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Full text of "Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft"

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Jenaische  Zeitschrift. 

für 

MEDIZIN 
NATURWISSENSCH^l 

herausgegeben 


medizinisch  -  naturwissenschaftlichen  G^esell 
zu  Jena. 


Siebenter  Band. 

Mit  MhtundBwuuls  Taftln   und  94  Hcuran  In  HoImoI 


Leipzig, 

Verlag  tod  Wjlbelm  Engelmsas. 
1873. 


Inhalt. 


Oegenbkur,   Carl,    Ueber  die  NueninuKcheln   der   V&gel.    {Mit    Tat 

II.  III)    

M  fi  1 1  e  r,  FriU,  B«at*ubungBvenuche  an  Abutilon-Art«n .   ;Mit  6  Hotuc 

Hertwig,  Oikar,  UntenuohungeD    aber  den  Bau  und  die  Bntwickel 

de*  CalluloM-ManMl*  der  TunicaUn.    Eine  akademiicbe  Preiaich 

{Mit  Taf.  IV.  V.  VI) 

Hertwig,  Richard,  Beitriga  lur  Keantniw  dea  Baues  der  Aicidien.    ] 

akademiache  Preiaachrift.   (HitTaf.  VII.  Vlll.  IX) 

Oeuther,  A.,  und   Hiohaelia,   A.,  Zur  KenntoiM  der  Phoiphor 

bindungen 

Miohaelii,  A. ,  Ueber  die  Einwirkung  von  PhoaphorcUorOr  auf  Ai 

diide  und  Chloride.    (Zweite  Bfittheilung.) 

Oeuther,  A.,  Chemiaohe  Mittheilungan 

Oeganbanr,  Carl,   Ueber  daa  Arehipterygium.     (Mit  Taf.   X)     .   . 

Bruch,  C,  Ueber  Dieifaehbildungen.     (Hit  Taf.  XI] 

Huas,   Dr.  med.  Uaz,    Beitiiga  aur  Eotwickelungigesohieht«  der  HI 
dtftaeu  beim  Henaehen  und  bei  Wiederkkuem.     (Mit  Taf.  XII.  XU 
Oegeobaur,  Cari,   Bemerkungen    Ober    die    Btilchdiflaen-Papillen 

Stugethiere 

Oeuthar,  A.,   Ueber  die  Produete  der  Einwirkung  von  Natrium  auf 
Onaiach  von  PhoagaoMther  und  lodaathyl.    1.  Mittheilung  .   .   . 

Straaburger,  Ed.,  Uebei  Sciadopitya  und  PhjUocladu« 

PflrbriDger,   Mu,   Zur  vergleiohenden  Anatomie  der  Sohnltermuiki 

I.  TheU.    (»lit  Taf.  XIV-XVIII) 

Mflllar,  'Wilhelm,  Ueber  die  Pertiit«ni  der  Umiere  bei  Myxina  glutin 
Maller,   Wilhelm,   Ueber    die  Hjrpobranchiabinne   der   Tnnikaten    i 

deren  Vorhandenaein  bei  Amphioxui  und  den  Cykloatotnen .   .   . 

Maller,  Frita,  Beitrtge  lur  Kenntniaa  der  Termiten.    I.  Die  Oeiehlecl: 

theUe  der  Soldaten  von  Calotenoe«.     (Hit  Taf.  XIX.  XX)  —  II.    ] 

Wohnungen  unterer  Termiten,     {Hit  11  Rguien  in  Holiachnitt.) 

Gtathar,  A. ,  und  F.  Brock  hoff,  Ueber  die  Einwirkung  einiger  Chlot 

auf  Natrium  alkoholat 

Oeuther,    A. ,     Ueber    die    Einwirkung    von    Salpetrig- Salpeteratu 
Anhydrid  auf  AiaenohloTOr  und  Borchlorid ... 


f 


\ 


IT  Inhalt. 

S«iU 

Geuther,   A. ,   lieber  die  Einwirki^ngen    der  Phosphorchloride  auf  die 

PhoBphorsfturen 380 

Frenkel,  F.,  Beiträge  zur  anatomischen  Kenntniss  des  Kreuzbeines  der 

Säugethiere.     Hierzu  Tafel  XXI  und  XXII 391 

Gegenbau r,  C. ,  Zur  BUdungsgeschichte  lumbosacraler  Uebergangswirbel  438 

Müller,  Fritz,  Bestaubungsversuche  an  Abutilon  II 441 

Maller,  Fritz,  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Termiten.   III.  »Die  Nymphen 

mit  kurzen  Flügelscheiden«  (Hagen)  »nymphes  de  la  deuxi^me  forme« 

(Lesp^s).  Ein  Sultan  in  «einem  Hareip.  I4it  3  Figuren  in  Holzschnitt.  451 
Koch,  G.   von.  Vorläufige  Mittheilungen  Über  Coelenteraten.    (Mit  Taf. 

XXIII) 464 

Fol,  Herrn.,  Die  erste  Entwickelung  des  Geryonideneies.   (Mit  Taf.  XXIV. 

XXV  und  Figuren  in  Holzschn.) 471 

Geuther,  A.,  Untersuchung  von  sauerstoffreichen  Kohlenstoffsäuren  .  .  493 
Koch,  G.  V.,  Vorläufige  Mittheilungen  über  Coelenteraten  (Fortsetzung). 

(Mit  Taf.  XXVI.)  ....". 512 

Haeckel,  Ernst,    Zur  Morphologie  der  Infusorien.      Mit  Tafel  XX VII 

und  XXVIII) 516 

Haeckel,  Ueber  einige  neue  pelagische  Infusorien 561 


1 


V        ' 


• 

I 


Heber  die  NtsenMischeli  der  Vögel. 

Von 

Carl  Oegenbaur. 


Mit  Tafel  I.  II.  III. 


Dass  der  Nasenhöhle  der  Vögel  drei  als  Muscheln  bezeichnete 
Forlsaizbildungen  zukommen,  ist  eine  Thatsache,  deren  Kenntniss  seit 
Scarpa's  berülimtcm  Werke  *)  in  allen  einschlägigen  Büchern  allgemein 
verbreitet  ist.  Im  Anschluss  daran  sind  die  Angaben  von  Harwood^). 
Wenn  auch  schon  in  Scarpa^s  Beschreibung  jener  Theile  manches  Eigen- 
ihUmliche  hervorgetreten  ist,  so  kann  man  doch  die  Annahme  einer 
Uebereinstimmung  der  Nasenmuscheln  der  Säugethierc  mit  jenem  Ver- 
halten im  Wesentlichen  darauf  stützen ,  aber  es  ergiebt  sich  daraus  ein 
Verhaltniss,  vs'elches  mit  den  sonstigen  Beziehungen  der  beiden  Ab- 
theilungen zu  einander  im  Widerspruche  steht.  Die  Untersuchung  der 
Nasenhöhle  der  Vögel  lehrte  mich  nun,  dass  zwei  der  als  Muscheln  be- 
zeichneten Gebilde  nichts  mit  irgend  welchen  Muscheln  der  Organe 
der* Süugethiere  gemein  haben,  und  von  dieser  Untersuchung  sollen 
hier  die  wesentlichsten  Ergebnisse  mitgetheilt  werden. 

Zur  Gewinnung  eines  sicheren  Ausgangspunktes  war  es  nötbig, 
die  Nasenhöhle  der  Reptilien  in  Betracht  zu  nehmen.  Da  ich  aber  auch 
für  diese  Abtheilung  die  meisten  Beschreibiangen  mit  den  von  mir  ge- 
fundenen Thatsachen  wenig  in  Einklang  fand ,  scheint  es  mir  noth- 
wendig  über  jene  gleichfalls  zu  berichten.  Ich  theile  also  meine  Arbeit 
in  Mittheilungen  über  die  Nasenmuscheln  der  Reptilien  und  in  solche 
ül>er  die  Muscheln  der  Vögel ,  und  füge  eine  vergleichende  Beschrei- 
bung daran,  in  der  die  Resultate  zusammengefasst  werden  sollen. 


4)  De  Buditu  et  otfactu.   Ticini  4789. 

i'i  System  der  vergleichenden  Anatomie  aus  d.  Engl.  v.  Wiedemann.    Berlin 
4  799.   S.  S8. 

Bd.  Vit.    4.  4 


2  CmI  G^nbtnr, 

1.  Unter  den  Reptilien  finde  ich  die  einfachsten  Verhältnisse  der 
Nasenmuscbeln  bei  den  Eidechsen.     Die  Nasenhöhle  ist  keineswegs 
von  der  bedeutenden  Kurze,  wie  es  in  der  Angabe  bei  Cuvibr  >)  scheinen 
mtfclite,  wo  Saurier  und  Ophidier  mit  den  Balrachieren   zusammen- 
gestellt sind.    Auch  bei  Stannius  ^]   ist  keine  auf  Muscheln  beziehbare 
Angabc,   wührond  in  dem  grossen  Werke  von  Owen^)  nur  der  Muschel 
von  Iguana  Erwähnung  geschieht,  die  hinten  mit  zwei  Vorsprtlngen 
deren  SauHorn  sollen  mannichfsche  Hodificationen  vor- 
1  diesen  kann  ich  zwei  Formzustande  nühcr  anfuhi-en, 
uastix  und  Lacerta  darauf  untersuchte.    An  der  lateralen 
enhOhle  springt  eine  einzige  Muschel  vor,   dieselbe  ist 
hieden   gestaltet.      Ich  finde  sie    bei  Uromastix  als 
in  einem  nach  oben  offenen  Halbkreise  gekrümmten  Vor- 
Fig.  t.  c),  der  eine  Vertiefung  umschltessl.    Sio  liegt  in 
[ilfte  dor  Nasenhöhle ,  deren  vordere  Hülfte  mehr  als  mn 
erscheint.   Eine  andere  Modißcation  reprUscntirt  Lacerta 
Die  Muschel  bebt  sich  hier  viel  freier  und  viel  mehr  la- 
1  der  Nasenh&hlenwand  ab,    und  ragt  mit  ihrem  freien 
:,  mit  demselben  Rande  auf  einen  nach  hinten  und  ah- 
nten frei  vorragenden  Abschnitt  übergehend  (Fig.  3.  c) . 
mte  Ende   legi  sich   seitlich  in  eine  Erweiterung  der 
ind. 

«r  gestaltet  sich  das  Verhalten  der  Nasenmuschel  l>ei 
Or  Boa  (B.  constrictor)  kann  ich  Folgendes  darüber  an- 
lasonhtthle,  welche  ein  reichliches  Drittthcil  der  Lüngc 
leti'^gt,  bildet  dicht  am  Eingange  von  derSusserenNascn- 
le  Erweiterung  (Fig.  b.  a) ,  wird  dann  lateral  verengert, 
letzten  Theile  wieder  einen  ansehnlichen  aufwürts  und 
usgedehnlen  Hohlraum  zu  bilden.  Derselbe  setzt  sich 
.8  zur  Choanenöfihung  fort.  Vom  vorderen  Theile  an, 
r  der  unleren  NasenOffnung  entsprechenden  Erweiterung 
e  einzige  Muschel  (c).  Anfangs  wulstartig,  gestaltet  sie 
nach  zu  einer  horizontalen  Leiste,  die  in  eine  scbr<i^ 
jende  Lamelle  Übergebt.  Die  Huschci  verbreitert  sich 
1  zu,  und  zwar  in  einem  der  Erweiterung  der  Nasen- 
h enden  Maasse.  Das  Endo  derHuschel  setzt  sich  in  einem 
Ausitlafer  [b)  fort,  der  in  die  Choane  (ck)  abwürt^  ge- 


äec.  Edil.  in,  S.  694. 

dor  Amphibien.   S.  174. 

mlomy  of  Vertebrales.    London  I SAB.    S.  SSO. 


Ueber  die  Nasenmuscbeln  der  VOgel.  3 

richtet  einragt.  Durch  diese  Muschel  wird  der  Raum  der  Nasenhöhle 
lateral  in  zwei  Gänge  zerlegt,  die  beide  am  vorderen  Abschnitte  be- 
ginnen ;  der  obere  führt  in  den  oberen  blinden  Grund  der  Höhle ,  an 
welchem  Abschnitte  die  Ausbreitung  des  Olfactorius  stattfindet;  der" 
untere  Gang  dagegen  leitet  zunächst  unterhalb  der  Muschel  zu  der 
Ghoane,  und  communicirt  nur  über  die  Muschel  hinweg  mit  dem  oberen 
Räume.  Von  einer  zweiten  Muschel ,  welche  Sgarpa  von  Vipera  an- 
giebt,  findet  sich  keine  Andeutung  vor.  Der  von  Sgarpa  als  »Turbina- 
tum  supremum  a  angeführte  Theil  ist  bei  Roa  der  einzig«  als  Muschel 
zu  deutende  Vorsprung. 

Für  die  Schildkröten  findet  man  bei  Cuvier  genauere  Angaben  als 
für  Saurier  und  Ophidier.  Cr  unterscheidet  im  Verhalten  der  Binnen- 
rUume  erstlich  einen  vorn  weiteren  Canal  und  dann  drei  damit  verbun- 
dene Höhlungen  (poches  ou  cellules),  davon  eine  untere  und  zwei  obere. 
Ueber  den  Werth  dieser  Höhlungen  zu  einander  ist  nichts  angegeben. 

Nach  Untersuchungen  an  Chelonia  (Gh.  cauana)  scheidet  sich 
der  complexe  Binnenraum  in  folgende  Abschnitte.  Die  äussere  Nasen- 
öffnung führt  durch  einen  kurzen,  aber  weiten  und  horizontal  verlaufen- 
den Canal  (sein  Verlauf  ist  in  Fig.  4  und  2  von  o  aus  punktirt  ange- 
geben] in  einen  nach  verschiedenen  Richtungen  ausgedehnten  grösseren 
Raum.  In  Fig.  4  erblickt  man  die  Ausdehnung  dieses  Raumes  nach 
der  Entfernung  der  Nasenscheidewand.  Er  setzt  sich  aufwärts  in  eine 
blinde  Ausbuchtung  [rs]  fort,  welche  die  vordere  obere  Tasche  Cuvier's 
vorstellt.  Sie  ist  durch  eine  lateral  entspringende  quere  Falte,  in 
welche  auch  der  Ethmoidalknorpel  eingeht,  von  dem  mittleren  zum 
unteren  Nasenloche  führenden  Theile  abgegrenzt.  Dieser  Vorsprung 
(Fig.  2  m)  setzt  sich  in  eine  medial  davon  abwärts  gerichtete  Leiste 
(Fig.  4  n)  fort,  welche  gegen  den  Boden  der  zweiten  Tasche  sich  herab- 
senkt. Die  letztere  (Fig.  2  r»)  erstreckt  sich  vorwärts  und  ist  durch 
eine  fast  horizontale  Leiste  von  dem  unteren  Nasencanale  getrennt.  Es 
ist  diess  die  bei  Cuvibr  als  untere  Tasche  erwähnte  Räumlichkeit 
und  wohl  dieselbe,  deren  Staniuus  ^]  als  eines  »auf  das  Dach  der  Mund- 
höhle absteigenden  Recessusa  gedenkt.  Dass  sie  buchtiger  wäre  als 
die  der  oberen  habe  ich  nicht  gefunden.  Von  dem  diese  beiden  Aus- 
buchtungen vereinigenden  Räume  erstreckt  sich  noch  ein  dritter  vor- 
vorzüglich senkrecht  ausgedehnter  Raum  nach  hinten  und  gegen  die 
Nasenscheidewand.  Derselbe  ist  in  Fig.  4  in  seiner  ganzen  Ausdehnung 


1)  Zootomtc  der  Arophibion  S.  4  74.  (n  dieser,  gleichfalls  von  Chelonia  entnom- 
menen AufTassuDg  stein  sich  das  thalsüchlichc  Vorhalten  et^as  anderes  dar,  wie 
nns  meiner  Beschraibung ,  wie  ich  hoffe ,  denllich  hervorgeht. 

4* 


Carl  Gegen  bau  r, 

Nasen  Scheidewand  sichtbar  gemacht.  Alle  diese 
r  Regio  olfactoria  der  Nasenhöhle  nichts  zu  thun. 
nmen  als  VorhoC  der  Nasenhöhle  auRassen ,  denn 
it  zur  Ausbreitung  des  Olfactonus  dienende  Ab- 

der  in  Fig.  1  n  dargestellten  Vorsprungsbildung 
Bginnt  ein  fernerer  Abschnitt  der  Nasenhöhle. 
nach  hinten  und  7.war  abwärts  gerichtet  ein  wenig 
ireiler  CannI  (Fig.  i  an).  Er  TUhrt  zur  Choanen- 
'  dem  Anfange  dieses  Canales  mUndet  eine  weile 

deren  Eingang  durch  eine  an  der  lateralen  Wand 
;egrenzt  ist.  Der  Eingang  ist  enger  als  der  Binnen- 
HOhle.  Die  letztere  zeigt  in  ihren  Wanden,  davon 
im  nasi  gebildet  wird,  die  Verbreitung  des  Olfac- 
mit  in  dem  Complt^xe  der  Nasenhöhle  der  Schild-  ' 
ere  Ca  vi  tat  als  Riechhuhle,  eine  innere 
^ohl  nichts  anderes  ist  als  die  mit  der  Differen- 
ch  innen  getretene  primitive  ilussore  Riechgrube. 

grenzt  diesen  Abschnitt  (poche  sup^rieure  post^- 
gen  Räumlichkeiten  ab.  Sie  wird  als  "Muscheln 
rfen ,  da  unter  ihr  die  respiratorische  Bahn  der 
Von  allen  übrigen  Leisten  und  VorsprUngen 
alchenReziehungen,  dass  sie  als  Muschel  gedeutet 

itlhle  derCrocodile  ist  unsere  Kenntniss  nicht 
Rpi  CuviER  geschieht  der  Huscheln  gar  keine 

es  werden  Hoblrüume  (cellules)  beschrieben,  die 
rbita  aneinander  gelagert  seien.     Die  Wandungen 

das  Innere  des  Nasenganges  vor,  und  im  Inneren 
lie  Geruchswahmehmung  zu  Stande  kommen, 
it  aus  der  in  den  » Erläuterungs-Tafeln  zur  ver- 
1  gegebenen  Darstellung  *)  zu  gewinnen ,  die  nach 
'bellet  ist.  Es  wird  darin  eine  »obere«  Muschel 
i  aber  von  anderen  Muscheln  die  Rede  w^re,  ol>- 
ile  Wand  der  Nasenhithle  in  der  Abbildung  <Iar- 

ig  war  also  gewiss  auch  ftlr  die  Crocodile  nolh- 
e  Untersuchung  an  A.  lucius  voi^enommen  und 

zur  Vergleichenden  Analoniie  von  n'Aiios  und  C.  G. 
af-  IV.   Fig.  VIII. 


Ueber  die  Xasenniuseheln  der  VögeU  5 

folgeudes  Verhalten  aufgefunden.  Der  Binnenraum  der  Nasenhöhle 
zerfällt  in  zwei  sehr  verschiedene  Abschnitte.  Ein  vorderer  Abschnitt 
beginnt  an  der  äusseren  Nasenöffnung  mit  einer  nicht  sehr  grossen 
Erweiterung  [Fig.  6.  a)  und  geht  dann  in  eine  sehr  breite  aber  wenig 
hohe  Räumlichkeit  Über,  welche  ü\)er  die  Hälfte  der  Länge  der  ge- 
sammten  Nasenhöhle  ausmacht.  Den  Boden  dieser  Strecke  bildet  das 
Maxillare,  welches  hier  einen  bedeutenden  Sinus  (Fig.  6.  mx)  um- 
schliesst.  Eine  dünne  Knorpellamelle,  die  dem  übrigen  Theile  der 
Nasenhöhle  zu  Grunde  liegt,  bedeckt  jedoch  auch  hier  den  Knochen. 
Am  Dache  dieser  Strecke  bildet  dieselbe  Knorpellamelle  einen  allmählich 
stärker  werdenden  Vorsprung  (c) ,  indem  sie  sich  von  dem  über  ihr 
liegenden,  sie  deckenden  Nasale  abhebt.  Dazwischen  lagern  Blut- 
gefässe. Am  Ende  des  genannten  Abschnittes  senkt  sich  der  Boden 
der  Nasenhöhle,  und  hier  ist  nun  die  Stelle,  wo  der  bisher  einfache 
Raum  nach  hinten  zu  in  zwei  übereinander  liegende  Räume  sich  fort- 
setzt, beide  durch  eine  knöcherne  bis  zum  Septum  na^  reichende 
Lamelle  geschieden.  Der  untere  Raum  stellt  den  hinteren  (inneren) 
zu  der  Ghoano  führenden  Nasengang  {(in)  vor.  Dessen  knöcherne 
Wände  und  Mündung  sind  längst  bekannt,  es  bedarf  daher  keiner 
näheren  Beschreibung.  Anders  verhält  es  sich  mit  dem  obcrn  Räume, 
der  nach  hinten  geschlossen  ist.  Er  birgt  laterale  Vorsprünge  der 
-knorpeligen  Wandfläche,  die  man  als  Muscheln  bezeichnen  könnte. 

Am  Anfange  des  oberen  Raumes,  genau  an  der  Stelle,  wo  der 
äussere  Nasengang  in  den  inneren  zur  Choane  führenden  sich  fortsetzt, 
und  das  horizontale  Dach  der  letzteren  mit  einem  concaven  Ausschnitte 
beginnt,  erhebt  sich  im  oberen  Räume  eine  Muschel  (Fig.  6.  C). 

Dieselbe  beginnt  vom  unteren  Rande  einer  nach  vorne  zu  gerich- 
teten Einbuchtung  (Fig.  6.  e)  des  knorpeligen  Daches  der  Nasenhöhle, 
und  stellt  eine  abwärts  gekrümmte  Lamelle  vor,  die  eine  Strecke  weit 
in  zwei  sich  sondert,  wie  am  besten  auf  einem  Querschnitte  (F.  7.  C  C") 
zu  sehen  ist.  Diese  Muschel  verdeckt  bei  medialer  Ansicht  den 
grösston  Theil  eines  noch  bedeutenderen  Vorsprunges ,  der  erst  hinter 
der  Muschel  frei  zu  liegen  kommt.  Ohne  genauere  Untersuchung 
könnte  man  diesen  Vorsprung  für  eine  zweite  Muschel  halten ,  wie  er 
denn  auch  in  den  »Erläuterungstafeln«  als  solche  aufgeführt  ist.  Ent- 
fernt man  die  zuerst  beschriebene  rein  knorpelige  Muschel ,  so  bemerkt 
man  den  genannten  Vorsprung  (Fig.  6.  D)  weit  unter  Ihr  nach  vorn  zu 
fortgesetzt,  und  sieht  ihn  eine  langgestreckte  Blase  bilden,  die  einen 
grossen  Theil  des  lateral  von  der  Muschel  befindlichen  Nasenhöhlenraumes 
ausfüllt.  Dieser  blasenförmige  Vorsprung  wird  von  einem  knorpelige 
Wandungen  besitzenden  Sinus  gebildet.     Sein  Verbalten  zur  Nasen- 


6  Carl  Gegcnbaur, 

höhle  ist  auf  dem  in  Fig.  7  dargestellten  Querschnitte  leicht  zu  ersehen. 
Er  ist  also  von  d&r  als  Muschel  bezeichneten  Bildung  bedeutend  ver- 
schieden. Während  jene  eine  von  der  Nasenwand  entspringende 
einfache  Knoi*pellamelle  ist,  besteht  der  Blasonvorsprung  aus  einem 
sehr  bedeutend  in  die  Nasenhöhle  einragenden  Sinus,  der  allseitig  von 
Knorpelwand  (mit  dünner  Schleimhautbekleidung)  umschlossen  ist. 
Nur  an  einer  Stelle  findet  sich  eine  Communication.  Nahe  am  hinteren 
Grunde  des  Sinus  liegt  eine  trichtei'förmige ,  nach  vom  sich  ver- 
engende OeSnung,  die  in  einen  lateral  an  der  Blase  vorbeiführenden, 
gleichfalls  in  den  Ethmoidalknorpcl  eingesenkten  Canal  (Fig.  7.  E) 
führt.  Derselbe  mündet  in  einen  kleineren  Sinus,  der  unterhalb  der 
Muschel  mit  dem  Raum  der  Nasenhöhle  in  offener  Communication  steht. 
In  wieferne  diese  Sinusse,  sich  auf  die  bei  Cuvibr  angeführten  »poches 
ou  cellules«  beziehen,  ist  bei  der  Allgemeinheit  jener  Angaben  nicht 
festzustellen.  Doch  ist  das  eine  sicher,  dass  die  Binnenräume  dieser 
Sinusse  mit*der  Geruchsvermittelung  nichts  zu  thun  haben,  da  sie  aus- 
nehmend weit  nach  vom  zu  schon  mit  der  Nasenhöhle  communiciren,. 
und  nirgends  Durchbrechungen  der  Knorpelwand  zeigen,  durch  welche 
Olfactoriusbündel  hindurch  treten  könnten.  Der  Olfactorius  hat  viel- 
mehr auch  bei  den  Crocodilen  -7-  soweit  ich  das  bei  Alligator  ermitteln 
konnte  —  seine  Ausbreitung  im  blind  geschlossenen  Nasengrunde,  an 
der  medialen  Wand  des  blasen  form  igen  Sinus,  wie  an  einer  entspre- 
chenden Strecke  des  Septum  nasi. 

II.  Durch  die  Untersuchungen  Sgarpa's  ist  die  Nasenhöhle  der 
Vögel  am  genauesten  bekannt  geworden  und  die  bereits  oben  citirte 
Arbeit  blieb  bis  heute  die  Grundlage  für  die  bezügliche  Darstellung. 
CüviER  führt  sogar  das,  was  Scarpa  von  der  Gans  beschrieb,  als  allge- 
mein den  Vögeln  zukommend  auf,  und  fügt  von  andern  nur  wenige 
Verschiedenheiten  bei.  Sie  beziehen  sich  fast  nur  auf  den  Strauss  und 
den  Casuar. 

Die  Abweichungen,  die  ich  im  Verhalten  der  sogenannten  Muscheln 
schon  innerhalb  einer  verhältnissmässig  sehr  geringen  Zahl  von  Gat- 
tungen fand,  lassen  einzelne  Theile  als  nicht  sehr  beständig  erkennen. 

Die  Ergebnisse  meiner  Untersuchung  will  ich  nach  den  drei  so- 
genannten Muscheln  geordnet  vorführen. 

Tordere  Hnsehel.  Nicht  blos  in  den  Volumsverhältnissen  und 
der  Gestaltung,  sondern  auch  in  der  Anordnung  sind  die  Eigenthüm- 
lichkeiten  dieses  Theiles  der  Nasenhöhle  bedeutend  zu  nennen. 

Bei  Columba  führt  die  äussere,  längs  der  knorpeligen  Deckschuppe 
(Fig.  \  0.  d)  sich  hinziehende  Oeffnung  (e) ,  in  einen  der  Ausdehnung 
jener  Deckschuppe  (ala)  entsprechenden  Rauni;  in  welchen  die  untere 


^ 


lieber  die  NaseiuBuschelii  der  Vö^el.  7 

Musc^hci  (a)  einragt.  Diese  ist  sowohl  am  Boden  als  auch  an  den  Wun- 
den dieses  Raumes  befestigt ,  und  zwar  vorne  am  Seplum  der  Nasen- 
höhle (s]y  hinten  dagegen  an  der  lateralen  Wand,  in  einiger  Entfernung 
vom  Rande  der  Deckschuppe ,  der  sie  an  Lange  entspricht.  Sie  ist 
wuistförmig  gestaltet ,  leicht  abwärts  zum  Boden  des  Nasencinganges 
gesenkt,  ohne  eine  Einroilung  zu  bilden,  lieber  dieses  Gebilde  hin» 
weg  passirt  man  zum  hinteren  Nasonraume. 

Um  vieles  complicirter  ist  das  Verhalten  dieser  unteren  Muschel  bei 
den  Hühnern ,  von  denen  ich  das  Haushuhn ,  den  Truthahn  und  das 
Rebhuhn  untersucht  habe.  Bei  allen  müssen  bezüglich  der  unteren 
Muschel  zweierlei  Gebilde  unterschieden  werden,  die  in  verschiedenen 
Beziehungen  zu  der  lateralen  Wand  der  Nasenhöhle  oder  vielmehr  zum 
Rande  der  unteren  Nasenöffnungen  stehen.  Es  ist  das  erstlich  eine 
wulstartige  Vorragung  (Fig.  11.  n.  45.  /),  die  am  unteren  i  ande  der 
Nares  als  eine  Fortsetzung  der  Lamelle  beginnt,  welche  am  Boden 
der  Oeffnung  nach  innen  und  aufwärts  steigt.  Am  hinteren,  theilweiso 
von  aussen  nicht  mehr  sichtbaren  Abschnitte  ist  diese  Lamelle  muscbel- 
förmig  auswärts  gekrümmt,  und  umschliossV  eine  hintere  blind  geen- 
digte Bucht,  in  weiche  man  vom  hinteren  Winkel  des  Nasenloches  ein- 
tiitl.  Bei  der  in  Fig.  4  i  gegebenen  Abbildung  vom  Huhn  ist  sowohl 
der  genannte  Wulst  als  die  Krümmung  desselben  von  oben  dargestellt. 
Id  Fig.  1 5.  von  Meleagris  auf  dem'  senkrechten  Durchschnitte. 

Der  zweite  hierhergehörige  Theii  ist  eine  um  den  vorerwiihnten 
herumgelegte,  denselben  von  innen  vollstündig  deckende  Lamelle 
(Figg.  1 1 .  u.  4  6.  a) ,  die  man  als  vordere  oder  untere  Muschel  zu  be- 
zeichnen pflegt.  Sie  setzt  sich  vom  oberen  Rande  der  Nares ,  etwas 
hinter  der  Mitte  der  Länge  derselben ,  bis  weiter  nach  hinten  zu  fort, 
krümmt  sich  muschelförmig  um  den  unteren  Wulst  (Fig.  1 5]  und  ver- 
läuft hinten  mit  schwach  vorragendem  Theile  (Fig.  12.  14.  a')  zur 
Nasenscheidewand  (5),  der  sie  sich  verbindet.  An  dieser  Verbindungs- 
stelle bUdet  die  Nasenscheidewand  einen  quer  durch  die  Nasenhöhle 
verlaufenden  Vorsprung  (Fig.  44.  15) ,  der  etwas  hinter  der  Mitte  der 
Länge  der  gcsanmiten  Nasenhöhle  liegt.  Er  theilt  die  Nasenhöhle  in 
zwei  Abschnitte,  davon  der  vordere  zum  grössten  Theile  voitden  soeben 
aufgeführton  Gebilden ,  der  hintere  von  den  beiden  anderen  Muscheln 
eingenommen  wird. 

Die  bei  Columba  durch  einen  einzigen  Wulst  repräsentirte  Muschel 
(Fig.  10.  a)  wird  also  bei  den  Hühnern  durch  zwei  verschiedene  Ge- 
bilde repräsentirt.  Man  kann  dabei  fragen,  welchem  der  letzteren 
etwa  die  Muschel  der  Tauben  entspricht.  Der  untere  Wulst  bei  den 
Utthnern  hat  einige  Aehnlicbkeit  mit  dem  Gebilde  bei  Columba ,  aber 


g  Carl  Gegenbaur, 

diese  Theile  können  nicht  homolog  sein ,  da  der  bei  den  Tauben  vor- 
handene vorn  vom  Septum  nasi  ausgeht,  und  hinterwärts  zum  lateralen 
Nasenrande  hinter  dem  Nasloche  zieht.  Auch  gegen  die  muschelförmigo 
Lamelle  der  Hühner  zeigt  das  Organ  der  Tauben  Differenzen,  und  zwar 
die  bedeutendsten  in  den  Verbindungsstellen  mit  der  lateralen  und 
medialen  Nasenhöhlenwand.  Bei  den  Tauben  liegt  die  septale  Ver- 
bindung vorn,  und  hinten  findet  sich  die  alare,  während  die  Hühner 
gerade  das  umgekehrte  Verhältniss  darbieten,  endlich  geht  bei  den 
Tauben  der  Boden  des  Nasenhöhleneinganges  auf  die  Muschel  über,  bei 
den  Hühnern  dagegen  auf  jenen  Wulst,  den  ich  oben  von  der  muschel- 
förmigcn  Lamelle  unterschied. 

Es  wird  aber  doch  der  Versuch  zu  machen  sein,  diese  beiden 
anscheinend  so  verschiedenartigen  Bildungen  der  vorderen  Muschel 
mit  einander  in  Einklang  zu  bringen.  Durch  die  Thatsache,  dass 
jeder  der  beiden  Theile  bei  den  Hühnern  neben  aller  Verschiedenheit 
doch  Eigenschaften  besitzt,  die  er  mit  der  einfachen  Muschel  der  Taube 
gemein  hat,  wird  man  zur  Annahme  inducirt,  dass  beide  Gebilde  der 
Hühner  zusammen  der  Muschel  der  Tauben  entsprechen.  Davon  aus- 
gehend vermag  man  nun  beiderlei  Einrichtungen  auf  einander  zurück- 
zuführen. Nimmt  man  die  Muschel  bei  Columba  aus  ihrer  schrägen 
Richtung  in  eine  quere  übergehend  an,  und  lässt  von  da  aus  die  ur- 
sprünglich vorne  liegende  septale  Verbindung  nach  hinten  rücken ,  die 
alare  dagegen  nach  vom,  so  entsteht  ein  mit  den  Hühnern  überein- 
kommender Befund.  Dieser  wird  so  weniger  davon  verschieden  sein, 
wenn  der  obere  Rand  der  Muschel  —  den  einfachen  Zustand  der  Taube 
noch  vorausgesetzt  —  sich  erst  in  die  Höhe,  dann  medial,, und  von 
da  an  nach  dem  Boden  der  Nasenhöhle  zu  entwickelt,  und  wenn  die 
so  gebildete  vollkommnere  Muschel  auch  nach  vorne  zu  auswächst, 
und  damit  sich  wenigstens  vor  einen  Theil  des  Einganges  der  Nasen- 
höhle legt.  Geht  endlicb  mit  dieser  Veränderung  die  Bildung  einer 
vom  Boden  des  Naseneinganges  sich  erhebenden  Lamelle  aus,  die 
wulstartig  gegen  die  lateralgerichteteConcavität  der  Muschel  vorspringt, 
so  wird  ein  den  Hühnern  völlig  entsprechender  Befund  die  Folge  sein. 
Die  Verschiedenheit  in  der  vorderen  Muschel  der  Tauben  und  der  Hüh- 
ner ist  also  keine  fundamentale,  beiderlei  Gebilde  sind  von  einander 
ableilbai-.  Die  vordere  Muschel  der  Taube  reprUsentirt  dabei  den  ein- 
facheren Zustand,  die  Hühner  besitzen  das  um  vieles  differcnzirlcre 
Verhalten. 

Bei  Numenius  ist  die  vordere  Muschel  bedeutend  in  die  Länge  ge- 
dehnt (Fig.  \  6.  o)  und  bildet  eine  vom  Dache  des  vorderen  Abschnittes 
der  Nasenhöhle  bis  in  diesen  herabragende  longitudinale  Lamelle ,  auf 


Ueber  die  Naseumuscheln  der  Vögel.  9 

deren  medialer  und  lateraler  Fläche  eine  Längsleiste  vorspringt.  Das 
hintere  Ende  (a']  setzt  sich  in  horizontaler  Lage  zum  Septum  fort,  und 
geht  als  querer  Vorspining  in  es  über.  Die  alare  Beziehung  der  Mu- 
schel ist  dabei  noch  erkennbar.  Mehr  mit  Numenius  als  mit  den  Hüh- 
nern stimmt  die  Gans  in  der  Bildung  der  unteren  Muschel  überein. 
Sie  bildet  einen  ganz  horizontalen ,  vorne  mit  dem  Knorpel  des  Daches 
der  Nasenöffnung  zusammenhängenden  Yorsprung  (Fig.  i  7.  a) ,  der 
mit  einem  vorderen  freien  Ende  gegen  die  genannte  Oeffnung  ragt. 
In  Fig.  18  ist  er  auf  senkrechtem  Querdurchschnitte  vorgestellt.  Von 
den  beiden  Kanten  tritt  die  mediale  w^ieder  zum  Septum  nasi  über, 
welches  verdickt  ziemlich  weit  gegen  die  Nasenhöhle  einragt.  Einen 
Zusammenhang  mit  der  mittleren  Muschel,  in  der  Weise  wie  ihn 
ScARPA  abgebildet  hat,  vermag  ich  nicht  zu  erkennen. 

Als  ein  schräg  von  vorne  und  von  der  alaren  Wand  zum  Septum 
ziehender  Wulst  erscheint  die  vordere  Muschel  bei  Raubvögeln,  bei 
denen  sie  nur  einen  kleinen  Theil  der  Nasenhöhle  einnimmt.  Bei  den 
Eulen,  wo  sie  ossificirt,  ist  die  schräge  Stellung  noch  steiler,  wie  auch 
die  Wölbung  beträchtlicher  (Fig.  20.  2\ .  a) ,  so  dass  sie  den  grössten 
Theil  des  nicht  sehr  ansehnlichen  vorderen  Raumes  der  Nasenhöhle 
einnimmt.  Die  septale  Verbindung  geschieht  wiederum  an  einer  Quer- 
verbreiterung der  Scheidewand. 

BeiGypogeranus  fehlt  die  vordere  Muschel.  Rudimente  davon 
können  wohl  in  mehreren  parallelen  Schrägfalten  erkannt  werden ,  die 
an  der  Innenfläche  der  oberen  resp.  hinteren  Wand  der  Nares  liegen. 
Sie  können  nach  abwärts  bis  zum  Boden  des  ^aseneinganges  verfolgt 
werden,  der  an  einer  etwas  höheren  Strecke  der  Stelle  entspricht, 
welcher  bei  andern  Vögeln  die  septale  Verbindung  der  vorderen  Mu- 
schel zukommt. 

Einige  Aehnlichkeit  mit  jener  der  Eulen  kommt  der  vorderen 
Muschel  von  Psittacus  zu.  Bei  P.  erythacus  bildet  sie  ein  ansehn- 
liches, vom  hintern  inneren  Rande  der  Nares  vorspringendes  Gebilde 
(Fig.  24.  25.  a],  welches  fast  den  ganzen  Eingang  verdeckt.  In  Mitte 
der  Aussenfläohe  findet  sich  eine  beträchtliche  Vertiefung.  Der  frei 
vorspringende  fast  kreisförmige  Rand  ist  gewulstet,  besonders  stark  am 
unteren  inneren  Abschnitte.  Von  demselben  setzt  sich  ein  schmaler 
Saum  zu  einem  Vorsprunge  der  knöchernen  Nasenscheidewand  fort. 

Picus  (P.  viridis)  zeichnet  sich  durch  eine  sehr  ansehnliche  Aus- 
bildung der  vorderen  Muschel  aus,  der  eine iLnochenlamelle  zu  Grunde 
liegt.  Vergl.  Fig.  26.  a.  Die  Muschel  beginnt  lateral  über  der  Nasen- 
Offnung ,  und  zieht  sich  an  Höhe  abnehmend  bis  zu  dem  am  Beginne 
(los  letzten  Dritttheils  der  Nasenhöhle  liegenden  seplalen  Fortsatz ,  in 


GariGegenbAiir, 

;hl.  Vorn  geht  sie  von  ihrer  Befestigungsslelle  an  elwas 
ilsdano  biogl  sie  sich  nach  abv^rU  um,  und  erreicht  den 
sonhöhle ,  um  mit  n»ch  aussen  aufgeschlagoneni  freien 
)ren.  Das  bintcro  Ende  dieses  freien  Bandes  ist  zugleich 
ilon  Verbindungsslelle  in  Fig.  27  auf  dem  senkrechten 
bgebildet. 

I  schmal  ist  die  vordere  Husche!  bei  Capriniulgus  (C. 
>ie  bildet  eine  weiche,  lateral  elwas  eingerollte  Lamelle, 
'ordcrcs  Ende  gegen  das  röhrenförmig  vorlilngerli!  Nas- 
1  durchzieht  die  Hiilfte  der  Länge  der  gesammlen  Nascn- 

argus  (l*.  Cuvieri)  fehlt  die  vordere  Muschel  gUnzlich. 
isenölTnung  bildet  eine  Lüngsspalte ,  die  von  einer  breiten 
on  nach  ahwürts  umgebogenen  Knor]>el schuppe  überdeckt 
man  eine  VerwandUchaft  mit  der  bei  Caprimulgus  beste- 
Qgorung  zu  erkennen  vermag.  Die  [nnenOäcbe  dieser 
le  ragt  convex  in  den  vorderen  Na'3enraum  ein ,  so  dass 
ne  Husche!  erblicken   könnte,   wenn  die  nUherc  Unter- 

einen  anderen  Tbalbesland  herausstellte,  und  eben  den 
dusche!  ergäbe. 

uxley' sehen  Gruppe  der  Coracoinorphen  finde  ich  bei 

vordere  Husche!  zwar  ziemlieh  cinfuch,  aber  doch  deut- 
1.  Sic  bildet  eine  lateral  entspringende  abwilrls  gerichtete 
30.  n),  welche  wieder  mit  dem  hinteni  Ende  ins  Septum 
s  Vorderende  zielit  sich  frei  nach  vom  zu  aus  und  deckt 
;ang  von  innen  her. 

'US  (C.  corone}  entspringt  sie  wieder  vom  hinteren  Rande 
grenzuDg,  und  erstreckt  sieb  von  da  an  mit  dem  Ursprünge 
inten ,  unter  bedeutender  Verschmälerung  und  Uc^rgang 
horizontale  Lamelle ,  die  mit  einem  bogenförmigen  Aus- 
Soptum  tritt.  Der  bedeutendste  vorderste  Theil  ist  an 
harf  vorspringenden  Kante  im  Winkel  abwärls  gekrllmmt, 
le  gegen  die  NasenöfTnung  gerichtete,  von  unten  leicht 
eiförmige  Vorragung  (Fig.  33.  a'],  deren  unterer  freier 
s  und  aufwärts  gekrtlmmt  ist. 

Snseliel.  Unter  allen  von  mir  untersuchten  Vögeln  am 
erhält  sich  die  mittlere  Husche  1  bei  der  Taube,  wo  sie 
r  etwas  gegen  die  Nasenhöhle  zu  einspringenden  late- 
jr  Cavitiit  abwärts  ragenden  Vorsprung  bildet.  In  Fig.  8.  c 
loa  der  Innenfläche  her,   in  Fig.  9.  c   auf  senkrechtem 

abgebildet.     Unter  der  Muschel ,  und  etwas  nach  vorne 


-TT 


Heber  die  Nasenmuschelii  der  Vögel.  1 1 

zu  bemerkt  man  eine  Falte  der  Schleimhaut,  unter  welcher  der  Thrä- 
nennasengang  ausmündet  (Fig.  8.  /). 

Für  die  litt hn er  ist  die  mittlere  Muschel  durch  Scarpa's  Dar- 
stellungen bekannt.  Sie  bildet  eine  schrügstehende  von  vorne  und 
oben  nach  hinton  und  unten  gerichtete  Lamelle ,  welche  andertbalbmal, 
an  einigen  Stellen  auch  zweimal  eingerollt  ist.  In  Fig.  13  gibt  ein 
senkrechter  Durchschnitt  dieses  Verhallen  vom  liuhne  in  doppelter 
Vorgrösserung.  Das  hintere  Ende  der  Muschel,  tritt  zum  Grunde  der 
Nasenhöhle,  und  ist  von  da  an,  besonders  bei  Melcagris  deutlich  als 
ein  medial  verlautcndor  Wulst  (Figg.  12.  14.  c')  zu  verfolgen,  der  zum 
hintern  £nde  des  Septum  tritt.  Hinter  dieser  septalen  Verbindung 
findet  sich  eine  tiichterförmige  Spalte ,  welche  in  den  orbitalen  Luft- 
raum führt  (Figg.  12.  14.  o].  Unterhalb  der  gewundenen  Muschel, 
dicht  über  der  Ghoane ,  öffnet  sich  der  weite  Thränennasengang. 

Der  vordere  Abschnitt  der  Muschel  lagert  sich  über  den  transver- 
salen Fortsatz  des  Septums ,  an  welchem  die  oben  erwähnte  Verbin- 
dung mit  der  vorderen  Muschel  stattfindet.  Bei  Perdrix  und  Melcagris 
ist  jener  vordere  Abschnitt  der  mittleren  Muschel  weiter  als  bei  Gallus 
entwickelt,  und  bildet  einen  besondern  durch  eine  Vertiefung  vom 
übrigen  gesonderten  Theil  (s.  Fig.  14]. 

Für  die  AbhUngigkeit  der  Stellung  der  Muschel  vom  transversalen 
Septumfortsatz  spricht  das  Verhalten  von  Numenius,  bei  dem  die 
mittlere  Muschel  bei  geringer  Erhebung  jenes  Fortsatzes  eine  fast  hori- 
zontale  Lage  besitzt.  Die  Muschel  ist  1^2  "^**^  eingerollt,  und  bietet 
an  ihrer  medialen  Fläche  zwei  verschiedene  Regionen  dar.  Die  hintere 
ist  glatt,  mit  sanft  abgerundeter  Flache,  sie  setzt  sich  in  eine  zur 
llinterwand  der  Nasenhöhle  verlaufende  dünne  Leiste  fort.  Zum  Sep- 
tum war  diese  nicht  zu  verfolgen.  Die  vordere  Region  dagegen  bietet 
einen  starken  kantenartigen  Vorsprung  dar,  .der  auf  den  vordersten 
ungewundenen  Theil  der  Muschel  sich  fortsetzt. 

Auch  bei  der  Gans  sind  durch  Sgarpa  die  Verhältnisse  der  mitt- 
leren Muschel  genau  beschrieben  worden.  Ihre  Windungen  sind  be- 
deutender als  bei  den  Hühnern,  denn  sie  bilden  2^2  Umgänge.  In 
Fig.  19  habe  ich  einen  senkrechten  Durchschnitt  dieses  Verhallens 
dargestellt,  und  zwar  an  der  in  Fig.  17  durch  den  hinteren  Pfeil  be- 
zeichneten Stelle.  Das  hintere  Ende  der  Muschel  setzt  sich  wieder  in 
einen  zum  Septum  verlaufenden  Wulst  fort  (Fig.  17  c'), »unter  dem  eine 
tiefe  Bucht  empor  tritt.  Die  mediale  Fläche  der  ersten  Muschelwindung 
(vgl.  Fig.  17)  bietet  clgonlhümllchc  Buchtungen  und  Vertiefungen  dar, 
die  sich  theilweise  auch  an  dem  folgenden  Windungsvorgang  wieder- 
holen.    Dit\se  Verhältnisse  der  Reliefs  sind  aus  Anpassungen  an  den 


1 2  Carl  Gegeubiiur, 

Befund  des  Septunis  hervorgegangen  nachweisbar.  Vor  allem  ist  eine 
schräge  Vertiefung  wahrzunehmen ,  welche  einen  vorderen  oberen  Ab- 
schnitt der  Muschel  von  einem  hinteren  und  unteren  scheidet.  Diese 
Vertiefung  ist  bedingt  durch  einen  Vorsprung  des  Septums,  in  welchem 
ein  starker  Trigeminusast  —  dem  Naso-palatinus  Scarpae  homolog  — 
seine  Bahn  hat.  Da  wo  der  Nerv  den  Boden  der  Nasenhöhle  erreicht, 
bildet  das  Septum  den  queren  zur  lateralen  Wand  tretenden  Vorsprung, 
der  das  hintere  Ende  der  vorderen  Muschel  aufnimmt.  Dieser  bei  der 
Gans  sehr  hohe  Vorsprung  —  er  ist  in  Fig.  17  weggenommen  —  tritt 
7Ai  dem  schon  vorhin  unterschiedenen  vorderen  Abschnitte  der  mitt- 
leren Muschel  empor,  und  theilt  dieselbe  wieder  in  zwei  Theile,  einen 
vorderen  und  hinteren,  die  durch  eine  schmalere  Strecke  zusammen- 
hangen. Der  vordere  Theil  überragt  den  Querfortsatz  des  Septums 
nach  vorne ,  und  entspricht  damit  dem  oben  für  Meleagris  und  Perdrix 
angegebenen  Abschnitt. 

Die  mittlere  Muschel  der  Raubvögel  ist  von  ansehnlicher  Länge, 
schrtig  von  vorne  nach  hinten  und  abwärts  gerichtet.  Sie  ist  1  Yj  mal 
oder  noch  etwas  darüber  eingerollt.  Harwood  hat  die  Windung 
bei  Buteo  auf  einem  Durchschnitte  abgebildet.  Von  Gypogeranus 
ist  ein  solcher  senkrechter  Durchschnitt  in  Fig.  23  dargestellt. 
Wie  ich  bei  Buteo,  bei  Strix  und  Gypogeranus  finde,  liegt  der 
vordere  Theil  der  Muschel  über  und  vor  dem  queren  Septalfortsatze, 
und  trägt  am  Ende  eine  leichte  Auftreibung ,  die  bei  Buteo  am  stärk- 
sten ist  (Figg.  20.  S1.  22.  c'').  Bei  Buteo  zeigt  sich  an  der  innenOäche 
der  Muschel  auf  der  Mitte  der  Länge  eine  Vertiefung ,  der  wieder  ein 
Vorsprung  des  Septums  entspricht.  Das  hintere  Ende  der  Muschel 
ist  verschmälert  und  setzt  sich  mit  einär  leichten  Falte  zum  Sep- 
tum fort. 

Von  anderen  Vögeln  abweichend  ist  das  Verhalten  bei  Psitta- 
cus.  Die  Muschel  (Fig.  24.  c)  bildet  eine  sehr  dicke  von  der  parietalen 
Befestigungsstelle  abwärts  gekrümmte ,  aber  nicht  eingerollte  Lamelle, 
deren  vorderer  gewulsteter  Rand  abgerundet  ist.  Diese  Lamelle  ist 
nun  in  der  Mitte  ihrer  Länge  tief  eingebogen,  so  dass  das  vordere  und 
hintere  Stück  bedeutend  medianwärts  vorspringt.  In  die  Einbuchtung 
lagert  sich  wieder  vom  Septum  her  ein  querer  Fortsatz,  der  in  Fig.  24 
und  noch  vollständiger  in  Fig.  25  entfernt  wurde.  Also  kommt 
vor  den  septalen  Querfortsatz  ein  sehr  bedeutender  Theil  der  Muschel 
zu  liegen  (c"),  der  dem  bei  Raubvögeln  angedeuteten,  bei  Hühnern,  wie 
bei  der  Gans  umfänglicheren  Abschnitte  entspricht.  Das  hintere  Ende 
der  Muschel  läuft  in  eine  stark  vor  und  abwärts  gebogene  Schleimhaut- 


üeber  die  NasenmasclielD  der  VOgel.  13 

falte  (Fig.  25.  c")  aus,  die  zum  Septum  hiDüberzieht.     Hinter  dieser 
Falte  liegt  eine  weite  zum  Orbitalsinus  führende  Oeffnung  (Fig.  25.  o). 

Bei  Picus  ist  die  horizontal  gelagerte  Muschel,  wie  bekannt, 
knöchern.  Sie  ist  von  geringer  Grösse  und  einmal  eingerollt.  Der 
quere  Septalfortsatz  bedingt  hinter  der  Mitte  ihrer  Länge  eine  leichte 
Einbuchtung  von  unten  her  (vgl.  Figg.  26  u.  27.  c).  Das  hintere  Ende 
lauft  schräg  gegen  die  Choane  aus ,  ohne  einen  zum  Septum  gelangen- 
den Vorsprung  zu  bilden. 

Bei  Caprimulgus  erscheint  die  Muschel  (Fig.  28.  cc)  von  be- 
deutender Länge,  und  zerfällt  in  einen  vorderen  und  hinteren  Ab- 
schnitt, beide  durch  eine  Einbuchtung  von  oben  her  getrennt.  Dicht 
hinter  dieser  Bucht  setzt  sich  die  obere  Muschel  mit  dem  hinteren  Ab- 
schnitte der  mittleren  in  Verbindung.     Sie  ist  einmal  eingerollt. 

Kürzer,  aber  in  der  Windung  mit  Caprimulgus  gleich,  ist  die 
mittlere  Muschel  von  Podargus  (Fig.  29.  c).  Am  vorderen  Ende  ist 
eine  höckerförmige  Auftreibung  bemerkbar  (Fig.  29.  c)  und  ähnlich 
setzt  sich  auch  am  hinteren  Ende  ein  Vorsprung  ab.  Eine  Umschlage- 
stelle zum  Septum  ist  ebensowenig  wie  bei  Caprinmlgus  bemerkbar. 

Bedeutender  gewunden  ist  die  mittlere  Muschel  bei  Gorvus 
(Figg.  31.  32.  c].  Der  hintere  Abschnitt  derselben  ist  etwas  gegen  die 
Choane  herabgesenkt  in  einen  stumpfen  Vorsprung  auslaufend,  und 
setzt  sich  in  eine  zur  hinteren  Nasen  höhlen  wand  tretende  Hautfalte 
fort,  also  wieder  nicht  direct  ans  Septum.  Ziemlich  hoch  über  dieser 
abwärts  vorstehenden  Schleimhautfalte  findet  sich  eine  oben  von  einem 
vorspringenden  Rande  begrenzte  Querspalte ,  die  zu  dem  mehrerwähn- 
ten Luftbehälter  führt. 

Hintere  oder  obere  Mnschel.  Der  durch  die  Endverbrei- 
tung des  Riechnerven  wichtige  hintere  und  obere  Theil  der  Nasen- 
höhle ist  bei  Columba  durch  keine  Vorsprungsbildung  ausgezeichnet, 
wird  vielmehr  nur  durch  eine  von  der  mittleren 'Muschel  aus  nach  oben 
und  seitlich  sich  erstreckende  Vertiefung  der  Nasenhöhlenwand  vor- 
gestellt. Man  wird  daher  sagen  dürfen,  dass  der  Taube  eine  obere 
Muschel  fehlt,  da  man  unter  der  Bezeichnung  »Nasenmuschel«  doch 
einmal  einen  Vorsprung  sich  denkt.  Mit  dieser  Angabe  stehe  ich  im 
Widerspruch  mit  M.  Scbultzb  ^) ,  der  die  obere  Muschel  bei  »Hühnern, 
Tauben,  Enten,  Gänsen«,  als  sehr  gross  angiebt.  Ich  glaube,  dass 
dabei  M.  Scbultzb  das,  was  ich  nur  als  mittlere  Muschel  auflassen 
durfte,  als  obere  gedeutet  hat.  Vielleicht  ist  hiermit  auch  das  von 
ScHULTZB  gefundene  Factum  in  Zusammenhang  zu  bringen ,  dass  der 

4)  Unlersuchangen  über  den  Bau  der  Nasenschlei mbaut,  Halle  4  862.  S.  4). 


14  Carl  Gegenbanr, 

Geruchsnerv  sich  nicht  über  die  ganze  Muschel  verbreite,  und  dass 
der  »untere  Randcc  davon  frei  bleibe,  was  sehr  leicht  bei  Tauben  zu 
constatiren  sei.  Jener  »untere  Randa  ist  nun  das,  was  ich  als  mittlere 
Muschel  bezeichnen  muss,  da  unterhalb  derselben  ,  oder  vielmehr  vor 
ihm ,  nur  noch  eine  einzige  Muschelbildung  besteht. 

Bei  fast  allen  den  übrigen  untersuchten  Vögeln  ist  dagegen  eine 
vor  der  knorpeligen  Wand  der  Nasenhöhle  gebildete  Einragung  vor- 
handen ,  die  seit  Scarpa  als  obere  Muschel  bezeichnet  wurde.  Sie  ist 
bei  den  Hühnern  ein  rundlicher  oder  auch  unregelmässig  gestellter  Vor- 
sprung mit  stark  gewölbter  Oberflache  (Figg.  11.  12.  14.  6). 

Bei  N  u  m  e  n  i  u  s  ist  sie  mehr  dreieckig  gestaltet,  und  bei  der  Gans 
findet  sich  an  der  nach  vorne  gerichteten  Basis  des  Dreieckes  eine  Ein- 
buchtung, woraus  die  Form  resultirt,  die  von  Scarpa  als  glockenförmig 
bezeichnet  und  von  vielen  Autoren  bei  der  Beschreibung  dieses  Theiles 
zu  Grunde  gelegt  wurde.  In  dreieckiger  Form  einen  nach  unten  von 
der  nn'ttleren  Muschel  abgegrenzten  Raum  des  Grundes  der  Nasenhöhle 
einnehmend,  erscheint  sie  bei  den  Raubvögeln;  der  bedeutendste 
Vorsprung  der  Muschel  liegt  hier  am  vorderen  Rande ,  besonders  bei 
Strix,  wo  sie  eine  von  hinten  nach  vorne  ragende  schräge  Wölbung 
bildet  (Figg.  20.  21.  22.  b).  Unansehnlich  Ist  die  Muschel  bei  Picus 
(Fig.  26.  b) ,  nur  als  schwacher,  etwas  gebogener  Vorspmng  erschei- 
nend ;  und  bei  Psittacus  finde  ich  gar  nichts  auf  eine  hintere  Muschel 
beziehbares  difierenzirt. 

Dagegen  ist  sie  von  bedeutendem  Umfange  bei  Caprimulgus 
und  Podargus,  in  beiden  fast  horizontal  über  der  mittleren  Muschel 
gelegen ,  mit  der  sie  bei  ersterer  Gattung  an  einer  Stelle  zusammen- 
hangt. Diese  Lage  rechtfertigt  hier  die  Bezeichnung:  obere  Muschel. 
Bei  Podargus  verlauft  über  sie  eine  horizontale  Querfurche. 

Als  einen  ganz  unansehnlichen  abgerundeten  Vorsprung  finde  ich 
die  hintere  Muschel  bei  Corvus  (Fig.  31.  6j.  Er  liegt  direct  an  der 
oberen,  hinleren  und  seitlichen  Wand  der  Nasenhöhle ,  und  wird  am 
besten  bei  OelTnen  der  letzteren  von  oben  her  sichtbar  gemacht.  In 
Fig.  32  ist  ein  solches  Präparat  abgebildet.  Bei  Sturnus  finde  ich 
die  bei  Corvus  rudimentäre  hintere  Muschel  viel  bedeutender  ausge- 
bildet, sie  wird  aber,  da  sie  vom  Nasenhöhlengrunde  etwas  entfernt 
liegt,  von  der  mittleren  Muschel  theilweise  bedeckt.  Dass  sie  den 
verwandten  Singvögeln  fehlt ,  hat  M.  Sghultzb  angegeben ,  der  sie  bei 
Sylvia,  Troglodites,  Fringilla  und  Pyrgita  vermisste.  Da- 
gegen finde  ich  sie  bei  Turdus  und  Cinclus,  bei  ersterer  sogar  als 
recht  deutlichen  Höcker  und  im  Verhältniss  zur  Krähe  viel  stärker.  Auch 


Ueber  die  NasenmiiflchelD  der  Vögel.  t5 

bei  Huscicapa   (M.  glareola)  ist  sie  unterschefdbar ,   und  aach   bei 
A  lau  da.     Dagegen  vermisse  ich  sie  ebenfalls  bei  Pyrgita. 

Die  obere  Muschel  ist  somit  kein  ganz  constantes  Gebilde, 
sie  ist  nicht  hlos  in  verschiedenem  Grade  entwickelt,  sondern  sie  fehlt 
auch  in  einigen  Abtheilungen  der  Vögel  gänzlich.  Der  bei  der  Gans  vor- 
handene Formzustand  des  Gebildes,  von  dem  die  durch  Scarpa  gege- 
bene Beschreibung  eine  allgemeine  Aufnahme  fand,  ist  keineswegs 
so  verbreitet,  dass  man  ihn  als  fUr  die  Classe  charakteristisch  ansehen 
könnte.  Allgemein  ist  dagegen  die  Beziehung  der  Muschel  zu  einem 
luflfuhrenden  Sinus,  dessen  oben  bereits  mehrfach  Erwähnung  ge- 
schah. Dieser  im  vorderen  Orbitalraume  gelegene  Sinus  comn^unicirt 
nümlich  mit  dem  Binnenraum  der  hinteren  Muschel.  Vom  Huhn  habe 
ich  diese  Verbindung  in  Fig.  43  abgebildet.  Bei  der  Gans  hat  schon 
Scarpa  diese  Bezietning  beschrieben,  so  dass  ich  darauf  hinweisen  darf. 
Bei  andern  Vögeln,  schon  beim  Huhn,  ist  die  Communication  einfacher, 
im  einzelnen  bestehen  zahlreiche  Verschiedenheiten,  die  für  unsere 
Zwecke  untergeordnet  sind.  Jener  Orbitalsinus  steht  einei'seits  im  Zu- 
sammenhang mit  den  mannichfach  gestalteten  Räumen  dos  Oberkiefers, 
sowie  er  sich  andererseits  mit  der  Nasenhöhle  in  Verbindung  zeigt. 
Die  Communication  mit  der  Nasenhöhle  liegt  steLs  am  Grunde  der 
letzteren,  bald  höher,  bald  tiefer.  Ich  habe  sie  mehrfach  oben  hervor- 
gehoben. 

Durch  die  Communication  mit  dem  Orbitalsinus  wird  die  hintere  Mu- 
schel zu  einer  Einbuchtung  der  Nasenhöhlenwand.  Dadurch 
entfernt  sie  sich  sehr  weit  von  dem  Verhalten  der  mittleren  Muschel, 
erscheint  als  ein  ganz  anderes  Gebilde,  welches  mit  derselben  nur  ganz 
allgemein  die  Vorsprungsbildung  in  die  Nasenhöhle  theilt.  Wenn  wir 
aber  als  »  NasenmuscheU  nicht  eine  blosse  Einbuchtung  der  Wand  der 
Nasenhöhle  bezeichnen,  sondern  jenen  Begriff  nur  auf  eine  von  der 
Wand  her  entspringende,  selbständige,  von  einer  einfachen  Fortsetzung 
des  Skeletes  der  Wand  gestützte  Einragung  in  Anwendung  bringen, 
so  kann  er  auf  das  als  hintere  oder  obere  Muschel  bezeichnete  Gebilde 
keine  Anwendung  finden ,  und  jenes  Gebilde  erscheint  damit  als  etwas 
Neues.  Will  man  aber  die  Bezeichnung  » Muschel a  auf  eine  Vorsprungs- 
bildung  der  Nasenhöhle  im  Allgemeinen  übertragen ,  gleichviel  .wie  die 
Wand  der  Nasenhöhle  sich  dazu  verhält,  so  können  auch  noch  andere 
Theilc  darauf  Anspruch  machen  und  der  Begriff  büsst  an  seiner  Be- 
stimmtheit ein  und  geht  verloren.  Sohin  entsteht  die  Nöthlgung, 
jenen  oberen  hinleren  Vorsprung  von  den  Muschelbildungcn  der  Nasen- 
höhle zu  sondern  ,  wovon  die  Bezeichnung  nRiechhUgel«,    die  sich 


Carl  GegenbflBr, 
sein  Verhalten  sum  Olfactorius  bezieht,  Ausdruck. geben 

r   die  Vergleichung   der   vorgeführten  Thatsachen   ist  es 

das  Gemeinsame  erst  innerhalb  der  einzelnen  Ablhei- 
ideckea.  Bei  den  Beptilien  wird  in  dieser  Beziehung  das 
ir  Eidechsen  und  der  Schlangen  das  am  meisten  Uberein- 
ein.  Sie  besitzen  ein  unzweifelhaft  als  n  Muschel  a  aufzu- 
sbilde,  an  dem  die  oben  aufgestellten  Kriterien  nachge- 
Anders  verhalten  sich  die  Schildkröten.     Obschon  der 

der  Nasenhöhle  viel  complicirter  ist,  erscheint  die  Bildung 
;1  weniger  deutlich.  Sie  nimmt  im  Verbältniss  zu  Eidcch- 
langen  eine  niedere  Stufe  ein,  und  befindet  sich  somit  dem 
'  ludifferenz  nüher.     Wir  gewahren  jedoch  dabei  noch  ein 

Eidechsen  und  Schlangen  verschiedenes  Verhalten.  Wuh- 
zleren  die  Muschel  hinten  abgegrenzt  war,  und  sich  nicht 
Nasenböhlengrund  zum  Seplum  hinüberzog ,  geht  der  bei 

Muschel  aufzufassende  Vorsprung  von  der  lateralen  Wand 
I  (Fig.  2.  C)  herüber.  Durch  diese  Ei  gen  thü  ml  ichkeil  wird, 
istigen  Indifferenz  dieses  Gebildes,   doch  eine  nähere  Ver- 

der  Muschel  der  Eidechsen  und  Schlangen  nicht  wohl  her- 
n,  vielmehr  ergiebt  sich  daraus  eine,  wenn  auch  entferntere 
u  den  Vögeln ,  deren  mittlere  Muschel  bei  mehreren  Ab- 
ene  Verbindung  mit  dem  Seplum  besitzt. 
lerseits  die  Schildkröten,  so  weichen  andrerseits  die  Croco- 
halten  ihrer  Huscheln  von  Schlangen  und  .Eidechsen  ab. 
denheit  löst  sich  jedoch  sobald  wir  Jene  Muscheln,  wie  es 
ih,  nüher  prüfen.  Aus  dieser  Untersuchung  ging  hervor, 
genannte  hintere  Muschel  (Fig.  G.  £1]  eine  andere  Bildung 
irdere  (C),  und  dass  ersiere  gar  nicht  als  Muschel  bezeich- 

kann  ,  sobald  wir  an  den  B^riff  Muschel  die  Vorstellung 
Den  fi-ei  in  die  Nasenhöhle  ragenden  Lamelle  knüpfen ,  die 
h  verschieden  verbalten  kann.  Die  hintere  Muschel. der 
t  keine  solche  frei  einragende  Lamelle,  sie  ist 
ichtung  der  knorpeligen  Wand  der  Nasen b 0h  le 
ch  immer  diese  Ausbuchtung  bei  blosser  Betrachtung  von 
n  Fläche  einer  Nasenniuschel  ähnlich  sein  mag,  so  erweist 
b  sofort  als  etwas  anderes.  Somit  bleibt  für  die  Crocodilc 
iziges  Gebilde  übrig,  das  den  Namen  einer  Muschel  vei^ 
lieses  ist  es,  welches  wir  der  Muschel  der  anderen  Reptilien 

betrachten  dürfen. 


Geber  die  Nasennnscheln  der  Vöf^l.  17 

Daher  kiinn  der  Satz  aufgestellt  werden,  dass  der  Nasen- 
höhle derReptilien  nur  eine  einzige  Muschel  zukomme, 
die  bei  Schildkröten  den  indifferentesten  Zustand  aufweist,  bei  Eidech- 
sen und  Schlangen  selbständiger  wird,  und  bei  Crocodilen  noch  weiter 
sich  complicirt.  Bei  den  letzteren  ist  die  bedeutende  Längenausdehnung 
der  Nasenhöhle  von  anderen  Einragungen  begleitet ,  die  den  Muschel- 
bildnngen  fremd  sind.  In  den  vorderen  Raum  wölbt  sich  von  oben 
her  die  Knorpelwand  der  Nasenhöhle  ein  (Fig.  6.  c) ;  in  den  hin- 
teren buchtet  sich  ein  von  der  Knorpelwand  der  Nasenhöhle  um- 
schlossener Sinus  vor  (/>],  der  zugleich  nach  aussen  vor  der  eigentlichen 
Muschel  (C) ,  immer  in  der  Wand  der  Nasenhöhle  weit  nach  vorne 
zieht. 

Es  handelt  sich  nun  um  die  Vergleichung  dieser  Befunde  mit  den 
Muscheln  der  Vögel.  Dass  die  sogenannte  obere  oder  hintere  Muschel 
der  Vögel  keine  wahre  Muschel  ist,  habe  ich  oben  dargethan.  Sie 
wurde  als  Riechhdgel  bezeichnet.  Indem  sie  als  eine  Ausbuchtung 
eines  ausserhalb  der  Nasenhöhle  gelegenen,  aber  mit  dieser  communi- 
cirenden  Sinus  erklärt  wurde,  könnte  man  auf  den  Gedanken  kommen 
sie  mit  der  Pseudoconcha  der  Crocodile  zu  vei^leichen  und  sie  dieser 
fttr  homolog  zu  halten.  Zu  letzterem  kann  die  Vergleichung  dieser 
Theile  von  der  medialen  Fläche  her  verleiten.  Dagegen  erheben  sich 
jedoch  wichtige  Bedenken.  Erstlich  ist  der  Sinus  in  der  Pseudoconcha 
der  Crocodile  überall  von  Knorpel  umwandet,  er  liegt  in  der  Knorpel- 
wand der  Nasenhöhle  selbst,  ist  somit  keine  blosse  Einbuchtung  jener 
Knorpelwand  von  aussen  her,  wie  der  Riechhttgel  der  Vögel  es  ist. 
Zweitens  communicirt  der  Sinus  der  Pseudoconcha  direct  mit  der  Nasen- 
höhle und  nicht,  wie  der  Binnenraum  des  Riechhttgels  der  Vögel,  mit 
einem  ausserhalb  ^^^  Nasenhöhle  gelegenen  Sinus.  Daraus  geht  die 
Unzulässigkeit  einer  Homologie  hervor,  die  man  zwischen  jenen  Ge- 
bilden aufstellen  möchte.  Man  wird  also  beide  auf  sehr  verschiedene 
Weise  zu  Stande  gekommenen  Gebilde  von  einander  sofort  zu  sondern 
haben. 

Es  bestehen  bei  den  Vögeln  nach  Elimination  des  Riechhügels 
noch  zwei  Huscheln.  Von  diesen  wird  sich  fragen,  welche  der  Muschel 
der  Reptilien  entspricht.  Auch  hierauf  ist  die  Antwort  nicht  schwer 
zu  finden.  Prüfen  wir  zunächst  die  vordere  oder  untere  Muschel.  Wir 
finden  sie  keineswegs  allgemein  vorhanden.  Sie  fehlte  bei  Podargus, 
und  war  bei  Gypogeranus  kaum  angedeutet.  Sonst  gab  sie  sich  als  eine 
von  der  lateralen  Wand  der  Nasenhöhle  schi  s  zum  Septum  herüber- 
ziehende Bildung  kund ,  die  durch  dieses  Verhalten  mit  dem  Boden  der 
Nasenhöh*"  .    -    . .    •     ^  stand.     Dieses  Verhältniss  darf  nicht  Ober- 

B(LV  i 


■1 


teil  dieser 
Abschnitte 
lumba  ist 
je  Ausbil- 
JodeD  des 
liegt  stets 
her  höher 
ineD  Tbeil 
ist  ferner 
i;l  wie  die 

enbohlen- 
n  auch  als 
Ich  be- 
darin  be- 
den  Rep- 
pricbt  der 
!r  Huschf^l 
^eln  auf- 
hel  übrig, 

e  Bildung 
der  Vögel 
mit  Jener 


I  mehr  als 
n  gemein- 
ten Baume 
;e  Bildung 
jgung  der 
sprechen- 

i  Huscheln 
entspricht 
ntworlen, 
[asenböhle 
i  differen- 
dung  sein 
ehr  hüufig 

;re  Bildung. 


lieber  die  NASenmnschelD  der  Vö^zel.  19 

den  durch  Ramification  complicirtesten  Theil  jener  Gebilde,  sondern 
übertrifft  auch  da ,  wo  sie  im  Vergleiche  zu  der  mittleren  Muschel  ein- 
facher sich  verhHlt,  diese  an  Ausdehnung.  Es  besteht  also  Grund  in 
der  unteren  Muschel  das  Homologon  der  Muschel  der  Vögel  und  der 
Reptilien  zu  sehen ,  und  unter  den  letzteren  bieten  die  Crocodile  in  der 
Theilung  der  Lamelle  der  Muschel  etwas  nähere  Beziehungen  zu  den 
Säugethieren. 

Ein  fernerer  Stutzpunkt  dieser  Vergleichung  ist  in  der  Äusmün- 
iiung  des  Thränen nasenganges  zu  finden,  die  bei  den  VOgeln  unterhalb 
der  sogenannten  mittleren  Muschel,  bei  den  Säugethieren  unterhalb  der 
unteren  Muschel  sich  trifft.  Daraus  ergiebt  sich  zugleich  ein  gewich- 
tiger Grund  gegen  die  Zusammenstellung  der  Vorhofsmuschel  der  Vögel 
mit  der  unteren  Muschel  der  Säugethiere. 

Aus  der  Homologie  der  unteren  Muschel  der  Säugethiere  mit  der 
Nasenmuschel  der  Amphibien  und  Vögel  ergiebt  sich  für  die  beiden 
oberen  Muscheln  der  Säugethiere  die  Annahme  einer  Neubildung  im 
Vergleiche  zu  den  niederen  Abtheilungen.  Das  Auftreten  dieses  Theils 
ist  von  einer  Vergrösserung  des  Binnenraums  der  Nasenhöhle  nach 
hinten  und  oben  begleitet,  wenn  man  an  der  Ursprungsstelle  der 
unteren  Muschel  den  Indifferenzpunkt  annimmt.  Bei  den  Vögeln  da- 
gegen ist  unter  derselben  Voraussetzung  ausser  einer  geringen  Aus- 
dehnung des  Cavum  nasi  nach  hinten  und  oben  noch  eine  Ausdehnung 
gegen  die  äussere  Oeffnung  zu  vorhanden,  wodurch  ein  besonderer 
den  Säugethieren  fehlender  Abschnitt  als  Vorhofsraum  der  Nasenhöhle 
entsteht. 

Jena,  Mai  4874. 


ErUlrug  der  Abbildimgeii. 

Tafel  I. 

Fig.     1.     Senkrechter   Medianschnitt    durch   den    Vordertbeil    dos   Kopfes    Ton 
Chelonia  cauana. 

Das  Septum  nasale  ist  eine  Sirecke  weit  entfernt ,  so  dass  der  Binnen- 
raum  eines  Theiles  der  Nasenhöhle  frei  gelegt  ist. 
Kiff.    9.     Dasselbe  Prtfparni,  an  welchem  der  Binnenraum  vollsitfndiger  blosgelegt, 
und  der  zur  Choanc  führende  hintere  Nasengang  geöffnet  ward. 

Für  beide  Figuren  gilt 

0  äussere  Nasenöffnung  mit  dem  <lurch  punctirte  Linien  abgegrenzten 
Eingang  in  die  Nasenhöhle. 

01  Olfactorius. 


20  ^^^  Gef^nbAnr, 

dn  hinterer  Nasengang, 

K  Knorpel  der  Nasenhithlenwand. 

mn  schrfige  Leiste,   welche  einen  vorderen  Raum  der  Nasenhöhle 
von  ohen  her  abgrenzt  (in  Fig.  2  tbeilweise  abgetragen). 

rs  Obere  Ausbuchtung  J 

H  untere  Ausbuchtung  {  ^«  ^^^***'*«  ^•«"»«• 

H  Innere  Riechgrube. 

C  Nasenmuschel. 
Fig.     3.     Dasselbe  Prflparat  von  La  certa  o  cell  ata. 

c  Muschel. 
Fig.     4.     Senicrechter  Medianschnitt  durch  den  Vorderthetl  des  Kopfes  von  Uro- 
mastix  spinipes.     Das  Septum  nasi  ist  theil weise  entfernt. 

c  Muschel. 
Fig.    5.     Dasselbe  Prttparat  von  Boa  constrictor.     Das  Sepium  nesi  ist  ganz 
entfernt. 

a  Vordere  seitliche  Ausbuchtung  der  Nasenhöhle ,  zur  äusseren  Oeff- 
nung  führend. 

c  Muschel. 

6  Hinteres  freies  Ende  derselben. 

ch  Ghoate. 
Fig.     6.    Dasselbe  Pr&parat  von  Alligator  lucius  mit  vollständig  entfernter 
Nasenscheidewand . 

0  Aeussere  Nasenöffnung.    DerSchliessmuskel  sowie  reiches  Schwell- 
gewebe ist  durchschnitten. 

a  Vordere  Erwetteruag  des  Nasenelnganges. 

b  Vorderer  Naseogang. 

c  Von  oben  her  einragendes  Knorpeldach. 

C  Muschel. 

D  Pseudoconcha. 

e  Bucht. 

dn  Hinterer  Nasengang. 

mx  Sinus  maxillaris. 
Fig.     7.    Senkrechter  Querschnitt  durch  dasselbe  Präparat  in  der  Richtung  der  In 
Fig.  6  von  C  ausgehenden  Führungslinie. 

C  Einfache  Lamelle  der  Muschel,  die  sieh  in  C^  und  C  spaltet. 

D  Pseudoconcha. 

S  aus  dem  Binnenraum  derselben  führender  Canal. 

F  Sinus  der  Pseudoconcha. 

dn  Hinterer  Nasengang. 


Tafal  n. 

Die  Ftgg.  8,  4 i,  44,  46,  47  Sind  Medianschnitte  durch  die  Nasenregion 

des  KopftM. 
Fig.     8.    Golumba  livia  domeslica. 

Fig.    9.    Senkrechter  Querschnitt  in  die  Fübmngslinie  von  c  in  Fig.  8. 
Fig.  40.    Nasenhöhle  von  Golumba  livia  domeslica  von  oben  her  geöffnet. 
Fig.  44.    Dasselbe  von  Gallus  domesticus. 
Fig.  4S.     Gallus  domesticus. 


Ceber  die  Nasenmoseheln  der  VAgel.  21 

Fig.  18.     Senkrechter  Qaerschniti  durch  die  Nasenhöhe  von   Gallus    dorne- 
st i  cu  s.    S  fach  vergrössert. 
Flg.  H.     Meleagris  gallopavo. 

Fig.  4  5 .     Senkrechter  Querschnitt  durch  den  Nasen vorhof  von  Meleagris. 
Fig.  46.     Numenins  phaeopus. 
Fig.  47.     Anser  domesticus. 

Fig.  48.    Senkrechter  Querschnitt  durch  den  Nasenvorhof  von  Anser  dome- 
sticus. 
Fig.  49.     Senkrechter  Querschnitt  durch  die   Nasenhöhle  von  Aaser  dome- 
sticus. 

Bezeichnung  aller  Figuren. 

a  Vorhofsmuschel  (vordere  Muschel). 

a'  Septaler  Theil  derselbe«. 

6  Riech hügel  (hintere  oder  obere  Muschel). 

C  Nasenmuschel  (mittlere  Muschel). 

c'  Hinteres,  septales  Ende  ( 

r''  vorderes  Ende  1  <*«^«^° 

d  Decklamelle  des  Naseneinganges. 

0  NaseneiDgMig. 

o  Gommunication  der  Nasenhöhle  mit  Luftbehältern  des  Kopfes. 

s  Naseuscheidewand. 

f  Vorspringende  Lamelle  des  Unterrandes  des  Naseneinganges. 

/  Mündung  des  Thrttnenoasenganges. 


Tafel  in. 

Figg.  iO/Sft,  %kp  i6»  t8,  84  sind  Media nschniite  durch  die  Nasenregion 
des  Kopfes.  ^ 

Fig.  80.     Buteo  vulgaris. 

Fig.  84.     Strix  passerina. 

Fig.  88.    Gypogeranus  secretarlus. 

Fig.  88.    Senkrechter  QoerschnHi  durch  die  Nasenhöhle  desselben. 

Fig.  84.     Psittacus  erythacus. 

Fig.  86.     Dasselbe  Präparat  nach  Entfernung  des  Daches  der  Nasenhöhle. 

Fig.  86.     PIcus  viridis. 

Fig.  87.     Senkrechter  Querschnitl  durch  die  NMenhöhle  desaelbeu  in  der  Richtung 
der  in  Fig.  86  von  C  ausgehenden  Führungslinie. 

Fig.  88.     Caprimulgns  europaeus. 

Fig.  89.    Podargus  Cuvieri. 

Fig.  89.    Sturnus  Yulgarif. 

Fig.  84.    Corvus  corone. 

Fig.  88.    Senkrechter  Querschnitt  durch  die  Nasenhöhle  desselben. 

Fig.  88.     Nasenhöhle  und  linkerseits  auch  Nasenvorhof  von  Corvuscorone  von 
oben  her  geöffnet. 

Die  Beieicluiongeii  der  Figureatlieile  entspreeben  Jenen  für  die  vorher- 
gehende Tafel. 

g  (in  Fig.  84)  Gelenk. 


BestaubuBgsversHche  an  Abutilon  -  Arten. 

Von 

Fritz  MüUer. 


Pflanzen ,  deren  eigener  Blttthenstaub  keine  Befruchtung  bewirkt, 
sind  besonders  bequem  zu  Bastardirungsversuchen.  Das  oft  so  müh- 
same und  häufig  nicht  ohne  schwere  Verletzung  der  Blumen  auszu- 
führende Entfernen  der  Staubbeutel  ist  bei  ihnen  nicht  nöthig;  es  ge- 
nügt die  Zufuhr  fremden  Blüthenstaubcs  abzuhalten.  Ich  wählte  daher 
für  eine  Reihe  von  Versuchen ,  durch  die  ich  aus  eigener  Erfahrung  die 
Gesetze  der  Bastarderzeugung  im  Pflanzenreiche  kennen  zu  lernen 
beabsichtigte,  zunächst  mehrere  selbst  unfruchtbare  (»seif -sterile« 
Darwin)  Arten  der  Gattung  Abutilon. 

Die  Ergebnisse,  welche  die  Versuche  des  vorigen*Jahres  in  Bezug 
auf  Samenertrag  lieferten ,  will  ich  im  Folgenden  kurz  besprochen ,  — 
nicht  weil  ich  denselben  einen  besonderen  Werth  beilege,  sondern 
weil  ich  hoffe ,  dadurch  auch  Andere  anzuregen  zu  Vorsuchen  über  die 
mannichfachen  Fragen ,  die  sich  dabei  aufdrängen. 

Meine  Bestaubungsversuche  wurden  angestellt : 

1)  an  einem  Abutilon  vom  oberen  Capivary,  das  mir  in  Kew  als 
verwandt  mit  Ab.  virens  bestimmt  wurde ; 

2)  an  einem  hier  in  Gärten  öfter  zu  findenden  Abutilon ,  das  mir 
ein  deutscher  Gärtner  als  Ab.  striatum  bezeichnete ; 

3)  an  einem  Bastarde  dieser  beiden  Arten ,  dessen  Mutter  das 
Capivary-Abutilon,  dessen  Vater  das  Ab.  striatum  ist,  welchem 
letzteren  es  in  Wuchs,  Blatt  und  Blüthe  weit  ähnlicher  ist,  als 
der  Mutter ; 

4)  an  einem  am  Ufer  des  Itajahy  häufigen  Abutilon  mit  schmalem 
lanzetförmigem  Blatte  und  rother  Blüthe,  das  von  den  Brasi- 
lianern Embira  branca  (»weisser  Bast«)  genannt  wird. 

Ausser  dem  Blüthenstaube  dieser  Arten  kam  zur  Verwendung : 


BeatAQbangSTeraiiohe  au  Äbotilon-Arteo.  23 

5]  BIttihenstaub  einer  weissblQhenden  Pflanze  derEmbira  branca, 
die  auch  durch  kleinere  Blüthen  und  4 1-  bis  fSfächrige  Frttchte 
(bei  der  rothbitthenden  Form  meist  1 4 — 1 6  fächrig)  sich  aus- 
zeichnete. Meine  Kinder  fanden  eine  einzige  Pflanze  zwischen 
der  gewöhnlichen  rothbitthenden  Form  am  Rio  do  Testo,  einem 
Nebenflusse  des  Itajahy. 

6)  Blüthenstaub  eines  schönen  baumartigen  Abutilon  mit  über 
mannshohem  Stamme  und  ticfgelappten  Blättern,  von  dem  ich 
eine  einzige  Pflanze  etwa  5  Stunden  von  hier  (am  Pocinho) 
nicht  weit  vom  Ufer  des  Itajahy  fand. 

7)  Blüthenstaub  des  Abutilon  vexillarium,  von  dem  ich  eine 
Blüthe  aus  dem  Garten  des  Dr.  Blumenau  erhielt. 

Die  Zahl  der  Fächer  ist  bei  den  Früchten  dieser  verschiedenen 
Arten  sehr  unbeständig,  daher  giebt  die  Zahl  der  Samen  in  der  ganzen 
Frucht  kein  passendes  Maass  der  Fruchtbarkeit.  Bei  voller  Fruchtbar- 
keit d.  b.  wenn  alle  Eichen  sich  zu  guten  Samen  entwickelten ,  würde 
eine  8  fiebrige  Frucht  des  Capivary-Abutilon  64  bis  73,  eine  \  4  föchrige 
88  bis  99  Samen  enthalten ;  eine  8  (ächrige  Frucht  mit  60  Samen  nähert 
sich  also  der  vollen  Fruchtbarkeit  weit  mehr,  als  eine  4 1  fächrige  mit 
gleicher  Samenzahl;  erstere  hätte  durchschnittlich  7,5,  letztere  nur 
5,5  Samen  in  einem  Fache.  Diese  Durchschnittszahl,  die  man  erhält, 
indem  man  die  Zahl  der  Samen  durch  die  Zahl  der  Fächer  theilt,  ist 
für  diese  Pflanzen  das  passendste  Maass  der  Fruchtbarkeit. 

Die  Früchte  des  Abutilon  werden  hier  oft  von  kleinen,  in  ihrem 

Innern  lebenden  Raupen  heimgesucht;  fressen  dieselben  eine  grössere 

Zahl  von  Fächern  aus,  so  fällt  die  Frucht  gewöhnlich  kurz  vor  der  Reife 

ah;  wo  nur  wenige,  4,  %  oder  höchstens  3  Fächer  ausgefressen  waren, 

habe  ich  die  Gesammtzahl  der  Samen  nach  der  Zahl  derer  berechnet, 

die  in  den   unversehrten  Fächern  sich  fanden ,   also  z.   B.   für  eine 

lOHtchrigc  Frucht,  die  in  8  unversehrten  Fächern  44  Samen  enthielt, 

10.44* 

-  -'-—  =  55  Samen  angenommen. 

8 

I.  Abutilon  Tom  Caplrary. 

*  Zu  Versuchen  dienten  6  Pflanzen.  Vier  derselben  (i,  II,  III,  lY) 
sind  (Geschwister,  d.  h.  stammen  von  Samen  ein  und  derselben  Frucht, 
die  ich  im  Mai  4  868  am  Capivary  pflückte.  Die  Pflanze  V  hat  die  Pflanze 
II  zur  Mutter;  der  Vater,  sowie  die  Eltern  der  Pflanze  IV,  die  eben- 
falls aus  Samen  jener  einen  Frucht  gezogen  waren,  sind  durch  eine 
Ueberschwemmung  zerstört  worden.  Der  Vater  von  V  war  Mutter  von  VI. 


BeotnnbaugsvenKhe  aa  Abutilon-Arten. 


25 


▲batilos  nm  Capi? sry  n 
BestMiVt: 

1 

Zahl  d«r  _  ^,  . 
be«tattb-fZ»W*e'l 
ten       MlfeB 

Blamen  JF'*«!»*« 

Zahl  der  Samea  ia  eiaer 
Pracht 

Kleinste  OrOeste    Mittel 

parohMhnittlidhe 
Samea  in  einem 

Kleinste  Grösste 

Zahl  dei 
PiMbe 

Mittel 
~9,9" 

Durch  Kolibris 

? 

i4 

7 

54 

96,8 

0,8 

5,7 

mit  Blüthenstaub  des- 

selben Stockes 

4 

t 

mit  fremdem  Blüthen- 

staub der  eignen  Art 

47 

44 

90 

54 

85,7 

«.9 

5,4 

8,8 

mit  Ab.  Stria  tum 

1 

% 

97 

49 

84,5 

8,0 

4,9 

8,6 

mit  Abtttilon  Capivary- 

Stria  tum 

9 

4 

96 

8,9 

mit  Ab.  Embira 

e 

1 

99 

49 

88,8 

9,9 

4,9 

8.4 

mit  Ab.  vom  Pocinho 

7 

9 

88 

87 

85,0  ; 

;   «'7 

4.4 

8,9 

AbvtUom  Ton  CftpiTuy  UI 

' 

Durch  KoJibris 

? 

8     1 

44 

99 

45,7 

<,< 

«,« 

4,6 

mit    eignem   Blüthen- 

' 

staub 

t 

0 

. 

mit  fremdem  Blüthen- 

staub der  eigenen  Art 

9 

7 

40 

80 

98,4 

4,4 

8,0 

«,4 

mit  Abutilon  striatum 

S 

0 

mit  Ab.  Capivary-stria- 

tum  I 

'    * 

4 

99 

9,9 

mit  Ab.  Embira 

1. 

4 

94 

8,7 

Abiitilon  Tom  Cftpirmiy  lY 

1 

mit  eigenem  Blüthen- 

staub 

4 

0 

mit  fremdem  Blüthen- ; 

• 

I 

staub  der  eigenen  Art  [ 

% 

t 

56 

66 

64.0 

6,0 

6,9 

6,4 

mit  Abutilon  striatum    , 

4 

4 

^^  ^ 

47 

4,9 

mit  Ab.  Capivary-stria- 

•   f 

tum  I 
mit  Ab.  Embira 

t 

4 

4     i 

1     55 

59 

57,0 
64 

5,5 

5,9 

5,7 
6,4 

mit  Ab.  vom  Pocinho    ; 

1 

s 

«     1 

49 

49 

1 

4.4 

4.8 

«,« 

gleichzeitig  mitAb.  stri- 1 

1 

'  f  ■ 

■  1  •■ 

atumund  Ab.  Embira ! 

1 

!       4 

4 

1 

47 

<,7 

AbtttilOB  vom  CftpiTuy  Y 

1 

1 

1 

Durch  Kolibris 

? 

40 

9 

58 

95,4    1 

4,0 

5,9 

«,7 

mit  fremdem  Blüthen- 

f 

staub  der  eigenen  Art 

9 

8 

44 

57 

49,5 

4,4 

6,5 

5,» 

mit  Ab.  striatum 

-     5 

5 

89 

64 

48,9 

4,0 

6,4 

5,0 

mit  Ab.  Capivary-stria- 

tum 

5 

8 

56 

68 

59,0 

6,9 

6,4 

6.8 

mitAb.  Embira 

5 

5 

46 

58 

54,0   , 

5,4 

6,4 

6,0 

mit  Ab.  vom  Pocinho 

7 

1 

60 

69 

64,0 

6,0 

6.9 

6,4 

mit  Ab.  veiillarium 

4 

4 

47 

^7 

gleichzeitig    mit   Blü- 

1 

# 

thenstaub  der  eige- 

nen Art  u.    mit  Ab. 

Embira 

S 

« 

54 

54 

54,0 

6,7 

6,7 

6,7 

gleichzeitig     mit     Ab. 

1 

1 

Embira  und  Ab.  stria- 

1 

tum  >) 

4 

4 

69 

6,9 

4)  Wenn  gleichzeitig  Blüthenstaub  zweier  fremden  Arten  zur  Bestaubung  ver< 


'""'" 

£>hl  dar 

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Z>Mdu 

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Sl,8 

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5,3 

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70 

GS,9 

S,S 

■>,! 

6,7 

ry-stria- 

1 

1') 

17 

'.1 

ry-strta- 

t 

60 

66 

64,0 

■S,6 

6,7 

6,6 

'a 

1 

1 

IS 

SO 

10,0 

1,S 

S,6 

3,1 

ocinho 

3 

3 

>4 

SS 

S8,S 

3,7 

3,6 

3,3 

lit   Bitt- 

er oige- 

ind    Ab. 

( 

, 

«t 

7,7 

nit    Ab. 

Ab.  stri- 

* 

3 

SS 

63 

Sg,S 

6,0 

6,9 

6,9 

^,^1, 

Tis 

1 

6S 

s 

16 

84,4 

0,3 

6,9 

1,6 

Blnlhon- 

BlUtben- 

* 

" 

((nen  Art 

*7 
)9 

36 

17 

68 
70 

43,T 
46,8 

M 

^'.^ 

s!s 

ry-Blria- 

19 

l> 

36 

66 

Sl,9 

*,7 

T.* 

5,5 

ira  (e in- 
des Ab. 

Teste) 

at 

4t 

15 

61 

17,9 

l.S 

6,t 

3,9 

oolnho 

3S 

10 

<a 

63 

87,8 

6,9 

t.o 

ei  diesen  Versuchen  nur  etwa  y^  der  beelaublen  BlillheD 
lieferten  ,  so  ist  dor  Ausfall  fast  einzig  den  Verwüstungen 

r  Raupen  zuzuschreiben;  an  dem  geringen  Fruchtertrafi; 

jung  mit  dem  Abutilon  vom  Pocinho  trügt  der  Umsland 
dieselbe  während  tagelang  anhaltenden  Regenwetters  vor- 

'urde. 

inswerth  ist  nun  zunäebst  der  Unterschied  in  dem  Sanien- 

rcb  kunstliche  und  der  durch  natürlich«^  Bestäubung  erzeug- 


wurde die  eine  Halde  der  Narbeo  mit  der  oinen,  die  t weite  Hai lle 
n  Art  bestaubt.  Wo  gleichzeilig  mit  Bliilhenstaub  der  eigenen  und 
Lrt  beKlaubl  wurde ,  wurde  eine  einzige  Narbe  mit  dem  der  eigenen 
in  mit  dem  der  fremden  Art  versolicu. 

rucbt  hätte  eigentlich  aus  der  Tabelle  wegbleiben  seilen,  da  ilirc 
iavon  herrührt,  das»  eine  ungenügende  Menge  BlUthcnstaubcK  xur 
rwandt  wurde. 


BestanbaDf^STereiiehe  an  Abutilon-Arten.  27 

ten  Früchte;  erstere  hatten  durchschnittlich  4,  6,  lefztere2, 5  Samen 
im  Fach.  In  der  That  war  aber  das  Ergebniss  der  natürlichen  Bestau- 
bung durch  die  Kolibris  ein  noch  weit  ungünstigeres ,  als  es  hiernach 
zu  sein  scheint.  Die  Pflanzen  waren  (mit  Ausnahme  von  IV]  während 
der  ganzen  Dauer  der  Versuche  mit  zahlreichen  Blüthen  bedeckt;  (von 
ill.  habe  ich  am  27.  August  auf  einmal  400  Blüthen  abgeschnitten,  um 
deren  Griffelzahl  zu  untersuchen) ;  ich  entsinne  mich  nicht  eine  ältere 
Blume  gesehen  zu  haben ,  deren  Narben  nicht  reichlich  mit  Blüthen- 
staub  bedeckt  gewesen  wären,  und  doch  fiel  die  grosse  Mehrzahl ,  wohl 
wenigstens  ®/io  ab,  ohne  überhaupt  Frucht  anzusetzen.  Die  Mehrzahl 
der  Früchte  war  sehr  arm  an  Samen,  während  einige  wenige  allerdings 
in  Samenzahl  mit  den  reichsten  der  durch  künstliche  Bestaubung  erhal- 
tenen Früchte  wetteiferten.  Nach  künstlicher  Bestaubung  mit  fremdem 
Blüthenstaube  dagegen  setzten  alle  Blüthen  (mit  Ausnahme  einiger  an 
der  Pflanze  HI)  Frucht  an,  und  fast  alle  Früchte  (wieder  die  Pflanze  111 
ausgenommen)  enthielten  reichliche  Samen.  —  Schon  bei  anderen  Pflan- 
zen hatte  ich  Gärtnbe's  Meinung  nicht  bestätigt  gefunden,  dass  »künstr- 
tiche  Befruchtung  der  reinen  Arten  gewöhnlich  eine  geringere  Samen- 
zahl erzeugt,  als  die  natürliche«.  Meine  Erfahrungen  an  Abutilon  ste- 
hen zu  dieser  Meinung  GXarNBR's ,  der  sich  auf  eine  ungeheure  Zahl 
Jahrzehnte  hindurch  mit  bewundernswerthester  Ausdauer  und  Soi^falt 
fortgeführter  Versuche  stützte,  in  schneidendstem ,  jedoch  leicht  zu  er- 
klärendem Widerspruch.  GXrtnie  zog  seine  Versuchspflanzen  in  Töpfen, 
brachte  sie  während  derBlüthezeit  in  ein  geschlossenes  Zimmer,  castrirte 
sie  und  —  was  wohl  die  Hauptsache  ist  —  verwandte  wahrscheinlich 
häufig  Blüthenstaub  desselben  Stocks  zur  Bestaubung ;  darin  und  nicht 
in  der  künstlichen  Bestaubung  d.  h.  in  dem  Umstände ,  dass  statt  des 
Rückens  einer  Hummel  oder  eines  Schmetterlingsrüssels  ein  Pinsel  zur 
Ucbertragung  des  Blüthenstaubes  diente,  dürfte  die  Ursache  des  gerin- 
geren Ertrags  seiner  künstlich  bestaubten  Pflanzen  zu  suchen  sein.  •— 
Ebenso  leicht  erklärt  sich  der  geringe  Erfolg  der  natürlichen  Befruchtung 
bei  Abutilon ;  ist  ein  Kolibri  zu  einem  blüthenreichen  Busche  herange- 
flogen, so  pflegt  er  ihn,  wenn  nicht  gestört,  emsig  von  Blüthe  zu  Blüthe 
schwirrend  vollständig  abzusuchen;  ehe  er  dann  einen  anderen  Busch 
besucht,  pflegt  er  gewöhnlich  einige  Zeit  auf  einem  benachbarten  Zweig 
zu  rasten,  auch  wohl  inzwischen  die  Blumen  einer  anderen  Pflanze  ab- 
zusuchen, (in  meinem  Garten  z.  B.  die  Blüthen  einer  Manettia,  die 
nahebei  an  einer  Bauhinia  rankt  oder  die  leuchtenden  Biüthenständc 
einer  Musa  coccinca).  So  werden  nur  die  Blumen,  die  er  von  einem 
anderen  Stocke  kommend  zuerst  besucht,  eine  volle  Ladung  fremden 
Slaubes  erhalten;    alle  übrigen  bekommen  Blüthenstaub  dos  eigenen 


FrlU  XaU«, 

inlweder  rein  oder  mit  einer  mehr  oder  weoiger  erheblichen 
lg  rremden  Staubes,  —  lelzteren  aber,  wie  der  Erfolg  >eigt, 
iiier  zu  vollständiger  Befruchtung  ausreichenden  Uenge.  Da- 
enige  Früchte  und  von  diesen  wieder  nur  ein  kleiner  Theil 
ehern  Samen.  Es  wäre  dabei  aqcb  an  die  Mdglichkeit  zu 
lass  reichliche  Bestaubung  mit  eigenem  die  spätere  Befruch- 
I  fremden  Bluthenstaub  beeinträchtigt,  indem  entweder  ein- 
igang  lur  NarbenoberOkche  erschwert,  oder  audi  diese  durch 
iwirkung  des  eigenen  Bltlthenstaubes  für  fremden  unempf^ng- 
iht  wird ;  wenigstens  Letzteres  scheint  indess  kaum  der  Fall 
ioweit  ich  aus  meinen  hierauf  gerichteten ,  leider  durch  die 
[liehen  Kaupen  grosaentheils  vereitelten  Versuchen  sohüessen 
Ersteres  scheint  das  Ergebniss  einiger  Versuche  zu  sprechen ; 
von  2  jungfraulichen  frisch  aufgeblühten  Blumui  dw  Pflanze 
)  sofort  mit  fremdem ,  die  andere  erst  stark  mit  eigenem  und 
ir  darauf  mit  fremdem  Bluthenstaub  bestaubt;  erstere  gab 

1  mit  6,3,  letztere  mit  nur  4,  i  Samen  im  Fach.  An  der  Pflanze 

2  frische  Blumen  mit  Gaze  bedeckt,  nachdem  die  eine  stark 
nstaub  ihres  Slookrs  bestaubt  worden  war;  fUnf  Tage  später 
»de  mit  fremdem  Bluthenstaub  versehen ;  die  eine,  die  diesen 
ulichem  Zustande  erhalten  hatte,  lieferte  4,i,  die  andere, 
Farben  zuvor  5  Tage  lang  eigener  Bluthenstaub  gelegen  balle, 
imen  im  Fach. 

ir  ist  hervorzuheben  die  auffallende  Verschiedenheit  im  Sa- 
e  der  Pflanzen  I  bis  IV ,  die  wie  gesagt  aus  Samen  einer  ein- 
wachsenden Frucht  gezogen  sind.  Derdurchschnittliche Ertrag 
Bm  Bluthenstaub  der  eigenen  Art  war  bei  IV:  6,1  —  bei  I: 

II:  :t,8  —  endlich  bei  III:  S,i  Samen  im  Fach;  die  reichsten 
m  III  enthielten  durchschnittlich  nidit  Über  3,  die  ärmsten  von 
icht  unter  5  und  6  Samen  im  Fach.  —  1 869  habe  ich  von  der 

gar  keine  Früchte  eiiialten. '}  —  Also  nicht  blos  bei  Bastarden 
Ue^üiBon  Sprösslingen  dimorpher  und  triniorpher  Pflanzen, 
uch  bei  anderen  wildwachsenden  reinen  Arten  kommt  es  vor, 
>amen  derselben  Frucht  gezogene  POanzen  sich  sehr  ertieblich 
ucbtbarkeit  unterscheiden. 


9  uofruchtbare  PflBDie  III  ist  auch  sodU  vor  ihren  Gesohwiat«rn  va- 
Inrcb  etwas  klemers  blassere  Btumen,  durch  längere  GrilTel,  die  meist 
er  Knospe  hervortreten,  und  durch  Itieiiiore  blassere  Narben.  Sie  ist 
ra  Wuchs,  sehr  reichbtühend  und,  wie  es  scheint,  besonders  Icbenszfih, 
zwei  grosse  Deberschwemmungen  überdauert  hat,  deren  erster  meli- 
an  gleichem  Orte  wachsende  Gescbwisler  »rlegen  sind. 


Bestonbiinf^sversncbe  au  Abntiloo-Arten.  29 

In  Bezug  auf  die  Verbindung  mit  fremden  Arten  ergab  sich ,  dass 
bei  drei  Pflanzen  (II,  III,  V)  die  eine  oder  andere  fremde  Art  grösseren, 
bei  einer  Pflanze  (lY)  ebenso  hoben  Samenertrag  lieferte ,  als  die  eigene 
Art;  bei  einer  Pflanze  (VI)  war  keine  ktlnstliche  Bestaubung  mit  der 
eignen  Art  vorgenommen  worden  und  nur  bei  einer  Pflanze  (I)  überstieg 
die  Samenzahl  in  den  durch  die  eigne  Art  erzeugten  Früchten  (5,9  Sa- 
men im  Fach)  um  etwas  die  der  fruchtbarsten  Bastardverbindungen 
(mit  Abutilon  vom  Pocinho  5,2  Samen). 

Der  Satz,  dass  Kreuzung  mit  fremden  Arten  immer  weniger  Samen 
liefert,  als  Befruchtung  mit  der  eigenen  Art,  bestätigte  sich  also  nicht 
bei  obigen  Versuchen. 

Die  drei  zur  Bestaubung  verwandten  Arten  zeigten  in  Bezug  auf 
die  durch  sie  erzeugte  Samenzahl  nicht  dieselbe  Beihenfolge  bei  den  ver- 
schiedenen als  weibliche  Unterlage  dienenden  Pflanzen  des  Gapivary- 
Abutilon.  Mit  III  lieferte  Striatum  doppelt  so  viel ,  mit  V  noch  nicht  Ys 
so  viel  Samen,  wie  die  beiden  anderen  Arten.  Bei  IV  war  das  Verhält- 
niss  von  Embira  und  Striatum  dasselbe  wie  bei  V,  wogegen  das  Abuti- 
lon vom  Pocinho ,  das  mit  V  die  reichsten  Früchte  lieferte ,  bei  IV  nur 
Y5  soviel  Samen  gab  als  Embira.  Bei  II  war  der  Ertrag  für  alle  drei 
Arten  ziemlich  derselbe.  Man  vergleiche  nachstehende  [aus  den  obigen 
Tabellen  entnommene)  Zusammenstellung : 

IL  P:  3,9.  —  S:  3,6.   —  E:  3,4 

IV.  E:  6,4.  —  S:  4,9.   —  P:  4,2 

V.  P:  6,4.  -  E:  6,4.   -  S:  4,9 

VI.  S:  6,7.  —  P:  3,2.   -  E:  3,4 

Es  scheint  also  jede  einzelne  Pflanze  ihre  eigenthümliche  Empföng- 
nissfilbigkeit  (»Wahlverwandtschafta  Gartübh)  für  verschiedene  fremde 
Arten  zu  besitzen.  Doch  sind  die  Versuche  bei  weitem  nicht  zahlreich 
genug,  um  schon  jetzt  dieses  Ergebniss  als  gesichert  betrachten  zu  dürfen . 

Wirksamer,  d.  h.  samenreichere  Früchte  erzeugend  als  der  Blü- 
tbenstaub  der  eigenen  reinen  Art  erwies  sich  ebenfalls  bei  den  Pflanzen 
1,  III  und  V  der  BlUthenstaub  einer  Bastardpflanze:  Abutilon  Capivary- 
striatum  I. 

Es  würde  voreilig  sein,  aus  diesen  Ergebnissen  den  Schluss  ziehen 
zu  wollen ,  dass  im  Allgemeinen  das  Abutilon  vom  Gapivary  reicheren 
oder  ebenso  reichen  Samenertrag  liefert  mit  einer  Reihe  fremder  Arten 
und  einem  seiner  Bastarde,  wie  mit  Pflanzen  der  eigenen  Art.  Ich  ver- 
muthe  dass  in  letzterem  Falle  die  Fruchtbarkeit  meiner  Pflanzen  hinter 
der  normalen  zurüdiblieb  und  zwar  weil  alle  meine  Pflanzen  des  Ca- 
pivary-Abutilon  sehr  nahe  Verwandte  sind.    Wenigstens  aber  bieten 


3U  Friti  Hilller, 

auch  diese  Versuche  einen  neuen,  allerdings  schon  ziemlich  UherilUssi- 
gen  Beleg  dafür,  dass  die  Fruchlbarkeil  nicht  als  unlrUglicber  Prüf- 
stein der  ZusAmmengehärigkeil  verschiedener  Pflanzen  zur  selben  Art 
zu  verwcrthen  ist.  Ebenso  zeigen  sie,  dass  die  Weise  in  welcher 
Garther  (»Bastardei-zeugung «  S.  204)  die  »Wabl Verwandtschaftsgrade 
der  Arien  bei  der  Bastardbefrucbtungu  berechnete,  indem  er  das  Maxi- 
mum der  bei  Ba st» rdhe fruchtung  erhaltenen  Samen  mit  der  mittleren 
Siimenzahl  durch  »natürliche  Befruchtung«  an  wilden  Pflnnzen  entstan- 
dener guter  Früchte  verglich,  ebenso  praktisch  unbrauchbar  sein  kann, 
wie  sie  theoretisch  falsch  ist.  Soll  der  Samenertrag  durch  Blüthenstaub 
der  eigenen  und  durch  den  fremder  Arten  verglichen  werden,  so  ist  es, 
um  ein  reines  Resullat  zu  erhalten,  natürlich  unerlösslich ,  dass  alle 
übrigen  Verhilltnisse,  die  möglicherweise  jenen  Ertrag  beeinflussen 
könnten,  in  beiden  Pililen  möglichst  gleich  seien.  Beiderlei  Früchte 
müssen  entweder  von  wildwachsenden  oder  von  im  Garten  gezt^enen, 
von  in  freier  Luft  oder  von  im  Zimmer  stehenden  .Pflanzen ,  beide  von 
künstlich  bestaubten  Blumen  gewonnen  .sein ;  es  müssen  entweder  Ma- 
ximum mit  Maximum  oder  Miltelwerth  mit  Mittelwerth  verglichen  wer- 
den; ja  es  müssen  womSglich  beiderlei  Früchte  zu  gleicher  Zeit  an 
demselben  Stocke  gereift  sein.  Wollte  man  nach  GXrther's  Berech- 
nungsweise mit  dem  mittleren  Samenerlrag  der  durch  »natürliche  Be- 
fruchtung« entstandenen  Früchte  der  Pflanze  III,  [3,4  Samen  im  Fnch), 
das  Maximum  der  Samen  vergleichen,  die  der  Blüthenstaub  von  Abu- 
tilon  striatum  an  der  Pflanze  II  erzeugte,  (7,7  Samen  im  Fach],  so  würdo 
die  Fruchtbarkeit  dieser  Bastardverbindung  über  dreimal  so  gross  sein, 
als  die  der  reinen  Art  1 

Eine  letzte  befremdende  Thatsache  ist  es ,  dass  bei  den  Pflanzen 
V  und  VI  die  reichsten  FrUchle  aus  denjenigen  Blumen  hervorgingen, 
die  gleichzeitig  mit  BlUibenstaub  verschiedener  Arten  bestaubt  worden 
waren.  An  der  Pflanze  V  z.  B.  enthielten  5  durch  AbutJlon  striatum 
erzeugte  Früchte  durchschnittlich  5,0  und  keine  mehr  als  6,1  Samen; 
ebenso  viel  durch  Erobira  erzeugte  Früchte  durchschnittlich  6,0  und 
keine  mehr  als  6,4  Samen  im  Fach,  während  eine  Blume  derselben 
Pflanze,  von  deren  Narben  die  eine  Hälfte  mit  AbuUlon  striatum,  die 
andere  mit  Embira  bestaubt  wurde,  eine  Frucht  mit  6,9  Samen  im 
Fache  lieferte.  —  Einen  ähnlichen  Fall  werden  wir  unten  noch  einmal 
1  n.  —  Weitere  Versuche  werden  entscheiden  müssen ,  ob 

(  jnreichthum   nach  gleichzeitiger  Bestoubung  mit  zweierlei 

I  b  ein  blos  zufitlliger  war.   Ich  bin  geneigt,  aus  unten  anzu- 

I  IrOnden,  das  Gegcnlheil  anzunehmen. 


BeataDbiiRAarersiicht  ho  Abalilon- Arten. 


II.  AbutUoD  strlatnm. 

Ein  Abutilon ,  das  mir  »Is  strialum  beseicbnel  wurde ,  findet  sich 
hier  bisweilen  in  Giirten  angepflanzt,  wo  es  niemals  Prücble  trSgt.    leb 
besitze  davon  drei,  aus  verschiedenen  Gürten  stammende  Pflanzen,  die 
ehenralls  weder  jede  für  sich,  noch  mit  einander  gek 
men  tragen,  —  ein  Beweis,  dass  alle  drei  auf  ungeschl 
von  derselben  HutterpOanze  abstammen ,  nur  TbeilstU 
selben  Stockes  sind').     Ich  betrachte  sie  daher  im  F 
einzige  Pflanze. 

Dieses  Garten- Abutilon  wird  ebenso  fleissig,  wie  * 
Arten,  von  Kolibris  besuclit,  aber 
nicht  durch  sie  besUnubt.  Das  ver- 
schiedene  Verb  allen  derRolibris  wird 
bedingt  durch  einen  Umstand,  dem 
man  gewiss  kaum  irgend  welche 
Bedeutung  fUr  dns  Gedeihen  der  Art 
beigemessen  hatte ,  und  durch  den 
sie  doch  hier  zu  fast  vollsUindigcr 
Unrruchtbarkcit  verurtheilt  ist.  Die 
Kcichzipfel  nitmlich  sind  bclrüchl- 
lich  kurzer,  als  hei  dem  Abutilon 
vom  Capivary,  und  so  wird  es  den 
Kolibris  möglich,  die  Spitze  des 
Schnabels  am  Grunde  der  Blume 
zwischen  zwei  benachbarten  Blu- 
menblättern einzufuhren,  wobei  na- 
türlich Staubbeutel  und  Narben  un- 
beiilhrt  bleiben.  Den  Besuch  des 
Kolibris  verrathend  bleiblein  kleines 
Loch  an  der  Stelle,  wo  derselbe  die 
BlumenblUtter  auseinandergescbo- 
beohat.  (oinderbeislebendenFigur). 


t)  »Jb  l'oi  dit  cl  ]e  ler«pAle:  on  ne  jugo  de  la  ptrenti 
dilti  hcJMt  es  in  aiDom  BucIib,  das  lu  dem  OnvenUateitteD 
D**wiii  gesrhrii^ben  wurde.  Di;r  berUhmle  VerTauor  würde  n 
phatisch  proctamirton  Selio  meine  drei  Pdanzon  Für  ebenso  viel 
erkilircn  müwen.  Ja,  streng  ifenommon,  mUssb^  er  SlaubgelU! 
rinzelnrn  BlUIhe  bei  dieser  und  allen  anderen  selbst  unlrucli 
ver«chiedenen  Arten  angnhfiriK  betrochlen.  S.  FLonnira,  Bi 
U.  Darwin,     Paris  ISA«.     S.  tOt. 


BesUabangSTersuche  an  Abatilon-Arten.  33 

Somit  ist  seine  Unfruchtbarkeit  in  unseren  Gärten  nicht  dem  Klima, 
sondern  dem  Umstände  zuzuschreiben ,  dass  wir  nur  Theile  einer  ein- 
zigen Pflanze  hier  besitzen.  Dasselbe  mag  der  Grund  der  Unfrucht- 
barkeit mancher  anderen  stets  auf  ungeschlechtlichem  Wege  vermehrten 
Pflanzen  sein ,  z.  B.  des  Ingwers  und  der  süssen  Bataten ,  deren  Blü- 
thenstaub  und  Eichen  regelmässig  ausgebildet  zu  sein  scheinen.  Ebenso 
mag  es  sich  bei  manchen  in  europäischen  Gärten  unfruchtbaren  Pflan- 
zen verhalten.  In  anderen  Fällen  findet  sich  bei  solchen  Pflanzen  aller- 
dings eine  mehr  oder  weniger  bedeutende  Verkümmerung  der  Ge- 
schlechtstheile ;  so  beim  Arrow-root,  dessen  Staubbeutel  ich  stets  voll- 
kommen leer  fand.  Ja,  einige  scheinen  sich  sogar  des  Blühens  völlig 
entwöhnt  zu  haben ,  wie  mehrere  Arten  von  Dioscorea.  Die  Vaiietäten 
des  Zuckerrohrs  hat  man  danach  in  blühende  und  nicht  blühende  ein- 
getheilt. 


III.  Bastard  Abutilon  Capivary-striatain. 

Ein  grösseres  Gewicht  für  die  Unterscheidung  von  Arten  und  Varie- 
täten als  der  unvollkommnen  oder  voükommnen  Fruchtbarkeit  bei  der 
ersten  Kreuzung  legt  Gärtner  dem  Umstände  bei ,  dass  Arten-Bastarde 
in  der  ersten  Generation  fast  immer  nur  einen  einzigen  Typus  zeigen, 
während  bei  Varietäten-Bastarden  kaum  je  eine  Pflanze  der  anderen 
vollkommen  gleich  ist.  Dass  d^es  im  Allgemeinen  richtig  ist,  ist  nach 
den  so  überaus  reichen  Erfahrungen  Gärtnbr*s  nicht  zu  bezweifeln,  wie 
es  ja  auch  vom  Standpunkte  der  DARwni^schen  Lehre  sich  leicht  erklärt. 
Dass  aber  auch  dieser  Unterschied  zwischen  Arten  und  Varietäten  kein 
durchgreifender  ist,  zeigt  der  Bastard  Abutilon  Gapivary-striatum. 
Von  den  fünf  Pflanzen,  die  ich  1 869  gezogen,  trägt  jede  ihr  ganz  cigen- 
thümliches  Gepräge  in  Wuchs,  Blatt,  Blüthe  und  Frucht.  Ich  lege  eine 
Skizze  der  Blüthen  von  den  vier  zu  Versuchen  verwendeten  Pflanzen 
bei ,  zu  der  ich  noch  bemerken  will ,  dass  I  der  Biese  unter  seinen  Ge- 
schwistern und  jetzt  über  4  0  Fuss  hoch  ist ,  während  IV,  obwohl  ein 
halb  Jahr  älter ,  kaum  S  Spannen  Höhe  hat.  II  ist  ebenso  durch  die 
Länge  der  Blattstiele  wie  der  Blüthenstiele  ausgezeichnet.  Bei  I  und  IV 
(sowie  bei  der  fünften  Pflanze,  die  erst  wenige  Blumen  brachte)  strotzen 
die  Staubbeutel  von  gutem  Blüthenstaub;  bei  II  und  III  sind  sie  meist 
völlig  leer  und  farblos ,  nur  in  einzelnen  Blüthen  findet  man  in  einigen 
wenigen  Staubbeuteln  eine  geringe  Menge  Blüthenstaubes,  der  aber, 
wH>nigstens  bisweilen  (s.  8.  Abutilon  vom  Capivary  VI),  gut  ist. 

84.  VII.  4.  a  ^ 


BeiUnbaagsTHRDtb«  tn  Abalilon-ArlflD. 


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mit  Ab.  striatuin 

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mit  Ab.  Embira 

3 

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39.3 

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mit  Ab.   vom  Rio   do 

Testo 
mit  Ab.  vomPocinbo 

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4,7 

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gleicbzeitigniitAb.Vom 
Capivary     und     Ab. 
striatum 

gleichzeitig  mit  Ab.  v. 
Pocinho  UDd  Embira 

9 

4 
4 

54 
SS 

B,4 
6,4 

An  der  kümmerlichen  vierten  Pflanze,  die  nur  wenige  BlUlhen 
brachte ,  wurde  eine  Blume  mit  Abutilon  Capivary-striatum  I ,  drei  mit 
Abutilon  vom  Capivary,  eioe  mit  Abutilon  slriatum  und  eine  mit  Abu- 
tilon Embira  bestaubt;  nur  die  mit  Abutilon  striatum  bestaubte  reifte 
eine  Sföcbrige  Frucht  mit  3!>  Samen  (4,i  Samen  im  Fach). 

Betrachten  wir  zuerst  die  an  der  Pflanze  I  erhaltenen  Ei^ebnisse. 
Sie  ist ,  wie  beide  elterlichen  Arten ,  unfruchtbar  mit  ihrem  eigenen 
Blütbenstaub ;  fruchtbar  mit  dem  der  Ellem  und  des  Bastards  IV  und 
zv^'ar,  entgegengesetzt  dem  gewChnlichen  Verhalten ,  fruchtbarer  mit 
diesem,  als  mit  jenen.  Sie  lieferte  mit  dem  Bastard  IV  einen  höheren 
Samenerlrag,  als  irgend  eine  Pflanze  der  mütterlichen  Art ,  wenn  mit 
Bltltbenslaub  der  eigenen  Art  befruchtet!  Wir  haben  bereits  gesehen, 
dass  ihr  BlUthenstaub,  wenn  zur  Befruchtung  der  mUlleriichcn  Art  ver- 
wendet, meist  einen  reicheren  Samenerlrag  lieferte ,  als  der  der  reinen 
Art.    Auch  hierin  verhält  sich  diese  Pflanze  ganz  wie  ein  Variclälen- 


Die  beiden  durch  »natürliche  Befruchtung«  (wahrscheinlich  mit  BlU- 
thenstaub des  Abutilon  vom  Capivary]  entstandenen  Früchte  waren  im 
Gegensatz  zu  der  Samenarmuth  der  meisten  derartigen  Früchte  des  Ca- 
pivary-Abutilon  reich  an  Samen  und  liefern  gerade  dadurch  einen  guten 
Beleg  fUr  die  Richtigkeit  der  oben  gegebenen  EiUürung  jener  Samen- 
armuth. Sie  stammen  nämlich  von  den  ersten  Blüthen  der  Pflanze,  die 
eine  nach  der  andern  aufblühten,  also  nicht  mit  BlUthenstaub  desselben 
Stockes  bestaubt  werden  konnten.  Die  spateren  Blüthen  sind  fast  alle 
zu  künstlicher  Bestaubung  benutzt  worden. 


BestaubuDgsversache  ao  Abaiiloo-Arten.  37 

Bei  Bestäubung  mit  Einbira  fielen  meist  die  ganzen  Blttthen  oder 
wenige  Tage  nach  dem  Abfallen  der  Blumenkrone  die  jungen  Früchte 
ab ;  von  \  6  (oder  mit  Einschluss  des  Abutilon  vom  Bio  do  Teste,  von  1 9] 
Blüthen  wurden  nur  2  reife  Früchte  erhalten. 

Die  Pflanzen  II  und  HI ,  die  von  männlicher  Seite  fast  vollkommen 
unfruchtbar  waren,  lieferten,  wie  die  Tabelle  nachweist,  ebenfalls  einen 
ziemlich  reichen  Samenertrag;  aulTallend  ist,  dass  bei  ihnen  die  Bestau- 
bung mit  Embira  viel  leichter  anzuschlagen  schien ,  als  bei  der  ersten 
Pflanze:  von  3  und  4  bestaubten  Blumen  wurden  2  und  3  Früchte 
geemtet. 

Bei  der  Pflanze  ill  wiederholt  sich  die  Erscheinung,  dass  die  reich- 
sten Früchte  durch  Bestaubung  mit  zweierlei  Blüthenstaub  erzielt  wur- 
den. Das  Abutilon  vom  Capivary  erzeugte  durchschnittlich  5,1,  stria- 
tum  3,7  Samen  im  Fach;  beiderlei  Blüthenstaub  vereinigt  gab  5,4  Sa- 
men. Ja  während  Abutilon  Embira  durchschnittlich  4,2  —  das  Abutilon 
vom  Pocinho  4,7  Samen  lieferte,  fanden  sich  in  einer  durch  Blüthenstaub 
dieser  beiden  Arten  -erzeugten  Frucht  6,4  Samen.  Dies  war  überhaupt 
die  samenreichste  unter  \  9  Früchten ,  die  von  dieser  Pflanze  geemtet 
wurden. 

Unter  den  Früchten  der  dritten  Pflanze  findet  sich  eine  sehr  arme 
mit  nur  1  i  Samen ,  die  aus  der  Tabelle  hätte  wegbleiben  sollen ;  die 
Blume  war  mit  einer  unzureichenden  Menge  von  Blüthenstaub  aus  einem 
einzigen  zweifächrigen  Staubbeutel  bestaubt  worden,  wie  solche  einzeln 
fast  in  jeder  Blülhe  des  Bastards  I,  sowie  der  mütterlichen  Art  (des  Ca- 
pivary-Abutilon)  vorkamen. 

Bemerkenswerth  ist  noch  das  Verhalten  der  Bastardpflanzen  gegen 
Blüthenstaub  von  Abutilon  striatum  und  von  Embira.  Keine  Bestau- 
bung schlug  sicherer  an,  als  die  mit  Abutilon  striatum,  der  väterlichen 
Art,  ~  keine  schwieriger,  als  die  mit  Embira.  ^  12  Blumen,  mit  Abu- 
tilon striatum  bestaubt,  lieferten  eben  so  viel  Früchte;  die  einzige  Frucht, 
die  an  der  Pflanze  IV  reifte,  war  dieses  Ursprungs.  Von  31  Blumen 
dagegen,  die  mit  Embira  (einschliesslich  der  Abart  vom  Bio  do  Teste) 
bestaubt  wurden,  wurden  nur  7  Früchte  erhalten.  Diese  Früchte  aber 
waren  samenreicher  (4,4) ,  als  die  durch  Abutilon  striatum  erzeugten 
(3,9}.  Am  auflallendsten  tritt  dieses  Verhältniss  bei  dem  Bastard  I  her- 
vor, wo  19  Blumen  mit  Embira  bestaubt  S  Früchte  mit  durchschnitt- 
lich 4,9  ,  dagegen  5  Blumen  mit  striatum  bestaubt  auch  5  Früchte  mit 
durchschnittlich  4,0  Samen  im  Fach  gaben.  Nicht  immer  entspricht 
also  der  grösseren  Leichtigkeit,  mit  der  die  Befruchtung  angenommen 
wird ,  auch  ein  grösserer  Samenreichthum.  Dasselbe  gilt  wohl  über- 
haupt für  alle  bei  der  Fruchtbarkeit  der  Pflanzen  in  Betracht  kommen- 


Bestaabougsversaebe  an  Abatüon-Arten.  39 

Von  den  sehr  zahlreichen  durch  ii^naiürliche  Befruchtung«  entstan- 
denen Früchten  wurde  nur  ein  kleiner  Theil  untersucht;  dasErgebniss 
ist,  wie  man  sieht,  dasselbe  wie  bei  dem  Abutilon  vom  Capivary,  indem 
sie  im  Durchschnitt  nur  etwa  halb  so  viel  Samen  enthalten,  wie  künst- 
lich befruchtete. 

Bei  Bestaubung  mit  Blüthenstaub  desselben  Stockes  fiel  nur  in  drei 
Fällen  3 — 4  Tage  nach  der  Bestaubung  die  ganze  Blüthe  ab,  in  9  Fällen 
4^8  Tage  nach  der  Bestaubung  die  junge  Frucht;  in  einem  Falle  hielt 
sich  die  Frucht  21  Tage.  Die  Unempfänglichkeit  für  die  Bestaubung 
mit  eigenem  Blüthenstaube  ist  also  keine  so  vollkommene,  wie  bei  dem 
Abutilon  vom  Capivary. 

Wenn  auch  die  Befruchtung  mit  Blüthenstaub  der  Arten  vom  Ca- 
pivary und  vom  Pocinho ,  sowie  des  Bastards  Abutilon  Capivary-stria- 
tum  I  noch  einen  höheren  Samenertrag  lieferte ,  als  die  »natürliche  Be- 
fruchtung«, so  steht  doch  weit  mehr  als  bei  dem  Capivary-Abutilon  der 
Ertrag  der  Bastardfrüchte  gegen  den  der  künstlich  mit  Blüthenstaub 
der  eigenen  Art  befruchteten  zurück.  Ob  etwa  die  grössere  Geneigtheit 
des  Capivary-Abutilon,  Bastardbefruchtung  anzunehmen ,  im  Zusam- 
menhang steht  mit  dessen  vollständiger  ausgeprägter  Selbstunfrucht- 
barkeit, kann  nur  durch  weit  umfangreichere  Versuche  an  zahlreichen 
auf  ihr  Verhalten  zum  eigenen  Blüthenstaube  genau  geprüften  Arten 
entschieden  werden.  Doch  mag  erinnert  werden  an  die  Schwierigkeit 
der  Bastarderzeugung  in  der  derselben  Familie  angehörigen  Gattung 
Hibiscus,  deren  Arten,  soweit  meine  Erfahrung  reicht,  vollkommen 
fruchtbar  sind  mit  eigenem  Blüthenstaube ,  sowie  andererseits  an  die 
überraschende  Leichtigkeit,  mit  der  fernstehende  selbstunfruchtbare 
Arten  von  Vandeen  sich  kreuzen  lassen. 

So  weit  der  Bericht  über  den  Samenertrag  meiner  Bestaubungs- 
versuche.  Ich  schliesse  ihm  als  nothwendige  Ergänzung  einige  Worte 
an  über  die  aus  dem  Samen  gezogenen  jungen  Pflanzen. 

Im  April  ^  869  hatte  ich  frischen  hier  geernteten  Samen  von  drei 
verschiedenen  Früchten  des  Capivary-Abutilon  ausgesät.  Die  Pflanzen, 
durch  deren  Erzeugung  ich  diese  Früchte  erhalten  hatte ,  waren  Ge- 
schwister, aus  Samen  derselben  Frucht  gezogen.  Nur  2  Pflänzchen 
gingen  auf  von  1 80  Samen ;  (es  sind  die  oben  mit  V  und  VI  bezeich- 
neten Pflanzen) .    Ich  schrieb  dies  damals  der  Ungunst  der  Witterung 


der  Kolibrig  angehtf  ufl  fanden,  hat  man  gewiss  mit  Recht  geschlossen,  dass  Insecten 
einen  wesentlichen  Bestandtheil  ihrer  Nahrung  bilden  und  nicht  blos  zuföUig  mit 
dem  Honig  eingeschlUrft  werden.  Wenn  man  aber  nun  umgekehrt  behauptet  hat, 
dass  d«*   ~  *        -*  lufällig  mit  den  Insecten  aufgenommen  wurde,  so 

liegt  Beweises  vor. 


40  FriU  maUer, 

oder  der  unpassenden  Jahreszeit  zu.   —  Nun 

Ernte,  über  die  ich  so  eben  berichtet,  Samen  vo 

ten  ausgesät  und  fast  alle  haben  reichliche  und 

ferl.    Zu  gleicher  Zeit  und  an  gleicher  Stelle  n 

auch  sieben  verschiedene  Aussaalen  des  Capivary-ADuuion  gemacbt 

und  Kwar: 

1)  zwei  Aussaaten  von  %  Frttditen  der  PQanze  V,  erzeugt  durch 
BlUthenstaub  ihres  Oheims  III.  —  GcsSt  am  i.  Octobor,  gin- 
gen nach  1 4  Tagen  reichliche  Pflanzen  auf,  die  aber  bis  jetzt 
nicht  sehr  kräftig  wachsen. 

2)  vier  Aussaaten  von  Früchten  der  Pflanze  I,  erzeugt  durch 
BlUthenstaub  ihres  Bruders II.  —  Zwei  Aussaaten  vom  1.  OcU>- 
ber  keimten  nach  St,  eine  vom  30.  October  nach  18,  eine 
vom  24.  Oclober  nach  21  Tagen.  —  Mehr  als  200  Samen  lie- 
ferten kaum  über  ein  Dutzend  so  schwächlicher  Pflänzchen, 
dass  nur  4  die  ersten  Wochen  Überlebten  und  bis  heute  ein 
sehr  kümmerliches  Wachstbum  zeigen']. 

1]  Das  Missrathen  dieser  AnssiiBl«n  war  mir  sebr  verdriesslich ,  da  sie  zu  Be* 
obachlungenübordioVererbnDgderEieenUiomlichkciten  einzelner  Blüllienbesliramt 
waren.  Ein  ähnliches  Miasgcschick ,  vcranlesst  durch  Uoberscliwemmung ,  DUrrc, 
Ranpenfrass ,  Ameisen  u.  s.  w.  hat  bisher  fast  alio  meine  derartigen  Veraache  ver- 
eitelt. Das  Wenige ,  was  ich  hierüber  in  Bezug  auf  Abutilon  zu  sagen  habe ,  mag 
hier  eine  Stelle  flndeo. 

Die  Zahl  der  Griffel  ist  bei  dem  Caplvary-Abntilon ,  wie  bei  anderen  Ai 
eine  sehr  schwankende.  Die  Pflanio  VI  wurde  aus  Samen  einer  9  grifft 
Blume  gezogen,  die  mit  BlUthenstaub  einer  anderen  eboDfalls  Sgriffligen  Bl 
befruchtet  wer;  bei  ibr  herrseben  nun  die  Sgriffligen  Blütben  entschieden 
ich  finde  S8  Früchte  dieser  Pflanze  verzeichnet,  von  denen  4  8  ftichrig,  U  9  t&c 
und  10  lO^chrig  waren;  danach  würdca  die  Sgriffligen  Blüthen  KO/g,  die  9^ 
ligen  B3%,  die  tOgriffligon  S6D/ubildcn.  Leider  ist  ein  Voi^leicb  mit  den  dl 
eine  (Jobersch  wem  mang  zerstörten  Ellem  nicht  mehr  mfiglicfa.  Bei  drei  i 
lebenden  Geschwistern  dieser  Ellern ,  den  Pflanzen  I,  II,  111  fanden  sich  u 
100  Blütben 

bei  1      bei  11    bei  111 
mit     7  Griffeln:     0  0  I 


-    H        -  18  6  S 

An  der  Pllanze  I  wurde  sogar  einmal  eine  Blume  mit  11  Griffeln  beobacl 
(Man  muss  beim  Zählen  der  Griffel  die  Bohre  der  verwachsenen  Staubfäden 
schlitzen,  in  der  sich  nicht  selten  einzelne  Griffel  verbergen ;  dadurch  wird  es 
etwas  zeitraubende  Arbeit.) 


BesUuboiigsirersuGbe  an  Abutilon-Arteu.  4] 

3)  eine  Aussaal  von  Samen  einer  Frucht  der  Pflanze  IV,  erzeugt 
durch  Blttthenstaub  ihres  Bruders  II,  am  1 1 .  October.  —  Erst 
nach  einem  vollen  Monat,  am  4  4 .  November  zeigten  sich  einige 
PflSinzchen.  Ob  von  den  56  Samen  Überhaupt  mehr  als  zwei 
gekeimt  haben  (soviel  Pflanzen  sind  noch  vorhanden) ,  kann 
ich  nicht  sagen.  Die  Pflänzchen  zeigen  ein  etwas  kräftigeres 
Wachsthum,  als  die  unter  2,  erwähnten. 

Ich  darf  nicht  unterlassen  anzuführen ,  dass  die  Samen  der  einen 
noch  nicht  einmal  ganz  reifen  Frucht,  die  ich  vom  Capivary  mitgebracht 
hatte  und  die  so  verschrumpft  wareii,  dass  sie  des  Säens  gar  nicht 
wcrth  schienen ,  gut  aufgingen.  Ich  glaube  nicht  zu  irren ,  wenn  ich 
das  verspSlete  Keimen  nur  weniger  Samen  der  Pflanzen  I  und  IV,  und  die 
Schwächlichkeit  der  Sämlinge  dem  Umstände  zuschreibe,  dass  diese  Sa- 
men durch  Geschwister  der  betreffenden  Pflanzen  erzeugt  worden  waren, 
so  dass  also  bei  diesem  Abutilon  nicht  nur  die  Bestaubung  mit  Blüthen- 
staub  desselben  Stockes  völlig  wirkungslos  wäre,  sondern  auch  die 
Befruchtung  durch  die  nächsten  Verwandten  zwar  ziemlich  reichlichen 
Samen,  aber  nur  wenige  schwächliche  Nachkommenschaft  erzeugen 
würde.  Ich  gedenke  diesen  Punkt  noch  femer  ins  Auge  zu  fassen  und 
kann  den  Wunsch  nicht  unterdrücken ,  dass  auch  mit  anderen  selbst 
unfruchtbaren  Pflanzen  ähnliche  Versuche  angestellt  werden  möchten. 

An  den  meisten  meiner  Versuchspflanzen  hatte  ich  einzelne  Blumen 
gleichzeitig  mit  Blüthenstaub  zweier  verschiedenen  fremden  Arten  be- 
staubt (und  zwar  eine  gleiche  Zahl  Narben  mit  jeder  Art) .  Wie  erwähnt 
hatte  ich  von  solchen  Blumen  mehrfach  besonders  samenreiche  Früchte 
erhallen.  Diese  Versuche  waren  angestellt  worden,  um  durch  sie  nach 
G:iETifBi^8  Vorgang  über  den  »Grad  der  sexuellen  Verwandtschaft  der 
beiden  Arten  zu  der  weiblichen  Unterlage«  zu  entscheiden,  falls  der 


Die  Pflanze  V  stammt  von  einer  Qgriffligen  Blume  von  II,  befruchtet  mit  Blü- 
thenstaub einer  H  grifTligen  Blume  der  Mutter  von  VI;  bei  ihr  fanden  sich  unter 
400  Blumen 

mit    7  Griffeln  2 

-  8-87 

-  9-88 

-  40         -      84 

-  44         -        « 

Beim  Vergleich  mit  der  Mutterpflanze  (II)  fällt  auf,  dass  sich  das  Verbältniss 
der  9 grifTligen  zu  den  40griflnigen  Blumen  fast  gerade  umgekehrt  hat;  bei  der 
Mutter  ist  es  etwa  9:40,  bei  der  Tochter  etwa  44:9.  —  AufTallcndcr  noch  ist  die 
grosse  Zahl  von  Blumen  (fast  SOO/q)  mit  weniger  als  9  Griffeln ,  während  die  Muttor 
solcher  Blumen  nur  30/0  und  darunter  r  'ffoln  brachte. 


Fri 

rlrag  darUl>er  in  Zweifel 
DUD  ein  ganz  uncrwartc 
's  froheren  Erfahrungen 
>i  i  gteichzeiliger  Beslaut 
wa  «der  eine  Pollen  eint 
ere  aber  eine  anderoi, 
tUDg  durch  eino  von  den 
;en  Pollen,  welcher  die 
len  Unterlage  halte  u  [GXr 
.  36).  Der  treffliche  Gia- 
en  Arten  als  gültig  auszus 
Hbkbebt  die  beü-efTcndcr 
nun ,  soweit  ich  bis  jetzt 
cugung  von  zweierlei  Ba 
b  dies  für  jelzl  nur  für 
staub  von  Embira  zugleic 
g  kam.  Denn  schon  fast 
B  Bastarde  der  Embira  s 
a  Blattern  zu  erkenneii. 
alle  an : 
)  Eine  Frucht  von  Slrialui 

bira,  lieferte  6  Sämlinge 

Striato-Embira. 
)  Eine  Frucht  des  Capivai 

bira  undStriatum,  liefer 

linge  Capivary-striatum 
)  Eine  Frucht  des  Capiva 

ferto  3  Sämlinge  Capiva 
)  Eine  Frucht  des  Capivai 

6  Capiva ry-Embira,  5  ( 
)  Eine  Frucht  derselben  I 

linge  Capivary-Embira, 
Betreff  der  vier  ersten  Fi 
alte ,  die  zu  dicht  stehen« 

1  dass  daher  die  Hehrzahl  bei  einer  anhaltenden  Trockniss  tu 
ging;  die  oben  g^ebene  Zahl  der  Übrig  gebliebenen  ist  zu  ge- 
rn weitere  Betrachtungen  daran  zu  knUpfen.  Dagegen  verdient 
fte  Fall  noch  eine  besondere  Besprechung.  Ich  hatte  in  diesem 
le  Samen  jedes  Faches  besonders  ausgesät  und  dabei  die  Ord- 
in  der  die  Fächer  aneinander  stiessen,  bemerkt.   Die  Sämli«"? 


BesUubnngSTersuche  an  Abutilon- Arten. 


43 


,-^ri- 


\> 


1.1 


Xoo 

"o^X 

/  \oo 

•x       \ 

y*     \ 

c       *         1 

•X  o  o  / 

\    X  o 

oo\  / 

o^oy 

aus  eiDem  der  8  Fächer 
siod  leider  alle  jung  um- 
gekommen. Ich  stelle 
das  Ergehniss  wohl  am 
anschaulichsten  in  einer 
Figur  dar,  in  welcher 
schwarze  Kreise  die  Ba- 
starde Capivary  -  Em- 
bira,  weisse  Kreise  die 

Bastarde  Capivary-striatum  vorstellen  mögen.  Man  sieht,  der  Blttthen- 
staub  von  Embira  hat  seine  Einwi^ung  auf  vier  Fächer  beschränkt, 
wahrscheinlich  dieselben ,  deren  Narben  mit  ihm  belegt  worden  waren, 
während  der  BlUihenstaub  des  Abutilon  Striatum  seinen  Einfluss  über 
die  ganze  Frucht  ausgedehnt  hat^).  Ich  stelle  daneben  eine  Figur, 
welche  die  Zahl  der  Samen  in  den  einzelnen  Fächern  der  Frucht  zeigt, 
von  der  diese  Sämlinge  stammen.  Die  4  Fächer  rechts  sind  samenreicher 
(32),  als  die  4  Fächer  links  (23).  Die  Zahl  der  Eichen  bei  diesem  Abu- 
tilon ist  8  bis  9  im  Fach ;  in  3  oder  3  Fächern  der  rechten  Seite  sind 
also  sämmtliche  Eichen  befruchtet  worden.  Ob  die  samenreichen  Fächer 
die  sind,  auf  welche  zweierlei  Blüthenstaub  einwirkte,  kann  ich  leider 
nicht  sagen.  Man  lernt  ja  gewöhnlich  erst  im  Verfolg  einer  Untersu- 
chung alle  Umstände  kennen,  auf  die  zu  achten  von  Werth  sein  kann. 
Wenn  aber  Früchte,  durch  Blüthenstaub  zweier  fremden  Arten  erzeugt, 
sich  samenreicher  erwiesen,  als  solche,  die  dem  Blüthenstaube  der 
einen  oder  andern  dieser  beiden  Arten  ihre  Entstehung  verdankten ,  so 
scheint  es  allerdings  wahrscheinlich,  dass  in  diesen  Früchten  diejenigen 
Fächer,  auf  welche  zweierlei  Blüthenstaub  einwirkte,  mehr  Samen  ent- 
halten werden  als  die ,  in  welchem  nur  einerlei  Blumenstaub  sich  gel- 
tend machte. 

Die  Thatsache ,  dass  bei  Abutilon  aus  solchen  Früchten  zweierlei 
Bastarde  hervorgehen ,  scheint  eine  einfache  Erklärung  ftlr  deren  grös- 
seren Samenreichthum  zu  bieten  und  eben  deshalb  möchte  ich  diesen 
nicht  für  blos  zufällig  halten.  Der  Mangel  an  »Wahlverwandtschaft«,  um 
mich  des  bequemen  Ausdrucks  von  Gärtner  zu  bedienen ,  giebt  sich 
nicht  selten ,  besonders  bei  völlig  unfruchtbaren  Verbindungen ,  schon 
auf  der  Narbe  kund,  indem  Narbe  und  Blüthenstaub  entweder  gar  nicht, 


i)  Es  ist  durch  GXsthir  bekannt,  dass  man  von  einer  einzigen  Narbe  aus  alle 
Köcher  eines  mehrföcbrigen  Fruchtknotens  befruchten  kann  ;  bei  dem  Abutilon  vom 
Captvary  habe  ich  dasselbe  beobachtet.  Die  Verschmelzung  getrennter  Carpelle 
zu  einem  einzigen  Fruchtknoten  ist  daher  nicht  blos  ein  »morphologischer  Fort- 
a/^»»riu«,  sondern  von  wesentlichem  Nutzen  für  die  Befruchtung  der  Pflanzen. 


foiiinien  vod  noiytia. 


BesUabungsversnche  an  Abntilon-Arien.  45 

der  Pflanze  V  eine  Narbe  mit  Blüthenstaab  der  Pflanze  II ,  die  sieben 
übrigen  Narben  mit  Blüthenstaub  von  Embira  bestaubt ;  aus  dem  Sa- 
men der  so  erhaltenen  Frucht  habe  ich  40  Sämlinge  gezogen,,  von  denen 
9  Bastarde  (Abutilon  Capivary-Embira)  sind  und  nur  einer  der  reinen 
Art  (Abutilon  vom  Capivary)  angehört. 

Nach  der  Meinung  KöLasuTBR's  und  Hbrbbrt's  sollen  »bei  einer 
Vereinigung  einer  geringen  Menge  des  eigenen  mit  einer  grösseren  eines 
fremden  BefruchtungsstofiTstt  Varietäten  (Kölrbutbr's  »Tincturen  oder 
halbe  Bastarde«)  hervorgebracht  werden  können,  die  »zwar  keine  wirk- 
lichen Hybriden  wären ,  aber  in  einem  gewissen  Grade  von  der  natür- 
lichen Form  abweichen«.  Gärtner  bestreitet  diese  Möglichkeit  aufs  Entr- 
schiedenste.  Bei  der  Leichtigkeit,  mit  der  sich  bei  ihnen  zweierlei 
Samen  in  derselben  Frucht  erzeugen,  dürften  die  in  Gärten  jetzt  so  zahl- 
reich vertretenen  Abutilon-Arten  besonders  geeignet  sein,  solche  »Tinc- 
turen« entstehen  zu  lassen,  deren  Möglichkeit  ich  trotz  allen  Versuchen 
und  Gegengründen  Gärtnbr's  nicht  von  vornherein  in  Abrede  stellen 
möchte.  Der  Blüthenstaub  wirkt  ja  nicht  nur  auf  die  Eichen,  sondern, 
wie  u.  A.  HiLDBBRAND^s  Vcrsuchc  an  Orchideen  beweisen,  auch  auf  den 
ganzen  Fruchtknoten.  Dass  aber  ein  Fruchtknoten ,  auf  den  zweierlei 
Blüthenstaub  eingewirkt,  eine  der  Eigenthümlichkeit  der  beiden  Pollen- 
arten  entsprechende  Rückwirkung  äussern  könne  auf  die  in  ihm  rei- 
fenden Samen,  scheint  mir  nicht  unwahrscheinlich,  wenn  ich  an  das 
bekannte  Beispiel  von  Lord  Morton's  arabischer  Stute  denke,  die  von 
einem  Quagga -Hengste  einen  Bastard  geboren  hatte  und  später  von 
einem  schwarzen  arabischen  Hengste  zwei  Füllen  warf,  deren  Beine 
noch  deutlicher  gestreift  waren ,  als  die  des  Bastards ,  ja  als  die  des 
Quagga  selbst. 

Auch  in  dieser  Beziehung  dürften  daher  weitere  Versuche  an  Abu- 
lilon-Arten  Über  den  Erfolg  der  gleichzeitigen  oder  successiven  Bestau- 
bung mit  verschiedenen  Pollenarten  wünschenswerth  erscheinen. 

Itajahy,  Sa.  Gatharina,  Brazil , 
im  Januar  4871. 


iber  den  Ban  nad  die  Entwickelnng  des 
esc-NaBtels  der  ToBicatcn. 

e  akademische  Preisschrift 
von 

Oskar  Hertwig, 

Hierzu  Taf.  IV.  V.  VI. 

jmerknngeD  fiber  den  Cellnlose-Mantel 
der  Tanicaten. 

md  interessaaten  EigenthUmlichkeiten ,  welche 
licalen  auszeichnen ,  sieht  nächst  der  Embryo- 

nioq)hologiscfae  und  chemische  BeschsETenhelt 
leihe.  Dieser  Hantel,  die  Tunica ,  von  der  die 
irl,  ist  daher  auch  schon  Gegenstand  vielfacher 
n.  Seitdem  zuerst  im  Jahre  1 845  Kabl  Schiidt 
el  das  Vorkommen  von  Cellulose  im  Thi erreiche 
irch  die  Aufmerltsamkeit  der  Forscher  auf  diesen 
•den  ist,  sind  mehrere  grossere  Arbeiten  über 
hemische  Beschaßenheit  des  Tunicaten-Hantels 

Die  erste  eingehende  chemische  und  mikro- 
,  welche  sich  Über  eine  sehr  grosse  Anzahl  von 
i  den  verschiedensten  Gruppen  erstreckte,  ver- 

KöLLiKEK.  Ihre  in  den  Annales  des  sciences 
3ne  Arbeit  bildete  lange  Zeit  die  Hauptquelle  für 
feineren  histologischen  Bau  des  Tunicalen- 
htungen  sind  unverändert  In  das  zusammen- 
ur  die  Organisation  der  Weichthicre  von  Bkonn 
a.     An  die  Arbeit  KüLLtKSB's  sich  anschliessen 


i 


UntersnetiDDgen  Aber  d.  Baa  d.  die  EntwiokeloDg  des  Cellnlose-Mantels  der  Tnnieaten.   47 

veröffentlichte  H.  Schacht  in  Müllbr's  Archiv  4854  eine,  dieselbe  in 
einigen  Punkten  ergänzende  Untersuchung  des  Mantels  von  Phallus  ia 
mammillata  und  Gynthia  microcosmus. 

Die  neueste  Behandlung  desselben  Gegenstandes  liegt  uns  in  einer 
mit  den  Httlfsmitteln  der  neueren  Mikroskopie  und  besonders  mit  stär- 
keren VergrOsserungen  ausgeführten  Arbeit  von  Franz  Eilhabd  Schulze 
vor:  lieber  die  Structur  des  Tunicatenmantels  und  sein  Verhalten  im 
polarisirtem  Lichte  (Zeitschrift  für  Zoologie  von  Sibbold  und  Köllikbr 
1863).  In  derselben  ist  namentlich  die  Bedeutung  der  von  Köllikbr 
und  Schacht  als  Kerne  beschriebenen  Gebilde  als  Bindegewebskörper- 
chen  richtig  gewürdigt  worden.  Doch  bin  ich  in  Betreff  der  daselbst 
aufgestellten  Histiogenese  und  der  Natur  der  sogenannten  Hohlzellen  im 
Phailusienmantel  zu  ganz  entgegengesetzten  Ansichten  gekommen;  daher 
werde  ich  auf  diese  Arbelt  später  noch  näher  eingehen  müssen.  Zer- 
streute Angaben  finden  sich  noch  in  Vogtes  ,  Lbugkart's  und  Huxlbt's 
Untersuchungen  über  Salpen  und  Pyrosomen. 

lieber  die  embryonale  Entstehung  des  Mantels  liegen  in  Milnb  Ed- 
wards', Krohn's,  Kowalbwskt's  und  Kupfpbr's  Arbeiten  kurze  Mittheilun- 
gen vor ,  die  trotz  mancher  Widersprüche  im  Einzelnen  doch  alle  im 
Wesentlichen  dahin  gehen,  dass  der  Cellulosemantel  als  eine  persistente 
embryonale  Hülle  aufzufassen  sei.  Endlich  hätte  ich  noch  auf  die 
betreffenden  Abschnitte  in  Bronnes  »Classen  und  Ordnungen  der  Weich- 
thiere«  und  auf  die  kurzen  Notizen  in  Gbgbbbaur's  vergleichender  Ana- 
tomie (IL  Aufl.  p.  4  66  u.  4  69)  zu  verweisen. 

Trotz  der  verhältnissmässig  grossen  Anzahl  von  Detailuntersuchun- 
gen ist  Vieles  in  Bau  und  morphologischer  Bedeutung  des  Tunicaten- 
mantels noch  unklar  geblieben ,  Vieles  in  den  Angaben  der  verschiede- 
nen Beobachter  widersprechend. 

Um  diese  Widersprüche  und  Unklarheiten  zu  beseitigen ,  hatte  die 
philosophische  Facultät  der  Universität  Jena  zur  Bewerbung  um  den 
Preis  der  Herzoglich  Sachsen  -  Altenburgischen  Josephinischen  Stiftung 
für  das  Jahr  4870  die  Aufgabe  gestellt:  »Durch  neue  selbstständige 
Untersuchungen  soll  die  Morphologie  der  Tunicaten  und  insbesondere 
die  Entwickelungsgeschichte  ihres  Mantels  aufgeklärt  werden.« 

In  der  Hofihung,  diese  Aufgabe  lösen  zu  können,  unternahm  ich 
die  nachstehend  mitgetheilten  Untersuchungen ,  welche  den  dafür  aus- 
gesetzten Preis  erhielten.  Die  meisten  Beobachtungen  wurden  an  einer 
Reihe  von  wohlerhaltenen  Spiritus-  Exemplaren  aus  dem  zoologischen 
Museum  in  Jena  angestellt.  Ich  verdanke  dieselben  der  Güte  meines 
verehrten  Lehrers,  Herrn  Professor  Habckbl,  dem  ich  hierbei  zugleich 
für  seine  freundschaftliche  Unterstützung  meinen  herzlichsten  Dank 


48  OsVar  tlertwig, 

ausspreche.  Später  erhielt  ich  dann  noch  wahrend  eines  dreiwöchent- 
lichen Aufenthaltes  auf  der  Insel  Lesina ,  an  der  KUsle  des  stldlicben 
Dalntatiens ,  treffliches  Material  von  lohenden  Äscidien ,  nn  denen  ich 
die  durch  Untersuchung  der  Spiritus- Präparate  gewonnenen  snatomi- 
scben  Resultate  noch  einmal  nachprüfen  konnte.  Zugleich  fand  ich 
dabei  die  erwünschte  Gelegenheit,  die  embryonale  Ent Wickelung  und 
erst«  Entstehung  des  Mantels  zu  studiren. 

Bei  diesen  Studien  Hess  ich  auch  die  übrige  Entwickelung  des 
Ascidien-Eies  nicht  ausser  Acht.  Das  hohe  Interesse,  welches  die  Bluts- 
verwandtschaft der  Äscidien  und  der  Wirbeltbiere  in  den  letzten  Jahren 
erregt  hat,  veranlasst«  mich ,  bei  dieser  Gelegenheit  jenem  hochwich- 
tigen Gegenstände  meine  besondere  Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Da 
ich  an  der  Hand  der  jUngst  erschienenen  vortreSlichen  Arbeit  Kowa- 
lbwskt's  jedes  Stadium  der  embryonalen  Äscidien -Entwickelung  mit 
seinen  Abbildungen  zu  vergleichen  suchte,  so  will  ich  es  hier  nicht 
unerwähnt  lassen,  dass  ich  die  daselbst  gemachten  Angaben  in  der 
Hauptsache  vollkommen  bestätigt  fand.  Demnach  mtlssen  die  kürzlich 
van  DöNiTZ  in  einer  oberflächlichen  Hittheilung  in  Reichert's  Archiv  er- 
hobenen Zweifel  in  die  Genauigkeit  der  KowALHWSKv'schen  Untersuchun- 
gen völlig  ungerechtfertigt  erscheinen.  Die  von  Dönitz  daran  geknUpfk> 
anspruchsvolle  Polemik  zeugt  von  eben  so  viel  Mangel  an  Kennlniss^ 
wie  an  Verständniss  des  Objectes.  Derselbe  hat  den  ausftlhriichcn,  mit 
grosser  Sorgfalt  und  Ausdauer  angestellten  Beobachtungen  von  Kowa- 
LEwsKT  weder  genaue  eigene  Untersuchungen,  noch  irgend  begründete 
Einwände  anderer  Art  entgegenzustellen  vermocht.  Daher  müssen  seine 
g^entheiligcn  Behauptungen  völlig  haltlos  erscheinen. 

Ich  wende  mich  jetzt  zunächst  zur  Darstellung  meiner  Beobach- 
tungen über  den  Bau  des  Tunicatenmantels.  Ehe  ich  mich  jedoch  auf 
histologische  Details  einlasse,  halte  ich  es  für  zweckentsprechend,  zuvor 
das  Verhaltniss  dos  Mantels  zum  übrigen  Organismus  in  Kürze  zu  er- 
örtern. In  Betreff  dieses  Verhältnisses  variiren  die  Angaben  noch  so 
sehr,  dass  eine  richtige  Würdigung  desselben  der  eingehenderen  Be- 
trachtung des  Mantels  selbst  vorausgeschickt  werden  muss. 


2.  Verhaltniss  desCellulose-Kantels  zum  Bbrigen  Organismus. 

Die  Körperwand  der  Tunicalen  wird  am  zweckmitssigsten  in  zwei 
Schichten  getbeill:  i)  eine  äussere  Schicht,  welche  nur  aus  Bindege- 
webe besteht  und  die  von  Schhirt,  Lüwic,  und  Kölliker  nachgewie- 
sene Cellulose  Reaction  liefert,  und  %)    eine  innere  Schicht,  die  tbeils 


Unteimiehongen  Aber  d.  Ban  ii.  die  ßntwiekelnng  des  Celliilose-Mantels  der  Tnnieaten.    49 

aus  Bindegewebe ,  theils  aus  darin  eingelagerten  Muskelfasern  und  Ge- 
rissen zusammengesetzt  ist. 

Für  die  äussere  Schicht  findet  man  in  der  Literatur  die  Benennun- 
gen :  Tunica  externa ,  Geliulosemantel  und  Testa ,  für  die  innere  die 
Benennungen:  Timica  interna  und  Muskelschiauch.  Die  von  Milnk 
F^WARDS  als  dritte  Tunica  beschriebene  innerste  Membran  bleibt  hier 
ganz  unberücksichtigt ,  nicht'  etwa  weil  deren  Existenz  bezweifelt 
würde ,  sondern  weil  wir  uns  sonst  auf  Organisationsverhältnisse  ver- 
wickelterer  Art  einlassen  müssten ,  die  dem  Zweck  dieser  Arbeit  ent- 
fernt stehen.  Bei  den  Salpen  erreicht  die  Tunica  externa  eine  bedeu- 
tende Mächtigkeit,  so  dass  sie  die  bei  weitem  grOsste  Masse  des  Thieres 
ausmacht.  (Taf.  IV.  Fig.  ^.  A).  Bei  den  Pyrosomen  und  zusammen- 
gesetzten Ascidien  bildet  sie  die  allen  Individuen  gemeinsame  Grund- 
masse des  Stockes ,  in  welcher  keine  Linien  die  Grenzen  des  zu  jedem 
Individuum  ursprünglich  gehörenden  Mantels  mehr  andeuten.  (Taf.  IV. 
Fig.  2.  i4).  Bei  den  genannten  Tunicaten  ist  meistens  die  Testa  mehr 
oder  minder  transparent  und  in  verschiedenen  Graden  gallertig  weich. 
Unter  den  einfachen  Ascidien  schliessen  sich  die  Phallusien  in  der  Be- 
schaffenheit und  Mächtigkeit  der  Testa  an  die  vorhergehenden  an ;  doch 
besteht  in  derselben  bei  einigen  Phallusia-Arten  eine  eigenthümliche 
Gef^sseinrichtung ,  die  bei  Schilderung  der  Tunica  interna  näher  be- 
sprochen werden  soll.  Bei  den  Cynthien  endlich  ist  der  Geliulosemantel 
vorhultnissmässig  von  der  geringsten  Dicke;  dagegen  derb,  dunkel  ge- 
Hirbt,  vollkommen  undurchsichtig  und  lederartig.  (Taf.  IV.  Fig.  3  und 
4.  y|j .  Manche  Cynthien  sind  äusserlich  der  Baumrinde  nicht  unähnlich, 
und  sind  wegen  dieses  unscheinbaren  Aeusseren  bis  jetzt  wenig  be- 
achtet worden.  Bei  allen  mir  bekannten  Ascidien  liefert  diese  äusserste 
Schicht  des  Körpers  stets  eine  ausgeprägte  Cellulosereaction,  und  zwar 
schneller  und  vollständiger  bei  den  Arten  mit  lederartiger  als  bei  den- 
jenigen mit  gallertiger  Beschaffenheit.  Auf  ihrer  äussern  Fläche  findet 
sich  kein  Epithel ,  wie  hie  und  da  früher  irrthümlich  behauptet  worden 
ist.  Dagegen  trifit  man  zwischen  ihr  und  der  zweiten  Rörperschicht 
stets  eine  continuirliche ,  einfache  Lage  platter  Zellen ,  die  man  meistens 
als  Mantelepithel  bezeichnet  hat  (Taf.  IV.  Fig.  i — 4.  c).  Es  sind 
(lies  die  eigentlichen  Epidermiszellen,  wie  ich  später  zeigen  werde; 
daher  werden  sie  auch  unter  diesem  Namen  weiter  aufgeführt  werden. 
Auf  Querschnitten  bilden  sie  eine  deutliche  Trennungslinie  zwischen 
Tunica  interna  und  externa ,  was  besonders  an  den  mit  Garmin  gefärb- 
ten Präparaten  hervortritt.  Ohne  diese  Zellenlage  würden  beiden  Tu- 
niken continuirlich  in  einander  übergehen. 

Einige  Forscher  geben  an ,  dass  nur  bei  einem  Theil  der  Tunicaten 

Bd.  VII.  4.  4 


50  Mat  iMtwIg^ 

sJUBÜßh  bei  den  SdfiMi  und  Verwandten,  ein  fester  ZusanmenhaDgr«- 
sehen  innerem  und  äusserem  Mantel  existire,    bei  einem  andcra,  *^ 
Cynthien,   beide  Tbeile  rmr  an  der  Ingestions-  uad  EigsaAws^ 
lUsanMAhingen ,  sonsl  aber  getrennt  aeiea.   Auf  diese  irrthomlide  ^ 
sdianung  war  sogar  eiae  Eintheitung  der  Tunieatem-Classe  in  Mtfi^ 
toniden  und  DtdIitovideB  iMflirt  worden.    Aueh  toq  Bao«  undAiMiir 
wird  dieaes  veracbieden^tt  Verhaltens  üftersi  gedacht.    Deai  gc^n^'* 
iai  hervorxuheben ,  dass  beide  Kjörp^rschichtea  bem  allen  Arien  in  atr. 
caatisAiirtifibein  Zusammenhang  stehen.   Ueberali  vfo  man  beide  Tte« 
getrennt  lu  findai  wähnt,  ist  dies  Folge  kttnstliciier  PfSparaüoiL  l'^ 
diese  kttestliche  Trennung  sich  bei  den  &lsehlieh  so  genannM  Dich 
toniden,  nämMi  den  Cyntbien ,  gelegentlich  der  Fräparation  leicbl^' 
sldJt,  ist  niehl  auffallend,  wenn  man  bedenkt,  wie  \rers<:iiieden  der  Uü^~ 
grad  zwischen  der  knorpligen  Aassensehicht  und  der  weichea  \wrr 
sehlchb  ist ,  und  dass  beide  nur  durch  eine  Lage  zarten  Epül»^^^  ^'' 
einigt  sind.    (Taf.  IV.  Fig.  1—4).    Ba  dieses  Epithelium,  die  e^eRi!>> 
».Epidernusd^  constanl  die  beiden  Schichten    trennt,    so  ist  üie  «^ 
erttrterie  Frag!»,  ob  nur  die*  Innenseite  de&  Gelluloseoiantels  oder.Yir 
di»  Aussenseite  desselben  eine  EpitheUage  trage,  au  Gunsten  der  et^ 
ren  Ansieht  evledigt.     Dies  Verhalten  wird  aueb  durcb  die  Enl^i^^^ 
lungsgesehiichte  nollstandig  eirklärU 

Von  Bedeutung  ist  die  Art  und  Weise  desZusammenhangesderiß''^'' 
und  äussern  Leibessebicht  an  der  ftngestions-  und  EgesUonsöffnuifr 
LKUCKAR'r  und  auch  Hextav  geben  an,  dass  an  den  geaaanleB  1>^^ 
Steifen  beidie  ScUehtea  ia  einander  übergingen.  Naeh  den  ftesullal'» 
die»  an  Ldngssehnitten  durch  die  beiden  Leibesöffnua^en  von  Sd)^ 
und  Gynthlen  gewonnen  wurden ,  und  die  volJkemmen  mit  den  Bn(<"' 
nissen  der  Praparation  der  einaebien»  Sebrcbüeit  UbereinsUmtuen^  ^* 
das  Veriiällniss  ein  andeires.  Maoi  kann  sich  leieht  ttberseugen,  ^^  ^ 
deni  Leibesdfihungea  die  CelluJosehüUe  eine  Strecke  weit  nach  i»'^^ 
sich  umscUägt  und  die  Innenfläche  der  Tunica  interna  bedeckt)  ^^ 
diaan  entweder  in  einer  geraden  Linie  oder  in  einzelnen  Zacken  ^^^ 
abzascbneiden.  (Tafv  IV.  Fig.  4  und  4).  1^  Epidermiazellenlage  ^^' 
sich  dabei  an  den  Uebergangsstelkm  in  das  die  Rlosd&enhöhle  aM^'^' 
dende  Epitbel  an  der  Innenseite  der  inneren  Körperachicht  fot^-  ^" 
diese  Weise  wird  die  letztere  von  der  GeliulosehilUe  gleichsam^i^  ^^"^ 
einer  Zwinge  umlasst  und  dieses  Verhalten  erklärt  es ,  warum  äoss^ 
und  innere  Schidit  auch  dann  noeb  an  der  Ingestions-  und  Eg^sUf^^" 
öfiRluiig  fester  zusammenhängen,  wenn  der  anderweitige  Zusammenbai)^ 
schon  gelockert  ist. 


'il^jhi     (JntersnebQDgeD  über  d.  Bau  n.  die  Cu(wkke1uii)[^  des  Cellolose-Mantels  der  Tauicaten.    51 

^3'^'  i^'  3.  Strnctnr  der  Tnnica  Interna. 

wimii'         ^^  scbliesse  hieran  eine  kurze  Darstellung  der  inneren  Kdrper- 
ß,^,;j-.aclHdit  oder  Tunica  interna  (Taf.  IV.  Fig.  4 — |s.  6),  wobei  ick  mich 
,jL,^  !^  sm(  die  allgemeinsten  VerhüHnisse  belreffis  der  Tertheilung  der  Müscu- 
^  1^ ..  l9lur  und  der  Blutgefitsse  beschranken,  sowie  Einiges  über  die  Stmctur 
;^^  ^  des  hier  vorhandenen  Bindegewebes  anführen  werdle.   Die  grösste  Dicke 
r,^ .  besitzt  die  Tunica  interna  bei  einigen  Cynthien,  weshalb  man  an  diesen 
,  ^^    ihren  Beu  am  leichtesten  stadiren  kann.  Besonders  geeignet  sind  Gynthia 
"  ^   .  Canopus  (Fig.  3)    und  C.  polycarpa  (Fig.  4).     Die   Musculatur  Iheih 
'   .   sieb  hier  in  drei  Schichten ,  in  eine  Äussere  und  in  eine  innere  Längs*- 
.  mtiskellage ,  welche  durch  eine   mittlere  Ringmuskelsehicht  getrennt 
''*        werden.  Jede  Schicht  i6t  durch  stärkere  und  schwächere  Bindegewebs- 
'^[""l  zttge  in  grössere  und  kleinere  Muskelbündel  getrennt.    Zwischen  den 
'^^    '    einzelnen  Bündeln  finden  sich  im  Bindegewebe  grössere  und  kleinere, 
-  ''^      rundliche  und  ovale  Lücken.   Es  sind  dies  die  wandungslosen  Blutbah- 
^  '       nen.    Dieselben  bilden  ein  System  von  Ganälen ,  welches  sich  an  den 
^ "^       Verlauf  der  Längs- und  Ringmusculatur  eng  anschliesst,  und  stehen 
-''  ^  '    mit  den  Kiemengefässen  durch  hohle  Querstränge  in  Verbindung,  die  in 
'^^        grosser  Anzahl  von  der  Tunica  interna  zur  Kiemenwand  quer  hinüber- 
gehen.    Bei  den  zusammengesetzten  Ascidien  und  den  Phallusien  ist 
'''■'^,      die  innere  Körpersehicht  von  geringem  Durchmesser  und  zeigt  in  vielen 
"-'  '      Fällen   nicht  mehr  jene  charakteristische  Anordnung  der  Musculatur. 
^  '       Die  Muskelbündel  sind  spärlicher  und  kreuzen  sich  oft  in  den  verschie- 
- '       densten  Richtungen.    Bei  den  Salpen  endlich  verlaufen  nur  breite  Ring- 
'  ^       muskeß)änder  (Fig.  4  d)  in   grossen  Abständen   von   einander  in  der 
inneren  Schicht,  die  hier  sehr  zart  ist  und  ebenfalls  ein  reiches  Blut- 
gefässnetz  führt. 
*  '  Bei  vielen  festsitzenden  Tunicaten  bildet  die  Epidermiszellenlage 

Ausstülpungen  in  die  verdickte  Mantelbasis  und  veranlasst  dadurch  die 
Bildung  von  Stdonen ,  vermöge  welcher  die  meisten  an  ihrer  Unterlage 
wie  mit  Wurzeln  anhaften. 

Bei  Phallnsia  mamillata  und  einigen  andern  wird  durch  besondere 
Wachsthumsverhältnisse  der  Tunica  interna  eine  eigenthümliche  Ein- 
rieb timg  hn  äussern  Cellulosemantel  hervorgerufen.  Derselbe  ist  näm- 
lieh  von  einer  grossen  Anzahl  von  Blutgefässen  durchsetzt,  die  ai^ 
wenige  Hatiptstämme  an  einer  Stelle  in  ihn  eindringen  und  sich  vielfach 
dichotomisch  verästeln  (Taf.  IV.  Fig.  5).  Meist  verlaufen  zweiGefässe 
iM»ben  einander.  ScirACHT  bezweifelt  diese  Angabe  Köiukkk's,  indem  er 
HtelA  nur  ein  Gefäss  isolirt  gesehen  haben  will*  ^    *^  "^"^  •^•^  dieselbe 


üniersnehnngen  Aber  d.  Ban  n.  die  Entwiekelunf;  des  Cellulose-MaDtels  der  Tnnicuten.    53 

jeden  Gewisses  ist  durch  eine  beträchtliche  Ansammlung  von  Pigment- 
zellen  charakterisirt,  welche  in  dem  Cellulosemantel  liegen  und  oft  eine 
dichte  HttUe  um  dasselbe  bilden.  Ob  an  vielen  Punkten  Doppelgefösse 
in  den  Mantel  eindringen  oder  ausschliesslich  an  einer  Stelle,  wie  bei 
Phallusia  mamillata  am  Sattel ,  habe  ich  nicht  feststellen  können ;  ein 
grösseres  Doppelgefäss  wurde  an  der  EgestionsO£fhung  angetroffen. 

Es  «tritt -uns  hier  die  Frage  entgegen,  wie  wir  uns  die  Entstehung 
dieser  Gefösseinrichtung  vorzustellen  haben.  Auf  Grund  der  oben  mit- 
getheilten  Thatsachen  scheint  folgender  Hergang  angenommen  werden 
zu  müssen.  Von  der  Epidermiszellenlage  aus  bilden  sich  Ausstülpun- 
gen in  die  Gellulosemasse  hinein,  gleichwie  solche  auch  zur  Stolonen- 
bildung  Veranlassung  geben.  Das  Bindegewebe  folgt  Schritt  für  Schritt; 
auch  ein  Blutgefässhohlraum  schickt  einen  schlingenfbrmigen  Ausläufer 
in  die  Ausstülpung  hinein  (Taf.  IV.  Fig.  6).  In  der  Bindegewebsschicht, 
welche  die  beiden  Arme  des  Bogens  trennt ,  erblicken  wir  die  Lamelle, 
welche  späterhin  die  beiden  sich  weiter  entwickelnden  Ge&sse  schei- 
det (Fig.  6.  p).  An  der  Spitze  der  ersten  Ausstülpung  entstehen  zwei 
neue  getrennt  vorrückende  Wacbsthumspunkte ,  in  welche  sich  das 
begleitende  Bindegewebe  und  der  Bluthohlraum  zugleich  mit  fortsetzt. 
Die  trennende  Lamelle  hingegen  bleibt  in  ihrem  Wachsthum  etwas 
zurück ,  und  da  hierdurch  eine  Blutstauung  in  den  vorgeschobenen  6e- 
fässsprossen  entstehen  muss,  so  bewirken  diese  mechanischen  Ver- 
hüllnisse  eine  kolbenförmige  Ausdehnung  an  den  dem  Druck  am  meisten 
ausgesetzten  Enden  (Fig.  7).  Nun  rückt  auch  die  Trennungslamelle 
sich  spaltend  in  die  beiden  Arme  weiter  vor  (Fig.  8.  p.  p  I.  p2.).  Die 
Ebene ,  in  welcher  die  dichotomische  Theilung  der  Endsprossen  erfolgt, 
und  die  Ebene,  in  welcher  die  Trennungslamelle  liegt,  ist  keine  will- 
kürliche, sondern  beide  halten  ein  und  dieselbe  Richtung  ein.  In 
dieser  Weise  entsteht  im  Mantel,  ein  reiches  hin-  und  rückleitendes 
Blutgefässnetz ,  welches  seinem  Bau  und  seiner  Entstehung  nach  nichts 
anderes  ist  als  ein  sehr  complicirtes  System  von  wiederholt  dichotomisch 
getheilten  Gefässschlingen. 

In  morphologischer  Beziehung  sind  demnach  die  Mantelgefösse  als 
den  Stolonen  homologe  Gebilde  zu  erachten.  Als  weitere  Erläuterung 
und  ^als  ein  neuer  Beleg  für  die  vorgetragene  Auffassung  möge  eine 
embryologische  Beobachtung Rrohii's  dienen,  die  ich  in  ihrer  Hauptsache 
hier  wiedergebe : 

»Aus  der  Leibesmasse,  und  zwar  mitten  von  der  Bauchfläche 
wachsen  drei  Fortsätze  immer  tiefer  in  den  Mantel  bis  dicht  an  seine 
Oberfläche.  Diese  theilen  sich  gabiig  in  sechs  Aeste,  deren  Enden 
kolbenförmig  angeschwollen  sind.     Die  ZerSstelung  schreitet  dicho- 


HBm 


üntersvchangen  Aber  d.  Ban  ii,  die  EiitwiirtMhing  des  Cellolose-Mantels  der  Tnnlcaten.    55 

Dasselbe  bosiehi  aus  einer  homogenen  GfundsubstanE ,  in  welcher 
zahlreiche  elasUsche ,  sich  lodier  dtircfasohlingende ,  iStark  spiralig  ge- 
krttmmte  Fasern  Hegen  (Taf.  VI.  Fig.  %ß).  Zwischen  ihnen  sieht  man 
zarte,  körnige,  runde  Zellen.  Einige  derselben  ^nd  von  Wenigen  Fa- 
sern dicht  umschlungen. 

Ausserdem  finden  sich  in  dem  Fasergewirr  hie  und  da  eiatelne 
spärliche  Faserbttndel  y_  weiche  man  am  besten  mit  einem  um  eine 
Scheibe  aufgerollten  Zwirnsfaden  vergleichen  kann.  Sie  liegen  bald 
flach,  bald  stehen  sie  senkrecht  auf  der  Kante,  und  sind  im  Innern  ent- 
weder solid  oder  enthalten  Protoplasma  mit  ein  oder  zwei  ZelKeYikernen 
(Fig.  23.  cdj.  Alle  diese  Gebilde  finden  sich  auch  im  Bindegewebe  des 
Darmes  vor,  aber  in  einem  anderen  Verhältnisse.  Hier  aberwiegt  die 
homogene  Z wischenmasse ,  die  Fasern  fii^den  sich  nur  spörlich,  durch- 
flechten sich  auch  nicht,  sondern  sind  für  sich  iockenartig  aufgerollt. 
Auch  die  Faserbündel  mit  der  Zelle  im  Innern  fehlen  nicht  (Fig.  S4). 
Forschen  wir  nun  nach  dem  Ursprung  der  zerstreuten  Fasern,  so  sdiei- 
non  sie  durch  Auflockerung  der  Faserkntfuel  «u  entstehen,  welche 
wiederum  ein  Frodud  der  in  ihnen  enthaltenen  Zelle  sein  werden. 
Behandelt  man  einen  dünnen  Sohnitt  duneh  den  Muskehschlaueh  mit 
Jod  und  Schwefelsäure ,  so  färben  sich  alle  Fasern  tief  blaU ,  so  dass 
die  einzelnen  Muskelbündel  in  ein  blaues  Netzwerk  eingeschlossen  sind. 
Behandelt  man  in  gleicher  Weise  einen  Schnitt  durch  Darm  und  Costa, 
so  bläuen  sich  ebenfalls  die  spärlichen  Pasern,  während  die  Zwischen^ 
massc  gelb  bleibt. 

Hieraus  erhellt ,  dass  auch  Bindesubstanz  innerer  Organe  bei  ein^ 
seinen  Arten  eine  Gellulosereaction  liefern  kann* 


4.  Entwickeloiig  des  CeUulose  -  Mantels. 

Wir  kommen  jetst  zum  zweiten  Theile  dieser  Arbeit,  der  über  den 
Gellulose-Mantel  selbst  ausführlicher  handeln  soll.  Hierbei  werden  wir 
zuerst  seine  Entstehung,  alsdann  seinen  feineren  histologischen  Beu 
und  sein  Wachsthum  beschreiben. 

Was  zunächsWdie  Entwiokelung  des  Mantels  betrifll,  so  sind  dar- 
über in  letzter  Zeit  zwei  verschiedene  Ansichten  von  Kuprrsa  und  Ko- 
WALBWBKT  aufgestellt  worden.  Beide  sind  nach  meinen  Erfahrungen 
nicht  richtig. 

Nach  Kurrrit  soll  in  den  noch  unbefruchteten  Eiern  des  Eierstooks 
an  der  Oberfläche  des  Dotters  durch  freie  Zellenbildudg  eine  Schicht 
von  kleinf  '^m  Pigment  gefilrbten  Zellen  entstehen.     Er  be- 


56  Osku  Hnlvig, 

eeicbnel  dioselbeD  als  Testaiellen.  Um  den  Res 
dieselben  eine  einschichtige  Epitbelkapsel.  Zwischen  dieser  und  dem 
Dotier  entsteht  allmählich  ein  ganz  peUucider  Zwischenraum ,  der  nach 
dem  Eintritt  des  Eies  in  den  Eileiter  und  nach  der  Befruchtung  an  Aus- 
dehnung noch  zunimmt.  In  seiner  Hüte  schwebt  frei  die  Dotterku^el 
und  lasst  sich  daraus  scbliessen ,  dass  der  Zwischenraum  keine  Flüssig- 
keit enthalt,  sondern  eine  bereits  gallertige  Hasse;  dieselbe  soll  von 
den  gelben  Zellen  ausgeschieden  sein  und  soll  schon  die  Gallertsubstanz 
der  Tests  vorsteilen. 

KowALBwsKv  weicht  von  Kuppfek  darin  ab ,  dass  nach  seinen  neu- 
eren Untersuchungen,  die  an  in  ChromsHure  erhärteten  Eierst41cken  au- 
gestellt wurden ,  die  Testaiellen  nicht  aus  dem  Dotter  durch  freio 
Zellenbildung  entstehen,  sondern  von  Follikelzellen  abstammen.  Welche 
von  diesen  beiden  Ansichten  die  richtige  ist ,  muss  ich  dahin  gestellt 
sein  lassen ,  da  mir  das  für  diese  Untersuchungen  günstigste  Object, 
Ascidia  intestinalis  nicht  zur  Hand  war ,  und  ich  deshalb  über  diesen 
Punkt  keine  Untersuchungen  angestellt  habe.  Mich  interessirle  vor- 
zUgtidi  die  Präge,  ob  wirklich  die  Entstehung  des  Hanteis  mit  diesen 
gelben  Zellen  in  Zusammenhang  stände. 

Kdppfbh  giebt  darüber  Folgendes  an.  In  der  schon  weit  entwickel- 
ten Lanre  lockern  sich  durch  die  Streckbewegungen ,  die  depi  Aus- 
schlüpfen vorausgehen ,  die  bisher  noch  ziemlich  an  einander  schlies- 
senden  Testazellen,  und  es  wird  die  Gallertsdiichte  dadurch  deutlicher 
wahrnehmbar ,  indem  die  von  einander  getrennten  Zellen  einer  nicht 
flüssigen  pelluciden  Hasse  anhaftend  erscheinen.  Durch  die  Bewegungen 
der  Larve  vertheilen  sich  Gallerte  und  Zellen  gleichmässiger  um  sie. 
Sobald  der  Embryo  nach  Zerreissung  der  EihUlle  frei  wird ,  quillt  die 
Gallerte  etwas  auf;  die  Zellen  sitzen  an  derselben  ganz  oberflSch- 
lich,  als  klebten  sie  derselben  blosan.  Wahrend  an  den  Zellen 
innerhalb  der  Eihaut  keine  Spur  von  Bewegungen  wahrzunehmen  war, 
zeigen  sich  jetzt  solche;  die  Zellen  strecken  Fortsätze  aus,  werden 
sternförmig,  ziehen  sich  kuglig  zusammen,  kurz  es  sind  exquisit 
amöboide  Elemente.  Die  gelbliche  Farbe  blasst  ab,  schwindet  aber 
nicht  ganz. 

Nach  KowALEWSKv  sollen  die  gelben  Zellen  zur  Zeit  der  ersten  Fui^ 
chungsstadien  ganz  auf  die  Peripherie  der  Gallertsubstanz  kommen  und 
an  ihr  so  zu  sagen  ankleben.  Später  sollen  sie  farblose  Fortsätze  in 
die  ganz  durchsichtige  Substanz  senden ,  immer  tiefer  eindringen  und 
sich  dabei  entfärben.  Indem  die  Fortsätze  unter  einander  sich  ver- 
binden, entsteht  ein  förmliches  Netzwerk  im  Gallertmantel. 

Die  so  beschriebenen  Vorgänge  habe  ich  nicht  beobachten  kttnnen. 


Untersaehangen  Aber  d.  Bau  d.  die  Cntwickelnug  des  Ceilnlose-Maniels  der  TuiiieateD.    57 

Meine  eigenen  Untersuchungen  wurden  an  den  Eiern  von  Phallusia 
niamillata  und  virginea  (?)  angestellt.  Bei  den  Eiern  dieser  Species 
liegen  (übereinstimmend  mit  den  Beobachtungen  Rowalewskt's)  die  so-, 
genannten  Testazellen  nicht  in  einer  continuirlicben  Schicht  um  den 
Dotter,  sondern  vereinzelt  und  stellenweise  auch  in  Haufen  beisammen. 
Sie  sind  kuglig  und  führen  gelbe  Pigmentkörnchen,  besonders  zahlreich 
bei  der  zweiten  Art.  Den  Zwischenraum  zwischen  Dotter  und  Eihaut 
nimmt  eine  flüssiggallertige  Substanz  ein ,  in  der  die  Testazellen  liegen. 
Mit  Jod  ftirbt  sich  dieselbe  braun ,  welche  Färbung  bei  Schwefelstture- 
Zusatz  noch  zunimmt.  Dagegen  tritt  auf  keine  Weise  Blaufärbung  ein. 
Schon  dieser  Umstand  macht  es  etwas  bedenklich ,  in  jener  Gallerte 
die  spätere  Cellulosesubstanz  des  Mantels  erblicken  zu  wollen. 

Während  des  Furchungsprocesses  gehen  die  Testazellen  weiter 
keine  Veränderungen  ein.  Nur  werden  sie ,  je  nach  der  Ausdehnung 
des  sich  theilenden  Dotters,  bald  epithelartig  an  die  Wand  der  Eihaut 
angedrückt;  bald  versammeln  sich  eine  grössere  Anzahl  passiv  beweg- 
ter Zellen  an  den  freien  Stellen  zwischen  Eihaut  und  Furchungskugeln. 
An  einigen  von  ihnen  bemerkt  man  deutlich ,  wie  sie  kurze  Fortsätze 
ausstrecken,  so  dass  auch  jetzt  schon  ein  geringer  Grad  von  amöboider 
Bewegung  ihnen  zukömmt. 

Das  erste  Auftreten  des  Mantels  beobachtete  ich  erst  zu  der  Zeit, 
wo  der  Schwanz  schon  eine  bedeutende  Länge  erreicht  hatte.  Bei 
stärkerer  Vergrösserung  konnte  ich  nämlich  bemerken ,  wie  eine  feine 
Contour  in  einiger  Entfernung  rings  um  das  äussere  Epithel  hinzog. 
Ausserhalb  dieser  Contour  lagen  die  Testazellen  in  dem  freien  Räume 
der  Eihöhle ,  ohne  dass  an  ihnen  irgend  eine  Beziehung  zu  dem  heran- 
wachsenden  Embryo  sich  feststellen  Hesse.  Sobald  die  Larve  anfängt 
stärkere  Bewegungen  zu  machen,  kann  man  die  gelben  Zellen  frei 
herumflottiren  sehen. 

Ein  sehr  beweisendes  Bild  erhielt  ich ,  als  ich  auf  einen  Embryo, 
der  schon  einen  hyalinen  Saum  zeigte ,  die  Jodschwefelsäurereaction 
anwandte.  Die  Larve  schrumpfte  natürlich  stark  zusammen ;  aber  rings 
um  die  innere ,  dunkelbraune  Masse  des  embryonalen  Körpers  (Fig. 
10.  E)  zeigte  sich  ein  schön  blauer  Saum  (Fig.  9.  A).  Ausserhalb  des- 
selben, in  grösserer  oder  geringerer  Entfernung,^  lagen  die  sogenannten 
Testazellen  (Fig.  9.  t)  entweder  haufenweise  oder  in  Reihen  angeord- 
net, viele  ganz  vereinzelt,  durch  dieEihülle  (Fig.  9.  y)  rings  umschlos- 
sen. Bei  einer  eben  ausgeschlüpften  Larve,  an  der  der  Schwanz  noch 
erhalten  ist,  (kllt  es  auf,  dass  die  gelben  Testazellen  meist  nur  äusserst 
spärlich  vertreten  sind  und  dass  die  noch  vorhandenen  dem  feinen 
hyalinen  Saum,  der  das  ganze  Thier  umgiebt,  stets  äusserlich  aufge- 


Oakir  Hertwig, 

ndeni  sie  gleichsam  an  ihm  anztiklebon  scheioeD.  Bei 
VBD  io  diesem  Stadium  konnte  ich  nur  zwei  oder  drei 
he  Zellen  ündea,  während  ihre  Anzahl  im  unonl wickelten 
'iss  übersti^.  Fast  alle  waren  beim  AustriU  des  Embryo 
er  Abstreifung  der  Eibtllle  verschwunden.  Erzeugt  man 
t  einer  grosseren  Anzahl  gdber  Zellen  einen  Strudel  unter 
durch  erneuten  Wasserzusatz ,  so  gelingt  es  nicht  sellcD, 
laerenten  Zellen  hin  wegzuschwemmen, 
m  bemerkt  man  schon  in  diesem  Stadium  in  der  Celluk>5c~ 
!  kleine  Zelten  mit  Ausläufern  (Pig  id.  a).  Dieselben 
)los,  ohne  das  charakteristische  gelbe  Pigment,  und  nur 
so  gross,  als  die  sogenannten  Testazellen  (Pig.  10.  t). 
obachtungen  geht  hervor,  dass  bei  dem  Ausschlüpfen  der 
ben  Zellen  mit  der  Eihaut  abgeslossen  werden  und  ver— 

ir  Schwant  fettig  degeuerirt,  wird  ein  neues  Bildungs- 
laher  dem  Embryo  zugeführt.  Dieser  Emllhrungszuwachs 
ich  darin ,  dass  die  hyaline  Hantelsubstanz  an  Dicke  zu- 
lass  vom  Epithel  aus  eine  grosse  Anzahl  Zellen  in  die 
)  einwandern.  Taf.  IV.  Fig.  10  giebt  dieses  Stadium 
sieht  die  teere  Cell ulosefaulle  des  Schwanzes  (Fig.  1U.  Seh.) 
1  anhaftenden  gelben  Zellen  {t),  ferner^  die  Süssere  Epi- 
< ,  um  diese  herum  die  hyaline  Gelluloseschicht  {A)  mit 
en  lauglich  gestreckten  Zellen  [a] ,  die  einen  Kern  und 
iufer  zeigen.  Einige  von  diesen  spindelförmigen  oder 
Zellen  liegen  dem  EpiÜiel  ganz  dicht  an.  Nach  aussen 
icht  bemerkt  man  stellenweise  noch  eine  zweite,  Hussersto 
10.  ß),  in  und  an  der  einige  gelbe  Zellen  liegen  [l].  Setzt 
Schwefelsäure  zu,  so  wird  die  leere  SchwanEhUlIc  blau, 
ie  dem  Embryo  zunächst  gelegene  hyaline  Sohicht  (A). 
ilwr  noch  ausserdem  stellenweise  eine  braungewordenc 
Das  sind  die  noch  anhaftendon  Theile  der  Eihlllle,  in 
loch  einzelne  sogenannte  Testazellen  befinden  (t) . 
konnte  ich  bei  einer  Larve  mit  noch  wohl  erhaltenem 
i  starker  VergrOsserung  eine  Zelle  gerade  in  dem  Augen- 
hlen,  wo  sie  sich  zum  Theil  in  der  Epithelschicht,  zum 
Cellulosemasse  befand  (Fig.  H .  x).  Der  in  letzterer  be- 
war  kopfartig  angeschwollen  und  durch  einen  sdimaien 
übrigen ,  im  Epithel  liegenden  Theile  getrennt.  In  letz- 
fa  der  Kern. 
e  tinler  dem  Mikroskop  die  Einwanderung  der  Zelle  bis 


UnteraachnngeD  über  d.  Ban  a.  die  Eotwkk^ilQng  des  Cellnlose-Mantels  der  Tunlcateu.    59 

zum  Ende  verfolgen  zu  können,  aber  leider  starb  der  Embryo  nach  einer 
Stunde,  die  er  unter  dem  Deckgläschen  zugebracht  hatte,  ohne  dass 
das  Bild  im  Wesentlichen  ein  anderes  geworden  wäre. 

Aus  diesen  Beobaehtungen  ergeben  sich  folgende  Schlüsse.  Die 
gelben  Zellen,  welche  bei  Ascidia  canina  epithelartig,  bei  Phallusia 
mamillata  und  andern  gruppenweise  und  zerstreut  um  den  DoUer  her- 
um liegen ,  welche  Küppprr  und  ebenso  Kowalbwskt  als  Testazellen  be- 
zeichnen ,  und  durch  deren  Einwanderung  in  eine  gallertige  Masse  der 
Mantel  entstehen  sollte ,  haben  an  der  Bildung  desselben  nicht  den  ge- 
ringsten Antheil.  Die  Testazellen  sind  vidmehr  den  EihttUen  zuzu- 
rechnen. Demnach  werden  sie  auch  bei  Durchreissung  der  Eihttllen 
gleich  diesen  vom  freiwerdenden  Embryo  mit  abgestreift.  Gelbe  Zel- 
len, die  auch  dem  freien  Thiere  später  noch  ankleben,  sind  anhaftende 
Ueberreste,  die  nach  kurzer  Zeit  sich  ebenfalls  ablösen. 

Der  Mantel  entsteht  dagegen ,  nachdem  in  dem  embryonalen  Kör- 
per bereits  die  eigentliche  Epidermis  (das  einschichtige  äussere  Pflaster- 
Epithel)  und  die  wichtigsten  inneren  Theile  differenzirt  und  angelegt 
sind,  zunächst  als  eine  zarte  Guticula,  welche  aussen  auf  der  Zelien- 
schicht  der  Epidermis  aufliegt  und  von  dieser  ausgeschieden  wird. 
Allmählich  treten  in  der  dicker  werdenden  Guticula  vereinzelte  Zellen 
auf,  welche  aus  der  Epidermis  in  dieselbe  eingewandert  sind.  Sobald 
sich  nun  durch  Verfettung  des  Schwanzes  neues  Ernährungsmaterial 
im  Embryo  anhäuft,  so  erfolgt  auch  von  der  Epidermis  aus  ein  kräf- 
tigerer Bildungsprocess.  Die  Dicke  der  Celluloseschicht  nimmt  zu  und 
es  wandern  vom  Epithel  aus  zahlreichere  Zellen  in  sie  ein ,  welche  von 
nun  an  ihrem  Verhalten  zur  Intercellularsubstanz  gemäss  als  Binde- 
gewebszellen zu  bezeichnen  sind.  Auf  diese  Weise  kömmt  der,  bei 
den  verschiedenen  Ascidien- Arten  so  mannichfach  gestaltete  Mantel  zu 
Stande.  Derselbe  ist  als  eine ,  vom  Epithel  ausgehende  Bindegewebs- 
bildung zu  betrachten,  oder  mit  anderen  Worten:  der  Ascidien- 
Mantel  ist  eine  äussere  Guticular-Bildung  der  Epider- 
mis, welche  durch  Ein  Wanderung  von  isolirten  Zellen 
der  letzteren  in  wirkliche  Bindesubstanz  übergeht. 


5.  Histologischer  Bau  des  Gellulose- Mantels. 

Der  Mantel  der  Ascidien  zeigt  in  seinem  histologischen  Verhalten 
bei  den  verschiedenen  Arten  erhebliche  Verschiedenheiten  und  bietet 
.uns  eine  reiche  Auslese  verschiedener  Bindegowebsformen  dar. 

Bei  Salper  ''ompositen  Ascidien  und  einigen  Phallu- 


jr  Manlel  aus  einer  homogenen 
3  Bindegewebszellen  eingestreut 
illich  ber vortretender  Nucieus  ni 

nen,  zuweilen  sehr  hctdeulenden  Schicht  feinkörnigen 
las  zarl«  Auslitufer  In  die  umgebende  Hasse  aussendet. 
tz  von  Jod  und  Schwefelsaure  treten  dieselben  deutlicher 
d  weiter  zu  verfolgen ,  in  vielen  Fallen  bis  zu  ihrer  Vor— 
tenachbarten  Zellen.  Löwig  und  Küllikkr  beschreiben 
sowie  übniiche  bei  Cynthia  als  Kerne,  Kernfasem  etc., 
Nz  EiLBAHD  ScHULZK  als  irrthUmlicb  zurückgewiesen  hat. 
ir  Zollen  kann  bei  verschiedenen  Arten  sehr  wechselnd 
idlich ,  bald  keulenförmig  gestreckt ,  spindelförmig  etc. 
minder  deutlicher  Verästelung  (Taf.  V.  Fig.  19.  20.  21). 
r  Zellen  können  Pigment  führen ;  die  Farbe  ist  je  nach 
chieden:  rolh,  gelb,  grün,  braun  u.  s.  w.  Auch  amo- 
jungen  dieser  Bindegewebszellen,  die  schon  Kolliker 
ren ,  konnte  ich  bei  einigen  derselben  in  geringem  Grade 

luBälliges  Mantelgewebe  zeigen  einige  Phallusien,  so  be- 
:ia  mamillata.  Dasselbe  hat  schon  früher  die  Aufmerksam- 
lER  und  Schacht  auf  sich  gezogen ,  und  auch  den  Mitlel- 
iz  EiLHARD  Schulze's  Untersuchungen  gebildet.  In  einer 
logenen  Grundmasse  Hegen  grosse  rundliche  Hohlzellen 
igem  Kern,  die  embryonalen  Chordazellen  ganz  ahnlich 
lur  durch  eine  dünne  Scheidewand  von  einander  getrennt 
;n  ihnen  Hegen  in  der  homogenen  Grundmasse  einge- 
iwebszellen  mit  Auslaufern  (Taf.  V.  Fig.  tS.  (3).  Die 
tllen ,  die ,  wenn  auch  selten ,  zuweilen  in  kleinerem 
en  und  Uebergänge  zu  den  Bindegewebszellen  zeigen, 
Is  die  eigentlichen  embryonalen  Mantelzcllen  auf.  Neben 
ide  Hohlzellen  mit  abgeplatteten  sich  berührenden  WHn- 
er  als  Besultat  kürzlich  stattgehabter  Theilung  (Fig.  iü). 
tincr  frühen  Embryonalperiodc  das  Hantelgewebe  aller 
t  seiner  Annahme  gebildet  haben.  Aus  ihnen  sollen  atl- 
it  Auslaufern  versehenen  Bindegewcbszellen  heryorge- 
Dic  Bildung  der  verschiedenen  Gewebsformen  des  Tuni- 
us  solchen  embryonalen  Zellen  hat  man  sich  nach  seinen 
austeilen.  «Durch  allmähliche  Umwandlung  der  üusseren 
.de  der  wohl  ursprunglich  wandungslos  zu  denkenden 
eilen  in  homogene  hyaline  Cellulosemasse  und  ein  Vor- 
der so  gebildeten  Rinden  mit  einander  entsteht  ein  der 


mi 


Untersuchnn^D  Ober  d.  Ban  n.  die  Rntwirkelnng  des  Cellnlose-Mantels  der  Tniiieaten.    61 

Chorda  dorsalis  ähnliches  Gebilde.  Denkt  man  sich  diese  Metamorphose 
des  Protoplasma  bei  einzelnen  Zellen  in  der  Weise  vorrückend,  dass 
bald  von  der  ursprünglichen  Zelle  nichts  mehr  als  der  Kern  mit  einem 
Stern-  oder  spindelförmigen  Protoplasmareste  übrig  bleibt,  während 
andere  auf  der  früheren  Stufe  stehen  bleiben ,  so  haben  wir  je  nach 
dem  Meni^enverhältniss ,  in  dem  beide  Arten  von  Zellen  zu  einander 
stehen ,  die  Structur  des  Mantels  von  Aplidium ,  Phallusia  etc.  Bleiben 
gar  keine  Zellen  auf  der  urspillnglichen  Stufe  stehen,  sondern  ßndet 
die  Verwandlung  des  äussern  Protoplasma  in  Gellulosesubstanz  bei  allen 
gleich  in  der  angedeuteten  Weise  statt,  so  erhaRen  wir  den  Mautel  von 
Pyrosoina,  Ascidia  intestinalis,  Salpa,  Botryllus  etc.  Bleibt  endlich 
die  gleichsam  aus  den  Zellmembranen  und  ihren  Verdickungsschichten 
entstandene  Cellulosegrundsubstanz  nicht  hyalin,  sondern  spaltet  sie 
sich  in  Fasern,  so  haben  wir  das  Gewebe  des  Mantels  von  Cynthia, 
Boltenia  etc. « 

Dieser  von  Eilhard  Schulze  angenommenen  Histiogenese  kann  ich 
nicht  beipflichten.  Wie  schon  bei  der  embryonalen  Entwickelung  des 
Manl<«ls  angeführt  wurde,  finden  sich  bei  Phallusia  mamillata  anfing- 
lieh  nur  kleine  Spindel-  oder  Sternzellen.  Kupffbr  und  Kowalbvs&y 
haben  ebenfalls  an  Tunicatenembryonen  nie  jene  Hohlzellen  beobachtet 
und  ferner  giebt  Krohn  speciell  von  unsrer  Phallusia  mamillata  an, 
dass  die  grossen ,  rundlichen ,  dünnwandigen  Zellenräume  erst  später 
erscheinen :  Anfangs  sei  ihre  Zahl  noch  gering ,  später  nehme  sie  zu 
und  zugleich  würden  auch  die  Zellenräume  grösser. 

Jede  der  grossen  rundlichen  Hohlzellen  besitzt  einen  Nucleus  mit 
Nucleolus ,  der  zuerst  von  Eilbard  Schulze  nachgewiesen  wurde  und 
bei  dünnen  Schnitten  an  einem  grossen  Theil  der  Zellen  auf  das  deut- 
lichste zur  Anschauung  zu  bringen  ist  (Fig.  14,  I — IV).  Derselbe  ist 
immer  wandständig,  entweder  in  das  Lumen  der  Zelle  oder  in  die  um- 
gel>ende  Gellulosesubstanz  hineinragend.  Den  Inhalt  der  Hohlzellen  bil- 
det zum  allergrössten  Theil  kein  Protoplasma,  sondern  eine  wasserhelle, 
klare  Flüssigkeit  (Fig.  19.  13).  -  Daher  färben  sich  die  Kugeln  mit  Gar- 
min  nur  schwach  und  stellenweise.  Ausser  dieser  Flüssigkeit  findet 
sich  noch  eine  sehr  geringe  Menge  Protoplasma  vor.  Schacht  beschreibt 
dasselbe  als  eine  Zellmembran,  die  sich  genau  wie  der  Primordial- 
schlauch  der  Pflanzenzelle  verhalten  soll,  zierlich  gefaltet  sei,  kleine 
Kömchen  enthalte  und  durch  Jod  und  Schwefelsäure  sich  braun  färbe, 
sowie  durch  Schwefelsäure  aliein  zusammenschrumpfe.  Eilhard 
Schulze  fasst  diese  Membran  als  äussere  Protoplasmaschicht  auf,  in 
welcher  auch  der  Kern  liegen  und  durch  deren  Umwandlung  die  Cellu- 
losemasse  entstehen  und  die  Kugelzellen  sich  verkleinern  sollen.     Die 


\i 


üntersurbangen  über  d.  Baa  n.  die  Rntwiekelimg  d«8  Cellulose-Mantels  der  Tnnicateii.    (>3 

Ausserdem  sieht  man  in  dieser  Gegend  nicht  selten  Kuj^elzeflen ,  die 
3  —  40 mal  kleiner  sind,  als  die  grössten  derartigen  Blasen.  Bei  der 
zweiten  von  mir  untersuchten  Phallusia-Species  sind  im  ganzen  Mantel- 
l^ewebe  die  grossen  Kugelzellen  seltener;  dagegen  finden  sich  ausser 
zahlreichen  sternförmigen  Zellen  überall  durch  den  Mantel  zerstreut 
zahlreiche  kleine  bläschenförmige  Körper  mit  Auslöufeirn ,  wie  Stern- 
Zellen^  die  wandslji^ndiges  Protoplasma  mit  einem  Kern  und  ein  Flttssig- 
keitströpfchen  iiu  Innern  besitzen,  mithin  vollkommen  sehr  kleinen 
Kugelzellen  gleichen  (Fig.  16,  II.  III.) .  Endlicb  l^sst  sich  in  einzelnen 
Füllen  ,  besonders  bei  Jod-  URd  Schwefelsüurebehandlung  beobachten, 
dass  auch  von  der  Umgebung  der  Kerne  grosser  Kugelzellen  in  die 
Cellulosemasse  Pvotoplasmaaustoufer  aiDsgehen  (Fig.  1 4,  lllj.. 

Ich  glaube  in  diesen  verschiedenen  Bildern  die  Entstehung  der 
Kugelzellen  vollständig  vor  Augen  zu  haben.  Wir  haben  uns  dieselbe 
so  vorzustellen.  In  den  einfachen  BindegewebszeNen,  welche  im  Mantel 
aller  Tunicaten  vorkommen  und  aus  eingewanderten  Epidermiszellen 
entstanden  sind ,  sammelt  sich  bei  einigen  Arten  Flüssigkeit  im  Innern 
ant.  Die  sternförmige  Zelle  wird  dadurch  nach  und  nach  viel  grösser 
und  nimmt  eine  rundliche  oder  selbst  kugelige  Gestalt  an.  Der  Kern 
wird  an  die  Wand  gedrängt.  Das  Protoplasma  bekleidet  in  einer  dünnen 
Schicht,  um  den  Kern  dichter  angehäuft,  die  Wand  des  so  entstandenen 
Bläschens^  Wird  die  Flttssigkeitsmenge  bedeutender,  so  reicht  schliess- 
Ii4*h  das  Protoplasma  nicht  mehr  aus,  um  als  geschlossene  Membran  den 
fltlssigen  Inhalt  zu  umhüllen.  Es  bleibt  allein  um  den  Nudeus  ange- 
häuft und  schickt  von  da  einzelne  Fäden  an  der  Kugelinnenfiäche  hin, 
wie  solche  auch  in  die  umgebende  Cellulosemasse  von  ihm  ausstrahlen. 
Fftr  diesen  Process  der  (Ittssigen  ZellinfiUration  bieten  sich  uns  Analoga 
in  dem  blasigen.  Bindegewebe  der  Arthropoden  und  Mollusken,  den 
Chordazellen  und  auch  in  den  Feitzellen  der  Wirbehhiere.  Alle 
diese  Zeilen  sind  Gebilde,  die  wir  uns  durch  Ansammlung  einer 
flüssigen  Substanz  in  ckm  Protoplasma  einfacher  Bindegewebszellen 
entstanden  denken  müssen.  Die  Lebensthätigkeit  der  Bindegewebszelie 
durchläuft  hier  zwei  Phasen :  la  der  ersten  Phase  bildet  sie  äussere,  in 
der  zweiten  innere  Plasma-Producte  (Haicksl  ,  generelle  Morphologie, 
Vol.  1.  pag.  28^).  In  der  ersten  Phase  entwickelt  sich  die  Ceüulose,  die 
nach  aussen  abgesetzt  wird.  In  der  zweiten  Phase  dagegen  sammelt 
sich  flüssig  bleibende  Substanz  im  Innern  der  Zelle  an  und  bildet  so 
eine  Blase.  Die  Wand  dieser  Blase  wird  zuerst  von  einer  sehr  dünnen 
Proioplasmaschichif  später  nach  deren  Durchbruch  theil weise  von  der 
festen  Zwisehenmasse  derCellulose-Grundsubstanz  gebildet.  Auch  fand 
ich  einzelne  Blasenzellen  vor,  deren  Wand  mit  einem  körnigen  Beleg 


Oskitr  Hertwlg, 

^hen  bedeckt  war.    Durch  Carmin  wurde  derselbe  niohl  ge- 
d  auf  Säurezusatz  lösten  sich  die  Körnchen  un(er  Entwickelung 
ttlasen  auf. 
m  Befund  will  ich  nicht  unerwshnt   lassen ,  welchen  ich  bei 

mamtllata  selten,  hilufig  bei  der  zweiten  Phallusienarl  ange— 
)be ;  nämlich  Kugelzellen  mit  zwei ,  drei  und  mehr  wandsum- 
nd  von  gesonderten  Protoplasmaoiassen  eingehüllten  Kernen 
V.  VI.) .  Die  Anzahl  dieser  von  einem  Protoplasmahof  umge- 
!me  war  in  einzelnen  Fällen  so  bedeutend  und  ihre  Lage  der- 
sie  den  Schein  einer  besonderen,  die  Innenwand  des  Raumes 
inden  unvollständigen  Epilbelschicht  hervorriefen.  Ich  lasse  es 
lellt,  ob  \sir  uns  diese  Gebilde  durch  Theilung  der  ursprUng- 
indegewebszelle  entstanden  denken  sollen  oder  durch  Ver- 
ing  mehrerer  benachbarter  Blasenzellen  oder  durch  Einwände- 
feglicher  Zellen  in  eine  schon  entwickelte  Blasenzelle.  Es  reibt 
es  Bind^ewebe  naturgemiiss  an  das  als  blasiges  Bindegewebe 
IG  bezeichnete  an. 

er  <lie  Vertheilung  der  Bindegewebszellen  mit  Ausläufern  un<l 
gen  Blasen  im  Hantel  von  Phallusia  mamillata  ist  noch  Einiges 
ilgen.  In  Betreff  dieses  Punktes  verweise  ich  zugleich  auf 
'Arbeit,  der  dieses  Verhältniss  genau  und  zutreffend  geschildert 
der  Innenseite  der  Celluloseschichl,  nach  aussen  vom  Hantel- 
[>lgt  eineiiemlich  ansehnliche  homogene  Schicht  mit  gestreckten 
krebszellen,  deren  I^ngsaxe  der  Hanl«lflHcbe  parallel  gerichtet 
IS).  Vereinzelt  kommen  auch  kleine  Kugelzellen  in  dieser 
ror.  Auf  diese  folgt  die  blasige  Gewebsschicht.  Anfangs  sind 
Inen  Blasen  noch  etwas  kleiner  und  durch  beträchtlichere  Zwi- 
stanz  getrennt;  mehr  von  der  Innenfläche  entfernt  erreichen  sie 
ste  Ausdehnung  und  dann  bildet  die  Zwischensuhstanz  meist 
I  zarte  Zwischenwände.  Bings  um  die  GefJsse  zeigt  sich  ein 
iprechendes  Verhältniss  (Fig.  43] :  zunächst  dem  Epithel  eine 
ir  minder  beträchtliche  homogene  Schiebt  mit  reichlichen  Biode- 
iUen;  dann  folgt  die  Blasenschichl,  welche  zuerst  mit  kleinen 
;h  reichlichere  Zwischenmasse  getrennten  Kugelzellen  beginnt, 
f  der  Aussenseite  des  Mantels  liegen  zerstreute  Haufen  von 
braunen  Pigmentzellen ,  welche  die  TUpfelung  auf  der  Ober- 
a  Phallusia  mamillata  hervorrufen. 
t  sehr  interessante  und  bis  dahin  bei  den  Tunicaten  noch  nicht 

Bindegew ebsart  traf  ich  bei  Piialtusia  cristata  an.  Bei  dieser 
det  sich  nämlich  zwischen  dem  Huskelschlauch  und  dem  dUn- 
el  ein  ziemlich  betrücbtlicher  Zwischenraum.    Der  Mantel  ent- 


Uiitersnchiingeii  über  d«  Ban  n.  die  Eütwiekekinfgr  des  Gellotose- Mantels  der  Tiinicaten.    65 

hält  ebenfalls  die  beficbriebenen  Kagelzeiien,  aber  keine  GefSisse.  ich 
schniii  ein  Lodli  in  den  Mantel,  um  die  austretende  Flüssigkeit  zwisehisn 
ihm  und  dem  Muskelschlauch  zu  untersuchen.  Unter  dem  Mikroskop 
fand  ich  den  Objectträger  mit  frei  herumschwimmenden  Kugelzellen  be- 
deckt, bestehend  aus  einer  zarten  Membran  mit  Flüssigkeit  im  Innern, 
einem  wandsUlndigen  Kern  mit  Protoplasma  und  feinen,  von  diesem 
ausgehenden  Fäden  (Fig.  4  4, 1.  II. ) .  Die  Zellen  sind  sehr  zart  und  wasser- 
reich, denn  an  den  in  Alkohol  oonservirten  Thierep  fand  ich  sie  nach- 
träglich ganz  geschrumpft  und  unkenntlich.  Die  Kugelzellen  sind  also 
hier  durch  eine  flüssige  Intercellularsubstanz  von  einander  getrennt.  So 
eiiilärte  sich  zugleich  auf  einfache  Weise  der  anfangs  befremdende  Befund, 
dass  Mantel  und  Muskelschlauch  durch  einen  Hohlraum  getrennt  sein 
sollten.  Eine  Lücke  war  nicht  vorhanden.  Flüssiges  Bindegewebe  füllte 
sie  aus.  Hierdurch  aufmeriLsam  geworden,  liess  ich  bei  anderen  Phallu- 
sien  (parallelogramma ,  intestinalis),  wo  der  Muskelschlauch  frei  im 
äusser^i  Mantel  zu  hängen  scheint,  Flüssigkeit  austräufeln  und  ent- 
deckte in  dieser  ebenfalls  eine  Menge  von  kleinen  sternförmigen  nackten 
Zellen,  welche  i^  Grösse  und  Kern  den  Bindegewebszellen  des  Gallert- 
mantels entsprachen  und  amöboide  Bewegungen  ausführten.  Mit  der 
stärksten  Vergrösserung  betrachtet,  änderten  sie  ihre  Form  jeden  Augen- 
blick, indem  sie  bald  hier,  bald  da  einen  Fortsatz  ausstreckten  und 
wieder  einzogen.  Fig.  25  a — g  giebt  die  Formveränderungen  wieder, 
welche  eine  und  dieselbe  Zelle  im  Verlauf  von  weniger  als  zehn  Minuten 
durchmachte.  In  diesem  Falle  haben  wir  ein  Bindegewebe  mit  ganz 
flüssiger  Intercellularsubstanz ,  von  kleinen ,  amöbenartigen  Zeüen  be- 
lebt, vor  uns. 

Eine  andere  Form  der  Bindesubstanz  treffen  wir  bei  den  Cynthien 
und  ihren  Verwandten  an.  War  bei  den  bisher  geschilderten  Ascidien 
die  Zwischensubstanz  homogen,  so  ist  sie  hier,  in  mehr  oder  minder 
hohem  Grade  bei  den  einzelnen  Arten,  fasrig  zerfallen.  In  geringerem 
Grade  fasrig  ist  der  Mantel  von  Gynthia  canopus,  C.  polycarpa,  G. 
echinata,  in  höherem  bei  G.  mytiligera,  G.  microcosmus  und  besonders 
G.  papiilata.  Während  bei  den  meisten  die  Faserzttge  in  einer  Bichtung 
verlaufen  und  sich  durohflechten  (Taf.  VI.  Fig.  S6,  29,  30),  bemerkt 
man  bei  Gynthia  papiilata  zwei  Systeme  von  Faserzügen ,  die  sich  unter 
reofatem  Winkel  kreuzen ,  und,  in  der  ganzen  Dicke  der  Mantelsubstanz 
mit  einander  abwechseln  (Fig.  27,  e,  f).  In  Eiuuan  Sghulzb's  Arbeit  ist 
dieses  Verhältnisses  eingehender  geschildert. 

Die  eigentlichen  Formelemente  sind  bei  allen  Arten  kleine  Spindel- 
Zellen  Hiit  einem  stäbchenförmigen  Kern,  deren  Grösse  nach  den  Species 
geringe  Differenzen  darbietet.    Sie  werden  in  dem  einen  Mantel  reich- 

B<l.  VII.  1 .  5 


dereD  spärlicher  angetroffen  [F^.  VI.  Fig.  26, 28, 29, 30) . 
ckten  Bindegewebszellen  ktinoen  weiterhin  Verände- 
Wie  bei  den  Tunicaten  mit  homogener  Zwischensub- 
3  durch  die  flüssige  Infiltration  eigenthUmlicfa  verändert 
ei  den  Cynthien  eine  Pigmentinfiltration  an  deren  Stelle, 
e  früheren  Zellen  an  Umfang  um  das  Zwei-,  Drei-  und 
erden  kttrnig  und  enthalten  einen  gelben  oder  braunen 
n  Efm  meist  nicht  mehr  erkennen  lasst.  Bei  Cynthia 
Dopus,  C.  echinala  treten  Pigmentzellen  nur  vereinzelt 
dagegen  massenhaft  bei  G.  papillata  und  G.  microcos- 
30.  ff}.  Bei  ersterer  liegen  sie  schon  der  Epithelschichl 
,men  von  da  nach  aussen  mehr  und  mehr  ab,  indem  sie. 
;m  körnigen  Detritus  zerfallen.  Bei  Cynthia  microcosmus 
intelgofüsse  dicht  ein  und  treten  oft  so  reichlich  auf, 
ä  an  Pigmentzeile  liegt.  Wie  schon  bemerkt,  haben  wir 
a ,  wo  sie  zuweilen  ganz  dicht  dem  Epithel  eines  Ge- 
ils  Abkömmlinge  der  gestreckten  Bindegewebszellen  zu 
m  Ursprung  wir  wiederum  von  ausgewanderten  Epi- 
uleiten  haben. 

geht  das  Hantelbindegewebe  fast  stets  in  einen  gel- 
der  die  Gellulosereaction  nicht  liefert. 
'  Bildungen  will  ich  gedenken ,  die  durch  besonderes 
lindegewebes  an  einzelnen  Stellen  hervorgerufen  wer- 
liche,  regelmässige  Formen  bilden  können.  Als  solche 
die  Stachelbildungen  bei  Cynthia  papillata  und  jene 
lynlhia  ecbinata  ihren  Namen  verdankt.  Hier  finden 
en  Hanteloberflüche  zapfenartige  Verlängerungen.  Ein 
Bu  ist  vollkommen  solide,  an  seiner  Spitze  etwas  ver- 
auf  der  Verdickung  einen  mittleren,  längeren  Stachel, 
»Kreise  herum 8 — 12horizontal  gestellte  und  zuweilen 
Lleinere  Stacheln,  die  wieder  mit  Stachelchen  besetzt 
iwischen  den  ziemlich  gedrängt  stehenden  Zapfen  sind 
ne  noch  mit  kleinen  Stacheln  bedeckt.  Dadurch  erhalt 
ter  Species  ein  ungemein  charakteristisches  Aussehen, 
echapfel  oder  noch  besser  mit  manchen  Cactusformeu, 
Aas,  sich  vergleichen  lässt.  Stacheln  und  Mantelober- 
!r  gelben,  die  Gellulosereaction  nicht  liefernden ,  dtln- 
ächichl  bedeckt. 

eigenlhUmliche  Bildung  producirt  das  Bindegewebe  des 
hia  myliligera.    Es  entspringen  von  seiner  Oberfläche 

lange  raDkesToroiige  Ausläufer  (Fig.  33).  Pieselben 


Untersnchungen  Qher  d.  Baa  u.  die  RDtwicketoiig  des  Celtulose-Mantels  der  Tuiiicateu.    67 

sind  voUkonimen  solide  und  bestehen  ganz  aus  Bindegewebe ,  in  dem 
grosse  gelbe  Pignientzellen  liegen.  Die  Pigmenlzellen  zeigen  einen  dop- 
peilen Gontour,  was  auf  eine  besondere  Membran  hinweist,  und  besitzen 
einen  deutlichen  Kern  (Fig.  31).  Im  übrigen  Mantel  kommen  sie  selten 
vor.  Mit  diesen  Ranken  verkleben  und  verkitten  sich  Sandkörner, 
Mollusken-Schaalen,  Trümmer  von  Echinodermen-Skeleten  und  andere 
Best^ndtheile  des  Meeresbodens ,  so  dass  die  Cynthia  oft  ganz  dicht  mit 
einer  Masse  von  fremden  Körpern  be/leckt  ist. 


6.  Wachstham  des  Ascidlen  -  Mantels. 

Wie  wir  von  der  Epidermiszellenlage  die  erste  Entstehung  des 
Mantels  haben  ausgehen  sehen,  so  müssen  wir  auch  in  dieser  die  haupt- 
siicblichste  Quelle  seines  weiteren  Wachsthums  erblicken.  Wir  werden 
daher  zunUchst  auf  diese  fUr  den  Mantel  so  wichtige  Bildung  noch  einige 
Blicke  werfen. 

Die  Epidermiszellenlage  ist  einschichtig.  Die  Zellen  sind  platten- 
förmig  oder  fast  kubisch,  von  rundlichem  oder  polygonalem  Umriss.  Bei 
den  Salpen  haftet  das  Epithel,  wenn  man  äussere  und  innere  Mantellage 
trennt,  zum  Theil  dieser,  zum  Theil  jener  an,  und  ist  wegen  seiner  sehr 
zarten  Beschaffenheit  oft  nur  schwer  wahrzunehmen.  Die  Zellen  sind 
gross  und  sehr  flach  (Taf.  Y.  Fig.  48].  Bei  Phailusien  sind  die  Epithel- 
zellen von  einander  durch  eine  massige  Menge  Zwischensubstanz  ge- 
trennt. Ihre  Grösse  ist  geringer  als  bei  Salpa  costata  (Fig.  17).  Ganz 
ebenso  verhält  sich  das  Epithel  an  den  Mantelgefässen  und  Endkolben 
von  Phallusia  mamillata,  wo  es  dem  Beobachter  leicht  entgeht  (Fig.  22). 
Bei  den  Cynthien  sind  die  Epithelzellen  meist  noch  etwas  kleiner  als  bei 
den  vorhergehenden ;  in  den  Stolonen  und  Geissen  sind  sie  mehr  spin- 
delförmig gestreckt  (Fig..  88.  a) .  Von  Cynthia  papillata  beschreibt  Eil- 
iiARD  ScauLZB  (abweichend  von  Löwig  und  Kölliue)  ein  schönes,  grosses 
Cylinderepithel ,  von  dessen  Existenz  ich  mich  indessen  nicht  habe 
überzeugen  können.  Auch  hier  beobachtete  ich  nur  das  schon  erwähnte, 
kleinzellige ,  platte  Epithel ,  welches  nach  innen  der  Musculatur  dicht 
aufliegt  und  nach  aussen  unmittelbar  streckenweise  von  den  Pigment- 
zellen bedeckt  wird ,  so  dass  man  es  auf  Querschnitten  schwer  sieht. 
Dagegen  kann  man  es  in  ganzer  Ausdehnung  leicht  darstellen ,  sobald 
man  die  Musculatur  vom  äusseren  Mantel  abzieht.  Derselben  haftet  bei 
dieser  Operation  die  Epithelschicht  an  und  man  hat  jetzt  nur  noch  von 
der  so  erhaltenen  Lamelle  die  Muskelbündel  vorsichtig  abzutragen ,  um 
ihrer  ansichtig  zu  werden.   An  Stellen,  wo  man  vom  Gellulosemantel  die 

5* 


Oikaf  Hertwig, 

;eslreift  hat,  sieht  man  noch  deutlich  die  CoDlouren  der 
«Q,  indem  jede  io  einer  kleinen  Aushöhlung  der  Cellulose- 
}hsam  in  diese  eingelassen  liegt.  Auf  Querschnitten  fällt 
^llen  meist  eine  dachziegelftfrmige  Anordnung  zeigen  und 
einer  Spitie  in  die  Gellulosemasse  hineinragen.  Häi^g 
itreckte  Bindegewebszelten  der  Epilhelsdiicht  dicht  an  und 
laus  den  Eindruck ,  als  ob  sie  kUnlich  vom  Epithel  aus  in 
istanz  ausgetreten  seien  (Fig.  26.  a,  b).  Günstige  ObjecUt 
ibachlungen  bietet  die  Hantelbasis  von  Cynthia  polycarpa, 
onenartige  Fortsatze  hineinragen  fTig.  28.  b,b).  Hier  sieht 
,  wie  um  die  EinstUlpungca  herum  die  Bindegewebssellen 
oplasma reicher  und  hiiufiger  sind ,  zuweilen  dem  Epithel 
1  oder  halb  aus  demselben  hervorragen. 
s  Bildungen  deuten  darauf  hin,  dass  das  Dickenwacbsthum 
lauptsächlich  von  der  Epidermis  aus  erfolgt,  sowohl  von 
iseit«  des  Hsutels,  als  von  der  die  Stolonen  und  Blutge- 
lendcn  Epithelialzellenschicht.  Ebenso  wie  die  erste  Enl- 
if.  auch  das  weitere  Wachsthum  durch  Ausscheidung  einer 
:n  Grundsubslanz  und  Einwandern  einzelner  Epithelzellen 
welche  dann  weitere  Metamorphosen  eingehen  kt^ncn. 
■esichtspunkt  aus  betrachtet,  erklüren  sich  uns  verschie- 
en ,  deren  schon  früher  Erwähnung  gethan  wurde.  Ich 
die  Verhältnisse  von  Pballusia  mamillala,  wo  wir  eine 
lidkt,  in  der  fast  nur  kleine  Bindegewebszellen  liegen,  an 
i  des  Uantels  und  um  die  Getässe,  also  überall  zunächst 
orßnden,  und  erst  weiter  nach  aussen  kleinere  Kugelzellen 
tn  (Fig.  13,  13).  Diese  Anordnung  erklärt  sich  von  selbst 
1  beschriebenen  Wachsthum  und  aus  der  Voraussettung, 
Izellen  aus  Bindegewebszellen  hervoi^eben.  Ferner  haben 
loben,  wie  bei  Cynthia  papillata  und  C.  microcosmus  an 
0  des  Mantels  die  Pigoientzellen  massenhaft  angehüuft 
ssen  abnehmen  und  öfters  ki»rnig  zerfallen  (Taf.  VI.  Fig. 
ich  ist  noch  zu  betonen,  wie  bei  den  Cynthien,  besonders 
'.  schichtenweise  Ablagerung  der  Mantelsubstant  sich  Ite- 
it(Fig.  27). 

ileibt  nicht  ausgeschlossen,  dass  auch  durch  Theilung  der 
llulosemantol  liegenden  Bindegewebszellen  und  weitere 
von  Geilulose  aus  ihnen  das  Mantclwachsthum  gefordert 
B.  Jedenfalls  aber  wird  dieses  das  untergeordnete  sein, 
eisten  Fällen  die  secretorische  Zellthäligkeit  eine  andere 
eschlagen  zu  halK>n  scheint:  in  der  Bildung  von  Pigment 


?*     _  1 


Uolersnehungen  Aber  d.  Bau  u.  die  Entwirkcilini;  des  fellulose-Maniels  der  Tunicaten.    69 

und  der  AnsammluDg  von  Flüssigkeit  in  dem  Protoplasmakörper  der 
Zellen  selbst. 

Die  gewonnenen  Resultate  der  vorliegenden  Untersuchung  lassen 
sich  etwa  in  folgenden  Sätzen  zusammenfassen : 

1.  Der  Cellulosemantel  der  Tunicaten  (Tunica  externa)  und  die 
bindegewebige  innere  Körperschicht  (Tunica  interna)  hängen  bei  allen 
Tunicaten  mehr  oder  ir)*rder  innig  Kusammen,  sind  jedoch  stets  durch 
eine  einzige  zusammenhängende  epitheliale  Zellenlage,  die  eigentliche 
Epidermis,  getrennt.  Bei  Phallusia  intestinalis,  P.  cristata  etc.  wird  nur 
der  Schein  einer  weiteren  Trennung  hervorgerufen ,  indem  den  angeb- 
liehen  Zwischenraum  fltissiges  oder  halbfltissiges  Bindegewebe  ausfüllt. 

2.  Die  Celluloseschicht  setzt  sich  an  der  Ingestions-  und  Egcstions- 
öflfhung  eine  Strecke  weit  über  die  innere  Körperschicht  fort,  ohne 
irgendwo  in  dieselbe  überzugehen. 

3.  Auch  im  Inneren  des  Tunica tenkörpers  kann  ein  Bindegewebe 
vorkommen,  das  die  Cellulosereaction  des  Mantels  liefert,  so  im  Muskel- 
schlauch und  am  Darm  von  Cynthia  mytiligera. 

4.  Die  Musculatur  bildet  bei  den  Ascidien  (nicht  bei  den  Salpen 
und  ihren  Verwandten)  ein  System  von  sich  kreuzenden  glatten  Muskel- 
faserbündeln, in  deren  Interstitien  die  wandungslosen  Blutgefässe  ver- 
laufen. Bei  gut  entwickelter  Musculatur  lassen  sich  zwei  Längsfaser- 
lagen  und  eine  sie  trennende  Ringfaserlage  unterscheiden. 

5.  Die  Blutgefässe  im  Mantel  von  Phallusia  mamillata  führen  kein 
eigenes  inneres  Epithelium  und  gehören  ihrer  Entstehung  und  ihrem 
Bau  nach  noch  zur  inneren  Leibesschicht ;  sie  sind  überall  durch  Man- 
telepithel (Epidermis)  und  eine  dünne  Lage  aus  der  inneren  Tunica 
ausgestülpten  Bindegewebes  von  der  Cellulosemasse  getrennt.  Eine 
ganz  gleiche  Gefässeinrichtung  findet  sich  im  Mantel  von  Cynthia  mi- 
crocosmus.  Beide  sind  den  Stolonenbildungen ,  wie  sie  namentlich  an 
der  Basis  des  Mantels  vorkommen ,  homolog. 

6.  Der  Gellulose-Mantel  ist  keine  persistente  Eihaut.  Er  entsteht 
nicht  aus  den  Testazellen ,  sondern  zunächst  als  Cuticularbildung  von 
den  Epidermiszellen  aus.  Dieses  Stadium  findet  sich  dauernd  erhalten 
im  Mantel  von  Doliolum  und  Appendicularia ,  in  dem  sich  keine  Form- 
elemente vorfinden.  Später  wandern  bei  den  Ascidien  Epidermiszellen 
in  den  Mantel  ein  und  bilden  seine  ursprünglichsten  und  auf  einem 
gewissen  Stadium  allen  Ascidien-Arten  in  derselben  Form  zukommen- 
den zelligen  Elemente.  Die  ursprüngliche  Cuticularschicht  der  Epi- 
dermis verwandelt  sich  also  später  durch  Zelleneinwanderung  in  wirk- 
liche cellulose  Bindesubstanz. 


tmt 


rntersiicbungeo  über  d.  Bau  u.  die  Entwickelnng  des  rellulose-Haniels  der  Tiinicaten.    71 


ErUbug  der  AbbilduigeB. 

Tafel  rv. 

Fig.     4.     Längsschnitt  durch  die  Ingestionsöffnung  von  Salpa  costata. 

A  Cellulosemantel  (Cuticuia). 

B  Tunica  interna  (Cutis). 

C  Mantelepithel  (Epidermis) - 

a  Bindegewebszellen. 

b  Blutraum. 

c  Inneres  Epithel  (Fortsetzung  der  Epidermis). 

d  Ringmuskelbündel. 
Fig.     2.     Schnitt  durch  den  Stock  einer  compositen  Ascidie  vBotryllus  sp.) 

Bezeichnungen  wie  in  Fig.  4 . 
Fig.     3.     Querschnitt  durch  die  Leibeswand  von  Cynthia  canopus. 

Bezeichnungen  a — d  wie  in  Fig.  1. 

9  Aeussere  Lftngsmuskelschicht. 

f  Innere  Längsmuskelschicht. 

g  Eierstock. 

h  Knglige  Anhäufungen  von  Zellen  im  Mantel. 
Fig.     4.     Längsschnitt  durch  die  Ingestionsöffnung  von  Cynthia  polycarpa. 

Bezeichnungen  wie  in  Fig.  8. 
Fig.    5.     Schematische    Darstellung    eines     Mantelgefösses    von    Phallusia    ma- 
roillata. 

h  Hinleitendes  Gefäss. 

r  Rückleitendes  Gefilss. 

k  Endkolben. 
Fig.    6  —  8.     Scbematische    Darstellung     beginnender    Mantelgeflissbildung    von 
Phallusia  mamillata.     (Fig.  6  früheres,    Fig.  7  —  8  weiter    entwickelte 
Stadien. 

r  hk  wie  in  Fig.  S. 

m  Mantelepithel. 

n  Bindegewebe,  das  die  Innenwand  des  Gefässes  bildet. 

p  Bindegewebslameile ,    welche  auf-   und  absteigenden  Arm  trennt ; 
in  Fig.  7  schraffirt  dargestellt ;  ebenso  in  Fig.  8,  wo  sie  sich  in  die 
Arme  pi  und  p2  theilt. 
Fig.     9.    Junger  Embryo  von  Phallusia   mamillata,   mit  Jod  und  Schwefelsäure 
behandelt. 

A  CellulosehüUe. 

E  Leib  des  Embryo. 

y  EihüUe. 

t  Testazellen. 
Fig.  40.    Ausgeschlüpfter  Embryo  von  Phallusia  mamillata,  dessen  Schwanz  sich 
schon  rückgebildet  hat. 

ABB  wie  oben. 

B  Reste  anklebender  Eihüllen. 


Uniersofhoiigeii  über  d.  Bau  h.  die  Eiitwickelun(r  des  Cellnlose-Maiiiels  der  Tiiiiicateii.    73 

b  Bindegewebszelle  mit  wenigen  Fasern  umgeben. 

c  Bindegewebszelle  in  einem  Faserknäuel. 

d  Faserknftuel  ohne  Zelle. 

e  Bindegewebsfasern. 
Fig.  24.     Bindegewebe  aus  der  Darmwand  von  Cynthia  myiiligera. 

Bezeichnungen  wie  bei  Fig.  23. 
Fig.  25.    Verschiedene  Formen  einer  amöboiden  Zelle  aus  dem   flüssigen  Binde- 
gewebe von  Phallusia  parallelogramma. 
Fig.  26.     Querschnitt  durch  den  Mantel  von  Cynthia  canopus. 

a  Mantelepithel. 

b  Ausgcrwaftderte  Bptthelzelle. 

c  Spindelförmige  Bindegewebszelle. 
Fig.  27.     Querschnitt  durch  Muskelscblauch  und  Mantel  von  Cynthia  papillata. 

A  Muskelschlauch. 

B  Mantel. 

a — c  wie  in  Fig.  26. 

d  Pigmentzelle. 


M  \  abwechselnde  Faserlagen 


Fig.  28.    Stolonen  aus  der  Mantelbasis  von  Cynthia  polycarpa. 

ab  c  wie  in  Fig.  26. 
Mg.  29.     Mantel  von  Cynthia  polycarpa. 

c  d  wie  in  Fig.  26. 
Fig.  30.     Querschnitt  durch  den  Mantel  von  Cynthia  microcosmus. 

ac  d  wie  oben. 

g  Bindegewebszellen  der  inneren  Tunica. 

h  Hinieitendes  Gef^ss. 

r  Rückleitendes  Gefäss. 

p  Trennende  Lamelle. 
Kig.  81.     Pigmentzelle  aus  den  Ranken  von  Cynthia  mytiligera. 
Fig.  82.     Mantelfortsätze  von  Cynthia  echinata. 
Fig.  38.     Ranke  von  der  Manteloberfläche  von  Cynthia  mytiligera. 


BciMge  tut  Keaituiss  des  I 

Eine  akademische  F 

Bichard  Hert 

Btnd.  Bi«d.*aeH[iUbi 

Hierzu  Taf.  VII.  \ 

I.  Allgemeioe  Bemerkai^en  Bber  die  Morphologie  der  Ascidlen. 

Die  überraschenden  Entdeckungen,  welche  vor  vier  Jahren  Ko- 
WALBWSK1  über  die  embryonale  Enlwickelung  der  Ascidien  veröffent- 
lichte, haben  die  Aufmerksamkeit  der  Zoologen  dieser  merkwtlrdigen 
Thiei^ruppe  in  einem  frUbcr  unbekannten  Haasse  zugewendet.  Die 
höchst  interessante  und  wichtige  Uebereinstimmung,  welche  nach  jenen, 
inzwischen  von  Kupffer  bestütigten  Entdeckungen  in  der  individuellen 
Entwickelung  zwischen  diesen  niedrig  oi^nisirten  WUrmern  und  dem 
niedrigsten  Wirbelthiere ,  dem  Amphioxus,  besteht,  bat  einen  gänzlich 
unerwarteten  Lichtstrahl  in  die  dunkle  Stammesgeschicbte  der  Thierc 
hinein  feilen  lassen.  Denn  eingedenk  des  innigen  ursächlichen  Zu- 
sammenbanges, welcliei'  zwischen  der  Ontogenie  und  der  Phylogünlo 
der  Oi^anismen,  zwischen  der  individuellen  Entwickelungsgescbicble 
des  Thieres  und  der  palüontok^i sehen  Geschichte  seiner  Vorfahren  be- 
steht, nmss  man  aus  jener  onUigenetischen  Uebereinstinimung  zwischen 
Amphioxus  und  den  Ascidien  unmittelbar  den  höchst  wichtigen  phylo- 
genetischen Schluss  ziehen,  dass  die  gemeinsame  Stammform  aller 
Wirbelthiere  unter  allen  uns  bekannten  Thierfoi'men  mit  den  Ascidien 
die  nächste  Verwandtschaft  besessen  und  mit  ihnen  aus  einer  gemein- 
samen älteren  Stammform  sich  entwickelt  hat. 

Unsere  anatomischen  Kenntnisse  vom  Baue  der  Ascidien  befinden 
sich  dagegen  noch  heut«  in  einem  Zustande  von  Unvollkommenheit,  der 


M^B 


Beitrag«  zur  Keiiutiiiss  des  Baues  der  Ascidien.  75 

zu  jenen  etaibryologischen  Aufschlüssen  einen  starken  Gegensalz  bildet. 
Seit  Savigfit's  klassischer  Arbeit,  den  unübertroffenen  »  Recherches  ana- 
tomiques  sur  les  Ascidies «  etc.  sind  im  Ganzen  nur  wenige  und  unbe- 
deutende Fortschritte  in  der  Anatomie  der  Ascidien  gemacht  worden. 
Noch  heute  sind  wir  vollkommen  im  Unklaren ,  welche  Bedeutung  ein- 
zelnen, für  die  Tunicatengruppe  charakteristischen  Oi^anen,  dem  Endo- 
styl,  der  Bauchrinne,  der  Flimmergrube  etc.  zuzuschreiben  ist.  Was 
da  Leber  ist,  ob  eine  Niere  vorhanden  und  wie  gebaut,  sind  noch  un- 
gelöste Fragen.  Bei  mehreren  Ascidien  sind  sogar  die(jeschlechtsorganc 
noch  unbekannt. 

Um  dieses  Dunkel  etwas  aufzuhellen  und  die  morphologische  Rennt- 
niss  derTunicaten  zu  fördern,  hatte  die  philosophische  Facultät  der  Uni- 
versität Jena  zur  Bewerbung  um  den  Preis  der  Herzoglich  Sachsen- 
Altenburgischen  Josephinischen  Stiftung  für  das  Jahr  i  870  die  Aufgabe 
gestellt:  »Durch  neue,  selbstständige  Untersucttungen  soll  die  Morpho- 
logie der  Tunicaten  und  insbesondere  die  Entwickelungsgeschichte  ihres 
Mantels  aufgeklärt  werden.« 

Zur  Beantwortung  eines  Theiles  dieser  Aufgabe  wurden  die  nach- 
stehend mitgetheilten  Untersuchungen  unternommen ,  welche  den  dafür 
ausgesetzten  Preis  erhielten.  Das  anatomische  Material  für  dieselben 
lieferte  eine  Reihe  von  Ascidien  aus  dem  zoologischen  Museum  in  Jena, 
welche  in  Spiritus  vortrefiflich  conservirt  waren.  Dieselben  wurden 
mir  mit  der  grössten  Liberalität  von  meinem  verehrten  Lehrer ,  Herrn 
Professor  Habckbl  zur  VerfQgung  gestellt,  dem  ich  hierbei  zugleich  fiir 
seinen  freundschaftlichen  Rath  mdnen  herzlichsten  Dank  abstatte. 
S|>äter  konnte  ich  die  an  den  Weingeist-Präparaten  angestellten  Unter- 
suchungen noch  wesentlich  durch  Beobachtungen  an  lebenden  Ascidien 
ergänzen ,  welche  ich  auf  der  Insel  Lesina ,  an  der  Rüste  des  südlichen 
Dalmatiens ,  in  grosser  Menge  erhielt. 

Obgleich  meine  Untersuchungen  zu  meinem  Bedauern  sehr  unvoll- 
ständig geblieben  sind  und  keinen  Anspruch  darauf  machen  können, 
volles  Licht  in  die  vielen  dunkeln  Theile  der  Ascidien -Anatomie  zu 
bringen,  so  hoffe  ich  doch,  dass  wenigstens  einige  Theile  derselben 
dadurch  wesentlich  werden  aufgeklärt  und  damit  zugleich  Anregung 
zu  weiteren  Untersuchungen  gegeben  werden.  Ich  werde  zunächst 
die  anatomischen  Verhältnisse  des  Perithoracalraums ,  sodann  den 
Endostyl  und  die  Bauchrinne,  und  endlich  den  Bau  des  Darmes  und 
der  Leber  erörtern. 


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;  dieser  ineile  kam  icß  aui  vernaitnisse,  die  mit  den 
OS  bei  verschiedenen  Compositen-Ascidien  beschriebe- 
sreinstimtnea  oder  auf  dieselben  zurUckgeftthrl  werden 
r  in  wenigen  Uiatsächlichen  Punkten  und  in  der  Deu- 
lisse  weiche  idi  von  dem  geoannten  Forscher  ab. 

Ei>WARDs  [Observations  aur  les  Ascidies  oompos^cs 
lei  den  zusammengesetzten  Ascidien  der  Kiemensack 
ler  ihn  allseiUg  umgebenden  und  nur  an  bestimDaten 
in  Verbindung  tretenden  Membran.  Dieselbe  bildet 
ea  Anheftungsstellen  an  die  Kieme  durch  mehrere  bei 
;elb  gefärbte  Linien  markirt  sind;  nämlich:  1)  durch 
Linien,  die  je  einen  ßiug  um  die  IngestionsOffnong 
{useingang  bilden  (Taf.  VI!.  Fig.  4 .  c  rf) ;  2)  durch  awei 

welche  beiderseits  des  Thoracalsinus  (des  ventralen 
is  über  demselben  liegenden  Endostyls)  vom  Anfang 
.lerne  herabziehen  (Fig.  1 .  b  b] ,  denmaoh  die  beiden 
erbinden.  Später  beschreibt  Milnb  Edwards  Anbef- 
jskelschlauch  (m)  längs  einer  gelben  Linie,  welche  von 
lur  EgeslionsOfihung  geht  und  um  letzlere  einen  Kreis 
Vll.  Fig.  4.  a). 

n  der  Kieme  und  dieser  Haut^Laraelle  liegenden  Baum 
boracalraum  und  den  unterhalb  der  Egestions- 
n  dorsalen  Abschoitt  desselben  (wegen  seiner  Bezie- 
indungeu  des  Darms  und  der  Geschlechtsorgane)  die 
.  Fig.  i.  a).  Die  Basis  der  Cloake  wird  von  dwn  Theil 
imelle  gebildet,  welcher  in  der  Peripherie  dos  Oeso- 
ich  an  die  Kieme  befestigt  [k] .  Sie  trennt  die  Leibes- 
'erithoracalrauni  und  trägt  die  Geschlecbtsiüffnung  !y) 


Beitrftge  sor  KenntoiM  des  Baues  der  Ascidien.  77 

Ferner  giebt  er  von  dieser  Membran ,  die  er  Tunica  tertia  nennt, 
an ,  dass  sie  am  Oesophagus  und  Anus  in  die  Darmwandung  sich  fort- 
seize.  Letztere  AuflEassung  halte  ich  bei  den  Beziehungen ,  in  denen 
Kieme  und  Daiincanal  zu  einander  stehen ,  für  vollkommen  verfehlt. 

Broni«  giebt  in  seiner  Darstellung  der  Tunicaten  (Glassen  und  Ord- 
nungen der  Weich thierej  eine  sehr  unklare  Schilderung  der  Milne  Ed- 
WAans'schen  Beobachtungen.  Mangel  an  Anschauung  und  somit  auch 
einer  richtigen  Beurtheilung  sind  wohl  der  Grund,  dass  er  sich  ihm 
nicht  anscUiessi.  Ob  es  zweckmässig  ist,  den  Namen  der  Tunica  tertia 
einzufuhren,  ist  auch  mir  freilich  sehr  zweifelhaft;  wie  mir  überhaupt 
die  Eintheilung  in  verschiedene  Tuniken  eine  verfehlte  zu  sein  scheint. 
Die  alte  AufiEassung,  dass  man  es  mit  getrennten,  nur  an  einzelnen 
bestimmten  Stellen  in  Verbindung  tretenden  Schalen  zu  thun  habe ,  ist 
ebenso  unhaltbar,  wie  das  Bestreben,  dem  die  Bezeichnungen  ihren 
Ursprung  verdanken ,  ein  verfehltes  war :  nämlich  Tunicaten  und  Mol- 
lusken zu  homologisiren.  Man  kann  nur  von  Schichten  der  Leibeswand 
sprechen ,  welche  Überall  in  inniger  Verbindung  stehen ,  auch  da ,  wo 
«lieselbe  scheinbar  nicht  vorhanden  ist,  wie  bei  Phaüusia  intestinalis. 
Diese  Schichten  unterscheiden  sich  nur  durch  die  verschiedenen,  in 
ihnen  enthaltenen  Gewebselemente.  Die  sogenannte  Testa  oder  der 
Cellulose-Mantel  ist  eine,  in  Bindegewebe  übergehende  Cuticularbil- 
(iung  und  hängt  als  solche  mit  dem  unter  ihr  liegenden  Epithel ,  der 
eigentlichen  Epidermis  genetisch  engstens  zusammen ,  wie  in  der  vor-^ 
angehenden  Arbeit  meines  Bruders  über  den  Mantel  der  Ascidien  ge- 
zeif^t  worden  ist.  Ausser  dieser  epidermoidalen  Schicht,  nämlich  der 
eigentlichen  Epidermis  und  dem  von  ihr  gebildeten  Mantel  kann  man 
noch  von  einer  darunter  liegenden  Bindegewebsmuskelschicht  sprechen. 
Welche  Bedeutung  der  »Tunica  tertia«  von  Milnb  Edwards  eigenlHcli 
zukommt,  wird  aus  der  folgenden  Darstellung  klar  werden. 

An  die  Compositen-Ascidien  schliessen  sich  in  der  Bildung  des 
P(*ritboracalraums  (ebenso  wie  in  der  Anordnung  des  Darmcanals ,  der 
Länge  der  Kieme  etc.)  Phallusia  intestinalis  und  die  nächstverwandten 
Ascidien  (der  vierte  Phallusien-Tribus  von  Savigny)  unmittelbar  an. 
Ich  übergehe  deshalb  eine  nähere  Schilderung  derselben  und  erwähne 
nur,  dass  ich  die  Tunica  terUa  nicht  als  einen  frei  herabhängenden, 
sondern  in  ganzer  Ausdehnung  der  inneren  Wand  des  Muskelschlauchs 
anhaflenden  Sack  vorfand. 

Bei   den   übrigen  Phallusien  und  allen  Cynthien  ^)    treten   durch 


4'i   Die  von  Savioivt  zuerst  vorgeschlagene  Trennung  der  Phallu»icn   und 
<:)nlliion   iHt   völlig  gereohiferligi.     Jedenfalls  sind   diese  beiden  Artengruppeu 


78 

secundäre  Veränderungen  im  Bau  i>esiimmte  noaincaiionen  ein-  uiest- 
Veränderungen  ßnden  nach  ;ewei  Seiten  hin  stAtt. 

Im  ersten  Falle  lagert  sich  das  Darmrolir,  welches  bei  Phallusia 
intestinalis  unterhalb  des  Kiemen korbs  liegt,  neben  dfenseiben,  zwi- 
schen ihn  und  den  Muskel  schlauch  und  zw8r  in  die  linke  Seite  de» 
Thieres').  Gleichzeitig  bildet  der  Darm,  anstatt  einer  einfachen ,  eiof 
doppelte  Schlinge. 

Im  zweiten  Falle  wächst  die  Kieme  mit  ihrer  ventralen  Seite  be- 
deutender als  mit  der  dorsalen,  und  bildet  so  eine  Ausbuchtung,  weicht' 
liefer  zu  liegen  kommt  als  der  Oesophaguseingang ,  demnach  auch  an 
den  Darm  schlingen  vorüber  sich  nach  abwürts  erstreckt.  Diese  ein- 
seilige Wacbsth  ums  zun  ahme  wird  bei  manchen  Pballusien  so  bedeu- 
tend, dass  jenes  ventrale  Kiemendivertikel  tiefer  hinabreicht,  als  dii- 
untersten  Theile  des  Darmkniluels ,  und  dass  der  ventrale  Sinus  dii- 
doppelle  und  dreifache  Länge  des  dorsalen  erreicht. 

Diese  Vorgänge  müssen  auch  einen  Einfluss  auf  den  Peritboracal- 
sack  haben.  Je  höher  die  Darmschlingen  zu  liegen  kommen ,  in  um  sv 
engere  Beziehungen  treten  sie  zu  der  Uembran  des  Sacks,  um  si> 
(lichter  muss  diese  an  sie  sich  anschmiegen ,  und  anstatt  In  ganzer 
Ausdehnung  dem  Huskelschlauch  aufzuliegen  zum  Theil  jetzt  den  Dana 
bedecken ,  indem  dieser  sich  zwischen  die  Lamelle  und  den  Muskel- 
schlauch einschiebt.  Es  lassen  sich  nun  zwei  Grade  dieser  Beziehungen 
unterscheiden,  die  durch  Uebergangsstufen  mit  einander  verknilpfi 
sind.  Im  ersten  Grade  umschliesst  die  Lamelle  alle  Darmscblingcn 
gemeinsam,  wie  es  bei  allen  Phallusicn  der  Fall  ist.  Im  zweiten  Gradr 
umgiebt  sie  jede  Darmwindung  einzeln,  und  licriel  sie  nach  Art  eines 
Mesenteriums  an  die  Huscularis  an.  Dann  gewinnt  es  den  Anschein 
als  lüge  der  Darm  frei  im  Perilhoracalraum.     So  bei  den  meisten  Gyn- 


ilurch  Verschiedenheit  der  Kieme,  der  Ovarien,  des  BiDdettewebes  der  TcsIa  elc, 
so  gut  charakleriHirt,  dass  es  als  Rückschritt  zo  bezeichnen  ist,  wenn  man  sie  viii'- 
der  uonfundiren  will,  wie  Kcpffbr  und  Kowaleksky  thun.  Ich  bestreite  damit 
nicht  die  Möglichkeit,  dass  es  formen  gieht,  die  sich  nicht  unter  beide  Rubriken 
bringen  lassen  und  Charaktere  der  Phallusien  und  Cynlhien  verbinden.  Diese  wür- 
den  dann  eine  selbststtindige ,    zwischen  beiden  stehende  dritte  Gattung  bilden 

'  1)  Bezüglich  (tcrlopographischenOrienlirung  über  die  Begriffe  Linksund  RecliL--. 
l>orsat  und  Ventral  ist  l>ei  den  Aacidien  erst  durch  die  Embryologie  Tester  Gruml 
gewonnen  worden.  Durch  die  Lage  des  Ganglions  wird  die  Rückenseiir, 
durch  die  Lage  des  Endostyls  die  Bauchseite  bestimmt.  Die  ingcstions- 
üHnung  entspricht  dein  oralen  (vorderen),  die  Festsitzende  Basis  der  Ascidie  dem 
aboralen  (hinteren)  Pole  der  Lttngsaie. 


Beiträge  inr  Keuntniss  des  Banes  der  Aseidien.  79 

tbien.  Die  Leiheshöhle  der  Phallusien  ist  mit  der  merkwürdigen 
Zwiilerdrüse ,  (den  blüscbenförmigen  Ovarien  und  Hoden]  vollkommen 
ausgefüllt.  Bei  den  Cynthien  ist  sie  durch  die  enge  Umlagerung  der 
Organe  durch  die  Tunica  tertia  fast  verloren  gegangen.  Hier  liegen 
auch  die  Geschlechtsorgane ,  eng  von  letzterer  umschlossen ,  scheinbar 
im  Perithoracalraum. 

(Zur  Erläuterung  vergleiche  man  die  Schemata  Fig.  i — 5  und  ihre 
Erklärung  in  der  am  Ende  folgenden  Tafelerklärung.) 

Ueber  -diese  hier  im  Allgemeinen  dargestellten  Verhältnisse  des 
Perithoracalraums  sind  nun  an  den  von  mir  untersuchten  Ascidien- 
Arten  noch  folgende  speciellere  Eigenthümlichkeiten  zu  bemerken.  Bei 
Phallusia  mamillata  reicht  die  Kieme  bis  an  die  tiefste  Stelle 
der  Darmschlingen  herab ,  so  dass  der  Bogen ,  den  hier  der  ventrale 
Sinus  (Fig.  S  und  3.  t;.  Taf.  VII)  beschreibt,  in  einem  Theile  seines  Ver- 
laufs der  Gurve  der  Schlinge  folgt,  welche  durch  den  Oesophagus 
(Fig.  3.  oe)y  den  Hagen  (Fig.  3.  g)  und  den  ersten  (aufsteigenden)  Theil 
des  Dünndarms  (Fig.  3.  tf)  gebildet  wird.  Längs  dem  Ventralsinus 
schlägt  sich  die  Tunica  tertia  von  der  Kieme  zum  Muskelschlauch  über ; 
an  der  Stelle,  wo  der  Darm  und  der  Ventralsinus  neben  einander 
lagern,  spannt  sie  sich  natürlich  zwischen  Kieme  einerseits ,  und  Darm 
und  Muskelschlauch  andererseits  aus  (Fig.  4.  v).  Sie  reicht  vom  Be- 
ginn des  Oesophagus  (hier  auch  den  dicht  neben  diesem  lagernden 
Endabschnitt  des  Rectums  (Fig.  2  und  3.  r)  erreichend)  bis  zum  An- 
fang der  Kieme  und  hOrt  an  deren  ringförmiger  Insertion  am  Muskel- 
schlauch auf.     Ich  nenne  sie  ventrale  Muskelkiemenlamelle. 

Ihr  gerade  gegenüber  beginnt  am  Anfang  der  Kieme  die  dem  dor- 
salen Sinus  folgende  Verbindungslamelle  der  Kieme  und  des  Muskel- 
schlauchs  (Fig.  %  u.  3.  (/,  Fig.  6.  dj ,  welche  nicht  bis  zum  Oesophagus 
herabreicht,  sondern  oberhalb  desselben  endet.  Dorsale  und  ventrale 
Muskelkiemenlamelle  bilden  so  Scheidewände,  welche  den  Perithoracal- 
raum in  eine  rechte  und  linke  Hälfte  theilen  (Fig.  4,  5  u.  6.  pd  u.  ps). 
Diese  Trennung  würde  eine  vollkommene  sein ,  wenn  beide  am  Oeso- 
phagus sich  erreichtep.  Da  dies  aber  nicht  der  Fall  ist,  kommt  dicht 
ü)>er  dem  Oesophagus  und  Anus  und  unmittelbar  unter  der  Egestions- 
Öffnung  eine  Communication  zwischen  beiden  Räumen  zu  Stande. 
Diesen  die  Communication  zwischen  linkem  und  rechtem  Perithoracal- 
raum bildenden  Raum  nennt  Milnb  Edwards  Cloake  (Fig.  2,  3,  6.  C/). 
Secundäre  Verwachsungen  der  Kieme  mit  dem  Muskelschlauch  sind 
ausserdem  in  einer  Anzahl  ohne  Regelmässigkeit  gestellter,  an  Grösse 
sehr  variirender  Bälkchen  gegeben.     Dieselben  sind  hohl  und  stellen 


aus  der  Muskel) amelle  nach 

Miallusia  cristata ,  P.  octo- 
cb  nicht  bestimmen  konnte. 
OQ  Pliallusia  msmillala)  daä 
laus ;  dem  entsprechend  setzt 
:  dem  dorsalen  Sious  entlang 
Bnde  des  Rectums  ab.    Aber 

faerabkommenden  Tbei)  der 
ch  hier  eine  Communication 
Sehnliche  Verhältnisse  finden 
der ,  ausgenommen  die  For- 
viGNT  angehören  (P.  intesti- 
ler  Hinsicht  den  Gompositt<ii 

en  in  Anordnung  der~Einge- 
:i  ihr  ist  Magen,  DUnndarm 

einen  Seite  in  eine  gemein- 
lossen  und  bildet  eine  Masse, 
I   durch  gelbe  Farbe  (wegen 

rothgelb  gestreiften  Muskel- 
ile  Huskelkiemenlamelle  sind 
mde  Lage  der  Darm  schlingen 

er  Mittel-  und  Bndtheil  des 
Desophagus  und  Hagen  ihre 
ren  [Taf.  Vil.  Fig.  7.  oeu.g). 
cbtauoh  und  den  Ventralsinus 
»eile  auf  ihrem  Wege  erst  den 
3  zur  Tunica  muscularis  ge- 
r  Lamelle ,  weiche  sie  einer- 
Muskelschlauch  (u"j  festhüll 
ler  Membran  ist  auf  der  Figur 
alten).  Eine  dorsale  Lamelle 
nunication  zwischen  rechtem 

TS  gelegenen  Theil  des  Darms 
:h  ein  eigenes,  die  Intestinal' 
les  Mesenterium  an  der  Mus- 
r  noch  in  zweierlei  Hinsicbl 
Hohe  der  Schlinge  direct  zur 


Beitrfige  iiir  Keniitniss  des  Banes  der  Ascidieii.  81 

Muskelwand ,  sondern  steigt  erst  dem  Darm  entlang  abwärts ,  bevor  es 
sich  auf  jene  übersch^gt  (Fig.  8) .  Ausserdem  bildet  es  innerhalb  der 
Schlinge  eine  merkwürdige  Falte ,  für  die  ich  keinen  Grund  ausfindig 
machen  konnte  (Fig.  7.  m).  Ich  erwähne  sie  deshalb,  weil  sie  Sa- 
viGNT  fälschlicherweise  für  ein  Ovarium  hielt ^). 

Bei  C.  rustica  ^  weichen  nur  die  Beziehungen  des  Darmcanals  zur 
Tunica  tertia  ab.  Der  Darm  ist  hier  in  seiner  ganzen  Länge  durch  eine 
jede  Darmwindung  einzeln  überziehende  Duplicatur  der  Tunica  tertia 
festgehalten  am  Muskelschlauch. 

Cynthia  canopus  und  C.  polycarpa  repräsentiren  die  grössten  Be- 
ductionen  des  ursprünglichen  Baues.  Die  ventrale  Lamelle  ist  hier  nur 
zwischen  Oesophagus ,  Magen ,  Kieme  und  Muskelschlauch  vorhanden ; 
sonst  ist  sie  vollkommen  rückgebildet,  ebenso  wie  die  dorsale  Muskel- 
kiemenlamelle.  Auch  die  übriggebliebenen  Theile,  sowie  das  Mesen- 
terium des  Darms  sind  nicht  mehr  eine  homogene  Lamelle,  sondern  in 
eine  Beihe  Fasern  zerfallen,  welche  durch  ihre  dichte  Aneinander- 
lagerung  die  ursprüngliche  Form  einer  Membran  noch  erkennen  lassen. 
Beide  Formen  bilden  die  Endglieder  einer  Beihe ,  in  der  der  ursprüng- 
liche Typus  des  Ascidienbaues ,  wie  er  in  den  meisten  Gompositen,  in 
der  Phallusia  intestinalis  und  P.  canina  am  besten  mir  erhalten  zu  sein 
scheint ,  allmählich  sich  verwischt  und  zuletzt  nur  durch  Vergleichung 
der  Zwischenstufen  herauszuerkennen  ist. 

Nun  noch  einige  Worte  gegen  Milne  Edwards'  Auffassung  der  Tunica 
tertia.  Dass  sie  keinen ,  dem  Kiemenkorb  analog  innerhalb  des  Mus- 
kelschlauchs  frei  schwebenden  Sack  bildet,  der  nur  an  bestimmten 
Stellen  an  der  Kieme  und  der  Körperwand  angeheftet  sei ,  darauf  habe 
ich  schon  oben  hingewiesen.  Die  grossen  Monascidien  bieten  hier 
bessere  Objecte  als  die  durchsichtigen  kleinen  Glavellinen.  Die  Tunica 
tcitia  lagert  in  ganzer  Ausdehnung  der  Musculatur  fest  au(  und  die  gel- 
ben Linien  bezeichnen  nur  die  Stellen ,  an  denen  die  Tunica  mit  dem 
Kiemenkorb  in  Verbindung  tritt. 

Ferner  geht  sie  nicht,  wie  Milnb  Edwards  will ,  in  die  Wandung 


4)  Die  Ovarien  sind  bei  i  keiner  der  von  mir  untersuchten  Cynthien  unpaar. 
Entweder  sind  ein  oder  zwei  Paar  oder  eine  grössere  Anzahl  vorhanden.  Bei  C. 
mytiligora  wies  ich  sie  mit  den  Hoden  vereint  in  den  merlcwUrdigen  Buckeln  nach, 
welche  in  der  Fig.  7  mit  0  bezeichnet  sind. 

i)  Ich  gebe  diesen  Namen  einer  auf  Lesina  von  mir  gefundenen  Art|  welche 
auf  die  Beschreibung  Von  0.  F.  Müllbr  (Zoologia  Danica)  und  von  Fabricius  (Fauna 
Groenlandica),  aber  ebenso  auch  auf  GauBs's  Schilderung  der  C.  microcosmus  passt. 
So  übereinstimmend  C.  rustica  und  C.  microcosmus  im  Aeusseren  waren,  so  gross 
wnr  ihr  Unterschied  in  der  inneren  Organisation. 

Bd.  VII.  1  6 


82  Richard  Hertwig, 

des  Darmcanals  über  (wenigstens  nur  am  Anus) ,  wahrend  am  Oeso- 
phagus die  innere  Kiemenwand  In  den  Darmcanal  sich  fortsetzt.  Ich 
glaube  vielmehr,  dass  die  Epithellage  der  Tunica  tertia  sich  in  das 
äussere  Epithel  der  Kiemenstäbchen  fortsetzt.  Man  kann  wenigstens 
an  Querschnitten  durch  die  ventrale  Muskelkiemenlamelle  naofa weisen, 
dass  beide  Epithelschichten  unmittelbar  in  einander  übergehen  (Taf.  YIU. 
Fig.  47.  S  S/>).  Es  stellt  somit  die  Tunica  tertia  eine  Membran  dar, 
welche  den  gesammten  Perithoracalraum  auskleidet  und  alle  denselben 
umgebenden  Organe  überzieht.  Zur  Yeransohaulichung  mOgen  die 
schematischen  Figuren  4,  5,  6  (Taf.  YII.)  dienen.  Braun  bedeutet 
Darmepithel ,  blau  Tunica  tertia ,  roth  die  Tunica  muscularis. 

Diese  auf  die  anatomische  Untersuchung  begründeten  Ansichten 
haben  durch  Kowalbwskt's  Neueste  embryologische  Untersucfaungen 
volle  Bestätigung  erfahren.  Kovalbwsky  schildert  hier  die  Bildung  des 
Perithoracal  -  und  Gloakenraums  als  Einstülpung  zweier  Bläschen  von 
der  Epidermis  aus.  Diesen  wachsen  Fortsätze  vom  Anfangsabschnitt 
des  Darmrohrs  entgegen  (des  Theiles ,  der  später  zur  Kieme  wird).  Die 
Fortsätze  legen  sich  an  die  eingestülpten  Bläschen  an ,  verwachsen  mit 
ihnen  und  die  Verwachsungsstelien  werden  zu  den  ersten  Kiemenspal- 
ten. KowALBWSKT  hat  so  das  Entstehen  der  vier  ersten  Spaltenpaare 
beobachtet  und  den  Process  dann  nicht  weiter  verfolgt^). 

Nehmen  wir  aber  die  Notiz  Krohn's,  (über  Entwickelung  von  Phal- 
lusia  mamillata,  Müllbr's  Archiv  1858),  dass  die  anfangs  paarig  ange- 
legten Egestionsöffnungen  allmählich  verschmelzen,  zu  Hülfe,  so  können 
wir  uns  unmittelbar  das  Bild  der  erwachsenen  Ascidie  aus  dem  Sta- 
dium ,  welches  Kowalbwshy  beobachtet  hat ,  ableiten. 

Man  denke  sich,  dass  die  primitiven  Cloakenbläscben  den  ge- 
sammten vorderen  Darmabschnitt  von  beiden  Seiten  umwachsen ,  so 
müssen  sie  in  einer  dem  Ventralsinus  entsprechenden  Linie  zusammen- 
treffen ,  wo  ihre  beiden  Wandungen  zu  einer  gemeinsamen  Scheide- 
lamelle  verschmelzen ,  der  ventralen  Muskelkiemenlamelle. 

In  gleidier  Weise  musste  eine  vollkommene  dorsale  Sc^idewand 
zu  Stande  kommen.  Indem  jedoch  der  die  beiden  Egestionsöffnungen 
trennende  Sattel  einsinkt  und  diese  in  eine  gemeinsame  Mündung  sich 
vereinen,  schwindet  die  Trennungsmembran  zum  Theil  und  erlaubt  die 
Gommunication  beider  Perithoi*acairaumhälften ,  wie  sie  durch  die 
Gloake  gebildet  wird. 

4 }  Ich  habe  auf  LesiDa  GelegeDheit  gehabt ,  die  ersten  Stadien  der  Larven  von 
Phallusia  mamiUata  zu  beobachten ,  und  kann  bestfitigen ,  dass  die  Cloakenbläs- 
cben Einstülpungen  der  Epidermis  sind.  Spätere  Entwickelungsstadien  zu  beob- 
achten, verhinderte  mich  meine  Abreise. 


BeitrJige  zar  Kenfttnids  des  BAties  der  Ascidien.  83 

Denken  wir  uns  ferner,  dass  die  einge^ttlpten  Epidermissfteke  in 
gleicher  Weise,  wie  den  ersten  Theil  des  Darms  (die  Rieme),  so  dueh 
die  übrigen  Abschnitte  desselben  umwachsen ,  so  ist  es  verstäddlich, 
dass  sich  die  Spuren  ihrer  Bedeutung  immer  mehr  verwischen. 

Ist  es  nun  gerechtfertigt,  diese  Einstülpung  mit  dem  Namen  Tudica 
tertia  zu  bezeichnen?  Ich  glaube,  man  kommt  ohne  ihn  gatiz  ebenso 
gut  aus,  zutnal  da  alle  die  Ausdrücke:  Tunica  testae,  muscularis, 
intima,  tertia,  wie  oben  erwähnt,  ieicht  Grund  zu  irrigen  Anschau- 
ungen werden.  Will  man  es  jedoch  thun,  so  kann  man  unter  Tunica 
tertia  nur  das  verstehen ,  was  der  Einstülpung  der  Epidermis  angehört, 
d.  h.  das  Epithel  mit  der  ihm  zu  Gmnde  liegenden  homogenen  Mem- 
bran. Wenn  man  daher  in  dem  Darmmesenterium  (ich  untersuchte 
es  bei  G.  mytiligera)  ausser  dem  beide  Seiten  überkleidenden  unregel- 
mässigen grosszelligen  Epithel  mit  deutlichen  Kernen  noch  vielfach  sich 
durchkreuzende  Muskelbüüdel,  Bindegewebskörperchen  (und  zwischen 
diesen  noch  grpsse  mit  Carmin  intensiv  sich  färbende  Kugeln,  vielleicht 
Zeilenanhäufungen)  findet,  so  sind  dies  accessorische  Dinge ,  die  dem 
Korperparenchym  angehören  und  nicht  der  Tunica  tertia  zukommen. 

Die  hier  vertretene  Auffassung  der  Kiemenhotiie  ist  in  zwei  Hin- 
sichten von  Bedeutung.  Sie  erklärt  einestheils,  wie  wir  bei  der  Be- 
trachtung des  Cndostyls  sehen  werden ,  Verhältnisse  der  Kiemenhdhle 
der  Salpen,  die  ohnedem  unverständlich  erscheinen  mussten.  Andern- 
theils  giebt  sie  Anhaltepunkie ,  die  Verwandtschaft  von  Amphioxus 
lanceolatus  vom  anatomischen  Gesichtspunkt  aus  weiter  zu  prüfen. 
Beim  Amphioxus  wie  bei  den  Tunicaten  müssen  wir  vorläufig  anneh- 
men, dass  die  in  beiden  die  Kieme  umgebende  Höhle  ein  homologes 
Gebilde  ist  und  einen  Sack  darstellt,  der  allenthalben  von  einem  ein- 
fachen ,  eine  Fortsetzung  der  Epidermis  des  Thieres  bildenden  Epithel 
ausgekleidet  wird. 

An  die  Anatomie  der  Kiemenhöhle  möchte  ich  noch  die  Lagever- 
hältnisse des  Herzens  anschliessen.  Sie  sind  für  alle  Phallusien,  aber 
nur  für  wenige  Gynthien ,  durch  Sayignt  bekannt  geworden ,  da  bei 
letzteren  das  Herz  meist  versteckt  oder  fast  in  der  Muskelwand  liegt 
und  mit  Genauigkeit  blos  durch  Nachweis  der  mikroskopischen  Ele- 
mente aufzufinden  ist.  Auch  bei  den  Cynthien  hat  es  die  allen  Asci- 
dien gemeinsame  Lage.  Es  beginnt  am  Magenanfang ,  folgt  dem  Ver- 
lauf der  Huskelkiemenlamelle  und  mündet  unter  dem  Endostyl  in  den 
ventralen  Blutsinus  ein. 

Bei  Gjnthia  canopus  geht  der  zarte  Herzschlauch  vom  Anfang  des 
Mü^ens  zum  Muskelschlauch  ,  verläuft  hier  zwischen  den  die  Wand  des 


calraumes  bedeckendoD  Bläschen  etwas  verstedtt  zum  Endo- 
mUndet  hier  in  die  Kieme. 

[lynthis  mytiligera  ist  es  noch  schwerer  zu  finden ,  ebenso  bei 
losmus.  Bei  der  ersteren  liegt  es  dicht  dem  Huskelschlüuch 
in  demselben,  da  wo  die  Muskelkiemen lamelle  von  der  Muscu- 
li Darm  sich  überschlägt.  Man  findet  es,  wenn  man  hier  den 
ischneidet  und  an  der  Trennungslinie  in  den  Muskel  schlauch 
[Schneidet. 

[Jynthia  microcosmus  ßndel  man  das  Herz ,  wenn  man  an  der 
^0  Hagen ,  Kieme  und  Huskelschlauch  zusammentreffen  und 
j  Tunica  l«rtia  zusammengehalten  werden ,  anschneidet.  Ich 
I  in  diesem  Falle  jedoch  nicht  bis  zur  Kieme  verfolgen. 
Herz  besteht  bei  allen  von  mir  untersuchten  Ascidien  (wie  es 
1  den  Salpen  bekannt  war]  aus  einem  musculösen  Schlauch, 
innerhalb  eines  Hohlraumes,  des  Herzbeutels,  liegt,  und  an 
]ung  desselben  I3ngs  einer  geraden  Linie  angeheftet  ist.  Eine 
logene  Membran  trägt  feinste  quei^estreifle  Huskelzellen.  Die 
fung  ist  erst  bei  starken  Vergrösserungen,  dann  aber  auch  sehr 
sichtbar  (Zbiss  F  und  Ocular  II;  E  giebt  sie  nicht  deutlich) ;  sie 
n  den  Ascidien  Überhaupt  nur  hier  vor.  Die  Zellen  sind  spin- 
1  ähneln  in  Form  den  glatten  Muskelfasern  der  Säugethiere, 
idessen  im  Verbältniss  zu  ihrer  Breite  nicht  so  lang  sind.  Sie 
jlig  um  die  Längsachse  des  Herzens  angeordnet ,  in  einfacher 
landen,  aber  dicht  mit  ihren  spitzen  Ausläufern  zwischen  ein- 
ichoben.  Dieser  Anordnung  der  Muskelfasern  ist  es  wohl  zu- 
len ,  dass  das  Herz  der  lebenden  Phallusia  mamillata  von 
erlaufenden  Falten  eingeschnürt  erscheint, 
Wandung  des  Herzbeutels  fand  ich  bei  Cynthia  microcosmus 
;eD  habe  ich  nicbt  darauf  hin  untersucht)  mit  einer  einfachen 
leiner  polygonaler  POaslerzellen  ausgekleidet.  Jede  Zelle  bc- 
n  deutlichen  Kern. 


m.  Eadostyl  nnd  Banehrinne. 

Ascidien  theilen  mit  den  niederen  Wirbelthieren  und  dem 
issus  dteEigentbtlmtichkeit,  dass  der  Darmtractus  zum  Tbeil 
Lion  der  Athmung  dient;  mit  den  Wirbelthieren  speciell  haben 
las  Gemeinsame,  dass  der  gesammte  vordere  Abschnitt  in  dieser 
ferenzirt  ist,  nicht  wie  bei  Balanoglossus  blos  die  obere  Hälfte. 
I  demnach  eine  EinÜieilung  des  Darmtractus  in  I.  einen  re- 


Beitrüge  zur  Kenntniss  des  BAiies  der  Aseidien.  85 

spiratorischen  Abschnitt  (Kieme)  und  2.  einen  verdauenden,  den  Darm- 
canal  im  engeren  Sinne,  vornehmen.  , 

Meine  Untersuchungen  der  Riemen  höhle  beschränken  sich  auf  die 
beiden  in  ihr  liegenden  riithselhaftim  Organe ,  die  Bauchrinne  und  den 
Endostyl. 

Beide  sind  bei  Aseidien  meines  Wissens  bis  jetzt  nicht  genauer, 
dagegen  bei  Salpen  schon  öfters  und  ausführlicher  untersucht,  von 
Lbuckart,  Mbyen,  H.  Müllbr  etc.,  deren  Ansichten  ich  jedoch  in  den 
für  das  Verständniss  des  Organs  wichtigsten  Punkten  bestreite. 

Lbuckart  b<^hauptet,  der  Endostyl  gehöre  der  zweiten  oder  Muskel- 
tunica  an  und  bezeichnet  als  falsch]  die  Behauptung  Mbtbn's,  dass  er 
einen  Theil  des  Kiemenapparates  darstelle.  Es  zeigt  dies  offenbar,  dass 
Lbuckart  den  Endostyl  bei  Aseidien  niemals  beobachtet  hat.  liier  liegt 
derselbe  deutlich  im  Kiemenkorb ,  entsprechend  dem  Verlauf  des  Ven- 
tralsinus. Man  muss  ihn  demnach  auch  bei  Salpen  neben  dem  Kiemen- 
band  als  ein  Residuum  des  rudimentären  Athmungskorbes  aufführen. 
Dass  er  hier  nicht  frei  im  Mantelcylinder  liegt  wie  jenes ,  sondern  der 
Tunica  muscularis  fest  aufliegt,  erklärt  sich  aus  seinen  Beziehungen  zur 
Muskelkiemenlamelle  ,  die  beiderseits  des  unter  ihm  gelegenen  Ventral- 
sinus herabzieht  und  letzteren,  somit  auch  den  Endostyl,  an  der  Mus- 
cularis befestigt.  Man  denke  sich  die  zwischen  Ventral-  und  Dorsalsinus 
einer  Ascidie  verlaufenden  QuersUibchen  obliterirt ,  so  bekommt  man 
den  Kiemenkorb  der  Salpen  :  \ .  den  Kiemenbalken  schräg  die  Athem- 
höhle  durchsetzend,  2.  den  Endostyl  nebst  Ventralsinus  auf  dem  Mus- 
kelschlauch liegend. 

Ebenso  irrig  ist  die  Angab«  H.  Müllbrs',  der  Endostyl  liege  auf 
einer  Rippe  der  Tunica  muscularis ,  die  in  den  Sinus  hineinrage.  Ein 
Blick  auf  die  Querschnittsfiguren  lehrt,  dass  im  Gegentheil  der  Endostyl 
über  dem  Sinus  liegt;  es  kann  über  diesen  Punkt  bei  den  Aseidien 
überhaupt  gar  kein  Zweifel  sein. 

Wir  kommen  zum  Bau  des  Organs.  Lbuckart  und  Huxlet  trennen 
Endostyl  und  Bauchrinne  und  beschreiben  beide  als  ganz  discrete,  nur 
durch  Lagerung  zusammenhängende  Gebilde  (eine  Auffassung ,  die  sich 
auch  in  Gbgbn baur's  vergleichender  Anatomie  und  in  Kuppfbr's  Entwick- 
lungsgeschichte der  Aseidien  vertreten  findet).  Nur  Lbuckart  ist  aus- 
führlicher und  giebt  folgende  Darstellung : 

\ .  Die  Bauchrinne  besteht  aus  zwei  Tbeilen  /Taf.  VII.  Fig.  9^.  Der 
obere  Rinnenrand  [a)  trägt  ein  Epithel ,  welches  von  dem  die  Kiemen- 
höhlc  auskleidenden  Epithel  nur  durch  schärfere  Contouren  und  den 
Besitz  von  starken,  abgeplatteten ,  auf  je  einer  Zelle  einzeln  stehenden 
Flimmerbaaren  sich  unterscheidet.    Meist  trägt  nur  eine  Seite  Flimmer- 


haare.  Der  ftinnengruad  (6^  trügt  grosse  polyedrische  Zellen  mit  scharf 
umschriebenem  grossem  Nucleus  und  deutlichem  Nucleolus. 

ä.  Der  Bndoslyl  besteht  aus  eioer  rechten  und  einer  linken  Rinne 
(c,  e),  die  an  der  Basis  dicht  zusammenlagem ,  nach  oben  etwas  diver- 
giren.  Sie  würden  einen  Csnal  darstellen,  welcher  nach  oben  offen  ist, 
dem  ein  Theil  seiner  Decke  fehlt ,  wenn  nicht  dieser  Hangel  durch  das 
ZellenhStttchen  fä)  ausgeglichen  wUrde,  welches  den  Hohlraum  der 
Binne  und  des  Endostyls  trennt  und  letiteren  zu  einem  Ganal  umwaa- 
delt.  Das  Zellenhäutchen  fehlt  nur  am  Anfang  des  Endostyls,  wo  dann 
der  Hohlraum  desselben  in  die  Binne  ausmündet. 

Jeder  der  beiden,  einen  jeden  Halbcanal  zusammensetzenden 
Wulste  [ein  oberer  )  und  ein  unterer  2j  besteht  aus  senk  rech  tsleben  den 
sehr  langen  Cylinderzellen. 

Zwischen  beiden  WUIsl«n  (bei  k)  Me^  eine  krümelige  Hasse,  die 
wie  es  scheint  Flimmerhaare  trägt. 

Vom  grosseren  Theil  dieser  Angaben  kann  man  sich  leicht  bei 
Salpen  überzeugen.  Nur  die  den  Endostyl  und  die  Bauchrinne  tren- 
nende Lamelle  kleiner  Zellen  habe  ich  nirgends ,  nicht  einmal  andeu- 
tungsweise bemerken  künnen.  Nach  Schnitten  durch  den  Endostyl  von 
Ascidien  (Cynthia  canopus,  PhaKusia  maraillata  etc.)  muse  i«^  ihre  Exi- 
stenz, für  die  Ascidien  wenigstens,  ganz  entschieden  in  Abrede  stellen, 
loh  kam  zu  folgenden  Resultaten: 

Die  innere  Flache  der  Kieme  erhebt  sich  zu  einem  beträchtlichen 
Wulst,  wobei  die  kubischen  Epithelsellen  bis  zur  HShe  desselben  eine 
immer  mehr  cylindrische  Form  annehmen.  Von  da  nehmen  sie  an  Hohe 
wieder  ab  und  kehren  zur  ursprünglichen  Form  zurück.  Sie  besitzen 
einen  deutlichen  Nucleus  und  Nucleolus.  Ihr  letzter  Abschnitt  bildet  den* 
oberen  Band  der  Bauchrione  und  entspricht  den  Zellen  (a)  der  Salpen 
(Taf.VIlI.  Fig.  16  u.  17).  Flimmerhaare  fand  ich  nur  bei  Cynthia  micro- 
cosmus.  Sie  waren  auf  beiden  Seiten  vorhanden,  jedoch  nicht  conti- 
nuirlicb,  sondern  an  allen  Schnitten,  die  ich  machte,  beschi^nkt  auf  die 
Hube  der  Binne  und  den  Theil  der  kubischen  Zellen,  welcher  an  die 
gleich  naher  zu  bescbreibenden  langen  Cylinderzellen  sUlsst. 

Der  in  der  Bauchrinne  Hegende  Abschnitt  schliesst  scharf  ab  und 
macht  pluttlich  langen  dünnen  cylindrischen  Zellen  Platz,  die  an  Lange 
eine  Strecke  weit  zunehmen,  dann  wieder  abnehmen.  Sie  sind  etwas 
un regelmässig  angeordnet  und  tragen  ihren  Kern,  wie  es  mir  schien, 
meist  an  der  Spitze  (Taf.  VII.  Fig.  U,  16.  b).  Obwohl  in  Form  voll- 
kommen abweichend ,  glaube  ich  sie  doch  den  grossen  polyedrischen 
Zellen  des  Rinnengrundes  bei  den  Salpen  gleichsetzen  zu  kttnnen,  da  sie 
nach  Lage  ihnen  vollkommen  entsprechen  und  die  Form  sehr  variiren  kann. 


ßeitrUge  znr  Renntaisf  des  Bauts  der  Ascidien.  g7 

An  sie  schliesst  sieb  einConglomerat  feinster  spindelförmtger  Zellen 
(Taf.  VII.,  Fig.  42,  16.  dj.  Diese  sind  so  angeordnet,  dass  sie  einen  Keil 
bilden ,  welcher  mit  seiner  Spitze  zwischen  Baucbrinne  und  Endostyl 
eingeschoben  ist.  An  den  Zellen  ist  ein  Kern  deutlich  nachzuweisen. 
Diese  Zellen  sind  es  nun,  welche  wahrscheinlich  Lbuckart  das  Bild  einer 
Scheidewand  vorgespiegelt  haben ,  indem  sie  wegen  ihrer  keilförmigen 
Einklemmung  zwischen  das  Epithel  des  Endostyls  und  der  Bauchrinne 
durch  den  Druck  beim  Schneiden  leicht  herausgepresst  werden  und 
dann  zwischen  beiden  Seiten  liegend  einen  queren  Pfropf  darstellen. 
Sie  tragen  bei  Cynthia  microcosmus  ebenfalls  Flimmerhaare,  welche  ich 
bei  den  übrigen  Asotdien  nicht  bemerkt  habe. 

Etwas  abweichend  fand  ich  die  Zellen  dieser  Yerbindungsreihe  bei 
Phallusia  maroillata  (Taf.  VII.  Fig.  4  4,  Fig.  4  7  d) .  Hier  waren  sie  kubisch. 
Aber  auch  hier  bildeten  sie  Querbrücken  zwischen  den  Epithelien  der 
Bauchrinne  und  des  Endostyls  einer  Seite,  ein  Verhalten,  das  nament- 
lich an  der  das  Epithel  tragenden  homogenen  Membran  (m)  deutlich  zu 
verfolgen  war,  so  dass  auch  hier  an  Lbuckart^s  Trennungsschicht  nicht 
gedacht  werden  kann. 

Vom  Endostyl  selbst  bekam  ich  die  klarsten  Bilder  an  Querschnitten 
von  Cynthia  canopus,  die  ich  durch  Zetvupfungspräparate  zu  erganzen 
suchte. 

Die  auf  die  Spindelzellen  folgende  Schicht  (Fig.  46c'c')  besteht  aus 
grossen  breiten  Gylinderzellen  (Fig.  43).  Sie  stehen  senkrecht  zur 
Wand  des  Endostyls  und  zeichnen  sich  durch  einen  scharf  umschrie- 
benen Kern  mit  Kemktfrperchen  aus.  Sie  haben  ein  runzliges  Aus- 
sehen, was  von  Faltungen  der  Zellmembran  herrühren  mag,  und  sind  an 
der  Basis  breiter ,  was  sich  auch  am  Querschnitt  der  ganzen  Zellenlage 
in  der  nach  der  Basis  zu  breit  werdenden  Keilform  ausdrückt. 

Zwischen  ihr  und  einer  ihr  vollkommen  gleichenden,  die  Basis  des 
Endostyls  seitlich  einnehmenden  Schicht  (c")  liegt  ein  Keil  Spindel- 
zellen, die  den  mehrerwtthnten  vollkommen  gleichen  (h).  Man  kann  in 
ihnen  die  krümelige  Hasse  Lbuckart's  vermuthen,  doA  kann  ich  nir- 
gends ,  auch  nicht  bei  Cynthia  microcosmus ,  Flimmerhaare  bemerken, 
die  wahrsdieinlich  auch  nicht  vorhanden  sind.  Alle  Spindelzellen  im- 
bibiren  sich  schneller  mitCarmin  als  die  übrigen.  Sie  treten  bei  kurzer 
Färbung  daher  durch  ihr  intensiveres  Roth  vor  den  matter  tingirten 
Zellen  hervor.   So  erhalt  man  die  klarsten  Bilder. 

Endlich  ist  die  Hitte  der  Endostylbasis  durch  eine  ZeUenreihe  ein- 
genommen ,  die  mir  für  das  Verstandniss  der  Function  und  für  die  von 
mir  vertretene  Auffassung :  dass  Bauchriane  und  Endostyl  als  ein  Organ 
aufzufassen  sind,  den  kraftigsten  Beweis  zu  liefern  scheinen.  Sie  werden 


88  Richard  Hertwig, 

wahrscheinlich  auch  den  Salpen  nicht  fehlen ,  und  sind  von  LsrcKART 
übersehen  worden.  Auf  dem  Querschnitt  stellen  sie  eine  zarte  Masse 
dar,  von  der  lange  Cilien  ausgehen.  Die  Cilien  reichen  bis  in  die  Bauch- 
rinne hinein  (Taf.  VIIL,  Fig.  16  und  17  /*). 

An  einem  Zerzupfungspräparat  der  Endostylbasis  von  Cynthia 
mytiligera  konnte  ich  die  einzelnen  Zellen  genauer  beobachten  (Taf.Vil. 
Fig.  1 5).  Sie  waren  sehr  zart,  mit  körnigem  Protoplasma,  nach  der  Basis 
zu  in  eine  feine  Spitze  auslaufend ,  nach  aussen  sich  verbreiternd.  Der 
Kern  war  schwer  zu  erkennen.  Sie  waren  von  einer  gemeinsamen  Cu~ 
ticula  (c)  bedeckt  und  trugen  die  oben  erwähnten  langen  Cilien. 

Welche  Bedeutung  würden  diese  langen  Cilien  in  einem  allseitig 
geschlossenen  Canal  besitzen?  Wie  wäre  es  zu  erklären,  dass  sie  bei 
allen  Schnitten  constant  von  der  Basis  ausgehend,  bis  in  die  Bauchrinne 
vordringend  gefunden  werden,  wenn  eine  Querlamelle  dieses  Vor- 
dringen verhinderte  und  wenn  dies  nicht  ihre  naturgemässe  Lagerung 
wäre?  Ausser  den  ganz  sichern  Bildern,  die  ich  bekommen  habe,  sind 
es  diese  Ueberlegungen ,  welche  mich  darin  bestärken ,  Bauchrinnc 
und  Endostyl  als  ein  einziges  Organ  aufzufassen.  Sie  schwä- 
chen den  Einwand,  es  könne  die  LEUCKART'sche  Lamelle  durch  den 
Schnitt  zerstört  sein,  noch  mehr  ab;  obwohl  es  mir  auch  ausserdem 
unverständlich  sein  würde,  dass  ich  bei  mehr  denn  zwanzig  gelungenen 
Schnitten  durch  wohlerhaltene  Thiere  nirgends  auch  nur  eine  Andeu- 
tung jener  Lamelle  fand,  sondern  überall  ein  enges  Aneinanderschliessen 
der  differenzirten  Epithellagen. 

Hierdurch  wird  die  an  und  für  sich  schon  ganz  unverständliche 
Auffassung  Lbugkart's  ,  dass  der  Endostyl  eine  in  die  vordere  Bauch- 
rinnc mündende  Drüse  sei,  vollkommen  widerlegt.  Ebenso  wenig  lässl 
sich  aber  auch  die  Ansicht  Gegbnbaur's  aufrecht  erhalten,  dass  der  Endo- 
styl ein  Stützapparat  der  Bauchrinne  sei  und  diese  nur  der  Zuleitung 
der  Nahrung  zum  Oesophagus-Eingang  diene.  Der  Endostyl  ist  ein  so 
wenig  festes  Gebilde,  namentlich  im  Vergleich  zum  derben  und  resisten- 
ten Fachwerk  der  Kieme ,  dass  er  wohl  kaum  zum  Stützen  beitragen 
könnte.  Beide  Organe  liegen  bei  Phallusien  und  Cynthien  in  dem  ven- 
tralen Abschnitt,  der  hier  die  oben  besprochene  Ausbuchtung  bildet. 
Sie  bilden  daher  denselben  weiten  Bogen  ,  bevor  sie  zum  Oesophagus 
gelangen,  wie  jene  und|stellen  somit ,  weil  den  weitesten ,  den  für  Zu- 
leitung der  Nahrung  ungünstigsten  Weg  dar.  Und  wollte  man  dies  auch 
als  anderweitig  bedingte  Anpassungen  darstellen,  so  ist  immer  noch  der 
sehr  geschlängelte  Verlauf  des  Organs  bei  einzelnen  Cynthien  (C.  cano- 
pus  und  G.  pomaria)  ein  noch  schwerer  in  die  Wagschale  fallender  Be- 
weisgrund dagegen. 


Beitrüge  tor  Keiintniss  des  Baues  der  Ascidien.  89 

Mir  scheint  der  compUcirte  Bau,  namentlich  die  sehr  langen  Ciilien 
eher  für  ein  Sinnesorgan  zu  sprechen.  Es  wäre  allerdings  der  Zu- 
tritt von  Nervenfasern  noch  zu  beweisen.  Dass  mir  dies  nicht  glückte, 
kann  dem  nicht  wunderbar  erscheinen,  der  die  ausserordentliche  Fein- 
heit der  Nervenfasern  bei  den  Ascidien  kennt,  wo  sie  gewöhnlich  nur  an 
durchsichtigen  Thieren  eine  ganz  kurze  Strecke  weit  vom  Ganglion  aus 
verfolgt  werden  können ;  an  den  todten  Phallusien  und  Cynthien  aber 
wegen  der  Undurchsichtigkeit  der  Gewebe  nicht  erkennbar  sind.  Ausser- 
dem ist  die  Querschnittsmethode  für  diesen  Zweck  nichts  weniger  als 
praktisch. 

Aufschluss  muss  man  hier  zunächst  von  den  durchsichtigen  Salpen 
erwarten,  und  will  ich  als  Stütze  für  meine  Ansicht  noch  anführen,  dass 
nach  LeuckakVs  Angabe  ein  Nervenstamm  (bei  Salpa  fusiformis  von  zehn 
Nerven  der  fünfte)  einzig  und  allein  zur  Bauchrinne  tritt. 

An  der  Bauchrinne  hat  er  ihn  nicht  wieder  heraustreten  sehen, 
auch  nicht  weiter  verfolgen  können.  Man  muss  daher  annehmen ,  dass 
in  diesem  Organe  seine  Endigung  und  Ausbreitung  stattfindet. 


lY.  Darmeanal  und  Leber. 

Ais  Darmeanal  im  engeren  Sinne  bezeichnen  wir  den  Theil  des 
Darmrohrs ,  der  die  Function  der  Verdauung  zu  verrichten  hat.  Er  ist 
mehr  oder  minder  scharf  in  drei  Abschnitte  getrennt:  \ .  den  zuleiten- 
den Theil  oder  Oesophagus,  2.  den  erweiterten  Abschnitt,  in  dem  die 
Speisen  hauptsächlich  mit  dem  Verdauungssecret  in  Berührung  gebracht 
werden:  Magen,  und  3.  den  Dünndarm,  den  längsten,  wohl  hauptsäch- 
lich der  Resorption  dienenden  Theil. 

Die  hier  angedeutete  Functionstrennung  ist  jedoch  nicht  als  eine 
scharfe  zu  betrachten ,  indem  der  Darmeanal  in  seiner  ganzen  Ausdeh- 
nung nur  geringe  Differenzirungen  zeigt  und  namentlich  das  Epithel 
sehr  gleichartig  ist. 

Bevor  ich  auf  die  Resultate  meiner  Untersuchungen  näher  eingehe, 
•will  ich  kurz  die  Beobachtungen  und  Deutungen  früherer  Forscher  re- 
capituliren. 

Von  der  histiologischen  Zusammensetzung  des  Darmcanals  der 
Salpen  und  Appendiculanen  giebt  Lbuckart  an.  dass  ihm  eine  Muscularis 
abgehe,  dass  die  Wandung  aus  einem  homogenen  zellenreichen  Binde- 
gewebe bestehe  und  ein  cylindrisches  Flimmerepithel  trage,  das  die 
Fortbewegung  der  Speisen  besorge. 

Was  die  äusseren  Verhältnisse ,  die  Form  und  Lage  des  Darms  an- 


90  lucDHTa  neriwi)!, 

laugt,  bat  sdion  SATicnv  musterhafte  und  zutreffende  Schilderungen  für 
die  Ascidieu  gegeben.  Hier  ßndea  wir  die  blättrigen  Faltungen  des 
Mageng,  die  das  Intestinum  der  meisten  Ascidien  durchEetiende  Leiste, 
welche  ihrer  wulstigen  Form  und  ihres  Verlsufs  halber  als  Costa  be- 
leichnet  wird,  genauer  beschrieben.  Ein  Blindsac^  wird  von  Ledoubt 
am  Cardialende  des  Salpenmagens ,  an  der  Pars  pylorica  der  Ascidien 
von  SATiGinr  erwähnt. 

Grosse  ConAlsion  herrscht  dagegen  in  der  Beutung  der  Darman- 
hänge.  Namenüich  sind  als  Leber  die  verschiedenartigsten  Bildungen 
angesprochen  worden.  Es  rührt  diese  Verwirrung  daher,  dasa  man 
nicht  genug  die  Charaktere,  die  ein  Oi^an  besitzen  muss,  uro  als  Leber 
gelten  zu  können,  berttcksichtigt  hat,  nämlich  erstens  einen  directen 
Zusammenhang  mit  dem  Darmlumen,  und  tweitens  ein  Epithel,  welches 
einigermaassen  wenigstens  drüsige  Beschaffenheit  aufweist. 

Man  kann  die  bei  den  Tunicaten  als  Leber  bezeichneten  Gebilde  in 
folgende  vier  Unlerablheilungen  zusammenfassen ,  ohne  dass  jedoch 
hiermit  gesagt  sein  soll,  dass  die  <ihnlich  klingenden  Schilderungen  auch 
gleichwerthige  Objecte  vor  sich  gehabt  hätten.  Namentlich  scheinen  die 
unter  III.  zusammengefassten  Bildungen  oft  verschiedenartiger  Natur 
zu  sein. 

1.  Das  von  Satight  bei  seinen  beiden  ersten  Tribus  der  Cynthia 
beschriebene  Organ,  das  die  eine  Seite  der  Darmwand  vollkommen  ein- 
nimmt und  dessen  Einmündungen  hier  sIs  L&cher  beim  Aufschneiden 
sich  finden.  Merkwürdigerweise  wird  es  nurvon  Hilni  Edvards wieder 
vorUbei^ehend  erwähnt,  obwohl  es  mir  die  einzige  Bildung  zu  sein 
scheint,  die  man  mit  vollem  Recht  als  Leber  bezeichnen  kann. 

II.  Der  Blindsack  bei  Salpm  (Vo«t)  und  Appeadicularien 
(Huxlbt)  . 

HI.  GefUssart^e  Adnesa :  ein  Netz  von  epithellosen  Rohren,  das 
aus  I  —  S  Längsstämnien,  feineren  anastomosirenden  Vei^stelungen  und 
kolbigen  blindsackartigen  Anscbwellungen  besteht.  Es  umspinnt  bei 
Phallusia  (Kbohn)  den  ganzen  Darm,  bei  Salpen  und  Doliolen  die  hintere 
Hälfte  des  Darmtractus  (Leccxirt),  bei  Amarucium  die  mittlere  Hälfte 
des  Rectum  (Mu.)re  Edwabds). 

IV.  Eine  den  Darm  umhüllende  Hasse  (das  honiggelbe  Organ 
Krohn's)  ,  die  aus  Bläschen  mit  einem  central  in  jedem  derselben  liegen- 
den Kern  besteht.  Sie  findet  sich  nur  bei  Phallusien  und  ist  namentlicli 
bot  P.  mamillala  sehr  stark  entwickelt. 

Erwähnt  sei  noch ,  dass  auch  der  den  Darm  von  Phallusia  intesti- 
nalis umgebende  Hoden  als  Leber  gegolten  hat. 

Ich   gehe  Jelzt  zur  Schilderung  meiner  eigenen  L'ntersucbungen 


Beiträge  zur  KeDntniss  des  Bnaes  der  Ascidien.  91 

über.  Leider  erlaubten  mir  die  Beschränktheit  an  Zeit  und  Material 
nicht,  meine  Beobachtungen  auf  eine  grössere  Anzahl  von  Arten  auszu- 
dehnen. Ich  kann  daher  nur  Weniges  zur  Klärung  der  herrschenden 
Verwirrung ,  namentlich  zur  Sichtung  dessen ,  was  fälschlich  als  Pan- 
kreas ,  Leber  etc.  bezeichnet  worcten  ist ,  beitragen.  Doch  glaube  ich 
jetzt  schon  berechtigt  zu  sein ,  einen  Theil  der  früheren  Beobachtungen 
sicher  als  falsch  zu  bezeichnen,  einen  anderen  als  hiOchst  zweifelhaft  er- 
scheinen zu  lassen. 

Indem  ich  in  Kürze  die  Mittheilung  Lbockart's,  dass  der  Darmcanal 
der  Baipen  keine  Muscularis  besitze  und  die  FortschafiFung  der  Speisen 
durch  ein  cylindrisches  Flimmerepithel  bewirkt  werde ,  bestätige,  gehe 
ich  sogleich  näher  auf  die  Schilderung  der  Darmanhänge  ein. 

Ich  wende  mich  zunächst  zu  den  geftlssartigen  Bildungen ,  welche 
man  für  Leber  gehalten  hat,  und  beginne  mit  dem  Böhrensystem,  wel- 
ches von  K&OHN  bei  Phallusia  mamillata  beschrieben  worden  ist. 
Vorausgreifend  will  ich  bemerken ,  dass  ich  die  Ansicht  Krohn's  ,  man 
habe  es  hier  mit  einer  Leber  zu  thun,  nicht  theilen  kann,  vielmehr  dfe 
fraglichen  Röhren  für  Blutgefässe  halte. 

Bevor  ich  jedoch  auf  das  »DafUr«  und  »Dawider«  näher  eingehen 
kann ,  glaube  ich  den  Beweis  schuldig  zu  sein ,  dass  die  Bildungen, 
welche  KtOHii  und  ich  untersucht  haben ,  auch  wirklich  identisch  sind. 

Kaohn  schildert  sie  als  ein  bei  älteren  Thieren  schwer  nachweis- 
bares Organ,  das  aus  einem  System  feiner,  über  den  Darm  sich  aus- 
breitender  Canäle  besteht.  Die  Ganäle  setzen  ein  Netzwerk  zusammen, 
bilden  Schlingen  nach  Art  der  Vasa  vorticosa  und  treiben  an  vielen 
Stellen  ampullenartige  Ausstülpungen.  Am  reichsten  sind  sie  in  der 
Costa  entwickelt  und  beginnen  blind,  um  allmählich  in  einen  grösseren 
Stamm  zusammenzutreten ,  der  dann  dem  Darm  entlang*  verläuft.  Die 
Entstehung  geht  von  dem  Hauptstamm  aus ,  indem  derselbe  Fortsätze 
treibt  und  diese  sich  dichotomisch  verästeln.  Der  Inhalt  der  Röhren 
wird  als  wasserhell  angegeben;  ein  Epithel  wird  nicht  beschrieben. 
Vom  erwachsenen  Thier  theilt  Krohn  mit,  dass  das  Organ  kaum  sicht- 
bar sei  und  nur  hie  und  da  in  Form  einzelner  Schläuche  an  die  Ober- 
fläche des  Darms  trete. 

Auf  Querschnitten  von  Spiritus-Exemplaren  glaube  ich  dieses  Organ 
in  den  dunkeln  Ganälen  wiederzufinden,  welche  in  den  Fig.  23  —  25  der 
Taf.  IX.  mit  a  bezeichnet  sind.  Allerdings  erscheint  der  Inhalt  der  Röhren 
zunächst  sehr  verschieden.  An  meinen  Spiritus-Exemplaren  bestand  der- 
selbe aus  dunkeln  Klumpen  von  zusammengehäuften  braunen  Zellen,  mit 
undeuUichem^K^De,  während  Krohn  von  einem  wasserhellen  zellenfreien 
Inhalt  spricht.    Dieses  Bedenken  wurde  jedoch  später  durch  die  Beob- 


92 

achluDg  der  lebenden  Pliat.u^.o  ...au....»»  „.u.^,,^^,..  ,.,^,  ^kii».-  t-? 
sich  heraus,  dass  der  laball  der  Rbhrcn  eine  waaserbetlc  Flüssigkeit  ist, 
welche  bei  jungen  Tbicren  (die  Khohh  vorzüglich  uniersuchte)  sehr 
wenige^  bei  üllc ren  sehr  zahlreiche,  farblose,  kernhaltige  Zellen  cnUiüli . 
Diese  können  nur  ab  Blulzcllen  gedeutet  werden.  Der  dunkelbraune 
klumpige  Inhalt  der  Bohren  bei  den  Spiritus- Exemplaren  isl  geronnenes, 
durch  den  Spiritus  verändertes  Blut. 

In  allen  übrigen  Punkten  stimmen  Khohn's  Angaben  st^hr  gut  zu 
meinen  Beobachtungen.  Die  Verästelungen  sind  am  reichsten  in  der 
Costa,  ausserdem  in  den  Falten  des  Oesophagus  und  des  Magens,  dit;  ja 
dieselbe  Bildung  darstellen  wie  jene  :  eine  Verg rosse ning  der  das  Epithel 
tr-igcndcn  Flache.  Endlich  war  das  Organ  am  lebenden  Thier  nur  als 
einzelne,  zwischen  der  honiggelben  Hasse  faervortaucbcnde,  milchwcisso 
Schlingen  bemerkbar. 

Die  Bamilicationen  der  RGhren  sind  gabcispaltig.  Die  Zweige  bil- 
den Schlingen  und  Ampullen,  nur  dass  ich  die  Anßnge  bei  dem  un- 
durchsichtigen alten  Thiere  nicht  beobachten  könnt«,  was,  znmal  bei 
Querschnitten ,  auch  nicht  erwartet  werden  kann.  Auch  die  grosseren 
Canäle  fehlen  nicht.  Ausser  einzelnen  von  miUlerem  Caliber,  welche 
auf  den  Zeichnungen  zwischen  den  Bläschen  sich  finden,  konnte  ich 
namentlich  einen  in  der  Basis  der  Costa  verlaufenden  grossen  Ilaupt- 
stamm  makroskopisch  bis  zum  Oesophagus  hin  verfolgen,  ohne  dass  ich 
ihn  in  denselben  einmünden  sah. 

Endlich  konnte  ich  trotz  genauester  Prüfung  einer  grossen  Anzahl 
Schnitte  aus  allen  Gegenden  des  Darmcanals  keine  andere  Bildung  auf- 
findig machen ,  welche  der  KRCHn'schcn  Schilderung  nur  irgend  wie 
ähnlich  gewesen  wäre.  Kurz,  die  grosse  Ueberoinstimmung,  sowie  der 
Hangel  von  anScren  CanSlcn ,  die  in  Betracht  kommen  könnten ,  lassen 
mich  an  der  IdentitiJt  der  vorliegenden  Organe  nicht  zweifeln. 

Dass  diese  Bohren  nun  keine  Drüsen,  geschweige  denn  eine  Leber 
seien ,  scheint  mir  aus  folgenden  Erwägungen  hervorzugehen :  Erstens 
fehlt  jegliches  Epithel;  denn  die  Inhaltszellen  sind  keine  Epithetzellcn, 
sondern  liegen  frei  in  einer  flüssigen ,  farblosen  Intercellularsubstaaz 
und  füllen  mit  dieser  zusammen ,  wie  man  an  Querschnitten  der  Ganälo 
deutlich  sieht,  deren  Lumen  vollkommen  aus.  Zweitens  konnte  eine 
Einmündung  der  Röhren  in  das  Darmrohr  weder  von  mir  selbst  gefun- 
den werden,  noch  ist  sie  von  Kkohn  beschrieben  worden.  (Rbobk  fol- 
gert sie  mehr  aus  der  Lage ,  als  dass  er  sie  selbst  gesehen  hat.  Man 
lese  seine  Schilderung  und  vergleiche  dann  das  Resum^,  das  er  giebt.] 
Drittens  liegen,  wie  wir  später  sehen  werden,  ganz  andere  röhrige  Bil- 
dungen vor,  bei  denen  man  die  Gommunication  mit  dem  Darmrohr  und 


Beiträge  int  Kenniniss  des  Baues  der  Ascidieu.  93 

die  Gleichheit  des  Epithels  in  beiden  auf  das  bestimmteste  nachweisen 
kann,  die  man  demnach  mit  vollem  Recht  als  Drüsen  bezeichnen  kann. 
Sie  haben  mit  obigen  Röhren  auch  gar  nichts  gemein  und  finden  sich 
nur  bei  einigen  Gruppen  der  Gynthien. 

Aus  allen  diesen  Gründen  glaube  ich  folgern  zu  dürfen ,  dass  die 
beschriebenen  Röhren  Rlutgefässe  sind  und  einen  local  ungewöhn- 
lich stark  entwickelten  Theil  des  Circulationssystems  bilden.  Diese 
starke  Entwickelung  lässt  sich  durch  die  doppelte  Function  derDarmge- 
fiisse  erklären,  erstens  die  Ernährung  der  Darmwand  und  namentlich 
ihres  Epithels,  dessen  secretorische  Thätigkeit  einen  reichei*en  Nabrungs- 
zufluss  bedingt;  —  und  zweitens  die  Resorption  der  durch  den  Yer- 
dauungsprocess  assimilirten  Stoffe. 

Wahrscheinlich  entspricht  somit  dieser,  an  einem  Theile  des 
Darmes  so  auffallend  stark  entwickelte  Theil  der  Rlutgefässe  in  seiner 
Function  theilweise  dem  Lymphgetesssystem  der  Wirbelthiere.  Seinem 
morphologischen  Verhalten  gemäss  kann  es  aber  nicht ,  wie  Quov  und 
GAmAmB  wollen,  als  wirkliches  Lymphgefösssystem  bezeichnet  werden. 
Es  existirt  eben  noch  nicht  die  Differenzirung  des  Gefcisssystems  in  einen 
ernährenden  und  einen  resorbirenden  Theil.  So  lange  wir  nicht  diese 
Differenzirung  vor  uns  haben ,  können  wir  nur  von  einem  Rlutgefäss- 
system  sprechen. 

Weitere  Beweisgründe  dafür ,  dass  die  besprochenen  Röhren  Blutr- 
geßisse  und  keine  Leber  darstellen ,  finde  ich  in  der  Anordnung  und 
Vertheilung  derselben.  Ihre  Anordnung ,  insbesondere  die  Schlingen- 
bildung der  feinsten  Verästelungen  und  die  Erweiterung  zu  ampullen- 
artigen Blindsäckchen,  bewirkt  eine  Vergrösserung  der  Oberfläche ,  wie 
sie  ein  reicherer  Austausch  der  Bestandtheile  erfordert.  Am  reichsten 
vertheilt  sind  die  Röhren  auf  den  Abschnitt  des  Darms ,  an  dem  wir  die 
lebhafteste  Resorptionsthätigkeit  annehmen  müssen.  Am  meisten  spricht 
aber  wohl  für  meine  Ansicht  die  genaue  Untersuchung  der  Wandungen 
und  des  Inhalts  der  Gefässe.  Wie  schon  früher  erwähnt ,  entbehren  sie 
einer  selbstständigen  isolirbaren  Wandung :  nur  die  grösseren  Stämme 
zeigen  eine  circuläre  longitudinale  Anordnung  von  Muskelfasern ,  die 
ganz  den  glatten  Fibrillen  des  Hautmuskelschlauchs  gleichen  und  nur 
als  ein  dem  Gef^sssystem  sich  anschmiegender  Theil  desselben  aufzu- 
fassen sind.  Noch  entscheidender  aber  ist  die  Beschaffenheit  der  Zellen, 
weiche  man  innerhalb  der  Röhren  findet.  Diese  erscheinen  an  lebenden 
Thieren  als  farblose,  mit  einem  deutlichen  Kern  versehene  amöboide 
Zellen.  Dieselben  Zellen  finden  sich  in  den  Hohlräumen  der  Kiemen- 
*  iHlIkchen  und  in  den  den  Mantel  durchsetzenden  Gefössen  wieder,  eben- 
falls durch  farblose  Intercellularflüssigkeit  gr  Vie  demnach 


94  Riebard  Hertwig, 

das  Lumen  von  unzweifelhaften  Blutgefässen  erfüllen,  kann  man  sie 
hier  wie  dort  sicher  als  Blutzellen  bezeidinen.  Die  stärkere  Anhäufung 
derselben  in  den  Darmgefössen  lässt  sich  vielleicht  darauf  zurttckftthren, 
dass  vermöge  der  blinden  Endigungen  und  prq)ortional  dem  ver> 
grösserten  Gesaromtquerschnitt  der  Blutbahnen  die  Gescbwitidigkeit  der 
Circulation  abnimmt. 

Endlich  entspricht  auch  der  Zeitpunkt  und  die  Art  und  Weise  der 
Entstehung  der  fraglichen  Darmgefässe  vollkommen  derjetiigen  der 
Mantelgefdsse.  Nach  Krohn's  Schilderung  entwickeln  sich  beide  kurz 
vor  der  Entstehung  des  Herzens ,  beide  aus  Hauptstämmen ,  die  sieb 
dichotomisch  theilen,  Ampullen  treiben  und  Schlingen  bilden. 

Man  könnte  noch  den  Einwurf  machen ,  Krohr  hätte  dann  bei  der 
Verfolgung  der  Entwickelung  Blutcirculation  wahrnehmen  müssen.  Dem 
gegenüber  ist  jedoch  zu  bedenken ,  dass  die  Circulation  in  den  Mantef- 
gefässen,  die  doch  rings  von  einer  vollkommen  durchsichtigen  Substans^ 
umgeben  sind,  lange  den  Beobachtern  entgangen  ist  und  nach  KiiOH?f\s 
eigenem  Geständniss  schwer  wahrzunehmen  ist.  Um  wie  viel  leichter 
mag  sie  sich  am  Darm  selbst  der  genaueren  Prüfung  unterziehen ,  da 
hier  die  grössere  Undurchsichtigkeil  der  Gewebe  viel  ungünstigere  Ver- 
hältnisse bietet. 

Die  Beobachtung  der  Pulsa^ion  an  erwachsenen  Thieren  belehrte 
mich,  wie  langsam  und  träge  die  Herzthätigkeit  ist  und  wie  wenig  die 
Pulswelle  sich  in  die  grösseren  Gefiisse  verfolgen  lässt. 

Von  Phallusia  mammillata  wenden  wir  uns  zu  den  entsprechenden 
Verhältnissen  bei  den  Cynthien. 

Betrachtet  man  den  Darmcanal  einer  Cynthie  genauer  von  aussen, 
so  findet  man  ihn  seiner  ganzen  Ausdehnung  nach,  am  deutlichsten  aber 
am  Magen,  gestreift.  Die  Streifen  folgen  im  Wesentlichen  der  Längen- 
richtung des  Darms  und  entsprechen  nach  Sationt  den  Blättern  des 
Magens,  was  jedoch  nur  in  beschränkter  Weise  zuzugeben  ist ,  da  die 
Streifung  auch  an  anderen  Darmabschnitten,  die  der  Faltung  der  Darm- 
wand  entbehren,  sich  vorfindet,  wie  iiamentiicfa  am  Oesophagus.  Am 
schönsten  ist  sie  am  Magen  von  Cynthia  mytiligera  entwickelt  (Taf.  VII. 
Fig.  7).  Bei  G.  canopus  und  C.  polycarpa  bemerkt  man  bei  genauerer 
Prüfung ,  dass  einzelne  der  grösseren  Streifen  nach  der  Stelle  hin  con- 
vergiren ,  wo  der  Herzschlauch  der  vorderen  Magenwand  fest  anhaftet. 
Dies  führte  mich  zurVermuthung,  dass  sie  mit  demselben  in  Beziehung 
ständen,  und  veranlasste  mich  vom  Herzschlauch  aus  Luft  zu  injiciren. 
Hierbei  ergab  sich  nun,  dass  Luftblasen  in  die  Darmwandung  ein- 
drangen und  dem  Verlauf  der  Streifungen  folgten,  wobei  deren  dichoto-' 
mische»  unter  spitzem  Winkel  erfolgende  Theilung  sich  besser  ?erfoIgen 


Beiträge  zur  Keantniss  des  Bnnes  der  Ascidien.  95 

Hess,  Ich  kam  somit  zum  Schluss ,  dass  die  Sireifung  Ausdruck  eines 
den  Darm  umspinnenden  Gefasssystems  sei.  Die  Vertheilung  desselben 
untersuchte  ich  genauer  auf  Querschnitten  ^  wo  man  sie  als  Lücken  im 
Bindegewebe  wiederfindet  (Taf.  Vlli.  Fig.  48).  Sie  sind  am  reichsten  in 
der  vorderen  Magengegend,  wo  meistens  ein  Canal  an  der  Basis  je  einer 
Falte  liegt.  Am  Oesophagus  finden  sich  bei  G.  mytiligera  (Taf.  YIII. 
Fig.  49)  zwei  grössere  Lücken,  welche  dieselben  Beziehungen  zum 
Muskelsystem  erkennen  lassen  wie  die  grösseren  Stämme  bei  Phallusia. 
Gynthia  canopus  wies  nur  eineu  Hauptstamm  auf,  ausser  einigen  unbe- 
deutenden Aeslen.  Im  Dünndarm  finden  sich  nur  wenige  und  dazu 
noch  schwächere  Ganäle. 

Ich  habe  zwar  keine  Injeetionen  versucht,  aber  durch  Gorobination 
mit  den  von  Milnb  Enwians  über  Blutcirculation  der  Synascidien  gege- 
benen Mittheilungen  glaubte  ich  jetzt  schon  folgendes  Schema  der  Gir- 
culation  geben  zu  können.  Das  Blut  dringt  vom  Herzen  zum  Magen  und 
vertheilt  sich  hier  in  feinere  Aeste,  um  dann  zumTheil  in  dem  grösseren 
Oesophagealstamm  sich  zu  sammein  und  so  zur  Kieme  zu  gelangen,  zum 
Theil  vielleicht  auch  dem  Dünndarm  zu  folgen  und  von  hier  in  den 
Muskelschlauch  oder  durch  die,  viele  Gommissuren  bildenden  Haftfdden 
der  Kieme  in  letztere  einzutreten. 

'  Ausser  diesen  Blutsinus  bemerkt  man  auf  Querschnitten  noch  Ga- 
nttle,  welche  Schlingt  in  den  Magenfalten  bilden ,  am  deutlichsten  am 
Magen  von  Gynthia  canopus  (Taf.  Ylll.  Fig.  24  b).  Sie  sind  von  sehr  un- 
gleichem Galiber,  bald  verengt,  bald  bauchig  angeschwollen.  Wenn  man 
auch  nicht  von  einem  Epithel  sprechen  kann ,  so  sind  die  Wandungen 
doch  nicht  homogen,  sondern  tragen  Zellen  mit  deutlichem  Kern,  die 
ihrem  ganzen  Aeusseren  nach  sich  mehr  den  Gef^ssepithelien  anreihen, 
spärlich  vertheilt  sind,  jedoch  mit  der  Verminderung  des  Ganallumens 
an  Dichtigkeit  zunehmen.  Auf  Querschnittsfiguren  sieht  man ,  dass  das 
Protoplasma  der  einzelnen  Zellen  zusammenhängt  (Fig.  24  c) . 

Diese  den  Gapillaren  ähnliche  Gefässschlingen  communiciren  mit 
den  grossen  Blutsinus  fa).  Man  kann  Uebergänge  von  den  letzteren  zu 
den  ersteren  nachweisen,  auch  in  der  Struetur  der  Wand.  Die  als  wan- 
dungslos beschriebenen,  von  aussen  als  Streifen  kenntlichen  Sinus 
zeigen  einen  äusserst  spärlichen  Zellenbeleg ,  den  man  am  besten  an 
den  Längsseiten  dickerer  Querschnitte  beobachtet.  Ich  wage  ihn  kaum 
als  Gefassepithel  zu  bezeichnen.  Sie  sind  nicht  häufiger  als  die  Binde- 
gewebszellen ,  welche  auf  einem  gleichen  Raum  liegen  würden.  Man 
kann  sie  deshalb  als  Bindegewebszellen  ansehen ,  deren  Intercellular- 
substanz  nur  in  einer  Fläche,  nicht  allseitig  entwickelt  ist.  Geht  man 
von  diesen  aus ,  so  kann  man  die  grossen  Sinus  durch  factisch  cxisti- 


96  Richard  Hertwift, 

rende  Uebergangsformen  mit  den  zetlenrei 
Id  zwei  allerdings  vereinzelteu  Fällen  batx 
Uebergang  beobachten  können ;  hier  bildet« 
Sinus  an  einer  Stelle  xugleicb  den  Einganj 
Canal.  Der  letztere  mündete  in  erst«ren  aus 
lingen,  durch  Versucbe  mit  Injection  gePi 
directe  Belege  beizubringen. 

Für  den  Ascidienbau  sind  diese  Gefösssc 
ligkeit,  als  sie  uns  die  vollkommene  Gleich 

bei  Cynthien  uod  Phallusien  ermöglichen.  Beide  Beobachtungsreifapn 
stützen  und  ergänzen  sieb.  Was  bei  den  Phallusien  undeutlicher  ist, 
die  Conimunication  mit  dem  BlutgefSsssystem,  kann  bei  den  Cynlhien 
leicht  be«bachtet  werden.  Dagegen  die  Vertheilung  der  Geisse  am 
Darm  lässt  sich  bei  ersteren  besser  verfolgen. 

Die  hier  gegebene  Schilderung  der  Hagenge^se  vonCynthia  cano- 
pus  passt  »uch  auf  andere  Cyntbien  mehr  oder  weniger.  Insbesondere 
sind  sie  bei  C.  mytiligera  deutlich  zu  erkennen,  jedoch  durch  die  faserige 
DifTerenzirung  des  Bindegewebes  mehr  verdeckt. 

Die  von  den  Hagengefessen  gewonnene  Anschauung  lässt  sich  nicht 
ohne  weiteres  auf  die  übrigen  Dsrmabschnille  Übertragen.  Für  das 
Sinussystem  habe  ich  oben  schon  die  Veränderung  beschrieben.  Die 
kleinen  von  Epithelium  ausgekleideten  Canale  fehlen  am  Oesophagus 
fast  ganz ;  am  Dünndarm  weichen  sie  nicht  unbedeutend  ab  und  sind 
nicht  ohne  weiteres  mit  den  Gefässschlingen  des  Magens  zu  vergleichen. 
Sie  sind  hier  zum  grossen  Tbeil  bedeutend  zellenreicher  und  zeigen 
auf  Querschnitten  der  grosseren  Stämme  ein  vollkommen  quadratisches 
Epithel.  Freilich  ist  das  Bindegewebe  auch  zellenreicher.  Diese  kleinen 
Gaaäle  sind  am  reichsten  in  der  Costa  entwickelt  und  besitzen  meist 
einen  von  der  äusseren  zur  inneren  Darmoberfläche  gehenden  Verlauf 
und  eine  in  dieser  Bichtung  hin  erfolgende  dicbolomische  Veräsl«luDg. 
Unweit  des  Cylinderepithels  biegen  sie  sich  um,  um  demselben  parallel 
zu  laufen ,  oder  enden  mit  Ampullen ;  häu6g  sieht  man  ihre  Quer- 
schnitte (Taf.VIII.  Fig.  80,  2S).  Was  jedoch  mich  zurückhält,  ein  ent- 
scheidendes Urtheil  abzugeben,  sind  folgende  Bedenken  : 

Ich  fand  b^  Cynthia  mytiligera  und  C.  canopus  und  zwar  haupt- 
sUchlich  an  der  Costa,  dass  das  Epithel  der  Tunica  tertia  sackartig  sieb 
einstülpte  (Taf.  Vlil.  Fig.  20).  Einer  der  tieferen  Einstülpungen  lag  ein 
Ganai  (a)  dicht  an,  dessen  Epithel  nicht  die  geringsten  Unterschiede  er- 
kennen liesE  vom  Epithel  der  Tunica.  Bei  einem  anderen  Querschnitt 
verlief  ein  breiter  geschlängeller  Canal ,  der  in  ganz  ähnlicher  Weise  in 
der  Nähe  einer  tieferen  Einstülpung  lag,  durch  die  Costa  quer  in  der 


Beitr^  zur  Keuutuiss  des  Bniies  der  Asi-idieii.  97 

Ricblung  zum  Darmepiihel.  Wie  leicht  w^lre  es  möglich,  dass  diese 
Canüle  nur  Einstttlpungeo  des  Epithels  der  Tunica  tertia  wären  ?  Ihr 
Reichthum  an  der  Costa  (einer  Darmfaltenbildung)  würde  damit 
stimmen. 

Das  Epithel  der  Tunica  tertia  .wird  durch  einen  feinen  homogenen 
Saum  vom  Bindegewebe  des  Darms  getrennt  (Taf.  VIII.  Fig.  21,  22).  Ein 
ähnlicher  Saum  umgieht  den  grössten  Theil  der  Ganäle  am  Dünndarm 
von  Cynthia  canopus  (Taf.  VIII.  Fig.  22  g)  und  noch  deutlicher  die  aller- 
dings sehr  spärlichen  Canäle  am  Oesophagus. 

Bei  Cynthia  echinata  (Müllbr's  Zoologia  Danica)  konnte  ich  ganz 
genau  beobachten,  wie  derartige  Einstülpungen  der  Tunica  tertia  canal- 
artige  Bildungen  erzeugen.  Verhältnisse,  wie  sie  Taf.  IX.  Fig.  31  zeigt, 
findet  man  oft  bei  den  Leberschläuchen  des  Magens;  bei  einem  grossen 
Theil  schien  ihr  Zusammenhang  mit  Einstülpungen  direct  nachweisbar 
(Taf.  IX.  Fig.  30  ee). 

Ich  halte  es  daher  für  wahrscheinlich ,  dass  ein  Theil  der  canal- 
artigen  Bildungen  auf  derartige  Einstülpungen  zurückzuführen  ist. 
Namentlich  muss  ein  zu^mmenhängender  Epithelbeleg  Misstrauen  er- 
wecken. Ich  möchte  eben  nicht  die  Bildung  aller  Canäle  auf  diese  Art 
und  Weise  ohne  weiteres  erklären.  Es  können  ja  Blutgefässe  und  Ein- 
stülpungen neben  einander  existiren.  Meine  Beobachtungen  reichen  in 
diesem  Punkte  nicht  aus.  Jedoch  scheinen  sie  ausreichend,  um  manche 
Bildungen ,  welche  man  irriger  Weise  als  Leberschläuche  beschrieben 
hat,  auf  andere,  für  den  Organismus  unwichtigere  Theile  zurückzu- 
führen. 

Was  HuxLBT  in  Victor  Carüs*  Icones  zootomicae  als  Leber  von  der 
Costa  einer  Cynthia  abbildet,  scheint  weiter  nichts  als  eine  schlauch- 
förmige Hineinwucherung  des  den  Perithoracalraum  auskleidenden 
Epithels  zu  sein.  Dieselbe  für  eine  Leber  zu  erklären  liegen  keine  hin- 
reichenden Gründe  vor. 

Ebenso  wenig  sind  die  bei  den  Phallusien  als  Leber  beschriebenen 
Bläschen  (das  honiggelbe  Organ  Krobn's)  als  Leber  zu  deuten.  Nach 
meinen  Untersuchungen  bestehen  dieselben  aus  geschlossenen  Follikeln, 
welche  ein  concrementartiges  gelbes  Körperchen  enthalten  (Taf.  IX. 
Fig.  23).  Die  Wandung  des  Follikels  besteht  aus  einer  homogenen  Mem- 
bran (d).  Auf  derselben  liegen  zahlreiche  runde  Körperchen,  von  denen 
einige  netzartig  sich  verbindende  Ausläufer  bilden  (Fig.  26).  Sie  be- 
sitzen den  eigenthUmlichen  Glanz  und  das  starke  Lichtbrechungsver- 
mögen von  Fettkörperchen.  Ihr  Umriss  ist  meistens  un regelmässig 
rundlich.  Ich  würde  sie  für  Zellen  halten ,  wenn  ein  deutlicher  Rem 
nachweisbar  wäre.    Trotzdem  ist  es  wahrscheinlich,  dass  sie  aus  wirk- 

B4.  VlI.  4 .  7 


98  Riebard  Heriwigf 

liehen  Zellen  durch  Verlust  des  Kernes  und  Umwandlung  des  Proto- 
plasma entstanden  sind. 

Das  in  jedem  Bläschen  liegende  gelbe  concrementarUge  Körperchen 
besteht  aus  einer  oder  mehreren  Zellen,  welche  mit  Carmin  sich  intensiv 
färben.  Sie  sind  umschlossen  von  einer  sohichtenweis  abgeiagerien 
glashellen  Substanz,  die  oft  der  Follikelwand  anhaftet.  Mit  Säuren  be-> 
bandelt  wird  das  gelbe  Concrement  unter  lebhafter  Gasentwicklung 
etwas  heller,  ohne  jedoch  vollkommen  klar  zu  werden.  Die  Ablagerung 
kohlensaurer  Salze  als  Ausscheidungsproducte  des  thierischen  Oi*ganis- 
mus  spricht  jedenfalls  mehr  für  ein  excretorisches  als  ein  secretortsches 
Organ.  Wahrscheinlich  ist  dieses  »honiggelbe Organa  derPhaUusien  als 
Niere  zu  deuten. 

Während  die  bisher  betrachteten  Darmanhänge  wohl  alle  mit  Un- 
recht als  Leber  bezeichnet  wurden ,  existirt  dagegen  ein  echtes  leber- 
artiges  Organ  als  drüsiger  Anhang  des  Magens  bei  einem  Theile  der 
Cyntbien ,  wo  dasselbe  von  Savignt  und  Milnb  Edwards  aufgefunden 
worden  ist.  Die  Cynthia  echinata  (Fabricius,  fauna  Groenlandica ;  O.  F. 
Müller  ,  Zoologia  Danica) ,  bei  welcher  ich  dasselbe  untersuchte ,  fehlt 
in  Savigivy^s  Aufstellung  und  reibt  sich  demnach  als  neues  Glied  einer 
seiner  beiden  ersten  Tribus  ein. 

Von  aussen  betrachtet  fällt  der  Magen  der  Cynthia  echinala  durc\) 
die  gelappte  Form  auf,  welche  seine  nach  der  Kieme  zu  gelegene  Wand 
besitzt  (Taf.  IX.  Fig.  27) .  Auf  Querschnitten  sieht  man ,  dass  die  er- 
heblich verdickte  Magen  wand  aus  länglichen,  einfachen  oder  spärlich  ver- 
iistelten  Drüsenschläuchen  besteht,  welche  dasselbe  Epithel  besitzen  wie 
(li<>  drttsenfreie  entgegengesetzte  Darmwand.  Fig.  28,  Taf.  IX.  giebt  die 
Form  Verhältnisse  eines  solchen  Querschnitts  durch  den  drttsen führenden 
Theil  der  Magenwand  genau  wieder.  Fig.  29  ist  dagegen  eine  Schema* 
tische  Darstellung  eines  Querschnittes  durch  den  ganzen  Magen.  Die  in 
den  Schläuchen  liegenden  Kugeln  (s  s)  halte  ich  für  das  Secret  der 
Drüsenzellen. 

Um  mich  zu  überzeugen ,  dass  ich  es  hier  nicht  wie  bei  anderen 
Ascidien  mit  Falten,  sondern  mit  echten  Drüsenschläuchen  zu  thun  habe, 
führte  ich  andere  Schnitte  senkrecht  auf  der  Richtung  der  ersteren  (pa> 
rallel  der  Fläche  der  Darmwand)  und  erhielt  so  das  genau  copirte  Bild 
von  Fig.  30.  Hier  lassen  die,  auf  den  verschiedensten  Höhen  getroffenen 
Querschnitte  der  Drüsensohläuohe  keinen  Zweifel  zu ,  dass  wir  es  hier 
mit  einer  echten  Drüsenbiidung  zu  thun  haben.  Zwischen  den  Schlau- 
dh^n  der  Drüse  finden  sich  die  oben  als  Einstülpungen  des  äusseren 
Epithelbelegs  beschriebenen  Ganäle  (Fig.  30  e) .  Vom  Blutgefässsystem 
fand  ich  nur  einen  grossen  mit  a  bezeichneten  Sinus  (29  a). 


Beitriifte  zur  Kenntnfis  des  Bmies  der  Ascidien.  99 

Wäbreild  wir  bei  Cynthia  echinata  Drttsentohläuche  vor  uns  babeii, 
welche  nur  wenig  sieb  verzweigen  und  getrennt  in  den  Daribcanal  mün- 
den, so  sind  bei  C  microcosnlus  viele  Schläudie  zu  einer  Gruppe  ver- 
eint, um  mit  einem  gemeinsdiaftlicben  AusfUhrungsgang  m  münden, 
leb  lasse  hier  die  ausführliciiere  Beschreibung  folgen. 

Die  gelbqFarbe  der  Darmwandung  von  Cynthia  microcosmus  wird 
am  Magen  durch  orangefarbene  feine  Striche  unterbrochen  oder  an 
vielen  Stellen  durch  dichtere  Anordnung  dieser  Striche  ganz  verdrängt. 
Diese  sind  in  kleinere  Gruppen  vereint,  welche  wieder  zti  grösseren 
Complexen  zusammentreten.  Die  Mitten  der  grösseren  Gruppen  protni- 
niren  und  geben  der  Darmwand  ein  etwas  höckeriges  Ansehen  und  er- 
zeugen eine  Oberfläche,  wie  sie  die  Lobuli  einer  zusammengesetzten 
Drüse  bildefi. 

Schneidet  man  den  Magen  auf,  so  vermisst  man  die  bei  den  meisten 
Ascidien  vorkommenden  Längsfalten,  wie  auch  dem  Dünndarm  die 
Costa  fehlt.  Dagegen  erblickt  man  auf  der  inneren  Magenfläche  die 
schon  von  SAnciiv  und  MiuiB  EüWard»  besebriebenen  Vertiefungen,  un- 
gefähr sechs  bis  neun  an  der  Zahl  (Fig.  32.  /,  /).  Sie  liegen  auf  der 
der  Kiemenhöhle  zugekehrten  Darmwand  und  flachen  sich  nach  dem 
Pyiorus  zu  allmählich  rinnehförmig  ab,  während  sie  nach  der  Cardia 
zu  mit  einer  scharf  vorspringenden,  die  Vertiefung  ein  wenig  über- 
deckenden Falte  absehliessen.  Am  Grunde  jeder  Vertiefung  finden  sich 
mehrere  kleinere  Mündungen.  Schneidet  man  durch  die  Magenwand  auf 
eine  derselben  ein,  so  sieht  man,  dass  das  hier  einmündende  Canälchen 
sich  mehrfach  dichotomiscb  verästelt  (Fig.  33,  34).  In  der  Peripherie 
ist  der  Querschnitt  von  einem  Gewirre  feinster  orangenfarbener  Striche 
(a)  durchsetzt,  die  jedoch  rn  ihrer  Masse  insofern  eine  gewisse  Anord- 
hung  erkennen  lassen,  als  sie  Gruppen  bilden,  welche  den  durch 
Dichotomie  des  gemeinsamen  Canälchens  entstandenen  Aestchen  ent- 
sprechen. Im  Magen  findet  sich  eine  orangenfarbene  Masse,  welche 
namentlich  in  den  Vertiefungen  zu  finden  ist  und  so  sich  als  Secret 
der  Drüsenscbläuebe  chdrakterisnrt. 

Die  Annahme ,  dass  wir  es  hier  mit  einer  traubenförmigen  Drüse 
zu  thun  haben ,  findet  durch  Querschnitte  ihre  Bestätigung.  Man  triflt 
auf  diesen  die  Drttsensohläuche  bald  mehr  der  Länge ,  bald  mehr  der 
Quere  nach  durchschnitten,  unter  ihnen  auch  solche,  die  sich  mehrfach 
verästeln  (Täf.  IX.  Flg.  35  /).  Sie  tragen  dasselbe  Cylinderepithel, 
welches  auch  sonst  den  Darmcanal  der  Ascidien  auskleidet,  aber  ohne 
Flimmerhaare.  Zwischen  den  Leberacini  finden  sich  die  Blutgefässe  als 
dunkle  Massen.    Die  Blutkörperchen  waren  in  Alkohol  zu  feinen  dunkeln 

7» 


100  RiGhard  Hertwig, 

Körperchen  geschrumpft,   quollen  aber  in  essigsauren)  Kali  auf  und 
Hessen  auf  Essigsäurezusatz  einen  Kern  erkennen.   . 

Während  so  bei  einem  Theile  der  Ascidien  (Cynthia  microcosmus, 
C.  echinata  etc.,  überhaupt  bei  den  beiden  ersten  Tribus  von  Satignt) 
die  Vergrösserung  der  seccmirenden  Epithelfläche  des  Darms  durch 
echte  traubige  Drüsenbildung  bewirkt  wird,  tritt  dagegen  bei  den  an- 
deren (den  beiden  letzten  Tribus  von  Savignt)  an  ihre  Stelle  blosse 
Faltenbildung  der  Darmwand ,  deren  Epithel  die  Function  einer  Leber 
erfüllt,  und  um  so  leichter  erfüllen  kann,  als  durch  die  in  hohem  Grade 
entwickelte  Längsfaltung  der  Darmwand  die  secretorische  Fläche  be- 
deutend vergrössert  wird. 

Alle  übrigen ,  bei  den  Ascidien  als  Leber  beschriebenen  Organe 
verdienen  diesen  Namen  nicht  und  werden  sich  als  anderweitige  Bil- 
dungen erweisen ,  vsie  ich  es  für  einen  Theil  wahrscheinlich  gemacht, 
für  einen  anderen  sicher  nachgewiesen  zu  haben  glaube. 


ErUbimg  der  ibbildungen. 

Tafel  Vn. 

Fi^.     i .     Clavellina  lepadiformis  nach  Milne  Edwards. 

Cl  Cloake,  a'  tunica  tertia,  a  ihre  Anhcflung  an  den  Muskelschlauch, 
c  b  a  ihre  Anheftungen  an  die  Kieme ,  e  Lage  des  Endostyls  und  Ven- 
tralsinus, g  Mündung  des  Geschlechtsapparats,  f  After,  M  Tunica 
muscularis,  TTesta. 
Fig.    2.    Phallusia  mamillata.  Die  rechte  Seite  der  Teste  und  des  Muskelschlauchs 
ist  abpräparirt.    Ihre  Querschnitte  sind  mit  T  und  M  bezeichnet.     Der 
Kiemensack  K  dadurch  bloss  gelegt.    Bezeichnung  sonst  wie  in  der  fol- 
genden Figur. 
Flg.    3.    Phallusia  mamillata.     Die  linke  Seite  der  Testa  und  der  Muskelwand 
ist  abgeschnitten ,  der  Darm  hierdurch  seiner  Länge  nach  geöffnet  (halb 
schematische  Zeichnung ;  die  Ovanen  sowie  das  honiggelbe  Organ  sind 
weggelassen). 

Cl  Cloake ,  oe  Oesophagus,  g  Magen,  r  Rectum,  t'  aufsteigende,  i"  ab- 
steigende Windung  des  Dünndarms,  K  Kieme,  t;  Ventralsinus,  d  Dor- 
salsinus, beide  mit  ihren  Muskelkiemenlamellen,   a  die  Linie  durch 
die  man  den  Querschnitt  führen  musste  um  das  Schema  Fig.  IV  zu 
erhalten,  fl  Linie  für  das  Schema  V,  y  für  VI. 
Fig.  4,  5,  6.  Schemata  von  Phallusia  mamillata,  welche  die  Beziehung  von  Man- 
tel (7),  Muskelschlanch  (Jlf),  Tunica  tertia  parietalis  {Sp) ,  Tunica  tertia 
visceralis  [Sv]  und  Darmkiemenepithelblatt  [KD]  erläutern,  sowie  das 
Zustandekommen  einer  dorsalen  und  ventralen  Muskelkiemenlamelle  {v 
und  d).    Ausserdem  bedeuten  e  Endostyl ,  ju  linker,  pd  rechter  Peritbo- 
racalraum,  CZ  Cloake. 
Fig.     7.    Cynthia  mytiligera  von  der  Egestionsöfiiiung  aus  aufgeschnitten.     Der. 
Theil  der  ventralen  Muskelkiemcnlamelle ,  welcher  Magen  und  Oesopha- 


Beiträge  zur  Kenntniss  des  Baues  der  Ascidien.  101 

gus  an  die  Muscttlaris  befestigt,  vom  letzteren  abgetrennt  (v";,  rechte  und 
linke  Hälfte  des  Moskelschlauchs  mit  den  anliegenden  Organen  zu  beiden 
Seiten  zurückgeschlagen. 

Bezeichnungen  wie  früher ;  ausserdem : 

v'  Der  zwischen  Magen  und  Kieme  ausgespannte  Theii  der  Muskel- 
kiemenlamelle ,  m  die  von  Savigny  für  ein  Ovarium  gehaltene  Falte 
der  Tunica  tertia,  o  die  Wülste,    in   denen   die  Geschlechtsorgane 
liegen. 
Fig.     8.     Die  Intestinalschlinge  von  Cynthia  mytiligera  (J)  mit  ihrem  Meaenterium 

(Tv)  und  dem  Muskelschlauch  M. 
Fig.     9.     Schema  des  Endostyls  von  Salpa  nach  Lbucmart.  d  bedeutet  die  den  En> 
dostyl  {E)  von  der  Bauchrinnc  [B)  trennende  Lamelle.     Im  übrigen  die- 
nen die  Buchstaben,  um  die  verschiedenen  Zellen  mit  denen  der  Ascidien 
zu  vergleichen. 
Fig.  40.     Die  Zellen  der  Höhe  der  Bauchrinne  bei  a  (von  Cynthia  canopus). 
Fig.  14.     Die^ Zellen  der  Bauchrinnc  bei  b,  von  derselben. 
Fig.  19.     Die  Spindclzellen  wie  sie  im  Stratum  d  und  h  vorkommen. 
Fig.   13.     Zellen  aus  c^  und  c^  (Fig.  10 — 43  von  Cynthia  canopus). 
Fig.  44.     Die  Stelle  d  von  Phallusia  mamillata  und  die  homogene  Membran,  der 

die  Zellen  aufliegen. 
Flg.  45.     Die  Zellen  des  Endostylgrundes  von  G.  mytiligera  mit  ihren  Geissein, 
c  die  den  Flimmerzellen  gemeinsame  Cuticula. 

■ 

Tafel  vm. 

Fig.  46.     Querschnitt  des  Endostyls  von  Cynthia  canopus. 

i;  der  ventrale  Blutsinus,  g  Blutgefässe,  K  inneres  Kiemenepithel, 
S  äusseres  Kiemenepithel. 

Fig.  47.     Endostyl  von  Phallusia  mamillata. 

Bezeichnungen  wie  oben ,  ausserdem  Sp  das  die  innere  Muskelwand, 
B  das  die  äussere  auskleidende  Epithel  {E  liegt  zwischen  Muskel- 
schlauch und  Testa;  Sp  und  S  gehören  der  Tunica  tertia  an. 

Flg.   48.     Querschnitt  durch  den  Magen  von  Cynthia  canopus. 

a  Blutsinus  innen  an  der  Basis  einer  Falte  liegend ,  m  Mesenterium 
(Doppellamelle  der  Tunica  tertia). 

Fig.  49.     Querschnitt  durch  den  Oesophagus  von  Cynthia  mytiligera. 

nw  mv  .Mesenterium,  welches  gleichzeitig  die  ventrale  Muskel  kiemen- 
lamelle ist,  aa  die  Blutsinus,  um  die  sich  ein  Ring  von  glatten  Muskel- 
fasern lagert. 

Fig.  30      Querschnitt  durch  den  Dünndarm  der  Cynthia  mytiligera. 

aa  Blutsinus,  C  Costa,  c  die  epitheltragenden  Canäle  mit  ihren  am- 
pullonförmigen  Erweiterungen  {ae),  deren  Bedeutung  ich  nicht  sicher 
stellen  konnte,  e  die  Einstülpungen  des  Epithels  der  Tunica  tertia, 
dd  anliegende  Canäle ,  deren  Epithel  dem  der  Tunica  tertia  äusserst 
ähnlich  ist  und  die  aussehen,  als  ob  sie  Einstülpungen  desselben 
wären. 

Fig.  ft4 .     Eine  Falte  des  Magens  von  Cynthia  canopus ,  quer  durchschnitten  und 
stärker  vergrössert  (Zeiss  E.  Oc.  II). 

a  Blulsinus  mit  dem  spärlichen  Zellenbeleg,  b  die  Gefässschlingen, 
welche    in   die   Darmfalte   dringen ,    c  ebensolche    auf  dem  Quer- 


J 

*>  Körperchen  geschrumpft,   quollen 

'  Hessen  auf  Essigsaurezusslx  eineo  n. 

Während  so  bei  einem  Theile  der  Asddien  (Cyntbia  microcosmus, 
C.  echinata  etc.,  Überhaupt  bei  den  beiden  ersten  Tribus  von  Savight) 
die  VergrOsserung  der  seccmirenden  Epilbelfläche  des  Darms  durch 
echte  traubige  DrUsenbildung  bewirkt  wird,  tritt  dagegen  bei  den  an- 
deren (den  beiden  letzten  Tribus  von  Savigkv]  an  ihre  Stelle  blosse 
Faltenbildung  der  Darmwand ,  deren  Epithel  die  Function  einer  Leber 
erfüllt,  und  um  so  leichler  erfüllen  kann,  als  durch  die  in  hohem  Grade 
entwickelte  Längsfaltung  der  Darmwand  die  secretorische  Fläche  be- 
deutend vergrössert  wird. 

Alle  tlbrigen ,  bei  den  Ascidien  als  Leber  beschriebenen  Organe 
verdienen  diesen  Namen  nicht  und  werden  sich  als  anderweitige  Bil- 
dungen erweisen,  wie  ich  es  fUr  einen  Theil  wahrscheinlich  gemacht, 
für  einen  anderen  sicher  nachgewiesen  zu  haben  glaube. 


ErUlnuig  der  Abbildmigeii. 

Tafsl  Vn. 
ClavellJoa  Icpadifonnis  nach  Milhe  Edwahds. 

et  Cloake,  a'  tunicn  MrtiB,  a  ihre  Anhoflung  an  den  Huskctschlauch, 
c6  a  ihre  Anlieftungen  an  die  Kieme,  e  I^gc  des  Gndostyls  andVen- 
tratsinus,   g  Hündung   des  GeschlecbUappantls ,   i  After,  M  Tunin 
muscuiaris,  TTeala. 
PhallusiD  mamillata.  Die  rechte  Seile  der  Tesla  und  des  Muskeischlanchs 
isi  abprSpariri.    Ihre  Querschnitte  sind  mit  T  und  M  bezeichnet.     Der 
Kicniensack  K  dadurch  blo.ig  gelegt.     Bezeichnung  sonst  wie  in  der  fol- 
genden Figur. 

Phaltusia  mamillata.  Die  linke  Seite  der  Teste  und  der  Huskelwand 
ist  abgeschnitten ,  der  Darm  hierdurch  seiner  Länge  nach  geöffnet  (halb 
schematische  Zeichnung;  die  Ovarien  sowie  das  honiggelbe  Organ  sind 


Cl  Cloake,  oe  Oesophagus,  g  Uagen,  r  Rectum,  i'  aufsteigende,  i"  ab- 
steigende Windung  des  Dünndarms,  K  Kieme,  v  Ventralsinus,  d  Dor- 
salsinus, beide  mit  ihren  Huskelkiemenlamellen.  s  die  Linie  durch 
die  man  den  Querscbuitt  führen  muaste  um  das  Schema  Fig.  IV  tu 
erhalten,  fi  Linie  für  das  Schema  V,  y  für  VI. 
,  «.  Schemata  von  Phallusia  mamillata,  welche  die  Beziehung  von  Han- 
tel (7) ,  Uuskelschlench  {M) ,  Tunica  (ertia  parielalis  (Sp) ,  Tanica  («rtia 
visceralis  [So]  und  Darmk lerne nepithelblatt  [KD]  erläutern,   sowie  das 
Zustandekommen  einer  dorsalen  und  ventralen  Muskelkiemenlamelle  {v 
und  d).    Ausserdem  bedeuten  e  bndostyl ,  pt  linker,  pd  rechter  Peritho- 
racalraum ,  Cl  Cloake. 

CYnthia  mytiligera  von  der  Egestionstiffnnng  ans  aufgeschnitten.     Der. 
Theil  der  venlralan  Muskelkiemenlamelle,  welcher  Hagen  und  Desopha- 


Beitrüge  sur  Kenntniss  des  Baues  der  Ascidien.  101 

gus  an  dieMuscalaris  befestigt,  vom  letzteren  abgetrennt  («";•  »echte  und 
linke  Hälfte  des  Maskelschlauchs  mit  den  anliegenden  Organen  zu  beiden 
Seiten  zurückgeschlagen. 

Bezeichnungen  wie  früher ;  ausserdem : 

V*  Der  zwischen  Magen  und  Kieme  ausgespannte  Theil  der  Muskel- 
kiemenlamelle ,  m  die  von  Savignt  für  ein  Ovarium  gehaltene  Falte 
der  Tunica  tertia,  o  die  Wülste,    in   denen   die  Geschlechtsorgane 
liegen. 
Fig.     8.     Die  Intestinalschlinge  von  Cynthia  mytiligera  (7)  mit  ihrem  Mesenterium 

(Tv)  und  dem  Muskelschlauch  M. 
Fig.     9.     Schema  des  Endostyls  von  Salpa  nach  Ledckart.  d  bedeutet  die  den  En- 
dostyl  [E)  von  der  Bauchrinnc  [B)  trennende  Lamelle,     im  übrigen  die- 
nen die  Buchstaben,  um  die  verschiedenen  Zellen  mit  denen  der  Ascidien 
zu  vergleichen. 
Fig.  40.     Die  Zellen  der  Höhe  der  Bauchrinne  bei  a  (von  Cynthia  canopus). 
Fig.  14.     Die^ Zellen  der  Bauchrinne  bei  6,  von  derselben. 
Fig.  12.     Die  Spindclzellen  wie  sie  im  Stratum  d  und  A  vorkommen. 
Fig.  13.     Zellen  aus  c<  und  c^  (Fig.  4  0 — 43  von  Cynthia  canopus). 
Fig.  44.     Die  Stolle  d  von  Phallusia  mamillata  und  die  homogene  Membran,  der 

die  Zellen  aufliegen. 
Flg.  45.     Die  Zellen  des  Endostylgrundes  von  C.  mytiligera  mit   ihren  Geissein, 
c  die  den  Flimmerzellen  gemeinsame  Cuticula. 

I 

Tafel  vm. 

Fig.  46.     Querschnitt  des  Endostyls  von  Cynthia  canopus. 

V  der  ventrale  Blutsinus,  g  Blutgefässe,  K  inneres  Kiemenepithel, 
S  äusseres  Kiemenepithel. 

Fig.  47.     Endostyl  von  Phallusia  mamillata. 

Bezeichnungen  wie  oben ,  ausserdem  Sp  das  die  innere  Muskelwand, 
£das  die  äussere  auskleidende  Epithel  {E  liegt  zwischen  Muskel- 
schlauch und  Testa;  Sp  und  S  gehören  der  Tunica  tertia  an. 

Fig.  48.     Querschnitt  durch  den  Magen  von  Cynthia  canopus. 

a  Blutsinus  innen  an  der  Basis  einer  Falte  liegend ,  m  Mesenterium 
(Doppellamolle  der  Tunica  tertia). 

Fig.  49.     Querschnitt  durch  den  Oesophagus  von  Cynthia  mytiligera. 

mo  mo  Mesenterium,  welches  gleichzeitig  die  ventrale  Muskelkiemen- 
iamelle  ist,  aa  die  Blutsinus,  um  die  sich  ein  Ring  von  glatten  Muskel- 
fasern lagert. 

Fig.  20      Querschnitt  durch  den  Dünndarm  der  Cynthia  mytiligera. 

aa  Blutsinus,  C  Costa,  c  die  epitheltragenden  Canäle  mit  ihren  am- 
puUcnförmigen  Erweiterungen  (oe),  deren  Bedeutung  ich  nicht  sicher 
stellen  konnte,  0  die  Einstülpungen  des  Epithels  der  Tunica  tertia, 
dd  anliegende  Canälo ,  deren  Epithel  dem  der  Tunica  tertia  äusserst 
ähnlich  ist  und  die  aussehen ,  als  ob  sie  Einstülpungen  desselben 
wären. 

Fig.  24.     Eine  Falte  des  Magens  von  Cynthia  canopus,  quer  durchschnitten  und 
stärker  vergrössert  (Zeiss  E.  Oc.  H). 

a  Blutsinus  mit  dem  spärlichen  Zellenbeleg,  h  die  Gefässschlingen, 
welche    in   die   Darmfalte   dringen ,    c  ebensolche    auf  dem  Quer- 


:i'-V2^ 


102 


Fig.  2a. 


Richard  Hertwig,  Boitrl^e  u.  s.  w. 

sobnitt.    Sie  lassen  erkennen  wie  das  Protpplasma  der  ZßUen  einen 
vollkommenen  Ring  bildet,  e  FUmmerepi(hel  des  Dormcanals,  S  qua- 
dratisches Epithel,  das  den  Darm  von  aussen  umkleidet;  beide  auf 
einer  homogenen  Membrau  lagernd ,  h  Bindegewcbszelien. 
Ein  Stück  der  Wand  des  Dünndarms  von  Cyatbia  canopus. 

U  Mesenterium ,  dessen  Epithel  direct  in  das  den  Darm  überziehende 
sich  fortsetzt,  g  die  Canäle  mit  cylindrischem  Epithel  und  homogenem 
Saum  (vgl.  30),  ^i  Bindegewebskörperchen. 


Tafel  IX. 

Fig.  23.  Querschnitt  durch  den  Oesophagus  von  Fhallusia  mamillata.  e  das 
Flimmerepithel ,  das  auf  einer  homogenen  Lamelle  lagert ,  aber  sich  in 
Falten  von  ihr  abhebt.  Die  Falten  bedingen  durch  die  grosse  Undurch- 
sichtigkeit  der  betreffenden  Stelle  wegen  ihrer  grösseren  Dicke  ein  mar- 
morirtes  Aussehen  des  Epithels  auf  der  Flächenansicht. 

aa  Die  grössern  Blutgefässe  und  ihre  feinen  Endtgungen   in  reiche 
Schlingenbildung,  d  die  allseitig  geschlossenen  Follikel  des   honig- 
gelben Organs  mit  ihren  gelben  Concrementen  f. 
Fig.  24.  25.  Querschnitte  durch  die  Enden  von  Falten  des  Magens,  um  die  Schlin> 
gen  und  Ampullen  der  Gefässverzweigung  zu  zeigen  (a) ,  von  Phallusia 
mamillata. 
Fig.  26.     Ein  Stück  der  Wand  eines  Bläschens. 

e  die  runden  (aus  Zellen  entst^q4ßnen  ?)  fettglänzenden  Körperchen, 
d  das  von  einzelnen  derselben  gebildete  Netzwerk  gleicher  Substanz. 
Fig.  27.     Magen  von  Cynthia  echinata  von  der  Kiemenseite.  , 

Fig.  28  Querschnitt  durch  die  von  dem  Muskelschlauch  abgewandte  Magenwand 
von  Cynthia  echinata. 

dd  Drüsenschlauch ,  m  Magenepithel ,  s  Secret  der  Drüsen ,  b  Gerüst 
von  feinen  Bindegewebsfasern. 
Fig.  29.    Schematischer  Querschnitt  durch  den  gesammten  Magen  von  Cynthia 
echinata. 

M  Muskelschlauch  ,  a  Blutsinus. 
Fig.  30.    Die  Magenwand  von  Cynthia  echinata  der  Länge  nach  durchschnitten. 

d  Die  Querschnitte  des  Drüsenschiauchs ,    e  e  Einstülpungen    des 
Epithels ,  welche  die  canalartigen  Bildungen  c  c  erzeugen. 
Fig.  31.     Ein  solcher  durch  Einstülpung  entstandener  Canal  (Fig.  30)  stärker  vcr- 

grössert. 
Fig.  32.     Magen  voa  Cynthia  microcosmus;  man  sieht  auf  die  von  der  Musculatur 
abgewandte  Fläche. 

l  Die  Vertiefungen  mit  den  Mündungen  der  Gallengänge  am  Grunde. 
Fig.  33.     Schnitt  durch  die  Magenwand  von  Cynthia  microcosmus,  welcher  eino 
der  Einmündungen  getroffen  hat. 

g  Die  dichotomisch  sich  verästelnden  Ausführgänge,  a  die  Gruppen 
der  Leberacini  (doppelt  so  gross  als  in  Natur). 
Fig.  34.     Die  Verzweigung  eines  Ausführgangs  der  Leber  vonCynthia  microcosmus. 
Fig.  35.     Querschnitt  durch  die  Wand  des  Magens  von  Cynthia  microcosmus. 
l  Leberschläuche  (mit  Carroin  gefärbt),  a  Blutgefässe. 


Zur  KeHittniss  der  Phosphorverbimiangen. 

Von 

A.  Oeuther  und  A.  Micliaelis. 


I.  Ueber  ein  neues  Phosphoroxy Chlorid,  das  Pyrophosphor- 

säurechlorid. 

VoQ  den  Chloriden  der  drei  Fhosphorsäuren  hat  man  bisher  nur 
das  der  gewöhnlichen  Phosphorsäure,  das  Phosphoroxychlorid :  POCl^ 
gekanot,  unbekannt  ist  das  Chlorid  der  Metapbosphorsöure  :  PO%I  und 
war  das  Chlorid  der  Pyrophosphorsäure :  P^O^CH.  Es  ist  uns  gelungen, 
eine  Verbindung  von  der  letzteren  Zusammensetsung  darzustellen ,  die 
wir  ab  Pyrophosphorsflurechlorid  bezeichnen  woUen.  Dasselbe  entsteht 
bei  der  Einwirkung  von  Salpetrig  «Salpetersäureanhydrid  (N%^)  oder 
Saipetrigsäureanhydrid  (N^^)  auf  Phosphorchlorttr. 

Um  es  darzustellen ,  verfährt  man  am  besten  auf  die  Weise,  dass 
man  die  Dampfe  von  Salpetrig-Salpetersäureanhydrid  (sog.  Unter- 
salpetersflure), welchen  man  sich  vorher  durch  Erhitzen  von  Bleinitrat 
Aussig  dargestellt  hat,  langsam  zu  stark  abgekühltem  überschüssigen 
Phosphorchlorttr  treten  lässt  in  der  Art,  dass  man  das  Kölbchen,  worin 
der  flüssige  Anhydrid  sich  befindet,  in  Wasser  von  30  ^  setzt,  während 
der  Cylinder  mit  dem  Phosphorchlorttr  durch  eine  Rältemischung  von 
Elfi  und  Kochsalz  umgeben  ist.'  Der  letztere  ist  durch  einen  doppelt 
durchbohrten  Kork  verschlossen ,  welcher  das  Über  dem  Chlorttr  endi- 
gende Zuleitungsrohrund  ein  Ableitungsrohr  trägt.  Auf  SOGrm.  Unter- 
Salpetersäure  wendet  man  1 00  Grm.  Phosphorchlorttr  an.  Die  Einwir- 
kung findet  sofort  statt,  es  entwickeln  sich  Gase,  von  denen  ein  Theil 
zu  einer  rothen  Flttssigkeit  condensirt  werden  kann ,  die  sic(i  bei  ge- 
wöhnlicher Temperatur  wieder  in  orangegelben  Dampf  verwandelt  und 
mil  wenig  Wasser  in  Salzsäure  und  Salpetrigsäure  zersetzt  wird ,  also 
NOCl  ist,  während  ein  anderer  Theil  nicht  condensirbar  ist  und  ans 
SüdLStoff  mit  etwas  Stickoxyd  besteht.     Das  Phosphorchlorttr  wird  roth 


104  h.  Geniher  onii  A.  Michaelis. 

gefürbt,  indem  ein  Theil  des  Salpetrig;säurccblorids  bei  ihm  verbleibt, 
während  sich  gleichzeitig  Phosphorsäureanhydrid  ausscheidet.     Nach- 
dem alle  Untersalpctersänre  zudestillirt  wordoa  ist,  wird  der  Cylinder 
aus  der  Kaltemi  seh  ung  genommen  und  mit  lauwarmem  Wasser  umgeben, 
um  das  Salpetrigsäurechlorid  abzudestiUiren.     Darauf  wird  sein  Inhalt 
in  ein  Destillationsgcfäss  gebracht  und  rectificirt.     Zuerst  destillirt  viel 
unverändertes  PhospborchlorUr,   darauf  zwischen  105"  und  110*  eine 
gleichfalls  betrachtliche  Menge  von  POCI  ^ ,  wahrend  zuletzt  der  Siedc- 
ch  bis  auf  200 "  steigt ,   von  wo  an  bis  830 "  die  neue  Vcrbin- 
srgeht.     Es  ist  zu  empfehlen,   sich  erst  durch  wiederholte 
Igen  eine  grössere  Menge  derselben  zu  bereiten ,  che  man  zu 
leren  Beinigung  durch  Recti6cation  schreitet.     Aus  350  Grm. 
chlorUr  wurden  durch  so  oft  wtederholle  Einwii^uogen  von 
etersäure,  bis  kein  Phosp horch lorUr  mehr  unveriindert  vor- 
var,   erhalten:    232  Grm.   gewöhnliches  Phosp horoxychlorid 
40  Grm.  des  höber  siedenden  Productes,  d.  h.  nur  H,4  "/n 
sandten  PhospborchlorUrmenge. 

kann,  wie  oben  erwähnt,  auch  an  Stelle  des  Salpotrig- 
lureanbydridsdiedurchChlorcalcium  getrockneten  Dämpfe  des 
•äureanchydrids  anwenden,  wie  man  sie  mit  Kohlensäure  ge- 
n  der  Einwirkung  von  Salpetersäure  auf  Stärke  erhält.  Man 
im  besten  auf  100  Grm.  PbosphorchlorUr  30  Gr.  SUiiite  und 
Salpetersäure  an,  rectificirt  dann  das  Product  und  leitet  zu 
ir  1 00  **  Siedendem  die  dem  angegebenen  Verhältniss  entepre- 
enge  neuer  Dampfe  von  Salpetrigsäureanhydrid.  Wir  erhiel- 
diese  Weise  aus  200  Grm.  PbosphorchlorUr  20  Grm.  des 
denden  Productes ,  also  nur  1 0  "/<,  und  relativ  mehr  Phosphor- 
^drid.  Da  die  Einwirkung  hierbei  nicht  so  lebhaft  ist,  oBen- 
der  Salpetrigsäureanhydrid  mit  Kohlensäure  verdünnt  ist ,  so 
nan  nur  mit  kaltem  Wasser  zu  kühlen. 

auf  eine  dieser  Weisen  dargestellte  Product  destillirt  zwischen 
215"  über,  es  bat  die  Zusammensetzung :  P^^ci*,  wie  die 
Analyse  zeigt,  und  kann  also  als  das  Chlorid  der  Pyrophosphor- 
ijeschen  werden.  Die  Analyse  desselben  wurde  so  ausgeführt, 
im  Rtthrchen  abgewogene  Menge  in  einem  Cylinder  mit  Wasser 
vurde.  Es  wurde  darauf  das  Chlor  in  der  mit  Salpetersäure 
rten  Fltlssigkeit  durch  Silbernitrat  gefällt  und  nach  Entfernung 
ßUssigen  Silbers  mittelst  Salzsäure  nach  dem  Einkochen  des 
ie  Phosphorsaure  als  Ammonium-Magnesium-Phospbat  nieder- 

Q. 

182  Grm.   Substanz  lieferten  so  f,1128  Grm  AgCP,  entspre- 


Zur  Kenntniss  der  Phospborverbinduni^en.  105 

chend  56,  i  «/o  Chlor    und    0,4372    P^O'Mg'^,    entsprechend    25,0  «/o 

Phosphor. 

ber.         gef. 

P2    =24,60  25,0 
O»  =  19,05      — 

CH  =  56,35  56,4 
100,00 

Das  Pyrophosphorsäurechlorid  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  deren 
Siedepunkt  hei  etwa  21 5 ^  liegt,  welche  sich  aher  nicht  völlig  unzer- 
seizt  destilliren  lässt,  indem  ein  Theil  dabei  stets  in  gewöhnliches 
Phosphoroxychlorid  und  Phosphorsäureanhydrid  zerfallt  nach  der 
Gleichung : 

3  P203CH  =  4  POCl»  +  P205 

Die  Dämpfe  desselben  rauchen  an  der  Luft  wie  die  von  Schwefel- 
säureanhydrid und  verkohlen  den  Kork.  Sein  spez.  Gewicht  ist  1,58 
bei  -|-  7**.  Unter  den  Umständen ,  unter  welchen  gewöhnliches  Phos- 
phoroxychlorid krystallisirt^),  bleibt  es  flüssig.  Mit  Wasser  zersetzt  es 
sich  sofort  unter  Wärmeentwickelung  ohne  vorher  darin,  wie  das  ge- 
wöhnliche Phosphoroxychlorid ,  tropfenförmig  unterzusinken. 

Die  Zersetzungsproducte  sind  Salzsäure  und  gewöhnliche  Phos- 
phorsäure. Letztere  kann  in  reichlicher  Menge  sofort  nach  der  Zer- 
setzung, auch  wenn  dabei  jede  Erwärmung  durch  Abkühlung  und 
langsamen  Zusatz  dos  Chlorids  zu  viel  Wasser  vermieden  worden  ist, 
durch  Silbernitrat  und  Magnesiumlösung  nachgewiesen  werden. 

Die  rationelle  Formel  dieses  Phosphoroxychlorids  ist : 

*^0  —  Pcri  =  P0C12  —  0  —  POCP 

Cl« 

d.  b.  die  zwei  monovalenten  Gruppen  POGP  werden  durch  ein 
Bfischungsgewicht  Sauerstoff  zusammengehalten.  Dies  beweisen  die 
Producte ,  welche  entstehen ,  wenn  an  Stelle  des  einen  Mgt.  Sauerstoff, 
welches  diesen  Zusammenhang  herstellt,  indem  es  von  beiden  Phos- 
phormischungsgewichten je  eine  Werthigkeit  beschäftigt ,  monovalente 
Elemente  oder  Gruppen  treten,  wie  es  bei  der  Einwirkung  auf  dasselbe 
von  Phosphorpentachlorid,  Phosphorpentabromid  und  Alkohol  geschieht. 
1 )  Wird  ein  Mg^.  P^^CH  mit  1  Mgt  PCl^  in  ein  Rohr  eingeschlossen, 
so  scheint  in  der  Kälte  keine  Einwirkung  statt  zu  finden ,  wenn  aber 
im  Wasserbade  erhitzt  wird ,  so  tritt  allmählich  Verflüssigung  der  gan- 
zen Masse  ein  und  nun  ist  der  Röhreninhalt  zu  reinem  gewöhnlichen 
Phosphoroxychlorid  geworden  nach  der  Gleichung : 

4)  Siebe  weiter  anten 


k.  G«D(her  und  A.  Miehulia, 

piO^CH  +  PCI»  =  2  POCI'  +  P0C13 
d  I  Hgt.  P^iCH  (H  Grm.)  mit  1  Hgt  PBr*  (18,8  Grm.)  in 
igeschlossen  und  im  Wasserbade  so  lange  erhitzt ,  bis  sich 
CD  keine  gelben  Krysialle  von  Phosphorpentabromid  mehr 
und  alles  Qossig  bleibt,  so  beginnt  bei  stärkerem  AbkUh- 
ung  von  Phosphorosybromidkry stalten.  Die  davon  abge- 
le  Flüssigkeit  wurde  wiederholt  fractionirt,  um  das  noch 
iphoroxybromid  zu  entferocn.  Ausser  diesem  und  uincr 
ge  von  gewChDÜclieui  Pbosphoroxychlorid,  welches  wohl 
uct  der  Wännewirkung  auf  das  Phosphorsäurechlorid  an- 
konnte ein  zwischen  135  und  i'iT*  siedendes  farbloses  Pro- 
n  werden,  das  nichls  anderes  als  Phosphoroxybromchlorid 
-,  wie  seine  Eigenschaflea  und  die  damit  angestellte  Ana- 

ben  nämlich : 

Grm.  desselben  0,362  Grm.  PWMgS  entspr.   15,9  Proc. 
id  1,5007  Grm.  AgCP -{- AgBr^.     Davon  verloren   1,03t& 
jluheil  in  Chloi^as  0,0933  Grm.,  woraus  sich  fUr  die  ganze 
%  Chlor  und  39,7  "/o  Brom  berechnen, 
her.         g«f. 

P     =15,6     15,9 

0     =    8,1       — 

Br  =  40,*     39,7 

Cl*  =  35,9  37,7 
100,0 
weichung  der  gefundenen  von  den  berechnelou  Mengen 
irvon  einer  geringen  Verunreinigung  der  Verbindung  durch 
Chlorid  her,  welches  sich  bei  nicht  sehr  grossen  Hea- 
r  schwer  ganz  vollständig  entfernen  läset.  Darauf  deuten 
was  geringere  spec.  Gewicht  unseres  Producl«s ,  welches 
+  9 "  gefunden  wurde ,  während  das  des  reinen  Produdes 
6  ist,  hin,  sowie  der  etwas  geringere  Schmelzpunkt.  Der- 
zu  -(-  10"  gefunden ,  während  der  von  reinem  auf  andere 
«lem  Phosphoroxybromchlorid  von  uns  zu  +  11"  bestimmt 

Wirkung  des  Pbospborpentabromids  auf  das  Pyrophosphor- 
verläuft  also  analog  der  des  Phosphorpentacblorids  nach 

pJOsCH  +  Pft-*  =  «  POBrCI*  +  POBr». 
vejter  ualen. 


Znr  Kenntttiss  der  Phospliorverbtndungen. 


105 


I  ( 


'»6,1%  Chlor    und    0,i:i72    P^O^Mg^,    entsprechend    25,0  «/o 


•LaH. 


ber. 
P2    =24,60 
03  =  19,05 
CH  =  56,35 


gef. 
25,0 

56,4 


.-I  - 


100,00 

i'v^ Pyrophosphorsäurechlorid  ist  eine  farblose  Flüssigkeit,  deren 
'  akl  bei  etwa  21 5 ^  liegt,  welche  sich  aber  nicht  völlig  unzer- 
i^^tillireo  lässt,  indem  ein  Theil  dabei  stets  in  gewöhnliches 
rosychlorid    und    Phosphorsäureanhydrid    zerfallt    nach    der 

3  P203CH  =  4  P0C13  +  P20'^ 

'h  Dampfe  desselben  rauchen  an  der  Luft  wie  die  von  Schwefel- 

dyirid  und  verkohlen  den  Kork.     Sein  spez.  Gewicht  ist  1,58 

-'*    Unter  den  Umständen ,  unter  welchen  gewöhnliches  Phos- 

'i!)rid  krystallisirt^),  bleibt  es  flüssig.     Mit  Wasser  zersetzt  es 

*T  unter  Warmeentwickelung  ohne  vorher  darin,  wie  das  ge- 

^  Phosphoroxychlorid ,  tropfenförmig  unterzusinken. 

'  ^rsetzungsproducte  sind  Salzsäure  und  gewöhnliche  Phos- 

^^    Letztere    kann  in  reichlicher  Menge  sofort  nach  der  Zer- 
*  auch  wenn   dabei   jede  Erwärmung  durch  Abkühlung  und 

ö  Zusatz  des  Chlorids  zu  viel  Wasser  vermieden  worden  ist, 
^''^J^mit^at  und  Magnesiumlösung  nachgewiesen  werden. 
'  '4ionelle  Formel  dieses  Phosphoroxy Chlorids  ist  : 


F  O  —  Pci2  =  POCP  —  0  —  POCP 


^   zwei    monovalenten   Gruppen    POCP  werden    durch   ein 
-S*^^icht  Sauerstoff  zusammengehalten.     Dies   beweisen  die 
>  wviche  entstehen ,  wenn  an  Stelle  des  einen  Mgl.  Sauersto/fi 
i*rsfn  Zusammenhang  herstellt,  indem  es  von  beiden  Pbos- 
'  ungsgewchten  je  eine  Werthigkeit  beschäftigt ,  monovaientr 
"W  Gruppen  treten,  wie  es  bei  der  Einwirkung  auf  dasselbe 
/>i7»eniachlorid,  Phosphorpentabromid  und  Alkohol  geschiebt. 
'  rd  ein  Mgt.  P^O^Cl^  mit  1  Mgt  PCl^  in  ein  Rohr  oingesoblosson, 
&  der  Kälte  keine  Einwirkung  statt  zu  ßnden.  wenn  aber 
-Uie  erbitat  wird,  so  tritt  allmählich  Verflü^^^''"^  der  gan- 
■'  «-^n  und  nun  ist  der  Röhreninhalt  zu  reinr"'  g^-wöhnlichen 
'Vhlorid  geworden  nach  der  Gieicbung 

'  ^"riter  unten. 


^s 


l 


v^t 


^^ 


^h 


So- 


^tlr  das 

»Uuigen, 

Uenhang 
lovalentc 
i  in  Ab- 

ie  es  jene 
s  auch  bei 
;s  ist  oben 
.sser  angc- 
»lort  grosse 
on  können, 
ng^  gebildet 
5  die  leichte 
*  es  bedingt, 
»derc  Consti- 


I 

tos  A'  Genther  und  A.  Michaelis,  I 

0H~  *"  OH  =  P^(0H)2  —  O  —  P0(0H)2 

OH 

ausdrückt.  Eihe  solche  andere,  weniger  symnietriscbe  ConsUluUon  die- 
ser Süure  wird  durch  die  Formel  : 


V 


OjpO 
Op   OH 


^  OH  =  P(0Hj3  Z  o  I  PÖ  •  Ö** 

OH 

wiedergegeben.  Darnach  ist  die  Pyrophosphorsäure  nicht  der  Ab- 
kömmling einer  Trihydroxy- Phosphorsäure,  sondern  der  einer  Perhy- 
droxyphosphorsäure ,  in  welcher  2  Hgte.  Hydroxyl Wasserstoff  durch  die 
divalentc  Gruppe  PO  .  OH  ersetzt  sind  oder  mit  andern  Worten  es  sind 
nicht  in  ihr  2  gleiche  monovalente  Gruppen  durch  4  Mgt.  Sauerstoff 
verknüpft,  sondern  %  verschiedene  divalente  Gruppen  durch 
2  Mgte.  Sauerstoff  zusammengehalten.  Das  Chlorid  einer  solchen  S£lure 
müsste  natürlich  auch  eine  andere  Constitution  als  das  von  uns  dar 
gestellte  haben.  Vorläufig  liegen  noch  nicht  genügende  Anhaltspunkte 
vor ,  um  diese  Frage  entscheiden  zu  können. 

Die  Darstellung  eines  dem  Pyrophosphorsäurechlorid  entsprechen- 
den Bromids  durch  Einwirkung  von  NH)^  oder  N^O"*  auf  PBr^  gelang; 
nicht :  es  entstanden  nur  gewöhnliches  Phosphoroxybromid  und  Phos- 
phorsäureanhydrid . 


II.  Ueber  die  Krystallisationsfähigkeit  des  gewöhnlichen 
Phosphoroxychlorids  nnd  des  Phosphoroxybromchlorids. 

Einige  Versuche,  das  Pyrophosphorsäurechlorid  auf  noch  andere 
Weise  darzustellen ,  als  es  im  Vorhergehenden  mitgetheilt  worden  ist, 
haben,  wenngleich  sie  nicht  das  gewünschte  Resultat  ergaben,  doch 
einige  neue  Eigenschaften  des  Phosphoroxychlorids  kennen  gelehrt. 

Das  Pyrophosphorsäurechlorid  konnte  auch  entstehen  aus  Phos- 
phorsuperchlorid und  Phosphorsäureanhydrid  nach  der  Gleichung : 

3  P20b  +  4  PCI5  =  srP^OaCl* 

Wir  haben  diese  beiden  Körper  in  dem  geforderten  Verhältniss  in 
Röhren  eingeschlossen  auf  einander  einwirken  lassen,  bei  gelinder 
Wärme  sowohl ,  als  bei  Winterkälte  aber  nur  gewöhnliches  Phosphor- 
oxychlorid  neben  übrig  gebliebenem  Phosphorsäureanhydrid  erhalten. 


Zur  Kennt iiiss  der  PbosphorverbioduuizeM.  1 09 

Bei  Winterkalie  verläuft  die  Einwirkung  sehr  langsam  und  ist  erst  nach 
Verlauf  mehrerer  Tage  beendigt.  Als  darnach  das  Rohr  einer  Kälte 
von  \2  — 15^  weiter  ausgesetzt  blieb,  hatten  sich  in  demselben  grosse 
farblose  Krystallblätter  gebildet,  die  wenig  unter  0^  schmolzen  und 
beim  längeren  Liegen  in  niederer  Temperatur  wieder  erschienen ,  ja  in 
welche  schliesslich  die  ganze  Flüssigkeit  sich  verwandelte.  Diese  Kry~ 
stalle  sind,  wie  die  Untersuchung  ergab,  eben  nichts  anderes,  als  ge- 
wöhnliches Phosphoroxychlorid.  Bei  einem  andern  Versuch  wurden 
solche  Krystalle  gleichfalls  beobachtet.  Als  wir  nämlich  Spipotrigsäure- 
anhydrid  auf  stark  abgekühltes  Phosphoroxychlorid  einwirken  Hessen, 
um  zu  sehen ,  ob  sich  die  Gleichung : 

2  POCP  +  N203  =  P203CH  +  2  NOCl 

verwirklichen  lasse,  fand  keine  oder  nur  sehr  geringe  Einwirkung  statt, 
aber  das  Phosphoroxychlorid  war  noch  ehe  die  rothen  Di^mpfe  dazu 
traten  vollständig  in  eine  weisse  Krystal^masse  verwandelt. 

Directe  Versuche  ergaben  dann  Folgendes : 

Kühlt  man  reines  Phosphoroxychlorid  einige  Zeit  auf  —  4  0  ^  ab, 
so  bleibt  es  noch  flüssig,  meist  auch  noch,  wenn  es  umgeschüttelt  wird, 
berührt  oder  reibt  man  aber  mittelst  eines  spitzen  Glasstabes  innerhalb 
der  Flüssigkeit  die  Gefösswand ,  so  erstarrt  es  sofort  krystallinisch.  Die 
langen,  farblosen,  blättrigen  oder  säulenförmigen  Krystalle  schmelzen 
erst  bei  —  1,5<>  wieder.  Sie  sind  unter  dieser  Temperatur  sehr  be- 
ständig und  können  längere  Zeit  auf  Eis  liegen ,  ohne  sich  zu  zersetzen, 
ja  selbst  mit  der  —  10^  kalten  Kochsalzlösung  der  Kältemischung  zu- 
sammen ,  verschwinden  sie  erst  nach  längerer  Zeit.  Ein  kleiner  Kry- 
stall  davon  vermag  eine  auf  —  2  ^  abgekühlte  grössere  Menge  flüssigen 
Oxychlorids  leicht  völlig  zum  Erstarren  zu  bringen. 

Nach  diesen  Erfahrungen  über  das  Phosphoroxychlorid  war  es  sehr 
wahrscheinlich,  dass  auch  das  Phosphoroxybromchlorid  POBrCP, 
welche  bis  jetzt  auch  nur  im  flüssigen  Zustande  bekannt  war,  krystalli- 
siren  würde,  da  ja  auch  das  Phosphoroxybromid  aus  erst  bei  -f*  ^^^ 
schmelzenden  Krystallen  besteht.  Der  Versuch  hat  dies  bestätigt. 
Die  beim  Abkühlen  der  Verbindung  unter  0  ^  erhaltenen  grossen,  färb- 
lo.sen,  blättrigen  Krystalle  wurden  erst  bei  +  4  4  ^  wieder  flüssig. 

Es  sieht  so  aus ,  als  ob  das  gewöhnliche  Phosphoroxychlorid ,  das 
Phosphoroxybromchlorid  und  das  Phosphoroxybromid  isomorph  wären. 

Jena,  Univ. -Laboratorium,  März  4874. 


Veber  die  Rinwirkung  toii  Phosphorclllorilr  ftuf  Anhydride 

und  Chloride. 

Von 

Dr.  A.  Michaelis. 

Zw  eile  Mittheilung. 

• 
Bei  der  Fortsetzung  meiner  Versuche  über   die  Efnwirkung  von 

Phospborchiorttr  auf  Anhydride  und  Chloride  habe  ich  im  Aligemeinen 
gefunden ,  dass  meistens  dann ,  vt^enn  in  der  auf  das  Phosphorchlorür 
einwirkenden  Verbindung,  ein  Körper  enthalten  ist,  der  grosse  AffiniUil 
«um  Chlor  hat,  viel  Phosphorsä^re  und  wenig  Pbosphoroxychlorid  ge- 
bildet wird.  So  bilden  z.  B.  die  meisten  Mela)lo\yde  Chlormetaff, 
phosphorsaures  Salz  und  wenig  Phosphoroxycblorid.  Direct  zu  Metall 
reducin  wird  nur  das  Bleioxyd. 

Ferner  ist  hervoraubeben,  dass  freies  Antimon  ausPhosphor<A!orttr 
den  Pbospb&r  frei  madit  unter  Bildung  von  Antimonchlorflr.  Das  An- 
timon hat  also,  bei  höher<*r  Temperatur  wenigstens,  die  grösste  Affi- 
niUit  zum  Cblor. 

Es  folgen  ntin  die  einzelnen  Versuche. 


5.  PhosphorehlorBr  and  SchwefligfiAnreanhydrid. 

Da,  wie  ich  früher  gezeigt  habe,  flüssiges  Schwefligsäureanhydrtd 
selbst  in  höherer  Temperalur  nicht  von  Phosphorchlorör  verändert 
wird ,  so  Hess  ich  schweflige  Säure  mit  PhosphorchlorOrdampf  zusam- 
men durch  ein  glühendes  Rohr  gehen.  Es  bildete  sich  dabei  Pbosphor- 
oxychlorid  und  Phosphorsulphochlorid ,  während  sich  an  den  kälteren 
Stellen  des  Rohres  Schwefel  abschied. 

S02  -f  3  PC13  =  PCl^S  +  2  PCI»  0. 


Deb«r  die  F.inwirknng  von  Phosphorcklortir  auf  Anhydride  und  Chloride.         111 

6.  Phosphorchlorfir  and  Sillpharylhydroxylchlorid. 

Id  der  Voraussetzung ,  dass  diese  Körper  nach  der  Gleichung 
PC13  -f.  3  S02(0H)C1  =  P(0H)3  +  3  SO^CP 

aufeinander  einwirken,  sich  also  Sulphurylchlorid  bilden  würde, 
brachte  ich  in  eine  mit  einem  umgekehrten  LiEBiG^schen  Kuhler  ver- 
bundene Retorte,  1  Mgt.  PCl^  und  3  Mgt  S02(0HjCi.  Es  erfolgte  schon 
in  der  Kälte  Einwirkung,  unter  Entwickelung  von  schwefliger  Süure 
und  Salzsäure.  Zuletzt  wurde ,  um  die  Reaetion  zu  vollenden  und  die 
absorbirten  Gase  zu  entfernen,  einige  Zeit  erhitzt,  wobei  trotz  guten 
Ktthlens  eine  Verflüchtigung  von  Phosphorchlorür  nicht  vermieden 
werden  konnte,  was  daraus  ersehen  werden  konnte ,  dass  sich  in  dem 
vorgelegten  Wasser ,  von  welchem  die  Gase  absorbirt  wurden ,  Schwe- 
fel abschied.  Durch  Destillation  der  zurückgebliebenen  Flüssigkeit 
wurde  S^KIP,  an  seinem  Siedepunkt  und  seinem  Verhalten  zu  Wassei- 
und  etwas  unverändertes  SO^lOHj Gl  erhalten,  während  Pliosphorsäure- 
anhydrid  zurückblieb. 

Die  Zersetzung  war  also  nach  der  Gleichung : 

2  PCI»  +  8  S02(0H)Cl  =  P205  -f  3  S20H]12  +  2  SO^  +  8  HCl 

vor  sich  gegangen. 

7.  Phosphorchlorür  and  Pyrosulphurylchlorid. 

Eine  Mischung  von  2  Mgt  Phosphorchlorür  und  1  Mgt  S^O^Cl^  ent- 
wickelt schon  in  der  Kälte  schweflige  Siiure,  unter  Bildung  von  Phosphor* 
oxychlorid  und  Phosphorsuperchlorid,  welches  letztere  sich  krystalli- 
nisch  ausscheidet.     Die  Einwirkung  findet  also  nach  der  Gleichung 

S206CI2  -f-  2  PCP  =  2  SO»  +  PCW  4-  PCI* 
statt. 

Da  nun  S^OKll»  aus  PCi»  und  S02(0H)C1,  dieses  aber  wieder  aus 
S0^H2  und  PCl^  gebildet  werden  kann,  so  lässt  sich  auch  die  Schwefel- 
.situiv  durch  Phosphorchlorür  völlig  in  schweflige  Säure  veiwandeln, 
unter  Bildung  von  PCl'^  und  ?K)'^  resp.  PCI'^O.  Man  hat  dazu  gleiche 
Mgt.  beider  Substanzen  nOthig : 

8  PCl^  4-  8  SO*H'^  =  8  SO'^  +  PCTO  -f  PCI*  +  3  PW»  -f-  U\  HCl 

oder 

3  PC|3  4-  3  SO^IP  =  3  SO»  +  PCIX)  +  P^^  +  <i  HCl. 


112  A.  Miehaelis, 


8.  Phosphorchlorfir  and  Chromacichlorid. 

Da  diese  Körper  sehr  heftig  auf  einander  einwirken ,  wurde  das 
Chromacichlorid  vermitteist  eines  Scheidetrichters  langsam  zu  stark 
abgekühltem  Phosphorchlorttr  fliessen  gelassen ,  welches  sich  in  einer 
mit  dem  umgekehrten  LiBBiG'schen  Kühler  verbundenen  Retorte  befand. 

Jeder  Tropfen  verursacht  lebhaftes  Zischen  und  Peuererscheinung, 
die  jedoch  nur  zuerst  sichtbar  ist,  indem  sich  bald  die  Retorte  mit  einem 
undurchsichtigen  blaugrünen  Anflug  beschlägt.  Die  letzten  Tropfen 
verursachen  zuweilen  Detonation. 

Der  halbfeste  blaugrüne  Rückstand  gab  bei  der  Destillation  im 
Kohlensäurestrom  ausser  überschüssigem  Phosphorchlorür  viel  Phos- 
phoroxy Chlorid  und  etwas  Phosphorsuperchlorid.  Die  in  der  Retorte 
zurückbleibende  feste  Masse  erhitzte  sich  mit  Wasser  sehr  stark  und 
gab  eine  grüne  Lösung,  die  viel  Metaphosphorsäure  enthielt,  während 
violettes  Ghromchlorid  zurückblieb.  Chromchlorür  hatte  sich  nicht 
gebildet. '  Die  Einwirkung  verlief  demnach  nach  der  Gleichung : 

4  Cr02C12  +  6  PCI»  =  4  CrCl»  +  PCl^  +  3  POCl^  +  P^O» 

oder 

42  Cr02C12  4-  18  PCI»  =  12  GrCl»  +  1 4  POGI»  +  2  P^O^ 

Die  Heftigkeit  der  Einwirkung  zeigt,  dass  der  Sauerstoff  im 
Chromacichlorid  nur  sehr  lose  gebunden  sein  muss. 


9.  Phosphorchlorfir  nnd  Kalinmbichromat. 

In  der  Kälte  war  keine  Einwirkung  zu  bemerken;  als  aber  das 
Kaliumbichromat  mit  überschüssigem  Phosphorchlorür  im  zugeschmol- 
zenen Rohr  auf  166^  erhitzt  wurde,  nahm  das  Salz  eine  sehr  dunkle 
Farbe  an.  Nach  zweitägigem  Erhitzen  wurde  die  Flüssigkeit  im  Kohlen- 
säurestrom abdestillirt.  Sie  enthielt  neben  überschüssigem  Phosphor- 
chlorür Phosphoroxychlorid.  Der  trockene  Rückstand  löste  sich  beim 
Rehandeln  mit  verdünnter  Essigsäure  mit  rothbrauner  Farbe ,  während 
braunes  Chromoxyd  zurückblieb. 

Aus  der  Lösung  krystallisirte  zuerst  viel  unverändei*tes  Kalium- 
bichromat, dann  bildeten  sich  kleinere  Krystalle  eines  anderen  Salzes, 
die  beim  Erhitzen  deutlich  Chlor  entwickelten.  Diese  bestanden  offen- 
bar aus  chlorchromsaurem  Kali.     Ausserdem  war  in  der  wässrigen 


VfhtT  die  Fimnfiniie  tob  PkosphoiHilortr  «nf  Anhydriilf  nod  Cblondf.         113 

Lösung  Phosphorsäure  enthalten.     Wahrscheinlich  hatti^  also  folgende 
Einwirkang  stattgefunden : 

30  CrX)7K2  -I-  4i  PCI«  =  48  CrO^  KCl  +  45  PO^K 
+  42  CrO^  +  27  KCl  +  27  POCI». 

10.  PliosphoreUorflr  and  Antimoiiigsiiireudiydrid. 

Antimonigsäureanh>drid  mit  überschüssigem  Phosphorchlorür  auf 
4 60^  im  zugeschmolzenen  Rohr  erhitzt,  färbte  sich  bald  roth  und  es 
bildeten  sich  lange  weisse  Krystalle,  die  nach  zweitägigem  Erhitzen 
des  Rohrs  drusenfbrmig  wurden.  Die  Untersuchung  der  Flüssigkeit 
zeigte ,  dass  sich  kein  Phosphoroxychlorid  gebildet  hatte.  Die  Krystalle 
erwiesen  sich  durch  ihr  Verhalten  gegen  Wasser  als  SbCl^,  ein  weisser 
amorpher  Körper ,  der  neben  den  Krystallen  sich  ausgeschieden  hatte, 
war  Phosphorsäureanhydrid.  Das  rothe  Pulver  wurde  zuerst  mit  ver- 
dünnter Salzsäure,  dann  mit  Wasser  ausgewaschen  und  über  Schwe- 
felsäure getrocknet.  Im  offenen  Rohr  erhitzt ,  entzündete  es  sich ,  bei 
Luftabschluss  sublimirte  Phosphor.  In  Salpetersäure  war  es  beim  Er- 
wärmen unter  Zischen  löslich,  Antimon  nur  in  geringer  Menge  darin 
enthalten.  Es  war  also  zweifellos,  dass  dieses  Pulver  amorpher  Phos- 
phor war.  Da  bei  der  Einwirkung  von  Phosphorchlorür  auf  Arsenig- 
Säureanhydrid  sich  Phosphorsäureanhydrid,  Chlorarsen  und  freies 
Arsen  gebildet  hatten  ^j,  so  lag  die  Vcrmuthung  nahe,  dass  das  auf 
analoge  Weise  freigewordene  Antimon  Phosphor  aus  dem  Chlorür  al>ge- 
schieden  habe. 

Es  wurde  deshalb  feingeriebenes  Antimon  mit  Phosphorchlorür 
im  zugeschmolzenen  Rohr  auf  4  60^  erhitzt.  Auch  hier  schied  sich  bald 
ein  rothes  Pulver  aus,  unter  Bildung  von  weissen  Krystallen.  Die 
Untersuchung  dieser  Producte  zeigte,  dass  in  der  That  das  Antimon  aus 
dem  Phosphorchlorür  Phosphor  frei  gemacht  und  AntimonchlorUr  sich 
gebildet  hatte. 

Daraus  folgt  zunächst,  dass  die  Einwirkung  des  Phosphor chlorürs 
auf  antimonige  Säure  analog  der  auf  arsenige  Säure  ist,  nur  dass  hier 
das  abgeschiedene  Antimon  Phosphor  frei  macht,  was  das  Arsen  nicht 
thut.  Die  zuerst  gebildeten  weissen  Krystalle  waren  wohl  Antimon- 
oxychlorür,  welches  dann  allmählich  in  AntimonchlorUr  verwandelt 
wurde. 

Ferner  folgt  auch  daraus,  dass  das  Antimon  —  wenigstens  bei 
1 1 »herer  Temperatur  —  grössere  Affinität  zum  Chlor  hat,  als  Phosphor 


4i  Vergl.  d.  ZciUchiin.  Bd.  VI.  p.  «41. 

Bd.  VII.    4.  8 


It4  A.  Michaelis, 

Arsen  und  Wismuth ,  denn  Arsen  mit  Phosphorchlorür  eingeschlossen, 
giebt  nur  Spuren  von  ausgeschiedenem  Phosphor,  Wismuth  etwas  mehr. 


11.  Phosphorchlorür  und  Antimonsäureanhydrid. 

Beide  Ki^rper  im  zugeschmolzenen  Rohr  zusammen  auf  1 60<^  er- 
hitzt, wirken  leicht  auf  einander  ein,  unter  Bildung  einer  grossen 
Menge  weisser  Krystalie,  welche  aus  Antimonchlorür  bestanden  und 
eines  amorphen  weissen  Körpers  der  Phosphorsäureanhydrid  war. 
Phosphoroxychlorid  hatte  sich  nur  spurenweis  gebildet.  Danach  hat- 
ten sich  also  Sauerstoff  und  Chlor  einfach  ausgetauscht. 

ShH)^  +  2  PCP  =  2  SbC13  +  P205 

Auch  hier  zeigt  sich  wieder  die  grosse  Affinität  des  Chlors  zum 
Antimon.  Bei  Arsensäure  tritt,  wie  ich  früher  gezeigt  habe,  gar  keine 
Einwirkung  ein ,  offenbar  wegen  der  geringeren  Affinität  des  Arsens 
zum  Chlor. 

Auch  kann  man  nicht  annehmen ,  dass  sich  zuerst  Antimonsäure- 
anlimonigsäureanhydrid  (Sb'^0^)  und  PCPO  gebildet  habe  und  leUlere 
sich  dann  in  Phosphorsäure  und  Antimonchlorür  umsetzten : 

Sb205  +  PC13  =  Sb204  +  PCTO 

Sb^O»  H-  PC130  =  SbCP  +  P205, 

da  Phosphoroxychlorid  fast  gar  nicht  auf  Sb^O^  einwirkt. 


12.  Phosphorchlorttr  und  l¥lsmathoxyd. 

Nach  dreitägigem  Erhitzen  beider  Körper  im  zugeschmolzenen 
Rohr  auf  160^  war  der  Röhreninhall  dunkelgelbbraun  geworden.  Die 
im  Kohlensäurestrom  abdestülirte  Flüssigkeit  bestand  aus  überschüssi- 
gem Phosphorchlorür  und  Phosphoroxychlorid.  Von  dem  trocknen 
Rückstand  wurde  ein  Theil  im  Röhrchen  erhitzt;  es  sublimirte  BiCl^ 
ein  anderer  Theil  wurde  mit  Schwefelammonium  digerirt;  das  Filtrat 
enthielt  Phosphorsäure.  Der  Rest  gab  beim  Kochen  mit  Salzsäure  ein 
schwarzes  Pulver ,  das ,  als  es  ausgewaschen  war ,  sich  als  metallisches 
Wismuth  zu  erkennen  gab.  Dies  machte  es  wahrscheinlich,  dass 
neben  BiCl^  auch  BiCl^  sich  bildete,  letzteres  aber  beim  Kochen  mit 
Salzsäure  in  BiCl^  und  freies  Wismuth  zerfiel.  Danach  verlief  also  die 
Einwirkung  nach  der  Gleichung: 

7  Bi203  +  7  PC13  =  2  P30«Bi2  +  8  BiCl^  +  PCPO  +  2  BiOCl 


lieber  die  Riiiwirknng;  von  Phosphorehlorfir  auf  Anhydride  und  Chloride.         115 

Die  Bildung  von  BiOCl  ist  desshalb  anzunehmen ,  weil  der  Rück- 
stand unverandeHes  Wismuthoxyd  enthielt. 

13«  Phosphorchlorttr  und  Bleioxyd. 

Im  2Ugeschmolzenen  Rohr  auf  160^  erhitzt  wirken  diese  Körper 
nicht  auf  einander  ein ,  befeuchtet  man  aber  Bleioxyd  mit  Phosphor- 
chlorUr  und  erhitzt  direct  über  der  Lampe,  so  erfolgt  heftige  Einwir- 
kung unter  Erglühen  des  Bleioxyds  und  Fiammenerscheinung. 

Es  wird  hierbei  viel  metallisches  Blei  reducirt  zugleich  unter  Bil- 
dung von  Bleichlorid  und  phosphorsaurem  Blei 

6  PbO  +  2  PCl^  =  P20«P1  +  3  PbCP  +  2  Pb. 

Da  dieser  Versuch  sich  sehr  leicht  anstellen  iässt,  so  ist  er  sehr 
geeignet,  die  reducirende  Wirkung  des  Phosphorchlorürs  zu  zeigen. 

14.  Phosphorehlorfir  und  Bleisaperoxyd. 

Trügt  man  in  erwärmtes  Phosphorchlorür  Bleisuperoxyd  nach  und 
nach  ein  ,  so  sieht  man  bei  jedesmaligem  Eintragen  Peuererscheinung. 
Noc'h  stärker  ist  diese ,  wenn  man  umgekehrt  Phosphorchlorür  zu  Blei- 
superoxyd tropft.  Trägt  man  Bleisuperoxyd  in  kaltes  Phosphorchlorür, 
so  erfolgt  die  Einwirkung  nur  unter  Zischen  ohne  Peuererscheinung. 
Destillirt  man  dann  die  Flüssigkeit  von  den  ausgeschiedenen  festen 
Producten  ab ,  so  erhält  man  ausser  überschüssigem  Phosphorchloiilr 
Phosphoroxychlorid.  Der  Rückstand  besteht  aus  Chlorblei  und  phos- 
phorsaurem Blei.     Demnach  geht  die  Einwirkung  so  von  statten  : 

4  Pb02  4-  4  PC13  =  P^OePb  +  3  PbC12  +  2  PCIX) 

15.  Phosphorehlorfir  und  Zinnoxyd. 

Zinnoxyd  mit  üborscbtissigem  Phosphorchlorür  auf  100^  erhitzt 
wurde  bald  dunkelbraun.  Nach  zweitägiger  Einwirkung  wurde  die 
Flüssigkeit  im  Kohlen  sä  u  res trom  abdestillirt.  Sie  enthält  kein  Phos- 
phoroxychlorid, aber  Vierfachchlorzinn.  Von  dem  trocknen  Rück- 
stand wurde  ein  Theil  mit  Wasser  bebandelt,  ein  Theil  mit  Natronlauge 
digerirt.  Die  wässrige  Lösung  gab  mit  Schwefelwasserstoff  eine  starke 
Fällung  von  braunem  Schwofolzinn ,  der  alkalische  Auszug  zeigte  nach 
Entfernung  des  getosten  Zinns  mit  Schwefelwasserstoff  starke  Reaction 
auf  Phosphorsäure.     Die  Zersetzung  verlief  also  nach  der  Gleichung : 

5  Sn02  +  4  PCI«  =  4  SnCP  +  SnCH  +  2  P^^. 


116  A.  Michaelis, 

16.  Phosphorchlorfir  and  Kupferoxyd. 

Beide  Körper  wurden  im  zugeschmolzenen  Rohr  auf  1 60  ^  erhitzt, 
wobei  der  Röhreninhalt  sich  bald  schwarzblau  färbte.  Bei  der  Destil- 
lation im  Kohlensäurestrom  ging  neben  dem  überschüssig  angewandten 
Phosphorchlorür  Phosphoroxychlorid  über.  Der  trockne  Rückstand 
wurde  mit  ausgekochtem  Wasser  ausgezogen  und  rasch  filtrirt.  Im 
Filtrat  erfolgte  durch  kohlensaures  Natron  eine  grüne  Fällung,  es  war 
also  Kupferchlorid  gebildet.  Durch  Salzsaure  Hess  sich  aus  dem  Rück- 
stand "viel,  durch  Alkalien  gelb  fällbares  Kupferchlorür  ausziehen. 
Ausserdem  war  noch  Phosphorsäure  gebildet.  Die  Einwirkung  war 
also  nach  der  Gleichung 

17  CuO  +  5  PC13  =  2  P^O^Cu^  +  40  CuCl  +  CuCP  +  PCW 

verlaufen. 

Befeuchtet  man  Kupferoxyd  mit  Phosphorchlorür,  so  tritt  bei  star- 
kem Erhitzen  über  der  Lampe  Erglühen  und  Flammenerscheinung  ein. 

17.  Phosphorchlorür  und  Quecksilberoxyd. 

Gefälltes  Quecksilberoxyd  wird,  schon  in  der  Kälte  von  Phosphor- 
chlorür angegriffen ,  krystallisirtes  erst  beim  Erhitzen  im  zugeschmol- 
zenen Rohr  auf  460<>.  Es  entstehen  dabei  ähnliche  Producte  wie  bei 
der  Einwirkung  auf  Kupferoxyd :  Calomel,  Sublimat  (der  sich  theilweise 
mit  Quecksilberoxyd  zu  basischem  Chlorid  vereinigt),  phosphorsaures 
Quecksilberoxyd  und  wenig  Phosphoroxychlorid  : 

17  HgO  +  5  PC13  =  2  P208Hg»  +  10  HgCI  +  HgCP  +  PCW. 

18.  Phosphorchlorfir  und  Molybdänsäure. 

Molybdänsäure  förbt  sich  schon  in  der  Kälte  mit  Phosphorchlorür 
unter  Erwärmen  blau.  Beim  Erhitzen  im  zugeschmolzenen  Rohr  auf 
IGO^  nimmt  dann  der  Röhrerinhalt  allmählich  eine  dunkelbraune  Farbe 
an.  Nach  zweitägigem  Erhitzen  wurde  die  Flüssigkeit  durch  Destilla- 
tion im  Kohlensäurestrom  von  den  festen  Producten  getrennt.  Das 
Destillat  bestand  aus  überschüssig  angewandtem  Phosphorchlorür  und 
Phosphoroxychlorid.  Derselbe  Rückstand  gab  beim  Erhitzen  ein  gelb- 
weisses  wolliges  Sublimat  von  MoO%P,  beim  Behandeln  mit  Wasser 
erhitzte  er  sich  stark,  indem  er  sich  theilweise  mit  brauner  Farbe  löste. 
Aus  dem  Filtrat  fällte  Ammoniak  einen   braunen  Niederschlag,    der 


tr'Km 


lieber  die  Einwirkung  von  Phospliorrhionlr  anl'  Anbvdride  und  Chloride.         117 

wahrscheinlich  aus  Mo(OH)2  bestand,  in  dem  Filtrat  von  diesem  Nie- 
derschlag liess  sich  viel  Phosphorsäure  nachweisen.  Der  in  Wasser 
unlösliche  Thcil  oxydirte  sich  auf  dem  Filier  zu  dunkelbraunem  Mo- 
iybdclnsäuremolybdcinoxyd,  woraus  man  schliesson  kann,  dass  er  MoO^ 
war.  Hieraach  ist  die  Einwirkung  vielleicht  als  in  zwei  Phasen  er- 
folgt anzunehmen : 

Mo03  +  PC13  =  M0O2  4-  PG130 

3  Mo03  +  2  PCPO  =  MoO^CP  +  p20^ 

Durch  die  Phosphorsäure  wurde  dann  wahrscheinlich  das  braune 
Pillrat  veranlasst. 


19.  Fhosphorchlorilr  und  lYolframsäare. 

Woiframsäurc  mit  Phosphorchlorür  selbst  bis  200®  erhitzt  färbt 
sich  nur  oberflächlich  grün,  ohne  sonst  weiter  verändert  zu  werden. 

Auch  auf  Mangansuperoxyd  und  Eisenoxyd  übt  das  Phos- 
phorchlorür keine  Einwirkung  aus. 

Jena,  Univ.-Laboratorium,  März  4874. 


Chemische  Mittheilungen. 

Von 

A.  Oeuther. 


!•  Zur  Kenntniss  des  Nitrosodiaetbyliiis. 

Auf  meine  Veranlassung  hat  Herr  Dr.  L.  Schiele  einige  Versuche 
mit  dem  noch  wenig  gekannten  Nitrosodiaethylin  vorgenommen ,  deren 
Resultate  in  Folgendem  mitgetheilt  werden. 

i.  Gegen  starke  Basen,  wie  Kalium- oder  Natriumhydroxyd 
ist  das  Nitrosodiaethylin  sehr  beständig,  es  wird  weder  von  verdünnter 
noch  concentrirter ,  wässriger  oder  alkoholischer  Lösung  bei  gewöhn- 
licher Temperatur  noch  bei  100<^  verändert.  Erst  bei  Temperaturen 
über  i  00^  tritt  langsam  Zersetzung  ein  und  zwar  früher  bei  Anwen- 
dung von  alkoholischer  als  bei  wässriger  Lösung. 

Als  wässrige  concentrirte  Kalilauge  mit  Nitrosodiaethylin  8  Stun- 
den auf  130*^  erhitzt  worden  war,  wurde  ein  schwacher  Druck  im 
Innern  des  Rohrs  beim  Oeffnen  bemerkt  und  alkalische  Reaction  der 
Röhrenluft  wahrgenommen.  Durch  längeres  Erhitzen  im  Wasserbade 
aber  konnte  ebensowenig  etwas  überdestillirt  werden,  als  eine  wesent- 
liche Abnahme  der  angewandten  Nitrosodiaethylinmenge  zu  bemerken 
war.  Als  die  Erhitzung  eines  solchen  Rohres  aber  auf  1 55^  während 
längerer  Zeit  vorgenommen  wurde,  fand  die  Zertrümmerung  des  Rohrs 
statt,  ehe  eine  beträchtlichere  Menge  des  Nitrosodiaethylins  zersetzt  wor- 
den war.  Dasselbe  fand  bei  einem  zweiten  und  dritten  Rohre  statt,  so 
dass  im  Innern  derselben  offenbar  eine  beträchtliche  Gasentwicklung, 
vielleicht  von  Stickgas,  stattgefunden  haben  musste. 

Wendet  man  statt  der  wässrigen  eine  concentrirte  alkoholische 
Lösung  von  Kaliumhydroxyd  an ,  so  ist  das  Verhalten  ein  ähnliches  : 
beim  Erhitzen  auf  130"  flndct  unter  geringer  Spannung  im  Rohr  nur 


Chemische  Mittheilun^en.  119 

geringe  Zersetzung  sVatt ,  bei  i  4'0<^  war  die  Zersetzung  beträchtlicher, 
aber  immer  noch  nicht  sehr  bedeutend,  als  dagegen  8  Stunden  auf 
4  55^  erhitzt  worden  war,  zeigte  sich  ein  grösserer  TheH  von  Nitrosodlae- 
thylin  zersetzt ,  das  beim  Oeffnen  des  Rohrs  zuerst  entströmende  Gas 
war  brennbar,  das  später  folgende  nicht.  Als  das  Rohr  im  Wasserbade 
erwärmt  wurde,  destillirte  stark  alkalisch  reagirender  Alkohol,  derselbe 
wurde  mit  Salzsäure  übersättigt  und  dann  auf  dem  Wasserbade  zur 
Trockne  gebracht.  Der  Rückstand  wurde  in  Wasser  gelöst  und  mit 
Pialinichlorid  versetzt,  dabei  schied  sich  sofort  eine  beträchtliche 
Menge  eines  wie  Platinsalmiak  aussehenden  Salzes  aus.  Es  wurde 
deshalb  mit  etwas  überschüssigem  Platinichlorid  zur  Trockne  ver- 
dampft und  mit  absolutem  Alkohol  behandelt.  Das  davon  ungelöst 
Rleihende  war  Ammonium-Platini-Chlorid ,  wie  die  Analyse  zeigte, 
denn  es  enthielt  43,8%  Platin,  während  sich  dafür  44,0%  berechnen. 
Das  in  Lösung  Gegangene  wurde  über  Schwefelsäure  gestellt.  Dabei 
schieden  sich  kleine  gelbe  blättrige  Ki^stalle  aus  vom  Ansehen  des 
Aethylammonium-Platini-Chlorids.  Eine  Platinbostimmung  davon  ergab 
39,0%  Platin ;  das  Aethylammonium-Plalini-Ghlorid  verlangt  39,3%. 
Diese  Resultate  zeigen  also ,  dass  bei  dieser  Zersetzung  aus  dem  Nitro- 
sodiaethylin  sowohl  Aethylamin,  als  Ammoniak  entstanden. 
Das  zurückgebliebene  Kaliumhydroxyd  enthielt  nur  Spuren  von  salpe- 
triger Säure,  entwickelte  aber  auf  Zusatz  von  Schwefelsäure  eine  be- 
trächtliche Menge  von*  Kohlen  säure.  Darnach  ist  es  sicher,  dass  die 
Nitrosylgruppe  zerstört  und  ihr  Sauerstoff  zur  Oxydation  von  C^H^  ver- 
wandt wird  unter  Entwicklung  ihres  Stickstoffgehaltes  als  Stickgas. 
Vielleiclit  findet  die  Zersetzung  nach  folgender  Gleichung  statt: 

4  [(C2I1S)2.N0.N]  +  8K0H  =  4C2HMI2N  +  2NIP  +  2CnV 

+  2N  +  4CO'*2+  3  0H2. 

Ein  Weg  zur  Rückverwandlung  dos  Diaethylamins 
in  Aethylamjn  oder  Ammoniak  ist  bis  jetzt  nicht  bekannt  ge- 
wesen, mit  Hülfe  des  Nitrosodiaethylins  ist  derselbe  aber,  wie  wir  ge- 
sehen haben ,  gefunden. 

2.  Von  Reductionsraittcin  sind  Schwefelwasserstoff,  Am- 
moniumhydrosulfid,  Ferrosulfat  und  saures  Natriumsulfit 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  oder  bei  100^  ohne  Einwirkung  auf  das 
Nitrosodiaethylin  ,  ja  selbst  damit  im  verschlossenen  Rohr  bis  auf  150^ 
längere  Zeit  erhitzt,  ist  eine  Veränderung  kaum  zu  bemerken.  Dagegen 
wirkt  Natriüraarhalgam  bei  Gegenwart  von  Wasser  sehr  energisch  und 
rasch  unter  Erwärmung  und  bedeutender  Gasentwicklung.  Das  sich 
entwickelnde  Gas  besitzt  die  Eigenschaften  des  Stickoxyduls,  es  brennt 


120  *  A.  Geother, 

selbst  nicht,  bewirkt  aber ,  dass  ein  brennender  Span  in  ihm  lebhafter 
als  in  atmosphärischer  Luft  verbrennt.  Sofort  nach  der  Einwirkung 
tritt  der  Gerucb  nach  einer  flüchtigen  Base  auf.  Die  vom  Queck- 
silber abgegossene  Flüssigkeit  wurde  der  Destillation  unterworfen. 
Das  zuerst  Uebergehende  aus  dem  Wasserbade  rectificirt  und  das  stark 
basische  Destillat  mit  Chlorwasserstoffsäure  übersättigt  und  zur  Trockne 
verdampft.  Der  in  Wasser  gelöste  Rückstand  gab  mit  Platinichlorid  im 
Uebersdiuss  versetzt  über  Schwefelsäure  allmählich  morgenrothe  Kry^ 
stalle,  deren  Platingehalt  35,1—35,5  %  betrug.  Darnach  ist  die  Ver- 
bindung also  Diaethylammonium-Platini-Chlorid  und  die  durch  Re- 
duction  neben  Stickoxydul  aus  dem  Nitrosodiaethylin  erzeugte  Base  also 
Diaethylamin,  gebildet  nach  folgender  Gleichung : 

2[(C2H5)2.NO.N]  +  4H  =  (C^H^j^HN  •+•  N^O  +  OIR 

3.  Es  ist  bekannt,  dass  concentrirte  Salzsäure  (verdünnte  Säure 
wirkt  wenig  oder  nicht)  das  Nitrosodiaethylin  wieder  in  Diaethyi- 
ammoniumchlorid  verwandelt  ^)  unter  Aufnahme  von  Wasser  und  unter 
Bildung  von  salpetriger  Säure.  Zu  untersuchen  war  noch,  welche 
Wirkung  Chlorwasserstoffgas  bei  Ausschluss  von  Wasser 
auf  diese  Verbindung  ausübe.  Zu  dem  Ende  wurde  in  die  Substanz 
bei  Ausschluss  jeglicher  Feuchtigkeit  ganz  trocknes  Chlorwasserstoffgas 
geleitet.  Dasselbe  wurde  absorbirt,  die  Flüssigkeit  trübte  sich  schwach 
wie  nach  Aussscheidung  von  farblosen,  kleinen  Krystallnädelchen, 
wurde  aber  bald  darauf  wieder  klar  und  heilgelb.  Allmählich  nahm 
sie  aber  wieder  eine  dunklere  Farbe  an,  bis  sie  dunkelorangefarbig 
geworden  war ,  zu  welcher  Zeit  sie  anfing ,  gelbrothe  Dämpfe  zu  ent- 
binden ,  bis  bei  fortgesetztem  Einleiten  von  Salzsäure  die  Flüssigkeit 
wieder  eine  hellgelbe  Farbe  annahm.  Zur  Austreibung  des  etwa  über- 
schüssig zugeleiteten  Chlorwasserstoffgases  wurde  nun  wohl  getrock- 
netes Kohlensäuregas  noch  währctid  mehrerer  Stunden  eingeleitet. 
Dabei  verwandelte  sich  die  Flüssigkeit  allmählich  in  eine  nur  mit  wenig 
gelblichen  Oels  durchtränkte  Krystallmasse ,  welche  mehrere  Male  mit 
absolutem  Aether  gewaschen  wurde,  um  das  gelbe  Oel  zu  entfernen, 
dessen  geringe  Menge  nach  dem  Abdestilliren  des  Aethers  zurückblieb. 
Sie  wurden  darauf  in  Wasser  gelöst  und  in  das  Platini-Doppelsalz 
übergeführt.  Die  Krystalle  des  Letzteren  hatten  ganz  das  Ansehen  des 
Diaethylamin-Doppelsalzes  und  ergaben  einen  Piatingehalt  von  35,4%, 
während  das  reine  Diaethylammonium-Platini-Chlorid  einen  solchen 
von  35,3  %  enthält.    Damach  kann  also  kein  Zweifel  sein,   dass  die 


1)  Annal.  d.  Chem.  Bd.  1S8.  p.  454. 


^^^^f^^^^*-»^ 


Chemische  Mutheilungen.  121 

aus  dem  MtrosodiaclhyJin  hervorgegangenen  Kryslalle  Diacthyl- 
ammoniuinchlorid  waren,  gebildet  wahrscheinlich  nach  der  Glei- 
chung: 

(CnP)2.N0.N  +  2HC1  =  (C2Hs)2H2NCi  +  NOCl. 

Die  milbeobachteten  gelbrothen  Dämpfe  sind  dann  das  Nilrosyl- 
chlorttr  gewesen. 


IL  Ueber  die  Zusammensetzung  des  Antimonsäurehydrats. 

Nach  Bbrzelius^)  komml  dem  aus  Antimon  mittelst  Königswasser 
dargestellten ,  mit  Wasser  gewaschenen  und  mehrere  Male  nach  einan- 
der wohlgetrockneten  (bis  es  seine  Säure  und  seinen  metallischen  Ge- 
schmack verloren  hatte)  Antimonsäurehydrat  die  Formel :  SbO^^H  zu, 
ist  also  Monhydroxy- Antimonsäure.  Nach  Frrmy^)  ist  das  aus  einer 
Kaliumaniimoniatlösung  mittelst  Salpetersäure  gefällte  Hydrat,  wenn 
es  bei  gewöhnlicher  Temperatur  in  einem  Luftstrom  getrocknet  wird 
nach  der  Formel:  SbO^H*  zusammengesetzt,  also  Perhydroxy- 
Antimonsäure.  Da  Bbrzelius  die  Temperatur,  bei  welcher  er  die  zur 
Untersuchung  verwandte  Verbindung  getrocknet  bat,  nicht  näher  be- 
stimmte, sondern  nur  sagt,  dass  er  sie  Dwohlgetrocknet«  verwandt 
habe,  und  da  ausserdem  über  die  zwischen  der  Monhydroxy-  und 
Perhydroxy-Antimonsäure  liegende  Trihydroxysäure  noch  nicht  be- 
kannt war,  so  habe  ich  einige  Versuche  zur  Vervollständigung  dieser 
Angaben  ausführen  lassen.  Das  verwandte  Antimonsäurehydrat  war 
aus  der  Lösung  des  Kaliumantimoniats  durch  Salpetersäure  abgeschie- 
den und  mit  kaltem  Wasser  so  lange  gewaschen  worden,  als  dasselbe 
noch  saure  Reaction  zeigte  (wobei  es  zuletzt  milchig  durchs  Filter  ging) 
und  darauf  bei  gewöhnlicher  Zimmertemperatur  während  eines  Sommer- 
halbjahrs an  der  Luft  trocknen  gelassen.  Die  hai*t  gewordenen  Stücke 
wurden  zerrieben  und  zur  Analyse  verwandt.  Diese  Letztere  ergab 
nun ,  wie  die  nachfolgenden  Zahlen  zeigen  : 

\.  dass  das  völlig  lufttrockne  Hydrat  weder  Perhydroxy-  noch 
Monhydroxy-Säure ,  sondern  Trihyd  roxy-Antimonsäure  ist. 

2.  dass  aus  dieser  Säure  beim  Erhitzen  bis  auf  1 75^  so  viel  Wasser 
weggeht,  dass  Monhydroxy-Säure  übrig  bleibt. 


4)  ScRWEiGGiR,  Journ.  f.  Chemie  und  Physik.    Bd.  XXII,  p.  71  und  Beazelius, 
r.ehrbuch. 

t)  Anoal.  d.  Chim.  et  Pbys.  [8]  T.  XXIII,  p.  405. 


122 


A.  Geiitler, 


3.  dass  heim  Erhitzen  auf  275®  daraus  gelber  Anlimonsaure- 
anhydrid  wird,  welcher  bei  300®  aber  schon  unter  Sauerstoffverlust 
weiss  zu  werden  und  in  Antimonig-Antimonsciureanhydrid  überzu- 
gehen anfängt. 


1.   V 

er  SU  c  h. 
Gewicht. 

Lufttrock 

no  Substanz 

•     •      • 

1,9869  Grm 

6  Tage 

übel 

•  SO^H^  getrocknet 

f,9384     - 

<5  Stunden  bei  iOO« 

— 

1,8670     - 

2 

-1100 

- 

1,8603     - 

7 

-   1200 

— 

1,8453     - 

H 

-   150« 

— 

1,8175     - 

3 

-   160» 

— 

1,8150     - 

4 

-    175» 

— 

1,8007     - 

7        - 

-   180« 

— 

1,7743     - 

6 

-   100« 

— 

1,7705     - 

6 

-  ^00« 

— 

1,7638     - 

Geglüht 

und 

als  Sb^O^ 

gewogen 
2.    V 

1.6043     - 
ersuch. 

Lufttrockne  Substanz      .     .     .     1,8911 
24  Stunden  üb.  SO^P  getrocknet  1,8418 


7 
6 
3 
4 
4 
2 


bei  200« 

-  250« 

-  260« 

-  275« 

-  300« 

-  340« 


1,6736 
1,6459 
1,6167 
1,6060 
1,5972 
1,5888 


Aus  (1.  gcfundonen 
Gewicht  von  Sb20* 
berechnet. 

1,9689  Sb04H3 


1,7814  Sb03|l 


1,8755  SbO^li'» 
1,6969  SbO»H 


1,6076  Sb^Qft 


Geglüht  und  als  Sb^^  gewogen     1 ,5282     - 


III.   lieber  die  Zersetzung  des  Phosphorchlorürs  durch  Wasser. 

Vor  einiger  Zeit  hat  Kraut  *)  angegeben,  dass,  wenn  man  frisch 
deslillirtes  und  vom  überschüssigen  Phosphor  freies  Chlorür  in  sieden- 
des Wasser  tropfen  lässl,  jeder  Tropfen  ausser  lebhaftem  Zischen  »Fcuer- 
crscheinung ,  sowie  eine  dicke  Abscheidung  von  amorphem  Phosphor 


1)  Ännal.  d.  Chem.  u.  Pharm.    Bd.  458.  6.  S8S. 


C  hemisobe  MiUheiinngen.  123 

hervorbringe«,  bei  Anwendung  von  massig  warmen  Wassers  lasse  sich 
dte^Feuercrscheinung  vermeiden  und  doch  eine  erhebliche  Ausscheidung 
von  Phosphor  bei  Temperaturen  erhalten,  bei  welchen  die  phosphorige 
Säure  sich  noch  nicht  zersetzt«. 

Beim  Lesen  dieser  Mittheilung  ist  es  vielleicht  manchem ,  welcher 
schon  öfters  Phosphorchlorttr  mit  Wasser  zersetzt  hat,  so  gegangen,  wie 
mir»  dass  er  sich  nicht  erinnern  konnte,  eine  Abscheidung  von  Phosphor 
dabei  bemerkt  zu  haben.  Ich  habe  mich  dadurch  aufgefordert  gefühlt, 
die  angegebenen  Versuche  Krautes  zu  wiederholen.  Dabei  wurde 
zweierlei  Phosphorchlorttr  verwandt,  erstens  solches,  welches  ur- 
sprünglich etwas  Phosphorchlorid  enthielt  und  welches  durch  fünfmalige 
vorsichtige  Rectification ,  wobei  immer  ein  beträchtlicher  Rückstand 
gelassen  und  nur  das  zwischen  75  und  76^  (uncorr.)  Destillirende  ge- 
sammelt wurde,  gereinigt  worden  war  und  zweitens  solches,  in  welchem 
vorher  überschüssiger  Phosphor  gelöst  wurde  und  das  darauf  einmal  auf 
dem  Wasserbade  rectificirt  worden  war  in  der  Art,  dass  das  heisse 
Wasser  nur  mit  dem  Boden  der  Kochflasche  in  Berührung  kam.  Dabei 
war  ein  Rückstand  von  Phosphor  und  Phosphorchlorttr  geblieben  und 
auch  nur  das  zwischen  75  und  76^  Ueborgegangene  gesammelt  worden. 
Beide  Arten  von  Phosphorchlorttr  verhielten  sich  bei  den  mit  ihnen  vor- 
genommenen folgenden  Versuchen  ganz  gleich. 

Als  von  diesem  Phosphorchlorttr  zu  Wasser  von  gewöhnlicher  Zim- 
mertemperatur, welches  in  einem  weiten  Proberöhrchen  sich  befand, 
gegossen  und  unter  Umschtttteln  zersetzt  wurde,  fand  eine  Ausschei- 
diuig  von  Phosphor  nicht  statt.  Ais  darauf  das  Wasser  im  Proberöhrchen 
bis  auf  60^  erwärmt  worden  war  und  gleich  verfahren  wurde,  konnte 
ebensowenig  eine  Abscheidung  von  Phosphor  bemerkt  werden ;  dasselbe 
war  der  Fall  als  Wasser  von  80^  und  nahe  zum  Kochen  erhiüstes  Wasser 
verwandt  wurde.  Die  Versuche  wurden  mit  demselben  Resultat  wie- 
derholt. Dabei  wurde  einmal  bei  Anwendung  von  Wasser,  welches  im 
Proberöhrchen  kurz  vorher  gekocht  hatte,  aber  nicht  mehr  kochte,  eine 
Feuererscheinung  beobachtet,  dieselbe  ging  aber  nicht  vom  Wasser  im 
Röhrchen,  sondern  von  der  Ocffnung  des  Proberöhrchens  aus,  von  da 
wo  die  Dämpfe  mit  der  Luft  in  Bertthrung  kamen  und  noch  ein  Stttck 
in  das  Röhrchen  hinein.  Die  Feuererscheinung  selbst  hatte  den  Cha- 
rakter eines  starken  Phosphorcscirens  d.  h.  das  Ansehen  einer  ver- 
dttnnten  fahlen,  wenig  glänzenden  gewöhnlichen  Phosphorflamme. 
Auch  dabei  wurde  kein  Phosphor  abgeschieden.  Ich  schloss  daraus, 
dass  die  beobachtete  Feuererscheinung  an  die  Gegenwart  von  Luft  resp. 
Sauerstofl"  bei  der  Zersetzung  gebunden  sei  und  habe  daraufhin  fol- 
gende 3  Versuche  unternommen,  welche  dies  durchaus  bestätigen. 


124  A.  (Jeuther, 

1 .  Ve  rsuch  :  Ein  weites  Proberöhrchen  wird  in  der  Art  inwendig 
feucht  gemacht  und  mit  einem  Tröpfchen  Wasser  versehen ,  dass  man 
dasselbe  mit  einer  grösseren  Menge  von  Wasser  völlig  benetzt  und 
letzteres  dann  ausfliessen  lässt,  darauf  wird  er  bis  zur  Hälfte  in  stark 
siedendes  Wasser  gestellt,  15 — 20  Minuten,  je  nach  der  Dicke  des 
Glases ,  aus  welchem  das  Proberöhrchen  besteht ,  gewartet  und  nun 
eine  Menge  von  8—40  Tropfen  Phosphorchlorür  auf  einmal  zugegossen. 
Nicht  sofort,  aber  ganz  kurze  Zeit  darnach  tritt  die  oben  beschriebene 
Feuererscheinung  auf,  welche,  da  sie  sehr  wenig  glänzend  ist,  natürlich 
bei  geringer  Zimmerhelle  am  besten  zu  sehen  ist.  Die  Sache  geht  dabei 
offenbar  so  zu:  das  Phosphorchlorür  wird  im  Röhrohen  zum  Theil 
dampfförmig ,  dieser  Dampf  zersetzt  sich  mit  Wasserdampf  in  Chlor- 
wasserstoff und  phosphorige  Sciure  und  diese  letztere  im  fein  vertheilten 
und  wahrscheinlich  beträchtlich  heissem  Zustand  verbrennt  durch  den 
Sauerstoff  der  im  Röhrchen  gegenwärtigen  Luft  zu  Pbosphorsäure.    In 

,  manchen  Fällen ,  aber  durchaus  nicht  immer ,  bemerkt  man  nach 
Vollendung  der  Reaction  eine  sehr  geringe  Menge  fein  zerthcilten 
rothen  Phosphors.  Derselbe  verdankt  seine  Entstehung  jedenfalls  einer 
bei  der  Verbrennung  des  grössten  Theils  der  phosphorigen  Säure  durch 
den  Sauerstoff  entstehenden  höhern  Temperatur,  welche,  bei  nicht 
überschüssigem  Sauerstoff,  eine  geringe  Menge  der  phosphorigen  Säure 
nach  bekannter  Art  in  Phosphorsäure  und  Phosphorwasserstoff  resp.  in 
die  Zersetzungsproducte  des  Letzteren  in  der  Hitze,  Wasserstoff  und 
Phosphor,  zerfallen  macht.  Der  Inhalt  des  Röhrchens  enthält  eine  ziem- 
liche Menge  gewöhnlicher  Phosphorsäure  und  stets  beträchtlich  mehr 
als  das  angewandte  Phosphorchlorür  liefern  kann,  wenn  es  mit  kaltem 
Wasser  zersetzt  worden  ist.  Jedes  an  der  Luft  destillirte  Phosphor- 
chlorür nämlich  kann  in  Folge  eines  geringen  Gehaltes  an  Phosphor- 
oxychlorid^)  diese  erzeugen. 

2.  Versuch.  Bringt  man  in  einem  Kochfläschchen  Wasser  zum 
lebhaften  Sieden  und  wartet  so  lange  mit  dem  Zusatz  von  Phosphor- 
chlorür, bis  alle  Luft  durch  den  Wasserdampf  daraus  verdrängt  ist  und 
letzterer  beständig  lebhaft  daraus  entströmt,  so  tritt  natürlich  explo- 
sionsartige Zersetzung  des  zugetropften  Phosphorchlorürs ,  aber  weder 
eine  Feuererscheinung  noch  eine  Abscheidung  von  Phosphor  ein.  Dies 
bestätigt  die  im  Vorhergehenden  gegebene  Erklärung. 

3.  Versuch.  Wird  in  einem  mittelgrossen  offenen  Becherglas 
nicht  zuviel  Wasser  zum  Sieden  erhitzt,  wobei  eine  beständige  Mischung 
von  Wasserdampf  und  Luft  von  selbst  vor  sich  geht,  und  darauf  Phos- 


4)  Vergl.  d.  Zeitschrift.  Bd.  VI,  p.  05. 


Chemische  Mittheiluogen.  -  125 

phorchlorOr  in  Mengen  von  12  —  20  Tropfen  zugezogen,  so  tritt  die 
Feuererscbeinung  in  der  ganzen  Breite  des  Becherglases  und  darüber 
hinaus  als  grosse  Flamme  auf,  ohne  dass  auch  hier  Phosphorabschei- 
düng  erfolgte. 

Diese  Versuche  zeigen  also,  dass  reines  Phosphorchlorür  durch 
warmes  oder  siedendes  Wasser  ohne  Phosphorahscheidung  in  phos-- 
phorige  Säure  und  Chlorwasserstoff  zersetzt  wird  und  dass  die  Angaben 
Rbact^s,  es  finde  dabei  eine  »erhebliche«  oder  d dicke  Abscheidung  von 
amorphen  Phosphor«  statt,  nicht  richtig  sind. 

Kraut  sagt  weiter:  »Eine  Abscheidung  von  Phosphor  in  rothgelben 
Tropfen  erfolgt  femer,  wenn  man  Phosphorchlorür  mit  wenig  Wasser, 
oder  was  offenbar  gleichbedeutend  ist ,  mit  etwas  phosphoriger  Säure 
destillirt.  Dabei  bleibt  ein  Rückstand ,  welcher  nach  dem  Austreiben 
alles  Phosphorchlorürs  durch  trockene  Kohlensäure  in  Wasser  gelöst, 
das  Verhalten  der  Orthophosphorsäure  zeigt.  Seine  wässrige  oder  essig- 
saure  Lösung  fällt  Eiweisslösung  nicht,  a 

Ich  habe  den  Versuch  wiederholt,  indem  ich  das  mit  wenig  Wasser 
versetzte  Phosphorchlorür  aus  dem  Wasserbade  destillirte  und  kann  die 
Abscheidung  von  fein  zertheiltem  rothgelben  amorphen  Phosphor  be- 
stätigen, welcher  nach  dem  Auflösen  des  Rückstandes  abfiltrirt  und 
getrocknet  werden  kann.  Der  Ausdruck  »  rothgolbe  Tropfen  «  kann  die 
Vorstellung  erzeugen,  als  wäre  der  abgeschiedene  Phosphor  zum  Tiieil 
wenigstens  gewöhnlicher  Phosphor,  weil  der  amorphe  bekanntlich  nicht 
schmilzt,  das  ist  aber  nicht  der  Fall.  Der  nach  dem  Verjagen  alles 
Phosphorchlorürs  durch  trockne  Kohlensäure  im  Wasserbade  verblei- 
bende Rückstand  besteht,  wenn  man  die  Destillation  auch  im  Wasserbade 
vorgenommen  hat,  hauptsächlich  aus  phosphoriger  Säure  und  nur  ver- 
hältnissmässig  wenig  davon  ist  gewöhnliche  Phosphorsäure.  Die  Letztere 
lässt  sich  in  der  Lösung  mittelst  Magnesiumsalz  leicht  entdecken  und 
die  erstere  durch  Reduction  von  Hydrargyrichlorid ,  von  ammoniakali- 
scher  Argentinitratlösung  oder  von  schwefeliger  Säure  leicht  unmittelbar 
oder  nach  dem  Ausfällen  der  Phosphorsäure  als  in  grosser  Menge  vor- 
handen nachweisen.  Wird  dagegen  Phosphorchlorür  auf  phosphorige 
Saure  längere  Zeit  in  der  Hitze  einwirken  gelassen  in  der  Art,  dass  man 
d;)s  Kölbchen  mit  einem  umgekehrten  Kühler  verbindet,  so  findet  nach 
und  nach  eine  grössere  Abscheidung  von  pulvrigem  rothen  Phosphor 
statt  und  zwar  vorzüglich  dann,  wenn  man  das  Wasserbad  mit  einem 
Sandbad  vertauscht,  also  den  Boden  des  Gefässes  auf  dem  die  phos- 
phorige Säure  unmittelbar  auflagert  und  dadurch  auch  diese  heisser 
werden  lassen  kann,  als  es  im  Wasserbade  möglich  ist.  Nach  drei- 
stündiger Einwirkung  von   12  Grm.  Phosphorchlorür  auf  die  mittelst 


*• 


W' 


V  • 


^.  v: 


.» 


♦  V 

v^ 


126 


A.  Gentber« 


3  Grm.  Ghlorür  und  1,2  Grm.  Wasser  erzcugle  phosphorige  Säuro, 
wührend  welcher  das  Phosphorchlorür  beständig  kochte,  entwich  viel 
Chlorwasserstoff  und  wurden  0,14  Grm.  rother  Phosphor  abgeschieden. 
Das  übrig  gebliebene  Phosphorchlorür  wurde  nach  dem  Abgiessen  für 
sich  rectificirt;  es  erwies  sich  seiner  ganzen  Menge  nach  als  rein 
und  frei  von  Phosphoroxychlorid ,  welches  möglicherweise  nach  der 
Gleichung : 

4PC13  +  P(0H)3  =  3P0C1»  +  3CIH  +  2P 

hätte  entstanden  sein  können.    Der  in  Wasser  lösliche  Theil  des  Rück- 
standes bestand  jetzt  fast  ganz  aus  gewöhnlicher  Phosphorsaui^. 
Die  von  Kraut  für  diese  Zersetzung  aufgestellte  Gleichung  : 

4P(OH)3  +  PCI»  =  3P04H3  +  3C1H  +  2P 

welche  jedenfalls  richtig  ist,  lässt  sich  in  die  beiden  bekannten  Glei- 
chungen zerlegen : 

4P(0H)»  =  3P04H3  +  PH3 
PH3  +  PC13  =  3C1H  +  2P 

Die  phosphorige  Säure,  welche  nach  einem  Versuche,  zu  weichem 
kryslallinische  Substanz  verwandt  wurde,  für  sich  erst  gegen  250"  ^) 
anfangt  unter  Phosphoi'wasserstoff- Entwicklung  zersetzt  zu  werden, 
erleidet  also  in  der  That  langsame  Zersetzung  durch  Phosphorchlorür 
schon  beim  Siedepunkt  desselben. 

IT.  Ueber  die  Einwirkung  von  Natrinmalkoholat  anf  Bimzoe- 

sftnreäther. 

Aus  frülieren  Versuchen  2)  ist  bekannt,  dass  alkoholfreies  Natriura- 
alkoholat  auf  Benzoesäureäther  bei  120^  nicht  einwirkt,  bis  160"  damit 
aber  längere  Zeit  erhitzt  hauptsächlich  Natriumbenzoat  und  gewöhn- 
liehen  Äether  nach  der  Gleichung : 

CHS  (C2H5)  02  +  C2H5NaO  =  C^H^NaOa  +  (C^H^j^O 

bildet.  In  geringer  Menge  entstehen  dabei  aber  noch  drei  andere  Pro- 
ducte,  von  denen  zwei  den  nach  der  Behandlung  mit  überschüssiger 
Natronlauge  verbleibenden  öligen  neutralen  Rückstand  bilden,  dessen 
Menge  etwa  9  Proc.  von  der  des  angewandten  Aethers  beträgt,  wäh- 
rend das  dritte  saurer  Natur  ist  und  in  die  wässrige  Lösung  des  Natrium- 

4)  Es  ist  dies  dieselbe  Temperatur,  bei  welcher  sich  nach  Ramiielsiierg  (Pogg. 
Annal.  Bd.  132,  p.  493  u.  498)  das  saure  Kaliurosalz  und  ein  saures  Baryunisalz 
der  phosphorigen  Säure  das  sog.  anderthalbfachsaure  Salz ,  auch  unter  Phosphor- 
wasserstoff-Entwicklung ,  zersetzt. 

3)  Diese  Zeitschrift. .  Bd.  IV.  p.  260. 


Chemische  Mitthellungen.  127 

benzoats  mit  übergeht.  Von  den  beiden  ersteren ,  welche  ihrer  fiüher 
erhaltenen  geringen  Menge  halber  nicht  völlig  rein  erhalten  werden 
konnten,  waren  vorlBufige  Analysen  gemacht  worden.  Das  eine  zwischen 
300  und  8100  Destillirende  hatte  77,3  Proc.  Kohlenstoff  und  8,9  Proc. 
Wasserstoff,  das  andere,  welches  bei  360^  noch  nicht  überging,  hatte 
84,4  Proc.  Kohlenstoff  und  7,9  Proc.  Wasserstoff  ergeben,  über  die 
saure  Substanz,  welche  nur  aus  den  um  etwa  i  Proc.  grösseren 
Natriumgehalt,  den  das  Natriambenzoat  bei  der  Analyse  gegeben  hatte, 
erschlossen  wurde,  konnte  noch  gar  keine  Vermuthung  geäussert 
werden. 

Auf  meine  Veranlassung  hat  Herr  Dr.  ScBiizLt  diese  drei  Neben- 
producte    einer    genaueren    Prüfung    unterzogen.     Benzoesäureäther 
wurde  mit  dem  Natriumalkohdai  in  Röhren  während  mehrerer  Tage 
auf  i  60<^  erhitzt,  der  Inhalt  darauf  mit  Wasser  behandelt ,  die  wässrige 
Lösung  vom  abgeschiedenen  Oel  befreit  und  mit  Aetber  ausgeschüttelt. 
Das  was  der  Aether  gelöst  hatte  und  nach  dem  Abdestilliren  des- 
selben zurückblieb,   wurde  zum  Oel  gegeben  und  dieses  so  lange 
wiederholt  mit  neuen  Mengen  Natronlauge  im  zugeschmolzenen  Rohr 
auf  11  Qo  erhitzt,  bis  keine  Abnahme  desselben  mehr  stattfand  und 
aller  noch  vorhandene  Benzo^säureäther  zersetzt  war.   Die  ursprüng- 
liche wässrige   Lösung,    welche    ausser    Natriumbenzoat   noch    das 
Natriumsalz    der    mitentstandenen    Saure    erhalten  musste,    wurde 
mit  Schwefelsäure  in  geringem  Ueberschuss  versetzt,  von  der  aus- 
geschiedenen Benzoesäure  abfiltrirt,   das  Filtrat  mit  Natriumcarbonat 
schwach  übersättigt,   durch  Eindampfen  concentrirt,   nach  dem  Er^ 
kalten  mittelst  erneuten  Zusatz  von  Schwefelsäure  wieder  Boi^zodsäure 
gefällt  und  so  mehrere  Male  fortgefahren.    Dann   vsrurde   nach   der 
Neutralisation    mit    Natriumcarbonat    zur    Trockne    verdampft,     mit 
Alkohol  der  Rückstand  ausgekocht  und  das  im  Alkohol  gelöste  zur 
Entfernung  aller  Benzoösäure  in  derselben  Weise  behandelt,   was 
wiederholt  geschehen  musste.    Da  die  auch  bis  zuletzt  ausgeschiedene 
Benzoesäure  den  richtigen  Schmelzpunkt  besass  und  der  nach  dem 
Ausziehen  von  Alkohol  verbleibende  S^lzrückstand  sich  beim  Erhitzen 
nicht  schwärzte ,  so  musste  die  Säure  in  Wasser  leicht  löslich  und  ihr 
Natriumsalz  in  Alkohol  löslich  sein.     Zuletzt  wurde  ein  rhombisch 
krystallisirendes  in  Wasser  leicht  lösliches  Salz  erhalten ,  wekhes  nach 
Zusatz  von  massig  conc.  Schwefelsäure  den  stechenden  Geruch  der 
Ameisensäure  entwickelte  und  dessen  Lösung  die  für  die  Ameisensäure 
charakteristischen  Reactionen  zeigte :  mit  Baryumchlorid  und  Calciunw 
Chlorid  gab  sie  keinen  Niederschlag;    mit  Sublimatlösung  vermischt 
entstand  gleichfalls  keine  Fällung,  beim  Erwärmen  wurde  aber  Kalomel 


128  A,  Geather, 

abgeschieden;  mit  Hydrargyronitratlösung  vermischt  bildete  sich  ein 
weisser  Niederschlag,  der  beim  Kochen  unter  Kohlensäureentwickiung 
zu  met.  Quecksilber  wurde;  mit  Argentinitratlösung  entstand  eine 
weisse  Fällung ,  welche  beim  Erwärmen  unter  Kohlensäureentwicklung 
starke  Reduction  erfuhr. 

0,3792  Grm.  desselben  hinterliesspn  beim  Glühen  0,9ü68  Grm. 
Natriumcarbonat,  welches  0,1288  Grm.  oder  34,0  Proc.  Natrium  ent- 
spricht.   Das  Natriumformiat  verlangt  33,9  Proc.  Natrium. 

Daraus  ergiebt  sich  also,  dass  die  Säure  in  der  That  Ameisen- 
säure ist. 

Bei  der  Destillation  des  ölförmigen  Productes  zeigte  sich  wie  früher, 
dass  von  200 — 380^  unter  stetem  Steigen  des  Thermometers  eine  was- 
serhelle aromatisch  riechende  Flüssigkeit  überging,  während  dann  bei 
weiterem  £rwärmen  das  Quecksilber  ganz  rasch  auf  360<)  stieg  und 
ein  beim  £rkalten  zähflüssiger  Rückstand  blieb.  Das  Uebergegangene 
wurde  wieder  destillirt.  Da  bei  200^  und  bei  230«  der  Siedepunkt 
constant  zu  sein  schien,  so  wurde  das  bei  diesen  Temperaturen  Ueber- 
gehende  für  sich  gesammelt  und  analysirt. 

Das  bei  200^  erhaltene  Destillat  enthielt  78,9  Proc.  Kohlenstoff  und 
9,2  Proc.  Wasserstoff;  das  bei  230«  erhaltene  78,3  Proc.  Kohlenstoff 
und  9,2  Wasserstoff.  Da  diese  Resultate  f^ist  ganz  übereinstimmten, 
so  wurden  beide  Theile  wieder  vereinigt  und  bei  der  nochmaligen  Recli- 
ßcation  das  bei  24  7^  Uebergehende  für  sich  gesammelt.  Bei  der  Ana- 
lyse ergab  dies  78,8  Proc.  Kohlenstoff  und  9,1  Proc.  Wasserstoff.  Aus 
diesen  Resultaten  leitet  sich  die  Formel:  C^^H^^O^  oder  vielleicht  die 
Formel:  C^öH^^qs  ab. 

ber.  gef.  ber. 

C26  =  78,9  78,9     78,8  78,3         C^e  =  79,3 

H36  =     9,0  9,2       9,1  9,2         H»^  =     8,6 

03  ==  12,1  _        —  _           0^  =  12,1 

100,0  100,0 

Das  bei  360^  noch  nicht  Uebergegangene  liess  sich,  wie  ein  Ver- 
such zeigte,  gleichfalls  destilliren.  Es  ging  in  gelben,  beim  Erkalten 
zähflüssigen  Tropfen  über,  welche  88,9  Proc.  Kohlenstoff  und  7,5  Proc. 
Wasserstoff  enthielten.  Da  das  Destillat  nicht  ganz  homogen  erschien, 
so  wurde  es  nochmals  recti6cirt  und  die  zuerst  übergebende  und  die 
zuletzt  übei^eh^nd«  Portion  je  für  sich  gesammelt  und  analysirt.  Die 
erstere  ergab  89,3  Proc.  Kohlenstoff  und  7,8  Proc.  Wasserstofi',  die 
letztere  89,4  Proc.  Kohlenstoff  und  7,6  Proc.  Wasserstoff.  Aus  diesen 
sehr  nahe  übereinstimmenden  Resultaten  folgt,  dass  das  Product  ein 


■•■«^■w 


Chemische  Mittheitungen.  1 29 

chemisches  Individuum  war  und  die  Formel:  C^^H^^O  demselben  zu- 
kommt. 

ber.  gef. 

C37  =  89,5  (88,9)      89,3     89,4 

H^*  =     7,3  (  7,5)       7,8       7,6 

0     =     3,2 

"100,0 

Was  nun  die  Bildung  der  Ameisensäure  und  der  beiden  destillir- 
baren  neutralen  ölförmigen  Körper  aus  dem  Benzoäsäureüther  anlangt, 
so  lässt  sich  von  ihnen  auf  folgende  Weise  Rechenschaft  geben : 

3C7H5(C2H»)  0^=  C^6H»«03  4-  C  +  03  —  H6 
4C7H'^(C2H*)02  =  C37H3öO  —  C  +  O'  +  H* 

oder  beide  Gleichungen  zusammengezogen  : 

7C7H*(C2H*)  02  =  C2«H3e03  +  C37H360  +  O^o  —  H2 

Wäre  die  Formel  fUr  die  bei  217^  destillirende  Substanz  nicht 
CWH37  03  sondern  C^ftR^^O»  so  würde  die  Gleichung  sein: 

7C7H*  (C2H5)  02  =  C2»H3*03  +  C37H360  -H  10O 

Man  sieht  hieraus,  wie  unter  Austritt  von  10  Mgtn.  Sauerstoff  aus 
7  Mgtn.  Benzoäsäureäther  die  Bildung  der  beiden  ölförmigen  Producte 
vor  sich  gehen  kann.  Diese  i  0  Mgtn.  Sauerstoff  werden  nun  offenbar 
verwandt  zur  Bildung  von  Ameisensäure,  welche  wahrscheinlich  aus 
dem  Aethyl  des  Benzoäsäureäthers  hervorgeht  unter  gleichzeitiger  Bil- 
dung von  Benzoesäure  nach  der  Gleichung : 

5C7H*(C2H»)  02  +  20O  =  5C7H«02  +  10CH2O2. 

« 

Benzoesäure  und  Ameisensäure  aber  werden  weiter  durch  das 
Nairiumalkoholat  zu  den  Natriumsalzen  unter  Erzeugung  von  Alkohol. 

Jena,  Ende  October  1871. 


.A»,.u(.  Ifit^flinll  Bd.  141 


Jotsistit  Zeituirr/i  Bd.  W. 


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JumtsdfiZtiisdir^  Bd.a. 

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lieber  das  Arehipterygium. 

Von 

G.  Gtogenbaur. 


mt  Tafel  X. 


Als  ich  vor  bald  zwei  Jahren  die  Ergebnisse  meiner  letzten  Unter- 
suchungen über  das  Gliedoiaassenskelet  der  Wirbelthiere  in  dieser  Zeit- 
schrift ^)  veröffentlichte,  war  ich  damit  »zu  einem  gewissen  Abschlussea 
gekommen,  der  in  der  Aufstellung  einer  »Gnindforma  des  Gliedmaassen- 
skeletes  der  Wirbelthiere  seinen  Ausdruck  fand.  Die  meist  stufen  weis 
verfolgbare  Ableitbarkeit  aller  bis  dahin  bekannten  Formzustände  dieses 
Skeletes  rechtfertigte  die  Bedeutung  jener  Grundform,  die  ich  als 
Archipterygium  bezeichnet  hatte. 

Dieses  Archipterygium  erschien  als  ein  dem  Schultei^ttrtel  ange- 
fügter, in  einzelne  hinter  einander  liegende  Stücke  gegliederter  Knor- 
pelstab, Stamm,  an  dem  einseitig  eine  Reihe  von  kleinen,  ungegliederten 
oder  gegliederten  KnorpelsUlbchen,  Radien,  aufgereiht  sind.  Für  eine 
Fiederung  oder  zweizeilige  Anordnung  von  Radien  am  Stamme  des 
Archipterygiums  hatten  meine  Untersuchungen  am  Brustflossenskelete 
der  Selachier  zwar  einige  Spuren  ergeben,  aliein  sie  schienen  mir  einer- 
seits so  unbedeutend,  dass  ich  sie  anfänglich  (Untersuchungen  zurVergl. 
Anatomien.  1865]  nicht  beachtete,  und  erst  später  (diese  Zeitschrift 
Bd.  V.  S.  432  Anmerk.)  sie  mit  Beziehung  auf  jene  Frage  zu  prüfen 
versuchte,  andererseits  lagen  alle  bis  zu  jener  Zeit  bekannten  That- 
sachen  auf  Seite  des  einzeiligen  Archipterygium,  so  dass  für  die  Con- 
struction  der  zweizeiligen  Grundform  ausser  jenem,  auch  in  anderer 
Weise  erklärbaren ,  und  von  mir  auch  so  beurtheilten  Rudimente ,  kein 
triftiger  Grund  sich  ergab. 


«)  B«l.  V.  S.  »97 
IM.  VII    S. 


132  G.  Gegenbaar, 

Anders  liegt  gegenwärtig  die  Frage ,  ob  jenes  Archipterygium  in 
seiner  ursprünglichsten  Form  die  Radien  in  einer  Reihe  oder  in  zwei 
Reihen  besass,  nachdem  neuerdings  Untersuchungen  an  dem  zunächst 
den  Dipnoi  verwandten  Ceratodus  das  Restehen  eines  Gliedmaassen- 
skeletes  in  der  Form  des  zweizeiligen  Archipterygiums  erwiesen  haben. 
Aus  den  hieher  bezüglichen  Mittheilungen  von  Dr.  A.  Günther^)  geht 
hervor,  dass  bei  Ceratodus  im  Skelet  der  Rrustflosse  ein  Stamm  (Axis, 
Günther)  besteht^  den  eine  Reihe  dislal  an  Umfang  abnehmender  Knor- 
pelstücke bildet,  denen  an  beiden  Seiten  wiederum  aus  mehrfachen 
Gliedern  gebildete  Radien  angefügt  sind.  Feine  Fäden,  welche  als  Flos- 
senstrahlen (Fin-rays)  den  Knorpelreihen  angefügt  sind,  ergänzen  die 
Flosse  in  ähnlicher  Weise  wie  bei  Protopterus.  Günther  vergleicht 
diesen  Refund  mit  dem  Rrustflossenskelete  von  Acipenser,  und  unter- 
scheidet dort  ganz  richtig  die  Stamwpeihe  von  den  Radien,  die  in  ihrer 
einzeiligen  Aufreihung  eine  ganz  bedeutende  Verschiedenheit  des  T^'pus 
ergeben.  Ob  wie  bei  Acipenser  ein  Theil  der  Radien  von  dem  Stamme 
abgerückt  ist  und  direct  mit  dem  Schultergürtel  articulirt,  ist  mir  zwei- 
felhaft. Es  würde  der  Fall  sein,  wenn  das  von  Günther  als  »Carpus« 
bezeichnete  Stück  a  in  der  Figur  von  Ceratodus  dem  Schultergürtel 
angehört,  ebenso  wie  es  sicher  in  der  daneben  stehenden  Figur  von 
Acipenser  ein  Theil  des  Schultergürtels  ist,  wie  ich  in  älteren  Unter- 
suchungen (Schultergürtel  und  Rrustflosse  der  Fische)  festgestellt  zu 
haben  glaube.  Immerhin  wäre  die  Ablösung  von  Radien  vom  Stamme 
und  ihre  Verbindung  mit  dem  Schultergürtel  zwar  bemerkenswerth, 
aber  dem  Verhalten  des  übrigen  Flossenskclets  gegenüber  von  unter- 
geordneter Bedeutung.  Bei  der  Reachtung  jenes  Typus  des  Flossen- 
skeletes  von  Ceratodus  dürfte  es  sieb  nun  vor  Allem  fragen,  wie  sich 
dazu  die  einzeilige  Form  des  Archipterygium  verhält,  und  in  dieser 
Reziehung  ist  Folgendes  in  nähere  t'rüfung  zu  nehmen. 

1 )  Sind  beiderlei  Zustände  des  Archipterygiums  selbständige  Grund- 
formen, von  denen  jede  für  sich  entstand,  und  jede  in  einer  gewissen 
Reihe  von  Wirbelthieren  eine  eigene  Diffenzirung  einschlug?  odef 

2)  ist  die  doppelzeilige  Form  aus  der  einzeiligen  hervorgegangen? 
oder  endlich 

3)  entstand  die  einzeilige  Form  aus  der  doppelzeiligen?  Die  erste 
Frage  wird  offen  zu  lassen  sein ,  bis  die  Untersuchung  eine  der  beiden 
letzten  beantwortet  hat.  In  dieser  Beziehung  wird  vor  Allem  zu  prüfen 
sein,  ob  an  dem  aus  dem  einzeiligen  Archipterygium  hervorgegangenen, 


4]  Proceed.  Roy.  See.  4874.  S.  378.  und  ausführlicher  mit  Abbildung  des 
.Flosseuskelets  in  Ann.  and  Mag.  of  Nat.  bist.  Blarcb,  4874. 


Deber  das  ATcbipterygiom.        ,  133 

weil  davon  ableitbaren  Flossenskelete  der  Selacbier  Andeutungen  der 
zweizeiligen  Grundform  zu  erkennen  sind,  denn  es  besteht  kein  An- 
hahepunkt  für  die  Annahme  der  Entstehung  der  zweizeiligen  Form  aus 
der  einzeiligen.  Letztere  Frage  hat  daher  gar  nicht  in  Betracht  zu 
kommen. 

Andeutungen  der  Abstammung  der  einzeiKgen  Form  von  der  zwei- 
zeiligen werden  in  Radien  oder  hiervon  ableitbaren  Gebilden  gesucht 
werden  mttssen,  welche  auf  der  medialen  Seite  des  Fiossenstammes 
sitzen,  während  die  laterale  von  der  Hauptmasse  der  Radien  eiifige- 
nommen  wird.  Solche  die  andere  Seite  des  Fiossenstammes  besetzende 
Gebilde  finden  sich  bei  den  Notidaniden  und  Dorn  haien  vor. 

Bereits  in  meiner  zweiten  Arbeit  über  die  Brustflosse  habe  ich 
Darstellungen  dieser  Verhältnisse  gegeben,  jedoch  ohne  eine  nähere 
Erklärung.  Bei  Heptanchus  lagert  dem  in  der  difleranzirteren 
Skeletform  als  Stamm  des  Metapterygium  erscheinenden  Flossenstamme 
ein  langgestrecktes  Knorpelstttck  an.  Auf  Taf.  IX  der  erwähnten  Arbeit 
habe  ich  an  der  in  Fig.  2  dargestellten  Flosse  jenes  Knorpelstttck  ab- 
gebildet. 

An  dem  Knorpelstreif  kann  ausser  seiner  Lagerung  ausserhalb  des 
übrigen  Skeletcoroplexes  nichts  Auffallendes  gefunden  werden.  Es  war 
mir  daher  sehr  werthvoll,  bei  Embryonen  von  Heptanchus  andere  Ver- 
hältnisse anzutreffen.  Das  Flossenskelet  eines  solchen  von  i2  Cm. 
Länge  habe  ich  in  Fig.  %  vergrOssert  dargestellt.  Ausser  Verschieden- 
heiten in  der  Gliederung  der  Radien  ^),  zeigt  jenes  Flossenskelet  das 
fragliche  Knorpelstück  durch  drei  (Fig.  i  r,  r  r^')  dargestellt,  von  denen 
das  terminale  das  Bedeutendste  ist.  An  der  Stelle  des  einfachen  Knorpel- 
streifens besteht  also  hier  ein  gegliedertes,  auch  durdi  grössere  Breite 
ausgezeichnetes  Stück,  welches  viel  bestimmter  als  Radius  gedeutet 
werden  kann^.    Zwei  andere  Embryonen  boten  an  derselben  Stelle 


4)  Auf  die  bezüglich  der  Gliederung  der  Radien  sowie  der  Veii)indang  ein- 
zelner, neben  einander  gelegener  Radienglieder  zu  grösseren  plattenförmigen 
Slttclcen  habe  ich  in  meiner  letzten  Arbeit  über  das  Gliedmaassenskelet ,  Jenaische 
Zeitscbrifli  Bd.  V,  S.  435  aufmerksam  gemacht.  Vergleicht  man  die  gegenwärtig 
von  mir  gegebene  Abbildung  des  genannten  Skeletes  eines  Heptanchus-Embryo, 
mit  den  früher  veröffenUichten  eines  erwachsenen  Thieres  —  beides  nach  genauen 
Zeichnungen  —  so  wird  man  den  hohen  Grad  der  die  Zahl  und  Gliederung  der 
Radien ,  sowie  die  Piattenbildung  betreffenden  Variation  alsbald  wahrnehmen ,  und 
hierin  eine  wichtige  Eigenthümlichkeit  der  Selachier  erkennen  gegenüber  der  Be- 
sländigkoit  der  homologen  Skelettheile  höherer  Organismen. 

5)  Nebenbei  möchte  ich  noch  die  Möglichkeit  hervorheben ,  dass  die  drei  als 
breite  Platten  erscheinenden  Stücke  durch  Goncrescenz  einer  Anzahl  von  Basal- 
gliedern  von  Radien  entstanden  sein  können,  so  dass  sie  nicht  Einen  Radius,  son- 

9* 


C  Gegrabanr, 

lie  zusammen  die  gleiche  AnreihaDg  batteo,  wie  die 
iDten.  In  allen  Fallen  reichten  diese  Stücke  weiter 
isis  empor,  als  beim  erwachsenen  Thiere  das  einzige 
ei^leichung  des  Befundes  an  Embryonen  mit  dem 
rbiere  geht  hervor,  dass  erstlich  ein  Knorpelslrahl 
lite  des  Flossenskeletrandes  besteht,  und  dass  zwei- 
mbryonen  gegliedert  und  viel  umfänghcher  ist,  als 
,  Daraus  muss  eine  im  Laufe  der  individuellen  Eni- 
i  gehende  Heduction  gefolgert  werden ,  die  wieder 
dere  Entfaltung  des  sich  rUckbildenden  Theiles  in 
seh  frühen  Stadium  schliessen  lässt. 
lesitzt  in  der  ausgebildeten  Form  des  Flossenskeiet«s 
if  zweizeiligen  Aufreihung  knorpeliger  Radien  noch 
mmreibe  des  Metapterygiums  sind  nämlich  zwei  Ra- 
gt. In  Fig.  3  habe  ich  den  kritischen  Abschnitt  des 
gebildeten  Flossenskeletes  dargestellt.  Die  beiden 
inden  sich  mit  verschiedenen  Theilen  des  Flossen- 

li  den  Notidaniden  sind  bei  Gentrophorus  Theile 
irpelstrahlen reibe  erhalten.  Bei  Gentrophorus  cal— 
iits  bei  der  ersten  Untersuchung  das  Eigenthttm- 
;  aufgefallen,  aber  ich  glaubte  der  Vorstellung,  dass 
le  Sadienreihe  beziehbare  Einrichtungen  vorliegen, 
Q  zu  dürfen ,  und  habe  aus  der  Vergleichung  des 
Brustflossenskelete  von  Ghimära  geschlossen,  dass 
der  Knorpelstucke  bei  Gentrophorus,  der,  wenn 
n,  ein  ngefiedertes«  Archipterygium  voraussetzen 
Modification  von  StUcken  des  Flossenstemmes  ent- 
irend  ich  die  Deutung  der  eigenthUmlicbon  medialen 
itflossenskeletes  von  Ghimära  auch  gegenwärtig  fest- 
mals  gab,  sie  durch  terminale  Verbreiterung  der  nur 
mmes  zukommenden  Radien  entstenden  erklärend, 
alrophorus    meine  frühere  Annahme  zurück  und 


Radien  repräsentiren.  Die  VcrgleichuDg  mit  Cenlrophonis, 
igspletten  vorkoimnen,  die  bestimmter  auf  eine  Mehrzahl 
jrden  können,  ist  dieser  AufTassuntc  gUnslig,  allein  dennoch 
lieber  begründet,  nnd  muss  die  Beziehung  der  PlaltenotUcke 
ihea,  denn  die  naber  liegende  Vei^leicbung  mit  Hefancbna 
in  einzigen  Radius  hin. 
l.  Bd.  V.  S.  4SI. 


Geber  das  Arehipterygiam.  135 

möchte  den  gesammten  an  6  anliegenden  Theil  des  Flossenskcletes  ^) 
(V  b"  und  die  kurzen  Stücke]  als  eine  aus  medial  der  Stammreihe  ange* 
fügten  Radien  hervorgegangene  Bildung  erachten.  Fig.  5  giebt  auf  bei- 
gegebener Tafel  eine  Darstellung  dieser  Auffassung,  wobei  R  eine 
Knorpelplatte  vorstellt,  die  aus  ebensoviel  Radiengliedem  gebildet  wurde, 
als  discrete  Radienreste  ihr  ansitzen.  Die  mir  erst  in  neuerer  Zeit 
möglich  gewordene  Untersuchung  des  Flossenskeletes  von  Centrophorus 
granulosus  bestärkt  mich  in  dieser  Anschauung.  Der  Stamm  des  Flossen- 
skeletes (Fig.  4)  besteht  aus  drei  Stücken;  der  erste,  sehr  grosse  und 
besonders  in  seiner  Mitte  verbreiterte  (Fig.  4  B)  trägt  \  3  lateral  ge- 
richtete Radien,  das  zweite  b  desgleichen,  die  sämmtlich  ungegliedert 
sind,  und  zum  Theil  in  der  Langsame  der  Flosse  liegen.  Endlich  be- 
steht noch  ein  letztes  Stück  am  Stamme,  welches  radienartig  gestallet 
ist  (6'].  Vor  dem  Basalstücke  der  Stammreihe  lagert  ein  anderes 
schwaches  Basale  (P],  welches  ich  entsprechend  meiner  früheren  Dar- 
legung als  ein  zum  Schultergürtel  getretenes  Basalstück  eines  Radius 
ansehe,  wie  ihnen  denn  noch  mehrere  Radiengliedcr  [q]  folgen.  Was 
die  medial  gelagerten  Radientbeile  angeht,  so  finde  ich  zunächst  eine 
grössere  Platte  (Fig.  4r'),  die  drei  kleinere,  wie  Endglieder  von  Radien 
sich  darstellende  Stücke  trägt,  auf  diese  folgt  eine  zweite  kleinere  (A"). 
Beide  zusammen  entsprechen  der  bei  Centrophorus  calceus  einzigen 
Platte ,  die  ich  zuerst  mit  6'  bezeichnet  und  als  ein  ausnehmend  ver- 
breitertes Stück  der  Stammreihe  gedeutet  hatte.  Wie  an  der  ersten 
Platte  Radiengliedstücke  sitzen ,  so  sind  solche ,  aber  viel  unansehn- 
licher auch  an  der  zweiten  vorhanden.  Nimmt  man  die  Plattenstücke 
R  und  K  bei  Centrophorus  granulosus  als  Theile  verschmolzener  Radien, 
als  mit  einander  verbundene  Gliedstücke  von  Radien,  die  ihre  kurzen, 
rudimentären  Endglieder  frei,  und  den  verschmolzenen  Stücken  angefügt 
erhalten  haben,  so  kommt  man  zu  der  Anschauung  einer  »Fiederung« 
des  Endabschnittes  des  Flossenskeletes,  oder  einer  zweizeiligen  An- 
ordnung von  Radien  an  demselben  Stücke.  In  dem  auf  die  Zeichnung 
des  Flossenskeletes  gelegten  Liniensysteme  habe  ich  diese  Anschauung 
bildlich  dargestellt. 

Geringer  sind  die  Reste  von  medialen  Radien ,  welche  von  mir  bei 
Acanthias  vulgaris  wahrgenommen  sind.  Am  ausgewachsenen 
Thiere  besteht  nur  ein  einziges  hieher  beziehbares  Knorpelstückchen. 
Ich  habe  es  in  meinen  Untersuchungen  (zweites  Heft  auf  Taf.  IX.  in 
Fig.  4)  mit  dem  gesammten  Skelete  der  Brustflosse  abgebildet,  ohne 
ihm  eine  besondere  Bezeichnung  gegeben  zu  haben.    In  ganz  anderer 


4)  Ibid.  Taf.  XVI,  Fig  ts. 


136  C.  Gegenbaiir, 

Weise  verhalteD  sich  die  Brustflossenskelete  von  Embryonen,  die  über- 
aus deutliche  Reste  einer  zweiten  medialen  Serie  von  Radien  zu 
erkennen  geben.  Ich  finde  das  zweite  Gliedstück  des  Flossenstammes 
(in  meiner  früher  gegebenen  Figur  [Fig.  4]  mit  mi  bezeichnet)  lateral 
mit  3 — 4  Radien  besetzt,  welche,  zum  Theil  ungegliedert,  den  hin- 
tersten Vorsprung  der  Flosse  bilden  (Fig.  6) ,  Der  vorletzte  und  letzte 
Strahl  ist  kürzer,  und  daran  reiht  sich  ein  radienartiges  Knorpel- 
stück, welches  dem  Ende  der  Stammglieder  ansitzt.  Ich  deute  es  nicht 
als  Radius,  sondern  als  Terminalglied  der  Stammreihe  [B)y  denn  es 
trägt  medial  in  einem  Ausschnitte  ein  Radienrudiment.  Aufwärts  folgt 
an  der  medialen  Seite  des  zweiten  Stammgliedes  ein  discreter  zwei- 
gliedriger Strahl,  an  welchen  dann  noch  zwei  Radien  sich  anschliessend 
die  aber  mittels  eines  gemeinsamen  Plattenstückes  [R)  an  dem  genannten 
Stammglied  sitzen.  Auf  das  Plattenstück  folgt  noch  ein  kleines  Knor- 
pelchen, das  vielleicht  ein  Rudiment  eines  fünften  medialen  Radius 
repräsentirt.  So  wären  also  mindestens  vier  der  medialen  Seite  des 
Flossenstammes  aufgereihte  Knocpelstrahlen  vorhanden,  die  am  ausge- 
bildeten Flossenskelete  nicht  mehr  unterscheidbar  sind,  indem  sie  thcil- 
weise  unter  einander  verschmelzen,  theilweise  sich  rückbilden.  Die 
bei  Acanthias  klare  und  zweifellose  Beziehung  der  medial  dem  Flossen- 
stamme ansitzenden  Stücke  auf  Radien  dient  auch  zur  Erläuterung  der 
Einrichtungen  bei  Centrophorus.  Die  bei  Acanthias  zwei  Radien  tra- 
gende Knorpelplatte  nämlich,  welche  unbedenklich  aus  zwei  ver- 
schmolzenen Basalgliedem  von  Radien  entstanden  zu  deuten  ist, 
erscheint  bei  Centrophorus  granulosus  in  viel  umfänglicher  Form  und 
wird  gemäss  der  Anzahl  der  ihr  ansitzenden  Rudimente  von  Radien  aus 
den  Basalstücken  von  drei  solchen  entstanden  sein.  Aehnliches  gilt 
auch  von  dem  folgenden  Stü(^e  (Fig.  4  K) .  Wie  sich  nun  von  Acan- 
thias aus  das  Verhalten  des  Centrophorus  granulosus  erklären  lässt,  so  ist 
von  diesem  her  Centrophorus  calceus  zu  verstehen,  und  das  oben 
Aufgestellte  erweist  sieh  durch  die  Vergleichung  sicher  begründbar. 
Damit  fällt  auch  meine  frühere  Deutung  des  grossen  Plattenstückes 
(Fig.  5  K) ,  welches  medial  dem  Flossenstamme  ansitzt,  und  nunmehr 
als  durch  Goncrescenz  einer  Anzahl  von  Basalgliedem  von  Radien  entr- 
standen  beurtheilt  werden  muss.  Es  tritt  also  auch  an  diesem  Theile 
des  Flossenskeletes  eine  Erscheinung  auf,  deren  verbreitetes  Vor- 
kommen für  die  lateralen  Radien  von  mir  nadigewiesen  worden  ist, 
und  zwar  gleichfalls  am  häufigsten  an  den  Basen  der  Radien ,  also  an 
denselben  Tbeilen,  welche  an  den  medialen  Radien  durch  den  gleichen 
Vorgang  in  Anspruch  genommen  sind. 

Somit  bestehen  am   letzten  Abschnitte  des  Meta- 


üeber  (hs  Accbiptery^pnm.  137 

• 

pterygiams  der  Brustflosse  bei  manchen  Haiea  Reste 
einer  medial  dem  Flossenstamme  ansitzenden  Reihe 
knorpeliger  Flossenstrahlen,  die  in  den  Jugendzuständen 
ausgebildeter  sind,  als  bei  erwachsenen  Tbieren,  und  demnach  noch 
innerhalb  der  individuellen  Entwickelung  einen  Rttckbildungsprocess 
durchmachen.  Hieraus  ergiebt  sich  eine  theilweise  Uebereinstimmung 
mit  dem  Flossenskelete  von  Ceratodus,  so  dass  eiine  Vergleichung  beider 
berücksichtigt  werden  kann. 

Der  gefiederte  Endabschnitt  des  Flossenskeletes  von  Haien  zeigt 
in  allen  zur  Untersuchung  genommenen  Fällen  eine  Ungleichheit  der 
Ausbildung  der  beiderseitigen  Radien.  Die  medialen  sind  bedeutend 
kürzer  als  die  lateralen,  von  denen  ein  Theil  durch  überwiegende  Län- 
genausdehnung den  hinteren  Winkel  des  Flossenskeletes  vorstellt.  Das 
Ende  des  Flossenstammes  ist  dadurch  in  eine  untergeordnete  Beziehung 
gebracht,  nidem  er^  aus  der  ihm  gebührenden  terminalen  SteUung  in 
eine  laterale  getreten  ist.  Das  dieses  Verhältniss  bedingende  Moment 
ist  sehr  leicht  einzusehen ,  da  es  in  der  Yergrösserung,  namentlich  in 
der  terminalen  Verbreiterung  der  lateralen  Radien  beruht,  s^wie  in 
einer  lateralen  Verbreiterung  des  Basalstückes  des  Fl^ssenstammes,  bei 
Acanthias  und  den  Notidaniden  auch  noch  in  Veränderungen  der  Basis 
zum  Schultergürtel  gelangter  lateraler  Radien,  die  hier  durch  Con- 
crescenz  grosse  PlattenstUcke,  die  Basalia  des  Pro<-  und  Metapterygiums, 
formirt  haben. 

Des  terminale  Verhalten  des  BrusUlossenskeletes  ist  in  Bezug  auf 
das  Ende  des  Fiossenstammes  bei  den  einzelnen  Formen  siemlich  ver- 
schieden. Bei  Heptanohus  bildet  der  Flossenstamm  das  hintere  Ende 
des  Flossenskeletes ,  deutlicher  zwar  bei  Embryonen ,  aber  auch  noch 
beim  ausgebildeten  Thiere.  Hexanchus  hat  den  Flossenstamm  terminal 
minder  entwickelt,  und  die  lateralen  Radien  ragen  übei*  den  letzteren 
vor,  darin  einen  Uebergang  zu  Acanthias  darbietend,  dessen  Flosse- 
skelet  in  noch  höherem  Maasse  mü  lateralen  Radien  abschliesst.  Bei 
Gentropborus  endlich  ist  die  erwähnte  Umwandlung  durch  Ver- 
längerung der  das  hintere  Ende  vorstellenden  Radien  weiter  gebildet. 
Neben  der  Entwickelung  der  lateralen  Radien  ist  es  die  Rückbildung 
der  medialen,  welche  lOr  die  Lageveränderung  des  Fiossenstammes 
mitwirkt  I  und  darin  wohl  als  ebenso  bedeutungsvoll  wird  erkannt 
werden  dürfen. 

Aus  dem  Nachweise  eines  gefiederten  Abschnittes  am 
Bmstflossenskelete  der  Haie,  ergiebt  sich  nothwendig  die  Voraus- 
setzung einer  anderen  Grundform,  als  die  von  mir  früher  angenommene, 
an  welcher  der  Flossenstamm  nur  laterale  Strahlen  trug.   Die  Grund- 


form  wird  vielmehr  zwei  Reihen  von  Radien,  laterale 
und  mediale,  am  Flossenstamme  tragen,  das  Archypte- 
rygium  wird  also  ein  gefiedertes  sein  müssen,  und  darin 
mit  der  Form  übereinstimmen,  die  bei  Gera  todus  sieb  erhallen  hat. 
Aus  dem  verschiedenen  Grade  der  Reduction  der  medialen  Radienreibc 
ergiebt  sieb  eine  Reihe  von  Uebergangsformcn  vom  einzeiligen  zum  ge- 
fiederten Archipte rygium.  Ich  nehme  daher  das  einzeilige  Arcbipto- 
rygium  nur  als  einen  secundären ,  aus  dem  doppeUeiligen  oder  ge6o- 
dcrtcn  Archiptc rygium  entstandenen  Zustand  an ,  bei  dem  die  mediale 
Reihe  der  Knorpelradien  sich  rUckbildete,  entweder  vollständig  oder  bis 
auf  einige  Reste  von  Radien ,  die  ich  vorhin  bei  mehreren  Kaien  als 
Zeugniss  für  die  Fiederung  aufdeckte.  Bei  diesen  Haien  hat  sich  also 
vom  primären  Archipterygium  mehr  erhalten  als  bei  den  übrigen  Haien 
und  allen  Rochen,  femer  den  ChtmSren  und  DipnoT ,  bei  denen  nur  die 
umgewandelte,  einzeilige  Form  besiebt,  die  auch  dem  Skelele  der 
Hinlergliedmaasse  ausschliesslich  zukommt. 

Wenn  nun  das  primäre  oder  gefiederle  Archipterygium ,  von  dem 
•  ich  in  F^.  1  eine  schemalische  Darstellung  gab,  noch  in  Flossenskeletc 
einiger  Selachier  erkannt  werden  kann,  so  werden  sich  die  Selachier  in 
dieser  Beziehung  tiefer  stellen  als  die  übrigen  Fische ,  deren  Flossen- 
skelet  von  der  Fiederung  keinerlei  Spuren  mehr  aufweist ,  also  von  der 
primitiven  Form  noch  weiter  entfernt  ist  als  jenes  der  Selachier. 

Was  noch  die  Beziehungen  des  primären  Arcbipterygtums  zu  den 
verschiedenen  Flossenskeleten  der  Fische,  sowie  zum  Skelet  der  Glied- 
maassen  der  höheren  Wirbelthiere  betrißl,  so  ist  meine  früher  gegebene 
Darstellung  dieser  Verbültnissc  dadurch  nur  sehr  wenig  berührt,  und 
ich  muss  sie  selbst -nach  der  Kenntniss  der  älteren  Grundform  voll- 
stündig  aufrecht  erhalten,  eben  weil  der  überwiegenden  Hchrzabi 
der  Abtheilungen  nur  die  secundäre,  aus  der  ersten  entstandene 
Archipterygiumform  zu  Grunde  liegt.  Ausser  den  Selachiern ,  bei 
denen  die  zweizeilige  Form  des  Archipterygium  in  die  einzeilige  über- 
geht, besitzt  vielleicht  nur  noch  Polypterus  unter  den  lebenden 
Ganolden  das  primäre  Archipterygium  im  Flossonskelete ,  und  würde 
sich  dadurch  sehr  scharf  von  den  übrigen  Verwandten  ablicnncn, 
welchem  Verhältnisse,  HuxtBv 'j  in  Vereinigung  dieser  Gattung  mit 
fossilen  Ganoldcn  zur  Abtheilung  der  Crossopterygidac  auf  Grund 
der  gewiss   auch   mit    dem    Skelele    zusammenhängenden    äusseren 


1)  Memoirs  of  the  (ieologicsl  Survpy  of  the  united  KiogdciD 
ecriptioDB  Dec.  X.  London  IB61.  5.  14. 


Deber  das  Anbipieryji^uin.  139 

Gestaltung  der  paarigen  Flossen  Ausdruck  gab.  Ich  halte  es  nun  für 
nicht  gerade  unmöglich,  dass  das  Brastflossenskelet  von  Polypterus  von 
einem  gefiederten  Archipterygium  abgeleitet  werden  könnte.  Eine  nach 
dieser  Richtung  vorgenommene  Vergleichung  ergäbe  Folgendes.  Die  im 
ersten  Abschnitt  des  Bnistflossenskeletes  befindliche  grosse,  zum  Theil 
knorpelige  Platte  M^ttrde  dem  an  Länge  sehr  reducirten  und  auch  der 
Gliederung  entbehrenden  Flossenstamme  entsprechen,  an  dem  der 
ursprünglich  an  beiden  Seiten  mit  Radien  besetzte  Rand  durch  den 
hinteren  im  Bogen  geschweiften  Rand  repräsentirt  wäre.  Die  beiden, 
dem  platten  Mittelstücke  (ms  in  Fig.  6  auf  Taf.  VIIl  meiner  Unter- 
suchungen 11)  angefügten  cylindrischen  Knochen  (p  und  mt  in  derselben 
Figur),  wären  selbständig  dem  Schultergürtel  articulirende  Radien, 
und  erschienen  dadurch  den  am  verkürzten  Flossenstamm  befindlichen 
Radien  gleichwerthig.  Sie  entsprächen  dabei  zweien  jener  Radien ,  die 
boiCeratodus  in  grösserer  Zahl  dem  Schultergürtel  anzusitzen  scheinen. 
Bei  dieser  Deutung  bestände  das  Auffallende ,  dass  gerade  die  den 
Flossenstamm  (ms)  repräsentirende  Platte  keine  dirccte  Verbindung  mit 
dem  Schultergürtel  besitzt,  dass  sie  durch  Radien  daraus  verdrängt 
wäre.  Ich  sehe  darin  jedoch  keinen  belangreichen  Grund  gegen  die 
versuchte  Deutung ,  denn  auch  bei  Haien  trifft  sich  nicht  selten  eine 
Verdrängung  des  Flossenstammes  vom  Schultergürtel.  Ich  zeigte 
dieses  bei  Cestracion,  wo  das  aus  verschmolzenen  Radien  ent- 
standene Basale  des  Mesopterygiums  jene  Articulation  bildet,  dann 
hei  Acanthias,  wo  auch  noch  das  Propterygium  mit  einem  Basalstückc 
im  Schultergelenk 0  articulirt,  während  das  dem  Flossenstamme  angc- 
hörige  Basalstück  des  Metapterygiums  in  beiden  Fällen  davon  ausge- 
schlossen ist.  Einen  Grund  gegen  die  direcle  Ableitung  des  Bnist- 
flossenskeletes von  Polypterus  aus  einem  gefiederten  Archipterygium 
möchte  ich  vielmehr  aus  dem  Verhalten  der  Bauchflosse  nehmen,  deren 
Skolet  aus  vier  lateralwärts  an  Grösse  abnehmenden  Knochenstücken 
besteht,  welche  in  ihrer  Anordnung  auch  gar  nichts  auf  die  primäre 
Archipterygiumform  beziehbares  erkennen  lassen.  Sie  erscheinen  viel- 
mehr, ähnlich  wie  bei  anderen  lebenden  GanoYden,  nur  von  der  ein- 
zeiligen Grundform  ableitbar. 

Wäre  also  die  obenerwähnte  Deutung  des  Bnistflossenskeletes 
richtig ,  so  würde  dieser  Theil  ein  vollständiges,  wenn  auch  in 
seinem  Stamme  sehr  verändertes  primäres  Archipterygium  vorstellen, 
während  die  Bauchflosse  gar  nichts  davon  darbietet,  da  sie  nur  Skelet- 
theile enthält,  die,  wie  bei  andern  GanoYden  und  Teleostiern,  ausser- 
ordentliche Reductionen  der  einzeiligen  Grundform  erkennen  lassen. 
Die  bei  jener  Voraussetzung  so  grossartige  Verschiedenheit  des 


öeber  das  Arehipteryf^inin.  141 


Eifclinuig  der  ibbildimgeD. 


Tafel  X. 

Fi(;.     4.     Schematische  Darstellung  des  zweizeiligen    (gefiederten)   Arcbipte- 

rygiums,   vorzüglich  nach  Maassgabe  der  von  Günther  bei  Cera- 

.todus  nachgewiesenen  Form  des  Glied maassenskelctcs. 

Fig.     3.     Skolet  der  Brustflosse  eines  42  Cm.  langen  Embryo  von  Heptanchus 

cinereus.  46  Mal  vergrössert.    Zur  Vergleichung  diene  die  Darstellung 

desselben  Skelets ,  die  ich  von  einem  erwachsenen  Thiore  auf  Taf.  IX, 

Fig.  %  meiner  Untersuchungen  Heft  H,  gegeben  habe. 

Fig.     8.     Hinterende  des  Brustflossenskeletes  von  Uexanchus  grise US.    Copie 

eines  Theiles  der  Fig.  4  auf  Taf.  IX  der  Untersuchungen  Heft  U. 
Fig.     4.     Brustflossenskelet  von  Centrophorus  granulosus. 
Fig.     5.     Hinterende  und  Innenrand  des  Brustflossenskeletes  von  Centrophorus 
calceus.    (C.  crepidalbus.)    Copie  eines  Theils  von   Fig.  25   auf 
Taf.  XVI  des  V.  Bandes  der  Jenaischen  Zeitschrift. 
Fig.    6.    Brustflossenskelet  eines  24  Cm.  langen  Embryo  von  Acanthias  vul- 
garis. 4  Mal  vergrössert.    Vergl.  hiermit  die  Darstellung  eines  Erwach- 
senen in  Fig.  4»  Taf.  IX  meiner  Untersuchungen  II. 
Von  den  rothen  Linien  bezeichnet  die  stärkere,  durch  das  Metapterygium  ge- 
legte, den  Stamm  des  primären  Flossenskeletes  (Archipterygium),  die  feinen  von 
der  Stärkeren  ausgehenden  Linien  bezeichnen  die  an  beiden  Seiten  des  Flossen- 
stammes befindlichen  Radien. 

B,  B,  B  .  ,  .  ,  Stücke  des  Flossenstammes. 

rrr..  Radien. 

ms  Basale  des  Mesopterygiums. 

P  Basale  des  Propterygiums. 

g  Modificirte  Radienglieder. 

H  Aus  Verschmelzung  von  Radiengliedcrn  entstandene  Platten. 


üeber  Dreifaehbildnii^n.  143 

anzeigen,  dass  auch  meine  neueren  Versuche,  durch  mechanische  Ein- 
griffe, Einschneiden,  Einkneipen  oder  Einreissen  des  Schwanzes  von 
Froschlarven  künstliche  Doppelschiwänze  zu  erzeugen ,  vergeblich 
gewesen  sind,  sowie  es  mir  auch  nicht  vorgekommen  ist,  dass  ein 
verstümmelter  Schwanz  überhaupt  sich  als  Doppelschwanz  regenerirt 
hätte,  obgleich  solche  Fälle,  ja  sogar  dreifache  Schwänze  bei  Eidechsen 
wiederholt  von  Andern  und  von  mir  selbst  beobachtet  worden  sind  ^). 
Ich  habe  daher  alle  Ursache,  an  der  früher  aufgestellten  Unterscheidung 
von  Fehlern  der  ersten  und  der  zweiten  Bildung  bei  Froschlarven 
festzuhalten,  und  hoffe,  dass  die  nunmehr  mitzutheilende  Wahrnehmung 
einer  Verdreifachung  der  Chorda  dorsalis  ein  erhöhtes  In- 
teresse verdient  ^) . 

Die  Beobachtung,  welche  ich  gegenwärtig  mitzutheilen  habe,  ist 
schon  ziemlich  alt,  sie  wurde  von  mir  schon  gemacht,  ehe  dieSeparat- 
abdrückc  meiner  letzten  Abhandlung  in  meinen  Händen  waren,  doch 
unterliess  ich  es  damals,  derselben  etwa  noch  einen  Anhang  beizu- 
fügen, einestheils,  weil  ich  hoffte,  vielleicht  noch  weitere  ähnliche  Fälle 
aufzeigen  zu  können ,  andemtheils  aber ,  weil  ich  Angesichts  der 
ersten  und  einzigen  Triplicität,  die  mir  bis  jetzt  zur  An- 
schauung gekommen  ist,  wirklich  nicht  sofort  über  die  theoretische 
Auffassung  und  Beurtheilung  derselben  mit  mir  einig  war.  Eine 
sorgfilUige  Durchsicht  und  Prüfung  der  mir  zugänglichen  Literatur  in 
Verbindung   mit  den   fragmentarischen  Aufzeichnungen  aus  dem   in 


1)  S.  J.  Gbopfiot  St.  Hilaire  1.  p.  5i0.  Otto,  monstrorom  sexcentorutn  de- 
srriptio.  p.  445  u.  a.  in. 

2}  leb  habe  seitdem  Gelef^enheit  gehabt ,  die  citirte  Mittheilung  von  A.  Vulpian 
über  künstlich  erzeugte  Doppelbildungen  bei  Froschlarven  (Gazette  m^d.  4  869,, 
p.  488)  im  Originale  nachzusehen,  wo  sich  denn  ein  sehr  massiges  Resultat 
herausstellte.  Spaltung  des  Kopfes  bei  ganz  jungen  Larven  führte  entweder  zu  bal- 
diger Wiederverheilung  oder  zu  einfacher  Vornarbung.  Spaltung  des  Schwanzes  in 
eine  obere  und  untere  Httlfte  (eine  seitliche  misslang  immer) ,  womöglich  in  der 
Mitte  der  Wirbclsegmente,  führte  entweder  zum  Abfallen  der  einen  Hölfle  und 
vollständiger  Ausbildung  der  anderen  Hälfte,  oder  beide  Schenkel  fielen  ab  und 
das  Organ  regenerirte  sich  in  seiner  Totalität.  Bei  einem  einzelnen  Exemplare 
blieben  beide  Hlilften  in  situ  und  verheilten  wieder  zu  einem  einfachen 
Schwänze ,  und  bei  einem  anderen  entstand  an  der  Stelle  der  abgefallenen  Hälfte 
eine  neue  Achse  mit  Muskeln  und  Flosse,  demnach  ein  ganz  neuer  Schwanz, 
auf  der  alten  Achse  aufsitzend,  während  die  obere  Hälfte  sich  ebenfalls  ergänzte. 
Vdlpiah  hält  demnach  selbst  weitere  Untersuchungen  für  nötbig. 

Regeneration  des  Schwanzes  der  Kroschlarven  und  selbst  der  Extremitäten 
bei  sehr  jungen  Larven  ist  auch  von  A.  GiinrnBa  (S.  R.  Owen,  anatomy  of  vcrte- 
brates.  Vol.  I.  4866,  p.  567)  beobachtet  worden,  wobei  von  künstlich  erzeugten 
Doppelbildungen  Nichts  erwähnt  wird. 


144  0.  Bf  neb, 

Sammlungen  zum  Theil  vor  sehr  langer  Zeit  Gesehenen,  hat  inzwischen 
mein  Urtheil  gereift  und  giebt  mir,  wie  ich  hoffe ^  die  Berechtigung, 
auch  diese  letzte  noch  übrige  Frage  aus  dem  Gebiet  der  Mehrfachbil- 
düngen  einer  näheren  Besprechung  zu  unterziehen.  Ich  giaube  diese 
um  so  eher  verantworten  zu  können ,  als  mir  in  der  That  kein  Schrift^ 
steiler  bekannt  ist,  welcher  sich  seit  J.  Gboffroy  St.  Qilairr  mehr  als 
ganz  beiläufig  und  in  den  allgemeinsten' Ausdrücken  über  die  Ent- 
stehung uhd  Gesetzmässigkeiten  der  Triplicitäten  ausgesprochen  hätte, 
während  Andre  sie  entweder  ganz  unerwähnt  Hessen  oder  höchstens 
im  System  als  Titelrubrik  der  Vollständigkeit  wegen  aufführten. 

J.  Geopfroy  St.  Hilaire  widmet  den  »Monströs  triples  et  pr6tendus 
monströs  plus  que  triples«  nicht  nur  einen  besonderen  Abschnitt  in  der 
Lehre  von  den  »zusammengesetzten  Missbildungen«  (Livrell.  Chap.XII), 
sondeni  er  giebt  auch  eine  bis  ins  Einzelne  fertige  und  vollständige 
Theorie  derselben,  welche  sich  begreiflicherweise  aufs  Engste  an  seine 
bekannte  Theorie  der  Doppelbildungen  anschliesst,  aber  um  so  mehr 
geeignet  ist,  die  Kritik  herauszufordern,  als  das  Material  hier  so  unver- 
hältnissmässig  viel  spärlicher  vorliegt  und  er  selbst  sich  nur  auf  eine 
einzige  eigene  Beobachtung  stützen  kann.  Bei  der  ausgezeichneten 
logischen  Anordnung  und  Consequenz  in  GeoffroVs  Systeme  ergeben 
sich  keine  wesentlich  anderen  Einwürfe,  als  diejenigen,  welche  schon 
von  Andern  und  auch  von  mir  gegen  seine  Theorie  der  Doppelbildungen 
geltend  gemacht  worden  sind,  Einwürfe  übrigens,  welche  gerade  im 
Gebiete  der  Dreifachbildungen  bedeutend  an  Gewicht  gewinnen  und, 
wie  ich  glaubq ,  dazu  beitragen  werden ,  die  Grundfrage  zum  völligen 
Austrage  zu  bringen. 

Dem  schon  früher  befolgten  Verfahren  gemäss  stelle  ich  auch  hier 
zunächst  die  gemachte  Beobachtung  voraus,  welche,  wie  die  früheren, 
den  Schwank  der  Froschlarven  und  zwar  bei  Pelobates  fuscus,  und, 
worauf  ich  ein  besonderes  Gewicht  lege,  die  einzige  Missbildung  be- 
trifft, welche  in  einer  durch  Rörpergrösse  ausgezeichneten,  wohl- 
genährten ,  im  Ganzen  aber  nicht  sehr  zahlreichen  Brut  dieser  Species 
vorkam.  Ich  begegnete  derselben  das  erstemal  ajn  2f .  Juli  4867  an 
einem  Orte,  den  ich  früher  schon  besucht  hatte,  ohne  auf  die  Bewoh- 
nerschaft aufmerksam  geworden  zu  sein.  Auch  war  es  mein  Sohn, 
welcher  mich  zuerst  auf  die  letztere  aufmerksam  machte,  und  es  be- 
durfte eines  mit  der  Hand  aus  dem  mit  Wassergewächsen  stark  ver- 
wachsenen Graben  herausgegriffenen  Exemplars,  um  mich  von  ihrer 
Gegenwart  zu  überzeugen.  Das  von  den  gewohnten  Erscheinungen 
Abweichende  lag  einestheils  in  der  ungewöhnlichen.  Alles  bisher  Ge- 
sehene übersteigenden  Grösse  der  Larven,  anderntheih  in  ihrer  ebenso 


Ueber  Orvif^hbildungen.  145 

nngewöhnlicb  dunkeln ,  brUunlichon ,  ja  dunkelbraunen  Hautfarbe, 
zugleich  aber  auch  in  der  bei  der  vorgerückten  Jahreszeit  sehr  fort- 
geschrittenen Entwicklung  der  Larven,  die  zum  Theil  schon  mit  vier, 
grösstentheils  aber  mit  zwei  Beinen  versehen  waren.  Ich  hatte  daher 
die  starken  Bewegungen ,  welche  diese  Geschöpfe  im  Wasser  bei  der 
Annäherung  machten,  nicht  auf  Proschiarven,  sondern  auf  ausgewachsene 
oder  mindestens  einjSlhrige  Frösche  bezogen. 

Dieser  Wassergraben  lag  an  einem  ziemKch  hohen  Rain  unter 
schattigen  Bäumen,  war  etwa  anderthalb  Puss  tief,  der  Boden  stark 
bewachsen ,  die  Bewohner  daher  sehr  geschützt  und  geeignet  sieh  zu 
verbergen,  efben  deshalb  ausserordentlich  gut  genährt.  Bei  niiherer 
Untersuchung  des  Darrainhalts  stellte  sich  heraus,  dass  derseU^e  aus 
grossen  Schlammmassen  bestand ,  welche  gleich  dem  Schlamme ,  wel- 
cher den  Boden  des  Grabens  bildete,  zahlreiche  mikroskopische  Pflan- 
zengebilde (aber  durchaus  keine  abgenagte  POanzentheile)  enthielt^). 
Diese  Larven  waren  daher  fast  reine  Pflanzenfresser,  woraus  sich  viel- 
leicht, bei  dem  relativen  Ueberfluss  an  Nahrung,  ihre  ungewöhnliche 
Grösse  erklärt.  Bei  der  diesjährigen  Kälte  und  dem  fast  beständig  herr- 
schenden Regen  war  die  sonst  vorherrschende  mikroskopische  Fauna 
fast  ganz  ausgeblieben.  Eine  andere  Brut  von  Pelobates  fuscus,  welche 
sich  in  einem  benachbarten,  ganz  flachen  und  offenen  Graben  ohne 
alle  Vegetation  und  mit  reinem  Sandboden  entwickelt  hatte,  war  in  der 
Entwicklung  lange  nicht  so  weit  vorgerückt  und  zeigte  die  gewöhn- 
liche blass-oli venartige  Färbung  und  eine  viel  geringere  Grösse,  so  dass 
ein  Ungeübter  beiderlei  Larven  schwerlich  für  derselben  Species  ange- 
hörige  gehalten  haben  würde.  Zweifelte  ich  doch  selbst  anfangs,  ob 
ich  es  hier  mit  Pelobates  fuscus  und  nicht  etwa  mit  einer  irgend  wie 
hierher  versieh lagenen  Brut  des  südlichen  Pelobates  cultripes  zu  thun 
habe,  bis  die  Beobachtung  der  weiteren  Entwicklungsstufen,  der  Me- 
tamorphose und  der  damit  bei  allen  Individuen  deutlich  werdende 
Geschlechtsunterschied  in  der  Grösse  und  Färbung,  meine  Zweifel 
beseitigte.  Dabei  muss  ich  hervorheben ,  dass  diese  Unterschiede  bei 
der  Riesenbrut  ungewöhnlich  früh  eintraten  und  die  charakteristische 
Färbung  der  erwachsenen  Thiere,  braun  und  weiss  mit  rothen  Punkten 
hei  den  Weibchen,  olivenfarbig  mit  schmutzigerem  Weiss  bei  den 
Männchen,  bei  beiden  dunkler  als  beim  ausgewachsenen  Thier,  schon 
auftrat,  ehe  die  jungen  Fröschchen  die  Schwänze  völlig  verloren  und 
das  Wasser  vcrliessen.  Noch  ist  zu  bemerken ,  dass  sich  in  demselben 
Graben  Larven'  von  Rana  esculenta  befanden ,  welche  ebenfalls  durch 


i)  S.  meine  früheren  Mitthcilnngen  darüber.  Zoolog.  Garton.  V.  4864.  S.  S55. 


146  C.  Bruch, 

besondere  Grösse  und  dunklere  Eärbung  ausgezeichnet  waren ,  so  dass 
an  dem  Einflüsse  der  Localität  auf  diese  Verhältnisse  nicht  weiter  zu 
zweifeln  war. 

Vom  21 .  Juli  bis  Anfang  August  sammelte  ich  bei  täglichem  Be- 
suche in  diesem  Graben  etwa  60  Larven  von  Pelobates  von  verschie- 
denen Entwicklungsstufen,  alle  der  grossen  Brut  angehörig  und  durch- 
weg 9,5  bis  40,5  Gentim.  in  der  Länge  ^).  Nach  diesem  Zeitpunkte 
wurde  keine  mehr  wahrgenommen,  auch  hatten  die  letzten  ihre 
Entwicklung  beinahe  vollendet.  Es  ist  zwar  möglich,  dass  einige  mir 
entgangen  sind  und  das  Wasser  schon  früher  verlassen  haben ,  da  bei 
allen  Brüten  einzelne  Individuen  den  andern  in  der  Entwicklung 
voraus  sind,  allein  es  ist  mit*  doch  nicht  wahrscheinlich,  dass  Viele  in 
diesem  Falle  waren,  da  fast  alle  von  mir  aufgefundenen  noch  voll- 
ständige Schwänze  hatten  und  diese  Art  das  Wasser  nicht  verlässt, 
bevor  die  Metamorphose  vollendet  ist.  Andererseits  spricfiit  auch  die 
viel  weniger  vorgeschrittene  Entwicklung  der  benachbarten  Brüten, 
die  kühlere  Lage  des  betreffenden  Grabens  und  die  herrschende  kühle 
Witterung  gegen  eine  vorschnelle  Metamorphose,  welche  um  diese  Jah- 
reszeit sonst  normal  eintritt^). 


4)  Die  grössten  Larven  von  Rana  esculenta,  welche  mir  vorgekommen  sind, 
massen  nicht  über  7,5,  einige  Larven  von  Cultripes  provincialis ,  welche  ich  der 
Güte  des  Herrn  Prof.  Köllikbr  verdanke,  nicht  über  8  Ctm. 

2)  Eine  Anzahl  der  der  Metamorphose  nahen  Larven  behielt  ich  lebendig  bis 
zum  Eintritt  des  Winters  und  hatte  dabei  Gelegenheit  zu  beobachten,  wie  die  an- 
fangs runde  Pupille  allmählich  in  die  senkrecht  gespaltene  Form  übergeht, 
welche  Pelobates  eigen  ist.  Dies  geschieht  nicht  plötzlich ,  sondern  allmählich ,  in- 
dem die  runde  Pupille  erst  zur  Zeit,  wo  die  vorderen  Extremitäten  anfangen,  sich 
unter  der  Haut  zu  bewegen  und  durch  das  Athemloch  durchzubrechen,  eine  rhom- 
bische Gestalt  annimmt,  welche  dann  beim  Eingehen  des  Schwanzes  in  die  spalt- 
förmige  übergeht,  so  dass  Pelobates  bei  der  Gestaltung  seiner  Pupille 
Formen  durchläuft,  welche  bei  anderen  einheimischen  Ba- 
trachicrn  permanent  vorkommen  und  früher  von  mir  beschrieben  worden 
sind.  (S.  Würzb.  naturwissensch.  Zeilschrift.  IV.  S.  92  ff.,  97,  128;  HI.  S.  220.) 

Interessant  war  es  auch  zu  sehen,  wie  die  in  Gefangenschaft  gehaltenen 
reifen  Larven  von  Pelobates  fuscus  sich  einzugraben  anfingen,  sobald  sie  auf 
trockene  Erde  gebracht  wurden  (s.  Bd.  HL  S.  487),  ehe  noch  die  Metamor- 
phose vollendet  war,  obgleich  sie  dies  im  Naturzustande  freiwillig  nicht  thun. 
Anfangs  sassen  sie  zwar  ganz  ruhig  und  platt  auf  der  Erde  und  machten  keine  Be- 
wegungen, welche  auf  Unbehagen  oder  auf  eine  bestimmte  Absicht,  sich  ihrer  un- 
gewohnten Lage  zu  entziehen ,  hinwies.  Nur  suchten  sie  allzugreller  Beleuchtung 
stets  auszuweichen.  Tippte  ich  sie  auf  den  Kopf,  so  duckten  sie  sich  einfach  nieder 
und  drückten  sich  fester  anf  die  Erde.  Tippte  ich  von  neuem ,  so  begannen  sofort 
Scharrbewegungen  mit  den  Hinterbeinen,  um  sich   iu  den   Erdlioden  zurückzu- 


Ueber  Dreifaehbildniigen.  147 

Am  23.  Juli  1867  erhielt  ich  aus  dem  beschriebenen  Wassergraben 
die  Taf.  XI  Fig.  1  in  natürlicher  Grösse  mittelst  der  geometrischen 
Methode  abgebildete,  der  Metamorphose  schon  sehr  nahe  Larve  von 
Pelobates  fuscus,  welche  mir  schon  im  Wasser  durch  die  Breite  ihres 
Schwanzes  auffiel  und  beim  Herausnehmen  aus  dem  Schöpfer  sofort  als 
Dreifachbildung  erkannt  wurde.  Ihre  ungewöhnliche  Grösse  fällt 
ins  Auge ,  wenn  man  sie  mit  den  früher  ^]  abgebildeten  Larven  ver- 
gleicht, nähert  sich  im  Längsdurchmesser  der  ebenfalls  schon  früher^] 
abgebildeten  Larve  mit  »absolut  zu  langem  Schwanz«,  in  der  Art,  dass 
der  Schwanz  unserer  Dreifachbildung  jenen  immer  noch  abertrifft,  aber 


sieben ,  was  auch  in  der  bekannten  spiralig  sieb  drehenden  Bewegung  des  Hinter- 
leibes erfolgte.  Wir  haben  hier  einen  weiteren  Beweis  zu  den  unzähligen  anderen, 
dass  die  sogenannten  »Instincte«  der  Thiere  mit  der  Organisation  angeboren ,  nicht 
durch  Erfahrung  und  Unterricht  erworben  sind,  obgleich  man  den  Einfluss  der 
letzteren  nicht  unterschätzen  darf  und  es  gefehlt  wäre .  den  Thieren  die  Benutzung 
der  Erfahrung  Anderer  und  der  eignen  abzusprechen.  Den  sprechendsten  Beweis 
der  letzteren  liefert  die  schon  früher  besprochene  Scheuheit  der  Froscblarven  in 
solchen  Wasserbehältern ,  welche  zum  Wasserschöpfen  benutzt  werden  oder  sonst 
öfteren  Besuchen  ausgesetzt  sind. 

In  Bezug  auf  das  Eingehen  des  Schwanzes  beobachtete  ich  in  diesen  Fällen 
einen  etwas  abweichenden  Process.  Bekanntlich  erfolgt  dasselbe  nicht  durch  vAb- 
werfen«  des  Schwanzes ,  was  man  hie  und  da  noch  wohl  zu  lesen  bekömmt,  son- 
dern durch  eine  von  der  Spitze  des  Schwanzes  gegen  dessen  Wurzel  fortschreitende 
Atrophie ,  welche  mehrere  Tage  in  Anspruch  nimmt  und  die  Thiere  sehr  angreift, 
daher  sie  in  dieser  Zeit  weder  fressen  noch  zunehmen.  Bei  meinen  auf  dem  Trock- 
nen gehaltenen  Fröschchen  von  Pelobates  fuscus  bildete  sich,  als  der  Schwanz  noch 
etwa  ^1^  lang  war,  am  Steiss  eine  deutliche  Demarcationsünie;  der  Schwanz 
entfärbte  sich ,  wurde  weich  und  zerreisslich  ,  die  Oberhaut  ging  leichter  herunter 
(besonders  nach  kurzem  Verweilen  in  verdünntem  Weingeist),  ja  selbst  die  Pigmenti 
Schicht,  welche  innig  mit  der  Oberhaut  zusammenhängt,  aus  ramificirten  Zellen  mit 
Kenianschwellungen  besteht  und  über  der  ziemlich  einfarbigen  Lederhaut  liegt,  ging 
verloren.  So  nutzte  sich  der  Schwanzstumpf  förmlich  ab  und  die  Ursprungsstelle 
vernarbte  zuletzt  wie  ein  offenes  Geschwür.  In  dieser  mechanischen  Weise  habe 
ich  den  Schwanz  sonst  bei  keiner  Froschlarve  sich  zurückbilden  sehen,  welche  sich 
in  ihrem  natürlichen  Elemente  befand,  obgleich  die  Laubfrösche,  wie  ebenfalls 
schon  früher  bemerkt ,  das  Wasser  verlassen  um  am  Glase  sich  anzusetzen ,  ehe 
die  Metamorphose  vollendet  ist. 

Bemerkt  sei  hier  ferner,  dass  diese  grossen  Larven  schon  deutlich  eine 
Stimme  vernehmen  Hessen,  welche,  ähnlich  der  der  jungen  Tritonen,  quäkend, 
nicht  quikond  war,  wie  beiden  Kröten. 

Endlich  begegnete  mir  auch  eine  noch  ziemlich  junge  Larve  vor  dem  Durch- 
bruch  der  vorderen  Extremitäten,  welche  das  Athemloch  auf  der  rechten  Seite 
hatte.   Es  war  dies  eine  der  Colossal formen. 

h)  Würzb.  med.  Zeitschr.  VU.  Taf.  VI,  Fig.  4—8. 

1)  A.  a.  0.  V.  Taf.  L  Fig.  5. 

Bd.  vn.  S.  40 


148  C.  finioh, 

durch  die  Länge  des  noch  nicht  metamorphosirten  Kieferapparats  bei 
jener  viel  jüngeren  Larve  compensirt  wird.  Eine  Vergleichung  der  Di- 
mensionen der  Extremitäten  wird  am  besten  auch  ohne  genauere  Prü- 
fung m>it  dem  Maassstabe  und  Zirkel  geeignet  sein,  den  Unterschied  der 
Körpergrösse  darzuthun,  wobei  nicht  zu  übersehen  ist,  dass  unsere 
Mtssbildung  ein  vt^llig  ausgewachsenes,  der  Metamorphose  nahestehendes 
Individuum  darstellt.  Die  Färbung  war  noch  die,  welche  den  Larven 
von  Pelobates  vor  Beginn  der  Metamorphose  eigen  ist,  nämlich  ein 
dunkles  Oiivenbraun  mit  zahlreichen  zerstreuten  kleinen,  dunkeln 
Flecken.  Insbesondere  hatten  die  inselartigen  braunen  Flecken,  mit 
trennender  weisser  Bänderung  (welche  in  der  Nacken-  oder  Steiss- 
gegend  zuerst  aufzutreten  pflegt  ^)  noch  nirgends  begonnen.  Die  Invo^ 
lution  des  Schwanzes  hatte  noch  nicht  begonnen ,  wohl  aber  verrieth 
die  Gestalt  des  Kopfes,  namentlich  die  stumpfe  Schnauze  und  die  Hdll>- 
kreisform  des  Kieferrandes,  dass  die  Umbildung  und  Reduction  des 
KiefergerüsteSi  welche  der  Involution  des  Schwanzes  vorausgeht,  bereits 
vollbracht  war.  Die  Durchbruchstelle  der  äusseren  Haut  auf  der  rechten 
Seite  war  bereits  vernarbt  und  hatte  sich,  gleich  dem  Athemloch  auf  der 
linken  Seite,  um  den  Oberarm  fest  angelegt,  wie  ein  Hemd  ohne  Aermel 
mit  engem  Armloch ,  dessen  Ränder  überall  scharf  und  deutlich  wahr- 
nehmbar waren.  In  Folge  des  bereits  mehrtägigen  Fastens  hatte  sich 
der  Darmcanal  schon  sehr  beträchtlich  entleert  und  der  Unterleib  auf 
Dimensionen  reducirt,  welche  dem  Typus  des  erwachsenen  Frosches 
entsprachen,  wie  es  in  dieser  Entwicklungsperiode  Regel  ist.  Einige 
Tage  früher,  vor  Beginn  der  Metamorphose  der  Kiefer,  betrug  der  Um- 
fang des  Leibes  gewiss  die  doppelte  Breite  des  Kopfes.  Die  Larve 
bewegte  sich  im  Wasser  noch  immer,  gleich  allen  geschwänzten  Frosch- 
larven, ganz  fischartig,  ohne  die  Extremitäten  zu  benutzen,  vermochte 
aber  auf  dem  Lande  ganz  gut  zu  hüpfen  und  zu  rutschen,  gleich  jungen 
Pröschchen.  Auch  Scharrbewegungen  würde  bei  der  vollständigen 
Ausbildung  der  Messerschwiele  die  Organisation  nicht  hinderlich  sein, 
wenn  nicht  der  lange,  fleischige  Schwanz  dem  Eingraben  wider- 
stünde. 

An  dem  letzteren  fiel  sogleich  die  beträchtliche  Breite  der  Schwanz- 
flosse, besonders  in  der  hinteren  Hälfte  ins  Auge,  welche  am  oberen 
Rande  einen  starken  Bogen  bildete  und  dann  rasch  gegen  die  Schwanz- 
spitze hin  abfiel,  während  der  untere  Rand  hier  mehrfach  ausgeschnitten 
erschien.   An  den  Achsengebilden  war  eine  solche  Unregelmässigkeit 


i)  S.  a.  a.  0.  11.  Bd.  S.  497. 


Ueber  Dreifadibildungeo.  149 

nicht  wahrnehmbar,  dieselben  verliefen  vielmehr  in  gewöhnlicher  Form 
und  Ausbildung,  sich  gegen  die  Schwanzspitze  hin  allmählich  verjüngend, 
bis  gegen  das  letzte  PUnftheil  der  Gesammtlänge  des  Schwanzes.  Hier 
angekommen  theilte  sich  die  Chorda  in  der  früher  beschrie- 
benen Weise  in  zwei  fast  gleich  starke  Schenkel,  welche 
beide  in  der  Medianebene  lagen  und  von  welchen  der  obere 
und  stärkere  in  der  Flucht  der  ungetheilten  Chorda  grade 
fortging,  der  untere  schwächere  aber  etwas  gewunden 
erst  eine  kurze  Strecke  parallel  mit  dem  oberen  nach 
rückwärts,  dann  aber  s^chräg  nach  abwärts  und  hinten 
gerichtet  war  und  am  unteren  Flossenrande  mit  ver- 
jüngter, etwas  nach  vorn  gekrümmter  Spitze  endete 
(Fig.  2).  Die  Musculatur  des  Achsentheils,  welche  bis  zur  Theilungs- 
stelle  etwa  24—25  Segmente  aufwies,  war  in  dieser  Strecke  von  voll- 
kommener Regelmässigkeit  und  endete  an  dieser  Stelle  nicht,  sondern 
erstreckte  sich ,  mit  wetteren  deutlichen  Muskelabtheilungen  noch  eine 
Strecke  weit  über  beide  Schenkel,  besonders  am  oberen  Schenkel,  war 
aber  auf  der  äusseren  Seite  derselben  viel  merklicher  ausgesprochen, 
als  auf  den  inneren  zugekehrten  Seiten.  Auch  die  Blutgefässe,  welche 
die  Chorda  begleiteten,  setzten  sich  in  normaler  Weise  auf  die  äusseren 
Seiten  beider  Schenkel  fort,  während  sich  ein  einfaches  starkes  Gesäss 
zwischen  beiden  Schenkeln  im  weiteren  Verlauf  dem  oberen  Schenkel 
anschloss. 

Erst  in  einer  Entfernung  von  5  Millim.  von  der  Scbwanzspitze 
theilte  sich  der  obere  Schenkel  der  Chorda  zum  z  weiten - 
male  und  zwar  ganz  in  derselben  Weise,  wie  die  Chorda  selbst, 
nämlich  in  einen  oberen  Schenkel,  welcher  die  unmittel- 
bare Fortsetzung  und  das  normale  Ende  der  Gesammt- 
chorda  repräsentirte,  aber  durch  seinen  gewundenen 
Verlauf  (Fig.  2)  an  die  Form  der  »allzulangeno  Chorda 
erinnerte,  und  in  einen  unteren,  schwächeren  und  kür- 
zeren Schenkel,  welcher  in  schräger  Richtung  nach 
hinten  und  abwärts  verlaufend  so  ziemlich  auf  dem  kür- 
zesten Wege  den  Flossenrand  erreichte.  Zwischen  der 
ersten  und  zweiten  Theilungsstelle  hatte  der  untere  Flossenrand  eine 
lappige  Ausbuchtung,  von  zwei  seichten  Einschnitten  begrenzt,  welche 
nicht  Folge  von  Verletzungen  waren,  sondern  den  natürlichen  Rand  der 
Schwanzflosse  zeigten.  In  der  Pigmentirung ,  so  wie  im  sonsigen  An- 
sehen war  weder  an  den  Achsengebilden  noch  an  der  Schwanzflosse 
jener  Unterschied  zwischen  dem  ungetheilten  und  getheilten  Schwanz- 
abschnitte zu  entdecken,   wie  man  ihn  bei  regenerirten  Schwänzen 


150 

nicht  vermisst,  und  welchen  auch  A.  Güntbbb')  erwähnt.  Die  Hiss- 
bildung fällt  demnach  unler  die  Kategorie  des  Dichordus  medialis  und 
musste  etwa  als  Dichordus  medialis  triplex  bezeichnet  werden,  wenn 
man  nicht  geradezu  einen  Trichordus  medialis  aufstellen  will. 
Sie  kann  nur  dadurch  entstanden  sein,  dass  die  Chorda  dorsalis  sieb  bei 
ihrer  ersten  Entwicklung  nicht  einmal,  sondern  zweimal,  d.  h.  an 
zwei  verschiedenen  Stellen  verzweigt  hat,  so  dass  im  Ganzen 
drei  wirkliche  Chordaenden,  wenn  auch  von  verschiedener 
Dignitat,  entstanden  sind. 

Man  wird  nicht  verkennen ,  dass  schon  das  Vorkommen  einer 
solchen  zweimaligen  Theilung  der  Chorda  dem  Einwände,  dass  es  sieb 
in  diesem  Falle  um  einen  Fehler  der  zweiten  Bildung,  ein  Regenerations- 
phltnomen  handele,  in  viel  stärkerem  Grade  widerstrebt,  als  der  ein- 
fache Dichordus.  Es  wJire  gewiss  ein  sehr  besonderer  Zufall,  wenn 
sich  ein  solcher  Vorgang  bei  einer  und  derselben  Froschlarve  ganz  in 
derselben  Weise  kurz  nach  einander  wiederholte,  und  wenn  dieses 
Individuum  das  einzige  einer  ganzen  Brut  bliebe,  welches  von  einer 
Regeneration  betroffen  wird!  Hierzu  kommt,  dass  es  gerade  dieser 
Brut,  wie  aus  ihrer  KOrpergrdsse  hervorgeht,  um  wenigsten  an  Nah- 
rung ,  dem  Cannibalismus  also  der  zureichende  Gmnd  gefehlt  hat.  Ich 
glaube  daher  vollkommen  im  Rechte  zu  sein,  wenn  ich  diesen  Fall  als 
eine  Hissbildung  aus  inneren  Gründen  dem  echten  Dichordus 
anreihe,  in  seiner  Seltenheit,  als  Unicum  während  einer  siebenjühngen 
Beobacbtungszeit  und  unler  vielen  Taust;nden  von  Froschlarven ,  nU 
echte  Oreifachbildung  derChorda  dorsalis  anspreche  und,  insofern  es 
sieb  um  ein  Achsengebilde  handelt,  an  die  Doppelbildungen  der  Achsen- 
oi^ane  anschliesse.  Ich  Ihue  dies  um  so  lieber,  als  leicht  ersichtlich 
ist,  dass  auf  dem  bezeichneten  Wege  auch  eine  Vier-  und  Hehrfacb- 
bildung  der  Chorda  dorsalis  nicht  zu  den  Unmöglichkeiten  gehören  und 
alle  Fülle  von  Mehrfach bildun gen  unler  eine  Kategorie  und  unter  ein 
und  dasselbe  Gesetz  der  Entstehung  fallen  wUrden. 

So  ansprechend  und  einleuchtend  übrigens  eine  solche  Ansicht 
sein  mag,  so  wenig  kann  ihr  die  specielle  Durchfuhrung  mit  Bezug  auf 
die  bekannten  Falle  von  Triplicitaten  erlassen  werden.  Ausser  J.  Geop- 
FROT  St.  HU.A1BE  ist  mir  kein  Schriftsteller  bekannt,  der  diesen  Versuch 
wirklich  gemacht  hätl«,  und  es  ist  daher  unerlasslich,  auf  seine  Dar- 
stellungsweise hier  nUher  einzugehen. 

J.Gbopfroi^,  von  der  Voraussetzung  ausgehend,  dass  alle  htlbern 


1)  A.  a.  O.  p.  t,  III. 


üeber  Dreifftcbbildangen.  151 

Grade  von  Doppelbildungen  durch  Verschmelzung  zweier  vorher  ge- 
trennter Individuen  entstanden  sind;  und  dass  demnach  »die  Dreifach- 
bildungen nur  ein  Gorollar  zur  Geschichte  der  Doppelbildungen«  bilden 
können,  nimmt  sofort  an,  dass  eine  Triplicität  höheren  Grades  (mit 
dreifacher  Achsen bildung)  durch  Verschmelzung  dreier  Individuen 
entstehe,  eine  Vierfachbildung  durch  vier  Individuen  u.  s.  f.  Diese 
fundamentale  Bedingung  unterscheidet  nach  ihm  die  »zusammenge- 
setzten MiSvsbildungen «  von  den  »Hemilerien«,  welche  letztere  in  drei- 
facher Weise,  entweder  I )  durch  Spaltung  oder  3)  durch  übermässige 
Ausbildung  rudimentärer  Organe  oder  3)  durch  Bildung  überzähliger 
Organe  in  einem  einfachen  Individuum  entstehen  und  meistens  von 
geringerer  Bedeutung  sind.  Das  Wesentliche  der  »zusammengesetzten 
Monstra«  ist  nach  ihm  die  Bildung  von  Organen ,  welche  »nicht  in  der 
Organisation  des  Wesens  begründet  sind  und  daher  keine  überzählige 
Theile,  sondern  ein  besonderes  Individuum  bilden«. 

Man  würde  schwerlich  begreifen,  wie  G.  zu  einer  so  willkürlichen 
Unterscheidung  kommen  konnte,  die  obendrein  eine  ungelöste  Prin- 
cipienfrage,  den  Begriff  des  Individuums,  einschliesst,  wenn  man  sich 
nicht  des  Entwicklungsganges  der  französischen  Teratologie  erinnerte. 
In  dem  berühmten  Streite  zwischen  L^vbrt  und  Wiicslow,  welcher  in  der 
ersten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  vor  der  französischen  Akademie 
spielte,  bekämpfte  LfiMBRT,  welcher  seines  Zeichens  nicht  Zoologe,  son- 
dern Chemiker  war,  in  glänzendster  Weise  die  schon  seit  Bficis  Zeit 
bestehende  Lehre  von  ,der  Bildung  abnormer  Keime,  welche  die  Lehre 
von  den  Missbildungen  auf  ein  transcendentales,  ja  selbst  theologisches 
Gebiet  hinüberschob,  aber  er  konnte  nicht  verfehlen,  seinem  Gegner 
eine  schwache  Seite  darzubieten ,  als  er  eine  rein  mechanische  Ver- 
wachsung von  Zwillingsfrüchten  zur  Grundlage  der  Erklärung  machen 
wollte.  Die  von  Winslow  entgegengehaltene  Gesetzmässigkeit  in  der 
Verbindung  homologer  Organe,  welche  sich  durch  die  sorgfältigsten 
anatomischen  Untersuchungen  bisher  als  eine  ausnahmslose  heraus- 
gestellt hat,  ist  dei*  wissenschaftliche  Kern  der  Lehre  geworden,  trotz 
der  von  ihm,  keineswegs  mit  Entschiedenheit,  behaupteten  originären 
Entstehung  abnormer  Keime.  Es  ist  vollkommen  begreiflich ,  dass  die 
namhaftesten  Physiologen  jener  Zeit,  A.  von  Haller  an  der  Spitze, 
WiNSL0W*s  Argumente  zu  stützen  suchten  und  um  diesen  Preis  selbst 
vor  einer  Transaction  mit  der  aller  Wissenschaft  Hohn  sprechenden 
Evolutionstheorie  nicht  zurttckscheuten.  Ebenso  begreiflich  ist  auch, 
dass  eine  anscheinend  so  einfache  Lehre,  wie  die  LtMBRVsche  so  viele 
Anhänger  herbeizog,  welche,  ohne  sich  auf  die  Kritik  der  einzelnen 
Fälle    einzulassen,    mit    einem   Worte    die   Sache    zu    entscheiden 


Deber  DreifadtbUdnngen.  15^ 

überhaupt  die  Evolutionstheorie  trolz  Hallbr^s  Hioneigung  wenig  Ghlck 
gehabt  und  C.  F.  Wolff's  »Theorie  von  der  Generatieo«  kam  zu  frtib, 
als  dass  jener  ein  namhafter  Yrntreter  hUtte  aufkommen  können.  Wenn 
man  auch  J.  F.  Mvgkbl  als  solchen  aufgeführt  bat,  so  braucht  man  doch 
nur  die  lapidarische  Definition  der  Doppelbildungen  in  seinem  Hand- 
buche  ^),  ein  Jahr  naeh  dem  Ersckeinen  seines  grossen  Specialwerkes, 
zu  lesen ,  um  überzeugt  zu  sein ,  dass  ein  so  gründlicher  Beobachter 
und  so  scharfer  Denker,  wie  Mbgkel,  mit  völliger  Klarheit  und  Gewiss^ 
heit  die  Wahrheit  erfasst  hatte.  »Das  Mehrfach  werden  ist  Ver- 
mehrung der  Zahl  der  Theile,  welche  den  organischen 
Körper  bilden,  mit  regelwidrig  vermehrter  Masse.  Der 
letztere  Zusatz  ist  nothwendig,  um  das  Mehrfachwerden  von  der  blossen 
Spaltung  zu  unterscheiden. «  Die  gradweisen  Verschiedenheiten  des 
Mehrfachwerdens  sind  nach  Mbgkbl  beträchtlich  und  bilden  mehrere 
Reihen,  welche  mit  der  Vermehrung  einzelner  Theile,  z.  B.  der  Finger 
und  Zehen ,  anfangen  und  mit  der  gänzlichen  Dnplicität  des  Körpers 
aufhören.  »Diese  höheren  Grade  des  Doppeltwerdens  kann  man  als 
die  Vereinigung  der  VervielfiiHigung  mehrerer  Organe  in  dem- 
selben Körper  ansehen,  statt  dass  sich  bei  den  niedrigeren  nur  einzelne 
Organe  betheiltgen. «  Höchst  selten  sei  die  Zahl  einzelner  Theile  oder 
des  ganzen  Körpers,  mehr  als  verdoppelt,  und  doch  sei  Alles  Mehr- 
fachworden, auch  das  höchste,  nur  AnnUhemng  an  diesen  Zustand. 
Es  folgt  dann  die  Aufziihhmg  der  einzelnen  verdoppelt  gefundenen  Or-* 
gane  unter  8  Rubriken,  an  welche  sich  dann  »das  Mohrfachwerden 
des  ganzen  Körpers«  ohne  eigene  Rubrik  unmittelbar  anschliesst^). 

Diese  Aussprüche  von  J.  F.  Msckbi.  werden  für  alle  Zeiten  Geltung 
behalten  und  nur  darin  sind  sie  nicht  ganz  auf  der  Höhe  unserer  Zeit, 
dass  er,  dem  damaligen  Standpunkte  der  Entwicklungsgeschichte  ent- 
sprechend, zu  sehr  auf  das  einzelne  Organ  sah,  und  die  Abhängigkeit 
der  meisten  Organe  des  thierischen  Körpers  in  ihrer  Entwicklung  von 
den  primären  oder  Fundamentalorganen  des  Embryo  und  der  Keim«» 
haut,  welche  namentlich  für  die  Verdoppelung  der  Aohsengebilde  ent- 
scheidend ist,  nicht  näher  ins  ^ge  fasste. 

Mbgkkl^s  Verdienst  leuchtet  um  so  heller,  als  er  in  einer  Zeit,  wo 
die  Zeugung  des  Menschen  noch  vielfach  als  ein  Vorgang  sui  genoris, 
ja  fast  als  ein  Wunder  angestaunt  wurde  und  selbst  an  Universitäten 
die  aura  seminalis,  der  psychische  Einfluss  der  Zeugenden,  ja  selbst  die 
Parthenogenesis  des  Menschen  eine  Rolle  spielte,  keinen  Unterschied 


4)  Handbuch  der  pathologischen  Anatomie.    Leipzig  4S49.  II.  S.  44. 

V.  A.  a.  0.  S.  88. 


C.  BiDth, 

1  menscblicheD  und  Ihierischen  Missbildungen  machte  und  seine 
r  den  Henscben  speciell  aufgestellt  hat. 

t  im  Jahre  l8äT,  in  demselben  Jahre,  in  welchem  E.  Geoffkov 
iBE  sein  Affin itatsgesetz  aufstellte,  wuixle  von  C.  E.  v.  Bakr 
re  thierische  und  menscblicbe  Ei  entdeckt,  uod  so  begreifen  wir 
cb,  weshalb  von  da  an  die  Lehre  vod  den  angeborenen  Miss- 
n  in  Deutschland  vorzugsweise  eiue  Frage  der  anatomischen 

geblieben  ist ,  wahrend  sie  anderwärts  noch  immer  eine  rein 
che,  selbst  speculative  Seite  behalten  hat  So  ist  es  denn  aucb 
iequent,  wenn  J.  Geoffrot')  die  Entstebung  derTripelmonstren 
är  der  Doppelbildungen  durch  eine  Statistik  der  Zwillings - 
'illingsgeburten  zu  stutzen  suchte.  Es  standen  ihm  dazu 
tn  zu  Gebote,  welche  DuG&s  den  Registern  der  Halemit^  in  Paris 
leo   bat.     Dort  waren  unter  37,iit  Geburten,  die  wUhrend 

Jahren  vorkamen,  36,992  einfache,  tii  Zwillings-  und  nur  3 
geburten,  unter  108,000  Geburten  aber  keine  weitere  Mehr- 
GEOPPBoy  benutzt  diese  Zahlen,  um  die  Seltenheil  der  Doppel— 
ifachbildungen  erklärlich  zu  machen,  obgleich  ein  solches  Ver- 

wenn  man  darin  eine  Prädisposition  fUr  Hissbildungen  sehen 
mmer  noch  ein  ganz  UDverhaltnissmässiges  sein  würde.  Ueber- 
lend  damit  und  nur  in  Bezug  auf  die  Hau6gkeit  der  Drillings- 
.  abweichend,  sind  neuere  Angaben.  So  verzeichnet  H.  Megebl  ^] 

,922,6i5  Geburten,  welche  von  1826  bis  1848  in  Preussen 
n,  141,715  Zwillings-,  1588  Drillings-  und  :15  Vierlings- 
I,  demnach  unter  84  Geburten  eine  Zwillings-,  unter  7514  eine 
-,  unter  340,607  eine  Vierlingsgeburt.  Leider  sind  die  Zahlen 
twa  vorgekommenen  Hehrfachbildungen  nicht  mit  angegeben, 
m  man  erwägt,  dass  notorische  Fälle  von  Duplicitaten  in  jedem 
liebt  nach  den  Jahi^Sngen,  sondern  nach  Jahrzehnten  und 
lerten  gezählt  werden  müssen ,  so  ^llt  jeder  Grund  hinweg, 
immer  noch  unverhaitnissmassigen  Häufigkeit  der  Mebrgeburlen 
bluss  auf  die  enorme  Seltenheit  der  Hehrfachbildungen  ziehen 
n.  Nimmt  man  hierzu  die  schon  in  meiner  früheren  Abband- 
ttetonle  HäuBgkeit  von  achten  Doppelbildungen ,  namentlich 
tpfen,  bei  niederen  Wirbelthieren ,  welche  eine  äussere 
ang  und  freie  Entwicklung  bei  völliger  Isolirtheit  der  gleich- 
legten Eier  haben,  und  dass  die  Zahl  der  Monstren  bei  kUnst- 


a.  0.  p.  StS. 

Uulleh'b  Archiv  ISBO.  S.  14S. 

ünb.  med.  Zeitschr.  V.  S.  4. 


öeber  DreifacbbUdangen.  155 

lieber  Befruchtung,  so  wie  bei  mancheD  Species,  welche  sich  durch 
sehr  zarte  Eihäute  auszeichnen,  wie  der  Hecht,  am  grüssten  ist,  so  wird 
man  eher  geneigt  sein,  in  Zwillings-  und  Drillingsgeburten  bei  höheren 
Thieren  mit  getrennten,  mehrfachen  EihüUen  und  complicirten  Ent- 
wicklungsvorgüngen  ein  Hinderniss,  als  ein  Beförderungsmittel  von 
Mehrfachbildungen  zu  sehen.  In  der  That  ist  die  Zahl  von  497  Doppel- 
bildungen, welche  Gbofproy  mit  dem  erstaunlichsten  Fleisse  für  die 
gesammte  Abtheilung  der  Wirbeithiere  gesammelt  hat  und  wovon  4  98 
auf  den  Menschen  kommen,  eine  erstaunlich  geringe,  wenn  man  erwägt, 
dass  dabei  die  Literatur  der  ganzen  Erde ,  sowohl  wissenschaftliche  als 
laienhafte,  für  mindestens  anderthalb  Jahrhunderte  benutzt  wor- 
den ist,  wenn  gleich  die  älteren  Angaben,  so  weit  sie  über  das  1 7.  Jahr- 
hundert zurückgehen,  ihrer  Ungenauigkeit  und  offenbaren  Willkürlich- 
keit nicht  mitgezählt  werden  konnten.  Auch  die  ältere  Literatur  stimmt 
in  sofern  mit  der  neueren  überein ,  als  die  Zahl  der  aufgeführten  Fälle, 
so  ungenau  dieselben  auch  beschrieben  und  bestimmbar  sind ,  im 
Ganzen  keineswegs  grösser  ist,  als  heutzutage,  wahrend  das  Aufsehen, 
welches  solche  Vorkommnisse  machten ,  damals  eher  noch  grösser  war. 

Ein  weiterer  Gegengrund  liegt  darin,  dass,  wieG.  ^)  bemerkt,  Dop- 
pelbildungen bei  multiparen  Säugethieren  keineswegs  häu6ger  sind,  als 
bei  uniparen,  ja  dass  das  Rind ,  welches  selten  Zwillinge  bringt,  fast 
eben  so  viel  Doppelmonstren  zur  Welt  bringt ,  als  die  Katze  und  be- 
trächtlich mehr  als  der  Hund.  Endlich  bemerkt Gbopfroy^],  dass  ein- 
fache Monstren  sehr  häufig  als  Zwillinge  geboren  werden,  auch  können 
alle  Individuen  einer  Mehrgeburt  oder  auch  nur  einzelne  in  gleichem 
oder  verschiedenem  Grade  verbildet  sein  Das  Verhältniss  der  Doppel- 
monstren, welche  als  Zwillinge  geboren  werden,  zu  den  einfachen  Dop- 
peimonstren  sei  sogar  grösser,  als  das  der  Drillings-  zu  den  Zwillings- 
geburten. 

Alles  Weitere,  was  J.  Gbopfhot  nach  der  Erledigung  der  statistischen 
Präge  noch  über  die  Bildungsgesetze  der  Monströs  doubles  und  triples 
anführt,  passt  so  vollständig  auf  unsere  neuere  Theorie,  dass  man  nirgends 
veranlasst  wird,  sich  der  Verschmelzungstheorie  zu  erinnern,  und  die- 
selbe sich  fast  wie  ein  sehr  allgemein  gehaltener  Prolog  ausnimmt,  den 
man  unbeschadet  der  Vollständigkeit  und  Verständlichkeit  des  ganzen 
W^erkes  hinweglassen  könnte.  Die  Lehre  von  der  symmetrischen  Bil- 
dung der  Doppelmonstren,  von  der  Richtung  der  Achsen  und  ihrer  Ein- 
theilung  in  Vereinigungs-  und  Vertebralachsen ,   die  Eintheilung  der 


4)  A.  a.  0.  p.  154. 
1)  A.  a.  0.  p.  963. 


156  0.  Bruoh, 

einzelnen  Fälle  nach  dem  Grade  der  Verdoppelung  in  verschiedene 
Reihen ,  welche  Uebergänge  in  allen  Abstufungen  bilden ,  so  wie  die 
Gesetzmässigkeit  in  der  Lagerung  der  verdoppelten  Organe,  insbeson- 
dere auch  der  Eingeweide,  und  in  ihren  Beziehungen  zu  den  Achsen— 
gebilden,  sind  Thatsachen,  welche  die  epigenetische  oder  Ent- 
wicklungstheorie eben  so  nöthig,  wenn  nicht  noch  nöthiger 
braucht,  als  die  LfiMBRY^sche  in  Verbindung  mit  dem  GBOFFROT'schen 
Affinitätsgesetz.  Selbst  die  Veränderungen,  welche  man  in  der  GBorFROY  — 
sehen  Classification  vorzunehmen  veranlasst  war,  beruhen  weniger  auf 
theoretischen  Voraussetzungen ,  als  auf  einer  genaueren  a«atomischi3n 
Kenntniss,  insbesondere  der  parasitischen  und  mancher  für  blosse  Ver- 
mehrung einzelner  Theile  gehaltener,  in  Wirklichkeit  auf  ursprüng- 
licher Achsen  Verdoppelung  beruhender  Fälle,  wie  a.  B.  mancher  Poly- 
melien  und  Polygnatben. 

Nicht  ebenso  günstig  gestaltet  sich  dieses  Verhältniss  bei  den 
»monströs  triples  et  plus  qne  triples«.  Hier  bereitet  das  Affinitätsgesetz 
wirkliche  Schwierigkeiten,  welche  der  Entwicklungstheorie  nicht  zur 
Last  fallen.  Es  handelt  sich  vor  Allem  um  die  Frage,  ob  das  Gesetz 
der  bilateralen  Symmetrie  auch  durchführbar  ist,  wenil  ein 
Individuum  aus  drei  Körpern  (oder  wesentlichen  Körpertheilen)  ausani- 
mengesetzt  ist.  Wäre  die  Zahl  der  beobachteten  Fälle  eine  einiger- 
massen  zureichende ,  so  würde  man  auch  hier  Anhaltspunkte  haben, 
bei  der  extremen  Seltenheit  zuverlässiger  Beobachtungen  finden  wir 
uns  aber  hier  fast  in  der  Lage,  wie  die  Anatomen  zu  LSmery^s  Zeit. 

J.  Geoffrot^j  zweifelt  nicht,  dass  das  Affinitälsgeselz  auch  für 
Dreifachbildungen  Geltung  habe,  allein  er  nimmt  zwei  mögliche  Fälle 
an.  Entweder  verbinden  sich  drei  Individuen  durch  einen  gemein- 
samen Mittelpunkt ,  oder  zwei  unter  einander  verbundene  Individuen 
verbinden  sich  mit  einem  dritten,  d.  h.  »ein  erstes  Individuum  ver— 
bindet  sich  mit  einem  zweiten,  und  das  zweite,  mittlere,  verbindet  sich 
wieder  mit  einem  drittena.  Ein  Fall  der  ersten  Art  ist  Gkoffrot  nicht 
bekannt  geworden,  der  zweite  Fall  stelle  eigentlich  eine  an  zwei 
Punkten  wiederholte  Doppelbildung  dar,  »lasse  sich  also  auf  die  ein- 
fachste Weise  auf  zwei  Doppelbildungen  zurückführen«.  Da  die  Entr- 
Wicklung  der  beiden  äussersten  Individuen  verschieden  sein  könne, 
müsse  noih wendig  in  manchen  Fällen  ein  unsymmetrisches  Mon- 
strum entstehen ;  aber  es  könne  sich  auch  treffen,  dass  die  Entwicklung 
eine  gleichmässige  sei  und  in  diesem  Falle  sei  das  »monstre  triple« 


4)  A.  a.  0.  p.  18,  «36. 


lieber  DreiffteM>il4nnKen.  i57 

offenbar  symmetrisch  gebildet  und  durch  eine  Medianebene  in  zwei 
gleiche  Hälften  zerlegbar. 

£inen  Fall  der  letzten  Art  hat  Gbopfbov  ^)y  um  nicht  von  älteren 
zweifelhaften  Fällen  zu  reden,  selbst  beobachtet.  Ein  lebender  Hammel 
zeigte  jederseits  eines  wohlgebildeten  Kopfes  neben  und  vor  dem  Ohr 
eine  unvollkommene,  sehr  kurze  und  blos  aus  einem  kleinen  Mund  unil 
Kiefern  bestehende  Gesichtsbildung.  Nur  die  accidentellen  Unterkiefer 
waren  daran  deutlich  ausgebildet  und  mit  dem  Hauptunterkiefer  ver- 
schmolzen, dessen  Bewegungen  sie  folgten.  Die  beiden  seitlichen 
Mundö£foungen  waren  sehr  klein  und  in  jeder  nur  ein  einziger  Zahn 
wahrnehmbar.  Da  G.  das  Thier  nur  lebend  sah,  konnte  er  keine 
genauere  anatomische  Untersuchung  vornehmen,  welche  namentlich 
nöthig  gewesen  wäre,  um  das  Verhällniss  der  Achsenorgane  festzu- 
stellen. Der  Name  »paragnathe«,  welchen  G.  dieser  Missbildung  beilegt, 
um  sie  von  den  übrigen  »polygnathes«  zu  unterscheiden,  präjudicirt  um 
so  weniger,  als  G.  ^)  diese  ganze  Abtheilung  nicht  zu  den  eigentlichen 
»monströs  composes«  rechnet,  sondern  als  einfache  Individuen  mit 
mehrfachem  Unterkiefer  betrachtet.  Jedenfalls  werden  wir  G.  für  die 
Mittheilung  eines  Falles  von  symmetrischer  Tripelbildung,  der 
bis  dahin  der  einzige  geblieben  ist,  sehr  dankbar  sein  müssen. 

Alle  andere  bekannte  Fälle  von  Drei fachbildung  sind 
entschieden  unsymmetrisch.  So  namentlich  der  berübmte  Fall 
von  Reina  und  Gajlvagni,  welcher  zugleich  den  einzigen  unzweifelhaften 
Fall  von  menschlicher  Triplicität  bildet.  Hier  sassen  drei  wohl- 
gebildete Köpfe  an  einem  einzigen ,  sehr  breiten  Rumpf  mit  3  Brustr- 
warzen  und  den  vier  gewöhnlichen  Extremitäten,  zu  welchem  noch  ein 
fünfter,  überzähliger  Rückenarm  mit  doppelter  Hand  hinzutrat,  wie  er 
bei  den  GsoPFRuv'schen  Derodymes  vorkommt.  Die  3  Köpfe  sassen  auf 
nur  2  Hälsen,  oder  vielmehr  die  beiden  rechten  Köpfe  hatten  einen 
gemeinsamen  Hals.  Luftröhre  und  Speiseröhre  warpn  nur  am  Anfange 
dreifach,  weiterhin  doppelt ;  Magen,  Leber  und  Zwölffingerdarm  ein- 
fach, der  Dünndarm  doppelt,  der  Dickdarm,  Mastdarm  und  Geschlechts- 
werkzeuge einfach,  die  Niere  desgleichen,  hufeisenförmig.  Es  waren  2 
Brusthöhlen,  i  Herzen  und  2  Lungenpaare  vorhanden,  die  Wirbelsäule 
bis  zum  Becken  doppt^lt,  das  Becken  einfach  mit  Spuren  überzähliger 
Hüftbeine  nach  hinten.  Offenbar  fand  hier  eine  zweifache  Spaltung 
der  Wirbelsäule,  an  zwei  verschiedenen  Stellen,   nämlich 


4)  A.  a.  0.  p.  S40. 

9)  A.  a.  0.  p.  47.    An  einer  späteren  Stelle  (p.  185)  spricht  er  sich  entschie- 
deuer  aus. 


158  CBnMb, 

in  der  Lendengegend  des  gemeinsamen  Rumpfes  und  in  der  Halsgegcnd 
der  rerhten  Seite  slatl.  Henlb  'j  hat  daher  diesen  Fall  eine  nscbeinbareu 
Triplicitat  genanni,,  «da  hier  weder  eine  gleichmSssige  Verschmelzung 
von  i  Keimen,  noch  eine  gleichmässige  Spaltung  des  einfachen  Keimes 
in  3  stattfand,  sondern  nur  eine  fortschreitende  Duplicitflt,  indem  die 
rechte  obere  Balfte  erst  nach  ihrer  Trennung  von  der  linken  wieder 
doppelt  zu  werden  begann«.  Diese  Bemerkung  beieichnet  sehr  ricbliß 
das  sachliche  Verhallniss,  nichtsdestoweniger  ist  dieser  Fall  eine  üchte 
Triplicitat  und  zwar,  wie  Föistbr^)  ihn  auffuhrt,  nrit  Verdreifachung 
des  oberen  Körperendes. 

J.  Geofprov  und  Förster  reihen  ihm  den  länger  bekannten  Fall 
vonBKTTOLi  undFATTORi^]  an,  wo  ein  sieben  monatlicher  POtus  in  seiner 
Bauchhöhle  einen  sehr  unvollständigen  Embryo  und  in  einer  am  Uitt«l- 
fleisch  befindlichen  Geschwulst  Beste  eines  zweiten,  ebenso  unvoll- 
kommen entwickelten  Fßtus  trug,  welcher  letztere  sogar  ein  Darmsttlok 
besass.  Geoffroy  *)  betrachtet  diesen  merkwürdigen  aber  schwierigen 
Fall  als  »monstre  par  inclusion«,  Förster^)  wohl  richtiger  als  Ver- 
bindung von  Sternopage  mit  Pygopage.  Er  wUrde  sieb  dar- 
nach dem  Beini-  und  GALVAGKi'schen  Falle  als  Parasitenform  anscbliessen 
und  ebenfalls  als  Achte  Triplicitat  zu  betrachten  sein. 

Als  einziges  bisher  bekanntes  Beispiel  einer  Verdreifachung  der 
Achsengebilde  am  hinteren  Leibesende  wurde  unsere  Froscblarvc 
mit  zweimal  getheiller  Chorda  dorsalis  anzureiben  sein,  welche  in  der 
einfachsten  Form  die  Bildung  eines  Trtpelmonstnims  versinnlicbl  und 
zugleich  anschaulich  macht,  warum  ein  solches  wohl  in  den  meisten 
Fällen  ein  asymmetrisches  sein  wird. 

Noch  anschaulicher  sind  die  Beobachtungen,  welche  von  Lerbboul- 
LEX*)  in  der  Classe  der  Fische  gemacht  worden  sind,  da  sie  über  die 
Entwicklungsgeschichte  der  Doppel-  und  Drcifachbiidungen  Auf- 
schlösse geben. 

Lbdeboullbt,  dessen  Beobachtungen  ich  schon  früher^)  gedacht  habe, 
hebt  hervor,  dass  alle  diese  Monstren  aus  gewtthnlicben ,  einfachen 
Uecbleiern    bervoi^iogen ,   welche  weder  grt^sser  waren ,   als  andere 

1)  Jahresbericht  in  J.  Hdller's  Arebiv.  IB3S.  Vit). 

91  Die  MissbilduDgeD  d«s  Menschen.  Jena  1B6S.  S.  tl.  Tatelerklärung.  Tel.  IV. 
Kig.  11,1«. 

3)  Schon  bei  J.  Fb.  Mbciel  a.  a.  0.  S.  78  erwälinl. 

t|  A.  a.  0.  p.  S93. 

B|  A.  a.  0.  S.  *1. 

fl)  Complas  reodus.  1B9S. 

7)  A.  a.  0.  VU.  S.  189. 


Oeber  DreifAcbbüdiinniren.  t5d 

Hechteier,  noch  ein  doppeltes  Keimblüschon  besassen ;  er  glaubt  viel- 
mehr dass  die  künstliche  Befruchtung  und  die  verhinderten  Bedingungen 
der  Entwicklung  einen  wesentlichen  Einfluss  haben ,  und  bezieht  sich 
auf  seine  eigene  desfallsige  Versuche  ^] ,  welche  an  SO  missgebildete 
Fötus,  darunter  Doppelköpfe,  Doppelleiber,  Doppelschwänze  und  selbst 
Parasiten  formen  in  Gestalt  eines  normalen  Leibes  mit  rudimentärem, 
in  Form  eines  Tuberkels  anhängendem  Doppelkörper  ergaben.  Die  erste 
Entstehung  datirte  von  dem  Schlüsse  des  Keimhautwulstes  und  dem 
Verschwinden  des  sogenannten  Dotterpfropfes  (du  bourrelet  marginal, 
qui  limite  1e  sac  blastodermique ,  lorsque  celui-ci  a  envahi  la  presque 
totalit^  du  vitellus)  ^j,  sie  würde  demnach  mit  der  Entstehung  der  Pri- 
mitivrinne oder  des  Primitivstreifens  zusammenfallen. 

Die  erste  Beobachtung  Lbreboullbt's ^j  ist  vom  19.  April  185^.  Auf 
einem  seit  48  Stunden  befruchteten  Hcchteie  mit  einfachem  Dotter  von 
gewöhnlicher  Grösse  und  Form ,  welcher  ganz  von  der  Keimbaut  um- 
wachsen war  und  kein  Dotterloch  mehr  erkennen  Hess ,  befanden  sich 
2  Embryonen,  die  am  Schwanzende  in  dem  vierten  Theil  ihrer 
Länge  vereinigt  waren.  Der  unpaare  Schwanz  hatte  die  Länge  von 
I  Millim.  und  Hufeisenform,  mit  der  Primitivrinne  in  der  Mitte.  Die 
panrigcn  Hälften  des  Vorderleibes  gingen  in  diametraler  Richtung  aus- 
einander und  brückenartig  in  den  hinteren  unpaaren  Theil  über.    Am 


4)  A.  a.  0.  p.  946. 

2)  Von  diesem  Punkte  geht  bekanntlich  hei  Fischen  und  Amphibien  die  Bildung 
der  Prlmitlvrinne  aus  und  zwar  entspricht  das  hintere  Ende  derselben 
c (instant  der  Schlussstelle  der  Keiuihaut.  wie  ich  durch  systematisch 
durchgeführte  Beobachtungsreihen  in  zahlreichen  Ffiillen  bei  Triton  taeniatus,  Pelo- 
bales  fuscuSi  Bombinator  igneus,  Hylaarborea,  Rana  esculenta,  Bufo  calamila  und 
viriilis  mich  überzeugt  habe.  Wer  sich  im  Frühjahre  die  Mühe  nimmt,  eine  Quan- 
tit^it  frischgelegten  Frosch-  oder  Krötenlaichs  eine  Nacht  hindurch  unter  der  Loupe 
oMer  dem  einfachen  Mikroskop  zu  beobachten  und  einzelne  Eier  im  Auge  zu  be- 
halten, wird  sich  leicht  davon  überzeugen ,  dass  der  Primitivwulst  (bourrelet  mar- 
f;inal,  wie  Lekbboullbt  ihn  nennt)  vom  Umkreis  der  Kelmhautnarbe  ausgeht,  wo 
sich  schliesslich  nach  Verwachsung  des  weissen  Dotters  die  bildende  Thatigkeit 
roücentrirt  und  nun  zu  Bildungen  aus  und  in  der  Keimhaut  gcnöthigt  ist.  Ge- 
wöhnlich sieht  man  bald  zwei  Längswülste,  wie  Cometensch weife,  von  dem 
Primitivwulst  aus  sich  in  der  Keimhaut  ausbreiten  und  darin  verlieren ,  welche  nie 
g.iuz  parallel  sind  und  nicht  selten  unter  einem  starken  Winkel  divergiren,  sich 
aber  schliesslich  stets  am  Kopfende  wieder  vereinigen  und  so  die  verhältnissmässig 
sehr  breite,  besonders  am  Kopfende  stark  ausgebuchtete  Primitivrinne  eiu- 
schliessen.  Htfufig  gewahrt  man  am  hinteren  Ende  noch  die  nicht  ganz  geschlossene 
Keimhautnarbe,  die  einige  Schriftsteller  zu  der  Annahme  geführt  hat,  als  bilde  sich 
der  After  des  Thieres  zuerst,  der  erst  lange  nachher,  nach  dem  vollständigen 
Schlüsse  der  Primitivrinne,  wenn  auch  in  der  Nähe  jener  Stelle,  entsteht. 

5)  A.  a.  0.  p.  854. 


160  ^*  ^^^^^i 

folgenden  Tag  waren  die  Wirbelabtheilungen  der  paarigen  Theile  Ik 
merklich.  Nach  404  Stunden  (21.  April)  hatten  sich  die  Doppelköqv 
einander  genähert  und  so  weit  vereinigt,  dass  sie  nun  die  gleicL 
Länge  halten,  wie  der  unpaare  Schwanztheil,  und  einen  spitzen  Wink 
unter  einander  bildeten.  Die  Vereinigung  war  unter  Verkürsung  ur 
Fusion  der  Wirbelabtheilungen  zwischen  beiden  Körpern  erfolgt.  Bh 
hörte  die  Annäherung  auf,  jede  Hälfte  entwickelte  sich  vollständig  anu 
Bildung  zweier  Herzen ;  am  9.  Tag  verliess  der  Doppelembryo  da.s  I 
und  lebte  noch  4  Tage. 

Im  Jahre  4  853  sah  L.  wieder  mehrere  Monstra  in  Hechteiern,  darunt. 
auch  Doppelköpfe  und  Parasitenbildungen.     In  allen  Fällen  war  di- 
Chorda  dorsalis  doppelt  vorhanden  und  nahm  an  derVereim- 
gungsebene  keinen  Antheil. 

Lereboullet  1)  beobachtete  ferner,    dass  in  mandien  Fällen  str 
eines  einfachen  Primitivwulstes  ein  doppelter  oder  getheilter  Wulst  vor- 
handen war,  von  welchen  jeder  einen  Primitivstreifen  aussendete  uv 
demnach  zweiPrimitivrinnen  gebildet  wurden.  Dann  entstand«' 
zwei  völlig  getrennte  Embryonen,  welche  höchstens  am  Schwänzen«]' 
zusammenhingen.     In  anderen  FäUen  entstand  ein  einfacher,   breii« 
Primitivstreifen,  der  sich  vom  in  zwei  rundliche,  gleiche  oder  ungleich 
Lappen  endete  und  zwei  parallele  Primitivrinnen  enthielt,  deren  j((j 
Wirbelabtheilungen   bildete.     Jeder  vordere  Lappen  erzeugte    zw« 
Augenblasen,  die  einem  Doppelkopfe  angehörten,  der  aber  durc 
nachträgliche  Annäherung  und  Vereinigung   zu    einei 
einfachen  werden  kann  (15  Mal  beobachtet).     In  noch  anden" 
Fällen  bildete  sich  ein  kurzer  Wulst,  der  einen  Kopf  erzeugte,  sich  (]«•: 
Länge  nach  in  Wirbelabtheilungen  sonderte  und  die  Form  eines  Iinli 
offenen  Knopflochs  hatte.   Jede  Hälfte  enthielt  eine  Chorda  dorsalis,  eii 
MeduUarrohr  und  Wirbelabtheilungen.   Der  Rest  bildete  den  Schwan? 
War  der  Kopf  kurz,  so  entstanden  auf  jeder  Körperhälfte  zwei  Ohr- 
bläschen,  2  Brustflossen  und  ein  Herz ;  war  er  länger,  so  entstand  oin 
einfacher  Körper  mit  zwei  Augen,  zwei  Ohrbläschen  und  einfachen 
Herz;  die  hinteren,  getrennten  Körperhälften  waren  im  Oval  gesU^I. 
mit  einfachem  oder  Doppelschwanz. 

Bei  Parasitenbildungen  trug  der  Embryo  auf  der  einen  Seite  [dci 
rechten)  einen  kleinen  nach  hinten  gerichteten  Wulst,  der  ein  Ohr- 
bläschen und  ein  pulsirendes  Herz  hatte,  während  die  übrigen  Körpor- 
theile  sich  in  der  Entwicklung  aufgelöst  hatten.  Bei  vielen  durch  /u 
niedrige  Temperatur  in  der  Entwicklung  gestörten  Eiern  entstand  kein 


1)  A.  a.  0.  p.  4028. 


Ueber  Dreifaehbildongen.  161 

Keim,  der  KeimwuLst  verdickle  sich,  wurde  ein  htkskeriger  Tuberkel, 
der  sich  erhob  und  verlängerte,  Wirbelabtheilungen  bildete,  aber 
weder  eine  Chorda  dorsalis ,  noch  Sinnesorgane ,  noch  ein  Herz  besass. 

In  einer  zweiten  Versuchsreihe^)  bildete  der  Keimhttgel,  der  ge- 
wöhnlich eine  dreieckige  Form  hat,  zwei  benachbarte  Primitivstreifen, 
jeder  derselben  eine  besondere  Primitivrinne  und  am  andern  Morgen 
fand  sich  ein  Embryo  mit  zwei  Köpfen.  Bei  einem  zweiten  Eie  ent- 
stand aus  einem  einfachen  Primitivstreifen  mit  Doppelfurchen  ein 
Embryo  mit  zwei  ungleichen  Köpfen.  In  einem  dritten  fand  sich  neben 
dem  gewöhnlichen  dreieckigen  Primitivwulst  ein  kleiner  unregelmäs- 
siger Höcker,  woraus  ein  Embryo  mit  normalem  Körper  und  einem 
Tuberkel  zur  Seite  entstand.  Ein  viertes  Ei  bildete  im  Keimhügel  selbst 
zwei  Embryonalkörper  mit  einfachem  Kopf  und  zwei  Schwänzen. 
Endlich  fand  Lebbboullbt  auch  ein  Monstrum  mit  3  Köpfen, 
d.  h.  ein  doppelter  Embryo  war  am  Hinterleibe  verbunden ,  vorn  aber 
ganz  frei;  der  eine  Körper  war  einfach  und  normal,  der 
andere  hatte  2  Köpfe.  Der  linke  dieser  Köpfe  war  normal  gebildet 
und  hatte  zwei  Augen,  der  rechte  aber  hatte  nur  ein  rechtes  Auge, 
während  das  linke  (an  der  Stelle,  wo  die  beiden  Köpfe  verbunden 
waren)  fehlte.  Das  Monstrum  befand  sich  noch  am  43.  Tage  nach  der 
Befruchtung  im  Ei  und  hatte  zwei  Herzen ,  von  denen  eines  dem  Dop- 
pelkörper gemeinsam  war  und  an  der  Theilungsstelle  lag,  das  andere 
an  der  Verbindungsstelle  der  beiden  Köpfe.  Alle  fünf  Augen  waren 
pigmentirt.  Die  weitere  Entwicklung  ist  nicht  beschrieben,  aber  offen- 
bar lag  hier  Rbina  und  Galvagni^s  Missgeburt  in  einem  Hechtei  vor, 
nur  war  hier  die  Asymetrie  dadurch  vermehrt,  dass  die  beiden  Thei- 
lungsstellen  der  Achsenorgane  weiter  von  einander  entfernt  lagen ,  die 
beiden  Hauptkörper  stärker  gespalten  und  die  Doppelköpfe  stärker  ver- 
einigt waren,  was  sich  bei  weiterer  Entwicklung  vielleicht  mehr  aus- 
geglichen hätte. 

Ich  habe  diese  noch  immer  nicht  genügend  gewürdigten  Wahr- 
nehmungen von  Lbbbboullbt  hier  ausführlich  angeführt,  nicht  nur  weil 
sie  das  spärliche  Material,  was  in  Bezug  auf  Dreifachbildungen  vorliegt, 
erheblich  vervollständigen ,  sondern  auch ,  weil  sie  recht  einleuchtend 
dnrthun,  wie  weit  von  Verschmelzungen  und  von  Wiederuntergang 
bereits  gebildeter  Organe  bei  Mehrfachbildungen  überhaupt  die  Rede 
sein  kann.  Die  Affinitätstheorie  setzt  schon  fertig  gebildete  Individuen, 
beim  Menschen  also  wenigstens  Embryonen  vom  4. — 5.  Monate  der 
Schwangerschaft  voraus.    AUe  Beobachtungen  weis^*  '  ^in, 

4)  A.  8 


1 62  C.  Bruch, 

dass  die  Entstehung  der  Doppelbildungen  in  eine  viel  frühere  Zeit  fdlli, 
wo  eine  Körperform  noch  nicht  entfernt  ausgeprägt,  ExtremiUlten  nocii 
gar  nicht  vorhanden  und  nur  die  Primitivorgane  der  Keimhaut  theil- 
weise  angelegt  sind.  Weiter  zurückzugreifen,  als  bis  zum  Zeitpunkte' 
der  Befruchtung,  ist  zur  Erklärung  keines  einzigen  Falles  nöthis^. 
Ebenso  wenig  aber  kann  die  Entstehung  der  Mehrfachbildungen  in  eint^ 
spätere  Periode  verlegt  werden ,  als  in  den  Moment  der  erslcii 
Organanlage  selbst.  Wenn  Lbrbboullbt  in  nicht  seltenen  Fällen 
eine  theilweise  Wiedervereinigung  von  Doppelkörpem  und  Doppel- 
köpfen und  somit  auch  ein  theil  weises.  Wieder  untergehen  bereits  be- 
stehender Körpertheile  wahrnahm,  so  fand  eine  solche  »Verschmelzung^ 
immer  nur  in  sehr  beschränkter  Ausdehnung  statt,  sie  ging  stets  von 
den  vereinigten ,  unpaaren  Theilen  aus  und  hatte  demnach  etwa  eine 
ähnliche  Bedeutung^,  wie  die  Verheilung  von  Hautwunden,  welche  von 
den  Wundwinkeln  ausgehend,  sich  nach  und  nach  auf  die  Wundrander 
erstreckt.  In  allen  Fällen  war  bei  Hehrfachbildungen  die  theilweise 
Doppelung  das  Ursprüngliche  und  sie  wurde  durch  die  nachträgliehe 
Verschmelzung  zwar  streckenweise  aufgehoben  und  ausgeglichen,  nicht 
aber  dadurch  hervorgerufen. 

Damit  die  Gesetzmässigkeit  der  Dreifachbiidungen  vollsUindiu 
werde,  fehlt  nur  noch  ein  Fall,  welcher  die  vollständige  Trenn  u  nt: 
der  drei  Vertebralachsen  aufweist,  und  auch  dieser  Fall,  obwohl 
von  Geopfroy  für  unmöglich  gehalten,  existirt  und  zwar  in  der  ausge- 
prägtesten Weise.  Es  ist  das  von  Gbofprot^)  kurz  erwähnte,  nach 
GuRLT^s  Angaben  citirte,  FnoRiBP^sche,  jetzt  im  pathologischen  Museum 
zu  Giessen  befindliche  Tripclmonstrum  vom  Schaf.  Die  Kör|>cr 
von  drei  ausgetragenen  Lämmern  sind  in  der  Weise  mit  einander  ver- 
einigt, dass  zwei  derselben  einen  gemeinschaftlichen  Januskopf  haben, 
und  mit  dem  dritten  in  der  Thoraxgegend  verbunden  sind,  so  dass  e  i  w 
gemeinsamer  Brustkorb,  zwei  Köpfe,  drei  Hinterleiber  und  im  Ganzen 
zwölf  vollständige  Extremitäten  vorhanden  sind.  Dass  allen  drei  Kör- 
pern der  Nabel  gemeinsam  war,  ist  zwar  an  dem  Skelete  nicht  nach- 
zuweisen, aber  der  ganzen  Lagerung  und  Gliederung  der  Theile  nach 
nicht  zu  bezweifeln.  Sollte  eine  Vereinigung  zweier  Chorden  an  ihren) 
vorderen  Ende  im  Ja nuskopf  stattgefunden  haben,  so  kann  diese  nur  das 
äusserste  Ende  derselben  betroffen  haben,  da  drei  vollständige  Wirbei- 
säulen vorhanden  und  am  Doppelkopfe  ein  vollständiges  und  ein  unvoll- 
ständiges Gesicht  vorhanden  sind.  Zwei  Achsen  sind  daher  fast  parallel, 
die  dritte  unter  einem  sehr  spitzen  Winkel  zugeneigt,  was  eben  die 


1)  A.  a.  0.  p.  244. 


Oeber  Dreifachbildoiigeii.  163 

Bildung  des  Doppelkopfes  zur  Folge  hatte.  Offenbar  hatten  sich  auf 
einer  gemeinsamen  Keimhaut  in  einem  und  demselben  Fruchthof  drei 
Chorden  und  wahrscheinlich  auch  drei  Primitivrinnen  gebildet,  welche 
bei  weiterer  Distanz  und  vollkommener  Parallelität  zur 
Bildjung  von  normalen  Drillingen  auf  einem  einzigen 
Dotter  hätten  führen  können. 

In  allen  diesen  Fällen  liegt  nichts,  was  den  Gesetzen  des  Wirbel-  \ 

thiertypus  widerspräche  und  zu  der  Annahme  nöthigte,  dass  Dreifach- 
bildungen und  Hehrfachbildungen  aus  dem  Typus  ihrer  Abtheilung 
herausträten  und  sich  einem  anderen  Typus  anschlössen,  wie  man 
namentlich  in  früherer  Zeit  von  vielen  Doppelbildungen  angenommen 
hat.  Auch  das  Gesetz  der  bilateralen  Symmetrie  findet  sich  modificirt 
und  complicirt,  nicht  aufgehoben,  so  wenig  als  es  durch  einen  asym- 
metrischen Schädel,  ein  Becken  oder  überzählige  Extremitäten  der  Art 
aufgehoben  wird.  Jedermann  begreift,  dass  Asymmetrien  in  dem 
Maasse  häufiger  auftreten  werden ,  als  die  Achsentheilungen  sich  ver- 
vielfoltigen  und  einseitig  auftreten.  Ein  Stück  Vereinigungsachse  aber 
lässt  sich  auch  bei  Dreifachbildungen  so  gut  nachweisen,  als  bei  Dop- 
pelbildungen,  so  weit  nämlich  die  Achsenorgane  einfach 
sind.  Jeder  Unterast  eines  Achsenschenkels  hat  seine  axe  d'union  für 
sich,  welche  dann  mit  der  Yertebralachse  desselben  zusammenfällt. 
Diese  letztere  aber  kann  sich  wieder  in  zwei  Vertebralachsen  spalten. 
Findet  die  Spaltung  auf  beiden  Seiten,  paarig-symmetrisch  statt,  so 
kann  ein  bilateral-symmetrisches  Monstrum,  etwa  eine  Yierfachbil- 
dung,  entstehen,  aber  auch  wenn  man  nicht  an  Parasitenbildungen 
denkt,  begreift  man,  dass  die  Symmetrie  desto  weniger  gewahrt  sein 
wird,  je  weiter  sich  die  Unterspaltungen  von  der  primären  Vereinigungs- 
achse entfernen.  Sind  gar  drei  völlig  getrennte  Achsenorgane  vor- 
handen, wie  in  dem  FRORiBP'schen  Falle,  so  wird  die  definitive  Form 
allein  von  dem  Parallelismus  und  der  Entfernung  derselben  von  ein- 
einander  abhängen ,  wie  bei  den  Doppelbildungen  erörtert  worden  ist. 

Es  ist  auch  nicht  nöthig,  mit  J.  Gboffrot  St.  HaAnu^)  eine  mehr- 
fache Vereinigungsachse  anzunehmen,  von  welchen  jede  zwei  Indi- 
viduen gemeinsam  sei,  die  zusammen  ein  Doppelmonstrum  bilden, 
denn  da  sich  vom  Doppelmonstrum  zu  Zwillingen  auf  dem  Dotter  alle 
Uebei*gänge  finden  und  man  bei  letzteren  doch  nicht  wohl  von  einer 
Vereinigungslinie  sprechen  kann,  wird  man  auch  an  Dreifach-  oder 
Drillingsbildungen  der  Art  nicht  eine  Anforderung  stellen  dürfen ,  die 
auf  der  irrigen  Voraussetzung  beruht ,  dass  sie  aus  der  Verschmelzung 


4)  A.  a.  0.  S.  i45. 

Bd.  VII.    S.  44 


lieber  Dieünehbildangen.  165 

clien ,  ausgeführt y  ddss  man  nicht  nur,  naeh  J.  Ft.  Mbgkbl^s  Vorgänge, 
jeder  bilateralen  Hälfte  des  Wirbelthierleibes  das  Vennögen  zusehreiben 
mttsse,  unter  Umständen,  d.  h.  bei  eintretender  Ketmspaltung  in  sehr 
früher  Zeit,  zwei  vollständige  Individuen  (und  daher  bei  unvollständiger 
Spaltung  eine  Doppelmissgebort)  hervorzubringen,  sondern  der  Wirbel- 
thierleib  selbst  sei  aus  der  Vereinigung  zweier  Individuen  entstanden 
zu  denken,  »weldie  die  ihnen  fehlenden  Hälften  bei  der  Vereinigung 
zam  Opfer  gebracht  haben«.  Darnach  stellt  Rughbkt  zwei  Kategori^a 
von  Doppelmissgeburten  auf:  4)  solche,  die  dadurch  entstdien,  dass 
an  einem  befrachteten  Eie  durch  zu&Utg  veranlasste  Keimspaltung  die 
Anlagen  zweier  Individuen  auftreten,  welche  später  bei  der  Entwicklung 
sich  mehr  oder  weniger  vereinigen  und  in  der  Berührunglinie  gewisse 
Theile  oder  Hälften  opfern;  2)  solche,  bei  welchen  zwei  normal  in  dem 
bilateralen  Wirbelthierkärper  sich  vereinigende  Individuen  oder  deren 
Anlagen  ihre  bei  der  normalen  Vereinigung  ausfallenden  Hälften  mehr 
oder  weniger  vollständig  ausbilden  und  dadurch  die  Entstehung  eines 
Doppelembryo  bedingen.  Im  ersten  Falle  wlirde  die  Vereinigung ,  im 
zweiten  Falle  die  Trennung  eine  unvollständige  sein.  Mit  Rücksicht  auf 
diejenigen  Doppelbildungen,  welche  in  (ttametral  entgegengesetzter  Rich- 
tung verbunden  sind,  dieGtoPFROv'schenCephalopagen,  wovon  Riighert 
einen  schünen  Fall  beim  Hühnchen  beobachtet  hat,  mttssten  demgemäss 
vier  virtnelle  Individuen  angenommen  werden ,  welche  Rbighbbt  durch 
Querspaltung  des  Keimes  vor  Bildung  der  ersten  Keimhautorgane 
entstehen  lassen  und  von  den  durch  Längsspaltung,  nach  der 
ersten  Anlage  der  Acbsentheile ,  entstandenen  bilateralen  Doppel- 
bildungen unterschieden  haben  will. 

Es  ist  nicht  in  Abrede  zu  stellen ,  dass  diese  scharfsinnige  An- 
schauungsweise, inaofem  sie  die  Entstehung  aller  Doppelbildung  aus 
einem  einfachen  Dotter  und  auf  einer  Keimhaut  zu  Grunde  legt ,  den 
Erfahrungen  der  Entwicklungsgeschidite  gebührende  Rechnung  tra^ 
und  daher  in  viel  höherem  Grade  geeignet  wäre,  zwischen  den  sich  ein- 
ander entgegenstehenden  Theorien  zu  vermitteln ,  als  die  GsoFFROT'sche 
Afünitäistheorie ,  welcher  kein  anderes  anatomisches  oder  embryo- 
logisches  Gesetz  zur  Seite  steht«  Die  Gründe,  ans  welchen  idi  Rbighbit^s 
Ansicht  nicht  beitreten  kann,  sind  jedoch  folgende: 

4)  Ausser  der  Choroa  dorsalia,  welche  von  Anfang  an  stets  als 
unpaares  Organ  auftritt,  und  von  welcher  sich  Reste  selbst  bei  den 
hächsten  Thieren  zeillebeBS  erhalten ,  giebt  es  kein  primitives  Organ, 
welches  bei  der  bilateral-symmetrischen  Entwicklung  der  Wirbelthiere 
nachweislich  zum  Opfer  gebracht  werden  konnte.  Es  liegt  daher  in  der 
bis  zu  einem  ausserordentlichen  Grad  der  Gonavigkoit  gediehenr 


C.  Brach, 

1  Eolwiclclungsvorgange  kein  DSthigender  Grund  zur 
ipranglichen  Duplicitfit  des  WirbeiUiieror^aaismiis. 
ohl  bei  eioer  solchen  Annahme,  auch  wenn  sie  Dur 
Organismus  zur  Herstellung  eines  Doppelindividuums 
orkommen  von  Doppelbildungen  viel  häufiger  seia, 
igeben. 

IQ  J.  GioFnov  St.  Hilaim  ■)  in  nothwendiger  Conse- 
melzungstheorie  zu  der  widerstrebenden  Annahme 
8  alle  Doppelbildungen,  mit  Btlcksicbt  auf  den  Hangel 
ungsebene  fallenden  Organtheile  als  Ddfecte  aufzu— 
derstrebt  es  noch  mehr,  eine  ähnliche  Auffassung  auf 
belthieriejb  ausgedehnt  zu  sehen ,  dessen  bilaterale 
ielen  anatomischen  Systemen  ein  viel  innigeres  Ver— 
t,  als  das  zweier  verschmolzener  Individuen. 
)  der  beiden  Ohrblaschen  auf  den  einander  zuge- 

vouBbiubb»  beobachteten  Dicephalus  von  derGans, 
m  Ohrblaschen  der  beiden  äusseren  Seiten  deutlich 

spricht  vielmehr  für  Nichtentwicklung,  als  fUr  einen 
in  Wiedenintei^ng. 
il  bei  der  gangbaren  und  auch  von  A.  Föksteb  zuletzt 

Ansicht  stehen  bleibe,  wel<^e  die  Doppelbildungen 
esse  und  zwar  durch  Sttfning  des  normalen  Wachs- 
en Oi^ane,  zunächst  als  das  Haass  überschrei- 
Idung,  auffasst,  so  glaube  i<A  keineswegs,  eine 
der  eigentlichen  Ursachen  zu  besitzen,  sondern  mich 
in  die  bisherigen  Resultate  der  Beobachtung  anzu— 
BS  gilt  namentlich  auch  von  den  bisher  beobachteten 
Igen,  welche  durch  die  BncHiRr'sche  Vorstellungs- 
ise  verständlicher  werden.  Der  Werth  der  letzteren 
lieh  darin  zu  beruhen,  dass  sie  in  jeder  Keimhaut 
jung  zweier  vollständiger  Individuen  als  vorhanden 

den  Begriff  der  Doppelbildung  noch  unter  den  des 

lasst.  Ich  stehe  jedoch  nicht  an,  meine  Ueberzeugung 
3D ,  dass  ich  euch  eine  Drei-  und  Hehrfachbildung 
m,  ja  selbst  die  Bildung  von  drei  völlig  getrennten 
\..  PöKSTEit^  diese  Möglichkeit  nicht  annimmt,  ftlr 
in  halte, 
n  in  meinen  beiden  ersten  Abhandlungen ')  betont, 


10.  VII.  S.  140. 


Deber  DreifnchbildongeD.  167 

dass  ich  nicht  die  Chorda  dorsalis,  sondern  di^  Primitivrinne  als 
erstes  Fundamentalorgan  der  Keimhaut  betrachte,  welches  Verdoppe- 
lungen unterliegen  kann,  und  ich  bin,  mit  Rücksicht  auf  die  Wahr- 
nehmungen von  Lerbboullbt,  gern  bereit,  die  frühesten  Anfünge  von 
Mebrfachbildungen  auf  eine  doppelte  oder  mehrfache  Sonderung  des 
Embryonalfleckes  (Primitivwulstes,  bourrelet  marginal  nach  Lkiiebodllbt) 
zurückzuführen ,  von  welchem  aus  die  Bildung  der  Primitivrinne  oder, 
wo  ein  solcher  vorausgeht ,  des  Primitivstreifens  ihren  Anfang  nimmt. 
Man  könnte  dann  noch  genauer  zwischen  Mehrfachbildungen  der  Chorda 
dorsalis  und  solchen  der  Primitivrinne  unterscheiden  und  letzterer 
namentlich  die  vollständigen  Verdoppelungen  der  Achsenorgane 
zuweisen ;  allein  in  den  einzelnen  Fällen  wtirdc  es  schwer  sein ,  diese 
Unterscheidung  streng  durchzuführen.  Die  Entstehung  dieser  verschie- 
denen Primitivorgane  liegt  in  der  Zeit  zu  nahe  beisammen,  als  dass  man 
diese  Epochen  genau  abgränzen  könnte,  und  als  scharf  abgegrenztes 
Organ  des  Embryo  ist  die  Chorda  dorsalis  in  derThat  das  erste,  dessen 
Schicksal  ausserdem  von  dem  der  Primitivrinne  unzertrennlich  ist.  Sie 
bedingt  den  Begriff  »Wirbelthier«  und  die  Verdoppelung  der  Wirbel- 
säule macht  doch  das  wesentlichste  Merkmal  aller  höheren  Grade  von 
Mehrfachbildung  aus. 

Diese  Anschauungsweise  führt  mich  nicht  zur  Annahme  einer 
Querspaltung  des  Keimes  bei  denjenigen  höchsten  Graden  von  Ver- 
doppelung, welche  sich  durch  diametral  entgegengesetzte  Achsenbildung 
auszeichnen.  Von  diesen  höchsten  Graden  des  Cephalopage  zu  Winkel- 
stellungen und  von  diesen  zu  den  Janusbildungen  und  den  Doppelleibem 
aller  Art  giobt  es  alle  Uebergänge,  zwischen  denen  es  unmöglich  ist, 
eine  scharfe  Gränze  zu  ziehen.  Der  eine  der  RBicHBRT'schen  Fälle  vom 
Hühnchen  *]  versinnlicht  durch  die  beinahe  rechtwinklige  Stellung  der 
Körperachsen  diesen  Uebergang  in  der  wünschenswerthesten  Weise  und 
man  darf  nicht  übersehen ,  dass  die  ursprüngliche  Lagerung  derselben 
keineswegs  entscheidend  für  die  Stellung  der  ausgebildeten  Doppel- 
leiber ist,  sondern,  wie  die  Beobachtungen  an  Hechteiem  lehren, 
mancher  Abänderungen  fähig  ist,  welche  die  Winkelstellung  derselben 
sowohl  vergrössem  als  verkleinem  kann.  Die  Entwicklung  der  Ex- 
tremitäten sowohl  als  die  der  Schädelknochen .  letztere  namentlich  bei 
den  Cephalopages ,  übt  hier,  worauf  ich  2)  schon  früher  hingewiesen 
habe,  einen  merkbaren  Einfluss,  der  auch  in  einem  der  von  Dönitz  ^) 


4)  A.  a.  0.  Taf.  VIU,  Fig.  5,  6. 
t)  A.  a.  O.  Bd.  VU,  S.  S96,  807. 

5)  A.  a.  0.  4866.  S   84. 


Ueber  DreifMAbiMongen.  169 

Offenbar  mUssen  hier  Ursachen  angenommen  werden,  weiche  ihne  Wirk- 
samkeit im  BereK^lie  der  norroalen  Etitwicklungsv6rgange  entfalten 
können  und  denselben,  statt  sie  in  feindseliger  Weise  plMzKcfa  eu  unter- 
brechen, vielmehr  eine  in  abnormer  Weise  verstSlrkte  und  localisirte 
Anregung  verleihen.  Eine  stellenweise  vermehrte  Z^llenanhaufung ,  ja 
eine  einzige,  sieh  ailzurasc^h  theil^nde  Elementarselle, 
eine  geringe  Abweichung  in  der  Vertheilung  der  prkniliven  Gefilss- 
bahnen ,  kann  hier  von  viel  grosserer  Tragweite  Werden ,  als  die  hef- 
tigsten Insulte,  welche  den  mütterlichen  Körper  treffen. 

Ich  habe  schon  oben  auf  eine  gewisse  UnregelmUssigk^t  hin- 
gewiesen ,  in  welcher  die  Anlage  der  ersten  Organe  der  Keimhaut  bei 
manchen  Thiercn ,  namentlich  bei  den  Balrachiem ,  erfolgt.  Die  Pri- 
miti vfurche  f st  bald  breiter ,  bald  schmaler ,  der  Dotterpfropf  kann  bei 
der  Bildung  der  Primitivwttlste  vollständig  verschwunden  oder  noch 
sichtbar  sein.  Man  muss  also  auch  hier ,  wie  \dh  ^)  bei  einer  anderen 
Gelegenheit  bemerkt  habe,  »den  organischen  Gesetzen  der  Entwicklung 
eine  gewisse  Breite  der  Manifestation!  zugestehen ,  innerhalb  derer  sie 
noch  der  Norm  genügen  und  welche  ohne  scharfe  Glänze  itt  die  Ab- 
normität hinüberführt.  Nach  meinen  Erfehrungen  bei  Batrachiem  be- 
findet sich  das  hintere  Ende  der  Primitivrinnie  constAnt  der  Schluss- 
stelle der  Keimhaut ,  dem  Dotterpfropf  gegenübet*  und  ebenso  vierhäh 
sich  die  Sache  bei  den  Fischen.  Nach  den  Wahrnehmungen  von  Lbrb- 
BouLLET  scheint  es  aber  auch  vorzukommen,  dass  das  Kopfende  dem 
Keimwulste  zunUohst  liegt  und  in  der  That  wird  die  Entstehung  eines 
Cephalopagc  schwer  anders  zu  erklären  sein,  als  E.  d'Altoii  ^)  annimmt 
und  schematisch  gezeichnet  hat.  Im  HtLhnereie  steht  der  Embryo  be- 
kanntlich mit  seinem  Langsdurchmesser  vom  Anfange  der  Entwicklung 
an  im  Querdurchmesscr  des  Eies  (und  ebenso  in  dem  ahnlich  gestalteten 
Hundeetü)  und  doch  kann  eine  Doppelbildung  nur  zu  Stande  kommen, 
wenn  eine  oder  beide  Körperacbsen  von  diesem  Grundgesetze  ab- 
weichen. In  der  That  hat  C.  E.  v.  Bkm^)  beobachtet,  dass  sich  wenig- 
stens die  Pole  der  Embryonalachse  umkehren  können. 

Man  kann  sich  leicht  vorstellen ,  dass  eine  Abweichung  von  der 
normalen  Stellung  der  Embryonalachse  gerade  im  Momente  der  ersten 
Anlagei  vielleicht  sogar  eine  solche,  die  durch  äussere  Ursachen  herbei- 
geführt ist,  zur  Bildung  von  Doppelbildungen  disponirt.   Allein  man 

4)  Untereachungen  über  die  Entwicklung  der  Gewebe  bei  den  warmblütigen 
Thieron.    Frankfurt  a.  M.  4868.  S.  8. 

5)  De  monslromm  duplicinm  origine  alque  evoiutione.    Ualis  4840.   p.  4S, 
Fig.  4,  5. 

8)  Geber  Entwicklungflgeschicbte  der  Thiere.  1.  Tbeil.  S.  4t. 


st^lnden,  Embryonalachsen  auch  in  anderen  Bichlungen,  radiär  ')  um 
den  Embryonalfleck  benimgeslellt ,  entwickeln  ktlnnen,  von  deren 
gegenseitiger  Lagerung  und  Entfernung  die  Bildung  eines  Doppel— 
monstrums  oder  auch  von  sZwiDingen  auf  dem  Dotl«ro  resultirL  Viel- 
leicht giebt  gerade  der  Voi^ng  einer  :m  beschränkter  Stelle  verslärklt^n 
Zellen  Wucherung,  wie  sie  bei  der  Bildung  des  Enibryonalfleckes  nach 
völliger  Umwachsung  des  Dollers  eintritt,  ein  begünstigendes  Ho- 
ntcnt  ah. 

Solche  Vorstellungen  setzen  keineswegs  die  Annahme  eines  primär, 
d.  h.  schon  vor  der  Befruchtung  abnormen  Keimes  voraus.  Sic  lassen 
sich  sogar  sehr  wohl  mit  der  Annahme  einer  relativ  üusseren  Ursacbo 
vereinbaren.  Die  notorische  Häufigkeit  der  Doppelbildungen  bei  ktlnsl^ 
lieh  befruch(«ten  Pischeiern ,  die  Beschränkung  von  Doppelbildungen 
bei  Froschlarven  auf  einzelne  Brüten ,  verlangt  nicht  eine  grobmecbd- 
nische  Erklärung,  sie  durfte  vielmehr  in  viel  feineren  molecultii-eii 
Vorgangen,  vielleicht  unter  Betbciligung  des  mannlichen  Zeugungs- 
stofies,  begründet  sein.  Zwar  weisen  die  von  J.  Gbofpsot^  gesammelten 
Erfahrungen  Über  die  Erblichkeit  der  Missbildungen ,  sowie  das  Bei- 
spiel von  Chang  und  Eng,  welche  beide  eine  zahlreiche,  normal  ge- 
bildete Familie  erzeugt  haben  ,  in  der  erfreulichsten  Wdse  nadi ,  dass 
die  Neigung  dazu  keinesfalls  eine  absolute  ist,  doch  ist  eine  ge- 
wisse Disposition  in  einzelnen  Fällen,  wie  z.  B.  bei  Überzähligen  Fin- 
gern und  Fingergliedem^),  so  wie  besonders  bei  Extromitatenmangol  *; 
unzweifelhaft  erwiesen. 

Das  Verhältniss  der  Fehler  erster  Bildung  zu  den  Fehlern 
zwwter  Bildung  kann  hier  lu  manchen  Irrungen,  sowohl  in  der 
Beobachtung  als  in  der  Scblussfolgerung  führeo ,  und  beiderlei  Voi- 
g<lnge  müssen  desto  schärfer  auseinander  gehalten  und  unterschieden 
werden.  Alle  bisherigen  Beobachtungen;  insbesondere  die  von  C.  E. 
V.  Bakb  und  H.  HtiLLEH,  über  regencrirtc  Eidechscnschwänze  haben 
dargethan,  dass  wenigstens  in  dieser  Classe  Begenerationsphänomene 
niemals  die  anatomische  und  histologische  Ausbildung  der  Oi^ne  der 

1)  Bei  keinem  Wirbeltbier  liegt  die  Primiüvri»ne  vom  Aofang,  so  viel  mir  bc- 
liannl  ist,  diaiDetrsI ,  sondern  Biets  radiär,  d.  h.  sie  erstreckt  sich  nicht  über 
die  Mitte  des  Fnichtliofes,  sondern  von  dem  Mittelpunkte  desselben  nach 
der  Peripherie.  Ob  das  Kopf-  oder  Schwanzende  dem  Mittelpunkt  nflber  liegi, 
ist  dann  noch  nicht  zu  unierscheideD. 

1)  A.  a.  0.  p.  ITS. 

S)  Ebenda,  1.  p.  t9B. 

t)  Ebenda,  U.  p.  170,  I.  p.  480. 


Ueber  Dreifachbildongen.  171 

ersten  Bildung  darbieten.  Dasselbe  bost<lli|^en  meine  Beobachtungen 
an  den  regenerirten  Schwänzen  von  Froschlarven ,  wie  ich  in  meiner 
letzten  Abhandlung^)  erörtert  habe,  und  die  oben  angeführte  Angabe 
von  A.  Günther.  Dass  sich  bei  niederen  Thieren  die  Sache  überall  so 
verhalte,  ist  weder  wahrscheinlich  noch  erfahrun^sgemäss ,  vielmehr 
kann  es  als  ein  bereits  feststeh^des  Gesetz  angesprochen  werden,  dass 
die  Regeneration  eine  desto  leichtere  und  vollkommnere  sein  wird ,  je 
einfacher  das  Gewebe  einerseits  und  je  niedriger  stehend  das  be- 
treffende Thier  andererseits  ist.  An  älteren  Beobachtungen  über  Po- 
lypen, Würmer  und  selbst  über  Weichthiere  fehlt  es  nicht,  es  wäre 
aber  an  der  Zeit,  dass  diese  Versuche  mit  den  Hülfsmitteln  der  neueren 
Zeit,  insbesondere  in  histologischer  Beziehung ,  wieder  aufgenommen 
würden.  Eine  reiche  Ausbeute  von  folgenreichen  Wahrnehmungen 
dürfte  nicht  ausbleiben.  Ja  selbst  die  Botaniker  haben  hier  noch  eine 
Aufgabe,  da  die  sogenannte  Regeneration  im  Pflanzenreiche,  obgleich 
anscheinend  so  ausgiebig ,  doch  in  den  meisten  Fällen  nach  anderen 
Principien  vor  sich  zu  gehen  und  mehr  ein  Nachersatz  als  Wieder- 
ersatz  zu  sein  scheint. 

Sehr  auffallend  und  interessant  sind  besonders  die  Nachrichten  von 
Regenerationserscheinungen  bei  Kindern  und  erwachsenen  Menschen, 
weiche  kürzlich  Gh.  Darwin  ^j  in  seinem  grossen  Werke  gegeben  hat. 
Darwin  führt  eine  Reihe  von  Fällen  auf,  in  welchen  überzählige  Finger, 
welche  amputirt  worden  waren,  nicht  nur  einmal,  sondern  dreimal 
wieder  erzeugt  wurden  und  ebenso  oft  von  neuem  operirt  werden 
mussten,  ein  Vorkommen,  was  etwas  Erschreckendes  hat  und  an  die 
vergebliche  Operation  bösartiger  Geschwülste  erinnert.  In  einzelnen 
Fallen  vererbte  die  Missbildung  auf  die  Nachkommen  und  es  liegen 
selbst  Beispiele  vor,  wo  sie  sich  durch  Uebertragung  verstärkte.  Bei 
dem  Mangel  eigener  Erfahrungen  und  dem  völligen  Schweigen  der 
Handbücher  über  derartige  Erfahrungen,  kann  ich  mir  kein  Urtheil 
erlauben,  halte  aber  Darwin's  Vermuthung,  dass  manche  Organe  einen 
embryonalen  Charakter  dauernd  bewahren  und  damit  auch  ein  unge- 
wöhnliches Reproductionsvermögen  behalten ,  für  eine  sehr  beachtens- 
werthe,  welche  zu  weiterer  Untersuchung  solcher  Fälle  auffordern  muss. 

Was  ausser  den  in  bisherigen  beschriebenen  Fällen  von  dreifachen 
oder  Drillingsbildungen  Zuverlässiges  bei  den  Schriftstellern  erwähnt 
worden  ist,  ist  nicht  viel.   Als  dahingehörigen  Fall  beschreibt  Dareste  ^j 


4)  A.  a.  0.  VU.  S.  R66ff. 

I)  Das  Variiren  der  Thiere  and  Pflanzen  im  Zustande  der  Domestication. 
Uebers.  von  V.  Cakus,  4868.  U.  S.  49. 
8)  Comptea  rendas.  4865.  p.  568. 


7)  Reiner  PleoaBSmus  ibI  sDoppelmissbildnng»,  nie  tdaa  hj«r  und  da  li«sl. 


Ueber  DreitehbildoDgen.  1 73 

zu  Grunde  liegt,  ist  es  erwtlnscht,  »Zwillinge  auf  dem  Dotier«  von 
»Zwillingen  auf  mehreren  Dottern«  zu  unterscheiden.  Dönitz  schlägt  für 
€U-stere  die  Bezeichnung  » Paarung a  vor  und  will  das  Wort  »Zwillinge« 
fiXr  die  gewöhnlichen  Doppelgeburien  im  gangbaren  Sinne  reserviren, 
wogegen  nichts  einzuwenden  wäre,  wenn  nicht  Dönrrz,  gleich  Rbichbrt, 
den  Wirbelthierleib  nicht  als  bilateral-symmetrischen,  sondern  als 
paarig-symmetrischen  auffasste,  was  nach  unserer  Ansicht 
wiederum  zu  Missvcrständnissen  führen  könnte.  Ausserdem  dürften 
nicht  alle  Sprachen  im  Slande  Bein,  bdde  Ausdrücke  entsprechend  wie- 
derzugeben. 

In  praktischer  Beziehung  hat  sich  bekanntlich  H.  Mbgul  ^)  viele 
Mühe  gegeben ,  gewöhnliche  »ZvidUingea  und  »Paarlingea  in  dem  eben 
erwähnten  Sinne  (zu  welchem  letzteren  auch  nach  Reichbbt  alle  Dop- 
pelbildungen höheren  Grades  zu  rechnen  wären)  an  der  Beschaffenheit 
der  Eihäute  zu  erkennen.  Dass  die  Einfachheit  des  Mutterkuchens  dazu 
nicht  ausreicht,  ist  allgemein  bekannt.  Mbcul  legt  daher  ein  grosses 
Gewicht  auf  die  Gemeinsamkeit  der  Eihäute,  namentlicfa  des  Amnion, 
so  wie  auf  das  gänzliche  Fehlen  des  letzteren.  Da  er  jedoch  der  Yer- 
schmelzungstheorie  huldigte,  also  alle  Zwillinge  auf  zwei  Dotter  zu- 
rückführte und  auch  die  Doppelmonstren  aus  ursprünglich  getrennten 
Keimen  hervorgehen  Hess,  konnte  es  sich  für  ihn  nur  darum  handeln, 
ob  Zwillinge  aus  einem  oder  aus  getrennten  Graafschen  Follikeln 
stammen.  Er  führt  mehrere  Fälle  von  Doppelgeburten  an,  bei  welchen 
entweder  die  Deoidua ,  oder  das  Ghorion  oder  auch  das  Amnion  einfach 
und  gemeinsam  war.  In  allen  Fällen  von  Zwillingen  oder  Zwiilings- 
missbildungen  mit  gemeinsamen  EihüUen  sollen  diese  ferner  gleichen 
Geschlechts  sein ,  was  schon  Gbopfrot  >)  für  die  Doppelbildungen  be- 
hauptet hat  und  andere  Schriftsteller  bestätigten. 

Die  erstere  Frage  kann  nach  den  nunmehrigen  Ermittelungen  in 
dem  Sinne,  wie  sie  H.  Mbgkbl  gestellt  hat,  kaum  noch  ein  Interesse 
haben ,  denn  es  ist  nicht  einzusehen ,  warum  sich  Zwillinge  aus  dem 
Follikel  nicht  verhalten  sollten,  wie  andere  Zwillinge,  wie  ich^}  schon 
früher  erörtert  habe.  Dagegen  werden  Zwillings-  und  Mehrfachgeburten 
mit  einfachen  Eihäuten,  insbesondere  mit  einfachem  oder  fohlendem 
Amnion,  immer  dem  Verdachte  unterliegen  »Paarlingec  d.  h.  Zwillinge 
auf  dem  Dotter  zu  sein,  Individuen  demnach,  welche  der  Gefahr,  eine 
Doppelbildung  zu  werden,  glücklich  entronnen  sind.  Nur  das  Verhalten 
der  (einfachen  oder  doppelten)  Nabelblase  kann  hier  entscheiden. 


i)  A.  a.  0.  p.  «77. 

a)  A.  a.  0.  VII.  S.  174  tl. 


Bfzu)^  auf  das  gleiche  Geschlecht  von  ZwillJogen,  hat  H.  Mkcsel  < 
che  Untersudiung  ergeben ,  dass  dasselbe  bei  der  Mehr- 
;r  Zwillingsgehurt«n  zulrifil  (d.  b.  unter  I4f,715  Zwillin^s- 
'o    befanden   sich  00,487   mit  gleichem  Geschlechl,    daninttT 

mit  zwei  Knaben,  43, il3  mit  zwei  Mädchen,  aber  51,:?3s 
sn  ungleichen  Geschlechts).  Unter  719  Drillingsgebu rl<-n 
an  38i  mal  drei  Knaben,  335  mal  't  Hadcben,  dagegen  87S  mal, 
in  der  Hehrzahl  ungleiches  Geschlecht,  Dümürh 
1  2  Knaben  und  1  Mildchen,  40!)  mal  <i  Mädchen  und  1  Knahrn. 
5  Vierlingsgeburten  waren  <  t  mal  i  Knaben,  6  mal  4  Madchrn, 
1  in  ^i  Fallen  ungleiches  Geschlecht  vorhanden,   d.  h,  9  mal  i 

und  2  Mädchen ,  7  mal  3  Müdchen  und  1  Knabe ,  und  8  oial 
en  und  1  Hcldchen.    Die  Uugleichheit  dos  Geschiccbl> 

also  mit  der  Mehrgeburl  und  es  läset  sich  daraus  ^vediT 
iposition  für  die  Bildung  von  Monstren,  noch  ein  Schluss  auf  dt-c 
[>g  der  Eier  deduciren.  Wohl  aber  lässt  sich  das  stel«  gleirhi- 
:cbt  von  Doppel bilduDgen  ftlr  die  epigcnetiscbe  Theorie,  nach 
r  alle  Hehrfachbildungen  aus  einem  Keime  ihren  Ursprung 
I,  verwerlhen. 

htiesslich  stelle  ich  die  allgemeinsten  Besultale,  zu  weichen  ich 
hin,  zusammen : 

^hrfacbbildungen  beruhen  auf  der  unbeschrankt 
heil  barkeit  des  thierischen  Organismus,  welche 
Ibe   bei   den   höheren   Thicrun    jedoch   nur   auf   der 

der  Koimbildung,  vom  Momente  der  Befruchtunt: 
s  zur  Entstehung  der  ersten  Ktfrperanlagen ,  ii) 
lern  Grade  besitzt  und  mit  der  fortschreitenden 
enzirung  der  Organe  immer  mehr  einbUssl. 
e  Ursachen  der  Hehrfachbildung  können  nur  in 
'.n  Einwirkungen  gesucht  werden,  welche  im 
e  sind,  in  dem  oben  erwähnten  Zeiträume  den 
ibildungsprocess  in  der  Keimbaut  in  abnormer 
:  anzuregen  und  zu  sltfren. 

ich  Dreifachbildungeu  unterliegen  den  GesetBen 
ilaieralen  Symmetrie  des  Wirbelthierleibes,  so 
ein  gemeinsames  Ächsenorgan  vorhanden  ist. 
re  Theiluugen  führen  dagegen  meistens  zur  Asym- 
},  da  die  getheilte  Unlerachse  für  ihre  KOrperhaifte 
uptachse  zu  betrachten  ist. 
HCl  vollständiger  Trennung  der  dreifachen  Achsen- 
organe ktfnnen  je  nach  der  Lagerung  und  gegenseitigen 


Ueber  Dreifacbbildnogen.  175 

Neigung    derselben    symmetrische   oder    asymmelrische 
Mehrfachbildungen  entstehen. 

Auch  die  Entstehung  von  normalen  Drillingen  auf 
einem  einfachen  Dotter  ist  möglich,  wenn  auch  beim 
Menschen  noch  nicht  beobachtet. 

Offenbach  a.  M.,  3.  Juni  1871. 


IrUirang  der  ibbildnngeii. 


TaM 

Fig.  4.  Larve  von  Pelobates  fuscus  mit  dreifach  gotheilter  Chorda  dorsalis  im 
Schwänzende.    Natürliche  Grösse. 

Fig.  S.  Das  Schwanzende  derselben  Larve  bei  zehnmaliger  Vergrösserung,  um 
die  dreifache  Theilung  der  Chorda  und  die  Ausbreilung  der  Muskel- 
segmente und  der  Blutgefässe  übersehen  zu  lassen. 


Beiträge  zur  Entwicklnngsgeschtehte  der  Milch- 
drüsen beim  Mensclien  und  bei  Wiederkäuern  '> 


Von 

Dr.  med.  Uaz  Huss. 


Mit  Tafel  Xn  vl  XHI. 


Mit  vorliegender  Untersuchung  bexwecke  ich  eine  in  den  diesei 
Gegenstand  berührenden  Arbeiten  befindliche  Lücke  auszufüllen.  Wem 
auch  die  Kenntniss  der  Entwicklung  der  Milchdrüse  des  Menscbei. 
besonders  durch  die  Untersuchung  Langkr's  eine  ziemlich  genaue  ist, 
so  blieben  doch  über  manche  einzelne  Punkte  der  betreffenden  Vorgäni:i 
Lücken  bestehen  und  von  diesen  darf  die  Bildung  der  Papille  als  dii 
bedeutendste  bezeichnet  werden.  Deshalb  habe  ich  ausser  den  di^ 
Entstehung  des  Drüsengewebes  einleitenden  Vorgängen  vorzüglich  du 
Genese  der  Papille  ins  Auge  gefasst  und  diese  durchaus  nicht  so  einfaci 
gefunden ,  als  die  blosse  Beurtheilung  des  fertigen  Zustandes  glaubtu 
lassen  könnte,  welch'  letzterer  bisher  allein,  wenigstens  beim  Menschen 
und  einigen  Wiederkäuern,  durch  die  mikroskopische  Untersuchuni 
genauer  bekannt  geworden  war. 

Ausser  der  Entwicklung  der  Papille  machte  ich  mir  die  Verglci- 
chuiig  der  beim  Menschen  beobachteten  Vorgänge  mit  den  bei  Säuge- 
thieren  bestehenden  zur  Aufgabe,  zu  welcher  ich  vorwiegend  durch  die 
höchst  eigenthümliche  Thatsache  inducirt  ward,  dass  die  stets  der  Pa- 
pille des  Menschen  homolog  erachtete  Zitze  wenigstens  innerhalb  einer 
Abiheilung  der  Säugethiere  bezüglich  der  zeitlichen  Erscheinung  sieb 
ganz  verschieden  verhält.  Während,  wie  längst  bekannt,  die  Papilla 
mammae  des  Menschen  ein  sehr  spät  auftretendes  Gebilde  ist,  zei^( 

1)  Auch  als  Inauguraldissertation  gedruckt. 


Dr.  MmPuss,  Beitrüge  lur  Entwiiklaflgsgeschichte  der  Ifilcbdrilsen  etf.         177 

sich  auffallender  Weise  die  Zitze  der  Wiederkiiuer  in  sehr  frühem  Fötal- 
Stadium.  Bringt  man  hiermit  die  Thatsache  der  bedeutenden  Verseht 
denbeit  der  Zahlenverhältnisse  der  Ausftthrungsgänge  (ductus  galacto- 
phori)  in  Verbindung,  so  wird  daraus  einige  Berechtigung  hervorgehen, 
dem  Grunde  jener  Verschiedenheit  nachzuforschen.  Dass  sie  nicht  blos 
den  Menschen  und  die  Wiederkäuer  betrlfift,  ist  daraus  ersichtlich,  dass 
wenigstens  ein  Theil  der  übrigen  Säugethiere,  z.  B.  die  Gamivoren, 
durch  das  Verhalten  der  Ausfuhrungsgänge  zur  Papille  sich  enger  an 
den  beim  Menschen  beobachteten  Befand  anschliessen.  Wenn  audi  kein 
Zweifel  ist,  dass  beiderlei  Gebilde,  einerseits  die  Papille  des  Menschen, 
andererseits  die  Zitze  der  Wiederkäuer  in  ihren  functionollen  Beziehungen 
übereinstimmen,  somit  analoge  Organe  sind,  so  bleibt  eben  doch  durch 
die  vorhin  angegebene  Verschiedenheit  beider  ein  Bedenken  an  ihrer 
anatomischen  und  genetischen  Gleichwerthigkeit ,  d.  h.  an  ihrer  Ho- 
mologie. 

I.  Hesseh. 

Säromtliche  diesen  Gegenstand  berührende  Arbeiten  betreffen  die 
Milchdrüse  selbst,  theils  nur  den  Bau  derselben,  theils  auch  ihre  Ent- 
wicklung. Von  diesen  Arbeiten  bedaure  ich  jene  von  Astlby  Cooprr  ') 
nicht  zu  Gebote  gehabt  zu  haben. 

MsGKSL  ^)  beschreibt  die  erste  Anlage  der  Milchdrüse  als  eine 
horeits  im  dritten  Monat  des  Pötallebens  auftretende  in  der  Mitte  einge- 
senkte Erhabenheit.  Diese  letztere  bestimmt  er  als  das  erste  Entwick- 
lungsstadium der  späteren  Papille.  Die  Zahl  der  Ausführungsgänge  giebt 
er  nach  dem  Vorgange  von  Waltheb,  Rallbr  u.  a.  auf  30  an. 

Die  ausführlichste  Arbeit  lieferte  LaiiobrS)  über  Bau  und  Ent- 
wicklung der  Milchdrüse  bei  beiden  Geschlechtern.  In  dieser  Abhand- 
lung wird  jener  ersten  Erhabenheit  die  Bedeutung  einer  embryonalen 
Papille  nicht  beigemessen,  wie  es  von  Mbckbl  geschah,  sondern  es  wird 
die  ganze  Entwicklung  der  Papille  in  eine  spätere  Periode  des  Lebens 
verlegt,  und  ihr  Auftreten  als  bedingt  nachgewiesen  durch  die  An- 
wesenheit eines  »linsenförmigen  Körpers«,  der  aus  einer  körnigen  Masse 
bestehe  und  in  der  Mitte  seiner  Oberfläche  eine  vertiefte  Stelle  oder  Ein- 
scnkung  besitze.  In  Bezug  auf  die  weitere  Entwicklung  dos  »linsen- 
fbnnigen  Körpers«  giebt  Laugbr  an,  dass  erst  bei  Embryonen,  deren 
Körperlänge  das  Maass  von  10  Cm.  überschreitet,  Milchgänge  angetroffen 


4)  AsTLBT  Coopbr:  on  the  Anaiomy  of  the  Breast.   London  4840. 
i)  J.  K.  Mbcibl,  HandInKlider  mensch licheii  Aaaiomie.  48S0. 
8)  Denkschriften  der  Wieaer  Academie.  Bd.  ill. 


178  Dr.  Mw 

werden.    Wie  sieb  dieselben  aus  d 

voi-entwickeln ,  und  wie  sich  der  letzlere  selbst  wabrend  dieser  Vor- 
gänge verhüll,  giebl  Lahobr  nidil  an.  Betreffs  der  sptHeren  Papille  \%'ird 
dann  noch  angeführt,  dass  mit  dem  Verschwinden  der  Eiasenkung  und 
mit  der  Erhebung  der  bleibenden  Papille  sämmtliche  Drüsenausfuh- 
ningsgänge  einzeln  nadi  aussen  mUnden.  Nähere  Angaben  Über  diesen 
Voi^ang  fehlen. 

K.ÖLLIKBB  <]  bestätigt  im  Wesentlichen  die  LAWiR'sche  Untersuchung 
und  weicht  in  seinem  Berichte  nur  insofern  von  Lakgbs  ab,  dass  er  da."    ' 
Entwicklungsstadium  der  HilchdrUsc  Neugeboiiier  als  ein  bereits  weiter 
Toi^eschritlenes  bezeichnet.     Es  ist  ein  Verdienst  dieses  AnlArs  den    i 
Nachweis  geliefert  zu  haben ,  dass  diese  Drüse  wie  andere  Drtlsen  der 
Haut,  ein  Abkttmmling  des  Stratum  Malpighii  ist.  i 

lieber  die  Anatomie  der  Milchdrüse,  ihre  Areola  und  Papille,  ausser- 
dem Über  die  Lage  der  letzteren  am  Thorax  macht  Hbhlb^)  ausführliche     i 
Hitthcilungen,  die  das  von  mir  betretene  Gebiet  nicht  berühren.  I 

Zur  Lösung  der  gestellten  Aufgabe  war  es  nOthig,  die  ersten  Ent-  , 
Wicklungsstadien  der  Hilchdrüseo  selbst  aufzusuchen,  die  mit  der  | 
Bildung  jener  warzigen ,  mit  einer  oberflächlichen  Einsenkung  ver-  , 
sehenen  Erhebung  einhei^hen.  | 

Das  früheste,  beim  Menschen  die  erste  Andeutung  einer  Eatwick-     . 
iung  der  Milchdrüse  darbietende  Stadium,  fällt  spätestens  in  jene  Zeit     | 
des  fötalen  Lebens ,  in  welcher  der  Embryo  vom  Kopf  bis  zur  Gegend 
des  ersten  Schwanzwirbels  gemessen,  eine  Länge  von  noch  weniger  als     | 
4  Cm.  besitzt.    Bei  einem  Pütus  von  2,3  Cm.  ist  noch  keine  Spur  einer 
äusseren  Andeutung  an  der  später  durch  das  Organ  ausgezeichneten     I 
Stelle  vorhanden ,  wahrend  bei  einem  solchen  von  &  Cm.  eine  solche 
Andeutung  schon  für  das  blosse  Auge  leicht  zu^ei^ennen  ist     Ein 
zwischen  diesen  beiden  angeführten  befindliches  Stadium  stand  mir 
nicht  zu  Gebole,  so  dass  mir  eine  genaue  Grössenangabe  der  in  dem 
Stadium  der  ersten  Anlage  jener  Drüsen  befindlichen  Embryonen  nicht 
ausführbar  war. 

In  der  G^end  der  späteren  Papille  bemerkt  man  bei  Embryonen 
von  i  Cm.  Länge  eine  Stelle  von  1  Mm.  Breite,  die  sich  durch  grossere 
Blässe  und  eine  eigenthümliche  glänzende  BeschaBenheit  von  ihrer  Um- 
gebung unterscheidet.  In  Mitte  der  in  dieser  Art  ausgezeichneten  Fläche 
erhebt  sieb  ein  Wärzchen  von  ungefähr  0,5  Mm.  Breite  und  mit  einer 
centralen  Eiosenkung  versehen ,  welche  wie  ein  feiner  Nadelstich  sich 

1]  Külliur's  EntwtcUuQgBgeschichte  des  Uenschen.  | 

3)  Heklb's  systemat.  Anatomie  des  MeDscbea,  Bd.  EI. 


Beitrüge  znr  Entwicklan|^8^8ehlebte  der  Milchdrflsen  etc.  179 

ausnimmt.  Die  gante  1  Mm.  breite  Flache  entspricht  der  spater  von  der 
Papille  und  Areola  eingenommenen  Stelle,  wie  ich  nachher  anführen 
werde.    Ich  will  sie  als  AreolarflSche  bezeichnen. 

Auf  Verticalschnitten  (Taf.  Xu.  Fig.  4]  sieht  man  die  bereits  erfolgte 
Trennung  der  beiden  durch  Stratum  Malpighii  und  Homschicht  darge- 
stellten Schichten  der  Epidermis,  während  dasCorium  nur  aus  einer  ein- 
zigen Schicht  besteht,  welche  durch  die  bekannte  embryonale  Form  des 
Bindegewebes  repräsentirt  wird;  dieses  enthält  hier  theils  rundliche, 
theils  spindelförmige  Zellen  in  spärlicher  homogener Intercellularsubstanz. 
Die  Stelle  des  Wärzchens  ist  von  den  angrenzenden  Partien  der  Epidermis 
durch  eine  stärkere  Anhäufung  von  Zellen  im  Stratum  Malpighii  ausge- 
zeichnet (Taf.  Xn.  Fig.  1).  Diese  partielle  Zell  Vermehrung  entbehrt  der 
scharfen  Abgrenzung  gegen  ihre  Umgebung  und  stellt  die  erste  Anlage 
der  Milchdrüse  vor.  Von  anderen  ähnlichen  Wucherungen  der  Epi- 
dermis ,  wie  sie  zur  Bildung  von  Schweissdrüsen  und  Haaren  führen, 
ist  an  keiner  der  übrigen  Stellen  des  Objectes  etwas  zu  bemerken,  wie 
denn  auch  nach  Ausweis  zahlreicher  Präparate  von  Verticalschnitten 
wenigstens  in  der  nächsten  Umgebung  der  als  Anlage  der  Areola  mam- 
mae  bezeichneten  Fläche  noch  keine  solchen  Organe  angelegt  erscheinen. 

Bei  Embryonen  von  6 — 7  Cm.  tritt  die  äusserlich  als  leichte  Vor- 
ragung sich  kundgebende  Stelle  der  Drüsenanlage  viel  deutlicher  her- 
vor, und  unterscheidet  sich  schärfer  vom  benachbarten  Stratum  Mal- 
pighii, als  im  vorigen  Stadium.  Andere  Abkömmlinge  der  malpighischen 
Schicht  sind  auch  hier  noch  nicht  in  der  Nachbarschaft  zu  sehen.  Die 
Drüsenanlage  misst  in  diesem  Stadium  ihrer  Entwicklung  0,165  Mm. 
Höhe  und  0,390  Mm.  Breite. 

Die  Stelle  der  Drüsenanlage  eines  weiblichen  Embryo  von  1 0  Cm. 
Länge  ist  4,5  Mm.  breit.  Die  Erhebung  selbst  hat  0,5  Mm.  Breite  und 
die  auf  ihr  befindliche  Einsenkung  ist  umfänglicher  als  bisher  (Taf. 
XH.  Fig.  2). 

Auf  mikroskopischen  Objecten  siebt  man  weitere  Fortschritte  in  der 
Entwicklung  der  bezüglichen  Theile  des  Integumentes.  Die  spindel- 
förmigen und  rundlichen  Zellen  des  Goriums  sind  in  ein  Stroma  von  zart 
gofaserter  Intercellularsubstanz  eingelagert  (Taf.  XII.  Fig.  2).  Der 
embryonale  Zustand  des  Bindegewebes  der  Cutis  hat  also  in  den  spä- 
UTen  überzugehen  begonnen.  .Vom  Stratum  Malpighii  erstreckt  sich 
eine  ansehnliche  Menge  von  Haschen-  und  zapfenfbrmigen  Zellen- 
wucherungen in  die  Cutis  hinab.  Diese  Abkömmlinge  der  malpighi- 
schen Schichte  der  Epidermis  verschonen  die  Stelle ,  welche  in  ihrer 
Mitte  die  Erbebung  mit  der  Einsenkung  trägt ,  vollständig ,  wodurch 
diese  Stelle  vom  übrigen  Integumentc  diflTerenzirl  erscheint.    Die  von 

Bd.  VII.  i.  IS 


sicn  iiD  noriZMiuieD  uurcnmesser  «rweiien,  id  verucaien  aagege«  euer 
etwas  abgeflacht.     Die  jetzt  durdi  die  Epidermis  liiDdurcb  getretenen 


Beitrft^  snr  Entwicklai^esebichte  der  Hilehdrösen  etc.  181 

WoUhaare  tragen  nicht  wenig  dazu  bei,  die  haarlose  Areolarfläehe  von 
dem  benachbarten  Integument  abgegrenzt  erscheinen  zu  lassen.  Das 
histologische  Verhalten  der  Drttsenanlage  hat  sehr  viel  Uebereinstim- 
inendes  mit  demjenigen  des  zuletzt  erwähsten  Embryo.  Die  kolbigen 
Knospen  haben  ihre  Gestalt  etwas  verändert  und  erscheinen  in  Form 
von  länger  gestreckten  scfalauchartigen  Fortsätzen  der  ursprünglichen 
DrUsenanlage.  Diese  Schläuche  sind  aber  noch  einfach  ohne  irgend 
welche  Andeutung  von  secundärer  Knospung.  Die  GrOsseverhältnisse 
der  Erhebung  und  der  Einsenkung  stimmen  mit  dem  makroskopischen 
Befunde  ttberein.  Die  ursprOnglidie  Drüsenanlage  selbst  besitzt  eine 
Höhe  von  0,450  Mm.  und  eine  Breite  von  0,420  Mm.  Die  zu  Schläuchen 
verlängerten  Knospen  haben  eine  Länge  von  0,900  Mm.  und  eine  Breite 
von  0,075  Mm. 

Bei  Embryonen  von  89  Cm.  Länge  besitzt  die  Areolarfläehe  einen 
Durehmesser  von  5  Mm.  Die  bis  jetzt  immer  noch  deutlich  gewesene 
Erhebung  hat  sich  fast  ganz  abgeflacht,  die  Einsenkung  hat  in  ihrem 
horizontalen  Durchmesser  noch  mehr  zugenommen.  Die  ursprüngliche 
am  Stratum  Malpighii  dieser  Stelle  aufgetretene  Zellvermehrung,  welche 
die  erste  Anlage  der  Drüsen  bildet,  besteht  noch  in  ziemlichem  Um- 
fange. Die  im  vorigen  Stadium  noch  einfachen,  aber  schlauchartig 
verlängerten  ersten  Knospen  dieser  Drüsenanlage  sind  dagegen  in  ein 
weiteres  Stadium  der  Difierenztrung  getreten.  Ihre  einfache  Gestalt  ist 
durch  die  Entwicklung  einer  zweiten  Knospengeneration  modificirt 
worden,  deren  Glieder  von  kolbiger  Form  in  einer  Anzahl  von  4 — 5  an 
den  verlängerten  Schläuchen  sitzen  (Taf.  Xlll.  Fig.  4).  Die  Glieder 
der  ersten  Knospengeneration  gestalten  sich  von  jetzt  an  nach  und  nach 
immer  mehr  und  mehr  zu  Ausftthrungsgängen,  indem  sie  in  gestreckter 
Form  die  zu  Drüsenläppchen  umgestalteten  seoundären  Knospen  tragen. 
Beide  Knospengenerationen  zeigen  dieselben  histologischen  Verhältnisse 
wie  die  Drttsenanlage  des  Embryo  von  4  4,9  Cm.  Länge. 

Dieses  Stadium  stimmt  bezüglich  der  Entwicklung  der  Drüsen- 
schlauche  ungefähr  mit  demjenigen  Stadium  überein,  in  welchem 
Laugkii  die  Rosettenbildung  der  Drüsenanlagen  beobachtete.  Es  ist  mir 
nicht  gelungen,  ein  der  LANOBR'schen  Rosette  ähnliches  Bild  der  ganzen 
fötalen  Milchdrüse  zu  erhalten.  Bei  allen  untersuchten  Exemplaren 
divergirten  die  Drüsenschläuche  während  ihres  Verlaufes  nach  abwärts 
in  die  Cutis  so  wenig ,  dass  es  in  Bezug  auf  die  Richtung  der  Drüsen- 
schläuche nicht  möglich  war,  eine  Uebereinstimmung  mit  der  Lanobb- 
sehen  Darstellung  wahrzunehmen.  Ausserdem  fand  ich  die  ursprüngliche 
Drttsenanlage,  Laivgbb^  »linsenförmigen  Körper«  bei  keinem  der  Em- 
bryonen ,  die  dieses  Stadium  der  Rosettenbikiung  aufweisen  sollen ,  in 

4«* 


Dt.  Mu^Han, 

jeschwundeo,  wie  es  nach  Fig.  1  der  LuiGBi'scbeu  Abhandlung 
I  muss. 

Oglich  der  Giifsseoverhäiloisse  der  ganiea  wie  der  einzelnen 
^Dn  ich  folgende  Hadsse  anfuhren:  die  ursprOnglicbe  Drüsen- 
tat  hier  noch  eine  Htfhe  von  0,180  Mm.  and  eine  Breite  von 
m.  Die  schlauchartigen  VerlangeruDgeo  der  ersten  Knospongen 
ine  Länge  von  0,900  Hm.  und  eine  Breite  von  0,075  Hm.  Die 
1er  zweiten  KnospengeneratioD  haben  eine  Lange  von  0, 4  20  Hm.  . 
;  Breite  von  0,075  Hm. 

jetzt  die  Bedeutung  der  ersten  in  Gestalt  einer  Verdickung  des  ' 
Halpighii  aufgetretenen  Anlage  als  eine  Stelle  sich  bemerkbiir 
hat,  von  der  aus  nicht  etwa  eine  einzige  Drüse,  sondern  eint- 
voD  solchen  io  der  Cutis  wucherte,  so  will  ich  diese  Stelle  als 
ifeld  UDlerscfaeiden.  Das  DrUsuufeld  nimmt  die  Mitte  der 
Ucbe  ein ;  von  seiuem  mit  f iner  Epidermiswucherui^  bedecktem 
■eten,  wie  vorhin  beschriebeD,  die  Anlagen  mehrfacher  Diüsen 
tderhaut.  Dass  von  einer  Papille  noch  keine  Bede  sein  kann,  ist 
rständlidi. 

Verfolge  dieser  Anlage  der  Milchdrüse  in  spätere  Stadien,  finden 
ere  Veränderungen  sowohl  bezüglich  der  Drüsen  als  bezOglii'h 
larflächen.  Die  Areolarflache  eines  Embi'yo  von  32,E>  Cm.  Länge 
Im.  Breite.  Dievormalige  Erhebung  ist  jetzt  gauz  verschwunden, 
i  ihrer  Umgebung  entsprechende  Partie  der  Areolarflache  zeigt 
•X  erhaben  und  bildet  um  die  peripherisi^  bedeutend  ver— 
!  Einseokung  herum  einen  förmlichen  Wall  (Taf.  XIII,  Fig.  5H'), 
lenkung  besitzt  nach  der  Untersuchung  von  Verticalschniltcn 
fform,  deren  wailartige  erhabene  UmgebuDg  dieselben  Gewebs- 
:  aufweist,  wie  die  Übrigen  um  sie  herum  liegenden  Hautpartien, 
hat  diese  Erhebung  auf  der  Areolarflüche  nichts  zu  schalTen 
r  ursprünglichen  Erhebung,  die  zwar  auch  eine  Einsenkung  in 
te  trug,  aber  allein  durch  die  Epidermis  gebildet  ward  und 
lenfeld  unmittelbar  unter  sich  liegen  hatte  (Figg.  1.2t).  Das 
Id  des  jetzt  vorliegenden  Stadiums  ist  dagegen  nur  noch  im 
der  Einsenkung  zu  suchen.  Die  embryonalen  aus  der  ersten 
g  entstandenen  AusfUhrungsglinge  durchsetzen,  in  ziemlicher 
las  Stratum  Halpighii  und  reichen  mit  ihren  Verzweigungen 
e  obersten  Schichten  des  Unterhautbindegewebes  hinab.  Die 
mgsgSnge  stehen  in  diesem  Stedium  mit  der  OberOUche  der 
mg  in  Zusammenhang,  nachdem  die  im  vorigen  Stadium 
I.  Fig.  4)  noch  vorhandene  mächtige  Schicht  der  primitiven 
isvermehrung  (Lai<«br's  »liDsenftirmiger  KOrper«)  verschwunden 


B€itr]lge  lar  Entwicklongs^scliichte  der  Milcbdrflsen  etc.  1S3 

odor  vielmehr  mit  der  Ausdohnung  der  Fläche  in  eine  dünne  Epider- 
niislagc  übergegangen  ist.  Das  Lumen  der  Ausführgänge  ist  noch  dicht 
mit  Zellen  angefüllt,  ebenso  wie  auch  die  Läppchen  sich  vollkommen 
solid  zeigen. 

Die  an  den  zuerst  entstandenen  Schläuchen  gebildeten  Knospen, 
die  ich  vorhin  als  Drüsenlüppchen  bezeichnet  habe,  gehen  ganz  nach 
Art  der  DifTercnzirung  anderer  gelappter  Drüsen  weitere  Vcrränderungen 
ein.  Es  entstehen  an  ihnen  seitliche  Ausbuchtungen,  die  sich  allmählich 
deutlicher  abheben  und  zu  ferneren  Läppchen  gestalten,  welche  nun- 
mehr den  aus  den  Läppchen  entstandenen  Ausfühi^ang  besetzen.  Wie 
die  ersten  Knospen,  welche  das  Organ  bildete,  allmählich  in  Ausführungs- 
^üngo  übergingen,  so  wandeln  sich  also  auch  die  an  den  letzteren 
entstandenen  Knospen  mit  dem  Auftreten  neuer  Wucherungen  in  Aus- 
fUhrung%gänge  um.  Mit  anderen  Worten,  der  Ausführungsgang  verzweigt 
sich  nach  den  mit  ihm  in  Verbindung  stehenden,  durch  Knospen  sich 
sondernden  Läppchen. 

Aus  der  Vergleichung  dos  Drüsenfeldes  dieser  Entwicklungsstufe 
mit  demjenigen  der  vorhergehenden  stellen  sich  wichtige  Vorgänge  für 
die  Entwicklung  der  Papille  heraus.  An  die  Stelle  der  ursprünglichen, 
das  Drüsenfeld  repräsentirenden  Erhebung,  die  wir  als  ein  Epidermoi- 
dalgebilde  kennen  lernten,  ist  eine  Vertiefung  getreten,  welche  durch 
al  imähliche  Erweiterung  der  ursprünglichen  centralen  Vertiefung  (Taf.  XIII 
Fig.  4 ,  ^  /?)  entstand.  Das  Drüsenfeld  wird  durch  den  Boden  einer 
napfförmigen  Einsenkung  R  vorgestellt.  Diese  besitzt  eine  wallartige 
Umgebung  W,  an  der  auch  das  Corium  Tboil  nimmt,  so  dass  man  wieder 
ein  ähnliches  Bild  vor  sich  hat,  wie  es  die  ursprüngliche  Erhebung  mit 
ihrer  Einsenkung  lieferte ,  welche  beide  wir  aber  nur  durch  die  Epi- 
dermis kennen  gelernt  haben.  Das  ursprüngliche  Epithelwärzchen  ver- 
dankt seinen  Untergang  der  allmählich  über  eine  grössere  Fläche  sich 
ausdehnenden  d.  h.  sich  peripherisch  vergrössemden  Einsenkung,  die 
in  dem  Maasse  vorschrcitet,  dass  die  anßinglich  über  dem  Niveau  der 
Hautoberflächc  gelegenen  Zellen  unter  das  Niveau  derselben  gelangen. 
Während  also  das  Drüsenfeld  ursprünglich  das  Niveau  der  Hautober- 
fläche zum  Theil  überragte  und  nur  eine  kleine  Einsenkung  trug,  so 
liegt  es  jetzt  mit  seiner  fast  in  ganzer  Ausdehnung  vertieften  Oberfläche 
unter  den)  Niveau  der  Haut.  Die  Umgebung  des  ursprünglich  erhabenen 
DrUsenfeldes  war  eben,  während  die  des  letzten  Stadiums  mit  der  stark 
vor|zr5sserten  Einsenkung  einen  wirklichen  Wall  um  die  letztere  herum 
hildot.  Spätere  Entwicklungsstadien  werden  zeigen^  wie  sich  das  ver- 
tiefte Drüsenfeld  in  dieser  seiner  letztgeschilderten  Gestalt  einerseits, 
und  der  dasselbe  umgebende  Hautwall  andererseits  beim  Aufbau  der 


Dr.  Mm  Unas, 

'apillo  verbalten.  Die  Einsenkung  hat  hier  die  der  Auf- 
ismündungen  sämmlUcherÄusfühningsgänge  eotsprechetide 
onommeii ,  und  ihre  Erweiterung  summt  mit  der  Zahl  der 
les  Drüsenfeldes  aus  entstandenen  Drüsen.  Ein  Tboil  der 
gänge  durchbohrt  den  Grund,  ein  anderer  die  Seiteownn- 
Einsenkung.  Die  letzlere  stellt  also  einen  gemeinsamen 
in  dem  sBmmtliche  Ausfühningsgänge  der  embryonalen 
nUnden  oder  mit  anderen  Worten:  Die  Einsenkung 
nfetdes  in  ihrer  jetzigen  Gestalt  bildet  einen 
sehr  weiten  gemeinsamen  Ausfuhrungsgang 
driise. 

irde  irre  geben,  wenn  man  diese  anatomischen  Verballnissc 
ing  des  Drtlsenfeides  gerade  nur  Embryonen  von  der  oben 

Grösse  zuschreiben  wollte,  denn  hat  man  Gelegenheil,  die 
□hen  Verhältnisse  bei  Mädchen  und  Knaben  zu  bcobachlen, 
,  dass  besonders  bei  Knaben  zuweilen  im  12.  Jahre  noch 

sich  entwickelt  bat,  sondern  dass  an  ihrer  Stelle  iniuicr 
nsenkung  besteht,  oft  von  spaltähnlicher  Gestalt,  die  einem 
i%ea  Ausführungsgange  der  Milchdrüse  entspricht.  Heckbl 
diese  vertiefte  Form  des  Drusenfeldes  sogar  noch  bei  einem 

15  Jahren;  er  fand  in  diesem  Falte  anstatt  einer  Papille 
Itfürmige  Vertiefung  in  der  MiUe  der  Areolarfläche.  Das  für 
geschilderte  Stadium  kann  also  noch  weit  ins  jugendliche 
fortbestehen,  und  repräsenürt  damit  eine  Bildungsbemmung. 
ilracissigen  Verlaufe  der  Weilerentwicklung  geht  jenes  Sta- 
r  vorüber.  Bei  einem  weiblichen  Embryo  von  33  Cm.  Länge 
ilarQäche  kaum  über  6  Hm.  breit.  Die  Einsenkung  des 
1  erscheint  schon  dem  blossen  Auge  etwas  geringer,  tla- 
It  sich  die  erhabene  Umgebung  wie  im  vorigen  Stadium, 
ichnilt  durch  die  tiefste  Stelle  der  Einsenkung  liefert  ein 
elches  sich  bezüglich  der  Entwicklung  der  Drüsensubslanz 
ten  vorhergehender  Stadien  kaum  unterscheidet.  Die  zu 
f;9ngeD  der  Drüse  gewordenen  Schläuche  tragen  an  ihrem 
le  in  doldenförmiger  Anordnung  eine  Anxahl  von  secun- 
irungsgangen,  die  mit  Drüsenlappchen  besetit  sind  (Taf.  XIII 

Das  wichtigste  an  diesem  Stadium  ist  die  VerSnderunf;;, 
insenkung  bezüglich  ihres  Raumverhgltnisses  erfahren  hat. 

blossen  Auge  erschien  sie  von  geringerer  Ausdehnung, 
lan  nun  mikroskopische  Objecte  mit  denjenigen  des  vorigen 
)o  tritt  der  Unterschied  in  der  Weile  und  Tiefe  der  Ein- 
hon   ziemlich   stark   hervor.      Die   Mündungen    der  Aus- 


-J 


Beitriige  zur  Entwicklungsgescbicht«  der  MilchdrfiseD  etc.  i85 

rahningsg^nge  liegen  bereits  lim  ein  BetrüchUichcs  näher  an  der  Haat- 
oberflAohe,  als  vorher.  Es  hal  sich  demnach  der  Grund  der  Einsenkung, 
also  die  in  den  vorigen  Stadien  vertiefte  Oberflache  des  Drttsenfeldes 
merklich  gehoben.  Dieser  Vorgang  ist  von  einer  vermehrten  Zellpro- 
ductioD  im  Stratum  Malpigbii  des  Bodens  der  Einsenkung  begleitet, 
doch  will  ich  damit  nicht  behaupten,  dass  hierin  der  einaige  Factor  der 
Minderung  der  Vertiefung  zu  suchen  sei.  Die  Ausftthrungsgänge  der 
Drüsen  haben  eine  Länge  von  0,454 — 0,975  Mm.  und  eine  Breite  von 
0,030  Mm.  Die  Zweige  der  Ausfühningsgänge  besitzen  eine  Länge  von 
0,057  Mm.  und  eine  Breite  von  0,045  Mm.  Die  rundlichen  Drüsen-« 
läppchen  haben  eine  Länge  von  0,045  Mm.  nnd  eine  Breite  von 
0,045  Mm. 

Nach  dieser  Darstellung  meiner  an  Embryonen  vorgenommenen 
Untersuchung  wende  ich  mich  zur  Mittheilung  der  bei  Neugeborenen 
gefundenen  Verhaltnisse. 

Das  Drüsenfeld  eines  weiblichen  Neugeborenen  ist  immer  noch 
etwas  vertieft,  und  seine  Umgebung  in  ahnlicher  Weise  erhaben,  wie 
im  vorigen  Stadium.  Die  ganze  Areolarfläche  ist  etwas  höher,  als  ihra 
Umgebung.  Sie  bildet  eine  flache  Hervorragung,  deren  Rand  die  mittlere 
das  DrUsenfeld  vorstellende  schwache  Vertiefung  als  eine  leichte  Er- 
hebung (Taf.  XHl.  Fig.  1  CW)  umzieht.  Um  die  Areolarflaohe  herum 
liegt  ein  Kranz  kleiner  Erhabenheiten,  welche  den  Ausmündestellen  der 
bei  Erwachsenen  an  dieser  Stelle  bekannten  Talgdrüsen  entsprechen. 
Man  sieht  also  auch  bei  Nougebomen  nur  eine  der  spateren  Papille  und 
der  Areola  entsprechende  Stolle ,  wahrend  von  der  Papille  selbst  noch 
keine  Spur  besteht.  Dabei  ist  die  Entwicklung  der  Drüsen  innerhalb 
der  Cutis  weiter  vorgeschritten.  Die  Ausftthningsgatige  sind  viel  langer 
und  starker,  als  vorher.  Das  obere  Ende  jedes  Ausführungsganges  ist 
vor  seiner  Ausmündung  in  die  Einsenkung  ampullenfbrmig  erweitert 
'S.  die  Figur) ,  und  die  die  Einsenkung  auskleidende  Homschicht  setzt 
sich  eine  Strecke  weit  in  das  Lumen  jedes  Ausführungsganges  fort, 
sowie  auch  die  tiefste  aus  Gylinderzellen  bestehende  malpighi^sche 
Schichte  in  die  Ampullen  verfolgt  werden  kann.  Die  Wandungen  der 
Ausführungsgange  tragen  in  ihrer  übrigen  Ausdehnung  ein  Epithel  aus 
langen  Cylindcrzellen.  Das  Verhaltniss  der  Ausführungsgange  zur  Ein- 
senkung hat  sich  etwas  anders  gestaltet,  denn  wahi^end  im  vorigen 
Stadium  sammtliche  in  die  Einsenkung  des  DrQsenfeldes  ausmündeten, 
sehen  wir  hier  schon  einige  Ausführungsgange  die  freie  Oberflaehe  der 
Haut,  resp.  der  Areolarflache  erreichen.  Es  hat  somit  eine  weiter  vor^ 
geschrittene  Erbebung  des  Drüsenfeldes  stattgefunden ,  durch  welche 
der  peripherische  Theil  desselben  in  das  Hautniveau  tritt.     Auf  gut- 


Areola  verwendet  worden  ist.  Auf  dem  von  der  Umgebung  des  erhobenen 


Beitrüge  zur  Entwicklungsgeschichte  der  Milchdrflsen  etc.  187 

Drüsenfeides  gebildelen  Theil  der  fertigen  Papille,  d.  h.  auf  der  Seiten- 
0<iche  des  Kegels  der  Papille  kommt  nie  ein  Ausführungsgang  der 
Milchdrüse  zur  Ausmündung.  Das,  was  von  drüsigen  Organen  über- 
haupt daselbst  ausmündet,  sind  Schweissdrüsen  und  auch  diese  sind 
keine  häufigen  Vorkommnisse.  Glatte  Muskelfasern  durchziehen  die 
Papille  in  reichlicher  Menge  und  bilden  daselbst  durch  ihren  verschie- 
denen Verlauf  ein  ansehnliches  Netzwerk,  welches  in  den  früheren 
Stadien  noch  nicht  differenzirt  erachien. 


Das  durch  Vorführung  einzelner  Stadien  für  die  Entwicklung  der 
Milchdrüse  und  vorzüglich  der  Papilla  mammae  Geschilderte  will  ich 
noch  einmal  kurz  zusammenfassen.  Die  erste  rein  epidermoidale  Er- 
hebung mit  ihrer  Einsenkung  in  die  Cutis  bildet  das  ursprüngliche 
Drüsenfeld,  welches  in  Folge  einer  Epithelwuchcrung  des  Stratum 
Malpighii  entsteht.  Die  Erhebung  ist  von  einem  später  haarlos  blei- 
benden Hof  umgeben,  mit  dem  sie  zusammen  die  Areolarfläche  vorstellt, 
und  wird  im  Laufe  der  Entwicklung  in  der  Art  verändert,  dass  eine 
von  einer  Erweiterung  der  Einsenkung  begleitete  Abflachung  eintritt. 
Die  Einsenkung  wächst  also  auf  Kosten  der  Erhebung  des  Drüsenfeldes, 
wobei  die  Zellen  des  letzteren  mehr  und  mehr  in  die  Tiefe  sich  senken, 
bis  schliesslich  das  ganze  Drüsenfeld,  anstatt  das  Niveau  der  Hautober- 
flächo  zu  überragen,  unterhalb  desselben  bis  an  das  Stratum  Malpighii 
der  Umgebung  hinauf  im  Corium  eingebettet  liegt.  Während  dieses  Vor- 
ganges gewinnt  die  Einsenkung  an  Umfang ,  und  die  inzwischen  vom 
Boden  des  Drüsenfeldes  aus  in  die  Lederhaut  gewucherton  Drüsen- 
canäle  münden  sämmtlich  in  sie  ein.  Die  um  die  Einsenkung  herum- 
liegende haarlose  Areolarfläche  trägt  hie  und  da  Schweissdrüsen  und 
bildet  eine  gering  erhabene  Hautpartie.  Beide,  Einsenkung  und 
Erhebung  der  Areolarfläohe,  entprechcn  der  späteren  Papille  und  ihrer 
Areola.  Die  erhabene  Areolarfläche  erreicht  das  Maximum  ihrer  Höhe 
nm  Rande  der  oberflächlichen  Einsenkung,  so  dass  die  letztere  durch 
sie  gleichsam  einen  Wall  erhält.  Aus  dem  über  die  Raumzunahme  der 
Einsenkung  früher  Gesagten  geht  hervor,  dass  dieser  Wall  nichts  zu 
thun  haben  kann  mit  der  frühesten  Erhebung ,  welche  die  erste  Ein- 
senkung trug.  Dieses  Wärzchen  war  eben  das  Drüsenfeld  selbst,  also 
ein  Epidermoidalgebilde.  Der  die  Einsenkung  in  ihrer  späteren  Gestalt 
umgebende  Wall  liegt  ausserhalb  des  Drüsenfeldes,  ist  also  ein  Gutis- 
gebilde  und  trägt  andere  Abkömmlinge  des  Stratum  Malpighii  in  Gestalt 
von  Schweissdrüsen.  Das  ganze  Drüsenfeld  ist  also  jetzt  nur  im  Bereiche 
der  Einsenkung  zu  suchen.  An  dieses  Stadium  (Taf.  XIU  Fig.  5,  6,  7), 
in  welchem  die  Einsenkung  gleichsam  den  einzigen  Ausführungsgang 


aie  iiauioDeruacDe  uoerragenae  urusenieia  mii  semer  cinsennung  vei  - 
schwindet  zwar  nach  und  nach  vollständig  uDt«r  das  Niveau  der  Haul- 


Beiträge  zur  EutwickliiDgsgiiSohtcbte  der  MilcbdrQsen  etc.  189 

Oberfläche ^  hebi  sich  aber  später  wieder  in  die  Höhe,  um  dann  in 
Gemeinschaft  mit  seiner  nächsten  Umgebung  das  Hautniveau  von  neuem, 
wenn  auch  in  veNlnderter  Gestalt  zu  überragen. 

Was  oineelne  Entwicklungsstadien  der  Milchdrüse  angeht,  so  fand 
ich  das  von  Köllikkb  für  den  Neugeborenen  Angegebene  bestätigt,  dass 
die  ersten  2U  Ausführungsgängen  sieh  umgestaltenden  Knospen  der 
ursprünglichen  Drüsenanlage  bereits  gabiige  Theilungen  zeigen,  welche 
an  ihren  untersten  Enden  schon  wieder  rundliche  Knospen,  die  Anlagen 
der  Drüsenläppchen  tragen. 

IL  Wiederkäuer. 

Im  Allgemeinen  gilt  von  der  hierher  gehörigen  Literatur,  soweit  sie 
mir  cugängig  war,  dasselbe,  was  vorhin  von  der  Literatur  über  die  Ent- 
wicklungsverhältnisse der  menschlichen  Papille  gesagt  wurde.  Man 
vcrmisst  aber  hier  nicht  Mos  jegliche  Angaben  über  die  Entwicklung 
der  PapiUe,  resp.  der  Zitze,  sondern  es  fehlt  in  der  Literatur  über  diesen 
(iegensiand  auch  die  Entwicklung  des  ganzen  Milchdrüsencompiexes, 
nämlich  des  Euters.  Alles  über  die  Zitze  mid  das  Euter  Bekannte 
beschränkt  sich  nur  auf  den  grob  anatomischen  und  den  histologischen 
Bau  beider  Organe.  Gurlt  <)  führt  an ,  dass  das  Euter  der  Kuh  aus 
zwei  Drüsen  bestehe ,  und  dass  jede  der  letzteren  mit  zwei  Zitzen  ver- 
sehen sei,  hinter  denen  sich  noch  eine  kleine  warzenähnliche  Zitze  auf 
jeder  Seite  belinde.  In  jeder  Zitze  beobachtete  er  nur  einen  Ausfüh- 
rungsgang. In  Bezug  auf  Entwicklung  des  Euters  sagt  er,  dass  die 
»Brüste«  durch  Einstülpung  der  äusseren  Haut  entstanden,  und  dass 
an  der  später  von  den  Zitzen  eingenommenen  Stelle  kleine  Grübchen 
sich  zeigten ,  von  denen  jedes  mit  einem  scharf  erhabenen  Bande  um- 
geben sei.  Ueber  das  weitere  Sohidisal  dieser  Grübchen  giebt  er  an, 
dass  dieselben,  wenn  sich  die  Zitzen  über  die  Haut  erheben,  enger 
und  zu  den  Ganälen  der  Zitzen  werden. 

Feank  ^)  behandelt  den  makroskopischen  und  mikroskopischen  Bau 
des  Euters  und  der  Zitze.  In  Bezug  auf  die  Genese  giebt  er  an,  dass  das 
Euter  aus  vier  Drüsen  zusammengesetzt  sei. 

Heine  Untersuchung  war  theils  auf  die  Entwicklung  der  Zitze, 
theils  auf  die  ersten  Differenzirungsvorgänge  der  Milchdrüse  gerichtet, 
wobei  ich  vorzüglich  die  Verknüpfung  der  sioh  mir  ergebenden  Befunde 


1)  GORLT,  Handboch  der  vergleich.  Anatomie  der  Haussaugethiere.  4.  Auflage. 
Berlin  4860.   S.  437.  Anmerk. 

2)  Fiuifi,  Uandbach  der  Anatomie  der  Haussaugethiere.  Stuttgart  1870.  S.  693, 


Dr.  Um  fiasB. 
\a  für  die  Verhältnisse  beim  Hcnschen  milgethetllen    in< 

'suchung  kam  eine  Reihe  von  Riodsembryonen,  auf  ^veIcht■ 
immllicben  Angaben  beziehen ,  denn  wenn  ich  auch  vom 
iege  einzelne  Embryonen  zu  untersuchen  Gelegenboit 
es  doch  nicht  möglich,  daraus  ein  vollständiges  Bild  zu 
I  die  Untersuchung  von  Embryonen  schloss  ich  eine  solche 
«hen  alten  Tliieren,  welche  in  den  naikroskopischon  Vor- 
Zitze im  Wesentlichen  schon  mit  dem  ausgobildclen  Zu- 
nstimmlen. 

!8tc  Stadium  entnahm  ich  einem  Embryo,  der  vom  Kopfe 
d  des  ersten  Schwanz  wirbeis  gemessen,  eine  KBrpcrlünge 
bcsass.  Die  DrUsenanlagc  bestand  in  einer  mit  blossem 
ichtbaren  leisten  förmigen  Erhabenheit,  die  an  der  SeiU> 
Genitalien  beginnend,  nach  vom  und  etwas  auswürls 
iicht  hinter  dem  Ursprünge  des  Nabel  Stranges  zu  endigten, 
eiste  befindet  sich  zu  beiden  Seil^^n  der  Medianlinie  des 
jede  zeigt  drei  hintereinander  liegende,  wenig^tleutlicbo 
en. 

c  Embryonen  von  7  Gm.  haben  Je  zwei  jederscits  nach 
er  betreffenden  Scrotalhülfle  liegende  und  durch  einen 
schenraum  von  einander  getrennte  Drllsenanlagen ,  von 
lere  der  Medianlinie,  resp.  dem  Scrotum  näher,  die  vordere 
on  liegt.  Jede  der  DrUsenanlagen  besteht  in  einer  0,3.'>  Hm. 
cnheit,  die  eine  kloine  Einsenkung  auf  ihrer  Mitte  zeigt, 
betrachtet,  bietet  eine  solche  Anlage  der  MilchdrUse  tik 
pfos,  der  im  Vergleich  zu  seinem  Binncnraume  unvcrhült- 
:ke  Wandungen  zeigt. 

akroskopische  Befund  stimmt  mit  demjenigen  eines  weib- 
1  von  7  Cm.  im  Wescnllichen  Uberein.  Die  Trennung  der 
lagen  ist  deutlicher,  als  im  vorigen  Stadium,  dio  Genitalien 
nten  von  den  Drüsen Hnlagcn.  Die  beiden  Straten  dorEpi- 
litTereozirt.  Das  Cortum  besitzt  in  einer  fast  homogenen, 
tercellularsubslanz  viele  rundliche  und  spindelfttrniige 
ndem  Kern  und  feinkörnigem  Protoplasma.  Diese  Zollen 
meinen  kleiner,  als  bei  menschlichen  Embryonen  dieses 
FaserzUge  sind  nur  in  den  unleren  Schichten  deutlich 
r,  während  in  den  oberen  noch  keine  DiBerenxirung  der 
ibstanz  erfolgt  ist. 

ühnitte  durch  diese  Gebilde  führen  den  Nachweis,  dassilie 
nheit  nicht,  wie  der  erste  Befund  beim  Menschen  ergab, 


Beiträge  XQr  Estwlcklnngsgescbicbte  der  Milchdrüsen  etc.  191 

einzig  durch  eine  partielle  Wucherung  des  Stratum  Malpighii  bedingt 
ist,  sondern  auch  und  zwar  in  weit  höherem  Grade  durch  eine  Wuche- 
rung des  benachbarten  Gewebes  der  Lederhaut.  Das  ganze  Gebilde 
besteht  also  äusserlich  aus  einer  ringförmigen  Erhebung,  die  eine 
mittlere  Vertiefung  umzieht,  deren  Boden  etwas  höher  liegt  als  das 
benachbarte  Hautniveau.  In  dem  Ringwall  tritt  die  Lederhaut  empor, 
Über  welcher  eine  mit  der  benachbarten  Haut  gleichdicke  Epider- 
misschicht  liegt.  An  dieser  ist  das  Stratum  Malpighii  wie  auch  sonst, 
von  einer  das  Stratum  corneum  weit  übertreffenden  Mächtigkeit.  Die 
Hornschicht  tritt,  wie  die  malpighi'sche  Schicht  in  die  Einsenkung, 
aber  während  sie  dort  eine  mit  anderen  Hautstellen  gleiche  Starke 
besitzt,  zeigt  das  Stratum  Malpighii  unterhalb  der  Einsenkung  eine 
bedeutende  tief  in  die  Lederhaut  ein  ragende  Verdickung.  Es  bildet  so 
einen  flaschenfOrmigen  Fortsatz ,  wobei  der  Hals  der  Flasche  von  dem 
in  den  Ringwall  eingehenden  Theil  der  Lederhaut  umschlossen  wird. 
Von  anderen  Differenzirungen  des  Stratum  Malpighii  ist  in  diesem  Sta- 
dium nichts  zu  bemerken. 

Die  eben  geschilderten  vier  Gebilde  lassen  sich  durch  Vergleichung 
mit  späteren  Zuständen  in  die  Zitzen  der  Thiere  verfolgen  ,  weshalb 
ich  sie  sofort  mit  diesem  Namen  bezeichnen  will ,  die  vergleichende 
Erörterung  der  hier  von  dem  Befunde  beim  Menschen  ziemlich  ab- 
weichenden Verhältnisse  mir  vorbehaltend. 

Die  vier  Zitzen  eines  16  Cm.  langen  weiblichen  Embryo  sind 
schon  von  bedeutenderem  Umfange.  Die  ganze,  die  vier  Zitzen 
tragende  Hautstelle,  dicht  von  der  Fascie  abpräparirt,  besitzt  circa 
')  Mm.  Dicke  und  ist  4  Mm.  breit  und  lang.  Die  Zitzen  stellen  konische 
Erhebungen  vor,  die  mit  ihrem  breiten  unteren  Ende  der  Haut  auf- 
sitzen und  4  Mm.  Länge  haben.  Es  sitzen  also  die  vier  vollkommen 
gcarennten  Zitzen  auf  einer  verdickten  gemeinschaftlichen  Hautpartie, 
deren  Corium  und  Epidermis  sich  auf  die  vier  konischen  Erhebungen, 
die  Zitzen,  fortsetzen.  Jede  der  vier  Zitzen  finden  wir  aus  einer  Er- 
hebung der  Lederhaut  gebildet,  welche  von  der  Epidermisschicht'uber- 
kleidet,  die  Grundlage  des  Zitzenkörpers  abgiebt.  An  der  Spitze  der 
Zitze  tritt  das  Stratum  Malpighii  von  einer  eine  leichte  Einsenkung 
tragenden  Hornschicht  bedeckt,  in  einen  zapfenförmigen  Forlsatz  durch 
die  Längsaxe  der  Zitze  und  endigt  mit  kolbiger  Anschwellung  etwa  in 
gleicher  Höhe  mit  der  breiten  Basis  der  Zitze. 

Die  Verbindung  des  an  diesem  Stadium  sich  ergebenden  Befundes 
mit  dem  des  Vorhergehenden  ist  nicht  schwierig.  Die  Veränderung 
beruht  im  Wesentlichen  auf  eincT  Wucherung  der  Lederhaut  und  zwar 


192  Dr.  Mu  Hnss, 

speciflII  des  im  vorhergehenden  Stadium  den  Hals  der  flaschenfärtnigeii 
Einseokung  des  Stratum  Ualpigbii  umgebenden  Coriumgewebes. 

Wenn  ich  das  frühere  Stadium  mit  dem  entsprechenden  beim 
Menschen  vergleiche,  so  muss  bei  letzterem  auf  jenen  Zustand  snrttck- 
gegangen  werden ,  wo  vom  Stratum  Halpighii  aus  gleichfalls  eine  von 
wallartiger  Eriiebung  umgebene  Wucherung  in  die  Lederbaut  eKoliii 
war.  Da  ich  diese  als  Drtlsenfeld  bezeichnet  hatte ,  weil  von  ihr 
aus  die  Anlage  der  einzelnen  Dnisen  stattfindet,  so  wird  b«m  Rinds- 
embryo der  hier  in  einen  längeren  Strang  sich  umwandelnde  Portsatz 
des  Stratum  Malpighü,  den  ich  vorhin  kolbig  geendet  angab,  der  dem 
DrUsenfeld  entsprechende  Theit  sein  müssen.  Das  kolbige  Ende- 
selbst  entspricht  dem  Boden  des  DrUsenfeldeä. 

Bezüglich  der  Textur  kommen  die  Zitzen  eines  weiblichen  Embryo 
von  20  Cm.  denen  des  vorigen  Stratum  gleich ,  und  nur  iu  Bezi^  auf 
die  GrSssen Verhältnisse  sieht  das  letztere  diesem  etwas  nach.  Mikro- 
skopische Präparate  zeigen  auf  Verticalschnitten  den  ersten  Beginn 
einer  Knospung  am  Grunde  des  nach  dem  vorhin  Auseinandergesetzten 
in  einen  die  Zitze  durchziehenden  Zellenstrang  umgewandelten  Drüsen- 
feldes.  Die  ganze  die  vier  Zitzen  tragende  Erhabenheit  erscheint  nur 
durch  eine  starke  Vermehrung  des  embryonalen  Coriumgewebes  be- 
dingt, in  dessen  untersten  Schichten  sehr  spärliche  Traubchen  von 
Pettzellen  aufgetreten  sind.  Wie  die  Zitze  in  diesem  Stadium  sieb  ver- 
längert hat ,  so  ist  auch  der  mit  dem  Drüsenfeld  endigende  Zellenstran^ 
länger  gestreckt.  Seine  Formelemente  entsprechen  jenen  des  vorigen 
Stadiums. 

Von  nun  an  beginnen  wichtige  Veränderungen  am  Boden  des 
Drüsenfeldes ,  indem  daselbst  in  ahnlicher  Weise ,  wie  ich  es  oben  vom 
Menschen  beschrieb .  die  DrUsen  sich  zu  bilden  beginnen.  Schon  bei 
29  Cm.  langen  weiblichen  Embryonen  ist  die  Knospung  der  ursprüng- 
lichen Epithel  Wucherung  sehr  ausgesprochen.  Man  sieht  vom  Ende  de^ 
Zellenstranges  mehrere  (5)  dem  letzleren  das  Ansehen  einer  kleinen 
traubtgen  Drüse  gebenden  Enospen  theils  Über,  theils  neben  einander 
angeordnet,  abgehen.  Auch  an  dem  oberflächlichen  Integumente  der 
Zitze  beginnt  ein  analoger  Process ,  und  besonders  in  der  Umgebung 
der  Zitzenbasis  zeigt  die  Epidermis  die  Anlagen  anderer  Abkömmlinge 
des  Stratum  Halpighii  in  grosser  Anzahl.  Sie  ergeben  sich  als  einfache 
kolbig  geformte  Fortsätze  des  Stratum  Halpighii,  wie  die  Anlagen  von 
Haaren  oder  Schweissdrtlsen. 

Die  ZitEen  eines  weiblichen  Embryo  von  H  Cm.  sind  nahezu 
3  Mm.  lang,  von  zwei  Seiten  her  zusammengedrUAt  und  lassen  die  an 
der  Spitze  befindliche  Vertiefung  deutlich  erkennen ,  welche  gegen  den 


Beitrage  zur  EntwickluRgsgeschichte  der  Milchdnlsen  etc.  193 

zum  DrUsenfeld  führenden  Zellenstrang  sieb  einsenkt.  Die  dem  späteren 
Euter  entsprechende  Hau^>artie  auf  der  die  Zitzen  als  konische  Er- 
hebungen stehen ,  setet  sich  bedeutender  von  ihrer  Umgebung  ab ,  als 
im  vorigen  Stadium ;  eine  Behaarung  ist  weder  auf  den  Zitzen  noch  auf 
deren  Umgebung  erkennbar.  Die  vollkommene  Trennung  der  Cutis 
vom  Unterhautbindegewebe  ist  nunmehr  eingetreten.  Letzteres  besitzt 
grossen  Fettreichthum  und  hat  bedeutenden  Antheil  an  der  Differen-* 
xirung  der  erwähnten  Hautpartie ,  die  jetzt ,  da  ihr  Unterhautbinde- 
gewebe von  den  dem  Drttsenfeld  entsprossenden  Läppchen  erreicht 
wird,  ein  fdtales  Euter  genannt  werden  kann.  Auch  die  vier  ver- 
längerten Zitzen  mit  ihren  tiefer  gewordenen  Einsenkungen  können 
zu  dieser  Zeit  nur  als  fötale  Zitzen  aufgefasst  werden,  denn  bisher 
enthielten  sie  nicht  blos  den  späteren  Ausführgang  der  Drüse ,  sondern 
die  Anlagen  der  Drüsen  selbst.  Die  letzteren  entstehen  also 
hier  in  einer  die  Zitze  vorstellenden  Erhebung  des  In- 
tegumentes,  welche  schon  vor  der  Knospung  der  Drüsen- 
anlagen  vorhanden  war. 

In  diesem  Stadium  treten  die  Haaranlagen  nicht  blos  in  der  Um- 
gebung der  Zitze ,  sondern  auch  auf  der  Zitze  selbst  in  grossen  Massen 
auf,  und  bieten  verschiedene  Stadien  der  Differenzirung  dar.  Auf  der 
Höhe  der  Zitze  sind  meist  einige  Wollhaare  bereits  vollkommen  ent- 
wickelt und  überragen  die  Oberfläche  der  Haut.  Auch  am  Boden  des 
Drüsenfeldes  ist  eine  Veränderung  eingetreten ,  indem  die  Producte  der 
ersten  Drüsenknospung  sich  jetzt  zu  Schläuchen  (den  späteren  Sammel- 
röhren der  Thierärzte)  verlängert  haben  und  ihrerseits  wieder  mit 
Knospen  besetzt  sind.  Diese  letzten  Glieder  der  2ten  Knospengeneration 
besitzen  hier  und  da  neue  Wucherungen ,  die  zu  einer  3ten  Knospen- 
generation führen.  Mit  der  Bildung  der  secundären  Knospen  treten  die 
Drüsenenden  in  das  Unterhautbindegewebe  ein. 

Den  Längenwacbsthum  der  Zitzen  begleitet  eine  bedeutende  Ver- 
längerung der  Einsenkung.  An  jeder  der  vier  Zitzen  erscheint  nun  an 
dem  aus  einer  Fortsetzung  des  Stratum  Malpighii  gebildeten  Axen- 
strang,  dessen  äusserste  Zellenschichte  in  die  Cylinderzellenschichte 
des  Stratum  Malpighii  übergeht,  eine  bemerkenswerthe  Veränderung. 
Am  mittleren  Theile  seiner  Länge  zeigt  er  sich  bedeutend  verdickt, 
nach  oben  wie  nach  unten  zu  verjüngt ;  seine  Gestalt  ist  etwa  spindel- 
förmig zu  bezeichnen.  Die  äussere  Einsenkung  setzt  sich  sammt  der 
Homschicht  der  Epidermis  tiefer  als  im  vorhergehenden  Stadium ,  in 
den  Axenstrang  fort ,  ohne  jedoch  die  erweiterte  Stelle  zu  erreichen, 
welche  nur  durch  Zellen  eingenommen  wird.  Die  Cylinderepithelschicht 
et*8tre€kt  sicli  bis  zmn  Boden  des  Drüsenfeldes,  an  welchem  die  bereits 


Beiträge  ur  BntwicklniigagMcbiebte  der  MilohdrügeD  etc.  195 

einfachen  länglichen  Knospen.  Das  Wachsthum  dieser  letzteren  ist  fast 
ausschliesslich  nach  der  Spitze  der  Zitze  zu  gerichtet.  Unterhalb  der 
Basis  der  Zitze  bildet  die  DrOsensubstanz  vielfache  das  Unterhautbinde- 
gewebe durchziehende  Verzweigungen.  Die  jüngsten  Knospen  erreichen 
immer  erst  eine  ansehnliche  Lange ,  ehe  sie  ihrerseits  wieder  Knospen 
treiben.  Der  übrige  mikroskopische  Befund  bestätigt  das  schon  mit 
blossem  Auge  Erkannte,  nämlich  den  Mangel  von  Haaranlagen  und 
anderen  Abkömmlingen  der  Malpighi'schen  Schichte  an  der  Oberfläche 
der  Zitze  und  in  der  nächsten  Umgebung  derselben  am  Euter. 

Das  jetzt  folgende  letzte  Stadium  ist  von  einem  vierzehn  Tage  alten 
Kalbe  weiblichen  Geschlechts  entnommen.    Das  ganze  Euter  ist  ver- 
haltnissmässig  noch  wenig  voluminös,  seine  Behaarung  dünn,  aber  bis 
dicht  an  die  Zitzenbasis  hin  vollständig.  Die  Gestalt  des  ganzen  Organs 
ist  derjenigen  des  Organs  bei  erwachsenen  Kühen  schon  sehr  ähnlich. 
Die  vier  entwickelten  Zitzen  sind  von  gleicher  Länge  und  messen  von 
der  Basis  zur  Spitze  2  Cm.   Ihr  grtfsster  Querdnrchmesser  beträgt  circa 
7  Mm.   Ihre  Gestalt  ist  die  eines  Conus  mit  abgerundeter  Spitze.    Die 
Mitte  der  letzteren  trägt  die  Ausmündung  des  aus  dem  anfänglich  soliden 
Axenstrang  entstandenen  einzigen  Ausführungsganges  des  betreffenden 
Drüsencomplexes.   Die  Mündung  ist  auf  dem  Querschnitte  nicht  rund, 
sondern  sternförmig,  wie  man  es  meist  an  solchen  Canälen  beob- 
achtet,   die    ihr  Lumen   durch   Aneinanderlegen    ihrer  Wandungen 
schliessen,  wobei  dann  ihre  Schleimhautfalten  in  einander  greifen.  Die 
der  ganzen  runzligen  Oberfläche  der  Zitze  zukommende  Haarlosigkeit 
erstreckt  sich  auch  noch  auf  einen  kleinen  Theil  der  Umgehung  der 
Basis  der  letzteren  und  bildet  so  eine  Art  Areola ,  ähnlich  wie  sie  beim 
Menschen  bekannt  ist,  allein  es  fehlt  die  Pigmentirung ,  wie  der  regel- 
mässige Kranz  von  Talgdrüsen,  wodurch  sie  beim  Menschen  ausge- 
zeichnet wird.    Spaltet  man  eine  Zitze  so ,  dass  der  die  Längsaxe  der 
Zitze  durchziehende  Ausführungsgang  in  seiner  ganzen  Ausdehnung 
freigelegt  wird,  so  kann  man  mit  Leichtigkeit  dieselben  zwei  Abschnitte 
unterscheiden,  die  im  zuletzt  beschriebenen  embryonalen  Stadium  nur 
mit  Hülfe  des  Mikroskopes  mit  Sicherheit  unterscheidbar  waren.    Man 
ßndet  die  ganze  Zitze  von  einem  Canal  durchzogen,  dessen  äusserer  der 
Spitze  der  Zitze  zukommender  Abschnitt  (Strichcanal  der  Thierärzte]  nur 
4,5  Mm.  Länge  und  0,75  Mm.  Weite  hat.    Die  Schleimhaut  dieses  Ab- 
schnittes ist  von  blasser  Beschaffenheit  und  weist  eine  sehr  feine,  in 
diesem  Alter  des  Thieres  nur  durch  die  Loupe  erkennbare  Längsfaltung 
1      auf.   Der  innere  die  ganze  übrige  Länge  der  Zitze  durchziehende  Ab- 
schnitt des  Ausführungsganges  erstreckt  sich  noch  ein  Stück  unterhalb 
diT  Basis  der  letzteren  in  das  Euter  hinab.    Das  Lumen  dieser  letzleren 

Bd.  VII.  S.  48 

i 


■■■mm': 


190  ^*  Max  Hosa^ 

Strecke  misst  4,5  Mm.  m  der  Quere.  Die  Schleimhaut  zeigt  an  dessen 
oberer  Partie  dieselbe  Art  der  Längsfaltung,  wie  sie  der  erste  Abschnitt 
dee  Ganalfi  trägt,  während  sich  aa  der  der  Drttsensubstanz  näher  ge- 
legenen Partie  desselbea  längs-  und  quergerichtete  Schleimhautfalten 
kreuzen,  wodurch  die  Schleimhaut  dort  eine  netzförmige  OberOädie 
derbielet.  In  diese  Erweiterung  des  Au^hrungsganges  (Cisteme  der 
Thierärzte)  mttnden  etwa  in  der  EOhe  der  Basis  der  Zitze  die  AusfiUh- 
FUDgsgäDge  der  Drüsen»  (Sammeiröhren«)  mit  bald  weitem ,  bald  engem 
Lumen  aus. 

Vertiicalscbaitte  durch  die  ganze  Zitze  liefern  eine  Reihe  von  That- 
Sachen,  die  hier  zur  Erwähnung  kommen  mttssen,  wenn  sie  auch 
theilweise  schon  beka&at  sind.  Beide  Epidermoidalsditchten  der 
Zitzenob^rfläßhe  sind  stark  entwickelt.  Die  von  einer  dichten  Lat^e 
platteoCörmiger  Zellen  hergestellte  HoraschLoht  setzt  sich  an  der  Aus- 
wttndung  desi  Ausftthrungsgaiiges  tief  in  das  Lumen  des  letzteren  hinein 
fort,  wo  sie  stellenweise  eine  gri^ssere  Mächtigkeit  erreidit,  als  an  der 
Zitzenoberfläcbe.  Nachdem  sie  noch  ei&ea  Abschnitt  der  Schleimhaut- 
oberfläche der  ampttUenai*tigen  Erweiterung  des  Ausführungsgangeh 
ausgekleidet  hat,  macht  sie  an  Dickedurchmesser  abnehmend  schliess- 
lich einem  Cylinderepithel  Platz ,  von  welchem  die  Auskleidung  de> 
tieferen  Xheiles  der  Schleimhaut  des  Ausfuhrungsganges  gebildet  wird. 
In  der  die  )>CislerQe«  vorstellenden  Erweiteirung  besitzt  also  die 
Schleimhaut  zwei  Epithelformen.  Der  der  Basis  benaehiMirte  Abschniu 
trägt  Cylinderepilhel,  der  andere  gegen  die  Htiodu«g  gerichtete  besitzi 
eine  Fortsetzung  der  Epidermis.  Der  von.  der  Epidertnissobichte  aus- 
gekleidete Theil  des  Binnenraumes  der  Zitze  (ein  Theil  der  Ampulle 
und  deren  Ausführungsgang)  besitzt  dieselben  Papillen  der  Lederhaut, 
wie  sie  das  aussäe  Integumeni  dee  Zitze  aufweist,  welches  sich  somit 
ohne  histologische  Girenae  in  den  AusfUhcungsgang  fortgesetzt  hat.  Die 
so  gestaltete  Schleimhaut  ist  am  mächtigsten  ha  den  oberen  AbsohnitteB 
des  Ausftkhrungsganges  und  verliert  in  der  Tiefe  mehr  und  mehr  an 
Mächtigkeit.  An  der  Grenze  der  HornsebichAe  der  Epidermis-  ver- 
schwinden auch  die  muiden  Zellen  des  Stratum  MalpighM  und  es  bleibt 
nur  die  tiefste  Zelienlage ,  die  aus  Cylinderepithel  bestehende  Zellen- 
schichte tlbrig,  welche  von  da  an  die  Auskleidung  des  Ausftthrangsganges 
tlberoimmt.  Die  üb  die-Malpighi'sche  Schicht  der  Epidermis  einragenden 
Papillen  sind  voni  ansehnlicheir  Länge  und  hie  und  da  findet  man  meh- 
reire  Papillen  an  ihrer  Basis  verbundeuw  Auf  der  Itabe  der  Zitze  und  im 
oberen  verengten  Theite  des  Ausführuagsganges  gewinnen  sie  eine 
solche  Ausdehnung,  dass  sie  das  ganze  Stratum  Malpighti  zu  durch- 
setzen scheinen ,  und  von  einer  dttnnen  Lage  desselben  bekleidet  in 


Beiträge  xor  Eniwiekimgflgesehiolite  der  Milchdrflsen  etc.  f  97 

die  MorMcbieht  eindringen  ^].  Üre  Faltung  der  Schleimhaut  des  Am- 
ftthrungsganges  giebt  diesen  Papillen  inatmigfaltige  Richtungen  nach 
dem  Lumen  des  AusfAhrungsganges.  Auf  raikroskopischefl  Dureh- 
schttilten,  sowohl  Veriical-  als  Horisontalscfanitten,  findet  man  sehr 
dtflerente  Bilder,  indem  die  Papillen  in  vefsefaiedener  Richiung  dufch- 
schniiten  sind.  Derartige  Bilder  können  dem  üngettbtereti  dehr  leicht 
Veranlassung  zu  Irrungen  geben. 

Diese  Faltung  der  Schleimhaut,  welche  im  obersten  Abschnitte  des 
Airsführungsganges  die  eben  beschriebene  Eigenthümlichkeit  bezüglich 
der  Papillen  darbietet ,  liefert  im  letzten  Drittel  der  Länge  des  Aus- 
ftthrungsganges  ein  zweites  erwähnenswerthes  Verhalten ,  dessen  Be- 
schreibung hier  angereiht  werden  soll.  Legt  man  in  der  oben  genannten 
Hohe  Horizontalschnitte  durch  die  Zitze,  so  erhält  man  Bildet*  von 
SehUsuchen ,  die  mit  dem  Lumen  der  cisternenartigen  Erweiterung  des 
AnsfUbrungsganges  zusanmienhängen.  Diese  Schläuche  sind  mehrfach 
verästelt,  theitweise  hohl,  zum  Theil  scheinbar  solid,  tragen  eine  Fort- 
setzung des  Gylinderepithels  des  AnsfUbrungsganges  und  haben  auf 
diese  Weise  mit  wohlgelungenen  Durchschnitten  von  Drttsensubstanz, 
die  man  an  dieser  Stelle  auch  wirklich  zu  suchen  berechtigt  ist,  sehr 
viel  Uebereinstimmendes.  Dieses  Verhalten  entspringt  an  einer  bedeu- 
tenden Falterieniwicklung  der  Schleimhaut,  wie  durch  die  Controle  mit 
LäVigsschnitten  zu  erweisen  ist.  Ehi  zweites ,  den  Sachverhalt  auf- 
klärendes Moment  besteht  darin,  dass  man  auf  jedem  der  angefertigten 
Schnitte  stets  dieselben  Schläuche  erhält,  während  die  Anfertigung 
solch*  gelungener  Ansichten  von  wirklichen  Drusenschläuchen  viel 
seltener  glücken  dürfte. 

Was  die  Grundlage  der  Zitze  betrifft ,  so  wird  diese,  wie  vorher, 
vom  Integument  gebildet,  wobei  die  Lederhaut  den  bedeutendsten 
Antheil  hat.  Dresetbe  besitzt  in  der^feserig  diflerenzirten  Intercelhdar- 
substanz  neben  rundlichen  Zellen  noch  eine  grosse  Anzahl  von  spindef- 
tormigen  Elementen.  Zahlreiche  Gefässe  durchziehen  das  Bindegewebe, 
indem  sie  sich  an  dem  obersten  Abschnitt  der  Zitze  sehr  stark  verästeln 
ofid  durch  eine  reiche  Anastomosenbildung  dort  ein  ansehnliches  Ge- 
ßkssnetz  zu  Stande  kommen  lassen,  unter  der  Schleimhaut  des  obersten 
AbschniMes  des  AusführungsgaiYges  kommen  glatte  Muskelfasern  in  circu- 
lärer  und  longitudinaler  Anordnung  vor,  denen  man  die  Function  eines 
SeMiessmuskels  beimisst.  Die  Wirkung  dieser  Musculatur  muss  entweder 
durch  die  melkende  Hand,  oder  durch  das  Saugwerkzeug  des  Jungen  oder 

4)  Die  VerbttTtnisse  der  Papinen  sind  sehr  genau  von  L.  Frami  beschrieben. 
I.  c.  S.  «96. 

48» 


Dr.  Hm  Kdss, 

einen  zu  starken  spontanen  HUcbandrang  nberwunden  werden, 
der  Verschluss  des  oberen  AbschniUes  des  AusfUhrungsganges, 
n  manchen  Autoren  als  eigentlicher  Zitzencanat  (oder  Stricbcanal) 
bnet  wird ,  gehoben  werden ,  und  der  gefüllte ,  als  eine  blosse 
tening  des  Ausfuhrungsganges  erscheinende  Hilchbehmier  oder 
sterae  sich  entleeren  soll. 


tlr  die  Wiederkäuer  ergiebt  sich  somit,  soweit  meine  am  Rinde 
eilten  Beobachtungen  für  die  ganze  Abtbeilung  maassgebend  sein 
Q,  ein  zwar  in  vielen  Puiikten  mit  dem  beim  Menschen  Erkannten 
nstimmender.  aber  in  andern  wesentlichen  Momenten  verschie— 
Entwicklungsgang  des  gesammten  Apparates  der  Milchdrüsen, 
^as  die  Entstehung  der  Drüsen  angeht,  so  treffen  wir  den  ersten 
id  als  eine  auf  der  Mitte  vertiefte  Erhebung,  die  wir  zugleich  als 
)  der  Zitze  erklärten  und  an  der  wir  nicht  blos  die  ZeUenwuche- 
les  Stratum  Malpighii,  wie  es  heim  Menschen  der  Fall  ist,  son- 
uch,  und  zwar  im  vorwi^enden  Maasse,  das  embryonale  Corium 
ligt  fanden.  Eine  Abflachung  dieser  Erhebung  findet  zu  keiner 
alt,  vielmehr  sind  alle  ferneren  Vorgänge  mit  einer  Weiterbildung 
rsprUnglichen  Protuberanz  verbunden.  Der  die  Zitze  bildende 
ung  des  Integumentes  vergrSsserte  sich,  während  in  seinem 
1  ein  die  Drüse  bildender  Differenzirungs Vorgang  stattfindet.  Der 
e  wird  eingeleitet  durch  ein  in  der  Axe  der  Zitze  erfolgendes  Aus- 
en  der  ursprunglichen ,  die  Drüsenanlage  vorstellenden  Epithel— 
rung,  von  deren  Grund  der  Boden  des  Drüsenfeldes  reprüsentirt 
welchem  die  Drüsen  allmählich  entspriessen.  Indem  das  dieBil- 
itatte  der  Drüsen  (Drtlsenfeld)  in  die  Tiefe  verlegende  Auswachsen 
tie  einen  anfänglich  soliden,  allmählich  von  aussen  her  hohl 
aden  Cannl  in  der  Axe  der  Zitze  entstehen  lässt,  Jiefert  es  den 
zu  neuen  DiSerenzirungsvoi^ängen,  welche  den  genannten 
in  mehrere  ungleichwerthige  Abschnitte  zerlegen.  Der  der 
mg  nächsle  Abschnitt  [Stricbcanal] ,  ist  durch  bedeutende 
von  dem  folgenden  weiteren  ampuUenfOrmigen  (Cisteme)  unler- 
en ,  und  letzterer  selbst  kann  wieder  in  zwei  Abschnitte  zerleg 
n,  einen  inneren  mit  Cylinderepithel  bekleideten  und  einen  mehr 
en,  der  eine  Fortsetzung  der  Epidermis  trägt.  Dass  der  die  DrU- 
ndung  aufnehmende  tiefere  Tbeil  der  Ampulle  dem  blinden  Ende 
'sprünglicben  Axenslranges  und  damit  dem  von  mir  als  DrUsen- 
tzeichneten  Abschnitt  entspricht,  ist  selbstverständlich, 
iir  Zeit,  da  die  fdlale  Zitze  eine  Menge  von  Haaranlagen  trägt,  die 


-jmm^^        .__1L&J*- 


BeitrXge  zur  Cntwieklungsgesehichte  der  MilchdrAsen  etc.  199 

später,  nachdem  sie  eine  gewisse  Stufe  ihrer  Entwicklung  erreicht  haben, 
sich  wieder  rUckbilden ,  unterscheidet  sich  die  Bedeckung  der  Zitze  in 
keiner  Weise  von  dem  übrigen  Integument  des  Thieres.  Die  vollständige 
Haarlosigkeit  der  Zitze  späterer  Stadien ,  wie  man  sie  auch  bei  Kühen 
findet,  lässt  sich  durch  die  Momente  der  Vererbung  und  Anpassung 
erklären.  Jeder  Rörpertheil,  welcher  durch  Generationen  hindurch 
dauernden  oder  oft  wiederholten  Einwirkungen  äusserer  Eingriffe  aus- 
gesetzt war,  erleidet  gewisse  Veränderungen ,  die  sich  allmählich  vererben 
können.  Auf  diese  Weise  wird  die  Behaarung  jenes  Theiles  der  Haut 
verloren  gegangen  sein,  der  als  Zitze  während  des  Säugegeschäftes  einer 
steten  Einwirkung  von  Seiten  des  Jungen  ausgesetzt  war  und  im  unbe- 
haarten Zustande  viel  besser  seinen  Functionen  zu  entsprechen  im 
Stande  sein  musstc,  als  im  Zustande  der  Behaarung.  Das  nur  auf  eine 
kurze  Zeit  beschränkte  Vorkommen  von  Haaren  auf  der  Zitze  erscheint 
von  jenem  Gesichtspunkte  aus  als  ein  Rückschlag  in  den  ursprünglich 
allgemeinen  Zustand  der  Behaarung,  welcher  durch  den  auf  Grund  der 
Anpassung  erworbenen  nackten  Zustand  bald  wieder  verdrängt  wird. 

Was  endlich  das  gesammte  Euter  betrifft,  so  entsteht  dasselbe  aus 
der  Vereinigung  von  mehreren  und  zwar  von  mindestens  vier  ursprüng- 
lich discreten  Drüsenanlagen.  Diese  Vereinigung  mehrerer  Drüsen  zu 
einem  Complexe  wird  durch  eine  Verdickung  der  die  einzelnen  Drüsen 
tragenden  Hautstelle  vorbereitet ,  welche  bereits  vor  der  Differenzirung 
des  Drüsengewebes  vorhanden  ist,  und  vorwiegend  durch  Vermehrung 
des  ünterhautbindegewebcs  zu  Stande  kommt. 


Zum  Schlüsse  soll  noch  eine  kurze  Zusammenstellung  der  Haupt- 
momente meiner  Untersuchung  Platz  finden,  womit  ich  die  beim 
Menschen  und  beim  Rind  sich  ergebenden  Uebereinstimmungen  und 
Verschiedenheiten  hervorheben  und  somit  die  bei  beiden  zur  Bildung 
eines  functionell  übereinstimmenden  Organs  führenden  Vorgänge  mit 
einander  vergleichen  wiU.  Zur  besseren  Uebersicht  werden  die  ein- 
zelnen Entwicklungsstadien  der  Papille  des  Menschen  denjenigen  der 
Zitze  des  Wiederkäuers  (Rind)  gegenübersteUt. 

Mensch.  Wiederkäuer. 

4.  Stad.  Die  ursprüngliche  Er-  1.  Stad.  Die  ursprüngliche  Er- 
hebung ist  ausschliesslich  bedingt  hebung  ist  bedingt  durch  das  Drü- 
durch  das  Drtlsenfeld.  senfeld  und  seine  Umgebung. 

%.  Stad.  Die  ursprüngliche  Er-  2.  Stad.  Die  ursprüngliche  Er- 
hebung flacht  sich  im  Laufe  der  wei-  hebung  flacht  sich  im  Laufe  der 
teren Entwicklung derDrüsenanlage  weiteren  Entwicklung  nicht  ab. 


300  Di^-  Hu  Baas, 

(FortHtmiic  ran  ]l«BBeh.)  (VoTtHtnmg  vdi  Wladaiktoar.) 

ab..  DieEinsenkung  des  Drttsenfel-  Die  Einsenkung  des  DrUseofeldps 

deawaehstgleicbsam  auf  Kosten  der  wachst  in  die  Länge,  aber  nicht  auf 

ursprünglichen  Erhebung   in    die  Kosten  der  Erhebung.   Die  letztere 

Breite  und  Tiefe.  Die  Umgebung  des  bleibt  nicht  blos  bestehen,  sondern 

DrUsenfeldes ,  welche  keinen  Tbeil  es  wächst  sogar  die  Umgebung  des 

hat  an  der  ursprünglichen  Erhebung  DrUsenfeldes,    die  von  vomherein 

umsieht  jetzt  wallarüg  erhoben  die  an   der   ursprüi^ichen   Erhebung 

napflbrmig  erwwlerle  Einsenkung  TheU  hat,  um  die  Einsenkung  herum 

und  tragt  so  zur  Vertiefung  der  Ein-  in  die  Höhe,  wodurch  die  letztere 

Senkung  bei.  zu  einem  langen  Canal  au^esogen 

wird.    Aus  der  erhobenen  von  der 

Cutis    gelHldelen    Umgebung    des 

DrUsenfeldes  gebt  die  Zitze  hervor, 

in    welche    die   Einsenkung    sich 

hinab  erstreckt. 

Die  Besultate  des  i.  Stadiums  sind  demnacli  in  beiden  Fallen  gleiche. 
Beide,  die  Drüsen  des  Menschen  und  die  des  Wiederkäuers  besitzen  jetzt 
anecbeineud  Qur-Einen  AusfQhrungsgang  in  Gestalt  der  ver- 
gresserl«»  Einsenkung.  Beide  Arten  der  Ausfahrungsgänge  sind  von 
einem  Cutiswall  umgeben,  der  durch  sein  weiteres  Heranwadisen  beim 
Rind  die  Zitze  bildet,  wahrend  er  beim  Menschen,  wo  die  Binsenkimg 
des  Drtlsenfeldes  schwindet,  in  viel  geringerer  Ausbildung  auftritt  und 
dadurch  dem  Drüsenfelde  sieb  allmählich  Über  ihn  zu  erheben  gestattet. 
Der  die  Einsenkung  des  Drüsenfeldes  umziehende  Culiswall  bildet  somit 
einen  TheU  der  Anlage  der  Papille  des  Hensohen  und  der  Zjtsfl  der 
WiederiUluer.  Bei  Wiederkäuern  tritt  er  schon  sehr  frUhseiUg  auf  und 
erlangt  bald  ein  bedeutendes  Volum,  bei  Hensohen  dagegen  wird  er 
erst  devtlich  erkennbar,  wenn  das  DrUsenf«ld  als  napfffirmjge  Einsen- 
kung  unter  dem  Niveau  der  Hautoberlläohe  liegt,  und  auch  da  bildet 
er  keinen  bedeutenden  Vorsprung. 

Des  Verhaltniss  bei  Wiederkäuern  bietet  nun  im  weiteren  Wachs- 
thume  des  die  Zitze  vorstellenden  Organs  nichts  BemeriLenswerthes 
mehr  dar.  Die  Zitze  vergrBssert  sich  in  der  angegebenen  Weise  und 
tritt  dadurch  allmählich  in  ihr  dehnilives  Verhalten  ein. 

Hit  diesem  für  Mensch  und  Wiederkäuer  gleichartigen  Stadium 
ist  die  Differenzining  der  Zitze  beendet,  wahrend  für  den  Henschpn 
noch  ein  drittes  Stadium  angereiht  werden  muss,  um  die  Entwick- 
lung der  Papille  zu  zeigen,  die  der  Hauptsache  nach  eigentlich  erst 
b^innt. 


Beitrige  rar  Entwieklnngsgesdiichte  der  Hiichdrilsen  etc.  201 

(FortMtiQBg  von  M 6 n 8 oh.)  (Fortootnug  von  Wioderkftnor.) 

3.  Stad.  Die  napffi^Hflltge  Eitk^ 
Senkung  beginnt  durch  Erhebung 
des  Drttsenfeldes  nach  der  Haut- 
oberflitofae  allmählich  seichter  zu 
werden  und  kommt  so  in  gleiches 
Niveau  mit  der  Haut.  Von  diesem 
Momente  an  erheben  sich  nun  beide, 
Drttsenfeld  und  seine  Umgebung 
zum  weiteren  Aufbaue  der  Papille. 

Die  Papille  ist  die  Erfae-*  Die  Zi^ze  ist  die  Erhe- 
bung des  vorher  vertieften  bung  d6r  Umgebung  des 
DrUsenfeldes,  welcher  Er-  Drüsenfeldes,  welches  sei- 
hebung  auch  die  nächste  nen  Boden  in  der  Tiefe  fort- 
Umgebung  des  Drttsenfeldes  erhält  Der  die  Zitz«  durch- 
folgt. Die  sie  durchziehen-  ziehende  AüsfOhrUttgsgang 
den  AusftthrungsgSnge  ent-  der  Drüsen  entstand  aus  der 
wickeln  sich  aus  der  ur-  Verlängerung  der  £insen- 
sprünglichen  Anlage,  am  kung  des  Drüsenfeldes,  die 
Boden  des  Drüsenfeldes.        durch     die    Erhebung    der 

Umgebung  des  letzteren  zu 

Stande  kam. 

Den  in  Vorliegender  Arbeit  angeftthnen  Untersuchuügsresultaten 
zufolge  ist  die  anfangs  gestellte  Frage,  ob  die  Papille  des  Menschen  und 
die  Zitze  der  Wiederkäuer  Analoga  oder  Homologe  sind ,  bedingungs- 
weise mit  »ja«  zu  beantworten.  Dass  sie  Analoga  sind,  bedarf  keiner 
weiteren  Erörterung.  Homologe  Organe  sind  sie  aber  nur  insofern ,  als 
zu  ihrem  Aufbau  die  Umgebung  des  Dffisenfeldes  zur  Verwendung 
kommt.  Diese  Verwendung  ist  aber  eine  sehr  verschiedene ,  so  dass 
dadurch  selbst  der  Werth  der  bedingten  Homologie  herabgedrückt 
wird;  sie  sind  nicht  homolog  insofern  als  das  Drüsenfeld  bei  Wieder- 
käuern während  der  Entfaltung  der  Zitoe  in  der  Tiefe  bleibt  und  der 
eioiige  Ausführungsgang  durch  die  Erhebung  des  Guiiswalles  bedingt 
wird,  während  beim  Menschen  das  DrOsenfeld  nicht  vertieft  bleibt, 
sondern  sich  zur  t'apille  mit  erhebt,  auf  der  die  zahlreichen  Ausftth- 
nmgsgänge  der  vom  Drüsenfeld  aus  gesprossten  Drüsen  zur  Mündung 
kommen. 


Erklftnuig  dor  ibbilAnngen. 

ToSd  ZIL 

1.  3.  sind  die  ersten  Entwicklungsstadien  der  DrüseDanlage  auT  senk- 
^htetn  Durchschnitte.  VergrJJsserung  175. 

□n  eiDem  weiblichen  Embryo  von  4  Cm.  l^nee.  Die  Drüsenaolage  ist 
im  Tbeii  über  die  Hautoberiläcbe  erhaben.  Die  im  Text  beschriebene 
inseokung  Tehlt  hier,  de  sie  bei  der  ScbDiUrührang  Dicht  mit  gehrofleo 

BeieichnnDgen :  ff  ^  Horoscbicht. —  SL  jV.^  Stratum  Maipigbii.  — 
^Corium.—  D.J.  =  DraseDaDlage.  (La ogor'BaliDsenrtirniiger Körper«.) 
Teiblicher  Embryo  von  10  Cm.  Länge.  Das  DrUsenreid  liegt  bereits  ganz 
nterhalb  der  HeulobeTflttche.    Die  Einsenknng  ist  slarlc  vergr(issert. 

BezelchouDg;  fi  a>  EinsenLung;  die  Übrigen  Bezeicbaungen,  wie  io 
lg.  1. 

reiblioher  Embryo  von  U,9  Cm.  Lunge.  Die  Einsenkung  ist  grttsser, 
ie  kolbige  Drüsenanlage  im  ersten  Beginn  der  Knospang. 

Bezeichnung;  K  =  Knospen  (Drüsena n lagen) i  die  übrigen  Bei«ich- 
ungen  wie  in  Fig.  1  nnd  i. 

TafA  Xm. 

'ignren  stellen  Verticalschnitto  dar.  Die  ersten  drei  Figuren  dieser 
M  sind  eine  Wiederholung  der  drei  Figuren  der  1 .  Tarel  ia  sehe- 
lUscher  Darstellung.  Sie  werden  mir  der  besseren  Uebersicht  halber 
a  ttbrigen  dargestellten  Stadien  noch  einmal  mit  beigerügt, 
rstes  Stadium  der  Drüsenanlage  in  Form  des  warzig  erhobenen  DrUseti- 
ildes  mit  seiner  Einsenkung.    Vergrüsserung  7S. 

Bezeichnungen :  U  =  Hornscbicht.  —  Sl.  M.  =  Stratum  Hatpighii,  — 
=  Corium.  —  E  =  Einsenkung.    , 

weites  Stadium,  in  welchem  das  Drüsenfeld  ganz  unter  dem  Heutniveau 
Bgl.    Vei^rösserung  7B. 

Bezeichnungen  wie  in  Taf.  Xll.  Fig.  3. 
rüseoanlege  im  ersten  Beginn  ihrer  Knospung.  Vei^rässerung  7S. 

Bezeichnungen:  £'bi  Knospen ;  im  Uebrigen  wie  in  Fig.  t. 
on  einem  weiblichen  Embryo  von  99  Cm.     Die  Drüsenanlage  steht  in 
»r  zweiten  Knospung.    Die  Glieder  der  ersten  Knospui^  haben  sich  zu 
Dsfithningsgangen  verlängert.    Links  von  der  Anlage  der  HilchdrUse  ist 
oe  Schweissdrüse  bemerkbar.  VergrösMning  7S. 

Bezeichnungen :  A  ^  Ausftthrungsgange.  —  D.L.^  Drüsenläppchen. 
sbrige  Bezeichnungen  wie  in  Fig.  3. 

an  einem  weiblichen  Embryo  von  19, S  Cm.  Lunge.  Starke  Ver- 
-össemng  der  Einsenknng  des  DriUenfeldes.  Dm  die  Einsenknng  ist 
it  Cutiswall  sichtbar.  Die  AuaftlhrgaDge  münden  sammtlich  in  die  Ein- 
tnkung.  VergrösserungltS. 

Bezeichnung :  C.  W.  ^  Cutiswall.  Cebrige  BezelchDungen  wie  in 
ig.*. 


Beitrüge  xar  Cntwieklangsgeschiebte  der  Milchdrfisen  eie.  203 

Fig.  6.  Von  einem  weiblichen  Embryo  von  88  Cm.  Länge.  Die  Einscnkung  ist 
seichter  geworden.  Entwicklung  einer  dritten  Knospengeneration.  Die 
Glieder  der  zweiten  Knospung  bilden  secundäre  Ausführungsgänge.  Ver- 
grösserung  445.  Links  von  der  Einsenkung  sieht  man  zwei  Schweiss- 
drttssen. 

Bezeichnung :   S,  A.  ==s  Secundäre  Ausfühningsgänge.     Uebrige  Be- 
zeichnungen wie  in  Fig.  5. 
Fig.  7.     Von  einem  weiblichen  Neugebornen.     Die  Ausfübrungsgange  sind  mit 
ampullenförmigen  Erweiterungen  versehen. 
Bezeichnung,  wie  in  Fig.  5. 
Fig.  8.     Von  einem  Mädchen  von  3Vs  Monaten.  Die  Einsenkung  des  Driisenfeldes 
ist  durch  die  Erhebung  des  letzteren  bis  zum  Hautniveau  verschwunden. 
Bezeichnung  wie  in  Fig.  5. 
Fig.  9.     Von  einem  Mädchen  von  sVs  Jahren.    Erste  Erhebung  des  Drüsenfeldes 
und  seiner  Umgebung  über  das  Hautniveau  zur  Bildung  der  Papille. 
Bezeichnung  wie  in  Fig.  5. 


Bemerkungen  über  die  imichdrnsen- Papillen  der 
Sängethlere. 


Carl  Oegenbaur. 


Id  den  in  dioser  Zeilschrift  veröffentlichten  »Beitrügen  zur  EdI^ 
wickiungsgeschiclitü  der  Milchdrüsen,  von  Dr.  U.  Huss»  wurde  gezeigt, 
dass  die  Brastwarzen  des  Menschen  und  die  Zitzen  der  Wiederkäuer, 
abgesehen  von  der  Verscbiedenbeil  ihrer  Lagerung,  bezüglich  ihrer 
Genese  und  der  davon  sich  ableitenden  Structur ,  Bildungen  von  ganz 
verscbiedeneni  morphologischem  Werthe  seien.  Theile,  die  mau  gemSss 
einer  gewissen  oberfläcblichen  Uebereinstimmung  und  wohl  auch  beein- 
flusst  durch  die  Gleichartigkeit  der  physiologischen  Leistung  fUr  homo- 
loge Gebilde  zu  halten  wohl  niemals  beanstandet  hatte,  stellten  sich 
durch  jene  Untersuchung  in  recht  hohem  Grade  verschieden  heraus. 
Es  dürfte  sich  demnach  der  HUhe  verlohnen ,  jenen  Verhältnissen  in 
einem  etwas  weiteren  Umkreise  nachzugeben,  als  es  vom  Verfasser 
geschah,  und  nach  ferneren  Verbindungen  zu  suchen. 

Für  diesen  Zweck  muss  ich  aus  der  genannten  Arbeit  einige  Punkte 
hervorheben.  Das  ist  einmal  die  Uebereinstimmung  der  ersten  Anlage 
der  Drusen  beim  Menschen  und  beim  Binde ,  und  zweitens  die  Ver- 
schiedenheit der  Papille  von  der  Zitze.  Die  Uebereinstimmung  der  An- 
lage wird  dadurch  gebildet,  dass  sie  eine  epidermoidale  Wucherung 
mit  einer  mittleren  leichten  Vertiefung  bildet,  das  Drtlsenfeld.  Vom 
Boden  dieses  Drüsenfeldes  entstehen  die  Drüsen  ganz  auf  dieselbe  Weise 
wie  andere  Hautdrüsen,  nämlich  durch  Wucherung  von  Zellonsträngen 
aus  der  Malpigbi 'sehen  Schicht  in  die  darunter  gelegene  Lederhaut,  wie 
man  diese,  auch  die  Loderbaut  nicht  blos  passiv  betreffende  Erscheinung 
aufzuführen  pOegt.  Um  das  Drilseufeld  erhebt  sich  beim  Menschen  ein 
Bur  kurze  Zeit  bestehender,  und  auch  keine  bemerkenswerthe  Hfihe 


C  Gegenbuor,  BemerkongeD  Aber  üt  XitebdrfiseD-Papillen  der  Sängetbiere.      205 

ge^winnender  Gutiswall,  der  beim  Rinde  gleich  mit  der  DifferenziruDg 
des   DrUaenfeldes  bedeutendere  Ausdehnung  gewinnt.     Mit  leteterem 
Vefhältniss  ist  schon  die  erste  gewichtigere  Verschiedenheit  gegeben, 
und  nunmehr  beschreiten  beiderlei  Organe  in  ihrer  ferneren  Differen- 
zirung    gesonderte  Wege.     Beim  Menschen  wird  die  Vertiefung  des 
Drüsen feldes  flacher,  und  die  an  seinem  Boden  mit  der  Malpighi^schen 
Sdiicht  verbundenen  Drttsen  kommen  in  demselben  Maasse  eu  einer 
oberflächlichen  Ausmündung.    Mit  der  fernem  Erhebung  des  Drüsen- 
feldes rücken  die  Mündungen  auf  die  Spitze  der  durch  die  Erhebung 
gebildeten  Papille,  während  der  vorher  den  Cutiswall  darstellende  Theil 
der  Umgebung  des  Drttsenfeldes  theils  in  die  Seitenfläche  der  Papille, 
iheils  in  die  Areola  mammae  übergeht.    Das  ursprünglich  vertiefte,  im 
Grunde  einer  Einsefikung  gelegene  Drüsenfeld  gelangt  mit  der  Papillen- 
bildung  auf  die  Spitze  dieser  Erhebung.  Beim  Rinde  dagegen  findet  nicht 
nur  keine  Erhebung  des  Drttsenfeldes  statt,  sondern  dasselbe  senkt  sich 
immer  tiefer  in  den  Grand  der  vom  Cutiswall  umschlossenen  Höhlung, 
in  demselben  Grade,  als  der  Cutiswall  höher  wirfl.    Die  vom  Drttsen- 
felde  aus  entstandenen  einzelnen  Drüsen  kommen  daher  niemals  mit 
ihrer  Mündung  an  die  Oberfläche,  sondern  münden  in  einem  von  der 
centralen  Einsenkung  zum  Drttienfeld  sich  heraberstreekenden  Hohl^ 
räume  aus. 

Die  Verschiedenheit  der  so  entstehenden  Bildungen  tritt  noch  deutr- 
licher  durch  die  Vergleichung  der  einzelnen  Theile  hei*vor.  Die  Mün- 
dungen der  MUchdrOsengSnge  liegen  beim  Menschen  auf  der  Spitze  der 
Papille,  beim  Rinde  finden  sie  sich  im  Grunde  eines  die  Axe  der  Zitze 
durchsetzenden  Canals.  Für  diesen  letzteren  besteht  nichts  Aehnliches 
beim  Menschen,  und  nur  wfthrend  eines  vorübergehenden  Stadiums  ist 
eine  ihm  vergleichbare  Bildung  in  der  vom  Cutiswall  umzogenen  Ein-* 
Senkung  dee  Drüsenfeldes  vorhanden.  Ebenso  fehlt  als  bleibende 
Bildung  beim  Menschen  der  Cutiswall,  der  beim  Rinde  die  Zitze  her- 
stellt. Dagegen  entbehrt  die  Zitze  des  Rindes  der  Ai*eola,  von  der  die 
entsprechende  Fläche  weder  an  der  Oberfläche  der  Zitze  noch  des 
Euters  gesucht  werden  darf,  sondern  im  Anfangstheile  des  Zitzen- 
canals  (Strichcanalsj.  Dass  unter  diesen  Verhältnissen  die  Ampulle  des 
Strichcanals  nicht  mit  einem  Sinus  lactiferus  verglichen  wenden  kann, 
orgiebt  sich  von  selbst,  und  ist  ebenso  begreiflich,  wie  der  Mangel  einer 
Homologie  zwischen  dem  Strichcanal  des  Rindes  und  einem  Ductus 
lactiferus  der  menschlichen  Mamma. 

Indem  wir  so  behaupten  dürfen,  dass  die  Zitzen  des  Rindes 
und  die  Papulae  mammarum  des  Menschen  ganz  ver- 
schiedene Typen  repräsentiren,  und  damit  keine  streng 


Bemerkungen  fiber  die  Milchdrösen-Papillen  der  SHuf^tbiere.  207 

1  0,  für  die  Katze  5  Oeffnungen  auf  der  Spitze  der  Papille  nachgewiesen. 
Nach  anderen  Angaben  wechselt  bei  diesen  die  Zahl  von  8 — 13.    Von 
Nagethieren  ist  durch  Rudolphi  und  Astlby-Coopbr  ^)  beim  Kaninchen 
eine  Mehrzahl  von  Ausftthrgängen  erkannt.  Für  die  Edentaten  finde  ich 
eine  Angabe  von  Rudolphi  bei  Manis,  dessen  Papillen  von  fünf  bis  sechs 
feinen  Gängen  durchsetzt  werden  sollen.    Gleich  beschränkt  finde  ich 
die  Angaben  für  die  Halbaffen,  von  denen  ich  wenigstens  bei  Chiromys 
das  Vorkommen  einer  grössern  Anzahl  von  Mündungen  auf  den  Papillen 
dargestellt  findet).    Bei  den  Affen  scheint  ein  ähnliches  Verhalten  wie 
beim  Menschen  zu  bestehen ,  und  vom  Orang  hat  Owen  4  0 — 4  2  Milch- 
gang-Oeflnungen  beschrieben.   Bringt  man  endlich  hierzu  noch  die  von 
Leyaillart^)  beim  Elephanten  gemachte  Beobachtung  von  8  Ausführ- 
gängen ,  sowie  die  von  Owen  ^)  bei  Rhinoceros  indicus  aufgefundene, 
gegen  12  betragende  Zahl  der  Mündungen  in  Betracht,  so  ergiebt  sich 
allerdings,  dass  bei  Repräsentanten  einer  grossen  Anzahl  von  Säuge- 
thieren  —  der  Mehrzahl  der  einzelnen  Abtheilungen  —  eine  dem  fUr  den 
Menschen  am  genauesten  gekannten  Typus  des  Verhaltens  der  Papille 
folgende  Einrichtung  vorkommt.    Dieser  würden  sich  nach  der  Beob- 
achtung Stbllbr^s^)  auch  die  Sirenen  anreihen,  deren  Papille  von  1 0 — 4  2 
Milchgängen  durchbohrt  sein  soll. 

Während  für  die  eben  aufgeführten  Säugethiere  die  bezüglichen 
Thatsacben  entweder  klar  erwiesen  oder  durch  mehrfache  Beobachtungen 
in  der  Hauptsache  bestätigt  sind,  ist  es  ein  anderes  bei  den  Cetaceen. 

Für  die  echten  Cetaceen  besteht  keine  ganz  völlige  Uebereinstim- 
mung  der  Angaben.  Die  Mehrzahl  der  Autoren  führt  zwar  einhellig 
(He  Existenz  eines  einfachen  erweiterten  Ausführganges  für  jede  Zitze 
an,  aber  von  Owen ^)  finde  ich  bei  Beschreibung  der  Milchdrüsen  eines, 
Delphin  das  Bestehen  zahlreicher  Ausführgänge  behauptet.  Wenn  er 
sich  dabei  auf  John  Huhtbr  stützt.,  so  steht  damit  die  Angabt?  dieses 
Autors  in  Widerspruch,  da  von  demselben  ganz  zweifellos  nur  ein  ein- 
einziger gemeinsamer  Gang  beschrieben  wird^).    Dies  ist  um  so  auf- 

4)  On  the  anatomy  of  the  breast.  London  1840.  Ich  bedaure  dieses  Werk 
nicht  zu  Gebote  gehabt  zu  haben. 

%)  Petkus,  in  Abbandi.  der  Königl.  Acad.  der  Wiss.  zu  Berlin.  4866.  Taf.  4. 
Flg.  ö.  m. 

8)  Voyage  dans  l'interieur  de  TAfrique  en  4780—4785.  Liöge  4790.  S.  496. 

4)  Transactions  of  the  Zoological  Society.  Vol.  IV.  Part.  III.  S.  8S. 

5)  Ausführliche  Beschreibung  von  sonderbaren  Meerthieren.  Halle  4768.  S.  69. 

6)  Anatomy  of  vertebrates.  Vol.  III.  4868.  p.  777.  »The  nipple  itself,  shown 
by  dilating  the  mammary  fossa  is  perforated  by  numerous  lacteal  ducts.« 

7)  Deber  den  Bau  und  die  Oekonomic  der  Wallfische.  Uebers.  v.  J.  G.  Schnrideii. 
Leipz.  4798.  S.  40S. 


a06  C.  Gcgenbaar, 

faltender,  alsOvEtt  noch  auf  di^rselben  Seite  die HcKTER'scbe  D^rsn 
wiedei^ebt.  HHHuhtbi  sUmmt  Ruoolpki,  ferner  Et.  Geovpüot  S 
LAiBK*)  sowie  Bapp^)  ubereiD,  so  d»ss  die  von  OwsH  geliefert«  fiesr 
buDg  auf  eine«  Missversl^ndnisse  zu  beruhen  de»  Ans<dtefii  hat. 

Die  Celoceeo  entfernen  sich  also  sowohl  von  den  Sirenen  als 
von  den  übrigen,  mehrfache  ÄusfOfargÜnge  der  Hilcbdmse  beäjizfi 
<lecid«aten  Süugeüiieren,  und  seMtessen  sich  mehr  den»  zweiten  T; 
an,  welchem  Eunüchsl  Wiederkäuer  und  Schweine  angefahren.  Bei 
ersteren  ist  das  Übereinstimmende  Verhalten  in  grosser  Anstiefaii 
nachgewiesen,  so  dass  es  als  ein  gemeinsam  trerbtt^r  Charakter  i.-r 
kann.'  Auch  bezuglich  der  Schweine  besieht  keine  bedeutende  Divenii 
der,  Angaben  und  die  Hehrzahl  derselben  tbeilen  der  Zitze  einen  <■ 
zigen  Ausfuhrgang  zu ,  womit  ich  nach  e^nen  Beobechlm^eB  an  ."i 
scrofa  Uiiereinstimmen  kann.  Von  twei  AusfUhi^itngei»  spricht  litt's 
Edwards  ^],  indem  er  ^h  auf  A.  Coopeh  bezieht. 

Schwieriger  ist  die  Beurlheilung  des  VerhaHois  der  Einlmfer,  i 
welche  bekanntlich  in  jeder  der  zwei  Zitzen  zwei  Auafubt^änge  (Slriif 
canUle)  nachgewiesen  sind.  Man  kfinnte  hier  annehmen,  dass  vcm  eiii' 
grösseren  Anzahl  Ton  discrelen  HilchdrUsen,  wie  sie  die  Übrigen  Sifui:- 
thiere  erkennen  lassen,  nur  zwei  sich  ausgebildet  haben,  und  dass  jt^' 
der  beiden  Strichcanale  dem  Ausführgang  einer  einzigen  priniitiw 
Drllac  entspräche ,  in  welchem  Falle  die  Einrichtung  sich  dem  ersUi 
Typus  anreihen  Hesse.  Durch  die  Prüfung  des  Verhaltens  jeder  d" 
beiden  Zitzencanüle  giebl  sich  jedoch  eine  Überaus  grosse  Ueberein- 
sUmmung  mit  dem  einzigen  Zitzencanale  der  WiederkMier  kund,  indcn 
auch  bei  der  Stute  eine  ausgebuchtete  Erweiterung  dee  Canals  z.< 
reiche  Uitchgänge  aufnimmt.  Vergl.  hierüber  die  DarsteillUDgenßiiDULPBi  < 
I.  c.  Tnf.  I.  Fig.  i  und  Taf.  II.  Fig.  4.,  femer  die  Bescbreifoung  und  Al>- 
bihiung  in  L.  Frake's  Handbuch  der  Anatomie  der  Ha«stbiere.  S.  09: 
Dadurch  gelangt  man  zu  der  Anpassung ,  dass  die  bei  Wiederkauen 
auf  je  zwei  einer  Seile  angehörigen  Zitzen  vertkeihen  Apparate  bei  der 
Einhufern  jedenfalb  in  einer  einzigen  Zitze  vereint  sind.  Die  Zilze  einer 
Stute  würde  demnach  zwei  Zitzen  eines  Wiederkäuers  eiitspiTcheji. 
und  das  gesammte  Euter  der  Slule  bezüglich  der  Ausfuhrwege  sich  viel 
näher  an  das  mindestens  vier  Zitzen  tragende  Euler  der  Wiederkauff  ' 
anschliesseu,  als  es  bei  der  blossen  Beachtung  der  äusseren  VerhsUoissf 
der  Zitze  den  Aoachein  hat. 

i }  PragDwns  sur  Is  straclure  et  \w  Hsages  dw  Glandn  maiiiDikires  dps  Ct- 
Uc«es.    Paris  IStt. 

»)  Die  Celacaen.  Stuttgart  4897.  S.  177. 

B)   LefoDB  sur  la  Pbysiolotiie.    T.  IX.   p.  IIS.   Aoroerli. 


_J 


BeDerkuDgen  über  die  Bükhdrtsen-Papilleu  der  S&ugetbiere.  209 

hkise  Verbindung  von  zwei  MilchdrUsenoompIe.ten  und  die  Ver- 
einigong  ihrer  Ausführwege  in  eine  Zitze  nHSdile  ich  jedoch  nichl  direct 
von  einer  Yerscliinelaung  discret  bestehender  Zitzen  ableiten ,  als  viel- 
mehr von  einer  allinählich  stattfindenden  Verschiebung  der  ersten 
Anlage  der  Drüsen.  Wenn  man  sidi  rorsteilt,  dass  an  der  Stelle  einer 
jeden  der  beiden  Zitzen  die  beim  Rinde  wie  bei  anderen  Wiederkäuern 
einfache  Drilsenanlage  (vergl.  den  Aufsatz  von  M.  Huss)  doppelt  vor- 
hamden  ist,  dass  femer  diese  beiden  Anlagen  sich  derart  unter  einander 
verbinden,  dass  der  für  jede  bestehende  Gutiswall  beide  Einsenkungen 
gemeinsam  umzieht,  aber  auch  zwischen  beiden  Anlagen  hindurch  ein 
Septum  entsendet,  so  wird  man  daraus  die  bei  der  Stute  bestehenden 
Verhältnisse  ableiten  kmmen.  Diese  Auffassung  iQlsst  keinen  aus  dem 
Verhalten  der  Sirichcanäle ,  überhaupt  aus  dem  inneren  Raum  der 
Zitze  zu  entnehmenden  Einwand  zu ,  und  wird  also ,  indem  sie  dazu 
dienl,  doD  doppelten  Zitzencanai  der  Einhufer  aufzuklaren,  die  Milch- 
ausführwege  des  Euters  der  letzteren  mir  jenem  der  Wiederkäuer  in 
engeren  Zusammenhang  zu  bringen. 

Die  beiden  Typen  der  Papille  vertheilen  sich  also  derart  über  die 
Sttugethiere,  dass  die  eine  auch  beim  Menschen  bestehende,  den  Affen, 
HeifaoffiMi,  Camivoren,  Edentaten,  Nagern,  dem  Elephant,  Rhinoceros, 
und  den  Sirenen,  der  anidere  den  Celaeeen,  Wiederkäuern  und  Einhufern 
zukommt.  Vermittelnde  Formen  sind  in  diesen  Abtheilungen  nicht  be- 
kannt geworden.  Von  um  so  grösserer  Bedeutung  ist  die  Thatsache,  dass 
unter  den  Beutelthieren  ein  die  beiden  extremen  Papillenlbrmen  der 
monodelphen  Stfugethiere  vemiittelnder  Zustand  gefmiden  wird. 

Nach  den  ünievsucfaungen  von  i.  Moa€Aif  ^)  erscheinen  bei  jungen 
KäBgwuhS'  die  vier  Zitzen  als  wenig  bedeutende  Erhebungen  oder  Port- 
sütflte  des  Integumentes,  Gebilde,  deren  terminale  Fläche  eine  Grube  auf- 
weist. Diese  leitet  in  einen  die  Zitze  durohsetvMKlen  Canal,  an  dessen 
Ende  ein  papiUenartiger  KKrper  vorspringt.  Des  letzteren  Olierfläche 
wird  von  den  Mündungen  zahlreicher  MHchgänge  durchsetzt.  Dieser 
Befand  scheint  sich  bis  zu  jener  Periode  zu  erbalten ,  in  welcher  das 
Thier  seine  Jungen  säugt.  Alsdann  tritt  die  Papille  aas  dem  Grunde  des 
Gattates  hervor  und  steht,  vom  Munde  des  Jungen  urafasst,  am  freien 
Ende  einer  ziemlich  langen  Zitze.  Ob  das  Hervortreten  der  Papille  durch 
das  Junge  besorgt  wird,  ist  unbestimmt.  Die  terminale  PapiNe  erscheint 
dabei  den  Grüssenverhältnissen  des  Mundes  der  saugenden  Jungen  ange- 
passt,  und  bei  ausgewachsenen  Weibchen  giebt  sich  auch  fernerhin  eine 
solche  Anpassung  der  Zitzen  an  das  Wachsthum  der  Jungen  zu  erkennen, 


1)  TrensHClioDB  of  the  Linnean  Society.   Tume  XYI.   S.  64  und  S.  455. 


210  C.  Gegenluat, 

worüber  ich  bezüglich  des  Näheren  ebensc 

weise ,  wie  bezU^t^  der  Verschiedenheit 

und  hinteren  ^ilzenpaares.   Das  Wesentliche  des  aufgeführten  BefuDde> 

wird  darin  zu  suchen  sein,  dass  der  Zustand  der  Zitze  zu  vei^chiedeDf  r. 

Zeiten  verschieden  ist ,  dass  vor  der  [.actatioD  die  Zitze  von  einen' 
durchbohrt  erscheint,  in  dessen  Grund  die  HÜDdungeD  def 
tlsengänge  angebracht  sind ,  während  mit  der  PunctJon  der  Zitzr 
isUllpung  erfolgt,  durch  wdcbe  die  auf  einer  Papille  ausmünden- 
Ichgänge  auf  die  Spitze  der  Zitze  gelangen. 

iese  beiden  an  einer  und  derselben  Zitze  erscbei- 
!»  Zustände  entsprechen  den  beiden  oben  fe- 
ierten Typen  der  Zitze.  Der  zweite  bei  Wiederkäum 
inhufem  herrschende  Typus  entspricht  im  Wesentlicfaen  deni 
Zustande  der  Zitze  bei  Känguruhs,  sowie  der  erste  Typus  niil 
lätem  Befunde  der  Zitze  bei  den  genannten  Beutelthieren  itber- 
mt. 

e  einfach  perforirte  Zitze  der  Wiederiiaaer  kann  daher  ebens«  ' 
!  mehrfad)  von  Hilchgangen  durchsetzte  Papille  der  Hebrzahl  der 
liierabtheilungen  von  einer  bei  einer  Gruppe  der  Beut«Ilhierr 
irtbestebenden  Einrichtung  abgeleitet  werden,  und  diese  erschein' 
andern  differenzirteren,  weil  nicht  mehr  beidertei  Befunde  Ver- 
den Verhältnisse  gegenüber  als  ein  Zustand  der  lndiff<»%nz. 
ch  diese  nach  beiden  so  divergenten  Richtungen  auflöste,  wird 
tand  einer  besondem  ErwSgung  sein  müssen. 
IS  primäre  Verhalten  der  Zitze  bei  Känguruh's  wird  als  der  nie- 
ustand  beurtheilt  werden  dürfen,   da  es  vom  zweiten  Zusland 
gesetzt  wird,  und  diesen  aus  sich  hervorgehen  lässt.  Wir  können 
ne  Fonn  mit  jener  bei  Wiederkäuern  verknüpfen,  wenn  wir  an- 
n ,  dass  das  neugebome  Junge  ]nicht  jener  kleinen  im  Innern  der 
geborgenen,    die   Mündungen   der   HilchdrOsengänge   tragendeo 
bedarf,  um  an  der  Zitze  sich  anzusaugen,  dass  vielmehr  das 
seines  Hundes  ihm  gestattet,   die  primäre  Zitze  selbst  aufzu- 
D.    In  diesem  Falle  wird  eine  gewisse  GrSsse  der  neugeborenen 
I  vorausgesetzt  werden  müssen',    welche  zugleich  die  didelpbe 
ege  ausschliesst ,    oder  doch  wenigstens  nicht  in  dem  Haasse 
,  wie  er  bei  den  Halmaturen  noch  besteht.    Man  wird  sich  vor- 
kfinnen,  dass  mit  dem  allmählidien  Schwinden  des  Didelphismus 
leslimmten  Sät^thierform  und  der  dabei  durch  das  längere  For- 
a  erzielten  GrOssenzunahme  des  neugebomen  Jungen  die  im 
der  primären  Zitze  befindliche  Papille  allmählich  nidit  mehr  in 
idung  kommt,  indem  bald  nur  das  Ende  der  primären  litte 


d 


BemerkniigeD  ober  die  Hilchdrösen-Papillen  der  Süagethiere.  211 

crfasst  wird,  aus  welchem  jetzt  ein  einziger  Ganal  die  Milch  ausleitet. 
IMe  fortgesetzte  Vererbung  dieser  Praxis  mu^  dann  von  einer  allmäh- 
lichen Rückbildung  der  im  Grunde  des  Zitzencanals  geborgenen  Papille 
begleitet  sein ,  wodurch  die  Milchdrttsengänge  einfadi  in  dem  Grunde 
des  Ganais  zur  Mündung  kommen.  Die  hier  bei  Wiederkäuern  u.  s.  w. 
sich  findende  Erweiterung  des  Canals  zu  einem  sinuösen  Milchbehälter 
virird  dann  als  eine  fernere ,  aber  für  unsere  Zwecke  minder  wichtige, 
wieder  aus  einer  Anpassung  erklärbaren  Veränderung  zu  betrachten 
sein.  So  erscheint  also  ein  eigenthümlicher  Typus  der  Zitze  bei  einer 
Abtheilung  monodelpher  Säugethiere  aus  einer  bei  Didelphen  bestehen- 
den Zitzenform  ableitbar. 

Bestärkt  wird  die  Richtigkeit  dieser  Ableitung  nicht  wenig  durch 
den  in  der  bezüglichen  monodelphen  Säugethiergruppe  (der  Schweine, 
der  Wiederkäuer  und  der  Einhufer)  waltenden  hohen  Ausbildungsgrad 
der  neugebomen  Jungen,  im  ^Gegensätze  zu  den  meisten  anderen  Ab- 
theilungen der  monodelphen  Säugethiere,  deren  Junge  einen  minder 
hohen  Reifegrad  mit  zur  Welt^bringen. 

Der  andere  Zitzen -Typus  ist  in  gleicher  Weise  von  der  geschil- 
derten Form  der  Halmaturen-Zitze  ableitbar,'  und  zwar  vom  zweiten 
Zustande  derselben,  der  durch  die  terminal  gestellte,  von  mehrfachen 
Milchdrttsengängen  durchsetzte  Papille  ausgezeichnet  ist.  Diese  Form 
ist  als  die  höhere  und  differenzirtere  bezeichnet  worden.  Man  kann  sie 
in  den  entsprechenden  Zitzen -Typus  der  monodelphen  Säugethiere 
überleiten  durch  die  einfache  Annahme ,  dass  der  bei  den  Ränguruh^s 
sich  jedesmal  wiederholende  Act  des  Hervortretens  der  Papille  aus  dem 
sie  umgebenden  Zitzen-Schlauche  allmählich  sich  derart  vererbt  hat, 
dass  er  in  einer  immer  früheren  Lebensperiode  sich  bildet.  Der  aus 
einer  Anpassung  an  das  säugende  Junge  temporär  erworbene  Befund 
fixirt  sich,  und  wird  zu  einem  constanten  Charakter.  Das  Hervortreten 
der  Papille  erscheint  dann  als  das  sich  vererbende  Moment,  welchem 
der  von  Huss  geschilderte  Vorgang  der  Erhebung  der  Papille  aus  dem 
Grunde  der  vom  Drüsenfelde  eingenommenen  Einsenkung  entspricht. 
Der  Zitzenschlauoh  ist  in  diesem  Stadium  durch  den  die  Einsenkung 
umziehenden  Gutiswall  repräsentirt,  und  die  Einsenkung  selbst  erscheint 
dem  Ganale  homolog  der  bei  Känguruh's  den  Zitzenschlauch  bis  zu  dem 
Papülenvorsprung  hinab  durchsetzt.  Bei  den  meisten  Beutelthieren 
scheint  diese  Vererbung  bereits  stattgefunden  zu  haben ,  so  dass  sich 
der  Typus  ihrer  Zitzen  dem  jener  Gruppe  von  Monodelphen  nähert,  zu 
welcher  auch  der  Mensch  gehOrt. 

In  vorstehender  Deduction  habe  ich  also  im  anatomischen  Verhalten 
der  Zitzen  einer  Abt^  lupialia  das  Verbindungsglied  von 

Bd.  VII.  s.  U 


212  C.  Gegenbuir, 

twet  bei  den  monodelpheo  SSugethieren  sehr  difierenl  erscheineDd'! 
ZitzeDbildungen  aufgedeckt,  so  dass  diese  sich  nicht  mehr  fremd  gegeo- 
Uberstehen,  und  auch  in  ihren  genetischen  Beziehungen  ToUkommi.": 
verständlich  erscheinen  werden.  Es  bleibt  nun  noch  die  EigenthUni- 
lichkeit  der  Känguruh-Zitze  zu  erklären,  eine  Form,  die  an  sich  unver-^ 
ständlicfa  ist.  Dana  wenn  die  im  Grunde  des  Zitzenschlaucbes  liegend. 
Papille  in  Function  kommend  vom  Hunde  des  saugenden  Jungen  unifa».<: 
werden  soll,  so  muss  sie  erst  aus  dem  Grunde  des  Schlauches  hervor- 
treten, und  damit  das  freie  Ende  der  Zitze  bildend,  in  ein  Verhältnis' 
eingehen,  welches  nicht  ursprünglich  gegeben  ist,  nicht  als  ein  ererblt^ 
und  damit  typisches  erscheint.  Die  Erklärung  wird  also  sich  weseoilirl. 
auf  den  primären  Zustand  jener  Beuteltbieriitze  zu  richten  und  nach- 
zuweisen haben,  in  wiefern  dieser  Zustand  auf  einer  Vererbung 
begründet  sein  kann.  Lässt  sich  eine  mit  jenem  primären  Zustand 
congruente  Form  des  AusfUhrungsapparates  der  HilchdrUsen  auCQnden,  , 
welche  zugleich  die  Anpassung  an  eine  bestimmte  An  der  Function  , 
ausdruckt ,  so  wird  man  diese  Form  unbedenklich  mit  jenem  primärpn  j 
Zustand  der  Känguruh- Zitze  in  Verbindung  Imngen  dürfen,  Indem 
letztere  dann  von  ihr  sich  ableiten  lässt. 

Die  Ldsung  dieser  Frage  kann  .von  den  Monotremen  aus  unter- 
nommen werden.  Die  beiden  bis  jetzt  bekannten  Monotremen-GatlungeD 
bieten  bezüglich  des  Baues  ihres  Säugeapparates  ebenso  bedeutende 
Uebereinstimmungen  als  einige  bemerkenswerthe  Verachiedeoheiteij 
dari).  Bei  Omitborhynchus  findet  sich  jederseits  in  der  mittleren 
Bauchgegend  eine,  wie  es  scheint,  wenig  vertiefte  nur  durch  elw,i> 
dunklere  Färbung  der  Cutis  angezeichnete  Stelle  des  Integumentes, 
an  welcher  eine  grosse  Anzahl  von  Drtlsen  mit  discreter  Oeffnung  zui 
Ausmündung  kommen.  Nach  langem  von  einer  Anzahl  von  Forschem 
aber  die  Deutung  dieser  Drüsen  geführtem  Kampfe  Sei  bekanntlidi  die  | 
Entscheidung  zu  Gunsten  des  mammalen  Charakters  des  Schnabel-  ' 
ihieres  aus,  und  die  Bedeutung  jener  Drüsen  als  Milchdrüsen  wanl 
allgemein  angenommen.  Da  eine  Papille  fehlte,  auch  bei  oßenbar  im 
Lactationsgeschafte  begriffenen  Weibeben  keine  Andeutung  zeigte,  da 
ferner  die  Configuration  der  Hundoi^ane  des  unreif  geborenen  Jungen 
zum  activen  Ei^reifen  und  Umfassen  eines  Tbeiles  der  bezüglichen 
das  Drüsenfeld  vorstellenden  Inlegumentfläche  in  keiner  Weise  geeignet 
erschien,  so  konnte  man  sich  nur  der  Vorstellung  hingeben,  dass  das 


<]  Vergl.  vorzüglicb  J.  Fh.Heckel,  Orailhorhyncbi  paradoxl  aoaUtme.  Lipsiae. 
1B14.   Ferner  Oweo.  Phllosophical  TranMctions  1811,  S.  BtT  und  Hiilo«.  TransacL 


ßemerkangeo  Aber  die  MUobdrüsen-PApilleD  der  S&ogetbiere.  213 

dem  Drttsenfelde  angelagerte  Junge  von  der  seoemirten  Milch  aufnehme, 
ohne  an  der  Mutter  angesaugt  zu  sein.  Der  Mechanismus  der  Lactation 
zeigt  sich  demnach  auf  der  niedrigsten  Stufe,  und  es  ist  mehr  der  müt- 
terliche als  der  kindliche  Organismus,  dem  die  bedeutendere  Rolle 
zufällt.  Der  Umstand,  dass  das  Junge  sich  nicht  an  der  Mutter  befestigt, 
und  demgemäss  nicht  von  derselben  weiter  getragen  wird,  steht  mit  dem 
Nestbaue  des  Thieres  ebenso  im  Zusammenhange,  wie  dieser  wieder 
von  dem  die  Begleitung  der  Mutter  nicht  gestattenden  Aufenthalte  der 
Letzteren  im  Wasser  abhängig  erscheint  (Owen)  . 

Weiter  differenzirt  ist  das  Organ  bei  Echidna,  deren  beide  Milch- 
drüsencomplexe  im  Grunde  einer  taschenförmigen  Vertiefung  des  In- 
tegumentes  der  Bauchfläche  ausmünden.  Das  bei  Omithorhynohen 
oberflächlich  gelagerte  Drüsenfeld  findet  sich  hier  als  Grund  einer  Haut- 
tasche (marsupial  or  mammary  pouch;  Owbn.),  welcher  jedoch  mit  dem 
Marsupium  der  Beutelthiere  nur  ganz  oberflächliche  Aehnliohkeiten  dar- 
bietet. Sie  ist  schon  dadurch  von  diesen  Bildungen  verschieden ,  dass 
jedes  der  beiden  Drüsenfelder  in  einer  besondem  Tasche  liegt,  die  also 
eine  jeder  Mamma  zukommende  Bildung  vorstellt,  während  das  Mar- 
supium der  Beutelthiere  ein  den  gesammten  Drüsen  gemeinsames,  weil 
sämmtliche  Zitzen  umschliessendes  Gebilde  ist. 

Der  das  Drüsenfeld  repräsentirende  blinde  Grund  der  Mammar- 
tasche  von  Echidna  besitzt  ausser  den  zahlreichen  Drüsenmündungen 
keinerlei  andere  Bildungen,  und  namentlich  ward  eine  Papille  vermisst- 
Am  Eingange  in  die  Tasche  zeigt  das  Integument  eine  leichte  Wulstung, 
ist  aber  noch  wie  in  der  übrigen  Umgebung  mit  Haaren  besetzt,  die  ^st 
gegen  die  Einsenkung  spärlicher  werden ,  woselbst  die  Cutis  zugleich 
sich  verdünnt.  Die  Berücksichtigung  der  geringen  Grösse  der  unreif 
geborenen  Jungen,  sowie  die  Würdigung  der  Beschafienheit  seiner 
Mundorgane  hat  es  Owen  wahrscheinlich  erscheinen  lassen ,  dass  das 
Junge  in  die  Mammartasche  eingebettet  wird,  und  dort  mit  seiner 
breiten  schlitzförmigen  Mundöffnung  die  ernährende  Secretionsflüssig- 
keit  aufnimmt,  die  durch  die  Wirkung  eines  Muskels  auf  die  Drüsen  aus 
den  Mündungen  der  letzteren  austritt.  Die  Mammartasche  wird  dem- 
nach zur  Aufnahme  des  Jungen  dienen,  und  damit  functionell  einem 
Marsupium  vergleichbar  sein,  wenn  sie  auch  niemals  mit  einem  solchen 
homolog  ist.  Im  Vergleiche  mit  Omithorhynchus  entspricht  sie  einer 
Weiterbildung  des  dort  gegebenen  Verhaltens,  und  erscheint  als  eine 
vom  Integument  ausgehende  Anpassung  an  das  sich  hier  anlegende 
Junge,  welches  dadurch  von  der  Mutter  mit  umhergetragen  werden  kann. 
Vergleicht  man  die  Mammartasche  von  Echidna  mit  dem  Verhalten  der 
primären  Zit''^'^  *     '"     ^^ruh^s,  so  wird  man  die  einzige  bedeutendere 


apille  finden,  die  aber  ebenso  im 
>msenfeld  von  Ecbidna.  Wenn 
Icbidna  als  eine  Anpassung  an 
'en  mtlssen ,  so  wird  der  Cnnal 
maturus,  daniil  in  Beziehung 
üb  wie  bei  Echidna  bestehenden 

wird  einmal  eine  Zeitlang  dem 
Dthalte  gedient  haben. 
ithUmbchen  Vcrhaltisn  der  pri- 
1  Vererbung  forterhallene  Ein- 
nt,  in  welchem  das  Junge  sich 
s  noch  bei  Ecbidna  fortbesteht. 
i's  repräsentirt  nach  dio- 
ibo.  Der  gewulstete  Hand  der 
labei  der  etwas  stärkeren  vom 
li's  vorgeslellten  Erhebung  dos 
einer  Papille  im  Grunde  des 
!hon  im  primären  Zustande  die 
dieses  Apparates  aus,  und 
immartascbe  von  Echidna  kein 
I  dem  Besteben  der  Papille  die 

welchem  das  Junge  nicht  wie 

eingebettet  war,  und  von  dem 
Usenfeld  selbst  mit  dem  Hunde 
[formte.  Da  ein  solcher  Zustand 
ülle  nothwendig  angenommen 
:  Thatsacben  bestehende  Lücke 

Die  Rückbildung  der  Function 
>parates  wird  erklärlich  aus  der 
k)bald  dieses  sich  bildet,  bedarf 
enden  Hammartasche,  da  eben 
tne  Junge ,  sondern  alle  su- 
es  echt«n  Harsupiams  wird  also 
immarlasche  sein.  Andererseits 
e  hiermit  in  Einklang,  insofern 
gen  am  Drttsenfelde  hervorgehl, 
Integumente  ausgehende ,  zur 
filchdrüsenQffhungen  (am  DrU- 
;ht  mehr   nolhwendig  erschei- 

..nform  der  KSnguruh's  von  der 


Bemerkungen  Ober  die  MilcbdrQsen-Papillen  der  Süiigetbiere.  215 

Mammartasche  der  Monoiremen  und  wieder  die  Ableitung  der  Wieder- 
käuerziUe  von  der  primären  Ziizenform  jener  Marsupiaten ,  endlich  der 
Zusammenhang  der  zwischen  der  secnndären  Form  der  letzteren  und 
dem  verbreiterten  Zitzentypus  der  monodelphen  Säugethiere  besteht: 
alle  diese  Beziehungen  schliessen  die  mehrfachen  Pormzustände  einer 
der  ersten  Ernährung  der  geborenen  Jungen  dienenden  Einrichtung 
enger  an  einander,  und  verweisen  auf  eine  gemeinsame  bei  den  Mono- 
tremen  bestehende  Form,  die,  den  niedrigsten,  indifferentesten  Zustand 
vorstellend,  als  Grundform  gelten  darf.  Die  oben  vorgefahrten  ver- 
schiedenen Zustände  erscheinen  als  Differenzirungen  dieser  Grundform, 
sie  sich  bei  Omithorhynchus  darbietet.  Eine  Anzahl  Drttsen ,  die  aus 
weiter  entwickelten,  in  bestimmter  Richtung  differenzirten  Hautdrüsen 
entstanden  angesehen  werden  können,  mündet  jederseits  auf  einer 
Hautstrecke  des  Abdomens  aus.  Diese  Fläche  repräsentirt,  von  zahl- 
reichen Oeffnungen  durchbohrt,  das  »Drüsenfeld«.  Aehnliches  besteht 
auch  noch  bei  Echidna,  aber  das  Drüsenfeld  liegt  im  Grunde  einer  vom 
Integumente  gebildeten  Vertiefung,  der  Mammartasche,  in  welcher  das 
Junge  sich  einlagert. 

Bei  Beutelthieren  tritt  die  Mammartasche  aus  ihrer  Function,  denn 
es  hat  sich  im  Marsupium  ein  anderer  Schutzapparat  für  die  saugenden 
Jungen  gebildet.  Morphologisch  besteht  eben  die  Mammartasche  noch 
in  der  primären  Form  der  Zitze.  Im  Grunde  der  functionell  rückgebil- 
deten Mammartasche  ragt  eine  das  Drüsenfeld  tragende  Papille  vor. 
Diese  tritt  aus  der  Mammartasche  vor,  wenn  das  Junge  sich  ansaugt,  und 
bildet  die  Spitze  der  Zitze,  deren  Basis  von  der  umgestülpten  Mammar- 
tasche vorgestellt  wird. 

Daraus  leiten  sich  zwei  verschiedene  Typen  der  Zitzen  ab.  Der 
eine  ist  bei  den  Wiederkäuern  u.  s.  w.  repräsentirt.  Er  legt  sich  sehr 
frühzeitig,  und  dadurch  auf  eine  sehr  alte  Ererbung  den  Schloss 
gestattend,  in  Gestalt  einer  Mammartasche  an,  indem  das  vertiefte  Drü- 
senfeld von  einem  Cutiswall  umzogen  wird.  Diese  Anlage  entspricht 
dem  Befund  der  Monotremen,  vorzüglich  bei  Echidna.  Bald  wächst 
die  Wand  der  Mammartasche,  resp.  der  Cutiswall,  weiter  in  die  Höhe, 
und  bildet  die  Zitze,  deren  Binnenraum  —  die  ursprüngliche  Mammar- 
tasche —  zu  einem  gemeinsamen  Ausfuhrweg  der  am  Drüsenfelde  sich 

» 

öffnenden  Milchgänge  verwendet  wird. 

Im  andern  Typus  zeigt  die  erste  Anlage  des  Drüsenfeldes  gleich- 
falls eine  Einsenkung,  es  besteht  also  auch  hier  die  Spur  einer  Mam- 
martasche (Vergl.  die  von  Huss  auf  Taf.  XHI.  Figg.  5.  u.  6.  gegebene 
Darstellung  dieses  Verhaltens  beim  Menschen),  die  deshalb  von  grösster 
Bedeutung  ist,  weil  sie  als  eine  von  einem  niedem ,  nur  noch  bei  den 


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216  C).  GegenbAor, 

Monotremen  bestehenden  Zustande  ererbte  Einrichtung  sich  darstellt. 
Dieses  Stadium  verschwindet  aber  bald,  indem  die  Einsenkung  sich 
erhebt  und  der  Cutiswall  sich  abflacht.  Da  die  centrale  Erhebung  vor 
dem  gänzlichen  Verschwinden  des  Gutiswalles  auftritt,  wird  an  das 
primäre  Zitzenstadium  der  Beutelthiere  (Halmaturen) ,  ein  Anklang 
gegeben ,  der  noch  durch  die  längere  Dauer  dieses  Stadiums  besonders 
wichtig  ist.  Wir  treffen  dann  den  Cutiswall,  wie  er  eine  Vertiefung  uni- 
schliesst,  aus  der  die  lange  Zeit  sehr  niedere  Papille  hervorragt  Der 
Cutiswall  repräsentirt  hier  den  Zitzenschlauch  jener  Beutelthiere ,  die 
Vertiefung  entspricht  dem  Binnenraume  des  primären  Zitzenschlauches, 
und  die  Papille  eben  demselben  Gebilde,  welches  als  Papille  bei  Hal- 
maturen im  primären  Zitzenschlauche  liegt.  Dagegen  schreitet  die  Er- 
hebung des  Drttsenfeldes  weiter  und  lässt  die  Ausführgänge  der  Drttsen 
allmählich  auf  die  Spitze  eines  Vorsprungs,  eben  der  Papille  gelangen. 

Indem  der  der  Papille  zugewendete  Theil  des  Cutiswalles  in  die 
Areola  mammae  übergeht,  findet  sich  in  letzterer  ein  der  Zitze  der 
Wiederkäuer  nothwendig  fehlendes  Gebilde.  Denn  wenn  diese  Fläche 
der  Innenwand  der  Mammartasche  entspricht,  kann  sie  bei  Wieder- 
käuern nur  im  Zitzencanale  gesucht  werden,  ebenso  wie  sie  bei 
Halmaturus  an  die  Aussenfläche  der  Zitze  zu  liegen  kommt,  sobald  die 
primäre  Form  der  Zitze  in  die  secundäre  übergeht.  In  dem  vom 
benachbarten  Integumente  verschiedenen  Verhalten  der  Areola  mammae 
drückt  sich  somit  die  letzte  Spur  einer  Einrichtung  aus ,  deren  erste 
Anfänge  in  ganz  anderer  functioneller  Verwandung  bis  zu  den  Mono- 
tremen hinab  zu  verfolgen  sind. 

Das  volle  Verständniss  der  Tragweite  der  Thatsache  von  der  bedeu- 
tenden Verschiedenheit  der  beiderlei  Typen  der  Zitzen  bei  der  Abtheilung 
der  monodelphen  Säugethiere,  lässt  erkennen,  dass  die  letzteren  in  mehr- 
fachen ,  mindestens  in  zwei  besonderen  Stämmen,  aus  den  Didelphen 
hervorgingen.  Der  eine  Stamm  umfasst  diejenigen,  in  deren  Mammar- 
tasche es  entweder  zu  keiner  Papillenbildung  kam,  oder  wo  die  Papille 
einer  Rückbildung  erlag,  welche  letztere  Möglichkeit  bereits  oben 
erwogen  wurde.  Hieher  würden  also  die  Schweine,  die  Wiederkäuer 
und  Einhufer  gehören,  indess  die  echten  Cetaceen  zwar  im  Allgemeinen 
gleichfalls  hier  sich  anreihen  lassen ,  aber  doch  wieder  in  bemerkens- 
werther  Weise  abweichen  ^). 

4)  Die  bedeutendste  Eigenthümlichkeit  der  Cetaceen -Zitze  erkenne  ich  in 
ihrer  Einlagerang  in  eine  Hautvertiefung,  die  kaum  anders  als  Mammartasche 
zu  deuten  ist.  Wäre  die  Zitze  von  mehrfachen  Ausführgängen  durchbohrt,  so 
würde  die  Erklärung  des  Gesammtverhaltens  wenig  Schwierigkeit  darbieten.  Da 
aber  das  Drüsenfeld  nicht  an  der  Oberfläche  der  Zitze  gesucht  werden  darf,  so  liegt 


Beoerknngen  aber  die  Milchdrfisen-Papillen  der  S&ogethiere.  217 

Der  zweite  Stamm  umfasst  sdmmtlicheDeciduateD,  denen  noch  die 
Edentaten ,  aber  auch  Rhinoceros  und  die  Sirenen  aus  der  Abtheilung 
der  Indeciduata  sich  anschliessen.  Was  die  Sirenen  und  Rhinoceros 
betrifft ,  so  ist  deren  Stellung  unter  die  Indeciduata  wegen  der  Unbe- 
kanntschaft mit  deren  bezüglichen  Einhtülen  problematisch.  Für  die 
Sirenen  war  die  Annahme  einer  näheren  Verwandtschaft  mit  dem  Un- 
gulateni  specicU  mit  den  Artiodactylen  bestimmend  für  die  Voraus* 
Setzung  eines  mit  letzteren  gleichen  Verhaltens  der  Placenta ,  ebenso 
wie  die  Zugehörigkeit  der  Rhinoceroten  zu  den  Perissodactylen  aus 
verwandtschaftlichen  Verhältnissen  mit  Tapiren  und  Pferden  gefolgert 
ward.  Ob  diese  Verwandtschaften  wirklich  in  der  bis  jetzt  fest- 
gehaltenen Weise  bestehen,  wit*d  nodMnals  zu  prüfen  sein,  nachdem 
durch  die  Würdigung  der  Zitzen  einige  Zweifel  erregt  worden  sind. 
Mancher  der  hoch  angeschlagenen  Charaktere  der  Perissodactylen  ver- 
liert an  Werth,  sobald  die  Vergleichung  sich  über  die  Ungulaten  hinaus 
erstreckt ,  und  durch  die  Verwandtschaft  mit  Hyrax  wird  ohnehin  die 
Stellung  der  Rhinoceroten  als  noch  keineswegs  aufgeklärt  gelten  dürfen. 

Was  die  Eden  taten  betrifft,  so  ist  deren  Stellung  zu  den  Inde- 
ciduaten  wohl  sicherer,  allein  es  bleibt  bei  dem  mehr  negativen  Cha- 
rakter dieser  letzteren  Abtheilung  nicht  ausgeschlossen,  dass  die 
genannte  Ordnung  selbständig  aus  dem  didelphen  Stamme  sich  abge- 
zweigt hat.  Gegen  let^tera  Beziehung  spricht  nun  keineswegs  das 
Verhalten  der  Zitzen ,  da  eben  bei  den  Didelphen  die  Ausbildung  jener 
Form  dieser  Organe  hervorging,  welche  den  Deciduaten  ebenso  wie 
den  Edentaten  unter  den  Indeciduaten  zukommt. 

Indem  ich  die  Bemerkungen  schliesse,  will  ich  noch  beifügen, 
dass  ich  damit  nur  einen  Theil  dieses  Gebietes  berührt  habe,  und  zwar 
jenen ,  welcher  der  anatomischen  Prüfung  noch  am  meisten  zugängig 
ist.  Ein  anderer,  die  Zahlen  Verhältnisse  der  Miichdrüsengruppen  und 
ihrer  Ausfübrapparate  umfassender  Gebictstheil  blieb  von  mir  deshalb 
unberücksichtigt,  weil  die  hier  sich  erhebenden  Fragen  noch  keine 
sicheren  Angriffspunkte  darbieten.  Welche  Rollen  hierbei  Vererbung 
und  Anpassung  spielen,  ist  noch  vollständig  dunkel.  Dass  diese 
Momente  jedoch  auch  hier  von  grösster  Wichtigkeit  sind ,  dürfte  eben 
so  sicher  sein,  als  ihre  hohe  Bedeutung  aus  der  eben  ausgeführten 
Vergleichung  nicht  zu  verkennen  sein  wird. 


hier  ein  Fall  vor,  der  nicht  so  einfach  auf  den  einen  oder  andern  Typus  zu  beziehen 
iAl.  Die  Möglichkeit,  dass  hier  eine  besondere,  vielleicht  direct  ans  dem  didelphen 
Zustande  stammende  Form  besteht,  ist  zwar  nicht  sofort  zurückzuweisen,  allein  es 
bedarf  hier  vor  Allem  genauerer  Untefsucbung. 


Ueber  die  Producte  der  Einwirkung  yon  Natrium 
auf  ein  Gemisch  von  Phosgenaetlier  und  lodaethyl. 


Mit^etheilt  von 

A.  Oeuther. 


4.  Mittheilung. 

In  der  Nachricht  über  ihre  Versuche  mit  Phosgenaether  geben  Wilm 
und  Wischin  ^)  an,  dass  sich  derselbe  mit  Natrium  gerade  auf  in  Kohlen- 
oxyd, Kohlensäureaether  und  Chlomatrium'  spaltet  und  dass  höchst 
wahrscheinlich  aus  diesem  Grunde  ihre  Versuche  ein-,  zwei-  und  drei- 
basische Säuren  synthetisch  durch  Eintragen  von  Natrium  in  ein  Ge- 
menge von  Phosgenaether  und  den  Haloidverbindungen  der  einatomigen, 
zweiatomigen  und  dreiatomigen  Alkoholradicale  darzustellen  nicht  ge- 
lungen seien.  Etwas  Näheres  über  diese  Versuche  wird  aber  nicht 
berichtet.  Da  ich  der  Meinung  war,  dass  bei  der  Einwirkung  von  Na- 
trium auf  ein  Gemisch  von  Phosgenaether  und  lodaethyl  jedenfalls  be- 
sondere durch  Substitution  hervorgehende  Producte  entstehen  würden, 
wenn  auch  nicht  gerade  die  von  Wilh  und  Wisghin  Erwarteten,  so 
habe  ich  Herrn  Dr.  Franz  Matthey  veranlasst  diese  Reaction  näher  zu 
Studiren.  Seine  Resultate,  welche  sich  auf  das  nähere  Studium  der 
dabei  erhaltenen  nicht  sauren  Producte  beschränken,  bilden  den  Inhalt 
dieser  ersten  Mittheilung. 

Natrium  wirkt  auf  Phosgenaether  für  sich  der  Hauptsache  nach  in 
der  von  Wum  und  Wisghin  angegebenen  Weise  ein ,  es  entsteht  Na- 
triumchlorid, Rohlenoxyd  und  Rohlensäureaether,  daneben  aber  auch 
Aethylkohlensaures  Salz  und  eine  geringe  M^nge  Oxalsaures  Salz, 
welche  beide  Körper  als  Producte  der  Einwirkung  von  Natrium  auf 
Kohlensäureaether  gekannt  sind^). 


V)  Annalen  der  Chem.  u.  Pharm.   Bd.  147  p.  45S. 

3)   Verg].  diese  Zeitschrift  Bd.  IV.  p.  360.   Eine  andere  Einwirkung  als  das 


Deber  die  Producte  der  Einwirknng  von  Natrium  etc.  219 

Fügt  man  2,5  Grm.  Natrium  in  möglichst  dünnen  Scheibchen  zu 
der  Mischung  von  40  Grm.  Phosgenaether  und  20  Grm.  lodaethyl, 
welche  sich  in  einem  Kochfläschchen  befindet,  so  tritt  rasch  Erwärmung 
des  Gemenges  ein  und  man  hat  sofort  die  Verbindung  mit  einem  um- 
gekehrten Kühler  herzustellen,  um  Substanzverlust  zu  vermeiden.  Die 
anfänglich  nur  schwache  Gasentwicklung  steigert  sich  rasch  nach 
einigen  Minuten  und  wird ,  wenn  man  nicht  bald  für  gute  Abkühlung 
durch  kaltes  Wasser  gesorgt  hat,  sogar  stürmisch.  Das  sich  ent- 
wickelnde Gas  brennt  an  der  Spitze  mit  leuchtender ,  unten  mit  blauer 
Flamme.  Es  enthält  nur  Spuren  von  Kohlensäureanhydrid,  dagegen  viel 
Kohlenoxyd  und  wahrscheinlich  auch  eine  grössere  Menge  von  Aethyl. 
Nach  Verminderung  der  Gasentvsdcklung  kann  die  Reaction  durch  Er- 
hitzen im  Wasserbade  auf  60 — 70®  zu  Ende  geführt  werden.  Wird  der 
Rückstand  im  Kölbchen  mit  Wasser  behandelt,  so  scheidet  sich  ein  auf 
der  Salzlösung  schwimmender  öliger  Körper  ab ,  der  mit  Aether  auf- 
genommen werden  kann.  Nach  Abdestilliren  des  Letzteren  bleibt  er 
wieder  zurück  und  zeigt  der  Rectification  unterworfen  einen  von  1 00 
bis  %bO^  steigenden  Siedepunkt.  Um  grössere  Mengen  desselben  zu  er- 
halten ,  wurde  nach  mehreren  Versuchen  folgende  Art  der  Darstellung 
als  die  zweck  massigste  erkannt.  Man  umgiebt  das  Kölbchen,  worin  sich 
die  oben  angegebenen  Mengen  von  Phosgenaether  und  lodaethyl  be- 
finden, mindestens  mit  Eiswasser,  noch  besser  mit  einer  Kältemischung, 
und  fügt  erst  nach  einiger  Zeit  das  Natrium  in  möglichst  dünnen 
Scheibchen  und  möglichst  rasch  zu,  verbindet  sofort  das  Gefäss  mit 
einem  weiten  umgekehrten  Kühler,  den  man  mit  Eiswasser  versehen 
hat  und  lässt  durch  das  offene  Ende  desselben  etwa  20  Grm.  gewöhn- 
lichen wasserfreien  Aether  dazu  fliessen.  Dieser  leitet  die  Einwirkung 
sofort  ein  und  vermindert  die  Heftigkeit  derselben.  Nach  Verlauf  von 
45 — 20  Minuten  ist  dieselbe  nahezu  beendigt  und  nun  kann  der  Kolben 
allmählich  im  Wassorbade  auf  70—800  erhitzt  werden.  Nach  Verlauf 
von  etwa  einer  Stunde  kann  die  Operation  als  beendigt  angesehen 
werden.   Nur  bei  Anwendung  einer  Kältemischung  ist  es  möglich  45 


Natrittm  übt  das  Zink  auf  den  Phosgenaether,  derselbe  wird  nämlich  beim  Er- 
hitzen damit  am  umgekehrten  Kühler  im  Wasserbade  noch  unter  seinem  Siede- 
punkt hauptsächllbh  in  Aethylchlorid  und  Kohlensäureanhydrid  zersetzt,  ohne  dass 
am  Zink  eine  Veränderung  zu  bemerken  wäre.  Es  ist  dies  dieselbe  Zersetzung,  welche 
der  Phosgen^ther  nach  Wilm  und  Wiscrin  erfährt,  wenn  er  für  sich  bis  gegen  4500 
erhitzt  wird.  Das  gleichzeitige  Auftreten  aber  von  Chlorwasserstoff  dabei  deutet 
noch  eine  andere  Zersetzung  an,  welche  vielleicht  unter  Entstehung  von  Leuchtgas 
vor  sich  geht.  Amalgamirtos  Zink  und  Zinkstaub  wirken  ebenso ,  letzterer  aber 
bei  niedrigerer  Temperator.  Platinschwamm  ttbt  diese  Wirkung  nicht. 


220  A.  Genther, 

oder  höchstens  20  Grm.  Phosgenaether  auf  einmal  zu  verwenden.  Der 
Kolbenrttckstand  wird  mit  Aether  wiederholt  ausgezogen,  der  aetherische 
Auszug  mit  etwas  Wasser  gewaschen ,  über  Chlorcalcium  völlig  ent- 
wässert und  der  Aether  aus  .dem  Wasserbade  vorsichtig  abdestillirt. 
Letzterer  enthält  das  noch  unverändert  gebliebene  lodaethy  1 ,  während 
der  Rückstand,  dessen  Menge  bei  Anwendung  von  40  Grm.  Phosgen- 
aether höchstens  3,5  Grm.  betrug,  das  Höhersiedende  darstellt.  Gegen 
600  Grm.  Phosgenaether  wurde  auf  diese  Weise  behandelt. 

Bei  der  mit  der  Gesammtmenge  des  erhaltenen  höher  siedenden 
Productes  vorgenommenen  Rectification  stieg  das  Thermometer  von 
1 00— 360<>,  es  blieb  dann  noch  neben  abgeschiedener  Kohle  eine  braune 
zähflüssige  in  Aether  lösliche  Masse  in  geringer  Menge  zurück,  die  nicht 
weiter  untersucht  wurde.  Durch  wiederholte  Destillation,  wobei  immer 
unter  Abscheidung  von  Kohle  noch  geringe  Mengen  Höchstsiedendes 
übrig  blieben,  konnte  der  Siedepunkt  des  schliesslich  unverändert 
Destiilirenden  bis  auf  260^  erniedrigt  werden.  Was  über  dieser  Tem- 
peratur überging,  Hess  keinen  cons(anten  Siedepunkt  bemerken,  wäh- 
rend bei  dem  bis  dahin  Destiilirenden  3  Siedepunkte  erkennbar 
schienen,  nämlich  einer  bei  120 — 130^,  ein  anderer  bei  180 — 190^  und 
ein  dritter  bei  250—2600. 

Die  sehr  nahe  liegende  Vermuthung ,  dass  das  zwischen  1 20  und 
430<)  Destillirende,  welches  mehr  als  die  Hälfte  der  Gesammtmenge 
ausmachte,  der  Hauptsache  nach  ausKohlensäureaether  bestehen  werde, 
hat  sich  durch  die  Untersuchung  bestätigt.  Das  bei  126^  dem  Siede- 
punkt des  Kohlensäureaethers  Uebergegangene  wurde  analysirt: 

0,2726  Grm.  gaben  0,5308  Grm.  Kohlensäure,  entspr.  0,4  448 
Grm.  =  53,4  Proc.  Kohlenstoff  und  0,2445  Grm.  Wasser,  entspr. 
0,0238  Grm.  =8,8  Proc.  Wasserstoff. 

Da  dieses  Resultat  der  Zusammensetzung  des  Kohlensäureäthers, 
welcher  50,8  Proc.  Kohlenstoff  und  8,^  Proc.  Wasserstoff  enthält,  nicht 
genau  entsprach ,  so  wurde  wiederholt  rectificirt  und  wieder  analysirt. 
Gefunden  wurden  einmal  54,3  Proc.  Kohlenstoff  und  8,8  Proc.  Wasser- 
stoff, ein  anderesmal  54,7  Proc.  Kohlenstoff  und  8,8  Proc.  Wasserstoff*. 
Diese  immer  noch  bestehende  nicht  unwesentliche  Abweichung  der 
analytischen  Resultate  mit  den  berechneten  führte  zur  Vermuthung, 
dass  di'e  ihren  sonstigen  Eigenschaften  nach  sich  als  Kohlensäureäther 
charakterisirende  Substanz  noch  mit  einem  kohlenstoff-  und  wasser- 
stoffreicheren Körper  gemengt  sein  müsse ,  der  sich  durch  Destillation 
nicht  entfernen  lasse ,  eine  Vermuthung,  die  sich  vollständig  bewahr- 
heitete. 

Um  dieses  vermuthete  Product,  welches  durch  Rectification  des 


Uebcr  die  Prodaete  der  Einwirkung  von  Natrinm  etc.  221 

Kohlensäureäthers  daraus  abzuscheiden  nicht  gelang,  zu  eriialten, 
wurde  die  Gesammtmenge  des  Letzteren  durch  Kochen  mittelst  über- 
flüssiger Natronlauge  in  einem  mit  einem  umgekehrten  Kühler  verbun- 
denen Kolben  vollständig  zersetzt.  Die  übriggebliebene  auf  der  wäss- 
rigen  Lösung  schwimmende  ölige  Flüssigkeit  wurde  von  jener  getrennt 
und  zur  Entfernung  etwa  darin  enthaltenen  Alkohols  mit  Calcium- 
Chloridlösung  geschüttelt,  entwässert  und  rectificirt.  Sie  ging  zwischen 
400  und  180<>  über,  das  niedrigst  übergehende  enthielt  noch  Alkohol, 
die  zwischen  130  und  440^  übergegangene  Portion  wurde  analysirt  und 
ergab:  68,9  Proc.  Kohlenstoff  und  12,7  Proc.  Wasserstoff;  die  Höchst- 
siedende bei  479<>  destillirte  Parthie  wurde  gleichfalls  analysirt  und 
ergab :  66,5  Proc.  Kohlenstoff  und  4  0,9  Proc.  Wasserstoff.  Diese  beiden 
Producte ,  welche  dem  Kohlensäureäther  beigemengt  waren,  sind  also 
kohlenstoff-  und  wasserstoffreicher  als  dieser  und  erklären  die  bei  der 
Analyse  desselben  gefundenen  Abweichungen.  Da  ihre  Menge  indess 
zu  gering  war,  um  eine  völlige  Trennung  durch  Destillation  zu  gestatten, 
so  wurde  von  dieser  hier  Abstand 'genommen.  Dass  beides  noch  keine 
reinen  Producte  waren,  geht  aus  den  analytischen  Resultaten  hervor, 
welche  zu  keinen  einfachen  Formeln  führen. 

Die  Trennung  der  über  430^^  siedenden  Producte  durch  frac- 
tionirte  Destillation  war  äusserst  schwierig  und  mühsam.  Nach  wochen- 
langem  Rectiflciren  wurden  ausser  den  immerhin  noch  beträchtlichen 
Zwischengliedern  2  Portionen  erhalten ,  welche  als  möglichst  rein  an- 
gesehen werden  konnten ,  eine  solche ,  welche  bei  4  79^  destillirte  und 
eine  solche,  welche  bei  249<^  überging.  Beide  waren  gelb  von  Farbe 
und  wurden  analysirt. 

Das  bei  479<^  Uebergegangene  ergab:  64,0  Proc.  Kohlenstoff  und 
4  4,4  Proc.  Wasserstoff;  nach  nochmaliger  Rectification  aber:  64,7  Proc. 
Kohlenstoff  und  10,8  Proc.  Wasserstoff;  und  nach  einer  dritten  Recti- 
fication dieselben  Resultate. 

Das  bei  ii9^  Uebergegangene  ergab:  72,0  Proc.  Kohlenstoff  und 
40,8  Proc.  Wasserstoff  und  nach  nochmaliger  Rectification  :  72,8  Proc. 
Kohlenstoff  und  40,4  Proc.  Wasserstoff. 

Da  diese  beiden  Producte  eine  saure  Reaction  zeigten  und  ausser 
ihrem  Siedepunkte  kein  Kriterium  vorhanden  war,  woraus  sich  ihre 
Reinheit  ergeben  hätte,  im  Gegentheil  die  Yergleichung  der  gewonnenen 
analytischen  Resultate  des  bei  179®  Desüllirten  mit  denen,  welche  das 
aus  dem  Kohlensäureäther  nach  der  Behandlung  mit  Natronlauge  erhal- 
tene Product  von  eben  dem  Siedepunkt  ergab,  ihre  Unreinheit  wahr- 
scheinhch  machte,  so  wurden  dieselben  mit  überschüssiger  starker 
Natronlauge  unter  häufigem  Umschütteln  in  zugescbmolzenen  Röhren 


222  A.  Geutber, 

im  Wasserbade  so  lange  erhitzt,  als  noch  eine  Abnahme  ihres  Volums 
zu  bemerken  war,  darauf  von  der  Natronlauge  getrennt,  mit  Calcium— 
Chloridlösung  gewaschen  und  entwässert.    Durch  die  Natronlauge  hatte 
sich  bei  beiden  das  Volum  vermindert,  am  meisten  war  dies  bei  dem 
bei  4790  Destillirenden  der  Fall  und.  durch  Kochen  der  Natronlauge 
konnte  bei  beiden  eine  wie  Alkohol  riechende  Flüssigkeit  überdestilUri 
werden,  welche  sich  nach  wiederholter  Rectification  über  Aetzkalk  auch 
als  gewöhnlicher  Alkohol  erwies.    Derselbe  konnte  nichts  anderes,  als 
das  Zersetzungsproduct  einer  Substanz  sein,  welche  dem  bei  4  79^  Sie- 
denden in  grösserer,  dem  bei  249^  Siedenden  in  geringerer  Menge  bei-' 
gemengt  war  und  deren  Siedepunkt  also  offenbar  zwischen  den  Siede- 
punkten beider  Producte,  aber  näher  an  479^  als  an  249<^  liegen  musste. 
Als  die  so  gereinigten  öligen  Producte  nun  wieder  destillirt  wurden,  ging 
bei  beiden ,  bei  dem  von  4  79^  Siedepunkt  aber  mehr  als  bei  dem  von 
249^  Siedepunkt,  eine  Parthie   schon  zwischen  430  und  440<>  über, 
ganz  von  der  Art,  wie  sie  schon  bei  der  Zersetzung  des  Kohlensäure- 
aethers  durch  Natronlauge  erhalten  worden  war.   Dasselbe  musste  also 
ein  2.  Zersetzungsproduct  jener  Substanz  sein,  die  schon  den  Alkohol 
geliefert  halte.    Als  3.  Zersetzungsproduct  fand  sich  bei  der  Natron- 
lauge noch  Kohlensäure.    Nach  dieser  Erfahrung  wurden  nun  auch 
die  Zwischenglieder  von  450—4790  und  von  4  80 — 249<> Siedepunkt  der 
gleichen  Behandlung  mit  Natronlauge  unterworfen  und  dieselben  3  Pro- 
ducte: Alkohol,  Kohlensäure  und  das  zwischen  430  und  4  40<^  Siedende 
erhalten.    Die  Menge  des  letzteren  Productes  war  im  Ganzen  nun  so 
bedeutend  geworden ,  dass  eine  vollkommene  Reindarstellung  möglieb 
war.    Dasselbe  erwies  sich  als  dasselbe 

Dlaethylaceton^ 

welches  Franklaio)  und  Düppa  *)  durch  Zersetzung  des  Diaethyldiacet- 
säureaethers  mittelst  alkoholischer  Kah'lösung  oder  mittelst  Barytwasser 
neben  Kohlensäure  und  Alkohol  erhalten  haben.  Die  Analyse  einer 
zwischen  4  3  4  und  4  38»  übergegangenen  Parthie  ergab  73, 6  Proc.  Kohlen- 
stoff und  42,2  Proc.  Wasserstoff.  Die  Formel:  C^H^O  erfordert: 
73,7  Proc.  Kohlenstoff  und  42,3  Proc.  Wasserstoff. 

FRAifKLAiiD  lind  DupPA  geben  den  Siedepunkt  ihres  Diaethylacetons 
zu  437,5  bis  439»  an  und  das  spez.  Gewicht  bei  22o  zu  0,847.  Das 
von  der  analysirten  Substanz  beobachtete  spez.  Gewicht  war  0,820  bei 
4  30.  Die  Verbindung  besitzt  ausserdem  auch  noch  den  übereinstim- 
menden Geruch ,  so  .dass  an  der  Identität  beider  Producte  wohl  nicht 
gezweifelt  werden  kann. 


4)  Annal.  d.  Ghem.  u.  Pharm.  Bd.  438.  S.  242. 


Geber  die  Produete  der  Giu Wirkung  von  Natrinm  etc.  223 

Da  nun  das  Diaethylaceton  zugleich  mit  Alkohol  und  Kohlonsüure 
durch  Einwirkung  starker  Basen  aus  den  Diaethyldiacetsyureacther  ent- 
steht und  da  auch  diese  3  Körper  gleichzeitig  als  Zersetzungsproductc 
unter  analogen  Umständen  in  unserem  Falle  auftraten ,  so  ist  es  sehr 
wahrscheinlich,  dass  auch  unter  den  öligen  Producten  Diaethyl- 
diacetsäureaether^  dessen  Siedepunkt  nach  FaiiNKLAND  und  Duppa 
bei  240 — 212<'  liegt,  mit  enthalten  war  und  dieser  Aether  also  ein 
unmittelbares  Product  der  Einwirkung  von  Natrium  auf 
ein  Gemenge  von  Phosgenaether  und  lodaethyl  ist.  Bei- 
nahe zur  Gewissheit  wird  dieser  Schluss  aber  durch  die  Vergleichung 
der  nun  erhaltenen  analytischen  Resultate  der  übrigen  Substanzen  mit 
den  früher  gewonnenen. 

Durch  emeuete  vielfache  Rectificationen  des  vor  der  Behandlung 
mit  Natronlauge  bei  4  79^  siedenden  Productes  konnte  eine  Aendorung 
der  Siedetemperatur  nicht  wahrgenommen  werden.  Die  auch  jetzt 
noch  bei  il9^  (corr.  bei  182,5<>)  siedende  ölige  Flüssigkeit  gab  aber  bei 
der  Analyse  folgende  Resultate : 

0,4965  Grm.  lieferten  0,4955  Grm.  Kohlensäure  und  0,4998  Grm. 
Wasser,  entspr.  0,4  3544  Grm.  =  68,8  Proc.  Kohlenstoff  und  0,02122 
Grm.  =  44,3  Proc.  Wasserstoff. 

Nachdem  die  Substanz  noch  wiederholt  rectificirt  worden  war, 
ergab  sie  folgende  Zahlen  : 

0,474  4  Grm.  lieferten  0,4350  Grm.  Kohlensäure  und  0,4725 Grm. 
Wasser,  entspr.  0,44864  Grm.  =  69,2  Proc.  Kohlenstoff  und  0,049467 
Grm.  =  44,2  Proc.  Wasserstoff. 

Aus  diesen  Resultaten  leitet  sich  für  die  Substanz  die  Formel: 

Cm^H)^  ab. 

Vor  der  Behandlung  mit  Natron- 
.  gef.  lauge  wurden  erhalten : 

C»  =68,4  68,8  69,2  64,0  64,7 

H>«  =  44,4  44,3  44,2  44,4  40,8 

O^  =20,2  —         —  -         — 

400,0 

Die  Verbindung  ist  im  reinen  Zustande  fast  farblos ,  besitzt  einen 
an  Terpenthin  erinnernden  Geruch  und  einen  brennenden  hintenach 
bittern  Geschmack.  Ihr  spez.  Gewicht  wurde  bei  42^  zu  0,898  ge- 
funden. Beim  Erhitzen  mit  concentrirter  Natronlauge  bleibt  sie  unver- 
ändert. Sie  reagirt  neutral,  lieber  den  chemischen  Charakter  derselben 
lässt  sich  nichts  mit  Bestimmtheit  angeben ,  wahrscheinlich  ist  sie  ein 
acetonartiger  Körper.  Vom  Diaethylaceton:  CHl^^O  unterscheidet  sie 
sich  in  der  Zusammensetzung  durch  ein  Hehr  von  C^^O. 


'<  -N 


224  A.  Geniher,  Deber  Ait  Prodncte  der  Einwirkaog  ?on  NatriiUD  eto« 

Die  Rectification  des  früher  bei  249^  siedenden  Productes  ergab, 
dass  auch  hier  der  Siedepunkt  durch  die  Behandlung  mit  Natronlauge 
nicht  verändert  worden  war,  wohl  aber  die  Zusammensetzung. 

0,2462  Grm.  des  bei  249»  übergegangenen  Antheils  ergab  0,641 4 
Grm.  Kohlensäure  und  0,2433  Grm.  Wasser,  entspr.  0,46675  Grm.  = 
77,4  Proc.  Kohlenstoff  und  0,0237  Grm.  =  44,0  Proc.  Wasserstoff. 

0,2770  Grm.  des  noch  wiederholt  rectificirten  Productes  lieferten 
0,7949  Grm.  Kohlensäure  und  0,2737  Grm.  Wasser,  entspr.  0,24  679 
Grm.  =  78,3  Proc.  Kohlenstoff  und  0,03044  Grm.  =  44,0  Proc.  Wasser- 
stoff. 

Aus  diesen  Resultaten  lässt  sich  für  das  Product  die  Formel: 
G20H34O2  ableiten. 

Vor  der  Behandlung  mit  Natron- 
j^gj.  gef.  lauge  wurden  erhallen : 

C20  =  78, 4  77,4     78,3'  72,0  '  72,2 

H34=44,4  44,0     44,0  40,2     40,4 

02  =4  0,5  —         —  —        — 

400,0 
Diese  Verbindung  isl  ein  gelbliches  Oel,  das  beim  jedesmaligen 
Destiiliren  unter  Bräunung  eine  geringe  Zersetzung  erleidet.  Im  Geruch 
und  Geschmack  ist  es  der  vorhergehenden  Verbindung  verwandt.  Sein 
spez.  Gewicht  wurde  bei  42<>  zu  0,934  gefunden.  Es  ist  dickflüssig 
und  bei  Winterkälte  zähe.  Ueber  seine  chemische  Natur  lässt  sich 
ebenfalls  nichts  bestimmtes  aussagen,  seine  Formel  setzt  sich  zusammen 
aus  2  C7H140  (Diaethylaceton)  +  3  C2H2. 

Vergleicht  man  die  analytischen  Resultate ,  welche  vor  der  Rei- 
nigung der  beiden  letzteren  Producte  mittelst  Natronlauge  erhalten 
wurden  mit  denen,  welche  nach  der  Reinigung  damit  erhalten  wurden, 
so  ergiebt  sich,  dass  früher  eine  bedeutend  geringere  Menge  Kohlenstoff 
und  eine  geringere  Menge  an  Wasserstoff  gefunden  wurde ,  wie  es  der 
Fall  sein  musste ,  wenn  das  frühere  Product  noch  mit  Diaethyldiacet- 
Säureäther  G^^^H^sos^  welcher  nur  64,5  Proc.  Kohlenstoff  und  9,7  Proc. 
Wasserstoff  enthält,  veruneinigt  war.  Dieser  Thatbestand ,  zusammen 
mit  dem  oben  auf  Seite  222  u.  223  angegebenen  macht  also  das  Vor- 
handensein des  Diaethyldiacetsäureaethers  unter  den  Pro- 
ducten  der  Einwirkung  des  Natriums  auf  das  Gemenge  von  Phosgen- 
aether  und  lodaethyl  fast  zur  Gewissheit. 

Jena,  Ende  December  4  874 . 


Ueber  Sdadopitys  und  PhyUocladns« 

Von 

Dr.  Eduard  Strasbnrger. 


1)  Sciadopitys  verticillata. 

Diese  schöne  japanesische  Schirmiichte  wurde  unter  ihrem  jetzigen 
Namen  M  zuerst  von  ZuGGAiinii  in  Sibbolo's  Flora  japonica  Bd.  IL  fasc.  4 . 
beschrieben  und  auf  2  Tafein  (101  und  102)  dai^estellt.  Die 
eigenthümiichen  Nadeln  derselben  hat  vor  Kurzem  Hugo  v.  Mohl  ^)  zum 
Gegenstand  einer  besonderen  Arbeit  gemacht.  Auf  anatomische  Merk- 
male sich  stützend,  kam  v.  Mohl  zu  dem  Resultate,  dass  die  biattartigen 
Gebilde,  die  in  den  Achseln  kleiner  Schuppen  an  der  erwachsenen 
Pflanze  auftreten,  nicht  einfache  Blätter  seien,  sondern  der  Verwachsung 
der  beiden  ersten  Blätter  eines  im  Uebrigen  verkümmerten  Achsel- 
sprosses ihre  Entstehung  verdanken.  Diese  Angabe  widersprach 
früheren  Deutungen :  so  derjenigen  von  ZuccARiifi ,  der  sie  für  gewöhn- 
liche, der  Axe  unmittelbar  abstammende  Blätter  hielt  (1.  c.  Bd.  II. 
p.  3)  —  (siehe  auch  Partatore  in  Decaiidollb^s  Prodromus  Pars.  XYI. 
p.  435)  und  denen  von  Al.  Digkson  (in  SsEXAn's  Journal  of  Botany  IV. 
1866,  p.  22 i)  der  sie  für  phylloide  Stengel  (phylloid  shoots)  analog 
denen  von  Phyllocladus ,  erklärte.  Aus  einer  Stelle  bei  Engelhann 
» lieber  die  Charaktere  der  Abietlneen-Genera «  in  der  bot.  Zeit.  1 866, 
p.  486,  geht  hervor,  dass  derselbe  sie  übrigens  auch,  als  aus  2  ver- 
wachsenen Blättern  entstanden  aufgcfasst  hatte  und  sprach  er  diese 
Aussiebt  auch  in  der  Sitzung  der  Naturfreunde  in  Berlin  (1868  p.  14) 
aus,  ohne  sie  jedoch  eingehender  zu  motiviren. 


1 )  Früher  als  Taxus  verticillata.  Thomberg,  flora  Jap.  p.  176. 
%)  Morphologische  BetrachtungeD  des  Blattes  von  Sciadopitys.   Bot.  Zeit.  4874, 
401  und  4 OS. 


226  I^r.  Eduard  Strasburger, 

Mir  schien  es  von  Wichtigkeit  die  von  Hugo  .  v.  Mohl  anatomisch 
gewonnenen  Resultate  entwicklungsgeschichtlich  zu  prüfen  und  eine 
kräftige  Pflanze  von  Sciadopitys  verticillata  im  hiesigen  botanischen 
Garten  bot  mir  di^  Gelegenheit  hierzu. 

Bekanntlich  wechseln  an  der  entwickelten  Pflanze  verlängerte 
Internodien ,  die  an  hervorragenden  Pulvini  nur  verkümmerte ,  schup- 
penartige Blätter  tragen,  mit  sehr  kurzen  Internodien  ab,  wo  in  den 
Achseln  dieser  Schuppen  die  langen,  nadelfbrmigen  Gebilde  stehen, 
scheinbar  einen  Quirl  um  die  Axe  bildend.  Diese  blattartigen  Gebilde  >) 
sind  linienförmig,  an  der  stumpfen  Spitze  eingeschnitten,  auf  der 
oberen  Seite  convex,  auf  der  unteren  Seite  ziemlich  abgeflacht;  in  der 
Mittellinie  beider  Seiten  verläuft  eine  Furche ,  welche  auf  der  oberen 
Seite  seichter  ist,  dieselbe  schöne,  grüne  Farbe  und  den  gleichen  Glanz 
wie  die  übrige  Oberseite  des  Blattes  besitzt ,  während  die  Furche  der 
Unterseite  tiefer  und  breiter  ist  und  sich  durch  eine  matte ,  gelblich- 
weisse  Färbung  auszeichnet.  Die  anatomische  Untersuchung  zeigt,  dass 
diese  Gebilde  von  2  in  sich  abgeschlossenen  vollkommen  freien  Gef^ss- 
bündeln  durchzogen  werden,  diese  Gefössbündel  sind  um  ein  Drittel  des 
ganzen  Blattdurchmessers  von  eii^ander  entfernt,  ihre  Markstrahlen  sind 
nicht  unter  einander  parallel ,  sondern  divergiren  stark  nach  der  Ober- 
seite des  Blattes  hin;  doch  was  besonders  hervorzuheben  ist,  ihr  Holz 
ist  nicht  wie  gewöhnlich  der  Oberseite,  sondern  der  Unterseite  zuge- 
wendet; sie  kehrem  dem  entsprechend  ihren  Bast  nach  oben.  v.  Mohl 
schloss  aus  diesem  Umstände,  wie  auch  aus  anderen  anatomischen 
Thatsachen ,  dass  diese  blattartigen  Gebilde  aus  der  Verwachsung  der 
beiden  ersten  Blätter ,  einer  im  übrigen  verkümmerten  secundären  Axe 
entstanden  seien.  Es  sind  die  beiden  einzigen  Blätter  derselben ,  denn 
an  ihrer  Basis  ist  nichts  von  anderen  blattähnlichen  Gebilden  zu  be- 
merken ;  dass  es  Blätter  sind  und  nicht  Phyllocladus  ähnliche  Cladodicn 
wie  es  Al.  Digkson  behauptete,  erkannte  von  Mohl  aus  dem  Vorhanden- 
sein eines  nur  den  Goniferenblättem  eigenen  Gewebes,  das  er  als 
Transfusionsgewebe  2)  bezeichnet  und  das  ihre  Gefässbündel  um- 
schliesst.  Endlich  folgt,  seiner  Annahme  nach,  aus  der  Stellung  der 
Bündel ,  dass  die  beiden  Blätter  hier  mit  ihren  gegen  die  primäre  Axc 
des  Triebes  hingewandten  Rändern  verwachsen  sind ,  dass  daher  die 


4)  V.  Mohl  1.  c.  p.  8. 

2)  1.  c.  p.  42.  Ein  Gewebe,  das  den  Uebergang  vom  Gefössbündel  zum  umge- 
benden Gewebe  vermittelt  und  in  welches  das  Gef&ssbündel  sich  allmälig  in  der 
Blattspitze  auflöst.  Dieses  Gewebe  scheint  den  Uebertritt  des  Saftes  aus  den  Gefäss- 
bündeln  zum  Parenchym  des  Blattes  zu  erleichtern. 


^•" 


Ueber  Sciadopitys  und  Phyllocladus.  227 

scheinbar  obere  Seite  des  Doppelblaites  organographisch  als  die  Unter- 
seite aufzufassen  sei^}.  Gestützt  wurde  diese  Deutung  auch  durch 
einen  Vergleich  mit  jungen  Samenpflanzen,  wo  die  Cotyledonen 
und  die  ersten  auf  dieselben  folgenden  Blätter  einfach  sind,  ohne 
Stülzblatt  auftreten,  keinen  Einschnitt  an  der  Spitze  haben  und  dem- 
entsprechend auch  nur  ein  einziges  Bündel  besitzen,  das  sein  Holz  nach 
oben  und  seinen  Bast  nach  unten  kehrt. 

Die  gegebene  Deutung  konnte  auch  nicht  entkräftigt  werden  durch 
das  Auftreten ,  ja  durch  das  Beschränktsein  der  Spaltöffnungen  auf  die 
untere  Furche  des  Blattes  (also  auf  die  ermittelte  organographische 
Oberseite]  während  die  Cotyledonen  und  ersten  einfachen  Blätter  von 
Sciadopitys  ihre  SpaltOflfhungen  nur  auf  der  Unterseite  tragen ;  denn 
auch  bei  anderen  Coniferen  befinden  sich  bei  ungewöhnlicher  Blatt- 
Stellung  die  Spaltöffnungen  häufig  auf  der  aufwärts  gerichteten  Seite, 
so  z.  B.  bei  Thujopsis,  Libocedrus,  bei  Juniperusarten  etc. 

An  der  Reimpflanze  folgen  auf  die  beiden  lineal-lanzettförmigen 
Samenblätter  die,  dem  ersten  sehr  verkürzten  Jahrestriebe  angehörenden 
einfachen  Laubblätter  (mit  ungetheilter  Spitze  und  einfachem  Gefäss- 
bündel),  mit  den  Samenblättern  zusammen  einen  Scheinquirl  bildend. 
Der  nächste  Jahrestrieb  besitzt  schon,  abgesehen  von  der  schwächeren 
Entwickelung ,  vollkommen  die  Organisation  der  späteren  Triebe;  der 
untere  Theil  desselben  besteht  nämlich  aus  verlängerten  Internodien 
mit  verkümmerten  schuppenartigen  Blättern ,  —  der  obere  aus  äusserst 
verkürzten  Internodien,  wo  in  den  Achseln  der  Schüppchen  bereits  die 
linienförmigen ,  an  der  Spitze  emarginirten ,  mit  2  Bündeln  versehenen 
Blätter  stehen.  Es  ist  also,  sagt  v.  Mohl  (p.  3)  auf  den  ersten  Blick 
klar,  dass  wir  einen  ähnlichen  Fall  vor  uns  haben,  wie  ihn  eine  kei- 
mende Kiefer  zeigt ;  Entwicklung  des  Blattes  an  der  primären  Axe  im 
ersten  Jahre,  Verkümmerung  desselben  in  den  späteren  Jahren  an  allen 
Trieben  und  Ersatz  durch  ein  aus  einer  verkümmerten  secundären  Axe 
stammendes  blattähnliches  Gebilde.  Die  Keimpflanzen ,  die  ich  unter- 
suchte, bestätigten  in  allen  Punkten  die  MoHL'schen  Angaben.  Die 
entwicklungsgeschichtlichen  Untersuchungen  brachten  aber  noch  wei- 
tere interessante  Einzelheiten.  Der  Vegetationskegel  von  Sciadopitys 
unterscheidet  sich  nur  wenig  von  dem  der  Pinusarten.  Eine  continuir- 
lichc  Dermatogenschicht  tiberzieht  zunächst  den  Scheitel ;  unter  der- 
selben befindet  sich  eine  doppelte  Lage  Periblem  und  das  spitz  nach 
oben  zulaufendes  Plerom :  die  beiden  Letzteren  nur  schwach  von  ein- 
ander geschieden.    Die  Blattbildung  wird  durch  tangentiale  Theilungen 


4)  I.  c.  p.  i4. 

Bd.  VII.  S.  4S 


228  Dr.  Cduard  Sirasburger, 

derDermatogcQzellen,  wiebeiPinusarten,  eingeleitet.  Die  Blatter  bleib(M) 
schuppenförmig,  sind  sehr  einfach  gebaut,  besitzen  eine  spaltöfibungs- 
lose  Obcriiaut.  ein  lockeres,  inneres  Gewebe,  in  welchem  man,  in  der  Me- 
diane des  Blattes,  der  oberen  Fläche  näher,  ein  sehr  einfaches  Bündel  vor- 
laufen sieht.    In  älteren  Blättern  werden  die  Zellen  der  etwas  dichli»r 
zusammenschiessenden,  auf  die  Epidermis  folgenden  Zelllage,  einzeln 
stärker  verdickt  und  bilden  so  unrcgelmässig  zerstreute  Spicularzellon. 
In  den  Achseln  dieser  Blätter  werden  in  bestimmten  Intervallen   die 
Doppelblätter  gebildet.    Sie  treten  schon  in  geringer  Entfernung  vom 
Yegetationskegel  auf,  doch  erst  dann,  wenn  ihr  Ti'agblatt  in  seiner  Ent- 
wicklung ziemlich  vorgeschritten  ist  und  sein  einziges  centrales  Ge- 
fässbündel  zu  bilden  beginnt;   sie  erheben  sich  aus  der  Axe  durch 
tangentiale  Theilungen  im  Periblem  als  kleine,    etwas  flachgedrückte 
Höcker,    sonst  durchaus  wie  gewöhnliche  Achselknospen.     Die  An- 
lage bleibt  bis  an  die  Basis  frei;    ihre  Oberfläche  ist  nur  auf  den 
allerjüngsten  Zuständen  gleichmässig  abgerundet ,  zeigt  aber  alsbald 
einen  deutlichen ,   medianen  Einschnitt  am  Scheitel ;   diesem  folgt  an 
etwas  älteren  Anlagen   ein  schwacher  medianer  Einschnitt  auf  der 
Unterseite.   Ein  Scheitelwachsthum  ist  über  dieses  erste  Stadium  hinaus 
an  der  Anlage  nicht  mehr  wahrzunehmen ;  sie  wächst  nur  durch  inter- 
calare  Theilungen,'  besonders  an  ihrer  Basis,  wie  andere  Nadeln  rasch 
in  die  Länge.    So  lange  der  Einschnitt  noch  wenig  sichtbar  ist,  erinnert 
das  Doppelblatt  an  eine  junge  Fruchtschuppenanlage,  etwa  von  Picea, 
noch  mehr  von  Ginkgo;  ein  Yegetationskegel,  auf  den  diese  beiderseitigen 
Blattanlagen  bezogen  werden  könnten,  tritt  hier  aber  nie  besonders  vor; 
der  Scheitel  der  Axe  selbst  ist  vor  der  Bildung  der  Querfurche  jeden- 
falls als  solcher  aufzufassen ,  allein  er  geht  in  der  Bildung  der  beiden 
Nadeln  auf,  so  dass  sich  beide  Anlagen  in  der  Mittellinie  unmittelbar 
berühren.   Der  Einschnitt  am  Scheitel  ist  bei  jungen  Doppelnadeln  viel 
auflallender  als  bei  älteren,  denn  die  Doppelnadeln  nehmen  bedeu- 
tend an  Länge  zu,  während  der  Scheitel  fast  unverändert  bleibt.   Auch 
die  Furche  auf  der  Unterseite  der  Anlage  wird  bald  deutlicher;  es  hat 
sich  eine  ihr  gegenüberliegende  doch  schwächere  auf  der  Oberseite  ge- 
bildet.  Um  die  Anlage  herum  entspringen  Haare,  die  rasch  wachsen, 
mehrzellig  werden ,  sich  vielfach  hin  und  her  krümmen  und  in  einer 
kopfförmigen  Anschwellung  enden;  sie  dienen  wohl ,  da  das  Tragblatl 
sehr  zart  geblieben,  zum  Schutze  des  jungen  Doppelblattes.   Erst  wenn 
das  Doppelblatt  etwa  die  Länge  von  0,65  Mm.  erreicht  hat,  beginnt  die 
Bildung  der  Gefässbündel  in  demselben.    Man  sieht  von  den  beiden 
nächsten  Stammbündeln  aus,  über  der  Bündelinsertion  des  Deckblattes, 
je  ein  Bündel  abgehen  und  ziemlich  rasch  in  aufsteigender  Bichlung 


Ueber  Seiadopitys  und  Phylloeladns.  229 

sich  in  das  Doppelblatt  hinein  differenziren.  Ihr  Verlauf  wird  zunUchst 
durch  (las  Auftreten  einzelner  Spiralzellen  in  dem  langgestreckten  mitt- 
leren Gewebe  jedes  der  Doppelblätter  angezeigt;  einzelne  Stellen 
werden  hierbei  hHufig  tlbersprungen ,  um  alsbald  durch  nachtrügliche 
Dififerenzirung  eingeholt  zu  werden.  Das  Btlndel  wächst  mit  dem  Blatte 
fort.  Es  sind  dies  die  nämlichen  beiden  Btindel,  die  auch  bei  anderen 
Coniferen  die  Achselknospen  versorgen  und  wir  sehen  sie  auch  bei 
Sciadopitys  in  diejenigen  Achselknospen  treten ,  die  zu  Zweigen  aus- 
wachsen.  Die  Bttndel  zeigen  innerhalb  der  Axe  ihre  habituelle  Lage, 
und  treten  auch  in  derselben  Lage  d.  h.  mit  schrds  nach  oben  und 
aussen  gerichtetem  Baste  in  die  Anlage  des  Doppelblattes. 

Wir  haben  es  hier  also  auch  mit  einer  ganz  ahnlichen  Erscheinung 
wie  bei  den  Früchtschuppen  der  Coniferen  zu  thun.  Mit  dem  Wegfallen 
der  äusseren  Gliederung  an  der  Achselknospe  fällt  auch  die  Ursache 
weg,  welche  die  Bttndel  aus  ihren  ursprünglichen  Bahnen  ablenkte, 
—  sie  setzen  nun  in  unveränderter  Lage  ihren  Lauf  aus  der  Axe  foit. 
Diese  Stellung  mit  schräg  nach  oben  gekehrtem  Baste  hört  auf  wunder- 
bar zu  sein,  sobald  man  dieses  erwägt,  und  dass  die- Bündel  wirklich 
diese  Lage  schon  in  der  Axe  haben  und  dass  sie  aus  der  Art  ihrer  Ein- 
fügung im  BUndelkreise  derselbe  folgt,  kann  man  auf  jedem  Tangen- 
tialenschnilte  sehen. 

Jedes  Bündel  verfolgt  selbständig  im  Doppelblatt  seinen  Weg  und 
ist  zu  keiner  Zeit  mit  dem  anderen  verbunden ;  es  zeigt  von  Anfang  an 
dieselbe  Stellung,  wie  im  fertigen  Blatte.  Auf  Querschnitten  des  Stengels 
durch  die  verkürzten  Intemodien,  kann  man  die  Bündelgruppen  (I  fUrs 
Deckblatt  und  2  für  das  Achselproduct)  auf  ihrer  Wanderung  durch 
die  Rinde  in  verschiedener  Entfernung  von  der  Stengelmitte  ver- 
folgen. 

Dieses  Alles  zeigt  un zweifelhaft ,  dass  wir  es  hier  mit  einer  Achsel- 
knospe zu  thun  haben  und  die  Entwicklungsgeschichte  lehrt  uns 
ausserdem,  dass  die  Vereinigung  d.er  beiden  Blätter  dieser  Knospe  zum 
Doppelhlatte  bis  auf  die  ersten  Stadien  ihrer  Entwicklung  zurückgreift, 
so  dass  ein  Vegetationskegel  zwischen  denselben  sich  zu  keiner  Zeit 
mehr  nachweisen  lässt.  So  wichtig  diese  Befunde ,  so  werden  sie  es 
noch  mehr,  wenn  man  diese  jungen  Zustände  der  Doppelnadel  mit  den 
entsprechenden  bei  Pinus  Pumilio  vergleicht. 

Die  Kurztriebe  in  den  Achseln  der  Deckblätter  erzeugen  bei  Pinus 
Pumilio  zunächst  eine  Anzahl  Niederblattpaare  (meist  7j .  Ein  deutlicher 
Vegetationskegel  ist  zwischen  denselben  vorhanden ,  ähnlich  dem  der 
Haupttriebe.  Nach  diesen  Niederblättern  folgen  die  beiden  Nadeln;  sie 
erheben  sich  zu  beiden  Seiten  des  Vegelalionskegels,  doch  so  nahe  an 

45» 


230  Dr.  Eduiird  Sirasbutger, 

einander,  dass  derselbe  in  ihrer  Bildung  fast  gänzlich  aufgebt;  nur  ein 
kleiner,  unscheinbarer  Höcker  bleibt  in  der  Mitte  zwischen  den  Nadeln 
zurück  und  wird  in  die  neuen  Wachsthumsrichtungen  nicht  mit  hinein- 
gezogen.   Denken  wir  uns  auch  diesen  mit  emporgehoben ,  so  bleiben 
beide  Nadeln  verbunden  und  erzeugen  dieselbe  Doppelnadel  wie  bei 
Sciadopitys.    Diese  Aehnlichkeit  der  Anlagen  ist  so  auffallend,   dass 
man  sich  bei  ihrer  Betrachtung  dieses  Gedankens  gar  nicht  erwähren 
kann.    Er  erweckte  denn  auch  in  mir  die  Vermuthung,  ähnlich  ver- 
wachsene Doppelnadehi  könnten  ausnahmsweise  bei  Pinus  vorkommen : 
ich  suchte  nach  solchen  und  war  auch  bald  so  glücklich  mehrere 
derselben,    sowohl    bei  Pinus   Pumilio    wie    auch    bei  Pinus  syl- 
vestris zu  finden.  Sie  sind  bisher  wohl  deshalb  nur  übersehen  worden, 
weil  sie  den  Kurztrieben  mit  nur  einer  Nadel,  die  ebenfalls  und  zwar 
viel  häufiger  vorkommen ,  sehr  ähnlich  sind.    Bei  aufmerksamer  Be- 
trachtung kann  man  sie  immerhin  schon  äusserlich  erkennen ;  sie  sind 
dicker  als  gewöhnliche  Nadeln,  allseitig  abgerundet  und  hin  und  wieder 
wie  die  Doppelnadeln  von  Sciadopitys  mit  S  kurzen  Spitzen  am  Scheitel 
versehen.    Auf  dem  Querschnitte  zeigten  solche  Pinusdoppelnadeln  2 
mehr  oder  weniger  von  einander  getrennte  Gefiissbündelgruppen ,  jede 
aus  2  Bündeln  bestehend.   Jedes  dieser  Bündelpaare  verhielt  sich  wie 
das  Bündelpaar  eines  gewöhnlichen  Blattes  und  was  von  einer  beson- 
deren Schutzscheide  umgeben.   Wo  die  Verwachsung  eine  recht  voll- 
ständige war,  zeigten  die  beiden  Bündelpaare  auch  die* nämliche  Stel- 
lung wie  die  beiden  Bündel   im  Doppelblatte  von  Sciadopitys:    sie 
kehrten    ihre  Harkstrahlen   und  ihren  Bast  divergirend    nach   oben 
und  nach  aussen,  ihrfiolz  nach  unten  und  innen.    Meist  waren  die 
beiden  Blätter  aber  nicht  völlig  mit  einander  verwachsen ,  und  dann 
war  es,  abgesehen  von  späteren  Drehungen,  stets  die  nach  unten 
gekehrten  Seiten ,  die  eine  mehr  oder  weniger  tiefe  Spalte  zwischen 
sich  Hessen. 

Das  Nadelpaar  schien  also  nicht  rein  transversal  zu  stehen,  sondern 
nach  der  oberen  Kante  etwas  verschoben.  Es  lässt  sich  das  vielleicbt 
mit  dem  Umstand  in  Zusammenhang  bringen ,  dass  häufig  die  Nieder- 
blätter statt  decussirt  nach  '/s,  an  den  Kurztrieben  stehen  und  dann 
die  Nadeln  vielleicht  auch  in  derselben  Stellung  folgen.  So  dürften  dann 
die  beiden  letzten  der  Hauptaxe  zugekehrten  Glieder  des  Spirale  sein 
und  also  auch  nur  um  ^/s  des  Stammumfanges  von  einander  abstehen. 
Möglich  ist  weiter,  dass  sie  dann  auch  leichter  verschmelzen  und  dass 
in  Folge  dessen  solche  auf  der  unteren  Seite  einen  Spalt  zeigende 
Doppelnadeln  besonders  häufig  vorkommen.  Ich  habe  diesen  Umstand 
hier  besonders  hervorgehoben ,  weil  er  vielleicht  auch  erklärt,  warum 


lieber  Sciadopitys  und  Pbylloeladus.  231 

bei  Sciadopitys  die  untere  Farehe  etwas  tiefer  als  die  obere  ist.  Dieser 
Punkt  lässt  sich  freilich  nur  hypothetisch  behandeln ;  so  viel  ist  aber 
durch  die  Entwicklungsgeschichte  und  den  Vergleich  mit  Pinus  sicher 
gestellt,  dass  auch  die  Doppelnadel  von  Sciadopitys  aus  2  Blättern  be- 
steht ,  die  der  Hauptsache  nach  mit  ihren  Oberseiten  verbunden  sind, 
den  Yegetationspunkt  der  sie  trennen  rottsste,  gemeinschaftlich  empor- 
hebend. 

Durch  die  Beobachtung  homologer  Falle  bei  Pinus  Pumilio  und 
sylvestris  werden  überhaupt  alle  Einwände,  die  man  sonst  noch  gegen 
die  doppelte  Zusammensetzung  der  Sciadopitysnadeln  vorbringen  könnte, 
beseitigt.  Endlich  findet  dieselbe  auch  ihre  glänzende  Bestätigung  in 
einem  von  Maxwell  T.  Mastbrs  (Vegetable  Teratology  <)  beobachteten 
monströsen  Falle.  Maxwell  T.  Masters  beschreibt  hier  nämlich ,  wenn 
auch  mit  ganz  anderer  Deutung,  die  Durchwachsung  einer  Doppelnadel 
von  Sciadopitys.  Das  Pseudoblatt  hatte  sich  gespalten  und  zwischen 
seinen  beiden  Theilhälften  eine  kleine  Axe  entwickelt,  die  an  ihrem 
Scheitel  einen  Wirtel  neuer  Pseudoblätter  trug. 

Diese  Bildungsabweichung  beweist,  dass  in  manchen  Fällen  ein 
Vegetationskegel  zwischen  beiden  Blättern  zurückbleiben,  und  die- 
selben getrennt  auftreten  kOnnen,  ja  dass  dieser  Vegetationskegel  sogar 
zu  einem  Zweige  auswachsen  könne.  Bei  der  Kiefer  kommt  der  analoge 
Fall  bekanntlich  ziemlich  häufig  vor ,  und  wenn  dieselbe ,  von  Schafen 
zerbissen  ihrer  Spitze  beraubt  wurde ,  oder  wenn  der  Kiefermarkkäfer 
den  Baum  befallt,  so  treibt  der  Vegetationskegel  zwischen  den  Nadein 
bisweilen  junge  verlängerte  Zweige  —  was  bei  der  canarischen  Kiefer 
sogar  immer  geschieht,  sobald  sie  viel  Aeslc  und  Zweige  verloren  hat^). 
—  Es  wäre  zu  versuchen ,  ob  man  durch  Entfernung  der  Zweigenden, 
die  jungen  Doppelnadeln  der  Sciadopitys  nicht* künstlich  zu  dieser  ab- 
normen Zweigbildung  bewegen  könnte. 

Die  Beobachtungen  an  Pinus  Pumilio  und  sylvestris  legten  die 
Vermuthung  nahe ,  dass  auch  bei  der  californischen  Nusskiefer ,  der 
Pinus  monophyllos  Fremmont ,  deren  Kurztrieb  nur  eine  Nadel  trägt, 
diese  eine  Doppelnadel  sei^j.  —  Dieses  bestätigte  sich  nicht,  vielmehr 
verhielten  sich  die  einnadligen  Sprosse  ganz  wie  der  grössere  Theil 
der  einnadligen  auch  bei  Pinus  Pumilio  —  sie  besitzen  wirklich  nur 


4)  London  4869,  p.  854,  Anm.  3.    Auf  diese  Stelle  machte  mich  Herr  Prof. 
Braun  gütigst  aufmerksam. 

%)  Schacht,  der  Baum  p.  4  44. 

8)  Diese  Vermuthung  wurde  schon  von  U.  Bbaun  ausgesprochen :  Individuum 
p.  65  Anm. 


232  Dr.  Rdiiard  Strasburger, 

eine  einzige  einseitige  Nadel  ^),  an  deren  Basis  der  verschrumpfte  Vege— 
tationskegel  des  Kurztriebes  häufig  noch  nachzuweisen  war.   Auf  Quer- 
schnitten durch  einen  solchen  Kurztrieb  von  Pinus  monopbyllos  findet 
man  zunächst  einen  geschlossenen  Bündelkreis,  der  schw^ache  Bündeln 
an  die,  wohl  nach  2/^  gestellten  (bis  7)  Niederblütler  abgiebt.     Höher 
hinauf  öffnet  sich  der  Bündelkreis  einseitig  und  tritt  als  einfaches  und 
einfach  bleibendes  Bündel  in  die,  die  Axe  scheinbar  unmittelbar  forW- 
setzonde  Nadel.    Ihr  gegenüber  sind  Spuren  des  Vegetationskegels  zu 
erkennen. 

Dass  die  Spaltöffnungen  in  so  eigenthümlicher  Weise  bei  Sciado- 
pitys  nur  in  der  unteren  Furche  stehen,  verleitet  fast  zu  der  Annahme, 
dass  die,  bei  der  Urform  noch  getrennten  Blätter,  ihre  Spaltöffnungen 
auf  der  Oberseite  trugen,  ein  Fall  der  bei  Coniferen  nicht  selten  ist, 
und  dass  diese  Spaltöffnungen  nur  deshalb  auf  die  untere  Furche  be- 
schrankt sind,  weil  diese  allein  noch  einen  Streifen  der  ursprünglichen 
Oberfläche  bietet.  (Aehnlich  wie  die  untere  Furche  an  der  Doppelnadel 
von  Pinus.)  Damit  scheint  es  nun  aber  nicht  gut  übereinzustimmen, 
dass  die  Samenlappen  und  ersten  einfachen  Blätter  von  Sciadopilys 
ihre  Spaltöffnungen  jfiur  auf  der  Unterseite  tragen.  Doch  auch  bei 
Thuja,  Cupressus,  Juniperusarten  werden  an  den  Blättern  der  erwach- 
senen Pflanzen  die  Spaltöffnungen  nur  auf  der  inneren  oder  haupt- 
sächlich doch  auf  der  inneren  also  morphologisch  oberen  Blattfläcbc 
angelegt,  während  sie  an  den  frei  entwickelten  ersten  Blättern  der 
Samenpflanzen  vornämlich  auf  der  Unterseite  oder  doch  allseitig  auf- 
treten. Möglich  also,  dass  bei  den  hypothetischen  Vorfahren  der  Scia— 
dopitys,  die  aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  zweinadligen  Kurztriebe,  wie 
die  heutigen  Pinusarten,  besassen,  die  Spaltöffnungen  auch  nur  auf  den 
einander  zugekehrten ,  geschützteren  Blattflächen ,  also. den  Oberseiten 
der  Nadeln  gebildet  wurden,  ähnlich  wie  sie  bei  den  vorhin  erwähnten 
Cupressineen  nur  auf  der,  der  Axe  angedrückten,  geschützteren  Ober- 
seite sich  zeigen.  Leider  bieten  die  Doppelnadeln  von  Pinus  hier  keine 
Anhaltepunkte ,  da  sie  ebenso  wie  die  einfachen  Nadein ,  ihre  Spalt- 
öffnungen allseitig  tragen. 

Von  Moul  glaubte  eine  auffallende  Aehniichkeit  zwischen  den 
Blättern  von  Sciadopitys  und  der  Fruchtschuppe  der  Abietineen  ge- 
funden zu  haben ,  indem  er  hierbei  von  der  bekannten  Deutung  von 
Braun  und  Caspary  ausging,  dass  die  Fruchtschuppe  der  Abietineen 
aus  2  Blättern ,  den  ersten  Blättern  einer  noch  unterdrückten  Achsel- 


1J  Dieses  erkannte  auch  9chon  Van  Tibghem:  Ann.  d.  sc.  nat.  5<^nio  s^rie,  T.  X. 
p.  273. 


Uebnr  S«iHdopiiys  und  Phylloeladus.  233 

knospe  vorwacbsen  sei.  Hingegen  bin  ich  aber  auf  Grund  zahlreicher  ent- 
wicklungsgeschichtlicher  Untersuchungen  (wie  dies  in  einer  demnächst 
zu  erscheinenden  Arbeit  gezeigt  werden  soll)  zu  der  Ueberzeugung  ge- 
kommen, dass  die  Fruchtschuppe  discoiden  Ursprungs  sei  und  somit 
fallt  auch  die  Analogie  beider  in  diesem  Sinne  weg.  Sie  bleiben  als 
Ganzes  sich  nur  insofern  analog,  als  sie  beide  melamorphosirle  Ach- 
solsprosse,  und  zwar  metamorphosirte  Kui*ztriebe  vorstellen. 

Im  Uebrigen  machen  sich  Unterschiede  zwischen  beiden  schon  auf 
den  allerersten  Entwicklungsstadien  geltend  ,  denn  wdhrend  die  kleine 
^blUthigo  Inflorescenzaniagc  der  Abietineen  sofort  durch  starkes  ein- 
seitiges Wachsthum  ihrer  Aussenseite  die  Fruchtschuppen  erzeugt  und 
ihr  Vegetationskegel  die  beiden  Blattrudimente  und  die  Achselproducte 
derselben  (die  beiden  BlUthen) ,  auf  die  Oberseite  der  Anlage  ver- 
schoben werden  —  entwickelt  hier  die  Achselknospenanlage  sofort 
ihre  beiden  Blatter,  die  sich  gemeinschaftlich  erheben  und  ihre  ur- 
sprüngliche Wachsthumsrichtuug  beibehaltend,  durch  basale  Streckung 
wie  andere  Nadeln  in  die  Länge  wachsen. 

2)  Phyllocladus. 

In  mancher  Beziehung  ist  Phyllocladus  noch  merkwürdiger  als 
Sciadopitys.  Schon  Bichard^)  macht  darauf  aufmerksam,  dass  die 
eigenthüm liehen ,  blattartigen  Gebilde  dieser  PDanze  in  den  Achseln 
kleiner  Niederblätter  stehen  und  dass  man  sie  deshalb  wohl  als  abge- 
Hachte  Zweige  aufzufassen  habe.  —  Seitdem  sind  sie  auch  fast  aus- 
nahmslos als  Phyllodien  und  Gladodien  beschrieben  worden,  ohne  dass 
aber  meines  Wissens,  eine  eingehende  Untersuchung  derselben  unter- 
nommen worden  wäre.  Jede  nähere  Betrachtung  lehrt  nun  aber,  dass 
ein  solches  Gladodium  von  Phyllocladus  ein  höchst  complicirtes  Ge- 
bilde ist  und  dass  es  jedenfalls  noch  eine  andere  morphologische  Be- 
stimmung als  die  eines  abgeflachten  Zweiges  verdient.  Ich  wähle  als 
erstes  Beispiel  Phyllocladus  rhomboidalis  Rieh.  Es  wechseln  hier  an 
der  Axe  die  sterilen  Niederblätter  an  verlängerten  Internodien  mit  fer- 
tilen  Niederblättem  an  verkürzten  Internodien  ab.  Aus  den  Achseln 
dieser  letzteren  entspringen  die  Gladodien ,  sie  sind  einander  in  Folge 
dessen  genähert,  wenn  auch  nicht  bis  zur  Bildung  eines  Scheinwirteis, 
wie  bei  Sciadopitys.  Die  Niederblätter  sind  sehr  zart  gebaut,  klein, 
lineal ;  sie  sterben  frühzeitig  ab,  und  sind  an  der  Basis  entfalteter  Gla- 
dodien nur  noch  als  gebräunte  kleine  Schuppen  zu  erkennen.  Die  Gla- 
dodien  sind   rautenförmig,    gesägt,    manche   wohl   auch   mehr  oder 

4)  Mdmoirc  sur  Io8  Coniförcs  et  les  Cycail^cs,  p.  99. 


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236  Dr-  Eduard  Stnsbnrger,  Ueber  Seiadopitys  und  Phylloclados. 

die  freien  Depkhiattenden  gegen  dieselben  verschwinden  und  schliess- 
lich nur  noch  wie  Zähnungen  des  Randes  erscheinen.  Die  primären 
Blatter  am  Gladodium  sind  stärker  als  die  secundären  an  den  Achsel- 
abschnitten,  sie  bleiben,  wie  erwähnt,  auch  stärker  markirt,  und  ver- 
dorren an  ihrer  Spitze ,  während  die  dazwischen  liegenden  kleineren 
noch  längere  Zeit  frisch  bleiben.  Ebenso  wie  die  einzelnen  Abschnitte 
am  Gladodium  wird  dasselbe  auch  in  der  Achsel  des  Niederblattes  am 
Zweige  erzeugt ,  nur  entsteht  hier  nicht  das  erste  Blatt  des  Gladodium 
t  dem  Deckblatt  gegenüber,  sondern  rechts  und  links  von  demselben    es 

1  erfolgt  denn  auch  nicht  eine  gemeinsame  Streckung,  an  der  Basis,  wo- 

1^  durch  das  Deckblatt  auf  das  Achselproduct  emporgehoben  würde  son- 

|:  dern  dieses  Deckblatt  behält  seine  Stellung  und  verdorrt  am  Aste 

während  sich  das  Gladodium  frei  aus  seiner  Achsel  entwickelt.     Die 
Abschnitte  des  Cladodiums  zeigen  übrigens  auch  hier  schon  eine  Alter- 
nation,  doch  stehen  sie,  wie  erwähnt  retchs  und  links  vom  Deckblatte. 
;  Wir  haben  also  bereits  dem  Verhalten  der  primären  Anlage  des  Cla- 

;.  dodiums  einen  Anhaltepunkt  zur  Beurtheilung  seiner  Abschnitte  ab- 

r  gewonnen.    Dieser  für  Goniferen  scheinbar  ganz  vereinzelte  Fall  der 

'•^;  Bildung  des  ersten  Blattes  des  Achselsprosses  an  der  Axenseite  gegen- 

über dem  Deckblatt ,  ist  nämlich ,  wie  hiernach  zu  schliessen,  aus  dem 
\  ersten  Typus  durch  eine  frühzeitige  Drehung  der  jungen  Anlage  um  90^ 

!  in  der  Achsel  ihres  Deckblattes  entstanden. 

Diese  Drehung  greift  so  weit  in  der  Entwicklung  zurück,  dass 
sie  sich  kaum  mehr  nachweisen  lässt  und  findet  vielleicht  nur  noch 
ihren  unmittelbaren  Ausdruck  in  dem  Verdrängen  der  Deckblattspitzen 
auf  die  Bauchseite  der  Anlage.  Auch  sieht  man  sehr  häufig  bei  Phyllo- 
cladus  trichom.  einzelne  Abschnitte ,  namentlich  am  Scheitel  des  Gla- 
dodium eine  Transversal-Stellung  einnehmen.  Dann  wird  auch  sofort 
die  Alternation  der  secundären  Blallaulagen  an  einem  soldien  Ab- 
schnitte und  das  Hinaufrücken  des  Deckblattes  auf  dasselbe  vermin- 
dert. Wenn  aber  auch  die  Blätter  an  den  Gladodiumabschnillen ,  ur- 
spillnglich  rechts  und  links  gegen  ihr  Deckblatt  gestanden,  nicht 
weniger  bleibt  eigenthümlich  ihre  Alternation  und  Uire  Beschränkung 
auf  nur  zwei  Seiten  des  Triebes.  Sie  ist  jedenfalls  eine  Folge  ihrer 
frühzeitigen  Abflachung ,  dass  sie  aber  aus  einem  gewöhnlichen  Sprosse 
entstanden,  dafür  sprechen  die  so  häufigen  Durchwachsungen  der- 
selben. Nicht  nur  bei  Ph.  trichom.,  sondern  auch  bei  Ph.  rhomb. 
entwickelt  sich  der  Vegetationskegel  des  Gladodiums  häufig  weiter  und 
bildet  wieder  Blätter  und  neue  Gladodien  in  spiraliger  Aufeinander- 
folge. 


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Zar  yergleicliendeii  Anatomie  der  Sehnltermuskeln. 

Von 

Max  Fürbringer» 

▲ssiflteBt  9M  der  uatoaiMbeA  AbsUU  s«  Jnuk» 


I.  TheU 

mana  Tafel  XlV-ZVin. 


Vorwort  and   Einleitong. 

Die  Muskulatur  der  Schulter  ist  schon  seit  früher  Zeit  zu  einer  viel 
bearbeiteten  Frage  der  vergleichenden  Anatomie  gemacht  worden.  Die 
ersten  ausftthrlicheren  Arbeiten  von  Mbcul  ^)  und  Cuvm^  zeichnen  sich 
durch  eine  gewisse  Genauigkeit  und  (namentlich  bei  Mbckil)  detaillirte. 
Beschreibung  aus,  entbehren  aber  einer  wirklichen,  durch  Gründe  unter-* 
stützten  Vergleichung  und  haben  darum  nur  den  Werth  zootomischer 
Vorarbeiten.  Einen  wirklichen  Portschritt  auf  diesem  Gebiete  bietet  die 
InauguralabhandlungPpBiPPiK's')  dar,  die  manche  schfltzenswerthe  Deu- 
tungen der  Schulterknochen  giebt  und  zugleich  in  einer  dem  Geiste  der 
neueren  vergleichenden  Anatomie  entsprechenden  Weise  eine  Verglei- 
chung der  Schultermuskeln  der  S^ugethiere,  Vdgel  und  Amphibien 
wenigstens  versucht.  Von  demselben  Gesichtspuncte  aus  sind  die 
Untersuchungen  von  Stannius^)  zu  beurtheilen,  wahrend  hingegen  die 
OwKHs  ^)  ein  zwar  sehr  reiches ,  aber  geistig  noch  wenig  verarbeitetes 


4)  System  der  vergleichenden  Anatomie.  III.  Halle  4898. 
Z)  Lebens  d'anatomie  comper^e.  I.  Z.  ed.  Paris  4885. 

3)  Zur  Anatomie  des  SchultergerUstes  and  der  Sehnltermuskeln  bei  Säuge- 
thieren,  Vögeln  und  Amphibien.  Giessen  4854. 

4)  Anatomie  der  Wirbelthiere.    4.  Aufl.   Berlin  4846.    Z.  Aufl.   Berlin  4864. 
(letztere  blos  Fische  und  Amphibien  enthaltend.) 

5)  Gomparative  Anatomy  and  Physiology.  London  4886.  67. 

M.  fJL  S.  48 


238  Max  Fflrbringer. 

Material  darbieten  und  insofern  mit  den  geistvollen,  durchdachten  osteo- 
logischen  Arbeiten  dieses  Forschers  wenig  gemein  haben.  Eine  in 
neuerer  Zeit  erschienene  Arbeit  Rudinger's  ^)  ist  als  ein  Rttckschritt  auf 
diesem  Gebiete  zu  bezeichnen.  Der  Verfasser  nimmt  den  von  den 
früheren  vergleichenden  Anatomen  in  richtiger  Einsicht  verlassenen 
alten  Standpunct  der  Analogien  ein,  wonach  die  functionelle  Bedeutung 
der  Muskeln  als  Yergleichungspunct  benutzt  wird ,  giebt  darnach  Ver- 
gleichungen ,  die  bei  der  ersten  Einsicht  sich  als  falsch  erweisen  und 
lässt  bei  der  Beschreibung  der  Muskeln  oft  die  nOthige  Genauigkeit  und 
Kenntniss  der  zu  ihnen  jn  Beziehung  Stehenden  Knochen  vermissen.  ^) 

Durch  Gegenbaur^)  und  darauf  durch  PA.mKBR^)  wurde  zuerst  eine 
wirkliche  endgültige  vergleichende  Untersuchung  der  Knochen  des  Brust^ 
gürteis  und  des  Brustbeins  gegeben  und  damit  der  vei^leichenden  My ologie 
eine  neue  Basis  geschaffen.  Die  neueren  nach  dieser  Zeit  erschienenen 
myologischen  Monographien,  namentlich  der  Engländer,  geben  Kenntniss 
von  der  erfolgreichen  Benutzung  dieser  Errungenschaften.  Eine  allent- 
halben richtige  Deutung  der  Muskeln  wird  jedoch  noch  vermisst.  Einen 
Fortschritt  von  principieller  Bedeutung  repräsentirt  die  Abhandlung 
Rollbston's^},  die  eine  allerdings  in  ihren  Resultaten  unrichtige  und 
leicht  widerlegliche  Vergleichung  einzelner  Schultermuskeln  giebt,  aber 


4)  Die  Bfuskein  der  vorderen  Extremitäten  der  Reptilien  and  Vttgel.  Gekvtfnte 
JPreisschrift.  Haarlem  4  869. 

2)  Der  Vorwurf  der  Ungcnauigkeit  trifiTt  auch  die  beigefügten  allerdings  zabl- 
reichen ,  aber  wenig  brauchbaren  Abbildungen.  Gleich  auf  der  ersten  Tafel  z.  B. 
ist  bei  Salamandra  der  transversale  M.  mylohyoideus  als  Uingsmuskel ,  die  (allen 
Ptychopleuren  als  wesentliches  Merkmal  zukommende)  grosse  Baucbseitenfalte  von 
Pseudopus  Pallasii  auf  der  einen  Abbildung  an  die  Bauchseite ,  auf  der  andern  Ab- 
bildung an  die  Rückenseite  gezeichnet. 

3)  Untersuchungen  zur  vergleichenden  Anatomie  der  Wirbelthiere  II.,  Schulter- 
gürtel  und  Brustflosse  der  Wirbelthiere.  Leipzig  4  865. 

4)  A  Monograph  of  the  Structure  and  Development  of  the  Shoulder-Girdle  and 
Sternum  in  the  Vertebrata.  London  4  868. 

5)  On  the  Homologies  of  certain  Muscles  connected  with  the  Shoülder-joint. 
Trans.  Linn.  Sog.  of  London.  Vol.  XXXI.  3.  4869.  S.  609  f.  —  Die  Wichtigkeit  der 
Nerven  für  die  vergleichende  Myologie  im  Allgemeinen  ist  bereits  früher  von  an- 
dern Untersuchern  erkannt  worden ,  so  z.B.  von  Fischbr  (Anatomische  Abhand- 
lungen über  Perennibrauchiaten  und  Derotremen.  Hamburg  4864),  der  auf  die  Art 
der  Inncrvirung  der  Kiemenmuskcln  grosses  Gewicht  legt.  Nach  Rollbstoh  haben 
HoMPHRY  (The  Muscles  and  Nerves  of  the  Cryptobranchus  japonicus.  Joum.  of  Anat. 
and  Phys.  4874)  und  Ghampnbys  (The  Muscles  and  Nerves  of  a  Chimpansee  [Troglo- 
dytes  niger]  and  a  Cynocephalus  Anubis.  Joum.  of  Anat.  and  Phys.  4874)  mono- 
graphische Darstellungen  der  Muskeln  und  Nerven  einzelner  Thicre  gegeben  und 
z.  Th.  auf  die  gegenseitigen  Beziehungen  beider  hingewiesen. 


Zar  rergleiebenden  Anatomie  der  Sebnltermaskeln.  239 

zuerst  als  ein  zur  Vergleichung  der  Muskeln  wichtiges  Moment  deren 
Innervirung  erkennt. 

Fttr  die  Vergleichung  der  Schultermuskeln  in  den  ver- 
schiedenen Klassen  der  Wirbelthiere  sind  von  Bedeutung  die  Lage  der- 
selben in  Beziehung  zu  den  Knochen  (Ursprung  und  Insertion),  die  Lage 
derselben  in  Beziehung  zu  den  anliegenden  Weichtheilen  (Muskeln  und 
Nerven)  und  die  Art  der  Innervirung  durch  bestimmte  Nerven.  Alle 
drei  Momente  müssen  sich  gegenseitig  ergSinzen ,  keines  genügt  allein 
zu  einer  vollkommenen  Bestimmung  der  Homologien. 

Ursprung  und  Insertion  können  auserordentlichen  Schv^an- 
kungen  unterworfen  sein,  ersterer  grösseren  als  letztere  ^) ,  was  wiederum 
eine  grössere  Yariirung  der  (als  Ursprungsfläche  für  die  kräftigsten  und 
zugleich  veränderlichsten  Muskeln  dienenden)  Knochen  des  Brustbeins 
und  Brustgürtels  im  Vergleich  zu  denen  des  Oberarms  und  Vorderarms 
bedingt.  Ein  Uebergreifen  oder  Zurücktreten  des  Ursprungs  von  einem 
Knochen  auf  einen  anderen  von  ihm  ganz  getrennten  kommt  häufig  zur 
Beobachtung,  ist  aber  wie  meist  noch  zu  erweisen  und  darnach  deductiv 
als  allgemein  zu  schliessen Folge  einer  ganz  allmäligen,  keinesfalls  sprung- 
weisen Vermehrung,  resp.  Verminderung  der  einzelnen  Muskelbündel. 
Die  vergleichende  Anatomie  bietet  für  die  Beantwortung  dieser  Frage 
noch  eine  reiche,  aber  noch  sehr  wenig  erschlossene  Fundgrube  dar. 
Beschränkter  ist  die  Variabilität  der  Insertionstheile ,  doch  können  auch 
diese  bei  ganz  einseitigen,  durch  eine  abweichende  Lebensart  bedingten 
Differenzirungen  eine  grosse  Fülle  von  Variirungen  darbieten  (so  beson- 
ders bei  den  Vögeln) .  Eine  Deutung  der  Muskeln ,  die  lediglich  Ursprung 
und  Insertion  derselben  berücksichtigt,  vnrd  in  einzelnen  Fällen  wohl 
riditige  Resultate  bringen ,  in  der  Regel  jedoch  wird  sie  zu  Irrthümern 
verleiten,  namentlich  wo  es  sich  um  Vergleichung  grosser  Muskelgruppen 
oder  entfernter  stehender  und  in  ihrer  Lebensweise  von  einander  ab- 
weichender Thiere  handelt. 

Die  Lage  zu  den  anliegenden  Weichtheilen,  ein  in  der 
Regel  von  den  vergleichenden  Anatomen  wenig  beachtetes  Moment,  ist 
geringeren  Schwankungen  unterworfen  als  Ursprung  und  Ansatz  der 
Muskebi.  Vor  Allem  sind  von  grosser  Wichtigkeit  die  Beziehungen  zu 
den  vorbeilaufenden  Nerven,  von  geringerer  die  zu  den  anliegenden 
Muskeln,  von  keiner  die  zu  den  ausserordentlich  variabeln  Gelassen. 


4)  Die  grössere  Schwankung  des  Ursprungs  der  Muskeln  im  Vergleich  zu  ihren 
Ansätzen  kann  nicht  als  allgemeines  Gesetz  aufgestellt  werden,  sondern  gilt  zunächst 
blos  für  die  Muskeln  der  Schulter.  Die  Muskeln  der  Hand  z.  B.  bieten  zum  Theil 
entgegengesetzte  Verhältnisse  dar,  die  mit  einer  grosseren  Variation  der  Knochen  der 
Hand  Im  Gegensatz  zu  denen  des  Vorderarms  Übereinkommen. 

46* 


240  Mftx  FArbrInger. 

Die  vorsichtige  ^)  Berücksichtigung  der  ersten  Beziehung  kann  oft  Re-* 
sultate  bringen ,  wenn  uns  alle  anderen  Methoden  in  Stich  lassen. 

Die  Innervirung  der  Muskeln  durch  bestimmte  Nerven  ist  das 
wichtigste  Moment  für  die  Yergleichung.    Es  ist  eine  stets  erweisbare 
Thatsache,  dass  jedem  Muskel  ein  bestimmter  Nerv  zukommt,  der  wie— 
der  in  bestimmter  Weise  entspringt.   Alle  Angaben  einer' verschiedenen 
Inner  vi  iiing  desselben  Muskels  bei  verschiedenen  Individuen  bedürfen 
einer  genauen  Kritik  und  können  in  der  Regel  widerlegt  werden.    Das 
Nervensystem  ist  das  conservativste ,   den  geringsten  Veränderungen 
(Anpassungen)  unterworfene  System.    Es  wird  also  eine  Yergleichung 
der  Nerven  durch  die  Reihe  der  Wirbelthiere  die  geringsten  Schwierig- 
keiten darbieten  und  darum  eine  die  Innervirung  berücksichtigende 
Yergleichung  der  Muskeln  weit  leichter  und  sicherer  sein ,  als  eine  Yer- 
gleichung ohne  diese  Beziehung.  Doch  gilt  es  auch  hier  Wesentliches  von 
Unwesentlichem  zu  sondern.    Als  unwesentlich  von  vornherein  müssen 
bezeichnet  werden  die  gegenseitigen  Yerhältnisse  der  Nerven  in  Bezug 
auf  ihre  frühere  oder  spätere  Theilung  oder  Vereinigung  (die  sc^enannte 
Anastomosenbildung),  Verhältnisse,  die  nicht  von  den  Nerven  selbst, 
sondern  nur  von  der  verschiedenartigen  Vertheilung  ihrer  Bindesubstanz 
abhängen ,  und  deren  unrichtige  Abschätzung  zu  Irrthümem  verleiten 
kann.  Eine  grössere  Constanz  bieten  die  Austnttsstellen  der  Nerven  aus 
den  Intervertebrallöchern  dar  und  damit  die  Beziehungen  der  Nerven  zu 
ihrem  Centrum.   Die  Reinheit  dieser  Verhältnisse  wird  jedoch  oft  durch 
die  schwankende  Zahl  der  Wirbel  und  die  dadurch  in  primärer  Weise 
unmöglich  gemachte  Bestimmung  der   homologen  IntervertebrallOcher 
getrübt  2).    Von  wesentlicher  Bedeutung  für  die  Yergleichung  sind  die 
Verhältnisse  der  Nerven  bezüglich  ihrer  räumlichen  Lagen  zu  einander 
und  zu  den  umliegenden  Weich-  und  Harttheilen.  Das  erstere  Yerhältniss 
spricht  sich  aus  in  einer  Anordnung  der  Nerven  des  Plexus  brachialis  in 
verschiedenen  Schichten,  die  sich  durch  alle  Wirbelthiere  hindurch  con- 
stant  erweist,  das  letztere  einerseits  in  bestimmten  Beziehungen  zu  ge- 
wissen Muskelgruppen  (z.  B.  den  scaleni  superiores,  welche  die  N.  thora- 
cici  superiores  von  den  übrigen  Nerven  des  Plexus  brachialis  abtrennen] 
andererseits  in  einer  gewissen  Lage  zum  Brustgürtel  (vor  oder  durch 
denselben   verlaufen  die  Nn.  supracoracoideus  und  suprascapularis, 


4)  Die  Nerven  können  mitunter  gespalten  und  durch  sich  einschiebende  oft  sehr 
ansehnliche  Musiceltheile  weit  von  einander  getrennt  sein.  Eine  falsche  Schätzung 
dieser  Veränderung  kann  zu  grossen  Irrthümern  führen. 

2)  In  diesen  Fallen  können  umgekehrt  nur  die  nach  ihrem  Verlaufe  oft  leicht 
erkennbaren  Nerven  die  directe  Homologie  der  Wirbel  bestimmen. 


Zur  vergleichenden  Anatomie  der  Srhnlterrouskeln.  241 

hinter  ihm  die  Nn.  pectorales,  coracobrachiales,  brachiales  longi  etc.) .  — 
Die  Bestimmung  nach  der  Innervirung  ist  wegen  der  grossen  Constanz 
der  Nerven ,  die  sich  bei  schon  weit  vorgeschrittener  Differenzining  der 
Muskeln  noch  erhält,  zur  Vergleichung  der  einzelnen  Muskeln  weniger 
geeignet,  dagegen  lässt  sie  bei  Vergleichung  ganzer  Muskelgruppen  oder 
entfernter  stehender  Thiere  nie  im  Stiche  und  gewährt  die  Möglichkeit, 
die  Schultermuskulatur  in  bestimmte  Muskelsysteme  einzutheilen ,  Sy- 
steme, deren  sonstige  Beziehungen  (Ursprung,  Insertion,  Lage  zu  den 
umliegenden  Theilen]  diese  Eintheilung  als  eine  natürliche  rechtfertigen. 
Die  vorliegende  Untersuchung  beschränkt  sich  blos  auf  Amphibien, 
Reptilien ,  Vtigel  und  Säugethiere.  Die  Fische  sind  ausgeschlossen ,  aus 
dem  Grunde,  weil  erst  nach  eingehender  Behandlung  der  Muskeln  der 
ganzen  vorderen  Extremität  der  pentadactylen  Wirbelthiere  eine  ge- 
naue und  vollständige  Vergleichung  mit  den  Fischen  gegeben  werden 
kann.  Eine  Vergleichung  ohne  diese  vorarbeitenden  Untersuchungen 
bleibt  Stückwerk  *).  Von  den  Schultermuskeln  selbst  sind  die  zu  dem 
Zungenbein  resp.  den  K<emenbogen  gehenden ,  gemeinhin  als  hintere 
Zungenbeinmuskeln  bezeichneten  ebenfalls  ausgeschlossen.  Eine  wirk- 
liche vergleichende  Anatomie  derselben  ist  nur  im  Zusammenhang  mit 
sämmtlichen  Derivaten  des  unteren  Längsmuskels  (gerader  Bauch- 
muskel ,  gerade  centrale  Kiemenmuskcln ,  vordere  und  hintere  gerade 
Zungenbeinmuskeln)  zu  geben  und  dürfte  sich  in  dieser  Ausdehnung 
von  einer  Myologie  der  Schulter  allzuweit  entfernen.  Auch  auf  eine 
durchgeführte  metamere  Vergleichung  (Serial-Homology)  der  Schulter- 
muskeln und  der  zu  ihnen  in  Beziehung  tretenden  Nerven  mit  den 
übrigen  Muskeln  und  Nerven  des  Körpei'S  wurde  Verzicht  geleistet. 
Dieselbe  ist  allerdings  das  Hauptziel  der  vergleichenden  Myologie ,  darf 
aber  erst  nach  Jahren  zu  erwarten  sein,  wenn  alle  Muskel-  und  Nerven- 
gebiete gleichmässig  genau  durchforscht  sein  werden.  Die  in  dieser 
Hinsicht  mehrfach  veröfTentlichten  Abhandlungen  kennzeichnen  aller- 
dings ein  anerkennenswerthes  Streben ,  sind  aber  in  ihren  Ergebnissen 
sämmtlich  als  ungenügend  zu  bezeichnen  ^).  Einzelne  für  die  metamere 
Myologie  feststehende  Thatsachen,  welche  die  Untersuchung  der  Schuller- 
muskeln ergab,  sind  angeführt. 


4)  Einzelne  hei  einer  Untersuchung  des  Brustgüriels  der  Selachier  gewonnene 
Ergebnisse  von  grösserer  Bedeutung  sind  für  die  Vergleichung  verwerthet  worden. 

t)  Dieser  Vorwurf  trifTl  auch  die  neueste  bedeutendere  Arbeit  auf  diesem  Ge- 
biete ,  Humphiit's  Abhandlung :  The  Disposition  of  Muscies  in  Vertebrate  Animals. 
Journal  of  Anat.  and  Phys.  II.  Ser.  No.  X.  May  1873.  Cambridge  und  London. 
S.  «98—877. 


242  Max  Ffirbrioger. 

Der  Sioff  der  Arbeit  ist  in  sieben  Capitel  vertheilt  worden ;  das 
erste  Capitel  bebandelt  die  Urodelen,  das  zweite  die  Anuren,  das  drille 
die  Ghelonier,  das  vierte  die  Saurier  undCrocodile,  das  fünfte  dieVOgel, 
das  sechste  die  Säugetbiere.  Das  siebente  Capitel  enthält  eine  Zusam-* 
menstellung  der  Ergebnisse  und  weitere  vergleichende  Ausführungen. 
Die  Chelonier  wurden  mit  Absicht  zwischen  Anuren  und  übrige  Repti- 
lien gestellt,  weil  die  Untersuchung  wenigstens  für  die  Muskeln  und 
Nerven  der  Schulter  ergab,  dass  innerhalb  der  Reptilien  die  Ghelonier 
den  Amphibien  am  nächsten  stehen,  während  die  Croeodile  den  Vögeln 
am  meisten  genähert  sind. 

Jedes  der  ersten  sechs  Capitel  enthält  in  drei  Paragraphen  eine 
Beschreibung,  1)  der  zu  den  Schultermuskeln  in  nächster  Beziehung 
stehenden  Knochen  (Brustgttrtel ,  Brustbein,  Humerus),  %)  der  Nerven 
für  die  Schultermuskeln ,  3)  der  Muskeln  der  Schulter  und  des  Ober- 
arms selbst.  Eine  kurze  Darstellung  des  Knochensystems  erwies 
sich  als  nothwendig  für  das  Verständniss.  Die  betreffenden  Paragraphen 
bieten  wenig  Originales  und  sind  der  Hauptsache  nach  nur  für  das  spe- 
cielle  Bedürfniss  ausgearbeitete  Referate  über  Gbgenbaqr's  und  Parksr's 
Abhandlungen,  nefu  ist  blos  eine  eingehendere  Beschreibung  und  Deutung 
der  für  die  Darstellung  der  Muskulatur  bedeutsamen  Fortsätze ,  Kanten 
etc.  an  den  Knochen  des  Brustgürtels  und  des  Oberarms.  Die  Behandlung 
des  Nervensystems  ist  der  des  Muskelsystems  vorangestellt ,  weil 
die  Nervenvertheilung  als  Grundlage  für  die  Vergleichung  der  Muskeln 
dient.  Die  Beschreibung  ist,  da  sie  mit  wenig  Ausnahmen  Neues  dar- 
bietet, breiter  ausgedehnt,  berücksichtigt  jedoch  nur  die  Bildung  des 
Plexus  selbst  und  die  zu  den  Muskeln  der  Schulter  und  des  Oberarms 
gehenden  Nerven.  Die  menschlichen  Nervenbezeichnungen  sind  in  der 
Regel,  wo  ein  Vergleich  möglich,  aufgenommen;  einzelne  den  verglei- 
chenden Thatsachen  nicht  Rechnung  tragende  Benennungen  (z.  B.  N. 
dorsalis  scapulae ,  Nn.  thoracici  anteriores,  Nn.  subscapulares  longi  etc.) 
sind  durch  bessere  und  den  von  .ihnen  versorgten  Muskeln  gleich- 
lautende Namen  ersetzt.  Eine  Eintheilung  der  Nerven  des  Plexus  bra- 
chialis  in  drei  Schichten,  Nn.  thoracici  superiores,  Nn.  brachiales 
superiores  und  Nn.  brachiales  et  thoracici  inferiores  ist  allenthalben 
durchgeführt.  Die  Darstellung  des  M  u  s  k  e  1  s  y  s  t  e  m  s  ist  so  vollständig 
gegeben ,  als  mit  Weglassung  des  Unwesentlichen  möglich  war.  Die 
Muskeln  sind,  wo  nur  irgend  eine  directere  Homologie  zu  constatiren 
ist ,  nach  denen  des  Menschen  benannt.  Eine  vollständige  Vermeidung 
von  neu  gebildeten,  oft  langen  und  schlechtklingenden  Namen  nach 
Ursprung  und  Ansatz  war  leider  nicht  zu  vermeiden.  Erst  wenn  eine 
vernünftigere,   auf  vergleichend  anatomische  Beziehungen  gegründete 


Zur  ver^leichendeR  Auaiemie  der  ScIniUerroiiskeln.  243 

Reform  der  Nomenklatur  der  menschlichen  Bfuskeln  eingeführt  ist,  werden 
diese  überflüssig.  Am  Eingange  jedes  Paragraphen  ist  eine  Uobersicht 
der  Hnakelii  gegeben.  Auf  die  Beschreibung  jedes  einzelnen  Muskels 
folgt  eine  Besprechung  seiner  vergleichend  anatomischen  Beziehung, 
die  sugleiob  eine  Kritik  der  früheren  Deutungen  und  eine  Begründung 
der  hier  giegebenen  enthält.  Im  ersten  Gapitel  war  es  behufs  Anwendung 
der  menaohlioben  Muskelnamen  ntf  thig ,  das  Verhllltniss  der  Muskeln  der 
Urodelen  zu  denen  des  Menschen  zu  besprechen.  Hierbei  war  es  auch 
unvermeidlich,  einzelne  vergleichende  Beziehungen,  die  erst  in  späteren 
Capiteln  ausführlich  behandelt  werden,  vorausgreifend  kurz  anzudeuten. 
In  den  übrigen  Capiteln  ist  dies  möglichst  vermieden  und  in  der  Regel 
die  Vergleichung  nur  mit  den  bereits  vorausgegangenen  Classen  aus- 
geführt. Der  Darstellung  der  Schultermuskeln  der  Vögel  ist  ein  kleiner 
Anhang,  die  Beschreibung  der  Muskeln  der  Flugmembran  enthallend 
nachgeschickt,  der  der  Süugethiere  ein  grösserer,  der  eine  Zusammen- 
stellung der  menschlichen  Varietäten  und  deren  Vergleichung  mit  den 
normalen  Bildungen  der  übrigen  Säugethiere,  im  Allgemeinen  der 
übrigen  Wirbelthiere,  umfasst. 

Die  mir  zu^ngliche  Literatur  wurde  nach  Kräften  benutzt. 
Wesentlichere  DifiTerenzen  zwischen  den  von  den  Autoren  und  den  von 
mir  gegebenen  Darstellungen  und  Deutungen  sind  im  Texte  berück- 
sichtigt, unwesentlichere  die  Untersuchung  betreffende  Abweichungen 
in  die  Anmerkungen  verwiesen. 

Die  beigefügten  Abbildungen  betreffen  Nerven  und  Muskeln. 
Eretere  stellen  die  Plexus  brachiales  (und  theilweisc  die  Vagusgruppe) 
einer  Anzahl  von  Wirbelthieren,  letztere  die  Muskeln  der  Schulter  und 
des  Oberarms  mit  ihren  Nerven  in  schichtenweiser  Abtragung  und  mit 
vollkommener  Erhaltung  ihrer  natürlichen  Lage  ^)  dar.  Die  Ursprünge 
und  Insertionen  der  bereits  abgetragenen  Muskeln  sind  durch  rothe 
Punctlinien  bezeichnet.    Für  jedes  Capitel  sind  in  der  Regel  nur  Ab- 


I)  Dieses  Moment  halten  wir  für  ein  Haupterforderniss  einer  brauchbaren  Ab- 
bildung.' Die  gewöhnlich  angowondoto  Methode ,  auf  einer  einzigen  Figur  möglichst 
viel  Muskeln  abzubilden,  d.  h.  die  tiefer  liegenden  durch  gewaUsames  Auseinander- 
zerren  der  oberflächlicheren  sichtbar  zu  machon,  erschwert  nicht  nur  die  Erkennt- 
uiss  der  natürlichen  Lage  und  gegenseitigen  Beziehung  der  Muskeln ,  sondern  giebt 
auch  Zeugniss  von  der  vollkommenen  Verkennung  der  Zusammengehörigkeit  der 
einzelnen  Muskeln  zu  einem  einheitlichen  Systeme,  das  ebensowenig  zertheilt  und 
zerrissen  werden  darf  wie  das  Knochensystem.  Die  gegenseitige  Lagerung  der  Mus- 
keln zu  einander  und  zu  den  anderen  Weichtbeilen  ist  mindestens  ebenso  wichtig, 
wie  Ursprung  und  Insertion  derselben ,  an  deren  alleiniger  Darstellung  sich  die  mei- 
sten Abbildungen  genügen  lassen. 


244  Max  Ffirbringer. 

bildungen  ^er  Muskulatur  eines  Thieres  gegeben,    diese  aber    in 
möglichster  Vollständigkeit. 

Herr  Geh.  Hofr.  Prof.  Dr.  Gsgbnbaür  hat  mich  zu  dieser  Arbeit  ver- 
anlasst, hat  mir  sämmtliches  anatomische  Material  und  sämmtliche 
literarischen  Httlfsmittel  gewährt  und  hat  mich  durch  s^nen  Rath 
wesentlich  in  meinen  Untersuchungen  unterstützt.  Es  ist  mir  eine  sehr 
angenehme  Pflicht,  ihm  dafür  meinen  innigsten  Dank  auszusprechen. 


Ihä  ■ 


Zar  vergleichendeD  Anatomie  der  Schnlterrnnskeln.  245 


Cap.  I. 

Gesehwibizte  AmphiliieB 

(ürodela ;  —  Sozobranohia  nnd  Sozora). 

§.  1. 

Bnistgürtal»  Bmitbein  und  Hiimenifl  <). 

(Vergleiche  Taf.  XV.  Q.  XVI.) 
ßrustgttrtel  und  Brustbein  sind  bei  den  geschwänzten  Amphibien 
wenig  entwickelt.   Es  findet  sich  nur  der  sogenannte  primäre  ^)  Brust- 
gttrtei ,  wahrend  von  secundSiren  Knochen theilen  jede  Spur  fehlt. 


4)  Literatur: 
IIbckbl,  System  der  vergleichenden  Anatomie  II.  8.  Halle  48S4.  S.  894  f.  S.  488  f. 

S.  449  f. 
FUHK»  de  Salamandrae  terrestris  vita,  evolatione,  formatione  tractatus.   Berolini 

48t7.  S.  8.  Tab.  I.  Fig.  4.  Tab.  II.  Fig.  90. 
Doeia,  Recherches  sar  ro8t6oIogie  et  la  myologle  des  Batraciens.   Paris  4884.  S. 

484  f. 
Covna,  Le^ons  d'anatomie  comparte.  II.  M.  Paris  4888.  S.  864  f.  8.  868  f. 
STAiiifiüs',  HandbQch  der  Zootomie.  II.  3.   Zootomie  der  Amphibien.    Berlin  4886. 

S.  48  f.   S.  7i  f.   S.  SO  f. 
Gbaiviaük,  Untersuchungen  zur  yergleichenden  Anatomie  der  Wirhelthiere.   II. 

Schultergttrtel  der  Wirhelthiere.  Leipzig  4868.  S.  66  f. 
Own,  Gomparative  Anatomy  and  Physiology  of  Vertebrates.  I.   London  4866.  S. 

469  f. 
PARua,  A  Monograph  of  the  Structure  and  Development  of  the  Shoulder-Girdle  and 

Sternum  In  the  Vertebrata.  London  4868.  p.  88. 
%)  In  Bezug  auf  die  Bezeichnungen  »prirottrer  und  secundttrer  Brustgürtel«,  all- 
gemein »primärer  oder  secundärer  Knochen«  folgen  wir,  lediglich  um  Verwechs- 
lungen in  der  Auflassung  vorzubeugen ,  noch  dem  ttiteren  ziemlich  allgemein  an- 
genommenen Gebrauche.  In  WirkllchlLelt  »drücken  diese  Bezeichnungen  keine 
fundamentalen  Verschiedenheiten  aus ,  sondern  nur  bestimmte  Zustünde ,  die  sich 
besser  als  Entwickelungsphasen  betrachten  lassen«,  und  von  denen  gerade  die 
frühere  (primäre)  der  secundären ,  die  spätere  (secundäre)  der  primären  Knocben- 
bildung  entspricht.  Vergleiche  GEOBiiaAüR ,  Bemerkungen  über  primäre  und  secun- 
däre Knochenhildung.  Jenaische  Zeitschrift.  Bd.  III.  S.  84  ,  und  Grundzüge  der 
vergleichenden  Anatomie.  S.  Aufl.  S.  644. 


246  Max  Filrbriiiger. 

Der  BrustgUrtoI  besteht  aus  zwei  symmetrischen  theilweise 
verknöcherten  ^)  Knorpelstücken ,  die  auf  der  Brustseite  entweder  von 
einander  ziemlich  entfernt  (Amphiuma)  oder  einander  genähert  sind 
(Proteus)  oder  sich  in  der  Mittellinie  berühren  (Menobranchus  etc.)  oder 
sich  so  über  einander  legen,  dass  der  rechte  Brustgürtel  mit  seinem 
medialen  Rande  unter  den  linken  zu  liegen  kommt  (die  Mehrzahl  der 
Urodelen] .  Eine  knorpelige  oder  knöcherne  Verbindung  beider  mit  ein- 
ander existirt  nicht,  ebensowenig  eine  Anbeftung  an  den  Schädel  oder 
die  Wirbelsäule.  Jedes  Brustgürtelstück  besteht  aus  einem  vertical  ge— 
richteten  (dorsalen)  und  einem  horizontal  liegetiden  (ventralen)  Ab- 
schnitte. Ersterer  geht  an  der  untern  Seitenkante  des  Körpers  un- 
mittelbar in  letzteren  über.  An  dieser  Stelle,  und  zwar  am  hintern 
Rande ,  liegt  die  Gelenkhöhle  für  den  Oberarm  (bei  Siren  fehlend) .  Der 
dorsale  Abschnitt,  die  Scapula  (S)  ist  In  der  Regel  in  seinem 
unteren  zumeist  verknöcherten  Theile  schmal,  in  seinem  oberen  stets 
knorpelig  bleibenden  verbreitert.  Letzterer  wird  nicht  sehr  passend  als 
Suprascapulare  ^)  von  dem  ersteren ,  der  eigentlichen  Scapula ,  unter- 
schieden. Der  obere  Band  der  Scapula  (Suprascapulare)  ist  der  Basis 
scapulae,  der  hintere  dem  hintern  Rande  der  menschlichen  Scapula 
homolog ;  dagegen  kann  der  vordere  Rand  weder  mit  der  Spina  scapulae 
noch  mit  dem  vordem  Rand  der  Scapula  des  Menschen  verglichen  wer- 
den, sondern  entspricht  vielmehr  der  Grundlinie  der  Spina  seapalae, 
von  der  sowohl  die  Spina  selbst  wie  das  mit  ihr  die  Fossa  supra- 
spinata  bildende  Stück  der  Scapula  ausgehen 3).     Der  ventrale  Ab- 


4)  Die  Verknöcherung  kann  nor  eine  theilweise  ^  die  Oberfläche  des  Knorpels 
einnehmende,  sein  (Proteus  etc.),  oder  sie  kann  durch  die  ganze  Dicke  des  Bntsi- 
gUrtels  erstreckt  sein  (die  meisten  Urodelen).  In  allen  Fällen  ist  sie  der  Fläche  nach 
nur  über  einen  kleinen  Theil  des  Brostgiirtels  ausgedehnt,  der  entweder  oberhalb 
der  Gelenkpfanne  liegt  oder  ihre  Umgebung  bildet;  nie  ist  letztere  vollständig  ver- 
knöchert. Viel  Gewicht  ist  auf  die  Anordnung  der  Verknöcherung  nicht  zu  legen 
und  möchte  ich  darum  mit  Parkbr  nic^t  übereinstimmen ,  der  nach  diesem  Prin» 
cipe  drei  Hauptgruppen  unterscheidet,  Brustgürtel  mit  einem  (Proteus,  Menobran- 
chu5>  Menopoma,  Gryptobranchus,  Siredon),  mit  zwei  (Siren,  Amphiuma)  und  mit 
drei  Verknöcherungspuncten  (Phaenerobrancbus,  Lissotriton,  Triton,  Salamandra) . 

2)  FuHK  unterscheidet  das  Suprascapulare  als  Portio  I.  scapulae  von  der  eigent* 
lic'hen  Scapula  oder  Portio  II  scapulae.  Ueber  die  geringe  Selbstöndigkeit  des  Supra- 
scapulare, namentlich  in  jugendlichen  Zuständen,  vergleiche  GsGENBicaa.  a.  O. 
S.  68.  Das  Suprascapulare  steht  bei  den  Urodelen  zur  Scapula  in  derselben  Bezieh- 
ung ,  wie  die  Knorpeltheile  des  Procoracoid  und  Coracoid  zu  deren  Knochen theilen ; 
für  diese  ist  aber  noch  nie  eine  besondere  Bezeichnung  gebraucht  worden. 

8)  Dass  der  Scapula  der  Urodelen  jede  Spur  einer  Fossa  supraspinata  abgeht,  dass 
demnach  alles  Auffinden  von  HooSologen  einer  Spina  auf  der  Fläche  der  Scapula  auf 


Zur  vergleichenden  Anfttonie  der  Sciliillemiiiskeln.  247 

schnitt*)  besiebt  aus  einer  vorderen  schni&leren  und  einer  hinteren 
breiteren  Platte,  dem  Procoracoid  (Fr) 2)  und  dem  Goracoid  (G)  ^). 
Beide  sind  lateral  vereinigt,  medianwttrts  dagegen  in  zwei  discrete 
Fortsätze  ausgedehnt.  Der  dem  Proooracoid  angehörende  ist  nach  vom, 
der  zum  Goracoid  gehörige  nach  der  Mitte  zu  gerichtet;  ersterer  ist  lang 
und  schmal  (am  längsten  bei  Proteus  und  Siren,  am  kürzesten  bei 
Siredon  und  Salamandra) ,  letzterer  ist  stumpf  und  breit  und  geht  die 
oben  beschri^)enen  Beziehungen  zu  dem  der  Gegenseite  ein.  Lateral 
sind  Procoracoid  und  Goracoid  in  der  Regel  ohne  gegenseitige  Grenze 
verknöchert.  Hier  findet  sich  zwischen  ihnen  vor  der  Gelenkhöhle  das 
Foramen  ooracoideum  (bei  Proteus  durch  eine  nach  vom  offene 
Incisura  coracoidea  vertreten),  das  für  den  Durchtritt  von  Gefitesen  und 
vom  N.  supracoracoideus  bestimmt  ist. 

Ein  Brustbein  (St)^)  ist  bei  den  Urodelen  nur  rudimentär  vor- 
handen und  entbehrt  jeder  Verbindung  mit  Rippen.  Bei  Proteus  fehlt 
es  vollkommen,  bei  Menobranchus  existirt  es  spurweise  als  längliche 
Knorpel  leiste,  bei  den  übrigen  bildet  es  eine  rundliche  Knorpelplatle 
mit  oder  ohne  Fortsätze,  welche  vom  in  zwei  Lamellen  gespalten  ist 
und  zwischen  diese  die  hinteren  Ränder  der  beiden  Coracoide  auf- 
nimmt. 

Der  Humerus  (U)  der  geschwänzten  Amphibien  ist  der  längste 
Knochen  der  vorderen  Extremität.    Der  proximale  Theil^)  lenkt  mit 


Irrthom  beruht,  wurde  bereits  von  GiOBüBAun  nachgewiesen  and  kann  durch  eine 
Fttllo  von  myologischem  Detail  erhärtet  werden.  Gegen  eine  directe  Vergleichuog 
des  vordem  Randes  mit  der  Spina  scapulae  spricht  vor  Allem  die  auf  die  Aussen- 
fläche  der  Scapula  ausgedehaie  Insertion  des  M.  levator  scapulae  der  Drodelen. 

4)  Portio  lU.  scapulae:  Fuhk;  —  Goracoid:  Doois,  Cüviia,  Starriüb 
elc.  — >  Adscapulum:  Dvoits.  —  Disque  cleido-coracoidienne:  Cuviza. 

B)  Die  richtige  Deutung  des  vorderen  Abschnittes  als  Procoracoid  ist  zuerst 
von  GiosiiBADR  gegeben  worden.  Vorher  wurde  es  bald  als  Ciavicula  (Cuvisa  4.  <&d. 
Düois),  bald  als  Acromion  (Cuviza  9.  6d.  Ducts,  Staviiiijs,  Rt^oiscza)  unterschieden. 
Pasuk  und  Ihm  folgend  MtvAar  und  HmiFBikY  bezeichnen  das  Procoracoid  als  Prae- 
coracoid. 

5)  Coracoid  der  Autoren ,  oder  unbenannter  Theil  desselben. 

4)  Die  Existenz  der  Brustbeinrudimente  wird  verschieden  angegeben.  Näheres 
siehe  darüber  bei  Stahnius,  Obgehbaüb  und  Parub.  Mbckbl  unterscheidet  bei  Sala- 
mandra roaculata  zwei  discrete  Brustbeine;  eine  Beobachtung,  die  von  keinem 
Untersucher  bestätigt  worden  ist.  Dass  das  Brustbein  der  Urodelen  dem  ganzen 
Stemum  der  hOhern  Wirbellhiere  entspricht  und  nicht  mit  dem  Processus  ensiformis 
(Starbius  und  Dugks  :  Os  xiphoideum)  allein  verglichen  werden  kann ,  wurde  von 
Gbobrbavb  nachgewiesen. 

5)  Die  Raumbezeichnungen  »lateral,  medial«  etc.  sind  für  diese  und  alle 
folgenden  Beschreibungen  einer  horizontalen  Lage  des  an  die  Seite  des 


248  Max  FOrbringer. 

seiner  knorpeligen  convexen  Endfläche  (Caput)  in  die  Gelenkhöhle  des 
Brustgttrtels  ein  und  hat  hinter  dieser  zwei  seitlich  vorspringende 
Knochenfortsätze,  den  Processus  lateralis  (PL}  ^)  und  medialis 
(PM)  ^j .  Ersterer  nimmt  die  Aussenfläche  des  proximalen  Drittels  des 
Humerus  ein  und  ist  nach  unten  gerichtet ;  er  beginnt  direct  hinter  dem 
Gelenkende ,  erreicht  in  der  Mitte  die  grösste  Höhe  und  fällt  nach  hinten 
allmälig  ab.  Letzterer  liegt  an  der  Innenfläche  des  Humerus,  dem  Pro- 
cessus lateralis  direct  gegenüber  und  ist  kleiner  und  spitzer  als  dieser ; 
er  ist  von  dem  Caput  humeri  durch  eine  kleine  Einschnürung  getrennt 
und  endet  wie  der  Processus  lateralis  am  Ende  des  ersten  Drittels  des 
Humerus.  Der  mittlere  Theil  des  Humerus  hat  gleich  hinter  den  Fort- 
sätzen seine  geringste  Dicke ,  nimmt  aber  nach  dem  hinteren  Ende  stetig 
an  Breite  zu.  Der  distale  Theil  ist  in  schräger  Richtung  zusammen- 
gedrückt. Sein  knorpeliges  Ende  ai  liculirt  mit  den  Knochen  des  Vorder- 
arms und  zwar  der  mediale  obere  Theil  desselben ,  Condylus  ulnaris 
s.  medialis  (CU)  mit  der  Uina  (U),  der  laterale  untere  Theil,  Con- 
dylus radialis  s.  lateralis  (CR),  mit  dem  Radius  (R)^). 


Körpers  gedrückten  und  nach  hinten  gerichteten  Humerus  entnommen.  Die  bei 
dieser  Stellung  nach  aussen  gerichteten  Theile  werden  als  laterale  (äussere) 
von  den  nach  innen  d.  h.  nach  der  Bauchwand  zugerichteten  medialen  (inneren) 
Theilen  unterschieden,  die  nach  oben  gerichteten  und  die  nach  unten  sehenden 
Theile  heissen  obere  (der  Streckseite  angehörige)  und  untere  (der  Beuge- 
Seite  zugehörende),  die  der  Gelenkhöhle  des  Brustgürtels  genäherten  und  die  von 
ihr  entfernten  Theile  proximale  und  distale.  Für  den  Rumpf  gelten  die  Be- 
zeichnungen aussen  (ausserhalb  der  knöchernen  Rumpfhöhleneinfassung  liegend), 
innen  (innerhalb  derselben),  dorsal  (oben,  rückenwärts  liegend),  ventral 
(unten ,  bauchwärts  liegend) . 

4)  Die  Fortsätze  am  proximalen  Ende  des  Humerus  der  Urodelen  sind  noch 
wenig  differenzirte  Bildungen ,  die  weder  mit  den  Tubercula  noch  mit  den  Spinae 
tuberculorum  des  Menschen  vergleichbar  sind.  Diese  sind  vielmehr  Differen- 
zirungen ,  die  den  Amphibien  noch  fehlen ,  aber  aus  den  indifferenten  Bildungen 
derselben  sich  entwickelt  haben.  Zur  Bestimmung  dieses  Verhältnisses  wurde  die 
Bezeichnung  Processus  gewählt.  Der  Processus  lateralis  ist  von  den  Autoren  in 
verschiedenster  Weise  benannt  worden :  Vordere  Leiste  (Mkckel),  Trochanter  (ohne 
nähere  Bezeichnung,  Duc^s) ;  Tuberculum  majus  s.  anterius  (Stanvius)  ;  laterales  un- 
teres Tuberculum  oder  Vorsprung  des  Humerus  (Rüdingbr)  ;  Crest  of  the  Humerus 
(Owen,  Mivart),  Radial  tubercule  (Humphrt). 

2)  Hintere  Leiste  (Meckel)  ;  Trochanter  (ohne  nähere  Bezeichnung ,  Ddgks)  ; 
Tuberculum  minus  (Stannius)  ;  Ulnar  tubercule  (Hühphrt).  Von  Oweh,  Mivart, 
Rüdingbr  u.  a.  A.  nicht  besonders  unterschieden. 

3)  DuGis  bezeichnet  beide  als  Condylus  ohne  weitere  Unterscheidung.  Owen 
und  Mivart  benennen  die  entsprechenden  Theile  als  Ulnar  und  Radial  side  of  the 
lower  end  of  the  humerus.  Uuhpbrt  :  Ulnar  and  Radial  condyle. 


Zor  yergleieheiijeD  Aimtonie  der  SehuUermnsIceltt,  249 

§.2. 
Verven  f&r  die  Sehnltermoskeln  ^) . 

(Vergleiche  Taf.  XIV.  Fig.  4  —8.) 

Die  Muskeln  der  Schulter  (mit  Ausschluss  der  zu  dem  Zungenbein 

gehenden]  werden  von  den  Rr.  accessorii  n.  vagi  und  von  den 

fünf  ersten  Spinalnerven,  und  zwar,  wie  für  sämmtliche 

Wirbellhiere  gilt,    von  deren  ventralen  Aesten  innervirl. 


4)  Literatur:. 
FuHK,  a.a.O.  S.  44.  Tab.ni.  Flg.  7^  (Ganz  dürftige  Angaben  über  das  Nervensystem 

von  Salamandra  macnlata). 
BiflCBorv,  Nervi  accessorii  Willisii  anatomia  et  physiologia.    Heldelbergae  4S32. 

S.  47.  (Accessorius  von  Salamandra  maculata). 
Vogt  ,  Beiträge  zur  Neurologie  der  Reptilien.  Neufchatel  4840.  S.  55  f.  (Vagus  von 

Salamandra  maculata  und  Proteus  anguineus). 
FiscBBR,  Amphibiorum  nudorum  neurologiae  specimen.    Berolini  4848.   S.  80  f. 

Taf.  II.  u.  III.    (Genaue  Untersuchungen  Über  die  Hirn  nerven  von  Salamandra 

maculata,  Triton  cristatus,  Proteus  anguineus). 
BsNDS ,  Bidrag  tel  den  Sammenlignende  Anatomie  af  N.  Glossopharyngeus ,  Vagus, 

Accessorius  Willisii  og  Hypoglossus  hos  Reptil ierne.  Vid.  Sei.  näturvid.  og  mathem. 

Afli.  X  Deel.   Kjöbenbavn  4848.   S.  484  f.  Taf.  IX  u.  X  (Gehirnnerven  von  Sala- 
mandra maculata ,  Triton  pnnctatus). 
Cuvisa,  Lebens  a.  a.  0.  Tome  III.  Paris  4845.   8.  826  f.  S.  840  f.  und  S.  866  f. 
Stanhivs,  a.  a.  O.  S.  448. 
ScHiBss,  Versuch  einer  speciellen  Neurologie  der  Rana  esculenta.   St.  Gallen  und 

BeVn  4857.   S.  80  f.    (Mit  Bemerkungen  über  den  Vagus  und  Accessorius  von 

Salamandra). 
FiscHBR,  Anatomische  Abhandlungen  über  die  Perennibranchiaten  und  Derotreroen. 

I.  Heft.  Die  Visceralbogen  und  deren  Muskeln.  Die  Gehirnnerven.  Hamburg  4  864. 

S.  440  f.  Tab.  II — VI.    (Vorzüglich  genaue  Untersuchungen  über  die  Hirnnerven 

von  Siren  lacertina,  Siredon  pisciformis,  Hypochthon  Laurenlii  (Proteus  anguineus), 

Menobranchus  lateralis,  Amphiuma  tridaclylum,  Menopoma  Alleghaniense,  Crypto- 

branchus  japonicus,  Siphonops  annulatus). 
OwBi«,  a.  a.  0.  I.  S.  848  f. 
llüiiraRT ,  The  Muscles  and  Nerves  of  the  Cryptobranchus  japonicus.  Journal  of  tlie 

Anatomy  and  Physiology.    Vol.  VI.    Cambridge  and  London  4874.  S.  4.  f.  Taf. 

I— III. 
Die  eigenen  Untersuchungen  beschränken  sich  auf  Proteus  anguineus ,  Siredon 
pisciformis  und  Salamandra  maculata. 


250  HftX  FArbringer. 

I.  Rr.  accessorii  n.  vagi  (a)^). 

Aus  dem  hinteren  Theile  der  MeduUa  oblongata  entspringen  drei 
(obere)  Wurzeln,   die  in  der  Regel  zu  einem  Nervenstamm  vereinigt 
durch  das  sogenannte  Foramen  jugulare  aus  dem  Schädel  heraustreten 
und  hierauf  zu  einem  ansehnlichen  Ganglion  anschwellen,  von  dem 
aus  eine  beträchtliche  Anzahl  von  Aesten  sich  im  Pharynx  (R.  pharyn— 
geus  [q)]),  im  Zungengrund  (R.  lingualis  [^A]],  in  den  Kiemenbogen  und 
ihren  Weichtheilen  (Rr.  branchiales  [ßQ])j  imM.  capiti-dorsp-scapularis 
[cds]  (Rr.  accessorii  [a]],  in  den  Hals-  und  Rnisteingeweiden  und  im 
Magen  (R.  intestinalis  c.  R.  recurrente  [e] )  und  an  der  Haut  der  Seiten- 
linien des  Körpers,  bei  niederen  Zuständen  in  deren  sogenannten  Schleim— 
kanälen  (Rr.  laterales)  verzweigen  und  Anastomosen  mit  dem  N.  facialis 
(R.  communicans  c.  n.  faciali  [x] )  eingehen.    Dieser  Complex  stellt  die 
Vagus-Gruppe  {V)^)  dar  und  enthält  in  sich  die  Homologen  des 
Glossopharyngeus ,  Vagus  und  Aecessorius  Willisn  der  hohem  Wirbel- 
thiere ,  die  bei  den  Urodelen  in  der  Regel  nicht  als  besondere  Nerven 
unterschieden  werden  können.    Nur  bei  einzelnen  zeigt  sich  eine  mehr 
(Siren)  oder  weniger  (Amphiuma)  ausgesprochene  Trennung  in  zwei  Ab- 
theilungen,  eine  vordere  aus  der  ersten  Wurzel  hervorg^ende  (Glosso- 
pharyngeus) und  eine  hintere  aus  den  beiden  letzten  Wurzeln  gebadete 


1)  Nur  von  Fischer,  Bendz  und  Hümphrt  angegeben. 

Fischer  beschreibt  ihn  bei  einer  grossen  Anzahl  von  Urodelen  in  der  Begd  rich- 
tig als  Versorger  des  M.  dorso-scapularis  (Levator  scapulae  inf^oris  in  »Amphlbio- 
rum  nudorum  neurologiae  specimen  4848«,  Cucullaris  in  »Anatomische  AbhandloB- 
gen  über  Perennibranchiaten  und  Derotremen  4864«),  des  dorso-trachealis  nnd 
dorso-Iaryngeus.  Nur  für  Menopoma  giebt  er  an,  dass  der  R.  accessorins  sich  gleich 
nach  seinem  Ursprünge  nach  oben  in  die  tiefen  Nackeamusiceln  schlinge  nnd  sich 
im  M.  intertransversarins  capitis  inferior  (Ecker)  ausbreite ,  während  er  die  zum 
Gucttllaris  abgehend«!  Zweige  des  Hauptstammes  des  Vagus  nicht  besonders  be- 
nennt. Ich  möchte  vielmehr  letztere  als  Rr.  accessorii  ansprechen,  ersberen  da- 
gegen (auch  angenommen  dass  er  in  seinem  Ursprünge  mit  den  Rr.  accessorii  grosse 
Aehnlichkeit  darbietet)  wegen  seiner  Verlheilung  in  Rumpfmuskeln  von  einer  Ver- 
gleichung  mit  dem  Aecessorius  ganz  auszuschliessen.  Ffir  die  Deutung  der  Nerven 
ist  die  Art  ihrer  Endausbreilung  und  ^Vertheilung  in  den  von  ihnen  innervirlen 
Theilen  von  erster  Wichtigkeit. 

Berdz  lässt  bei  Salamandra  einen  äusserst  feinen  Faden  sich  in  den  Muskeln 
und  der  Haut  des  Halses  ausbreiten.  Diese  Angabe  ist  ungenau.  Bei  Triton  fehlt 
jede  Beschreibung  eines  solchen  Nerven. 

HuMPHRT :  large  branch  to  the  Trapezius. 

a)  Allgemeines  über  die  Vagus-Oruppe  giebt  Gegenbaur,   Grundzüge  der* 
vergleichenden  Anatomie.  S.Auflage.  Leipzig  4870  S.  740,  und  vor  Allem:  Ueber 
die  Kopfnerven  von  Hexanchus  und  ihr  Verhaltniss  zur  » Wirbeltheorie«  des  Schä- 
dels. Jenaische}ZeiUchrift.  Bd.  VI.  4.  Leipzig  4874.  S.  497  f. 


Zor  veigleicheDdeu  Anntonie  der  Sobuitennnskeln.  251 

(Vagus  et  Aceessorius  Willisii).  Ob  von  den  beiden  hinteren  Wurzeln 
die  kr&ffligere  vordere  dem  Vagus,  die  schwächere  hintere  dem  Acees- 
sorius direct  entspricht,  wie  Fischer  als  wahrscheinlich  angiebt,  ist 
durch  die  Untersuchung  mit  dem  Messer  nicht  zu  entscheiden  ^) . 

.  Von  Bedeutung  für  die  Muskulatur  der  Schulter  sind  allein  die 
Rr.  accessorii  (a)^);  die  einfach  oder  mehrfach  auftreten  können.  Sie 
sind  entweder  reprJisenlirt  durch  einen  selbständigen  Ast  der  Vagus- 
gruppe  (Siredon)  oder  stellen  einfache  Nebenaste  des  R.  intestinalis  dar 
{Triton,  Menobranchus,  Menopoma)  oder  sind  veitreten  durch  einen 
Hauptzweig  der  Vagusgroppe  und  zugleich  einzelne  Nebenzweige  des 
R.  intestinalis  («]  (Salamandra).  Sie  gehen  zwischen  M.  capiti-dorso- 
scapnlaris  (Guouilaris)  (cds)  und  M.  basi-scapularis  (Levator  scapulae) 
[bs]  schräg  nach  aussen,  hinten  und  unten  und  vertheilen  sich  in 
ersterem  Muskel ,  in  seine  Innenflache  eintretend.  Ausserdem  ertialten 
auch  die  zum  BrustgUrtel  nicht  direct  gehörigen  Mm.  dorso-laryngeas 
(dl}  und  dorso-iraehealis  (dir)  feine  Zweige  von  ihnen. 

II.   Nn.  spinales. 

Von  den  ventralen  Aesten  der  Spinalnerven  sind  nur  die  der  fünf 
(Proteus,  Siredop,  Salamandra)  oder  sechs  ersten  (Cryptobranchus  nach 
Humphsy)  von  Bedeutung  für  die  Muskeln  der  Schulter.  Der  erste  ist 
von  den  übrigen  getrennt,  die  sich  in  der  Regel  (Proteus  ausgenommen) 
zum  Plexus  brachialis')  vereinigen. 


4 )  Die  Selbstttodigkoit  des  N.  aceessorius  WiiUsü  ist  auch  bei  den  aaderD  Classen 
der  WirbelUiiere  angezweifelt  worden  und  das  mit  Recht.  Auch  in  seiner  höchsten 
Diflerenstrung  (beim  Sttugethier,  speziell  beim  Menschen)  gelingt  es  in  sehr  vielen 
Fallen  nicht,  seine  Wurzeln  von  denen  des  Vagus  abzugrenzen;  ein  in  den  meisten 
Lehrbüchern  beschriebener  grosserer  Zwischenraum  zwischen  beiden  ist  durchaus 
nicht  Regel.  Die  sofortige  Verschmelzung  des  R.  internus  n.  accessorii  mit  dem 
Vagus,  noch  bevor  dieser  den  Plexus  nodosus  bildet,  spricht  ebenfalls  gegen  seine 
Selbständigkeit.  — Die  auf  S.  468  gemachte  Angabe  Fischbr's  »Menobranchus  ist 
übrigens  die  einzige  Gattung,  bei  der  ich  einen  dem  N.  aceessorius  Willisii  ent- 
sprechenden Nerven  von  ganz  selbständiger  Form  fand«  steht  im  Widerspruch  mit 
seiner  sonstigen  Behauptung  und  der  gegebenen  Abbildung  und  dürfte  wohl  auf 
einem  Schreibfehler  beruhen. 

Z)  Die  Rr.  accessorii  sind  natürlich  nur  Homologa  des  R.  ezternus  n.  accessorii 
Willisii. 

8)  Füiiz's  Angabo:  ^Nervorum  intercostalium  (?)  priorum  quatuor  vel  quinque 
paria  superiora  plexum  conformant  ntrinque  brachialem«  ist  mir  unverständlich. 
CuviKZ,  der  wie  Owen  mit  Recht  die  Zusammensetzung  des  Plexus  aus  vier  Spinal- 
nerven angiebt,  unterscheidet  fie  beiden  ersteren  als  Cervicalnerven ,  die  beiden 
Iplzteren  als  Dorsatnerven.    Eine  solche  Unterscheidung  ist  in  Wirklichkeit  nicht 


252  VUx  Fflrbrlnger, 

Ventraler  Ast  des  N.  spinalis  I.  (/).  Er  vertbeilt  sich  mit 
seiner  Hauptmasse  (1)  in  der  liinteren  Zungenbeinmuskulaturi)  und 
den  namentlich  bei  den  Sozobranchiem  sehr  entwickelten  hypaxonischen 
und  ventralen  Rumpfmuskeln  (mit  Einschluss  der  Längsmuskeln  des 
Zungenbeins)  und  giebt  ausserdem  ein  feines  Aestchen,  das  durch 
die  hypaxone  Muskulatur  des  Halses  nach  aussen  und  oben  tritt,  den 
N.  thoracicus  süperior  I.  (2),  an  den  Tordem  Theil  des  M.  basi-> 
scapularis  (levator  scapulae)  (bs)  ab. 

Ventraler  Ast  des  N.  spinalis  IL  {11).  Ausser  den  die  hy- 
paxonischen und  ventralen  Rumpfmuskeln  mit  Einschluss  der  hintern 
Zungenbeinmuskeln  und  die  Haut  des  Halses  versorgenden  Zweigen  (3) 
giebt  er  drei  grösstentheils  zur  Schultermuskulatur  gehende  Aeste  ab. 
Der  erste,  N.  thoracicus  süperior  IL  (4),  verzweigt  sich  im  hin- 
tern Theil  des  M.  basi-scapularis  [bs]  und  dem  vordem  des  H.  thoracic 
scapularis  (ths),  der  zweite,  N.  thoracicus  inferior  IL  anterior  (5) 
innervirt  den  H.  pectori-scapularis  internus  (omo-hyoideus?)  {psi)^  der 
dritte  geht  entweder  an  der  Innenseite  des  Plexus  nach  hinten  zum  M. 
rectus  abdominis  (ra)  (Proteus]  oder  er  theilt  sich  in  zwei  Zweige,  von 
denen  der  eine  nach  dem  M.  rectus  abdominis  verläuft  (6)  (N.  thoracicus 
inferior  IL  posterior] ,  der  andere  sich  früher  (Salamandra ,  Grypto- 
branchus)  oder  später  (Siredon]  2]  mit  einem  vom  N.  spinalis  IIL  abgehen- 
den Zweige  zum  N.  supracoracoideus  {spc)  verbindet. 


zu  geben ,  da  bei  den  Amphibien  mit  dem  Mangel  von  wirklichen  Brastbeinrippen 
auch  jedes  Criterium  fehlt,  eine  Hals-  und  Brastregion  zu  unterscheiden.  Dass 
auch  am  Halse  bewegliche  Rippen  vorkommen  können  (Reptilien),  ist  bereits  lange 
bekannt. 

4)  Aus  diesem  Grunde  wird  der  N.  spinalis  I.  und  II.,  oder  auch  der  N.  spinalis 
11.  und  III.  (Menobranchusj  von  den  meisten  Autoren  als  Homologen  des  N.  hypo- 
glossus  des  Menschen  gedeutet.  Diese  Vergleichung  ist  nur  insofern  gerechtfertigt, 
als  sie  sich  auf  den  sogenannten  N.  descendens  hypoglossi  modificirt.  Letzterer  ist 
allerdings  kein  Gehirnnerv,  sondern  entsteht  aus  Aesten  der  beiden  ersten  Spinal- 
nerven, die  sich  an  den  N.  hypoglossus  anheften ,  ohne  mit  ihm  einen  wirklichen 
Innern  Zusammenhang  zu  besitzen.  Dies  beweist  auch  die  nicht  seltene  Verbin> 
düng  mit  dem  N.  vagus  anstatt  mit  dem  hypoglossus. 

5)  Bei  Siredon  sind  die  aus  dem  zweiten  und  dritten  Spinalnerv  hervor- 
gehenden Theile  des  N.  supracoracoideus  innerhalb  der  Brusthöhle  noch  getrennt 
und  vereinigen  sich  erst  beim  Durchtritt  durch  das  Foramen  coracoideum.  Wie 
innig  diese  Vereinigung  ist,  konnte  nicht  ganz  vollständig  nachgewiesen  werden  ; 
jedenfalls  existirt  keine  Verflechtung  der  Elemente  beider  Theile  und  der  aus  dem 
zweiten  Spinalnerv  hervorgehende  innervirt  grösstentheils  den  M.  procoraco- 
bumeralis,  der  von  dem  dritten  abstammende  deif  M.  supracoracoideus. 


Zur  feigleiebeDden  Anatomie  der  SchnltermaskelB.  253 

Ventraler  Ast  des  N.  spinalis  III.  (///).  Er  ist  doppelt  so 
stark  uDd  versorgt  bis  auf  einige  kleine  Aeste ,  die  an  die  hypaxonische 
(bei  Cryptobranchus  und  Menobranchus  auch  an  die  ventrale)  Rumpfe 
musculatur  und  die  Haut  des  Halses  gehen,  die  Schullergegend.  Zuerst 
giebt  er  einen  N.  thoracicus  superior  HI.  (7)  an  den  vordem  Theil 
des  M.  thoraci-scapularis  (Serratus  magnus]  [ths)  ab  und  verbindet  sich 
hierauf  mit  den  Nn.  spinales  II.  und  IV.  zu  den  Ansäe  inferiores  II.  und  III. 
und  der  Ansa  superior  III.  Die  Ansa  inferior  II.  fehlt  bei  Proteus.  Bei 
Siredon  geht  von  dem  zur  Ansa  III.  inferior  sich  verbindenden  Theil  noch 
ein  feiner  Ast  an  die  Bauchmuskeln  ab  (N.  thoracicus  inferior  IH  [8]]. 

Ventraler  Ast  des  N.  spinalis  IV.  [IV).  Der  stärkste  Nerv 
des  Plexus  brachialis ,  aber  nur  wenig  starker  als  der  N.  spinalis  III. 
Er  bildet  nach  Abgabe  eines  N.  thoracicus  superior  IV.  (9)  für  den 
hintern  Theil  desM.  thoraci-scapularis  (Serratus  magnus)  [ths)  mit  den 
Nn.  spinales  III.  und  V.  die  Ansäe  inferiores  und  superiores  III.  und  IV. 

Ventraler  Ast  des  N.  spinalis  V.  [V].  Meist  kaum  so  stark 
wie  der  N.  spinalis  IL,  seltener  (bei  Cryptobranchus)  ein  kraftiger  Nerv. 
Er  giebt  mehrere  Aeste  (41)  an  die  Mm.  obliqui  und  rectus  abdominis 
[oa  und  ra)  ab  und  geht  schliesslich  mit  dem  N.  spinalis  IV.  die  Ansa 
spinalis  IV.  ein,  bei  Cryptobranchus  ausserdem  mit  dem  N.  spinalis  VI. 
die  Ansa  spinalis  V. 

Ventraler  Ast  des  N.  spinalis  VI.  Bei  Cryptobranchus  geht 
ein  kleines  Aestchen  desselben  Beziehungen  zum  Plexus  brachialis  ein 
und  bildet  mit  dem  N.  spinalis  V.  die  Ansa  spinalis  V. 

Der  Complex  aller  dieser  Ansäe  in  Gemeinschaft  mit  den  N.  thoracici 
superiores  und  inferiores  bildet  den  Plexus  brachialis.  Die  aus  ihm 
hervorgehenden  Nerven  lassen  sich  hier,  überhaupt  bei 
allen  Amphibien,  Reptilien,  VOgeln  und  Säugethieren, 
in  drei  (resp.  vier)  Si^hichten  sondern.  Von  diesen  (bei  An- 
nahme von  vier  Schichten)  werden  die  beiden  äusseren  von  den 
Nerven,  welche  die  nur  amBrustgttrtel  inserirenden  also 
lediglich  auf  den  Rumpf  (Thorax)  beschrankten  Muskeln 
versorgen,  die  beiden  inneren  von  den  Nerven,  welche 
die  mit  irgend  welchen  Theilen  der  vorderen  Extremität 
selbst  in  Verbindung  stehenden  Muskeln  i n nervi ren,  ge- 
bildet. Die  beiden  ersteren  sind  als  Nn.  thoracici  superio- 
res und  inferiores^)  zu  bezeichnen,  je  nachdem  sie  die  Muskeln 


4)  Weil  besser  wären  die  Bezeichnungen:  Nn.  brachiales  dorsales  and  yen- 
trales.   Da  aber  bereits  für  jeden  Nerven  dorsale  und  ventrale  Aeste  unterschieden 
werden,  würde  der  wiederholte  Gebrauch  dieser  Benennungen  für  TheÜe  der  ven- 
Bd.Tn.s.  47 


254  Max  Fürbringer. 

am  dorsalen  (resp.  lateralen)  oder  am  ventralen  Abschnitte 
d es  Rumpfes  inner viren,  die  beiden  letzteren  alsNn.  brachiales 
superiores  und  inferiores,  je  nachdem  sie  die  dorsal  gelegeneu 
Streckmuskeln  oder  die  ventral  gelegenen  Beuge muskeln 
der  vorderen  Extremität^)  versorgen.  Von  diesen  Schichten  existirt 
eine  deutliche  Scheidung  zwischen  Nn.  thoracici  superiores,  Nn.  brachia- 
les superiores  und  Nn.  brachiales  inferiores;  erstere  zweigen  steh  in  der 
Regel  sehr  früh  von  den  beiden  anderen  ab  und  sind  meist  durch  da- 
zwischen  gelagerte  hjpaxone  Rumpfmuskeln  (System  der  Scaleni  su- 
periores bei  den  höheren  Wirbelthieren)  von  ihnen  abgetrennt.  Weniger 
bestimmt  hingegen  ist  die  Scheidung  der  dritten  von  der  vierten  Schichte, 
weshalb  die  letztere  nicht  als  selbständiger  Complex  aufzufassen,  sondern 
mit  der  dritten  Schichte  zu  vereinen  ist.  Danach  existiren  drei 
Schichten,  die  von  oben  nach  unten  gerechnet  die  Reihenfolge  er- 
geben: 4)  Nn.  thoracici  superiores,  2)  Nn.  brachiales  su- 
periores, 3)  Nn.  brachiales  inferiores  und  Nn.  thoracici 
inferiores^). 

Die  Nn.  brafchiales  inferiores  sind  folgende: 
a)  N.  supracoracoideus  (12)3).  Ein  mittelstarker  Nerv,  der  entweder 

von  dem  N.  spinalislll.  abgegeben  wird  (Proteus)  oder  ausder  Ansa  11. 

hervorgeht,  dann  zum  kleinern  Theile  von  N.  spinalisü.,  zum  grossem 

traten  Aeste  nur  zu  Verwechslungen  führen.  —  Eine  allerdings  sehr  mangelhafte 
und  von  der  hier  gegebenen  abweichende  Eintheilung  in  Schichten  wurde  auch  von 
CuviKR  für  die  Nerven  des  Menschen  gegeben  (L^cons  a.  a.  0.  p.  S58}.  Cvvibk  unter- 
scheidet drei  Schichten  (faisceaux),  eine  mittlere,  aus  der  Medianus  und  Ulnaris, 
eine  hintere,  aus  der  Radialis  und  Axillaris ,  und  eine  äussere,  aus  der  die  Thora- 
cici, Scapulares,  Cutaneus  externus  und  internus  (?)  hervorgehen. 

4)  Die  Trennung  in  Streck-  und  Beugemuskeln  kann  sich  durch  verschieden- 
artige secundäre  Anpassungen  derart  verwischen,  dass  ursprüngliche  Streckmuskeln 
die  Functionen  von  Beugern  ausiUien  und  umgekehrt.  Nach  diesem  Gesichtspuncie 
sind  alle  abweichenden  Verhältnisse  zu  erklären.  Eine  ursprüngliche  Scheidung  in 
Strecker  und  Beuger  ist  nichts  desto  weniger  festzuhalten. 

%)  Vorausgreifend  mag  folgendes  bemerkt  werden.  Die  Nn.  thoracici  su- 
periores entsprechen  den  menschlichen  N.  dorsalis  scapulae  und  N.  thoracicus 
posterior  s.  lateralis,  die  Nn.  brachiales  superiores  sind  Homologe  der 
menschlichen  Nn.  subscapulares,  N.  cutaneus  brachii  internus  minor  (mit  Beschrän- 
kung), N.  axillaris  und  N.-  radialis,  die  Nn.  brachiales  inferiores  und  Nn. 
thoracici  inferiores  sind  zu  vergleichen  den  menschlichen  Nn.  thoracici  s. 
pectorales  anteriores,  N.  cutaneus  brachii  internus  major  s.  medius,  N.  musculo- 
cutaneus ,  N.  medianus  und  N.  ulnaris  (mit  Beschränkung) ;  von  den  Nn.  thoracici 
s.  pectorales  anteriores  kann  der  zum  M.  subclavius  gehende  Ast  als  specielles 
Homologen  der  Nn  thoracici  anteriores  aufgefasst  werden. 

8)  Der  N.  supracoracoideus  der  Urodelen  ist  seiner  überwiegenden  Hauptmasse 
nach  sicher  als  ein  N.  brachialis  inferior  aufzufassen ,  doch  kann  ein  vollkommener 


Zar  yergleiehendeii  Anatomie  der  SehaUermoskeln.  255 

von  N.  spinalis  Hl.  gebildet  (Siredon,  Gryptobrancbus,  Salamandra]. 
Er  geht  in  lateralem  und  etwas  nach  vorn  gerichtetem  Verlaufe  nach 
dem  Foramen  coracoideum,  durch  das  er  nach  aussen  zu  der  Innen- 
fläche des  M.  supracoracoideus  (spc)j  ooraco-radialis  proprius  (crp) 
(\  3)  und  des  hinteren  Theiles  des  procoraco-humeralis  (ph)  tritt  (4  4), 
bei  Proteus  auch  an  die  Haut  zwischen  Coracoid  und  Pröqoracoid  (4  5j . 
Dieser  Nerv  ist  keinem  menschlichen  Nerven  direct  zu  ver- 
gleichen, steht  aber  in  naher  Beziehung  zum  N.  suprascapularis, 
wie  namentlich  die  Verhältnisse  bei  den  lionotremen  in  einleuchtend- 
ster Weise  ergeben  (siehe  unten  Cap.  VI).  Sein  Verlauf  durch  den 
Brustgttrtel  oder  vor  demselben  (bei  Proteus  durch  die  Incisura 
coracoidea)  schliesst  jede  Vergleichung  mit  Nerven  aus ,  die  hinter 
demselben  (resp.  hinter  dem  Processus  coracoideus)  nach  aussen  an  den 
Oberarm  treten.  Aus  diesem  Grunde  kann  ich  mit  Humphry's  Deu- 
tung, als  Homologon  des  N.  musculo-cutaneus ,  nicht  Übereinstim- 
men, um  so  mehr  nicht,  als  der  N.  supracoracoideus  weder  einen 
Hautast  an  den  Arm  schickt,  der  irgendwie  mit  dem  R.  cutaneus 
externus  n.  musculocutanei  zu  vergleichen  wäre,  noch  zu  den  Mm. 
ooraco-braobiales  und  brachialis  inferior  in  Beziehung  steht. 
6)  N.  pectoralis  (47)  ^).  Ansehnlicher  Nerv,  der  meist  aus  dem  N.  spi- 
nalis IV.  und  V.,  zu  denen  auch  ein  feines  Fädchen  aus  dem  N.  spi- 
nalis 111.  treten  kann,  bei  Cryptobranchus  aus  dem  N.  spinalis  IV.,  V. 
und  VI.  hervorgeht  und  sich  nach  Bildung  der  Ansa  IV.  von  dem 
hintern  Theile  des  Plexus  abzweigt.  Er  geht  nach  Abgabe  eines 
inconstanten  Hautästchens  an  die  Brust  (i  8)  um  den  hintern  Rand 
des  Coracoid  und  seiner  Muskeln  nach  der  Innenseite  des  M.  pecto- 
ralis (p),  in  dem  er  sich  mit  mehreren  Zweigen  (4  9)  verästelt.  Ausser- 
dem findet  sich  bei  Proteus  ein  kleines  Aestchen  an  den  M.  obliquus 
abdominis  extemus  (20). 

Der  Nerv  ist  ein  Homologon  der  sogenannten  Nn.  thoracici  an- 
teriores des  Menschen.  Da  diese  Bezeichnung  der  menschlichen  Ana- 
tomie wenig  Werth  hat  und  mit  der  hier  eingeführten  Eintheilung  und 
Benennung  der  Nerven  im  Widerspruch  steht  und  leicht  zu  Verwechs- 
lungen Anlass  geben  kann,  wurde  sie  nicht  angenommen. 


Mangel  von  Elementen  eines  N.  brachialis  saperior  nicht  nachgewiesen  werden, 
weil  eine  Trennung  beider  Schiebten  an  seiner  Ursprunggstelle  noch  nicht  einge- 
(releo  ist.  HuiiPBaT  lässt  durch  ihn  die  Mm.  coraco-brachialis  superficialis  (ss  Supra- 
coracoideus),  Biceps  (»  Coraco-radialis  proprius)  Auid  vielleicht  auch  den  Coraco- 
brachialis  brevis  versorgen  und  deutet, ihn  als  N.  musculo-cutaneus  und  alsseriales 
Homologon  des  N.  obturatorius. 

4)  Von  HuNraaT  beschrieben,  aber  nicht  besonders  bezeichnet. 

47* 


256  Max  FQrbringer. 

c)  N.  brachialis  longus  inferior  (S1)^).  Der  kräftigste  Endast 
des  Plexus ,  durch  Verbindung  von  Theilen  des  N.  spinalis  HI  mit 
den  vereinigten  Nn.  spinales  IV.  und  V.,  bei  Cryptobranchus  durch 
Vereinigung  von  Aesten  des  N.  spinalis  IV.,  V.  und  VI.  gebildet. 

Der  N.  brachialis  longus  inferior  ist  ein  Homologen  aller  der  Ner~ 
ven  des  Menschen,  welche  die  Beugeseite  der  vorderen  Extremität  ver— 
sorgen,  er  enthält  also  in  sich  die  Elemente  des  N.  medianus,  uiaaris 
und  musculo-cutaneus,  die  bei  den  Amphibien  im  Bereiche  des  proxi- 
malen Endes  des  Oberarms  noch  nicht  getrennt  und  überdies  auch 
in  anderer  Weise  vertheilt  sind.  Er  giebt  vor  seinem  Austritte  aus 
der  Brustbohle  die  Nn.  coraco-brachiales  ab  und  geht  sodann  in 
einer  wenig  gedehnten  Spirale^)  zwischen  dem  M.  anconaeus  cora— 
coideus  (ac)  und  M.  anconaeus  huraeralis  medialis  (ahm)  nach  der 
Beugeseite  des  Oberarms.  Zugleich  theilt  er  sich  früher  oder  später, 
bei  Salamandra  am  proximalen  Ende  des  Oberarms,  bei  Proteus  und 
Siredon  vor  der  Mitte,  bei  Cryptobranchus  am  distalen  Ende,  in 
zwei  lange  Endäste ,  den  Ramus  superficialis  und  profundus. 
a)  Nn.  coraco-brachiales  (22) 3).  Ein  oder  zwei  Aeste,  die 
vor  dem  N.  pectoralis  liegen ,  zwischen  dem  M.  anconaeus  cora- 
coideus  und  den  Mm.  coraco-brachiales  verlaufen  und  sich  im 
M.  coraco-brachialis  longus  und  brevis  verzweigen. 

Diese  Nervenzweige  entsprechen  nur  theÜweise  dem  N. 
musculo-cutaneus ;  die  diesem  zugehörigen  Hautäste  und  Aeste 
für  den  M.  brachialis  inferior  werden  vom  R.  superficialis  n. 
brachialis  longi  inferioris  abgegeben.  Ein  vollkommenes  Homo- 
logen des  N.  musculo-cutaneus  fehlt  den  Urodelen. 
ß)  R.  superficialis  n.  brachialis  longi  inferioris  (23)^). 
Ansehnlicher  Nerv.  Er  giebt  am  Anfange  des  Oberarms  ein  feines 
Aestchen  (24)  an  den  M.  brachialis  inferior  [hai)  ab  und  iheilt 
sich  hierauf  in  mehrere  Hautäste  [Nn.  cutanei  inferiores  mediales 
(25)  et  laterales  (26)  und  einen  Muskelast  (27)],  die  vorzugsweise 


4)  Von  HuMPHRT  nach  Abgabe  der  Muskeläste  für  die  Mm.  coraco-brachiales  als 
Medianus  beschrieben. 

%)  Die  Bildung  dieser  Spirale  sowohl  für  den  N.  brachialis  longus  inferior  wie 
superlor  ist  Folge  der  Drehung  des  Humerus.  Die  spiralige  Windung  des  letzteren 
ist  meist  deutlicher ,  weil  auf  die  ganze  Länge  des  Oberarms  ausgedehnt,  als  die  des 
ersteren,  welcher  blos  in  der  Schultergegend  und  am  proximalen  Ende  des  Ober- 
arms eine  Spirale  macht,  während  er  in  der  Mitte  und  am  distalen  Theile  desselben 
gerade  verläuft. 

8)  Von  HuMPHRY  beschrieben,  aber  nicht  benannt. 

4)  HUMPHRT :  The  ulnar  trunk  of  the  median  nerve. 


Znr  vergleleheDdeo  Anatonie  der  SchuUenDUskela.  257 

die  Haut  der  Beuge  des  Vorderarms  und  die  oberflächlicheren 
Muskeln  innerviren. 

Nach  Art  seiner  Vertheilung  am  Oberarm ,  Vorderarm  und 
der  Hand  (deren  detaillirte  Beschreibung  nicht  hierher  gehört)  ist 
er  einzelnen  Elementen  der  Nn.  musculo-cutaneus,  ulnaris  und 
medianus  homolog,  durchaus  aber  nicht  dem  Ulnaris,  wie  Humphrt 
will,  zu  vergleichen. 
y)  R.  profundus  n.  brachialis  longi  inferioris  (28)  i). 
Dem  vorigen  gleich  starker  Nerv.  Er  giebt  in  der  Regel  keinen 
Ast  an  den  Oberarm  ab ,  sondern  versorgt  gemeinsam  mit  dem 
R.  superficialis  Beugeseite  des  Vorderarms  und  der  Hand,  na- 
mentlich deren  tiefere  Muskelschichten. 

Enthält  in  sich  Elemente  des  N.  medianus  und  ulnaris,  be- 
sonders des  N.  interosseus  internus,  ist  aber  mit  keinem  von 
diesem  direct  vergleichbar. 
Die  Nn.  brachiales  superiores  vertheilen  sich  in  folgender 
Weise: 

a)  N.  subsoapularis  (29) 2).  Ein  (Salamandra,  Cryptobranchus) 
oder  zwei  (Proteus,  Siredon)  dünne  Nerven,  die  entweder  noch 
vor  Bildung  der  Ansa  superior  HI.  vom  N.  spinalis.IU.  entspringen 
(Proteus,  Siredon,  Salamandra)  oder  von  den  vereinigten  Nn.  spi- 
nales UL,  IV.  und  V.  abgehen,  vom  N.  spinalis  IV.  vorzugsweise  ge- 
bildet (Cryptobranchus),  und  in  lateralem  Verlaufe  an  die  Innenseite 
des  M.  subscapularis  oder  M.  subcoracoideus  gehen  und  ihn  in- 
nerviren. 

Die  Homologie  dieses  Nerven  mit  dem  menschlichen  N.  sub- 
scapularis (anterior)  ist  klar. 

b)  N.  dorsalis  scapulae  (axillaris.)  (30)^).  Ein  (seltener zwei) 
ziemlich  ki^tiger  Nerv,  der  entweder  vom  N.  spinalis  III.,  gleich 
hinter  dem  N.  subscapularis  vor  oder  nach  Bildung  der  Ansa  su- 
perior III.  (Salamandra,  Proteus)  oder  vom  N.  spinalis  HI.  und  IV. 
(Siredon)  oder  vom  N.  spinalis  III.,  IV.  und  V.  (Cryptobranchus) 
abgegeben  wird  und  sich  oberhalb  (dorsal)  vom  M.  anconaeus  sca- 
pularis  medialis  {asm)  und  innen  vom  M.  latissimus  dorsi  (dh)  um 


1 )  Humphrt  :  Tbe  median  trank  of  the  median  nerve. 

S)  HuMPHBT :  Subscapular  nerve. 

8)  HuMPBRT ;  Tbe  nerves  to  the  last  two  musclos  (dorsalis  scapulae  and  precoraco- 
brachial)  which  most ,  in  pari  any  rate ,  answer  to  the  muscles  (infra-  and  sopra- 
spioatus),  which  are,  in  ourselves,  suppiied  by  the  suprascapular  nerve.  It  is 
interesting  to  observe  the  nerves  in  this  animal  iaking  a  course,  behind  tbe  scnpula 
to  sapply  the  muscles  on  tbe  dorsum  of  the  scapula  etc. 


258  ^»x  PfirbriDger. 

den  binteiH  Band  der  Scapula  herumsdhlägt,  auf  deren  Auss^enfläche, 
vom  M.  dorsalis  scapulae  [ds)  bedeckt  und  ihm  mehrere  kräftige  Zweige 
(34)  mittheilend,  er  nach  vom  verlauft  und  Isich  am  vordem  Rande 
dieses  Muskels  in  einen  oder  zwei  Haut-  und  einen  Muskelast  theilt. 
Die  Hautäste  (Nn.  cutanei  laterales  brachii  superiores)  (3S)  versorgen 
die  Haut  der  Achsel  und  vordem  Bhist,  der  Muskelast  (33)  innervirt 
den  grösseren  vorderen  Theil  des  M.  procoraco-hmneralis  {pk). 

Ein  vollkommenes  Homologon  dieses  Nerven  fehlt  beim  Men- 
schen.   HuMPHRY  hält  eine  VergleichuYig  mit  dem  N.  suprascapularis 
für  wahrscheinlich  (might  be  designated  Suprascapular)  wegen  seiner 
Endigung  in  den  Mm.  dorsalis  scapulae  und  procoraoo-humeralis, 
die  er  mit  den  Mm.  infra-  und  supraspinattts  des  Menschen  horoo- 
logisirt.    Dagegen  spricht  als  Hauptgrund  sein  von  dem  N.  supra- 
scapularis ganz  abweichender  Verlauf  (hinteranstatt  vorder  Scapula), 
ein  Umstand,  den  Hcmphrt  auch  mit  Recht  betont;  aber  nur  hinteres- 
ting«  findet,  ohne  ihn  aufzuklären.   Gerade  dieser  von  den  menscb- 
liehen  Verhältnissen  ganz  abweichende  Verlauf  erregt  auch  Beden- 
ken gegen  die  Homologie  der  Mm.  dorsalis  scapulae  und  procoraoo- 
humeralis  mit  den  Mm.  infra-  und  supraspinntus,  eine  Homologie, 
die  durch  die  vergleichende  Rehandlung  der  andern  Wirbelthier- 
klassen  vollständig  widerlegt  wird  (vergleiche  die  folgenden  Gapitel). 
Eine  Vergleichung  mit  dem  N.  suprascapularis  ist  also  unbedingt 
auszuschliessen.    Allein  Berücksichtigung  verdient  das  Verhältniss 
zum  N.  axillaris.    Dieser  hat  mit  dem  N.  dorsalis  scapulae  sowohl^ 
nach  der  Richtung  seines  Verlaufes,  als  auch  nach  dem  Bereiche 
seiner  Vertheilung  (an  der  Haut  der  Schulter  und  an  Muskeln,  deren 
nahe  Beziehung  zum  Deltoideus  nicht  abgesprochen  werden  kann) 
grosse  Aehnlichkeit.   Wir  würden  nicht  anstehen ,  ihn  ohne  W^teres 
mit  diesem  zu  vei^leichen,  wenn  nicht  seine  abweichende  Lage  ober- 
halb des  M.  anconaeus  scapularis  (theilweises  Homologon  des  Caput 
longum  m.  tricipitis  hominis)  dagegen  spräche. 
c)  Nn.  latissimi  dorsi  (34)  ^).   Ein  oder  zwei  ziemlich  dünne  Ner- 
ven, die  von  den  Nn.  spinales  HI.  und  IV.,  bei  Cryptobranchus  von 
den  Nn.  spinales  III.,  IV.  und  V.  abgehen,  der  vordere  meist  ge- 
meinsam mit  dem  N.  dorsalis  scapulae,  und  die  in  die  Innenseite  des 
M.  dorso-humeralis  (iatissimus  dorsi)  (dh)  eindringen. 

Der  Nerv  ist  ein  Homologon  des  sogenannten  N.  subscapularis 
longus  s.  marginalis  scapulae  des  Menschen.  Die  nahe  Beziehung  zu 
den  den  M.  subscapularis  innervirenden  Nerven  erscheint  mir  aber, 


4)  Von  Hcmphrt  zu  den  Nn.  subscapulares  gerechnet. 


Znr  vergleicheudcn  Anatomie  der  SchuUennuskcIii.  259 

auch  beim  Heischen,  ebensowenig  klar  gelegt,  als  eine  Zurückftthrung 
des  M.  subscapularis  und  M.  latissimus  dorsi  auf  eine  gemeinsame 
indiflerente  Grundform  möglich  ist.  Vielmehr  gehören  beide  Muskeln 
von  Anfang  an  verschiedenen  Systemen  an ,  und  darum  dürfte  von 
einer  Bezeichnung  der  Nerven  des  M.  latissimus  dorsi  s^Is  Nn.  sub- 
scapulares  abzusehen  sein. 

d)  Nn.  bracjiiales  longi  superiores  (Radialis).  Ein  oder  in 
der  Regel  zwei  kraftige  Endäste  der  oberen  Schichte  des  Plexus 
brachialis.  Im  ersteren  (nur  bei  einem  Exemplar  von  Salamandra 
maculata  beobachteten)  Falle  ist  der  Nerv  die  directe  Fortsetzung  der 
Ansa  super.  IV.  und  theilt  sich  gleich  hinter  dieser  in  den  vorderen 
stärkeren  N.  radialis  profundus  (35)  und  den  hinteren  schwächeren 
N.  radialis  superficialis  (38) .  Im  letzteren  Falle  entsteht  derN.  radialis 
profundus  aus  der  Ansa  sup.  lll.  der  N.  radialis  superficialis  allein 
aus  dem  keine  Ansa  eingehenden  N.  spinalis  IV.  oder  V. 

o)  N.  radialis  profundus  (35)^).  Dringt  zwischen  den  Mm. 
anconaeus  scapularis  medialis  [asm)  und  anconaeus  humeralis 
lateralis  (ahl)  einerseits  und  dem  M.  anconaeus  humeralis  me- 
dialis [ahm)  andererseits  in  die  Streckmuskelmasse  des  Ober- 
arms ein,  giebt  an  die  tiefere  Lage  oder  bei  schwach  ent- 
wickeltem N.  radialis  superficialis  an  die  ganze  Masse  derselben 
Muskeläste  (36)  ab  und  tritt  nach  gedehnt  spiraligem  Verlaufe 
durch  diese  Streckmuskeln  vor  dem  Condylus  radialis  in  die 
Ellenbogenhöhle  und  von  hier  aus  wieder  in  die  Streckmuskula- 
tur des  Vorderarms  und  an  den  Handrücken  und  zwar  an  dessen 
radialen  Theil  (37). 

Der  Nerv  entspricht  theilweise  den  tieferen  Partien  des 
menschlichen  Radialis. 

fi)  N.  radialis  superficialis  (38)  2).  Giebl  in  der  Achselhöhle 
einen  kleinen  Hautnerven  (39)  an  den  lateralen  Theil  der  Streck- 
seite des  Oberarms  ab  3),  verläuft  hierauf  neben  dem  N.  radialis 
profundus  durch  die  Streckmuskulatur  des  Oberarms,  ihrer  ober- 
flächlichen Partie  mitunter  Aesto  abgebend  (40)  und  tritt  auf  dem 
Condylus  radialis  unter  die  Haut  des  Vorderarms.  Bei  geringer 
Entwickelung  (Salamandra)  ist  er  in  dessen  Bereiche  lediglich 


1)  Humpbut:  Musculo-spiral  or  Radial  nerve. 

%)  HuMPHRT:  Posterior  ulnar,  or  bctter,  inferior  musculo-spiral  nerve. 

I)  Vermulhlich  Huhphry's  circuroflex  nerve.  Die  theilweise  Homologie  mit  dem 
N.  cutaneus  brachii  posterior,  einem  Ast  des  N.  circumflcxus  s.  axillaris,  i8t  aller- 
dings sehr  wahrscheinlich. 


260  Max  Fflrbriiiger. 

Hautnerv  der  Streckseite  (N.  cutaneus  superior  bracbii  et  antibra- 
chii  [44]  t)der  er  versorgt  auch  (Gryptobranchus)  die  Muskulatur 
derselben  und  geht  bis  zur  Ulnarseite  der  Streckfläche  der  Hand. 
Dieser  Nerv  ist  vorzugsweise  den  oberflächlicheren  Theilen 
des  N.  radialis  hominis  zu  vergleichen.    Ob  er  auch,  was  nicht 
unwahrscheinlich  ist,  dorsale  Elemente  des  N.  ulnaris  enthält, 
ist  erst  durch  eine  genaue  vergleichende  Bearbeitung  des  Vorder- 
arms und  der  Hand  zu  entscheiden. 
Neben  dem  Ursprünge  des  N.  pectoralis  zweigt  sich  von  der  Ansa  IV. 
ein  obere  und  untere  Nervenelemente  enthaltendes  Fädchen  ab,  das  sich 
an  der  Haut  des  medialen  Theiles  der  Streckseite  des  Oberanns  (N.  cuta- 
neus brachii  superior  medialis  [42])  vertheilt.    Nach  Lage  und  Verthei— 
lung  ist  es  ein  Homologen  des  menschlichen  N.  cutaneus  brachii  internus 
minor  s.  Wrisbergii. 

§3. 
Muskeln  der  Schalter  and  des  Oberarmi^). 

(Vergleiche  Taf.  XV  u.  XVI.) 
Die  Muskeln  der  Schulter  und  des  Oberarms  lassen  sich  einmal  nach 
ihren  Beziehungen  zum  Nervensystem,  dann  nach  ihrer  Lage  (Ursprung 
und  Insertion]  in  folgende  Gruppen  ^)  eintheilen  : 


4)  Literatur: 

FüNi,  a.  a.  0.  S.  14.  Taf.  IL,  Fig.  44.  42. 

Meckbl,  a.a.O.   Band  III.   Halle  4888.  S.  459  f.   S.  474  f.   S.  300  f.  (Maskelo  von 
Proteus  anguineus,  Tritoo  cristatus  und  Salamandra  maculata). 

Duois,  a.  a.  0.  S.  486  f.  (Triton). 

CirviBR,  a.  a.  0.   I.   S.  402.   (kurze  Bemerkung  über  den  Deltoideus  und  Goraco- 
brachialis  der  Salamandrinen.) 

Stanitiüs,  a.  a.  0.   S.  424  f.  S.  424  f. 

RüniKGER ,  Die  Muskeln  der  vorderen  ExtremitILten  der  Reptilien  und  Vögel.  Haarlem 
4868.  S.  44  f.  S.  05  f.  S.  404.  (Siredon,  Proteus,  Triton,  Salamandra.) 

Owen,  Comparative  Anatomy  and  Physiology  of  Vertebrales.  Vol.  I.  London  4866. 
S.  247f. 

MivART,  Notes  on  the  Myology  of  Menopoma  Alleghaniense  and  Menobranchus  late- 
ralis.  Proc.  Zool.  Sog.  of  London  4869.    S.  264  f.  a.  S.  458  f. 

HuHPBRT ,  a.  a.  0.   S.  80  f. 

2)  Ausser  diesen  werden  von  Fischer  noch  drei  zur  Schulter  in  Beziehung 

stehende  Muskeln  angegeben,  die  zu  untersuchen  ich  keine  Gelegenheit  hatte  und 

die  ich  nicht  mit  Bestimmtheit  deuten  kann.    Der  erste,  »Levator  maxillae 

inferioris  ascendens«   (Anatomische  Abhandlungen  über  Perennibranchtatan 

und  Derotremen  S.  64  und  als  Appressor  maxillae  inferioris  in  Amphibiorum  nudo- 

rum  neurologtae  specimen  I.  S.  42),  findet  sich  bei  Amphiuma  (und  Caeoilia).    »Er 


Zar  fergleiebeuden  Anatomie  der  SchuHerrnnskeln.  261 

A.  Durch  N.  vagos  innervirt : 

Ursprung   von    der   dorsalen    Flüche   des    Hinlerkopfes 

und  Rückens. 
Insertion  am  Brustgttrtel: 

Capiti-dorso'Scapularis  (Cucullaris). 

entspringt  mit  zwei  Porttonen :  4)  von  der  die  Muskeln  vor-  und  median wärts  vom 
Schultergerüst  überziehenden  Fascie,  und  zwar  in  einer  Queriinie ,  die  sich  vom 
Oberarmgelenk  bis  zur  ventralen  Mittellinie  des  Körpers  erstreckt,  8}  von  der  äus- 
seren Fläche  des  winzigen  Oberarms  nahe  unter  dessen  Gelenk  mit  dem  Schulter- 
blatt. Seine  Fasern  laufen  convergirend  nach  vorn  und  oben  und  inseriren  sich  an 
die  Spitze  des  bei  Amphiuma  ungewöhnlich  langen  hinteren  Unterkieferfortsatzes.« 
Dieser  Muskel ,  der  gemeinsam  mit  dem  M.  mylohyoideus  posterior  von  dem  R. 
jugularis  n.  facialis  (S.  Fischeh  a.  a.  0.  S.  486)  versorgt  wird,  fehlt  den  andern 
untersuchten  Urodelen  in  der  beschriebenen  Form.  Doch  ist  der  sogenannte  Mylo- 
hyoideus posterior  bei  Proteus  sehr  ansehnlich  nach  hinten  zu  entwickelt  und  er- 
streckt sich  nahezu  bis  zum  Brustgürtel.  Diese  Beziehung  und  die  gemeinsame 
Innervation  mit  dem  Mylohyoideus  posterior  sprechen  für  eine  nähere  Zusammen- 
gehörigkeit beider  Muskeln.  Eine  weitere  Bestätigung  dieser  Vermuthung  wird 
gewoonen  durch  die  Vergleichung  mit  den  Fischen ,  vorzugsweise  den  Selachiern 
und  Chimären.  Bei  diesen  liegt ,  nach  den  eingehenden  Untersuchungen  Vbttbr's 
(demnächst  unter  dem  Titel  »Untersuchungen  zur  vergleichenden  Anatomie  der 
Kiemen-  und  Kiefermuskulatur  der  Fische«  erscheinend),  direct  unter  der  Haut  in 
der  Kiefer-  und  Kiemengegend  eine  mehr  oder  minder  mächtige  von  Trigeminus, 
Facialis ,  Glossopharyngeus  und  Vagus  innervirte  Quermuskelmasse ,  die  in  ihrem 
vordem  Theile  den  Raum  zwischen  den  beiden  Unterkiefern  ausfüllt,  in  ihrem 
mittleren  Abschnitte  theilweise  die  äusseren  Kiemenbogen  umhüllt,  theilweise  durch 
sie  Unterbrechungen  erleidet  und  dann  sehr  complicirte  Beziehungen  eingeht,  die  zu 
beschreiben  hier  nicht  der  Ort  ist,  und  die  in  ihrer  hinteren  dünneren  und  sehnigen 
Partie  sich  (bei  Heptanchus,  Scymnus,  Chimaera)  an  die  Oberfläche  des  Brustgürtels 
anheftet  und  sogar  bis  auf  die  Basis  der  Brustflosse  erstreckt.  Dieser  Muskel,  für  den 
ich  den  Namen  Constrictor  arcuum  visceralium  vorschlagen  möchte,  findet 
sich,  wenn  auch  etwas  verändert,  bei  Lepidosiren  und  Ceratodus  (s.  Hümphut.  the  Mus- 
cles  of  Lepidosiren  annectens  and  Ceratodus.  Journal  of  Anatomy  and  Physiology. 
ll.Ser.  No.X.  May487i.  Cambridge  and  London.  S.  258  f.  S.  279  f.,  von  Humpbiit  als 
most  or  mesial  portion  of  the  cervicalis  superficialis  beschrieben).  Bei  der  Mehrzahl 
der  Amphibien  sind  die,  bei  Ceratodus  noch  vollständig  gewahrten,  Beziehungen  zum 
Brustgürtel  aufgegeben,  der  Muskel  ist  verkümmert  bis  auf  vordere  Theile  zwischen 
dem  Unterkiefer  und  dem  ersten  eigentlichen  Kiemenbogen  (da  auch  meistens  redu- 
cirt)  und  einzelne  tiefere  zu  Pharynx  und  Larynx  in  näherem  Connex  stehende  Par- 
tien :  es  sind  allein  noch  erhalten  die  Mm.  mylohyoidei  und  constrictores  pharyn- 
gis  et  laryngis.  Nur  bei  Amphiuma  (und  Caecilia)  existirt  ein  Zusammenhang  des 
Muskels  mit  dem  Brustgürtel  als  sogenannter  Levator  maxillae  inferioris  ascendens. 
Ob  dieser  wirklich  genau  homolog  ist  den  hinteren  mit  dem  Brustgürtel  und  der 
Brustflossen basis  verbundenen  Partien  des  Constrictor  arcuum  visceralium  der  Sela- 
chier  und  Chimären,  oder  ob  er  eine  vorwiegend  nach  hinten  zu  entwickelte  Partie 
des  vordem  Abschnittes  darstellt,  kann  zur  Zeit  nicht  entschieden  werden.  Für  die 
letztere  Annahme  spricht  die  Innervation  durch  den  Facialis  (die  hintere  Partie  des 


262  Max  Ffirbringer. 

B.  Durch  Nn.  thoracici  superiores  innervirt: 
Insertion  am  dorsalen  Abschnitt  des  Brustgürtels. 

a)  Ursprung  vom  ventralen  Theile  des  Hinterkopf  es 

Basi-scapularis  (Levator  scapulae), 

b)  Ursprung  von  Rippen: 

Thoraci-scapularis  (Serratm  ma^nus), 

C.  Durch  N.  thoracicus  inferior  II.  anterior  innervirt : 

Ursprung  von  der  ventralen  Bauchmuskelmasse,  Inser- 
tion an  der  Innenflache  des  Brustgttrtels: 

Pectori-scapularis  internus, 

D.  Durch  Nn.  brachiales  inferiores  innervirt : 

a)  Ursprung  vom  Rumpfe  (Bauchfläche,  Sternum),  Insertion  am 
Oberarm: 

Pectoralis. 

b)  Ursprung  vom  ventralen  Theile  des  Brustgttrtels  (Cora- 
coid] . 

a)  Durch  N.  supracoracoideus  innervirt,  Insertion  am  Oberarm  und 
Vorderarm : 

Supracoracoideus  mit  Coraco-radialis  proprms, 

ß)  Durch  Aeste  des  N.  brachialis  longus  inferior  innervirt,  Inser- 
tion am  Oberarm: 

Coraco-'brachialis  longus  und  brevis. 

c)  Ursprung  vom  Oberarm,  Insertion  am  Vorderarm  (Ra- 
dius und  Ulna) . 

'  Humero-antibrachialis  inferior  (Brachialis  inferior). 


Constrictor  der  Selachier  wird  vom  Vagus  versoi^t),  falls  diese  wirklich  ausschliesi^ 
lieh  für  den  ganzen  Muskel  gilt.  —  Die  beiden  andern  Muskeln  finden  sich 
allein  bei  Menobranchus  (s.  Fischer,  Anatomische  Abhandlungen  etc.  S.  446  f.). 
Der  eine ,  »M.  omopharyngeus«,  » erstreckt  sich  vom  vordem  Rande  der  knö- 
chernen Scapula  nach  vorn  an  dieselbe  Inscriptio  tendinea,  die  dem  dorsotrachealis 
zur  Insertion  dient,«  und  wird  innervirt  durch  einen  feinen  Ast  des  N.  vagus,  der 
andere  wird  von  Fischer  ohne  weitere  Ausführung  als  M.  storno-cleido- 
mastoideus  angegeben.  Der  Mangel  einer  eingehenden  Beschreibung  und 
beigefügten  Abbildung  lässt  eine  sichere  Deutung  nicht  zu.  Nach  Lage  und  Inner- 
vation lassen  sich  in  ihnen  mit  Wahrscheinlichkeit  Verwandte  des  M.  caplti-dorso- 
scapularis  erkennen. 


Zur  Ter^eiehendeo  Arnttomie  iler  SchQHennuskelo.  263 

£•  Durch  Nn.  brachiales  inferiores  und  superiores  zu- 
gleich innervirt: 

Ursprung  vom  vorderen  Theil  des  ventralen  Abschnittes 
des  Brustgttrtels,  Insertion  am  Oberarm: 
Procaraco-humeralis. 

F.  Durch  Nn .  brachiales  superiores  innervirt  : 

a)  Ursprung  vom  Rumpfe   (dorsale  Fläche  des  Rückens] ,   Inser- 
•  tion  am  Oberarm : 

Dorso-humeralis  (LatissimtiS  dorsi). 

b)  Ursprung  vom  Brustgurte],  Insertion  am  Oberarm: 

a)  Ursprung  von  der  Aussenflache  der  Scapula ,  Insertion  am  Pro- 
cessus lateralis : 
Dorsalis  scapulae. 

ß)  Ursprung  von  der  Innenfläche  des  Bvustgttrtels ,  Insertion  am 
Processus  medialis: 

Subcorac(HScapularis. 

c)  Ursprung  vom  Brustgttrtel  und  Oberarm,  Insertion  am 
Vorderarm  (Ulna): 

Anconaeus. 


1.  Caplti-dorso-peapnlaris  (Cacullaris)  [cds]^). 

Oinomastoidens:  Ftmi  (Fig.  44  h,  Fig.  48  k). 

Vorwärtszieben  der  Schulter:  Mbckbl  (No.  4). 

Spiai-8U8-8capalairei  portioD  du  trapöze;  Masto-sus 
acromial  oa  sternomastoidien;  Ex-occipito-sus-sca 
palaire,  portion  du  trapöze:  Ducis  (No.  98.  80.  84). 

Pasciculus  of  protractor  scapalae:  Owbn  (No.  49). 


4)  STAiraiufl  beschreibt  an  seiner  Statt  zwei  Muskeln,  von  denen. der  eine  ».von 
der  hinteren  Schfldelgegend  zur  Seapala  und  zum  Processus  acromialis  erstreckt  ist« 
der  andere  »von  der  Rtlekengegend  abwfirts  zur  Grenze  der  Scapula  und  des  Proc. 
acromialis  erstreckt  ist«.   Eine  Deutung  ist  nicht  gegeben. 

RüniHOsa  beschreibt  bei  Siredon  eine  von  der  bei  Triton  und  Salamandra  ab- 
weichende Insertion  (von  ihm  als  Ursprung  aufgefasst).  Während  er  bei  beiden 
letzteren  von  der  Scapula  entspringt,  soll  er  bei  ersterem  von  »dem  rundlichen 
Knoohen,  welcher  mit  der  Scapula  in  Verbindung  tritt«  (1)  kommen.  Diese  Angabe 
ist  mir  unverständlich.  Jedenfalls  aber,  es  mag  nun  unter  »dem  rundlicben  Knochen« 
das  Procoracoid  oder  die  knOcbeme  Scapula  oder  blos  ein  Theil  derselben  ver- 
standen sein,  kann  ich  die  Verschiedenheit  nicht  bestätigen. 


264  Mai  FUriBger. 

Cacallaris  et  Sterno-cleido-mastoideas:  Rübhigui. 
Trapez ias:  Miyait,  Hcsphbt. 

Ein  verschieden entwidLelter Muskel.  BeidenSozobranchiern  ist 
er  schmal  und  klein  (besonders  bei  Menobranchus  und  Amphiuma)  und 
entspringt  lediglich  vom  RüdLen^),  von' einer  dOnnen  Aponeurose  die 
sich  ttber  die  mediale  Längsmuskulatur  hinwegzieht  und  mit  der  Haut 
verwachsen  ist.  Er  ist  also  hier  allein  ein  Dorso-scapularis.  Bei 
den  Sozuren  ist  er  breiter  und  bis  zum  Kopfe  ausgedehnt  Er  ent- 
springt hier  muskulös  vom  Hintertheil  des  Os  occipitale  laterale,  so%i%'io 
von  der  dünnen  auf  der  Längsmuskulatur  des  Rückens  aufliegenden 
Aponeurose  in  der  Höhe  der  zwei  ersten  Wirbel.  Er  ist  hier  ein  G  a  p  i  t  i  - 
dorsO'Scapularis.  Mit  convergirenden  Fasern  geht  er  nach  unten 
und  hinten  und  inserirt  kräftig  am  vordem  Rande  der  an  einander 
slossenden  meist  verknöcherten  Theile  der  Scapula  und  des  Procoracoids. 

Innervirt  durch  Rr.  accessorii  n.  vagi  (a). 

lieber  die  allgemeine  Homologie  dieses  Muskels  mit  den  zu  einander 
in  naher  Reziehung  stehenden  Cucullaris  und  Stemo-cleido-mastoideus 
des  Menschen  kann  kein  Zweifel  bestehen;  Ursprung ,  Insertion  und  In- 
nervation sind  nur  in  unwesentlichen  Puncten  (z.  R.  Mangel  einer  clavicu- 
laren  Insertion)  verschieden.  Mit  geringerer  Reslimmtheit  dagegen  ist  die 
Frage  zu  beantworten,  in  wie  weit  Homologa  des  Stemo-cleido-mastoi- 
deus  und  in  wie  weit  Homologa  des  Cucullaris  im  Gapiti-dorso-scapularis 
der  Urodelen  enthalten  sind.  Rei  den  Sozobranchiem  schliesst  der  Mangel 
aller  vom  Kopfe  kommenden  Partien  eine  Yergleichung  des  Dorso-scapu- 

w 

laris  mit  dem  Stemo-cleido-roastoideus  vollkommen  aus  und  gestattet  nur 
eine  Homologisirung  mit  dem  Rumpftbeil  des  Cucullaris.  Rei  den  Sozuren 
dagegen  entspricht  der  sehr  weit  lateral  ausgedehnte  Ursprung  der  Kopf- 
partie  dem  Ursprünge  nicht  allein  des  Kopftbeils  des  menschlichen  Cucul- 
laris, sondern  auch  der  lateralen  Portion  des  Stemo-cleido-mastoideus, 
allein  der  weitere  Verlauf  dieser  Partie,  ihre  Insertion^)  und  namentlich 


4)  Dieser  auf  den  Rücken  beschränkte  Ursprung  bei  den  Sozobrancbiern  ist  als 
ursprüngliches  Vorhttitniss  aufzufassen ;  die  in  der  Kiemengegend  entwickelten  Mm. 
levatores  branchiarum  (übrigens  nebst  den  von  Fischer  sogenannten  Mm.  digastricus 
maxillae  inferioris,  dorso-laryngeus  und  dorso-trachealis  metamere  Homologe  des 
M.  cucullaris)  gestatten  keinen  Raum  für  eine  Entwickelung  nach  vorn;  erst  nach 
deren  Verkümmerung  bei  den  Sozuren  ist  diese  möglich :  der  Ursprung  des  Muskels 
greift  dann  bis  nach  der  Kopfgegend  über. 

3)  Das  Verhttltniss  der  Insertion  ist  übrigens  mit  grosser  Vorsicht  zu  behandeln. 
Erkennt  man  in  der  Clavicula  einen  morphologisch  ganz  selbständigen  Skelettbeil 
des  Brustgürtels  und  nimmt  man  als  wesentliche  Eigenschaft  des  M.  cleido-mastoi- 


Znr  Tergleiehenden  AoAtomie  der  Schulterrnnskeln.  265 

ihre  (niemals  wie  beim  Sterno-cleido-mastoideus  des  Menschen  z.  Th. 
durch  Nn.  spinales  besorgte)  Innervation  erregen  Bedenken  gegen  jede 
Yergleichung  mit  diesem  Muskel.  Beachtung  verdient  die  von  Humphky 
als  wahrscheinlich  angefllhrte  nähere  Beziehung  zu  dem  sogenannten 
Cervico'humeralis  der  Säugethiere  (Näheres  hierüber  vergleiche  Gap.  VI 
und  VII  bei  der  Besprechung  dieses  Muskels) .  —  Bei  Triton  (und  Siredon 
und  Salamandra  (?)  nach  Rüdingbr)  ist  der  Muskel  nicht  ganz  homogen, 
sondern  zeigt  eine  leise  Andeutung  eines  Zerfalles  in  zwei  oder  drei 
Partien.  Ihn  deshalb  in  zwei  oder  drei  selbständige  Muskeln  zu 
trennen,   wie  Stannius  und  Ducfts  thun,  erscheint  mir  nicht  berechtigt. 

2.  Basi-scapnlarls  (Levator  scapnlae)  [bs]^). 

Levator  angali  scapulae:  Foiik,  Rüaihger,  MiYAmr. 
Sous-occipito-adscapulaire,  angulaire:  DuGts  (No.  33). 
Fasciculus  of  protractor  scapulae:  Oweh  (No.  49). 
Levator  scapulae:  Humpbrt. 

Ein  bei  den  Sozobranchiem  langer  und  schmaler,  bei  den  Sozuren 
kürzerer  und  breiterer  Muskel ,  der  bei  ersteren  von  den  Kiemenbogen 
und  ihren  Weichtheilen  bedeckt  ist,  bei  letzteren  direct  unter  dem 
Capiti-dorso-scapularis  [cds)  liegt.     Er  entspringt  vom  Os  occipitale 


deus  an ,  dass  er  nur  an  der  Clavicula  und  nicht  am  primären  Brustgürtel  inserirt, 
so  ist  die  Ausschliessung  einer  Homologie  desselben  mit  dem  Capiti-spino^scapularis 
vollkommen  gerechtfertigt;  fasst  man  aber  die  Clavicula  (zunächst  der  anuren 
Amphibien)  nur  als  histologische  Differenzlrung  des  das  Procoracoid  umgebenden 
Bindegewebes  (Perichondriums  bei  Rana,  vergleiche  Geoenbaur,  SchuUergUrtel  etc. 
S.  56)  auf,  sieht  man  also  darin  keinen  wesentlichen  Unterschied,  ob  der  Cleido- 
mastoideus  an  dem  sogenannten  primären  Knochen  (Procoracoid)  oder  an  dem  so- 
genannten secundären  Knochenbeleg  desselben  (Clavicula)  inserirt,  so  ist  eine  Yer- 
gleichung des  Gleido-mastotdeus  und  Capiti-dorso-scapularis  (der  wie  oben  erwähnt 
auch  an  den  scapularen  Theil  des  Procoracoids  sich  ansetzt)  gestattet.  Von  der 
Thatsache  ausgehend,  dass  die  Clavicula  ursprünglich  ein  ganz  selbständiger ,  von 
dem  sogenannten  primären  Brustgürtel  getrennt  entstehender  Hautknochen  ist 
(Accipenser) ,  der  erst  später  mit  diesem  sich  verbindet,  möchte  ich  ersterer  Auf- 
fassung den  Vorzug  geben  und  nur  dann  eine  Yergleichung  mit  dem  menschlichen 
Sterno-cleido-mastoideus  zulassen,  wenn  eine  Insertion  an  clavicularen  Elementen 
bestimmt  nachweisbar  ist. 

4)  EntsprlchtvielleichtMscKEL'sNo.S.  Wegen  ungenau  angegebenen  Ursprungs 
ist  ein  Yergleich  nicht  möglich. 

Stanhids  beschreibt  ihn  als  Muskel  »der  von  der  hinteren  Schädelgegend  zur 
Vorderseite  des  oberen  Randes  der  Scapula  tritt«. 

RüDiitGsa  lässt  ihn  vom  hintern  lateralen  Theile  des  Schädels  entspringen  und 
»die  laterale  Halsmuskelbewegung  begrenzen«  (I?). 


266  Max  FQrbrioger. 

basilare  und  geht  breiter  werdend  nach  hinten  ziixn  Bnistgt&rtel  an  das 
sogenannte  Suprascapuiare.  Bei  den  Sozobrancbiern  heftet  er  sich  id 
der  Regel  nur  an  dessen  Vorderrand  an,  bei  den  Sozuren  greift  seine 
Insertion  auch  auf  den  vorderen  Theil  der  AussenfUiche  desseU>eii  über. 

Innervirt  durch  Nn.  thoracic!  superiores  (2,  4). 

Der  Muskel  kann  als  Homologen  des  menschlichen  Leyator  scapulae 
aufgefasst  werden.  Eine  vollkommene  Uebereinstimmung  zwisdbien  bei- 
den existirt  allerdings  nicht :  der  menschliche  Levator  entspringt  von  den 
Querfortsätzen  der  Haiswirbel  und  inserirt  niemals  an  der  Aussenflüche 
der  Scapula.  Beide  Verschiedenheiten  sind  aber  keine  principiellen.  Di« 
ausserordentliche  Variabilität  der  Ursprungszacken  des  menschlichen 
Levator  scapulae,  die  einerseits  auch  von  den  Querfortsätzen  der  faintem 
Halswirbel,  andererseits  auch  vom  Hinterhaupte  kommen  können,  zeigt, 
dass  die  Definition  des  Ursprungs  des  Levator  soapulae  nicht  blos  auf  die 
Querfort4satze  der  vier  ersten  Halswirbel  beschränkt  werden  darf,  son- 
dern vielmehr  auf  die  Pars  basilaris  ossis  occipitalis  (deren  lateraler  Theil 
ein  metameres  Homologen  der  Processus  transversi  ist]  und  die  Quer- 
fortsätze (d.  h.  die  vereinigten  Processus  transversi  und  Costae)  aller 
Halswirbel  ausgedehnt  werden  muss.  Die  bei  den  Sozuren  stattfiadende 
Ausdehnung  der  Insertion  auf  die  Aussenfläche  der  Scapula  ist  nur  als 
eine  diesen  eigenthttmliche  Anpassung  aufzufassen ,  die  mit  der  schwa- 
chen Entwickelung  der  sonst  mit  derselben  verbundenen  Muskeln  in 
Gorrelation  steht. 


3.  Thoracl-scapularls  (Serratos  notagnus)  [ths]^). 

Depressor  anguli  scapulae  inferioris:  Funk  (Fig.  44  m). 
Grösserer  Rück  war  tszie  her  der  Schulter:  Meckkl  (No.  i, 
Gosio-sotts-scapulaire  ou  grand  dentelö:  Uvcta  (No.  29 
Serratus  anticus  major:  Rüdimger. 
Levator  scapulae  und  Serratus  anticus  major:     Owen 

(No.49u.34). 
Serratus  magnus:   Mivart,  Hdmphrt. 


4)  BIkckbl*8  Angabe ,  dass  der  grössere  Rückvärtszieher  »auch  an  das  obere 
Ende  des  Oberarms  reicht«  kann  ich  nicht  bestätigen. 

Stavniüs  giebt  zwei  Muskeln  an,  von  denen  der  eine  »den  Hinterrand  der  Sca- 
pula etwas  schrfig  abwärts  gegen  die  Bauchseite  zieht«  der  andere  »die  Unterfläche 
der  Scapula  schräg  abwärts  zur  Bauchseite  zieht«. 

Die  Beschreibung  Mivart's,  wonach  der  Serratus  magnus  von  der  »lateralen 
Muskelmasse«  entspringt,  ist  nicht  ganz  exact.  Ueberall  lüsst  sich  ein  Zusammen- 
hang  mit  den  Rippen  oder  wenigstens  Inscriptiones  tendineae  nachweisen. 


Znr  fergleiebendei)  Anatomie  der  Seboltenniiskelu.  267 

Verschieden  grosser  Muskel.  Bei  Proteus  sehr  unansehnlich,  bei 
Menobranchus  und  Menopoma  etwas  eniwidLelter  aber  noch  ohne  nach- 
weisbare getrennte  Zacken  (nach  den  Angaben  früherer  Beobachter). 
Diese  treten  erst  auf  bei  Gryptobranchus,  wo  sich  zwei,  Yind  bei  Siredon^ 
wo  sich  drei,  vielleicht  auch  vier,  finden.  Differenzirter  ist  der  Muskel 
bei  den  Sozuren,  namentlich  bei  Salamandra.  Bei  letzterer  lassen  sich 
eine  untere  und  eine  obere  Partie  unterscheiden. 

a)  Untere  Partie  (^A^,).  Besteht  aus  einem  einzigen  Muskel- 
bündel ,  das  von  der  Spitze  der  zweiten  Rippe  entspringt  und  an  der 
Innenfläche  des  Knorpeltheils  der  Scapula  (Suprascapulare)  nahe  der 
Grenze  mit  ihrem  Knochentheil  neben  der  Insertion  des  Capiti-dorso- 
scapularis  sich  ansetzt. 

b)  Obere  Partie  (^A^,^).  Besteht  aus  vier  discreten  Muskelbün- 
deln, die  von  den  vier  ersten  Bippen,  mit  Ausnahme  ihrer  Süsseren 
Enden  entspringen  und  an  der  Innenfläche  des  Knorpeltheils  der  Scapula 
nahe  ihrem  oberen  Rande  inseriren.  Das  von  der  ersten  Rippe  entsprin- 
gende Bündel  ist  breit  und  kräftig ,  wird  in  seinen  unteren  Theilen  von 
der  unteren  Partie  (a)  gedeckt  und  geht  in  transversaler  Richtung  nach 
oben  an  den  vordem  Theil  der  Innenfläche  des  Suprascapulare;  das 
zweite  Bündel  entspringt  oberhalb  der  unteren  Partie  der  zweiten  Rippe 
und  geht  transversal  an  den  hintern  Theil  der  Innenfläche  des  Supra- 
scapulare ;  die  zwei  hintern  Bündel  sind  dünn  und  lang  und  gehen  mit 
nach  vorn  gerichteten  Fasern  von  der  dritten  und  vierten  Rippe  an  den 
Hinterrand  des  Suprascapulare. 

Innervirt  durch  Nn.  thoracici  superiores  (7,  8). 

Der  Muskel  ist  ein  Homologen  des  menschlichen  Serratus  anticus 
major  ^),  von  dem  er  sich  nur  durch  die  geringere  Anzahl  seiner  Zacken, 
leicht  erklärlich  durch  die  geringere  Zahl  der  Rippen,  und  die  Differen- 
zirung  in  eine  obere  und  untere  Partie  unterscheidet.  Eine  Yergleichung 
mit  dem  zu  demselben  System  gehörigen  Levator  scapulae  verbietet  zwar 
nicht  sein  Rippenurspmng  (denn  der  Levator  kann  auch  von  Ilalsrippen 
entspringen  und  eine  Unterscheidung  dieser  von  Brustrippen  fehlt  bei 
den  Urodelen),  wohl  aber  sein  transversaler  und  dcscendenter  (von 
dem  ascendenten  des  Levator  verschiedener)  Faserverlauf. 


4)  Anstatt  der  Bezeichnung  als  Serratus  anticas  major  wählen  wir  die  von  eng- 
lischen Autoren  eingeführte  als  Serratus  magnus.  Durch  den  Nachweis,  dass  der 
sogenannte  Pectoralis  minor  s.  Serratus  anticus  minor  gar  nichts  mit  dem  Serralu;« 
nnticus  major  gemein  hat  und  nur  dem  Pectoralis  zuzurechnen  ist,  fHIIt  die  im 
Namen  liegiende  Unterscheidung  von  diesem  selbstverstHndlich  weg. 


268  Max  FfirbriDger. 

4.  Pectori-scapalarls  intemiis  [psi)  i). 

Ein  bei  Salamandra  mit  Bestimmtheit  nachweisbarer  Muskel.  Er 
entspringt,  bedeckt  vom  Goracoid,  ziemlich  breit  von  der  ventralen 
Bauchmuskelmasse  (Rectus  abdominis  [ra]  und  hintere  Zungenbein- 
muskelnj  und  geht  mit  convergirenden  Fasern  an  die  Innenfläche  der 
Scapula  an  die  Grenze  des  Knochen-  und  Knorpeltheils. 

Innervirt  durch  N.  thoracicus  inferior  anterior  (5). 

Der  Pectori-sc^pularis  internus  stellt  einen  den  Urodelen  eigen- 
thUmlichen  ziemlich  indifferenten  Muskel  dar,  dessen  hintere  Portion  sieb 
bei  keinem  Wirbelthiere  wiederfindet ,  während  das  Homologen  seines 
vorderen  Theils  bei  den  Anuren  durch  Eingehen  näherer  Beziehungen 
zu  dem  vergrösserten  Zungenbeine  zum  Omo-hyoideus  derselben  ge- 
worden ist.  Ob  er  zum  System  des  M.  transversus  abdominis  oder  des 
M.  rectus  abdominis  gerechnet  werden  muss,  kann  nicht  entschieden 
werden.  Für  ersteres  spricht  sein  transversaler  Faserverlauf ,  für  letz- 
teres der  Uebergang  einzelner  Bündel  in  die  Masse  der  hintern  Zungen- 
beinmuskeln. 

5.  Pectoralis  (p)  ^. 

Portio  inferior  m.  pectoralis  majoris,  quam  caoi  pectomli 
minori  comparare  possis:  Funk  (Fig.  48  i). 

Grosser  Brustmuskel,  Grand  pectoral,  Pectoralis  ma- 
jor: Mbckel  (8*),  CmriER,  Stannius,  Rüdingbr. 

Abdomino-coraco-humäral,  portion  du  grand  pectoral 
DuGiäs  (No.84). 

Pectoralis:  Oweh,  Mitart,  Humpbrt. 

Breiter  Muskel  auf  der  Unterfläche  der  Brust-  und  vorderen  Baoch- 
gegend.  Er  entspringt  in  seinem  hinteren  Theile  von  der  oberflächlichen 
Schichte  des  M.  rectus  abdominis  {ra)  und  der  sie  bedeckenden  Apo- 
neurose  des  M.  obliquus  extemus  abdominis  (oae)y  in  seinem  vorderen 
von  der  Aussenfläche  des  Sternums  und  von  der  den  M.  supracoraeoi- 
deus  (spc)  und  das  Coracoid  in  der  Medianlinie  deckenden  lockeren 
Fascie ,  hier  mit  dem  der  Gegenseite  durch  eine  Linea  alba  verbunden  ^  . 


4)  Scheinbar  von  keinem  Autor  beschrieben« 

2)  Einen  von  Meckel  beschriebenen  Ursprung  »von  dem  kleinen  Brustbeinanu- 
muskel«  kann  ich  nicht  bestätigen. 

MivARTs  Angabe,  dass  der  Pectoralis  bei  Menobranchus  vom  hintern  Theile  dt>> 
Coracoid  selbst  komme ,  constatirt  bei  diesem  einen  principiellen  Unterschied  von 
den  übrigen  Urodelen,  der  wohl  noch  der  weiteren  Bestätigung  bedarf. 

5)  Auf  dieses  Verbundensein  mit  dem  Muskel  der  Gegenseite  ist  mehr  Gevsrictit 
zu  legen,  als  auf  die  Anheftung  an  das  lockere  Bindegewebe  der  Brust,  das  nicht 
fest  genug  ist,  um  bei  der  Wirkung  des  Pectoralis  als  fixer  Pnnct  zu  dienen. 


Zar  Tergleiehenden  Anatomie  der  Sehnltermoskela.  269 

und  geht  mit  stark  convergirenden  Fasern  an  die  Beugefläche  des  distalen 
Theiles  des  Processus  lateralis  humeri  [PL).  Bei  Proteus  und  Menohran- 
chus  ist  wegen  Verkümmerung  des  Sternums  der  Ursprung  von  diesem 
weggefallen ;  der  Muskel  entspringt  hier  in  seinem  vordem  Theile  ledig- 
lich von  dem  auf  dem  Coracoid  gelegenen  lockern  Bindegewebe.  Mit 
dem  vorderen  Rande  deckt  er  den  hintern  Theil  der  von  dem  Coracoid 
entspringenden  Muskeln.  Bei  den  Sozobranchiern  ist  er  wenig  selb- 
ständig und  lang  ausgedehnt ,  bei  den  Soxuren  bildet  er  einen  etwas 
kürzeren  ziemlich  discreten  Muskel,  der  bei  Salamandra  eine  beginnende 
Trennung  in  eine  Pars  sternalis  und  abdominalis  zeigt. 

Innervirt  durch  Nn.  pectorales  (14} . 

Der  von  Funk  betonte  Vergleich  mit  dem  M.  pectoralis  minor  braucht 
keine  Widerlegung.  Eine  Entscheidung  bedarf  nur  die  Frage ,  ob  der 
Muskel  lediglich  dem  M.  pectoralis  major  des  Menschen  oder  ob  diesem 
und  dem  M.  pectoralis  minor  zugleich  entspricht.  Die  Vergleichung 
innerhalb  des  Gebietes  der  Säugethiere  ist  bestimmend.  Bei  diesen 
existirt  in  den  niederen  Formen  ein  M.  pectoralis  der  in  verschiedener 
Weise  zerfallen  kann  und  dessen  DiSerenziining  erst  in  den  höheren  For- 
men sich  derart  determinirt,  dass  ein  grösserer  oberflächlicherer  Theil 
stets  nur  am  Humerus  inserirt  (M.  pectoralis  major),  ein  kleinerer  tieferer 
Theil  bald  an  den  Humerus  allein ,  bald  an  den  Humerus  und  Processus 
coracoideus,  bald  an  letzteren  allein  sich  anheftet  (M.  pectoralis  minor). 
Es  ist  also  die  Bildung  der  Mm.  pectoralis  major  und  minor  als  ein  auf 
die  Classe  der  Säugethiere  beschränkter  Differenzirungsvorgang  aufzu- 
fassen 1) ;  bei  den  andern  Wirbelthieren  existirt  nur  ein  gemeinsamer 
oder  nach  einem  andern  Typus  zerfallener  M.  pectoralis. 


6.  Snpraeoracoldeas  [spc)  nnd  Coraco-radialls  proprius  {crp]^). 

a)  Supracoracoid$us: 

Portio  media  m.  pectoralis  majoriSi  quam  cum  pectorali 

majore  comparare  possis:  Fum  (Flg.  4S  i). 
Einwärtszieher,  Theil  des  grossen  Brustmuskels ,    wenn  auch 

völlig  von  ihm  getrennt :  Mickbl  (No.  4} . 


4)  Ueber  das  Verhältniss  dieser  Behauptung  zu  den  ihr  widersprechenden 
Annahmen  Rollkstok's  und  Sblbnka's  vergleiche  Cap.  V. 

8)  Die  Beschreibungen  der  Autoren  stimmen  sowohl  untereinander,  als  auch 
mit  meinen  Untersuchungen  ziemlich  überein.  Nur  wird  dem  Coraco-radialls  pro- 
prius, dessen  Muskclthell  }'  'ur  künstlich  vom  Supracoracoideus  zu 
trennen  ist,  lu  grosse  Selb  it. 

Bd.vn.S.  48 


270  Max  Fürbringer. 

Clavi-huin6ral,  portion  du  grand peotoral ;  Dü6&»  (No.  96) . 
Pectoralis  secundus:  Stanniüs. 
Part  of  Pectoralis:  Owen. 
Coracorbrachialis  proprius:  Rt^DiHGBR. 
First  part  of  Coraco-brachialis.  MivAitT. 
Epicoraco-humeral,  not  improbably  the  nepreseAlaitive  of  ü ' 
pectoralis  mioor  of  mammals:  Hümpbrt  (No.  4). 

b)  Coraco-radialis  proprius: 
Coraco-radialis:  Stannius. 
Biceps  brachii:  Rüdinger. 
Part  of  Biceps:  Mivart. 
Coraco-radialis  or  biceps:  Hümphrt  (No.  7). 

Breiter  auf  der  Unterseite  der  Brust  gelagerter,  mit  seineoi  hinten 
Rande  vom  Pectoralis  (p)  gedeckter,  mit  seiner  übrigen  Fläche  frei- 
liegender Muskel.  Er  entspringt  von  der  ganzen  Fläche  des  Coracoid  > 
mit  Ausnahme  des  medialen  und  hintern  Randes  und  geht  mit  stari 
convergirenden  Fasern  an  den  proximalen  Theil  der  BeugeflSiche  des  Pro- 
cessus lateralis  humeri  [Supracoracoideus  [spc]).  Die  tiefere  und 
hintere  Partie  geht  in  eine  lange  Sehne  über ,  die  mit  einem  Nebenzipfel 
am  Processus  lateralis,  mit  ihrem  Haupttheile  an  der  Beuge  des  Radius, 
gemeinsam  mit  dem  M.  brachialis  inferior  (hai)  inserirt  (Coraco- 
radialis  proprius  [crp]).  Der  Muskel  ist  bei  den  Sozuren  mehr 
entwickelt  als  bei  den  Sozobranchiern.  Bei  den  letzteren  ist  er  von 
dem  vor  ihm  liegenden  Procoraco-humeralis  (pk)  und  den  hinter  ihm 
gelegenen  Coraco- brachiales  [cb]  nur  künstlich  zu  trennen. 

Innervirt  durch  N.  supracoracoideus  (10). 

Die  Innervation  durch  den  N.  supracoracoideus  schliesst  jede  Ter- 
gteichung  des  M.  supracoracoideus  mit  dem  M.  pectoralis  major,  minor 
und  coraco-brachialis ,  wie  des  M.  coraco-radialis  proprius  mit  dem  M. 
biceps  brachii  aus.  Der  Supracoracoideus  ist  ein  den  Amphibien  (ausser- 
dem den  Reptilien,  Vögeln  und  Monotremen)  eigenthümlicher  Muskel, 
der  allen  Säugethieren  mit  reducirtem  Coracoid  fehlt,  der  aber,  wie  die 
Untersuchung  der  Monotremen  ergiebt,  mit  den  Mm.  supraspinatus  und 
infraspinatus  in  naher  Beziehung  steht.  Stannics  hat  seine  Homologie 
mit  dem  Pectoralis  secundus  (}er  Vögel ,  Rübingbr  seine  Verschiedenheit 
vom  Coraco-brachialis  des  Menschen  richtig  erkannt;  beide  haben  jedoch 
ihre  Behauptungen  nicht  bewiesen.  Anstatt  der  von  Rüdiiiger  gegebenen 
Bezeichnung  Coraco-brachialis  proprius  möchte  ich  die  Benennung 
Supracoracoideus  einführen ,  die  den  Namen  Supra-  und  Infraspinatus 
gleichgebildeter  ist.  —  Die  wahre  Natur  des  Coraco-radialis  proprius  ist 
von  aUen  Untersuchem  verkannt  worden.   Dieser  Muskel  ist  unter  den 


Zur  Tergleiohenden  Aaatomid  der  SebuiterDQskelD.  271 

peniadactylen  Wirbelthieren  lediglich  den  Amphibien  eigenthUarfich  und 
mit  keiner  Bildung  bei  den  drei  höheren  Wirbelthierklassen  zu  vergleichen. 

7.  Coraco-brachlalis  longns  [cbl]  und  brerls  {ebb)  ^]. 

Uakenarmmuskeln:  Meckel  (No.  8}. 
Coraco-humöral:  Düg&s  (No.  39). 
Coracobrachialis:  Stannius,  Rüdihgbr. 
Second  pari  of  Coracobrachialis:  Mivart. 
Coracobrachialis  longus  und  brevis:  Humphkt  (No.  6) . 

Kräftige  Muskelmasse,  die  vom  hinteren  Rand  und  der  Aussenfläche 
des  hinteren  Theiles  des  Goraooid  zu  der  medialen  Seite  des  Humerus  in 
seiner  ganzen  Länge  geht.  Namentlich  bei  den  Sozuren  ist  sie  deutlich 
in  zwei  selbständige  Muskeln  getrennt,  den  Coraco-brachialis  longus 
und  brevis. 

a)  Coraco-brachialis  longus  (cbl).  Langer  und  nicht  un- 
kräftiger Muskel,  der  schmal  vom  hintern  Rande  des  knöchernen  Coracoid- 
theils,  medial  vom  M.  anconaeus  coracoideus  [ac),  entspringt  und  an  den 
distalen  zwei  Fttnfteln  des  Humerus  inserirt. 

b)  Goraco-brachialis  brevis  (ebb).  Kurzer  und  kräftiger 
Muskel  von  grösserem  Volumen  als  der  Coraco-brachialis  longus.  Er 
entspringt  breit  von  dem  Hinterrande  und  der  Aussenfläche  des  hinteren 
Theiles  des  Goracoid,  medial  wie  lateral  ttber  die  Ursprungsstelle  des  M. 
coraco-brachialis  longus  {cbl)  überragend  und  theil weise  vom  M.  supra- 
coracoideus  {spc)  gedeckt,  und  geht  an  die  Medial-  und  Reugeseite  des 
zweiten  und  dritten  Fttnflels  des  Humerus  und  des  distalen  Endes  der 
ReugeOäche  des  Processus  medialis  (PM). 

Innervirt  durch  Nn.  coraco-brachiales  (16).  Reide  Muskeln 
werden  durch  die  Nn.  brachiales  longi  inferiores  (4  7,  22)  von 
einander  getrennt. 

Die  proximal  inserirende  Partie  dieses  Muskels  (Coraco^brachialis 
brevis)  entspricht  dem  M.  coraco-brachialis  hominis,  die  distal  sich  an- 
heftende findet  sich  bei  vielen  Säugethieren  wieder,  fehlt  aber  dem 
Menschen.   Der  Ursprung  vom  hinteren  Ende  des  Coracoid,  das  dem 


4 )  Von  Meckel  wird  die  losertionsstelle  der  Mm.  coraco-brachiales  auf  die 
distale  Hälfte  des  Humerus ,  von  STAmaus  auf  das  Tuberculum  minus  (Processus 
medialis  humeri)  beschränkt.  Humphrt's  Angabe,  wonach  der  Coraco-brachialis 
brevis  »perhaps«  von  dem  durch  das  Foramen  coracoideum  gehenden  Nerven 
(N.  supracoracoideus)  innervirt  wird,  kann  ich  für  die  hier  nntersuchten  Urodelen 
nicht  bestätigen. 

48* 


272  Mw 

Processus  ooracoideus  kaum  homotog  ist,  könnte  Zweifel  g^en  die<p 
Vei^eicbung  erregen,  allein  die  vergleichende  Untersuchung  diesen 
Muskels,  dessen  Ursprung  nusserordentlich  verschieden  sich  verfaalti>r. 
kann  {bei  den  Crocodilen  z.  B.  nimmt  er  fast  die  ganie  Aussenflache 
des  Coracoids  ein),  einlebt,  wie  geringrtlgig  und  haltlos  dieses  B»^ 
denken  ist. 


8.  HamenMUltIbraehialiB  Inferior  (Brachialls  Inferior)  (Aoii. 

Brachialia  medius;  Font. 

Oberer  Beuger  des  Vorderarms:  Meckii,  (No.  1). 

Mumöro-radial,  biceps:  Ducti  (No.  t). 

Humero-radiaMs:  Stanmids  (No.  4).  1 

Brachialis  internas:  RtiDiKGBR. 

Biceps  and  brectiialis  interous:  Owbm. 

Part  of  bicepa:  Mivaht. 

Brachialis  enticus:  HoHPaaT. 

Mittelstarker  Muskel  an  der  Beugeseite  des  Humenis,  lateral  neben 
der  Sehne  des  H.  coraco-radialis  proprius.  Er  entspringt  \oa  der  Beuge- 
seite des  Humerus,  distal  vom  Processus  lateralis  (PL)  und  inserirl  an 
Anfange  des  Radius  (B)  und  der  Ulna  (U),  an  letzterer  meist  mit  einem 
sehr  schwachen  Sehnenzipfel.  Bei  allen  Urodelen  ziemlich  constant,  bei 
den  Sozuren  etwas  ansehnlicher  als  bei  den  Sozohrandiiern. 

Innervirt  durch  einen  oder  zwei  Muskelästcfaen  des  H.  super- 
ficialis N.  brachialis  longi  inferioris  (18). 

Ein  Vergleich  mit  dem  Biceps  kann  nur  in  soweit  gestattet  sein, 
als  der  Humero-antibrachialis  inferior  als  theilweises  Homologon  des 
als  VarietJit  auftretenden  sogenannten  Caput  III.  m.  bictpitis  hominis 
aufgefasst  wird.  Der  Hauptsache  nach  ist  er  mit  dem  H.  brachialis 
internus  zu  vergleichen. 


9.  Procoraco-liDmeraUs  [ph]  <). 

Portio  superior  in.  pecloralis  majoria,  quam  cum  delloideo 

comparare  possis:  Kmci  (Fig.  11  i), 
Vorwarlsiieher  oder  Heber  des  Obersrma,  dreieckiger 

Muskel:  H£ciEL  (No.  1). 


i)  Die  tbeilwelse  Inoervatlon  des  Procoraco^humeralis  durch  Zweige  doü  N. 
supracoracoideus  ist  wabrscheiDlicb  von  UDarnaT  Uberseheo  worden. 


Zur  vergleiebeDdeD  Anatomie  der  SchnHermuskeln,  273 

Acromio-humöral,  döltoide:  Duges  (No.  36). 
Deltoideus:  Stahnius,  ROdinger. 
Sobclavius:  Mivabt. 
Precoraco-brachial:  Hvmpbrt  (No.  2). 

Schmaler  und  langer  Muskel,  der  oben  an  den  M.  dorsalis  scapulae 
(ds)j  hinten  ohne  deutliche  Grenze  an  den  M.  supracoracoideus  (spc) 
slössU  Seine  Länge  hängt  ab  von  den  Dimensionen  des  Procoracoid : 
er  Ist  bei  Proteus  länger  als  bei  den  übrigen  Sozobranchiern  und^den 
Sozuren.  Der  Muskel  entspringt  von  der  Aussenfläche  des  Procoracoid, 
mit  Ausnahme  von  dessen  vorderem  und  medialem  Ende  und  geht  an 
den  proximalen  Theil  der  Kante  des  Processus  lateralis  (PL),  wo  er 
zwischen  M.  supracoracoideus  {spc)  und  dorsalis  scapulae  (ds)  inserirt. 

Innervirt  zum  grösseren  vorderen  Theile  durch  einen  Endast 
des  N.  dorsalis  scapulae  (27) ,  zum  kleineren  hinteren  an  den 
M.  supracoracoideus  grenzenden  Theile  durch  einen  Zweig  des 
N.  supracoracoideus  (41). 

Funk's  Bezeichnung  bedarf  keiner  Widerlegung.    Mhtart's  Deutung 
als  M.  subclavius  beruht  auf  einem  doppelten  Irrthum,  indem  einerseits 
der  Muskel  der  Urodelen  dem  »Epicoraco-humeral«  der  Saurier,  Croco- 
dile  und  Monotremen ,  anderseits  dieser  dem  M.  subclavius  der  mono- 
delphen  und  didelphen  Säugethiere  verglichen  wird.    Der  eine  Fehler 
lässt  sich  leicht  nachweisen  durch  eine  genaue  Berücksichtigung  der 
Lage  und  Innervation  beider  Muskeln,  wonach  der  » Epicoraco-humeral « 
der  Saurier  etc.  mit  Bestimmtheit  als  ein  Homologen  des  Supracoracoideus 
der  Urodelen ,   aber  nicht  des  Procoraco-humeralis  (der  in  seiner  vom 
N.  dorsalis  scapulae  innerrirlen  Hauptmasse  einem  ganz  andern  Muskel- 
systeroe  zugehört)  erkannt  wird.    Der,  von  Rolleston  zuerst  gegebene, 
Vergleich  des  »Epicoraco-humeral«  mit  dem  Subclavius  femer,  der  auch 
von  HuHPHRV  mit  Recht  angezweifelt  worden  ist,  wird  bei  Besprechung 
der  Verhältnisse  der  Saurier,   Vögel  und  Reptilien  seine  Widerlegung 
finden.  —  In  Wirklichkeit  ist   der  Muskel  direct  keiner  Bildung  des 
Menschen  zu  vergleichen.    Seiner  durch  Aeste  des  N.  supracoracoideus 
und  N.  dorsalis  scapulae  stattfindenden  Innervation  nach  ist  er  als  eine 
den  Urodelen  (allgemeiner  den  Amphibien)   eigenthümliche  Verschmel- 
zung zweier  ursprünglich  getrennter  Muskeln  aufzufassen.    Die  beiden 
ihn  zusammensetzenden  Elemente  lassen  eine  weitere  (indirecte)  Homo- 
logie, einmal  mit  den  Mm.  supraspinatus  und  infraspinatus  (der  vom 
N.  supracoracoideus  versorgte  kleinere  Theil),  dann  mit  dem  M.  deltoi- 
deus (der  vom  N.  dorsalis  scapulae  innervirte  grössere  Theil)  erkennen. 


Hu  Fflibriiiger. 

!r  Muskel  an  der  Innenfläche  des  BruslgUrtels.  Er  entspringt 
i'on  dem  unteren  Theile  der  Scapula  (Henobrancbus,  Meno- 
on]  oder  von  dem  lateralen  hinteren  Theile  des  Coracoid  resp. 
1  (Siredon,  Salamandra)  oder  von  Scapula  und  Coracoid  zugleich 
nchusj.  Im  ersten  Falle  ist  er  ein  Subscapulsris,  int 
1  Sil bcora CO ideus  (s6c) ,  im  dritten  ein  Subcora  co- 
is.  Er  geht  mit  convergirenden  Fasern  lateral  vom  H.  Coraco- 
ongus  {cbe)  und  H.  anconaeus  coracoideus  (ac),  von  letzterem 
-anchüs  schwer  trennbar,  über  die  Innenseite  des  Schullcr- 
ach  dem  Processus  medialis  humeri  (PH),  wo  er  inserirt. 

rvirt  durch  N.  subscapularis  [23). 

uskel  ist  dem  M.  subscapularis  des  Menschen  zu  vergleichen. 
tr  Innenfläche  der  Scapula  entspringenden  Theile  sind  direcle 
desselben ,  wahrend  die  von  dem  Coracoid  kommenden  Par- 
Henschen  fehlen  und  nur  eine  mittelbare  Vergleichung  g«i- 
ie  wenig  definitive  und  sehr  variable  Bildung  dieses  Huskels 
inen  noch  niederen  Entwickelungszusland  schliessen. 


13.  Anconaens  (a)  ■) . 

Aoconaeus  interoua  und  eiternns:  Fohk. 
Strecker  des  Vorderarms:  Heciel. 

Scapulo-humero-oUcrnnien,  triceps:   Dugbs  (No.(a). 
SlreckmuskoliUBSse,  die  aus  einem  Anconaeuslongns  und  einem 

anter  dem  Tuheroul um  minus  beginnenden  Muskel  xasammeDgeseUl 

ist:  Stahkids. 
Triceps  bracbii  s.  AnconBeus:  Rüdingeb,  Hivait. 
Triceps  und  Coraco-olecranalis:  Hunfhet. 

kräftige  Uuskelmasse  an  der  Streckseite  desOb^arms,  die 
er  Köpfen  zusammensetzt,  welche  von  dem  BruslgUrtel  und 
BDtspringen  und  theilweise  mit  dem  M.  latissimus  dorsi  in 
g  stehen. 

macht  keine  nShercn  Angaben  über  die  Betheiligung  des  Bnistgürlcls 
Tierus  am  Ursprünge  der  Anconuei. 

iben  der  übrigen  Autoren  sind  z.  Th.  sehr  widersprechend;  Meckel  t.  B. 
onaeus  von  Pi-oleus  mit  zwei  Köpfen  vom  Humrrus,  den  von  Salamandra 
lUsserdcm  mit  einem  oder  zwei  Köpfen  von  der  Scapula  entspringen, 
igegen  giebt  für  Salamandra  und  Trilon  nur  zwei  vom  Humerus  kom- 
Protous  ausser  diesen  einen  drillen  vom  Coracoid,  bei  Siredon  noch 
I  von  der  Scapula  entspringenden  Kopf  an. 


Znr  vergleicheuden  Anatomie  der  SchnltennuBkeln.  277 

a)  Anconaeus  coracoideus  (ac).  Kleiner,  ziemlich  selb- 
ständiger Kopf  1] ,  der  vom  Gelenkiheil  des  Coracoid,  in  der  Regel  von 
dessen  hinterem  Rande,  seltener  (Menopoma)  von  seiner  Innenfläche, 
entspringt,  von  dem  Anconaeus  humeralis  medialis  [ahm)  durch  die  Nn. 
brachiales  longi  inferiores  (17,  29)  getrennt  ist  und  ungefähr  in  der  Mitte 
des  Oberarms  mit  der  übrigen  Streckmuskelmasse  sich  verbindet. 

b)  Anconaeus  scapularis  medialis  (asm).  Kräftiger  in 
der  Regel  vom  Anconaeus  humeralis  lateralis  [ahl)  wenig  selbständiger 
Kopf.  Er  entspringt  vom  Hinterrande  des  Gelenktheils  der  Scapula  und 
von  der  Gelenkkapsel  des  Schultergelenks  und  geht  stets  Reziehungen 
zu  dem  M.  latissimus  dorsi  [dh)  ein.  Entweder  (Gryptobranchus  und 
Menobranchus)  vereinigt  er  sich  mit  dessen  ganzer  Endsehne  ^]  oder 
(bei  den  übrigen  Urodelen)  mit  einem  Theile  derselben ,  während  der 
andere  Theil  lateral  von  ihm  an  den  Humerus  geht.  Nie  liegen  Theile 
des  Anconaeus  scapularis  medialis  lateral  vom  M.  la- 
tissimus dorsi. 

c)  Anconaeus  humeralis  lateralis  [ahl).  Ansehnlicher 
von  den  distalen  drei  Vierteln  des  Humerus  entspringender  Kopf,  der 
an  der  lateralen  Streckseite  desselben  liegt  und  von  dem  Anconaeus 
humeralis  medialis  [ahm]  durch  die  Nn.  brachiales  longi  superiores 
(29,  32)  getrennt  ist. 

d)  Anconaeus  humeralis  medialis  [ahm).  Er  liegt  neben 
dem  Anconaeus  humeralis  lateralis  [ahl)  an  der  medialen  Hälfte  der 
Streckseite  des  Oberarms  und  entspringt  von  dessen  ganzer  Länge  hin- 
ter dem  Processus  medialis. 

Alle  vier  Köpfe  vereinigen  sich,  spätestens  in  der  Mitte  des  Ober- 
arms zu  einem  ansehnlichen  Muskel ,  der  am  proximalen  Ende  der  UIna 
(Olecranon)  inserirt. 

Innervirt  durch  Aeste  der  Nn.  brachiales  longi  superiores  (radiales) 

(30,34). 
Der  Muskel  entspricht  dem  menschlichen  Anconaeus,  aber  nicht 
vollkommen.    Ein  Homologen  des  A.  coracoideus  fehlt  beim  Menschen, 

4)  Diese,  namentlicb  durch  den  Verlauf  der  Nn.  brachiales  longi  inferiores  be- 
dingte Selbstllndigkeit ,  bat  Huhphrt  veranlasst,  in  dem  Anconaeus  coracoideus, 
von  ihm  Coraco-olecranalls  benannt,  einen  ursprünglichen  ßeugemuskel  zu  er- 
kennen ,  der  Slrockmuskelfunctlonen  angenommen  hat.  So  bestechend  auch  diese 
Ansicht  ist,  wird  sie  doch  nicht  durch  die  Verhfillnissc  der  Innervirung,  die  (wenig- 
stens bei  den  hier  untersuchten  Thieren)  bestimmt  vom  N.  brachialis  longus  superior 
besorgt  wird ,  unterstützt. 

t)  Bei  Menobranchus  fehlt  sogar  (nach  Mivart's  Beschreibung  und  Abbildung) 
jeder  Ursprung  des  A.  scapularis  medialis  von  der  Scapula ,  der  Muskel  geht  direct 
aus  dem  Latissimus  dorsi  hervor. 


278  Hax  Ffifbringer. 

ebeBSO  wie  ein  dem  A.  scapularis  medialis  direct  vergleichbarer  Theil: 
das  Caput  longum  m.  anconaei  hominis  unterscheidet  sich  von  letzterem 
durch  seine  Lage  zum  Latissimus  dorsi ,  der  sich  medial  an  ihm  vorbei- 
zieht. Doch  stehen  wir  nicht  an ,  im  A.  scapularis  medialis  ein  weiteres 
(indirectes)  Homologen  des  Caput  longum  anzuerkennen ;  die  niederen 
Formen  deV  Urodelen  (Menobranchus  etc.)  bieten  in  ihrer  Beziehung 
zum  Latissimus  dorsi,  der  ganz  im  A.  scapularis  aufgeht  noch  ein  wenig 
differenzirtes  Stadium  dar,  von  dem  zwei  verschieden  entwickelte  Bil- 
dungsformen ausgegangen  sind,  deren  eine  (mediale  Lage  von  der  Sehne 
des  Latissimus  dorsi)  den  Amphibien ,  deren  andere  (laterale  Lage  von 
der  Sehne  des  Latissimus  dorsi)  den  höheren  Wirbelthieren  zukommt. 


Cap.  n. 

Ungeschwäiute  Amphibien« 

(Batraohia;  —  Anora.) 

§.4. 

Bmstg^ürtel^  Brustbein  und  Enmemi  ^)  • 

(Vergleiche  Taf.  XVII  u.  XVUI.) 
Der  Brustgürtel  und  das  Brustbein  zeigt  bei  den  Anuren  eine  ausser- 
ordentliche Mannicbfaltigkeit  der  Differenzirung.  Während  die  niederen 


{)  Literatur: 
CvviER,  Vorlesungen  über  vergleichende  Anatomie,  übersetzt  von  Froriep  a.  Mecxel. 

4  809.  I.  S.  2S6. 
Breter,  Observationes  anatomiae  circa  fabricamRanaepipae.  Diss.  ioaug.  BeroLlS4  4. 
Geofproy-St.  Hilaire,  Philosophie  anatomique.  4848. 
Mertehs,  Anatomiae  batrachiorum  prodromus  sistens  observationes  nonnallas  in 

osteologiam  batrachiorum  nostratium.  Halae  4820. 
Zenker,  Batrachomyologia.  Diss.  inaug.  Jenae  4  825.  S.  20  f. 
Mecrel  ,  System  d.  vergl.  Anatomie.  11.  4 .  a.  a.  0. 
DuG^s ,  R6cherches  etc.  S.  60  f. 

CuviER ,  Lö^ons  etc.  II.  öd.  Tome  I.  S.  254  f.  S.  860  f.  S.  389  f. 
CoLLAN,  Jemförande  Anatomisk  Beskrifning  tffver  Muskelsystemet  hos  Paddan  (Bufo 

cinereus  Schneid.)  Diss.  inaug.  Helsingfors  4  847. 
PoucHET,  cf.  Comptes  rendues.  Tome  XXV,  4  847.  p.  764. 
Pfeiffer  ,  Zur  vergleichenden  Anatomie  des  Schultergerüstes  und  der  Schultennus- 

kein  bei  Säugethieren,  Vögeln  und  Amphibien.  Giessen  4854.  S.  46  f. 
Stanniüs,  a.  a.  0.  S.  47.  S.  73  f.  u.  S.  84. 

Ecker  ,  Die  Anatomie  des  Frosches.  Braunschweig  4864.  I.  S.  44  f. 
Gegenbaür  ,  Schultergürtel  etc.  S.  52  f. 
Owen,  a.  a.  0.  S.  474. 


Zor  vergleichendeo  Anatomie  der  SehaltennoskelD.  279 

Formen  den  Bildungen  bei  den  Urodelen  nahe  stehen,  erlangen  die  höher 
stehenden  einen  bedeutenden  Grad  der  Entwickelung.  Diese  spricht  sich 
nicht  sowohl  aus  in  einer  ausserordentlichen  relativen  Grosse,  als  nainent^ 
lieb  in  den)  Auftreten  sogenannter  secundärer  Knochentheile  und  in  einer 
sehr  ungleichen  Ausbildung  und  gegenseitigen  Beziehung  der  einzelnen 
Abschnitte. 

Der  Brustgttrtel  besteht  aus  zwei  paarigen  Stücken ,  die  sich 
in  der  Mittellinie  der  Brust  entweder  wie  bei  den  meisten  Urodelen 
übereinander  legen  und  nur  locker  durch  Bandmasse  verbunden  sind 
(Bufones,  Hylae,  Galamitae,  Pelobatus  etc.)  ^)  oder  mit  ihren  medialen 
Rändern  an  einander  stossen  und  mit  einander  ohne  Grenze  verschmel- 
zen (Pipa,  Bana/ Cystignathus,  Phryniscus  etc.]  2).  Eine  blosse  Berüh- 
rung ohne  gegenseitige  Verschmelzung  findet  sich  nur  bei  Microps,  der 
in  dieser  Beziehung  an  die  niedersten  Formen  der  Vrodelen  erinnert. 
Wie  bei  den  Urodelen  unterscheiden  wir  einen  dorsalen  und  hori- 
zontalen Abschnitt,  die  an  der  Seite  der  Brustfläche  mit  einander  einen 
rechten  Winkel  bilden.  Am  hinteren  Bande  dieser  Stelle  liegt  die  Ge- 
lenkhöhle für  den  Humerus.  Wahrend  diese  Stelle  bei  den  Urodelen 
den  Ausgangspunct  der  Verkntfcherung  repräsentirte ,  hat  sie  bei  den 
Batrachiern  ihren  ursprünglichen  knorpeligen  Zustand  bewahrt,  ein  Ver- 
halten ,  das  eine  besondere  Selbständigkeit  des  dorsalen  und  ventralen 
Abschnittes  bedingt ^) .   Der  dorsale  Abschnitt  ist  meist  in  seinem 


PARKE! ,  a.  a.  0.  S.  68  f. 

CuviER ,  Vorlesungen ,  Geoffrot  St.  Hilairb  ,  Mbrter s ,  Pouchbt  kenne  ich  nur  aus 

den  Angaben  Gegenbaur's  und  Ecker's. 
Vau  Altera  ,  Conamentatio  ad  quaestionem  Zoologicam  in  academia  Lugduno-Batava 
a.  1 8S9  propositam,  qua  desideratur,  ut  systemaiice  enumerentur  species  indigenae 
reptilium  ex  ordine  bakrachioruro  addita  unius  salteon  speciei  anatomla  et  prae- 
serttna  osteographia  accurata.  Lugd.  Bat.  18S9.  40.  und 
Klein,  Beiträge  zur  Anatomie  der  ungesch^änztenBatrachier.  Stuttgart  4  850.  konnte 
ich,  wenigstens  für  die  Knochen,  nicht  vergleichen. 

4}  Die  genaueren  Details  und  eine  vollstttndigere  Aufzählung  der  Gattungen  für 
diesen  und  alle  folgenden  Fälle  siehe  bei  SrAirifius,  Gbgbrbaur  und  Pambr. 

S)  Dieses  Verhältniss  hat  die  meisten  Autoren  zu  dem  Irrthum  verleitet  in  den 
medialen  verschmolzenen  Theilen  des  ventralen  Abschnittes  Theile  des  Brustbeins 
zu  sehen ,  ein  Irrthum,  der  namentlich  durch  die  knorpelige  Bildung  dieser  Theile 
im  Gegensatz  zu  der  Verknöcherung  der  lateral  daran  stossenden  Abschnitte  er- 
leichtert wurde.   Erst  Gbgbriadr  hat  diese  Verbältnisse  aufgeklärt. 

S)  Dieser  den  ventralen  und  dorsalen  Abschnitt  des  Brustgürtels  trennende 
Knorpelstreif,  von  Dug^s  als  Paraglönale  bezeichnet,  findet  sich  bei  allen  Anuren 
(mit  Ausnahme  von  Systoma  cf.  Parker  Tab.  VII.  Fig.  9.  4  0).  Erst  im  späteren  Alter 
verkalkt  der  vordere,  an  Procoracoid  und  Clavicula  anstossende  Theil,  während  der 
hintere  in  der  Gelenkböhle  endende  und  an  das  Coracoid  grenzende  eine  deutliche 
Trennungslinie  zwischen  Scapula  und  Coracoid  herstellt. 


280  Mat  FBrbriflgtr. 

unteren  Theile  ziemlich  schmal  und  nimmt  nach  oben  ansehnlich  n: 
Breite  zu.    Nur  in  den  niedersten  Formen  zeigt  er  eine  allenthatb^r 
gleiche  Breite,   die  zugleich  mit  einer  gewissen  Dicke   verbunden   \- 
und  an  die  primitiven  Bildungen  der  Selachier  erinnert.     Dieses  Ver- 
halten zeigt  Microps;   den  Uebergang  zu  den  htiher  entwickelten  um: 
dißerenzirteren  Formen  bildet  Systoma ').    Stets  ist  er  durch  eine  hori- 
zontale Grenze  in  zwei  Theile  getrennt,  in  ein  oberes  Suprasonpularr 
und  eine  untere  Scapula.   Beide,  obschon  aus  einer  homogenen  Knorpcl- 
grundlage  hervorgegangen ,  haben  eine  grosse  Selbständigkeit  eriangi. 
die  sich  bei  ausgebildeter  Knochen structur  beider  in  der  scharfen  au.- 
hyalinen  Knorpel  gebildeten  Grenzlinie  und  der  dadurch  bedingten  grossen 
Beweglichkeit  gegen  einanderäussert^).   Das  Suprasdapulare  (SS-' 
zeigt'sich  io  zwei  verschiedenen  Formen.    Die  eine  bietet  Microps  dar 
Hier  ist  das  Suprascapulare  ein  nur  am  äussern  Bande  knorpelige«. 
sonst  verknöchertes  Stück  von  einer  gewissen  Dicke,  das  an  Lange  öif 
Scapula  nicht  erreicht,  an  Breite  hücbslens  ihr  gleichkommt.  Die  andere 
Form  reprSseniiren  alle  übrigen  Anuren.    Hier  ist  das  Suprascapulare 
eine  in  verschiedenem  Hasse  verknöcherte,  meist  am  ganzen  obem  un<l 
hintern  Bande  knorpelig  bleibende  Platte,  welche  die  Scapula  in  der 
Breiten di  mens ion   stets   tlbertrißl.      Das   gegenseitige  Verhältniss    der 
Längen  beider  ist  schwankend :  das  Suprascapulare  ist  kurzer  als  die 
Scapula  (Systoma,  Geratophrys) ,  es  ist  ebenso  lang  oder  wenig  langer 
{Rand,  Bufo,  Pipa,  Cyslignathus  etc.)   es  ist  bedeutend  langer   (Dacty- 
lethra).    Bei  letzterem  hat  das  Suprascapulare  eine  mindestens  t5 — 'üc* 
mal  grossere  Fläche  als  die  Scapula.    Die  Scapula  (S)  <)  besteht  bei 
den  ausgewachsenen  Batrachicrn  stets  aus  Knochen.  Sie  ist  durch  einen 
feinen  Knorpelstreif  oberhalb  von  dem  Suprascapulare,  unterhalb  von  dem 
ventralen  Theile  des  Brustgürteis  getrennt.    Bei  dei)  niedersten  Formen 
(Hicrops)  überwiegt  sie  das  Suprascapulare  an  GrOsse,   bei  den  ent- 
wickelteren tritt  sie  gegen  dieses  zurück ,  namentlich  bei  Dactylethra, 


Bmtkm.  — 
Skaldcr. 
.  —  Oberes 
nperiors. 

:  Geoffm», 
;  ZiiOH.  — 


t.  3- 


,r.' 


)' 


Zur  ?eiglei€henden  Auatomie  der  SohuUermusketn.  2S1 

wo  sie  eine  sehr  geringe  relative  Ausdehnung  besitzt.  Bei  einzelnen 
Batrachiem  (Microps,  Dactylethra)  bietet  ihre  untere  Grenze  gegen  den 
ventralen  Abschnitt  des  Brustgttrtels  ganz  einfache  Beziehungen  dar, 
während  bei  der  Mehrzahl  sich  ursprünglich  ein  Spalt  (Scapular-foramen 
Parkbr)  findet ,  der  sich  zwar  später  mit  verkalktem  Knorpel  ausfüllt, 
der  aber  die  ersten  Anlagen  einer  bei  höheren  Wirbelthieren  sich  ent- 
wickelter findenden  Pars  glenoidalis  (Collum  scapulae)  und  Pars  acro- 
mialis  scapulae  (Acromion  [A])  trennt^}.  Der  ventrale  Abschnitt 
zeigt  eine  grosse  Mannichfaltigkeit  der  Entwicklung.  Vorzüglich  zwei 
Hauptformen  sind  zu  unterscheiden,  von  denen  die  eine  auf  wenig 
niedrig  stehende  Batrachier  beschränkt,  die  andere  auf  die  Mehrzahl 
derselben  ausgedehnt  ist.  Die  eine  ^orm  findet  sich  bei  Microps  und 
Hylaedactylus  ^) .  Hier  stellt  der  ventrale  Abschnitt  eine  einfache  Knochen- 
platte dar,  die  lateral  an  die  Scapula  stösst,  median  bei  Microps  die  der 
Gegenseite  berührt,  bei  Hylaedactylus  mit  ihr  verwachsen  ist.  Diese 
Knochenplatte  ist  das  Goracoid  (C).  Die  andere  viel  complicirtere 
Bildungsform  findet  sich  bei  allen  übrigen  Batrachiern.  Hier  bildet  der 
ventrale  Abschnitt  eine  sehr  breite  Platte ,  die  in  der  Mitte  durch  eine 
grosse  Oeffhung  in  einen  vorderen ,  einen  hinteren  und  einen  medialen 
Theil  getrennt  wird.  Ersterer,  das  Procoracoid  (Prj^)  bieibl  zumeist 
knorpelig  und  ist  in  der  Begel  schmäler  als  der  hintere  Theil  (mit  Aus- 
nahme von  Dactylethra ,  wo  er  eben  so  gross  und  von  Systoma ,  wo  er 
weit  breiter  als  dieser  ist).  Das  Goracoid  (C)  ^j,  der  hintere  Theil,  ver- 
knöchert in  der  Regel  bis  auf  geringe  mediale  Reste.  Es  überwiegt  in  sei- 
ner Breite  das  Procoracoid  bedeutend,  mit  Ausnahme  der  oben  angeführ- 
ten Bildungen  von  Dactylethra  und  Systoma .  Das  Epicoracoid  (£c)  ^  j , 

1)  Von  DvGis  wird  die  Pars  glenoidalis  als  Processus  coracoideus,  die  P.  acro- 
mialis  als  Acromion  oder  Spina  scapulae  unterschieden. 

S)  Siehe  Parur,  Taf.  VII,  Fig.  n.  u.  Taf.  VI,  Fig.  9. 

t)  C 1  a  V tcn  1  a :  Cuviia  (Le^ons  4 .  öd.) ,  Zskkbb  ,  Pfbiffbr  ,  Stahvius ,  Ecebr, 
OwBH.  —  Furcula  s.  clavicula  anterior:  Brbtbr,  Dug^s.  ^  Frfimre 
nyckelbenet:  Collah.  —  Procoracoid:  Gbgbvbaur.  —  Praecoracoid: 
Parur. 

CuviBR,  GboffroTi  llBRTBirs,  PFBiFFBR,  Stanmius  etc.  Verstehen  unter  der  Bezeich- 
nung Clavicula  (Furcula)  die  vereinigten  Procoracoid  und  Clavicula ,  Parker  tiiut 
dasselbe  unter  der  Beieichnung  Procoracoid.  Düges  und  Gbgbrbaur  allein  trennen 
Clavicula  und  Procoracoid. 

4)  Clavicula  vera  s.  posterior:  Bretbr.  —  Clavicula:  Cuvibr  (Le- 
Consl.M.),  Mbrtbhs.  —  Pars  sternalis  scapulae  (processus  coracoi« 
deus) :  Zbhkbr.  —  Coracoid:  Gboffrot,  DuGtoyCüyiBR  (Le^ons  t.  M.),  PfeiffbRi 
Stawhius,  Ecbbr,  Gbobubaur,  Owbh,  Parkbr.  —  Bakre  nyckelbenet:  Collah. 

5}  Das  Epicoracoid  wird  von  allen  früheren  Autoren  ausser  Zbhkbr  als  Theil 
des  Sternums  aufgefasst  (Sterni  ossa  media:   Brbtrr.  ^  Entost 


282  Hu  tanrioger. 

der  mediale  Theil ,  bleibt  stets  knorpelig.  Es  ist  breit  bei  Pipa ,  Boin~ 
binator,  schmal  bei  Phyllomedusa ,  Bufo  etc.  und  kana  vollkommen  als 
Kaorpeltbeil  fehlen  bei  Dactylethra,  wo  es  dann  durch  Band  ersetzt  -wird. 
Seine  Beziehungen  zu  dem  der  Gegenseite  sind  bereite  oben  erwähnt 
worden. 

Bei  der  HehrzabI  der  Batrachier  (mit  Ausnahme  von  Hicrops  und 
Hylaedactylusj  findet  sieb  eine  die  ünterflache  und  den  Vorderrand 
des  Procoraooid'umschliessende  Platte  von  sogenannten  seoundäreu 
(in  der  Begel  aus  dem  pericbondralen  Bindegewebe  des  Procoracoid 
hervorgehenden)  Knochengewebe.  Dieselbe  reprSsentirt  die  Glavi  — 
cula  (Gl)  1) ,  welche  innig  mit  dem  Procoracoid  verwachsen  ist  und 
wenig  Selbständigkeit  zeigt.  Lateral  ist  sie  mit  dem  Processus  aoro— 
mialis  scapulae  durch  veikalkten  Knorpel  veii)unden ,  medial  lauft  sie 
am  medialen  ßnnde  des  Procoraccid's  spitz  aus,  ohne  mit  dem  Epi— 
sternum  verbunden  zu  sein. 

Brustbeingebilde  kommen  allen  Änuren,  aber  in  sehr  ver- 
schiedener Entwicklung  zu.  Die  Einen  haben  nur  ein  hinteres  Bnul^ 
bein  (Sternum),  die  Anderen  haben  ausser  diesem  auch  ein  vorderes 
(Episternum) .  Das  Sternum  (St)^}  ist  ein  ausserordentlich  verschieden 
differenxirtes  Gebilde,  das  bei  einigen  (Microps,  Systoma)  nur  rudimentär 
sls  winzig  kleine  Knorpelplatte  vorbanden  ist,  bei  andern  (Pipa,  Acrody  tes, 
Bana)  eine  bedeutende  relative  Grösse  erreicht.  Zwischen  diesen  beiden 
Extremen  finden  sich  alle  Abstufungen.  Auch  die  Art  und  Weise  der 
VerknOchening  ist  verschiedenartig  3] .  Bei  den  Gattungen  mit  Über- 
greifenden, nicht  verschmolzenen  Goracoiden  hat  es  an  seinem  Vorder- 
rande  ähnlich  wie  bei  den  Urodelen  zwei  unsymmetrische  Falze,  welche 
die  hintern  Bänder  der  Coracoide  aufnehmen.  Bei  knorpeliger  Ver- 
einigung der  beiderseitigen  BrustgUrtel  sind  diese  Beziehungen  ver- 

Gbofprot.  —  Sternam:  CwiKi  und  Uirtehs.  —  Corpus  sterni:  Bcua).  Erst 
durch  Gkobhbadr  und  pAkH«  sind  die  wahren  DeciehuDgea  dieses  Tbeiles  aufg^llirt 
worden. 

1)  Von  den  Autoreo  gemeinsHtn  mit  dem  Procoracoid  als  Clavicula  beschrieben. 
Nur  Ddobs  und  GBeBNiAvs  unterschieden  ihn  als  tiesonderen  Knochen  von  diesem, 
Duek»  als  Acromiale,  GESsiiaAcs  ala  Clavicnla. 

i)  AppendU  sternh  BasTBR.  —  XiphosterDat:  GEOvpaoT.  —  Pro- 
cessus lipfaoideus,  Pars  xlphoidea:  Uehtehs,  Stahnidb.  —  Sternum 
inferios,  BaLro  brOslbenet:  ZiiiERa,  Cdllam.  —  Stern  uro:  Ddoes,  Ciosa- 
■*im.  —  PifecB  asseuse  postfirieure  dustärnum  avec  sondlsqueii- 
pho'ide:  CuviES.  —  HyposterDum:  Bckh.  —  PASiEabeEeichnet bei  knorpeliger 
Persistenz  das  ganze  Sternum  als  SIeraum,  liei  theilweiser  VerknOCherung  d«n 
knöchernen  Theil  als  Sternuin,  den  knorpeligen  Bis  Xiphisleniuin. 

i)  Nähere  Details  siehe  bei  Stahhius,  Gecehbaur  und  Piuuu 


Zur  TergleichendeD  Anatomie  der  Schuttermuskelii.  283 

wischt:  das  Slemum  ist  hier  dem  mittleren  Theile  desselben  ange- 
heftet. Das  Epistemum  (Est)  ^)  mangelt  der  Mehrzahl  der  Anuren 2} . 
Spurweise  auftretend  6ndet  es  sich  bei  Pipa  und  Pseudes  an  der  Spitze 
der  median  sehr  ansehnlich  nach  vom  entwickelten  und  vereinigten 
Procoracoide.  Selbständigkeit  erlangt  es  erst  bei  Acrodytes,  Galamites, 
Cystignathus,  Pleuroderma,  Plectropus,  Megalophrys,  Rana,  Bufo  Leche- 
naultii.  Bei  den  ersten  beiden  und  dem  letzten  bleibt  es  knorpelig,  bei 
den  übrigen  verknöchert  es  an  seinem  hinteren  mit  dem  Procoracoid 
zusammenhängenden  Theile^).  Besondere  Beziehungen  zur  Clavicula 
bietet  es  nicht  dar. 

Der  Oberarm  (H)  der  Anuren  ist  Differenzirungen  eingegangen, 
die  ihn  ebensowohl  von  dem  der  Urodelen  als  der  hohem  Wirbelthiere 
unterscheiden.  Das  in  die  Gelenkhöhle  des  BrustgUrtels  einmündende 
Gelenkende  bildet  eine  überknorpelte  Halbkugel  fläche,  von  der  la- 
teral und  oben  ein  Segment  abgeschnitten  ist.  Der  Processus  la- 
teralis (PL)^)  beginnt  gleich  hinter  dem  Gelenkende  und  stellt  eine 
scharfe  nach  unten  und  aussen  gerichtete  Leiste  dar,  welche  bis  über 
die  Mitte  des  Oberarms  ausgedehnt  ist.  Der  distale  Theii  desselben 
kann  als  Crista  lateralis  (CrLj  unterschieden  werden.  Dem  An- 
fange des  Processus  lateralis  gegenüber ,  gleich  hinter  dem  Gelenkendoi 
liegt  an  der  Medialseite  des  Humerus  ein  kleiner  Höcker,  der  ein  Rudi- 
ment des  Processus  medialis  (PM)  darstellt^).  Das  distale  Ende 
bildet  die  Gelenkfläche,  die  mit  den  zum  Os  antibrachii  verbundenen 
Ulna  und  Radius  articulirt.  Diese  Gelenkfläche  ist  eine  Trochlea,  welche 
aus  einem  grossem  in  der  Mitte  des  Oberarroendes  liegenden  und  einem 
kleinern  medialen  (oberen)  Theile  zusammengesetzt  ist.  Ersterer  ist 
Theil  eines  Botationssphäroid^s,  das  ausser  auf  das  hinterste  Ende  auch 
auf  die  laterale  und  mediale  Seite  des  anstossenden  hintern  Sechstels 


4)  Epi Sternall  Episternam:  Geoffrot,  Mertins,  Dvges,  Ecker,  6e6bv<- 
RAUR,  Owen. ^Sternum  superius,  Främre  bröstbeoet:  Zenker, Collan. — 
Piöce  antörieure  du  steroam:  Cuvisr.  —  Manubriom  steroi:  Stan- 
vws,  —  OmosternuHi:  Parker. 

i)  Vergleiche  die  genaaereii  Angaben  von  Stanriüs,  Gegenraur  ond  Parker. 

8)  Knorpel-  und  Knocbentheii  des  Epi$ternunis  werden  von  Dcois  und  Ecker 
als  separate  Theile  unterschieden. 

4)  Vordere  Leiste:  Meckbl.  --  Cröte  bicipitale:  Dücis.  —  Spina 
tuberculi  majoris:  Collah.  —  Tuberculom  majus,  das  abwttrts  in  eine 
starke  Spina  aasgezogen  zu  sein  pflegt:  Starriüs.  —  Crista  del toi dea:  Ecker. 

5)  Von  den  Autoren  zumeist  nicht  beschrieben.  Nur  Stahhius  giebt  an ,  dass 
bei  Pipa  an  der  Innenseite  des  Tuberculum  raajus  ein  Hockerchen  liege,  das  zur 
Fixirung  des  Ugamentea  bestimmt  ist,  unter  welchem  die  Sehne  der  M.  coraco- 
radialis  hindurcbtritt,  dass  aber  dieses  Höckercbeo  den  übrigen  Anuren  fehle. 


284  Max  FOrbringer. 

des  Oberarms  ausgedehnt  ist  und  mindestens  einen  Bogen    von  di^ei 
Quadranten  umfasst^),  letzterer  ist  nur  klein  und  umfasst  höchstens 
einenBogen   von  zwei  Quadranten.      Während    der   erstere   mit    der 
Hauptfläche   des   proximalen   Antibrachialendes   articulirt,     lenkt    der 
letztere  nur  in  das  Oiecranon  ein.     Zu  beiden  Seiten  der  Gelenk— 
begrenzungen   (Gondylus  radialis  s.  lateralis  s.  inferior  und  Gondylus 
ulnaris  s.  medialis  s.  superior^j)  finden  sich  zwei  Höcker  fttr  den  Ur— 
Sprung  der  Strecker  und  Beuger  der  Hand  und  der  Finger ,  der  £  p  i  — 
condylus  radialis  (lateralis)   (EL)  ^j  und  der  Epicondylus 
ulnaris  (medialis)  (EM)^).   Beim  männlichen  Geschlechte,  nament- 
lich zur  Brunstzeit,  findet  sich  vor  dem  Epicondylus  medialis  eine  auf 
die  ganze  distale  Hälfte  des  Humerus  ausgedehnte  und  sehr  kräftig  entr- 
wickelte  Knochenleiste,  die  Grista  supracondyloidea  medialis^j, 
die  den  voluminösen  Beugemuskeln  zum  Ursprünge  dient. 

§5. 
Herven  fftr  die  Schnltermuskeln®). 

(Vergleiche  Taf.  XIV.) 
Die  Nerven  für  die  Schultermuskeln  der  Anuren  bieten  mehrfache 
Abweichungen  von  den  Verhältnissen  bei  den  Anuren  dar.    Diese  be— 


4)  Ecker,  der  allein  hiervon  eine  genauere  Beschreibung  giebt,  scheint  den 
auf  die  Streckseite  des  Humerus  ausgedehnten  Theil  der  Gelenkflache  übersehen  zu 
haben.  Er  erwähnt  nur  eine  fast  vollkommene  Kugelflttche ,  die  auf  dem  hintern 
Ende  des  Miltelstückes  gleichsam  aufgesetzt  ist. 

3)  Die  r&umlichen  Beziehungen  der  Condylen  wechseln  je  nach  dem  Drehungs- 
Winkel  des  Humerus  ausserordentlich.  Daher  sind  die  Bezeichnungen  Condylus  la- 
teralis s.  inferior  und  medialis  s.  superior  nicht  geeignet  fUr  die  Vergleichung  durch 
alle  Wirbelthiere.  Da  der  Drehungswinkel  des  Humerus  von  einem  halben  Quadran- 
ten an  (niederste  Urodelen)  bis  zu  zwei  Quadranten  (Mensch)  alle  Stufen  durchlSufl, 
so  wird  der  Condylus  lateralis  des  einen  Thieres  C.  lateral i-inferior  des  andern,  C. 
inferior  des  dritten  sein.  Constant  sind  nur  die  Beziehungen  zu  dem  Vorderarm, 
wesshalb  die  von  Owen  zuerst  gebrauchten  Bezeichnungen  Condylus  radialis 
und  ulnaris  vor  allen  andern  den  Vorzug  verdienen. 

3)  Epicondylus  lateralis:  Eckbk. 

4)  Epicondylus  medialis:  Ecker. 

5)  Crista  medialis:  Ecker.  Düg^s  fasste  die  Verschiedenheit  ihrer  Ent- 
Wickelung  als  Unterscheidungsmerkmal  der  verschiedenen  Species  auf.  Pouchet 
(Compt.  rend.  Tome  XXV.  4847.  p.  764)  betonte  zuerst  ihre  Beziehungen  zur 
Brunstzeit. 

6)  Literatur: 

CuviBR  a.  a.  0.  S.  226.  S.  240.  S.  264. 

VoLKiiANN,  Von  dem  Bau  und  den  Verrichtungen  der  Kopfnerven  des  Frosches. 

Müller's  Archiv  für  Anatomie  und  Physiologie.  Band  V.  4888.  S.  70  f.  (Vagus  von 

Rana  esculenta) . 


Zur  vergleiclienden  ADatomie  der  SchaUerainskeln.  285 

stehen  einerseits  in  dem  Vorkooimeu  eines  den  Batrachiern  eigenthttm- 
liehen  R.  scapuiaris  n.  vagi,  der  zum  R.  accessorius  desselben 
Nerven  hinzukommt,  andererseits  in  einer  Verminderung  der 
Anzahl  der  die  Schultermuskulatur  versorgenden  Nn. 
spinales.  Die  in  grösserer  Ausdehnung  bestehende  feste  Verkittung 
der  Elemente  der  Nn.  brachiales  superiores  und  inferiores  muss  als 
unwesentlicher  Unterschied  bezeichnet  wrerden. 

1.    R.  accessorius  (a)  und  scapuiaris  [a]  n.  vagi. 

Die  wie  bei  den  Urodelen  zu  einem  gemeinsamen  Complexe ,  der 
Vagus- Gruppe  [V]  ^  vereinigten  Homologe  der  Nn.  glossopharyngeus, 
vagus  und  accessorius  Willisii  des  Menschen  entspringen  entweder  mit 
drei  (Pipa,  Bufo,  Pelobates)  oder  mit  zwei  (Hyla,  Pelobatesj  oder  mit 
einer  Wurzel  (Rana ,  Bombinator)  ^)  aus  der  Medulla  oblongata ,  treten 
durch  das  sogenannte  Foramen  jugulare  aus  dem  Schädel  heraus  und 
schwellen  gleich  darauf  zu  einem  ansehnlichen  Ganglion  an ,  von  dem 
eine  grosse  Anzahl  Aeste  abgehen ,  die  sich  im  Pharynx  (R.  pharyngeus 
[q>])i  im  Zungengrund  (R.  lingualis  [yl]),  in  den  Muskehi  der  Zungen- 
beinhörner  (Homologe  der  Zungen-  und  Kiemenbogen) ,  in  der  soge- 
nannten Parotis  und  der  Haut  des  Nackens  und  Rückens^]  (R.  cutaneus 
Fischer's,  wahrscheinlich,  wie  auch  Stannius  angiebt ,  Homologen  des 
R.  auricularis  [oi]],  in  Kehlkopf,   Lunge,    Pericard,   Oesophagus  und 


Vogt,  a.  a.  0.  S.  52  f.  (Vagus  von  Dufo  panthcrious  und  cinercus). 

Fischer,  Amphibiorum  nudorum  neurologiae  spechnen  primum  a.  a.  0.  S.  9  f.  Taf. 
I.  11.  (Genaue  Beschreibung  der  Kopfnervon  von  Bufo  palmamm,  Rana  esculenta, 
Hyla  arborea,  Pipa  dorsigcra,  Bontbinator  igneus,  Pelobates  foscus). 

Brnos,  a.  a.  0.  S.  48S  f.  Taf.  VIII.  (Kopfnerven  von  Bofo  cinercus). 

Wymam,  Anatomy  of  tbe  Nervous  System  of  Rana  pipiens.  Washington  4853.  S.  33  f. 
44  f.   Taf.  I.  II.  (Wenig  eingehende  Beschreibung  der  Nerven  von  Rana  pipiens). 

Starhiüs,  a.  a.  0.  S.  449  f. 

ScHiEss,  a.  a.  0.  S.  843  f. 

Zu  eigenen  Untersuchungen  dienten  Rana  esculenta  und  Bufo  cinercus. 

4)  Die  Zahlen  Verhältnisse  der  Wurzeln  der  Vagusgruppe  sind  keine  constanten, 
sie  können  sogar  bei  demselben  Individuum  an  der  rechten  und  linken  Seite  wccli- 
seln  (Pelobates) .  Von  den  drei  Wurzeln  bei  Pipa  zeigen  die  zwei  letzten  Andeutun- 
gen einer  Trennung,  die  wohl  als  eine  neue  Differenzirungserscheinung  aufzufassen 
sind.  Dero  ursprünglichen  Zustande  entspricht  auch  bei  den  Anuren  (wie  bei  den 
Urodelen)  die  Dreizahl.  Untersuchungen  von  Larven,  z.  B.  von  Rana,  zeigen  dies 
deutlich,  wie  die  übereinstimmenden  Beobachtungen  von  Fischem  und  mir  ergeben. 
In  einem  gewissen  Stadium  bat  die  Vagusgruppe  der  Larve  von  Rena  esculenta  drei 
Wurzeln ,  von  denen  später  die  beiden  hintern  und  endlich  beim  ausgewachsenen 
alten  Thiere  alle  drei  verschmelzen  können. 

2)  Bei  Rana  esculenta  gehen  die  Zweige  bis  zur  Haut  der  Brust. 

Bd.  yu.3.  i|9 


286  Max  Fftrbringer. 

Magen  (R.  intestinalis  mit  R.  recurrens  [e]),  rn  der  Seitenlinie  (Rr.  Li- 
terales) ^),  in  dem  M.  capiti-scapularis  (R.  accessorius  [a])  und  im  M. 
interscapularis  (R.  scapularis  [a])  verzweigen  und  ausserdem  mit  dem  N. 
facialis  und  hypoglossus  Anastomosen  (Rr.  communicantes  [x]}  eingehen. 

Der  R.  accessorius  (a)  ^),  in  der  Regel  einfach,  seltener  in  d«r 
Mehrzahl  auftretend,  ist  meist  ein  sich  sehr  früh  abzweigender  Ast  (\f< 
R.  intestinalis  n.  vagi  (ej,  seltener  ein  selbständig  ans  dem  Ganglion  n 
Vagi  hervorgehender  Nerv.  Er  verläuft  zwischen  den  kurzen  Kopfmus- 
keln und  dem  M.  capiti-scapularis  (Cucullaris)  {es)  nach  unten  um; 
hinten  und  endet  in  der  Innenfläche  des  letzteren  Muskels. 

Der  R.  scapularis  (a)^)  wird  repräsentirt  durch  ein  sehr  feinte 
gleich  neben  dem  R.  accessorius  vom  R.  intestinalis  n.  vagi  {e)  abgeheTi- 
des  Aestchen,  das  an  der  Innenfläche  des  M.  cucullaris  {es)  vorbei  zur 
Innenfläche  des  M.  interscapularis  (is)  geht  und  sich  in  diesem  verzwciiii. 

II.    Nn.  spinales. 

Abweichend  von  den  Urodelen  betheiligen  sich  blos  drei  Spinal- 
nerven, der  zweite,  dritte  und  vierte  ^j,  an  der  Innervirung  der  Muskeln 
der  Schulter  und  der  vorderen  Extremität.    Von  diesen  vereinigen  siel. 


i)  Diese  Rr.  laterales  lassen  sich  in  doppelter  Zahl  imr  bei  Larven  nachweisen 
Von  en^achsenen  Formen  bietet  nach  Fiscuer's  Untersuchungen  nurPipa  dorsipM;. 
einen  R.  lateralis  dar,  während  bei  den  andern  Gattungen  der  Endast  des  R.  ciit  - 
neus  (auricularis)  functionell  dafür  eintritt.  Die  näheren  Verhältnisse  vergleiche  h'i 
FiscHEB,  StanNiüs,  Wyma5  Und  Krohn  iFroriep's  Notizen  1888.  No.  437). 

2)  Von  CüviER  im  Allgemeinen  angegeben,  dagegen  von  Wtiian  geleugnet.  Kbon  v. 
scheint  der  Nerv  BEnnz  entgangen  am  sein.  Schiess  und  Fischer  beschreiben  ihn, 
ohne  ihn  zu  benennen  ;  ersterer  giebt  ihm  einen  zu  grossen  Verbreitungsbezirk  vr 
soll  auch  einen  Theil  des  Serratus,  den  Transverso-adscapulaire  Dvcts*  innerviren 
letzterer  bezeichnet  hingegen  bei  Pipa  einen  höchst  wahrscheinlich  dem  N.  Spinalis  II 
entsprechenden  Nerv,  der  weder  in  den  Zungenbeinmuskeln  noch  in  dem  M.  capih- 
scapularis  endet,  sondern  lediglich  die  an  den  Kopf  gehenden  tiefen  I^ngsmuskt'lt: 
des  Halses  versorgt,  fälschlich  als  N.  accessorius. 

3)  Diesen  sehr  feinen ,  für  die  vergleichende  Anatomie  höchst  wichtigen  Ner\ , 
hat  nur  Fischer  bei  Pipa  dorsigera  allein  beschrieben,  ohne  ihn  zu  deuten  nnd  711 
benennen.  Allen  andern  Untersuchern  ist  er  entgangen.  Er  findet  sich,  wie  ich  nni 
Bestimmtheit  behaupten  kann,  bei  allen  von  mir  untersuchten  Anuren. 

4)  Bei  den  von  mir  untersuchten  Anuren  existirt  ein  zwischen  Schädel  un.i 
erstem  Halswirbel  oder  durch  letzteren  gehender  Nerv  nicht.  Der  zwischen  den 
beiden  ersten  Halswirbeln  durchtretende  Nerv  ist  daher  der  erste  wirklich  vor> 
handene  Spinalnerv,  muss  aber  nach  seinem  Durchtritte  durch  die  Wirbelsäule  und 
in  Vergleichung  mit  den  andern  Wirbelthieren  als  N.  spinalis  II.  aufgefasst  werden 
Dasselbe  gilt  für  die  beiden  folgenden  Nerven,  die  als  Nn.  spinales  III.  und  IV.  zu 
bezeichnen  sind. 


Znr  vergleicheuden  Anatomie  der  SchiiUeraiuskeln.  287 

stets  die  beiden  Iclzlen,  initunler  (vielleicht  auch  immer)  alle  drei  zur 
Bildung  des  Plexus  brachialis^). 

Ventraler  Ast  des  N.  spinaiis  IL  (//).  Er  tritt  zwischen 
dem  ersten  und  zweiten  Wirbel  nach  «aussen  und  geht  mit  seiner  Haupt- 
masse (3)  an  ventralen  Rumpfmuskeln  (mit  Einschluss  der  Muskeln  des 
Zungenbeins  und  der  Zunge  selbst,  wo  er  sich  neben  den  sensiblen 
Vagusästen  verzweigt)  vorüber  2).  Nicht  weit  hinter  seinem  Austritte 
aus  der  Wirbelsäule  giebt  er  einen  N.  t  h  o  r  a  c  i  c u s  s  u p e  r  i o  r  1 1.  (4)  *i 
ab,  der  sich  in  dem  M.  basi-suprascapularis  {bss)  vertheilt.  Vor  oder 
binter  demselben  entspringt  das  feine  Verbindungsästchen  mit 
dem  N.  spinaiis  HL,  das  sich  entweder  einfach  mit  diesem  vereint,  oder 
vorher  sich  in  zwei  Zweige  spaltet,  von  denen  der  eine  in  dem  N. 
supracoracoideus ,  der  andere  (N.  thoracicus  inferior  II.}  in  dem  die 
Mm.  obliqui  abdominis  und  rectus  abdominis  versorgenden  Nerven 
aufgeht. 

Ventraler  Ast  des  N.  spinaiis  Ili.  (//i).  Er  ist  der  stärkste 
Nerv ,  nicht  allein  des  Plexus  brachialls ,  sondern  des  ganzen  Körpers. 
Unweit  des  Austritts  aus  dem  Zwischen wirbel loch  giebt  er  einen  ziemlich 
kräftigen  N.  thoracicus  superiorlll.  (7)  ab,  der  sich  mit  weit 
auseinander  tretenden  Aesten  ini  M.  rhomboidcus  anterior  [rha),  petroso- 
suprascapularis  {pss)j  thoraci-suprascapularis  (thss)  und  rhomboideus 
posterior  [rhp]  verzweigt*).    Der  Hauptstamm  bildet  mit  dem  N.  spi- 

4)  Nach  CuviER,  Scüiess,  Wyman  und  Owen  besteht  der  Plexus  brachialls  nur 
in  der  Vereiniguiiig  des  dritten  und  vierteo  Spinalnerven.  Wiederholte  Untersuchun- 
gen bei  Rana  esculentu  haben  mir  gezeigt,  dass.auch  der  zweite  Spinalnerv  durch 
ein  äusserst  feines  und  in  seiner  La;;c  sehr  veränderliches  Fädchen  sich  mit  diesen 
verbindet'  Bei  Bufo  cincreus  {zclanf^  mir  dieser  Nachweis  nicht,  doch  möchte  ich 
diesem  die  erwähnte  Verbindung!  nicht  absprechen  und  eher  die  Schuld  auf  die  durch 
den  sehr  schlechten  Erhaltungszustand  der  Exemplare  bedingte  mangelhafte  Unter- 
suchung schieben.  —  Ob  die  im  Vcrhällniss  zu  den  Urodelen  verminderte  Anzahl 
der  den  Plexus  zusammensetzenden  Nerven  bei  den  Anuren  durch  Ausfall  eines 
Wirbels  und  darauf  eintretende  Verschmelzung  zweier  Nerven  bedingt  ist,  möchte, 
wenn  auch  wahrscheinlich,  doch  koum  mit  Sicherheit  zu  entscheiden  sein. 

))  Bei  den  Anuren  tmit  Ausnahme  von  Pipa  cf.  Fischkh)  kann  der  N.  spinaiis  II. 
als  Hypoglossus  aufgefasst  werden,  sicher  wenigstens  der  in  der  Zunge  selbst  endende 
Theil.  Diese  Auffassung  gewinnt  noch  dadurch  an  Gewicht,  dass  dem  Vagus  alle,  die 
Zunge  bewegenden  Elemente  abgehen.  Hinsichtlich  dieses  Verhaltens  entfernen  sich 
die  Anuren  von  den  Urodelen  und  schliessen  sich  näher  an  die  höhern  Wirbel- 
tbiere  an. 

3)  ScBiEss  orwtthnt  diesen  Nerv  ohne  ihn  lu  benennen. 

4)  CrviBR :  il  s'en  dötache  une  brauche  qui  va  au-dessus  de  l'öpaule  et  qui 
se  perd  dans  les  rouscies  de  cette  perlie. 

ScBiEM  llisst  ihn  zu  den  Muskeln  des  Schulterblattes  gehen  und  diese  versorgen, 
ohne  einen  auszunehmen. 

49* 


2SS  M»  Kürbrüiger. 

aalis  [V.  die  Ansa  lli.  und  hierauf  mit  dem  feinen  Verbindungsästebett 
des  N.  spinalis  II.  die  Ansa  II. 

Ventraler  Ast  des  N.  spinalis  IV.  {IV).  Nindestens  vierm»! 
scliwiicher  als  der  vorhergehende.  Er  giebt  zunächst  ein  oder  zv,vi 
Aestchen  ab,  die  nach  hinten  zu  den  Mm.  obliqui  atxlominis  gehen,  und 
bildet  liierauf  mit  N.  spinalis  III.  die  Ansa  spinalis  III.  Gleich  nach  dir 
Vereinigung  geht  ein  kleiner  N.  tboracicus  superior  IV.  (9)')  (für 
den  U.  tboraci-scapularis  [ths]),  ein  Aestchen  an  die  schiefen  Baucli- 
muskeln  und  ein  dem  ursprUn glichen  N.  spinalis  IV.  gleich  starker  und 
hauptsikchticb  aus  dessen  Fasern  gebildeler  Stamm  (10)  ab,  der  sich 
ebenfalls  an  die  schiefen  Baucbmujikeln  verzweigt  und  mit  einem  sulb- 
stündigcn  Nebenästchen  den  U.  abdomini-scapularis  [as)  versor^j;!. 
Dieser  der  unteren  Schicht  zuzurechnende  und  daher  N.  thoracicuä 
inferior  IV.  (10)  zu  benennende  Nerv  kann  in  einzelnen  Fallen  auch 
vom  N.  spinalis  II.  ein  Fädchen  bekommen^. 

Nach  Bildung  aller  Ansen  resultirt  ein  einfacher  kräftiger  Haupt- 
Stamm,  der  anfangs  ziemlich  homogen  gebildet  erscheint,  sich  aber  spä- 
ter in  eine  unlere  und  obere  Schiebt«  spaltet,  die  Nn.  brachiales 
inferiores  und  superiores. 

A.  Die  Nn.  brachiales  inferiores  sind  folgende: 
a)  N.  supracoracoideus  (12)*).  Kritftiger  nach  unten  und  vorn 
sich  wendender  Nerv,  der  von  der  Vorderseite  des  N.  spinalis  III. 
entsteht,  mitunter  auch  durch  ein  vom  N.  spinalis  II.  direct  kommen— 
des  sehr  dünnes  Füdchen  verstärkt  wird.  Er  giebl  noch  in  der  Brust- 
höhle ein  sehr  feines  weit  nach  hinten  verlaufendes  und  im  Reclus 
abdominis  endendes  Fadchen  (f6)  (N.  iboracicus  inferior  posterior) 
ab*).  Sodann  gehl  er  durch  die  von  Goracoid,  Epicoraooid  und 
Procoracoid  umschlossene  grosse  OeSnung  im  ventralen  Absi^nitl 
des  Brusl^rl«ls  und  zwar  an  deren  lateraler  Grenze,  seitlich  vom 
M.  sterno-hyoideus  sublimis  [stk],   und  verzweigt  sich  in  dem  M. 


<)  Von  keipem  Aator  als  selbsUndjger  Nerv  erwäbDt.  Er  enthält  io  si^  Ele- 
ineiite  des  N,  spinalis  111.  und  IV. 

3J  Dieses  Verhallen  vermitlcIteiDe  gewisse  ZusammeDgehöriBkeitKumN.  supra- 
coracoideus und  ist  von  Bedeutung  für  die  Vergleicbuag  mit  den  Reptilien, 

S{  Von  CuviEH  gar  nicht  erwHbnt.  Von  Schikss  uugenau  beitchrialKD  als  Uuskei- 
xwcig  zum  Pectorelis  major  (!)  Delloides  und  Biceps.  —  Au  der  Abiweigungsslelle 
des  N.  supracoracoideus  vom  Plexus  ist  die  Trennung  io  eine  obere  und  unlere 
Schicht  noch  so  wenig  angedeutet,  dass  der  Mangel  jeglicher  Elemente  eines  N. 
brachialis  superior  nicht  milBesiimmlheit  nachgewiesen  werden  konnte. 

t)  Dieses  FSdcben  scheint  nicht  conslant  zu  seiu;  Irühere  Beobachter  er- 
wähnen es  nicht. 


Znr  vergleichfnden  Anatomie  der  Scbnltennnskeln.  289 

coraco-radialis  proprius  {crp)  (13)  und  den  ventralen  und  hintern 
Theilen  des  M.  epistorno-cleido-acroraio-humeralis  [eclah]  (14). 
Bei  Bufo  zweigt  sich  von  ihm  ein  dünnes  Fifdehen  ab ,  das  zwischen 
den  beiden  erwähnten  Muskeln  und  vor  dem  M.  pectoralis  an  die  Haut 
der  Brust  tritt  ^) .  —  Der  Nerv  entspricht  bis  auf  den  diesen  fehlenden 
Hautast  vollkommen  dem  N.  supracoracoideus  der  Urodelen. 
Nach  Abzweigung  des  N.  supracoracoideus  ist  die  obere  und  untere 
Schichte  des  in  einen  starken  Äst  zusammengezogenen  Plexus  noch  innig 
vereint  und  verbleibt  dies  wahrend  des  ganzen  Verlaufes  in  der  Brust- 
höhle.    Erst  nach  dem  Austritt  aus  derselben  am  hintern  Rand  der 
Scapula  trennen  sich  beide  Theile.    Der  die  untere  Schichte  repräsen- 
tircnde  Theil  ist  der  kräftige  N.  brachialis  longus  inferior. 

b)  N.  brachialis  longus  inferior  (21)  ^). 

Seine  Aeste  sind : 
a]  Nn.  pectorales  und  coraco-brachiales  (19,  22)3).  Beide 
entspringen  bald  nach  der  Abtrennung  von  dem  N.  brachialis  longus 
superior  mit  zwei  Stämmen.  Dereine  (19  +  22)  dnngt  durch  den 
M.  coraco-brachialis  brevis  internus  (c66t),  diesen  versorgend, 
hindurch  und  endet  in  dem  M.  coraco-brachialis  longus  [cbl]  und 
derParsepicoracoidea des M. pectoralis  [pec]  *).  Der  andere  (19) 
tritt  hinter  dem  M.  coraco-humeralis  longus  an  die  Pars  sternalis 
[psti  und  abdominalis  des  M.  pecloraKs  [pa)  und  giebt  noch  einen 
ansehnlichen  Hautast  (1 8)  ab ,  der  sich  um  den  Aussenrand  des 
Pectoralis  heruin  an  den  untern  Theil  der  Brust  wendet. 

Diese  Nerven  entsprechen  im  Allgemeinen  den  gleichbenann- 
ten der  Urodelen.  Abweichungen  von  der  Bildung  bei  diesen  sind 
die  Durchdringung  des  M.  coraco-brachialis  brevis  durch  einen 
Nervenast  und  der  tiefe  Abgang  der  Nn.  pectorales,  die  nicht 
direct  aus  dem  Plexus  entstehen .  sondern  sich  erst  von  dem  N. 
brachiaÜR  longus  inferior  abzweigen.  Beide  Unterschiede  sind 
unwesentlich.  Ersterer  beruht  nur  auf  einer  excessiven  Ver- 
mehrung der  Muskelbündel  des  Coracobrachialis  tlber  die  durch 
den  Nerven  bestimmte  hintere  Grenze  hinaus  ^) ,    letzterer  ist 

4)  Bei  Rana  trotz  wiederholter  Bemühungen  nicht  aufgefunden.  Auch  weder 
von  CuviBK  noch  von  Schiess  beschrieben. 

5)  Nerf  median:  Cuvisk.  —  N.  radiali(>:  Schibss  (!).— Median:  Owev. 
8)  ScHiEss  erwähnt  nur  einen  N.  thoracicus  longus  zum  M.  abdomino^-humeralis 

und  einen  Zweig  zur  Haut. 

4^  In  einem  einzigen  Falle  gab  der  Nerv  auch  ein  äusserst  dünnes  Födchen  an 
die  hintern  Fasern  des  M.  supracoracoideus  ah. 

5!  Derartige  durch  die  Muskeln  bedingte  Veränderungen  der  gegenseitigen  Be- 
ziehungen zwischen  diesen  und  den  Nerven ,  sei  es  eine  Umwachsung  oder  sei  es 


290  Mm  Fflrbtiiigsr. 

lediglich  bedingt  durch  eine  abweichei 
roglis. 
ß)  N.  cutaneus  brachii  inferior  media lis  (Ü5) ').    Ansehn- 
licher Hautnerv,  der  in  der  Hitle  des  Oberarms  sich  abzweigt  und 
an  die  Gegend  des  Ellenbogens  undderUlDarseitedesVordcrarno 
geht.  —  Der  Nerv  ist  ein  Homologen  des  N.  cuUneus  iotcrnu^ 
major  s.  medius. 
y]   N.  cutaneus  brachii  inferior  lateralis  [3G)^].    Gehl  ,n> 
dem  unlern  Drittel  des  Oberarms  vom  N.brachialis  longiis  inferior  ; 
ab,  und  läuft  ulnar  neben  der  Sehne  des  M.  coraco-radialis  pro- 
prius  [crp]  nach  der  Beuge  der  Radinlseite  des  Vorderarms. 

Dieser  Nerv  ist  dem  die  Haut  versorgenden  Endaste  des  N- 
musculo-cutaneus  vergleichbar. 
Der  Hauptstamm  verläuft  neben  der  Sehne  des  M.  coraco-radialis 
proprius  [crp]  an  den  Vorderarm  und  vcrKweigt  sich,  zuerst  in  zwei, 
dann  mehr  Äeste  gethelll,  in  den  Muskeln  und  der  Haut  der  Beugr 
des  Vorderarms  und  der  Hand. 

Dieser  Theil  des  Nerven  entspricht  den  Vorderarm-  und  Hand- 
partien der  Rr.  superficialis  und  profundus  n.  brachialis  longi  in- 
feriorts  der  Urodelen  oder  theilweise  den  Nn.  medianus  und  ulnaris 
des  Menschen.  Eine  durch  die  Vertheilung  der  Neuroglia  bedingte, 
also  unwesentliche  Abweichung  von  den  Bildungen  hei  denUrodelen 
ist  gegeben  Inder  i'egolmüssigerst  in  der  Ellenbogenkehle  erfolgeuden 
Theilung  in  die  beiden  Br.  superficialis  und  profundus. 
B.  No.  brachiales  superiores.  In  der  Brusthöhle  noch  fesi 
mit  den  Nn.  brachiales  inferiores  vereinigt.  Ihre  Aesl«-  sind  folgende ; 
u)  Nn.  latissimi  dorsi  (Üi)  und  dorsales  scapuhic  (;)0)  '  . 
Zwei  ansehnliche  Aesic,  die  am  hintern  Rand  der  Scapula  noch  \cx- 
der  Trennung  in  N.  brachiales  supcriores  und  inferiores  sich  abzwei- 
gen. Der  eine  geht  von  der  Hinterseito  des  Haupistammes  ah  und 
verlhcilt  sich  entweder  im  M.  latissimusdorsi  (d/t)  (:ii]  und  dem  klei- 
nem hinteren  Theile  des  H.  dorsalls  scapulae  {ds]  (3 1  ]  oder  (seltener 
in  ersterem  Muskel  allein  (3i).  Der  andere  zweigt  sich  etwas  wei- 
ter unten  von  der  Vorderseite  des  Haupistammes  ab,  inncrvirl  uiii 
einer  Anzahl  von  Aeslen  in  der  Begel  den  grössern  vordem  Theil 

eine  Zertheilung  der  Iclzlercn  durch  die  cnilcren,  kommen  fast  in  bIIi'ii  CIüsscd  di:r 
Wirbcllbiore  zur  Beobachtung. 

4)  Schiebst  Hauttweig  lum  Ellenbogen. 

5)  Von  ScHiEss  übersehen. 

3]  Von  Cdtieh  uDd  Schie»  nicht  beschrieben,  von  Ovek  als  iiaiillery  nfiv" 
gedeutet. 


^^n 


Zur  vergleichenden  Anatomie  der  Scliultermuskeln.  291 

des  M.  dorsalis  scapulae  (ds)  (31)  oder  seltener  den  ganzen  Muskel 
und  geht  dann ,  zwisdien  dessen  Insertionssebne  und  dem  hintern 
Rande  demnächst  der  Aussenfläche  der  Scapula  nach  der  Hauptmasse 
des  M.  acromio-humeralis  (ah)  (33)  und  mit  einem  sehr  feinen  Haut- 
ästchen  (N.  cutaneus  brachii  superior  lateralis)  (32)  an  die  Haut  der 
Schulter. 

Der  den  M.  laüssimus  dorsi  innervirende  Theil  entspricht  dem 
N.  latissimus  dorsi,  die  übrigen  Aeste  dem  N.  dorsalis  scapulae  der 
Urodelen.  Die  Vereinigung  von  Elementen  des  letzteren  Nerven  mit 
denen  des  ersteren  in  eine  gemeinsame  Bahn  ist  ledi^ich  durch  eine 
abweichende  Vertheilung  des  Nervenkitls  bedingt.  Keineswegs  darf 
das  mit  dem  Stamme  des  N.  latissimus  dorsi  verbundene  und  zu  den) 
hintern  Theile  des  M.  dorsalis  scapulae  gehende  Aestchen  als  Homo- 
logen eines  N.  teres  major  (subscapularis  medius)  aufgefasst  werden. 
Dagegen  spricht  einmal  die  auch  zur  Beobachtung  kommende  voll- 
kommene Trennung  der  Nn.  dorsales  scapulae  von  den  Nn.  latissin)i 
dorsi,  ferner  die  vollkommene  Homogenität  des  M.  dorsalis  scapulae, 
endlich  die  bei  den  Reptilien  bestimmt  nachweisbare  Entstehung  des 
M.  teres  major  aus  zum  System  des  H.  subscapularis  gehörenden 
Elementen. 

h]  N.  cutaneus  brachii  et  antibrachii  superior  (41)  ^)  zweigt 
sich  dem  zweiten  N.  dorsalis  scapulae  gegenüber  von  der  IlintefTseitc 
des  Hauptstanimes  ab  und  versorgt  die  Haut  der  Streckseite  des  Ober- 
und  Vorderarms.  Zum  Theil  dem  bei  den  Urodelen  beschriebenen 
kleineu  Hautnerven  des  N.  radialis  superficialis,  zum  Theil  einzelnen 
Partien  des  N.  radialis  superficialis  selbst  entsprechend.  —  Ein  di- 
rectes  Homologen  fehlt  beim  Menschen. 
Erst  nach  Abgabe  des  letzten  Astes  trennt  sich  die  obere  Schicht 

vollsliindig  von  der  untern  als  N.  brachialis  longus  superior. 

()  N.  brachialis  longus  superior  s.  radialis  (35,  38)  2].  Sehr 
krafliger  Stamm,  der  dem  N.  brachialis  longus  inferior  an  SUirke 
beinahe  gleich  konmU.  Er  giebt  an  der  Trennungsstelle  ein  oder 
zwei  Rr.  nuisculares  (iO)  an  den  M.  anconaeus  scapularis  medialis 
[US in]  und  den  medialen  und  mittleren  Theil  des  M.  anconaims 
hunieralis  (a/tw,  ahi)^)   ab,    geht   dann   zwischen   M.  anconaeus 


V  Weder  von  Cuvier  noch  von  Schiess  erwähnt. 

2}  Nerf  radial:  Cüvier.  —  Nervus  ulnari»:  Schiess  (!'.  —  Museulo- 
spira  I :  Owen.  —  Die  Deutung  von  Schiess  bedarf  keiner  Widerlegung. 

3)  Schiess:  »Zwischen  dem  radialis  und  ulnaris  aus  ihrem  Theilungswinkel 
onlsteiit  ebenfalls  ein  ziemlich  beträchtlicher  Muskelnerv,  der  die  Muskulatur  des 
Kllonbogcns  auf  sirh  nimmt«.    Diese  Rr.  musculares  für  den  M.  anconaeus  ktooen 


Hau  Kfitbringer. 

iilaris  medialis  {asm)  utida.  bumeralis  lateralis  {ahl).  ersteren 
Man,  letzleren  lateral  lassend,  in  die  Tiefe  der  Streck— 
lulatur  des  Oberarms,  innervirt  die  nnch  nicht  versoi^len  Thcitc 
?lbcn  und  tritt  nach  gedehnt  spiraligem  Verlaufe  vor  dem  Epi— 
ylus  r.-idialis  nach  aussen  und  von  da  an  die  Streckscite  des 
crarms  und  der  Hand  (;)7j. 

Der  Nerv  ist  als  ein  Homologon  der  Nn.  radialis  superficialis  und 
indus  der  L'rodelon  (mit  Ausnahme  des  von  erslerem  abgehenden 
len  Ilaulastesj  aufiufcssen.  Ein  aiiffallendtT  Untci'schipd  liegt  in 
tr  veränderten  Lage  zum  a.  scaput.'fris  medialis :  wahrend  er  bei 
Jrodelen  diesen  Muskel  lateral  lüsst,  geht  erbe!  den  Anuren  lateral 
im  vorbei.  Dieses  Verhalten  ist  bedingt  durch  den  von  dem  der 
lelcn  abweichenden  Ursprung  dieses  Muskels  (vergleiche  unten 

6  die  Beschreibung  des  H.  anconaeus  scapularis  medialis). 

§.6. 
Hoikeln  der  Schnlter  nnd  des  Oberarma'). 
(Vergleiche  Ta(.  XVU  u  XVIII.) 
Muskeln  derSchulterund  des  Oberarms  der  Anuren  zeigen,  iheil— 
itsprechend  der  Ausbildung  der  Knochen,  eine  viel  grossere  Ent- 
en eotepriDgeD.    Regel  ist  das  im  obigen  Teil  beschriebene  Verhalten, 
n  isl  eine  Abzweigung  vom  N.  radielia  hinter  der  Tbeilungsslelle.  HHuBgor 

von  dem  Anfangalheile  den  N.  brachialis  loogus  ioferior  ab.  Dieses  Vor- 
kann eine  Versoi^ng  des  M.  anoonneus  durch  der  nntern  Schiebte  ange- 
Nerven  vortäuschen.  Die  genauere  Untersiichnng  und  Ahlrennun;:  der 
)  Zweige  von  dem  longus  inTerior  ergieht  jedoch ,  dass  nur  eine  luHilligG 
Dg  durch  Neuroglia  vorliegt,  und  dass  der  Nerv  wirklicli  von  der  oberen 
enlapringt.  Jedenfutls  zei);t  dieses  ^auch  hei  äüugetliiereii  beobachtete) 
,  wie  wenigWerlh  auf  die  Bildung  vonAnasInmuscn,  wie 

Unterschiede  einer  liJthcrn   oder  tiefem  Abiwcigang  zu 


von  Hasselt,  Beiträge  zur  Zoologie  der  Rana  esculenta.    Kuhl's  Betti^ge 
•logie.    Frankfurt  a.  M.  tSSO.  S.  US  (. 
Balrachomyologia.  Jenae  l8iS. 

,  über  d.  Schulte rgerijst  d.'rScIiildkrälen  mil  den  daran  sitzenden  Muskeln. 
IT.  p.  tS9  (enthält  Bemerkungen  ütier  die  Schultermuskeln  der  Frosche,. 
eilrag  zur  anatomischen  Monographie  der  Rana  pipa  Nova  .icla  snc.  Carnl. 
inl.  cur.   1838.  S.  S3t  f. 

1,  a.  0.  III.  S,  168  f.  S.  177  r.  S.  SOI  f.  (Pipa,  Bufo,  Rana,  Hjla.J 
,  B.  0    S.  IJ8  f. 


Zur  vergleicbeud«!!  AoHtomie  der  SchuKermuskelii.  293 

Wickelung  als  bei  den  Urodelen.  Diese  zeigt  sich  einmal  in  emer  sehr 
weit  gehenden  DifferenziiTing  der  von  den  Nn.  thoracici  superiores  ver- 
sorgten Muskelmassen  und  einer  hiermit  verbundenen  Neubildung  von 
Mm.  rhomboidei,  ferner  in  einem  Zerfall  der  Mm.  pectoralis  und  epistemo- 
cleido-acromio-humeralis  in  einzelne  getrennte  Partien,  endlieh  in  einer 
ansehnlichen  Volumensvergrösserung  einzelner  Muskeln  (Mm.  coraco- 
radialis  proprius  und  coraco-brachialis  brevis),  zu  der  eine  betrachtliche 
Reduction  bis  vollständige  Verkümmerung  anderer  (Mm.  supracoracoideus 
und  subcoracoscapularis)  in  Correlation  steht.  Eine  den  Batrachiern 
eigenthümliche  Bildung  ist  der  M.  interscapularis. 

Aehnlich  wie  bei  den  ürodelen  lassen  sich  die  Muskeln  der  Anuren 
in  folgender  Weise  eintheilen. 

A«  Durch  N.  vagus  innervirt : 

Insertion  an  dem  dorsalen  Abschnitte  des  Brustgürtels 
(Scapulaj. 

a)  Ursprung   vom  Kopfe,   Innervation  durch  den  R.  ac- 
cessorius  n.  vagi : 

Captti-scapularis  (Cucullaris). 

b)  Ursprung    vom    Suprascapulare,     Innervation   durch 
den  R.  scapularis  n.  vagi: 

Intet'scapularis. 


CoLLAN,  a.  a.  0.  S.  S8  f. 

Klein,  Beiträge  zur  Anatomie  der  ungcschwönztcn  Balrachicr.  Jahreslicfl  des  Ver- 
eins für  vaterländische  Naturkunde  in  Würtemberg.  6  Jahrg.  4  850.  S.  4  f.  (Myn- 
logio  von  Bufo  agua,  margnritifera  ,  variabilis,  Cystignalhus  occllatus,  Rana  tem- 
poraria,  Hyla  palmata  und  arhorea,  Pipa  americana.) 

Fkeifper,  a.  a.  0.  S.  47  f. 

STANIVID8,  a.  a.  0.  S.  1S1  f.  S.  425  f. 

EcKEB ,  a.  a.  0.  S.  84  f.  S.  84  f.  S.  89  f. 

Ri'DiiiGER,  a.  a.  0.  S.  S6  f.  S.  96.  S.  402  T.  (Bufo  cinereus,  Rana  temporaria,  esculenta 
mugien.s,  Pipa  americanai  Hyla,  Rana  paradoxa  Rana  bufo  [?]). 
Die  Abhandlungen  von 

Altena ,  a.  a.  0. 

Martin  8t.  Ahgb,  Annalcs  des  Sciences  naturelles.  Tome  XXIV.  4884.  p.  898. 

konnte  ich  nicht  vergleichen. 

Die  Untersuchung  beschränkte   sich  auf  Rana  esculenta  und  Bufo  cinereus. 

.lungere  Frösche  zeigten  keine  Besonderheiten.    Junge  Larven  wurden  in  Bezug  auf 

di(*  Entwicklung  nur  vorübergehend  beachtet.    Duges  und  Sternbeim  [Entwicklung 

des  Froschembryos,  insbesondere  des  Muskel- und  Genitalsystems.   Abhandlungen 

des  nalurwiss.  Vereins  zu  Hamburg  4846.  S.  47  f.)   bieten   über  diesen  Punct  nur 

Dürftiges.  ~  Eine  myologisohe  Untersuchung  von  Microps  (oderHylaedactylus)  dürfte 

^erthvolie  Aufschlüsse  Über  die  Verwandtschaft  mit  den  Ürodelen  einerseits  und  den 

Cbeloniern  anderseits  ergeben  und  ist  sehr  wünschen swerth 


294  Max  Filrbriiiger. 

B.  Durch  Nn.  thoracic!  superiores  innervirt: 
Insertion  am  dorsalen  Abschnitte  des  BrustgUrtels. 

a)  Ursprung    vom    Hinterkopfe,    Insertion    am    Supra- 
scapulare. 

a)  Vom  ventralen  Theile  des  Hinterkopfes: 

Basi-suprascapularis  (Levator  scapulae  inferior), 

ß)  Vom  lateralen  Theile  des  Hinterkopfes: 

Pelroso-suprascapularis  (Levalor  scnpulae  superior). 

y)  Vom  dorsalen  Theile  des  Hinterkopfes: 

Occipiti-  suprascapularis  (Rhomboideus  anterior), 

h)  Ursprung  vom  Rumpfe  (Processus  transverso-costales. 
a )  Insertion  an  der  Scapula : 

Thoraci-scapularis  (Serratus  magnm  inferior). 
ß)  Insertion  an  dem  Suprascapulare : 

Thoraci -  suprascapularis    (Serratus   macjnus    superior    mtt 
Rhomboideus  posterior). 

s 

C«  Durch  N.  thoracicus  inferior  innervirt : 
Ursprung  vonderBauchflüche,  Insertion  an  derScapula: 
A  bdom  mi-scapularis. 

Dt  Durch  Nn.  brachiales  inferiores  innervirt : 

(/)  Ursprung  vom  Rumpfe  (Bauchfläche,  Sternum,  auch  auf  d\v 
Verbindung  der Epicoracoide  übergreifend),  Insertion  am  Ober- 
arm: 

Pectornlis, 

b]  Ursprung  vom  ventralen  Theile  des  BrustgUrtels  (auch 
auf  Ster na I theile  übergreifend)  : 

a)  Durch  N.  supracoracoideus  innervirt,  Insertion  am  Vorderarm  : 

Coraco -radia lis  proprius. 
ß)  Durch  Aeste  des  N.  brachialis  longus  inferior  innervirt,  Inseition 
am  Oberarm: 

Coraco-brachialis  longus. 

Coruco-brachialis  brevis  internus. 

E.  Durch  Nn.  brachiales  inferiores  und  superiores  zu- 
gleich innervirt: 

Ursprung  vom  vorderentheile  des  Brustgürtels  (Clavicula, 
Acromion,  auch  auf  das  Episternum  tibergreifend),  Insertion  am 
Oberarm: 

Epistemo^-deido-acromio-humeralis. 


Zur  verKleicheudeu  Anntomie  der  Scliultermuskelu.  295 

F.  Durch  Nn.  brachiales  superiores  innervirt: 

a)  Ursprung  vom  Rumpfe  (dorsale  Fläche  des  Rückens) ,  Inser- 
tion am  Oberarm: 

Dorso-humeralis  (Latissimus  dorsi). 

b)  Ursprung  von  der  AussenflHche  des  dorsalen  Ab- 
schnittes des  Brustgürtels  (Suprascapulare) ,  Insertion 
am  Oberarm: 

Dorsalis  scapuiae. 

c)  Ursprung  vom  dorsalen  Abschnitte  des  Bruslgürtois 
(Scapula)  und  Oberarm,  Insertion  am  Vorderarm: 

Anconaeus. 


1.  Capiti-scapnlaris  (Cncullaris)  (vs)^). 

Protractor  acromii:  Zenker  (No.  97.  98),  Anonymus. 
Scapulo-mastoidieni  sterno-masloidicn  (Cuvier)  :  Duges(No.63). 
Sternomas  toi  dien:  Cdvier. 

Levntor  scapulae  inferioris:  Volkmann,  Fischer. 
Sternocleidomastoideus:    Collan,   Klein,   Pfeiffer,   Ecker 

(No.  44). 
Scapulo-mastoideus  s.   Sternocleidomastoideus:    Rü- 

DINGER. 

Er  entspringt  von  dem  lateralen  Theile  des  Os  occipilale  externum, 
\on  dem  Os  tympanicum,  vom  hintern  Rande  des  Trommelfells  und  von 
dem  lateralen  Theile  des  Os  pelrosum  und  geht,  bedeckt  von  dem  soge- 
nannten Digastricus  maxillae  inferioris  [dg^  nach  hinten  und  unten,  wo 
er  an  der  Unterüache  des  vorderen  Randes  der  Scapula  (oberhalb  des 
Acroniion)  zwischen  dem  M.  interscapularis  [is]  und  acromio-humera- 
lis  [ah)  inserirt. 

Innervirt  durch  den  R.  accessorius  n.  vagi  (a). 

Der  Muskel  entspricht  dem  vorderen  Theile  des  M.  capili-dorso- 
sctipularis  der  Sozuren  und  ist  aus  den  bereits  bei  diesen  angegebenen 
(irUnden  mit  dem  menschlichen  M.  cucuUaris  zu  vergleichen.  Für  die  von 
•den  meisten  Untersuchern  vorgeschlagene  Homologie  mit  dem  M.  sterno- 
cleidomastoideus des  Menschen  spricht  allerdings  der  sehr  weit  lateral- 

t)  Von  .Meckel  unter  No.  4 .  S.  464  angegeben,  aber  nicht  benannt.  Stannius 
beschreibt  ihn  als  Muskel ,  »der  vom  Schttdelquerfortsatze  an  den  Vordernind  der 
Scapula  über  demAcromion  erstreckt  ist«. 


I  ü    *  "■". 


ivi^ 


flu 


294  Max  FOrbriiiger. 


B.  Durch  Nn.  thoracici  superiores  innerviit: 
Insertion  am  dorsalen  Abschnitte  des  Brustgürtels. 

a)  Ursprung    vom    Hinterkopfe,    Insertion    am    Supra- 
scapulare. 

a)  Vom  ventralen  Theile  des  Hinterkopfes  : 
J  Basi-suprascapularis  (Levator  scapulae  inferior), 

ß )  Vom  lateralen  Theile  des  Hinterkopfes : 

Petroso-suprascapularis  (Levator  scapxdae  stiperior), 
y)  Vom  dorsalen  Theile  des  Hinterkopfes: 

Occipiti-  siiprascapularis  (Rhomboideus  anterior) . 

f))  Ursprung  vom  Rumpfe  (Processus  transverso-costalos  . 
a )  Insertion  an  der  Scapula : 

Thoraci-scapularis  (Serratus  magnus  inferior). 
ß)  Insertion  an  dem  Suprascapulare : 

Thoraci -  suprascapularis    (Serratus   magnus    superior    vnt 
Rhomboideus  posterior), 

C«  Durch  N.  thoracicus  inferior  innervirt : 
Ursprung  von  derBauchfläche,  Insertion  an  der  Scapula: 
A  bdomtni-scapularis. 

Dt  Durch  Nn.  brachiales  inferiores  innervirt : 

n)  Ursprung  vom  Rumpfe  (Bauchflüche,  Stcrnum,  auch  auf  die 
Verbindung  der Epicoracoide  übergreifend),  Insertion  am  Ober- 
arm: 

Pectoralis, 

b]  Ursprung  vom  ventralen  Theile  des  Brustgürtels  (auch 
auf  Sternaltheile  übergreifend): 
a)  Durch  N.  supracoracoideus  innervirt,  Insertion  am  Vorderarm  : 

Coraco  -radia  lis  proprius . 
ß)  Durch  Aeste  des  N.  brachialis  longus  inferior  innervirt,  Insertion 
am  Oberarm: 

Coraco-brachialis  longus, 
Covüco-brachialis  breois  internus. 

E.  Durch  Nn.  brachiales  inferiores  und  superiores  zu- 
gleich innervirt: 

Ursprung  vom  vorderen  Theile  des  Brustgürtels  (Claviculn, 
Acromion ,  auch  auf  das  Episternum  übergreifend) ,  Insertion  am 
Oberarm: 

Episterno-cieido-acromio-humeralis. 


Zur  Yerf^leicliendeu  Anatomie  der  Scliultermuskeln.  295 

F.  Durch  Nn .  brachiales  superiores  innervirt : 

a)  Ursprung  vom  Rumpfe  (dorsale  Flache  des  Rückens],  Inser- 
tion am  Oberarm: 

Dorso-humeralis  (Latissimus  dorsi). 

b)  Ursprung  von  der  Aussenfl^che  des  dorsalen  Ab- 
schnittes des  Brustgürtels  (Suprascapularej ,  Insertion 
am  Oberarm: 

Dorsalis  scupulue. 

c)  Ursprung  vom  dorsalen  Abschnitte  des  BrustgUrtols 
(Scapula)  und  Oberarm,  Insertion  am  Vorderarm: 

Aficonaeus. 


1.  Capitt-scapnlaris  (Cucullaris)  [cs]^), 

Protractor  acromii:  Zevkee  (No.  97.  98^  Akonymus. 
Scapulo-mastoidien,  sterno-miistoidicD  ,Cuvier;  :  Duges(No.63;. 
Stornomastoidicn:  Cüvier. 

Levator  sc a pul ac  inferior is:  Volkmakn,  Fischee. 
Sternocleidomnstoideus:    Collan,   Klein,   Pfeiffer,   Ecker 

(No.  44). 
Scapulo-mastotdeus  s.   StcrDOcleidomastoideus:    Rü- 

oinger. 

Er  entspringt  von  dem  lateralen  Theilc  des  Os  occipitale  externum, 
\on  dem  Os  tympanicum,  vom  hintern  Rande  des  Trommelfells  und  von 
dem  Irtleralen  Theilc  des  Os  petrosum  und  geht,  bedeckt  von  dem  soge- 
nannten Digastricus  maxiilae  inferioris  [dg)  nach  hinten  und  unten,  wo 
er  an  der  Unlerflnche  des  vorderen  Randes  der  Scapula  (oberhalb  des 
Acromion)  zwischen  dem  M.  inlerscapularis  [is]  und  acromio-humera- 
lis  [ah)  inserirt. 

Innervirt  durch  den  R.  accessorius  n.  vagi  (a). 

Der  Muskel  entspricht  dem  vorderen  Theile  des  M.  capiti-dorso- 

scapularis  der  Sozuren  und  ist  aus  den  bereits  bei  diesen  angegebenen 

(irUnden  mit  dem  menschlichen  M.  cucullaris  zu  vergleichen.  Für  die  von 

•lion  meisten  Untersuchern  vorgeschlagene  Homologie  mit  dem  M.  sterno- 

cleidomastoideus  des  Menschen  spricht  allerdings  der  sehr  weit  lateral- 


1)  Von  Meckel  unter  No.  4.  S.  464  angegeben,  aber  nicbt  benannt.  Stannius 
bcßcbrelbt  ihn  als  Muskel ,  »der  vom  Schfidelquerfortsatze  an  den  Vordernind  der 
Scapula  über  dem  Acromion  erstreckt  ist«. 


296  Max  Fflrbringcr. 

wärts  liegende  Ursprung;   allein  die  nur  auf  die  Scapula  beschränkte 
Insertion  (obwohl  eine  Clavicula  bei  den  Anuren  exislirt)  schliessl  ohne 
Weiteres  eine  Vergleichung  mit  diesem  Muskel  aus ,  falls  die  oben    (bei 
den  Urodelen)  gegebene  Bestimmung  desselben,  wonach  die  Insertion  nn 
der  Clavicula  sein  wesentlichstes  Merkmal  ist,  festgehalten  wird.     Die 
Abweichung  des  Ursprunges  von  der  Mittellinie  des -Hinterhauptes  ist 
als  eine  durch  die  kräftige  Entwickelung  der  an  den  Schädel  gehenden 
Längsmuskelmasse  des  Rumpfes  und  des  M.  rhomboideus  anterior  be- 
dingte Anpassung  zu  erklären.  —  Von  Bedeutung  ist  die  Veränderlich- 
keit des  Muskels  in  der  Classe  der  Amphibien.    Bei  den  Sozobranchiern 
ist  er  auf  die  Rumpfgegend  beschränkt,  bei  den  Sozuren  hat  er  sich  nach 
vorn  bis  zum  Hinterkopfe  entwickelt  und  entspringt  sowohl  von  Kopf 
als  von  Rumpf,  bei  den  Anuren  endlich  fehlt  jegliche  Rumpfpartie,  der 
Muskel  entspringt  lediglich  vom  Kopfe.    Durch  dieses  Verhalten,  das 
durch  die  Annäherung  des  Brustgürtels  an  den  Kopf  und  durch  die  vor- 
wiegende Entwickelung  des  Suprascapulare  und  der  vom  Rücken  her 
an  sie  tretenden  Muskeln  bedingt  ist^),  bilden  die  Anuren  einen  End- 
punct  der  Entwickelungsreihe  innerhalb  der  Amphibien ,  der  weder  an 
Reptilien  und  Vögel  noch  an  Säugethiere  Anknüpfungen  erlaubt. 


2.  Interscapnlaris  (is)^). 

Subscapularis:  Zenker  (No.  87.  88)..  Awontmus. 
Interscapularis,   Interscapulaire:    Ducts  (No.  64) ,    Klsiu. 

Pfeiffer,  Ecker,  Rüdinger. 
Flexorscapulae:  Collan  (No.  62}. 

« 

Mittelgrosser  Muskel  an  der  Innenfläche  des  dorsalen  Abschnittes 
des  Brustgürtels.  Er  entspringt  unterhalb  des  Verlaufes  und  der  Insertion 
des  M.  basi-suprascapularis  (bss)  von  der  untern  Hälfte  und  den  vorderen 
zwei  Dritteln  des  Suprascapulare  und  geht  mit  convergirenden  Fasern  an 
die  Scapula  wo  er  schmal  zwischen  M.  capiti-scapularis  [es),  omohyoideus 
[oh]  und  thoraci-scapularis  [ths)  inserirt. 


4)  Danach  ist  wahrscheinlich ,  dass  bei  den  Anuren  mit  sehr  kleinem  Supra- 
scapulare z.  B.  Microps,  Sysloma,  Ceratophrys  auch  eine  Rumpfpartie  des  Cuculla- 
ris  existirt.   Untersuchungen  dieser  Thiere  müssen  das  Weitere  unterscheiden, 

2}  Von  Mecxel  unter  No.  8.  S.  466  beschrieben.  —  Cu\ibr  giebt  an:  11  y  n  de 
plus  ä  Tomoplate  un  muscie  propre,  situ6  ä  la  face  interne,  entre  les  deux  portions 
etc.  —  Stannius  sagt :  »Scapula  und  Pars  suprascapularis  sind  verbunden  durch  einen 
Muskel ,  der  von  der  untern  Fläche  der  einen  zu  der  der  andern  tritt«.  —  Fiscber 
giebt  bei  Pipa  einen  M.  interscapularis  an,  während  Klein  ihn  ableugnet. 


Zor  vergleicheudeu  ADatomie  der  Sehultermuskelii.  297 

Innervirt  durch  den  R.  scapularis  n.  vagi  (<7J. 

Eine  Yergleichung  dieses  Muskels  mit  dem  M.  subscapularis  (Zenker] 
wird  ohne  Weiteres  durch  seine  Versorgung  durch  einen  Vagusast  aus- 
£i;esch1ossen.   Der  Muskel  ist  eine  den  Batrachiern  eigenthümliche  Bildung, 
die  bei  keinem  Wirbelthiere  ein  directes  Homologen  hat.  Die  Innervation 
durch  den  N.  vagus  trennt  den  M.  interscapularis  ebenso  wie  den  M.  cucul- 
laris  von  allen  andern  Muskeln  des  BrustgUrteis  und  der  vordem  Ex- 
tremität und  giebt  ihm  eine  nähere  Beziehung  zu  den  übrigen  vom 
Vagus  innervirten  Muskeln ,  speciell  den  Muskeln  der  hintern  Zungen- 
beinhomer.   Aber  weder  diese,  noch  die  ihnen  homologen  der  Riemen- 
bogen bei  den  Sozobranchiern  bieten  Bildungen  dar,  die  nach  Ursprung, 
Insertion   und  sonstiger  Lage  mit  dem  Interscapularis  irgend  welche, 
wenn  auch  fernere,  Vergleichung  gestatten.    Erfolgreicher  erweist  sich 
die  Untersuchung  der  im  Vagusgebiete  liegenden  Muskeln  der  Kiemen- 
bogen  bei  den  Selachiern.    Bei  diesen  (nach  Vettbr's  Untersuchungen 
auch  bei  den  Chimaeren  und  Ganoiden,   jedoch  nicht  bei  den  Tele- 
ostiern)  liegen  an  der  Innenseite  der  Kiemenbogen  kleine  Muskeln ,  die 
von  dem  untern  Ende  des  oberen  Kiemenbogens  entpringen  und  an  dem 
obern  Ende  des  untern  inseriren,  die  in  übereinstimmender  Weise  wie 
der  M.  interscapularis  der  Anuren  von  ähnlich  sich  abzweigenden  Aesten 
des  N.  vagus  versorgt  werden  und  die  nach  ihrer  Function  die  oberen  und 
untern  Kiemenbogen  einander  zu  nähern,  Mm.  adductores  bran- 
chiarum  oder  nach  ihrer  Lage  Mm.  interbranchiales  benannt 
werden  können.    Diese  Muskeln,  die  übrigens  den  Adductoren  des 
Palato-quadratum  und  Mandibulare  (theilweise  den  Kaumuskeln  ent- 
sprechend) homodynam  sind,   müssen  als  metamere  Homologe 
des  M.  interscapularis  der  Anuren  angesehen   werden. 
Diese  Thatsache  ist  ein  weiterer  Beitrag  zur  Erkenntniss  der  nahen 
Beziehungen  des  Bnistgürtels  und  seiner  Weichtheile  zu  dem  Gebiete 
des  N.  vagus,  einer  Erkenntniss,  die  auf  myologischem  Gebiete  bisher 
nur  durch  das  nicht  strict  beweisende  Verhältniss  des  M.  cucullaris 
(und  M.  sternocleidomastoideusj  zum  N.  accessorius^j  gestützt  wurde; 
sie  zwingt  uns  zugleich,  ii  dem  Bnutgirtel  (IrBsth^gea)  eb  MeUaieres 
ltM«l«gM  der  IUeHeib«gei  uu«erkeMiM|  das  seine  ursprüngliche  Ab- 


4 )  Die  Anheflung  des  M.  cucnllaris  und  sternocleidomastoideus  an  den  Brust- 
gürtel kann  von  Gegnern  dieser  Ansicht  für  eine  secundäre  Anpassungserscbeinung 
erklttrt  werden,  ohne  dass  dieser  Einwurf  erfolgreich  widerlegt  werden  könnte. 
Unmöglich  ist  dies  hei  dem  M.  interscapularis,  der  mit  seiner  ganzen  Masse  lediglich 
auf  den  Brusigürtel  beschränkt  ist. 


[eit  vom  N.  vagus  nur  in  vereinzeilen  Besiducn  (deren  wich— 
der  H.  intersciipularis  der  Batrachier  ist)    gewahn  hat*). 

Basi-saprascapnlaris  (LeTator  seapnlae  inferior)  {bss)  ^) . 

Protractor  scapulae:    Zenieh  (Na.  9B.  96} ,    Anonthus,    Klein, 

pFEirFBR. 

Schulterblaltheber:   Meckel  [So.  3). 
Sous-occipito-adscapulairc:  Dacfcs  (Na.  60). 
Le  Premier  grend  donleld:  Cuvitn. 

>ieso  Annahme  ist  Übrigens  nicht  neu.  Die  melainere  Homologie  des  Brusl- 
[und  BauchRÜrtels)  mit  den  KiemeDbogen  wurde  [abgesehen  von  früheren 
iz  unverarbeiteten  Hypothesen]  bereits  von  Owen  ais  möglich  angenoomieii 

Gegerbaur  durch  gewichtige  aus  der  Untersuchung  ües  Visceralskelets  der 
r  gewonnene  Beweise  untcratützt.  Diese  Homaloftie  ist  nicht  aufzufassen. 
irBrnstbogen  sich  aus  einem  Kiemenbogen  entwictiell  habe  oder  umgekehrt 
lenbogen  durch  Verkümmerung  aus  ursprünglichen  Extremi  täten  bogen  cnl- 
seien,  sondern  es  ist  vielmehr  eine  ursprüngliche  mögliclist  in dilTe reale, 
s  ungegliederte  Anlage  anzunehmen,  aus  der  sich  in  diffcrenter  Weise  einer- 
Kiemeabogen  mit  ihren  Radien  anderseits  Brust-  und  Dauclibogen  mit  ihren 
Igten  ontwiclielt  haben.  Diese  Annahme  wird  ebenfalls  durch  die  gegensei- 
tiebungen  der  Mm.  intorbriinchiales  und  dos  M.  inlerscapularis  unterstützt. 
KtemenbogOD  (der  Pische  und  Amphibien}  wie  Bruslhogen  der  Batrschier 
.n  bestimmten  Stellen  eine  Unlerbrccbung  des  festere»  Gewehes  durch  ein 
jkeras,  wodurch  eine  Theilung  der  Bogen  in  zwei  gegeneinander  bewegliche 
«dingt  wird.  Diese  GcwebsdifTcrenz  ist  keine  ursprüngliche,  sie  tritt  vicl- 
st  im  Laufe  der  embryo  legi  sehen  Enlwickelung  auF:  sie  muss  daher  phyto- 
li  erworben  sein  und  zwar  durch  einen  nuf  den  ursprünglich  homogenen  Bofien 

wirkenden  Druck,  das  ist  durch  die  Wirkung  eines  an  demselben  Bogen  zu- 
H'ipringenden  und  inserirenden  Adduclors  (Mm.  inlcriiranchialcs,  U.  inter- 
isj,  dessen  Druckkrall  die  am  meisten  betrolTene  Stelle  nicht  widerstehen 

Diese  Stelle  Bndel  sich  hei  allen  Kiemenbogen  in  gleicher  Weise :  sie  bildet 
ze  zwischen  oberem  und  unterem  Kiemenbogen.  Nun  entspricht  nachOwsii's 
ENBAUd's  Nachweisen  die  Scapula  des  Brustbogens  einem  oberen,  dasCora- 

einem  unleren  Kiemenbogen.  Wäre  der  Brustbogen  aus  einem  bereit» 
.irtea  Kiemenbogen  entstanden ,  so  mUssle  seine  lockere  Stelle  zwischen 
und  t^oraeoid  liegen  und  der  H.  interscapularis  die  Fähigkeit  haben ,  beide 
•  zu  nahem.  Dies  ist  in  Wirklichkeit  nicht  der  Fall,  der  Locus  minoris  resi- 
tieglbcidenAnuren  vielmehr  im  Bereiche  der  Scapula' selbst.  Der  M.  Inter- 
is  bat  also  in  einem  ganz  andern  (mehr  dwsalen)  Niveau  auf  den  Schulter- 
iwirkt,  als  die  Mm.  interbranchiales  auf  die  Kiemenbogen.  Beiderlei  Bogen 
daher  als  selbständige  difTerenle  Bildungen  aus  ursprünglichen  indlDerenlcn 
n gesehen  werden. 

kLEin  lässt  diesen  Maskel  von  Processus  U.  u.  III.  entspringen.  Ein  der- 
'erlialten  beschreiben  weder  frühere  Beobachter,  noch  kann  ich  es  bei  den 
untersuchten  Thieren  bestätigen.  SrAKNms  benennt  den  Muskel  nicht ,  br- 
ihn  aber  als  ntieferen  Muskel ,  der  von  der  HinterbaupLigegead  an  die  Pars 
pularis  tritt'. 


Znr  ven^leicbenden  AnAtomie  der  Schultermoskeln.  299 

Compressor  scapulae  inferior:  Volkmavh. 
Levator  s.  attractor  scapulae:  Collan  (No.  60). 
Levator  ahguli  scapulae:  Ecker  (No.  43). 
Portio    anterior    serrati    majoris   s.    levator   scapulae 
proprius:  Rüdinger. 

Ziemlich  kriiftiger  von  dem  M.  capiti-scapularis  [es)  und  vomSupra- 
scapulare  bedeckter  Muskel.  Er  enlspringi  vom  Os  occipttale  basilare  und 
dem  untern  Theil  des  Os  petrosum  und  geht  nach  unten  und  hinten  an 
die  Innenfläche  des  Suprascapulare ,  wo  er  hinter  dem  Ursprung  des  M. 
interscapularis  {is)  am  untern  und  hintern  Theil  inserirt. 

Innervirt  durch  den  N.  thoracicus  superior  II.  (2). 

Unstreitig  gehört  der  Muskel  zu  einem  und  demselben  System 
wie  der  M.  serratus.  Eine  directe  Vergleichung  mit  diesem ,  wie  Cuyibr 
und  Rüdinger  befürworten ,  erlaubt  jedoch  sein  Ursprung  vom  Kopfe 
nicht.  Er  ist  ein  theilweises  Homologoa  des  M.  basi-scapularis  (Levator 
scapulae)  der  Urodelen ,  ist  aber  weit  kleiner  als  dieser  und  entspiicht 
nur  der  grösseren  unteren  Hälfte  desselben.  Ein  wesentlicher  Unter- 
schied dieses  und  des  folgenden  Muskels  von  dem  ihnen  vergleichbaren 
der  Urodelen  liegt  in  jeglichem  Mangel  einer  auf  der  Aussenfläche  der 
Scapula  befindlichen  Insertion.  Diese  Differenz  ist  nicht  nur  durch 
eine  Reduction  von  Homologen  der  oberflächlichen  Schichte  des  Levator 
scapulae  der  Urodelen,  sondern  auch  durch  eine  bedeutende  Ausdehnung 
dos  Suprascapulare  nach  vorn  bedingt.  Für  letztere  Annahme  spricht 
der  Umstand,  dass  die  Insertionen  an  der  Innenfläche  auch  entfernt 
vom  vorderen  Rande  liegen. 

4.  Petroso-saprascapalaris  (Levator  seapulae  mperior)  [pss)  i). 

Levator  scapulae  profundus:  Zenker  (No.  94.  92),  Anonymus. 
Relcvcur  ou  angulaire  de  Torooplate:  Cuvieh. 
Compressor  scapulae  superior:  Volimann. 
Levator  anguh  scapuiae:  Collan  [No.  59). 
Protrahens  scapulae:  Ecker  (No.  45). 

Gleich  oberhalb  des  vorigen  gelegener  Muskel.  Er  entspnngt  von 
der  Hinterflilche  des  Os  petrosum  und  geht  in  horizontaler  Richtung 
nach  hinten  an  die  Unterfläche  des  obersten  Theiles  des  Suprascapulare 


4)  Von  MccKEL^  Düci^s,  Klbin,  Fpbipfer  und  Stannius  nicht  als  selbständiger 
Mu>4kel  angeführt  und  wahrsrheinlich  dem  vorhcrgchetfden  zugerechnet.  Eckerts 
und  Rüdingsr's  (von  Eckbr  abgeschriebene)  Angabe,  wonach  Duots  und  Zkwkkr  die- 
sen Muskel  M.  protractor  acromü  genannt  haben  sollen ,  ist  falsch. 


n  der  Hloterbouptsgegend  ao  die  P.  suprascapularls  tritt«. 


Zur  vergleicbendeo  Aoatonie  der  Scliiiltermnskelu.  301 

während  den  Urodelen,   Reptilien  und  Vögeln  diese  Bildung  abgeht, 
ist  von  Bedeutung  fttr  deren  gegenseitige  Verwandtschaft. 


6.  Thoraei-seapnlaris  (Serratas  magnns  inferior)  [tks)  i). 

Depressor  acromii:  Zenker  (No.  403. 104),  Anonymus. 

Transverso-interscapulaire:  Ddg^s  (No.  63). 

Le  troisi^me  grand  dentelö:  Cuvier. 

Retractor  scapulae  u.  Serratus  anttcus   major:   Collan 

(No.  56.  57). 
Depressor  scapulae:  Klein,  Pfeiffer. 
Serratus:  Stannius. 

TraDsverso-scapularis  major  u.  minor:  Ecker  (No.  46.  47). 
P.  posterior  serrati  antici  majoris  s.  P.  tertia  m.  scrrati: 

RÜDINGBR. 

Ziemlich  langer  Muskel.  Er  entspringt  von  dem  dritten  und  vierten 
Processus  transverso-costalis  und  geht  mit  convergirenden  Fasern  nach 
unten  und  vom  an  die  Innenfläche  des  hintern  Randes  der  Scapula, 
oberhalb  der  Insertion  des  M.  omohyoideus  [oh)  und  hinter  der  des 
M.  inlerscapularis  [is].  Er  ist  bei  Pipa  und  Bufo  sehr  ansehnlich 
entwickelt,  bei  Hyla  und  Rana  dagegen  schwächer.  Eine  Trennung 
in  zwei  Theile  ist  angezeigt  (besonders  bei  Hyla),  aber  nicht  vollkommen 
durchgeführt. 

Innervirt  durch  N.  thoracicus  superior  IV.  (5). 

Dieser  Muskel  ist  dem  System  des  M.  serratus  magnus  zuzurechnen. 
Bei  den  höheren  Wirbelthieren  (mit  Ausnahme  der  Chelonier)  wie  bei  den 
Urodelen  entspringt  der  Serratus  von  beweglichen  Rippen ,  hier  bei  den 
Anuren  von  fest  mit  den  Wirbelkörpern  verbundenen  Fortsätzen,  die  von 
den  Einen  als  Processus  transversi ,  von  den  Andern  als  vereinigte  Ele- 
mente von  Querfortsätzen  und  Rippen  (Processus  transverso*costales)  ge- 
deutet werden.  Letztere  Auffassung  wird  durch  dieUrsprungsvorhaltnisse 
des  Serratus  magnus  (und  Latissimus  dorsi^  s.  unten]  unterstützt.  —  Eine 
directere  Homologie  bietet  die  untere  Partie  des  M.  serratus  magnus  der 
Urodelen  dar.  Der  M.  Ihoraci-scapularis  der  Anuren  zeigt  aber  ein 
grösseres  Volumen  und  eine  breitere  Ursprungsfläche  als  dieser,  sowie 
eine  beginnende  Diflerenzirung  in  zwei  Partien,  die  von  einigen  Autoren 
(CoLLAif,  Ecke»)  als  zwei  separate  Muskeln  aufgefasst  worden  sind. 


i)  Von  Meckkl  unler  No.  7  hpsrlirii»ben 


B4.  vn.3.  io 


. 


302  Max  Filrbfinger. 

7.  Thoracl-suprascapnlaris  (Serratns  magnus  superior  mitBbom 

l>oideiis  posterior)  [thss]  ^). 


a]  Serratus  magnus  superior: 

Depressor  scapulae  und  Theil  des  Omoplateus  rectus. 

Zenker  (93.  94. 4  04.  4 OS),  Anonymus. 
I  Transverso-adscapuIairC)   portion  du  grand  dentel^ 

DUGES  (No.  64). 
Le  deuiiöme  grand  dcnteU:  Cuvier. 
Scrrntus  anticus  minar:  Collan  (No.  58). 
Serratus:  Klein,  Pfeiffer,  Stannius. 

Transverso-scapularis  tertius  s.  Serratus:  Ecker  (No.  48  . 
Pars  medialis  m.  serrati  antici  majoris:  Rüdinoer. 

b)  Rhomboideus  posterior: 
Theil  des  Omoplateus  rectus:   Zenker  (No.  404.  40i),  Ano> 

NYMUS. 

Lombo-adscapulaire,   partie  postärieure  du  trap^ze 

DuGES  (No.  59). 
Rhoinboideus:  Cuvier,  Klein,  Pfeiffer,  Stannius. 
Rotrahens  scapulae:  Ecker  (No.  88). 
Pars  medialis  m.  serrati  antici  majoris:  ROdinger. 

Breiler ,  aber  kürzer  als  voriger  Muskel.  Er  entspringt  von  dem 
zweiten ,  dritten  und  vierten  Processus  transverso-^i^stalis,  bei  den  ver- 
schiedenen Galtungen  verschieden  2) ,  und  geht  mit  parallelen  Fesem  nach 
oben  und  vom  an  die  hintere  Hälfte  des  oberen  Randes  der  Innenflilche 'des 
Suprascapulare.  Wahrend  bei  den  niedriger  stehenden  Gattungen  (Pipa; 
der  obere  Theil  sehr  unansehnlich  ist,  erlangt  er  bei  den  höheren  durch 
Uebergreifen  seines  Ursprungs  über  die  Lungsmuskulatur  des  Rückens 
(Hyla,  Bufo)  und  bis  auf  die  Processus  spinosi  (Gystignathus,  Rana)  eine 
besondere  Entwicklung.  Der  dadurch  entstandene  Theil  kann  in  seint»r 
vollkommensten  Ausbildung  als  Rhomboideus  posterior  (liip 
unterschieden  werden. 

Innervirt  durch  einen  Zweig  des  N.  thoracicus  superior  II.  (4\ 

Der  Muskel  ist  ein  Homologen  der  obei*en  Partie  des  M.  serratus 
magnus  der  Urodelen.  Neu  und  den  Anuren  etgenthümlich  ist  die  Aus- 
dehnung des  Muskels  nach  oben  Über  das  Niveau  der  Processus  trans- 
verso-costaleS)  wodurch  die  Neubildung  eines  M.  rhomboideus  posterior, 


4)  Meckel  beschreibt  ihn  unter  No.  6.  Ecker  Ifiugnet  die  Homologie  des  oberen 
Theiles  mit  dem  Rhomboideus  und  befürwortet  die  Vergleichung  mit  dem  Serratus. 

2)  Bei  Pipa  vom  zweiten  und  dritten ,  bei  Bufo  vom  dritten  oder  vierten .  bei 
Cystignathus,  Rana  und  Hyla  vom  dritten  und  vierten  Wirbel. 


Zor  vergleicheiideu  Anatomie  der  ScliuUermnskelD.  303 

dessen  Entwickelung  in  allen  Stadien  von  Pipa  und  Hyla  bis  zu  Cysti- 
gnathus  und  Rana  verfolgt  werden  kann ,  bedingt  wird.  In  seiner  voll- 
kommensten Ausbildung  ist  dieser  Muskel  dem  menschlichen  Rhom- 
boideus  major,  dem  hintern  Rhoroboideus  vieler  Säugethiere,  zu 
vergleichen.  Eine  Homologie  mit  dem  Cucullaris,  welche  Ducfis  be- 
lUrwortet,  wird  durch  den  Mangel  von  jeglichen  Elementen  des  R. 
accessorius  n.  vagi  unmöglich  gemacht. 


8.  Abdomini-fleapularls  (a^))). 

Depressor  abdominalis:  Zenker  (No.  99. 400),  Anontuvs. 
Xipho-adscapalaire  s.  portion  du  grand  dentelö:  Ducts 

(No.  6S). 
Pectoralis  minor:  Collan. 

Portio  abdominalis  m.  obliqut  cxterni:  Klein,  Pfeiffer. 
Portio  omo-abdominalis  m.  obliqu  i  citcrni:  Ecier  (Nu. 

296). 
Omo-abdominalis:  Rüdinger. 

Von  dem  M.  obliquus  abdominis  exlernus  [ooe)  abgelöster  vorderster 
Tbeil.  Er  entspringt  von  der  Linea  alba  und  geht  nach  oben  und  vorn, 
wo  er  sich  seimig  an  den  Hinterrand  der  Scapula  inserirt.  Bei  Bufo  am 
ansehnlichsten  entwickelt. 

Innervirt  durch  den  N.  thoracicus  inferior  IV.  (6). 

Eine  Homdogie  mit  Theilen  des  M.  serralus  magnus  (Diolks)  sowie 
mit  dem  M.  pedoralis  minor  (Collan)  ist  durch  die  abweichende  Inner- 
virung  ausgeschlossen.  Letzterer  ist  überdies ,  wie  bei  den  Urodelen 
bereits  erwähnt  worden,  eine  auf  die  Säugelhiere  beschränkte  Dif- 
ferenzirung  aus  dem  M.  pectoralis.  Der  M.  abdomini-scapularis  ist  als 
eine  den  Batrachiem  eigenthUmlicbe  Bildung  aufzufassen,  die  jedoch 
wie  sich  später  zeigen  wird)  zu  dem  M.  plastro-coracoideus  der  Che- 
fonier,  dem  M.  sterno-coracoideus  der  Saurier,  Crocodile,  Vögel  und 
Monotremen  und  dem  M.  subclavius  der  marsuplalen  und  placonlalen 
Süugethiere  in  fernerer  Homologie  steht. 


4)  Von  Meceel  nicht  erwähnt.    STAimitTs  iagt:   hVon  der  Aossenfläcfae  des  M. 
obliquus  exkernufl  (ritt  ein  Muski^l  an  den  Hinterrand  der  Scapula«. 


20' 


9.  Peetora 

a)  Portio  abdominalii: 

Brachio-abdominalis: 
Theil   lies   gross«D    fin 

pccloral:  Meckel,  Cdtie 
Obliquus  abdominis  ex 
Abdomino-humöral,  p 

ral;  Dhg^s  (No.  6a). 
Portio  abdomiDBlism.  p 

HilDiHGEa. 
Portio  fiumero-abdoDiii 
Schräg  aulsleigonder  ' 
Portio  abdominalis  m. 

b]  Portio  alernalit: 

Pars  pecloralis  majori: 

kels,   Portion  du  gra 

AMONTMcra,  Urceu,  Cctie*. 

Sterno-humäral,  porti 

Portio  sternalis  postei 

L*i.(No.e7j. 

Portio  steraalis  in.  pec 

Querer  Theil  des  Peoto 

Portio  Sternalis  poster 

Portio  sternalis  media 

e)  Portio  epicoracoidea: 

Pars  pectoralis  raajorii 

kets,   Portion  du  grai 

AHOniiiiia,  HicKEL,  Cnvisa. 

Clavicuto-brachialis:  1 

Clavi-hnmäral,  portioi 

Pars  sternalis  anterior 

lä.  pectoralis  majoris 

Pars  acceasoria  m.  pect 

Schräg  absteigender  Tt 

Portio  sternalisanteric 

Portio  slernalisanterio 

Grosser  und  breiler  Muskel  auf 
der  Brost ,  der  in  drei  neben  einandf 
minalis,  slemalis  und  epicoracoidea  e 

tj  STARNins  lasst  den  schräg  absteigend 
brium  stcrni ,  oder  bei  Mangel  desselben  v 
erwähnter  Tom  Coracoid  ausgehender  Pecti 
logon. 


Zur  vergleichenden  Anatomie  der  Schultennoskeln.  305 

a)  Pars  abdominalis  m.  pectoralis  {pa).  Kräftigster  und 
breitester  Theil.  Er  entspringt  mit  sehr  zarter  Aponeurose  gemeinsam 
und  verwachsen  mit  der  des  M.  obliquus  abdominis  externus  (oae)  von 
der  Linea  alba ,  in  der  ganzen  Länge  des  Bauches ,  die  äussere  Scheide 
des  Rcctus  abdominis  (r-u)  mit  bildend  ^).  An  der  lateralen  Grenze  des 
Rectus  wird  er  muskulös  und  geht  nun  mit  convergirenden  Fasern,  die 
nach  aussen  und  vorn  verlaufen ,  an  die  Beugefläche  der  Grista  lateralis 
humeri,  distal  gleich  neben  der  Insertion  der  Pars  epicoracoidea. 

b)  Pars  Sternalis  m.  pectoralis  [pst),  mittlerer  Theil  des 
Pectoralis ,  von  der  Pars  abdominalis  durch  einen  Spalt  getrennt.  Er 
entspringt  von  der  untern  Fläche  des  Stemums  (bei  muskelschwachen 
Individuen  dessen  Ränder  freilassend)  und  gehl  mit  convergirenden 
Fasern  lateralwärts  an  den  Oberarm ,  wo  er  am  Grunde  der  Grista  la- 
teralis von  der  Pars  abdominalis  (pa)  durch  die  Sehne  des  M.  coraco- 
radialis proprius(crp)  getrennt,  inserirt.  Besonders  ansehnlich  bei  Pipa. 

c)  Pars  epicoracoidea  m.  pectoralis  (pe).  Vorderster 
Theil ,  direct  an  die  Pars  stemalis  angrenzend.  Er  entspringt  bei  den 
Anuren  mit  nicht  verbundenen  Epicoracoiden  von  dem  medialen  Rande 
derselben  und  zwar  der  rechte  vom  rechten,  der  linke  vom  rechten  und 
linken  Epicoracoid,  bei  den  Anui*cn  mit  verbundenen  Epicoracoiden  von 
der  Vereinigungglinio  derselben.  Bei  den  Bufones  ist  er  breit  und  kräf- 
tig, deckt  den  ganzen  H.  coraco* radialis  proprius  (crp)  und  ist  vom 
mit  dem  M.  cleido-acromio-humeralis  [clah)  verwachsen,  bei  den  Ra- 
ninae  ist  er  schwächer,  deckt  nur  den  hintern  Theil  des  M.  coraco- 
radialis  proprius  {crp)  und  ist  von  dem  M.  epistemo-cleido-acromio- 
humeralis  [eclah)  durch  einen  breiten  Spalt  gelrennt.  Er  geht  mit 
queren  und  absteigenden  Fasern  an  die  Beugefläche  des  Processus 
lateralis  proximal  von  der  Insertion  der  Pars  abdominalis  (pa),  mit  der 
er  mitunter  verwachsen  ist. 

Innervirt  durch  Nn.  pectorales  (19). 

Der  Muskel  ist  ein  Homologen  des  gleicbbenannten  der  Urodelen 
und  also  dem  gesammten  M.  pectoralis  und  nicht  blos  dem  H.  pectoralis 


Vi  Von  STAVHros,  Ecik»,  Rüdihobm  wird  angegeben,  dass  die  P.  abdominalis  eine 
unmittelbare  Fortsetzung  des  lateralen  Theils  des  If.  rectus  abdominis  bilde.  Diese 
Angabe  ist  ebenso  zu  modificiren  wie  die  entgegengesetzte  Mitba's,  derzufolge  die 
Portion  identisch  mit  dem  M.  obliquus  externus  abdominis  ist.  In  Wirklichkeit  ezi- 
slirt  allerdings  ein  durch  eine  vordere  Inscriptis  tendinea  vermittelter  Zusammen* 
hang  vorderer  und  medialer  Theile  der  P.  abdominalis  mit  dem  M.  rectus  abdominis. 
Die  überwiegende  Masse  des  Muskels  hingegen  entspringt  in  der  oben  angegebenen 
Weise. 


ciinipi'cuueiiucii  i 


Znr  Tergleichenden  AMlomie  der  Scbultermuskeln.  307 

I  n  n  e  r  V  i  r  l  durch  den  N.  supracoracoideus  (f  2j ,  iu  eincoi  einzigen 
Falle  (unter  zehn)  wurden  seine  hintersten  Fasern  von  einem 
feinen  Zweig  des  N.  coraco-brachialis  versoi'gt. 

Kunt^s  Deutung  als  M.  pectoralis  minor  ist  bereits  von  früheren 
Untersuchern  hinreichend  zurückgewiesen  worden.  Eine  Vergleichung 
mit  dem  M.  biceps  des  Menschen  ist  nicht  zulassig.  Einerseits  spricht 
die  Innervirung  durch  den  N.  supracoracoideus  vollkommen  dagegen, 
Hudcrseits  seine  Lage  am  Oberarm ,  namentlich  seine  Beziehungen  zum 
M.  pectoralis,  zwischen  dessen  Portionen  er  hindurchtritt,  und  zum 
M.  acromio-humeralis  (Deltoideus  inferior] ,  den  er  so  durchbohrt,  dass 
der  Endtheil  seiner  Sehne  lateral  vom  Deltoideus  zu  liegen  kommt.  Der 
Muskel  hat  kein  directes  Uomologon  beim  Menschen,  dagegen  entspricht 
er  dem  M.  coraco-radialis  proprius  der  Urodelen.  Eine  Abhängigkeit 
vom  M.  supracoracoideus,  wie  bei  diesen,  ist  nicht  vorhanden,  da  dieser 
Muskel  bei  den  Anuren  fehlt  und  räumlich  grösstentheils  vom  M.  coraco- 
radialis  vertreten  wird. 


11.  Coraco-brMhialis  longvs  [cbl)^], 

Alterum  caput  in.  deltoidoi:  Zbhier  (No.  105.  40€),  Anonthüs. 
Einwärtszieber  oder  Hakenarmmaskel:  Megkel  (No.5). 
Coraco-humöral,  Coraco-humeralis:  Dvois  (No.  73),  Stak- 

IflUS,  ECBER. 

Goraco-brachial ,  Coraco-brachialis:  Cuvibk,  Colla«. 
Coraco-humeralis  und  Adduetor  humeri:  Klein,  Pfeiffer. 
Coraco-humoralis  proprius:  Rüdihger. 

Langer,  von  der  Pars  stemalis  m.  pectoralis  {pst)  bedeckter  Muskel. 
Er  entspringt  vom  hintern  Rande  des  medialen  Theiles  des  Goracoid  (bei 
den  Anuren  mit  am  Goracoid  festgehefteten  Stemum  auch  mit  einzelnen 
Fasern  vom  Anfang  desselben)  und  geht  an  den  Humerus ,  wo  er  distal 
hinler  der  Pars  stemalis  m.  pectoralis  [pst)  an  dem  Anfange  der  distalen 
Hälfte  des  Humerus,  medial  vom  M.  acromio-humeralis(aAj,  inserirt. 


A)  ÜVQts  unterscheidet  die  in  ihrem  Ursprünge  auf  das  Sternum  tibergreifenden 
Bündel  des  Coraco-bum6r«l  als  Xipho-humöral  ou  Petit  peotoral.  Einen  ausserdem 
envHhnten  sehr  kleinen  Scapolo-post-hum^ral ,  veritahle  analogue  du  petit  rond 
(Kloetsbs)  habe  ich  nicht  gefunden.  RüDiaoia's  Beschreibung  stimmt  nicht  voll- 
kommen mit  denen  früherer  Unfcersucher  überein.  Einen  ausserdem  unterschie- 
denen M.  coraco-brachialis  •.  pars  profunda  m.  pectoralis  kann  ich  nicht  vom  M. 
pectoralis  trennen. 


l   ■  -     ♦ 


308  Max  FörbriHger. 

Innervirt  durch  einen  Ast  des  N.  coraco-brachialis  (22), 

Der  Muskel  ist  ein  Homologen  des  gleicb  benannten  der  Urodelen 
und  unterscheidet  sich  von  diesem  nur  durch  unwesentliche  Ab^veich- 
ungen,  die  einerseits  in  einem  Uebergreifen  seines  Ursprungs  auf  stemale 
Elemente ,  anderseits  in  dem  Mangel  von  Fasern  bestehen ,  dio  am  di- 
stalen Ende  des  Humerus  inseriren. 

12.  Coraco-brachlalis  breyis  internus  (ebbt), 

Pronator  brachii:  Zehker  (No.  114. 442),  AifORTMüs. 
Unterschultorblattmuskel,  Sous-scapulaire,   Subsca* 

p  u  I  a  r i  s  :  Meckel  (No.  6) ,  Cuvier,  Collan  (No.  72) ,  Klein,  Pfeiffer, 

Staknius,  Ecker  (No.  50),  Rüdimger. 
Sous-scaputo-hum6rül,  sous-scapuIaire:  Ducts  (No.  72,. 

• 

Kurzer  aber  kräftiger  Muskel,  am  Anfange  neben  dem  M.  coraco- 
brachialis  longus  [cbl)  liegend,  an  der  Insertion  weit  von  ihm  gelrennt. 
Er  entspringt  vom  hintern  Rande  des  lateralen  Theiles  des  Coracoid  und 
von  der  Innenfläche  desselben  und  des  daran  stossenden  Theiles  der 
Scapula,  wobei  er  den  innern  Ursprung  des  M.  acromio-humeralis  (ah] 
i  nach  hinten  begrenzt.    Mit  convergirendon  Fasern  geht  er  an  den  rudi- 

mentären Processus  medialis  (PMj  und  an  die  Beugefläche  des  Humerus 
zwischen  Processus  medialis  (PMj  und  lateralis  (PL). 


*  ■  ■ 


•Ii 


f 


Innervirt  durch  den  Hauptstamm  der  Nn.  coraco-brachiales  (S2) . 

Dieser  Muskel  täuscht  in  seiner  Lage,  im  Ursprung  und  in  der  In- 
:j;  sertion  vollkommen  einen   M.  subcoracoscapularis   vor.     Allein  seiner 

;♦*  Innervirung  nach  gehört  er  zu  dem  ganz  andern  Systeme  der  Mm. 

j  coraco-brachiales.    Er  ist  aufzufassen  als  ein  indirectes  Homologen  des 

1,,  M.  coraco-brachialis  brevis   der  Urodelen;    während  jener  aber  den 

Schwerpunct  seiner  Entwickclung  auf  der  Aussenfläche  des  Coracoid 
liegen  hat,  ist  er  hier  auf  die  Innenfläche  dieses  Knochens  versetzt; 
ebenso  ist  auch  die  Insertion  medialwärts  verschoben.  Der  Muskel  ver- 
tritt insofern  räumlich  und  functioneli  vollkommen  den  M.  subcoraco- 
JJj'  scapularis ,  der  den  Batrachiem  abgeht. 


>r 


•1.  .   : 


m 


«. 


Ein  M.  brachialis  inferior  fehlt  den  Anuren  ^). 


)^jt|  4)  Die  von  Cuvier  und  Starmius  angeführten  Homologa  des  M.  brachialis  inferior 

^«i .  (anticus)  erscheinen  ihrer  Lage  nach  als  weit  nach  unten  geschobene  und  namenlltch 

^*|  auf  den  Vorderarna  ausgedehnte  Theile  dieses  Maskeis.  Sie  sind  jedoch  durch  Aesle 

^^^*  <Ies  N.  radialis  innervirt  und  darum  nicht  als  M.  brachialis  inferior,  sondern  nis 

•^v'r  Homologa  des  M.  brach io-radialis  (Supinator  longus)  aufzufassen.  Von  andern  Unter- 

i  j  •   *  -               suchein  ist  auch  mit  Recht  die  Verschiedenheit  vom  Brachialis  inferior  betont  worden . 


'*,  f  - 


Zar  ?erglekbenden  Aoatonie  der  SchiiUerronskeln.  309 

13.  EpisterncH^Ieido-acroiiiio-haineralis  (eclah)  >). 

Primum  caput  m.  dcitoidei:  Zenker  (No.  4  05.  106),  Anoütmus, 

Vorwärtsdreher  oder  Heber  des  Arms  (Deltoides) :  Meckel 
(No.  i). 

Pr6-sterno-8capnlo*huin6raI,  deltoide  etsnröpineux 
reunis:  Ddges  (No.  68). 

Deltoide,  Deltoideus:  Cuvier,  Ecker  (No.  55),  Rüdikger. 

Deltoideusand  Pars  clavicularis  anterior  m.  pectoralis 
majoris:  Collan  (No.  69  u.  64). 

Cleido-humeralis  (ssa  +  6)  und  Deltoideus  (s=c):  Klein, 
Pfeiffer. 

Deltoideus  und  ein  von  ihm  bedeckter  tieferer  Mus- 
kel, der  oberhalb  des  Tuberculum  endet:  Stannius. 

Ansehnlicher  Muskelcomplex,  der  bei  den  Änuren  ohne  Episiernum 
(als  Cleido-acroroio-humcralis)  von  der  Clavicula  und  dem 
Acromion,  bei  den  Anuren  milEpistcrnum  (als  Episterno-cleido- 
a c r o mi 0  - h u m c r a  1  i s}  ausserdem  noch  vom  Episternum  entspringt 
und  an  die  ganze  Lringe  des  Humerus  geht.  Nach  seinem  verschiedenen 
Ursprünge  zerfdllt  er  bei  ersleren  in  einen  Cleido-humeralis  und  Acromio- 
hunieraliS|  bei  letzteren  in  einen  Epislerno-humeralis,  Cleido-humeralis 
und  Acromio-humcralis.  Bei  Uyla  ist  die  Trennung  nur  angedeutet,  bei 
Rana  sehr  vollkommen  ausgebildet. 

a)  Caput  episternale  s.  H.  episterno-humeralis  [eh). 
Nur  bei  den  mit  einem  Episternum  versehenen  Batrachiern.  Langer  aber 
schviacher  Muskel,  der  vom  Rande  der  hintern  Hiilftc  des  Epistemums, 
lateral  vom  M.  coraco  radialis  proprius  (er/)),  entspringt  und  mit  ron- 
vergirenden  Fasern  an  die  Stfeckseite  des  Oberarms  geht.  Hier  vereinigt 
er  sich  mit  oberflächlichen  Thcilen  des  M.  acromio-humeraiis  [ah)  und 
inserirl  mit  ihnen  am  distalen  Ende  des  Ilumerus  neben  dem  Epicon- 
dylus  ulnaris  (EU).  Im  Bereich  des  Brustgttrtels  ist  er  mit  Ausnahme 
des  vorderen  Randes  vom  M.  coraco-radialis  proprius  gedeckt. 

6)  Caput  claviculare  s.  H.  cleido-humeralis  (c/A).  Sehr 
kleiner  vom  H.  coraco-radialis  proprius  [crp)  bedeckter  Muskel.  Er  ent- 
springt von  dem  lateralen  Theile  der  Aussenfläche  der  Clavicula  und  ver- 
bindet sich  nach  kurzem  Verlaufe  mit  den  tieferen  Partien  desM.  acromio- 
humeralis  [ah)  um  mit  diesen  an  der  Slreckfläche  des  proximalen  Theiles 
des  Processus  lateralis  (PL)  gegenüber  der  Pars  sternajis  m.  pectoralis 
[pst)  zu  inserircn. 


4)  CuviER  unterscheidet  drei  Partien,  die  mit  den  hier  aufgestellten  ziemlich 
vollkommen  übereinstimmen.  Eckkr  ond  ihm  folgend  Rüdinger  fassen  die  beiden 
ersten  Kdpfe  als  P.  clavicularis  zusammen  and  t>ezeichnen  den  letzten  als  P.  scapu- 
laris  m.  deltoidei. 


put  acromiale  s.  M.  aoroniio-humeralis  (l)cltoi- 
riorj  iah).  Sehr  krurijgor  Muskel.  Er  eDtspriiigt  von  der 
id  Innenseite  des  Processus  acromialis  Scapulae  [A]  und  geht 
le  Lange  des  Humenis  von  dem  distalen  Theile  der  Streck- 
'rocessus  lateralis  (PL)  bis  horunler  zu  dem  Epicondylus  ul- 
in  seiner  Mitte  wird  er  von  der  vereinigten  Sehne  der  Hni. 
pulac  [ds)  und  latissimus  dorsi  [dh],  in  seiner  unteren  HülTlc 
i  H.  coraco-radialis  proprius  (crp)  durchbrochen. 
7  v  a  t  i  o  n.  Da.«  Caput  episternale  und  claviculare  wird  ledig- 
vonAestendes  N.  supracoracoideus  (II),  das  Caput acromiali' 
KUni  kleinsten  Tbeil  von  diesen,'  zur  Hauptmasse  von  einem 
iaste  des  N.  dorsalis  scapulae  [33)  versorgt. 
jskel  ist  ein  weiteres  Homolc^on  des  H.  procoraco-humcrali^ 
■n.  Er  unterscheidet  sich  jedoch  von  diesem  durdi  Aufgehen 
n  Beziehungen  zu  dem  Procoracoid  und  Eingehen  neuer 
nt€n  secundärcn  Theilen,  Clavicula  und  Epislemum  '}.  Mit 
rDsserung  des  Ursprunges  ist  ein  Zerfall  verbunden,  der  zur 
n  drei  ziemlich  disüncten  Partien  fuhrt.  Die  von  Epistcrnum 
jla  kommenden  Hm.  cpisterno-  und  cicido-humerales  sind 
Innervirung  dem  Systeme  der  Hm.  supracoracoidei  zuzurech- 
ssen  sich  indirect  mit  den  Um.  supra-  und  infraspinatus  vcr- 
[cr  von  dem  Acromion  entspringende  H.  acromio-humeralis 
obtfrl  nur  zum  kleinsten  Theile  dieser  Huskelgnippe  an  und 
ologon  ventraler  Partien  des  H.  deltoideus  als  U.  deltoidcus 
zufassen.  —  Jedweder  Vergleich  des  Muskels  mit  Elemenlrn 
loralis  ist  vollkommen  ausgeschlossen.  Den  Anuren  eigeii- 
t  die  nahezu  auf  die  ganze  Länge  des  Humenis  ausgedehnte 
;s  H.  epislerno-cleido-acromio-humeralis  und  die  hierdurch 
teziehungen  zu  den  Sehnen  der  Hm.  coraco-radialis  proprius, 
ipulae  und  latissimus  dorsi. 

U.  DorBO-hnmeralls (LfttlwlmiiB dorsi)  {dk). 

Depressor  brachii:  Zeitub  (No.  SB.  Bt),  AHONnDi. 

Breiter  Rücken  mnskel,  Graod  dorsal,  Latissimus  dorsi 

Hecul  (No.  4j,  Cdtiei,  Collin,  Kiein,  PrEiprER,  Eceer  (No.  t%'- 

ntDUiezii. 
Lombo-humdral,  erand  doraah  Dveis  (No.<6). 
Acccssorischer  Theil  des  U.  snprascapularis:  STAinnr» 

lleso  BeeiehuDgen  Dicht  ureprUnglicti,  soodem  erst  durch  Differeaiiruni 
ifacheren  Zustand  entslanden  sind,  lelgt  die  Dntereachung  sowohl  nle- 
1  ais  aach  niederer  Larvenzus lande  hoberer  Formen, 


Zur  ?prgl(»icheridi»n  Anatomie  der  Schuliemiuskeln.  3 1 1 

Ziemlich  schwacher  Muskel  an  der  Seite  des  Rückens  gleich  hinter 
der  Scapula,  deren  hintersten  Rand  mit  seiner  vordersten  Partie  deckend. 
Sein  Ursprung  wie  seine  Breite  ist  bei  den  einzelnen  Gattungen  sehr  ver- 
schieden ^} .  Er  entspringt  entweder  muskulös  von  Processus  transverso- 
costales  (Bufo,  Hyla,  Pipa)  oder  dünn  aponeurotisch  von  Processus  spinosi 
(Gystignathus,  Rana) .  Mit  convergirenden  Fasern  geht  er  nach  unten  und 
inserirt,  lateral  an  dem  M.  anconaeus  vorbeilaufend,  an  der  Mitte  der 
Streckfläche  des  Processus  lateralis  (PL).  Nur  bei  einzelnen  Anuren 
(Pipa)  besitzt  er  vollkommene  Selbständigkeit,  bei  der  Mehrzahl  (Bufo, 
Rana)  ist  seine  Sehne  mit  der  des  M.  dorsalis  scapulac  {ds)  verbunden. 

Inner  vi  rt  durch  den  N.  latissimus  dorsi  (34). 

Der  Muskel  ist  dem  Latissimus  dorsi  der  Urodelen  zu  vergleichen. 
Bemerkenswertb  ist  die  Veränderlichkeit  des  Ursprunges,  der  bald  von 
Processus  spinosi,  bald  von  theilweisen  Homologen  der  Rippen,  den  Pro- 
cessus transverso-costales  stattfinden  kann.  Gonstantere  Beziehungen 
bieten  die  Verhältnisse  der  Insertion  dar.  Während  bei  den  Urodelen 
bald  ein  vollkommenes  Eingehen  in  den  M.  anconaeus  scapularis  mc- 
dialis,  bald  nur  eine  theilweise  Vereinigung  mit  diesem  Muskel  zur 
Beobachtung  kam ,  indessen  die  übrigen  Theile  lateral  an  ihm  nach 
dem  numerus  verliefen,  ist  bei  allen  untersuchten  Anuren  'jed- 
wede Beziehung  zum  M.  anconaeus  aufgegeben  und  der  von  diesem 
laterale  Verlauf  des  ganzen  M.  latissimus  dorsi  unzweifel- 
haft ausgeprägt.  Zu  dieser  vollkommenen  Emancipation  von  dem  M. 
anconaeus  steht  in  Gorrelalion  die  in  der  Regel  stattfindende  Vereinigung 
der  Insertionstheile  mit  denen  des  neben  ihm  liegenden  M.  dorsalis  sca- 
pulac, ein  Verhttitniss,  das  einzelne  Autoren  (Zbnkbb,  Stannius)  verführt 
iiat,  in  dem  Latissimus  dorsi  einen  accessorischen  Theil  des  M.  dorsalis 
scapulao  zu  erkennen.  Durch  diese  Beziehungen  bieten  die  Anuren  den 
Endpunct  einer  von  den  Urodelen  her  verfolgbaren  Entwicklungsweise, 
die  keine  Anknüpfungen  an  die  Verhältnisse  bei  den  höheren  Wirbel- 
thieren  darbietet  >). 


4)  Er  entspringt  bei  Bufo  und  Hyla  schmal  vom  Processus  tranverso-oostalis  \l., 
bei  Cyatignathus  von  der  Aponeurose,  welche  die  RUckenmuskeln  deckt  und  bis  an 
die  Processus  spinosi  geht,  bei  Rana  vom  Processus  spinosus  III— V.,  bei  Pipa  von 
der  breiten  Platte  des  letzten  Processus  transverso-costalis  (Klbir).  —  Ueber  seine 
Beziehungen  zum  M.  obliquus  abdominis  cxternus,  die  nur  secundürer  Natur  sind, 
vergleiche  Klein,  Ecbbr  etc. 

3)  Theilweise  auszunehmen  sind  die  Cholonier,  bei  denen  auch  eine  Vereinigung 
des  M.  latissimus  dorsi  mit  dem  M.  delloideus  zur  Beobachtung  kommt. 


15.  Dorsalis  HcapuLae  {ds}  ■). 

Scapularis:  Zenier  (Nu.  K5.  86),  Akokthus. 

AuswarlsroJIor    odor   äussorer   Schulterblattmüsk«) 

Meciel  (So-  i). 
Adscnpulo-huiiiämt,  sous^plneui  elgrnnd  rond;   Dvge.'. 
SouS'«pitieuietsur-«pineux,Supra-et(n[raBpinalus 

Cl'VIER,  RtlDINGEk. 

Scapularis  (Supra-u.  Infraüpinalus}^  Kleik,  PmiFFEB. 
SuprnBcapularls:  SriintiiDS. 

InTraspiiia tuB,    Homotogon  des  Infraspinalus,   Teres  minor   un^ 
major:  Eckek  [No.  51). 

Bi-eiler  und  ansehnlicher  Muskel  aur  der  AussenOäche  des  dorsalen 
BruslgUrlels.  Kr  entspringt  von  dem  ganzen  Suprascapulare  niil  Aus- 
nahme des  oberen  Randes  und  gehl  mit  slarli  convergirenden  Fiiscrn 
senkrecht  nach  unten.  Seine  krüftigo  Endschne  verbindet  sich  (mit  Aus- 
nahme von  Pipa)  mit  der  des  M.  latissinius  dorsi  {dk)  und  gebt  gemeinsam 
mit  dieser  zwischen  der  oberflächlichen  und  licrcn  Partie  des  H.  acromio- 
humeralis  [ah]  sich  einschiebend,  an  die  lalcraJc  (Streck-}  Fläche  des 
Processus  lateralis  (PL.). 

Innervirt  durch  zwei  Nn.  dorsales  scapulae,  von  denen  der  vor- 
dere zugleich  den  H.  acromio-humoralis ,  der  hintere  den  H.  la- 
tissimus  dorsi  mit  versorgt  (31). 

Der  Muskel  ist  ein  Honiolc^on  des  gleichbenannten  der  Urodelen, 
von  dem  er  sich  durch  seine,  nicht  stets  bestehende,  Vereinigung 
mit  der  Sehne  des  M.  latissimus  dorsi  und  durch  seine  Beziehungen 
zu  dem  H.  acromio-humeralis  unlerscheidel ;  seine  Betheiligung  an 
letzteren  ist  Übrigens  nur  passiver  Art.  Eine  Vergieicbung  mit  den 
Hm.  supra-  und  infraspinatus  ist  daher  wie  bei  den  Urodelen  voll- 
kommen ausgeschlossen,  und  nur  eine  Homologisirung  mit  Elementen 
des  H.  deltoideus  (M.  dcltoideus  superior)  und  teres  minor  zulässig. 
Gegen  eine  Homologie  mit  Elementen  des  M.  teres  major  sprechen  die 
schon  bei  der  Beschreibung  und  Deutung  des  N.  dorsalis  scapulae  an- 
gefahrten Grunde. 


1)  Hecirl  giebt  bei  Pipa  eioe  Trennung  in  zweiHHlflen  [Ober- und  Untergräten- 
muftksl)  an. 


Zur  vergleicbeDden  Anatomie  der  Sehultermnskelii.  313 

16.  Aneonaeiis  (a)  ^) . 

Anconaeus:  Zenker  (No.  443.444),  Anontmus. 
DreibäQcbiger   Strecker,    Triceps   brachial,    Triceps 
brach i  i :  Meckbl  (No.  6),  Cüvibe,  Klein,  PFBirpER,  Ecker,  Rüoinger. 
Scapulo-bi-bum6ro-olecranien:  Vvgüm  (No.  75). 
Streckmuskelmasse  des  Vorderarms:  Stannius. 

Kräftige  Muskeimasse  an  der  Streckfläche  des  Oberarms,  die  theil* 
weise  vom  Brustgürtel,  theilweise  vom  Humerus  entspringt  und  folgende 
Theile  unterscheiden  lässt: 

a)  Anconaeus  scapularis  medialis  [asm).  Kräftiger  von 
dem  hintern  Rande  der  Scapula  entspringender  Kopf ,  der  medial  von 
der  Sehne  der  vereinigten  Mm.  dorsalis  scapulae  (ds)  und  latissimus 
dorsi  [dh)  sowie  dem  N.  radialis  (28)  liegt  und  noch  im  Bereiche 
der  proximalen  Hälfte  des  Oberarms  sich  mit  dem  A.  humeralis  lateralis 
[ahl)  vereinigt. 

b)  Anconaeus  humeralis  lateralis  (ahl).  Ansehnlicher 
Kopf,  der  von  der  ganzen  Länge  der  lateralen  Fläche  des  Humerus  mit 
Ausnahme  des  proximalen  Endes  entspringt  und  nach  der  Beugeseite  zu 
an  den  M.  acromio-humeralis  (ah)  angrenzt. 

c)  Anconaeus  humeralis  medialis  (aAm).  Kleiner  als  der 
voi'ige.  Er  entspringt  nur  von  der  distalen  Hälfte  der  medialen  Fläche 
des  Humerus. 

d)  Anconaeus  hum.eralis  brevis  (z.  Th.  Subanconaeus). 
Sehr  kleiner  vom  distalen  Ende  des  Humerus  zwischen  den  Mm.  an- 
conaeus humeralis  lateralis  (ahl)  und  medialis  (ahm)  entspringender 
Theil. 

Alle  Köpfe  vereinigen  sich  zu  einem  mächtigen  Muskel ,  der  sich 
am  proximalen  Ende  des  ulnaren  Theiles  dos  Antibrachium  (Olecranon), 
häufig  ein  Sesambein  (Patella  ulnaris]  einschliessend,  anheftet.  Tiefere 
Fasern  des  Anconaeus  humeralis  brevis  stehen  auch  zur  Kapsel  des 
Ellenbogengelenks  in  Beziehung. 

Innervirt  durch  sehr  verschieden  entspringende  Rr.  musculares 
n.  radialis  (40). 


4)  Zenker  unterscheidet  ein  Caput  medium  s.  longlssimum,  internum  und  ex- 
tcrnum ,  Collan  ein  Caput  longum  s.  posterius  s.  M.  anconaeus  longus,  ein  C.  exter- 
num  s.  M.  anconaeus  externus  und  ein  C.  internum  s.  M.  anconaeus  internus,  Stannius 
einen  Anconaeus  longus  und  zwei  vom  Humerus  entstehende  Köpfe,  Ecker  einen  lan- 
gen, medialen,  lateralen  und  ausserdem  einen  kurzen  vierten  Kopf  (Subanconaeus), 
RüDiNGRR  einen  üusscren,  inncm  und  langen  Kopf.  Mangel  des  Caput  internum 
(und  Ersatz  desselben  durch  den  sogenannten  Extensor  magnus)  hat  Klein  bei 
Cystignathus  beobachtet. 


314  Mm  PStbringttr, 

Der  M.  anconaeus  der  Anuren  slimmt  nicht 
Urodeleo  Uberein.    Er  unterscheidet  sich  einma)  von  diesem  durch  d>>n 
Hangel  eines  jeden  Homologon  des  H.  anconaeus  coracoideus ,    Temfr 
durch  die  EntWickelung  eines  neuen  humeralen  Kopfes,  des  H.  nnconaeus 
humeralis  brevis,  der  sich,  wie  durch  Untersuchung  von  juogen  Thienn 
nachgewiesen  wird,  aus  dem  H.  anconaeus  humeralis  medialis  diOeren- 
zirt  hat,  endlich  durch  die  Aufgabe  jedweder  Beziehungen  zum  H.  l-i- 
Ussimus  dorsi.    Letiteres  Verhaltniss  ist  bedingt  durch  eine  von  der  Ix'j 
den  Urodelen  abweichenden  Bildung  des  H.  anconaeus  scapularis  mf- 
(iialis.    Während  bei  diesen  die  Nn.  radiales  medial  an  ihm  vorfoeitiefen. 
kommt  hier  das  umgekehrte  Verhullniss  zur  Beobaditung:   der  Muskel 
liegt  medial  von  den  Nerven.  EineAufklSrung dieses  verschjeden''ri 
Verhaltens  ist  zur  Zeit  durch  die  Untersuchung  noch  nicht  gefunden,  ili 
Mittelstufen  bei  den  untersuchten  Urodelen  und  Anuren  nicht  vorli^en  ' 
Wahrscheinlich^]  ist,  dass  ursprünglich ,  ehe  noch  phylogenetisch  ein< 
Trennung  in  Urodelen  und  Anuren  stattgefunden  hatte,  den  Ampbibier 
ein  von  dem  N.  radialis  durchbohrter  M.  anconaeus  subscapularis  me- 
dialis  zukam.    Durch  Verktlmmerung  der  medial  vom  Nerv  gelegenen 
Elemente  entstand  dann  der  Anconaeus  scapularis  medialis  der  Urodelen. 
durch  VericUmmerung  der  laterslon  Theile  der  gleichbensnnt«  Huski*! 
der  Anui-en.    G^en  eine  Vergl^cbung  des  M.  anconaeus  scapularis  me- 
dialis der  Anuren  mit  dem  H.  anconaeus  coracoideus  der  Urodelen,  dtf 
BiiDinoKH  befürwortet,  spricht  die  abweichende  Beziehung  des  letzterpn 
zu  den  Nn.  brachiales  longi  inferiores.    Eine  direclere  Homologisimni: 
mit  dem  M.  anconaeus  longus  des  Menschen  ist  durch  sein  Veriialten 
lum  H.  latissimus  dorsi  und  N.  radialis  unbedingt  verboten  >).    Dagegen 
stehen  die  Hm.  anconaeus  humeralis  lateralis  und  medialis  in  nitberei 
Beziehung  zu  den  Hm.  anconaeus  eileinus  und  internus  des  Mmgchei). 
ebenso  wie  liefere  an  der  Kapsel  inserirende  Partien  des  H.  anconaeu» 
humeralis  brevis  zu  dem  H.  subnnconaeus  desselben. 


^}  Höglklier  WeiB«  kann  eine  Untorau diu ng  van  Uicrops  zurAufklHruDiidirsi-i 
Krsge  beilragpii. 

3)  Diese  Annahme  wird  übrigens  duit^li  dio  VerbfillnUse  bei  den  Sclacbii?iii 
und,  weiinn  aui^h  in  weniger  ü bef  zeugender  Weise,  liei  den  Crocodilen  onlerslülii 

3)  ünbegreinich  isl  RUDtücSK's  Behauptung:  "Im  Allgemeinrn  kann  eine  \,.n- 
siandigerc  Uobcreinslimmung  zwischen  dem  Tricepa  der  uageüchwünitea  RaInKrhit't 
und  dem  dreikSpßgen  SIreckrouske]  des  Ynrderarms  beim  Meosctien  und  den  Savf  - 
thiercn  nirbt  gedacht  werden,  l.nge  des  Muskels,  Ursprung,  Ansatz  und  Wirkuii): 
Htimmcn  vollstänilig  mildem  menscblichcnTriceps  übercin*.  Die  abweichende  l.a^i- 
zum  II.  latissimus  darsi  (ganz  abgesehen  \<>ui  N,  rndiali^'  mus'i  auch  dem  nlir^ilj.^i, 
liebsten  Beotiacbter  einleuchten. 


V: 


f: 


Zar  vergteiebenden  Artfttomie  der  Sehnltermaskelii.  315 


Erklinmg  der  Abbildungen. 


Auf  allen  Tafeln  ist  die  rechte  Seite  der  betreffenden  Thiere  abgebildet. 

Die  Knochen  sind  durch  gerade  grosse  lateinische  Buchstaben'), 

^-■^        die  Hauptstämme  der  Kopfnerven  durch  schräge  grosse  lateinische 

.'^v         Buchstaben,   die   Hauptstämme  der  Spinalnerven  durch   römische 

Zahlen,   deren  Aeste  durch  arabische   Zahlen,    die  Muskeln  durch 

kleine  lateinische  Buchstaben  bezeichnet. 

Ein  rother  Abdruck  unterscheidet  die  Muskeln  von  den  andern  Theilen. 
V'  Auf  den  Abbildungen  der  Plexus  brachial is  sind  die  Nn.  brachiales 

•Tr         inferiores  und  thoracic!   inferiores  weiss,   die  Nn.  brachiales  su- 
t'i         periores  grau,  die  Nn.  thoracici  supertorcs  schwarz  dargestellt. 


Taf.  XIV. 
Verven  fftr  dia  Sehultomaslnln  d«r  Amphihiaa. 

Für  alle  Figuren  dieser  und  der  4   folgenden  Tafeln   gültige 
Bezeichnungen  für  die  Nerven: 

a)  Kopfnerven: 

TQ  Aeste  des  N.  trigeminus. 
TiQ  Aeste  des  N.  facialis. 

V  Vagus-Gruppe: 

tt    R.  accessorius  n.  vagi. 

a    R.  scapularis  n.  vagi. 

7'  R.  pharyngous. 

yX  R.  lingualis. 

(II   R.  auricularis. 

f     R.  intestinalis. 

X    R.  communicans  c.  nervo  faciali. 

b)  Spinalnerven: 

I,  H,  III,  IV,  V  Ventrale  Aeste  der  Nn.  spinales. 
4  Aeste  des  N.  spinalis  I.  an  die  ventrale  und  hypaxontscho  Rumpfmuskulatur. 
2  N.  thoracicus  superior  I. 
8  Aeste  des  N.  spinalis  U.  an  die  Ruinpfrouskulatur  und  die  Haut  des  HaUes. 

4  N.  thoracicus  superior  II. 

5  N.  thoracicus  inferior  II.  anterior. 

6  Ast  des  N.  spinalis  II.  für  den  M.  rcctus  und  obliquus  abdominis  (N.  thora- 
cicus inferior  II.  posterior). 

7  N.  thoracicus  superior  III. 

8  Ast  des  N.  spinalis  III.  für  die  Bauchmuskeln  (N.  thoracicus  inferior  III.). 

9  N.  thoracicus  superior  IV. 

iQ  Aeste  des  N.  spinalis  IV.   für  die  Bauchmuskeln  und  den  M.  abdomini- 

scapularis  (N.  thoracicus  inferior  IV.) . 
14  Aeste  des  N!  spinalis  V.  für  die  Bauchmuskeln. 
4S  N.  supracoracoideus. 


1)  OoTch  ?«rt«k0A  d«i  Lltkofnph«ii  nind  sof  Taf.  XV  u.  XTI  di«  Knoch«n  mit  scbrl^Aii  froB8«n 
Utaini ick«B  Bvckstftk«»ii  WMieknft  worden. 


Q  ^K  Vnrbflnger. 

1 3  Ast  fUr  die  Um.  sopracoracoideus  und  coraco-rsdialla  proprlas. 

1<  Ast  Tür  dcD  U.  procoraco-humerBlis  (ürodeleo]  und  episleniD--cJeiilu- 

acromio-huneralis  (AnurenJ . 
1&  Ast  für  die  Haut  zwischen  Coracoid  und  Procoracold  (Proleasj. 
16  Ast  fUr  den  Rectus  abdominis  [Rann)  (N.  Itioracicus  inferior  III.  pu- 

slerior?;. 
17  Nn,  pectorales. 

IS  Ast  für  die  Haut  der  Bnial. 
19  Aeste  für  den  H.  pectoralis. 

50  Ast  für  den  M.  obliquus  abdominis  eiternus  (Proteus). 
21  N.  bracttialis  longug  inferior. 

33  Nn.  coracobrachiales. 

i»  R.  superficialis  n.  brachialis  longi  inferiorii  (Urodelen). 

ai  Aeste  nir  den  M.  humero-antibrachialis  inferior  (Urodelen). 

ii  N.  culaneus  brachii  Inferior  medlalis. 

36  N.  cutaneus  bracfaii  inferior  lateralis. 

37  Ast  an  die  Bengemnskeln  des  Vorderarms  und  an  die  Beuge  der  Hun<l 
IS  R.  profundus  n.  brachialis  longi  inferioris  (Urodelen).  ^ 

S9  N-  subscapularia  (Urodelen). 
30  N.  dorsalis  scapulee. 

51  Aeste  [Ur  den  M.  dorsalis  scapulae. 

S3  Nn.  cutanci  brachii  superiores  laterales. 

IB  Asl  für  den  M.  procoraco-huraeralis  (Urodelen]  und  acromio-humaralL« 
(Anuren) . 
H  Nn.  latisslmi  dorsi. 

[33  +  >S)  N.  brachialis  longus  superior  s.  radialis  (Anuren). 
SS  N.  biacliialis  longus  superior  profundus  s.  radialis  profundus  (Urodelen; . 

3S  Aeste  für  den  U,  anconaeus. 

37  Ast  fUr  die  Strecliseite  des  Vorderarms  und  der  Uand. 
38  N.  brachialis  longus  superiorsupcrllcialiss.  radialis  superficialis(Uro<]etcn'. 

39  Kleiner  llautnerv  an  den  lateralen  Theil  der  Streckseile  des  Oberarm«. 

(0  Aeste  an  den  M.  anconaeus. 

t1  N.  culaneus  brachii  et  antibrachii  superior. 
ii  N.  culaneus  brachii  superior  medlalis. 
43  IfAuiasle,  die  weder  von  Kopfnerven  noch  vom  Pteius  brachialis  abslammL-n. 

Vagus-Gruppe    und    Pleins    brachialis    von   Salamandru 

mnculata.  Ventral-Ansichl.  GrOssenverlillllniss  ^. 

Seltenerer  Ursprung    des    N.  pectoralls  von  Salaitiandt» 

maculata.    Venlral-Ansicbl.  Grossen verbültniss  f. 

Plexus    brachialis    von    Siredoii    Axolotl.      Venlral-Ausicht. 

G  rossen  verbflltniss  4. 

Plexus  brachialis   von  Proteus   anguinous.    Venlral-Anaichl. 

G  rossen  verbfiltniss  f.. 

Vagus-Gruppe  und  PleX'us  brachialis  von  Rana  csculenla. 

Ventral- Ansicht.    G  rossen  verhHI  in  ig?  >. 

Seltenere  Verbindung  des  N.  i 

brachialis  von  Rana  esoulenta 

niss  f. 


Zur  verKleirlienden  Anatomie  der  Schnitermoskeln.  317 

Taf.  XV  und  XVL 
BehiiltermuBkelB  von  Salamandra  maonlata. 

Taf.  XV  stellt  Seiten-,    Taf.  XVI  Ventralansichten  in  doppel- 
ter Vergrösserung  dar. 

Für  alle  Figuren  dieser  beiden  Tafeln  gültige  Bezeichnungen : 

Knochen: 

S     Scapula. 

Pr    Procoracoid. 

C     Coracoid. 

FC  Foramen  coracoideum. 

St    Sternum. 

H     Humerus. 

PL   Processus  lateralis  humeri. 

PM  Processus  medialis  hunoeri. 

CR  Condylus  radialis  humeri. 

CU  Condylus  ulnaris  humeri. 

R     Radius. 

U      Ulna. 
Nerven: 

Vergleiche  die  Bezeichnungen  von  Taf.  XIV. 

Muskeln: 

cds  M.  capiti-dorso-scapularis  (Cucullaris). 

bs  M.  basi-scapularis  (Levaior  scapulae). 

Ihs  II.  thoraci-scapularis  (Serratus  magnus). 


tht.    Untere  Partie  )   ^ 

..^       ^L       «    *.      f  desselben. 

Ihs„  Obere  Partie    ) 


psi     M.  pectori-scapolaris  internus. 

p        II.  pectoralis. 

3p  c    M.  supracoracoideus. 

crp    M.  coraco-radialis  proprius. 
cbl    II.  coraco  bnichialis  longus. 
ebb    M.  coraco-brachialis  brevis^). 

hat    M.  humero-antibrachialis  inferior  (Brachialis  inferior). 
ph     M.  procoraco-huineralis. 
dh     II.  dorso-bumeralis  (Latissimus  dorsi). 
ds      II.  dorsalls  scapulae. 
sbc    M.  subcoracoideus. 
a        M.  anconaeus. 

ac     II.  anconaeus  coracoideus. 

asm  II.  anconaeus  scapularis  medialis. 

akl    U.  anconaeus  humeralis  lateralis. 

ahm  U,  anconaeus  humeralis  medialis. 
dg     II.  digasiricus. 
dir    M.  dorso-trachealis. 
mha  II.  roylo-hyoideos  anterior. 


1)  Ul  Vig.  21  f&lieliUeli  mit  «11  b«sdielift«t. 
Bd.  ?IL  S.  24 


316  Max  Ffirbrin^r, 

mhp  M.  mylo-hyoideus  postorior. 
oae    M.  obliquus  abdomiais  externus. 
ra     M,  rectus  abdominis. 
sth      M.  sterno-byoideus. 


Fig.    7.     Scbultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Haut. 

Fig.  8.  Schaltermuskeln  nach  Wegnahme  der  Mm.  mylo-hyoidei  anterior  und  po- 
sterior {mha  und  mhp),  digastricus  {dg)  und  pectoralis  [p). 

Fig.  9.  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Mm.  dorso-trachealis  [dir],  supra- 
coracoideus  (jpc) ,  coraco-radialis  proprius  (crp},  procoracO'-hunierali> 
[ph)  und  latissimus  dorsi  {dh), 

Fig.  40.  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Mm.  capitiHiorso-scapularis  s. 
cucuUaris  {cds)  und  coraco-brachialis  longus  Ichl), 

Fig.  44.    Schultermuskeln  nach  Wegnahme  des  M.  dorsalis  scapulae  [ds). 

Fig.  42.  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Mm.  coraco-brachialis  brevis  (c  b  6; , 
anconaeus  scapularis  medialis  [asm]  und  anconaeus  humeralis  lateralis 
(ahl), 

Fig.  48.  Tiefe  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  des  Humerus  und  seiner  Mus- 
kulatur. Der  Brustgürtel  und  das  Brustbein  sind  durchsichtig  gedacht, 
um  die  darunter  liegenden  Muskeln  sichtbar  zu  machen,  und  ihre  Od)- 
risse  durch  Punctlinien  angegeben. 

Fig.  44.  Bnistgttrtel,  Brustbein  und  Oberam  mit  Angabe  der  Ursprünge  und  lo- 
seriionen  der  MuskeUi.  Die  an  der  Aussenfltfehe  liegenden  sind  durch 
einfache  Linien,  die  an  der  Innenfläche  liegenden  durch  Punctlinien 
angedeutet.  £in  o  neben  dem  Muskelnamen  bedeutet  Ursprung,  ein  i 
Insertion. 

Fig.  45.     Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Haut.  Vergleiche  Fig.  7. 

Fig.  40.  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Mm.  mylo-byoidei  anterior  und 
posterior  {mha  und  mhp),  digastricus  {dg)  und  pectoralis  (p).  Ver- 
gleiche Fig.  8. 

Fig.  47.  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Mm.  derso-rtrachealis  {dtr),  supra- 
coracoideus  {spc)  und  des  Muskeltheils  des  M.  coraco-radialis  proprius 
{crp). 

Fig.  48.  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Endsohne  des  M.  coraco-radialis 
proprius  {crp),  des  M.  procoraoo^humeralis  {ph)  und  des  latissimus 
dorsi  (dA).   Vergleiche  Fig.  9. 

Fig.  49.  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Mm.  capiti-dorso-scapularis  s. 
cucullaris  {cds),  coraco-brachialis  longoa  {cbl)  und  dorsalis  scapulae 
{ds).  Vergleiche  Fig.  44. 

F  i  g.  SO.  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Mm.  conico-brachialis  brevis  {ebb) , 
anconaeus  scapularis  medialis  {asm)  und  anconaeus  humeralis  lateralis 
{ahl).  Vergleiche  Fig.  4 ft. 

Fig.  t4.  Brustgürtel,  Brustbein  und  Oberarm  mit  Angabe  der  Ursprünge  und 
Insertionen  der  Muskeln.  Vergleiche  Fig.  U^).  • 


1)  FQr  den  Ursprung  des  M.  subconcoidens  ist  die  Beseiclinung  sie»  vergessen  worden. 


Zur  Tergleiebeideii  Anatomie  der  Sdralterouiakfitt*  319 


Taf.  XVn  uüd  XVilL 
Sohaltermnakeln  von  Bana  esenlenta^). 

Taf.   XVII.  stellt  Seiten-,   Taf.  XVIIl.  Von tral-Ansichten    im 
Masstabe  von  |  dar. 

Für  alle  Figuren  dieser  beiden  Tafeln  gültige  Beieicbnungen : 

Knocben: 


H  Humerus. 

PL  Processus  lateralis  bumeri. 

GrL  Gf  ista  lataralia  humeri. 

PM  Processus  medialis  bumeri. 

ER  Epicondylus  radialis. 

EC  Epicondylus  ulnaris. 

H  Radius. 

U  Olna. 


S  Scapula. 

A  Acromion. 

SS  Sttprascapulare. 

Pc  Procoracoid. 

C  Coracoid. 

Bc  Bpicoracoid. 

Gl  Clavicula. 

St  SIemum. 
Est  Bpistemum. 

Nerven: 

Vergleicbe  die  Bezeicbnungea  von  Taf.  XIY. 

Muskeln: 

CS       M.  capiti-scapularis  (Cucullaris). 

is        M.  interscapularis. 

bss     M.  basi-suprascapularis  (Levator  scapulae  inferior). 

pss      M.  petroso-suprascapularis  (Levator  scapulae  superior). 

rha      M.  occipiti-suprascapularis  (Rhomboideus. anterior). 

ths      M.  tboraci-scapularis  (Serratus  magnus  inferior). 

thts     M.  tboraci-suprasc^ularis  (Serratus  magous  superior). 

rhp     M.  rhomboideus  posterior. 

as       M.  abdomini-scapularis. 

p         M.  pectoralis. 

pa       M.  pectoralis  abdominalis. 

pst       M.  pectoralis  sternaTis. 

pe       M.  pectoralis  epicoracoideus. 
crp     M.  coraco-radialis  proprius. 
cbl      M.  coraco-brachialis  longus. 
ebbt    M.  coraco-bracbialis  brevis  internus. 
eclah  M.  episterno-cleido-acromio-humeralls. 

eh        M.  epislemo-humeralis. 

clh       M.  cleido-bumeralis. 

ah       M.  acromio-humeralls. 
dh        M.  dorso-bumeralis  (Latissimus  dorsi). 
äs        M.  dorsalis  scapulae. 
a  M.  anconaeus. 

Qsm    M.  anconaeus  scapularis  medialis. 

ahl      M.  anconaeus  humeralls  lateralis. 

ahm    M.  anconaeus  humeralis  medialis. 


1)  Itoliiirs  d«r  dontlieharen  DarattfUvng  d«r  f«iitrftleii  Muskeln  aucli  Mf  d«n  SaiUnuitiekteB 
tmrd«  «in  tHchtiges  Weibeben  g«w&lüt. 


320  Max  FQrbringer,  Zur  vergleichenden  Aiiatoinie  der  Sctnilterronskeln. 

dg  M.  digaslricus. 

mha  M.  mylo-hyoideus  anterior. 

mhp  M.  mylo-hyoideus  posterior. 

oae  M.  obliquus  abdominis  externus. 

tra  M.  transversus  abdominis. 

ra  M.  rectus  abdominis. 

oh  M.  omo-hyoideus. 

stb  M.  stemalis  brutorum  s.  rectus  sterni. 


Fig    32.    Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Haut. 

Fig.  23.  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Mm.  mylo-hyoidei  anterior  und 
posterior  {mha  und  mhp),  digastricus  {dg),  pectoralis  abdominalis  {pu} 
und  pectoralis  epicoracoideus  (pe). 

Fig.  24 .  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Mm.  coraco-radialis  proprius  {crp) » 
pectoralis  sternalis  {pst),  episterno-cleido-acromio-hnmeralis  [eciah) 
und  latissimus  dorsi  {dh). 

Fig.  25.  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Mm.  coraco-brachialis  longus  (o^  /) 
und  dorsalis  scapulae  (d«). 

Fig.  26.  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  hintern  Kiefertheile  und  der  Mm. 
coraco-brachialis  brevis  internus  {ebbt)  und  anconaeus  (a). 

Fig.  27.  Tiefe  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  des  Humerus  und  seiner  Mus- 
kulatur. Der  Brustgürlol  und  das  Brustbein  sind  durchsichtig  gedacht, 
um  die  darunter  liegenden  Muskeln  sichtbar  zu  machen,  und  ihre  Um- 
risse durch  Punctiinien  angegeben. 

Fig.  28.  Brustgürtel,  Brusthein  und  Oberarm  mit  Angabe  der  Ursprünge  und  In- 
sertionen der  Muskeln.  Die  an  der  Aus.senfläche  liegenden  sind  durch 
einfache  Linien,  die  an  der  Innenfläche  liegenden  durch  Punctiinien 
angedeutet.  Ein  o  neben  dem  Muskelnamen  bedeutet  Ursprung,  ein  f 
Insertion. 

Fig.  29.     Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Haut.   Vorgleiche  Fig.  22. 

Fig.  80.  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Mm.  mylo-hyoidei  anterior  und 
posterior  {mha  und  mhp),  des  sogenannten  sternalis  brutorum  {slb)  und 
pectoralis  abdominalis  {pa). 

Fig.  34.  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Mm.  digastricus  {dg)  und  pectoralis 
epicoracoideus  {pe).   Vergleiche  Fig.  23. 

F  i  g.  82.  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  des  Muskeltheils  des  M.  coraco-radialis 
proprius  {crp), 

Fig.  83.  Schul tormuskeln  nach  Wegnahme  der  Mm.  pectoralis  stemalis  {pst), 
epistemo-cleido-acromio-bumeralis  {eclah)  und  latissimus  dorsi  (dh). 
und  der  Endsehne  des  M.  coraco-radialis  proprius.   Vergleiche  Fig.  24. 

Fig.  34 .  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  der  Mm.  coraco-brachialis  longus  {ebi} 
und  dorsalis  scapulae  {ds).   Vergleiche  Fig.  25. 

Fig.  85.  Schultermuskeln  nach  Wegnahme  des  M.  coraco-brachialis  brevis  inter- 
nus {ebbt). 

Fig.  36.  Brustgürtel,  Brustbein  und  Oberarm  mit  Angabe  der  Ursprünge  und  In- 
sertionen der  Muskeln.   Vergleiche  Fig.  28. 


lieber  die  Persistenz  der  Urniere  bei  Myxine 

glntinosa. 


Von 

Wilhelm  Müller. 


Nach  dea  Beobachtungen  Johannes  Muller^s  (Untersuchungen  ttber 
die  Eingeweide  der  Fische.  Berlin  1845.  p.  7)  liegt  hinter  den  Kiemen 
zu  beiden  Seiten  der  Cardia  der  Hyxinoiden  eine  eigenthttmliche  trau- 
bige Drüse.  Die  rechte  trifft  man  hinter  der  Bauchfellfalte  rechts  von 
der  Leber,  unter  welcher  man  in  den  Herzbeutel  kommt,  die  linke 
kommt  in  dem  Theil  des  Herzbeutels ,  worin  der  Vorhof  gelegen  ist, 
über  diesem  zum  Vorschein. 

Ihr  feinerer  Bau  ist  sehr  eigenthümlich.  Sie  bestehen  aus  Büscheln 
sehr  kleiner  länglicher  Lobuli ,  welche  an  den  Blutgefüssen  hangen  und 
durch  Bindegewebe  verbunden  sind.  Jeder  Lobulus  oder  Cylinder  der 
Büschel  besteht  aus  einer  doppelten  Beihe  von  cylindrischen  Zellen  mit 
Kernen,  die  den  Zellen  des  Cylinderepithelium  gleichen.  Beide  Reihen 
biegen  am  Ende  des  zottenförmigen  Lobulus  in  einander  um.  Zwischen 
beiden  verlaufen  die  BlutgefUsse  und  ein  Strang  von  Bindegewebe. 

Bei  den  Petromyzon  kommt  diese  Drüse  nicht  vor.  Wenigstens  ver- 
hält sich  die  von  Bathke  beschriebene  Drüse,  deren  feinerer  Bau  von 
Bardelbbbn  beschrieben  ist,  ganz  anders.  Mayer  und  Bardelbbrn  ver- 
gleichen die  Drüse  der  Petromyzon  mit  der  Milz ;  die  beiden  Drüsen  der 
Myxinoiden  sind  ohne  Zweifel  die  Nebennieren. 

Als  Analoga  der  Organe  der  Myxinoiden  lassen  sich  gewisse  weisse 
Zapfen  betrachten,  womit  die  Stämme  der  hinteren  Körpenrenen  bei 
Ainmocoetes  besetzt  sind.  Sie  sind  dort  von  Rathkb  zuerst  gesehen 
und  beschrieben;  ich  habe  sie  wiedergesehen. 

Die  oberen  Enden  der  Ureleren  reichen  bis  nahe  an  die  Neben- 
nieren. Das  Ende  wird  plötzlich  dünn  und  zieht  sich,  nachdem  es  die 
Höhlung  verloren  hat,  in  einen  feinen  Strang  von  Bindegewebe  aus,  der 


322  Wilhelm  Muller, 

keine  Höhlung  mehr  enthält  und  welcher  das  einzige  ist,  was  die  Rich- 
tung noch  weiter  entgegen  den  Nebennieren  verfolgt. 

Sowohl  die  Beschreibung  als  die  Deutung  Johanioss  Möllbr^s  er- 
weisen sich  bei  genauerer  Prüfung  als  irrthümlich.  Präparirt  man  bei 
einer  gut  konservirten  Myxine  mit  Hülfe  der  Loupe  unter  Weihgeist  die 
Aorta  von  der  Yorderfläche  der  Chorda  ab,  so  lässt  sich  der  Verlauf  der 
beiden  Ureteren  mit  den  zugehörigen  kurzen  Harnkanälchen  leicht  über— 
sehen.  Am  oberen  Ende  geht  jeder  Ureter  iD  einen  schmalen  Gang  über. 
Dieser  Gang  zeigt  eine  kurze  Strcidke  nach  seinem  Abgang  vom  Ureter 
eine  flache  etwas  unebene  Anschwellung  von  weisslicher  Farbe.  Hinter 
dieser  Anschwellung  wird  der  Gang  noch  feiner  als  vorher ;  er  lässt  sich 
in  dieser  verschmälerten  Gestalt  bis  zu  dem  unteren  Ende  der  länglichen 
Drüse  verfolgen,  welche  oberhalb  des  Vorhofs  resp.  des  Pfortaderherzens 
in  der  Bauchhöhle  liegt.  Der  Gang  nimmt  hier  rasch  an  Dicke  zu  und 
theilt  sich  in  zwei  bis  drei  Aeste ,  welche  sofort  alle  Eigenschaften  der 
Kanälchen  besitzen,  aus  welchen  die  fraglichen  Drüsen  sich  zusammen- 
setzen. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  des  Ureter  ergiebt ,  dass  dessen 
Schleimhaut  in  zahlreichen  Falten  erhoben  ist;  welche  labyrinthförmig 
untereinander  zusammenhängen.  Sie  wird  von  einem  einschichtigen 
cylindrischen  Epithel  bekleidet ,  welches  namentlich  auf  der  Höhe  der 
einzelnen  Falten  intensiv  braungelb  pigmentirt  ist.  Die  kurzen  Harn« 
kanälchen ,  welche  vom  Ureter  entspringen ,  besitzen  ein  einschichtiges 
pigmentloses  Cylinderepithel ;  am  Uebergang  in  die  den  Glomerulos 
beherbergende  Erweiterung  sind  sie  etwas  verengt  und  eine  Sireeke 
weit  mit  höheren  und  schmäleren  Zellen  versehen.  Die  Innenfläche  der 
Kapsel  ist  gleich  der  Oberfläche  des  Glomerulus  von  einem  ganz  flachen 
schwer  wahrnehmbaren  kernhaltigen  Epithel  bekleidet. 

Hinter  der  Abgangsstelle  des  letzten  Hamkanälchens  reducirt  sich 
der  Durchmesser  des  Ureter  um  die  Hälfte.  Zugleich  glätten  sieh  die 
Falten  der  Schleimhaut  und  das  Epithel  wird  niedriger,  behält  aber 
seine  braungelbe  Pigmentirung.  Dieser  Abschnitt  ist,  wie  Querschnitte 
ergeben,  hohl;  ergiebt  nach  kurzem  Verlauf  einem  Kanälchen  Ursprung, 
welches  alsbald  in  eine  massige  Zahl  gewundener  Schläuche  sich  auf- 
löst. Die  letzteren  umgeben  die  Fortsetzung  des  Ureter  und  verdecken 
sie  eine  Strecke  weit ,  durch  sie  wird  die  weissliche  etwas  unebene  An- 
schwellung bedingt,  welche  man  im  Verlauf  des  Ganges  wahrnimmt. 
Sie  bestehen  aus  einer  Membrana  propria  und  einem  einschichtigen 
schwach  gelblich  pigmentirten  niedrigen  Cylinderepithel.  Vor  Allem 
aber  sind  diese  Kanälchen  ausgezeichnet  durch  die  Anwesenheit  con- 
centrisch  geschichteter  Concretionen  in  ihrem  Lumen,    welche  stark 


Ueber  die  Persistenz  der  Urtiiere  bei  Myxioe  glotinosa.  323 

giänzend ,  zum  Thei!  im  Centrum  mit  einem  schwarzen  Kern  verseben 
sind.  Ihre  Grdsse  ist  verschieden,  die  kleinsten  messen  0.01 ,  die  grt)ss- 
ton  erreichen  0.4  Mm.  Die  ganze  Länge  der  Auftreibung,  welche  die 
Fortsetzung  des  Ureter  im  Berei<^  dieser  gewundenem,  GoneremMite 
führenden  Kanalchen  darbietet,  beträgt  etwa  4  Mm.,  die  Dicke  ist  viel 
geringer. 

Hinter  dem  Abgang  des  Kanälchens ,  welches  in  die  Concremente 
fuhrenden  Schläuche  sich  auflöst,  vercngi  sich  die  Fortsetzung  des  Ureler 
nochmals  beträchtlich ,  so  dass  sie  nur  eben  dem  freien  Auge  als  ein 
schmaler  weisslicher  Faden  sichtbar  bleibt.  Dieser  Faden  ist  aber  nicht 
solid  und  bindegewebig,  wie  Johannss  Müllbr  irrthtbtfilich  glaubte, 
sondern  hohl  und  ausgekleidet  von  einem  niedrigen  gänitf  lei<^t  gelblich 
pigmentirten  Pflasterefüthel  in  einschichtiger  Lage.  Dieser  6dng  ei^tredLt 
sich,  fortwährend  mit  schmalem  Lumen  versehen,  bis  zum 'unteren  Ende 
der  über  dem  Vorhof  resp.  dem  Pfortaderherz  liegenden  Drttse.  Es  giebt 
ganz  kurz  vor  seinem  Uebergang  in  die  Kanälchen  der  iMzteren  noch-» 
mals  einem  schmalen  aber  ziemlich  langen  Harnkanälchen  Ursprung, 
welches  in  eine  mit  Glomerulus  versebene  Kapsel  sich  endigt. 

Am  unteren  Ende  der  beiden  Drttsen  theilt  sidi  jedef  der  schmalen 
Gänge  in  zwei  bis  drei  Aeste.  In  diesen  wird  das  Epithel  alsbald  wie- 
der hoch,  cylindrisch,  leicht  gelblich  pigmentirt,  während  das  Lumeti 
sich  erweitert.  Umgeben  werden  dieselben  vt>n  zarter  Bindesubstanz 
mit  Gef^ssen.  Jeder  Ast  giebt  mehreren  Kanälchen  Ursprung ,  welche 
ald)old  starke  Windungen  machen,  aus  einer  dünnen  Membrana  propria 
mit  aufsitzendem  einschichtigen  Cylinderepithel  bestehen  und  von  einem 
Capillametz  mit  den  entsprechenden  bindegewebigen  Adventiten  um- 
sponnen werden.  Gruppen  solcher  gewundener  Kanälchen  sind  bier  und 
da  durch  Bindegewebszüge  von  den  anliegenden  gesondert;  die  Drüse 
erhält  cbdnrch  an  der  Oberfläche  ein  unvollkommen  gelapptes  Ansehen. 
An  der  medialen  Fläche  der  Drüse  entsendet  ein  Theil  dei^  gewutidenen 
Kanälchen  seitliche  Divertikel ,  welche  alsbald  nach  kurzer  Yerengerung 
zu  Kapseln  sich  erweitern,  in  welche  je  ein  Glomerulus  hineinragt. 
Solcher  mit  Geßlssknäueln  versehener  Kapseln  besitzt  jede  der  beiden 
Drüsen  sechs  bis  acht.  Nach  Abgabe  der  seitlichen  Divertikel  verlaufen 
die  Kanäkfaen,  hier  und  da  dichotomisch  sich  theilend,  gewunden  gegen 
die  Fläche  des  Bauchfells  und  münden  schliesslich  mit  einer  nicht  un- 
bedeutenden Anzahl  freier  Mündungen  in  die  Bauchhöhle  aus.  An  der 
Ausmündungsstelle  erhält  das  Epithel  der  Kanälchen  eine  beträchtliche 
Grosse  uttd  geht  continuirlieh  in  das  cylindrische  rasch  sich  abflachende 
Epithel  des  anliegenden  Bauchfellabschnitts  über.  Jede  einzelne  Aus- 
mUndung  ist  über  das  Niveau  des  anliegenden  Bauchfells  etwas  erhoben; 


324  Wi>lie>"  Miill'^r, 

zwischen  der  dem  Bauchfell  angehörenden  uod  i 
kleidenden  Bpilhellage  erstreckt  sich  eine  zart 
mit  Capillargefasseti.  Die  HUndungen  der  KanaU 
schon  bei  mSss^er  Loupenvei^ttssenuif;  als  fei 
der  prominirenden  DrüsenkanSlchcn  wahrnehml 

Die  in  Rede  siehende  Drüse  kann  nur  fU.   —  „ 

werden.  Diese  Annabme  grUndet  sich  1)  auf  das  Vorkommen  der  einen 
GlomeniluB  enthaltenden  Kapseln,  2]  auf  die  Uebercinstimmung  der 
gewundenen  KanSicfaen  nach  Lage  und  Bau  mit  den  Umierenkanälchcn 
der  Fische  und  Amphibien,  3)  auf  den  Zusammenbang  der  Kanalchen 
mit  der  VerlXogerung  des  Ureter,  welche  dem  Urnierengang  entsprichL 

Die  Biohtigkeit  dieser  Deutung  geht  ausserdem  hervor  aus  dem 
Verhalten ,  welches  die  Umierc  bei  den  Nounaogen  zeigt.  Die  ümiere 
IriU  bei  den  Embryonen  dieser  Tbiere  sehr  frUhe  auf;  sie  erhsll  sieb 
zugleich  sehr  lange,  so  dass  sie  bei  l^rven  von  6  Centimeler  LHoge 
noch  leicht  aufzufinden  ist.  Der  Urnierengang  bildet  auch  bei  diesen 
Thieren  eine  Verlungerung  des  Ureter,  aus  welch'  Letzterem  die  blei- 
benden Bamkanülcben  bervorsprossen ,  welche  nach  mehrfachen  Win- 
dungen in  einer  mit  einem  Glomerulus  versehenen  Kapsel  endigen. 
Der  Urnierengang  spaltet  sich  an  seinem  Ende  in  drei  bis  vier  Aesle,  - 
welche  wie  bei  Hyxine  in  gewundene,  ziemlich  weile,  mitcylindrischem 
Epithel  angekleidete  BUbren  sich  fortsetzen.  Diese  Bttbren  mtlndeo 
wie  bei  Myxine  schliesslich  mit  ofleneo  Enden  in  die  Bauchhohle  aus, 
indem  das  Epithel  schmäler  und  bttber  wint  und  lange  ungemein  deut- 
liche Cilien  an  seinen  freien  Bindern  trtigt.  Solcher  Enden  exisliren 
aber  bei  sümmtiichen  Petromyzonarten  jederseils  nur  drei  bis  vier;  die 
Endstücke  springen  auch  hier  Über  die  Flache  des  angrenzenden  Bauch- 
fells vor;  in  Folge  meist  vorhandener  seitlicher  Ahflachung  stellen  sie 
rinnenanige  wimpemde  Furchen  oder  Quasten  dar.  Was  aber  die  DrUse 
der  Neunaugen  und  jene  der  Hyxine  glutinosa  untersoheidel,  ist  der 
Umstand,  dass  bei  Petromyzon  ein  grosser  Glomerulus  an  deren  me- 
dialen FlHche  frei  in  die  Bauchhöhle  vorragt,  nur  von  einer  einfadien 
sehr  zarten  Schicht  des  flachen  Bauchfcllepithcls  Uberz(^en,  ohne  in 
direclen  Zusammenbang  mit  den  gewundenen  KnnSlchen  zu  treten. 
Dies  ist  aber  dasselbe  Verbültniss ,  welche«  zwischen  Glomerulus  und 
Urnierenkanalchen  der  Amphibien  besteht,  wie  die  Beobachtungen 
TOR  WiTTtcH's  gezeigt  haben. 

Die  Umiere  persistirl  bei  Petromyzon  Planeri  In  ganzer  Ausdf  hnun(( 
solange,  bis  dessen  Larven  eine  I^nge  von  6  Cenlimeler  erreicht  haben. 
Ist  letzteres  geschehen ,  so  b^innt  die  Btlckbildung  der  gewundenen 
Kanalcben  und  zwar  durch  das  Auftreten  eines  lebhaft  braungclh  ge- 


Ueber  die  Persistenz  der  Uruiere  bei  Myxioe  glutinosa.  325 

färbten  krystallinischen  Infarkts,  welcher  in  den  Epilbelien  der  DrUsen- 
kancllchen  seinen  Sitz  hat.  Das  Auftreten  dieses  Infarkts  steht  in  Zu- 
sammenhang mit  einer  Umwandlung  der  zwischen  den  Umierenkanäl- 
chen  ursprünglich  verlaufenden  venösen  Gefüsse  in  ein  Geflecht  achter 
kavernöser  Hohlräume.  In  dem  Masse,  in  welchem  der  braune  Infarkt 
in  den  Zellen  der  Urnierenkanälchen  zunimmt,  verengt  sich  deren 
Durchmesser,  bis  schliesslich  die  Infarkt  haltenden  Zellen  dem  voll- 
ständigen  Schwund  anheimfallen  und  der  Verlauf  einzelner  Urnieren- 
kanälchen  nur  durch  schmale  gelbes  Pigment  führende  Bindegewebszüge 
noch  angedeutet  wird.  Demselben  Schwund  wie  die  Urnierenkanälchen 
verfällt  der  Urnierengang  bis  zum  Abgang  der  obersten  Harnkanülehen 
von  dem  zum  Ureter  sich  gestaltenden  bleibenden  Abschnitt.  Es  entr- 
gehen  aber  dem  Schwund  die  Enden  der  Urnierenkanälchen  mit  ihren 
flimmernden  frei  in  die  Bauchhöhle  ragenden  Oeffnungen ;  es  entgeht 
dem  Schwund  femer  der  Glomerulus.  Beide  persistiren  bei  sämmtlichcn 
Neunaugen  das  ganze  Leben  hindurch ;  sie  stellen  die  weisslichen  Zapfen 
dar,  welche  Rathkb  und  Johannes  Müller  schon  gesehen  haben  und  an 
welchen  der  Scharfblick  Max  Schultzens  bereits  in  sehr  frühen  Entwick- 
luDgsstadien  Flimmerepithel  nachzuweisen. vermochte. 

Die  Persistenz  der  Urniere,  das  Vorkommen  eines  concrement- 
haltigen  Abschnitts ,  endlich  die  an  embryonale  Form  erinnernde  Ge- 
staltung  der  Niere  sind  Momente ,  durch  welche  das  uropoetische  System 
der  Myxine  von  jenem  der  übrigen  Wirbelthiere  sich  unterscheidet.  Es 
muss  ein  Grund  vorhanden  sein ,  durch  welchen  dieses  abweichende 
Verhalten  bedingt  wird.  In  Bezug  auf  die  Vorstellungen ,  welche  man 
über  diesen  Grund  sich  machen  kann,  muss  die  Einfachheit  hervor- 
gehoben werden,  mit  welcher  die  Thatsachen  vom  Standpuncte  der 
Descendenztheorie  aus  sich  erklären  lassen.  Concrementhaltige  Ab- 
schnitte finden  sich  im  uropoetischen  System  sowohl  bei  Würmern  als 
l>ei  Tunikaten  sehr  verbreitet  vor.  Das  Rudiment  eines  solchen  Ab- 
schnitts ,  welches  dem  oberen  Endo  der  Niere  von  Myxine  angefügt  ist, 
kann  als  ein  Erbstück  betrachtet  werden,  welches  den  geeigneten  Boden 
für  eine  weitere  Entwicklung  nicht  mehr  gefunden  hat. 

Es  entwickelt  sich  aber  ferner  die  Niere  der  W^irbelthiere  zu  einer 
Zeit)  in  welcher  die  Urniere  einen  vorgeschrittenen  Grad  der  Ausbildung 
bereits  erreicht  hat  und  es  erfolgt  die  Rückbildung  der  letzteren  nach 
einer  Periode  der  gleichzeitigen  Existenz  beider  Organe.  In  dieser  Be- 
ziehung lässt  Myxine  glutinosa  sich  auffassen  als  der  erhalten  gebliebene 
Repräsentant  einer  formenreichen  Wirbelthierklasse,  in  welcher  das  den 
höheren  Wirbelthieren  eigenthümliche  Verhalten  des  uropoetischen  Sy- 
stems in  der  Anbahnung  noch  begriflen  war.  Es  entspricht  das  bleibende 


326         Wilhelm  MDIler,  Ueber  die  Persistenz  der  Uriiiere  bei  Bfyxiue  fj^iutinosa. 

Verhalten  des  uropoelischen  Systems  dieses  Thieres  einem  vorOber- 
gefaenden  Stadium  im  embryonalen  Leben  der  höheren  Wirbellhiere ; 
Phylogenese  and  Ontogenese  müssen  aber  in  den  wesentlichen  Paneten 
sich  decken,  wenn  die  Descendenztheorie  auf  richtiger  Grundlage  beruht. 
Die  ausführliche  Darstellung  dieser  VerhilUnfsse  zugleich  mit  den 
befegenden  Abbildungen  wird  eine  Arbeit  über  Bau  und  Verwandt- 
schaft des  Amphioxus  bringen. 

Jena,  1.  Mai  1879. 


Ueber  die  Hypobranchialriiine  der  Tunikaten 
und  deren  Yorhandensein  bei  Amphioxus  und  den 

OyUostomen. 


Von 

Wilhelm  Muller. 


Als  Hypobranchialrinne  wird  in  der  nachstehenden  Mittheilung  der 
gegen  die  Eiemenhöhle  offene  Halbkanal  bezeichnet,  welcher  bei  allen 
Tanikaten  längs  der  ventralen  Fläche  der  Athinungshöhle  vom  Mund  in 
der  Richtung  gegen  den  Oesophaguseingang  sich  erstreckt.  Das  Organ 
ist  zuerst  von  Cuvibr  beschrieben  worden ;  Savigny  nnd  Eschright  haben 
die  beiden  Lamellen,  welche  seine  seitliche  Begrenzung  bilden,  als 
Baucbfalten  bezeichnet.  Huxlbt  hat  davon  einen  längs  der  unteren  Fläche 
des  Organs  verlaufenden  weissen  Streifen  unterschieden  undalsEndostyl 
bezeichnet,  welcher  nach  ihm  sowohl  bei  Salpen  als  auch  bei  Ascidien 
und  Pyrosonien  sich  Gndet.  Leuckart  hat  im  Gegensatz  zu  Hkinrich  Müller 
die  Darstellung  Huxlby^s  fUr  die  Salpen  acceplirt ,  zugleich  al)er  erheblich 
zu  modificiren  gesucht ,  indem  nach  seiner  Beschreibung  das  Endostyl 
hohl  und  im  Inneren  von  Epithel  ausgekleidet,  zugleich  nur  an  seinem 
vorderen  Ende  mit  der  Kiemenhöhle  in  Communikation  sein  soll.  Für 
die  Ascidien  hat  Richard  Hartwig,  wohl  in  Folge  eines  Missverständnisses 
der  Angaben  HuxLBT^s ,  behauptet,  dass  Endostyl  und  Hypobranchial- 
rinne identische  Organe  seien  und  in  der  FoLL^schen  Arbeit  über  die 
Appendikularien  der  Meerenge  von  Mossina  ist  in  Folge  desselben  Miss- 
verständnisses die  Hypobranchialrinne  geradezu  als  Endostyl  beschrieben 
und  abgebildet. 

Prüft  man  die  vorliegenden  Angaben  an  Repräsentanten  verschie- 
dener Ordnungen  der  Tunikaten  1),  so  crgiebtsich,  dass  constant  unter- 
halb der  Hypobranchialrinne  ein  Streif  dichterer  Bindesubstanz  verläuft, 


4}  Auch  für  diese  Untersuchung  stellte  mein  College  Anton  DoBRN.in  Neapel 
mir  werthvotles  BIsterial  zur  Disposition,  wofür  demselben  hierdurch  öffentlich  ge- 
dankt sei. 


welcher  das  oder  die  vc 

Ascidirn  die  Verwachsung  der  Kieme  mit  der  Loibcswand  vermittelt. 
Diese  ßindesuhsUinzlaincllc  lässt  sich  hei  den  Salpen  mit  kurzer  Hypo- 
branchialrinne,  wie  Huxlev  und  Leuckart  schon  richtig  angegeben  haben, 
als  weisser  Streif  bis  zum  Oesopbaguseingang  verfolgen.  Auf  diese  Bindc- 
substanzlamelle  allein  kann  die  HuxLEy'sche  Bezeichnung  des  Endosty) 
Anwendung  finden.  Dieselbe  ist  aber  nicht  hohi  und  im  Innern  von 
üpilhcl  ausgekleidet,  wie  Leuckast  irrlbUmlich  angab ,  sondern,  wie 
Querschnitte  ei'geben,  solid  und  bei  den  Ascidien  nicht  sell«n  Sitz 
stärkerer  Pigmentablagerung. 

Die  Hypobranchial rinne  selbst  zeigt  bei  allen  Tunikaten  im  Wesent- 
lichen den  gleichen  Bau.  Allen  Tunikaten  kommen  zwei  symmetrisch 
neben  der  Hitlellinie  an  der  ventralen  Fläche  der  Albmuogsbtlhle  der 
Länge  nach  verlaufende  Leisten  zu,  welche  einen  nach  der  Athmungs- 
höhle  zu  oflenen  Halbkanal  umscbliessen.  Die  laterale  und  mediale 
Fluche  beider  Leisten  verbalten  sich  verschieden.  Die  laterale  Flüche 
wird  von  einem  ganz  niedrigen  schwer  wahrnehmbaren  kernhaltigen 
Epithel  bekleidet.  Die  mediale  Fläche  lässt  tlimmemde  und  secernirendo 
Epitbelstrecken  unterscheiden.  Auf  der  Kante  der  Leiste  nimmt  das 
Epithel  ganz  piQtzlich  cylindrische  Form  an  und  behält  dieselbe  eine 
Strecke  weit  längs  der  medialen  Fläche  in  der  Richtung  nach  abwärts. 
Auf  dieser  Strecke  haben  die  Epithelien  sehr  deutliche  starre  etwas  ge- 
wölbte Cuticularsaume.  Daran  schliesst  sich  eine  kurze  Strecke  ganz 
fladien  kernhaltigen  Epithels.  Es  ßndet  sich  ferner  constant  ein  un- 
paarer  Streifen  flimmernden  Epithels  längs  äer  Hitlellinic  im  Gi-undc 
der  Halbrinne.  Dieses  Epithel  ist  ausgezeichnet  durch  Schmalheil  des 
Protoplasmajeibes  der  einzelnen  Zellen  und  durch  die  Länge  der  Cilien, 
deren  oberer  Rand  im  Niveau  der  beiden  seitlichen  Begrenzungsleislcn 
li^t.  Der  Raum  zwischen  dem  flachen  und  dem  flimmernden  Epithel 
wird  zu  beiden  Seilen  der  Halbrinne  eingenommen  von  Zellen ,  welche 
mit  den  Secreüonscpilbelien  der  betreffenden  Thicre  am  meisten  Aehn- 
tichkeit  darbieten.  Sie  stellen  grosse  Gylinderepilhclicn  dar  mit  grossem 
Kern  und  körnigem  Protoplasma.  Sie  sind  stets  zu  einer  oder  zwei  im 
letzteren  Fall  übereinanderliegenden  flachen  Rinnen  angeordnet,  welche 
dem  Querschnitt  des  Organs  ein  sehr  charactcristischcs  Aussehen  ver- 
leihen. Beide  Halhrinnen  werden,  wo  sie  deutlich  entwickelt  sind, 
durch  kurze  Strecken  eines  schmäleren,  stark  glänzenden,  mit  starrem 
deutlich  gestreiften  Cuticularsaum  versehenen  Epithels  verbunden. 
Getragen  wird  die  Epithclhekleidung  von  einer  zarten  BindesubstanK, 
welche  einzelne  Gefdsse  führt  und  häufig  von  pigmenlhalligen  Zellen  in 
reichlichem  Masse  durchsetzt  ist. 


Uf b.  d.  liypobraiif hiiilriiiiie  d.  Timikaten  ii.  d«reti  Vorhuiidenseiu  b,  Aiiipliioxiis  e tr.  329 

Nun  hat  schon  Goodsoir  darauf  aufmerksam  gemacht^  dass  der 
Riemenapparai  des  Amphioxus  mit  jenem  der  Ascidien  am  nächsten 
verwandt  sei,  indem  beiden  die  gilterförmigc  Durchbrechung  der 
respirirenden  Flüche  und  die  B<^theiligung  von  Flimmcrepithel  an  der 
Bekleidung  der  letzteren  gemeinsam  sei.  Die  Uebereinstiminunt*  I»cider 
wird  dadurch  des  Weiteren  erwiesen  ^  dass  der  ventrale  Abschluss  der 
Kiemenhöhle  des  Amphioxus  durch  ein  Organ  gebildet  wird,  welches  alle 
wesentlichen  Attribute  der  Hypobranchialrinne  der  Tunikaten  besitzt. 

Unterhalb  des  Endes  der  Kiemenspalten  erhebt  sich  bei  Amphioxus 
der  Boden  der  Kiemenhöhle  zu  zwei  schmalen  Leisten ,  welche  lateral- 
wärts  gerichtet  sind  und  in  der  Mittellinie  zu  einer  flachen  Rinne  sich 
vereinigen.  Die  lateralwfirts  sehende  etwas  umgebogene  Kante  beider 
Leisten  ist  verdünnt,  gegen  die  Mitte  nimmt  die  Dicke  des  Bodens  ali- 
mälig  zu.  Der  Bau  des  bindegewebigen  Gerüstes  der  llypobranchialiinne 
ist  bei  Amphioxus  complicirter  als  bei  den  Tunikaten,  indem  in  die  strafliß 
Grundlage  beiderseits  ein  nach  oben  und  unten  sich  zuspitzender  Chitin- 
streif  eingebettet  ist,  welcher  mit  seinem  oberen  Ende  in  die  zugeschürfie 
Kante  sich  erstreckt,  während  das  untere  Ende  in  einzelne  Zipfel  zerspalten 
isi|  welche  mit  den  Zipfeln  der  entgegengesetzten  Seite  sich  durchkreuzen 
und  schliesslich  den  gabeligen  Enden  der  Ghitinstübe  des  Kiemenskelets 
zustreben.  Diese  zwei  Chitinstreifen  bilden  zusammen  eine  Hohlkohle, 
welche  längs  der  ganzen  Rinne  sich  erstreckt.  Sie  sind  eingebettet  in 
eine  sehr  straffe  vorwiegend  aus  schmalen  und  kurzen  spindelförmigen 
Zellen  bestehende  Bindesubstanz,  welche  ausserdem  von  Bündeln  platter 
Muskeln  in  querer  Richtung  durchzogen  wird,  deren  gelbliche  Farbe  von 
jener  der  farblosen  Bindesubstanz  deutlich  sich  abhebt.  Längs  der  un- 
teren Fläche  des  Organs  verläuft  die  hin  und  hergebogene  Kiemenarterie, 
nach  unten  von  der  Fortsetzung  des  visceralen  Blattes  des  Bauchfells 
umschlossen.  Die  epitheliale  Bekleidung  der  Hypobranchialrinne  stimmt 
in  ihrem  Verhalten  mit  dem  bei  den  Tunikaten  geschilderten  überein« 
Die  laleral  und  etwas  abwärts  sehende  äussere  Fläche  besitzt  ein 
schmales  ziemlich  kurzes  Cylinderepithel;  an  der  Kante  verlängert  sich 
dasselbe  und  geht  längs  der  medialen  zugleich  nach  oben  gerichteten 
Fläche  in  ein  schmales ,  verhältnissmässig  kurzes  Plimmerepithel  über» 
Zu  l>eiden  Seiten  der  Mittellinie  ändert  sich  die  Beschaffenheit  dieses 
Epithels  plötzlich,  indem  die  Zellen  viel  breiter  werden  und  deren  Proto- 
plasma stärkeren  Glanz  annimmt;  diese  breiten  Zellen  sind  zugleich  zu 
einer  flachen  Halbrinne  angeordnet,  welche  links  und  rechts  von  der 
Mittellinie  längs  des  ganzen  Bodens  der  Kiemenhöhle  sich  verfolgen  lässt. 
Die  Mitte  des  letzteren  zeigt  wieder  eine  Bekleidung  mit  geschichtetem 
schmalen  Cylinderepithel,  welches  in  dünne  Cilittn  sich  fortsetzt« 


330  Wilhelm  Nfiller, 

Ist  das  Vorkommen  eines  bei  den  Tunikaten  allgemein  vorhandenen, 
den  höheren  Wirbelthieren  aber  fehlenden  Organs  bei  Amphioxus  von 
Interesse  für  die  Phylogenese  der  Wirbelthiere,  so  glaube  ich,  wird  dieses 
Interesse  wesentlich  erhöht  durch  den  Nachweis ,  dass  dasselbe  Organ 
auch  den  Cyklostomen  während  ihres  Larvenzustandes  zukommt ,  oiit 
EintriU  der  definitiven  Gestaltung  des  Körpers  aber  schwindet.  Schon 
Rathkb  und  August  Müller  haben  das  dingliche  Organ  besprochen,  wel- 
ches am  Boden  der  Kiemenhöhle  bei  der  Ammoooetesform  der  Petromy- 
Konten  sich  findet  und  welches  nach  der  Vermuthung  des  ersteren  Be- 
obachters dem  langen  Zungenmuskel  der  reifen  Thiere  den  Ursprung 
geben  soll.  Max  Sghultzb  hat  in  seiner  Entwicklungsgeschichte  des 
Petromyzon  Planeri  auf  Seite  S8  das  Organ  gleichfalls  beschrieben ;  er 
lässt  dasselbe  aus  dem  zwischen  Haut  und  Schlundböhle  Hegenden  Ge- 
webe hervorgehen  und  hSIlt  es  wegen  des  Vorkommens  flimmeraden 
Epithels  für  das  Homologen  der  Thymus  der  höheren  Wirbelthiere. 

Die  erstere  Angabe  des  bertlhmten  Anatomen  bedarf  der  fieridi- 
tigung,  da  sich  an  sehr  jungen  Petromyzonlarven  der  Nachw^  fdiiren 
lasst,  dass  die  epitheliale  Auskleidung  des  fraglichen  Organs  mit  jener 
der  Kiemenhöhle  allenthalben  continuirlich  zusammenhangt,  welcher 
Zusammenbang  im  weiteren  Verlauf  der  Entwicklung  auf  einen  schmalen 
Spalt  im  Niveau  des  zweiten  Kiemendiaphragmas  (Septum  zwiscben 
zweitem  und  dritten  Kiemensackchen)  reducirt  wird.  Es  entwickelt 
sich  mithin  das  fragliche  Organ  aus  dem  ventralen  Abschnitt  der  ur- 
sprünglichen Kiemenhöhle ,  die  Epithelien ,  welche  in  seine  Zusammen- 
setzung eingehen,  sind  Abkömmlinge  des  Darmdrttsenblatts.  Es  bedarf 
aber  femer  auch  die  Deutung,  welche  Max  Schultzb  dem  Organ  zu  geben 
versucht  bat ,  der  Berichtigung.  Dasselbe  lasst  sich  mit  keinem  Oi^gan 
der  höheren  Wirbelthiere  homologiiären ;  seine  Entwicklung  und  sein 
Bau  nöthigen  vielmehr  zu  der  Annahme ,  dass  es  das  Homolegon  der 
Hypobranchialrinne  der  Tunikaten  ist ,  welche  bei  Amphioxus  als  blei- 
bender Bestandtheil  des  Körpers  existirt,  bei  den  Cyklostomen  niHr 
noch  in  Form  eines  transitorischen  Organs  sich  erhalten  hat. 

Das  Organ  wird  ursprünglich  durch  zwei  symmetrisch  neben  der 
Mittellinie  an  der  ventralen  Plädie  der  Kiemenhöhle  von  deren  vorderem 
Ende  bis  zur  Bifurkation  des  Kiemenarterienstamms  verlaufende  Leisten 
dargestellt ,  welche  unterhalb  des  Niveau  der  beiden  Kiemenarterien&ste 
gelegen  sind.  Das  die  letzteren  umgebende  Bindegewebe  wädist  in  me- 
dialer Richtung  zu  einem  Diaphragma  aus,  welches  die  eigentliche  Kiemen- 
hohle  von  dem  die  beiden  Leisten  beherbergenden  Abschnitt  trennt,  üie 
Trennung  ist  fltr  die  vordere  und  hintere  Partie  des  Organs  eine  voll- 
stündige;   unterhalb  des  Diaphragma,  zwischen  zweitem  und  dritteoi 


Heb«  d.  Nypobranobialiinne  i*  Tmiikiiten  a.  drren  VoriuuidBiiBeui  h.  AnpbioKiis  ete,    831 

KiemensaelqMar  bleib!  die  Verwaehsang  der  beiden  lu  dem  Diaphragma 
sich  vereinigenden  Lamellen  aus.  Es  ertiäte  sich  in  Pdge  davon  an  dieser 
Stelle  die  ur^rOngliche  GommunikalioD  des  die  Hypohrandiialrinne  be- 
herbergenden Abschnitts  mit  der  Kiemcnhfihle  in  Perm  einer  in  trans- 
versaler Riohtttng  schmalen^  in  longitudtnaler  etwas  verlängerten  Spalla. 
Diese  Spalte  persistirt  so  lange ,  bis  das  Organ  dem  definitiven  Schwund 
anheim  teilt;  sie  ist  bei  46  Centimeter  langen  Ammocantes  des  Petro- 
myson  Planeri  noch  vorhanden,  welche  bereits  zur  Gewinnung  der 
bleibenden  Ponn  sich  anschicken.  Das  Epithel  der  Kiem^ihfthle  setzt 
sich  im  Bereich  dieser  Spalte  auf  das  Epithel  der  beiden  in  den  abge- 
schnürten Theil  prominirenden  Leisten  ohne  Unterbrediung  fort.  Der 
abgeschnürte  Theil  der  Kiemenhttble  stallt  einen  in  senkrechter  Richtung 
etwas  abgeplatteten  cylindrischen  Hohlraum  dar,  welcher  durch  eine 
schmale  senkrecht  vom  Boden  sich  erbebende  Bindegewebslamelie, 
welche  allmtfig  an  Utfbe  abnehmend  von  vorne  bis  zum  Ende  des 
»weiten  Kiemepsackpaars  sich  erstreckt,  in  zwei  symmetrisdie  Hfilflen 
abgetheiit  wind.  Jede  dieser  Halflesi  enthalt  im  Inneren  eine  mit  brei- 
ter Basis  dem  Boden  aufsitzende,  gegen  den  oberen  Rand  etwas  sich 
verechmMernde  Leiste,  welebe  je  aus  einem  medialen  und  einem  la<* 
teral^i  Abschnitt  sich  susammenselzt.  Beide  Abschnitte  stiminen  in  der 
vorderen  Hälfte  des  Organs  nahe  mit  einander  überein ;  in  der  hinteren 
Haute  zeigen  sie  wesentliche  Verscluedenhelten ,  nicht  sowohl  hinsicht- 
lich des  feineren  Baus ,  als  vielmehr  hinstohtlich  der  gröberen  anatomi- 
schen Anordnung.  In  ersterer  BeBiehuttg  wird  die  bindegewebige 
Grundlage  der  beiden  Leisten  gebildet  von  einem  lockeren  zellenarmen 
ScUeifflgewebe,  welches  an  die  Advenliiäl  einzelner  kleiner  Arterien 
und  Venen  sich  anschliesal.  Der  epilMiale  Ueberaug  verhält  sich  im 
oberen  schmäleren  Abschnitt  jeder  Leiste  anders  als  im  unteren  breiteren, 
kft  obwen  Abschnitt  findet  sich  eine  einfache  Lage  cylindrischer  kern-r 
haltiger  EpitheUen ,  welche  durch  die  slkHfe  Beschaffenheit  ihrer  kurzen 
eonisck  sich  zuspitzenden  Cilien  sofort  als  mit  der  epithelialen  Beklei- 
dung des.  oberen  Abschnitts  der  Plimcnerrinne  der  Tunikaten  überein- 
stimmend sich  zu  eriLennen  geben.  Im  unteren  hreiteren  Abschnitt  bildet 
das  Epithel  zwei  parallel  verlaufende  übereinander  liegende  Längsrinnen, 
es  ist  im  Bereich  der  letzteren  stark  kümig,  und  mit  langen  Cilien  ver- 
sehen. An  der  Kante  jeder  rinzelnen  Rinne  wird  das  lange  Cilien  tra- 
gende  körnige  Epithel  ganz  abrupt  von  einer  kurzen  Reihe  steifer  mit 
kurzen  conischen  Cilien  versehenen  Epithelien  Qnlerbrochen. 

Was  die  gröbere  anatomische  Anordnung  botrifit,  so  verhält  sich 
am  hinteren  Ende  der  mediale  und  laterale  Abschnitt  jeder  Flinimerlciste 
verschieden.  Der  letztere  erstreckt  sich  ziemlich  gerade  nach  rückwärts ; 


332     W.  Mftlier,  üeb.  d.  Hypobranehialriane  d.  Tiinikaten  ii.  deren  Vorbaudeusein  ete, 

seine  beiden  Flimuierrinnen  nähern  sich  am  vierten  Kiemendiaphragma, 
an  welchem  der  mediale  Abschnitt  seine  hintere  Begrenzung  hat,  bis 
zur  Berührung  und  verlaufen  parallel  nach  rückwärts  bis  zum  Niveau 
des  fünften  Kiemendiaphragma.  Der  mediale  Abschnitt  dagegen  steigt 
unter  dem  vierten  Kiemensackpaar  nach  aufwärts ,  biegt  sich  dann  hori- 
zontal  nach  vorwärts  um ,  um  unter  dem  dritten  Kiemensackpaar  wieder 
nach  abwärts  sich  zu  krümmen  und  zuletzt  horizontal  gerade  nach  rück- 
wärts zu  verlaufen.  Es  beschreibt  mithin  die  hintere  Partie  des  medialen 
Abschnitts  einen  Kreis  mit  abnehmendem  Radius,  so  dass  sein  Ende 
zwischen  dem  ursprünglichen  unteren  Stück  und  dem  oberen  horizontal 
zurücklaufenden  Stück  des  Kreises  zu  liegen  kommt.  Dieses  auffallende 
Verhalten  lässt  sich  durch  die  Annahme  erklären,  dass  der  mediale  Ab- 
schnitt beträchtlich  stärker  in  die  Länge  wächst  als  der  laterale  und  da- 
bei den  Umgebungen  sich  anpasst. 

Vergleicht  man  das  Organ  der  Cyklostomenlarven  mit  der  Hypo- 
branchialrinne  der  Tunikaten  oder  des  Amphioxus,  so  ergiebt  sich,  dass 
es  alle  wesentlichen  Bestandttheile  der  letzteren  besitzt.  Es  fehlen  we- 
der die  steifen  Guticularsäume  längs  der  oberen  Partie  noch  die  langen 
Wimperzellen  der  eigentlichen  Rinne.  Das  Organ  hat  aber,  wie  schon 
früher  bemerkt  wurde,  bei  den  Cyklostomen  eine  vorübergehende  Exi- 
stenz. Doroh  die  mächtige  Entwicklung  der  Zungenmuskulatur,  welche 
bei  der  Umwandlung  der  Larven  in  die  geschlechtsreifen  Thiere  sich 
einstellt,  wird  das  ganze  Organ  gleich  den  beiden  vor  dem  Eingang 
zur  Kiemeuhöhle  liegenden  Schlundsegeln  zur  Atrophie  gebracht.  Nur 
ein  geringer  Rest  seiner  Epithelialbekleidung  entgeht  der  Vernichtung ; 
er  entwickelt  sich  zur  Schilddrüse ,  welche  bei  dem  geschlechtsreifen 
Thior  unterhalb  des  langen  Zungenmuskels  vom  zweiten  bis  vierten 
Kiemensackpaar  sich  erstreckt  und  von  einer  massig  grossen  Anzahl 
rings  geschlossener  von  intensiv  braungelb  gefärbtem  cylindrischen  Epi- 
thel ausgekleideter  Follikel  gebildet  wird.  Sie  kann  mit  der  Speichel- 
drüse, welche  unterhalb  des  Auges  der  reifen  Thiere  liegt,  nicht  ver- 
wechselt werden ,  denn  letztere  ist  eine  Drüse  mit  Ausführungsgang, 
welcher  durch  Injection  und  Präparation  bis  zu  seiner  Ausroündung  in 
die  Mundhöhle  sich  verfolgen  lässt. 

Die  ausführlichere  Darstellung  dieser  Verhältnisse  nebst  den  be- 
legenden Abbildungen  wird  eine  Arbeit  über  Bau  und  Ven^andtschaft 
des  Amphioxus  bringen. 

Jena,  27.  Juli  1872. 


Beiträge  zur  Kenntniss  der  Termiten. 

Von 

Frits  MüUer. 


Hierzu  Taf.  XIX  und  XX. 


1.  Me  CMchlechtothelle  der  SeMates  ▼•■  Ctktemet. 

LRSPfts  hat  unter  den  Arbeitern  und  Soldaten  des  Termes  luci- 
fugus  Männchen  und  Weibehen  gefunden.  Aeusserlich  waren  die  bei- 
den Geschlechter  nicht  zu  unterscheiden .  Bei  den  weiblichen  Arbeitern 
sah  er  Eierstöcke  mit  4  S  bis  1 5  wenig  getrennten  Eiröhren ,  die  in  einen 
dickeren  Eileiter  mündeten.  Die  beiden  Eileiter  verbanden  sich  zu  einer 
kurzen  Scheide.  In  den  Eiröhren  fand  sich  keine  Spur  von  Eiern ,  da- 
gegen flüssiges  Fett  in  Kügelchen  von  oft  beträchtlicher  Grösse.  Die 
männlichen  Geschlechtstheile  der  Arbeiter  waren  äusserst  gering  ent- 
wickelt :  zwei  kaum  sichtbare  Hoden ,  deren  sehr  feine  Ausfübrungs- 
gänge  zu  einem  gemeinschaftlichen  Gange  sich  verbanden ;  an  letzterem 
sassen  verkümmerte  Samenblasen.  Waren  schon  bei  den  Arbeitern  alle 
diese  Theile  sehr  zart  und  schwierig  darzustellen,  so  fand  dies  in  noch 
höherem  Grade  bei  den  Soldaten  statt  ^) . 

Hagen  versuchte  vergeblich  bei  Arbeitern  verschiedener  Termes- 
und  Hodotermes-Arten  innere  Geschlechtstbeilo  nachzuweisen^)  und 
ist  trotz  des  Zutrauens,  welches  ihm  die  Arbeit  von  Lrsp^s  zu  verdienen 
scheint,  der  Meinung,  dass  »die  Angabe  so  auffälliger  Thatsachen 
vor  ihrer  allgemeinen  Annahme  eine  neue  Bestätigung  erfordert«.  Auch 
Gkrstackbr  ^)  hält  das  Vorkommen  von  Männchen  und  Weibchen  unter 
den  Arbeitern  und  Soldaten  der  Termiten  für  »kaum  glaublich«. 

Weshalb  die  von  Lbsp^s  beobachteten  Thatsachen  »so  auffällig«, 
weshalb  die  Vertretung  beider  Geschlechter  unter  den  Arbeitern  und 
Soldaten  der  Termiten  »kaum  glaublich«  sei,  haben  Hagbn  und  Ger- 
STüCKBt  nicht  erörtert.  Doch  hat  wohl  auch  in  diesem  Falle,  um  mit  Bates 


4)  Vergl.  den  Bericht  Ton  Hagbm  in  Linnaea  entomol.  XII,  S.  8i0  u.  8SS. 

5)  Ebenda,  S.  n. 

8)  Lehrbuch  der  Zoologie  von  Pbteks,  Gaius  u.  Gbkstäcker.  II,  S.  44. 

B4.  TU.  8.  %% 


Analogie  mil  rlon  gexoMi^ 
D  gefufarl»!),  wie  das  so 


1  vornherein  die  Angaben 
«Urdlg.  Bet  den  HantflUg 
enn  bei  ihnen  ein  besonde 

war  zu  erwarten ,  dass  oi 

Ümmerten  Weibchen  bes 

leinl  es  kaum  zweifelhafi 

und  Arbeiter  oichl  aus  d 

igendzustanden  hervorgeg 

laUirlich  kein  Grund  vor  fi 

«r. 

i  ich  also  gegen  die  Angal 

vie  Hagen,   habe  ich  bis  , 

ebr  verschiedenen  Gruppe 

'ei^eblich   nach  sieber   al 

L  innerer  Geschlecbtstheih 

n  Geschicks  im  Zergliedt 

nden  grosses  Gewicht  zu  legen  kaum  berechtigt 

se  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der  Beobachtungen 

egen  an.     Um  so  erfreuter  war  ich ,  seine  scbOnc  ^ 

Soldaten  der  Gallui^  Calotermes  vollständig 
..  Die  inneren  Gescblecbtstbeile  sind  bei  diesen 
■  verktlmmert,  alsbeiTermes  lucifugus,  und 
elt,  als  bei  den  geflf^elten  Männchen  und  Weih- 
en ist  das  Geschlecht  der  Soldaten  sogar  äusscrltch 

;  schicke  ich  die  Beschreibung  der  Geschlechts- 
Hännchen  und  Weibchen  von  Calotermes  Ga- 


I,  S.  ITS. 

lenellBe  d.  sp.  stobt  dem  C.  verrucosus  Hag.  sriir 
t  aber  leicht  durch  geringere  Crosse  und  durch  die  Zahl 
lor  FlUgoi. 
luellae.  C.  vorrncosus. 

lOnUB  Haan 

,  1   -      .,  , .  1.       }  Ader  im  Randtelde. 

I|    Randfolde.  ohne] 

hauptsächlich  im  Holze  der  Canefle  preta,  seltner  in 


Beiträge  zur  Kenntniss  4er  Termiten.  335 

Jeder  der  beiden  Eierstöcke  (Fig.  i)  besteht  aus  6  bis  7  spindel- 
förmigen Eiröhren,  die  dem  Ende  eines  kurzen  weiten  Eileiters  auf- 
sitzen.. Zwei  oder  drei  der  Eiröfaren  zeichnen  sich  vor  den  Übrigen 
meist  durch  grossere  Dicke  und  weiter  entwickelte  Eier  aus.  Wie  über- 
haupt befden  geflügelten  Termitenweibchen  sind  selbst  die  am  weitesten 
vorgeschrittenen  Eier  noch  weit  von  der  Reife  entfernt;  die  grösst^i 
erreichen  selten  mehr  als  Y5  der  Länge  der  reichlich  4  Mm.  langen  reifen 
Eier  (Fig.  5)  und  treten  eben  in  die  Entwicklungsstufe,  auf  welcher  feine 
Kömchen  den  bis  dahin  durchsichtigen  Dotter  zu  trüben  und  das  Keim- 
bläschen der  sich  in  die  Länge  streckenden  Eier  zu  verdecken  beginn^i 
(Fig.  4) .  Die  kurzen  Eileiter,  deren  Länge  übrigens  bedeutenden  Schwan- 
kungen unterliegt,  vereinigen  sich  zur  Scheide,  deren  äussere Oeffhung 
von  unten  her  durch  das  grosse  sechste  Bauchschild  verdeckt  wird.  Nicht 
weit  vom  Ausgange  der  Scheide  liegt  die  sehr  dickwandige  Samenblase 
(Fig.  2  u.  3).  Sie  fällt  sofort  ins  Auge  durch  die  dicke  dunkelgeförbte 
Haut,  welche  ihre  Höhlung  auskleidet.  Das  Ende  dieser  Höhlung  ist 
mehr  oder  weniger  gekrümmt;  in  der  Mitte  ist  dieselbe  mehr  oder 
weniger  aufgetrieben  und  verjüngt  sich  dann  zu  einem  engsa  Aus- 
führungsgange. Zwischen  Scheide  und  Mastdarm  liegt  eine  sehr  an- 
sehnliche Kittdrüse  (»gtande  s^bifique«  LBSPfts),  aus  dicht  zusammen- 
geknäuelten ,  schwer  zu  entwirrenden  Höbren  gebildet.  Man  kann  an 
ihr  den  gemeinsamen  Ausführungsgang,  zwei  zu  diesem  sich  vereinigende 
Hauptäste  und  an  jedem  der  letzteren  4  bis  7  Zweige  unterscheiden. 
Bei  dem  geflügelten  Weibchen  von  Galotermes  negosus  Hag. 
gabelt  sich  der  Stamm  nur  zweimal ,  so  dass  die  Drüse  aus  nur  vier 
langen  verknäuelten  Röhren  besteht.  Die  Kittdrüse  von  Galotermes 
gleicht  also  weit  mehr  der  von  Lsspfts  beschriebenen  »glande  s6bifiquec 
des  Termes  iucifugus,  als  der  von  Hagbn  als  Samenblase  gedeuteten 
banmibrmigen  Drüse  mit  ziahlreidien  kurzen  gekrümmten  Aesten ,  die 
derselbe  bei  der  Königin  von  Termes  nigricans  und  dem  geflügelten 
Weibchen  von  T.  dirus  fand. 

Die  Hoden  der  geflügelten  Männchen  von  Galotermes  Canellae 
(Fig.  6 — 43)  lassen  sich  einer  Hand  mit  3  bis  6  meist  kurzen  Fingern 
vergleichen.  Ihre  sehr  wechselnde  Gestalt  mögen  die  Abbildungen  ver- 
anschaulichen. Die  beiden  Hoden  desselben  Thieres  pflegen  einander  in 
Grösse,  Zahl,  Länge  und  Stellung  der  Finger  sehr  ähnlich  zu  sein.  In 
den  Fingern  sieht  man  starik  lichtbrechende  Kerne ,  in  der  Hand  grössere, 
runde ,  durchsichtige  Zellen ,  deren  Kerne  in  frischem  Zustande  wenig 
hervortreten.  Wie  die  Eierstöcke  scheinen  sie  noch  weit  von  der  Rdfe 
entfernt  zu  sein.  Die  Ausführungsgänge  der  Hoden^  bisweilen  dicht  unter 
diesen  zu  einer  kleinen  Blase  aufgetrieben  (Fig.  6  u.  8) ,  münden  in  eine 


336  FriU  MAIIer, 

dickwandige ,  birnfönnige  Tasche ,  die  sich  in  einen  über  dem  achten 
Bauchschilde  sich  öffnenden  Gang  fortsetzt. 

Bei  den  Soldaten  von  Galotermes  Canellae  sind  die  Bauch- 
schilder des  Hinterleibes  wie  die  des  geflügelten  Männchens  gebildet,  das 
sechste  nicht  vergrössert,  das  siebente  und  achte  ungetheilt  und  letzteres 
mit  zwei  griffeiförmigen  Afteranhangen  versehen.  (Beim  Weibchen  ist 
bekanntlich  das  sechste  Bauchschild  vergrössert,  das  siebente  und  achte 
sind  in  je  zwei  kleine  seitliche  Platten  zerfallen  und  die  Afteranhänge 
fehlen.)  Ein  äusserer  Geschlechtsunterschied  ist  nicht  vorhanden  oder 
doch  kaum  angedeutet.  (Der  Hinterrand  des  achten  Bauchschildes  schien 
mir  bei  den  weiblichen  Soldaten  zwischen  den  Afteranhängen  in  der  Regel 
etwas  tiefer  ausgebuchtet  zu  sein,  als  bei  den  männlichen ;  vergl.  Fig.  4  5 
u.  46.) 

Die  innerenGeschlechtstheile  der  weibliehen  Soldaten  (Fig.  4  4)  unter- 
scheiden sich  von  denen  der  geflügelten  Weibchen  ausser  durch  geringere 
Grösse  fast  nur  durch  den  Mangel  der  Saraenblase,  von  der  ich  keine 
Spur  habe  finden  können.  Im  unteren  Theile  der  Eiröhren  sieht  man 
meist  grosse  blasse  Zellen ,  von  denen  zwei  die  ganze  Breite  der  Eiröhre 
einzunehmen  pflegen,  mit  grossem  Kern  und  deutlichem  Kemkörperchen. 
Mehrfach  sah  ich  am  Anfang  jeder  Eiröhre  ein  Häufchen  einer  undurch- 
sichtigen krttmlichen  Masse,  die  ich  bei  den  geflügelten  Weibchen  dieser 
Art  ebensowenig  bemerkt  habe,  als  bei  den  Soldaten  von  Galotermes 
nodulosus  und  rugosus.  Die  Eileiter  sind  im  Verhältniss  viel  länger 
und  dünner,  als  beim  geflügelten  Weibchen,  die  Kittdrüsen  stets  stark 
entwickelt. 

Auch  die  Geschlechtstheile  der  männlichen  Soldaten  (Fig.  46—48) 
sind  denen  der  geflügelten  Männchen  durchaus  ähnlich.  Die  Hoden  zei- 
gen ebenso  mannichfaltige ,  im  Allgemeinen  etwas  schlankere  Formen. 
Das  Gewebe  der  Hand  ist  bisweilen  von  dem  der  Finger  kaum  verschie- 
den, kleinzellig,  mit  stark  liditbrechenden  Kerneo.  In  einem  Falle 
(Fig.  4  7)  sah  ich  den  Hoden  zu  einem  kleinen  bimförmigen  Körper  ohne 
alle  Anhänge  verkümmert;  den  zweiten  Hoden  fand  ich  bei  diesem  Thiere 
nicht. 

Bei  Galotermes  nodulosus  Hag.  und  rugosus  Hag.,  zwei 
merkwürdigen  nahe  verwandten  Arten,  deren  sehr  eigenthümiiche  jüngste 
Larven  uns  vieUeicht  in  ähnlicher  Weise  die  älteste  noch  lebende  Insocten- 
form  zeigen,  wie  die  N  a  u  p  1  i  u  s'  die  älteste  Crustaceenform,  sind  die  männ- 
lichen von  den  weiblichen  Soldaten  schon  äusserlich  an  der  Bildung  des 
achten  Baucbschildes  zu  unterscheiden.  Bei  den  männlichen  Soldaten 
ist  wie  bei  den  geflügelten  Männchen  der  Hinterrand  dieses  Schildes 
zwischen  den  Afteranhängen  kaum  merklich  ausgebuchtet  (Fig.  ^4  u.  29), 


Beitri^  zor  Konntiiiss  der  Termiten.  337 

bei  den  weihlichen  Soldaten  dagegen  (Fig.  20  u.  98)  tief  ausgeschnitten 
und  der  dunkle  dicke  Chitinrand  ist  in  der  Mitte  dieses  Ausschnitts  durch 
dttnnere  Haut  ersetzt ,  —  der  erste  Schritt  zu  dem  Zerfallen  dieses  Schil- 
des in  zwei  seitliche  Platten ,  welches  die  geflügelten  Weibchen  zeigen. 

Die  männlichen  Soldaten  scheinen  wenigstens  in  manchen  Gesell- 
schaften von  C.  no  du  los  US  weit  häufiger  zu  sein,  als  die  weiblichen. 
Einmal  fand  ich  unter  sieben  Soldaten  4  (S,  3  $ ;  sechs  Soldaten  aus  einer 
anderen  Gesellschaft  waren  sämmtlich  S ;  ein  drittes  Mal  wurde  unter 
sieben  Stück  ein  einziges  $  gefunden.  Von  G.  rugosus  fand  ich  in 
einem  Falle  zwölf  männliche  und  zehn  weibliche,  in  einem  anderen 
sieben  männliche  und  sechzehn  weibliche  Soldaten. 

Ich  bedaure,  zur  Zeit  keine  geflügelten  Männchen  und  Weibchen 
der  beiden  Arten  zur  Vergleichung  der  inneren  Geschlechtstheile  zur 
Hand  zu  haben.  Ich  kann  in  dieser  Beziehung  nur  anführen ,  dass  die 
weiblichen  Geschlechtstheile  von  C.  rugosus  bis  auf  die  bereits  er- 
wähnte Verschiedenheit  der  Kittdrüse  und  eine  etwas  abweichende 
Form  der  Samenblasc  ganz  mit  denen  des  C.  Caneilae  überein- 
stimmen. 

Bei  den  weiblichen  Soldaten  beider  Art^n  ist  wie  bei  C.  Caneilae 
die  Zahl  der  Eirühren  in  der  Regel  sechs,  seltener  sieben.  Bei  C.  no- 
dulosus  (Fig.  19)  sind  dieselben,  wo  sie  sich  an  den  Eileiter  ansetzen, 
stark  eingeschnürt.  Deutlich  ausgeprägte  Eier,  die  die  ganze  Lichtung 
der  Eiröhre  füllen,  habe  ich  bei  den  wenigen  bis  jetzt  untersuchten 
weiblichen  Soldaten  dieser  Art  nicht  gefunden;  dagegen  finden  sich 
solche  fast  bei  allen  weiblichen  Soldaten  von  C.  rugosus  (Fig.  26  u.  27), 
bisweilen  bis  über  20  in  einer  Eiröhre.  Die  grössten ,  die  ich  gesehen, 
hatten  0,4  Mm.  Durchmesser  bei  0,06  Mm.  Höhe,  ihr  Keimbläschen 
0,02  Mm.  Durchmesser.  —  Eine  Samenblase  habe  ich  nicht  gefunden. 
Die  stets  stark  entwickelte  Kittdrüse  zeigte  sich,  wo  ich  sie  entwirren 
konnte,  bei  den  weiblichen  Soldaten  von  C.  rugosus  aus  vier  langen 
Schläuchen  gebildet ,  wie  bei  den  geflügelten  Weibchen  derselben  Art. 

Wenn  schon  die  fingerförmigen  Fortsätze  der  Hoden  von  C.  Ca- 
neilae an  die  Eiröhren  der  Weibchen  erinnern,  so  ist  die  Aehnlichkeit 
zwischen  Hoden  und  Eierstock  eine  noch  weit  grössere  bei  den  Soldaten 
von  C.  nodulosus  und  rugosus.  Als  ich  den  ersten  Soldaten  von  C. 
nodulosus  zergliederte  und  das  Fig.  22  gezeichnete  Gebilde  fand,  wusste 
ich  in  der  That  nicht,  ob  ich  einen  verkümmerten  Eierstock  oder  einen 
Hoden  vor  mir  hätte.  Am  Ende  eines  gemeinschaftlichen  Ausführungs- 
ganges Sassen ,  wie  am  Ende  des  Eileiters  sechs  Eiröhren ,  so  hier  sechs 
fingerförmige  Anhänge,  die  aber  andererseiUs  wieder  durch  das  kol big 
angeschwollene,  umgebogene  Ende  voll  stark  lichtbrechender  Kerne  an 


338  Fritz  MilUer, 

die  Hoden  anderer  Tei'miten  erinnerlen.  —  Die  Hand  tritt  bei  beiden 
Arten,  besonders  beiC.  rugosus,  meist  ganz  gegen  die  Finger  zurttdL 
und  fehlt  oft  vollständig,  während  das  Gewebe  der  Finger  selbst  dem  des 
bandförmigen  Theiles  am  Hoden  des  geflügelten  Männchens  von  G.  Ca- 
nellae  gleicht  und  die  stark  lichtbrechenden  Kerne  sich  auf  die  Spitze 
der  Finger  beschränken.  Die  Zahl  der  Finger  scheint  bei  G.  nodulosus 
fast  ohne  Ausnahme  sechs  zu  sein,  bei  C.  rugosus  öfter  sieben.  In 
Betreff  der  auch  bei  diesen  Arten  ziemlich  wechselnden  Form  und  Grösse 
der  Hoden  verweise  ich  auf  die  Abbildungen  (Fig.  2i — 25  u.  29—32). 
Die  häufig  einseitige  Auftreibung  am  Anfange  des  Ausführungsganges 
(vas  dcferens],  die  schon  bei  G.  Ganellae  erwähnt  wurde,  ist  in  der 
Regel  vorhanden.  Die  Ausführungsgänge  der  Hoden  sind  weit  länger, 
als  bei  G.  Ganellae;  die  Tasche,  in  welche  sie  efnmünden,  ist  nament- 
lich beiG.  nodulosus  sehr  breit,  ihr  Scheitel  nicht,  wie  bei  G.  Ca^- 
nellae,  abgerundet,  sondern  ausgebuchtet  oder  tief  eingekerbt,  als 
wäre  die  Tasche  aus  zwei  kugeligen  (G.  nodulosus)  oder  eiförmigen 
(G.  rugosus)  Hälften  zusammengesetzt. 

Auch  nachdem  ich  die  Gechlechtstheile  der  Soldaten  von  Galo- 
termes  kennen  gelernt,  habe  ich  bei  Arbeitern  und  Soldaten  ver~ 
scbiedener  Termes-Arten,  wie  Hagen  und  wie  ich  selbst  schon  früher, 
wiederholt  vergeblich  nach  solchen  gesucht  und  vermuthe ,  dass  nicht 
unser  Ungeschick  daran  schuld  war,  dass  vielmehr  überhaupt  bei  diesen 
Alten  nichts  mehr  zu  finden  sein  werde.  Wenn  Lsspfts  glücklicher  war, 
so  mag  es  daran  liegen,  dass  Termes  lucifugus  auch  in  dieser  Be- 
ziehung, wie  in  manchen  anderen,  den  Galotermes  näher  steht,  als 
die  meisten  übrigen  Termes- Arten.  Ich  erwähnte  schon  den  ähn- 
lichen ßau  der  Kittdrüse.  Ebenso  besitzt  T.  lucifugus  nach  Lsspfcs 
acht  Harngefösse ,  wie  auch  die  Galotermes  deren  sechs  oder  acht 
haben ,  währcQd  sich  sonst  bei  Termes  vier  zu  finden  pflegen.  Auch 
die  Lebensweise  ist  insofern  ähnlich,  als  T.  lucifugus,  wie  unsere 
Galotermes,  ohne  eigentliches  Nest  in  den  Gängen  lebt,  die  er  in  abge- 
storbenem Holze  nagt.  Aus  der  ganzen  Abtheilung  der  Gattung  Termes, 
deren  Soldaten  wie  die  von  Galotermes  scharfe  beissende Kiefer  be- 
sitzen, während  der  Kopf  eines  nasenartigen  Fortsatzes  entbehrt,  ist 
mir  hier  noch  keine  Art  vorgekommen.  Sind  nun  schon  bei  den  Arbei- 
tern und  Soldaten  von  T.  lucifugus  die  bei  den  Soldaten  von  Galo- 
termes noch  so  überaus  deutlichen  Geschlechtstheile  so  weit  ver- 
kümmert, dass  die  Eierstöcke  mitunter  kaum  erkennbar  sind;  nie 
Spuren  von  Eiern ,  dagegen  Fettkügelchen  enthalten ,  dass  ebenso  die 
Hoden  kaum  sichtbar  sind  und  dass  oft  gar  nichts  zu  finden  war,  so 
kann  es  nicht  befremden,  wenn  bei  Arten,  die  sich  in  anderer  Beziehung 


BeitrSgo  zur  Kenntniss  der  Termiteo.  339 

viel  weiter  von  C  alotermes  entfernt  haben ,  auch  die  Verkümmerung 
der  Gescblochtstheiie  bei  Arbeitern  und  Soldaten  weiter  fortgeschritten 
ist,  wenn  dieselben  entweder  völlig  geschwunden  oder  doch  nicht  mehr 
mit  Sicherheit  von  dem  Fettkörper  zu  unterscheiden  sind. 

Fast  hätte  ich  vergessen,  eine  Frage  zu  beantworten,  die  mai^ 
wahrscheinlich  stellen  wird:  warum  ich  nicht,,  da  ja  bei  den  Arbeitern 
von  Termes  lucifugus  die  Geschlechtstheile  leichter  nachzuweisen 
sind  als  bei  den  Soldaten,  auch  die  Arbeiter  von  Galotermes  auf  ihre 
Geschlechtstheile  untersuchte.  Die  Antwort  ist  sehr  einfach.  Den  mir 
bekannten  sechs  oder  sieben  Galotermes- Arten  fehlt  ein  besonderer 
Arbeiterstand. 

Zum  Schlüsse  will  ich  nicht  unterlassen ,  darauf  aufmerksam  zu 
machen,  dass  rings  um  das  Mittelmeer  ein  Galotermes  (G.  flavicollis 
Fabr.)  vorkommt  und  von  da  leicht  lebend  nach  allen  Theilen  Europas 
zu  verschicken  sein  wird ,  dass  somit  eine  bequeme  Gelegenheit  geboten 
ist,  vorstehende  Angaben  an  einer  Art  derselben  Gattung  nachzuprfifen. 


ErkUnmg  der  Abbildmgeii. 


Tafel  XIX. 
CalotermM  Canellaa  F.  X. 

Fig.  4^4.  Geflügeltes  Weibchen. 
Fig.  1.   Innere  Geschlechtstheile. 
Fig.  2  u.  8.  Saroenblase. 
Fig.  4.   Stttck  einer  Eiröhre. 

Fig.  5.   Reifes  (gelegtes)  Ei. 

Fig.  0—48.   Geflügeltes  Männchen. 
Fig.  6.   Innere  Geschlechtstheile. 
Fig.  7—48.  Verschiedene  Formen  des  Hodens. 

Fig.  U— 45.   Weiblicher  Soldat. 

Flg.  44.   Innere  Geschlechtstheile. 

Fig.  45.   Hinterraud  des  achten  Bauchschildes. 

Fig.  46^48.   Männlicher  Soldat. 

Fig.  46  a.  47.  Geschlechtstheile  im  Zusammenhang, 
Fig.  48.   Hoden. 


Taf«!  XX. 
Fig.  (S— te.  Calotermes  noduloBus  H 
Fig.  <9a.  ID.  Weiblicher  Soldat 
Flg.  19.  EieniUKk. 
Fig.  10.   Achtes  Banchschild. 
Fig.  34— IS.  Männlicher  Soldat. 

Fig.  H.   Geschlechtetbeile  im  Zusamroenliang. 
Fig.  19— IS.   Verschiedene  Formen  des  Hodens. 

Fig.  a«— M.  Calotermes  rugosus  Hag. 
Fig.  16— 3S.   Weiblicher  Soldat. 

Fig.  16.   Innere  Geschlechtstheils. 

Fig.  »7.   Theil  einer  Eirtihre. 

Fig.  18.    Hinterrand  des  achten  Bauch  Schildes. 
Fig.  19— 31.   MSonlicher  Soldat. 

Fig.  19.   Geschlechtstheile  im  Zusammen  hang. 

Fig.  10—11.   Verschiedene  Formen  das  Hodens. 


Itajahy,  S*.  Calbarioa,  Brazil,  im  Juni  1872. 


Beitrüge  sur  KeDntniss  der  Termiten.  34 1 


II.  Me  V«huigei  luerer  TemUei. 

In  Beireff  des  Nestbaues  der  Termiten  finden  sich  in  Hagbn^s  Mono- 
graphie folgende  allgemeine  Bemerkungen :  »Bis  jetzt  scheint  es  sicher, 
dass  alle  Arten  gesellschaftlich  loben  und  wenigstens  eine  Art  von  Nest 
bauen.  Am  unvollkommensten  ist  dies,  wenn  sie  nur  in  abgestorbenen 
Bäumen  oder  gar  nur  unter  der  Binde  wohnen.  Hierher  scheinen  die 
Galotermes  zu  gehören,  lieber  die  Wohnungen  der  ganz  unter  dem 
Erdboden  wohnenden  Arten  ist  eigentlich  noch  nichts  bekannt.  Dass 
hier  umfangreiche  Nester  in  der  Erde  angelegt  werden ,  ist  aus  einigen 
Beobachtungen  wahrscheinlich  . . .  Hierher  gehören  der  Vermuthung  zu 
Folge  Hodotermes  und  eine  Anzahl  der  GattAig  Termes.  Die  Hügel- 
bauten über  der  Erde,  die  der  Gattung  Termes  allein  zufallen,  sind 
uns  am  genügendsten  bekannt . . .  Ich  rechne  dahin  auch  die  Thurm- 
und  Pilzbauten . . .  Als  letzte  Art  der  Nester  bleiben  die  sogenannten 
kugeligen  Baumnester  übrig.  Ihr.  Bau  ist  uns  noch  sehr  unvollkommen 
bekannt  und  eine  Königin  darin  niemals  gefunden  worden . . .  Baum- 
nester scheint  nur  Eu  termes  zuhaben,  obwohl  einige  Eutermes 
auch  Hügel  bewohnen  ti). 

Diese  kurze ,  von  kundiger  Hand  entworfene  Uebersicht  wird  ge- 
nügen, um  weitere  Mittheilungen  über  die  Wohnungen  der  Termiten 
wünschenswerth  erscheinen  zu  lassen ,  und  mag  zugleich  dienen ,  für 
die  Beurtheilung  des  im  Folgenden  Gebotenen  den  mit  der  Natur- 
geschichte dieser  Thiere  minder  Vertrauten  einen  Anhaltspunct  zu  ge- 
währen. 

»lieber  die  Lebensweise  und  den  Nestbau  von  Galotermes  ist 
bis  jetzt  nichts  bekannt  a  2).  Ich  habe  aus  dieser  Gattung  etwa  ein  hal- 
bes Dutzend  Arten  kennen  gelernt  (G.  Smeathmani  m.,  G.  Hagenii 
m.3),  C.  rugosus  Ha{;.,  G.  nodulosus  Hag.,  G.  Ganellao  m., 
und  ein  oder  zwei  andere  der  letzten  nahestehende  Arten).  Vom  Bau 
einer  Wohnung  kann  man  bei  diesen  Arten  kaum  reden.  Wie  die 
Larven  vieler  Küfer,  nagen  die  Larven  (und  Nymphen]  von  G.  Galo- 


4)  Hagen  in  Linnaea  entomol.  XII,  S.  SO. 

9)  Hagen  a.  a.  0.  S.  88. 

8)  Galotermes  Smeathmani  und  C.  Hagen it  unterscheiden  sich  von 
anderen  bekannten  Arten  djidurch ,  dasä  bei  den  Soldaten  der  aufgebogene  Vorder- 
rand des  Prothorax  gezähnelt  ist.  Auch  die  Kopfbildung  der  Soldaten  ist  eine  sehr 
oigcnthüniliche.  Bei  den  Soldaten  von  C.  Smeathmani  fin<len  sich  Flügolschoidon 
an  Mittel-  und  Hinterbrust,  die  bei  denen  des  C.  Hagenii,  wie  bei  denen  unserer 
anderen  Galotermes -Arten  fehlen. 


FtiUMdUer, 

änge  im  Holz«  abgestoriiener  Bäume,  die  sie  niemals  verlassen, 
trschied  isl  nur  der,  dass  in  diesen  Gangen  neben  den  Larven 
eierlegendes  Weibchen  mit  ihrem  Männchen  (KSni^  und  Ktinig) 
imd  aufhau,  dass  man  daher  bunt  durch  einander  Larven  des 
lensten  Alters  findet  und  dass  tum  Sdiutze  dieser  Gesellsdtaft 
iderer  Soldatensland  vorhanden  ist,  aus  männlichen  und  weib- 
irven  bestehend,  die  sich  nie  ia  geQUgelle  Thi«*e  verwandeln. 
Calotermes  findet  man  bauptsächlidi  in  noch  fast  gesundem, 
lolze ;  der  völlig  gesunde  Kern  härterer  Holzartan  wird  von  ihnen 
enig  angegriffen,  als  der  starker  vermoderte  Splint;  swischen 
cschranken  sich  ihre  Gänge  nicht  selten  auf  eine  kaum  finger- 
hiebt.  Einzdne  Arten  haben  eine  unverkennbare  Vorliebe  fUr 
flolzarlen;  so  G/'Ganellae  fUr  Canella  preta,  C.  rugosus  flir 
la ,  in  welchen  beiden  Hölzern  ich  noch  keine  andere  Art  ge- 
lbe. Am  wenigsten  wählerisch  scheint  C.  nodulosus  tu  sein, 
roba,Ariribä,  Piquid,  Ceder(Cedrela),  derGissarapelmeu.  s.  w. 
lt.  Selten  trifft  man  zwei  oder  mehr  Arten  in  demselben  Stamme. 

in  einem  grossen  umgeatUrtten  Guarajuva-Stamme  in  meinem 
leichteitig  C.  Bagenü,  nodulosus,  Ganellae  und  eine 
rt,  die  ich  im  geflügellen  Zustande  nodi  nicht  kenne-  Wenn 
em  Zosammenleben  die  Gänge  der  einen  Art  auch  vielfach  zwi- 
men  der  anderen  hinlaufen,  so  scheinen  die  Tbiere  sich  doch 
:  Gänge  einer  fremden  Art  zu  verirren. 

Gänge  der  Calotermes-Gesellscbaften  sind  meist  der  Achse 
nes  gleichlaufend  und  zum  grossen  Theü  so  eng ,  dass  nur  ein 
1er  eine  erwachsene  Larve  auf  einmal  hindurch  kann.  Dies 
intlicb  von  den  Gängen ,  welche  die  Holzschichtea  quer  durcb- 
Stellenweise  finden  sich  weitere,  unregelmässige,  meist  flache 
in  denen  sich  die  geflügelten  Tliiere  zu  sammeln  pflegend  Ein 
er  Raum  für  König  und  Königin  ist  nicht  vorhanden.  Letztere 
lur  wenig  an  und  läuft  frei  in  den  Gängen  umher,  hier  und  da 
Eier  ablegend ,  um  die  sich  Larven  und  Soldaten  nicht  weiter 
imem  scheinen.  Sie  ist  gewöhnlich  begleitet  von  dem  Könige 
jr  Umgebung  des  Königspaares  pflegen  die  Soldaten  häufiger  zu 

an  anderen  Stellen.  Die  Wand  der  Gänge  ist  meist  mit  einer 
LOthschicht  bekleidet,  während  man  bisweilen  grössere  Kolh- 
[D  blinden  Ende  eines  oder  des  anderen  Ganges  angehäuft  findet, 
ite  man  sich  die  Volkszahl  einer  Calotermes-Gesellschaft  in 
Räume  verzehnfacht  oder  verhundertfacht,  so  wUrden  die  von 
gedrängten  Bevölkerung  ausgefrossenen  Gänge  immer  näher 
nrUcken,  die  dazwischen  li^endcn  Holzwände  wUrden  iouner 


Beiträge  zur  Keantuiss  der  Termiteo.  343 

dünner  werden  und  endlich  ganz  aufgezehrt  werden.  Die  Koihbeklei- 
dung  der  benachbarten  BUume  würde  unmittelbar  aneinanderstossen. 
An  Stelle  des  verzehrten  Holzes  hätte  man  einen  von  Kothwänden  durch- 
zogenen und  in  unregelmässige  Zollen  und  Gange  getheilten  Baum.  — 
Diesen  allmäligen  Uebergang  von  weit  getrennten,  das  Holz  durch- 
ziehenden Gängen  zu  Kothanhäufungen ,  die  in  ihrem  Gefüge  an  lockere 
Brodkrume  oder  an  einen  Schwamm  erinnern,  kann  man  nicht  selten 
beobachten  in  Baumstämmen,  die  von  einem  mit  TermesRippertii 
nahe  verwandten  Eutermes^)  bewohnt  sind.  Beschränken  sich  diese 
Kothanhäufungen  nicht  auf  das  Innere  des  Baumes,  treten  sie  aus  dem- 
selben hervor,  so  entstehen  die  bekannten  »kugeligen  Baumnester a,  die 
also  ursprünglich  nichts  anders  sind ,  als  der  gemeinsame  Abtritt  eines 
Euterm es- Volkes,  dann  aber  auch  als  Brutstätte  für  die  Eier  und  als 
Aufenthalt  für  die  Jungen  dienen.  —  Diese  Nester  werden  also  aus  dem 
Baume  heraus,  nicht  an  den  Baum  hinangebaut.  Anders  mag  es  bei  den 
von  AcGusTB  St.  Hilairr  und  Burhbistbr  erwähnten  Baumnestem  aus 
Erde  oder  Lehm  sein ;  zu  solchen  von  aussen  dem  Baume  angefügten 
Nestern  würde  datan  auch  aussen  am  Baume  ein  Gang  emporführen 
müssen ;  bei  unserer  Art  sind  solche  vom  Neste  ausgehende  Gänge  in 
der  Regel  nicht  vorhanden. 

Der  Stoff,  aus  dem  unsere  Baumnester  bestehen,  ist  ausschliesslich 
der  Koth  der  Bewohner.  Ich  habe  oft  dem  Baue  oder  vielmehr  der  Aus- 
besserung desselben  zugesehen.  Schneidet  man  ein  Stück  des  Nestes 
ab ,  so  ziehen  sich  die  Arbeiter  aus  den  dadurch  geöffneten  Gängen  ins 
Innere  des  Nestes  zurück ;  es  erscheinen  an  den  Oeffnungen  in  grosser 
Zahl  die  kleinen  spitzkttpfigen  Soldaten ,  eifrig  herumlaufend  und  mit 
ihren  Fühlern  tastend.  Nach  einiger  Zeit  kehren  die  Arbeiter  zurüde. 
Jeder  betastet  zuerst  den  Rand  der  zu  schliessenden  Oefihung ,  dreht 
sich  dann  herum  und  legt  ein  braunes  Würstchen  auf  diesen  Rand  ab. 
Dann  eilt  er  entweder  sofort  ins  Innere  des  Nestes  zurück ,  um  den  an- 
deren ,  die  dichtgedrängt  ihm  folgen ,  Platz  zu  machen ,  oder  er  dreht 
sich  auch  wohl  noch  einmal  um,  um  sein  Werk  zu  betasten  und  es 
nöthigenfalls  zurecht  zu  drücken.  Einzelne  Arbeiter  bringen  auch  wohl 
zwischen  den  Kinnbacken  kleine  Bruchstücke  der  alten  Wände,  die  beim 
Oeffnon  des  Nestes  in  dasselbe  hineingefaUen  sind,  und  fügen  sie  in  die 
im  Bau  begriffenen,  noch  feuchten  Wände  ein.  Andere,  doch  das  sieht 
man  nur  selten,  die  nichts  aus  ihrem  Mastdärme  liefern  können,  opfern 
auf  dem  Altar  des  Vaterlandes  ihr  noch  unverdautes  Mahl ,  das  sie  zwi- 


4 )  Ich  möchte  den  Namen  Euter  m  es  auf  die  Arten  mit  spitzköpfigen  Soldaten 
beschriftnkoa. 


344  friii  MOIlet, 

sehen  den  Koth  der  anderen  ausbre<Jien.    In  ru 

Letztere  wahrscheinlich  nicht  geschehen ,  sonder 

rasch  das  durch  einen  Feind  geößhete  Nesl  wiei 

Die  Soldaten  haben  sich  beim  Beginn  der  Arbeit 

ins  Innere  des  Nestes  zurückgezogen ,  vielleicht  u 

holen.   Einer  oder  ein  paar  bleiben  bei  jeder  zu  sc 

Man  sieht  sie  ab  und  zu  die  Ai'beiter  mit  ihren  F' 

um  sie  zurechtzuweisen  oder  anzutreiben. 

Der  Euter  nies,   der  diese  ßaumnester  b< 

unsere  Holzarten  anzugreifen ,  doch  niemals ,   w£ 

gesund  sind.  Man  findet  ihn  oft  in  demselben  Statu 

diesen  dem  Kerne ,  jenen  der  Ainde  ntlher.    Zum 

er  härtere,  der  Verwesung  gut  widerstehende  Sl 

gerana  vor.    An  dickeren  SlAmmcn  nimmt  das  N 

und  springt  mehr  oder  weniger  stark,  halbkug« 

dUnnere  umgiebt  es  bisweilen  ringsum.     An  di 

Stümpfen  bildet  es  eine  rundliche  Kuppel  oder  sie 

einer  Stecknadel.    Eines  der  grBssten  Nester,  di( 

eine  unregelmSssige  Hasse  von  3  bis  4  Fuss  Durcl 

an  der  Erde  liegende  Cangerana-Stümmc  umscblc 
Die  Oberflüche  der  Nester  zeigt  Sache,  unr^t 

vorfliessendo,  undeutlicbo  Erhübungen,  die  im  Vci 

liehen  Farbe  und  der  kugeligen  Gestalt  den  oft  gci 

einem  Negerkopf  rechtfertigen.     Die  Farbe  ist  i 

bisweilen  heller,  bräunlich,  —  häufiger  fastscbi 

der  Nahrung  der  Baumeister,  theils  vom  Alter  des  Nestes  abhilngt.   Alle 

Nester  sind  dunkler  und  zugleich  fester  als  ncugcbaulc.     Die  grössere 

Festigkeit  älterer  Nester  hat  wohl  ihren  Hauptgrund  in  der  grösseren 

Dicke  der  Wände,  die  im  Laufe  der  Zeit  durch  ncuo  Kolhlagcn  verstilrkt 
worden.    Allen  Nestern  kann  man  mit  dem  Messer 
wenig  anhaben,  sondern  muss  zur  Axt  greifen,  um 
'  Stücke  davon  loszuhauen. 

'.  üeber  den  inneren  Bau  dieser  Nester  ist  wenig 

*  zu  sagen.  In  dem  Gewirr  unregel massiger,  im  Ver- 

haltnisse  zur  Grösse  der  Bewohner  weiter  Räume, 

eire^s'^BaumTe"tes.^1Vs  *""  '^"^^  '^"'""'  "*""■  ^''*"*  ^^"'''^  getrennt  das 
dernai.  Gr.]  ganze  Nest  durchziehen,  habe  ich  eine  bestimmte 

Anordnung  nicht  erkennen  können. 
OetTnet  man  ein  solches  Baumncsl ,  so  findet  man  in  den  oberfläch- 
licheren Thoilen  nur  Arbeiter  und  Soldaten,  sowie  kurz  vor  der  Schwarm- 
zeit (Deccmber)  geflügelte  Tbiere.    Dringt  man  tiefer  ein,  so  stössl  man 


BeitHlge  lor  Kenntnlss  der  TenDÜen.  345 

auf  Larven,  die  immer  kleiner  werden,  je  weiter  man  ins  Innere  vorrückt. 
Dann  kommen,  zu  unglaublichen  Mengen  in  einzelnen,  sonst  durch  nichts 
ausgezeichneten  Räumen  angehäuft,  die  Eier  und  endlich  die  Eierlegerin, 
die  Königin  mit  ihrem  Gemahl.  In  dem  ersten  Neste,  welches  ich  Öffnete, 
fand  ich  den  Raum,  in  welchem  in  diesem  Falle  zwei  Königinnen  sich 
aufhielten ,  durch  nichts  ausgezeichnet.  In  einem  anderen  Falle  waren 
um  die  Königin  herum  die  Wände  weit  dicker  als  sonst  und  nur  von 
ziemlich  engen  Gängen  durchsetzt.  In  diesen  Gängen  hatte  sich  der 
König  versteckt,  während  sie  fttr  seine  umfangreichere  Gemahlin  viel 
zu  eng  waren. 

Wenn  man  bisher  in  Baumnestern  keine  Königin  gefunden  hat,  so 
wird  dies  kaum  daran  liegen,  dass  man  zufällig  nur  Nester  ohne  Königin 
geöffnet  hat.  Das  Nest  von  TermesRippertii  zum  Beispiel,  welchem 
Ostbn-Sackbh  zahlreiche  Eier  und  junge  Larven  entnahm^),  enthielt 
ohne  Frage  auch  eine  Königin.  Die  Nester  sind,  wie  bereits  gesagt, 
nicht  äusserlich  dem  Baume  angeklebt,  sondern  gleichsam  aus  dessem 
Innern  hervorgewachsen  und  gehen  ohne  scharfe  Grenze  in  denselben 
über.  Sprengt  man  das  Nest  vom  Baume  los,  so  bleibt  immer  ein  Theil 
daran  oder  darin  zurück  und  gerade  in  diesem  innersten  Theile  des 
Nestes  hat  man  die  Königin  zu  suchen.  Sie  da  herauszuholen  wird 
aber  meist  mehr  Uebung  in  der  Führung  der  Axt  verlangen,  als  reisende 
Naturforscher  zu  besitzen  pflegen. 

So  weit  meine  Erkundigungen  reichen,  gehören  alle  in  Brasilien  den 
Menschen  in  seiner  Wohnung  belästigenden  Termiten  zu  den  Eutermes 
mit  spilzköpfigen  Soldaten ;  auch  hier  sind  die  Erbauer  der  Baumnester, 
wie  es  scheint,  die  einzigen  ihrer  Familie,  die  als  unwillkommene  Gäste 
in  die  Häuser  eindringen  und  dann,  wie  das  auch  von  den  Eutermes 
anderer  Länder  berichtet  wird,  ihre  Nester  unter  dem  Dache  anzulegen 
lieben. 

In  allen  Ständen  dem  eben  besprochenen  Eutermes  sehr  ähnlich 
ist  eine  zweite  hier  häufige  Art,  die  ihre  Nester  besonders  zwischen  den 
Wurzeln  alter  Stuken  der  Gissarapalme  (Euterpe,  Kohlpalme,  von 
den  deutschen  Ansiedlern  Palmite  genannt,)  anzulegen  pflegt.  Diese 
Gissarastuken  sind  überhaupt  ein  Lieblingsaufenthalt  der  Termiten;  ich 
habe  darin  bereits  acht  verschiedene  Arten  angetroffen ,  bisweilen  vier 
bis  fünf  in  demselben  Stuken.  (Drei  Eutermes,  darunter  der  später 
zu  erwähnende  Eutermes  inquilinusm.,  Termes  saliensm., 
T.  Lespesii  m.,  Anoplotermes  pacificus  m.,  Calotermes 
nodulosus  Hag.  und  C.  rugosus  Hag.}    Wie  viele  andere  Palmen 


i)  Linoaeii  entomol.  XIV,  S.  449. 


348  FriUlHUhir, 

(und  überhaupt  Hanocotyledouen}  sendet  d 
Tbeile  ihres  Stammes  dichtgedrängte  finger 
Erde.  Bei  alten  Stämmen  sind  die  ältesten 
unter  dem  Stamme  bildet  sich  so  eine  H 
äusseren,  höher  am  Stamme  entspringt 
kegelförmiger  Mantel  scbutiend  umschlies» 
Gissara-Eulermes  »ein  Nest  an,  doc( 
sondern  erst  einige  Jahre  nach  dem  Fällen, 
der  Baumtermil«,  aus  dem  Kothe  der  Thie 
artig  dünn  und  so  brflcklich,  dass  die  Hai 
stand  durch  das  Nest  hindurcbfährt.  Di 
h eil biä unlieber  Farbe,  legen  sich  mehr  m 
Zwiebelschalen  um  einen  gemeinsamen  I 
unierbrochen  durch OeShungen,  welche  die 
Baume  mit  einander  verbinden,  und  ausein 
welche  diese  Bäume  in  eine  Menge  unr^el 
theilen.  In  der  Mitte  des  Baues  findet  s 
fesler  Kern,  der  das  Zimmer  des  Ktioigspa 
Falle,  in  welchem  die  schützenden  Wurzel 
ursprüngliche  Festigkeit  besassen ,  fehlte  d 
der  Zeile ,   in  der  sich  die  noch  ziemlich  ju 

noch  ebenso  pap 

Nest.  In  recht  a 

kann  dagegen  d< 

Kindeskopfes  ei 

hart,  nur  von 

Fig.a.  Kürigliches  Zimmer  gangbaren  Weg 

der  GissBra-Terniitc.   {'/i  der  seiner  Mitte  das  ' 

nat.  Gr.)  gestaltete  kSnig 

selten  findet  man  bei  dieser  Art  zwei  Ktfniginoen  mit  einem  einzigen 
KOnig  in  demselben  Neste  und  demselben  Zimmer ;  der  umgekehrte  Fall, 
dass  mit  einer  Königin  zwei  Kttnige  lebt«) ,  ist  mir  nur  einmal  vorge- 
kommen. Eiamal  traf  ich ,  in  einem  ungewöhnlich  grossen  und  volk- 
reichen Nesie  gleJcbteitig  sechs  Königinnen  und  drei  Könige.  —  Ein 
anderes  Mal  fand  ich  in  demselben  Neste  zwei  königliche  Zimmer,  aber 
nur  eins  von  einen}  königlichen  Paare  bewohnt,  das  andere,  von  dessen 
wahrsdi ein  lieh  längst  verstorbenen  Bewohnern  keine  Spur  mehr  zu 
ßnden  war,  mit  junger  Brut  gefüllt. 

Der  gefährlichste  Feind  dieser  Art  ist  das  Tatu.  Früher  oder  spUler, 
wenn  die  Wurzeln  der  Palme  morscher  werden,  erliefen  wohl  die  mei- 
sten Bauten  den  Angriffen  desselben.  Man  sieht  im  Walde  häufig  Gissara- 


ßeitr&i^  mr  KenntnisB  der  Termiten.  84T 

stuken ,  durch  deren  Wurzeln  an  einer  Seite  die  krüfli^^en  Klauen  dea 
Talu. einen  Weg  gebrochen  haben,  und  bisweilen  um  sie  her  gestreut 
Bruchstücke  des  Termitennestes.  Bei  einem  solchen  Ueberfalle,  der  ge- 
wiss einem  grossen  Theile  des  Volkes  das  Leben  kostet,  ist  dann  wenig- 
stens das  Königspaar  durch  die  dicken  harten  Wandungen  seines  Zifnmers 
gesichert.  Die  erste  Königin  dieser  Art,  die  ich  überhaupt  sah ,  erhielt 
ich  aus  einem  solchen  lose  im  Walde  gefundenen  festen  l^eme  eines 
zerstörten  Nestes. 

Auf  seiner  Reise  durch  die  Provinzen  Rio  de  Janeiro  und  Minas 
geraes  sah  Auguste  St.  Hilairb  Termitenbauten ,  die  mitten  auf  dem 
Wege  einfache,  einen  halben  Fuss  hohe  Hügel  bildeten.  Solche  kleine 
Hügelnester,  —  ob  von  derselben  Art  gebaut ,  ist  freilich  nicht  eu  ent- 
scheiden, —  finden  sich  auch  hier  und  sind  sogar  weitaus  die  hiluiig- 
*  sten  aller  Termitenbanten.  Sie  sind  das  Werk  des  AnoploterToes 
pacificus  m.  ^].,  Obwohl  anscheinend  aus  Erde  gebaut,  bestehen 
auch  sie,  wie  die  Eutermes-Nester,  aus  dem  Kothe  ihrer  Bewohner. 
DIeAnoplotermes  fressen  nämlich  Erde ,  man  findet  in  ihrem  Magen  * 
völlig  verrottete  POanzenstoffe  und  einzelne  kleine  Steinchen.  I>ahcr 
scheinen  Ihre  Nester  aus  Erde  gebaut  zu  sein ;  doch  habe  ich  gesehen, 
wie  sie  durchschnittene  Nester  in  der  Weise  der  Baumtermiten  mit  ihi'em 
Kothe  ausbesserten ,  und  mich  überzeugt,  dass  diese  geflickten  Stellen 
in  nichts  von  dem  übrigen  Neste  sich  unterschieden. 

Die  Form  der  Nester  ist  eine  sehr  wechselnde.  Häufig  sind  sie  ganz 
flach,  in  Form  und  Grösse  einem  Ruhfladen  gleichend,  in  anderen  Fallen 
unregelmfissig  knollig ;  bisweilen  rundlich,  kegelförmig  oder  kurz  walzen- 
förmig. In  besonderer  Menge  traf  ich  diese  Nester  auf  einem  frisch  ge- 
rodeten Stücke  Urwald  in  der  Golonie  DonaFrancisca,  auf  schwam- 
migem, sandig-sumpfigem  Boden.  Stellenweise  stand  hier  alle  zwei  bis 
drei  Schritte  ein  Nest.  Die  höchsten  waren  etwa  einen  Fuss  hoch ,  bei 
4  bis  6  Zoll  Durchmesser,  walzen-  oder  kegelförmig  mit  abgerundeter 
Spitze.   Auch  die  kleineren ,  faust-  bis  kopfgrossen  waren  dort  meist 


4)  Die  Staaten  der  Gattung  Anoplotermesm.  zeichnen  sich  dadurch  aus, 
dass  sie,  —  bierin  weiter  vorgeschritten,  als  wir  Menschen,  —  nur  Arbeiter,  aber 
keine  Soldaten  besitzen.  Alle  Stände,  von  der  jüngsten  Larve  an,  sind  dadurch 
leicht  von  Calotermes,  Termes  und  Eutermes  zu  unterscheiden,  dass 
ihrem  Vormagen  (Kaumagen)  die  Bewaffnung  mit  Kauleisten  fehlt.  Durch  tfussere 
Merkmale  weiss  ich  die  geflügelten  Thiere  nicht  von  Eutermes  zu  scheiden.  Es 
gehört  hierher  eine  zweite  hiesige  Art  (vielleicht  Termes  ater-Hag.)  and  wahr- 
scheinlich Termes  cingulatus  Burm.  Der  von  Haobn  unter  T.  c i n g a I a t n s 
beschriebene  Soldat  gehört  ntcbt  zu  dieser,  sondern  zu  einer  weit  verschfedeneii 
Art,  T.  saliens  m. 


Beitrüge  zur  Kenntoiss  der  TermiteD.  349 

zwei  Königinnen,  Arbeitern,  Soldaten,  Eiern  und  Larven  vom  ver- 
schiedensten Alter.  Ob  der  Eindringling  den  Erbauer  des  Nestes  ver- 
treibt oder  nur  alte  verlassene  Nester  sich  aneignet,  weiss  ich  nicht. 
Das  Letztere  ist  wohl  wahrscheinlicher.  Das  Nest,  in  welchem  ich  ihn 
hier  fand ,  war  offenbar  ein  sehr  altes  und  die  dasselbe  durchziehenden 
Wurzeln  grossentheils  verschimmelt.  Es  hausten  darin  ausserdem  zwei 
Ameisenarten  und  durch  den  unteren  Theil  des  Nestes  ging  eine  Strasse 
von  Termes  Lespesii.  —  Eine  kleine  Gesellschaft  von  Eutermes 
inquiiinus,  nur  aus  Arbeitern  und  Soldaten  bestehend,  traf  ich 
einmal  in  einem  ganz  alten ^  modrigen  Neste  von  Termes  Lespesii. 
Bemerkens werth  ist,  dass  die  Arbeiter  des  Eutermes  inquiiinus 
denen  des  Anoplotermes  pacificus  tauschend  ähnlich  sehen, 
obwohl  sich  bei  genauerer  Untersuchung  des  äusseren  und  inneren 
Baues  durchaus  keine  nähere  Verwandtschaft  beider  Arten  herausstellt. 

Wie  mancher  alte  Baumstumpf  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  von 
Gängen  verschiedener  Termitenarten  durchzogen  ist,  (Calotermes  im 
festeren  Kerne,  Eutermes  im  morscheren  Splinte,  Züge  von  Termes 
saliens  oder  Lespesii  unter  der  Binde),  so  ist  auch  der  Boden  des 
Urwaldes  an  manchen  Stellen  vollständig  durchwühlt  von  Termiten  und 
nicht  selten  durchziehen  dieselbe  Erdscholle  gleichzeitig  Gänge  von  drei 
bis  vier  verschiedenen  Arten  (Termes  saliens,  Lespesii,  Ano- 
plotermes ater  (?j,  Eutermes  sp.). 

Von  den  Wohnungen  dieser  unterirdisch  lebenden  Termiten  kenne 
ich  bis  jetzt  nur  die  des  Termes  Lespesii  m.  ^].  Dieselben  sind  durch 
eine  viel  weitere  Kluft  von  den  aus  einem  ordnungslosen  Gewirr  un- 
regelmässiger Räume  bestehenden  Nestern  unserer  Eutermes -Arten 
getrennt,  als  diese  von  den  kaum  den  Namen  einer  Wohnung  ver- 
dienenden Gängen  der  Calotermes,  und  gehören,  wie  die  riesigen 
von  Shbathman  so  ti*efflich  geschilderten  Hügel  des  Termes  belli- 

1)  Dioütf  Art  ist  (ItMn  Krdhügelne»!«!*  bewohnenileri  T.  Aim  ilis  Hag.  äusserst 
ähülicli. 

T.  siinili.s  Hag.  T.  Lespesii  F.  M. 

Lunge  mit  <itMi  Klügeln:  ii— 27  Mm.  46—48  Mm. 

Fühler:  4  5  gliederig,  43— 4  5  gliederig. 

Stes  Fühlerglied  :  so  lang  als  breit,  viel  länger  als  breit 

3les  FUhlerglied  :  so  lang  als  die  folgenden,      bei  4Sgliederigen  FUhlern  klein 

und  ringförmig. 
Die  Form  der  Oberlippe  der  Soldaten  ist  eine  ganz  verschiedene  *,  bei  T.  similis 
bes<'Jireibt  sie  Hagen  als  »breit,  nach  vorn  breiter,  geiade  abgeschnitten  mit  scharfen 
Vorderwinkeln  i  in  der  Mitte  ein  dreieckiger  vorspringender  Lappen  angesetzt«. 
Nicbt  ein  Wort  dieser  Beschreibung  passt  auf  die  Oberlippe  des  Soldaten  von 
Termes  Lespesii. 

Bd.  YIL  3.  i8 


Beitc&ge  lur  KeimlniBs'der  Termilen.  351 

Stockwerk  hat  die  Gestalt  einer  fiachen  Schachtel  mit  bauchiger  Ansäen- 
WBDd.     Sehr  hiluti^  und  vielleicht  in  alten  Pilllen,   wo  nicht  äussere 
Bindernisse   die   Regelmassigkeit  des   Baues  gesutrt  haben,    sind  diu 
Kammern  fast  genau  kreisftfrmig.   Ich  habe 
mich  davon  wiederholt  mildem  Zirkel  Uber- 
leugt  und  bisweilen  bei  einem  Halbmesser 
von  etwa  3  Cm.  keine  1  bis  2  Hm.  über- 
schreitenden    Abweichungen     gefunden. 

wurde  ein  Mensch  wohl  im  Blande  sein,  ^ 

ohne  Werkzeuge  mit  dem  6-  bis  C  fachen 
seiner  Länge  als  Halbmesser  einen  gleich 
fehlerfreien  Kreis  zu  beschreiben? 

In  jedem  Stockwerke  sind  Boden  urtd 
l>ecke  durch  einen  dicken,  oben  und  unten 
verbreiterten  Pfeiler  vertiundcn,  derbalddie 
Hitte  einnimmt,  bald  mehr  oder  weniger  dem 
Umfang  genähert  ist  Am  Fusse  des  Pfeilers 
geht  eine  runde  Oeffnung,  die  nur  ein  Thicr 
auf  einmal  dureblOsst,  schief  durch  den  Bo- 
den ins  nuohalc  Stodwerk.    Geht  man  in        pig. «.   Haus  vod  Termos 
derselben  schief  absteigenden  Richtung,  in   Lesposii.  Ungsscbniu,  i/!<ier 
der  man  in  dieses  Stockwerk  eingetreten  ist,   "'■Gr.    jbis  lä  die  u  suwk- 
,  nf  •■  -.  I        .  I       werke  des  Haus«».  L  l^inghcanäle 

an  dessen  Pfeiler  weiter,  SD  gelangt  man.  In   ,    ,     .  ,  _„.  ■ 

der  Mehrzahl  der  FflHe,  zudemamFussedcs-   ,„ischen  den  siockwcrken. 
selben  gelegonen  Aasgang.  Auf  diese  Weise 

bildet  der  Weg,  der  vom  obersten  bis  zum  untersten  Stockwerke  durch  die 
Sdieidewtiade  hinduroh  und  an  den  Pfailem entlangfuhrt,  eineSchniuben- 
linie  eder  eine  Wendeltreppe,  die  man  sich  freilich  nicht  allzu  regelmiissig 
vorstellen  darf.  Ich  gebe  als  Beispiel  diesen  Weg  aus  zwei  Hüuscm, 
wie  er  nch  germle  von  oben  gesehen  [auf  eine  wagerechte  Ebene  proji- 
cirt)  daiMellen  wdrde.  Bei  dem  einen  Hause  (Fig  .">]  wurden  Lage  und 
Richtung  der  Verbindungswege  für  acht  aufeinanderfolgende  Scheide- 
wände aufgeieiohnet.  Das  Stockwerk  IX  liegt  olwa  0,1  H.  über  Stock- 
werk /.  —-  Vom  ersten  (untersten)  Stockwerke  bis  ins  fünfle  bildet  der 
Weg  eine  nach  rechts  aufsteigende  Schrauben titaie ;  im  fünften  Stockwerk 
liegen  Eingang  und  Ausgang  sehr  weit  auseinander;  es  ist  fii.'it,  als  hätten 
die  Baumeister  auf  diesem  langen  Wege  die  bis  dahin  verfolgte  Richtung 
vergessen,  da  von  de  ab  der  Weg  in  entgegengesetzter  Richtung,  links 
aafateigeBd,  welter  geht.  —  Im  zweiten  Hause  (Fig.  C]  wurde  der  Weg 
durch  twdlf  ScbeidewUnde  hindurch  verfolgt.  Auch  hier  lindert  sich 
die  Riehtung  der  Wendeltreppe,  nachdem  man  im  fünften  Stockwerke 


Beiträge  zur  Kenutuiss  der  Terinitefi.  353 

die  Form  ihres  Querschnittes  ist  sehr  veränderlich.  Bisweilen  dehnen 
sie  sich  in  die  Breite  zu  Wänden  aus,  die  nicht  selten  bis  zur  Aussen- 
wand  des  Stockwerkes  reichen  (Fig.  7,  4,  so  wie  im  dritten,  fünften  und 
sechsten  Stockwerk  des  in  Fig.  4  dargestellten  Hauses].  Ja  es  kommt 
vor ,  dass  das  Stockwerk  durch  den  wandartigen  Pfeiler  vollständig  in 
zwei  Kammern  geschieden  wird  [Fig.  7,  5). 


(4r     )    (  ¥.     I 


i-f--^)  L>ej 


Fig.  7.  Grundriss  von  fünf  Stockwerken  aus  Häusern  von 
Termes  Lespesii,  V2  der  nat.  Gr.  —  c  Mittelpunct  der 
Karomer.  P  Pfeiler.  —  Die  Pfeile  zeigen  den  Weg  ins  nttchst- 
untere  Stockwerk.  ^  5  ist  durch  den  wandartigen  Pfeiler  in 
zwei  Kammern  {a  u.  ß)  getheilt;  aus  a  gehen  zwei  Wege  ins 
nüchstuntoro  Stockwerk,  einer  nach  /9;  aus  /9  [ührt  kein  Weg 
in  das  darunterliegende  Stockwerk. 

Die  Stockwerke  haben  nicht  immer  alle  die  gleiche  Höhe.  Bisweilen 
ist  Boden  oder  Decke  geneigt,  so  dass  ein  und  dasselbe  Stockwerk  auf 
einer  Seite  hdhcr  ist;  als  auf  der  anderen;  oder  es  reicht  ein  Stockwerk 
nicht  durch  die  ganze  Breite  des  Hauses,  so  dass  auf  einer  Seite  das 
darüber  und  das  darunter  liegende  Stockwerk  in  grösserer  oder  gerin- 
gerer Ausdehnung  zusammenstossen.  (Für  alle  diese  Unregelmässigkeiten 
liefert  Fig.  3  Beispiele.)  Nicht  immer  ist  der  Durchmesser  für  alle  Stock- 
wei*ke  der  gleiche;  nicht  selten  ist  er  für  die  oberen  kleiner.  Nicht  immer 
stehen  die  Stockwerke  genau  übereinander;  das  eine  oder  das  andere 
springt  nach  dieser  oder  jener  Seite  vor.  In  einem  Falle  sprang  jedes 
folgende  Stockwerk  nach  derselben  Seite  und  gleich  stark  über  das 


bildeU;.  Eine  ganz  eigonlhUmlicho  Ab- 
weichung vom  gewöhnlichen  Bau  leigl  das 
bcislflhoDd  im  LttogsschniU  dsi^stcllU!  Haus 
(Fig.  8) ;  in  seinem  unteran  Tfaeile  iinden  sich 
mehrere  Kammern ,  die  zusHinmeo  eine  fast 
re^eliiiilssige  Kugel  hildon.  —■"  Grössere  Un- 
regclmllßsigkciUin  der  äusseren  Form  sind 
wahrscheinlich  immer  durch  Steine,  Wurzeln 
und  ähnliche  Hemmnisse  veranlasst,  denen 
die  Thiere  beim  Ausgraben  des  Bauplatzes 
beg^nen. 

Von  den  Schwankungen  der  Grösse  niögen 
die  Hasse  von  zehn  ohne  Wahl  herausgc- 
grilTenen  Kausem  eine  Vorstellung  gehen, 
die  nachlrilglicb  nach  der  Zjihl  der  Stock- 
werbe geordnet  wurden : 


Bchnitl,  Vz  dvr  nat.  Gr. 


Zahl  der  Slockw 


n 


Höhe. 

f  1  Cm. 


u  rc  h  Bi  e  s  s  e  r. 
.  5— 6 Cm. 

.  5—6   - 


.  5—6 
3,5—5 


Die  Wände  des  Hauses  und  die  Scheidewände  bestehen  oichl  aus 
einer  glcichfärmigen  dicbl«n  Masse.  Ich  sagte  bereits,  dass  sie  von 
ziemlich  regehnässig  angeordneten  Röhren  durchzogen  sind.  Ad  der 
nachstehend  abgebildeten  ilusseren  OberHüche  eines  neu  angebauten 
Stockwerkes  gewahrt  man  tiefe  Furchen ,  welche  von  der  Seilenwand 
her  auf  die  obere  Wand  treten  und  mehr  oder  weniger  weit  nach  deren 
Mille  sich  hinziehen.  —  Den  Furchen  enteprecbend  springt  die  nooh 
dllnne  Wand  nach  innen  leistenartig  vor.    Später  werden  diese  leisten- 


IkitrÄ^  zur  Xt'uulniss  itt  Tcrnilen.  355 

ni-tigon  VorsprUiiRC  mehr  oder  weniger  vollsUindig  ausgeglichen.  —  Ein 
solches  Dcu  aufgeBotztes  Stockwerk  at«ht ,  die  Hittcisnulc  auAgenommcn, 
nur  in  sehr  losor  Vcdiindung  mit  dem  nächst  ültcren  ;  hebt  man  es  ah, 
so  sieht  miin ,  dass  seine  Wand  unten  in  zwei 
Platten    gCGpaltcn   ist,    welche  die  Decke  des 
darunter  liegenden  Stock  weites  in  zwei ,  etwa 
t  bis  ftMm.  von  einander  entfernten  Kreisen 
Ipcjfon.    So  entsteht  ein  Ringcanal  zwischen  je 
zwei  Stockwerken ,  und  da  die  Furchen  auf  der 
äusseren  Flfk^  der  Wand  erst  überbrückt  und 
zu  RShr^n  geschossen  werden ,   nachdem  ein 

folgendos  Stockwerk  aufgesotst  ist,  bleiben  na-      •''"■  '"  ^'"*  «'"«"  "«"" 
,,.  1-  L  j-        n„i_  -,  j        n-  t  ■       IT  goMulen  Stockwerks  eines 

lUrlich  diese  Bahren  mit  dem  Rmgcanal  in  oncner  Hanscsvon  t 
Verbindung.    Dagegen  sind  die  unter  sich  zu-  pesii,  von  oben,  'Uder 
saminonhängenden  das  ganze  llausdurchzichen-'  nat.  Gr. 
den  Rdhren  in  dem  ferligon  Hause  vollständig 

al^eschlossen  sowohl  gegen  aussen ,  als  gegen  die  inneren  Räume  des 
Hauses.  Diese  Rauweisc  des  Tormes  Lespesii,  die  von  einem  Netz- 
werk hohler  Räume  durchzogenen  Wände,  hat 
man  bekanntlieh  in  neuester  Zeit  auch  für 
menschliche  Wobnungen  empfohlen;  ob  sie  den 
Häusern  des  ersleren  denselben  Dienst  leistet, 
den  m»n  ftlr  letztere  davon  erwartet,  nämlich 
den  Luftwechsel  zu  erleichtern,  lasse  ich  dahin- 
gestellt. 

Termc»  Le»p»,ii  .erwend.l  ,um  Bau  ,,^  „  ^,^„„„„,„ 
seines  Hauses  nicht  ousscfati esslich  seinen  Koth,  durch  die  Wand  zweier 
obwohl  dieser  die  Hauptmasse  bildet,  sondern  ncugebaulcn  SUwkweriic 
gleichzeitig  die  lehmige  oder  thonigo  Erde,  in  *'""  Hauw»  von  Ter- 
der  er  dasselbe  banl.  Die  erste  dUnne  Wand  "'*"  '•^*P«*'''  "«"^  *''■■ 
eines  neuen  Stockwerkes  besteht  fast  immer  aus  "  '''"*'^""'- 
reinem  Koth.  Dickere  Lagen  von  reinem  Lehm  pflegen  die  Thicre  be- 
sonders in  den  von  den  Längs-  und  Ringcanalen  umgrenzten  Feldern 
der  Aussenwand,  sowohl  an  der  Innen-,  wie  an  der  Aussenseit«  der 
ersten  dünnen  Kolhwand  aufzutragen.  Aussen  werden  diese  dann  wie- 
der mit  einer  Kothschicht  bedeckt.  Anderwärts,  so  namentlich  in  den 
Scheidewänden  ist  der  Lehm  meist  nuR in  dUnnen  Streifen,  Piätlchen 
oder  einzelnen  Körnchen  zwischen  den  Kolh  eingelagert. 

DieHfluser  von  Tormes  Lespesii  werden  in  der  Erde  angelegt, 
eine  Handbreit  bis  eine  Spanne  unter  der  Oboriläche.  Als  Bauplatz 
wird  eine  Hiihle  gegraben,  die  einen  etwa  fingerbreiten  Wren  Raum 


Beitrüge  lur  Keniiiniss  der  Termiten.  357 

arenarius  annimmt,  für  einen  beslimmlen  Bezirk  »die  ganze  Masse 
von  dieser  Art  Termilen  als  eine  einzige  grosse  Familie  betrachten« 
muss^). 

Bricht  man  ein  kleines  Loch  in  eine  Wand  des  Hauses  von  Ter  nies 
Lesposii,  so  kann  man  ganz  wie  bei  den  Baumnestern,  die  Soldaten 
sehr  bedächtig  den  Schaden  untersuchen  und  dann  die  Arbeiter  mit 
ihrem  Koth  denselben  wieder  ausbessern  sehen.  Rcisst  man  al)er  ein 
grösseres  Stück  der  Wand  eines  Stockwerkes  weg ,  so  ziehen  sich  die 
Thiere  in  die  nächstliegenden  Stockwerke  zurück  und  schliessen  mit 
Koth  die  engen  Eingänge  zu  denselben ,  wozu  sie  natürlich  nur  wenig 
Zeit  brauchen.  Auf  diese  Weise  lässt  sibh  das  Haus  leicht  Stockwerk 
für  Stockwerk  gegen  eindringende  Feinde  vcrtheidigen. 

Termessaliensm.^)  gräbt  ähnliche  weithin  laufende,  mit  Koth 
ausgekleidete  Gänge,  wie  T.  Lesposii.  Sie  sind  in  der  Regel  etwas 
weiter,  viel  häußger  zu  grösseren  niedrigen  Kammern  erweitert,  der 
Kothüberzug  meist  dunkler.  Bald  laufen  sie  fast  unmittelbar  unter  der 
Oberfläche,  bald  steigen  sie  bis  über  fusstiof  hinab.  In  solchen  tiefer- 
liegenden  Gängen  habe  ich  erwachsene  Nymphen  in  grosser  Zahl  ge- 
troffen. Eier  und  junge  Brut  ßndet  man  nicht  selten  zwischen  den 
Wurzeln  der  Gissara-Stukcn,  wo  ich  auch  einmal  zwei  geflügelte  Thiere 
sah.  Züge  von  Arbeitern  und  Soldaten  gehen  auch  unter  die  Rinde 
modernder  Bäume.  —  Wahrscheinlich  wird  als  Wohnsitz  des  königlichen 
Paares  ein  unterirdisches  Haus  gebaut.  Dass  es  eine  zweite  Art  unter- 
irdischer Termitennester  hier  gebe,  hat  man  mir  mehrfach  berichtet;  sie 
sollen  sehr  hart,  über  kopfgross,  rundlich  und  mit  einer  Art  Stiel  ver- 
sehen sein ,  im  Innern  aber  nicht  so  regelmässige  Kammern  haben  wie 
die  von  TermesLospesii.  Von  den  mir  bekannten  Arten  könnte  nur 
Termes  saliens  diese  Nester  gebaut  haben.  Ich  selbst  habe  noch 
keins  gesehen. 

Itajahy,  S».  Catharina,  Brazil,   im  Juli  1872. 

4)  Lionaea  eniomol.  XII,  S.  S73. 

i)  Zu  dieser  Art  oder  otoer  kaum  verschiedenen  gehört  der  von  Hagrn  unter 
Tonn  es  cingulatus  beschriebene  und  (Linnaeu  entomol.  XII.  Taf  I.  Fig.  48) 
obgebildclo  Soldat.  Mit  ihren  gewaltigen  zum  Beissen  untauglichen  Kinnbacken 
können  die  Soldaten  von  Termes  saliens  nach  Art  der  Odontomachlden  über 
fusswoilo  Sprünge  nach  rückwärts  machen.  »Maxillis  longis  altissime  resiliens«  sagt 
von  den  Termiten  schon  Livui,  der  also  von  ähnlichen  Soldaten  Kunde  haben  musste. 
Nahe  verwandt  scheint  der  ebenda  Taf.  I.  Fig.  45  abgebildete  Soldat  zu  sein.  Man 
kann  diese  Thiere  kaum  in  der  Gattung  Termes  belassen,  die  wohl  am  besten  auf 
die  Arten  zu  beschränken  wäre,  deren  Soldaten  scharfe  beissendc  Kinnbacken 
(Mandibeln)  haben  und  eines  hörn-  oder  nasenartigen  Fortsatzes  am  Kopfe  ent- 
behren. 


lieber  die  Eiuwlrknng  einiger  Chloride  auf 

Natrlumalkoholat. 

Von 

A.  Oeuther  und  F.  Brockboff. 

I.  PhMiibtif «BtacMtrfd  ■•  NatriiMalk«b«lat 

Die  iviawirkung  von  PhospbqrpeDiaohlorid  auf  Nairiuiualkobolai 
koonie  uii^licherwcise  uutar  Bildung  von  Nairiumchlorid  und  detu  Aelher 
der  Perhydroxylphosphorsiluro  nach  der  Gleichung  verlaufen  : 

PCI»  +  5  G«H»NaO  =  5  NaCl  +  P  (OC»H*)  ^ 

Die  beiden  Körper  wurden  nach  diesem  Yerbclllniss  in  der  Weise 
auf  einander  einwirken  gelassen ,  dass  zu  dem  mil  Hülfe  von  5  Grm. 
Natrium  in  einer  Retorte  dargestellten  ganz  alkoholfreien  Natriumalkoholat  ' 
das  in  einem  Kochfläscbchen,  dessen  Hals  mit  dem  Tubuhis  der  Retorte 
durch  Guramist'hlauch  verbunden  war,  befindliche  Phosphorpcntachferid 
allmälig  fallen  gelassen  wurde.  Die  Einwirkung  ist^-Iebhaft  und  findet 
unter  starker  Wärmeentwicklung  statt,  da^ei  entweidit  ein  mit  grün- 
gesäumter  Flamme  brennendes  Gas  von  den  Eigenschaften  des  Aethyl-* 
Chlorids.  Nachdem  alles  PhoBphorpentachlerid  zugegeben  worden  war, 
wurde  die  Retoite  mit  aufgerichtetem  Kühler  verbunden  und  längere 
Zeit  im  Wasserbade  erhitzt.  Darnach«  wurde  der  Kühler  umgedreht  und 
der  Retorteninhalt  im  Oelbade  einer  allmälig  steigenden  Temperatur  bis 
220°  ausgesetzt.  Die  Mdige  der  überdestillirenden  Flüssigkeit  war  nur 
gering,  sie  bestand  aus  einem  unter  400*^  und  einem  über  200°  über- 
gehenden Theil.  Die  erstere  war  gewöhnlicher  Alkohol,  die  letztere 
l>ei  2159  siedender  Phosphorsäureaether:  POfOC^H»)».  Derinder 
Retorte  verbliebene  Rückstand  bestand  aus  unverändertem  Natrium- 
alkoholai  und  Natriumchlorid ;  Natriumphosphat  konnte  in  seiner  wäss- 
rigen  Lösung  nicht  nachgewiesen  werden ,  wohl  aber  aethcrphosphor- 
saures  Salz ,  denn  als  derselbe  mit  Natriumcarbonat  und  Natriumnitrat 
im  Platintiegel  eingedampft  und  geschmolzen  worden  war ,  gab  er  be- 


Ueber  die  Einwirkung  einiger  Chloride  auf  Natrinnalkobolat.  361 

dem  Trichlor-aethoxyl-Aeihylen  durch  Natriumalkoholat  nur  unier  Mit- 
wirkung von  Alkohol  entstehen  und  zwar  in  der  Art,  dass  als  Zwischen- 
^  glied  der  Reaotion  erst  Dichlor-diaethoxyl-Aethylen  gebildet  wiixl, 
welches  aber  sofort  unter  Aufnahme  von  1  Mgt.  Alkohol  den  dreibasischen 
Aether  erzeugt: 

Der  einbasische  Dichloresssigsäureaether  geht  aus  dem 
dreibasischen  Aether  durch  die  Einwirkung  von  Wasser  hervor,  welcher 
iheils  hygroscopischen  Ursprungs  sein  kann,  der  Haupteaclie  nach  aber 
entsteht  bei  der  Bildung  brauner  harzartiger  SUuren,  welche  in  nicht 
unbeträchtlicher  Menge  stets  mit  erzeugt  werden  ^) : 

C  Ä«  +  OH»  =  C  o"^'  +  C»HK)H. 

Dieser  Aether  liefert  durch  Umsetzung  mit  Natriumalkoholat  zunächst 
Diaethylglyoxylsäureaether,  welche  Verbindung  bei  der  Einwirkung  von 
durch  Wasser  entstehendes  Natriumhydroxyd  in  Alkohol  und  Diaethyl- 
glyoxylsaures  Natron  Übergeführt  wird: 

CHCI«  CH(0C«H«)2 

CO        +2  C2HH)Na  =  C  0  +2  NaCl 

OC^H»  OC«Hft 

CH(OC«H»)»  CH(OC2Hß)2 

CO  +  NaOH  =  C  0  +  C2HH)H. 

OC^H»  ONa 

Wenn  sich  so  in  einfacher  Aufeinanderfolge  die  verschiedenen  Pro- 
ducte  aus  dem  Trichlor-aethoxyl-Aethylen  durch  dauernde  Einwirkung 
von  Natriumalkoholat,  Alkohol  und  Wasser  ergeben,  so  leuchtet  ein,  muss 
von  diesem  Product  eine  um  so  grossere  Menge  gebildet  werden,  je  ver- 
hliltnissmUssig  kürzer  die  Einwirkung  des  Natriumalkoholats  auf  das 
Perchloraethylen  dauert  und  je  niedriger  die  Temperatur  ist,  bei  welcher 
die  Umsetzung  erfolgt.  Das  ist,  wie  unsere  Versuche  gezeigt  haben,  auch 
in  der  That  der  Fall.  Wenn  man  1  Mgt  Perchloraethylen  mit  1  Mgt.  al- 
koholischem Natriumalkoholat  im  Wasserbade  am  umgekehrten  Kühler 
eine  Stunde  lang  erhitzt,  so  hat  sich  die  Zersetzung  vollendet,  freilich 
nicht  in  der  Art,  dass  man  nun  an  Stelle  des  Perchloraethylens  die  ent-" 
sprechende  Menge Trichloraethoxylaethylen  gebildet  ßlnde,  denn  es  bleibt 

4)  Vergl.  Fischer  u.  GEüTgEa,  diese  Zeilschrift  Bd.  I,  p.  48  u.  Schhbiibr  ebend. 
Bd.  V,  p.  874. 


301  A.  «niflwr  ii.  P.  BfMkkoi, 

iflimer  eine  beträchUicIie  Menge  voaPerchloraeÜiyleii  unierseUiQnd  minJ 
dafitr  TriditoraeUioxytdeihylen  weiter  TeiHiHlert,  aber  doch  eo,  dass  vod 
nun  an  kein  Perchlora^ylen  mehr  amgeseUt  wird.    Die  braun  gew^or- 
flene  FlOssigkeit,  in  welcher  skh  viel  Kochsalz  abgeschieden  hat,  \ftind 
mit  Wasser  verdünnt,  die  hellbraune  wässrige  Lösung  von  der  dunkel- 
braunen Oelschicht  getrennt,   letztere  über  Calciurachlond  getrocknet 
und  rectificirt.    Das  unter  130^  Destillirende,  hauplsächlich  aus  unver- 
ändertem Perchloraethylen  bestehend|  wird  immer  von  Neuem  der  glei- 
chen Einwirkung  ausgesetzt  und  das  über  430^  Destillirende  weiter  rec- 
tificirt. Es  besteht  aus  Perchloraethylen,  ausTrichlor-aethoxyl-Aethylen, 
und  wenig  über  i  60**  Siedenden).  Als  auf  diese  Weise  60Grm.  Perchlor- 
aethylen verarbeitet  wurden,  bis  davon  nichts  unzersetzt  mehr  vorhanden 
war,  wurden  erhalten  4  5  Grm.  Trichlor-aelhoxyl-Aethylen  und  etwa 
i  Grm.  Höhersiedendes  d.  h.  der  Hauptsache  nach  dreibasischer  Dichlor- 
essigsäureaether.    Von  gewöhnlichem  Dichioressigs«lureaether ,  der  den 
gleichen  Siedepnnct  wie   das  Trichlor-aethoiyl-Aethylen  besitzt  war 
kaum  etwas  entstanden ,  da  das  erhaltene  Product  nach  dem  häufigen 
Schütteln  und  Stehenlassen  mit  conc.  wässrigen  Ammoniak  kaum  eine 
Volumverminderung  erlitt.  Das  so  gereinigle  Product  stellt,  wie  auch  eine 
neue  Analyse  bestätigte,  das  reine  bei  152 — 153^  uncorr.  siedende  Tri - 
chlor-aethoxyl-Aethyien  dar. 

Der  Grund,  weshalb  nur  %  dieser  Verbindung  aus  dem  angewandten 
Perchloraethylen  gebildet  wird,  liegt  offenbar  einestheils  darin,  dass  die- 
selbe ebenso  leicht,  als  das  Letztere,  von  Natriumalkoholat  weiter  ver- 
ändert wird.  Deshalb  entsteht  eine  geringe  Menge  von  dreibasischem 
Dichloressigsäureaether  und  wie  die  Untersuchung  der  in  Wasser  lös- 
lichen Natriumsalze  gelehrt  hat  eine  grössere  Menge  desjenigen  der 
Aetherglyoxylsäure.  Von  den  60  Grm.  Perchloraethylen  wurden  42,7 
Grm.  des  Salzes  erhalten,  als  die  wässrige  Lösung  mit  Kohlensäure 
übersättigt  nach  dem  Eindampfen  zur  Trockne  mit  absol.  Alkohol  aus- 
gezogen und  das  darin  Gelöste  durch  mehrmalig  erneutes  Auflösen 
und  Abfiltriren  des  ungelöst  Bleibenden  gereinigt  worden  war.  Gefunden 
wurden  49,0  Proc.  Natriumoxyd,  während  sich  für  das  aetbergly.oxyl- 
saure  Natron  48,2  Proc.  berechnen« 

Wie  leicht  in  der  That  das  Trichloracthoxylaethylen  sich  in  aether- 
glycolsaures  Natron  durch  alkoholisches  Natriumalkoholat  verwandeln 
lässt,  zeigen  folgende  Versuche,  welche  eigentlich  unternommen  worden 
sindi  um  es  in  den  dreibasiscben  Dichloressigsäureaether  nach  der 
Gleichung : 

C<H5CI03  +  C^H^NaO  +  C2H«0  =  C^^H^eCWs  +  NaCl 
überzuführen. 


üeber  (li«*  F.iiiwirkunir  «iiriw  Gltloride  «uf  Natriiimalkobotat.  363 

3,4  Grro.  desselben  wurden  mit  aus  0,5  Grm.  Natrium  dargesteUten 
Überschüssigen  Alkohol  enthaltendem  Alkoholat  in  ein  Rohr  einge- 
schlossen. Nach  kurzer  Zeit  trat  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
die  Ausscheidung  von  Natriurachlorift  ein.  Das  Rohr  wurde  darauf 
während  etwa  vier  Stunden  im  Wasserbade  erhitzt  und  darauf  nacli  dem 
Erkalten  geöffnet.  Es  war  kein  Druck  vorbanden.  Durch  Zusatz  von 
Wasser  wurde  Oel  abgeschieden ,  dessen  Menge  nach  dem  Trocknen 
^,3Grm.  betrug  und  bei  etwa  150^  dcstillirte.  Beim  Schütteln  mit 
conc.  wlissrigen  Ammoniak  verschwand  nur  wenig  davon,  es  war  also 
nur  wenig  vom  einbas.  Aether  der  Dichloressigsifure  entstanden ,  deren 
Ammoniumsalz  in  geringer  Menge  nach  dem  Verdunsten  des  Ammoniaks 
concentrisch  strahlig  krystallisirt  und  an  der  Luft  schnell  zerfliessend 
zurückblieb.  Die  natriumbaltige  wüssrig/6  Lösung  lieferte  nach  dem 
UebersHt.tigen  mit  Kohlensäure,  Eindampfen  zur  Trockne  und  Ausziehen 
mitabsol.  Alkohol  0,7  Grm.  gelblich  gefärbtes  zerfliessliches  Salz,  dessen 
Natriumoxydgehalt  zu  48,6Proc.  gefunden  Wurde,  also  aetherglyoxyl- 
saures  Salz  war,  welches  48,9  Proc.  verlangt. 

Darnach  wurden  6,9  Grm.  Trichloraelhoxylaethylen  mit  i  Grm. 
d.  h.  der  berechneten  Menge  absei.  Alkohol  vermischt  und  zu  der  be- 
rechneten Menge  alkoholfreiem  Natriumalkohotat  Oiessen  gelassen,  wel- 
ches sich  in  einem  KocbflSschchen  befand,  das  am  umgekehrten  Kühler 
beCestigl  war,  dessen  oberes  Ende  mittelst  eines  Glasrohrs  unter  einer 
etwa  250  Mm.  hohen  QuecksilbersSkile  endigte.  Nachdem  ebenfalls  vier 
Stunden  im  Wasserbade  erhitzt  worden  war,  wurde  wie  im  vorigen 
Versuch  verfahren.  Es  wurden  erhalten  4,2  Grm.  Oel,  das  durch 
Schütteln  mit  wässrigem  Ammoniak  nur  eine  geringe  Volum  Verminderung 
zeigte  und  bei  i  50 — 1 60^  siedete,  also  unverändertes  Trichloraetboxyl- 
aethylen  war  und  ans  der  wassrigen  Lösung  1,1  Grm.  zerfliessliches 
in  absei.  Alkohol  leicht  lösliches  aetherglyoxylsaures  Natron. 

Diese  Versuche  zeigen  zugleich,  dass  man  zu  grösseren  Mengen  von 
dreibas.  Dichloressigsdureaether  auf  diese  Weise  nicht  gelangen  kann. 
Ob  die  Bildung  dieser  Verbindung  reichlicher  eintritt ,  wenn  man  um- 
gekehrt verfahrt  and  das  alkoholische  Natriumalkoholat  in  absoluten 
Alkohol  gelöst  au  überschüssigem  Trichlor-aethoxyl-Aethylen  treten  lässt, 
muss  der  Versuch  noch  entscheiden. 

Ganz  in  Uebereinstimmung  mit  dieser*Zersetznng  des  Trichlor- 
aethoxyiaethylens  steht  diejenige,  welche  es  durch  Wasser  bei  460^ 
erleidet.  Dieselbe  ist  von  dem  Einen  von  uns  schon  früher  sludirt 
worden'),  so  dass  an  sie  hier  nur  erinnert  zu  werden  braucht,  es  ver- 


1)  Vergl.  d   Zciischrifl  Bd.  I,  p.  «69. 


% 


364  A.  Genther  u.  F.  Broekhoff, 

wandelt  sich  dabei  nämlich  in  Glyoxylsäure,  Alkohol  und  Chlorwasser- 
stoff nach  der  Gleichung : 

rri2  CH(0H)2 

G  Sem  +  4  0H2  =  C  0^         +  C^H^OH  +  3  CIH. 

Auf  das  Perchloraethylen  haben  wir  schliesslich  auch  noch  das 
alkoholfreie  Natriumalkoholat  einwirken  lassen.  Dabei  entstehen  die— 
selben  Producte  aber  in  geringerer  Menge,  gleichzeitig  tritt  ein  mit 
blauer  Flamme  brennendes  Gas  auf,  das  nicht  näher  untersucht  wuni 
und  viel  brauner  Farbstoff;  das  bei  weitem  meiste  Perchloraethylen 
bleibt  unverändert. 


ill.  PerchUraethao  ■.  Natrianaik^helat. 

Es  wurden  angewandt  auf  4  Mgt.  Perchloraethan  6  Mgte.  alkohol- 
freies Natriumalkoholat.  Das  Erslere  wurde  vor  dem  Zufügen  zu  Letz- 
terem in  wasserfreiem  Aether  gelöst.  Da  ein  Versuch,  bei  welchem  diese 
Körper  im  verschlossenen  Rohr  zusammenkamen,  gezeigt  hatte,  dass  bei 
50"  noch  keine  Einwirkung  statt  hat,  bei  400^  aber  nach  einstündiger 
Digestion  die  Röhre  zersprengt  wird,  so  wurde  das  Natriumalkoholat  in 
einem  Retörtdien  bereitet,  dieses  sodann  mit  einem  umgekehrten  Kühler 
verbunden ,  dessen  offenes  Ende  mit  einem  Glasrohr  verschlossen  war, 
das  in  einem  Cylinder  unter  einer  Quecksilbersäule  von  250  Mm.  Höhe 
sich  öffnete  und  die  aetherische  Lösung  von  Perchloraethan  zugegeben. 
Es  wurde  im  Oelbad  langsam  bis  4  00"  erhitzt  und  da  die  Temperatur 
während  einer  Stunde  erhalten.  Der  Aether  desUllirle  meist  fort  und 
sammelte  sich  über  dem  Quecksilber,  ausser  einer  Bräunung  der  Masse, 
war  von  Einwirkung  nichts  bemerkbar.  Als  nun  die  Hitze  allmälig 
gesteigert  wurde,  traten  bei  etwa  448"  auf  einmal  starke  Dämpfe  auf 
und  fand  die  lebhafte  Entwicklung  eines  mit  nicht  leuchtender  Flamme 
brennbaren  Gases  statt.  Die  letztere  verminderte  sich  bald  und  hörte, 
als  die  Temperatur  bis  440"  gestiegen  war,  ganz  auf.  Der  Inhalt  der 
Retorte  wurde  nun  abdestillirt.  Das  Destillat  bestand  zum  Theii  aus 
Aether  und  Alkohol,  die  durch  Waschen  mit  Wasser  entfernt  wurden, 
während  ein  schwereres  Oel  zurückblieb,  das  nach  dem  Entwässern  bei 
der  Destillation  unter  430"  ganz  übergegangen  war.  Die  fractionirle 
Destillation  zeigte,  dass  der  grösste  Theil  bei  4 SS"  siedete,  also  Per- 
chloraethylen  war,  wie  auch  die  Analyse  zeigte,  während  der  ge- 
ringere Theil  einen  höheren  Siedepunct  besass  und  an  feuchter  Luft  sich 
in  Krystalle  von  Oxalsäure  und  Chlorwasserstoffgas  zerlegte ,  sich  also 
wie  Trichlor-aethoxyl-Aethylen  verhielt. 


Ueber  die  Rinwirkiing  einiger  Chloride  auf  NatrinmallioholaU  365 

Bei  einem  zweiten  ebenso  angestellten  Versuch  begann>jdie  Einwir- 
kung unter  Gasentwicklung  schon  bei  1 06^  und  bei  einem  dritten  Versuch 
schon  bei  H  0^.  Als  beim  zweiten  Versuch  sogleich  während  der  lebhaften 
Einwirkung  abdestillirt  wurde,  ging  Anfangs  gleichfalls  Flüssigkeit,  spater 
aber  ein  krystalUnisch  erstarrender  Körper  über.  Der  Letzlere  hatte  das 
Ansehen  und  den  Geruch  des  Perchloraethans.  Er  war  auch  in  Alkohol 
schwer  löslich  und  zeigte,  nachdem  er  damit  gehörig  abgewaschen  und 
Über  Schwefelsaure  wieder  völlig  getrocknet  worden  war,  den  Schmelz- 
punct  479°*). 

Die  ttberdestiUirte  Flüssigkeit  wurde  mit  Wasser  gewaschen,  über 
Ghlorcaicium  getrocknet  und  von  Neuem  rectificirt.  Die  Hauptmenge 
ging  zwischen  4 SO  und  130"  über,  war  also  Perchloraethylen.  Beim 
dritten  Versuch  wunle  am  umgekehrten  Kühler  bis  4  80°  die  Retorte  im 
Oelbade  heiss  werden  gelassen.  Als  bei  dieser  Temperatur  von  Neuem 
Gasentwicklung  eintrat  wurde  überdestillirt.  Das  Destillat  war  wieder 
vollkommen  flüssig  und  bestand  wieder  zum  grössten  Theil  aus  Perchlor- 
aethylen und  wenig  Höhersiedendem.  Als  die  im  ersten*  und  dritten 
Versuch  erhaltenen  über  430°  siedenden  Mengen  vereinigt  der  frac- 
tionirten  Destillation  unterworfen  wurden,  zeigte  es  sich,  dass  dieselben 
aus  Perchloraethylen,  ausTrichlor-aethoxyl-Aethylen  und  dem 
dreibasischen  Aether  der  Dichloressigsaure  bestanden, 
also  Veranderungsproducte  waren,  welche  aus  dem  in  grösserer 
Menge  gebildeten  Perchlorae|^hylen  hervorgegangen  wa ren . 

Die  bei  diesen  drei  Vei*suchen  erhaltenen  braunen  Retortenruck- 
Stande,  welche  zum  grössten  Theii  augenscheinlich  noch  aus  unver- 
ändertem Natriumalkoholat  bestanden ,  wurden  mit  Wasser  behandelt. 
Dabei  blieb  ein  dunkelbrauner,  in  Alkalien,  Sauren,  Alkohol  und  Aether 
unlöslicher  harzartiger  Körper  zurück,  während  eine  braune  stark  alka- 
lische Lösung  entstand.  Aus  dieser  schied  sich ,  nach  dem  vorsichtigen 
Ansauron  mit  SalzsUure ,  ebenfalls  ein  brauner  Körper  aus.  Tm  Filtrat 
davon  konnte  etwas  Oxalsäure  nachgewiesen  werden ,  dasselbe  wurde 
mit  Natriumcarbonat  übersättigt  auf  dem  Wasserbade  zur  Trockne  ver-- 


4]  Der  Scbmelzpunct  des  Perchloraethans  aber  wird  von  Rbgnault  zu  460^ 
angegeben ,  welche  Zahl  in  die  Lehrbücher  allgemein  übergegangen  ist.  Wäre  die 
letztere  richtig,  so  htftien  die  oben  erwähnten  Krystalle  nicht  Perchloraethan  sein 
können.  Als  indessen  mit  reinem,  wiederholt  mit  Alkohol  gewaschenen  und  darauf 
über  Schwefelsäure  getrocknetem  Perchloraethan  eine  Schmelzpunctbestimmung 
vorgenommen  wurde ,  so  ergab  dieselbe  den  gleichen  Scbmelzpunct  4^9®.  Der  von 
Rkgnaclt  gefundene  niedrigere  Scbmelzpunct  hat  wahrscheinlich  seinen  Grund  in 
einer  ihm  noch  angehangenen  kleinen  Menge  von  dreifachgechlorten  Aethylcn- 
chlorfd. 

Bd.  VU.  3.  24 


306  A.  Geuther  n.  F.  BroekhofT, 

dampft  und  mit  Alkohol  vollständig  ausgezogen.    Dieser  Auszug  enthäll 
ausser  einer  geringen  Menge  von  Natriumchlorid  zwei  Natriumsalze,  ein 
in  der  Luft  zerfliessliches  und  in  abs.  Alkohol  sehr  leicht  lösliches,  wel- 
ches in  grösserer  Menge  vorhanden  ist  und  ein  darin  schwerer  lösliches. 
Der  Rückstand  wurde  zur  Entfernung  des  Natriumchlorids  wiederholt 
in  der  kleinsten  Menge  abs.  Alkohols  gelöst  und  dann  mit  einer  ge— 
ringeren,  als  zur  Lösung  nothwendigen  Menge  desselben  in  der  Källe 
digerirt.    Das  zurückgebliebene  Salz  wurde  auf  seinen  Natriumgehalt 
untersucht.     Es  enthielt  nach  Berücksichtigung  einer  kleinen  Menge 
Natriumchlorids:    36,2  Proc.  Natriumoxyd.    Darnach  konnte  es  nicht 
wohl  etwas  anderes  als  noch  etwas  verunreinigtes  Natriumacetat  sein, 
welches  37,8  Proc.  Natriunioxyd  verlangt.     Es  wurde  nochmals   mit 
neuem  absol.  Alkohol  digerirt  und  der  Rücksland  wieder  änalysirt.     Es 
ergab  jetzt  37,2  Proc.  Natriumoxyd   und  zeigte  alle  Reactionen  des 
Natriumacetat s.    Das  in  Alkohol  leichl  lösliche  Salz,  obwohl  seine 
völlige  Reindarstellung  d.  h.  Befreiung  von  dem  vorigen  nicht  wohl 
möglich  war,   wurde  doch  auf  seinen  Natriumoxydgehalt  untersucbl. 
Gefunden  wurde,  unter  Berücksichtigung  einer  geringen  Natriumchlortd- 
menge:  23,4  Proc.  Natriumoxyd,  so  dass  es  wahrscheinlich  ist,  das  Salz 
sei  mit  Natriumacetat  verunreinigtes  Natriumsalz  der  Aether- 
glyoxylsäure  gewesen,  welches  48,2  Proc.  Natriumoxyd  verlangt, 
womit  seine  übrigen  Eigenschaften  auch  übereinstimmen.     Dasselbe 
würde  dann  das  noth wendige  dritte  Product  ausser  Trichlor-aethoxyl- 
Aethylen  und  dem  dreibasischen  Aether  der  Dichloressigsäure  sein,  wel- 
ches bei  der  weiteren  Einwirkung  von  zuerst  gebildetem  Perchloraethylen 
auf  noch  vorhandenes  Natriumalkoholat  hätte  entstehen  müssen.    Das 
gleichzeitig  mitentstandene  Natriumacetat  dagegen  ist  offenbar  ein  an- 
mittelbares Product  der  Einwirkung  von  Perchloraethan  auf  Natrium- 
alkoholat neben  Perchloraethylen.  Die  2MgteGhlor,  welche  von  Ersterem 
weggehen  müssen  um  das  Letztere  übrig  zu  lassen  wirken  auf  Natrium- 
alkoholat  oxydirend  und  Essigsäure  bildend ,  wahrscheinlich  nach  fol- 
gender Gleichung: 

3  C2HH)Na  +  2  Gl  =  C^lPNaO^  +  C^H«  +  C2H60  +  2  NaCI. 

Hierdurch  würde  ausser  der  Bildung  von  Perchloraethylen  das  Auftreten 
eines  mit  nicht  leuchtender  Flamme  brennenden  Gases  (Aethan)  und 
das  von  Alkohol  erklärt. 

Die  Bildung  der  beiden  braunen  harzartigen  Productc  aber,  von 
welchen  jedenfalls  das  eine  saurer  Natur  ist,  kann  einesthcils  von  der 
directen  Einwirkung  des  Perchloraethnns  auf  Natriumalkoholat  her- 
stammen, da  unter  dem  Einfluss  oxydirender  Wirkung,  wie  schon  unter 


Ucber  tlie  Eiuwirkuiig  oiitiger.Chloride  aiit  NalriuiuatkoliolMt.  3G7 

dem  £influss  der  Luft,  das  Natriumalkoholat  gebrüunl  wird,  anderntheiis 
von  der  Einwirkung  des  Perchloraethylens  auf  Natriumalkoholat,  wobei 
sich  gleichfalls  stets  braune  Nebenproducte  bilden.  Beide,  das  in  Al- 
kalien Unlösliche  sowohl,  als  das  darin  Lösliche^  sind  nach  genügender 
Behandlung  mit  verdünnter  Salzsäure  und  nachherigem  Waschen  mit 
Wasser  nach  dem  Trocknen  bei  125"  analysirt  worden.  Das  Ersteige  hat 
ergeben:  67,1  Proc.  Kohlenstoff  und  4,7  Proc.  Wasserstoff,  das  Andere 
66,5  bis  67,7  Proc.  Kohlenstoff  und  5,5  l)is  6,1  Proc.  Wasserstoff. 


IV.  Trichtor-AethylenchUria  «.  Nafrimalk^hdat 

Die  zu  den  Versuchen  verwandle  Verbindung  G^UCl'^  war  durch 
Einwirkung  von  Chlor  auf  Aethylenchlorid  im  hellen  Tageslicht  erhallen 
und  war  nach  vielen  Hectificationen  zwischen  152  und  155°  über- 
gegangen.   Die  reine  Verbindung  siedet  nach  Regnault  bei  153,5". 

Zuerst  wurden  die  beiden  Verbindungen  in  Röhren  auf  einander 
einwirken  gelassen.  Zu  5  Mgtn.  alkoholfreiem  Natriumalkoholat  wurde 
1  Mgt.  Trichloraethylenchlorid ,  mit  dem  gleichen  Volum  wasserfreien 
Aethers  vermischt,  gefügt.  Sofort  trat  unter  ziemlicher  W^ärmecntwick- 
lung  die  Einwirkung  und  Abscheidung  von  Natriumchlorid  ein.  Die 
Röhren  wurden  nach  dem  Erkallen  zugoschiiiolzcn  und  Uingere  Zeit  erst 
auf  100",  sodann  auf  120"  erhitzt.  Bei  dieser  Temperatur  trat  bald 
Explosion  ein.  Die  Leichtigkeit  mit  welcher  die  Einwirkung  schon  in 
der  Keilte  vor  sich  gegangen  war,  legte  es  nahe,  dass  das  Trichlor- 
aethylenchlorid durch  Natriumalkoholat  in  gleicher  Weise  zunächst  zer- 
setzt werde,  wie  durch  alkohol.  Kali,  nUmlich  in  Perchloraethyien 
unter  Bildung  von  Natriumchlorid  und  Alkohol,  was  ein  Versuch,  der 
in  einem  Retörtchen  vorgenommen  wurde,  durchaus  bestätigte.  Dabei 
wurden  35  Grm.  Trichloraethylenchlorid  angewandt  und  ohne  Aether- 
zusatz  auf  das  alkoholfreie  Natriumalkoholat  wirken  gelassen.  Es  wur- 
den erhalten  an  Alkohol  und  Perchloraethyien:  34  Grm.  anstatt  36  Grm. 
und  daraus  wurden  nach  dem  Vermischen  mit  Wasser  gewonnen  82  Grm. 
Perchloraethyien  anstatt  der  sich  berechnenden  28  Grm.  Dass  alkohol- 
haltiges Natriumalkoholat  in  gleicher  Weise  wirken  würde,  war  natür- 
lich und  wurde  durch  den  Versuch  bosUltigt.  Ein  Theil  des  gebildeten 
Perchloraethylens  wird  dabei  weiter  zersetzt,  was  den  Verlust  daran 
erklärt.  Ist  das  angewandte  Trichloraethylenchlorid  perchloraethan- 
tialtig,  so  ist  ausser  aetherglyoxylsaurcm  Salz  auch  essigsaures  im  Rück- 
stand neben  unverUndertem  Natriumalkoholat  enthalten. 


368  A.  (jeuthei  ii.  F.  Broekhoff, 

Y.  DichUraethjlenchl^rid  ■.  NatfhmalUh^lat. 

Das  zu  den  Versuchen  verwandte  Dichloraelhylenchlorid  war  aus» 
Aethylenchlorid  in  ahnlicher  Weise  wie  das  Trichloraelhylenchlorid  er- 
halten und  durch  wiederholte  Rectificationen  gereinigt.  Verwandt  wurde 
zunächst  ein  zwischen  133  u.  436°  überdestillirendes  Product  und  so 
viel  Nalriumalkoholat,  dass  alles  Chlor  gegen  Aethoxyl  hätte  ausgetauscht 
werden  können.     Das  Dichloraethylenchlorid  wurde  langsam  zu  dem 
alkoholhaltigen  Alkoholat,  das  sich  in  einem  aufgerichteten  mit  einem 
Kühler   und    der  Quecksilbersäule   verbundenen  Rettfrtchen   befand, 
fliessen  gelassen.    Die  Einwirkung  ist   sehr  lebhaft  unter  reichlicher 
Abscheidung  von  Natriumcblorid.     Nach  Beendigung  der  Einwirkung 
wurde  die  Retorte  noch  eine  halbe  Stunde  im  Wasserbado  erhitzt  und 
der  Inhalt  dann,  zuletzt  im  Wasserstoffgasstrom,  abdestillirt.  Das  alkohol- 
haltige Destillat  schied  auf  Zusatz  von  Wasser  ein  Oel  ab,  das  nach  dem 
Trocknen  von  124  bis  126°  vollständig  überging.   Die  grössere  zwischen 
124  u.  125"  destillirende  Partie  wurde  analysirt. 

1.  0,2719  Grm.  Substanz  lieferten  0,1032  Grm.  Wasser,  entspr. 
0,01148  Grm.  =  4,2  Proc.  Wasserstoff  und  0,3287  Grm.  Kohlensäure, 
entspr.  0,08965  Grm.  =  33,0  Proc.  Kohlenstoff. 

0,2977  Grm.  Substanz  gaben  0,6346  Grm.  Argentichlorid  entspr. 
0,157  Grm.  =  52,7  Proc.  Chlor. 

Daraus  berechnet  sich  nahezu  die  Formel  des  Dichlor-aethoxyl- 

Aethylens:  C4H6C120  =  C^fjQ|,2H5)»  welche  verlangt:  34,0  Proc. 
Kohlenstoff,  4,3  Proc.  Wasserstoff  und  50,4  Proc.  Chlor. 

Der  um  1  Proc.  geringere  Kohlenstoffgehalt  und  der  um  ca.  2  Proc. 
erhöhte  Chlorgehalt,  welcl^en  die  Substanz  im  Vergleich  zum  Dichlor- 
aethoxylaethylen  ergab ,  hatte  wahrscheinlich  seinen  Grund  darin ,  dass 
dem  angewandten  Dichloraetliylenchlorid  noch  etwas  höher  siedendes 
Trichloraethylenchlorid  beigemengt  war ,  welches  die  Veranlassung  zur 
Bildung  von  bei  122"  siedendem  Perchloraethylen  gegeben  haben  mussie. 
Und  in  der  That  entspricht  die  gefundene  Zusammensetzung  fast  genau 
einem  Gemenge  von  95  Proc.  Dichloraethoxylaethylen  und  5  Proc.  Per- 
chloraethylen,  welches  verlangt:  33,0  Proc.  Kohlenstoff,  4,4  Proc. 
Wasserstoff  und  52,2  Proc.  Chlor.  Das  spez.  Gewicht  der  Substanz 
wurde  bei  12"  zu  1,16  gefunden. 

Es  wurde  deshalb  das  angewandte  Dichloraethylenchlorid  samint 
den  von  130  bis  133"  destillirenden  Portionen  nochmals  der  Reinigung 
unterworfen  und  nach  vielfachen  Rectificationen  ein  von  132,5"  bis 
13 3", 5  destillirendes  Product  erhalten,  dessen  corr.  Siedepunct  135°,1 


Ueber  die  Eiuwtrkuug  einiger  Chloride  auf  NalriiimalkotioUt.  369 

war.  Dasselbe  ergab  bei  der  Analyse  14,7  Proc.  Kohlenstoff,  1,5  Proc. 
Wasserstoff  und  84,4  Proc.  Chlor,  war  also  die  reine  Verbindung  C^H^Cl*, 
denn  diese  verlangt:  4  4,3  Proc.  Kohlenstoff,  i^i  Proc.  Wasserstoff  und 
und  84,5  Proc.  Chlor.  Mit  diesem  Product  wurde  auf  gleiche  Weise 
verfahren  wie  mit  dem  zuerst  Angewandten.  Das  erhaltene  Dichlor- 
aethoxyl-Aethylen,  dessen  Menge  auch  hier,  wie  bei  anderen  Versuchen, 
den  dritten  Theil  des  Gewichts  der  angewandten  Verbindung  betrug, 
destillirte  zwischen  124  und  127^  über  mit  Ausnahme  einer  geringen 
Menge  Höfaersiedendem ,  welches  sich  leicht  entfernen  liess  und  wie 
weiter  unten  gezeigt  wird  ein  Product  der  weiteren  Einwirkung  auf  das 
Dichlor-aethoxyl-Aethylen  ist.  Unter  124"  Siedendes,  also  Perchlor- 
aethylen,  war  nicht  vorhanden,  sondern  die  Verbindung  rein,  wie  die 
folgende  damit  ausgefOhrte^Analyse  zeigte : 

II.  0,1832  Grm.  desselben  lieferten  0,0729  Grm.  Wasser,  entspr. 
0,0081  Grm.  =  4,4  Proc.  Wasserstoff  und  0,2256  Grm.  Kohlensäure, 
entspr.  0,06153  Grm.  =s  33,6  Proc.  Kohlenstoff. 

0,2105  Grm.  Substanz  gaben  0,4272  Grm.  Argentichlorid,  entspr. 
0,1057  Grm.  =  50,2  Proc.  Chlor. 

ber.  gef. 


I  II 

C*  =  34,0  33,0  33,6 

116=    4^3  4^2       4^4 

C12  =  50,4  52,7  50,2 

0   =11,3  —        — 


100,0 

Der  Siedepunct  dieses  Dichlor-aethoxyl-Aethylens  liegt 
bei  128,2  (oorr.),  sein  spez.  Gewicht  ist  bei  +  10"  zu  1,08  gefunden 
worden.  Es  ist  eine  farblose  Flüssigkeit  von  eigenthUmlichen  aromati- 
schen hintennach  scharfem  Geruch,  welche  mit  Wasser  ohne  Veränderung 
gewaschen  werden  kann.  Wird  dasselbe  aber  in  schlecht  schliessenden 
Gelassen  aufbewahrt,  so  erleidet  es  jedenfalls  unter  Mitwirkung  von 
Feuchtigkeit  eine  Zersetzung:  es  wird  von  Ghlorwasserstoffbildung  rau- 
chend und  giebt  beim  Erwärmen  leicht  ein  mit  grttngcsäumter  Flamme 
brennendes  Gas,  Chloraethyl,  aus.  Wird  es  mit  überschüssigem  Wasser 
in  ein  Glasrohr  eingeschmolzen  und  auf  180^  erhitzt,  so  sersch windet 
es  allmälig.  Beim  Oeffnen  des  Rohres  entweicht  ein  mit  grüngesäuniler 
Flamme  brennendes  Gas  (Chloraethyl)  und  die  Flüssigkeit  enthält  viel 
Chlorwasserstoff.  Nach  dem  Eindampfen  bleibt  ein  saurer  Syrup  zurück. 
Derselbe  wurde  in  Wasser  gelöst  mit  Galciumhydroxyd  übersättigt  und 
der  überschüssige  Kalk  durch  Kohlensäure  entfernt.    Es  wurde  ein  in 


37U  A«  Geulher  ii.  F.  Brockhoff, 

kallem  Wasser  nicht  leicht  lösliches  in  seideglänzenden  Nadeln  krystalli— 
sirendes  Salz  vom  Aussehen  des  glycolsauren  Kalks  erhalten.  Dasselbe 
wurde,  nachdeiti  es  eine  Nacht  über  Schwefelsäure  gestanden  hatto, 
anaivsirt. 

0,B1 4  Grm.  desselben  verloren  beim  Erhitzen  auf  425^  0,0684  Grni. 
Wasser,  entspr.  21,8  Proc.  und  hinterliessen  nach  dem  Verbrennen  und 
Glühen  0,0722  Grm.  Calciumoxyd  =  23,0  Proc. 

Der  glycolsaure  Kalk  verlangt:  22,4  Proc.  Wasser  und  23,0  Proc. 
Calciumoxyd.  Demnach  war  also  die  durch  Einwirkung  des  Wassers 
aus  dem  Dichloraethoxylaethylen  bei  480°  gebildete  Säure  Glycol- 
saure, entstanden  nach  der  Gleichung: 

PHP!  C^*^H 

c  c^  ocw  +  2  0H2  =  c  0       •}-  ciH  +  cm^ci 

Durch  überschüssiges  alkoholisches  Natriumalkoholat  wird  das 
Dichlor-aethoxyl-Aethylen  in  das  Natriumsalz  der  Aetherglycolsäure 
vorwandelt,  es  verhält  sich  also  ganz  analog  wie  das  Trichlor-aethoxyl- 
Aethylcn  welches  dabei  in  das  Natriumsalz  der  Aetherglyoxylsäure  über- 
geht. Als  Zwischenglied  tritt  dabei  auch,  wie  es  scheint,  etwas  Mono- 
chloressigsäureaether  auf,  welcher  wahrscheinlich  in  der  geringen 
Menge  mit  entstehendem  höher  Siedendem  enthalten  ist  und  vorzüglich 
gebildet  wird,  wenn  man  eine  etwas  höhere  Temperatur  als  400°  bei  der 
Umsetzung  des  Dichloraethylcnchlorids  mit  dem  Natriumalkoholat  an- 
wendet. Wird  das  über  428°  siedende  Oel  nämlich  mit  conc.  Ammoniak 
geschüttelt,  so  verschwindet  ein  grosser  Theil  davon  und  es  bloiben  nach 
dem  Verdunsten  der  ammoniakal.  Lösung  über  Schwefelsäure  harte,  an 
der  Luft  langsam  feucht  werdende  Krystalle  übrig,  welche  mit  Natron- 
lauge Übergossen  nicht  sofort,  sondern  erst  nach  einiger  Zeit  oder  beim 
Erwärmen  damit  Ammoniak  entwickeln,  also  ein  Amid  und  wie  es  den 
Anschein  hat  das  der  Monochloressigsäure  sind. 

Das  Natriums<alz  der  Aetherglycolsäure  ist  bei  dem  überschüssigen 
Natriumalkoholat  und  dem  gebildeten  Natriumchlorid  enthalten,  mag  man 
bei  der  Einwirkung  Dichlor-aethoxyl-Aethylen  oder  Dichloraethylen- 
chlorid  angewandt  haben.  Es  wird  nach  dem  Versetzen  mit  Wasser, 
Sättigen  mit  Kohlensäure  und  Filtriren  oder  schwachem  Ucbersättigen 
mit  Salzsäure ,  Filtriren  und  Wiederübersättigen  mit  Natriumcarbonat, 
Verdampfen  zur  Trockne  und  Ausziehen  mit  absol.  Alkohol  von  Letz- 
terem gelöst  und  bleibt  nach  dem  Abdestilliren  desselben  als  eine  zer- 
fliessliche  meist  etwas  bräunlich  gefärbte  amoqihe  Masse  übrig,  die  von 
einem  geringen  Kochsalzgehalt  durch  nochmaliges  Auflösen  in  absolutem 
Alkohol  fast  vollständig  befreit  wird.  Das  aus  Dichlor-aethoxyl-Aethylen 


« •  fc  .» 


Deber  die  Kiuwirknng  e'miger  Chloride  anf  NatriomAlkoholat.  37  \ 

und  Natriumalkoholat  erhaltene  Salz  wurde  nach  dem  Trocknen  bei  i  05^ 
im  Platinüegel  verbrannt  und  gab  unter  BeiUcksichtigung  des  geringen 
Gehalts  an  Natriumchlorid  24,4  Proc.  Natriumoxyd.  Das  aus  Dichlor- 
aethylenchlorid  bei  der  Darstellung  von  Dichlor-aetboxyl-Aethylen  mil 
entstandene  Salz  ergab:  24,9  Proc.  Natriumoxyd.  Das  aethor,i;lycol- 
saure  Natron  verlangt  S4,6  Proc,  Natriumoxyd. 

Wirkt  auf  das  Dichlor-aethoxyl-Aethylen  nicht  überschüssiges 
Natriumalkoholat,  sondern  eine  viel  geringere  Menge,  als  zur  Umsetzung 
der  ganzen  Menge  nöthig  ist,  so  wird  gleichfalls  AelherglycolsSure  gebil- 
det, daneben  entsteht  aber  noch  Aeth y  Ich iorid ,  Chlorwassersloff  und 
Monochloressigsäure-Aether.  Es  zeigt  dies  der  folgende  Versuch, 
welcher  mit  von  der  ersten  Darstellung  herstammender  Substanz  angestellt 
wurde,  vornehmlich  um  zu  sehen ,  ob  durch  eine  Behandlung  mit  einer 
geringen  Menge  von  Natriumalkoholat  die  in  ihr  enthaltene  geringe  Menge 
von  Perchloraethylen  nicht  zuerst  verändert  und  sie  also  davon  befreit 
werden  könnte.  3,2  Grm.  dieses  Dichlor-aethoxyl-Aethylens  wurden 
mit  aus  0,05  Grm.  Natrium  bereiteten  Natriumalkoholats  eine  halbe 
Stunde  lang  am  aufgerichteten  Kühler  mit  Quecksilbervorlage  im  Wasser- 
bade erhitzt.  Dabei  fand  Natriumchloridausscheidung  statt ,  während 
sich  gleichzeitig  ein  mit  grüngesliumter  Flamme  brennendes  Gas-Aethyl- 
chlorid  entwickelte.  Der  Rückstand  im  Kölbchen  raucht  beim  Oe(fnen 
durch  vorhandenes  Chlorwasserstoffgas  und  reagirt  natürlich  sauer. 
Wasser  schied  daraus  2  Grm.  Oel  ab,  welches  von  <37  bis  145"  über- 
destillirte  (der  corr.  Siedepunct  des  Monochloressigsüure-Aethers  liegt 
hei  143^,5).  Diese  wurden  nun  mit  überschüssigen  alkoholischem 
Natriumalkoholat  in  ein  Rohr  eingeschlossen.  Es  fand  sofort  Umsetzung 
unter  Erwärmung  und  Abscheidung  von  viel  Kochsalz  statt.  Das  Rohr 
wurde  dar<iuf  bis  zur  völligen  Umsetzung  im  Wasserbade  längere  Zeit 
erhitzt  und  der  Inhalt  nach  dem  Erkalten  mit  Wasser  verdünnt.  Es 
schied  sich  erst  nach  längerer  Zeit  nur  ein  Tropfen  Oel  ab.  Die  wässrige 
Losung  wurde  mit  Kohlensäure  übersättigt ,  auf  dem  Wasserbade  zur 
Trockne  gebracht,  mit  absolutem  Alkohol  ausgezogen  und  das  Lösliche, 
welches  eine  Spur  Natriumchlorid  enthielt,  analysirt. 

0,4677  Grm.  des  bei  105°  getrockneten  amorphen  Salzes  im  Platin- 
liogel  verbrannt  gaben  0,1946  Grm.  weissen  geschmolzenen  Rückstand, 
welcher  0,0067  Grm.  Natriumchlorid,  also  0,1 879  Grm.  Natriumcarbonat 
enthielt.  Das  Letztere  entspricht  0,1099  Grm.  =  24,0  Proc.  Natrium- 
oxyd, während  das  aetherglycolsaure  Natriumsalz:  24,6  Proc.  Natrium- 
oxyd  verlangt. 

Dies  eben  angeführte  Verhalten  des  Dichlor-aethoxyl-Aethylens 
sowie  das  zu  Wasser,  zeigt,  dass  die  Bildung  von  einbasischem  Mono- 


JmsiA 


V 


1    2 


#. 


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WX, 


f 


Jenaischa  leitschrih.  Bd.  Vi. 


w 


lieber  die  Einwirkung  Yon  Salpetrig-Salpeter- 
sänreanhydrid  auf  Arsenchlorär  und  Borehlorid. 


Von 

A.  Geuther. 


Nachdem  die  Einwirkung  des  Salpetiig-SalpetersSlureanhydrids 
auf  das  Phosphorchlorür  ssur  Entdeckung  eines  neuen  Phosphoroxy- 
chlorids,  des  Pyropbospborsilurechlorids ,  geführt  hatte,  war  es  von  In- 
teresse zu  versuchen  ob  die  Chloride  anderer  trivalenter  Metalloide  sich 
gegen  diese  Substanz  analog  verhalten  würden.  Dazu  wurden  das 
ArsenchlorUr  und  das  Borchlorid  ausersehen. 

I.  Salpetrig-Salpetersäureanhydrid  und  Arsenchlorür. 

Vom  Arsen  kennt  man  bekanntlich  nur  ein  Trichlorid,  kein  Penta- 
chlorid.  Die  Versuche  das  Letztere  darzustellen,  ergaben  an  Stelle  des- 
selben immer  das  Trichlorid  neben  freiem  Chlor.  Das  Arsen  steht  in 
dieser  Hinsicht  dem  Stickstoff,  welcher  ebenfalls  kein  Pentachlorid  zu 
bilden  vermag  nahe.  Dafür  bildet  das  Arsen  aber  ein  Pentoxyd,  den 
Arsensäureanhydrkl ,  wekher  selbst  in  schwacher  Glühhitze  noch  be- 
ständig ist.  Aus  diesem  Verhalten  liess  sich  die  Hoffnung  schöpfen, 
dass  es  gelingen  werde  auf  eine  oder  die  andre  Weise  wenigstens  ein 
Oxycblorid  des  pentavalenten  Arsens  zu  erhalten.  Ein  früher  ange- 
stellter Versuch  bat  bereits  ergeben,  dass  der  eine  Weg,  auf  welchem 
die  Bildung  eines  solchen  Oxychlorids  zu  erreichen  war,  nämlich  durch 
die  Einwirkung  von  Phosphorpen tachlorid  auf  Arsensliureanhydrid, 
nicht  zum  Ziele  führt,  indem  merkwürdigerweise  dabei  aller  SauerstofT 
veoQ  Arsen  fort  und  zum  Phosphor  geht,  damit  gewöhnliches  Phosphor- 
oxychlorid  bildend,  während  gleichzeitig  Arsentrichlorid  und  freies 
Chlorgas  entsteht  ^) . 

Zu  55  Grm.  Arsenchlorür,  welches  sich  in  einem,  mit  einem 
doppelt  durchbohi^on  iCArir   der  ein  Zuleitungs-  und  ein  Ableitungsrohr 


4)  Annal.  d.  Chem.  Bd.  Hf  S.  478. 

Bd.  VI  S5 


376  A.  Genther, 

trug,  verschlossenen  Gylinder  befand  und  der  in  einer  Kältemiscbung 
stand,  wurden  langsam  22  Grm.  N^  0*  destillirt.  Das  Letztere  über- 
schichtete das  Erstere,  als  der  Gylinder  aus  der  Kältemischung  ge- 
nommen wurde ,  während  an  der  Grenze  beider  Flüssigkeiten  sich  eine 
weisse  pulverige  Substanz  ausgeschieden  hatte.  Durch  Schütteln  wurden 
die  Flüssigkeiten  vermischt  und  der  Gylinder  in  einer  Temperatur  von 
etwa  0^  stehen  gelassen.  Die  Ausscheidung  der  weissen  Substanz  nahm 
allmälig  zu,  während  eine  gelinde  Gasentwickelung  auftrat.  Aus  dem 
Ableitungsrohr,  welches  auf  dem  Boden  eines  längeren  durch  eine 
Kältemiscbung  gekühlten  oüenen  Rohrs  mündete,  entwich  ein  farbloses 
an  der  Luft  braune  Dämpfe  bildendes  Gas ,  also  Stickoxyd ,  während 
sich  allmälig  eine  rothe  Flüssigkeit  condensirte.  Nach  Verlauf  von 
36  Stunden  war  der  Inhalt  des  Cylinders  fest  geworden.  Er  stellte  eine 
weisse ,  augenscheinlich  von  einer  rothgelben  Flüssigkeit  durchtränkte 
Masse  dar.  Der  Gylinder  wurde  nun  mit  lauwarmen  Wasser  umgeben, 
wobei  noch  eine  beträchtliche  Menge  rother  Flüssigkeit  überdestillirle. 
Nachdem  sie  durch  gehörig  langes  Erwärmen  des  Gyiinders,  zuletzt  im 
Wasserbade,  völlig  ausgetrieben  war,  war  der  Inhalt  des  Gyiinders 
weiss  und  scheinbar  trocken  geworden.  Er  wog  44  Grm.  und  löste  sich 
in  Wasser  bis  auf  eine  sehr  geringe  Menge  arseniger  Säure  leicht  auf. 
Die  Lösung  enthielt  Arsensäure,  nebenbei  aber  auch  in  beträcht- 
licher Menge  Salzsäure  und  arsenige  Säure.  Die  Anwesenheit 
der  beiden  Letzteren  deutete  auf  möglicherweise  noch  unzersetzt  ge- 
bliebenes Arsenchlorür  hin.  Um  dies  zu  constatiren,  wurde  ein  Theil 
des  festen  Rückstandes  stärker  erhitzt,  wobei  in  der  That  Arsenchlorür 
abdestillirle  und  nur  ein  Rückstand  von  nahezu  reinem  Arsensäurean- 
hydrid übrig  blieb.  Die  früher  erwähnte  überdestillirte  und  in  der 
Kältemischung  wieder  condensirte  rothe  Flüssigkeit  war  sehr  flüchtig, 
schon  in  Wasser  von  0^  gerielh  sie  ins  Sieden  unter  Bildung  eines  dun- 
kelgelben Dampfes.  Ihren  Eigenschaften  nach  gab  sie  sich  alsNitrosyl- 
chlorid  NOGI  zu  erkennen,  woraus  sie  denn  einer  Analyse  zu  Folge 
thatsächlich  der  Hauptsache  nach  auch  bestand.  0,5384  Grm.  derselben 
wurden  mit  viel  Wasser  in  einem  verschlossenen  Gylinder  zersetzt.  Sie 
gaben  1,2038  Grm.  Argenlichlorid,  entsprechend  0,2975  Grm.  =  55,25 
Proc.  Ghlor.  Für  NOGI  berechnen  sich  :  54,2  Proc,  für  N0G|2  dagegen 
70,3  Proc. 

Durch  die  22  Grm.  Salpetrig- Salpetersäureanhydrid  war  also  nur 
ein  Theil  von  den  55  Grm.  Arsenchlortlr  in  Arsensäureanhydrid 

und  Nilrosyl Chlorid  verändert  worden.    Wäre  der  Process  nach 
der  Gleichung : 

4  AsG|3  +  5  N^O*  =  2  As^O»  +  8  NOGI  +  2  N0G|2 


üeber  die  Einwirkung  von  S«lpetrlg-SalpetersÄureAnbydrid  auf  Arseuchlorflr  etc.   377 

verlaufen,  so  hätten  die  82  Grm.  N^O*  32,1  Grm.  Arsenchlorür  zer- 
setzen müssen;  22,9  Grm.  davon  wären  also  übrig  geblieben  und  es 
mussten  22  Grm.  Ärsensäureanhydrid  gebildet  werden.  Diese  Letzleren 
zusammen  mit  dem  unverändert  gebliebenen  Arsenchlorür  bildeten  den 
weissen  Rückstand  im  Cylindor.  Ihre  Menge  beträgt  22,9  4.  22  =  44,9 
Grm.,  während  dieser  44  Grm.  wog. 

Diese  Resultate  genügen,  um  die  obige  ümsetzungsgleichung  als 
die  sehr  wahrscheinlich  richtige  bezeichnen  zu  können. 

Man  sieht  alsoj  dass  es  auch  auf  diese  Weise  nicht  gelingt  ein 
Oxychlorid  des  V-w*erthigen  Arsens  zu  erhalten.  Obwohl  Arsenchlorür 
im  Ueberschuss  vorhanden  war  und  obwohl  die  Einwirkung  des  Sal- 
petrig-Salpetersäureanhydrids  darauf  langsam  verläuft,  wird  bei  der 
Oxydation  doch  nicht  blos  einfach  Sauerstoff  zugeführt,  sondern  es  wird 
zugleich  dabei  auch  das  Chlor  durch  denselben  ersetzt. 

IL  Salpetrig-Salpetersäureanhydrid  und 

Borchlorid. 

Zu  HO  Grm.  Rorchlorid ,  das  sich  in  einem  Cylinder  mit  doppelt 
durchbohrtem  Kork  befand,  durch  dessen  eine  Durchbohrung  ein  bis  in 
die  Mitte  reichendes  Zuleitungsrohr,  durch  dessen  andere  ein  Ablei- 
tungsrohr gesteckt  war,  das  in  einem  zweiten  leeren  Cylinder  mündete, 
wurden  langsam  12  Grm.  Salpetrig~Salpetei*säureanhydrid  treten  ge> 
lassen  und  dabei  beide  Cylinder  durch  eine  Kältemischung  gut  gekühlt. 
Es  fand  lebhafte  Einwirkung  statt  und  schied  sich  dabei  ein  fester 
Körper  aus*.  Das  Auftreten  von  einem  StickstoiToxychlorid  war  nicht  zu 
bemerken,  dagegen  erschienen  an  der  Wand  des  leeren  Cylinders 
wenige  gelbliche  Krystalle.  Nachdem  alles  N'^^  zudestillirt  war,  wurde 
zur  Vollendung  der  Reaction  der  Cylinder  2  Tage  lang  wohl  verschlossen 
in  der  Kälte  sieben  gelassen,  darauf  mit  einem,  ein  weites  knieförmiges 
Rohr  tragenden  Kork  verschlossen  und  in  noch  nicht  lauwarmes  Wasser 
gestellt,  während  ein  anderer  gut  gekühlter  Cylinder  vorgelegt  wurde. 
In  diesen  sublimirtcn  dabei  sehr  flüchtige  schwefelgelbe  Krystalle,  deren 
braunrotber  Dampf  an  feuchter  Luft  einen  starken  weissen  Rauch  ver- 
breitet, wie  Königswasser  riecht  und  die  Flamme  lebhaft  grün  färbt. 
Da  gleichzeitig  mit  den  Krystallen  eine  dunkelgelbe  Flüssigkeit,  offenbar 
eine  Lösung  der  gelben  Verbindung  in  überschüssigem  Rorchlorid 
destillirte,  so  wurde  durch  Umkehren  des  Cylinders  sie  von  den  Krystal- 
len abfliessen  und  durch  kurzes  Oeffnen  des  Glasstöpsels  rasch  aus- 
laufen gelassen.    Sie  verdampfte  sogleich  unter  starkem  Rauchen. 

Di^  Krystalle ,  welche  so  ganz  trocken  erhalten  werden,  stellen 
scheinbar  rhombisciie  Oclafider  und  Prismen  dar  und  lösen  sich  in 

«5* 


378  A.  Gwilbcr, 

Wasser  leicht  unter  Zischen.  In  dieser  Lösung  ist  Borsäure ,  Chlor  und 
Salpetersäure  enthalten.  An  der  Luft  werden  sie  weiss  indem  sie  sich 
in  Borsäure  verwandeln.  Sie  schmelzen  bei  23—24^  zu  S  Flüssigkeiten, 
einer  dicken ,  zähen ,  gelbrothen  unteren  und  einer  geringeren  leichten, 
goldgelben  oberen.  Bei  langsamer  Abkühlung  vereinigen  sich  diese 
Schichten  wieder  bei  20°  zu  den  ursprünglichen  Krystalien,  bei  rascher 
Abkühlung  erstarrt  nur  die  untere,  während  die  obere  flüssig  bleibt 
und  erst  nach  längerer  Zeit  wieder  vollständig  verschwindet.  Die  Krystalle 
bestehen,  wie  die  Analyse  gezeigt  hat,  aus  einer  Verbindung  von  Bor- 
chlorid und  Nitrosylchlorid  von  der  Formel:  BCP,  NOGI. 

Zur  Analyse  wurden  sie  in  ein  gewogenes  Glasröhrchen  gegeben, 
dasselbe  zugeschmolzen  und  nach  dem  Wägen  in  einen  Wasser  enthal- 
tenden mit  Glasstöpsel  verschliessbaren  Glascylinder  gebracht.  Durch 
starkes  Schütteln  wur4e  das  Rohr  zertrümmert  und  die  Krystalle  vom 
Wasser  gelösst.  In  der  filtrirten,  mit  Salpetersäure  noch  versetzten 
Lösung  wurde  zunächst  durch  Argentinitrat  das  Chlor  gefällt.  Nach 
dem  Filtriren  das  überschüssig  zugesetzte  Silber  durch  einen  geringen 
Ueberschuss  von  Chlorwasserstoffsäure  abgeschieden  und  die  filtrirte 
Lösung  mit  einer  bestimmten  Menge  reinen  überschüssigen  Caleiumoxyds 
vermischt,  die  alkalisch  reagirende  Flüssigkeit  zur  Trockne  gebracht,  im 
Piatintiegel  allmälig  bis  zum  Glühen  erhitzt  und  darauf  vor  dem  Go- 
biäse anhaltend  und  so  oft  wiederholt  geglüht,  bis  das  Gewicht  constant 
blieb.  Der  Rückstand  wurde  nun  in  Salpetersäure  gelöst,  durch  Silber- 
lösung die  als  Chlorcalcium  vorhandene  Chlormenge  bestimmt  und  auf 
Calciumoxyd  berechnet.  Die  dem  Chlor  entsprechende  Calciumchlorid- 
menge  wurde  vom  gefundenen  Gewicht  abgezogen  und  darauf  die  sich 
daraus  berechnende  Caiciumoxydmenge  ihm  wieder  zugezählt.  Das  so 
gewonnene  Gewicht  ist  gleich  dem  Gewicht  des  angewandten  Caleium- 
oxyds -\-  dem  Gewicht  vorhandenen  Borsäureanhydrids,  woraus  sich 
das  Bor  leicht  berechnet. 

0,3188  Grm.  gaben  0,9985  Grm.  AgCI^,  entsprechend  0,247  Grm. 
=  77,5  Proc.  Chlor;  und  0,0689  Grm.  B^O»  entsprechend  ß,7  Proc.  Bor. 

b  e  r.  g  e  f. 


B    — 

6,01 

6,7 

CM  — 

77,60 

,        77,5 

N    — 

7,65 

^ 

0    — 

8,74 



100,00 
Die  Trennung  der  Verbindung  in  zwei  Schichten  beim  Schmelzen 
rührt  offenbar  von  einer  theiiweisen  Zersetzung  in  BCl^  tmd  in  NOCl 
her.    Die  obere  Schicht ,  welche  ihre  gelbe  Farbe  etwas  darin  gelöster 


Ueber  die  Einwirkung:  von  Salpetrig-Snlpeters^oreanhydrid  auf  Arseucblornr  etc.    379 

Verbindung  verdankt,  besteht  offenbar  aus  Borcblorid ,  während  die 
untere  von  geschmolzener  Verbindung ,  der  das  Nitrosylchlorid  beige- 
mengt ist,  gebildet  wird. 

Da  der  nach  dem  Abdcstilliren  der  Verbindung  im  Gylinder  ver- 
bleibende weisse  Rückstand  sich  als  Borsäureanhydrid  erwies,  so  ist  es 
wahrscheinlich,  dass  die  Rcaction  der  Hauptsache  nach  gemUss  den 
Gleichungen : 

9  HCl » -f-  3  N204  =  B'^3  ^  6  NOCl  +  30 

6  BCl^  +  6  NOGl  =  6  (BCI»,  NOCI) 
d.  i.         '8^013  +  3  N^b«  =  B2Ö3  4.~6  (BCTa,  N0Clj'+  30 
verlaufen  ist. 


Ueber  die  Einwirkungen  der  Phosphorchloride  auf 

die  Fhosphorsäuren. 


Von 

A.  Geuther. 


I.  Trihydroxyl-Phosphorsäure  und  Phosphor- 

oxychlorid. 

1.  Wird  Phosphoroxychlorid  und    i?ewöhnliche  Phosphorsäure  in 
Mengen,  welche  der  Gleichung: 

2  P04H3  +  P0CI3  =  3  PO^H  +  3  CIH 
entsprechen,  zusammengebracht,  so  vermischen  sie  sich  vollständig, 
ohne  dass  bei  gewöhnlicher  Temperatur  eine  Einwirkung  zu  bemerken 
wäre.  Wird  im  Wasserbade  erwärmt,  so  beginnt  dieselbe  und  setzt 
sich  bis  zu  Ende  fort  unter  lebhafter  Entwickelung  von  Chlorwasser- 
stoff. Der  zähe  Rückstand  in  Wasser  gelöst  fällt  Eiweiss  und  wird 
durch  Phosphorpentachlorid  (siehe  unten  IV)  zu  Phosphoroxychlorid  und 
Chlorwasserstoff,  ist  also  Monhydroxylphosphorsäure^). 

2.  Wendet  man  weniger  Oxychlorid  an  und  zwar  Mengen,  welche 
der  Gleichung : 

5  P04H»  +  POCl»  =  S  paO'H*  +  3  CIH 
entsprechen,  so  verläuft  die  Reaction  ähnlich,  aber  der  dicke  Rückstand 
besteht  nicht  aus  einem  Gemenge  von  Monhydroxyl-  und  Trihydroxyl- 
Phosphorsäure ,  sondern  aus  Pyrophosphor säure,  denn  seine 
wässrige  Lösung  föllt  Eiweiss  nicht  und  giebt  mit  Argentinilrat  auf  vor- 
sichtigen Zusatz  von  Ammoniak  eine  weisse  Fällung. 

Da  sich  die  obige  Gleichun.u  aus  den  2  Gleichungen : 

2  P04H3  -f-  P0C13    =  3  PO^H  +  3  CIH 

3  P04H3  +  3  PO^H  =  3  P207H4 


i)  Dieser  und  die  folgenden  Versuche,  mit  Ausnahme  der  auf  die  nnierphos- 
phorige  Säure  bezüglichen,  wurden  im  Winter  4871/72  ausgeführt.  Seitdem  hat 
auch  Schiff  (Aniini.  d.  Chem.  u.  Pharm.  Bd.  4  63  p.  229)  die  Zersetzung  der  dreibas. 
['hosphorsäure  durch  Phosphoroxyclilorid  in  gleicher  WiMse  beobachtet. 


Heber  die  Biiiwirkungeu  der  Phosphorchloride  auf  die  Phosphorsaureti.  '.\S\ 

zusamnienseUon  lässt  und  also  die  Pyrophosphorsäure  ihre  Entstehung 
der  Einwirkung  von  Monhydroxylphospborsäure  auf  Trihydroxylphos- 
phorsäure  verdanken  kann,  so  wurden  diese  beiden  Säuren  zu  gleichen 
Mischungsgewichten  zusammengebracht  und  im  Wasserbade  erwärmt. 
Nach  längerer  Einwirkung  wird  das  Gemisch  homogen  und  giebt  nun 
mit  Eiweiss  keine,  mit  Silbersalzen  aber  eine  weisse  Fällung.  Es  ent- 
steht also  bei  der  Einwirkung  von  Monhydroxylphosphorsäure 
auf  Trihydrox  ylphosphorsäure  in  der  That  Pyrophosphor- 
säure. 


II.  Trihydroxyl-Phosphorsäure  und  Phosphor- 

pentachlorid. 

» 

In  der  Voraussetzung,  je  nach  der  Menge  des  angewandten  Chlorids 
würde  die  Einwirkung  nach  folgenden  beiden  Gleichungen  verlaufen : 

3  P0*H3  +  PCIJ^     =  4  P03H  +  5  cm 
PO^H^  +  3  PCI«^  =  4  P0C13  4-  3  CIH 

und  in  der  Voraussetzung  es  würde,  da  sich  die  letztere  Gleichung  aus 
den  folgenden  beiden  zusammensetzt : 

3  P0^H3  +  PGI5     =  4  P03H  +  5  CIH 
PO^H   +  3  PCI*  =  3  POCF  -f  CIH 

die  erstere  Gleichung  stets  zunächst  realisirt  werden,  wurde  Phosphor- 
säure und  Phosphorpentachlorid  in  solchen  der  ersten  Gleichung  ent- 
sprechenden Mengen  zusammengebracht.  Es  hatte  sofort  lebhafte  Ein- 
wirkung ohne  bedeutende  Erwärmung  unter  Entwicklung  von  Chlor- 
wasserstoff statt.  Als  das  Phosphorpentachlorid  verschwunden  war, 
wurde  das  gleichförmig  flüssige  Gemisch  auf  dem  Wasserbade  erhitzt. 
Dabei  traten  ganz  dieselben  Erscheinungen  ein,  wie  bei  der  Einwirkung 
von  Phosphoroxychlorid  auf  Trihydroxyl- Phosphorsäure:  es  begann 
erneute  Chlorwasserstoflentwicklung  bis  zuletzt  ein  Rückstand  von  Meta- 
phosphorsäure  blieb. 

Daraus  folgt  also,  dass  bei  gewöhnlicher  Temperatur  das 
Phosphorpentachlorid  auf  dreibas.  Phosphorsäure  nicht  nach  der  oben 
angeführten  ersten  Weise,  sondern  stets  sofort  nach  der  zweiten  Glei- 
chung wirkt,  d.  h.  unter  Bildung  von  Phosphoroxychlorid,  auch  wenn 
Trihydroxyl-Phosphorsäure  im  Ueberschuss  vorhanden  ist,  und  dass 
diese  erst  in  der  Wärme  durch  das  gebildete  Phosphoroxychlorid  weiter 
in  Monhydro.xvipliosphorsäurc  nach  der  oben  unter  I.  i,  angegebenen 
Art  verwandelt  wird. 


382  A.  0«tkf. 

III.  Trihydroxyl-Phosphor^jäure  und  Phosphorchlorür. 

Es  wurden  der  Gleichung: 

3  P0*H5  -4-  PCI'  =  3  PO^U  +  P(OH.  5  4-  3  CIH 
entsprechende  Mengen  angewandt.  Bei  gewöhnlicher  Temperatur  findet 
keine  Einw  irkung  statt,  das  Phosphorchlorar  schwimmt  unverniiscbl  auf 
der  Phosphorsäure.  In  der  Wanne  des  Wasserbades  beginnt  eine  ge- 
linde Einwirkung,  die  sich  durch  Abscheidung  von  gel  ben  Phos  fiho  r 
bemerk  lieb  macht.  Allmälig  vermehrt  sich  dieser  unter  Verschwinden 
des  Phosphorchlorürs.  Der  verbleibende  Rückstand  giebt  die  Reactionen 
aufPyrophosphorsäure:  Silbersalze  werden  weiss ,  aber  Ei  weiss 
wird  nicht  gefällt. 

Aus  diesem  Verhalten  geht  offenbar  hervor,  dass  die  Umsetzung 
nach  der  obigen  Gleichung  vor  sich  geht,  aber  es  wird  eineslheils,  wie 
bekannt ,  allmälig  die  gebildete  phosphorige  Säure  durch  das  noch  un- 
veränderte Phosphorchlorür  in  Phosphor,  Chlorwasserstoff  und  gewöhn- 
liche Phosphorsäure  zerlegt,  anderntheils  wird  die  gebildete  Monhy- 
droiylphosphorsäure  mit  unveränderter  Trihydroxylphosphorsäure  su 
Pyrophosphorsäure,  wie  unter  I.  2.  angeführt  ist. 

IV.  Monhydroxyl-Phosphorsäure  und  Phosphor- 

pentachlorid. 

Die  beiden  Verbindungen  wirken  bei  gewöhnlicher  Temperatur  so 
gut  wie  nicht  aufeinander  ein ,  beim  Erwärmen  im  Wasserbade  aber 
beginnt  starke  Chlorwasserstoffentwickelung  unter  Verflüssigung  der 
Masse.  Wendet  man  genügend  Chlorid  an,  so  wird  allmälig  alles 
flüssig  und  in  Phosphoroxychlorid  verwandelt  nach  derGleichung: 

P03H  +  2  PC15  =  3  P0C13  +  CIH. 

Als  nur  die  Hälfte  so  viel  Chlorid  einwirken  gelassen  wurde ,  in 
derUoffnung,  neben  gewöhnlichem  Oxychlorid  das  Chlorid  der 
Monhyclroxylsäurezu  erhalten  nach  der  Gleichung : 

P03H  +  PCI»  =  P02C1  +  P0C13  +  CIH 
fand  doch  die  Einwirkung  nur  nach  der  ersten  Gleichung  statt,  indem 
die  Hälfte  der  Monhydroxylphosphorsäure  unverändert  blieb.  Dies  auf- 
fallende Resultat  ist  nur  zu  erklären  entweder  dadurch,  dass  das  Meta- 
phosphorsäurechlorid  sich  sofort  nach  seinem  Entstehen  mit  der  vor- 
handenen Säure  weiter  in  Phosphorsäureanhydrid  und  Chlorwasserstoff 
nach  der  Gleichung :  PO^CI  +  PO^H  =  P^O»  +  CIH  umsetzt  und  ge- 
wöhnliches Oxychlorid  erzeugt,  oder  aber  dadurch,  dass  das  Metaphos- 
phorsäurechlorid  vom  Phosphorpentachlorid  selbst  wieder  angegriffen 
und  1  Mgt  Sauerstoff  fles  Ersteren  gegen  die  !2  Mgte.  locker  gebundenes 


(Jeher  die  Ciiiwirktiiigeu  der  Pbospborchloride  auf  die  Phospborsaoren.  383 

Chlor  des  LeUieren  unter  Bildung  von  gewöhnlichem  Oxychlorid  nach 
der  Gleichung:  PO^Cl  +  PCI^  =  2  POCP  ausgewechselt  wird,  wie  es 
ähnlich  bei  der  Einwirkung  von  PGl^  auf  Pyrophosphorsäurechlorid  ja 
geschieht  1).  • 

Monhydroxyl-Phosphorsäure  wird  von  Phosphoroxy- 
Chlorid  und  PhosphorchlorUr  bei  der  Siedetemperatur  der 
Chloride  nicht  verändert. 

V.  Pyrophosphorsäure  und  Phosphoroxychlorid. 

In  der  Kälte  findet  zwischen  den  beiden  Verbindungen  keine  Ein- 
wirkung statt,  das  Oxychlorid  überschichtet  die  Säure  ohne  sich  damit 
zu  vermischen.  In  der  Wasserbadwärme  beginnt  die  Umsetzung  unter 
schäumender  Entwicklung  von  Salzsäure  und  unter  Trttbwerden  des 
Oxychlorids,  bedingt  durch  die  Abscheidung  von  Monhydroxyl- 
Phosphorsäure,  vollendet  sich  aber  kaum,  da  selbst  noch 
nach  sehr  langer  Einwirkung  Oxychlorid  übrig  ist  und  erst  bei  stärkerer 
Erwärmung  von  neuem  unter  starkem  Schäumen  der  immer  zäher 
werdenden  Masse  einzuwirken  beginnt.  Die  Gleichung,  nach  welcher 
die  Umsetzung  erfolgt,  ist : 

2  P^O'H*  4-  P0C13  =  5  P03H  +  3  CIH. 

Vi.  Pyrophosporsäure  und  Phosphorpentachlorid. 

In  der  Kälte  findet  nur  geringe  Einwirkung  statt,  im  Wasserbade 
*wird  sie  lebhaft  und  vollendet  sich  unter  Bildung  von  Phosphoroxy- 
chlorid und  Chlorwasserstoff,  wenn  genügend  Phosphorpentachlorid 
angewandt  wurde,  nach  der  Gleichung : 

P^O'H*  +  5  PCI*  =  7  POCI  ^  +  4  CIH. 
.  Wird  aber  weniger  Phosphorpentachlorid  angewandt,  so  bleibt 
Monhydroxy I-Phosphorsäure   übrig,    d.  »h.    dann   findet  der 
Hergang  zunächst  nach  der  Gleichung  statt : 

P207H4  +  PC|5  =  2  PO»H  +  POCr^  +  2  CIH. 
In  keinem  Falle  wird  die  Bildung  des  Pyrophosphorsäurechlorids  be- 
obachtet, was  möglicherweise  daher  kommen  kann,  dass  dasselbe,  wie 
bekannt,  sich  mit  Phosphorpentachlorid  bei  Wasserbadhitze  in  gewöhn- 
liches Oxychlorid  verwandelt. 

VU.  Pyrophosphorsäure  und  Phosphorchlorür. 

In  der  Kälte  schwimmt  das  PhosphorchlorUr  unvermischt  auf  der 
Pyrophosphorsäure  und  i«*  ********  '^••***"*kung,    auch  selbst  nach  dem 


1}  Vergl.  d.  Zcitscbr 


384  A.  Geuiber, 

« 

längeren  Erwärmen  auf  dem  Wasserbade  bemerkt  man  kaum  eine  Ver- 
änderung, lässl  man' aber  ein  kleines  Flämmchen  direct  so  wirken,  dass 
das  Pbosphorchlorür  vom  umgekehrten  Kühler  lebhaft  zurückfliesst,  so 
triu  die  Entwicklung  von  Chlorwasserstoff  auf  und  man  bemerkt  bald 
ein  Trübwerden  der  vorher  klar  aussehenden  Säure,  genauso,  wie  wenn 
sich  MonhydrcKyl-Phosphorsäure  abscheidet;  daneben  ßndet  gleichzeitig 
die  Bildung  von  rothem  Phosphor  statt,  wie  bei  der  Zersetzung  von 
phosphoriger  Säure  durch  Phosphorchlorür.  Es  setzt  sich  dies  fort  und 
wenn  mau  Mengen  nach  der  Gleichung : 

3  P207H4  +  PGl»  =  6  PO^H  +  P(0H)8  +  3  CIH 
anwendet,  so  verschwindet  das  Phosphorchlorür  vollständig  und  nun 
enthält  der  zähe  rothe  Rückstand  Monhydroxyl-Phosphorsäure, 
denn  seine  filtrirle  Losung  fällt  Eiweiss.  Es  unterliegt  somit  keinem 
Zweifel,  dass  die  eben  angeführte  Gleichung  die  wahre  Umsetzungs- 
gleichung darstellt,  dass  aber  die  entstandene  phosphorige  Säure  weiter 
durch  das  Phosphorchlorür  unter  Phosphorabscheidung  wie  bekannt 
verändert  wird.  Das  schliessliche  Resultat  der  Einwirkung  ergiebt  sich 
als  Summe  der  3  folgenden  Reactionen : 

12  P207H4  +  4  PCI3  =  24  P03H    +  4  P(0H)5>  +•  12  CIH 
k  P(OH) '  +     PCI^   =    3  P04H3  +  2  P  +    3  CIH 

3  P04H3   +  3  P03H  =    3  P2Q7H^ 

9  P20'1H  +  5  PGP  =  21  P03H   +  2  P  +15  GIH. 

VllI  Phosphorige  Säure  und  Phosphoroxychlorid.- 

In  der  Erwartung ,  dass  die  Einwirkung  des  Phosphoroxychlorids 
auf  die  phosphorige  Säure  nach  der  Gleichung: 

3  P0C13  +  2  P(0H)3  =  3  PO^H  +  2  PCI»  +  3  CIH 
welche  sich  aus  den  beiden  Gleichungen : 

POCl^-f.  P(0H)3=  P04H3+  PC13 
P0C|3  +  2  PO^H^  =  3  P03H  4-  3  CIH 
zusammensetzt,  verlaufen  würde,  wurden  die  dieser  Gleichung  ent- 
sprechenden Mengen  beider  Verbindungen  auf  einander  einwirken  ge- 
lassen. Es  ßndet  gleichförmige  Mischung  unter  geringer  Erwärmung 
und  Entwicklung  von  viel  Chlorwasserstoff  statt.  Die  Reaction  wurde 
sich  im  Wasserbade  vollenden  gelassen  und  darin  so  lange  erhitzt ,  als 
noch  Entwicklung  von  Chlorwasserstoff  zu  bemerken  war.  Es  halten 
sich  nun  2  Schichten  gebildet,  eine  dicke  zähe  untere  und  eine  leicht- 
bewegliche  obere.  Letztere  wurde  nach  dem  Erkalten  abgegossen  und 
destillirt;  sie  erwies  sich  als  reines  Phosphorchlorür.  Die  zähe 
untere  Schicht  hatte  das  Aussehen  von  Monhydroxyl-Phosphor- 
säurc,  sie  löste  sich  in  Wasser  unter  geringer  Erwärmung  zu  einer 


lieber  die  Kiiiwirkiinf^eii  der  Pbosphorcbloride  «nf  die  Phosphorsüaren.  385 

Flüssigkeit,  welcher  Baryumchlorid  und  auch  nach  Zusatz  von  Na> 
triumacetat  £iweisslOsung  fällte.  Dass  sie  in  der  That  Monhydroxyl- 
Phosphorsäure  war,  wurde  durch  Zugabe  der  berechneten  Menge  von 
Phosphorsuperchlorid  und  Erwärmen  im  Wasserbade  nachgewiesen, 
wobei  sie  unter  Entwicklung  von  Chlorwasserstoff  und  Bildung  von 
Pbosphoroxychlorid  vorschwand. 

Die  Thatsache,  dass  die  phosphorige  Säure  mit  Ilttlfe  von  Pbos- 
phoroxychlorid soieicht  wieder  in  Phosphorchlorür,  aus  dem  sie  gebildet 
wird,  zurück  verwandelt  werden  kann,  hat  eine  wesentliche  Bedeutung  für 
die  Constitution  derselben.  Sie  zeigt  unwiderruflich,  dass  Phos> 
phorchlorür  uqd  phosphorige  Säure  durchaus  im  Yerhältniss  engster 
Zusammengehörigkeit  stehen,  dass  eben  das  Ersterc  das  zur 
Letzteren  gehörige  Chlorür  ist,  oder  mit  andern  Worten,  dass  die 
phosphorige  Säure  so  gut  wie  das  Phosphorchlorür  triva- 
lenten Phosphor  enthHlt  und  die  Formel  der  Ersteren  also  nicht 
F  in 

PH0(0H)2  sondern  P  (OH)  3  ist. 

IX.  Phosphorige  Säure  und  Phosphorpentachlorid. 

Das  Phosphorchlorid  wirkt  lebhaft  und  unter  starker  Salzsäureent- 
Wicklung  aber  ohne  bedeutende  Erwärmung  auf  die  phosphorige  Säure 
ein.  Wendet  man  auf  h  Mgt.  der  Säure  zunächst  nur  \  Mgt.  des  Chlo^ 
rids  an ,  so  verfltlssigt  sich  das  Letztere  leicht  zu  einem  anfangs  ho- 
mogenen klaren  Product.  Später  tritt  ein  Opalisiren  der  Flüssigkeit  ein 
und  es  sondert  sich  eine  dickere  schwerere  Schicht  ab.  Wird  die  obere 
Schicht  davon  abgegossen  und  für  sich  untersucht,  so  findet  man  leicht, 
dass  sie  aus  Phosphorchlorür  und  Pbosphoroxychlorid  be- 
steht. Die  untere  dicke  Flüssigkeit  aber  ist  unveränderte  phos- 
phorige Säure  völlig  frei  von  Monhydroxyl- Phosphorsäure.  Lässt 
man  auf  sie  ein  zweites  Mischungsgewicht  Phosphorpentachlorid  ein- 
wirken, so  geschieht  dasselbe.  Die  ganze  Menge  der  phosphorigen  Säure 
verschwindet  erst,  wenn  auf  \  Mgt.  derselben  3  Mgte.  Penlachlorid  an- 
gewandt werden  nach  der  Gleichung  : 

P{OH)»  +  3  VCi^  =  PC13  +  3  POCP  +  3  CIH. 

X.  Unterphosphorige  Säure  und  Phosphorchlorür. 

Dic  zu  diesem  und  den  folgenden  Versuchen  verwandte  unter- 
phosphorige Säure  war  aus  dem  Baryumsalz  gewonnen  worden,  welches 
mit  der  genauen  Menge  von  verdünnter  Schwefelsäure  ^)  in  der  Kälte 

h)  Hat  man  eine  Spur  Schwefelsäure  zuviel  zugefügt,  d.  h.  8o  wenig,  dass 
s>icb  in  sehr  verdünnter  Lösung  dieselbe  nicht  mehr  erkennen  lässt,  so  itommtdie- 


386  A-  Geutber, 

zerlegt  worden  war.  Die  filiririe  dünne  Säure  wurde  ersl  in  massiger 
Wärme,  zuletzt  auf  dem  Wasserbade  so  lange  concentrirt,  bis  der  Ge- 
ruch nach  Phosphorwasserstoif  aufzutreten  begann  und  dann  längere 
Zeit  über  Schwefelsäure  gestellt.  Sie  war  farblos,  von  öliger  Consistenz, 
besass  das  spec.  Gewicht  1,49  bei  -f-  10°  und  war  ganz  rein,  wie  die 
folgende  Analyse  zeigt. 

0,4485  Grm.  unterphosphorige  Säure  lieferten  nach  der  Oxydation 
mittelst  Salpetersäure  und  Königswasser  i)  0,7541  Grm.  Magnesium- 
pyrophosphat,  entspr.  0,2106  Grm.  =  46,93  Proc.  Phosphor.  Für  die 
unterphosphorige  Säure  berechnen  sich:  46,97  Proc.  Phosphor. 

Das  Phosphorchlorür  wirkt  sehr  lebiiaft  und  unterstarker  Wärme- 
entwicklung auf  die  unterphosphorige  Säure  ein,  weshalb  man  am 
Besten  dasselbe  tropfenweise  zu  der  durch  kaltes  Wasser  gekühlten 
Säure  fliessen  lässt.  Das  zufliessende  Ghlorür  bewirkt  sofort  Umsetzung 
unter  Entwicklung  von  Chlorwasserstoff  und  ßildung  von  Phosphor^ 
der  anfangs  als  gelbe  Haut,  später  als  orangefarbene  bis  orange- 
rothe  Masse  sich  abscheidet.  Zur  Vollendung  der  Einwirkung  wurde 
schliesslich  noch  am  aufgerichteten  Kühler  im  Wasserbade  erwärmt  und 
zuletzt  das  überschüssig  gebliebene  Ghlorür  abdestillirt.  Der  rothe  zähe 
Rückstand  w^urde  nun  mit  viel  Wassor  übergössen  und  verschlossen 


selbe  während  des  Eindampfens  als  Schwefel  zum  Vorschein,  oder  auch  noch  beim 
Stehen  über  Schwefelsäure,  wobei  die  unterphosphorige  SSure  allmtflig  eine 
immer  intensiver  werdende  tief  indigobiaue  Farbe  annimmt,  welche  mit  der  Zeil 
unter  Schwefelabscheidung  und  Bildung  von  Schwefelwasserstoff  immer  heller  wird 
und  allraälig  in  einen  ganz  schwach  bräunlichen  Ton  tibergeht. 

1)  Oxydirt  man  die  unterphosphorige  Säure  mittelst  Salpetersäure,  so  tritt 
beim  Erwärmen,  auch  wenn  nur  massig  starke  Säure  angewandt  worden  war,  bald 
die  Entwicklung  rother  Dämpfe  ein.  Bei  weiterem  Eindampfen  hört  dieselbe  wieder 
auf  und  die  wegdampfende  Salpetersäure  ist  scheinbar  ohne  weitere  Einwirkung, 
bis  dann  bei  genügender  Concontration  mit  einemmale  wieder  eine  reichliche  und 
länger  andauernde  neue  Entwicklung  rother  Dämpfe  beginnt.  Die  zuerst  ein- 
tretende Entwicklung  rother  Dämpfe  rührt  von  der  Oxydation  der  unterphosphorigen 
Säure  hauptsächlich  nur  zu  phosphoriger  Säure  und  die  zu  zweit  eintretende  von 
der  Oxydation  der  phosphorigen  Säure  zu  Phosphorsäure  her.  Es  ist  lange  schon 
bekannt,  dass  die  Oxydation  der  phosphorigen  Säure  zu  Phosphorsäure  durch  Sal- 
petersäure nur  sehr  schwierig  vollständig  erreicht  wird  und  dass  ein  wiederholtes 
starkes  Eindampfen  mit  der  letzteren  Säure  noth  thut.  Ich  habe  mich  ebenfalls  bei 
Gelegenheit  der  obigen  Analyse  hiervon  zu  überzeugen  Gelegenheit  gehabt.  H.  Rose 
hat  deswegen  vorgeschlagen  mit  Salzsäure  und  Kaliumchlorat  die  Oxydation  zu  be- 
wirken, ich  habe  aber  nicht  ffnden  können,  dass  sie  dadurch  rascher  und  vollständiger 
von  statten  geht,  denn  ein  grosser  Theil  des  Chlors  entweicht  stets  ohne  oxydirend  zu 
wirken.  Vollständig  und  rasch  erreicht  man  die  Oxydation  indess,  wenn  man  nach 
der  OxydaÜoQ  mit  Salpetersäure  noch  starkes  Königswasser  zufügt  und  eindampft, 
bis  keine  rotben  Dämpfe  mehr  kommen. 


Ueber  die  Einwirkungen  der  Phosphorchloride  auf  die  PhosphorsJiuren.  387 

stehen  gelassen.  Etwa  Y5  desselben  gehen  in  Lösung  als  phosphorige 
Säure  und  Trihydroxyl-Phosphorsaure,  während  Vs  »'s 
orange  rother  Phosphor^)  übrig  bleibt.  Von  der  ersteren  Silure  ist 
am  meisten,  Mouhydroxylpbosphorsäure  ist  gar  nicht  vorhanden. 

Die  abgeschiedene  Pho&phor menge  sowohl  als  die  verbraucht 
werdende  Menge  von  PhosphorcblorUr  zeigen,  dass  der  Hergang  bei  der 
Umsetzung  vorzüglich  verläuft  nach  der  Gleichung : 

3  PH(0H)2  +  PC13  =  2  P(0H)3  -f.  2  p  +  3  CIH. 

Die  mit  entstandene  Trihydroxylsäure  verdankt  ihre  Entstehung 
einer  nebenher  gehenden  Einwirkung  des  Phosphorchlorürs  auf  die 
phosphorige  Säure  nach  bekannter  Art  und  Weise.  Die  unterphos- 
phorige  Säure  benimmt  sich  also  in  dieser  Reaction  vvieeinGemisch 
von  Phosphorwasserstoff  und  phosphoriger  Säure: 

3  PH  (OH)  2  =  PH3  +  2  P(0H)3. 

Der  Phosphorwasserstoff  setzt  sich  dann,  wie  bekannt,  mit  dem 
Phosphorchlorür  um  in  rothen  Phosphor  und  Chlorwasserj>toff,  während 
die  phosphorige  Säure  Übrig  bleibt. 

Es  will  mir  scheinen ,  als  ob  auch  dies  Verhalten  dafür  spräche, 
dass  in  der  unterphosphorigen  Säure  trivalenter  und  niiht  pentavalenter 

Phosphor  enthalten,  ihre  Formel  also  P  /q^.2  und  nicht  P  0  ist. 

Ein  Chlorid  der  unterphosphorigen  Sänre,  dessen  Bil- 
dung auf  diese  Weise  hatte  müglich  .sc^in  können,  entsteht  also  nicht, 
denn  auch  die  kleinste  Menge  von  Phosphoi*ehlorür  l>ewirkl  sofort  Ab- 
scheidung von  Phosphor.    Es  geht  daraus  hervor,  dass  weder  die  Ver- 

m 
bindung  PHCP  noch  der  Anhydrid  der  unterphosphorigen  Säure  PHO 

///  H    jjj 
oder  P  0|  pji  für  sich  bestehen  kann,  sondern  die  erslere  nach  der 

Gleichung :  3  PHC|2  =  PC|3  +  2  P  +  3  CIH ,  der  letztere  aber  nach 
der  Gleichung:  3  PHO  =  P(0H)3  -f-  2  P  zerfallen  muss. 


i)  Derselbe  mit  beissem  Wasser  gewaschen,  möglicbsl  rasch  durch  Fliess- 
papier vom  anhängenden  Wasser  befreit  und  im  leeren  Raum  Über  Schwereistture 
getrocknet,  ergab  bei  der  Analyse  96— 96,J  Proc.  Phosphor.  Die  fehlenden  4  Proc. 
rühren  jedenfalls  von  noch  beigemengten  Süuren  des  Phosphors,  liauptsächlich 
phosphoriger  Stture  her,  denn  beim  Erhitzen  im  Röhrchen  entsteht  neben  viel 
sublimirenden  Phosphor  etwas  entzündliches  PhosphorwasserstofTgas  und  etwas 
Phospliorstfure. 


38S  A.  Geiiiher, 

XI.  ünterphosphorige  Säure  und  Phosphor- 

oxychlorid. 

Die  Einwirkung  des  Phosphoroxychlorids  auf  die  unlerphospboiige 
Säure  ist  scheinbar  noch  lebhafter  als  die  des  Pliosphorchlorüi^  und 
ijusserlich  von  ganz  ähnlichem  Verlauf.  Jeder  Tropfen  wirkt  wie  dort 
unter  Phosphorahscheidung  und  Salzsaureentwicklung  ein.  Man 
verfahrt  deshalb  auch  hier  wie  dort.  Wird  nach  vollendeter  Ein- 
wirkung im  Wasserbade  mit  aufsteigendem  Kühler  erhitzt,  wobei  eine 
erneute  lebhaftere  Entwicklung  von  Chlorwasserstoff  auftritt,  so  bemerkt 
man  bald,  dass  eine  unter  -400°  siedende  Verbindung  gebildet  ist, 
indem  Flüssigkeit  bis  in  den  Kühler  destillirt  und  von  da  wieder  zurück- 
fliesst.  Die.selbe  kann  aus  dem  Wasserbade  vom  Rückstand  und  vom 
etwa  überschüssig  zugesetzlen  Oxychlorid  abdeslillirt  werden  und  er- 
weist sich  bei  erneuter  Rectification  als  Phosphorchlcrür.  Der 
Bückstand  selbst  besteht  hauptsächlich  aus  Mon hydrox yUPhos- 
phorsäure.  Der  gebildeten  Menge  ausgeschiedenen  Phosphors  nach 
verläuft  die  Einwirkung  nach  den  2  Gleichungen : 

6  PH  (OH)  2  +  3  P0GI3  =  3  PO^H  +  2  P(0H)3  +  4  P    -f  9  CIH 
2  P(OH):^    +.H  POCI»  =  3  PO^H  +  §  PC13      +  3  CIH 


2  [3  PH(0Hj2  4-  3  POCI»  =  3  PO^H  +     .PCI»    .  +  2  P    +  «  CIH|. 

Dass  sie  sich  nach  der  ersteren  Gleichung  zunächst  realisirt,  wini 
durch  die  oben  erwähnte  erneule  Entwicklung  von  Chlorwasserstoflgas, 
welche  bei  der  Einwirkung  des  Wasserbades  statt  hat,  sehr  wahrschein- 
lich gemacht.  Der  Rückstand  enthält  auch  neben  Metaphosphorsäure 
eine  das  Quecksilberchlorid  reducirende  Säure,  indess  kann  daraus 
nicht  auf  die  Anwesenheit  von  phosphoriger  Säure  geschlossen  werden, 
da  die  sich  bildende  zähe  Metaphosphorsäure  leicht  etwas  unverändert 
gebliebene  ünterphosphorige  Säure  oder  etwas  Phosphorchloillr  ein- 
shliessen  kann. 

Die  erstere  Gleichung  lässt  sich  nuä'aber  weiter  als  die  Summe 
folgender  einfachen  und  sehr  verständlichen  Gleichungen  auflassen : 

6  PH(0ll)2  =  2  PH »  +  4  P(0H)3 
4  P(OH)'»  +  3  P0C13  =  3  P03H  +  2  PCIJ  +  3  CIH  +  2  P(0H)3 
2  PH3       +2  PCI-<    =  4  P  *     +  6  CIH 

d.  h.  die  ünterphosphorige  Säure  verhält  sich  dem  Phosphoroxychlorid 
gegenüber  wie  ein  Gemisch  von  t^hosphorwasserstoff  und 
phosphoriger  Säure,   also  ebenso,    wie  sie  es   dem   Phosphor- 


lieber  die  KiDwirkuiigeii  der  Pbosphordiloride  auf  die  Phosphorsiuren.  389 

chlorUr  gegenüber  ihut^).  So  findet  die  dort  aus  diesem  Verhalten  her- 
geleitete Ansicht  über  die  Constitution  der  Säure  also  auch  von  hier  aus 
neue  Unterstützung. 

XII.  Unterphosphorige  Säure  und  Phosphor- 

pentachlorid. 

Nach  der  Kenntniss  der  Einwirkung  des  Phosphoroxyclilorids  auf  die 
unterphosphorige  Säure  M^ar  es  nicht  schwer  die  Gleichung  ii^f  die  End- 
reaction  aufzustellen,  welche  sich  als  die  Summe  der  vier  folgenden 
ergiebt : 

3  PH(0H)2  +    6  PCI*    =    6POC13+     PC|3 -f- «  P  +    9  CIH 

6PH(0H)2  4.    6P0C1»=    6  PO^H  +2  PCI3  + 4  P-H  42C1H 

6  P03H       +  12  PCI»    =  \  8  P0CI3  4-  6  CIH 
6  P  +    9PC1&    =15PC13 

9  [PH  (OH)  2+  3  PCI*  =  SIP0CI3+  2PCI»  +  3  CIH]. 
Es  war  vielmehr  durch  den  Versuch  festzustellen,  ob  bei  der  Ein- 
wirkung des  Phosphorpentachlorids  sofort  die  Umsetzung  nach  der  End- 
reaetion  verlaufen  würde  oder  ob  erst  die  Zwischenreactionen  sich  ver- 
wirklichten. An  einer  eintretenden  Phosphorabscheidung  war  dies  leicht 
zu  erkennen. 

Fügt  man  zu  unterphosphoriger  Säure,  die  durch  kaltes  Wasser 
gekühlt  ist,  allmälig  und  in  kleineren  Portionen  das  nach  obiger  End- 
gleiehung  berechnete  Phosphdrpentachlorid ,  so  findet  lebhafte  Ein- 
wirkung unter  starker  ChlorwasserstofTentwicklung  und  sofortiger 
Abscheidung  von  rothem  Phosphor  statt.  Es  setzt  sich  dies 
beinT  Zufügen  neuer  Mengen  des  Chlorids  eine  Zeit  lang  so  fort,  die 
Einwirkung  wird  allmälig  schwächer  und  zuletzt  so  schwach,  dass  der 
nqch  verbliebene  grosse  Rest  von  Chlorid  auf  einmal  zugegeben  werden 
kann  und  zur  weiteren  Einwirkung  gelinde  Wärme  des  Wasserbades 
angewandt  werden  muss.  Schliesslich  ist  alles  verflüssigt  und  besteht 
aus  einem  Gemenge  von  Phosphoroxychlorid  und  Phosplior- 
chlorür. 


4)  Auch  beim  Erhitzen  für  sich  verhttH  sich  die  unterphog- 
phorige  Stt  u  re  so.  Es  ist  sclion  oben  en^hnt,  dnss  sie  bereits  l>ei  400°  anfüngl 
PhosphorwasserstoflT  zu  entwickeln.  Dassolbo  geschieht  rasch  unter  beträchtlichem 
Schäumen  zwischen  440®  und  4  4*5^  Der  verbleihende  Rückstand  ist  phosphorige 
Säure,  denn  er  kann  bis  350®  ohne  Veränderung  crhizl  werden,  während  er  über 
diese  Temperatur  hinaus  erwärmt,  von  Neuem  PhosphorwnsseraloflT  zu  entwickeln 
beginnt  und  nun  erst  einen  Rückstand  von  Phosphorsäure  lässt. 


390 


A.  Geiilher,  U«ber  die  Einwirkungen  der  Phosphorehloride  etc. 


Die  Gleichungen,   nach   welchen  die  Einwirkung  der  Phosphor- 
chloride auf  die  Phosphorsciuren  zunächst  verläuft,  sind  demnach  die 
folgenden : 
P03H        +  2  PC15     =  3  POCl»  +  CIH. 

3  P04H3      +      PC13      =  3  P03H    +     P(0H)3  +  3  CIH. 
2  P04H3      +     P0C13  =  3  PO^H    +  3  CIH. 
P04H3      +  3  PC15      =  4  POCl »   +  3  CIH. 

3P207H4     +     PC13     =6P03H    +     P(OH)3  +  3CIH. 
2  P207H*     +     P0C13  =  5  P03H    +  3  CIH. 
P207H4     +     PC15     =  2  P03H    +     POCl»    +  2  CIH. 


4  P(0H)3     +     PCI» 
2P(OHj3    4.3P0CI3 
P(0H)3     +3PCI5 


3  PO^H^   +  2  P  4-3  CIH. 

3  PO^H     +  2  PCl^      +  3  CIH. 
3  P0C13    +     PC|3      +  3  CIH. 


3  PH(0H)2  +  PC|3  =  2  P(0H)3  +  2  P 
6  PH(0H)2  +  :{  PÖCI^  =  2  P(0H)3  +  4  P 
3PH(OH)2-^.6PC15     =      PCI3      -h2P 

Jena,  den  15.  Januar  1873. 


+  3  CIH. 

+  3  P03H  -+.  9  CIH 

-I-  6  P0CI3  +  9  CIH 


Beiträge  zur  anatomischen  Kenntnis»  des  Erenz- 

beines  der  Sängethiere. 


Von 

F.  FrenkeL 

Hierstt  Tafel  XXI  und  XXH. 


Die  vorliegenden  Untersuchungen  über  den  vergleichend-anato- 
mischen Werth  eines  im  Sacrum  des  Menschen  schon  seit  längerer  Zeit 
bekannten ,  an  den  Skeleten  anderer  Säugethiere  aber  bisher  grossen- 
theils  unbeachtet  gebliebenen ,  selbständig  verknöchernden  Bestand- 
theiles ,  wurden  veranlasst  durch  den  Wunsch  des  Herrn  Professor  Gb- 
GBifBAUR,  einen  sicheren  Aufschluss  darüber  zu  erlangen,  ob  die  von  ihm 
bei  Vögeln  und  Reptilien  in  den  Seitenfortsätzen  der  Sacralwirbel  nach- 
gewiesenen Sacralrippen  auch  bei  den  Säugethieren  in  aligemeiner  Ver- 
breitung beständen  und  welche  Beziehungen  sie  in  diesem  Falle  zu  dem 
am  Sacrum  befestigten  Darmbeine  erkennen  Hessen. 

Die  Vermuthung,  dass  bei  allen  Säugethieren  das  Darmbein  nur 
mit  solchen  Stücken  des  Sacrums  in  Berührung  träte,  welche  als  Rippen- 
äquivalente  aufzufassen  wären,  erschien  um  so  mehr  gerechtfertigt,  als 
bereits  beim  Menschen  dieser  Nachweis  geführt  werden  konnte.  Mit 
dem  hier  ausgesprochenen  Zwecke  einer  genaueren  Untersuchung  über 
das  Auftreten  und  Verhalten  der  sogenannten  Sacralrippen  in  der  Classe 
der  Säugethiere  verband  sich  die  Absicht,  die  urspüngliche  Zahl  der  echten, 
d.  h.  mit  dem  Beckengürtel  verbundenen  Sacralwirbel ,  die  man  von 
den  anderen  mit  ihnen  blos  verwachsenen  meist  gar  nicht  unterschied, 
so  genau  als  möglich  festzustellen.  Alle  diese  Verhältnisse  wurden  an 
fötalen  oder  sehr  jugendlichen  Stadien  der  Wirbelsäule  untersucht; 
ausserdem  standen  mir  die  im  hiesigen  anatomischen  Museum  aufbe- 
wahrten Skelete  erwachsener  Säugethiere  aus  allen  Ordnungen  für  die 
Untersuchung  zu  Gebote.  Da  es  schwer  hält,  von  anderen  als  von  Haus- 
thieren  Embryonen  in  einem  gewünschten  Stadium  sich  zu  verschaffen, 
so  mussten  die  angestellten  Beobachtungen  zunächst  auf  diese  sich  be- 

Bd.  vu*  4.  S6 


392  F.  Frenkcl, 

schränken.  Indessen  sind  dadurch  sowohl  umfängliche  als  auch  von 
einander  sehr  entfernt  stehende  Ordnungen  der  Säugethiere  vertreten, 
sodass  es  gestattet  sein  wird ,  in  Anbetracht  der  grossen  anatomischen 
Uebereinstimmung,  von  den  untersuchten  Ordnungen  auf  das  Verhalten 
der  nidht  untersuchten  einen  wenigstens  theilweise  berechtigten  Schluss 
zu  ziehen.  Da  der«  Mensch  in  dieser  Richtung  verhaltnissmässig  am 
genauesten  bekannt  ist,  so  möge  er  den  Ausgangspunct  dieser  Dar- 
stellung bilden. 

Mensch^). 

Schon  sehr  frühzeitig  war  den  Anatomen  bekannt  geworden  wie  die 
Brust-  und  Rückenwirbel  des  Menschen  von  bestimmten  Puncten  aus 
verknöchern.  In  den  anfangs  gleichmässig  aus  Knorpel  bestehenden 
und  ein  Ganzes  darstellenden  Wirbeln,  wird  zunächst  an  je  drei  von 
einander  isolirten  Puncten  das  Knorpelgewebe  durch  Knochengewebe 
substituirt.  Indem  von  diesen  Puncten  aus  die  Ossification  nach  allen 
Richtungen  hin  gleichmässig  um  sich  greift,  wird  der  Knorpel  bald  in 
einem  grösseren  Umkreise  in  festere  Knochensubstanz  übergeführt  und 
bildet  einen  »Knochenkerna.    In  je^em  Lumbodorsalwirbel  bildet  sich 

0 

ein  unpaarer  Knochenkem  inmitten  des  Körpers  und  zwei  seitliche  rechts 
und  links  in  den  oberen  Bogen  aus.  Dass  die  Knochenkeme  der  letzteren 
von  jenen  im  Körper  bei  ihi*em  ersten  Auftreten  sich  etwas  verschieden 
verhalten  sei  hier  nur  nebenbei  bemerkt.  Von  den  Knochenkemen  der 
oberen  Bogen  aus  schreitet  die  Ossification  theils  dorsalwäi^ts  in  die 
Wandung  des  Rückgratcanals ,  theils  nach  aussen  in  die  QuerfortsUlze, 
theils  ventralwärts  in  die  Seitentheile  des  Wirbelkörpers  fort,  der  nur 
in  seinem  mittleren  Abschnitte  von  den  Bogenstüdcen  unabhängig  ver- 
knöchert, dazu  treten  dann,  wie  bekannt,  verhältnissmUssig  sehr  spät 
besondere  Ossificationen  an  den  Enden  der  einzelnen  Fortsätze. 

Lange  Zeit  war  man  der  Ansicht,  dass  in  derselben  Weise  auch 
die  Sacralwirbel  ossificirten,  und  betrachtete  die  untereinander  ver- 
schmolzenen fünf  Sacralwirbel  als  Lendenwirbel  mit  ausnehmend  stark 
entwickelten  Seitentheilen.  Fallopia,  Eysson  und  V.*  Coiter  Hessen 
jeden  Sacralwirbel  mittelst  dreier  Kerne,  wie  es  von  den  vorhergehenden 
Wirbeln  bekannt  war,  verknöchern.  Im  Gegensatze  hierzu,  führte 
Kkrkripig  (Spicilegium  anatomicum,  Amstelodami  4  670)  den  Nachweis, 


4J  Alle  in  diesem  Aufsatze  gebrauchten  Ausdrücke  für  Lagerungsbeziehungen 
am  menschlichen  Rückgrat  setzen  die  horizontale  Lage  desselben  voraus ,  indem 
nur  so  eine  Uebereinstimmung  mit  den  sp&ler  Tür  die  übrigen  Säugethiere  in  An- 
wendung kommenden  Bezeichnungen  erzielt  werden  kann. 


Beitrüge  lar  anatomisehen  Kenntniss  des  Kreuxbeioes  der  SSofi^thiere.         393 

dass  jeder  Sacralwirbel  sich  mit  fünf  Knochenkernen  aus  dem  knorpeligen 
in  den  knöchernen  Zustand  umbilde.  Er  war,  wie  es  scheint,  der 
Erste ,  welcher  das  Vorhandensein  »überzähliger«  Knochenkerne  in  den 
Seiteatheilen  der  Sacralwirbel  beobachtet  hat.  Nur  irrte,  er  sich  in- 
sofern ,  als  er  die  »überzähligen  Kerne«  als  in  allen  fünf  Sacralwirbeln 
vorhanden  annahm,  so  dass  ihm  zufolge  das  knöcherne  Sacrum  aus 
25  Knochenkemen  entstand. 

Zwischen  beiden  Angaben  hält  Albin  (Icones  ossium  foetus  humani, 
accedit  osteogeniae  brevis  historia,  Leiden,  4737]  die  Mitte,  indem  er 
das  später  als  ein  knöchernes  Ganzes  erscheinende  Kreuzbein  ursprüng- 
lich aus  84  Knochenstücken  bestehen  lässt,  zwischen  denen  sich  Knorpel- 
grenzen befänden,  durch  deren  Verstreichen  eine  vollständige  Ver- 
wachsung aller  Stücke  herbeigeführt  werde.  Die  drei  ersten  Sacral- 
wirbel enthalten  nach  ihm  je  5 ,  die  zwei  hinteren  je  nur  3  Knochen- 
kerne. Durch  diese  Angabe  der  richtigen  Zahl  der  Bildungsstücke  des 
Kreuzbeines  und  in  der  Feststellung  derjenigen  Stücke  an  den  Sacral- 
wirbeln, welche  den  Bildungsstücken  der  Lendenwirbel  entsprechen, 
war  ein  wesentlicher  Forischritt  ausgedrückt.  Er  fand  zwar  in  jedem 
Sacralwirbel  die  drei  Bildungsstücke  eines  Lumbodorsalwirbels ,  die 
erwähnten  drei  Knochenkeme,  wieder;  allein  ventral  von  den  oberen 
Bogen  zeigte  sich  im  Seitenfortsatze  der  drei  vorderen  Sacralwirbel  je- 
derseils  noch  ein  selbständiger  Knochenkem,  für  den  es  an  allen  andern 
Wirbeln  keine  Analogie  gab.  Er  will  diese  überzähligen  Stücke  Pro- 
cessus transvcrsi  genannt  wissen  und  spricht  sich  über  sie  nicht  gerade 
sehr  klar  aus,  indem  er  sagt:  »sie  entsprechen  theils  den  Seiten  des 
Körperstückes,  theils  den  Anfängen  der  oberen  Bogen«. 

Diese  »ventralen  Seitenstücke«,  wie  man  sie  nennen  könnte, 
suchte  Blumbnbach  (Geschichte  und  Beschreibung  der  Knochen  des 
menschlichen  Körpers,  Göttingen,  4  807]  in  einer  sehr  sonderbaren  Weise 
zu  erklären.  Er  sagt  über  sie  (S.  348):  »Gegen  die  Zeit  der  Geburt 
kann  man  24  Knochenkeme  am  Kreuzbein  unterscheiden :  Fünfe  näm- 
lich für  jedes  der  drei  oberen  wirbelähnlichen  Stücke,  von  welchen  das 
mittlere  den  Köq)er  derselben,  zweie,  die  zu'beiden  Seiten  nach  vom 
liegen,  gleichsam  die  Seiten fortsätze ,  und  zwei  grössere,  die  ebenso 
nach  hinten  liegen ,  die  schrägen  Fortsätze  bildena.  Die  dorsalen  Bil- 
dungsstücke dieser  Wirbel  sind  also  den  schrägen  Portsätzen ,  die  stets 
(loch  nur  einen  Theil  der  oberen  Bogen  vorstellen,  gleich  gesetzt. 

in  den  neueren  Lehrbüchern  der  menschlichen  Anatomie,  soweit 
sie  überhaupt  sich  mit  der  Entwickelungsgeschichte  der  Wirbelsäule 
l>efassen ,  findet  man  zwar  immer  die  ventralen  Seitenstücke  als  etwas 


394  F-  Frenkel, 

den  Kreuzwirbeln  Eigenthümlicbes  erwähnt,  aber  nur  selten  über  ihre 
Bedeutung  eine  Aeusserung  mitgetheilt. 

Gleichwohl  hatte  schon  Mbckel  in  seinem  »System  der  vergleichen- 
den Anatomie«  (I,  4.  48S4.  S.  S43]  bereits  ganz  bestimmt,  wenn  auch 
nur  kurz ,  sich  über  die  Deutung  dieser  sonst  räthselhaften  Bildungs- 
sttlcke  der  Sacralwirbel  des  Menschen  ausgelassen,  indem  er  in  folgender 
Stelle  zuerst  ihre  Yergleichung  mit  Rippenrudimenten  anbahnte.  »Da 
das  Kreuzbein  aus  mehreren  Wirbeln  besteht,  so  entwickelt  es  sich  aus 
einer  beträchtlichen  Anzahl  von  Knochenstttcken,  deren  Zahl  sich  wegen 
der  Grösse  mehrerer  seiner  Wirbel  noch  vermehrt,  sodass  z.  B.  beim 
Menschen  in  den  drei  oberen  Wirbeln  zu  den  gewöhnlichen  Stücken 
auf  jeder  Seite  in  dem  Bogentheile  noch  zwei  ungewöhnliche,  vordere, 
den  Rippen  entsprechende  kommena.  Die  in  dieser  Notiz  ausgesprochene 
anatomische  Wahrheit  blieb  bis  in  die  neuere  Zeit  völlig  unbeachtet, 
indem  die  meisten  Anatomen,  sich  an  Cuyier  anlehnend,  die  Querfortr- 
Sätze  der  Lendenwirbel  für  an  dem  Wirbelkörper  festsitzende  Rippen 
oder  für  Aequivalente  von  solchen  hielten.  So  lange  man  dieser  Ansicht 
huldigte,  konnte  man  folgerichtig  die  ganz,anders  gearteten  ventralen 
Seitenstücke  der  Sacralvyirbel  gar  nicht  erklären ;  denn  wenn  man  auch 
an  den  Kreuzwirbeln  Rippen  hätte  nachweisen  wollen,  so  konnten  doch 
nur  diejenigen  Abschnitte  dieser  Wirbel  dafür  betrachtet  werden,  welche 
den  Querfortsätzen  der  Lendenwirbel  entsprachen.  Dies  sind  aber 
nicht  die  ventralen  SeitenstüQke ,  sondern  die  dorsalen  Abschnitte  der 
Seitenfortsätze  der  vorderen  Sacralwirbel.  Obgleich  nun  bereits  vor 
längerer  Zeit  von  A.  Rbtzius  mit  grosser  Bestimmtheit  gezeigt  worden 
war,  dass  die  Querfortsätze  der  Lendenwirbel  bei  keinem  Säugethiere 
mit  den  Rippen  verglichen  werden  dürfen ,  dass  sie  etwas  von  Rippen 
ganz  Verschiedenes,  nämlich  Fortsätze  der  oberen  Bogen  seien,  wurde 
die  alte  Ansicht  von  den  Querfortsätzen  als  angewachsene  Rippen  selb;st 
neuerlich  wieder  zur  Geltung  gebracht.  In  dem  »Lehrbuche  der  Ana- 
tomie des  Menschen«  von  Langer  (Wien,  4  865)  wird  nämlich  für  alle 
Wirbel  des  Menschen  ^  mit  alleiniger  Ausnahme  der  beiden  letzten  Sa- 
cralwirbel und  der  Steisswirbel ,  das  Auftreten  von  Rippen  oder  deren 
Rudimenten  behauptet.  Er  sagt  nämlich :  »die  verkümmerten  Yisceral- 
Spangen  der  Hals-,  Lenden-  und  Kreuzgegend  verschmelzen  mit  den 
Wirbeln  und  erzeugen  verschieden  geformte  Anhänge  derselben,  deren 
wahre  Bedeutung  als  Aequivalente  von  Rippen  erst  neuerer  Zeit  erkannt 
wurdea.  Und  weiter  sagt  er(S.  44] :  »In  der  Lendengegend  treten  die 
Rippenrudimente  als  längere,  plattgedrückte  Spangen  auf,  wachsen  an 
die  Seitentheile  der  Wirbelbogen  an  und  stellen  quer  abtretende  Fort- 
sätze dar,  welche  man  ebenfalls  Querfortsätze  nennt,  aber  richtiger  mit 


BeUrSge  tnr  anatomiscbea  Kenntniss  des  Kreuzbeiues  der  SHugethiere.         395 

dem  Namen  proccssus  coslarii  bo^eichnen  sollte«.  Wie  aber  schon  dem 
Entdecker  der  ventralen  SeitenstUcke  amSacrum,  Albin,*  kein  Homologen 
derselben  an  den  Lendenwirbeln  bekannt  war,  so  ist  nicht  einzusehen, 
dass  QuerforlStitze  und  ventrale  SeitenstUcke  denselben  anatomischen 
Werth  haben  sollen.  Wenn  die  einen  Rippen  sind,  dann  können  es  die 
andern  nicht  sein ;  denn  es  können  nicht  zwei  nach  ihrem  Ursprünge 
ganz  verschiedene  Stücke  ein  und  dasselbe  vorstellen. 

•  Mit  den  Brust-  und  Halsrippen  wurden  dagegen  die  ventralen  Seilen- 
stücke zuerst  in  Quain's  Anatomie  (i.  Bd.,  7.  Aufl.  4867)  zusammen- 
gestellt. Es  findet  sich  hier  (S.  22)  angegeben ,  dass  diese  Rnochen- 
stücke  den  sogenannten  vorderen  Schenkeln  der  Querfortsätze  der 
Halswirbel  entsprechen,  und  da  diese  als  Rippenrudimente  betrachtet 
werden  müssen,  so  sind  nach  ihm  auch  die  ventralen  Seitenstücke  nur 
als  solche  anzusehen. 

Durch  die  von  Gbgbnbaur  (»Beiträge  zur  Kenntniss  des  Beckens 
der  Vögel«,  diese  Zeilschrift,  Bd.  VI]  aufgeführten  vergleichend  ana- 
tomischen Thalsachen  wurde  es  endlich  ausser  allen  Zweifel  geselzt, 
dass  die  bisher  nur  beim  Menschen  bekannten  ventralen'Seitenslücke 
der  Sacralwirbel  als  Sacralrippen  betrachtet  werden  müssen,  wie 
die  unteren  Schenkel  der  Querfortsätze  der  echten  Sacralwirbel  der 
Vögel  oder  die  den  Beckengürtel  tragenden  Querfortsätze  am  Sacrum 
der  Crocodile,  und  damit  waren  alle  Einwände  gegen  eine  derartige 
Deutung  der  ventralen  Seitenstücke,  welche  noch  kurz  vorher  von  Hassb 
und  ScHWARK  (»Studien  zur  vergleichenden  Anatomie  der  Wirbelsäule« 
in:  Anatomische  Studien,  Heft  1,  4870)  erhoben  worden  waren,  als 
nicht  stichhaltig  zurückgewiesen. 

Obgleich  demnach  die  Verhältnisse  des  Sacrums  beim.  Menschen 
bereits  in  vielen  Stücken  genau  bekannt  sind,  so  ist  doch  über  die  Be- 
ziehungen zu  den  Darmbeinen  und  über  die  häufigen  Anomalien  des 
Sacrums ,  welche  mit  dem  Auftreten  der  Sacralrippen  in  Zusammen- 
bang stehen ,  noch  wenig ,  über  die  Grössenunterschiede  der  Sacral- 
rippen bei  beiden  Geschlechtern  meines  Wissens  nach  nichts  Zusammen- 
hängendes veröfienllicht  worden.  Neben  den  hierüber  zu  machenden 
Bemerkungen  dürfte  eine  kurze  Besprechnng  auch  der  schon  bekannten 
Thatsachen  der  Entwickelung ,  welche  mit  dem  Verhalten  bei  anderen 
Säugelhicren  verglichen  in  einem  neuen  Lichte  erscheinen,  und  im 
Hinblick  darauf  gerechtfertigt  sein. 

In  dem  frühesten  von  mir  untersuchten  Stadium  ist  das  Sacrum 
äusserlich  noch  ganz  knorpelig.  Die  Länge  der  Wirbelsäule  beträgt 
5  Centimeter.  Das  Kreuzbein  besteht  aus  5  mit  ihren  Seilentheilen 
innig  verschmolzenen ,'  aber  durch  hohe  Zwischenwirbelbänder  in  der 


396  F.  Frenkel, 

Mitte  von  einander  geschiedenen  Wirbeln.  Es  zeigt  gegen  spätere  Zu- 
stände keine  wesentliche  Gestaltverschiedenheit,  abgesehen  davon,  dass 
die  vorderen  Rreuzbeintöchor  relativ  grösser  sind ,  als  später,  weil  die 
Seitenfortsätze  zu  dieser  Zeit  noch  schlank  und  weniger  verdickt  er- 
scheinen. Das  Ganze  stellt  einen  Keil  dar  mit  zwei  conyorgirenden  Sei- 
tenflächen, die  theil weise  an  die  Darmbeine  grenzen.  Die  beiden 
Seitenflächen  fallen  schräg  nach  aussen  und  unten  ab  und  neigen  in 
dorsaler  Richtung  unter  einem  Winkel  zusammen.  Daher  ist  die  ven- 
trale Oberfläche  des  Sacrums  grösser,  als  die  dorsale,  und  übertrifll  sie 
in  diesem  und  in  allen  noch  zu  besprechenden  Stadien  an  Breite  um 
so  mehr,  je  grösser  der  Winkel  ist,  unter  dem  die  beiden  Seitenflächen 
nach  oben  convergiren.  Nach  hinten  zu  nehmen  die  das  Sacrum  vor- 
stellenden Wirbel  schnell  an  Grösse  ab,  und  zwar  weniger  durch 
Volumsverminderung  der  Körper,  als  vielmehr  der  Seitenfortsätze. 
Während  die  Querfortsätze  der  Lendenwirbel  noch  ganz  kurze,  zwischen 
Körper  und  oberem  Bogen  seillich  abtretende,  stumpfe  Fortsätze  dar- 
stellen ,  sind  die  Seiten fortsätze  besonders  der  vorderen  Sacralwirbel 
distal  stark  verbreiterte,  flUgelartige  Anhänge  des  Wirbelkörpers,  deren 
ventraler  Abschnitt  stärker  als  der  dorsale  lateral  hervorragt.  Die  mit 
breiter  Fläche  nach  vom  sehenden  Seitenfortsätze  speciell  des  ersten 
Sacral wirbeis  besitzen  in  der  Mitte  dieser  Fläche  eine  seichte  Verliefung 
und  nach  aussen  von  ihr  am  Rande  eine  Einbuchtung ,  durch  welche 
ein  dorsaler  und  ventraler  Abschnitt  bereits  in  diesem  frühen  Sl^dium 
erkennbar  ist.  Der  dorsale  Abschnitt  entspricht  durch  seine  Lage 
zum  Wirbelkörper  und  zum  oberen  Bogen  wie  durch  seine  geringe 
seitliche  Ausdehnung  dem  Querfortsatze  eines  Lendenwirbels ,  mit  dem 
er  auch  dann  übereinstimmt,  dass  er  in  gerader  Richtung  nach  aussen 
geht.  Der  ventrale  Schenkel  dagegen  füllt  den  einspringenden  Winkel 
aus,  der  zwischen  dem  nach  unten  gewölbten  Körper  eines  Lenden- 
wirbels und  dem  nach  oben  zurücktretenden  Querforlsatze  sich  her- 
stellt, sodass  es  schon  an  dem  äusserlich  noch  ganz  knorpeligen  Kreuz- 
beine in  die  Augen  fällt,  man  habe  es  nicht  mit  einer  blossen  Volumen- 
zunahme einer  Verdickung  der  Querfortsätze,  sondern  mit  einem 
in  den  Seiten forts ätzen  der  Sacralwirbel  neu  auftreten- 
den Bildungs  stücke  zu  thun. 

In  wievielen  Wirbeln  dieses  vorhanden  sei ,  ist  mit  Bestimmtheit 
hier  noch  nicht  anzugeben ;  indessen  lässt  sich  vermuthen,  dass  es  nicht 
in  allen  auftritt,  weil  die  beiden  hinleren  Sacralwirbel  sich  nicht  durch 
flügelartig  verbreiterte  Seitentheile  auszeichnen.  Die  Seitenfläche  des 
Sacrums  ist  zudem  sehr  breit,  soweit  sie  den  drei  vorderen  Wirbeln 
angehört,  und  endigt  nach  hinten  schmal  und  spitz ,  wo  sie  sich  auf  die 


Beiträge  siir  anatomischen  Kenntniss  des  Kreuzbeines  der  Säugelliiere.  ^^97 

beiden  Iclzicn  Wirbel  forlselzt.  Auch  in  ihrer  Richtung  slinmien  die 
ventralen  Schenkel  der  Seitenfortsätze  mit  den  dorsalen  nicht  übei*ein: 
besonders  die  ventralen  Schenkel  der  Scitenfortsätze  des  ersten  Kreuz- 
w'irbcls  sind  stark  nach  hinten  und  unten  gerichtet,  am  zweiten  i^t 
dies  otv^as  weniger  der  Fall ,  am  dritten  gehen  sie  rechtwinklig  qu(T 
vom  WirbelkOrper  ab.  Aus  der  Richtung  der  Seitenfortsätze  erkinrt 
sich  die  Verschmelzung  derselben  an  ihren  Enden ;  denn  so  stark  die 
vorderen  nach  hinten  gerichtet  sind,  so  stark  sind  es  die  hinteren  (dorn 
i.  und  5.  Sacralwirbel  angehörigen)  nach  vorn.  Sie  neigen  also  mit 
ihren  Enden  alle  zusammen  und  verschmelzen  hier  so  innig,  dass  die 

m 

Grenze  zwischen  zwei  Wirbeln  nicht  zu  bestimmen  ist. 

Die  (bei  horizontal  gedachter  Stellung  der  Wirbelsäule)  von  aussen 
und  oben  den  Seitenflächen  des  Sacrums  sich  auflagernden  Darmbeine 
berühren  unmittelbar  nur  einen  Theil  derselben,  nämlich  nur  den 
vorderen,  den  Enden  der  Seitenfortsätze  der  drei  vorderen  Sacralwirbel 
angehörigen  Abschnitt  jeder  Seitenfläche  und  zwar  den  am  weitesten 
vorragenden  ventralen  Rand  derselben.  Daher  sind  esdieventralen, 
niemals  die  dorsalen  Schenkel  der  Seitenfortsä tzc, 
welchedie  Darm  beinet  ragen.  Die  Gelenkfläche,  mittelst  welcher 
die  Berührung  mit  dem  llium  stattfindet,  ist  die  sogenannte  facics 
auricularis.  Sie  erhebt  sich  um  ein  Weniges  über  das  Niveau  der 
Seitenfläche,  von  der  sie  ein  Theil  ist.  Der  zwischen  dem  nicht  er- 
habenen Theiie  der  letzteren  und  dem  auf  der  Gelenkfläche  knapp  auf- 
liegenden Darmbeine  übrig  bleibende  Raum,  ist  mit  weicher  Bandmasse 
ausgefüllt. 

Da  der  Seitenfortsatz  des  ersten  Kreuzbeinwirbels  in  jeder  Rich- 
tung am  meisten  entwickelt  ist*,  so  bildet  er  auch  einen  Verhältnisse 
massig  grossen  Theil  der  Seitenfläche  des  Sacrums.  Sein  distales  Ende 
ist  ganz  besonders  verbreitert.  Demgemäss  hat  er  auch  an  der  Bildung 
der  facies  auricularis  den  grössten  Antheil ,  mehr  als  die  Hälfte  der- 
selben gehört  ihm  an.  Am  Ilium  entspricht  ihm  eine  tiefe  Grube ,  in 
die  er  sich  mit  seinem  Antheil  an  der  facies  auricularis  hineinlegt, 
während  die  Anlegestelle  der  beiden  anderen  Sacralwifbel  weniger 
ausgedehnt  und  fast  nicht  vertieft  ist.  Zwischen  beiden  Abschnitten 
der  am  Darmbeine  für  die  ohrförmige  Fläche  des  Kreuzbeines  befind- 
lichen Gclenkgrube  erhebt  sich  eine  schmale  Knorpelleiste ,  welche  die 
Grenzscheide  zwischen  dem  Gebiete  des  ersten  Wirbels  und  dem  des 
zweiten  und  dritten  darstellt.  Auf  der  Gelenkfläche  des  Sacrums  ent- 
spricht dieser  Leiste  eine  zwischen  dem  ersten  und  zw' 
hinziehende,  nach  oben  laufende  kleine  Vertiefung^). 

4)  Das  hier  über  die  Theiloabme  der  einzeloen  Sacralwlrl 


398  F.  Frenkel, 

Da,  wo  der  erste  8acralwirbel  dem  Darmbein  siph  anfttgt,  ist  dieses 
ventral  stark  aufgeworfen  und  verdickt.  Die  Verdickung  zieht  sich  nach 
unten  und  hinten  bis  zum  Schambeinkamme ,  bildet  spater ,  wenn  sie 
als  eine  noch  scharfer  ausgeprägte  Linie  hervortritt,  die  linea  arcuata 
interna.  Sie  stellt  die  Grenze  zwischen  dem  grossen  und  dem  kleinen 
Becken  dar.  Die  gleichnamigen  beiden  Linien  der  rechten  und  linken 
Seite  gehen  tlber  den  ventralen  Rand  der  Seitenfortsfltze  des  ersten 
Sacralwirbels  am  Körper  desselben  ineinander  über.  Durch  die  grössere 
Ausdehnung  seiner  Seitentheile,  durch  die  selbständige  Art  seiner  Ein- 
lenkung  an  die  Darmbeine  und  durch  die  Beziehung,  welche  zwischen 
seinen  eingestemmten  Fortsätzen  und  der  Gestaltung  eines  wichtigen 
Abschnittes  der  Darmbeine  besteht,  erhält  der  erste  Sacralwirbel  eine 
hervorragende  Wichtigkeit.  Nach  unten  und  hinten  von  der  Verbin- 
dungsstelle mit  dem  Sacrum  beginnt  die  Verknöcherung  der  Darmbeine, 
welche  sich  von  da  aus ,  concentrisch  fortschreitend ,  allmälig  Über  die 
Knorpelmasse  derselben  ausbreitet. 

Wie  weit  an  diesem  embryonalen  Skelete  die  Verknöcherung  der 
Wirbel  vorgeschritten  sei ,  konnte  erst  durch  Querschnitte  festgestellt 
werden,  welche  gleichzeitig  durch  Wirbelkörpor,  Seiten fortsätze  und 
Bogen  geführt  wurden.  Es  zeigte  sich,  dass  die  Mehrzahl  aller  Wirbel 
bereits  damit  begonnen  hatte  und  dass,  je  weiter  ein  Wirbel  nach  vorn 
lag,  um  so  grösser  die  in  seiner  knorpeligen  Grundmasse  eingebetteten 
Knochenkerne  sich  erwiesen.  An  den  letzten  Wirbeln ,  vom  dritten 
Sacralwirbel  an ,  zeigte  sich  noch  keine  Spur  von  beginnender  Ossifi- 
cation  und  selbst  der  zweite  Sacralwirbel  besass  nur  inmitten  seines 
Körpers  einen  kleinen  Knochenkern.  Am  ersten  Kreuzbeinwirbel  und 
an  den  Lendenwirbeln  hatten  sich  bereits  drei  von  einander  unab- 
hängige Ossificationscentren  gebildet,  eins  im  Wirbelkörper,  zwei  seit- 
liche dorsal  davon  als  knöcherne  Grundlage  der  oberen  Bogen.  Soviel 
über  den  Befund  an  dem  frühesten  von  mir  untersuchten  Stadium  des 
menschlichen  Sacrums.  Die  im  Folgenden  kurz  beschriebenen  Vorgänge 
bei  der  Ossification  dieses  Skeloltheiles  wurden  thrils  an  fötalen  Wirbel- 
säulen, theils  an  solchen  von  Kindern  aus  den  ersten  Lebensjahren 
beobachtet. 

Die  erst  nach  aussen  und  oben ,  dann  nach  innen  und  oben  ge- 
wendeten Bogen,  welche  sich  dorsal  vereinigend  den  von  jedem  Wirbel 


verbindaog  mit  dem  Darmbeine  Gesagte,  findet  in  demselben  Maasse  auch  auf 
spätere  Stadien  volle  Anwendung.  Selbst  an  Skeieten  Erwachsener  kann  man  die 
hier  festgestellten  Thalsacben  beobachten. 


BeilWlge  zur  aDatomiseben  Kenntniss  des  Kreasbeines  der  S&ugetbiere.  399 

gebildeten  Ring  über  dem  Rttckgratcanal  abscbliessen,  senden  von  ihrer 
am  weitesten  nach  aussen  ragenden  Ecke  an  den  Lendenwirbeln  die 
Querfortsätze  ab,  als  deren  entsprechende  Stücke  wir  die  oberen 
Schenkel  der  Seitenfortsätze  der  Sacralwirbel  erkannten.  In  dem  dieser 
Ecke  entsprechenden ,  von  den  divergirenden  Richtungen  eines  Rogens 
eingeschlossenen  Winkel,  zunächst  dem  Rttckgratcanale,  bildet  sich  jeder- 
seits  der  Knochenkem  aus,  durch  dessen  Wachsthum  allmalig  der  ganze 
Rogen  in  den  knöchernen  Zustand  Übergeht.  Von  diesem  Kerne  aus 
schreitet  die  Ossification  nach  drei  verschiedenen  Richtungen  hin  mit 
verschiedener  Schnelligkeit  fort :  nach  oben  bis  zur  Rertthning  mit  dem 
Knochen  der  anderen  Seite  und  ihrer  Verschmelzung  zur  Rildung  des 
Dornfortsatzes ;  nach  der  Seite  in  den  sich  verlängernden  Querfortsatz 
hinein;  und  endlich  abwärts  in  den  Wirbelkörper,  wo  das  Wachs- 
thum so  lange  fortdauert,  bis  unter  Rertthrung  mit  dem  sich  rasch  ver- 
grössernden  Knochenkeme  des  Wirbelcentrums  die  Möglichkeit  einer 
weiteren  Ausdehnung  aufhört. 

An  jedem  Lendenwirbel  bleiben,  auch  nach  Umwandlung  alles 
Knorpels  in  Knochensubstanz,  die  Spuren  seiner  Entwickelung  aus  drei 
Knochenkernen  noch  längere  Zeit  erhalten,  indem  durch  erst  in  späterer 
Zeit  verstreichende  Nähte  die  Grenzen  der  von  den  Knochenkemen  aus 
ossificirten  Theile  bezeichnet  sind.  Diese  längst  bekannten  Thatsachen 
der  Entwicklungsgeschichte  der  Lendenwirbel  finden  nicht  minder  ihre 
volle  Anwendung  auf  die  fünf  Sacralwirbel ,  und  es  würde  überhaupt 
kaum  ein  Unterschied  in  der  Entwickelung  beider  Arten  von  Wirbeln 
stattfinden ,  wenn  nicht  die  Ventralen  Schenkel  der  Seitenfortsätze  der 
vorderen  drei  Kreuzbeinwirbcl  einen  selbständigen  Verknöcherungs- 
process  durchmachten.  Diese  verharren,  während  im  Wirbelkörper  und 
in  den  oberen  Rogen  bereits  ganz  deutliche  Knochenkerne  aufgetreten 
sind,  wie  es  scheint,  noch  ziemlich  lange  Zeit  im  knorpeligen  Zustande, 
ohne  durch  eine  auf  Querschnitten  im  Knorpel  etwa  sichtbare  Grenze 
von  den  dorsalen  Schenkeln  der  Seitenfortsätze  und  vom  Wirbelkörper 
geschieden  zu  sein.  Selbst  unter  dem  Mikroskop  war  es  nicht  möglich, 
an  der  Stelle,  wo  man  diese  Grenzlinie  der  ventralen  Schenkel  der 
Seitenfortsätze  hätte  vermuthen  können,  einen  Unterschied  im  Gewebe 
zu  entdecken. 

In  den  ersten  Monaten  des  fötalen  Lebens  findet,  abgesehen  von 
einer  mit  der  Entwickelung  der  Wirbelsäule  Schritt  haltenden  Volumen- 
zunahme, an  dem  nur  langsam  ossificirenden  Sacrum  so  gut  wie  keine 
Veränderuna  statt.  Als  Reweis  dafür  dienen  mir  die  Skelete  zweier 
mens  die  beide  vom  Atlas  bis  zum  Schwanzende 

circ'  "^aben  und  deren  eines  besonders  kräftig 


400  F.  Frenkcl, 

eiiUvickelle  Wirbel  aufweisl.  An  boiden  ist  noch  keine  rchitive  Grössen- 
zunahme  der  in  jedem  Sacralwirbel  angelegton  drei  Khochenkcrne  und, 
was  das  Wichtigste  ist ,  ebenso  wie  an  der  oben  besprochenen  5  Cen- 
limeter  langen  Wirbelsäule,  noch  keine  Spur  einer  selbsUindigen  Ver- 
knöcherung  der  ventralen  Schenkel  zu  bemerken.  Macht  man  dagegen 
Querschnitte  durch  die  Seitenfortsätze  am  Sacrum  Neugeborener,  so 
findet  man  stets  im  ventralen  Abschnitte  derselben  einen  isolirtcn 
Knochenkern,  bereits  mehr  oder  minder  ausgebildet,  vor.  Da  in  diesen 
Skeleten  stets,  mindestens  am  ersten  Sacralwirbel ,  die  selbständigen 
Knochenkerne  vorhanden  und  oft  schon  recht  ansehnlich  gross  sind,  so 
ist  es  ganz  sicher,  dass  sie  noch  vor  der  Geburt  sich  entwickeln.  Da 
sie  aber  andererseits  kurz  nach  der  Geburt  im  zweiten  Sacralwirbel 
vcrhältnissmässig  noch  klein  und  im  dritten  (an  dem  Skelete  eines 
mehrere  Wochen  alten  Kindes]  nach  gar  nicht  aufgetreten  sind ,  so  ist 
auch  ihre  Entstehung  im  ersten  Sacralwirbel,  was  durch  die  \  4  Centi- 
meter  langen  Wirbelsäulen  bestätigt  wird,  in  eine  späte  Zeit  des  fötalen 
Lebens  zu  setzen.  Selbst  an  der  '^O  Centimeter  langen  Wirbelsäule 
eines  Kindes  (von  angeblich  einem  halben  Jahre)  war,  trotz  vorhan- 
dener Verdickung  der  Seitenfoitsälze,  im  dritten  Sacralwirbel  ein  Auf- 
treten der  »ventralen  Seitenstttcke«  (wie  diese  Knochenstttckchen  vor- 
derhand am  besten  genannt  werden)  noch  nicht  bemerkbar,  und  im  ersten 
und  zweiten  Wirbel  Wfiren  sie  kaum  grösser,  als  an  den  entsprechenden 
Stellen  des  mehrere  Wochen  alten ,  nur  22  Centimeter  messenden 
Verlebral-Skeletes  eines  Neugeborenen. 

Die  erste  Anlage  dieser  »tlberzähligen«  Knochenkeme  findet  näher 
dem  äusseren ,  als  dem  inneren  Ende  der  ventralen  Schenkel  der  Sei- 
tenforlsätze  statt.  Wenn  sie  unter  Verbrauch  des  umgebenden  Knorpels 
wachsen,  so  besitzen  sie  im  Querdurchschnitte  der  Seiten forlsätze  eine 
ovale  Umrandung.  Sie  dehnen  sich  bald  bis  an  die  Oberfläche  derselben 
aus  und  erstrecken  sich  in  die  Wand  des  Ganais  hinein,  zu  denen  die 
unteren  Kreuzbeiulöcher  den  Eingang  bilden.  Sie  sind  stets  durch  eine 
breitere  Knorpelgrenze  von  dem  Knochenkerne  des  Wirbelcentrums, 
als  von  dem  in  die  dorsalen  Schenkel  der  Seitenfortsätze  sich  ausbrei- 
tenden Knochenkerne  getrennt.  (Fig.  4.) 

Bezüglich  der  späteren  Veränderungen  ist  bekannt,  wie  erst  die 
einzelnen  Knochensttlcke  jedes  Sacralwirbels  und  dann  die  Sacralwirbel 
selbst  untereinander  verschmelzen  und  alle  zu  einem  einzigen  Knochen  ver- 
wachsen. Zuerst  fliessen  die  beiden  oberen  Bogen  (an  den  drei  vorderen 
Wirbeln)  oben  zu  dem  Rudimente  eines  Dornforlsatzes  zusammen;  dann 
verschmelzen  die  ventralen  Seitenstttcke  mit  dem  entsprechenden  dorsa- 
len Schenkel  der  Seitenfortsätze;  nicht  lange  nach  dieser  Verschmelzung 


Beitriige  lur  anatomischen  Kenntniss  des  Kreuzbeines  der  SüngeUiiere.  40  J 

vollzieht  sich  die  Verwachsung  dor  Seilontheilc  mit  dem  Wirheikörper, 
zuerst  mit  dem,  einem  Querfortsatze  entsprechenden  Schenkel,  dann, 
aber  viel  später,  mit  dem  ventralen  Seitenstttcke.  Die  Nähte  zwischen 
den  Bildungsstttcken  der  Wirbel  verschwinden  um  so  eher,  je  kleiner 
ein  Wirbel  ist.  Daher  verschwinden  die  Spu.ren  der  ventralen  Seiten- 
stücke  am  dritten  Kreuzbeinwirbel  eher  als  am  zweiten  und  erholten 
sich  am  längsten  am  ersten  Wirbel. 

Am  Ende  des  ersten  Lebensjahres  haben  alle  Knochenkerne  im 
Kreuzbeine  ihre  gehörige  Grösse  erreicht,  sodass  die  einzelnen  Stücke 
nur  noch  durch  schmale  Nähte  getrennt  sind.  Diese  verschwinden  nur 
sehr  langsam  nach  einer  Anzahl  von  Jahren  und  sind  im  neunten 
Lebensjahre,  wie  an  dem  mir  vorliegenden  Skelete  eines  Knaben  zu 
sehen  ist,  noch  nicht  ganz  verschwunden.  Erst  im  Pubcrtätsalter  be- 
ginnen die  Wirbel  des  Kreuzbeines  untereinander  und  zwar  in  der 
Reihenfolge  von  hinten  nach  vorn  zu  verwachsen,  sodass  die  vollständige 
Verschmelzung  des  ersten  und  zweiten  Sacralwirbels,  bei  der  Lang- 
samkeit des  ganzen  Processes,  erst  zwischen  dem  25.  und  30.  Lebens- 
jahre eintritt.    (Vergl.  Gruyeilhibr,  Traitd  d'anatomio,  L  S.  106  ff.) 

Nachdem  die  Verknöcherung  des  Sacrums  bis  zu  einer  gegen- 
seitigen Berührung  der  Knochenkerne  vorgeschritten,  lässt  sich  dor 
Aniheil  bemessen ,  den  die  oberen  und  unteren  Schenkel  der  Seiten- 
fortsätze an  der  Bildung  der  Seitenfläche  des  Kreuzbeines  und  an  der 
Verwachsung  der  Wirbel  desselben  nehmen.  Es  wurde  bereits  oben 
gezeigt,  dass  die  Verwachsung  der  Seitentheile  der  Sacralwirbel  eine 
Folge  der  ausserordentlichen  Verdickung  ihrer  Enden  und  ihrer  Gon- 
vergenz  nach  einem  Punctc  hin  ist.  Es  lässt  sich  nun  beweisen,  dass 
eine  Verwachsung  der  Seitenfortsätze  gar  nicht  eintreten  würde ,  wenn 
nicht  ventrale  Seitehstücke  am  Sacrum  vorhanden  wären ,  sowie,  dass 
die  Wölbung  des  Kreuzbeines  nach  oben  (oder,  bei  aufrechter  Stellung, 
nach  hinten)  unmittelbar  durch  die  Gestalt  der  ventralen  Seitenstücke 
bedingt  ist.  Die  letzteren  haben  nämlich  im  fertigen  Zustande  die  Ge- 
stalt eines  mit  seinem  abgestumpften  Ende  dem  Wirbelkörper  an- 
liegenden Kegels,  der  mit  einem  etwas  abgeplatteten  Theile  seiner 
Mantelfläche  dem  oberen  Schenkel  des  Seitenfortsatzes  angefügt  ist, 
während  der  übrige  Theil  der  Hanlelfläche  der  freien  Oberfläche  dos 
Seitenfortsatzes  angehört.  Die  breite,  kreisförmige  Grundfläche  des 
Kegelstumpfes  schaut  seitwärts  nach  aussen  und  stellt  einen  Theil  der 
Seitenfläche  des  Kreuzbeins  dar.  Die  dorsalen  Schenkel  der  Seiten- 
fortsätze nehmen  mit  ihrem  distalen  Ende  an  der  Biidupg  der  Seiten- 
flächen einen  kaum  nennenswerthen  Antheil,  indem  sie  durch  die 
stark   verb^  ''  ventralen  Seitenslücke  an   den   drei 


402  F.  Frenkel, 

vorderen  Sacralwirbeln  von  der  Berührung  mit  den  Seitentheilen  der 
angrenzenden  Wirbel  fast  ausgeschlossen  sind.  Anders  verhält  es  sich 
an  den  beiden  letzten  Sacralwirbeln,  an  denen  die  ventralen  Seitenstücke 
gänzlich  fehlen.  Die  Enden  ihrer  Querfortsätze  sind  durch  schmale, 
allmälig  verknöchernde  Knorpelbrttcken  mit  den  Enden  der  seitlichen 
Fortsätze  des  je  vorhergehenden  Wirbels  verbunden.  VonderSeiten- 
fläche  des  Kreuzbeines  gehört  daher  nur  der  schmale, 
dorsale,  auf  die  beiden  letzten  Wirbel  fortgesetzte  Rand 
den  Querfortsätzen  derSacralwirbelan,  die  ganze  übrige 
Seitenfläche  wird  von  den  ventralen  Seiten  stücken  durch 
Verschmelzung  der  Ränder  ihrer  Grundflächen  gebildet. 
Die  Convexität  des  Kreuzbeines  nach  oben  erscheint  dadurch  als  eine 
Folge  der  starken  ventralen  Verbreiterung  und  dorsalen  Verschmälerung 
durch  die  Enden  der  Seitenfortsätze  der  drei  vorderen  Wirbel.  Die 
Theilnahme  der  den  processus  transversi  der  Lendenwirbel  entsprechen- 
den dorsalen  Schenkel  der  Seitenfortsätze  an  der  Verwachsung  der 
Seitentheile  erklärt  sich  vielleicht  aus  der  Annäherung  ihrer  Enden  in- 
folge der  Krümmung  des  Kreuzbeines  und  aus  der  nahen  Beziehung, 
in  welche  sie  zu  den  ventralen  Seitenstücken  durch  Verschmelzung  mit 
ihnen  getreten  sind. 

Die  hier  beschriebenen  Lagerungsbeziehungen  der  letzteren  lassen 
sich  am  besten  an  Skeleten  drei-  bis  vierjähriger  Kinder  beobachten, 
an  denen  die  Grenzen  der~  einzelnen  Knochenstücke  auch  äusserlich 
deutlich  durch  Nähte  bezeichnet  sind.  Da  dies  auch  auf  den  Seiten- 
flächen noch  der  Fall  ist,  so  sieht  man  an  jenen  Skeleten  genau,  dass 
die  glatte  überknorpelte  Gelenkfläche,  faciesauricularis,  welche 
den  grösseren,  ventralen  Abschnitt  der  Seitenfläche  bildet,  an  keiner 
Stelle  den  Querfortsatzenden  angehört,  sondern  nur  den 
ventralen  Seitenstücken.  Indessen  treten  auch  diese  nicht  mit  ihrer 
gan  zen  Aussenfläche  mit  dem  Darmbeine  in  Berührung;  der  kleinere 
dorsale  Abschnitt  dieser  Fläche  besitzt  keinen  Knorpelüberzug,  er  hat 
eine  rauhe ,  knöcherne  Oberfläche  und  zeigt  sich ,  nach  Ablösung  des 
Darmbeins  vom  Sacrum  durch  strafle  Bandmasse  mit  ersterem  verbunden. 
Immer,  und  es  wurde  darauf  hin  eine  grössere  Anzahl  Kreuzbeine 
untersucht,  gehört  dergrösSteXheilderfaciesauricularis 
dem  ventralen  Seitenstücke  des  erstenSacralwirbels  an. 
Dagegen  ist  die  Grösse  ihrer  Ausdehnung  auf  den  zweiten  und  dritten 
Kreuzbeinwirbel  nicht  nur  individuellen  Verschiedenheiten  unterworfen, 
sondern  oft  sogar  auf  beiden  Seiten  eines  und  desselben  Sacrums  ungleich. 
Gewöhnlich  nimmt  die  facies  aimcularis  den  ganzen  ventralen  Rand 
der  Seitenfläche  des  zweiten  und  mit  ihrem  hinteren  Ende  noch  den 


BeitrXge  lur  aoatomisebeD  Keontniss  des  Krembeines  der  Singetbiere.  403 

vorderen  Abschnitt  der  Seitenfläche  des  dritten  Sacralwirbels  ein.  Doch 
kommen  hiervon  auch  manche  Abweichungen  vor,  oder  sogar  asyme- 
trisches  Verhalten ,  wie  ich  z.  B.  an  dem  Sacnim  eines  neunjährigen 
Knaben  finde ,  welches  auf  einer  Seite  den  gewöhnlichen  Befund ,  auf 
der  andern  Seite  aber  die  facies  auricularis  nur  dem  ersten  und  zweiten 
Saoralwirbel  angehorig  aufweist. 

Es  wurde  bereits  mehrfach  darauf  hingewiesen ,  dassdiedor- 
salen  Abschnitte  in  den  Seitenfortstttzen  der  vorderen 
Sacral  Wirbel,  sowie  die  Seitenfort&ätze  der  beiden  letz- 
ten, in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  den  Querfortsätzen 
der  Lendenwirbel  entsprechen.  Genauer  ausgedrückt  ent- 
sprechen sie  der  Wurzel  der  oberen  Bogen  am  ROrperstücke  des  Wirbels 
und  deren  seitlicher,  einen  kurzen  Querfortsatz  darstellenden  Ver- 
längerung. Darüber  kann  bei  Vergleichung  durch  die  Kreuzbeinwirbel 
gelegter  Querschnitte ,  mit  Querschitten  durch  Lendenwirbel  des  näm- 
lichen Skelets  kaum  ein  Zweifel  sein.  Denkt  man  sich  die  durch  Nähte 
noch  deutlich  abgegrenzten  ventralen  Seitenstücke  hinweg,  so  gewährt 
der  Durchschnitt  durch  einen  Saoralwirbel  vollkommen  das  Bild  eines 
quer  durchschnittenen  Lendenwirbels,  dessen  Querfortsätze  mit  ge- 
troffen sind.  Die  Querfortsätze  der  Lendenwirbel  nehmen  von  vorn 
nach  hinten  bis  zum  vierten  stetig  an  Länge  zu,  und  sind  am  fünften 
in  demselben  Maasse  verkürzt.  In  der  That  folgen  die  Processus  trans- 
versi ,  die  wir  in  den  Seitentheilen  des  Kreuzbeins  als  Enden  der  dor- 
salen Schenkel  wiederfinden,  genau  diesem  Verhalten  und  setzen  es 
fort  indem  sie  von  vom  nach  hinten  eine  relative  Abnahme  der  Länge 
erfahren.  Sie  unterscheiden  sich  von  den  processus  transversi  der 
Lendenwirbel  nur  durch  die  der  Function  des  Kreuzbeins  angepasste 
Verdickung  ihres  mit  dem  nächsten  Wirbel  verwachsenden  Endes. 

Das  ventrale  Seitenstück  zeigt  sich  auf  solchen  Querschnitten  mit 
dem  oberen  Bogen  auf  einer  grosseren  Strecke  als  mit  dem  WirbelkOrper 
in  Berührung.  Am  zweiten  und  dritten  Sacralwirbel ,  wo  es  quer 
durchschnitten  einen  dreieckigen  Umriss  hat,  berührt  es  den  Wirbel- 
kOrper sogar  nur  mit  seiner  inneren  Ecke  in  einer  kaum  linearen  Aus- 
dehnung. 

Eine  besondere  Bedeutung  erhalten  die  ventralen  Seitenstücke 
wenn  man  den  Einfluss  des  Sacrums  auf  die  Gonfiguration  des  Beckens 
in  beiden  Geschlechtem  in  Betracht  zieht.  Bekanntlich  sind  am  weib- 
lichen Becken  alle  Durchmesser  relativ  grosser,  als  am  männlichen. 
Das  weibliche  Sacrum  ist  kürzer  und  breiter,  als  das  Sacram  des  Mannes. 
Im  Allgemeinen  kann  man  es  als  Begel  ansehen,  dass  die  grOssle  Breite 
des  weiblichen  Sacrums  gleich  ist  seiner  Länge,  wähi*end  das  männliche 


402  F.  Frenkel, 

vorderen  Sacralw]rbe]n  von  der  Berührung  mit  den  Seitentheilen  der 
angrenzenden  Wirbel  fast  ausgeschlossen  sind.  Anders  verhält  es  sich 
an  den  beiden  letzten  Sacralwirbeln,  an  denen  die  ventralen  Seitenstttcke 
gänzlich  fehlen.  Die  Enden  ihrer  Querfortsätze  sind  durch  schmale, 
allmälig  verknöchernde  Knorpelbrttcken  mit  den  Enden  der  seitlichen 
Fortsätze  des  je  vorhergehenden  Wirbels  verbunden.  Von  derSeite^- 
fläche  des  Kreuzbeines  gehört  daher  nur  der  schmale, 
dorsale,  auf  die  beiden  letzten  Wirbel  fortgesetzte  Rand 
den  Querfortsätzen  derSacralvsrirbelan,  die  ganze  übrige 
Seitenfläche v^ird  von  den  ventralenSeitenstückendurch 
Verschmelzung  der  Ränder  ihrer  Grundflächen  gebildet. 
Die  Gonvexität  des  Kreuzbeines  nach  oben  erscheint  dadurch  als  eine 
Folge  der  starken  ventralen  Verbreiterung  und  dorsalen  Verschmälening 
durch  die  Enden  der  Seitenfortsätze  der  drei  vorderen  Wirbel.  Die 
Theilnahme  der  den  processus  transversi  der  Lendenwirbel  entsprechen- 
den dorsalen  Schenkel  der  Seitenfortsätze  an  der  Verwachsung  der 
Seitentheile  erklärt  sich  vielleicht  aus  der  Annäherung  ihrer  Enden  in- 
folge der  Krümmung  des  Kreuzbeines  und  aus  der  nahen  Beziehung, 
in  welche  sie  zu  den  ventralen  Seitenstücken  durch  Verschmelzung  mit 
ihnen  getreten  sind. 

Die  hier  beschriebenen  Lagerungsbeziehungen  der  letzteren  lassen 
sich  am  besten  an  Skeleten  drei-  bis  vierjähriger  Kinder  beobachten, 
an  denen  die  Grenzen  der  einzelnen  Knochenstücke  auch  äusserlich 
deutlich  durch  Nähte  bezeichnet  sind.  Da  dies  auch  auf  den  Seiten- 
flächen noch  der  Fall  ist,  so  sieht  man  an  jenen  Skeleten  genau,  dass 
die  glatte  Überknorpel te  Gelcnkfläche,  facies  auricularis,  welche 
den  grösseren,  ventralen  Abschnitt  der  Seitenfläche  bildet,  an  keiner 
Stelle  den  Querfortsatzenden  angehört,  sondern  nur  den 
ventralen  Seitenstücken.  Indessen  treten  auch  diese  nicht  mit  ihrer 
ganzen  Aussenfläche  mit  dem  Darmbeine  in  Berührung;  der  kleinere 
dorsale  Abschnitt  dieser  Fläche  besitzt  keinen  Knorpelüberzug ,  er  hat 
eine  rauhe ,  knöcherne  Oberfläche  und  zeigt  sich ,  nach  Ablösung  des 
Darmbeins  vom  Sacrum  durch  straffe  Bandmasse  mit  ersterem  verbunden. 
Immer,  und  es' wurde  darauf  hin  eine  grössere  Anzahl  Kreuzbeine 
untersucht,  geh ö rt  der  grössteTheil  der  facies  auricularis 
dem  ventralen  Seitenstücke  des  erstenSacralwirbels  an. 
Dagegen  ist  die  Grösse  ihrer  Ausdehnung  auf  den  zweiten  und  dritten 
Kreuzbein  Wirbel  nicht  nur  individuellen  Verschiedenheiten  unterworfen, 
sondern  oft  sogarauf  beiden  Seiten  eines  und  desselben  Sacrums  ungleich. 
Gewöhnlich  nimmt  die  facies  auricularis  den  ganzen  ventralen  Rand 
der  Seitenfläche  des  zweiten  und  mit  ihrem  hinteren  Ende  noch  den 


Beiträge  siir  anatomiscben  KeoDtniss  des  Kreuzbeines  der  S&ugetbiere.  403 

vorderen  Abschnitt  der  Seitenfläche  des  dritten  Sacral wirbeis  ein.  Doch 
kommen  hiervon  auch  manche  Abweichungen  vor,  oder  sogar  asyme- 
Irisches  Verhalten ,  wie  ich  z,  B.  an  dem  Sacrum  eines  neunjährigen 
Knaben  finde,  welches  auf  einer  Seite  den  gewöhnlichen  Befund,  auf 
der  andern  Seite  aber  die  facies  auricularis  nur  dem  ersten  und  zweiten 
Saoralwirbel  angehOrig  aufweist. 

Es  wurde  bereits  mehrfach  daraufhingewiesen,  dass  die  dor- 
salen Abschnitte  in  den  Seitenfortsätzen  der  vorderen 
Saoralwirbel,  sowie  die  Seitenfort&ätze  der  beiden  letz- 
ten, in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  den  Querfortsätzen 
der  Lendenwirbel  entsprechen.  Genauer  ausgedrückt  ent- 
sprechen sie  der  Wurzel  der  oberen  Bogen  am  RdrperstUcke  des  Wirbels 
und  deren  seitlicher,  einen  kurzen  Querfortsatz  darstellenden  Ver- 
längerung. Darüber  kann  bei  Vergleichung  durch  die  Kreuzbeinwirbel 
gelegter  Querschnitte ,  mit  Querschitlen  durch  Lendenwirbel  des  näm- 
lichen Skelets  kaum  ein  Zweifel  sein.  Denkt  man  sich  die  durch  Nähte 
noch  deutlich  abgegrenzten  ventralen  Seitenstücke  hinweg,  so  gewährt 
der  Durchschnitt  durch  einen  Saoralwirbel  vollkommen  das  Bild  eines 
quer  durchschnittenen  Lendenwirbels,  dessen  Querfortsätze  mit  ge- 
troffen sind.  Die  Querfortsätze  der  Lendenwirbel  nehmen  von  vom 
nach  hinten  bis  zum  vierten  stetig  an  Länge  zu,  und  sind  am  fünften 
in  demselben  Maasse  verkürzt.  In  der  That  folgen  die  processus  trans^ 
versi ,  die  wir  in  den  Seitentheilen  des  Kreuzbeins  als  Enden  der  dor- 
salen Schenkel  wiederfinden,  genau  diesem  Verhalten  und  setzen  es 
fort  indem  sie  von  vom  nach  hinten  eine  relative  Abnahme  der  Länge 
erfahren.  Sie  unterscheiden  sich  von  den  processufi  transversi  der 
Lendenwirbel  nur  durch  die  der  Function  des  Kreuzbeins  angepasste 
Verdickung  ihres  mit  dem  nächsten  Wirbel  verwachsenden  Endes. 

Das  ventrale  Seitenstück  zeigt  sich  auf  solchen  Querschnitten  mit 
dem  oberen  Bogen  auf  einer  grösseren  Strecke  als  mit  dem  Wirbelkörper 
in  Berührang.  Am  zweiten  und  dritten  Saoralwirbel,  wo  es  quer 
durchschnitten  einen  dreieckigen  Umriss  hat,  berührt  es  den  Wirbel- 
körper sogar  nur  mit  seiner  inneren  Ecke  in  einer  kaum  linearen  Aus- 
dehnung. 

Eine  besondere  Bedeutung  erhalten  die  ventralen  Seitenstücke 
wenn  man  den  Einfluss  des  Sacmms  auf  die  Configuration  des  Beckens 
in  beiden  Geschlechtern  in  Betracht  zieht.  Bekanntlich  sind  am  weib- 
lichen Becken  alle  Durchmesser  relativ  grösser,  als  am  männlichen. 
Das  weibliche  Sacrum  ist  kürzer  und  breiter,  als  das  Sacrum  des  Mannes. 
Im  Allgemeinen  kann  man  es  als  Begel  ansehen,  dass  die  grössle  Breite 
des  weiblichen  Sacrums  gleich  ist  seiner  Länge,  während  das  männliche 


404  F.  Freiikeh 

Sacrum  dadurch  schmäler  erscheint,  dass  es  weniger  breit  als  lang  ist. 
DerGrund  dieser  wichtigen  sexuellen  Verschiedenheil 
in  den  Maassverhaltnissen  dieses  Knochens  ist,  dass, 
bei  sich  gleichbleibender  Breite  der  Wirbelkörper,  am 
weiblichen  Sacrum  die  ventralen  Seitonstacke  langer 
sind,  als  am  männlichen.  Wenn  man  die  Breite  des  Zwischen- 
raumes zwischen  dem  rechten  und  linken  vordersten  Sacralloche  (statt 
der  nicht  bestimmbaren  Breite  des  mittleren  Theiles  eines  Wirbelkörpers} 
und  die  grösste  Breite  des  ersten  Sacralwirbels  (auf  seiner  ventralen 
Fläche  hin)  misst,  die  Breite  jenes  intervertebralen  Abschnitts  =  I  setzt, 
und  dies  an  einer  Anzahl  männlicher  und  weiblicher  Kreuzbeine  voll- 
führt, so  ergiebt  sich  als  das  aus  den  so  erhaltenen  Verhältnisszahlen 
für  beide  Geschlechter  gefundene  Mittel,  dass  beim  weibliehen  Ge- 
schlechte  die  Breite  des  intervertebralen  Abschnitts  zur  grössten  Broite 
des  ersten  Sacralwirbels  sich  wie  \ :  4,04,  beim  männlichen  wie  1  :  3,52 
verhält.  Das  ventrale  Seitenstück  erreicht  demnach  am  weiblichen 
Sacrum  die  relative  Länge  1,50,  am  männlichen  dagegen  nur  4,26.  Man 
sieht  dass  die  letztere  Zahl  zur  ersteren  in  dem  Verhältnisse  4  :  4,49, 
also  fast  =  4  :  4,8  steht.  Diese  Verlängerung  der  ventralen  Seiten- 
stücke beim  Weibe ,  welche  mit  den  veränderten  Grössenverhältnissen 
des  ganzen  Beckens  in  innigster  Beziehung  steht ,  muss ,  wie  alle  Ver- 
änderungen am  Becken,  als  eine  Anpassungserscheinung  an  die  ge- 
schlechtlichen Functionen  betrachtet  werden.  Wie  durch  sie  die  Con- 
figuration  des  Beckens  beherrscht  wird  ist  verständlich,  wenn  man  den 
bei  ihrem  Auftreten  weniger  steil  ventralwärts  erfolgenden  Abfall  der 
Seitenflächen  und  deren  dorsale  Convergenz  beachtet. 

Die  den  Seitenflächen  angefügten  Darmbeinplatten  stehen  daher 
ventral  weiter  auseinander,  und,  indem  diese  grössere  Divergenz  durch 
Verlängerung  der  linea  arcuata  interna  und  des  horizontalen  Scham- 
beinastes compensirt  wird,  gewinnen  alle  Beckendurcbmesser  an  Länge, 
während  zugleich  der  Schambogen  flacher  und  weiter  und  das  foramen 
obturatum  eckiger  ist. 

Abgesehen  von  dieser,  je  nach  dem  Geschlechte  verschiedenen, 
Längenentwickelung  seiner  Seitentheile  ist  das  Sacrum  noch  so  viel- 
fachen Variationen  unterworfen ,  dass  man  es  mit  Recht  als  den  ver- 
änderlichsten Abschnitt  der  Wirbelsäule  bezeichnet  findet.  Die  an  dem- 
selben wahrgenommenen  Abweichungen  von  seinen  normalen  Verhält- 
nissen betreffen  am  häufigsten  die  Zahl  der  in  ihm  verwendeten 
Wirbel,  und  zielen  theils  auf  eine  Abnahme,  theils  auf  eine  Zunahme 
jener  Zahl,  mit  oder  ohne  eine  gleichzeitige  Reduction  oder  eine  Neu- 
bildung ventraler  Seitenstücke  hin.    Durch  die  Beziehung  zu  letzteren 


Beitrage  xur  anatomischen  Kenntiiiss  des  Kreozbeines  der  Sangethiere.  405 

geben  mir  diese  Anomalien  zu  eingehender  Aeusseining  Anlass.  Meine 
hierüber  gemachten  Beobachtungen  schliessen  sich  an  die  von  Dr.  Dörr 
mitgetheilten  Fälle  an.  (Zeitschrift  für  rationelle  Medicin  3.  Reihe 
Vlll.  Bd.  S.  185.) 

Eine  Verminderung  der  sacralen  Wirbelzahl  auf  vier 
kann  durch  ein  Ausscheiden  d^s  ersten  oder  des  letzten  Wirbels  aus 
dem  Verbände  des  Kreuzbeins  hevorgebracht  sein.  Beide  geben  in 
solchem  Falle  ihre  characteristischen  Eigenschaften  als  Sacralwirbel  auf, 
indem  sie  das  Streben  zeigen ,  sich  durch  ihre  Form  dem  anstossenden 
Abschnitte  der  Wirbelsäule  anzuschliessen  und  dadurch  ihre  Selbstän- 
digkeit zu  erhalten.  —  Den  fünften  Sacralwirbel  findet  man  oft  ohne  seit- 
liche Verbindung  dem  vierten  beweglich  ansitzend ,  wodurch  die  Zahl 
der  Schwanzwirbel  um  einen  vermehrt  erscheint.  Dagegen  verliert 
der  erste  Sacralwirbel,  wenn  keine  ventralen  Seiten- 
stücke an  ihm  zur  Entwickelung  kommen,  durch  Ver- 
schmälerung  seiner  nicht  mehr  an  das  Darmbein  stossen- 
den  Seitenfortsätze  das  Aussehen  eines  Sacralwirbels 
und  gleicht  einem  bloss  mit  Querfortsätzen  ausgestatteten  Len- 
denwirbel. Man  findet  diesen  Fall  nicht  selten  erwähnt,  obgleich 
nicht  angegeben  ist,  ob  ein  gänzliches  Fehlen  der  ventralen  Seitenstücke 
nachgewiesen  wurde  oder  ob  wenigstens  noch  Spuren  davon  am  ven- 
tralen Bande  der  Querforlsätze  zu  sehen  waren.  Das  Wahrscheinlichere 
ist  jedenfalls  das  Letztere ;  denn  obgleich  ich  diesen  Fall  an  mehreren 
Belegstücken  aus  der  hiesigen  anatomischen  Sammlung  beobachten 
konnte,  so  habe  ich  doch  an  keinem  Sacrum  die  ventralen  Seitenslücke 
des  ersten  Wirbels  gänzlich  veimisst ;  im  Gegentheil  fand  ich  immer 
noch  recht  deutliche  Rudimente  derselben  erhalten.  Das  ausgeprägteste 
Beispiel  dafür  ist  ein  ausgewachsenes  weibliches  Becken,  dessen  zu- 
gehöriges Sacrum  nur  mit  dem  zweiten  und  dritten  Wirbel  die  Darm- 
beine berührt,  während  der  erste  Wirbel  eine  vollständige  Rückbildung 
nach  der  Form  eines  Lendenwirbels  erfahren  hat ;  denn  sein  nicht  mit 
dem  Sacrum  verwachsener  Körper  ist,  wie  der  eines  Lendenwirbels, 
ventral  länger  als  dorsal,  er  hat  dicke,  mit  ihren  Enden  frei  nach  aussen 
und  etwas  nach  oben  sehende  prooessus  transversi,  und  auch  seine  Ge- 
lenkforlsätze sind  mit  dem  zweiten  Sacralwirbel  nicht  durch  Synostose 
verbunden,  sondern  bieten  wie  jene  anderer  Lendenwirbel  eine  Arti- 
culation.  Was  ihn  aber  vor  einem  Lendenwirbel  auszeichnet  und  ihn 
zu  einer  Mittelform  zwischen  beiden  Wirbelarten  stempelt,  sind  die 
seinen  Querfortsätzen  anhaftenden  Rudimente  der  ventralen  Seiten- 
stücke, welche  mittelst  Gelenkflächen  auf  den  Seitentheilen  des  zweiten 
Sacralwirbels  articuliren.    Das  ventrale  Seilenstück  am  rechten  Quer- 


406  P.  Frenkel, 

fortsatze  ist  breiler  und  länger  gestaltet,  als  am  linken.  Je  mehr  so  der 
erste  Sacralwirbel  rückgebildet  erscheint,  um  so  mächtiger  sind  die 
Seitentheile  des  zweiten  entwickelt,  sodass  dem  Umfang  der  Auricular- 
fläche  durch  diese  Abnormität  kein  Abbruch  geschieht  (s.  Fig.  SS).  Ob 
dieser  Lumbosacralwirbel  die  Zahl  der  Lumbaiwirbel  vermehrte,  muss 
ich  dahin  gestellt  sein  lassen,  da  mir  bezüglich  des  Verhaltens  der 
übrigen  Wirbelsäule  nichts  bekannt  wurde.  Da  nur  vier  Sacralwirbel 
bestanden ,  glaube  ich  jedoch  zur  Annahme ,  dass  der  fragliche  Wirbel 
ein  ursprünglich  sacraler  war,  berechtigt  zu  sein. 

So  selten  vielleicht  die  gleichzeitige  Rückbildung  der  ventralen 
Seitenstücke  auf  beiden  Seiten  des  ersten  Sacralwirbels  auftreten  mag, 
so  ist  doch  wenigstens  eine  einseitige  Reduction  kein  ungewöhnliches  Vor- 
kommniss.  Die  in  der  hiesigen  Sammlung  repräsentirten  FäUe  betreffen 
gleichfalls  weibliche  Becken.  Einen  davon  habe  ich  in  Fig.  S3  darge- 
stellt. Die  anderen  stimmen  damit  im  Wesentlichen  überein.  An  dem 
Dargestellten  ist  wieder  ersichtlich ,  dass  es  sich  um  einen  Sacralwirbel 
handelt,  denn  auf  ihn  folgen  nur  vier  unter  einander  verschmolzene 
Wirbel ,  deren  letzter  entschieden  auch  der  letzte  l^acralwirbel  ist.  Der 
erste  Sacralwirbel  ist  linkerseits  lumbal,  rechterseits  sacral  geformt.  Er 
steht  auf  der  rechten  Seite  mit  dem  Ilium  in  Gelenkverbindung  und 
unterscheidet  sich  von  seinem  regelrechten  Verhalten  nur  durch  das 
deutliche  Hervortreten  eines  abgesonderten  Querfortsatzes  (p.  tr.)  Auf 
der  linken  Seite  ist  der  Querfortsatz  (p.  tr.)  dem  eines  Lumbal  wirbeis 
ähnlich  gestaltet  und  nur  ventral  'ziemlich  stark  verdickt,  indem  an 
dieser  Stelle  eine  Spur  des  ventralen  Seitenstückes  (c  s)  sich  bemerkbar 
macht,  welches  an  seinem  Ende  durch  einen  leichten  Einschnitt  von 
dem  Querfortsatze  sich  absetzt.  Der  erste  Sacralwirbel  bietet  zugleich 
durch  die  ungleiche  Entwickelung  seiner  beiden  Seiten  auf  der  lumbal 
gestalteten  Seite  in  der  Weise  eine  Verkürzung  dar,  so  dass  die  ganze 
nach  vorn  hin  sich  ihm  anschliessende  Lendenwirbelsäule  nach  dieser 
Seite  hingedrängt  und  verkrümmt  wird ,  was  durch  eine  entgengesetzt 
unsymmetrische  Gestaltung  der  Lendenwirbelkörper  meist  wieder  aus- 
geglichen wird. 

Im  Allgemeinen  ist  die  Verminderung  der  Zahl  der  eigentlichen 
Sacralwirbel  auf  eine  der  angegebenen  Arten  immerhin  nicht  häufig. 
Zahlreicher  dagegen  sind  die  Fälle ^  in  denen  man  eine  Vermehrung  der 
Sacralwirbel  durch  Hinzutreten  eines  oder  mehrerer  Wirbel  aus  dem 
präsacralen  und  postsacralen  Abschnitte  der  Wirbelsäule  beobachten 
konnte.  Wenn  das  Sacrum  von  letzterem  her  einen  Zuwachs  erhält,  so 
ist  es  zunächst  der  erste  Steissbeinwirbel ,  der  durch  Verschmelzung 
seines  Körpers  und  seiner  Seitentheile  mit  dem  fünften  Sacralwirbel 


Beitrüge  rar  anatomischen  KeDotDiss  des  Kreaibeiues  der  S&ngetblere.  407 

seine  SelbsUindij^keit  aufgiebi.  Findet  eine  Vermehrung  der  Sacral- 
wirbel  auf  sieben  statt,  ohne  dass  der  nSfchste  präsacrale  Wirbel  dabei 
betheiligt  ist,  so  ist  auch  der  zweite  Steissbeinwirhel  in  derselben 
Weise  wie  der  erste,  oder  nur  mit  seinem  KOrper  mit  dem  nunmehrigen 
letzten  Wirbel  des  Kreuzbeins  verschmolzen. 

Der  häufige  Fall  einer  abnormen  Sacral-Bildung  unter  Zutritt  eines 
fremden  Elementes  ist  der  theil weise  oder  völlige  Uebergang  des 
letzten  Lumbalwirbels  in  einen  Sacraiwirbel.  Die  Um- 
bildung, welche  dieser  Wirbel  in  diesem  Falle  erleidet,  geschieht  durch 
die  Verbindung  mit  einem  ventralen  SeitenstUcke ,  die  in  der  ventra- 
len Verbreiterung  des  Seitenfortsatzes  sich  ausdruckt.  Dies  dürfte  aus 
folgenden  Umstanden  hervorgehen:  4.  aus  der  Form  und  Lagerung  der 
unteren  Schenkel  der  Seitenfortsätze;  2.  aus  ihrer  Beziehung  zum 
Darmbeine,  mit  welchem  sie  in  Berührung  treten  oder  gegen  welches  sie 
gerichtet  sind. 

Bei  nur  einseitiger  Ausbildung  dieses  Knochenkerns  bleibt  der 
Wirbel  auf  der  andern  Seite  mehr  oder  weniger  einem  Lendenwirbel 
ähnlich ;  er  ist  aber  wenigstens  mit  einem  sehr  verdickten  Querfortsatze 
ausgestattet,  welchem  das  ventrale  Seilenstück  als  ein  schmaler  Streifen 
unten  angefügt  ist.  Die  sacral  gestaltete  Seite  zeigt  ein  wohl  ent- 
wickeltes, mit  dem  ersten  Sacraiwirbel  verschmolzenes,  ventrales 
Seitenstück ,  das  zur  Vergrösserung  der  facies  auricularis  beitrügt  und 
über  dem  der  dorsale  Schenkel  des  Seitenfortsatzes  als  wohl  entwickelter 
und  mit  seinem  Ende  frei  nach  aussen  tretender  processus  transversus 
deutlich  vorhanden  ist.  Ist  das  ventrale  Seitenstück  einseitig  sehr 
milchtig  entwickelt,  so  kann  sich  auch  in  diesem  Falle,  wie  bei  der 
entsprechenden  Gestaltung  des  ersten  Sacralwirbels  (s.  oben) ,  der 
Wirbel  auf  dieser  Seite  heben,  und  wird  auf  der  anderen  niedriger  sein, 
was  eine  Verkrümmung  der  nach  vom  sich  anschliessenden  Lendenwir- 
belsüule  zur  Folge  hat  (s.  Fig.  24  Taf.  XXII).  Hierher  scheint  auch  die 
Mehrzahl  der  von  D€rr  beschrielienen  Fülle  zu  gehören,  sicher  seine  drei 
ersten ,  von  denen  der  erste  und  zweite  niedere  Stadien  der  Entwick- 
lung des  ventralen  Seitenstückes  vorstellen,  indess  der  dritte  Fall  eine 
mächtige  linksseitige  Ausbildung  desselben  reprHsentirt. 

Entwickeln  sich  die  ventralen  SeitenstUcke  am  letzten  Lumbal- 
wirbel  auf  beiden  Seiten  gleich  milchtig,  so  nimmt  er,  unter  vollstän- 
digem Eingehen  in  das  Sacrum,  bilateral  die  Gestalt  eines  Sacralwirbels 
an ,  und  nur  die  stärker  hervorragenden  Querfortsätze  verrathen,  zu- 
sammen mit  der  Abnahme  der  I^ndenwirbel  auf  vier  und  der  Zunahme 
der  Sacraiwirbel  auf  sechs,  seine  Natur  als  Lendenwirbel.  Da.ss  die 
Beurtheilung  dieser  Fälle  nicht  an  einzelnen  Kreuzbeiuen,  sondern  mit 

Bd.  VII.  4.  f7 


408  ^'  Frenkel, 

Berücksichtigung  der  gesammten  Wirbelsäule  zu  geschehen  hat,   ist 
selbstverstündlich. 

Es  ist  nicht  schwer  zu  verstehen,  warum  gerade  von  der  Lenden- 
wirbelsüule  aus  das  Sacrum  am  hüußgsten  einen  Zuwachs  erhält.  Wenn 
auch  der  letzte  Lendenwirbel  ganz  normal  gebildet  ist,  so  ist  er  wenigstens 
durch  das  ligamentum  ilio-lumbale  mit  dem  llium  sowohl  als  mit  dem 
Kreuzbeine  in  innigster  Veibindung;  denn  dieses  breite  und  straffe 
Band  erscheint  in  der  Regel  in  zwei  Schenkel  gespalten ,  deren  einer 
zur  tuberositas  ossis  ilei,  der  andere  zum  Ende  des  Seitenfortsatzes  des 
ersten  Sacralwirbels  geht.  An  Bändorpräparaten  der  Wirbelsäule  kann 
man  sehen ,  wie  ähnlich  schon  dadurch  der  letzte  Lendenwirbel  einem 
Sacralwirbel  wird,  und  dass  es  dadi^rch  zwischen  ihm  und  dem  ersten 
Wirbel  des  Kreuzbeines  zur  Bildung  zweier  foramina  sacralia  kommt. 
Treten  nun  auch  an  ihm  ventrale  SeitenstUcke  auf,  so  ist  ihnen  durch  das 
lig.  ileo-lumbale  der  Weg  bereits  vorgezeichnet,  den  sie  bei  ihrer  Aus- 
dehnung und  Vergrösserung  einschlagen  müssen;  denn  indem  sie  sich 
in  dem  unteren  Schenkel  dieses  Bandes  ausbreiten,  verwachsen  sie 
schliesslich  mit  dem  Sacrum  und  nehmen  durch  Berührung  mit  den 
Darmbeinen  an  der  Bildung  der  facies  auricularis  Theil.  Der  kürzere 
Processus  iransversus  aber  verbindet  sich  nur  durch  das  Band  mit  dem 
Darmbeine  und  gelangt  nicht  mit  ihm  in  directe  Berührung. 

In  der  Anordnung  des  Bandes  ist  immerhin  eine  Andeutung  auf  die 
Beziehungen  zu  jenen  Seitenslücken  wahrzunehmen ,  wenn  auch  eine 
festere  Begründung  der  Homologie  jenes  Bandes  und  des  Knochens  un- 
thunlich  erscheint,  denn  dazu  bedürfte  es  des  Nachweises,  dass  das 
Band  aus  dem  Knorpel  hervorginge,  und  dass  die  ventralen  SeitenstUcke 
am  letzten  Lumbalwirbel  in  ihrer  Verbindung  mit  den  Darmbeinen 
einen  primitiven  Zustand  repräsentirten ,  in  welchem  also  der  letzte 
Lumbalwirbel  ein  Sacralwirbel  war.  Dafür  fehlte  jedoch  jede  thalsäch- 
liche Begründung ,  vielmehr  kommen  auch  an  den  weiter  nach  vorn  zu 
liegenden  Lumbaiwirbeln  Andeutungen  costaler  Rudimente  vor,  welche 
zur  Verbreiterung  der  Querfortsätzo  beitragen.  Sehr  häufig  ist  diese 
Verbreiterung  der  Querfortsätze  am  letzten  Lumbalwirbel ,  gegenüber 
denen  der  vorhergehenden  Wirbel,  an  den  Skeleten  Erwachsener  wahr- 
zunehmen. Die  Entwickelungsgeschichte  zeigt,  dass  ventrale  Seiten- 
stücke, die  aber  nicht  ziir  vollen  Ausbildung  kommen ,  dabei  im  Spiele 
sind,  indem  an  manphen  Kinderskeleten  die  überzähligen  beiden 
Knochenkerne  zuweilen  schon  äusserlich  wahrnehmbar  (vergl.  Fig.  2  es) 
oder  doch  auf  Querschnitten  nachweisbar  sind.  Diese  Fälle  geben  zu- 
gleich die  zuverlässii^sfen  Beweise  für  die  Richtigkeit  der  oben  ver- 
tretenen Auffassung  der  Quorforlsätze  der  Lendenwirbel. 


Beiträge  zur  anatomiscbeD  KeBhiiiiss  des  Kreiizbe iues  der  S&ogethiere.         406 


Kaninchen  und  Feldhase. 

In  der  Gattung  Lepus  finden  wir  das  Sacrum  in  der  Regel  aus 
drei  Wirhein  zusammengesetzt.  Nur  der  erste  besitzt  die  typischen  Be- 
ziehungen eines  echten  Sacralwirbels,  die  beiden  anderen  unterscheiden 
sich  nur  durch  ihre  Grösse  und  Unbeweglichkeit,  kaum  ihrer  Gestalt 
nach,  von  den  vordersten  Schwanzwirbeln.  Da  im  Gegensatze  dazu  der 
erste  Sacralwirbel  mit  den  Lendenwirbeln  Manches  gemeinsam  hat,  so 
muss  seiner  Beschreibung  die  Kenntnissnahme  derselben  vorausgehen. 

Die  Körper  der  Lendenwirbel  sind  langgestreckt,  mehr  breit  als 
dick;  alle  ihre  Fortsetze  sind  machtig  entwickelt.  Die  Bauchflache  jedes 
Wirbelkörpers  zeigt  eine  Mittelkante,  zu  deren  beiden  Seiten,  besonders 
vorn,  die  Fläche  ausgehöhlt  und  vertieft  ist.  Durch  zwei  scharfe  Seiten- 
kanten ist  sie  nach  aussen  gegen  die  Seitenflächen  des  Wirbels  abge- 
grenzt. Die  langen,  nach  vorn  und  aussen  stehenden  Querfortsätze  sind 
plattgedrückt;  ihre  untere  Flüche  ist  eine  Fortsetzung  der  unteren  Flüche 
des  Wirbelkörpers ,  ihr  hinlerer  scharfer  Rand  geht  im  Bogen  aus  den 
Seitenkanten  des  Körpers  hervor.  Von  den  sechs  Lumbaiwirbeln  hat 
der  fünfte  die  längsten  Querfortsfltze ;  nach  vorn  und  hinten  von  ihm 
nimmt  die  Lunge  derselben  stetig  ab. 

Der  erste  Sacralwirbel  theilt  mit  den  Lendenwirbeln  den  Besitz 
dieser  characteristischen  Querfortsatze;  sie  bilden  einen  Theil  seiner 
Seitenfortsdtze  und  bewahren  sich  in  vielen  Füllen  eine  gewisse  Selbst- 
ständigkeit, indem  wenigstens  ihr  Ende  am  Vorderrande  der  Seiten- 
fortsütze  frei  hervorragt.  Sie  entsprechen  nach  Richtung,  Gestalt  (so- 
weit sie  erkennbar  ist)  und  relativer  Länge  (indem  sie  um  ebensoviel 
von  den  Querfortsätzen  des  letzten  Lendenwirbels  an  Länge  übertroffen 
werden,  als  diese  von  denen  des  ftlnften)  und,  was  besonders  wichtig 
erscheint,  ihrer  Eniwickelung  nach  genau  den  Querfortsätzen  der  Len- 
denwirbel. Die  letztei^en  entwickeln  sich  aber  ganz  so,  wie  die  ent- 
sprechenden Fortsätze  beim  Menschen,  indem  sie  langsam  von  ihrer  an 
den  oberen  Bogen  liegenden  Wurzel  her  nach  der  Spitze  fortschreitend 
verknöchern  und  niemals  grössere  eigene  Knochenkerne  besitzen.  Wie 
beim  Menschen ,  wird  der  Wirbelkörper  auch  bei  diesen  Nagern  unter 
Betheiligung  oller"  drei  in  jedem  Wirbel  auftretenden  Knochenkerne  in 
seinen  fertigen  Zustand  übergeführt.  Dies  gilt  ebensowohl  für  die 
Lendenwirbel,  wie  für  alle  ihnen  folgenden  Wirbel,  soweit  sie  nicht 
wie  die  letzten  Schwanzwirbel,  verkümmert  sind.  Nur  der  erste»  Sacral- 
wirbel macht  von  dieser  gleichartigen  Rntwickelung  eine  beinerkens- 
wtMahe  Ausnahme,  da  wieder  in  seinen  Seitenfortsätzen  die 


i 


410  F.  Frenkel, 

selbst<MncHgen  Knochenkerne  auftreten,  die  wir  am  mensch- 
lichen Sacrum  als  ventrale  Seitenstücke  bezeichnet  haben. 

Auch  wenn  sie  nicht  in  Jugendzuständen  des  Sacrums  als  unab- 
hängige Verknöehcrungspuncte  nachweisbar  wSiren,  würde  man  schon 
aus  der  Gestalt  der  Seitenfortsiltze,  besonders  aus  der  distalen  Ab— 
gliederung  der  processus  transversi  von  einem  ventralen  Stücke  auf  ihr 
Vorhandensein  schliessen  können. 

In  der  That  kann  man  solche  als  selbständige  Rnochenstücke  im 
Sacrum  der  Hasen  noch  einige  Zeit  nach  der  Geburt  beobachten ;  sie 
verschmelzen  aber  weit  eher,  als  beim  Menschen,  mit  den  übrigen 
Bildungsstttcken  des  Wirbels.  An  einem  halberwachsenen  Kaninchen, 
dessen  Wirbelsäule  vom  Atlas  bis  zum  Sacrum  20  Gentimeter  maass, 
fand  ich  auf  einem  Querschnitt  bereits  alle  Nahtspuren  verwischt.  Um 
so  deutlicher  sind  die  ventralen  Seitenslücke  noch  beim  neugeborenen 
Kaninchen.  Auch  bei  Lepus  timidushabe  ich  sie  bei  einem  9  Gentimeter 
langen  Embryo  gefunden.  Sie  bilden  immer  die  Hauptmasse  des  Seiten- 
fortsatzes uixl  liegen  nach  unten  und  hinten  dem  Querfortsatze ,  nach 
innen  dem  Wirbelkörper  an.  In  ihrer  Entwickelung  bis  zum  Ver- 
schmelzen mit  den  übrigen  Stücken  bieten  sie  nichts  Besonderes  dar, 
da  sie  sich  dabei  wie  die  entsprechenden  Theile  im  menschlichen  Sacrum 
verhallen.  (Fig.  5  Taf.  XXI). 

Die  Seilenflilche  des  ersten  Sacralwirbels ,  welche  hinten  an  der 
Verbindungsstelle  mit  dem  zweiten  .Sacralwirbel  am  breitesten  er- 
scheint, verschm^ilert  sich  nach  vorn  zusehends  und  endigt  in  einen 
spitzen  Winkel  ausgezogen  über  dem  Ende  des  zugehörigen  Querforl- 
satzes, dessen  nach  aussen  und  oben  sehende  Rückenfläche  ihren  vor- 
deren Abschnitt  darstellt.  Der  hintere  Abschnitt  ist  überknorpelt  und 
erhebt  sich  um  ein  Betrachtliches,  oft  um  1  Mm.,  über  das  Niveau  der 
übrigen  Seitenfläche.  Er  bildet  die  Gelenkfläche  für  das  Dannbein  und 
verfällt  durch  einen  Einschnitt  in  eine  obere  und  untere  Hälfte  (s.  Fig.  7 
Taf.  XXI) ,  die  schräg  nach  hinten  convergiren  und  schliesslich  zusammen- 
fliessen.  Die  grössere  untere  Hälfte  erstreckt  sich  am  ventralen  Bande  der 
Seitenfläche  bis  nach  deren  vorderem  Ende  hin ;  an  jungen  Skeleten,  mit 
noch  sichtbaren  Knorpelgrenzen  zwischen  den  Bildungsstücken  des 
W^irbels,  erkennt  man  sofort,  dass  dieser  grössere  Abschnitt  der  Ge^ 
lenkflache  die  Aussenfläche  des  ventralen  Seitenstückes 
darstellt.  Die  kleinere  dorsale  Hälfte  der  Gelenkfläche  gehört  dem  Ver- 
knöcherungsbezirkedes  oberen  Bogens  an,  der  somit  an  derGe- 
lenkverbindung  mit  dem  Darmbeine  betheiligt  ist.  Ge- 
wöhnlich bildet  die  Aussenfläche  des  ventralen  Seitenstückes  zwei 
Drittel   und   der  Antbeil   des  oliereu   Bogens  ein  Drittel   der   ganzen 


f 


Beitrüge  zur  aiiatomisclicu  Keuutiiiss  des  Kreuzbeines  der  SAngethiere.        411 

Gelenkfläche  (s.  Fig.  7j.  An  den  breiten  Hinterrand  des  Scitenfortsatzes 
des  ersten  Sacraiwirbels  schJiesst  sich  der  nur  sehr  kurze  processus 
trausversus  des  zweiten  durch  eine  später  verknöchernde  Knorpelbrücke 
an.  Das  ventrale  ScitenstUck  des  ersteren  (»leibt  durch  sein  Vorspringen 
nach  unten  zu  mit  diesem  rudimentären  Querfortsatze  nicht  oder  kaum 
in  Berührung.  Die  seitliche  Verschmelzung  des  zweiten  mit  dem  dritten 
Sacralwirbei  erfolgt  dadurch,  dass  der  sehr  kurze  Querfortsatz  des 
letzteren  einem  nach  hinten  gerichteten  Fortsalze,  der  aus  dem  oberen 
Bogen  des  zweiten  Wirbels  entspringt,  entgegen  wächst,  und  die  schon 
vorhandene  Knorpelbrücke  zwischen  beiden  Wirbeln  auf  diese  \Veise 
verknöchert. 

Von  der  hier  geschilderten  Regel  finden  sich  vorzüglich  an  der  mit 
dem  Darmbeine  in  Contact  tretenden  Seitenfläche  grössere  individuelle 
Verschiedenheiten ,  wie  ich  aus  Vergleichung  einer  Anzahl  von  Kreuz- 
beinen finde.  Bald  ist  sie  mehr  breit  als  lang,  bald  schmal  und  be- 
sonders nach  vom  ausgedehnt,  beides  je  nach  der  Länge  des  in  ihr 
auftretenden  Querfortsat;&c5 ,  dessen  Antheil  an  der  Ilio-sacral- Verbin- 
dung als  das  variabelste  Moment  erscheint.  Ich  glaube  nicht  zu  fehlen, 
wenn  ich  diesen  Umstand  aus  der  secundären  Natur  jener  Verbindung 
zu  deuten  versuche. 

Das  Auftreten  des  ventralen  Seitenstückes  ist  ebensowenig  wie 
beim  Menschen  nur  auf  typische  Sacralwirbei  beschränkt,  denn  auch 
der  letzte  Lendenwirbel  kann  damit  ausgestattet  sein.  Dies  ist  besonders 
deshalb  wichtig,  weil  es  unmittelbar  darauf  hinweist,  was  am  ersten  Sa- 
cralwirbei als  Querfortsatz  und  was  als  ventrales  Seilenstück  zu  betrachten 
sei.  Einen  solchen  Fall  habe  ich  in  Fig.  27  Taf.  XXI  abgebildet.  Man 
sieht  am  linken  Querfortsatze  des  letzten  Lendenwirbels  ein  ventrales 
Seitenstück  aufgetreten,  das,  mit  dem  Seitenfortsatze  des  ersten  Sacrai- 
wirbels verwachsen ,  ihn  verhindert  hat,  sich  wie  auf  der  rechten  Seite 
nach  vom  auszudehnen.  Der  Quorfortsatz  ist  infolge  seiner  mächtigen 
KntwickeluDg  medial  gedrängt  und  steht,  statt  lateral  und  vorwäii«  ge- 
richtet zu  sein,  parallel  mit  der  Axe  des  Wirbelkörpers.  In  der  Seilenan- 
sicht sieht  man  dieses  ventrale  Seitenstück  einen  Theil  der  hier  in  einen 
vorderen  und  einen  hinteren  Abschnitt  zerfallenen  Gelenkfläche  zum 
Ansatz  an  das  Ilium  brlden.  Der  Querfortsatz  des  ersten  Sacraiwirbels 
ist  durch  das  Auftreten  jenes  ventralen  Stückes  am  letzten  Lenden- 
wirbel in  seinem  Wachsthume  gehemmt  und  wird  als  kurzer  Höcker 
mit  ausgesprochener  Lage  und  Richtung  eines  processus  transversus 
lateral  vom  vprcjeren  Gelenkfprtsatze  sichtbar.  (S.  Fig.  27  Taf.  X;?CL] 


412  F.  Freiikel, 

Meerschweinchen. 
Auch  hier  fand  ich  bei  jungen  Thieren  die  ventralen  Seiieostückc 
im  ersten,  aber  auch  im  zweiten  Sacralwirbel ,  wenn  auch  weniger  als 
im  ersten,  entwickelt.  Der  dritte  und  vierte  hatten  wieder  ganz  das 
Aussehen  der  Schwanzwirbel,  wie  die  letzten  Sacralwirbel  beim  Hasen. 
Die  Spuren  der  ventralen  Seitenstücke  waren  durch  Verschmelzung  aiit 
den  oberen  Bogen  bereits  fast  verwischt,  gegen  den  Körper  jedoch  er- 
schienen beide  Bildungssttteke  des  Wirbels  noch  deutlich  abgegrenzt. 
Die  oberen  Bogen  scheinen  auch  bei  diesem  Thicre  sich  an  der  Bildung 
der  Gelenkfläche  zu  betheiligen. 

Hauskatze. 

Das  Kreuzbein  der  Katze  stellt  eine  aus  drei  Wirbeln  bastehende, 
viereckige  Platte  mit  ausgezogenen  Ecken  dar.  Die  beiden  hinteren 
Wirbel  desselben  sind  sich  an  Grösse  und  Gestalt  ziemlich  gleich :  sie 
sind  breiter  als  lang,  ihr  Körper  plattgedrückt,  die  Seitentheile  un ver- 
dickt und  schmal.  Der  leiste  gleicht  durch  zwei  nach  hinten  und  aussen 
ragende  Fortsätze,  von  den  Querfortsätzen  der  Lendenwirbel  entge- 
gengesetzter Lage  und  Bichtung,  bereits  sehr  den  vorderen  Sohwanz- 
wirbeln j  die  alle  zwei  so  gelagerte,  fast  hakenförmige  Fortsätze  be- 
sitzen.  (Fig.  8,  a,a  Taf.  XXI.) 

Der  erste  Sacralwirbel  unterscheidet  sich  von  den  anderen  durch 
grössere  Breite  und  Dicke  und  durch  seine  am  ventralen  Bande  nach 
unten  gebogenen  und  in  der  Seitenansicht  sehr  verbreiterten  seitlichen 
Fortsätze. 

Die  Körper  der  Lendenwiii)el  sind  nicht  viel  länger  alä  breit ,  an 
dem  letzten  überwiegt  sogar  die  Breite  die  Länge.  An  ihrem  vorderen 
Ende  entspringen  seitlich  die  langen,  säbelförmigen  Querfortsätze,  die, 
nach  vorn  und  aussen  gerichtet,  am  fünften  und  sechsten  die  grösste 
Länge  erreichen.  Am  siebenten  sind  sie  etwas  kürzer  und  breiter. 
(Fig.  8  p  tr.Taf.  XXI.) 

Der  erste  Sacralwirbel  bietet  bei  seitlicher  Ansicht  weder  mit  den 
vor  noch  mit  den  hinter  ihm  folgenden  Wirbeln  grosse  Aehnlichkcit. 
Seine  weit  nach  unten  vorspringenden  Seiten fortsätze  mit  der  fast  qua- 
dratischen Aussenfläche  kennzeichnen  ihn  vor  jedem  anderen  Wirbel. 

Als  Gelenkfläche  für  das  Darmbein  dient  die  hintere  Hälfte  der 
Aussenfläche;  sie  ist  überknorpelt,  glatt,  etwas  über  den  übrigen  Theil 
der  ganzen  Seitenfläche  erhaben,  und  sendet  einen  schmalen,  zungen- 
lui  niigen  Fortsalz  am  ventralen  Bande  der  Seitenfläche  nach  vorn.   Der 


Beiträge  siir  aiutoinischeii  KeiintiiisB  des  Krenzbeines  der  Sitogetbiere.         413 

Uiuriss  der  Gelcnkflächc  isl  el\v<i  hnlhmondfOrmig ,  mit  hinterer  Con- 
veximt,  und  abgerundeter  oberer  Spitse. 

Betrachtet  man  cbendieso  Gelenkflttebe  am  Sacrum  eines  ganz 
jungen  Thieres  (am  deutlichsten  ist  es  an  Skeleten  neugeborener  Katzen 
zu  sehen),  so  sieht  man  auf  ihr  eine  horizontal  gerichtete  schwache 
Furche,  durch  die  ein  oberer  schmaler  Abschnitt  der  Fläche  von  einem 
unteren,  viel  breileren  unlerscheidbar  wird.  Verfolgt  man  die  Grenz- 
linie über  die  Geleokfl^che  hinaus  nach  vorn  bis  an  den  Rand  des  Sei- 
tenfortsatzes,  was  nach  Entfernung  der  die  SeitenOiiche  bedockenden 
Bandmasse  leicht  geschehen  kann ,  so  lässt  sich  ein  dorsaksr  und  ein 
ventraler  Abschnitt  der  Seitenfläche  unterscheiden.  Was  über  der 
Furche  liegt,  gehört  dem  Verknöcherungsgebiete  des  oberen  Bogen  an ; 
dieser  entsendet  einen  kurzen  nach  vorn  gerichteten  processus  trans- 
versus,  der  infolge  der  Anlagerung  des  Darmbeines  an  die  Seitenfläche 
des  ersten  Sacralwirbels  nur  nidimentttr  auftritt.  Er  entspricht  der 
Wurzel  der  stark  verlängerten  processus  iransversi  an  den  Lenden- 
wirbeln. Der  über  der  Furche  gelegene  Abschnitt  der  Gelenkfläche 
wird  denmach  el>enfalls  vom  oberen  Bogen  gebildet. 

Denkt  man  sich  den  unter  der  Furche  gelegenen  Theil  der  Sei- 
tenfläche hinweg,  so  gewinnt  der  Wirbel  ganz  das  Aussehen  eines 
Lendenwirbels.  Die  Verschiedenheit  zwischen  dem  ersten  Sacralwirbel 
und  den  Lendenwirbeln  ist  also  auch  hier  durch  das  Auftreten  eines 
selbständigen  Bildungsstttckes  unterhalb  der  oberen  Bogen  in  den  Sei- 
tentheilen  dieses  Wirbels  bedingt.  Durch  Lage,  Gestali  und  Entwiekelung 
ist  es  als  ventrales  SeitenstUck  characterisirt.  Von  unten  betrachtet  zeigt 
der  erste  Sacralwirbel  den  ovalen  Knochenkera  des  Wirbelkörpers  noch 
durch  breite  Knorpelgrenzen  von  den  schon  sehr  grossen  Knochen- 
kernen der  ventralen  Seitenstucke  gesondert.  (Fig.  8  es.) 

Der  zweite  und  dritte  Sacralwirbel  entwickeln  sich,  wie, die  Len- 
denwirbel ,  anfänglich  mit  nur  drei  Knochenkemen.  Erst  kurz  vor  der 
Geburt  treten  in  jedem  noch  zwei  neue  Knoohenkeme  auf,  welche  sich 
bis  kurze  Zeit  nach  der  Geburt  selbständig  erhalten.  (Fig.  8.) 

Nachdem  die  Knoohenkeme  der  oberen  Bogen  im  Knorpel  die 
Bauchfläche  des  Wirbels  erreicht  und  sieh  in  den  Seitentheilen ,  be- 
sonders im  hinteren  Abschnitte  derselben,  beträchtlich  vergrössert 
und  seitlich  dem  Knochenkerne  des  Wirbelkörpers  genähert  haben  (sie 
nehmen  auch  in  diesen  Wirbeln  an  der  Bildung  des  knöchernen  Wirbel- 
körpers Theil),  gleicht  bis  dahin  ein  solcher  Wirbel,  von  unten  betrachtet, 
in  der  Gruppirung  seiner  drei  Knochenkerne  einem  Lendenwirbel.  Es 
dauert  aber  nicht  lange,  so  tritt  im  vorderen  noch  knorpeligen  Ahschüitte 
der  Seitentbeile ,  etwas  mehr  nach  aussen ,  im  Rande  derselben  je  ein 


414  F*  Frenkel, 

kleiner  linsenförmiger  Knochenkern  auf,  der  auch  bei  Betrachtung  der 
Rückenfläche  rings  von  Knorpel  umgeben  erscheint  (s.  Fig.  8  es).  Wahr- 
scheinlich verschmilzt  er  frühzeitig  mit  dem  Knochenkeme  des  oberen 
Bogen.  Sein  Verbreitungsbe^irk  scheint  besonders  die  Knorpelbrücko 
seitlich  zwischen  je  zwei  Sacralwirbeln  zu  sein.  Ob  er  den  Wirbel- 
ktfrper  erreicht,  muss  ich  in  Frage  lassen,  da  dieser  Beziehung  seine 
Lage  nach  aussen  vom  Rnochenkerne  des  oberen  Bogens  wenig  günstig 
ist.  Eine  Erklärung  dieser  überzähligen  kleinen  Knochenkerne  erhält 
man  durch  ihre  Yergleichung  mit  den  ventralen  Seilenstücken  des 
ersten  Wirbels:  es  sind  rudimentäre  ventrale  Seitenstücke, 
die  den  Wirbelkörper  nicht  berühren  und  sich  daher  ebenso  verhalten , 
wie  die  entsprechenden  Knochenstücke  im  zweiten  und  dritten  Sacral- 
Wirbel  des  Menschen ,  die  nicht  oder  kaum  mit  dem  Knochenkerne 
des  Körpers  in  Verbindung  stehen.  Eine  Betheiligung  an  der  Gelenk- 
fläche, wie  beim  Menschen,  findet  von  Seiten  dieser  Rudimente  nicht 
statt,  da  die  Ilio-sacral- Verbindung  auf  den  ersten  Sacralwirbel  be- 
schränkt erscheint. 


Hund. 

Auch  beim  Hunde  besteht  das  Sacrum  wie  bei  allen  Garnivoren 
aus  drei  verwachsenen  Wirbeln.  Die  Aehnlichkeit  mit  dem  Sacrum  der 
Katze  ist  so  gross,  dass  alles  darüber  Gesagte,  wenigstens  in  Hinsicht 
des  ersten  Wirbels ,  von  kleinen  unwichtigen  Verschiedenheiten  abge- 
sehen, auch  für  den  Hund  seine  Geltung  hat.  Es  ist  mir  sehr  wahr- 
scheinlich ,  dass  wenigstens  auch  am  zweiten  Sacralwirbel  Rudimente 
ventraler  Soilcnstücke  sich  entwickeln ,  indem  die  vordere  Hälfte  seines 
Seitenfortsatzes,  allmälig  nach  vorn  zu  verdickt,  an  der  Bildung  der 
Gelenkfläche  für  das  llium  mit  einer  kleinen  Strecke  seiner  schmalen 
Seitenfläche  betheiligt  ist.  Das  Vorkommen  ventraler  Seitenstücke  am 
letzten  Lumbalwirbel ,  bildet  dieselben  Anomalien  wie  sie  oben  mehr- 
fach erwähnt  wurden.  So  finde  ich  am  Sacrum  eines  vierteljährigen 
Hundes,  dessen  Skelet  mir  vorliegt,  linkerseits  ein  ganz  normales  Ver- 
halten, indess  rechterseits  der  letzte  (siebente)  Lendenwirbel  sacral 
ausgebildet  ist,  indem  er  ein  mit  dem  Seitenfortsatze  des  ersten  Sacral- 
wirbels  verwachsenes,  mit  dem  Darmbeine  articulirendes  ventrales  Sei- 
tenstück trägt,  welches,  nach  unten  und  hinten  von  dem  unverbundenen, 
mit  freiem  Ende  nach  aussen  ragenden  Querforlsatze  gelegen,  durch  eine 
Kerbe  deutlich  von  ihm  geschieden  ist.  Durch  die  Verwachsung  mit 
dem  ersten  Sacralwirbel  ist  zwischen  boidcn  Wirbeln  ein  foramen 
sacrqle  gebildcL  (Vergl.  Fig.  26  Taf.  XXII.) 


Bf UrSge  zur  Atiatomisehen  Kenntniss  des  Krenibeines  der  Silogiethiere.  415 

* 

Rind. 

Beim  Rinde  wird  das  Sacrum  aus  fünf  an  niehivren  Stellen  ver- 
sciimolzenen  Wirbeln  zusamengeselzt ,  von  welchen  die  vier  hinteren 
an  Grösse  und  Gestalt  einander  fast  gleich  sind,  und  bei  Embryonen  an 
den  wenig  entwickelten,  schmalen  Seitentheilcn  der  selbständigen 
Knochenkerne  entbehren.  Ihr  Uebergang  aus  dem  knorpeligen  Zustande 
in  den  knöchernen  erfolgt  daher  ganz  wie  an  anderen  Wirbeln  und 
bietet  nichts  Bemerkenswerthes  dar. 

Der  erste  Sacralwirbel  dagegen  besitzt  breite,  weit  nach  aussen 
reichende  Seitentheile,  überragt  doshalb  alle  folgenden  Wirbel  und  ist 
damit  seiner  Gestalt  nach  von  den  anderen  verschieden.  Seine  Seiten- 
fläche hat  den  Umriss  eines  gleichschenkligen  Dreieckes,  ist  sehr  aus-« 
gedehnt  und  springt  mit  stumpfer  Spitze  nach  unten  weit  über  den 
Seitenrand  der  nachfolgenden  Sacralwirbel  vor. 

Der  ventrale  Schenkel  des  schon  im  knorpeligen  Stadium  von  dem 
dorsalen  Abschnittesich  deutlich  abhebenden  Seitenfortsatzes  (vei*gl.  Fig. 
9  Taf.  XXI)  ist  besonders  lang,  von  vorn  nach  hinten  weniger  als  in  ver- 
ticaler  Richtung  verdickt,  an  seinem  distalen  Ende  verbreitert,  wie  ein 
Fuss  nach  seiner  Sohle  zu.  Vom  Wirbelkörper  geht  er  schräg  nach 
hinten  und  aussen  und  trägt  auf  der  Aussenseite  die  Gelenkfläche  für 
das  Darmbein,  die  ihn  aber  nicht  einmal  ganz,  sondern  nur  sein 
äusserstes  Ende  überzieht. 

Obgleich  dieser  ventrale  Schenkel  des  Seitenfortsatzes  in  ausge- 
sprochenster Welse  die  Form  des  ventralen  Siütenstückes ,  wie  bei  den 
schon  besprochenen  Säugethioren ,  besitzt,  war  bei  einem  schon  sehr 
grossen  Rinderembryo,  an  dessen  Sacrum  ich  Querschnitte  untersuchen 
konnte,  von  selbsUindigen  Knochenkernen  noch  keine  Spur  zusehen. 
Gleichwohl  war  die  35  Centimeter  lange  Wirbelsäule  (vom  Atlas  bis 
Anfang  des  Schwanzes  gemessen)  noch  ziemlich  weit  in  der  Ver- 
knöcherung zurück ,  die  Knorpelgrenzen  zwischen  den  Knochenkernen 
der  Wirbel  noch  breit  und  die  langen  Fortsätze  zum  grössten  Theile 
noch  knorpelig  (s.  Figg.  40a  und  40b.).  Am  ersten  Sacralwirbel  zeigte 
jeder  Seitenfortsatz  einen  grossen,  ihn  fast  schon  ausfüllenden  Knochen- 
kern  und  gegen  den  Wirbelkörper  hin  eine  Knorpelgrenze  von  2  Mm. 
Breite.  Der  Durchschnitt  machte  vollkommen  den  Eindruck,  als  sei  der 
ganze  Seitenfortsalz  vom  oberen  Bogen  aus  allmälig  verknöchert.  Von 
einer  bereits  erfolgten  Verschmelzung  eines  ventralen  Knochenkernes 
mit  dem  regelmässigen  dorsalen  des  oberen  Bogens  sah  man  keine  An- 
deutung, obgleich,  wenn  überhaupt  ein  ventraler  Knochenkern  sich 
entwickelt  gehat'  ^dung  des  knöchernen  Theiles  der 


416  F.  Freiikel, 

Schnittfläche  die  Spuren  desselben  üls  Einscbnitle  des  Randes  halten 
sichtbar  sein  müssen.  Andere  Embryonen  boten  mir  eine  Besteigung 
dieses  Verhaltens  dar.  In  diesen  Fällen  ist  es  dah^r  höchst  wahrschein- 
lich, dass  das  ventrale  Seitenstück,  obgleich  durch  die  Form  des  ersten 
Sacralwirbels,  ursprünglich  wenigstens  durch  Knorpel  angedeutet,  seine 
Selbständigkeit  einbüsste,  indem  der  ventrale  Sehenkel  des  Seitenfori- 
Satzes  vom  oberen  Bogen  aus  verknöcherte. 

In  einem  anderen  Embryo  fand  ich  dagegen  den  unteren  Abschniil 
des  Seitenforlsatzes  (s.  Fig.  11)  mit  einem  grossen  Knochenkern  ver- 
sehen ,  der  schon  tbeilweise  an  die  Oberfläche  trat  und  überall  nach 
dem  Körper  des  Wirbels  und  nach  dem  oberen  Bogen  zu  von  Knorpel 
umgeben  war.  Er  nahm  die  stark  verbreiterte  Aussenhälfte  des  ven- 
tralen Schenkels  bereits  fast  ganz  ein  ,  nach  innen  zu  war  er  noch  weit 
entfernt,  das  Köiperstück  zu  berühren,  und  auch  vom  Knorchenkern 
des  oberen  Bogen  durch  eine  dicke Knorpellage  geschieden  (s.  Fig.  J  4  es.) . 

Aus  diesen  beiden  Befunden  mussich  schliessen,  dass  der  Knochen- 
kern des  ventralen  Seitenstückes  entweder  mit  dem  des  oberen  Bo> 
gens  sehr  frühzeitig  verschmilzt,  oder  gar  nicht  mehr  selbständig  auf- 
tritt, und  das  letztere  scheint  die  Regel  zu  sein. 

Schwein. 

Das  eine  grössere  Wirbelzahl  (manchmal  8)  umfassende  Kreuzbein 
zeigt  wieder  einen  Wirbel  vor  allen  anderen  entwickelt.  Die  breite 
Seitenfläche  des  ersten  Sacralwirbels  trägt  an  ihrem  ventralen  Rande 
eine  schmale ,  eiförmige  Gelonkfläche ,  die  sich  auf  die  Seitenfläche  des 
zweiten  Wirbels  mehr  oder  weniger  mit  ausdehnt.  Indessen  trägt  der 
erstere  immer  den  grössten  Theii  davon.  (In  Fig.  t3  gehört  sie  nur 
dem  ersten  Sacralwirbel  an.)  Der  erste  Saoralwirbel  ist  breiter  als  die 
anderen,  nach  allen  Richtungen  hin  voluminöser  und  durch  die  nämliche 
characteristischeForm,  wie  bei  anderen  Thieren,  vor  ihnen  ausgezeichnet. 
Wenn  es  auch  keinem  Zweifel  unterliegt,  dass  ventrale  Seitenstücke 
auch  hier  dem  ersten  Sacralwirbel  zukommen ,  so  ist  doch  eine  selbst- 
ständige Verknöcherung  dieser  Stücke  nicht  mehr  nachweisbar. 

Zur  Beantwortung  der  Frage,  ob  beim  Schweine  zu  irgend  einer 
Zeit  des  embryonalen  Lebens  jene  Knochenkerne  im  Knorpel  auftreten, 
untersuchte  ich  eine  grössere  Anzahl  von  Embryonen  und  von  jungen 
Thieren  verschiedener  Stadien,  fand  aber  in  allen,  bis  zur  Verwachsung 
der  Bildungsstücko  und  zur  vollständigen  Verknöcherung  des  Wirbels 
(vor  Ablauf  des  ersten  Lebensjahres  scheint  sie  vollzogen  zu  sein]  im 
ersten  Sacralwirbel  niemals  mehr  als  drei  Knochenkeme  vor.  Es  wird 
also  hier  der  beim  Rinde  noch  srbwankendo  Zustat^d  in  ein  festes 


Beiträge  siir  auatomiselien  Keuntniss  des  Kreuzbeines  der  S&tigetbiere.         4 1 7 

Verhalten  eingclretcn  sein,  so  dass  die  dort  nur  in  ein/clneo  Fällen  von  den 
oberen  Bogen  aus  besorgte  YerknOcherüng  des  ventralen  SeitenstUckes  hier 
constant  vom  oberen  Bogen  her  erfolgt.  Die  Selbständigkeit  der  Seiten- 
slüeke  ist  also  ganz  verloren  gegangen ,  und  nur  die  Gesammterscbei- 
nung  des  ersten  Sacralwirbels  deutet  auf  die  ursprüngliche  Existenz 
eines  solchen  Stttckes.  Denn  jener  erste  Wirbel  des  Sacrums  ist  auch 
durch  den  Umriss  seines  Querschnittes  vor  allen  vor  und  nach  ihm 
folgenden  Wirbeln  ausgezeichnet,  und,  wie  bei  allen  von  mir  beschrie- 
benen Formen  des  Sacrums,  bleibtauch  hier  dieKnorpelgrcnze  zw^ischen 
dem  Körperstucke  und  dem  ventralen  Abschnitte  des  Seitenfortsatzes, 
der  aussen  die  Gelenkflilche  trUgt,  am  Uingsten  von  allen  Knorpelgrenzen 
des  Wirbels  erballen  (s.  Fig.  12  und  15  Taf.  XXI);  sie  verschwindet 
zuletzt.  Auf  dem  Querschnitte  des  ersten  Sacralwirbels  eines  viertel- 
jährigen Schweines  sah  ich  sie  noch  sehr  deutlich. 

Igel. 

Von  den  fünf  Sacralwirbeln  des  Igels  sind  die  drei  vordersten  mit 
den  Darmbeinen  in  HerUhrung.  Ihre  gemeinsame  Seitenfläche  trügt 
eine  vorn  breite,  nach  hinten  zu  verschmälcile  GelenkflHche,  die  den 
unteren  Abschnitt  der  Seitenfläche  einnimmt  (s.  Fig.  19  Taf.  XXI). 

Wie  an  den  Lendenwirbeln  die  Querforlsälzo,  so  sind  an  den  Sa- 
cralwirbeln die  Seilenfortsätze  sehr  kurz.  Dagegen  sind  die  Wirbel- 
körpor  alle  von  bedeutender  Breite ,  und  die  Seitenfortsätze  treten  an 
Volumen  bedeutend  hinler  ihnen  zurück  (Fig.  18  Taf,  XXI). 

Die  Wirbel  des  Sacrums  nehmen  nach  hinten  tu  an  Breite  ab ,  die 
hinteren  erscheinen  daher  länger  und  schmäler  als  die  vorderen,  weiche 
ziemlich  gleich  breit  und  lang  sind.  Ein  Ueberwiegen  des  vordei^slen 
Über  die  übrigen  Wirbel  in  Breite  und  Masse  findet  nicht  statt.  Die 
ersten  drei  Wirbel  stimmen  in  Gestalt  und  Grösse  auffallend  überein. 
Die  sehr  kurzen ,  gedrungenen ,  in  Seitenansicht  quadratischen  Seiten- 
fortsätze, fassen  enge  foramina  sacralia  zwischen  sich.  Sie  sind  nicht 
von  Anfang  an  knorpelig  verschmolzen,  sondern  ihre  benachbarten 
Ränder  sind  nur  durch  später  verknöchernde  Bindegewebsbrttcken 
untereinander  in  Zusammenhang  (s.  Fig.  18,  6). 

Die  Seitenflächen  des  Sacrums  fallen  fast  senkrecht  nach  unten  ab, 
ihr  ventraler  Rand  tritt  nur  wenig  über  den  dorsalen  nach  aussen  vor. 
Der  Form  des  Sacrums  entspricht  bekanntlich  das  ganze,  sehr  schmale 
und  lan^estreckte  Becken. 

Der  Querschnitt  durch  einen  Lendenwirbel  zeigte  sich  von  dem 
Querschnitte  *alwirbels  wieder  sehr  verschieden.    An 

jungen  Tbi(  perstttcke  des  Lendenwirbels  seitlich 


418  F.  Freiikel, 

auf  eine  Strecke  weit  die  oberen  Bogen  anliegen  (Fig.  20.  Taf.  XXI),  wel- 
che an  der  Bildung  des  Körpers  nur  einen  ganz  geringen  Antbeil  ha- 
ben. Von  der  Änsatzstelle  gehen  die  kurzen  Querforlsälze  recblwinklig 
nach  aussen  ah.  Der  Wirbelkörper  ist  nach  unten  stark  gewölbt ;  seine 
Seitenfläche  ist  daher  breit  und  hoch. 

Der  Querschnitt  durch  Körper  und  Seitenfortsätze  eines  Sacral- 
wirbels  ist  rechteckig,  denn  der  Körper  entbehrt  der  ventralen  Wölbung, 
welche  den  Lendenwirbeln  in  hohem  Maasse  zukommt.  (Vergl.  Figg.  20 
und  '21 .)  Die  ventrale  Fläche  geht  geradlinig  auf  die  Seiten fortsätze  tiber. 
In  der  grossmaschigen ,  schwammigen  Knocbensubstanz  sieht  man  nur 
zwei  Knorpelgrenzen  :  rechts  und  links  zwischen  den  oberen  Bogen  und 
den  unteren  Bildungsstücken  des  Wirbels ,  die  hier  mit  dem  Körper  in 
ein  Ganzes  verschmolzen  scheinen.  (In  Fig.  24  entspricht  p  tr  der 
Spitze  eines  Querfortsatzes.)  Der  bei  den  Lendenwirbeln  zwischen 
Seilenfläche  des  Körpers  und  ventraler  Fläche  des  Querfortsatzes  ge- 
legene einspringende  Winkel  ist  daher  durch  Knochenmasse  ausgefttlH 
zu  denken,  welche  den  Wirbelkörper  lateral  verbreitert. 

Der  Vorgang ,  durch  den  diese  Veränderung  des  Querscbnittbildes 
möglich  wurde ,  kann  auf  zweierlei  Weise  gedacht  werden.  Entweder 
hat  sich  das  Körperstück  so  verbreitert,  dass  es  bis  an  die  Enden  der 
Querfortsätze  ausgedehnt  wurde ,  oder  es  sind  auch  hier  ventrale  Sei- 
tenstücke entwickelt,  die  den  Eckraum  zwischen  Körper  und  Querfoiir- 
satz  ausfüllen ,  aber  wegen  zu  geringer  Grösse  vom  Körperstttcke  aus 
verknöchern ,  so  wie  sie  in  anderen  Fällen  (s.  oben]  von  den  oberen 
Bogen  aus  verknöchern  konnten.  Das  Körperstück  ist  an  den  Wirbeln 
des  Igels  so  mächtig  entwickelt,  dass  es  keine  Schwierigkeit  hat,  sich 
vorzustellen,  wie  bei  geringer  Entwiekelung  der  ventralen  SeitenstUcke 
ihre  Vorknöcherung  vom  Körperstücke  aus  besorgt  werden  konnte,  in- 
dem sie  ihre  Selbständigkeit  aufgaben. 

Da  die  Stelle ,  an  der  man  das  Ende  des  ventralen  Seitenstttckes 
auf  der  Seitenfläche  des  Wirbels  suchen  könnte,  wirklich  die  über- 
knorpelte  Gelenkfläche  mit  trägt;  da  ferner  kein  Beispiel  einer  so 
abnormen  Verbreiterung  des  Körperstückes,  wie  sio  hier  hätte  statt- 
finden müssen,  bekannt  ist;  endlich,  da  die  Querforlsätze  genau  diesell>e 
Stellung  zum  Wirbelkörper  haben,  wie  an  einem  Lendenwirbel,  während 
sie  im  Falle  einer  Verbreilorung.des  Körperstückes  und  einer  Anlage- 
rung desselben  an  die  Darmbeine  doch  nach  oben  gedrängt  sein 
müssten,  ist  es  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  die  ventralen  Seitenstücke 
in  den  vorderen  drei  Sacralwirbeln  auch  beim  Igel  ursprünglich  vor- 
handen und  völlig  in  den  Körperstücken  aufgegangen  sind.  Diese 
Deutung  gewinnt  eine  Stütze  an   dem  Factum ,  dass  überall  wo  di^ 


Beitrüge  inr  anatoinlsfheu  Kenntniss  des  Kreuzbeines  der  Silngethiere.         419 

ventralen  Theile  der  Seilen forlsiftze  selbstündig  ossißciren,  der  Knochen- 
kern vom  Wirbeikörper  ziemlich  entfernt  auftritt.  Eine  bedeutende 
Verkürzung  jenes  Theiles,  wie  sie  beim  Igel  besteht,  wird  demnach  gar 
keinen  Kern  mehr  auftreten  lassen. 

Vergleichung. 

Wir  fanden  die  ventralen  SeitenstUcke  in  gleicher  oder  ganz  ahn- 
licher Weise,  wie  beim  Menschen,  als  selbstiindige  Bildungsslttcke  in 
der  Sacralregion  auftreten  \)  bei  zwei  Vertretern  der  Raubthiere 
(Katze  und  Hund) ; 

2)  bei  drei  Vertretern  der  Nagethiere  (Kaninchen,  Feldhase, 
Meerschweinchen) . 

Dieses  übereinstimmende  Verhallen  entspricht  der  nahen  Verwandt- 
schaft, welche  zunächst  zwischen  den  Aßen  und  den  Nagethieren  als 
Ordnungen  der  Discoplacentalia  stattfindet. 

Die  Äbtheilung  der  Discoplacentalia  steht  nach  rückwärts  zu  keiner 
anderen,  grosseren  Gruppe  der  S^ugethierc  in  niiherer  Beziehung  nis  zu 
den  Zonoplacentalia,  von  denen  die  Raubthiere  ein  Zweig  sind. 
Sehen  wir  nun  bei  zwei  wichtigen  Vertretern  dieser  Ordnung,  als  Re- 
präsentanten der  katzen-  und  hundearligen  Raubthiere,  an  dem  sa- 
cralen  Abschnitte  der  Wirbelsäule  der  Hauptsache  nach  ein  gleiches 
Verhalten,  wie  bei  jenen  ausgesprochen,  so  ist  dies  ein  neuer  Beweis 
für  die  anzunehmende  nähere  Verwandtschaft  der  Deciduata.  Es  würde 
daher  naheliegen,  bei  allen  Deciduaten  das  Fortbestehen  selbständiger 
ventraler  Seilenstücke,  als  eines  ursprünglich  vererbten  Merkmales, 
vorauszusetzen,  wenn  dem  nicht  der  Umstand  widerspräche,  dass  bei 
einem  Geschlechle  der  Insectivora,  Erinaceus,  (vielleicht  bei  allen 
Insektenfressern)  die  Selbständigkeit  dieser  Bildungsslücke  verloren 
gegangen  scheint. 

Dieses  Aufhören  einer  selbständigen  Ossification  in  den  ventralen 
Seilenslücken  muss  beim  Igel  um  so  naheliegender  erscheinen ,  als  hier 
die  lateralen  Fortsätze  eine  sehr  untergeordnete  Rolle  spielen.  Wie  in 
der  Lendenregion ,  bildet  in  der  Sacralregion  des  Igels  der  Körper  die 
überwiegende  Hauptmasse  jedes  Wirbels;  die  Querfortsätze  sind  wegen 
der  starken  ventralen  Wölbung  des  Wirbelkörpers  weit  dorsalwärls  ge- 
rückt und  erscheinen  als  unbedeutende  seitliche  Anhänge.  Bei  dieser 
geringen  Längenausdehnung  der  seitlichen  Abschnitte  eines  Sacralwirbels 
muss  ein  hier  auftretendes  ventrales  Seitenstück  ebenfalls  sehr  verkürzt 
erscheinpn .  o«  cremi  in  einer  grösseren  Ausdehnung  an  den  Wirbel- 
körf  '«rfortsatz ,  den  Appendix  eines  oberen  Bogens. 

Wf  *  die  Annahme,  dass  die  ventralen  Seitenslücke 


420  F.  Freiikel, 

hier  insofern  eine  Rückbildung  erlitten  haben,  als  sie  aufhörten,  selbst— 
ständig  zu  ossificiren  und  dass  ihr  Verknöcherungsgebiet  zu  dem  des 
frühzeitig  mächtig  entwickelten  Körperstückes  des  Wirbels  geschlagen 
wurde  ? 

So  ergiebt  sich  also  aus  den  Verhältnissen  des  Sacruins,  und  damit 
im  Zusammenhange  aus  der  Gestaltung  des  Beckens  ein  Erklärunc^s— 
grund  für  das  Verschwinden  jener  unteren  Seitenslücke,  und  üires 
Aufgehens  in  den  Wirbelkörper,  welchMetzterer  damit  die  llio*sacral- 
Verbindung  zu  vermitteln  scheint.  Durch  diese  Beziehung  löst  sich  zu- 
gleich die  scheinbare  Uebereinstimmung,  welche  Erinaceus  im  Mangel 
jener  ventralen  Seitenstücke  mit  den  Artiodactylen  besitzt,  denn  hier 
hält  sich  der  Knochenkern  des  Wirbelkörpers  stets  fern  von  den  Seiten- 
Iheilen  des  Sacrums  welche  vielmehr  vom  Kerne  des  oberen  Bogens 
ossificiren. 

Von  monodelphen  Säugethieren  ohne  Decidua  wurden  nur  Wie- 
derkäuer und  Schweine  auf  die  Entwickelung  der  ventralen  Sei- 
tenslücke untersucht.  Auch  bei  ihnen  finden  wir  diese  Knochenslücke 
in  der  Regel  nicht  mehr  selbständig  entwickelt.  Wahrscheinlich  infolge 
einer  raschen  Ausdehnung  des  Knochenkernes  im  oberen  Bogen  jeder 
Seile  unterbleibt  bei  ihnen  das  Auftreten  eigener  Knochenkerne  im  ven* 
tralen  Abschnitte  der  Seitenfortsätze.  Umgekehrt  wie  bei  den  Insekten- 
fressern sind  bei  den  Artiodactylen  die  Querfortsätze  der  Wirbel  sehr 
entwickelt,  die  ventralen  Seitenslücke  daher  auf  eine  weit  grössere 
Strecke  hin  den  Bogenstücken ,  als  dem  Körperstücke ,  das  sie  nur  an 
einer  schmalen  Stelle  berühren,  angefügt.  Dieser  Umstand  und  das 
rasche  Anwachsen  der  seitlichen  oberen  Knochenkerne,  ehe  noch  die 
Verknöcherungspuncte  in  den  ventralen  Seiteostücken  entstehen,  schei- 
nen die  hauptsächlichen  Ursachen  für  das  Verlorengehen  ihres  selb- 
ständigen Verhaltens  zu  sein.  An  mehreren  Rinderembryonen,  bei 
einem  Schafembryo  und  bei  allen  untersuchlen  Schweineembryonen 
ohne  Ausnahme  fand  ich  it\  diesem  Puncte  die  grösste  Uebereinstimmung. 
Wie  richtig  aber  die  hier  gegebene  Auffassung  eines  Verlorengehens  der 
selbständigen  Verknöcherung  zu  Gunsten  der  Bogenslücke  ist,  das  er- 
giebt sich  aus  dem  von  mir  in  einem  Falle  beobachteten  Vorkommen 
einer  Wiederholung  jenes  fiüheren  Zustandes,  worin  die  ventralen  Sei- 
tenstücke selbständig  verknöcherten.  Dieser  als  Rückschlag  aufzu- 
fassende Fall  beweist,-  dass  an  dem  ursprünglichen  Vorhandensein  jener 
Bildungsstücke  in  den  Sacralwirbeln  auch  der  Wiederkäuer  und  Schweine, 
trotz  ihres  scheinbaren  Fehlens,  nicht  zu  zweifeln  ist. 

Aus  den  angeführten  Beispielen  geht  hervor,  dass  die  den  ven- 
tralen Seilenslürken  enlsprechonden  knorpeligen  Abschnitte  der  Seiten- 


Beitrüge  inr  «natomischeii  Keimtniss  des  Kreuxbeiiies  der  Silugethiere.         421 

fortsätzc  sich  bei  ihrer  Yerknöcherung  auf  dreifache  Weise  verhalten 
können.  Entweder  besitzen  sie  eigene  Rnochenkeme,  welche  erst  spät 
mit  den  übrigen  Bildungsstücken  des  Wirbels  verschmelzen :  oder  sie 
ossificiren  nicht  selbständig,  sondern  von  einem  benachbarten  Knochen- 
kerne und  zwar  entweder  vom  KOrperstücke  oder  vom  BogenstUcke  aus. 
Wo  überhaupt  ventrale  Seitenstücke  vorhanden  sind  (der  Augenschein 
lehrt,  dass  sie  im  Sacrum  aller  Siiugethiero  vorkommen),  ist  nur  einer 
dieser  drei  Fülle  möglich.  Wir  vermögen  sie  alle  von  dem  ersten  Fall, 
der  seibststiindigcn  Verknöcherung,  als  dem  ursprUngliclien  Zustand  ai>- 
zuleiten. 

In  Bezug  auf  das  übrige  Verhalten  dieser  Theile  ergeben  sich  fol- 
gende Resultate. 

1)  Beziehung  zur  facies  au ricularis.  Wo  ventrale  Seiten- 
stücke auftreten ,  nehmen  sie  Antheil  an  der  Bildung  der  Gelenkflliche 
für  das  Darmbein.  Bei  einigen  Thieren  kommen  sie  mit  dem  Darmbeine 
ausschliesslich  in  Berührung,  so  dass  sie  die  einzigen  TrMger  desselben 
darstellen.  Sie  sind  in  diesem  Falle  lünger  als  die  Querfortsätze,  über- 
ragen sie  nach  aussen  hin  bedeutend  und  erlauben  ihnen  daher  nichl^ 
an  der  Berührung  Theil  zu  nehmen.  Beim  Menschen  und  bei  den 
Wiederkäuern,  sowie  bei  den  Schweinen,  die  alle  durch  flach  abfallende 
Seitenflachen  des  Sacrums  ausgezeichnet  sind,  ist  dies  die  Regel.  Fallen 
aber  die  Seitenflüchen  steil  ab,  d.  h.  sind  die  ventralen  Schenkel  der 
Seitenfortsütze  nicht  viel  langer  als  die  dorsalen ,  so  können  auch  die 
oberen  Bogen  an  der  Bildung  der  Gelenkflache  betheiligt  sein  und  dies 
uinsomehr,  je  kürzer  die  ventralen  SeitenstUcke,  je  schmaler  daher  das 
Kreuzbein  ist.  So  sehen  wir  auf  eine  kleine  Strecke  hin  bei  den  Fleisch- 
fressern, in  grösserer  Ausdehnung  bei  den  Nagern  und  in  grösster  Aus- 
dehnung bei  den  Insektenfressern  die  oberen  Bogen  an  der  Bildung  der 
Gelenkflache  betheiligt.  Bei  letzteren  nimmt  die  ganze  Seitenflache  des 
Sacrums  an. der  Berührung  mit  dem  Ilium  Theil,  ist  überall  mitdUnnem 
Knorpel  überzogen  und  nur  rings  am  Rande  mit  demselben  durch  Band- 
masse verbunden. 

Es  ist  die  Frage,  welche  Art  der  Verbindung  man  für  die  ursprüng- 
liche halten  könnte.  An  den  meisten  Saugethierskeleten  findet  man 
nach  Entfernung  aller  Bänder  vorzüglich  den  unteren  Abschnitt  der 
Seitenfortsätze  mit  dem  Darmbeine  in  Berührung ,  während  zwischen 
diesem  und  dem  dorsalen  Abschnitte  der  Seitenfläche  sich  meist  eine 
breite,  nach  unten  hin  verschmälerte  Kluft  vorfindet,  die  im  lebenden 
Thiere  mit  Bandmasse  ausgefüllt  ist.  Die  Kluft  ist  oben  um  so  weiter, 
je  breiter  die  ventrale  F'"-»»»-*  '>^"«  ^^cralwirbel  ist.  Indem  nur  die  über- 
knorpelte  (velenkflä  angliche  Verbindungsstelle  gelten 


420  F.  Freükel, 

hier  insofern  eine  Rückbildung  erlitten  haben,  als  sie  aufhörten,  selbst— 
ständig  zu  ossißciren  und  dass  ihr  VerkniScherungsgebiet  zu  dem  das 
frühzeitig  müchtig  entwickelten  Körperstückes  des  Wirbels  geschlagen 
wurde? 

So  ergiebt  sich  also  aus  den  VerhSiltnissen  des  Sacruins,  und  daniii 
im  Zusammenhange  aus  der  Gestaltung  des  Beckens  ein  Erklärungs— 
grund  für  das  Verschwinden  jener  unteren  Seitenslücke,  und  ihres 
Aufgehens  in  den  Wirbelkörper,  welchMetzterer  damit  die  llio*sacral- 
Verbindung  zu  vermitteln  scheint.  Durch  diese  Beziehung  löst  sich  zu- 
gleich die  scheinbare  Uebereinstimmung,  welche  Erinaceus  im  Mangel 
jener  ventralen  Seitenstücke  mit  den  Artiodactylen  besitzt,  denn  hier 
hält  sich  der  Knochenkern  des  Wirbelkörpers  stets  fern  von  den  Seiten- 
theilen  des  Sacrums  welche  vielmehr  vom  Kerne  des  oberen  Bogens 
ossißciren. 

Von  monodelphen  Süugethieren  ohne  Decidua  wurden  nur  Wie- 
derkäuer und  Schweine  auf  die  Entwickelung  der  ventralen  Sei- 
tenslücke untersucht.  Auch  bei  ihnen  finden  wir  diese  Knochenslücke 
in  der  Regel  nicht  mehr  selbständig  entwickelt.  Wahrscheinlich  infolge 
einer  raschen  Ausdehnung  des  Knochenkernes  im  oberen  Bogen  jeder 
Seile  unterbleibt  bei  ihnen  das  Auftreten  eigener  Knochenkerne  im  ven- 
tralen Abschnitte  der  Seitenfortsätze.  Umgekehrt  wie  bei  den  Insekten- 
fressern sind  bei  den  Artiodactylen  die  Querfortsatze  der  Wirbel  sehr 
entwickelt,  die  ventralen  Seitenslücke  daher  auf  eine  weit  grössere 
Strecke  hin  den  Bogenstücken ,  als  dem  Körperstücke ,  das  sie  nur  an 
einer  schmalen  Stelle  berühren,  angefügt.  Dieser  Umstand  und  das 
rasche  Anwachsen  der  seitlichen  oberen  Knochenkerne,  ehe  noch  die 
Verknöcherungspuncte  in  den  ventralen  Seiteostücken  entstehen,  schei- 
nen die  hauptsächlichen  Ursachen  für  das  Verlorengehen  ihres  selb- 
ständigcti  Verhaltens  zu  sein.  An  mehreren  Rinderembryonen,  bei 
einem  Schafembryo  und  bei  allen  untersuchten  Schweineembryonen 
ohne  Ausnahme  fand  ich  iti  diesem  Puncto  die  grösste  Uebereinstimmung. 
Wie  richtig  aber  die  hier  gegebene  Auffassung  eines  Verlorengehens  der 
selbständigen  Verknöcherung  zu  Gunsten  der  Bogenslücke  ist,  das  er- 
giebt sich  aus  dem  von  mir  in  einem  Falle  beobachteten  Vorkommen 
einer  Wiederholung  jenes  früheren  Zustande«,  worin  die  ventralen  Sci- 
tenstücke  selbständig  verknöcherten.  Dieser  als  Rückschlag  aufzu- 
fassende Fall  beweist,-  dass  an  dem  ursprünglichen  Vorhandensein  jener 
Bildungsstücke  in  den  Sacralwirbeln  auch  der  Wiederkäuer  und  Schweine, 
trotz  ihres  scheinbaren  Fehlens,  nicht  zu  zweifeln  ist. 

Aus  den  angeführten  Beispielen  geht  hervor,  dass  die  den  ven- 
tralen Seilenslücken  entsprechenden  knor|H'ligen  Abschnitte  der  Seilen- 


Beiträge  inr  uiatomischen  Kenntniss  des  KrenibriiMs  det SiigetWere- «  a-ii 

fortsälie  sich  bei  ihrer  Verknöcherung  auf  dreibehe  Weise  -ve^rbalten 
können.  Entweder  besitzen  sie  eigene  Knochenkerne,  weloK«  «»rsl  spät 
mit  den  übrigen  Bildungsslücken  des  Wirbels  verecbine\xeT*  -  oder^e 
ossificiren  nicht  selbständig,  sondern  von  einem  benachbarLex^  \vnocl>eD- 
korne  und  zwar  entweder  vom  Körperslücke  oder  vom  Bogex^s«,«  -V 
Wo  überhaupt  ventrale  Seitenstücke  vorhanden  sind  (der  *      * 

lehn,  dass  sie  im  Sacrum  aller  Saugethiere  vorkoramenN 

!• Jt •     ■.^..11  ..      ■■      ■ /    > 


Wo  überhaupt  ventrale  Seitenstucke  vorhanden  sind  (der  A.  u  « 

lehn,  dass  sie  im  Sacrum  aller  Saugethiere  vorkommen)       ist   ^*^"**^""" 

dieser  drei  Fälle  möglich.    Wir  vermögen  sie  alle  von  den,     ^    ""''  "'"'^ 


der  selbslsländigcn  Verknöcherung,  als  dem  ursprünalichi-w^  ^  '  ' 

zuleiten.  ""      ^'^  ^ «stand  ab- 

In  Bezug  auf  das  übrige  Verhalten  dieser  Theile  er«>c*i 
spende  Resultate.  ?^^«>«^^r%   sich  fol- 


4)  Beziehung  Äurfacies  auricularis.  Wo  x- 
stücke  auftreten,  nehmen  sie  Antheil  an  derBildun«»  ^^^^^^^^  Soilon- 
für  das  Darmbein.    Bei  einigen  Thieren  kommen  sie  niTit    T**    ^^^^^üklliiche 

'^  desselben 

nn  der  Berührung  Theil  zu  nehmen.  Beim  Meosch'J^'^  •''^her  T 
Wiederkäüfem,  sowie  bei  den  Schweinen,  die  alle  darcti  n  ^^^^^i  h.  •  ' 
Seilenflilchen  des  Sacrums  ausgezeichnet  sind,  isldies  J-     '^^'^  o/  ^^^'^ 

aber  die  SeitenOächen  steil  ab,  d.  h.  sind  die  ventral  ^^  ^^^l^/^*'"''^^o 
Seilenfortsatze  nicht  viel  länger  als  die  doi-salen ,  so  iT-^    ^o#^^    '    ^^'^Hon 
oberen  Bogen  an  der  Bildung  der  Gelenkfläche  belheili!^^^^^ri*^'^***^/(r 
uinsomehr,  je  kürzer  die  ventralen  Seitenslücke,  jescb^^  ^^*^      ^^^'*  <i/e 
Kreuzbein  ist.  So  sehen  wir  auf  eine  kleine  Slretiebirj  kI**'^^  «J^*^*^  *>s 
frossern,  in  grösserer  Ausdehnung  bei  den  Nagern  un^j  .      '  ct^       ^'^^^da 
dehnung  bei  den  Insektenfressern  die  oberen  Äo^^o  ^^  ^^  ^'ts^  ^^^ise}^^ 
Gelenknache  beiheiligt.    Bei  letzteren  nimmt  die]ame  ^^^  f^J/^^^^  A     ^ 
Sacruras  an  der  Berührung  mit  dem  Uium  Tbeil,  ist  über     ^^^^^j;^^^^^-  d^ 
Knorpel  überzogen  und  mrnnss  am  Rande  mit  demselC^^^  '^''V    ^^^^^tJ    '^ 
masse  verbunden.  ^  ^^^^yß!^^^^^        "^ 

Es  ist  die  Frage,  yvekbe  Art  der  Verbindattß  man  fUr  j .  '^^J^^^ 

liehe  halten  könnte.    An  den  meisten  Säugelbierskeleto    '^  '''^/ir^ 
nach  Entfernung  aller  Bänder  vorzüslich  den  anterea  ij^'^'^^t 
S(Mtenfortsätze  mit  dem  Darmheine  in  Berübnirm,  ^sb  '^nji        '-^45 

diesem  und  dem  dorsalen  Ahscbnille  der  Seilende  skh'^  ^^^iL  ^•^#- 
Hreiu^,  nacfc  unten  bin  verschmäkrte  Kluft  voriinJet,  die'   ^^^st^^  "''*^''' 

Thiere  mit  Bandmasse  ausgefülll  ist.  Die  Kluft  ist  oben  ^  "**  '^'^''^ 
j^  hiYiier  die  ventrale  Fläche  der  Sacrakirbel  ist  Indem  ^"^  ^  ^"^  '  ^"  * 

^^^^'rlle  GelenkllHche  als  dh  ursprüngliche  yedmluno"^  ***  0/  ^*  '^  ""'' 

"^^N/^       ^-^  «en  od< 


«> 


vC   Z' 


422  F.  Frenkel, 

kann,  finden  sich  bei  der  Mehrzahl  der  Säugelhiere die  ventralen  Sei- 
tenstttcke  als  die  einzigen  Träger  der  Darmbeine.  Sie  sind  es  beim 
Menschen  und  wahrscheinlich  bei  allen  Äffen,  bei  den  Wiederkäuern  und 
Schweinen;  beim  Pferde,  Tapir,  Elephant;  fast  ausschliesslich  sind  sie  es 
bei  den  Raubthieren  und  Nagethieren.  Bei  manchen  der  letzteren,  sowie 
bei  Insektenfressern  (Igel),  geht  mit  einer  Verkürzung  der  ventralen 
Seitenstucke  eine  Verbindung  der  Gelenkfläche  des  Iliums  mit  dem 
einen  Querfortsatz  vorstellenden  dorsalen  Theile  des  .Seitenfortsalzes 
der  Sacralwirbel  vor  sich. 

2)  Zahl  der  Wirbel,  in  denen  ventrale  Seitensttlcke 
als  Bildungselemente  vorhanden  sind.  Das  Auftreten  der- 
selben ist,  selbst  bei  grosser  Zahl  der  dem  Sacrum  einverleibten 
Wirbel,  immer  nur  auf  einen  oder  einige  wenige  diesem  benachbarte 
beschränkt.  Nur  auf  einen  und  zwar  den  ersten  Sarai  wirbel 
sahen  wir  sie  angewiesen  bei  den  Hasen,  den  Wiederkäuern  und  den 
Schweinen;  auf  mehr  als  einen  Wirbel  bei  allen  anderen  untersuchten 
Embryonen  oder  jungen  Thieren.  So  fanden  wir  sie  in  allen  drei  Sa- 
cralwirbeln  vor  bei  der  Hauskatze,  allein  im  zweiten  und  dritten  waren 
ihre  Spuren  so  geringfügig,  dass  sie,  nur  in  Rudimenten  nachweisbar, 
auf  die  Form  dieser  Wirbel  keinen  verändernden  Einfluss  ausübten, 
weshalb  nur  der  erste  Sacralwirbel  die  typische  Form  eines  echten  Sa- 
cralwirbels  hatte.  Bei  einem  neugeborenen  Löwen  und  bei  einem  vier- 
teljährigen Hunde  sah  ich  nur  im  ersten  Sacralwirbel  die  ventralen 
Seilenstücke  sich  ausbilden ;  sollte  dies  auch  bei  anderen  Fleischfressern, 
was  sehr  wahrscheinlich,  die  Regel  sein,  so  würde  man  auch  dieser 
Ordnung  im  Allgemeinen  nur  Einen  typischen  Sacralwirbel  zuschreiben 
dürfen.  Beim  Menschen  sind  meist  drei,  seken  zwei  oder  gar  vier  Sa- 
cralwirbel mit  den  überzähligen  Knochenkernen  ausgestattet;  sie  sind 
in  dem  zweiten  und  dritten  Wirbel  verhältnissmässig  weit  mehr,  als 
bei  der  Katze,  zur  Ausbildung  gelangt.  Auch  beim  Igel  sahen  wir  in 
drei  Sacral wirbeln,  den  drei  ersten  in  der  Reihe,  wenigstens  die 
Andeutung  des  Vorhandenseins  ventraler  Seitenslücke  ausgesprochen. 
Ein  einseitiges  oder  beiderseitiges  Auftreten  derselben  am  letzten  Len- 
denwirbel, theiis  mit,  theils  ohne  Beziehung  zum  Darmbeine,  konnten 
wir  beim  Menschen,  beim  Hunde  und  bei  den  Hasen  beobachten.  Aus 
dieser  Zusammenstellung  geht  hervor,  dass  i m  m e r  der  erste  Sacral- 
wirbel und  dieser  in  einigen  Ordnungen  ausschliesslich,  häufig  auch 
der  zweite  und  dritte  mit  überzähligen  Knochenkernen,  die  als  ven- 
trale Seitenstucke  aufzufassen  sind ,  sich  entwicke'  r  in 
seltenen  Fällen  noch  ein  weiterer  Sacralwirl)el,  n'  ^n 
der  letzte  Lendenwirbel  mit  diesen  Knochenkern« 


Beitrüge  zur  anatomischen  Kenutuiss  des  Krenzbeines  der  Silngetbiere.  423 

3)  Zahl  der  Sacraiwirbei,  welche  ventrale  Seiten- 
stttcke  besitzen  und  mit  denDarmbeinen  verbunden  sind. 
Beim  Menschen  und  beim  Igel  waren  es  deren  drei,  von  denen  beim 
Menschen  wenigstens  der  erste  den  grössten  Antheil  an  der  GelenkÜHche 
hatte.  Beim  Meerschweinchen  waren  zwei  Wirbel  dem  Darmbeine  an- 
geheftet und  beide  allem  Anscheine  nach  mit  ventralen  SeitenstUcken 
versehen.  Nur  ein  Sacraiwirbei,  der  erste  nümlich,  zeigte  sich  in 
dfeser  Verbindung  begriffen  bei  den  Hasen,  bei  Katze  und  Hund  (bei 
diesem  der  zweite  Wirbel  nur  mit  der  vorderen  Ecke  der  Seitenfläche), 
beim  Rinde,  Schafe  und  Schweine  (auch  hier  bisweilen  mit  der  Gelenk- 
fläche auf  den  zweiten  Wirbel  Übergreifend). 

4)  Deutung  der  ventralen  SeitenstUcke.   Es  wurde  be- 
reits bei  Besprechung  des  menschlichen  Sacrums  eine  kurze  geschicht- 
liche Uebersicht  (Iber  die  verschiedenen  Versuche   einer  Deutung  der 
ventralen  SeitenstUcke  gegeben.    Der  Erste,  der  nach  dieser  Darstellung 
dieselben  als  Rippenrudimente  oder  besser  Homologa  der  Rippen  auf- 
fasste,  war  J.  Fa.  Mbckbl.  Der  wissenschaftliche  Beweis  für  diese  Hypo- 
these wurde,  wie  schon  erwähnt,  von  Professor  Gegenbaur  geführt,  wel- 
cher, auf  Grund  vergleichend-anatomischer  Untersuchungen  am  Sacrum 
von  Vögeln  und  Reptilien ,  auch  für  den  Menschen  Sacralrippen  in  An- 
spruch naho).   Der  Schluss ,  dass  ein  so  wichtiges  anatomisches  Merk- 
mal nicht  blos  auf  den  Menschen  und  seine  Ordnungsverwandten  be- 
schränkt sein  könne,  sondern  höchst  wahrscheinlich  allen  SUugelhieren 
zukommen  müsse,  war  schon  deshalb  eine  Nolhwendigkeit,  weil,  so  gut 
wie  der  Mensch,  auch  alle  übrigen  Säugethierc  nach  rückwärts  mit  den 
Stammformen  aller  höheren  Wirbelthiere ,   von  denen  her  sich  diese 
Einrichtung  vererbt  haben  muss,  in  genealogischem  Zusammenhange 
sind.    Was  demnach  der  Mensch  mit  niederen  Wirbellhieren  an  ana- 
tomischen Characteren  tbeilt,  das  muss  in  demselben  Masse  oder  nur 
wenig   verändert  auch  allen  anderen  Mammalien  zukommen.    Diesen 
Satz  auf  die  Sacralrippen  angewandt,  so  müssen  bei  allen  Säugethieren 
ursprünglich  Sacralrippen  vorhanden  sein,  wenn  beim  Menschen  solche 
nachgewiesen  wurden.    Die  Begründung  dieser  Auffassung  der  bisher 
so  genannten   ventralen  Seitenstücke   ist  folgende  (vergl.  Gbgrnbaub, 
op.  cit.  S.  808). 

Offenbar  sind  in  Hinsicht  der  ventralen  Seitenstücke  zwei  Fälle 
möglich :  entweder  sind  sie  eine  Wiederholung  an  vorhergehenden 
Wirbeln  schon  dagewesener  Theile  oder  nicht. 

Sind  sie  es  nicht ,  so  sind  sie  etwas  den  Wirbeln ,  an  denen  sie 

iftreten ,  Eigeuthümliches.    Dann  kann  ihre  Entstehung  nur  mit  der 

^ction,   welche  diese  Wirbel   etwa   zu  erfüllen  haben  oder  früher 

Yn.4.  B8 


424  F.  Frenkel, 

einmal  erfüllten ,  in  Zusammenhang  stehen ;  denn  ohne  jede  äussere 
Veranlassung  würde  eine  solche  Neubildung  von  Rnochenstücken,  noch 
dazu  von  so  charactenstischer  Form,  nicht  denkbar  sein.  Nun  ist  aber 
die  Function  der  Sacralwirbel,  den  Darmbeinen  und  damit  der  hinteren 
Extremität  an  der  Wirbelsäule  einen  festen  Halt  zu  geben.  Diesem 
Zwecke  zu  entsprechen,  wäre  es  schon  möglich,  dass  sich  an  dem  oder 
an  den  Wirbeln ,  welche  die  Gelenkflächen  für  die  Darmbeine  tragen, 
die  Querforlsätze  ganz  besondere  entwickelt  hätten  und  dass  infolge 
ihrer  grossen  Yolumenzunahme  selbständige  Knochenkeme  in  ihrem 
unteren  Abschnitte  auftraten,  für  die  an  präsacralen  Wirbeln  nichts 
Vergleichbares  zu  finden  wäre.  Wenn  aber  auch  an  solchen  Sacrai- 
wirbeln,  die  mit  dem  Darmbeine  in  keinerlei  Berührung  sind,  ventrale 
Seitenstücke  auftreten  können,  wenn  selbst  in  manchen  Fällen  am 
nächsten  präsacralen  Wirbel  solche  überzählige  Knochenkerne  ohne 
irgend  welche  Beziehung  zum  llium  sich  im  Knorpel  der  Seitenfortsätze 
ausbilden,  so  ist  es  mehr  als  gewiss,  dass  nicht  die  Berührung  mit 
diesem  Knochen  ,  also  nicht  die  functionelle  Beziehung,  die  Ursache 
ihrer  Entstehung  ist. 

Es  bleibt  daher  nur  der  andere  denkbare  Fall :  die  ventralen  Sei- 
tenstücke sind  eine  Wiederholung  an  vorhergehenden  Wirbeln  schon 
dagewesener  Einrichtungen.  Da  sie  aber  mit  Querfortsätzen  nicht  ver- 
gleichbar sind,  weil  die  Wirbel  der  Sacralregion  einmal  schon  deutlich 
solche  besitzen  und  zweitens  die  Querfortsätze  immer  nur  im  Zusammen- 
hange mit  den  oberen  Bogen,  aber  nicht  selbständig  verknöchern;  da 
es  ferner  unmöglich  ist,  sie  für  selbständig  gewordene  Anhänge  des 
Körperstückes  zu  erklären,  indem  das  Körperstück  sich  an  den  Sacral- 
wirbeln  genau  so  verhält,  wie  an  den  Lendenwirbeln:  so  bleibt  noch 
ein  Drittes  denkbar  und  wird  bei  Betrachtung  aller  thatsächlicben 
Umstände  sofort  zur  Gewissheit,  dass  die  ventralen  Seiten- 
stücke Homologa  der  Rippen  sind. 

Dass  die  Rippen  sich  sehr  bedeutend  rückbilden  können,  so  dass  es 
schwer  hält,  sie  da,  wo  sie  als  Rudimente  noch  auftreten,  wieder  zuer- 
kennen, das  sehen  wir  an  den  sogenannten  Halsrippen  des  Menschen, 
die  man  sehr  lange  für  Theile  der  Querforlsätze  gehalten  hat,  bis  ihre 
selbständige  Verknöcherung ,  ihre  in  einzelnen  Fällen  am  letzten  Hals- 
wirbel auftretende  bedeutende,  mit  Beweglichkeit  verbundene  Aus- 
bildung und  endlich  die  Vergleichung  mit  ausgebildeten  Rippen  in  der 
Halsregion  anderer  Wirbelthiere  ihren  wahren  Werth  erkennen  Hessen. 

Von  allen  Begründungen  besitzt  die  auf  die  vergleichendranatomische 
Betrachtung  sich  stützende  unstreitig  die.grösste  Bedeutung  auch  für 
die  Auffassung  der  ventralen  Seitenstücke.   Wenn  Amphibien,  Reptilien 


Beiträge  zur  »uatomischen  Keuntoiss  des  Kreuzbeines  der  Süngetbiere.         425 

and  YOgel  im  Besitze  von  Sacraliippen  Übereinstimmen,-  so  ist  die  Wahr- 
scheinlichkeit ,  dass  die  Säugethiere  keine  Ausnahme  machen  werden, 
schon  an  und  fttr  sich  gross.  Dies  bestätigt  sich  durch  den  Befund  der 
ventralen  Seitenstttcke  im  Sacrum  aller  Säugethiere ;  man  kann  daher 
keinen  Anstand  nehmen,  sie  als  Sacrairippen  ku  betrachten.  Gegenbaur 
hat  an  den  Sacrairippen  des  Alligators  sogar  einen  dem  Gapitulum  und 
einen  dem  Tubercuium  entsprechenden  Theil  nachgewiesen ,  und  von 
den  Salamandrinen  ist  es  sicher,  dass  sie  an  ihrem  Sacralwirbel  bei- 
derseitseine bewegliche  Rippe  besitzen,  die  wie  jene  der  vorhergehenden 
Wirbel  mit  zwei  Höckern  an  dem  Querfortsatze  sitzt,  und  mit  dem 
wenig  voluminöseren  llium  durch  ein  Gelenk  verbunden  ist. 

Die  Art  und  Weise,  wie  bei  den  Säugethieren  die  Sacrairippen  den 
übrigen  BildungsstUcken  der  Wirbel  angefügt  sind,  ist  ganz  ähnlich  dem 
ursprünglichen  Verhalten  der  Rippen  an  den  Brustwirbeln.  Die  Brust- 
rippen Hegen  anfangs  mit  ihrem  vertebralen  Ende  dem  Wirbel,  zu  dem 
sie  gehören,  vom  Körper  bis  zur  Spitze  des  Querforlsatzes  ohne  Zwischen- 
raum an ;  erst  mit  der  Ausbildung  eines  tubercuium  und  eines  coUum 
costae  sieht  man  nach  und  nach  jene  Oeffnung  entstehen,  die  durch 
das  ligamentum  colli  costae  internum  geschlossen  wird,  und  der  an  den 
Halswirbeln  das  foramen  intertransversarium  entspricht. .  Bei  den  Sa- 
crairippen erhält  sich  der  ursprüngliche  Zustand ;  es  wird  kein  solches 
foramen  gebildet,  die  Rippe  ist  in  der  ganzen  Ausdehnung  ihres  verte- 
bralen Endes  mit  dem  Körper  und  Querfortsatze  in  Contact,  niemals  frei 
beweglich  und  ohne  ein  eigentliches  Gapitulum  und  Tubercuium. 

Ihren  Gharacter  als  Rippen  haben  sie  sich  am  meisten  in  den  Ord- 
nungen bewahrt,  wo  sie  die  einzigen  Träger  der  Darmbeine  sind, 
z.  B.  beim  Menschen  und  bei  allen  Ungulaten,  überhaupt  bei  allen 
Säugethieren  mit  stark  nach  unten  divergirenden  Darmbeinen.  So  zeigen 
sie  z.  B.  bei  Rinderembryonen  nicht  nur  ganz  die  Gestalt  kurzer ,  am 
Wirbel  festgewachsener  Rippen ,  sondern  auch  dieselbe  Richtung  nach 
hinten  und  unten,  wie  sie  an  den  letzten  Brustrippen  bemerkt  wird. 
Auch  beim  Menschen  und  bei  vielen  anderen  Säugethieren  zeigen  sie, 
besonders  am  ersten  Wirbel,  die  Tendenz  im  Bogen  nach  unten  zu 
gehen.  Von  den  Querfortsätzen  sind  sie,  wenn  nur  einigermassen  ent- 
wickelt, meist  deutlich  abgesetzt  und  sofort  als  untere  Schenkel  der 
Seitenfortsätze  erkennbar  (z.  B.  bei  den  Nagern,  beim  Menschen,  beim 
Rinde).  Nur  wo  sie  ganz  kurz  und,  wie  es  den  Anschein  nimmt,  rück- 
gebildet sind ,  wie  beim  Igel ,  treten  sie  aus  der  Masse  des  Seitenfort- 
satzes nicht  mehr  als  deutlich  gesonderte  Gebilde  hervor. 

6)  Einfluss  der  Sacrairippen  auf  die  Gestalt  der 
WirbeL  Ueberali,  wo  Sacrairippen  zur  Ausbildung  kommen,  erscheint 

28* 


426  F'  Frenkel, 

die  Gestalt  der  Wirbel  durch  sie  wesentlich  verändert;  denn  dadui*cb, 
dass  sie  den  Eckraum  zwischen  dem  Wirbelkörper  und  dem  Querfort- 
satze jeder  Seite  ausfüllen ,  bewirken  sie ,  dass  der  Wirbelkörper  nicht 
voluminöser  erscheint  als  die  Seitenfortsätze,  weshalb  auch  in  der 
menschlichen  Anatomie  für  die  Seitentheile  des  Sacrums  die  Benennung 
»massae  laterales«  gebräuchlich  ist.  Die  Seitenfortsätze  erscheinen  flügei- 
förmig ,  wenn  das  distale  Ende  der  Sacralrippen,  wie  es  meist  der  Fall, 
stark  verbreitert  ist.  DieSacralwirbel  besitzen  dann  jene  charatteristische 
Form,  welche  das  sichere  Anzeichen  für  das  Auftreten  von  Sacralrippen 
in  ihren  Seitentheilen  ist  und  die  man  als  die  typische  Form  eines  ur- 
sprünglichen Sucralwirbels  bezeichnen  kann. 

Die  Verwachsung  von  Sacralwirbeln  untereinander  wird  durch  die 
Sacralrippen  vermittelt,  wenn  sie  an  aufeinanderfolgenden  Wirbeln 
auftreten  und  durch  Bandmasse  oder  Knorpel  an  ihren  Endigungen  ver- 
bunden sind.  Sind  sie  nur  am  ersten  Sacralwirbel  entwickelt,  so  haben 
sie  in  der  Begel  auf  die  Verwachsung  keinen  Etnfluss ,  indem  sie  über 
die  Seitentheile  des  folgenden  Wirbels  zu  weit  nach  unten  vorspringen, 
uiii  sie  noch  berühren  zu  können. 

Folgerungen. 

Die  Thatsache ,  dass  in  der  Sacralregion  der  Sdugethiere  Rippen- 
rudimente nachweisbar  sind,  führt  zu  einigen  wichtigen  Schlüssen  in 
•Bezug  auf  die  richtige  Erkenntniss  eines  ganzen  Abschnittes  der  Wirbel- 
saule, der  von  präsacralen  Wirbeln  gebildet  ist. 

Es  wurde  bereits  mehrfach  darauf  hingewiesen ,  dass  die  immer 
noch  viel  verbreitete  Ansicht ,  die  Querfortsütze  der  Lenden- 
wirbel seien  festgewachsene  Rippen  oder  sie  repräseu- 
tirten  einen  indifferenten  Zustand  zwischen  Rippe  und 
Querfortsatz,  durch  keine  Thatsache  weder  der  Ent- 
wickelungsgeschichte  noch  der  vergleichenden  Anatomie 
unterstützt  wird.  Ich  will  nur  kurz  dieGründe  aufführen,  die  da- 
gegen sprechen:  a.  Die  Entwickelungsgeschichte  lehrt  und  Unter- 
suchungen ,  die  ich  an  Embryonen  verschiedener  SUugetbiere  machte, 
bestätigen  es,  dass  die  processus  transversi  der  Lendenwirbel  stets  nur 
von  den  oberen  Bogen  aus  verknöchern.  Kommt  noch  ein  Ossifications- 
kern  hinzu,  so  findet  sich  dieser  stets  hur  terminal,  und  entspricht  den 
accessorischen  Ossificatiönen ,  welche,  meist  sehr  spat,  auch  an  Quer- 
fortsätzen auftreten.  Wenn  daher  einige  Anatomen  behaupten,  dass 
»durch  vergleichend -anatomische  Untersuchungen  und  durch  die  Er- 
gebnisse der  Entwickelungsgeschichte  der  Wirbelsäule«  es  sich  beweisen 
lässt,  »dass  die  processus  transversi  der  Lendenwirbel  eigentlich  den 


Beiträge  zur  anaioiDisctieii  Kennfniss  des  Kreuzbeines  der  Sancrethiere.         427 

Rippen,'  nicht  aber  den  ForlsiHzen  der  übrigen  Wirbel,  analog  sind* 
(z.  B.  Hyrtl,  Lehrb.  der  Anal,  des  Menschen,  S.  298),  so  ist  dies  kei- 
neswegs richtig. 

b]  Nicht  selten  stützt  sich  diese  Auffassung  auf  das  Vorkommen 
überzähliger  Rippen;  im  Falle  ein  Lendenwirbel  auf  einer  oder  auf 
beiden  Seiten  in  einen  Brustwirbel  übei^geht,  sollen  die  Querfortsätze 
immer  in  bewegliche  Rippen  umgewandelt  werden.  Es  lässt  sich  be- 
weisen ,  dass  dem  eine  ungenaue  Beobachtung  zu  Grunde  liegt.  Denn 
an  solchen  Thoracolumbalwirbeln  ist  immer,  ausser  der  an  ihm  befestigten 
Rippe,  wie  viel  oder  wenig  sie  auch  ausgebildet  sein  mag,  ein  Quer- 
fortsatz, wenn  auch  etwas  kürzer  als  an  den  wahren  Lumbal  wirbeln  vor- 
handen. Ausser  an  mehreren  Präparaten  von  Wirbelsäulen  Erwachsener 
finde  ich  dieses  Verhalten  an  einem  Kinderskelete.  Der  betreflFende 
Wirbel  war  auf  der  einen  Seile  vollkommen  lumbal  gebildet,  auf  der 
andern  aber  trug  er  eine  bewegliche  Rippe.  Trotzdem  fehlte  auch  auf 
der  Seite,  wo  er  einem  Brustwirbel  glich ,  durchaus  nicht  der  Querfort- 
satz, sondern  war  nur  kürzer,  als  auf -der  lumbal  gestnlleten  Seite.  Er 
diente  dem  ligamentum  costo-transversarium  posterius  zum  Ansätze. — 
Aber  auch  an  ganz  normalen  Skeleten  sieht  man  sehr  oft  schon  am  elften, 
mit  Sicherheit  aber  am  zwölften  Brustwirbel  die  Inserlions-SloUe  dieses 
Bandes,  als  einen  kurzen,  pyramidalen  Fortsatz ,  der  durchaus  einem 
Processus  transversus  eines  Lendenwirl)els  vergleichbar  ist,  hcrvorlrelen. 
Das  Letztere  hat  schon  REtzius  (Ueber  die  richtige  Deutung  der  Seiten- 
fortsätze etc.)  gerade  beim  Menschen  genau  nachgewiesen  und  selbst 
durch  Abbildungen  erläutert.  Wenn  aber  an  Rippen  tragenden  Wirbeln, 
ausser  diesen  Rippen  auch  noch  den  processus  transversi  der  Lenden- 
wirbel homologe  Fortsätze  auftreten ,  so  können  die  proc.  transv.  der 
Lendenwirbel  keine  Rippen  sein,  denn  es  giebt  kein  Wirbel  thier, 
das  an  demselben  Segmente  seiner  Wirbelsäule  zweierlei 
Arten  von  Rippen  besässe. 

c)  Bei  vielen  Säugethicren  kann  man  die  Querfortsätze  der  Lenden- 
wirbel nach  vorn  zu  allmälig  in  Fortsätze  der  Brustwirbel  übergehen 
sehen ,  welche  einen  Theil  der  sogenannten  Querforlsätze  der  Brust- 
wirbel ausmachen.  Wenn  man  von  vom  nach  hinten  fortschreitet,  so 
sieht  man  den  einfachen  sogenannten  Querfortsatz  der  vorderen  Brust- 
wirbel nach  hinten  zu  allmälig  in  drei  discrete  und  je  weiter  nach 
hinten,  desto  mehr  auseinanderweichende  Forts  «tze  sich  auflösen.  Diese 
sind:  a)  der  processus  obliquus  anterior  (mit  dem  mehr  oder  weniger 
entwickelten  mamroillaris)  s.  articularis;  b)  der  Fortsatz,  der  an  den 
Lendenwirbeln  als  processus  transversus  (fälschlich  costarius)  bezeichnet 
wird  und  c)  der  (nicht  immer)  zwischen  beiden  auftretende  processus 


428  F.  Frenkel, 

accessorius.  Das  beste  Beispiel  dafür  ist  die  Wirbelsäule  des  Schweines, 
wo  »bereits  am  letzten  Rippen  tragenden  Brustwirbel  QuerfortsUtze  vor- 
handen« sind,  »die  mit  denen  des  ersten  Lendenwirbels  Übereinstimmen 
und  eine  Yergleichung  der  Rippen  mit  jenen  Lumbalquerfortsätzen  nicht 
möglich  machen«.  (Gegbnbacr,  GrundzUge  der  vergl.  Anat.  2  Aufl. 
S.  622;  s.  ebenda  über  die  Querfortsätze  der  Reptilien.)  Bei  den 
Getaceen  tragen  die  Querforlsätze  der  hinteren  Brustwirbel,  welche  den 
Processus  transversi  der  Lendenwirbel  ganz  homolog  sind,  an  ihrem 
Ende  die  Rippen,  deren  capitulum,  wie  es  scheint,  an  diesen  Wirbeln 
durch  Rückbildung  verloren  ging  (an  den  vorderen  Wirbeln  besitzen 
sie  capitulum  und  tuberculum);  auch  hier  sehen  wir  die  Fortsätze,  die 
man  immer  noch  für  Rippen  ausgeben  will  (als  besten  Beweis,  wie 
irrig  diese  Annahme  ist),  zugleich  mit  Rippen  an  den  Wirbeln  auftreten, 
als  alleinige  Träger  derselben  fungiren  und  dabei  unmittelbar  nach 
hinten  in  freie  processus  transversi  übergehen. 

d)  Die  Querfoi*tsätze  der  Lendenwirbel  dienen  dem  Longissimus 
dorsi  als  Ansatzstellen ,  und  zwar  fasst  man  diese  Insertionszacken  als 
laterale  auf  und  stellt  sie  mit  den  an  der  Thoraxregion  an  die  Rippen 
tretenden  zusammen.  Wenn  nun  die  Querfortsätze  der  Lendenwirbel 
nicht  den  Rippen  homodynam  sind ,  so  kann  auch  zwischen  jenen  so- 
genannten lateralen  Insertionen  des  Longissimus  dorsi  keine  Homody- 
namie  bestehen.  Jene  lateralen  Lumbalinsertionen  des  Longissimus 
werden  vielmehr  mit  den  medialen  zusammen  den  medialen  Brustin- 
sertionen  gleich werthig  sein.  Laterale  Insertionen,  die  denen  des  Brust- 
abschnittes  entsprächen  ^  fehlen  somit  der  Lendenportion  des  Longissi- 
mus dorsi,  und  wenn  sich  demgemäss  die  medialen  von  grösserer  Breite 
ergeben ,  so  ist  darin  einfach  eine  Anpassung  an  die  bedeutende  Vor- 
grösserung  der  Insertionsstelle  durch  die  Ausbildung  des  Querfort- 
satzes zu  sehen. 

In  Uebereinstimmung  mit  jener  Deutung  ist  auch  die  der  Lumbai- 
region zukommende  subvertebrale  Muskulatur ,  welche  einen  bis  jetzt 
noch  wenig  gewürdigten  Theil  des  Muskelsystems  vorstellt. 

Die  von  mir  untersuchten  Säugethiere  besitzen  ohne  Ausnahme  eine, 
nur  beim  Menschen  sehr  reducirte,  eigenthümliche  ventrale  Muskulatur 
der  Lendenwirbelsäule,  die  bei  einzelnen  sehr  mächtig  entwickelt  ist. 
Die  Bündel  derselben  entspringen  mit  meist  kräftiger  Sehne  an  der  Spitze 
der  proc.  transversi  der  Lendenwirbel  und  heften  sich,  in  schiefer  Rich- 
tung nach  vom  und  innen  verlaufend ,  an  der  Seitenfläche  eines  oder 
mehrerer  zunächst  vorangehender  Wirbelkörper  mit  fächerförmiger  Aus- 
breitung der  Fasern  an.  Bei  allen  diese  Muskeln  besitzenden  Säuge- 
thieren  zeigen  die  Wirbelkörper  in  der  Mitte  der  Unterseite  eine  starke 


Beitrüge  zur  Anatomischen  KeDDtiiiss  des  Kreuzbeines  der  Säu(<e(hiere.         429 

längslaufendc  Leiste ,  zu  dei^n  beiden  Seiten  die  Insertion  stattfindet. 
Die  Leiste  ist  um  so  höher ,  je  kräftiger  die  fragliche  Muskulatur  entr- 
wickelt  ist.  Dieses  System  unter  sich  paralleler  Muskeln  beginnt  am 
letzten  Lendenwirbel  und  erstreckt  sich,  vom  Querfortsatze  eines  jeden 
Lendenwirbels  einen  neuen  Zuwachs  erhaltend ,  nach  vorn  bis  auf  die 
Kdrper  der  hinteren  Brustwirbel.  Von  den  Rippen  her  sah  ich  niemals 
solche  Muskeln  entspringen  oder  sich  an  ihnen  inseriren.  Mit  den  mm. 
intertransversarii ,  die  nach  aussen  von  ihnen  immer  vorhanden  sind, 
lassen  diese  subvertebralen  Muskeln  der  Lendenwirbelsäule  keinen 
Vergleich  zu ,  denn  sie  unterscheiden  sich  von  ihnen  sowohl  durch  ihre 
Richtung,  wie  durch  ihre  Länge.  Da  ich  diese  Muskulatur  bei  Repräsen- 
tanten sehr  divergenter  Abiheilungen  auffinde ,  nämlich  bei  Lagostomus 
trichodactylus ,  Sus  scrofa ,  Ganis  familiaris,  Bos  taurus  dürfte  ihr  Vor- 
kommen als  ein  ziemlich  verbreitetes  zu  betrachten  sein^).  Für  die 
richtige  Deutung  der  proccssus  transversi  der  Lendenwirbel  erscheinen 
die  Muskeln  wichtig,  weil  sie  nur  an  den  Querfortsätzen,  nirgends  an 
den  Rippen  ihren  Ursprung  nehmen ,  und  nur  soweit  von  hinten  nach 
vorn  sich  erstrecken ,  als  die  Querforlsätze  Urspruogsstellen  darbieten 
können. 

e]  Auch  die  mehr  unansehnlichen  Eigenthümlichkeiten  der  Lumbal- 
querfortsälze  sind  nicht  so  ganz  ohne  Bedeutung.  So  z.  B.  ihre  fast 
allgemeine  Zunahme  an  Länge,  von  vorne  nach  hinten  zu,  wobei  sie  an 
den  letzten  Lumbal  wirbeln  oft  eine  beträchtliche  Länge  erreichen.  Die 
hinteren  Brustrippen  nehmen  nach  hinten  zu  regelmässig  an  Länge  ab. 
Die  Querfortsätze  verhalten  sich  in  Bezug  darauf  also  gerade  umgekehrt. 
(Eclatante  Beispiele  dafür  liefern  die  Wiederkäuer,  die  Pferde,  die 
Schweine,  alle  Fleischfresser,  die  Nager,  selbst  der  Mensch.)  — Sie 
haben  in  vielen  Fällen  gerade  die  entgegengesetzte  Richtung  wie  die 
Rippen.  So  stehen  sie  nach  vom  und  aussen  bei  Macropus  major,  bei 
vielen  Affen,  bei  den  Nagern,  den  Raubthieren  etc.  Die  letzten  Rippen 
sind  dagegen  immer  nach  hinten  und  unten  gerichtet.  —  In  ihrer  Ge- 
stalt sind  sie  den  grössten  Variationen  unterworfen  (z.  B.  sind  sie  sä- 
belförmig oder  hakenförmig  bei  Beutellhieren ,  AfiTen ,  Raubthieren, 
Nagern;  bis  an  ihr  Ende  gleichbreit,  sehr  dünn,  lang  und  gerade  bei 
allen  Ungulaten  und  Cetacecn ;  kurze  und  breite  Stummel  bei  Insecten- 
frossern ;  flügeiförmig  bei  Bradypus ;  griflelförmig,  massig  lang  und  dick 
beim  Menschen  etc.).   Die  Rippen  sind  auch  in  ihrer  Gestalt  \iel  weniger 


4)  Meceel  giebt  diese  Muskeln  nur  bei  der  Hyäne  an,  und  bringt  sie,  wohl 
nicht  mit  Unrecht,  in  Beziehung  zum  Psoas  minor.  (System  der  vergt.  Anatomie, 
Bd.  m.  S.  591.) 


430  F-  Frenkel, 

verschiedenartig;  sie  bleiben  sich  bei  allen  Arten  mehr  oder  weniger 
gleich. 

Vielleicht  dürfte  das  Angeführte  genügen,  um  jeden  Zwei- 
fel an  der  Natur  der  processus  transversi,  als  blosser 
Fortsätze  der  oberen  Bogen,  schwinden  zu  lasson. 
Die  grossen  Verschiedenheiten  dieser  Querfortsätze  defr  Lendenwirbel 
in  Lage,  Grösse,  Richtung,  Gestalt  etc.  sind  höchst  wahrscheinlich  aus 
einer  Anpassung  an  die  bei  verschiedenen  Säugethieren  je  nach 
ihrer  Lebensweise  verschieden  entwickelte  Muskulatur  des  Rückens  zu 
erklären. 

Sind  wir  aber  zu  der  Einsicht  gekommen,  dass  jene  Querfortsätze 
keine  Rippen  sind :  so  folgt  daraus,  dass  die  Lendenwirbel  nichts 
den  Rippen  Vergleichbares  besitzen;  denn,  wenn  auch  öfters 
am  letzten  Lendenwirbel  Rudimente  derselben,  gleichwie  an  echten 
Sacralwirbeln ,  auftreten,  und  ebenso  am  ersten  Lumbalwirbel  ein 
Rippenrudiment  vorkommen  kann,  so  zeigen  um  so  weniger  die  übrigen 
dazwischen  liegenden  Lendenwirbel  auch  nur  eine  Spur  davon.  Bei 
den  Säugethieren  finden  wir  daher  Rippen  nur  an  der  Halsrcgion ,  in 
der  Brustregion  und  in  der  Sacralregiön  (bisweilen  auch  in  der  Gaudal- 
region); ausschliesslich  fehlen  sie  in  der  Lendenregion. 

Diese  Thatsache  ist  um  so  auffallender,  je  allgemeiner  wir  beim 
Hinabsteigen  in  der  grossen  Reihe  der  Wirbelthiere  die  Rippen  in  allen 
Regionen  der  Wirbelsäule  verbreitet  finden  und  je  weiter  wir  von  den 
höchsten  Classen  uns  entfernen ,  um  so  seltener  eine  Unterbrechung  in 
der  Aufeinanderfolge  der  Rippen  an  der  Wirbelsäule  beobachten.  Die 
niedersten  Rippen  tragenden  Wirbelthiere  besitzen  sie  an  allen  Wirbeln 
vom  Schädel  bis  zum  Schwanzende  hin ;  so  ist  es  fast  durchweg  in  der 
grossen  Classe  der  Fische.  Auch  unter  den  Amphibien  finden  wir 
Rippen  an  der  Mehrzahl  der  Wirbel  auftretend ;  allein  von  diesem  ge- 
wiss ursprünglichen  Verhalten  machen  bereits  die  Anuren  eine  bemer- 
kenswerthe  Ausnahme.  Sie  besitzen  keine  Rippen ,  sondern  nur  lange 
Querfortsätze  an  ihren  Wirbeln ,  sie  besitzen  aber  auch  ein  Sternum, 
welches  der  beste  Beweis  ist,  dass  auch  die  Anuren  früher  einmal 
Rippen  besessen  haben  müssen.  So  allgemein  die  Rippen  in  der  Classe 
der  Reptilien  auftreten  ,  so  finden  sich  doch  Reispiele  ihres  gänzlichen 
Fehlens  an  Rumpfwirbeln,  die  sonst  damit  versehen  sind  (Lendenregion 
der  Crocodilej.  Auch  in  diesen  Füllen  müssen  wir  entschieden  das 
frühere  Vorhandensein  derselben  annehmen ,  wie  denn  auch  verwandle 
Formen  ,  wie  noch  heute  die  Eidechsen,  an  allen  Rumpfwirbeln  damit 
ausgestattet  sind.  Kann  daher  am  Sacrum  der  Säugethiere  der  Nach- 
weis   geführt    werden,    dass   an    einigen   Wirbeln    desselben    (oder 


Beitrüge  zur  iiiiHtomischeii  Keiinhtiss  des  Krcu&beines  der  Saugelliiere.  431 

wenigstens  am  ersten)  sich  Rippen,  wenn  auch  nur  als  Rudimente,  er- 
halten haben,  so  liegt  der  Schluss  nahe,  dass  sieanden  Lenden- 
wirbel n,' wo  selbst  ihre  Rudimente  fehlen,  aus  ähnlichen  Ursachen 
verloren  gegangen  sind,  wie  in  derselben  Region  der  Wirbel- 
saule z.  R.  der  Reptilien,  und  ebenso  der  Vögel,  wo  gerade  die  vor  dem 
primitiven  Sacrum  befindliche,  somit  einer  Lumbalrcgion  entsprechende 
Strecke  der  Wirbelsaule  stets  jeder  Andeutung  von  Rippen  entbehrt. 

Die  Ursachen  eines  völligen  Verlorengehens  der  Rippen  in  dieser 
Gegend  sind  uns  bis  jetzt  noch  unbekannt;  sie  können  so  verschieden- 
artige sein,  es  können  so  viele  Einfltisse  bei  dieser  Rückbildung  gewirkt 
haben ,  dass  es  bedenklich  sein  würde ,  mit  Anführung  eines  einzigen 
Argumentes  die  ganze,  höchst  auffallende  Erscheinung  erklären  zu  wollen. 
Jedenfalls  bedürfte  es  vielseitiger  Untersuchungen,  um  sie  alle  ans  Licht 
zu  ziehen.  Da  durch  das  Ausfallen  der  Rippen  in  der  Lendenregion  die 
Reweglichkeit  der  Wirbelsäule  erhöht  und  besonders  die  Seitwärts- 
drehung,  Rcugung  und  Streckung,  wie  durch  die  Rückbildung  der  Rippen 
in  der  Halsregion,  bedeutend  erleichtert  werden  musste,  so  könnte 
man  versucht  sein,  aus  dem  darin  beruhenden  Vortheile  auf  eine  An- 
passung an  die  erhöhte  Reweglichkeit  des  Rumpfes  der  Säugethiere  zu 
schliessen. 

Die  sehr  häufig  und  in  den  verschiedensten  Abtheiiungen  der  Säuge- 
thiere bestehende  Erscheinung  des  Auftretens  von  Rippen  am  ersten 
Lendenwirbel ,  der  dadurch  zum  letzten  Rrustwirbel  wird ,  oder  der 
Rückbildung  der  letzten  Rrustrippen ,  wodurch  der  letzte  Rrustwirbel 
den  ersten  Lendenwirbel  vorstellt;  diese  Erscheinung  ist  ein  unzweifel- 
hafter Reieg  für  eine  ursprünglich  auch  auf  die  Lumbairegion  ausge- 
dehnte Verbreitung  der  Rippen.  Im  ersteren  Falle  haben  wir  eine  Wie- 
derholung eines  früher  einmal  dagewesenen  Zustandes;  im  letzteren 
Falle  ein  Reispiel  jener  Rückbildung  vor  uns ,  welche  den  Unterschied 
zwischen  Rrustwirbein  und  Lendenwirbeln  bedingt.  Was  hier  als  ab- 
norme Rildung  an  einem  Individuum  erscheint,  ist  oft  ein  unterschei- 
dendes Merkmal  zwischen  zwei  ganz  nahe  verwandten  Arten  oder 
zwischen  Geschlechtern ,  für  die  man  wegen  ihrer  sonstigen  anatomi- 
schen Charactere  eine  nicht  fem  liegende  gemeinsame  Abstammung  an- 
nehmen muss.  So  stellt  sich  die  Zahl  der  Thoracolumbalwirbel  bei  der 
Gattung  Ros  auf  19,  wobei  in  den  einzelneu  Arten  die  Thoracalwirbel, 
wie  die  Lendenwirbel  an  Zahl  variiren ,  so  dass  letztere  in  dem  Masse 
sich  vermehren ,  als  die  Zahl  der  Rrustwirbel  eine  Abnahme  zeigt.  In 
vielen  anderen  Gattungen ,  ja  selbst  innerhalb  der  Familien,  ist  das 
Gleiche  wahrzunehmen:   ein   bei  der  c'  'wirbcl  er- 

scheinender Wirbel,  spielt  in  der  nach?  r  in  einem 


1 


432  F.  Freukel, 

naheverwandten  Genus  die  Rolle  eines  Lendenwirbels,  indem  er  seint? 
Rippen  verlor  und  unter  dem  Einflüsse  der  umgebenden  Muskulatur 
grössere  processus  transvcrsi  entwickelte,  die  in  ihrer  Entwickelung  ge- 
bindert waren,  so  lange  Rippen  den  dazu  nöthigen  Raum  beschränkten. 


Die  Rennlniss  der  anatomischen  Verhyltnisse  des  Sacruros  ist,  wie 
schon  aus  diesen  Andeutungen  hervorgehen  wird,  für  die  Reantworlung 
einer  Anzahl  in  Rezug  auf  die  Lenden region  der  Wirbelsäule  schw*e- 
benden  Fragen  eine  nothwendige  Voraussetzung.  Es  hielt  nicht  schwer, 
nachdem  wir  das  Vorhandensein  der  Sacralrippen  festgestellt  hatten, 
das  frühere  Restehen  und  spiitere  Ausfallen  der  Rippen  an  den  Wirbeln 
einer  dadurch  gebildeten  Lendenregion  denkbar  erscheinen  zu  lassen. 
Noch  ein  Punct,  der  vielleicht  nicht  minder  wichtige  Resultate 
liefern  kann ,  blieb  in  Hinsicht  des  Sacrums  von  mir  unerörlert :  die 
Zahlenverhältnisse  der  SacralwirbeL 

Man  pflegt  unter  der  Renennung  »Sacralwirbel«  alle  diejenigen 
Wirbel  eines  hinteren  Abschnittes  der  Wirbelsäule  zusammenzufassen, 
welche  durch  ihre  schon  frühzeitig  eintretende  Verwachsung  (Synostose) 
zu  den  frei  beweglichen  Wirbeln  der  vorderen  Abschnitte  der  Wirbel- 
säule in  einen  starken  Gegensatz  treten.  Durch  die  stets  vorhandene 
Gelenkverbindung  eines  oder  mehrerer  derselben  mit  den  Darmbeinen, 
wird  die  Sacrnlregion  noch  ganz  besonders  characterisirt.  Die  mit  den 
Darmbeinen  in  Gelenkverbindung  stehenden  vorderen  Sacralwirbel 
mussten  wir  auch  deshalb  als  typische  Sacralwirbel  von  den  hinteren 
Wirbeln  des  Sacrums  unterscheiden ,  weil  sie  fast  ausschliesslich  Sa- 
cralrippen besitzen,  wodurch  ihre  Gestalt  wesentlich  verändert  er- 
scheint. 

Wenn  wir ,  von  diesem  Merkmale  absehend ,  die  Sacralwirbel  in 
die  zwei  Kategorien  der  mit  den  Darmbeinen  verbundenen  vorderen 
und  der  unverbundenen  hinteren  eintheilen  wollen ,  so  steht  zunächst 
soviel  fest,  dass  die  ersteren  an  Zahl  meist  hinter  den  letzteren  zurück- 
stehen. Das  Kreuzbein  verbindet  sich,  wie  es  scheint,  nie  durch  mehr 
als  3  Wirbel  mit  den  Darmbeinen ;  doch  ist  dies  schon  ein  seltener  Fall 
(abgesehen  vom  Menschen  sind  3  verbundene  Wirbel  die  Regel  bei  den 
Insectenfressem  und  beim  Faulthiere),  in  der  überwiegenden  Mehrzahl 
findet  sich  in  Wirklichkeit  nur  ein  Sacralwirbel,  der  vorderste,  mit 
Gclenkflächen  für  die  Darmbeine  versehen.  Die  Angabe,  dass  die  Sau- 
gethiere  durchschnittlich  zwei  echte,  d.  h.  eben  verbundene  Sacral- 
wirbel besitzen,  erweist  sich  meist  als  unrichtig ,  indem  sich  vielfach 
zeigen  lässt,  dass  der  zweite  Sacralwirbel  nur  scheinbar  an  dem  llio- 


ReitrUgc  i\it  auatomisclieu  Ketiuluiss  des  KreuibeinfS  der  Säuge  thlere.         433 

Sacral-Gelenk  IheilnimiDt.  Nur,  wenn  er  einen  Theil  der  Auricularfläche 
trägt,  kann  man  ihn  mit  Recht  diesem  Gelenk  zurechnen;  ist  er  dagegen 
nur  von  den  Darmbeinen  überlagert  und  überall  durch  Bandmasse  mit 
ihnen  verbunden  (wie  z.  B.  bei  manchen  Fleischfressern),  so  darf  man 
ihn  nicht  als  »echte na  Sacralwirbel  (um  diesen  Ausdruck  zu  ge- 
brauchen) betrachten.  Nur  einen  echten  Sacralwirbel  besitzen :  ein 
Theil  der  Beutelthiere  (Döring,  de  pelvi  ejusque  per  animantium  regnum 
roetamorphosi  dissertatio.  S.  4  ff.  führt  sogar  zwei  Beutelthiere,  Didel- 
phys  murina  und  D.  volans,  an,  die  überhaupt  nur  einen  Sacral- 
wirbel haben),  fast  alle  Hufthiere,  die  Mehrzahl  der  Fleischfresser  und 
Nagethiere  und  eine  ganze  Anzahl  Affen  und  Haibaffen.  Die  Mehr- 
zahl der  jetzt  lebenden  Säugethiere  scheint  demnach 
nur  einen  echten  Sacralwirbel  zu  besitzen.  Bei  vielen  Säu- 
gethieren,  denen  man  zwei  echte  zuschreibt,  nimmt  der  zweite  Sacral- 
wirbel nur  mit  dem  vorderen  Abschnitte  seiner  Seitenfläche  an  der 
Berührung  mit  dem  Ilium  Theil. 

Die  Zahl  der  nicht  mit  den  Darmbeinen  in  Berührung  stehenden, 
hinteren  Sacralwirbel  ist  selbst  innerhalb  derselben  Art  bedeuten- 
den Schwankungen  unterworfen  ,  woraus  sich  die  grosse  Verschieden- 
heit der  Angaben  über  die  Zahl  der  Sacralwirbel  überhaupt  erklärt^ 
(Man  vergl.  hierzu  Mbckbl,  System  der  vergl.  Anatomie.  II,  4.  S.  243, 
der  vielfach  andere  Zahlen  fand,  als  sie  Cuvibr  in  der  4.  Aufl.  seiner 
Le9ons  etc.  angegeben  hatte.)  Noch  grösser  sind  die  Schwankungen 
zwischen  nahverwandten  Arten  und  Geschlechtern ,  indem  z.  B.  einige 
Wiederkäuer  hinter  dem  echten  Sacralwirbel  noch  2,  andere  noch 
5  Wirbel  an  ihrem  Sacrum  aufweisen.  In  jeder  Ordnung  findet  man 
immer  einige  Arten  mit  ausnehmend  wenig  hinteren  Sacral wirbeln.  Da 
nun  der  discrelc  Zustand  des  Wirbels  unbestreitbar  als  der  primitive  zu 
gelten  hat ,  der  durch  Concrescenz  der  Wirbel  characterisirte  dagegen 
als  der  secundäre,  so  werden  in  jeder  Ordnung  der  Säuge- 
thiero  diejenigen  Arten  das  ursprünglichere  Zahlenver- 
haltniss  der  Sacralwirbel  repräsentiren,  bei  denen  das 
Sacrum  aus  einer  Minderzahl  sich  zusammensetzt. 

Die  hintersten  Sacralwirbel  bilden  bei  allen  Sdugethieren  sehr 
deutliche  Uebcrgangsformen  in  die  vordersten  Schwanzwirbel ,  und 
ebenso  ist  wieder  bei  allen  Säugethicren  der  erste  Sacralwirbel  con- 
stant  mit  dem  Darmbeine  verbunden ,  und  selbst  wenn  noch  eine  An- 
zahl folgender  Wirbel  dieselben  Beziehungen  besitzt,  triflH  den  ersten 
entweder  ein  überwiegender  Antheil  an  der  Bildung  der  Auricularfläche, 
oder  er  ist  auch  durch  grössere  Breite  ausgezeichnet.  Auf  diesen  Wirbel 


434  F.  FriMikel, 

folgt  bei  den  meisten  Beutelthiercn  nur  noch  ein  Sacralwirbel.    Bei  den 
Monotremen  kommt  noch  ein  zweiler  dazu. 

Bei  einer  Anzahl  placentaTer  Säugethiere,  besonders  bei  Halbaffen, 
Affen ,  Chii-optern ,  Fleischfressern ,  Nagethicren,  hat  sicfr  die  Zahl  der 
hinleren  Sacralwirbel  nicht  oder  nur  wenig  vermehrt,  z.  B.  besitzen 
die  Haibaffen  und  die  Klammeraffen  zum  Theil  nur  einen  hinteren 
Sacralwirbel,  wie  die  Marsupiah'en,  bei  den  Carnivoren  und  Rodentien 
ist  in  der  Regel  noch  einer  hinzugekommen,  so  dass  die  durchschnilllicbe 
Zahl  ihrer  Sacralwirbel  3  ist.  In  den  von  den  Stammformen  der  SUu- 
gethiere  weiter  entfernten  Abtheilungen,  wie  bei  den  Edentaten  und 
Ruminantien ,  ist  diese  Zahl  oft  sehr  erhöht.  Erslcrc  haben  zwischen 
3  und  9,  letztere  zwischen  3  und  6  Sacralwirbel.  (Bei  den  Zahnlosen 
treten  die  hinleren  Sacralwirbel  auch  mit  den  Sitzbeinen  in  Berührung.) 
Auch  unter  den  Schwx»inen  kommen  Beispiele  einerstarken  Verniehnmg 
der  hinteren  Sacralwirbel  vor  (Dicolyles  lorquatus  hat  z.  B.  hinter  dem 
ersten,  typischen  noch  8) . 

Alle  diese  Thatsachen  gewinnen  Zusammen  hang  durch 
dieAnnahmeeinerVergrösseru!ngdes  Sacrums  nach  hinten 
zu,  indem  sich  allmäligein  Schwanzwirbel  nach  dem  an- 
dern mit  den  schon  vorhandenen  Sacralwirbeln  verband. 
Je  länger  ein  Gaudalwirbel  sich  dem  Verbände  des  Kreuzbeines  ange- 
schlossen halte ,  um  so  mehr  änderte  sich  seine  ursprüngliche  Gestalt, 
so  dass  er  mit  der  Zeit  einem  beweglichen  Schwanzwirbel  unähnlich 
wurde.  Je  weniger  Gaudiilwirbel  ein  Sacrum  enthalt,  desto  mehr 
gleichen  sie  den  ihnen  sich  anschliessenden  vordersten  Schwanz- 
wirbeln. 

Wenn  es  demnach  keinem  Zweifel  unterworfen  ist,  dass  alle  nicht 
mit  den.  Darmbeinen  verbundenen  Sacralwirbel  ursprünglich  Caudal- 
wirbel  waren ,  so  bleibt  noch  die  Verschiedenheit  zu  erklären ,  welche 
in  Hinsicht  der  sogenannten  echten  oder  mit  den  Darmbeinen  verbun- 
denen Sacralwirbeln  obwaltet.  Die  meisten  Säugelhiere  besitzen ,  wie 
wir  sehen ,  nur  einen  ,  eine  geringe  Anzahl  hat  zwei  und  die  wenigsten 
drei.  Man  hat  allen  Grund  anzunehmen,  dass  auch  bei  den  Ordnungen, 
innerhalb  deren  mehr  als  ein  echter  Sacralwirbel  vorkommt,  ursprüng- 
lich nur  einer  die  Gclenkflächen  für  die  Darmbeine  trug.  Eine  Anzahl 
Umstände  sprechen  für  die  Richtigkeit  dieser  Annahme :  \)  die  grosse 
Verbreitung  eines  einzigen  typischen  Sacralwirbels  in  allen  Ordnungen 
der  Säugelhiere,  ohne  dass  bei  den  meisten  derselben  Spuren  bestehen, 
welche  zu  der  Annahme  berechtigen,  dass  in  einer  früheren  Zeit  mehr 
als  ein  echter  Sacralwirbel  bei  ihnen  bestanden  hätte. 

2)  Die  Thotsache,  daiiS  der  erste  Sacralwirbel  immer  den  grösslen, 


ßeitrüge  mr  aiialomischeii  Keniitiilss  des  Kreuzbeines  der  Süuget liiere.  435 

oft  fast  ausschliesslichen  Äntheil  an  der  Gelenkfläche  hat  und  daher 
sl^ts  auf  eine  grössere  Strecke  hin  mit  dem  Darmbeine  in  Berührung 
ist,  als  der  zweite  .und  dritte  Sacralvvirbel  zusammengenommen,  falls 
sie  in  das  Gelenk  mit  eingehen. 

3)  Der  Umstand,  dass  die  Beutelthiere,  welche  der  Stammform  der 
placentalen  Süugethiere  am  nUchsten  stehen,  immer  nur  einen  echten 
Sacral Wirbel  besitzen. 

Die  Beziehung  zum  Darmbein  erklärt  zugleich  die  Erhaltung  der 
Rippenrudimenle  in  den  Scitenfortsätzen  der  Sacralwirbel ,  denn  als 
eigenllK'her  Träger  des  Darmbeins  wird  jenes  KnochenstUck  eine 
[>ractische  Bedeutung,  die  nur  in  dem  Masse  sich  minderte,  als  mit 
dem  endlichen  Aufgehen  jener  SlUcke  in  die  Seitenfortsätze  von  den 
Wirbelfortsiftzen  selbst  jene  Function  übernommen  ward. 

Wenn  eine  Vergleichung  aller  Verhaltnisse  des  Sacruros  uns  dahin 
führte,  für  die  Stammeltorn  der  Säugethiere  einen  ur- 
sprünglichen Sacralwirbel  anzunehmen,  deran  den£n- 
den  der  von  ihm  abgehenden  kurzen  Rippen  die  Darm- 
beine trügt,  so  ergiebt  sich  das  primitive  Sacrum  der  Säugethiere  in 
Uebereinstimmung  mit  dem  Sacrum  der  jetzt  noch  lebenden 
Amphibien,  bei  denen  allen  nur  ein  Sacralwirbel  existirt,  welcher 
die  Grenzscheide  zwischen  den  Rumpf-  und  Schwanzwirbeln  darstellt. 
Bei  den  Salamandrinen  trägt  dieser  eine  Sacralwirbel  sogar  be- 
wegliche Rippen,  die  auch  allen  vorhergehenden  Wirbeln  zukom- 
men (s.  oben),  an  den  Schwanzwirbeln  aber  fehlen.  Dass  bei  den  Säu- 
gethieren  ursprünglich  auch  die  Schwanzwirbel  Rippen  trugen,  bezeugen 
die  stellenweise  noch  nachweisbaren  Rudimente  derselben.  Diese  Rip- 
penrudimente erhielten  sich  besonders  lange  an  den  auf  den  eigentlichen 
Sacralwirbel  folgenden  ersten  Caudalwirbeln.  Eine  grössere  oder  ge- 
ringere Anzahl  Caudalwirbel  schlössen  sich  durch  Verwachsung  dem 
Sacralwirbel  an,  die  vordersten  traten  nachträglich  mittelst  ihrerRippen- 
rudimente  mit  den  Darmbeinen  in  Beiilhrung  oder  verloren  diese  Rudi- 
mente ,  wenn  sie  nicht  mit  zur  Bildung  der  Gelenkfläche  herangezogen 
wurden. 


436  F.  Frenket, 


Erklärung  der  beigeffigten  ibbildongen. 

Tafel  ZXI  und  XXII. 

Fig.  4.  Erster  Sacralwirbol  eines  vierteljährigen  Kindes  im 
Querdurcbschnitte :  wk  Knochenkern  des  Wirbelkdrpers  oder  »Körpersttick« ;  ob 
Knochenkerne  der  beiden  oberen  Bogen  oder  »obere  Bogenstücke« ,  welche  sich 
bei  sp  durch  eine  Knorpelleiste  zur  Bildung  des  späteren,  niedrigen  Dornfortsatzes 
yereinigen  ;  es  costae  sacraies,  Sacralrippen  oder  »ventrale  Seitenstücke«.  Bei  a  ist 
die  breitere  Knorpelgrenze  zwischen  KOrperstück  und  ventralem  Seitenstück ,  bei 
b  die  schmale  Knorpelgrenze  zwischen  letzterem  und  dem  oberen  Bogenstücke ; 
fa  Stelle  der  facies  auricularis;  tr  ist  die  dem  Querfortsatze  eines  Lendenwirbels 
entsprechende  Stelle. 

Fig.  2.  Ventralansicht  des  Kreuzbeines  und  der  letzten  Lende n;- 
wirbel  eines  dreijährigen  Kindes:  vi  IV  und  vi  V  vertebra  lum- 
balis  IV  und  V.  —  vs  I— V  vertebra  sacralis  I— V.  -^  wk  Wirbelkörper;  ob 
obere  Bogenstücke ;  p  tr  Stelle  der  vorhandenen  oder  angedeuteten  processu*» 
transversi;  es  costa  sacralis.  Am  4.  und  2.  Sacralwirbel  sind  die  Knochenkerne 
der  Sacralrippen  noch  ganz  von  Knorpel  umschlossen ,  soweit  nicht  bereits  ihre 
knöcherne  Oberfläche  zu  Tage  tritt.  Am  dritten  Sacralwirbel  ist  ihre  Grenze  gegen 
das  Körperstück  schon  fast  verwischt.  Am  5.  Lendenwirbel  sind  kleine  Knochen- 
kerne, welche  als  unentwickelte  Sacralrippen  zu  betrachten  sind,  sichtbar. 

Fig.  3.  Diese  und  die  folgenden  Figuren  (bis  7)  veranschaulichen  die  Aoein- 
anderlagerung  der  Bildungsstücke  der  Wirbel  beim  neugeborenen  Kanin- 
chen. Fig.  3  zeigt  den  letzten  Lendenwirbel  halb  von  vorn,  halb  von  unten. 
Wiederum  bedeuten:  wk  Körperstück,  ob  obere  Bogen,  p  tr  processus  transversi, 
pa  Processus  articularis  anterior. 

Fig.  4.  Derselbe  Lendenwirbel  von  unten,  z  ligamentum  interverte- 
brale. 

Flg.  5.  Erster  Sacralwirbel,  halb  in  vorderer  Ansicht.  Die  Bezeich- 
nungen wie  vorher. 

Fig.  6.   Derselbe  Wirbel  von  unten  betrachtet. 

Fig.  7  zeigt  den  Antheil  des  oberen  Bogen  ob  an  der  Bildung  der  Gelenk- 
fläche fa.  Die  Grenze  zwischen  ventralem  Seitenstücke  es  und  oberem  Bogen 
ist  eine  deutliche  Furche.  —  p  tr  Stelle  des  Querfortsatzes  eines  Lendenwirbels. 

Fig.  8.  Letzte  Lendenwirbel  und  Sacrum  einer  neugeborenen 
Katze,  in  Ansicht  von  unten.  Mit  es  sind  überall  die  Rippenrudimente,  mit  ob 
die  den  oberen  Bogen  angehörigen  Verknöcherungen  bezeichnet. 

Fig.  9.  Ansicht  des  Sacrums  eines  Rinderembryo  von  unten,  oft  die 
oberen  Bogen ;  es  die  Sacralrippen ;  p  tr  processus  transversi. 

Fig.  40a.  Erster  Sacralwirbel  eines  Rinderembryo,  welcher  das 
gewöhnliche  Verhalten  zeigt,  d.  h.  die  Sacralrippe  mit  dem  oberen  Bogen  ihrer 
Seite  verschmolzen. 

Fig.  40b.   Durchschnitt  des  zweiten  Sacralwirbels. 


Beitrag«  zur  Anatomisclieii  Kenntniss  des  Kreuzbeines  der  Süiigethiere.  437 

Fig.  14.  Erster  Sa cralwir bei  eines  anderen  Rinderembryo ,  von  vorne. 
Die  Sacralrippen,  es,  verknöchern  ausnahmsweise  selbständig,  li  ligamentnm 
iotervertebrale. 

Fig.  42.  Sacrum  eines  Ferkels  von  unten.  Die  Sacralrippen  sind  von 
Anfang  an  mit  den  oberen  Bogen  verschmolzen. 

Fig.  43.   Seitenansicht,  /a  Gelenkfläche. 

Fig.  44.   Letzter  Lendenwirbel. 

Fig.  45.   Erster  Sacralwirbel  und 

Fig.  46.   Zweiter  Sacralwirbel  im  Durchschnitte. 

Fig.  47  Durchschnitt  durch  den  ersten  Sacralwirbel  eines  4t  Centimater 
langen  Embryo  von  Sus  scrofa 

Fig.  48.  Ansicht  des  Sacrums  eines  mehrere  Monate  alten  Igels  vor  unten. 
rs  I— V  sind  die  fünf  Sacralwirbel ;  h  die  seitlichen  Bänder. 

Fig.  4  9.   Seilenansicht,    /a  Gelonkflttche.  | 

Fig.  20.   Letzter  Lendenwirbel.  IVomlgel. 

Fig.  21.   Zweiter  Sacralwirbel;  beide  im  Durchschnitte.  ) 

Fig.  22 — 25  stellen  Kreuzbeine  des  Menschen  vor.  Fig.  22.  Un- 
regelmässig gebildetes,  ausgewachsenes  weibliches  Sacrum. 
ptr  Processus  transversus  des  fast  selbständig  gewordenen,  wie  im  Uebergange 
zu  einem  Lumbalwirbel  stehenden  ersten  Sacralwirbels  (vs  I);  es  costa  sacralis. 

Fig.  23.  Weibliches  Sacrum,  dessen  erster  Wirbel  (t*5  I)  auf  seiner 
linken  Seite  fast  lumbal  gestaltet  ist.   Dieselben  Bezeichnungen. 

Fig.  24.  Weibliches  Sacrum  mit  zur  Hälfte  einverleibtem  fünften  Len- 
denwirbel (V).  CS  bezeichnet  die  an  seinem  rechten  Querforlsatze  zur  Ausbildung 
gekommene  Sacralrippe. 

Fig.  25.  Sacrum  (Geschlecht  unbestimmt)  mit  völlig  einverleibtem  fünf- 
ten Lendenwirbel  (6  Wirbel). 

Fig.  26.  Unregelmässig  gebildetes  Sacrum  eines  H^sen,  von 
unten  ge.sehen.  Linkerseits  ist  auch  am  letzten  Lendenwirbel  ein  ventrales  Seiten- 
stück  ausgebildet  (es) . 

Fig.  27.  Ansicht  des  Sacrums  eines  vierteljährigen  Hundes  in 
Verbindung  mit  den  Darmbeinen,  von  unten.  Bei  VII  der  letzte  Lenden- 
wirbel; vs  1  ist  der  erste  Sacralwirbel. 


Zur  Blldungsgeschiclite  lumbosacraler 

üebergangswlrbel. 


Von 

C.  Gegenbaur. 


Sowohl  durch  das  äussere  Verhalten  als  auch  durch  den  Besitz 
eines  selbständigen,  vom  Wirbelbogen  unabhängigen  Knochenkernes  ist 
die  Bedeutung  der  ventralen  Schenkel  der  Seiten fortsätze  des  Kreuz- 
beines als  Rippenrudimente  in  hohem  Masse  sichergestellt  und  wird 
durch  die  Vergleichung  der  bei  Wirbel thieren  gegebenen  Befunde  über 
jeden  Zweifel  gehoben.  Etw^as  anders  liegt  die  Frage  bezüglich  der 
lumbosacralen  Uebergangswirbel.  In  dem  Masse  als  man  das  Verhalten 
der  ventralen  Schenkel  der  Seitenfortsätze  der  Sacralwirbel,  —  beim 
Menschen  ferner  der  drei  ersten  —  aus  dem  Fortbestehen  von  Costal- 
rudimenten  begreift,  wird  man  freilich  sofort  geneigt  sein ,  auch  jene 
Ueborgangswirbol  in  gleichem  Sinne  zu  beurtheilen.  Doch  können  lum- 
bosacrale  Uebergangswirbel  bekanntlich  auf  sehr  diffcrentem  Wege  ent- 
standen sein,  und  danach  wird  auch  jedes  Urlheil  sich  etwas  verschieden 
gestalten  müssen.  Die  eine  Art  jener  Uebergangswirbel  kommt  dadurch 
zu  Stande,  dass  ein  Sacralwirbel  das  costale  Element  seines  Seitenforl- 
satzes  verloren  hat.  Es  besteht  dann  bei  über  17  normalen  Thoraco- 
lumbalwirbeln  ein  sechster  Lumbalwir])el  der  einerseits  den  Character 
eines  Sacralwirbels  trägt;  oder  genauer,  es  ist  der  erste  Sacralwirbel 
einseitig  einem  Lendenwirbel  ähnlich  gestaltet.  In  diesem  Falle  kann 
kein  Zweifel  daran  sein ,  dass  der  erste  Sacralwirbel  die  Abnormität 
herstellte,  sobald  nach  diesem  nur  noch  vier  Sacralwirbel  folgen.  Würden 
dagegen  dem  Zwitterwirbel  noch  fünf  Sacralwirbel  folgen,  so  bestände 
Grund  ersteren  aus  einem  sogenannten  überzähligen  sechsten  Lenden- 
wirbel entstanden  anzusehen.    Dafür  sind  ebenfalls  Fälle  bekannt. 

Hier  wäre  nun  die  Frage  berechtigt,  ob  die  einseitig  aufgetretene 


Zur  Bildiioffsgesohiohte  lambalsacraler  Uebcrgaogswirbel.  439 

Verbreiterung  des  Seitenforisatzes,  des  Uebergangswirbels,  auf  dieselbe 
Weise  sich  als  costales  Rudiment  nachweisen  Hesse  wie  an  den  echten 
Sacralwirbeln,  und  dieselbe  Frage  gilt  für  jene  Fälle,  wo  der  fünfte  Len- 
denwirbel bei  fünf  Sacralwirbeln  einen  ventralen  Schenkel  am  Seiten- 
fortsatze  besitzt.  In  beiden  Fällen  handelt  es  sich  nicht  mehr  um  Sa- 
cralwirbel,  sondern  um  Lendenwirbel  mit  sacralen  Attributen.  Wenn 
auch  wenig  wahrscheinlich,  so  wäre  es  doch  möglich,  dass  die  bezüg- 
liche Modification  nicht  einem  besondern  Skeletelement ,  sondern  viel- 
leicht einer  Deformität  des  Querfortsatzes  ihre  Entstehung  zu  dan- 
ken hatte.  Ein  Theil  der  der  anderen  Auffassung  entgegenstehenden 
Bedenken  ist  nun  durch  die  Beobachtung  Frbnkbl^s  bezüglich  des  Vor- 
kommens kleiner  Knochenkeme  am  vordem  (ventralen)  Rande  des  letzten 
Lendenwirbels  hinweggeräumt.  Dadurch  wird  die  Annahme,  dass  durch 
die  weitere  Ausbildung  der  durch  jene  überzähligen  Knochenkeme 
ausgezeichneten  Knorpelpartien  der  Seitenfortsätze  ein  Lumbalwirbel 
zu  einem  Sacralwirbel  sich  umbilden  könne,  auf  einen  festeren  Boden 
gestellt,  aber  die  Gleichartigkeit  der  ventralen  Schenkel  am  Lum- 
balwirbel und  am  Sacralwirbel  ist  damit  noch  nicht  erwiesen.  Dazu 
würde  der  Nachweis  gleichartiger  Ossification  des  ventralen  Schenkels 
des  Seitenforlsatzes  des  letzten  Lendenwirbels  mit  dem  ventralen  Sehen- 

* 

kel  des  Seitenfortsatzes  der  drei  ersten  Sacralwirbel  erbracht  werden 
müssen.     Soviel  mir  bekannt,  ist  das  bis  jetzt  noch  nicht  geschehen. 

Die  Untersuchung  der  Wirbelsäule  eines  dreijährigen  Kindes  gab 
mir  zu  jener  Prüfung  Gelegenheit.  Bei  normaler  Wirbelzahl  in  allen 
Abschnitten  der  Wirbelsäule  (den  Sacral-  und  Lumbaltheil  mit  inbe- 
griffen) zeigte  der  letzte  Lendenwirbel  linkerseits  eine  sacralwirbelartige 
Gestaltung.  Es  bestand  hier  ein  zwar  nicht  so  bedeutend  wie  am  ersten 
Sacralwirbel  entfalteter,  aber  doch  immerhin  ansehnlicher  ventraler 
Schenkel  des  Seitenfortsatzes,  und  an  demselben  erstreckt  sich  die 
Facies  auricularis  fast  bis  zur  Hälfte  der  Höhle  hinauf.  Dieselbe  Ge- 
lenkfläche reichte  dagegen  nur  bis  zum  Rande  des  Seitenfortsatzes  des 
dritten  Sacralwirbels  herab,  kaum  darauf  übergreifend.  Rechterseits  er- 
streckte sich  die  Facies  auricularis  entschieden  bis  auf  den  dem  drit- 
ten Wirbel  zugehörigen  Seitenfortsatz  herab.  Dass  dennoch  die  linke 
Auricularflächo  um  vieles  bedeutender  ausgedehnt  war  als  die  rechte,  in- 
dem sie  sich  über  den  Seitenfortsatz  des  fünften  Lumbaiwirbels  empor- 
erstreckte, ist  selbstverständlich.  Die  Ossificationen  der  Sacralwirbel 
ergaben  kein  abweichendes  Verhalten.  Die  ventralen  Schenkel  der 
Seitenfortsätze  des  ersten  Sacralwirbels  besassen  die  diesem  Stadium 
entsprechenden  grossen  Knochenkeme,  ebenso  jene  des  zweiten  Sacral- 
wirbels.    •       '  ' —  ^       'Wirbel  war  nur  linkerseits  ein  sehr  kleiner 

Bd.  T  89 


440        G.  GegenbaiiF)    Zur  ßildnngsgesehiclite  labalsaenüer  Ueberg&ngswirbel. 

Knochenkern  im  ventralen  Schenkel  bemerkbar;  rechierseits  fehlte  er 
noch.  Die  Praeponderanz  der  linken  Seite  gab  sich  also  auch  darin  zu 
erkennen. 

Was  nun  den  linkerseits  am  fünften  Lendenwirbel  vorhandenen 
ventralen  Schenkel  angeht,  so  besass  dieses  bei  bedeutender  voi^e- 
schrittener  Ossification  des  Körpers  wie  des  Bogens  (beide  Theile  waren 
nur  durch  eine  schmale  ca.  1  mm.  dicke  Knorpelschichte  getrennt)  noch 
grossetitheils  knorpelige  Stück  doch  einen  völlig  selbständigen 
Knochenkern,  der  zwar  nahe  dem  Knochen  des  Bogenstückes  gelegen, 
aber  durch  einen  1 Y2  ^^'  breiten  Knorpel  davon  getrennt  war.  Durch 
eine  Anzahl  feiner  Schnitte  vermochte  ich  mich  zu  überzeugen,  dass  noc^ 
keine  Knorpelkanäle  vom  Bogenkern,  zu  jenem  »überzähligem  Knochen- 
keme  traten.  Die  Knorpelkanäle  führten  vielmehr  zur  freien  vordem 
(ventralen)  Oberfläche  des  Knorpels  hin.  Somit  ist  also  an  diesem  Knor- 
peltheile  des  fünften  Lendenwirbels  dieselbe  *Ossificationsweise  erkannt, 
wie  sie  an  den  Costalrudimenten  der  Sacralwirbel  besteht,  und  es  darf 
ausgesprochen  werden,  dass  die  lumbo-sacralen  Uebergangs- 
Wirbel  durch  die  Ausbildung  ihrer  in  der  Regel  gänzlich 
fehlenden  Rippenrudimente  hervorgehen.  Sowie  also  der 
einseitige  Mangel  eines  Rippenrudimentes  am  ersten  Sacralwirbel  aus  dem 
letzteren  einen  sacro-lumbalen  Uebergangswirbel  bildet,  so  kann  ein  ahn- 
1  icher  aber  doch  durch  seinen  Platz  in  der  Wirbelreihe  wesentlich  verschie- 
dener, also  nicht  mit  jenem  homodynamer  Uebergangswirbel  durch  die 
Ausbildung  eines  Rippenrudimentes  am  letzten  Lumbalwirbel  entstehen. 


An  derselben  Wirbelsäule  fand  sich  noch  eine  den  selteneren  Vor- 
kommnissen beizuzählende  Eigenthümlichkeit,  deren  ich  hier  nebenbei 
gedenken  will.  Am  ersten  Lendenwirbel  zeigte  sich  nämlich  der  ganze 
einem  Brustwirbelquerfortsatz  entsprechende  Abschnitt  beiderseits  als 
ein  bewegliches  Knorpelstück.  An  demselben  war  sehr  deutlich  der 
Processus  mamillaris  und  der  accessorische  Fortsatz  ausgeprägt,  dagegen 
war  der  lumbale  Querfortsatz  nur  als  ein  ganz  unansehnliches  Höckerchen 
unterscheidbar.  Das  ganze  Stück  war  ohne  Ossification,  und  articulirte 
durch  ein  wahres  Gelenk.  Es  bildete  eine  längliche  Pfanne,  welche 
auf  einem  von  der  hinleren  und  seillichen  Fläche  des  Wirbelbogens  dar- 
gebotenen, entsprechend  geformten  Gelenkkopfe  sass,  der  sich  am  Pro- 
cessus articularis  empor  erstreckte. 


BeslSnbnngsyersuche  an  AMtllon. 

Von 

Fritz  Müller. 


n.  Beispiele  von   Unfruchtbarkeit  als   Folge   zu 

naher  Verwandtschaft. 

Die  völlige  Unfruchtbarkeit  gewisser  Pflanzen  mit  Bltttheostaub  der- 
selben Blume  (Corydalis  cava)  oder  selbst  aller  Blumen  desselben 
Stocks  (Arten  von  Abutilon,  Bignonia,  Oncidium  u.  s.  w.)  bil- 
det nur  einen  besonderen  Fall  des  Gesetzes,  dass  Selbstbestäubung  min- 
der  kräftige  Nachkommeoscbaft  liefert,  als  Kreuzung.  Und  dieses  Gesetz, 
für  welches  jede  Blume  einen  Beleg  bietet,  die  durch  Duft  oder  Farben- 
schmuck Bienen  und  Schmetterlinge  zum  Honiggenuss  und  dadurch  zur 
Vermittelung  der  Kreuzung  einladet,  ist  wieder  nur  ein  besonderer  Fall 
eines  allgemeineren  Gesetzes,  dass  ndmlich  enge  Inzucht  zwischen  nahen 
Verwandten  nachtheiiig  wirkt ;  denn,  als  Einzelwesen  betrachtet,  sind 
ja  eben  Staubgefösse  und  Stempel  desselben  Pflanzenstocks  oder  gar 
derselben  Blume  die  denkbar  nächsten  Verwandten.  £ine  noch  ali- 
gemeinere Fassung  lässt  sich  letzterem  Gesetze  geben,  wenn  man  in 
dasselbe  die  Verminderung  der  Fruchtbarkeit  mit  einschliesst,  die  in 
allen  Graden  bis  zu  völliger  Unfruchtbarkeit  eintritt  als  Folge  zu  geringer 
Verwandtschaft  der  gekreuzten  Pflanzen,  also  bei  der  Bastardzeugung. 
Jede  Pflanze,  könnte  man  sagen,  erfordert  zur  Erlangung  möglichst  kräf- 
tiger und  zeugungsfohiger  Nachkommensdiaft  einen  gewissen  Betrag  von 
Verschiedenheit  zwischen  den  sich  vereinigenden  männlichen  und  weib- 
lichen Zeugungssioffen ;  sowohl  wenn  dieser  Betrag  abnimmt  (bei  zu  naber 
Verwandtschaft),  als  wenn  er  s«-^'"  '*"*  —  «ijeringer  Verwandtschaft) 
nimmtdie  Fruchtbarkeit  ab.  Df  ereinstimmung  zwischen 


442  FriU  Malier, 

iiillegitirDeD«  Sprfisslingen  dimorpher  und  trimorpher  Pflaozea  einerseits 
und  den  Bastarden  verschiedener  Arten  andrerseits  berechtigt  wohl  zu 
einer  solchen  Zusammenfassung  der  beiden  durch  entgegengesetzte  Ur^ 
Sachen  bedingten  Arten  der  Unfruchtbarkeit  unter  einen  gemeinsamen  Ge- 
sichlspunrt.  Selbstverständlich  soll  damit  das  thatsüchlich  Gegebene  nur 
ausgesprochen,  nicht  aber  erklärt  sein.  Ebenso  soll  damit  natürlich  aur 
eines  der  vielen,  die  grossere  oder  geringere  Fruchtbarkeit  einer  Yeiv 
biudung  bedingenden  Verhültnisse  ausgesprochen  sein. 

Je  grösser  bei  einer  Art  die  zur  Erzielung  des  höchsten  Grades  der 
Fruchtbarkeit  erforderliche  Verschiedenheit  der  Zeugungsstoffe  ist,  um 
so  grösser  wird  im  Allgemeinen  —  (celeris  paribus)  —  die  Verschieden- 
heit der  Pflanzen  sein  dürfen,  die  überhaupt  noch  Nachkommen  mit  ein- 
ander zeugen  können.  Mit  anderen  Worten:  Arten,  die  mit  BlUthenstaub 
desselben  Stockes  völlig  und  selbst  mit  BlUthenstaub  nahe  verwandter 
Stocke  mehr  oder  weniger  unfruchtbar  sind,  werden  im  Ailgemeioen 
bi.>sonders  leicht  durch  BlUthenstaub  anderer  Arten  sich  befruchlon  lassen. 
Die  selbst  unfruchtbaren,  dagegen  zur  Bastardbildung  so  Überaus  ge- 
neigten Arten  der  Gattung  Abu  tilon  liefern  ein  gutes  Beispiel  zu  diesem 
'~§alze,  der  auch  bei  Lobelia,  Passiflora,  Oncidium  sich  zu  be- 
sUttigin  scheint. 

Ich  will  diese  allgemeinen  Betrachtungen  hier  nicht  weiter  fort- 
setzen. Dieselben  sollten  nur  andeuten,  in  welchem  Sinne  und  in  wel- 
chem Zusammenhang  ich  die  im  Folgenden  mitzutheilenden  Beispiele 
von  Unfruchtbarkeit  zwischen  nahen  Verwandten  anfgefasst  zu  sehen 
wünschte. 


Im  Folgenden  bezeichnen  A,   C,  E,  P,  M,   P  sechs  einheimische 
Ahutilon-Arten,  von  denen  ich  Cals  Abutilon  vomCapivary,  EalsEm- 
bira  branca,  F  als  Abutilon  vom  Pocinho  schon  in  einem  früheren  Auf- 
satze erwithnlhabe').    Das  Abutilon  vom  Capivary  ist  von  Fe nzL  Abu- 
tilon Hildebrandi  gctauf         '  —    "  .....         .  .       .    «■ 

ich  spiiter  mittheilen  zu  1 
tilon  vexillarium  bezeicl 
sind  die  Buchstaben  dei 
nebeneinander  gestellt, 
zeirhnet  EF  einen  Basti 
Verbindungen  dieser  ei 
Arten  ist  ein  Punct  zwii 

')  Diese  Zeitsohrifl,  Bd 


Bestüobunggyersuche  an  Abatilon. 


443 


das  naohfolgende  des  Vaters  gesetzt;  PXF  hat  also  F  zur  Mutler,  CF 
zum  Vater,  CE,S  hatC£'  zur  Mutter,  S  zum  Vater.  Die  Zahlen  rechts 
unten  neben  den  Buchstaben  bezeichnen  die  einzelnen  Stöcke  einer  Art 
oder  eines  Bastards.  FSj,  F52,  FS3,  sind  also  z.  B.  drei  verschiedene 
Stöcke  des  Bastards  FS. 

I.  C  (Abulilon  Hildebrandi,  Fenzl). 
Von  dieser  Art  habe  ich  bereits  einige  Fälle  milgetheilt,  in  denen 
Befruchtung  durch  die  nächsten  Verwandten  zwar  reichlichen  Samen, 
aber  nur  wenige  schwächliche  Nachkommenschaft  erzeugte  ^j .  Ein 
weiteres  Beispiel  lieferten  meine  Versuche  im  Jahre  1871.  Die  Ver- 
wandtschaftsverhältnisse der  betheiligten  Pflanzen  erhellen  aus  nach- 
stehender Uebersicht. 


Co 

Aus  Samen  einer  Frucht  der  am  oberen  Capivary  wildwachsenden  Pflanze 
Co  wurden  die  Geschwister  C,  C",  Cj,  C3,  gezogen.  C^  hat  C,  zur  Mut- 
ter, C"  zum  Vater ;  C«  hat  zur  Mutter  G",  zum  Vater  C ;  endlich  die  Ge- 
schwister C7,  Cg,  C»,  haben  C5  zur  Mutter,  C3  zum  Vater.  Die  mit 
eigenem  BlUthenstaub  völlig  unfruchtbare  Pflanze  C^  wurde  nun  be- 
fruchtet mit  BlUthenstaub  ihrer  Geschwister  Cg  und  Cg,  ihrer  Mutter  C5, 
ihres  Vaters  C3  und  der  minder  nahe  verwandten  Pflanze  Cg.  Im  Sa- 
roenertrage  zeigte  sich  keine  erhebliche  Verschiedenheit.  Am  47.  Fe- 
bruar 1872  wurden  je  30  Korn  dieser  fünferlei  Samen  gesät.  Die  durch 
BlUthenstaub  des  Vaters  C3  und  des  Bruders  C«  erzeugten  Samen  gingen 
gar  nicht  auf.  Von  den  durch  BlUthenstaub  der  Mutter  C5  erzeugten 
Samen  keimten  zwei  oder  drei,  aber  die  Pflänzchen  gingen  schon  nach 
wenigen  Tagen  wieder  ein.  Zahlreichere  Pflanzen  entsprossten  den  durch 
Cg  und  Ce  erzeugten  Samen.  Erstere,  die  Kinder  des  Bruders  Cg,  wuch- 
sen sehr  kümmerlich ;  nach  vier  Monaten  waren  die  grössten  kaum  zoll- 


»)  Diese  ZeiUchria,  Bd.  VII.  S.  *0. 


BestJlubiingsrersuclie  an  Abntilon.  445 

dagegen  brachten  40  gleichzeitig^)  mit  Blüthenstaub des  Oheims  Cf\ 
bestäubte  Blumen  ebenso  viele  Früchte  mit  keimfrlhigen  Samen.  Auich 
mit  Blüthenstaub  der  Mutter  F,  des  Bruders  F.CFi,  sowie  der  Pflanzen 
A2,  C^y  und  P.EFi  lieferte  P.CF^  keimfähige  Samen.  Mit  eigenem  Blü- 
thenstaube  ist  F.  CF^  völlig  unfruchtbar. 

Umgekehrt  fielen  zwei  Blumen  von  CF^  nach  Bestäubung  mit  F.CF2 
unbefruchtet  ab,  während  zwei  ebenso  bestäubte  Blumen  von  CF^  reife 
Früchte  brachten,  deren  Samen  leider  durch  Raupen  ausgefressen  waren. 

Die  Pflanze  F.CF^,  an  welcher  nur  wenige  Versuche  gemacht  wur- 
den, scheint  sich  ähnlich  zu  verhallen,  wie  ihr  Bruder  F.  CFj. 

IV.  Bastard  FS. 

Von  den  Arten  F  und  S  besitze  ich  nur  je  eine  Pflanze ;  die  Bastarde 
PSxj  FS2,  FS3  und  SF  sind  also  sämmilidi  Geschwister.  Alle  vier  zeich- 
nen sich  aus  durch  üppigen  Wuchs  (sie  sind  jetzt,  ein  Jahr  nach  der 
Aussaat,  von  mehr  als  doppelter  Manneshöhe)  und  durch  grosse  Frucht- 
barkeit^); ohne  mein  Zuthun,  durch  Vermittlung  der  Kolibris,  haben  sie 
sich  mit  Hunderten  von  Früchten  bedeckt.  Zu  Bestüubungsversuchen 
wurde  die  Pflanze  FS|  ausgewählt.  10  Blumen  mit  Blüthenstaub  des- 
selben Stockes  bcstäuljt,  fielen  unbefruchtet  ab,  während  9  Blumen  be- 


binden  waren,  wie  es  in  dem  Bastard  CE.S  mit  den  Arien  E  und  5  der  Fall  ist.  Er  fand 
ferner  diese  durch  vermittelnde  Verwandtschaft  entstandenen  znsammcngcsetzlen 
Bastarde  »dem  vttterliclien  Typus  so  sehr  ähnlich,  dass  sie  nur  Varielöten  desselben 
zu  sein  scheinon«.  Die  von  ihm  und  Kölkeuter  beobachteten  derartigen  Bastarde  ge- 
hörten den  Galtungen  Nicotiana,  Lobelia  undVerhascum  an.  FürAbu- 
1  i  I  o  n  kann  ich  die  von  Gärtner  aufgestellten  Regeln  nicht  bestätigen.  Die  hierher 
gehörigen  Bastarde  CE.S,  EF.S  und  CS.E  sind  sämmtlich  fruchtbar  und  keineswegs 
ihren  Vätern  besonders  ähnlich ;  in  der  Blattform  steht  sogar  C^. 5  der  Mutter  0^ 
sehr  viel  näher  als  dem  Vater  5. 

1)  D.  h.  es  wurden  gleichzeitig  nicht  alle  20  Blumen ,  sondern  jedesmal  eine 
Blume  mit  CFi  und  zugleich  eine  andere  mit  CF2  bestäubt. 

^  Soweit  meine  Erfahrung  reicht,  sind  überhaupt  die  am  üppigsten  wachsenden 
Bastard«  auch  die  fruchtbarsten.  Auch  nach  Gärthkk's  so  ungemein  reichen,  ein 
Vierteljahrhundert  umfassenden  Erfahrungen  »zeigen  gerade  diejenigen  Bastarde, 
bei  welchen  man  die  meiste  Fruchtbarkeit  bemerkt  hat,  unter  allen  die  stärkste 
Luxuriation  in  allen  Theilen«  (Bastardzeugung  S.  529).  Dass  umgekehrt  kümmer- 
lich wachsende,  zwerghafte  Bastarde  völlig  unfruchtbar  zu  sein  pflegen,  ist  bekannt. 
Den  üppigen  Wuchs  so  vieler  Bastardpflanzen  ihrer  Unfruchtbarkeit  zuzuschreiben, 
wie  KöLREDTER  woUte,  und  darin  »un  cas  tr^s  —  remarquable  d'application  de  la 
loi  du  balaocement  organique  et  physiologique«  sehen  zu  wollen,  wie  noch  ganz 
neuerdings  Quatrkpages  es  thut  (Charles  Darwin  et  ses  pr6curseurs  fran^äis. 
4870.  S.  246.  Anm.)  ist  hiernach  (und  aus  anderen  von  Gärtner  a.  a.  0.  entwickel- 
ten Gründen]  durchaus  u*" 


446  Fritz  Müller, 

stäubt  mit  F,  40  Blumen  mit  F^EF,  2  Blumen  mit  FV  ebensoviele  samen- 
reiche  Früchte  brachten.  Auch  xniiAy  mit  EF,  mit  FE ^  mit  M^y  mit  S^^ 
sowie  mit  ihren  Geschwistern  FS2  und  SF  zeigte  FS^  sich  fruchtbar. 
Die  aus  diesen  verschiedenen  Kreuzungen  hervorgegangenen  Samen 
erwiesen  sich,  soweit  sie  ausgesät  wurden,  als  keimfähig,  darunter  au<^ 
die  durch  Bestäubung  mit  SF  erhaltenen.  Völlig  unfruchtbar  dagegen 
zeigte  sich  die  Pflanze  FSi  mit  ihrem  Bruder  FS^ ;  sieben  mit  dessen 
Blüthenstaube  bestäubte  Blumen  fielen  unbefruchtet  ab. 

Um  zu  ermitteln,  ob  die  Unfruchtbarkeit  dieser  beiden  Geschwister 
eine  gegenseitige  sei,  wurde  auch  an  FS^  eine  Reihe  von  Versuchen  ge- 
macht. 4  Blumen  mit  A,  \  Blume  mit  FV,  5  mit  FS2,  5  mit  SF  be- 
stäubt lieferten  ebensoviele  Früchte;  ebenso  erhielt  ich  Früchte  mit 
gutem  Samen  von  der  Mehrzahl  der  mit  F,  FF,  M  und  S  bestäubten 
Blumen,  dagegen  nicht  eine  einzige  Frucht  von  5  Blumen,  die  mit  Blü— 
thenstaub  von  FS^  bestäubt  wurden. 

Der  Blüthenstaub  von  FS|,  der  FS3  nicht  zu  befruchten  vermochte, 
erzeugte  Früchte  mit  reichlichen  keimfähigen  Samen  an  den  Pflanzen 
CP,  FF2,  FFi,  F,  F.EF^y  S  und  SV;  ebenso  befruchtete  der  auf  den  Nar- 
ben von  FSi  wirkungslose  Blüthenstaub  von  FS^  die  Pflanzen  CF,  EVi^ 
F.  FF2,  P  und  S. 

y.  Bastard  FP, 

Die  beiden  Geschwister  FPi  und  FP2  scheinen  ebenso  unfruchtbar 
mit  einander  zu  sein,  wie  FS^  und  F1S3  ;  zwei  Blüthen  von  FF2,  bestäubt 
mit  FPi,  fielen  unbefruchtet  ab ;  ebenso  vier  von  den  fünf  mit  FP^  be- 
stäubten Blumen  der  Pflanze  FP^ ;  auch  die  Frucht,  welche  die  fünfte 
dieser  Blumen  angesetzt  halte,  fiel  jung  ab.  Dagegen  lieferten  beide 
Pflanzen  Früchte  und  keimfähige  Samen  mit  dem  Blüthenstaub  ihrer  Eltern 
FundF;  ausserdemFFi  mitA,  CS^  und  CV. — Der  Blüthenstaub  beider 
Pflanzen  ist  zeugungskräftig;  denn  er  erzeugte  keimfähige  Samen  an 
den  Pflanzen  CV,  EV^,  F,  Mi  und  M2.  An  der  Pflanze  P,  dem  Vater  von 
FP^  und  FP21  erhielt  ich  von  fünf  mit  Blüthenstaub  dieser  Kinder  be- 
stäubten Blumen  nur  eine,  ziemlich  samenreiche  Frucht,  deren  Samen 
noch  nicht  auf  ihre  Keimfähigheit  geprüft  wurden. 

VI.  Bastard  REF. 

Die  vier  Pflanzen  EF.  F^,  FF.F2,  F,EF^  und  F.FF2  sind  Geschwister ; 
sie  haben  dieselben  Eltern  Fund  EFi,  — 

Neun  Blumen  von  F.  FF^  bestäubt  mit  Blüthenstaub  anderer  Blumen 
desselben  Stocks,  lieferten  keine  einzige  Frucht.  Zwanzig  Blumen  von 
F.EF^  bestäubtmilBlüthenstaubderGeschwister  F.FF2,  EF,F^  undFF.Fj 


BestünbungSTersiithe  an  Abutilon. 


447 


JPjRJ. 


EEFg, 


F,EF^ 


B 

D 

» 

a 


brachten  drei  Früchte  mit  durchschnittlich  1,3  Samen  im  Fach;  die  sa- 

meni*eichste  der  drei  Früchte  hatte  durchschnittlich  %,%  Samen  im  Fach. 

Dagegen  gaben 

10  Blumen  von  F.^F  bestäubt  mii FEy  und  FE^:  10  Früchte  mit  4,5 

11  ... EF2  und  EF^:  10  .     .     .     .4,6 

10     ...     ! F  :     9  ....  4,7 

6 FCF^  undFCF,:    6  ....  4,5 

1 FS,        :     1  Frucht  mit  4,7 

*  Der  geringe  Erfolg  der  Bestäubung  mit  dem  Blütbenstaub  der  Ge- 
schwister lag  nicht  etwa  an  der  schlechten  Beschaffenheit  dieses  Blüthen- 
staubes,  der  sich  an  anderen  Pflanzen  vollkommen  zeugungskräftig  er- 
wies; der  Blüthenstaub  von  F.FF2  erzeugte  samenreiche  Früchte  an  der 
Pflanze  FS,,  der  von  EF.F^  an  FF2,  der  von  FF.F2  «"  ^-  Auch  der 
Blüthenstaub  von  F.EF^  erzeugte  zahlreiche  und,  soweit  sie  ausgesät 
wurden,  sich  keimfähig  erweisende  Samen  an  den  Pflanzen  F,  F.CF^^ 
FS^  und  FSj.  — 

Die  durchF.FF2  erzeugten  Samen  von  P.EFi  haben  übrigens  ge- 
keimt und  kräftige  Pflanzen  gegeben,  die  bis  jetzt  im  Wachsthum 
mit  den  durch  FF2,  durch  F,  durch  F.CF2  und  durch  FS^  erzeugten 
gleichen  Schritt  halten. 

VII.  Bastarde  EF  und  FE, 

Die  Verwandtschaftsverhältnisse  der  betreffenden  Pflanzen  erhellen 
aus  der  bei  F.  EF  gegebenen  Uebersicht. 

Sowohl  die  Geschwister  FF2  und  FF3,  als  ihre  Halbgcschwister 
FF],  FF,  und  FE^  wetteifern  in  üppigem  Wuchs  und  Fruchtbarkeit  mit 
den  Bastarden  FS  unb  SF^).  —  Als  Versuchspflanzen  dienten  die  Halb- 


>)  »Wenn  zwei  Arten  fruchtbare  Bastarde  erzeugeo,  so  müsse  n  wir  sie  in  eine 
Art  zosammenziehen«  sagt  Professor  Kbfkmtkin  in  seinem  »Berichte  über  die 


448  FritiMflller, 

geschwisler  EF2  und  Pfj.  Dieselben  sind  unfruchtbar  mil  einander. 
Sieben  Blumen  von  EP^  lieferten  niitBIUlhenslaub  von  FEi  keine,  i  0  Blu- 
men von  PE^  mit  BlUlhenslaub  von  EF^  eine  einz  ige  sehr  dUrfUge  Fruchi, 
die  in  15  Füchero  nur  11  Samen  enthielt.  Die  Samen  scheinen  tjiub  zu 
sein,  haben  wenigstens,  vor  18  Tagen  ausgesät,  noch  nicht  gekeimt. 

Auch  mit  Bltlthenstaub  von  FEy  zeigten  sich  beide  Versuchspflaozen 
unfruchtbar;  10  Blumen  von  FE.^  gaben  mit  BlUlhenslaub  von  Pf,  gar 
keine,  4  Blumen  von  EP.^  eine  einzige  dllrftige  Fruchi  mit  nur  8  Samen 
in  1 1  Fächern  und  diese  Samen  erwiesen  sich  bei  der  Aussaat  als  taub. 

Dagegen  erzeugte  der  Bltlthenstaub  von  EF^  ziemlich  reichlichen  Sa- 
menertrag, sowohl  bei  seinem  Bruder  EF^,  als  bei  seinem  Halbbruder 
F£a;  12  Blumen  von  F.Pt  gaben  mit  ^Fj  bestaubt  10  Früchte  mit  durch- 
schnittlich 3,5  Samen  und  10  Blumen  von  PEj,  ebenso  bcstäubl,  SFrtichtc 
mit  durchschnjtllich  i,2  Samen  in  einem  Fache. 

Hit  allen  sonstigen  Arien  und  Bastarden,  mit  denen  sie  bestäubt 
wurden,  zeigten  sich  beide  Pflanzen  fruchtbar ;  so  EFj  mil  E,  EP.  V,  F, 
FS,  Jf  und  FS,  sowie  FF2  mit  CK,  EF.P,  EP.S,  K.FV,  HV,  F,FS  und*. 

Umgekehrt  bcfruchtclo  Bltlthenstaub  von  FFj  und  PE^  fast  alle  Pflan- 
zen, an  denen  er  versucht  wurde;  so  der  von  EF^  die  Pflanzen  C,,  CP, 
CV,  EF.S,  PS,,  SP  und  der  von  FE^  die  Pflanzen  P,  P.EPy  und  FS,.  — 


Es  beweisen  die  eben  milgetheillcn  Beispiele,  dass  bei  den  Bastar- 
den von  Abutilon  und  wahrscheinlich  ganz  ebenso  bei  den  reinen 
Arten  dieser  Gattung  ziemlich  häußg  Fälle  mehr  oder  minder  vollstSn- 
di.^ei'  Unfruchtbarkeit  zwischen  nahe  verwandten  Pflanzenstttcken,  cwi- 
sehen  Kllem  und  Kindern,  zwischen  Geschwistern  und  selbst  H«lbgc~ 


Forlschritle  der  Ueneralion^lehre  im  Jabre  lS67ii  (S.  190).  Diese  Forderung  des 
Berichte i'sUlters  dlirtle  wohl  kaum  unter  die  oFortsch ritte  in  der  Genera tionslehrc* 
zu  zählen  seio.  Schon  CXurtiEH  war  über  diesen  Stendpunct  weit  hinaus.  So 
segl  er,  um  nur  eine  der  vielen  bezüglichen  Stellen  seines  Baches  aanifiihren  (Bas- 
tardieugung,  S.  3S3):  «Kmght  hat  behauptet,  dass  die  Fruchtbarkeit  eines  Bas- 
tards ein  direcler  Beweis  dsvnn  seie,  da^s  die  beiden  Eltern  zu  der  nämlichen  Spe- 
cies  gehöreo,  und  dass  ein  steriler  Bastard  vtm  verschiedenen  Arien  abstamme.  — 
Im  Folgenden  wird  sich  aber  die  Unrichtigkeit  des  von  Krigbt  behaupteten  Salzes 
upzwetdeulig  eigeben». —  Nach  alle  dorn,  was  schon  Gäitmiir  und  was  später 
Dahwik  über  iliusen  Gegenstand  gesagt,  bedarf  derselbe  keiner  erneuten  Besprech- 
ung. Ich  mtichle  nur  Hei  rn  Professor  K  Er  eh  et  diu  fragen,  in  welcher  Weise  er 
seine  halegorirhe  ForderimR  auEfähren  würde,  wenn  iwei  Arten  (E  und  S)  zwnr 
mit  derselben  dritten  (fl  fruchtbare  Bastarde  (KF,  FE,  FS,  SF]  erzeugen,  nicht  aber 
unter  sich.  —  Oder  wenn  twei  direct  nicht  zu  truchtbaren  Baslarden  vereinbare  Arten 
(E  und  S)  sich  durch  Vcimttllung  einer  dritten  Art  (C  oder  f)  zu  rrucblbareo  Bas- 
tarden (CE.S,  EF.S,  CS. El  verschmelzen  lassen.  — 


ß  estänbungsversuche  au  Abiitilon.  449 

schwistern  vorkommen.  Ist  die  oben  ausgesprochene  Auffassung  des 
Zusammenhanges  zwischen  Verwandtschaft  und  Fruchtbarkeil  richtig, 
so  darf  man  hofTen,  ähnliche  Beispiele  durch  zu  nahe  Verwandtschaft 
verminderter  Fruchtbarkeit  auch  bei  anderen  Pflanzen  nachweisen  zu 
können,  wird  aber  völlige  Unfruchtbarkeit  zwischen  Verwandten  nur 
bei  solchen  Arten  zu  finden  erwarten  dürfen,  die  wie  Abutilon  mit 
Blttthenstaub  desselben  Stockes  unfruchtbar  sind. 

Die  ttblen  Folgen  der  Inzucht,  die  sich,  wie  Abutilon  zeigt,  schon 
bei  der  ersten  Verbindung  zu  nahe  verwandter  Pflanzen  bis  zu  völliger 
Unfruchtbarkeit  steigern  können,  sind  bei  allen  bisherigen  und  nament- 
lich auch  bei  Gärtnbr^s  »Versuchen  und  Beobachtungen  über  die  Bastard- 
zeugung im  Pflanzcnreicha  unberücksichtigt  geblieben,  und  es  bedürfen 
daher  mehrere  der  aus  diesen  Versuchen  abgeleiteten  Sätze  einer  Nach- 
prüfung. Dies  gilt  z.  B.  von'dem  Satze,  dass  Bastarde  »niemals  so  viele 
vollkommene  und  keimfiihigo  Samen  erzeugen,  als  ihre  Slammelterna 
(GArtiibr  a.  a.  0.  S.  540).  Ebenso  von  dem  Satze,  »dass  der  stamm- 
elterliche Pollen  auf  die  Bastarde  kräftiger  wirkt,  als  der  eigene« 
(Gärtner  a.  a.  O.  S.  425).  In  keinem  einzigen  der  vielen  von  Gärt- 
ner für  beide  Sätze  angeführten  Fälle  ist  aus  seinem  Buche  zu  ersehen, 
ob  die  geringere  Fruchtbarkeil  der  Bastarde,  ob  die  minder  kräftige 
Wirkung  des  Bastardpollens  Folge  gewesen  sei  der  Bastardnatür  oder 
nicht  vielmehr  zu  naher  Verwandtschaft  der  gekreuzten  Pflanzen.  Kaum 
findet  sich  bei  Gärtner  ein  Fall,  der  schlagender  die  Richtigkeit  des 
zweiten  Satzes  zu  beweisen  scheint,  als  die  oben  erwähnte  Pflanze  F.EF^, 
an  welcher  29  theils  mit  Blüthenstaub  desselben  Stocks,  theils  mit  dem 
von  F.EF2y  EF.Fi  und  EF.F^  bestäubte  Blumen  nur  drei  dürftige 
Früchte,  dagegen  31  mit  »slammelterlichem  Pollena  (von  F,  EF^,  EF^, 
FEi,  FE2)  bestäubte  Blumen  29  Flüchte  brachten,  die  mehr  als  dreimal 
so  samenreich  waren,  als  jene.  Und  doch  beweist  die  Fruchtbarkeit 
dieser  Pflanze  mit  andern  Bastarden  [FS  und  FCF],  sowie  die  kräftige 
Wirkung  ihres  Blüthenstaubes  und  dos  Blüthenstaubes  ihrer  Geschwister 
auf  zahlreiche  andere  Pflanzen,  dass  der  überaus  dürftige  Samenertrag 
der  Pflanze  F.EF^  nach  Bestäubung  mit  P.EF2J  EF.F^  und  EF,F2  nicht 
davon  herrtlhrte,  dass  diese  Pflanzen  Bastarde,  sondern  einzig  davon, 
dass  sie  Geschwister  sind.  —  Für  eine  grosse  Zahl  von  Bastarden  ist 
allerdings  die  Richtigkeit  beider  Sätze  ausser  Frage,  für  alle  diejenigen 
nämlich,  deren  Geschlechts theilc  mehr  oder  minder  verkümmert  sind ; 
für  diese  aber  besagen  sie  nur,  was  sich  ganz  von  selbst  v  ersteht  und 
ebenso  für  alle  übrigen  Pflanzen  gilt,  dass  gesunde  Geschlech Istheile 
und  Zeugungssloffe  zur  Zeugung  tauglichor  sind,  als  verkümmerte,  un- 
Vollkommen  entwickelte. 


450  Fritz  Mflller,    Bestruibiiugsvcrsuche  an  Abotilon*. 

Auch  der  Satz,  dass  »die  meisten  fruchtbaren  Bastarde  in  forl^e- 
setzten  Generationen  in  ihrem  Zeugungsvermögen  immer  nfehr  und  mehr 
abnehmena  (Gärtner  a.  a.  0.  S.  418),  bedarf  einer  neuen  Prüfung.  Es 
ist  auf  diesen  Satz  von  Gegnern  Darwin's  ganz  besonderes  Gewicht 
gelegt  worden  und  Flourens  glaubt  mit  demselben  eine  scharfe  Grenze 
zwischen  Art  und  Abart  ziehen  zu  können  ^) .  Während  Blendlinge  mit 
unverminderter  Fruchtbarkeit  sich  dauernd  fortpflanzen,  soll  die  Frucht- 
barkeit der  Bastarde  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  abnehmen  und  bald 
völlig  erlöschen.  Darwin  hat  bereits  mit  gewohntem  Scharfblick  die 
Vermuthung  ausgesprochen,  dass  diese  vielfach  beobachtete  Abnahme 
der  Fruchtbarkeit  Folge  sei  nicht  der  Bastardnatur,  sondern  zu  enger 
Inzucht^)  und  ich  freue  mich  in  den  hier  mitgetheilten  Beispielen  ver- 
minderter Fruchtbarkeit  und  völliger  Unfruchtbarkeit  als  Folge  zu  enger 
Inzucht  bei  Abutilon-Bastarden  einen  neuen  Beleg  für  die  Rich- 
tigkeit der  Vermuthung  Darwin's  bieten  zu  können  ^). 

Itajahy,  October  1872. 


1)  »Toutes  les  variät^s  d'une  möine  esp^ce  soDt  föcondes  entre  elles  d'une  fd- 
condit^  continue ;  les  e Spaces  d'unm^me  genre  n'ont  entre  elles  qu'une  f6con> 
dit6  bornöe«  Flourbns,  Examen  du  livre  de  M.  Darwin,  pag.  104. 

2}  mI  believe  in  nearly  all  tbese  cases,  that  the  fertility  has  been  diminished  .  .  . 
by  too  close  interbreeding«  Origin  of  species.  4th  edition.  pag.  295. 

3)  Gerade  in  dem  von  Gärtner  (a.  a.  0.)  als  Beleg  seines  Satzes  angeführten 
Falle  des  »sehr  fruchtbaren  Bastards  DianthusArmeria-deltoideB«,  der  sich 
Jahre  lang  in  Gärtner's  Garten  von  selbst  aussäte,  dessen  Fruchtbarkeit  aber  von 
Jahr  zu  Jahr  abnahm  und  im  zehnten  Jahre  völlig  erlosch,  ist  es  kaum  zweifelhatt 
dass  enge  Inzucht  stattgefunden  hat.  So  viel  aus  Gärtner's  Verzeichniss  seiner 
Versuche  zu  ersehen  ist,  (Bastardzeugung,  S.  689),  hat  derselbe  nur  einmal,  im 
Jahre  1829,  vier  Blumen  (wahrscheinlich  an  derselben  Pflanze)  von 
Dianthus  Armeria  mit  Dianthus  deltoides  bestäubt,  und  von  diesen  zwei 
Früchte  geerntet. 


Beiträge  zur  Eenntnlss  der  Termiten. 

Von 

Fritz  MüUer. 


in.  Die   »Nymphen  mit  kurzen  Flügelscheiden« 

(Hagen),  »nymphes  de  la  deuxifeme  forme«    (Les- 

p^s).    Ein  Sultan  in  seinem  Harem. 

Von  der  überraschenden  Menge  verschiedener  Zustände,  die  im  Ter- 
mitenstaate angetroffen  werden,  bilden  — nach  der  Meinung  ihres  gründ- 
lichsten Kenners  ^)  —  »eigentlich  nur  die  Nymphen  mit  kurzen  Flügel- 
scheiden ein  bis  jetzt  unlösliches  Räthsel«.  Dem  Versuche,  dieses  Räth- 
sel  seiner  Lösung  näher  zu  führen,  muss  ich  als  Einleitung  einige  Worte 
über  das  geschlechtliche  Leben  der  Termiten  vorausschicken. 

Zu  einer  bestimmten  (für  verschiedene  Arten  verschiedenen)  Jahres- 
zeit verlassen  die  geflügelten  Männchen  und  Weibchen  das  Nest,  in  wel- 
chem sie  mehrere  Wochen  zuvor  ihre  letzte  Häutung  bestanden  haben, 
und  erheben  sich  in  dichtem  Schwärme  in  die  Luft.  Nach  kurzem  Fluge 
senken  sie  sich  wieder  zu  Boden  und  entledigen  sich  ihrer  Flügel.  Zum 
Theil  erst  jetzt,  zum  Theil  schon  während  des  Fluges  beginnt  die  Jagd 
der  Männchen  nach  einer  Genossin.  Die  Paare,  die  sich  gefunden,  suchen 
dann  ein  Nest  ihrer  Art  wieder  zu  gewinnen.  Ehe  sie  dieses  Ziel  wieder 
erreichen,  erliegt  die  übergrosse  Mehrzahl  der  wehrlosen  Thiere  den 
Nachstellungen  der  Ameisen,  der  Vögel  und  anderer  Feinde.  Die  Be-  \ 
gattung  findet  weder  in  der  Luft,  noch  überhaupt  ausserhalb  des  Nestes  > 
statt.  Erst  nachdem  ein  Paar  als  König  und  Königin  in  einem  Neste 
Aufnahme  gefunden  hat,  folgt  der  ausserhalb  des  Nestes  gefeierten  Ver- 
lobung die  VermählunfT  **e  lange  treue  Ehe. 


^)  Hagen  in  Linnaef  S.  126. 


452  PriU  Haller, 

Ziemlich  abweicheDd  von  dieser  Darstellung,  weldie  sich  in  allen 
wcsenllicben  Puncten  derjenigea  aoscbliesst,  die  schon  vor  fast  hundert 
Jahren  (178tJ  Smeathkan  gegeben  hat,  pQegea  die  Angaben  neuerer 
zoologischer  Lehrbuchs  zu  laut«n.  Man  lUsst  die  Termilen  sich  id  der 
Luft  oder  doch  ausserhalb  des  Nestes  begalten,  die  Mannchen  nach  der 
Begattung  zu  Grunde  gehen  und  die  betruchlelen  Weibchen  in  das  Nest 
zurückgebracht  werden. 

Doss  das  Hünnchen  mit  seinem  Weibchen  in  das  Nest  zurUckkeltrt 
und  in  seiner  Gesellschaft  als  uKöntg«  weiter  lebt,  bedarf  keiner  weiteren 
Beweise,  nachdem  ausser  Sukathhan  auch  Lavage,  Lespfcs,  Batcs 
u.  A.  solche  Könige  bei  verschiedenen  Arien  gefunden ,  und  nach- 
dem auch  Hagkn  erklärt,  dass  ihm  »durch  vielfache  Angaben  glaub- 
würdiger Forscher  und  durch  vielfache  Sendungen  solcher  Nestbewob- 
ner  die  Existenz  eines  derartigen  KQnigs  zweifellos  erscheinUi].  Doch 
mag  immerhin  erwähnt  sein,  dass  auch  ich  den  König  bei  acht  oder  neun 
Arten  der  Gattungen  Caloterm  es  [nigosus,  nodulosus,  HageoÜ),  Ter- 
mes  [Lespesii],  Eutermes  [inquilinus  u.  a.}  und  Anoplolermes 
(pacißcusj  gefunden  habe.  —  Da  die  zur  Zeit  des  Schwarmens  äusserst 
winzigen  Hoden  nach  der  Rückkehr  in  ein  Nest  so  bedeutend  wachsen, 
dass  sie  den  grösseren  Theil  dos  bisweilen  belrüchllich  anschwellenden 
Hinterleibes  füllen,  so  steht  die,  wahrscheinlich  oft  wiederholte  Begat- 
tung im  Innern  des  Nestes  ausser  Frage.  Damit  ist  allerdings  eine  frü- 
here Begatlung  ausserhalb  des  Nesles  nicht  ausgeschlossen.  Doch  ist 
dieselbe  sehr  unwahrscheinlich,  eben  weil  zur  Zeit  des  Schwärmens 
Hoden  und  EiersUtcke  noch  sehr  wenig  entwickelt  sind.  Selbst  bei 
einer  der  grössten  Arten  (Termes  dirus]  konnte  Burhbisteb  die  in- 
neren Geschlechts Iheile  des  geflügelten  MUnnchens  nichl  nachweisen. 
Auch  Hagbn  untersuchte  viele  [Alcohol-)  Stücke  geflügeller  Termilen 
ohne  Genitalien  zu  treffen  ^J.  Hat  man  doch  sogar  die  grosse  Hasse 
eines  Termilen  seh  warm  es  als  »sterile  Individuen«  ansehen  wollen.  Da- 
nach lUsstsich  bemessen,  wie  klein  noch  im  Verhultniss  zu  ihrem  spä- 
teren gewalligen  Umfange  die  Geschlechlstheile  der  geOUgelten  Thiere 
sind;  als  Beispiel  will  ich  anfuhren,  dass  bei  den  gellUgellen  Männchen 
unserer  grössten  Eutcrmes-Arl  die  Hoden  kaum  0,3  Mm.  Durch- 
messer haben. 

Besässen  die  Termilen  die  langen,  so  leicht  ins  Auge  fallenden  und 
kaum  zu  verwechselnden  Samenfäden  der  übrigen  Inseclen,  so  wäre 
die  Frage,  ob  die  geflügelten  Männchen  schon  zeugungsrahig  seien  und 


n  S5.  Kovbr.  187). 


Beitrüge  zur  Keniiintss  der  Termiten.  453 

ob  die  Weibchen  schon  ausserhalb  des  Nestes  sich  begatten,  leicht  genug 
zu  entscheiden.  Allein  in  den  Hoden  geschlechtsreifer  Männchen  (Könige) 
verschiedener  Arten  fand  ich  nur  theils  grössere,  sehr  blasse  rundliche 
Körperchen  (von  etwa  0,008  Mm.  Durchm.  bei  Entermes  verna- 
lis  m.),  die  Kern-  und  hüllenlos  zu  sein  scheinen  und  bei  Wasser- 
zusatz zu  mehr  als  doppelt  so  grossem  Durchmesser  aufquellen,  Iheils 
kleinere  ziemlich  stark  lichtbrechende  Kttgelchen  von  kaum  0,002  Mm. 
Durchm.  —  ßrstere  sind  wahrscheinlich  die  befruchtenden  Bestandtheile 
des  Samens.  Sie  sind  so  blass  und  ihre  Gestalt  ist  so  wenig  ausge- 
zeichnet, dass  ich  noch  nicht  mit  Bestimmtheit  sagen  kann,  ob  sie  schon 
bei  den  geflügelten  Männchen  sich  finden  und  dass  ich  sie  bis  jetzt  ebenso 
vergeblieh  in  der  Samentasche  von  Königinnen,  wie  in  der  der  geflü- 
gelten Weibchen  gesucht  habe.  Habe  ich  recht  gesehen,  so  sind  die- 
selben bei  den  geflügelten  Männchen  (des  grossen,  Kugelnester  bauen- 
den Eutermes)  allerdings  schon  vorhanden,  aber  noch  in  Zellen  einge*  ^ 
schlössen. 

Bis  jetzt  ist  noch  kein  in  der  Begattung  begrifienes  Termiten- 
Pärchen  gefangen  worden.  Was  man  wohl  als  Begattung  angesehen 
hat,  sind  jene  mehrfach  beobachteten  gemeinsamen  Spaziergänge  der 
Paare,  bei  welchen  das  Weibchen  voranläuft,  das  Männchen  dicht  da- 
hinter, oft  mit  seinen  Kinnbacken  den  Hinterleib  des  Weibchens  er- 
fassend. Diesen  eigenthümlichen  Spaziei^ngen  habe  ich  bei  Ter- 
nies  Lespesii  wiederholt  zugesehen.  Brachte  ich  ausgefärbte  Thiere 
dieser  Art  aus  dem  Neste  in  ein  Glas,  so  pflegten  sie  nach  kurzer  Unruhe 
dicht  übereinander  geschichtet,  wie  sie  es  in  den  Kammern  des  Nestes 
gewesen,  still  am  Boden  zu  sitzen.  Schüttete  ich  sie  dann  auf  einen 
Bogen  Papier,  so  schob  sich  allmälig  ein  Pärchen  nach  dem  anderen 
aus  dem  wimmelnden  Haufen  hervor,  um  sich  langsam  von  demselben 
zu  entfernen.  Einige  Paare  trennten  sich  bald  wieder;  diese  erwiesen 
sich  soweit  sie  untersucht  wurden,  als  zwei  Männchen.  Die  anderen, 
die  bei  einander  ausharrten,  bestanden  immer  aus  einem  vorangehen- 
den Weibchen  und  einem  nachfolgenden  Männchen.  Letzteres  war  bis 
auf  die  hintere  Hälfte  der  Flügel,  oder,  falls  es  diese  schon  abgeworfen 
hatte,  vollständig  unter  den  Flügeln  des  Weibchens  verborgen.  Blieb 
es  einmal  einige  Schritte  zurück,  so  schien  das  Weibchen  auf  dasselbe 
zu  warten.  Nicht  selten  hatte  das  Männchen  vnrklich  (wie  Rosbn- 
scRöLD  angiebt),  und  nicht  blos  scheinbar  (wie  es  Lbsp^s  bei  Ter- 
mes  lucifugus  sah)  die  Spitze  des  Hinterleibes  seiner  Genossin  eine 
Zeit  lang  mit  den  Kinnbacken  [Mandibelnj  gefassl.  Es  schien  das  eine 
Art  bräutlicher  Liebkosung  zu  sein.  Von  einer  Begattung  habe  ich 
dabei  so  wenig  etwas  gesehen ,  als  SaBATBHAif,  Rosenschölp 


454  Friti  HBUer, 

Tollin  a.  A.  i).  Das  Ziel  dieser  Spaziergänge  ist  wahrscheinlich  ein 
Nest  ihrer  Art  als  neue  Heimat. 

Die  angebliche  Begattung  in  der  Luft  würde  ich  mit  Stillschweigen 
übergehen,  wenn  nicht  Azaka  und  Rengger,  welche  dieselbe  in  Pa- 
raguay gesehen  haben  wollen,  mit  Recht  den  Ruf  guter  und  zuverläs- 
siger Beobachter  genOssen.  Für  die 'Termiten  haben  sie  freilich  diesen 
Ruf  nicht  gerechtfertigt ;  Aeara  schreibt  deh  Termiten  sechs  Flügel  zu, 
—  Rengger  will  den  Boden  Viertelstunden  weit  von  männlichen  Ter- 
tnilen  oder  wenigstens  von  deren  Flügeln  bedeckt  gesehen  haben.  Leider 
sagt  er  ebenso  wenig,  woran  er  die  Flügel  als  münnliche  erkannte,  als 
in  welcher  Weise  die  Begattung  in  der  Luft  vor  sich  ging.  Vermuthlich 
haben  Beide  nichts  weiter  gesehen,  als  was  auch  der  dritte  Beobachter 
der  Termiten  Paraguays,  RosbnschUld  ,  berichtet,  dass  nünilicb  aus  den 
dichten  Schwärmen  einer  dortigen  Art  die  Thiere  paarweise  nieder- 
fallen, um  dann  die  eben  crwühntcn  Spaziei^Hnge  zu  beginnen.  Bei 
dem  dürftigen  Flugvermögen  der  Termiten  und  bei  dem  Mangel  von  Bc- 
gatlungs  werk  zeugen  halte  ich  din  Begattung  in  der  Luft  für  geradezu 
unmöglich. 

So  viel  zur  Rechtfertigung  Smeatbvah's  gegenüber  den  Bedenken 
und  der  abweichenden  Auffassung  der  »wissenschaftlichen  Zoologien. 
Seine  Darstellung  des  geschlechtlichen  Lebens  derTermiten  scheint  mir, 
soweit  ich  nach  den  in  Hagbn's  Monographie  gesammellen  Tbalsachen 
und  nach  eigenen  Erfahrungen  urlheilen  kann,  durchaus  richtig  zu  sein ; 
allein  sie  ist,  wenn  auch  nicht  für  den  von  Skeathkan  heohachleten 
Termes  bellicosus,  so  doch  für  manche  andere  Arten  unvollsliin- 
dig.  Es  finden  darin  die  »Nymphen  mit  kurzen  Flügelscheiden«  (oder 
besser  FlUgelansÜtzen^j  keine  Bei'UcksIchtigung. 

']  Nur  MiK^TRTfcs  enählt  in  einem  wunderlich  au«  Wnbrem  und  FHlscbem  ge- 
misctiten  Bericht«  (ünn.  enlomol.  S.  146),  dass  diese  SpezicrgUnt;e  mit  der  Begat- 
tung enden.  Ich  glaube  diese  Angabe  ebenso  bezweiFein  zu  dürfen,  wie  dosA  die 
Termiten  der  Serra  da  Mantiqucira  Bäume  entlauben,  um  die  Blütler  in  ihr 
Nest  zu  tragen  (webrscbeinlich  Verwechslung  mit  Ameisen  der  Gadung  Oec  odo- 
ma),  dass  die  Mijnnchei^dieserTermilen  kraftigere  Mandibeln  haben  als  die  Weib- 
chen, dass  die  Weilichen  gleich  in  Uen  ersten  zwei  bis  drei  Tagen  nach  der  Heim- 
kehr ihre  (bei  anderen  Arten  um  diese  Zeit  ganz  unreifen)  Eier  ablegen  und  dann  aus 
dem  Neste  geworfen  werden,  dass  irgendwo  in  Brasilien  gebratene  Uandiocnurwl 
die  Hauptnahrung  der  Bewohner  bildet,  u.  s.  w.  —  MfcMETsiEs  fand  wahrend  eines 
fünfjährigen  Anfentballes  in  verscbtedenen  Provinzen  Brasiliens,  die  wiihrscbein- 
|ich  sBmnitlich  termitenrcicber  sind,  als  unsere  Sanbi  Calharina,  -niB  Termiten  in 
wirklichen  Urwäldern».  In  meinem  eigenen  Urwalde  leben  über  ein  Dutzend  Arten. 

*)  Der  Name  Flügel  scheiden  passt  eigentlich  überhaupt  nur  für  die  ältesten 
Nymphen,  aus  deren  Flügelan«älxen  bei  der  ngdisten  Häutung  wirklifJie  Flügel 


BeiIrSge  iiir  Kenotniss  der  Termiten.  455 

Schon  früher  mehrfach  beobachtet,  sind  diese  Thiere  zuerst  von 
Lsspfes  ausfuhrlicher  besprochen  worden.    Derselbe  untjßrschied  unter 
den  Nymphen  des  Termes  lucifugus,  den  er  bei  Bordeaux  beob- 
achtete, zwei  verschiedene  Formen.     Die  »Nymphen  der  ersten  Form« 
sind  lebhafter,  schlanker  und  haben  lange,  breite,  den  vorderen  Theil 
des  Hinterleibes  ganz  bedeckende  Flttgelansütze,  sie  beginnen  Anfangs 
Mai  sich  zu  fiSrben  und  verwandeln  sich  zwischen  4  5.  und  80.  Mai  in 
geflügelte  Thiere.  Die  »Nymphen  der  zweiten  Forma  sind  weit  seltener; 
sie  sind  dicker,  schwerfälliger  und  haben  kurze,  schmale,  seitlich  ge- 
legene Flügelansätze.     Im  Februar,  als  Lsspfes  sie  zuerst  fand,  hatten 
diese  Nymphen  dieselbe  Grösse,  wie  die  übrigen  (6 — 7  Mm.];  später 
wurden  sie  grösser  (8 — 10  Mm.);  aber  der  Hinterleib  allein  wuchs,  be- 
sonders beträchtlich  bei  den  Weibchen.     Dann  bedecken  die  Bücken- 
schilder nicht  mehr  die  Seiten  und  werden  selbst  oben  durch-  weiche 
Haut  getrennt.     Dieser  Anschwellung  des  Hinterleibes  entspricht  eine 
stärkere  Entwicklung  der  Geschlechtstheile.    Bei  den  weiblichen  Nym- 
phen der  ersten  Form  hatte  kurz  vor  der  letzten  Häutung  jeder  Eierstock 
etwa  42  Bohren,  von  denen  aber  nur  zwei  oder  drei  unreife  Eier  ent- 
hielten ;  dagegen  fanden  sich  bei  der  zweiten  Form  bis  56  Bohren,  in 
denen  bei  älteren  Nymphen  die  Eier  sichtbar  wurden.  Auch  die  Hoden 
waren  bei  der  zweiten  Form  viel  mehr  entwickelt.  — Die  Nymphen  der 
zweiten  Form  überleben  die  Verwandlung  und  das  Schwärmen  der  übri- 
gen und  wachsen  als  Nymphen  fort.     Erst  im  Juli  beginnen  sie  sich 
etwas  zu  bräunen ;  sie  wurden  um  diese  Zeit  immer  seltener.  — 

Leider  reichen  die  Beobachtungen  von  LbspIzs  nur  bis  zu  dieser 
Jahreszeit.  Er  vermuthet,  dass  die  Nymphen  der  zweiten  Form  sich 
im  August  in  geflügelte  Männchen  und  Weibchen  verwandeln  und 
schwärmen,  und  dass  aus  ihnen  Könfg  und  Königin  hervorgehen,  wäh- 
rend er  kleinere  Pärchen  flügelloser  Mäntichen  und  Weibchen,  die  er 
einigemal  in  den  Nestern  von  Termes  lucifugus  fand  und  als  »pe- 
tit  roio  und  »petit  reine«  bezeichnet,  von  den  Nymphen  der  ersten  Form 
ableitete.  Diese  Annahme  stützt  sich  einzig  darauf,  dass  die  Entwick- 
lung der  inneren  Geschlechtstheile  bei  König  und  Königin  sich  zu  der 


herausgezogen  werden ;  er  ist  ganz  unpassend  in  Fällen,  wo  es  gar  nicht  zur  Bil- 
dung von  Flügeln  kommt.  So  darf  man  allerdings  mit  Hageh  (Linn.  ent.  XIV. 
S.  498)  iKJie  Soldatennymphen  mit  kurzen  Flügel  scheiden  als  sehr  unverbürgt« 
aus  der  Formenreihe  der  Termiten  streichen ;  wohl  aber  giebt  es  Soldaten  mit  Flü- 
gel ans  tftzen,  aus  denen  sich  »Flügel  entwickeln  müssten,  wenn  nicht  überhaupt 
die  Soldaten  flügellos  bliet)en«  (Haoev,  a.  a.  0.  S.  409).  So  die  von  Haobk  be- 
schriebenen Soldaten  des  Termes  fTermopsis?)  occidentis  Walker  und  die  des 

Calotermes  Smeathmani,  m. 

Bd.  yn.  4.  IQ 


l 


454  Fritz  MOller, 

Tollin  u.  A.  ^).  Das  Ziel  dieser  Spaziergänge  ist  wahrscheinlich  ein 
Nest  ihrer  Art  als  neue  Heimat. 

Die  angebliche  Begattung  in  der  Luft  würde  ich  mit  Stillschweigen 
übergehen,  wenn  nicht  Azara  und  Rbngger,  welche  dieselbe  in  Pa- 
raguay gesehen  haben  wollen,  mit  Recht  den  Ruf  guter  und  zuverläs- 
siger Beobachter  genössen.  Für  die  Termiten  haben  sie  freilich  diesen 
Ruf  nicht  gerechtfertigt ;  Azara  schreibt  deh  Termiten  sechs  Flügel  zu, 
—  Rbngger  will  den  Boden  Viertelstunden  weit  von  männlichen  Ter- 
miten oder  wenigstens  von  deren  Flügeln  bedeckt  gesehen  haben.  Leider 
sagt  er  ebenso  wenig,  woran  er  die  Flügel  als  männliche  erkannte,  als 
in  welcher  Weise  die  Begattung  in  der  Luft  vor  sich  ging.  Vermuthlich 
haben  Beide  nichts  weiter  gesehen^  als  was  auch  der  dritte  Beobachter 
der  Termiten  Paraguays,  Rosbnsghöld  ,  berichtet,  dass  nämlich  aus  den 
dichten  Schwärmen  einer  dortigen  Art  die  Thiere  paarweise  nieder- 
fallen, um  dann  die  eben  erwähnten  Spaziergänge  zu  beginnen.  Bei 
dem  dürftigen  Flugvermögen  der  Termiten  und  bei  dem  Mangel  von  Bc- 
gatlungswerkzeugen  halte  ich  die  Begattung  in  der  Luft  für  geradezu 
unmöglich. 

So  viel  zur  Rechtfertigung  Smeathman's  gegenüber  den  Bedenken 
und  der  abweichenden  Auffassung  der  »wissenschaftlichen  Zoologie«. 
Seine  Darstellung  des  geschlechtlichen  Lebens  der  Termiten  scheint  mir, 
soweit  ich  nach  den  in  Hagbn's  Monographie  gesammelten  Thatsachen 
und  nach  eigenen  Erfahrungen  urtheilen  kann,  durchaus  richtig  zu  sein  ; 
allein  sie  ist,  wenn  auch  nicht  für  den  von  Shbathman  beobachteten 
Termes  bellicosus,  so  doch  für  manche  andere  Arten  unvollstän- 
dig. Es  finden  darin  die  »Nymphen  mit  kurzen  FlUgelscheiden«  (oder 
besser  Flügelansätzen'^)  keine  Berücksichtigung. 


^)  Nur  M&N^TRiES  erzählt  in  einem  wunderlich  aus  Wahrem  und  Falschem  ge- 
mischten Berichte  (Linn.  eniomol.  S.  US),  dass  diese  Spaziergange  mit  der  Begat- 
tung enden.  Ich  glaube  diese  Angabe  ebenso  bezweifeln  zu  dürren,  wie  dass  die 
Termiten  der  Serra  da  Mantiqueira  Bäume  entlauben,  um  die  Blätter  in  ihr 
Nest  zu  tragen  (wahrscheinlich  Verwechslung  mit  Ameisen  der  Gattung  0 eco do- 
rn a),  dass  die  Manncheiylieser  Termiten  kräftigere  Mandibeln  haben  als  die  Weib- 
chen, dass  die  Weibchen  gleich  in  den  ersten  zwei  bis  drei  Tagen  nach  der  Heim- 
kehr ihre  (bei  anderen  Arten  um  diese  Zeit  ganz  unreifen)  Eier  ablegen  und  dann  aus 
dem  Nest^  geworfen  werden,  dass  irgendwo  in  Brasilien  gebratene  Mandiocwurzel 
die  Hauptnahrung  der  Bewohner  bildet,  u.  s.w. — HI&metiiies  fand  während  eines 
füoQährigen  Aufenthaltes  in  verschiedenen  Provinzen  Brasiliens,  die  wahrschein- 
lich sämmUich  termitenreicher  sind,  als  unsere  Santa  Catharina,  »nie  Termiten  in 
wirklichen  Urwäldern«.  In  meinem  eigenen  Urwalde  leben  über  ein  Dutzend  Arten. 

2)  Der  Name  Flügelscheiden  passt  eigentlich  überhaupt  nur  für  die  ältesten 
Nymphen,  aus  deren  Flügelansätzen  bei  der  nächsten  Häutung  wirkliche  Flügel 


BeUrSge  xnr  KeDotniss  der  Termiten.  455 

Schon  früher  mehrfach  beobachtet,  sind  diese  Tbiere  zuerst  von 
Lsspfis  ausführlicher  besprochen  worden.    Derselbe  unterschied  unter 
den  Nymphen  des  Termes  lucifugus,  den  er  bei  Bordeaux  beob- 
achtete,  zwei  verschiedene  Formen.     Die  »Nymphen  der  ersten  Form« 
sind  lebhafter,  schlanker  und  haben  lange,  breite,  den  vorderen  Theii 
des  Hinterleibes  ganz  bedeckende  Flügelansätze,  sie  beginnen  Anfangs 
Mai  sich  zu  färben  und  verwandeln  sich  zwischen  15.  und  20.  Mai  in 
geflügelte  Thiere.  Die  »Nymphen  der  zweiten  Form«  sind  weit  3eltener ; 
sie  sind  dicker,  schwerfälliger  und  haben  kurze,  schmale,  seitlich  ge- 
legene Flügelansatze.     Im  Februar,  als  LespIis  sie  zuerst  fand,  hatten 
diese  Nymphen  dieselbe  Grösse,  wie  die  übrigen  (6 — 7  Mm.);  später 
wurden  sie  grösser  (8—10  Mm.);  aber  der  Hinterleib  allein  wuchs,  be- 
sonders betriichtlich  bei  den  Weibchen.     Dann  bedecken  die  Rücken- 
schilder nicht  mehr  die  Seiten  und  werden  selbst  oben  durch-  weiche 
Haut  getrennt.     Dieser  Anschwellung  des  Flinterleibes  entspricht  eine 
stärkere  Entwicklung  der  Geschlechtstheile.    Bei  den  weiblichen  Nym- 
phen der  ersten  Form  hatte  kurz  vor  der  letzten  Häutung  jeder  Eierstock 
etwa  42  Röhren,  von  denen  aber  nur  zwei  oder  drei  unreife  Eier  ent- 
hielten ;  dagegen  fanden  sich  bei  der  zweiten  Form  bis  56  Röhren,  in 
denen  bei  alteren  Nymphen  die  Eier  sichtbar  wurden.  Auch  die  Hoden 
waren  bei  der  zweiten  Form  viel  mehr  entwickelt.  — Die  Nymphen  der 
zweiten  Form  überleben  die  Verwandlung  und  das  Schwärmen  der  übri- 
gen und  wachsen  als  Nymphen  fort.     Erst  im  Juli  beginnen  sie  sich 
etwas  zu  brHunen ;  sie  wurden  um  diese  Zeit  immer  seltener.  — 

Leider  reichen  die  Beobachtungen  von  Lzspfes  nur  bis  zu  dieser 
Jahreszeit.  Er  vermuthet,  dass  die  Nymphen  der  zweiten  Form  sich 
im  August  in  geflügelte  Männchen  und  Weibchen  verwandeln  und 
schwärmen,  und  dass  aus  ihnen  Könfg  und  Königin  hervorgehen,  wäh- 
rend er  kleinere  Pärchen  flügelloser  Mäntichen  und  Weibchen,  die  er 
einigemal  in  den  Nestern  von  Termes  lucifugus  fand  und  als  »pe- 
tit  roi«  und  »petit  reine«  bezeichnet,  von  den  Nymphen  der  ersten  Form 
ableitete.  Diese  Annahme  stützt  sich  einzig  darauf,  dass  die  Entwick- 
lung der  inneren  Geschlechtstheile  bei  König  und  Königin  sich  zu  der 


herausgezogen  werden ;  er  ist  ganz  unpassend  in  FttUen,  wo  es  gar  nicht  zur  Bil- 
dung von  Flügeln  kommt.  So  darf  man  allerdings  mit  Uaoek  (LInn.  ent.  XIV. 
S.  496}  »die  Soldatennymphen  mit  kurzen  Flügel  scheiden  als  sehr  unverbürgte^ 
aus  der  Formenreihe  der  Termiten  streichen;  wohl  aber  giebt  es  Soldaten  mit  Flü- 
gel ans  fitzen,  aus  denen  sich  »Flügel  entwickeln  müssten^  wenn  nicht  überhaupt 
die  Soldaten  flügellos  blieben«  (Haocit,  a.  a.  O.  S.  409).  So  die  von  Hagsk  be- 
schriebenen Soldaten  des  Termes  (Termopsis?)  occidentis  Walker  und  die  des 
Caloterroes  Smeathmani^  m. 

Bd.  YU.  4.  10 


456  Fritt  Mmier, 

bei  den  Nymphen  der  iweiten  Form  etwa  cbatiso  verhielt,  wie  die  hei 
»petit  roi((  und  »petit  reine«  zu  der  bei  den  Nymphen  der  ersten  Form. 
Diese  verschiedene  Grosse  und  diese  verSi^hiedene  Entwicklung  derGe- 
schlechtslheile  bei  den  von  Lcspfcs  gefangenen  Königen  und  K(Snigin- 
nen  dürfte  jedoch  einfach  daraus  zu  erkUlren  sein,  dass  dieselben  ver- 
schiedenen  Jahrgiingen  angehörten.  — 

Schon  Hagen  hat  gegen  die  Annahme  voti  Ltispfis  gellend  ge- 
macht, »dass  alle  bis  jetzt  untersuchtet!  Könige  utid  Königinnen  die  Fla- 
gelschuppe  genau  von  der  Form  und  Grösse  der  ttnago  zeigen,  eine  Ent- 
wicklung, welche  mit  den  kleinen  rudimentHren  Flügelscbeiden  jener 
Nymphen  durchaus  nicht  in  Einklang  zu  bringen  ist.  Auch  der  etwaige 
Gedanke,  dass  jene  Nymphen  bei  ihrer  letztet)  Hiiutung  aus  den  rudi- 
nienUlren  Scheiden  nurFlUgelschuppen  herauszögen,  scheint  unpassen<l, 
und  unrf  so  mehr,  als  die  Schuppen  eines  Königspanres  stets  deutlich 
die  Abbruchsstelle  des  Flügels  zeigen.  Uebrigens  ist  der  Prothorax  der 
Königin  niemals  von  dem  der  Imago  in  der  Form  verschieden«*),  wäh- 
rend die  Nymphen  der  zweiten  Form  sich  durch  breiteren  Prolhorax 
auszeichneten. 

Als  im  Juli  die  Nymphen  der  zweiten  Form  sich  zu  bi^unen  he- 
gannen,  als  somit  ihre  letzte 'Häutung,  falls  sie  eine  solche  überhaupt 
noch  zu  bestehen  hatten ,  nahe  bevorstand ,  waren  ihre  PlÜgeTansSitze 
noch  so  winzig,  dass  sich  in  ihnen  unmöglich  Flügel  ausbilden  konnten, 
wie  sie  die  im  Mai  schw£lrmenden  Thiere  besitzen.     Und  Selbst,  wenn 
sie  solche  Flügel  bekamen,  würden  sie  mit  ihrem  dicken  Itinterleibe 
nicht  fliegen  können,  wie  wohl  Jeder,  der  lebende  Termiteh  gesehen, 
zugestehen  wird.     Es  mag  hierbei  darauf  hingewiesen  werden,  dass 
BoBB-MoRBAu,   der  lange  Jahre  hindurch  den  Termiten  in  und  um 
Rochefort  seine  Aufmerksamkeit  schenkte  (seine  Beobachtungen  began- 
nen <797,  sein  nM^tnölte  sur  les  Termites  observ^s  ä  Rochefort  etc.« 
erschien  4843),  ebenfalls  nach  der  Schwarmzeit  noch  »verspätete  Nym- 
phen« antraf,  von  denen  er  vermuthet,  dass  sie  ohne  weitere  Verw*and- 
lung  untergehen,  da  in  Roohefort  nie  ein  zweiter  Ausflug  beobachtet 
wur<fe.    Hagbn  httit  es  für  sicher,  dass  Bob^-Mohkac  und  Ltespis  die- 

*  selbe  Art  untersucht  haben,  während  Lbsp^s  glaubt,  dass  der  Ter- 
mes  lucifugus  von  Bordeaux  von  der  Rocbefort-Termite  versditeden 
sei.  Wie  dem  mtk  sei,  es  scheint  mir  kaum  einem  Zw*eifel  zu  unter- 
liegen, dass  auch  in  Bordeaux  ein  zweiter  Ausflug  aus  den  Nymphen 
der  zweiten  Form  hervorgegangener  Männchen  und  Weibeben  nicht 

stattfinde,  dass  vielmehr  diese  Nympheb  flügellos  bleiben  und  nie  ihr 


ij  Haoen,  a.  a.  0.  XII.  S.  49. 


BeitrSge  inr  Kmmtaiai  der  Tenniten.  457 

Nest  verlassen,  in  welchem  sie  unter  Umständen  xu  zeugungsfähigen 
Mannchen  und  eieriegeoden  Weibchen  sich  entwickeln. 

Derlei  nymphenKhnltche  geschlechtsreife  Thiere  sind  bereits  bei 
oiebreren  Artei\J)eobaohtet  und  gewöhnlich  als  Königinnen  beschrieben 
worden.  So  bildete  Joly  eine  Königin  von  Termes  lucifugus  ohne 
Pittgelschuppen  ab  und  Lsspfis  berichtet ,  dass  Joit  ihm  nochnuils  ver- 
sieherty  dieselbe  sei  ohne  Spur  von  FlUgelscbuppen  gewesen.  Auch  das 
von  BiiRMKisTBR  als  Königin  beschriebene  Weibchen  von  Termes 
fl^ivipes  war  flügellos  und  Hagkn,  der  dasselbe  Thier  untersuchte, 
fand  darin  »ein  dem  Habitus  nach  einer  Königin  sehr  ähnliches  Thier  mit 
den  kurzen  FIttgelscheiden  einer  Nymphe«.  Ebenso  ist  Batrr^  Königin 
von  Termes  aren<irius  nach  Hagen  »eine  Nymphe  mit  unentwickel- 
ten Flflgelscbeiden«^).  Ferner  ziehe  ich  hierher  ein  im  British  Museum 
befindliehes  (von  Walkki  unter  Termes  lucifugus  beschriebenes) 
Stttck  von  Calotermes  flavicollis,  »eine  Nymphe  mit  kurzen  FItt- 
gelscheiden, einer  Image,  welche  die  Pittgel  verloren  bat,  täuschend 
ähnlich.  Die  völlig  schwarze  Färbung,  der  blank  polirte  Kopf,  Thorax 
und  Leib  schliessen  die  Idee  einer  nochmaligen  HHutung  ausc  2) . 

Es  treten  also  l>el  gewissen  Termiten-Arten  die  Männchen  und 
Weibchen  unter  zwei  verschiedenen  Formen  auf.  Die  einen  aus  den 
»Nymphen  der  ersten  Form«  hervorgehend,  erhalten  FIttgel  und  verlassen 
in  Schwärmen  ihren  Geburtsort.  Nur  sehr  wenigen  Glttcklichen  unter 
ihnen  gelingt  es,  spater  als  König  und  Königin  einen  erledigten  Thron 
zu  besteigen.  Die  anderen,  die  geschleditsreif  geworderten  »Nymphen 
der  zweiten  Form«  sehen  nie  das  Licht  des  Tages ;  sie  bleil)en  flttgellos 
und  verlassen  nie  das  Nest,  in  dem  sie  aufgewachsen  sind  3). 

Welche  Bedeutung  hat  nun  fttr  die  Erhaltung  und  das  Gedeihen  der 
Art  jede  dieser  beiden  Formen  ?  —  Ein  grösserer  Termitenstaat  ent- 
sendet jahrlich  Hunderttausende  geflügelter  Männchen  und  Weibchen, 
um  alle  zwei,  drei  oder  vier  Jahre  ein  einziges  Königspaar  zurtteker- 


>)  BriefKcke  Mlltheilung  vom  a.  Januar  4872. 

>)  Hagbn,  a.  a.  0.  XII.  S.  SO  und  S.  69. 

S)  Haoeh  schreibt  mir,  dass  alleKöniginnen  (von  Termes  bellicostts,  dives, 
obefliifl,  gilvus)»  die  er  bis  Jelzl  aus  Asien  und  Africa  sah,  wirkliehe  Imagos 
Mnd  mit  dem  FIttgelstumroel ,  von  dem  der  FIttgel  abgebrochen  —  dagegen  alle 
Königinnen,  die  er  aus  Brasilien  und  überhaupt  aus  America  gesehen  (von  Ter- 
mes flavipet,  mono  (?),  simiiis  (?),  arenarius),  offenbar  Nymphen  waren.  «So 
auffallend  diese  Thatsache  scheinen  mag,  wttre  es  voreilig,  daraus  schon  jetzt  sclil las- 
sen tu  wollen,  dass  im  Vorkommen  der  beiderlei  Formen  ein  Unterschied  zwischen 
der  alten  und  der  neuen  Weit  bestehe.  Ich  habe  hier  wohl  Über  hundert  wirkliche 
KMgianen  gesehen,  —  mehr  als  Haabm  aus  Asien  und  Africa,  ehe  ich  zum  ersten 
Male  nymphentthnliche  Weibchen  traf. 


458  Fritz  Malier, 

halten  zu  können;  so  bedeutend  sind  die  Verheerungen,  die  alle  nU^Si- 
liehen  Insectenfresser,  vom  Menschen  bis  zur  Ameise,  unter  diesen  ganz 
wehrlosen  Thieren  anrichten,  so  bedeutend  die  Schwierigkeiten,  nach- 
dem Braut  und  Bräutigam  sich  gefunden,  ein  Nest  zu  eiTeichen,  in  wel- 
chem  ein  Königspaar  verlangt  wird.     Ware  es  nicht  einfacher   und 
sicherer,  alle  Münnchen  und  Weibchen  woblbehütel  daheim  zu  behal- 
len?     Welche  Arbeit  würden  die  Termiten  sparen,  wenn  sie  nichl  Jahr 
ftlr  Jahr  jene  wolkenartigen  Sctiwärme  gefltigeller  Thiere  aufzuziehen 
hätten,  wie  sie  den  grossen  Hügelnestern  entsteigen  >)!     Ist  es  nicht 
auffallend,  dass  bei  allen  Arten,  wo  dieselbe  überhaupt  besteht,  jene 
so  viel  einfachere  und  sichrere,  so  viel  Arbeit  ersparende  Weise  der  Furt- 
pflanzung durch  nymphenahnliche  Männchen  und  Weibchen  nicht  längst 
auf  dem  Wege  der  natürlichen  Auslese  die  andere  von  so  viel  Gefabren 
bedrohte  durch  ausfliegende  iSehwltrme  völlig  verdrängt  bat,  nicht  längst 
zur  einzigen  geworden  ist?    Und  doch  scheinen  die  daheim  bleibenden 
Männchen  und  Weibchen  nur  als  seltener  Nothbehelf  zu  dienen  f|lr  den 
Fall,  dass  einmal  andere  nicht  zu  erlangen  sind. 

Wo  immer  man  auf  derartige  Fragen  stösst,  darf  man  sich  getrost 
an  Darwin  wenden  und  bei  ihm  den  Schlüssel  zu  deren  Lösung  zu  finden 
hoffen.  Wer  nach  eigener  Beschäftigung  mit  dem  Gegenstände  die  volle 
Tragweite  der  im  4  7.  Capitel  seines  Werkes :  »The  Variation  of  animals 
and  plants  under  domestication«  zusammengestellten  Thatsachen  zu 
würdigen  weiss,  wird  kaum  Bedenken  tragen,  zuzugestehen,  dass  durch 
dieselben  das  Gesetz  wenn  nicht  bewiesen,  so  doch  im  höchsten  Grade 
wahrscheinlich  gemacht  wird,  mit  welchem  Darwin  dieses  Capitel 
schliesst:.»that  the  crossing  of  animals  and  plants  which  are  not  closely 
related  to  each  other  is  highly  beneficial  or  even  necessary,  and  that 
interbreeding  prolonged  during  many  generations  is  highly  injuriousa. 

Nun  besitzt  bei  der  Mehrzahl  der  Termiten-Arten,  deren  gesell- 
schaftliche Verhältnisse  man  kennt,  jedes  Volk  (mit  seltenen  Ausnahmen) 
ein  einziges  Königspaar  oder  auch  wohl  bisweilen  einen  einzigen  König 
mit  zwei  Gemahlinnen.     Somit  sind  sämmtliche  in  dem  Stocke  auf- 


1)  Man  hat  von  der  Anlage  neuer  Staaten  darch  die  ansschwtfrmenden  Männ- 
chen und  Weibchen  gesprochen  (Rrrggbr,  Tollin,  u.  A.)  und  könnte  meinen,  dass 
deshalb  das  Schwärmen  unentbehrlich  sei.  Den  Männchen  und  Weibchen  von  Ca- 
J  otermes  will  ich  die  Fähigkeit  nicht  geradezu  absprechen,  auf  eigne  Hand  welter 
zu  leben  und  eine  neue  Ansiedlung  zu  beginnen.  Bei  allen  Arten  von  Termes, 
Eutermes,  Anoplotermes,  deren  Lebensweise  ich  einigermassen  kenne, 
würde  ein  geflügeltes  Ptfrchen  die  Begründung  eines  neuen.Staates  mit  genau  dem- 
selben Erfolge  unternehmen,  wie  ein  Paar  neugeborener  Kinder,  die  man  auf  einer 
wüsten  Insel  ausgesetzt  hatte. 


Beitrage  zur  Keniitiiiss  der  Termiten.  459 

• 
wachsende  Männchen  und  Weibchen  Geschwister.    Die  ausschliessliche 

Forlpflanzung  durch  eingeborene  Männchen  und  Weibchen  würde  zur 
engsten  Inzucht  führen.  Bei  dem  Schwärmen  können  sich  Männchen 
und  Weibchen  au9  verschiedenen  Stöcken  zusammenfinden,  deren  Ver- 
bindung hier  wie  sonst  eine  kräftigere  Nachkommenschaft  liefern  wird. 
Bei  der  massenhaften  Vertilgung  durch  zahlreiche  Feinde,  welcher  die 
schwärmenden  Termiten  ausgesetzt  sind,  wird  es  trotz  ihrer  Unzahl  ge- 
schehen können,  dass  ein  Volk  seinen  Thron  nicht  rechtzeitig  mit  einem 
neuen  Königspaare  zu  besetzen  vermag.  In  diesem  Nothfalle  treten 
dann  als  Ersatz  die  daheim  in  sicherer  Hut  gehaltenen  nymphenähn- 
Heben  Männchen  und  Weibchen  ein  und  retten  das  Volk  vor  dem  Aus- 
slerben. — 

Mit  dem  Umstände,  dass  erst  dann  diese  Ersatzmännchen  oder 
Weibchen  nöthig  werden,  wenn  nach  Ablauf  der  Schwärmzeit  kein 
wirkliches  Rönigspaar  sich  gefunden  hat,  mag  die  verspätete  Entwick- 
lung der  »Nymphen  der  zweiten  Form«  im  Zusammenhang  stehen.  — 
Dass,  wie  Lsspfts  berichtet,  diese  Nymphen  der  zweiten  Form  »immer 
seltener  werden,  je  mehr  die  Zeit  ihrer  (nur  vermutheten,  nicht  beob- 
achteten! j  Verwandlung  herannahte'),  wäre  gewiss  höchst  befremdlich, 
wenn  dieselben  sich  wirklich  in  geflügelte  Thiere  für  einen  zweiten 
Ausflug  verwandelten ;  dagegen  erscheint  es  begreiflich,  dass  maii  sie 
allmälig  aussterben  (verhungern?)  lässt,  wenn  man  sie  nicht  mehr 
braucht,  oder  dass  man  nur  so  viele  am  Leben  erhält,  als  man  eben 
braucht. 

In  überraschender  Weise  ähnlich  sind  diese  bei  den  Termiten  be- 
stehenden Verhältnisse  dem  bei  Pflanzen  der  verschiedensten  Familien 
beobachteten  Vorkommen  geschlossener  (»cleistogamer«  Kuhn)  Blüthen^) . 
Wie  sich  an  gewissen  Pflanzenstöcken  ausser  offenen,  die  Kreuzung 
verschiedener  Stocke  vermittelnden  Blüthen  andere  nie  sich  öffnende 
(cieistogame)  Blüthen  entwickeln,  deren  Slaubgefässe  und  Stempel  stets 
eingeschlossen  bleiben  und  durch  welche  die  Erhaltung  der  Art  gesichert 
wird,  falls  die  von  der  Gunst  äusserer  Umstände  abhängige  Portpflan- 
zung durch  offene  Blüthen  unterbleibt,  so  entwickeln  sich  in  gewissen 
Termitenstöcken  ausser  den  ausschwärmenden,  die  Kreuzung  ver- 
schiedener Stöcke  vermittelnden  Männchen  und  Weibchen  andere,  nie 
ausschwärmende  (cieistogame)  Männchen  und  Weibchen,  die  stets  im 
Stocke  eingeschlossen  bleiben  und  durch  welche  die  Erhaltung  der  Art 


1)  Hacer's  Bericht  über  die  Arbeit  von  Lespto,  a.  a.  0.  Xll,  5.  147. 

')  Vergl.  HiLDEBRAND,  (Üe  GeschlechtervertbeHung  bei  den  Pflanzen.  1867.  S.  71. 
SEVKRiif  AxBLL,  Om  aQordningama  for  de  fanerogatna  växternas  befruktaiog.  4869. 
S.  40  u.  S.  76. 


460  Friti  MWler, 

gesichert  i^vird,  falls  di^  von  der  Gunst  äusserer  Umstände  abhängige 
Fortpflanzung  durch  ausschwärmende  Männchen  und  Weibchen  unter- 
bleibt. Wie  die  cleistogamen  BlUthen  mancher  Pflanzen  jüngeren  Knos- 
pen der  offenen  Biütben,  so  sind  die  cleistogamen  Männchen  und  Weib- 
chen der  Termiten  Jugendzusländen  der  ausschwärmenden  ähnlich; 
dort  bleiben  die  Blumenblätter,  hier  die  Flügel  9uf  einer  niederen  Ent- 
wicklungsstufe stehen.     Der  verschwenderischen  Erzeugung  von  Bhl- 
thenstaub  in  oflienen  BIttthen  entspricht  die.  verschwenderische  Erzeu- 
gung geflügelter  Männchen  und  Weibchen,  wie  die  geringe  Zahl  der 
Nymphen  mit  kurzen  Flügelansätzen  dem  spärlicheren  BlUtbenslaube 
cleistogamer  Blüthen.     Wie  beim  Veilchen  die  cleistogamen  BlUlhen 
später  als  die  offenen,  so  entwickeln  sich  bei  Termes  lucifugus  die 
Nymphen  der  zweiten  Form  später  als  die  der  ersten.     Wie  oian  in 
Frankreich  ^n  der  ausländischen  Lee  rsia  orizoides  bis  jetzt  nur  Fort- 
pflanzung durch  cleistogame  Blüthen  beobachtete,  so  hat  man  im  Garten 
zu  Schönbrunnen  bis  jetzt  nur  ein  cleistogames  Weibchen  des  auslän- 
dischen Termes  flavipcs  gefunden,  — wahrscheinlich  weil  in  beiden 
Fällen  im  fremden  Lande   die  äusseren  Umstände  der  gewöhnlichen 
Fortpflahzungsweise  nicht  günstig  sind. 

Die  im  Vorstehenden  entwickelte  Ansicht  über  die  »Nymphen  mit 
kurzen  Flüi^elscheidcn«  hatte  ich  mir  nach  den  in  Daqbn's  Monographie 
niedergelegten  Thatsachen  gebildet  und  in  Briefen  ausgesprochen,  lange 
bevor  ich  selbst  Gelegenheit  hatte,  solche  Thiere  zu  sehen*  Leider  ent- 
behrte gerade  der  eigentliche  Kern  dieser  Ansicht  der  thats^chlicben 
Begründung;  es  mangelte  der  Nachifveis,  dass  wirklich  die  cleistogamen 
Ersatzmännchen  und  Weibchen  die  Fortpflanzung  der  Art  übernehmen 
in  Fällen ,  wq  König  oder  Königin  im  SU)cke  fehlen*  Man  wird  be- 
gi'eifen,  mit,  welch  freudiger  UeberrQschyng  ich  einen  Fund  begrüssl,e, 
der  mir  jet9;t  diesen  Nachweis  m  U^ern  gestattet. 

Ich  b^ite  (am  1 1  ^  Nov.)  aus  einem  morschen  Gissara-Stuken  den 
festen  Kern  eines  Eutei  mes-Nestes  mit  heimgebracht,  der  npgei^hr  Grösse 
und  GestfiU  eines  Hühnereies  haVte.  Um  den  Kern  wirren  finsehqliche 
Eiermassen  angehäuft  und  so  erw9rtiel,e  ich  darin  vvie  gewöhnlich  ein 
Königspaar  amputrefien.  AU^iP  &tatV  in  seiner  Mitte  ein  grösi^res  kö- 
nigliches Zimmer  au  nmschliessen,  war  der  gan^e  Kern  wie  ein  Sohwampi 
von  un regelmässigen  Gängen  durchzogen  und  in  diesen  Gängen  sassen, 
hier  und  dß  zu  fünf  bis  sechs  dicht  susammengedrängt,  nicht  weniger 
als  einunddreissig  (31)  Ersatzweibchen  mit  kurzen  Flügelansätzen 
(Fig.  1],  6  bis  8  Mm.  lang,  und  zwischen  ihnen  spazierte  ein  einziger 
König  von  ungefähr  gleicher  Grösse  herum,  und  zwar  ein  wirklicher 
König  mit  grossen  schwarzen  Äugen  und  Flügelschuppen,  vctn  ^^pea 


Beiträge  lur  Kenntiiiss  der  TermiteD.  461 

dio  Fittgel  abgebrochen  wiircn.  Eine  Königin  fehlte.  Statt  eines 
KtoigspalasteSy  in  welchem  ein  König  mit  seiner  ebenbürtigen  Gemahlin 
in  keuscher  Ehe  lebte,  hatte  ich  also  ein  Harem  vor  mir,  in  denj  ein 
Sultan  mit  zahlreichen  Buhlen  sich  vergnUgte^). 

Im  Laufe  eines  Tages  legten  diese  Ersatzweibchen  eine  ziemliche 
Anzahl  von  Eiern,  die  vo^  den  Arbeitern  in  kleine  Häufchen  zusammen- 
getragen wurden.  Man  sah  an  ihrem  Hinterleibe  dieselben  wellen- 
förmigen Zusammenziehungen  wie  bei  Königinnen  und  bei  mehreren 
war  ich  Zeuge  von  dem  Austritt  eines  Eies. 

Die  Farbe  dieser  Weibchen  mit  kurzen  Flügelansätzen  ist  ein  lichtes 
Braun,  wodurch  sie  ebenso  von  den  blassen,  fast  farblosen  Arbeitern, 
wie  von  dem  w^eit  dunkleren  König  abstechen.  Im  Ganzen  sehen  sie 
den  Arbeitern  ziemlich  ähnlich,  ähnlicher  als  einer  der  anderen  Formen 
ihrer  Art ;  nur  sind  sie  doppelt  so  gross.  Die  Flügelansätze  sind  bei  den 
meisten  zu  klein,  um  bei  oberflächlicher  Betrachtung  in  die  Augen  zu 
fallen.  Der  Hinterleib,  nur  massig  angeschwollen,  hat  etwa  dieselbe 
eiförmige  Gestalt  und  steht  etwa  in  demselben  Yerhältniss  zur  Gesammt- 
länge  wie  der  des  Arbeiters.  Namentlich  aber  ist  die  Aehnlichkeit  des 
Kopfes  (Fig.  2)  auffallend ;  die  »hellen,  sich  kreuzenden  Linien«,  die  den 
Kopf  der  Eutermes-Arbeiter  auszuzeichnen  pflegen^] ,  sind  bei  den  meis- 
ten kaum  minder  deutlich,  als  bei  den  Arbeitern.  Die  Fühler  haben, 
wie  die  der  Arbeiter,  44  Glieder,  während  die  Soldaten  t3,  die  geOü- 
gellen  Thiere  45  Fühlerglieder  besitzen.  Man  könnte  den  Kopf  für  den 
eines  Arbeiters  halten,  filnden  sich  nicht  kleine  runde  Netzaugen,  die 
sich  indessen  kaum  über  ihre  Umgebung  erheben  und  kaum  etwas 
dunkler  als  diese  gefärbt  sind.    Nebenaugen  habe  ich  nicht  bemerkt. 


1)  VermttUiHch  hat  schon  Bopiubt  eine  ähnliche  Gesellschaft  van  Ersatzweibchen 
vonTermes  lue  ifugus  gesehen;  es  waren  ihrer  sieben,  mitten  in  einem  Balken. 
Sie  waren  8  bis  40  Mm.  lang,  beinahe  weiss  oder  sehr  hellroth.  In  ihrer  Nahe  fan- 
den sich  mehrere  Eierbaufen  and  sehr  zahlreiche  Larven,  >»genvg,  am  damit  ein 
Li4er  so  fttlUof.  (Vergl.  Uasin^s  Bericht,  a.  a.  0.  X,  S.  180.)  Termes  lucifu- 
gas  hat  sonst,  nach  Lsspi^y  nur  ein  einziges  Kdnigspaar.  Auch  die  belle  Farbe 
der  von  Bofimet  gefundenen  Weibchen  passt  nicht  zu  wirklichen  Königinnen.  — 
Wenn  Hacek  vermuthet  (a.  a.  0.  XII,  S.  177),  dassLEtP^s  möglicherweise  gar  keine 
Königinnen ,  sondern  nur  grosse  Nymphen  der  zweiten  Form  gesehen  habe ,  so 
widerspricht  dem  die  aosdrüekliobe  und  Jolt  gegenüber  besonders  betonte  Ver- 
siobening  von  Lbspbs  (a.  a.  0.  XJI,  S.  888),  dass  bei  seinen  Königinnen  stets  die 
nügelschappen  vorbanden  waren.  In  den  verschiedenen  Grössenangaben  bei  Bo- 
fiHETj  JoLT  und  LespI«  kann  ich  keine  Schwierigkeit  erblicken,  da  ja  die  Weibchen 
nur  ganz  allmSlig  von  der  Grösse  der  Imago  zu  jenem  fabelhaften  Umfange  heran- 
wachsen,  der  die  Königinnen  der  Termiten  so  berühmt  gemacht  hat,  und  also  in 
allen  dazwischen  Uegeoden  Grössen  gefunden  werden  köanea. 

t)  mag».  %,  a«  0.  XU«  9. 487. 


I 


462  Fritz  Malier, 

Der  Prothorax  erinnert  dadurch  an  den  der  Arbeiter,  dass  er  einen 
queren  sattelförmigen  Eindruck  hat,  welcher  einen  vorderen  Lappen 
absondert;  doch  ist  bei  den  Arbeitern  dieser  vordere  Lappen  sehr  gross, 
steil  aufgerichtet  und  in  der  Mitte  seines  Vorderrandes  seicht  eingekerbt ; 
bei  den  Ersatzweibchen  ist  er  nur  klein,  sanft  aufsteigend  und  einfach 
abgerundet.     Die  Grösse  des  vorderen  Lappens  wechselt  übrigens;  bei 
einigen  wenigen  Stücken  war  er  durch  einen  schmalen  Saum  ersetzt, 
und  dann  ähnelte  der  Prothorax  dem  des  Königs.     Die  Fiügelansätze 
nehmen  die  ganzen  seitlichen  Ränder  des  Heso-^  und  Hetatborax  ein  ; 
meist  (Fig.  \  A)  sind  sie  kaum  halb  so  lang,  als  diese  Leibesringe  breit 
und  bilden   dann  dreieckige  wagerecht  nach  aussen  gerichtete  Vor— 
Sprünge,  deren  Hinterrand  ziemlich  gerade  nach  aussen,  deren  Vorder— 
rand  schief  nach  hinten  läuft.     Bei  sehr  wenigen  SlUcken  (Fig.  1  B) 
sind  di6  FlUgelansätze  bedeutend  grösser;  auch  Meso-  und  Metathorax 
sind  in*  diesem  Falle  stärker  entwickelt;  die  schief  nach  hinten  gerich- 
teten Flügclansälze  reichen  etwa  bis   zur  Mitte  des  zweiten  Rücken- 
schildes dos  Hinterleibes;  die  vorderen  Flügeiansätze  bedecken  den  Vor- 
derrand der  hinteren,  -r-  Die  Bauchschilder  sind  wie  bei  den  geflügelten 
Weibchen  gebildet. 

Die  inneren  Geschlechtstheile  (Fig.  3)  sind  von  denen  der  geflü- 
gelten Weibchen  fast  nur  dadurch  verschieden,  dass  sie  reife  Eier  ent- 
halten. Jeder  Eierstock  pflegt  deren  etwa  ein  halbes  Dutzend  zu  haben. 
Die  Eiröhren,  etwa  ein  Dutzend  für  jeden  Eierstock  (die  Zahl  scheint 
ziemlich  unbeständig  zu  sein),  sitzen  wie  bei  den  geflügelten  Weibchen 
büschelförmig  am  Ende  der  kurzen  Eileiter ,  während  bei  der  ausge- 
wachsenen Königin  jeder  Eierstock  ein  langes  Rohr  bildet,  das  in  gan- 
zer Länger  ingsum  dicht  mit  überaus  zahlreichen  Eiröhren  besetzt  ist. 
Sameotaschc  und  Kittdrüse  haben  die  gewöhnliche  Form. 

Eine  19  Mm.  lange  Königin,  die  mir  eben  zur  Hand  ist,  wiegt  etwa 
0,2  Gramm ;  ebensoviel  wiegen  1 5  der  Ersatzweibchen.  Die  Eierstöcke 
der  sämmtlichen  31  Ersatz  Weibchen  dürften  zusammen  kaum  so  viel  wie- 
gen und  kaum  so  viel  Eier  liefern,  als  die  einer  einzigen  älteren  Königin. 

Da  Lesp^s  und  Hagen  auch  männliche  Nymphen  mit  kurzen  Flügel- 
ausätzen  trafen,  so  wird  wahrscheinlich  der  König  ebenso  durch  Er^tz- 
männchen  vertreten  werden  können,  wie  die  Königin  durch  Ersatz- 
weibchen. Ob  in  einem  Neste  gleichzeitig  für  beide  Geschlechter  eine 
solche  Vertretung  stattfinden  könne,  —  ob  aus  den  von  Ersatzweibchen 
gelegten  oder  durch  Ersatzmännchen  befruchteten  Eiern  alle  Formen 
hervorgehen,  die  das  Termitenvolk  zusammensetzen,  oder  etwa  nur 
Arbeiter  und  Soldaten,  ob  von  allen  Arten  und  in  allen  Stöcken  regel- 
mässig jedes  Jahr  Nymphen  mit  kurzen  Flügelansätxen  erzeugt  werden, 


l-'ig.  i.  Zwoi  Ersatz  Weibchen  von  Termes  Igcirugui.  A  Die  gewöhnliche  Fomi 
mit  kurien  FlUeelansaticn.  II  Die  seltenere  Korm  mit  längeren  Flügel- 
ansaizen. 

KJK-  >'  Kopr  eines  ErsatiweilMihcnii.  a  Die  beiden  kleinen  Nuliaugen.  t  Die 
Oberlippe,    k  Die  Oberkiefer   ' 

Kig.   3.     (io.tchlechlslheile  rincit  Er»nl  zwoi  bellen«,     i  Snmcnlnsche.   1:  Kiltdriise, 


Jtn.  Zeiürhr..  IV   Bd.. 


Bettr&ge  zur  KeDotnisB  der  Termiten. 


463 


—  das  sind  Fragen,  auf  die  ich  für  jetzl  selbst  nicht  mit  Vermuthungen 
antworten  mag  und  deren  vollständige  Lösung  Jahre  lang  fortgesetzte 
Beobachtungen  erfordern  dürfte. 


Anhang. 

Uebersicht  der  im  Termitenstaate  vorkommenden  Formen. 

Die  jüngsten  Larven  der  verschiedenen  Stünde  fanden  Batks,  LESPfes 
und  auch  ich  ununterscheidbar  ähnlich.  Ziemlich  früh,  noch  bevor  sie 
die  halbe  Länge  der  erwachsenen  Arbeiter  erreichen,  scheiden  sich, 
durch  die  erste  And^tung  der  Flügelansütze,  die  Larven  der  später 
zeugungsfähig  werdenden  Thiere  von  denen  der  Soldaten  und  Arbeiter, 
welche  letzteren  bei  Termes  saliens  und  anderen  auch  an  ihrem 
dickeren  Kopfe  kenntlich  sind.  Erst  kurz  vor  der  letzten  Häutung  sind 
die  Larven  der  Soldaten  von  denen  der  Arbeiter  zu  unterscheiden, 
so  verschieden  auch  beide  im  erwachsenen  Zustande  sein  mögen. 
£ine  bis  jetzt  vereinzelte  Ausnahme  bildet  der  von  Bofinbt  beobachtete 
Soldat,  der  so  klein  war,  dass  er  als  solcher  das  Ei  verlassen  zu  haben 
schien.  —  Sehen  wir  ab  von  den  Geschlechtsverschiedenheiten  und  von 
den  zweifachen  Formen  der  Arbeiter  oder  Soldaten,  die  bei  einigen 
Arten  vorzukommen  scheinen,  so  erhalten  wir  also  für  die  Gattungen 
Termes  und  Eutermes  folgende  Uebersicht  der  im  Termitenstaate 
vorkommenden  Formen : 

\.  Jüngste  Larven. 


S.  Larven  der  nicht  zeugangsföhigen 
Stände. 


S.  Larven  der  zeugangsftthigen  Stände. 


Larven  der  SoU    5.  Larven  der  Ar- 
daten.  heiter. 


ai 


6.  Soldaten. 


7.  Arbeiter. 


8.  Nymphen  der 
ersten  Form. 


9.  Nymphen  der 
zweiten  Form. 


40.  Geflügelte  Thiere. 


41.  König  u.  Königin. 


12.  ErBatsmiinn- 

eben  und  Ersatz- 

Weibchen. 


Itajahy,  im  November  1872. 


Vorläufige  auttheilangen  über  Ciilenteraten. 


O.  von  Koch. 

Hl«nn  TkM  XXm. 


Diese  Uittbeilungen  sind  BmobstUcke  einer  grfissereH  Arbeit  Ober 
Cülenleraten  und  bestehen  aus  Ewei  Theilen.  Der  erste  handelt  von  dem 
Verhttllnias  der  Medusen  eu  den  Hydroiden,  der  andre  ist  eine  Notiz 
über  die  Entstehung  der  Eier  bei  einten  Ctilenleraten. 

I.  Vcbcr  du  VerUltiitt  in  IHM«  n  it*  ijinUe». 

Das  Verhaltolss  der  Medusen  su  den  Hydroiden  bat  seit  der  Ent- 
deckung, dass  viele  Hydroiden  durch  Knospung  Medusen  erzeugen,  viele 
Naturforscher  beschtirtigt,  ohne  bis  jetit  vollkommen  klar  geworden  lu 
sein.  Ich  will  daher  versuchen,  dasselbe  im  Lichte  der  Descendenz- 
tbeorie  zu  betrachten  und  soweit  mir  mfiglich  zu  erklären.  — 

Fs  sind  in  dieser  Frage  vorerst  zwei  rnttgliche  Falle  zu  »ntersobei- 
den:  1.  die  Medusen  sind  das  Ursprüngliche  und  die  Hydroiden  sind 
deshalb  nur  als  Jugendrormen,  die  sich  durch  selbständige  Anpassung 
verschieden  difTerenzirt  haben,  aufzurassen,  i.  die  Hydroidpolypen  sind 
das  Ursprüngliche  und  die  Medusen  sind  von  ihnen  abzuleiten.  — 

Der  erste  Fall ,  welcher  sich  auch  folgendermassen  aussprechen 
I98st :  die  Hydrasmeduseo  stammen  von  einer  medusenähnlichen  Grund- 
form ab,  bietet  verschiedene  Schwierigkeiten.  Zu  diesen  gebtfrt  vor 
allen  die  Thalsache,  dass  die  Medusen  sich  schwer  mit  anderen  Thier- 
dassen  diroct  verknüpfen  lassen,  während  die  einfacheren  Hydroiden 
sehr  Dabo  Beziehungen  zu  den  Schwämmen  und  Koralleo  zeigep  "*"' 


"f^mt 


Vorl&Qfige  Mitthiilfnigen  ^]^t  CdleDteraten.  466 

man,  besonders  seil  der  genaueren  Untersuchung  der  Kalkschwamme 
kaum  mehr  an  deren  naber  Verwandtschaft  zweifeln  kann.  —  Daraus 
folgt  die  grttosere  Wahrscheinb^ohkeit  des  «weiten  Satzes,  dass  die  Me- 
dusen von  den  Hydroiden  abzuleiten  seien. 

Diese  Ableitung  kann  aber  auf  zwei  verschiedenen  Wegen  gesche- 
hen, man  kann  annehmen :  a,  di0  Medusen  sind  dadurch  entstanden, 
dass  die  Geschlechtsorgane  der  Hydroiden  sich  diflerenzirten  und  zu  selbr 
ständigen  Geschlechtsorganen  wurden,  b.  die  Medusen  haben  sich  durch 
Anpassung  an  die  schwimmende  Lebensweise  aus  Hydroidpersonen 
entwickelt  und  die  Fortpflanzung  (durch  Eier)  später  allein  ttbernomuien. 

Von  diesen  beiden  Annahmen  scheint  die  erste  vielleicht  als  die- 
jenige, welche  die  Thatsachen  am  einfachsten  erklärt.  Man  hat  eine 
Reihe  von  Hydroiden,  von  diesen  entwickeln  einige  sich  abK^sende  und 
dann  frei  schwimmende  Medusen,  die  anderen  nur  mehr  oder  weniger 
roedusenähnliche  Knospen,  welche  die  Geschlechtsorgane  enthalten. 
Was  liegt  da  näher  als  die  Erklärung :  diese  Knospensind  die  Geschlechts- 
organe und  die  Medusen  sind  nichts  als  weitere  Differenzimngen  der- 
selben, die  sich  schliesslich  zu  selbständigen  Personen  au%esohwungen 
hüben?  —  Aber  bei  näherer  Betrachtung  bietet  auch  diese  Theorie  doch 
einige  Schwierigkeiten.  So  lässt  sie  z.  B.  die  Homologie  zwischen  Me- 
dusen und  Hydroidpersonen  ganz  unerklärt,  dann  lässt  sie  sich  sehr 
schwer  mit  der  Thatsache  vereinigen,  dass  die  Medusen  der  verschiede- 
nen Hydroidenfamiiien  im  Allgemeinen  ganz  gleich  gebaut  sind,  während 
doch  eben  in  diesen  Familien  die  verschiedensten  (und  zum  Theil  sehr 
einfaohe)  Gesehlechtsknespen  von  den  einzelnen  Arten  erzeugt  werden  (4  ] . 
—  Der  Annahme  b.  hingegen  lassen  sich  die  eben  angeführten  Ein- 
würfe nicht  machen  und  muss  man  sie  deshalb,  wenn  sie  auch  anfangs 
weniger  einfach  erscheinen  mag,  als  die  wahrscheinlichste  ansehen. 
Ausserdem  aber  will  ich  sie  noch  zu  stützen  suchen  indem  ich  in  Pol-^ 
gendem  eine  Phylogenie  der  Hj'drasmedusen  in  ihren  Hauptformen  con^ 
struire  und  nachweise,  dass  die  Entstehung  der  Medusen  aus  Hydroid^ 
Personen  die  bekannten  Thatsachen  am  ungezwungensten  erklärt.  -^ 

Phylogenie  der  Hydroiden. 

Als  Grundform  aller  Hydroiden  haben  wir  uns  eine  schlauchfärmige 
Person  zu  denken^  deren  Wand  aus  Ectoderm,  Mesoderm  und  Entoderm 
zusammengesetzt  ist  und  welche  solide  Tentakel  {%  auf  der  ganzen  äusse- 
ren Kdrperfläche  besitzt  (3).  Diese  Grundform,  weiche  sich  geschlecht- 
lich durch  Eier,  die  aus  Entodermzellcn  entstehen,  fortpflanzt,  vermehrt 
9ieb  ausserdem  durch  Knoapung,  Die  entstandenen  Knospen  bleiben 
entw«'"-- * thicr  verbunden  und  bilden  dann  mit  diesem 


466  ^-  von  Koch, 

Stöcke,  oder  sie  lösen  sich  ah  (4).    Von  den  abgelösten  Personen  heften 
sich  einige  mit  ihrem  aboralen  Ende  an  irgend  einer  Unterlage  fest  und 
machen  so  den  Anfang  zu  einem  neuen  Stock,  andre  bleiben  im  Wf^ssor 
flottirend(5].    Diese  letzteren  nun  passen  sich  an  die  schwimmende  Le- 
bensweise an  und  geben  so  den  Ausgangspunct  für  die  Medusen  (6J. 
Durch  diese  Differenzirung  erhalten  wir  in  einer  Species  zwei  verschie- 
dene Formen,  eine  schwimmende  und  eine  festsitzende.     Die  letztere 
vermehrt  sich  hauptsächlich  durch  Knospung  und  verliert  nach  und 
nach   das  Vermögen  sich  geschlechtlich  fortzupflanzen,   da  dafttr  die 
schwimmende,  bei  der  eine  Inzucht  viel  schwerer  möglich  ist,  sich  viel 
günstiger  zeigt.  — 

Von  diesen  Hydraiden  mit  Medusengeneration,  weiche  wir  eben  sich 
entwickeln  sehen,  kommen  nun  einige  in  andere  Verhältnisse  (7),  welche 
zur  Folge  haben,  dass  die,  sich  zufällig  gerade  nicht  ablösenden  Medusen 
am  besten  ihre  Geschlechtsfunctionen  verrichten  können.  Diese  Eigen- 
schaft vererbt  sich  und  wir  erhalten  so  aus  den  Medusen  nach  dem 
Princip  der  natürlichen  Zuchtwahl  die  medusoiden  Geschlechlsgemmen, 
welche  bei  einzelnen  Arten  sich  zu  scheinbaren  Geschlechtsorganen  rück- 
gebildet haben. 

U.  lieber  die  EBtolehiag  iet  Eier  hei  dtm  Cile^lenteH. 

Die  Frage,  welchem  der,  bei  allen  höher  entwickelten  Thieren  vor- 
handenen, zwei  ursprünglichen  Keimblätter  (Entoderm  und  Ectoderm) 
die  Geschlecbtsproducte  entstammen,  ist,  trotz  vielfacher  Discutirung, 
noch  eine  offene.  Man  kann  für  jede  der  beiden  Ansichten  und  ausser- 
dem noch  für  eine  dritte,  welche  das  Mesoderm  (dessen  Herleitung  aus 
einem  der  beiden  vorigen,  oder  aus  beiden  zugleich  auch  noch  ungevriss 
ist)  für  den  Ursprungsort  der  Eier  hält,  eine  gleich  grosse  Anzahl  von 
Autoritäten  anführen.  Deshalb  sei  es  mir  gestattet  einige  Beobachtungen 
über  die  Entstehung  der  Eier  einiger  Gölenteraten,  einer  Thiergruppe, 
welche  gerade  in  dieser  Hinsicht  in  letzter  Zeit  vielfach  untersucht  wor- 
den ist^),  mitzutheilen. 


Saccanthus  (purpureus)  Haime. 

Bei  Saccanthus  finden  sich  (wie  auch  Haimb  bei  dem  nahe  ver- 
wandten Cereanthus  membranaceus  ^)  gesehen  und  abgebildet  hat)  die 


<)  Man  vergleiche  besonders:  Haciel,  Monographie  der  Kalkschwämme ,  1. 
BaTid.   Biologie.  1872. 

2)  Jules  Haime,  Memoire  sur  le  Ceriantbe,  in  den  Annales  des  Sciences  naturelles. 
)V.  Serie,  Zoologie,  Tome  1.    Paris  1854, 


VorUiifigf  Mittbeilnngfn  Aber  COlMiteraten.  467 

Eier  zersti^ul  im  Entoderm  derSepta  und  zwar  jn  den  verschiedensten 
Stufen  der  Reife.  -;■  Untersucht  man  ein  Septum  auf  dem  Querschnitt, 
so  findet  man,  dass  dasselbe  nur  aus  jwtM  Schichten  besteht,  einer 
hyalinen  Lamelle  und  einer  diese  überkleidenden  Zelllage,  dem  Ento- 
derm. Die  Lamelle  ist  eine  Fortsetzung  der  hyalinen,  structurlosen 
Schicht,  welche  im  ganzen  Körper  nach  aussen  auf  das  Entoderm  folgt 
und  dieses  von  der  Muskelschicht  trennt.  Das  Entoderm  besteht  aus 
locker  verbundenen,  leicht  von  Ihrer  Unterlage  zu  trennenden  Zellen 
zwischen  denen  grosse,  eigenthümlich  gestaltete  Nesselkapseln  und  wie 
oben  bemerkt  die  Eier  liegen. 

Fragt  man  sich  nun,  ob  bei  Saccanthus  die  Eier  aus  dem  Entoderm 
oder  Ectoderm  entstehen,  so  kann  man  sich  nur  für  das  erstere  ent- 
scheiden, denn  es  sprechen  dafür  4 .  die  ganz  jungen  Zustände  der  Eier, 
welche  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  auf  Entodermzellen  zurückzu- 
führen sind,  2.  die  Unmöglichkeit  einer  Einwanderung  derselben  aus 
dem  Ectoderm,  da  dieses  durch  die  hyaline  Schicht  ganz  vom  Entoderm 
abgeschlossen  ist  und  in  jener  Eier,  welche  auf  der  Durchwanderung  be- 
griffen sein,  könnten,  nicht  vorkommen.  Diese  Durchwanderung  wird 
auch  bei  der  grossen  Festigkeit  der  hyalinen  Schicht  sehr  unwahrschein- 
lich und  muss  man  daher  hier  die  Entstehung  der  Eier  aus  dem  Ento- 
derm als  sicher  festgestellt  annehmen. 


Veretillum  (cynomorium]  Cuv. 

Hier  ist  das  VerhUltniss  ein  ganz  ähnliches  wie  bei  Saccanthus.  Die 
Eier  entstehen  wie  dort  im  Entoderm  der  Sepia,  aber  nicht  an  den  Sei- 
tenflüchen,  sondern  am  freien  Rand  derselben.  Dadurch  wird  die  Be- 
obachtung der  Entwicklung  um  vieles  erleichtert  und  gelang  es  mir  alle 
Uebergiinge  von  der  einfachen  Entodermzelle  bis  zum,  die  Grösse  eines 
Stecknadelkopfes  eiTeichenden,  Ei  aufzufinden,  so  dass  in  diesem  Falle 
die  Entstehung  der  Eier  aus  den  Entodermzellen  direct  bewiesen  ist. 
Ausserdem  gelten  aber  auch  hier  die  oben  unter  2  angeführten  Gründe. 


Coryne  (fruticosa  et  pusilia].  Gärtn. 

Bei  diesen  beiden  von  mir  untersuchten  Arten  von  Coryne  finden 
sich  die  Eier  in  Geschlechtsknos})en.  Diese  sind  von  kuglig  bis  ei- 
förmiger Gestalt,  erreichen  einen  Durchmesser  von  0,5  mm.  und  be- 
stehen aus  einer  äusseren  Hülle  und  einer  inneren  strahlig  zerfallenen 
Masse,  welche  eine,  mit  der  Magenhuhle  communicirende  Höhlung  um- 
scbliesst;  die  äussere  Hülle  ist  eine  directe  Fortsetzung  der  Ectoderm- 
schicht  nebst  der  Stützmembran,  wie  durch  Querschnitte  klar  wird,  an 


468  6.  voti  Koeh, 

detieft  man  deti  directed  Uebei^ang  deuUieh  wahrnehmen  katin.       Die 
stfahlige,  eine  centrale  Höhlung  umgebende  Masse  wird  von  den  Eiern 
gebildet,  welche  durch  gegenseitigen  Druck  die  Form  abgestumpfter 
Pyramiden  angenommen  haben  und  sehr  deutlich  Nücieus,  Kucleolus 
und  Nucleotinus,  oft  auch  in  letzterem  hoch  ein  Pttnctchen,  erkennen 
lassen.  —  Die  jungen  Gemmen  sehen  den  eben  beschriebenen  attei^n 
ganz  ahnlich,  nur  sind  sie  viel  kleiner  und  die  Eiermasse  wird  durch 
eine  .einfache  Zellschicht  ersetzt,   die  sich  direct  vom  Entoderm   der 
Magenhöhle  ableiten  lasst.  — 

Daraus  geht  hervor,  dass  auch  bei  Coryne  die  Eier  aus  dem  Ento- 
derm entstehen,  denn  es  beweisen  dies  4.  die  directe  Beobachtung  vom 
Uebergang  des  Magenepithels  in  die  spätere  Eierniasse,  8.  die  (ahnlieb 
wie  vorhin  zu  beweisende]  Unmöglichkeit,  dass  die  Eier  aus  dem  Ecto- 
derm  nach  Innen  gekommen  sein  könnten.  • 


VorlAiillge  MittiMiliiBgeii  flbdr  Cötebtotiifeti. 


46» 


Erllntomiigen. 

i .  Die  grosse  Aehnlichkeit  der  Medufien  nach  ihrem  gunien  Bau,  gegenüber  der 
Yerschiedenheil  dar  Gemmeo,  scheint  mir  einer  der  Haupteinwttrfe  gegen  die  An- 
nahme a  zu  sein,  wie  ich  durch  folgendes  Beispiel  zu  tieweisen  suchen  will :  Man  haha 
(und  es  giebt  deren  Ja  viele)  zwei  ganz  verschiedene  Hydroidengattungen  a  und  ß, 
beide  besitzen- sowohl  Arten,  die  ganz  unvollkommene  Gemmen,  als  auch  sofehe,  die 
freie  Medusen  erzeugen.  Nennen  wir  die  ersteren  y,  die  letzteren  f4,  so  bekommen 
wir  vier  Hauptformea  ay,  ufA,  ßy^  /f/i. 

Sucht  man  nun  dieselben  von  der  Art  a-jf  abzuleiten,  so  erhält  man  folgende 
Stammbäume 


oy. 


ßY 


•y 


«^ 


oder 


ßy 


Beide  sind  sehr  unwahrscheinlich ,  denn  wollte  man  den  ersten  aU  richtigen 
annehmen,  so  müsslen  sich  aus  zwei,  nicht  einmal  gleichen  und  auf  verschiedenen 
Hydroiden  gewachsenen  Gemmen  in  ihrem  ganzen  Bau  iüiereinstimmende  Medusen 
entwickelt  haben.  Wollte  man  den  i.  fiir  den  wahren  halten,  so  würde  man  auf 
ähnliche  Schwierigkeiten  stossen,  indem  dann  die  Gattungsmerkmale  von  ß  zwei 
Mal  ganz  gleich  entstanden  sein  müssten. 

Nehmen  wir  aber  af4  für  die  Stammart,  so  erhalten  wir  deiT  Stammbaum 


ttfi 


«y 


f^ß 


ßr 

welcher  ganz  natürlich  erscheint,  da  die  unter  einander  so  verschiedenen  Gemnen 
recht  gut  aus  2  verschiedenen  Medusenarten  durch  Rückbildung  entstanden  sein 

können. 

i.  Die  Tentakel  sind  Jedenfalls  zuerst  als  einfache  Erhebungen  des  Bktoderms 
entBlaaden  uro  Hussere  Bin Aüsse  leichter  wahrnehmbar  zu  machen.  An  diesen  Erhe- 
bungen betheiligte  sich  bei  ihrer  stärkeren  Streckung  später  auch  das  Entoderm  und 
Mesoderm  und  sc  Tenlakelforro,  wie  wir  sie  bei  den  meisten  heuligen 


470  6*  von  Kocb,. Vorlilnflg»  Mittbeilnngen  Aber  CMenteraten. 

Hydroiden  sehen.  Erst  hei  den  grösseren  Formen  bildete  sich  eine  Höhlung  aus. 
da  ohne  dieselbe  die  Erntthrungsverhältnisse  der  Enden  lsehr  langer  Tentakel  zu  oo- 
günstig  wutden. 

8.  Für  das  über  die  ganze  Oberfläche  zerstreute  Auftreten  der  Tentakel  bei 
der  Urform  der  Hydroiden  spricht  erstens  der  Umstand,  dass  diese  Stellung  die  in- 
differenteste ist,  von  der  man  alle  übrigen  ableiten  kann,  zweitens  die  Hüufigkeit 
dieser  Stellung  bei  weniger  differenzirten  Species. 

4.  Dieses  kann  man  z.  B.  bei  Hydra  noch  jetzt  sehr  gut  beobachten,  bei  den 
meisten  übrigen  Hydroiden  ist  es  wegen  des  Chitinskelettes  unmöglich  geworden. 

5.  Das  Flottiren  im  Wasser  wird  bei  den  im  Meere  wohnenden  Formen  sehr 
leicht  vorkommen  können. 

6.  Der  Sprung  zwischen  einem  Hydroiden  und  einer  Meduse  ist  durchaus  nicht 
so  gross,  als  man  vielleicht  beim  ersten  Anblick  denkt.  Man  mache  nur  z.  B.  durch 
eine  Tubularia  einen  Längs^hnitt  und  vergleiche  ihn  mit  einem  Radialschnitf  durch 
eine  Meduse,  so  wird  man  sehen,  wie  leicht  sich  beide  Formen  aufeinander  zurück- 
führen lassen. 

7.  Diese  können  leicht  eintreten,  wenn  die  in  der  Rede  stehende  Hydroiden- 
form  an  eine  Stelle  des  Strandes  kommt,  wo  durch  Strömungen  die  sich  ablösen- 
den Medusen  alle  nach  dem  offenen  Maer  getrieben  werden,  ehe  sie  noch  ihre  Ge- 
schlechtsverrichtungen  vollenden  können. 


IrkliruK  n  T«fel  ZXIII. 

Fig.  4—3.  Veretillum  cynomorium.     Entwicklung  der  Eier. 

Fig.  4—5.  Saccanthus  purpureus.  4.  Querschnitt  eines  Septum,  5.  Seitenan- 
sicht eines  solchen.  —  Von  den  Buchstaben  bedeutet  m  Muskelschicht,  h  hyaline 
Schicht,  e  Entoderm,  o  Ei,  n  Nesselzellen. 

Fig.  6 — 7.  Coryne  fruticosa.  6.  Schnitt  durch  eine  junge  und  durch  eine  reife 
Knospe,  etwas  schematisch.  7.  Ein  Stückchen  der  Körperwand  sttfrker  vergrössert. 

Fig.  8 — tO.  Schematische  Umrisse,  welche  die  Entwicklung  der  Hauptformen 
der  Hydroiden  darstellen  sollen. 


Die  erste  Entwlckelnng  des  Geryonideneies. 


Von 

Hermann  Pol,  Dr.  med. 

aus  Genf. 


RIenn  Tafel  XXIVt  XXV. 

Schon  seit  längerer  Zeit  lenkte  ich  meine  Aufmerksamkeit  auf  die 
EntWickelung  der  Coelenteralen ,  namentlich  auf  die  Entslehungsweise 
des  coelenlerischen  Apparates.  Zwar  deuten  die  meisten  früheren  Be- 
obachtungen auf  eine  endogene  Bildung  der  verdauenden  Höhle  hin ; 
eine  Einstülpung  an  der  primitiven  Anlage  wurde  nur  ausnahmsweise 
beobachtet. 

Allein  es  liegen  keine  genauen ,  an  einem  günstigen  Objecte  ge- 
machten Untersuchungen  vor  ^).  • 

Um  so  willkommener  war  es  mir,  als  sich  im  Frühjahr  487<  eine 
solche  Gelegenheit  bot.  Im  Monat  Mai  erschienen  im  Hafen  von  Messina 
grosse  Schwärme  der  schönen  Geryonia  fungiformis  (Fig.  4  S.  472). 
Während  drei  Wochen  fanden  sie  sich  an  gewissen  Tagen  ausserordent- 
lich häußg,  so  dass  ich  dieEnlwickelung  zu  wiederholten  Malen  verfol- 
gen konnte. 

Eine  Beschreibung  dieser  Species  brauche  ich  um  so  weniger  zu 
machen ,  als  sie  im  HAECKZL^schen  Systeme  ganz  deutlich  beschrieben 
ist  2).  üeber  die  Gestalt  der  reifen  Geschlechtsorgane  wird  die  Fig.  4, 
Seile  472,  Aufschluss  geben.  Ein  Zungenkegel  fehlt  vollkommen. 

In  den  Schwärmen  waren  Exemplare  von  allen  Grössen  durch- 
einander gemischt,  von  den  jüngsten  an,  die  noch  ihre  primitiven  Ten- 
takeln besassen,  bis  zu  den  Erwachsenen,  mit  3  bis  Si/j  Zoll  Schirm- 
durchmesser.   Die  meisten  Exemplare,  derert  Schirm  mehr  als  4  V2  Zoll 

1)  MsrcHR iKOPF  bat  zwar  im  Jahre  4  870  eine  kurze  Notiz  von  der  Entwickelung 
der  Cormarina  veröflfenUichl  (Bullet.  Acad.  St.  P^tersbourg) ;  allein  ea  geben  diese 
Beobachtungen  keinen  bestimmten  Aufschluss  Über  die  interessante  Frage  von  der 
Dilduiigsweise  und  den  Schicksalen  des  Ento-  und  Bctoderms. 
i]  Beitrage  zur  Naturgesch.  der  Hydromednsen.   4866  p.  84. 

DO.  TU.  4.  *^ 

84 


/        c> 


Pig.1. 

Geryonia  rnnglfocmift  —  Erwachsenes  neiblinhes  Exemplnr  in  nafürlicher 
Grösse ,  von  oben  sesehen  —  o  Ovarien  —  (  die  ilefiniliven  Kangarme  —  f  die  pri- 
mitiven Fangartne  -~  r/'Centrifn|Eal~KBnäle  —  cp  Crntriprlal-KanBle  —  v  Segel  — 
I  Magen  —  I  Hundlippen. 


Die  erste  EntwieketimiBt  df«  Geryoiildeneles.  473 

kn  Durebfnesser  hatte ,  schienen  geschleehtsrelf  za  sein.  Mehr  als  eine 
Woohe^  hindurch  hieH  ieh  beständig  fünfzig  solcher  anscheinend  reifer 
Individaen  in  meinen  Aquarien,  ohne  auch  nur  ein  Ei  erhaNen  ztsv  kltn- 
nen.  Eines  Morgens  gegen  %  Uhr  fing  ein  Hilnnchen  an ,  unter  meinen 
Augen  seinen  Samen  zu  entleeren,  und  warf  ihn  auf  einmal  aus,  so  dass 
die  mati- weissen  undurchsichtigen  Hoden,  bimnen  ein  paar  Minuten, 
ganz  leer  und  durchsichtig  wurden.  Es  genügte  der  Samen  cKeses  ein- 
zigen Individuums  um  das  Wasser  des  30  Liter  haltenden  Aquariums 
vollständig  milchig  trübe  zu  machen ,  so  dass  eine ,  eiii'  Zoll  vow  der 
Glaswandung  schwebende  Meduse,  kaum  mehr  sichtbar  war.  Hiemtrf 
ßn^n  die  Weibohen  a<n  ihre  Eier  zu  werfen,  die  anderen  MüiAiohen  ent- 
leerten »itch  »hi^enp  Samen,  so  dass  von  den  30«  im  Glase  sehwimaienden 
Exemplaren ,  nur  zwei  ganz  junge  ihre  Geschlechtsproduetie  behMten. 
Ich  goss  nun  etwas  von  diesem  trüben  Wasser  in  ein  anderes  Aquarium, 
worii»  eine  Menge  Geryonien  herumschwammen,  und  sofsrt  fhn«l  aüofi 
dort  eine  atlgenierne  Entleerung  der  GeschlechtsdrUsen  siatt.  Später 
liabe  ich  dies  Experiment  Öfters  wiederholt.  In  rehiein  Seewasser  kann 
man  ein  Thier  eft  mehrere  Tage  hindurch  mit  gan>a  reifen  und  todckeren 
Geschlechtsproducten  behalten,  ohne  dass  es  diesell)en  a«eh  nur  Ihetl- 
weise  ausslOsst,  setzt  man  aber  etwas  Wasser  hinzru,  welches  schon 
freve  Geschtechtssfoffe  enthalt,  so  entleert  das  Thier  sofort  den  ganienr 
Inhalt  seinpr  Drüsen. 

nie  Bildung  und  Entwickelung  des  Eies  wollen  wir,  der  Klarheit 
wegen,  in  mehrere  Perioden  und  Stadien  eintheilen. 


I.  Periode. 

Das  unbefruchtete  Ei  und  die  Befruchtuög. 

Die  jungen  in  den  Ovarien  befindlichen  Eier  hat  schon  Hargkkl, 
leider  nur  nach  conservirtenObjeeten,  kurz  beschrieben  *).  Die  jüngsten 
Eier  bestehen  aus  einem  äusserst  feinkörnigen  Protoplasma  mit  einem 
verhültnissmüssig  sehr  grossen  Keimbläschen.  Das  Keimbläschen  ent- 
hält einen  Keimfleck,  welcher  wiederum  ein  Bläschen  darstellt.  Die 
Wände  dieses  inneren  Bläschens  bestehen  aus  stark  leichtbrechendeni 
Protoplasma.  Das  innere  ist  von  einer  grossen  Vacuole  eingenommen. 
Selten  sichtman,  statt  einer  grossen  Vacuole,  deren  mehrere  von  kleine- 
ren Dimensionen.  Das  KeimblUsclien  und  die  Vacuolen  des  Keimfleckes 
enthalten  einen  wenig  lichtbrechenden  Stoff.  Die  reiferen  Eier  zeigen  ein, 
im  Verhältniss  zum  Keimbläschen  viel  grösseres  Protoplasma,  dessen  in- 


31* 


474      ^  Hermann  Fol, 

nerste  Theile  sich  bei  vollständiger  Reife  in  lauter  Vacuölen  umivandeln 
oder  vielmehr  aufblähen;  etwa  wie  eine  Seifenlösung,  in  welche  man 
mit  einem  Rohre  bläst.  Durch  den  Zusatz  von  Ragentien  trübt  sich  der 
Inhalt  dieser  Rlasen  nicht,  die  Blasenwandungen  dagegen  erscheinen  als 
ein  Netz  von  demselben  körnigen  Protoplasma,  welches  früher  das  ganze 
Ei  zusammengesetzt  hatte.  Ganz  ähnliche  Verhältnisse  habe  ich  auch 
bei  Röhrenquallen  beobachtet.. 

Die  Spermatozoon  zeigen  die  gewöhnliche  Gestalt  und  bestehen  aus 
einem  5^  langen  und  3,3^  breiten  Kopf  und  einem  sehr  langen 
Schwänze. 

l)ie  Befruchtung  selbst  zu  beobachten  gelang  mir  nicht,  da  alle  ge- 
legten Eier  schon  befruchtet  waren  und  künstliche  Befruchtung  nicht 
zum*Zie1e  führte. 

Das  frisch  gelegte ,  befruchtete  Ei  (Taf.  XXIV  Fig.  4]   besitzt  eine 
ovale  Gestalt  undals  Durchmesser  etwa  0,33  Mm./0,SI3  bald  mehr  länglich, 
bald  mehr  rundlich.     Es  besteht  aus  Kern  oder  Keimbläschen,  Proto- 
plasma, Eihaut  und  Schleimhülle  (f).  Der  Kern  (n)  ist  regelmässig  rund, 
und  liegt  nahe  am  spitzen  Ende  des  Eies.    Er  siebt  wie  eine  Vacuole 
aus,  indem  seine  Substanz  weniger  liohtbrechend  ist  als  das  umgebende 
Protoplasma  und  flüssig  zu  sein  scheint.    Eigene  Wandungen  dieser 
Vacuole  lassen  sich  am  frischen  Ei  nicht  unterscheiden ;  es  tritt  eine 
solche  bei  Essigsäurezusatz,  obwohl  wenig  deutlich,  hervor.  DerVacuo- 
leninhalt  bleibt  dabei  ungetrübt  und  farblos.    Der  Durohmesser  die- 
ses Keimbläschens  beträgt  0,02  Mm./0,027,  so  dass  man  ihn  gewiss 
nicht  mit  dem  Keimbläschen  des  unbefruchteten  Eies  identificiren  kann. 
Es  wäre  interessant  zu  wissen ,  ob  der  Kern  des  befruchteten  Eies  vom 
Kerne  oder  vom  Kernkörperchen  des  unbefruchteten  abstammt,  oder  ob 
diese  Gebilde  bei  der  Befruchtung  verschwinden,  um  einer  Neubildung 
Platz  zu  machen. 

Das  Protoplasma,  das  wir  auch  BildungsdoUer  nennen  können,  be- 
steht alis  zweien  schon  am  lebendigen  Ei  unlerscheidbaren,  concentri- 
schen  Schichten.  Die  äussere  oder  Rindenschicht  (6)  ist  grobkörnig, 
und  dichter  als  die  hellere  innere  Substanz  (a).  Da  diese  Textur  bei 
Coelenteralen  allgemein  verbreitet  zu  sein  scheint,  so  wollen  wir  eigene 
Namen  einführen.  Die  Rindensubstanz  nennen  wir  Ectoplasma,  die  in- 
nere Endoplasma.  Das  Ectoplasma  besteht,  wie  gesagt  aus  einer  dichten 
Masse,  welche  bei  Essigsäurezusatz  braun  und  trübe  wird.  Das  Endo- 
plasma dagegen  ist  eine  helle  aus  l.iuter  Bläschen  zusammengesetzte 
Masse;  die  Essigsäure  bringt  mehr  die  Bläschenwandungen  oder  Zwi- 
schensubstanzen  zwischen  den  Vacuölen  zur  Ansicht,  welche  als  ein 
bläuliches,  feinkörniges  Protoplasmanetz  erscheinen.    An  der  Peripherie 


Die  erste  Entwickeln nff  des  Geryonideneies.  475 

sind  die  Bläschen  klein,  das  Protoplasraanetz  dagegen  dichter  mit  dicke- 
ren Balken.  In  der  Mitte  sind  die  Bläschen  sehr  gross  und  das  Proto- 
plasma äusserst  spärlich.  Je  näher  der  Binde  also,  desto  dichter  das 
Endoplasma.  Beide  Substanzen  sind  somit  nicht  ganz  scharf  abgesetzt ; 
viel  schärfer  erscheint  diese  Grenze  bei  Bippenquallen.  Das  Keimbläs- 
eben (n)  liegt  an  der  Grenze  beider  Substanzen,  in  einen  sternförmigen 
Klumpen  dichten  Protoplasmas  eingebettet. 

Die  Eihaut  (Taf.  XXIV  Fig.  4  c)  ist  äusserst  dünn,  etwa  4,4^  dick, 
structurlos  und  durchsichtig.  Dem  Keimbläschen  gegenüber  bildet  diese 
Membran  einen  Faltenstem  (f).  Gegen  die  Peripherie  des  Sternes  werden 
die  Falten  immer  niedriger  und  glätten  sich  bald  aus.  EineOeffnung  ist 
beim  befruchteten  Ei  hier  nicht  zu  entdecken. 

Die  Schleimhülle  (Taf.  XXIV  Fig.  4  d)  ist  unregelmässig ,  durch- 
schnittlich etwa  0,03  Mm.  dick.  In  ibrstecken  (beim  gelegten  Ei)  eine  An- 
zahl Spermatozoon,  welche  bald  sterben  und  sich  nach  und  nach  zersetzen. 
Am  dicksten  ist  die  Hülle  in  der  Nähe  des  Keimbläschens,  und  an  dieser 
Stelle  trifft  man  auch  die  meisten  Spermatozoen  (Taf.  XXIV  Fig.  4  sp).  Ver- 
muthlich  entsprichtder  Faltenstern  der  Stelle  wodieBefruchtungstfittfand. 
Hier  befindet  sich  noch  In  der  Hülle  fast  conslant  ein  Korn  oder  Bich- 
tungskörperchen  von  0,04  5  Mm. /0, 02  Grosse.  Ein  ähnliches  Körperchen, 
welches  mit  dem  Befruchtungsacte  in  näherer  Beziehung  zu  stehen 
scheint,  habe  ich  auch  bei  anderen  Goelenteraten  beobachtet. 


n.  Periode. 

Die   Furchung  bis  zur  Maulbeerforni. 

Das  Hauptinteresse  dieses  Zeitabschnittes  liegt  in  <len  Molecularbe- 
wegungen,  durch  welche  die  Furchungen  zu  Stande  kommen.  Hierbei 
möge  man  die  bereits  geschilderte  Zusammensetzung  des  ungefurchtcn 
Eies  stets  im  Aoge  behalten. 

I.  Furchupg  oder  die  Zweitheilung. 

Etwa  eine  Stunde  nach  seiner  Ausstossung,  treten  die  ersten  Ver- 
Hndcrungen  im  Ei  auf.  Zunächst  wird  der  Eikern  oder  das  Keimbläs- 
eben heller,  verschwommener;  seine  Gestalt  wird  unregelmässig  und 
ilndert  sich  vielfach.  Nach  einigen  Secunden  verschwindet  dieses  Ge- 
bilde gänzlich  vor  dem  bewaff'ieten  Auge.  Setzen  wir  aber  gerade  in 
diesem  Augenblicke  etwas  Essigsäure  hinzu,  so  kommt  der  Best,  gleich- 
sam nur  eine  Andeutung  des  früheren  Kernes  wieder  «um  Vorschein 
'^  Fig.  2  n) .  Auf  beiden  Seiten  dieser  Kernüberbleibsel  zeigen  sich 


476  Herroaim  Fol, 

2wei  Proiof>lM«Bi8aaAäufungen ,  deren  dicfai  angesiiiDRioheo  Kttraobisn 
zwei  rfi^lfn^sige  «iernCörroige  Figuren  darstallaQ   (Taf.  XXiV    Fi^. 
Sh).  Die  Strahlen  dieser  Sterne  werd^  durch  die  in  ger^ulen  Uniep  an- 
einender  gereihten  Körnchen  gebildet.    Mehrere  solche  Linien  reicbeo 
vop  einem  Stern-  oderAnziebung/scentfum  in  einem  Bogen  zum  andern, 
imJeH)  sie  die  Reste  des  KeimblMßchenjs  mnfassaa.   Das  ganse  Bild  isl 
äusserst  klar  und  deutlich  und  erinnert  lebhaft  an  die  Art  und  Wevse 
wie  ausgestreuter  Eisenstaub  sich  um  die  beiden  Pole  eines  Magneten 
anordnet.  An  dien  Rändern  gehen  die  Strahlen  allmUlig  einerseits  in  das 
dünnere  Protoplasmanets  des  Endoplasmäs,  andererseits  in  das  dichte 
Ectoplasma  über. 

Hätten  wir  mit  dem  Zusatz  des  Reagens  noch  einige  Secunden  ge- 
wartet, so  häjUen  wir  vom  Keimbläschen  keine  Spur  mehr  angetroffen 
(wie  auf  der  Taf.  XXIY  Fig.  11,  hh).  Die  Sterne  sind  dann  schon  weiter 
auseinander  gerückt,  zeigen  aber  immer  noch  die  gleiche  BeschaSenheit. 
Sie  sind  auch  ohne  Ess|gs8urezusats,  jedoch  sehr  undeutlich,  sichtbar. 
Jetzt  fängt  die  erste  Furchiing  oder  Zellen theilung  an. 

Wie  schon  bemerkt ,  liegt  das  Keimbläschen  an  der  Peripherie  des 
Eies  auf  der  Grenze  zwischen  Rinden-  und  Mark-Substanz.  Es  bildet 
sich  nun  an  der  Oberfläche  eine  Rinne,  genau  oberhalb  der  Stelle,  wo 
der  Kern  lag  und  senkrecht  auf  eine  Linie,  die  wir  uns  durch  beido 
Sterne  geführt  denken  können.  Indem  sich  die  Linie  vertieft,  trennt  sie 
die  beiden  Sterne  von  einander.  Zugleich  buchtet  sich  die  zarte  Eihaut 
ein  und  kleidet  die  Rinne  aus ;  an  den  Rändern  der  Rinne  aber  schlägt 
dieselbe  eine  Anzahl  Falten  (verg).  Taf.  XXIV  Fig.  3  und  4  f.) ,  welche  senk> 
recht  von  der  Rinne  entspringen,  und  sich  unweit  von  derselben  wieder 
allmälig  ausgleichen.  Indem  sich  die  Rinne  verlieft,  verlängert  sie  sich 
auch  immer  mehr,  und  umkreist  schliesslich  das  Ei.  Dabei  prägen  sich 
die  Falten  der  Eihaut  immer  mehr  aus ;  bald  aber  hört  die  Eihaut  auf 
anderAbschnürungTheil  zu  nehmen,  undindem  sich  die  erste Forchung 
vollendet,  kehrt  die  Eihaut  wieder  zu  ihrem  früheren  Zustande  zurück, 
und  spannt  sich  ununterbrochen  von  einer  Furchungskugel  zur  andern, 
die  Furche  überbrückend. 

Durch  die  Abschnürung  sind  die  Anziebungscentren  immer  mehr 
von  einander  entfernt  worden ,  und  jetzt  erscheinen  m  denselben  eine, 
dann  zwei,  dann  drei  bis  acht  und  zehn  kleine  Yacuolen.  Diese  Vacuo- 
len  wachsen  mit  der  Zeit,  trelen  zu  mehreren  zusammen  und  versohmel- 
zen  zu  einer  grossen  Vacuole,  welche  sich  abrundet,  und  hiermit  ganz 
dasselbe  Bild  darbietet,  wie  das  ungetheilte  Keimbläschen.  Die  Lage 
dieser  neuen  Kerne  ist  dieselbe,  wie  die  des  ersteren,  also  an  der  Grenze 
-wischen  Endo-  und  Ectoplasma.    Sie  liegen  nicht  in  der  grösstmög- 


Die  erste  Eatwickelnng  <les  Geryoiiideiieies.  477 

liehen  Entfernung  von  einander,  sondern  auf  einer  Seite  der  Anlage,  so 
dassbeieioer  Ansicht  von  oben  (Taf.  XXIV  Fig.  8  nn)  man  leicht  verleitet 
werden  könnte  zu  glauben ,  dass  sie  in  der  Mitte  jeder  Farchungskugei 
liegen.   Eine  Profilansicht  dagegen  belehrt  unsbald  eines  Besseren. 

Die  Purcfaungskugeln  treten  hierauf  wieder  näher  aneinander  und 
flachen  sich  gegenseitig  ab,  so  dass  das  ganze  Ei  fast  wieder  die  frühere 
ovale  Gestelt  anioimmt  (Taf.  XXIV  Fig.  3).  Die  Trennungsfläche  nach  der 
Abflachung  ist  am  frischen  Ei  durch  eine  Menge  stark  umgekehrt  licht- 
brechender, linsenförmiger  Vacuolen  bezeichnet,  die  alle  in  einer  E!bene 
liegen  (Taf.  XXIV  Fig.  3  gg).  Diese  Vorgänge  folgen  so  schnell  aufein- 
ander ,  dass  das  Ei  in  amoeboYder  Bewegung  begriflen  zu  sein  scheibt, 
und  es  unmöglich  ist,  mittelst  der  Camera  seine  Umrisse  zu  entwerfen. 

Wichtig  ist  es  zu  bemerken ,  dass  während  der  Furchung  die  Bin- 
densubstanz im  Boden  der  Furchungsrinne  immer  dünner  geworden 
ist,  bis  sie  schliesslich  an  dieser  Stelle  ganz  verschwindet  und  die  bei- 
den Furchungskugeln  nur  noch  durch  innere  Substanz  zusammenhän- 
gen. Ist  die  Furchung  einmal  vollendet,  so  können  wir  durch  tilssigsäurc 
uns  leicht  davon  überzeugen,  dass  die  Bindenschicht  an  der  Berührungs- 
fläche beider  Kugeln  vollständig  fehlt  (Taf.  XXIV  Fig.  2),  dass  also  die 
Marksubstanz  beider  Kugeln  sich  unmittelbar  berühren.  In  der  Nähe 
jener  Berührungsfläche  wird  das  Ectoplasma  immer  dünner.  Die  Bin- 
denschicht nimmt  somit  die  ganze  Oberfläche  des  Eies  ein,  aber  nur  ^/^ 
der  Oberfläche  jeder  Furchungskugel. 

IL,  III.,  IV.  und  V.  Furchung  oder  die  Thcilung  in 

4,  8,  16,  32  Zellen. 

Nach  einer  Zeit  der  Buhe  fängt  die  Theilung  von  Neuem  an.  Es 
zerßlilt  die  Anlage  zuerst  in  4  Furchungskugeln  (2.  Furchung)']  welche  alle 
in  einer  Ebene  liegen  (Taf.  XXIV  Fig.  3).  Aus  diesen  entstehen  durch  eine 
acquatoriale  Theilung  8  Kugeln  (3.  Furchung) ,  welche  so  angeordnet 
sind,  dass  von  allen  Seiten  betrachtet,  die  Kugeln  ein  Viereck  zu  bil- 
den scheinen. 

Die  nächste  Theilung  erfolgt  nach  zwei  Ebenen,  die  einen  Winkel  von 
i5o  mit  der  Aequatonalebene  bilden;  es  ist  die  4.  Furchung  (Taf.  XXIV 
Fig.  4)  nach  welcher  die  Anlage  aus  4  6  Zellen  besteht  (Taf.  XXIV  Fig.  5). 
Diese  zerfallen  endlich  in  32  (Taf.  XXIV  Fig.  6)  und  so  ist  das  Ende  der 
2.  Periode  erreicht.  Bei  jeder  Furchung  sind  stets  die  Theilungsproducte 
untereinander  ganz  gleich,  d.  h.  sie  sind  das  Spiegelbild  von  einander, 
so  dass  in  allen  Stadien  das  Ei  aus  gleich  grossen  Kugeln  zusammen- 
gesetzt erscheint. 


478  Remiann  Fol, 

Bei  jeder  Theilung  M^iederholen  sich  ganz  dieselben  Vorgänge,  die 
wir  bei  der  ersten  geschildert  haben,  und  die  wir  foigendermassen  zu- 
sammenfassen  können,  i.  Verschwinden  des  Reimbläschens  und  Er- 
scheinung zweier  Anziehungs-Mittelpuncte. 

2.  Entstehung  der  Furchung^rinne  mit  Faltenbildung  der  Eihaut 
(Tafel  XXIV  Fig.  3  und  4  f) . 

3.  Die  Abschnürung  vollendet  sich,  die  Eihaut  kehrt  zur  früheren 
Lage  zurück ,  die  Anziehungs-Mittelpuncte  rücken  immer  weiter  aus- 
einander. 

4.  Erscheinung  der  neuen  Kerne,  gegenseitige  Abflachung  derThei- 
lungsproducte. 

5.  Endlich  die  Theilungsproduptc,  d.  h.  die  neuentstandenen  Zel- 
len ,  treten  in  immer  ncihere  Berührung  miteinander  und  die  immer 
grössere  Trennungsfläche  wird  durch  linsenförmige  Vacuolen  bezeichnet 
(Taf.  XXIV  Fig.  4,  5und6qq). 

Die  Gestaltsveränderungen  der  Kugeln  während  der  Theilung  fol- 
gen noch  immer  rasch  aufeinander;  nach  jeder  Theilung  aber  bleibt  das 
Ei  etwa  45  Minuten  in  vollkommener  Ruhe  stehen.  Die  5.  Furchung 
tritt  6  bis  7  Stunden  nach  der  Eierlegung  ein. 

Bei  jeder  Theilung  verhält  sich  die  Rindensubstanz  ganz  wie  bei 
der  ersten,  so  dass  sie  nur  denjenigen  Theil  jeder  Furchungskugel  ein- 
nimmt, welcher  nach  Aussen  sieht  (Taf.  XXIV  Fig.  2  und  4  bb).  Nach 
der  4.  und  5.  Furchung  sieht  man  eine  geräumige  Baersche,  oder  Fur- 
chungshöhle  (Taf.  XXIV  Fig.  5  und  6  es).  Aus  dem  schon  Gesagten  geh 
klar  hervor,  dass  die  gegen  diese  Höhle  gewandten  Theile  der  Furchungs- 
kugeln  nur  aus  Endoplasma  bestehen. 


Die  erste  Kiitwickehmjr  des  Gerpnideueies,  479 


IH.  Periode. 

Die  primitive  Anlage  zerfällt  in  Ento-  und  Ectoderm. 

VI.  Furcbung  oder  die  Theilung  in  64  Zellen. 

Wiederum  bereitet  sich  das  Ei  zu 
einer  neuen  Theilung;  die  Kerne 
verschwinden,  dieAnziehungs-lfit- 
^  telpuncte  rücken  auseinander  und 
jede  Zelle  spaltet  sich.  Allein  dies- 
mal sind  die  Theilungsproducte  nicht 
>i  mehr  untereinander  gleich.  Es  zer^ 

^   \^\    ± _^,   :^^       föllt  jede  Zelle  durch  schiefe  Theilung 

in  eine  grosse  und  eine  kleine  linsen- 
förmige Zelle  (Fig.  2  und  Taf.  XXiV 
Flg.  9  bis  \%  %  und  r) .  Jede  der  bei- 
den nimmt  an  der  Peripherie  des  Eies 
^^^'  *•  den  gleichen  Flachenraum  ein. 

Schema  der  6.  Furchung  -  Das  aus       Die  grossen  Zellen  aber  erstrecken 

8i  KuffelnzusammengeseUte  Ei,  450mal     .  t   ^.  r  •     j*   n  t.    rioi.i    !.•     * 

Z    ^         ^Ax  1.1?  .      Sich  tief  m  die  Baersche  Höhle  hmem 

vergrössert.  —  a  Endoplasroa  —  6Ec(o- 

plasma  —  n  die  Kerne  -  «  die  Für-  (Taf.  XXIV  Fig.  8  r)  ,  wahrend  die 
cbuDgshöhle  —  xx  punctirte  Linien,  kleineren  linsenförmigen  nur  an  der 
welche  die  Richtung  derTheilungsOttchen  Oberfläche  bleiben  {Taf.  XXIV  Fig.  8, 
wttbrend  der  6.  Furchung  andeuten.         gj    Letztere  sind  blos  von  dem  Ecto- 

plasma  gebildet,  wahrend  erstere  aus  einem  inneren  endoplasmatischen 
Theile  und  einer  Aussenschicht  von  Rindensubstanz  bestehen  [Taf.  XXIV 
Fig.  8  r,  a  und  b).  Es  ist  aber  fortan  die  Eianlage  aus  64  Zellen  zu- 
sammengesetzt, deren  32  grosse  (Taf.  XXIV  Fig.  9  r  r)  und  38  kleinere, 
weniger  liefe  (Taf.  XXIV  Fig.  9  qq] .  Die  grossen  Zellen  sind  denen  nach 
der  5.  Furchung  sehr  ähnlich,  nur  erscheinen  sie  cylindrisch  mit  schma- 
ler Basis  (Taf.  XXIV  Fig.  4  0),  statt  conisch  mit  breiter,  nach  aussen  ge- 
kehrter Basis  (Taf.  XXIV  Fig.  KK),  Wie  bei  jenen  liegt  der  Kern  zwischen 
Endo-  und  Ectoplasma  (Taf.  XXIV  Fig.  1 0  n] .' 

Die  kleinen  Zellen  dagegen  sind,  wie  bereits  gesagt,  linsenförmig  flach, 
und  ihr  Kern  ist  mitten  in  die,  sie  zusammensetzende  Rindensubstanz  ein- 
gebettet (Taf.  XXIV  Fig.  8,  9j .  Selten  zeigt  sich  an  dem  innersten  Theile 
einer  solchen  Zelle  etwas  Endoplasma.  Die  Anordnung  beider  Arten  von 
Zellen  ist  keine  sehr  regelmässige^  und  es  war  mir  nicht  möglich,  darin 
eine  Gesetzmässigkeit  '^^  liegen  2 ,  3  kleine  Zellen  bei- 

sammen, von  grosse  es  sind  die  grossen  Zellen 


480  H^manB  Fei, 

gruppenweise  zusammengesieHt  und  von  kleineren  Zellen  umlagert. 
Es  folgt  hieraus,  dass  man  bei  optischen  Querschnitten  fast  niemals  du^ 
gleiche  Anzahl  von  beiderlei  Gebilden  zur  Ansicht  bekommt,  und  es  ist 
eine  sorgfältige  Nachzählung  aller  Zellen,  welche  die  Anlage  zusammen- 
setzen, nothwendig,  um  zur  Gewissheit  zu  gelangen ,  dass  wirklich  32 
jeder  Art  vorhanden  sind.    (Vergl.  Taf.  XXIV  Fig.  8  und  9  rr  und  qq;. 

VII.  Furchung  oder  die  Theilung  in  96  Zellen. 

Diese  Furchung  betriBt  nur  die  32 
grösseren  Zellen.  Durch  die  bekann- 
ten Vorgänge  zerfällt  jede  in  2  un- 
gleichartige Producte.    Die  Anzieh- 
ungscentren  rücken  nämlich  '  nicht 
mehr  in  tangentialer,    sondern   in 
r   radialer  Richtung  auseinander ,   die 
Theilung  erfolgt  der  Quere  nach  (Fig. 
3) .    Es  entstehen  hierdurch  32  lin- 
senfbnnige,  aus  Rindensubstanz  be- 
stehende, Oberflächenzellen,  welche 
den  früher  abgesetzten  vollkommen 
Fig-  8*  gleichen ,  und  32  innere ,  grössere, 

Schematische  Darstellung  der  7*  Für-  runde,  aus  Endoplasma  zusammen- 
chung;  dieAnlage  mit  64  Zellen,  <50inal  gesetzte.  Die  ganze  Anlage  stellt 
vergrössert.    a  Endoplasma  —  6  Ecto-     ,  ...         ,  i.     l-  i. 

1   ^  ^'  V  ux  '  ^1  i    also  zwei   memander  geschachtelte 

plasma  —  n  die  Kerne  —  qq  kleme  Zel-  ^ 

len-rr  grosse,  aus  beiden  Substanzen  Kugeln  dar;  die  äussere  Hohlkugei 
bestehende  Zellen  —  odx  punctirte  bestehtaus  64  linsenförmigen  Zellen, 
Linien,  welche  die  Richtung  der  Tbei«  und  enthält  bios  Ectoplasma  und  das 
lungsflächen  der  7.  Furchung  andeuten.  ^^^^^  frühere  Ectoplasma.  Die  in- 
nere Hohlkugel  zählt  32  kugelige  Elemente,  die  sich  gegenseitig  etwas 
abplatten  und  das  ganze  Endoplasma  aufgenommen  haben.  Die  äussere 
Kugel  stellt  das  Ectoderm  dar,  die  innere  Kugel  ist  die  Anlage  des  £n- 
toderms. 

Dieses  etwas  verwickelte  Yerhältniss  habe  ich  durch  die  beiden 
schematischen  Figuren  2-und  3  zu  veranschaulichen  gesucht. 

Auf  Taf,  XXIV  Fig.  8  berührten  sich  nicht  alle  grösseren  Zellen  an 
ihrem  innersten  Theile.  Man  könnte  also  glauben,  das&  nach  der  Thei- 
lung die  inneren  Zellen  durch  eine  Wanderung  sich  zu  einer  Hohlkugel 
zusammenfügen.    Dem  ist  aber  nicht  so. 

Beobachten  wir  genau  die  Vorgänge  der  Theilung ^  so  flnden  wir, 
dass  sich  während  der  Theilung  jede  grosse  Zelle  bedeutend  verlängert, 
so  dass  die  inneren  Zellen  bereits  zusammengefügt  und  gegenseitig  ab- 


Die  erste  Ent wiekelmig  des  Ceryonideneies.  481 

geplattet  erscheinen ,  ehe  sie  noch  von  der  äusseren  Zellenschicht  ganz 
losgetrennt  sind.  Habe  ich  an  sich  so  unbedeutende  Vorgänge  so  bis 
in's  geringste  Detail  geschildert,  so  geschah  es  nur  deshalb,  weil  viel 
von  Zellenwanderungen  in  der  Entwickelungsgeschichte  noch  heutigen 
Tages  geredet  wird.  Solche  Wanderungen  finden  meiner  Erfahrung 
nach  niemals  statt.  Es  wäre  auch  rein  unbegreiflich,  dass  feste,  bleibende, 
gesetzmassig  gebaute  Organe  aus  Zellen  entstünden,  die  sich  nach  einer 
freien  Wanderung  beliebig  zusammengestellt  hätten^}. 

Wenn  in  der  zweiten  Periode  die  Theilungs Vorgänge  rasch  aufein- 
anderfolgende Gestaltsveränderungen  des  Eies  bedingten ,  so  ist  das  in 
der  dritten  Periode  noch  w^eit  mehr  der  Fall.    Das  Bild  verwickelt  sich 
ausserdem  noch  dadurch,  dass  sich  die  Zellen  nicht  alle  zu  gleicher  Zeit 
theilen.    Es  buchtet  sich  oft  die  Eioberfläche  an  dieser  oder  jener  Stelle 
ein,  so  dass  man  oft  glauben  möchte,  man  hätte  es  mit  einer  anfangen- 
den Einstülpung  zu  thun  (Taf.  XXIV  Fig.  7).   Ein  Tropfen  Essigsäure 
aber  hilft  einem  sehr  leicht  aus  allen  diesen  Schwierigkeiten  heraus  ^) . 
Namentlich  nach  der  letztbesprochenen  Theilung   verändert  sich 
die  Geslalt  mannigfach.    Es  bleiben  noch  längere  Zeit  einzelne  Zellen 
des  Entoderms  mit  den  entsprechenden  Zellen  des  Ectoderms  in  Ver- 
bindung, und  einzelne  Objecto  könnten  einen  leicht  veranlassen ,  hier 
die  Spuren  einer  stattgehabten  Einstülpung  anzunehmen.  Ich  war  selbst 
nach  einer  erstep  oberflächlichen  Beobachtung  zu  dieser  irrigen  Ansicht 
gekommen. 

Während  dieser  letzten  Vorgänge  ist  die  Dotterhaut  verschwunden 
und  keine  Spur  mehr  davon  zu  entdecken,  wenn  nicht  etwa  die  Körn- 
chen, die  das  Ei  umgeben,  durch  einen  Zerfall  dieser  Haut  entstan- 
den sind. 


4)  Bei  Rippenquallen  z.  B.  wandern  die  Ectodermzellen,  weiche  zur  Bildung 
von  Bindegewebe  und  Muskeln  bestimmt  sind ,  nicht.  Sie  werden  rageimfissf g  von 
der  Ectodermschicht  durch  ihr  eigenes ,  geselzmässig  abgegebenes,  Seci*et  losge- 
trennt. So  kommt  es ,  dass  sich  die  Muslielfasern  so  regelmässig  und  symmetrisch 
entwiciceln,  dass  sich  noch  an  einem  jungen,  aber  ausgebildeten  Exemplare,  keine 
MasiieUaser  findet,  die  nicht  an  den  drei  übrigen  Quadranten  ein  ganz  genaues  Ab- 
bild hUtle. 

SJ  Man  thut  am  besten,  die  in  dieser  Periode  befindlichen  Eier  in  hoblge- 
schlifTene  Objectglttser  mit  etwas  Seewasser  und  Essigsäure  aufzubewahren ,  wobei 
das  Deckglttschen  mit  Oel  umrandet  wird.  Da  alle  Eier  desselben  Wurfes  sich  ganz 
genau  gleichzeitig  entwickeln,  so  braucht  man  nur  eine  Stunde  lang  alle  8  bis  5 
Minuten  ein  solches  Präparat  zu  machen ,  um  eine  übersichtliche  und  vollständige 
Reibe  der  hier  besprochenen  Vorgänge  zu  erhalten.  Solche  Präparate  halten  sich 
ganz  gut  %  bis  8  Tage  und  werden  nach  einigen  Stunden  sogar  noch  hellerund  deut- 
licher als  beim  Einlegen. 


482  Hermann  Fol, 


IT.  Periode. 
Die  flimmernde  Larve, 


I.  Stadium. 
Entstehung  der  Schirmgallerte.    2.  Tag. 

Duroh  neue  und  wiederholte  Halbierungen  ihrer  Zellen,  vergrösscri 
sich  die  Ectodermkugel  ziemlich  rasch,  während  die  innere  Kugei  oder 
Enloderiii  im  Wachsthum  etwas  zurückbleibt,  und  sich  zugleich  linsen- 
förmig: abflacht  (Taf.  XXIV  Fig.  45,  Taf.  XXV  Fig  16  un417).  Es  bleibt 
diese  Linse  durch  die  eine  flache  Seite  in  naher  Berührung  mit  einer  Stelle 
des  Ectoderms  (Taf.  XXV  Fig.  17k).  Hierdurch  und  durch  die  schnellere 
Vergrösserung  des  Ectoderms  entsteht  zwischen  beiden  Kugeln  ein  bedeu- 
tender Zwischenraum.  Dieser  ist  mit  einer  vollkommen  klaren  durch- 
sichtigen Gallerte  erfüllt,  welche  ein  System  äusserst  feiner  zarter  Fasern 
oder  Schlieren  enthält  (Taf.  XXV  Fig.  16  und  17  y).  Diese  Fasern  er- 
strecken sich  geradlinig  von  den  Zellen  desEntodermszuden  entsprechen- 
den Zellen  des  Ectoderms  in  fächerförmiger  Anordnung.  Sonst  zeigt  sich  die 
Gallerte  vollkommen  structurlos  und  enthält  keine  Zellenelemente,  weder 
jetzt  noch  später.  Schwer  wäre  es,  zu  bestimmen,  ob  die  Absonderung 
dieser  Gallerle  von  Seiten  der  einen  oder  der  anderen  Zellenkugel  oder 
durch  beide  zugleich  stattfindet.  Wahrscheinlich  hilft  diese  Gallerte  mit, 
durch  ihre  Absonderung  auf  der  einen  Seite  der  inneren  Kugel,  dieser 
Kugel  ihre  einseitige  Lage  und  linsenförmige  Gestalt  zu  geben.  Selbst- 
verständlich ist  die  Gallerte  spärlich  oder  gar  nicht  an  der  Stelle  vor- 
handen, wo  beide  Kugel n,einander  anliegen. 

Hier  sehen  wir  also  bestimmte  Zeilentheilungen  und  Absonderun- 
gen als  Gestaltungsmomente  der  Embryonalanlage  auftreten.  Von  einer 
activen  Wanderung  kann  sicher  nicht  die  Rede  sein. 

Wie  gesagt,  berühren  sich  Ento-  und  Ectoderm  an  einer  Stelle 
beinahe ,  indem  sich  die  Mitte  der  einen  convexen  Fläche  der  inneren 
Zellenlinse  der  weit  weniger  gekrümmten  äusseren  Zellenkugel  immer 
mehr. nähert,  bis  im  Mittelpuncte  eine  Berührung  und  Verwachsung 
stattfindet.  Diese  Stelle  nennen  wir  fortan  den  untern  oder  oralen  Pol, 
und  es  ist  hierdurch  schon  eine  vollständige  Orientirung  gegeben.  End- 
lich sieht  man  auf  den  Ectoderm  nach  und  nach  einige  Wimpern  her- 
vorsprossen. 


Die  erste  Entwiekelimg  des  Geryonideneies,  483 


IL  Stadium. 
Die  orale  Ectodermscheibe.    Bildung  des  Mundes. 

3.  bis  5.  Tag. 

Die  Eier,  welche  zum  Boden  des  Getesses  gefallen  sind,  erheben 
sich  langsam  und  schweben  ohne  bedeutendere  Veränderung  ihrer  Lage 
im  Wassei".  Der  Grund  hiervon  liegt  in  der  Ausbildung  dQnner,  langer 
und  sehr  spärlicher  Wimpern ,  welche  durch  ein  langsames  Schlagen 
die  Larve  schwebend ,  aber  nicht  in  schwimmender  Bewegung  zu  er- 
halten vermögen. 

Die  Zellenvermehrung  an  der  inneren  oder  aboralen  "^and  des 
linsenförmigen  Entoderms  geht  schneller  vor  sich ,  als  an  der  oralen 
oder  äusseren  Wand.  Durch  diesen  Umstand,  und  durch  den  Druck 
den  die  wachsende  Gallerte  ausübt ,  wird  die  aborale  Wand  zunächst 
abgeflacht  und  dann  in  die  orale  Hälfte  der  Linse  hinein  gestülpt ,  so 
dass  das  ganze  Organ  Uhrglasform  annimmt  und  der  frühere  Hohlraum 
des  Entoderms  auf  ein  Minimum  reducirt  wird  (Taf.  XXV  Fig.  47  und 
18  En). 

Gleichzeitig  mit  diesen  Veränderungen  findet  eine  andere  am  oralen 
Pole  statt.  Es  vermehren  sich  dort  die  Zellen  des  Ectoderms  sehr  rasch 
und  zerfallen  in  eine  Schicht  kleiner  Zellen  von  0,04  Mm.  Durchmesser 
während  die  übrigen  Ectodermzellen  einen  Durchmesser  von  0,4  Mm. 
besitzen.  Es  bildet  somit  dieser  Abschnitt  eine  Art  Scheibe  von  0,3  Mm. 
Durchmesser,  welche  am  Bande  in  das  Ectoderm  übergeht  (Taf.  XXV  Fig. 
1 8  kk) .  Am  zahlreichsten  und  kleinsten  sind  die  Zellen  im  Mittelpuncte  der 
Scheibe,,  wo  diese  mit  der  Mitte  der  oralen  Wand  des  Entoderms  ver- 
wächst. Später  erhebt  sich  dieser  Mittelpunct  nabeiförmig  und  die 
Verwachsungsstelle  bricht  durch.  Die  hierdurch  entstandene  Oeffnung 
ist  der  Mund,  und  der  Binnenraum  des  Entoderms  oder  Baersche  Höhle, 
ist  zur  Magenhöhle  geworden.  >j 

Gleichzeitig  hat  sich  der  Band  d^r  oralen  Scheibe  immer  deut- 
licher vom  übrigen  Ectoderm  abgehoben  und  wächst  zu  einem  förmlichen 
Ringswuiste  an.  Wie  wir  später  sehen  werden  ist  dieser  Wulst  die 
Anlage  des  Schirmrandes  nebst  Segel  und  Pangarmen.  Die  Ectoderm- 
scheibe liefert  das  spätere  Epithelium  für  die  Glockenhöhle  und  die  Aus- 
senwand  des  Magens. 


4}  Die  Annahme  Habckbl's  (I.  c.  p.  68,  407;  dass  diese  Höhle  zur  Schirmhöhie 
sich  umwandele,  ist  somit  vollkommen  irrthttmlf 


484  Hermann  Fol, 


in.  Stadium. 
Enlstehung  der  Fangarme,  des  Segels  und  der  Schirm- 

hiVhle,  vom  6.  Tage  an. 

Seit  der  Eröffnung  des  Mondes  (Tuf.  XXV  Fig.  19  i)  hat  die  Magen- 
hfi|ble  bedeutend  an  Höhe  zugenoiomen,  und  zeigt  eine  auf  dem  Quer- 
scbiiilt  mehr  quadratische  Gestalt  (Taf.  XXV  Fig.  24  s). 

Der  untere  äussere  Rand  der  Magenwand  reicbt  bis  unmittelbar  an 
den  Randwulst.  Uebrigens  sind  diese  Theile  schon  ziemlich  beweglich 
geworden,  sie  können  sich  bedeutend  ausdehnen  oder  zuaammenziehen 
und  zeigen  dann  verschiedene  Anordnungen  und  Gestatten.  Gewöhn- 
lich erscheint  der  Magen  von  oben  gesehen  deutlieb  saebseckig. 

An  der  Aussenseite  des  Randwulstes  zeigten  sich  einstweilen  6 
kleine  Zellenanbäufungen.  Diese  Haufen  wachsen  mehr  und  mehr  in 
dieUlnge  [Taf.  XXV  Fig.  19l);  während  ihre  Achse  voneinemZeHenstrang 
eingenommen  wird  (Taf.  XXV  Fig.  19z),  welcher  aus  jeder  der  6  be- 
sprochenen Magenecken  hervorgeht.  SelbstversUlndlich  sind  diese  Ten- 
takelrudimente symmetrisch  angeordnal,  und  befinden  sich  jedes  unter- 
halb einer  Ecke  des  sechsseiligen  Magens.  Diese  primitiven  Fangfüden 
verlängern  sich  nun,  Uind  zu  gleicher  Zeit  entfernt  sich  die  Basis  eines 
jeden  in  radialer  Richtung  nach  aussen  von  seiner  UrspruQgsstelle  am 
Randwulsle.  Zwischen*  der  Basis  des  Faagarmes^und  dem  Randwulsie, 
bleibt  ein  verdickter  Zellenstrang  das  Ectoderms  besteh^  uüd  mehr  in 
derTiefe,  ein  Strang  von  Entodermzellen,  welche  die  Verbindung  zwischen 
der  Tentakelachse  und  dem  Magengewebe  aufrecht  erhalten  (Taf.  XXV 
Fig.  49).   Spöter  verschwindet  diese  Verbindung  wenigstens  scheinbar. 

Ueberhaupt  ist  jener  Ursprung  des  Achsenstranges  der  Fangarme 
aus  dem  primitiven  Entoderm  bei  Geryonia  weder  leicht,  noch  gleich 
bei  erstev  Besichtigung  nachzuweisen.  Um  so  deutlicher  ist  aber  dieser 
Zusammenhang  in  der,  den  Geryoniden  verwandten  Familie  der  Aegini- 
den.  Ich  führe  als  Beispiel  Aeginopsis  bitentaculataan,  deren  Ent/wicke- 
lung  ohne  Mühe  zu  jeder  Zeit  verfolgt  werden  kann.  Dass  daaEntoderm 
der  hohlen  oder  der  soliden  Fangarme  der  Coelenteraten  vom  Magenge- 
webe abstamme ,  ist ,  soviel  ich  weiss ,  von  Niemandem  in  Zweifel  ge- 
zogen worden,  obwohl  in  dieser  Beziehung  positive  Beobachtungen  nur 
spUrlich  vorliegen.  Fast  gleich  nach  der  Entstehung  der  Tentakel-Ru- 
dimente zeigen  die  Zellen  an  ihrer  Spitze  die  Anlage  zu  Nesselorganen, 
welche  sich  bald  zu  wirklichen  Nesselzellen  gestalten  (Taf.  XXV  Fig.  1 9  u) . 
Die  Spitze  der  Fangarme  ist  von  einem  Knopf  von  Nessekelleo  gebildet. 
Ueber  diesen  hinaus  ragt  noch  eine  kleine  dünne  Spitze ,  oder  Geissei, 


Die  erste  Eotwieleiaog  4es  Geryonideneies.  485 

welche  aus  den  beiden  Zellenschichten  des  Fangarmes  besieht  (Taf.  XXV 
Fig.  49,  23j). 

Zugleich  mit  der  Ausbildung  der  Fangarme,  geht  die  Enlwickelung 
des  Segels  vor  sich.  Als  ein  dttnner  Ringwulst  erscheint  dasselbe  auf 
'  der  Hdhe  und  etwas  nach  der  Innenseite  des  grossen  Randwulsles,  und 
breitet  sich  dann  allmS^lig  zu  der  bekannten  GeslaU  einer  kreisförmigen 
Membran  aus  (Taf.  XXV  Fig.  20,  94  vv).  Diese  Duplicatur  des  Ecioderms 
enthält,  von  Anfang  an,  die  bekannten  ringförmigen  Muskelfasern.  Die 
radialen  Muskel-n  sind  erst  etwas  später  sichtbar. 

Zwischen  den  Fangföden  auf  der  Aussenseite  des  Bandwylstes  er« 
scheinen  dann  6  kleine  Zellenhäufchen,  die  Anlage  su  den  sfritteraFang-* 
armen  (Taf.  XXV  Fig.  25  t'). 

Es  bleibt  mir  jetzt  noch  übrig,  die  Bildung  der  Schirmhohle  zu  ver- 
folgen. Der  Anfangs  fast  kugelige  Schirm  breitet  sich  mehr  nach  unten 
und  aussen  aus ,  und  nimmt  bald  eine  wirklich  schirmförmige  Gestalt 
an.  Den  Rand  des  Schirmes  nimmt  der  Randwuist  ein ,  welcher  sich 
schnell  ausdehnt  und  zugleich  relativ  verdünnt  (Taf.  XXV  Fig.  21,  23  und 
25  m).  DerMagentrittdabeiverhältnissmässig  immer  mehr  in  die  Höhe,  so 
dass  er  in  den  Grund  einer,  anfangs  seichten,  trichterförmigen  (Taf.  XXV 
Fig.  22  c  u) ,  später  tiefen,  glockenförmigen  (Taf.  XXV  Fig.  25  c  u)  Höhle  zu 
liegen  komnU.  Letztere  ist  die  wachsende  Schirmhöhle.  Ein  Epithel  kleidet 
ihre  Wände  aus,  welches  direct  von  der  oralen  Ectodermscheibe  ab- 
stammt. Am  Mundrande  sieht  man  immer  noch  die  Grenze  zwischen 
Ento-  und  Ectoderm,  welche  ihrer  verschiedenen  Beschaffenheit  wegen 
noch  unterscheidbar  sind.  Später  verschwindet  dieser  Unterschied ;  so 
dass  die  genau  beobachtete  Entwickelung  allein  den  Beweis  liefert,  dass 
Ento-  und  Ectoderm  wirklich  am  Mundrande  selbst  zusammenhängen, 
und  dass  die  beiden  embryonalen  Kugeln  wirklich  die  Bedeutung  haben, 
die  ich  ihnen  zuschrieb.  Wie  gesagt  dehnt  sich  die  orale  Ectoderm- 
scheibe mit  der  Bildung  der  Schirmhöhle  sehr  rasch  aus;  es  verliert 
dieser  Epidermisabschnilt  seine  dichte  Beschaffenheit  und  bekommt  das- 
selbe Aussehen^  wie  das  Ectoderm  an  der  Aussenseite  des  Schirmes. 

Jetzt  sieht  man  zuweilen  bei  gewissen  Bewegungen  der  Larve  6 
hohle  Kanäle,  welche  vom  äusseren  Rande  des  Magens  gegen  den  Schirm- 
rand hinziehen.  Auch  Muskelfasern  lassen  sich  in  der  Wand  der  Schirm- 
höhle unterscheiden.  Es  sind  diese  Theile  in  ihrem  jetzigen ,  fast  aus- 
gebildeten Zustande,  nicht  schwer  zu  erkennen ,  allein  es  wollte  mir 
dui^chaus  nicht  gelingen ,  die  Rudimente  derselben  in  früheren  Stadien 
zu  unterscheiden. 

Das  Enloderm  des  Magens  b«deckt  sich  mit  Wimpern,  welche  den 
Mageninhalt  in  rotirende  Bewegr  '  in  den  Zellen  werden 


Hermann  Fol, 

LUgelchen  ausgoscliicditn,  welche  sich  bei  der  Verdaouog 
lommenen  Stoffen  vermischen  'J. 

Meduse  sehwimmt  nun  mit  krüfligen  Schirm-  undSegel- 
umher  und  vermag  mit  valiig  ausgebildeten  Fangfäden 
te  zu  erfassen  und  im  ausgebildeten  Hagen  zu  verdauen, 
ümnach  in  der  5.  und  letzten  Periode  der  Entwickelung 
Ausbildung  der  jungen  zur  fertigen,  erwachsenen  Me- 
ber  dieser  Abschnitt  von  Habckel  in  seiner  ausgezeicbne— 
lie  der  Geryoniden  so  genau  geschildert  und  durcb  treff- 
autert  werden,  dass  ich  auf  diesen  Gegenstand  nicht  zu— 
i  brauche. 


täte  und  allgemeine  Betrachtnngen. 

sieb  nun  die  Resultate  dieser  Arbeit  in  Folgendem  kurz 
in: 

igefurchteEi  besteht  aus  zwei  Schichten :  einem  dichleren 
d  einem  mehr  wasserreichen  Endoplasmn. 
'  Furchung  verschwindet  jedesmal  das  Keimbläschen  und 
in  seiner  Stelle  zwei  Anziehungscentren  im  Protoplasma, 
tter  die  neuen  Kerne  auftreten. 

!m  die  Anlage  die  Himbeergestalt  angenommen  hat ,  zer- 
durch  eine  eigen tbtlm  liehe  Furchung  in  zwei  ineinander 
lellenkugeln,  dem  Ectoderm  und  Entoderm.  Ersteres  be- 
ilasma,  letzteres  aus  Endoplasma. 

lirmgallerte  wird  zwischen  beiden  Geweben  abgesondert, 
loderm  bedeckt  sich  für  eineZeit  lang  mit  Wimpern;  ver- 
traten Pole,  und  aus  dieser  Verdickung  geht  das  Ectoderm 
le,  Schirmrand,  Fangarme,  Sinnesorgane  und  Segel  hervor, 
itoderm  liefert  ausser  dem  eigentlichen  Hagen  noch  den 
slenterischen  Apparat  und  das  Achsengewebe  der  soliden 

und  bricht  an  der  Verwachsungsstelle  beider  Gewebe 
ildung  des  Verdauungs-Apparates  dui-chEinstUlpung  fin- 
nmt  nicht  statt. 

lörperchen  io  den  Zelleo  der  Msgenwanduag  sind  schon  vielhch 
I  beobachlel  worden.  S.  Gegenluur,  System  der  Medusen  Z.  f.  w. 
'ol,  Ein  Beilrae  zur  Anslomie  und  Entw.  der  Rippenquelten ,   p.  5. 


Die  erste  EntwickelnD^  des  Geryonideneies.  487 

Hieran  lassen  sich  folgende  Betrachtungen  knüpfen : 

1)  Eine  ähnliche  aber  noch  schärfere  Zusammensetzung  des  unge- 
fürchteten  Eies  wird  auch  bei  Rippenquallen  beobachtet  ^) .  Bei  genauer 
Betrachtung  ist  auch  hier  ein  Keimbläschen  zwischen  Ecto-  und  Endo- 
plasma  zu  sehen.  Ferner  ist  auch  bei  Oceania,  Thaumantias,  Lucema- 
ria,  etc.  eine  ähnliche,  aberwenigerausgeprägteStructur  zu  beobachten. 

2)  Die  Purchung  mit  jedesmaligem  Verschwinden  der  Kerne,  sowie 
die  sternförmigen  Figuren  im  Protoplasma ,  sind  eine  sehr  verbreitete 
Erscheinung.  Ich  habe  diese  Theilungsvorgänge  auch  bei  Rippenquallen 
beobachtet;  femer  bei  Doliolum  unter  den  Ghordaten,  bei  Gavolinia  unter 
den  Mollusken  und  bei  Aiciope  unter  den  Würmern,  und  ich  habe  diese 
eben  so  genau  und  gewissenhaft  verfolgt  und  sind  diese  Bilder  so  schön 
und  deutlich,  namentlich  bei  Geryonia  und  Gavolinia,  dass  diese  Beob- 
achtungen absolut  keinen  Zweifel  zulassen.  Ich  will  mich  nicht  in  den 
Wortstreit  einlassen  ob  solche  Beobachtungen  positiv  oder  negativ  zu 
nennen  seien ;  sie  sind  eben  vollständig  und  erschöpfend. 

Ich  schliesse  mich  in  Folge  dessen  ganz  und  gar  der  SACBs'schen 
Theorie  der  Furchung  durch  Anziehungs-Mittelpuncte  an ,  nicht  etwa 
aus  theoretischen  Gründen ,  sondern  weil  ich  diese  Attractionscentren 
gesehen  habe. 

3)  Die  Vorgänge  der  Furchung  hatte  ich  schon  mehrmals  bei  ver- 
schiedenen Coelenteraten  verfolgt  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
Entstehung  von  Ento-  und  Ectoderm ,  allein  es  war  mir  bis  jetzt  nie- 
mals gelungen  den  Vorgang  der  Theilung  selbst  zu  beobachten.  Nach- 
dem nämlich  das  Ei  in  eine  Hohlkugel  verwandelt  worden  war,  wurde 
das  Bild  während  dieser  wichtigsten  Theilung  so  verworren ,  dass  es 
unmöglich  war,  zu  bestimmen,  ob  eine  Theilung,  oder  Wanderung,  oder 
beide  zugleich  staltgefunden  hätten.  Nach  und  nach  stellte  sich  wieder 
Ruhe  ein,  und  die  Anlage  bestand  nun  aus  zwei  ineinander  geschlosse- 
nen ZcUenkugeln.  Die  Larve  bedeckte  sich  mit  Wimpern,  nahm  eine 
ovale  Gestalt  an ,  und  schwamm  lebhaft  umher.  Dieses  habe  ich  bei 
Lucernaria 2]'  und  bei  Oceania  coronata  (Allvan)  ^}  auf  Helgoland,  bei 

i)  KowAL.   Entw.  der  Rippenq.  —  H.  Fol.  1.  c.  p.  4. 

2)  Die  Larven  schwammen  ein  paar  Tage  umher  und  setzten  sich  dann  an  den 
Gräsern  fest.  Weiter  habe  ich  sie  nicht  verfolgt. 

8)  Die  Abbildung  die  Allman  (a  monograph  of  the  gymnoblastic  hydroyds, 
p.  i8)  von  dieser  Art  giebt  ist  ganz  kenntlich.  Dieser  Forscher  hat  aber  die  4  Aus- 
buchtungen, welche  die  Schirmhöhle  zwischen  denRadittrcanftlen  nach  oben  bildet, 
für  Höcker  gehalten ,  welche  dem  Schirme  ünsserltch ,  an  der  Basis  des  conischen 
Fortsatzes  aufsitzen  sollten ,  und  als  solche  abgebildet.  Der  conische  Fortsatz  ist 
auch  bei  frischen,  wohlerhaltenen  Individuen  mehr  entwickelt  als  auf  der  besproche- 
nen Figur.  Halt  man  einige  dieser  Thiere  in  einem  Glase  p'  o  fressen 
Bd.  vn.  4. 


488  Uerouino  Fo)» 

Thaumantias  Mediterranea  ^]  (Forbes)  und  bei  Nausithoe  atbida^)  in 
Messina  Consta  tirt. 

Fast  übereinstimmend  siod  noch  Allhan's  S)  Beobachtungen  ttber 
Laomedea  flexuosa  und  andere  Gymnoblasten  Hydroiden ,  und  Rowa— 
lewsky's^)  Angaben  über  die  Entwickelung  der  Campanularia  aus  Eu- 
cope,  Metsohnhioff  ^]  scheint  auch  diese  Entstehungsweise  der  beiden 
Gewebe  bei  Gunina  und  Aeginopsis  mediterranea  beobachtet  zu  haben, 
seine  Beschreibung  ist  aber,  gerade  über  diesen  Punot,  nicht  aus- 
drücklich. 

F.  E.  Schulze  ^)  ISsst  auch  bei  der  Cordylophora  lacustris  die  Ku- 
geln des  gefurchten  Eies  sich  in  zwei  concentrischen  Schichten  anordnen. 

Kleinenberg  "^j  endlich  spricht  bei  Hydra  von  einer  Differenzirung 
der  Keimanlage  in  zwei  Zellenschichten  und  hat  ebensowenig  wie  Mst- 
SGHNiKOPF  eine  Entstehung  dieser  Blatter  durch  Einstülpung  gesehen. 

Ganz  entgegengesetzt  lauten  dagegen  Kowaleswky's  Beobachtungen 
über  Pelagia  und  Actinia.  Bei  beiden  soll  das  Entoderm  durch  Einstül- 
pung entstehen.  Die  Entwickelung  der  Pelagia  habe  ich  einmal,  obwohl 
sehr  lückenhaft,  beobachtet.  Ich  kann  nur  so  viel  sagen,  dass  jene 
grossen  Einstülpungen ,  welche  die  Anlage  noch  vor  ihrem  Austritt  aus 
den  EihüUen  zeigt,  ganz  unregelmässige  und  inconstante  Faltungen  sind, 
welche  aus  dem  beträchtlichen  Missverh^ltniss  zwischen  Larve  und  Ei- 
hüUen entstehen.  Sie  verschwinden  auch  vollständig,  sobald  die  Larve 
aus  ihrer  Hülle  getreten  ist.  Später  habe  ich  eine  kleine  innere  Blase 
beobachtet,  welche  mit  dem  Ectoderm  an  einem  Pole  zusammenhing. 
Dort  war  auch  bereits  die  Munddffnung  durchgebrochen.  Wie  entsteht 
nun  diese  innere  Blase?  Die  Frage  verdient  jedenfalls  eine  erneuerte 
Prüfung.  Die  Entwickelung  der  Actinien  ist  mir  ganz  unbekannt  und  die 


sie  sich  jenen  Fortsatz  gegenseitig  ab ,  und  bleiben  bei  dieser  Procedur  natürlich 
verstünamelt.  Ein  solches  verstümmeltes  Exemplar  scheint  Allman  abgebildet  zu 
haben. 

1)  Die  Larven  setzten  sich  allmälig  am  Boden  desGlase«  fest.  Das  Glas  wurde 
nun  bedeckt  und  als  ich  drei  Wochen  spfiter  nachsah  fand  sich  überall  eine  Menge 
kleiner  Hydroidpolypen  mit  glasiger  Röhre  an  ihrer  Basis. 

2)  Die  Larven  derNausithoe  schwimmen  wochenlang  umher  ohne  andere  Ver- 
ttndetiingen  zu  erleiden  als  die  Bildungen  von  Nesselzellen  in  ihrem  Ectoderm. 
Hierauf  gingen  mir  stets  alle  zu  Grunde. 

ft)  I.e.  p.  85. 

4)  Untersuchungen  über  die  Entwickelung  der  Coelenteraten.  Vorl.  Mitthellg. 
in  Göttinger  Nachrichten. 

5)  In  Bulletins  Acad.  St.  P^tersbourg  4870.  p  98. 

6)  Ueber  den  Bau  und  die  Entwickelung  von  Cordylophora  lacustris.  Leip- 
zig 4874. 

7)  Hydra,  eine  anat.  entwick.  Untersuchung.  Leipzig  487i. 


Die  erste  EntwickeloQg  dei  Geryonideiieles,  489 

Frage  von  der  Entstehung  der  beiden  Keimblätter  ist  leider  von  Ljicazb 
DcTHiras  nicht  einmal  berührt  worden. 

Was  nun  die  anderen  Goelenteratengruppen  betrifft,  so  sind  hier 
positive  Angaben  noch  spHr)icher.   Ueber  Röhrenquallen  besitzen  wir 
nur  die  kurze  aphoristische  Not^z  Kowalbwsky^s  über  die  Entwickelung 
von  Agalma  rubrum ,  welche  auf  eine  Spaltung  der  primitiven  Zellen- 
kugel in  Ento-  und  Ectoderm  hindeutet.  Femer  Habckbl^s  Beoba^^htun- 
gon ,  welcher  zwei  Formen  der  Entwickelung  bei  den  Siphonophoren 
annimmt.    Bei  der  einen  Form   (Physophora)  zerfallt  das  ganze  Ei  in 
drei  Zellschichten,  einem  Ectoderm,  einem  wirklichen  äusseren  Entoderm 
und  einem  inneren  Entoderm  der  als  Nahrungsdotier  fungiren  soll. 
Bei  der  zweiten  Form  (Crystallodes,  Athorybia)  findet  diese  Trennung 
erst  viel  später  statt.    Bei  beiden  Formen  geht  dieser  Spaltung  eine 
locale  Spaltung  am  aboralen  Pole  voran  und  aus  dem  so  gebildeten 
localen  Ecto-  und  Entoderm  gehen  alle  Haupttheile  des  späteren  Thie- 
res  hervor;  während  die  Hauptmasse  des  Eies  in  der  Regel  (1.  Form] 
oder  nur  unter  bestimmten  Umständen  (2.  Form)  zu  einem  Ernährungs- 
thiere  wird;  wobei  die  I.Schicht  zum  Ectoderm,  die  2.  zum  Entoderm, 
die  innerste  zum  Nahrungsdotier  der  Larve  wird.  Letztere  zieht  sich  im 
obersten  Theile  der  verdauenden  Höhle  zurück.     Ueber  die  Art  und 
Weise,  wie  diese  Spaltungen  zu  Stande  kommen ,  giebt  Habckel  keine 
Auskunft.    Vergleicht  man  aber  seine  Schilderung  von  den  »amoeben- 
artigen  Bewegungen«  der  Furchungskugeln  am  4.  und  2.  Tage,  mit  den 
Furchungserscheinungen  bei  Geryonia ,  so  wird  es  einem  höchst  wahr- 
scheinlich vorkommen,  dass  Habckel  statt  amoebenartiger  Bewegungen 
weiter  nichts  vor  sich  hatte,  als  einen  Furchungsprocess,  den  die  richtige 
Anwendung  von  Reagentien  ihm  sofort  klar  gemacht  hätte. 

Mbtschnikopp  giebt  an,  das  frische  Ei  der  Siphonophoren  sei  zwei- 
schichtig ,  und  unterscheidet  wie  Habckbl  2  Typen ,  je  nachdem  die 
Spaltung  zuerst  nur  an  einer  bet/stimmten  Stelle  oder  auf  der  ganzen 
Oberfläche  zugleich  stattfindet.  Ueber  die  Art  und  Weise  dieser  Spal- 
tung, sowie  über  die  späteren  Schicksale  der  hierdurch  entstandenen 
Blätter  geht  Mbtschnikoff  stillschweigend  hinweg. 

Die  Rippenquallen  endlich  zeigen  ebenfalls  eine  Bildung  von  zwei 
Keimblättern ,  deren  Aeusseres  die  Epidermis  und  das  Magengewebe 
abgiebt,  während  das  innere  die  Wandungen  des  Trichters  und  der 
Canäle  zu  bilden  scheint.  Kowalbwsky*s  Annahme,  dass  das  äussere 
Blatt  den  Trichter  und  die  Canäle  bekleide,  muss  ich  auf  Grund  neuerer 
Untersuchungen  in  Zweifel  stellen. 

Die  Hehrzahl  also  der  Beobachter  lässt  bei  Coelenteraten  die  beiden 
Keimblätter  durch  Spaltung  statt  einer  Einstülpung  hervorgehen.    Der 

81  • 


490  Hermann  Fol, 

Gegenstand  ist  jedenfalls  wichtig  genug,  um  neuere  Untersuchungen  zu 
verdienen,  welche  auch  auf  die  Spongien  ausgedehnt  werden  sollten. 

Ich  will  mich  aber  nicht  in  allgemeine  Betrachtungen  Ober  die  Ho- 
mologien in  der  Entwickelung  der  Coelenteraten  und  der  höheren  Tbiere 
einlassen ,  zumal  die  thatsächliche  Grundlage  zu  solchen  Deductionen 
noch  fehlt,  und  da  wir  ausserdem  keinen  allgemeinen  Gesichtspunct  ge- 
wonnen haben,  von  wo  aus  wir  die  Entwickelung  von  Eiern  mit  totaler 
und  mit  partieller  Furchung  untereinanber  vergleichen  könnten. 


Erklining  der  Tafeln. 

Tafel  XXIV. 

Fig.  f .  Das  reife  und  befruchtete  Ei  der  Geryonia  fungiformis  mit  Spermatozoen, 
welche  in  der  Schleimhülle  stecken.  Lebendig  abgebildet.  Vergrösse- 
rung  450. 

Fig.  9.  Die  Anlage  nach  der  ersten  Furchung,  mit  Essigsäure  im  Augenblicke  ge- 
tödtet,  wo  die  zweite  Furchung  beginnt  und  die  früheren  Keimbläschen 
ohne  Reagentien  schon  nicht  mehr  sichtbar  sind.   Vergr.  150. 

Fig.  8.  Dieselbe  nach  der  zweiten  Furchung ,  die  Falten  der  Eihaut  {[)  und  die 
linsenförmigen  Vacuolen  [g)  zeigend.   Lebendig  abgebildet.   Vergr.  150. 

Fig.  4.  Dieselbe  während  des  Vorganges  der  vierten  Furchung,  lebendig  abgebil* 
det  -^  a,  ßf  y  und  <f  sind  die  vier  Zellen ,  welche  aus  einer  Zelle  des  Sta- 
dium Fig.  3 ,  und  zwar  aus  der  oberen  rechten  Zelle  jener  Figur  hervor- 
gegangen sind.   Vergr.  150. 

Fig.  5.  Dieselbe  Anlage  nach  der  vierten  Furchung,  also  aus  16  Zellen  bestehend» 
die  BABR'sche  Höhle  (es)  zeigend,  lebendig  abgebildet.   Vergr.  150. 

Fig.  6.  Dieselbe  nach  der  fünften  Furchung,  also  aus  83  Zellen  zusammengesetzt. 
Vergr.  150. 

Fig.  7.  Die  Anlage  nach  der  sechsten  Furcbung  mit  Essigsäure  behandelt;  im  op- 
tischen Querschnitt  gezeichnet.  Es  besteht  dieselbe  aus  82  jgrossen  (r), 
und  32  kleinen  Zellen  [q),  zusammen  64  Zellen.   Vergr.  150. 

Fig  8.  Die  Anlage  nach  der  sechsten  Furchung  von  der  Oberfläche  gesehen ,  le- 
bendig gezeichnet.   Vergr.  150. 

Fig.  9.  Die  Anlage  in  der  siebenten  Furchung  begriffen ,  wobei  sich  die  beiden 
Zeilenschichten  gänzlich  von  einander  abtrennen.   Vergr.  75. 

Fig.  10.  Eine  Zelle  aus  dem  Stadium  Fig.  6  mit  Essigsäure  behandelt.  Im  optischen 
Querschnitt  dargestellt.  Vergr.  200. 

Fig.  1 1 .  Eine  Zelle  am  Anfange  der  sechsten  Furchung  mit  Essigsäure  getödtel. 
Im  optischen  Querschnitt  gesehen.  Vergr.  200. 

Fig.  12.  Die  Anlage  am  Anfange  der  siebenten  Fnrchung  von  der  Oberfläche  ge* 
sehen.  Man  bemerkt  ausser  den  Oberflächenzellen,  die  durch  die  vorige 
Furchung  entstanden  sind  (9),  noch  andere  Oberflächen-Zellen,  die  im  Ent- 
stehen begriffen  sind  {q')  und  grosse  Zellen,  welche  noch  nicht  angefangen 
haben  sich  zu  spalten.    Lebendig  abgebildet.   Vergr.  90. 


Die  erste  Entwicklung  des  Geryonideneies.  491 

Fig.  43.  Die  Anlage  gegen  das  Ende  der  siebenten  Furchang ,  wobei  noch  einige 
Brücken  (i)  zwischen  den Ectoderm«- und Bntodermzellen bestehen;  leben- 
dig Im  optischen  Querschnitt  dargestellt.   Vergr.  75. 

Fig.  44.  Die  Anlage  nach  Vollendung  der  siebenten  Furchung,  lebendig,  im  opti- 
schen Querschnitt  gezeichnet.   Vergr.  90. 

Fig.  45.  Die  Anlage  14  Stunden  nach  der  Befruchtung.  Die  Ecto-  und  Entoderm- 
zelten  sind  vermehrt;  zwischen  beiden  befindet  sich  die  Gallerte  (y).  Mit 
Essigsäure  behandelt.  Vergr.  450. 


Tafel 

Fig.  46.  Die  Anlage  80  Stunden  nach  der  Befruchtung.  Lebendig  dargestellt. 
Vergr.  50. 

Fig.  47.  Die  Anlage  etwa  40  Stunden  nach  der  Befruchtimg.  Spttrliche,  feine,  lange 
Wimpern  sind  schon  sichtbar,  welche  die  Larve  langsam  fortbewegen. 
Diese  Wimpern  sind  auf  der  Tafel  weggelassen ,  da  es  nicht  möglich  war 
dieselben  auf  so  geringer  Scala  richtig  darzustellen.  Nach  dem  Leben  ge- 
zeichnet.  Vergr.  50. 

Fig.  48.  Der  orale  Pol  der  Larve,  8  Tage  und  40  Stunden  nach  der  Befruchtung  des 
Eies.  In  der  Profliansicht ,  mit  dem  pflasterepithelartigen  Ectoderm  {Ec), 
dem  eingestülpten  Entoderm  (J?fi) ,  und  der  oralen  Ectodermscheibe  [k], 
nach  Essigsäurebehandlung  dargestellt.   Vergr.  450. 

Fig.  49.  Der  orale  Pol  einer  6V2  Tage  alten  Larve  (von  der  Befruchtung  an  gerech- 
net). Von  unten  gesehen,  mit  dem  offenen  Munde  {l),  welcher  iq  das  ca- 
vum  der  Entodermkugel  führt;  dem  Randwulste  (m)  und  den  ersten  Fang- 
armen (r).   Mit  Essigsäure  behandelt.   Vergrdsserung  4  50. 

Fig.  SO.  Der  orale  Pol  ^iner  etwas  weiter  ausgebildeten ,  mit  dem  MüLLSR'schen 
Netze  im  Meere  gefangenen  Larve ,  von  unten  und  etwas  von  der  Seite  be- 
trachtet. Die  Mundlippen  {l)  stehen  weit  offen  und  lassen  in  den  Magen  (t) 
schauen ;  das  Segel  (t;)  steht  ebenfalls  offen ;  die  Fangarme  (t)  sind  nach 
innen  gebogen.  Die  Schirmhöhle  (cti)  ist  bereits  recht  deutlich  zu  sehen. 
Vom  Leben  gezeichnet.  Vergrösserung  50. 

Fig.  S4.  Der  orale  Pol,  im  selben  Stadium  wie  Fig.  20 ;  mit  Essigsäure  behandelt. 
Von  der  Seite  gesehen  und  im  optischen  Querschnitt  dargestellt.  Die 
*  Theile  sind  ohngefähr  in  derselben  Lage  wie  auf  der  vorigen  Figur, 
Vergr.  50. 

Fig.  tf.  Etwas  ältere  Larve  mit  geschlossenen  Mundlippen  (/),  zusammengezogenem 
Schirmrande  (m)  und  tiefer  Schirmhöhle  {cu).  Von  unten  und  etwas  von 
der  Seite  am  lebendigen  Thiere  gezeichnet.   Vergr.  50. 

Fig*  98.  Aeltere  Larve  von  unten  gesehen ,  mit  zusammengezogenen  Lippen  und 
Schirmrand,  und  weit  ausgestreckten  Fangarmen ,  mit  welchen  die  Larve 
ruckweise  das  Wasser  schlägt.   Lebendig.  Vergr.  50. 

Fig.  94.  Weiteres  Stadium.  Die  Larve  von  der  Seite  betrachtet,  mit  retrahirten 
Fangarmen.  Einige  Nesselfäden  («)  sind  ausgestreckt;  der  Magen  ist  leer. 
Mit  Essigsäure  behandelt.   Vergr.  50. 

Fig.  95.  Aelteste  Larve ,  welche  ihre  Wimpern  bereits  verloren  hat  und  mit  dem 
'  Segel  schwimmt.   Die  Schirmhöhle  {cu)  ist  tief  und  geräumig ,  die  Anlage 

der  Sinnesorgane  (<'}  zeigt  sich  schon  am  Scbirmrande.  Lebendig  darge- 
stellt. Vergr.  50. 


492  Hermann  Fol,  Die  erste  Eniwickelnug  des  Geryonideneies. 

Die  Buchstaben  sind  dieselben  für  alle  Figoren,  nämlich : 

a  —  Endoplasma 

b  —  Ectoplasroa 

c  —  Eihaut 

d  —  EihüUe 

f  —  Falten  der  Eihaut 

n  —  der  Kern 

g  —  Vacuolen  zwischen  den  Zellen 

h  —  um  die  Anziehungsmittelpuncte  herum  wie  Sternstrahlen  angeordnete  Proto- 
plasma pü  nctchen 

i  —  die  Substanz-Brücken,  welche  zwischen  den  Zellen  7.  und  8.  Generation  am 
Ende  der  7.  Furcbung  eine  Zeit  lang  bestehen 

CS  —  Furchungs-  oder  BASn'sche  Höhle 

Ec  —  Ectoderm 

En  —  Entoderm 

q  ~  kleine  Zellen  7.  Generation  nach  der  6.  Furchung 

r  —  grosse  Zellen  7.  Generation  nach  der  6.  Furchung 

3  —  geisseiförmiger  Fortsatz  der  Fangarme 

k  —  verdickte,  orale  Ectodermscheibe 

{  —  Mundlippen 

m  —  Schirmrand 

s  —  Magen 

I  —  Fangarme 

u  —  Nesselzellen 

\j  —  Segel 

y  —  Schirmgallerte 

%  —  solider  zelliger  Achsenstrang  (sogenannter  Knorpel)  der  Fangarme 

cu  —  Schirmhöhle. 


Bemerkung:  Sämmtliche  Zeichnungen  sind  sorgfältig  mit  der  Camera  ent- 
worfen, und  die  Vergrösserungen  sind  jedesmal  genau  controlirt  worden ,  so  dass 
der  Leser  leicht,  mit  Hülfe  des  Zirkels,  auf  den  Figm*en  die  Masse  auffinden  kann, 
die  ich  etwa  vergessen  hätte  im  Texte  anzugeben. 

Bis  zur  Fig.  49  (inclusive) ,  sind  alle  Zeichnungen  nach  Eiern  und  Larven  ge- 
macht, die  in  meinen  Aquarien  gelegt  wurden,  und  die  ich  daselbst  gross  zog.  Fig. 
4  bis  6  und  Fig.  8  sind  nach  einem  und  demselben  Eie  in  unverrückter  Stellung 
entworfen. 

Von  der  Fig.  20  an  dienten  als  Objecto  ältere  Larven ,  die  ich  im  Meere  mit 
dem  MüLLER'schen  Netze  in  ziemlicher  Menge  fing. 


Untersnchnng  über  8aaerstoiß*eiche 
Kohlenstoffsänren« 


Von 

A.  Geather. 


Vor  nunmehr  fünf  Jahren  wurde  die  erste  Abhandlung  über  diesen 
Gegenstand  veröfifentlicht  ^) .  Es  war  dies  die  Abhandlung  Riehanii's 
über  die  Einwirkung  der  conc.  Salzsäure  auf  Weinsäure  und  Trauben- 
stture  in  höherer  Temperatur.  Damals  habe  ich  erwähnt,  dass  auch 
Versuche  in  gleicher  Richtung  mit  der  Citronensäure  unternommen  wor- 
den seien,  welche  zur  Eenntniss  zweier  neuer  Säuren  von  der  Zusam- 
mensetzung: C^^E^^^  und  C^H^^^O«  geführt  hätten.  Die  nähere  Unter- 
suchung dieses  Vorgangs  durch  Herrn  Dr.  O.  Hbegt,  welche  im  Folgen- 
den niedergelegt  ist,  zeigt,  dass  nur  die  letztere  Säure  als  Zersetzungs- 
product  auftritt,  die  erstere  dagegen  sich  als  unreine  und  modificirte 
Citronensäure  ergeben  hat. 


II.  Abhandlung. 

Ueber  die  Einwirkung  von  conc.  Chlorwasserstoffsäure 
auf  Citronensäure  in  höheren  Temperaturen. 

Von  Dr.  Otto  Hergt. 


Je  nach  der  Temperatur,  bei  welcher  die  Einwirkung  der  Salzsäure 
auf  Citronensäure  stattfindet,  sind  die  Producte,  welche  resultiren,  ver- 
schieden. Bei  einer  Temperatur  unter  1 40^  löst  sich  die  Citronensäure 
in  der  Salzsäure,  indem  dabei  keine,  oder  nur  eine  unwesentliche  Zer- 
setzung stattfindet.  Beim  höheren  Erhitzen  haben  wir  folgende  zwei 
Phasen  der  Einwirkung  zu  unterscheiden : 

4)  Dies«  7 


494  A.  Geuther, 

1)  Die  Bildung  von  Aconitsäure  unter  Austritt  von  Wasser  beim 
Erhitzen  auf  4  40*^  bis  1 50°  C. 

2]  Die  Bildung  von  Diconsäure,  einer  neuen  Säure  von  der  Zu- 
sammensetzung G^H^^O^y  unter  gleichzeitiger  Entwickelung  von  Koblen- 
säure  und  Kohlenoxyd,  beim  Erhitzen  auf  190°  bis  200°  C. 

Ausführung  der  Versuche. 

Gepulverte  Citronensäure  wird  in  Bohren  (am  besten  von  schwer 
schmelzbarem  böhmischen  Glas)  mit  etwa  dem  3  bis  ifachen  Volumen 
conc.  Salzsäure  eingeschlossen.  Dm  das  Zerspringen  der  Röhren  beim 
Erhitzen  auf  höhere  Temperaturen  zu  vermeiden,  ist  es  rathsam,  zu  einer 
jedesmaligen  Zersetzung  nur  ungefähr  3  bis  4  gr.  Citronensäure  anzu- 
wenden, und  die  Röhren  so  lang  zu  machen,  dass  sie  nur  zu  Vs  ibres 
Inhaltes  vom  Gemisch  erfüllt  werden.  Ferner  muss  man  das  Erhitzen 
der  Röhren  etwa  alle  zwei  Stunden  unterbrechen,  um  durch  vorsichtiges 
Oeflnen  derselben  die  gebildeten  Gase  entfernen  zu  können. 

I.  Die  Einwirkung  beim  Erhitzen  auf  U0°  bis  150°  C. 

Erhitzt  man  Citronensäure,  wie  oben  angegeben,  mit  Salzsäure  auf 
4  40°  C,  so  scheidet  die  Anfangs  farblose  Flüssigkeit  schon  nach  dem 
ersten  Oefifnen  beim  Erkalten  einen  festen  Körper  aus,  der  seinem 
Aeusseren  nach  wenig  Aehnlichkeit  mit  Citronensäure  hat.  In  den  Röhren 
zeigt  sich  ein  schwacher  Druck,  der  von  einer  bei  dieser  Temperatur 
nebensächlichen  und  weiter  unten  zu  besprechenden  Zersetzung,  wobei 
sich  Kohlensäure  und  Kohlenoxyd  bildet,  herrührt.  —  Nach  etwa  zwei-* 
mal  zweistündigem  Erhitzen  ist  die  grösste  Hälfte  der  Citronensäure  in 
die  sich  ausscheidende  Aconitsäure  übergeführt,  während ^fioch  eine 
dickflüssige  syrupförmige  Säure  in  der  salzsauren  Lösung  bleibt.  13m 
nun  diese  beiden  Säuren  zu  trennen  und  ihre  Existenz  analytisch  zu  be- 
weisen, wird  der  in  ein  Schälchen  entleerte  Röhreninhalt  auf  dem  Was- 
serbade  möglichst  eingedampft,  und  hierauf  mit  conc.  Salzsäure,  in 
welcher  nur  die  syrupförmige  Säure  löslich  ist,  behandelt,  und  durch 
Asbest  filtrirt.  Zur  weiteren  Reinigung  wird  sowohl  mit  der  zurück- 
bleibenden Aconitsäure  als  auch  mit  der  durchgelaufenen  Lösung  die- 
selbe Operation  wiederholt.  Bevor  die  so  erhaltene  Aconitsäure  einer 
Analyse  unterworfen  wurde,  wurde  sie,  um  sie  von  noch  etwa  anhaften- 
der Citronensäure  zu  trennen,  mit  einer  zur  Lösung  nicht  ganz  zurei- 
chenden Menge  von  Aether  (worin  Citronensäure  schwer  löslich  ist)  aus- 
gezogen. Eine  KohlenstoiT-  und  Wasserstoffbestimmung  von  aus  dieser 
ätherischen  Lösung  erhaltenen  Säure  ergab  folgende  Zahlen : 

0,27U  gr.  bei  4  40°  getr.  Säure  lieferten  0,4U9  gr.  CO^  entspre- 


CntersuchuDg  über  s&uerstoffreiche  Kohlenstoffs&aren.  495 

chend  0,4432  gr.  =  44,7^  C  und  0,0942  gr.  0H2 entspr.  0,0405  gr.= 
3,8X  H. 

.    ber.        gef. 
^  C«        44,4         44,7 

H6  3,4  3,8 

0«         55,2  — 

Diese  gefundenen  Zahlen  stimmen  nicht  genau  mit  den  aus  der 
Formel  berechneten  ttberein.  Die  Differenz  mag  wohl  daher  kommen, 
dass  entweder  die  Aconitsäure  durch  eine  kleine  Menge  eines  höheren 
Zersetzungsproductes  verunreinigt,  oder  dass  der  zum  Ausziehen 
benutzte  Aether  etwas  alkoholhaltig  war  und  sich  in  Folge  dessen  eine 
geringe  Menge  Aetheraconitsäure  gebildet  hatte.  Um  exactere  Resultate 
zu  erzielen,  wurde  die  Säure  mit  Barytwasser  neutralisirt,  und  das  beim 
Eindampfen  sich  zuerst  ausscheidende  Baryumsalz  analysirt. 

0,2928  gr.  lufttrocknes  Salz  wog  nach  dem  Trocknen  über  Schwe- 
felsäure 0,2800  gr.  und  nach  dem  Trocknen  bei  275°  0,2553  gr.  Der 
Gesammtwasserverlust  beträgt  mithin  0,0375  gr.  ==  42,8^  (3  Mgt. 
Krystallwasser  entspr.  42,5^).  Der  Wasserverlust  der  über  Schwefel- 
säure getrockneten  Substanz  beträgt  0,0247  gr.  =  8,8  j|^  (2  Mgt.  Kry* 
Stallwasser  entspr.  8,7^).  Zur  Baryumbestimmung  wurde  das  Salz 
durch  Glühen  in  CO^Ba^  übergeführt.  Es  blieben  zurück  0,2004  gr. 
C0»Ba2  entspr.  0,4392  gr.  =  54,5)^  Ba  (die  Formel  C^H^BaH)«  verlangt 
54,6^]. 

Schon  früher  wurden,  wie  oben  mitgetheilt,  im  hiesigen  Labora- 
torium von  Gruno  Versuche  über  diesen  Gegenstand  angestellt.  Auch  er 
fand,  dass  als  erstes  Product  der  Einwirkung  von  Salzsäure  auf  Citronen- 
säureAconitsäure  auftrete.  Er  führte  dieselbe  \n  das  Silbersalz  über^  des* 
sen  Beschreibung  zur  weiteren  Bestätigung  meiner  Angaben  folgen  möge. 

Neutralisirt  man  die  auf  obige  Weise  erhaltene  Aconitsäure  genau 
mit  Natrium-Carbonat,  und  versetzt  sie  nach  dem  Austreiben  der  Koh- 
lensäure in  der  Kälte  mit  Argen ti- Nitrat,  so  entsteht  ein  weisser,  käsiger, 
in  Wasser  fast  unlöslicher  Niederschlag,  der  sich  am  Lichte  terbt,  und 
nach  einiger  Zeit  eine  krystallinische  Structur  annimmt.  Beim  schnellen 
Erhitzen  zersetzt  er  sich  explosionsartig,  unter  Entwickelung  brauner 
Dämpfe  und  Hinterlassung  von  wurmförmigem  Kohlensilber.  Er  ent- 
hält kein  Krystallwasser. 

4.  0,3289  gr.  bei  400^  getr.  Salz  lieferte  0,2867  gr.  AgCl^  ent- 
sprechend 0,2458  gr.  =  65,6^  Ag. 

2.  0,4464  grr  bei  400*^  getr.  Salz  gaben  0,3876  gr.  AgCP  entspr. 
0,2947  gr.  =65,4)^  Ag. 

Die  Formel  (C«H30»)Ug3  verlangt  65,5>^  Ag. 


496  A*  Genther, 

Die  Thatsache  der  Aconitsaurebildung  lässt  sich  übrigens  recht  gut 
mit  den  Beobachtungen  von  Dessaignbs  und  M.  Mbrcabantb  vereinigen. 
Jener  bemerkte^},  dass  beim  mehrstündigen  Erhitzen  von  GitroDen* 
säure  mit  Salzsäure  die  erstere  theilweise  in  AconitsHure  übergeführt 
wird.  Ebenso  erhielt  M.  Mbrgadantb  ^)  beim  Kochen  von  GitronensSlure 
mit  Bromwasserstoff  vom  Siedepunct  4  26^,  wenn  auch  nur  geringe  Mengen 
von  Aconitsäure.  Uebrigens  beobachtete  Dessaignbs'}  schon  beim 
400stündigen  Kochen  einer  conc.  wässrigen  Lösung  von  Citronensäure 
die  Bildung  von  etwas  Aconitsäure  neben  einer  nicht  näher  beschrie- 
benen flüchtigen  Säure. 

Neben  der  Aconitsäure  bildet  sich,  wie  oben  angegeben,  noch  eine 
syrupförmige  Säure,  welche  nach  dem  Eindampfen  der  salzsauren  Lö- 
sung zurückbleibt,  und  welcher  in  der  ersten  Mittheilung  ^],  gestützt 
auf  Resultate,  welche  Grvnd  erhalten  hatte,  die  Formel  G^^H^^®  zuge- 
schrieben worden  ist.  Um  diese  Säure  rein  zu  gewinnen,  wurde  die, 
durch  Eindampfen  auf  dem  Wasserbade  möglichst  von  Salzsäure  befreite 
wässnge  Lösung  derselben  mit  Natrium-Garbonat  neutralisirt  und  hier- 
auf zunächst  mit^wenig  Baryum-Ghlorid  versetzt^  um  so  das  sich  zuerst 
bildende  schwer  lösliche  aconitsäure  Baryum  und  das  durch  einen  et- 
waigen Ueberschuss  von  Natriumcarbonat  entstehende  Baryumcarbonal 
zu  entfernen.  Hierauf  wurde  die  vom  Niederschlag  getrennte  Flüssig- 
keit mit  einer  zur  Bildung  des  Baryumsalzes  sicher  zureichenden  Menge 
von  Baryum-Chlorid  versetzt.  Ist  die  Lösung  sehr  verdünnt,  so  scheidet 
sich  das  Baryumsalz  erst  beim  Eindampfen  in  Form  einer  zarten  Krj^- 
stallhaut  ab.  Ist  die  Lösung  concentrirter,  so  entsteht  schon  in  der  Kälte 
ein  voluminöser  Niederschlag,  der  beim  Erhitzen  krystallinisch  wird. 
Das  ausgeschiedene  Baryumsalz  wurde  auf  dem  Filter  gesammelt  und 
durch  sorgfältiges  Auswaschen  vom  anhaftenden  Chlornatrium  voll- 
ständig befreit.  Die  Analyse  der  zwei  ersten  Krystallisationen  ergab 
folgende  Zahlen  : 

4.  0,9003  gr.  lufttrocknes  Salz  wog  nach  dem  Trocknen  bei  4  40° 
0, 4 860  gr.  Der  Wasserverlust  beträgt  0,04 43  gr.  =  7, 4  ^ .  Die  blei- 
benden 0,4860  gr.  ergaben  0,4684  gr.  SO^Ba^  entspr.  0,0934  gr.  = 
50,4^  Ba.  —Ferner  lieferten  0,4866  gr.  bei  440°  getrocknetes  Salz 
bei  der  Verbrennung  0,0952  gr.  CO*  entspr.  0,0260  gr.  =  44,0^  C 
und  0,0342  gr.  OH*  entspr.  0,0034  gr.^=  4,8^H.  Nun  halten  die 
50,4  ji^  Ba,  welche  beim  Verbrennen  als  GO^Ba*  nicht  weiter  verändert 


i)  Cbem.  Jahrber.  4856,  p.  468. 
«)  I.  p.XIhem.  N.  F.  3,  p.  356. 

3)  Cbem.  Centralblatt  4864,  p.  850. 

4)  Diese  Zeitscbrift  IV,  p.  189. 


Untersnehang  Aber  sanerstof reich«  KohlenstoffsSuren. 


497 


werden,  zurück  4,4^  G.     Mithin  beträgt  die  Gesammtmenge  des  Koh- 
lenstoffs 48,4)1^. 

Zar  Gontrole  wurdemit  demselben  Salze  noch  eine  zweite  Elementar- 
analyse ausgeführt.  Die  Verbrennung  von  0,94^  gr.  bei  140^getr.  Salz 
ergab  0,0333  gr.  OH^  entpsr.  0,0037  gr.  =4,7^  H  und  0,4087  gr.  CO^ 
entspr.  0,0296  gr.=43,9^C.Dazukommendie  4, 4)i^CwelcheanBaryum 
gebunden  zurückbleiben.  Der  Gesammtkohlenstoffbetrttgt  mithin  48,3)|^. 

2.  0,2450  gr.  lufttrocknes  Salz  wog  nach  dem  Trocknen  bei  4  40® 
0,2046  gr.  und  ergab  0.4722  gr.  SO^Ba^  entsprechend  0,4042  gr.  = 
50,2)1?  Ba.     Der  Wasserverlust  beträgt  0,0434  gr.  =  6,2^. 

Die  Mutterlauge  von  der  zweiten  Krystallisation  wurde  mit  Salzsäure 
zur  Trockne  verdampft  und  die  aus  dem  Gemisch  von  BaCI  und  freier 
Säure  mit  Aether  ausgezogene  Säure  mit  BaOH  neuträlisirt  und  das  hier- 
durch erhaltene  Baryumsalz  analysirt: 

3.  0,1570  gr.  lufttrocknes  Salz  wog  nach  dem  Trocknen  bei  440° 
0,4  465  gr.  und  er^ab  0,1268  gr.  S0*Ba2,  entspr.  0,0744  gr.  =  50,7^ 
Ba.     Der  Wasserverlust  beträgt  0,0405  gr.  =  6,7^. 

Zur  Verbrennung  wurden  angewandt  0^2435  gr.  lufltrockne  Sub- 
stanz. Sie  verlor  beim  Trocknen  bei  4  40°  0,0442  gr.  ==  6,6^  Wasser. 
Die  rückständigen  0,4993  gr.  lieferten  0,0298  gr  OH^,  entsprechend 
0,0033  gr.  =  4,7)1?  H  und  0,4040  gr.  CO^  entspr.  0,0275  gr.  =  43,8)^ 
C.  Dazukommen  noch  die  4,4)i?  C  welche  vom  Baryum  zurückgehalten 
werden.     Der  Gesammtkohlenstoff  beträgt  mithin  81 ,2)^. 

Endlich  wurde  noch  die  bei  einer  zweiten  Einwirkung  von  Salz- 
säure auf  Gitronensäure  erhaltene  syi*upförmige  Säure  in  das  Baryumsalz 
übergeführt,  und  das  letztere  analysirt : 

4.  0,2008  gr.  lufttrocknes  Salz  wog  nach  dem  Trocknen  bei  440° 
0,4859  gr.  und  gab  0,4640  gr.  SO^Ba^  entspr.  0,0946  gr.  =50,9)^Ba. 
Der  Wasserverlust  beträgt  0,04  49  gr.  =  7,4^. 

Für  alle  diese  Analysen,  die  ziemlach  untereinander  übereinstimmen, 
lässt.sich  keine  einfache  Formel  finden.  Am  nächsten  passen  die  Zahlen, 
wie  es  folgende  Zusammenstellung  zeigt  auf  die  Formel  C'^H^Ba^^ 


ber. 


gef. 


4 


4* 


H* 

Ba2 

0» 


4,5 
50,9 
29,7 


4,8 


50,4 


T8;3 
^,7 


2. 


3. 


50,2 


50,7 


4. 


50,9 


Die  Formel  C^H*BaH)*  unterscheidet  sich  nun,  wie  aus  folgender 
Gleichung  hervorgeht,  von  der  Formel  des  Baryumsalzes  der  Gilnmen- 


498  A.  Genther, 

säure  (G^H^Ba^O'^}  nur  durch  einen  geringen  Wassergehalt,  denn 

3  C4H4Ba20*  =  2  C^H^BaSO^  +  OH«. 

Es  führte  dies  sowohl,  als  auch  der  Umstand,  dass  citronensaures 
Baryum  sein  Krystallwasser  erst  etwa  bei  200°  vollständig  verliert,  zur 
Yermuthung,  dass  das  analysirte  Salz  weiter  nichts  als  unreines  ci- 
tronensaures Baryum  sei,  welches  noch  eine  gewisse  Wassermenge  ent- 
hielt. Um  dies  nachzuweisen  wurde  das  erhaltene  Baryumsalz  durch 
mehrmaliges  Umkrystallisiren  gereinigt  und  hierauf  analysirt. 

0,2734  gr.  lufttrocknes  Salz  wog  nach  dem  Trocknen  bei  34  0^ 
0,2496  gr.  und  ergab  0,2206  gr.  SO^Ba«  entspr.  0,1297  gr.  =  52,0^ 
Ba.  (Ftlr  citronensaures  Baryum  =  C^H^Ba^O'  berechnen  sich  52,4^ 
Ba.)     Der  Wasserverlust  betragt  0,0238  gr.  =  8,7^. 

Eine  zweite  Portion  des  umkrystallisirten  Baryumsalzes  ergab  bei 
der  Analyse  folgende  Zahlen : 

0,5247  gr.  lufttrocknes  Salz  wog  nach  dem  Trocknen  Ober  Schwe- 
felsäure 0,5458  gr.  und  nach  dem  Trocknen  bei  210^0,4777  gr.  Es 
verlor  mithin  das  lufttrockne  Salz  9,0^  und  das  über  Schwefelsäure 
getrocknete  7,6^  Wasser.  Die  Baryumbestimmung  ergab  0,4229  gr. 
SO^Ba«,  entspr.  0,2487  gr.  =52,1^  Ba. 

Zur  Elementaranalyse  wurden  verwendet  0,2710  gr.  lufttrocknes 
Salz.  Nach  dem  Trocknen  bei  210®  blieben  0,2491  gr.  (Wasserverlust 
8,8^).  Diese  gaben  0,0342  gr.  OH^,  entspr.  0,0038  gr.  =  1,5^  H 
uiid  0,1227  gr.  CO^  entspr.  0,0335  gr.  =  13,44^  C.  Dazu  kommen 
4,56^  C  welche  von  den  52,1^  Baryum  zurückgehalten  werden.  Es 
beträgt  mithin  die  Gesammtmenge  des  Kohlenstoffs  18,0)|^. 

Die  gefundenen  analytischen  Resultate  stimmen,  wie  folgende  Zu- 
sammenstellung zeigt,  ziemlich  genau  mit  den  für  citronensaures  Baryum 
berechneten  Zahlen  überein 

ber.  gef. 

C«  18,2  18,0 

H»  1,3  1,5 

Ba»  52,1  52,1 

0^  28,4  — 

Was  den  Krystallwassergehalt  des  analysirten  Baryumsalzes  an- 
langt, so  entspricht  derselbe  einem  Gemenge  der  beiden  von  H.  KXMMBRBft  ^] 
beschriebenen  Salze  2G«H*Ba3074-50H2  (enthält  10,2)1^  Krystallwasser) 
und  4C«H'iBa30'-H70H2  (enth.  7,4^  Krystallwasser). 

Um  die  vollständige  Identität  dieser  syrupförmigen  Säure  mit  der 
gewöhnlichen  Citronensäure  nachzuweisen ,   blieb  nur  noch  übrig  zu 


1)  Ann.  Gh.  Phm.  448,  p.  296. 


Untersuebong  Ober  sanerstoiTrelcbe  Koblenstoffsioren.  499 

zeigen,  dass  dieselbe  mit  Salzsäure  erhitzt  ebenfalls  in  AeonitsSure  über- 
geht. Es  wurde  daher  solche  aus  dem  Baryumsalz  durch  Salzsäure  ab- 
geschiedene, mit  Aether  ausgezogene,  und  von  letzterem  wiederum 
durch  längeres  Erhitzen  auf  dem  Wasserbade  vollständig  befreite  Säure 
in  Röhren  mit  Salzsäure  eingeschlossen  und  auf  140°  erhitzt.  Schon 
nach  einer  etwa  Y2S^^"<1>S^'^  Einwirkung  musste  dieselbe,  da  die  eine 
Röhre  explodirte,  unterbrochen  werden.  Die  kaffeebraune  Lösung  in 
den  noch  übrigen  Röhren  blieb  beim  Erkalten  klar.  Wohl  aber  Hess 
sich  auf  derselben  eine  etwa  2""  hohe ,  leicht  bewegliche  Flüssigkeits- 
schicht erkennen.  Nach  dem  Oeffhen,  wobei  sich  nur  schwacher  Druck 
zeigte,  entwich  ein  mit  grün  gesäumter  Flamme  brennendes  Gas,  und 
im  selben  Masse  nahm  die  leichte  Flüssigkeitsschicht  ab.  Beim  Abküh- 
len der  Röhre  in  kaltem  Wasser  hörte  die  Gasentwickelung  auf,  und  es 
war  keine  Abnahme  der  leichten  Flüssigkeit  mehr  zu  bemerken.  Die 
Gasentwickelung  rührte  also  von  dieser  schon  bei  niederer  Temperatur 
siedenden  Flüssigkeit  her,  die  wir  ihrem  Verhallen  nach  als  Ghloräthyl 
erkennen  können.  Da  nun  ein  gleiches  Auftreten  von  Chloräthyl  beim 
Erhitzen  von  solcher  syrupförmiger  Citronensäurc,  die  nur  durch  Salz- 
säure von  der  gebildeten  Aconitsäure  getrennt,  also  nicht  mit  Aether 
behandelt  war,  nicht  wahrgenommen  werden  konnte,  so  ist  anzunehmen, 
dass  in  Folge  eines  geringen  Alkoholgehaltes  des  zum  Ausziehen  der 
Säure  benutzten  Aethers,  sich  etwas  Aethercitronensäure  gebildet  hat, 
welche  sich  beim  Erhitzen  mit  Salzsäure  in  Citronensäure  und  Chlor- 
äthyl verwandelte.  Aus  dem  Umstände,  dass  sich  unter  den  angegebenen 
Bedingungen  Aethercitronensäure  bilden  kann ,  ist  wohl  auch  zu  erklä- 
ren, dass  diese  syrupförmige  Säure,  wie  oben  angegeben,  für  eine  neue 
Säure  der  Zusammensetzung  C^^Ü^^O^  gehalten  wurde,  denn  in  derThat 
war  zur  Analyse  solche  aus  ätherischer  Lösung  erhaltene  Säure  ver- 
wendet worden.  Der  Röhreninhalt  wurde  nun  durch  Erhitzen  im  Was- 
serbade von  dem  gebildeten  Chloräthyl  befreit,  und  hierauf  abermals 
auf  140°  erhitzt.  Es  bildete  sich  wieder  eine  kleine  Menge  von  Chlor- 
äthyl; beim  Erkalten  schied  sich  aber  ein  fester  Körperbaus,  der  leicht 
als  Aconitsäure  erkannt  werden  konnte. 

Wenn  auch  die  angeführten  Thatsachen  kaum  einen  Zweifel  übrig 
lassen,  dass  wir  es  wirklich  mit  weiter  nichts  als  mit  Citronen- 
säure zu  thun  haben,  so  ist  doch  immer  merkwürdig,  dass  diese  syrup- 
förmige Säure  nicht  krystallinisch  erhalten  werden  konnte.  Nur  bei  der 
mit  Aether  behandelten  Säure   '  '  '  durch  einen  geringen 

Aethercitronensäuregehalt  erklr  ^ere,  mit  Salzsäure 

erhitzte,  aber  nicht  mit  Aether  iure  war,  nament- 

lich wenn  der  Röhreninhalt  e  )mmen  hatte,  nicht 


üntersnebnng  Aber  saoerstoffreiche  Rohlenstoffsluren. 


501 


und  namentKch  zur  Trennung  von  anhaftender  Salzsäure,  wird  diese 
erhaltene  Diconsäure  aus  Wasser  umkry^tallisirt.  Die  Säure  hat,  wie 
Herr  Prof.  Gbuthbe  schon  früher  mittheilte  ^) ,  die  Zusammensetzung 
C»H^^O^.  Diese  Angabe  sttltzt  sich  auf  die  Analysen  von  H.  RiBMAiirc  wel- 
che hier  folgen  mögen : 

4.  0,8339  gr.  bei  410"^  gelr.  Säure  gab  0,4328  gr.  CO^  entspr. 
0,4180gr.  =50,4^  C und 0,1049  gr.OH2entepr.0,0465gr.==4,9^H. 

2,  0,4737  gr.  bei  440°  bis  442°  geU-.  Säure  gab  0,3494  gr.  CO» 
entspr.  0,0874  gr.  =  50,2)^  C  und  0,0764  gr.  OH^  entspr  0,0085  gr. 
=  4,9  %  H. 

3.  0,2036  gr.  'trockne  Säure  gab  0,3772  gr.  CO^,  entspr.  0,4029 
gr.  ==  50,5^  C  und  0,094  4  gr.  OH»  entspr.  0,04  04  gr.  =  4,9  <|^  H. 


ber. 

gef. 

1.       1       2.    J 

3. 

HIO 
0« 

50,5 

4,7 

44,8 

ÜU,4 
4,9 

Ö0,SI 
4,9 

60,5 
4,9 

Die  Bildungsgleichung  dieser  neuen  Säure  aus  Gitronensäure  ist 
Citrs.  Dicoiis. 

2  C«H^7  =  C^HioO»  +  2  CO»  -h  CO  +  3  OH». 
Da  die  Diconsäure  nicht  direct  aus  Citronensäuro  entsteht,  sondern 
diese  erst  durch  Wasserverlust  in  Aconitsäure  übergeführt  wird,  aus 
welcher  letzteren  dann  durch  weitere  Zersetzung  unsere  Säure  hervor- 
geht, ist  es  passender  die  obige  Bildungsgleichung  in  folgende  zwei  zu 
zerlegen : 

C6H807  =  C«H«0«  +  OH» 
2  C«H«0«  =  C»Hioo6  +  2  CO»  +  CO  +  OH». 

Dass  diekrystallisirte  Säure  auch  direct  durchErhitzen  von  Aconit* 
säure  mit  Salzsäure  auf  200°  erhalten  werden  kann,  wurde  durch  be- 
sondere Versuche  nachgewiesen.  Die  Thatsache,  dass  sich  unsere  kry- 
stallisirte  Säure  aus  zwei  Mischungsgewichten  Aconitsäure  bildet,  ist 
die  Veranlassung  gewesen,  sie  mit  dem  Namen  Diconsäure  zu  be- 
legen. 

Um  die  in  der  salzsaut*en  Lösung  befindliche  syrupfärmige  Säure 
näher  zu  untersuchen,  ist  es  rathsam,  die  Lösung  wieder  auf  dem  Was- 
serbade zur  Vertreibung  der  Salzsäure  zu  verdampfen.  Dabei  scheiden 
sich  wieder  Krystalle  der  Diconsäure  aus.  Um  nun  die  Trennung  mög- 
lichst rasch  zu  bewerkstelligen,  ist  es  am  besten,  da  das  Baryumsalz 
der  Diconsäure  leicht,  während  das  der  syr»'" '^  ^ure  schwer 


4)  Diese  Zeitschrift  IV,  p.  S89. 


üiitersuehnng  Ton  sanerstofTr^ichentKohlenstoflsiloren.  503 

Neuem  in  Röhren  eingeschlossen  und  auf  140°  erhitzt,  wieder  Aconit- 
säure  gab.  Letztere  konnte  jedoch  nur  in  kleinen  Mengen,  und  nur 
dann  wahrgenommen  werden ,  wenn  verhUltnissm<Hssig  viel  Stiure  an- 
gewandt worden  war.  Wird  allmälig  höher  bis  auf  200°  erhitzt,  so 
bilden  sich  unter  ziemlich  betrachtlicb<T  Gasentwickelung  neue  Mengen 
von  Diconsifure.  Die  Zersetzung  der  Aconitsäure  war  also  beim  Er- 
hitzen auf  300°,  trotzdem  die  Gasentwickelung  aufhörte,  keine  vollstän- 
dige. Es  liisst  sich  dies  nur  dadurch  erklären,  dass  die  bei  der  Zer- 
setzung auftretenden  Wassermengen  (und  es  sind  dies,  da  die  käufl.  Gi- 
tronensäure  noch  i  Mgt.  Kryslallwasser  enthielt,  21,i)|^  der  angewandten 
Substanz)  die  Salzsäure  verdünnen  und  dadurch  unfähig  machen,  noch 
zersetzend  einzuwirken.  Denn  durch  fortgesetztes  Erhitzen  mit  neuen 
Mengen  conc.  Salzsäure  kann  alle  syrupförmige  Säure  in  Diconsäure 
übergeftlhrt  werden. 

Die  schwere  Krystallisationsfähigkeit  dieser  syrupförmigen  Säure 
muss  ebenso  wie  früher  durch  kleine  Mengen  beigemischter  harzartiger 
Zcrsetzungsproducte  erklärt  werden;  die' letzteren  sind  es  zugleich, 
welche  der  Säure  ihre  braune  Farbe  ertbeilen. 

Das  Gas ,  welches  bei  der  Zersetzung  auftrat,  erwies  sich  als  aus 
einem  Gemisch  von  Kohlensäure  und  Kohlenoxyd  bestehend.  Dieerstere 
wurde  leicht  daran  erkannt ,  dass  sie  Kalkwasser  trübte.  Zur  Nach- 
weisung des  Kohlenoxyds  wurde  aus  dem  über  Wasser  aufgefangenen 
Gasgemenge  die  Kohlensäure  durch  Schütteln  mit  Natronlauge  wegge* 
nommen  und  das  zurückbleibende  Gas  untersucht.  Es  brennt  mit 
schwach  leuchtender  blauer  Flamme ,  und  explodirt  mit  Luft  gemengt 
nicht,  oder  nur  schwach  (Unterschied  vom  WasserstofTj .  Ferner  gab 
es,  mit  Kupferchlorür  unter  Absorption  eine  weisse  Krystallhaut. 

Die  ungefähre  quantitative  Bestimmung  des  Verhältnisses  in  wel- 
chem Kohlensäure  und  Kohlenoxyd  bei  der  Zersetzung  auftreten,  wurde 
in  der  Art  ausgeführt,  dass  die  fein  ausgezogene  Spitze  der  Röhre  mit- 
telst eines  Kautschukschlauches  mit  einer  Gasleitungsröbre  verbunden 
wurde.  OeflBet  man  die  Röhre  durch  vorsichtiges  Abbrechen  der  Spitze 
so  kann  das  Gas  in  graduirten  Cylindern  über  Wasser  gesammelt 
werden.  Man  erfahrt  so  zunächst  die  Menge  des  Gemisches  von  Koh- 
lensäure und  Kohlenoxyd  und  nach  dem  Schütteln  mit  Natronlauge 
die  Menge  des  Kohlenoxyds.  Eine  4  gr.  käufliche  Citronensäure  haltende 
Röhre  wurde  zu  diesem  Zwecke  stufenweise  von  460°  bis  auf  495°  er- 
hitzt, und  das  ^  ^gcbener  Weise  gesammelt.  Es  wurden  fol- 
gende Zahlen 

B4.  vu.  4.  IS 


504 


A.  Geutber, 


4 .  Erhitzen  auf  1 60° :    70««»  CO*  +  CO 

165°:  84««°»C02  +  CO 
170°:  34««"C02  4.CO 
4  75°;  50««">CO2  +  CO 
1 80° :  1 84««"  C02  +  CO 
485°:  U4««*C02  +  CO 
190°:  102««™CO2  +  CO 
195°:    34««»C02  +  CO 


2. 

>> 

3. 

97 

4. 

jy 

5. 

n 

6. 

j» 

7. 

jj 

8. 

7> 

32««»  CO. 

34««"»  CO. 
1  accm  CO. 

1 8««»  CO. 
58««»  CO. 
48««»  CO. 
46««»  CO. 
1 3««»  CO. 


Summa :     702««»  CO^  +  CO ;  261««»  CO. 

Nun  enthielt  die  Röhre  noch  ungefähr  24««»  atmosphärische  Luft, 
welche  beim  Kohlenoxyd  zurück  blieben.  Es  waren  also  nach  Abzug 
dieser  24««»  erhalten  worden  678««»  Gas,  und  dieses  enthielt 

444««»  C02  entsprechend  0,874  gr. 

237««»  CO  „         ,,       0,297  gr. 


n 


)» 


678««»C02+CO     „         „       4.468  gr. 

Die  Entstehungsgleichung  verlangt,  dass  sich  auf  2  Mgte  CO^  1  Mgt 
CO  bildet,  beide  müssen  also  im  Gewich tsverhältniss  88  :  28  d.  i.  nahe- 
zu =  3  :  1  stehen  und  dem  entspricht  ein  Volumverhültniss  der  GO^ 
zu  CO  von  2:4.  Diesen  der  Formel  nach  berechneten  Zahlen  ent- 
sprechen die  gefundenen  Mengen  nahezu.  Nur  die  erst  erhaltenen  Gas- 
mengen scheiden  einen  zu  grossen  Kohlenoxydgehait  zu  ergeben;  dies 
rührt  jedoch  daher,  dass  die  beiden  ersten  Portionen  die  Hauptmenge 
der  im  Rohr  enthaltenen  atmosphärischen  Luft,  welche  nach  dem  Wa- 
schen mit  Natronlauge  natürlich  beim  CO  zurückbleiben  musste,  ent- 
hielt. Auch  nach  dem  siebenten  Mal  Erhitzen  wurde  die  Kohlenoxyd- 
menge  etwas  zu  gross  gefunden.  Hier  hatte  dies  seinen  Grund  darin, 
dass  das  Gasgemenge  erst  längere  Zeit  über  Wasser  gestanden  hatte, 
ehe  die  Ablesung  vorgenommen  wurde,  und  da5S  in  Folge  dessen  ein 
Theii  der  CO^  bereits  vom  Wasser  absorbirt  worden  war.  Also  auch 
diese  Gasbestimmungen  sprechen  dafür,  dass  ausser  der  Diconsäure  keine 
andere  Säure  entstanden  ist. 


HI.  Die  Diconsäure  und  ihre  Salze. 

Diconsäure  =  C^H^^oc  Sie  ist  in  Wasser,  Alkohol  und  Aether 
leicht  löslich  und  scheidet  sich  aus  diesen  Lösungen  in  farblosen  kleinen, 
ziemlich  gut  ausgebildeten,  wahrscheinlich  dem  monoklinen  System  an- 
gehörigen  Rrystallen  aus.  Sie  schmilzt  unter  schwacher  Bräunung  bei 
499''  bis  200^,  f^ngt  aber  schon  früher,  etwa  bei  190''  an  ein  Sublimat 
an  den  kälteren  Theilen  des  zur  Schmelzpunctbestimmung  angewandten 


CntersDchong  ?oo  sanentoffreicben  KohleostoflsUnren.  505 

Böhrcheiifl  tn  Pomn  farbloser,  langer,  säulenftfrmi^or,  in  Wasser  schwer 
löslicher Krystallo  abzusetzen.  Die  Menge  derselben  war  aber,  troUdem 
der  Versuch  mit  etwa  0,6  Grni.  wiederholt  und  die  Temperatur  allmälig 
bis  $60 ^  gesteigert  wurde,  doch  zu  gering,  um  sie  n^her  untersuchen 
zu  können.  —  Die  Diconsiture  reagirt  stark  sauer  und  treibt  die  Kohlen- 
sKure  leicht  aus  ihren  Verbmdungen  aus. 

6a  Ize. 

Die  freie  Säure  erzeugt  blös  mit  öiner  Lösung  von  ZinnchlorUr  einen 
weissen  gelatinösen  Niederschlag,  ihre  löslichen  Salze  werden  gefdllt 
durch  Eisenchlorid,  basisches  Bleiacelat  und  Zinnchlorür. 

Diconsaures  Kalium  =  C^H^K^^  Wird  erhalten,  wenn  man 
neutrales  diconsaures  Baryum  mit  der  zur  vollständigen  Umsetzung 
nöthigen  Menge  schwefelsaurem  Kaliutn  versetzt.  Ist  in  Wasser  ein  äus- 
serst leicht  lösliches,  an  feuchter  Luft  zerfliessliches  Salz,  das  nur  lang- 
sam tlber  8chwef(*Isäure  zur  Trockne  verdunstet.  Beim  Erhitzen  auf 
470°  zersetzt  es  sich,  indem  es  sich  aufbläht. 

Analyse:  0,1477  gr.  über  Schwefelsäure  getrocknetes  Salz  wog 
nach  dem  Trocknen  bei  150°  0,4307  gr.  und  hinterliess  nach  dem  Gltlhen 
im  Platihtiegel  0,i025  gr.  CO^K^  entsprechend  0,1380  gr.  =  32,3^ 
K^O.  Der  Wasserverlust  beträgt  0,0170  gr.  =  3,8^.  Die  Formel 
verlangt  32,5^  KK).    1  Mgt.  KrysUillwasser  beträgt  5,8  %. 

Diconsaures  Ammonium  =  C*H*»(NH^)20*.  Die  Lösung  der 
Säure  mit  überschüssigem  Ammoniak  versetzt,  scheidet  beim  Verdunsten 
über  Schwefelsäure  eine  hornartige,  eigenthümlich  wachsglänzende, 
spröde  Masse  von  krystallinischem  Geftlge  ab,  welche  sich  in  Wasser 
äusserst  leicht  löst,  an  feuchter  Luft  zerfliesst,  etwa  bei  95°  schmilzt, 
und  höher  erhitzt  Ammoniak  abgiebt. 

Analyse:  0,4909  gr.  über  Schwefelsäure  getrocknete  Substanz 
wog,  nachdem  sie  kurze  Zeit  auf  95°  erhitzt  war,  0,4645  gr.  und  gab 
beim  Destilliren  mit  Natronlauge  0,'20<0  gr.  NH^GI,  entspr.  0,0642  gr. 
=  13,8)1^  NH».  Der  Wasserverlust  beträgt  0,0264  gr.  =  6,4^.  — 
Die  Formel  verlangt  13,7^  NH*.  1  Mgt.  Krystallwasser  entspricht  6,8^. 

Diconsaures  Baryum.  Das  neutrale  Salz  =  2  C^H^Ba^» 
+  3  Olt^  wird  erhalten  durch  Lösen  von  Baryumcarbonal  in  der  freien 
Säure  oder  besser  durch  Neutralisiren  der  Säure  mit  Barytwasser.  Es 
ist  ein  iti  heissem  schwerer  als  in  kaltem  Wasser  lösliches  Salz ,  das 
sich  in  halten  Krystallkrusten  beim  Verdunsten  der  Lösung  über  Schwe- 
felsäure an  den  Wandunge'  *~n  des  Krystallisationsgeßisses 
absetzt.  Die  Krystalle  ve  \  nicht,  wohl  aber  verlieren 

•8* 


506  A.  Geother, 

sie  einen  geringen  Theil  ihres  Krystallwassers  beim  Trocknen  Über 
Schwefelsäure.  YolIsUlndig  geht  das  Krystallwasser  erst  bei  200^  ^^eg. 
Beim  Erhitzen  auf  240^  zersetzt  sich  das  Salz  unter  Bräunung. 

Analyse:  0,6429  gr.  luftrocknes  Salz  wog  nach  dem  Trocknen 
bei  200°  0,5984  gr.  und  gab  0,3977  gr.  SO^Ba^,  entspr.  0,2614  gr.  = 
43,65^  Ba^O  (auf  trocknes  Salz  ber.).  Der  Wasserverlust  beträgt  0,0445 
gr.  =  6,9^.  —  Die  Formel  verlangt  43,8^  Ba^O  und  7,2^  OH^. 

Das  saure  Salz  =  C^H^BaO^  bildet  sich,  wenn  gleiche  Mischge- 
wichte neutrales  Salz  und  freie  Säure  zur  Trockne  verdunstet  werden. 
Es  ist  eine  amorphe,  glasartige,  in  Wasser  äusserst  leicht  lösliche  Masse. 

Analyse:  0,6462  gr.  bei  100°  getr.  Salz  ergaben  0,2640  gr. 
S0*Ba2,  entspr.  0,1734  gr.  =  26,8^  Ba^O.  —  Die  Formel  verlangt 
27,2)^Ba20. 

Diconsaures  Slrontium  =C«H8Sr20«+  50H2.  Verdunstet 
man  die  Lösung  von  reinem  Slrontium-Carbonat  in  der  freien  Säure 
über  Schwefelsäure,  so  scheidet  sich  das  Salz  als  eine  kleinkrystalliniscbe 
an  den  Wandungen  des  Krystallisationsgefässes  schaumartig  empor- 
kriechende, in  kaltem  Wasser  leichter  als  in  heissem  lösliche  Masse  aus. 

Analyse:  0,4068  gr.  lufttrocknes  Salz  hinterliess  nach  dem  Trock- 
nen bei  200*^  0,3110  gr.  und  gab  0,1888  gr.  S04Sr2  entspr.  0,1065  gr. 
=  34,2^  Sr20.  (G^H^Sr^Oe  verlangt  31,6^Sr20).  Der  Wasservcr- 
lust  beträgt  0,0958  gr.  =  23,5^.  —  Die  Formel  verlangt  23,2^. 

Diconsaures  Calcium  =CöH«Ca206  +  OH2.  Auf  gleiche  Weise 
zu  erhalten  wie  das  vorige  Salz.  Es  ist  ebenfalls  eine  kleinkrystallinische 
in  kaltem  Wasser  leichter  als  in  heissem  lösliche  Masse. 

Analyse:  0,2360  gr.  lufttr.  Salz  wog  nach  dem  Trocknen  bei 
170°  0,2214  gr.  und  ergab  0,0486  gr.  =  22,0^  Ca^O.  Der  Wasser- 
verlust beträgt  0,0146  gr.  =  6,2^.  —  Die  Formel  verlangt  22,2^ 
Ca^O  und  6,1^  OH^. 

Diconsaures  Magnesium  =  C^H^Mg^O^  +  60H2.    In  Wasser 
leicht  lösliche,  kleinkrystallinische  Masse,  die  auf  gleiche  Weise  wie  die 
vorige  Verbindung  zu  erhalten  ist.     Setzt  sich  in  harten  Krusten  am   ' 
Krystallisationsgefäss  an. 

Analyse:  0,5357  gr.  lufttrocknes  Salz  wog  nach  dem  Trocknen 
bei  160°  0,3680  gr.  und  gab  0,1706  gr.  P^O'Mg*  entspr.  0,0615  gr.  = 
16,7)^  Mg20.  (C«H^Mg206  verlangt  16,9^  Mg20).  Der  Wasserver^ 
lust  beträgt  0,1677  gr.  =  31,3^.     Die  Formel  verlangt  31,4)1^.  — 

Diconsaures  Eisenoxyd.  Versetzt  man  ein  lösliches  Salz  der 
Diconsäure  mitFerrichlorid,  so  entsteht  ein  im  Ueberschuss  desFäUungs- 
roittels  löslicher,  orangerother,  nach  dem  Trocknen  mehr  ockerfarbiger 
Niederschlag.    Es  wurde^  da  die  Analyse  nicht  zu  einfachen  Resultaten 


UntPrsncYiuiif^  von  sanerstnlTreifheii  KoblenstofirsAiiren.  507 

führte,  der  Niederschlag  von  zwei  verschiedenen  Füllungen  untersucht, 
bei  deren  erster  eine  Lösung  von  gewöhnlichem,  käuflichen  Eisenchlorid 
im  geringen  Uebersehuss,  und  bei  deren  zweiter  eine  Lösung  von  reinem, 
durch  Sublimation  von  FeCl^  im  Chlorstrom  erhaltenen  Eisenchlorid  in 
zur  voltsU^ndigen  FHllung  nicht  ganz  zureichender  Menge  angewandt 
wurde. 

i .  Analyse  des  auf  die  erste  Weise  erhaltenen  Niederschlages : 

0,3542  gr.  über  Schwefelsäure  getrocknete  Substanz  verlor  nach 
dem  Trocknen  bei  150^0,0342  gr.  =  9,7^  Wasser,  und  gab  0,0843 
gr.  ==:26,3X  Fe20=^  (auf  trocknes  Salz  berechnet). 

2.  Analyse  des  auf  die  zweiie  Weise  erhaltenen  Niederschlages: 

0,3493  gr.  lufttrocknes  Salz  verlor  bei  150°  0,0870  gr.  =  25,0^ 
Wasser,  und  gab  0,0678  gr.  =  25,8)^  Fe^O'  (auf  trocknes  Salz  ber.), 

Ueber  150"  erhitzt  zersetzt  sich  das  Salz. 

Ware  das  entstandene  Salz  den  vorigen  analog  zusammengesetzt, 
so  mtlsste  ihm  die  Formel  (C^H^O^j^Fe^  zukommen.  Diese  aber  enthält^ 
21,4^  Fe^O^  Wir  haben  hier  eine  eisenreichere  Verbindung  wahr- 
scheinlich von  der  Formel:  C«H»  [Fe(OH)2jo«.  Diese  verlangt  26,4^ 
Fe^O^ 

Diconsaures  Manganoxydul  =  C^H^MnO«  +  ^OH^.      Wird 

in  ziemlich  gut  ausgebildeten,  farblosen,  luftbeständigen,  tafelförmigen, 

wahrscheinlich  dem  monoklinen  System  angehörigenKrystallen  erhalten, 

wenn  man  die  Lösung  von  reinem  Mangano-Carbonat  in  der  freien  Säure 

I  über  Schwefelsäure  verdunstet. 

Analyse:  0,4305  gr.  lufttrocknes  Salz  verlor  beim  Erhitzen  auf 
I  160°  0,1070  gr.  =  24, 9X  Wasser  (die  Formel  verlangt  25,2^),  und 

ergab  0,0904  gr.  Mn^O^  entspr.  0,0841  gr.  =  26,3j|^  MnO.  (Die  For- 
mel C^H^MnO«  verlangt  26,6^ .) 

Diconsaures  Cobaltoxydul  =  C»HH]oO«  +  60H2.  Cobalto- 
Carbonat  löst  sich  in  der  Diconsäure  mit  schön  rother  Farbe  auf.     Beim 
1  Verdunsten  der  Lösung   scheiden  sich  kleine  tafelförmige,    monokline 

Krystalle  aus.  Die  krystallwasserhaltigen  sind  rosenroth,  die  wasser- 
freien blau. 

Analyse:  0,4107  gr.  lufttrocknes  Salz  wog  nach  dem  Trocknen 
hei  200°  0,2924  gr.  und  gab  0,0869  gr.  Co^O*,  entspr.  0,0811  gr.  = 
27,8)^  CoO.  (Die  Formel  C«H^CoO«  'verfangt  27,7^  CoO.)  Das 
geglühte  Co^O^  wurde  zur  Controle  noch  in  SO^Go  tlbergefUhri.  Die 
Analyse  gab  dasselbe  Resultat,  -r  Der  Wasserverlust  beträgt  0,1183  gr. 
=  28.  el  verlangt  28,5^. 

keloxydul  =  C»H8NiO»  +  öOH^.     Ist  auf 
gleic  ',6  Salz  zu  erhalten.     Es  scheidet  sich  beim 


508    *  A.  Geuther, 

VerduDstcn  der  Lösung  in  kleinkrystallinischen,  schwach  meergrünen 
Krusten  ab. 

Analyse:  0,3376  gr.  lufttrocknfe  Salz  wog  nach  dem  Trocknen 
bei  200°  0,2416  gr.  und  ergab  0,0664  gr.  =  27,4^  NiO.  (Die  Formol 
C«H8Ni06  verlangt  27,7^  NiO.)  Der  Wasserverlust  betrügt  0,0960  gr. 
=  28,4>^.  —   (Die  Formel  verlangt  28,5^.) 

Diconsaures  Zink.  Das  neutrale  Salz  =  C»H8Zn0«  +  6OH^ 
scheidet  sich  beim  langsamen  Verdunsten  einer  Lösung  von  Zinkcarbo- 
nat  in  Diconsäure  in  monoklioen  Tafeln  aus. 

Analyse:  0,5141  gr.  an  der  Luft  auf  Fiiesspapier  getrocknetes 
Salz  wog  nach  dem  Trocknen  bei  150"  0,3714  gr.  und  ergab  0,1081  gr. 
=  29,1^  ZnO.  (Die  Formel  C^H^ZnO«  verlangt  29,3^  ZnO.)  Der 
Wasserverlust  betrügt  0,1427  gjr.  =  27,6)|^.  (Die  Formel  verlangt 
28,0)^  Oil2.) 

Das  saure  Salz  =  (CWO^j^Zn  +  70H2  wird  auf  gleiche  Weise 
wie  das  saure  Baryumsalz  erhalten.  Es  ist  krystallinisch,  und  zwar 
zeigen  die  Krystalle  deutlicher  den  Typus  des  uionoklinen  Systems. 

Analyse:  0,2373  gr.  lufttrocknes  Salz  verloren  bei  150°  0,0480  gr. 
=  20,2^  Wasser,  und  ergaben  0,0315  gr.  =  16,6^  ZnO.  —  Die  For- 
mel verlangt  20,4  j|^  OH^  und  16,5^  ZnO. 

Diconsaures  Blei.  Neutrales  Baryumsalz  mit  essigsaurem  Blei 
vermischt,  setzt  an  den  Wandungen  kleine ,  wahrscheinlich  dem  totra- 
gonalen  System  angehörige  Krystalle  ab.  Es  isl  dies  wahrscheinlich  das 
neutrale  Salz  der  zweibasischen  Süure.  Mit  basisch  essigsaurem  Blei 
giebt  diconsaures  Baryum  einen  flockigen  Niederschlag;  wahrscheinlich 
ein  basisches  Salz  der  Diconsäure.  Zur  Analyse  beider  Salze  stand 
nicht  genug  Substanz  zu  Gebote. 

Diconsaures  Kupfer  =  C^lI^CuO®  -}-  3011^.  Durch  langsa- 
mes Verdunsten  eines  Gemisches  der  nicht  zu  verdünnten  Lösungen  von 
diconsaurem  Baryum  und  essigsaurem  Kupfer  scheiden  sich  harte ,  in 
W^asser  unlösliche  blaugrüne  Krystalle,  wahrscheinlich  monokline  Säu- 
len, aus. 

Analyse:  0,1434  gr.  lufttrockenes  Salz  wog  nach  dem  Trocknen 
bei  160°  0,1196  gr.  und  ergab  0,0;J35  gr  =  ^8,9^  GuO.  (Für  tmck- 
nes  Salz  berechnet  sich  28,8^  GuO.)  Der  Wasserverlust  beträgt  0,0238 
gr  ==  16,6^.    (Die  Formel  verlangt  16,4^.) 

Basisch  diconsaures  Zinnoxydul  =  G^H'(SnOHj  SnO« + 
4  OU^.  Bildet  sich  als  ein  voluminöser  Niederschlag  beim  Fällen  von 
diconsaurem  Baryum  mit  möglichst  säurefreiem  Zinnchlorür.  Der  Nie- 
derschlag ist  sowohl  in  Säuren  als  auch  im  Ueberschuss  des  Fäliungs- 
mittele  löslich. 


Cutersachaiig  von  sauerstoffreicbcn  KohleiistofTsliuren.  509 

Die  Analyse  wurde  in  der  Art  bewerkstelligt,  dass  das  getrocknete 
Salz  in  Salzsäure  gelöst,  und  das  Zinn  mittelst  SU^  ausgeschieden  wurde. 
Das  erhaltene  SnS  wurde  gesammelt,  getrodinet,  und  nach  dem  Rösten 
im  PorzelJantiegel  als  SnO^  gewogen.  Es  wurden  zur  Analyse  ange- 
wandt 0,2823  gr.  des  über  Schwefelsäure  getrockneten  Niederschlages. 
Nach  dem  Trocknen  bei  200^  wog  /derselbe  0,2438  gr.  Der  Wasserver- 
lust beträgt  mithin  0,0385  gr.  :^  43,6)1^.  (Die  Formel  verlangt  M,ißi 
OH^.)  Durch  Rösten  des  Schwefelwasserstoffhiederschlages  wurden  er- 
halten 0,1580  gr.  Sn02,  entsprechend  0,U13  gr.  ==  58,0 «fe  SnO,  (Die 
Formel  C^H^SnaO?  verlangt  57,8^  SnO.) 

Diconsäure-Aethyläther  =  G»H8(C2H*)^«.  Wird  erhalten, 
wenn  man  die  Säurekrystalle  mit  absolutem  Alkohol,  der  mit  Salzsäure 
gesättigt  ist,  Uhergiesst,  und  mehrere  Tage  in  gelinder  Wärme  digerirt. 
Nach  mehrmaligem  Schütteln  löst  sich  die  Säure.  Aus  der  nunmehr 
homogenen  Flüssigkeit  wird  der  Aether  inittelst  Wasser  als  ein  schweres 
zu  Boden  sinkendes  Oel  abgeschieden.  Durch  öfteres  Waschen  mit 
CO^Na'^und  Wasser  wird  derselbe  von  noch  anhaftender  Salzsäure  und 
Alkohol  gereinigt.  Zur  weiteren  Darstellung  empfiehlt  es  sich,  nament- 
lich wenn  man  nur  über  geringe  Mengen  zu  verfügen  hat,  den  Dicon- 
säurc-Aethcr ,  nachdem  er  durch  Abheben  möglichst  von  den  fremden 
Flüssigkeiten  getrennt  ist,  mittelst  Aether  auszuziehen,  diese  Lösung 
mit  Ghloicalcium  zu  entwässern ,  und  hiei'auf  über  Schwefelsäure  den 
überschüssigen  Aether  wie(|er  zu  verdunsten.  Der  Diconsäure-Aether 
lässt  sich  weder  für  sich,  noch  mit  Wasserdämpfen  destilliren.  Im  letz- 
teren Falle  scheint  er  wieder  in  freie  Säure  und  Alkohol  zu  zerfallen. 

Analyse:  0,2U0  gr.  über  Schwefelsäure  getrocknete  Substanz 
gab  beim  Verbrennen  0,4553  gr.  CO*^  entspr.  0,1242  gr.  =  58,0)J^  C 
und  0,4338  gr.  OH^  entspr.  0,0U9  gr.  =  6,9^  H. 

ber.  gef. 

C«3  57,8  58,0 

H»«  6,7  6,9 

0«  35,5  — 


Constitution  der  Diconsäure. 

Die  Diconsäure  ist,  wie  aus  den  Analysen  ihrer  Salze  hervorgeht, 
für  gewöhnlich  zweibasisch,  d.h.  wir  müssen  in  ihr  j^wei  Carboxyl- 
giiippen  (CO. OH)  annehmen.  In)  Zinnoxydulsalz  ist  jedoch  auch  ein 
drittes  Atom  II  durch  eine  Metallgruppe  ersetzt,  wir  h^ben  also  lei^e 
dreiatomig-zweibasiscbe  Säure  von  der  Zusammensetzung: 

C»HioO»  =  Cm'O.  (OHJ .  (CO.OP)?. 


I 

I 


510  A.  Geuiher, 

Um  nun  auf  die  innere  Struclur  der  Gruppe  C'H^  schlic5sen  zu 

können,  müssen  wir  auf  die  Entslehung  der  Diconsüure  zurückgehen. 

Sie  biidel  sich  aus  zwei  Mischungsgevvicblen  Acouitsäure,  wir  haben 

sie  also  von  einer  Di- Aconitsäure  abzuleiten,  der  wir,  wenn  der  Aconit- 

säure  die  Formel 

-    ^  n:(Co.oH) 

C  H.(CO.OH) 

C6H60«  =  CO 

OH 

zukommt,   nach  Analogie   der  Di-Essigsäure,    folgende  Formel   geben 
können : 


C.  (co.oH)       v^ :  CH« 
:cH« 


C  .(CO.OH) 
Ch.(CO.OH) 


Ch.Coh""  Cq 

2  CßH^O«  =  Co        OH 

OH 

Daraus  kann  man  sich  zunächst  durch  Weggang  von  2  CO^  eine 
Di-Säure  entstanden  denken,  welche  den  aus  der  Aconitsäure  durch 
trockne  Destillation  entstehenden  drei  Säuren,  Ita-,  Citra-,  und  Mesa- 
consäure,  polymer  ist.  Es  kann  also  als  momentanes  Zwischenproduct 
der  Zersetzung  eine  Verbindung  von  der  Constitution 

•  H  C :  CH« 


C :  CH» 


^H.(CO.OH) 


G  ji .  CoH  —  Co 

2C*H«0*  =  C0         OH 

OH 

auftreten.     Aus  dieser  Säure  geht  nun,  indem  sich  noch  ein  Mgt.  CO 
und  0H2  trennt,  unsere  neue  Säure  hervor,  der  wir  die  Structurformel 


Ci?H«    ^C:'cH.oH  C:?H. 

V«  -  Cq  oder    Co 


CH2     ^Ch.(CO.OH)  Ch.(CO.OH) 

C9H10O«  =  Co  " 


C.H 
:cH» 

^h.(CO.oh; 
beilegen  können. 

Es  ist  übrigens  das  Auftreten  von  Itaconsäure  oder  einer  der  ihr 
metameren  Säuren  als  momentanes  Zwischenproduct  bei  der  Zersetzung 
gar  nicht  so  unwahrscheinlich.  Wenigstens  sprechen  dafür  die  Versuche 
von  Markownikopf  und  Purgold^),  welche  Chemiker  beim  Erhitzen  von 
Citronensäure  mit  Wasser,  oder  besser  mit  verdünnter  Schwefelsäure  auf 
160*^  unter  starker  Kohlensäureentwicklung  Krystalle  von  Itaconsäure 

1)  Zeitschrift  für  Chem.  4867,  p.  t64. 


Untersuchung  von  sanerstoffreichen  Kohleusloffs&uren.  511 

erhielten.  Es  Iftsst  sich  diese  Frage  am  leichtesten  dadurch  entscheiden, 
dass  nmn  diese  Säuren  auf  gleiche  Weise  wi^  Gitronensäure  mit  Salz- 
säure erhitzt.  Ich  stellte  in  dieser  Hinsicht  nur  einige  Vorversuche  mit 
Gitraconanhydrid  an,  welche  jedoch  nicht  zum  gewünschten  Resultat  zu 
führen  schienen.  Derselbe  geht  beim  Erhitzen  auf  120"  bis  130"  wie 
schon  bekannt  in  Mesaconsäure  über,  und  diese  zersetzt  sich  beim  Er- 
hitzen auf  150"  weiter,  indem  sich  zugleich  ziemlich  beträchtliche  Gas- 
entwickelung  bemerkbar  macht.  Das  Gas  besteht  jedoch  nicht  blos  aus 
GO,  wie  es  sein  müsste,  wenn  die  Reaction  in  gedachter  Weise  verliefe. 
Auch  zur  Aconsäure  steht  die  DiconsSure  in  einer  einfachen  Bezie- 
hung, welche  folgende  Formelgleichung  ausdrückt : 

Dicons.  Acons. 

G9H10O«  =  2  G^H^O*  —  G02  -f  2  H. 


Die  in  vorstehender  Abhandlung  beschriebenen  Versuche  wurden 
im  hiesigen  chemischen  Universitätslaboratoriuro  unter  Leitung  des  Herrn 
Prof.  Gbutrsr  ausgeführt.  Ich  fühle  mich  dem  Letzteren  für  die  freund- 
lichen Rathschliige,  welche  er  mir  bei  Ausführung  der  Versuche  zu  Theil 
werden  liess,  zum  wärmsten  Dank  verpflichtet. 

Jena  den  4.  März  1873. 


Yorläuflge  Mittheünngen  über  Cölenteraten« 

VOD 

G.  V.  Koch. 


Hiersu  Taf.  XZVI. 
Fortsetzung. 

Ili.  Zur  Anatomie  und  Entwicklung  von  Tubularia. 

Die  Anatomie  und  Entwicklungsgeschichte  von  Tahularia  larynx, 
welche  ich,  anknüpfend  an  das  darüber  schon  Bekannte,  in  folgenden 
Zeilen  gebe,  beschränkt  äich  auf  diejenigen  allgemeinen  Verhältnisse  des 
Baues,  die  mir  für  die  Vergleichung  derTubularien  mit  anderen  Hy- 
droiden  wichtig  erschienen.  Eine  eingehendere  Arbeit,  besonders  über 
Muskeln  und  Ectoderm,  über  die  physiologische  Bedeutung  des  Enlo- 
derms  in  verschiedenen  Körperabtheilungen  etc.,  haben  wir  in  nUcbster 
Zeit  von  Dr.  Klein£nbbrg  in  Neapel  zu  erwarten,  weshalb  ich  hinsicht- 
lich der  specielleren  Verhältnisse  auf  diesen  verweise.  — 

Die  Tubularien  unterscheiden  sich  in  ihrem  Bau  hauptsächlich  da- 
durch von  ihren  Verwandten,  dass  die  Wand  der  aboralen  Körperhälfte 
bedeutend  verdickt  erscheint.  Diese  Verdickung  wird  gebildet  durch 
einen,  weit  in  die  Magenhöhle  vorragenden  ringförmigen  Wulst  von 
grossen,  hellen  Zellen  mit  deutlichem,  meist  wandständigem  Kern.  Der 
Ringwulst  ist  nach  aussen  von  der  Muskel-  und  Ectodermschicht,  nach 
innen  von  dem  Entoderm  bedeckt  und  von  beiden  durch  eine  dünne,  in 
Karmin  sich  sehr  stark  färbende  Schicht  von  Zwischensubstanz  geschie- 
den. —  Eine  weitere  Auszeichnung  der  Tubularien,  die  sie  aber  mit 
einigen  anderen  Gattungen  (z.  B.  Coryne)  theilen,  bilden  die,  verschieden 
weit  nach  innen  vorspringenden,  oft  mit  ihrem  unteren  Ende  frei  in  die 
Majgenhöhle  hineinragenden  Längswülste,  welche  sich  in  der  schlan- 


Vortilufige  Nittheilungeii  über  Gdlenterateu.  513 

keren  Mundhälftc  des  Körpers  finden.  Dieselbon  besteben  aus  ganz 
ahnlichen  grossen,  hellen  Zellen,  wie  der  eben  beschriebene  Ringwulst 
und  sind  nach  innen  von  einer  Schicht  von  Entodermzelien  bedeckt. 
Nach  aussen  sind  sie  durch  eine  Schicht  von  Zwischensubstanz  begrenzt, 
welche  auf  sich  in  ihrem  unteren  Theil  Muskeln  und  Ectoderm,  oben 
aber  die  Basen  der  Mundtentakeln  trägt.  —  Beide  Arten  von  Wuistbil- 
dungen  sind,  wie  die  Entwicklungsgeschichte  zeigt,  von  dem  Entoderm 
abzuleiten.  — 

Die,  in  zwei  Kreisen  stehenden  Tent^ikel  sind  wie  bei  den  meisten 
anderen  Uydroiden  gebaut.  Sie  bestehen  aus  einem  Strang  von  hellen, 
sehr  dünnwandigen  und  zienjlich  grossen  Zellen,  welcher  von  Längs- 
muskeln und  einer  Eclodermschicht  tiberlagert  ist.  Bei  den  um  den 
Mund  stehenden  Tontakeln  des  ersten  Kreises  ist  die  Basis  in  der  Rich- 
tung der  Hauptachse  des  Körpers  verlängert  und  liegt  auf  der  Grenzmem- 
bran der  oben  geschilderten  Längswttlste.  Die  des  zweiten  Kreises,  die 
Randtentakel  sind  directe  Forlsetzungen  des  Ringwulstes.  — 

Die  Geschlechtsorgane  sind  an  den  einzelnen  Individuen  in  ver- 
schiedener Zahl  vorhandene  Trauben,  von  ellipsoiden  Gemmen  zusam- 
mengesetzt, welche  letztere  aus  einem  cylindrischen  Stiele  hervor- 
sprossen. Dieser  wächst  in  der  mittleren  Zone  des  Körpers,  innerhalb 
des  zweiten  Tentakclkreises  aus  der  Leibeswand  hervor,  wo  diese  nur 
aus  Ectoderm  und  Entoderm  mit  trennender  Zwischen membran  be- 
steht. Seine  Wand  ist  eine  directe  Fortsetzung  der  Leibeswand,  wie 
sich  an  Schnitten  sowohl  für  Entoderm,  als  auch  fUr  Ectoderm  und 
Zwischenmembran  nachweisen  lässt. 

Die  Gemmen  entwickeln  sich  aus  kolbigen  Ausstülpungen  des  eben 
geschilderten  Stieles  und  bestehen  daher  im  Anfang  blos  aus  zwei  ein- 
fachen Zellschichten,  dem  Entoderm  und  Ectoderm.  Das  letztere  bleibt 
während  des  weiteren  Wachsthums  ziemlich  unverändert,  nur  werden 
die  Zellen  immer  flacher,  da  ihre  Vervielfältigung  mit  der  Vergrösserung 
der  zu  bedeckenden  Fläche  nicht  gleichen  Schritt  hält.  Das  erstere  da- 
gegen verdickt  sich  durch  Vermehrung  seiner  Zellen  und  zwar  zuerst 
am  freien  Ende  der  Ausstülpung,  dann  während  der  Vergrösserung 
dieser,  niunnt  jene  Wucherung  des  Entodcrms  immer  mehr  zu ,  und  in 
einem  bestinimlen  Alter  der  Knospe  erscheint  dieselbe  als  ein,  ganz  aus 
Entodermzelien  gebildetes  Ellipsoidi  das  aussen  von  dem  sehr  verdünn- 
ten Ectoderm  überzogen  und  innen  von  der  cylindrischen,  in  der  Längs- 
achse gelegenen  Eruahrungshöhlung  durchsetzt  wird.  —  Später  differcn- 
zirt  sich  die  aus  dem  ursprünglichen  Entoderm  hervorgegangene  Zell- 
masse  und  man  kani^dimna.n  ihr  eine  äussere,  dem  Ectoderm  anliegende 
und  eine  innere,    die  Emährungshöble  auskleidende  Schicht  unter- 


514  fi.  V.  Koch, 

scheiden.  Die  zwischen  beiden  übrig  bleibenden  indifferenten  Zellen 
werden  später  bei  den  weiblichen  Individuen  zu  den  Eiern,  bei  den 
miinnlichen  aber  entstehen  aus  ihnen  durch  Theilung  die  Samenmutter— 
Zellen. 

Bis  hierher  ist  die  Entwicklung  der  Gemmen  bei  beiden  Geschlech- 
tern ganz  ähnlich  und  bei  den  männlichen  gehen  auch  keine  bedeuten- 
deren Veränderungen  mehr  vor  sich.  Bei  den  weiblichen  aber  entstehen 
noch  4,  als  erste  Andeutung  schon  früh  bemerkbare,  tentakelartige 
Fortsätze  am  freien  Ende.  Diese  sind  ähnlich  wie  bei  dem  Polypen 
Fortsätze  des  Ectoderms,  welche  mit  Zellen,  die  von  der,  aus  dem  Ento- 
derm  hervorgehenden  äusseren  Zellschicht  abgeleitet  werden  können, 
ausgefüllt  sind.  — 

Aus  den,  mit  grossem  deutlichen  Nucleus  und  hellerem  Nucleolus  ver- 
sehenen Eiern  entwickeln  sich  Planulae  von  der  Gestalt  eines  Drehungs- 
ellipsoides,  dessen  Hauptachse  die  kürzere  ist.  Diese  Planulae,  denen 
der  Flimmerbesatz  zu  fehlen  scheint^  bestehen  wie  gewIShnlich  aus  zwei 
einfachen  Zellschichten,  welche  einen  kleinen  Binnenraum  einscfaliessen. 
Ihre  erste  Veränderung  geschieht  durch  die  Anlage  von  anfangs  4,  dann 
8  Tentakeln  in  Gestalt  warzenförmiger  Erhebungen.  Letztere  bestehen 
aus  einer  Ausbuchtung  des  Ectoderms,  welche  mitEntoderm  ausgefüllt 
ist  und  liegen  im  grössten  Kreis  des  Sphaeroids.  Dadurch  erscheint  in 
diesem  Stadium  die  Planula  sternförmig.  Ihre  Weiterentwicklung  zeigt 
sich  hauptsächlich  in  einer  Aenderung  der  Gestalt,  welche  nach  and 
nach  bimförmig  wird  und  in  der  Verlängerung  der  zuerst  angelegten 
Bandtentakel.  Diese  letzleren,  w  eiche  jetzt,  schon  wie  im  fertigen  Zu  - 
stand,  aus  einem  vom  Entoderm  herstammenden  Zellstrang  bestehen, 
der  vom  Ectoderm  überkieidet  wird,  zeigen  einige  Eigenthümlichkeiten. 
Als  erste  führe  ich  an  die  Krümmung  derselben  nach  dem  aboralen  Pole 
zu,  als  zweite  die  geringe  Dicke  des  Ectoderms  und  seinen  Mangel  an 
Nesselzellen  an  der  dem  Munde  zugewendeten  Seite. 

Haben  die  eben  beschriebenen  Embryonen  ungefähr  die  Länge  von 
0,5  ^^  erreicht,  wobei  die  Bandtentakeln  schon  ziemlich  vollständig  ent- 
wickelt und  die  Mundtentakeln  in  einzelnen  Fällen  schon  angelegt  sind, 
so  verlassen  sie  die  Gemme  und  schwimmen  einige  Zeit  im  Wasser  um- 
her. Finden  sie  dabei  einen  passenden  Gegenstand ,  so  setzen  sie  sich 
an  denselben  mit  ihrem  aboralem  Ende  fest,  dieses  streckt  sich  bedeu- 
tend und  die  Bandtentakel  biegen  sich  nach  dem  Mund  zu.  Bald  nach 
dem  Festsetzen  entwickeln  sich  auch  die  Mundtentakel ,  welche  aber, 
wie  vorhin  bemerkt,  auch  schon  eher  auftreten  können. 


VorlAnfifi[e  Mitthetlungoii  über  CÖlenterateii.  r»15 

An  der,  in  ihrer  Entwicklung  bis  hierher  verfolgten  ^) ,  Tubularia 
erfolgt  nun ,  ausser  einer  schärferen  Differenzirung  des  Entodeims  zu 
den  ausfuhrlich  beschriebenen  Wulstbildungen  keine  bedeutende  Ver- 
änderung mehr  und  kann  somit  die  Entwicklungsgeschichte  derselben 
vorl[)ufig  abgeschlossen  werden. 


ErUinmg  der  Tafel  XITPj. 

Fig.  4.  Längsschnitt  durch  Tubularia  larynx.     a.  Ringwulst,  b.  Längswülsie, 
c.  Randteiitakel,  d.  Mundtentakel. 

Fig.  2.  Querschnitt  nach  der  Linie  y  —  z.     b.  Längswülste,  d.  Tentakel. 

Fig.  3.  Entoderm  von  der  Stelle  v  stärker  vergrössert. 

Fig.  4  U.5.  Eclodermzellen  eines  Tentakel  stärker  vergrössert  im  Längschnitt. 

Fig.  6.  Durchschnitt  durch  die  Basis  des  Stiels  vpn  einer  Geschlechtstraube. 

I  ig.  7.  Erste  Anlage  einer  Geschlechtstraube. 

Fig.  H.  Ei*ste  Anlage  einer  Geschlechtsgemme. 

Fig.  9  —  13.  Verschiedene  Entwicklungssladion  »ini>r  Gemme. 

Fig.  44.  Ei. 

Fig.  45.  Planala  im  Durchschnitt. 

Fig.  46.  Embryo  mit  angelegten  Tontakeln. 

Fig.  4  7.  Etwas  älterer  Embryo. 

Fig.  4  8.  Ein  Stück  Tentakel  desselben. 

Fig.  49.  Seit  kurzer  Zeit  Testsitzender  Embryo. 


4j  Die  Entwicklung  der  Muskulatur  etc.  habe  ich  nicht  untersucht  und  verweise 
ich  deshalb,  wie  schon  oben  gesagt,  auf  die  Arbeit  Dr.  Klkinembkrg's. 

9)  Die  Figuren  sind  alle  möglichst  schfmati^ch  gehalten.  Es  bedeutet  überall 
X  Ectoderm  n  Enlodero). 


Zar  Morphologie  der  Infasorlen. 

Von 

Ernst  HAeckeL 

Tafel  XXVn  und  XXVIII. 


Keine  C lasse  des  Thierreichs  hat  bis  in  die  neueste  Zeit  so  wider- 
spreciiende  Ansichten  bezüglich  ihrer  wahren  Organisation  und  der  da- 
durch bedingten  Stellung  im  System  hervorgerufen,  wie  diejenige  der 
Infusorien.  Noch  heute  herrschen  darüber  unter  den  genauesten  Kennern 
dieser  Thierclasse  die  lebhaftesten  Contröyersen.  Nicht  weniger  als  drei 
von  den  sieben  grossen  Hauptabtheilungen  des  Thierreichs,  den  »Typen« 
oder  Phylen,  streiten  sich  um  den  Besitz  der  Infusionsthiere.  Mit 
derselben  Bestimmtheit,  mit  der  die  eine  Gruppe  von  Zoologen  die  In- 
fusorien für  Würmer  erklärt,  stellt  sie  eine  zweite  Gruppe  zu  den 
Zoophyten  oder  Cölenteraten,  und  eine  dritte  Gruppe  zu  den  ür- 
thieren  oder  Protozoen.  Noch  heute  ist  nicht  einmal  die  erste  Vor- 
frage erledigt,  welche  hierbei  massgebend  sein  und  jede  nähere  mor- 
phologische Erörterung  bestimmen  soHte :  ob  nämlich  der  Infusorien- 
Köiper  den  Formwerth  einer  einfachen  Zelle  besitzt  oder  nichtig 
Diese  Thatsache  allein  beweist,  wie  weit  wir  noch  von  einer  befiriedlgen- 
den  £rkenntniss  der  Infusorienciasse  entfernt  sind.  Sie  muss  aber 
doppelt  befremdend  erscheinen^  wenn  man  den  verhSiltnissmässig  colos- 
salen  Umfang  betrachtet,  welchen  die  Literatur  über  diese  Thierclasse 
in  den  letzten  Decennien  erlangt  hat. 

Ausführliche  Untersuchungen,  welche  ich  in  den  letzten  fünf  Jahren 
über  die  Thierclasse  der  Spougien  angestellt  habe  und  weiche  in  der 
vor  einem  Jahr  erschienenen  Monographie  der  Kalkschwämme^j  ihren  vor- 


1)  Ernst  Haeckel,  Die  Kalkschwärome  (Calcispongien  oder  Grantienj.  Eiue 
Monographie.  I.  Band:  Biologie.  II.  Band  :  System.  III.  Band:  Atlas  mit  60  Tafeln 
Abbildungen.    Berlin, G.  Reimer.  4872. 


Zur  Morphologie  der  Infusorien.  517 

läufigen  Abscbluss  gefunden  haben,  musstcn  mich  vernnlassen,  vielfach 
auch  die  Organisation  der  Infusorien  in  Betracht  zu  ziehen  und  zu  ver- 
gleichen. Denn  in  zahlreichen  zoologischen  Werken  werden  die  beiden 
Classen  der  Spongien  und  Infusorien  als  nächste  Verwandte  betrachtet 
und  unmittelbar  neben  einander  in  der  Abtheilung  der  Protozoen  unter- 
gebracht. Das  Ergebniss  meiner  Untersuchungen  hat  diese  weitverbreitete 
Ansicht  nicht  nur  nicht  bestätigt,  sondern  wie  ich  glaube  definitiv  wider- 
legt. Während  ich  für  die  Spongien  die  nächste  Verwandtschaft  mit 
den  Hydroid-Polypen  und  ihre  Zügehörigkeit  zurri  Stamme  der  Z  o  o  p  h  y- 
ten  (oder  Cölenleraten)  nachweisen  konnte,  bin  ich  bezüglich  der  In- 
fusorien zu  ganz  anderen  Resultaten  gelangt.  Da  ich  diese  in  der  Mo- 
nographie der  Kalkschwätnme  nur  flüchtig  berührt  habe,  w  iil  ich  sie  hier 
ausführlicher  mittheiieti,  und  sehe  mich  dazu  besonders  veranlasst  durch 
die  lebhaften  Streitigkeiten,  welche  erst  in  den  letzten  Monaten  wieder 
über  die  Deutung  der  Infüsdrien-Organisation  aufgetaucht  sind. 

Alle  die  verschiedenartigen  und  widersprechenden  Ansichten  über 
die  Organisation  und  den  Formwerih  der  Infusorien  lassen  sich  füglich 
in  drei  grosse  Gruppen  bringen  :  nach  der  einen  Ansicht  sind  die  Infu- 
sorien hocborganisirte  Tbiere,  welche  sich  zunächst  an  die  Räderthiere, 
mithin  an  die  Würmer  ansehliessen  (Ehkbnbbrgj;  nach  einer  zweiten 
Auffassung  sind  dieselben  Cölenteraten,  welche  in  den  Hydroiden 
ihre  nächsten  Verwandten  finden  (Clapah^db);  nach  einer  dritten  Beur- 
theilung  besitzen  sie  nur  den  Formwerth  einer  einfachen  Zelte,  und  sind 
demnach  Protozoen  (Sibbold).  Zwischen  diesen  drei  grundverschie- 
denen Auffassungen  bewegen  sich  noch  mehr  oder  minder  vermittelnde 
Ansichten  verschiedener  Beobachter. 

Ehbbnbbrg  hat  bekanntlich  in  seinem  grossen  Infusorien-Werke  <), 
weiches  die  erste  genauere  Beschreibung  und  Classification  der  Infu- 
sorien gab,  diese  Organismen  »nach  dem  ihm  eigenen  Princip 
überall  gleich  vollendeter  Entwicklung«^)  beurtheilt  und 
ihnen  demgemäss  eine  im  Wesentlichen  eben  so  vollkommene  Zusammen- 
setzung wie  den  höheren  Thieren  und  wie  dem  Menschen  zugeschrieben. 


4)  Ehrbnibbc,  die  Infusionsthierchen  als  vollkommene  Organismen.     Leipzig, 

4888. 

i)  Ehbbwbbm  hat  sein  »Princip  überall  gleich  vollendetef  Entwicklang«  zuerst 

4885  in  der  Abhandlung  ȟber  die  Acalephen  des  reiben  Meeres  und  den  Organis- 
mus der  Medusen  der  Ostsee«  mitgetheilt  (Abhandl.  der  Berliner  Akademie,  4  836, 
p.  484).  Nach  diesom  Principe,  welches  Ehrenbbho  bis  auf  den  heutigen  Tag  beibe- 
halten hat,  besitzen  alle  Thiere,  bis  zur  Monade  herab,  einen  und  denselben  gleichen 
Bildungs-Typus.  In  keiner  Ciasso  ist  die  Organisation  einfacher  als  in  der  anderen. 
»Ein  Thier  ist  jeder  dem  Menschen  in  den  Hauptsystemen  des 
Organismus  gleicher  lebenden  Körper  ohne  Gleichmass  dieser 


518  Ernst  Haeckel, 

Yerbängnissvoli  fUr  den  fundamentalen  Irrthum,  von  welchem  Ehbe??- 
BERG  bei  dieser  consequent  ausgebildeten  Auffassung  ausging,  war  der 
Umstand,  dass  er  die  ganze  Abtheilung  seiner  »Infusionsthierchena  in 
zwei  verschiedene  Glassen  brachte:  Magenthiere  (Polygas  t  ri  caj 
und   Ritderthiere  (Rotatoria);  und  dass  er  die  Organisation  der 
ersteren  durch  diejenige  der  letzteren  zu  erklären  versuchte.   Ueberall 
bildet  die  (von  ihm  sehr  unrichtig  gedeutete)  Organisation  der  Räder- 
thiere  die  Basis,  auf  welche  auch  diejenige  der  Magenthiere  zurückge- 
führt werden  soll.  »Die  Magenthiere  sjnd  rücken  markslose  und  pulslose 
Thiere  mit  in  zahlreiche  blasenartige  Magen  zertheiltem  Speisecanale, 
mit  (wegen   Rnospenbildung    oder  Selbsttheilung)  unabgeschlossener 
Körperform,    mit  doppeltem   vereinten  Geschlecht,   bewegt  durch   (oft 
wirbelnde)  Scheinfüsse  und  ohne  wahre  Gelenkfüsse«. 

Gegenüber  dieser  Anschauung  Ehbenbbrg's,  welche  unter  zahlreichen 
Zoologen  mehr  oder  minder  voUsländige  Zustimmung  fand,  trat  4  845 
Carl  Theodor  voif  Sibbold  >)  mit  der  Ansicht  auf,  dass  die  Infusorien  viel 
einfacher  organisirt  seien,  und  dass  ihr  ganzer  Körper  nur  den  Form- 
werth  einer  einfachen  Zelle  besitze.  Er  wies  nach,  dass  die  »Rota- 
toria« eine  gänzlich  verschiedene  und  viel  höhere  Organisation  besitzen, 
als  die  »  P  0 1  y  g  a  s  t  r  i  c  a  «,  und  dass  Ehrbnübeg  in  dieser  letzteren  Gruppe 
eine  bunte  Gesellschaft  von  höchst  verschiedenartigen  niederen  Orga- 
nismen^  theils  Thieren,  theils  Pflanzen  zusammengeworfen,  sowie  deren 
Körpertheile  ganz  willkürlich  und  unrichtig  gedeutet  habe.  Hit  ein> 
leuchtender  Klarheit  führte  Sibbold  ferner  den  Nachweis,  dass  die  ech- 
ten Infusorien,  welche  er  auf  die  beiden  Ordnungen  der  Astoma 
(=  Flagellata)  und  Stomatoda  (=Ciliata)  beschränkte,  nur 
solche  Organismen  enthalten  deren  Formwerth  denjenigen  einer  Zelle 
nicht  überschreite.  Der»Nucleusa  entspricht  einem  ge\>öhnlichen  Zellen- 
kern, die  »gallertige  contractile  Körpersubstanza  dem  »ZelleninhalUc  oder 
der  Zellsubstanz,  und  die  äussere  flimmernde  Hülle  der  »Membran«  einer 
gewöhnlichen  Flimmerzelle.  Mit  dieser  Deutung  machte  Sibbold  nicht 
allein  den  ersten  Versuch,  den  Infusorien-Körper  der  6  Jahre  zuvor  von 
ScHLKiDEN  und  ScHWANN  aufgestellten  Zellentheorie  zu  unterwerfen ;  son- 
dern er  begründete  auch  diesen  ersten  Versuch  in  der  1845  erschienenen 
ersten  Lieferung  seines  Lehrbuchs  der  vergleichenden  Anatomie  in  so 


Systeme  oder  jeder  (und  mit  Sicherheit  nur  ein  solcher)  Organis- 
mus, welcher  ein  E'rnährongssystem,  ein  Bewegungssystem,  ein 
Blutsystemi  ein  Empfindungssystem  und  ein  Seiualsystem  he- 
sitzt«. 

4)  C.  Th.  V.  SiEBOLD,  Lehrbuch  der  vergleichenden  Anatomie.   1.  Lief.  4845. 


Znr  Morphologie  der  lafusorieii.  519 

vorzüglicher  Weise,  dass  er  als  der  bedeutendste  Fortschritt  in  der  lie- 
feren Erkenntniss  der  Infusorien  überhaupt  bezeichnet  ^^erden  kann. 
Für  das  System  des  Thierreichs  that  Sibbold  zugleich  dadurch  einen 
höchst  bedeutsamen  Schritt,  dass  er  (schon  1845]  die  beiden  Ciassen 
der  Infusorien  und  Rhizopoden  in  einer  »Ilauptgruppe«  des  Thierreichs 
vereinigte,  welche  er  »Protozoena  oder  ürthiere  nannte,  und  mit 
folgenden  Worten  characterisirte :  »Thiere,  in  welchen  die  verschiedenen 
Systeme  der  Organe  nicht  scharf  ausgeschieden  sind,  und  deren  unregel- 
m;»ssige  Form  und  einfache  Organisation  sich  auf  eine  Zelle  reduciren 
lassen«  (I.  c.  p.  3j. 

Diese  epochemachende  Theorie  Sikrui.d^s  von  der  »Einzelligkeit 
der  Infusorien«  fiind  4  Jahre  spHter  ihre  entschi<'denste  Vertretung  und 
weitere  Ausbildung  durch  Köllikkb.  Nachdem  derselbe  4848  in  seinen 
»Beitrügen  zur  Konntniss  niederer  Thiere«  die  Einz(>lligkeit  der  Gregarinen 
nachgewiesen,  und  (4849)  in  seinem  Aufsätze  über  »das  Sonnen thierchen« 
(Actinophrys  sol)^)  ausdrücklich  für  alle  Infusorien  den  Form werth  einer 
einzigen  Zelle  in  Anspruch  genonmien  hatte,  ist  er  später  l)emüht  ge- 
wesen, die  Theorie  von  der  Einzelligkeit  der  Infusorien  in  seinen  Icones 
histiologicae  (4864)  ausführlicher  zu  begründen  und  mit  den  neueren 
Fortschritten  der  Infusorien-Kunde  in  Einklang  zu  bringen.  Unter  den 
folgenden  Beobachtern  der  Infusorien  hat  diese  Theorie  einerseits  ebenso 
entschiedene  Theilnahme,  als  andererseits  lebhaften  Widerspruch  er- 
fahren. Die  gewichtigste  Vertretung  hat  sie  neuerdings  durch  Steiii 
gefunden,  wenn  auch  nur  in  bedingtem  Sinne.  Stein  bekämpft  nüm- 
lieh  zwar  auf  Grund  seiner  vieljahrigen  gründlichen  Infusorien-Beobach- 
tungen die  »Vielzelligkoit«  des  Infusorien-Körpers  auf  das  Ent- 
schiedenste, fügt  dann  jedoch  hinzu:  »die  Infusorien  sind  in  Bezug  auf 
ihren  Ursprung  entschieden  einzellige  Thiere.  Die  ausgebil- 
deten Infusionsthiere  aber  wird  man  immer  Anstand  nehmen  müssen, 
als  einzellige  Organismen  zu  bezeichnen ;  denn  sie  sind  nicht  blos  fort- 


4)  Zeitschrift  für  wissenscIiBfllicIie  Zoologie,  Bd.  I.  4849,  p  4 ;  p.  240.  In  der 
Beschreibung  der  Actinophrys  sei  sagt  Köllixbii:  »Ich  gehe  davon  aus,  dass 
die  Infusorien  alle  ohne  Ausnahme  aus  einer  einiigen  Zelle  bestehen.  Ich 
glaube  nümlich,  dass,  was  ich  für  die  Gregarinen  nachgewiesen  habe,  für  alle  eigent- 
lichen Infusorien  gilt,  wie  es  auch  schon  von  Siesold  in  seiner  vergleichenden  Ana- 
tomie aufs  Schönste  nachgewiesen  worden  ist.  Für  mich  sind  alle  Infusorien  gleich 
einer  Zelle,  die  bei  den  einen  ganz  geschlossen  ist,  bei  den  anderen  einen  Mund  oder 
selbst  zwei  Oeffnungon  hat.  Dass  dem  so  ist,  kann  für  den,  der  eine  Opalina,  Bur- 
saria, Nassula  etc.  nur  etwas  genauer  untersucht,  auch  nicht  dem  geringsten 
zweifei  unterliegen ;  er  wird  meist  eine  conlracttle  und  mit  Wimpern  besetzte  stnic- 
lurlose  Zellmembran,  einen  oft  (heilweise  contractilen  Zelleninhalt  mit  Kömrrn  und 
Vacuolen  und  fast  immer  einen  homogenen  oft  sonderbar  gestalteten  Kern  finden«. 
Bd.  ?n.  4.  34 


ÜQ  firn^i1faeeft«1, 

gewachs€lne  Zellen,  sondern  der  ursprüngliche  Zellenbau  hat  einer 
wesentlich  anderen  Organisation  Platz  gemacht,  die  der  Zelle  als  solcher 
durchaus  fremd  ist«  ^] .  In  neuester  Zeil  haben  sich  Ehlers  und  Etkbts 
in  einer  »vorläufigen  Mittheilung«  mit  Bestimmtheit  zu  Gunsten  der  Ein- 
zelligkeit ausgesprochen^). 

Die  entschiedenste  Bekämpfung  fand  natürlich  die  Theorie  von  der 
Einzelligkeit  durch  Ehkbnberg  selbst,  welcher  in  Folge  seiner  vollstän- 
digen Unkenntniss  der  Entwicklungsgeschichte  der  Thiere  noch   beute 
an  »dem  ihm  eigenen  Princip  gleich  vollendeter  Entwicklung«  aller  Thiere 
festhält,   und  auch   die  allgemein  verlassene    »polygastrische  Theorie« 
'noch   heute   vertheidigt.     Ausserdem  aber  wurde  die  DEinzelligkeit« 
bald  auf  das  Lebhafteste  angegriffen  von  Clapar&de  und  Lacbmann  ^1. 
welche  in  ihren  »l^tudesa  (4858),  abweichend  von  allen  früheren  Autoren 
die  Infusorien  zu  den  Gölenteraten  versetzen,  und  behaupten,  dass  die 
verdauende  Leibeshöhle  dieser    letzteren   oder   der    characteristischc 
))Gastrov8fscular-Rauma  ganz  ebenso  auch   bei  den   Infusorien 
wiederkehre.  In  der  That  ist  aber  diese  »coetenterische  Theorie«  ebenso 
wenig  mit  der  Anatomie  und  Ontogenie  der  Infusorien  vereinbar,  als 
die  »polygastrische  Theorie«  Ebrenbbrg's,  und  eben  äo  wenig,  als  die 
Infusorien  nach  dieser  letzteren  zu  den  Würmern  gestellt  werden  können, 
eben  so  wenig  ist  die  von  der  ersteren  geforderte  Verwandtschaft  mit 
-den  Gölenteraten   nachweisbar.      In  neuester  Zdt  ist  Richard  Gherkf 
wiederutn  ganz  auf  Clapar^db  und  Lagrüann  ^  zurückgegangen,  und  hat 
-gerade  denjenigen  Theil  ihrer'  Darstellung,  welcher  für  ihre  Auffassung 


4}  Stein,  der  Organismus  derlnfusionstbiere.'II.  AbtheiluDg.  Leipzig  1867,  p.  i2. 

2)  Ehlers  und  EvERTS,  Untersuchungen  an  Vorti cell a  nebulifera;  Sitzungs- 
berichte der  phys.  med.  See.  zu  Erlangen,  vom  26.  Mai  4878. 

3)  Clapar^de  et  Lacbhanr,  Btudes  sur  les  Infusoires  et  les  RhiEopodes,  Oen^vo 
48S8|  4864.  S  Voll.  Vol.  I.,  p.  44.  »On  serait  tentö  de  croire,  (que  la  tb^rie  de 
l'unicellulant^  des  infusoires  n'a  plus  aujourd'hui  qu'un  inlöröt  bistorlque,  corome 
Celle  de  la  polygastricilö.  Cependant  eile  compt«  encore  un  ubampion  bien  d^ide, 
un  de  ses  anciens  d^fenseurs,  M.  Kölliker,  qui  a  relevö  courageusement,  dans  an 
Memoire  r^cent,  le  drapeau  <^ancelant  de  son  6cole,  comme  M.  Ehrehberg  vient 
d'arborer  de  nouveau  celui  de  la  sienne.  Chacun  d'eux,  le  dernier  dos  Mobicaos  de 
ses  propres  id^es.  La  th^orie  de  l'uoiceUularit^  des  infusoires  n'a  pas  b^soin  d'^lre 
combatlue  ici  plus  en  detail.  L'ouvrage  que  le  lecteur  a  sous  les  yeux,  n'ost  qa'uue 
longue  protestation  contre  eile.  Chacune  de  nos  pages  est  un  nouveau  coup  de  hacbe 
port6  k  sa  base«.  Diese  lelzteren  schneidigen  Sätze  wenden  wir  direct  gegen  ihre 
A'utoren  selbst,  intiem  wir  nachstehend  zu  zeigen  hoffen,  dass  die  Auffiassung  der 
Infusorien-Organisation  von  Clapar^de  und  Lacbuarn  eben  so  falsch  und  von  Grund 
aus  verfehlt  ist,  wie  diejenige  von  Ehrbicbbrg.  »Jede  unserer  Seiten  ist  ein  neuer 
Axthteb  gegen  ihre  Basis«. 


Zur  Morphologie  der  Infusorien.  521 

der  Infusorien-^Organisalion  ohanicterislifK*h  isl,  i^äjmlich  4ie  Lehre  von 
dei*  vollsUindigen  Uebereinstimmung  des  »D^rmcanals«  der  Infusorien 
mit  dem  »Gaslrovascular-System.der  Cölenteraten«  als  seine  eigene  neue 
Tlieone  zu  begründen  versucht.  Greepf  sieht  »in  .der  KOrperhöhle  der 
Vorticelien  einen  Gastro vascular-fia um  im  vollen  Sinne  des 
Wortes,  eine  Körperhöhle,  in  der  die  Verdauung  und  CircuJ^tion, 
rcsp.  Ernährung  ganz  in  derselben  Weise  erfüllt  wird,  wie  bei  den 
C  ö  Jen  te  raten«  (l.c.p.  192).  An  die  Haut  unddie  darunter  liegenden 
Muskeln  sdimiegt  sich  nach  innen  eine  Protoplasma-Zone  an,  die 
eigentliche  Rindenscbicht  dos  Infusorien-Kttrpirs,  die  den  ganzen 
Innenraum  oder  Leibeahöhle  umschlicsst  und  auskleidet.  In  dieser 
Rindenschicht  und  durch  sie  in  ihrer  Lnge  festgehalten  liegen  auch  die 
Hauptorgane  des  Körpers,  nämlich  der  Nucleus,  der  contraclile  Behälter 
.  und  der  Hauptabschnitt  des  Verdauungscanales«  t)  (|.  c.  p.  383}. 

Zur  weiteren  VerstHndigung  ist  es  zunächst  nothw endig,  die 
Grenzen  und  den  Umfang  der  Infusorienciasse  so  zu  be- 
stimmen, wie  er  in  Uebereinstimmung  mit  vielen  neueren  Autoren 
hier  von  uns  angenommen  wird.  FAst  allgemein  sind  jetzt  mit  vollem 
Rechte  aus  dieser  C lasse  ausgeschlossen  die  Rotatorien  (Würmer),  die 
Bficillarien  (Diatomeen),  die  Closlerinen  (Algen)  und  viele  andere  hete- 
rogene Organismen  niederen  Ranges.  Demnach  beschränken  die  meisten 
neueren  Autoren  nach  dem  Vorgange  von  Sikbolb  (1 845)  die  Infusorien- 
classeauf  dieCiliata  (=Stomatoda)  unddieFlagellata  (=Asto- 
ma),  welche  beide  zusammen  nur  den  kleineren  Theil  von  Ehbkubkrg's 
Infusorien  ausmachen.     Stkin,  welcher  nächst  Rhaknbkrg  die  längste 


1)  Richard  Grebff,  üntersuctiungen  über  den  Bau  und  die  Naturgesciiichle  der 
Vorlicell^n.  Archiv  fürNaturgesch.  4870,  1.  p.  858—884,  Taf.  IV— Vlll;  Ibid.  1874, 
I.  p.  485 — 224.  GmEFP  scbliesst  seine  Darstellung  mit  den  Worten  :  »Das  scheint 
indessen  ausser  Zweifel,  dass  sowohl  die  Organisation,  wie  die  Lebensgeschichte 
nicht  blos  der  Vorticellen,  sondern  der  Infusorien  Überhaupt  eine  verhttltniss- 
mfissig  reiche  und  booli  entwickelte  ist,  von  der  indessen  bis  jetzt  nur  Weniges  mit 
Sicherheit  entziffert  ist,  und  dassEHRSHBenG,  wenn  er  auch  im  Einzelnen,  namentlich 
in  den  Deutungen  der  vpn  Ihm,  wie  wohl  zu  berücksichtigen,  zuerst  gesehenen, 
d.  h  entdeckten  Organe  und  Gebilde,  vielfach  geirrt  haben  mag,  doch  im  Ganzen 
auf  seine  ausgedehnten  und  unermüdlichen  Forschungen  und  reiclien  Erfahrungen 
gestiUzt  mit  richtigem  Tacte  und  Scharfsinn  den  hohen  Organisationswerth  der  In- 
fusorien erkanat  hat«  (1.  c.  p.  t47).  Dieser  Lobapruch  auf  Ehrkhbbrg  erscheint  in 
Grbefp's  Aufsatze  deshalb  völlig  unmotivirt,  weil  Greeff's  ganze  Auffassung  nicht 
diejenige  von  Ehbbnberg,  sondern  diejenige  von  Claparede  und  LACHMAHif  repro- 
dttcirt.  Diese  beiden  Auffassungen  (die  polygastrische  Theorie  des  ersteren  und 
die  coelenterische  der  letzteren]  sind  aber  eben  so  wenig  mit  einander  vereinbar, 
als  mit  der  »Einzelligkeils-Theorte«  von  Sibbold,  deran  alleinige  Richtigkeit  wir 
nachatehend  zu  beweisen  hoffen. 

84* 


5l22  ^^^^  Hueckel, 

Zeit  und  den  grösslen  Fleiss  auf  die  Erforschung  der  Infusorien  verw-en- 
del  hat,  beschränkt  im  ersten  Bande  seines  grossen  Werkes  »der  Oi-ga- 
nismus  der  Infusionsthiere«  (4859)  die  Ciasse  auf  5  Ordnungen,  von 
denen  eine  durch  die  Flagellata,  vier  durch  die  Ciliala  gebildet 
werden  (Holotricha,  Heterotricha,  Hypolricha,  Peritricba). 
Die  Acineten  oder  Suctorien  hielt  Stein  früher  nur  für  Entwicklungszu- 
stände  der  Ciliaten,  bemerkte  jedoch  :  i>SoHten  sich  die  AcineUnen  doch 
noch  als  selbständige  Infusorien  herausstellen,  so  würden  sie  eine 
sechste,  zwischen  den  geisseltragenden  und  holotrichen  Infusorien  ein- 
zureibende Ordnung  bilden«.  In  den  kurz  zuvor  erschienenen  »äludes 
sur  les  Infusoires  et  les  Rhizopodesa  (1858)  theilen  CLAPAaiiDE  und  Lagh- 
MANN  die  Infusorien-Glasse  in  4  Ordnungen:   1}  Ciliata,  2)  Suctoria, 

3)  Cilioflagellata,  und  4j  Fiagellala.  In  demselben  Werke  werden  die 
Rhizopoden  ebenfalls  in  4  Ordnungen  eingetheilt:  4)  Proteina  (Amoe- 
bina   et  Actinophryna) ;    2)  Echinocystida  (Radiolaria) ;    3)  Gromida : 

4)  Foraminifera>  In  der  neuesten  Auflage  von  Trorchel's  Handbuch 
der  Zoologie  (1871)  werden  5  Ordnungen  unter  den  Infusorien  unter- 
schieden, nämlich:  1)  Giliata;  2)  Suctoria  (Acinetina) ;  3)  Cilioflageilat^i 
(Peridinea) ;  4)  Flagellata;  5)  Atricha  (Infusoria  rhizopoda).  Dieselhi; 
Eintheilung  kehrt  in  vielen  anderen  Büchern  wieder.  Claus  in  seinen 
»Grundzügen  der  Zoologie«  (11.  Aufl.  1871)  unterscheidet  dieseU>en 
5  Gruppen  wie  Stein  ^  schliesst  ihnen  jedoch  anhangsweise  noch  die 
Noctiluken  an.  üarting  in  seinem  »Leerboek  van  de  Grondbeginselen  der 
Dierkunde«  (1870,  III,  7)  beschränkt  die  Glasse  auf  die  beiden  Ordnun- 
gen der  Ciliaten  und  Flagellaten. 

In  der  gegenwärtig  allgemein  herrschenden  Begrenzung  des  Be- 
grifles  enthält  demnach  die  Infusorien-Classe  nur  einen  kleinen  Theil 
von  der  bunt  gemischten  Gesellschaft,  welche  sie  bei  Ebrenbbrg  und 
seinen  Vorgängern  ausmacble.  Als  echte  Infusorien  im  engsten  Sinne 
gelten  jetzt  eigentlich  nur  noch  die  Ciliaten,  an  welche  die  meisten 
Systeraatiker  als  eine  zweite  nahe*  verwandte  Gruppe  die  Acineten 
und  Viele  ausserdem  die  Flagellaten  (die  die  meisten  Botaniker  für 
Pflanzen  halten)  anschliessen.  Selbst  bei  denjenigen  Zoologen  der 
Gegenwart,  welche  die  Classe  im  weitesten  Sinne  fassen,  sind  die 
Rotatorien,  Diatomeen,  Glosterien  etc.  allgemein  ausgeschieden,  und 
werden  h  ochste  ns  folgende  sieben  Ordnungen  angenommen  :  1]  Amoe- 
bina;  2)  Gregarina;  3)  Flagellata;  4)  Cilioflagellata;  5)  Noctilucae; 
6)  Acinetae;  7)  Ciliata. 

Von  diesen  sieben  Ordnungen  ist  es  eigentlich  nur  eine  einzige, 
deren  Formwerth  noch  heute  zweifelhaft  ist  und  alle  die  zahlreichen 
Widersprüche  der  verschiedenen  Beobachter  hervorgerufen  hat,  die- 


Zur  MorpholoRi«  der  Infnsorieii.  523 

jenige  der  Gilialen;  aber  gerade  diese  Ordnung  ist  auch  diejenige, 
auf  welche  gegenwärtig  der  Begriff  der  Infusorien  im  engsten  Sinne 
immer  allgemeiner  angewendet  wird.  Von  den  übrigen  sechs  Ordnun- 
gen ist  es  theils  schon  seit  längerer  Zeit  festgestellt,  theils  in  der  jüngsten 
Zeit  inmuT  mehr  offenbar  geworden ,  dass  ihr  Organismus  den  Wertb 
einer  einfachen  Zelle  besitzt.  Uebor  diese  genügen  daher  wenige  Be- 
merkungen. 

Die  Araocbinen  (Protoplasten  oder  Lobosen)   werden  jetzt  fast 
allgemein  und  mit  Recht  als  einfache  Zellen  aufgefasst,   besonders  seit- 
dem man  »amoeboide  Zellen«,  die  von  einfachen  Amoeben  nicht  zu  unter- 
scheiden sind,    weit  verbreitet  als  integrirende  Bestandtheile  höherer 
Organismen  nachgewiesen  hat;  namentlich  die  nackten  Eizellen  derSpon- 
gten,  welche  eine  Zeit  lang  geradezu  als  parasitische,  in  den  Schwam- 
men lebende  Amoeben  angesehen  wurden,  sind  in  dieser  Beziehung  von 
Interesse^].    Zwar  hat  Grebff  in  neuester  Zeit  den  Versuch  gemacht, 
auch  bei  den  Amoeben  eine  complicirtere  Organisation  nachzuweisen ; 
indessen  ist  ihm  dieser  Versuch  hier  eben  so  wenig  als  bei  den  Infuso- 
rien gegluckt.    Sowohl  die   nackten  Amoebinen  (Amoeba ,   Petalopus, 
Podostoma)  als  die  mit  einer  Schale  oder  Hülle  versehenen  Amoebinen 
[Arcella,  Echinopyxis,  Difflugia)  sind  einfache  Zellen  mit  einem  echten 
Zellenkern.    Die  Gregarinen  sind  allgemein  als  ein&che  Zellen  (Mo- 
nocystidea)  oder  als  Complexe  von  2 — S  verbundenen  einfachen  Zellen 
(Polycystidea)  nachgewiesen  2).    Ebenso  allgemein  sind  die  Plage  Ha- 
ien als  einzellige  Organismen  anerkannt,  oder  als  Golonien  von  solchen, 
als  Zellgemeinden.    Auch  die  Einzelligkeit  der  Cilio-Flagellaten 
oder  Peridi  neen  ist  sicher  gestellt.  Für  die  Noctiluken  oderHyxo- 
cystoden  hat  in  neuester  Zeit  Gienkowski 3)  den  Nachweis  geführt, 
dass  ihr  ganzer  Körper  nur  eine  einfache  Zelle  ist  und  dass  sie  zu  den 
Flagellaten  in  nächster  Verwandtschaft  stehen.    Von  den  Acineten  oder 
Suctorien  endlich  ist  die  Einzelligkeit  zwar  weniger  allgemein  aner- 
kannt; indessen  liegt  eigentlich  kein  einziger  Grund  vor,  dieselbe  zu 
bezweifeln.    Der  Nucleus  erscheint  durchaus  gleich werthig  einem  ge- 


i)  Vergl.  die  Abbildung  und  Beschreibung  der  amöboideu  Eizellen  derSpoDgien 
in  meiner  Monogrnphie  der  Kalksch^ärome:  Vol.  I.  p.  155;  Vol.  III.  Taf.  I.  Fig. 
40-U;  Taf.  85,  Fig.  8;  Taf.  44,  Fig    4,9. 

2)  Alle  Gregarinen,  welche  nur  einen  einzigen  Nucleus  besitzen,  sind  eo 
ipso  einzellig  (Monocystidea);  hingegen  sind  dlejenigrnlGregarinen,  weiche  zwei 
oder  mehrere  Kerne  besitzen,  eben  deshalb  als  vielzellig  anzusehen  (Polycys- 
tidea). 

3)  CiKKKOwsKi,  über  Noctiluca  ni  iliaris.     Arch.  für  mikr.  Anal.  4873,  IX. 
47. 


524  t^rns^  Hiieckel, 

wöholicben  Zellenkern ;  das  Protoplasma,  das  denselben  umgiebt,  ist 
durchaus  nicht  differenzirt,  und  die  von  demselben  ausgebenden  starren 
Pseudopodien,  welche  gewöhnlich  als  »Saugröhren«  bezeichnet  werden, 
haben  keinen  höheren  morphologischen  Werth,  als  ähnliche  Fortsätze 
anderer  Zellen.  Auch  in  den  Fortpflanzungserscheinungen  der  Acineten 
liegt  gar  kein  Grund  gegen  die  Annahme,  dass  ihr  Körper  nur  den  Forni- 
werth  einer  einfachen  Zelle  besitzt. 

Demnach  sind  es  nur  dieCiliaten,  deren  morphologische  Deu- 
tung so  divergente  Ansichten  hervorgerufen  hat  und  auf  die  sich  der  bis 
heute  fortgesetzte  Slreit  über  die  »Einzelligkeit«  gegenwältig  allein 
noch  beziehen  kann.  Ohne  Zweifel  zeigt  die  grosse  Mehrzahl  der  soge- 
nannten Ciliaten  im  Wesentlichen  dieselbe  innere  Organisation ;  und  die 
verschiedenen  Gruppen  sind  so  nahe  unter  sich  verwandt ,  dass  sie  als 
Angehörige  einer  natürlichen  Legion,  oder  was  dasselbe  ist,  als  Descen- 
denten  einer  einzigen  gemeinsanien  Stammform  angesehen  werden  kön- 
nen. Nur  einige  wenige  Formen  (wie  z.  B.  die  Opalinen)  dürften  hiervon 
ausgenommen  werden.  Im  Uebrigen  erscheinen  alle  Ciliaten  so  nahe 
unter  sich  verwandt,  das^  selbst  die  allgemein  angenommene  Eintbei- 
lung  von  Stein  (in  die  vier  Ordnungen  der  Holotricha,  Hetero- 
tricha,  Hypotrioha  und  Peritricha]  sich  auf  die  verschiedene 
Yertheilung  und  Differenzirung  der  äussern  Wimperhaare,  also  auf  Cha- 
ractere  stützen  musste,  welche  im  Grunde  genommen  von  sehr  ausser- 
lieber  und  oberflächlicher  Natur  sind.  Ebenso  sind  auch  die  Charactere, 
durch  welche  CLApARfenK  und  Lachman.^  ihre  zehn  Familien  der  Ciliaten 
unterschieden  haben,  von  so  untergeordnetem  W^erthe,  dass  daraus  nur 
die  wesentliche  üebereinstimmung' derselben  in  allen  wichtigen  Eigen- 
thümlichkeiten  der  inneren  und  äusseren  Organisation  hervorgeht.  Wir 
dürfen  daher  in  der  nachstehenden  Betrachtung  die  Gruppe  der  Ciliaten 
als  ein  natürliches  Ganzes  zusammenfassen  und  brauchen  nicht  auf  die 
einzelnen  Abtheilungen  derselben  einzugehen. 

Die  morphologische  Grundfrage  nun,  welche  für  diese  Ci- 
liatengruppe  vorliegt,  und  von  deren  Erledigung  jeder  weitere  Fort- 
schritt in  der  Erkenntniss  ihrer  Organisation  abhängt,  lautet:  1]  Hai 
der  Körper  der  Ciliaten  den  Formwerth  einer  einzigen 
Zelle?  —  oder  2]  ist  derselbe  aus  mehreren  Zellen  zusam- 
mengesetzt? —  oder  endlich  3]  ist  Keines  von  Beiden  der 
Fair?  Dieser  letztere,  dritte  Fall  ist  bisher  noch  nicht  gehörig  in  Erwä- 
gung gezogen,  indem  man  fast  immer  nur  zwischen  den  beiden  ersteren 
wählen  zu  müssen  glaubte.  Dennoch  ist  auch  dieser  Fall  in  Betracht  zu 
ziehen.  Wenn  man  nämlich  den  Ciliatenkörper  nicht  für  eine  einfache 
Zeile  und  seinen  Nucleus  nicht  als  wahren  Zellenkern  gelten  lassen  will, 


Zur  Morphologie  der  lufosorieiu  525 

so  könnte  man  mit  verschiedeo^n  GrUnden  die  bisher  nocb  nicht  erör-- 
terte  Ansicht  stützen ,  dass  der  Giliatenkörper  noch  nicht  die  Organisa- 
tionshöhe einer  wahren  Zelle  erreicht  bat,  sondern  vledmehr  einer 
stark  diilerenzirien  Gytode,  oder  auch  vielleicht  ei ueoi  Comple): 
von  mehreren  Gytoden  enlspricht. 

Die  Unterscheidung  der  Zellen  und  Gytoden,  welche  ich 
zuerst  1866  in  meiner  generellen  Morphologie  gegeben  und  danq  aus- 
führlicher in  meinen  Monographien  der  Moneren  und  der  Kalk&;chwlilmme 
begründet  habe,  setze  ich  hier  als  bekannt  voraus^).  leb  lege  auf  diese 
Unterscheidung  fortdauernd  das  grösste  Gewicht,  trotzdem  sich  die  Hi- 
stologie der  Schule  bisher  fast  noch  gar  nicht  un>  dieselbe  gekümmert  hat. 
Dieser  letztere  Umstand  erklärtsich  allerdings  gar^z  einfach  aus  der  That- 
sache,  dass  es  der  heutigen  Histologie  nicht  sowohl  um  klare  Begriffe 
vom  Zellenopganismus  und  um  Erkenntniss  seines  Entwicklungslebens, 
als  vielmehr  um  massenhafte  Anhäufung  unverbundener  Thatsacben  zu 
thun  ist;  letztere  erscheinen  um  so  willkommener,  je  mehr  sie  den  Cha- 
racter  eines  un verstündlichen  Guriosums  tragen  und  je  weniger  sie  ge- 
eignet sind,  sich  in  Bekanntes  einzufügen  und  das  Ganze  harmonisch  zu 
erUiutern.  Wer  aber  mit  der  Morphologie  der  niedersten  Organismen 
sich  beschäftigt  und  wer  in  der  Entwicklungsgeschichte  die  Quelle  des 
Verständnisses  für  die  complicirten  anatomischen  Verhältnisse  der  Orga- 
nismen erblickt,  der  wird  früher  oder  später  genöthigt  sein,  die  Begriffe 
der  Cytode  und^  der  Zelle  zu  trennen  und  getrennt  zu  verwerthen. 
Zellen  und  Gytoden  sinddie  beiden  wichtigsten  Grund- 
formen oder  Hauptarten,  unter  denen  überhaupt  der  Ele- 
mentarorganismus (Brückb)  oder  die  Plastide,  das  »Indivi- 
duum erster  Ordnung«  auftritt.  Die  Gytoden,  als  die  kern- 
losen individuellen  Plastiden,  stellen  die  ältere,  einfachere  und  niedere 
Hauptform  der  Plastide  dar,  aus  der  sich  erst  secundär  durch  Differen- 
zirung  von  centralem  Nucleus  und  peripherischem  Protoplasma  die  echte, 
d.  h.  kernhaltige  Zelle  entwickelt  hat.  Erst  in  zweiter  Linie  entsteht 
die  Frage,  ob  die  Plastiden  nackt  oder  von  einer  Hülle  umgeben  sind. 
Hiernach  lassen  sich  dann  weiter  vier  untergeordnete  Plastidenformen 
unterscheiden,  nämlich  4)  Urcytoden  (Gym  nooytodae) :  Plastiden 
ohne  Kern,  ohne  Membran  oder  Schale;  3j  Uüllcytoden  (Lepoey- 
todae):  Plastiden  ohne  Kern,  mit  Membran  oder  Schale;  3)  Urzellen 
(Gymnocyta):    Plastiden    mit  Kern,    ohne   Membran   oder   Schale: 


1}  E.  Haeckel.  Generolle  Morphologie.  Vol.  I,  pag.  269  '»Morphologische  In- 
dividualität der  Or^auisnieii«!  Monographie  der  Moneren  (Diehe  Zeitscbrifl, 
ßand.  V.  4S10,  pag.  498).     Monographie  der  KalKscbw&mmCi  Vol.  I.  pag.  |04  etc. 


526  l'^rnst  lUeckel, 

4)  Hülizcllen  (Lepocyta):  Plasiiden  mit  Kern ,  mit  Membran  oder 
Schale. 

Bei  scharfer  Unterscheidung  dieser  wesentlich  verschiedenen  bei- 
den Hauptformen  der  Piastiden  lautet  demnach  die  Frage  jetzt  eigentlich  : 
Hat  der  Giliatenkörper  den  Formwerth  einer  Gytode  oder  einer  Zolle  ? 
odei*  besteht  derselbe  aus  einem  Complexe  von  mehreren  Cyloden  oder 
von  mehreren  Zellen? 

Von  entscheidender  Bedeutung  für  diese  Hauptfragen  ist  in  ersler 
Linie  die  Entwicklungsgeschichte  und  erst  in  zweiter  |»inie  die 
Anatomie  des  entwickelten  Ciliatenkörpers.  Von  entscheidender  Be- 
deutung dafür  ist  femer  vor  Allem  die  Natur  des  Nucleus,  und 
dessen  Verhalten  sowohl  während  der  Ontogenese,  wie  im  entwickelten 
Körper.  Die  Vertheidiger  sowohl  wie  die  Gegner  der  Einzelligkeit  haboi» 
bisher  sich  immer  vorzugsweise  auf  die  Structurverhültnisse  des  ent- 
wickelten Infusörienkörpers  gestützt;  und  die  Ontogenese  entweder  gar 
nicht  oder  nur  nebenher,  in  zweiter  Linie  berücksichtigt.  Und  doch  ist 
die  Entwicklungsgeschichte  hier,  wie  überall,  y>der  wahre  Lichtträger 
für  Untersuchungen  über  organische  Körper«.  Wir  werden  daher  hier 
umgekehrt  verfahren  und  unserem  stet^  festgehaltenen  Princip  gemäss 
vor  Allem  in  der  Ontogenese  der  Giliaten  den  festen  Boden  zu  ge- 
winnen trachten,  von  welchem  aus  wir  die  Morphologie  des  entwickelten 
Körpers  zu  beurtheilen  haben. 

Hier  ist  nun  vor  Allem  als  feststehende  fundamentale  That- 
Sache  zu  constatiren  ,  dass  bei  der  grossen  Mehrzahl  der  Giliaten  (und 
wahrscheinlich  bei  allen!)  aus  Theilstücken  des  Nucleus  mehrere  Keim- 
zellen hervorgehen,  von  denen  jede  einzelne  sich  direct  in  einen  Em- 
bryooder in  den  Körper  eines  jungen  Giliaten  umbildet.  Diese  Keimzellen 
nennt  Stkin  »Ke  i  m k ug e t  n«,  Balbiani  hingegen  »E  i e r«.  Den  letzteren 
Namen  würden  sie  verdienen,  wenn  sie  zu  ihrer  weiteren  Etitwicklung 
der  Befruchtung  bedürften.  Indessen  ist  bekanntlich  in  neiiester  Zeit  die 
ganze  Lehre  von  der  sexuellen  Fortpflanzung  der  Giliaten  und  von  der 
Befruchtung  ihrer  »Eier«  durch  »Samenfäden«,  welche  einige  Jahre  hin- 
durch als  ausgemacht  galt,  wieder  sehr  zweifelhaft  geworden.  Bei  der 
grossen  Mehrzahl  der  Giliaten  sind  überhaupt  noch  keine  Samenföden, 
und  ebenso  wenig  der  »Nucleolusa  oder  Hoden,  aus  dem  letztere- angeb- 
lich hervorgehen  sollen ,  beobachtet  worden.  Bei  anderen  werden  jetzt 
die  angeblichen  Samenfäden  als  parasitische  Vibrionen  oder  sonstige 
eingedrungene  fremde  Körper  erklärt.  Jedenfalls  erscheint  es  beim 
jetzigen  Zustande  unserer  Kenntnisse  vorsichtiger,  den  zuverlässigen  und 
unzweideutigen  Beweis  für  die  angebliche  sexuelle  Fortpflanzung  abzu- 
warten,  und  demgemäss  die  »Keimkugeln«  Steins  und  der  anderen 


Zur  Morphologie  der  Infnsorien.  527 

Autoren  nicht  als  Eizellen  ,  sondern  als  geschlechtslose  Keiitizellen  oder 
Sporen  zu  bezeichnen.  Uebrigens  ist  die  Entscheidung  dieser  Frage 
fUr  das  zuniichst  hier  zu  entscheidende  Problem  ganz  gleichgültig.  Die 
Hauptsache  ist,  dass  die  Spore  (die  »  Keimkugel «  der  Autoren,  das  »Ei« 
von  Balbianj)  den  Formwerth  einer  einfachen  echten  Zelle 
besitzt.  Für  diese  Zellennatur  der  Reknzelle  ist  es  ganz  einerlei,  ob 
dieselbe  zu  ihrer  weiteren  Entwicklung  durch  »Samenfiidenu  befruchtet 
wird  o<ler  nicht.  Wer  die  zahlreichen  naturgetreuen  Abbildungen  be- 
trachtet, die  Stein,  CLAPARfcoE  und  Lachmann  in  ihren  umfangreichen 
Infusorienwerken  von  den  »Keimkugeln«  gegeben  haben,  der  wird 
schon  durch  die  Vergleichung  dieser  übereinstimmenden  Abbildungen 
zu  der  sicheren  Ueberzeugung  gelangen  ,  dass  diese  Keimkugeln  immer 
einfache  echte  Zellen  sind.  Meine  eigenen  Untersuchungen  bestätigen 
diese  Ansicht  durchaus.  Bei  Ciliaten  der  verschiedensten  Gruppen  habe 
ich  die  Sporen  mit  Hülfe  der  stärksten  VergrOsserungen  und  chemischer 
Reagentien  sorgfältig  untersucht  und  bin  stets  zu  demselben  Resultate; 
gekommen ,  dass  dieselben  den  Formwerth  einer  ganz  einfachen  Zelle 
besitzen,  und  zwar  einer  Urzelle,  deren  nackter  Körper  blos  aus 
zwei  verschiedenen  Bestandtheiien  besteht,  aus  einer  einfachen  nackten 
homogenen  Protoplasmakugel  und  einem  (meist  ebenfalls  kugeligen)  da- 
von umschlossenen  Nucleus.  (Taf.  XXVII,  Fig.  3 ;  Taf.  XXVIII,  Fig.  U.) 
Der  innere  Nucleus,  dessen  Durchmesser  meistens  etwa  ein  Drittel  von 
dem  der  structurlosen  Protoplasmakugel  beträgt,  ist  stärker  lichtbrechend 
als  letztere,  und  färbt  sich  nach  vorsichtigem  Zusatz  von  Karmin  oder 
(od  intensiver  als  diese.  Meistens  ist  der  Nucleus  fein  granulirt  und  ent- 
hält bisweilen  (aber  nicht  immer]  ein  dunkleres,  stark  lichtbrechendes 
Korn,  dessen  Deutung  als  wirklicher  Nucleolus  Nichts  im  Wege  steht. 
Häufig  scheint  dieser  Nucleolus  zu  fehlen;  statt  dessen  finden  sich  ein 
oder  ein  paar  ähnliche  Körner  neben  dem  Nucleus  im^  Protoplasma.  Bis- 
weilen lässt  sich  eine  dünne  structurlose  Zellmembran  als  Hülle  der 
Keimzelle  unterscheiden  ^j . 

'  Die  zweite  fundamentale  Thatsache  von  entscheidender  Bedeutung 
ist,  dass  sich  aus  dieser  Spore  direct  durch  einfaches  Wachs- 
thum   und   Differenzirung  der  Theile   der   Embryo   ent- 


4)  Mit  derselben  Bestimmtheit  erkennt  auch  Stein  die  Sporen  oder  Keimkugeln 
nis  wahre  Zellen  an,  indem  er  (in  der  zweiten  Abtheilung  seines  grossen  Werkes, 
1867,  pag.  24}  sagt:  »Wie  sehr  auch  augenblioklicb  die  Ansichten  über  die  geschlecht- 
liche Fortpflanzung  der  infusionsthiere  auseinander  gehen  mögen,  darin  sind  doch 
alle  Forscher  einig,  dass  die  erste  Anlage  zu  einem  neuen  Individuum  von  einem 
TheilslOck  des  Nucleus  gebildet  wird,  welches  entweder  sogleich  in  Form  einer 
Zelle  aus  dem  Nucleus  hervorgeht,  oder  doch  bald  nachher  diese  Form  annimmt, 


&2S  lernst  Haeckel, 

wickelt.  Dieser  Embryo  entsteht  aus  der  Spore  einfach  dadurch,  dass 
Cilien  aus  seiner  Oberfläche  hervorwachsen.  Bisweiten  bedecken  diese 
Cilien  gleichmässig  als  ganz  kurze  feine  Fliromerh^rchen  den  ganzen  Em-- 
bryokörper,  der  meistens  eine  länglich  runde  oder  eiförmige  Gesta It  an- 
nimmt, so  bei  unserer  Codonella  campanella,  Taf.  XXVlIj  Fig.  iiy 
1;i,  so  auch  bei  der  von  Steiiv  beschriebenen  Bursaria  truncatella 
(Stein,  II.  Äbtheilung,  p.  306,  Taf.  XIII,  Fig.  5j.  Änderemale  entwickeln 
sich  die  Fortsätze  der  Körperoberfläche  nur  an  einem  Ende  zu  feinen 
locomotiven  Wimperhärchen,  am  anderen  Ende  zu  drckercn ,  retracli- 
len,  am  Ende  meist  geknöpften  Tentakelfortsätzen,  so  z.  B.  bei  Stenior 
(Stein  l.  c.  Taf.  VIII,  Fig.  3,  4,  9).  Auch  jetzt  noch  ist  der  Embryo, 
der  in  dieser  Gestalt  meistens  bald  durch  den  Gebyrtsact  frei  wird, 
eine  einfache  Zelle,  und  zwar  eine  Flimmerzelle.  Der  Protoplasma- 
körper  enthält  auch  jetzt  weiter  Nichts  als  den  Nucleus,  und  auch  etwas 
später,  wenn  neben  diesem  leCzteren  die  »contractile  Blase«  auftritt, 
wird  dadurch  die  Zellennatur  desselben  nicht  im  Mindesten  geändert. 
Nirgends  tritt  aber  während  der  Embryonal- Entwicklung  eine  Vermeh- 
rung der  Kerne  auf,  oder  auch  nur  eine  Andeutung  der  Zollenvermeh- 
rung,  welche  bei  der  Entwicklung  aller  höheren  Thiere  den  Anfang  der 
Ontogenesis  einleitet  und  als  Furchung  bezeichnet  wird.  Dieses  höchst 
wichtige  Resultat  betont  auch  Stein  ausdrücklich,  indem  er  (I.  c.  p.  24) 
sagt:  »Mit  der  grössten  Klarheit  lässt  sich  verfolgen,  wie  die  Zelle,  welche 
zum  Embryo  vvird,  sich  in  diesen  umgestaltet.  Sie  bleibt  fort  und  fort 
eine  einheitliche  Masse,  vergrösseft  sich  mehr  oder  weniger,  und  nimmt 
allmälig  eine  gestrecktere  ovale  Form  an ;  in  ihrem  Protoplasma  treten 
ein  oder  mehrere  contractile  Behälter  als  erste  Zeichen  des  erwachenden 
thierischen  Lebens  auf,  und  an  ihrer  äusseren  Oberfläche  entwickelt 
sich  ein  totales  oder  partielles  Wimperkleid.  Hiermit  ist  im  Wesent- 
lichen die  Ausbildung  des  Embryo  vollendet,  er  regt  seine  Wimpern, 
fängt  an  sich  zu  drehen  und  herumzuwälzen,  und  sucht  nach  einem 
Ausweg  aus  dem  mütterlichen  Leibe.  Derselbe  Körper,  der  noch  vor 
Kurzem  eine  einfache  ruhende  Zelle  war,  ist  jetzt,  ohne  dass  irgend 
eine  sichtbare  Differenzirung  in  seiner  Substanz  eingetreten  wäre ,  im 
Stande,  sich  auszurecken  und  zu  verkürzen  und  verschiedentlich  zu 
krümmen  und  zu  winden.    Die  Keimkugel  oder  Embryoualzelle  der  la- 


indem  es  sich  zu  einer  lichten,  von  einer  stnicturlosen  Membran  begrenzten  Pro- 
toplasma-Kugel  gestaltet,  welche  einen  opakeren  centralen  Kern  einscblies»t. 
Diese  von  mir  als  »Keimkugel«  bezeichnete  Zeile  entwickelt  sich  nun  entweder 
unmittelbar  zu  einem  Embryo,  oder  sie  vvird  die  Mutter  neuer  Generationen  von 
gellen,  von  denen  eine  jede  für  sich  später  einen  Embryo  lieferta. 


Zur  Morphologie  der  iDfusorieu.  529 

4 

fusorien  verhält  sich  durchaus  nicht  wie  die  Eizelle  htiierer  Thiere, 
welche  durch  den  Furchungsprocess  in  ein  Haufwerk  kleinerer,  den  Em- 
bryonalkörper  constituirender  Zellen  zerfüllt,  sondern  sie  verwandelt 
sich,  wie  sie  ist,  in  den  Embryonalkdrper :  ihre  Membran  wird  zur  Gu- 
ticula,  ihr  Protoplasma  zur  Körpersarcode,  ihr  Kern  zum  Nudeus  des 
jungen  Infusionsthieres.  Der  Embryo  der  Infusionsthiere  ist 
also  offenbar  im  strengsten  Sinne  des  Wortes  ein  einzel- 
liger Organismusa. 

Auch  im  weiteren  Verlaufe  der  Ontogenese  der  Ciliaten  tritt  nie* 
mals  eine  wahre  Gewebebildung  ein ;  niemals  entstehen  durch  Theilung 
desNucleus  und  der  umgebenden  Protoplasmamasse  neue  Zellen,  welche 
sich  zu  verschiedenen  Geweben:  Epidermiszellen ,  Nerven,  Muskeln, 
Darmepithelialzellen  etc.  differenzirten.  Niemals  ist  überhaupt  in 
irgend  einem  Stadium  der  Entwicklung,  durch  irgend  eine  Unter- 
suchungsmethode die  Existenz  von  differenzirten  Zellen  im  Ciliaten- 
körper  nachzuweisen,  wie  besonders  Stbin  ausführlich  bewiesen  hat 
(l.  c.  p.  2£  u.  a.  a.  O.j.  Indem  ich  mich  seinen  bezüglichen  Angaben 
nach  meinen  eigenen  Beobachtungen  völlig  anschliesse ,  will  ich  aus- 
drücklich nochmals  den  vollständigen  Mangel  der  Furcfaung  als 
höchst  wichtigen  negativen  Character  hervorheben,  den  die  Ciliaten  mit 
allen  übrigen  Infusorien  und  mit  allen  Protozoen  überhaupt  theilen. 
Hierin  und  in  dem  dadurch  bedingten  vollständigen  Hangel  der 
Keimblattbildung  liegt  der  fundamentale  Unterschied,  welcher  die 
Protozoen  (und  Protisten)  von  allen  sechs  höheren  ThiersUimmen  trennt. 
Ich  halte  diesen  Unterschied  für  so  bedeutungsvoll ,  dass  ioh  die  dechs 
höheren  Phylen  des  Thierreichs  als  Metazoa  oder  Keimblattthtere 
zusammenfasse  und  der  keimblattlosen  Pro  tozoa  gegenüber  stelle;  ich 
werde  hierauf  gleich  bei  der  Anwendung  meiner  Gastraea-Theorie 
zurückkommen. 

Demnach  behält  auch  im  ganzen  weiteren  Laufe  der  individuellen 
Entwicklung  der  CiliatenkOrper  den  Formwerth  einer  einzigen  Zelle. 
Nur  bei  denjenigen,  wenig  zahlreichen  Ciliaten  wird  derselbe  später 
mehrzellig,  wo  durch  Theilung  des  ursprünglichen  Nucleus  zwei  oder 
mehrere  Nuclei  entstehen.  Zwei  Nuclei  neben  oder  hinter  einander  lin- 
den sich  bei  mehreren  Oxytrichinen  und  Am  philo  ptus-Arten;  vier 
Nuclei  soll  nach  Stbin  Onychodromus  grandis  besitzen,  eine 
grössere  Anzahl  Lox  ödes  rostrum  und  Enohelys  gigas.  Natürlich 
besteht  in  allen  diesen  Fällen  der  Körper  aus  so  vielen  Zellen,  als  Nuclei 
vorhanden  sind;  denn  nur  der  Nucleus  bestimmt  die  Indivi- 
dualität derZclIe,  und  der  vielgebrauchte  Ausdruck  :  » vielkemige 
Zcllßa  i^l  eine  vGontradiaio  iq  adjecto«  (Vergl.  hierüber  die  Monographie 


530  Ernst  HÄerkfl, 

der  Külkschwämme^  Vol.  I.  p.  <0o).  Indessen  ist  noch  sehr  die  Frage,, 
ob  hier  nicht  die  Mehrzahl  der  Kerne  bereits  mit  der  Sporenbildung  in 
Zusammenhang  steht.  Sollte  dies  aber  auCh  nicht  der  Fall  sein  und 
sollten  diese  »vielzelligen  Giliaten«  wirklich  im  ausgebildeten  Zu- 
stande constant  mehrere  Nuclei  besitzen,  so  würde  dieser  Umstand 
deshalb  für  unsere  morphologische  Betrachtung  ohne  wesentliche  Be- 
deutung sein,  weil  die  Mehrzahl  der  Nuclei  bei  allen  diesen  vielzelligen 
Individuen  ohne  jeden  Einfluss  auf  ihre  sonstige  Organisation  ist,  diese 
letztere  vielmehr  ganz  mit  derjenigen  der  einzelligen  Ciliaten,  also 
der  grossen  Mehrzahl  übereinstimmt.  Wir  brauchen  daher  auf  alle  diese 
vielzelligen  Ciliaten  zunächst  weiter  keine  Rücksicht  zu  nehmen ,  und 
werden  erst  später  auf  sie  zurückkommen. 

Nachdem  festgestellt  ist,  dass  ebenso  W9hl  die  Spore  (oder  »Keini- 
kugel«)  als  auch  der  daraus  hervorgegangene  »Embryoa  und  das  ge- 
borene und  weiter  entwickelte  jugendliche  Ciliat  den  Form  wert  h 
einer  echten  einfachen  Zelle  besitzt,  ist  nun  weiter  zu  entschei- 
den, ob  auch  der  vollkommen  entwickelte,  reife  und  fortpflahzungs- 
fähige  Giliatenorganismus  immer  noch  denselben  einfachen  Formwerth 
behält.  Hier  scheidet  sich  unser  Weg  von  demjenigen  der  grossen 
Mehrzahl  der  Infusorienbeobachter.  Nach  reiflicher  Erwägung  aller  be- 
züglichen Verhältnisse  und  auf  Grund  vielfältiger  eigener  Untersuchungen 
muss  ich  auf  den  Satz  von  Sibbold  und  Köllikbr  zurückkommen,  dass 
auch  der  vollkomnien  ausgebildete  Körper  des  reifen  Ciliaten  (sofern 
derselbe  nur  einen  Nucleus  besitzt!)  immer  nur  den  morphologischen 
Werth  einer  Zelle  behält.  Hier  trennt  sich  unser  Weg  der  Betrach- 
tung auch  von  demjenigen  Steins,  welcher  sagt  (I.  c.  p;  ?2) :  »die  In- 
fusorien sind  in  Bezug  auf  ihren  Ursprung  entschieden  einzellige 
Thiere,  und  wenn  man  diese  Bezeichnung  nur  in  diesem  Sinne  ge- 
brauchte, so  würde  ich  dieselbe  durchaus  gerechtfertigt  finden ;  ja  sie 
würde  sich  sogar  ungemein  empfehlen,  weil  sie  den  fundamentalsten 
Unterschied  der  Infusionsthiere  von  den  ausserhalb  des  Protozoenkreises 
stehenden  Thieren,  die  ihrer  ersten  Anlage  nach  mehrzellige  Organismen 
sind,  sehr  prägnant  ausdrückt.  Die  ausgebildeten  Infusionsthiere  aber 
wird  man  immer  Anstand  nehmen  müssen  als  einzellige  Organismen  zu 
bezeichnen;  denn  sie  sind  nicht  blos  einfach  fortgewachsene  Zellen, 
sondern  der  ursprüngliche  Zellenbau  hat  einer  wesentlich  anderen  Orga- 
nisation Platz  gemacht,  die  der  Zelle  als  solcher  durchaus  fremd  ista. 

Diesen  letzteren  Satz  hoffe  ich  durch  die  nachstehende  Betrachtung 
zu  widerlegen  und  zu  zeigen ,  dass  auch  bei  den  höchst  entwickelten 
und  am  stärksten  differenzirten  Ciliaten  Nichts  im  Wege  steht,  ihren 
ganzen  Körper  als  eine  einzige  Zelle  aufzufassen.    Selbstverständlich 


Zur  Morpholpgie  der  Infusorien,  ^3] 

darf  man,  um  zu  dieser  Ueberzeugung  zu  gelangen,  nicht  die  Giliaten  mit 
so  einfachen  und  indifferenten  Zellen  vergleichen,  wie  z.  B.  die  Eizellen, 
die  Furchungszellcn,  die  meisten  Drttsenzelien,  Epithelialzellen  etc. 
darstellen;  sondern  man  muss  die  am  meisten  differenzirten Zellenformen 
in  Betracht  ziehen ,  wie  z.  B.  die  Nervenzellen ,  Muskelzeilen ,  Nessel- 
zellen, viele  Parenchymzelleu  von  Pflanzen  etc.  sind.  Nun  denke  man 
nur  einmal  an  den  verwickelten  Elementarorganismus,  welchen  nach  den 
neueren  histologischen  Entdeckungen  viele,  bisher  fUr  sehr  einfach  gehal- 
tene Zellen  im  Thier-  und  im  Pflanzenkörper  darstellen  ;  man  denke  nur 
an  die  Nervenzellen  der  höheren  Thiere  mit  ihrem  Fibrillensystem ;  an  die 
Nesselzellen  der  Siphonophoren^  mit  ihren  höchst  differenzirten  Nessel- 
kapseln, Nesselschlauchen,  NesselfUden  etc.,  die  sich  neben  dem 
Kerne  im  Protoplasma  der  Nesselzelle  entwickeln ;  man  denke  weiter  an 
die  einzelligen  Drüsen  vieler  niederen  Thiere,  mit  ihrem  »Ausführgang«, 
ihrer  constaoten  Mündung  (oMundöfi'nunga),  ihren  verschiedenartig  ge- 
formti'n  Einschlüssen  und  Excrementen ;  man  denke  an  den  höchst  com- 
plicirten  Bau  der  quergestreiften  Muskelzellen ;  man  denke  endlich  an 
den  verwickelten  Organismus,  den  viele  Pflanzenzellen  mit  ihren  man- 
nigfaltig differenzirten  Umhüllungen,  ihren  Porencanalen ,  ihren  pul- 
sircnden  Vacuolen  (» contractilen  Blasen  a),  ihrem  inneren  Protoplasma- 
geflecht und  dessen  mannigfachen  Einschlüssen  (Amylumkörnern,  Chlo- 
rophyllkömern  etc.)  darstellen  —  und  man  wird  bei  unbefangener 
Vergleichung  zügelnen  müssen,  dass  jeder  dieser  »einzelligen«  Elemen- 
tarorganismen hinsichtlich  seiner  mannigfaltigen  Zusammensetzung  aus 
differenten  Formhestandtheilen  und  somit  hinsichtlich  seiner  »vollkom- 
menen Organisation  «  dem  Giliatenorganismus  im  Ganzen  Nichts  nachgiebt. 
Der  Unterschied  isl*  nur  der,  dass  die  hohe  DifTerenzirung  bei  den  ange- 
führten, im  socialen  Zellenverbande  des  vielzelligen  Organismus  lebenden 
Zellen  eine  einseitige,  durch  die  specielle  physiologische  Function  der 
betreffenden  Gewebe  bedingte,  ein  Product  der  Arbeitstheilung  ist;  die 
hohe  DifTerenzirung  des  Giliatenorganisnms  hingegen,  der  als  isolirte 
Einsiedlerzelle  für  alle  Bedürfnisse  des  Lebens  zu  sorgen  hat ,  ist  eine 
allseitige,  anfalle  Lebensfunctionen  ausgedehnte:  die  Ciliatenzelle 
vereinigt  in  sich  viele  verschiedene  Differenzirungs-Processe,  die  wir 
bei  anderen  Zellen  getrennt  w^ahrnehmen. 

Wenn  wir  von  diesem  Gosichtspuncte  aus  die  Organisation  der  Ci- 
liatenzelle prüfen,  so  müssen  wir  zunächst  blos  diejenigen  Körpertheile 
und  Organe  ins  Auge  fassen ,  welche  allen  echten  Giliaten  gemeinsam 
sind ,  welche  bei  der  Ontogenese  der  Spore  sich  zuerst  differenziren, 
welche  demnach  auch  bezüglich  ihrer  Phylogenese  als  die  »Itesten ,  so- 
wie für  die  morphologische  Beurtheilung  dos  Giliatenkörpers  und  seiner 


532  Ernst  Hneek«!, 

Stellung  im  System  als  die  wichtigsten  anzusehen  sind.  Diese  Organe 
sind  die  Rindensehieht,  das  Markparenchym  und. der  an  der  Grenze 
beider  gelegene  Nueleus.  Indem  wir  von  »Organen«  des  CHiatenktir- 
pers  sprechen,  gebrauchen  wir  diesen  Begriff  selbstverständlich  nur  im 
physiologischen  Sinne,  alsBiorgan.  Hingegen  müssen  wir  Organe 
im  morphologischen  Sinne,  wirkliche  Idorgane,  den  Infusonen 
absprechen,  da  diese  als  Formindividuen  zweiter  Ordnung  selbstver- 
sUindlich  immer  aus  einer  Mehrzahl  von  Piastiden  oder  Formindividuen 
erster  Ordnung  zusammengesetzt  sein  müssen  (vergl.  die  Monographie 
der  Kalkschwämme,  Bd.  I.  p.  103,  109). 

Der  erste  Differenzirungsprocess,  welchem  wir  bei  den  Embryonen 
oder  bei  den  unmittelbar  aus  den  einzelligen  nackten  Sporen  entwickel- 
ten bewimperten  Jugendzuständen  der  Ciliaten  allgemein  begegnen,  ist 
die  Differenzirüng  ihres  Protoplasmakörpers  in  eine  hellere  festere  Rin- 
densubstanz und  eine  trubkörnige  weichere  Marksubstanz. 
Diese  Differenzirüng  entspricht  durchaus  derjenigen  ,  welche  sich  aucli 
bei  den  Ämoeben,  sowie  bei  sehr  vielen  Parenchymzellen  höherer  Thiere 
vollzieht.  Bei  den  Geisseizellen  des  Entoderms  der  Kalkschwämme  habe 
ich  sie  jüngst  ausführlich  besprochen  und  die  beiderlei  Differenz! rungs- 
producte  als  Exoplasma  und  Endoplasmn  bezeichnet  (1.  c.  Vol.  I. 
p.  138}.  Die  dort  gegebene  allgemeine  Darstellung  passt  vollständig 
auch  auf  den  jungen  Ciliatenkörper,  weshalb  ich  sie  hier  wörtlich 
wiederholen  will :  » Die  äussere  Rindensubstajiz  (Exoplasma)  ist 
völlig  hyalin,  etwas  fester,  wasserärmer,  stärker  lichtbrechend  und  ent- 
hält gar  keine  Körnchen.  Die  innere  Marksubstanz  (Endoplns- 
ma)  ist  körnig,  etwas  wasserreicher,  schwächer  lichtbrechend  und  ent- 
hält die  Granula.  So  deutlich  sich  die  beiderlei  Substanzen  auch  oft 
von  einander  scheiden,  so  sind  sie  dennoch  niemals  scharf  getrennt, 
gehen  vielmehr  ohne  bleibende  Grenzschicht  in  einander  über,  ähnlich 
wie  die  hyaline  Rindensubstanz  und  die  körnige  Marksubstanz  des  Tn- 
fusorienkörpers«.  (Vergl.  die  Abbildung  der  Geisselzellen  eines  Ascon, 
I.  c.  Taf.  1,  Fig.  8;  eines  Leucon,  Taf.  25,  Fig.  5,  6 ;  eines  Sycon,  Taf. 
41, 'Fig.  7.) 

Die  Rindensubstanz  oder  das  Exoplasma  der  Ciliaten  ,  das 
»Tegument«  von  Clapar^de  und  Lachmann,  das  »Rindenparenchynu 
von  Stein,  die  Hautschicht  oder  Haut  der  Autoren,  ist  ursprüng- 
lich eine  vollkommen  homogene  und  structurlose ,  farblose,  hyaline 
Schicht  von  festerem  Protoplasma,  welches  sich  von  dem  trüben,  körni- 
gen, weicheren  Protoplasma  der  inneren  Eörpermasse  durch  einen  ge- 
ringeren Grad  von  Wassergehe'  «^l  an  körnigen  F' 
und  durch  hohe  selbständig  uszeichnet. 


Zur  Morphologie  der  Infusorien.  533 

bewegliche  Anhänge  des  Ciliatenkörpers,  die  Wimpern  in  ihrer  man- 
nigfachen Gestalt,  die  Borsten,  Uaare,  Stacheln,  Haken,  Griffel  etc. 
sind  weiter  Nichts  als  structurlose  Fortsätze  dieses  Exoplasma ,  welche 
dessen  Coniractilildt  oder  »Automatie«  theilen.  Sie  verhalten  sich  in 
dieser  Beziehung  gerade  so,  wie  die  Wimpern  und  Geissein  der  Flim- 
merzellen ,  welche  das  Flimmerepithelium  mehrzelliger  Thiere  consti- 
tuiren. 

Bei  vielen,  aber  nicht  bei  allen  (!)  Ciliaten  erfolgt  secundtir 
eine  weitere  Differenzirung  dieser  Bindenschicht  in  verschiedene  Lagen, 
und  da  gerade  die  Beschaffenheit  dieser  secundür  differenzirten  Haut- 
schichten neuerdings  vorzüglich  als  Argument  for  die  Viel zelligkeit  ver- 
werthet  worden  ist,  müssen  wir  dieselben  einzeln  betrachten.  Bei  den 
am  höchsten  differenzirten  Infusorien  lassen  sich  folgende  vier  Schichten 
als  Differenzirungsproducte  des  Exoplasma  unterscheiden  :  1  j  die  Guti- 
cularschicht;  2J  die  Wimperschicht:  3)  die  Myophanschicht ;  4)  die 
Trichöcystenschicht. 

Die  Cuticula  des  Giliatenkörpers  wird  von  verschiedenen  Auto- 
ren in  wesentlich  verschiedenem  Sinne  betrachtet.  Die  Mehrzahl  der 
Autoren  fasst  unter  dieser  Bezeichnung  die  wirklichen  Cuticularbilduu- 
gen  und  die  wesentlich  davon  verschiedene  Wimperschicht  mit  ihren 
mannigfaltigen  Anhüngen  zusammen.  Diese  Zusammenfassung  ist  voll- 
slUndig  unzulässig.  Denn  der  Begriff  der  Cuticula  ist  sowohl  in  der 
Histologie  der  Pflanzen  als  der  Thiere  längst  fest  bestimmt,  und  bezeich- 
net lediglich  Ausscheidungen,  erhürtete  Ausschwitzungen  der 
äusseren  Oberflache  des  Körpers.  Die  sämmtlichen  Cuticularbiidungen 
sind  demnach  stcls  todte  Plasmaproducte ,  niemals  lebendige  und  be- 
wegliche Theile  oder  differenzirte  Schichten  des  Protoplasma.  Nun 
kommen  allerdings  solche  äussere  Ausscheidungen  der  Rindenschicht 
bei  den  Ciliaten  vor,  jedoch  in  viel  geringerer  Ausdehnung  als  dies 
allgemein  angenommen  wird.  Die  grosse  Mehrzahl  der  Ciliaten  dürfte 
keine  wahre  Cuticula  besitzen.  Zu  den  echten  Cuticularbiidungen 
rechne  ich:  \)  die  dünne,  homogene,  hyaline  Haut,  welche  bei  man- 
chen Infusorien,  z.  B.  Paramaecium,  T  rieh  od  i  na  unmittelbar  über 
der  nächstfolgenden  Wimperschiebt  liegt,  eine  chitinartige  Beschaffen- 
heit besitzt  und  von  den  Wimpern  durchbohrt  wird;  2)  die  structurlose 
äussere  elastische  Schicht  des  Stiels  der  Vorlicellinen  etc.;  3)  die 
gallertartigen  Hülsen  und  Gehäuse,  wie  sie  manche  Ciliaten,  z.  B. 
Stentor,  vorübergehend  ausschwitzen,  andere  z.  B.  Cothurnia, 
V  a  g  i  n  i  c  0 1  a,  zeitlebens  besitzen ;  4]  einen  Theil  der  mannigfach  diffe- 
*en  »Panzer«  und  Gehäuse,  sowie  die  »Schalen«  vieler  Ciliaten. 


534  l^^rnst  Haeekel, 

Ein  Theil  dieser  Schalen  besteht  hlos  aus  einem  festeren ,  erhärteten 
Theil  der  Wimperschicht.  Ein  anderer  Theil  hingegen  ist  wirklich  ein 
erhärtetes  Seci^t  der  letzteren  und  hat  mit  dieser  keinen  organischen 
Zusammenhang  mehr.  Dahin  gehören  namentlich  die  glockenförmigen^ 
chitinartigen  Gehäuse  der  Tintin n od een  und  der  nahe  verwandten 
Codonelliden,  sowie  die  zierlichen  gitterfbrmig  durchbrochenen 
Kieselschalen  der  Dictyocystiden,  welche  in  dem  nachfolgenden 
Aufsätze  »über  einige  neue  pelagische  Infusorien«  näher  beschrieben 
sind  (Taf.  XX  VII,  XX VIII) .  Diese  S  c  h  aj  c  n  oder  Gehäuse  vieler  »ge- 
panzertera  Infusorien  sind  hinsichtlich  ihrer  Genese  und  morphologischen 
Bedeutung  den  ausgeschiedenen  Membranen  vieler  Zellen  gleichzusetzen; 
und  wenn  man  bedenkt,  welchen  verwickelten  und  vielgestaltigen  Bau 
diese  Zellmembranen  (als  »äussere  Protoplasma  producte!«]  bei  vielen 
Pflanzenzellen  (Pollen!),  bei  den  Eizellen*  vieler  Thiere  erreichen, 
welche  mannigfaltigen  Fortsätze,  Anhänge  etc.  hier  von  denselben 
gebildet  werden,  so  wird  man  nicht  die  mindeste  Schwierigkeit  finden, 
auch  die  vielfach  differenzirten  Gehäuse  der  Ciliaten  unter  den  Begriff 
der  »Zellmembran«  oder  wenn  man  lieber  will,  des  »Zellgehäusesn 
unterzubringen. 

Die  Wimperschicht,  welche  allen  Ciliaten  ohne  Ausnahme 
zukömmt,  liegt  bei  den  mit  einer  wahren  Guticula  versehenen  Arten 
unter  dieser  letzteren,  während  sie  bei  den  einer  Guticula  entbehrenden 
die  oberflächlichste  Körperschicht  darstellt.  Dieselbe  besteht  aus  einer 
dünnen  homogenen ,  ziemlich  festen ,  elastischen  und  contractilen  Haut, 
als  deren  unmittelbare  Fortsätze  sämmtliche  Wimpern  (und  die 
daraus  diflerenzirlen  Haare,  Borsten,  Stacheln,  GrifiTel,  Haken  eU\] 
anzusehen  sind.  Die  meisten  Autoren  betrachten  die  letzteren  als  di~ 
recte  Fortsätze  der  Guticula.  Indessen  ist  diese  Anschauungsweise 
nach  dem ,  was  wir  vorher  über  den  festen  histologischen  Begriff  der 
Guticula  bemerkt  haben,  vollkommen  unzulässig.  Die  contractilen  und 
beweglichen  Gilien  und  ebenso  alle  durch  deren  Differenzirung  entstan- 
denen Fortsätze  können  nur  Fortsätze  einer  lebendigen  contractilen  Pa- 
renchymschicht ,  nicht  aber  einer  todten ,  von  dieser  ausgeschiedenen 
Guticula  sein.  Wo  daher  eine  wirkliche,  auf  der  Wimperschicht  liegende 
Guticula  vorhanden  ist,  da  müssen  nothwendig  die  Gilien  letztere  durch- 
bohren ;  bei  den  mit  einem  umfänglichen  Schalengehäuse  versehenen 
müssen  sie  aus  einer  Oeffnung  des  letzteren  hervortreten.  Bei  der 
Mehrzahl  der  Ciliaten  aber,  bei  denen  weder  eine  Guticula  noch  ein 
Gehäuse  den  nackten  Körper  umschliesst,  da  wird  die  ganze  Oberfläche 
des  Körpers  von  der  dünnen  Wimperschicht  gebildet,  von  der  direct  die 
Gilien  entspringen. 


Zar  Morphologie  der  Infosorien.  535 

Die  Myophanscbicht,  welche  ich  hier  als  dritte  besondere 
Schicht  der  RiDdensubstanz  unterscheide,  ist  identisch  mit  derjenigen, 
welche  die  meisten  neueren  Autoren  als»MuskelsGhichta oder  »Mu»- 
kelhaut«  auffuhren.  Sie  hat  sich  keineswegs  bei  allen ,  doch  wohl  bei 
der  Mehrzahl  der  Ciliaten  deutlich  nachweisen  lassen,  und  erscheint  als 
ein  System  von  regelmässigen,  parallelen,  feinen  Streifen,  welche  mei- 
stens in  longitudinaler ,  anderemale  in  transversaler  (circularer),  bis- 
weilen auch  in  spiraler  Richtung  (Spirostomum)  dicht  gedrängt  neben 
einander  verlaufen  und  abwechselnd  heller  und  dunkler  erscheinen. 
Zuerst  hat  0.  Sghmu>t  die  dunkleren  (stärker  Hchlbrechenden)  Strei- 
fen, welche  oft  aus  einer  Reihe  hinter  einander  liegender  Körnchen  zu- 
sammengesetzt oder  selbst  deutlich  quergestreift  erscheinen,  für  Mus- 
kelfasern erklärt  und  die  ganze  Faserschicht  dem  Hautmuskelschlauche 
der  Würmer  verglichen.  Auch  Stein  und  Andere  haben  sich  dieser 
Deutung  angeschlossen.  Grsbff  hat  neuerdings  umgekehrt  die  schma- 
leren hellen  Streifen  für  Muskelfasern  erklärt;  er  scheint  dieselben  für 
hohl  zu  halten;  wenigstens  spricht  er  von  »Lumina  der  Muskelfasern« 
(L  c.  p.  381).  Aus  den  Beobachtungen  von  0.  Schhidt,  Stein  und  An- 
deren scheint  mit  ziemlicher  Sicherheit  hervorzugehen,  dass  die  dunk- 
leren, oft  kömigen,  bisweilen  wirklich  »quergestreiften«  Fasern,  zu 
denen  auch  der  characteristische  »Stielmuskel«  der  Vorticellen  gehört, 
wirklich  contractile  Fasern  sind,  welche  durch  ihre  Gontraction 
analog  Muskeln  wirken  und  Formveränderungen  des  Körpers  bewir- 
ken. Vom  physiologischen  Standpuncte  aus  erscheint  diese  Ver- 
gleichung  gerechtfertigt  und  wird  namentlich  durch  die  bekannten 
Untersuchungen  von  Kühne  bis  zu  einem  gewissen  Grade  gesichert. 
Vom  morphologischen  Standpuncte  aus  können  wir  dieselbe  aber 
nicht  gelten  lassen,  sondern  können  diesen  contractilen  Streifen  nur  den 
Werth  von  differenzirten  Sarcodezügfn  oder  Protoplasmasträngen  zuge- 
stehen. Für  den  morphologischen  Begriff  des  Muskels  ist 
seine  Zellennatur  unerlässlich.  Muskeln  in  morphologischem  Sinne  können 
wir  nur  solche  Zellen  oder  Zellencomplexe  nennen,  welche  aus- 
schliesslich die  Fähigkeit  der  Gontraction,  d.  h.  der  selbständigen 
Verkürzung  mit  gleichzeitiger  Dickenzunahme  besitzen.  Jede  Muskel- 
faser ist  entweder  eine  einzige  Zelle  (mit  einem  Kern) ,  so  z.  B.  die 
glatten  Muskelelemente  der  Wirbelthiere ;  einzellige  Muskeln;  oder 
sie  ist  ein  Aggregat  von  mehreren  innig  verbundenen  Zellen  (ein  Syn- 
cytium)  <),  in  welchem  Falle  die  Zahl  der  eingeschlossenen  Kerne  die 


4 )  (Jeher  den  Begriff  des  Syncyliums  vergl.  meine  Monographie  der  Kalk- 

schwtfmme,  Vol.  I,  p.  464. 

Bd.  Vn.  4.  S5 


&36  Bt^BtHaeek«!; 

Zahl  der  Zellen  anzeigt,  aus  denen  die  »vielzellige  Hnskelfasef«  zusam- 
mengesetzt isU   Die  wahre  Muskelfeser  muss  demnach  stets  entweder 
einen  oder  mehrere  Kerne  enthalten ,  oder  wenigstens  während  ihrer 
Entwicklung  enthalten  haben.   Bei  den  angeblichen  »Muskelfasema  der 
Infusorien  ist  dies- nirgends  der  Fall;  niemals  zeigen  dieselben   eine 
Spur  von  einem  Kerne  oder  von  einer  Zusammensetzung  aus  Zellen ; 
vielmehr  lassen  sie  sich  nur  als  T heile  einer  Zelle  auffassen,  und  z^^ar 
nur  als  Theile  einer  dünnen  Wandschicht,   die  allerdings  einer  Ar- 
beitstheilung  der  Plastidule^),  d.   h.  einer  Dlfferenzirung  der 
Sarcodemolekule  im  Protoplasma  der  Zelle  ihren  Ursprung  verdanken. 
Theile  einer  Zelle  können  aber  niemals  als  Muskeln  bezeichnet  wer- 
den«  Richtiger  ist  die  Vergleichung  Köllikbr's,  der  die  quergestreiften 
Faserztlge    der  Ciliaten   mit  »Muskelfibrillen«    zusammenstellt.     Doch 
bleibt  dabei  zu  berücksichtigen,  dass  es  noch  Niemandem  gelungen  ist, 
diese  contractüen  Sarcodestränge  wirklich  als  einzelne  Fasern  eu  isoii- 
ren.    Aber  auch  noch  aus  einem  zweiten  Grunde  dürfen  wir  die  frag- 
lichen Faserzttge  nicht  als  Muskeln  gelten  lassen..  Wahre  Muskeln  können 
wir  nur  bei  solchen  Thieren  annehmen,   welche  auch  unzweifelhafte 
Nerven  besitzen.   Wo  die  Dlfferenzirung  in  Muskel  und  Nerv  überhaupt 
noch  nicht  eingetreten  ist,  da  kann  man  in  strengerem  Sinne  ebenso 
wenig  von  Muskeln  als  von  Nerven  sprechen ,   sondern   muss  Zellen, 
welche  die  Functionen  dieser  beiden  Gewebe  noch  vereint  vollziehen, 
»Neuromuskelzellem  nennen.    Den  scharfsinnigen  Nachweis  hier- 
für hat  N.  KLBiifBifBBRG  in  seiner  vortrefflichen  Monographie  der  Hydni 
geliefert^) .  Nun  ist  es  aber  bekanntlich  noch  keinem  einzigen  Beobach- 
ter gelungen,  auch  nur  die  Spur  eines  Nervensystems  in  den  Ciliaten 
nachzuweisen ;  vielmehr  haben  alle  dahin  zielenden  Erfolge  rein  nega- 
tive Resultate  gehabt.   Wir  würden  also,  selbst  wenn  die  angeblichen 
Muskeln  der  Infusorien  wirkliche  Zellen   oder  Zellenaggregate  waren, 
sie  höchstens  als  »Neuromuskelzellen«  bezeichnen  dürfen.    Das  ist  nun 
aber  keineswegs  der  Fall.    Vielmehr  sind  sie  den  Neuromuskeln  nur 
physiologisch,  aber  nicht  morphologisch  zu  vergleichen ;  mithin  können 
wir  ihnen  nur  den  Werth  von  diSbrenzirten  contractilen  Sarcodezügen 


i)  Deo  von  Dr.  Elsbbrg  iaNew-York  vorgeschlagenen  Ausdruck  »Plastidul« 
stall  des  vielsylbigen  Wortes  »Protoplasma-MolekuI«  balle  ich  für  eine  kurze 
und  passende  Bezeichnung  lUr  die  hypotheUschen  Sarcode-Theilchen.  welche  als  die 
eigenUichen  elemeolaren  Pacloren  des  Plastiden-Lebens  isnerlialb  der  einzelnen 
Cytode  oder  Zelle  auftreten. 

2)  Nicolaus  Kleirbrbkrg,  Hydra.  Eine  anatomisch-enlwicklungsgeschicbUiche 
Untersuchung.     Leipzig.  487S. 


Znr  Morphologie  der  Infusorien.  537 

des  Exoplasma  zugestehen ,  die  man,  wenn  man  will,  Scheinmus- 
keln oder  Myophane  nennen  kann. 

Eine  vierte  und  letzte  Rindenschieht  scheint  bei  vielen  Ciliaten 
(aber  keineswegs  bei  allen]  durch  eine  unterhalb  der  Hyophanschicht 
liegende  dünne  Exoplasmaschicht  gebildet  zu  werden,  welche  unmittel- 
bar an  das  Endoplasma  grenzt  und  welche  bei  einzelnen  Arten  (aber 
nicht  bei  vielen!)  die  als  Trichocysten  oder  Hautstäbchen  bezeichneten 
Gebilde  umschliessen  soll.  Wir  wollen  sie  daher  einfach  die  T rieh ocv- 
stenschicht  nennen.  Bekanntlich  werden  diese  Stdbchen  oder  Tricho- 
cysten, welche  nach  Zusatz  von  Essigsäure  etc.  oft  einen  Faden  hervor- 
treten lassen,  bald  mit  Tastkörperchen,  bald  mit  den  Nesselorganen  der 
Acalephen  verglichen.  Grbeff  sagt  sogar :  »Sollte  es  sich  bestätigen,  dass 
diese  Gebilde  in  der  That  zum  Vorticellenkörper  gehörige  Nesselorgane 
seien ,  so  würde  das  für  die  Kenntniss  vom  Aufbau  des  Infusorienkör- 
pers von  der  grössten  Wichtigkeit  sein,  da  diese  Nesselkapseln  in  Rück- 
sicht auf  ihre  vollständige  üebereinstimmung  mit  denen  der  Cölentera- 
ten  sich  ohne  Zweifel  auch  ganz  wie  diese  aus  Zellen  entwickeln  würden« 
(1.  c.  p.  384).  Wir  brauchen  nun  hier  die  streitige  physiologische  Func- 
tion dieser  Hautsläbchen  oder  Nesselkapseln  oder  Trichocysten  gar  nicht 
weiter  zu  erörtern ,  sondern  haben  blos  vom  morphologischen  Stand- 
punct  aus  die  Frage  zu  erörtern  ,  ob  in  ihrer  Structur  und  Entwicklung 
irgend  ein  Beweis  gegen  die  Einzelligkeit  und  für  die  Vielzelligkeit  des 
Ciliatenkörpers  liegt.  Die  meisten  Autoren  nehmen  dies  ohne  Weiteres 
an  und  behaupte,  dass  der  Besitz  zahlreicher  »Nesselkapselm  mit  der 
Einzelligkeit  völlig  unverträglich  sei.  Mit  welchem  Grunde  sie  dies 
jedoch  behaupten,  ist  mir  völlig  unbegreiflich.  Es  ist  eine  längst  festge- 
stellte Thatsache,  die  ich  schon  in  meiner  Monographie  der  Geryoniden 
ausführlich  erörtert  habe,  dass  sich  die  Nesselkapseln  der  Acalephen 
nicht  (wie  man  früher  glaubte)  aus  dem  Nucleus  der  Nesselzellen,  son- 
dern ganz  unabhängig  von  diesem  in  deren  Protoplasma  entwickeln; 
und  zwar  bilden  sich  bei  vielen  Acalephen  in  jeder  Nesselzelle 
gleichzeitig  viele  Nesselkapseln,  während  bei  anderen  sich  in 
jeder  nur  eine  einzige  entwickelte  Kapsel  vorfindet.  Man  vergleiche  nur 
die  sehr  sorgfäiltige  Darstellung  der  Nesselzellen,  welche  neuerdings 
Franz  Eilhard  Schvlzk  und  N.  Klsinenbbrg  in  ihren  ausgezeichneten 
Monographien  der  Cordylophora  und  der  Hydra  gegeben  haben. 
Da  mithin  die  einzelne  Nesselzellc  der  Acalephen  zahl- 
reiche Nesselkapseln  in  ihrem  Protoplasma,  ganz  un- 
abhängig vom  Nucleus  bildet,  so  ist  durchaus  nicht 
einzusehen,  warum  nicht  auch  der  einzellige  Giliaten- 
organismus  dasselbe  Recht  besitzen  soll.  Vielmehr  beweisen 


538  Ernst  Haeckel, 

die  zahlreichen  Nesselkapseln,  welche  bei  einigen  (wenigen  I)  Ciliaten 
im  Exoplasma  sich  finden  und  auch  hier  ganz  unabhängig  von  dem  ein- 
fachen Nucleus  sich  bilden,  nicht  das  Mindeste  gegen  deren  Einzellig— 
keit.  Wenn  daher  Greeff  (1.  c.)  in  den  Nesselkapsein  der  Vorticellinen 
nicht  allein  einen  Beweis  für  ihre  Yielzelligkeit,  sondern  auch  für  ihre 
Verwandtschaft  mit  den  Cölenteraten  erblickt,  so  sind  diese  beiden 
Gründe  völlig  werthlos  und  bedürfen  keiner  weiteren  Widerlegung^). 

Fassen  wir  jetzt  unsere  Resultate  der  Untersuchung  des  Exoplas— 
m a  oder  der  Rindensubstanz  des  Ciliatenkörpers  zusammen,  so  er— 
giebt  sich,  dass  in  ihrer  Structur,  selbst  bei  den  am  höchsten  differenzir- 
ten  Infusorien,  nicht  der  mindeste  Grund  gegen  ihre  Auffassung  als  ein- 
fache Zelle  zu  finden  ist.  Weder  die  Cuticularbildungen,  noch  ^ie  Wina- 
perschicht  mit  ihren  beweglichen  Wimpern ,  noch  die  Myophanschicht 
mit  ihren  Pseudomuskelfibrillen ,  noch  endlich  die  Trichocystenschichl 
mit  ihren  zahlreichen  Nesselkapseln  liefert  irgend  ein  haltbares  Argu- 
ment gegen  die  Auffassung  des  ganzen  Körpers  als  einfacher  Zelle. 
Dasselbe  gilt  nun  aber  auch  von  dem  Endoplasma  oder  der  Marksubstanz, 
zu  dessen  Betrachtung  wir  uns  jetzt  wenden. 

Das  Endoplasma  oder  dieMarksubstanz  des  Ciliatenkörpers 
hat  in  noch  viel  höherem  Masse  als  das  Exoplasraa  oder  die  Rinden- 
substanz die  aller  verschiedenartigste  Auffassung  erfahren  und  ist  vor- 
züglich Ursache  der  noch  heute  sich  schrofi*  gegenüberstehenden  Ansichten 
über  hohe  oder  niedere  Organisation  der  Infusorien  geworden.  Nirgends 
so  wie  hier  hat  die  hohe  Autorität  Eorbnberg\s  durch  die  Einführung  einer 
völlig  unberechtigten  und  irrthümlichen  Deutung  einfacher  Verhältnisse 
gründliche  Verwirrung  angerichtet  und  wirkt  noch  heute  als  Fehler- 
quelle fort.  Bekanntlich  besteht  der  Hauptirrthum  Ehrenbbrg^s  darin, 
dass  er  den  Ciliaten  einen  vollständigen  Darmcanal  mit  Mund  und  After 
zuschreibt.  An  diesem  Darmcanale  sollen  zahlreiche  Magensäcke  frei  in 
die  Leibeshöhle  hinab  hängen,  welche  in  seinem  grossen  Infusonenwerke 
mit  einer  Bestimmtheit  und  Deutlichkeit  abgebildet  sind,  die  Nichts  zu 
wünschen  übrig  lässt^}.  Ehrenbbrg  hat  deshalb  die  Ciliaten  als  nPo- 
lygastrica  enterodela«  bezeichnet.     Schon  im  Jähre  4845  führte 


4)  Besonders  zu  bemerken  ist  noch,  dass  die  eigenthümlicheD,  ovalen,  paar- 
iM^eise  unter  der  Myophanschicht  liegenden  »Nessel  kapseln«,  aufweiche  Grbeff  seine 
Ansicht  stützt,  bis  jetzt  blos  bei  einem  einzigen  Ciliaten,  bei  Epistylis  fta- 
vicans,  aufgefunden  sind.  Sie  sind  hier  (was  Greepp  nicht  zu  wissen  scheint) 
schon  längst  von  ClaparIide  und  Lachhahii  (1.  c.  p.  148),  spater  auch  von  Enobi:- 
MANN  beschrieben  worden  (Zeitschr.  für  wissensch.  Zooi.  Bd.  XI,  p.  37Sj. 

i)  Der  polygastrische  Darmcanal  von  Euren beng  ist  besonders  schön  in  seinelu 
grossen  Infusorien-Werke  ausgemalt  auf  Taf.  XXXI,  Fig.  i  von  Euchelys  pupa, 


Zur  Morphologie  der  Infusorien.  539 

SiBBOLD  (in  dem  ersten  Hefte  seines  »Lehrbuchs  der  vergleichenden  Ana- 
tomie«, p.  ii — 19J  den  klaren  und  bündigen  Beweis,  dass  diese  ganze 
polygastnsche  Hypothese  auf  Täuschung  beruhe.  »Die  von  Ehrbnberg 
als  Magensäcke  betrachteten,  im  Parenchym  der  Infusorien  unregelmdssig 
zerstreuten,  blasenfdrmigen  hohlen  Räume  besitzen  niemals  einen  hoh- 
len Stiel,  durch  welchen  sie  mit  einem  Darmcanale  bei  den  Enterodelen 
(=  Giliaten)  in  Verbindung  stehen  sollen.  Einen  Darmcanal  wird  man 
überhaupt  nicht  bei  den  Infusorien  entdecken  können.  Jene  blasenför- 
migen  Aushöhlungen  des  Parenchyms  enthalten  eine  klare  Feuchtigkeit, 
welche  die  Infusorien  aus  dem  flüssigen  Medium ,  in  welchem  sie  sich 
aufhalten ,  durch  die  Hautoberfläche  aufsaugen  oder  durch  den  Mund 
verschlucken  und  in  das  nachgiebige  leicht  aus  einander  weichende  Pa- 
renchym ihres  Körpers  hineindrängen.  Wendet  man  die  Fütterungs- 
methode an,  so  werden  die  in  dem  Wasser  schwebenden  Farbstofl'- 
partikelchen  durch  den  Strudel,  welchen  die  bewimperten  Mundöffnun- 
gen vieler  Infusorien  im  Wasser  erregen,  herbeigeholt  und  mit  dem 
Wasser  verschluckt.  Das  Wasser  sammt  den  Farbstoflpartikelchen 
häuft  sich  allmälig  am  unteren  Ende  des  Oesophagus  an  und  drängt 
hier  das  nachgiebige  Parenchym  blasenförmig  von  einander.  So  lange 
dieses  Wasser  wie  ein  Tropfen  noch  mit  dem  unteren  Ende  der  Speise- 
röhre zusammenhängt,  hat  das  Ganze  das  Ansehen  einer  gestielten 
Blase ;  hat  sich  aber  ein  solcher  Wassertropfen  von  der  Speiseröhre  los- 
gelöst, indem  er  durch  die  Contraclion  der  letzteren  in  das  lockere 
Parenchym  hineingedrängt  worden  ist,  so  erscheint  derselbe  als  eine 
ungestielte  Blase,  in  welcher  die  verschluckten  Körper  vollständig  abge- 
schlossen liegen.  Werden  dergleichen  mit  festem  Futter  gefüllte  Tropfen 
im  Parenchym  der  Infusorien  zu  dicht  an  einander  gedrängt,  so  geschieht 
es  zuweilen,  dass  sie  zu  einem  einzigen  grösseren  Tropfen  in  einander 


auf  Taf.  XXXU,  Fig.  4  von  Leacopbryspatuia.  Hier  »sieht  man  das  Fortrücken 
der  Speise  in  dem  scblangenförmigeii  Darme,  woran  die  Magen  wie  Beeren  sitzen, 
deren  Stiele  nur  dann  sichtbar  werden,  wenn  sie  den  Inhalt  der  Magen  ein-  oder 
auslassen«.  Wenn  man  die  Bestimmtheit  erwttgt,  mit  der  ERasHBEBG  diese  völlig 
falschen  Angaben  macht  und  noch  jetzt,  nach  85  Jahren,  allen  Gegenbeweisen  ge- 
gentiber  aufrecht  erhKIt,  so  dürfte  man  auf  ihn  den  Vorwurf  anwenden,  welchen  er 
selbst  unverdienter  Weise  Sikbold  macht,  dass  nttmlich  »der  fleissige  Autor  doch 
vorsichtiger  die  Wissenschaft  vor  neuen  Meinungen  über  die  Organisation  der  mi- 
kroskopischen Organismen  hätte  schirmen  sollen,  die  leicht  hinein,  aber  schwer 
herausgebracht  werden;  denn  bekanntlich  erörtern  die  meisten 
Schriftsteller  nicht  das  Wahre,  sondern  das  Falsche  in  langen 
Worten  und  unnöthigen  Schriften«.  (Monatsberichte  der  Berlin.  Akad. 
4  848,  p.  185).  Dieses  -wahre  Dictum  findet  auf  Niemand  mehr  Anwendung  als  auf 
EnaBirBiBG  selbst. 


540 


Ernst  Haeckel, 


fliessen,  was  beweist,  dass  diese  Tropfen  nicht  von  besonderen  Magen- 
häuten umgeben  sind.  Die  verschluckten  festen  Futterstoffe,  welche 
hüufig  aus  niederen  Algen,  namentlich  aus  Diatomeen,  Oscillatorien 
etc. ,  aber  auch  aus  Infusorien  bestehen ,  stecken  nicht  selten ,  ohne 
von  einer  Feuchtigkeit  blasenförmig  umgeben  zu  sein ,  unmittelbar  im 
Parenchym.  Die  festen  Nahrungsstoffe ,  mögen  sie  unmittelbar  im  Pa- 
renchym  der  Infusorien  stecken  oder  von  Flüssigkeit  blasenförmig  um- 
geben sein,  werden  durch  die  Bewegungen  derThiere,  während  sie 
sich  ausdehnen  oder  contrahiren,  mit  dem  gallertigen  Parenchym  des 
Leibes  durch  einander  und  über  einander  geschoben;  bei  einigen  circu- 
lirt  das  lose  Parenchym,  sammt  den  in  ihm  steckenden  Nahrungssioffen, 
regelmässig  und  kreisförmig,  nach  Art  des  Saftes  in  den  Glieder- 
röhren der  Chara-Arten  auf  und  nieder.  Ganz  besonders  auffallend 
und  vom  höchsten  physiologischen  Interesse  erscheint  diese  Circulation 
des  Leibesinhalts  bei  Loxodes  bursaria«  (1.  c.  p.  18].  Ich  habe  diese 
Stellen  aus  der  Darstellung  Siebolds  hier  wörtlich  angeführt,  weil  diese 
atisgezeichnete,  schon  vor  28  Jahren  gegebene  Darstellung  höchst  natur- 
getreu ist  und  in  allem  Wesentlichen  den  Nagel  auf  den  Kopf  trifft. 
Wäre  dieselbe  von  den  nachfolgenden  Beobachtern  der  Infusorien 
mehr  beachtet  und  geprüft  worden,  so  wären  der  Infusorienkunde  viele 
Irrthümer  erspart  geblieben,  die  jetzt  einen  grossen  Theil  ihrer  Literatur 
füllen.  Meine  vielfältigen  eigenen  Beobachtungen,  die  sich  über  alle 
Hauptgruppen  der  Ciliaten  erstrecken,  haben  mich  zu  ganz  denselben 
Anschauungen  geführt,  welche  Sibbold  schon  im  Jahre  1845  publicirte, 
und  über  welche  im  Einzelnen  sein  Lehrbuch  der  vergleichenden  Ana- 
tomie (p.  14 — 19)  und  sein  4  Jahre  später  publicirter  vortrefflicher 
*  Aufsatz  »über  einzellige  Pflanzen  und  Thiere«  nachzusehen  ist  (Zeitschr. 
für  wissensch.  Zoologie,  Bd.  I,  1849,  p.  270—294). 

Die  Auffassung  Siebold's  fand  die  nächsten  eifrigen  Gegner  in  Cla- 
PARi^DE  und  Lachhann,  welche  in  ihrem  grossen  Infusorien-Werk  zwar 
nicht  die  Theorie  des  polygastrischen  Darmcanals  von  Errenberg  adop- 
tirten,  dafür  aber  eine  monogastrische  Theorie  vertraten,  welche  Jsuerst 
von  LACHMAiüif  in  Folge  seiner  Untersuchungen  über  die  Vorticellen  auf- 
gestellt war,  und  wonach  die  Ciliaten  »eine  grosse,  mitCfaymus 
erfüllte  Verdauungs- oder  Magenhöhle  mit  Mund  und  After« 
besitzen.  Diese  Dcavitd  digestive  distincte«  wird  bald  als  »cavit^  g^n^ralc 
du  coi*ps«,  bald  als  »v^ritable  intestin,  canal  alimentaire«  etc.  bezeichnet 
(£tudesetc.  p.  28 — 42).  Das  Wesentlichste  dieser  Anschauung  liegt  darin, 
dass  das  ganze  weiche  oder  »festflüssigetfInnen-Parenchym  (die  Marksub- 
stanz des  Ciliaten-Körpers)  als  Speisebrei  oder  Gh  y  mus  gedeutet  wird, 
knithin  nicht  als  wirklicher  Körpertheil,  sondern  als  Darminhalt.  Der  Mund 


jU. 


Zur  MorpbolAgie  der  .Infosorien.  54 1 

'Ubrtdurch  eine  kurze  Speiseröhre  in  eine  grosse  geräumige  »VerdauuDgs- 
hoble  oder-Mageahöblea,  deren  Wand,  die  »Rindenschiobt«,  demnach 
gleichzeitig  Afagenwand  und  Körperwand  ist.  Die  uiwerdauten  Besiand- 
theile  des  Ghymus  werden  aus  dieser  Magenhöhle  durch  einen  (nicbtimmer 
vorhandenen!)  After  nach  anssenial^eftthrt.  Daraus  ergibt  sich  im  We- 
sentlichen die  nächste  Verwandtschaft  der  Giliaten  zu  den  Cölente  ra- 
ten, bei  denen  dieselbe  cbaracterisUsche  Einrichtung  des  Ernährungs- 
Apparates  überall  wiederkehrt.  iGlaparJ^dk  und  Lacqhanr  varsäumen  denn 
auch  nicht,  diese  Verwandtschaft  ausdrücklich  .zu  betonen.  "»La  cavit^g^- 
n^rale  sert  de  cavit^  digestive,  ou  si  parfois  il  existe  une  cavit^  digestive 
speciale,  eile  est  en  communication  ouverte  avec  la  cavit6  gdn^rale.  G^est 
cette  disposition  du sy sldme digestif  qui  justif ie le  nom  deGölenl^r^s. 
Or,  cette  d^finition  des  iGölent^r^s  s*applique  parfaitement  au^  Infu- 
soires,  et  si  Ton  ne  spleiße  pas  le  type  de  la  ciasse,  il  faut  consiT 
d^rer  les  Infusoires  commeformantune  simple  subdi  Vi- 
sion des  Gölent^r^s«  (1.  c.  p.  59). 

Diese  Auffassung  der  Giliaten  von  GLAPAUfcnB  und  iLACiuiAifif  stimmt 
zwar  daHn  mit  £BRBifBEG's  Anschauung  Jüberein,  dass  die  Infusorien 
hochorganisirte  Thiere  mit  einem  vollständigen  Darmcanal  sind;  aHein 
sie  entfernt  sich  anderseits  weit  von  der  polygastrischen  Theorie,  indem 
sie  diese  Darmhöhle  zugleich  als  Leibesböble  betrachtet  und  die  Giliaten 
auf  Grund  dieses  Verhältnisses  mit  den  Gölenteraten  vereinigt.  Das 
gänzlich  Verfehlte  dieser  Auffassung,  welche  im  Wesentlichen  auch  von 
LiBBButiHN  und  anderen  Beobachtern  getheilt  wurde,  ist  neuerdings 
besonders  von  Stein  in  der  zweiten  Abtheilung  seines  grossen  Infusorien- 
Werkes  (4867,  p.  6  ff.)  nachgewiesen.  Trotzdem  hat  in  neuester  Zeit 
die  GuPARftDE-LACHMAivif'sche  Theorie  einen  entschiedenen  Vertheidiger 
und  Restaurateur  in  Grbbpf  gefunden,  welcher  in  seinen  »Untersuchungen 
über  den  Bau  und  die  Naturgeschichte  der  Vorticellen«  zu  folgendem 
Resultate  gelangt:  »Die  unter  der  Guticula  Hegende  Rindensohicbt  um- 
schliesst  nach  innen  in  fesler  Grenze  einen  fiaum,  die  Körper  höhle. 
Der  Inhalt  der  Körperhöhle  besteht  aus  einem  dünnflüssigen  Brei  von 
aufgenommener  oder  bereits  mehr  oder  minder  aufgelöster  Nahrung, 
d.  h.  aus  Ghymus ,  der  durch  stete  Zufuhr  neuer  Nahrung  und  Wasser 
von  aussen  durch  die  Hundöffnung  und  durch  Abgabe  der  verbrauchten 
Stoffe  durch  den  After  in  einem  fortwährenden  Wechsel  be- 
griffen ist.  Im  Inneren  der  KörperhöUe  kreist  dieser  Nabrungsbrei  be^- 
ständig  umher,  wodurch  einerseits  die  Zerkleinerung  und  Ghymificiruag, 
mit  einem  Worte  die  Verdauung  und  anderseits  die  Vertbeilung 
der  ernährenden  Substanzen  durch  den  ganzen  Körper 
befördert  wird.     Wir  sehen  sonut  in  der  Körperhöhle  der  Vorticellen 


542  Ernst  Haeckel, 

einen  Gastrovascular-Raum  im  vollen  Sinne  des  Wortes, 
eine  Körperhöhle,  in  der  die  Verdauung  und  Girculation  resp.  Ernährung 
ganz  in  derselben  Weise  erfüllt  wird,  wie  bei  den  Gölenteraten« 
(I.  0.  p.  191,  192). 

Obgleich  nun  Grbeff  wie  man  Sieht,  lediglich  die  Ansicht  von  Gjla- 
PARADE  und  Lachhann  reproducirt,  beginnt  er  doch  seine  Darstellung  der- 
selben mit  den  Worten:  »Ehrenberg  verdanken  wir  die  erste 
richtige  Anschauung  von  dem  Ernährungs-Äpparat  der 
Vorticellön«  (1.  c.  1870,  p.  185).  Wie  man  aber  die  polygastriscbe 
Theorie  von  Ehrenberg  fUr  richtig  erklären  und  gleichzeitig  die  völlig 
verschiedene  Gastrovascular-Theorie  von  Clapar^db  und  Laghhann  zur 
seinigen  machen  kann,  ist  mir  völlig  unverständlich.  Ebenso  unver- 
ständlich ist  mir,  durch  welche  Ursachen  sich  Grbeff  die  »leicht  zit- 
ternde Strömung«  oder  die  »vibrirende  Bewegung«  des  Inhalts  der  »ver- 
dauenden Körperhöhlea  her\'orgebracht  denkt?  Ebenso  unverständlich 
ist  mir,  wie  diese  »Rotation«  des  Nahrungsbreies  »die  Vertheilung 
der  ernährendan  Substanzen  durch  den  ganzen  Körper  beförderna  soll, 
da  ja  nach  Grbeff's  Anschauung  der  »ganze  Körper«  eigentlich  nur  aus 
der  festep,  nicht  rotirenden  »Rindenschicht«  und  den  mit  dieser  zusam- 
menhängenden Organen  (Cuticula,  Wimpern,  Nucleus  etc.)  besteht,  die 
ganze  innere  »scharf  abgegrenzte«  Höhle  aber  nur  eine  einfache,  mit  dem 
rotirenden  Chymus  selbst  vollständig  angefüllte  Gavität  ist?  Ebenso 
unverständlich  ist  mir  endlich  (neben  vielem  Anderen)  auch  folgender 
Satz :  »Die  Formbeslandtheile,  die  nach  Entfernung  der  grösseren  Nah- 
ruungsballen  zurückbleiben,  sind  bei  einigen  Arten  ausserdem  von  ganz 
constanter  Gestalt  und  Grösse,  wie  sie  z.  B.  bei  Epistylis  flavicans 
in  glänzenden,  leicht  gelb  gefärbten,  oft  zu  mehreren,  m^ist  zu  drei 
oder  vier  zusammengeballten  verhältnissmässig  grossen  Kügelchen  be- 
stehen, so  dass  man  versucht  ist,  das  ganze  von  den  gröberen  noch  un- 
gelösten oder  unlöslichen  Nahrungsstoffen  befreite  Fluidum  als  die  mit 
Wasser  vermischte  Blutflüssigkeit  oder  Chylus  anzu- 
sehen« (1.  c.  p.  194).  Hiernach  scheint  Grbbfp  anzunehmen,  dass  der 
»Chymus«,  welcher  die  »Leibeshöhle  oder  verdauende  Kör- 
perhöhlea erfüllt,  sich  unmittelbar  durch  »Entfernung  der  grösseren 
Nahrungsballen«  in  die  »mit  Wasser  vermischte  Blutflüssigkeitoder 
Chylus«  verwandelt.  Indessen  dürfte  dieser  Theorie  doch  der  üb- 
liche Sprachgebrauch  der  Anatomie  und  Physiologie  entgegenstehen, 
wonach  »Chymus,  Chylus  und  Blutflüssigkeit«  wesentlich  verschiedene 
Begriffe  i^ind. 

Um  die  von  Grbeff  reslaurirte  Gastrovascular-Theorie  von  Clapa- 
RfcDE  und  Lachmann  definitiv  zu  widerlegen,  bedarf  es  weiter  Nichts,  als 


Zur  Morphologie  der  Fnfusorien.  543 

einer  scharfen  BcgriffsbestimmuDg  des  innern  Hohlraunis  der  Zoophyten 
oder  GölenteraleD ,  welcher  bald  als  »Leibeshöhle«  oder  »allgemeine 
Körperhöhletf,  bald  als  »Magenhohle,  Darmhöhle«  etc.  bezeichnet  wird. 
Ich  habe  diese  Begriffsbestimmung  in  meiner  Monographie  der  Kalk- 
schwämme (Vol.  I,  p.  467)  zu  geben  gesucht,  indem  ich  auf  Grund  der 
nachher  noch  zu  besprechenden  Gastrula- Entwicklung  den  ana- 
tomischen und  genetischen  Nachweis  führte,  dass  Leibeshöhle  und 
DarmhöhlederThiere  völlig  verschiedene  Hohlräume  sind, 
die  niemals  mit  einander  in  Zusammenhang  stehen  und  auf  ganz  ver- 
schiedene Weise  entstehen.  Die  Darmhöhle  oder  verdauende  Ca- 
vilM  (gaster,  cavitas  enteric a),  und  ebenso  alle  davon  ausgehen- 
den Ausbuchtungen  (Gastrovascular-Räume,  Gastrocanäle,  Darmdrttscn, 
Blinddärme  etc.)  sind  stets  ursprünglich  vom  Entoderm  oderGas- 
Iralbl.atte,  dem  inneren  Keimblatte  oder  Darmdrüsenblatte  ausge- 
kleidet. Der  Inhalt  der  Darmhöhle  ist  aufgenommene  Nahrung  und 
Wasser,  Speisebrei  oder  Chymus.  Die  Leibeshöhle  oder  Eingeweide- 
höhle hingegen  (cöloma,  cavitas  pleuroperitoneal  is)  befindet 
sich  stets  zwischen  dem  äusseren  und  inneren  ursprünglichen  Keim- 
blatle,  zwischenExoderm  und  Entoderm,  und  entsteht  durch  Ansamm- 
lung von  Flüssigkeit  zwischen  Beiden,  oder  in  einer  Lücke  dos  mittleren 
Keimblattes,  in  der  Spalte  zwischen  den  beiden  SpaltungslamcHen  des 
letzteren,  zwischen  Hautmuskclblatt  (oder  Hautfaserplatte)  und  Darm- 
muskelblatt (oder  Darmfaserplatte) .  Diese  Flüssigkeit,  welche  das  Gölom 
erfüllt,  ist  niemals  Speisebrei  oder  Chymus,  sondern  stets  ein  durch  die 
Darmwand  transsudirter  Saft,  den  man  entweder  Chylus  oder  Blut 
(im  weiteren  Sinne)  nennen  kann.  Allerdings  stehe  ich  mit  dieser  Auf- 
fassung der  Darmhöhle  und  Leibeshöhle  in  Gegensatz  zu  der  Mehrzahl 
der  Autoren,  welche  nach  dem  Vorgange  von  Lbigkart  den  Zoophyten 
oderCölenteraten  (den  Spongien,  Hydromedusen,  Ctenophoren,  Corallen) 
eine  Leibeshöhle  zuschreiben  und  eine  Darmhöhle  absprechen.  Allein 
ich  stütze  mich  auf  die  Entwicklungsgeschichte,  welche  klar  das  Gegen- 
theil  lehrt.  Bei  allen  Cölenteraten  oder  Zoophyten  ist  der  zusammen- 
hängende Leibeshohlraum  (der  in  der  einfachsten  Gestalt  bei  der  Gas- 
trula-  Larve  auftritt)  von  Anfang  an  mit  einer  Zellenschicht  des  Enloderms 
oder  des  inneren  Keimblattes  (Darmdrüsenblattes}  ausgekleidet,  und  muss 
daher,  wie  bei  allen  höheren  Thieren,  als  Darmh  öhle  bezeichnet  wor- 
den. Eine  wahre  Leibeshöhle,  ein  Cölom  oder  eine  »Pleuroperiloneal- 
Uöhle«,  geht  hingegen  den  sämmtlichen  Zoophyten  (ebenso  wie  den  Pla- 
thelminthen)  völlig  ab  und  kömmt  erst  bei  den  höheren  Würmern  (Cölo- 
maten)  und  den  davon  abzuleitenden  vier  höheren  Thierstämmen  zur 
Entwicklung. 


544  Brost  Haeckel, 

Wean  nan  wirklich,  wie  Grkeff  nach  dena  YoiigaDge  von  ClapaaSbe 
und  Lachmann  behauptet,  i^die  verdauende  Körperhöhle  der  Infusorien 
ein  Gastrovascular-Raum  im  vollen  Sinne  des  Wortesa  wäre,  wie  bei 
den  Gölenteraten,  so  müsste  dieselbe  selbstverständlich  voai  Entodenn, 
vom  Gastralblatte  oder  inneren  Keijoiblatte  ausgekleidet  sein.  Nun  ist 
aber  bekanntlich  noch  von  Niemandem  bei  den  Infusorien  eine  Spur  von 
Keimblättern  überhaupt  nachgewiesen  worden,  und  alle  fiemUhungen, 
an  der  Innenfläche  der  angeblichen  «verdauenden  Körperhöhle«  der  Gi- 
liaten  eine  Spur  von  einem  Epithelium  oder  überhaupt  von  einer  aus 
Zellen  zusammengesetzten  Hasse  wahrzunehmen,  sind  völlig  vergeblich 
gewesen.  Es  liegt  mithin  nicht  der  geringste  anatomische  Grund  vor, 
jenen  angeblichen  »Gastrovascular-Rauma  der  Ciliaten  mit  dem  wahren 
Gastrovascular-Raum  oder  der  Darmhöhle  der  wirklichen  Zoophyten 
oder  Gölenteraten  zu  vergleichen.  Ebenso  spricht  auch  die  Entwick- 
lungsgeschichte da6niti V  dagegen.  ,  Vielmehr  zeigt  die  sorgfältigste 
anatomische  und  ontogenetisohe  Untersuchung  unwiderleglich,  dass  der 
ganze  sogenannte  Chymus  der  Giliaten,  der  weiche,  fest- 
flüssige »Inhalt«  der  angeblichen  Gastrovascular-Höhle,  durchaus  wei- 
ter Nichts  ist,  als  die  weichere  und  wasserreichere 
Marksubstanz  des  Protoplasma  oder  der  Sarcode  des  einzelligen 
Körpers.  Das  Verhalten  dieses  Endoplasma  oder  der  verdauenden 
Marksubstanz,  welches  schon  Sibbold  so  vortrefflich  geschildert  hat 
(1.  c),  ist  durchaus  dasselbe  wie  bei  den  Ämoeben  und  bei  anderen  ein- 
zelligen Organismen,  welche  geformte  feste  Nahruogsstofie  von  aussen 
aufnehmen.  Da  auch  Stein  diese  Auffassung  theilt  und  sehr  ausführ- 
lich begründet  hat,  bin  ich  hier  .ejper  weiteren  Beweisführung  enthoben. 

Durch  diese  Auffassung  erkläre^  sich  "auch  ganz  einfach  die  Be- 
wegungserschejnungen  innerhalb  des  Endoplasma,  welche 
bald  mehr  bald  wenigier  .deutlich  auftreten ,  am  auffallendsten  bekannt- 
lich bei  Paramaeciumbursaria  und  einigen  verwandten  Arten, 
wo  eine  förmliehe  Rotation  der  verdauenden  Marksubstanz  und  der  von 
ihr  umschlossenen  Nahrungsbissen  stattfindet.  Schon  Siebold  hat  die- 
selbe vollkommen  zujlreffend  mit  den  Saftströmungen  innerhalb  der 
Pflanzenzellen  (bei  Chara,  1.  c.  p.  ^8)  verglichen.  In  der  That  sind  alle 
diese  Bewegungsphänomene  Nichts  anderes  alsinnereProtoplasma- 
beweg^ingen  oder  »Sarcodeströmungen«.  Wer  die  vielfach  wechselnde 
und  sowohl  bezüglich  der  Geschwindigkeit  als  der  Qualität  mannichfach 
verschiedene  Form  dieser  Strömungen  bei  den  Moneren ,  d^  Amoebi- 
nen,  den  Bhizopoden  (Acyttarien,  Radiolarien)  und  innerhalb  derPa- 
renchymzelten  der  Pflanzen,  sowie  einzelner  thierisch|Br  Gewebe  (Knor- 
pel I)  sorgfältig  studirt  und  verglichen  hat,  der  wird  nicht  Anstand 


Zor  Morphologie  der  Infosorien.  545 

nehmen,  auch  die  sHmmtlichen  Bewegungen  und  »Strömungen«  inner- 
halbderfllarksubsianzdesCilialenkörpersip  dieselbe  Kategorie  zu  stellen. 
Sogar  die  verschiedenen  Formen  derselben  bei  den  letzteren,  haben  ihre 
durchaus  entsprechenden  Formen  innerhalb  der  PflanzenKellcn.  Aller- 
dings bestreitet  Greefp  die  Jftichtigkeit  dieser  Vergleichung  entschieden 
und  bemerkt :  »Nicht  einmal  die  Grundsubstanz  des  circulirenden  Breies 
ist  Sarcode  oder  Protoplasma  im  Sinne  der  Autoren.  Denn  die  Botations- 
bewegung  ist  nicht  die  einer  zähen  contractilen  Substanz,  sie  äussert 
sich  nicht  pach  Art  der  sonstigen  bekannten  amoeboiden  langsam  kcie- 
chenden  Protoplasmastr(i|mc ,  sondern  sie  schreitet  überall  leicht  und 
lebhaft  beweglich,  zuweilen  in  leicht  zitternder  Strömung  durch  den 
Innenraum«  (1.  c.  p.  J92).  Aus  dieser  Bemerkung  geht  einfach  hervor, 
dass  Grbeff  die  bedeutenden  Verschiedenheiten  in  der  Geschwindigkeit 
und  Form  der  Protoplasmaströmungen,  wie  sie  z.  B.  innerhalb  der 
Pflanzenzellen  leicht  wahrzunehmen  sind,  gar  nicht  kennt;  er  scheint  zu 
glauben,  dass  alles  Protoplasma  zähe  und  alle  Bewegungen  desselben 
langsam  sind.  Dies  ist  aber  bekanntermassen  durchaus  nicht  der 
Fall.  Man  denke  nur  an  die  höchst  verschiedene  Geschwindigkeit  der 
Sarcodeströmungen  bei  den  verschiedenen  Bhizopoden  und  bei  den 
verschiedenen  My^omyceten!  Auffallender  Weise  macht  Grbipf  gar 
keinen  Versuch ,  die  von  ihm  weitläufig  beschriebene  »Botationsströ- 
mung« ,  welche  er  »eine  der  auffallendsten  Erscheinungen«  nennt  (1.  c. 
p.  188),  irgendwie  zu  erklären  und  nach  ihren  Ursachen  zu  fragen. 
Offenbar  läge  es  am  nächsten  für  ihn,  ein  inneres  Flimmerepithe* 
lium  an  der  Innenwand  des  angeblidien  Gastrovascularraums  als  Ur- 
sache derselben  anzunehmen ,  wie  bei  den  übrigen  Cölenteraten.  Da 
indessen  von  einem  solchen  niemals  eine  Spur  nachgewiesen  werden 
kann ,  zieht  er  dasselbe  überhaupt  mit  Becht  nicht  in  Betracht.  Dass 
die  Körperoontractionen  nicht  die  Ursache  jener  Bewegungen  sein  kön- 
nen, ist  längst  erwiesen ;  denn  gerade  jene  Infusorien,  bei  denen  diese 
innere  »Botation«  besonders  lebhaft  und  schnell  ist  [Paramaecium 
b'ursaria  etc.),  zeigen  dieselbe  am  deutlichsten,  wenn  sie  völlig 
unbeweglich  daliegen  und  ihre  Körperform  gar  nicht  verändern.  Auch 
wäre  dadurch  gerade  dierotirende  Form  der  Bewegung  absolut  nicht 
zu  erklären.  Grebfp  ist  demnach  genöthigt,  die  Ursache  der  Ghymus- 
bewegung  in  diesem  »Speisebrei«  selbst  zu  suchen,  gleichviel^b  der- 
selbe als  »Ghymus  oder  Chylus«  aufgefiisst  wird. 

Einen  besonders  schlagenden  Beweis  für  die  Bichtigkeit  unserer 
Auffassung  finden  wir  in  einem  eigenthürolichen  Giliaten ,  das  gerade 
umgekehrt  von  unseren  Gegnern  gewöhnlich  als  Gegenbeweis  gegen  uns 
benutzt  wird,  nämlich  inTrachelius  ovum.    Ehrenbbr^g  sagt  von 


546  Ernst  Haeekcl, 

ihm  (I.  c.  p.  323)  :  »Bei  keinem  polygastrischen  Thiorchen  ist  der  Darm 
an  sich  so  direct  zu  sehen,  wie  an  diesem.  Es  ist  ein  verzweigter  baum- 
artiger Xlanal,  dessen  Aeste  blind  enden  und  an  den  Enden  sich  kugel- 
artig zu  Magenblasen  von  beliebiger  Grösse  ausdehnen.  Auch  die  feinsten 
Zweige  sind  der  unerwartetsten  Erweiterung  fähig«.  Nun  ist  aber  in 
Wahrheit  dieser  »baumartig  verzweigte  Darmcanak  von  Tra- 
chelius  Ovum  beständigen  Veränderungen  unterworfen,  indem  sich 
seine  Substanztheilchen  fliessend  hin  und  her  bewegen ,  indem  beste- 
hende Aeste  eingezogen  werden  oder  zusammenfliessen,  neue  Aesle 
sich  bilden  und  abermals  verästeln  etc.  Kurz  das  veränderliche  Bild 
ist  vollkommen  dasselbe,  wie  das  bekannte  Bild  in  grossen  Pflanzen- 
zellen, in  welchen  sich  veränderliche  Protoplasmanetze  innerhalb  einer 
wässrigen  Zellflüssigkeit  bewegen  (z.  B.  in  den  Staubfadenhaaren  der 
Tradescantia  etc.  ^).  Auch  die  einzellige  Noctiluca  bietet  ganz  das- 
selbe Bild. 

Der  Vergleich  des  Trachelius  ovum  mit  der  Noctiluca  und 
mit  den  nächstverwandten  FlagcUaten  ist  von,  besonderer  Bedeutung 
auch  bei  Betrachtung  der  Mundöffnung  der  Giliaten,  in  deren  Exi- 
stenz man  einen  so  gewichtigen  Gegenbeweis  für  ihre  Einzelligkeit  hat 
ßnden  wollen.  Bekanntlich  scheinen  die  meisten  (wenn  auch  nicht  alle] 
Giliaten   wirklich  eine  physiologische  Mundöffhung  zu  besitzen, 


i )  Oscar  Schmidt,  der  die  Infusorien  zu  den  Würmern  stellt  (und  dem  ich  selbst 
früher  darin  gefolgt  bin),  sagt  über  Trachelius  in  seinem  Handbucfae  der  vergl. 
Anat.  (VI.  Aufl.  1872,  p.  85):  »Die  vollstöndigsle  Homologie  mit  der  verdauenden 
Sarcode  der  Protozoen  bietet  Trachelius  ovum,  in  dessen  Leibesbdhle  ein 
veränderliches  messendes  Sarcodc-Netz  die  Nahrung  durch  den  Mund  und  Schlund 
empfängt.  Dieses  Netz,  zwischen  dessen  Maschen  eine  wössrige  Flüssigkeit,  geht 
in  der  ganzen  Peripherie  über  in  eine  Schicht  ungeformter  Sarcode,  auf  welche 
nach  aussen  die  contractile  Streifenscbicht  folgt«.  Erstere  Schicht  entspricht  im 
Wesentlichen  dem  »Primordialscblauch«  der  Pflanzenzellen.  Vollkommen  zutreffend 
vergleicht  ferner  Gegenbaur  in  seinen  Grundzügen  der  vergl.  Anat.  (IL  Aufl.,  4870, 
p.  403)  dieses  innere  veränderliche  Protoplasma-Netz  von  Trachelius  mit  dem 
bekannten  gleichwerthigen  Sarcode-Netzwerk  in  dem  blasen  förmigen  Körper  der 
Noctiluca.  »Die  Vertheilung  des  Protoplasma  in  Balken  oder  stromartig  sich  be- 
wegende Fäden  ist  der  Ausdruck  eines  Zustande«,  der  durch  einen  dem  Protoplasma 
gebotenen  freien  Spielraum  bedingt  wird  und  hat  sein,  Analogon  in  anderen  nie- 
deren Organismen,  bei  Diatomeen  etc.,  wie  in  den  Zellen  der  Pflanzen.  Zu  solchen 
Zellen  verhalten  sich  Trachelius  und  die  Nocliluken,  wie  die  übrigen  Infusorien  zu 
Zellen,  deren  Protoplasma  unmittelbar  von  einer  Membran  umschlossen  wird  und 
den  von  letzterer  begrenzten  Raum  vollständig  erfüllt«.  Dieser  Vergleich  des  Tra- 
chelius  mit  der  Noctiluca  ist  um  so  zutreffender,  seitdem  kürzlich  Cien- 
K0W8U  (1.  c.)  die  so  lange  zweifelhafte  Natur  der  Noctiluca  endlich  definitiv  durch 
Ermittelung  ihrer  Ontogenese  festgestellt  und  nachgewiesen  hat,  dass  auch  sie  eine 
e  i  n  f  a  c  h  e  Z  e  1 1  e  ist,  und  zwar  eine  Flagellaten-Zelle. 


Zur  Morphologie  der  Infusorien.  547 

d.  h.  eine  constante  Oeflhung  in  der  festeren  Rindensubstanz,  durch 
welche  die  Nahrung  aufgenommen  und  in  die  weichere  Marksubstanz 
hineingedrttckt  wird-  Viele  Gihaten  (aber  nicht  alle  I )  besitzen  daneben 
noch  eine  constante  physiologische  Afteröffnung,  durch  welche  die 
Ex^cremente  entleert  werden.  Allein  weder  diese  After-  noch  jene 
MundOffnung  können  in  morphologischer  Beziehung  den  gleich- 
namigen beiden  Oeffnungen  im  Körper  aller  höheren  Thiere  verglichen 
werden.  Denn  die  Wände  dieser  beiden  Oeffnungen  sind  bekanntlich 
mit  einem  vielzelligen  Epithelium  ausgekleidet  (welches  mindestens  bei 
den  Wirbelthieren  aus  dem  äusseren  Keimblatt  seinen  Ursprung  nimmt). 
Bei  den  Infusorien  ist  keine  Spur  davon  vorhanden.  Vielmehr  sind  die 
sogenannten  Mund-  und  Afteröffnungen  einfache  Löcher  in'  dem 
festeren  Exoplasma,  durch  welche  Nahrungsmittel  aufgenommen  und  in 
das  weichere  Endoplasma  hineingedrttckt  werden.  Sie  haben  keinen 
höheren  morphologischen  Werth  als  die  »Porencanüle«  in  den  Wänden 
vieler  thienschen  und  pflanzlichen  Zellen ,  als  die  »Micropylen«  in  der 
Schale  vieler  Eizellen  etc.  Mit  Recht  hat  sie  auch  schon  Köllikbr  der  con- 
stanten  Oeffnung  (demvAusfUbrganga)  dereinzelligen  Drüsen  Verglichen  ^). 
Noch  lehrreicher  ist  der  Vergleich  mit  den  FlagcUaten  und  den  ihnen 
morphologisch  äquivalenten  Geisselzellen  des  Entoderms  der  Spongien, 
welche  ebenfalls  »essen  und  trinken «^  können,  worüber  ich  mich  in  der 
Monographie  der  Kalkschwämme  ausführlich  ausgesprochen  habe  (1.  c. 
Vol.  I,  p.  139—  1 42,  372— 37  4  etc.).  Wenn  man  dieses  Alles  vergleichend 
erwägt,  bedarf  es  keines  Beweises  mehr,  dass  die  sogenannte  »Mundöff- 
nunga  und  ebenso  auch  die  »Afteröffnung«  der  Infusorien,  speciell  der  Ci- 
liaten,  keineswegs  den  gleichnamigen  Oeffnungen  der  Zoophy ten ,  der 
Würmer  und  aller  höheren  Thiere  zu  vergleichen  sind.  Zwischen  beiden 
existiren  auch  in  dieser  Beziehung  gar  keine  Homologien.  Ich  schlage 
daher  vor,  die  betreffenden  Oeffnungen  bei  den  Infusorien  fortan  als 
Zellenmund  (Gytostoma)  und  Zellenafter  (Cytopyge)  zu 
bezeichnen. 

Ebenso  wenig  als  die  sogenannte  Mundöffnung  und  Afteröffnung 
bieten  die  sogenannten  j>contractilen  Blasen«  und  die  davon  nicht 
wesentlich  verschiedenen  Vacuolen  der  Giliaten  irgend  ein  Hindemiss 
für  die  Auffassung  ihres  Körpers  als  einfacher  Zelle.  Ueber  die  phy- 
siologische Bedeutttug  dieser  Biorgane  herrschen  bekanntlich  noch 
heute  sehr  verschiedene  Ansichten.  Nach  der  einen  Ansicht  sind  die- 
selben Samen  blasen  (Ehrenberg)  ;  eine  zweite  Gruppe  von  Forschern 
hält  sie  für  Herzen,  für  Centra  eines  Blutgefässsystems  (Libbbr- 
KüHN,  ClaparRdb  und  Lachmann)  ;  nach  einer  dritten  Ansicht  sind  sie 

i)  KöLLinii,  Iccow  bistiolog.  4864.  I.  HeR.  p.  SS. 


550  Ernst  Rfteckel, 

des  Nucleus  einzugehen ,  uns  vieiraehr  geslalten  wird ,  vor  Allem  die- 
jenigen Momente  hervorzuheben ,  welche  für  unsere  Äuffassungsweise 
des  Nucleus  als  wahren  Zellenkemes  sprechen. 

In  morphologischer  Beziehung  ist  bereits  genügend  festge- 
stellt, dass  ursprünglich  der  Nucleus  des  Körpers  bei  allen  Cilia— 
ten  ein  einziges  einfaches  Gebilde  ist,  welches  in  jeder  Beziehung  eineoi 
gewöhnlichen  Zellenkerne  gleicht.  Seine  Ontogenie  stellt  dieses 
wichtige  Verhältniss  unzweifelhaft  fest,  und  auch  in  seiner  Anatomie 
ist  bei  jugendlichen  Ciliaten  Nichts  zu  finden ,  was  dieser  Auffassung 
widerspräche.  Bei  der  allmälig  eintretenden  Differenzirung  des  reifen- 
den Giliatenkörpers  treten  auch  im  Nucleus  ebenso  wie  im  Protoplasma 
eigenthümliche  Veränderungen  auf;  allein  auch  diese  sind  nicht  durch- 
aus isolirte  Erscheinungen ,  sondern  lassen  sich  wohl  mit  den  compli- 
cirten  Differenzirungsprocessen  vergleichen,  welche  auch  von  anderen 
unzweifelhaften  Zellenkernen  bekannt  sind,  z.  B.  den  »Keimbläschen^ 
vieler  Thiere,  den  Kernen  vieler  einzelliger  Pflanzen,  den  Kernen  man- 
cher Parenchymzellen  höherer  Pflanzen,  den  Kernen  mancher  Nervenzellen 
etc.  Insbesondere  findet  sich  die  Zusammensetzung  des  r  ei  f  e  n ,  oft  bläs- 
chenförmigen, difierenzirten  Kerns  aus  einer  zarten  Hüllmembran  und 
einem  feinkörnigen  oder  aus  kleinen  Körnern  zusammengesetzten  Inhalte 
ebenso  bei  den  differenzirten  Kernen  vieler  anderer  Zellen  wieder.  Bei  vie- 
len Ciliaten  [wenn  auch  nicht  bei  allen]  ist  ausserdem  innerhalb  des  ju- 
gendlichen Kernes  ein  dunkles,  stärker  lichtbrechendes  Körperchen  zu  un- 
terscheiden, das  sich  ganz  wie  ein  gewöhnlicher  echter  Nucleolus  ver- 
hält(Taf.  XXVII,  Fig.  3,  5;  Taf.  XXVIII,  Fig.  43).  Einzelne  Ciliaten  besitzen 
mehrere  derselben.  Diese  wahren  Nucleoli  sind  nicht  zu  verwechseln 
mit  dem  sogenannten  Nucleolus  vieler  Ciliaten,  welcher  ausserhalb 
des  Nucleus,  an  seiner  Oberfläche,  oder  selbst  entfernt  von  ihm  im 
Protoplasma  liegt,  der  gewöhnlich  jetzt  als  »Hoden«  betrachtet  wird,  und 
auf  den  wir  nachher  zurückkommen.  Vielmehr  ist  der  wahre  Nucleolus 
(in  strengem  morphologischem  Sinne I]  dasjenige  innerhalb  des  Nu- 
kleus liegende  Körperchen,  welches  Köllikbr  als  »Kern  der  weiblichen 
Geschlechtszelle«  bezeichnet.  Mit  diesem  letzteren  Namen  bezeichnet 
KöLLiKEB  sonderbarer  Weise  den  Nucleus,  obwohl  er  den  ganzen 
Ciliatenkörper  als  eine  einzige  Zelle  auffasst.  Wenn  man  aber  ^n  dieser 
auch  von  uns  hier  vertretenen  Auffassung  streng  festhält ,  so  kann  man 
den  Nucleus  nur  als  wirklichen  Zellenkern,  nicht  als  eine  besondere* 
»Geschlechtszellea  deuten. 

In  physiologischer  Beziehung  ist  vor  Allem  zu  constaüreui  dass 
nach  den  einstimmigen  Angaben  aHer  Beobachter  der  Nucleus  bei 
allen  Ciliaten  einBiorgan  der  Fortpflanzung 


Znr  Morphologie  der  Infusorien.  551 

über  die  specielle  Rolle,  welche  derselbe  dabei  spielt,  die  Ansichten 
ausserordentlich  weit  auseinander  gehen.  Nun  ist  aber  bekanntlich  auch 
in  den  gewöhnlichen  Parenchym-Zellen  der  Thiere  und  Pflanzen,  und 
nicht  minder  bei  allen  wirklich  einzelligen  Organismen  des  Thierreichs, 
des  Protistenreichs  und  des  Pflanzenreichs,  der  Nucleus  ebenso 
allgemein  das  Organ  der  Fortpflanzung  und  Vererbung 
(vergl.  hierflber  den  I.  Band  meiner  generellen  Morphologie,  p.  288) . 
Immer  geht  ja  bei  der  gewöhnlichen  Zellen theilung  die  Theilung  des 
Nucleus  derjenigen  des  Protoplasma  voraus ;  letztere  erscheint  erst  als 
die  secundäre  Folge  der  ersteren,  die  das  eigentlich  Bedingende  des 
wichtigen  Vorganges  ist.  Durch  diese  fundamentale  Uebereinstimmung 
ist  auch  von  physiologischer  Seite  her  die  Auffassung  des  Ciliaten- 
Nucleus  als  einfachen  Zellenkerns  völlig  gerechtfertigt,  wenn  auch  der 
Kern  derCiliaten  bei  der  Fortpflanzung  eine  mannigfaltigere  Rolle 
spielt,  als  es  bei  den  gewöhnlichen  Zellenkernen  in  der  Regel  der  Fall  ist. 

Von  der  grössten  Bedeutung  für  die  Begründung  unserer  Ansicht 
sind  natürlich  die  hier  in  erster  Linie  zu  nennenden  Fälle,  in  welchen 
sich  der  Giliaten-Körper  auf  ungeschlechtlichem  Wege  einfach  durch 
Theilung  fortpflanzt.  Diese  FSlUe  von  einfacher  Sei bsttheilung  sind 
in  den  verschiedensten  Gruppen  so  zahlreich  und  sicher  beobachtet, 
dass  über  ihre  allgemeine  Verbreitung  bei  den  Ciliaten  kein  Zweifel 
existirt,  wenn  auch  viele  früher  für  Längstheilung  gehaltene  Erschei- 
nungen sich  nachher  umgekehrt  als  Conjugations-VorgUnge  herausge- 
stellt haben.  Nun  verhält  sich  aber  nach  den  genauesten  und  sorg- 
fiiltigsten  Beobachtungen  zahlreicher  Forscher  bei  dieser  einfachen  Selbst- 
theilung  der  Ciliaten  ihr  Nucleus  ganz  genau  ebenso  wie  bei  der  gewöhn- 
lichen Zeilentheilung  der  Zellenkern.  Zunächst  zerfällt  der  Nucleus  durch 
spontane  Halbining  in  zwei  Stücke  und  dann  erst  folgt  ihm  das  um- 
gebende Protoplasma  nach,  indem  es  ebenfalls  in  zwei  Hälften  zerfällt. 
Gerade  hier  verhält  sich  der  ganze  Ciliaten-Körper  durchaus  wie  jede 
gewöhnliche  einfache  Zelle. 

Eine  zweite  Reihe  von  Fortpflanzungs-Erscheinungen  der  Ciliaten 
möchte  ich  als  Spore nbildung  bezeichnen.  Ich  fasse  unter  diesem 
Begriffe  alle  diejenigen  Fälle  zusammen,  in  denen  [ohne  vorhergegangene 
»Befruchtungt)  der  Nucleus  ganz  oder  theilweise  in  zahlreiche  Stücke 
zerteilt  und  jedes  dieser  Stücke  (wahrscheinlich  durch  Umhüllung  mit 
einem  entsprechenden  Stücke  des  Protoplasma  des  Mutterthieres]  sich 
zu  einer  selbständigen  Zelle,  einer  sogenannten  »Keimkugel«  gestal- 
tet. Diese  letztere  ist  eine  wahre  Spore,  so  gut  wie  die  Spore,  welche 
ganz  auf  dieselbe  Weise  im  Körper  einzelliger  Pflanzen  entsteht. 
*     '*  ^  -^**ocess  ihrer  Bildung  ist  ganz  dei*selbe,  und  muss  daher  auch 

86 


f  552  Ernst  Haeckel, 

I  bei  den  Ciliaten  als  »Sporehbildung«  oder  Sporogonie  bezeichnet  werden. 

Gegen  die  »EinzelligkeiU  liegt  in  diesem  Vorgang  natttrlich  bei  den  Ci- 

I  liaten  ebeh  so  wenig  ein  Widerspruch,  als  bei  den  nSlchstverwandton 

Acincten  und  als  bei  den  angeführten  einzelligen  Pflanzen.  Vielmehr  ist 
der  ganze  Vorgang  als  ein  Modus  der  »endogenen  Zellvermehrung' 
aufzufassen. 

Grössere  Bedenken  gegen  die  Einzelligkeit  des  Ciliaten-Organis- 
mus  scheint  die  von  den  meisten  neueren  Autoren  angenommene  »ge- 
schlechtliche Fortpflanzung«  der  Ciliaten  hervorzurufen.  -Uebor 
diese  wollen  wir  nur  zunächst  thatsächlich  bemerken,  dass  sie  btn 
der  grossen  Mehrzahl  der  Ciliaten  bis  jetzt  noch  nicht  nachgewiesen 
ist.     Diejenigen  Arten,  bei  denen  man  dieselbe  beobachtet  zu  haben 
glaubt,    bilden  entschieden  die  überwiegende  Minderzahl.     Aber 
selbst  bei  diesen  sind  so  wesentliche  Widersprüche  zwischen  den  ver- 
schiedenen Autoren  bezüglich  der  Art  und  Weise  des  geschlechtlichen 
Forlpflanzungs-Processes  nachzuweisen,  dass  es  wohl  erlaubt  ist,  allen 
diesen  Angaben  gegenwärtig  kein  zu  grosses  Gewicht  beizulegen.     Die 
Mehrzahl  der  Autoren  deutet  jetzt  bekanntlich  den  Nucleusals  Ova- 
r  i  u  m ,  seine  Theilproducte  als  Eier,  und  den  ausserhalb  des  Nucleus 
liegenden  sogenannten  oNucleolus«  als  Hoden,  iü  welchem  sich 
Zoospermien  bilden  sollen.  Die  letzteren  sollen  die  ersteren  befruchten, 
und  aus  diesen  befruchteten  Eiern  sollen  die  Embryonen  entstehen.  Nun 
ist  aber  bisher  thatsächlich  dieser  sogenannte  ))Nucleolusc(  erst  bei  einer 
verhältnissmässig  geringen  Minderzahl  von  Ciliaten  nachgewiesen  wor- 
den.    Bei  der  grossen  Mehrzahl  hat  er  sich  trotz  der  angestrengtesten 
auf  seine  Entdeckung  gerichteten  Untersuchungen  durchaus  nicht  auf- 
finden lassen.    Ferner  ist  die  Zoospermien-Natur  der  »haarfeinen  Fäden 
oder  Stäbchen«,  welche  sich  in  demselben  bilden  sollen,  durchaus  niclil 
sicher  bewiesen.  Haben  doch  sogar  Balbiani  und  Andere  die  angeblichen 
Zoospermien  für  eingedrungene  parasitische  Vibrioniden  erklärt !  Jeden- 
falls hat  noch  Niemand  bisher  den  Nachweis  führen  kOnnen,  dass  diese 
angeblichen  Zoospermien  wirkliche  Zellen  sind  oder  sich  aus  Zellen 
entwickeln.     Die  wahren  Zoospermien  der  Thiere  sind  aber 
immer  echte  Zellen,  und  zwar  ist  das  gewöhnliche  »stecknadel- 
förmige  Zoospermium«  eine  einfache  Geisseizelle,   wie  ich  in  der 
Monographie  der  Kalkschwämme  gezeigt  habe  (Vol.  I,  p.  H7 — 153), 

Wir  wollen  nun  aber  einmal  annehmen,  der  sogenannte  Nucleolus 
der  Ciliaten  sei  wirklich  ein  Hoden  oder  eine  »Samenkapsel«;  die  darin 
gebildeten  Fäden  oder  Stäbchen  seien  wahre  Sperazmellen,  und  befruch- 
teten die  Eier,  die  kleinen  Zellen,  welche  aus  Theilstücken  des  Nucleus 
hervorgingen.     Würde  in  dieser  sexuellen  Differenzirung  ein  wesenl- 


Zur  Morphalogie  der  Infasorien.  553 

licher  Einwand  gegen  die  Einzelligkeit  des  Infusorien-Körpers  liegen  ? 
Wir  können  mit  voller  Bestimmtheit  antworten :  »Nein  !  <(  Denn  ganz 
dieselbe  sexuelle  Dißerenzirung  und  Fortpflanzung  findet  sich  auch  bei 
einzelligen  Pflanzen  vor,  wie  schon  Köllikrr  ganz  richtig  be- 
merkt hat,  und  doch  wird  deren  »Einzelligkeit«  deshalb  von  Niemand 
bestritten !  Natürlich  wäre  der  reife  Ciliaten-Rörper  in  diesem  Zustande 
streng  genommen  eigentlich  mehrzellig;  allein  ebenso  ist  auch  jede  ein- 
fache Parenchym-Zelle  (z.  B.  eine  Knorpelzelle)  während  des  endogenen 
Fortpflanzungs-Processes  natürlich  vorübergehend  mehrzellig! 

Fassen  wir  jetzt  das  Resultat  unserer  vei*gIeichend-anatomischen 
Untersuchung  des  Ciliatenkörpers  zusammen ,  so  ergiebt  sich  daraus, 
ebenso  wie  aus  der  Ontogenie  desselben,  lediglich  eine  Bestätigung  der 
zuerst  von  Sibbold  aufgestellten  Theorie,  dass  der  Ciliaten- 
Organismus  den  morphologischen  Werth  einer  echten 
Zeilebesitzt.  Weder  aus  der  anatomischen  Beschaffenheit  des  festeren 
Exoplasma  und  des  weicheren  Endoplasma,  noch  aus  derjenigen  des  Nu- 
cleus,  der  an  der  Grenze  beider  Protoplasmaschichten  liegt,  ergiebt  sich 
irgend  ein  haltbarer  Grund ,  welcher  der  Auffassung  des  ganzen  Orga- 
nismus als  einer  einzigen  Zelle  widerspräche.  Allerdings  ist  dieser  ein- 
zellige Organismus  meistens  hoch  dilferenzirt,  ohne  aber  dadurch  seinen 
ursprünglichen  Zellencharacter  zu  verlieren.  Wir  haben  den  Nachweis 
gefuhrt,  dass  dieselben  Differenzirungsprocesse ,  durch  welche  die  ein- 
zelnen Theile  des  einzelligen  Ciliatenkörpers  eine  mehr  oder  minder 
zusammengesetzte  (im  physiologischen  Sinne  »vollkommene«)  Beschaffen- 
heit erlangen,  ganz  ebenso  in  dem  Körper  anderer  einzelliger  Organis- 
men, sowie  in  vielen  Parencbymzellen  von  höheren  Thieren  und  POanzen 
wiederkehren.  Der  Unterschied  ist  nur  der,  dass  der  Diflerenzirungs- 
process  in  letzteren  Fällen  ein  mehr  oder  minder  einseitiger,  durch 
die  Arbeitstheilung  der  Gewebe  bedingter  ist,  während  der  DifTeren- 
zirungsprocess  des  einzelligen  Ciliatenkörpers  ein  allseitiger  ist  und 
sich  nach  allen  verschiedenen  Richtungen  des  Zellenlebens  hin  offenbart. 
Dieser  innere  morphologische  DifTerenzirungsprocess  beruht  hier  auf  einer 
physiologischen  Arbeitstheilung  der  Plastidule  (oder Pro- 
(oplasmamoleküle),  und  führt  zur  Bildung  eines  im  physiologischen 
Sinne  sehr  vollkommenen  Thieres,  welches  dennoch  in 
morphologischer  Beziehung  dieGrenze  einer  einfachen 
Zelle,  eines  »Individuums  erster  Ordnung«  nicht  über- 
schreitet. Die  Bildung  von  beweglichen  Wimpern  aus  der  oberfläch- 
lichsten Schicht  des  Exoplasma,  wie  sie  bei  den  gewöhnlichen  Wimper- 
zellen des  Flimmerepithels  sich  findet  —  die  Ausscheidung  einer  «Cuti- 
cula«  oder  Schale,  welche  der  »Membran«  der  gewöhnlichen,  mit  Membran 

86* 


554  £rnst  Haeckel, 

umgebenen  Pflanzenzellen  gleichwerthig  ist,  —  die  Differenzirung  einer 
oberflächlichen  Exoplasmaschicht  in  contractile  Fibrillen,  wie  sie  in  der 
Rindenschicht  einzelliger  Muskelfasern  wiederkehrt,    —   die    Bllduni; 
zahlreicher  »Nesselkapseina  im  Exoplasma,  wie  sie  bei  den  Acalepben 
oft  in  ei  ner  einzigen  Exodermzelle  zahlreich  neben  einander  entstehen, 
—  die  Bildung  von  constanten  »contractilen  Blasen«  und  von    inoon- 
stanten  »Vacuolen«,  wie  sie  im  Protoplasma  vieler  Pflanzenzellen   uml 
einzelner  Parenchymzellen  höherer  Thiere  wiederkehrt,  —  die  Diffe- 
renzirung des  weichen  halbflttssigen  Endoplasma,  dessen  Rotationsbe- 
wegung der  bekannten  »SaftstrOmung«  im  Inneren  der  Pflanzenzellen 
vollkommen  gleicht,  und  ebenso  auch  in  Rnorpelzellen,  Eizellen  und 
anderen  Thierzellen  sich  flndet  —  endlich  die  eigenthümliche  Differen- 
zirung des  Nucleus,  welche  derjenigen  im  Organismus  einzelliger  Pflan- 
zen und  anderer  Zellen  völlig  entspricht—  alle  diese  verschiedenen 
Differenzirungsprocesse  der  Zelle,  welche  sonstin  viel- 
zelligen Organismen  auf  verschiedene  Zellen  vertheill 
sich  finden,  kommen  in  dem  einzelligen  Ciliatenorgan Is- 
mus vereinigt  vor.    Dieser  letztere  verhalt  sich  zu  dem  vielzelligen 
höheren  Thierorganismus,  wie  ein  Einsiedler ,  der  Alles  sich  selbst  be- 
sorgen muss ,  zu  einem  geordneten  staatlichen  Gemeinwesen ,  mit  ent- 
wickelter Arbeitstheilung  der  constituirenden  Individuen,  der  Zellen. 
Die  Vollkommenheit  des  vielzelligen  Thierkörpers  beruht  auf  der  Ar- 
beitstheilung der  Zellen  und  Organe ;  die  Vollkommenheit  des  einzelligen 
fnfusorienkörpers  beruht  hingegen  auf  der  Arbeitstheilung  der  Proto- 
plasmamolekUle  oder  Sarcodetheilchen*  die  wir  kurz  Plastidule  nen- 
nen.   Der  einzellige  Ciliaten Organismus  ist  als  der  »voll- 
kommenste« einzellige  Thierkörper  zu  betrachten,   und 
zeigt,  bis  zu  welchem  Grade  der  physiologischen  Voll- 
kommenheit es  die  einzelne   Zelle   in  ihrer  fortschrei- 
tenden Entwicklung  zu  animaler  Organisation   bringen 
kann. 

Wir  haben  bis  jetzt  ausschliesslich  diejenigen  Infusorien  berück- 
sichtigt, welche  nur  einen  einzigen  Nucleus  besitzen  und  dem- 
nach unzweifelhaft  einzellig  sind;  sie  bilden  die  grosse  Mehrzahl. 
Wir  haben  nun  noch  einige  wenige  Worte  über  diejenigen,  wenig  zahl- 
reichen Ciliaten  hinzuzufügen,  welche  im  entwickelten  Zustande 
zweiodermehrereNuclei  besitzen.  Diese  sind  demgemüss  unzwei- 
felhaft mehrzellig,  da  einzig  und  allein  der  Nucleus  die  Individuali- 
tät der  Zelle  bestimmt,  wie  oben  schon  angeführt  wurde  (p.  529).  Allein 
diese  wenigen  Ausnahmen  sind  deshalb  für  die  principielle  Auf- 
fassung des  Ciliatenorganismus  von  gar  keiner  Bedeutung,  w*eil 


., .T40i|niQlogic  der  Infusorien.  555 

die  Vermehrung  der  Nuclei  von  gar  keinem  Einfluss  auf  die  sonstige 
Organisation  ist.  Sic  steht  nicht  in  Zusammenhang  mit  irgend  einer 
inneren  DifTcrenzirung  des  Ciliatonkörpers  und  ist  lediglich  als  eine 
Vervielfachung  des  Fortpflanzungsorgans  aufzufassen.  Diese  wenigen 
»mehrzelligen  Giliaten«,  die  übrigens  nur  einen  sehr  kleinen  Bruchtheil 
der  ganzen  Abtheilung  bilden,  verhalten  sich  daher  zu  der  grossen  Mehr- 
zahl der  »einzelligen  Ciliaten«  ganz  ebenso,  wie  die  mehrzelligen  Aci- 
neten  (Dendrosoma)  zu  den  einzelligen,  wie  die  mehrzelligen  Gregarinen 
zu  den  einzelligen,  wie  die  mehrzelligen  Amoebinen  zu  den  einzelligen, 
wir  die  mehrzelligen  Flagellaten  zu  den  einzelligen.  So  wenig  irgend 
.femand  bei  den  Acineten,  Gregarinen,  Flagellaten  aus  der  Existenz  ein- 
zelner coloniebildender,  also  mehrzelliger  Formen  Veranlassung  nimmt, 
die  principiello  Auffassung  ihres  einzelligen  Organismus  als  einfacher 
Zelle  anzugreifen,  ebenso  wenig  kann  dies  bei  den  Ciliaten  geschehen. 
Für  die  systematische  Stellung  der  Ciliaten  ergiebt  sich  aus  unse- 
ren Untersuchungen  das  sichere  Resultat^  dass  dieselben  echte  Pro- 
tozoen sind  und  weder  zu  den  Zoophyten  oder  Cölenteratcn  noch  zu 
den  Würmern  irgend  welche  nähere  Verwandtschaftsbeziehungen  be- 
sitzen. Auch  für  diese  Frage  giebt  in  erster  Linie  die  Entwicklungs- 
geschichte den  entscheidenden  Ausschlag.  Bei  allen  sechs  höheren 
Thierstämmcn  entwickelt  sich  der  vielzellige  Oi^anismus  aus  der  ein- 
fachen Eizelle  durch  den  characteristischen  Process  der  Furchung 
(d.  h.  Vermehrung  der  Eizelle  durch  Theilung  oder  durch  Knosponbil- 
dung) ;  und  die  so  entstandenen  Zellenmassen  differenziren  sich  in  zwei 
epitheliale  Schichten,  die  beiden  primären  Keimblätter;  aus  dem 
inneren  oder  vegetativen  Keimblatt  (Gastralblatt  oder  Entoderm) 
entwickelt  sich  das  Epithelium  des  Darmcanals  und  aller  seiner  An- 
hänge, Drüsen  etc. ;  aus  dem  äusseren  oder  animalen  Keimblatt  (Der- 
malblatt oder  Exoderm)  entwickelt  sich  die  äussere  Hautdecke 
des  Körpers  mit  allen  ihren  Anhängen,  das  Gcntralnervensystem 
etc.  In  meiner  Monographie  der  Kalkschwämme  habe  ich  die  Ho- 
mologie dieser  beiden  primären  Keimblätter  bei  allen 
sechs  höheren  Thierstämmen  angenommen,  und  zugleich  auf 
diese  fundamentale  Homologie  die  Theorie  einer  gemeinsamen  Abstam- 
mung derselben  von  einer  einzigen  einfachen  gemeinsamen  Stammform, 
der  längst  ausgestorbenen  Gastraca  begründet.  Diese  Theorie,  welche 
ich  der  Kürze  halber  die  Gastraea-Thcorie  nennen  will,  stützt  sich 
darauf,  dass  bei  allen  sechs  höheren  Thierstämmen ,  von  den  Spongien 
bis  zum  niedersten  Wirbelthierc,  dem  Amphioxus  hinauf,  in  der  Onto- 
genese ein  und  derselbe,  höchst  merkwürdige  Entwicklungszustand 
auftritt,  welchen  ich  Gast rula  '  wichtigste  und  be- 


&&6  Eni«  m 

ili;üU<iiiiHt4)  Kiiibryonalform  des  Thierreichs  halle.  .DieStmcliu" 
Oa^trultf  cnJor  Darmlarve  isl  l>creils  in  der  Ontogenie  der  Calcispongi»  r 
iiUMruhrlii^h  «rörlort.    Sie  bildet  stets  eioen  ganz  einfachen    (^oieisU*!  > 
tufonui^ni]  einachsigen  Körper,  der  eine  einCache  Bohle  umscblies:»! . 
dio  primitive  Magonhdhlc  oder  den  ürdarm   (Progaster/;   le&si^rt 
Öffnet  sich  an  einem  Pole  der  Achse  nach  aussen  durch  eine  einfache  Oeff- 
niing,  die  primitive  MundöfTnung oder  den  Urmund  (Prostoma;.    Üi*^ 
dUnno  Wand  der  Darnihöhle  (die  zugleich  Körperwand  ist)  besieh!  aus 
zwei  Ubor  riiuinder   liegenden   einfachen  Zelienschichten ;   die  innere 
/«lillnnHohioht  (das   innere  Keimblatt  oder  Entoderm)   ist  aus 
^i'OHheren,  dunkleren,  weicheren  Zellen  zusammengesetzt;  die  äussere 
/ollenm'hioht  [das  Uussero  Keimblatt  oder  Exoderm)  besieht 
ims  kleineren,   helleren,  festeren  Zellen  (vergl.  die  Abbildungen  der 
Ciastrula  in  dem  »Atlas  der  Kalkschwämmea ,  Taf.  13,  Fig.  5,  6  von 
t'lnem  Asoon;  Taf.  30,  Fig.  8,  9  von  einem  Leucon;  Taf.  44,  Fig.  U, 
in  von  einem  Syoon).    Ganz  dieselbe  Larvenform  tritt  auch  in  der 
OntogenoMo  anderer  Spongien   und  vieler  Acalephen  (Hydromedusen 
sowohl  als  (lorullen)  auf;  ganz  dieselbe  Gastrula-Larve  hat  Kowalkvskt 
in  der  Ontogenese  vieler  Würmer  aus  ganz  verschiedenen  Ciassen  nach- 
gewiesen (bei  Plioronis ,  Sagitta,  Euaxes,  Ascidia  etc.) ;  ganz  dieselbe 
Larvonform  kommt  bei  den  Echinodermen  aller  Glassen  vor;  ganz  die- 
selbe (iastrulu  hat  neuerdings  Ray-Lankestbr  bei  vielen  verschiedenen 
Mollusken  nachgewiesen ;  auf  ganz  dieselbe  Gastrula  lässt  sich  die  Em- 
bryonalanlage der  Arthropoden   (besonders  des  Nauplius)   reduciren; 
ganz  dieselbe  Larvenform  ist  endlich  auch  bei  dem  niedersten  Wirbel- 
ihiero,  beim  A  m  p  h  i  o  x  u  s,  durch  die  höchst  denkwürdige  Entdeckung 
von  Kowalbvsky  nachgewiesen.  »Aus  dieser  Identität  der  Gastrula  bei 
Heprllsontanton  der  verschiedensten  Thierstämme,  von  den  Spongien 
bis  zu  den  Yortebraten,  schliesse  ich  nach  dem  biogenetischen  Grund- 
gesetzo  auf  eine  gemeinsame  Descendenz  der  animalen  Phylen  von  einer 
einzigen  unbekannten  Stammform ,  welche  im  Wesentlichen  der  Ga- 
strula gloichgebildet  war:  Gastraea«  (I.  c.  VoL  L  p.  467).     Ausge- 
schlossen ist  von  dieser  gemeinsamen  Descendenz  allein  der  Thierstamm 
der  Protozoen ,  welcher  ül>erhaupt  noch  nicht  zur  Bildung  von  Keim- 
blättern und  zur  Bildung  eines  wahren  Darmcanals  gelangt. 

Wie  verhalten  sich  nun  dieser  Gastraea- Theorie  gjegeaüber  die  In- 
fusorien, und  insbesondere  die  C  i  I  ia  ten?  Die  Antwort  auf  diese  Frage 
ist  nicht  einen  Augenblick  zweifelhaft.  Die  Infusorien,  sowtilil  die  Ci- 
liaten  als  die  Aeineten  und  alle  anderen  Protozoen,  die  man  ciwa  noch 
zur  Infusoiiendasse  zidien  wiU  —  kurz  alle  Infusorien  —  zeigen 
niemals  Furchung,    bilden    niemals  Keimblätter,   eat» 


n 


Zur  Morphologie  der  lulnsor  Jen.  557 

wickeln  sich  niemals  zu  einer  Emhryonalforni,  die  der 
Gasirula  vergleichbar  wäre,  und  besitzen  demnach  auch 
niemals  die  Anlage  zu  eineni  wahren  Darm.  Vielmehr  vor- 
halten sie  sich  in  allen  diesen  Beziehungen  genau  gleich  allen  anderen 
Prolozoen,  und  abweichend  Yon  allen  sechs  höheren  Thierstäminen.  Die 
Infusorien  sind  demnach  sämmtlich  unzweifelhaft  echto 
Protozoen. 

Ich  halte  die  angeführten  Unterschiede  in  der  Entwicklungsweise 
der  Protozoen  und  der  übrigen  Thtere  für  so  wichtig  und  bedeutungs- 
voll, dass  ich  darauf  hin  eine  fundamentale  Trennung  des  gan- 
zen Thierreichs  in  zwei  grosse  Hauptabtheilungen  vor- 
schlage, einerseits  die  Protozoen  und  anderseits  die  Metazoen.  Zu 
den  Metazoen  (die  man  auch  wegen  der  Keimblatter  Blastozoa, 
oder  wegen  ihres  wahren  Darms  Gastrozoa  nennen  könnte)  gehören 
alle  sechs  höheren  Phylen  oder  Typen  des  Thierreichs,  welche  sämmt- 
lich eine  wahre  Furohung  der  Eizelle  besitzen,  sämmtlich  zwei  primäre 
Keimblätter  entwickeln  (Entoderm  oder  Gastralblatt  und  Exoderm  oder 
Dermalblatt),  sämmtlich  einen  wahren  Darm*]  (aus  dem  Entoderm) 
und  eine  wahre  Oberhaut  (aus  dem  Exoderm)  bilden,  sämmtlich  in  ihrer 
Ontogenese  die  Gastrula-Form  (oder  eine  unmittelbar  darauf  zu  redu- 
cirende  Embryonal-Form)  durchlaufen  und  demnach  sämmtlich  (nach 
dem  biogenetischen  Grundgesetze)  von  der  Gastraea  abstammen  müssen 2) . 

Die  Hauptabtheilung  der  Metazoen  spaltet  sich  in  zwei  diver- 
gente Hauptgruppen,  einerseits  den  Stamm  der  Zoophyten  (oder 
Cölenteraten),  anderseits  die  fünf  höheren  Thierstämme,  unter  denen 
die  Würmer  die  gemeinsame  Stammgruppe  für  die  vier  übrigen  Phy- 
len (Mollusken,  Echinodermen ,  Arthropoden,  Vertebraten)  darstellen. 
Unter  den  Zoophyten  bebalten  die  S  p  o  n  g  i  e  n  die  beiden  ursprünglichen 
primären  Keimblätter  bei,  während  sich  bei  den  Acalephen  (Hydro- 
medusen,  Gtenophoren,  Corallen)  zwischen  beiden  ein  drittes,  mittleres 


1)  Die  oinzigeD  Metazoen,  welche  keinen  Darm  besitzen,  Cestodon  und  Acan- 
ihocephalen,  machen  deshalb  nur  eine  scheinbare  Ausnahme,  weil  sie  nach- 
weisbar ihren  Darm  erst  durch  Parasitismus  secundär  verloren  haben  und  offenbar 
von  darmführenden  (»enterodelen«)  Würmern  abstammen. 

S)  Ob  man  für  die  G  astraea  und  die  zunächst  daraus  abzuleitenden  Formen 
der  Metazoen  eine  monophyletische  Abstammung  von  einer  einzigen  ur- 
sprünglichen Gastraea-Form  oder  eine  polyphyletiscbe  Descendenz  von  mehre- 
ren verschiedenen,  ahor  doch  wesentlich  gleichen  Stammformen  annehmen  will, 
bleibt  für  das  wesentliche  Princip  der  Gastraea-Theorie  gleichgültig.  Für  die  höheren 
Thierstämme  wird  man  doch  immer  wieder  auf  eine  monophyletische  Descendenz- 
Hypothese  zurückkommen  müssen. 


558  ^rn^t  Uaeekel, 

Keimblatt  (Mesodeim  oder  Muskclbiatt)  entwickelt.    Dieses  findet  sich 
auch  beiden  fünf  höheren  Thierstämmen  vor,  wo  jedoch  dasselbe*  (mit 
Ausnahme  von  niederen  Würmern)  allgemein  in  zwei  verschiedene  Mus- 
kelbldtter  zerfallt:  ein  Uaulmuskelbiatt  (Hautplatte  von  Rbmar,  Haut— 
faserplatte)  und  ein  Darmmuskelblatt  (Darmfaserplatte  von  Remak).   Die 
höhereu  Würmer  und  die  aus  diesen  entsprungenen  vier  höheren  Tbier— 
sUimme  (Mollusken,  £chinodermen ,  Arthropoden,  Vertebratcn)  haben 
demnach  sämmtlich  viersecundä  reKeimblätter,  während  einige 
niederen  Würmer  (Plathelminthen)  deren  nur  drei  besitzen,  gleich  den 
Acalephen.    Ejicse  letzteren  Plathelminthen  stimmen  mit  den  sämmt- 
liehen  Zoophyten  (Spongien  und  Acalephen)  auch  darin  übercin,  dass 
ihnen  das  Blutgefässsystem  noch  vollständig  fehlt  und  ebenso  die  wahrcv 
Leibeshöhle  (das  Coelom  oder  die  Pleuroperiloneal-Höhle).     Ich  habe 
darauf  hin  die  niederen  Würmer  oder  die  Plathelminthen  als  Acne lo  ini 
den  höheren  Würmern  (Coelomati)  entgegengesetzt^  welche  den  Be- 
sitz eines  Coeloms  mit  den  vier  höheren  Phylen  theiicn^).    Natürlich 
kann  demgemäss  das  Coelom  (als  secundäre  Bildung)  nicht  aus  der  pri- 
mären Furchungshöhle  oder  Segmentations-Höhle  entstanden  sein,  wie 
KowALfivsKY  angenommen  hat. 

Von  allen  characterislischen  Organisationsverhältnissen  der  Meia- 
zoen  findet  sich  bei  den  Protozoen  keine  Spur  vor,  und  ebenso  wenig 
bei  den  Protisten,  die  man  gewöhnlich  mit  den  Protozoen' vereinigt 
oder  auch  theilweise  in  das  Pflanzenreich  stellt.  Ich  will  hier  nicht  auf 
die  schwierige  Frage  eingehen,  wie  die  neutralen  Protisten  einerseits 


4 )  Die  weitere  Ausführung  dieser  Auffassung  habe  ich  in  meiner  Monographie 
der  Kalkschwämroe  gegeben  (Vol.  I.  p.  464  :  »Die  Keimblälter-Theorie  und  der  Stamm  . 
bäum  des  Thierreiches«).  Meine  neuesten  Untersuchungen  über  diesen  Gegenstand 
haben  die  dort  aufgestellte  Homologie  der  Keimblätter  und  des  primären  Darmes 
in  den  sechs  höheren  Thieistämmen,  ihren  vollständigen  Mangel  bei  den  Protozoen 
lediglich  bestätigt.  Insbesondere  bin  ich  immer  mehr  in  der  dort  ausgesprochenen 
Vermuthung  bestärkt  worden,  »dass  ursprünglich  (phyle tisch)  die  Darmfaser- 
Platte  (oder  das  Darmmuskelblatl)  aus  dem  Entoderm,  die  Hautplalt«  hin- 
gegen (oder  das  Hautmuskelblatt)  aus  dem  Exoderm  entstanden  ist.  Die 
Zusammenfassung  der  beiden,  ursprünglich  getrennten  Muskelblätter  im  Me- 
soderm,  wie  sie  in  der  Ontogenie  der  Wirbelthiere  gewöhnlich  aufzutreten  scheint, 
würde  dann  als  ein  secundärer Entwickelungsact  aufzufassen  sein«(l.  c.  p.  473,  Anm.) . 
Offenbar  hängt  dieser  letztere,  der  als  secundäre  Concrescenz  der  beiden 
primär  getrennten  und  selbständigen  Muskelblätter  in  der  Längs- 
achse anzusehen  ist,  mit  der  Bildung  des  Achsen-Skelets  der  Wirbelthiere  (Chorda 
dorsalis)  zusammen.  Bei  den  höheren  Würmern  (den  Cölomaten)  ist  höchst- 
wahrscheinlich das  Darmfaserblatt  ursprünglich  aus  dem  Entoderm  entstanden, 
ebenso  anderseits  das  Hautfaserblatt  aus  dem  Exoderm.  Von  den  Cölomaten  hat 
sich  dieses  Vcrhältniss  anf  die  vier  höheren  Thierstämmn  vßrorht. 


Zor  Morphologie  der  Infasorien.  559 

von  den  Protozoen  (den  phylelisrhcn  Wurzelformen  des  Thierreichs) 
anderseits  von  den  Protophyten  (den  pbyletischen  Wurzelformen  des 
Pflanzenreichs)  abgegrenzt  werden  könnten ,  sondern  mich  einfach  mit 
dem  Hinweis  darauf  begnügen,  dass  (die  Annahme  eines  neutralen  Pro- 
tistenreiches  so  lange  vollkommen  gerechtfertigt  bleibt,  als  Niemand  auch 
nur  mit  annähernder  Sicherheit  eine  Grenze  zwischen  Thierreich  und 
Pflanzenreich  zu  ziehen  im  Stande  ist.  Als  neutrale  Protisten  be- 
trachte ich  nach  wie  vor  die  Moneren,  Flagellaten,  Catallacten,  Labyrin- 
thuleen,  Myxomyceten  und  die  grosse  Abtheilung  der  echten  Rhizopoden 
(Acyttarien  und  Radiolarien). 

Als  echte  Protozoen  hingegen,  die  von  jenen  neutralen  Protisten 
zu  trennen  und  dem  Thierreiche  zuzurechnen  sind,  möchten  die  Amoc- 
binen,  die  Gregarinen,  die  Acineten  und  vor  Allem  die  Ciliaten,  mithin 
alle  Infusorien  (im  weiteren  oder  engeren  Sinne)  zu  betrachten  sein  ^). 
Jedenfalls  bildet  der  Mangel  der  Furchung,  der  Mangel  der  Keimblätter, 
der  Mangel  eines  wahren  Darmrohrs  und  aller  sonst  aus  den  Keimblät- 
tern diflerenzirten  vielzelligen  Organe,  eine  scharfe  Grenzlinie  zwischen 
den  Protozoen,  zu  denen  auch  die  Infusorien  gehören,  einerseits, 
und  den  sechs  übrigen  Phylcn  des  Thierreichs,  denMctazoen,  ander- 
seits. Dieses  Verhältniss  dürfte  in  der  hier  angehängten  »Phylogene- 
tischen Tabelle  über  die  Stamm  Verwandtschaft  der  Phylen  des  Thier- 
reichs« einen  naturgemässen  Ausdruck  finden. 


4)  Die  Aehnlichkoit  der  Ciliaten  raü  den  bewimperten  Jugend  zustünden  vieler 
Metazoen,  welche  man  bisher  als  »infusorienartigeEmbryonen,  Larven« 
u.  8.  w.  bezeichnete,  ist  demnach  rein  äusserlich  und  ohne  jede  liefere  Bedeutung. 
Diese  Jugendzusiando sind  theils  als  echte  Gastrula,  theils  als  eine,  dem  Gastrula- 
Zustand  vorhergehende  PI a  n  u I a- Form  erkannt  worden.  Sie  sind  mehrzellig  und 
demnach  nicht  mit  den  einzelligen  Ciliaten  zu  vergleichen. 

In  einem  so  eben  erschienenen  Aufsalz,  welcher  speciell  gegen  Ehlers  und 
EvsRTs  gerichtet  ist,  hat  Greeff  seine  hier  widerlegten  Ansichten  nochmals  ener- 
gisch vertheidigt,  ohne  jedoch  neue  Argumente  vorzubringen  (Sitzungsberichte  der 
Gesellsch.  f.  Naturw.  in  Marburg.  No.  8,  p.  21.  Mal  4873).  Er  verwechselt  beslön- 
dig  die  physiologische  und  die  morphologische  Bedeutung  der  Körper- 
theile,  die  Analogie  und  Homologie,  auf  deren  schal fo  Unterscheidung  es  ge- 
rade hier  ganz  besonders  ankömmt.  Man  kann  allerdings  die  DifTerenzirung  des 
Exoplosma  und  Endoplasma  im  einzelligen  Ciliaten-Körper  mit  der  ähnlichen  DifTe- 
renzirung des  Exoderm  und  Entoderm  bei  der  Gastrula,  bei  den  Zoophyten  etc. 
vergleichen  ;  aber  nur  in  physiologischem,  nicht  in  morphologischem  Sinne.  Diese 
Vergleichung  ist  nur  eine  Analogie,  keine  Homologie. 


560 


Ernst  Haeckel,  Zur  Morphologie  der  Infusorien, 


Phylogenetische  Tabelle  über  die  Stammverwandischaft  der  Phylen 

des  Thierreichs. 


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Vertebrata 
Arthropoda 


Echiuoderma 


Mollnsca 


Gölomatl 

(Würmer  mit  LeibeehöhU.) 


Zoophyta 

(Cölenteraia) 


Acalephae 


Spongiae 


Plathelminthcs 


Protascus 


Acoelomi 

(W&rmer  ohne  Leibeshdhla.) 
Prolhelmis 


Oastraea 


Protista 

Rhizopoda 


MyjLomyceles 


Noctilucae 


Flaeellata 


Protozoa 

Ciliata        Acioetae 


CataÜacla 


Infusoria 


Gregarinae 

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Monera 
(neatrftlia) 


Amoebina 


Monera 
(animftlU) 


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Monera 


lieber  einige  neue  pelagische  Infasorien, 

Von 

Ernst  HaeokeL 


merni  T«fel  XXTII  and  XXYm. 


An  der  Oberfläche  des  ofltnen  Meeres  leben  verschiedene  Wimper- 
Infusorien  oder  Ciliatcn,  die  sich  durch  den  Besitz  einer  mannigfaltig 
gebildeten  Schale  auszeichnen.  Da  diese  pelagischen,  in  ein  Gehäuse 
eingeschlossenen  Ciliaten  noch  sehr  wenig  bekannt  sind,  so  will  ich  hier 
im  Anschluss  an  die  vorstehenden  Untersuchungen  »zur  Morphologie  der 
Infusorien«  die  kurze  Beschreibung  und  Abbildung  von  einigen  der 
auffallendsten  Formen  mittheilen.  Ich  beobachtete  dieselben  schon  vor 
14  Jahren,  während  meines  Aufenthalts  in  Messina  (im  Winter  1859/60) 
und  fand  sie  später  auch  auf  der  canarischcn  Insel  Lanzarote  wieder 
(im  Winter  1866/67).  Zuerst  wurde  meine  Aufmerksamkeit  gefesselt 
durch  die  zierliche  Gestalt  der  leeren  Schalen,  welche  ich  besonders 
häufig  in  der  extracapsularen  Sarcode  der  Badiolarien  aufland.  Später 
gelang  es  mir,  auch  der  lebenden  Bewohner  der  Schalen  habhaft  zu 
werden.  Die  Untersuchung  dieser  letzteren  ist  aber  ungewöhnlich 
schwierig.  Entweder  nämlich  schwimmen  die  Thierchen  mit  weit  aus 
der  Schale  ausgestrecktem  Vorderende  so  lebhaft  umher,  dass  man  die 
Einzelheiten  ihrer  Organisation  unmöglich  genau  beobachten  kann ;  oder 
sie  liegen  ruhig  da,  sind  aber  ganz  in  den  Grund  der  Schale  zurück- 
gezogen ;  und  dann  verdeckt  die  Schale  selbst  den  an  sich  schon  ziem- 
lich undurchsichtigen  Körper  dergestalt,  dass  man  nur  sehr  wenig  von 
seiifcm  Bau  e*'^""*''*"  *"*'^"  Diese  Schwierigkeiten  mögen  die  Un- 
vollständigko'  ichstehenden  Beschreibung  ent- 


562  Ernst  Haeckel, 

schuldigen,  in  welcher  nur  die  Darstellung  der  Schale  ganz  genau,  di. 
Schilderung  des  darin  eingeschlossenen  Weichkörpers  hingecot*  •  '^^ ' 
sehr  lückenhaft  und  vieler  Ergänzungen  bedürftig  i^* 

Die  genannten  pelagischen  Cilia«-^  -^'^^^^^  ^^^^  verschiedenen 
Gruppen  anzugehören   die  i«-*^»'  den  bekannten  Infusorien  am  nächstou 
den  Tiuilunoaeä  von  Clapar^de  und  Laghmann  stehen,  sich  jedoch 
von  dem  echten  Ti  ntinnus  (dem  Typus  dieser  Familie)  nicht  unwesent- 
lich entfernen.     Ich  v^ill  diese  beiden  Gruppen,  die  wahrscheinlich  den 
Rang  selbständiger  Familien  in  der  Ordnung  der  Periiricha  (?)   be- 
anspruchen,   als   Dictyocystida   und   Codonellida    bezeichnen. 
Eine  vorläufige  Mittheilung  über  dieselben  habe  ich  bereits  1860  auf  der 
Naturforscher- Versammlung  in  Königsberg  gegeben,  woselbst  ich  auch 
mikroskopische  Präparate  von  den  Schalen  demonstrirte^j.    Eine  kurze 
T^otiz  über  dieselben  gab  ich  gelegentlich  in  meiner  Monographie  der 
Hadiolarien  (1862,  p.  140,  Anmerkung).     Neuerdings  scheint  Niemand 
wieder  diese  zierlichen  Infusorien  beobachtet  zu  haben. 

Die  Familie  der  Dictyocystidcn,  welche  durch  eine  gitterförmig 
durchbrochene  Kieselschale  characterisirt  ist,  gründe  ich  auf  das  Genus 
Dictyocysta,  das  Ehrenberg  1854  mit  folgenden  Worten  beschrieb: 
»Dictyocysta.    E  Polygaslricorum  classe.    Testa  campanulata  urceo- 
lata  silicea  reticulata,  apertura  ampla.     Animalculum  testae  fundo  in- 
clusum,  margine  cancellato  supcrstructum«  ^) .     Ehrenbbrg  lässt  darauf 
die  kurze  Characteristik  von  drei  Arten  folgen,  deren  Kieselschalcn  er 
aus  Tiefgrundprohen  des  atlantischen  Oceans  erhielt  (D.  elegans,  D. 
1  e  pi  d  a ,  D.  a  cu  m  i  n  a  ta) .  Eine  von  diesen  Arten  hat  derselbe  später  in 
seiner  Microgeologie  abgebildet  (D.  elegans,  Taf.  XXXV  A,  Fig.  24 
D).     Diese  Art  ist  wahrscheinlich   dieselbe,  welche  schon  früher  ge- 
legentlich Johannes  Müller  im  Darminhalte  der  Alecto  europaea  gefunden, 
und  in  seiner  Abhandlung  ȟber  den  Bau  des  Pentacrinus  caput  Me- 
dusae«  abgebildet  hatte,    als  »ein  sehr  zierliches  Körperchen  von  der 
Form  einer  Kanzel«  3) .    Ich  selbst  habe  vier  verschiedene  Arten  des  Ge- 
nus Dictyocysta  lebend  während  des  Winters  1859/60  beobachtet, 
als  ich  in  Messina  Radiolarien  untersuchte.     Die  ungemein  zierlichen 
und  merkwürdig  geformten  Kieselschalen  sind  so  ähnlich  den  gegitterten 
Kieselschalen  mancher  Radiolarien  (Gyrtiden,)  dass  ich  sie  anfänglich  für 
solche  hielt.    Erst  nachher,  als  ich  ihre  Bewohner  kennen  lernte,  über- 


1)  Amtlicher  Bericht  über  die  35.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und 
Aerzle  in  Königsberg.  4860,  p.  407. 

2)  MonaUberichte  der  Berliner  Akademie  4854,  p.  236. 

3)  Abhandl.  der  Berlin.  Akad.  4844,  p.  233;  Taf.  XI,  Fig.  6. 


Geber  einige  neoe  pelagiacbe  Infnsorien.  563 

zeugte  ich  mich  von  diesem  Irrthum.  Die  elegante  Kieselscbale  ist  bei 
allen  Arten  mehr  oder  minder  glockenförmig  oder  helmförmig,  gegittert, 
am  hinteren  (aboralen)  Ende,  wo  das  Thier  befestigt  ist,  geschlossen, 
meist  .zugespitzt;  am  vorderen  (oralen)  Ende  mit  einer  weit  offeneii 
Mündung,  aus  welcher  sich  das  schwimmende  Thierchen  ziemlich  weit 
hervorstrecken  kann.  Die  Organisation  des  Thierchens  selbst  ist  sehr 
schwierig  zu  erkennen,  weil  dasselbe  entweder  mit  ausgestrecktem  Vor~ 
derende  sehr  lebhaft  umherschwimmt  oder  aber  gänzlich  in  den  Hinter- 
grund der  Schale  zurückgezogen  liegt  und  dann  sehr  undurchsichtig 
erscheint.  Nur  bei  zwei  Arten  (D.  cassis,  Fig.  1,  und  D.  mitjra, 
Fig.  5)  konnte  die  Organisation  etwas  genauer,  obwohl  nicht  befrie- 
digend, erkannt  werden.  Der  Köi^per  ist  kegelförmig,  sehr  contractu, 
nackt,  vorn  mit  einem  weiten  kreisrunden,  trichterförmig  vertieften  Pe- 
ristom,  an  dessen  Rande  zwei  concentrische  Kränze  (Ringe  oder  Spiralen  ?) 
von  grossen  Wimpern  sichtbar  sind :  ein  hinterer  (äusserer)  Kranz  von 
einigen  zwanzig  sehr  langen  und  sehr  beweglichen  peitschenförmigen 
Wimpern  (langer  als  die  Hälfte  des  Körpers)  und  ein  vorderer  (innerer) 
Kranz  von  ungefähr  eben  so  vielen  kurzen  und  dicken  pfriemenförmigen 
Borsten.  Am  inneren  Rande  dieses  Kranzes  liegt  excentrisch  die  Mund- 
Öffnung.  In  dem  hinteren,  konisch  zugespitzten  Körpertheile,  der  stiel- 
artig verlängert  und  verkürzt  werden  kann,  ist  eine  contractile  Blase 
sichtbar.  Im  mittleren  Körpertheile  zeigt  sich'  ein  länglich  runder, 
wurstförmig  gekrümmter  Nucleus  (Fig.  5).  Bei  einem  Individuum 
von  D.  cassis  war  der  Nucleus  nicht  zu  sehen.  Hingegen  zeigte  sich 
in  der  Mitte  des  Körpers  ein  Haufen  von  ungefcihr  zwanzig  kugeligen  Zellen, 
die  wohl  als  Sporen  oder  Eier  (?)  anzusehen  sind  (Fig.  4).  Die  isolirten 
Sporen  zeigten  sich  als  nackte  kugelige  Zellen,  welche  einen  ebenfajls 
kugeligen  Nucleus  (von  ein  Drittel  ihres  Durchmessers)  einschlössen 
(Fig.  3) .  Der  Nucleus  erschien  trübe,  fein  punctirt  oder  granulirt  und 
enthielt  ein  stark  lichtbrechendes  excentrisches  Körperchen  (Nucleolus). 
Die  glockenförmige  gegitterte  Kieselschale  ergab  bei  den  vier  beobachte- 
ten Arten  folgende  characteristische  Untei*schiede : 

4.  Dictyocysta  cassis,  H.  (Taf.  XXVII,  Fig.  1 — 3).  Kieselschale 
von  der  Form  eines  Helmes ,  schlank  glockenförmig  oder  gewölbt  ko- 
nisch, hinten  mit  einem  gewölbten,  konisch  zugespitzten  Aufsatz,  vorn 
mit  einem  schmalen,  abgesetzten,  trichterförmig  erweiterten  Rande, 
0,11  Mm.  im  longitudinalen ,  0,08  Mm.  im  transversalen  Durchmesser 
(an  der  Mündung).  Gitterwerk  der  ganzen  Kieselschale  sehr  eng,  mit 
unregelmässig  polygonalen  Maschen  von  nahezu  gleicher  Grösse  (von 
0,003  Mm.  Durchmesser).   Fundort:  Messina. 

2.  Dictyocysta  mitra,  H.  (Taf.  XXVH,  Fig.  4,  ö).  Kieselschale 


564  Ernst  Haeekel, 

von  der  Form  einer  Bischofsmütze,  hinten  cifbrmig,  vorn  enger,  vor  der 
weiten  Mündung  eingesdmUrt,  mit  glattem ,  etwas  breiterem  Rande. 
Gitterlöcher  oder  Maschen  der  Schale  von  ungleicher  Grösse:  an  der 
Mündung  im  Umkreis  fünf  grössere,  rundlich  viereckige  Löcher,  2 — 3 
mal  so  gross  als  die  dahinter  stehenden  Maschen,  welche  5 — 6  Irans- 
versale Reihen  bilden;  die  kleinsten  hinten  an  der  Spitze.  Uinge  der 
Schale  0,066  Mm.;  Breite  derselben  0,05  Mm.  Fundort:  Messina. 
Lanzarote. 

3.  Dictyocysta  templum,  H.  (Taf.  XXVIl.  Fig.  6) :  Kieselscbale 
von  der  Form  eines  runden  Tempels,  0,06 — 0,07  Mm.  im  Durchmesser; 
eine  fast  halbkugelig  gewölbte ,  etwas  ausgeschweifte  Kuppel,  welche 
auf  sieben  schlanken  Säulen  ruht.  Die  Säulen  stehen  schief  (unter  ein- 
ander parallel)  auf  einem  kreisrunden  Ringe  (der  die  Mündung  der 
Schale  bildet} ;  ihre  Länge  ist  gleich  der  Höhe  des  zugespitzten  Kuppel- 
daches, in  dessen  Mitte  sieben  grössere,  unregelmässige,  rundlich  poly- 
gonale Maschen  hervortreten ;  diese  Maschen  sind  (im  Durchmesser) 
halb  so  gross  als  die  viereckigen  Zwischenräume  der  Säulen,  doppelt  so 
gross  als  44  Maschen,  welche  in  einer  Reihe  davor  liegen,  und  4 — 8  mal 
so  gross  als  die  übrigen  zahlreichen  Maschen.  Fundort:  Messina, 
Lanzarote. 

4.  Dictyocysta  tiara,  H.  (Taf.  XXVll,  Fig.  7) :  Kieselschale  von 
der  Form  einer  Tiara  oder  eines  hohen  Küppeltempels  mit  Thurmauf- 
satz,  schlank  kegelförmig,  aus  drei  Abschnitten  zusammengesetzt: 
unten  ein  Ring  von  10  schlanken  Säulen,  in  der  Mitte  eine  runde  Kuppel 
mit  40  grossen  Fenstern,  oben  ein  konischer  Kuppelaufsatz  mit  40  klei- 
neren Fenstern.  Die  Länge  des  ganzen  Gehäuses  beträgt  0,4  Mm.; 
davon  kommen  0,04  Mm.  auf  den  Säulenring,  ebenso  viel  auf  die  mitt- 
lere runde  Kuppel,  0,02  Mm.  auf  den  konischen  Kuppelaufsatz.  Die  40 
schlanken  Säulen,  welche  nach  oben  convergiren,  stehen  senkrecht  auf 
einem  kreisrunden  Ringe,  welcher  die  Mündung  der  Schale  bildet.  Die 
40  grossen  viereckigen  Fenster  zwischen  den  Säulen  sind  doppelt  so 
hoch,  als  die  40  schmaleren  Fenster  in  der  Mitte  der  Kuppel,  4  mal 
so  hoch,  als  die  4  0  kleinen  Fenster  im  Kuppelaufsatz ;  dazwischen  über- 
all kleinere  Maschen,  theils  in  Längsreihen,  theils  in  Querreihen.  Fund- 
ort: Lanzarote. 

Die  Familie  der  Codonelliden,  als  deren  Vertreter  ich  nach- 
stehend drei  Arten  des  Genus  Godonella  beschreibe,  ist  characterisirt 
durch  die  sehr  eigenthümliche  Bildung  des  Peristoms,  welche  von  der- 
jenigen aller  anderen  bisher  bekannten  Ciliaten  abweicht.  Das  grosse 
kreisrunde  Peristom,  welches  bei  dem  schwimmenden  Thierchen  weit 
aus  der  glockenförmigen  Schale  vorgestreckt  wird,   ist  tricfaterfönui^ 


Ueber  einige  nene  peUgische  Infusorien.  565 

vertieft,  am  Rande  mit  einem  kragenühnlichen  dünnen  Aufsatz  (einer 
zarten  ringförmigen  Exoplasma-Lamelle]  versehen,  und  mit  einem  dop- 
pelten Kranze  (einem  Ringe  oder  einer  Spirale?)  von  Wimperanhängen 
(Taf.  XXVIII,  Fig.  8,  11).  Der  hyaline  Kragenaufsatz  erinnert  an  den  ähn- 
lichen, ebenfalls  nur  aus  einer  dttnnen  Exoplasma-Lamelle  gebildeten 
Kragen  (CoUare),  den  ich  an  den  Geisselzellen  der  Kalkschwämme  be- 
schrieben habe  ^) .  Der  freie  Rand  des  Kragenaufsatzes  ist  sägeförmig 
gezähnt  und  auf  jedem  Sägezahn  sitzt  ein  gestieltes  Läppchen  von  läng- 
lich runder  oder  bimfOrmiger  Gestalt.  Die  Läppchen  (gegen  20  an  der 
Zahl)  sind  ungefähr  eben  so  lang,  aber  3 — 5  mal  so  dick  als  ihr  haar- 
feiner Stiel.  Vermuthlich  spielen  sie  die  Rolle  von  Tastorganen.  In 
beträchtlicher  Entfernung  hinter  dem  Läppchehkranze,  an  der  Basis  des 
Kragenaufsatzes  (wo  dieser  in  den  eigentlichen  Zellkörper  übergeht)  ^ 
sitzt  der  hintere  (aborale)  Wimperring,  bestehend  aus  1 5 — 20  sehr  lan- 
gen  und  starken,  peitschenförmigen  Wimpern,  die  als  sehr  kräftige 
Ruderorgane  oder  Schwimmhaare  fungiren.  Sie  sind  ungefähr  halb  so 
lang  als  der  ganze  Körper,  an  der  Basis  sehr  dick,  gegen  die  Spitze  hin 
allmälig  geisselartig  verdünnt. 

Von  der  übrigen  Organisation  der  Godonellen  kann  ich  leider  we- 
nig Sicheres  melden.  Die  Oberfläche  des  ganzen  Körpers  (mit  Aus- 
nahme des  Peristom-Kragens)  schien  mir  bei  einer  Art  (C.  campa- 
nella,  Fig.  11)  mit  mehreren  Längsreihen  von  äusserst  kurzen  und 
feinen  Wimpern  bedeckt  zu  sein.  Bei  den  anderen  beiden  Arten  (C. 
galea,  Fig.  8,  und  C.  orthoceras,  Fig.  10),  konnte  ich  mich  jedoch 
von  deren  Existenz  nicht  sicher  überzeugen.  Im  hinteren  Körpertheile, 
mit  dessen  zugespitztem  konischen  Ende  die  Thierchen  im  Grunde  des 
GlockenhUuschens  befestigt  sind,  schimmerten  mehrere  kreisrunde  belle 
Flecken  hindurch  (contraclile  Blasen  oder  Vacuolen?  Fig.  8,  11).  Im 
mittleren  Körpertheile  schien  ein  länglichrunder,  wurstförmig  gekrümm- 
ter Nucleus  zu  liegen  (Fig.  8,  11).  Bei  einigen  Exemplaren  von  C. 
campanella  fanden  sich  im  Inneren  zwischen  10—20  kugelige  kern- 
haltige Zellen,  oflTenbar  Sporen.  Der  Durchmesser  ihres  kugeligen, 
trübkömigen  Nucleus  betrug  ein  Drittel  von  dem  der  hellen  nackten 
Protoplasma-Kugel  (Fig.  14).  Bei  einem  Exemplare  derselben  Art 
waren  statt  deren  im  Inneren  mehrere  bewimperte  Embryonen  zu  be- 
merken (Fig.  11).  Der  isolirte  Embryo  (Fig.  13)  erschien  als  eine  eiför- 
mige Zelle  von  0,02  Mm.  Länge,  0,013  Mm.  Dicke,  überall  auf  der 
Oberfläche  mit  einem  äusserst  zarten  Wimperkleide  bedeckt.  Im  Inneren 


4)  üeber  den  Kragen  oder  das  CoUare  an  den  Ge'"""'  "" -^«1.  meine  Mono- 
graphie der  Kalkscli\%amme,  Vol.  I,  p.  U« ;  Taf.  1  "  etc. 


566  Ernst  Haeckel, 

war  ein  quergestelUer  wurstförmiger  Nucleus  sichtbar,  hinter  diesem 
in  dem  zugespitzten  Hinterende  eine  contractile  Vacuole. 

Das  glockenförmige  Gehäuse  oder  die  Schale  des  Codonella-Kör- 
.pers  bestand  bei  allen  drei  von  mir  beobachteten  Arten  aus  einer  struc- 
turlosen,  schwerlöslichen,  dem  Chitin  ähnlichen,  organischen  Substanz, 
in  welche  mehr  oder  weniger  beträchtliche  Mengen  von  Kieseltheilchen 
eingeklebt  waren.  Bei  einer  Art  (C.  galea,  Fig.  8,  9j  zeigte  sie  eine 
zellenähnliche  Sculptur,  indem  jedes  eingeklebte  Rieselstttckchen  in 
einem  polygonalen  Felde  lag  (wie  der  Nucleus  der  Zellen  in  einem  Pfla- 
ster-Epithel) .  Bei  den  anderen  beiden  Arten  ist  die  Schale  an  der 
erweiterten  Mündung  quergeringelt  (Fig.  10,  ISj.  Diese  Ringelung  ent- 
steht dadurch,  dass  die  chitinähnliche  ausgeschiedene  Substanz  sich 
streckenweise  verdickt. 

Nach  der  Bildung  der  Schale  zu  urtheilen ,  dürfte  auch  ein  Theii 
derjenigen  Giliaten ,  welche  Clapar^de  und  Lachmann  ^]  als  Species  von 
Tintinnus  beschrieben  haben,  zu  unserem  Genus  Codonella  ge- 
hören. Insbesondere  fällt  die  Aehnlichkeit  ihres  Tintinnus  campa- 
nula  (l.  c.  pl.  VIII,  Fig.  9)  mit  unserer  Codonella  campanella 
(Fig.  \\j  12}  in  die  Augen;  ebenso  die  Aehnlichkeit  ihres  Tintinnus 
cinctus  (l.  c.  pl.  VIII,  Fig.  13)  mit  unserer  Codonella  orthoceras 
(Fig.  10).  Schon  Stein  hat  darauf  hingewiesen,  dass  wahrscheinlich 
die  zahlreichen ,  von  Clapar^db  und  Laghmann  als  Tintinnus-Arten 
beschriebenen  Ciliaten-Gehäuse  sehr  verschiedenen  Infusorien  ange- 
hören dürften  2) .  Stein  selbst  beschränkt  die  Gattung  Tintinnus  auf 
solche  Tintinnodeen ,  deren  Rörperoberfläche  nackt  ist,  und  welche 
nur  am  Peristom-Rande  Wimpern  tragen,  ähnlich  den  Vorlicelli- 
nen.  Dahin  gehören  Tintinnus  inquilinus  und  T.  fluviatilis. 
Diejenigen  Tintinnodeen  hingegen,  welche  einen  doppelten  Perislom- 
Kranz  (einen  vorderen  von  kürzeren,  und  einen  hinteren  von  längeren 
Wimpern)  tragen  und  welche  ausserdem  auf  der  ganzen  Oberfläche 
Längsreihen  von  sehr  kurzen  und  feinen  Wimpern  zeigen,  trennt  Stein 
als  Tintinnopsis  ab.  Dahin  gehört  seine  T.  beroidea,  ferner 
wahrscheinlich  Tintinnus  mucicola,  T.  urnulaetc.  vonCLAPARfenE 
und  Lachmann.  Wahrscheinlich  steht  diese  Tintinnopsis  unserer 
Codonella  sehr  nahe;  doch  würden  für  letztere  immerhin  die  son- 
derbaren gestielten  Läppchen  am  Rande  des  Peristom-Kragens  einen  sehr 
auszeichnenden  Gattungs-Character  bilden.  Jedenfalls  bedürfen  alle 
diese  Ciliaten-Genera :   Codonella,  Tintinnopsis,  Tintinnus, 


1}  Clapar^dk  et  Lachmann,  Etudes  sur  les  Infasoires  et  les  Rhizopodes.  4  858, 
p.  192,  Taf.  8  und  9. 

2)  Stein,  der  Organismus  der  Infusionsthiere.  11.  Ablhlg.  4867,  p.  454. 


M 


ehr 


üeber  etulge  oeM  pelagische  iufosenen.  567 

Dictyocysta  etc.  einer  viel  genaoereB  Analyse,  als  bisher  von  Anderen 
und  von  mir  selbst  gegeben  werden  konnte.  Die  drei  von  mir  beobach- 
teten Species  von  Codonella  zeigen  folgende  Unterschiede  in  der 
Schalenbildung  : 

1]   Codonella  galea,  11.  (Taf.  XXVIII,  Fig.  8,  D).  Schale  beim  för- 
mig, von  0,1  Mm.  longitudinaleni,  0,08  Mm.  transversalem  Durchmesser, 
aus   zwei  durch  eine  Strictur  getrennten  Kammern  zusammengesetzt. 
Die  hintere  (aborale;  Kammer  fast  kugelig,   die  vordere  torale)  Kammer 
bildet  einen  Ring  von  der  Form  eine;s  abgestutzten  Trichters,  aus  dessen 
Mündung  der  goldgelbe  Thierkörper  weit  hervortreten  kann.  Im  zurück- 
gezogenen Zustande  füllt  er  die  ganze  Schale  aus.    Die  Schale  besteht 
aus  structuiioser  oi'ganiscber  Substanz,  in  welche  zahlreiche  Kieseltheil- 
chen  sehr  regelmässig  eingekittet  sind,  so  dass  jedes  von  einem  polygo- 
nalen  Felde  umgeben  scheint.    F'un dort:  Messina.  Lanzarote. 

2)  Codonella  orthoceras,  H.  ^Taf.  XXVUi,  Fig.  iO^,  Schale 
schlank  trichterförmig,  aus  drei  Kammern  zusammengesetzt,  0,2  Mm. 
lang,  0,08  Mm.  dick.  Die  erste  (hinterste,  aborale)  Kammer  n^gulUr  ko- 
nisch Oy03  Mm.  lang;  die  zweite  mittlere  Kammer  kugelig  von  0,08 
Mm.  Durchmesser;  die  dritte  (vorderste,  orale)  Kammer  0,<  Mm.  lang, 
abgestutzt  konisch,  gerade,  nach  der  Mündung  hin  erweitert,  regelmilssig 
geringelt.  Die  Binge  sind  circulüre  Verdickungen  der  homogenen  orga- 
nischen Grundsubstanz ;  dieselben  fehlen  in  den  beiden  hinteren  Kam- 
mern ,  in  welche  viele  Kieselthetichen  dicht  neben  einander  eingekittet 
sind.    Fundort:  Messina. 

3)  Codonella  campanella,  li.  (Taf.  XXVIll,  Fig.  H  — Uj. 
Schale  glockenförmig ,  mit  aufgesetzter  gerader  konischer  Spitze ;  0,15 
Mm.  lang,  in  dem  hinteren  bauchigen  Thetle  von  0,05  Mm.,  an  der  vor- 
deren Mündung  von  0,08  Mm.  Durchmesser.  Die  vordere  (oralo)  IMtU) 
ist  deutlich  und  regelmässig  geringelt.  In  die  hintere  (atK)ralu)  ilHlfte 
sind  zahlreiche  Kieseltheilchen  unregclmässig  eingekittet;  am  dichtesten 
in  der  aufgesetzten  Spitze.  Fundort:  Lanzarote. 


Bd.  ?n.  4.  S7 


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