Klappe den Hauptzahn; er ist, wie der von Corhula, ziemlich lang,
massiv und nach oben gekrümmt, läuft jedoch nicht in eine Spitze
aus, sondern endigt stumpf löffeiförmig. Auf der Oberseite ist er,
wie ein echter Corhula-Zahn, etwas ausgehöhlt. Dieser Hauptzahn,
dessen Eindruck auch auf Steinkernen öfters noch gut zu erkennen
ist, war wohl für die meisten Autoren die Veranlassung, unsere Trias-
formen bedingungslos zu Corhula zu stellen. Hinter dem Haupt-
zahn bei den Triasformen fehlt jedoch die breite Zahngrube von
Corhula vollständig, dagegen ist vor demselben eine flache runde
Zahngrube sichtbar. Dementsprechend besitzt die linke Klappe eine
breite Zahngrube für den Hauptzahn der rechten Klappe, und vor
ihr einen kleinen runden Zahn, der dem Schlossrande unmittelbar
aufsitzt. Die Zahnformel der „Trias-Corbulen" ist also;
L Ol
R 10
die Unterschiede der echten Corhula von den triadischen „Corbulen"
sind also :
Corhula. _ Trias- Cor&?<?a."
n
Stark ungleichklappig. Fast gleichklappig.
Wirbel nach hinten eingerollt. Wirbel nach vorn eingerollt.
_ - , L 0 10 „ , , L Ol
Zannbau ^ .^. „■, Zahnbau „ ^
ix (1) Ol K 10
Ligament innerlich. Ligament äusserhch.
Dass die beiden Gattungen auch nicht entfernt miteinander
verwandt sind, bedarf nach obiger Zusammenstellung kaum einer
weiteren Erklärung. Schwieriger zu lösen ist die Frage, in welchen
Formenkreis die „Corbulen" der Trias, für die ich den Namen Pseiido-
corhula einführen möchte, gehören.
— 171 —
Ich glaube, dass hier Benecke (Ber. d. naturf. Ges. in Freiburg
i. B. X. 2. S. 28) das Richtige getroffen hat, der die deutschen „Trias-
corbulen" in die Nähe des von v. Wöhrmann aufgestellten (Jahrb.
d. k. k. geol. Reichsanst. 1889. S. 221) Genus Myophoriopis (nicht
-opsis, wie Benecke schreibt) aus den alpinen Raibler und Cassianer
Schichten bringt. In der That steht „Corbida gregaria" der 3It/o-
pJioriopis JRosthorni Bode sp. in ihrer äusseren Gestalt sehr nahe und
unterscheidet sich, wie Benecke bereits (1. c.) hervorhebt, eigentlich
nur durch das Fehlen der konzentrischen Berippung , die die alpine
Gattung besitzt. Stärker sind die Unterschiede im Schlossbau, wie
ein Vergleich mit den von Bittner (Abh. d. k. k. geol. Reichsanst.
XVIII. t. 13 f. 16, 17) gegebenen guten Abbildungen zeigt. Myo-
pJwriopis Rosthorni Boue sp. besitzt in der linken Klappe noch einen
hinteren Kardinalzahn und eine vordere, schwach angedeutete Zahn-
grube, in der rechten hinter dem Hauptzahn noch eine Zahngrube
und einen ganz schwachen Vorderzahn. Ihre Zahnformel ist also :
L lÖI(O)
R OIÖ(I)
während die von Pseudocorhtda
L Ol
R 10
lautet.
Ausserdem besitzt der Hauptzahn der rechten Klappe bei 3Iyo-
pJwriopis nicht die breit-hakenförmige Gestalt, die für den analogen
Zahn bei Pseudocorbula bezeichnend ist ; und endlich konnte ich bei
den von mir untersuchten Schlössern der deutschen Triasform nie
die Querstreifung wahrnehmen, die an den Zähnen von 3Iyoplioriopis
beobachtet wurde. Ich vermute, dass 3Iyophoriopis und Pseudo-
corbula aus derselben Wurzel stammen, dass jedoch bei der Gattung
der deutschen Trias der ursprünglich reichere Zahnbau sich verein-
fachte. Beide Gattungen stellt man wohl bis auf weiteres am besten
zu den Astartiden.
Pseudocorbula Sandbergeri n. g. n. sp. — Taf. V Fig. 5. 7. 8.
Zu den häufigsten Vorkommnissen in Schwieberdingen gehört
eine Psettdocorbtda, die in der Sammlung des K, Naturalienkabinetts
unter der Bezeichnung „ Tancredia triasina" , in der Tübinger Uni-
versitätssammlung bei den unbestimmbaren Bivalven lag. Sie ge-
hört zu den Formen mit stumpfem Schlosswinkel, deren Länge die
Höhe bedeutend übersteigt , also in die Nähe von Ps. Keuperina
— 172 —
V. Alb. sp. non Qüenst. (v. Alb. Überblick t. 2 f. 8 a— c). Von der
genannten Form aus dem Gypskeuper, die v. Alberti abbildet, unter-
scheidet sich jedoch die unserige durch ihre etwas kürzere Gestalt,
die scharf abgesetzte Hinterecke, das viel breitere Hinterfeld etc.
Vielleicht ist die Schwieberdinger Art ident mit Sandberger's „ Corbula
triasina" , die bei Würzburg aus dem gleichen Horizont angegeben
wird. Allein Sandberger identifiziert seine Art mit v. Schaüroth's
„Tancreclia triasina" (1. c. S. 124 t. 7 f. 1), die sicher nicht zu
Pseudocorbula gehört ; selbst wenn also die Würzburger mit unserer
Art übereinstimmt, was ich vorläufig nicht entscheiden kann, da
Sandberger die seinige nicht abbildet und mir seine Exemplare nicht
vorliegen, so müsste sie doch neu benannt werden. Für die Schwieber-
dinger Form schlage ich den Namen Pseiidocorhda Sandbergeri vor.
Zahnbau : bereits bei der Gattungsdiagnose beschrieben. Ver-
hältnisse gemessen an dem abgebildeten Exemplar, das den Typus
darstellt.
Breite 13 mm. Höhe 10 mm. Dicke 7 mm.
Der nahezu mittelständige Wirbel ist nach vorn eingerollt. Vor
ihm liegt eine deutliche, tiefe Lunula, die aber nicht durch eine
Kante abgegrenzt ist, wie dies bei der alpinen Myophoriopis der
Fall ist. Dagegen trennt hinter dem Wirbel eine scharfe Kante ein
schmales, langes Ligamentfeld ab, dessen vorderstes Drittel das lange,
ziemlich kräftige Ligament einnimmt. Eine zweite scharfe und meist
nach aussen konvexe Kante verläuft vom Wirbel zur Hinterecke ;
vor ihr zeigt die Schale fast immer eine seichte Depression, die eine
leichte Ausbuchtung des Unterrandes zur Folge hat, wie dies in ver-
stärktem Masse bei manchen Vertretern der Gattung MyopJionopis
der Fall ist. Skulptur: Ziemlich deutliche Anwachsstreifung , be-
sonders auf dem Hinterfelde.
Unsere Art ist ganz schwach ungleichklappig, insofern als die
linke Klappe meist etwas stärker gewölbt ist, eine Eigentümlich-
keit, die Myophoriopis RostJiorni Boue sp. nach Bittner (1. c. S. 113)
ebenfalls besitzt. Bei Corbida ist bekannthch die rechte Klappe
erheblich grösser als die linke.
Pseudocorbula Sandbergeri ist besonders in den verkieselten
Schichten des Profils sehr häufig, wo sie, meist in unvollkommener
Erhaltung, fast immer in getrennten Schalen vorkommt. Die schönen
doppelschaligen Exemplare, die in Dolomit verwandelt sind, stammen
meist aus der schwarzen, bituminösen Schicht und wurden wahr-
scheinlich in Tang eingehüllt an den Strand geworfen.
— 173 —
Neben den sehr häufigen, typischen Formen kommen ziemhch
selten kürzere Varietäten mit stark hervorspringendem Wirbel vor,
die zu Pseudocorhula gregarea Mstr. sp. hinüberleiten. Ich bilde
eine solche auf Taf. II Fig. 6 als
var. gregaroides
aus der Sammlung des Herrn Dr. Beck in Stuttgart ab.
Tancredia Lycett.
Tancredia BenecJcei n. sp. Taf. VI Fig. 12.
Es sind sehr unsichere Formen, die bisher in der Trias zum
Genus Tancredia gestellt worden sind. Tancredia triasina, die
V. Schauroth (Z. d. d. g. G. 1857. IX. S. 124. t. 7 f. 1) aus dem
Coburger Grenzdolomit beschreibt, ist eine kleine glatte Bivalve
mit deutlicher Schrägkante und mittelständigem Wirbel, die sehr
wenig Tancrediencharakter besitzt. Die drei Bivalven in Qüen-
stedt's Jura (t. 1 f. 29—31), die v. Alberti (Überblick S. 147) an
Tancredia triasina anschliesst, stellen drei verschiedene Species dar ;
solange man nicht mehr an ihnen erkennen kann, als auf Qoenstedt's
Abbildung, bleiben sie am besten dort, wohin sie der Autor selbst
gestellt hat, nämlich bei den „unsicheren Bivalven".
Die Bivalven, die ich zu dem bisher mit Sicherheit mir aus
Jura und Kreide bekannten Genus Tancredia stellen möchte, sind
sehr unscheinbar, das grösste Exemplar besitzt 7 mm Höhe bei
872 iiim Breite und 3 mm Dicke. Auf den ersten Blick machen
sie den Eindruck einer Nuciäa und unter diesem Namen lagen sie
auch in den Sammlungen. Sieht man genauer zu, so bemerkt man,
dass ein äusseres, ziemlich kräftiges Ligament vorhanden ist und
dass der wenig eingerollte Wirbel auf der Hinterseite der Schale liegt.
Vor dem Wirbel, der etwas nach vorn geneigt ist, liegt wie bei
Tancredia securiformis Dünk. sp. aus dem Halberstädter Lias eine
ziemlich lange , schmale Lunula. Die Vorderseite läuft nicht , wie
bei vielen Tancredia- kxiQw^ zu einer Spitze aus, sondern ist gerundet.
Der Hinterrand und der schwach konvexe Unterrand bilden mitein-
ander einen deutlich ausgeprägten Winkel nach dem vom Wirbel aus
die für Tancredia so charakteristische Schrägkante verläuft. Ebenso
stossen Hinterrand und Schlossrand am Hinterende des schmalen
Ligamentfeldes winklich aneinander. Die Oberfläche besitzt bis auf
eine ziemlich schwache Anwachsstreifung keine Skulptur. In ihrer
äusseren Gestalt steht die Schwieberdinger Art Tancredia planata
— 174 —
Morris und Lycett (Mollusca from the Great Oolithe , Paleontogra-
pliical Society. 1854. Part IL t. 13 f. 10) sehr nahe, zeigt vielleicht
sogar den Genuscharakter noch deutlicher als die Hauptoolithart.
Einige Abweichungen vom Typus der jurassischen Tancredien
lässt der innere Bau erkennen. Die Mantellinie ist auf der Hinter-
seite nicht senkrecht abgestutzt wie dort, wodurch eine Annäherung
an die Sinupalliaten entsteht, sondern verläuft gerundet zum hinteren
Muskeleindruck. Das Schloss konnte ich nur an einer linken Klappe
studieren : es besteht aus einer deutlichen Aufwölbung des Schloss-
randes vor dem Wirbel, hinter der eine tiefe, dreieckige Grube liegt.
Ob ein hinterer Seitenzahn vorhanden war, lässt sich nicht erkennen,
ein vorderer Zahn oder Zahngrube fehlen jedenfalls.
Ich glaube, dass man in dem sehr einfachen Zahnbau keinen
Grund hat, die Schwieberdinger Form generisch von der komplizierter
gebauten Tancredia abzutrennen ; auch bei Tancredia sind die haupt-
sächlichsten Elemente des Zahnbaus in der linken Klappe ein vor-
derer Kardinalzahn, der oft nahezu mit dem Schlossrande verschmilzt,
und eine tiefe dreieckige Zahngrube. Dass die Seitenzähne oft sehr
wenig ausgeprägt sind, davon kann man sich auf Taf. 13 Morris u.
Lycett 1. c. überzeugen.
Die einzige Triasform, die ich mit der unserigen vergleichen
kann , ist Stopp ani's Corhula praemmtia (Paleontologie lombarde.
Petrifications d'Esino. S. 82. t. 16 f. 14, 15), die Salomon als Tellina?
praenuntia Stopp, sp. auch von der Marmolata erwähnt (Palaeonto-
graphica XXXXII. S. 171. t. 5 f. 40, 41). Der Wirbel liegt bei
der alpinen Art ebenfalls hinter der Mitte ; auch die hintere Schräg-
kante und die Kante der Ligamentarea , die die beiden Ecken des
Hinterrandes bedingen, sind vorhanden. Die untere Hinterecke liegt
jedoch viel höher als bei der schwäbischen Art, die Hinterfläche wird
infolgedessen sehr viel schmäler; ausserdem tritt der Wirbel bei
der alpinen Art fast gar nicht hervor. Das Schloss zeigen weder
die Esino- noch die Marmolata-Formen, so dass die generische Über-
einstimmung derselben mit der Schwieberdinger Tancredia nicht mit
voller Sicherheit nachzuweisen ist, obgleich sie mir sehr wahrscheinhch
ist. Stoppani's Angabe, dass bei Corhula praenuntia eine Mantel-
bucht zu beobachten sei, bedarf sehr der Bestätigung.
Ich widme das interessante Schwieberdinger Fossil, von dem
mir ungefähr 20 Exemplare aus der Tübinger Sammlung und aus
der Sammlung des Naturalienkabinetts vorliegen, meinem verehrten
Lehrer, Herrn Professor E. W. Benecke.
— 175 —
Unicardium d'Orb.
Unicardium Schniidii Gein. sp. — Taf. V Fig. 9.
Unbestimmbarer Steinkeru, v. Schlotheim, Nachträge zur Petrefaktenkunde. t. 33
f. 5.
Area? Schmidü H. B. Geinitz, N. Jahrb. f. Min. etc. 1842. S. 577. t. 10 f. 9.
? Venus ventriosa Dünker, Palaeontogr. I. S. 301. t. 35 f. 8.
Pholadomya Schmidi v. Seebäch, Z. d. d. g. G. 1861. XIII. S. 635.
Lucina Schmidü v. Alberti, Überblick S. 145.
Wie die Citate zeigen, hat diese Form den Autoren einige Ver-
legenheit bereitet und ist von einem zum anderen Genus gewandert.
Meiner Anschauung nach unterHegt es keinem Zweifel, dass man es
mit einem Repräsentanten der Gattung Unicardium zu thun hat.
Die Art steht Dünker's Unicardium rugosum aus dem Halberstädter
Psilonoten-Lias sehr nahe ; sie unterscheidet sich von ihr nur durch
etwas schwächere Anwachsstreifung und den geraden Schlossrand.
Zähne fehlen wie bei der Liasart vollständig. Das Ligament, das
auf einer Leiste liegt, ist lang und schmal und meist nur schwer
zu erkennen. Unic. Credneri Giebel sp. aus dem Schaumkalk von
Lieskau ist eine selbständige Art und darf nicht, nach dem Vorgange
V. Alberti's und v. Seebach's, mit unserer vereinigt werden; sie unter-
scheidet sich leicht durch den viel stärker vorspringenden Wirbel
und die grössere Höhe.
Anoplophora Sandb.
Anoplopliora lettica Quenst. sp. — Taf. VH Fig. 5.
Änodonta lettica Qüenstedt, Petrefaktenk. 1. Aufl. S. 529. t. 44 f. 16.
„ , Qüenstedt, Petrefaktenk. 3. Aufl. S. 805. t. 63 f. 28.
„ (jregaria Qüenstedt, Petrefaktenk. 2. Aufl. S. 630. t. 59 f. 9.
„ „ Qüenstedt, Petrefaktenk. 3. Aufl. S. 805. t. 63 f. 29.
Myacites hrevis v. Schädroth, Z. d. d. g. G. 1857. IX. S. 119. t. 6 f. 16.
„ longus Y. Schauroth, Z. d. d. g. G. 1857. IX. S. 118. t. 6 f. 15.
j, letticus BoRNEMANN , Organische Reste der Lettenkohle S. 15. t. 1
f. 3—5.
Lucina Bomani v. Alberti, Überblick S. 143. t. 4 f. 4.
Uniona maritima Pohlig, Palaeontogr. Bd. 27. S. 119. t. 13 f. 9 — 16. t. 14 f. 25.
Anoplophora lettica v. Koenen, Z. d. d. g. G. 1881. XIII. S. 685. t. 26 f. 4, 5.
Unter der Bezeichnung Anoplophora lettica fasst man nach
V. Koenen's Vorgang Formen von ziemlich verschiedenartigem Habitus
zusammen. Bei Quenstedt's Änodonta lettica liegt der Wirbel weit
nach vorn und springt so gut wie gar nicht vor ; eine Lunula fehlt,
ebenso eine vom Wirbel nach hinten verlaufende Kante ; der Umriss
— 176 —
ist regelmässig oval, ohne jede Ecke. v. Schaüroth's Myacites hrevis
und longus und noch mehr v. Alberti's Lucina Momani besitzen
hingegen einen deutlich hervortretenden , der Schalenmitte ge-
näherten Wirbel, eine deutliche Lunula und eine vom Wirbel
nach einer ziemlich scharfen Hinterecke ausstrahlende Kante. Trotz
dieser offenbar grossen Unterschiede zwischen den extremen Formen
glaube ich doch, v. Koenen Recht geben zu müssen, wenn er
sie zu einer Art vereinigt. Wie ich bereits an dem Material
des Berliner Museums erkennen konnte, herrsche bei den An-
oplophoren der Lettenkohle eine ausserordentliche Variabilität und
wenn irgendwo, so muss bei diesen massenhaft auftretenden und
meist ungenügend erhaltenen Dingen der Artbegriff möglichst weit
gefasst werden.
Anoplophora lettica ist bei Schwieberdingen ziemlich häufig,
hat sich aber bisher nur in doppelschaligen Exemplaren gefunden.
Die Grösse der Lettenkohlenformen erreichen unsere nie, das grösste
Stück ist 20 mm lang, 11 mm breit, die meisten sind aber erhebhch
kleiner. In ihrer Form halten unsere Stücke ungefähr die Mitte
zwischen v. Schaüroth's Myacites hrevis und longus. Wirbel, Lunula
und hintere Schrägkante sind überall deutlich ausgeprägt. Das Liga-
ment ist ziemlich kräftig, aber nicht sehr lang, und nimmt nicht,
wie V. Koenen (1. c. S. 683) vermutet, die ganze Area, sondern nur
ungefähr den dritten Teil derselben ein. Die Schalen sind sehr dünn
und meist mehr oder weniger beschädigt. Schloss nicht sichtbar.
Nucula Lam.
Nucula Goldfussii v. Alb. — Taf. VII Fig. 7.
Nucula cuneata Mstr. Goldfuss, Petr. Germ. II. S. 152. t. 124 f. 13.
„ „ Gf., Giebel, Lieskau S. 45. t. 6 f. 7,
, Goldfussii V. Alberti, Überblick S. 101.
Die kleine, an ihrer schlanken Form und relativ sehr bedeuten-
den Höhe leicht kennthche Art hat sich nur in wenigen Exemplaren
gefunden, die aber ihre Zugehörigkeit zum Genus Nucula ausser
Zweifel setzen.
Leda Schum. "
Leda BecJci n. sp. — Taf. VH Fig. 1.
Die Art liegt mir nur in drei Exemplaren vor, sie ist massig
gewölbt; vor den weit nach der Mitte gerückten und nach hinten
— 177 —
gewendeten Wirbeln liegt keine Lunula, hinter ihnen jedoch ein deut-
liches Feldchen. Die Hinterseite lauft in eine scharfe , etwas nach
oben gerichtete Spitze aus.
Von allen mir bekannten Triasformen steht ihr Leda sulcellata
MsTR. sp. von St. Cassian am nächsten; der Schwieberdinger Art
fehlt jedoch die deutliche Furche vor der Leiste, welche das Feldchen
begrenzt, die konzentrische Streifung und die Lunula, die L. sul-
cellata auszeichnen. Das Band ist bei unserer Art wohl sicher
innerlich, sie gehört daher zum Genus Leda s. str. und nicht zu
Phaenodesmia, wohin Bittner (Lamellibranchiaten der alpinen Trias
1. Revision der Lamellibranchiaten von St. Cassian. Abh. d. k. k.
geol. Reichsanst. Bd. XVIIL H. 1. S. 146) die meisten Exemplare
von L. sulcellata gestellt hat. Ich widme diese interessante Art
Herrn Dr. Beck in Stuttgart.
Macrodon Lyc.
Macrodon Beyrichi v. Strome, sp. — Taf. VH Fig. 6.
= Area triasina F. Rom. = Area socialis Gieb.
Citate bei Nötling, Entwickelung der Trias in Niederschlesieii. Z. d. d. g. G,
1880. XXXII. S. 325.
Ziemlich selten kommt bei Schwieberdingen ein kleines Macrodon
mit breitem Wirbel, scharfer Diagonalkante und spitzer Hinterecke
vor, das sehr gut mit den Jugendexemplaren von Macrodon Beyrichi
übereinstimmt, die Nötling (1. c. S. 325 t. 14 f. 5) aus dem Schaum-
kalk Niederschlesiens beschreibt. Ich konnte mich an den Originalen
Nötling's und an einer prachtvollen Suite, die das Museum für Natur-
kunde in Berlin aus den Wehrauer Schichten besitzt, davon über-
zeugen, dass die kleinen Formen mit scharfer Diagonalkante und
scharfer Hinterecke thatsächlich durch alle Übergänge mit den grossen
Exemplaren mit stumpfer Diagonalkante und Hinterecke verbunden
sind. Auch die wenigen Stücke, die mir aus Schwieberdingen vor-
liegen, weichen in diesen Merkmalen etwas von einander ab.
Thracia Blainv.
TJiracia mactroides v. Schlote, sp. — Taf. YII Fig. 9.
Leider liegt mir von dieser Art nur ein Exemplar vor, das teil-
weise Steinkern ist und daher das Ligament nicht mehr erkennen
lässt. Auffallend ist es, dass bei unserem Stück wie bei v. Schlot-
heim's Original (Nachtr. z. Fetrefaktenk. t. 33 f. 4) die linke Klappe
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 12
— 178 —
grösser ist als die rechte, ohne dass an eine Verdrückung zu denken
wäre, während bei den jüngeren Arten von Thracia gerade das Um-
gekehrte zu beobachten ist. Ich sehe hierin keinen Grund, die Trias-
form, die in allen übrigen Punkten mit jungmesozoischen und tertiären
Formen übereinstimmt, generisch zu trennen, besonders, da ich die
gleichen Verhältnisse auch noch bei jurassischen Thracien hin und
wieder beobachten konnte. Punktstreifen, wie sie v. Seebach (1. c
t. 15 f. 5a) abbildet, besitzt unser Exemplar nicht, jedoch ist die
Oberfläche der ziemlich dicken Schale eigentümlich rauh, wie dies
auch bei jüngeren Formen der Fall ist.
Pleuromya Aa.
Pleuroniya Echi n. sp. — Taf. VII Fig. 4.
Mir liegen einige Pleuromyen vor, welche sich von den übrigen
Pleuromyen des Muschelkalks, die sich um PI musctiloides v. Schloth. sp.
gruppieren, weit entfernen. Sie erreichen nie die Grösse der nms-
culoides-Gvu^^e, das grösste Exemplar aus Schwieberdingen besitzt
18 mm Breite
bei 12 mm Höhe
und 10 mm Dicke.
Ausserdem ist der Wirbel viel weiter nach der Mitte gerückt,
als dies dort der Fall ist; unsere Formen erinnern infolgedessen
bei flüchtiger Betrachtung etwas an Unicardmm. Die Wirbel sind
massig stark angeschwollen und eingerollt. Hinter ihnen trennt
eine scharfe Kante ein schmales Ligamentfeld ab. Das Ligament
selbst nimmt etwa den vierten Teil desselben ein , es ist lang und
ziemlich kräftig. Die Hinterseite scheint schwach abgestutzt; leider
ist der Hinterrand bei keinem Stück vollständig erhalten, so dass
sich nicht angeben lässt, wie weit die Schalen hinten klaffen. Der
Unterrand ist gleichmässig gerundet, eine Einbuchtung, wie sie
PL nmsculoides zeigt, fehlt ganz. Am Vorderrande scheinen die
Schalen ganz schwach zu klaffen. Die Skulptur besteht aus einer
sehr feinen, nur bei gut erhaltenen Stücken erkennbaren Anwachs-
streifung.
Aus der deutschen Trias ist mir keine Art bekannt, die mit
der unserigen näher verwandt ist. Aus den Alpen kommt ihr PL Feda-
jana Sal. ziemlich nahe, die Salomon (Palaeontogr. XXXXII. S. 173.
f. 52) beschreibt.
- 179 —
Pleuromya n. sp. — Taf. A'II Fig. 3.
Wohl sicher auch zu Pleuromya gehörig ist eine Form, die ich
für das Tübinger Museum in Schwieberdingen sammelte. Sie unter-
scheidet sich von der vorhergehenden durch den schlankeren, nicht
aufgetriebenen Wirbel und überhaupt durch viel geringere Dicke.
Anwachsstreifung und Ligamentfeld sind wie bei der vorigen Art.
Leider sind die Schalenränder nicht erhalten, so dass es unmöglich
ist, eine vollständige Beschreibung des Fossils zu liefern.
Homomya Ag.
Die triadischen sogen. Panopaeen gehören zum Genus Homomya^
wie es v. Zittel jetzt fasst, und schliessen sich eng an die liassischen
Formen, wie Hom. subrugosa Dünk. sp. aus den Halberstädter Psilo-
noten-Schichten , an. Die Gattung Homomya steht Panopaea sehr
nahe und unterscheidet sich im wesentlichen von ihr nur durch die
viel dünnere Schale, den Mangel an Zähnen und durch die erheblich
seichtere Mantelbucht.
Homomya Koheni n. sp. — Taf. VII Fig. 2.
Unter den triadischen Homomyen kann man einen stark klaffen-
den Typus unterscheiden, zu dem Panopaea agnota v. Alb. (Über-
blick S. 147. t. 4 f. 6) gehört, und einen schwachklaffenden, der
von Pan. Älbertii Voltz (ÜberbHck S. 149. t. 5 f. 1) repräsentiert
wird. Die Homomya, welche bei Schwieberdingen nicht besonders
selten ist, aber immer nur in Bruchstücken vorkommt, schliesst sich
an die schwachklaffende Gruppe an. Von Pan. Älbertii Voltz aus
dem unteren Muschelkalk unterscheidet sich unsere Art durch ihren
viel schwächer hervortretenden Wirbel, durch den scharf abgestutzten
Hinterrand, der bei jener gerundet ist und durch die schwächere
Anwachsstreifung, die erst nach den Rändern zu kräftig wird. Ausser-
dem klaffen die Schalen der Schwieberdinger Homomya, auch wenn
sie auf der Unterseite ganz geschlossen sind, bereits unmittelbar
hinter dem Ligament, während sie bei Pan. Älbertii Voltz auch
noch ein gutes Stück hinter dem Wirbel geschlossen bleiben und
erst ziemlich weit hinten plötzlich auseinandergehen. Das Liga-
ment ist in seinen Dimensionen merkwürdig veränderlich, am
schwächsten bei dem abgebildeten Exemplar. An gut erhaltenen
Stücken bemerkt man noch die Homomya eigentümliche Körnelung
der Oberfläche.
12*
— 180 —
Gastropoda.
Worthenia de Kon.
Die Worthenien sind Pleurotomariiden , für die Kittl (Gastro-
poden von St. Cassian, Ann. d. k. k. naturh. Hofmuseums VI. S. 181)
folgende Diagnose aufstellt: „Gehäuse mehr oder weniger kegel- bis
kreiseiförmig, längsgestreift, Nabel meist fehlend oder schlitzförmig,
Umgänge kantig, meist mit zwei Lateralkanten, Apicalseite der Um-
gänge abgeflacht oder dachförmig. Schlitzband eine schmale, er-
habene, meist simsartige Leiste bildend, auf der oberen Lateralkante
aufsitzend; unterhalb der letzteren eine breite, flache Längsrinne.
Basis meist gewölbt, häufig mit einer Nabelfurche."
In der deutschen Trias wird die Gattung Worthenia durch die
Gruppe der Pleurotomaria Albertiana Wissm. vertreten, welche Giebel
(Lieskau S. 58) in drei Arten zerlegt hat: in PL Albertiana mit
spitzem, PI. Leysseri mit mittlerem und PI. Hausmanni mit stumpfem
Gehäusewinkel.
Worthenia Leysseri Gieb. sp.
Pleurotomaria Leysseri Giebel, Lieskau S. 59. t. 5 f. 10.
„ „ Giebel, v. Alberti, Überblick S. 165.
Trochus Albertinus Qüenstedt , Petrefakteukunde , Gastropodeu S. 375. t. 200
f. 5—7.
Die Worthenien, weiche bei Schwieberdingen nicht gerade selten
sind, gehören zu den mittleren Formen und stehen Giebel's Worthenia
Leysseri aus dem Schaumkalke von Lieskau ausserordentlich nahe.
Im allgemeinen tritt bei den Schwieberdinger Formen die Quer-
streifung sehr gegen die Längsstreifung zurück, die Kante unter der
Naht ist daher meist nicht in eine Reihe von Knötchen aufgelöst,
wie das bei den Formen des unteren Muschelkalks konstant der
Fall ist. Auch die schuppigen Erhöhungen auf dem Schlitzbande,
wie sie Giebel hervorhebt, sind meist nicht sichtbar. Ich halte das
aber für keinen Grund, die Schwieberdinger Worthenien von W. Leysseri
zu trennen, speciell, da einzelne Exemplare die Knötchenreihe und
das schuppige Schlitzband deutlich zeigen.
Tretospira Koken.
Die Gattung Tretospira wurde von Koken (Wöhrmann u. Koken,
Raibler Schichten vom Schiernplateau, Z. d. d. g. G. 1892. XXXXIV.
S. 196) für eine Form aus den Raibler und Heiligkreuzschichten auf-
gestellt. Sie umfasst nach Koken's Diagnose Gehäuse mit treppen-
— 181 -
förmig abgesetzten Windungen, deren Aussenseite mit der Oberseite
nahezu einen rechten Winkel bildet. Spiralrippen besonders auf der
Aussen- und Unterseite entwickelt, Anwachsstreifen auf der Ober-
seite nach rückwärts , auf der Aussenseite nach vorn konvex ge-
bogen. Mündung mit verdickter Innenlippe, nach oben spitz zu-
laufend, nach unten verschmälert. Marmolata und Esinokalk, Cassianer
und Raibler Schichten, oberer deutscher Muschelkalk.
Tretospira sulcata v. Alb. sp. — Taf. VIII Fig. 1.
Pleurotomaria sulcata v. Alb., Überblick S. 165. t. 6 f. 5 a, b.
Turhonüla striata Qüenstedt, Petrefakteukunde , Gastropoden S. 381. t. 200
f. 27 b non a.
Tretospira sulcata v. Alb., Joh. Böhm, Gastropoden des Marmolatakalks, Palae-
ontogr. XXXXII. S. 301.
Tretospira sulcata v. Alb., Koken, Leitfossilien S. 602.
Die meisten Tretospiren aus Schwieberdingen sind mit v. Al-
BERTi's Pleurotomaria sulcata, deren schönes Original aus dem Cann-
statter Kreidemergel mir vorliegt, völlig ident. Ober- und Aussen-
seite setzen in einem scharfen Winkel von einander ab; letztere
schmücken 9 — 10 Spirallinien, welche sehr viel enger stehen, als
dies v. Albertus Figur angiebt. Auf der Oberseite verläuft nur eine,
meist sehr undeutliche Spiralleiste. Der letzte Umgang ist sehr hoch :
seine Höhe verhält sich zu der der gesamten übrigen Umgänge wie 4 : 3.
Tretospira striata Quenst. sp. — Taf. YIII Fig. 2.
Tnrhonilla striata Quenst., Handb. d. Petrefaktenk. 2. Aufl. 1867. S. 502. Textfig. 110.
„ „ Quenst., Petrefaktenkimde, Gastropoden S. 382. t. 200 f. 27 a
non b.
Quenstedt's Turhonilla striata, deren Original ich vor mir habe,
ist in der That von v. Alberti's Pleurotomaria sulcata specifisch ver-
schieden. Ober- und Aussenseite setzen nicht scharf aneinander ab,
ausserdem trägt die Oberseite eine sehr deutliche Spiralleiste in ihrer
Mitte und eine schwächere an der Naht. Die Umgänge wachsen
sehr viel langsamer an, als dies bei der vorigen Art der Fall war;
die Höhe des letzten Umgangs verhält sich zu der der früheren wie
1 : 1. Tretospira striata erscheint infolgedessen sehr viel schlanker
als die vorige Art.
Die beiden bisher aus der deutschen Trias bekannt gewordenen
Tretospiren zeigen zu keiner alpinen Art engere Verwandtschafts-
beziehungen. Am nächsten kommt ihnen noch Tret. multistriata
V. WöHRM. aus den Cassianer und Raibler Schichten Süd-Tirols.
— 182
Loxonema Phillips.
Koken hat seiner Zeit betont, welche hohe Bedeutung die Loxo-
nematiden für die Geschichte des Gastropodenstammes besitzen (Über
die Entwickelung der Gastropoden vom Cambrium bis zur Trias,
N. Jahrb. f. Min. etc. Beil.-Bd. VI. S. 440). „Die Loxonematiden
treten, je mehr die Palaeontologie ihren Formenreichtum aufdeckt,
immer bedeutender aus der Menge der palaeozoischen Gastropoden
heraus als ein Stamm, der schon im Untersilur selbständig vertreten
war, dessen Verzweigungen aber erst in mesozoischer Zeit ihre Haupt-
entfaltung erlangen."
„In der Trias vollzieht sich der Übergang zu den am Anfange
der Siphonostomen stehenden Cerithiaceen und Verwandten, zu Tricho-
tropiden und Cancellariiden , ja es scheint, als ob nicht allein die
modernen Siphonostomen von ihnen abstammen, sondern dass auch
die jetzt als Opisthobranchiaten charakterisierten Tectibranchier lange
Zeit mit den älteren Loxonematiden zusammenhängen und erst im
Carbon sich selbständiger machen."
Nach Koken's klarer Diagnose sind die echten Loxonemen turm-
förmige Schnecken mit tiefen Nähten und Anwachsstreifen, welche
die verkehrt S-förmig ausgebuchtete Gestalt der Aussenlippe wieder-
holen und meistens deutlich hervortreten. Die Columella ist etwas
gedreht, ein falscher Nabel oder eine enge Nabelspalte häufig. Die
Windungen greifen zuweilen stark übereinander, und der Oberrand
presst sich dann dicht an die vorhergehende Windung. Die Mündung
ist höher als breit, die Aussenlippe nach vorn und seitwärts ver-
längert, ein Ausguss meist deutlich.
Loxonema cf. Schlotheimii Qu. sp. — Taf. VIII Fig. 4.
V. Schlotheim's uubenannter Turbinit des Muschelkalks, Petrefaktenk., Nacbtr. U.
S. 108. t. 37 f. 7.
Turrüella obsolet a v. Ziet., Verst. Württ. S. 47. t. 36 f. 1.
„ V. Ziet., Gieb., Lieskau S. 69. t. 7 f. 2.
Melania Schlotheimii Qdenst., Flötzgebirge Württembergs S. 31.
Loxonema ohaoleta d'Orbigny, Prodrome S. 172.
Melania Schlotheimii Quenst., Petrefakteuk. 1852. S. 412. t. 33 f. 14.
Turritella ohsoleta v. Ziet., v. Seeb., Triasconch., Z. d. d. g. G. 1861. S. 646.
Turritella ohsoleta v. Schlote, sp., v. Alb., Überblick S. 172. t. 6 f. 9 a, b.
Ghemnitzia ohsoleta v. Ziet. sp., Eck, Oberscblesien S. 58 u. 103.
„ „ V. Ziet. sp., Eck, Rüdersdorf S. 92.
Melania Schlotheimii Quenst., Petrefakteiikunde , Gastropoden S. 221. t. 192
f. 60, 62, 63.
— 183 -
Zu Loxonema gestellt von Koken, N. Jahrb. f. Min. etc. Beil. -Bd. VI. S. 441.
Heterocosmia obsoleta v. Ziet. sp., Koken, Leitfossilien S. 600.
Von Schlotheim's Buccinites ohsoletus (Nachtr. z. Petrefaktenk.
S.filOS. t. 32 f. 8), den er als aus dem Muschelkalk stammend an-
giebt, ist ein Pteroceren-Steinkern aus dem Portland, wie bereits
QüENSTEDT in dem Flötzgebirge Württembergs nachgewiesen hat.
Später griff v. Zieten den ScHLoxHEiM'schen Namen wieder auf, identi-
fizierte aber seine Form nicht mit der von v, Schlotheim 1. c. t. 32
f. 8, sondern mit der t. 32 f. 7 abgebildeten Schnecke, von welcher
V. Schlotheim im Text (S. 108) sagt: „Die gewöhnlichste Art der
sogen. Turbiniten, aus Muschelflötzkalk, welche stets als Steinkerne
vorkommen und in ihrer ganzen Form verraten, dass sie nicht dem
Geschlechte Turbo Lin., sondern andern Schneckenarten angehören,
daher sie auch nur alsdann richtig bestimmt werden können, wenn
sie sich vollständig mit Schale auffinden." Quenstedt drang mit
vollem Recht darauf, dass die Speciesbezeichnung „ohsoletus", als
ursprünglich für eine Juraform aufgestellt, wegfallen müsse, und führte
statt dessen die Bezeichnung Melania Schlotheimii ein. Trotzdem
aber Quenstedt mit gewohnter Zähigkeit an seiner Bezeichnung fest-
hielt, ist er nicht damit durchgedrungen, und die Mehrzahl der Autoren
hat die Bezeichnung (TurriteUa etc.) obsoleta v. Ziet. angenommen,
indem sie sich dabei auf v. Zieten's wenig gelungene Abbildung
(1. c. t. 36 f. 1) bezieht.
Dass diese „gewöhnlichste Art" der deutschen Trias von den
älteren Autoren bei sehr verschiedenen Gattungen untergebracht war,
bedarf kaum der Erwähnung. Herrschte doch in der Litteratur über
die Triasgastropoden bis in die jüngste Zeit eine kaum wiederzu-
gebende Verwirrung, die erst durch die sorgfältigen Arbeiten von
Koken, Kittl und Joh. Böhm beseitigt wurde. Koken stellte die frag-
hche Art anfänglich (N. Jahrb. f. Min. etc. Beil.-Bd. VI. S. 441), wie
lange vor ihm bereits einmal d'Orbigny, zu Loxonema. Er schreibt
in seiner wertvollen Arbeit: „Über die Entwickelung der Gastropoden
vom Cambrium bis zur Trias" : „Sehr glatte (Loxonema-) Arier], die
sich schon im Unterdevon einstellen, und deren Anwachsstreifung
nur selten zu beobachten ist, haben zu Verwechselungen Anlass ge-
geben. — In der Trias hat sich der Typus ebenfalls noch in Chem-
nitsia obsoleta Sohl. sp. (Wellenkalk) und deperdita Gf. erhalten."
Später hat Koken (Leitfossilien S. 600) (Chemnitzia) obsoleta zu seiner
Gattung Heterocosmia gestellt, die er mit folgenden Worten charak-
terisiert hat (Gastropoden der Schiernschichten, Z.. d. d. g. G. 1892.
— 184 -
S. 30): „Erste Windungen mit scharfen Querrippen, folgende mit
Gitterskulptur, Schlusswindung mit wenigen undeutlichen Kanten und
welligen Spiralrunzeln. Windungen gerundet, Schlusswindung mit
deutlichem Ausguss. Anwachsstreifen ausgebuchtet."
Nun ist es mir nicht gelungen, weder an dem zu L. ohsoletum
gestellten Gehäuse von Schwieberdingen und den Stücken des Ber-
liner Museums für Naturkunde, noch an den Abbildungen von
Giebel , v. Alberti , Qüenstedt u. a. , die für Heterocosmia charak-
teristische Skulptur zu erkennen. Allerdings giebt Giebel (1. c. S. 69)
neben deutlichen Wachstumsfalten sehr schwache undeutliche Längs-
rippen an, die bisweilen auf den mittleren Umgängen auftreten und
kaum mehr als erhabene Linien sind. Auch bei dem Schwieberdinger
Exemplare habe ich eine ganz feine, mit dem Auge kaum wahrnehm-
bare Längsstreifung , oder besser. Wellung, gesehen. Bei keinem
Stück zeigte sich jedoch die Querskulptur der Anfangswindungen und
die durch Verbindung mit der Längsskulptur hervorgerufene Gitter-
zeichnung auf den späteren Windungen.
Ich glaube, dass Koken deswegen genötigt war (Ghemnitzia)
obsoleta zu Heterocosmia zu stellen , weil er diese Art mit Bronn's
Turbonilla diibia vereinigte, bei der allerdings die ersten Windungen
Querskulptur zeigten. (Chemnitzia) obsoleta unterscheidet sich jedoch
von T/irh. dubia, wie ein Vergleich von f. 9 t. 6 in Alberti's Über-
blick mit f. 10 t. 12 in Bronn's Lethaea (3. Aufl.) zeigt, durch ihre
höheren, schief gestellten Windungen, namentlich durch die sehr viel
grössere Höhe der Schlusswindung und durch die Form der Mündung,
die bei obsoleta länglichoval, bei dubia kreisrund ist.
Ich glaube, dass man danach am besten thut, (Ghemnitsia)
obsoleta v. Ziet. sp. zu den glatten Loxonemen zurückzuversetzen,
deren Typus in der Abteilung der Laevigata de Koninck im Carbon
reichlich vertreten ist.
Es wurde bereits oben daraufhingewiesen, dass die QuENSTEDi'sche
Speciesbezeichnung für Schlotheim's unbenannten Muschelkalk-
turbiniten die einzig korrekte war, aber von der Mehrzahl der Autoren
nicht angenommen wurde. Sieht man nun in der fraglichen Form
ein Loxonema, so ist man dadurch genötigt, auf die QüENSTEDx'sche
Bezeichnung zurückzukommen, da der Name Loxonema obsoletiim von
de Koninck (Faune du calc. carbonif. de la Belgique. III. S. 49. t. 6
f. 28, 29) bereits an eine Carbonform vergeben worden ist.
Die Gestalt von Lox. Schlotheimii Qu. sp. ist durch die guten
Abbildungen von v. Schlotheim (Nachtr. t. 32 f. 7), Giebel (Lieskau
- 185 —
t. 7 f. 2) und V. Alberti (Überblick t. 6 f. 9) genügend bekannt.
An vollständig erhaltenen Stücken zählt man sieben ziemlich starke,
aber gleichmässig gewölbte Windungen, deren Längsrichtung mit der
Achse einen Winkel von ungefähr 60° einschliesst. Der letzte Um-
gang ist bedeutend höher, auch relativ breiter als die übrigen; an
der Mündung gemessen ist er etwas höher als die gesamte übrige
Spindel.
Aus den Schwieberdinger Schichten liegen mir fünf Windungen
eines grossen Loxonema vor, das ich von Lox. Sehlotheimii Qu. sp.
vorläufig nicht specifisch trennen möchte, trotzdem es nicht in allen
Punkten mit v. Schlothedi's Original übereinstimmt. Von der Mün-
dung ist nur der obere Teil vorhanden, der einen gerundet ovalen
ümriss besitzt. Die Schlusswindung ist stark gewölbt, aber nicht
so hoch, als dies bei dem Typus der Art der Fall ist; die darauf-
folgenden höheren Windungen verflachen sich etwas, werden aber
nicht so flach, wie die Anfangswindungen von Fusus Hehlii. Die
Anwachslinien sind ziemlich deutlich; die der letzten Windung
stehen anfänglich ungefähr senkrecht auf der Naht, biegen sich
aber sehr bald nach rückwärts um und verlaufen» in flachem , nach
vorn geöffnetem Bogen über die Seitenflanke , um erst ziemlich
tief auf der Basis in die nach vorn konvexe Richtung überzu-
gehen. Übrigens ist der Verlauf der Anwachsstreifung bei der Schwie-
berdinger Form derselbe wie bei dem carbonischen Lox. tvalcidio-
dorense de Kon. (Calc. carbonif. Part. III. t. 5 f. 5). Am vor-
letzten Umgange bemerkt man eine ganz schwache Spiralwellung
der Aussenseite, die aber bei seithch auffallendem Licht überhaupt
erst erkennbar wird.
Solange mir nicht vollständiger erhaltenes Material aus dem
oberen Muschelkalk vorliegt, mag ich die Schwieberdinger Form von
dem jedenfalls sehr nahe verwandten Lox. Sehlotheimii Qu. sp. nicht
trennen. Übrigens ist zu bemerken, dass Formen mit hoher Spira
und verhältnismässig niedriger Endmündung auch im unteren Muschel-
kalk bereits auftreten und bisher allgemein zu Lox. Sehlotheimii =
Chemnit^ia ohsoleta gestellt worden sind.
Loxonema Johannis Böhmi n. sp. — Taf. VIII Fig. 3.
Nicht selten ist bei Schwieberdingen ein glattes Loxonema, das
sich durch einen sehr kleinen Gehäusewinkel und flache, aber gleich-
mässig gewölbte Windungen auszeichnet. Die Höhe des letzten Um-
gangs beträgt kaum mehr als die Hälfte der Windungshöhe der ge-
— 186 —
samten früheren Umgänge. Die Windungen sind, wie bei Loxonema
ohsöletum, ziemlich schief zur Achse gestellt. Durch diese Verhält-
nisse nähert sich die Schwieberdinger Art einigermassen Giebel's
Chemnitzia Haueri (1. c. S. 63. t. 7 f. 4) , von der sie .sich aber
durch ihre viel höheren Windungen und ihre noch schlankere Gestalt
gut unterscheiden lässt.
Loxonema loxonematoides Gieb. sp.
Chemnitzia loxonematoides Giebel, Lieskau S. 63. t. 7 f. 5.
Loxonema loxonematoides Giebel sp., Koken, Leitfossilien S. 601.
Neben den drei eben angeführten grossen Arten findet sich auch
eine kleinere mit langsam anwachsenden Windungen ; sie erreicht
mit sechs Umgängen erst eine Höhe von 24 mm. Die Windungen
sind wie bei Loxonema ScMotheimii stark gewölbt. Das mir vor-
liegende Exemplar stimmt gut mit Giebel's Abbildung, auch die
schwielige Verdickung der Spindel, die er hervorhebt, scheint vor-
handen zu sein.
Aller Wahrscheinlichkeit nach sind noch mehrere Loxonema-
Arten bei Schwieberdingen vertreten, deren specifische Bestimmung
ihr Erhaltungszustand jedoch nicht erlaubt. Ich bilde nur noch als
Loxonema sp. — Taf. VIII Fig. 5
eine Form mit langsam anwachsenden, gleichmässig gewölbten Um-
gängen ab, die im Habitus an Loxonema cochleatum de Koninck (1. c.
Part HL S. 43. t. 4 f. 18, 19) erinnert.
Loxonema (Heterocosmia?) Hehlii v. Zieten sp. Taf. VIII Fig. 6.
Unter den turmförmigen Schnecken, die leider bei Schwieber-
dingen sämtlich recht schlecht erhalten sind, ist der altbekannte
Fusns Hehlii am häufigsten. Spiralstreifung , die nach v. Albertus
Abbildung (Überblick t. 6 f. 11) sehr deutlich sein müsste , ist nur
an einzelnen Stücken schwach zu erkennen, auch die Nahtkante ist
nicht so scharf ausgeprägt wie dort. Die Anwachsstreifen bilden
auf der Aussenseite keinen flachen Bogen, wie bei Loxonema Schlot-
heimii Qu. sp., sondern verlaufen fast gerade und biegen gegen die
Naht und auf der Unterseite scharf nach vorn um.
Höchstwahrscheinlich ist auch die Gattung Chomnitzia im
weiteren Sinne in Schwieberdingen vertreten. Was hierhin gestellt
werden könnte, ist jedoch so fragmentarisch erhalten, dass ich von
einer Beschreibung dieser Reste absehen möchte.
— 187 —
Katosira Koken.
Das Genus Katosira wurde von Koken (N. Jahrb. f. Min. etc.
1892. II. S. 31 und Z. d. d. g. G. 1892. XXXXIV. S. 203) für hoch-
gewundene Schnecken mit kurzem Ausguss, starken Querrippen und
feineren Spiralrippen, die auf der Basis besonders deutlich werden,
aufgestellt. In der alpinen Trias hat sich Katosira in mehreren Arten
in den Cassianer und Raibler Schichten gefunden, in der deutschen
Trias ist sie bisher noch nicht nachgewiesen worden.
Katosira solitaria n. sp. — Taf. VIII F'ig. 7.
Leider liegt mir von dieser höchst interessanten Form nur ein
Exemplar vor, dessen Apex und Mündung abgebrochen sind. Die
Umgänge, deren das vorliegende Stück noch sechs besitzt, sind flach
und wachsen sehr langsam an ; sie sind mit starken Querrippen be-
setzt, von denen ich auf dem vorletzten Umgange elf zählen konnte.
Die Querrippen sind meist gerade, stehen aber nicht ganz im rechten
Winkel zur Naht. Auf dem letzten Umgang verflachen sich die
Rippen allmählich und verschwinden schliesslich in der Nähe der
Mündung fast ganz. Die Mündung scheint einen kurzen Ausguss
zu besitzen. Die für Katosira bezeichnende Spiralstreifung der Basis
besitzt unser Stück nicht, ich vermute, dass sie durch Abreibung
verloren gegangen ist, die sich auch sonst bemerkbar macht. Hin-
gegen zeigen die oberen Umgänge noch Spuren der Längsskulptur,
die sich hauptsächlich in einer eigentümlichen Krenelierung der Quer-
rippen ausspricht.
Die Cassianer Katosiren, die Kittl (Ann. d. k. k. naturhist. Hofmus.
1894. IX. S. 162 ff.) anführt, unterscheiden sich von der Schwieber-
dinger Art teils durch ihre stärker gewölbten Umgänge, teils durch
abweichende Skulptur. Näher kommt ihr Katosira fragilis Koken
(Z. d. d. g. G. 1892. S. 205. t. 16 f. 1, 2) aus den roten Schlern-
plateauschichten , die sich jedoch noch leicht durch die stärker
gewölbten Umgänge, die dichter stehenden Querrippen und den
spitzeren Apicalwinkel unterscheiden lässt. Die Art des Schwieber-
dinger Trigonodus-T)o\oTmiQ^ nimmt in allen diesen Punkten eine
Mittelstellung zwischen K. fragilis Koken und K. undulata Ziet.
sp. (Pal. fr. terr. jur. II. S. 35. t. 237 f. 16) aus dem Lias ein.
K. solitaria n. sp. wäre somit die einzige Vertreterin ihres
Genus in der deutschen Trias, wenn nicht Turhonilla noäulifera Dünk.
(Palaeontogr. I. S. 306. t. 35 f. 22) aus oberschlesischem Muschel-
kalk besser zu Katosira als zu Zygopleura zu rechnen ist, was sich
- 188 —
allerdings bei dem Erhaltungszustande dieses Unikums wohl sehr
schwer feststellen lässt.
Promathildia Andreae.
Die triadischen „Cerithien" werden jetzt wohl allgemein nach
dem Vorgange von Koken (N. Jahrb. f. Min. etc. Beil. -Bd. VI. S. 459)
zu Promathilda oder Promathildia Andreae gestellt, die neuerdings
von V. ZiTTEL (Grundzüge der Palaeontologie S. 341) mit Mathilda
Semper vereinigt wird. Promathildia umfasst turmförmige Gehäuse
mit Cerithien-artiger Skulptur, die sich aus Spiralkielen und Quer-
rippen zusammensetzt und mehr oder minder deutlichem Ausguss.
Was Promathildia hauptsächlich von den Cerithien trennt, ist ausser
der Form der Mündung ihr heterostrophes Embryonalende : die ersten
1 — iVo Windungen stehen winklig von der Spirale ab, wie dies
Koken (N. Jahrb. f. Min. etc. Beil.-Bd. VI. S. 459. Textfig. 25) darstellt.
Promathildia ornata v. Alb. sp.
Turhonilla ornata v. Alb., Überblick S. 176. t. 7 f. 4.
Promathildia ornata v. Alb. sp., Koken, Leitfossilien S. 601.
Die sonst im Trigonodtts-D olomit nicht seltene Art hat sich
nur in wenigen, schlecht erhaltenen Exemplaren bei Schwieberdingen
gefunden. Nähere Beziehungen zu einer alpinen Art besitzt sie
meiner Anschauung nach nicht.
Undularia Koken.
Für die „Chemnitzien d'Orbigny's, welche sich dem Typus der
Chemnitzia scalata anschliessen", stellte Koken im Jahre 1892 die
Gattung Undularia mit folgender Diagnose auf (Z. d. d. g. G. 1892.
S. 200).
„Gehäuse hoch verlängert, mit kantigen Umgängen; die Nähte
rinnenförmig vertieft. Aussenseite der Umgänge meist konkav, Basis
flach oder massig konvex, durch eine Kante oder einen vorspringenden
Kiel abgetrennt. Mündung winklig, nach vorn verlängert, mit leicht
gedrehtem Ausguss. Aussenlippe, nach dem Verlauf der Anwachs-
streifen zu schliessen, ausgebuchtet. Die Windungen besitzen ausser
der die Basis abgrenzenden Kante meist noch eine Anschwellung
unter der Naht. Beide Kanten sind häufig geknotet. " Wenig später
glaubten Kittl (Gastropoden der Marmolata, Jahrb. d. k. k. geol.
Reichsanst. 1894. XXXXIV. S. 153) und Joh. Böhm (Marmolata,
Palaeontographica XXXXII. S. 268) nachweisen zu können, dass
- 189 - -
Koken in der Gattung JJndularia zwei verschiedene Formengruppen
zusammengefasst habe, von denen sich die eine an JJndularia scalata
der deutschen, die andere an JJ. excavata der alpinen Trias anschhesst.
KiTTL behess nun der /S'crtZate-Gruppe den Namen JJndularia und
wandte für die JS'^rcayato-Gruppe die Bezeichnung Protorcula an ; im
Gegensatz zu ihm sah Jon. Böhm in der Excavata-Gvm^^e den Typus
von JJndularia und stellte für JJ. scalata und ihre Verwandten das
Genus Toxonema auf. In einem Referat über beide Arbeiten (N. Jahrb.
f. Min. etc. 1897. I. S. 382) hebt jedoch Koken ausdrücklich hervor,
„dass JJndulnria auf den Stromhites scalatus Schlote, basiert ist,
also diese Art als Typus zu gelten hat." Danach ist Jon. Böhm's
Gattung Toxonema einzuziehen und eventuell die Gruppe der JJn-
dularia excavata neu zu benennen.
JJndularia scalata v. Schloth. sp. — Taf. VIII Fig. 8.
Altere Citate in
Alberti, Übersicht S. 174.
JJndularia scalata v. Schloth. sp., Koken, Schiern, Z. d. d. g.G. 1892. S. 200.
Toxonema scalatum Schloth. sp. , Jon. Böhm, Marmolata , Palaeontographica
XXXXII. S. 268.
Undularia scalata Schlote, sp., Koken, Leitfossilien S. 600.
Aus Schwieberdingen liegen mir ein ziemlich vollständig er-
haltenes Exemplar mit sechs Windungen, sowie einige Bruchstücke
vor, die ich von den Formen des norddeutschen unteren Muschel-
kalks nicht specifisch zu trennen vermag. Übrigens ist Koken's An-
gabe , dass sich JJndularia scalata bisher nur im unteren Muschel-
kalke gezeigt habe (N. Jahrb. f. Min. etc. 1897. I. S. 383) nicht
genau, da v. Alberti (Überblick S. 175) die Art bereits aus dem
oberen Muschelkalke Schwabens citiert. Neben ihr scheint bei Schwieber-
dingen noch eine zweite, schlankere JJndularia vorzukommen, was
mir aber von ihr vorliegt, genügt nicht, um sie specifisch genauer
zu bestimmen.
Eustylus KiTTL.
Unter der Bezeichnung Eustylus hat Kittl (Gastrop. von
St. Cassian, Ann. d. k. k. naturhist. Hofraus. IX. 1894) turmförmige
Formen mit sehr langsam anwachsenden , glatten , flachen und
nicht stufig abgesetzten Umgängen und flachen Nähten zusammen-
gefasst. Ich habe seiner Zeit (Z. d. d. g. G. 1895. S. 730) angenommen,
dass Eustylus im deutschen Muschelkalk durch das von Dünker
— 190 —
(Palaeontogr. I. t. 35 f. 2) als Turhonüla abgebildete Fossil aus
unterem Muschelkalk Oberschlesiens repräsentiert sei, muss aber ge-
stehen, dass mir jetzt seine Zugehörigkeit zu Eustyhis ziemlich frag-
lich erscheint. Aus Schwieberdingen liegen mir nur ein Stück und
ein Fragment vor, die aber wohl mit Sicherheit zu dem KiTTL'schen
Genus zu stellen sind.
Eustylns Älbertii n. sp. — Taf. VIII Fig. 9.
Die Schwieberdinger Art gehört zu der von Kittl (Ann. d. k. k.
naturhist. Hofmus. IX. 195) aufgestellten Gruppe des Eustylns mili-
taris, die sich durch hohe, fast cylindrische Gehäuse und durch den
Mangel einer Spindelhöhlung auszeichnet. Sie unterscheidet sich
von sämtlichen mir bekannten Arten der alpinen Trias durch ihre
höheren, rascher anwachsenden Windungen. Die sehr flachen Um-
gänge, von denen an dem einen Stück 6 erhalten sind, erscheinen
fast vollständig glatt und zeigen nur unter der Lupe hier und da
eine Anwachsstreifung, die gerade über die Windung verläuft. Ausser-
dem zeigt unser Exemplar eine leichte Verbiegung, die sicher nicht
durch nachträgliche Verdrückung entstanden ist und die an Eulima
erinnert. An alpinen Eustylus-Arten scheint diese Eigentümlichkeit
bisher noch nicht beobachtet zu sein. Die gleiche Art kommt im
sogen. Cannstatter Kreidemergel vor und wurde von v. Alberti mit
Melania Koninckeana Mste. = Eustylns KonincM Mstr. sp. iden-
tifiziert.
Protonerita Kittl.
Die Arbeiten von Koken, Kittl und Joh. Böhm über Gastro-
poden der alpinen Trias haben ergeben, dass ein Teil der Natica-
ähnlichen Formen zu den Neritiden im engeren Sinne zu stellen ist.
Bezeichnend ist für alle diese Gastropoden die Resorption der inneren
Windungen, daneben die „rapide Rückbiegung der Anwachsstreifen".
(Koken, Gastropoden der Trias um Hallstatt, Jahrb. d. k. k. geol.
Reichsanst. 1896. S. 100.) Koken stellte im Jahre 1892 die Gattung
Neritaria für eine Neritide der Schlernplateauschichten auf, die durch
ein kleines, bauchiges Gehäuse und eine „callöse Verdickung der
Innenlippe mit einem scharfen , der Längsrichtung der Lippen par-
allelen Zahne" ausgezeichnet ist.
Kittl hielt Koken's Neritaria für ungenügend begründet und
stellte eine neue Gattung Protonerita auf, als deren Typus Fr. cal-
citica aus dem Marmolatakalke angesehen wurde. Protonerita sollte
- 191 —
die Gattung Neritaria mit umfassen, die von Koken in erster Linie
hervorgehobene Neritaria-FaMe der Innenlippe sollte kein konstantes
Merkmal sein. Jon. Böhm vereinigte später Kittl's Protoneriten und
Koken's Neritarien unter dem Genusnamen Neritaria. Ich halte diese
Vereinigung für nicht statthaft, denn thatsächlich stellen Neritaria
similis Koken vom Schiern und Protonerita calcitica zwei recht un-
ähnliche Typen dar. Zu dieser Ansicht neigt auch Koken, wenn er
(Gastropoden der Trias um Hallstatt. S. 99) sagt: „Bei sehr vielen
Arten der alpinen und germanischen Trias muss ich meinem palae-
ontologischen Empfinden Zwang anthun, wenn ich sie als Neritaria
aufführe, da mir der Habitus nicht jener der Gruppe der N. similis
zu sein scheint und es mir nicht möglich war, durch Präparation
die kleine schiefe Falte der Neritarien nachzuweisen. Für solche
Arten hätte ich gern den Namen Protonerita beibehalten, der ein-
fach besagt, dass man es mit triassischen Neritiden zu thun hat,
deren Einreihung in eine der aufgestellten Gattungen nicht gelang."
Ich glaube, dass der Genusname Neritaria beizubehalten ist
für die Formengruppe der Neritaria similis Koken, mit deutlicher
Falte auf der Innenlippe, Protonerita für die Reihe der Protonerita
calcitica Kittl, bei der die Neritarienfalte fehlt oder jedenfalls kein
konstantes Merkmal bildet.
Die iVa^ica-ähnhchen Formen der deutschen Trias sind, wie
Koken ausführt, meist noch sehr wenig bekannt und unsicher in ihrer
generischen Stellung. Ich glaube, die nachstehenden beiden Formen
mit Sicherheit an die Protoneriten des Marmolatakalkes anschliessen
zu können.
Protonerita spirata v. Schloth. sp. — Taf. YIII Fig. 10 — 15.
Neritites spiratus v. Schlotheim, Petrefaktenkunde S. 110.
Natica Gaillardoti Giebel, Lieskau S. 64. t. 5 f. 8, 13.
„ matercula Quenstedt, Gastropoden S. 278. t. 195 f. 13, 14,
„ ülita Quenstedt, Gastropoden S. 278. t. 195 f. 15.
Quenstedt beschreibt (Gastropoden S. 278) aus den Schwieber-
dinger Schichten eine Natica mit folgenden Worten : „Vom Rücken r
aus, wie von der Mündung m, gleicht sie bereits so ausgezeichnet
tertiären Typen, dass man sie als Natica matercula für die Mutter
der späteren ausgeben könnte." Mir sind irgendwelche näheren Be-
ziehungen zu tertiären Typen nicht aufgefallen, wohl aber scheint
mir N. matercula ident zu sein mit der Form des deutschen Schaum-
kalks, die gewöhnhch unter der Bezeichnung „N. Gaillardoti'^ auf-
— 192 —
geführt wird. Ich habe auf Taf. VIII Fig. 11 eine derartige Form aus
dem Schaumkalke von Gross-Hartmannsdorf in Niederschlesien zum
Vergleiche mit der Schwieberdinger Art abbilden lassen; auch Giebel's
N. Gaillaräoti unterscheidet sich nach Abbildung und Text durchaus
nicht von Qüenstedt's N. matercula. Nun unterscheidet sich aber
die typische A'. Gaülardoti aus dem elsässischen Muschelsandstein
von der norddeutschen Art durch ein höheres Gewinde und ausser-
dem dadurch, dass sie konstant grösser wird. Wahrscheinlich sind
auch noch andere Unterschiede vorhanden, die ich an den verdrückten
Stücken der echten N. Gaülardoti im Berliner Museum nicht er-
kennen konnte , denn Herr Prof. Koken , der von ihr unverdrückte
Exemplaie in den Händen hatte, schrieb mir, dass er sie für gänz-
lich verschieden von Qüenstedt's N. matercula halte.
Die bisher mit N. Gaülardoti Lefr. vereinigte Form des Schaum-
kalkes ist zuerst von v. Schlotheim als Neritites spiratus beschrieben
worden. Sein Original, das ich auf Taf. VIII Fig. 12 abbilde, ist
ein scharfer Steinkern aus dem Schaumkalk der Arensburg in der
Hainleite.
Protonerita spirata v. Schloth. sp. zeichnet sich durch ein sehr
niedriges Gewinde aus. Formen, wie die Taf. VIII Fig. 10 abgebildete,
gehören bereits zu den am höchsten aufgewundenen. Die Nähte sind
auf den ersten Windungen ziemlich seicht, bei alten Gehäusen ent-
steht jedoch zwischen dem letzten und vorletzten Umgang eine ziem-
lich tiefe Rinne. Der Nabel ist durch die dicke Innenlippe meist
vollständig verdeckt; Formen, bei denen „die Nabelgegend ganz
vom Callus verschmiert" ist, die sich aber sonst nicht weiter unter-
scheiden, trennte Qüenstedt als Natica illita ab. Die Mündung
ist hochoval, manchmal nahezu kreisrund. Die Anwachsstreifen, die
nicht an allen Exemplaren deutlich sind, stehen tangential zum
vorhergehenden Umgange. Resorption der inneren Windungen ist
an Steinkernen wie an manchen Naturpräparaten von Schalen-
exemplaren deutlich zu beobachten, sehr deutlich zeigt sie auch
das Original des ScHLOTHEiM'schen Neritites spiratus. Manche Stücke
dieser und der folgenden Art zeigen eine eigentümliche Zickzack-
zeichnung der Schale, die wohl sicher auf frühere Farbenstreifen zu-
rückzuführen ist; sie gleicht durchaus der Farbenzeichnung von
Naticopsis cassiana Mstr. sp. bei Kittl (Gastropoden von St. Cassian,
Ann. d. k. k. naturh. Hofmus. VII. t. 9 f. 9), die wohl sicher eben-
falls eine Protonerita ist.
— 193 —
Protonerita coarctata Qu. sp. — Taf. IX Fig. 1.
Natica coarctata Quenstedt, Petrefaktenkunde 2. Aufl. S. 498. Textfig. 108.
,, „ Quenstedt, Gastropodeu S. 278. t. 195 f. 17, 18.
Diese Art unterscheidet sich von der vorigen durch etwas höheres
Gewinde, seichtere Nähte, den kreisrunden Durchschnitt der Windung
und durch ihre plötzlich verbreiterte Mündung. Übrigens sind diese
und die vorige Art durch alle Übergänge miteinander verknüpft.
Quenstedt's Angabe, dass das Gewinde von Natica coarctata nur von
unten sichtbar sei, ist unrichtig; bei seinem Original zu f. 17, das
vor mir liegt, sind die obersten Windungen abgebrochen ; an intakten
Stücken sind die Anfangswindungen jedenfalls auch von der Seite
sichtbar, wie das bei den Protoneriten des Marmolatakalkes auch
der Fall ist. Resorptionserscheinungen sind wie bei der vorigen Art
häufig zu beobachten.
Neritaria Koken.
Neritaria Bunheri v. Schauroth sp. — Taf. IX Fig. 2.
Bissoa StrombecJci var. DunJceri v. Schaüroth, Z. d. d. g. G. 1857. S. 138
t. 7 f. 10.
Ich stelle die vorliegende Form, von der mir nur wenige Ge-
häuse vorliegen, nur mit Vorbehalt zu Neritaria , denn ich konnte
an ihr weder die Falte auf der Innenlippe noch die Resorption der
inneren Windungen beobachten. Hingegen sind die bei Neritaria
häufig vorhandenen Querfalten an der Naht ebenfalls zu bemerken.
Auch schhesst sich die Schwieberdinger Art in ihrer äusseren Form
eng an Neritaria similis Koken vom Schlernplateau und an die
il/aw(^eZ5?oAi-Gruppe von St. Cassian an.
Das Gewinde ist niedrig, die Nähte sehr flach; bei den ver-
kieselten Stücken verschwinden sie sogar meist vollständig. Der
letzte Umgang ist sehr hoch und bedeckt den vorhergehenden zum
grössten Teil. Die Mündung ist unten gerundet, oben zugespitzt,
die Innenlippe ist umgeschlagen und bedeckt mit einer schwieligen
Verdickung, die jedoch nicht so stark ausgebildet zu sein scheint,
wie bei den alpinen Formen, den Nabel. Von Skulptur ist meistens
gar nichts zu bemerken ; nur an sehr gut erhaltenen Stücken bemerkt
man die bereits erwähnten Nabelfalten.
Die Schwieberdinger Art scheint mit Dunker's Bissoa Strom-
hecki var. Dunkeri aus dem Grenzdolomit der Lettenkohle ident zu
sein. Nahe steht ihr jedenfalls, wie auch v. Schaüroth schon her-
vorhebt, die von Dunker aus dem Kalk von Chorzow beschriebene
?Littorina Göpperti (Palaeontogr. I. S. 306. t. 35 f. 20, 21).
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 13
— 194 —
Hologyra Koken.
Die Hologyren sind nach Koken „Neriten ohne resorbierte Win-
dungen". Das Gehäuse ist niedrig, im Alter fast kughg, „die Innen-
hppe ist umgeschlagen und plattenartig, ohne Zähne und Kerben,
und liegt im erwachsenen Zustande der Windung fest auf. Bei
jugendUchen Exemplaren wird sie von dieser durch einen falschen
Nabel getrennt, der von einer scharfen, in die AussenHppe übergehenden
Spiralkante umschrieben und von einer Schwiele durchzogen wird."
Hologyra Eyerichi Nötl. sp. — Taf. IX Fig. 3.
Natica Eyerichi Nötling, Z. d. d. g. G. 1880. XXXII. S. 330. t. 14 f. 9, 9 a.
Die kleine Hologyren- Art , die bei Schwieberdingen ziemlich
selten vorkommt, gehört zu der OaWwa^a-Gruppe. Von Hologyra
carinata Koken vom Schlernplateau unterscheidet sie sich durch die
viel schwächer aufgeblähten Umgänge, das höhere Gewinde und durch
eine feine aber deutliche Querstreifung. Sie stimmt gut mit H. Eye-
riclii Nötl. aus niederschlesischem Schaumkalk, deren Grösse sie
jedoch nie erreicht. Sehr nahe verwandt, vielleicht ident ist H. Ogilviae
JoH. Böhm aus den oberen St. Cassianer Schichten von Cortina
d'Ampezzo.
Platychilina Koken.
Die Gattung Platychilina umfasst nach Koken niedrige Gehäuse
mit sehr rasch anwachsenden Windungen, schräg gestellter, erweiterter
Mündung und abgeplatteter Innenlippe. „Die Skulptur besteht aus
fadenförmigen Anwachsstreifen und schrägen Höckern, die anfänglich
stark, knotenförmig und in regelmässige Längsreihen geordnet, auf
der Schlusswindung mehr oder weniger verzerrt sind." Platychilina
ist bisher nur aus der alpinen Trias bekannt geworden.
Platychilina germanica nov. sp. — Taf. IX Fig. 5.
Leider liegen mir von dieser äusserst interessanten Form nur
zwei grobverkieselte Gehäuse vor, die ihre Speciescharaktere nur zum
Teil erkennen lassen. Das Gewinde ist sehr niedrig und erhebt sich
fast gar nicht über den letzten Umgang, wie dies auch bei Platy-
chilina pustulosa MsTR. sp. und CainalU Stopp, sp. der Fall ist. Die
Nähte sind verhältnismässig tief, wenigstens beim letzten Umgang
Die Mündung ist breit, die Innenlippe abgeflacht und stark callös,
und springt gegen das Innere der Mündung vor. Die Skulptur ist
— 195 —
leider wegen der groben Verkieselung der Gehäuse nicht besonders
deutlich. Man erkennt eine Reihe von unregelmässigen flachen Knoten,
die unmittelbar unter der Naht verläuft ; das entfernt die Schwieber-
dinger Platychüina erheblich von den alpinen Formen, bei denen die
obere Knotenreihe ziemlich weit von der Naht absteht. Eine zweite
Reihe von sehr unregelmässigen Knoten grenzt die Aussenseite des
Umgangs von der Unterseite ab. Die „fadenförmigen Anwachsstreifen "
sind nicht zu beobachten. Neben den beiden Hauptknotenreihen
scheinen auf der Aussenseite noch unregelmässig gestellte kleinere
Knötchen aufzutreten, die eine sehr eigentümliche Skulptur hervor-
rufen, die lebhaft an die von Fl. Wöhrmanni Koken (Z. d. d. g. G.
1892. t. 11 f. 6) erinnert.
Natica Lam.
Subgenus Amauropsis MöRCh.
Ämauropsis gregaria v. Schlote, sp. — Taf. IX Fig. 4.
Ältere Citate in v. Alberti, Überblick S. 168.
Ampullaria pullula Quenstedt, Gastropoden S. 279. t. 195 f. 19, 20.
Chemnitzia gregaria v. Schl. sp., Koken, Leitfossilieu, S. 600.
Bezüglich der Natica gregaria aut. herrscht eine ziemliche Ver-
wirrung ; ich halte es für wahrscheinlich , dass die älteren Autoren
recht verschiedene Formen unter diesem Sammelbegriff vereinigt
haben, doch kann ich jetzt auf diese Frage nicht eingehen, da mir
nicht genügend Material zur Verfügung steht. Ich sehe als Typus
der Natica gregaria Gehäuse mit niedrigem Gewinde, kantigen Um-
gängen und hoher letzter Windung an, wie Giebel sie abbildet
(Lieskau t. 5 f. 4 u, 5 [als turris]). Diese Formen dürfen nicht zu
Chemnitzia gestellt werden, was Koken befürwortet, sondern gehören
wohl zweifellos zu Amauropsis. Ähnliche Arten finden sich bei
Cassian , wie Giebel bereits hervorhebt ; am nächsten scheint der
deutschen Art dort Amauropsis Sanctae Crucis zu stehen.
Die kleine Ampullaria pullula, die Quenstedt aus Schwieber-
dingen beschreibt, ist schwerlich von Amauropsis gregaria., als
deren Jugendform ich sie ansehe, specifisch zu trennen. Meist ist
das Gewinde etwas höher und die Endwindung niedriger, als
bei den Lieskauer Formen, doch sind die wenigen mir vorliegenden
Exemplare untereinander schon ziemlich variabel. Die Schwieber-
dinger Formen bleiben meist klein. Bemerkenswert ist, dass in
dem gleichaltrigen „Cannstatter Kreidemergel" Amauropsis gregaria
13*
— 196 —
V. Schlote, sp. weit zahlreicher und in grösseren Exemplaren vor-
kommt.
Neben der typischen Form findet sich sehr selten in Schwieber-
dingen eine Varietät mit hohem Gewinde, die einigermassen an das
von GoLDFDSS III. t. 193 f. 3 als Turbo gregarms abgebildete Fossil
erinnert. Die wenigen Stücke, die mir vorliegen, sind sämtlich viel
grösser als die Exemplare des Art-Typus.
Cephalopoda.
Cephalopoden-Reste sind bei Schwieberdingen recht selten. Mir
liegen nur sechs Stücke , sämtlich dem kgl. Naturalienkabinett in
Stuttgart gehörig, vor, von denen drei zu den Nautiliden, die anderen
drei zu den Ceratiten zu rechnen sind.
Nautilus Breyn.
Nautilus (Temnocheilus) suevicus nov. sp. — Taf. IX Fig. 6.
Von dieser Art liegt mir nur ein Exemplar vor, von dem nur
die eine Seite erhalten ist, diese allerdings ungewöhnlich schön. Von
der Gruppe des Nautilus hidorsatus v. Schloth., die zu Tretnatodiscus
zu stellen ist, unterscheidet sich unsere Form, von allem anderen
abgesehen, durch den flach gewölbten, nicht in der Mitte gefurchten
Wirbel. Der Querschnitt der Windungen ist ungefähr quadratisch,
die Umgänge wachsen rasch an, umfassen sich aber ziemlich wenig.
Die Windung steigt vom Nabel bis zu einer scharf markierten Nabel-
kante steil in die Höhe, die Seitenflanke der Windung ist flach und
kaum nach aussen konvex. Die Externseite, wie bereits erwähnt,
schwach gewölbt. Zwischen Seitenflanke und Externseite verläuft
ein schwach knotiger Kiel, über der Nabelkante auf der Seitenflanke
eine schwache, spirale Depression, die auch bei alpinen Teninocheilus-
Arten erkennbar ist. Eine schwache Spiralstreifung der Nabelwand
ist besonders auf den jüngeren Umgängen zu erkennen.
Sehr deutlich und für das Subgenus Temnocheilus charakte-
ristisch ist der Verlauf der Anwachsstreifung. Die Anwachsstreifen
stehen auf der Nahtlinie senkrecht und verlaufen bis zur Nabelkante
in einem flach nach auswärts konkaven Bogen. An der Nabelkante
biegen sie scharf nach rückwärts und verlaufen nahezu geradlinig
zur Externkante ; diese scharfe Rückwärtsbiegung behalten die An-
wachsstreifen auch auf der Externseite bei, sie stossen also auf der
Mitte derselben mit sehr spitzem Winkel zusammen. Diesem Ver-
— 197 —
lauf der Anwachsstreifung muss eine scharfe, spitze Einbuchtung des
Mundrandes auf der Externseite entsprechen, worauf die Bezeichnung
Temnocheüus anspielen soll.
Von Kammerscheidewänden und Sipho lässt das vollständig be-
schalte Exemplar nichts erkennen.
Unter den alpinen Formen steht der beschriebenen Temnocheüus
Cassianus E. v. M. (Ceph. d. mediterr. Triasprovinz S. 268. t. 79 f. 1)
ziemlich nahe.
Pleur onautilus s^.
Die beiden hierher gehörigen Stücke sind leider sehr frag-
mentarisch ; bei dem grösseren sind die inneren Windungen ziemlich
gut erhalten, die letzte Windung aber zum grössten Teil zerstört, an
dem anderen Stücke sind nur die Bruchstücke von zwei Windungen
erhalten. Das grössere Bruchstück ist ziemlich evolut, aber nicht so
stark, wie viele Vertreter der Gattung in der alpinen Trias. Die Win-
dung steigt steil vom Nabel in die Höhe, eine Nabelkante — oder
Knotenreihe — fehlt. Erst in einem ziemlich bedeutenden Abstand
vom Nabel beginnen die dicken, flachen, nach vorn leicht konkaven
Kippen, mit denen zahlreiche, ziemlich grobe Anwachsstreifen parallel
laufen. Auf den inneren Windungen ist die Berippung nur sehr
schwach angedeutet. Das kleinere Bruchstück scheint zu einer an-
deren Species zu gehören, die sich durch stärkere Involution und
schwächere Berippung unterscheidet.
Ceratites de Haan.
Ceratites nodosus de Haan var. densinodosus 0. Fraas.
Taf. IX Fig. 7.
Von Ceratites nodosus liegen in der Sammlung des kgl. Natura-
lienkabinetts zwei Bruchstücke, leider lässt sich nicht mit voller
Sicherheit erkennen, ob es Fragmente der Wohnkammer oder der
gekammerten Windungen sind, da die Stücke beschalt und von einer
einheitlichen Dolomitmasse ausgefüllt sind. Besonders das eine Stück ist
durch engstehende, stark alternierende Margin alknoten ausgezeichnet
und hat 0. Fraas veranlasst, eine neue Species, Ceratites densinodosus,
zu begründen. Abgesehen davon, dass das Bruchstück wohl nicht
genügt, um eine neue Art daraufhin abzugliedern, ist es wohl kaum
angängig, diese dem Typus von Ceratites nodosus noch ziemlich nahe-
stehende Form als selbständige Art zu führen , während sehr viel
aberrantere noch immer als Ceratites nodosus bezeichnet werden.
Die Varietät mit den engstehenden, alternierenden Marginalknoten
198
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Wahrscheinlich auch im Trigonodus-
Dolomit.
Sehr wahrscheinlich auch im oberen
Muschelkalk und Trigouodus-Do\om\t.
Vielleicht nahe verwandt mit Lühodomus
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Wahrscheinlich auch im Esinokalk
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1. Bhizocorallium jenense Zenk. ss. . . .
2. Ostrea (Terquemia) complicata Gf. ss. .
3. Placunopsis ostracina v. Schloth. sp. ss.
4. Pecten laevigatus v. Schloth. sp. ss. .
5. „ discites v. Schloth. sp. ss. . .
6. Hoernesia socialis v. Schloth. sp. hh. .
7. GervilUa Goldfussi v. Strome, sp. h. .
8. ,, subcostata Gf. sp. h. . . .
9. „ Fraasi n. sp. ss
10. „ alata n. sp. ss
11. Modiola cf. triquetra v. Seeb. ss. . .
12. „ myoconchaeformis n. sp. h.
13. Myoconcha laevis n. sp. ss
14. „ gastrochaena ss
15. Astarte triasina F. Rom. ss
16. Trigonodus praeco n. sp. ss
17. Myophoria laevigata v. Alb. sp. hh. .
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Die Gattung Katosira in der alpinen Trias
verbreitet.
Soll nach v. Alberti auch noch im Grenz-
dolomit sich finden; eine nahe Ver-
wandte im Marmolatakalk.
Eustylus in der alpinen Trias häufig.
Wahrscheinlich in der deutschen Trias
weit verbreitet.
Sehr nahe verwandte Formen noch im
Gypskeuper,
Verwandte Arten in der alpinen Trias.
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41. Katosira solitaria n. sp. ss
42. Undiüaria scalata v. Scelote. sp. ss. .
43. Eustylus Albertii n. sp. ss
44. Protonerita spirata v. Scelote. sp. hh.
45. „ coarctata Qu. sp. hh. . .
46. Neritaria Dunkeri v. Schaur. sp. s.
47. Hologyra Eyerichi Nötl. sp. ss. . . .
48. Platychilina germanica n. sp. ss. . .
49. Ämauropsis gregaria v. Schlote, sp. s.
50. Nautilus (Temnocheilus) suevicusn.s^.ss.
51. Pleuronuutilus sp. ss
52. Ceratites nodosus de Haan var. densi-
nodosus 0. Fr AAS ss
53. Ceratites semipartitus Montf. sp. ss. .
— 201 —
ist übrigens auch im echten Muschelkalk verbreitet ; auch der inter-
essante Ceratites nodosus aus den Buchensteiner Schichten von
Recoaro gehört in diese Gruppe.
Ein Lobenstück von Ceratites nodosus (Typus), das in thonigem
Kalk erhalten ist, stammt wohl nicht aus den eigentlichen Schwieber-
dinger Schichten, sondern aus den sie unterlagernden Bänken des
echten Nodosus-E^ovizontes.
Ceratites semipartitus Montf. sp.
Das mir vorliegende Stück von Ceratites semipartitus ist bereits
von Eck (Z. d. d. g. G. XXXL 1879. S. 276—279. t. 4 f. 5) beschrie-
ben und abgebildet worden. Es ist ein als Steinkern erhaltenes Loben-
stück mit 5 Kammerscheidewänden ; besonders auffällig ist, dass sich
auf sämtlichen 5 Kammern Spuren des Haftringes in Gestalt grubiger
Vertiefungen erhalten haben.
Geologische Stellung der Schwieberdinger Schichten.
Die petrefaktenreichen Schichten des Hühnerfelds bei Schwieber-
dingen wurden von ihrem Entdecker, Oskar Fraas, in das Nodosus-
Niveau gestellt. Später hat Eberhard Fraas bei der Revision des
Blattes Stuttgart der württembergischen geologischen Karte die
Schwieberdinger Fauna in den Triyonodus-DoAoTmt^ und zwar in
dessen untere Abteilung versetzt und Th. Engel ist ihm darin in
der zweiten Auflage seines bekannten Führers gefolgt. Ich schliesse
mich in diesem Punkte vollständig den Anschauungen der beiden
letztgenannten Forscher an. Wie ich bereits eingangs erwähnt habe,
rechne ich die 30 cm mächtige Dolomitbank, die unmittelbar unter
den weicheren Schwieberdinger Schichten liegt, noch zum Trigonodus-
Dolomit und ziehe erst unter ihr die Grenze gegen das Semipartitus-
Niveau. Von den Schichten mit Trigonodus Sandbergeri v. Alb., die
die höchsten Horizonte des Trigonodus-Dolomits einnehmen und die
in dem Steinbruch am Hühnerfeld selbst nicht mehr aufgeschlossen
sind, werden die Schwieberdinger Schichten durch ziemlich mächtige,
teilweise sehr massige Dolomite getrennt. Die berühmte Fauna von
Schwieberdingen liegt also zwischen dem Horizont des Trigonodus
Sandbergeri im engeren Sinne , der den Trigonodus-Dolomit nach
oben abschliesst, und dem Semipartitus~^i\ ea,u; sie nimmt also das-
selbe Niveau ein, wie das reiche, sogen. Muschelkalk-Bonebed von
Crailsheim. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Schwieber-
dinger fossilreichen Schichten durchaus den Habitus von Strand-
— 202 —
bildungen besitzen, wie ich bereits hervorhob, so wird man wohl
der Wahrheit am nächsten kommen , wenn man in ihnen Bildungen
sieht, die in ihrem g eologischen AI ter und in ihrer Ent-
stehungsweise dem Crailsheimer Muschelkalkbonebed
ungefähr äquivalent sind.
Der Annahme, dass die Schwieberdinger Schichten über dem
Semipartitus-'^iyea.u., im unteren Trigonodtis-Dolomit liegen, wieder-
spricht ihre Fauna nicht. Naturgemäss kommt ein Hauptbestand-
teil derselben (25 Arten von 53) bereits im oberen Muschelkalk vor.
Auffällig ist immerhin das vollständige Fehlen von Terebratula
vulgaris und die grosse Seltenheit mancher Arten , die im oberen
Muschelkalk sehr gewöhnlich sind, wie Peden discites , laevigatus,
Placunopsis ostracina u. a. Sehr bemerkenswert ist das Vorkommen
von Ceratites nodosus und semiparütus , die sich allerdings nur in
Bruchstücken und als grosse Seltenheiten gefunden haben; dies
scheint zu bekräftigen, dass der Stamm des Ceratites nodosus im
deutschen Triasbecken nicht völlig nach Ablagerung der Semipartitus-
Schichten ausstarb, wie ja auch der Fund von Ceratites Schmidii
im thüringischen Grenzdolomit andeutet. Dass ein sehr grosser Teil
der Schwieberdinger Fauna (26 Arten von 53) bereits im unteren
Muschelkalk, besonders im Schaumkalk, vorkommt, ist bei den in-
nigen, faunistischen Beziehungen zwischen unterem und oberem
Muschelkalk nicht verwunderlich. Dass Schwieberdingen scheinbar
mehr Arten mit dem unteren als mit dem oberen Muschelkalk ge-
meinsam hat, liegt an der vorzüglichen Erhaltung speciell mancher
Schaumkalkfaunen, die die Aufstellung zahlreicher Arten ermöglichte,
deren Auffindung bei der mangelhaften Erhaltung der Fossilien im
oberen Muschelkalk dort bisher nicht möglich war.
Die Fauna des Trigonodus-Dolomites im engeren Sinne steht,
soweit sie bekannt ist, der Schwieberdinger ziemlich nahe, zeichnet
sich aber durch das Auftreten von Trigonodtis Sandbergeri v. Alb.,
der im Hühnerfeld noch fehlt, und durch die grosse Häufigkeit von
Myopiwria Goldfussii v. Alb. sp. aus.
Neben zahlreichen weitverbreiteten und wohlbekannten Arten
der Schwieberdinger Schichten kommen solche vor, die bisher aus
deutschem Muschelkalk nicht beschrieben worden sind und die fast
alle selten oder sehr selten gefunden wurden. Diese neuen Arten
kann man zweckmässig in zwei Gruppen teilen: Erstens in solche,
die wohlbekannten Species der deutschen Trias nahe verwandt sind,
und die sich auch wohl in anderen Schichten finden mögen , wenn
- 203 —
man in ihnen mit demselben Eifer sucht wie bei Schwieberdingen.
Zu ihnen gehören Gervillia Fraasi n. sp. , alata n. sp. , Modiola
myoconchaeformis n. sp., Pleuromya Ecld n. sp. , Pletfromya sp.,
Homomya Kokeni n. sp. Die Formengruppen , denen diese Arten
angehören, sind sämtlich in der deutschen Trias, z. T. durch sehr
gewöhnliche Fossilien vertreten. Eine zweite Gruppe bilden die neuen
Arten, die sich mehr oder minder an alpine Formen anschliessen,
die teils in Sedimenten der deutschen Trias überhaupt noch nicht
nachgewiesen wurden oder doch stets als Einwanderer aus dem Welt-
meere betrachtet wurden. Zu ihnen gehören Myoconcha laevis n. sp.,
Trigonodus praeco n. sp., Tancredia Benechei n. sp., Leda BecM n. sp.,,
Tretospira sulcata v. Alb. sp., striata Qu. sp., Katosira solitaria n. sp.,
Eustylus Alhertii n. sp. , Platychilina germanica n. sp. , Nautilus
( Temnocheilus) suevims n. sp. Diese Arten sind einzig und allein
von Bedeutung für die Frage, ob der Schwieberdinger Horizont mit
einem Formationsgliede der alpinen Trias in nähere Beziehung zu
setzen ist. Die mit anderen Formationsgliedern der deutschen Trias
gemeinsamen Arten der Schwieberdinger Schichten sind , wenn sie
auch in den Alpen vorkommen , für die Entscheidung dieser Frage
völlig unbrauchbar; da der untere Muschelkalk in der deutschen und
alpinen Trias zahlreiche Arten gemeinsam besitzt und wie erwähnt,
nicht wenig Arten des unteren Muschelkalks noch in Schwieberdingen
vorkommen, würde die Hereinziehung dieser Formen zu dem Trug-
schlüsse führen, dass unter den alpinen Sedimenten der Muschelkalk
im Sinne der älteren Autoren (Recoaro-Stufe bei Bittner) dem Tri-
gonodi(S-Do\omit zeitlich sehr nahe steht.
3Iyoconcha laevis n. sp., von der mir nur eine linke Klappe zur
Untersuchung vorlag, erinnert an Myoconcha Brunneri v. Hau. sp.
aus dem Salvatore-Dolomit, Esino- und Marmolatakalk, besitzt aber
deren Radialskulptur nicht.
Die Gattung Trigonodus ist in den Alpen auf die Raibler Schichten
beschränkt (vergl. v. Wöhrmann, Über die systematische Stellung der
Trigoniden und die Abstammung der Najaden, Jahrb. d. k. k. geol.
Reichsanst. 1893. S. 21). Stellt man den deutschen Trigonodus-
Dolomit noch zum Muschelkalk , wie es wohl am natürlichsten ist,
so fehlt die Gattung Trigonodus der Lettenkohle überhaupt; denn
die Leitform des Trigonodus-J)o\om\is^ Trigonodus Sandbergeri, steigt
nicht in die Lettenkohle hinauf und Tr. Hornschuchi Berg, sp., den
V. Wöhrmann irrtümlich (1. c. S. 24) in die Lettenkohle versetzt, liegt
in der Lehrbergschicht, also noch über dem Schilfsandstein.
— 204 -
Jedenfalls wird man sich nicht auf das Auftreten von Trirjonoäus
im alpinen und germanischen Triasmeere berufen dürfen, wenn man
die Gleichalterigkeit von Lettenkohle und Raibler Schichten zu be-
weisen sucht. Die Schwieberdinger Art, Tr. praeco n. sp. , steht
augenscheinlich völlig isoliert und verrät weder zu alpinen noch zu
ausseralpinen Formen nähere Beziehungen.
Isoliert steht auch die interessante Tancredia BenecJcei n. sp.
Ob sie zu demselben Genus gehört wie Teilina ? praenuntia Stopp, sp.
aus dem Marmolata- und Esinokalk, konnte noch nicht mit Sicherheit
festgestellt werden, sicher ist aber jedenfalls, dass sie von der alpinen
Art specifisch verschieden ist.
Leda Becki n. sp. steht der Cassianer L. sulceUata Mstr. sp.
ziemlich nahe.
Die Gastropodengattung Tretospira^ die in der deutschen Trias
bisher auf die Schwieberdinger Schichten und den gleichalterigen
„Cannstatter Kreidemergel" beschränkt zu sein scheint, ist in den
Alpen in den Marmolata-, Cassianer und Raibler Schichten vertreten;
den beiden deutschen Arten steht Tretospira midtistriata aus den
Raibler Schichten vom Schlernplateau am nächsten, ohne dass sie
mit einer derselben direkt identifiziert werden kann.
Noch weiter verbreitet ist in den Alpen die Gattung Katosira,
die in der deutschen Trias bisher nur durch ein Unikum aus Schwieber-
dingen repräsentiert zu sein scheint. Diese Katosira solitaria n. sp.
steht der Raibler K. fragilis Koken ziemlich nahe, mindestens ebenso
nahe aber liasischen Katosiren, so dass aus dem Vorkommen dieser
Art wohl keine bestimmten Schlüsse zu ziehen sind. Die Gattung
Eustylus ist aus dem Marmolatakalk , den Cassianer Schichten und
den Hallstätter Kalken bekannt; der Schwieberdinger EusUjlus er-
innert an manche Arten aus der Gruppe des Eustylus milüaris aus
den beiden erstgenannten Ablagerungen, ist aber mit keiner derselben
zu identifizieren. Ebenso unterscheidet sich Platychüina germanica
n. sp. von den in der ladinischen Stufe und in den Raibler Schichten
weit verbreiteten Arten, wie bereits in der Speciesbeschreibung her-
vorgehoben wurde. Nautilus (Temnocheilus) suevicus n. sp. endlich
nähert sich dem Temnocheilus Cassianus E. v. M. , es ist aber zu
bemerken, dass dieser Typus in den Hallstätter Kalken wiederkehrt.
Dass die Schwieberdinger Fauna gewisse Beziehungen zu der
der ladinischen Stufe und den faunistisch dieser nahestehenden Raibler
Schichten besitzt, scheint durch das Auftreten der eben besprochenen
Arten festzustehen; anderseits erscheint es aber als ebenso sicher,
— 205 -
class die Schwieberdinger Schichten auf Grund dieser Arten
nicht mit einem bestimmten enger abgegrenzten Horizont
der alpinen Trias in Verbindung gebracht werden können.
Zur Zeit des unteren Trigonodus-BolomitH scheint eine Einwanderung
von gewissen Formen in die deutsche Triassee stattgefunden zu haben,
wie eine solche für den oberen TrigonocUis-Bolomit und für den Nodosus-
Kalk ausser Frage steht. Da aber die neueinwandernden Arten nicht
mit alpinen specifisch übereinstimmen , so ist eine direkte Einwan-
derung aus dem alpinen Meere kaum annehmbar. Ich bin viel-
mehr der Ansicht, dass diese Formen, wie Ceratites nodosus und
Trigonodus Sandbergeri, aus einem dritten Meere stammten, das mit
dem alpinen wie mit dem germanischen Meere in Verbindung stand;
vielleicht war dies dasselbe Meer, in das sich die Fauna des unteren
Muschelkalks in der Periode des mittleren Muschelkalks zurückzog,
um zur Zeit des Trochitenkalks wieder in die germanische See ein-
zudringen. Ich möchte es nicht für ausgeschlossen halten, dass uns
in dieser Richtung noch Überraschungen bevorstehen, wie das äusserst
merkwürdige Auftreten einer Fauna mit Tr. Sandhergeri in mecklen-
burgischen Geschieben eine ist.
Der Cannstatter Kreidemergel.
Mitte der fünfziger Jahre wurde in Cannstatt ein Bohrloch
niedergestossen, dessen Bohrregister uns dank der Beschreibung von
0. Fraas (diese Jahresh. 1857. S. 131 ff.) erhalten ist und das durch
v. Alberti zu einer gewissen Berühmtheit gelangt ist. Aus einer
Tiefe von ungefähr 55 m wurde nämlich ein weiches, kreideartiges
Gestein emporgebracht, das von v. Alberti als „Cannstatter Kreide-
mergel" bezeichnet wurde und dessen gut erhaltene Faunula nach
ihm in engster Beziehung zu der Cassianer Fauna stehen sollte.
Nach V. Alberti's Angaben wäre der „Cannstatter Kreidemergel" für
den Vergleich alpiner und ausseralpiner Triasbildungen daher von
einschneidender Bedeutung.
Die Schichtenfolge im Bohrloch IV bei Cannstatt ist nach v. Al-
berti (Überblick S. 21) folgende :
1. Diluvium 22,570 m.
2. Keupermergel, teils in buntem, teils in grauem Farbenwechsel,
mehr oder minder sandig oder gypshaltig 35,428 m.
3. Kreidemergel in Verbindung mit vielen organischen, ver-
kieselten Resten, welche z. T. ein wahres Kieselgerippe bilden (Cann-
statter Kreidemergel) 2,852 m.
— 206 —
4. Doloraitischer Kalk (Horizont Beaumont's) 2,570.
5. Graue Sandsteine und Thonmergel der Lettenkohlengruppe
undurclisunken 6,060 m.
No. 4 ist der obere Dolomit i bei v. Alberti, Grenzdolomit an-
derer Autoren, der hier unrichtigerweise mit dem Horizont Beaumont's
parallelisiert wird; No. 3, der „Cannstatter Kreidemergel", k bei
V. Alberti, bildet also, wie der Autor auch noch weiter ausführt, die
Basis des Gypskeupers. Nach v. Alberti ist der „Cannstatter Kreide-
mergel" bisher an keiner Lokalität Schwabens im Anstehenden wie-
dergefunden worden , was in den schlechten Aufschlüssen und Ver-
rutschungen seinen Grund haben soll, unter denen der Gypskeuper
mehr wie ein anderes Formationsglied zu leiden habe.
Nach V. Alberti scheint somit die geologische Stellung des
„Cannstatter Kreidemergels" völlig sicher und über jeden Zweifel
erhaben, gehen wir aber auf 0. Fraas' Originalprofil des Bohrlochs IV
zurück, so gewinnt die Sache ein ganz anderes Gesicht. Unter einer
Decke von 52' mächtigen Diluvialablagerungen liegen 79' bunte und
graue, gypsführende Letten; darunter wurde ein vollständiges Letten-
kohlenprofil durchsunken, das ich unverkürzt wiedergebe (1. c. S. 137):
16' Thonmergel im Wechsel mit graublauem kieseligen Kalk,
4' kieselreicher Sandstein mit Mergeln,
3' dunkler mergeliger Sandstein,
4' Thonmergel,
17' helle und dunkle Mergel,
5' fester Sandstein mit Schwefelkies,
5' Thonmergel,
2' dunkler Thon (hier die Hauptquelle).
Dass dies thatsächlich ein Lettenkohlen- und kein Keuperprofil
ist, beweist am besten die Sauerwasserführung, die im ganzen Cann-
statter Becken an die Letten der Lettenkohle geknüpft ist. 0. Fraas
sagt darüber mit nicht misszuverstehender Deutlichkeit: „Die un-
teren Letten der Lettenkohle sind also hier die Sauerwasser*
bring er." Erst der Dolomit unter der Letten kohle enthält
die Fauna des Cannstatter Kreidemergels. Fraas schreibt darüber
(1. c. S. 138): „In No. IV ist der Prozess der Auslaugung noch
schöner. Hier ist die 20' mächtige Dolomitbank noch deutlich zu
erkennen, aber jede Spur von Kalk- und Bittererde ist verschwunden,
es ist nur noch das Kieselskelett der Schichte vorhanden, daraus
sämtliche Muscheln des Dolomits verkieselt zum Teil in ausgezeich-
neter Pracht zum Vorschein kamen." Die Sandsteine und Mergel,
— 207 —
die nach v. Alberti unter dem „Cannstatter Kreidemergel" liegen und
die Lettenkohle darstellen sollen, sind nach Fkaas nichts anderes als
ausgelaugter oberer Muschelkalk. „Wo weiter unten Muschelkalk
lagern sollte, sind wieder die Wechsel von Thonmergeln und harten
Kalktrümmern, Kieselknauern , Sandkalken; mitunter ward auch die
eine oder andere charakteristische Muschel (Fiisus Hehli, GervüUa
socialis) heraufgefördert. "
Erscheint es demnach aus rein geologischen Gründen bereits
als sehr wahrscheinlich, dass der „Cannstatter Kreidemergel" im
Niveau des Trigono.dus-Bolomites liegt, so wird diese Annahme durch
die Untersuchung seiner Fauna vollauf bestätigt. Durch die Liebens-
würdigkeit von Herrn Prof. Eb. Fraas bin ich in den Stand gesetzt,
das wertvolle Material einer erneuten Untersuchung unterziehen zu
können. Es hat sich dabei herausgestellt, dass die Faunula des
„Cannstatter Kreidemergels" zu der Schwieberdinger ausserordentlich
nahe Beziehungen aufweist, während sie gleich dieser mit der Cas-
sianer Fauna nicht zu parallelisieren ist.
Ich muss hier der Ansicht von Fraas und von v. Alberti ent-
gegentreten, dass die Faunula des Cannstatter Kreidemergels durch-
wegs verkieselt ist. Von den FossiHen, die das Bohrloch IV geliefert
hat, sind nur einige wenige verkieselt, die übrigen sind wie in
Schwieberdingen in spätigen Dolomit verwandelt. Auch ist, ebenso
wie dort, bei den doppelschaligen Stücken nicht selten das Ligament
erhalten. Abgesehen von der weiss-grauen Färbung, die die Cann-
statter Petrefakten auszeichnet, stimmt also ihr Erhaltungszustand
aufs beste mit dem der Schwieberdinger Fauna überein.
Dass die Cannstatter Faunula auch sonst die engsten Be-
ziehungen zur Schwieberdinger zeigt, ergiebt die nachstehende Revision.
Zuerst führt v. Alberti 14 Arten auf, die mit Cassianer Fossilien
ident sein sollen.
Serpula pygmaea.
Das so bezeichnete Stück fand sich nicht mehr unter den Fossilien
des „Cannstatter Kreidemergels", jedenfalls war es ein sehr zweifel-
haftes Objekt.
Pecten di seit es.
Ein Bruchstück. Diese Art kommt aber nicht bei St. Cassian vor.
Gervillia socialis.
Ebenfalls nicht in St. Cassian vertreten.
— 208 —
Area formosissima.
Das einzige, aber sehr gut erhaltene Exemplar, das v. Alberti
auf der Etikette als Area formosa Klipst. bezeichnet hat, ist ein
typisches Macrodon Beyrichi v. Strome, sp. und hat mit Cucullaea
(Macroäon) formosissima d'Orb. sp. gar nichts zu thun. Von der
feinen Radialstreifung, die der Cassianer Art eigen ist, ist nichts zu
bemerken, die Hinterecke ist spitz, die Hinterseite konkav eingebogen,
wie das für die Jugendformen von Macrodon Beyrichi charakte-
ristisch ist.
Area impressa.
Sicher ist die so bezeichnete Art das Fossil, das in v. Alberti's
Sammlung als ,,Arca socialis? Giebel" etikettiert ist. Das Stück,
das etwras schlechter als das eben besprochene erhalten ist, ist eine
ältere Form von Macrodon Beyrichi.
Nucula sulcellata.
Unter dieser Bezeichnung fanden sich vier schlecht erhaltene
kleine Bivalven, von denen zwei überhaupt unbestimmbar sind, die
anderen zwei zu Pseudocorhida Sandhergeri gehören.
Modiola similis.
Münster's Modiola similis ist, wie Bittner (St. Cassian 1. c.
S. 42) gezeigt hat, überhaupt zu streichen, da die Art auf ein ganz
ungenügend erhaltenes Stück basiert ist. Die Cannstatter Form, die
unter der Bezeichnung Modiola similis Münster in v. Alberti's Samm-
lung liegt, ist eine neue Art, die ich
Modiola. Alhertiana n. sp. — Taf. IX Fig. 8
benenne. Das einzige Exemplar, das aber vorzüglich erhalten ist, besitzt
4 mm Breite, 9 mm Höhe, S^/g mm Dicke.
Der Wirbel ist spitzig. Von dem schmalen, hochgewölbten
mittleren Teil setzen sich ein vorderer und ein hinterer Flügel scharf
ab. Der Ligamentrand ist lang und verläuft geradlinig bis zu der
scharf hervortretenden Ecke, die ihn vom Hinterrande trennt. An
dieser Ecke erreicht die Form ihre grösste Breite. Die Skulptur
besteht aus sehr feinen Anwachsstreifen. Unter den 3Iodiola-kvien
der alpinen und deutschen Trias scheint der unserigen keine besonders
nahe zu stehen; in manchen Punkten ähnelt ihr etwas Modiola gra-
cilis Klipst. aus St. Cassian.
— 209 —
Modiola dimidiata.
Modiola dimidiata Münst. ist nach Bittner „eine zweifelhafte
und keineswegs genügend sicher gestellte Art" (1. c. S. 47). Jeden-
falls hat die v. Alberti so genannte Form des „Cannstatter Kreide-
mergels" keinerlei nähere Beziehungen zu 2IodioIa dimidiata, die nach
V. Münster „an die jungen Individuen der Modiola Rillana aus dem
Lias erinnert". Das einzige Exemplar dieser neuen Art gehört vielmehr
einem ganz eigentümlichen Typus an, der in Schwieberdingen durch
Modiola myoconchaeformis n. sp. vertreten ist. Ich schlage für sie
die Bezeichnung
Modiola cannstattiensis n. sp. — Taf. VI Fig. 9
vor. Das merkwürdige Unikum ist eine kleine Form von
7 mm Breite, 13 mm Höhe, 4 mm Dicke,
die durch ihren stark verbreiteten Vorder- und Hinterflügel einen
durchaus Myoconchen-ähnlichen Habitus erhält. Dass sie nicht zu
Myoconclia gehört, beweist am deutlichsten das Fehlen einer Liga-
mentarea. Modiola cannstattiensis steht in der äusseren Form Modiola
myoconchaeformis sehr nahe, unterscheidet sich aber durch das Vor-
handensein einer scharfen Furche, die den schmalen mittleren Teil
von dem breiten vorderen Flügel trennt ; auch der Hinterflügel setzt
sich vom Mittelteil deutlicher ab, als bei der Schvvieberdinger Art.
Im übrigen besteht die Skulptur nur aus Anwachsstreifen, die etwas
gröber sind, als bei der vorigen Art.
Mytilus Münsteri Klipst.
Unter dieser Bezeichnung liegen in der v. ALBERTi'schen Samm-
lung drei Bruchstücke, von denen aber nur eines einem nicht
näher bestimmbaren Mytiliden anzugehören scheint. Sie werden in
V. Alberti's Verzeichnis nicht erwähnt.
Myophoria Whateleyae.
Die von v. Alberti so bezeichneten Stücke sind sicher ident
mit Myophoria Goldfussii v. Alb. sp.
Aiioplophora musculoides?
Ich konnte dieses Stück nicht finden ; übrigens kommt die Art
bei St. Cassian nicht vor.
Natica pulla {Althaussii v. Klipst.).
Ident mit Protonerita spirata v. Schloth. sp.
Jchreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 14
— 210 —
Natica gregar ia.
Kommt bei St. Cassian nicht vor.
Natica Cassiana.
Zwei kleine, grobverkieselte Schneckchen, die vielleicht zu den
Jugendformen der vorigen = pullula Quenst. gestellt werden müssen.
Ausserdem citiert v. Alberti noch acht Arten, die solchen von
St. Cassian äusserst nahe stehen sollen. Davon sind die kleinen
Schwämme, die an Achilleum polymorphum v. Klipst. und Ach. pora-
ceum V. Klipst. erinnern sollen, höchst fragwürdige Objekte, deren
organischer Ursprung kaum nachzuweisen ist. Die Schalen, die v. Al-
berti mit Cassianella temiistria Münst. zusammenbringt, gehören zu
Gervillia suhcostata. Die mit Isocardia minuta v. Klipst. und Isoc.
rostrata Münst. verglichenen Formen sind Bruchstücke von Uni-
cardium SchmidU Gein. sp. Die Pleurotomaria, die mit Fleurotomaria
Beaumontii v. Klipst. verglichen wird, ist eine Worthenia Leysseri
GiEB. sp., Melania Koninckana Münst. = Eustylus Alherüi n. sp.,
wie bereits erwähnt, und endlich Melania larva v. Klipst. ist eine
nicht näher bestimmbare Loxonematide.
So viel über die 14 Arten, die nach v. Alberti bestimmt,
und über die acht Arten, die wahrscheinlich die Mergel von
Cannstatt mit St. Cassian gemein haben sollen. Wie ersichtlich, hat
sich auch nicht eine dieser Cannstatter Arten bisher in St. Cassian
nachweisen lassen. Über die übrigen Arten des „Cannstatter Kreide-
mergels", die V. Alberti citiert, möchte ich mir noch folgende Be-
merkungen erlauben:
3IyoconcJia cannstattiensis v. Alb.
(Überbhck S. 133. t. 3 f. 1) ist sicher keine Myoconclia. Dass die so
bezeichnete isolierte Klappe zahnlos ist, hat der Autor selbst schon
hervorgehoben. Was auf seiner Figur den Eindruck einer vorderen
Muskelleiste macht, ist eine zufällig bei der Verkieselung des Gehäuses
entstandene Wulst. Höchstwahrscheinlich ist dieses Fossil eine Ano-
XÜophora lettica Qu. sp., eine 3Tyoconcha ist es ganz sicher nicht.
Ein als Nuada midata v. Klipst.? etikettiertes Fossil ist ein
Unicardium SchmidU Gein. sp.
Fe den Alberti i und Myoconclia gastrochaena, die
citiert worden , fanden sich in v. Alberti's Sammlung nicht mehr
vor; da ihr Auftreten durchaus nicht unwahrscheinlich ist, führeich
sie bei der Aufzählung der Cannstatter Fossilien mit den anderen auf.
211
Ein als „Cyprina Es eher i Giebel?" etikettiertes Fossil, das in
der Aufzählung nicht berücksichtigt wurde, ist wahrscheinlich ein Uni-
cardium, scheint aber von Unicardium Sclimidii Gein. sp. verschieden.
Kurz zusammengefasst hat also die erneute Untersuchung des
„Cannstatter Kreidemergels" und seiner Fauna folgendes ergeben:
1. Die von v. Alberti beschriebene Fauna stammt aus stark zersetzten
Kalken oder Dolomiten, die unter der Lettenkohle liegen. 2. Der
Erhaltungszustand der Cannstatter Fauna ist durchaus derselbe
wie der der Schwieberdinger Petrefakten. 3. Von den 21 mit
Sicherheit bestimmbaren Arten des „Cannstatter Kreidemergels" sind
17 aus Schwieberdingen bekannt ; darunter sind zwei Arten, die sich
an anderen Punkten überhaupt noch nicht gefunden haben. Mit der
Cassianer Fauna, mit der v. Alberti sie in erster Linie verglich,
hat die Cannstatter keine Art gemeinsam.
Übersicht der Fauna des ,, Cannstatter Kreidemergels".
Vorkommen
Philippi
V. Albep.ti, Überblick S.
286, 87
in
Schwieber-
dingen
? ?
cf. Achilleum polymorphtim
__
V. Klipst.
? ?
cf. Achilleum poraceum v.
Klipst.
—
??
Serpula pygmaea
—
1.
Placunopsis ostracina
V. SCHLOTH. sp.
Ostrea subanomia
+
2.
Pecten discites v. Schloth. sp.
Pecten discites
+
3.
„ ? Alhertii Gf.
„ Albertü
4.
Hoernesia socialis v. Schlote.
Gervillia socialis
+
5.
sp.
Gervillia subcostata Gf. sp.
cf. Cassianella tenuistria
+
6.
Modiola Alhertiana n. sp.
Modiola similis
7.
„ cannstattiensis n. sp.
?
,, dimidiata
Mytilus Münsteri
—
8.
3Iyoconcha gastrochaenaGiEB.
Myoconcha gastrochaena
+
9.
Myophoria vulgaris v.Schloth.
sp.
Myophoria laevigaia v. Alb. sp.
Myoplioria vulgaris
+
10.
„ laevigata
+
11.
„ GoldfussÜY. Alb. s^.
„ Whateleyae
+
12.
Pseudocorbula Sandbergeri
Nucula sulcellata
+
13.
n. g. n. sp.
Unicardium Schmidii
Gein. sp. 1
„ nndata v. Klipst.?
cf. Isocardia minuta v. Klipst.?
cf. „ rostrata Mstr.
1
1
+
14.
Unicardium sp.
Cyprina Escheri Gieb.
1
—
14*
212 —
Philippi
V. Alberti, Überblick S. 286, 87.
Vorkommen
in
Schwieber-
dingen
15.
Anoplophora lettica
Qu. sp.
Myoconcha cannstattiensis
Anoplophora musculoides
+
16.
17.
Macrodon Beyrichi
V. Strome, sp.
Worthenia Leysseri
GlEB.
{
sp.
Area formosissima
„ impressa
cf. Pleurotomaria Beaumontii
V. Klipst.
+
18.
19.
Tretospira sulcata v
Eustylus Albertii n.
Alb.
sp.
sp.
Pleurotomaria sulcata v. Alb.
Melania Koninckana Mstr.
+
+
?
„ larva v. Klipst.
—
20.
Protonerita spirata
V. SCHLOTH. sp.
Natica pulla (Althausii) v. Klipst.
+
21.
Amauropsis gregaria
V. ScHLOTH. sp.
/
{
„ gregaria v. Schloth. sp.
„ cassiana
+
Die Stellung des Trigonodus-Dolomits in der deutschen Trias.
Über die Stellung, die man dem Trigonodiis-Bolomit zuzuweisen
hat, ist man immer noch nicht einig. Die preussische und nach
ihrem Vorbild die elsass-lothringische Landesanstalt stellen ihn zur
Lettenkohle, und damit nach ihrer Einteilung zum Keuper, während
er auf der geologischen Karte von Württemberg, im Einverständnis
mit vielen unserer besten Triaskenner, zum Muschelkalk gerechnet wird.
In Württemberg war es besonders Oscar Fraas, der im Gegen-
satz zu QüENSTEDT die Forderung stellte, den „Malbstein" der Letten-
kohle zuzurechnen. Er hat seinen Standpunkt auf S. 13 der Be-
gleitworte zum Atlasblatt Stuttgart festgelegt, wo er ausführt: „Die
Gründe, welche dem Verfasser die Ansicht aufdrängen, den Malbstein
zur Lettenkohlengruppe zu zählen und den Hauptmuschelkalk mit
den blauen Kalken abzuschliessen , sind: 1. Nach 400' einförmigen,
sich durchweg gleichbleibenden Kalkgebirges stellt sich hier ein neues,
ein Dolomitgebirge ein. Petrographischer Grund. 2. Mit diesem
Wechsel traten neue Arten gestreifter Myophorien und schlanker Pleuro-
phoren in grosser Menge auf und ziehen sich sofort durch die ganze
Lettenkohle bis zur unteren Keupergrenze hin. Es reichen zwar die
Krebse und Tcrebratula des Muschelkalks in den Malbstein hinein,
aber kein Ceratites mehr. Zudem liegt zwischen dem Hauptmuschel-
kalk und dem Malbstein an sehr vielen Orten das erste Bonebed mit
Fisch- und Saurierresten, namentlich mit dem ersten Ceratodus
— 213 —
(Höfen), der später im Hohenecker Kalk zum leitenden Fossil der
Lettenkohle wird. Palaeontologischer Grund. 3. Der Malbstein bildet
in der horizontalen Verbreitung die Unterlage der Lettenkohlenflächen,
an den Thalrändern die hohe Stirne. Das geognostische Bild des
Ganzen träte viel plastischer hervor, wenn die Farbe der Ebene sich
gegen die Farbe des Thaies abhöbe. Orographischer Grund. 4. Der
Malbstein ist nur am Neckar hin unmittelbar auf die blauen Kalke
abgelagert, an Kocher und Jagst tritt ein kräftiges Lettengebirge
zwischen Hauptmuschelkalk und Dolomit. Reichere Bonebeds, dunkle
Thone, lichtere Mergel stellen sich ein, ehe die Dolomitbänke zur
Ablagerung kommen. Hier wird erst bei der Anlage der Karte die
Schwierigkeit zu Tage treten, den Malbstein mit der Grundfarbe des
Hauptmuschelkalks statt der Lettenkohle bezeichnet zu haben. Karto-
graphischer Grund. Die Kommission war in ihrer VHL Sitzung vom
17. Dezember 1863 abweichender Ansicht und betonte namentlich
die längst hergebrachte Ansicht von der Zusammengehörigkeit des
Hauptmuschelkalks und des Dolomits und des sandigen Anfangs der
Lettenkohle, und wurde Verfasser in Betreff seiner abweichenden
Ansicht wegen der Darstellung auf der Karte überstimmt."
Soweit Oscar Fraas. Dem gegenüber möchte ich betonen, dass
ich seinen ersten, petrographischen, Grund nicht für stichhaltig halten
kann. Die Trigonodus-Schichien besitzen eine sehr veränderliche
chemische Zusammensetzung, so dass der Ausdruck „Dolomit" nicht
in allen Fällen passt ; speciell bei Würzburg, von wo die Bezeichnung
^TrigonodusSchichten"^ stammt, sind dieselben rein kalkig. Gegen
den zweiten , palaeontologischen , Grund möchte ich anführen , dass
MyopJioria Goldfussii bereits im echten Hauptmuschelkalk vorkommt,
dass die Pleurophoren, die ebenfalls dort sich schon finden, wenigstens
im unteren Malbstein keineswegs häufig sind und dass die Fauna
von Schwieberdingen weit mehr an die Muschelkalk- als an die
Lettenkohlenfauna erinnert. Ceratiten treten, wenn auch selten, auch
bei Schwieberdingen, und sogar im Grenzdolomit, noch auf. Der
dritte , orographische , Grund scheint mir vielmehr gegen als für
die Ansicht von Fraas zu sprechen : Der Gegensatz zwischen den im
Muschelkalk und Malbstein eingerissenen Thälern zu den Letten-
kohlenhochebenen tritt doch ungleich deutlicher hervor, wenn man
die Grenze an den obersten Thalrand, statt in den Steilabfall hinein,
verlegt. Die Lettenkohle liegt, wie Herr Prof. v. Eck mir gegenüber
sehr treffend bemerkte, auf dem Trigonodus-Dolomii^ wie der unterste
Lias auf dem obersten Keuper ; und es wird doch wahrlich niemanden
— 214 —
einfallen, aus orographischen Gründen die obere Keupergrenze in
Schwaben anders ziehen zu wollen, als über dem steileren Abhang,
den der Pihätkeuper bildet.
Dass im nördlichen Schwaben Lettenschichten und lokal auch
ein Bonebed sich häufig zwischen die als Glaukonitkalk entwickelten
TrigonodusSchichten und den Hauptmuschelkalk einschieben und
die Abgrenzung erschweren, soll nicht geleugnet w^erden. Ander-
seits treten Schieferthone mit Estherien, wie aus dem Profil Künzelsau
der Begleitworte zu den Atlasblättern Mergentheim etc. (S. 17, Eber-
hard Fraas) hervorgeht, bereits im Semi23artitus-Wiyea.u auf und fehlen
an der Grenze gegen die Trigonodus-lßa.nk. Es würde also eine
heillose Verwirrung entstehen, wenn man diese Mergelbänke, die
augenscheinlich kein konstantes Niveau einhalten, zur Abgrenzung
von Lettenkohle und Muschelkalk benützen würde.
Was mich ausser faunistischen und praktischen Gründen be-
sonders bestimmt, die Trigonodus-Schichten noch zum Muschelkalke
zu rechnen, ist folgende Erwägung: Die obersten Schichten dieses
Horizontes sind durch ganz Württemberg faunistisch und öfters auch
petrographisch sehr gleichartig entwickelt, ich zweifle also nicht, dass
ihre obere Grenze überall dasselbe Niveau innehält. Hingegen ist
ihre Mächtigkeit eine äusserst ungleichmässige, sie schwillt am oberen
Neckar bis zu 30 m an und reduziert sich bei Neidenfels an der
fränkischen Grenze auf 0,20 m. Diese Verhältnisse lassen vermuten,
dass die untere Grenze des Trigonodus-Dolomits in sehr verschie-
denen Niveaus verläuft, d. h. dass am oberen Neckar die Semipartüus-
Zone und vielleicht auch ein Teil der Nodosus-Ka\ke in der Facies
massiger dolomitischer Kalke oder Dolomite entwickelt sein mag.
Gestützt wird meine Anschauung durch die Beobachtung von Eber-
hard Fraas (Atlasblatt Mergentheim etc. S. 19), dass in der Tauber-
gegend, wo die Trigonodus-J)o\om\te wieder zu erheblicher Mächtig-
keit anschwellen, der Semipartitus-Uonzont fehlt.
Ich glaube daher, dass es den praktischen Bedürfnissen des
Feldgeologen am besten entspricht, wenn man die Grenze von Muschel-
kalk und Lettenkohle über dem Trigonodns-Bolomit zieht und dass
man aus faunistischen Gründen nichts gegen diese Abgrenzung ein-
wenden kann.
Die Grenze von Lettenkohle und Muschelkalk in den Alpen.
Ich bin ursprünglich an die Untersuchung der Schwieberdinger
Fauna in der Erwartung gegangen, dass die in ihr enthaltenen „al-
- 215 —
pinen Formen" mir erlauben würden, den Schwieberdinger Horizont
in bestimmte Beziehungen zu einem Formationsgliede der alpinen
Trias zu setzen. In diesen Erwartungen bin ich, wie ich oben aus-
geführt habe, enttäuscht worden. Trotzdem sind die Nachforschungen,
die ich in dieser Richtung anstellte, für mich nicht gänzlich erfolglos
gewesen ; denn sie haben mir erlaubt, mir ein Urteil über eine Frage
zu bilden, die zu den anziehendsten in der gesamten Geologie ge-
hört, nämlich über die Parallelisierung der alpinen und ausseralpinen,
d. h. deutschen, Triassedimente.
Die Frage , wo die untere Keupergrenze in der alpinen Trias
zu ziehen sei, oder, etwas anders ausgedrückt, welche Formations-
glieder der deutschen Trias als Äquivalente der Cassianer und der
Raibler und CarditaSchichten aufzufassen seien, ist seit über dreissig
Jahren eifrig diskutiert worden.
Ich muss von einer Besprechung der älteren Literatur, die über
diesen Punkt existiert, absehen, und will mich auf die beiden jüngst
erschienenen Schriften von Benecke (Lettenkohle und Lunzer Schichten,
Ber. d. naturf. Ges. zu Freiburg i. B. X. 2) und Bittner (Über die
stratigraphische Stellung des Lunzer Sandsteins in der Triasformation,
Jahrb. d. k. k. geol. Reichsanst. 1897. XXXXVII. 3) beschränken,
die fast ausschliesslich diesem Gegenstande gewidmet sind. Die von
Benecke vertretene Ansicht ist kurz zusammengefasst folgende: Die
Fauna des Muschelkalks überdauert die Lettenkohlenperiode und tritt
im Grenzdolomit der Lettenkohle noch einmal mit allen ihren charak-
teristischen Eigentümlichkeiten auf. Die faunistische Grenze zwischen
Muschelkalk und Keuper verläuft also oberhalb des Grenzdolomits.
Mit dieser Grenzlinie, nicht mit der unteren Grenze der Lettenkohle,
ist die untere Keupergrenze in den Alpen zu vergleichen, die von
einigen Forschern, hauptsächlich Bittner, zwischen der mittleren,
kalkarmen (Lunz-Raibler) Gruppe und der unteren Kalkgruppe (Wetter-
stein-Esinokalk etc.) angenommen wird. Die Flora der Lettenkohle
hingegen ist eine Keuperflora im allgemeinen, und die Lunzer ist
ebenso mit der des Schilfsandsteins wie mit ihr in Beziehung zu setzen.
Für die Auffassung von Benecke spricht mit Entschiedenheit
das von Weiss (Z. d. d. g. G. 1877. S. 257) und anderen beobachtete
Gesetz, dass im allgemeinen die Floren der Faunen voraneilen, dass
z. B. die Zechsteinfiora bereits mesozoischen, die Rhätflora bereits basi-
schen Habitus besitzt. Tritt also eine Keuperflora schon unterhalb
der Keupergrenze auf, so beweist sie danach eigentlich nichts anderes,
als dass die Keupergrenze richtig gezogen ist. Auch muss ich ge-
— 216 —
stehen , dass es meinem persönlichen Empfinden besser entspricht,
die Lettenkohle zum Muschelkalk statt zum Keuper zu stellen. Eine
andere Frage ist, ob die untere Keupergrenze , wenn man sich auf
den rein faunistischen Standpunkt stellt, dann bereits unmittelbar
über dem Grenzdolomit zu ziehen ist. Hierin muss ich von Benecke's
Anschauung entschieden 'abweichen. Ich glaube nicht, dass die Fauna
des Gypskeupers neu eingewanderte Elemente enthält, sondern möchte
annehmen, dass sie sich aus den letzten Vertretern der aussterbenden
Muschelkalkfauna zusammensetzt. Wohlbekannte Muschelkalkformen,
wie Myophoria laevigata, vulgaris, elegans und Goldfussii steigen
in den Gypskeuper hinauf, was E. E. ScHMm (Jahrb. d. k. preuss.
Landesanst. 1883. S. 291) nachgewiesen hat. Cyclas Keuperina,
die Benecke mit Myoplioriopis Bostliorni Boue sp. vergleicht, ist
nach meiner Auffassung zu dem in den Alpen nicht vertretenen
Genus Fseuäocorhula zu rechnen , und kommt bereits im Muschel-
kalk vor. Von den Gastropoden scheint, wie Blanckenhorn (Trias
am Nordrande der Eifel, Abhandl. z. geol. Specialk. v. Preussen.
VI. 2. S. 107) nachweist, besonders die im Muschelkalk verbreitete
Gruppe der Amauropsis (Natica) gregaria v. Schloth. sp. vertreten
zu sein. Die Arten von Anoplophora und Pleuromya, die im Gyps-
keuper noch vorzukommen scheinen, sind wenig charakteristisch,
dürften aber am leichtesten auf Arten der Lettenkohle zurückzuführen
sein. Endlich Myophoria Kefersteini Mstr. = BaihJiana Boue sp.
Es ist eine Thatsache, dass eine Myophoria, die mit der Myoph.
Kefersteini aus den Raibler Schichten ident oder äusserst nahe ver-
wandt ist, im Gypskeuper vorkommt; hätte ich daran früher ge-
zweifelt, so hätten mich die Abgüsse der v. SANDBERGER'schen Originale
davon überzeugen müssen, die Herr Prof. Benecke mit gewohnter
Liebenswürdigkeit mir übersandte. Ganz unbedingt wäre das Vor-
kommen von 3Iyoph. Kefersteini Mstr. von ausschlaggebender Be-
deutung, wenn nicht in der Lettenkohle in Myoph. transversa Strückm.
eine sehr nahe verwandte Form existierte, die E. E. Schmid (1. c.
S. 291) sogar mit ihr identifizieren will. Ich muss gestehen, dass
ich, bei den engen Beziehungen zwischen 3Iyoph. transversa Struckm.
zu 31yoph. Kefersteini Mstr. aus dem Gypskeuper, ebenfalls zu der
Ansicht neige, dass die letztere aus der in der Lettenkohle häufigen
Art hervorgegangen, bezw. dass sie nur eine Varietät derselben sei;
jedenfalls scheint mir eine Notwendigkeit, eine Einwanderung aus
dem alpinen Meere in diesem Falle anzunehmen, durchaus nicht vor-
zuliegen. Ich glaube daher, dass man durch faunistische Gründe
— 217 —
nicht dazu geführt werden kann, den Gypskeuper mit den Raibler
Schichten in Parallele zu stellen, dass im Gypskeuper keine alpinen
Arten einwanderten, sondern dass in ihm die alte Muschelkalkfauna
allmählich erlosch.
Ich bin daher der Ansicht, dass mit der Verschiebung der un-
teren Keupergrenze , wie sie Benecke vorschlägt , für den Vergleich
alpiner und germanischer Triassedimente nicht viel gewonnen ist.
Erstens, weil die faunistische Grenze des Muschelkalks noch höher
zu liegen scheint als sie von Benecke angenommen wird, und zweitens,
weil es wohl behauptet, aber keineswegs bewiesen ist, dass die untere
Keupergrenze in den Alpen mit der Grenze der unteren Kalkmasse
(Esinokalk-Schlerndolomit) gegen die Raibler oder CarditaSchichien
zusammenfällt. Bei diesem Punkte angelangt, jnüssen wir uns den
Anschauungen von Bittner zuwenden, die am schärfsten in folgenden
Worten seiner letzten Arbeit ausgesprochen sind.
„Und da diese natürliche Fünfteilung der alpinen Trias den
heute noch allgemein angenommenen, ebenfalls natürlichen fünf Haupt-
gruppen der deutschen Trias aufs beste entspricht, so glaubte und
glaube ich hinreichenden Grund zu haben zur Annahme, dass diese
Übereinstimmung keine zufällige, sondern ebenfalls eine in natürlichen
Verhältnissen begründete sei Da sich nun die natürliche mittlere,
kalkarme Gruppe der alpinen Trias , die Lunz-Raibler Gruppe , mit
der ebenso natürlichen mittleren Gruppe der deutschen Trias, der
Lettenkohlengruppe, auf dem Wege dieses Vergleiches zu decken
scheint, somit die schon von Stur behauptete und mit Gründen be-
legte Anschauung von der Äquivalenz der Lunzer Sandsteine mit der
Lettenkohle auch auf diesem Wege als zunächstliegend zu Tage tritt,
habe ich darin einen wesentlichen Stützpunkt für deren Richtigkeit
zu erkennen geglaubt und — ganz so wie Stur — daraus sofort
auf den Muschelkalkcharakter sämtlicher in den Alpen darunter
liegenden ohnehin aufs engste miteinander verknüpften Ablagerungen
der unteren Kalkgruppe geschlossen." (Jahrb. d. k. k. geol. Reichs-
anst. 1897. XXXXVII. 3. S. 431.)
Zuerst ein Wort über die Fünfteilung der alpinen und ausser-
alpinen Trias. Die Fünfteilung der alpinen Trias, wie sie Bittner
nach vorwiegend lithologischen Gesichtspunkten vorgenommen hat
(wie die Bezeichnungen untere, mittlere, obere kalkarme, untere und
obere Kalkgruppe besagen) , besitzt den Vorzug grosser Einfachheit
und passt sich im allgemeinen den natürlichen Verhältnissen gut an.
Jedenfalls kann mit diesen Bezeichnungen der mit alpinen Verhält-
— 218 —
nissen nicht vertraute Geologe einen gewissen Begriff verbinden, was
ich bei den älteren und jüngeren Namen, mit denen uns v. Mojsisovics
überschüttet hat, für ausgeschlossen halte. Die Fälle, in denen z. B.
die untere Kalkgruppe überwiegend aus kalkarmen Gesteinen, die
mittlere und obere kalkarme Gruppe aus Kalken und Dolomiten be-
steht, dürfen immerhin als Ausnahmefälle gelten und werden der
Verbreitung der BiTXNER'schen Einteilungsweise nicht im Wege stehen.
Nach eben diesen lithologischen Momenten kann man aber in
der deutschen Trias nur drei Stufen unterscheiden, Buntsandstein,
Muschelkalk und Keuper. Den Gegensatz der alpinen und ausser-
alpinen Trias in lithologischer Beziehung und die Beziehungen der
deutschen Triasglieder zu einander hat wohl Süess am schärfsten mit
den Worten charakterisiert: „Die klastischen und sublitoralen, lacustren
und salinaren Ablagerungen treten in der deutschen Trias weit mehr
hervor, und in ihrer triadischen Anordnung, Buntsandstein, Muschel-
kalk und Keuper, stellt sich diese Entwickelungsform als das Beispiel
eines Cyklus mit der Linse von Kalkstein in seiner Mitte dar."
Die Abgliederung des Rhät in der deutschen Trias erfolgte
aus rein faunistischen , nicht aus lithologischen Gründen. Hätte
man in den Mergeln und Sandsteinen der obersten Keuperschichten
nicht eine besondere, mit der des offenen Weltmeeres wieder über-
einstimmende Fauna aufgefunden, ich glaube, es wäre niemandem
eingefallen, hier eine besondere Stufe abzugliedern. Die faunistische
und floristische Unselbständigkeit der Lettenkohle ist von Benecke
u. a. bereits hervorgehoben worden, in lithologischer Beziehung bietet
sie ebenfalls kaum etwas Eigenartiges. Die Bonebeds und Estherien-
bänke kommen im Muschelkalk bereits vor, letztere wiederholen sich
bekanntlich auch im Gypskeuper, der Lettenkohlensandstein ist manch-
mal im Handstück vom Schilfsandstein nicht zu unterscheiden und
der Grenzdolomit steht Muschelkalkgesteinen (mittlerer Muschelkalk)
lithologisch sehr nahe. Aber selbst wenn die Lettenkohle ein litho-
logisch, floristisch und faunistisch vollständig selbständiges Gebilde
wäre, könnte man sie stratigraphisch nicht den grossen Formations-
gliedern, wie Muschelkalk und Buntsandstein, gleichstellen, sondern
nur Unterabteilungen derselben, etwa mittlerem Muschelkalk etc.
Gesetzt nun den Fall, es existierten wirklich in der deutschen wie
in der alpinen Trias fünf ungefähr gleichwertige lithologische Gruppen,
so müsste, wenn „diese natürliche Fünfteilung der alpinen Trias den
heute noch allgemein angenommenen, ebenfalls natürlichen fünf Haupt-
gruppen der deutschen Trias aufs beste entspricht", die Reihenfolge
— 219 —
der Gruppen in der deutschen Trias dieselbe sein wie in der alpinen,
d. h. es musste hier wie dort ein Alternieren kalkreicher und kalk-
armer Gruppen stattfinden. Thatsächlich folgt auf die untere kalk-
arme Gruppe auch in der deutschen Trias eine untere Kalkgruppe
(Buntsandstein und Muschelkalk). Die Lettenkohle im Gegensatz
zum Muschelkalk als mittlere kalkarme Gruppe zu bezeichnen, kann
Bedenken erregen, mag aber noch hingehen. Darüber sollte nach
Bittner's Schema eine obere Kalkgruppe kommen, es folgt aber der
bekanntlich sehr kalkarme Keuper. Die obere kalkarme Gruppe, das
Rhät, ist in manchen Gegenden Deutschlands gegenüber dem Keuper
noch als kalkreich zu bezeichnen. In der oberen deutschen Trias
stimmt also Bittner's der alpinen Trias entnommene Fünfteihmg nicht
mehr. Die, nach lithologischen Momenten gezogene Grenze zwischen
III und IV, zwischen Lunzer Schichten und Opponitzer Kalk, besagt,
dass auf kalkärmere Sedimente wieder kalkige folgen. Die Grenze
zwischen Lettenkeuper und Gypskeuper aber besagt, dass hier ver-
hältnismässig kalkarme Schichten von noch viel kalkärmeren über-
lagert werden. Wie diese beiden Grenzlinien, nur nach der Gesteins-
beschaffenheit, miteinander identifiziert werden können, ist mir un-
verständlich. Wenn der Inhalt und die Grenze von III und IV in
der alpinen und in der deutschen Trias einen so grundverschiedenen
Charakter besitzen, so wird es mir Bittner nicht verübeln, wenn ich
mich gegen die Grenze von II und III, die vielumstrittene untere
Keupergrenze, etwas skeptisch verhalte. Nach dem eben Besprochenen
kann ich die Notwendigkeit nicht einsehen, mit der die Grenze von
Muschelkalk und Lettenkohle (die, wie erwähnt , bei den deutschen
Geologen recht verschieden gezogen wird) mit der lithologischen
Grenze der unteren Kalkgruppe gegen die mittlere kalkarme Gruppe
in den Alpen zusammenfallen muss. Weswegen soll gerade hier,
während das in anderen Triasschichten nicht der Fall ist, .die Ände-
rung der Sedimentation im gleichen Sinne und gleichzeitig im Welt-
meer und im germanischen Becken erfolgen. Sehen wir doch, dass
Ereignisse, die die germanische See in der fühlbarsten Weise treffen,
wie die Bildung von Gyps- und Steinsalzlagern und ä(ie zeitweilige
Unterbrechung fast allen organischen Lebens zur Zeit des mittleren
Muschelkalks , sich im alpinen Meere , wo sie sich zwischen den
Brachiopodenschichten des Muschelkalks und den Buchensteiner
Kalken bemerkbar machen mussten, in keiner Weise verfolgen lassen.
Mir scheint aus allen diesen Punkten hervorzugehen, dass die
germanische und alpine Trias , vom unteren Muschelkalk an , litho-
— 220 —
logisch inkommensurabel sind; was aber für einen Vergleich ihrer
Sedimente noch mehr ins Gewicht fällt, ist, dass sie vom unteren
Muschelkalk an auch faunistisch inkommensurabel werden. Der alpine
Muschelkalk im älteren Sinne, d. h. bis zur TrinodosiisStuie inklusive,
steht, wie schon oft hervorgehoben, dem deutschen unteren Muschel-
kalk sehr nahe. Dass im Muschelkalk von Recoaro die meisten Formen
mit Arten des deutschen Wellenkalkes ident sind, ist längst bekannt;
aber auch die Fauna des übrigen alpinen Muschelkalkes steht der
deutschen Wellenkalkfauna nahe genug. Ich wähle zum Vergleich
den lombardischen alpinen Muschelkalk , weil dessen Fossilien vor
kurzer Zeit durch Tommasi (La Fauna del calcare conchigliare [Muschel-
kalk] di Lombardia. Pavia 1894) einer erneuten Bearbeitung unter-
zogen worden sind. Wir finden da, um nur einiges herauszugreifen,
Terebratula vulgaris, Lima lineata und striata, Hinnites comptus,
Peden discites und laevigatus, Macrodon Beyrichi, Myophoria vul-
garis, Goldfiissi elegans, AnopJopliora omisculoides, Lucina Schmidt,
Thracia mactroides, Natica Gaillardoti und gregaria u. a. m.
Von 86 Arten des lombardischen Muschelkalks finden sich nach
Tommasi 38 im deutschen Muschelkalke wieder! Speciell ein Teil
der Cephalopoden des alpinen Muschelkalkes taucht, wenn auch nur
in wenigen und seltenen Arten, im deutschen unteren Muschel-
kalk auf. Vertreter der Gruppe des Ceratites hinodosus und trino-
dosus und der Gattungen Äcrochordiceras und Ptychites sind in
Deutschland nachgewiesen worden. Man darf behaupten, dass zur
Zeit des unteren Muschelkalkes die Fauna des alpinen Meeres, wenn
sie auch viel reicher war, mit der des deutschen Triasmeeres in
wesentlichen Punkten Übereinstimmung zeigte. Das ändert sich aber
in der darauffolgenden Periode, der ladinischen Stufe Bittner's, der
alten norischen Stufe v. Mojsisovics'. Die Muschelkalkfauna wird
allmählich aus dem alpinen Meere verdrängt, am raschesten weichen
die Cephalopoden, am zähesten scheinen sich die Brachiopoden und
Bivalven gehalten zu haben. Diese letzteren besitzen im Marmolata-
kalk und vielleicht auch im Esinokalk noch vorwiegend Muschel-
kalkhabitus, wiewohl ihre Arten meist nicht mehr mit Muschelkalk-
arten identifiziert werden können. In den Cassianer Schichten treten
hingegen zahlreiche neue Formenkreise auf, gegen die die wenigen
Gruppen, die freilich mit abgeänderten Arten aus dem Muschelkalk
persistierten, vollständig zurücktraten. Thatsächlich konnte bisher
auch nicht eine einzige Zweischalerart des deutschen Muschelkalks
in der überaus reichen Fauna von St. Cassian nachgewiesen werden.
— 221 —
Die nahen Beziehungen der Raibler Fauna zur Cassianer sind be-
kannt; wenn aber Bittner auf Grund dieser anerkannten That-
sache behauptet: „Wir haben auch über den Lunzer Schichten eine
Muschelkalkfauna" (1. c S. 444), so ist das unrichtig, denn die
Cassianer Schichten beherbergen, wie gesagt, eben keine Muschel-
kalkfauna. Dass die Cassianer Fauna über den Lunzer Schichten
noch einmal auftritt, ist ein sehr interessantes und bemerkenswertes
Faktum, das aber in keinerlei Zusammenhang steht mit der That-
sache, dass die Muschelkalkfauna in der deutschen Trias bis zum
Grenzdolomit und noch über ihn hinaus persistiert.
Während nach Ablagerung der Recoaro-Stufe im alpinen Meere
die Fauna sich mehr oder weniger rasch veränderte, lebte im deut-
schen Muschelkalkmeere nach einer kurzen Unterbrechung zur Zeit
des mittleren Muschelkalks die Fauna des unteren Muschelkalks in
ihren wesentlichsten Bestandteilen fort. Eine direkte Einwande-
rung aus dem alpinen Meere scheint nicht stattzufinden, wenigstens
stimmen die in das Meer des oberen deutschen Muschelkalks ein-
wandernden Formen fast ausnahmslos nicht specifisch mit alpinen
überein, wenn sie auch alpinen Gattungen angehören. Dies scheint
zu beweisen, dass sie entweder einen sehr weiten Weg von ihrer
alpinen Heimat bis zum deutschen Muschelkalkmeere zurücklegten
oder dass sie aus einem dritten Meere stammten, das dem alpinen
und dem germanischen Meere zwar gleiche Gattungen, aber nicht
idente Arten lieferte. Jedenfalls sind diese Einwanderer zur genauen
Parallelisierung alpiner und ausseralpiner Horizonte nicht geeignet.
Die alpine und die germanische Triasfauna schlagen nach der Zeit
des unteren Muschelkalks ganz andere Entwickelungsrichtungen ein
und sind nicht mehr direkt miteinander vergleichbar. Dies zeigt
deutlich die verhältnismässig reiche Fauna von Schwieberdingen, die
vage Beziehungen zur Marmolata-, Cassianer und Raibler Fauna zu-
gleich zeigt. Unter diesen Verhältnissen ist der von Tornqüist ge-
machte Fund von Ceratites nodosus bei Recoaro von besonderer
Bedeutung, da er darauf hindeutet, dass die Grenze von Lettenkohle
und Muschelkalk in den Alpen nicht allzu hoch über den Buchen-
steiner Schichten und wahrscheinlich noch innerhalb der unteren
Kalkmasse Bittner's verlaufen mag.
Da für einen Vergleich dieser alpinen und ausseralpinen Sedi-
mente die tierischen Versteinerungen fast völlig versagen , so hat
man versucht, durch eine Vergleichung der pflanzlichen Fossilien zum
Ziele zu kommen. Ganz besonders Stur war es, der in den Pflanzen
— 222 —
der Lunzer Schichten Äquivalente der deutschen Lettenkohlenflora
erblickte, und Bittner schloss sich ihm aufs engste an. An Stür's
Ansichten ist gar nicht zu zweifeln, wenn man die Sätze liest, die
er in einer seiner letzten Publikationen (Die obertriadische Flora der
Lunzer Schichten und des bituminösen Schiefers von Raibl, Sitzungsber.
d. k. Akad. d. Wiss. 1885. IIL Bd. S. 7) diesem Gegenstande widmet:
„Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dass diese Flora der
Lunzer Schichten in den nordöstlichen Alpen vollkommen ident und
gleichwertig ist, mit jener Flora vorerst, die Heer in seiner Urwelt
der Schweiz (1865. p. 47) , ferner in seiner Flora fossilis Helvetiae
(1877. 2. Abt.) von der „Neuen Welt" an der Birs bei Basel aus-
führlich beschrieben hat," und wenige Zeilen weiter: „Ferner unter-
liegt es keinem Zweifel, dass die Flora der Lettenkohle in der Um-
gegend von Stuttgart, wie Haidinger schon vor vielen Jahren erkannt
hatte, ident ist mit der Flora unserer Lunzer Schichten." Trotz
dieser so bestimmt ausgesprochenen Ansicht eines so sorgfältigen
Arbeiters wie Stur halte ich die Frage der Altersgleichheit oder
Verschiedenheit für Lettenkohle und Lunzer Schichten noch nicht
für definitiv gelöst. Stur giebt in seiner eben angeführten Publi-
kation ein Verzeichnis der Lunzer Pflanzen, in dem er 17 Gattungen
mit 58 Arten citiert. Unter diesen 58 Arten der Lunzer Schichten
sind 45 von Stur neu benannt. Die neueste Übersicht der Letten-
kohlenflora hat Benecke (1. c. S. 21) zusammengestellt. Ein Ver-
gleich derselben mit Stür's Verzeichnis ergiebt folgendes Resultat:
Von den 17 Gattungen der Lunzer Schichten werden nur sechs aus
der Lettenkohle citiert, von den 58 Arten aber im ganzen nur vier:
Danaeopsis marantacea Presl sp. , Equisetnm arenacenm Jag. sp.,
Pterophylhtm longifolinm Jag. und brevipenne Kurr. Dagegen haben,
nach den SiuR'schen und BENECKE''schen Verzeichnissen, die Lunzer
Schichten und der Schilfsandstein ebenfalls vier Arten gemein-
schaftlich , nämlich : Eqiiisetum arenaceum Jag. sp. , Clathropteris
reticulata Kurr, Pterophyllum brevipenne Kurr und FteroplujUmn
longifolium Jag. So sieht also an der Hand der neuesten Fossillisten
die weitgehende Übereinstimmung zwischen Lettenkohle und Lunzer
Schichten aus!
Aus diesen Daten scheint mir mit Sicherheit hervorzugehen,
dass die Flora der Lunzer Schichten wie die der Lettenkohle und
des Schilfsandsteins einer gründlichen Revision unterzogen werden
muss, ehe man über die näheren Beziehungen dieser Floren zu ein-
ander auch nur ein Wort verlieren kann. Dies ist auch die An-
— 223 —
schauung eines durchaus unparteiischen Beurteilers, des Herrn
Dr. PoTONiE in Berhn, der mir auf mein Befragen in der liebens-
würdigsten Weise Auskunft gab.
Meine Anschauung über die Beziehungen zwischen alpiner und
germanischer Trias ist ungefähr folgende, wenn ich das vorher Ge-
sagte kurz zusammenfassen darf. Den fünf natürlichen, lithologischen
Gruppen der alpinen Trias stehen die drei alten lithologischen Gruppen
der deutschen Trias gegenüber. Von den Grenzlinien, die, wohl-
verstanden nach lithologischen Gesichtspunkten, gezogen werden
können, ist nur die Buntsandstein-Muschelkalkgrenze für alpine und
germanische Trias gemeinschaftlich durchzuziehen. Dass die Grenzen,
die in der oberen Trias in den Alpen wie in Deutschland nach
lithologischen Momenten abgesteckt wurden, auch nur in einem Falle
miteinander übereinstimmen , ist unwahrscheinlich , zum mindesten
unbewiesen. Auch die Faunen geben keine genügenden Anhalts-
punkte für einen Vergleich der alpinen und germanischen oberen
Trias; denn sie haben sich, von der Zeit des unteren Muschelkalks
an, in ganz verschiedener Weise entwickelt, ohne sich gegenseitig
direkt zu beeinflussen oder Formen direkt auszutauschen. Eine
Ausnahme scheint bis heute nur Ceratites noäosns zu machen. Ob
so nahe Beziehungen zwischen den Floren der Lettenkohle und der
Lunzer Schichten bestehen , dass man mit Stür und Bittner ein
gleiches Alter dieser Ablagerungen annehmen kann, bedarf noch des
Beweises; die bisherigen Daten er lauben j edenfalls einen
so weitgehenden Schluss nicht.
Ich stehe in der Frage der Parallelisierung alpiner und ausser-
alpiner Sedimente auf dem Standpunkt, den Benecke vor dreissig
Jahren einnahm, als er in seiner bekannten Schrift „Über einige
Muschelkalk-Ablagerungen der Alpen" (Geogn.-pal. Beitr. IL S. 62)
sagte: „Unter allen zwischen alpinen und ausseralpinen Triasbildungen
gezogenen Parallelen hat keine eine gleiche Anerkennung gefunden,
als die von Oppel und Süess zuerst ausgesprochene Gleichstellung
der Kössener Schichten und der obersten Keuperschichten Schwabens.
Mit Recht bezeichnet man auch das Jahr 1856 als ein epoche-
machendes in der Geschichte der Alpen-Geologie. Seitdem sind
mancherlei weitere Versuche gemacht worden, auch die tiefer liegen-
den Schichten in Übereinstimmung zu setzen, ohne dass man jedoch
viel weiter gekommen wäre, als die drei ausseralpinen Glieder der
Trias im grossen und ganzen wiederzuerkennen. Auch dies gilt
eigentlich nur von dem bunten Sandstein und dem Muschelkalk,
— 224 —
denn der alpine Keuper trägt in sich selbst nur wenig Kennzeichen,
welche an ausseralpine Bildungen gleichen Namens erinnern."
In den dreissig Jahren, die verflossen sind, seitdem Benecke
diese Worte niederschrieb, hat sich unsere Kenntnis, speciell der
alpinen Triasfaunen, ganz ausserordentlich erweitert. Aber gerade
durch die neuen und eigenartigen Gestalten, die die alpine Trias in
reicher Fülle geliefert hat, ist die Kluft zwischen ihr und der ger-
manischen Trias nicht überbrückt, sondern im Gegenteil vertieft
worden. So lange man für einen Vergleich alpiner und ausseralpiner
Keuperschichten nicht mehr Anhaltspunkte besitzt, als heute , muss
man sich begnügen, in den Alpen „die drei ausseralpinen Glieder
der Trias im grossen und ganzen wiederzuerkennen" und ist es vor-
läufig, wie vor dreissig Jahren, nicht möglich, „auch Unterabteilungen
des Keupers der beiderseitigen Gebiete schärfer miteinander in Ver-
gleich zu ziehen."
Erklärung zu Tafel lY— IX.
Tafel IV.
Fig. 1. Hoernesia socialis v. Schloth. sp., von der linken Seite. S. 155.
„la. „ „„„ „ von der Oberseite.
„Ib. „ „ „ „ „ von der rechten Seite.
„2. „ „ „ „ „ Schloss der linken Klappe. Vorderer
Kardinalzahn senkrecht zur Längsrichtung der Ligamenttläche. Innere
Stütze der Schlossplatte und Bucht davor deutlich.
, 3 u. 4. Hoernesia socialis v. Schlote, sp. , Schloss der linken Klappe, die
beiden Kardinalzähne annähernd parallel. S. 155.
„ 5. Hoernesia socialis v. Schloth. sp., Schloss der linken Klappe, der hintere
Kardinalzahn in „Cucnllaeenartige" Reihenzälmclien aufgelöst. S. 155.
„ 6. Gervillia Goldfussi v. Strome, sp. , flaches Exemplar, von der linken
Seite. S. 156.
„ 6a. Gervillia Goldfussi v. Strome, sp., von der Oberseite.
j,6b. „ „ »n » '^'on der rechten Seite.
j, 7. „ „ „ „ „ geblähtes Exemplar, von der linken
Seite, vergrössert. S. 156.
„ 7 a. Gervillia Goldfussi v. Strome, sp., von der Oberseite.
„8. „ suhcostata Gf. sp., linke Klappe. S. 158.
„9. , Fraasi n. sp., von der linken Seite, vergrössert. S. 157.
„9 a. „ „ „ „ von der Oberseite, vergrössert.
„9 b. „ „ „ „ von der rechten Seite, vergrössert.
„ 10. „ alata n. sp., von der linken Seite, vergrössert. S. 157.
„10 a. „ „ „ „ linke Klappe von innen, vergrössert.
Die Originale der Fig. 1—5 und 7 befinden sich in der Tübinger Uni-
versitätssammlung, die der Fig. 6, 8—10 im K. Naturalienkabinett in Stuttgart.
— 225 —
Tafel V.
Fig. 1. Modiola cf. triquetra v. Seeb., von der linken Seite, vergrössert. S. 158.
,, 1 a. „ „ „ » j) '^OD der Hinterseite.
„ 2. „ w?/oconcÄfflf/ö?-»iis n. sp., von der rechten Seite, vergrössert. S. 159.
,, 2 a. „ „ von der Hinterseite.
„ 3. Myoconcha laevis n. sp., linke Klappe, Aussenseite. S. 162,
„ 3 a. „ ,, „ „ linke Klappe, Innenseite.
., 4. „ gastrochaena Gieb. sp., von der rechten Seite. S. 163.
,, 4 a. „ ., .. ., von der Oberseite.
,, 5. Pseudocorhula Sandbergeri n. g., n. sp., von der linken Seite, vergrössert.
S. 171.
,, 5 a. Pseudocorhula Sandbergeri n. g., n. sp., von der Oberseite.
„ ob. „ „ „ „ „ „ von der Vorderseite.
„6. ,, ,, ,, „ „ „ var. ^rje^aroiVZes von der linken
Seite, vergrössert. S. 173.
,, 6a. Pseudocorbula Sandbergeri n. g., n. sp., von der Oberseite.
„ 6 b. „ „ „ „ „ „ von der Vorderseite.
„ 7. „ „ „ ,, „ „ Schloss der linken Klappe, ver-
grössert. S. 170.
., 8. Pseudocorbula Sandbergeri n. g. , n. sp. , Schloss der rechten Klappe,
Vorderansicht, vergrössert. S. 170.
„ 8 a. Pseudocorbula Sandbergeri n. g. , n. sp. , Schloss der rechten Klappe,
Seitenansicht.
„ 9. Unicardium Schmidii Gein. sp., von der linken Seite. S. 175.
„ 9 a. „ „ „ ,, von der Oberseite.
,, 9 b. ,, ,, ., „ Innenseite.
Die Originale der Fig. 1 — 3 und 8 befinden sich in der Tübinger Uni-
versitätssammlung, die der Fig. 4, 5, 7, 9 im K. Naturalienkabinett in Stuttgart;
von Fig. 6 in der Sammlung des Herrn Dr. Beck in Stuttgart.
Tafel VI.
Fig. 1. Mgoplioria laevigata v. Alb. sp. , Typus, von der linken Seite. S. 165.
„ la. „ „ „ „ „ Typus, von der Oberseite.
,, 2. ,, „ „ ,, „ var. elongata, linke Klappe. S. 166.
3. ,, „ „ „ ,, var. elargata , linke Klappe. S. ,166.
4. „ „ „ „ „ var. rotunda, linke Klappe. S. 166.
5. „ „ „ „ „ var. ocalis, rechte Klappe, vergrössert.
S. 166.
„ 6. Myoplioria laevigata v. Alb. sp. , Schloss der linken Klappe, mit sehr
schmaler Hauptzahngrube. S. 167.
,, 7. Myoplwria laevigata v. Alb. sp. , Schloss der linken Klappe , mit sehr
breiter Hauptzahngrube. S. 167.
,, 8. Myoplwria vulgaris v. Schlote, sp. , von der linken Seite, vergrössert.
S. 167.
„ 8 a. Myoplwria vulgaris v. Schloth. sp., von der Oberseite.
., 9. ,, elegans Dünk., linke Klappe, vergrössert. S. 168.
„ 10. „ Goldfussii v. Alb. sp. , linke Klappe , vergrössert. S. 168.
„ 10 a. „ ,, ,, ,, „ von der Oberseite.
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 15
5)
— 226 —
Fig. 11. Trigonodus praeco ii. sp., von der linken Seite, vergrüssert. S. 163.
„ IIa. „ „ „ „ von der Oberseite.
„ 12. Tancredia Beneckei n. sp., von der linken Seite, vergrössert. S. 173.
„ 12 a. „ ., „ ,, von der Oberseite.
Die Originale der Fig. 1 — 7 und 10 befinden sich in der Tübinger Uni-
versitätssammlung, die der Fig. 8, 9, 11 und 12 im K. Naturalienkabinett in
Stuttgart.
Tafel VII.
Fig. 1. Leda BecTci n. sp., von der linken Seite, vergrüssert. S. 176.
,, la. ,, ,, „ „ von der Oberseite.
,, 2. Komomya KoJceni n. sp., von der linken Seite. S. 179.
„ 2 a. „ „ ,, ,, von der Oberseite.
,, 3. Pleuromya n. sp., von der rechten Seite. S. 179.
„ 3 a. „ „ „ von der Oberseite.
„ 4. „ Eclci n. sp., von der rechten Seite. S. 178.
„ 4 a. „ „ „ „ von der Oberseite.
„ 4 b. „ „ „ „ von der Vorderseite.
„ 5. Anoplopliora lettica Qüenst. sp., von der rechten Seite. S. 175.
„ 5 a. „ „ ,, „ von der Oberseite.
„ 6. Macrodon Beyrichi v. Strome, sp., rechte Klappe. S. 177.
„ 7. Nuciila Goldfussü v. Alb., von der linken Seite. S. 176.
„ 7 a. ,, ,, ,, ,, von der Oberseite.
„ 8. Ästarte triasina F. Eöm., von der linken Seite. S. 161.
,, 8 a. „ ,, „ von der Oberseite.
„ 9. Thracia mactroides v. Schloth. sp., von der rechten Seite. S. 177.
„ 9 a. „ „ „ ,, ,, von der Oberseite.
„ 10. Blacimopsis ostracina v. Schloth. sp. , rechte Klappe, Aussenseite ver-
grössert. S. 150.
„ 10a. Placimopsis ostracina v. Schloth. sp., rechte Klappe, Innenseite.
Die Originale der Fig. 1, 3, 6, 8, 9 befinden sich in der Tübinger Uni-
versitätssammlung, der Fig. 2, 4, 5, 7, 10 im K. Naturalienkabinett in Stuttgart.
Tafel VIII.
Fig. 1. Tretospira sulcaia v. Alb. sp., vergrüssert. S. 181.
„ 2. „ striata Quenst. sp. , vergrüssert. Original zu Quenstedt,
Gastropoden. t. 200 f. 27 a. S. 181.
„ 3. Loxonema Johannis Böhmi n. sp., Mündungsseite. S. 185.
,j 3 a. „ „ „ „ ,, Rückenseite.
„ 4. „ Schlotheimü Qüenst. sp. S. 182.
„ 5. „ sp. S. 186.
„ 6. ,, (Heterocosmia) Hehlii v. Ziet. sp., S. 186.
,, 7. Katosira solitaria n. sp., Mündungsscite, vergrössert. S. 187.
„ 7 a. „ „ „ „ Rückenseite, vergrössert.
„ 8. Undularia scalata v. Schloth. sp. S. 189.
„ 9. Enstylus Alhertii n. sp., Mündungsseite. S. 190.
., 9 a, ,, ,, ,, ,, Rückenseite.
„ 10. Protonerita spirata v. Schloth. sp., Mündungsseite. S. 192.
— 227 -
Fig. 10a. Protonerita spirata v. Schlote, sp., Oberseite. S. 192.
„ 11. „ „ ,, „ „ aus Schaumkalk von Niederschlesien)
Mündungsseite. S. 192.
„ IIa. Protonerita spirata v. Schlote, sp., Oberseite.
„ 12. ,, „ ,, ,, ,, Original des Neritites S2yiratus
V. ScELOTBEiM, Petrefaktenkunde S. 110, aus Schaumkalk der Arensburg
in der Hainleite. S. 192.
„ 13. Protonerita spirata v. Schlote, sp., Steinkern, Oberseite. S. 192.
,, 14. ,, ,, „ ,, ,, Naturpräparat, zeigt die Resorption
der inneren Windungen. S. 192.
„ 15. Protonerita spirata v. Schlote, sp., mit Farbenstreifen. S. 192.
Die Originale der Fig. 2, 5, 6, 10, 13, 14, 15 befinden sich in der Tübinger
Universitätssammlung, die der Fig. 1, 3, 4, 7, 8, 9 im K. Naturalienkabinett in
Stuttgart, 11 und 12 in der palaeontologischen Sammlung des Museums für Natur-
kunde in Berlin.
Tafel IX.
Fig. 1. Protonerita coarctata Qüenst. sp., Mündungsseite. S. 193.
„ la. „ „ ,, „ Rückenseite.
„ Ib. „ „ „ ,, Oberseite.
„ 2. Neritaria Bimkeri v. Schaur. sp. , Mündungsseite, vergrössert. S. 193.
„ 2 a. „ „ „ „ „ Rückenseite.
„ 2 b. „ „ „ „ „ Oberseite.
„ 3. Holo(jijra EyericM Nötl. sp., Mündungsseite, vergrössert. S. 194.
„ 3 a. ,, „ „ „ Rückenseite.
„ 3 b. „ „ „ „ Oberseite.
„ 4. Amauropsis gregaria v. Schlote, sp., Jugendform = Ampullaria pullula
QuENST., Mündungsseite, vergrössert. S. 195.
,, 4a. Amauropsis gregaria v. Schlote, sp., Rückenseite.
„ 4 b. „ „ „ „ „ Oberseite.
„ 5. Platycliilina germanica n. sp., Mündungsseite, vergrössert. S. 194.
„ 5 a. „ „ „ ,, Rückenseite.
„ 5 b. „ „ „ „ Oberseite.
,, 6. Nautilus (Temnocheilus) suevicus n. sp., von der Seite. S. 196.
„ 6 a. „ „ „ „ „ vom Rücken.
„ 6 b. „ „ „ „ „ Querschnitt.
„ 7. Ceratites nodosus de Haan var. densinodosus 0. Fraas , von der Seite.
S. 197.
„ 7 a. Ceratites nodosus de Haan var. densinodosus 0. Fraas , vom Rücken.
„ 8. Modiola Albertiana n. sp., von der rechten Seite, vergrössert, „Cannstatter
Kreidemergel ". S. 208.
,, 8 a. Modiola Albertiana n. sp., von der Hinterseite.
„ 9. Modiola cannstattiensis n. sp., von der rechten Seite, vergrössert, „Cann-
statter Kreidemergel".
„ 9 a. Modiola cannstattiensis n. sp., von der Hinterseite.
Die Originale der Fig. 1, 3, 4 befinden sich in der Tübinger Universitäts-
sammlung, die der Fig. 5, 6, 7, 8, 9 im K. Naturalienkabinett in Stuttgart, 2 in
der Sammlung des Herrn Dr. Beck in Stuttgart.
15*
Synopsis der deutsehen Blindwanzen (Hemiptera
heteroptera, Farn. Capsidae).
Von Dr. Theodor Hüeber, Oberstabsarzt in Ulm.
III. Teil.
Div. Bryocoraria*.
Leib klein, glänzend. Scheitel hinten leicht ausgerandet. Kopf-
schild stark vorragend. Augen an ihrer Innenseite nicht ausgerandet,
völlig parallel, das Pronotumende nicht berührend. Fühler nahe dem
Augenende, innseits, eingefügt. Pronotum vorne schmal aber deutlich
eingeschnürt, am Grunde wie abgestutzt, an den Hinterecken zu-
gespitzt. An den Halbdecken ist die Cubitalader über die Mitte hinaus
tief eingedrückt, weiterhin abgebrochen. Die Flügelzelle ist ohne
Haken. Die hinteren Hüften stehen von den Epipleuren ab. Hinter-
schenkel weder verdickt noch verlängert. Schienen abgestutzt. Das
letzte Tarsalglied verdickt. Diese Tiere leben auf Farnkräutern.
Reuter.
A. Schnabel dick, fast bis zum Ende der Mittelbrust reichend, sein
erstes Glied beinahe kürzer als der Kopf. Pronotum stark in
die Breite gehend, dicht punktiert. Hinterbrust glänzend. Leib
kurz eiförmig, fast kahl. Gattung 1, Monalocoris Dahlb.
AA. Schnabel dick, nicht über die Mitte der Mittelbrust reichend.
Pronotum länglich-trapezoidal, mit dunkler Einschnürung an der
Spitze. Hinterbrust glanzlos. Leib sparsam und fein behaart.
Gattung 2, Bryocoris Fall, (nach Reütek).
Monalocoris Dahlbom.
Eiförmig, glänzend, punktiert, scheinbar kahl, jedoch mit spär-
lichen anliegenden gelben Härchen besetzt. Kopf stark abschüssig.
* Nach Reuter. Ecvis. critic. Capsinar. praec. Scand. et Fenn. 1875. I.
p. 84 und II. p. 79.
— 229 —
in die Quere gezogen, zwischen den Augen 3— 4 mal so breit wie
ein Augendurchmesser. Fühler etwas länger als der halbe Leib. Der
dicke Schnabel überragt kaum die Mittelhüften. Pronotum (Vorder-
rücken) breiter als lang (1,5 : 1), trapezförmig, gewölbt, dicht punktiert,
nach vorne verengt und mit einem schmalen glatten Qiierstreifen
versehen; der Vorderrand deutlich, wenn auch nur schmal, abgeschnürt,
Seiten und Grund leicht abgerundet. Ansatz des Schildchens vom
hinteren Pronotumrand überragt. Mittelbrust kurz, nach hinten aus-
gebuchtet. Hinterbrust gewölbt, mit höckerigen Luftlöchern. Halb-
decken ausgebildet, wenn auch etwas kurz, seitlich abgerundet, gleich
dem äusseren Piande des Cuneus (Keil), welcher vom Corium durch
einen tiefen Einschnitt abgesetzt ist. Membran mit nur einer Zelle.
Beine schlank, massig lang. Nicht dimorph. — Die Nymphe breit
eiförmig.
18 (414) filicis LiNNE.
Cimex filicis abdomine membranaceo depresso, elytroruni api-
eibus capite pedibusque lividis, corpore nigro. Linne.
P. filicis piceus nitidus: capite, pedibus elytrorumque margine
pallidis. Fallen.
Eiförmig, heller oder dunkler pechbraun (d. h. gelblichbraun
bis schwarz) , glänzend , fein gelbbraun behaart. Der gelbrötliche
Kopf an der Spitze schwarz, Scheitel vom Hals durch eine rundliche
Furche geschieden, die schwarzen Augen kugelig vorspringend. Das
gelbliche Grundglied der Fühler etwa von Kopfeslänge, ihr zweites
Glied 272 mal ^^ ^Siwg als das erste, hell, mit dunkler Spitze, ihr
drittes Glied länger als das vierte, letztere beide dunkel und ziemhch
behaart. Pronotum (mit Ausnahme seiner blassen Hinterecken) schwarz,
gewölbt, glänzend und tief punktiert ; vorne quer eingedrückt, hinten
aufgeworfen, an den Seiten gerade, am Grunde abgerundet; Schildchen
dreieckig. Die dunkeln Halbdecken punktiert, fein behaart mit blass-
gelblichem Seitenrande. Membran rauchbraun. Beine blassgelb, fein
behaart; Hinterschenkel mit dunklem Fleck. Länge 2 — 2^4 mm.
Nach WoLFF ist die junge Larve grün, je älter sie wird, desto
bräuner wird ihre Farbe. Die noch junge Wanze hat eine braungelbe
Farbe, die mit dem Alter immer dunkler wird, so dass am Ende das
ganze Tier ausser den Füssen und Fühlhörnern schwarz ist.
Cimex filicis Linne, Syst. Nat. Ed. X, 1758, 443, 16. — Faun.
Suec. 1761, 247, 919. — Houttuin, Nat. Hist. 1765, I, X, 342, 16.
— P. Müller, Linn. Nat. 1774, V, 483, 20.
— 230 —
Acantliia filicis Wolff, Icon. Cimic. 1801, II, 46, 43, fig. 43.
Lygaens filicis Fallen, Monogr. Cim. Suec. 1807, 92, 74.
Fliytocoris filicis Fallen, Hemipt. Suec. 1829, 108, 61. —
Hahn, Wanz. Ins. 1834, II, 86, fig. 172.
Capsus filicis Herrich-Sciiäffer, Nom. entom. 1835, p. 51. —
Meyer, Schweiz. Rhynchot. 1843, p. 71, 43. — F. Sahlberg, Monogr.
Geoc. Fenn. 1848, 113, 50. — Kirschbaum, Rhynchot. Wiesbadens,
1855, 70, 76. — Flor, Rhynchot. Livlands, 1860, I, p. 539, 39. —
Thomson, Opusc. entom. 1871, 433, 55.
Bryocoris filicis Kolenati, Melet. entom. 1845, II, 129, 115.
Monalocoris filicis Dahlbom , Anmärk. öfver Ins. in Vet. Ak.
Handl. 1851, 209 ut typus. — Fieber, Criter. z. gener. Theilg. d.
Phytocor. 1859, 12. — Europ. Hemipt. 1861, 238. — Douglas and
Scott, Brit. Hemipt. 1865, 279, 1 and pL X, fig. 2. — Reuter, Rev.
crit. Caps. 1875, 79, 1. — Rev. synon. 1888, 284, 256. — Saunders,
Synops. of. Brit. Hemipt. Het. 1875, 278, 1. — Snellen van Vollen-
hoven, Hemipt. Neerland. 1878, 146. — Püton, Cat. 1886, p. 46, 1.
— Atkinson, Cat. of Caps. 1889, p. 40. — Saunders, Hemipt. Het.
of the Brit. Islands, 1892, p. 229.
Bayern: In Wäldern auf Farnkraut (Polypodium felix, mas.
et fem. Linne), im Sommer in hiesiger (Nürnberger) Gegend gar
nicht selten. Hahn. — Bei Bamberg in Wäldern auf Farnkräutern.
Funk. — Württemberg. Roser. — Bei Beuron 7. 97 gefunden.
Hüeber. — ■ Elsass-Lothringen : Sur les fougeres des Vosges , de la
foret de Vendenheim, de Saint-Avold. Commun. Reiber-Püton. —
Nassau : M W bei Wiesbaden, hin und wieder, z. B. am gewachsenen
Stein, in Menge auf Fteris aquilina L. , nur einmal auf Äsplenium
filix fem. Bernh. gefunden; 6 — 9. Kirschbaum. — Westfalen: Im
Hochsommer und Herbst an schattigen Lokalitäten auf Pteris nicht
selten. Westhoff. — Schleswig-Holstein : In Laubwäldern auf Farn-
kräutern nicht selten. Wüstnei. — Mecklenburg: In Wäldern auf
Farnkräutern vom Juni bis Ende August sehr zahlreich. Raddatz.
— Thüringen : Bei Gotha überall nicht selten. Kellner-Breddin. —
Schlesien: Gewöhnlich in Gemeinschaft mit C. Ptcridis Fall, auf
Aspidiuni filix fem., weniger, wie es scheint, auf Aspid. filix mas.
Meist in hügelichen Gegenden und im Gebirge; von Mitte Mai bis
Anfang August. Schultz; — in der Ebene und im Gebirge, auf
Aspid, filix fem., im Juli und August ziemlich häufig. Assmann. —
Provinz Preussen. Brischke.
— 231 —
Diese kleine Wanze lebt auf dem männlichen und weiblichen
Farnkraut {Polypodium filix mas. et folminä Linne) in Europa. Sie
ist kaum so gross als ein Floh. Wolff.
Auf Poli/podium ßlix mas., Pteris aquilina und anderen blühen-
den Farnen im August, September in Wäldern und Hainen. Wohl
durch ganz Europa. Fieber.
Habitat in Pteridi aquilina, Polysticho et Asplenio sat frequens.
Europa tota. Reuter,
[Schweiz: Eine sehr weit verbreitete, obschon nicht überall
vorkommende Art; erscheint schon vor Mitte Mai bis gegen Ende
August gesellschaftlich auf Farnkraut {Polypoäium felix Linne) an
lichten Waldabhängen. Meyer. — In Wäldern und an Waldsäumen
auf blühenden Farnkräutern von Anfang Mai bis im Oktober wohl
über die ganze waldige Schweiz verbreitet, von der Ebene bis zu
4000' s. M. Stellenweise gesellschaftlich. Frey-Gessner. — Grau-
bünden : Auf Farnkräutern am Bergabhang von Cavorgia bei Sedrun
gefunden. Killias. — Tirol : Auf Farnen bis fast zur subalpinen
Region , Sommer. Auf der Stamser Alpe u. s. w. Gredler. —
Steiermark: Auf Polypodium , Pteris u. s. w. häufig. Eberstaller.
— Nieder- Osterreich: Bei Gresten auf Farnen häufig. Schleicher.
— Böhmen: In schattigen Wäldern auf verschiedenen Farnkräutern,
namentlich Aspidium filix mas. und Pteris aquilina, überall nicht
selten; 7—9. Duda. — Livland : Auf Äspid. filix häufig, im Juni,
Juli, September. Flor.]
Bryocoris Fallen.
In beiden Geschlechtern dimorph und dabei einander äusserlich
sehr unähnlich: die geflügelten, sehr seltenen Tiere gestreckt, mehr
eiförmig ; die ungeflügelten (bezw. mit gekürzten Decken versehenen)
Individuen mehr birnförmig, ohne Keil und ohne Glashaut. — Leib
sehr fein behaart. — Der kurze dreieckige , hinten gewölbte Kopf
fällt nach vorne fast senkrecht ab, ist also stark geneigt und zwischen
den Augen zweimal so breit als lang. Der vorne glatte und gewölbte
Scheitel ist nach hinten zu aufgebogen ; das gewölbte Kopfschild
durch eine Vertiefung von der Stirne getrennt. — Der Schnabel ist
kurz und dick, seine Spitze ragt nur wenig über das erste Hüften-
paar hinaus. — Die Fühler sind beim S etwas länger, beim $ etwas
kürzer als der Körper; ihr erstes Glied ist Vl^xndX so lang als der
Kopf, das zweite zweimal so lang wie das erste und sich nach der
Spitze zu langsam verdickend, das dritte und vierte Glied ist faden-
— 232 —
förmig, ersteres länger als das vierte, beide zusammen länger als
das zweite. — Das Pronotum ist länglich trapezoidal, und zwar bei
der entwickelten (geflügelten) Form breit, und nach den geraden
Seiten zu gewölbt, vorne gerade, mit deuthcher Einschnürung; in
seiner Mitte zwei Schwielen ; bei den ungeflttgelten (brachypteren)
Tieren ist das Pronotum weniger geneigt, weniger gewölbt und nach
vorne zu auch weniger verschmälert. — Die Halbdecken (Hemielytren)
sind entweder vollständig entwickelt (bei beiden Geschlechtern), die
Spitze des Hinterleibs überragend, glatt, durchscheinend, ziemlich
parallelseitig und mit sehr grossem Keil (Cuneus), aber nur einer
Grundzelle versehen, oder — bei der häufigeren, unentwickelten Form
— gewölbt, verkürzt, einen Teil des Hinterleibs unbedeckt lassend,
fein und deutlich punktiert, ohne Keil und ohne Membran. Die Beine
sind lang und dünn.
19 (415) x)teridis Fallen.
Bryocoris Pteridis corpore nigro ovato : ano albo ; elytris pallidis
Fallen.
Niger, antennis pronoto scutello elytris pedibus anoque pallidis.
Long. Vs'"- Bukmeister.
Dunkelglänzend, fein gelblich behaart; After gelblich; ebenso
die 1. Hälfte der Fühler, d. h. das 1. und ^3 des 2. Gliedes; Beine
lang, schlank, hell, mit fein gelblich behaarten Schienen und schwarzem
letzten Fussglied.
Die makroptere (geflügelte) Form ist schmal; das vorne ver-
tiefte Pronotum runzelig punktiert. Innerer Augenrand hell. Die
durchscheinenden langen gelbbraunen Decken zeigen fein punktierten
dunklen Clavus, dunkeln Keilrand und dunkeln Fleck am Ende des
Coriums; die hellbraune Membran hat einen, oft auch zwei glashelle
Flecken. Das bei dieser Form stärker gewölbte und stark geneigte
Pronotum ist nach vorne zu sehr verschmälert, abgeschnürt und
dunkel. Länge 3 — 4 mm.
Bei der brachypteren Form sind die gewölbten sehr fein punk-
tierten Decken kürzer als der Leib, ohne Clavus, Cuneus und Mem-
bran, und nach der Spitze zu verbreitert und abgerundet ; ihre Farbe
ist schmutzig hellgelb, und zwar bei den $ meist einfarbig, bei den
S mit dunklem Clavus, dunklem Aussenfleck und ebensolchem mitt-
leren Längsstreif. Das Pronotum ist hier weniger gewölbt, weniger
geneigt, nach vorne kaum verschmälert, und zeigt einen dunkeln,
glatten, etwas wulstigen Querstreif hinter seinem Vorderrand; das
- 233 —
Schildchen ist hier nicht so dunkel wie bei der langfiügeligen Form.
Länge 2 — 3 mm.
Capsus Pteridis Fallen, Monogr. Cimic. Suec. 1807, 105, 20.
— Germar in Ahrens Faun. Ins. Europ. 1813, fasc. X, tab. 13. —
Meyer, Schweiz. Rhynchot. 1843, 114, 109. — Flor, Rhynchot. Liv-
lands, 1860, I, 540, 40. — Thomson, Opusc. entom. IV, 434, 56.
Halticus Pteridis Bürmeister, Handb. d. Entom. 1835, IL 278, 6.
Bnjocoris Pteridis Fallen, Hemipt. Suec. 1829, 152, 1. —
Zetterstedt, Ins. Lappon. 1840, 266, 1. — F. Sahlberg, Monogr.
Geoc. Fenn. 1848, 124, 2. — Kolenati, Melet. entom. 1857, II, 129,
116. — Fieber, Europ. Hemipt. 1861, 238. — Douglas and Scott,
Brit. Hemipt. 1865, 277, 1 and plate X, fig. 1 und 1*. — Saunders,
Synops. of Brit. Hemipt. Het. 1875, 278, 1. — Reuter, Rev. crit.
Caps. 1875, 80, 1. — Püton, Cat. 1886, 46, 1. — Atkinson, Cat.
of Caps. 1889, 4L — Saunders, Hemipt. Het. of the Brit. Islands,
1892, 228.
Bayern : Bei Bamberg auf den Adlerfarnen im Hauptsmoore.
Funk. — Württemberg : Bei Ulm, im Wiblinger Staatswald, Spätsommer ;
ein langflügeliges Exemplar auf der Böfinger Halde, 8. 7. 93. Hüeber.
— Baden : Bei Fahrnau, im September, gefunden von Hartmann. —
Elsass-Lothringen : Sur les fougeres des forets vosgiennes. Pas rare,
mais toujours brachyptere. — Supplement : Un ex. macroptere. 7. Foret
de Remiremont (F.). Reiber-Puton. — Westfalen: Ein weibliches
Stück, 7. 10. 77, bei Wolbeck im Tiergarten gekätschert von West-
hoff. — Schleswig-Holstein : Wie M. ßlicis L. auf Farnen und stellen-
weise nicht selten. Wüstnel — Mecklenburg: Von Anfang Juni bis
Ende September auf Farnkräutern in Wäldern sehr häufig; solche
Männchen, welche vollkommen ausgebildete Flugorgane haben, fand
ich nur in geringer Anzahl. Raddatz. — Thüringen : Bei Gotha
überall nicht selten. Kellner-Breddin. — Schlesien : Sehr häufig auf
Asindium filix fem. Scholtz. — In hügelichen Gegenden und in den
Vorbergen auf Aspid. filix fem., im Juli und August, ziemlich häufig.
Assmann.
Auf Pteris aquilina in Wäldern, durch ganz Europa. Fieber.
Habitat in Pteride aquilina, Polysticho et Asplenio minus fre-
quens. Europa praecipue borealis. Reuter.
[Schweiz : Bis jetzt nur in der nördlichen Schweiz in hohen
Bergwäldern aufgefunden. Meyer. — Auf Pteris aquilina in höher
— 234 —
gelegenen Wäldern oft zahlreich, im August und Oktober, bis nahezu
3000' s. M. Frey-Gessner. — Graubünden: Auf Adlerfarnen, bei
Sedrun gefunden. Killias. — Tirol : In Nord-Tirol und um Bozen
in höhern Waldungen einigemal beobachtet; auf Ft. aqnllina. —
Bei Vils. Gredler. — Steiermark : Auf Pt. aqinlina in Waldständen.
Eberstaller. — Nieder-Österreich : Bei Gresten auf Farnen in Wäl-
dern. Schleicher. — Böhmen : In Wäldern auf Farnkräutern , be-
sonders Pt. aquilina^ ziemlich selten ; ich habe diese Art aus Pisek
(makroptere Form) und Teplitz (brachypter) ; auch bei Eger, 7. Duda.
— Livland : Sehr zahlreich auf Farnkräutern in schattigen Gebüschen,
von Juni bis Ende September; geflügelte und ungeflügelte. Flor.]
Div. Capsaria*.
Kopf senkrecht oder geneigt, nur äusserst selten gerade vor-
gestreckt, die Zügel (Lorae) nicht abgeschieden, der Scheitel nur
selten mit Längsfurche (in welchem Falle dann das erste Fussglied
niemals länger als das zweite ist) ; die Augen weichen an ihrem
Innenrand gegen die Spitze zu auseinander, und sind häufig aus-
gebuchtet; der Schnabel läuft gegen sein Ende allmählich spitz zu;
der Vorderrücken (Pronotum) ist durch eine ringförmige Einschnürung
an der Spitze scharf gezeichnet, seine Seiten sind meist abgestumpft
und nur sehr selten gegen die Spitze zu gerandet (in welchem Falle
der Kopf senkrecht steht oder das erste Fussglied nicht länger als
das zweite ist) ; die Halbdecken der geflügelten (makropteren) Form
zeigen einen wohlausgebildeten Keil (Cuneus) und eine Membran mit
zwei Zellen; die Flügelzelle ist ohne Haken (^= klauenartiges Ende
der Nebenader) ; der Fortsatz (Xyphus) der Vorderbrust ist ausgehöhlt
oder eben und an seinen Seiten meist gerandet; die Hinterhüften
stehen von den Epipleuren der Halbdecken massig weit ab; an den
Füssen ist das dritte Glied nicht verdickt; die Klauen zeigen freie,
grosse, auseinanderstehende Haftläppchen; der Geschlechtsabschnitt
(Genitalsegment) des Männchens ist unten gewölbt, sein Endlappen
zugespitzt, nach oben gebogen und dort geöffnet, sowie links in eine
mehr oder weniger tiefe Bucht ausgezogen. Reuter**.
Anm. Bei dieser Division ist der mit Scheitellängsfurche ver-
* Von hier ab hält sich meine kompilatorische Bearbeitung an den kürzlich
erschienenen 5. Band von 0. M. Eeuter's Hemiptera Gymnocerata Europae, Helsing-
fors 189(5. — Die Keihenfolge ist (s. Vorrede) umgekehrt, bezw, absteigend. H.
** 0. M. Reuter, Hern. Gj'mn. Eur. V. tom., 1896, p. 5, (Aus dem Latein
übertragen.) H.
- 235 —
sehene Kopf niemals vorgestreckt und dabei gleichzeitig das erste
Fussglied lang; hierdurch unterscheiden sich die Capsaria von den
Miraria; von den Myrmecoraria unterscheiden sie sich dadurch, dass
die Halbdecken der makropteren Form einen Keileinschnitt und eine
zweizeilige Membran aufweisen; von den Bryocoraria unterscheiden
sie sich durch die zweizelHge Membran und durch die an ihrer Spitze
nicht erweiterten Fussglieder; von den Pilophoraria dadurch, dass
am Kopf kein Zügel (Lora, unterer Wangenteil) abgesondert ist, dass
die Flügelzelle keinen Haken hat und dass die hinteren Hüften von
den Epipleuren der Halbdecken nur wenig abstehen; von den Myrm-e-
cophyaria, Hypseloecaria , Laboparia, Cremnorrhinaria etc. dadurch,
dass das Pronotum vorne abgeschnürt ist; von den Dicypharia und
Cyllocoraria durch die grossen, an ihrem Ende blattartig erweiterten
und auseinandergespreitzten Haftläppchen der Klauen. Reuter.
Übersicht der Gattungen der Division Capsaria nach Reuter
(Hemipt. Gymn. Europ. V. tom. p. 347 — 356).
1. (36.) Leib auf der Oberseite (mit Ausnahme des Kopfes) einschliess-
lich der Halbdecken [bei der Gattung Stethocomis letztere nur
schwach] getüpfelt oder fein punktiert, am Schildchen jedoch
meist nur schwach ; auch das Pronotum ist nur äusserst selten
weitläufig punktiert, in welch letzterem Falle Clavus nebst Corion
gegen ihren Ansatz hin ziemlich kräftig punktiert und der Cuneus
kürzer ist als an seinem Grunde breit. Scheitel meist gerandet.
Leib bisweilen mit dichtem, polsterartigem Gitterwerk (Haarflaum)
überdeckt, nach dessen Entfernung sich jedoch eine deutliche
Punktierung zeigt; Pronotum manchmal dicht und tief gefurcht.
2. (3.) Membran mit flaumartigen liegenden Härchen bedeckt. Halb-
decken des Weibchens oft stark gekürzt, ohne Membran. Kopf
kurz, hinter den vorspringenden Augen eingeschnürt. Pronotum
stark vertieft punktiert, mit queren, ineinanderfliessenden, glänzen-
den niederen Schwielen, deren Ränder scharf eingegraben. Schild-
chen mit einem mehr oder weniger deutlichen Längskiel versehen.
An den hinteren Füssen ist das erste Glied erheblich länger als
das zweite. Leib lang behaart. Bothynotus Fieb.
3. (2.) Membran glatt, unbehaart.
4. (5.) Schildchen zeigt sich als schmaler, hoher, hinten gekrümmter
Kamm. Kopf kurz, hinter den Augen eingeschnürt. Pronotum
stark vertieft punktiert, mit nur wenigen zerstreuten Schwielen,
an seiner Spitze zu einer grossen halsförmigen Einschnürung ver-
engt. An den Hinterfüssen ist das erste Glied deutlich länger
als das zweite. Halbdecken dünn, seitlich erweitert. Leib lang
behaart. Stethocomis Fieb.*
* In Deutschland bis jetzt noch nicht gefunden!? H.
— 236 —
5. (4.) Schildchen nicht zu einem hohen Kamm erhoben, jedoch oft
mehr oder weniger gewölbt.
6. (7.) An den Hinterfüssen ist das erste Glied so lang wie die zwei
letzten zusammengenommen. An den Fühlern sind die letzten
Glieder nur kurz. Scheitel gerandet. Leib oben vertieft punktiert,
nebst Fühlern und Beinen zart behaart. AUoeotomus Fieb.
7. (6.) An den Hinterfüssen (Tarsen) ist das erste Glied deutlich,
meist sogar um viel kürzer als die beiden letzten zusammen.
8. (9.) [Leib oben mit einem dichten, bräunlich schimmernden Polster
überzogen. Pronotum dicht vertieft querreihig punktiert oder
gefurcht, ziemlich wagerecht. Scheitel breit, beim Männchen deut-
lich gerandet. Kopf, von der Seite gesehen, kürzer als hoch,
mit ineinanderfliessender Stirn und Kopfschild , sowie hohen
Wangen, von oben gesehen ungefähr ^/^ — ^/^ schmäler als das
Pronotum. Halbdecken des Weibchens verkürzt. Farbe schwarz.
Die von F. Sahlbeeg auf den Inseln Bering und Sitka ge-
fundene Gattung Irhisia Reut.]
9. (8.) Pronotum getüpfelt oder fein punktiert, selten tief quergerunzelt
und in diesem Falle von grüner Farbe.
10. (19.) Scheitel nur an den Seiten fein oder undeutlich gerandet, oft
ganz ungerandet. Leib niemals einfarbig grün.
11. (12.) Kopf dick, deutlich breiter als der Grundteil des Pronotum.
Wangen hoch. Augen nach vorne stark auseinanderweichend,
ihr innerer Rand ziemlich gerade. Pronotum am Grunde ab-
gestutzt, seine Winkel abgerundet. An den Hinterfüssen ist das
erste Glied nur wenig länger als das zweite. Capsus Fabr.
12. (11.) Kopf etwa ums Doppelte oder noch mehr schmäler als das Pronotum.
13. (14.) [Kopfschild kaum vorspringend. Kopf senkrecht, etwa zwei-
mal schmäler als der Ansatz des Pronotum , von vorne gesehen
kaum kürzer als samt den Augen breit. Scheitel abgeflacht,
schmal. Das erste Fühlerglied überragt die Spitze des Kopf-
schilds nur wenig, die beiden letzten sind zusammengenommen
länger als das zweite. Pronotum stark vertieft punktiert. An
den Füssen sind zwei Glieder dem jeweils ersten an Länge ziem-
lich gleich.
Die nur in Griechenland lebende Gattung SaundersieUa Reut.]
14. (13). Kopfschild (Clypeus) mehr oder weniger vorspringend. Kopf
geneigt und meist schmäler als der Grundteil des Pronotum.
15. (18.) Pronotum stark vertieft punktiert. Halbdecken kräftig punk-
tiert. An den Hinterfüssen ist (mit Ausnahme von CaniptohrocMs
punctulatits) der untere Rand des ersten Gliedes meist deutlich
länger als jener des zweiten. An den Fühlern sind die beiden
letzten Glieder zusammengenommen meist kürzer als das zweite.
16. (17.) Das erste Fühlerglied überragt erheblich die Spitze des Kopf-
schilds. Letzteres selbst springt stark vor. Das Pronotum ist
am Grunde fast dreimal breiter als an der Spitze. Die Augen
sind wenig ausgebildet. Die Klauen sind an ihrem Grunde meist
gezähnt. Deraeocoris Stal.
— 237 —
17. (16.) Das erste Fühlerglied überragt die Spitze des Kopfschildes
nicht oder doch nur wenig. Kopf kurz und in die Quere ge-
zogen. An der Membran ist die Brachialader stark gebogen,
Camptobrochis Fieb.
18. (15.) Pronotum sparsam und ziemlich schwach punktiert. Halb-
decken fein getüpfelt. An den Hinterfüssen ist der untere Rand
des zweiten Gliedes ebenso lang wie jener des ersten. Die zwei
letzten Fühlerglieder sind zusammen länger als das zweite.
Liocoris Fieb.
19. (10.) Scheitel hinten vollständig gerandet, der gekielte Rand bis-
weilen in seiner Mitte etwas niedriger, äusserst selten findet sich
auf den Seiten nur eine zarte vertiefte Querlinie, in welch letz-
terem Falle der Leib einfarbig grün ist.
20. (25.) Leib oben wie unten mit einem dichten Polster von zarten,
leicht abreissbaren, goldenen, erzfarbenen, silbernen oder weissen
Härchen bedeckt.
21. (22.) Leib hoch gewölbt, auf der Oberseite kräftig vertieft punk-
tiert. Kehle kurz. Pronotum mit starker Einschnürung an seiner
Spitze. Öffnungen der Hinterbrust (Metastethium) deutlich sicht-
bar. Die zwei ersten Glieder der Hintertarsen gleich lang.
Qiaragochilus Fieb.
22. (21.) Pronotum und Halbdecken ziemlich fein punktiert. Kehle
massig lang. Pronotum mit ziemlich feiner Einschnürung an der
Spitze. Die Öffnungen der Hinterbrust bilden einen zarten Spalt
und sind kaum wahrnehmbar. Das zweite Glied der Hintertarsen
ist deutlich länger als das erste.
23. (24.) Kopfschild weniger vorspringend. Pronotum vollständig
schwarz , an seinem Grunde wenig mehr als halb so breit wie
lang. Halbdecken des Weibchens ziemlich stark gerundet-erweitert,
auch jene des Männchens an den Seiten geschweift, Keil nicht
oder nur wenig länger als am Grunde breit. Poli/merus Hahn.
24. (23.) Kopfschild ziemlich stark vorspringend. Pronotum wenigstens
mit blassem Saum am Grunde. Halbdecken des Männchens mit
parallel laufenden Seiten und mit einem Keil, der meist deutlich
länger ist als an seinem Grunde breit. Foecüosci/tus Fieb.
25. (20.) Leib wenigstens auf der Unterseite ohne zarte, zerbrechliche
goldene, erzfarbene, silberne oder weisse Härchen, fein flaumhaarig
oder ziemlich kahl.
26. (35.) An den Hinterfüssen ist das zweite Glied mindestens am
unteren Rande wenig oder kaum länger als das erste, das dritte
länger als das zweite , oft ganz erheblich. Die Augen ragen
weniger weit über die Wangen vor.
27. (28.) [Hinterschenkel viel dicker und länger als die übrigen. Kopf
von der Seite gesehen hoch, fast zweimal so viel als lang. Scheitel
gleichmässig gerandet. Wangen , besonders beim Weibchen , er-
höht. Zweites Fühlerglied viel länger als der Kopf breit. Halb-
decken an den Seiten abgerundet. Keil stark geneigt.
— 238 —
Drei nur im südlichen Europa lebende Arten der Gattung
Cyplwdcma Fieb.*]
28. (27.) Hinterschenkel kaum oder nur wenig länger und dicker als
die vorderen. Kopf von der Seite gesehen weniger hoch, min-
destens nicht ganz zweimal so lang als hoch. Keil nur massig
schräg.
29. (30.) [Fühler deutlich am unteren vorderen Augenrand innseits
eingefügt. Kopf wenig mehr als Ys so schmal als das Fronotum
an seinem Grunde, von vorne gesehen kaum quer. Scheitel gleich-
massig gerandet. Fronotum mit dunkler Einschnürung an der
Spitze. Öffnungen der Hinterbrust nicht sichtbar.
Nur eine, in Schweden lebende palaearktische Art der Gattung
Zyijimus Fieb.*J
30. (29.) Fühler so ziemlich oberhalb des vordem Augenendes innseits
eingefügt. Fronotum mit glatter, glänzender, vorderer Einschnü-
rung. Öffnungen der Hinterbrust deutlich.
31. (32.) Fronotum zwischen den Schwielen bis zur vorderen Ein-
schnürung vertieft punktiert. Kopf nur etwa Y.<j schmäler als
das Fronotum an seinem Grunde. Scheitel in der Mitte bedeu-
tend feiner gerandet. Erstes Fühlerglied das Ende des Kopf-
schildes berührend. Keil kaum länger als am Grunde breit.
Camptozijgmn Reut.
32. (31.) Fronotum zwischen den Schwielen vorne glatt und gewölbt.
Scheitel gleichmässig gerandet. Erstes Fühlerglied die Spitze des
Kopfschildes überragend. Keil länglich-dreieckig.
33. (34.) [Kopf von vorne gesehen ziemlich stark in die Quere ge-
zogen, fast doppelt so schmal als das Fronotum an seinem Grunde,
Kehle kaum zu unterscheiden. Fronotum tief punktiert.
Nur in Sibirien ! — Lijgidea Reut.]
34. (33.) Kopf von vorne gesehen fast ebenso lang als breit. Die
deutlich ausgebildete Kehle liegt in der Ebene des Mundes.
Fronotum mit tiefen Runzeln versehen, welche nach vorne in eine
glatte Schwiele zusammenfliessen. Plesiocorls Fieb.
35. (26.) An den Hinterfüssen ist das zweite Glied deutlich länger als
das erste , das dritte gleich lang wie das zweite oder fast noch
kürzer als dieses. Scheitel nicht breit, oft sogar schmal. Augen
ziemlich weit über die Wangen vorragend , im oberen Teil ihres
inneren Randes meist nur wenig auseinanderweichend, dann aber
oft plötzlich mehr oder weniger tief ausgebuchtet. Kehle kaum
angedeutet oder deutlich schief. Öffnungen der Hinterbrust deutlich.
Lygus Fieb. Reut.
36. (1.) Leib auf seiner Oberseite nicht punktiert, glatt, lediglich das
Fronotum bisweilen runzelig, nur selten fein getüpfelt oder punk-
tiert. Halbdecken glatt oder verschwommen gestichelt. Scheitel
* Die neuere Nomenklatur (Reuter's) weicht erheblich von jener des
jüngsten Puton'schen Katalogs der palaearktischen Hemipteren, 3. Aufl., 1886, ab.
H.
— 239 —
ungerandet oder nur um die Augen kurz und verschwommen ge-
randet. Keil meist länger als an seinem Grunde breit.
37. (38.) Scheitel beiderseits gegen die Augen zu kurz, stumpf und
verschwommen gerandet, in seiner Mitte breit ungerandet. Fühler
schlank, ihr erstes Glied überragt die Spitze des Kopfes nicht,
das zweite ist haarfein. An den Hinterfüssen ist das dritte Glied
mindestens ebenso lang als die zwei ersten zusammen.
DicJirooscijtus Fieb.
38. (37.) Scheitel vollständig randlos. Das erste Fühlerglied überragt
meist die Spitze des Kopfes.
39. (88.) Scheitel selten (abgesehen von drei ausländischen Gattungen
nur bei Adelphocoris und Megacoeliim) mit feiner Längsfurche, in
diesem Falle sind die Seiten des Pronotum nicht gerandet oder
ist der Kopf senkrecht oder doch stark geneigt und dabei die
Stirne gegen die Spitze zu meist stark abfallend.
40. (87.) Pronotum ohne eine die Seiten überragende Querfurche ; nur
selten ist diese Furche über die Seiten hin etwas verlängert;
in letzterem Falle (es handelt sich dabei nur um die ausserdeutsche
Gattung Epimecellus und vielleicht noch um die , gleichfalls süd-
liche, bis jetzt noch unbekannte makroptere Form von Gryllocoriä)
ist das zweite Fühlerglied kolbig verdickt.
41. (86.) Wangen vertieft oder gewöhnlich, nur selten hoch; in letz-
terem Falle sind die Seiten des Pronotum vollständig abgestumpft
oder doch nur an der äussersten Spitze, neben der Einschnürung,
gerandet oder der Kopf ist geneigt und erheblich länger als
hinten breit.
42. (85.) Zügel (Lorae) nicht oder nur selten backenartig gewölbt, in
welch letzterem Falle- die Wangen nieder oder doch nicht hoch sind.
43. (80.) Die Hinterschenkel überragen das Leibesende nicht oder nur
äusserst seiten (letzteres nur bei dem südeuropäischen Calocoris
siüphureus und dem in Syrien lebenden Megacoelum pcUucens, deren
erstes Fühlerglied kürzer als das Pronotum ist) , dabei sind sie
dünn und gerade oder leicht cylindrisch, nur an der Spitze ein
wenig verdünnt, aber nicht platt erweitert und gegen das Ende
allmählich ziemlich stark zugespitzt und zusammengedrückt. Erstes
Fühlerglied deutlich kürzer als das Pronotum, äusserst selten (nur
bei dem in Griechenland lebenden Calocoris prmceps, dessen zweites
Fühlerglied an der Spitze kolbig ist und bei dem brachypteren
Weibchen von Ischnoscellcoris) gleich lang wie jenes.
44. (47.) Erstes Glied der Hintertarsen zweimal länger als das zweite.
Schnabel die Hinterhüften überragend.
45. (46.) Erstes Glied der Hinterfüsse (Tarsen) nicht dicker als das
zweite. Leib ziemlich in die Länge gezogen, auf seiner Oberseite
etwas gewölbt. Kopf von der Seite gesehen breiter als der Kopf-
schild hoch, mit vertieften Wangen. Fühler im vordersten Drittel
des inneren Augenrandes eingefügt. Öffnungen der Hinterbrust
nur klein. Stenotus Jak.
46. (45.) Erstes Glied der Hinterfüsse weit dicker als die übrigen.
— 240 —
Leib länglich-eiförmig, ziemlich kräftig. Wangen hoch. Fühler
am vorderen Augenende innseits eingefügt, mit ihrem kräftig ent-
wickelten ersten Glied die Spitze des Kopfschildes nicht oder nur
•wenig überragend ; ihr zweites Glied gegen sein Ende zu allmäh-
lich verdickt. Öffnungen der Hinterbrust gross.
Facliypterna Fibij. *
47. (44.) Erstes Glied der Hinterfüsse kürzer oder ebenso lang wie
das zweite, äusserst selten deutlich länger als dieses, in welchem
Falle der Schnabel die mittleren Hüften nicht oder nur wenig,
die hinteren niemals überragt.
48. (40.) [Membran-Zelle ziemlich gross und an ihrer Spitze breit ab-
gerundet. Keil (wenigstens beim Weibchen) kaum länger als am
Grunde breit. Die zwei ersten Fühlerglieder dick , das zweite
(beim Weibchen) keulenförmig. Vordere Einschnürung des Prono-
tum so dick wie das erste Fühlerglied, an den Seiten schmäler.
Die in Nord-Afrika lebende Gattung Eurijcyrtus Reut.]
49. (48.) Membran (der makropteren Form) mit ziemlich grosser Zelle,
welche vorne einen spitzen oder abgerundeten Winkel zeigt;
äusserst selten (Megacoelum) ist derselbe ziemlich stumpf ab-
gerundet, in welchem Falle die Fühlerglieder fadenförmig sind
und das Pronotum vorne nur zart abgeschnürt ist.
50. (51.) Schnabel die Mitte der Mittelbrust nicht überragend, äusserst
selten (nur bei Br. llneelliis) kaum bis zum vorderen Ende der
• Mittelbrust reichend. Stirne an der Spitze über den Grund des
Kopfschildes aufgebläht vorragend. Kopfschild senkrecht. Die
zwei letzten Fühlerglieder zusammen kürzer als das zweite. Vor-
dere Einschnürung des Pronotum breit. Oberseite des Leibes
behaart. Geschlechtsabschnitt des Männchens abgestutzt, auf
seiner Unterseite behaart. Bracliycoleus Fieb.
51. (50.) Der Schnabel überragt die Mitte der Mittelbrust.
52. (55.) Auf dem Corium findet sich zwischen der Brachial- und der
Cubital-Ader eine deutlich erhabene, mittlere, an ihrem cubitalen
Ende gegabelte Längsader. An den Hinterfüssen ist das erste
Glied nur wenig dicker als das zweite, dabei an seinem Ende tief
ausgeschnitten und sein unterer Rand deutlich länger als jener
des zweiten. Vorderhüften kurz. Schienen mit kurzen zarten
Dornen besetzt. Fühler am oder sogar etwas über dem vorderen
Augenende innseits eingefügt. Seitenrand des Pronotum gegen
die Spitze zu mehr oder weniger zugeschürft.
53. (54.) Leib eiförmig. Kopf von vorne gesehen so lang wie breit.
Kopfschild stark vorspringend, am Grunde von der Stirne ziem-
lich deutlich geschieden. Die vorragenden Augen stossen an das
Pronotum. Der Schnabel überragt die mittleren Hüften nur wenig
und erreicht mit seinem ersten Gliede die Mitte des Fortsatzes
der Vorderbrust. Zweites Fühlerglied nicht oder nur wenig länger
* Die einzit^e Art dieser (Tattuiig lebt im Hochgebirge (Steiermark, Krain,
Frankreich) auf Koniferen, besonders der Zirbelkiefer, und wurde bis jetzt auf
deutschem Boden noch nicht gefunden. H.
— 241 —
als der Grundrand des Pronotum. Pronotum wenigstens ^/^
kürzer als am Grunde breit. Beine ziemlich kurz.
Actinotus Reut.
54. (53.) Leib ziemlich in die Länge gezogen. Kopf von vorne ge-
sehen erheblich länger als breit, Stirne und Kopfschild in einem
breiten Bogen zusammenfliessend. Augen vom Pronotum etwas
abstehend. Der Schnabel erreicht gerade oder kaum die mittleren
Hüften , sein erstes Glied reicht mit Mühe bis zum Kopfgrund.
Zweites Fühlerglied länger als der Grundrand des Pronotum.
Pronotum selbst kaum oder nur wenig kürzer als am Grunde
breit, zeigt im hinteren Winkel zu beiden Seiten einen stumpfen
Eindruck. Pycnopterna Fieb.
55. (52.) Corium nur von einer Brachial- und einer Cubitalader durch-
zogen.
56. (77.) Scheitel ziemlich selten (nur bei den Gattungen Epimecellus,
Ädelphocoris, Megacoelum) mit vertiefter mittlerer Längslinie , in
welchem Falle der Kopf senkrecht steht oder doch stark geneigt
ist, dabei von der Seite gesehen kürzer als an seinem Grunde
hoch, der Kopfschild wenig oder gar nicht vorspringt und mit
der Stirne fast zusammenfliesst oder doch von dieser kaum merk-
lich abgegrenzt ist.
57. (58.) [Halbdecken (der bis jetzt bekannten Formen) bei beiden
Geschlechtern verkürzt, ohne Membran, an der Spitze gegen die
Fuge (Commissura) hin stark schief abgestutzt. Leib länglich-
eiförmig, mit silbernem Flaum bedeckt, auf der Oberseite schwarz
behaart. Kopf stark geneigt, von vorne gesehen erheblich länger
als breit, Stirne und Kopfschild in breitem Bogen zusammen-
fliessend. Wangen hoch. Fühler ziemlich unter dem vorderen
Augenende eingefügt, ihr erstes Glied über die Hälfte kürzer als
der Kopf von vorne gesehen , das zweite Fühlerglied an seiner
Spitze verdickt. Pronotum (der bis jetzt bekannten Formen) be-
deutend länger als an seinem Grunde breit, mit stumpfen, in der
Mitte breit gerundeten Seiten und breiter vorderer Einschnürung,
die jedoch nur an den Seiten deutlich hervortritt; seine Schwielen
sind nicht abgegrenzt.
Nur eine ausserdeutsche (südeuropäische u. s. w.) Art der
Gattung Äphanosoma Costa.]
58. (57.) Halbdecken ausgebildet, nur selten (Gattung Alloeonotiis) beim
Weibchen gekürzt, in welchem Falle eine, wenn auch sehr kurze
Membran vorhanden ist und die Fühler durchgehend schlanke sind.
59. (72.) Pronotum mit breiter vorderer Einschnürung, noch breiter
als der Grund des zweiten Fühlergliedes, selten nur mit diesem
gleich breit, in welch letzterem Falle der von der Seite gesehene
Kopf wenigstens so lang wie hoch ist oder der vorspringende
Kopfschild sich von der Stirne gut abhebt oder die zwei letzten
Fühlerglieder zusammen kürzer sind als das zweite.
60. (63.) Pronotum mit grossen wagerechten Schwielen, die sich von
oben gesehen bis auf die Seitenränder erstrecken ; seine hintere
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 16
— 242 —
Fläche ist gegen die Schwielen zu geneigt. Kopf von vorne ge-
sehen länger als breit. Kopfschild wenig oder kaum vorragend.
Fühler vorne an den Augen, innseits, eingefügt, ihr erstes Glied
ungefähr halb so lang als der von vorne gesehene Kopf.
61. (62.) [Glieder der Hinterfüsse gleich dick, das zweite länger als
das erste, sein unterer Rand frei und ebenso lang wie jener des
ersten, das dritte Glied ungefähr ebenso lang wie die zwei ersten
zusammen. Leib schmal und in die Länge gezogen. Am Kopf
bilden Stirne und Kopfschild einen breiten Bogen, das Kopfschild
selbst springt nur wenig vor und ist an seinem Grunde durch
einen seichten Eindruck von der Stirne geschieden. Zweites
Fühlerglied an seiner Spitze verdickt und zweimal so lang als
das Pronotum am Grunde breit. Seiten des Pronotum vorne,
gegen die Schwielen zu , gerandet , in der Mitte kräftig aus-
gebuchtet.
Nur eine, in Taurien lebende Art der Gattung Epimecellus Reut.]
62. (61.) Erstes Glied der Hinterfüsse nur wenig dicker als das zweite,
an seinem Ende oberseits tief ausgeschnitten , sein Unterrand
erheblich länger als jener des zweiten. Leib länglich- eiförmig.
Am Kopf fällt die Stirne allmählich ab und springt das an seinem
Grunde von der Stirne nur schwach abgeschiedene Kopfschild
leicht vor. Die Seiten des Pronotum sind stumpf.
Homodemus Fieb. Reut.
63. (60.) Schwielen des Pronotum äusserst selten (nur bei Alloeonotus)
bis auf die Seiten ausgedehnt, in welchem Falle das Pronotum
glockenblumenförmig, seitlich gebuchtet und das erste Glied der
Hinterfüsse weit kürzer als das zweite ist. Unterer Rand des
ersten Gliedes der Hinterfüsse selten länger als jener des zweiten,
meist nur so lang oder sogar noch kürzer als jener Rand.
64. (69.) Augen an ihrem Grunde vom Vorderrand des Pronotum deut-
lich mehr oder weniger abstehend. Leib ziemlich oder deutlich
in die Länge gezogen. Zweites Fühlerglied erheblich länger als
der Grundrand des Pronotum. Letzteres selbst meist nur wenig
oder kaum kürzer als an seinem Grunde breit.
65. (66.) [Kopf von der Seite gesehen so lang wie hoch. Kopfschild
stark vorspringend. Wangen hoch. Zweites Fühlerglied gegen
seine Spitze zu kaum oder nur ganz leicht verdickt. Leib schwarz,
mit gelblicher oder rötlicher Zeichnung.
Die hierher zählenden fünf palaearktischen Arten der Gattung
Gri/pocoris Doügl. et Sc. finden sich nur in Spanien , Palästina,
Syrien, Kaukasus.]
6Q. (65.) Kopf von der Seite gesehen länger als hoch. Kehle leicht
schräg oder nahezu wagerecht. Stirne, mit Ausnahme ihrer Spitze,
nahezu wagerecht. Leib länglich.
67. (68.) [Gesichtswinkel spitz. Fühler schlank, ihr erstes Glied ver-
längert, das zweite linear. Pronotum am Grunde abgestutzt oder
gebuchtet, den Grund des Schildchens nicht überdeckend. Wangen
hoch. Unterer Rand des ersten Gliedes der Hinterfüsse kürzer
— 243 —
als jener des zweiten. Äusserer Rand der vorderen Hüftpfannen
vorspringend, von oben her sehr gut zu erkennen.
Zwei in Ungarn, der Walachei und in Sibirien lebende Arten
der Gattung Odontoplati/s Fieb.]
68. (67.) [Gesichtswinkel fast gerade. Die zwei ersten Fühlerglieder
gegen ihre Spitze zu ziemlich stark verdickt. Wangen von mitt-
lerer Höhe. Unterer Rand des ersten Gliedes der Hinterfüsse
ebenso lang wie jener des zweiten.
Nur eine in Klein-Asien lebende Art der Gattung Poecilo-
notus Reut.]
69. (64.) Augen an den Grund des Pronotum stossend, die facettierten
Erhöhungen nur selten am hinteren Saum ohne Sehfelder (Calo-
coris offinis, alpestris, sulphureusj , die Erhöhungen selbst aber
dicht an das Pronotum reichend.
70. (71.) Männchen und Weibchen von verschiedenem Aussehen. Männ-
chen ziemlich in die Länge gezogen, mit langen Halbdecken;
Weibchen länglich-oval, mit gekürzten Halbdecken, ohne Keil-
abschnitt und mit ganz ungewöhnlich kurzer Membran, von der
sich nur am inneren Rande etwas wahrnehmen lässt. Seiten des
Pronotum gebuchtet, beim Männchen nach vorne zu stark ver-
schmälert, beim Weibchen mehr glockenblumenförmig ; der Grund-
rand ist abgestutzt oder (beim Weibchen) gebuchtet und den
Ansatz des Schildchens nicht im geringsten überdeckend, Augen
kaum an das Pronotum stossend. Die zarten Fühler am unteren
Viertel der Augen innseits eingefügt. Zweites Glied der Hinter-
füsse ebenso lang wie das erste, das dritte nur wenig kürzer als
das zweite. Schienen mit ziemlich langen Dornen besetzt. Ge-
schlechtsabschnitt des Männchens linkerseits abgestutzt.
Alloeonotus Fieb.
71. (70.) Männchen und Weibchen von gleichem Aussehen. Leib lang-
oval oder länglich. Pronotum ^/^ bis ^/^ kürzer als am Grunde
breit, an den Seiten nicht oder nur leicht gebuchtet, den Ansatz
des Schildchens wenigstens schmal überdeckend. Geschlechts-
abschnitt des Männchens linkerseits meist mit einer Falte an der
Öffnung oder mit einem kleinen Höcker oder Zahn versehen.
Calocoris Fieb. Reut.
72. (59.) Pronotum mit schmaler vorderer Einschnürung, noch schmäler
als das zweite Fühlerglied an seinem Grunde, selten etwa so
breit wie jenes. Kopf senkrecht oder ziemlich stark geneigt, von
der Seite gesehen deutlich kürzer als hoch. Kopfschild kaum
oder nur leicht vorspringend , mit der Stirne zusammenfliessend
oder von ihr durch einen sehr verschwommenen Eindruck se-
schieden. Der Scheitel zeigt häufig eine mehr oder weniger deut-
liche vertiefte zarte Längslinie. Die Schenkel sind ziemlich kahl
oder nur mit aufgerichteten Haaren besetzt, niemals mit längerem
Flaum überzogen. Die Schienen tragen meist ziemlich lange kleine
Dorne, manchmal sind letztere sogar sehr lang. Die langen Fühler
sind über dem vorderen Augenende eingefügt, ihre zwei letzten
IG*
— 244 —
Glieder sind wenig oder gar nicht dünner als das zweite oder
wenigstens dessen unterer Teil, zusammen sind sie länger als das
zweite, ihr viertes Glied ist wenigstens um ^5 kürzer als das dritte.
73. (76.) Die ziemlich grosse Membranzelle bildet am vorderen Ende
einen spitzen oder abgerundeten Winkel. Schildchen und Halb-
decken mit goldenem oder silbernem, leicht abschilferndem Flaum
bedeckt. Geschlechtsabschnitt des Männchens am linken Winkel
des Oberrandes mit kleinem Dorn oder scharfem, halbaufgerichtetem
Zahne.
74. (75.) Pronotum deutlich in die Quere gezogen, sein vorderer Ein-
schnitt frei von aufstehenden steifen Haaren. Schildchen kaum
gewölbt. Ädeli^hocoris Reut.
75. (74.) [Pronotum wenig kürzer als am Grunde breit, nach hinten
zu stark gewölbt, mit verschwommenen Schwielen bedeckt, in
seiner vorderen Einschnürung mit steifen, aufrechtstehenden
borstigen Haaren besetzt. Schildchen gewölbt.
Nur eine persische Art der Gattung Trichoplioroncus B,evt.]
76. (73.) Die ziemlich grosse Membranzelle ist an ihrer Spitze merk-
lich stumpf abgerundet. Oberseite des Leibes ohne flaumige Be-
deckung. Pronotum in die Quere gezogen, nach hinten zu stark
gewölbt, sein vorderer Einschnitt kahl. Schildchen an seiner Spitze
gewölbt. Fühler in der Mitte oder fast über der Mitte des Kopfes
in der Ausbuchtung der Augen eingefügt. Geschlechtsabschnitt
des Männchens im vorderen Winkel linkerseits mit einem Dorn
an der Öffnung oder mit einem starken, nach rückwärts gerich-
teten Zahne versehen. Megacodum Fieb.
77. (56.) Scheitel mit vertiefter Längslinie, beim brachypteren Weib-
chen bisweilen ohne solche. Kopf von der Seite gesehen ebenso
lang als hoch. Kopfschild in seiner ganzen Ausdehnung vom
Grunde stark vorspringend und senkrecht gestellt. Kehle ganz
oder fast wagerecht. Wangen tief, oft sehr tief gelegen. Fühler
fast in der Mitte der Augenlinie innseits eingefügt. Schenkel
sämtlich schlank, ziemlich linear.
78. (79.) [Der Schnabel erreicht das vordere Ende der Hinterhüften.
Die drei letzten Fühlerglieder sind gleich dick. Die Seitenränder
des Pronotum sind leicht zugeschärft. Weibchen mit entwickelten
Decken, dem Männchen ähnlich.
Nur eine in den Mittelmeerländern lebende Art der Gattung
Pantiliodes Noualh.]
79. (78.) [Schnabel das vordere Ende der Mittelhüften kaum über-
ragend. Seitenränder des Pronotum nur wenig zugeschärft (Männchen)
oder stumpf (Weibchen), Pronotum selbst beim Weibchen kurz
glockenförmig, sein hinterer Teil quer gestrichelt. Männchen und
Weibchen einander unähnlich, letzteres mit abgekürzten Halbdecken.
Nur eine nordafrikanische Art der Gattung IsdmosceJicoris Reut.]
80. (43.) Hinterschenkel lang, zusammengedrückt-erweitert, etwa vom
Grunde oder wenigstens von der Mitte aus gegen die Spitze zu
sich langsam verjüngend und das Hinterleibsende meist über-
— 245 —
ragend. Das erste Fühlerglied wenigstens ebenso lang wie das
Pronotum, nur sehr selten um ein Geringes kürzer als jenes und
dabei meist ziemlich lang behaart oder mit borstenartigen (bis-
weilen leicht abreissenden) Haaren besetzt, oft bunt gefärbt.
81. (84.) Seiten des Pronotum vollständig ungerandet. Membran meist
dicht grau gesprenkelt und an ihrem äusseren Rande mit zwei
deutlichen durchsichtigen Flecken.
82. (83.) [Schnabel die Mittelhüften kaum überragend. Erstes Fühler-
glied kaum so lang wie das Pronotum. Pronotum am Grund-
rande breit abgerundet und in seiner Mitte deutlich gekrümmt.
Hinterschenkel das Leibesende nicht überragend. Schienen mit
zarten, kleinen Dornen besetzt.
Nur eine in Algier lebende Art der Gattung EremohieUus Reut.]
83. (82.) Schnabel die hinteren Hüften ziemlich lang überragend.
Erstes Fühlerglied nur sehr selten um ein Geringes kürzer als
das Pronotum. Schienen der Hinterbeine wenigstens gegen ihre
Spitze zu mit kleinen Dornen besetzt, die mindestens so lang
sind als die Schienen dick, oft aber noch erheblich länger ; selten
sind sie nur lang behaart. Phytocoris Fall. H. Sch,
84. (81.) Seiten des Pronotum nach vorne leicht gerandet. Membran
durchsichtig oder opalartig, ihr innerer Saum und ein länglicher
Fleck unterhalb der Spitze der grösseren Zelle bräunlich oder
graulich. Kopf vorgestreckt , von oben gesehen wenigstens so
lang als am Grunde breit, vorne zugespitzt. Miridius Fibb.
85. (42.) [Zügel (Lorae) stark backenartig gewölbt. Wangen so hoch
wie die Augen. Kopf von der Seite gesehen kürzer als hoch.
Kopfschild mit der Stirne in einem Bogen zusammenfliessend.
Pronotum deutlich in die Quere gezogen, seine Seiten fast gerade
oder nur leicht gebogen, seine Fläche nach vorne zu etwas ge-
neigt. Unterer Rand des ersten Gliedes der Hinterfüsse ebenso
lang wie jener des zweiten. Halbdecken des Weibchens abgekürzt,
jedoch mit deutlichem Keil und kurzer Membran.
Nur eine in den Pyrenäen und Karpathen lebende Art der
Gattung Horvathia Reut.]
86. (41.) Wangen hoch, nur selten um ein Geringes niedriger als die
Augen. Kopf senkrecht gestellt. Scheitel breit. Kopfschild senk-
recht oder leicht geneigt. Fühler am vorderen Augenende oder
unterhalb desselben eingefügt. Pronotum ziemlich in die Quere
gezogen , an seinen Seiten gegen die Schwielen zu mehr oder
weniger dick gerandet. Halbdecken des Weibchens bisweilen ab-
gekürzt. Lopus Hahn. Reut.
87. (40.) [Seiten des Pronotum vollständig abgestumpft, seine Schwielen
in einen queren, in der Mitte eingeschnürten und beiderseits über
die Seiten hinaus verlängerten Buckel zusammenfliessend, hinter
welchem sich eine die Seite überragende Furche findet; die hintere
Fläche des Pronotum gewölbt. Kopf senkrecht stehend , kürzer
als hoch, mit geradem Gesichtswinkel. Wangen hoch.
Zwei südeuropäische Arten der Gattung Dionconotus Reut.]
— 246 -^
88. (39.) Scheitel und Stirne fast wagerecht, mit vertiefter mittlerer
Längsfurche. Pronotum mit zugeschärften, vorne gerandeten Seiten.
Gesichtswinkel gerade. Kehle wagerecht.
89. (90.) [Fühler lang, zart, ihre letzten Glieder zusammengenommen
länger als das zweite. Kopf von der Seite gesehen länger als
hoch. Stirne an ihrer Spitze kurz senkrecht. Beine lang. Erstes
Glied der Hinterfüsse erheblich kürzer als das zweite.
Nur eine, in Süd-Russland und Sibirien lebende Art der
Gattung AUorJtinocoris Reut.]
90. (89.) Fühler ziemlich kräftig, die letzten Glieder zusammengenommen
um die Hälfte kürzer als das zweite, das vierte Glied bedeutend
schlanker als das dritte. Kopf von der Seite gesehen kürzer als
hoch. Stirne nach vorne in einen spitzigen Lappen ausgezogen,
der den Ansatz des Kopfschildes bedeckt. Beine ziemlich kurz.
Erstes Glied der Hinterfüsse so lang wie das zweite.
Pantüius CüET.
Paiitilius CüRT.
Leib gross, langgestreckt, mit nahezu gleichlaufenden Decken.
— Der kurze Kopf ist ziemlich stark geneigt, über die Augen breiter
als lang, von der Seite gesehen kürzer als hoch. Scheitel und Stirne
liegen fast in einer Ebene, ersterer zeigt eine tiefe Längsfurche, letztere
überragt mit einem verlängerten zipfligen Lappen den Grund des
Kopfschildes , das durch einen tiefen queren Eindruck deutlich ge-
schieden ist. — Die Wangen sind hoch, die Kehle wagerecht. — Der
Schnabel reicht fast bis zu den Mittelhüften , sein erstes Glied bis
zum Fortsatz der Vorderbrust. -^ Die grossen, vorspringenden, an
ihrem inneren Rande gebuchteten Augen stossen an das Pronotum;
in ihrer Ausbuchtung bezw. deren unterer Hälfte sind die faden-
förmigen aber kräftig gebildeten Fühler eingefügt, die kaum kürzer
als der Körper sind ; ihr erstes Glied ist cylindrisch , kürzer als der
Kopf und fast so lang wie das Pronotum ; das zweite ist das längste
(dreimal so lang wie das erste) und gegen seine Spitze zu deutlich
verdickt; das dritte Glied ist kürzer als das zweite und ebenso lang
wie das erste; das vierte Glied ist schlanker und kürzer als das
dritte. — Das Pronotum ist breiter als lang, trapezförmig, nach vorne
zu verschmälert und geneigt, nach hinten zu gewölbt; seine vordere
Einschnürung (Hals) ist so breit wie das zweite Glied dick; es ist
mit querstehenden Schwielen bedeckt; seine geraden Seitenränder
sind schneidend scharf und nach vorne zu gerandet; die Hinterecken
sind abgerundet. Das kleine dreieckige Schildchen ist gewölbt und
hat am Grunde eine vertiefte Querlinie (Rinne). — Die den Leib
etwas überragenden 5 parallelständigen Halbdecken sind vollkommen
— 247 -
entwickelt; der Keil ist iVginal so lang als breit. — Die schlanken
mittelgrossen Beine sind leicht behaart, ihre Hinterschenkel kurz und
kaum dicker als die vorderen ; die Hinterschienen sind mit feinen
Dornen besetzt. Die Fussglieder sind kurz, ihr erstes Glied fast so
lang wie das zweite, das dritte Glied das längste, das zweite das
kürzeste. — Beide Geschlechter sind einander ähnlich; am vorderen
Kande des Geschlechtsabschnitts des Männchens findet sich linker-
seits ein stumpfer Zahn.
Diese Gattung ist durch die Form von Kopf und Fühlern, be-
sonders durch den tief gefurchten Scheitel , das sehr lange zweite,
das kurze dritte und noch kürzere vierte Fühlerglied u. s. w. von
allen andern wohl unterschieden.
20 (416) tunicatus Fabr.
L. supra ferrugineo-fuscus corpore elytrorumque margine flavis.
Fabricius.
P. tunicatus supra ferrugineus nigro-irroratus , corpore elytro-
rumque margine flavis. Fallen.
Grünrot, karminrot, rotbraun, bräunlichgelb, grüngelb oder
schmutzig hellgelb, dabei mit feinen unregelmässigen schwarzen Punkten
und Fleckchen gesprenkelt und mit feinen, kurzen, angedrückten
schwarzen und gelblichen Härchen besetzt ; die Unterseite (einschl.
Beine) ist mehr hellgelb oder gelbgrün, die Oberseite mehr braunrot
oder rostfarben. Bei heller Färbung werden die schwarzen Tüpfel
deutlicher; aus diesen gehen auch die schwarzen Härchen hervor,
während die hellen dem gleichfarbenen Grunde entspringen. — Die
Schnabelspitze ist schwarz, ebenso (schmal) der Kopfschild und der
Rand der Fühlerhöcker. — Die ziemlich kräftigen, rostfarbenen, gelb-
braunen oder auch blassen und mehr oder weniger rotgefleckten Fühler
sind mit kurzen feinen schwarzen Härchen bedeckt; ihr cylindrisches
erstes Glied ist am Grunde dünn und dabei schwarz punktiert; das
zweite hell mit dunkler Spitze; das dritte am Grunde gelblichgrün,
am Ende rotbraun ; das vierte bräunlichrot mit schmalem gelbgrünem
Grundsaum. — Das quere, vorn abgeschnürte und dann rasch aufs
Doppelte sich verbreiternde Pronotum hat bei gelblichem Grund einen
schmalen schwarzen Seitenrand. Die Spitze des Schildchens ist gelb-
lich oder grüngelb. — Die Halbdecken überragen bei beiden Ge-
schlechtern den Hinterleib und zeigen einen schmalen, blassen (hell-
gelben) äusseren Rand, während sie am inneren Rand gesättigt rot
sind; der vordere Rand des Corium ist schwarz. Der gelblichgrüne
— 248 —
Keil ist an Grund, Spitze und Innenrand rot oder braunrot gefärbt.
Die schwarzgraue oder bräunliche Membran hat rote Adern mit einem
blassen Fleck unter den Zellen und der Keilspitze und einem dunklen
dreieckigen vorderen Randfleck, der sich bis zur Spitze hin erstreckt.
Ihre innere Zelle bildet an der Spitze einen scharf ausgeprägten
Winkel. — Der Hinterleib ist auf der Oberseite braun oder schwarz
mit schmalem gelben Seitenrand; auf seiner Unterseite gelblichgrün
und jederseits mit einer Reihe kleiner schwarzer Punkte (Stigmata)
besetzt. — Die Beine sind schmutziggelb, oft auch grünlich; die
Schenkel schwarz getüpfelt und mit kurzen schwarzen Härchen be-
deckt; die Schienen röthch, besonders an der Spitze; die Tarsen
gelblich oder rotbraun, die Spitze des dritten Klauengliedes dunkler.
Die Männchen sind mehr langgestreckt, die Weibchen mehr länglich-
eiförmig. Länge 7 — 10 mm.
Ci7nex tunicatus Fabriciüs, Spec. Ins. 1781, II, 396, 186. —
Rossi, Faun. Etrusc. 1790, H, 246, 1334.
Cimex gothicus Geoffroy in Foürcroy, Entom. Paris. 1785, 200,
18, non LiNNE.
Lygaeus tunicatus Fabriciüs, Entom. Syst. 1794, IV, 170, 121.
— Syst. Rhyng. 1803, 233, 148. — Latreille, Hist. Nat. 1804, XII,
221, 37.
Wliris tunicatus Fallen, Monogr. Cim. Suec. 1807, 79, 41. —
Germar, Faun. Ins. Europ. 1819, V, 23. — Thomson, Opusc. entom.
1871, IV, 417, 11.
Phytocoris tunicatus Fallen, Hemipt. Suec. 1829, 85, 18. —
Spinola, Essai . . . 1831, p. 189.
Lopus tunicatus Herrich-Schäffer , Nom. entom. 1835, p. 47.
— Meyer, Schweiz. Rhynchot. 1843, 40, 3. — Kirschbaum, Rhynchot.
Wiesbadens, 1855, 37, 13. — Flor, Rhynchot. Livlands, 1860, I,
441, 1. — Snellen van Vollenhoven, Hemipt. Neerland. 1878, 160.
Gonometopus tunicatus Fieber, Criter. z. gener. Theilg. d. Phytocor.
1859, 16 ut typus. — Europ. Hemipt. 1861, 249.
Pantilius tunicatus Cürtis, Charact. on some undescr. Gen. and
Spec. in Entom. Mag. 1833, I, p. 197 ut typus. — Westwood, In-
trod. of the mod. class. of Ins. 1840, II, Syn. p. 121. — Douglas
and Scott, Brit. Hemipt. 1865, 333, 1 und pl. XI, fig. 2. — Reuter,
Rev. crit. Caps. 1875, 17, 1. — Saunders, Synops. of Brit. Hemipt.
Het. 1875, 262, 1. — Puton, Cat. 1886, p. 46, 1. — Reuter, Rev.
synon. 1888, 245, 210. — Atkinson, Cat. of Caps, 1889, p. 53. —
— 249 —
Saunders, Hemipt. het. of the Brit. Islands, 1892, 230. — Reuter,
Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, p. 324, 1.
Bayern : Bei Regensburg selten. Kittel. — Bei Bamberg häufig
auf Haselstauden. Funk. — Württemberg. Roser. — Bei Ulm im
Spätsommer und Herbst auf Haselnusssträuchern zeitweise nicht
selten. Hüeber. — Elsass-Lothringen : Sur les coudriers; assez rare.
Remiremont, Gerardmer, Ville, Grimont, 9. Reiber-Puton. — Nassau:
M W bei Wiesbaden und Mombach ; auf Erlen z. B. an dem Well-
ritzbach häufig. Ich klopfte öfters von einem mittelgrossen Erlen-
baum ein Dutzend Exemplare dieser sonst seltenen Art, 9 bis Ende
10. Ich fand M und W rot und grün, doch waren die letzteren
häufiger grün, die ersteren häufiger rot. Kirschbaum. — Westfalen :
Nicht selten ; von mir im August und September jährlich hier bei
Münster einzeln im Garten auf Birnenbäumen und Corylus gesammelt.
Westhoff. — Schleswig-Holstein : Nachdem ich am 18. 9. 92 ein S
dieser Art bei Satrupholz im Fliegen erbeutet hatte, wurde ich auf
diese Art aufmerksam und habe dieselbe dann auch teils einzeln,
teils in kleinen Gesellschaften von Haselnusssträuchern bei Sonder-
burg geklopft. Es ist ein herbstliches Tier, welches in der zweiten
Hälfte des September und im Oktober entwickelt ist. Wüstnei. (Nach-
trag 1894. 6. Stück.) — Mecklenburg: Im September und Oktober in
Laubwäldern auf Erlen und Haselbüschen, aber in den meisten Jahren
selten. Sowohl die grünen, als auch die rotgefärbten kommen hier
vor. Raddatz. — Schlesien : Im Herbst auf allerhand Gesträuch ;
nicht gemein. Scholtz. — In der Ebene und im Gebirge, das ganze
Jahr hindurch auf allerhand Gesträuch, nicht selten u. s. w. Assmann.
— Provinz Preussen. Brischke.
Auf Corylus avellana , wohl im ganzen Gebiete (Europa) , oft
häufig. Fieber.
Habitat in Corylo avellana! et Alno glutinosa! etiam in Pruno
domestica (Westhoff), Betula (Edwards), Berberide (Nohr) : Europa
tota usque in Fennia meridionali (Alandia ! , circa Abo !) et Suecia
media (Stockholm!). — Caucasus. Reuter.
[Schweiz : Eine sehr schöne, wie es scheint, ziemlich weit ver-
breitete , dennoch aber seltene und immer nur ganz einzeln vor-
kommende Art. Man findet sie erst nach der Mitte September bis
zum 10. oder 15. Oktober auf Nesseln und Haselgesträuchen, be-
sonders an sonnigen Waldrändern. Variiert vom Grasgrünen bis ins
lebhafteste Karminrote, Meyer. — Desgleichen; ziemlich selten und
— 250 —
meist einzeln. Frey-Gessner. — Graubünden: Bei Chur und Tarasp.
KiLLiAS. — Tirol: Von Trient mitgeteilt (Bert.). Lebt auf Haseln
und Nesseln, jedoch in Tirol gewiss sehr selten. Gredler. — Steier-
mark : Auf Älnus ; ziemlich häufig. Eberstaller. — Nieder-Öster-
reich : Bei Gresten auf Erlen, nicht selten. Schleicher. — Böhmen:
Im Sommer in Wäldern und in Anlagen, auf Corylus avellana; wohl
überall verbreitet, doch ziemlich selten. Duda. — Livland: Ziemlich
selten; 7, 8, 9; einmal auf Nussstrauch. Flor.]
Lop HS Hahn, Reut.
Leib länglich, Seiten der Halbdecken gleichlaufend ; Farbe schwarz
oder dunkelbraun und dabei rot, gelb oder weisslich gebändert bezw.
gefleckt. — Kopf senkrecht, von oben gesehen stark quer, über die
Augen 272 mal ^^ breit als lang, hinter denselben ganz kurz ein-
geschnürt. Scheitel breit, ohne Längsfurche. Stirne vom Kopfschild
durch keine Vertiefung geschieden. Wangen hoch, meist höher als
die Augen. Kehle kurz. Augen massig vorspringend, nach vorne zu
etwas auseinander weichend. Schnabel die Hinterhüften niemals
überragend. Fühler etwa so lang wie der Leib, ihr erstes Glied etwa
von Kopfeslänge, das gerade zweite das längste. — Das trapezförmige
Pronotum vorne breit eingeschnürt, seine Seitenränder zugeschärft,
nach vorne auch gerandet. Die deutlichen queren vorderen Schwielen
stehen ziemlich auseinander. Schildchen gewölbt, am Grunde etwas
bedeckt. — Halbdecken beim Männchen immer entwickelt und etwas
länger als der Hinterleib , beim Weibchen etwas kürzer als dieser,
bisweilen auch erheblicher gekürzt, aber immer mit deutlicher Mem-
bran; Brachial- und Cubitalader springen stark vor, der Keil ist
(wenigstens beim Männchen) länglich dreieckig, die Membran mit
ziemlich grosser länghcher Zelle. — Die Hinterschenkel sind etwas
länger als die andern, aber kaum verdickt ; die Schienen (besonders
die hintern) mit kurzen kleinen Dornen besetzt. Tarsen verschieden,
ihre Klauen einfach.
Reuter bringt (Hemipt. Gymn.Europ. V, p. 391 — 392) eine Über-
sichtstabelle von elf palaearktischen Arten der Gattung Lopus^ denen
sich noch eine (von Jakovleff beschriebene) persische Art anschliesst.
In Deutschland kommen hiervon nur die zwei Arten (jotJäcus L. und
cingulatus F. vor. Lopus mas. Rossi findet sich zwar (nach Reuter)
auch in Krain und Kärnten, gehört aber zweifellos dem südlichen
Europa an ; Lopus flavomarginatus Don. erstreckt sich von England
und Irland über Frankreich bis Korsika und Belgien und könnte
— 251 —
deshalb möglicherweise auch noch auf deutschem Gebiete gefunden
werden; ähnlich auch sulcatus Fieb.; Lopus lineolatus Brülle wird
von Roser für Württemberg angegeben, wohl irrthümUch, denn sein
Vaterland ist das südliche Europa.
21 (417) cmgidatus Fabr.
M. fuscus capite thoraceque lineis tribus, elytris margine omni
albo. Fabricius.
Fusco-niger , pronoti linea media , elytrorum margine lineaque
diagonali albis; corpore variegato. Long. 3"^ Burmeister.
Verschwommen dunkelbraun oder schwärzlich, glanzlos, behaart,
an Kopf, Brustschild, Schildchen und Decken mit weissgelblichen
und roten Streifen, Strichen und Flecken wechselnd gezeichnet. —
Kopf so lange als am Grunde samt den Augen breit; Stirne ziemlich
gewölbt; Scheitel zweimal (beim Männchen 272 mal) breiter als der
Augendurchmesser; Kehle sehr kurz (d), oder kaum angedeutet (?).
Wangen höher als die Augen. Schnabel die Hinterhüften etwas über-
ragend. Fühler schwarz und (besonders am Grunde) mit weissem
Flaumhaar überzogen; dabei sind dieselben fast unter dem vorderen
Augenrande eingefügt. — Pronotum kürzer als bei der anderen Art
igothicus L.), an seinem Vorderrande mit ringförmigem Wulst, seitlich
mit deutlich abgegrenzten Schwielen; der Hinterrand deutlich ge-
buchtet, an den Seiten (besonders beim Männchen) ziemlich stark
gerundet; seine Oberfläche nicht punktiert. — Die Halbdecken über-
ragen beim Männchen den Hinterleib, bei Weibchen sind sie etwas
gekürzt. — Schenkel und Schienen sind lang weisslich behaart. —
Länge S 6^/^, $ 6 mm.
Die Zeichnung ist ziemlichem Wechsel unterworfen und wird
von jedem Autor anders geschildert. Hahn beschreibt sie folgender-
massen : „Die Augeneinfassung und ein Längsstrich auf dem Schild-
chen gelbrot; eine Mittellinie über den Kopf, der Vorderrand und
die Seitenränder, dann eine Mittellinie und zwei Längsflecken am
Grunde des Rückenschildes, sowie drei gerade Längsstreifen und die
Spitzen der Halbdecken gelblichweiss." — Dabei unterscheidet er
noch zwei Abänderungen : b. mit Purpuranflug an Kopf, Rückenschild,
Schildchen und Halbdecken, — und c. betreffend Färbung von
Schenkeln und Schienen der hinteren Beinpaare (erstere weissgefleckt,
letztere braunrot). — Klug (Burmeister) schildert die Zeichnung fol-
gendermassen : „Der schwarze Leib hat an jeder Seite des Bauches
einen weissen Streif, der beim Auge entspringt und bis zum After
— 252 —
hinabläuft. Scheitel mit weissem Längsstreif und gleichem Fleck
neben den Augen. Vorderrücken mit weisser Längslinie und einem
rötlichen Fleck daneben. Schildchen mit rotem Längsstreif. Flügel-
decken mit zwei oder drei weissen Streifen, die äussersten am Rande."
— Die neueste Beschreibung Reuter's (Hemipt. Gymn. Europ. V,
316) lautet anders, aber nicht einfacher.
Ciniex cmgidatus Fabricius, Mant. Ins. 1787, 307, 287.
Cimex marginellus Schrank, Faun. Boic. 1801, 94, 1157.
Miris cingulatus Fabricius, Entom. Syst. 1794, IV, 186, 12. —
Syst. Rhyngot. 1803, 255, 13.
Lopus alhomarginatus Hahn, Wanz. Ins. 1831, I, 140, fig. 72.
— Costa, Cimic. Regn. Neapolit. Cent. 1852, III, 33, 2. — Fieber,
Europ. Hemipt. 1861, p. 267. — Püton, Cat. 1886, p. 46, 1.
Lopus alhostriatiis Herrich-Schäffer, Nom. entom. 1835, p. 47.
— Meyer, Schweiz. Rhynchot. 1843, 40, 4. — Kirschbaum, Rhynchot.
Wiesbadens, 1855, 38, 15.
Fkytocoris alhostriatus Klug in Bürmeister, Handb. d. Entom.
1835, II, 271, 21.
Lopus cingulatus Stal, Hemipt. Fabr. 1868, I, 89, 1. — Atkinson,
Cat. of Caps. 1889, p. 54. — Reuter, Rev. synon. 1888, 245, 211.
— Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, p. 316, 9.
Bayern : Bei Regensburg selten ; bei Nürnberg nicht selten ; bei
Dinkelsbühl. Kittel. — Bei Bamberg. Funk. — Württemberg: Roser.
— Bei Ulm, 6 und 7, in den Seitenthälern der Alb, auf Pflanzen;
in manchen Jahren nicht selten. Hüeber. — Elsass - Lothringen :
Commun partout. Reiber-Puton. — Nassau: M W bei Wiesbaden
und Mombach; auf Waldwiesen und Blossen häufig, aber nicht überall;
5 — 6. Kirschbaum. — Westfalen: Auf dürrem Sandboden sehr selten.
Westhoff. — Schlesien : An sonnigen, grasigen Lehnen, doch nicht
überall; sehr häufig bei Ober-Salzbrunn. Scholtz. — In der Ebene
und im Vorgebirge , an sonnigen grasigen Leimen , im Juli , nicht
häufig. Assmann.
Vaterland: Deutschland, Frankreich und Schweden. Man findet
sie im Spätsommer auf Waldwiesen im Grase und auf Blumen. In
hiesiger (Nürnberger) Gegend nicht selten. Hahn.
Auf Blumen im Herbst. Burmeister.
Auf Wiesen, an sonnigen Hügeln und Bergabhängen, auf Gras,
Gebüsch, jungen Eichen. 6 — 7. Fieber.
— 253 —
Habitat in Verbasco lychniti (Schrank) , Gallo (Frey-Gessner),
Echio , Erigerone , Chenopodio etc. (Düda) : Guestphalia (Münster),
D. Westhoff; Belgiuin; Gallia!; Nassovia, Bavaria; Bohemia; Silesia;
Moravia; Helvetia usque ad 3000' s. m. ; Hungaria; Croatia! Tauria,
Rossia meridionalis (Sarepta); Hispania, Sicilia, Graecia, Anatolia!
— Algeria. Reuter.
[Schweiz : Von Mitte Juni bis gegen Ende Juli an sehr wenigen
Stellen der mittleren und nordöstlichen Schweiz, besonders in bergich-
ten Gegenden, an sonnigen, gras- und gebüschreichen Abhängen, und
wo er vorkommt, ziemlich gemein. Meyer. — Stellenv/eise in bergich-
ten Gegenden, besonders längs des Jura, an sonnigen, üppig grasigen
und blumigen Abhängen bis zu 3000' s. M., hauptsächlich auf Ga-
lium-Arten, an den Fundorten ausserordentlich zahlreich. Von Mitte
Juni bis Anfang August u. s. w. Frey-Gessner. — Böhmen : An
trockenen unbebauten Orten, auf Ecliium, Erigeron, Chenopodium
und anderen Schuttpflanzen, überall nicht selten. Duda.]
22 (418) gotliicus L.
L. niger scutello elytrorumque apicibus coccineis, antennis apice
capillaribus. Linne. Fabriciüs. — Var. : C. albomarginatus niger
oculorum orbita elytrorumque margine pallidis. Fabriciüs.
C. gothicus niger pilosus, elytris margine pallidis : apice scutel-
loque coccineis. Fallen. — Var. : C. albomarginatus niger pilosus :
elytris margine albis. Fallen.
Niger, aurantiaco-variegatus, elytrorum margine externo albo.
— Var. a : Pronoti margine, scutello appendiceque aurantiacis, tibiis
fuscis. — Var. b (= Caps, alhomarginatns F., Chn. superciliosus L.) :
Pronoto scutello appendiceque concoloribus. Burmeister.
Länglich-eiförmig, schwarz, glanzlos, mit langen abstehenden
schwarzen Haaren bedeckt. — Kopf stark geneigt, etwa dreimal so
breit wie der Querdurchmesser eines Auges. Wangen deutlich höher
als die Augen. Neben jedem Auge, nach innen zu, je ein schmaler
gelbroter Fleck. Schnabel pechbraun, fast die Hinterhüften erreichend.
Fühler unterhalb des vorderen Augenrandes, innseits, eingefügt, am
ersten und zweiten Glied mit zerstreuten borstenartigen Haaren be-
setzt ; das erste Glied etwas kürzer als der Kopf, das lineare zweite
Glied etwa 2 72 mal länger als das erste und ungefähr gleich lang
mit dem Grundrand des Pronotum ; das vierte Glied länger als das
dritte, die beiden letzten Glieder zusammen so lang wie das zweite.
— Pronotum wenig geneigt, fast flach und glatt, nach vorne zu stark
— 254 —
verschmälert, sein Vorderrand nur halb so lang wie der abgestutzte
Grundrand, seine fast geraden scharfen Seiten (mit Ausnahme der
Hinterecken) mehr oder weniger schmal rotgelb gezeichnet (manch-
mal, siehe unten, auch nicht). — Schildchen schwarz, an der Spitze
gelbrot. — Die chagrinierten , leicht getüpfelten (bei Weibchen ge-
kürzten und den Hinterleib selten überragenden) Halbdecken haben
einen blassen (weisslichen, hellgelben oder rotgelben) Randsaum. Der
Keil ist, mit Ausnahme von schwarzer Spitze und schwarzem Innen-
rand, gleichfalls rötlich. Die Membran ist schwarz und hat schwarze
Adern. — Die schwarzen Beine sind an Schenkeln und den (manch-
mal pechbraunen) Schienen mit langen aufrechtstehenden Haaren
besetzt. — Auf der Unterseite des Hinterleibs findet sich meist,
rechts wie links , eine Reihe gelbroter Tüpfel. — Länge : S 7 mm,
^ 6 — 6^/2 mm.
Die Zeichnung unterhegt sowohl in ihrer Ausdehnung wie auch
in ihrer Intensität (hell bis zinnoberrot) grossem Wechsel. Während
bei der typischen Form gothicus L. die Seitenränder des Pronotum,
das Schildchen (mit Ausnahme seines Grundes) und der Keil zinnober-
rot, die Lederhaut (mit Ausnahme der Spitze) aber gelb gesäumt ist,
ist die Varietät superciliosns Lin. (= alhomarginatus Fab. Fall.
[nee Hahn!], affinis Jak.) ganz schwarz bis auf den schmal gelblich-
weissen äusseren Rand der Lederhaut und oft auch ein helleres
Fleckchen am inneren Augenrande beiderseits.
Neuerdings unterscheidet Reuter (Hem. Gymnoc. Europ. V,
1896, p. 315) 4 Spielarten:
Var. a: Von schwarzem Grunde heben sich gelbrot (mennig-
rot, zinnoberrot) ab : die Seitenränder des Pronotum (beim Männchen
nicht ganz bis zu dessen Grunde), aber nicht immer, sodann die
Seitenteile (Epipleuren) der Vorderbrust, die Spitze des Schildchens,
ein Teil des Keils (während dessen innerer Grundwinkel und die
Spitze schwarz sind) und häufig auch noch seitliche Bauchflecke.
Blassgelb (oder auch goldgelb) ist der Seitenrand des Corium, oft
aber nur bis zum schwarzen Grunde des Keils hin.
Var. /?, elegans Reut. : Wie Var. a , nur dass der rote Seiten-
rand des Pronotum sich bis zu dessen Grundrand hin erstreckt;
weiterhin findet sich hier noch ein gelbroter Fleck auf der Leder-
haut, der durch die Cubitalader hindurchgeht, deren Mitte überragt
und mit dem Seitenrande zusammenfliesst. S
Var. y : Wie Var. a, nur dass die Seiten des Pronotum lediglich
neben den Schwielen schmal safranfarben sind.
— 255 —
Var. ö, superciliosiis Linne. - — [Cimex SKperciliosus Linne, Syst,
Nat. 1767, Ed. XII, 728, 85. — Lygaeus alhomarginatus Fabr.,
Entom. Syst. 1794, IV, 180, 168. — Coqüebert, Illustr. Icon. 1799,
41, t. 10, f. 12. — Capsus alhomarginatus Fabr., Syst. Rhyng. 1803,
244, 24. — Latreille, 1804. — Fallen, Monogr. Cim. 1807, 98, 2.
— Hemipt. Suec. 1829, 117, 3. — Lopus affinis Jakowleff, Bullet.
de Mose. 1876, III, 115. — Lopus gothicus L. var. ß Fieber, Europ.
Hemipt. 1861, 267, 3. — Loptus gothicus var. superciliosus Reuter,
Rev. crit. Caps. 1875, 18, 1. — Rev. synon. 1888, II, 247, 213. —
Hemipt. Gymn. Europ. 1896, V, 315. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889,
54. — Saunders, Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 231. J —
Pronotum, Schildchen und Halbdecken schwarz, nur die Seitenränder
der Lederhaut (Corium), bisweilen auch der äusserste Seitenrand des
Pronotum gleich hinter der Einschnürung und die Spitze des Schild-
chens weisslich. Die Seitenblätter (Epipleuren) der Vorderbrust gegen
den Rand hin , mitunter auch die Ränder der Hüften , die Bauch-
öffnungen (Stigmata, Orificia) und Flecke zu beiden Seiten des Bauches
sind ebenfalls häufig hell.
Anm. Die bis jetzt auf deutschem Boden noch nicht gefun-
denen, wohl aber in den Nachbarländern vorkommenden, drei ver-
wandten Arten zeigen folgende abweichende Merkmale :
L. sulcatus FiEB. ähnlich gezeichnet wie gothicus L. , nur die
Färbung blasser und statt der steifen borstenartigen Haare nur mit
kurzem zarten Flaum bedeckt; die Form ist mehr länger, das Pronotum
vorne schmäler, dessen Seiten gebuchtet und das Schildchen gefurcht.
L.flavomar ginatus Do^ow. (miles Dougl. Sc.) unterscheidet sich
von den anderen durch seine braun er e Färbung; er ist mit feinem
blassen, anliegendem Flaumhaar bedeckt, das an Fühlern und Beinen
kaum sichtbar. Überdies ist sein viertes Fühlerglied lang (länger
als das dritte), das Pronotum vorne merklich enger, sodann sind die
Halbdecken seitlich nur ganz schmal blass gesäumt und die Schienen
wie Hinterschenkel mit blassem Ring versehen.
L. mat. Rossi ist gleichfalls mit zartem, blassem Flaum über-
zogen, seine Halbdecken sind ganz schwarz, nur der Keil ist hell-
rot mit schwarzer Spitze, Weiterhin sind noch rot: das ganze
Schildchen, die Seiten des Pronotum und ein gekürzter Mittelstreif
auf demselben ; zwischen Augen und Nacken findet sich ein drei-
eckiger hellroter Fleck.
L. lineolatns Brülle (Brüle?, Expedition de More, 1832, p. 76,
t. 31, f. 6 und 7) lebt nur in den Mittelmeerländern (nach Roser
— 256 —
in Württemberg!) und wird von Herrich-Schäffer (Wanz. Ins. 1836,
III, 45, Fig. 260) als L. ruhrostriatus beschrieben: ^L. fuscus, vitta
media capitis, thoracis, scutelli et singuli elytri, horumque margine
externo cum appendice miniaceis."
Cimex gothicus Linne, Syst. Nat. Ed. X, 1758, 447, 51. —
Faun. Suec. 1761, 257, 966. — Houttüin, Nat. Hist. 1765, I, X,
361, 51. — P. Müller, Linn. Nat. 1774, V, 495, 73. — Fabriciüs,
Syst. Entom. 1775, 726, 147. — Razoümowsky, Hi.st. Nat. du Jorat,
1789, I, 184, 126.
Cimex sanguineo-guttatus Goeze, Entom. Beytr. 1787, II, 275, 7.
Cimex albomarginatus Preyssl, Beobachtungen im Böhmerwald,
1793, 219, 16.
Cimex Lichnitidis Schrank, Faun. Boic. 1801, 94, 1158.
Lygaeus gothicus Fabriciüs, Entom. Syst. 1794, IV, 180, 162.
— WoLFF, Icon. Cimic. 1800, I, 33, fig. 33.
Capsus gothicus Fabriciüs, Entom. Syst. Rhyng. 1803, 244,
20. — Latreille, Hist. Nat. 1804, XII, 232, 17. — Panzer, Faun.
Ins. Germ. 1805, 92, 15. — Fallen, Monogr. Cim. Suec. 1807, 98,
3. — Hemipt. Suec. 1829, 117, 4. — Flor, Rhynchot. Livlands,
1860, I, 479, 7. — Thomson, Opusc. entom. 1871, 341, 46.
Phytocoris gothicus Burmeister, Handb. d. Entom. 1835, II,
271, 22. — Spinola, Essai . . . 1837, 188 (ut typus subgeneris). —
Costa, Cimic. reg. Neap. Cent. 1838, I, 49, 1. — Blanchard, Hist.
d. Ins. 1840, 136, 2. — Meyer, Schweiz. Rhynchot. 1843, 41, 5.
Lopus gothicus Hahn, Wanz. Ins. 1831, I, 12, fig. 5. — Herrich-
Schäffer, Nom. entom. 1835, 47. — Kolenati, Melet. entom. 1845,
II, 100, 73. — Kirschbaum, Rhynchot. Wiesbadens, 1855, 37, 14. —
Fieber, Criter. z. gener. Theilg. d. Phytocor. 1859, 20 (ut typus). —
Europ. Hemipt. 1861, 267, 3. — Douglas and Scott, Brit. Hemipt.
1865, 475, 1. — Saunders, Synops. of Brit. Hemipt. Het. 1875,
263, 1. — Snellen van Vollenhoven, Hemipt. Neerland. 1878, 186. —
Puton, Cat. 1886, 46, 2. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 54. —
Saunders, Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 231. — Reuter,
Rev. crit. Caps. 1875, 18, 1. — Rev. synon. 1888, 246, 212. —
Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 314, 8.
Bayern : Überall gemein. Kittel. — Bei Bamberg auf niederen
Pflanzen und Gesträuchen. Funk. — Württemberg: Roser. — Bei
Ulm, 6 — 8, auf verschiedenen Pflanzen nicht selten. Hüeber. —
, — 257 —
Elsass-Lothringen : Eemiremont; rare. Vosges, Vendenheim: souvent'
tres-commun. La variete sans taches rouges sur les cories semble
assez rare. Reiber-Puton. — Nassau : M W bei Wiesbaden ; auf
Waldwiesen, jedoch nicht überall, häufig, 6. Exemplare mit schwarzem
Schildchen waren selten, die Var. alhomarginaUis Fall, etwas häu-
figer. Kirschbaum. — Westfalen : Wie L. alhomarginatiis Hahn vor-
kommend , aber nicht so selten. Alle bis jetzt hier gesammelten
Stücke gehören der Var. a typica Reut. an. Westhoff. — Schles-
wig-Holstein : Überall in Wäldern auf Galium. Die Var. superciUosus L.
einzeln unter der Stamrnart. Wüstnel — Mecklenburg: Auf Wald-
wiesen mitunter häufig im Juni bis Anfang August. Die Var. albo-
marginatus Fall, habe ich hier nur einmal zu Anfang August bei
Markgrafenheide gefunden, Raddatz*. — Schlesien: Auf verschie-
denen Pflanzen, doch, wie es scheint, vorzugsweise auf der grossen
Brennnessel {Urtica dioica L.); häufig in der Ebene sowohl als im
Gebirge. Scholtz. — In der Ebene und im Vorgebirge, häufig, auf
niederen Pflanzen. Assmann. — Provinz Preussen. Brischke.
Diese Wanze hält sich in Europa auf verschiedenen Gewächsen,
vorzüglich aber auf der grossen Brennnessel {Urtica dioica L.) auf.
WoLFF (1806). Hahn (1831).
Überall nicht selten, besonders auf Urtica dioica L. Burmeister.
Auf Wiesen, Feldrainen, an Getreideähren, auf Urtica dioica,
Galium, auf sonnigen grasigen Anhöhen etc. durch ganz Europa
verbreitet. Fieber.
Habitat in Urtica (Hahn, Fieber), Galio (Wüstnei, Fieber), Rubo
idaeo (Edwards), Epilobio (Lethierry), Achillea (Duda), Crataego
oxyacantha et Pruno spinosa (Spitzner) : tota Europa usque in Suecia
media (Stockholm!). — Helvetia usque ad 2 — 3000' s. M. — Sibiria
(Krasnojarsk, Osnatjennaja!). Reuter.
(Schweiz : Am ganzen Jura-Zuge und in hügelichten Gegenden
der mittleren und nordöstlichen Schweiz von Anfang Juni bis zu
Ende Juli mehr oder weniger häufig. Dass diese Art, wie Hahn
sagt, auf der grossen Brennnessel {Urtica dioica L.) vorkomme, ist
wohl nur zufällig. Ich fand sie stets an heissen, gegen Mittag ge-
legenen Abhängen im Getreide oder auf Ononis und Galiimi, auf
welcher letzteren Pflanze sie besonders in grosser Individuenzahl
vorkam und die Honigsäfte der Blumen aussaugte. Meyer. — Desgl.
Seltener ist die Var. superciUosus L. an den nämlichen Lokalitäten
* Laut handschriftlicliein Vermerk Konow's auch var. superciUosus L.
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 17
— 258 —
zu finden und noch seltener eine Varietät, die mit Ausnahme zweier
Flecken an den Augen und dem Aussenrand der Halbflügel ganz
schwarz ist; beide Varietäten aus dem Jura um Aarau, 2 — 3000'
s. M. Frey-Gessner. — Steiermark: Auf Wiesen und Feldrainen
auf Getreide und verschiedenen Pflanzen gemein. Eberstaller. —
Nieder-Üsterreich : Bei Gresten auf sonnigen Wiesen , nicht selten.
Schleicher. — Böhmen: An Feldrainen und in Hecken, aui Galium,
AchiUea, im Frühjahr auch auf blühenden Sträuchern (Crataegus,
Prunus spinosa), wohl überall verbreitet, doch nicht immer gemein.
DüDA. — Livland : Auf Weidengebüsch in feuchten Heuschlägen, nicht
besonders häufig, im Juni und Juli. Flor.)
3Iiridius Fieb.
Leib bei beiden Geschlechtern länglich- eiförmig, mit feinem
blassem Flaum bedeckt. — Kopf vorgestreckt, vorne zugespitzt, etwas
länger als am Grunde hoch, Scheitel weder gerandet noch gefurcht.
Kopfschild fast in gleicher Höhe mit der Stirne (horizontaler Ge-
sichtswinkel), von letzterer jedoch durch eine vertiefte Querlinie
geschieden. Wangen beim Weibchen höher als beim Männchen.
Kehle wagerecht, die Hälfte des Kopfes einnehmend. Augen klein,
wenig vorragend, am inneren Rande nicht gebuchtet. Schnabel sehr
lang, bis zur Mitte des Hinterleibs, sein erstes Glied über die Mitte
der Vorderhüften hinausreichend. — Die langen, schlanken, mit sehr
feinem Flaum bedeckten Fühler sind im vorderen Drittel des inneren
Augenrandes eingefügt; ihr erstes, kräftig entwickeltes, fast cylin-
drisches , steif behaartes Glied ist etwas länger als das Pronotum ;
das zweite Glied 1 72 mal länger als das erste und merklich dünner;
das dritte und vierte Glied fast fadenförmig, das dritte halb so lang
wie das zweite. — Das kurze , trapezförmige Pronotum zeigt bei
vorderer deutlicher halsartiger Einschnürung gerade, scharfe, vorne
etwas gerandete Seiten ; sein Grundrand ist zweimal so breit als der
vordere; die nach vorne zu leicht geneigte Scheibe ist flach gewölbt;
die Schwielen deutlich vortretend. Das ziemlich kleine dreieckige
Schildchen ist am Grunde frei. — Die Halbdecken sind länger als
der Hinterleib und an den Seiten leicht gerundet ; der etwas schmale,
länglich-dreieckige Keil ist gegen das Corium zu geneigt. Die Mem-
bran ist hyalin (glas-) oder opal (milchartig), ihr innerer Rand und
ein länglicher Fleck unterhalb der Spitze der grösseren Zelle braun
oder grau. — Öffnungen der Hinterbrust deutlich. — Beine lang,
kräftig ; die langen Hinterschenkel zusammengedrückt, die Spitze des
— 259 —
Hinterleibs überragend ; Schienen mit feinen dornartigen Haaren be-
setzt. Tarsen kurz ; das erste Glied der Hintertarsen kürzer als das
zweite, das dritte länger als das zweite. Klauen einfach.
Miridius unterscheidet sich von der Gattung Phytocoris durch
den Bau des Kopfes, die Zeichnung der Membran und die vorne
leicht gerandeten Seitenränder des Pronotum.
* quadrivirgatus Costa.
Blass , gelblichweiss (ockergelb , strohgelb) , fein gelbhch be-
haart. — Kopf von oben gesehen so lang wie das Pronotum; von
der Seite gesehen etwa nur Vs so lang als am Grunde hoch. —
Pronotum an seinem Grunde zweimal so breit als am Vorderrande,
nach hinten zu etwas erhöht. Schildchen gewölbt. — Vom Munde
bis zum Ende des Schildchens ziehen sich über Kopf, Pronotum und
Schildchen zwei länghche rotbraune Streifen ; die Seiten des Prono-
tum sind gleichfalls braun, so dass also auf diesem sich vier Streifen
finden. — Hinterleib oben braun oder gelbbraun, unten gelblich mit
zwei pechbraunen Streifen zu jeder Seite. — Fühler gelblich oder
blass, fein rotbraun gefleckt und mit feinem Flaumhaar bedeckt ; ihr
erstes Glied oft rötlich und deutlich länger als das Pronotum, auch
stehen die Härchen hier aufrecht. — Halbdecken: Clavus nach aussen
breit braun, Adern blass; Corium zwischen den Adern braun; Cuneus
in der Mitte rotbraun, am Rande blass ; Membran rauchig mit blassen
Nerven (Adern) , auf jeder Seite ein dunkler Fleck. — Beine blass,
mehr oder weniger gelblich oder bräunlich, dabei rotbraun gesprenkelt,
so dass sie wie marmoriert aussehen ; Hinterschenkel (wenigstens in
ihrer vorderen Hälfte) rostfarben oder dunkelbraun; Schienen (wie
schon oben bemerkt) spärlich mit kurzen, starken, dornartigen, röt-
lichen oder bräunlichen Haaren bedeckt. — Länge 9 — 12 mm.
Miris quadrivirgatus Costa, Cimic. regn. Neapolit. Cent. HI,
1852, 254, 3. — Douglas and Scott, Brit. Hemipt. 1865, 300, 1
and pl. X, fig. 7. — Saunders, Synops. of Brit. Hemipt. Het. 1875,
266, 1.
Miris Heldenhorgi Stal, Öfvers. Vet. Akad. Förh. XH, 1855, 187.
Miridius quadrivirgatus Fieber, Europ. Hemipt. 1861, 258. —
PuTON, Cat. 1886, 47, 1. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 56. —
* Verfasser hat gute Gründe für die Annahme, dass hei der Namhaft-
machung des deutschen Fundorts ein Irrtum mit unterläuft und hringt deshalb
diese Art einstweilen ohne laufende Nummer.
17*
— 260 —
Saunders, Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 233. — Reuter,
Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 303, 1.
Bei Crefeld (Mus. Berol.). Reüter. (Rev. d'Ent. 1890, 243.)
In Italien, Spanien. Fieber.
Italie, France, Grande-Bretagne, Espagne et Portugal. Püton
(Cat. 3. Ed. 1886, 47).
A few speciraens taken at Deal by sweeping dwarf sallows in
August. It appeared to be very local. Douglas and Scott (1865).
Habitat locis aridis (Dubois), in Gramineis (Carpentier et Du-
BOis): Anglia!, Belgium (Tournai), Borussia (Crefeld!), Gallia!, Corsica!,
Lusitania, Hispania, Baleares, Sardinia, Sicilia, Italia media et meri-
dionalis, Dalmatia!, Graecia! — Algeria, Tunisia. Reuter (1896).
Phijtocoris Fall., H. Sch.
Körper beim Männchen länglich, beim Weibchen mehr länglich-
eiförmig, manchmal fast eiförmig; Oberseite im allgemeinen dunkel,
dabei aber doch mannigfach (grünlich, graugrün, braunrot u. s. w.)
gefärbt und dunkel schattiert; überdies mehr oder weniger mit feinem
Flaumhaar bedeckt und zwar ist diese Behaarung vielfach doppelt
bezw. von zweierlei Art, indem zwischen anliegenden schwarzen
Härchen sich hellere Haare zerstreut vorfinden. — Kopf verschieden
gestaltet, senkrecht oder geneigt, beim Männchen nie mehr als von
doppelter Augenbreite , oft weniger , beim Weibchen etwas breiter,
jedoch selten mehr als von doppelter Augenbreite. — Scheitel (be-
sonders beim Männchen) schmal , ohne Rand , ohne Längsfurche.
Kopfschild (Clypeus) immer stark vorspringend ; Stirne verschieden
gestaltet; Wangen nieder. — Die gekörnten runden Augen ragen
merklich vor, erstrecken sich ziemlich weit über die Wangen hin
und sind am inneren Rande meist gebuchtet. — Der lange Schnabel
überragt die hinteren Hüften um ein gut Teil; sein erstes Glied
reicht bis an den Fortsatz der Vorderbrust. — Die dünnen, meist
fadenförmigen Fühler sind so lang oder länger als der Leib (nicht
die Halbdecken!) und in einer Ausbuchtung der Augen, unterhalb
deren Mitte, eingefügt ; ihr erstes Glied ist (bald mehr, bald weniger)
verlängert (selten kürzer als das Pronotum), dabei mehr oder weniger
verdickt, hell von Farbe mit dunklen Flecken und mit zerstreuten,
steifen, borstenartigen Haaren besetzt. Die drei anderen Fühlerglieder
sind zart und fadenförmig. — Das kurze, trapezförmige Pronotum
hat vorne eine ringförmige Einschnürung (Hals), dahinter zwei mehr
oder weniger stark hervortretende , querstehende Schwielen , gerade
— 261 —
Seiten und geraden Vorderrand, der nur halb so breit ist wie der
meist etwas gebogene, breit abgerundete oder (ausschl. Winkel) ab-
gestutzte Hinterrand. Die Fläche des Pronotum ist nur leicht ge-
wölbt, mit verschwommenen Punkten besetzt und nach vorne zu
etwas geneigt; Hinterwinkel abgerundet. — Das dreieckige Schildchen
ist leicht gewölbt und an seinem Grunde frei. — Die Mittelbrust
ist nach hinten zu gewölbt, in der Mitte breit und tief eingedrückt.
Die Hinterbrust ist vorne gewölbt. Geschlechtsabschnitt des Männ-
chens ist links unten ziemlich stark gekrümmt, bisweilen mit einem
Zahn versehen; am Spitzenlappen unterseits ein feiner, oft nur an-
gedeuteter Längskiel. — Halbdecken mit gleichlaufenden, selten
etwas gebogenen Seiten, dabei mehr oder weniger verlängert, beim
Weibchen bisweilen massig gekürzt, selten kürzer als der Hinterleib.
Ihre Adern (Nerven) treten nicht besonders hervor. Das Corium hat
am Ende oft einen glänzenden rhombischen Fleck ; Membran fein
schwarz gesprenkelt. — ■ Beine lang, ziemlich dünn; das erste und
mittlere Paar meist gleich lang, das dritte (hintere) Paar mit langen,
das Hinterleibsende überragenden Schenkeln ; am Grunde sind letztere
ziemhch verdickt (auch seitlich zusammengedrückt), während sie sich
gegen die Spitze zu allmählich verjüngen; dabei sind sie mehr oder
weniger (rot, braun, schwärzlich) gesprenkelt. An den Füssen (Tarsen)
ist das erste Glied kürzer als das zweite, das dritte ungefähr so
lang wie das zweite. Die Klauen sind einfach.
Diese Gattung ist von den anderen durch mehrere Merkmale
wohl geschieden : durch die schlanken Fühler und Beine, durch die
den Hinterleib überragenden, am Grunde etwas verdickten, alsdann
sich verjüngenden und meist stark zusammengedrückten Schenkel
und durch das meist bunte, mit steifen Haaren besetzte erste Fühler-
glied. — Die Arten dieser Gattung leben auf Bäumen und Pflanzen ;
sie klettern auf den Stämmen und Zweigen der Bäume umher und
stellen den Blattläusen und kleinen Larven nach (Kältenbach), wo-
bei sie durch ihre flechtenähnliche Färbung unterstützt werden.
Keuter zählt neuerdings 49 palaearktische Arten der Gattung
Fliytocoris auf, von denen jedoch nur zehn in Deutschland und
weitere sieben in den nächst angrenzenden Ländern vorkommen. —
Die Übersetzung von Reüter's Conspectus specierum (Hemipt. Gymn.
Europ. 1896, V, p. 380 — 390) würde hier zu weit führen; ich bringe
zunächst eine Übersetzung von Saunders (Hemipt. Het. of the
Brit. Islands, 1892, 234) kurzer analytischer Übersichtstabelle der
acht englischen Arten, welche (mit Ausnahme des uns fehlenden
— 262 —
Ph. Beuteri Saunders) auch die deutschen Arten bis auf drei sehr
seltene* umfasst:
(12) 1. Mittlere Schienen mit quer gestellten Ringen (Bän-
dern, Streifen).
(3) 2, Grundglied der Fühler mit drei längsverlaufenden
schwarzen Streifen Populi.
(2) 3, Grundglied der Fühler schwarz marmoriert, aber
ohne schwarze Längslinien.
(7) 4. Die schwarzen Streifen (Querbänder) der Mittel-
schienen sind schmäler als der dazwischenliegende
weisse Raum.
(6) 5, Pronotum-Seiten fast immer breit schwarz, Halb-
decken nicht besonders lang, abgesehen von ganz
seltenen Spielarten scharf und deutlich schwarz ge-
fleckt, Hinterschenkel von gewöhnlicher Länge . . Tiliae.
(5) 6. Pronotum-Seiten nicht breit schwarz. Halbdecken
sehr lang und undeutlich gescheckt, Hinterschenkel
sehr lang und dünn longipennis.
(4) 7. Die schwarzen Bänder (Querstreifen) der Mittel-
schienen breiter als das dazwischenliegende Weisse.
(9) 8. Erstes Fühlerglied länger als das vierte .... cUmidiatus.
(8) 9. Erstes Fühlerglied so lang oder kürzer als das
vierte.
(11) 10. Erstes Fühlerglied fast so lang wie Kopf und
Pronotum zusammen . Beuteri.
(10) 11. Erstes Fühlerglied nicht ganz so lang als Kopf
und Pronotum zusammen Pini.
(1) 12. Mittlere Schienen ohne Querstreifen.
(14) 13, Grundglied der Fühler nicht verdickt und mit
langen borstigen Haaren besetzt übni.
(13) 14. Grundglied der Fühler schwach verdickt, Haare
sehr kurz und fein varipes.
Der wenn auch nicht mehr neuen, so doch äusserst scharfen
und eingehenden Zergliederung unserer Phytocoris-Avten in Reüter's
Revisio critica Capsinarum, 1875, p. 20 — 29 fehlen zwar die (bei
uns seltenen) Fh. dimicliatus Kirsche, und hirsutulns Flor, während
* Der nördliche Pä. intricatiis Flor lebt in Schweden, Finnland, Liv-
land u. s. w. und kommt auf deutschem Boden nur in Schleswig-Holstein vor,
während von Ph. hirsutuhis Flor Ms jetzt auf deutschem Gebiet (Mecklenburg)
nur ein Männchen von Eaddatz gefunden wurde; von Ph. minor Kirsche.
ebenso nur ein einziges Exemplar, 7, 54, von Kirschbaum, bei Mombach am
Rhein. Ich, für meinen Teil, wage nicht zu entscheiden, ob es sich bei solchen
Einzelfunden nicht sowohl um eine neue Art, als vielmehr um eine interessante
seltene Spielart handeln dürfte. H.
— 263 —
dieselbe eine Varietät von Fh. Populi L. als eigene Art (distinctus
DouGL.) aufführt. Gleichwohl halte ich es für erwünscht, deren
deutsche Übersetzung hier anzuschliessen :
A. Alle Schienen mit drei schwarzen oder braunen Ringen. Hinter-
schenkel vor der Spitze meist mit weisslicher oder blasser schiefer
Binde. Oberseite mit schwarzen Haaren zwischen hellem Flaum.
Erstes Fühlerglied schwach oder kaum verdickt, das zweite an
seinem Grunde und oft auch in der Mitte weiss, das dritte an
seinem Grunde weiss. Membran mit hellen Adern , die teilweise
mehrfach dunkelbraun oder schwärzlich sind. Kopfschild von der
Stirne durch einen verschwommenen Eindruck nicht scharf ge-
schieden. Die zu beiden Seiten des Kopfes liegenden Augen stehen
fast senkrecht. Geschlechtsabschnitt des Männchens oberhalb der
linken Ausbuchtung nicht in einen Zahn ausgezogen, oberer Rand
der Öffnung abgestutzt. Aufenthalt auf Bäumen. Art 1 — 6.
B. Erstes Fühlerglied mit drei langen, durchlaufenden, schwarzen und
zwei weissen Streifen, zweites Glied 1^/^ — 2 mal länger als das
erste, drittes Glied um ^/g kürzer als das zweite, viertes kürzer
als das dritte, die zwei letzten zusammen wenig länger als das
zweite. Augen vorspringend. Stirne beim Männchen kaum schmäler
als das Auge. Art 1 — 2.
G. Erstes Fühlerglied so lang als das Pronotum und der halbe Kopf
zusammen. Art 1. PopuU L.
mit der ausgedehnter dunkler gezeichneten var. b ($).
NB. Der dieser Art in Färbung und Zeichnung sehr ähnliche
Ph. dimidiatus Kieschb. unterscheidet sich von ihr durch geringere
Grösse , durch die beim Weibchen kaum vorstehenden Augen,
durch die zwischen den Augen breitere Stirne, durch das etwas
kürzere, lehmfarben getüpfelte, nicht länglich gestrichelte
erste Fühlerglied und durch das schmälere, glänzende und stärker
schwarz gezeichnete Pronotum.
CG. Erstes Fühlerglied kaum länger als das Pronotum. Oberseite des
Leibes sehr dunkel, fast ganz schwarz. Art 2.
distinctus Dougl. et Scott.
NB. Kleiner als Ph. Popidi, das erste Fühlerglied weit kürzer,
die dunkle Körperfärbung weit mehr ausgedehnt und auf der
Oberseite mit zerstreuten kupferfarbenen Haaren bedeckt. — Von
dem ähnlichen Ph. dimidiatus Kieschb. durch das schwarz- und
blass gestrichelte (nicht lehmfarbig getüpfelte !) erste Fühlerglied,
sowie auch durch die mehr vorstehenden Augen unterschieden. —
Durch eben diese Merkmale, sowie besonders auch durch die dunkle
Färbung unterscheidet er sich gut von Ph. intricatus.
BB. Erstes Fühlerglied blass und schwarz oder dunkelbraun getüpfelt,
nicht länglich gestrichelt. Art 3 — 6,
D. Pronotum blass oder grünlich, an den Seiten breit und deutlich
schwarz gesäumt. Erstes Fühlerglied auf seiner Unterseite voll-
, — 264 —
ständig schwarz , auf der Oberseite mit drei bis vier schiefen,
blassen oder weissen Streifen gezeichnet; zweites Glied kaum um
mehr als die Hälfte länger als das erste, die letzten zusammen
deutlich länger als das zweite. Art 3. Tiliae F.
mit den Varietäten a, typica; b, signata; c; d, cretacea.
NB. var. cretacea ist dem Männchen von Ph. longipennis Flor
var. decolorata ziemlich ähnlich, jedoch kürzer, mehr schwarz-
braun gezeichnet und auch an Stirne, Augen und Fühlern anders
gebaut.
DD. Pronotum an den Seiten gar nicht oder doch (gegen seinen Grund
zu) nur undeutlich schwarz gesäumt. Art 4 — 6.
E. Erstes Fühlerglied so lang wie das Pronotum und der halbe Kopf
zusammengenommen , auf seiner Unterseite meist weiss ; zweites
Glied fast zweimal so lang wie das erste ; drittes etwa ^/^ kürzer
als das zweite ; viertes kürzer als das dritte ; die beiden letzten
zusammen so lang wie das zweite. Art 4. longipennis Flok.
mit var. a (decolorata) und var. b (signata).
NB. Ph. dimidiatus Kieschb. unterscheidet sich von longipennis
durch seine etwas kürzeren Fühlerglieder, durch den zwischen den
Augen breiteren Scheitel und den auf der Oberseite meist viel
schwärzeren Leib.
EE. Erstes Fühlerglied nicht oder kaum länger als das Pronotum.
Art 5—6.
F. Kopfschild vorne die Mitte des ersten Fühlerglieds nicht erreichend.
Kopf ziemlich stark geneigt. Cubital-Ader der Membran nicht
verdickt, selten etwas dunkler. Erstes Fühlerglied kaum länger
als das Pronotum. Hinterschenkel etwa 7 mal länger als breit.
Art 5. intricatus Flor.
NB. Von dem ähnlichen Ph. dimidiatus Kirsche, durch das
kürzere erste und dritte Fühlerglied, durch das nicht halbschwarze
Pronotum, durch die beim Männchen schmälere Stirne, sowie durch
die beim Weibchen über die Scheitelebene nicht vorspringenden
und weniger kugeligen Augen unterschieden. Von Ph. Pini unter-
scheidet er sich durch die längeren Fühler, sowie dadurch, dass
das erste Glied etwas länger als das Pronotum, das dritte Glied
fast nur halb so lang wie das zweite, der Scheitel des Männchens
zwischen den Augen schmäler ist , die Seiten des Pronotum ge-
buchtet sind, die Cubital-Ader der Membran nicht verdickt und
die Leibesoberfläche meist nur wenig und verschwommen bräun-
lich-rostrot gescheckt ist.
FF. Kopfschild vorne die Mitte des ersten Fühlergliedes erreichend.
Kopf weniger stark geneigt. Membran mit schwärzlicher und
verdickter Cubital-Ader. Erstes Fühlerglied nicht länger als das
Pronotum. Ilinterschenkel ziemlich kurz und verdickt, meist nur
etwa das Fünffache länger als breit. Art G. Pini Kirsche.
mit drei Farbenvarietäten a, b, c. — Die Nymphe ist in der
Färbung dem Imago sehr ähnlich.
— 265 —
AA. Nur die Vorderschienen mit drei schwachen schwarzbraunen Ringen,
die hinteren an ihrem Grunde breit schwarzbraun. Membran mit
gelbroten Adern. Weibchen kürzer als das Männchen, seine Halb-
decken am Rande ausgerundet und den Hinterleib kaum über-
ragend; bisweilen sind sie gekürzt. Art 7 — 8.
G. Erstes Fühlerglied fein und lang. Stirne abschüssig. Kopfschild
von der Stirne kaum geschieden. Augen zu Seiten des Kopfes
fast senkrecht gelegen. Art 7. TJlmi L. Fall.
mit einer makropteren (Halbdecken etwa Y^ länger als der Hinter-
leib) und einer brachypteren (Halbdecken so lang wie der Hinter-
leib) Form.
NB. Die dem Imago an Farbe sehr ähnliche Nymphe hat fast
ungefleckte Vorderschienen, während ihre Hinterschienen drei
deutliche rotbraune Ringe zeigen.
GG. Erstes Fühlerglied nicht länger als das Pronotum und dabei ver-
dickt. Stirne nur wenig geneigt und vom vorspringenden Kopf-
schild durch einen tiefen Eindruck geschieden. Kopf leicht ge-
neigt. Geschlechtsabschnitt des Männchens linkerseits tief aus-
gebuchtet, oberhalb des Ausschnittes in einen starken Zahn aus-
gezogen, am oberen Rande gleichfalls ein vorspringender Zahn.
Art 8. varipes Boh.
ebenfalls mit makropterer und brachypterer Form, (bei ersterer
sind die Halbdecken länger als der Hinterleib, bei letzterer gleich
lang). 7 bezw. 6 mm.
'^'meridionalis H. Sch.
Blassgelblich (unten heller), auf der Oberseite mit ziemlich
langem gelben Flaumhaar bedeckt (ohne schwarze Haare dazwischen!);
dabei orangegelb gezeichnet, und zwar haben diese Farbe ein Fleck
an der Stirne, zu Seiten der Augen; zwei oder vier Tüpfelchen an
der vorderen Einschnürung und vier Streifen hinter den Schwielen
des Pronotum. — Kopf ziemlich stark geneigt, von oben gesehen
quer. Der an seiner Spitze schwarze Schnabel reicht bis zur Mitte
des Hinterleibs. — Fühler lang und blass ; das schlanke erste Glied
kaum länger als das Pronotum, manchmal leicht gelblich getüpfelt
und mit steifen langen Haaren besetzt; das vierte Glied so lang wie
das erste. — Das weissliche, nicht getüpfelte Pronotum hat leicht
gebuchtete Seiten; seine Fläche ist etwas nach vorne geneigt. Schild-
chen ungefleckt. Epipleuren der Vorderbrust goldgelb gefleckt. —
Halbdecken dicht und fein orangegelb getüpfelt ; die weisshche, blass-
gelb geäderte Membran ist dicht und fein grau getüpfelt. — Beine
hell; Hinterschenkel (mit Ausnahme des Grundes) goldgelb; Schienen
mit ziemlich langen feinen Dornen besetzt. — Länge b^J^ — 5^4 mm.
(Nach Reuter.)
— 266 —
Fhytocoris meridionalis Herrich-Schäffer , Nom. entom. 1835,
p. 48. — Fhytocoris Signoreti Perris (Mülsant) , Ann. Soc. Linn.
Lyon, 1857, IV, p. 163. — Fieber, Europ. Hemipt. 1861, 258, 2.
— PüTON, Cat. 1886, p. 47, 32. — Reuter, Ann. Soc. Entom. Fr.
Ser. V, 1877, t. VIT, 31, 26, t. 11 f. 7. — Hemipt. Gymnoc. Europ.
1896, V, p. 245, 2. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, p. 67.
France, Italic, Grece, Espagne et Portugal, Allemagne et Autriche.
PüTON (1886).
Auf Quercus Cerris in Nieder-Österreich nach Herrn P. Loew;
Wien, von Herrn Mann gesammelt. (Mus. Vienn.) Reuter. (Ann.
Hemipt. 1881, 190.)
France, Spain, Italy, Greece, Germany. Atkinson (1889).
Habitat in Quercu : Gallia meridionalis ! , D. D. Perris , Puton,
Dominique et Montandon; Italia borealis (Stazzano), D. Ferrari;
lUyria (Gorice!), Dr. Hensch; Austria inferior!, D. D. Mann et P. Loew,
Hungaria (Simontornya) , Dr. Horvath; Graecia!, D. D. Krueper et
Oertzen. Reuter (1896).
* Das von Dr. Handlirsch auf einer Eiche bei Dornbach (Öster-
reich) gefundene und von Prof. Reuter (Hemipt. Gymnoc. Europ.
1896, V, p. 245, 3) als nova species: ^Phytocoris Handlirschi^ be-
schriebene Weibchen dürfte doch wohl nur eine Spielart von Ph. meri-
dionalis H. ScH. sein, von der es sich durch den oben leicht glän-
zenderen Leib, durch das anders gezeichnete, besonders in der hinteren
Hälfte dicht graubraun getüpfelte Pronotum, durch die auf den Halb-
decken (ausser dem gelblichen Flaum noch) befindlichen schwarzen
Haare , durch die mit schwarzen Borstenhaaren besetzten gelbrot
gezeichneten Hinterschenkel , durch die schwach braun geringelten
Vorderschienen und durch die mit braunen zarten Dornen versehenen
Hinterschienen wohl unterscheiden soll (Bastard?!).
** Fhytocoris cdhofasciatus Fieber (Europ. Hemipt. 1861, 259,
3. — Puton, Cat. 1886, 47, 35. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889,
63. — Reuter, Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V, 1877, 31, 27, t. II f. 8.
— Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 250, 8 und t. 10 f. 9) lebt
nach Reuter in Spanien, Frankreich (Isere , Nizza), Süd-Schweiz,
Nord-Italien, Dalmatien und Griechenland auf Pinus (silvestris und
pinea) und wurde, nach Frey-Gessner, nur einmal in einigen Stücken
— 267 —
von Meyer bei Siders in Wallis auf Föhren erbeutet. — Diese Art
zeigt bei bräunlichgelber Färbung eine (zwei- bis dreimalige) breite
weisse Bänderung über Halbdecken einschliesslich Schildchen; eine
weisse, braun punktierte Membran mit gelbroten Adern ; stark rötlich-
gelbe (am Grunde mehr gestrichelte, am Ende mehr gelblich-gefleckte)
Schenkel; bleiche, braun gezeichnete Schienen; bräunlichgelbe, weiss-
geringelte Fühler, deren zwei letzte Glieder schwarz, und 4 — 6 schwarze
Haarbüschel am hinteren Pronotumrand. Der von oben gesehene
Kopf erscheint in die Quere gezogen und kürzer als das Pronotum,
von der Seite gesehen kürzer als hoch.
? minor Kirschbaum.
Redter beschreibt diese, ihm selbst unbekannte Art (Hemipt.
Gymnoc. Europ. V, 251, 9) wie folgt: Länglich, dunkel, verschwommen
gelblichrostbraun, mit Ausnahme des ersten Fühlerglieds kaum dunkel
gesprenkelt, schwarz behaart zwischen deutlichem hellem Haarflaum;
erstes Fühlerglied verwischt gelblich, rotbraun getüpfelt, so lang wie
das Pronotum; das zweite Glied 272 mal länger als das erste, ver-
schwommen braungelb, am Grund und in der Mitte kaum etwas
blasser ; die letzten Glieder graubraun , gleichlang , jedes etwa nur
halb so lang wie das zweite , das dritte am Grunde weisslich ; die
rötlichen Schenkel mit gelblichen Punkten bestreut, die Schienen
mit ziemlich verwischten dunklen Ringen; Kopf stark geneigt mit
rotbraunen Querstrichen, Kopfschild leicht vorspringend, Scheitel (S)
kaum breiter als das Auge ; Halbdecken verschwommen gelbbraun,
am Grunde, am inneren Ende des Corium und an der Spitze des
Keils etwas dunkler , Membran mit rotbraunen Adern. Länge : S
272 Linien. Reuter (nach E. Kirschbaum).
Nach Reuter soll sich diese Art von den andern verwandten
Arten durch Färbung und Beschaffenheit der Fühler unterscheiden.
Von Ph. pini Kirschb. durch geringere Grösse und blassere Färbung,
durch das kürzere Pronotum, dessen Schwielen nicht hervortreten,
sowie durch das zweite längere und dritte kürzere Fühlerglied. Von
Ph. albofasciatus Fieb. , der sie nahe zu stehen scheint , weicht sie
durch die Farbe des dritten Fühlerglieds und die verschwommenen
Schwielen des Pronotum ab.
Kirschbaum giebt als Unterscheidungsmerkmale von der (von
ihm gleichfalls zuerst beschriebenen) Ph. pini n. sp. an , dass ihr
drittes Fühlerglied nur halb so lang als das zweite (während dasselbe
bei pini fast ^4 so lang). Beide seien hellbräunhch, während aber
— 268 —
pmi rötlich und schwärzlich gescheckt ist und der Aussenrand der
Halbdecken und die Membrannaht schwärzliche Punktflecken zeigen,
ist minor kleiner von Gestalt, viel heller gescheckt, ohne schwärz-
liche Punktflecken , und treten bei ihr die filzigen weissen Härchen
mehr hervor. 1
Fhytocoris minor Kirschbaum, Rhynchot. Wiesbadens, 1855,
S. (9, 22 und) 40, 22. — Puton, Cat. 1886, 47, 10. — Fieber,
Europ. Hemipt. 1861, 261, Anm. — Reuter, Ann. Soc. Entom. Fr.
Ser. V, 1877, VIT, 33, t. 2 f. 8. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896,
V, 251, 9.
Ein männhches Exemplar, 15. 7. 1854, von Kirschbaum bei
Mombach am Rhein auf Kiefer (mit Fh. pini) gefangen ! — Da dürfte
es sich doch wohl nur um eine Spielart handeln!? H.
23 (419) Tiliae Fabr.
L. virescens : fasciis tribus fuscis ; media angulata. Fabricius.
P. Tiliae virescens, linea thoracis laterali fasciisque tribus ely-
trorum nigris. Fallen.
Länglich, weisslichgrün , gelblichgrün oder grauhchweiss und
dabei (mit Ausnahme des Kopfes) mehr oder weniger dunkelbraun
oder schwarz getüpfelt und gefleckt (marmoriert), nach dem Tode
häufig gelblich verblassend; dabei mit wirrem hellem Flaum und
dazwischen mit anliegenden schwarzen Haaren bedeckt. Eine sehr
hübsche, aber auch ausserordentlich variierende Art, das eine Mal fast
ganz schwarz gefleckt mit gelber Zeichnung und breitem gelbem
Seitenfleck, das anderemal grünlich mit nur wenigen zerstreuten
dunklen Flecken, und zwischen diesen beiden Extremen der grösste
Wechsel in Zeichnung und Färbung. — Kopf vollständig blass und
ungefleckt, von oben gesehen deutlich quer, von vorne gesehen so
lang wie breit. Scheitel von Augenbreite oder etwas darüber. Kopf-
schild wenig vortretend. Der blassgelbe, an seiner Spitze schwarze
Schnabel reicht bis zum zweiten Bauchabschnitt. — Fühler dunkel ;
erstes Glied auf der Unterseite vollständig schwarz , oberseits weiss
gefleckt bezw. mit 2 — 4 weissen Streifen und dabei mit langen dunklen
steifen Haaren besetzt; das zweite Glied fast mehr als die Hälfte
länger mit zwei weissen Ringen; das dritte nur am Grunde schmal
weiss ; die beiden letzten zusammen länger als das zweite. — Pro-
notum nach vorne geneigt mit breit und scharf schwarz-gerandeten
— 269 —
Seiten ; auch am Grunde findet sich ein in seiner Mitte jedoch unter-
brochener schwarzer Saum. — Schildchen und Halbdecken schwarz
marmoriert, jedoch nach Ausdehnung und Art ausserordentlich wech-
selnd, beim Männchen im allgemeinen schwärzer und zusammen-
hängender, beim Weibchen öfters unregelmässige Querbinden bildend.
Die Halbdecken selbst überragen stets das Hinterleibsende, beim Männ-
chen mehr als beim Weibchen. Ihre Membran ist hyalin, grau ge-
tüpfelt mit weisslichen Adern. — Beine blass, die Schenkel schwarz
oder dunkelbraun gefleckt, die Schienen schwarz geringelt und mit
feinen blassen Dornen besetzt. — Länge b^/^—Q^j^ mm.
Diese Art unterscheidet sich von allen andern durch ihre glän-
zendere hellere Zeichnung, durch ihre blassere Färbung und die da-
zwischen eingestreute , scharf abgegrenzte und weniger zusammen-
fliessende schwarze Zeichnung. Von Ph. longipennis Flor unter-
scheidet sie sich durch die kürzeren Fühler, Beine und Halbdecken,
durch ihren breiteren Bau und ihre meist ins Grüne schillernde
Färbung.
Reuter unterscheidet neuerdings (Hemipt. Gymnoc. Europ. V,
257, 15) sechs Varietäten :
Var. a, cretacea Reut. Weisslich, verschwommen dunkelbraun
gezeichnet, Pronotum mit breit schwarzbraunen Seiten und vier
schwarzen Strichen an seinem Grundrand ; an der Spitze des Schild-
chens zwei kleine, auseinandergehende dunkle Streifen; Halbdecken
mit zwei breiten verschwommenen dunklen Querbinden, die eine vor
der Mitte, die andere vor dem Rautenfleck an der Spitze.
Var. ß, typica : Auf der Oberseite grünlichweiss, Pronotum und
Schildchen wie bei Var. a gezeichnet, nur dass die Zeichnung selbst
lebhaft schwarz ist, die Streifen vor dem Grundrande oft zusammen-
fliessen und an den Halbdecken sich auf dem Corium ein den dritten
Teil desselben einnehmender schwarzer Fleck findet, während der
Aussenrand schwarz gescheckt und der Keil gegen seine Spitze zu
schwarz getüpfelt, letztere selbst aber gelbbraun ist. $.
Var. y , signata Reut. : Wie Var. ß , nur dass die Halbdecken
mit dichterem Schwarz marmoriert sind und die Kommissur, der
Grund des Corium, ein Fleck unterhalb der Mitte und ein Fleck am
inneren Ende (letzterer vorne deutlich schwarz abgegrenzt) weissHch
ist, während der Clavus schwärzlich gefleckt und der Cuneus wie
bei Var. ß ist; am Pronotum fliesst der schwarze Seitensaum mit
der schwarzen Binde am Grunde oft zusammen, welch letztere schmal
und wenigstens in ihrer Mitte unterbrochen ist. 6.
- 270 —
Var. d, ferruginea Westhoff: Wie Var. /, nur dass die Farbe
der Oberseite leicht ins Rostbraune schillert, d*.
Var. «, maculosa Westhoff : Halbdecken mit zusammenfliessen-
den, stark ausgedehnten, tiefschwarzen Flecken; der Schildchenrand
des Clavus, die Naht, ein mittlerer schiefer Fleck auf dem Corium,
ein rhombischer Tüpfel an dessen Ende, einzelne kleinere Punkte
sowie der Grund des Cuneus blass; Pronotum und Schildchen wie
bei Var. ß.
Var. C, marmorata Douglas and Scott: Auf der Oberseite
grünlichweiss ; am Pronotum fliesst der seitiiche Saum und die Binde
am Grunde zusammen, indem letztere in einen sehr grossen, oft bis
zu den Schwielen reichenden, nach hinten zu gebuchteten Fleck aus-
gezogen ist (dabei sind die Schwielen selbst, zwei hinter denselben
befindliche, bis zur Grundbinde reichende Flecke und der Grundsaum
selbst in seiner Mitte ziemlich breit grünlichweiss). Am Schildchen
finden sich zwei auseinanderstrebende schwarze Streifen; auf den
Halbdecken zwei breite, schwarze, blassgesprenkelte Binden, deren
eine vor der Mitte des Corium, innseits, sich nach dem Clavus hin-
zieht und daselbst erweitert, während die andere gegen die Spitze
des Corium zu, innseits, oberhalb des blassen Endflecks des Corium,
tief ausgebuchtet, sowie am Keil ein Streif am Grunde des inneren
Randes nebst der Spitze ziemlich breit schwarz gefärbt ist.
Cimex tiliae Fabriciüs, Gen. Ins. 1776, 301, 153 — 154.
Lygaeus tiliae Fabriciüs, Entom. Syst. 1794, IX, 174, 137. —
Syst. Rhyng. 1803, 237, 169. — Fallen, Monogr. Cimic. Suec. 1807,
79, 40.
Miris tiliae Latreille, Hist. Nat. 1804, XII, 224, 14.
Phytocoris populi Meyer, Schweiz. Rhynchot. 1843, t. 7 fig. 1.
Capsus tiliae F. Sahlberg, Monogr. Geoc. Fenn. 1848, 98, 14.
— Thomson, Opusc. entom. 1871, IV, 418, 4.
Phytocoris marmoratus Douglas and Scott, Entom. Monthl.
Magaz. 1869, p. 261 (== varietas nigredine valde extensa).
Phytocoris tiliae Fallen, Hemipt. Suec. 1829, 85, 17. — Kirsch-
baum , Rhynchot. Wiesbadens, 1855, 39, 18. — Fieber, Criter. z.
gener. Theilg. d. Phytocor. 1859, 18. — Europ. Hemipt. 1861, 260,
10. — Douglas and Scott, Brit. Hemipt. 1865, 303, 2 and t. 10 f. 8.
* Wegen jeder, oft nur einmal gefundenen, vielleicht nur postmortalen
Farbenabweichung eine eigene Varietät aufzustellen, geht doch wohl etwas weit!
H.
— 271 —
— Reuter , Hemipt. Gymnoc. Sc. et Fenn. 38 , 3. — Revis. crit.
Caps. 1875, 22, 3. — Ann. Soc. Entom. Fr. 1877, 16, 4, tab. 7.
— Revis. synon. 1888, 250, 220. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896,
V, p. 257, 15 et t. 9 f. 2 (var.). — Saünders, Synops. of Brit. Hemipt.
Het. 1875, 265, 4. — Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 235.
— Snellen van Vollenhoven, Hemipt. Neerl. 1878, 180. — Pdton,
Cat. 1886, 47, 4. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 67.
Bayern: Bei Augsburg, Göggingen. Kittel. — Bei Bamberg.
Funk. — Württemberg. Roser. — Elsass-Lothringen : Sur les tilleuls ;
Remiremont, Val de Ville; rare. Metz; assez commun. Reiber-Püton.
> — Nassau: M W bei Wiesbaden; auf Eichen und auf Erlen, nicht
selten ; 7 — 8. Kirschbaum. — Westfalen : Wie longipennis Flor ver-
breitet und wohl fast gleich häufig. Sie lebt vornehmlich auf Eichen,
dann aber auch auf Corylus , Betida und Tilia; die Form typicus
Reut, kaum bei uns ausgebildet, signatus Reut, die Normalform.
Var. ferrugineus (= Var. c Reut.) selten. Var. cretaceus Reut, nicht
so selten ; bei Münster an Lindenbäumen im August und September.
Var. maculosus ein Stück, 8. 80, bei Münster auf Querciis gefunden.
Westhoff. — Schleswig-Holstein : An Lindenstämmen oft nicht selten.
Wüstnei. — Mecklenburg : Von Anfang August bis Anfang Oktober
in Gärten und Laubwäldern einzeln. Raddatz. — Schlesien: Th. populih.
mit ß Var. tiliae F. (weisslich oder gelbrötlich und russigschwarz
gefleckt ; die mannigfachsten Übergänge in der Färbung zur Stamm-
form zeugen gegen ihre Artgültigkeit) : Von Ende Juli bis Ende August
auf Weiden und Pappeln, auch auf Linden. Schultz. — Provinz
Preussen : Brischke.
Durch ganz Europa einzeln. An Eichen, Erlen, Linden. Fieber.
Habitat in Tilia!, Queren!, Populo!, Acere (P. Loew), Alno
(Credler) , Corylo et Betula (Westhoff) , Ulmo (Norman , Spitzner,
DuBOis) , Salice (Frey-Gessner , Gredler) , Pruno ceraso (Spitzner),
Castanea vesca (Ferrari), Lauro nobili (Horvath) : Norvegia (Toeien) ;
Suecia (usque ad Stockholm !) , Fennia meridionalis (Abo !) , Livonia
(Kokenhusen) , Dania, Schlesvigia-Holsatia, Mecklenburgia, Borussia,
Batavia, Belgium, Britannia tota, Gallia, Nassovia, Bavaria, Bohemia,
Moravia, Helvetia, Tirolia, Hungaria, Halicia, Lusitania, Liguria,
Graecia! Reuter (1896).
[Schweiz : Im Mai, Juni und Juli noch unausgebildet ohne Decken,
dann von Ende Juh an bis gegen Mitte Oktober fast allenthalben
entwickelt; aber stets nur einzeln, in Schächen und schattigen Orten,
• — 272 —
auf Weiden-, Pappel- und Eschengesträuchen. Variiert in Farbe und
Zeichnung ausserordentlich vom Weisslichen bis ins Dunkelmoosgrüne.
Die ziemlich seltene Var. tüiae Fabr. ist russigschwarz , mit hell-
oder gelbrötlich bleibenden Stellen (Taf. 7 Fig. 4). Meyer*. —
P. tüiae Fab. (= Meyer, Taf. 7 Fig. 4, ist aber zu schön grün illu-
miniert) auf Weiden, Pappeln, Linden und anderen Bäumen und Ge-
sträuchen nicht häufig. Frey-Gessner. — Tirol: Auf Weiden, Pappeln
und Linden; Strasse im Unterinnthal, an Erlen im Juli. Gredler.
— Böhmen: Auf Lindenstämmen in Anlagen und Alleen, seltener
auf anderen Bäumen, wohl überall verbreitet, doch in manchen Jahren
recht selten. Duda. — England: On limes and other trees, not rare
and generally distributed. Saünders.]
24 (420) longipennls Flor.
Länger, schmäler, blässer (und glanzloser gefleckt) als die an-
deren Arten, fast gleichbreit, ziemlich sparsam und nur schwach
dunkel (grau, schwarzbraun, schwärzlich) gezeichnet, unten heller
als oben : dabei mit wirrem hellem Flaum und dazwischen, besonders
auf den Halbdecken, mit bald anliegenden, bald aufgerichteten schwarzen
Haaren besetzt. Von der ganzen matten Oberfläche zeigt höchstens
das Pronotum manchmal leichteren Glanz. Beine, Fühler und Halb-
decken sind sehr lang. — Kopf stark geneigt, fast senkrecht, etwa
^3 so breit wie der Grund des Pronotum, von oben gesehen quer,
von der Seite gesehen ziemlich kürzer als hoch, von vorne gesehen
so lang ($) oder etwas kürzer (d) als breit; dabei (wie bei Fh. tüiae)
ohne dunklere Zeichnung, einfarbig gelblichbraun. — Kopfschild wenig
vorspringend, von der stark geneigten Stirne kaum abgegrenzt. —
Scheitel beim Männchen sehr schmal , nur etwa halb so breit wie
das sehr grosse und stark gewölbte Auge (beim Weibchen höchstens
Vs breiter). — Der blassgelbe, an seiner Spitze schwarze Schnabel
reicht bis zum dritten Bauchabschnitt. — Die grauen Fühler lang,
länger als das ganze Tier; ihr schlankes, helles, dunkel getüpfeltes
und mit ziemlich langen, silberweissen , aufrechtstehenden Haaren
besetztes erstes Glied ist so lang wie Kopf und Pronotum zusammen ;
das zweite und dritte Glied ist am Grunde schmal weiss (beim zweiten
meist noch ein breites gelbes Band unterhalb der Mitte); das dritte
Glied etwa ^/^ so lang wie das zweite ; das vierte nicht oder nur
wenig kürzer als das dritte ; die beiden letzten Glieder zusammen
*
Nach Reuter (Rev. synon. 250, 220) entspricht jedoch nur die Abbildung
SIeyer's Taf. 7 Fig. 1 der Ph. tiliae Fabr. H.
— 273 —
so lang wie das zweite Glied. — Pronotum (gleich den Halbdecken)
wechselnd graulich schwarzbraun gezeichnet, anderthalbmal so breit
wie lang, vorne (hinter der Einschnürung) nur halb so breit wie
hinten , mit gebuchteten (leichtkonkaven) Seiten , mit nach vorne
ziemlich geneigter Fläche und mit langen, etwas angedrückten schwärz-
lichen Haaren. — Die langen, parallelständigen Halbdecken überragen
(beim Männchen um die Hälfte, beim Weibchen um ein Drittel ihrer
Länge) den Hinterleib, haben nur schwache dunkle Zeichnung und
an ihrer Spitze einen glänzenden (im vorderen Winkel schwarz ab-
gegrenzten) Rautenfleck. Der blass-gelbhchgraue , oft auch etwas
röthch angeflogene Cuneus ist gegen sein Ende dunkelbraun oder
schwärzlich bestäubt und an seiner Spitze lehmfarben. Die glashelle
(hyaline) Membran ist sparsam graubraun getüpfelt und besitzt weiss-
liche Adern ; nur die Cubitalader ist schwarzbraun. — Die sehr
langen, dünnen, blassgelben, mit langen, halbaufgerichteten feinen
weissen Haaren versehenen Beine haben blasse, erst gegen ihre Spitze
zu dunkel getüpfelte Schenkel und dreifach schwarzgeringelte (ge-
bänderte) Schienen (besonders deutlich am hintersten Beinpaar) ;
dabei sind die dunklen Ringe erheblich schmäler als das dazwischen-
liegende Weiss ; ausserdem sind die Schienen noch mit langen, blass-
bräunlichen, dornartigen Haaren besetzt; auch die (etwa siebenmal
länger als breiten) Hinterschenkel sind mit langen angedrückten
Haaren versehen. Die Tarsen sind gelbbraun. — Der Geschlechts-
abschnitt des Männchens ist linkseits der Öffnung abgestutzt. — •
Länge 6^4 — 772 '^™-
Diese Art unterscheidet sich von Fh. tiliae durch ihren schmäleren
Bau und durch die nicht breit und nicht scharf schwarz-gesäumten
Seiten des Pronotum. — Von Ph. popuU durch die Zeichnung des
ersten Fühlerglieds. — Von Ph. dimidiatus Kirschb. (dessen Var. y
dieser Art an Farbe sehr ähnelt) ausser dem blassen Kopf durch die
längeren Fühler. — Von Ph. intricatus Flor (dem sie durch den
schmäleren Scheitel des Männchens ähnelt) ist sie dadurch unter-
schieden, dass dieser noch schmäler, blässer, mehr ins Weissgelbliche
spielend und sein erstes Fühlerglied länger ist.
Reuter (Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 259 ff.) unterscheidet:
Var. a, typica : Oberseite weisslich ; Kopf gleichfarbig und nicht
gezeichnet; Pronotum an seinem Grundrande mit 4 — 6 schwarzen
Strichen ; Schildchen gegen die Spitze zu mit zwei schwarzen, aus-
einanderweichenden kleinen Streifen ; Halbdecken spärlich schwarz
oder dunkelbraun getüpfelt, vor der Spitze mit zeichnungsfreiem
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 18
— 274 -
rautenförmigem Fleck, der nach vorne zu einen schmalen schwarzen
Saum hat.
Var. ß, signata Reut. : Wie Var. a, jedoch sind die Seiten und
der Grundrand des Pronotum nur undeutlich und verschwommen
dunkelbraun oder bräunlich; am Schildchen sind die Grundwinkel
und zwei bindenartige Flecke schwarzbraun ; die Halbdecken sind
dichter schwarz- oder dunkelbraun marmoriert, der an der Spitze
befindliche, nicht gezeichnete Rautenfleck besitzt nach vorne zu einen
erheblich breiteren schwarzen Saum und oft noch vor seiner Mitte
einen queren Fleck; am Kopfe finden sich bisweilen schmale bräun-
liche Striche auf der Stirne und ebensolche Flecke auf dem Kopf-
schild, sowie gleichfarbene Linien auf den Zügeln (Lorae).
Phytocoris Fopuli Kirschbaum, Rhynchot. Wiesbadens, 1855,
38, 16. Wahrscheinhch !
Fhytocoris dimidiatus Fieber, Europ. Hemipt. 1861, 260, 9. —
Douglas and Scott, Brit. Hemipt. 1865, 307, 4.
Capsus longipennis Thomson, Opusc. entom. 1874, IV, 418, 5.
Fhytocoris longipennis Flor, Rhynchot. Livlands, 1860, H, 601,
6. — Reuter, Rev. crit. Caps. 1875, 24, 4. — Hemipt. Gymnoc. Sc.
et Fenn. 40, 4. — Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V, 1877, 16, 5, t. 7.
— Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 259, 16. — Saunders, Synops.
of Brit. Hemipt. Hat. 1875, 264, 2. — Hemipt. Het. of the Brit.
Islands, 1892, 236. — Püton, Cat. 1886, 47, 5. — Atkinson, Cat.
of Caps. 1889, 65.
Württemberg: Bei Ulm, an Waldrändern von Sträuchern und
Bäumen (Laubholz) geklopft (Klosterwald, Illerholz, Wiblinger Staats-
wald); 8; selten. Hüeber. — Elsass-Lothringen: Vosges: Remiremont.
Strasbourg : Forets de Walbourg, sur le charme et le chene ; a. c. en
juilles. Rhin: Sur le saule; 8. Reiber-Puton. — Westfalen: Um
Münster besonders auf Eichen, dann aber auch auf Linden und an-
deren Laubhölzern verbreitet und besonders im Herbst (August bis
Oktober) nicht selten. Die Form longipennis Flor (= decolorata
Reut.) bei Münster einmal von mir gefangen. Var. signatus Reut.
(= Fopidi Kirsche., dimidiatus Fieb., longipennis Thoms.) um Münster
die Stammform und überall nicht selten; unter Linden, auf Eichen
u. 8. w. ; 8. 9. Westhoff, — Schleswig-Holstein: longicornis Flor
auf Gebüsch in Wäldern stellenweise nicht selten. Wüstnei. —
Mecklenburg : Fk. longipennis Flor, Thoms. (= popnli Fall. Kirsche.)
- 275 —
von Ende Juli bis Mitte September in allen Laubwäldern auf den
Blättern der Haselgebüsche und anderer Sträucher häufig. Raddatz.
Aus Deutschland (von Dr. Förster als Fhyt. tiliae). Fieber.
Habitat in Quercu (Westhoff, ipse), Fago. Tilia (J. Sahlberg,
Westhoff) , Corylo (Saunders) , Populo (Dübois , Lethierry) , Pruno
domestico, Platano et Acere, Salice (Dübois) : Suecia (Skane !), Fennia
meridionalis! (usque ad 61° 30'); Livonia (Kokenhusen), Danial, Schles-
vigia-Holsatia , Mecklenburgia , Batavia, Belgium, Iria, Scotia! et
Anglia ! , Gallia ! , Helvetia ! , Bohemia , Hungaria , Halicia , Moldavia.
Reuter (1896).
[Schweiz: Wie Jiirsutulus Flor bisher als bleiche Varietät mit
populi vermischt. Einige Exemplare in Meyer's Sammlung aus Burg-
dorf. Frey-Gessner. — Livland: Zwei W, Mitte August. Flor.]
25 (421) Fopuli Linne.
L. oblongus albus fuscoque nebulosus. Fabricius.
P. populi pallescens albo fuscoque nebulosus. Fallen.
Ph. Populi. Viridi-pallens sub-pubescens, antennis elytris pedi-
busque nigro-variegatis. Long 3'". Bürmeister.
P. Populi L. pallescens, pubescens, albo- et fusco-variegatus ;
antennis et pedibus pallidis, fusco-irroratis , femoribus basi albidis,
antennarum articulo secundo et tertio annulo ad basin albo; mem-
brana hyalino-nitente, extus maculis didymis albis. Long. SYg'".
Sahlberg.
Länglich-eiförmig, fast gleichbreit, glanzlos, auf der Oberseite
schmutzig blass, grauweiss oder ockerfarben und mehr oder weniger
dunkelbraun oder schwarz gescheckt, selten grösstenteils schwarz
(Var. distindus), dabei mit zartem Flaumhaar bedeckt. — Kopf sehr
stark geneigt, von oben gesehen quer, von der Seite gesehen kürzer
als hoch, von vorne gesehen so lang wie breit, dabei bräunlichgelb
und mit verschiedenen kleinen schwarzen Fleckchen und Strichelchen
gezeichnet. — Kopfschild leicht vorragend, von der abschüssigen
Stirne nur durch einen verschwommenen Eindruck geschieden. —
Scheitel beim Männchen kaum von Augenbreite, beim Weibchen etwas
breiter. — Die stark vorspringenden Augen, zu beiden Seiten des
Kopfes fast senkrecht gelegen, sind bei beiden Geschlechtern gross,
gewölbt und die Scheitelfläche überragend. — Der Schnabel reicht
bis zum vierten Bauchabschnitt. — Die dunklen, schlanken, faden-
förmigen Fühler sind etwa 74 länger als der Körper; ihr erstes Glied
ist so lang als Kopf und Pronotum zusammen, fast so lang wie das
18*
— 276 —
dritte, ganz leicht verdickt und (bei Annahme hellen Grundes) mit
drei schwarzen Längsstreifen versehen (Saunders) oder, was dasselbe,
auf schwarzem Untergrund mit zwei durchlaufenden, langen, weiss-
lichen, oft sehr schmalen Streifen besetzt (Reuter), dabei noch mit
wenigen langen borstigen weisslichen Haaren besetzt ; das zweite
Glied ist doppelt so lang wie das erste, und, gleich dem dritten, am
Grunde schmal weisslich ; bisweilen hat das zweite Glied auch noch
einen weisslichen Ring unterhalb der Mitte ; das vierte Glied ist
kaum kürzer als das dritte; die beiden letzten zusammen so lang
wie das erste. — Das trapezförmige Pronotum hat leicht gebuchtete
(konkave) Seiten, ist vorne ums Doppelte schmäler als am Grunde,
daselbst auch mehr oder weniger breit weissgelblich oder weissrötlich,
und hinten sowie auf den Seiten wechselnd breit schwarz ; der Grund-
rand ist wieder weisslich. — Das etwas gewölbte dunkle Schildchen
hat feine blasse Seitenstreifen und einen sich nach vorn erweiternden
weisslichen Mittelstreif. — Die hellen Epipleuren der Vorderbrust
zeigen zwei schwarze Flecke; die Mittelbrust ist fast ganz, die Hinter-
brust an den Seiten schwarzbraun ; die Offnungen weisslich. Der
Hinterleib ist oben (Rücken) schwarz, unten (Bauch) beim Männchen
schwarz und v/eiss gerandet, beim Weibchen weisslich mit schwarz
geflecktem Rande. Der Geschlechtsabschnitt des Männchens ist auf
der linken Seite der Öffnung abgestutzt. — Die Halbdecken sind
mehr oder weniger schwarz gefleckt, mit feinem silbernen Flaumhaar
bedeckt, zwischen welchem sich halbniederliegende schwarze Haare
vorfinden; am Ende des Corium ein heller glänzender viereckiger
Fleck ; die glashelle (hyaline) grau getüpfelte Membran hat weissliche
Adern, doch ist die Cubitalader vollständig und oft auch die Brachial-
ader an ihrem Ansatz schwärzlich. — Von den blassgelben, schlanken
langen Beinen ist das hinterste Paar das längste ; die Schenkel sind
schwarz gesprenkelt, aber nicht besonders dicht oder ausgebreitet;
die hinteren haben vor ihrer Spitze eine schiefe blasse Binde und
vereinzelte längere abstehende Haare; die Schienen sind schwarz
geringelt und mit langen weisslichen feinen Dornen besetzt. — Länge
6 — 7Y2 Toam (das Weibchen etwas länger als das Männchen).
Diese Art ist von allen Verwandten durch die Zeichnung des
ersten Fühlerglieds (hellgelblich - längsstreifig auf dunklem Grunde,
ein oberer und zwei untere seitliche helle Längsstreifen) leicht zu
imterscheiden.
Reuter (Hemipt. Gymnoc. Europ. V, 261, 17) unterscheidet
neuerdings vier Spielarten :
— 277 -
Var. a: Halbdecken schwarz; mehrere Randflecke, die Kom-
missur, ein grösserer ziemlich abgerundeter Fleck in der Mitte und
ein zweiter rautenförmiger vor der Spitze, sowie zahlreiche zerstreute
kleinere Fleckchen weisslich.
Var. /5: Halbdecken mit einem verschwommenen Fleck in der Mitte.
Var. y (intennedius Reut.) : Halbdecken fast vollständig schwarz,
nur 6 — 7 kleinere Fleckchen am äusseren Rande und ein Fleck vor
der Spitze ziemlich hell.
Var. d (distinckis Dougl. et Sc): Halbdecken, mit Ausnahme
eines rautenförmigen Flecks vor der Spitze, vollständig schwarz;
Fühler manchmal fast ganz schwarz; an der oberen Hälfte der Schiene
zwei oft zusammenfliessende Ringe.
Cimex Poptdi Linne, Syst. Nat. Ed. X, 1759, 449, 73. — Faun.
Suec. 1761, 257, 963. — Houttüin, Nat. Hist. 1765, I, X, 370, 73.
— P. MüLLEB, Linn. Nat. 1774, V, 503, 109. — Fabriciüs, Syst.
Entom. 1775, 727, 154. — Donovan, Nat. Hist. of Brit. Ins. 1798,
VH, 95, t. 202 f. 2. — Shaw, General Zoology, 1806, 166.
Lygaeus Populi Fabriciüs, Entom. Syst. 1794, IV, 174, 138.
— Syst. Rhyng. 1803, 237, 171. — Fallen, Monogr. Cim. Suec.
1807, 79, 39.
Miris j^opuli Latreille, Hist. Nat. 1804, XII, 225, 16.
Phytocoris distindus Douglas and Scott, Brit. Hemipt. 1865,
302, 1.
Capsus Popidi Thomson, Opusc. entom. 1871, 419, 6.
Phytocoris intermedüis Reuter, Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V,
1877, 14, 2, t. VII.
Phytocoris Popiü'i Fallen, Hemipt. Suec. 1829, 84, 16. —
Herrich-Schäffer, Nom. entom. 1835, 47. — Burmeister, Handb. d.
Entom. 1835, II, 268, 9. — Westwood, Introd. of the mod. class.
of ins. 1840, II, Syn. 122, ut typus. — F. Sahlberg, Monogr. Geoc.
Fenn. 1848, 90, 1. — Kirschbaum, Rhynchot. Wiesbadens, 1855, 38,
16. — Flor, Rhynchot. Livlands, 1860 (I, 413, 1, teilweise, und)
II, 594, 3. — Fieber, Europ. Hemipt. 1860, 260, 8. — Reuter, Hemipt.
Gymnoc. Sc. et Fenn. 37, 2. — Rev. crit. Caps. 1875, 20, 1. —
Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V, 1877, 15, 3, t. 7. (14, 1, t. 7, t. 2
f. 1). — Revis. synon. 1888, 249, 218. — Hemipt. Gymnoc. Europ.
1896, V, 261, 17. — Saunders, Synops. of Brit. Hemipt. Het. 1875,
264, 3, teilweise! — Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 235.
— PüTON, Cat. 1886, 47, 3. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 66.
- 278 —
Bayern : Bei Regensburg gemein. Kittel. — Bei Bamberg.
Funk. — Württemberg: Roser. — Bei Ulm sehr selten; Glacis, Lauter-
thal, je 1 Stück ; 8 und 9. Hüeber. — Elsass-Lothringen : Deux ex.
ä Remiremont (franz. Vogesen !) en juillet 1877, sur un grand saule
de riviere (P.). Reiber-Pdton (Suppl.). — Nassau: M W bei Wies-
baden; auf Eichen nicht selten; 7. Kirschraum. — Westfalen: Bei
Münster sehr selten. Westhoff. — Schleswig-Holstein : Nicht selten
an Pappel- und Weidenstämmen , Juni bis August. W^üstnei. —
Mecklenburg: Im Juli an den Stämmen alter Kopfweidenbäume selten.
Raddatz. — Schlesien : popidi L. mit Var. tiliae F. : in der Ebene
und im Gebirge, von Mitte Juni bis Ende August auf Pappeln, Weiden,
Eichen, Birken und Linden, mitunter auch auf Obstbäumen. Assmann.
— Provinz Preussen. Brischke.
Überall häufig in Gärten, Gebüschen, auf Wiesen. Burmeister.
An Weiden und Lindenstämmen in den Rissen der Rinde; durch
ganz Europa, einzeln. Fieber.
Habitat in Populo balsamifera, Salice caprea et Sorbu aucuparia
rarius; Europa praecipue media. Reuter (1875).
Habitat in Populo, Salice, Sorbu, Alno incana, Ulmo et Acere
(ipse), Fraxino (Frey-Gessner), Tilia (Thonless); Fennia meridionalis!
(usque ad 61*^), Suecia (Stockholm!), Norvegia (usque ad Dovre,
Throndhjem), Germania borealis, Guestphalia, Batavia, Gallia, Nas-
sovia, Bavaria, Bohemia, Silesia, Moravia, Tirolia!, Helvetia, Carinthia!,
Austria, Hungaria, Halicia, Moldavia; Sardinia, Sicilia, Graecia!
Reuter (1896).
[Schweiz: populi L. = Mey. Rh. Taf. 7 Fig. 1*, in dieser Ab-
bildung nur durch die langen Fühler in Verbindung mit der dunklen
Farbe als solcher von den sehr nahe verwandten Species zu erkennen.
Im Mai, Juni und Juli noch unausgebildet ohne Decken. Dann von
Ende Juli bis gegen Mitte Oktober entwickelt fast allenthalben in
Schächen, auf Weiden, Pappel- und Eschengebüschen vorkommend,
doch stets einzeln. Frey-Gessner. — Nieder-Österreich : Bei Gresten
auf Birken, sehr selten. Schleicher. — Böhmen: Auf Stämmen alter
Linden , Pappeln und Weiden , infolge seiner Farbe und Zeichnung
manchmal recht schwer zu finden; 7 — 8 überall nicht selten. Duda.]
Phirsutulus Flor.
Länglich-eiförmig, fast gleichbreit, blass gelblichgrau mit schwarzer
Zeichnung (unterseits hellgelb mit braun), glanzlos, mit wirrem weissem
* Diese Figur gehört (Reuter, Eev. syn. 1888, 250) zu Ph. tiliae Fab. H.
— 279 —
Flaumhaar und dazwischen halb anliegenden schwarzen Haaren be-
deckt, ähnlich wie bei Fh. mtricatus, aber stärker als bei Ph. populi.
— Kopf stark geneigt, schmutzig blassgelb, nur wenig gezeichnet,
Kopfschild und Stirne nur durch einen ganz schwachen Eindruck
geschieden. Scheitel von Augenbreite. Augen ($) stark vorspringend
(wie bei Ph. populi $). Schnabel bis zum dritten Hinterleibsabschnitt
reichend. — Pronotum vorne, hinter der Einschnürung, etwa um die
Hälfte schmäler als am Grunde, seine Seiten gerade, vorne gelblich,
hinten schwarz, die Seitenränder (fast bis vorne) gleichfalls schwarz ;
der Hinterrand schmal blass gesäumt. Das helle Schildchen zeigt
zwei sich einander nähernde schwarze Längsflecke und je einen
schwarzen Fleck im Grundwinkel. — Die blass-gelbgrauen Hälbdecken
sind unregelmässig dunkelbraun und schwarz gescheckt, gegen den
inneren Coriumrand zu dichter. Die glashelle Membran ist grau ge-
tüpfelt und hat schwarze Adern. — Die grauschwarzen Fühler sind
erheblich länger als der Körper; ihr erstes, weissgetüpfeltes Glied
ist etwas länger als das Pronotum und mit dichten langen Borsten-
haaren besetzt; das zweite Glied ist etwa zweimal so lang wie das
erste; das dritte ^5 kürzer als das zweite; Glied 2 und 3 sind am
Grunde schmal hell gesäumt; die beiden letzten Glieder zusammen
sind kaum länger als das zweite. — Die Beine ähnlich wie bei
Ph. longipennis ; die Schenkel ziemlich lang (abstehend, hell) be-
haart, sparsam schwarz und dunkel gescheckt; die Hinterschenkel
etwa siebenmal länger als an der dicksten Stelle breit; die Schienen
schwarz geringelt (wie bei Ph. populi) und mit kleinen Dornen be-
setzt. — Länge ($) etwa 5 mm.
Diese Art soll sich von Ph. Populi durch eine weniger satte
(d. h. hellere) Färbung, durch andere (dichtere) Behaarung, durch
kürzeres und anders gezeichnetes erstes Fühlerglied (nach Flor durch
geringere absolute und relative Länge desselben) unterscheiden. —
Reuter hält diese Art für ähnlich mit Ph. confiisus Reut., nur dass,
bei geringerer Körpergrösse, das erste Fühlerglied kürzer, das zweite
länger ist bezw. sei, und die Augen (des Weibchen) stärker vor-
springen.
Reuter selbst (und ihm stand wohl viel Material zur Verfügung)
kennt diese Art nicht aus eigener Anschauung! — Flor gründet
seine Beschreibung auf ein einziges , Ende August im Gras unter
einem Eichbaum bei Nitau in Livland gefundenes Weibchen! —
Raddatz will im August in einem mecklenburgischen Laubwald ein
hierher gehöriges Männchen gefangen haben ! — Ich persönlich wage
- 280 —
nicht zu entscheiden, ob ein solcher einmaliger Einzelfund (zumal
bei so wenig abweichenden Merkmalen) zur Annahme und Aufstellung
einer neuen Art berechtigt, und ob Jiirsutidus Flor denn nicht bloss
eine seltene Spielart von Fh. populi sein sollte?
Phytocoris hirsutulus Flor, Rhynchot. Livlands 1861, II, 597, 4.
— Reuter, Ann. Soc. Entom. Fr. (Spec. Gener. Phyt), Ser. V, 1877,
32, tab. 7. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 264, 19. — Puton,
Cat. 1886, 47, 7. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 64.
Mecklenburg : Ein Männchen, welches ich zu dieser Art ziehen
muss, fing ich im Laubwalde bei Schlemmin am 4. August. Raddatz.
Habitat in Quercetis (Flor) ; Livonia (Flor) ; Mecklenburgia,
sec. D. Raddatz. Reuter (1896).
[Schweiz: Wurde bisher als bleiche Varietät mit P. populi
zusammengeworfen ; scheint bei uns häufiger zu sein als populi L.
und an den nämlichen Orten vorkommend ; Juli und August. Frey-
Gessner. — Livland : Ein W Ende August , im Grase unter einem
Eichbaum. Flor.]
26 (422) dwiidiatus Kirschb.
Ph. dimidiatus S $: S^/^'" long., ^e'" ^^^- ■> oblongus, ochro-
leucus, nigro-maculatus aut nebulosus, laevis, parum nitens, nigro-
pilosus, pallide pubescens; antennis corpore longioribus, articulo
1 capitis cum pronoto longitudine ; prothoracis dimidio posteriore
nigro , margine albido ; scutello striis tribus fuscis ; hemielytris fere
nigris (d) aut albido-nigroque-nebulosis ($). Kirschbaum.
Dark or pale grayish-yellow , clothed with depressed, curled,
silverwhite hairs, intermixed with somewhat erect black ones. An-
tennae: 2°^ Joint brownish, with a broad pale band in the middle;
tibiae with 3 brown bands. Douglas and Scott.
Länglich, blass weisslichgelb oder graugelblich, dabei mehr oder
weniger schwarz gescheckt (das S dunkler als das $), mit weissem,
filzigem Flaumhaar bedeckt, zwischen welchem sich bald abstehende,
bald anliegende (Corium) schwarze Haare vorfinden. Pronotum und
Schildchen besitzen mehr oder weniger Glanz, die Halbdecken sind
matt. — Der stark nach unten geneigte Kopf ist von der Seite ge-
sehen viel kürzer als hoch, von vorne gesehen so lang wie breit,
von gelblicher Farbe und mit feinen dunkelbraunen Querlinien auf
dem leicht vorspringenden, von der Stirne nur schwach geschiedenen
Kopfschild gezeichnet. Der Scheitel hat beim Männchen etwa Augen-
— 281 -
breite, während er beim Weibchen erheblich breiter ist. Die fast
senkrecht gestellten, etwas vorspringenden Augen ragen (beim Männ-
chen mehr) über die Scheitelfläche vor. Der blasse Schnabel hat
eine schwarze Spitze. — Das trapezförmige, glänzende, nach
vorne ziemlich stark geneigte Pronotum zeigt am Vorderrande den
ringförmigen Wulst, deutliche Schwielen und schwarze Behaarung;
dabei ist es etwa Vs kürzer als an seinem Grunde breit und in
seiner hinteren Hälfte schwarz oder schwarzbraun, gleichwie die leicht-
konkaven Seiten, während der Grundrand selbst mit drei nach vorne
vorspringenden Ecken oder Zipfeln (zwei stumpfe seitlich, ein spitzer
mittlerer) hell ist. Das gelbbraune, schwarz behaarte Schildchen
zeigt drei dunkelbraune Längsstreifen und bräunliche Vorderecken,
während seine Spitze hell ist. Die Seiten der Vorderbrust sind oben
schwarz, unten hell. Die Mittelbrust ist schwarz, ebenso der Hinter-
leib des Männchens. — Die glanzlosen Halbdecken sind im allge-
meinen schwarz mit helleren bräunlichen Tüpfeln und anliegenden
schwarzen Haaren; vor ihrer Spitze findet sich ständig ein blasser,
glänzender, rautenförmiger Fleck; beim Weibchen sind die Decken
durchgehends heller. Die glasartige, helle, graubraun getüpfelte
Membran hat weissliche Adern, nur die Kubitalader und meist auch
der Grund der Brachialader ist schwarz. — Die dünnen, schwarzen
Fühler sind länger als der Körper und fein anliegend behaart; ihr
erstes , verhältnismässig dickstes Glied ist so lang wie Kopf und
Pronotum zusammen, schwarz gescheckt auf blasser Grundfarbe (nicht
mit langen schwarzen Linien !) und ziemlich dicht mit langen steifen,
weissen und braunen aufrechtstehenden Haaren besetzt; das dunkle
zweite und dritte Glied ist am Grunde schmal gelblichweiss ; das
zweite zeigt meist noch einen weissen Ring unterhalb der Mitte, ist
(länger als bei tiliae!) etwa doppelt so lang wie das stärkere erste,
jedoch kürzer als die beiden letzten Glieder zusammen; das dritte
Glied ist 75 — V4 kürzer als das zweite ; das vierte wenig kürzer als
das erste ; das dritte und vierte zusammen länger als das zweite ;
das zweite, dritte und vierte Glied fein anliegend behaart. — Die
langen dünnen graulichweissen Beine sind mit zarten , etwas ab-
stehenden weissen Härchen bedeckt ; ihre Schenkel sind gegen die
Spitze zu schwarz marmoriert, die Hinterschenkel etwa siebenmal
länger als an ihrer dicksten Stelle breit. Die Schienen (besonders
die vorderen) sind dreifach geringelt und mit feinen blassen Dornen
besetzt. Die Fussglieder sind bräunlich. — Länge bei beiden Ge-
schlechtern 6^3 — 7 mm.
— 282 -
Nach Kirschbaum steht Pli. dimidiatus zwischen popidi und
tiliai\ hat mit beiden die bedeutende Länge des ersten Fühlergliedes
gemeinsam, unterscheidet sich aber von populi durch den breiteren
Zwischenraum der Augen und durch die etwas kürzeren Fühler wie
Fühlerglieder; von tüiae durch das längere zweite Fühlerglied; von
beiden aber durch seine Zeichnung und Färbung, besonders durch
die stets dunkle Hinterhälfte des Vorderrückens (Pronotum) und durch
seine merklich glänzendere Oberfläche.
Nach Reuter unterscheidet sich Ph. dimidiatus leicht von den
nächst verwandten Arten durch sein glänzendes Pronotum;
ausserdem von Ph. populi L. durch die Zeichnung des ersten Fühler-
gliedes, durch die beim Weibchen weniger vorspringenden Augen
und durch den (zwischen den Augen) etwas breiteren Scheitel; von
Ph. longipennis Flor durch kräftigeren Körperbau, durch kürzere
Fühler und Beine, durch den erheblich breiteren Scheitel des Männ-
chens, durch die beim Männchen weit kleineren und auch, beim
Weibchen weniger gewölbten und weniger vorragenden Augen, sowie
durch die blassen Ringel der Mittelschienen, welche hier nicht breiter
als die schwarzen Zwischenräume sind; von Ph. Beuten Saunders
durch den etwas grösseren Körper, durch das längere erste und das
deutlich kürzere vierte Fühlerglied*; von Ph. intricatus Flor durch
das etwas längere erste Fühlerglied und das erheblich kürzere zweite,
während das vierte deutlich kürzer als das erste, der Scheitel bei
beiden Geschlechtern erheblich breiter, der Körperbau etwas kräftiger
ist und die Färbung meist mehr ins Schwarze geht; von Ph. pini
Kirsche, und dessen nächsten Verwandten unterscheidet er sich durch
den Bau der Fühler (indem das erste [Grund-] Glied so lang wie
Pronotum und Kopf zusammen ist) und durch die längeren Hinter-
schenkel.
Häufig scheint diese Art gerade nicht zu sein: Iürschbaum
kannte nur zwei, bei Wiesbaden im Juli auf Eichen gefangene
Exemplare (S und $) ; Douglas und Scott gründeten ihre (besonders
nach Färbung und Zeichnung) sehr eingehende Beschreibung des
Ph. dubius auf ein einziges im Juni auf einem Pflaumenbaum bei
Darenth Wood (England) gefundenes Exemplar, auf dessen Besonder-
heit sie von Fieber aufmerksam gemacht wurden ; auch in den
deutschen Lokalfaunen nahm Pit. dimidiatus bisher eine recht be-
* Nach Saunders ist Ph. dimidiatus auch bedeutend schlanker, mehr
gefleckt, weniger braun gefärbt, hat ein verhältnismässig kürzeres drittes und
längeres erstes Fühlerglied, letzteres deutlich länger als das vierte.
— 283 —
scheidene Stellung ein, wobei allerdings die Möglichkeit in Betracht
zu ziehen ist, dass diese Art von den einzelnen Sammlern u. s. w.
vielfach nicht als solche erkannt und vielleicht mit ihren nächsten
Verwandten verwechselt wird. Neuerdings werden allerdings von
Reuter (siehe unten) zahlreiche Fundorte namhaft gemacht.
Phytocoris dimidiatus Kirschbaum, Rynchot. Wiesbaden, 1855,
39, 17 und 122, 2. — Reuter, Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V, VII, 1877,
17, 6. — Medd. Soc. F. et Fl. Fenn. V, 167, 51. — Rev. synon.
1888, 249, 219. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 265, 20. —
PüTON, Cat. 1886, 47, 6. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 64. —
Saunders, Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 237.
Fhytocoris diibius Douglas and Scott, Brit. Hemipt. 1865, 305, 3.
Vielleicht gehören noch hierher: Cimex umbratilis Linne,
Syst. Nat. 1758, Ed. X, 448, 61. — Faun. Suec. 1761, 254, 951.
— Cimex inquinatus Fabriciüs, Mant. Ins. 1787, 304, 250. — Ly-
gaeus inquinatus Fabriciüs, Entom. Syst. 1794, IV, 1794, 173, 134.
• — Syst. Rhyng. 1803, 236, 161. — Miris inquinatus Latreille,
Hist. Nat. Xn, 1804, 222, 11. —
? Elsass : Remiremont (franz. Vogesen !) un exemplaire. Reiber-
PuTON. — Nassau: Scheint selten, nur einmal (W) bei Wiesbaden,
7, gefangen. Kirschbaum. — Westfalen : Sehr selten ; 30. 9. 79 bei
Münster ein einzelnes Individuum unter Eichen gekätschert von
Westhoff. — Mecklenburg: Ich fing nur zwei Weibchen zu Anfang
August bei Markgrafenheide. Raddatz.
Habitat in Quercu (Kirschbaum, Saunders, Westhoff, ipse),
Pruno domestica (Douglas et Scott), Populo [etiam in Pino, forsitan
cum Ph. intricato confusus] (Dubois) : Fennia meridionalis (Helsing-
fors!, Kimito!), Suecia (Helsingborg!), Mecklenburgia, Batavia, Scotia!,
Angha !, Gallia, Nassovia, Thueringia, Bohemia, Helvetia, Hispania (?),
sec. D. Prof. Bolivar, Austria (Lipiza!). Reuter (1896).
[Schweiz: Zwei Exemplare in Bremi's Sammlung unter populi
und ein Stück in Meyer's Sammlung aus Burgdorf, wo die Art auf
Erlen alljährlich vorkommt. Frey-Gessner. — Graubünden: Selten;
einmal bei Chur. Killias.]
27 (423) intricatus Flor.
Länglich-eiförmig, fast gleichbreit, glanzlos, blass grüngelb oder
graugelblich, mit schwarzen Flecken wechselnd marmoriert. Die
— 284 —
Behaarung ist sehr verschieden : während die Unterseite des Körpers
einschl. Beine fein hell behaart ist, finden sich auf der Oberseite
dreierlei Sorten von Haaren: kurze, helle, anliegende, leicht glänzende
als wirres Flaumhaar; ziemlich lange, helle, aufgerichtete Haare
(besonders an Kopf und Pronotum) ; schwarze halbliegende Haare
(besonders auf dem hinteren Teil der Halbdecken). — Der fast senk-
recht stehende Kopf erscheint von oben gesehen quer, von der Seite
gesehen weit kürzer als hoch; er ist gelbbraun gefärbt und dabei
(auf Stirne, Scheitel, Kopfschild, Zügeln) mit dunkelbraunen oder
schwarzen Punkten, Streifen und Flecken wechselnd gezeichnet. Das
nur wenig vorspringende Kopfschild ist von der Stirne kaum ge-
schieden. Der Seheitel ist beim Männchen schmaler als ein Augen-
durchmesser, beim Weibchen etwas breiter als ein solcher. Die
schwarzen, gekörnten, zu Seiten des Kopfes fast senkrecht liegenden,
beim Männchen sehr grossen Augen erheben sich kaum ($) oder
merklich (S) über die Scheitelfläche. Die dunklen Fühler sind länger
als der Leib ; ihr erstes Glied ist schlank, so lang wie das Pronotum,
weiss getüpfelt [nach Flor gelblich mit zahlreichen braunen unter-
einander sich hier und da fast maschig verbindenden Sprenkeln an
der Ober- und Innenseite] und mit zahlreichen blassen Borstenhaaren
besetzt ; das zweite und dritte Glied ist am Grunde schmal weiss-
lich, das zweite bisweilen in seiner Mitte breit blass und zweimal
länger als das erste Glied; das dritte Glied ist nur halb so lang
wie das zweite ; das vierte kaum kürzer als das erste ; die beiden
letzten zusammen kaum länger als das zweite. Der schmutzig-gelbe,
an seiner Spitze schwärzliche Schnabel reicht bis zum dritten oder
vierten Bauchabschnitt. — Pronotum graulich, nach vorne zu heller,
mit schwarzer, bisweilen gebrochener Binde vor dem Grundrand, auf
der vorderen Einschnürung zwei graue oder leicht rostfarbene Flecke;
es ist etwa l^gi^al so breit wie lang und hat schwach gebuchtete
(konkave) Seiten. Schildchen mit zwei dunklen Flecken in den
Vorderecken und zwei dunklen, nach hinten zu auseinanderweichenden
Längsstreifen. Mittelbrust braun oder schwarz. Pleuren weiss mit
bräunlichen Flecken. Bauch an den Seiten fast ganz schwarz, nur
in seiner Mitte schmal schmutzig weissgelb ; beim Männchen herrscht
die dunkle Färbung vor. — Halbdecken lang, blass graugelb, wech-
selnd und unregelmässig schwarz oder dunkelbraun getüpfelt, an der
Spitze stets mit einem blassen, fast rhombischen, am Grunde schwarz
gesäumten Fleck. Membran glashell, wechselnd unregelmässig schwarz-
grau gefleckt, mit blassen Nerven ; nur die Kubitalader ist vollständig
— 285 —
und die Brachialader an ihrem Grunde schwärzlich. — Die hellen
Beine sind mit ziemlich langen blassen Haaren besetzt ; die Schenkel
schwarz gescheckt, am Grunde blass ; die Hinterschenkel etwa sieben-
mal länger als an der dicksten Stelle breit. Die Schienen zeigen
ziemlich breite schwarze Ringel (bei den mittleren so breit wie die
weissen Zwischenräume) und feine gelbbraune zarte Dorne. — Länge
bei beiden Geschlechtern 6V2 — 7 mm.
Nach Flor hat diese Art eine dem Fh. pini Kirschbaum sehr
ähnliche Färbung, unterscheidet sich jedoch scharf durch die ver-
schiedene Länge der Fühler und ihrer einzelnen Glieder, sowie durch
die auf dem Scheitel einander beträchtlich mehr genäherten Augen.
Nach Reuter unterscheidet sich Fh. intricatus Flor durch
folgende Merkmale : von Fh. Feuteri Saunders durch etwas grösseren
Leib , schmäleren Scheitel , grössere Augen (besonders beim Männ-
chen), erheblich anders gestaltete Fühler (zweites Glied sehr lang);
von Fh. dimidiatus Kirschbaum durch das kürzere erste Fühlerglied,
durch das erhebhch längere zweite , durch den schmäleren Scheitel
beim Männchen und durch das weniger glänzende Pronotum; von
Fh. hirsnhäus Flor durch den grösseren Körperbau und durch die
beim Weibchen über die Scheitelfläche weniger vorspringenden Augen;
von confusus Reuter durch den Bau der Fühler, die mehr grauliche
Färbung und den schmäleren Kopf; von longipennis Flor durch die
mehr grauliche Färbung, durch das kürzere erste Fühlerglied, durch
die weniger vorstehenden Augen, durch den beim Männchen etwas
breiteren Scheitel und durch die breiteren schwarzen Ringel an den
Schienen; von Fh. pini Kirschbaum durch den Bau von Kopf und
Fühlern, durch das vorne mehr verschmälerte Pronotum, durch die
längeren Halbdecken und durch die längeren und schlankeren Schenkel.
Fhytocoris intricatus Flor, Rhynchot. Livlands, 1861, H, 603,
7. — Reuter, Hemipt. Gymnoc. Sc. et Fenn. 41 , 5. — (Rev. crit.
Caps. 1875, 25, 5.) — Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V, 1877, 18, 8,
tab. 7. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 267, 21. — Puton,
Cat. 1886, 47, 9. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 65,
Schleswig-Holstein : In einigen Stücken in Madskov bei Sonder-
burg von Gebüsch geklopft, August 1891. Wüstnei (Nachtrag, 6. Stück).
Habitat in Abiete excelsa (ipse) : Suecia (Stockholm !) , Fennia
meridionalis ! (usque ad 62° 20'), Livonia; Schlesvigia-Holsatia ! , Bel-
gium (Bruxelles). — Sibiria occidentalis (Tjumen!) D. Dr. Sundman.
Reuter (1896).
- 286 —
* Beut er i Satjnders.
Diese, in Deutschland bis jetzt noch nicht gefundene Art hat
nach Reuter (analyt. Tabelle in H. G. E. V, 385) als von den nächst
Verwandten abweichende Merkmale: „Erstes Fühlerglied wenig länger
als das Pronotum, zweites Fühlerglied etwa 7$ — ^U länger als das
erste; Scheitel so breit wie das Auge (c?) oder ungefähr ^j- — ^/g
breiter ($). Oft dicht dunkel gescheckt." — Die Färbung scheint
sehr zu. wechseln , denn Reuter beschreibt eine Varietät a , /J , /
(p. 268). — Diese Art unterscheidet sich nach Reuter (p. 269)
weiterhin von Ph. dimidiatus Kirschbaum durch die weniger vor-
stehenden Augen, durch das glanzlose Pronotum, durch die kürzeren
Fühler, deren letztes Glied fast so lang wie das erste und durch
die kürzeren Hinterschenkel ; von Ph. intricatus Flor durch die weit
weniger gewölbten Augen, durch den breiteren Scheitel, durch ihr
zweites Fühlerglied und durch die weit kürzeren Halbdecken und
Schenkel; von Ph. pini Kirschraum durch das etwas längere erste,
durch das deutlich nicht ganz doppelt so lange (wie das erste) zweite
Fühlerglied, durch die etwas schlankeren Hinterschenkel und durch
die dunklere Färbung,
Nach Saünders (Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 236),
der dieser englischen Art (in Trans. Entom. S. London, 1875, 265)
den Namen gab, nachdem dieselbe schon von Douglas and Scott
(Brit. Hemipt. 1865, 309, 5) als Ph. crassipes (nicht zu verwechseln
mit Ph. crassipes Flor, Rhynchot. Livlands, 1861, H, 606 , 8 !) be-
schrieben worden war, ist sie „kleiner, kürzer und dunkler als
Ph. longipennis Flor ; ihr erstes Fühlergrundglied ist kürzer als
Kopf und Pronotum, das zweite Fühlerglied ungefähr lV4nial so lang
als das dritte , das vierte so lang wie das erste ; das Pronotum ist
an Seiten und Grund (manchmal auch noch mit einer Rückenlinie
nach dem Grund zu) dunkler; das Schildchen hat an seiner Spitze
einen blassen Strich, manchmal ist es auch vollständig blass; die
Halbdecken sind braun mit helleren Tönen marmoriert, manchmal
aber auch fast ganz dunkel; Cuneus dunkel; Corium mit dem ge-
wöhnlichen blassen Fleck; Beine mit marmorierten Schenkeln und
geringelten Schienen , wobei am mittleren Paar die dunklen Ringe
breiter als die hellen Zwischenräume sind. Länge 6 mm. Lebt auf
Obstbäumen u. s. w." — Douglas und Scott glauben, dass dieses
Tier von den verschiedenen Sammlern bisher für den sehr ähnlichen
Ph. popidi gehalten wurde ; ihre Tiere wurden von Fieber geprüft,
sie selbst fanden solche nie mit anderen Arten zusammen, aber (in
- 287 —
England) ziemlich häufig beim Streifen, im August, auch auf Apfel-
bäumen. Douglas und Scott gaben ihr nachfolgende (allerdings
auch auf die anderen Phytocoris- Arten mehr oder weniger passende)
Diagnose: „Dunkelgrau oder dunkelgelbgrau, bedeckt mit anliegenden,
gekräuselten, weissen Härchen, zwischen welchen sich einzelne auf-
rechtstehende schwarze Haare finden ; zweites Fühlerglied in seiner
Mitte mehr oder weniger deutlich blass ; Schienen mit drei schwarzen
oder bräunlichen Ringen."
Phytocoris crassipes Douglas et Scott, Brit. Hemipt. 1865,
309, 5 (nee Flor!).
Phytocoris Eeuteri Saunders, Synops. of Brit. Hemipt. Het.
1876, 265, 5. — Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 236. —
Reuter, Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V, 1877, 17, 7, tab. 7. — Hemipt.
Gymnoc. Europ. 1896, V, 268, 22. — Püton, Cat. 1886, 47, 8. —
Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 67.
Habitat in Pyro (Douglas), Ulmo (Lethierry), Populo (Horvath) :
Anglia!, Batavia!, D. Fokker; GaUia (Lille!) D. LEiraERRY; Hungaria
(Novü, Dänos!), D. Dr. Horvath; Romania (Bucarest!), Dr. Montan-
don. Reuter (1896).
Danach scheint diese Art nicht mehr, wie bisher angenommen,
specifisch englisch zu sein und könnte möglicherweise auch bei uns
gefunden werden.
28 (424) pini Kirsche.
Ph. pini, S 9 2V2 — 3'" long., 7^'" lat., oblongus, laevis, opacus,
dilute flavo-ferrugineus nigricanti-ferrugineoque-adspersus aut nebu-
losus, nigro-pilosus, pallide pubescens; antennis corporis longitudine,
articulo 1 prothoracis longitudine, 4 quam 3 breviore ; capite valde
declivi. Kirschbaum.
Länglich gebaut und dabei doch ziemlich kurz, glanzlos, ver-
schwommen weisslichgrau oder gelbrötlich bei schwarzer, bräunlicher
oder roströtlicher Scheckung und Tüpfelung ; Unterseite grösstenteils
braun ; dabei mit weissem filzigen Flaumhaar und dazwischen auch
mit längeren, mehr abstehenden weissen oder auch schwarzen Haaren
bedeckt (letzteres, jedoch ziemlich niederliegend, auf der hinteren
Hälfte der Halbdecken). — Kopf stark geneigt, von oben gesehen
leicht quer, von der Seite gesehen viel kürzer als hoch, mit braunen
oder rostroten Punkten, Stricheln und Flecken. Kopfschild wenig
vorragend, von der Stirne kaum, wohl aber von den Wangen ge-
— 288 —
schieden. Scheitel beim Männchen von Augenbreite, beim Weibchen
noch um V3 breiter. Der blasse, an seiner Spitze schwarze Schnabel
reicht bis zum dritten Bauchabschnitt. Die schwarzen länglichen
Augen ragen nur wenig vor. — Das trapezförmige, stark geneigte
und schwarz behaarte Pronotum ist vorne breiter als bei den meisten
anderen Arten dieser Gattung, l^s so breit wie lang, hat gerade
Seitenränder, vorne einen ringförmigen Wulst mit deutlichen Schwielen
und ist daselbst gelbbraun mit einzelnen rostroten Tupfen, während
seine hintere Hälfte grau ist mit unregelmässigem (mitunter in sechs
dunkle Querstriche geteilten) schwärzlichem Querstreif; der Hinter-
rand selbst ist wieder gelblich. Das gelbbraune Schildchen hat rote,
oft (besonders beim Männchen) auch schwärzliche Zeichnung, meist
in beiden Vorderecken und jederseits nahe der Hinterecke. Die
Seiten des Vorderbruststückes (Epipleuren) sind gelblich mit ver-
schwommenen rotbraunen Längsstrichen ; beim Männchen oben dunkel-
braun, unten hell. Die Mittelbrust und die Seiten der Hinterbrust
sind schwärzlich, ebenso wie der Hinterleib des Männchens. — Die
Halbdecken überragen den Hinterleib massig und sind weissgraulich
oder verschwommen schmutzig-gelblich und dabei dicht und unregel-
mässig dunkelbraun oder schwärzlich gescheckt, wobei die dunkle
Färbung (besonders gegen die Spitze des Coriums zu) manchmal
überwiegt; oft erscheinen sie auch hellbräunlich mit dunkelrotbraunen,
beim Männchen schwärzlichen Punkten, letztere, in Fleckenform,
besonders am Aussenrande der Halbdecken und an der Membran-
naht; vor der Spitze findet sich der nahezu rautenförmige blasse
Fleck. Die Adern der glasartigen, grau und braun getüpfelten Mem-
bran sind weisslich, die Kubitalader jedoch ist verdickt und voll-
ständig schwarz. — Die grauschwarzen dünnen Fühler sind etwa
von Körperlänge; ihr erstes, verhältnismässig dickstes Glied (dicker
als bei den anderen verwandten Fhytocoris-kxten) ist ebenso lang
als das Pronotum, weiss getüpfelt (oder, bei hell angenommener
Grundfarbe, dunkelrotbräunlich zusammenfliessend gesprenkelt) und
mit einigen braunen steifen Haaren besetzt; das zweite Fühlerglied
ist etwa zweimal so lang (beim Männchen noch mehr) als das erste
und hat einen blassen Ring hinter seiner Mitte; überdies ist es,
gleich dem dritten Ghede, an seinem Grunde schmal weisslich; das
dritte Fühlerglied ist fast ^4 so lang als das zweite; das vierte
so lang wie das erste , kürzer (^3) als das dritte ; die beiden
letzten Glieder zusammen so lang wie das zweite. — Die langen
dünnen Beine (wie bei longipennis) sind ziemlich kurz behaart; ihre
— 289 —
Schenkel sind schwarz oder dunkelrotbraun gescheckt, besonders
gegen die Spitze zu, an ihrem Grunde weisslich ; die Hinterschenkel
sind etwas kürzer und dicker als bei den anderen verwandten Arten,
nur etwa fünfmal länger als an der dicksten Stelle breit, vor ihrer
Spitze mit weisslicher Binde; die Schienen (besonders die vorderen)
sind ziemlich breit schwarz geringelt und mit zarten gelbbraunen
Dornen (länger als die Schenkel dick) besetzt; an den mittleren
Schienen sind die dunklen Bänder erheblich breiter als die blassen
Zwischenräume. Die Fussgheder (Tarsen) sind bräunhch. Länge :
Männchen 574, Weibchen 6V2 mm.
Diese Art unterscheidet sich von den bisher beschriebenen
(vorstehenden) Phytocoris- Alten durch ihre kürzeren Halbdecken,
durch ihren weniger länglichen (kürzeren, stämmigeren) Körperbau,
durch das auffallend kürzere und weniger starke erste Fühlerglied,
sowie durch ihre kürzeren Schenkel (besonders am dritten Beinpaar).
In Zeichnung und Färbung ähnelt sie dem PJi. Eeuteri, in der Be-
haarung dem Ph. intricatus.
Phytocoris Populi Zetterstedt, Ins. Lappon. 1840, 273, 9 (aus-
schliesslich Synonyme).
Phytocoris crassipes Flor, Ehynchot. Livlands, 1861 , II, 606,
8. — ? Douglas and Scott, Brit. Hemipt. 1865, 309, 5.
Capsus (Phytocoris) minor Thomson, Opusc. entom. IV, 1871,
418, 3.
Phytocoris Pini Kirschbäum, Rhynchot. Wiesbadens, 1855, 40,
21 und 123, 3. — Fieber, Europ. Hemipt. 1861, 261, 11. — Dou-
glas and Scott, Entom. Monthl. Mag. XI, 144. — Saunders, Synops.
of Brit. Hemipt. Het. 1875, 265, 6. — Hemipt. Het. of the Brit.
Islands, 1892, 237. — Reuter, Hemipt. Gymnoc. Sc. et Fenn. 42, 6. —
Rev. crit. Caps. 1875, 26, 6. — Ann. Soc. Entom. Ser. V, 1877,
19, 10, tab. Vn. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 269, 23. —
PüTON, Cat. 1886, 47, 12. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 66.
Elsass-Lothringen : Sur les sapins. Vosges : Remiremont , La
Vancelle, Hohkoenigsbourg ; assez commun. Metz. Reiber-Puton. —
Nassau : M W bei Wiesbaden und Mombach ; auf Kiefern, im Schier-
steiner Wald , besonders im Mombacher Wald , nicht selten. 7 bis
Anfang 9. Kirschbaum. — Westfalen : Einzeln bei Münster auf Pinus
silvestris gefangen; 7. 77 auf der Coerheide. Westhoff. — Thüringen:
Im Thüringer Wald, selten. Kellner- Breddin. — Mecklenburg: Von
Jalireshefte d. Vereins f. vaterl. Katurkunde in Württ. 1898. 19
- 290 —
Mitte August bis Mitte September auf Kiefern in den Barnstorfer
Tannen, Cramonstannen und auf der Föhre nicht selten. Kaddatz.
In Deutschland. Fieber.
Habitat in Pino silvestri (Kirschbaum, ipse) et P. austriaca
(P. LoEw), Abiete excelsa (Püton, Horvath), etiam in Junipero (Nor-
man) : Lapponia, sec. Zetterstedt, Suecia (Stockholm !), Fennia meri-
dionalis (usque ad 61° 30'), Livonia, Mecklenburgia, Batavia!, Bel-
gium, Scotia!, Anglia, Gallia!, Nassovia, Thueringia, Bohemia, Hel-
vetia ! , Tirolia , Austria inferior ! , Hungaria , Halicia , Moldavia,
Hispania (?), sec. D. Chicote, Sicilia! Reuter (1896).
[Schweiz : crassipes Flor hat sehr viele Ähnlichkeit mit dimi-
diatus Kirschbaum. Ausschliesslich auf Föhren im September einzeln
und nicht gerade selten , im ganzen Jurazug bei Aarau , soweit die
Föhrenzone reicht. Frey-Gessner. — Graubünden: Bei Sedrun auf
Pinus picea. Killias. — Tirol: crassipes Flor auf dem Ritten,
einzeln auf Föhren. Gredler. — Nieder-Österreich: Bei Gresten auf
Fichten und Lärchen, selten. Schleicher. — Böhmen: In Wäldern
auf Kiefern und Fichten; um Wartenberg, 7 — 8, ziemlich gemein,
auch aus Chodau; sonst wenig beobachtet. — Bei Königgrätz, 7,
auf Fichten einzeln. Duda. — Livland: 2 W Ende Juli, Mitte Au-
gust. Flor.]
*jumperi Frey-Gessner.
Lang gestreckt-eiförmig, fast gleichbreit, die Weibchen etwas
kürzer und gedrungener als die Männchen, glanzlos, graugelblich
oder graurötlich mit dunkelbrauner bezw. schwarzer Zeichnung ; öfters
neigt die Färbung mehr ins Blutrote, die Zeichnung ist dann rot-
braun ; dabei mit feinen blassen Haaren besetzt , zwischen welchen
sich (besonders auf dem Pronotum) auch mehr oder weniger schwarze
Haare verteilt finden. — Der gelbliche, rostbraun gezeichnete Kopf
erscheint von oben gesehen leicht quer, von der Seite gesehen etwas
kürzer als hoch. Der Kopfschild ragt stark vor; der Scheitel ist
beim Männchen um ^j^, beim Weibchen um ^4 breiter als das Auge.
Die Augen selbst erscheinen, besonders beim Männchen, von oben
gesehen fast kreisrund. — Das Pronotum ist breiter als lang, matt,
geradseitig und mit ziemlich starken zerstreuten schwarzen Haaren
besetzt ; von Farbe ist es grau bis rötlichbraungelb , vorne heller,
nach hinten zu allmählich dunkler werdend; vor dem hellen Hinter-
rand findet sich eine (oft unterbrochene, mitunter in sechs ineinander-
fliessende Flecke aufgelöste) schwarze Querbinde. Halsring (vordere
- 291 -
Einschnürung) braungelb mit zwei dunklen Flecken. Unterseite des
Pronotum braun mit unregelmässigen hellen Flecken. Vorderbrust
(um die Hüften) gelblich; Mittel- und Hinterbrust schwarz; Hinter-
leib hell und dunkel gefleckt, seine einzelnen Abschnitte schwarz
gerandet. Schildchen mehr oder weniger schwarzbraun oder rostrot
gezeichnet und gefleckt. — Halbdecken grau bis braungelb mit
sammetartigen braunschwarzen Flecken (besonders am Aussenrand
von Corium , Cuneus , an der Membrannaht u. s. w.). Die graue,
auch gelbbraune, mannigfach getüpfelte und gefleckte Membran hat
gelbhche, teilweise auch rötliche Nerven; die Cubital-Ader ist bräun-
lich, an der Spitze manchmal blutrot. Die schwarzbraunen Fühler
sind von Körperlänge ; ihr erstes, leicht verdicktes Glied ist so lang
wie das Pronotum hinten breit, dabei dunkel mit weisslicher Scheckung
und zerstreut abstehend behaart; das zweite Glied ist doppelt so
lang ($) oder noch länger (6) als das erste, bräunlich, sein Grund
und ein Ring in der Mitte hell ; das dritte Glied ist 7* so lang als
das zweite und an seinem Grunde ziemlich breit weiss; das vierte
braunschwarze Glied ist fast so lang wie das erste, — Die Beine
sind, im Verhältnis zu den anderen Phytocoris-kvten, kräftig gebaut
und von gelber Grundfarbe; die Schenkel dicht schwarzbraun oder
rostbraun gescheckt, ihre Innenseite meist blass; die Hinterschenkel
sind überwiegend schwarzbraun, nur ihr Grundviertel ist weisslich.
Die Vorderschienen sind gelblichweiss mit schwarzbraunen Punkten
und Binden, die Hinterschienen in ihrer Grundhälfte gelblichweiss
mit breitem schwarzem Ring nahe dem Grunde , in ihrem oberen
Teil braungelb mit dunkler Fleckung und Ringelung. — Länge 5 bis
672 °^^5 ^^^ Männchen immer grösser als die Weibchen.
Phytocoris Juniperi Frey-Gessner, Mitteil. d. Schweiz. Entom.
Ges. 1865, I, 302. — Reuter, Ann. Soc. Entom. Fr. VH, 1877, 22,
14, t. 2 f. 4. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896, V, 277, 30. —
PüTON, Cat. 1886, 47, 16. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 65.
Habitat in Junipero communi (Frey-Gessner), Calycotome spi-
nosa PuTON (in der Rev. d'Entom. irrtümlich als Ph. femoralis auf-
geführt): Helvetia(Jura!, 2000—2500' Aarau!, Vallis!); Gallia (Saint-
Baume!, Saint-TropezI, Lamalou!, Saint-Antonin!, Amelie!, Nyons!,
Rennes le Bains!, Var, Beziers, D. D. Püton et Lethierry; Dal-
matia (Lesina!), D. Novak; Herzegovina (Bilek!), Illyria (Görz !),
D. Dr. Hensch. Reuter (1896).
[Schweiz : Auf Juniperus communis in lichten Föhren- Wäldern.
19*
— 292 —
An sonnigen trocknen Halden des Jura 2000—2500' ü. M. Bei
Aarau von Mitte Juli bis Mitte August ziemlich selten. Frey-Gessner.]
29 (425) tdmi Linne.
Lygaeus floralis supra obscure griseus elytris apice puncto
rubro, femoribus posticis elongatis nigris. FABRicros.
Lygaeus viridus obscurus elytris obscure ferrugineis : punctis
duobus apicis albidis. Fabriciüs.
Miris ülmi supra rubiginosus elytris striis sanguineis, alis postice
albo fuscoque variis. Fabriciüs.
Miris longicornis ferrugineus , elytris macula apicis sanguinea,
femoribus posticis elongatis variegatis, membrana nigra albo-punctata.
WOLFF.
Lygaeus ülmi supra rubiginosus pubescens: corpore nigro;
membrana, articulo antennarura primo pedibusque nebulosis; puncto
apicis elytrorum et nervo membranae sanguineo. Fallen.
Phytocoris longicornis luteo-ferrugineus , sub-pubescens, supra
fusco-irroratus, femoribus posticis apice tibiisque fusco-nigris. Bür-
meister.
Lang-eiförmig (das Weibchen mehr oval, mit kürzeren Decken,
und deshalb scheinbar etwas verhüttet), mit fast parallelen Seiten,
sehr fein gelblich (fleckig) behaart, dazwischen (Oberseite) mit ein-
zelnen längeren, mehr abstehenden, schwarzen Haaren. Oberseite
rötlich oder bräunhchrot (zimmtfarben) , und in gleicher Farbe ge-
scheckt (marmoriert). Unterseite etwas dunkler bis schwarz. — Der
einfarbig rostrote Kopf ist geneigt, leicht in die Quere gezogen, von
oben gesehen etwa V4 kürzer als das Pronotum, von vorne gesehen
wenig länger als breit, von der Seite gesehen, so lang wie hoch.
Die ziemlich abfallende Stirn ist leicht gewölbt und vom vorspringen-
den Kopfschild durch einen tiefen Eindruck geschieden. Der Scheitel
ist beim Männchen um Vs ^ beim Weibchen um V2 breiter als der
Augendurchmesser. Die schwarzbraunen Augen stehen beim Männchen
ziemlich vor, erscheinen von oben gesehen kreisrund und erheben
sich über die Scheitelfläche, letzteres beim Männchen noch mehr
als beim Weibchen. Der gelbbraune Schnabel reicht mit seiner
schwarzen Spitze bis zum vierten Hinterleibsabschnitt. — Das ziem-
lich gleichfarbene Pronotum ist vorne eng, etwa V5 kürzer als hinten
breit (beim brachypteren Weibchen fast so lang wie breit), vorne be-
haart und hat rückwärts, kurz vor dem schmal rotgelben Hinterrand,
einen dunkelbraunen oder schwarzen Querstreif; seine Fläche neigt
— 293 —
ziemlich nach vorn und seine Seiten sind leicht gebuchtet. Das
helle, rotgelbe, einfarbige Schildchen hat an der Spitze manchmal
2 schiefe strichartige braune Fleckchen. Der blass behaarte Bauch
ist gleichfalls rotbraun; die Öffnungen sind blassgelblich; der Ge-
schlechtsabschnitt des Männchen linkerseits der Öffnung ist ab-
gestutzt. — Die langen gleichbreiten Halbdecken überragen beim
Männchen ziemlich weit den Hinterleib ; bei dem Weibchen sind sie
kürzer, doch giebt es, nach Reuter, auch langflügelige Weibchen.
Die Decken sind ziemlich gleichfarbig rötlich mit leichterer oder
stärkerer heller und dunkler Tüpfelung, bezw. durchscheinenden
hellen Fleckchen und einem hellen trapezförmigen Fleck im hinteren
Winkel des Corium ; der Aussenrand ist braun gescheckt ; der Clavus
meist dunkler als das Corium und an seinem äussersten Ende schwarz;
der Seitenrand (gegen die Spitze zu), sowie die äussere Hälfte des
Cuneus ist blutrot, sein Grund blass, weisslich glasartig. Die Adern
der graumarmorierten Membran sind gleichfalls rot. — Die sehr
langen dünnen Fühler sind blass gelbbraun und mit zerstreuten kräf-
tigen schwarzen Borstenhaaren besetzt; ihr schlankes erstes Glied
ist etwa so lang wie das Pronotum, blass mit rostroter Tüpfelung
und mit langen, steifen Haaren besetzt (welche länger sind als das
Glied selbst dick ist) ; das zweite Glied ist etwa doppelt so lang
wie das erste und an seinem Grunde blass ; das dritte Glied etwa
^/g kürzer als das zweite ; das vierte kaum kürzer als das erste ; die
beiden letzten zusammen von bräunlicher Farbe und kaum länger
als das zweite. — Die ziegelfarbenen Beine sind an den Hüften
blassgelb ; ihre Schenkel sind mehr oder weniger dicht und dunkel-
rotbraun gescheckt (marmoriert), die Spitze hell ; die Schienen sind
im allgemeinen blass mit Ausnahme des dunklen Grundes ; die Vorder-
schienen sind vorne braun und haben überdies noch zwei ver-
schwommene bräunliche Ringe; die Hinterschienen sind an ihrem
Grunde rötlich oder bräunlich und dabei gelblichweiss gefleckt. —
Länge 6V4 — ^^/g mm, die Männchen im allgemeinen grösser als die
Weibchen.
Nach Reuter unterscheidet sich diese Art von der früher viel
hiermit verwechselten (vergleiche Synonyme !) folgenden {varipes Boh.)
durch den Bau von Kopf, Fühlern und männlichem Geschlechts-
abschnitt; am Kopf und vorne am Pronotum finden sich hier keine
blassen Flecke, die Zeichnung der Halbdecken ist eine andere und
der Keil (Cuneus) an seinem Grunde auswärts weisslich-glasartig.
Nach Saunders unterscheidet sich ulmi L. von varipes Boh.
— 294 —
durch die fein gescheckten, dichter behaarten nnd von dunklen Linien
freien Halbdecken.
Nach Douglas und Scott sind bei der hier nächstfolgenden
(mit der eben beschriebenen häufig verwechselten) Art die Fühler
bedeutend kürzer, Kopf und Thorax haben eine blasse Linie unter
ihrer Mitte, das Corium hat einen deutlichen, grossen, blassen, rhom-
boidalen Fleck neben dem Cuneus, und die hinteren Schenkel haben
stets zwei breite gelbweisse, unregelmässige, fast bindenartige Streifen.
Cimex JJlmi Linne, Syst. Nat. Ed. X, 1758, 449, 74. — Faun.
Suec. 1761, 257, 964. — Houttuin, Nat. Hist. 1765, I, X, 370, 74.
— P. Müller, Linn. Nat. 1774, V, 503, 110. — Fabriciüs, Syst.
Entom. 1775, 727, 155.
Cimex ßoralis Fabriciüs, Mant. Ins. 1787, 303, 248.
Lygaeus ftoralis Fabriciüs, Entom. Syst. 1794, IV, 171, 127.
— Syst. Rhyng. 1803, 235, 156.
Miris ulmi Fabriciüs, Entom. Syst. 1794, IV, 188, 16. —
Latreille, Hist. Nat. 1804, XII, 229, 40.
Lygaeus vividus Fabriciüs, Syst. Rhyng. 1803, 237, 170.
Capsus Ulmi Fabriciüs, Syst. Rhyng. 1803, 256, 17. — Thomson,
Opusc. entom. 1871, IV, 418, 1.
Miris longicornis Wolff, Icon. Cimic. 1804, IV, 155, 149,
fig. 149.
Miris floralis Latreille, Hist. Nat. 1804, XII, 221, 3.
Miris vividus Latreille, Hist. Nat. 1804, XII, 224, 15.
Lygaeus Ulmi Fallen, Monogr. Cimic. Suec. 1807, 82, 47.
Fhytocoris longicornis Bürmeister, Handb. d, Entom. 1835, II,
269, 10.
Phytocoris divergens Meyer, Stettin. Entom. Zeitg. 1841, II,
87. — Schweiz. Rhynchot. 1843, 44, 3. — Kirschbaum, Rhynchot.
Wiesbadens, 1855, 39, 19. — Fieber, Criter. z. gener. Theilg. d.
Phytocor. 1859, 18. — Europ. Hemipt. 1861, 259, 6. — Flor,
Rhynchot. Livlands, 1860, I, 415, 2 und 1861, II, 594, 2. — Douglas
and Scott, Brit. Hemipt. 1865, 311, 6. — Snellen van Vollenhoven,
Hemipt. Neerland. 1878, 178.
Fhytocoris ßoralis Stal, Hemipt. Fabr. 1868, I, 87, 1.
Phytocoris Ulmi Fallen, Hemipt. Suec. 1829, 89, 25. — Herrich-
ScHÄFFER, Nom. entom. 1835, 47. — Saünders, Synops. of Brit. Hemipt.
Het. 1875, 266, 8. — Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 237.
— Reuter (Hemipt. Gymnoc. Sc. et Fenn. 43, 7). Rev. crit. Caps.
— 295 —
1875, 28, 7. — Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V, 1877, 24, 17, tab. 7.
— Rev. synon. 1888, 250, 221. — Hemipt. Gymnoc. Europ. 1896,
V, 281, 33. — PüTON, Cat. 1886, 47, 20. — Atkinson, Cat. of Caps.
1889, 68.
Bayern: Bei Regensburg gemein; bei Bamberg, Nürnberg, Augs-
burg , Freising. Kittel , Funk. — Württemberg : Roser. — In der
Umgebung Ulms nicht selten. Hüeber. — Elsass-Lothringen : Region
vosgienne surtout; pas rare. 6 — 8. REffiER-PuTON. — Nassau: diver-
gens Meyer M W bei Wiesbaden; auf Eichen und mit Ulmi L. im
Gras auf Waldblössen zwischen jungen Eichen, z. B. hinter dem
Turnplatz, nicht selten. 7—8. Kirschbaum. — Westfalen: Ulmi L.,
Fäll, nee Fab., H. Schäffer (= äivergens Meyer) überall um Münster
auf Laubholz (Eichen, Corylus, Ulmus) häufig von Juli bis September
in Alleen, an Waldrändern, in Hecken u. s. w. Sehr selten auf
Nadelholz heimatend. Form, brachypt. $ seltener; bei Münster ge-
sammelt von Westhoff. — Schleswig-Holstein : Auf verschiedenen
Pflanzen im Laubwalde und in den Knicks häufig. Wüstnei. —
Mecklenburg : In den Gärten der Vorstadt (Rostock) und am Walle
von Anfang Juli bis Mitte August häufig. (Die uhni Kirsche., Flor,
welche ich aus dem südlichen Deutschland besitze, habe ich hier
noch nicht gefunden.) Raddatz. — Thüringen : Nicht selten. Kellner-
Breddin. — Schlesien: äivergens Meyer mit Ulmi, doch 14 Tage
bis drei Wochen später, auf Weiden- und Birkengebüsch, Nesseln u.s.w.
Scholtz. — In der Ebene und im Gebirge, im August, auf Pappeln,
Weiden, Birken, Nesseln und Spiraea salicifolia, stellenweise häufig.
Assmann. — Provinz Preussen. Brischke.
Wie Ph. Populi in Gärten, Gebüschen, auf Wiesen, aber seltener,
mehr im mittleren und südüchen Deutschland, nicht in Schweden.
Burmeister.
In Gärten auf Pibes rubrum, in Waldblössen auf jungen Eichen,
auch auf Weiden und Pappeln. Fieber.
Habitat in Ulmo (Linne, Westhoff), Acere (P. Loew), Pruno
(Spitzner, Duda), Alno incana (Flor), Quercu (Fieber, Schioedte, West-
hoff, Lethierry, Dubois etc.), Betula (Assmann, Schioedte, Duda),
Corylo (Westhoff, Duda), Crataego (Duda), Salice (Assmann, ipse),
Spiraea salicifolia (Assmann), interdum etiam in Coniferis (Horvath),
in Pino silvestri (Kolbe), in Junipero (P. Loew) ; per totam fere Eu-
ropam usque in Fennia meridionali (Abo!). Reuter (1896).
[Schweiz: äivergens ist weit allgemeiner verbreitet als ulmi
— 296 —
und findet sich fast allenthalben ; erscheint stets 14 Tage bis drei
Wochen früher als ulmi und findet sich mehr auf Weiden- und
Pappelgesträuchen, in Schächen und grossen Gärten als auf wilden
Anhöhen. Meyer. — Allgemeiner verbreitet als ulmi und findet sich
fast allenthalben, sowohl an trockenen Burglehnen als in Schächen,
längs der Flüsse und Bäche der Ebenen, erscheint stets ein paar
Wochen früher als tdmi. In den Schächen um Aarau und im Jura
bis 3000' s. M. häufig. Frey-Gessner. — Graubünden: Malans, Chur,
Tarasp. Killias. — Tirol: Nicht weniger häufig als «<?mi ; Telfs; am
Ritten, im August; in Haslach bei Bozen. Gredler. — Steiermark:
Ph. Ulmi L. (?! H.) gemein auf Gesträuchen und verschiedenen
Pflanzen trockener Wiesen. Eberstaller. — Nieder-Österreich : diver-
gens Meyer auf Gesträuch nicht häufig. — divergens Meyer auf Ge-
sträuch nicht häufig. Schleicher. — Böhmen: tdmi L. (= diver-
gens Meyer) an Waldrändern und in Anlagen, auf Eichen, Birken,
Schlehdorn und anderen Sträuchern, auch in Gärten auf Bibes, 7, 8,
allgemein verbreitet. Dudä. — In Livland selten; 7 und 8. Flor.]
30 (426) varipes Boheman.
Das Männchen längHch gestreckt, das Weibchen länglich-
eiförmig, dem vorigen {ulmi L.) in der Färbung ähnelnd (und des-
halb auch öfters damit verwechselt, aber bei näherer Prüfung un-
schwer zu unterscheiden), im allgemeinen mehr gelblichrot, aber auch
bräunlichrot, rotgrau, dabei glanzlos und mit blassem Flaumhaar be-
deckt, zwischen dem sich weniger auffallende niederliegende schwarze
Haare vorfinden. Als charakteristische Zeichnung ziehen sich hier
über Kopf und Pronotum, zwischen den rotgescheckten Streifen, eine
feine mittlere und zwei seitliche gelbliche Längslinien hin, die erstere
auch noch über das rot gezeichnete Schildchen. — Der massig ge-
neigte Kopf ist länger als bei den meisten anderen Phytocoris- Avten^
von oben gesehen nahezu dreieckig, von der Seite gesehen länger
als hoch, von vorne gesehen deutlich länger als breit. Die wenig
schiefe Stirne ist vom stark vorspringenden Kopfschild durch eine
tiefe winklige Einsenkung geschieden. Der Scheitel ist nahezu doppelt
so breit als eines der schwarzen, kaum vorspringenden Augen ; letztere
selbst erscheinen von oben (auch beim Männchen) länglich, da sie
wegen der geringen Kopfneigung mit ihrem Längsdurchmesser sehr
schräg stehen (im Gegensatz zu der mehr oder weniger senkrechten
Augenstellung der meisten anderen Phytocoris-Avten). — Pronotum
kürzer als am Grunde breit (etwa V/^ so breit wie lang), mit ziem-
— 297 —
lieh geraden Seiten, mehr oder weniger hellbräunlich und häufig
(aber nicht immer) mit einer dunklerbraunen Binde vor dem schmal
weisslichen Hinterrand. (Der drei feinen weissen Längsstriche wurde
bereits oben gedacht.) Brust bräunlich oder rötlich, mit hellem Seiten-
fleck ; hell sind weiterhin die Pfannenränder und die Öffnungen.
Bauch rötlich oder bräunlich. Geschlechtsabschnitt des Männchens
am oberen Rande linkseits in einen fast wagerechten dornartigen Zahn
ausgezogen. — Die Halbdecken sind beim Weibchen so lang wie
der Hinterleib und seitlich gerundet, während sie beim Männchen
den Hinterleib überragen und gleichseitig (parallelständig) sind ; dabei
sind sie mehr oder weniger unregelmässig dunkel gefleckt mit schmal
gescheckten Seitenrändern, mit einem hellen Längsfleck am Grunde
und einem fast rhombischen Fleck an der Spitze (Flor beschreibt
die Decken als rötlichgelb, stellenweise fein silberhaarig, mit helleren
und dunkleren schräg nach innen gerichteten Längsstreifen, welche
zuweilen aber auch fehlen) ; an ihrem äusseren Rande und am Keil
sind sie rötlich gefleckt (purpurrot marmoriert); letzterer (d. h. der
Keil) ist am Grunde (oder wenigstens am inneren Winkel) ziemlich
blass, an der Spitze schwarz. Die dicht grau getüpfelte Membran
hat rote (teilweise auch braune) Adern. — Die Fühler sind im all-
gemeinen blassgelblich; das erste Glied etwas verdickt, von wech-
selnder Länge, bräunlichrot mit hell gescheckt und mit kurzen gleich-
farbenen Borstenhaaren (nicht länger als das Glied dick) besetzt;
zweites Glied doppelt so lang wie das erste, einfarbig dunkel, mit
blassem Grunde ; das dritte Glied kürzer als das zweite ; das vierte
kaum kürzer als das erste ; die beiden letzten zusammen erheblich
länger als das zweite. — Beine weissgelblich , mit dicht rotbraun
gescheckten Schenkeln, die hinteren dunkler als die vorderen; Schienen
mit gelbbräunlichen Dornen besetzt; die vorderen mit zwei bräun-
lichen Ringen und brauner Spitze ; die mittleren , zuweilen rötlich
gescheckt , mit schmalem Ring am Grunde ; die hinteren Schienen
am Grunde braun. — Länge 6 — 772, *^i® Männchen etwa 1 mm
grösser als die Weibchen.
Nach Reuter unterscheidet sich diese Art von der vorigen
(ulmi L.) durch den längeren Kopf, die fast wagerechte Stirne, den
breiteren Scheitel , die weniger vorragenden Augen , sodann durch
das dickere erste FühlergHed, die blassen Flecke an Kopf und vor-
derem Pronotum und die blasse Längslinie auf dem Schildchen. —
Saünders giebt als Unterscheidungsmerkmale an : das dickere , mit
spärlichen Borstenhaaren besetzte erste Fühlerglied, die blasse Mittel-
— 298 —
linie am Kopf, die drei kurzen weisslichen Striche auf dem vorderen
Teil des Pronotum , der breitere Scheitel , die blasse Mittellinie am
Schildchen, die ungefleckten , mit dunklen Längsstreifen versehenen
Halbdecken und der vollständig rote Cuneus.
Reuter unterscheidet weiterhin eine Var. a\ „erstes Fühler-
glied kaum länger als das Pronotum", und eine Var. /?, leptocerus:
„erstes Fühlerglied so lang als Pronotum und Kopf bis zur Augen-
mitte (von oben gesehen) und dabei etwas schlanker als bei a" :
also, mit anderen Worten (siehe oben!): „erstes Fühlerghed von
wechselnder Länge und Dicke ? ! " Die neuere systematische Zer-
splitterung geht gerade bei der Gattung Phytocoris oft recht weit.
Ganz abgesehen von vielen auf Wechsel der (ohnehin sehr unbestän-
digen) Färbung und Zeichnung begründeten Spielarten wurden, auf
Grund einer einmal gefundenen abweichenden Form, neue Arten
beschrieben, die vorher niemand kannte und weiterhin niemand mehr
zu Gesicht bekam. Inwieweit solches begründet und ob da nicht
ein oder der andere Zwitter, Bastard u. s. w. mitunterläuft, das
mögen die massgebenden Autoritäten verantworten !
3Iiris Ulmi Fabbicius, Syst. Rhyngot. 1803, 256, 17 vielleicht!
Phytocoris Ulmi Herrich-Schäffer , Wanz. Ins. 1835, III, 9,
fig. 234. — Meyer, Schweiz. Rhynchot. 1843, 43, 2. — Kirschbaum,
Rhynchot. Wiesbadens, 1855, 40, 20. — Flor, Rhynchot Livlands,
1860, I, 416, 3 und 1861, II, 593, 1. — Fieber, Europ. Hemipt.
1861, 259, 5. — Douglas and Scott, Brit. Hemipt. 1865, 313, 7.
Phytocoris varipes Boheman, Entom. ant. södr. Suerge in Vet.
Akad. Handl. 1852, pag. 107. — Reuter, Hemipt. Het. Sc. et Fenn.
44, 8. (Rev. crit. Caps. 1875, 28, 8.) — Ann. Soc. Entom. France
Ser. V, 1877, 27, 20, tab. 7. — Hemipt. Gymnoc. Europ. V, 1896,
285, 36. — Saunders, Synops. of Brit. Hemipt. Het. 1875, 265, 7.
— Hemipt. Het. of the Brit. Islands, 1892, 238. — Püton, Cat.
1886, 47, 23. — Atkjnson, Cat. of Caps. 1889, 68.
Capsus varipes Thomson, Opusc. entom. IV, 418, 2.
Phytocoris irroratus Perris, Ann. Soc. Linn. Lyon. 1857, IV,
16 (= varietas supra rufo-testacea).
Württemberg: Bei Backnang, 9. Hueber. — Elsass-Lothringen :
Idem, partout. 5 — 8. Plus souvent sur les plantes que sur les arbres.
Reiber-Püton. — Nassau: {ulmi L.) M W bei Wiesbaden, Mombach;
im Gras auf Waldblössen, z. B. am Weg nach der griechischen
— 299 —
Kapelle, im Mombacher Kiefernwald, sehr häufig, 7 — 9, so früh als
Fh. divergens, aber noch viel später. Kirschbaum, — Schleswig-
Holstein: Varipes Boheman {uhni L., Meyer, Fieber) an gleichen Orten
mit ulmi L., Fall, (divergens Meyer, Fieber), aber seltener. Wüstnei.
— Mecklenburg : Bei Feldberg (laut handschriftl. Vermerk). Konow.
— Thüringen : ülnii L. überall nicht selten. Kellner-Breddin. —
Schlesien : Ulmi L. {Fh. Clinopodii Schill.) von Mitte Juli bis Mitte
August auf niedrigem Ulmen- und Eichengebüsch, auf Erlen, in
Heiden und vorzüglich häufig an manchen Orten auf Clinopodium
vulgare u. s. w. Scholtz. — In der Ebene und im Gebirge, von
Mitte Juli bis Mitte September, auf niedrigem Ulmen- und Eichen-
gebüsch, Erlen, Heidekraut um Clinopodium vulgare, meist sehr häufig.
Assmann. — Provinz Preussen. Brischke.
Vaterland: Deutschland und Schweden. Auf Ulmen und anderen
Gebüschen im August. Hier (Nürnberg) gar nicht gemein. Hahn.
An verschiedenen Pflanzen auf grasigen Triften, Hügeln, Feld-
rainen, an Gallum ochroleucum, auf Ribes rubrum, an jungen Eichen.
Fieber.
Habitat locis aridis (Dübois), in Calluna (Boheman, Luchs, Flor,
Ferrari), Thymo et Trifolio (Frank), in Compositis (P. Loew), Cirsio
(Mason), Tanaceto (Schummel), Artemisia et Plantagine cynope (Fer-
rari), Spartio (Duda), Clinopodio (Schilling), Linaria vulgari (Spitzner),
Galio (Fieber, Spitzner), Ribe rubro (Fieber), Rubo fruticoso (Douglas
et Scott), interdum in Coniferis (Horvath), in Pino (Thomson), Juni-
pero (Frey-Gessner) : maxima Europae pars usque in Norvegia meri-
dionah, Suecia meridionali (Skane!) et Livonia. Reuter (1896).
[Schweiz : In der mittleren und nördlichen Schweiz , nach der
Mitte Juli bis Ende August, an sehr sonnigen, gebüschreichen Ab-
hängen, auf niedrigem Eichengebüsche, an heissen Hügeln und ab-
geholzten Waldabhängen oft in grosser Menge. Meyer. — In der
mittleren und nördlichen Schweiz, von Mitte Juli bis Ende September,
an sehr sonnigen, gebüschreichen Abhängen, auf niedrigem Eichen-
gebüsch, auf Juniperus u. a. m., meist einzeln, seltener gesellschaft-
lich; in Bremi's Sammlung als Fh. fragilis Bremi, bezeichnender
Name, denn die Arten des Gen. Fhytocoris sind ausserordentlich
zart und brüchig, und man hat die grösste Sorgfalt anzuwenden,
dass nicht wenigstens die Hinterbeine abfallen. Frey-Gessner. —
Tirol : Ulmi L. an Erlenstämmen der Auen und Wälder bei Peters-
berg und Telfs im Juli häufig; in der Umgebung von Bozen auf
Eichen und in Valsugana. Gredler. — Nieder-Österreich : Bei Gresten
— 300 —
auf Gesträuch und trockenen Wiesen, häufig. Schleicher. — Böhmen :
Varipes Boheman = ulmi Fabricius an sonnigen Waldrändern und
in Hecken, auf Spartium, Gal'mm und anderen Pflanzen, überall
ziemlich selten ; 7, 8. Düda. — Livland : Auf Heidekrautflächen, im
Juli, August, September, ziemlich vereinzelt. Flor.]
* Phytocoris exoletus Costa, Cimic. Reg. Neap. Cent. 1852, HI,
35, fig. 5. — Reoter, Hemipt. Gymnoc. Europ. V, 1896, 287, 37.
— Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 64 [mit den Synonymen : Ph. albi-
cans Reuter (Ann. Soc. Entom. Fr. Ser. V, 29, 23, tab. 7). —
Ph. unicolor Reuter (Öfv. Finska Vet. Soc. Förh. XXH, 15, 12). —
Ph. riparum Ferrari (Ann. Mus. Civ. Gen. Ser. H, 562, 322, tab. 12)]
gehört dem südlichen Europa an, wurde jedoch (nach Frey-Gessner)
von FoREL nicht selten bei St. Prex im Kanton Waadt ge-
funden. — Fieber (Europ. Hemipt. 259, 5) bezeichnet exoletus Costa
als eine blasse, weniger, und bräunlich gestrichelte Varietät von
varipes Boheman, der sie im allgemeinen sehr ähnlich. — Reuter
giebt als Unterscheidungsmerkmale von letzterer an : eine sehr blasse,
lichte , nur gelbliche Färbung bei nur ganz leichter und schwacher
Braunzeichnung, sowie gelbliches Flaumhaar statt der weiss gefleckten
Halbdecken; weiterhin das vollständige Fehlen der schwarzen Haare;
das längere, weniger dicke und einfarbige erste Fühlerglied ; die noch
weniger vorspringenden Augen ; den breiteren (mindestens um zwei
Augendurchmesser!) Scheitel; das schmälere Pronotum; den statt-
licheren, mehr in die Länge gehenden Körper des Weibchens, dessen
Halbdecken am äusseren Rande weniger nach aussen geschweift sind.
Habitat locis aridis (Azam), in Anthylli vulneraria (Ferrari), in
Thymo (Puton) , Helvetia , sec. D. Noualhier ; Gallia meridionalis
(Frejus, D. Dr. Horväth, Avignon, D. Noualhier), Hispania (Madrid,
Huejas-Sierra , Brunete), Sardinia, Liguria (Stazzano!), Graecia
(Peloponnesos !). Reuter (1896).
* ustidatus Herrich-Schäffer.
Hellgelblichgrün. Das starke Fühlerwurzelglied und die Hinter-
schenkel schmutzig karminrot, weisslich gefleckt. Ende der Vorder-
und Mittelschenkel rot, — dicht punktiert. Die ganze Membrannaht
und Cuneusspitze schmutzig karminrot. Schienbeine, Fussglieder und
die oberen Fühlglieder hellgrün. Rücken und Unterseite gelbgrün-
lich. Membran schmutzig, Zellrippen weissUch. 3 $ 2 — "^^W"' —
— 301 —
Um Prag, in Böhmen vor Jahren in mehreren Exemplaren gesammelt*
Fieber.
Phytocoris ustulatus Herrich- Schäffer, Nomencl. entom. 1835,
47. — Fieber, Europ. Hemipt. 1861, 258, 1. — Puton, Cat. 1886,
47, 29. — Atkinson, Cat. of Caps. 1889, 68. — Reuter, Ann. Soc.
Entom. Fr. Ser. V, 1877, 29, 24, tab. 7. — Hemipt. Gymnoc. Europ.
V, 1896, 290, 39.
Habitat in herbidis aridis, ex gr. in Centaurea paniculata, Lino^
syri vulgari et Senecione jacobaea (P. Loew) : Bohemia, sec. Fieber;
Moravia (Prossnitz, D. Spitzner); Tirolia, D. Gredler, Austria
inferior, D. P. Loew, Croatia, Hungaria, D. Dr. Horvath. Liguria,
D. Dr. Ferrari, Illyria, D. Schreiber. Reuter (1896).
*incanus Fieber.
Männchen länglich, Weibchen mehr eiförmig, von weissgrauer
Farbe und mit weissem Flaumhaar besetzt, dazwischen (besonders
auf den Halbdecken) liegende schwarze Haare. Als charakteristische
Zeichnung findet sich auf der Mitte des Pronotum eine feine (manch-
mal mehr oder weniger deutlich braun gerandete) sich noch auf das
Schildchen fortsetzende weisse Linie. — Kopf leicht geneigt;
Stirne wenig schief, vorne abgestutzt; Kopfschild insgesamt stark
vorspringend und durch einen tiefen winkligen Einschnitt am Grunde
wohl markiert. Scheitel von mehr als Augenbreite (beim Weibchen
fast das Doppelte). Der weisse, an seiner Spitze bräunliche Schnabel
überragt ein gut Teil die Hinterhüften. Augen von oben kreisrund
anzuschauen. — Pronotum beim Männchen vorne, hinter der Ein-
schnürung nur halb so breit als am Grunde, seine Fläche nach vorne
geneigt, sein Hinterrand abgerundet; beim Weibchen am Grunde
fast doppelt so breit als lang, nach vorne nur wenig verengt, oben
flach, der Hinterrand (oberhalb des Schildchens) ziemlich breit ge-
buchtet. Farbe und Zeichnung wechselnd, dabei mit weissem Flaum-
haar bedeckt; am Grundsaum (aber nicht immer) eine sehr zarte
braune Binde. Hinterleib unten graubraun und dicht weisslich be-
haart. — Halbdecken beim Männchen lang mit ausgebildeter, weiss-
adriger Membran; beim Weibchen abgekürzt, die Mitte des Hinter-
leibs kaum überragend, an der Spitze ziemlich eng abgerundet, mit
nur ganz schmaler Membran ; Farbe und Zeichnung wechselnd, meist
mit schiefer braunfleckiger Binde. — Fühler weisslich ; ihr cylindrisches
erstes Glied ist beim Männchen schlank und so lang wie das Pro-
— 302 —
notam, beim Weibchen dicker und länger als das Pronotum; dabei
meist dicht grau gefleckt und mit kurzem Borstenhaar besetzt ; das
zweite GUed hat braune Spitze und einen verschwommenen braunen
Ring vor der Mitte ; das dritte Glied ist blassbraun , am Grunde
weisslich ; die beiden letzten Glieder zusammen sind erheblich länger
als das zweite Glied. — Beine hell; Schenkel am Grunde weisslich,
sonst ziemlich dicht grau oder schwarzbraun getüpfelt, die hinteren
am meisten. Schienen mit feinen Dornen besetzt ; die vorderen oben
und unten bräunhch und ausserdem noch mit zwei bräunlichen Ringen ;
die mittleren Schienen mit einem Ringe nahe dem Grunde und an
der Spitze bräunlich ; Hinterschienen (wenigstens auf der Unterseite)
mit zwei dunklen Ringen und mehreren dunklen Punkten. Fuss-
glieder braun. — Am Geschlechtsabschnitt des Männchens sind die
Ränder der Öifnung abgestutzt. — Länge: $ ^Ys , <S 6V3 — 7 mm.
(Nach Reüter, gekürzt.)
Phytocoris incanns Fieber, Wien. Entom. Monatsschrift, YIII,
1864, 326, 11. — Pdton, Cat. 1886, 47, 26. — Atkinson, Cat. of
Caps. 1889, 64. — Reuter, Ann. Soc. Entom. Fr. (Ser. V), YII,
1877, 28, 22, tab. 7. — Hemipt. Gymnoc. Europ. V, 1896, 296, 45.
Habitat in gramine (Horvath): Austria inferior (Wien!),
D. P. LoEw; Hungaria (Budapest, Duplaj), D. Dr. Horvath; Graecia
(Attica !), D. Dr. Krüeper ; Rossia meridionalis (Theodosia, D. Dr. Hor-
vath, Sarepta!, D. D. Becker et Jakovleff); Caucasus!, D. Leder;
Turcomannia (Hadscha Kala!), D. Dr. Horvath; Turkestan (Varsa-
minor!), D, Fedtschenko. Reüter (1896).
(Fortsetzung folgt.)
Ein Profil durch den Hauptmusehelkalk bei
Vaihingen a. d. Enz.
Von a. Stettner.
Ein Muschelkalkprofil zu veröffentlichen ist noch immer nicht
ganz überflüssig; denn unsere Kenntnis des Muschelkalks und der
Trias überhaupt ist verglichen mit der des Jura doch bis heute eine
recht bescheidene geblieben. Zwar hat v. Alberti in seinen Schriften
ein wertvolles Material niedergelegt, und auch Qüenstedt giebt z. B.
im Flözgebirge Württembergs einen guten Überblick über die tria-
sischen Gebilde; aber zu einer ebenso gründlichen Bearbeitung der
Triasformation, wie sie der Jura erfahren durfte, ist es noch nicht
gekommen. Zum grössten Teil ist dies auch begreiflich. Ganz ab-
gesehen vom Buntsandstein und Keuper mit ihrer Fossilarmut fehlen
an den meisten Punkten zum Sammeln einladende oder gar heraus-
fordernde Fossilschichten, und leitende Horizonte wollen sich nur
selten einstellen. So kommt es , dass selbst in den Begleitworten
zu den Atlasblättern der geognostischen Specialkarte von Württem-
berg, soviel wertvolle Beobachtungen dort auch, namentlich von 0.
und E. Fraas, niedergelegt sind, doch eine vollständige Übersicht
über den Muschelkalk noch nicht möglich ist, so dass E. Fraas über
das Gäu und die Umgegend von Vaihingen bemerkt^: „Bei der
grossen Einförmigkeit des geognostischen Verhaltens auf unserem
Blatte lassen sich einzelne Unterabteilungen im Hauptmuschelkalk
nicht machen, kaum dass obere und untere Horizonte an den Schich-
ten selbst erkannt werden können" u. s. w. „Besondere Profile wur-
den auf unserem Blatte nicht aufgenommen, da es zu sehr an
festen, leitenden Horizonten fehlt ^." „Die Entwickelung des Haupt-
' Begleitworte zu Atlasblatt Stuttgart. 1895. S. 18.
2 a. a. 0. S. 17.
— 304 —
muschelkalks ist die gewöhnliche petrefaktenarme Facies, wie sie im
ganzen oberen Gäu und Strohgäu vorherrscht und lädt nur wenig
zu eingehenderem Studium ein. Gute Aufschlüsse sind teils in Stein-
brüchen, teils an den Steilgehängen, namentlich im Enzthal zu treffen,
bieten aber im ganzen wenig Interesse, da es fast gänzlich an Petre-
fakten führenden Horizonten fehlt , welche eine Gliederung ermög-
lichen \" Wer mit den Verhältnissen im Muschelkalk vertraut ist,
wird dies durchaus zutreffend finden ; hier in diesen Gegenden hat
man es fast durchweg mit hohen mauerartigen Kalkwänden zu thun,
die immer dasselbe Bild gewähren und dem Sammler selten einmal
eine Muschel liefern ; und selbst da, wo reiche Muschelbänke sich ein-
stellen und es an guten Aufschlüssen nicht mangelt, ist eine Glie-
derung nur mit Mühe zu erreichen.
Das nachstehende Profil will und kann also nichts besonders
Interessantes und Wertvolles enthalten, sondern nur eine Zusammen-
stellung der in den einzelnen Bänkchen des Hauptmuschelkalks der
Vaihinger Gegend beobachteten Petrefakten, aus einer Gegend also,
die als geologisch steril im Verruf ist, aber eben dadurch auch zeigen,
dass sogar in den petrefaktenärmsten Landesteilen fast in jedem un-
bedeutenden Kalkbänkchen etwas zu finden ist, dass es also doch
möglich wäre, bei einiger Ausdauer ein Profil fertigzustellen, und es
darum mit der Zeit gelingen könnte, aus der Kombinierung einer grösseren
Anzahl solcher detaillierten Lokalprofile ein Gesamtprofil des Muschel-
kalks zu konstruieren, das, wie ich glaube, nicht minder exakt sein
dürfte als manche Juraprofile. Es soll also hiermit vor allem eine
Ergänzung zu den durch v. Alberti^ aus der Rottweiler und E. Fraas^
aus der Crailsheimer Gegend bekannt gewordenen genauen Profilen
nun auch aus einer bisher weniger genau untersuchten Gegend ge-
geben werden , von der zwar auch schon Muschelkalkprofile von
Paulus* vorhegen; aber die letzteren fassen mehr das Gesteinsmaterial
als die Petrefakteneinschlüsse ins Auge und erlauben deshalb kaum
eine Vergleichung mit andern Profilen, und vor allem findet nur ein
Teil des Hauptmuschelkalks darin ohne genaue Gliederung eine Dar-
stellung.
Das vorliegende Profil ist entstanden aus der möglichst genauen
1 Bcgleitworte zum Atlasblatt Liebenzell. 1897. S. 20.
2 V. Alberti, Halurgische Geologie. 1852. S. 431—436.
^ Begleitworte zu den Atlasblättern Mergentheira, Niederstetten, Künzelsau
und Kirchberg. 1892. S. 15—21.
* Begleitworte zu den Atlasblättern Besigheim und Maulbronn. 1865. S. 12,
- 305 —
Aufzeichnung und Vergleichung selbst unbedeutender Bänkchen von
etwa 40 Aufschlüssen im Hauptmuschelkalk um Vaihingen a. E. In
erster Linie sind die Aufschlüsse zwischen Rosswag und Vaihingen
und zwischen Vaihingen und Illingen darin berücksichtigt; und auch
hier sind vor allem solche Punkte den Aufzeichnungen zu Grunde
gelegt worden, die schon längere Zeit den Einflüssen der Atmo-
sphärilien ausgesetzt sind, zu Petrefaktensammlungen sich mehr
eignen und auch den Gesteinscharakter der einzelnen Horizonte ge-
wöhnlich deutlicher erkennen lassen als frische Anschnitte, die auf
den ersten Anblick kaum eine Verschiedenheit der Schichtung und
der Festigkeit der Schichten erkennen lassen , jedenfalls von Petre-
fakten kaum eine Spur aufweisen. Es mag dadurch freilich die
■Angabe der Mächtigkeit der einzelnen Bänkchen etwas ungenau
geworden sein; doch dürfte diese Ungenauigkeit nicht all zu gross
sein , da durchweg Mittelwerte aus mehreren Messungen an-
gegeben sind.
Die Resultate der Notierungen wurden auch verglichen mit
Aufschlüssen im Metterthal und Strohgäu; daraus hat sich ergeben,
dass das nachfolgende Profil im grossen Ganzen, fast bis in die
kleinsten Einzelheiten gilt von Leonberg an bis zur Metter. Natür-
lich zeigt die Mächtigkeit einzelner Schichten Schwankungen von
20—30 cm ; an Stelle des Thons tritt manchmal Kalk und umgekehrt.
Davon abgesehen aber zeigt sich ein ganz auffallendes Konstant-
bleiben von Mächtigkeit und Material, ein sehr deutlicher Beweis,
dass wir hier am Ostrande des Schwarzwaldes nicht, wie schon ver-
mutet ^ und namenthch im Hinblick auf das Schwieberdinger Hühner-
feld ausgesprochen worden ist^, eine üferbildung oder eine Ablagerung
an nicht allzuferner Küste vor uns haben, sondern eine Bildung
auf dem ruhigen Grunde der Tiefsee. Wo, wie es hier der Fall ist,
einzelne Bänke auf viele Kilometer Entfernung kaum um einen
einzigen Centimeter in der Mächtigkeit schwanken , muss die
Ablagerung so ruhig vor sich gegangen sein, wie dies nur in
weit von dem sedimentstoffliefernden Festlande entfernten Meeres-
teilen der Fall ist.
Die Gesamtmächtigkeit des Hauptmuschelkalks
der Vaihinger Gegend beträgt ungefähr 85 m. In Betreff seiner
1 Vgl. diese Jahreshefte 1894. S. 547—552.
^ Vgl. Philipp!, Über die Muschelkalkfauna von Schwieberdingen ; Zeit-
schrift der deutschen geol. Gesellschaft 1897, Verhandlungen S. 34; leider kam
mir diese Arbeit erst während der Korrektur zu Gesicht.
Jahieshefte d. Vereins f. vaterl. Naturkunde in Württ. 1898. 20
— 306 —
Gliederung glaubte ich von weiteren Unterabteilungen absehen zu
sollen , da eine solche sich doch nur auf eine grössere Zahl von
Profilen gründen darf. Die Trochitenkalke, welche sich sicher
noch genauer gliedern lassen, da manche Muscheln und auch PempJiix
in verschiedenen Gegenden eine bestimmte Höhe einzuhalten pflegen,
werden in untere, gekennzeichnet durch grossen Muschelreichtum
und namentlich durch die Mergelregion mit 3Iyophoria vulgaris
und Gervillia costata (Horizont von Hassmersheim), mittlere
— Hauptencrinusbänke — und obere — Ceratites nodosus
var. compressus Sandb. und wenig Encrinus — eingeteilt;
die Grenzbank gegen die nun folgenden Nodosus-lidilke bildet die
im Fränkischen weit besser ausgebildete Spiriferenbank.
Die Unterregion (ca. 10 m) , von der das Liegende leider
nicht ganz erreicht werden konnte, ist bei Rosswag an zwei Stellen
am besten aufgeschlossen ; die petrefaktenreichste ist südöstlich vom
Orte hart an der Enz gelegen ; dort ist man auch nicht mehr weit
vom Liegenden entfernt, denn gleich einige hundert Meter flussauf-
wärts befindet man sich auf dem Kalktuffe, der sich wie überall in
der Gegend aus den Quellen absetzt, die den Schichten zwischen
Salzgebirge und Muschelkalk entspringen. Ganze Platten sind hier
vollständig von Steinkernen zahlreicher Muschel- und Schnecken-
schalen bedeckt, unter denen MyopJioria vulgaris Schloth., Gervillia
socialis Schloth. und costata Schloth., Lima striata Schloth., Pecten
laevigatus und discites Schloth., Terehratula vulgaris Schloth. die
häufigsten sind. Mergelbänke wechseln mit Brockelkalken und festen
dickbankigen Kalken ab, die bereits Encrinus liliiformis Schloth. in
grosser Zahl enthalten.
Darüber folgen die Hauptencrinusbänke (22 m). Voll-
ständige Exemplare des Encrinus fehlen bis jetzt. Wenn man aber
die nicht seltenen Arme mit den Pinnulae sieht (Rosswag, Weissach),
darf man die Hoffnung , ganze Kronen zu finden , nicht aufgeben.
Man kann , von einzelnen weniger mächtigen Bänken abgesehen,
drei Horizonte in den Hauptencrinusschichten unterscheiden, deren
unterster der wichtigste und reichhaltigste ist; er liefert auch (be-
sonders bei Rosswag) die meisten sonstigen Petrefakten; die höher
gelegenen sind vielfach von Brockelbänken durchsetzt, die keine
Trochiten enthalten.
Je höher man in den Schichten hinaufkommt, desto spärlicher
wird Encrimis liliiformis Schloth., und schon stellt sich Cera-
tites nodosus Schloth. in der kleinen dachen Ynrietäit conqjressiis
— 307 —
Sandb. {subnodosus Münster) ein (6,5 m), der viel tiefer im
Muschelkalk noch vorkommt, als gewöhnlich angegeben
wird. Erst in der allerletzten Trochitenbank findet sich zusammen
mit C. nodosus var. compressiis Sandb., Spiriferina fragilis
ScHLOTH. (Enzweihingen) , welche die deutliche obere Grenze der
Trochitenkalke bezeichnet und auch schon früher von Qüenstedt ^
unterhalb Vaihingen gefunden worden ist.
Ganz ähnlich verhält sich die Lagerung und Gliederung des
Muschelkalks in der Gegend von Rottweil bis Villingen (Deisslingen,
Marbach) ; die Mächtigkeit der Encrinus-K.3Jik& ist freilich beträcht-
lich geringer als im schwäbischen Unterlande ; aber im oberen Drittel
trifft man ebenfalls Ceratites nodosus var. compressus zwischen mehr
bröckeligen Kalken mit nur wenig Resten von Encrinus; darunter
liegen erst die reichhaltigen JE^ncrÄn^s-Schichten, in denen sich Peden
discites ebenfalls besonders häufig einstellt, und die bekannten Mar-
bacher Rogensteine (auch bei Deisslingen), und unter diesen kommen
thonig-kalkige Bildungen.
Das etwa 50 m mächtige Gebirge über den 35 m Encrinus-
Kalken ist schwierig zu gliedern. Scheiden wir zunächst die oberen
dolomitischen Schichten ab, die v. Alberti^ unter den Namen „un-
terer dolomitischer Kalkstein" oder „dolomitischer Kalk"
zum unteren Keuper oder zur Lettenkohlengruppe stellte, und die
E. Fraas^ als Trigonodus-DoXomii vom Hauptmuschelkalk trennt.
Ob diese Schichten noch zum Muschelkalk, wie dies im Profil ge-
schehen ist, oder schon zur Lettenkohle gerechnet werden müssen,
lassen wir dahingestellt, v. Alberti'*, Paulus und Bach^ und E. Fraas^
geben für diese Schichten eine sehr wechselnde Mächtigkeit an, und
in der That schwankt auch im oberen Hauptmuschelkalk die Masse
des Dolomits ganz erheblich, wie dies von den genannten Autoren
vollkommen richtig angegeben wird, und wie dies im nachfolgenden
Profil gleichfalls angedeutet ist. Sieht man aber genauer zu, so
zeigt sich, dass wohl der Dolomit erheblich verschieden mächtig ist
^ Qüenstedt, Das Flözgebirge Württembergs. 1851. S. 66.
2 V. Alberti, Überblick über die Trias. 1861. S. 17 u. 274.
3 Zeitschrift der deutseben geolog. Gesellschaft. XLIV. 1892. S. 565—569.
Begleitworte zum Atlasblatt Stuttgart. 1895. S. 19.
* V. Alberti, Halurgische Geologie. 1852. I. S. 420 ff.
— Überblick über die Trias. 1864. S. 17.
^ Begleitworte zu den Atlasblättern Maulbronn und Besigheim. 1865. S. 12.
® Begleitworte zu Atlasblatt Stuttgart. 1895. S. 19.
20*
— 308 —
(von 32 m bis zu 1 m) , nicht aber die einzelnen Schichten. Es
ergiebt sich nämhch bei der Vergleichung zahlreicher Punkte nicht
ein Wechsel der Mächtigkeit, sondern der Facies: Kalk
und Dolomit vertreten sich gegenseitig. Eben dieser Facies-
v\rechsel im oberen Muschelkalk ist es, der zu mancherlei Irrtümern
Veranlassung gegeben hat, die eine ganz falsche Vorstellung über
die Lagerungsverhältnisse daselbst ermöglichten. So hat man, um
nur ein Beispiel aus der Gegend von Vaihingen zu nennen, die Fossil-
schichten im Schwieberdinger Hühnerfeld ^ zum Trigonodus-Dolomit
gerechnet, die durch ihren Reichtum an Kalkspatskalenoedern in den
Kluftflächen berühmten Muschelkalkbrüche von Grosssachsenheim ^
zum Hauptmuschelkalke, v^ährend an beiden Orten die Schichten
demselben geologischen Horizonte angehören, nur dass hier Kalk-,
dort Dolomitfacies vorliegt. Ebenso hat deshalb seiner Zeit v. Alberti ^
den ganzen über den Encrinits-Kalken liegenden Muschelkalk in
der Gegend von Rottweil zum dolomitischen Kalke und damit zur
Lettenkohlengruppe gezählt.
Aus diesem Grunde wird es sich empfehlen, nur jene lichtasch-
grauen porösen Dolomite in der obersten Region, welche allein Tri-
gonodus Sandher geri Alb. enthalten , T r l g ono du s -T) o\ o mit zu
nennen und von den Dolomit- (bezw. Kalk-) Schichten darunter zu
trennen, die dieses Fossil nicht enthalten. Auf der Grenze findet
sich überdies auch die wichtigste Stylolithenbank und an fast allen
Punkten ein, wenn auch unbedeutendes, Bonebed. Von der Letten-
kohle ist der Trigonodus-T)o\om.\i ebenfalls durch ein Bonebed ge-
trennt. In der Hauptsache handelt es sich hier um eine 2,8 m
mächtige Felsbank , welche gewöhnlich die hohe Stirne der Thal-
ränder bildet; die oberen 30 cm bestehen an den meisten Punkten
(z. B. Wasserwerk Vaihingen, Rieth, Leudelsbach Verwerfung, ünter-
riexingen, Zuffenhausen) fast ganz aus den schlecht erhaltenen Stein-
kernen von Trigonodus Sandbergeri Alb. und MyopJioria Goldfussi
Alb. ; auch Pecten laevigatus Schlote, und Gervillien finden sich dann
und wann. Die ganze übrige Masse des gewöhnlich sehr weichen
Malbsteins enthält nur selten Spuren von Fossilien ; ebenso ist es in
den darüberliegenden, mit Thon durchsetzten 2,5 m Kalken und Do-
lomiten, die durch ein bei Illingen und besonders bei Zuffenhausen
^ Begleitworte zu Atlasblatt Stuttgart. 1895. S. 20.
^ Engel, Geognost. Wegweiser. 1896. S. 68.
3 V. Alberti, Halurgische Geologie. 1852. S. 429—436; Überblick über
die Trias. 1864. S. 17.
— 309 —
gut entwickeltes Bonebed von den Mergeln und Sandsteinen der
Lettenkohle geschieden sind.
Unter dem Trigonodus-Bolomit und dem Crailsheimer Bonebed,
das bei uns vielleicht durch das unbedeutende Bonebed unter dem
Malbstein angedeutet ist, kommt in Franken die Semipartitus-
Zone. Ceratites semipartitus Buch ist bis jetzt in der Vaihinger
Gegend noch nicht gefunden, wohl aber liegt er vom Schwieber-
dinger Hühnerfeld vor als vereinzeltes Fundstück. Da er also so
gut wie ganz fehlt, dafür aber das Schwieberdinger Hühnerfeld ^ in
Bezug auf Fossilreichtum die hervorragendste Fundstelle in dieser
Region unter dem Trigonodus-Bolomit ist, habe ich in dem Profil
die Schichten unter dem Trigonodtis-Dolomit als Schwieberdinger
Schichten bezeichnet. Ob diese Bezeichnung allgemein verwendet
werden kann , mag die Zukunft entscheiden ; ich halte aber dafür,
dass sie in der Gegend von Leonberg und Zuffenhausen bis ins Enz-
und Metterthal einstweilen am geeignetsten ist. Überall, wo durch
die Sickerwasser diese Schichten ausgelaugt sind, zeigen, sich, wenn
auch nicht immer so gut erhalten wie im Schwieberdinger Hühner-
feld, die bekannten in Dolomitspat verwandelten Muscheln und
Schnecken oder doch reine Muschelbreccien, welche den Schwieber-
dinger verkieselten Breccien vollkommen gleichen. Ausser Schwieber-
dingen sind besonders Höfingen , Zuffenhausen , Rutesheim , Flacht,
Enzweihingen und auch Vaihingen zu nennen. Der Reichtum an
Myophorien, namentlich M. Goldfussi Alb. und M. laevigata Goldf.,
die von hier an bis zur oberen Lettenkohle leitend sind, aber auch
grossen Gervillien kann als besonders charakteristisch für den
Schwieberdinger Horizont gelten. Ob die Schwieberdinger Schichten
dem Semipartitus-Hoi'izont entsprechen, oder ob sie nur zum Teil
dorthin zu rechnen sind, ebenso ob noch weitere 1 — 1,5 m darunter
hierher gehören, wäre erst festzustellen.
Unserem Profil zufolge sind die Schwieberdinger Schichten
ca. 7,5 m mächtig. Die unterste, ca. 1 m mächtige Felsbank ist
die eigentliche Schwieberdinger Fossilschichte, darüber folgen Dolo-
mite oder Kalke, die sich bei der Verwitterung rauh platten^; ein
etwa 3 — 3,5 m mächtiger rauher Fels fast ohne Schichtung (der
Wilde) beschliesst diese Schichten unter dem Trigonodus-Do\om.it.
^ Über die Fauna des Schwieberdinger Hühnerfelds, vgl. Begleitworte zu
Atlasblatt Stuttgart. 1895. S. 20.
^ Begleitworte zu Atlasblatt Stuttgart. 1895. S. 19; dort sind aber diese
Schichten noch zum Malb gerechnet.
— 310 —
Wo sie ausgelaugt sind, trifft man überall in ihrem Liegenden Dolo-
mitsand und darin die in gelben Bitterspat verwandelten Muschel-
schalen, wenn auch nirgends so schön erhalten wie in Schwieber-
dingen. Am besten ist die Erhaltung derselben vielleicht noch bei
Höfingen, wo die Auslaugung selber tiefer hinabgeht als in Schwieber-
dingen; doch lassen sich die dortigen den Schwieberdingern immer
noch kaum an die Seite stellen. Bei Zuffenhausen ist die Auslaugung
wohl noch kräftiger erfolgt als in Schwieberdingen , dafür zerfallen
aber dort auch die Muschelschalen in gelblichweissen Dolomitsand.
Bei Vaihingen (z. B. am Wasserwerk) trifft man hier und da sowohl
zuunterst als auch noch im Liegenden des „Wilden" gut erhaltene
Schnecken. Bei Enzweihingen , Rutesheim, Flacht und Mönsheim^
werden die Schwieberdinger Schichten aus mächtigen Kornsteinbänken
gebildet, von denen besonders die unterste, der Schwieberdinger
Fossilschichte entsprechende, zum Teil vollkommene Muschelbreccien,
auch mit verkieselten Fossilien, darstellt. Im übrigen aber herrscht
gerade in dem Schwieberdinger Horizonte die grösste Fossilarmut
des gesamten Hauptmuschelkalks.
Eine bemerkenswerte Erscheinung im ganzen oberen Haupt-
muschelkalk, soweit er dolomitisch ist, sind zahlreiche Stylolithen-
bil düngen, die sich fast in jeder Bank einmal einstellen, aber
meistens nicht besonders deuthch sind. Die wichtigste ist, wie schon
erwähnt wurde , zwischen Wildem und Malb ; die schönsten Exem-
plare erhält man wohl bei ünterriexingen.
Weiterhin fallen hier an sehr vielen Orten eisenhaltige Schichten
auf. Schon Paulus und Bach^ haben darauf aufmerksam gemacht
und unter den „charakteristischen Bänken" des Hauptmuschelkalks
den Eisenkalk aufgeführt. Er kann aber keineswegs als beson-
dere Bank gelten ; denn er hält, wie auch Paulus und Bach bemerkt
haben, nicht immer dieselbe Lage ein, da es sich hier nur um eine
Bildung durch Sickerwasser handeln kann. Bei Klein-Sachsenheim
bildet das Eisen schon im Lettenkohlensandstein kräftige Schalen-
überzüge; weiterhin im Metterthal sind die Bänke hart unter der
Lettenkohle oder auch die fossilreichen TrigonodiisSchichten mit
ihren Petrefakten rot gefärbt. Bei Illingen ziehen sich in tieferen
Lagen horizontale rote Streifen durch das Gestein ; bei Schwieber-
dingen, Zuffenhausen und Höfingen findet man Fetzen bräunlichen
^ Vgl. auch Begleitworte zu Atlasblatt Liebenzeil. 1897. S. 21.
^ Begleitworte zu den Atlasblättern Bcsigheim und Maulbronn. 1865. S. 10;
vgl. hierüber auch v. Alberti, Überblick über die Trias. 1864. S. 14.
— 311 —
Thones in den ausgelaugten Schichten und in den darunter zur Tiefe
führenden Spalten, und zwischen Stammheim und Zuffenhausen bildet
ein zäher brauner Thon im Schwieberdinger Horizont ganze Schichten.
Es mag sonach nicht unwahrscheinlich sein, dass die Auslaugungen
im oberen Hauptmuschelkalk mit der Bildung dieser eisenschüssigen
Schichten im engsten Zusammenhange stehen.
Bevor wir zur Besprechung des Nodostis-Ksdks weitergehen, soll
noch einiges über die Gliederung des Dolomits im Hauptmuschel-
kalk eingefügt werden. Wie notwendig es ist, den Dolomit im
oberen Muschelkalk nicht einfach als Trigonodus-Bolomit zu bezeich-
nen oder zur Lettenkohlengruppe zu stellen , sondern die einzelnen
Schichten desselben nach ihren Einschlüssen zu gliedern und mit
denen anderer Gegenden zu parallelisieren, mag wieder ein Bhck auf
die Schichtenentwickelung der Rottweiler Gegend zeigen. Dort ist
dieser dolomitische Kalkstein, wie auch v. Alberti^ angiebt, 32 m
mächtig ; wenn aber v. Alberti seiner Zeit diese 32 m mit den ca. 6 m
oder noch weniger (bis 1 m) Dolomit im mittleren und nördlichen
Württemberg gleichsetzte, so kann dies nur aus der Nichtbeachtung des
Facieswechsels erklärt werden ; denn auch dort trifft man Trigonodus
Sandhergeri Alb. nur in den obersten 3,5 — 4 m zusammen mit
MyopJioria Goldfussl Alb., M. laevigata Goldf., M. vulgaris Schlote.,
Natica gregaria Schloth. , die ganze Bänke füllt (Rottweil gegen
Gölsdorf) und vielen kleinen Gervillien. Die Dolomitisierung der
Schichten geht aber noch sehr tief hinab durch den Nodos us-B.onzont,
ja bis in die oberen £'ncrm««5-Schichten ; so gehört z. B. die Bank
grosser Terebrateln bei Schwenningen und Rottenmünster, die
V. Alberti^ in den Horizont des Trigonodus Sandhergeri stellte, noch
zum iVö(?ö5WS-Kalke ; darüber kommt noch durch mehrere Meter der
typische Nodosus vor. Die Vergleichung der dolomitischen Schichten
im Lande umher zeigt deutlich, dass die Dolomitisierung des Muschel-
kalks in den südlichen Landesteilen am tiefsten geht (bei Villingen
bis in den Encrinus-Kdi\]s.^ bei Rottweil fast noch durch den ganzen
Nodosus-Ka)L]s) ; je weiter man nach Norden geht, in desto geringeren
Tiefen trifft man das Gestein dolomitisch. Bei Leonberg sind nicht
nur die Schwieberdinger Schichten, sondern selbst noch einzelne
Bänke darunter dolomitisch; schon bei Gross-Sachsenheim und Besig-
heim sind dieselben Schichten bloss noch kalkig, und ganz im Norden
1 V. Alberti, Überblick über die Trias. 1864. S. 17.
2 V. Alberti, ÜberbUck über die Trias. 1864. S. 155.
— 312 —
Württembergs verschwindet der Dolomit auch aus den höheren
Schichten völlig oder fast völlig. Was die Ursache dieser verschie-
denen Dolomitisierung des oberen Muschelkalks ist, mag hier dahin-
gestellt bleiben. Immerhin ist es auffallend, dass das Wellen-
gebirge ein ähnliches Verhalten im nördlichen und südlichen Württem-
berg zeigt.
Der Nodosus-K&lk (34 m) zwischen Encrinus und Schwieber-
dinger Schichten w^ird durch eine sehr bezeichnende, leider nicht an
allen Orten gleich reichhaltige Cycloides-^cMohi [Terehratula vul-
garis var. cycloides Zenk.) in zwei Hälften geteilt (Vaihingen
bei der Seemühle , Aurich , Höfingen , Neckarweihingen) ; die beste
Fundstelle für diese Terebrateln ist bei der Seemühle, wo eine Kalk-
bank fast ganz aus ihnen besteht und auch viele aus den Thonen
auswittern und bequem aufgelesen werden können. In der ünter-
region des Nodosus-KoSks,, die aus vielen Thonen und Brockelkalken
besteht, findet man überaus reichlich (Vaihingen, Enzweihingen,
Neckarweihingen) den kleinen, etwa 12 cm grossen Ceratites no-
dostis var. compressus Sandb. und in den höheren Lagen derselben
auch eine ebenfalls kleine, sehr dicke und rundrückige Form. Hier
sind auch andere Petrefakten nicht selten : Nautilus hidorsatus
ScHLOTH., Lima striata Schloth., Pedcn laevigattis Schloth., Ostrea
suhanomia Goldf. , 0. decemcostata Alb. , Gervillia socialis Goldf,,
Nuctda, Corbula, Dentalium laeve Schloth. u. a. Über dem Cycloides-
Horizont werden die Lagen fester und zwischen den Brockelkalken
stellen sich nach oben auch dickere Bänke ein. Die Schichten sind
recht fossilarm, und selbst das Leitfossil Ceratites nodosus Schloth.
typus ist nicht häufig. Ganz oben kommt eine Region mit den
ca. 22 cm grossen grobrippigen Exemplaren des Ceratiten
(Vaihingen, Heimerdingen). Hier trifft man dann auch viele und
grosse Exemplare von Gervillia socialis Schloth. Die stark thonigen
Schichten unmittelbar unter den Schwieberdinger Schichten enthalten
Discina silesiaca Gein. (Vaihingen und Heimerdingen) und bei Vaihingen
noch Calamitenreste. Ob weitere Unterabteilungen (Pemphix , der
bei Höfingen ca. 8 m über der Cycloidcs-Bank ein Lager einzuhalten
scheint; Fecten laevigattis Schloth.) zu machen sind, lässt sich noch
nicht feststellen.
Heben wir, bevor wir das Profil durch den Hauptmuschelkalk
bei Vaihingen a. E. im einzelnen geben, noch einmal die wichtigsten
Fossilschichten heraus, so ergiebt sich für diese Gegend ungefähr
folgende Übersicht:
— 313
Grenzbonebed und Lettenkohle.
5,3 m TW^OHO^^Ms-Dolomit.
7,5 m
4,7 m
17,2 m
2,8 m
9,6 m
6,5 m
21,6 m
5,4 m
Hauptstylolithenbank und Bonebed.
Schwieberdinger Schichten.
f
Discina silesiaca Gein.
Ceratites nodosics Scni,., grosse, grobrippige
Form.
Gervillia socialis Schlote.
Pecten laevigatus Schloth.
Ceratites nodosus typus Schloth.
Terehratula vulgaris var. cydoides Zenk.
Ceratites nodosus var. cowpressus Sandb.
Spiriferina fragilis Goldf.
Ceratites nodosus var. compressus Sandb.
und Encrinus liliiformis Schloth.
Haupt- JE'wcrmj^s-Bänke (3).
Horizont der MyopJwria imlgaris Schloth.
und Gervillia costata Schloth. (Horizont
von Hassmersheim).
Trigonodus-Dolomit 5,3 m
Schwieberdinger
Schichten {Semi-
2)artitus-ZonQ?)
I
7,5 m
Nodosus-Ksdk
34,3 m
■ Trochitenhorizont . 33,5 m
Da bis zur Anhydritgruppe noch einige Meter fehlen, beträgt die Ge-
samtmächtigkeit etwa 85 m.
o
ö
1,5 m
gelbliche und graue Thone mit Dolomit-
und Sandzwischenlagen.
0,35 m
Dolomitbänke und Thone.
0,2 m
blauer, verwittert grauer, mit Spat durch-
setzter Kalk. Bonebed: Acrodus
lateralis Aq.
Beim Wasserwerk Vai-
hingen unter dem
Sandstein derLetten-
kohle 0,06 mBastard-
sandstein mit Bone-
bed.
CD
a
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o
o
0,3 m
Thone, dunkle Schiefer und einige Dolomitbänkchen. Myophoria
Goldfussi Alb.
0,5 m
blauer Kalk mit unbedeutenden Thonzwischenlagen.
1,1 m grauer dolomitischer Kalk, stellenweise grauer Dolomit.
I lichtgelbe dolomitische Platten , am Vaihinger Wasserwerk mit
' Koprolithen.
2,8 m
Trigonodus-V)o\ova.\t: poröser, aschgrauer oder gelblicher
Dolomit, Malbstein. Besonders in den oberen Lagen Tri-
gonodus Sandher g er i Alb., Myopjlioria Goldfussi
Alb., seltener Pecten laevigatus Schloth, und Gervillia socialis
Schloth.
— 314
3,4 m
a
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CO
bC
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•I— 1
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05
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CO
2,55 m
Grauer Dolomit oder dolomiti-
scher Kalk (der „Wilde"), kaum
einmal mit einigen thonigen
Einlagerungen, je nach der
Verwitterung und Auslaugung
verschieden : hart-dolomitisch,
groh-krystallinisch, kalkig, brö-
selig, eckig-brockig. Die lau-
tersten Schichten sind hin und
wieder ausgelaugt und zeigen
dann (Vaihingen a. E.) die
Schwieberdinger Petrefakten in
Dolomitspat verwandelt: 3Iyo-
phoria vulgaris Schloth.,
31. Goldfussi Alb., 31. laevi-
gata Goldf., GerviUia socialis
Schloth. , Chemnitzia Schlot-
heimii Qu.
Zuoberst Hauptstylolithen-
bank und ein unbedeutendes
B 0 n 6 b e d (Fischzähnchen,
Äcrodus lateralis Ag.).
Im ScIlvvieberdiDger Höhncrfeld.
Im Hangenden des Steinbruchs
ist von dem Wilden noch 1,5
bis 2,5 m dolomitisches, in
eckige Brocken zerfallenes Ge-
stein anstehend.
Darunter ist eine 0,25 m mäch-
tige Schichte von Dolomit-
sand mit Schnecken {Chem-
nitzia Schlotheimii Qu. , Na-
tica sp.).
Dolomitfacies : l,2mfein-krystal-
linischer Dolomit, bei der Ver-
witterung sich rauh plattend,
1,35 m grob-krystallinischer Do-
lomit, sich rauh plattend.
Kalkfacies: 2,55 m blaue (graue)
Kalke mit einigen Stylolithen.
0,9 m fein-krystallinischer Do-
lomit, schon stark verwittert.
0,2 — 0,3 m Dolomitsand mit
Schneckenf NaticaJßlyojiJioria
Goldfussi Alb. , GerviUia so-
cialis SCHL.
1,2 m massiger dolomitischer
Kalkfels , grob - krystallinisch.
0,1 m Dolomitsand, hauptsächlich
mit Schnecken {Chemnitzia und
Natica) , GerviUia subcostata
Goldf., 3Iyophoria Goldfussi
Alb., 31. vulgaris Sohl., 31. lae-
vigata Goldf.
0.5 m
Thonige Platten oder fein-kry-
stallinischer plattiger Dolomit,
hie und da Stylolithen; bei
Vaihingen und Enzweihingen
Saurierknochen.
0,4 m thonig-dolomi tische Schicht,
stellenweise Steinmergel mit
Saurierresten.
1,0 m
Dolomitfels oder dolomitischer
Kalk, hie und da mit Stylolithen;
bei Enzweihingen, Rutesheim
0,8—0,9 m Schwieberdinger
Fossilschichten, und zwar:
0,4 m dolomitischer Sand, haupt-
1,0 m
— 315 —
u. s. w. Kornstein mit einer
Muschelbreccie, in der, teilweise
vefkieselt, Myoplioria vulgaris
ScHL., M. Goldfussi Alb.,
M. laevigata Goldf., Gervillia
socialis Sohl., G. siibcostata
Goldf., Nucula sp., Tancredia
iriasina Sch.\ur. , Chemnitsia
Schlotheimn Qu., Natica gre-
garia Sohl, neben anderen
deutlich zu erkennen sind.
sächlich mit grossen M y o -
p h 0 r i e n ; dunkle dolomitische
Sande mit verkieselten Fos-
silien, in eine Breccie aus
verkieselten Muscheln
übergehend; Steinmergel und
zähe Letten mit Tancredia
triasina Schaur; Dolomitsand,
hauptsächlich mit Gervillien.
0,2 — 0,3 m Steinmergel, teilweise
krystallinisch-dolomitisch (Sau-
rierreste).
0,2 m Dolomitsand mit Myo-
phorien und Schnecken.
Über die in diesen Schichten ge-
sammelten Petrefakten ver-
gleiche Begleitworte zu Atlas-
blatt Stuttgart 1895, p. 20,
Eine genauere Bearbeitung
wird diese Fauna durch Herrn
Dr. E. Philippi erfahren.
drei Thonbänke, unterste und oberste, je 0,4 m, dazwischen blaue
oder dolomitische Kalke.
In den Thonbänken Discina silesiaca Gein., Saurierknochen und
Calamitenreste. Manchmal sind bloss 1,6 m Brockel-
1,6 m kalke entwickelt.
Im Schwieberdinger Hühnerfeld sind diese Schichten
stellenweise auch noch tiefere, durch Auslaugung ganz in eine
thonige Masse verwandelt, worin die Kalkbänke durch Knauer-
einlagerungen noch angedeutet sind.
feste blaue Kalkbank oder dolomitischer Kalk mit spätigen
Muschelschalen und grossen Gervillia socialis Schloth. ; bei
Enzweihingen und Eberdingen eine Muschelbreccie; bei
Höfingen in Dolomitspat verwandelte Gervillien u. a.
0,3 m
blaue Brockelkalke mit Gervillia socialis Schloth., Lima striata
Schloth., Corbula gregaria Schloth.
0,9 m
Thone und Brockelkalke. C er atites nodosus Schloth.,
grosse (0,22 m) grobrippige Form.
0,3 m
blaue Kalke, bröckelig, obere 0,3 m festere Bank mit spätigen
1,3 m Muschelschalen. C er atites nodosus, grobrippig. Ger-
villia socialis Sohl.
0,3 m
Thon und Brockelkalk.
— 316
1,4 m
0,2 m
1,6 m
feste blaue Kalke mit spätigen Muschelschalen im Wechsel mit
thonigenBrockelkalken. Grosse GervilliasocialisScHhOTH.,
Ceratites nodosus-Tyyns Schlote., Mytüiis eduli-
formis Schlote., Saurierknochen.
Thon und Brockelkalk.
kry Stallini sehe Kalke mit spätigen Muschelschalen.
Pecten laevifjatusScuhOTB., grosse GervilUa socialis Schlote.,
Litna striata Schlote., Ceratites nodosus-Ty])\is Scelote.
CO
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I
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O
CO
ns
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o
o
w
0,85 m
zwei feste blaue Kalkbänke mit spätigen Muschelschalen, durch
eine 0,15 m mächtige Thonbank getrennt.
0,2 m
Thon und thoniger Kalk.
1,0 m
krystallinischer und dichter Kalk. GervilUa socialis Scelote.,
Lima striata Scelote.
0,45 m
Thone und Brockelkalke.
0,2 m
feste Kalkbank.
1,0 m
Brockelkalk, thonig.
0,9 m
festere blaue Kalke (obere Bank 0,3 m mächtig). Ceratites no-
(ZosMS- Typus Schlote., Myacites musculoides Scbloth., Ger-
vilUa socialis Schlote.
0,3 m
Thon und thoniger Kalk. Ceratites nodosus-Typus Scelote.,
. GervilUa socialis Schlote., Myophoria vulgaris Schlote.,
Terehrattda vulgaris var. cycloides Zenk., Chemniizia Schlot-
Jieimii Qu., Fischzähne und -schuppen.
1,2 m
krystallinische und dichte Kalke mit spätigen Muschelschalen.
Ceratites wociosMS-Typus Schlote. {Pemphix Sueurii Mey.).
0,3 m
Thone und thonige Kalke.
4,0 m
thonige Brockelkalke mit einigen unbedeutenden krystallinischen
Bänkchen. Ceratites nodosus- Typus Scelote., Nautilus
bidorsatus Schlote. , Lima striata Schlote. , Pecten laevi-
gatus Scelote., 3Iyoplwria vidgaris Scelote., GervilUa so-
cialis Schlote., Ostrea suhanomia Mühst., Natica sp.
0,3 m
krystallinischer Kalk.
0,5 m 1 Thon.
0,3 m graue krystallinische Kalkbank.
3,5 m
Brockelkalk mit Ceratites «o(?osMS-Typus Schlote.
317 —
0,1 m
krystallinische Kalkbank mit spätigen Muschelschalen.
Myoplioria vulgaris Schloth., Terebratula vulgaris var. cycloides
Zenk.
Knauerbänke und Thon, dazwischen ein krystallinisches Bänkchen.
Ceratites nodosus var. compressus Sandb. und C. nodosus-Typus
Schloth., Terebratula vulgaris var. cycloides Zenk.
Gycloides-Schichten: mehrere Kalkbänke, erfüllt mit Tere-
bratula vulgaris var. cycloides Zenk., und einige
thonige oder bröckelige Zwischenlager.
Myoplioria vulgaris Schloth., Pecten laevigatus Schloth., Ger-
villia socialis Schloth., Nothosaurus-ZB.\m.
0,8 m
schieferige Thone mit Kalkplättchen.
0,2 m
krystallinischer Kalk mit einigen Terebratula vulgaris var. cy-
cloides Zenk.
0,25 m
Brockelkalk mit Gervillia socialis Schloth.
0,2 m
krystallinische Kalkbank mit spätigen Muschelschalen.
1,4 m
Brockelkalk. Grosse Terebratula vulgaris Schloth. , Corbula
gregaria Münst.
0,3 m
Thon.
0,1 m
feste Kalkbank.
0,4 m
Brockelkalk.
0,3 m
Thon.
4,0 m
Brockelkalke mit Ceratites nodosus var. compressus Sandb.
und namentlich einer ebenso kleinen , sehr breit- und
rundrückigen Form, Nautilus bidorsatus Schloth.,
Lima striata Schloth., Corbula gregaria Schloth.
0,8 m
Thone, Knauerbänke und eine festere Kalkbank.
Hauptlager des Ceratites nodosus var. compressus
Sandb. ; eine Bank besteht fast nur aus diesem Ceratiten.
Nautilus bidorsatus Schloth., Lima striata Schloth., Ostrea
decemcostata Münst. , Pecten laevigatus Schloth. , Gervillia
socialis Schlote., Mytilus eduliformis Schloth., Chemnitsia
Schlotheimii Qu., Natica gregaria Schloth., Ostrea subanomia
Münst.; Simosaurus-Wivhei.
— 318
CO Q
a
o
ts:
o
1,8 m
Brockelkalke. Ceratites nodosus var. compressus Sandb.,
Nautilus bidorsatus Schloth., Lima striata Schlote., Lima
costata MüNST., Ostrea decemcostata Münst., Mytilus eduli-
formis Schloth. , Pecten laevigatus Schlote. , Gervillia so-
cialis Schlote. , Corhula gregaria Münst. , 3Iyophoria vul-
garis Sceloth., Dentalium laeve Scbloth., Natica gregaria
Schlote., Terebratula vxdgaris Scelote. , Discina silesiaca
Gein., Cidaritenstacheln, Fischschuppen und -zähnchen.
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• pH
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P<
C/J
0,2 m
krystallinische Kalke (1 oder 2 Bänkchen), darin spärlich En-
criniis liliiformis Scelote., Ceratites nodosus
var. comi^ressus Sandb. und (bei Enzweihingen) Spiri-
ferina fragilis Goldf.
0,15 m
Thone und Platten.
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CO
o
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f^
o
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o
Kl
u
.£2
O
0,35 m
0,2 m
krystallinische Kalkbänke, hie und da dolomitisch, mit einzelnen
Trochiten, Ceratites nodosus var. compressus Sandb.,
Terebratula vulgaris Scelote.
0,3 m
Thone und dünne Platten mit Ceratites nodosus var. compressus
Sandb.
0,5 m
blaue Kalke, einzelne Bänkchen krystallinisch.
0,1 m
krystallinischer Kalk mit spätigen Muschelschalen.
0,15 m
Thon.
0,3 m
Brockelkalk.
krystallinischer Kalk oder Dolomit mit grossen Kalkspatadern;
einige Trochiten, Pecten discites Scelote., Gervillia
socialis Schlote., Terebratula vulgaris Schlote.
0,7 m
Brockelkalke und Knauerbänke, bei der Seemühle löcherig
(Schaumkalke).
Lima striata Schlote., Gervillia socialis Scelote., Terebratula
viägaris Scelote., Natica gregaria Scelote.
0,3 m
Thone und thonige Kalke. Myacites musculoides Scelote.
0,2 m
krystallinischer Kalk.
0,35 m
JSncri «WS-Bank, dolomitisch-sandig.
0,7 m
Brockelkalk, unten Thon.
0,2 m
krystallinischer Kalk mit spätigen Muschelschalen, Pecten discites.
0,1
m
Thon. Ter ebr atula vulgaris ScRLOTB.., Ceratites nodo-
sus var. compr essus Sandb.
— 319
0,2 m
krystallinischer Kalk, reich an Muschelschalen.
Terebratula vulgaris Schlote. , Lima striata Schlote.
decemcostata Münst., Ghemnitzia Schlotheimii Qu.
Ostrea
0,2 m
Brockelkalk.
0,3 m
krystallinischer Kalk.
Geratites nodosus v a r. co mp ressus Sändb. , Gervillia
socialis Schlote., Terebratula vulgaris Schloth.
0,1 m
Thon und Brockelkalk.
0,7 m
Brockelkalk (bei der Seemühle 0,45 m).
0,2 m
Thon mit Geratites nodosus var. compressus Sandb.
{subnodosus Münst.), kleinen (0,08 m) Exemplaren, Terebratula
vulgaris Schlote. , Ostrea sessilis Sceloth. , Pecten discites
ScELOTH., Myacites musculoides Schlote.
0,25 m
krystallinischer Kalk, gegen oben tr ochitenhaltig.
0,45 m blauer Kalk mit muscheligem Bruch.
0,35 m
krystallinischer Kalk mit Pecten discites Schlote.
0,3 m
Brockelkalk.
krystallinischer Kalk mit spätigen Muschelschalen, teilweise dolo-
mitisch-sandig.
1,85 m
Encrinus-Ksilke, meist krystallinisch , getrennt durch drei
unbedeutende thonige und blaue kalkige Bänkchen (bei der
Seemühle 1,45 m). JEncrinus liliiformis, Ostrea decemcostata
Münst., Pecten discites Schlote.
1,0 m
blaue Kalke.
0,3 m
krystallinischer Kalk, spärlich Encrinus.
0,1 m
thoniger Kalk.
0,3 m
krystallinischer Kalk, gegen oben tr ochitenhaltig.
0,2 m
Thon und thoniger Kalk.
t),2 m
krystallinischer Kalk.
0,2 m
Brockelkalk.
0,2 m
krystallinischer Kalk.
320
0,4 m
Thon und Brockelkalk.
0,1 m
krystallinischer Kalk.
1,7 m
Brockelkalk.
o
0,5 m
Thon und einige Plättchen mit Encrinus, Terebratula vul-
garis SCHLOTH.
a
CO
0,5 m
Encrinus-Ba.nk, krystallinisch, mit spätigen Muschelschalen.
Pecten discites Schloth., Lima striata Schlote.
0,2 m
Thone.
1
0,7 m
blaue Kalke.
0,1 m
krj'stallinischerKalk mit Kalkspatadern. Pecten discites Schlote.
1,2 m
blauer Kalk.
o
0,1 m
krystallinischer Kalk mit spätigen Muschelschalen
1
4,4 m
blauer Kalk. Lima striata Schlote., Gervillia sociaUs Schlote.
1 5 ni
Encrinus-Bän'ke, sehr reichhaltige, obere 0,1 m mit l'ere-
o
f?
hratula vidgaris Scelote. erfüllt. Pecten discites Schloth.
s
^
0,2 m
Thon und Brockelkalk.
'S
0,5 m
massige blaue Kalkbank.
S
2,5 m
blaue, dünngeschichtete Kalke.
sehr reichhaltige Encrinus-Bank. Cidaritenstacheln , Tere-
bratula ruhjaris Schloth., Pecten discites Schlote., P. laevi-
1,0 m
gatus Schlote. , Hi}inites comptus Ghcb. , Lima striata
Schlote., L. costata Mdnst. , Gervillia socialis Schlote.,
Myophoria vulgaris Scelote.
'S w
Thone und einige feste, mit Petrefakten bedeckte Bänkchen;
SCHLO
0,8 m
G e r V i 1 1 i e n platten. Terebratula vulgaris Schlote. , Ger-
villia socialis Scelote., G. costata Schlote., Myophoria
on d
ata
vulgaris Scelote.
"Sog
iJncr in MS- Bänke. Cidaritenstacheln, Terebratula vulgaris
Scelote., Hinnites comptus Gieb., Pecten laevigatus Schlote.,
1^
0,5 m
P. discites Scelote., Lima striata Scelote., Gervillia socialis
o •
Scelote., Mytilus eduliformis Schlote., Myoplioria vulgaris
CO O
Scbloth.
Thone und Petref aktenplatten : G er vi 11 ien platten {G. socialis
ca. 1.2 m
und costata Scelote.), JMyophorienplatten (ilf. vulgaris
Scelote.) und Tereb ratein platten. Ausserdem Encrinus,
Hinnites, Lima, Cidaritenstacheln.
321
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CO
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0,3 m
feste Kalke, wenig Encrimis, Lima striata Schloth.
ca. 1,5 m
Thone mit Petrefaktenplatten : Terebratula vulgaris Schloth.,
Ostrea complicata Goldf., Lima striata Schloth., Gervillia
costata Schloth., Mytilus.
0,2 m
feste blaue Kalkbank mit Muschelschalen. Encrinus, Cida-
riten stacheln, Lima striata und L. costata Schloth., Gervillia.
0,3 m
bröckelige Kalke: Encrinus, Terebratula vulgaris Schloth.,
Pecten laevigatus Schloth., Lima striata, Gervillia socialis
und costata Schloth.
0,3 m
feste blaue Kalkbank mit Encrinus.
0,3 m
Thon.
? m
Kalkbank mit Encrinus.
Bis zur Anhydritgruppe fehlen wohl noch etwa 4 — 5 m.
Jahreshefte d. Vereins f. vaterl. Naturktinde in Württ. 1898.
21
Die Giftwirkung der gegen die Peronospora vitieola
verwendeten Kupfervitriol-Kalkmisehung (Bordeaux-
brühe) auf Spirogyra longata.
Von Dr, O. Rumm. in Stuttgart.
Als im Jahre 1878 die gefährliche Peronospora vitieola von
Amerika aus nach Frankreich eingeschleppt wurde und in wenigen
Jahren ihren Siegeslauf durch fast alle Weinbaugegenden unseres
Erdteils hielt, da musste man in der That ernstliche Befürchtungen
in Betreff der Zukunft des europäischen Weinbaus hegen. Erlagen
doch in manchen Bezirken die Jahreserträge fast völlig der neuen
Krankheit, und stand man doch dieser letzteren eine Zeitlang gänz-
lich ratlos gegenüber ! Viele Bekämpfungsmittel wurden damals in
Vorschlag gebracht, von denen man heute sicher weiss, dass sie
entweder ohne jeglichen Wert sind oder aber den Schmarotzer mit
seiner Wirtspflanze schädigen. Von allen verwendeten Mitteln dürfte
wohl auch jetzt noch die von Millardet (Bordeaux) zuerst gebrauchte
Kupfervitriol-Kalkmischung oder deren durch Zuckerzusatz
erreichte Abänderung als das beste Bekämpfungsmittel der Perono-
spora gelten. Bekanntlich wird die ursprüngliche Bordeauxbrühe
durch Vermischen von zu Brei gelöschtem Kalk und Kupfervitriol-
lösung nach im übrigen ziemlich verschiedenen Rezepten hergestellt.
Die Litteratur über ihre Erfolge , ihre vorteilhafteste Zusammen-
setzung, Zeit und Methode ihrer Anwendung u. s. w. ist in der
kurzen Spanne von 10 — 12 Jahren eine sehr umfangreiche geworden.
Im Sommer 1892 stellte ich eingehende Versuche über die Wirkungs-
weise der Bordeauxbrühe an, wodurch ich nachweisen konnte, dass
diese Mischung (abgesehen von ihrer Giftwirkung auf den Schmarotzer)
auch direkt gesunde, von der Peronospora nicht be-
fallene Reben fördernd beeinflusst, dass es sich bei diesem
Einfluss nicht mehr um Kupfervitriol und Kalk, sondern um die aus
diesen Stoffen hervorgehenden Verbindungen : nichtätzendes Kupfer-
— 323 —
hydroxyd (Cu (0 H)2) , Gips (Ca S 04^ . 2 Aq) und Calciumkarbonat
(CaCOg) handelt, und endlich dass diese Wirkung ohne spektro-
skopisch nachweisbare Kupfer aufnähme durch die
Blätter zu stände kommt ^. Anschliessend an diese Untersuchungen
machte ich es mir im Winter 1894/95 zur Aufgabe, nun auch die
Grösse der Giftwirkung der Bordeauxbrühe und ihrer Bestand-
teile auf niedere Lebewesen systematisch zu erforschen. Als
Versuchsobjekt diente mir hierzu — mangels an Conidien und Zoo-
sporen von Peronospora viticola — neben anderem Spirogyra longata,
eine für derartige Arbeiten ausserordentlich geeignete, auf die ge-
ringsten Giftmengen sehr charakteristisch reagierende Alge. Die
Ergebnisse meiner diesbezüglichen Untersuchungen veröffentlichte ich
1895 in Bd. I Abt. 1 von „Fünfstück's Beiträgen zur wissenschaft-
lichen Botanik". 1897 hielt ich über diese Arbeiten im Verein für
vaterländische Naturkunde zu Stuttgart einen Vortrag, der sich vor-
wiegend mit der physiologischen Seite der Frage befasste und dessen
Inhalt ich hier an Stelle eines kürzeren Referats etwas ausführlicher
mitteilen möchte.
Spirogyra longata besitzt für gewöhnlich nur ein, von rechts
unten nach links oben ansteigendes, nach innen rinnenartig gewölbtes,
seitlich mit vielen zierlichen Zacken besetztes Chlorophyllband. Sie
wird durch Kupfervitriollösungen verschiedener Konzentration im
wesentlichen auf drei in ihren äusseren Erscheinungsformen sehr
verschiedene Arten abgetötet: entweder wird das zweischneidige
Chlorophyllband walzenförmig, bleibt am Plasma in seiner ursprüng-
lichen Lage haften, zieht sich aber mit letzterem bis zu 50 7o nach
Länge und Breite ins Zellinnere zurück (Plasmolyse); oder das
Band verändert sich wie oben, ohne dass das Plasma von der Mem-
bran losgetrennt wird (eigentlich chemische Vergiftung) ; oder
endlich das Band löst sich unter nachfolgender Querschnittsdefor-
mation vom Plasma, begiebt sich annähernd in die Zellenachse und
zieht sich dann wurmförmig in sich selbst zu einem Ballen zusammen
(oligodynamische Vergiftung, Nägeli). Letztere Abtötungsart
war noch zu konstatieren, wenn ich ein kleines Algenbündel auf dem
Objektträger in einige Tropfen einer Lösung brachte, die auf 1 cbm
Wasser nur 1 g Kupfervitriol enthielt. <
Meine Bordeauxbrühe bestand aus 3 kg Kupfervitriol und 2 kg
gelöschtem Kalk und war auf 100 1 Mischung verdünnt ; sie musste
1 Berichte der Deutsch. Bot. Gesellschaft 1893. S. 79—93 und S. 445
bis 452.
21*
— 324 —
nach einfacher chemischer Rechnung 1,17 kg Kupferhydroxyd,
2,07 kg Gips und 1,11 kg überschüssigen Kalk enthalten. Nach
diesen Verhältniszahlen bereitete ich mir auch Brühen der einzelnen
Bestandteile, wohl wissend, dass die Bordeauxbrühe der Praxis sich
von meiner ideellen morphologisch in mehrfacher Hinsicht unter-
scheidet : denn beim Vermischen der Kalkmilch mit der Kupfervitriol-
lösung werden die ungelösten und ungelöschten Kalkteilchen von
letzterer angeätzt; die gleichzeitig entstehenden schwerlöslichen Um-
setzungsprodukte (Gips und Kupferhydroxyd) durchdringen einander
und die festen Kalkteilchen mechanisch (wenigstens teilweise),
so dass die Bordeauxmischung alle drei chemischen Verbindungen
nicht gleich massig gesondert, daher auch nicht gleich-
mässig frei aktiv enthält.
Meine Untersuchungen erstreckten sich auf die drei genannten
Primärbestandteile und auf deren sämtliche binäre und ternäre
Mischungen in verschiedenen Konzentrationen (Ausgangspunkt die
obenerwähnten quantitativen Verhältnisse einer ideellen Bordeaux-
brühe als Normalkonzentrationen 1,0). Sämtliche Stoffe wurden auf
dem Objektträger je in zwei Reihen durchgeprüft: als „Brühen"
(d. h. mit festen Partikeln) und als Filtrate. Erwähnen will ich
noch, dass ich die Kupferbrühe durch Fällung aus Kupfervitriollösung
mittels klarer Kalklösung, Kalk- und Gipsbrühe durch direktes Ab-
wägen der betreffenden Stoffe herstellte. Jeder Versuch wurde
V4 Stunde, Vg St., ^U S*-. etwa 3 St. und endlich 24 St. nach
seinem Beginn abgelesen. Auf Grund dieser zweimal mit guter
Übereinstimmung angestellten Untersuchungen kam ich zu folgenden
Ergebnissen.
I. Bezüglich der Primärbestandteile der Bordeauxbrühe.
1. Vom Kupferhydroxyd ist in gekochtem und abfiltriertem
Brunnenwasser oder in Schneewasser nicht so viel gelöst, als zu
einer sichtbaren Erkrankung von Spiroyyra nötig ist. Nur die festen
Hydroxydteilchen wirken — und zwar nur bei direkter Berührung
mit den Algen — schädlich auf letztere ein, quantitativ etwa Ve so
stark als die Kupfervitriolmenge , aus der sie gefällt wurden. Be-
rühren viele Kupferteilchen die einzelne Zelle, so zieht sich das
Chlorophyllband vom Plasma zurück und zerreisst in mehrere Stücke;
das Plasma trennt sich in unregelmässigen, meist konkav-buchtigen
Umrissen von der Membran ; es bleibt aber an einzelnen Punkten
der letzteren (fast immer da, wo sich aussen Kupferteilchen befinden),
— 325 —
sowie an den stark aufquellenden, sich dunkelbraun färbenden Quer-
wänden hängen ; nachträglich tritt Bräunung des Zellinhalts ein.
Kommen hingegen nur wenige Kupferteilchen mit den Algen in
Berührung, so erhalten wir teilweise Erscheinungen ähnlich denen
der oligodynamischen Vergiftung durch Kupfervitriol : das Chlorophyll-
band ballt sich im Zellinnern ; aber daneben zeigt sich schwacher
seitlicher Plasmarückzug mit Anheftungspunkten , sowie geringere
Trübung des Zellinhalts, schwächere Quellung und Bräunung der
Zellquerwände als bei Anwesenheit von viel Kupferhydroxyd,
2. Das Calciumhydroxyd kann die Algen nur dann ungünstig
beeinflussen, wenn seine Lösung nicht unter 5^ heruntersinkt. Spiro-
gyra-ZeWen, welche von starkbasischer Kalklösung abgetötet wer-
den, kürzen ihr allmählich walzenförmig werdendes Chlorophyllband
derart, dass sich dasselbe mit Ausnahme einer Längszone vom Plasma
lostrennt und in mehr oder weniger langgestreckter Form an der
einen Seite des Plasmaschlauches hängen bleibt. Der Zellinhalt er-
starrt durch grobkörnige Ausscheidung; er wird undurchsichtig,
während die Zellwände wasserhell bleiben. Erst nachträglich zieht
sich das Plasma ziemlich gleichmässig, aber schwach von der Mem-
bran zurück. Schwächere Kalklösungen lassen kürzere Chlorophyll-
walzen bis eirunde Gebilde entstehen und verursachen nur lokalisierte,
verzögerte Erstarrung, sowie stärkeren nachträglichen Rückzug des
Plasmas.
3. Gips bewirkt keinerlei erkennbare Schädigung der Algen.
IL Bezüglich der binären Mischungen der Bestandteile der
Bordeauxbrühe.
1. Der Gips besitzt gegenüber dem Calcium- oder Kupfer-
hydroxyd keine entgiftenden Eigenschaften.
2) In Calcium- und Kupferhydroxydmischungen tritt ein: a) bei
starker Basicität : Tod der Algen wie in reiner Kalkbrühe ; der Ein-
fluss des Kupfers wird durch den Kalk aufgehoben ; b) bei schwacher
und sehr schwacher Basicität (Kalklösung unter ~) : Verzögerung
der Algenerkrankung um bis über 10 Stunden, sodann normales Zu-
grundegehen der Algen an Kupferhydroxyd ; c) bei neutraler Mischung:
Tod wie in reiner Kupferbrühe.
III. In der frischgefällten Bordeauxbrühe
tritt, je nachdem 'der Kalk mehr oder weniger genügend gelöscht
war, eine kleine quantitative Verminderung der Giftwirkung des
— 326 —
Kupferhydroxyds ein , indem alsdann ein Teil des Kupfers in den
obersten Schichten der Kalkfragmente nutzlos angehäuft wird. Na-
mentlich aber wird der Kalk durch diese Imprägnation mit Kupfer-
hydroxyd eines grossen Teils seines Einflusses beraubt. Das Filtrat
der Bordeauxbrühe wirkt nur nach Massgabe des in ihm gelösten
Kalkes auf Spirogyra ein.
IV. Beim Austrocknen der Bordeauxbrühe-Flecken
geht die Giftwirkung des Kalkes infolge seiner Neutralisation durch
die Kohlensäure der Luft teilweise verloren. Die entstandene Calcium-
karbonatdecke erhöht die Festigkeit und Beständigkeit der Flecken
und vermindert deren Aktivität gegen Spirogyra. Der Gips hin-
gegen verringert die Beständigkeit und Festigkeit der Flecken, be-
wirkt aber anderseits durch seine teilweise Auflösung bei Wieder-
befeuchtung eine allmähliche gleichmässigere Verteilung des Kupfers
auf den Blättern.
Über die Frage , wie die Giftwirkung des Kupfer- und des
Calciumhydroxyds zu stände komme, kann ich auf Grund einiger
Versuche folgendes mitteilen: 1. Das Calciumhydroxyd wird von den
Algen nachweislich absorbiert. Es lässt sich annehmen, dass die
Erstarrung des Zellinhalts durch die mit dem Kalkeintritt parallel
gehenden Neutralisationsvorgänge hervorgerufen wird. 2. Die That-
sachen , die uns Calcium- und Kupferhydroxydmischungen ergeben
haben, erklären sich leicht, wenn man annimmt, dass von Beginn
der Einwirkung des Kupferhydroxyds an Spuren dieses Stoffes, welche
durch aus den Algen austretende Säuren gelöst werden, wenigstens
bis in die Wandsysteme der Algen vordringen und den Tod der
letzteren bewirken-'. Dann wird hinzugefügte Kalklösung: a) wenn
sie stark ist, diese Säuren neutralisieren, den Kupfereinfluss elimi-
nieren und von sich aus den Tod der Algen herbeiführen ; b) wenn
sie schwach ist und selbst nicht mehr giftig wirken kann, diese
Säuren nur längere oder kürzere Zeit neutralisieren, ebensolange
das Kupfer ausschalten und letzteres erst dann seinen verderbhchen
Einfluss auf die Algen ausüben lassen, wenn der erste Überschuss
an austretender Säure zu stände kommt.
Gestützt auf die Annahme des Austritts saurer Stoffe aus den
Algen und der damit verbundenen Bildung löslicher Kupfersalze ist
* Die Speicherung von Kupfer durch erkrankte Algenzellen ist experi-
mentell nachgewiesen.
~ 327 —
es uns möglich, einige Anhaltspunkte für die Vergleichung der Todes-
arten in Kupfervitriollösung einer- und Kupferhydroxydbrühe ander-
seits zu gewinnen. Letztere wirkt in lokaler Anhäufung grösserer,
fester Kupfermassen, ersteres in gleichmässiger Verteilung ge-
ringer Mengen gelösten Kupfers. Daher werden bei Anwendung
von Kupferhydr oxydbrühe von verschiedenen Oberflächenpunkten der
Algen aus in gleichen Zeiten verschieden grosse Kupfermengen
eintreten und infolgedessen auch Erscheinungen in der einzelnen Zelle
zeitigen, die verschiedenen Konzentrationen von Kupfervitriollösung
entsprechen. Stark verdünnte Kupferhydroxydbrühe wirkt anfangs
wohl wie oligodynamische Kupfervitriollösung; weiterer Eintritt von
Kupferspuren wird den Zellinhalt trüben und den Rückzug des Plas-
mas an den Stellen verhindern müssen, wo die Kupferteilchen den
Algen anliegen (Entstehung der Anheftungspunkte). Konzentrierte
Kupferbrühe wird folgendermassen einwirken müssen : Die ersten
Kupferspuren verursachen oligodynamischen Rückzug des Chlorophyll-
bandes mit Kürzungstendenz verbunden ; weitere Mengen eintretenden
Kupfers bringen Zustände hervor, in denen die Chlorophyllbänder
wie bei chemisch wirkender Kupfervitriollösung ihre Lage nicht ver-
ändern : beide Prinzipien veranlassen , miteinander kämpfend , die
Zerreissung der Chlorophyllbänder. Weiterhin müssen auch hier wie
bei verdünnter Kupferhydroxydbrühe Anheftungspunkte entstehen.
Die starke Bräunung des Zellinhalts und die Quellung der Querwände
setze ich auf Rechnung des ümstandes, dass die grossen Kupfer-
partikel viel mehr Kupfer von einzelnen Punkten aus in die Zellen
senden, als dies selbst in plasmolytisch wirksamen Kupfervitriol-
lösungen der Fall ist; doch bedarf dieser letztere Punkt noch wei-
terer Aufklärung durch entsprechende Versuche.
Erdbeben-Kommission.
Berieht über die vom 1. März 1897 bis. 1. März 1898
in Württemberg und Hohenzollern beobachteten
Erdbeben.
Von A. Schmidt.
Einziger Fall : Herr Lehrer Arb , meteorologischer Beobachter
in Baldern, OA. Neresheim, berichtet ausBaldern, 26. November
1897, über zwei daselbst beobachtete Erdbebenerscheinungen, erste,
beobachtet im Schulhaus IL Stock, im Bette 2^ 47' vorm. M. E. Z.
nach Telegraphenuhr verifiziert, zweite beobachtet in dem 100 m
entfernten Gasthof zum Adler, L Stock, 3^ 40' vorm. im Bette.
Erste, etwa 10 Sekunden langes Zittern, zweite, zwei Stösse mit
4 — 6 Sekunden Zwischenzeit, jeder wie der Knall eines losgehenden
Gewehres, ausserdem ein Knistern wahrnehmbar und ein 15 — 20 Se-
kunden andauerndes Zittern. Erste und zweite sich scheinbar von
N. — S. fortpflanzend. Beidemal ertönten die Federn von Uhren.
Im Laufe des Berichtsjahres wurden auf der Erdbebenbeobach-
tungsstation Hohenheim zu folgenden Zeiten M. E. Z. Beobachtungen
gemacht, — die Zeiten durch telephonische Anfrage bei Hofuhr-
macher Kutter verifiziert :
1897 3. März. 1^^ 37' 40" p., 2. JuH. 11^^ 46' 0" a., 15. Juli.
1^ 0' 5" a., 19. Juh. 1211 35. 17// p^ 6 August. 12i» 51' 21" p.,
17. September. 1^ 44' 10" a., 21. September. 10^ 48' 52" a., 23. Sep-
tember. 4:^ 25' 30" p., 28. November. 9^ 24' 45" p., 8. Dezember.
1^ 21' 28" a.
1898 21. Januar. 3^ 14' 10" p., 2. Februar. 5'^ 32' 10" p.,
17. Februar. 1^ 53' 18" a., 17. Februar. 1^ 58' 28" p.
Kleinere Mitteilungen.
Eurycera Teucrii HOST.
Eine für Deutschland neue Wanze.
Von Rud. Diez in Reutlingen.
Am 23. Juli 1897 machte ich mit Oberstabsarzt Dr. Hüeber
von Ulm, dem eifrigen Hemipterologen, dem wir die Fauna germanica,
Hemiptera heteroptera verdanken, einen Ausflug von Reutlingen auf
die Wanne bei Pfullingen. Ich fing bei dieser Gelegenheit einige
Exemplare von Eurycera clavicornis Foürc. Fieb., einer kleinen, zur
Familie der Tingididen gehörigen Wanze, die sich besonders durch
die im Verhältnis zu ihrer Grösse unförmhch dicken, keulenförmigen
Fühler auszeichnet und dieser Umstand brachte naturgemäss das
Gespräch auf die Lebensweise dieses interessanten Tierchens. Es
lebt nämlich in den Blüten von Teucrium chamaedrys , die durch
Ansaugen monströs verunstaltet und zu gallenähnlichen Blasen auf-
getrieben werden. Nach einigem Suchen gelang es uns auch, diese
Gallenbildungen an der dort nicht selten vorkommenden Pflanze
aufzufinden. Zufällig erwähnte mein Begleiter hierbei, dass es noch
eine zweite Art der Gattung Eurycera gebe, die aber in Deutsch-
land noch nicht gefunden worden sei. Kurze Zeit nachher kamen
wir am Bergabhang über eine Stelle, wo der Boden dicht rasenförmig
mit dem niedrigen, gelblich-weiss blühenden Teucrium montanum
bewachsen war. Das vorausgegangene Gespräch veranlasste mich,
auch diese Teucrium-Ait auf solche gallenartigen Bildungen zu unter-
suchen. In der That fand ich kugelförmig angeschwollene, verdickte
Kelche und beim Offnen eines solchen kam eine Eurycera zum Vor-
schein, die sich freilich beim Betrachten mit dem blossen Auge kaum
von Eurycera clavicornis zu unterscheiden schien. Doch deutete
die sehr abweichende Bildung der Gallen und die andere Futter-
pflanze auch auf eine andere Art hin. Die Untersuchung zu Hause
bestätigte diese Vermutung. Es war in der That die bis jetzt in
Deutschland nicht beobachtete Eurycera Teucrii. Nach Fieber findet
sie sich in Österreich und Italien auf verkrüppelten Blütenquirlen
des Teucrium montanum. Püton bezeichnet sie als selten und giebt
als Fundorte Ronen, Cette, Hyeres, Corse an. Gredler hat sie einmal
in Tirol an einem dürren Abhang am Kollerer Berge gesammelt.
— 330 —
Nach Graber kommt sie in Südtirol, nach Eberstaller in Steiermark
bei Brück a. M. auf Teucrium montanum vor.
Acht Tage nach dem erwähnten Ausflug, am 31. Juli v. J.,
suchte ich den Fundort noch einmal auf und da gelang es mir, in
Zeit von etwa einer Stunde über 100 Stück dieser Eurycera Teucrii
zu sammeln. Alle fanden sich in den kugelförmig aufgeblasenen
Kelchen, die keine Spur der Blüte mehr erkennen Hessen, während
bei Teucrium chamaedrys gerade die letztere blasig aufgetrieben war.
Die Kelchzähne schlössen oben entweder dicht zusammen, dann aber
fand ich im Innern in der Regel noch die Larve, oder sie Hessen
eine kleine Öffnung frei, in welchem Fall meist das ausgebildete
Insekt die Höhlung bewohnte. — Es wäre nun von Interesse, fest-
zustellen, ob das Vorkommen von Eurycera Teucrii auf diesen einen
Fundort beschränkt ist oder ob sie sich sonst an der schwäbischen
Alb, wo ja Teucrium montanum häufig wächst und auch die übrigen
Verhältnisse dieselben sein werden wie an der Wanne bei PfuUingen,
findet. Ich wäre den Freunden der Natur dankbar, wenn sie in
dieser Richtung Beobachtungen anstellen und mir ihre Wahrnehmungen
mitteilen würden.
Herr Pfarrer Dr. Engel hat sich während seiner Rede über
den fossilen Menschen in der Versammlung des Vereins in Ulm am
25. März 1897 (S. LXVII dieser Jahreshefte) einer poetischen Licenz
überlassen über meine Ansicht in Betreff des Fundes des Herrn Dr.
DüBOis. Herr Engel meint, ich halte den betreffenden Schädel für
den eines Menschen und den in einiger Entfernung von demselben
ausgegrabenen Oberschenkelknochen für den eines Affen. Die aller-
meisten Anatomen haben im Gegenteil, ebenso wie ich, nie daran
gezweifelt, dass der Schädel von einem Affen stammt. Nur über
die Herkunft des Oberschenkelknochens ist meines Wissens bis jetzt
keine Einigung erfolgt. Ich bin aber überzeugt, dass es niemand
eingefallen wäre, den Knochen für den eines Affen zu halten, wenn
er nicht in der Nähe des Affenschädels gefunden worden wäre. So-
weit ich dies, nach den mir allein zugänglichen Lichtbildern, beur-
teilen kann, hat der Schenkelknochen alle Eigenschaften eines
menschlichen.
Stuttgart, im September 1897.
Dr. V. Holder, Obermedizinalrat.
— 331 —
Picoa Carthusiana TuLASNE im Schwarzwald
von J. Eichler.
Im November 1896 erhielt das kgl. Naturalien-Kabinett durch
Herrn Kollaborator Offner in Wildbad eine frische „Trüffel aus dem
Schwarzwald" , die Herr Kaufmann C. Commerell zu Anfang des
Monats im Wald an der Strasse von Röthenbach nach Dennach (OA.
Neuenbürg) zusammen mit noch etwa 70 — 80 weiteren Exemplaren
gefunden hatte. Das übersandte Exemplar, das ich bei genauerer
Untersuchung als Picoa Carthusiana Tulasne (= Leucangium
carthusianum [Tul.] Paoletti) bestimmte , war eine etwas unregel-
mässige längliche Knolle von schwarzer, ins Violette gehender Farbe,
die 5 cm in der Länge und 3 — 4 cm in der Dicke mass. Die wei-
teren Exemplare hatten leider den Weg zur Küche gefunden und
waren, obgleich sie nicht als besonders wohlschmeckend erfunden
worden waren , zur Zeit der Einsendung schon verspeist worden*
Nach Mitteilung des Herrn Commerell variierten dieselben in der
Grösse zwischen der einer Haselnuss und der einer mittleren Kar-
toffel; doch soll sich unter ihnen auch ein besonders grosses Exem-
plar befunden haben, das V4 Pfund gewogen habe, während das
Gewicht der gesamten Ausbeute 3 — 3,5 kg betragen habe.
Bei der ausserordentlichen Seltenheit dieses Trüffelpilzes, der
bis dahin, wie es scheint, nur einmal, und zwar von den Gebrüdern
Tulasne im September 1857 in der Nähe des Karthäuser Klosters
bei Grenoble (Dauphine) aufgefunden und von ihnen in den Vor-
bemerkungen zur 2. Auflage ihrer „Fungi hypogaei" 1862, pag. XXIV,
beschrieben worden war (mit der freudigen Bemerkung: „Nihil autem,
inter decem annos proxime praeteritos, nobis pretiosius, de fungis
hypogaeis loquimur, nancisci contigit quam Picoam novam . . .), er-
weckte dieser neuerliche Fund begreiflicherweise das lebhafteste
Interesse der an dem Fund beteiligten Herren, und Herr Commerell
grub daher im folgenden Jahre 1897 während eines kurzen Aufent-
haltes in Höfen anfangs Oktober aufs neue nach den seltenen Knollen.
Er fand in der That abermals etwa 50 Stück, die hinsichtlich der
Grösse wiederum zwischen einer Haselnuss und einer mittleren Kar-
toffel variierten. Das grösste der von diesem Funde an das Kgl.
Naturalienkabinett eingesandten Exemplare war eine etwas zusammen-
gedrückte Knolle von 6,5 cm Länge, 6 cm Breite und 3,5 cm Dicke.
Leider erwiesen sich bei der Untersuchung die Fruchtkörper als noch
nicht ganz ausgereift; das Fleisch war noch rein weiss und die
- 332 -
Sporen waren noch nicht gefärbt. Auch waren die aufgefundenen
Exemplare mit wenigen Ausnahmen von (FHegen-) Larven stark an-
gefressen und , wohl infolge der anhaltenden feuchten Witterung,
vielfach in Fäulnis übergegangen, so dass die 1897er Ausbeute kein
typisches Sammlungsmaterial darbietet.
Was die Fundstelle anbetrifft, so liegt dieselbe nach dem Be-
richt des Herrn Commerell neben einer durch gemischten Hochwald
führenden Strasse, und zwar auf einer Strecke von etwa 300 m,
wo der Wald nur aus Buchen und Weisstannen gebildet wird und
wo ferner der vorwiegend aus Kalk bestehende Strassenabraum seit-
wärts aufgeschüttet wird. Nur in dem unter dieser Kalkdecke hegen-
den Humus fanden sich die Pilze, und zwar die kleineren in der
Tiefe von 8 — 10 cm, während die grösseren näher an der Oberfläche
lagen und zum Teil sogar über dieselbe etwas hervorragten. Neben
dem Kalkdamm gegen den Wald zu fand sich kein einziges Exem-
plar und ebenso verschwanden auch die Pilze, wo Rottannen (Picea
excelsa Lk.) neben der Strasse standen. Auf der anderen Seite der
letzteren, wo das Terrain mit einer Böschung gegen die Strasse
abfällt und kein Abraum auf dem Waldboden aufgelagert wird, fand
sich bei eifrigem Suchen ein einziges Exemplar.
Die Untersuchung der Fruchtkörper ergab im wesentlichen
Übereinstimmung mit der Beschreibung, die Tulasne (1. c.) und neuer-
dings Ed. Fischer in Rabenhorst's Kryptogamenflora von Deutschland,
2. Aufl. Bd. I Abt. 5 (1896), pag. 80, nach den in Alkohol auf-
bewahrten TuLASNE'schen Originalexemplaren von P. Carth. gaben.
In einigen Punkten jedoch ergaben sich Abweichungen von diesen
Beschreibungen. So ist namentlich die Variation in der Grösse eine
bedeutendere als die von Fischer angegebene ; wie bereits angegeben,
wechselt der Durchmesser zwischen 1,5 cm und 6,5 cm und dürfte
vielleicht noch grösser werden, da das erwähnte ^/^ Pfund schwere
Exemplar vermuthch noch grössere Dimensionen gehabt hat. Das
Innere des Fruchtkörpers besteht aus einem weissen, an der Luft etwas
gelblich werdenden Geflecht von Hyphen, deren Weite 12 bis 15 ju
beträgt. In der bis 240 f.i dicken Rindenschicht werden die Hyphen
etwas dicker, sind mehrfach verzweigt und septiert und gegen die
Oberfläche gerichtet. Der Inhalt dieser Rindenschicht ist im äusseren
Drittel dunkelviolett gefärbt, wodurch die violettschwarze Farbe der
Rinde hervorgerufen wird. Einzelne der Rindenhyphen verlängern
sich über die Oberfläche hinaus zu Haaren, deren Enden abgerundet
sind und deren Inhalt ebenfalls violett gefärbt ist. In dem inneren
- 333 —
Gewebe sind die vielfach in einen Stiel ausgezogenen keulenförmigen
Sporenschläuche unregelmässig eingestreut; doch erscheinen sie zu
kleinen Gruppen zusammengedrängt, so dass die Schnittfläche ein
feinflockiges Aussehen erhält. Sie sind im ganzen inneren Gewebe
bis an die Rinde zerstreut; eine ascusfreie Geflechtszone unter der
Rinde wurde nur stellenweise beobachtet. Die Länge der Schläuche
ohne Stiel beträgt 126 — 153 /<, ihre Breite 63 — 72 (.i. Die charakte-
ristischen citronenförmigen Sporen sind 67 — 81 f.i lang und 27 — 36 [i
breit. Die Dicke der farblosen Membran beträgt 2 — 3 (.i. Unreif
sind sie farblos und enthalten zwei bis drei grosse Oltropfen; im
Zustand der Reife, der bei uns zu Ende Oktober und anfangs No-
vember einzutreten scheint, zeigen sie einen bräunlichgelben (olive-
farbigen) Inhalt. — Der Pilz ist — wie bereits angegeben wurde —
nicht besonders schmackhaft.
Jahreshefte d. Vereins f. vaterländische llaturkiinde 1898.
Tafel I.
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Jahreshefte cl. Vereins f. vaterländische Naturkunde 1898.
Tafel II.
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Lichtdruck der Hofkunstanstalt von Martin Romme! &: Co., Stuttgart.
Jahresheffe d. Vereins f. vaterländische Naturkunde 1898.
Tafel UI.
Fig. I und 2 : Unterkiefer von Dryopithecus Kontani
nach Gaiidrv.
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Nago-Negers ; Naturalienkabinet Stuttgart.
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Sahresheße d. Vereins f. vaierländische TLaturkunde 1898.
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Die Autoren sind allein verantwortlich für den Inhalt ihrer
Mitteilungen.
Von Abhandlungen und Sitzungsberichten erhalten die Autoren
auf Verlangen 25 Separat -Abzüge gratis; eine grössere Zahl gegen
Erstattung der Herstellungskosten.
Die verehrlichen Mitglieder des
Vereins für vaterländische Naturkunde
in Württemberg
sind höflich ersucht, behufs richtiger Zusendung der ,. Jahreshefte"
der Verlagshandlung von jedem Wechsel ihres Wohnortes
Anzeige zu machen.
EinTDand-Decken zu den Jahresheften.
Auf mehrfaches Verlangen haben wir zu den Jahresheften
Einband-Deeken in brauner Leinwand ä 70 Pf.
herstellen lassen, und zwar von Jahrgang 1884 an (mit Beginn des
vergrösserten Formates).
Vom Jahrgang 1898 an können die Jahreshefte gleich gebunden
zum Preise von M. 6. — ■ geliefert werden.
Falls Sie die Decken zu haben wünschen, so bitten gef. zu
verlangen.
E. Schweizerbart'sche Verlagshandlung (E. Nägele).
K. HOrBUCHOnUCREIIEI ZO OUTTENBERQ. CAfIL CflONINGER. STUTTGART.
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