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Jenaische Zeitschrift.
für
MEDIZIN
NATURWISSENSCH^l
herausgegeben
medizinisch - naturwissenschaftlichen G^esell
zu Jena.
Siebenter Band.
Mit MhtundBwuuls Taftln und 94 Hcuran In HoImoI
Leipzig,
Verlag tod Wjlbelm Engelmsas.
1873.
Inhalt.
Oegenbkur, Carl, Ueber die NueninuKcheln der V&gel. {Mit Tat
II. III)
M fi 1 1 e r, FriU, B«at*ubungBvenuche an Abutilon-Art«n . ;Mit 6 Hotuc
Hertwig, Oikar, UntenuohungeD aber den Bau und die Bntwickel
de* CalluloM-ManMl* der TunicaUn. Eine akademiicbe Preiaich
{Mit Taf. IV. V. VI)
Hertwig, Richard, Beitriga lur Keantniw dea Baues der Aicidien. ]
akademiache Preiaachrift. (HitTaf. VII. Vlll. IX)
Oeuther, A., und Hiohaelia, A., Zur KenntoiM der Phoiphor
bindungen
Miohaelii, A. , Ueber die Einwirkung von PhoaphorcUorOr auf Ai
diide und Chloride. (Zweite Bfittheilung.)
Oeuther, A., Chemiaohe Mittheilungan
Oeganbanr, Carl, Ueber daa Arehipterygium. (Mit Taf. X) . .
Bruch, C, Ueber Dieifaehbildungen. (Hit Taf. XI]
Huas, Dr. med. Uaz, Beitiiga aur Eotwickelungigesohieht« der HI
dtftaeu beim Henaehen und bei Wiederkkuem. (Mit Taf. XII. XU
Oegeobaur, Cari, Bemerkungen Ober die Btilchdiflaen-Papillen
Stugethiere
Oeuthar, A., Ueber die Produete der Einwirkung von Natrium auf
Onaiach von PhoagaoMther und lodaathyl. 1. Mittheilung . . .
Straaburger, Ed., Uebei Sciadopitya und PhjUocladu«
PflrbriDger, Mu, Zur vergleiohenden Anatomie der Sohnltermuiki
I. TheU. (»lit Taf. XIV-XVIII)
Mflllar, 'Wilhelm, Ueber die Pertiit«ni der Umiere bei Myxina glutin
Maller, Wilhelm, Ueber die Hjrpobranchiabinne der Tnnikaten i
deren Vorhandenaein bei Amphioxui und den Cykloatotnen . . .
Maller, Frita, Beitrtge lur Kenntniaa der Termiten. I. Die Oeiehlecl:
theUe der Soldaten von Calotenoe«. (Hit Taf. XIX. XX) — II. ]
Wohnungen unterer Termiten, {Hit 11 Rguien in Holiachnitt.)
Gtathar, A. , und F. Brock hoff, Ueber die Einwirkung einiger Chlot
auf Natrium alkoholat
Oeuther, A. , Ueber die Einwirkung von Salpetrig- Salpeteratu
Anhydrid auf AiaenohloTOr und Borchlorid ...
f
\
IT Inhalt.
S«iU
Geuther, A. , lieber die Einwirki^ngen der Phosphorchloride auf die
PhoBphorsfturen 380
Frenkel, F., Beiträge zur anatomischen Kenntniss des Kreuzbeines der
Säugethiere. Hierzu Tafel XXI und XXII 391
Gegenbau r, C. , Zur BUdungsgeschichte lumbosacraler Uebergangswirbel 438
Müller, Fritz, Bestaubungsversuche an Abutilon II 441
Maller, Fritz, Beiträge zur Kenntniss der Termiten. III. »Die Nymphen
mit kurzen Flügelscheiden« (Hagen) »nymphes de la deuxi^me forme«
(Lesp^s). Ein Sultan in «einem Hareip. I4it 3 Figuren in Holzschnitt. 451
Koch, G. von. Vorläufige Mittheilungen Über Coelenteraten. (Mit Taf.
XXIII) 464
Fol, Herrn., Die erste Entwickelung des Geryonideneies. (Mit Taf. XXIV.
XXV und Figuren in Holzschn.) 471
Geuther, A., Untersuchung von sauerstoffreichen Kohlenstoffsäuren . . 493
Koch, G. V., Vorläufige Mittheilungen über Coelenteraten (Fortsetzung).
(Mit Taf. XXVI.) ....". 512
Haeckel, Ernst, Zur Morphologie der Infusorien. Mit Tafel XX VII
und XXVIII) 516
Haeckel, Ueber einige neue pelagische Infusorien 561
1
V '
•
I
Heber die NtsenMischeli der Vögel.
Von
Carl Oegenbaur.
Mit Tafel I. II. III.
Dass der Nasenhöhle der Vögel drei als Muscheln bezeichnete
Forlsaizbildungen zukommen, ist eine Thatsache, deren Kenntniss seit
Scarpa's berülimtcm Werke *) in allen einschlägigen Büchern allgemein
verbreitet ist. Im Anschluss daran sind die Angaben von Harwood^).
Wenn auch schon in Scarpa^s Beschreibung jener Theile manches Eigen-
ihUmliche hervorgetreten ist, so kann man doch die Annahme einer
Uebereinstimmung der Nasenmuscheln der Säugethierc mit jenem Ver-
halten im Wesentlichen darauf stützen , aber es ergiebt sich daraus ein
Verhaltniss, vs'elches mit den sonstigen Beziehungen der beiden Ab-
theilungen zu einander im Widerspruche steht. Die Untersuchung der
Nasenhöhle der Vögel lehrte mich nun, dass zwei der als Muscheln be-
zeichneten Gebilde nichts mit irgend welchen Muscheln der Organe
der* Süugethiere gemein haben, und von dieser Untersuchung sollen
hier die wesentlichsten Ergebnisse mitgetheilt werden.
Zur Gewinnung eines sicheren Ausgangspunktes war es nötbig,
die Nasenhöhle der Reptilien in Betracht zu nehmen. Da ich aber auch
für diese Abtheilung die meisten Beschreibiangen mit den von mir ge-
fundenen Thatsachen wenig in Einklang fand , scheint es mir noth-
wendig über jene gleichfalls zu berichten. Ich theile also meine Arbeit
in Mittheilungen über die Nasenmuscheln der Reptilien und in solche
ül>er die Muscheln der Vögel , und füge eine vergleichende Beschrei-
bung daran, in der die Resultate zusammengefasst werden sollen.
4) De Buditu et otfactu. Ticini 4789.
i'i System der vergleichenden Anatomie aus d. Engl. v. Wiedemann. Berlin
4 799. S. S8.
Bd. Vit. 4. 4
2 CmI G^nbtnr,
1. Unter den Reptilien finde ich die einfachsten Verhältnisse der
Nasenmuscbeln bei den Eidechsen. Die Nasenhöhle ist keineswegs
von der bedeutenden Kurze, wie es in der Angabe bei Cuvibr >) scheinen
mtfclite, wo Saurier und Ophidier mit den Balrachieren zusammen-
gestellt sind. Auch bei Stannius ^] ist keine auf Muscheln beziehbare
Angabc, wührond in dem grossen Werke von Owen^) nur der Muschel
von Iguana Erwähnung geschieht, die hinten mit zwei Vorsprtlngen
deren SauHorn sollen mannichfsche Hodificationen vor-
1 diesen kann ich zwei Formzustande nühcr anfuhi-en,
uastix und Lacerta darauf untersuchte. An der lateralen
enhOhle springt eine einzige Muschel vor, dieselbe ist
hieden gestaltet. Ich finde sie bei Uromastix als
in einem nach oben offenen Halbkreise gekrümmten Vor-
Fig. t. c), der eine Vertiefung umschltessl. Sio liegt in
[ilfte dor Nasenhöhle , deren vordere Hülfte mehr als mn
erscheint. Eine andere Modißcation reprUscntirt Lacerta
Die Muschel bebt sich hier viel freier und viel mehr la-
1 der Nasenh&hlenwand ab, und ragt mit ihrem freien
:, mit demselben Rande auf einen nach hinten und ah-
nten frei vorragenden Abschnitt übergehend (Fig. 3. c) .
mte Ende legi sich seitlich in eine Erweiterung der
ind.
«r gestaltet sich das Verhalten der Nasenmuschel l>ei
Or Boa (B. constrictor) kann ich Folgendes darüber an-
lasonhtthle, welche ein reichliches Drittthcil der Lüngc
leti'^gt, bildet dicht am Eingange von derSusserenNascn-
le Erweiterung (Fig. b. a) , wird dann lateral verengert,
letzten Theile wieder einen ansehnlichen aufwürts und
usgedehnlen Hohlraum zu bilden. Derselbe setzt sich
.8 zur Choanenöfihung fort. Vom vorderen Theile an,
r der unleren NasenOffnung entsprechenden Erweiterung
e einzige Muschel (c). Anfangs wulstartig, gestaltet sie
nach zu einer horizontalen Leiste, die in eine scbr<i^
jende Lamelle Übergebt. Die Huschci verbreitert sich
1 zu, und zwar in einem der Erweiterung der Nasen-
h enden Maasse. Das Endo derHuschel setzt sich in einem
Ausitlafer [b) fort, der in die Choane (ck) abwürt^ ge-
äec. Edil. in, S. 694.
dor Amphibien. S. 174.
mlomy of Vertebrales. London I SAB. S. SSO.
Ueber die Nasenmuscbeln der VOgel. 3
richtet einragt. Durch diese Muschel wird der Raum der Nasenhöhle
lateral in zwei Gänge zerlegt, die beide am vorderen Abschnitte be-
ginnen ; der obere führt in den oberen blinden Grund der Höhle , an
welchem Abschnitte die Ausbreitung des Olfactorius stattfindet; der"
untere Gang dagegen leitet zunächst unterhalb der Muschel zu der
Ghoane, und communicirt nur über die Muschel hinweg mit dem oberen
Räume. Von einer zweiten Muschel , welche Sgarpa von Vipera an-
giebt, findet sich keine Andeutung vor. Der von Sgarpa als »Turbina-
tum supremum a angeführte Theil ist bei Roa der einzig« als Muschel
zu deutende Vorsprung.
Für die Schildkröten findet man bei Cuvier genauere Angaben als
für Saurier und Ophidier. Cr unterscheidet im Verhalten der Binnen-
rUume erstlich einen vorn weiteren Canal und dann drei damit verbun-
dene Höhlungen (poches ou cellules), davon eine untere und zwei obere.
Ueber den Werth dieser Höhlungen zu einander ist nichts angegeben.
Nach Untersuchungen an Chelonia (Gh. cauana) scheidet sich
der complexe Binnenraum in folgende Abschnitte. Die äussere Nasen-
öffnung führt durch einen kurzen, aber weiten und horizontal verlaufen-
den Canal (sein Verlauf ist in Fig. 4 und 2 von o aus punktirt ange-
geben] in einen nach verschiedenen Richtungen ausgedehnten grösseren
Raum. In Fig. 4 erblickt man die Ausdehnung dieses Raumes nach
der Entfernung der Nasenscheidewand. Er setzt sich aufwärts in eine
blinde Ausbuchtung [rs] fort, welche die vordere obere Tasche Cuvier's
vorstellt. Sie ist durch eine lateral entspringende quere Falte, in
welche auch der Ethmoidalknorpel eingeht, von dem mittleren zum
unteren Nasenloche führenden Theile abgegrenzt. Dieser Vorsprung
(Fig. 2 m) setzt sich in eine medial davon abwärts gerichtete Leiste
(Fig. 4 n) fort, welche gegen den Boden der zweiten Tasche sich herab-
senkt. Die letztere (Fig. 2 r») erstreckt sich vorwärts und ist durch
eine fast horizontale Leiste von dem unteren Nasencanale getrennt. Es
ist diess die bei Cuvibr als untere Tasche erwähnte Räumlichkeit
und wohl dieselbe, deren Staniuus ^] als eines »auf das Dach der Mund-
höhle absteigenden Recessusa gedenkt. Dass sie buchtiger wäre als
die der oberen habe ich nicht gefunden. Von dem diese beiden Aus-
buchtungen vereinigenden Räume erstreckt sich noch ein dritter vor-
vorzüglich senkrecht ausgedehnter Raum nach hinten und gegen die
Nasenscheidewand. Derselbe ist in Fig. 4 in seiner ganzen Ausdehnung
1) Zootomtc der Arophibion S. 4 74. (n dieser, gleichfalls von Chelonia entnom-
menen AufTassuDg stein sich das thalsüchlichc Vorhalten et^as anderes dar, wie
nns meiner Beschraibung , wie ich hoffe , denllich hervorgeht.
4*
Carl Gegen bau r,
Nasen Scheidewand sichtbar gemacht. Alle diese
r Regio olfactoria der Nasenhöhle nichts zu thun.
nmen als VorhoC der Nasenhöhle auRassen , denn
it zur Ausbreitung des Olfactonus dienende Ab-
der in Fig. 1 n dargestellten Vorsprungsbildung
Bginnt ein fernerer Abschnitt der Nasenhöhle.
nach hinten und 7.war abwärts gerichtet ein wenig
ireiler CannI (Fig. i an). Er TUhrt zur Choanen-
' dem Anfange dieses Canales mUndet eine weile
deren Eingang durch eine an der lateralen Wand
;egrenzt ist. Der Eingang ist enger als der Binnen-
HOhle. Die letztere zeigt in ihren Wanden, davon
im nasi gebildet wird, die Verbreitung des Olfac-
mit in dem Complt^xe der Nasenhöhle der Schild- '
ere Ca vi tat als Riechhuhle, eine innere
^ohl nichts anderes ist als die mit der Differen-
ch innen getretene primitive ilussore Riechgrube.
grenzt diesen Abschnitt (poche sup^rieure post^-
gen Räumlichkeiten ab. Sie wird als "Muscheln
rfen , da unter ihr die respiratorische Bahn der
Von allen übrigen Leisten und VorsprUngen
alchenReziehungen, dass sie als Muschel gedeutet
itlhle derCrocodile ist unsere Kenntniss nicht
Rpi CuviER geschieht der Huscheln gar keine
es werden Hoblrüume (cellules) beschrieben, die
rbita aneinander gelagert seien. Die Wandungen
das Innere des Nasenganges vor, und im Inneren
lie Geruchswahmehmung zu Stande kommen,
it aus der in den » Erläuterungs-Tafeln zur ver-
1 gegebenen Darstellung *) zu gewinnen , die nach
'bellet ist. Es wird darin eine »obere« Muschel
i aber von anderen Muscheln die Rede w^re, ol>-
ile Wand der Nasenhithle in der Abbildung <Iar-
ig war also gewiss auch ftlr die Crocodile nolh-
e Untersuchung an A. lucius voi^enommen und
zur Vergleichenden Analoniie von n'Aiios und C. G.
af- IV. Fig. VIII.
Ueber die Xasenniuseheln der VögeU 5
folgeudes Verhalten aufgefunden. Der Binnenraum der Nasenhöhle
zerfällt in zwei sehr verschiedene Abschnitte. Ein vorderer Abschnitt
beginnt an der äusseren Nasenöffnung mit einer nicht sehr grossen
Erweiterung [Fig. 6. a) und geht dann in eine sehr breite aber wenig
hohe Räumlichkeit Über, welche ü\)er die Hälfte der Länge der ge-
sammten Nasenhöhle ausmacht. Den Boden dieser Strecke bildet das
Maxillare, welches hier einen bedeutenden Sinus (Fig. 6. mx) um-
schliesst. Eine dünne Knorpellamelle, die dem übrigen Theile der
Nasenhöhle zu Grunde liegt, bedeckt jedoch auch hier den Knochen.
Am Dache dieser Strecke bildet dieselbe Knorpellamelle einen allmählich
stärker werdenden Vorsprung (c) , indem sie sich von dem über ihr
liegenden, sie deckenden Nasale abhebt. Dazwischen lagern Blut-
gefässe. Am Ende des genannten Abschnittes senkt sich der Boden
der Nasenhöhle, und hier ist nun die Stelle, wo der bisher einfache
Raum nach hinten zu in zwei übereinander liegende Räume sich fort-
setzt, beide durch eine knöcherne bis zum Septum na^ reichende
Lamelle geschieden. Der untere Raum stellt den hinteren (inneren)
zu der Ghoano führenden Nasengang {(in) vor. Dessen knöcherne
Wände und Mündung sind längst bekannt, es bedarf daher keiner
näheren Beschreibung. Anders verhält es sich mit dem obcrn Räume,
der nach hinten geschlossen ist. Er birgt laterale Vorsprünge der
-knorpeligen Wandfläche, die man als Muscheln bezeichnen könnte.
Am Anfange des oberen Raumes, genau an der Stelle, wo der
äussere Nasengang in den inneren zur Choane führenden sich fortsetzt,
und das horizontale Dach der letzteren mit einem concaven Ausschnitte
beginnt, erhebt sich im oberen Räume eine Muschel (Fig. 6. C).
Dieselbe beginnt vom unteren Rande einer nach vorne zu gerich-
teten Einbuchtung (Fig. 6. e) des knorpeligen Daches der Nasenhöhle,
und stellt eine abwärts gekrümmte Lamelle vor, die eine Strecke weit
in zwei sich sondert, wie am besten auf einem Querschnitte (F. 7. C C")
zu sehen ist. Diese Muschel verdeckt bei medialer Ansicht den
grösston Theil eines noch bedeutenderen Vorsprunges , der erst hinter
der Muschel frei zu liegen kommt. Ohne genauere Untersuchung
könnte man diesen Vorsprung für eine zweite Muschel halten , wie er
denn auch in den »Erläuterungstafeln« als solche aufgeführt ist. Ent-
fernt man die zuerst beschriebene rein knorpelige Muschel , so bemerkt
man den genannten Vorsprung (Fig. 6. D) weit unter Ihr nach vorn zu
fortgesetzt, und sieht ihn eine langgestreckte Blase bilden, die einen
grossen Theil des lateral von der Muschel befindlichen Nasenhöhlenraumes
ausfüllt. Dieser blasenförmige Vorsprung wird von einem knorpelige
Wandungen besitzenden Sinus gebildet. Sein Verbalten zur Nasen-
6 Carl Gegcnbaur,
höhle ist auf dem in Fig. 7 dargestellten Querschnitte leicht zu ersehen.
Er ist also von d&r als Muschel bezeichneten Bildung bedeutend ver-
schieden. Während jene eine von der Nasenwand entspringende
einfache Knoi*pellamelle ist, besteht der Blasonvorsprung aus einem
sehr bedeutend in die Nasenhöhle einragenden Sinus, der allseitig von
Knorpelwand (mit dünner Schleimhautbekleidung) umschlossen ist.
Nur an einer Stelle findet sich eine Communication. Nahe am hinteren
Grunde des Sinus liegt eine trichtei'förmige , nach vom sich ver-
engende OeSnung, die in einen lateral an der Blase vorbeiführenden,
gleichfalls in den Ethmoidalknorpcl eingesenkten Canal (Fig. 7. E)
führt. Derselbe mündet in einen kleineren Sinus, der unterhalb der
Muschel mit dem Raum der Nasenhöhle in offener Communication steht.
In wieferne diese Sinusse, sich auf die bei Cuvibr angeführten »poches
ou cellules« beziehen, ist bei der Allgemeinheit jener Angaben nicht
festzustellen. Doch ist das eine sicher, dass die Binnenräume dieser
Sinusse mit*der Geruchsvermittelung nichts zu thun haben, da sie aus-
nehmend weit nach vom zu schon mit der Nasenhöhle communiciren,.
und nirgends Durchbrechungen der Knorpelwand zeigen, durch welche
Olfactoriusbündel hindurch treten könnten. Der Olfactorius hat viel-
mehr auch bei den Crocodilen -7- soweit ich das bei Alligator ermitteln
konnte — seine Ausbreitung im blind geschlossenen Nasengrunde, an
der medialen Wand des blasen form igen Sinus, wie an einer entspre-
chenden Strecke des Septum nasi.
II. Durch die Untersuchungen Sgarpa's ist die Nasenhöhle der
Vögel am genauesten bekannt geworden und die bereits oben citirte
Arbeit blieb bis heute die Grundlage für die bezügliche Darstellung.
CüviER führt sogar das, was Scarpa von der Gans beschrieb, als allge-
mein den Vögeln zukommend auf, und fügt von andern nur wenige
Verschiedenheiten bei. Sie beziehen sich fast nur auf den Strauss und
den Casuar.
Die Abweichungen, die ich im Verhalten der sogenannten Muscheln
schon innerhalb einer verhältnissmässig sehr geringen Zahl von Gat-
tungen fand, lassen einzelne Theile als nicht sehr beständig erkennen.
Die Ergebnisse meiner Untersuchung will ich nach den drei so-
genannten Muscheln geordnet vorführen.
Tordere Hnsehel. Nicht blos in den Volumsverhältnissen und
der Gestaltung, sondern auch in der Anordnung sind die Eigenthüm-
lichkeiten dieses Theiles der Nasenhöhle bedeutend zu nennen.
Bei Columba führt die äussere, längs der knorpeligen Deckschuppe
(Fig. \ 0. d) sich hinziehende Oeffnung (e) , in einen der Ausdehnung
jener Deckschuppe (ala) entsprechenden Rauni; in welchen die untere
^
lieber die NaseiuBuschelii der Vö^el. 7
Musc^hci (a) einragt. Diese ist sowohl am Boden als auch an den Wun-
den dieses Raumes befestigt , und zwar vorne am Seplum der Nasen-
höhle (s]y hinten dagegen an der lateralen Wand, in einiger Entfernung
vom Rande der Deckschuppe , der sie an Lange entspricht. Sie ist
wuistförmig gestaltet , leicht abwärts zum Boden des Nasencinganges
gesenkt, ohne eine Einroilung zu bilden, lieber dieses Gebilde hin»
weg passirt man zum hinteren Nasonraume.
Um vieles complicirter ist das Verhalten dieser unteren Muschel bei
den Hühnern , von denen ich das Haushuhn , den Truthahn und das
Rebhuhn untersucht habe. Bei allen müssen bezüglich der unteren
Muschel zweierlei Gebilde unterschieden werden, die in verschiedenen
Beziehungen zu der lateralen Wand der Nasenhöhle oder vielmehr zum
Rande der unteren Nasenöffnungen stehen. Es ist das erstlich eine
wulstartige Vorragung (Fig. 11. n. 45. /), die am unteren i ande der
Nares als eine Fortsetzung der Lamelle beginnt, welche am Boden
der Oeffnung nach innen und aufwärts steigt. Am hinteren, theilweiso
von aussen nicht mehr sichtbaren Abschnitte ist diese Lamelle muscbel-
förmig auswärts gekrümmt, und umschliossV eine hintere blind geen-
digte Bucht, in weiche man vom hinteren Winkel des Nasenloches ein-
tiitl. Bei der in Fig. 4 i gegebenen Abbildung vom Huhn ist sowohl
der genannte Wulst als die Krümmung desselben von oben dargestellt.
Id Fig. 1 5. von Meleagris auf dem' senkrechten Durchschnitte.
Der zweite hierhergehörige Theii ist eine um den vorerwiihnten
herumgelegte, denselben von innen vollstündig deckende Lamelle
(Figg. 1 1 . u. 4 6. a) , die man als vordere oder untere Muschel zu be-
zeichnen pflegt. Sie setzt sich vom oberen Rande der Nares , etwas
hinter der Mitte der Länge derselben , bis weiter nach hinten zu fort,
krümmt sich muschelförmig um den unteren Wulst (Fig. 1 5] und ver-
läuft hinten mit schwach vorragendem Theile (Fig. 12. 14. a') zur
Nasenscheidewand (5), der sie sich verbindet. An dieser Verbindungs-
stelle bUdet die Nasenscheidewand einen quer durch die Nasenhöhle
verlaufenden Vorsprung (Fig. 44. 15) , der etwas hinter der Mitte der
Länge der gcsanmiten Nasenhöhle liegt. Er theilt die Nasenhöhle in
zwei Abschnitte, davon der vordere zum grössten Theile voitden soeben
aufgeführton Gebilden , der hintere von den beiden anderen Muscheln
eingenommen wird.
Die bei Columba durch einen einzigen Wulst repräsentirte Muschel
(Fig. 10. a) wird also bei den Hühnern durch zwei verschiedene Ge-
bilde repräsentirt. Man kann dabei fragen, welchem der letzteren
etwa die Muschel der Tauben entspricht. Der untere Wulst bei den
Utthnern hat einige Aehnlicbkeit mit dem Gebilde bei Columba , aber
g Carl Gegenbaur,
diese Theile können nicht homolog sein , da der bei den Tauben vor-
handene vorn vom Septum nasi ausgeht, und hinterwärts zum lateralen
Nasenrande hinter dem Nasloche zieht. Auch gegen die muschelförmigo
Lamelle der Hühner zeigt das Organ der Tauben Differenzen, und zwar
die bedeutendsten in den Verbindungsstellen mit der lateralen und
medialen Nasenhöhlenwand. Bei den Tauben liegt die septale Ver-
bindung vorn, und hinten findet sich die alare, während die Hühner
gerade das umgekehrte Verhältniss darbieten, endlich geht bei den
Tauben der Boden des Nasenhöhleneinganges auf die Muschel über, bei
den Hühnern dagegen auf jenen Wulst, den ich oben von der muschel-
förmigcn Lamelle unterschied.
Es wird aber doch der Versuch zu machen sein, diese beiden
anscheinend so verschiedenartigen Bildungen der vorderen Muschel
mit einander in Einklang zu bringen. Durch die Thatsache, dass
jeder der beiden Theile bei den Hühnern neben aller Verschiedenheit
doch Eigenschaften besitzt, die er mit der einfachen Muschel der Taube
gemein hat, wird man zur Annahme inducirt, dass beide Gebilde der
Hühner zusammen der Muschel der Tauben entsprechen. Davon aus-
gehend vermag man nun beiderlei Einrichtungen auf einander zurück-
zuführen. Nimmt man die Muschel bei Columba aus ihrer schrägen
Richtung in eine quere übergehend an, und lässt von da aus die ur-
sprünglich vorne liegende septale Verbindung nach hinten rücken , die
alare dagegen nach vom, so entsteht ein mit den Hühnern überein-
kommender Befund. Dieser wird so weniger davon verschieden sein,
wenn der obere Rand der Muschel — den einfachen Zustand der Taube
noch vorausgesetzt — sich erst in die Höhe, dann medial,, und von
da an nach dem Boden der Nasenhöhle zu entwickelt, und wenn die
so gebildete vollkommnere Muschel auch nach vorne zu auswächst,
und damit sich wenigstens vor einen Theil des Einganges der Nasen-
höhle legt. Geht endlicb mit dieser Veränderung die Bildung einer
vom Boden des Naseneinganges sich erhebenden Lamelle aus, die
wulstartig gegen die lateralgerichteteConcavität der Muschel vorspringt,
so wird ein den Hühnern völlig entsprechender Befund die Folge sein.
Die Verschiedenheit in der vorderen Muschel der Tauben und der Hüh-
ner ist also keine fundamentale, beiderlei Gebilde sind von einander
ableilbai-. Die vordere Muschel der Taube reprUsentirt dabei den ein-
facheren Zustand, die Hühner besitzen das um vieles differcnzirlcre
Verhalten.
Bei Numenius ist die vordere Muschel bedeutend in die Länge ge-
dehnt (Fig. \ 6. o) und bildet eine vom Dache des vorderen Abschnittes
der Nasenhöhle bis in diesen herabragende longitudinale Lamelle , auf
Ueber die Naseumuscheln der Vögel. 9
deren medialer und lateraler Fläche eine Längsleiste vorspringt. Das
hintere Ende (a'] setzt sich in horizontaler Lage zum Septum fort, und
geht als querer Vorspining in es über. Die alare Beziehung der Mu-
schel ist dabei noch erkennbar. Mehr mit Numenius als mit den Hüh-
nern stimmt die Gans in der Bildung der unteren Muschel überein.
Sie bildet einen ganz horizontalen , vorne mit dem Knorpel des Daches
der Nasenöffnung zusammenhängenden Yorsprung (Fig. i 7. a) , der
mit einem vorderen freien Ende gegen die genannte Oeffnung ragt.
In Fig. 18 ist er auf senkrechtem Querdurchschnitte vorgestellt. Von
den beiden Kanten tritt die mediale w^ieder zum Septum nasi über,
welches verdickt ziemlich weit gegen die Nasenhöhle einragt. Einen
Zusammenhang mit der mittleren Muschel, in der Weise wie ihn
ScARPA abgebildet hat, vermag ich nicht zu erkennen.
Als ein schräg von vorne und von der alaren Wand zum Septum
ziehender Wulst erscheint die vordere Muschel bei Raubvögeln, bei
denen sie nur einen kleinen Theil der Nasenhöhle einnimmt. Bei den
Eulen, wo sie ossificirt, ist die schräge Stellung noch steiler, wie auch
die Wölbung beträchtlicher (Fig. 20. 2\ . a) , so dass sie den grössten
Theil des nicht sehr ansehnlichen vorderen Raumes der Nasenhöhle
einnimmt. Die septale Verbindung geschieht wiederum an einer Quer-
verbreiterung der Scheidewand.
BeiGypogeranus fehlt die vordere Muschel. Rudimente davon
können wohl in mehreren parallelen Schrägfalten erkannt werden , die
an der Innenfläche der oberen resp. hinteren Wand der Nares liegen.
Sie können nach abwärts bis zum Boden des ^aseneinganges verfolgt
werden, der an einer etwas höheren Strecke der Stelle entspricht,
welcher bei andern Vögeln die septale Verbindung der vorderen Mu-
schel zukommt.
Einige Aehnlichkeit mit jener der Eulen kommt der vorderen
Muschel von Psittacus zu. Bei P. erythacus bildet sie ein ansehn-
liches, vom hintern inneren Rande der Nares vorspringendes Gebilde
(Fig. 24. 25. a], welches fast den ganzen Eingang verdeckt. In Mitte
der Aussenfläohe findet sich eine beträchtliche Vertiefung. Der frei
vorspringende fast kreisförmige Rand ist gewulstet, besonders stark am
unteren inneren Abschnitte. Von demselben setzt sich ein schmaler
Saum zu einem Vorsprunge der knöchernen Nasenscheidewand fort.
Picus (P. viridis) zeichnet sich durch eine sehr ansehnliche Aus-
bildung der vorderen Muschel aus, der eine iLnochenlamelle zu Grunde
liegt. Vergl. Fig. 26. a. Die Muschel beginnt lateral über der Nasen-
Offnung , und zieht sich an Höhe abnehmend bis zu dem am Beginne
(los letzten Dritttheils der Nasenhöhle liegenden seplalen Fortsatz , in
GariGegenbAiir,
;hl. Vorn geht sie von ihrer Befestigungsslelle an elwas
ilsdano biogl sie sich nach abv^rU um, und erreicht den
sonhöhle , um mit n»ch aussen aufgeschlagoneni freien
)ren. Das bintcro Ende dieses freien Bandes ist zugleich
ilon Verbindungsslelle in Fig. 27 auf dem senkrechten
bgebildet.
I schmal ist die vordere Husche! bei Capriniulgus (C.
>ie bildet eine weiche, lateral elwas eingerollte Lamelle,
'ordcrcs Ende gegen das röhrenförmig vorlilngerli! Nas-
1 durchzieht die Hiilfte der Länge der gesammlen Nascn-
argus (l*. Cuvieri) fehlt die vordere Muschel gUnzlich.
isenölTnung bildet eine Lüngsspalte , die von einer breiten
on nach ahwürts umgebogenen Knor]>el schuppe überdeckt
man eine VerwandUchaft mit der bei Caprimulgus beste-
Qgorung zu erkennen vermag. Die [nnenOäcbe dieser
le ragt convex in den vorderen Na'3enraum ein , so dass
ne Husche! erblicken könnte, wenn die nUherc Unter-
einen anderen Tbalbesland herausstellte, und eben den
dusche! ergäbe.
uxley' sehen Gruppe der Coracoinorphen finde ich bei
vordere Husche! zwar ziemlieh cinfuch, aber doch deut-
1. Sic bildet eine lateral entspringende abwilrls gerichtete
30. n), welche wieder mit dem hinteni Ende ins Septum
s Vorderende zielit sich frei nach vom zu aus und deckt
;ang von innen her.
'US (C. corone} entspringt sie wieder vom hinteren Rande
grenzuDg, und erstreckt sieb von da an mit dem Ursprünge
inten , unter bedeutender Verschmälerung und Uc^rgang
horizontale Lamelle , die mit einem bogenförmigen Aus-
Soptum tritt. Der bedeutendste vorderste Theil ist an
harf vorspringenden Kante im Winkel abwärls gekrllmmt,
le gegen die NasenöfTnung gerichtete, von unten leicht
eiförmige Vorragung (Fig. 33. a'], deren unterer freier
s und aufwärts gekrtlmmt ist.
Snseliel. Unter allen von mir untersuchten Vögeln am
erhält sich die mittlere Husche 1 bei der Taube, wo sie
r etwas gegen die Nasenhöhle zu einspringenden late-
jr Cavitiit abwärts ragenden Vorsprung bildet. In Fig. 8. c
loa der Innenfläche her, in Fig. 9. c auf senkrechtem
abgebildet. Unter der Muschel , und etwas nach vorne
-TT
Heber die Nasenmuschelii der Vögel. 1 1
zu bemerkt man eine Falte der Schleimhaut, unter welcher der Thrä-
nennasengang ausmündet (Fig. 8. /).
Für die litt hn er ist die mittlere Muschel durch Scarpa's Dar-
stellungen bekannt. Sie bildet eine schrügstehende von vorne und
oben nach hinton und unten gerichtete Lamelle , welche andertbalbmal,
an einigen Stellen auch zweimal eingerollt ist. In Fig. 13 gibt ein
senkrechter Durchschnitt dieses Verhallen vom liuhne in doppelter
Vorgrösserung. Das hintere Ende der Muschel, tritt zum Grunde der
Nasenhöhle, und ist von da an, besonders bei Melcagris deutlich als
ein medial verlautcndor Wulst (Figg. 12. 14. c') zu verfolgen, der zum
hintern £nde des Septum tritt. Hinter dieser septalen Verbindung
findet sich eine tiichterförmige Spalte , welche in den orbitalen Luft-
raum führt (Figg. 12. 14. o]. Unterhalb der gewundenen Muschel,
dicht über der Ghoane , öffnet sich der weite Thränennasengang.
Der vordere Abschnitt der Muschel lagert sich über den transver-
salen Fortsatz des Septums , an welchem die oben erwähnte Verbin-
dung mit der vorderen Muschel stattfindet. Bei Perdrix und Melcagris
ist jener vordere Abschnitt der mittleren Muschel weiter als bei Gallus
entwickelt, und bildet einen besondern durch eine Vertiefung vom
übrigen gesonderten Theil (s. Fig. 14].
Für die AbhUngigkeit der Stellung der Muschel vom transversalen
Septumfortsatz spricht das Verhalten von Numenius, bei dem die
mittlere Muschel bei geringer Erhebung jenes Fortsatzes eine fast hori-
zontale Lage besitzt. Die Muschel ist 1^2 "^**^ eingerollt, und bietet
an ihrer medialen Fläche zwei verschiedene Regionen dar. Die hintere
ist glatt, mit sanft abgerundeter Flache, sie setzt sich in eine zur
llinterwand der Nasenhöhle verlaufende dünne Leiste fort. Zum Sep-
tum war diese nicht zu verfolgen. Die vordere Region dagegen bietet
einen starken kantenartigen Vorsprung dar, .der auf den vordersten
ungewundenen Theil der Muschel sich fortsetzt.
Auch bei der Gans sind durch Sgarpa die Verhältnisse der mitt-
leren Muschel genau beschrieben worden. Ihre Windungen sind be-
deutender als bei den Hühnern, denn sie bilden 2^2 Umgänge. In
Fig. 19 habe ich einen senkrechten Durchschnitt dieses Verhallens
dargestellt, und zwar an der in Fig. 17 durch den hinteren Pfeil be-
zeichneten Stelle. Das hintere Ende der Muschel setzt sich wieder in
einen zum Septum verlaufenden Wulst fort (Fig. 17 c'), »unter dem eine
tiefe Bucht empor tritt. Die mediale Fläche der ersten Muschelwindung
(vgl. Fig. 17) bietet clgonlhümllchc Buchtungen und Vertiefungen dar,
die sich theilweise auch an dem folgenden Windungsvorgang wieder-
holen. Dit\se Verhältnisse der Reliefs sind aus Anpassungen an den
1 2 Carl Gegeubiiur,
Befund des Septunis hervorgegangen nachweisbar. Vor allem ist eine
schräge Vertiefung wahrzunehmen , welche einen vorderen oberen Ab-
schnitt der Muschel von einem hinteren und unteren scheidet. Diese
Vertiefung ist bedingt durch einen Vorsprung des Septums, in welchem
ein starker Trigeminusast — dem Naso-palatinus Scarpae homolog —
seine Bahn hat. Da wo der Nerv den Boden der Nasenhöhle erreicht,
bildet das Septum den queren zur lateralen Wand tretenden Vorsprung,
der das hintere Ende der vorderen Muschel aufnimmt. Dieser bei der
Gans sehr hohe Vorsprung — er ist in Fig. 17 weggenommen — tritt
7Ai dem schon vorhin unterschiedenen vorderen Abschnitte der mitt-
leren Muschel empor, und theilt dieselbe wieder in zwei Theile, einen
vorderen und hinteren, die durch eine schmalere Strecke zusammen-
hangen. Der vordere Theil überragt den Querfortsatz des Septums
nach vorne , und entspricht damit dem oben für Meleagris und Perdrix
angegebenen Abschnitt.
Die mittlere Muschel der Raubvögel ist von ansehnlicher Länge,
schrtig von vorne nach hinten und abwärts gerichtet. Sie ist 1 Yj mal
oder noch etwas darüber eingerollt. Harwood hat die Windung
bei Buteo auf einem Durchschnitte abgebildet. Von Gypogeranus
ist ein solcher senkrechter Durchschnitt in Fig. 23 dargestellt.
Wie ich bei Buteo, bei Strix und Gypogeranus finde, liegt der
vordere Theil der Muschel über und vor dem queren Septalfortsatze,
und trägt am Ende eine leichte Auftreibung , die bei Buteo am stärk-
sten ist (Figg. 20. S1. 22. c''). Bei Buteo zeigt sich an der innenOäche
der Muschel auf der Mitte der Länge eine Vertiefung , der wieder ein
Vorsprung des Septums entspricht. Das hintere Ende der Muschel
ist verschmälert und setzt sich mit einär leichten Falte zum Sep-
tum fort.
Von anderen Vögeln abweichend ist das Verhalten bei Psitta-
cus. Die Muschel (Fig. 24. c) bildet eine sehr dicke von der parietalen
Befestigungsstelle abwärts gekrümmte , aber nicht eingerollte Lamelle,
deren vorderer gewulsteter Rand abgerundet ist. Diese Lamelle ist
nun in der Mitte ihrer Länge tief eingebogen, so dass das vordere und
hintere Stück bedeutend medianwärts vorspringt. In die Einbuchtung
lagert sich wieder vom Septum her ein querer Fortsatz, der in Fig. 24
und noch vollständiger in Fig. 25 entfernt wurde. Also kommt
vor den septalen Querfortsatz ein sehr bedeutender Theil der Muschel
zu liegen (c"), der dem bei Raubvögeln angedeuteten, bei Hühnern, wie
bei der Gans umfänglicheren Abschnitte entspricht. Das hintere Ende
der Muschel läuft in eine stark vor und abwärts gebogene Schleimhaut-
üeber die NasenmasclielD der VOgel. 13
falte (Fig. 25. c") aus, die zum Septum hiDüberzieht. Hinter dieser
Falte liegt eine weite zum Orbitalsinus führende Oeffnung (Fig. 25. o).
Bei Picus ist die horizontal gelagerte Muschel, wie bekannt,
knöchern. Sie ist von geringer Grösse und einmal eingerollt. Der
quere Septalfortsatz bedingt hinter der Mitte ihrer Länge eine leichte
Einbuchtung von unten her (vgl. Figg. 26 u. 27. c). Das hintere Ende
lauft schräg gegen die Choane aus , ohne einen zum Septum gelangen-
den Vorsprung zu bilden.
Bei Caprimulgus erscheint die Muschel (Fig. 28. cc) von be-
deutender Länge, und zerfällt in einen vorderen und hinteren Ab-
schnitt, beide durch eine Einbuchtung von oben her getrennt. Dicht
hinter dieser Bucht setzt sich die obere Muschel mit dem hinteren Ab-
schnitte der mittleren in Verbindung. Sie ist einmal eingerollt.
Kürzer, aber in der Windung mit Caprimulgus gleich, ist die
mittlere Muschel von Podargus (Fig. 29. c). Am vorderen Ende ist
eine höckerförmige Auftreibung bemerkbar (Fig. 29. c) und ähnlich
setzt sich auch am hinteren Ende ein Vorsprung ab. Eine Umschlage-
stelle zum Septum ist ebensowenig wie bei Caprinmlgus bemerkbar.
Bedeutender gewunden ist die mittlere Muschel bei Gorvus
(Figg. 31. 32. c]. Der hintere Abschnitt derselben ist etwas gegen die
Choane herabgesenkt in einen stumpfen Vorsprung auslaufend, und
setzt sich in eine zur hinteren Nasen höhlen wand tretende Hautfalte
fort, also wieder nicht direct ans Septum. Ziemlich hoch über dieser
abwärts vorstehenden Schleimhautfalte findet sich eine oben von einem
vorspringenden Rande begrenzte Querspalte , die zu dem mehrerwähn-
ten Luftbehälter führt.
Hintere oder obere Mnschel. Der durch die Endverbrei-
tung des Riechnerven wichtige hintere und obere Theil der Nasen-
höhle ist bei Columba durch keine Vorsprungsbildung ausgezeichnet,
wird vielmehr nur durch eine von der mittleren 'Muschel aus nach oben
und seitlich sich erstreckende Vertiefung der Nasenhöhlenwand vor-
gestellt. Man wird daher sagen dürfen, dass der Taube eine obere
Muschel fehlt, da man unter der Bezeichnung »Nasenmuschel« doch
einmal einen Vorsprung sich denkt. Mit dieser Angabe stehe ich im
Widerspruch mit M. Scbultzb ^) , der die obere Muschel bei »Hühnern,
Tauben, Enten, Gänsen«, als sehr gross angiebt. Ich glaube, dass
dabei M. Scbultzb das, was ich nur als mittlere Muschel auflassen
durfte, als obere gedeutet hat. Vielleicht ist hiermit auch das von
ScHULTZB gefundene Factum in Zusammenhang zu bringen , dass der
4) Unlersuchangen über den Bau der Nasenschlei mbaut, Halle 4 862. S. 4).
14 Carl Gegenbanr,
Geruchsnerv sich nicht über die ganze Muschel verbreite, und dass
der »untere Randcc davon frei bleibe, was sehr leicht bei Tauben zu
constatiren sei. Jener »untere Randa ist nun das, was ich als mittlere
Muschel bezeichnen muss, da unterhalb derselben , oder vielmehr vor
ihm , nur noch eine einzige Muschelbildung besteht.
Bei fast allen den übrigen untersuchten Vögeln ist dagegen eine
vor der knorpeligen Wand der Nasenhöhle gebildete Einragung vor-
handen , die seit Scarpa als obere Muschel bezeichnet wurde. Sie ist
bei den Hühnern ein rundlicher oder auch unregelmässig gestellter Vor-
sprung mit stark gewölbter Oberflache (Figg. 11. 12. 14. 6).
Bei N u m e n i u s ist sie mehr dreieckig gestaltet, und bei der Gans
findet sich an der nach vorne gerichteten Basis des Dreieckes eine Ein-
buchtung, woraus die Form resultirt, die von Scarpa als glockenförmig
bezeichnet und von vielen Autoren bei der Beschreibung dieses Theiles
zu Grunde gelegt wurde. In dreieckiger Form einen nach unten von
der nn'ttleren Muschel abgegrenzten Raum des Grundes der Nasenhöhle
einnehmend, erscheint sie bei den Raubvögeln; der bedeutendste
Vorsprung der Muschel liegt hier am vorderen Rande , besonders bei
Strix, wo sie eine von hinten nach vorne ragende schräge Wölbung
bildet (Figg. 20. 21. 22. b). Unansehnlich Ist die Muschel bei Picus
(Fig. 26. b) , nur als schwacher, etwas gebogener Vorspmng erschei-
nend ; und bei Psittacus finde ich gar nichts auf eine hintere Muschel
beziehbares difierenzirt.
Dagegen ist sie von bedeutendem Umfange bei Caprimulgus
und Podargus, in beiden fast horizontal über der mittleren Muschel
gelegen , mit der sie bei ersterer Gattung an einer Stelle zusammen-
hangt. Diese Lage rechtfertigt hier die Bezeichnung: obere Muschel.
Bei Podargus verlauft über sie eine horizontale Querfurche.
Als einen ganz unansehnlichen abgerundeten Vorsprung finde ich
die hintere Muschel bei Corvus (Fig. 31. 6j. Er liegt direct an der
oberen, hinleren und seitlichen Wand der Nasenhöhle , und wird am
besten bei OelTnen der letzteren von oben her sichtbar gemacht. In
Fig. 32 ist ein solches Präparat abgebildet. Bei Sturnus finde ich
die bei Corvus rudimentäre hintere Muschel viel bedeutender ausge-
bildet, sie wird aber, da sie vom Nasenhöhlengrunde etwas entfernt
liegt, von der mittleren Muschel theilweise bedeckt. Dass sie den
verwandten Singvögeln fehlt , hat M. Sghultzb angegeben , der sie bei
Sylvia, Troglodites, Fringilla und Pyrgita vermisste. Da-
gegen finde ich sie bei Turdus und Cinclus, bei ersterer sogar als
recht deutlichen Höcker und im Verhältniss zur Krähe viel stärker. Auch
Ueber die NasenmiiflchelD der Vögel. t5
bei Huscicapa (M. glareola) ist sie unterschefdbar , und aach bei
A lau da. Dagegen vermisse ich sie ebenfalls bei Pyrgita.
Die obere Muschel ist somit kein ganz constantes Gebilde,
sie ist nicht hlos in verschiedenem Grade entwickelt, sondern sie fehlt
auch in einigen Abtheilungen der Vögel gänzlich. Der bei der Gans vor-
handene Formzustand des Gebildes, von dem die durch Scarpa gege-
bene Beschreibung eine allgemeine Aufnahme fand, ist keineswegs
so verbreitet, dass man ihn als fUr die Classe charakteristisch ansehen
könnte. Allgemein ist dagegen die Beziehung der Muschel zu einem
luflfuhrenden Sinus, dessen oben bereits mehrfach Erwähnung ge-
schah. Dieser im vorderen Orbitalraume gelegene Sinus comn^unicirt
nümlich mit dem Binnenraum der hinteren Muschel. Vom Huhn habe
ich diese Verbindung in Fig. 43 abgebildet. Bei der Gans hat schon
Scarpa diese Bezietning beschrieben, so dass ich darauf hinweisen darf.
Bei andern Vögeln, schon beim Huhn, ist die Communication einfacher,
im einzelnen bestehen zahlreiche Verschiedenheiten, die für unsere
Zwecke untergeordnet sind. Jener Orbitalsinus steht einei'seits im Zu-
sammenhang mit den mannichfach gestalteten Räumen dos Oberkiefers,
sowie er sich andererseits mit der Nasenhöhle in Verbindung zeigt.
Die Communication mit der Nasenhöhle liegt steLs am Grunde der
letzteren, bald höher, bald tiefer. Ich habe sie mehrfach oben hervor-
gehoben.
Durch die Communication mit dem Orbitalsinus wird die hintere Mu-
schel zu einer Einbuchtung der Nasenhöhlenwand. Dadurch
entfernt sie sich sehr weit von dem Verhalten der mittleren Muschel,
erscheint als ein ganz anderes Gebilde, welches mit derselben nur ganz
allgemein die Vorsprungsbildung in die Nasenhöhle theilt. Wenn wir
aber als » NasenmuscheU nicht eine blosse Einbuchtung der Wand der
Nasenhöhle bezeichnen, sondern jenen Begriff nur auf eine von der
Wand her entspringende, selbständige, von einer einfachen Fortsetzung
des Skeletes der Wand gestützte Einragung in Anwendung bringen,
so kann er auf das als hintere oder obere Muschel bezeichnete Gebilde
keine Anwendung finden , und jenes Gebilde erscheint damit als etwas
Neues. Will man aber die Bezeichnung » Muschel a auf eine Vorsprungs-
bildung der Nasenhöhle im Allgemeinen übertragen , gleichviel .wie die
Wand der Nasenhöhle sich dazu verhält, so können auch noch andere
Theilc darauf Anspruch machen und der Begriff büsst an seiner Be-
stimmtheit ein und geht verloren. Sohin entsteht die Nöthlgung,
jenen oberen hinleren Vorsprung von den Muschelbildungcn der Nasen-
höhle zu sondern , wovon die Bezeichnung nRiechhUgel«, die sich
Carl GegenbflBr,
sein Verhalten sum Olfactorius bezieht, Ausdruck. geben
r die Vergleichung der vorgeführten Thatsachen ist es
das Gemeinsame erst innerhalb der einzelnen Ablhei-
ideckea. Bei den Beptilien wird in dieser Beziehung das
ir Eidechsen und der Schlangen das am meisten Uberein-
ein. Sie besitzen ein unzweifelhaft als n Muschel a aufzu-
sbilde, an dem die oben aufgestellten Kriterien nachge-
Anders verhalten sich die Schildkröten. Obschon der
der Nasenhöhle viel complicirter ist, erscheint die Bildung
;1 weniger deutlich. Sie nimmt im Verbältniss zu Eidcch-
langen eine niedere Stufe ein, und befindet sich somit dem
' ludifferenz nüher. Wir gewahren jedoch dabei noch ein
Eidechsen und Schlangen verschiedenes Verhalten. Wuh-
zleren die Muschel hinten abgegrenzt war, und sich nicht
Nasenböhlengrund zum Seplum hinüberzog , geht der bei
Muschel aufzufassende Vorsprung von der lateralen Wand
I (Fig. 2. C) herüber. Durch diese Ei gen thü ml ichkeil wird,
istigen Indifferenz dieses Gebildes, doch eine nähere Ver-
der Muschel der Eidechsen und Schlangen nicht wohl her-
n, vielmehr ergiebt sich daraus eine, wenn auch entferntere
u den Vögeln , deren mittlere Muschel bei mehreren Ab-
ene Verbindung mit dem Seplum besitzt.
lerseits die Schildkröten, so weichen andrerseits die Croco-
halten ihrer Huscheln von Schlangen und .Eidechsen ab.
denheit löst sich jedoch sobald wir Jene Muscheln, wie es
ih, nüher prüfen. Aus dieser Untersuchung ging hervor,
genannte hintere Muschel (Fig. G. £1] eine andere Bildung
irdere (C), und dass ersiere gar nicht als Muschel bezeich-
kann , sobald wir an den B^riff Muschel die Vorstellung
Den fi-ei in die Nasenhöhle ragenden Lamelle knüpfen , die
h verschieden verbalten kann. Die hintere Muschel. der
t keine solche frei einragende Lamelle, sie ist
ichtung der knorpeligen Wand der Nasen b 0h le
ch immer diese Ausbuchtung bei blosser Betrachtung von
n Fläche einer Nasenniuschel ähnlich sein mag, so erweist
b sofort als etwas anderes. Somit bleibt für die Crocodilc
iziges Gebilde übrig, das den Namen einer Muschel vei^
lieses ist es, welches wir der Muschel der anderen Reptilien
betrachten dürfen.
Geber die Nasennnscheln der Vöf^l. 17
Daher kiinn der Satz aufgestellt werden, dass der Nasen-
höhle derReptilien nur eine einzige Muschel zukomme,
die bei Schildkröten den indifferentesten Zustand aufweist, bei Eidech-
sen und Schlangen selbständiger wird, und bei Crocodilen noch weiter
sich complicirt. Bei den letzteren ist die bedeutende Längenausdehnung
der Nasenhöhle von anderen Einragungen begleitet , die den Muschel-
bildnngen fremd sind. In den vorderen Raum wölbt sich von oben
her die Knorpelwand der Nasenhöhle ein (Fig. 6. c) ; in den hin-
teren buchtet sich ein von der Knorpelwand der Nasenhöhle um-
schlossener Sinus vor (/>], der zugleich nach aussen vor der eigentlichen
Muschel (C) , immer in der Wand der Nasenhöhle weit nach vorne
zieht.
Es handelt sich nun um die Vergleichung dieser Befunde mit den
Muscheln der Vögel. Dass die sogenannte obere oder hintere Muschel
der Vögel keine wahre Muschel ist, habe ich oben dargethan. Sie
wurde als Riechhdgel bezeichnet. Indem sie als eine Ausbuchtung
eines ausserhalb der Nasenhöhle gelegenen, aber mit dieser communi-
cirenden Sinus erklärt wurde, könnte man auf den Gedanken kommen
sie mit der Pseudoconcha der Crocodile zu vei^leichen und sie dieser
fttr homolog zu halten. Zu letzterem kann die Vergleichung dieser
Theile von der medialen Fläche her verleiten. Dagegen erheben sich
jedoch wichtige Bedenken. Erstlich ist der Sinus in der Pseudoconcha
der Crocodile überall von Knorpel umwandet, er liegt in der Knorpel-
wand der Nasenhöhle selbst, ist somit keine blosse Einbuchtung jener
Knorpelwand von aussen her, wie der Riechhttgel der Vögel es ist.
Zweitens communicirt der Sinus der Pseudoconcha direct mit der Nasen-
höhle und nicht, wie der Binnenraum des Riechhttgels der Vögel, mit
einem ausserhalb ^^^ Nasenhöhle gelegenen Sinus. Daraus geht die
Unzulässigkeit einer Homologie hervor, die man zwischen jenen Ge-
bilden aufstellen möchte. Man wird also beide auf sehr verschiedene
Weise zu Stande gekommenen Gebilde von einander sofort zu sondern
haben.
Es bestehen bei den Vögeln nach Elimination des Riechhügels
noch zwei Huscheln. Von diesen wird sich fragen, welche der Muschel
der Reptilien entspricht. Auch hierauf ist die Antwort nicht schwer
zu finden. Prüfen wir zunächst die vordere oder untere Muschel. Wir
finden sie keineswegs allgemein vorhanden. Sie fehlte bei Podargus,
und war bei Gypogeranus kaum angedeutet. Sonst gab sie sich als eine
von der lateralen Wand der Nasenhöhle schi s zum Septum herüber-
ziehende Bildung kund , die durch dieses Verhalten mit dem Boden der
Nasenhöh*" . - . . • ^ stand. Dieses Verhältniss darf nicht Ober-
B(LV i
■1
teil dieser
Abschnitte
lumba ist
je Ausbil-
JodeD des
liegt stets
her höher
ineD Tbeil
ist ferner
i;l wie die
enbohlen-
n auch als
Ich be-
darin be-
den Rep-
pricbt der
!r Huschf^l
^eln auf-
hel übrig,
e Bildung
der Vögel
mit Jener
I mehr als
n gemein-
ten Baume
;e Bildung
jgung der
sprechen-
i Huscheln
entspricht
ntworlen,
[asenböhle
i differen-
dung sein
ehr hüufig
;re Bildung.
lieber die NASenmnschelD der Vö^zel. 19
den durch Ramification complicirtesten Theil jener Gebilde, sondern
übertrifft auch da , wo sie im Vergleiche zu der mittleren Muschel ein-
facher sich verhHlt, diese an Ausdehnung. Es besteht also Grund in
der unteren Muschel das Homologon der Muschel der Vögel und der
Reptilien zu sehen , und unter den letzteren bieten die Crocodile in der
Theilung der Lamelle der Muschel etwas nähere Beziehungen zu den
Säugethieren.
Ein fernerer Stutzpunkt dieser Vergleichung ist in der Äusmün-
iiung des Thränen nasenganges zu finden, die bei den VOgeln unterhalb
der sogenannten mittleren Muschel, bei den Säugethieren unterhalb der
unteren Muschel sich trifft. Daraus ergiebt sich zugleich ein gewich-
tiger Grund gegen die Zusammenstellung der Vorhofsmuschel der Vögel
mit der unteren Muschel der Säugethiere.
Aus der Homologie der unteren Muschel der Säugethiere mit der
Nasenmuschel der Amphibien und Vögel ergiebt sich für die beiden
oberen Muscheln der Säugethiere die Annahme einer Neubildung im
Vergleiche zu den niederen Abtheilungen. Das Auftreten dieses Theils
ist von einer Vergrösserung des Binnenraums der Nasenhöhle nach
hinten und oben begleitet, wenn man an der Ursprungsstelle der
unteren Muschel den Indifferenzpunkt annimmt. Bei den Vögeln da-
gegen ist unter derselben Voraussetzung ausser einer geringen Aus-
dehnung des Cavum nasi nach hinten und oben noch eine Ausdehnung
gegen die äussere Oeffnung zu vorhanden, wodurch ein besonderer
den Säugethieren fehlender Abschnitt als Vorhofsraum der Nasenhöhle
entsteht.
Jena, Mai 4874.
ErUlrug der Abbildimgeii.
Tafel I.
Fig. 1. Senkrechter Medianschnitt durch den Vordertbeil dos Kopfes Ton
Chelonia cauana.
Das Septum nasale ist eine Sirecke weit entfernt , so dass der Binnen-
raum eines Theiles der Nasenhöhle frei gelegt ist.
Kiff. 9. Dasselbe Prtfparni, an welchem der Binnenraum vollsitfndiger blosgelegt,
und der zur Choanc führende hintere Nasengang geöffnet ward.
Für beide Figuren gilt
0 äussere Nasenöffnung mit dem <lurch punctirte Linien abgegrenzten
Eingang in die Nasenhöhle.
01 Olfactorius.
20 ^^^ Gef^nbAnr,
dn hinterer Nasengang,
K Knorpel der Nasenhithlenwand.
mn schrfige Leiste, welche einen vorderen Raum der Nasenhöhle
von ohen her abgrenzt (in Fig. 2 tbeilweise abgetragen).
rs Obere Ausbuchtung J
H untere Ausbuchtung { ^« ^^^***'*« ^•«"»«•
H Innere Riechgrube.
C Nasenmuschel.
Fig. 3. Dasselbe Prflparat von La certa o cell ata.
c Muschel.
Fig. 4. Senicrechter Medianschnitt durch den Vorderthetl des Kopfes von Uro-
mastix spinipes. Das Septum nasi ist theil weise entfernt.
c Muschel.
Fig. 5. Dasselbe Prttparat von Boa constrictor. Das Sepium nesi ist ganz
entfernt.
a Vordere seitliche Ausbuchtung der Nasenhöhle , zur äusseren Oeff-
nung führend.
c Muschel.
6 Hinteres freies Ende derselben.
ch Ghoate.
Fig. 6. Dasselbe Pr¶t von Alligator lucius mit vollständig entfernter
Nasenscheidewand .
0 Aeussere Nasenöffnung. DerSchliessmuskel sowie reiches Schwell-
gewebe ist durchschnitten.
a Vordere Erwetteruag des Nasenelnganges.
b Vorderer Naseogang.
c Von oben her einragendes Knorpeldach.
C Muschel.
D Pseudoconcha.
e Bucht.
dn Hinterer Nasengang.
mx Sinus maxillaris.
Fig. 7. Senkrechter Querschnitt durch dasselbe Präparat in der Richtung der In
Fig. 6 von C ausgehenden Führungslinie.
C Einfache Lamelle der Muschel, die sieh in C^ und C spaltet.
D Pseudoconcha.
S aus dem Binnenraum derselben führender Canal.
F Sinus der Pseudoconcha.
dn Hinterer Nasengang.
Tafal n.
Die Ftgg. 8, 4 i, 44, 46, 47 Sind Medianschnitte durch die Nasenregion
des KopftM.
Fig. 8. Golumba livia domeslica.
Fig. 9. Senkrechter Querschnitt in die Fübmngslinie von c in Fig. 8.
Fig. 40. Nasenhöhle von Golumba livia domeslica von oben her geöffnet.
Fig. 44. Dasselbe von Gallus domesticus.
Fig. 4S. Gallus domesticus.
Ceber die Nasenmoseheln der VAgel. 21
Fig. 18. Senkrechter Qaerschniti durch die Nasenhöhe von Gallus dorne-
st i cu s. S fach vergrössert.
Flg. H. Meleagris gallopavo.
Fig. 4 5 . Senkrechter Querschnitt durch den Nasen vorhof von Meleagris.
Fig. 46. Numenins phaeopus.
Fig. 47. Anser domesticus.
Fig. 48. Senkrechter Querschnitt durch den Nasenvorhof von Anser dome-
sticus.
Fig. 49. Senkrechter Querschnitt durch die Nasenhöhle von Aaser dome-
sticus.
Bezeichnung aller Figuren.
a Vorhofsmuschel (vordere Muschel).
a' Septaler Theil derselbe«.
6 Riech hügel (hintere oder obere Muschel).
C Nasenmuschel (mittlere Muschel).
c' Hinteres, septales Ende (
r'' vorderes Ende 1 <*«^«^°
d Decklamelle des Naseneinganges.
0 NaseneiDgMig.
o Gommunication der Nasenhöhle mit Luftbehältern des Kopfes.
s Naseuscheidewand.
f Vorspringende Lamelle des Unterrandes des Naseneinganges.
/ Mündung des Thrttnenoasenganges.
Tafel in.
Figg. iO/Sft, %kp i6» t8, 84 sind Media nschniite durch die Nasenregion
des Kopfes. ^
Fig. 80. Buteo vulgaris.
Fig. 84. Strix passerina.
Fig. 88. Gypogeranus secretarlus.
Fig. 88. Senkrechter QoerschnHi durch die Nasenhöhle desselben.
Fig. 84. Psittacus erythacus.
Fig. 86. Dasselbe Präparat nach Entfernung des Daches der Nasenhöhle.
Fig. 86. PIcus viridis.
Fig. 87. Senkrechter Querschnitl durch die NMenhöhle desaelbeu in der Richtung
der in Fig. 86 von C ausgehenden Führungslinie.
Fig. 88. Caprimulgns europaeus.
Fig. 89. Podargus Cuvieri.
Fig. 89. Sturnus Yulgarif.
Fig. 84. Corvus corone.
Fig. 88. Senkrechter Querschnitt durch die Nasenhöhle desselben.
Fig. 88. Nasenhöhle und linkerseits auch Nasenvorhof von Corvuscorone von
oben her geöffnet.
Die Beieicluiongeii der Figureatlieile entspreeben Jenen für die vorher-
gehende Tafel.
g (in Fig. 84) Gelenk.
BestaubuBgsversHche an Abutilon - Arten.
Von
Fritz MüUer.
Pflanzen , deren eigener Blttthenstaub keine Befruchtung bewirkt,
sind besonders bequem zu Bastardirungsversuchen. Das oft so müh-
same und häufig nicht ohne schwere Verletzung der Blumen auszu-
führende Entfernen der Staubbeutel ist bei ihnen nicht nöthig; es ge-
nügt die Zufuhr fremden Blüthenstaubcs abzuhalten. Ich wählte daher
für eine Reihe von Versuchen , durch die ich aus eigener Erfahrung die
Gesetze der Bastarderzeugung im Pflanzenreiche kennen zu lernen
beabsichtigte, zunächst mehrere selbst unfruchtbare (»seif -sterile«
Darwin) Arten der Gattung Abutilon.
Die Ergebnisse, welche die Versuche des vorigen*Jahres in Bezug
auf Samenertrag lieferten , will ich im Folgenden kurz besprochen , —
nicht weil ich denselben einen besonderen Werth beilege, sondern
weil ich hoffe , dadurch auch Andere anzuregen zu Vorsuchen über die
mannichfachen Fragen , die sich dabei aufdrängen.
Meine Bestaubungsversuche wurden angestellt :
1) an einem Abutilon vom oberen Capivary, das mir in Kew als
verwandt mit Ab. virens bestimmt wurde ;
2) an einem hier in Gärten öfter zu findenden Abutilon , das mir
ein deutscher Gärtner als Ab. striatum bezeichnete ;
3) an einem Bastarde dieser beiden Arten , dessen Mutter das
Capivary-Abutilon, dessen Vater das Ab. striatum ist, welchem
letzteren es in Wuchs, Blatt und Blüthe weit ähnlicher ist, als
der Mutter ;
4) an einem am Ufer des Itajahy häufigen Abutilon mit schmalem
lanzetförmigem Blatte und rother Blüthe, das von den Brasi-
lianern Embira branca (»weisser Bast«) genannt wird.
Ausser dem Blüthenstaube dieser Arten kam zur Verwendung :
BeatAQbangSTeraiiohe au Äbotilon-Arteo. 23
5] BIttihenstaub einer weissblQhenden Pflanze derEmbira branca,
die auch durch kleinere Blüthen und 4 1- bis fSfächrige Frttchte
(bei der rothbitthenden Form meist 1 4 — 1 6 fächrig) sich aus-
zeichnete. Meine Kinder fanden eine einzige Pflanze zwischen
der gewöhnlichen rothbitthenden Form am Rio do Testo, einem
Nebenflusse des Itajahy.
6) Blüthenstaub eines schönen baumartigen Abutilon mit über
mannshohem Stamme und ticfgelappten Blättern, von dem ich
eine einzige Pflanze etwa 5 Stunden von hier (am Pocinho)
nicht weit vom Ufer des Itajahy fand.
7) Blüthenstaub des Abutilon vexillarium, von dem ich eine
Blüthe aus dem Garten des Dr. Blumenau erhielt.
Die Zahl der Fächer ist bei den Früchten dieser verschiedenen
Arten sehr unbeständig, daher giebt die Zahl der Samen in der ganzen
Frucht kein passendes Maass der Fruchtbarkeit. Bei voller Fruchtbar-
keit d. b. wenn alle Eichen sich zu guten Samen entwickelten , würde
eine 8 fiebrige Frucht des Capivary-Abutilon 64 bis 73, eine \ 4 föchrige
88 bis 99 Samen enthalten ; eine 8 (ächrige Frucht mit 60 Samen nähert
sich also der vollen Fruchtbarkeit weit mehr, als eine 4 1 fächrige mit
gleicher Samenzahl; erstere hätte durchschnittlich 7,5, letztere nur
5,5 Samen in einem Fache. Diese Durchschnittszahl, die man erhält,
indem man die Zahl der Samen durch die Zahl der Fächer theilt, ist
für diese Pflanzen das passendste Maass der Fruchtbarkeit.
Die Früchte des Abutilon werden hier oft von kleinen, in ihrem
Innern lebenden Raupen heimgesucht; fressen dieselben eine grössere
Zahl von Fächern aus, so fällt die Frucht gewöhnlich kurz vor der Reife
ah; wo nur wenige, 4, % oder höchstens 3 Fächer ausgefressen waren,
habe ich die Gesammtzahl der Samen nach der Zahl derer berechnet,
die in den unversehrten Fächern sich fanden , also z. B. für eine
lOHtchrigc Frucht, die in 8 unversehrten Fächern 44 Samen enthielt,
10.44*
- -'-— = 55 Samen angenommen.
8
I. Abutilon Tom Caplrary.
* Zu Versuchen dienten 6 Pflanzen. Vier derselben (i, II, III, lY)
sind (Geschwister, d. h. stammen von Samen ein und derselben Frucht,
die ich im Mai 4 868 am Capivary pflückte. Die Pflanze V hat die Pflanze
II zur Mutter; der Vater, sowie die Eltern der Pflanze IV, die eben-
falls aus Samen jener einen Frucht gezogen waren, sind durch eine
Ueberschwemmung zerstört worden. Der Vater von V war Mutter von VI.
BeotnnbaugsvenKhe aa Abutilon-Arten.
25
▲batilos nm Capi? sry n
BestMiVt:
1
Zahl d«r _ ^, .
be«tattb-fZ»W*e'l
ten MlfeB
Blamen JF'*«!»*«
Zahl der Samea ia eiaer
Pracht
Kleinste OrOeste Mittel
parohMhnittlidhe
Samea in einem
Kleinste Grösste
Zahl dei
PiMbe
Mittel
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Durch Kolibris
?
i4
7
54
96,8
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mit Blüthenstaub des-
selben Stockes
4
t
mit fremdem Blüthen-
staub der eignen Art
47
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90
54
85,7
«.9
5,4
8,8
mit Ab. Stria tum
1
%
97
49
84,5
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4,9
8,6
mit Abtttilon Capivary-
Stria tum
9
4
96
8,9
mit Ab. Embira
e
1
99
49
88,8
9,9
4,9
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mit Ab. vom Pocinho
7
9
88
87
85,0 ;
; «'7
4.4
8,9
AbvtUom Ton CftpiTuy UI
'
Durch KoJibris
?
8 1
44
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45,7
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«,«
4,6
mit eignem Blüthen-
'
staub
t
0
.
mit fremdem Blüthen-
staub der eigenen Art
9
7
40
80
98,4
4,4
8,0
«,4
mit Abutilon striatum
S
0
mit Ab. Capivary-stria-
tum I
' *
4
99
9,9
mit Ab. Embira
1.
4
94
8,7
Abiitilon Tom Cftpirmiy lY
1
mit eigenem Blüthen-
staub
4
0
mit fremdem Blüthen- ;
•
I
staub der eigenen Art [
%
t
56
66
64.0
6,0
6,9
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mit Abutilon striatum ,
4
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47
4,9
mit Ab. Capivary-stria-
• f
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mit Ab. Embira
t
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1 55
59
57,0
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5,9
5,7
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mit Ab. vom Pocinho ;
1
s
« 1
49
49
1
4.4
4.8
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gleichzeitig mitAb. stri- 1
1
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■ 1 •■
atumund Ab. Embira !
1
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47
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AbtttilOB vom CftpiTuy Y
1
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Durch Kolibris
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5,9
«,7
mit fremdem Blüthen-
f
staub der eigenen Art
9
8
44
57
49,5
4,4
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mit Ab. striatum
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mit Ab. Capivary-stria-
tum
5
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6,9
6,4
6.8
mitAb. Embira
5
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46
58
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5,4
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mit Ab. vom Pocinho
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69
64,0
6,0
6.9
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gleichzeitig mit Blü-
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nen Art u. mit Ab.
Embira
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6,7
6,7
gleichzeitig mit Ab.
1
1
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1
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6,9
4) Wenn gleichzeitig Blüthenstaub zweier fremden Arten zur Bestaubung ver<
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<a
63
87,8
6,9
t.o
ei diesen Versuchen nur etwa y^ der beelaublen BlillheD
lieferten , so ist dor Ausfall fast einzig den Verwüstungen
r Raupen zuzuschreiben; an dem geringen Fruchtertrafi;
jung mit dem Abutilon vom Pocinho trügt der Umsland
dieselbe während tagelang anhaltenden Regenwetters vor-
'urde.
inswerth ist nun zunäebst der Unterschied in dem Sanien-
rcb kunstliche und der durch natürlich«^ Bestäubung erzeug-
wurde die eine Halde der Narbeo mit der oinen, die t weite Hai lle
n Art bestaubt. Wo gleichzeilig mit Bliilhenstaub der eigenen und
Lrt beKlaubl wurde , wurde eine einzige Narbe mit dem der eigenen
in mit dem der fremden Art versolicu.
rucbt hätte eigentlich aus der Tabelle wegbleiben seilen, da ilirc
iavon herrührt, das» eine ungenügende Menge BlUthcnstaubcK xur
rwandt wurde.
BestanbaDf^STereiiehe an Abutilon-Arten. 27
ten Früchte; erstere hatten durchschnittlich 4, 6, lefztere2, 5 Samen
im Fach. In der That war aber das Ergebniss der natürlichen Bestau-
bung durch die Kolibris ein noch weit ungünstigeres , als es hiernach
zu sein scheint. Die Pflanzen waren (mit Ausnahme von IV] während
der ganzen Dauer der Versuche mit zahlreichen Blüthen bedeckt; (von
ill. habe ich am 27. August auf einmal 400 Blüthen abgeschnitten, um
deren Griffelzahl zu untersuchen) ; ich entsinne mich nicht eine ältere
Blume gesehen zu haben , deren Narben nicht reichlich mit Blüthen-
staub bedeckt gewesen wären, und doch fiel die grosse Mehrzahl , wohl
wenigstens ®/io ab, ohne überhaupt Frucht anzusetzen. Die Mehrzahl
der Früchte war sehr arm an Samen, während einige wenige allerdings
in Samenzahl mit den reichsten der durch künstliche Bestaubung erhal-
tenen Früchte wetteiferten. Nach künstlicher Bestaubung mit fremdem
Blüthenstaube dagegen setzten alle Blüthen (mit Ausnahme einiger an
der Pflanze HI) Frucht an, und fast alle Früchte (wieder die Pflanze 111
ausgenommen) enthielten reichliche Samen. — Schon bei anderen Pflan-
zen hatte ich Gärtnbe's Meinung nicht bestätigt gefunden, dass »künstr-
tiche Befruchtung der reinen Arten gewöhnlich eine geringere Samen-
zahl erzeugt, als die natürliche«. Meine Erfahrungen an Abutilon ste-
hen zu dieser Meinung GXarNBR's , der sich auf eine ungeheure Zahl
Jahrzehnte hindurch mit bewundernswerthester Ausdauer und Soi^falt
fortgeführter Versuche stützte, in schneidendstem , jedoch leicht zu er-
klärendem Widerspruch. GXrtnie zog seine Versuchspflanzen in Töpfen,
brachte sie während derBlüthezeit in ein geschlossenes Zimmer, castrirte
sie und — was wohl die Hauptsache ist — verwandte wahrscheinlich
häufig Blüthenstaub desselben Stocks zur Bestaubung ; darin und nicht
in der künstlichen Bestaubung d. h. in dem Umstände , dass statt des
Rückens einer Hummel oder eines Schmetterlingsrüssels ein Pinsel zur
Ucbertragung des Blüthenstaubes diente, dürfte die Ursache des gerin-
geren Ertrags seiner künstlich bestaubten Pflanzen zu suchen sein. •—
Ebenso leicht erklärt sich der geringe Erfolg der natürlichen Befruchtung
bei Abutilon ; ist ein Kolibri zu einem blüthenreichen Busche herange-
flogen, so pflegt er ihn, wenn nicht gestört, emsig von Blüthe zu Blüthe
schwirrend vollständig abzusuchen; ehe er dann einen anderen Busch
besucht, pflegt er gewöhnlich einige Zeit auf einem benachbarten Zweig
zu rasten, auch wohl inzwischen die Blumen einer anderen Pflanze ab-
zusuchen, (in meinem Garten z. B. die Blüthen einer Manettia, die
nahebei an einer Bauhinia rankt oder die leuchtenden Biüthenständc
einer Musa coccinca). So werden nur die Blumen, die er von einem
anderen Stocke kommend zuerst besucht, eine volle Ladung fremden
Slaubes erhalten; alle übrigen bekommen Blüthenstaub dos eigenen
FrlU XaU«,
inlweder rein oder mit einer mehr oder weoiger erheblichen
lg rremden Staubes, — lelzteren aber, wie der Erfolg >eigt,
iiier zu vollständiger Befruchtung ausreichenden Uenge. Da-
enige Früchte und von diesen wieder nur ein kleiner Theil
ehern Samen. Es wäre dabei aqcb an die Mdglichkeit zu
lass reichliche Bestaubung mit eigenem die spätere Befruch-
I fremden Bluthenstaub beeinträchtigt, indem entweder ein-
igang lur NarbenoberOkche erschwert, oder audi diese durch
iwirkung des eigenen Bltlthenstaubes für fremden unempf^ng-
iht wird ; wenigstens Letzteres scheint indess kaum der Fall
ioweit ich aus meinen hierauf gerichteten , leider durch die
[liehen Kaupen grosaentheils vereitelten Versuchen sohüessen
Ersteres scheint das Ergebniss einiger Versuche zu sprechen ;
von 2 jungfraulichen frisch aufgeblühten Blumui dw Pflanze
) sofort mit fremdem , die andere erst stark mit eigenem und
ir darauf mit fremdem Bluthenstaub bestaubt; erstere gab
1 mit 6,3, letztere mit nur 4, i Samen im Fach. An der Pflanze
2 frische Blumen mit Gaze bedeckt, nachdem die eine stark
nstaub ihres Slookrs bestaubt worden war; fUnf Tage später
»de mit fremdem Bluthenstaub versehen ; die eine, die diesen
ulichem Zustande erhalten hatte, lieferte 4,i, die andere,
Farben zuvor 5 Tage lang eigener Bluthenstaub gelegen balle,
imen im Fach.
ir ist hervorzuheben die auffallende Verschiedenheit im Sa-
e der Pflanzen I bis IV , die wie gesagt aus Samen einer ein-
wachsenden Frucht gezogen sind. Derdurchschnittliche Ertrag
Bm Bluthenstaub der eigenen Art war bei IV: 6,1 — bei I:
II: :t,8 — endlich bei III: S,i Samen im Fach; die reichsten
m III enthielten durchschnittlich nidit Über 3, die ärmsten von
icht unter 5 und 6 Samen im Fach. — 1 869 habe ich von der
gar keine Früchte eiiialten. '} — Also nicht blos bei Bastarden
Ue^üiBon Sprösslingen dimorpher und triniorpher Pflanzen,
uch bei anderen wildwachsenden reinen Arten kommt es vor,
>amen derselben Frucht gezogene POanzen sich sehr ertieblich
ucbtbarkeit unterscheiden.
9 uofruchtbare PflBDie III ist auch sodU vor ihren Gesohwiat«rn va-
Inrcb etwas klemers blassere Btumen, durch längere GrilTel, die meist
er Knospe hervortreten, und durch Itieiiiore blassere Narben. Sie ist
ra Wuchs, sehr reichbtühend und, wie es scheint, besonders Icbenszfih,
zwei grosse Deberschwemmungen überdauert hat, deren erster meli-
an gleichem Orte wachsende Gescbwisler »rlegen sind.
Bestonbiinf^sversncbe au Abntiloo-Arten. 29
In Bezug auf die Verbindung mit fremden Arten ergab sich , dass
bei drei Pflanzen (II, III, V) die eine oder andere fremde Art grösseren,
bei einer Pflanze (lY) ebenso hoben Samenertrag lieferte , als die eigene
Art; bei einer Pflanze (VI) war keine ktlnstliche Bestaubung mit der
eignen Art vorgenommen worden und nur bei einer Pflanze (I) überstieg
die Samenzahl in den durch die eigne Art erzeugten Früchten (5,9 Sa-
men im Fach) um etwas die der fruchtbarsten Bastardverbindungen
(mit Abutilon vom Pocinho 5,2 Samen).
Der Satz, dass Kreuzung mit fremden Arten immer weniger Samen
liefert, als Befruchtung mit der eigenen Art, bestätigte sich also nicht
bei obigen Versuchen.
Die drei zur Bestaubung verwandten Arten zeigten in Bezug auf
die durch sie erzeugte Samenzahl nicht dieselbe Beihenfolge bei den ver-
schiedenen als weibliche Unterlage dienenden Pflanzen des Gapivary-
Abutilon. Mit III lieferte Striatum doppelt so viel , mit V noch nicht Ys
so viel Samen, wie die beiden anderen Arten. Bei IV war das Verhält-
niss von Embira und Striatum dasselbe wie bei V, wogegen das Abuti-
lon vom Pocinho , das mit V die reichsten Früchte lieferte , bei IV nur
Y5 soviel Samen gab als Embira. Bei II war der Ertrag für alle drei
Arten ziemlich derselbe. Man vergleiche nachstehende [aus den obigen
Tabellen entnommene) Zusammenstellung :
IL P: 3,9. — S: 3,6. — E: 3,4
IV. E: 6,4. — S: 4,9. — P: 4,2
V. P: 6,4. - E: 6,4. - S: 4,9
VI. S: 6,7. — P: 3,2. - E: 3,4
Es scheint also jede einzelne Pflanze ihre eigenthümliche Empföng-
nissfilbigkeit (»Wahlverwandtschafta Gartübh) für verschiedene fremde
Arten zu besitzen. Doch sind die Versuche bei weitem nicht zahlreich
genug, um schon jetzt dieses Ergebniss als gesichert betrachten zu dürfen .
Wirksamer, d. h. samenreichere Früchte erzeugend als der Blü-
tbenstaub der eigenen reinen Art erwies sich ebenfalls bei den Pflanzen
1, III und V der BlUthenstaub einer Bastardpflanze: Abutilon Capivary-
striatum I.
Es würde voreilig sein, aus diesen Ergebnissen den Schluss ziehen
zu wollen , dass im Allgemeinen das Abutilon vom Gapivary reicheren
oder ebenso reichen Samenertrag liefert mit einer Reihe fremder Arten
und einem seiner Bastarde, wie mit Pflanzen der eigenen Art. Ich ver-
muthe dass in letzterem Falle die Fruchtbarkeit meiner Pflanzen hinter
der normalen zurüdiblieb und zwar weil alle meine Pflanzen des Ca-
pivary-Abutilon sehr nahe Verwandte sind. Wenigstens aber bieten
3U Friti Hilller,
auch diese Versuche einen neuen, allerdings schon ziemlich UherilUssi-
gen Beleg dafür, dass die Fruchlbarkeil nicht als unlrUglicber Prüf-
stein der ZusAmmengehärigkeil verschiedener Pflanzen zur selben Art
zu verwcrthen ist. Ebenso zeigen sie, dass die Weise in welcher
Garther (»Bastardei-zeugung « S. 204) die »Wabl Verwandtschaftsgrade
der Arien bei der Bastardbefrucbtungu berechnete, indem er das Maxi-
mum der bei Ba st» rdhe fruchtung erhaltenen Samen mit der mittleren
Siimenzahl durch »natürliche Befruchtung« an wilden Pflnnzen entstan-
dener guter Früchte verglich, ebenso praktisch unbrauchbar sein kann,
wie sie theoretisch falsch ist. Soll der Samenertrag durch Blüthenstaub
der eigenen und durch den fremder Arten verglichen werden, so ist es,
um ein reines Resullat zu erhalten, natürlich unerlösslich , dass alle
übrigen Verhilltnisse, die möglicherweise jenen Ertrag beeinflussen
könnten, in beiden Pililen möglichst gleich seien. Beiderlei Früchte
müssen entweder von wildwachsenden oder von im Garten gezt^enen,
von in freier Luft oder von im Zimmer stehenden .Pflanzen , beide von
künstlich bestaubten Blumen gewonnen .sein ; es müssen entweder Ma-
ximum mit Maximum oder Miltelwerth mit Mittelwerth verglichen wer-
den; ja es müssen womSglich beiderlei Früchte zu gleicher Zeit an
demselben Stocke gereift sein. Wollte man nach GXrther's Berech-
nungsweise mit dem mittleren Samenerlrag der durch »natürliche Be-
fruchtung« entstandenen Früchte der Pflanze III, [3,4 Samen im Fnch),
das Maximum der Samen vergleichen, die der Blüthenstaub von Abu-
tilon striatum an der Pflanze II erzeugte, (7,7 Samen im Fach], so würdo
die Fruchtbarkeit dieser Bastardverbindung über dreimal so gross sein,
als die der reinen Art 1
Eine letzte befremdende Thatsache ist es , dass bei den Pflanzen
V und VI die reichsten FrUchle aus denjenigen Blumen hervorgingen,
die gleichzeitig mit BlUibenstaub verschiedener Arten bestaubt worden
waren. An der Pflanze V z. B. enthielten 5 durch AbutJlon striatum
erzeugte Früchte durchschnittlich 5,0 und keine mehr als 6,1 Samen;
ebenso viel durch Erobira erzeugte Früchte durchschnittlich 6,0 und
keine mehr als 6,4 Samen im Fach, während eine Blume derselben
Pflanze, von deren Narben die eine Hälfte mit AbuUlon striatum, die
andere mit Embira bestaubt wurde, eine Frucht mit 6,9 Samen im
Fache lieferte. — Einen ähnlichen Fall werden wir unten noch einmal
1 n. — Weitere Versuche werden entscheiden müssen , ob
( jnreichthum nach gleichzeitiger Bestoubung mit zweierlei
I b ein blos zufitlliger war. Ich bin geneigt, aus unten anzu-
I IrOnden, das Gegcnlheil anzunehmen.
BeataDbiiRAarersiicht ho Abalilon- Arten.
II. AbutUoD strlatnm.
Ein Abutilon , das mir »Is strialum beseicbnel wurde , findet sich
hier bisweilen in Giirten angepflanzt, wo es niemals Prücble trSgt. leb
besitze davon drei, aus verschiedenen Gürten stammende Pflanzen, die
ehenralls weder jede für sich, noch mit einander gek
men tragen, — ein Beweis, dass alle drei auf ungeschl
von derselben HutterpOanze abstammen , nur TbeilstU
selben Stockes sind'). Ich betrachte sie daher im F
einzige Pflanze.
Dieses Garten- Abutilon wird ebenso fleissig, wie *
Arten, von Kolibris besuclit, aber
nicht durch sie besUnubt. Das ver-
schiedene Verb allen derRolibris wird
bedingt durch einen Umstand, dem
man gewiss kaum irgend welche
Bedeutung fUr dns Gedeihen der Art
beigemessen hatte , und durch den
sie doch hier zu fast vollsUindigcr
Unrruchtbarkcit verurtheilt ist. Die
Kcichzipfel nitmlich sind bclrüchl-
lich kurzer, als hei dem Abutilon
vom Capivary, und so wird es den
Kolibris möglich, die Spitze des
Schnabels am Grunde der Blume
zwischen zwei benachbarten Blu-
menblättern einzufuhren, wobei na-
türlich Staubbeutel und Narben un-
beiilhrt bleiben. Den Besuch des
Kolibris verrathend bleiblein kleines
Loch an der Stelle, wo derselbe die
BlumenblUtter auseinandergescbo-
beohat. (oinderbeislebendenFigur).
t) »Jb l'oi dit cl ]e ler«pAle: on ne jugo de la ptrenti
dilti hcJMt es in aiDom BucIib, das lu dem OnvenUateitteD
D**wiii gesrhrii^ben wurde. Di;r berUhmle VerTauor würde n
phatisch proctamirton Selio meine drei Pdanzon Für ebenso viel
erkilircn müwen. Ja, streng ifenommon, mUssb^ er SlaubgelU!
rinzelnrn BlUIhe bei dieser und allen anderen selbst unlrucli
ver«chiedenen Arten angnhfiriK betrochlen. S. FLonnira, Bi
U. Darwin, Paris ISA«. S. tOt.
BesUabangSTersuche an Abatilon-Arten. 33
Somit ist seine Unfruchtbarkeit in unseren Gärten nicht dem Klima,
sondern dem Umstände zuzuschreiben , dass wir nur Theile einer ein-
zigen Pflanze hier besitzen. Dasselbe mag der Grund der Unfrucht-
barkeit mancher anderen stets auf ungeschlechtlichem Wege vermehrten
Pflanzen sein , z. B. des Ingwers und der süssen Bataten , deren Blü-
thenstaub und Eichen regelmässig ausgebildet zu sein scheinen. Ebenso
mag es sich bei manchen in europäischen Gärten unfruchtbaren Pflan-
zen verhalten. In anderen Fällen findet sich bei solchen Pflanzen aller-
dings eine mehr oder weniger bedeutende Verkümmerung der Ge-
schlechtstheile ; so beim Arrow-root, dessen Staubbeutel ich stets voll-
kommen leer fand. Ja, einige scheinen sich sogar des Blühens völlig
entwöhnt zu haben , wie mehrere Arten von Dioscorea. Die Vaiietäten
des Zuckerrohrs hat man danach in blühende und nicht blühende ein-
getheilt.
III. Bastard Abutilon Capivary-striatain.
Ein grösseres Gewicht für die Unterscheidung von Arten und Varie-
täten als der unvollkommnen oder voükommnen Fruchtbarkeit bei der
ersten Kreuzung legt Gärtner dem Umstände bei , dass Arten-Bastarde
in der ersten Generation fast immer nur einen einzigen Typus zeigen,
während bei Varietäten-Bastarden kaum je eine Pflanze der anderen
vollkommen gleich ist. Dass d^es im Allgemeinen richtig ist, ist nach
den so überaus reichen Erfahrungen Gärtnbr*s nicht zu bezweifeln, wie
es ja auch vom Standpunkte der DARwni^schen Lehre sich leicht erklärt.
Dass aber auch dieser Unterschied zwischen Arten und Varietäten kein
durchgreifender ist, zeigt der Bastard Abutilon Gapivary-striatum.
Von den fünf Pflanzen, die ich 1 869 gezogen, trägt jede ihr ganz cigen-
thümliches Gepräge in Wuchs, Blatt, Blüthe und Frucht. Ich lege eine
Skizze der Blüthen von den vier zu Versuchen verwendeten Pflanzen
bei , zu der ich noch bemerken will , dass I der Biese unter seinen Ge-
schwistern und jetzt über 4 0 Fuss hoch ist , während IV, obwohl ein
halb Jahr älter , kaum S Spannen Höhe hat. II ist ebenso durch die
Länge der Blattstiele wie der Blüthenstiele ausgezeichnet. Bei I und IV
(sowie bei der fünften Pflanze, die erst wenige Blumen brachte) strotzen
die Staubbeutel von gutem Blüthenstaub; bei II und III sind sie meist
völlig leer und farblos , nur in einzelnen Blüthen findet man in einigen
wenigen Staubbeuteln eine geringe Menge Blüthenstaubes, der aber,
wH>nigstens bisweilen (s. 8. Abutilon vom Capivary VI), gut ist.
84. VII. 4. a ^
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An der kümmerlichen vierten Pflanze, die nur wenige BlUlhen
brachte , wurde eine Blume mit Abutilon Capivary-striatum I , drei mit
Abutilon vom Capivary, eioe mit Abutilon slriatum und eine mit Abu-
tilon Embira bestaubt; nur die mit Abutilon striatum bestaubte reifte
eine Sföcbrige Frucht mit 3!> Samen (4,i Samen im Fach).
Betrachten wir zuerst die an der Pflanze I erhaltenen Ei^ebnisse.
Sie ist , wie beide elterlichen Arten , unfruchtbar mit ihrem eigenen
Blütbenstaub ; fruchtbar mit dem der Ellem und des Bastards IV und
zv^'ar, entgegengesetzt dem gewChnlichen Verhalten , fruchtbarer mit
diesem, als mit jenen. Sie lieferte mit dem Bastard IV einen höheren
Samenerlrag, als irgend eine Pflanze der mütterlichen Art , wenn mit
Bltltbenslaub der eigenen Art befruchtet! Wir haben bereits gesehen,
dass ihr BlUthenstaub, wenn zur Befruchtung der mUlleriichcn Art ver-
wendet, meist einen reicheren Samenerlrag lieferte , als der der reinen
Art. Auch hierin verhält sich diese Pflanze ganz wie ein Variclälen-
Die beiden durch »natürliche Befruchtung« (wahrscheinlich mit BlU-
thenstaub des Abutilon vom Capivary] entstandenen Früchte waren im
Gegensatz zu der Samenarmuth der meisten derartigen Früchte des Ca-
pivary-Abutilon reich an Samen und liefern gerade dadurch einen guten
Beleg fUr die Richtigkeit der oben gegebenen EiUürung jener Samen-
armuth. Sie stammen nämlich von den ersten Blüthen der Pflanze, die
eine nach der andern aufblühten, also nicht mit BlUthenstaub desselben
Stockes bestaubt werden konnten. Die spateren Blüthen sind fast alle
zu künstlicher Bestaubung benutzt worden.
BestaubuDgsversache ao Abaiiloo-Arten. 37
Bei Bestäubung mit Einbira fielen meist die ganzen Blttthen oder
wenige Tage nach dem Abfallen der Blumenkrone die jungen Früchte
ab ; von \ 6 (oder mit Einschluss des Abutilon vom Bio do Teste, von 1 9]
Blüthen wurden nur 2 reife Früchte erhalten.
Die Pflanzen II und HI , die von männlicher Seite fast vollkommen
unfruchtbar waren, lieferten, wie die Tabelle nachweist, ebenfalls einen
ziemlich reichen Samenertrag; aulTallend ist, dass bei ihnen die Bestau-
bung mit Embira viel leichter anzuschlagen schien , als bei der ersten
Pflanze: von 3 und 4 bestaubten Blumen wurden 2 und 3 Früchte
geemtet.
Bei der Pflanze ill wiederholt sich die Erscheinung, dass die reich-
sten Früchte durch Bestaubung mit zweierlei Blüthenstaub erzielt wur-
den. Das Abutilon vom Capivary erzeugte durchschnittlich 5,1, stria-
tum 3,7 Samen im Fach; beiderlei Blüthenstaub vereinigt gab 5,4 Sa-
men. Ja während Abutilon Embira durchschnittlich 4,2 — das Abutilon
vom Pocinho 4,7 Samen lieferte, fanden sich in einer durch Blüthenstaub
dieser beiden Arten -erzeugten Frucht 6,4 Samen. Dies war überhaupt
die samenreichste unter \ 9 Früchten , die von dieser Pflanze geemtet
wurden.
Unter den Früchten der dritten Pflanze findet sich eine sehr arme
mit nur 1 i Samen , die aus der Tabelle hätte wegbleiben sollen ; die
Blume war mit einer unzureichenden Menge von Blüthenstaub aus einem
einzigen zweifächrigen Staubbeutel bestaubt worden, wie solche einzeln
fast in jeder Blülhe des Bastards I, sowie der mütterlichen Art (des Ca-
pivary-Abutilon) vorkamen.
Bemerkenswerth ist noch das Verhalten der Bastardpflanzen gegen
Blüthenstaub von Abutilon striatum und von Embira. Keine Bestau-
bung schlug sicherer an, als die mit Abutilon striatum, der väterlichen
Art, ~ keine schwieriger, als die mit Embira. ^ 12 Blumen, mit Abu-
tilon striatum bestaubt, lieferten eben so viel Früchte; die einzige Frucht,
die an der Pflanze IV reifte, war dieses Ursprungs. Von 31 Blumen
dagegen, die mit Embira (einschliesslich der Abart vom Bio do Teste)
bestaubt wurden, wurden nur 7 Früchte erhalten. Diese Früchte aber
waren samenreicher (4,4) , als die durch Abutilon striatum erzeugten
(3,9}. Am auflallendsten tritt dieses Verhältniss bei dem Bastard I her-
vor, wo 19 Blumen mit Embira bestaubt S Früchte mit durchschnitt-
lich 4,9 , dagegen 5 Blumen mit striatum bestaubt auch 5 Früchte mit
durchschnittlich 4,0 Samen im Fach gaben. Nicht immer entspricht
also der grösseren Leichtigkeit, mit der die Befruchtung angenommen
wird , auch ein grösserer Samenreichthum. Dasselbe gilt wohl über-
haupt für alle bei der Fruchtbarkeit der Pflanzen in Betracht kommen-
Bestaabougsversaebe an Abatüon-Arten. 39
Von den sehr zahlreichen durch ii^naiürliche Befruchtung« entstan-
denen Früchten wurde nur ein kleiner Theil untersucht; dasErgebniss
ist, wie man sieht, dasselbe wie bei dem Abutilon vom Capivary, indem
sie im Durchschnitt nur etwa halb so viel Samen enthalten, wie künst-
lich befruchtete.
Bei Bestaubung mit Blüthenstaub desselben Stockes fiel nur in drei
Fällen 3 — 4 Tage nach der Bestaubung die ganze Blüthe ab, in 9 Fällen
4^8 Tage nach der Bestaubung die junge Frucht; in einem Falle hielt
sich die Frucht 21 Tage. Die Unempfänglichkeit für die Bestaubung
mit eigenem Blüthenstaube ist also keine so vollkommene, wie bei dem
Abutilon vom Capivary.
Wenn auch die Befruchtung mit Blüthenstaub der Arten vom Ca-
pivary und vom Pocinho , sowie des Bastards Abutilon Capivary-stria-
tum I noch einen höheren Samenertrag lieferte , als die »natürliche Be-
fruchtung«, so steht doch weit mehr als bei dem Capivary-Abutilon der
Ertrag der Bastardfrüchte gegen den der künstlich mit Blüthenstaub
der eigenen Art befruchteten zurück. Ob etwa die grössere Geneigtheit
des Capivary-Abutilon, Bastardbefruchtung anzunehmen , im Zusam-
menhang steht mit dessen vollständiger ausgeprägter Selbstunfrucht-
barkeit, kann nur durch weit umfangreichere Versuche an zahlreichen
auf ihr Verhalten zum eigenen Blüthenstaube genau geprüften Arten
entschieden werden. Doch mag erinnert werden an die Schwierigkeit
der Bastarderzeugung in der derselben Familie angehörigen Gattung
Hibiscus, deren Arten, soweit meine Erfahrung reicht, vollkommen
fruchtbar sind mit eigenem Blüthenstaube , sowie andererseits an die
überraschende Leichtigkeit, mit der fernstehende selbstunfruchtbare
Arten von Vandeen sich kreuzen lassen.
So weit der Bericht über den Samenertrag meiner Bestaubungs-
versuche. Ich schliesse ihm als nothwendige Ergänzung einige Worte
an über die aus dem Samen gezogenen jungen Pflanzen.
Im April ^ 869 hatte ich frischen hier geernteten Samen von drei
verschiedenen Früchten des Capivary-Abutilon ausgesät. Die Pflanzen,
durch deren Erzeugung ich diese Früchte erhalten hatte , waren Ge-
schwister, aus Samen derselben Frucht gezogen. Nur 2 Pflänzchen
gingen auf von 1 80 Samen ; (es sind die oben mit V und VI bezeich-
neten Pflanzen) . Ich schrieb dies damals der Ungunst der Witterung
der Kolibrig angehtf ufl fanden, hat man gewiss mit Recht geschlossen, dass Insecten
einen wesentlichen Bestandtheil ihrer Nahrung bilden und nicht blos zuföUig mit
dem Honig eingeschlUrft werden. Wenn man aber nun umgekehrt behauptet hat,
dass d«* ~ * -* lufällig mit den Insecten aufgenommen wurde, so
liegt Beweises vor.
40 FriU maUer,
oder der unpassenden Jahreszeit zu. — Nun
Ernte, über die ich so eben berichtet, Samen vo
ten ausgesät und fast alle haben reichliche und
ferl. Zu gleicher Zeit und an gleicher Stelle n
auch sieben verschiedene Aussaalen des Capivary-ADuuion gemacbt
und Kwar:
1) zwei Aussaaten von % Frttditen der PQanze V, erzeugt durch
BlUthenstaub ihres Oheims III. — GcsSt am i. Octobor, gin-
gen nach 1 4 Tagen reichliche Pflanzen auf, die aber bis jetzt
nicht sehr kräftig wachsen.
2) vier Aussaaten von Früchten der Pflanze I, erzeugt durch
BlUthenstaub ihres Bruders II. — Zwei Aussaaten vom 1. OcU>-
ber keimten nach St, eine vom 30. October nach 18, eine
vom 24. Oclober nach 21 Tagen. — Mehr als 200 Samen lie-
ferten kaum über ein Dutzend so schwächlicher Pflänzchen,
dass nur 4 die ersten Wochen Überlebten und bis heute ein
sehr kümmerliches Wachstbum zeigen'].
1] Das Missrathen dieser AnssiiBl«n war mir sebr verdriesslich , da sie zu Be*
obachlungenübordioVererbnDgderEieenUiomlichkciten einzelner Blüllienbesliramt
waren. Ein ähnliches Miasgcschick , vcranlesst durch Uoberscliwemmung , DUrrc,
Ranpenfrass , Ameisen u. s. w. hat bisher fast alio meine derartigen Veraache ver-
eitelt. Das Wenige , was ich hierüber in Bezug auf Abutilon zu sagen habe , mag
hier eine Stelle flndeo.
Die Zahl der Griffel ist bei dem Caplvary-Abntilon , wie bei anderen Ai
eine sehr schwankende. Die Pflanio VI wurde aus Samen einer 9 grifft
Blume gezogen, die mit BlUthenstaub einer anderen eboDfalls Sgriffligen Bl
befruchtet wer; bei ibr herrseben nun die Sgriffligen Blütben entschieden
ich finde S8 Früchte dieser Pflanze verzeichnet, von denen 4 8 ftichrig, U 9 t&c
und 10 lO^chrig waren; danach würdca die Sgriffligen Blüthen KO/g, die 9^
ligen B3%, die tOgriffligon S6D/ubildcn. Leider ist ein Voi^leicb mit den dl
eine (Jobersch wem mang zerstörten Ellem nicht mehr mfiglicfa. Bei drei i
lebenden Geschwistern dieser Ellern , den Pflanzen I, II, 111 fanden sich u
100 Blütben
bei 1 bei 11 bei 111
mit 7 Griffeln: 0 0 I
- H - 18 6 S
An der Pllanze I wurde sogar einmal eine Blume mit 11 Griffeln beobacl
(Man muss beim Zählen der Griffel die Bohre der verwachsenen Staubfäden
schlitzen, in der sich nicht selten einzelne Griffel verbergen ; dadurch wird es
etwas zeitraubende Arbeit.)
BesUuboiigsirersuGbe an Abutilon-Arteu. 4]
3) eine Aussaal von Samen einer Frucht der Pflanze IV, erzeugt
durch Blttthenstaub ihres Bruders II, am 1 1 . October. — Erst
nach einem vollen Monat, am 4 4 . November zeigten sich einige
PflSinzchen. Ob von den 56 Samen Überhaupt mehr als zwei
gekeimt haben (soviel Pflanzen sind noch vorhanden) , kann
ich nicht sagen. Die Pflänzchen zeigen ein etwas kräftigeres
Wachsthum, als die unter 2, erwähnten.
Ich darf nicht unterlassen anzuführen , dass die Samen der einen
noch nicht einmal ganz reifen Frucht, die ich vom Capivary mitgebracht
hatte und die so verschrumpft wareii, dass sie des Säens gar nicht
wcrth schienen , gut aufgingen. Ich glaube nicht zu irren , wenn ich
das verspSlete Keimen nur weniger Samen der Pflanzen I und IV, und die
Schwächlichkeit der Sämlinge dem Umstände zuschreibe, dass diese Sa-
men durch Geschwister der betreffenden Pflanzen erzeugt worden waren,
so dass also bei diesem Abutilon nicht nur die Bestaubung mit Blüthen-
staub desselben Stockes völlig wirkungslos wäre, sondern auch die
Befruchtung durch die nächsten Verwandten zwar ziemlich reichlichen
Samen, aber nur wenige schwächliche Nachkommenschaft erzeugen
würde. Ich gedenke diesen Punkt noch femer ins Auge zu fassen und
kann den Wunsch nicht unterdrücken , dass auch mit anderen selbst
unfruchtbaren Pflanzen ähnliche Versuche angestellt werden möchten.
An den meisten meiner Versuchspflanzen hatte ich einzelne Blumen
gleichzeitig mit Blüthenstaub zweier verschiedenen fremden Arten be-
staubt (und zwar eine gleiche Zahl Narben mit jeder Art) . Wie erwähnt
hatte ich von solchen Blumen mehrfach besonders samenreiche Früchte
erhallen. Diese Versuche waren angestellt worden, um durch sie nach
G:iETifBi^8 Vorgang über den »Grad der sexuellen Verwandtschaft der
beiden Arten zu der weiblichen Unterlage« zu entscheiden, falls der
Die Pflanze V stammt von einer Qgriffligen Blume von II, befruchtet mit Blü-
thenstaub einer H grifTligen Blume der Mutter von VI; bei ihr fanden sich unter
400 Blumen
mit 7 Griffeln 2
- 8-87
- 9-88
- 40 - 84
- 44 - «
Beim Vergleich mit der Mutterpflanze (II) fällt auf, dass sich das Verbältniss
der 9 grifTligen zu den 40griflnigen Blumen fast gerade umgekehrt hat; bei der
Mutter ist es etwa 9:40, bei der Tochter etwa 44:9. — AufTallcndcr noch ist die
grosse Zahl von Blumen (fast SOO/q) mit weniger als 9 Griffeln , während die Muttor
solcher Blumen nur 30/0 und darunter r 'ffoln brachte.
Fri
rlrag darUl>er in Zweifel
DUD ein ganz uncrwartc
's froheren Erfahrungen
>i i gteichzeiliger Beslaut
wa «der eine Pollen eint
ere aber eine anderoi,
tUDg durch eino von den
;en Pollen, welcher die
len Unterlage halte u [GXr
. 36). Der treffliche Gia-
en Arten als gültig auszus
Hbkbebt die beü-efTcndcr
nun , soweit ich bis jetzt
cugung von zweierlei Ba
b dies für jelzl nur für
staub von Embira zugleic
g kam. Denn schon fast
B Bastarde der Embira s
a Blattern zu erkenneii.
alle an :
) Eine Frucht von Slrialui
bira, lieferte 6 Sämlinge
Striato-Embira.
) Eine Frucht des Capivai
bira undStriatum, liefer
linge Capivary-striatum
) Eine Frucht des Capiva
ferto 3 Sämlinge Capiva
) Eine Frucht des Capivai
6 Capiva ry-Embira, 5 (
) Eine Frucht derselben I
linge Capivary-Embira,
Betreff der vier ersten Fi
alte , die zu dicht stehen«
1 dass daher die Hehrzahl bei einer anhaltenden Trockniss tu
ging; die oben g^ebene Zahl der Übrig gebliebenen ist zu ge-
rn weitere Betrachtungen daran zu knUpfen. Dagegen verdient
fte Fall noch eine besondere Besprechung. Ich hatte in diesem
le Samen jedes Faches besonders ausgesät und dabei die Ord-
in der die Fächer aneinander stiessen, bemerkt. Die Sämli«"?
BesUubnngSTersuche an Abutilon- Arten.
43
,-^ri-
\>
1.1
Xoo
"o^X
/ \oo
•x \
y* \
c * 1
•X o o /
\ X o
oo\ /
o^oy
aus eiDem der 8 Fächer
siod leider alle jung um-
gekommen. Ich stelle
das Ergehniss wohl am
anschaulichsten in einer
Figur dar, in welcher
schwarze Kreise die Ba-
starde Capivary - Em-
bira, weisse Kreise die
Bastarde Capivary-striatum vorstellen mögen. Man sieht, der Blttthen-
staub von Embira hat seine Einwi^ung auf vier Fächer beschränkt,
wahrscheinlich dieselben , deren Narben mit ihm belegt worden waren,
während der BlUihenstaub des Abutilon Striatum seinen Einfluss über
die ganze Frucht ausgedehnt hat^). Ich stelle daneben eine Figur,
welche die Zahl der Samen in den einzelnen Fächern der Frucht zeigt,
von der diese Sämlinge stammen. Die 4 Fächer rechts sind samenreicher
(32), als die 4 Fächer links (23). Die Zahl der Eichen bei diesem Abu-
tilon ist 8 bis 9 im Fach ; in 3 oder 3 Fächern der rechten Seite sind
also sämmtliche Eichen befruchtet worden. Ob die samenreichen Fächer
die sind, auf welche zweierlei Blüthenstaub einwirkte, kann ich leider
nicht sagen. Man lernt ja gewöhnlich erst im Verfolg einer Untersu-
chung alle Umstände kennen, auf die zu achten von Werth sein kann.
Wenn aber Früchte, durch Blüthenstaub zweier fremden Arten erzeugt,
sich samenreicher erwiesen, als solche, die dem Blüthenstaube der
einen oder andern dieser beiden Arten ihre Entstehung verdankten , so
scheint es allerdings wahrscheinlich, dass in diesen Früchten diejenigen
Fächer, auf welche zweierlei Blüthenstaub einwirkte, mehr Samen ent-
halten werden als die , in welchem nur einerlei Blumenstaub sich gel-
tend machte.
Die Thatsache , dass bei Abutilon aus solchen Früchten zweierlei
Bastarde hervorgehen , scheint eine einfache Erklärung ftlr deren grös-
seren Samenreichthum zu bieten und eben deshalb möchte ich diesen
nicht für blos zufällig halten. Der Mangel an »Wahlverwandtschaft«, um
mich des bequemen Ausdrucks von Gärtner zu bedienen , giebt sich
nicht selten , besonders bei völlig unfruchtbaren Verbindungen , schon
auf der Narbe kund, indem Narbe und Blüthenstaub entweder gar nicht,
i) Es ist durch GXsthir bekannt, dass man von einer einzigen Narbe aus alle
Köcher eines mehrföcbrigen Fruchtknotens befruchten kann ; bei dem Abutilon vom
Captvary habe ich dasselbe beobachtet. Die Verschmelzung getrennter Carpelle
zu einem einzigen Fruchtknoten ist daher nicht blos ein »morphologischer Fort-
a/^»»riu«, sondern von wesentlichem Nutzen für die Befruchtung der Pflanzen.
foiiinien vod noiytia.
BesUabungsversnche an Abntilon-Arien. 45
der Pflanze V eine Narbe mit Blüthenstaab der Pflanze II , die sieben
übrigen Narben mit Blüthenstaub von Embira bestaubt ; aus dem Sa-
men der so erhaltenen Frucht habe ich 40 Sämlinge gezogen,, von denen
9 Bastarde (Abutilon Capivary-Embira) sind und nur einer der reinen
Art (Abutilon vom Capivary) angehört.
Nach der Meinung KöLasuTBR's und Hbrbbrt's sollen »bei einer
Vereinigung einer geringen Menge des eigenen mit einer grösseren eines
fremden BefruchtungsstofiTstt Varietäten (Kölrbutbr's »Tincturen oder
halbe Bastarde«) hervorgebracht werden können, die »zwar keine wirk-
lichen Hybriden wären , aber in einem gewissen Grade von der natür-
lichen Form abweichen«. Gärtner bestreitet diese Möglichkeit aufs Entr-
schiedenste. Bei der Leichtigkeit, mit der sich bei ihnen zweierlei
Samen in derselben Frucht erzeugen, dürften die in Gärten jetzt so zahl-
reich vertretenen Abutilon-Arten besonders geeignet sein, solche »Tinc-
turen« entstehen zu lassen, deren Möglichkeit ich trotz allen Versuchen
und Gegengründen Gärtnbr's nicht von vornherein in Abrede stellen
möchte. Der Blüthenstaub wirkt ja nicht nur auf die Eichen, sondern,
wie u. A. HiLDBBRAND^s Vcrsuchc an Orchideen beweisen, auch auf den
ganzen Fruchtknoten. Dass aber ein Fruchtknoten , auf den zweierlei
Blüthenstaub eingewirkt, eine der Eigenthümlichkeit der beiden Pollen-
arten entsprechende Rückwirkung äussern könne auf die in ihm rei-
fenden Samen, scheint mir nicht unwahrscheinlich, wenn ich an das
bekannte Beispiel von Lord Morton's arabischer Stute denke, die von
einem Quagga -Hengste einen Bastard geboren hatte und später von
einem schwarzen arabischen Hengste zwei Füllen warf, deren Beine
noch deutlicher gestreift waren , als die des Bastards , ja als die des
Quagga selbst.
Auch in dieser Beziehung dürften daher weitere Versuche an Abu-
lilon-Arten Über den Erfolg der gleichzeitigen oder successiven Bestau-
bung mit verschiedenen Pollenarten wünschenswerth erscheinen.
Itajahy, Sa. Gatharina, Brazil ,
im Januar 4871.
iber den Ban nad die Entwickelnng des
esc-NaBtels der ToBicatcn.
e akademische Preisschrift
von
Oskar Hertwig,
Hierzu Taf. IV. V. VI.
jmerknngeD fiber den Cellnlose-Mantel
der Tanicaten.
md interessaaten EigenthUmlichkeiten , welche
licalen auszeichnen , sieht nächst der Embryo-
nioq)hologiscfae und chemische BeschsETenhelt
leihe. Dieser Hantel, die Tunica , von der die
irl, ist daher auch schon Gegenstand vielfacher
n. Seitdem zuerst im Jahre 1 845 Kabl Schiidt
el das Vorkommen von Cellulose im Thi erreiche
irch die Aufmerltsamkeit der Forscher auf diesen
•den ist, sind mehrere grossere Arbeiten über
hemische Beschaßenheit des Tunicaten-Hantels
Die erste eingehende chemische und mikro-
, welche sich Über eine sehr grosse Anzahl von
i den verschiedensten Gruppen erstreckte, ver-
KöLLiKEK. Ihre in den Annales des sciences
3ne Arbeit bildete lange Zeit die Hauptquelle für
feineren histologischen Bau des Tunicalen-
htungen sind unverändert In das zusammen-
ur die Organisation der Weichthicre von Bkonn
a. An die Arbeit KüLLtKSB's sich anschliessen
i
UntersnetiDDgen Aber d. Baa d. die EntwiokeloDg des Cellnlose-Mantels der Tnnieaten. 47
veröffentlichte H. Schacht in Müllbr's Archiv 4854 eine, dieselbe in
einigen Punkten ergänzende Untersuchung des Mantels von Phallus ia
mammillata und Gynthia microcosmus.
Die neueste Behandlung desselben Gegenstandes liegt uns in einer
mit den Httlfsmitteln der neueren Mikroskopie und besonders mit stär-
keren VergrOsserungen ausgeführten Arbeit von Franz Eilhabd Schulze
vor: lieber die Structur des Tunicatenmantels und sein Verhalten im
polarisirtem Lichte (Zeitschrift für Zoologie von Sibbold und Köllikbr
1863). In derselben ist namentlich die Bedeutung der von Köllikbr
und Schacht als Kerne beschriebenen Gebilde als Bindegewebskörper-
chen richtig gewürdigt worden. Doch bin ich in Betreff der daselbst
aufgestellten Histiogenese und der Natur der sogenannten Hohlzellen im
Phailusienmantel zu ganz entgegengesetzten Ansichten gekommen; daher
werde ich auf diese Arbelt später noch näher eingehen müssen. Zer-
streute Angaben finden sich noch in Vogtes , Lbugkart's und Huxlbt's
Untersuchungen über Salpen und Pyrosomen.
lieber die embryonale Entstehung des Mantels liegen in Milnb Ed-
wards', Krohn's, Kowalbwskt's und Kupfpbr's Arbeiten kurze Mittheilun-
gen vor , die trotz mancher Widersprüche im Einzelnen doch alle im
Wesentlichen dahin gehen, dass der Cellulosemantel als eine persistente
embryonale Hülle aufzufassen sei. Endlich hätte ich noch auf die
betreffenden Abschnitte in Bronnes »Classen und Ordnungen der Weich-
thiere« und auf die kurzen Notizen in Gbgbbbaur's vergleichender Ana-
tomie (IL Aufl. p. 4 66 u. 4 69) zu verweisen.
Trotz der verhältnissmässig grossen Anzahl von Detailuntersuchun-
gen ist Vieles in Bau und morphologischer Bedeutung des Tunicaten-
mantels noch unklar geblieben , Vieles in den Angaben der verschiede-
nen Beobachter widersprechend.
Um diese Widersprüche und Unklarheiten zu beseitigen , hatte die
philosophische Facultät der Universität Jena zur Bewerbung um den
Preis der Herzoglich Sachsen - Altenburgischen Josephinischen Stiftung
für das Jahr 4870 die Aufgabe gestellt: »Durch neue selbstständige
Untersuchungen soll die Morphologie der Tunicaten und insbesondere
die Entwickelungsgeschichte ihres Mantels aufgeklärt werden.«
In der Hofihung, diese Aufgabe lösen zu können, unternahm ich
die nachstehend mitgetheilten Untersuchungen , welche den dafür aus-
gesetzten Preis erhielten. Die meisten Beobachtungen wurden an einer
Reihe von wohlerhaltenen Spiritus- Exemplaren aus dem zoologischen
Museum in Jena angestellt. Ich verdanke dieselben der Güte meines
verehrten Lehrers, Herrn Professor Habckbl, dem ich hierbei zugleich
für seine freundschaftliche Unterstützung meinen herzlichsten Dank
48 OsVar tlertwig,
ausspreche. Später erhielt ich dann noch wahrend eines dreiwöchent-
lichen Aufenthaltes auf der Insel Lesina , an der KUsle des stldlicben
Dalntatiens , treffliches Material von lohenden Äscidien , nn denen ich
die durch Untersuchung der Spiritus- Präparate gewonnenen snatomi-
scben Resultate noch einmal nachprüfen konnte. Zugleich fand ich
dabei die erwünschte Gelegenheit, die embryonale Ent Wickelung und
erst« Entstehung des Mantels zu studiren.
Bei diesen Studien Hess ich auch die übrige Entwickelung des
Ascidien-Eies nicht ausser Acht. Das hohe Interesse, welches die Bluts-
verwandtschaft der Äscidien und der Wirbeltbiere in den letzten Jahren
erregt hat, veranlasst« mich , bei dieser Gelegenheit jenem hochwich-
tigen Gegenstände meine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Da
ich an der Hand der jUngst erschienenen vortreSlichen Arbeit Kowa-
lbwskt's jedes Stadium der embryonalen Äscidien -Entwickelung mit
seinen Abbildungen zu vergleichen suchte, so will ich es hier nicht
unerwähnt lassen, dass ich die daselbst gemachten Angaben in der
Hauptsache vollkommen bestätigt fand. Demnach mtlssen die kürzlich
van DöNiTZ in einer oberflächlichen Hittheilung in Reichert's Archiv er-
hobenen Zweifel in die Genauigkeit der KowALHWSKv'schen Untersuchun-
gen völlig ungerechtfertigt erscheinen. Die von Dönitz daran geknUpfk>
anspruchsvolle Polemik zeugt von eben so viel Mangel an Kennlniss^
wie an Verständniss des Objectes. Derselbe hat den ausftlhriichcn, mit
grosser Sorgfalt und Ausdauer angestellten Beobachtungen von Kowa-
LEwsKT weder genaue eigene Untersuchungen, noch irgend begründete
Einwände anderer Art entgegenzustellen vermocht. Daher müssen seine
g^entheiligcn Behauptungen völlig haltlos erscheinen.
Ich wende mich jetzt zunächst zur Darstellung meiner Beobach-
tungen über den Bau des Tunicatenmantels. Ehe ich mich jedoch auf
histologische Details einlasse, halte ich es für zweckentsprechend, zuvor
das Verhaltniss dos Mantels zum übrigen Organismus in Kürze zu er-
örtern. In Betreff dieses Verhältnisses variiren die Angaben noch so
sehr, dass eine richtige Würdigung desselben der eingehenderen Be-
trachtung des Mantels selbst vorausgeschickt werden muss.
2. Verhaltniss desCellulose-Kantels zum Bbrigen Organismus.
Die Körperwand der Tunicalen wird am zweckmitssigsten in zwei
Schichten getbeill: i) eine äussere Schicht, welche nur aus Bindege-
webe besteht und die von Schhirt, Lüwic, und Kölliker nachgewie-
sene Cellulose Reaction liefert, und %) eine innere Schicht, die tbeils
Unteimiehongen Aber d. Ban ii. die ßntwiekelnng des Celliilose-Mantels der Tnnieaten. 49
aus Bindegewebe , theils aus darin eingelagerten Muskelfasern und Ge-
rissen zusammengesetzt ist.
Für die äussere Schicht findet man in der Literatur die Benennun-
gen : Tunica externa , Geliulosemantel und Testa , für die innere die
Benennungen: Timica interna und Muskelschiauch. Die von Milnk
F^WARDS als dritte Tunica beschriebene innerste Membran bleibt hier
ganz unberücksichtigt , nicht' etwa weil deren Existenz bezweifelt
würde , sondern weil wir uns sonst auf Organisationsverhältnisse ver-
wickelterer Art einlassen müssten , die dem Zweck dieser Arbeit ent-
fernt stehen. Bei den Salpen erreicht die Tunica externa eine bedeu-
tende Mächtigkeit, so dass sie die bei weitem grOsste Masse des Thieres
ausmacht. (Taf. IV. Fig. ^. A). Bei den Pyrosomen und zusammen-
gesetzten Ascidien bildet sie die allen Individuen gemeinsame Grund-
masse des Stockes , in welcher keine Linien die Grenzen des zu jedem
Individuum ursprünglich gehörenden Mantels mehr andeuten. (Taf. IV.
Fig. 2. i4). Bei den genannten Tunicaten ist meistens die Testa mehr
oder minder transparent und in verschiedenen Graden gallertig weich.
Unter den einfachen Ascidien schliessen sich die Phallusien in der Be-
schaffenheit und Mächtigkeit der Testa an die vorhergehenden an ; doch
besteht in derselben bei einigen Phallusia-Arten eine eigenthümliche
Gef^sseinrichtung , die bei Schilderung der Tunica interna näher be-
sprochen werden soll. Bei den Cynthien endlich ist der Geliulosemantel
vorhultnissmässig von der geringsten Dicke; dagegen derb, dunkel ge-
Hirbt, vollkommen undurchsichtig und lederartig. (Taf. IV. Fig. 3 und
4. y|j . Manche Cynthien sind äusserlich der Baumrinde nicht unähnlich,
und sind wegen dieses unscheinbaren Aeusseren bis jetzt wenig be-
achtet worden. Bei allen mir bekannten Ascidien liefert diese äusserste
Schicht des Körpers stets eine ausgeprägte Cellulosereaction, und zwar
schneller und vollständiger bei den Arten mit lederartiger als bei den-
jenigen mit gallertiger Beschaffenheit. Auf ihrer äussern Fläche findet
sich kein Epithel , wie hie und da früher irrthümlich behauptet worden
ist. Dagegen trifit man zwischen ihr und der zweiten Rörperschicht
stets eine continuirliche , einfache Lage platter Zellen , die man meistens
als Mantelepithel bezeichnet hat (Taf. IV. Fig. i — 4. c). Es sind
(lies die eigentlichen Epidermiszellen, wie ich später zeigen werde;
daher werden sie auch unter diesem Namen weiter aufgeführt werden.
Auf Querschnitten bilden sie eine deutliche Trennungslinie zwischen
Tunica interna und externa , was besonders an den mit Garmin gefärb-
ten Präparaten hervortritt. Ohne diese Zellenlage würden beiden Tu-
niken continuirlich in einander übergehen.
Einige Forscher geben an , dass nur bei einem Theil der Tunicaten
Bd. VII. 4. 4
50 Mat iMtwIg^
sJUBÜßh bei den SdfiMi und Verwandten, ein fester ZusanmenhaDgr«-
sehen innerem und äusserem Mantel existire, bei einem andcra, *^
Cynthien, beide Tbeile rmr an der Ingestions- uad EigsaAws^
lUsanMAhingen , sonsl aber getrennt aeiea. Auf diese irrthomlide ^
sdianung war sogar eiae Eintheitung der Tunieatem-Classe in Mtfi^
toniden und DtdIitovideB iMflirt worden. Aueh toq Bao« undAiMiir
wird dieaes veracbieden^tt Verhaltens üftersi gedacht. Deai gc^n^'*
iai hervorxuheben , dass beide Kjörp^rschichtea bem allen Arien in atr.
caatisAiirtifibein Zusammenhang stehen. Ueberali vfo man beide Tte«
getrennt lu findai wähnt, ist dies Folge kttnstliciier PfSparaüoiL l'^
diese kttestliche Trennung sich bei den &lsehlieh so genannM Dich
toniden, nämMi den Cyntbien , gelegentlich der Fräparation leicbl^'
sldJt, ist niehl auffallend, wenn man bedenkt, wie \rers<:iiieden der Uü^~
grad zwischen der knorpligen Aassensehicht und der weichea \wrr
sehlchb ist , und dass beide nur durch eine Lage zarten Epül»^^^ ^''
einigt sind. (Taf. IV. Fig. 1—4). Ba dieses Epithelium, die e^eRi!>>
».Epidernusd^ constanl die beiden Schichten trennt, so ist üie «^
erttrterie Frag!», ob nur die* Innenseite de& Gelluloseoiantels oder.Yir
di» Aussenseite desselben eine EpitheUage trage, au Gunsten der et^
ren Ansieht evledigt. Dies Verhalten wird aueb durcb die Enl^i^^^
lungsgesehiichte nollstandig eirklärU
Von Bedeutung ist die Art und Weise desZusammenhangesderiß''^''
und äussern Leibessebicht an der ftngestions- und EgesUonsöffnuifr
LKUCKAR'r und auch Hextav geben an, dass an den geaaanleB 1>^^
Steifen beidie ScUehtea ia einander übergingen. Naeh den ftesullal'»
die» an Ldngssehnitten durch die beiden Leibesöffnua^en von Sd)^
und Gynthlen gewonnen wurden , und die volJkemmen mit den Bn(<"'
nissen der Praparation der einaebien» Sebrcbüeit UbereinsUmtuen^ ^*
das Veriiällniss ein andeires. Maoi kann sich leieht ttberseugen, ^^ ^
deni Leibesdfihungea die CelluJosehüUe eine Strecke weit nach i»'^^
sich umscUägt und die Innenfläche der Tunica interna bedeckt) ^^
diaan entweder in einer geraden Linie oder in einzelnen Zacken ^^^
abzascbneiden. (Tafv IV. Fig. 4 und 4). 1^ Epidermiazellenlage ^^'
sich dabei an den Uebergangsstelkm in das die Rlosd&enhöhle aM^'^'
dende Epitbel an der Innenseite der inneren Körperachicht fot^- ^"
diese Weise wird die letztere von der GeliulosehilUe gleichsam^i^ ^^"^
einer Zwinge umlasst und dieses Verhalten erklärt es , warum äoss^
und innere Schidit auch dann noeb an der Ingestions- und Eg^sUf^^"
öfiRluiig fester zusammenhängen, wenn der anderweitige Zusammenbai)^
schon gelockert ist.
'il^jhi (JntersnebQDgeD über d. Bau n. die Cu(wkke1uii)[^ des Cellolose-Mantels der Tauicaten. 51
^3'^' i^' 3. Strnctnr der Tnnica Interna.
wimii' ^^ scbliesse hieran eine kurze Darstellung der inneren Kdrper-
ß,^,;j-.aclHdit oder Tunica interna (Taf. IV. Fig. 4 — |s. 6), wobei ick mich
,jL,^ !^ sm( die allgemeinsten VerhüHnisse belreffis der Tertheilung der Müscu-
^ 1^ .. l9lur und der Blutgefitsse beschranken, sowie Einiges über die Stmctur
;^^ ^ des hier vorhandenen Bindegewebes anführen werdle. Die grösste Dicke
r,^ . besitzt die Tunica interna bei einigen Cynthien, weshalb man an diesen
, ^^ ihren Beu am leichtesten stadiren kann. Besonders geeignet sind Gynthia
" ^ . Canopus (Fig. 3) und C. polycarpa (Fig. 4). Die Musculatur Iheih
' . sieb hier in drei Schichten , in eine Äussere und in eine innere Längs*-
. mtiskellage , welche durch eine mittlere Ringmuskelsehicht getrennt
''* werden. Jede Schicht i6t durch stärkere und schwächere Bindegewebs-
'^[""l zttge in grössere und kleinere Muskelbündel getrennt. Zwischen den
'^^ ' einzelnen Bündeln finden sich im Bindegewebe grössere und kleinere,
- ''^ rundliche und ovale Lücken. Es sind dies die wandungslosen Blutbah-
^ ' nen. Dieselben bilden ein System von Ganälen , welches sich an den
^ "^ Verlauf der Längs- und Ringmusculatur eng anschliesst, und stehen
-'' ^ ' mit den Kiemengefässen durch hohle Querstränge in Verbindung, die in
'^^ grosser Anzahl von der Tunica interna zur Kiemenwand quer hinüber-
gehen. Bei den zusammengesetzten Ascidien und den Phallusien ist
'''■'^, die innere Körpersehicht von geringem Durchmesser und zeigt in vielen
"-' ' Fällen nicht mehr jene charakteristische Anordnung der Musculatur.
^ ' Die Muskelbündel sind spärlicher und kreuzen sich oft in den verschie-
- ' densten Richtungen. Bei den Salpen endlich verlaufen nur breite Ring-
' ^ muskeß)änder (Fig. 4 d) in grossen Abständen von einander in der
inneren Schicht, die hier sehr zart ist und ebenfalls ein reiches Blut-
gefässnetz führt.
* ' Bei vielen festsitzenden Tunicaten bildet die Epidermiszellenlage
Ausstülpungen in die verdickte Mantelbasis und veranlasst dadurch die
Bildung von Stdonen , vermöge welcher die meisten an ihrer Unterlage
wie mit Wurzeln anhaften.
Bei Phallnsia mamillata und einigen andern wird durch besondere
Wachsthumsverhältnisse der Tunica interna eine eigenthümliche Ein-
rieb timg hn äussern Cellulosemantel hervorgerufen. Derselbe ist näm-
lieh von einer grossen Anzahl von Blutgefässen durchsetzt, die ai^
wenige Hatiptstämme an einer Stelle in ihn eindringen und sich vielfach
dichotomisch verästeln (Taf. IV. Fig. 5). Meist verlaufen zweiGefässe
iM»ben einander. ScirACHT bezweifelt diese Angabe Köiukkk's, indem er
HtelA nur ein Gefäss isolirt gesehen haben will* ^ *^ "^"^ •^•^ dieselbe
üniersnehnngen Aber d. Ban n. die Entwiekelunf; des Cellulose-MaDtels der Tnnicuten. 53
jeden Gewisses ist durch eine beträchtliche Ansammlung von Pigment-
zellen charakterisirt, welche in dem Cellulosemantel liegen und oft eine
dichte HttUe um dasselbe bilden. Ob an vielen Punkten Doppelgefösse
in den Mantel eindringen oder ausschliesslich an einer Stelle, wie bei
Phallusia mamillata am Sattel , habe ich nicht feststellen können ; ein
grösseres Doppelgefäss wurde an der EgestionsO£fhung angetroffen.
Es «tritt -uns hier die Frage entgegen, wie wir uns die Entstehung
dieser Gefösseinrichtung vorzustellen haben. Auf Grund der oben mit-
getheilten Thatsachen scheint folgender Hergang angenommen werden
zu müssen. Von der Epidermiszellenlage aus bilden sich Ausstülpun-
gen in die Gellulosemasse hinein, gleichwie solche auch zur Stolonen-
bildung Veranlassung geben. Das Bindegewebe folgt Schritt für Schritt;
auch ein Blutgefässhohlraum schickt einen schlingenfbrmigen Ausläufer
in die Ausstülpung hinein (Taf. IV. Fig. 6). In der Bindegewebsschicht,
welche die beiden Arme des Bogens trennt , erblicken wir die Lamelle,
welche späterhin die beiden sich weiter entwickelnden Ge&sse schei-
det (Fig. 6. p). An der Spitze der ersten Ausstülpung entstehen zwei
neue getrennt vorrückende Wacbsthumspunkte , in welche sich das
begleitende Bindegewebe und der Bluthohlraum zugleich mit fortsetzt.
Die trennende Lamelle hingegen bleibt in ihrem Wachsthum etwas
zurück , und da hierdurch eine Blutstauung in den vorgeschobenen 6e-
fässsprossen entstehen muss, so bewirken diese mechanischen Ver-
hüllnisse eine kolbenförmige Ausdehnung an den dem Druck am meisten
ausgesetzten Enden (Fig. 7). Nun rückt auch die Trennungslamelle
sich spaltend in die beiden Arme weiter vor (Fig. 8. p. p I. p2.). Die
Ebene , in welcher die dichotomische Theilung der Endsprossen erfolgt,
und die Ebene, in welcher die Trennungslamelle liegt, ist keine will-
kürliche, sondern beide halten ein und dieselbe Richtung ein. In
dieser Weise entsteht im Mantel, ein reiches hin- und rückleitendes
Blutgefässnetz , welches seinem Bau und seiner Entstehung nach nichts
anderes ist als ein sehr complicirtes System von wiederholt dichotomisch
getheilten Gefässschlingen.
In morphologischer Beziehung sind demnach die Mantelgefösse als
den Stolonen homologe Gebilde zu erachten. Als weitere Erläuterung
und ^als ein neuer Beleg für die vorgetragene Auffassung möge eine
embryologische Beobachtung Rrohii's dienen, die ich in ihrer Hauptsache
hier wiedergebe :
»Aus der Leibesmasse, und zwar mitten von der Bauchfläche
wachsen drei Fortsätze immer tiefer in den Mantel bis dicht an seine
Oberfläche. Diese theilen sich gabiig in sechs Aeste, deren Enden
kolbenförmig angeschwollen sind. Die ZerSstelung schreitet dicho-
HBm
üntersvchangen Aber d. Ban ii, die EiitwiirtMhing des Cellolose-Mantels der Tnnlcaten. 55
Dasselbe bosiehi aus einer homogenen GfundsubstanE , in welcher
zahlreiche elasUsche , sich lodier dtircfasohlingende , iStark spiralig ge-
krttmmte Fasern Hegen (Taf. VI. Fig. %ß). Zwischen ihnen sieht man
zarte, körnige, runde Zellen. Einige derselben ^nd von Wenigen Fa-
sern dicht umschlungen.
Ausserdem finden sich in dem Fasergewirr hie und da eiatelne
spärliche Faserbttndel y_ weiche man am besten mit einem um eine
Scheibe aufgerollten Zwirnsfaden vergleichen kann. Sie liegen bald
flach, bald stehen sie senkrecht auf der Kante, und sind im Innern ent-
weder solid oder enthalten Protoplasma mit ein oder zwei ZelKeYikernen
(Fig. 23. cdj. Alle diese Gebilde finden sich auch im Bindegewebe des
Darmes vor, aber in einem anderen Verhältnisse. Hier aberwiegt die
homogene Z wischenmasse , die Fasern fii^den sich nur spörlich, durch-
flechten sich auch nicht, sondern sind für sich iockenartig aufgerollt.
Auch die Faserbündel mit der Zelle im Innern fehlen nicht (Fig. S4).
Forschen wir nun nach dem Ursprung der zerstreuten Fasern, so sdiei-
non sie durch Auflockerung der Faserkntfuel «u entstehen, welche
wiederum ein Frodud der in ihnen enthaltenen Zelle sein werden.
Behandelt man einen dünnen Sohnitt duneh den Muskehschlaueh mit
Jod und Schwefelsäure , so färben sich alle Fasern tief blaU , so dass
die einzelnen Muskelbündel in ein blaues Netzwerk eingeschlossen sind.
Behandelt man in gleicher Weise einen Schnitt durch Darm und Costa,
so bläuen sich ebenfalls die spärlichen Pasern, während die Zwischen^
massc gelb bleibt.
Hieraus erhellt , dass auch Bindesubstanz innerer Organe bei ein^
seinen Arten eine Gellulosereaction liefern kann*
4. Entwickeloiig des CeUulose - Mantels.
Wir kommen jetst zum zweiten Theile dieser Arbeit, der über den
Gellulose-Mantel selbst ausführlicher handeln soll. Hierbei werden wir
zuerst seine Entstehung, alsdann seinen feineren histologischen Beu
und sein Wachsthum beschreiben.
Was zunächsWdie Entwiokelung des Mantels betrifll, so sind dar-
über in letzter Zeit zwei verschiedene Ansichten von Kuprrsa und Ko-
WALBWBKT aufgestellt worden. Beide sind nach meinen Erfahrungen
nicht richtig.
Nach Kurrrit soll in den noch unbefruchteten Eiern des Eierstooks
an der Oberfläche des Dotters durch freie Zellenbildudg eine Schicht
von kleinf '^m Pigment gefilrbten Zellen entstehen. Er be-
56 Osku Hnlvig,
eeicbnel dioselbeD als Testaiellen. Um den Res
dieselben eine einschichtige Epitbelkapsel. Zwischen dieser und dem
Dotier entsteht allmählich ein ganz peUucider Zwischenraum , der nach
dem Eintritt des Eies in den Eileiter und nach der Befruchtung an Aus-
dehnung noch zunimmt. In seiner Hüte schwebt frei die Dotterku^el
und lasst sich daraus scbliessen , dass der Zwischenraum keine Flüssig-
keit enthalt, sondern eine bereits gallertige Hasse; dieselbe soll von
den gelben Zellen ausgeschieden sein und soll schon die Gallertsubstanz
der Tests vorsteilen.
KowALBwsKv weicht von Kuppfek darin ab , dass nach seinen neu-
eren Untersuchungen, die an in ChromsHure erhärteten Eierst41cken au-
gestellt wurden , die Testaiellen nicht aus dem Dotter durch freio
Zellenbildung entstehen, sondern von Follikelzellen abstammen. Welche
von diesen beiden Ansichten die richtige ist , muss ich dahin gestellt
sein lassen , da mir das für diese Untersuchungen günstigste Object,
Ascidia intestinalis nicht zur Hand war , und ich deshalb über diesen
Punkt keine Untersuchungen angestellt habe. Mich interessirle vor-
zUgtidi die Präge, ob wirklich die Entstehung des Hanteis mit diesen
gelben Zellen in Zusammenhang stände.
Kdppfbh giebt darüber Folgendes an. In der schon weit entwickel-
ten Lanre lockern sich durch die Streckbewegungen , die depi Aus-
schlüpfen vorausgehen , die bisher noch ziemlich an einander schlies-
senden Testazellen, und es wird die Gallertsdiichte dadurch deutlicher
wahrnehmbar , indem die von einander getrennten Zellen einer nicht
flüssigen pelluciden Hasse anhaftend erscheinen. Durch die Bewegungen
der Larve vertheilen sich Gallerte und Zellen gleichmässiger um sie.
Sobald der Embryo nach Zerreissung der EihUlle frei wird , quillt die
Gallerte etwas auf; die Zellen sitzen an derselben ganz oberflSch-
lich, als klebten sie derselben blosan. Wahrend an den Zellen
innerhalb der Eihaut keine Spur von Bewegungen wahrzunehmen war,
zeigen sich jetzt solche; die Zellen strecken Fortsätze aus, werden
sternförmig, ziehen sich kuglig zusammen, kurz es sind exquisit
amöboide Elemente. Die gelbliche Farbe blasst ab, schwindet aber
nicht ganz.
Nach KowALEWSKv sollen die gelben Zellen zur Zeit der ersten Fui^
chungsstadien ganz auf die Peripherie der Gallertsubstanz kommen und
an ihr so zu sagen ankleben. Später sollen sie farblose Fortsätze in
die ganz durchsichtige Substanz senden , immer tiefer eindringen und
sich dabei entfärben. Indem die Fortsätze unter einander sich ver-
binden, entsteht ein förmliches Netzwerk im Gallertmantel.
Die so beschriebenen Vorgänge habe ich nicht beobachten kttnnen.
Untersaehangen Aber d. Bau d. die Cntwickelnug des Ceilnlose-Maniels der TuiiieateD. 57
Meine eigenen Untersuchungen wurden an den Eiern von Phallusia
niamillata und virginea (?) angestellt. Bei den Eiern dieser Species
liegen (übereinstimmend mit den Beobachtungen Rowalewskt's) die so-,
genannten Testazellen nicht in einer continuirlicben Schicht um den
Dotter, sondern vereinzelt und stellenweise auch in Haufen beisammen.
Sie sind kuglig und führen gelbe Pigmentkörnchen, besonders zahlreich
bei der zweiten Art. Den Zwischenraum zwischen Dotter und Eihaut
nimmt eine flüssiggallertige Substanz ein , in der die Testazellen liegen.
Mit Jod ftirbt sich dieselbe braun , welche Färbung bei Schwefelstture-
Zusatz noch zunimmt. Dagegen tritt auf keine Weise Blaufärbung ein.
Schon dieser Umstand macht es etwas bedenklich , in jener Gallerte
die spätere Cellulosesubstanz des Mantels erblicken zu wollen.
Während des Furchungsprocesses gehen die Testazellen weiter
keine Veränderungen ein. Nur werden sie , je nach der Ausdehnung
des sich theilenden Dotters, bald epithelartig an die Wand der Eihaut
angedrückt; bald versammeln sich eine grössere Anzahl passiv beweg-
ter Zellen an den freien Stellen zwischen Eihaut und Furchungskugeln.
An einigen von ihnen bemerkt man deutlich , wie sie kurze Fortsätze
ausstrecken, so dass auch jetzt schon ein geringer Grad von amöboider
Bewegung ihnen zukömmt.
Das erste Auftreten des Mantels beobachtete ich erst zu der Zeit,
wo der Schwanz schon eine bedeutende Länge erreicht hatte. Bei
stärkerer Vergrösserung konnte ich nämlich bemerken , wie eine feine
Contour in einiger Entfernung rings um das äussere Epithel hinzog.
Ausserhalb dieser Contour lagen die Testazellen in dem freien Räume
der Eihöhle , ohne dass an ihnen irgend eine Beziehung zu dem heran-
wachsenden Embryo sich feststellen Hesse. Sobald die Larve anfängt
stärkere Bewegungen zu machen, kann man die gelben Zellen frei
herumflottiren sehen.
Ein sehr beweisendes Bild erhielt ich , als ich auf einen Embryo,
der schon einen hyalinen Saum zeigte , die Jodschwefelsäurereaction
anwandte. Die Larve schrumpfte natürlich stark zusammen ; aber rings
um die innere , dunkelbraune Masse des embryonalen Körpers (Fig.
10. E) zeigte sich ein schön blauer Saum (Fig. 9. A). Ausserhalb des-
selben, in grösserer oder geringerer Entfernung,^ lagen die sogenannten
Testazellen (Fig. 9. t) entweder haufenweise oder in Reihen angeord-
net, viele ganz vereinzelt, durch dieEihülle (Fig. 9. y) rings umschlos-
sen. Bei einer eben ausgeschlüpften Larve, an der der Schwanz noch
erhalten ist, (kllt es auf, dass die gelben Testazellen meist nur äusserst
spärlich vertreten sind und dass die noch vorhandenen dem feinen
hyalinen Saum, der das ganze Thier umgiebt, stets äusserlich aufge-
Oakir Hertwig,
ndeni sie gleichsam an ihm anztiklebon scheioeD. Bei
VBD io diesem Stadium konnte ich nur zwei oder drei
he Zellen ündea, während ihre Anzahl im unonl wickelten
'iss übersti^. Fast alle waren beim AustriU des Embryo
er Abstreifung der Eibtllle verschwunden. Erzeugt man
t einer grosseren Anzahl gdber Zellen einen Strudel unter
durch erneuten Wasserzusatz , so gelingt es nicht sellcD,
laerenten Zellen hin wegzuschwemmen,
m bemerkt man schon in diesem Stadium in der Celluk>5c~
! kleine Zelten mit Ausläufern (Pig id. a). Dieselben
)los, ohne das charakteristische gelbe Pigment, und nur
so gross, als die sogenannten Testazellen (Pig. 10. t).
obachtungen geht hervor, dass bei dem Ausschlüpfen der
ben Zellen mit der Eihaut abgeslossen werden und ver—
ir Schwant fettig degeuerirt, wird ein neues Bildungs-
laher dem Embryo zugeführt. Dieser Emllhrungszuwachs
ich darin , dass die hyaline Hantelsubstanz an Dicke zu-
lass vom Epithel aus eine grosse Anzahl Zellen in die
) einwandern. Taf. IV. Fig. 10 giebt dieses Stadium
sieht die teere Cell ulosefaulle des Schwanzes (Fig. 1U. Seh.)
1 anhaftenden gelben Zellen {t), ferner^ die Süssere Epi-
< , um diese herum die hyaline Gelluloseschicht {A) mit
en lauglich gestreckten Zellen [a] , die einen Kern und
iufer zeigen. Einige von diesen spindelförmigen oder
Zellen liegen dem EpiÜiel ganz dicht an. Nach aussen
icht bemerkt man stellenweise noch eine zweite, Hussersto
10. ß), in und an der einige gelbe Zellen liegen [l]. Setzt
Schwefelsäure zu, so wird die leere SchwanEhUlIc blau,
ie dem Embryo zunächst gelegene hyaline Sohicht (A).
ilwr noch ausserdem stellenweise eine braungewordenc
Das sind die noch anhaftendon Theile der Eihlllle, in
loch einzelne sogenannte Testazellen befinden (t) .
konnte ich bei einer Larve mit noch wohl erhaltenem
i starker VergrOsserung eine Zelle gerade in dem Augen-
hlen, wo sie sich zum Theil in der Epithelschicht, zum
Cellulosemasse befand (Fig. H . x). Der in letzterer be-
war kopfartig angeschwollen und durch einen sdimaien
übrigen , im Epithel liegenden Theile getrennt. In letz-
fa der Kern.
e tinler dem Mikroskop die Einwanderung der Zelle bis
UnteraachnngeD über d. Ban a. die Eotwkk^ilQng des Cellnlose-Mantels der Tunlcateu. 59
zum Ende verfolgen zu können, aber leider starb der Embryo nach einer
Stunde, die er unter dem Deckgläschen zugebracht hatte, ohne dass
das Bild im Wesentlichen ein anderes geworden wäre.
Aus diesen Beobaehtungen ergeben sich folgende Schlüsse. Die
gelben Zellen, welche bei Ascidia canina epithelartig, bei Phallusia
mamillata und andern gruppenweise und zerstreut um den DoUer her-
um liegen , welche Küppprr und ebenso Kowalbwskt als Testazellen be-
zeichnen , und durch deren Einwanderung in eine gallertige Masse der
Mantel entstehen sollte , haben an der Bildung desselben nicht den ge-
ringsten Antheil. Die Testazellen sind vidmehr den EihttUen zuzu-
rechnen. Demnach werden sie auch bei Durchreissung der Eihttllen
gleich diesen vom freiwerdenden Embryo mit abgestreift. Gelbe Zel-
len, die auch dem freien Thiere später noch ankleben, sind anhaftende
Ueberreste, die nach kurzer Zeit sich ebenfalls ablösen.
Der Mantel entsteht dagegen , nachdem in dem embryonalen Kör-
per bereits die eigentliche Epidermis (das einschichtige äussere Pflaster-
Epithel) und die wichtigsten inneren Theile differenzirt und angelegt
sind, zunächst als eine zarte Guticula, welche aussen auf der Zelien-
schicht der Epidermis aufliegt und von dieser ausgeschieden wird.
Allmählich treten in der dicker werdenden Guticula vereinzelte Zellen
auf, welche aus der Epidermis in dieselbe eingewandert sind. Sobald
sich nun durch Verfettung des Schwanzes neues Ernährungsmaterial
im Embryo anhäuft, so erfolgt auch von der Epidermis aus ein kräf-
tigerer Bildungsprocess. Die Dicke der Celluloseschicht nimmt zu und
es wandern vom Epithel aus zahlreichere Zellen in sie ein , welche von
nun an ihrem Verhalten zur Intercellularsubstanz gemäss als Binde-
gewebszellen zu bezeichnen sind. Auf diese Weise kömmt der, bei
den verschiedenen Ascidien- Arten so mannichfach gestaltete Mantel zu
Stande. Derselbe ist als eine , vom Epithel ausgehende Bindegewebs-
bildung zu betrachten, oder mit anderen Worten: der Ascidien-
Mantel ist eine äussere Guticular-Bildung der Epider-
mis, welche durch Ein Wanderung von isolirten Zellen
der letzteren in wirkliche Bindesubstanz übergeht.
5. Histologischer Bau des Gellulose- Mantels.
Der Mantel der Ascidien zeigt in seinem histologischen Verhalten
bei den verschiedenen Arten erhebliche Verschiedenheiten und bietet
.uns eine reiche Auslese verschiedener Bindegowebsformen dar.
Bei Salper ''ompositen Ascidien und einigen Phallu-
jr Manlel aus einer homogenen
3 Bindegewebszellen eingestreut
illich ber vortretender Nucieus ni
nen, zuweilen sehr hctdeulenden Schicht feinkörnigen
las zarl« Auslitufer In die umgebende Hasse aussendet.
tz von Jod und Schwefelsaure treten dieselben deutlicher
d weiter zu verfolgen , in vielen Fallen bis zu ihrer Vor—
tenachbarten Zellen. Löwig und Küllikkr beschreiben
sowie übniiche bei Cynthia als Kerne, Kernfasem etc.,
Nz EiLBAHD ScHULZK als irrthUmlicb zurückgewiesen hat.
ir Zollen kann bei verschiedenen Arten sehr wechselnd
idlich , bald keulenförmig gestreckt , spindelförmig etc.
minder deutlicher Verästelung (Taf. V. Fig. 19. 20. 21).
r Zellen können Pigment führen ; die Farbe ist je nach
chieden: rolh, gelb, grün, braun u. s. w. Auch amo-
jungen dieser Bindegewebszellen, die schon Kolliker
ren , konnte ich bei einigen derselben in geringem Grade
luBälliges Mantelgewebe zeigen einige Phallusien, so be-
:ia mamillata. Dasselbe hat schon früher die Aufmerksam-
lER und Schacht auf sich gezogen , und auch den Mitlel-
iz EiLHARD Schulze's Untersuchungen gebildet. In einer
logenen Grundmasse Hegen grosse rundliche Hohlzellen
igem Kern, die embryonalen Chordazellen ganz ahnlich
lur durch eine dünne Scheidewand von einander getrennt
;n ihnen Hegen in der homogenen Grundmasse einge-
iwebszellen mit Auslaufern (Taf. V. Fig. tS. (3). Die
tllen , die , wenn auch selten , zuweilen in kleinerem
en und Uebergänge zu den Bindegewebszellen zeigen,
Is die eigentlichen embryonalen Mantelzcllen auf. Neben
ide Hohlzellen mit abgeplatteten sich berührenden WHn-
er als Besultat kürzlich stattgehabter Theilung (Fig. iü).
tincr frühen Embryonalperiodc das Hantelgewebe aller
t seiner Annahme gebildet haben. Aus ihnen sollen atl-
it Auslaufern versehenen Bindegewcbszellen heryorge-
Dic Bildung der verschiedenen Gewebsformen des Tuni-
us solchen embryonalen Zellen hat man sich nach seinen
austeilen. «Durch allmähliche Umwandlung der üusseren
.de der wohl ursprunglich wandungslos zu denkenden
eilen in homogene hyaline Cellulosemasse und ein Vor-
der so gebildeten Rinden mit einander entsteht ein der
mi
Untersuchnn^D Ober d. Ban n. die Rntwirkelnng des Cellnlose-Mantels der Tniiieaten. 61
Chorda dorsalis ähnliches Gebilde. Denkt man sich diese Metamorphose
des Protoplasma bei einzelnen Zellen in der Weise vorrückend, dass
bald von der ursprünglichen Zelle nichts mehr als der Kern mit einem
Stern- oder spindelförmigen Protoplasmareste übrig bleibt, während
andere auf der früheren Stufe stehen bleiben , so haben wir je nach
dem Meni^enverhältniss , in dem beide Arten von Zellen zu einander
stehen , die Structur des Mantels von Aplidium , Phallusia etc. Bleiben
gar keine Zellen auf der urspillnglichen Stufe stehen, sondern ßndet
die Verwandlung des äussern Protoplasma in Gellulosesubstanz bei allen
gleich in der angedeuteten Weise statt, so erhaRen wir den Mautel von
Pyrosoina, Ascidia intestinalis, Salpa, Botryllus etc. Bleibt endlich
die gleichsam aus den Zellmembranen und ihren Verdickungsschichten
entstandene Cellulosegrundsubstanz nicht hyalin, sondern spaltet sie
sich in Fasern, so haben wir das Gewebe des Mantels von Cynthia,
Boltenia etc. «
Dieser von Eilhard Schulze angenommenen Histiogenese kann ich
nicht beipflichten. Wie schon bei der embryonalen Entwickelung des
Manl<«ls angeführt wurde, finden sich bei Phallusia mamillata anfing-
lieh nur kleine Spindel- oder Sternzellen. Kupffbr und Kowalbvs&y
haben ebenfalls an Tunicatenembryonen nie jene Hohlzellen beobachtet
und ferner giebt Krohn speciell von unsrer Phallusia mamillata an,
dass die grossen , rundlichen , dünnwandigen Zellenräume erst später
erscheinen : Anfangs sei ihre Zahl noch gering , später nehme sie zu
und zugleich würden auch die Zellenräume grösser.
Jede der grossen rundlichen Hohlzellen besitzt einen Nucleus mit
Nucleolus , der zuerst von Eilbard Schulze nachgewiesen wurde und
bei dünnen Schnitten an einem grossen Theil der Zellen auf das deut-
lichste zur Anschauung zu bringen ist (Fig. 14, I — IV). Derselbe ist
immer wandständig, entweder in das Lumen der Zelle oder in die um-
gel>ende Gellulosesubstanz hineinragend. Den Inhalt der Hohlzellen bil-
det zum allergrössten Theil kein Protoplasma, sondern eine wasserhelle,
klare Flüssigkeit (Fig. 19. 13). - Daher färben sich die Kugeln mit Gar-
min nur schwach und stellenweise. Ausser dieser Flüssigkeit findet
sich noch eine sehr geringe Menge Protoplasma vor. Schacht beschreibt
dasselbe als eine Zellmembran, die sich genau wie der Primordial-
schlauch der Pflanzenzelle verhalten soll, zierlich gefaltet sei, kleine
Kömchen enthalte und durch Jod und Schwefelsäure sich braun färbe,
sowie durch Schwefelsäure aliein zusammenschrumpfe. Eilhard
Schulze fasst diese Membran als äussere Protoplasmaschicht auf, in
welcher auch der Kern liegen und durch deren Umwandlung die Cellu-
losemasse entstehen und die Kugelzellen sich verkleinern sollen. Die
\i
üntersurbangen über d. Baa n. die Rntwiekelimg d«8 Cellulose-Mantels der Tnnicateii. (>3
Ausserdem sieht man in dieser Gegend nicht selten Kuj^elzeflen , die
3 — 40 mal kleiner sind, als die grössten derartigen Blasen. Bei der
zweiten von mir untersuchten Phallusia-Species sind im ganzen Mantel-
l^ewebe die grossen Kugelzellen seltener; dagegen finden sich ausser
zahlreichen sternförmigen Zellen überall durch den Mantel zerstreut
zahlreiche kleine bläschenförmige Körper mit Auslöufeirn , wie Stern-
Zellen^ die wandslji^ndiges Protoplasma mit einem Kern und ein Flttssig-
keitströpfchen iiu Innern besitzen, mithin vollkommen sehr kleinen
Kugelzellen gleichen (Fig. 16, II. III.) . Endlicb l^sst sich in einzelnen
Füllen , besonders bei Jod- URd Schwefelsüurebehandlung beobachten,
dass auch von der Umgebung der Kerne grosser Kugelzellen in die
Cellulosemasse Pvotoplasmaaustoufer aiDsgehen (Fig. 1 4, lllj..
Ich glaube in diesen verschiedenen Bildern die Entstehung der
Kugelzellen vollständig vor Augen zu haben. Wir haben uns dieselbe
so vorzustellen. In den einfachen BindegewebszeNen, welche im Mantel
aller Tunicaten vorkommen und aus eingewanderten Epidermiszellen
entstanden sind , sammelt sich bei einigen Arten Flüssigkeit im Innern
ant. Die sternförmige Zelle wird dadurch nach und nach viel grösser
und nimmt eine rundliche oder selbst kugelige Gestalt an. Der Kern
wird an die Wand gedrängt. Das Protoplasma bekleidet in einer dünnen
Schicht, um den Kern dichter angehäuft, die Wand des so entstandenen
Bläschens^ Wird die Flttssigkeitsmenge bedeutender, so reicht schliess-
Ii4*h das Protoplasma nicht mehr aus, um als geschlossene Membran den
fltlssigen Inhalt zu umhüllen. Es bleibt allein um den Nudeus ange-
häuft und schickt von da einzelne Fäden an der Kugelinnenfiäche hin,
wie solche auch in die umgebende Cellulosemasse von ihm ausstrahlen.
Fftr diesen Process der (Ittssigen ZellinfiUration bieten sich uns Analoga
in dem blasigen. Bindegewebe der Arthropoden und Mollusken, den
Chordazellen und auch in den Feitzellen der Wirbehhiere. Alle
diese Zeilen sind Gebilde, die wir uns durch Ansammlung einer
flüssigen Substanz in ckm Protoplasma einfacher Bindegewebszellen
entstanden denken müssen. Die Lebensthätigkeit der Bindegewebszelie
durchläuft hier zwei Phasen : la der ersten Phase bildet sie äussere, in
der zweiten innere Plasma-Producte (Haicksl , generelle Morphologie,
Vol. 1. pag. 28^). In der ersten Phase entwickelt sich die Ceüulose, die
nach aussen abgesetzt wird. In der zweiten Phase dagegen sammelt
sich flüssig bleibende Substanz im Innern der Zelle an und bildet so
eine Blase. Die Wand dieser Blase wird zuerst von einer sehr dünnen
Proioplasmaschichif später nach deren Durchbruch theil weise von der
festen Zwisehenmasse derCellulose-Grundsubstanz gebildet. Auch fand
ich einzelne Blasenzellen vor, deren Wand mit einem körnigen Beleg
Oskitr Hertwlg,
^hen bedeckt war. Durch Carmin wurde derselbe niohl ge-
d auf Säurezusatz lösten sich die Körnchen un(er Entwickelung
ttlasen auf.
m Befund will ich nicht unerwshnt lassen , welchen ich bei
mamtllata selten, hilufig bei der zweiten Phallusienarl ange—
)be ; nämlich Kugelzellen mit zwei , drei und mehr wandsum-
nd von gesonderten Protoplasmaoiassen eingehüllten Kernen
V. VI.) . Die Anzahl dieser von einem Protoplasmahof umge-
!me war in einzelnen Fällen so bedeutend und ihre Lage der-
sie den Schein einer besonderen, die Innenwand des Raumes
inden unvollständigen Epilbelschicht hervorriefen. Ich lasse es
lellt, ob \sir uns diese Gebilde durch Theilung der ursprUng-
indegewebszelle entstanden denken sollen oder durch Ver-
ing mehrerer benachbarter Blasenzellen oder durch Einwände-
feglicher Zellen in eine schon entwickelte Blasenzelle. Es reibt
es Bind^ewebe naturgemiiss an das als blasiges Bindegewebe
IG bezeichnete an.
er <lie Vertheilung der Bindegewebszellen mit Ausläufern un<l
gen Blasen im Hantel von Phallusia mamillata ist noch Einiges
ilgen. In Betreff dieses Punktes verweise ich zugleich auf
'Arbeit, der dieses Verhältniss genau und zutreffend geschildert
der Innenseite der Celluloseschichl, nach aussen vom Hantel-
[>lgt eineiiemlich ansehnliche homogene Schicht mit gestreckten
krebszellen, deren I^ngsaxe der Hanl«lflHcbe parallel gerichtet
IS). Vereinzelt kommen auch kleine Kugelzellen in dieser
ror. Auf diese folgt die blasige Gewebsschicht. Anfangs sind
Inen Blasen noch etwas kleiner und durch beträchtlichere Zwi-
stanz getrennt; mehr von der Innenfläche entfernt erreichen sie
ste Ausdehnung und dann bildet die Zwischensuhstanz meist
I zarte Zwischenwände. Bings um die GefJsse zeigt sich ein
iprechendes Verhältniss (Fig. 43] : zunächst dem Epithel eine
ir minder beträchtliche homogene Schiebt mit reichlichen Biode-
iUen; dann folgt die Blasenschichl, welche zuerst mit kleinen
;h reichlichere Zwischenmasse getrennten Kugelzellen beginnt,
f der Aussenseite des Mantels liegen zerstreute Haufen von
braunen Pigmentzellen , welche die TUpfelung auf der Ober-
a Phallusia mamillata hervorrufen.
t sehr interessante und bis dahin bei den Tunicaten noch nicht
Bindegew ebsart traf ich bei Piialtusia cristata an. Bei dieser
det sich nämlich zwischen dem Huskelschlauch und dem dUn-
el ein ziemlich betrücbtlicher Zwischenraum. Der Mantel ent-
Uiitersnchiingeii über d« Ban n. die Eütwiekekinfgr des Gellotose- Mantels der Tiinicaten. 65
hält ebenfalls die beficbriebenen Kagelzeiien, aber keine GefSisse. ich
schniii ein Lodli in den Mantel, um die austretende Flüssigkeit zwisehisn
ihm und dem Muskelschlauch zu untersuchen. Unter dem Mikroskop
fand ich den Objectträger mit frei herumschwimmenden Kugelzellen be-
deckt, bestehend aus einer zarten Membran mit Flüssigkeit im Innern,
einem wandsUlndigen Kern mit Protoplasma und feinen, von diesem
ausgehenden Fäden (Fig. 4 4, 1. II. ) . Die Zellen sind sehr zart und wasser-
reich, denn an den in Alkohol oonservirten Thierep fand ich sie nach-
träglich ganz geschrumpft und unkenntlich. Die Kugelzellen sind also
hier durch eine flüssige Intercellularsubstanz von einander getrennt. So
eiiilärte sich zugleich auf einfache Weise der anfangs befremdende Befund,
dass Mantel und Muskelschlauch durch einen Hohlraum getrennt sein
sollten. Eine Lücke war nicht vorhanden. Flüssiges Bindegewebe füllte
sie aus. Hierdurch aufmeriLsam geworden, liess ich bei anderen Phallu-
sien (parallelogramma , intestinalis), wo der Muskelschlauch frei im
äusser^i Mantel zu hängen scheint, Flüssigkeit austräufeln und ent-
deckte in dieser ebenfalls eine Menge von kleinen sternförmigen nackten
Zellen, welche i^ Grösse und Kern den Bindegewebszellen des Gallert-
mantels entsprachen und amöboide Bewegungen ausführten. Mit der
stärksten Vergrösserung betrachtet, änderten sie ihre Form jeden Augen-
blick, indem sie bald hier, bald da einen Fortsatz ausstreckten und
wieder einzogen. Fig. 25 a — g giebt die Formveränderungen wieder,
welche eine und dieselbe Zelle im Verlauf von weniger als zehn Minuten
durchmachte. In diesem Falle haben wir ein Bindegewebe mit ganz
flüssiger Intercellularsubstanz , von kleinen , amöbenartigen Zeüen be-
lebt, vor uns.
Eine andere Form der Bindesubstanz treffen wir bei den Cynthien
und ihren Verwandten an. War bei den bisher geschilderten Ascidien
die Zwischensubstanz homogen, so ist sie hier, in mehr oder minder
hohem Grade bei den einzelnen Arten, fasrig zerfallen. In geringerem
Grade fasrig ist der Mantel von Gynthia canopus, C. polycarpa, G.
echinata, in höherem bei G. mytiligera, G. microcosmus und besonders
G. papiilata. Während bei den meisten die Faserzttge in einer Bichtung
verlaufen und sich durohflechten (Taf. VI. Fig. S6, 29, 30), bemerkt
man bei Gynthia papiilata zwei Systeme von Faserzügen , die sich unter
reofatem Winkel kreuzen , und, in der ganzen Dicke der Mantelsubstanz
mit einander abwechseln (Fig. 27, e, f). In Eiuuan Sghulzb's Arbeit ist
dieses Verhältnisses eingehender geschildert.
Die eigentlichen Formelemente sind bei allen Arten kleine Spindel-
Zellen Hiit einem stäbchenförmigen Kern, deren Grösse nach den Species
geringe Differenzen darbietet. Sie werden in dem einen Mantel reich-
B<l. VII. 1 . 5
dereD spärlicher angetroffen [F^. VI. Fig. 26, 28, 29, 30) .
ckten Bindegewebszellen ktinoen weiterhin Verände-
Wie bei den Tunicaten mit homogener Zwischensub-
3 durch die flüssige Infiltration eigenthUmlicfa verändert
ei den Cynthien eine Pigmentinfiltration an deren Stelle,
e früheren Zellen an Umfang um das Zwei-, Drei- und
erden kttrnig und enthalten einen gelben oder braunen
n Efm meist nicht mehr erkennen lasst. Bei Cynthia
Dopus, C. echinala treten Pigmentzellen nur vereinzelt
dagegen massenhaft bei G. papillata und G. microcos-
30. ff}. Bei ersterer liegen sie schon der Epithelschichl
,men von da nach aussen mehr und mehr ab, indem sie.
;m körnigen Detritus zerfallen. Bei Cynthia microcosmus
intelgofüsse dicht ein und treten oft so reichlich auf,
ä an Pigmentzeile liegt. Wie schon bemerkt, haben wir
a , wo sie zuweilen ganz dicht dem Epithel eines Ge-
ils Abkömmlinge der gestreckten Bindegewebszellen zu
m Ursprung wir wiederum von ausgewanderten Epi-
uleiten haben.
geht das Hantelbindegewebe fast stets in einen gel-
der die Gellulosereaction nicht liefert.
' Bildungen will ich gedenken , die durch besonderes
lindegewebes an einzelnen Stellen hervorgerufen wer-
liche, regelmässige Formen bilden können. Als solche
die Stachelbildungen bei Cynthia papillata und jene
lynlhia ecbinata ihren Namen verdankt. Hier finden
en Hanteloberflüche zapfenartige Verlängerungen. Ein
Bu ist vollkommen solide, an seiner Spitze etwas ver-
auf der Verdickung einen mittleren, längeren Stachel,
»Kreise herum 8 — 12horizontal gestellte und zuweilen
Lleinere Stacheln, die wieder mit Stachelchen besetzt
iwischen den ziemlich gedrängt stehenden Zapfen sind
ne noch mit kleinen Stacheln bedeckt. Dadurch erhalt
ter Species ein ungemein charakteristisches Aussehen,
echapfel oder noch besser mit manchen Cactusformeu,
Aas, sich vergleichen lässt. Stacheln und Mantelober-
!r gelben, die Gellulosereaction nicht liefernden , dtln-
ächichl bedeckt.
eigenlhUmliche Bildung producirt das Bindegewebe des
hia myliligera. Es entspringen von seiner Oberfläche
lange raDkesToroiige Ausläufer (Fig. 33). Pieselben
Untersnchungen Qher d. Baa u. die RDtwicketoiig des Celtulose-Mantels der Tuiiicateu. 67
sind voUkonimen solide und bestehen ganz aus Bindegewebe , in dem
grosse gelbe Pignientzellen liegen. Die Pigmenlzellen zeigen einen dop-
peilen Gontour, was auf eine besondere Membran hinweist, und besitzen
einen deutlichen Kern (Fig. 31). Im übrigen Mantel kommen sie selten
vor. Mit diesen Ranken verkleben und verkitten sich Sandkörner,
Mollusken-Schaalen, Trümmer von Echinodermen-Skeleten und andere
Best^ndtheile des Meeresbodens , so dass die Cynthia oft ganz dicht mit
einer Masse von fremden Körpern be/leckt ist.
6. Wachstham des Ascidlen - Mantels.
Wie wir von der Epidermiszellenlage die erste Entstehung des
Mantels haben ausgehen sehen, so müssen wir auch in dieser die haupt-
siicblichste Quelle seines weiteren Wachsthums erblicken. Wir werden
daher zunUchst auf diese fUr den Mantel so wichtige Bildung noch einige
Blicke werfen.
Die Epidermiszellenlage ist einschichtig. Die Zellen sind platten-
förmig oder fast kubisch, von rundlichem oder polygonalem Umriss. Bei
den Salpen haftet das Epithel, wenn man äussere und innere Mantellage
trennt, zum Theil dieser, zum Theil jener an, und ist wegen seiner sehr
zarten Beschaffenheit oft nur schwer wahrzunehmen. Die Zellen sind
gross und sehr flach (Taf. Y. Fig. 48]. Bei Phailusien sind die Epithel-
zellen von einander durch eine massige Menge Zwischensubstanz ge-
trennt. Ihre Grösse ist geringer als bei Salpa costata (Fig. 17). Ganz
ebenso verhält sich das Epithel an den Mantelgefässen und Endkolben
von Phallusia mamillata, wo es dem Beobachter leicht entgeht (Fig. 22).
Bei den Cynthien sind die Epithelzellen meist noch etwas kleiner als bei
den vorhergehenden ; in den Stolonen und Geissen sind sie mehr spin-
delförmig gestreckt (Fig.. 88. a) . Von Cynthia papillata beschreibt Eil-
iiARD ScauLZB (abweichend von Löwig und Kölliue) ein schönes, grosses
Cylinderepithel , von dessen Existenz ich mich indessen nicht habe
überzeugen können. Auch hier beobachtete ich nur das schon erwähnte,
kleinzellige , platte Epithel , welches nach innen der Musculatur dicht
aufliegt und nach aussen unmittelbar streckenweise von den Pigment-
zellen bedeckt wird , so dass man es auf Querschnitten schwer sieht.
Dagegen kann man es in ganzer Ausdehnung leicht darstellen , sobald
man die Musculatur vom äusseren Mantel abzieht. Derselben haftet bei
dieser Operation die Epithelschicht an und man hat jetzt nur noch von
der so erhaltenen Lamelle die Muskelbündel vorsichtig abzutragen , um
ihrer ansichtig zu werden. An Stellen, wo man vom Gellulosemantel die
5*
Oikaf Hertwig,
;eslreift hat, sieht man noch deutlich die CoDlouren der
«Q, indem jede io einer kleinen Aushöhlung der Cellulose-
}hsam in diese eingelassen liegt. Auf Querschnitten fällt
^llen meist eine dachziegelftfrmige Anordnung zeigen und
einer Spitie in die Gellulosemasse hineinragen. Häi^g
itreckte Bindegewebszelten der Epilhelsdiicht dicht an und
laus den Eindruck , als ob sie kUnlich vom Epithel aus in
istanz ausgetreten seien (Fig. 26. a, b). Günstige ObjecUt
ibachlungen bietet die Hantelbasis von Cynthia polycarpa,
onenartige Fortsatze hineinragen fTig. 28. b,b). Hier sieht
, wie um die EinstUlpungca herum die Bindegewebssellen
oplasma reicher und hiiufiger sind , zuweilen dem Epithel
1 oder halb aus demselben hervorragen.
s Bildungen deuten darauf hin, dass das Dickenwacbsthum
lauptsächlich von der Epidermis aus erfolgt, sowohl von
iseit« des Hsutels, als von der die Stolonen und Blutge-
lendcn Epithelialzellenschicht. Ebenso wie die erste Enl-
if. auch das weitere Wachsthum durch Ausscheidung einer
:n Grundsubslanz und Einwandern einzelner Epithelzellen
welche dann weitere Metamorphosen eingehen kt^ncn.
■esichtspunkt aus betrachtet, erklüren sich uns verschie-
en , deren schon früher Erwähnung gethan wurde. Ich
die Verhältnisse von Pballusia mamillala, wo wir eine
lidkt, in der fast nur kleine Bindegewebszellen liegen, an
i des Uantels und um die Getässe, also überall zunächst
orßnden, und erst weiter nach aussen kleinere Kugelzellen
tn (Fig. 13, 13). Diese Anordnung erklärt sich von selbst
1 beschriebenen Wachsthum und aus der Voraussettung,
Izellen aus Bindegewebszellen hervoi^eben. Ferner haben
loben, wie bei Cynthia papillata und C. microcosmus an
0 des Mantels die Pigoientzellen massenhaft angehüuft
ssen abnehmen und öfters ki»rnig zerfallen (Taf. VI. Fig.
ich ist noch zu betonen, wie bei den Cynthien, besonders
'. schichtenweise Ablagerung der Mantelsubstant sich Ite-
it(Fig. 27).
ileibt nicht ausgeschlossen, dass auch durch Theilung der
llulosemantol liegenden Bindegewebszellen und weitere
von Geilulose aus ihnen das Mantclwachsthum gefordert
B. Jedenfalls aber wird dieses das untergeordnete sein,
eisten Fällen die secretorische Zellthäligkeit eine andere
eschlagen zu halK>n scheint: in der Bildung von Pigment
?* _ 1
Uolersnehungen Aber d. Bau u. die Entwirkcilini; des fellulose-Maniels der Tunicaten. 69
und der AnsammluDg von Flüssigkeit in dem Protoplasmakörper der
Zellen selbst.
Die gewonnenen Resultate der vorliegenden Untersuchung lassen
sich etwa in folgenden Sätzen zusammenfassen :
1. Der Cellulosemantel der Tunicaten (Tunica externa) und die
bindegewebige innere Körperschicht (Tunica interna) hängen bei allen
Tunicaten mehr oder ir)*rder innig Kusammen, sind jedoch stets durch
eine einzige zusammenhängende epitheliale Zellenlage, die eigentliche
Epidermis, getrennt. Bei Phallusia intestinalis, P. cristata etc. wird nur
der Schein einer weiteren Trennung hervorgerufen , indem den angeb-
liehen Zwischenraum fltissiges oder halbfltissiges Bindegewebe ausfüllt.
2. Die Celluloseschicht setzt sich an der Ingestions- und Egcstions-
öflfhung eine Strecke weit über die innere Körperschicht fort, ohne
irgendwo in dieselbe überzugehen.
3. Auch im Inneren des Tunica tenkörpers kann ein Bindegewebe
vorkommen, das die Cellulosereaction des Mantels liefert, so im Muskel-
schlauch und am Darm von Cynthia mytiligera.
4. Die Musculatur bildet bei den Ascidien (nicht bei den Salpen
und ihren Verwandten) ein System von sich kreuzenden glatten Muskel-
faserbündeln, in deren Interstitien die wandungslosen Blutgefässe ver-
laufen. Bei gut entwickelter Musculatur lassen sich zwei Längsfaser-
lagen und eine sie trennende Ringfaserlage unterscheiden.
5. Die Blutgefässe im Mantel von Phallusia mamillata führen kein
eigenes inneres Epithelium und gehören ihrer Entstehung und ihrem
Bau nach noch zur inneren Leibesschicht ; sie sind überall durch Man-
telepithel (Epidermis) und eine dünne Lage aus der inneren Tunica
ausgestülpten Bindegewebes von der Cellulosemasse getrennt. Eine
ganz gleiche Gefässeinrichtung findet sich im Mantel von Cynthia mi-
crocosmus. Beide sind den Stolonenbildungen , wie sie namentlich an
der Basis des Mantels vorkommen , homolog.
6. Der Gellulose-Mantel ist keine persistente Eihaut. Er entsteht
nicht aus den Testazellen , sondern zunächst als Cuticularbildung von
den Epidermiszellen aus. Dieses Stadium findet sich dauernd erhalten
im Mantel von Doliolum und Appendicularia , in dem sich keine Form-
elemente vorfinden. Später wandern bei den Ascidien Epidermiszellen
in den Mantel ein und bilden seine ursprünglichsten und auf einem
gewissen Stadium allen Ascidien-Arten in derselben Form zukommen-
den zelligen Elemente. Die ursprüngliche Cuticularschicht der Epi-
dermis verwandelt sich also später durch Zelleneinwanderung in wirk-
liche cellulose Bindesubstanz.
tmt
rntersiicbungeo über d. Bau u. die Entwickelnng des rellulose-Haniels der Tiinicaten. 71
ErUbug der AbbilduigeB.
Tafel rv.
Fig. 4. Längsschnitt durch die Ingestionsöffnung von Salpa costata.
A Cellulosemantel (Cuticuia).
B Tunica interna (Cutis).
C Mantelepithel (Epidermis) -
a Bindegewebszellen.
b Blutraum.
c Inneres Epithel (Fortsetzung der Epidermis).
d Ringmuskelbündel.
Fig. 2. Schnitt durch den Stock einer compositen Ascidie vBotryllus sp.)
Bezeichnungen wie in Fig. 4 .
Fig. 3. Querschnitt durch die Leibeswand von Cynthia canopus.
Bezeichnungen a — d wie in Fig. 1.
9 Aeussere Lftngsmuskelschicht.
f Innere Längsmuskelschicht.
g Eierstock.
h Knglige Anhäufungen von Zellen im Mantel.
Fig. 4. Längsschnitt durch die Ingestionsöffnung von Cynthia polycarpa.
Bezeichnungen wie in Fig. 8.
Fig. 5. Schematische Darstellung eines Mantelgefösses von Phallusia ma-
roillata.
h Hinleitendes Gefäss.
r Rückleitendes Gefilss.
k Endkolben.
Fig. 6 — 8. Scbematische Darstellung beginnender Mantelgeflissbildung von
Phallusia mamillata. (Fig. 6 früheres, Fig. 7 — 8 weiter entwickelte
Stadien.
r hk wie in Fig. S.
m Mantelepithel.
n Bindegewebe, das die Innenwand des Gefässes bildet.
p Bindegewebslameile , welche auf- und absteigenden Arm trennt ;
in Fig. 7 schraffirt dargestellt ; ebenso in Fig. 8, wo sie sich in die
Arme pi und p2 theilt.
Fig. 9. Junger Embryo von Phallusia mamillata, mit Jod und Schwefelsäure
behandelt.
A CellulosehüUe.
E Leib des Embryo.
y EihüUe.
t Testazellen.
Fig. 40. Ausgeschlüpfter Embryo von Phallusia mamillata, dessen Schwanz sich
schon rückgebildet hat.
ABB wie oben.
B Reste anklebender Eihüllen.
Uniersofhoiigeii über d. Bau h. die Eiitwickelun(r des Cellnlose-Maiiiels der Tiiiiicateii. 73
b Bindegewebszelle mit wenigen Fasern umgeben.
c Bindegewebszelle in einem Faserknäuel.
d Faserknftuel ohne Zelle.
e Bindegewebsfasern.
Fig. 24. Bindegewebe aus der Darmwand von Cynthia myiiligera.
Bezeichnungen wie bei Fig. 23.
Fig. 25. Verschiedene Formen einer amöboiden Zelle aus dem flüssigen Binde-
gewebe von Phallusia parallelogramma.
Fig. 26. Querschnitt durch den Mantel von Cynthia canopus.
a Mantelepithel.
b Ausgcrwaftderte Bptthelzelle.
c Spindelförmige Bindegewebszelle.
Fig. 27. Querschnitt durch Muskelscblauch und Mantel von Cynthia papillata.
A Muskelschlauch.
B Mantel.
a — c wie in Fig. 26.
d Pigmentzelle.
M \ abwechselnde Faserlagen
Fig. 28. Stolonen aus der Mantelbasis von Cynthia polycarpa.
ab c wie in Fig. 26.
Mg. 29. Mantel von Cynthia polycarpa.
c d wie in Fig. 26.
Fig. 30. Querschnitt durch den Mantel von Cynthia microcosmus.
ac d wie oben.
g Bindegewebszellen der inneren Tunica.
h Hinieitendes Gef^ss.
r Rückleitendes Gefäss.
p Trennende Lamelle.
Kig. 81. Pigmentzelle aus den Ranken von Cynthia mytiligera.
Fig. 82. Mantelfortsätze von Cynthia echinata.
Fig. 38. Ranke von der Manteloberfläche von Cynthia mytiligera.
BciMge tut Keaituiss des I
Eine akademische F
Bichard Hert
Btnd. Bi«d.*aeH[iUbi
Hierzu Taf. VII. \
I. Allgemeioe Bemerkai^en Bber die Morphologie der Ascidlen.
Die überraschenden Entdeckungen, welche vor vier Jahren Ko-
WALBWSK1 über die embryonale Enlwickelung der Ascidien veröffent-
lichte, haben die Aufmerksamkeit der Zoologen dieser merkwtlrdigen
Thiei^ruppe in einem frUbcr unbekannten Haasse zugewendet. Die
höchst interessante und wichtige Uebereinstimmung, welche nach jenen,
inzwischen von Kupffer bestütigten Entdeckungen in der individuellen
Entwickelung zwischen diesen niedrig oi^nisirten WUrmern und dem
niedrigsten Wirbelthiere , dem Amphioxus, besteht, bat einen gänzlich
unerwarteten Lichtstrahl in die dunkle Stammesgeschicbte der Thierc
hinein feilen lassen. Denn eingedenk des innigen ursächlichen Zu-
sammenbanges, welcliei' zwischen der Ontogenie und der Phylogünlo
der Oi^anismen, zwischen der individuellen Entwickelungsgescbicble
des Thieres und der palüontok^i sehen Geschichte seiner Vorfahren be-
steht, nmss man aus jener onUigenetischen Uebereinstinimung zwischen
Amphioxus und den Ascidien unmittelbar den höchst wichtigen phylo-
genetischen Schluss ziehen, dass die gemeinsame Stammform aller
Wirbelthiere unter allen uns bekannten Thierfoi'men mit den Ascidien
die nächste Verwandtschaft besessen und mit ihnen aus einer gemein-
samen älteren Stammform sich entwickelt hat.
Unsere anatomischen Kenntnisse vom Baue der Ascidien befinden
sich dagegen noch heut« in einem Zustande von Unvollkommenheit, der
M^B
Beitrag« zur Keiiutiiiss des Baues der Ascidien. 75
zu jenen etaibryologischen Aufschlüssen einen starken Gegensalz bildet.
Seit Savigfit's klassischer Arbeit, den unübertroffenen » Recherches ana-
tomiques sur les Ascidies « etc. sind im Ganzen nur wenige und unbe-
deutende Fortschritte in der Anatomie der Ascidien gemacht worden.
Noch heute sind wir vollkommen im Unklaren , welche Bedeutung ein-
zelnen, für die Tunicatengruppe charakteristischen Oi^anen, dem Endo-
styl, der Bauchrinne, der Flimmergrube etc. zuzuschreiben ist. Was
da Leber ist, ob eine Niere vorhanden und wie gebaut, sind noch un-
gelöste Fragen. Bei mehreren Ascidien sind sogar die(jeschlechtsorganc
noch unbekannt.
Um dieses Dunkel etwas aufzuhellen und die morphologische Rennt-
niss derTunicaten zu fördern, hatte die philosophische Facultät der Uni-
versität Jena zur Bewerbung um den Preis der Herzoglich Sachsen-
Altenburgischen Josephinischen Stiftung für das Jahr i 870 die Aufgabe
gestellt: »Durch neue, selbstständige Untersucttungen soll die Morpho-
logie der Tunicaten und insbesondere die Entwickelungsgeschichte ihres
Mantels aufgeklärt werden.«
Zur Beantwortung eines Theiles dieser Aufgabe wurden die nach-
stehend mitgetheilten Untersuchungen unternommen , welche den dafür
ausgesetzten Preis erhielten. Das anatomische Material für dieselben
lieferte eine Reihe von Ascidien aus dem zoologischen Museum in Jena,
welche in Spiritus vortrefiflich conservirt waren. Dieselben wurden
mir mit der grössten Liberalität von meinem verehrten Lehrer , Herrn
Professor Habckbl zur VerfQgung gestellt, dem ich hierbei zugleich fiir
seinen freundschaftlichen Rath mdnen herzlichsten Dank abstatte.
S|>äter konnte ich die an den Weingeist-Präparaten angestellten Unter-
suchungen noch wesentlich durch Beobachtungen an lebenden Ascidien
ergänzen , welche ich auf der Insel Lesina , an der Rüste des südlichen
Dalmatiens , in grosser Menge erhielt.
Obgleich meine Untersuchungen zu meinem Bedauern sehr unvoll-
ständig geblieben sind und keinen Anspruch darauf machen können,
volles Licht in die vielen dunkeln Theile der Ascidien -Anatomie zu
bringen, so hoffe ich doch, dass wenigstens einige Theile derselben
dadurch wesentlich werden aufgeklärt und damit zugleich Anregung
zu weiteren Untersuchungen gegeben werden. Ich werde zunächst
die anatomischen Verhältnisse des Perithoracalraums , sodann den
Endostyl und die Bauchrinne, und endlich den Bau des Darmes und
der Leber erörtern.
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Blen
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SS (
ler:
9 Kit
isU
; dieser ineile kam icß aui vernaitnisse, die mit den
OS bei verschiedenen Compositen-Ascidien beschriebe-
sreinstimtnea oder auf dieselben zurUckgeftthrl werden
r in wenigen Uiatsächlichen Punkten und in der Deu-
lisse weiche idi von dem geoannten Forscher ab.
Ei>WARDs [Observations aur les Ascidies oompos^cs
lei den zusammengesetzten Ascidien der Kiemensack
ler ihn allseiUg umgebenden und nur an bestimDaten
in Verbindung tretenden Membran. Dieselbe bildet
ea Anheftungsstellen an die Kieme durch mehrere bei
;elb gefärbte Linien markirt sind; nämlich: 1) durch
Linien, die je einen ßiug um die IngestionsOffnong
{useingang bilden (Taf. VI!. Fig. 4 . c rf) ; 2) durch awei
welche beiderseits des Thoracalsinus (des ventralen
is über demselben liegenden Endostyls) vom Anfang
.lerne herabziehen (Fig. 1 . b b] , denmaoh die beiden
erbinden. Später beschreibt Milnb Edwards Anbef-
jskelschlauch (m) längs einer gelben Linie, welche von
lur EgeslionsOfihung geht und um letzlere einen Kreis
Vll. Fig. 4. a).
n der Kieme und dieser Haut^Laraelle liegenden Baum
boracalraum und den unterhalb der Egestions-
n dorsalen Abschoitt desselben (wegen seiner Bezie-
indungeu des Darms und der Geschlechtsorgane) die
. Fig. i. a). Die Basis der Cloake wird von dwn Theil
imelle gebildet, welcher in der Peripherie dos Oeso-
ich an die Kieme befestigt [k] . Sie trennt die Leibes-
'erithoracalrauni und trägt die Geschlecbtsiüffnung !y)
Beitrftge sor KenntoiM des Baues der Ascidien. 77
Ferner giebt er von dieser Membran , die er Tunica tertia nennt,
an , dass sie am Oesophagus und Anus in die Darmwandung sich fort-
seize. Letztere AuflEassung halte ich bei den Beziehungen , in denen
Kieme und Daiincanal zu einander stehen , für vollkommen verfehlt.
Broni« giebt in seiner Darstellung der Tunicaten (Glassen und Ord-
nungen der Weich thierej eine sehr unklare Schilderung der Milne Ed-
WAans'schen Beobachtungen. Mangel an Anschauung und somit auch
einer richtigen Beurtheilung sind wohl der Grund, dass er sich ihm
nicht anscUiessi. Ob es zweckmässig ist, den Namen der Tunica tertia
einzufuhren, ist auch mir freilich sehr zweifelhaft; wie mir überhaupt
die Eintheilung in verschiedene Tuniken eine verfehlte zu sein scheint.
Die alte AufiEassung, dass man es mit getrennten, nur an einzelnen
bestimmten Stellen in Verbindung tretenden Schalen zu thun habe , ist
ebenso unhaltbar, wie das Bestreben, dem die Bezeichnungen ihren
Ursprung verdanken , ein verfehltes war : nämlich Tunicaten und Mol-
lusken zu homologisiren. Man kann nur von Schichten der Leibeswand
sprechen , welche Überall in inniger Verbindung stehen , auch da , wo
«lieselbe scheinbar nicht vorhanden ist, wie bei Phaüusia intestinalis.
Diese Schichten unterscheiden sich nur durch die verschiedenen, in
ihnen enthaltenen Gewebselemente. Die sogenannte Testa oder der
Cellulose-Mantel ist eine, in Bindegewebe übergehende Cuticularbil-
(iung und hängt als solche mit dem unter ihr liegenden Epithel , der
eigentlichen Epidermis genetisch engstens zusammen , wie in der vor-^
angehenden Arbeit meines Bruders über den Mantel der Ascidien ge-
zeif^t worden ist. Ausser dieser epidermoidalen Schicht, nämlich der
eigentlichen Epidermis und dem von ihr gebildeten Mantel kann man
noch von einer darunter liegenden Bindegewebsmuskelschicht sprechen.
Welche Bedeutung der »Tunica tertia« von Milnb Edwards eigenlHcli
zukommt, wird aus der folgenden Darstellung klar werden.
An die Compositen-Ascidien schliessen sich in der Bildung des
P(*ritboracalraums (ebenso wie in der Anordnung des Darmcanals , der
Länge der Kieme etc.) Phallusia intestinalis und die nächstverwandten
Ascidien (der vierte Phallusien-Tribus von Savigny) unmittelbar an.
Ich übergehe deshalb eine nähere Schilderung derselben und erwähne
nur, dass ich die Tunica terUa nicht als einen frei herabhängenden,
sondern in ganzer Ausdehnung der inneren Wand des Muskelschlauchs
anhaflenden Sack vorfand.
Bei den übrigen Phallusien und allen Cynthien ^) treten durch
4'i Die von Savioivt zuerst vorgeschlagene Trennung der Phallu»icn und
<:)nlliion iHt völlig gereohiferligi. Jedenfalls sind diese beiden Artengruppeu
78
secundäre Veränderungen im Bau i>esiimmte noaincaiionen ein- uiest-
Veränderungen ßnden nach ;ewei Seiten hin stAtt.
Im ersten Falle lagert sich das Darmrolir, welches bei Phallusia
intestinalis unterhalb des Kiemen korbs liegt, neben dfenseiben, zwi-
schen ihn und den Muskel schlauch und zw8r in die linke Seite de»
Thieres'). Gleichzeitig bildet der Darm, anstatt einer einfachen , eiof
doppelte Schlinge.
Im zweiten Falle wächst die Kieme mit ihrer ventralen Seite be-
deutender als mit der dorsalen, und bildet so eine Ausbuchtung, weicht'
liefer zu liegen kommt als der Oesophaguseingang , demnach auch an
den Darm schlingen vorüber sich nach abwürts erstreckt. Diese ein-
seilige Wacbsth ums zun ahme wird bei manchen Pballusien so bedeu-
tend, dass jenes ventrale Kiemendivertikel tiefer hinabreicht, als dii-
untersten Theile des Darmkniluels , und dass der ventrale Sinus dii-
doppelle und dreifache Länge des dorsalen erreicht.
Diese Vorgänge müssen auch einen Einfluss auf den Peritboracal-
sack haben. Je höher die Darmschlingen zu liegen kommen , in um sv
engere Beziehungen treten sie zu der Uembran des Sacks, um si>
(lichter muss diese an sie sich anschmiegen , und anstatt In ganzer
Ausdehnung dem Huskelschlauch aufzuliegen zum Theil jetzt den Dana
bedecken , indem dieser sich zwischen die Lamelle und den Muskel-
schlauch einschiebt. Es lassen sich nun zwei Grade dieser Beziehungen
unterscheiden, die durch Uebergangsstufen mit einander verknilpfi
sind. Im ersten Grade umschliesst die Lamelle alle Darmscblingcn
gemeinsam, wie es bei allen Phallusicn der Fall ist. Im zweiten Gradr
umgiebt sie jede Darmwindung einzeln, und licriel sie nach Art eines
Mesenteriums an die Huscularis an. Dann gewinnt es den Anschein
als lüge der Darm frei im Perilhoracalraum. So bei den meisten Gyn-
ilurch Verschiedenheit der Kieme, der Ovarien, des BiDdettewebes der TcsIa elc,
so gut charakleriHirt, dass es als Rückschritt zo bezeichnen ist, wenn man sie viii'-
der uonfundiren will, wie Kcpffbr und Kowaleksky thun. Ich bestreite damit
nicht die Möglichkeit, dass es formen gieht, die sich nicht unter beide Rubriken
bringen lassen und Charaktere der Phallusien und Cynlhien verbinden. Diese wür-
den dann eine selbststtindige , zwischen beiden stehende dritte Gattung bilden
' 1) Bezüglich (tcrlopographischenOrienlirung über die Begriffe Linksund RecliL--.
l>orsat und Ventral ist l>ei den Aacidien erst durch die Embryologie Tester Gruml
gewonnen worden. Durch die Lage des Ganglions wird die Rückenseiir,
durch die Lage des Endostyls die Bauchseite bestimmt. Die ingcstions-
üHnung entspricht dein oralen (vorderen), die Festsitzende Basis der Ascidie dem
aboralen (hinteren) Pole der Lttngsaie.
Beiträge inr Keuntniss des Banes der Aseidien. 79
tbien. Die Leiheshöhle der Phallusien ist mit der merkwürdigen
Zwiilerdrüse , (den blüscbenförmigen Ovarien und Hoden] vollkommen
ausgefüllt. Bei den Cynthien ist sie durch die enge Umlagerung der
Organe durch die Tunica tertia fast verloren gegangen. Hier liegen
auch die Geschlechtsorgane , eng von letzterer umschlossen , scheinbar
im Perithoracalraum.
(Zur Erläuterung vergleiche man die Schemata Fig. i — 5 und ihre
Erklärung in der am Ende folgenden Tafelerklärung.)
Ueber -diese hier im Allgemeinen dargestellten Verhältnisse des
Perithoracalraums sind nun an den von mir untersuchten Ascidien-
Arten noch folgende speciellere Eigenthümlichkeiten zu bemerken. Bei
Phallusia mamillata reicht die Kieme bis an die tiefste Stelle
der Darmschlingen herab , so dass der Bogen , den hier der ventrale
Sinus (Fig. S und 3. t;. Taf. VII) beschreibt, in einem Theile seines Ver-
laufs der Gurve der Schlinge folgt, welche durch den Oesophagus
(Fig. 3. oe)y den Hagen (Fig. 3. g) und den ersten (aufsteigenden) Theil
des Dünndarms (Fig. 3. tf) gebildet wird. Längs dem Ventralsinus
schlägt sich die Tunica tertia von der Kieme zum Muskelschlauch über ;
an der Stelle, wo der Darm und der Ventralsinus neben einander
lagern, spannt sie sich natürlich zwischen Kieme einerseits , und Darm
und Muskelschlauch andererseits aus (Fig. 4. v). Sie reicht vom Be-
ginn des Oesophagus (hier auch den dicht neben diesem lagernden
Endabschnitt des Rectums (Fig. 2 und 3. r) erreichend) bis zum An-
fang der Kieme und hOrt an deren ringförmiger Insertion am Muskel-
schlauch auf. Ich nenne sie ventrale Muskelkiemenlamelle.
Ihr gerade gegenüber beginnt am Anfang der Kieme die dem dor-
salen Sinus folgende Verbindungslamelle der Kieme und des Muskel-
schlauchs (Fig. % u. 3. (/, Fig. 6. dj , welche nicht bis zum Oesophagus
herabreicht, sondern oberhalb desselben endet. Dorsale und ventrale
Muskelkiemenlamelle bilden so Scheidewände, welche den Perithoracal-
raum in eine rechte und linke Hälfte theilen (Fig. 4, 5 u. 6. pd u. ps).
Diese Trennung würde eine vollkommene sein , wenn beide am Oeso-
phagus sich erreichtep. Da dies aber nicht der Fall ist, kommt dicht
ü)>er dem Oesophagus und Anus und unmittelbar unter der Egestions-
Öffnung eine Communication zwischen beiden Räumen zu Stande.
Diesen die Communication zwischen linkem und rechtem Perithoracal-
raum bildenden Raum nennt Milnb Edwards Cloake (Fig. 2, 3, 6. C/).
Secundäre Verwachsungen der Kieme mit dem Muskelschlauch sind
ausserdem in einer Anzahl ohne Regelmässigkeit gestellter, an Grösse
sehr variirender Bälkchen gegeben. Dieselben sind hohl und stellen
aus der Muskel) amelle nach
Miallusia cristata , P. octo-
cb nicht bestimmen konnte.
OQ Pliallusia msmillala) daä
laus ; dem entsprechend setzt
: dem dorsalen Sious entlang
Bnde des Rectums ab. Aber
faerabkommenden Tbei) der
ch hier eine Communication
Sehnliche Verhältnisse finden
der , ausgenommen die For-
viGNT angehören (P. intesti-
ler Hinsicht den Gompositt<ii
en in Anordnung der~Einge-
:i ihr ist Magen, DUnndarm
einen Seite in eine gemein-
lossen und bildet eine Masse,
I durch gelbe Farbe (wegen
rothgelb gestreiften Muskel-
ile Huskelkiemenlamelle sind
mde Lage der Darm schlingen
er Mittel- und Bndtheil des
Desophagus und Hagen ihre
ren [Taf. Vil. Fig. 7. oeu.g).
cbtauoh und den Ventralsinus
»eile auf ihrem Wege erst den
3 zur Tunica muscularis ge-
r Lamelle , weiche sie einer-
Muskelschlauch (u"j festhüll
ler Membran ist auf der Figur
alten). Eine dorsale Lamelle
nunication zwischen rechtem
TS gelegenen Theil des Darms
:h ein eigenes, die Intestinal'
les Mesenterium an der Mus-
r noch in zweierlei Hinsicbl
Hohe der Schlinge direct zur
Beitrfige iiir Keniitniss des Banes der Ascidieii. 81
Muskelwand , sondern steigt erst dem Darm entlang abwärts , bevor es
sich auf jene übersch^gt (Fig. 8) . Ausserdem bildet es innerhalb der
Schlinge eine merkwürdige Falte , für die ich keinen Grund ausfindig
machen konnte (Fig. 7. m). Ich erwähne sie deshalb, weil sie Sa-
viGNT fälschlicherweise für ein Ovarium hielt ^).
Bei C. rustica ^ weichen nur die Beziehungen des Darmcanals zur
Tunica tertia ab. Der Darm ist hier in seiner ganzen Länge durch eine
jede Darmwindung einzeln überziehende Duplicatur der Tunica tertia
festgehalten am Muskelschlauch.
Cynthia canopus und C. polycarpa repräsentiren die grössten Be-
ductionen des ursprünglichen Baues. Die ventrale Lamelle ist hier nur
zwischen Oesophagus , Magen , Kieme und Muskelschlauch vorhanden ;
sonst ist sie vollkommen rückgebildet, ebenso wie die dorsale Muskel-
kiemenlamelle. Auch die übriggebliebenen Theile, sowie das Mesen-
terium des Darms sind nicht mehr eine homogene Lamelle, sondern in
eine Beihe Fasern zerfallen, welche durch ihre dichte Aneinander-
lagerung die ursprüngliche Form einer Membran noch erkennen lassen.
Beide Formen bilden die Endglieder einer Beihe , in der der ursprüng-
liche Typus des Ascidienbaues , wie er in den meisten Gompositen, in
der Phallusia intestinalis und P. canina am besten mir erhalten zu sein
scheint , allmählich sich verwischt und zuletzt nur durch Vergleichung
der Zwischenstufen herauszuerkennen ist.
Nun noch einige Worte gegen Milne Edwards' Auffassung der Tunica
tertia. Dass sie keinen , dem Kiemenkorb analog innerhalb des Mus-
kelschlauchs frei schwebenden Sack bildet, der nur an bestimmten
Stellen an der Kieme und der Körperwand angeheftet sei , darauf habe
ich schon oben hingewiesen. Die grossen Monascidien bieten hier
bessere Objecte als die durchsichtigen kleinen Glavellinen. Die Tunica
tcitia lagert in ganzer Ausdehnung der Musculatur fest au( und die gel-
ben Linien bezeichnen nur die Stellen , an denen die Tunica mit dem
Kiemenkorb in Verbindung tritt.
Ferner geht sie nicht, wie Milnb Edwards will , in die Wandung
4) Die Ovarien sind bei i keiner der von mir untersuchten Cynthien unpaar.
Entweder sind ein oder zwei Paar oder eine grössere Anzahl vorhanden. Bei C.
mytiligora wies ich sie mit den Hoden vereint in den merlcwUrdigen Buckeln nach,
welche in der Fig. 7 mit 0 bezeichnet sind.
i) Ich gebe diesen Namen einer auf Lesina von mir gefundenen Art| welche
auf die Beschreibung Von 0. F. Müllbr (Zoologia Danica) und von Fabricius (Fauna
Groenlandica), aber ebenso auch auf GauBs's Schilderung der C. microcosmus passt.
So übereinstimmend C. rustica und C. microcosmus im Aeusseren waren, so gross
wnr ihr Unterschied in der inneren Organisation.
Bd. VII. 1 6
82 Richard Hertwig,
des Darmcanals über (wenigstens nur am Anus) , wahrend am Oeso-
phagus die innere Kiemenwand In den Darmcanal sich fortsetzt. Ich
glaube vielmehr, dass die Epithellage der Tunica tertia sich in das
äussere Epithel der Kiemenstäbchen fortsetzt. Man kann wenigstens
an Querschnitten durch die ventrale Muskelkiemenlamelle naofa weisen,
dass beide Epithelschichten unmittelbar in einander übergehen (Taf. YIU.
Fig. 47. S S/>). Es stellt somit die Tunica tertia eine Membran dar,
welche den gesammten Perithoracalraum auskleidet und alle denselben
umgebenden Organe überzieht. Zur Yeransohaulichung mOgen die
schematischen Figuren 4, 5, 6 (Taf. YII.) dienen. Braun bedeutet
Darmepithel , blau Tunica tertia , roth die Tunica muscularis.
Diese auf die anatomische Untersuchung begründeten Ansichten
haben durch Kowalbwskt's Neueste embryologische Untersucfaungen
volle Bestätigung erfahren. Kovalbwsky schildert hier die Bildung des
Perithoracal - und Gloakenraums als Einstülpung zweier Bläschen von
der Epidermis aus. Diesen wachsen Fortsätze vom Anfangsabschnitt
des Darmrohrs entgegen (des Theiles , der später zur Kieme wird). Die
Fortsätze legen sich an die eingestülpten Bläschen an , verwachsen mit
ihnen und die Verwachsungsstelien werden zu den ersten Kiemenspal-
ten. KowALBWSKT hat so das Entstehen der vier ersten Spaltenpaare
beobachtet und den Process dann nicht weiter verfolgt^).
Nehmen wir aber die Notiz Krohn's, (über Entwickelung von Phal-
lusia mamillata, Müllbr's Archiv 1858), dass die anfangs paarig ange-
legten Egestionsöffnungen allmählich verschmelzen, zu Hülfe, so können
wir uns unmittelbar das Bild der erwachsenen Ascidie aus dem Sta-
dium , welches Kowalbwshy beobachtet hat , ableiten.
Man denke sich, dass die primitiven Cloakenbläscben den ge-
sammten vorderen Darmabschnitt von beiden Seiten umwachsen , so
müssen sie in einer dem Ventralsinus entsprechenden Linie zusammen-
treffen , wo ihre beiden Wandungen zu einer gemeinsamen Scheide-
lamelle verschmelzen , der ventralen Muskelkiemenlamelle.
In gleidier Weise musste eine vollkommene dorsale Sc^idewand
zu Stande kommen. Indem jedoch der die beiden Egestionsöffnungen
trennende Sattel einsinkt und diese in eine gemeinsame Mündung sich
vereinen, schwindet die Trennungsmembran zum Theil und erlaubt die
Gommunication beider Perithoi*acairaumhälften , wie sie durch die
Gloake gebildet wird.
4 } Ich habe auf LesiDa GelegeDheit gehabt , die ersten Stadien der Larven von
Phallusia mamiUata zu beobachten , und kann bestfitigen , dass die Cloakenbläs-
cben Einstülpungen der Epidermis sind. Spätere Entwickelungsstadien zu beob-
achten, verhinderte mich meine Abreise.
BeitrJige zar Kenfttnids des BAties der Ascidien. 83
Denken wir uns ferner, dass die einge^ttlpten Epidermissfteke in
gleicher Weise, wie den ersten Theil des Darms (die Rieme), so dueh
die übrigen Abschnitte desselben umwachsen , so ist es verstäddlich,
dass sich die Spuren ihrer Bedeutung immer mehr verwischen.
Ist es nun gerechtfertigt, diese Einstülpung mit dem Namen Tudica
tertia zu bezeichnen? Ich glaube, man kommt ohne ihn gatiz ebenso
gut aus, zutnal da alle die Ausdrücke: Tunica testae, muscularis,
intima, tertia, wie oben erwähnt, ieicht Grund zu irrigen Anschau-
ungen werden. Will man es jedoch thun, so kann man unter Tunica
tertia nur das verstehen , was der Einstülpung der Epidermis angehört,
d. h. das Epithel mit der ihm zu Gmnde liegenden homogenen Mem-
bran. Wenn man daher in dem Darmmesenterium (ich untersuchte
es bei G. mytiligera) ausser dem beide Seiten überkleidenden unregel-
mässigen grosszelligen Epithel mit deutlichen Kernen noch vielfach sich
durchkreuzende Muskelbüüdel, Bindegewebskörperchen (und zwischen
diesen noch grpsse mit Carmin intensiv sich färbende Kugeln, vielleicht
Zeilenanhäufungen) findet, so sind dies accessorische Dinge , die dem
Korperparenchym angehören und nicht der Tunica tertia zukommen.
Die hier vertretene Auffassung der Kiemenhotiie ist in zwei Hin-
sichten von Bedeutung. Sie erklärt einestheils, wie wir bei der Be-
trachtung des Cndostyls sehen werden , Verhältnisse der Kiemenhdhle
der Salpen, die ohnedem unverständlich erscheinen mussten. Andern-
theils giebt sie Anhaltepunkie , die Verwandtschaft von Amphioxus
lanceolatus vom anatomischen Gesichtspunkt aus weiter zu prüfen.
Beim Amphioxus wie bei den Tunicaten müssen wir vorläufig anneh-
men, dass die in beiden die Kieme umgebende Höhle ein homologes
Gebilde ist und einen Sack darstellt, der allenthalben von einem ein-
fachen , eine Fortsetzung der Epidermis des Thieres bildenden Epithel
ausgekleidet wird.
An die Anatomie der Kiemenhöhle möchte ich noch die Lagever-
hältnisse des Herzens anschliessen. Sie sind für alle Phallusien, aber
nur für wenige Gynthien , durch Sayignt bekannt geworden , da bei
letzteren das Herz meist versteckt oder fast in der Muskelwand liegt
und mit Genauigkeit blos durch Nachweis der mikroskopischen Ele-
mente aufzufinden ist. Auch bei den Cynthien hat es die allen Asci-
dien gemeinsame Lage. Es beginnt am Magenanfang , folgt dem Ver-
lauf der Huskelkiemenlamelle und mündet unter dem Endostyl in den
ventralen Blutsinus ein.
Bei Gjnthia canopus geht der zarte Herzschlauch vom Anfang des
Mü^ens zum Muskelschlauch , verläuft hier zwischen den die Wand des
calraumes bedeckendoD Bläschen etwas verstedtt zum Endo-
mUndet hier in die Kieme.
[lynthis mytiligera ist es noch schwerer zu finden , ebenso bei
losmus. Bei der ersteren liegt es dicht dem Huskelschlüuch
in demselben, da wo die Muskelkiemen lamelle von der Muscu-
li Darm sich überschlägt. Man findet es, wenn man hier den
ischneidet und an der Trennungslinie in den Muskel schlauch
[Schneidet.
[Jynthia microcosmus ßndel man das Herz , wenn man an der
^0 Hagen , Kieme und Huskelschlauch zusammentreffen und
j Tunica l«rtia zusammengehalten werden , anschneidet. Ich
I in diesem Falle jedoch nicht bis zur Kieme verfolgen.
Herz besteht bei allen von mir untersuchten Ascidien (wie es
1 den Salpen bekannt war] aus einem musculösen Schlauch,
innerhalb eines Hohlraumes, des Herzbeutels, liegt, und an
]ung desselben I3ngs einer geraden Linie angeheftet ist. Eine
logene Membran trägt feinste quei^estreifle Huskelzellen. Die
fung ist erst bei starken Vergrösserungen, dann aber auch sehr
sichtbar (Zbiss F und Ocular II; E giebt sie nicht deutlich) ; sie
n den Ascidien Überhaupt nur hier vor. Die Zellen sind spin-
1 ähneln in Form den glatten Muskelfasern der Säugethiere,
idessen im Verbältniss zu ihrer Breite nicht so lang sind. Sie
jlig um die Längsachse des Herzens angeordnet , in einfacher
landen, aber dicht mit ihren spitzen Ausläufern zwischen ein-
ichoben. Dieser Anordnung der Muskelfasern ist es wohl zu-
len , dass das Herz der lebenden Phallusia mamillata von
erlaufenden Falten eingeschnürt erscheint,
Wandung des Herzbeutels fand ich bei Cynthia microcosmus
;eD habe ich nicbt darauf hin untersucht) mit einer einfachen
leiner polygonaler POaslerzellen ausgekleidet. Jede Zelle bc-
n deutlichen Kern.
m. Eadostyl nnd Banehrinne.
Ascidien theilen mit den niederen Wirbelthieren und dem
issus dteEigentbtlmtichkeit, dass der Darmtractus zum Tbeil
Lion der Athmung dient; mit den Wirbelthieren speciell haben
las Gemeinsame, dass der gesammte vordere Abschnitt in dieser
ferenzirt ist, nicht wie bei Balanoglossus blos die obere Hälfte.
I demnach eine EinÜieilung des Darmtractus in I. einen re-
Beitrüge zur Kenntniss des BAiies der Aseidien. 85
spiratorischen Abschnitt (Kieme) und 2. einen verdauenden, den Darm-
canal im engeren Sinne, vornehmen. ,
Meine Untersuchungen der Riemen höhle beschränken sich auf die
beiden in ihr liegenden riithselhaftim Organe , die Bauchrinne und den
Endostyl.
Beide sind bei Aseidien meines Wissens bis jetzt nicht genauer,
dagegen bei Salpen schon öfters und ausführlicher untersucht, von
Lbuckart, Mbyen, H. Müllbr etc., deren Ansichten ich jedoch in den
für das Verständniss des Organs wichtigsten Punkten bestreite.
Lbuckart b<^hauptet, der Endostyl gehöre der zweiten oder Muskel-
tunica an und bezeichnet als falsch] die Behauptung Mbtbn's, dass er
einen Theil des Kiemenapparates darstelle. Es zeigt dies offenbar, dass
Lbuckart den Endostyl bei Aseidien niemals beobachtet hat. liier liegt
derselbe deutlich im Kiemenkorb , entsprechend dem Verlauf des Ven-
tralsinus. Man muss ihn demnach auch bei Salpen neben dem Kiemen-
band als ein Residuum des rudimentären Athmungskorbes aufführen.
Dass er hier nicht frei im Mantelcylinder liegt wie jenes , sondern der
Tunica muscularis fest aufliegt, erklärt sich aus seinen Beziehungen zur
Muskelkiemenlamelle , die beiderseits des unter ihm gelegenen Ventral-
sinus herabzieht und letzteren, somit auch den Endostyl, an der Mus-
cularis befestigt. Man denke sich die zwischen Ventral- und Dorsalsinus
einer Ascidie verlaufenden QuersUibchen obliterirt , so bekommt man
den Kiemenkorb der Salpen : \ . den Kiemenbalken schräg die Athem-
höhle durchsetzend, 2. den Endostyl nebst Ventralsinus auf dem Mus-
kelschlauch liegend.
Ebenso irrig ist die Angab« H. Müllbrs', der Endostyl liege auf
einer Rippe der Tunica muscularis , die in den Sinus hineinrage. Ein
Blick auf die Querschnittsfiguren lehrt, dass im Gegentheil der Endostyl
über dem Sinus liegt; es kann über diesen Punkt bei den Aseidien
überhaupt gar kein Zweifel sein.
Wir kommen zum Bau des Organs. Lbuckart und Huxlet trennen
Endostyl und Bauchrinne und beschreiben beide als ganz discrete, nur
durch Lagerung zusammenhängende Gebilde (eine Auffassung , die sich
auch in Gbgbn baur's vergleichender Anatomie und in Kuppfbr's Entwick-
lungsgeschichte der Aseidien vertreten findet). Nur Lbuckart ist aus-
führlicher und giebt folgende Darstellung :
\ . Die Bauchrinne besteht aus zwei Tbeilen /Taf. VII. Fig. 9^. Der
obere Rinnenrand [a) trägt ein Epithel , welches von dem die Kiemen-
höhlc auskleidenden Epithel nur durch schärfere Contouren und den
Besitz von starken, abgeplatteten , auf je einer Zelle einzeln stehenden
Flimmerbaaren sich unterscheidet. Meist trägt nur eine Seite Flimmer-
haare. Der ftinnengruad (6^ trügt grosse polyedrische Zellen mit scharf
umschriebenem grossem Nucleus und deutlichem Nucleolus.
ä. Der Bndoslyl besteht aus eioer rechten und einer linken Rinne
(c, e), die an der Basis dicht zusammenlagem , nach oben etwas diver-
giren. Sie würden einen Csnal darstellen, welcher nach oben offen ist,
dem ein Theil seiner Decke fehlt , wenn nicht dieser Hangel durch das
ZellenhStttchen fä) ausgeglichen wUrde, welches den Hohlraum der
Binne und des Endostyls trennt und letiteren zu einem Ganal umwaa-
delt. Das Zellenhäutchen fehlt nur am Anfang des Endostyls, wo dann
der Hohlraum desselben in die Binne ausmündet.
Jeder der beiden, einen jeden Halbcanal zusammensetzenden
Wulste [ein oberer ) und ein unterer 2j besteht aus senk rech tsleben den
sehr langen Cylinderzellen.
Zwischen beiden WUIsl«n (bei k) Me^ eine krümelige Hasse, die
wie es scheint Flimmerhaare trägt.
Vom grosseren Theil dieser Angaben kann man sich leicht bei
Salpen überzeugen. Nur die den Endostyl und die Bauchrinne tren-
nende Lamelle kleiner Zellen habe ich nirgends , nicht einmal andeu-
tungsweise bemerken künnen. Nach Schnitten durch den Endostyl von
Ascidien (Cynthia canopus, PhaKusia maraillata etc.) muse i«^ ihre Exi-
stenz, für die Ascidien wenigstens, ganz entschieden in Abrede stellen,
loh kam zu folgenden Resultaten:
Die innere Flache der Kieme erhebt sich zu einem beträchtlichen
Wulst, wobei die kubischen Epithelsellen bis zur HShe desselben eine
immer mehr cylindrische Form annehmen. Von da nehmen sie an Hohe
wieder ab und kehren zur ursprünglichen Form zurück. Sie besitzen
einen deutlichen Nucleus und Nucleolus. Ihr letzter Abschnitt bildet den*
oberen Band der Bauchrione und entspricht den Zellen (a) der Salpen
(Taf.VIlI. Fig. 16 u. 17). Flimmerhaare fand ich nur bei Cynthia micro-
cosmus. Sie waren auf beiden Seiten vorhanden, jedoch nicht conti-
nuirlicb, sondern an allen Schnitten, die ich machte, beschi^nkt auf die
Hube der Binne und den Theil der kubischen Zellen, welcher an die
gleich naher zu bescbreibenden langen Cylinderzellen sUlsst.
Der in der Bauchrinne Hegende Abschnitt schliesst scharf ab und
macht pluttlich langen dünnen cylindrischen Zellen Platz, die an Lange
eine Strecke weit zunehmen, dann wieder abnehmen. Sie sind etwas
un regelmässig angeordnet und tragen ihren Kern, wie es mir schien,
meist an der Spitze (Taf. VII. Fig. U, 16. b). Obwohl in Form voll-
kommen abweichend , glaube ich sie doch den grossen polyedrischen
Zellen des Rinnengrundes bei den Salpen gleichsetzen zu kttnnen, da sie
nach Lage ihnen vollkommen entsprechen und die Form sehr variiren kann.
ßeitrUge znr Renntaisf des Bauts der Ascidien. g7
An sie schliesst sieb einConglomerat feinster spindelförmtger Zellen
(Taf. VII., Fig. 42, 16. dj. Diese sind so angeordnet, dass sie einen Keil
bilden , welcher mit seiner Spitze zwischen Baucbrinne und Endostyl
eingeschoben ist. An den Zellen ist ein Kern deutlich nachzuweisen.
Diese Zellen sind es nun, welche wahrscheinlich Lbuckart das Bild einer
Scheidewand vorgespiegelt haben , indem sie wegen ihrer keilförmigen
Einklemmung zwischen das Epithel des Endostyls und der Bauchrinne
durch den Druck beim Schneiden leicht herausgepresst werden und
dann zwischen beiden Seiten liegend einen queren Pfropf darstellen.
Sie tragen bei Cynthia microcosmus ebenfalls Flimmerhaare, welche ich
bei den übrigen Asotdien nicht bemerkt habe.
Etwas abweichend fand ich die Zellen dieser Yerbindungsreihe bei
Phallusia maroillata (Taf. VII. Fig. 4 4, Fig. 4 7 d) . Hier waren sie kubisch.
Aber auch hier bildeten sie Querbrücken zwischen den Epithelien der
Bauchrinne und des Endostyls einer Seite, ein Verhalten, das nament-
lich an der das Epithel tragenden homogenen Membran (m) deutlich zu
verfolgen war, so dass auch hier an Lbuckart^s Trennungsschicht nicht
gedacht werden kann.
Vom Endostyl selbst bekam ich die klarsten Bilder an Querschnitten
von Cynthia canopus, die ich durch Zetvupfungspräparate zu erganzen
suchte.
Die auf die Spindelzellen folgende Schicht (Fig. 46c'c') besteht aus
grossen breiten Gylinderzellen (Fig. 43). Sie stehen senkrecht zur
Wand des Endostyls und zeichnen sich durch einen scharf umschrie-
benen Kern mit Kemktfrperchen aus. Sie haben ein runzliges Aus-
sehen, was von Faltungen der Zellmembran herrühren mag, und sind an
der Basis breiter , was sich auch am Querschnitt der ganzen Zellenlage
in der nach der Basis zu breit werdenden Keilform ausdrückt.
Zwischen ihr und einer ihr vollkommen gleichenden, die Basis des
Endostyls seitlich einnehmenden Schicht (c") liegt ein Keil Spindel-
zellen, die den mehrerwtthnten vollkommen gleichen (h). Man kann in
ihnen die krümelige Hasse Lbuckart's vermuthen, doA kann ich nir-
gends , auch nicht bei Cynthia microcosmus , Flimmerhaare bemerken,
die wahrsdieinlich auch nicht vorhanden sind. Alle Spindelzellen im-
bibiren sich schneller mitCarmin als die übrigen. Sie treten bei kurzer
Färbung daher durch ihr intensiveres Roth vor den matter tingirten
Zellen hervor. So erhalt man die klarsten Bilder.
Endlich ist die Hitte der Endostylbasis durch eine ZeUenreihe ein-
genommen , die mir für das Verstandniss der Function und für die von
mir vertretene Auffassung : dass Bauchriane und Endostyl als ein Organ
aufzufassen sind, den kraftigsten Beweis zu liefern scheinen. Sie werden
88 Richard Hertwig,
wahrscheinlich auch den Salpen nicht fehlen , und sind von LsrcKART
übersehen worden. Auf dem Querschnitt stellen sie eine zarte Masse
dar, von der lange Cilien ausgehen. Die Cilien reichen bis in die Bauch-
rinne hinein (Taf. VIIL, Fig. 16 und 17 /*).
An einem Zerzupfungspräparat der Endostylbasis von Cynthia
mytiligera konnte ich die einzelnen Zellen genauer beobachten (Taf.Vil.
Fig. 1 5). Sie waren sehr zart, mit körnigem Protoplasma, nach der Basis
zu in eine feine Spitze auslaufend , nach aussen sich verbreiternd. Der
Kern war schwer zu erkennen. Sie waren von einer gemeinsamen Cu~
ticula (c) bedeckt und trugen die oben erwähnten langen Cilien.
Welche Bedeutung würden diese langen Cilien in einem allseitig
geschlossenen Canal besitzen? Wie wäre es zu erklären, dass sie bei
allen Schnitten constant von der Basis ausgehend, bis in die Bauchrinne
vordringend gefunden werden, wenn eine Querlamelle dieses Vor-
dringen verhinderte und wenn dies nicht ihre naturgemässe Lagerung
wäre? Ausser den ganz sichern Bildern, die ich bekommen habe, sind
es diese Ueberlegungen , welche mich darin bestärken , Bauchrinnc
und Endostyl als ein einziges Organ aufzufassen. Sie schwä-
chen den Einwand, es könne die LEUCKART'sche Lamelle durch den
Schnitt zerstört sein, noch mehr ab; obwohl es mir auch ausserdem
unverständlich sein würde, dass ich bei mehr denn zwanzig gelungenen
Schnitten durch wohlerhaltene Thiere nirgends auch nur eine Andeu-
tung jener Lamelle fand, sondern überall ein enges Aneinanderschliessen
der differenzirten Epithellagen.
Hierdurch wird die an und für sich schon ganz unverständliche
Auffassung Lbugkart's , dass der Endostyl eine in die vordere Bauch-
rinnc mündende Drüse sei, vollkommen widerlegt. Ebenso wenig lässl
sich aber auch die Ansicht Gegbnbaur's aufrecht erhalten, dass der Endo-
styl ein Stützapparat der Bauchrinne sei und diese nur der Zuleitung
der Nahrung zum Oesophagus-Eingang diene. Der Endostyl ist ein so
wenig festes Gebilde, namentlich im Vergleich zum derben und resisten-
ten Fachwerk der Kieme , dass er wohl kaum zum Stützen beitragen
könnte. Beide Organe liegen bei Phallusien und Cynthien in dem ven-
tralen Abschnitt, der hier die oben besprochene Ausbuchtung bildet.
Sie bilden daher denselben weiten Bogen , bevor sie zum Oesophagus
gelangen, wie jene und|stellen somit , weil den weitesten , den für Zu-
leitung der Nahrung ungünstigsten Weg dar. Und wollte man dies auch
als anderweitig bedingte Anpassungen darstellen, so ist immer noch der
sehr geschlängelte Verlauf des Organs bei einzelnen Cynthien (C. cano-
pus und G. pomaria) ein noch schwerer in die Wagschale fallender Be-
weisgrund dagegen.
Beitrüge tor Keiintniss des Baues der Ascidien. 89
Mir scheint der compUcirte Bau, namentlich die sehr langen Ciilien
eher für ein Sinnesorgan zu sprechen. Es wäre allerdings der Zu-
tritt von Nervenfasern noch zu beweisen. Dass mir dies nicht glückte,
kann dem nicht wunderbar erscheinen, der die ausserordentliche Fein-
heit der Nervenfasern bei den Ascidien kennt, wo sie gewöhnlich nur an
durchsichtigen Thieren eine ganz kurze Strecke weit vom Ganglion aus
verfolgt werden können ; an den todten Phallusien und Cynthien aber
wegen der Undurchsichtigkeit der Gewebe nicht erkennbar sind. Ausser-
dem ist die Querschnittsmethode für diesen Zweck nichts weniger als
praktisch.
Aufschluss muss man hier zunächst von den durchsichtigen Salpen
erwarten, und will ich als Stütze für meine Ansicht noch anführen, dass
nach LeuckakVs Angabe ein Nervenstamm (bei Salpa fusiformis von zehn
Nerven der fünfte) einzig und allein zur Bauchrinne tritt.
An der Bauchrinne hat er ihn nicht wieder heraustreten sehen,
auch nicht weiter verfolgen können. Man muss daher annehmen , dass
in diesem Organe seine Endigung und Ausbreitung stattfindet.
lY. Darmeanal und Leber.
Ais Darmeanal im engeren Sinne bezeichnen wir den Theil des
Darmrohrs , der die Function der Verdauung zu verrichten hat. Er ist
mehr oder minder scharf in drei Abschnitte getrennt: \ . den zuleiten-
den Theil oder Oesophagus, 2. den erweiterten Abschnitt, in dem die
Speisen hauptsächlich mit dem Verdauungssecret in Berührung gebracht
werden: Magen, und 3. den Dünndarm, den längsten, wohl hauptsäch-
lich der Resorption dienenden Theil.
Die hier angedeutete Functionstrennung ist jedoch nicht als eine
scharfe zu betrachten , indem der Darmeanal in seiner ganzen Ausdeh-
nung nur geringe Differenzirungen zeigt und namentlich das Epithel
sehr gleichartig ist.
Bevor ich auf die Resultate meiner Untersuchungen näher eingehe,
•will ich kurz die Beobachtungen und Deutungen früherer Forscher re-
capituliren.
Von der histiologischen Zusammensetzung des Darmcanals der
Salpen und Appendiculanen giebt Lbuckart an. dass ihm eine Muscularis
abgehe, dass die Wandung aus einem homogenen zellenreichen Binde-
gewebe bestehe und ein cylindrisches Flimmerepithel trage, das die
Fortbewegung der Speisen besorge.
Was die äusseren Verhältnisse , die Form und Lage des Darms an-
90 lucDHTa neriwi)!,
laugt, bat sdion SATicnv musterhafte und zutreffende Schilderungen für
die Ascidieu gegeben. Hier ßndea wir die blättrigen Faltungen des
Mageng, die das Intestinum der meisten Ascidien durchEetiende Leiste,
welche ihrer wulstigen Form und ihres Verlsufs halber als Costa be-
leichnet wird, genauer beschrieben. Ein Blindsac^ wird von Ledoubt
am Cardialende des Salpenmagens , an der Pars pylorica der Ascidien
von SATiGinr erwähnt.
Grosse ConAlsion herrscht dagegen in der Beutung der Darman-
hänge. Namenüich sind als Leber die verschiedenartigsten Bildungen
angesprochen worden. Es rührt diese Verwirrung daher, dasa man
nicht genug die Charaktere, die ein Oi^an besitzen muss, uro als Leber
gelten zu können, berttcksichtigt hat, nämlich erstens einen directen
Zusammenhang mit dem Darmlumen, und tweitens ein Epithel, welches
einigermaassen wenigstens drüsige Beschaffenheit aufweist.
Man kann die bei den Tunicaten als Leber bezeichneten Gebilde in
folgende vier Unlerablheilungen zusammenfassen , ohne dass jedoch
hiermit gesagt sein soll, dass die <ihnlich klingenden Schilderungen auch
gleichwerthige Objecte vor sich gehabt hätten. Namentlich scheinen die
unter III. zusammengefassten Bildungen oft verschiedenartiger Natur
zu sein.
1. Das von Satight bei seinen beiden ersten Tribus der Cynthia
beschriebene Organ, das die eine Seite der Darmwand vollkommen ein-
nimmt und dessen Einmündungen hier sIs L&cher beim Aufschneiden
sich finden. Merkwürdigerweise wird es nurvon Hilni Edvards wieder
vorUbei^ehend erwähnt, obwohl es mir die einzige Bildung zu sein
scheint, die man mit vollem Recht als Leber bezeichnen kann.
II. Der Blindsack bei Salpm (Vo«t) und Appeadicularien
(Huxlbt) .
HI. GefUssart^e Adnesa : ein Netz von epithellosen Rohren, das
aus I — S Längsstämnien, feineren anastomosirenden Vei^stelungen und
kolbigen blindsackartigen Anscbwellungen besteht. Es umspinnt bei
Phallusia (Kbohn) den ganzen Darm, bei Salpen und Doliolen die hintere
Hälfte des Darmtractus (Leccxirt), bei Amarucium die mittlere Hälfte
des Rectum (Mu.)re Edwabds).
IV. Eine den Darm umhüllende Hasse (das honiggelbe Organ
Krohn's) , die aus Bläschen mit einem central in jedem derselben liegen-
den Kern besteht. Sie findet sich nur bei Phallusien und ist namentlicli
bot P. mamillala sehr stark entwickelt.
Erwähnt sei noch , dass auch der den Darm von Phallusia intesti-
nalis umgebende Hoden als Leber gegolten hat.
Ich gehe Jelzt zur Schilderung meiner eigenen L'ntersucbungen
Beiträge zur KeDntniss des Bnaes der Ascidien. 91
über. Leider erlaubten mir die Beschränktheit an Zeit und Material
nicht, meine Beobachtungen auf eine grössere Anzahl von Arten auszu-
dehnen. Ich kann daher nur Weniges zur Klärung der herrschenden
Verwirrung , namentlich zur Sichtung dessen , was fälschlich als Pan-
kreas , Leber etc. bezeichnet worcten ist , beitragen. Doch glaube ich
jetzt schon berechtigt zu sein , einen Theil der früheren Beobachtungen
sicher als falsch zu bezeichnen, einen anderen als hiOchst zweifelhaft er-
scheinen zu lassen.
Indem ich in Kürze die Mittheilung Lbockart's, dass der Darmcanal
der Baipen keine Muscularis besitze und die FortschafiFung der Speisen
durch ein cylindrisches Flimmerepithel bewirkt werde , bestätige, gehe
ich sogleich näher auf die Schilderung der Darmanhänge ein.
Ich wende mich zunächst zu den geftlssartigen Bildungen , welche
man für Leber gehalten hat, und beginne mit dem Böhrensystem, wel-
ches von K&OHN bei Phallusia mamillata beschrieben worden ist.
Vorausgreifend will ich bemerken , dass ich die Ansicht Krohn's , man
habe es hier mit einer Leber zu thun, nicht theilen kann, vielmehr dfe
fraglichen Röhren für Blutgefässe halte.
Bevor ich jedoch auf das »DafUr« und »Dawider« näher eingehen
kann , glaube ich den Beweis schuldig zu sein , dass die Bildungen,
welche KtOHii und ich untersucht haben , auch wirklich identisch sind.
Kaohn schildert sie als ein bei älteren Thieren schwer nachweis-
bares Organ, das aus einem System feiner, über den Darm sich aus-
breitender Canäle besteht. Die Ganäle setzen ein Netzwerk zusammen,
bilden Schlingen nach Art der Vasa vorticosa und treiben an vielen
Stellen ampullenartige Ausstülpungen. Am reichsten sind sie in der
Costa entwickelt und beginnen blind, um allmählich in einen grösseren
Stamm zusammenzutreten , der dann dem Darm entlang* verläuft. Die
Entstehung geht von dem Hauptstamm aus , indem derselbe Fortsätze
treibt und diese sich dichotomisch verästeln. Der Inhalt der Röhren
wird als wasserhell angegeben; ein Epithel wird nicht beschrieben.
Vom erwachsenen Thier theilt Krohn mit, dass das Organ kaum sicht-
bar sei und nur hie und da in Form einzelner Schläuche an die Ober-
fläche des Darms trete.
Auf Querschnitten von Spiritus-Exemplaren glaube ich dieses Organ
in den dunkeln Ganälen wiederzufinden, welche in den Fig. 23 — 25 der
Taf. IX. mit a bezeichnet sind. Allerdings erscheint der Inhalt der Röhren
zunächst sehr verschieden. An meinen Spiritus-Exemplaren bestand der-
selbe aus dunkeln Klumpen von zusammengehäuften braunen Zellen, mit
undeuUichem^K^De, während Krohn von einem wasserhellen zellenfreien
Inhalt spricht. Dieses Bedenken wurde jedoch später durch die Beob-
92
achluDg der lebenden Pliat.u^.o ...au....»» „.u.^,,^^,.. ,.,^, ^kii».- t-?
sich heraus, dass der laball der Rbhrcn eine waaserbetlc Flüssigkeit ist,
welche bei jungen Tbicren (die Khohh vorzüglich uniersuchte) sehr
wenige^ bei üllc ren sehr zahlreiche, farblose, kernhaltige Zellen cnUiüli .
Diese können nur ab Blulzcllen gedeutet werden. Der dunkelbraune
klumpige Inhalt der Bohren bei den Spiritus- Exemplaren isl geronnenes,
durch den Spiritus verändertes Blut.
In allen übrigen Punkten stimmen Khohn's Angaben st^hr gut zu
meinen Beobachtungen. Die Verästelungen sind am reichsten in der
Costa, ausserdem in den Falten des Oesophagus und des Magens, dit; ja
dieselbe Bildung darstellen wie jene : eine Verg rosse ning der das Epithel
tr-igcndcn Flache. Endlich war das Organ am lebenden Thier nur als
einzelne, zwischen der honiggelben Hasse faervortaucbcnde, milchwcisso
Schlingen bemerkbar.
Die Bamilicationen der RGhren sind gabcispaltig. Die Zweige bil-
den Schlingen und Ampullen, nur dass ich die Anßnge bei dem un-
durchsichtigen alten Thiere nicht beobachten könnt«, was, znmal bei
Querschnitten , auch nicht erwartet werden kann. Auch die grosseren
Canäle fehlen nicht. Ausser einzelnen von miUlerem Caliber, welche
auf den Zeichnungen zwischen den Bläschen sich finden, konnte ich
namentlich einen in der Basis der Costa verlaufenden grossen Ilaupt-
stamm makroskopisch bis zum Oesophagus hin verfolgen, ohne dass ich
ihn in denselben einmünden sah.
Endlich konnte ich trotz genauester Prüfung einer grossen Anzahl
Schnitte aus allen Gegenden des Darmcanals keine andere Bildung auf-
findig machen , welche der KRCHn'schcn Schilderung nur irgend wie
ähnlich gewesen wäre. Kurz, die grosse Ueberoinstimmung, sowie der
Hangel von anScren CanSlcn , die in Betracht kommen könnten , lassen
mich an der IdentitiJt der vorliegenden Organe nicht zweifeln.
Dass diese Bohren nun keine Drüsen, geschweige denn eine Leber
seien , scheint mir aus folgenden Erwägungen hervorzugehen : Erstens
fehlt jegliches Epithel; denn die Inhaltszellen sind keine Epithetzellcn,
sondern liegen frei in einer flüssigen , farblosen Intercellularsubstaaz
und füllen mit dieser zusammen , wie man an Querschnitten der Ganälo
deutlich sieht, deren Lumen vollkommen aus. Zweitens konnte eine
Einmündung der Röhren in das Darmrohr weder von mir selbst gefun-
den werden, noch ist sie von Kkohn beschrieben worden. (Rbobk fol-
gert sie mehr aus der Lage , als dass er sie selbst gesehen hat. Man
lese seine Schilderung und vergleiche dann das Resum^, das er giebt.]
Drittens liegen, wie wir später sehen werden, ganz andere röhrige Bil-
dungen vor, bei denen man die Gommunication mit dem Darmrohr und
Beiträge int Kenniniss des Baues der Ascidieu. 93
die Gleichheit des Epithels in beiden auf das bestimmteste nachweisen
kann, die man demnach mit vollem Recht als Drüsen bezeichnen kann.
Sie haben mit obigen Röhren auch gar nichts gemein und finden sich
nur bei einigen Gruppen der Gynthien.
Aus allen diesen Gründen glaube ich folgern zu dürfen , dass die
beschriebenen Röhren Rlutgefässe sind und einen local ungewöhn-
lich stark entwickelten Theil des Circulationssystems bilden. Diese
starke Entwickelung lässt sich durch die doppelte Function derDarmge-
fiisse erklären, erstens die Ernährung der Darmwand und namentlich
ihres Epithels, dessen secretorische Thätigkeit einen reichei*en Nabrungs-
zufluss bedingt; — und zweitens die Resorption der durch den Yer-
dauungsprocess assimilirten Stoffe.
Wahrscheinlich entspricht somit dieser, an einem Theile des
Darmes so auffallend stark entwickelte Theil der Rlutgefässe in seiner
Function theilweise dem Lymphgetesssystem der Wirbelthiere. Seinem
morphologischen Verhalten gemäss kann es aber nicht , wie Quov und
GAmAmB wollen, als wirkliches Lymphgefösssystem bezeichnet werden.
Es existirt eben noch nicht die Differenzirung des Gefcisssystems in einen
ernährenden und einen resorbirenden Theil. So lange wir nicht diese
Differenzirung vor uns haben , können wir nur von einem Rlutgefäss-
system sprechen.
Weitere Beweisgründe dafür , dass die besprochenen Röhren Blutr-
geßisse und keine Leber darstellen , finde ich in der Anordnung und
Vertheilung derselben. Ihre Anordnung , insbesondere die Schlingen-
bildung der feinsten Verästelungen und die Erweiterung zu ampullen-
artigen Blindsäckchen, bewirkt eine Vergrösserung der Oberfläche , wie
sie ein reicherer Austausch der Bestandtheile erfordert. Am reichsten
vertheilt sind die Röhren auf den Abschnitt des Darms , an dem wir die
lebhafteste Resorptionsthätigkeit annehmen müssen. Am meisten spricht
aber wohl für meine Ansicht die genaue Untersuchung der Wandungen
und des Inhalts der Gefässe. Wie schon früher erwähnt , entbehren sie
einer selbstständigen isolirbaren Wandung : nur die grösseren Stämme
zeigen eine circuläre longitudinale Anordnung von Muskelfasern , die
ganz den glatten Fibrillen des Hautmuskelschlauchs gleichen und nur
als ein dem Gef^sssystem sich anschmiegender Theil desselben aufzu-
fassen sind. Noch entscheidender aber ist die Beschaffenheit der Zellen,
weiche man innerhalb der Röhren findet. Diese erscheinen an lebenden
Thieren als farblose, mit einem deutlichen Kern versehene amöboide
Zellen. Dieselben Zellen finden sich in den Hohlräumen der Kiemen-
* iHlIkchen und in den den Mantel durchsetzenden Gefössen wieder, eben-
falls durch farblose Intercellularflüssigkeit gr Vie demnach
94 Riebard Hertwig,
das Lumen von unzweifelhaften Blutgefässen erfüllen, kann man sie
hier wie dort sicher als Blutzellen bezeidinen. Die stärkere Anhäufung
derselben in den Darmgefössen lässt sich vielleicht darauf zurttckftthren,
dass vermöge der blinden Endigungen und prq)ortional dem ver>
grösserten Gesaromtquerschnitt der Blutbahnen die Gescbwitidigkeit der
Circulation abnimmt.
Endlich entspricht auch der Zeitpunkt und die Art und Weise der
Entstehung der fraglichen Darmgefässe vollkommen derjetiigen der
Mantelgefdsse. Nach Krohn's Schilderung entwickeln sich beide kurz
vor der Entstehung des Herzens , beide aus Hauptstämmen , die sieb
dichotomisch theilen, Ampullen treiben und Schlingen bilden.
Man könnte noch den Einwurf machen , Krohr hätte dann bei der
Verfolgung der Entwickelung Blutcirculation wahrnehmen müssen. Dem
gegenüber ist jedoch zu bedenken , dass die Circulation in den Mantef-
gefässen, die doch rings von einer vollkommen durchsichtigen Substans^
umgeben sind, lange den Beobachtern entgangen ist und nach KiiOH?f\s
eigenem Geständniss schwer wahrzunehmen ist. Um wie viel leichter
mag sie sich am Darm selbst der genaueren Prüfung unterziehen , da
hier die grössere Undurchsichtigkeil der Gewebe viel ungünstigere Ver-
hältnisse bietet.
Die Beobachtung der Pulsa^ion an erwachsenen Thieren belehrte
mich, wie langsam und träge die Herzthätigkeit ist und wie wenig die
Pulswelle sich in die grösseren Gefiisse verfolgen lässt.
Von Phallusia mammillata wenden wir uns zu den entsprechenden
Verhältnissen bei den Cynthien.
Betrachtet man den Darmcanal einer Cynthie genauer von aussen,
so findet man ihn seiner ganzen Ausdehnung nach, am deutlichsten aber
am Magen, gestreift. Die Streifen folgen im Wesentlichen der Längen-
richtung des Darms und entsprechen nach Sationt den Blättern des
Magens, was jedoch nur in beschränkter Weise zuzugeben ist , da die
Streifung auch an anderen Darmabschnitten, die der Faltung der Darm-
wand entbehren, sich vorfindet, wie iiamentiicfa am Oesophagus. Am
schönsten ist sie am Magen von Cynthia mytiligera entwickelt (Taf. VII.
Fig. 7). Bei G. canopus und C. polycarpa bemerkt man bei genauerer
Prüfung , dass einzelne der grösseren Streifen nach der Stelle hin con-
vergiren , wo der Herzschlauch der vorderen Magenwand fest anhaftet.
Dies führte mich zurVermuthung, dass sie mit demselben in Beziehung
ständen, und veranlasste mich vom Herzschlauch aus Luft zu injiciren.
Hierbei ergab sich nun, dass Luftblasen in die Darmwandung ein-
drangen und dem Verlauf der Streifungen folgten, wobei deren dichoto-'
mische» unter spitzem Winkel erfolgende Theilung sich besser ?erfoIgen
Beiträge zur Keantniss des Bnnes der Ascidien. 95
Hess, Ich kam somit zum Schluss , dass die Sireifung Ausdruck eines
den Darm umspinnenden Gefasssystems sei. Die Vertheilung desselben
untersuchte ich genauer auf Querschnitten ^ wo man sie als Lücken im
Bindegewebe wiederfindet (Taf. Vlli. Fig. 48). Sie sind am reichsten in
der vorderen Magengegend, wo meistens ein Canal an der Basis je einer
Falte liegt. Am Oesophagus finden sich bei G. mytiligera (Taf. YIII.
Fig. 49) zwei grössere Lücken, welche dieselben Beziehungen zum
Muskelsystem erkennen lassen wie die grösseren Stämme bei Phallusia.
Gynthia canopus wies nur eineu Hauptstamm auf, ausser einigen unbe-
deutenden Aeslen. Im Dünndarm finden sich nur wenige und dazu
noch schwächere Ganäle.
Ich habe zwar keine Injeetionen versucht, aber durch Gorobination
mit den von Milnb Enwians über Blutcirculation der Synascidien gege-
benen Mittheilungen glaubte ich jetzt schon folgendes Schema der Gir-
culation geben zu können. Das Blut dringt vom Herzen zum Magen und
vertheilt sich hier in feinere Aeste, um dann zumTheil in dem grösseren
Oesophagealstamm sich zu sammein und so zur Kieme zu gelangen, zum
Theil vielleicht auch dem Dünndarm zu folgen und von hier in den
Muskelschlauch oder durch die, viele Gommissuren bildenden Haftfdden
der Kieme in letztere einzutreten.
' Ausser diesen Blutsinus bemerkt man auf Querschnitten noch Ga-
nttle, welche Schlingt in den Magenfalten bilden , am deutlichsten am
Magen von Gynthia canopus (Taf. Ylll. Fig. 24 b). Sie sind von sehr un-
gleichem Galiber, bald verengt, bald bauchig angeschwollen. Wenn man
auch nicht von einem Epithel sprechen kann , so sind die Wandungen
doch nicht homogen, sondern tragen Zellen mit deutlichem Kern, die
ihrem ganzen Aeusseren nach sich mehr den Gef^ssepithelien anreihen,
spärlich vertheilt sind, jedoch mit der Verminderung des Ganallumens
an Dichtigkeit zunehmen. Auf Querschnittsfiguren sieht man , dass das
Protoplasma der einzelnen Zellen zusammenhängt (Fig. 24 c) .
Diese den Gapillaren ähnliche Gefässschlingen communiciren mit
den grossen Blutsinus fa). Man kann Uebergänge von den letzteren zu
den ersteren nachweisen, auch in der Struetur der Wand. Die als wan-
dungslos beschriebenen, von aussen als Streifen kenntlichen Sinus
zeigen einen äusserst spärlichen Zellenbeleg , den man am besten an
den Längsseiten dickerer Querschnitte beobachtet. Ich wage ihn kaum
als Gefassepithel zu bezeichnen. Sie sind nicht häufiger als die Binde-
gewebszellen , welche auf einem gleichen Raum liegen würden. Man
kann sie deshalb als Bindegewebszellen ansehen , deren Intercellular-
substanz nur in einer Fläche, nicht allseitig entwickelt ist. Geht man
von diesen aus , so kann man die grossen Sinus durch factisch cxisti-
96 Richard Hertwift,
rende Uebergangsformen mit den zetlenrei
Id zwei allerdings vereinzelteu Fällen batx
Uebergang beobachten können ; hier bildet«
Sinus an einer Stelle xugleicb den Einganj
Canal. Der letztere mündete in erst«ren aus
lingen, durch Versucbe mit Injection gePi
directe Belege beizubringen.
Für den Ascidienbau sind diese Gefösssc
ligkeit, als sie uns die vollkommene Gleich
bei Cynthien uod Phallusien ermöglichen. Beide Beobachtungsreifapn
stützen und ergänzen sieb. Was bei den Phallusien undeutlicher ist,
die Conimunication mit dem BlutgefSsssystem, kann bei den Cynlhien
leicht be«bachtet werden. Dagegen die Vertheilung der Geisse am
Darm lässt sich bei ersteren besser verfolgen.
Die hier gegebene Schilderung der Hagenge^se vonCynthia cano-
pus passt »uch auf andere Cyntbien mehr oder weniger. Insbesondere
sind sie bei C. mytiligera deutlich zu erkennen, jedoch durch die faserige
DifTerenzirung des Bindegewebes mehr verdeckt.
Die von den Hagengefessen gewonnene Anschauung lässt sich nicht
ohne weiteres auf die übrigen Dsrmabschnille Übertragen. Für das
Sinussystem habe ich oben schon die Veränderung beschrieben. Die
kleinen von Epithelium ausgekleideten Canale fehlen am Oesophagus
fast ganz ; am Dünndarm weichen sie nicht unbedeutend ab und sind
nicht ohne weiteres mit den Gefässschlingen des Magens zu vergleichen.
Sie sind hier zum grossen Tbeil bedeutend zellenreicher und zeigen
auf Querschnitten der grosseren Stämme ein vollkommen quadratisches
Epithel. Freilich ist das Bindegewebe auch zellenreicher. Diese kleinen
Gaaäle sind am reichsten in der Costa entwickelt und besitzen meist
einen von der äusseren zur inneren Darmoberfläche gehenden Verlauf
und eine in dieser Bichtung hin erfolgende dicbolomische Veräsl«luDg.
Unweit des Cylinderepithels biegen sie sich um, um demselben parallel
zu laufen , oder enden mit Ampullen ; häu6g sieht man ihre Quer-
schnitte (Taf.VIII. Fig. 80, 2S). Was jedoch mich zurückhält, ein ent-
scheidendes Urtheil abzugeben, sind folgende Bedenken :
Ich fand b^ Cynthia mytiligera und C. canopus und zwar haupt-
sUchlich an der Costa, dass das Epithel der Tunica tertia sackartig sieb
einstülpte (Taf. Vlil. Fig. 20). Einer der tieferen Einstülpungen lag ein
Ganai (a) dicht an, dessen Epithel nicht die geringsten Unterschiede er-
kennen liesE vom Epithel der Tunica. Bei einem anderen Querschnitt
verlief ein breiter geschlängeller Canal , der in ganz ähnlicher Weise in
der Nähe einer tieferen Einstülpung lag, durch die Costa quer in der
Beitr^ zur Keuutuiss des Bniies der Asi-idieii. 97
Ricblung zum Darmepiihel. Wie leicht w^lre es möglich, dass diese
Canüle nur Einstttlpungeo des Epithels der Tunica tertia wären ? Ihr
Reichthum an der Costa (einer Darmfaltenbildung) würde damit
stimmen.
Das Epithel der Tunica tertia .wird durch einen feinen homogenen
Saum vom Bindegewebe des Darms getrennt (Taf. VIII. Fig. 21, 22). Ein
ähnlicher Saum umgieht den grössten Theil der Ganäle am Dünndarm
von Cynthia canopus (Taf. VIII. Fig. 22 g) und noch deutlicher die aller-
dings sehr spärlichen Canäle am Oesophagus.
Bei Cynthia echinata (Müllbr's Zoologia Danica) konnte ich ganz
genau beobachten, wie derartige Einstülpungen der Tunica tertia canal-
artige Bildungen erzeugen. Verhältnisse, wie sie Taf. IX. Fig. 31 zeigt,
findet man oft bei den Leberschläuchen des Magens; bei einem grossen
Theil schien ihr Zusammenhang mit Einstülpungen direct nachweisbar
(Taf. IX. Fig. 30 ee).
Ich halte es daher für wahrscheinlich , dass ein Theil der canal-
artigen Bildungen auf derartige Einstülpungen zurückzuführen ist.
Namentlich muss ein zu^mmenhängender Epithelbeleg Misstrauen er-
wecken. Ich möchte eben nicht die Bildung aller Canäle auf diese Art
und Weise ohne weiteres erklären. Es können ja Blutgefässe und Ein-
stülpungen neben einander existiren. Meine Beobachtungen reichen in
diesem Punkte nicht aus. Jedoch scheinen sie ausreichend, um manche
Bildungen , welche man irriger Weise als Leberschläuche beschrieben
hat, auf andere, für den Organismus unwichtigere Theile zurückzu-
führen.
Was HuxLBT in Victor Carüs* Icones zootomicae als Leber von der
Costa einer Cynthia abbildet, scheint weiter nichts als eine schlauch-
förmige Hineinwucherung des den Perithoracalraum auskleidenden
Epithels zu sein. Dieselbe für eine Leber zu erklären liegen keine hin-
reichenden Gründe vor.
Ebenso wenig sind die bei den Phallusien als Leber beschriebenen
Bläschen (das honiggelbe Organ Krobn's) als Leber zu deuten. Nach
meinen Untersuchungen bestehen dieselben aus geschlossenen Follikeln,
welche ein concrementartiges gelbes Körperchen enthalten (Taf. IX.
Fig. 23). Die Wandung des Follikels besteht aus einer homogenen Mem-
bran (d). Auf derselben liegen zahlreiche runde Körperchen, von denen
einige netzartig sich verbindende Ausläufer bilden (Fig. 26). Sie be-
sitzen den eigenthUmlichen Glanz und das starke Lichtbrechungsver-
mögen von Fettkörperchen. Ihr Umriss ist meistens un regelmässig
rundlich. Ich würde sie für Zellen halten , wenn ein deutlicher Rem
nachweisbar wäre. Trotzdem ist es wahrscheinlich, dass sie aus wirk-
B4. VlI. 4 . 7
98 Riebard Heriwigf
liehen Zellen durch Verlust des Kernes und Umwandlung des Proto-
plasma entstanden sind.
Das in jedem Bläschen liegende gelbe concrementarUge Körperchen
besteht aus einer oder mehreren Zellen, welche mit Carmin sich intensiv
färben. Sie sind umschlossen von einer sohichtenweis abgeiagerien
glashellen Substanz, die oft der Follikelwand anhaftet. Mit Säuren be->
bandelt wird das gelbe Concrement unter lebhafter Gasentwicklung
etwas heller, ohne jedoch vollkommen klar zu werden. Die Ablagerung
kohlensaurer Salze als Ausscheidungsproducte des thierischen Oi*ganis-
mus spricht jedenfalls mehr für ein excretorisches als ein secretortsches
Organ. Wahrscheinlich ist dieses »honiggelbe Organa derPhaUusien als
Niere zu deuten.
Während die bisher betrachteten Darmanhänge wohl alle mit Un-
recht als Leber bezeichnet wurden , existirt dagegen ein echtes leber-
artiges Organ als drüsiger Anhang des Magens bei einem Theile der
Cyntbien , wo dasselbe von Savignt und Milnb Edwards aufgefunden
worden ist. Die Cynthia echinata (Fabricius, fauna Groenlandica ; O. F.
Müller , Zoologia Danica) , bei welcher ich dasselbe untersuchte , fehlt
in Savigivy^s Aufstellung und reibt sich demnach als neues Glied einer
seiner beiden ersten Tribus ein.
Von aussen betrachtet fällt der Magen der Cynthia echinala durc\)
die gelappte Form auf, welche seine nach der Kieme zu gelegene Wand
besitzt (Taf. IX. Fig. 27) . Auf Querschnitten sieht man , dass die er-
heblich verdickte Magen wand aus länglichen, einfachen oder spärlich ver-
iistelten Drüsenschläuchen besteht, welche dasselbe Epithel besitzen wie
(li<> drttsenfreie entgegengesetzte Darmwand. Fig. 28, Taf. IX. giebt die
Form Verhältnisse eines solchen Querschnitts durch den drttsen führenden
Theil der Magenwand genau wieder. Fig. 29 ist dagegen eine Schema*
tische Darstellung eines Querschnittes durch den ganzen Magen. Die in
den Schläuchen liegenden Kugeln (s s) halte ich für das Secret der
Drüsenzellen.
Um mich zu überzeugen , dass ich es hier nicht wie bei anderen
Ascidien mit Falten, sondern mit echten Drüsenschläuchen zu thun habe,
führte ich andere Schnitte senkrecht auf der Richtung der ersteren (pa>
rallel der Fläche der Darmwand) und erhielt so das genau copirte Bild
von Fig. 30. Hier lassen die, auf den verschiedensten Höhen getroffenen
Querschnitte der Drüsensohläuohe keinen Zweifel zu , dass wir es hier
mit einer echten Drüsenbiidung zu thun haben. Zwischen den Schlau-
dh^n der Drüse finden sich die oben als Einstülpungen des äusseren
Epithelbelegs beschriebenen Ganäle (Fig. 30 e) . Vom Blutgefässsystem
fand ich nur einen grossen mit a bezeichneten Sinus (29 a).
Beitriifte zur Kenntnfis des Bmies der Ascidien. 99
Wäbreild wir bei Cynthia echinata Drttsentohläuche vor uns babeii,
welche nur wenig sieb verzweigen und getrennt in den Daribcanal mün-
den, so sind bei C microcosnlus viele Schläudie zu einer Gruppe ver-
eint, um mit einem gemeinsdiaftlicben AusfUhrungsgang m münden,
leb lasse hier die ausführliciiere Beschreibung folgen.
Die gelbqFarbe der Darmwandung von Cynthia microcosmus wird
am Magen durch orangefarbene feine Striche unterbrochen oder an
vielen Stellen durch dichtere Anordnung dieser Striche ganz verdrängt.
Diese sind in kleinere Gruppen vereint, welche wieder zti grösseren
Complexen zusammentreten. Die Mitten der grösseren Gruppen protni-
niren und geben der Darmwand ein etwas höckeriges Ansehen und er-
zeugen eine Oberfläche, wie sie die Lobuli einer zusammengesetzten
Drüse bildefi.
Schneidet man den Magen auf, so vermisst man die bei den meisten
Ascidien vorkommenden Längsfalten, wie auch dem Dünndarm die
Costa fehlt. Dagegen erblickt man auf der inneren Magenfläche die
schon von SAnciiv und MiuiB EüWard» besebriebenen Vertiefungen, un-
gefähr sechs bis neun an der Zahl (Fig. 32. /, /). Sie liegen auf der
der Kiemenhöhle zugekehrten Darmwand und flachen sich nach dem
Pyiorus zu allmählich rinnehförmig ab, während sie nach der Cardia
zu mit einer scharf vorspringenden, die Vertiefung ein wenig über-
deckenden Falte absehliessen. Am Grunde jeder Vertiefung finden sich
mehrere kleinere Mündungen. Schneidet man durch die Magenwand auf
eine derselben ein, so sieht man, dass das hier einmündende Canälchen
sich mehrfach dichotomiscb verästelt (Fig. 33, 34). In der Peripherie
ist der Querschnitt von einem Gewirre feinster orangenfarbener Striche
(a) durchsetzt, die jedoch rn ihrer Masse insofern eine gewisse Anord-
hung erkennen lassen, als sie Gruppen bilden, welche den durch
Dichotomie des gemeinsamen Canälchens entstandenen Aestchen ent-
sprechen. Im Magen findet sich eine orangenfarbene Masse, welche
namentlich in den Vertiefungen zu finden ist und so sich als Secret
der Drüsenscbläuebe chdrakterisnrt.
Die Annahme , dass wir es hier mit einer traubenförmigen Drüse
zu thun haben , findet durch Querschnitte ihre Bestätigung. Man triflt
auf diesen die Drttsensohläuche bald mehr der Länge , bald mehr der
Quere nach durchschnitten, unter ihnen auch solche, die sich mehrfach
verästeln (Täf. IX. Flg. 35 /). Sie tragen dasselbe Cylinderepithel,
welches auch sonst den Darmcanal der Ascidien auskleidet, aber ohne
Flimmerhaare. Zwischen den Leberacini finden sich die Blutgefässe als
dunkle Massen. Die Blutkörperchen waren in Alkohol zu feinen dunkeln
7»
100 RiGhard Hertwig,
Körperchen geschrumpft, quollen aber in essigsauren) Kali auf und
Hessen auf Essigsäurezusatz einen Kern erkennen. .
Während so bei einem Theile der Ascidien (Cynthia microcosmus,
C. echinata etc., überhaupt bei den beiden ersten Tribus von Satignt)
die Vergrösserung der seccmirenden Epithelfläche des Darms durch
echte traubige Drüsenbildung bewirkt wird, tritt dagegen bei den an-
deren (den beiden letzten Tribus von Savignt) an ihre Stelle blosse
Faltenbildung der Darmwand , deren Epithel die Function einer Leber
erfüllt, und um so leichter erfüllen kann, als durch die in hohem Grade
entwickelte Längsfaltung der Darmwand die secretorische Fläche be-
deutend vergrössert wird.
Alle übrigen , bei den Ascidien als Leber beschriebenen Organe
verdienen diesen Namen nicht und werden sich als anderweitige Bil-
dungen erweisen , vsie ich es für einen Theil wahrscheinlich gemacht,
für einen anderen sicher nachgewiesen zu haben glaube.
ErUbimg der ibbildungen.
Tafel Vn.
Fi^. i . Clavellina lepadiformis nach Milne Edwards.
Cl Cloake, a' tunica tertia, a ihre Anhcflung an den Muskelschlauch,
c b a ihre Anheftungen an die Kieme , e Lage des Endostyls und Ven-
tralsinus, g Mündung des Geschlechtsapparats, f After, M Tunica
muscularis, TTesta.
Fig. 2. Phallusia mamillata. Die rechte Seite der Teste und des Muskelschlauchs
ist abpräparirt. Ihre Querschnitte sind mit T und M bezeichnet. Der
Kiemensack K dadurch bloss gelegt. Bezeichnung sonst wie in der fol-
genden Figur.
Flg. 3. Phallusia mamillata. Die linke Seite der Testa und der Muskelwand
ist abgeschnitten , der Darm hierdurch seiner Länge nach geöffnet (halb
schematische Zeichnung ; die Ovanen sowie das honiggelbe Organ sind
weggelassen).
Cl Cloake , oe Oesophagus, g Magen, r Rectum, t' aufsteigende, i" ab-
steigende Windung des Dünndarms, K Kieme, t; Ventralsinus, d Dor-
salsinus, beide mit ihren Muskelkiemenlamellen, a die Linie durch
die man den Querschnitt führen musste um das Schema Fig. IV zu
erhalten, fl Linie für das Schema V, y für VI.
Fig. 4, 5, 6. Schemata von Phallusia mamillata, welche die Beziehung von Man-
tel (7), Muskelschlanch (Jlf), Tunica tertia parietalis {Sp) , Tunica tertia
visceralis [Sv] und Darmkiemenepithelblatt [KD] erläutern, sowie das
Zustandekommen einer dorsalen und ventralen Muskelkiemenlamelle {v
und d). Ausserdem bedeuten e Endostyl , ju linker, pd rechter Peritbo-
racalraum, CZ Cloake.
Fig. 7. Cynthia mytiligera von der Egestionsöfiiiung aus aufgeschnitten. Der.
Theil der ventralen Muskelkiemcnlamelle , welcher Magen und Oesopha-
Beiträge zur Kenntniss des Baues der Ascidien. 101
gus an die Muscttlaris befestigt, vom letzteren abgetrennt (v";, rechte und
linke Hälfte des Moskelschlauchs mit den anliegenden Organen zu beiden
Seiten zurückgeschlagen.
Bezeichnungen wie früher ; ausserdem :
v' Der zwischen Magen und Kieme ausgespannte Theii der Muskel-
kiemenlamelle , m die von Savigny für ein Ovarium gehaltene Falte
der Tunica tertia, o die Wülste, in denen die Geschlechtsorgane
liegen.
Fig. 8. Die Intestinalschlinge von Cynthia mytiligera (J) mit ihrem Meaenterium
(Tv) und dem Muskelschlauch M.
Fig. 9. Schema des Endostyls von Salpa nach Lbucmart. d bedeutet die den En>
dostyl {E) von der Bauchrinnc [B) trennende Lamelle. Im übrigen die-
nen die Buchstaben, um die verschiedenen Zellen mit denen der Ascidien
zu vergleichen.
Fig. 40. Die Zellen der Höhe der Bauchrinne bei a (von Cynthia canopus).
Fig. 14. Die^ Zellen der Bauchrinnc bei b, von derselben.
Fig. 19. Die Spindclzellen wie sie im Stratum d und h vorkommen.
Fig. 13. Zellen aus c^ und c^ (Fig. 10 — 43 von Cynthia canopus).
Fig. 44. Die Stelle d von Phallusia mamillata und die homogene Membran, der
die Zellen aufliegen.
Flg. 45. Die Zellen des Endostylgrundes von G. mytiligera mit ihren Geissein,
c die den Flimmerzellen gemeinsame Cuticula.
■
Tafel vm.
Fig. 46. Querschnitt des Endostyls von Cynthia canopus.
i; der ventrale Blutsinus, g Blutgefässe, K inneres Kiemenepithel,
S äusseres Kiemenepithel.
Fig. 47. Endostyl von Phallusia mamillata.
Bezeichnungen wie oben , ausserdem Sp das die innere Muskelwand,
B das die äussere auskleidende Epithel {E liegt zwischen Muskel-
schlauch und Testa; Sp und S gehören der Tunica tertia an.
Flg. 48. Querschnitt durch den Magen von Cynthia canopus.
a Blutsinus innen an der Basis einer Falte liegend , m Mesenterium
(Doppellamelle der Tunica tertia).
Fig. 49. Querschnitt durch den Oesophagus von Cynthia mytiligera.
nw mv .Mesenterium, welches gleichzeitig die ventrale Muskel kiemen-
lamelle ist, aa die Blutsinus, um die sich ein Ring von glatten Muskel-
fasern lagert.
Fig. 30 Querschnitt durch den Dünndarm der Cynthia mytiligera.
aa Blutsinus, C Costa, c die epitheltragenden Canäle mit ihren am-
pullonförmigen Erweiterungen {ae), deren Bedeutung ich nicht sicher
stellen konnte, e die Einstülpungen des Epithels der Tunica tertia,
dd anliegende Canäle , deren Epithel dem der Tunica tertia äusserst
ähnlich ist und die aussehen, als ob sie Einstülpungen desselben
wären.
Fig. ft4 . Eine Falte des Magens von Cynthia canopus , quer durchschnitten und
stärker vergrössert (Zeiss E. Oc. II).
a Blulsinus mit dem spärlichen Zellenbeleg, b die Gefässschlingen,
welche in die Darmfalte dringen , c ebensolche auf dem Quer-
J
*> Körperchen geschrumpft, quollen
' Hessen auf Essigsaurezusslx eineo n.
Während so bei einem Theile der Asddien (Cyntbia microcosmus,
C. echinata etc., Überhaupt bei den beiden ersten Tribus von Savight)
die VergrOsserung der seccmirenden Epilbelfläche des Darms durch
echte traubige DrUsenbildung bewirkt wird, tritt dagegen bei den an-
deren (den beiden letzten Tribus von Savigkv] an ihre Stelle blosse
Faltenbildung der Darmwand , deren Epithel die Function einer Leber
erfüllt, und um so leichler erfüllen kann, als durch die in hohem Grade
entwickelte Längsfaltung der Darmwand die secretorische Fläche be-
deutend vergrössert wird.
Alle tlbrigen , bei den Ascidien als Leber beschriebenen Organe
verdienen diesen Namen nicht und werden sich als anderweitige Bil-
dungen erweisen, wie ich es fUr einen Theil wahrscheinlich gemacht,
für einen anderen sicher nachgewiesen zu haben glaube.
ErUlnuig der Abbildmigeii.
Tafsl Vn.
ClavellJoa Icpadifonnis nach Milhe Edwahds.
et Cloake, a' tunicn MrtiB, a ihre Anhoflung an den Huskctschlauch,
c6 a ihre Anlieftungen an die Kieme, e I^gc des Gndostyls andVen-
tratsinus, g Hündung des GeschlecbUappantls , i After, M Tunin
muscuiaris, TTeala.
PhallusiD mamillata. Die rechte Seile der Tesla und des Muskeischlanchs
isi abprSpariri. Ihre Querschnitte sind mit T und M bezeichnet. Der
Kicniensack K dadurch blo.ig gelegt. Bezeichnung sonst wie in der fol-
genden Figur.
Phaltusia mamillata. Die linke Seite der Teste und der Huskelwand
ist abgeschnitten , der Darm hierdurch seiner Länge nach geöffnet (halb
schematische Zeichnung; die Ovarien sowie das honiggelbe Organ sind
Cl Cloake, oe Oesophagus, g Uagen, r Rectum, i' aufsteigende, i" ab-
steigende Windung des Dünndarms, K Kieme, v Ventralsinus, d Dor-
salsinus, beide mit ihren Huskelkiemenlamellen. s die Linie durch
die man den Querscbuitt führen muaste um das Schema Fig. IV tu
erhalten, fi Linie für das Schema V, y für VI.
, «. Schemata von Phallusia mamillata, welche die Beziehung von Han-
tel (7) , Uuskelschlench {M) , Tunica (ertia parielalis (Sp) , Tanica («rtia
visceralis [So] und Darmk lerne nepithelblatt [KD] erläutern, sowie das
Zustandekommen einer dorsalen und ventralen Muskelkiemenlamelle {v
und d). Ausserdem bedeuten e bndostyl , pt linker, pd rechter Peritho-
racalraum , Cl Cloake.
CYnthia mytiligera von der Egestionstiffnnng ans aufgeschnitten. Der.
Theil der venlralan Muskelkiemenlamelle, welcher Hagen und Desopha-
Beitrüge sur Kenntniss des Baues der Ascidien. 101
gus an dieMuscalaris befestigt, vom letzteren abgetrennt («";• »echte und
linke Hälfte des Maskelschlauchs mit den anliegenden Organen zu beiden
Seiten zurückgeschlagen.
Bezeichnungen wie früher ; ausserdem :
V* Der zwischen Magen und Kieme ausgespannte Theil der Muskel-
kiemenlamelle , m die von Savignt für ein Ovarium gehaltene Falte
der Tunica tertia, o die Wülste, in denen die Geschlechtsorgane
liegen.
Fig. 8. Die Intestinalschlinge von Cynthia mytiligera (7) mit ihrem Mesenterium
(Tv) und dem Muskelschlauch M.
Fig. 9. Schema des Endostyls von Salpa nach Ledckart. d bedeutet die den En-
dostyl [E) von der Bauchrinnc [B) trennende Lamelle, im übrigen die-
nen die Buchstaben, um die verschiedenen Zellen mit denen der Ascidien
zu vergleichen.
Fig. 40. Die Zellen der Höhe der Bauchrinne bei a (von Cynthia canopus).
Fig. 14. Die^ Zellen der Bauchrinne bei 6, von derselben.
Fig. 12. Die Spindclzellen wie sie im Stratum d und A vorkommen.
Fig. 13. Zellen aus c< und c^ (Fig. 4 0 — 43 von Cynthia canopus).
Fig. 44. Die Stolle d von Phallusia mamillata und die homogene Membran, der
die Zellen aufliegen.
Flg. 45. Die Zellen des Endostylgrundes von C. mytiligera mit ihren Geissein,
c die den Flimmerzellen gemeinsame Cuticula.
I
Tafel vm.
Fig. 46. Querschnitt des Endostyls von Cynthia canopus.
V der ventrale Blutsinus, g Blutgefässe, K inneres Kiemenepithel,
S äusseres Kiemenepithel.
Fig. 47. Endostyl von Phallusia mamillata.
Bezeichnungen wie oben , ausserdem Sp das die innere Muskelwand,
£das die äussere auskleidende Epithel {E liegt zwischen Muskel-
schlauch und Testa; Sp und S gehören der Tunica tertia an.
Fig. 48. Querschnitt durch den Magen von Cynthia canopus.
a Blutsinus innen an der Basis einer Falte liegend , m Mesenterium
(Doppellamolle der Tunica tertia).
Fig. 49. Querschnitt durch den Oesophagus von Cynthia mytiligera.
mo mo Mesenterium, welches gleichzeitig die ventrale Muskelkiemen-
iamelle ist, aa die Blutsinus, um die sich ein Ring von glatten Muskel-
fasern lagert.
Fig. 20 Querschnitt durch den Dünndarm der Cynthia mytiligera.
aa Blutsinus, C Costa, c die epitheltragenden Canäle mit ihren am-
puUcnförmigen Erweiterungen (oe), deren Bedeutung ich nicht sicher
stellen konnte, 0 die Einstülpungen des Epithels der Tunica tertia,
dd anliegende Canälo , deren Epithel dem der Tunica tertia äusserst
ähnlich ist und die aussehen , als ob sie Einstülpungen desselben
wären.
Fig. 24. Eine Falte des Magens von Cynthia canopus, quer durchschnitten und
stärker vergrössert (Zeiss E. Oc. H).
a Blutsinus mit dem spärlichen Zellenbeleg, h die Gefässschlingen,
welche in die Darmfalte dringen , c ebensolche auf dem Quer-
:i'-V2^
102
Fig. 2a.
Richard Hertwig, Boitrl^e u. s. w.
sobnitt. Sie lassen erkennen wie das Protpplasma der ZßUen einen
vollkommenen Ring bildet, e FUmmerepi(hel des Dormcanals, S qua-
dratisches Epithel, das den Darm von aussen umkleidet; beide auf
einer homogenen Membrau lagernd , h Bindegewcbszelien.
Ein Stück der Wand des Dünndarms von Cyatbia canopus.
U Mesenterium , dessen Epithel direct in das den Darm überziehende
sich fortsetzt, g die Canäle mit cylindrischem Epithel und homogenem
Saum (vgl. 30), ^i Bindegewebskörperchen.
Tafel IX.
Fig. 23. Querschnitt durch den Oesophagus von Fhallusia mamillata. e das
Flimmerepithel , das auf einer homogenen Lamelle lagert , aber sich in
Falten von ihr abhebt. Die Falten bedingen durch die grosse Undurch-
sichtigkeit der betreffenden Stelle wegen ihrer grösseren Dicke ein mar-
morirtes Aussehen des Epithels auf der Flächenansicht.
aa Die grössern Blutgefässe und ihre feinen Endtgungen in reiche
Schlingenbildung, d die allseitig geschlossenen Follikel des honig-
gelben Organs mit ihren gelben Concrementen f.
Fig. 24. 25. Querschnitte durch die Enden von Falten des Magens, um die Schlin>
gen und Ampullen der Gefässverzweigung zu zeigen (a) , von Phallusia
mamillata.
Fig. 26. Ein Stück der Wand eines Bläschens.
e die runden (aus Zellen entst^q4ßnen ?) fettglänzenden Körperchen,
d das von einzelnen derselben gebildete Netzwerk gleicher Substanz.
Fig. 27. Magen von Cynthia echinata von der Kiemenseite. ,
Fig. 28 Querschnitt durch die von dem Muskelschlauch abgewandte Magenwand
von Cynthia echinata.
dd Drüsenschlauch , m Magenepithel , s Secret der Drüsen , b Gerüst
von feinen Bindegewebsfasern.
Fig. 29. Schematischer Querschnitt durch den gesammten Magen von Cynthia
echinata.
M Muskelschlauch , a Blutsinus.
Fig. 30. Die Magenwand von Cynthia echinata der Länge nach durchschnitten.
d Die Querschnitte des Drüsenschiauchs , e e Einstülpungen des
Epithels , welche die canalartigen Bildungen c c erzeugen.
Fig. 31. Ein solcher durch Einstülpung entstandener Canal (Fig. 30) stärker vcr-
grössert.
Fig. 32. Magen voa Cynthia microcosmus; man sieht auf die von der Musculatur
abgewandte Fläche.
l Die Vertiefungen mit den Mündungen der Gallengänge am Grunde.
Fig. 33. Schnitt durch die Magenwand von Cynthia microcosmus, welcher eino
der Einmündungen getroffen hat.
g Die dichotomisch sich verästelnden Ausführgänge, a die Gruppen
der Leberacini (doppelt so gross als in Natur).
Fig. 34. Die Verzweigung eines Ausführgangs der Leber vonCynthia microcosmus.
Fig. 35. Querschnitt durch die Wand des Magens von Cynthia microcosmus.
l Leberschläuche (mit Carroin gefärbt), a Blutgefässe.
Zur KeHittniss der Phosphorverbimiangen.
Von
A. Oeuther und A. Micliaelis.
I. Ueber ein neues Phosphoroxy Chlorid, das Pyrophosphor-
säurechlorid.
VoQ den Chloriden der drei Fhosphorsäuren hat man bisher nur
das der gewöhnlichen Phosphorsäure, das Phosphoroxychlorid : POCl^
gekanot, unbekannt ist das Chlorid der Metapbosphorsöure : PO%I und
war das Chlorid der Pyrophosphorsäure : P^O^CH. Es ist uns gelungen,
eine Verbindung von der letzteren Zusammensetsung darzustellen , die
wir ab Pyrophosphorsflurechlorid bezeichnen woUen. Dasselbe entsteht
bei der Einwirkung von Salpetrig «Salpetersäureanhydrid (N%^) oder
Saipetrigsäureanhydrid (N^^) auf Phosphorchlorttr.
Um es darzustellen , verfährt man am besten auf die Weise, dass
man die Dampfe von Salpetrig-Salpetersäureanhydrid (sog. Unter-
salpetersflure), welchen man sich vorher durch Erhitzen von Bleinitrat
Aussig dargestellt hat, langsam zu stark abgekühltem überschüssigen
Phosphorchlorttr treten lässt in der Art, dass man das Kölbchen, worin
der flüssige Anhydrid sich befindet, in Wasser von 30 ^ setzt, während
der Cylinder mit dem Phosphorchlorttr durch eine Rältemischung von
Elfi und Kochsalz umgeben ist.' Der letztere ist durch einen doppelt
durchbohrten Kork verschlossen , welcher das Über dem Chlorttr endi-
gende Zuleitungsrohrund ein Ableitungsrohr trägt. Auf SOGrm. Unter-
Salpetersäure wendet man 1 00 Grm. Phosphorchlorttr an. Die Einwir-
kung findet sofort statt, es entwickeln sich Gase, von denen ein Theil
zu einer rothen Flttssigkeit condensirt werden kann , die sic(i bei ge-
wöhnlicher Temperatur wieder in orangegelben Dampf verwandelt und
mil wenig Wasser in Salzsäure und Salpetrigsäure zersetzt wird , also
NOCl ist, während ein anderer Theil nicht condensirbar ist und ans
SüdLStoff mit etwas Stickoxyd besteht. Das Phosphorchlorttr wird roth
104 h. Geniher onii A. Michaelis.
gefürbt, indem ein Theil des Salpetrig;säurccblorids bei ihm verbleibt,
während sich gleichzeitig Phosphorsäureanhydrid ausscheidet. Nach-
dem alle Untersalpctersänre zudestillirt wordoa ist, wird der Cylinder
aus der Kaltemi seh ung genommen und mit lauwarmem Wasser umgeben,
um das Salpetrigsäurechlorid abzudestiUiren. Darauf wird sein Inhalt
in ein Destillationsgcfäss gebracht und rectificirt. Zuerst destillirt viel
unverändertes PhospborchlorUr, darauf zwischen 105" und 110* eine
gleichfalls betrachtliche Menge von POCI ^ , wahrend zuletzt der Siedc-
ch bis auf 200 " steigt , von wo an bis 830 " die neue Vcrbin-
srgeht. Es ist zu empfehlen, sich erst durch wiederholte
Igen eine grössere Menge derselben zu bereiten , che man zu
leren Beinigung durch Recti6cation schreitet. Aus 350 Grm.
chlorUr wurden durch so oft wtederholle Einwii^uogen von
etersäure, bis kein Phosp horch lorUr mehr unveriindert vor-
var, erhalten: 232 Grm. gewöhnliches Phosp horoxychlorid
40 Grm. des höber siedenden Productes, d. h. nur H,4 "/n
sandten PhospborchlorUrmenge.
kann, wie oben erwähnt, auch an Stelle des Salpotrig-
lureanbydridsdiedurchChlorcalcium getrockneten Dämpfe des
•äureanchydrids anwenden, wie man sie mit Kohlensäure ge-
n der Einwirkung von Salpetersäure auf Stärke erhält. Man
im besten auf 100 Grm. PbosphorchlorUr 30 Gr. SUiiite und
Salpetersäure an, rectificirt dann das Product und leitet zu
ir 1 00 ** Siedendem die dem angegebenen Verhältniss entepre-
enge neuer Dampfe von Salpetrigsäureanhydrid. Wir erhiel-
diese Weise aus 200 Grm. PbosphorchlorUr 20 Grm. des
denden Productes , also nur 1 0 "/<, und relativ mehr Phosphor-
^drid. Da die Einwirkung hierbei nicht so lebhaft ist, oBen-
der Salpetrigsäureanhydrid mit Kohlensäure verdünnt ist , so
nan nur mit kaltem Wasser zu kühlen.
auf eine dieser Weisen dargestellte Product destillirt zwischen
215" über, es bat die Zusammensetzung : P^^ci*, wie die
Analyse zeigt, und kann also als das Chlorid der Pyrophosphor-
ijeschen werden. Die Analyse desselben wurde so ausgeführt,
im Rtthrchen abgewogene Menge in einem Cylinder mit Wasser
vurde. Es wurde darauf das Chlor in der mit Salpetersäure
rten Fltlssigkeit durch Silbernitrat gefällt und nach Entfernung
ßUssigen Silbers mittelst Salzsäure nach dem Einkochen des
ie Phosphorsaure als Ammonium-Magnesium-Phospbat nieder-
Q.
182 Grm. Substanz lieferten so f,1128 Grm AgCP, entspre-
Zur Kenntniss der Phospborverbinduni^en. 105
chend 56, i «/o Chlor und 0,4372 P^O'Mg'^, entsprechend 25,0 «/o
Phosphor.
ber. gef.
P2 =24,60 25,0
O» = 19,05 —
CH = 56,35 56,4
100,00
Das Pyrophosphorsäurechlorid ist eine farblose Flüssigkeit, deren
Siedepunkt hei etwa 21 5 ^ liegt, welche sich aher nicht völlig unzer-
seizt destilliren lässt, indem ein Theil dabei stets in gewöhnliches
Phosphoroxychlorid und Phosphorsäureanhydrid zerfallt nach der
Gleichung :
3 P203CH = 4 POCl» + P205
Die Dämpfe desselben rauchen an der Luft wie die von Schwefel-
säureanhydrid und verkohlen den Kork. Sein spez. Gewicht ist 1,58
bei -|- 7**. Unter den Umständen , unter welchen gewöhnliches Phos-
phoroxychlorid krystallisirt^), bleibt es flüssig. Mit Wasser zersetzt es
sich sofort unter Wärmeentwickelung ohne vorher darin, wie das ge-
wöhnliche Phosphoroxychlorid , tropfenförmig unterzusinken.
Die Zersetzungsproducte sind Salzsäure und gewöhnliche Phos-
phorsäure. Letztere kann in reichlicher Menge sofort nach der Zer-
setzung, auch wenn dabei jede Erwärmung durch Abkühlung und
langsamen Zusatz dos Chlorids zu viel Wasser vermieden worden ist,
durch Silbernitrat und Magnesiumlösung nachgewiesen werden.
Die rationelle Formel dieses Phosphoroxychlorids ist :
*^0 — Pcri = P0C12 — 0 — POCP
Cl«
d. b. die zwei monovalenten Gruppen POGP werden durch ein
Bfischungsgewicht Sauerstoff zusammengehalten. Dies beweisen die
Producte , welche entstehen , wenn an Stelle des einen Mgt. Sauerstoff,
welches diesen Zusammenhang herstellt, indem es von beiden Phos-
phormischungsgewichten je eine Werthigkeit beschäftigt , monovalente
Elemente oder Gruppen treten, wie es bei der Einwirkung auf dasselbe
von Phosphorpentachlorid, Phosphorpentabromid und Alkohol geschieht.
1 ) Wird ein Mg^. P^^CH mit 1 Mgt PCl^ in ein Rohr eingeschlossen,
so scheint in der Kälte keine Einwirkung statt zu finden , wenn aber
im Wasserbade erhitzt wird , so tritt allmählich Verflüssigung der gan-
zen Masse ein und nun ist der Röhreninhalt zu reinem gewöhnlichen
Phosphoroxychlorid geworden nach der Gleichung :
4) Siebe weiter anten
k. G«D(her und A. Miehulia,
piO^CH + PCI» = 2 POCI' + P0C13
d I Hgt. P^iCH (H Grm.) mit 1 Hgt PBr* (18,8 Grm.) in
igeschlossen und im Wasserbade so lange erhitzt , bis sich
CD keine gelben Krysialle von Phosphorpentabromid mehr
und alles Qossig bleibt, so beginnt bei stärkerem AbkUh-
ung von Phosphorosybromidkry stalten. Die davon abge-
le Flüssigkeit wurde wiederholt fractionirt, um das noch
iphoroxybromid zu entferocn. Ausser diesem und uincr
ge von gewChDÜclieui Pbosphoroxychlorid, welches wohl
uct der Wännewirkung auf das Phosphorsäurechlorid an-
konnte ein zwischen 135 und i'iT* siedendes farbloses Pro-
n werden, das nichls anderes als Phosphoroxybromchlorid
-, wie seine Eigenschaflea und die damit angestellte Ana-
ben nämlich :
Grm. desselben 0,362 Grm. PWMgS entspr. 15,9 Proc.
id 1,5007 Grm. AgCP -{- AgBr^. Davon verloren 1,03t&
jluheil in Chloi^as 0,0933 Grm., woraus sich fUr die ganze
% Chlor und 39,7 "/o Brom berechnen,
her. g«f.
P =15,6 15,9
0 = 8,1 —
Br = 40,* 39,7
Cl* = 35,9 37,7
100,0
weichung der gefundenen von den berechnelou Mengen
irvon einer geringen Verunreinigung der Verbindung durch
Chlorid her, welches sich bei nicht sehr grossen Hea-
r schwer ganz vollständig entfernen läset. Darauf deuten
was geringere spec. Gewicht unseres Producl«s , welches
+ 9 " gefunden wurde , während das des reinen Produdes
6 ist, hin, sowie der etwas geringere Schmelzpunkt. Der-
zu -(- 10" gefunden , während der von reinem auf andere
«lem Phosphoroxybromchlorid von uns zu + 11" bestimmt
Wirkung des Pbospborpentabromids auf das Pyrophosphor-
verläuft also analog der des Phosphorpentacblorids nach
pJOsCH + Pft-* = « POBrCI* + POBr».
vejter ualen.
Znr Kenntttiss der Phospliorverbtndungen.
105
I (
'»6,1% Chlor und 0,i:i72 P^O^Mg^, entsprechend 25,0 «/o
•LaH.
ber.
P2 =24,60
03 = 19,05
CH = 56,35
gef.
25,0
56,4
.-I -
100,00
i'v^ Pyrophosphorsäurechlorid ist eine farblose Flüssigkeit, deren
' akl bei etwa 21 5 ^ liegt, welche sich aber nicht völlig unzer-
i^^tillireo lässt, indem ein Theil dabei stets in gewöhnliches
rosychlorid und Phosphorsäureanhydrid zerfallt nach der
3 P203CH = 4 P0C13 + P20'^
'h Dampfe desselben rauchen an der Luft wie die von Schwefel-
dyirid und verkohlen den Kork. Sein spez. Gewicht ist 1,58
-'* Unter den Umständen , unter welchen gewöhnliches Phos-
'i!)rid krystallisirt^), bleibt es flüssig. Mit Wasser zersetzt es
*T unter Warmeentwickelung ohne vorher darin, wie das ge-
^ Phosphoroxychlorid , tropfenförmig unterzusinken.
' ^rsetzungsproducte sind Salzsäure und gewöhnliche Phos-
^^ Letztere kann in reichlicher Menge sofort nach der Zer-
* auch wenn dabei jede Erwärmung durch Abkühlung und
ö Zusatz des Chlorids zu viel Wasser vermieden worden ist,
^''^J^mit^at und Magnesiumlösung nachgewiesen werden.
' '4ionelle Formel dieses Phosphoroxy Chlorids ist :
F O — Pci2 = POCP — 0 — POCP
^ zwei monovalenten Gruppen POCP werden durch ein
-S*^^icht Sauerstoff zusammengehalten. Dies beweisen die
> wviche entstehen , wenn an Stelle des einen Mgl. Sauersto/fi
i*rsfn Zusammenhang herstellt, indem es von beiden Pbos-
' ungsgewchten je eine Werthigkeit beschäftigt , monovaientr
"W Gruppen treten, wie es bei der Einwirkung auf dasselbe
/>i7»eniachlorid, Phosphorpentabromid und Alkohol geschiebt.
' rd ein Mgt. P^O^Cl^ mit 1 Mgt PCl^ in ein Rohr oingesoblosson,
& der Kälte keine Einwirkung statt zu ßnden. wenn aber
-Uie erbitat wird, so tritt allmählich Verflü^^^''"^ der gan-
■' «-^n und nun ist der Röhreninhalt zu reinr"' g^-wöhnlichen
'Vhlorid geworden nach der Gieicbung
' ^"riter unten.
^s
l
v^t
^^
^h
So-
^tlr das
»Uuigen,
Uenhang
lovalentc
i in Ab-
ie es jene
s auch bei
;s ist oben
.sser angc-
»lort grosse
on können,
ng^ gebildet
5 die leichte
* es bedingt,
»derc Consti-
I
tos A' Genther und A. Michaelis, I
0H~ *" OH = P^(0H)2 — O — P0(0H)2
OH
ausdrückt. Eihe solche andere, weniger symnietriscbe ConsUluUon die-
ser Süure wird durch die Formel :
V
OjpO
Op OH
^ OH = P(0Hj3 Z o I PÖ • Ö**
OH
wiedergegeben. Darnach ist die Pyrophosphorsäure nicht der Ab-
kömmling einer Trihydroxy- Phosphorsäure, sondern der einer Perhy-
droxyphosphorsäure , in welcher 2 Hgte. Hydroxyl Wasserstoff durch die
divalentc Gruppe PO . OH ersetzt sind oder mit andern Worten es sind
nicht in ihr 2 gleiche monovalente Gruppen durch 4 Mgt. Sauerstoff
verknüpft, sondern % verschiedene divalente Gruppen durch
2 Mgte. Sauerstoff zusammengehalten. Das Chlorid einer solchen S£lure
müsste natürlich auch eine andere Constitution als das von uns dar
gestellte haben. Vorläufig liegen noch nicht genügende Anhaltspunkte
vor , um diese Frage entscheiden zu können.
Die Darstellung eines dem Pyrophosphorsäurechlorid entsprechen-
den Bromids durch Einwirkung von NH)^ oder N^O"* auf PBr^ gelang;
nicht : es entstanden nur gewöhnliches Phosphoroxybromid und Phos-
phorsäureanhydrid .
II. Ueber die Krystallisationsfähigkeit des gewöhnlichen
Phosphoroxychlorids nnd des Phosphoroxybromchlorids.
Einige Versuche, das Pyrophosphorsäurechlorid auf noch andere
Weise darzustellen , als es im Vorhergehenden mitgetheilt worden ist,
haben, wenngleich sie nicht das gewünschte Resultat ergaben, doch
einige neue Eigenschaften des Phosphoroxychlorids kennen gelehrt.
Das Pyrophosphorsäurechlorid konnte auch entstehen aus Phos-
phorsuperchlorid und Phosphorsäureanhydrid nach der Gleichung :
3 P20b + 4 PCI5 = srP^OaCl*
Wir haben diese beiden Körper in dem geforderten Verhältniss in
Röhren eingeschlossen auf einander einwirken lassen, bei gelinder
Wärme sowohl , als bei Winterkälte aber nur gewöhnliches Phosphor-
oxychlorid neben übrig gebliebenem Phosphorsäureanhydrid erhalten.
Zur Kennt iiiss der PbosphorverbioduuizeM. 1 09
Bei Winterkalie verläuft die Einwirkung sehr langsam und ist erst nach
Verlauf mehrerer Tage beendigt. Als darnach das Rohr einer Kälte
von \2 — 15^ weiter ausgesetzt blieb, hatten sich in demselben grosse
farblose Krystallblätter gebildet, die wenig unter 0^ schmolzen und
beim längeren Liegen in niederer Temperatur wieder erschienen , ja in
welche schliesslich die ganze Flüssigkeit sich verwandelte. Diese Kry~
stalle sind, wie die Untersuchung ergab, eben nichts anderes, als ge-
wöhnliches Phosphoroxychlorid. Bei einem andern Versuch wurden
solche Krystalle gleichfalls beobachtet. Als wir nämlich Spipotrigsäure-
anhydrid auf stark abgekühltes Phosphoroxychlorid einwirken Hessen,
um zu sehen , ob sich die Gleichung :
2 POCP + N203 = P203CH + 2 NOCl
verwirklichen lasse, fand keine oder nur sehr geringe Einwirkung statt,
aber das Phosphoroxychlorid war noch ehe die rothen Di^mpfe dazu
traten vollständig in eine weisse Krystal^masse verwandelt.
Directe Versuche ergaben dann Folgendes :
Kühlt man reines Phosphoroxychlorid einige Zeit auf — 4 0 ^ ab,
so bleibt es noch flüssig, meist auch noch, wenn es umgeschüttelt wird,
berührt oder reibt man aber mittelst eines spitzen Glasstabes innerhalb
der Flüssigkeit die Gefösswand , so erstarrt es sofort krystallinisch. Die
langen, farblosen, blättrigen oder säulenförmigen Krystalle schmelzen
erst bei — 1,5<> wieder. Sie sind unter dieser Temperatur sehr be-
ständig und können längere Zeit auf Eis liegen , ohne sich zu zersetzen,
ja selbst mit der — 10^ kalten Kochsalzlösung der Kältemischung zu-
sammen , verschwinden sie erst nach längerer Zeit. Ein kleiner Kry-
stall davon vermag eine auf — 2 ^ abgekühlte grössere Menge flüssigen
Oxychlorids leicht völlig zum Erstarren zu bringen.
Nach diesen Erfahrungen über das Phosphoroxychlorid war es sehr
wahrscheinlich, dass auch das Phosphoroxybromchlorid POBrCP,
welche bis jetzt auch nur im flüssigen Zustande bekannt war, krystalli-
siren würde, da ja auch das Phosphoroxybromid aus erst bei -f* ^^^
schmelzenden Krystallen besteht. Der Versuch hat dies bestätigt.
Die beim Abkühlen der Verbindung unter 0 ^ erhaltenen grossen, färb-
lo.sen, blättrigen Krystalle wurden erst bei + 4 4 ^ wieder flüssig.
Es sieht so aus , als ob das gewöhnliche Phosphoroxychlorid , das
Phosphoroxybromchlorid und das Phosphoroxybromid isomorph wären.
Jena, Univ. -Laboratorium, März 4874.
Veber die Rinwirkung toii Phosphorclllorilr ftuf Anhydride
und Chloride.
Von
Dr. A. Michaelis.
Zw eile Mittheilung.
•
Bei der Fortsetzung meiner Versuche über die Efnwirkung von
Phospborchiorttr auf Anhydride und Chloride habe ich im Aligemeinen
gefunden , dass meistens dann , vt^enn in der auf das Phosphorchlorür
einwirkenden Verbindung, ein Körper enthalten ist, der grosse AffiniUil
«um Chlor hat, viel Phosphorsä^re und wenig Pbosphoroxychlorid ge-
bildet wird. So bilden z. B. die meisten Mela)lo\yde Chlormetaff,
phosphorsaures Salz und wenig Phosphoroxycblorid. Direct zu Metall
reducin wird nur das Bleioxyd.
Ferner ist hervoraubeben, dass freies Antimon ausPhosphor<A!orttr
den Pbospb&r frei madit unter Bildung von Antimonchlorflr. Das An-
timon hat also, bei höher<*r Temperatur wenigstens, die grösste Affi-
niUit zum Cblor.
Es folgen ntin die einzelnen Versuche.
5. PhosphorehlorBr and SchwefligfiAnreanhydrid.
Da, wie ich früher gezeigt habe, flüssiges Schwefligsäureanhydrtd
selbst in höherer Temperalur nicht von Phosphorchlorör verändert
wird , so Hess ich schweflige Säure mit PhosphorchlorOrdampf zusam-
men durch ein glühendes Rohr gehen. Es bildete sich dabei Pbosphor-
oxychlorid und Phosphorsulphochlorid , während sich an den kälteren
Stellen des Rohres Schwefel abschied.
S02 -f 3 PC13 = PCl^S + 2 PCI» 0.
Deb«r die F.inwirknng von Phosphorcklortir auf Anhydride und Chloride. 111
6. Phosphorchlorfir and Sillpharylhydroxylchlorid.
Id der Voraussetzung , dass diese Körper nach der Gleichung
PC13 -f. 3 S02(0H)C1 = P(0H)3 + 3 SO^CP
aufeinander einwirken, sich also Sulphurylchlorid bilden würde,
brachte ich in eine mit einem umgekehrten LiEBiG^schen Kuhler ver-
bundene Retorte, 1 Mgt. PCl^ und 3 Mgt S02(0HjCi. Es erfolgte schon
in der Kälte Einwirkung, unter Entwickelung von schwefliger Süure
und Salzsäure. Zuletzt wurde , um die Reaetion zu vollenden und die
absorbirten Gase zu entfernen, einige Zeit erhitzt, wobei trotz guten
Ktthlens eine Verflüchtigung von Phosphorchlorür nicht vermieden
werden konnte, was daraus ersehen werden konnte , dass sich in dem
vorgelegten Wasser , von welchem die Gase absorbirt wurden , Schwe-
fel abschied. Durch Destillation der zurückgebliebenen Flüssigkeit
wurde S^KIP, an seinem Siedepunkt und seinem Verhalten zu Wassei-
und etwas unverändertes SO^lOHj Gl erhalten, während Pliosphorsäure-
anhydrid zurückblieb.
Die Zersetzung war also nach der Gleichung :
2 PCI» + 8 S02(0H)Cl = P205 -f 3 S20H]12 + 2 SO^ + 8 HCl
vor sich gegangen.
7. Phosphorchlorür and Pyrosulphurylchlorid.
Eine Mischung von 2 Mgt Phosphorchlorür und 1 Mgt S^O^Cl^ ent-
wickelt schon in der Kälte schweflige Siiure, unter Bildung von Phosphor*
oxychlorid und Phosphorsuperchlorid, welches letztere sich krystalli-
nisch ausscheidet. Die Einwirkung findet also nach der Gleichung
S206CI2 -f- 2 PCP = 2 SO» + PCW 4- PCI*
statt.
Da nun S^OKll» aus PCi» und S02(0H)C1, dieses aber wieder aus
S0^H2 und PCl^ gebildet werden kann, so lässt sich auch die Schwefel-
.situiv durch Phosphorchlorür völlig in schweflige Säure veiwandeln,
unter Bildung von PCl'^ und ?K)'^ resp. PCI'^O. Man hat dazu gleiche
Mgt. beider Substanzen nOthig :
8 PCl^ 4- 8 SO*H'^ = 8 SO'^ + PCTO -f PCI* + 3 PW» -f- U\ HCl
oder
3 PC|3 4- 3 SO^IP = 3 SO» + PCIX) + P^^ + <i HCl.
112 A. Miehaelis,
8. Phosphorchlorfir and Chromacichlorid.
Da diese Körper sehr heftig auf einander einwirken , wurde das
Chromacichlorid vermitteist eines Scheidetrichters langsam zu stark
abgekühltem Phosphorchlorttr fliessen gelassen , welches sich in einer
mit dem umgekehrten LiBBiG'schen Kühler verbundenen Retorte befand.
Jeder Tropfen verursacht lebhaftes Zischen und Peuererscheinung,
die jedoch nur zuerst sichtbar ist, indem sich bald die Retorte mit einem
undurchsichtigen blaugrünen Anflug beschlägt. Die letzten Tropfen
verursachen zuweilen Detonation.
Der halbfeste blaugrüne Rückstand gab bei der Destillation im
Kohlensäurestrom ausser überschüssigem Phosphorchlorür viel Phos-
phoroxy Chlorid und etwas Phosphorsuperchlorid. Die in der Retorte
zurückbleibende feste Masse erhitzte sich mit Wasser sehr stark und
gab eine grüne Lösung, die viel Metaphosphorsäure enthielt, während
violettes Ghromchlorid zurückblieb. Chromchlorür hatte sich nicht
gebildet. ' Die Einwirkung verlief demnach nach der Gleichung :
4 Cr02C12 + 6 PCI» = 4 CrCl» + PCl^ + 3 POCl^ + P^O»
oder
42 Cr02C12 4- 18 PCI» = 12 GrCl» + 1 4 POGI» + 2 P^O^
Die Heftigkeit der Einwirkung zeigt, dass der Sauerstoff im
Chromacichlorid nur sehr lose gebunden sein muss.
9. Phosphorchlorfir nnd Kalinmbichromat.
In der Kälte war keine Einwirkung zu bemerken; als aber das
Kaliumbichromat mit überschüssigem Phosphorchlorür im zugeschmol-
zenen Rohr auf 166^ erhitzt wurde, nahm das Salz eine sehr dunkle
Farbe an. Nach zweitägigem Erhitzen wurde die Flüssigkeit im Kohlen-
säurestrom abdestillirt. Sie enthielt neben überschüssigem Phosphor-
chlorür Phosphoroxychlorid. Der trockene Rückstand löste sich beim
Rehandeln mit verdünnter Essigsäure mit rothbrauner Farbe , während
braunes Chromoxyd zurückblieb.
Aus der Lösung krystallisirte zuerst viel unverändei*tes Kalium-
bichromat, dann bildeten sich kleinere Krystalle eines anderen Salzes,
die beim Erhitzen deutlich Chlor entwickelten. Diese bestanden offen-
bar aus chlorchromsaurem Kali. Ausserdem war in der wässrigen
VfhtT die Fimnfiniie tob PkosphoiHilortr «nf Anhydriilf nod Cblondf. 113
Lösung Phosphorsäure enthalten. Wahrscheinlich hatti^ also folgende
Einwirkang stattgefunden :
30 CrX)7K2 -I- 4i PCI« = 48 CrO^ KCl + 45 PO^K
+ 42 CrO^ + 27 KCl + 27 POCI».
10. PliosphoreUorflr and Antimoiiigsiiireudiydrid.
Antimonigsäureanh>drid mit überschüssigem Phosphorchlorür auf
4 60^ im zugeschmolzenen Rohr erhitzt, färbte sich bald roth und es
bildeten sich lange weisse Krystalle, die nach zweitägigem Erhitzen
des Rohrs drusenfbrmig wurden. Die Untersuchung der Flüssigkeit
zeigte , dass sich kein Phosphoroxychlorid gebildet hatte. Die Krystalle
erwiesen sich durch ihr Verhalten gegen Wasser als SbCl^, ein weisser
amorpher Körper , der neben den Krystallen sich ausgeschieden hatte,
war Phosphorsäureanhydrid. Das rothe Pulver wurde zuerst mit ver-
dünnter Salzsäure, dann mit Wasser ausgewaschen und über Schwe-
felsäure getrocknet. Im offenen Rohr erhitzt , entzündete es sich , bei
Luftabschluss sublimirte Phosphor. In Salpetersäure war es beim Er-
wärmen unter Zischen löslich, Antimon nur in geringer Menge darin
enthalten. Es war also zweifellos, dass dieses Pulver amorpher Phos-
phor war. Da bei der Einwirkung von Phosphorchlorür auf Arsenig-
Säureanhydrid sich Phosphorsäureanhydrid, Chlorarsen und freies
Arsen gebildet hatten ^j, so lag die Vcrmuthung nahe, dass das auf
analoge Weise freigewordene Antimon Phosphor aus dem Chlorür al>ge-
schieden habe.
Es wurde deshalb feingeriebenes Antimon mit Phosphorchlorür
im zugeschmolzenen Rohr auf 4 60^ erhitzt. Auch hier schied sich bald
ein rothes Pulver aus, unter Bildung von weissen Krystallen. Die
Untersuchung dieser Producte zeigte, dass in der That das Antimon aus
dem Phosphorchlorür Phosphor frei gemacht und AntimonchlorUr sich
gebildet hatte.
Daraus folgt zunächst, dass die Einwirkung des Phosphor chlorürs
auf antimonige Säure analog der auf arsenige Säure ist, nur dass hier
das abgeschiedene Antimon Phosphor frei macht, was das Arsen nicht
thut. Die zuerst gebildeten weissen Krystalle waren wohl Antimon-
oxychlorür, welches dann allmählich in AntimonchlorUr verwandelt
wurde.
Ferner folgt auch daraus, dass das Antimon — wenigstens bei
1 1 »herer Temperatur — grössere Affinität zum Chlor hat, als Phosphor
4i Vergl. d. ZciUchiin. Bd. VI. p. «41.
Bd. VII. 4. 8
It4 A. Michaelis,
Arsen und Wismuth , denn Arsen mit Phosphorchlorür eingeschlossen,
giebt nur Spuren von ausgeschiedenem Phosphor, Wismuth etwas mehr.
11. Phosphorchlorür und Antimonsäureanhydrid.
Beide Ki^rper im zugeschmolzenen Rohr zusammen auf 1 60<^ er-
hitzt, wirken leicht auf einander ein, unter Bildung einer grossen
Menge weisser Krystalie, welche aus Antimonchlorür bestanden und
eines amorphen weissen Körpers der Phosphorsäureanhydrid war.
Phosphoroxychlorid hatte sich nur spurenweis gebildet. Danach hat-
ten sich also Sauerstoff und Chlor einfach ausgetauscht.
ShH)^ + 2 PCP = 2 SbC13 + P205
Auch hier zeigt sich wieder die grosse Affinität des Chlors zum
Antimon. Bei Arsensäure tritt, wie ich früher gezeigt habe, gar keine
Einwirkung ein , offenbar wegen der geringeren Affinität des Arsens
zum Chlor.
Auch kann man nicht annehmen , dass sich zuerst Antimonsäure-
anlimonigsäureanhydrid (Sb'^0^) und PCPO gebildet habe und leUlere
sich dann in Phosphorsäure und Antimonchlorür umsetzten :
Sb205 + PC13 = Sb204 + PCTO
Sb^O» H- PC130 = SbCP + P205,
da Phosphoroxychlorid fast gar nicht auf Sb^O^ einwirkt.
12. Phosphorchlorttr und l¥lsmathoxyd.
Nach dreitägigem Erhitzen beider Körper im zugeschmolzenen
Rohr auf 160^ war der Röhreninhall dunkelgelbbraun geworden. Die
im Kohlensäurestrom abdestülirte Flüssigkeit bestand aus überschüssi-
gem Phosphorchlorür und Phosphoroxychlorid. Von dem trocknen
Rückstand wurde ein Theil im Röhrchen erhitzt; es sublimirte BiCl^
ein anderer Theil wurde mit Schwefelammonium digerirt; das Filtrat
enthielt Phosphorsäure. Der Rest gab beim Kochen mit Salzsäure ein
schwarzes Pulver , das , als es ausgewaschen war , sich als metallisches
Wismuth zu erkennen gab. Dies machte es wahrscheinlich, dass
neben BiCl^ auch BiCl^ sich bildete, letzteres aber beim Kochen mit
Salzsäure in BiCl^ und freies Wismuth zerfiel. Danach verlief also die
Einwirkung nach der Gleichung:
7 Bi203 + 7 PC13 = 2 P30«Bi2 + 8 BiCl^ + PCPO + 2 BiOCl
lieber die Riiiwirknng; von Phosphorehlorfir auf Anhydride und Chloride. 115
Die Bildung von BiOCl ist desshalb anzunehmen , weil der Rück-
stand unverandeHes Wismuthoxyd enthielt.
13« Phosphorchlorttr und Bleioxyd.
Im 2Ugeschmolzenen Rohr auf 160^ erhitzt wirken diese Körper
nicht auf einander ein , befeuchtet man aber Bleioxyd mit Phosphor-
chlorUr und erhitzt direct über der Lampe, so erfolgt heftige Einwir-
kung unter Erglühen des Bleioxyds und Fiammenerscheinung.
Es wird hierbei viel metallisches Blei reducirt zugleich unter Bil-
dung von Bleichlorid und phosphorsaurem Blei
6 PbO + 2 PCl^ = P20«P1 + 3 PbCP + 2 Pb.
Da dieser Versuch sich sehr leicht anstellen iässt, so ist er sehr
geeignet, die reducirende Wirkung des Phosphorchlorürs zu zeigen.
14. Phosphorehlorfir und Bleisaperoxyd.
Trügt man in erwärmtes Phosphorchlorür Bleisuperoxyd nach und
nach ein , so sieht man bei jedesmaligem Eintragen Peuererscheinung.
Noc'h stärker ist diese , wenn man umgekehrt Phosphorchlorür zu Blei-
superoxyd tropft. Trägt man Bleisuperoxyd in kaltes Phosphorchlorür,
so erfolgt die Einwirkung nur unter Zischen ohne Peuererscheinung.
Destillirt man dann die Flüssigkeit von den ausgeschiedenen festen
Producten ab , so erhält man ausser überschüssigem Phosphorchloiilr
Phosphoroxychlorid. Der Rückstand besteht aus Chlorblei und phos-
phorsaurem Blei. Demnach geht die Einwirkung so von statten :
4 Pb02 4- 4 PC13 = P^OePb + 3 PbC12 + 2 PCIX)
15. Phosphorehlorfir und Zinnoxyd.
Zinnoxyd mit üborscbtissigem Phosphorchlorür auf 100^ erhitzt
wurde bald dunkelbraun. Nach zweitägiger Einwirkung wurde die
Flüssigkeit im Kohlen sä u res trom abdestillirt. Sie enthält kein Phos-
phoroxychlorid, aber Vierfachchlorzinn. Von dem trocknen Rück-
stand wurde ein Theil mit Wasser bebandelt, ein Theil mit Natronlauge
digerirt. Die wässrige Lösung gab mit Schwefelwasserstoff eine starke
Fällung von braunem Schwofolzinn , der alkalische Auszug zeigte nach
Entfernung des getosten Zinns mit Schwefelwasserstoff starke Reaction
auf Phosphorsäure. Die Zersetzung verlief also nach der Gleichung :
5 Sn02 + 4 PCI« = 4 SnCP + SnCH + 2 P^^.
116 A. Michaelis,
16. Phosphorchlorfir and Kupferoxyd.
Beide Körper wurden im zugeschmolzenen Rohr auf 1 60 ^ erhitzt,
wobei der Röhreninhalt sich bald schwarzblau färbte. Bei der Destil-
lation im Kohlensäurestrom ging neben dem überschüssig angewandten
Phosphorchlorür Phosphoroxychlorid über. Der trockne Rückstand
wurde mit ausgekochtem Wasser ausgezogen und rasch filtrirt. Im
Filtrat erfolgte durch kohlensaures Natron eine grüne Fällung, es war
also Kupferchlorid gebildet. Durch Salzsaure Hess sich aus dem Rück-
stand "viel, durch Alkalien gelb fällbares Kupferchlorür ausziehen.
Ausserdem war noch Phosphorsäure gebildet. Die Einwirkung war
also nach der Gleichung
17 CuO + 5 PC13 = 2 P^O^Cu^ + 40 CuCl + CuCP + PCW
verlaufen.
Befeuchtet man Kupferoxyd mit Phosphorchlorür, so tritt bei star-
kem Erhitzen über der Lampe Erglühen und Flammenerscheinung ein.
17. Phosphorchlorür und Quecksilberoxyd.
Gefälltes Quecksilberoxyd wird, schon in der Kälte von Phosphor-
chlorür angegriffen , krystallisirtes erst beim Erhitzen im zugeschmol-
zenen Rohr auf 460<>. Es entstehen dabei ähnliche Producte wie bei
der Einwirkung auf Kupferoxyd : Calomel, Sublimat (der sich theilweise
mit Quecksilberoxyd zu basischem Chlorid vereinigt), phosphorsaures
Quecksilberoxyd und wenig Phosphoroxychlorid :
17 HgO + 5 PC13 = 2 P208Hg» + 10 HgCI + HgCP + PCW.
18. Phosphorchlorfir und Molybdänsäure.
Molybdänsäure förbt sich schon in der Kälte mit Phosphorchlorür
unter Erwärmen blau. Beim Erhitzen im zugeschmolzenen Rohr auf
IGO^ nimmt dann der Röhrerinhalt allmählich eine dunkelbraune Farbe
an. Nach zweitägigem Erhitzen wurde die Flüssigkeit durch Destilla-
tion im Kohlensäurestrom von den festen Producten getrennt. Das
Destillat bestand aus überschüssig angewandtem Phosphorchlorür und
Phosphoroxychlorid. Derselbe Rückstand gab beim Erhitzen ein gelb-
weisses wolliges Sublimat von MoO%P, beim Behandeln mit Wasser
erhitzte er sich stark, indem er sich theilweise mit brauner Farbe löste.
Aus dem Filtrat fällte Ammoniak einen braunen Niederschlag, der
tr'Km
lieber die Einwirkung von Phospliorrhionlr anl' Anbvdride und Chloride. 117
wahrscheinlich aus Mo(OH)2 bestand, in dem Filtrat von diesem Nie-
derschlag liess sich viel Phosphorsäure nachweisen. Der in Wasser
unlösliche Thcil oxydirte sich auf dem Filier zu dunkelbraunem Mo-
iybdclnsäuremolybdcinoxyd, woraus man schliesson kann, dass er MoO^
war. Hieraach ist die Einwirkung vielleicht als in zwei Phasen er-
folgt anzunehmen :
Mo03 + PC13 = M0O2 4- PG130
3 Mo03 + 2 PCPO = MoO^CP + p20^
Durch die Phosphorsäure wurde dann wahrscheinlich das braune
Pillrat veranlasst.
19. Fhosphorchlorilr und lYolframsäare.
Woiframsäurc mit Phosphorchlorür selbst bis 200® erhitzt färbt
sich nur oberflächlich grün, ohne sonst weiter verändert zu werden.
Auch auf Mangansuperoxyd und Eisenoxyd übt das Phos-
phorchlorür keine Einwirkung aus.
Jena, Univ.-Laboratorium, März 4874.
Chemische Mittheilungen.
Von
A. Oeuther.
!• Zur Kenntniss des Nitrosodiaetbyliiis.
Auf meine Veranlassung hat Herr Dr. L. Schiele einige Versuche
mit dem noch wenig gekannten Nitrosodiaethylin vorgenommen , deren
Resultate in Folgendem mitgetheilt werden.
i. Gegen starke Basen, wie Kalium- oder Natriumhydroxyd
ist das Nitrosodiaethylin sehr beständig, es wird weder von verdünnter
noch concentrirter , wässriger oder alkoholischer Lösung bei gewöhn-
licher Temperatur noch bei 100<^ verändert. Erst bei Temperaturen
über i 00^ tritt langsam Zersetzung ein und zwar früher bei Anwen-
dung von alkoholischer als bei wässriger Lösung.
Als wässrige concentrirte Kalilauge mit Nitrosodiaethylin 8 Stun-
den auf 130*^ erhitzt worden war, wurde ein schwacher Druck im
Innern des Rohrs beim Oeffnen bemerkt und alkalische Reaction der
Röhrenluft wahrgenommen. Durch längeres Erhitzen im Wasserbade
aber konnte ebensowenig etwas überdestillirt werden, als eine wesent-
liche Abnahme der angewandten Nitrosodiaethylinmenge zu bemerken
war. Als die Erhitzung eines solchen Rohres aber auf 1 55^ während
längerer Zeit vorgenommen wurde, fand die Zertrümmerung des Rohrs
statt, ehe eine beträchtlichere Menge des Nitrosodiaethylins zersetzt wor-
den war. Dasselbe fand bei einem zweiten und dritten Rohre statt, so
dass im Innern derselben offenbar eine beträchtliche Gasentwicklung,
vielleicht von Stickgas, stattgefunden haben musste.
Wendet man statt der wässrigen eine concentrirte alkoholische
Lösung von Kaliumhydroxyd an , so ist das Verhalten ein ähnliches :
beim Erhitzen auf 130" flndct unter geringer Spannung im Rohr nur
Chemische Mittheilun^en. 119
geringe Zersetzung sVatt , bei i 4'0<^ war die Zersetzung beträchtlicher,
aber immer noch nicht sehr bedeutend, als dagegen 8 Stunden auf
4 55^ erhitzt worden war, zeigte sich ein grösserer TheH von Nitrosodlae-
thylin zersetzt , das beim Oeffnen des Rohrs zuerst entströmende Gas
war brennbar, das später folgende nicht. Als das Rohr im Wasserbade
erwärmt wurde, destillirte stark alkalisch reagirender Alkohol, derselbe
wurde mit Salzsäure übersättigt und dann auf dem Wasserbade zur
Trockne gebracht. Der Rückstand wurde in Wasser gelöst und mit
Pialinichlorid versetzt, dabei schied sich sofort eine beträchtliche
Menge eines wie Platinsalmiak aussehenden Salzes aus. Es wurde
deshalb mit etwas überschüssigem Platinichlorid zur Trockne ver-
dampft und mit absolutem Alkohol behandelt. Das davon ungelöst
Rleihende war Ammonium-Platini-Chlorid , wie die Analyse zeigte,
denn es enthielt 43,8% Platin, während sich dafür 44,0% berechnen.
Das in Lösung Gegangene wurde über Schwefelsäure gestellt. Dabei
schieden sich kleine gelbe blättrige Ki^stalle aus vom Ansehen des
Aethylammonium-Platini-Chlorids. Eine Platinbostimmung davon ergab
39,0% Platin ; das Aethylammonium-Plalini-Ghlorid verlangt 39,3%.
Diese Resultate zeigen also , dass bei dieser Zersetzung aus dem Nitro-
sodiaethylin sowohl Aethylamin, als Ammoniak entstanden.
Das zurückgebliebene Kaliumhydroxyd enthielt nur Spuren von salpe-
triger Säure, entwickelte aber auf Zusatz von Schwefelsäure eine be-
trächtliche Menge von* Kohlen säure. Darnach ist es sicher, dass die
Nitrosylgruppe zerstört und ihr Sauerstoff zur Oxydation von C^H^ ver-
wandt wird unter Entwicklung ihres Stickstoffgehaltes als Stickgas.
Vielleiclit findet die Zersetzung nach folgender Gleichung statt:
4 [(C2I1S)2.N0.N] + 8K0H = 4C2HMI2N + 2NIP + 2CnV
+ 2N + 4CO'*2+ 3 0H2.
Ein Weg zur Rückverwandlung dos Diaethylamins
in Aethylamjn oder Ammoniak ist bis jetzt nicht bekannt ge-
wesen, mit Hülfe des Nitrosodiaethylins ist derselbe aber, wie wir ge-
sehen haben , gefunden.
2. Von Reductionsraittcin sind Schwefelwasserstoff, Am-
moniumhydrosulfid, Ferrosulfat und saures Natriumsulfit
bei gewöhnlicher Temperatur oder bei 100^ ohne Einwirkung auf das
Nitrosodiaethylin , ja selbst damit im verschlossenen Rohr bis auf 150^
längere Zeit erhitzt, ist eine Veränderung kaum zu bemerken. Dagegen
wirkt Natriüraarhalgam bei Gegenwart von Wasser sehr energisch und
rasch unter Erwärmung und bedeutender Gasentwicklung. Das sich
entwickelnde Gas besitzt die Eigenschaften des Stickoxyduls, es brennt
120 * A. Geother,
selbst nicht, bewirkt aber , dass ein brennender Span in ihm lebhafter
als in atmosphärischer Luft verbrennt. Sofort nach der Einwirkung
tritt der Gerucb nach einer flüchtigen Base auf. Die vom Queck-
silber abgegossene Flüssigkeit wurde der Destillation unterworfen.
Das zuerst Uebergehende aus dem Wasserbade rectificirt und das stark
basische Destillat mit Chlorwasserstoffsäure übersättigt und zur Trockne
verdampft. Der in Wasser gelöste Rückstand gab mit Platinichlorid im
Uebersdiuss versetzt über Schwefelsäure allmählich morgenrothe Kry^
stalle, deren Platingehalt 35,1—35,5 % betrug. Darnach ist die Ver-
bindung also Diaethylammonium-Platini-Chlorid und die durch Re-
duction neben Stickoxydul aus dem Nitrosodiaethylin erzeugte Base also
Diaethylamin, gebildet nach folgender Gleichung :
2[(C2H5)2.NO.N] + 4H = (C^H^j^HN •+• N^O + OIR
3. Es ist bekannt, dass concentrirte Salzsäure (verdünnte Säure
wirkt wenig oder nicht) das Nitrosodiaethylin wieder in Diaethyi-
ammoniumchlorid verwandelt ^) unter Aufnahme von Wasser und unter
Bildung von salpetriger Säure. Zu untersuchen war noch, welche
Wirkung Chlorwasserstoffgas bei Ausschluss von Wasser
auf diese Verbindung ausübe. Zu dem Ende wurde in die Substanz
bei Ausschluss jeglicher Feuchtigkeit ganz trocknes Chlorwasserstoffgas
geleitet. Dasselbe wurde absorbirt, die Flüssigkeit trübte sich schwach
wie nach Aussscheidung von farblosen, kleinen Krystallnädelchen,
wurde aber bald darauf wieder klar und heilgelb. Allmählich nahm
sie aber wieder eine dunklere Farbe an, bis sie dunkelorangefarbig
geworden war , zu welcher Zeit sie anfing , gelbrothe Dämpfe zu ent-
binden , bis bei fortgesetztem Einleiten von Salzsäure die Flüssigkeit
wieder eine hellgelbe Farbe annahm. Zur Austreibung des etwa über-
schüssig zugeleiteten Chlorwasserstoffgases wurde nun wohl getrock-
netes Kohlensäuregas noch währctid mehrerer Stunden eingeleitet.
Dabei verwandelte sich die Flüssigkeit allmählich in eine nur mit wenig
gelblichen Oels durchtränkte Krystallmasse , welche mehrere Male mit
absolutem Aether gewaschen wurde, um das gelbe Oel zu entfernen,
dessen geringe Menge nach dem Abdestilliren des Aethers zurückblieb.
Sie wurden darauf in Wasser gelöst und in das Platini-Doppelsalz
übergeführt. Die Krystalle des Letzteren hatten ganz das Ansehen des
Diaethylamin-Doppelsalzes und ergaben einen Piatingehalt von 35,4%,
während das reine Diaethylammonium-Platini-Chlorid einen solchen
von 35,3 % enthält. Damach kann also kein Zweifel sein, dass die
1) Annal. d. Chem. Bd. 1S8. p. 454.
^^^^f^^^^*-»^
Chemische Mutheilungen. 121
aus dem MtrosodiaclhyJin hervorgegangenen Kryslalle Diacthyl-
ammoniuinchlorid waren, gebildet wahrscheinlich nach der Glei-
chung:
(CnP)2.N0.N + 2HC1 = (C2Hs)2H2NCi + NOCl.
Die milbeobachteten gelbrothen Dämpfe sind dann das Nilrosyl-
chlorttr gewesen.
IL Ueber die Zusammensetzung des Antimonsäurehydrats.
Nach Bbrzelius^) komml dem aus Antimon mittelst Königswasser
dargestellten , mit Wasser gewaschenen und mehrere Male nach einan-
der wohlgetrockneten (bis es seine Säure und seinen metallischen Ge-
schmack verloren hatte) Antimonsäurehydrat die Formel : SbO^^H zu,
ist also Monhydroxy- Antimonsäure. Nach Frrmy^) ist das aus einer
Kaliumaniimoniatlösung mittelst Salpetersäure gefällte Hydrat, wenn
es bei gewöhnlicher Temperatur in einem Luftstrom getrocknet wird
nach der Formel: SbO^H* zusammengesetzt, also Perhydroxy-
Antimonsäure. Da Bbrzelius die Temperatur, bei welcher er die zur
Untersuchung verwandte Verbindung getrocknet bat, nicht näher be-
stimmte, sondern nur sagt, dass er sie Dwohlgetrocknet« verwandt
habe, und da ausserdem über die zwischen der Monhydroxy- und
Perhydroxy-Antimonsäure liegende Trihydroxysäure noch nicht be-
kannt war, so habe ich einige Versuche zur Vervollständigung dieser
Angaben ausführen lassen. Das verwandte Antimonsäurehydrat war
aus der Lösung des Kaliumantimoniats durch Salpetersäure abgeschie-
den und mit kaltem Wasser so lange gewaschen worden, als dasselbe
noch saure Reaction zeigte (wobei es zuletzt milchig durchs Filter ging)
und darauf bei gewöhnlicher Zimmertemperatur während eines Sommer-
halbjahrs an der Luft trocknen gelassen. Die hai*t gewordenen Stücke
wurden zerrieben und zur Analyse verwandt. Diese Letztere ergab
nun , wie die nachfolgenden Zahlen zeigen :
\. dass das völlig lufttrockne Hydrat weder Perhydroxy- noch
Monhydroxy-Säure , sondern Trihyd roxy-Antimonsäure ist.
2. dass aus dieser Säure beim Erhitzen bis auf 1 75^ so viel Wasser
weggeht, dass Monhydroxy-Säure übrig bleibt.
4) ScRWEiGGiR, Journ. f. Chemie und Physik. Bd. XXII, p. 71 und Beazelius,
r.ehrbuch.
t) Anoal. d. Chim. et Pbys. [8] T. XXIII, p. 405.
122
A. Geiitler,
3. dass heim Erhitzen auf 275® daraus gelber Anlimonsaure-
anhydrid wird, welcher bei 300® aber schon unter Sauerstoffverlust
weiss zu werden und in Antimonig-Antimonsciureanhydrid überzu-
gehen anfängt.
1. V
er SU c h.
Gewicht.
Lufttrock
no Substanz
• • •
1,9869 Grm
6 Tage
übel
• SO^H^ getrocknet
f,9384 -
<5 Stunden bei iOO«
—
1,8670 -
2
-1100
-
1,8603 -
7
- 1200
—
1,8453 -
H
- 150«
—
1,8175 -
3
- 160»
—
1,8150 -
4
- 175»
—
1,8007 -
7 -
- 180«
—
1,7743 -
6
- 100«
—
1,7705 -
6
- ^00«
—
1,7638 -
Geglüht
und
als Sb^O^
gewogen
2. V
1.6043 -
ersuch.
Lufttrockne Substanz . . . 1,8911
24 Stunden üb. SO^P getrocknet 1,8418
7
6
3
4
4
2
bei 200«
- 250«
- 260«
- 275«
- 300«
- 340«
1,6736
1,6459
1,6167
1,6060
1,5972
1,5888
Aus (1. gcfundonen
Gewicht von Sb20*
berechnet.
1,9689 Sb04H3
1,7814 Sb03|l
1,8755 SbO^li'»
1,6969 SbO»H
1,6076 Sb^Qft
Geglüht und als Sb^^ gewogen 1 ,5282 -
III. lieber die Zersetzung des Phosphorchlorürs durch Wasser.
Vor einiger Zeit hat Kraut *) angegeben, dass, wenn man frisch
deslillirtes und vom überschüssigen Phosphor freies Chlorür in sieden-
des Wasser tropfen lässl, jeder Tropfen ausser lebhaftem Zischen »Fcuer-
crscheinung , sowie eine dicke Abscheidung von amorphem Phosphor
1) Ännal. d. Chem. u. Pharm. Bd. 458. 6. S8S.
C hemisobe MiUheiinngen. 123
hervorbringe«, bei Anwendung von massig warmen Wassers lasse sich
dte^Feuercrscheinung vermeiden und doch eine erhebliche Ausscheidung
von Phosphor bei Temperaturen erhalten, bei welchen die phosphorige
Säure sich noch nicht zersetzt«.
Beim Lesen dieser Mittheilung ist es vielleicht manchem , welcher
schon öfters Phosphorchlorttr mit Wasser zersetzt hat, so gegangen, wie
mir» dass er sich nicht erinnern konnte, eine Abscheidung von Phosphor
dabei bemerkt zu haben. Ich habe mich dadurch aufgefordert gefühlt,
die angegebenen Versuche Krautes zu wiederholen. Dabei wurde
zweierlei Phosphorchlorttr verwandt, erstens solches, welches ur-
sprünglich etwas Phosphorchlorid enthielt und welches durch fünfmalige
vorsichtige Rectification , wobei immer ein beträchtlicher Rückstand
gelassen und nur das zwischen 75 und 76^ (uncorr.) Destillirende ge-
sammelt wurde, gereinigt worden war und zweitens solches, in welchem
vorher überschüssiger Phosphor gelöst wurde und das darauf einmal auf
dem Wasserbade rectificirt worden war in der Art, dass das heisse
Wasser nur mit dem Boden der Kochflasche in Berührung kam. Dabei
war ein Rückstand von Phosphor und Phosphorchlorttr geblieben und
auch nur das zwischen 75 und 76^ Ueborgegangene gesammelt worden.
Beide Arten von Phosphorchlorttr verhielten sich bei den mit ihnen vor-
genommenen folgenden Versuchen ganz gleich.
Als von diesem Phosphorchlorttr zu Wasser von gewöhnlicher Zim-
mertemperatur, welches in einem weiten Proberöhrchen sich befand,
gegossen und unter Umschtttteln zersetzt wurde, fand eine Ausschei-
diuig von Phosphor nicht statt. Ais darauf das Wasser im Proberöhrchen
bis auf 60^ erwärmt worden war und gleich verfahren wurde, konnte
ebensowenig eine Abscheidung von Phosphor bemerkt werden ; dasselbe
war der Fall als Wasser von 80^ und nahe zum Kochen erhiüstes Wasser
verwandt wurde. Die Versuche wurden mit demselben Resultat wie-
derholt. Dabei wurde einmal bei Anwendung von Wasser, welches im
Proberöhrchen kurz vorher gekocht hatte, aber nicht mehr kochte, eine
Feuererscheinung beobachtet, dieselbe ging aber nicht vom Wasser im
Röhrchen, sondern von der Ocffnung des Proberöhrchens aus, von da
wo die Dämpfe mit der Luft in Bertthrung kamen und noch ein Stttck
in das Röhrchen hinein. Die Feuererscheinung selbst hatte den Cha-
rakter eines starken Phosphorcscirens d. h. das Ansehen einer ver-
dttnnten fahlen, wenig glänzenden gewöhnlichen Phosphorflamme.
Auch dabei wurde kein Phosphor abgeschieden. Ich schloss daraus,
dass die beobachtete Feuererscheinung an die Gegenwart von Luft resp.
Sauerstofl" bei der Zersetzung gebunden sei und habe daraufhin fol-
gende 3 Versuche unternommen, welche dies durchaus bestätigen.
124 A. (Jeuther,
1 . Ve rsuch : Ein weites Proberöhrchen wird in der Art inwendig
feucht gemacht und mit einem Tröpfchen Wasser versehen , dass man
dasselbe mit einer grösseren Menge von Wasser völlig benetzt und
letzteres dann ausfliessen lässt, darauf wird er bis zur Hälfte in stark
siedendes Wasser gestellt, 15 — 20 Minuten, je nach der Dicke des
Glases , aus welchem das Proberöhrchen besteht , gewartet und nun
eine Menge von 8—40 Tropfen Phosphorchlorür auf einmal zugegossen.
Nicht sofort, aber ganz kurze Zeit darnach tritt die oben beschriebene
Feuererscheinung auf, welche, da sie sehr wenig glänzend ist, natürlich
bei geringer Zimmerhelle am besten zu sehen ist. Die Sache geht dabei
offenbar so zu: das Phosphorchlorür wird im Röhrohen zum Theil
dampfförmig , dieser Dampf zersetzt sich mit Wasserdampf in Chlor-
wasserstoff und phosphorige Sciure und diese letztere im fein vertheilten
und wahrscheinlich beträchtlich heissem Zustand verbrennt durch den
Sauerstoff der im Röhrchen gegenwärtigen Luft zu Pbosphorsäure. In
, manchen Fällen , aber durchaus nicht immer , bemerkt man nach
Vollendung der Reaction eine sehr geringe Menge fein zerthcilten
rothen Phosphors. Derselbe verdankt seine Entstehung jedenfalls einer
bei der Verbrennung des grössten Theils der phosphorigen Säure durch
den Sauerstoff entstehenden höhern Temperatur, welche, bei nicht
überschüssigem Sauerstoff, eine geringe Menge der phosphorigen Säure
nach bekannter Art in Phosphorsäure und Phosphorwasserstoff resp. in
die Zersetzungsproducte des Letzteren in der Hitze, Wasserstoff und
Phosphor, zerfallen macht. Der Inhalt des Röhrchens enthält eine ziem-
liche Menge gewöhnlicher Phosphorsäure und stets beträchtlich mehr
als das angewandte Phosphorchlorür liefern kann, wenn es mit kaltem
Wasser zersetzt worden ist. Jedes an der Luft destillirte Phosphor-
chlorür nämlich kann in Folge eines geringen Gehaltes an Phosphor-
oxychlorid^) diese erzeugen.
2. Versuch. Bringt man in einem Kochfläschchen Wasser zum
lebhaften Sieden und wartet so lange mit dem Zusatz von Phosphor-
chlorür, bis alle Luft durch den Wasserdampf daraus verdrängt ist und
letzterer beständig lebhaft daraus entströmt, so tritt natürlich explo-
sionsartige Zersetzung des zugetropften Phosphorchlorürs , aber weder
eine Feuererscheinung noch eine Abscheidung von Phosphor ein. Dies
bestätigt die im Vorhergehenden gegebene Erklärung.
3. Versuch. Wird in einem mittelgrossen offenen Becherglas
nicht zuviel Wasser zum Sieden erhitzt, wobei eine beständige Mischung
von Wasserdampf und Luft von selbst vor sich geht, und darauf Phos-
4) Vergl. d. Zeitschrift. Bd. VI, p. 05.
Chemische Mittheiluogen. - 125
phorchlorOr in Mengen von 12 — 20 Tropfen zugezogen, so tritt die
Feuererscbeinung in der ganzen Breite des Becherglases und darüber
hinaus als grosse Flamme auf, ohne dass auch hier Phosphorabschei-
düng erfolgte.
Diese Versuche zeigen also, dass reines Phosphorchlorür durch
warmes oder siedendes Wasser ohne Phosphorahscheidung in phos--
phorige Säure und Chlorwasserstoff zersetzt wird und dass die Angaben
Rbact^s, es finde dabei eine »erhebliche« oder d dicke Abscheidung von
amorphen Phosphor« statt, nicht richtig sind.
Kraut sagt weiter: »Eine Abscheidung von Phosphor in rothgelben
Tropfen erfolgt femer, wenn man Phosphorchlorür mit wenig Wasser,
oder was offenbar gleichbedeutend ist , mit etwas phosphoriger Säure
destillirt. Dabei bleibt ein Rückstand , welcher nach dem Austreiben
alles Phosphorchlorürs durch trockene Kohlensäure in Wasser gelöst,
das Verhalten der Orthophosphorsäure zeigt. Seine wässrige oder essig-
saure Lösung fällt Eiweisslösung nicht, a
Ich habe den Versuch wiederholt, indem ich das mit wenig Wasser
versetzte Phosphorchlorür aus dem Wasserbade destillirte und kann die
Abscheidung von fein zertheiltem rothgelben amorphen Phosphor be-
stätigen, welcher nach dem Auflösen des Rückstandes abfiltrirt und
getrocknet werden kann. Der Ausdruck » rothgolbe Tropfen « kann die
Vorstellung erzeugen, als wäre der abgeschiedene Phosphor zum Tiieil
wenigstens gewöhnlicher Phosphor, weil der amorphe bekanntlich nicht
schmilzt, das ist aber nicht der Fall. Der nach dem Verjagen alles
Phosphorchlorürs durch trockne Kohlensäure im Wasserbade verblei-
bende Rückstand besteht, wenn man die Destillation auch im Wasserbade
vorgenommen hat, hauptsächlich aus phosphoriger Säure und nur ver-
hältnissmässig wenig davon ist gewöhnliche Phosphorsäure. Die Letztere
lässt sich in der Lösung mittelst Magnesiumsalz leicht entdecken und
die erstere durch Reduction von Hydrargyrichlorid , von ammoniakali-
scher Argentinitratlösung oder von schwefeliger Säure leicht unmittelbar
oder nach dem Ausfällen der Phosphorsäure als in grosser Menge vor-
handen nachweisen. Wird dagegen Phosphorchlorür auf phosphorige
Saure längere Zeit in der Hitze einwirken gelassen in der Art, dass man
d;)s Kölbchen mit einem umgekehrten Kühler verbindet, so findet nach
und nach eine grössere Abscheidung von pulvrigem rothen Phosphor
statt und zwar vorzüglich dann, wenn man das Wasserbad mit einem
Sandbad vertauscht, also den Boden des Gefässes auf dem die phos-
phorige Säure unmittelbar auflagert und dadurch auch diese heisser
werden lassen kann, als es im Wasserbade möglich ist. Nach drei-
stündiger Einwirkung von 12 Grm. Phosphorchlorür auf die mittelst
*•
W'
V •
^. v:
.»
♦ V
v^
126
A. Gentber«
3 Grm. Ghlorür und 1,2 Grm. Wasser erzcugle phosphorige Säuro,
wührend welcher das Phosphorchlorür beständig kochte, entwich viel
Chlorwasserstoff und wurden 0,14 Grm. rother Phosphor abgeschieden.
Das übrig gebliebene Phosphorchlorür wurde nach dem Abgiessen für
sich rectificirt; es erwies sich seiner ganzen Menge nach als rein
und frei von Phosphoroxychlorid , welches möglicherweise nach der
Gleichung :
4PC13 + P(0H)3 = 3P0C1» + 3CIH + 2P
hätte entstanden sein können. Der in Wasser lösliche Theil des Rück-
standes bestand jetzt fast ganz aus gewöhnlicher Phosphorsaui^.
Die von Kraut für diese Zersetzung aufgestellte Gleichung :
4P(OH)3 + PCI» = 3P04H3 + 3C1H + 2P
welche jedenfalls richtig ist, lässt sich in die beiden bekannten Glei-
chungen zerlegen :
4P(0H)» = 3P04H3 + PH3
PH3 + PC13 = 3C1H + 2P
Die phosphorige Säure, welche nach einem Versuche, zu weichem
kryslallinische Substanz verwandt wurde, für sich erst gegen 250" ^)
anfangt unter Phosphoi'wasserstoff- Entwicklung zersetzt zu werden,
erleidet also in der That langsame Zersetzung durch Phosphorchlorür
schon beim Siedepunkt desselben.
IT. Ueber die Einwirkung von Natrinmalkoholat anf Bimzoe-
sftnreäther.
Aus frülieren Versuchen 2) ist bekannt, dass alkoholfreies Natriura-
alkoholat auf Benzoesäureäther bei 120^ nicht einwirkt, bis 160" damit
aber längere Zeit erhitzt hauptsächlich Natriumbenzoat und gewöhn-
liehen Äether nach der Gleichung :
CHS (C2H5) 02 + C2H5NaO = C^H^NaOa + (C^H^j^O
bildet. In geringer Menge entstehen dabei aber noch drei andere Pro-
ducte, von denen zwei den nach der Behandlung mit überschüssiger
Natronlauge verbleibenden öligen neutralen Rückstand bilden, dessen
Menge etwa 9 Proc. von der des angewandten Aethers beträgt, wäh-
rend das dritte saurer Natur ist und in die wässrige Lösung des Natrium-
4) Es ist dies dieselbe Temperatur, bei welcher sich nach Ramiielsiierg (Pogg.
Annal. Bd. 132, p. 493 u. 498) das saure Kaliurosalz und ein saures Baryunisalz
der phosphorigen Säure das sog. anderthalbfachsaure Salz , auch unter Phosphor-
wasserstoff-Entwicklung , zersetzt.
3) Diese Zeitschrift. . Bd. IV. p. 260.
Chemische Mitthellungen. 127
benzoats mit übergeht. Von den beiden ersteren , welche ihrer fiüher
erhaltenen geringen Menge halber nicht völlig rein erhalten werden
konnten, waren vorlBufige Analysen gemacht worden. Das eine zwischen
300 und 8100 Destillirende hatte 77,3 Proc. Kohlenstoff und 8,9 Proc.
Wasserstoff, das andere, welches bei 360^ noch nicht überging, hatte
84,4 Proc. Kohlenstoff und 7,9 Proc. Wasserstoff ergeben, über die
saure Substanz, welche nur aus den um etwa i Proc. grösseren
Natriumgehalt, den das Natriambenzoat bei der Analyse gegeben hatte,
erschlossen wurde, konnte noch gar keine Vermuthung geäussert
werden.
Auf meine Veranlassung hat Herr Dr. ScBiizLt diese drei Neben-
producte einer genaueren Prüfung unterzogen. Benzoesäureäther
wurde mit dem Natriumalkohdai in Röhren während mehrerer Tage
auf i 60<^ erhitzt, der Inhalt darauf mit Wasser behandelt , die wässrige
Lösung vom abgeschiedenen Oel befreit und mit Aetber ausgeschüttelt.
Das was der Aether gelöst hatte und nach dem Abdestilliren des-
selben zurückblieb, wurde zum Oel gegeben und dieses so lange
wiederholt mit neuen Mengen Natronlauge im zugeschmolzenen Rohr
auf 11 Qo erhitzt, bis keine Abnahme desselben mehr stattfand und
aller noch vorhandene Benzo^säureäther zersetzt war. Die ursprüng-
liche wässrige Lösung, welche ausser Natriumbenzoat noch das
Natriumsalz der mitentstandenen Saure erhalten musste, wurde
mit Schwefelsäure in geringem Ueberschuss versetzt, von der aus-
geschiedenen Benzoesäure abfiltrirt, das Filtrat mit Natriumcarbonat
schwach übersättigt, durch Eindampfen concentrirt, nach dem Er^
kalten mittelst erneuten Zusatz von Schwefelsäure wieder Boi^zodsäure
gefällt und so mehrere Male fortgefahren. Dann vsrurde nach der
Neutralisation mit Natriumcarbonat zur Trockne verdampft, mit
Alkohol der Rückstand ausgekocht und das im Alkohol gelöste zur
Entfernung aller Benzoösäure in derselben Weise behandelt, was
wiederholt geschehen musste. Da die auch bis zuletzt ausgeschiedene
Benzoesäure den richtigen Schmelzpunkt besass und der nach dem
Ausziehen von Alkohol verbleibende S^lzrückstand sich beim Erhitzen
nicht schwärzte , so musste die Säure in Wasser leicht löslich und ihr
Natriumsalz in Alkohol löslich sein. Zuletzt wurde ein rhombisch
krystallisirendes in Wasser leicht lösliches Salz erhalten , wekhes nach
Zusatz von massig conc. Schwefelsäure den stechenden Geruch der
Ameisensäure entwickelte und dessen Lösung die für die Ameisensäure
charakteristischen Reactionen zeigte : mit Baryumchlorid und Calciunw
Chlorid gab sie keinen Niederschlag; mit Sublimatlösung vermischt
entstand gleichfalls keine Fällung, beim Erwärmen wurde aber Kalomel
128 A, Geather,
abgeschieden; mit Hydrargyronitratlösung vermischt bildete sich ein
weisser Niederschlag, der beim Kochen unter Kohlensäureentwickiung
zu met. Quecksilber wurde; mit Argentinitratlösung entstand eine
weisse Fällung , welche beim Erwärmen unter Kohlensäureentwicklung
starke Reduction erfuhr.
0,3792 Grm. desselben hinterliesspn beim Glühen 0,9ü68 Grm.
Natriumcarbonat, welches 0,1288 Grm. oder 34,0 Proc. Natrium ent-
spricht. Das Natriumformiat verlangt 33,9 Proc. Natrium.
Daraus ergiebt sich also, dass die Säure in der That Ameisen-
säure ist.
Bei der Destillation des ölförmigen Productes zeigte sich wie früher,
dass von 200 — 380^ unter stetem Steigen des Thermometers eine was-
serhelle aromatisch riechende Flüssigkeit überging, während dann bei
weiterem £rwärmen das Quecksilber ganz rasch auf 360<) stieg und
ein beim £rkalten zähflüssiger Rückstand blieb. Das Uebergegangene
wurde wieder destillirt. Da bei 200^ und bei 230« der Siedepunkt
constant zu sein schien, so wurde das bei diesen Temperaturen Ueber-
gehende für sich gesammelt und analysirt.
Das bei 200^ erhaltene Destillat enthielt 78,9 Proc. Kohlenstoff und
9,2 Proc. Wasserstoff; das bei 230« erhaltene 78,3 Proc. Kohlenstoff
und 9,2 Wasserstoff. Da diese Resultate f^ist ganz übereinstimmten,
so wurden beide Theile wieder vereinigt und bei der nochmaligen Recli-
ßcation das bei 24 7^ Uebergehende für sich gesammelt. Bei der Ana-
lyse ergab dies 78,8 Proc. Kohlenstoff und 9,1 Proc. Wasserstoff. Aus
diesen Resultaten leitet sich die Formel: C^^H^^O^ oder vielleicht die
Formel: C^öH^^qs ab.
ber. gef. ber.
C26 = 78,9 78,9 78,8 78,3 C^e = 79,3
H36 = 9,0 9,2 9,1 9,2 H»^ = 8,6
03 == 12,1 _ — _ 0^ = 12,1
100,0 100,0
Das bei 360^ noch nicht Uebergegangene liess sich, wie ein Ver-
such zeigte, gleichfalls destilliren. Es ging in gelben, beim Erkalten
zähflüssigen Tropfen über, welche 88,9 Proc. Kohlenstoff und 7,5 Proc.
Wasserstoff enthielten. Da das Destillat nicht ganz homogen erschien,
so wurde es nochmals recti6cirt und die zuerst übergebende und die
zuletzt übei^eh^nd« Portion je für sich gesammelt und analysirt. Die
erstere ergab 89,3 Proc. Kohlenstoff und 7,8 Proc. Wasserstofi', die
letztere 89,4 Proc. Kohlenstoff und 7,6 Proc. Wasserstoff. Aus diesen
sehr nahe übereinstimmenden Resultaten folgt, dass das Product ein
■•■«^■w
Chemische Mittheitungen. 1 29
chemisches Individuum war und die Formel: C^^H^^O demselben zu-
kommt.
ber. gef.
C37 = 89,5 (88,9) 89,3 89,4
H^* = 7,3 ( 7,5) 7,8 7,6
0 = 3,2
"100,0
Was nun die Bildung der Ameisensäure und der beiden destillir-
baren neutralen ölförmigen Körper aus dem Benzoäsäureüther anlangt,
so lässt sich von ihnen auf folgende Weise Rechenschaft geben :
3C7H5(C2H») 0^= C^6H»«03 4- C + 03 — H6
4C7H'^(C2H*)02 = C37H3öO — C + O' + H*
oder beide Gleichungen zusammengezogen :
7C7H*(C2H*) 02 = C2«H3e03 + C37H360 + O^o — H2
Wäre die Formel fUr die bei 217^ destillirende Substanz nicht
CWH37 03 sondern C^ftR^^O» so würde die Gleichung sein:
7C7H* (C2H5) 02 = C2»H3*03 + C37H360 -H 10O
Man sieht hieraus, wie unter Austritt von 10 Mgtn. Sauerstoff aus
7 Mgtn. Benzoäsäureäther die Bildung der beiden ölförmigen Producte
vor sich gehen kann. Diese i 0 Mgtn. Sauerstoff werden nun offenbar
verwandt zur Bildung von Ameisensäure, welche wahrscheinlich aus
dem Aethyl des Benzoäsäureäthers hervorgeht unter gleichzeitiger Bil-
dung von Benzoesäure nach der Gleichung :
5C7H*(C2H») 02 + 20O = 5C7H«02 + 10CH2O2.
«
Benzoesäure und Ameisensäure aber werden weiter durch das
Nairiumalkoholat zu den Natriumsalzen unter Erzeugung von Alkohol.
Jena, Ende October 1871.
.A»,.u(. Ifit^flinll Bd. 141
Jotsistit Zeituirr/i Bd. W.
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I
lieber das Arehipterygium.
Von
G. Gtogenbaur.
mt Tafel X.
Als ich vor bald zwei Jahren die Ergebnisse meiner letzten Unter-
suchungen über das Gliedoiaassenskelet der Wirbelthiere in dieser Zeit-
schrift ^) veröffentlichte, war ich damit »zu einem gewissen Abschlussea
gekommen, der in der Aufstellung einer »Gnindforma des Gliedmaassen-
skeletes der Wirbelthiere seinen Ausdruck fand. Die meist stufen weis
verfolgbare Ableitbarkeit aller bis dahin bekannten Formzustände dieses
Skeletes rechtfertigte die Bedeutung jener Grundform, die ich als
Archipterygium bezeichnet hatte.
Dieses Archipterygium erschien als ein dem Schultei^ttrtel ange-
fügter, in einzelne hinter einander liegende Stücke gegliederter Knor-
pelstab, Stamm, an dem einseitig eine Reihe von kleinen, ungegliederten
oder gegliederten KnorpelsUlbchen, Radien, aufgereiht sind. Für eine
Fiederung oder zweizeilige Anordnung von Radien am Stamme des
Archipterygiums hatten meine Untersuchungen am Brustflossenskelete
der Selachier zwar einige Spuren ergeben, aliein sie schienen mir einer-
seits so unbedeutend, dass ich sie anfänglich (Untersuchungen zurVergl.
Anatomien. 1865] nicht beachtete, und erst später (diese Zeitschrift
Bd. V. S. 432 Anmerk.) sie mit Beziehung auf jene Frage zu prüfen
versuchte, andererseits lagen alle bis zu jener Zeit bekannten That-
sachen auf Seite des einzeiligen Archipterygium, so dass für die Con-
struction der zweizeiligen Grundform ausser jenem, auch in anderer
Weise erklärbaren , und von mir auch so beurtheilten Rudimente , kein
triftiger Grund sich ergab.
«) B«l. V. S. »97
IM. VII S.
132 G. Gegenbaar,
Anders liegt gegenwärtig die Frage , ob jenes Archipterygium in
seiner ursprünglichsten Form die Radien in einer Reihe oder in zwei
Reihen besass, nachdem neuerdings Untersuchungen an dem zunächst
den Dipnoi verwandten Ceratodus das Restehen eines Gliedmaassen-
skeletes in der Form des zweizeiligen Archipterygiums erwiesen haben.
Aus den hieher bezüglichen Mittheilungen von Dr. A. Günther^) geht
hervor, dass bei Ceratodus im Skelet der Rrustflosse ein Stamm (Axis,
Günther) besteht^ den eine Reihe dislal an Umfang abnehmender Knor-
pelstücke bildet, denen an beiden Seiten wiederum aus mehrfachen
Gliedern gebildete Radien angefügt sind. Feine Fäden, welche als Flos-
senstrahlen (Fin-rays) den Knorpelreihen angefügt sind, ergänzen die
Flosse in ähnlicher Weise wie bei Protopterus. Günther vergleicht
diesen Refund mit dem Rrustflossenskelete von Acipenser, und unter-
scheidet dort ganz richtig die Stamwpeihe von den Radien, die in ihrer
einzeiligen Aufreihung eine ganz bedeutende Verschiedenheit des T^'pus
ergeben. Ob wie bei Acipenser ein Theil der Radien von dem Stamme
abgerückt ist und direct mit dem Schultergürtel articulirt, ist mir zwei-
felhaft. Es würde der Fall sein, wenn das von Günther als »Carpus«
bezeichnete Stück a in der Figur von Ceratodus dem Schultergürtel
angehört, ebenso wie es sicher in der daneben stehenden Figur von
Acipenser ein Theil des Schultergürtels ist, wie ich in älteren Unter-
suchungen (Schultergürtel und Rrustflosse der Fische) festgestellt zu
haben glaube. Immerhin wäre die Ablösung von Radien vom Stamme
und ihre Verbindung mit dem Schultergürtel zwar bemerkenswerth,
aber dem Verhalten des übrigen Flossenskclets gegenüber von unter-
geordneter Bedeutung. Bei der Reachtung jenes Typus des Flossen-
skeletes von Ceratodus dürfte es sieb nun vor Allem fragen, wie sich
dazu die einzeilige Form des Archipterygium verhält, und in dieser
Reziehung ist Folgendes in nähere t'rüfung zu nehmen.
1 ) Sind beiderlei Zustände des Archipterygiums selbständige Grund-
formen, von denen jede für sich entstand, und jede in einer gewissen
Reihe von Wirbelthieren eine eigene Diffenzirung einschlug? odef
2) ist die doppelzeilige Form aus der einzeiligen hervorgegangen?
oder endlich
3) entstand die einzeilige Form aus der doppelzeiligen? Die erste
Frage wird offen zu lassen sein , bis die Untersuchung eine der beiden
letzten beantwortet hat. In dieser Beziehung wird vor Allem zu prüfen
sein, ob an dem aus dem einzeiligen Archipterygium hervorgegangenen,
4] Proceed. Roy. See. 4874. S. 378. und ausführlicher mit Abbildung des
.Flosseuskelets in Ann. and Mag. of Nat. bist. Blarcb, 4874.
Deber das ATcbipterygiom. , 133
weil davon ableitbaren Flossenskelete der Selacbier Andeutungen der
zweizeiligen Grundform zu erkennen sind, denn es besteht kein An-
hahepunkt für die Annahme der Entstehung der zweizeiligen Form aus
der einzeiligen. Letztere Frage hat daher gar nicht in Betracht zu
kommen.
Andeutungen der Abstammung der einzeiKgen Form von der zwei-
zeiligen werden in Radien oder hiervon ableitbaren Gebilden gesucht
werden mttssen, welche auf der medialen Seite des Fiossenstammes
sitzen, während die laterale von der Hauptmasse der Radien eiifige-
nommen wird. Solche die andere Seite des Fiossenstammes besetzende
Gebilde finden sich bei den Notidaniden und Dorn haien vor.
Bereits in meiner zweiten Arbeit über die Brustflosse habe ich
Darstellungen dieser Verhältnisse gegeben, jedoch ohne eine nähere
Erklärung. Bei Heptanchus lagert dem in der difleranzirteren
Skeletform als Stamm des Metapterygium erscheinenden Flossenstamme
ein langgestrecktes Knorpelstttck an. Auf Taf. IX der erwähnten Arbeit
habe ich an der in Fig. 2 dargestellten Flosse jenes Knorpelstttck ab-
gebildet.
An dem Knorpelstreif kann ausser seiner Lagerung ausserhalb des
übrigen Skeletcoroplexes nichts Auffallendes gefunden werden. Es war
mir daher sehr werthvoll, bei Embryonen von Heptanchus andere Ver-
hältnisse anzutreffen. Das Flossenskelet eines solchen von i2 Cm.
Länge habe ich in Fig. % vergrOssert dargestellt. Ausser Verschieden-
heiten in der Gliederung der Radien ^), zeigt jenes Flossenskelet das
fragliche Knorpelstück durch drei (Fig. i r, r r^') dargestellt, von denen
das terminale das Bedeutendste ist. An der Stelle des einfachen Knorpel-
streifens besteht also hier ein gegliedertes, auch durdi grössere Breite
ausgezeichnetes Stück, welches viel bestimmter als Radius gedeutet
werden kann^. Zwei andere Embryonen boten an derselben Stelle
4) Auf die bezüglich der Gliederung der Radien sowie der Veii)indang ein-
zelner, neben einander gelegener Radienglieder zu grösseren plattenförmigen
Slttclcen habe ich in meiner letzten Arbeit über das Gliedmaassenskelet , Jenaische
Zeitscbrifli Bd. V, S. 435 aufmerksam gemacht. Vergleicht man die gegenwärtig
von mir gegebene Abbildung des genannten Skeletes eines Heptanchus-Embryo,
mit den früher veröffenUichten eines erwachsenen Thieres — beides nach genauen
Zeichnungen — so wird man den hohen Grad der die Zahl und Gliederung der
Radien , sowie die Piattenbildung betreffenden Variation alsbald wahrnehmen , und
hierin eine wichtige Eigenthümlichkeit der Selachier erkennen gegenüber der Be-
sländigkoit der homologen Skelettheile höherer Organismen.
5) Nebenbei möchte ich noch die Möglichkeit hervorheben , dass die drei als
breite Platten erscheinenden Stücke durch Goncrescenz einer Anzahl von Basal-
gliedern von Radien entstanden sein können, so dass sie nicht Einen Radius, son-
9*
C Gegrabanr,
lie zusammen die gleiche AnreihaDg batteo, wie die
iDten. In allen Fallen reichten diese Stücke weiter
isis empor, als beim erwachsenen Thiere das einzige
ei^leichung des Befundes an Embryonen mit dem
rbiere geht hervor, dass erstlich ein Knorpelslrahl
lite des Flossenskeletrandes besteht, und dass zwei-
mbryonen gegliedert und viel umfänghcher ist, als
, Daraus muss eine im Laufe der individuellen Eni-
i gehende Heduction gefolgert werden , die wieder
dere Entfaltung des sich rUckbildenden Theiles in
seh frühen Stadium schliessen lässt.
lesitzt in der ausgebildeten Form des Flossenskeiet«s
if zweizeiligen Aufreihung knorpeliger Radien noch
mmreibe des Metapterygiums sind nämlich zwei Ra-
gt. In Fig. 3 habe ich den kritischen Abschnitt des
gebildeten Flossenskeletes dargestellt. Die beiden
inden sich mit verschiedenen Theilen des Flossen-
li den Notidaniden sind bei Gentrophorus Theile
irpelstrahlen reibe erhalten. Bei Gentrophorus cal—
iits bei der ersten Untersuchung das Eigenthttm-
; aufgefallen, aber ich glaubte der Vorstellung, dass
le Sadienreihe beziehbare Einrichtungen vorliegen,
Q zu dürfen , und habe aus der Vergleichung des
Brustflossenskelete von Ghimära geschlossen, dass
der Knorpelstucke bei Gentrophorus, der, wenn
n, ein ngefiedertes« Archipterygium voraussetzen
Modification von StUcken des Flossenstemmes ent-
irend ich die Deutung der eigenthUmlicbon medialen
itflossenskeletes von Ghimära auch gegenwärtig fest-
mals gab, sie durch terminale Verbreiterung der nur
mmes zukommenden Radien entstenden erklärend,
alrophorus meine frühere Annahme zurück und
Radien repräsentiren. Die VcrgleichuDg mit Cenlrophonis,
igspletten vorkoimnen, die bestimmter auf eine Mehrzahl
jrden können, ist dieser AufTassuntc gUnslig, allein dennoch
lieber begründet, nnd muss die Beziehung der PlaltenotUcke
ihea, denn die naber liegende Vei^leicbung mit Hefancbna
in einzigen Radius hin.
l. Bd. V. S. 4SI.
Geber das Arehipterygiam. 135
möchte den gesammten an 6 anliegenden Theil des Flossenskcletes ^)
(V b" und die kurzen Stücke] als eine aus medial der Stammreihe ange*
fügten Radien hervorgegangene Bildung erachten. Fig. 5 giebt auf bei-
gegebener Tafel eine Darstellung dieser Auffassung, wobei R eine
Knorpelplatte vorstellt, die aus ebensoviel Radiengliedem gebildet wurde,
als discrete Radienreste ihr ansitzen. Die mir erst in neuerer Zeit
möglich gewordene Untersuchung des Flossenskeletes von Centrophorus
granulosus bestärkt mich in dieser Anschauung. Der Stamm des Flossen-
skeletes (Fig. 4) besteht aus drei Stücken; der erste, sehr grosse und
besonders in seiner Mitte verbreiterte (Fig. 4 B) trägt \ 3 lateral ge-
richtete Radien, das zweite b desgleichen, die sämmtlich ungegliedert
sind, und zum Theil in der Langsame der Flosse liegen. Endlich be-
steht noch ein letztes Stück am Stamme, welches radienartig gestallet
ist (6']. Vor dem Basalstücke der Stammreihe lagert ein anderes
schwaches Basale (P], welches ich entsprechend meiner früheren Dar-
legung als ein zum Schultergürtel getretenes Basalstück eines Radius
ansehe, wie ihnen denn noch mehrere Radiengliedcr [q] folgen. Was
die medial gelagerten Radientbeile angeht, so finde ich zunächst eine
grössere Platte (Fig. 4r'), die drei kleinere, wie Endglieder von Radien
sich darstellende Stücke trägt, auf diese folgt eine zweite kleinere (A").
Beide zusammen entsprechen der bei Centrophorus calceus einzigen
Platte , die ich zuerst mit 6' bezeichnet und als ein ausnehmend ver-
breitertes Stück der Stammreihe gedeutet hatte. Wie an der ersten
Platte Radiengliedstücke sitzen , so sind solche , aber viel unansehn-
licher auch an der zweiten vorhanden. Nimmt man die Plattenstücke
R und K bei Centrophorus granulosus als Theile verschmolzener Radien,
als mit einander verbundene Gliedstücke von Radien, die ihre kurzen,
rudimentären Endglieder frei, und den verschmolzenen Stücken angefügt
erhalten haben, so kommt man zu der Anschauung einer »Fiederung«
des Endabschnittes des Flossenskeletes, oder einer zweizeiligen An-
ordnung von Radien an demselben Stücke. In dem auf die Zeichnung
des Flossenskeletes gelegten Liniensysteme habe ich diese Anschauung
bildlich dargestellt.
Geringer sind die Reste von medialen Radien , welche von mir bei
Acanthias vulgaris wahrgenommen sind. Am ausgewachsenen
Thiere besteht nur ein einziges hieher beziehbares Knorpelstückchen.
Ich habe es in meinen Untersuchungen (zweites Heft auf Taf. IX. in
Fig. 4) mit dem gesammten Skelete der Brustflosse abgebildet, ohne
ihm eine besondere Bezeichnung gegeben zu haben. In ganz anderer
4) Ibid. Taf. XVI, Fig ts.
136 C. Gegenbaiir,
Weise verhalteD sich die Brustflossenskelete von Embryonen, die über-
aus deutliche Reste einer zweiten medialen Serie von Radien zu
erkennen geben. Ich finde das zweite Gliedstück des Flossenstammes
(in meiner früher gegebenen Figur [Fig. 4] mit mi bezeichnet) lateral
mit 3 — 4 Radien besetzt, welche, zum Theil ungegliedert, den hin-
tersten Vorsprung der Flosse bilden (Fig. 6) , Der vorletzte und letzte
Strahl ist kürzer, und daran reiht sich ein radienartiges Knorpel-
stück, welches dem Ende der Stammglieder ansitzt. Ich deute es nicht
als Radius, sondern als Terminalglied der Stammreihe [B)y denn es
trägt medial in einem Ausschnitte ein Radienrudiment. Aufwärts folgt
an der medialen Seite des zweiten Stammgliedes ein discreter zwei-
gliedriger Strahl, an welchen dann noch zwei Radien sich anschliessend
die aber mittels eines gemeinsamen Plattenstückes [R) an dem genannten
Stammglied sitzen. Auf das Plattenstück folgt noch ein kleines Knor-
pelchen, das vielleicht ein Rudiment eines fünften medialen Radius
repräsentirt. So wären also mindestens vier der medialen Seite des
Flossenstammes aufgereihte Knocpelstrahlen vorhanden, die am ausge-
bildeten Flossenskelete nicht mehr unterscheidbar sind, indem sie thcil-
weise unter einander verschmelzen, theilweise sich rückbilden. Die
bei Acanthias klare und zweifellose Beziehung der medial dem Flossen-
stamme ansitzenden Stücke auf Radien dient auch zur Erläuterung der
Einrichtungen bei Centrophorus. Die bei Acanthias zwei Radien tra-
gende Knorpelplatte nämlich, welche unbedenklich aus zwei ver-
schmolzenen Basalgliedem von Radien entstanden zu deuten ist,
erscheint bei Centrophorus granulosus in viel umfänglicher Form und
wird gemäss der Anzahl der ihr ansitzenden Rudimente von Radien aus
den Basalstücken von drei solchen entstanden sein. Aehnliches gilt
auch von dem folgenden Stü(^e (Fig. 4 K) . Wie sich nun von Acan-
thias aus das Verhalten des Centrophorus granulosus erklären lässt, so ist
von diesem her Centrophorus calceus zu verstehen, und das oben
Aufgestellte erweist sieh durch die Vergleichung sicher begründbar.
Damit fällt auch meine frühere Deutung des grossen Plattenstückes
(Fig. 5 K) , welches medial dem Flossenstamme ansitzt, und nunmehr
als durch Goncrescenz einer Anzahl von Basalgliedem von Radien entr-
standen beurtheilt werden muss. Es tritt also auch an diesem Theile
des Flossenskeletes eine Erscheinung auf, deren verbreitetes Vor-
kommen für die lateralen Radien von mir nadigewiesen worden ist,
und zwar gleichfalls am häufigsten an den Basen der Radien , also an
denselben Tbeilen, welche an den medialen Radien durch den gleichen
Vorgang in Anspruch genommen sind.
Somit bestehen am letzten Abschnitte des Meta-
üeber (hs Accbiptery^pnm. 137
•
pterygiams der Brustflosse bei manchen Haiea Reste
einer medial dem Flossenstamme ansitzenden Reihe
knorpeliger Flossenstrahlen, die in den Jugendzuständen
ausgebildeter sind, als bei erwachsenen Tbieren, und demnach noch
innerhalb der individuellen Entwickelung einen Rttckbildungsprocess
durchmachen. Hieraus ergiebt sich eine theilweise Uebereinstimmung
mit dem Flossenskelete von Ceratodus, so dass eiine Vergleichung beider
berücksichtigt werden kann.
Der gefiederte Endabschnitt des Flossenskeletes von Haien zeigt
in allen zur Untersuchung genommenen Fällen eine Ungleichheit der
Ausbildung der beiderseitigen Radien. Die medialen sind bedeutend
kürzer als die lateralen, von denen ein Theil durch überwiegende Län-
genausdehnung den hinteren Winkel des Flossenskeletes vorstellt. Das
Ende des Flossenstammes ist dadurch in eine untergeordnete Beziehung
gebracht, nidem er^ aus der ihm gebührenden terminalen SteUung in
eine laterale getreten ist. Das dieses Verhältniss bedingende Moment
ist sehr leicht einzusehen , da es in der Yergrösserung, namentlich in
der terminalen Verbreiterung der lateralen Radien beruht, s^wie in
einer lateralen Verbreiterung des Basalstückes des Fl^ssenstammes, bei
Acanthias und den Notidaniden auch noch in Veränderungen der Basis
zum Schultergürtel gelangter lateraler Radien, die hier durch Con-
crescenz grosse PlattenstUcke, die Basalia des Pro<- und Metapterygiums,
formirt haben.
Des terminale Verhalten des BrusUlossenskeletes ist in Bezug auf
das Ende des Fiossenstammes bei den einzelnen Formen siemlich ver-
schieden. Bei Heptanohus bildet der Flossenstamm das hintere Ende
des Flossenskeletes , deutlicher zwar bei Embryonen , aber auch noch
beim ausgebildeten Thiere. Hexanchus hat den Flossenstamm terminal
minder entwickelt, und die lateralen Radien ragen übei* den letzteren
vor, darin einen Uebergang zu Acanthias darbietend, dessen Flosse-
skelet in noch höherem Maasse mü lateralen Radien abschliesst. Bei
Gentropborus endlich ist die erwähnte Umwandlung durch Ver-
längerung der das hintere Ende vorstellenden Radien weiter gebildet.
Neben der Entwickelung der lateralen Radien ist es die Rückbildung
der medialen, welche lOr die Lageveränderung des Fiossenstammes
mitwirkt I und darin wohl als ebenso bedeutungsvoll wird erkannt
werden dürfen.
Aus dem Nachweise eines gefiederten Abschnittes am
Bmstflossenskelete der Haie, ergiebt sich nothwendig die Voraus-
setzung einer anderen Grundform, als die von mir früher angenommene,
an welcher der Flossenstamm nur laterale Strahlen trug. Die Grund-
form wird vielmehr zwei Reihen von Radien, laterale
und mediale, am Flossenstamme tragen, das Archypte-
rygium wird also ein gefiedertes sein müssen, und darin
mit der Form übereinstimmen, die bei Gera todus sieb erhallen hat.
Aus dem verschiedenen Grade der Reduction der medialen Radienreibc
ergiebt sieb eine Reihe von Uebergangsformcn vom einzeiligen zum ge-
fiederten Archipte rygium. Ich nehme daher das einzeilige Arcbipto-
rygium nur als einen secundären , aus dem doppeUeiligen oder ge6o-
dcrtcn Archiptc rygium entstandenen Zustand an , bei dem die mediale
Reihe der Knorpelradien sich rUckbildete, entweder vollständig oder bis
auf einige Reste von Radien , die ich vorhin bei mehreren Kaien als
Zeugniss für die Fiederung aufdeckte. Bei diesen Haien hat sich also
vom primären Archipterygium mehr erhalten als bei den übrigen Haien
und allen Rochen, femer den ChtmSren und DipnoT , bei denen nur die
umgewandelte, einzeilige Form besiebt, die auch dem Skelele der
Hinlergliedmaasse ausschliesslich zukommt.
Wenn nun das primäre oder gefiederle Archipterygium , von dem
• ich in F^. 1 eine schemalische Darstellung gab, noch in Flossenskeletc
einiger Selachier erkannt werden kann, so werden sich die Selachier in
dieser Beziehung tiefer stellen als die übrigen Fische , deren Flossen-
skelet von der Fiederung keinerlei Spuren mehr aufweist , also von der
primitiven Form noch weiter entfernt ist als jenes der Selachier.
Was noch die Beziehungen des primären Arcbipterygtums zu den
verschiedenen Flossenskeleten der Fische, sowie zum Skelet der Glied-
maassen der höheren Wirbelthiere betrißl, so ist meine früher gegebene
Darstellung dieser Verbültnissc dadurch nur sehr wenig berührt, und
ich muss sie selbst -nach der Kenntniss der älteren Grundform voll-
stündig aufrecht erhalten, eben weil der überwiegenden Hchrzabi
der Abtheilungen nur die secundäre, aus der ersten entstandene
Archipterygiumform zu Grunde liegt. Ausser den Selachiern , bei
denen die zweizeilige Form des Archipterygium in die einzeilige über-
geht, besitzt vielleicht nur noch Polypterus unter den lebenden
Ganolden das primäre Archipterygium im Flossonskelete , und würde
sich dadurch sehr scharf von den übrigen Verwandten ablicnncn,
welchem Verhältnisse, HuxtBv 'j in Vereinigung dieser Gattung mit
fossilen Ganoldcn zur Abtheilung der Crossopterygidac auf Grund
der gewiss auch mit dem Skelele zusammenhängenden äusseren
1) Memoirs of the (ieologicsl Survpy of the united KiogdciD
ecriptioDB Dec. X. London IB61. 5. 14.
Deber das Anbipieryji^uin. 139
Gestaltung der paarigen Flossen Ausdruck gab. Ich halte es nun für
nicht gerade unmöglich, dass das Brastflossenskelet von Polypterus von
einem gefiederten Archipterygium abgeleitet werden könnte. Eine nach
dieser Richtung vorgenommene Vergleichung ergäbe Folgendes. Die im
ersten Abschnitt des Bnistflossenskeletes befindliche grosse, zum Theil
knorpelige Platte M^ttrde dem an Länge sehr reducirten und auch der
Gliederung entbehrenden Flossenstamme entsprechen, an dem der
ursprünglich an beiden Seiten mit Radien besetzte Rand durch den
hinteren im Bogen geschweiften Rand repräsentirt wäre. Die beiden,
dem platten Mittelstücke (ms in Fig. 6 auf Taf. VIIl meiner Unter-
suchungen 11) angefügten cylindrischen Knochen (p und mt in derselben
Figur), wären selbständig dem Schultergürtel articulirende Radien,
und erschienen dadurch den am verkürzten Flossenstamm befindlichen
Radien gleichwerthig. Sie entsprächen dabei zweien jener Radien , die
boiCeratodus in grösserer Zahl dem Schultergürtel anzusitzen scheinen.
Bei dieser Deutung bestände das Auffallende , dass gerade die den
Flossenstamm (ms) repräsentirende Platte keine dirccte Verbindung mit
dem Schultergürtel besitzt, dass sie durch Radien daraus verdrängt
wäre. Ich sehe darin jedoch keinen belangreichen Grund gegen die
versuchte Deutung , denn auch bei Haien trifft sich nicht selten eine
Verdrängung des Flossenstammes vom Schultergürtel. Ich zeigte
dieses bei Cestracion, wo das aus verschmolzenen Radien ent-
standene Basale des Mesopterygiums jene Articulation bildet, dann
hei Acanthias, wo auch noch das Propterygium mit einem Basalstückc
im Schultergelenk 0 articulirt, während das dem Flossenstamme angc-
hörige Basalstück des Metapterygiums in beiden Fällen davon ausge-
schlossen ist. Einen Grund gegen die direcle Ableitung des Bnist-
flossenskeletes von Polypterus aus einem gefiederten Archipterygium
möchte ich vielmehr aus dem Verhalten der Bauchflosse nehmen, deren
Skolet aus vier lateralwärts an Grösse abnehmenden Knochenstücken
besteht, welche in ihrer Anordnung auch gar nichts auf die primäre
Archipterygiumform beziehbares erkennen lassen. Sie erscheinen viel-
mehr, ähnlich wie bei anderen lebenden GanoYden, nur von der ein-
zeiligen Grundform ableitbar.
Wäre also die obenerwähnte Deutung des Bnistflossenskeletes
richtig , so würde dieser Theil ein vollständiges, wenn auch in
seinem Stamme sehr verändertes primäres Archipterygium vorstellen,
während die Bauchflosse gar nichts davon darbietet, da sie nur Skelet-
theile enthält, die, wie bei andern GanoYden und Teleostiern, ausser-
ordentliche Reductionen der einzeiligen Grundform erkennen lassen.
Die bei jener Voraussetzung so grossartige Verschiedenheit des
öeber das Arehipteryf^inin. 141
Eifclinuig der ibbildimgeD.
Tafel X.
Fi(;. 4. Schematische Darstellung des zweizeiligen (gefiederten) Arcbipte-
rygiums, vorzüglich nach Maassgabe der von Günther bei Cera-
.todus nachgewiesenen Form des Glied maassenskelctcs.
Fig. 3. Skolet der Brustflosse eines 42 Cm. langen Embryo von Heptanchus
cinereus. 46 Mal vergrössert. Zur Vergleichung diene die Darstellung
desselben Skelets , die ich von einem erwachsenen Thiore auf Taf. IX,
Fig. % meiner Untersuchungen Heft H, gegeben habe.
Fig. 8. Hinterende des Brustflossenskeletes von Uexanchus grise US. Copie
eines Theiles der Fig. 4 auf Taf. IX der Untersuchungen Heft U.
Fig. 4. Brustflossenskelet von Centrophorus granulosus.
Fig. 5. Hinterende und Innenrand des Brustflossenskeletes von Centrophorus
calceus. (C. crepidalbus.) Copie eines Theils von Fig. 25 auf
Taf. XVI des V. Bandes der Jenaischen Zeitschrift.
Fig. 6. Brustflossenskelet eines 24 Cm. langen Embryo von Acanthias vul-
garis. 4 Mal vergrössert. Vergl. hiermit die Darstellung eines Erwach-
senen in Fig. 4» Taf. IX meiner Untersuchungen II.
Von den rothen Linien bezeichnet die stärkere, durch das Metapterygium ge-
legte, den Stamm des primären Flossenskeletes (Archipterygium), die feinen von
der Stärkeren ausgehenden Linien bezeichnen die an beiden Seiten des Flossen-
stammes befindlichen Radien.
B, B, B . , . , Stücke des Flossenstammes.
rrr.. Radien.
ms Basale des Mesopterygiums.
P Basale des Propterygiums.
g Modificirte Radienglieder.
H Aus Verschmelzung von Radiengliedcrn entstandene Platten.
üeber Dreifaehbildnii^n. 143
anzeigen, dass auch meine neueren Versuche, durch mechanische Ein-
griffe, Einschneiden, Einkneipen oder Einreissen des Schwanzes von
Froschlarven künstliche Doppelschiwänze zu erzeugen , vergeblich
gewesen sind, sowie es mir auch nicht vorgekommen ist, dass ein
verstümmelter Schwanz überhaupt sich als Doppelschwanz regenerirt
hätte, obgleich solche Fälle, ja sogar dreifache Schwänze bei Eidechsen
wiederholt von Andern und von mir selbst beobachtet worden sind ^).
Ich habe daher alle Ursache, an der früher aufgestellten Unterscheidung
von Fehlern der ersten und der zweiten Bildung bei Froschlarven
festzuhalten, und hoffe, dass die nunmehr mitzutheilende Wahrnehmung
einer Verdreifachung der Chorda dorsalis ein erhöhtes In-
teresse verdient ^) .
Die Beobachtung, welche ich gegenwärtig mitzutheilen habe, ist
schon ziemlich alt, sie wurde von mir schon gemacht, ehe dieSeparat-
abdrückc meiner letzten Abhandlung in meinen Händen waren, doch
unterliess ich es damals, derselben etwa noch einen Anhang beizu-
fügen, einestheils, weil ich hoffte, vielleicht noch weitere ähnliche Fälle
aufzeigen zu können , andemtheils aber , weil ich Angesichts der
ersten und einzigen Triplicität, die mir bis jetzt zur An-
schauung gekommen ist, wirklich nicht sofort über die theoretische
Auffassung und Beurtheilung derselben mit mir einig war. Eine
sorgfilUige Durchsicht und Prüfung der mir zugänglichen Literatur in
Verbindung mit den fragmentarischen Aufzeichnungen aus dem in
1) S. J. Gbopfiot St. Hilaire 1. p. 5i0. Otto, monstrorom sexcentorutn de-
srriptio. p. 445 u. a. in.
2} leb habe seitdem Gelef^enheit gehabt , die citirte Mittheilung von A. Vulpian
über künstlich erzeugte Doppelbildungen bei Froschlarven (Gazette m^d. 4 869,,
p. 488) im Originale nachzusehen, wo sich denn ein sehr massiges Resultat
herausstellte. Spaltung des Kopfes bei ganz jungen Larven führte entweder zu bal-
diger Wiederverheilung oder zu einfacher Vornarbung. Spaltung des Schwanzes in
eine obere und untere Httlfte (eine seitliche misslang immer) , womöglich in der
Mitte der Wirbclsegmente, führte entweder zum Abfallen der einen Hölfle und
vollständiger Ausbildung der anderen Hälfte, oder beide Schenkel fielen ab und
das Organ regenerirte sich in seiner Totalität. Bei einem einzelnen Exemplare
blieben beide Hlilften in situ und verheilten wieder zu einem einfachen
Schwänze , und bei einem anderen entstand an der Stelle der abgefallenen Hälfte
eine neue Achse mit Muskeln und Flosse, demnach ein ganz neuer Schwanz,
auf der alten Achse aufsitzend, während die obere Hälfte sich ebenfalls ergänzte.
Vdlpiah hält demnach selbst weitere Untersuchungen für nötbig.
Regeneration des Schwanzes der Kroschlarven und selbst der Extremitäten
bei sehr jungen Larven ist auch von A. GiinrnBa (S. R. Owen, anatomy of vcrte-
brates. Vol. I. 4866, p. 567) beobachtet worden, wobei von künstlich erzeugten
Doppelbildungen Nichts erwähnt wird.
144 0. Bf neb,
Sammlungen zum Theil vor sehr langer Zeit Gesehenen, hat inzwischen
mein Urtheil gereift und giebt mir, wie ich hoffe ^ die Berechtigung,
auch diese letzte noch übrige Frage aus dem Gebiet der Mehrfachbil-
düngen einer näheren Besprechung zu unterziehen. Ich giaube diese
um so eher verantworten zu können , als mir in der That kein Schrift^
steiler bekannt ist, welcher sich seit J. Gboffroy St. Qilairr mehr als
ganz beiläufig und in den allgemeinsten' Ausdrücken über die Ent-
stehung uhd Gesetzmässigkeiten der Triplicitäten ausgesprochen hätte,
während Andre sie entweder ganz unerwähnt Hessen oder höchstens
im System als Titelrubrik der Vollständigkeit wegen aufführten.
J. Geopfroy St. Hilaire widmet den »Monströs triples et pr6tendus
monströs plus que triples« nicht nur einen besonderen Abschnitt in der
Lehre von den »zusammengesetzten Missbildungen« (Livrell. Chap.XII),
sondeni er giebt auch eine bis ins Einzelne fertige und vollständige
Theorie derselben, welche sich begreiflicherweise aufs Engste an seine
bekannte Theorie der Doppelbildungen anschliesst, aber um so mehr
geeignet ist, die Kritik herauszufordern, als das Material hier so unver-
hältnissmässig viel spärlicher vorliegt und er selbst sich nur auf eine
einzige eigene Beobachtung stützen kann. Bei der ausgezeichneten
logischen Anordnung und Consequenz in GeoffroVs Systeme ergeben
sich keine wesentlich anderen Einwürfe, als diejenigen, welche schon
von Andern und auch von mir gegen seine Theorie der Doppelbildungen
geltend gemacht worden sind, Einwürfe übrigens, welche gerade im
Gebiete der Dreifachbildungen bedeutend an Gewicht gewinnen und,
wie ich glaubq , dazu beitragen werden , die Grundfrage zum völligen
Austrage zu bringen.
Dem schon früher befolgten Verfahren gemäss stelle ich auch hier
zunächst die gemachte Beobachtung voraus, welche, wie die früheren,
den Schwank der Froschlarven und zwar bei Pelobates fuscus, und,
worauf ich ein besonderes Gewicht lege, die einzige Missbildung be-
trifft, welche in einer durch Rörpergrösse ausgezeichneten, wohl-
genährten , im Ganzen aber nicht sehr zahlreichen Brut dieser Species
vorkam. Ich begegnete derselben das erstemal ajn 2f . Juli 4867 an
einem Orte, den ich früher schon besucht hatte, ohne auf die Bewoh-
nerschaft aufmerksam geworden zu sein. Auch war es mein Sohn,
welcher mich zuerst auf die letztere aufmerksam machte, und es be-
durfte eines mit der Hand aus dem mit Wassergewächsen stark ver-
wachsenen Graben herausgegriffenen Exemplars, um mich von ihrer
Gegenwart zu überzeugen. Das von den gewohnten Erscheinungen
Abweichende lag einestheils in der ungewöhnlichen. Alles bisher Ge-
sehene übersteigenden Grösse der Larven, anderntheih in ihrer ebenso
Ueber Orvif^hbildungen. 145
nngewöhnlicb dunkeln , brUunlichon , ja dunkelbraunen Hautfarbe,
zugleich aber auch in der bei der vorgerückten Jahreszeit sehr fort-
geschrittenen Entwicklung der Larven, die zum Theil schon mit vier,
grösstentheils aber mit zwei Beinen versehen waren. Ich hatte daher
die starken Bewegungen , welche diese Geschöpfe im Wasser bei der
Annäherung machten, nicht auf Proschiarven, sondern auf ausgewachsene
oder mindestens einjSlhrige Frösche bezogen.
Dieser Wassergraben lag an einem ziemKch hohen Rain unter
schattigen Bäumen, war etwa anderthalb Puss tief, der Boden stark
bewachsen , die Bewohner daher sehr geschützt und geeignet sieh zu
verbergen, efben deshalb ausserordentlich gut genährt. Bei niiherer
Untersuchung des Darrainhalts stellte sich heraus, dass derseU^e aus
grossen Schlammmassen bestand , welche gleich dem Schlamme , wel-
cher den Boden des Grabens bildete, zahlreiche mikroskopische Pflan-
zengebilde (aber durchaus keine abgenagte POanzentheile) enthielt^).
Diese Larven waren daher fast reine Pflanzenfresser, woraus sich viel-
leicht, bei dem relativen Ueberfluss an Nahrung, ihre ungewöhnliche
Grösse erklärt. Bei der diesjährigen Kälte und dem fast beständig herr-
schenden Regen war die sonst vorherrschende mikroskopische Fauna
fast ganz ausgeblieben. Eine andere Brut von Pelobates fuscus, welche
sich in einem benachbarten, ganz flachen und offenen Graben ohne
alle Vegetation und mit reinem Sandboden entwickelt hatte, war in der
Entwicklung lange nicht so weit vorgerückt und zeigte die gewöhn-
liche blass-oli venartige Färbung und eine viel geringere Grösse, so dass
ein Ungeübter beiderlei Larven schwerlich für derselben Species ange-
hörige gehalten haben würde. Zweifelte ich doch selbst anfangs, ob
ich es hier mit Pelobates fuscus und nicht etwa mit einer irgend wie
hierher versieh lagenen Brut des südlichen Pelobates cultripes zu thun
habe, bis die Beobachtung der weiteren Entwicklungsstufen, der Me-
tamorphose und der damit bei allen Individuen deutlich werdende
Geschlechtsunterschied in der Grösse und Färbung, meine Zweifel
beseitigte. Dabei muss ich hervorheben , dass diese Unterschiede bei
der Riesenbrut ungewöhnlich früh eintraten und die charakteristische
Färbung der erwachsenen Thiere, braun und weiss mit rothen Punkten
hei den Weibchen, olivenfarbig mit schmutzigerem Weiss bei den
Männchen, bei beiden dunkler als beim ausgewachsenen Thier, schon
auftrat, ehe die jungen Fröschchen die Schwänze völlig verloren und
das Wasser vcrliessen. Noch ist zu bemerken , dass sich in demselben
Graben Larven' von Rana esculenta befanden , welche ebenfalls durch
i) S. meine früheren Mitthcilnngen darüber. Zoolog. Garton. V. 4864. S. S55.
146 C. Bruch,
besondere Grösse und dunklere Eärbung ausgezeichnet waren , so dass
an dem Einflüsse der Localität auf diese Verhältnisse nicht weiter zu
zweifeln war.
Vom 21 . Juli bis Anfang August sammelte ich bei täglichem Be-
suche in diesem Graben etwa 60 Larven von Pelobates von verschie-
denen Entwicklungsstufen, alle der grossen Brut angehörig und durch-
weg 9,5 bis 40,5 Gentim. in der Länge ^). Nach diesem Zeitpunkte
wurde keine mehr wahrgenommen, auch hatten die letzten ihre
Entwicklung beinahe vollendet. Es ist zwar möglich, dass einige mir
entgangen sind und das Wasser schon früher verlassen haben , da bei
allen Brüten einzelne Individuen den andern in der Entwicklung
voraus sind, allein es ist mit* doch nicht wahrscheinlich, dass Viele in
diesem Falle waren, da fast alle von mir aufgefundenen noch voll-
ständige Schwänze hatten und diese Art das Wasser nicht verlässt,
bevor die Metamorphose vollendet ist. Andererseits spricfiit auch die
viel weniger vorgeschrittene Entwicklung der benachbarten Brüten,
die kühlere Lage des betreffenden Grabens und die herrschende kühle
Witterung gegen eine vorschnelle Metamorphose, welche um diese Jah-
reszeit sonst normal eintritt^).
4) Die grössten Larven von Rana esculenta, welche mir vorgekommen sind,
massen nicht über 7,5, einige Larven von Cultripes provincialis , welche ich der
Güte des Herrn Prof. Köllikbr verdanke, nicht über 8 Ctm.
2) Eine Anzahl der der Metamorphose nahen Larven behielt ich lebendig bis
zum Eintritt des Winters und hatte dabei Gelegenheit zu beobachten, wie die an-
fangs runde Pupille allmählich in die senkrecht gespaltene Form übergeht,
welche Pelobates eigen ist. Dies geschieht nicht plötzlich , sondern allmählich , in-
dem die runde Pupille erst zur Zeit, wo die vorderen Extremitäten anfangen, sich
unter der Haut zu bewegen und durch das Athemloch durchzubrechen, eine rhom-
bische Gestalt annimmt, welche dann beim Eingehen des Schwanzes in die spalt-
förmige übergeht, so dass Pelobates bei der Gestaltung seiner Pupille
Formen durchläuft, welche bei anderen einheimischen Ba-
trachicrn permanent vorkommen und früher von mir beschrieben worden
sind. (S. Würzb. naturwissensch. Zeilschrift. IV. S. 92 ff., 97, 128; HI. S. 220.)
Interessant war es auch zu sehen, wie die in Gefangenschaft gehaltenen
reifen Larven von Pelobates fuscus sich einzugraben anfingen, sobald sie auf
trockene Erde gebracht wurden (s. Bd. HL S. 487), ehe noch die Metamor-
phose vollendet war, obgleich sie dies im Naturzustande freiwillig nicht thun.
Anfangs sassen sie zwar ganz ruhig und platt auf der Erde und machten keine Be-
wegungen, welche auf Unbehagen oder auf eine bestimmte Absicht, sich ihrer un-
gewohnten Lage zu entziehen , hinwies. Nur suchten sie allzugreller Beleuchtung
stets auszuweichen. Tippte ich sie auf den Kopf, so duckten sie sich einfach nieder
und drückten sich fester anf die Erde. Tippte ich von neuem , so begannen sofort
Scharrbewegungen mit den Hinterbeinen, um sich iu den Erdlioden zurückzu-
Ueber Dreifaehbildniigen. 147
Am 23. Juli 1867 erhielt ich aus dem beschriebenen Wassergraben
die Taf. XI Fig. 1 in natürlicher Grösse mittelst der geometrischen
Methode abgebildete, der Metamorphose schon sehr nahe Larve von
Pelobates fuscus, welche mir schon im Wasser durch die Breite ihres
Schwanzes auffiel und beim Herausnehmen aus dem Schöpfer sofort als
Dreifachbildung erkannt wurde. Ihre ungewöhnliche Grösse fällt
ins Auge , wenn man sie mit den früher ^] abgebildeten Larven ver-
gleicht, nähert sich im Längsdurchmesser der ebenfalls schon früher^]
abgebildeten Larve mit »absolut zu langem Schwanz«, in der Art, dass
der Schwanz unserer Dreifachbildung jenen immer noch abertrifft, aber
sieben , was auch in der bekannten spiralig sieb drehenden Bewegung des Hinter-
leibes erfolgte. Wir haben hier einen weiteren Beweis zu den unzähligen anderen,
dass die sogenannten »Instincte« der Thiere mit der Organisation angeboren , nicht
durch Erfahrung und Unterricht erworben sind, obgleich man den Einfluss der
letzteren nicht unterschätzen darf und es gefehlt wäre . den Thieren die Benutzung
der Erfahrung Anderer und der eignen abzusprechen. Den sprechendsten Beweis
der letzteren liefert die schon früher besprochene Scheuheit der Froscblarven in
solchen Wasserbehältern , welche zum Wasserschöpfen benutzt werden oder sonst
öfteren Besuchen ausgesetzt sind.
In Bezug auf das Eingehen des Schwanzes beobachtete ich in diesen Fällen
einen etwas abweichenden Process. Bekanntlich erfolgt dasselbe nicht durch vAb-
werfen« des Schwanzes , was man hie und da noch wohl zu lesen bekömmt, son-
dern durch eine von der Spitze des Schwanzes gegen dessen Wurzel fortschreitende
Atrophie , welche mehrere Tage in Anspruch nimmt und die Thiere sehr angreift,
daher sie in dieser Zeit weder fressen noch zunehmen. Bei meinen auf dem Trock-
nen gehaltenen Fröschchen von Pelobates fuscus bildete sich, als der Schwanz noch
etwa ^1^ lang war, am Steiss eine deutliche Demarcationsünie; der Schwanz
entfärbte sich , wurde weich und zerreisslich , die Oberhaut ging leichter herunter
(besonders nach kurzem Verweilen in verdünntem Weingeist), ja selbst die Pigmenti
Schicht, welche innig mit der Oberhaut zusammenhängt, aus ramificirten Zellen mit
Kenianschwellungen besteht und über der ziemlich einfarbigen Lederhaut liegt, ging
verloren. So nutzte sich der Schwanzstumpf förmlich ab und die Ursprungsstelle
vernarbte zuletzt wie ein offenes Geschwür. In dieser mechanischen Weise habe
ich den Schwanz sonst bei keiner Froschlarve sich zurückbilden sehen, welche sich
in ihrem natürlichen Elemente befand, obgleich die Laubfrösche, wie ebenfalls
schon früher bemerkt , das Wasser verlassen um am Glase sich anzusetzen , ehe
die Metamorphose vollendet ist.
Bemerkt sei hier ferner, dass diese grossen Larven schon deutlich eine
Stimme vernehmen Hessen, welche, ähnlich der der jungen Tritonen, quäkend,
nicht quikond war, wie beiden Kröten.
Endlich begegnete mir auch eine noch ziemlich junge Larve vor dem Durch-
bruch der vorderen Extremitäten, welche das Athemloch auf der rechten Seite
hatte. Es war dies eine der Colossal formen.
h) Würzb. med. Zeitschr. VU. Taf. VI, Fig. 4—8.
1) A. a. 0. V. Taf. L Fig. 5.
Bd. vn. S. 40
148 C. finioh,
durch die Länge des noch nicht metamorphosirten Kieferapparats bei
jener viel jüngeren Larve compensirt wird. Eine Vergleichung der Di-
mensionen der Extremitäten wird am besten auch ohne genauere Prü-
fung m>it dem Maassstabe und Zirkel geeignet sein, den Unterschied der
Körpergrösse darzuthun, wobei nicht zu übersehen ist, dass unsere
Mtssbildung ein vt^llig ausgewachsenes, der Metamorphose nahestehendes
Individuum darstellt. Die Färbung war noch die, welche den Larven
von Pelobates vor Beginn der Metamorphose eigen ist, nämlich ein
dunkles Oiivenbraun mit zahlreichen zerstreuten kleinen, dunkeln
Flecken. Insbesondere hatten die inselartigen braunen Flecken, mit
trennender weisser Bänderung (welche in der Nacken- oder Steiss-
gegend zuerst aufzutreten pflegt ^) noch nirgends begonnen. Die Invo^
lution des Schwanzes hatte noch nicht begonnen , wohl aber verrieth
die Gestalt des Kopfes, namentlich die stumpfe Schnauze und die Hdll>-
kreisform des Kieferrandes, dass die Umbildung und Reduction des
KiefergerüsteSi welche der Involution des Schwanzes vorausgeht, bereits
vollbracht war. Die Durchbruchstelle der äusseren Haut auf der rechten
Seite war bereits vernarbt und hatte sich, gleich dem Athemloch auf der
linken Seite, um den Oberarm fest angelegt, wie ein Hemd ohne Aermel
mit engem Armloch , dessen Ränder überall scharf und deutlich wahr-
nehmbar waren. In Folge des bereits mehrtägigen Fastens hatte sich
der Darmcanal schon sehr beträchtlich entleert und der Unterleib auf
Dimensionen reducirt, welche dem Typus des erwachsenen Frosches
entsprachen, wie es in dieser Entwicklungsperiode Regel ist. Einige
Tage früher, vor Beginn der Metamorphose der Kiefer, betrug der Um-
fang des Leibes gewiss die doppelte Breite des Kopfes. Die Larve
bewegte sich im Wasser noch immer, gleich allen geschwänzten Frosch-
larven, ganz fischartig, ohne die Extremitäten zu benutzen, vermochte
aber auf dem Lande ganz gut zu hüpfen und zu rutschen, gleich jungen
Pröschchen. Auch Scharrbewegungen würde bei der vollständigen
Ausbildung der Messerschwiele die Organisation nicht hinderlich sein,
wenn nicht der lange, fleischige Schwanz dem Eingraben wider-
stünde.
An dem letzteren fiel sogleich die beträchtliche Breite der Schwanz-
flosse, besonders in der hinteren Hälfte ins Auge, welche am oberen
Rande einen starken Bogen bildete und dann rasch gegen die Schwanz-
spitze hin abfiel, während der untere Rand hier mehrfach ausgeschnitten
erschien. An den Achsengebilden war eine solche Unregelmässigkeit
i) S. a. a. 0. 11. Bd. S. 497.
Ueber Dreifadibildungeo. 149
nicht wahrnehmbar, dieselben verliefen vielmehr in gewöhnlicher Form
und Ausbildung, sich gegen die Schwanzspitze hin allmählich verjüngend,
bis gegen das letzte PUnftheil der Gesammtlänge des Schwanzes. Hier
angekommen theilte sich die Chorda in der früher beschrie-
benen Weise in zwei fast gleich starke Schenkel, welche
beide in der Medianebene lagen und von welchen der obere
und stärkere in der Flucht der ungetheilten Chorda grade
fortging, der untere schwächere aber etwas gewunden
erst eine kurze Strecke parallel mit dem oberen nach
rückwärts, dann aber s^chräg nach abwärts und hinten
gerichtet war und am unteren Flossenrande mit ver-
jüngter, etwas nach vorn gekrümmter Spitze endete
(Fig. 2). Die Musculatur des Achsentheils, welche bis zur Theilungs-
stelle etwa 24—25 Segmente aufwies, war in dieser Strecke von voll-
kommener Regelmässigkeit und endete an dieser Stelle nicht, sondern
erstreckte sich , mit wetteren deutlichen Muskelabtheilungen noch eine
Strecke weit über beide Schenkel, besonders am oberen Schenkel, war
aber auf der äusseren Seite derselben viel merklicher ausgesprochen,
als auf den inneren zugekehrten Seiten. Auch die Blutgefässe, welche
die Chorda begleiteten, setzten sich in normaler Weise auf die äusseren
Seiten beider Schenkel fort, während sich ein einfaches starkes Gesäss
zwischen beiden Schenkeln im weiteren Verlauf dem oberen Schenkel
anschloss.
Erst in einer Entfernung von 5 Millim. von der Scbwanzspitze
theilte sich der obere Schenkel der Chorda zum z weiten -
male und zwar ganz in derselben Weise, wie die Chorda selbst,
nämlich in einen oberen Schenkel, welcher die unmittel-
bare Fortsetzung und das normale Ende der Gesammt-
chorda repräsentirte, aber durch seinen gewundenen
Verlauf (Fig. 2) an die Form der »allzulangeno Chorda
erinnerte, und in einen unteren, schwächeren und kür-
zeren Schenkel, welcher in schräger Richtung nach
hinten und abwärts verlaufend so ziemlich auf dem kür-
zesten Wege den Flossenrand erreichte. Zwischen der
ersten und zweiten Theilungsstelle hatte der untere Flossenrand eine
lappige Ausbuchtung, von zwei seichten Einschnitten begrenzt, welche
nicht Folge von Verletzungen waren, sondern den natürlichen Rand der
Schwanzflosse zeigten. In der Pigmentirung , so wie im sonsigen An-
sehen war weder an den Achsengebilden noch an der Schwanzflosse
jener Unterschied zwischen dem ungetheilten und getheilten Schwanz-
abschnitte zu entdecken, wie man ihn bei regenerirten Schwänzen
150
nicht vermisst, und welchen auch A. Güntbbb') erwähnt. Die Hiss-
bildung fällt demnach unler die Kategorie des Dichordus medialis und
musste etwa als Dichordus medialis triplex bezeichnet werden, wenn
man nicht geradezu einen Trichordus medialis aufstellen will.
Sie kann nur dadurch entstanden sein, dass die Chorda dorsalis sieb bei
ihrer ersten Entwicklung nicht einmal, sondern zweimal, d. h. an
zwei verschiedenen Stellen verzweigt hat, so dass im Ganzen
drei wirkliche Chordaenden, wenn auch von verschiedener
Dignitat, entstanden sind.
Man wird nicht verkennen , dass schon das Vorkommen einer
solchen zweimaligen Theilung der Chorda dem Einwände, dass es sieb
in diesem Falle um einen Fehler der zweiten Bildung, ein Regenerations-
phltnomen handele, in viel stärkerem Grade widerstrebt, als der ein-
fache Dichordus. Es wJire gewiss ein sehr besonderer Zufall, wenn
sich ein solcher Vorgang bei einer und derselben Froschlarve ganz in
derselben Weise kurz nach einander wiederholte, und wenn dieses
Individuum das einzige einer ganzen Brut bliebe, welches von einer
Regeneration betroffen wird! Hierzu kommt, dass es gerade dieser
Brut, wie aus ihrer KOrpergrdsse hervorgeht, um wenigsten an Nah-
rung , dem Cannibalismus also der zureichende Gmnd gefehlt hat. Ich
glaube daher vollkommen im Rechte zu sein, wenn ich diesen Fall als
eine Hissbildung aus inneren Gründen dem echten Dichordus
anreihe, in seiner Seltenheit, als Unicum während einer siebenjühngen
Beobacbtungszeit und unler vielen Taust;nden von Froschlarven , nU
echte Oreifachbildung derChorda dorsalis anspreche und, insofern es
sieb um ein Achsengebilde handelt, an die Doppelbildungen der Achsen-
oi^ane anschliesse. Ich Ihue dies um so lieber, als leicht ersichtlich
ist, dass auf dem bezeichneten Wege auch eine Vier- und Hehrfacb-
bildung der Chorda dorsalis nicht zu den Unmöglichkeiten gehören und
alle Fülle von Mehrfach bildun gen unler eine Kategorie und unter ein
und dasselbe Gesetz der Entstehung fallen wUrden.
So ansprechend und einleuchtend übrigens eine solche Ansicht
sein mag, so wenig kann ihr die specielle Durchfuhrung mit Bezug auf
die bekannten Falle von Triplicitaten erlassen werden. Ausser J. Geop-
FROT St. HU.A1BE ist mir kein Schriftsteller bekannt, der diesen Versuch
wirklich gemacht hätl«, und es ist daher unerlasslich, auf seine Dar-
stellungsweise hier nUher einzugehen.
J.Gbopfroi^, von der Voraussetzung ausgehend, dass alle htlbern
1) A. a. O. p. t, III.
üeber Dreifftcbbildangen. 151
Grade von Doppelbildungen durch Verschmelzung zweier vorher ge-
trennter Individuen entstanden sind; und dass demnach »die Dreifach-
bildungen nur ein Gorollar zur Geschichte der Doppelbildungen« bilden
können, nimmt sofort an, dass eine Triplicität höheren Grades (mit
dreifacher Achsen bildung) durch Verschmelzung dreier Individuen
entstehe, eine Vierfachbildung durch vier Individuen u. s. f. Diese
fundamentale Bedingung unterscheidet nach ihm die »zusammenge-
setzten MiSvsbildungen « von den »Hemilerien«, welche letztere in drei-
facher Weise, entweder I ) durch Spaltung oder 3) durch übermässige
Ausbildung rudimentärer Organe oder 3) durch Bildung überzähliger
Organe in einem einfachen Individuum entstehen und meistens von
geringerer Bedeutung sind. Das Wesentliche der »zusammengesetzten
Monstra« ist nach ihm die Bildung von Organen , welche »nicht in der
Organisation des Wesens begründet sind und daher keine überzählige
Theile, sondern ein besonderes Individuum bilden«.
Man würde schwerlich begreifen, wie G. zu einer so willkürlichen
Unterscheidung kommen konnte, die obendrein eine ungelöste Prin-
cipienfrage, den Begriff des Individuums, einschliesst, wenn man sich
nicht des Entwicklungsganges der französischen Teratologie erinnerte.
In dem berühmten Streite zwischen L^vbrt und Wiicslow, welcher in der
ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts vor der französischen Akademie
spielte, bekämpfte LfiMBRT, welcher seines Zeichens nicht Zoologe, son-
dern Chemiker war, in glänzendster Weise die schon seit Bficis Zeit
bestehende Lehre von ,der Bildung abnormer Keime, welche die Lehre
von den Missbildungen auf ein transcendentales, ja selbst theologisches
Gebiet hinüberschob, aber er konnte nicht verfehlen, seinem Gegner
eine schwache Seite darzubieten , als er eine rein mechanische Ver-
wachsung von Zwillingsfrüchten zur Grundlage der Erklärung machen
wollte. Die von Winslow entgegengehaltene Gesetzmässigkeit in der
Verbindung homologer Organe, welche sich durch die sorgfältigsten
anatomischen Untersuchungen bisher als eine ausnahmslose heraus-
gestellt hat, ist dei* wissenschaftliche Kern der Lehre geworden, trotz
der von ihm, keineswegs mit Entschiedenheit, behaupteten originären
Entstehung abnormer Keime. Es ist vollkommen begreiflich , dass die
namhaftesten Physiologen jener Zeit, A. von Haller an der Spitze,
WiNSL0W*s Argumente zu stützen suchten und um diesen Preis selbst
vor einer Transaction mit der aller Wissenschaft Hohn sprechenden
Evolutionstheorie nicht zurttckscheuten. Ebenso begreiflich ist auch,
dass eine anscheinend so einfache Lehre, wie die LtMBRVsche so viele
Anhänger herbeizog, welche, ohne sich auf die Kritik der einzelnen
Fälle einzulassen, mit einem Worte die Sache zu entscheiden
Deber DreifadtbUdnngen. 15^
überhaupt die Evolutionstheorie trolz Hallbr^s Hioneigung wenig Ghlck
gehabt und C. F. Wolff's »Theorie von der Generatieo« kam zu frtib,
als dass jener ein namhafter Yrntreter hUtte aufkommen können. Wenn
man auch J. F. Mvgkbl als solchen aufgeführt bat, so braucht man doch
nur die lapidarische Definition der Doppelbildungen in seinem Hand-
buche ^), ein Jahr naeh dem Ersckeinen seines grossen Specialwerkes,
zu lesen , um überzeugt zu sein , dass ein so gründlicher Beobachter
und so scharfer Denker, wie Mbgkel, mit völliger Klarheit und Gewiss^
heit die Wahrheit erfasst hatte. »Das Mehrfach werden ist Ver-
mehrung der Zahl der Theile, welche den organischen
Körper bilden, mit regelwidrig vermehrter Masse. Der
letztere Zusatz ist nothwendig, um das Mehrfachwerden von der blossen
Spaltung zu unterscheiden. « Die gradweisen Verschiedenheiten des
Mehrfachwerdens sind nach Mbgkbl beträchtlich und bilden mehrere
Reihen, welche mit der Vermehrung einzelner Theile, z. B. der Finger
und Zehen , anfangen und mit der gänzlichen Dnplicität des Körpers
aufhören. »Diese höheren Grade des Doppeltwerdens kann man als
die Vereinigung der VervielfiiHigung mehrerer Organe in dem-
selben Körper ansehen, statt dass sich bei den niedrigeren nur einzelne
Organe betheiltgen. « Höchst selten sei die Zahl einzelner Theile oder
des ganzen Körpers, mehr als verdoppelt, und doch sei Alles Mehr-
fachworden, auch das höchste, nur AnnUhemng an diesen Zustand.
Es folgt dann die Aufziihhmg der einzelnen verdoppelt gefundenen Or-*
gane unter 8 Rubriken, an welche sich dann »das Mohrfachwerden
des ganzen Körpers« ohne eigene Rubrik unmittelbar anschliesst^).
Diese Aussprüche von J. F. Msckbi. werden für alle Zeiten Geltung
behalten und nur darin sind sie nicht ganz auf der Höhe unserer Zeit,
dass er, dem damaligen Standpunkte der Entwicklungsgeschichte ent-
sprechend, zu sehr auf das einzelne Organ sah, und die Abhängigkeit
der meisten Organe des thierischen Körpers in ihrer Entwicklung von
den primären oder Fundamentalorganen des Embryo und der Keim«»
haut, welche namentlich für die Verdoppelung der Aohsengebilde ent-
scheidend ist, nicht näher ins ^ge fasste.
Mbgkkl^s Verdienst leuchtet um so heller, als er in einer Zeit, wo
die Zeugung des Menschen noch vielfach als ein Vorgang sui genoris,
ja fast als ein Wunder angestaunt wurde und selbst an Universitäten
die aura seminalis, der psychische Einfluss der Zeugenden, ja selbst die
Parthenogenesis des Menschen eine Rolle spielte, keinen Unterschied
4) Handbuch der pathologischen Anatomie. Leipzig 4S49. II. S. 44.
V. A. a. 0. S. 88.
C. BiDth,
1 menscblicheD und Ihierischen Missbildungen machte und seine
r den Henscben speciell aufgestellt hat.
t im Jahre l8äT, in demselben Jahre, in welchem E. Geoffkov
iBE sein Affin itatsgesetz aufstellte, wuixle von C. E. v. Bakr
re thierische und menscblicbe Ei entdeckt, uod so begreifen wir
cb, weshalb von da an die Lehre vod den angeborenen Miss-
n in Deutschland vorzugsweise eiue Frage der anatomischen
geblieben ist , wahrend sie anderwärts noch immer eine rein
che, selbst speculative Seite behalten hat So ist es denn aucb
iequent, wenn J. Geoffrot') die Entstebung derTripelmonstren
är der Doppelbildungen durch eine Statistik der Zwillings -
'illingsgeburten zu stutzen suchte. Es standen ihm dazu
tn zu Gebote, welche DuG&s den Registern der Halemit^ in Paris
leo bat. Dort waren unter 37,iit Geburten, die wUhrend
Jahren vorkamen, 36,992 einfache, tii Zwillings- und nur 3
geburten, unter 108,000 Geburten aber keine weitere Mehr-
GEOPPBoy benutzt diese Zahlen, um die Seltenheil der Doppel—
ifachbildungen erklärlich zu machen, obgleich ein solches Ver-
wenn man darin eine Prädisposition fUr Hissbildungen sehen
mmer noch ein ganz UDverhaltnissmässiges sein würde. Ueber-
lend damit und nur in Bezug auf die Hau6gkeit der Drillings-
. abweichend, sind neuere Angaben. So verzeichnet H. Megebl ^]
,922,6i5 Geburten, welche von 1826 bis 1848 in Preussen
n, 141,715 Zwillings-, 1588 Drillings- und :15 Vierlings-
I, demnach unter 84 Geburten eine Zwillings-, unter 7514 eine
-, unter 340,607 eine Vierlingsgeburt. Leider sind die Zahlen
twa vorgekommenen Hehrfachbildungen nicht mit angegeben,
m man erwägt, dass notorische Fälle von Duplicitaten in jedem
liebt nach den Jahi^Sngen, sondern nach Jahrzehnten und
lerten gezählt werden müssen , so ^llt jeder Grund hinweg,
immer noch unverhaitnissmassigen Häufigkeit der Mebrgeburlen
bluss auf die enorme Seltenheit der Hehrfachbildungen ziehen
n. Nimmt man hierzu die schon in meiner früheren Abband-
ttetonle HäuBgkeit von achten Doppelbildungen , namentlich
tpfen, bei niederen Wirbelthieren , welche eine äussere
ang und freie Entwicklung bei völliger Isolirtheit der gleich-
legten Eier haben, und dass die Zahl der Monstren bei kUnst-
a. 0. p. StS.
Uulleh'b Archiv ISBO. S. 14S.
ünb. med. Zeitschr. V. S. 4.
öeber DreifacbbUdangen. 155
lieber Befruchtung, so wie bei mancheD Species, welche sich durch
sehr zarte Eihäute auszeichnen, wie der Hecht, am grüssten ist, so wird
man eher geneigt sein, in Zwillings- und Drillingsgeburten bei höheren
Thieren mit getrennten, mehrfachen EihüUen und complicirten Ent-
wicklungsvorgüngen ein Hinderniss, als ein Beförderungsmittel von
Mehrfachbildungen zu sehen. In der That ist die Zahl von 497 Doppel-
bildungen, welche Gbofproy mit dem erstaunlichsten Fleisse für die
gesammte Abtheilung der Wirbeithiere gesammelt hat und wovon 4 98
auf den Menschen kommen, eine erstaunlich geringe, wenn man erwägt,
dass dabei die Literatur der ganzen Erde , sowohl wissenschaftliche als
laienhafte, für mindestens anderthalb Jahrhunderte benutzt wor-
den ist, wenn gleich die älteren Angaben, so weit sie über das 1 7. Jahr-
hundert zurückgehen, ihrer Ungenauigkeit und offenbaren Willkürlich-
keit nicht mitgezählt werden konnten. Auch die ältere Literatur stimmt
in sofern mit der neueren überein , als die Zahl der aufgeführten Fälle,
so ungenau dieselben auch beschrieben und bestimmbar sind , im
Ganzen keineswegs grösser ist, als heutzutage, wahrend das Aufsehen,
welches solche Vorkommnisse machten , damals eher noch grösser war.
Ein weiterer Gegengrund liegt darin, dass, wieG. ^) bemerkt, Dop-
pelbildungen bei multiparen Säugethieren keineswegs häu6ger sind, als
bei uniparen, ja dass das Rind , welches selten Zwillinge bringt, fast
eben so viel Doppelmonstren zur Welt bringt , als die Katze und be-
trächtlich mehr als der Hund. Endlich bemerkt Gbopfroy^], dass ein-
fache Monstren sehr häufig als Zwillinge geboren werden, auch können
alle Individuen einer Mehrgeburt oder auch nur einzelne in gleichem
oder verschiedenem Grade verbildet sein Das Verhältniss der Doppel-
monstren, welche als Zwillinge geboren werden, zu den einfachen Dop-
peimonstren sei sogar grösser, als das der Drillings- zu den Zwillings-
geburten.
Alles Weitere, was J. Gbopfhot nach der Erledigung der statistischen
Präge noch über die Bildungsgesetze der Monströs doubles und triples
anführt, passt so vollständig auf unsere neuere Theorie, dass man nirgends
veranlasst wird, sich der Verschmelzungstheorie zu erinnern, und die-
selbe sich fast wie ein sehr allgemein gehaltener Prolog ausnimmt, den
man unbeschadet der Vollständigkeit und Verständlichkeit des ganzen
W^erkes hinweglassen könnte. Die Lehre von der symmetrischen Bil-
dung der Doppelmonstren, von der Richtung der Achsen und ihrer Ein-
theilung in Vereinigungs- und Vertebralachsen , die Eintheilung der
4) A. a. 0. p. 154.
1) A. a. 0. p. 963.
156 0. Bruoh,
einzelnen Fälle nach dem Grade der Verdoppelung in verschiedene
Reihen , welche Uebergänge in allen Abstufungen bilden , so wie die
Gesetzmässigkeit in der Lagerung der verdoppelten Organe, insbeson-
dere auch der Eingeweide, und in ihren Beziehungen zu den Achsen—
gebilden, sind Thatsachen, welche die epigenetische oder Ent-
wicklungstheorie eben so nöthig, wenn nicht noch nöthiger
braucht, als die LfiMBRY^sche in Verbindung mit dem GBOFFROT'schen
Affinitätsgesetz. Selbst die Veränderungen, welche man in der GBorFROY —
sehen Classification vorzunehmen veranlasst war, beruhen weniger auf
theoretischen Voraussetzungen , als auf einer genaueren a«atomischi3n
Kenntniss, insbesondere der parasitischen und mancher für blosse Ver-
mehrung einzelner Theile gehaltener, in Wirklichkeit auf ursprüng-
licher Achsen Verdoppelung beruhender Fälle, wie a. B. mancher Poly-
melien und Polygnatben.
Nicht ebenso günstig gestaltet sich dieses Verhältniss bei den
»monströs triples et plus qne triples«. Hier bereitet das Affinitätsgesetz
wirkliche Schwierigkeiten, welche der Entwicklungstheorie nicht zur
Last fallen. Es handelt sich vor Allem um die Frage, ob das Gesetz
der bilateralen Symmetrie auch durchführbar ist, wenil ein
Individuum aus drei Körpern (oder wesentlichen Körpertheilen) ausani-
mengesetzt ist. Wäre die Zahl der beobachteten Fälle eine einiger-
massen zureichende , so würde man auch hier Anhaltspunkte haben,
bei der extremen Seltenheit zuverlässiger Beobachtungen finden wir
uns aber hier fast in der Lage, wie die Anatomen zu LSmery^s Zeit.
J. Geoffrot^j zweifelt nicht, dass das Affinitälsgeselz auch für
Dreifachbildungen Geltung habe, allein er nimmt zwei mögliche Fälle
an. Entweder verbinden sich drei Individuen durch einen gemein-
samen Mittelpunkt , oder zwei unter einander verbundene Individuen
verbinden sich mit einem dritten, d. h. »ein erstes Individuum ver—
bindet sich mit einem zweiten, und das zweite, mittlere, verbindet sich
wieder mit einem drittena. Ein Fall der ersten Art ist Gkoffrot nicht
bekannt geworden, der zweite Fall stelle eigentlich eine an zwei
Punkten wiederholte Doppelbildung dar, »lasse sich also auf die ein-
fachste Weise auf zwei Doppelbildungen zurückführen«. Da die Entr-
Wicklung der beiden äussersten Individuen verschieden sein könne,
müsse noih wendig in manchen Fällen ein unsymmetrisches Mon-
strum entstehen ; aber es könne sich auch treffen, dass die Entwicklung
eine gleichmässige sei und in diesem Falle sei das »monstre triple«
4) A. a. 0. p. 18, «36.
lieber DreiffteM>il4nnKen. i57
offenbar symmetrisch gebildet und durch eine Medianebene in zwei
gleiche Hälften zerlegbar.
£inen Fall der letzten Art hat Gbopfbov ^)y um nicht von älteren
zweifelhaften Fällen zu reden, selbst beobachtet. Ein lebender Hammel
zeigte jederseits eines wohlgebildeten Kopfes neben und vor dem Ohr
eine unvollkommene, sehr kurze und blos aus einem kleinen Mund unil
Kiefern bestehende Gesichtsbildung. Nur die accidentellen Unterkiefer
waren daran deutlich ausgebildet und mit dem Hauptunterkiefer ver-
schmolzen, dessen Bewegungen sie folgten. Die beiden seitlichen
Mundö£foungen waren sehr klein und in jeder nur ein einziger Zahn
wahrnehmbar. Da G. das Thier nur lebend sah, konnte er keine
genauere anatomische Untersuchung vornehmen, welche namentlich
nöthig gewesen wäre, um das Verhällniss der Achsenorgane festzu-
stellen. Der Name »paragnathe«, welchen G. dieser Missbildung beilegt,
um sie von den übrigen »polygnathes« zu unterscheiden, präjudicirt um
so weniger, als G. ^) diese ganze Abtheilung nicht zu den eigentlichen
»monströs composes« rechnet, sondern als einfache Individuen mit
mehrfachem Unterkiefer betrachtet. Jedenfalls werden wir G. für die
Mittheilung eines Falles von symmetrischer Tripelbildung, der
bis dahin der einzige geblieben ist, sehr dankbar sein müssen.
Alle andere bekannte Fälle von Drei fachbildung sind
entschieden unsymmetrisch. So namentlich der berübmte Fall
von Reina und Gajlvagni, welcher zugleich den einzigen unzweifelhaften
Fall von menschlicher Triplicität bildet. Hier sassen drei wohl-
gebildete Köpfe an einem einzigen , sehr breiten Rumpf mit 3 Brustr-
warzen und den vier gewöhnlichen Extremitäten, zu welchem noch ein
fünfter, überzähliger Rückenarm mit doppelter Hand hinzutrat, wie er
bei den GsoPFRuv'schen Derodymes vorkommt. Die 3 Köpfe sassen auf
nur 2 Hälsen, oder vielmehr die beiden rechten Köpfe hatten einen
gemeinsamen Hals. Luftröhre und Speiseröhre warpn nur am Anfange
dreifach, weiterhin doppelt ; Magen, Leber und Zwölffingerdarm ein-
fach, der Dünndarm doppelt, der Dickdarm, Mastdarm und Geschlechts-
werkzeuge einfach, die Niere desgleichen, hufeisenförmig. Es waren 2
Brusthöhlen, i Herzen und 2 Lungenpaare vorhanden, die Wirbelsäule
bis zum Becken doppt^lt, das Becken einfach mit Spuren überzähliger
Hüftbeine nach hinten. Offenbar fand hier eine zweifache Spaltung
der Wirbelsäule, an zwei verschiedenen Stellen, nämlich
4) A. a. 0. p. S40.
9) A. a. 0. p. 47. An einer späteren Stelle (p. 185) spricht er sich entschie-
deuer aus.
158 CBnMb,
in der Lendengegend des gemeinsamen Rumpfes und in der Halsgegcnd
der rerhten Seite slatl. Henlb 'j hat daher diesen Fall eine nscbeinbareu
Triplicitat genanni,, «da hier weder eine gleichmSssige Verschmelzung
von i Keimen, noch eine gleichmässige Spaltung des einfachen Keimes
in 3 stattfand, sondern nur eine fortschreitende Duplicitflt, indem die
rechte obere Balfte erst nach ihrer Trennung von der linken wieder
doppelt zu werden begann«. Diese Bemerkung beieichnet sehr ricbliß
das sachliche Verhallniss, nichtsdestoweniger ist dieser Fall eine üchte
Triplicitat und zwar, wie Föistbr^) ihn auffuhrt, nrit Verdreifachung
des oberen Körperendes.
J. Geofprov und Förster reihen ihm den länger bekannten Fall
vonBKTTOLi undFATTORi^] an, wo ein sieben monatlicher POtus in seiner
Bauchhöhle einen sehr unvollständigen Embryo und in einer am Uitt«l-
fleisch befindlichen Geschwulst Beste eines zweiten, ebenso unvoll-
kommen entwickelten Fßtus trug, welcher letztere sogar ein Darmsttlok
besass. Geoffroy *) betrachtet diesen merkwürdigen aber schwierigen
Fall als »monstre par inclusion«, Förster^) wohl richtiger als Ver-
bindung von Sternopage mit Pygopage. Er wUrde sieb dar-
nach dem Beini- und GALVAGKi'schen Falle als Parasitenform anscbliessen
und ebenfalls als Achte Triplicitat zu betrachten sein.
Als einziges bisher bekanntes Beispiel einer Verdreifachung der
Achsengebilde am hinteren Leibesende wurde unsere Froscblarvc
mit zweimal getheiller Chorda dorsalis anzureiben sein, welche in der
einfachsten Form die Bildung eines Trtpelmonstnims versinnlicbl und
zugleich anschaulich macht, warum ein solches wohl in den meisten
Fällen ein asymmetrisches sein wird.
Noch anschaulicher sind die Beobachtungen, welche von Lerbboul-
LEX*) in der Classe der Fische gemacht worden sind, da sie über die
Entwicklungsgeschichte der Doppel- und Drcifachbiidungen Auf-
schlösse geben.
Lbdeboullbt, dessen Beobachtungen ich schon früher^) gedacht habe,
hebt hervor, dass alle diese Monstren aus gewtthnlicben , einfachen
Uecbleiern bervoi^iogen , welche weder grt^sser waren , als andere
1) Jahresbericht in J. Hdller's Arebiv. IB3S. Vit).
91 Die MissbilduDgeD d«s Menschen. Jena 1B6S. S. tl. Tatelerklärung. Tel. IV.
Kig. 11,1«.
3) Schon bei J. Fb. Mbciel a. a. 0. S. 78 erwälinl.
t| A. a. 0. p. S93.
B| A. a. 0. S. *1.
fl) Complas reodus. 1B9S.
7) A. a. 0. VU. S. 189.
Oeber DreifAcbbüdiinniren. t5d
Hechteier, noch ein doppeltes Keimblüschon besassen ; er glaubt viel-
mehr dass die künstliche Befruchtung und die verhinderten Bedingungen
der Entwicklung einen wesentlichen Einfluss haben , und bezieht sich
auf seine eigene desfallsige Versuche ^] , welche an SO missgebildete
Fötus, darunter Doppelköpfe, Doppelleiber, Doppelschwänze und selbst
Parasiten formen in Gestalt eines normalen Leibes mit rudimentärem,
in Form eines Tuberkels anhängendem Doppelkörper ergaben. Die erste
Entstehung datirte von dem Schlüsse des Keimhautwulstes und dem
Verschwinden des sogenannten Dotterpfropfes (du bourrelet marginal,
qui limite 1e sac blastodermique , lorsque celui-ci a envahi la presque
totalit^ du vitellus) ^j, sie würde demnach mit der Entstehung der Pri-
mitivrinne oder des Primitivstreifens zusammenfallen.
Die erste Beobachtung Lbreboullbt's ^j ist vom 19. April 185^. Auf
einem seit 48 Stunden befruchteten Hcchteie mit einfachem Dotter von
gewöhnlicher Grösse und Form , welcher ganz von der Keimbaut um-
wachsen war und kein Dotterloch mehr erkennen Hess , befanden sich
2 Embryonen, die am Schwanzende in dem vierten Theil ihrer
Länge vereinigt waren. Der unpaare Schwanz hatte die Länge von
I Millim. und Hufeisenform, mit der Primitivrinne in der Mitte. Die
panrigcn Hälften des Vorderleibes gingen in diametraler Richtung aus-
einander und brückenartig in den hinteren unpaaren Theil über. Am
4) A. a. 0. p. 946.
2) Von diesem Punkte geht bekanntlich hei Fischen und Amphibien die Bildung
der Prlmitlvrinne aus und zwar entspricht das hintere Ende derselben
c (instant der Schlussstelle der Keiuihaut. wie ich durch systematisch
durchgeführte Beobachtungsreihen in zahlreichen Ffiillen bei Triton taeniatus, Pelo-
bales fuscuSi Bombinator igneus, Hylaarborea, Rana esculenta, Bufo calamila und
viriilis mich überzeugt habe. Wer sich im Frühjahre die Mühe nimmt, eine Quan-
tit^it frischgelegten Frosch- oder Krötenlaichs eine Nacht hindurch unter der Loupe
oMer dem einfachen Mikroskop zu beobachten und einzelne Eier im Auge zu be-
halten, wird sich leicht davon überzeugen , dass der Primitivwulst (bourrelet mar-
f;inal, wie Lekbboullbt ihn nennt) vom Umkreis der Kelmhautnarbe ausgeht, wo
sich schliesslich nach Verwachsung des weissen Dotters die bildende Thatigkeit
roücentrirt und nun zu Bildungen aus und in der Keimhaut gcnöthigt ist. Ge-
wöhnlich sieht man bald zwei Längswülste, wie Cometensch weife, von dem
Primitivwulst aus sich in der Keimhaut ausbreiten und darin verlieren , welche nie
g.iuz parallel sind und nicht selten unter einem starken Winkel divergiren, sich
aber schliesslich stets am Kopfende wieder vereinigen und so die verhältnissmässig
sehr breite, besonders am Kopfende stark ausgebuchtete Primitivrinne eiu-
schliessen. Htfufig gewahrt man am hinteren Ende noch die nicht ganz geschlossene
Keimhautnarbe, die einige Schriftsteller zu der Annahme geführt hat, als bilde sich
der After des Thieres zuerst, der erst lange nachher, nach dem vollständigen
Schlüsse der Primitivrinne, wenn auch in der Nähe jener Stelle, entsteht.
5) A. a. 0. p. 854.
160 ^* ^^^^^i
folgenden Tag waren die Wirbelabtheilungen der paarigen Theile Ik
merklich. Nach 404 Stunden (21. April) hatten sich die Doppelköqv
einander genähert und so weit vereinigt, dass sie nun die gleicL
Länge halten, wie der unpaare Schwanztheil, und einen spitzen Wink
unter einander bildeten. Die Vereinigung war unter Verkürsung ur
Fusion der Wirbelabtheilungen zwischen beiden Körpern erfolgt. Bh
hörte die Annäherung auf, jede Hälfte entwickelte sich vollständig anu
Bildung zweier Herzen ; am 9. Tag verliess der Doppelembryo da.s I
und lebte noch 4 Tage.
Im Jahre 4 853 sah L. wieder mehrere Monstra in Hechteiern, darunt.
auch Doppelköpfe und Parasitenbildungen. In allen Fällen war di-
Chorda dorsalis doppelt vorhanden und nahm an derVereim-
gungsebene keinen Antheil.
Lereboullet 1) beobachtete ferner, dass in mandien Fällen str
eines einfachen Primitivwulstes ein doppelter oder getheilter Wulst vor-
handen war, von welchen jeder einen Primitivstreifen aussendete uv
demnach zweiPrimitivrinnen gebildet wurden. Dann entstand«'
zwei völlig getrennte Embryonen, welche höchstens am Schwänzen«]'
zusammenhingen. In anderen FäUen entstand ein einfacher, breii«
Primitivstreifen, der sich vom in zwei rundliche, gleiche oder ungleich
Lappen endete und zwei parallele Primitivrinnen enthielt, deren j((j
Wirbelabtheilungen bildete. Jeder vordere Lappen erzeugte zw«
Augenblasen, die einem Doppelkopfe angehörten, der aber durc
nachträgliche Annäherung und Vereinigung zu einei
einfachen werden kann (15 Mal beobachtet). In noch anden"
Fällen bildete sich ein kurzer Wulst, der einen Kopf erzeugte, sich (]«•:
Länge nach in Wirbelabtheilungen sonderte und die Form eines Iinli
offenen Knopflochs hatte. Jede Hälfte enthielt eine Chorda dorsalis, eii
MeduUarrohr und Wirbelabtheilungen. Der Rest bildete den Schwan?
War der Kopf kurz, so entstanden auf jeder Körperhälfte zwei Ohr-
bläschen, 2 Brustflossen und ein Herz ; war er länger, so entstand oin
einfacher Körper mit zwei Augen, zwei Ohrbläschen und einfachen
Herz; die hinteren, getrennten Körperhälften waren im Oval gesU^I.
mit einfachem oder Doppelschwanz.
Bei Parasitenbildungen trug der Embryo auf der einen Seite [dci
rechten) einen kleinen nach hinten gerichteten Wulst, der ein Ohr-
bläschen und ein pulsirendes Herz hatte, während die übrigen Körpor-
theile sich in der Entwicklung aufgelöst hatten. Bei vielen durch /u
niedrige Temperatur in der Entwicklung gestörten Eiern entstand kein
1) A. a. 0. p. 4028.
Ueber Dreifaehbildongen. 161
Keim, der KeimwuLst verdickle sich, wurde ein htkskeriger Tuberkel,
der sich erhob und verlängerte, Wirbelabtheilungen bildete, aber
weder eine Chorda dorsalis , noch Sinnesorgane , noch ein Herz besass.
In einer zweiten Versuchsreihe^) bildete der Keimhttgel, der ge-
wöhnlich eine dreieckige Form hat, zwei benachbarte Primitivstreifen,
jeder derselben eine besondere Primitivrinne und am andern Morgen
fand sich ein Embryo mit zwei Köpfen. Bei einem zweiten Eie ent-
stand aus einem einfachen Primitivstreifen mit Doppelfurchen ein
Embryo mit zwei ungleichen Köpfen. In einem dritten fand sich neben
dem gewöhnlichen dreieckigen Primitivwulst ein kleiner unregelmäs-
siger Höcker, woraus ein Embryo mit normalem Körper und einem
Tuberkel zur Seite entstand. Ein viertes Ei bildete im Keimhügel selbst
zwei Embryonalkörper mit einfachem Kopf und zwei Schwänzen.
Endlich fand Lebbboullbt auch ein Monstrum mit 3 Köpfen,
d. h. ein doppelter Embryo war am Hinterleibe verbunden , vorn aber
ganz frei; der eine Körper war einfach und normal, der
andere hatte 2 Köpfe. Der linke dieser Köpfe war normal gebildet
und hatte zwei Augen, der rechte aber hatte nur ein rechtes Auge,
während das linke (an der Stelle, wo die beiden Köpfe verbunden
waren) fehlte. Das Monstrum befand sich noch am 43. Tage nach der
Befruchtung im Ei und hatte zwei Herzen , von denen eines dem Dop-
pelkörper gemeinsam war und an der Theilungsstelle lag, das andere
an der Verbindungsstelle der beiden Köpfe. Alle fünf Augen waren
pigmentirt. Die weitere Entwicklung ist nicht beschrieben, aber offen-
bar lag hier Rbina und Galvagni^s Missgeburt in einem Hechtei vor,
nur war hier die Asymetrie dadurch vermehrt, dass die beiden Thei-
lungsstellen der Achsenorgane weiter von einander entfernt lagen , die
beiden Hauptkörper stärker gespalten und die Doppelköpfe stärker ver-
einigt waren, was sich bei weiterer Entwicklung vielleicht mehr aus-
geglichen hätte.
Ich habe diese noch immer nicht genügend gewürdigten Wahr-
nehmungen von Lbbbboullbt hier ausführlich angeführt, nicht nur weil
sie das spärliche Material, was in Bezug auf Dreifachbildungen vorliegt,
erheblich vervollständigen , sondern auch , weil sie recht einleuchtend
dnrthun, wie weit von Verschmelzungen und von Wiederuntergang
bereits gebildeter Organe bei Mehrfachbildungen überhaupt die Rede
sein kann. Die Affinitätstheorie setzt schon fertig gebildete Individuen,
beim Menschen also wenigstens Embryonen vom 4. — 5. Monate der
Schwangerschaft voraus. AUe Beobachtungen weis^* ' ^in,
4) A. 8
1 62 C. Bruch,
dass die Entstehung der Doppelbildungen in eine viel frühere Zeit fdlli,
wo eine Körperform noch nicht entfernt ausgeprägt, ExtremiUlten nocii
gar nicht vorhanden und nur die Primitivorgane der Keimhaut theil-
weise angelegt sind. Weiter zurückzugreifen, als bis zum Zeitpunkte'
der Befruchtung, ist zur Erklärung keines einzigen Falles nöthis^.
Ebenso wenig aber kann die Entstehung der Mehrfachbildungen in eint^
spätere Periode verlegt werden , als in den Moment der erslcii
Organanlage selbst. Wenn Lbrbboullbt in nicht seltenen Fällen
eine theilweise Wiedervereinigung von Doppelkörpem und Doppel-
köpfen und somit auch ein theil weises. Wieder untergehen bereits be-
stehender Körpertheile wahrnahm, so fand eine solche »Verschmelzung^
immer nur in sehr beschränkter Ausdehnung statt, sie ging stets von
den vereinigten , unpaaren Theilen aus und hatte demnach etwa eine
ähnliche Bedeutung^, wie die Verheilung von Hautwunden, welche von
den Wundwinkeln ausgehend, sich nach und nach auf die Wundrander
erstreckt. In allen Fällen war bei Hehrfachbildungen die theilweise
Doppelung das Ursprüngliche und sie wurde durch die nachträgliehe
Verschmelzung zwar streckenweise aufgehoben und ausgeglichen, nicht
aber dadurch hervorgerufen.
Damit die Gesetzmässigkeit der Dreifachbiidungen vollsUindiu
werde, fehlt nur noch ein Fall, welcher die vollständige Trenn u nt:
der drei Vertebralachsen aufweist, und auch dieser Fall, obwohl
von Geopfroy für unmöglich gehalten, existirt und zwar in der ausge-
prägtesten Weise. Es ist das von Gbofprot^) kurz erwähnte, nach
GuRLT^s Angaben citirte, FnoRiBP^sche, jetzt im pathologischen Museum
zu Giessen befindliche Tripclmonstrum vom Schaf. Die Kör|>cr
von drei ausgetragenen Lämmern sind in der Weise mit einander ver-
einigt, dass zwei derselben einen gemeinschaftlichen Januskopf haben,
und mit dem dritten in der Thoraxgegend verbunden sind, so dass e i w
gemeinsamer Brustkorb, zwei Köpfe, drei Hinterleiber und im Ganzen
zwölf vollständige Extremitäten vorhanden sind. Dass allen drei Kör-
pern der Nabel gemeinsam war, ist zwar an dem Skelete nicht nach-
zuweisen, aber der ganzen Lagerung und Gliederung der Theile nach
nicht zu bezweifeln. Sollte eine Vereinigung zweier Chorden an ihren)
vorderen Ende im Ja nuskopf stattgefunden haben, so kann diese nur das
äusserste Ende derselben betroffen haben, da drei vollständige Wirbei-
säulen vorhanden und am Doppelkopfe ein vollständiges und ein unvoll-
ständiges Gesicht vorhanden sind. Zwei Achsen sind daher fast parallel,
die dritte unter einem sehr spitzen Winkel zugeneigt, was eben die
1) A. a. 0. p. 244.
Oeber Dreifachbildoiigeii. 163
Bildung des Doppelkopfes zur Folge hatte. Offenbar hatten sich auf
einer gemeinsamen Keimhaut in einem und demselben Fruchthof drei
Chorden und wahrscheinlich auch drei Primitivrinnen gebildet, welche
bei weiterer Distanz und vollkommener Parallelität zur
Bildjung von normalen Drillingen auf einem einzigen
Dotter hätten führen können.
In allen diesen Fällen liegt nichts, was den Gesetzen des Wirbel- \
thiertypus widerspräche und zu der Annahme nöthigte, dass Dreifach-
bildungen und Hehrfachbildungen aus dem Typus ihrer Abtheilung
herausträten und sich einem anderen Typus anschlössen, wie man
namentlich in früherer Zeit von vielen Doppelbildungen angenommen
hat. Auch das Gesetz der bilateralen Symmetrie findet sich modificirt
und complicirt, nicht aufgehoben, so wenig als es durch einen asym-
metrischen Schädel, ein Becken oder überzählige Extremitäten der Art
aufgehoben wird. Jedermann begreift, dass Asymmetrien in dem
Maasse häufiger auftreten werden , als die Achsentheilungen sich ver-
vielfoltigen und einseitig auftreten. Ein Stück Vereinigungsachse aber
lässt sich auch bei Dreifachbildungen so gut nachweisen, als bei Dop-
pelbildungen, so weit nämlich die Achsenorgane einfach
sind. Jeder Unterast eines Achsenschenkels hat seine axe d'union für
sich, welche dann mit der Yertebralachse desselben zusammenfällt.
Diese letztere aber kann sich wieder in zwei Vertebralachsen spalten.
Findet die Spaltung auf beiden Seiten, paarig-symmetrisch statt, so
kann ein bilateral-symmetrisches Monstrum, etwa eine Yierfachbil-
dung, entstehen, aber auch wenn man nicht an Parasitenbildungen
denkt, begreift man, dass die Symmetrie desto weniger gewahrt sein
wird, je weiter sich die Unterspaltungen von der primären Vereinigungs-
achse entfernen. Sind gar drei völlig getrennte Achsenorgane vor-
handen, wie in dem FRORiBP'schen Falle, so wird die definitive Form
allein von dem Parallelismus und der Entfernung derselben von ein-
einander abhängen , wie bei den Doppelbildungen erörtert worden ist.
Es ist auch nicht nöthig, mit J. Gboffrot St. HaAnu^) eine mehr-
fache Vereinigungsachse anzunehmen, von welchen jede zwei Indi-
viduen gemeinsam sei, die zusammen ein Doppelmonstrum bilden,
denn da sich vom Doppelmonstrum zu Zwillingen auf dem Dotter alle
Uebei*gänge finden und man bei letzteren doch nicht wohl von einer
Vereinigungslinie sprechen kann, wird man auch an Dreifach- oder
Drillingsbildungen der Art nicht eine Anforderung stellen dürfen , die
auf der irrigen Voraussetzung beruht , dass sie aus der Verschmelzung
4) A. a. 0. S. i45.
Bd. VII. S. 44
lieber Dieünehbildangen. 165
clien , ausgeführt y ddss man nicht nur, naeh J. Ft. Mbgkbl^s Vorgänge,
jeder bilateralen Hälfte des Wirbelthierleibes das Vennögen zusehreiben
mttsse, unter Umständen, d. h. bei eintretender Ketmspaltung in sehr
früher Zeit, zwei vollständige Individuen (und daher bei unvollständiger
Spaltung eine Doppelmissgebort) hervorzubringen, sondern der Wirbel-
thierleib selbst sei aus der Vereinigung zweier Individuen entstanden
zu denken, »weldie die ihnen fehlenden Hälften bei der Vereinigung
zam Opfer gebracht haben«. Darnach stellt Rughbkt zwei Kategori^a
von Doppelmissgeburten auf: 4) solche, die dadurch entstdien, dass
an einem befrachteten Eie durch zu&Utg veranlasste Keimspaltung die
Anlagen zweier Individuen auftreten, welche später bei der Entwicklung
sich mehr oder weniger vereinigen und in der Berührunglinie gewisse
Theile oder Hälften opfern; 2) solche, bei welchen zwei normal in dem
bilateralen Wirbelthierkärper sich vereinigende Individuen oder deren
Anlagen ihre bei der normalen Vereinigung ausfallenden Hälften mehr
oder weniger vollständig ausbilden und dadurch die Entstehung eines
Doppelembryo bedingen. Im ersten Falle wlirde die Vereinigung , im
zweiten Falle die Trennung eine unvollständige sein. Mit Rücksicht auf
diejenigen Doppelbildungen, welche in (ttametral entgegengesetzter Rich-
tung verbunden sind, dieGtoPFROv'schenCephalopagen, wovon Riighert
einen schünen Fall beim Hühnchen beobachtet hat, mttssten demgemäss
vier virtnelle Individuen angenommen werden , welche Rbighbbt durch
Querspaltung des Keimes vor Bildung der ersten Keimhautorgane
entstehen lassen und von den durch Längsspaltung, nach der
ersten Anlage der Acbsentheile , entstandenen bilateralen Doppel-
bildungen unterschieden haben will.
Es ist nicht in Abrede zu stellen , dass diese scharfsinnige An-
schauungsweise, inaofem sie die Entstehung aller Doppelbildung aus
einem einfachen Dotter und auf einer Keimhaut zu Grunde legt , den
Erfahrungen der Entwicklungsgeschidite gebührende Rechnung tra^
und daher in viel höherem Grade geeignet wäre, zwischen den sich ein-
ander entgegenstehenden Theorien zu vermitteln , als die GsoFFROT'sche
Afünitäistheorie , welcher kein anderes anatomisches oder embryo-
logisches Gesetz zur Seite steht« Die Gründe, ans welchen idi Rbighbit^s
Ansicht nicht beitreten kann, sind jedoch folgende:
4) Ausser der Choroa dorsalia, welche von Anfang an stets als
unpaares Organ auftritt, und von welcher sich Reste selbst bei den
hächsten Thieren zeillebeBS erhalten , giebt es kein primitives Organ,
welches bei der bilateral-symmetrischen Entwicklung der Wirbelthiere
nachweislich zum Opfer gebracht werden konnte. Es liegt daher in der
bis zu einem ausserordentlichen Grad der Gonavigkoit gediehenr
C. Brach,
1 Eolwiclclungsvorgange kein DSthigender Grund zur
ipranglichen Duplicitfit des WirbeiUiieror^aaismiis.
ohl bei eioer solchen Annahme, auch wenn sie Dur
Organismus zur Herstellung eines Doppelindividuums
orkommen von Doppelbildungen viel häufiger seia,
igeben.
IQ J. GioFnov St. Hilaim ■) in nothwendiger Conse-
melzungstheorie zu der widerstrebenden Annahme
8 alle Doppelbildungen, mit Btlcksicbt auf den Hangel
ungsebene fallenden Organtheile als Ddfecte aufzu—
derstrebt es noch mehr, eine ähnliche Auffassung auf
belthieriejb ausgedehnt zu sehen , dessen bilaterale
ielen anatomischen Systemen ein viel innigeres Ver—
t, als das zweier verschmolzener Individuen.
) der beiden Ohrblaschen auf den einander zuge-
vouBbiubb» beobachteten Dicephalus von derGans,
m Ohrblaschen der beiden äusseren Seiten deutlich
spricht vielmehr für Nichtentwicklung, als fUr einen
in Wiedenintei^ng.
il bei der gangbaren und auch von A. Föksteb zuletzt
Ansicht stehen bleibe, wel<^e die Doppelbildungen
esse und zwar durch Sttfning des normalen Wachs-
en Oi^ane, zunächst als das Haass überschrei-
Idung, auffasst, so glaube i<A keineswegs, eine
der eigentlichen Ursachen zu besitzen, sondern mich
in die bisherigen Resultate der Beobachtung anzu—
BS gilt namentlich auch von den bisher beobachteten
Igen, welche durch die BncHiRr'sche Vorstellungs-
ise verständlicher werden. Der Werth der letzteren
lieh darin zu beruhen, dass sie in jeder Keimhaut
jung zweier vollständiger Individuen als vorhanden
den Begriff der Doppelbildung noch unter den des
lasst. Ich stehe jedoch nicht an, meine Ueberzeugung
3D , dass ich euch eine Drei- und Hehrfachbildung
m, ja selbst die Bildung von drei völlig getrennten
\.. PöKSTEit^ diese Möglichkeit nicht annimmt, ftlr
in halte,
n in meinen beiden ersten Abhandlungen ') betont,
10. VII. S. 140.
Deber DreifnchbildongeD. 167
dass ich nicht die Chorda dorsalis, sondern di^ Primitivrinne als
erstes Fundamentalorgan der Keimhaut betrachte, welches Verdoppe-
lungen unterliegen kann, und ich bin, mit Rücksicht auf die Wahr-
nehmungen von Lerbboullbt, gern bereit, die frühesten Anfünge von
Mebrfachbildungen auf eine doppelte oder mehrfache Sonderung des
Embryonalfleckes (Primitivwulstes, bourrelet marginal nach Lkiiebodllbt)
zurückzuführen , von welchem aus die Bildung der Primitivrinne oder,
wo ein solcher vorausgeht , des Primitivstreifens ihren Anfang nimmt.
Man könnte dann noch genauer zwischen Mehrfachbildungen der Chorda
dorsalis und solchen der Primitivrinne unterscheiden und letzterer
namentlich die vollständigen Verdoppelungen der Achsenorgane
zuweisen ; allein in den einzelnen Fällen wtirdc es schwer sein , diese
Unterscheidung streng durchzuführen. Die Entstehung dieser verschie-
denen Primitivorgane liegt in der Zeit zu nahe beisammen, als dass man
diese Epochen genau abgränzen könnte, und als scharf abgegrenztes
Organ des Embryo ist die Chorda dorsalis in derThat das erste, dessen
Schicksal ausserdem von dem der Primitivrinne unzertrennlich ist. Sie
bedingt den Begriff »Wirbelthier« und die Verdoppelung der Wirbel-
säule macht doch das wesentlichste Merkmal aller höheren Grade von
Mehrfachbildung aus.
Diese Anschauungsweise führt mich nicht zur Annahme einer
Querspaltung des Keimes bei denjenigen höchsten Graden von Ver-
doppelung, welche sich durch diametral entgegengesetzte Achsenbildung
auszeichnen. Von diesen höchsten Graden des Cephalopage zu Winkel-
stellungen und von diesen zu den Janusbildungen und den Doppelleibem
aller Art giobt es alle Uebergänge, zwischen denen es unmöglich ist,
eine scharfe Gränze zu ziehen. Der eine der RBicHBRT'schen Fälle vom
Hühnchen *] versinnlicht durch die beinahe rechtwinklige Stellung der
Körperachsen diesen Uebergang in der wünschenswerthesten Weise und
man darf nicht übersehen , dass die ursprüngliche Lagerung derselben
keineswegs entscheidend für die Stellung der ausgebildeten Doppel-
leiber ist, sondern, wie die Beobachtungen an Hechteiem lehren,
mancher Abänderungen fähig ist, welche die Winkelstellung derselben
sowohl vergrössem als verkleinem kann. Die Entwicklung der Ex-
tremitäten sowohl als die der Schädelknochen . letztere namentlich bei
den Cephalopages , übt hier, worauf ich 2) schon früher hingewiesen
habe, einen merkbaren Einfluss, der auch in einem der von Dönitz ^)
4) A. a. 0. Taf. VIU, Fig. 5, 6.
t) A. a. O. Bd. VU, S. S96, 807.
5) A. a. 0. 4866. S 84.
Ueber DreifMAbiMongen. 169
Offenbar mUssen hier Ursachen angenommen werden, weiche ihne Wirk-
samkeit im BereK^lie der norroalen Etitwicklungsv6rgange entfalten
können und denselben, statt sie in feindseliger Weise plMzKcfa eu unter-
brechen, vielmehr eine in abnormer Weise verstSlrkte und localisirte
Anregung verleihen. Eine stellenweise vermehrte Z^llenanhaufung , ja
eine einzige, sieh ailzurasc^h theil^nde Elementarselle,
eine geringe Abweichung in der Vertheilung der prkniliven Gefilss-
bahnen , kann hier von viel grosserer Tragweite Werden , als die hef-
tigsten Insulte, welche den mütterlichen Körper treffen.
Ich habe schon oben auf eine gewisse UnregelmUssigk^t hin-
gewiesen , in welcher die Anlage der ersten Organe der Keimhaut bei
manchen Thiercn , namentlich bei den Balrachiem , erfolgt. Die Pri-
miti vfurche f st bald breiter , bald schmaler , der Dotterpfropf kann bei
der Bildung der Primitivwttlste vollständig verschwunden oder noch
sichtbar sein. Man muss also auch hier , wie \dh ^) bei einer anderen
Gelegenheit bemerkt habe, »den organischen Gesetzen der Entwicklung
eine gewisse Breite der Manifestation! zugestehen , innerhalb derer sie
noch der Norm genügen und welche ohne scharfe Glänze itt die Ab-
normität hinüberführt. Nach meinen Erfehrungen bei Batrachiem be-
findet sich das hintere Ende der Primitivrinnie constAnt der Schluss-
stelle der Keimhaut , dem Dotterpfropf gegenübet* und ebenso vierhäh
sich die Sache bei den Fischen. Nach den Wahrnehmungen von Lbrb-
BouLLET scheint es aber auch vorzukommen, dass das Kopfende dem
Keimwulste zunUohst liegt und in der That wird die Entstehung eines
Cephalopagc schwer anders zu erklären sein, als E. d'Altoii ^) annimmt
und schematisch gezeichnet hat. Im HtLhnereie steht der Embryo be-
kanntlich mit seinem Langsdurchmesser vom Anfange der Entwicklung
an im Querdurchmesscr des Eies (und ebenso in dem ahnlich gestalteten
Hundeetü) und doch kann eine Doppelbildung nur zu Stande kommen,
wenn eine oder beide Körperacbsen von diesem Grundgesetze ab-
weichen. In der That hat C. E. v. Bkm^) beobachtet, dass sich wenig-
stens die Pole der Embryonalachse umkehren können.
Man kann sich leicht vorstellen , dass eine Abweichung von der
normalen Stellung der Embryonalachse gerade im Momente der ersten
Anlagei vielleicht sogar eine solche, die durch äussere Ursachen herbei-
geführt ist, zur Bildung von Doppelbildungen disponirt. Allein man
4) Untereachungen über die Entwicklung der Gewebe bei den warmblütigen
Thieron. Frankfurt a. M. 4868. S. 8.
5) De monslromm duplicinm origine alque evoiutione. Ualis 4840. p. 4S,
Fig. 4, 5.
8) Geber Entwicklungflgeschicbte der Thiere. 1. Tbeil. S. 4t.
st^lnden, Embryonalachsen auch in anderen Bichlungen, radiär ') um
den Embryonalfleck benimgeslellt , entwickeln ktlnnen, von deren
gegenseitiger Lagerung und Entfernung die Bildung eines Doppel—
monstrums oder auch von sZwiDingen auf dem Dotl«ro resultirL Viel-
leicht giebt gerade der Voi^ng einer :m beschränkter Stelle verslärklt^n
Zellen Wucherung, wie sie bei der Bildung des Enibryonalfleckes nach
völliger Umwachsung des Dollers eintritt, ein begünstigendes Ho-
ntcnt ah.
Solche Vorstellungen setzen keineswegs die Annahme eines primär,
d. h. schon vor der Befruchtung abnormen Keimes voraus. Sic lassen
sich sogar sehr wohl mit der Annahme einer relativ üusseren Ursacbo
vereinbaren. Die notorische Häufigkeit der Doppelbildungen bei ktlnsl^
lieh befruch(«ten Pischeiern , die Beschränkung von Doppelbildungen
bei Froschlarven auf einzelne Brüten , verlangt nicht eine grobmecbd-
nische Erklärung, sie durfte vielmehr in viel feineren molecultii-eii
Vorgangen, vielleicht unter Betbciligung des mannlichen Zeugungs-
stofies, begründet sein. Zwar weisen die von J. Gbofpsot^ gesammelten
Erfahrungen Über die Erblichkeit der Missbildungen , sowie das Bei-
spiel von Chang und Eng, welche beide eine zahlreiche, normal ge-
bildete Familie erzeugt haben , in der erfreulichsten Wdse nadi , dass
die Neigung dazu keinesfalls eine absolute ist, doch ist eine ge-
wisse Disposition in einzelnen Fällen, wie z. B. bei Überzähligen Fin-
gern und Fingergliedem^), so wie besonders bei Extromitatenmangol *;
unzweifelhaft erwiesen.
Das Verhältniss der Fehler erster Bildung zu den Fehlern
zwwter Bildung kann hier lu manchen Irrungen, sowohl in der
Beobachtung als in der Scblussfolgerung führeo , und beiderlei Voi-
g<lnge müssen desto schärfer auseinander gehalten und unterschieden
werden. Alle bisherigen Beobachtungen; insbesondere die von C. E.
V. Bakb und H. HtiLLEH, über regencrirtc Eidechscnschwänze haben
dargethan, dass wenigstens in dieser Classe Begenerationsphänomene
niemals die anatomische und histologische Ausbildung der Oi^ne der
1) Bei keinem Wirbeltbier liegt die Primiüvri»ne vom Aofang, so viel mir bc-
liannl ist, diaiDetrsI , sondern Biets radiär, d. h. sie erstreckt sich nicht über
die Mitte des Fnichtliofes, sondern von dem Mittelpunkte desselben nach
der Peripherie. Ob das Kopf- oder Schwanzende dem Mittelpunkt nflber liegi,
ist dann noch nicht zu unierscheideD.
1) A. a. 0. p. ITS.
S) Ebenda, 1. p. t9B.
t) Ebenda, U. p. 170, I. p. 480.
Ueber Dreifachbildongen. 171
ersten Bildung darbieten. Dasselbe bost<lli|^en meine Beobachtungen
an den regenerirten Schwänzen von Froschlarven , wie ich in meiner
letzten Abhandlung^) erörtert habe, und die oben angeführte Angabe
von A. Günther. Dass sich bei niederen Thieren die Sache überall so
verhalte, ist weder wahrscheinlich noch erfahrun^sgemäss , vielmehr
kann es als ein bereits feststeh^des Gesetz angesprochen werden, dass
die Regeneration eine desto leichtere und vollkommnere sein wird , je
einfacher das Gewebe einerseits und je niedriger stehend das be-
treffende Thier andererseits ist. An älteren Beobachtungen über Po-
lypen, Würmer und selbst über Weichthiere fehlt es nicht, es wäre
aber an der Zeit, dass diese Versuche mit den Hülfsmitteln der neueren
Zeit, insbesondere in histologischer Beziehung , wieder aufgenommen
würden. Eine reiche Ausbeute von folgenreichen Wahrnehmungen
dürfte nicht ausbleiben. Ja selbst die Botaniker haben hier noch eine
Aufgabe, da die sogenannte Regeneration im Pflanzenreiche, obgleich
anscheinend so ausgiebig , doch in den meisten Fällen nach anderen
Principien vor sich zu gehen und mehr ein Nachersatz als Wieder-
ersatz zu sein scheint.
Sehr auffallend und interessant sind besonders die Nachrichten von
Regenerationserscheinungen bei Kindern und erwachsenen Menschen,
weiche kürzlich Gh. Darwin ^j in seinem grossen Werke gegeben hat.
Darwin führt eine Reihe von Fällen auf, in welchen überzählige Finger,
welche amputirt worden waren, nicht nur einmal, sondern dreimal
wieder erzeugt wurden und ebenso oft von neuem operirt werden
mussten, ein Vorkommen, was etwas Erschreckendes hat und an die
vergebliche Operation bösartiger Geschwülste erinnert. In einzelnen
Fallen vererbte die Missbildung auf die Nachkommen und es liegen
selbst Beispiele vor, wo sie sich durch Uebertragung verstärkte. Bei
dem Mangel eigener Erfahrungen und dem völligen Schweigen der
Handbücher über derartige Erfahrungen, kann ich mir kein Urtheil
erlauben, halte aber Darwin's Vermuthung, dass manche Organe einen
embryonalen Charakter dauernd bewahren und damit auch ein unge-
wöhnliches Reproductionsvermögen behalten , für eine sehr beachtens-
werthe, welche zu weiterer Untersuchung solcher Fälle auffordern muss.
Was ausser den in bisherigen beschriebenen Fällen von dreifachen
oder Drillingsbildungen Zuverlässiges bei den Schriftstellern erwähnt
worden ist, ist nicht viel. Als dahingehörigen Fall beschreibt Dareste ^j
4) A. a. 0. VU. S. R66ff.
I) Das Variiren der Thiere and Pflanzen im Zustande der Domestication.
Uebers. von V. Cakus, 4868. U. S. 49.
8) Comptea rendas. 4865. p. 568.
7) Reiner PleoaBSmus ibI sDoppelmissbildnng», nie tdaa hj«r und da li«sl.
Ueber DreitehbildoDgen. 1 73
zu Grunde liegt, ist es erwtlnscht, »Zwillinge auf dem Dotier« von
»Zwillingen auf mehreren Dottern« zu unterscheiden. Dönitz schlägt für
€U-stere die Bezeichnung » Paarung a vor und will das Wort »Zwillinge«
fiXr die gewöhnlichen Doppelgeburien im gangbaren Sinne reserviren,
wogegen nichts einzuwenden wäre, wenn nicht Dönrrz, gleich Rbichbrt,
den Wirbelthierleib nicht als bilateral-symmetrischen, sondern als
paarig-symmetrischen auffasste, was nach unserer Ansicht
wiederum zu Missvcrständnissen führen könnte. Ausserdem dürften
nicht alle Sprachen im Slande Bein, bdde Ausdrücke entsprechend wie-
derzugeben.
In praktischer Beziehung hat sich bekanntlich H. Mbgul ^) viele
Mühe gegeben , gewöhnliche »ZvidUingea und »Paarlingea in dem eben
erwähnten Sinne (zu welchem letzteren auch nach Reichbbt alle Dop-
pelbildungen höheren Grades zu rechnen wären) an der Beschaffenheit
der Eihäute zu erkennen. Dass die Einfachheit des Mutterkuchens dazu
nicht ausreicht, ist allgemein bekannt. Mbcul legt daher ein grosses
Gewicht auf die Gemeinsamkeit der Eihäute, namentlicfa des Amnion,
so wie auf das gänzliche Fehlen des letzteren. Da er jedoch der Yer-
schmelzungstheorie huldigte, also alle Zwillinge auf zwei Dotter zu-
rückführte und auch die Doppelmonstren aus ursprünglich getrennten
Keimen hervorgehen Hess, konnte es sich für ihn nur darum handeln,
ob Zwillinge aus einem oder aus getrennten Graafschen Follikeln
stammen. Er führt mehrere Fälle von Doppelgeburten an, bei welchen
entweder die Deoidua , oder das Ghorion oder auch das Amnion einfach
und gemeinsam war. In allen Fällen von Zwillingen oder Zwiilings-
missbildungen mit gemeinsamen EihüUen sollen diese ferner gleichen
Geschlechts sein , was schon Gbopfrot >) für die Doppelbildungen be-
hauptet hat und andere Schriftsteller bestätigten.
Die erstere Frage kann nach den nunmehrigen Ermittelungen in
dem Sinne, wie sie H. Mbgkbl gestellt hat, kaum noch ein Interesse
haben , denn es ist nicht einzusehen , warum sich Zwillinge aus dem
Follikel nicht verhalten sollten, wie andere Zwillinge, wie ich^} schon
früher erörtert habe. Dagegen werden Zwillings- und Mehrfachgeburten
mit einfachen Eihäuten, insbesondere mit einfachem oder fohlendem
Amnion, immer dem Verdachte unterliegen »Paarlingec d. h. Zwillinge
auf dem Dotter zu sein, Individuen demnach, welche der Gefahr, eine
Doppelbildung zu werden, glücklich entronnen sind. Nur das Verhalten
der (einfachen oder doppelten) Nabelblase kann hier entscheiden.
i) A. a. 0. p. «77.
a) A. a. 0. VII. S. 174 tl.
Bfzu)^ auf das gleiche Geschlecht von ZwillJogen, hat H. Mkcsel <
che Untersudiung ergeben , dass dasselbe bei der Mehr-
;r Zwillingsgehurt«n zulrifil (d. b. unter I4f,715 Zwillin^s-
'o befanden sich 00,487 mit gleichem Geschlechl, daninttT
mit zwei Knaben, 43, il3 mit zwei Mädchen, aber 51,:?3s
sn ungleichen Geschlechts). Unter 719 Drillingsgebu rl<-n
an 38i mal drei Knaben, 335 mal 't Hadcben, dagegen 87S mal,
in der Hehrzahl ungleiches Geschlecht, Dümürh
1 2 Knaben und 1 Mildchen, 40!) mal <i Mädchen und 1 Knahrn.
5 Vierlingsgeburten waren < t mal i Knaben, 6 mal 4 Madchrn,
1 in ^i Fallen ungleiches Geschlecht vorhanden, d. h, 9 mal i
und 2 Mädchen , 7 mal 3 Müdchen und 1 Knabe , und 8 oial
en und 1 Hcldchen. Die Uugleichheit dos Geschiccbl>
also mit der Mehrgeburl und es läset sich daraus ^vediT
iposition für die Bildung von Monstren, noch ein Schluss auf dt-c
[>g der Eier deduciren. Wohl aber lässt sich das stel« gleirhi-
:cbt von Doppel bilduDgen ftlr die epigcnetiscbe Theorie, nach
r alle Hehrfachbildungen aus einem Keime ihren Ursprung
I, verwerlhen.
htiesslich stelle ich die allgemeinsten Besultale, zu weichen ich
hin, zusammen :
^hrfacbbildungen beruhen auf der unbeschrankt
heil barkeit des thierischen Organismus, welche
Ibe bei den höheren Thicrun jedoch nur auf der
der Koimbildung, vom Momente der Befruchtunt:
s zur Entstehung der ersten Ktfrperanlagen , ii)
lern Grade besitzt und mit der fortschreitenden
enzirung der Organe immer mehr einbUssl.
e Ursachen der Hehrfachbildung können nur in
'.n Einwirkungen gesucht werden, welche im
e sind, in dem oben erwähnten Zeiträume den
ibildungsprocess in der Keimbaut in abnormer
: anzuregen und zu sltfren.
ich Dreifachbildungeu unterliegen den GesetBen
ilaieralen Symmetrie des Wirbelthierleibes, so
ein gemeinsames Ächsenorgan vorhanden ist.
re Theiluugen führen dagegen meistens zur Asym-
}, da die getheilte Unlerachse für ihre KOrperhaifte
uptachse zu betrachten ist.
HCl vollständiger Trennung der dreifachen Achsen-
organe ktfnnen je nach der Lagerung und gegenseitigen
Ueber Dreifacbbildnogen. 175
Neigung derselben symmetrische oder asymmelrische
Mehrfachbildungen entstehen.
Auch die Entstehung von normalen Drillingen auf
einem einfachen Dotter ist möglich, wenn auch beim
Menschen noch nicht beobachtet.
Offenbach a. M., 3. Juni 1871.
IrUirang der ibbildnngeii.
TaM
Fig. 4. Larve von Pelobates fuscus mit dreifach gotheilter Chorda dorsalis im
Schwänzende. Natürliche Grösse.
Fig. S. Das Schwanzende derselben Larve bei zehnmaliger Vergrösserung, um
die dreifache Theilung der Chorda und die Ausbreilung der Muskel-
segmente und der Blutgefässe übersehen zu lassen.
Beiträge zur Entwicklnngsgeschtehte der Milch-
drüsen beim Mensclien und bei Wiederkäuern '>
Von
Dr. med. Uaz Huss.
Mit Tafel Xn vl XHI.
Mit vorliegender Untersuchung bexwecke ich eine in den diesei
Gegenstand berührenden Arbeiten befindliche Lücke auszufüllen. Wem
auch die Kenntniss der Entwicklung der Milchdrüse des Menscbei.
besonders durch die Untersuchung Langkr's eine ziemlich genaue ist,
so blieben doch über manche einzelne Punkte der betreffenden Vorgäni:i
Lücken bestehen und von diesen darf die Bildung der Papille als dii
bedeutendste bezeichnet werden. Deshalb habe ich ausser den di^
Entstehung des Drüsengewebes einleitenden Vorgängen vorzüglich du
Genese der Papille ins Auge gefasst und diese durchaus nicht so einfaci
gefunden , als die blosse Beurtheilung des fertigen Zustandes glaubtu
lassen könnte, welch' letzterer bisher allein, wenigstens beim Menschen
und einigen Wiederkäuern, durch die mikroskopische Untersuchuni
genauer bekannt geworden war.
Ausser der Entwicklung der Papille machte ich mir die Verglci-
chuiig der beim Menschen beobachteten Vorgänge mit den bei Säuge-
thieren bestehenden zur Aufgabe, zu welcher ich vorwiegend durch die
höchst eigenthümliche Thatsache inducirt ward, dass die stets der Pa-
pille des Menschen homolog erachtete Zitze wenigstens innerhalb einer
Abiheilung der Säugethiere bezüglich der zeitlichen Erscheinung sieb
ganz verschieden verhält. Während, wie längst bekannt, die Papilla
mammae des Menschen ein sehr spät auftretendes Gebilde ist, zei^(
1) Auch als Inauguraldissertation gedruckt.
Dr. MmPuss, Beitrüge lur Entwiiklaflgsgeschichte der Ifilcbdrilsen etf. 177
sich auffallender Weise die Zitze der Wiederkiiuer in sehr frühem Fötal-
Stadium. Bringt man hiermit die Thatsache der bedeutenden Verseht
denbeit der Zahlenverhältnisse der Ausftthrungsgänge (ductus galacto-
phori) in Verbindung, so wird daraus einige Berechtigung hervorgehen,
dem Grunde jener Verschiedenheit nachzuforschen. Dass sie nicht blos
den Menschen und die Wiederkäuer betrlfift, ist daraus ersichtlich, dass
wenigstens ein Theil der übrigen Säugethiere, z. B. die Gamivoren,
durch das Verhalten der Ausfuhrungsgänge zur Papille sich enger an
den beim Menschen beobachteten Befand anschliessen. Wenn audi kein
Zweifel ist, dass beiderlei Gebilde, einerseits die Papille des Menschen,
andererseits die Zitze der Wiederkäuer in ihren functionollen Beziehungen
übereinstimmen, somit analoge Organe sind, so bleibt eben doch durch
die vorhin angegebene Verschiedenheit beider ein Bedenken an ihrer
anatomischen und genetischen Gleichwerthigkeit , d. h. an ihrer Ho-
mologie.
I. Hesseh.
Säromtliche diesen Gegenstand berührende Arbeiten betreffen die
Milchdrüse selbst, theils nur den Bau derselben, theils auch ihre Ent-
wicklung. Von diesen Arbeiten bedaure ich jene von Astlby Cooprr ')
nicht zu Gebote gehabt zu haben.
MsGKSL ^) beschreibt die erste Anlage der Milchdrüse als eine
horeits im dritten Monat des Pötallebens auftretende in der Mitte einge-
senkte Erhabenheit. Diese letztere bestimmt er als das erste Entwick-
lungsstadium der späteren Papille. Die Zahl der Ausführungsgänge giebt
er nach dem Vorgange von Waltheb, Rallbr u. a. auf 30 an.
Die ausführlichste Arbeit lieferte LaiiobrS) über Bau und Ent-
wicklung der Milchdrüse bei beiden Geschlechtern. In dieser Abhand-
lung wird jener ersten Erhabenheit die Bedeutung einer embryonalen
Papille nicht beigemessen, wie es von Mbckbl geschah, sondern es wird
die ganze Entwicklung der Papille in eine spätere Periode des Lebens
verlegt, und ihr Auftreten als bedingt nachgewiesen durch die An-
wesenheit eines »linsenförmigen Körpers«, der aus einer körnigen Masse
bestehe und in der Mitte seiner Oberfläche eine vertiefte Stelle oder Ein-
scnkung besitze. In Bezug auf die weitere Entwicklung dos »linsen-
fbnnigen Körpers« giebt Laugbr an, dass erst bei Embryonen, deren
Körperlänge das Maass von 10 Cm. überschreitet, Milchgänge angetroffen
4) AsTLBT Coopbr: on the Anaiomy of the Breast. London 4840.
i) J. K. Mbcibl, HandInKlider mensch licheii Aaaiomie. 48S0.
8) Denkschriften der Wieaer Academie. Bd. ill.
178 Dr. Mw
werden. Wie sieb dieselben aus d
voi-entwickeln , und wie sich der letzlere selbst wabrend dieser Vor-
gänge verhüll, giebl Lahobr nidil an. Betreffs der sptHeren Papille \%'ird
dann noch angeführt, dass mit dem Verschwinden der Eiasenkung und
mit der Erhebung der bleibenden Papille sämmtliche Drüsenausfuh-
ningsgänge einzeln nadi aussen mUnden. Nähere Angaben Über diesen
Voi^ang fehlen.
K.ÖLLIKBB <] bestätigt im Wesentlichen die LAWiR'sche Untersuchung
und weicht in seinem Berichte nur insofern von Lakgbs ab, dass er da." '
Entwicklungsstadium der HilchdrUsc Neugeboiiier als ein bereits weiter
Toi^eschritlenes bezeichnet. Es ist ein Verdienst dieses AnlArs den i
Nachweis geliefert zu haben , dass diese Drüse wie andere Drtlsen der
Haut, ein Abkttmmling des Stratum Malpighii ist. i
lieber die Anatomie der Milchdrüse, ihre Areola und Papille, ausser-
dem Über die Lage der letzteren am Thorax macht Hbhlb^) ausführliche i
Hitthcilungen, die das von mir betretene Gebiet nicht berühren. I
Zur Lösung der gestellten Aufgabe war es nOthig, die ersten Ent- ,
Wicklungsstadien der Hilchdrüseo selbst aufzusuchen, die mit der |
Bildung jener warzigen , mit einer oberflächlichen Einsenkung ver- ,
sehenen Erhebung einhei^hen. |
Das früheste, beim Menschen die erste Andeutung einer Eatwick- .
iung der Milchdrüse darbietende Stadium, fällt spätestens in jene Zeit |
des fötalen Lebens , in welcher der Embryo vom Kopf bis zur Gegend
des ersten Schwanzwirbels gemessen, eine Länge von noch weniger als |
4 Cm. besitzt. Bei einem Pütus von 2,3 Cm. ist noch keine Spur einer
äusseren Andeutung an der später durch das Organ ausgezeichneten I
Stelle vorhanden , wahrend bei einem solchen von & Cm. eine solche
Andeutung schon für das blosse Auge leicht zu^ei^ennen ist Ein
zwischen diesen beiden angeführten befindliches Stadium stand mir
nicht zu Gebole, so dass mir eine genaue Grössenangabe der in dem
Stadium der ersten Anlage jener Drüsen befindlichen Embryonen nicht
ausführbar war.
In der G^end der späteren Papille bemerkt man bei Embryonen
von i Cm. Länge eine Stelle von 1 Mm. Breite, die sich durch grossere
Blässe und eine eigenthümliche glänzende BeschaBenheit von ihrer Um-
gebung unterscheidet. In Mitte der in dieser Art ausgezeichneten Fläche
erhebt sieb ein Wärzchen von ungefähr 0,5 Mm. Breite und mit einer
centralen Eiosenkung versehen , welche wie ein feiner Nadelstich sich
1] Külliur's EntwtcUuQgBgeschichte des Uenschen. |
3) Heklb's systemat. Anatomie des MeDscbea, Bd. EI.
Beitrüge znr Entwicklan|^8^8ehlebte der Milchdrflsen etc. 179
ausnimmt. Die gante 1 Mm. breite Flache entspricht der spater von der
Papille und Areola eingenommenen Stelle, wie ich nachher anführen
werde. Ich will sie als AreolarflSche bezeichnen.
Auf Verticalschnitten (Taf. Xu. Fig. 4] sieht man die bereits erfolgte
Trennung der beiden durch Stratum Malpighii und Homschicht darge-
stellten Schichten der Epidermis, während dasCorium nur aus einer ein-
zigen Schicht besteht, welche durch die bekannte embryonale Form des
Bindegewebes repräsentirt wird; dieses enthält hier theils rundliche,
theils spindelförmige Zellen in spärlicher homogener Intercellularsubstanz.
Die Stelle des Wärzchens ist von den angrenzenden Partien der Epidermis
durch eine stärkere Anhäufung von Zellen im Stratum Malpighii ausge-
zeichnet (Taf. Xn. Fig. 1). Diese partielle Zell Vermehrung entbehrt der
scharfen Abgrenzung gegen ihre Umgebung und stellt die erste Anlage
der Milchdrüse vor. Von anderen ähnlichen Wucherungen der Epi-
dermis , wie sie zur Bildung von Schweissdrüsen und Haaren führen,
ist an keiner der übrigen Stellen des Objectes etwas zu bemerken, wie
denn auch nach Ausweis zahlreicher Präparate von Verticalschnitten
wenigstens in der nächsten Umgebung der als Anlage der Areola mam-
mae bezeichneten Fläche noch keine solchen Organe angelegt erscheinen.
Bei Embryonen von 6 — 7 Cm. tritt die äusserlich als leichte Vor-
ragung sich kundgebende Stelle der Drüsenanlage viel deutlicher her-
vor, und unterscheidet sich schärfer vom benachbarten Stratum Mal-
pighii, als im vorigen Stadium. Andere Abkömmlinge der malpighischen
Schicht sind auch hier noch nicht in der Nachbarschaft zu sehen. Die
Drüsenanlage misst in diesem Stadium ihrer Entwicklung 0,165 Mm.
Höhe und 0,390 Mm. Breite.
Die Stelle der Drüsenanlage eines weiblichen Embryo von 1 0 Cm.
Länge ist 4,5 Mm. breit. Die Erhebung selbst hat 0,5 Mm. Breite und
die auf ihr befindliche Einsenkung ist umfänglicher als bisher (Taf.
XH. Fig. 2).
Auf mikroskopischen Objecten siebt man weitere Fortschritte in der
Entwicklung der bezüglichen Theile des Integumentes. Die spindel-
förmigen und rundlichen Zellen des Goriums sind in ein Stroma von zart
gofaserter Intercellularsubstanz eingelagert (Taf. XII. Fig. 2). Der
embryonale Zustand des Bindegewebes der Cutis hat also in den spä-
UTen überzugehen begonnen. .Vom Stratum Malpighii erstreckt sich
eine ansehnliche Menge von Haschen- und zapfenfbrmigen Zellen-
wucherungen in die Cutis hinab. Diese Abkömmlinge der malpighi-
schen Schichte der Epidermis verschonen die Stelle , welche in ihrer
Mitte die Erbebung mit der Einsenkung trägt , vollständig , wodurch
diese Stelle vom übrigen Integumentc diflTerenzirl erscheint. Die von
Bd. VII. i. IS
sicn iiD noriZMiuieD uurcnmesser «rweiien, id verucaien aagege« euer
etwas abgeflacht. Die jetzt durdi die Epidermis liiDdurcb getretenen
Beitrft^ snr Entwicklai^esebichte der Hilehdrösen etc. 181
WoUhaare tragen nicht wenig dazu bei, die haarlose Areolarfläehe von
dem benachbarten Integument abgegrenzt erscheinen zu lassen. Das
histologische Verhalten der Drttsenanlage hat sehr viel Uebereinstim-
inendes mit demjenigen des zuletzt erwähsten Embryo. Die kolbigen
Knospen haben ihre Gestalt etwas verändert und erscheinen in Form
von länger gestreckten scfalauchartigen Fortsätzen der ursprünglichen
DrUsenanlage. Diese Schläuche sind aber noch einfach ohne irgend
welche Andeutung von secundärer Knospung. Die GrOsseverhältnisse
der Erhebung und der Einsenkung stimmen mit dem makroskopischen
Befunde ttberein. Die ursprOnglidie Drüsenanlage selbst besitzt eine
Höhe von 0,450 Mm. und eine Breite von 0,420 Mm. Die zu Schläuchen
verlängerten Knospen haben eine Länge von 0,900 Mm. und eine Breite
von 0,075 Mm.
Bei Embryonen von 89 Cm. Länge besitzt die Areolarfläehe einen
Durehmesser von 5 Mm. Die bis jetzt immer noch deutlich gewesene
Erhebung hat sich fast ganz abgeflacht, die Einsenkung hat in ihrem
horizontalen Durchmesser noch mehr zugenommen. Die ursprüngliche
am Stratum Malpighii dieser Stelle aufgetretene Zellvermehrung, welche
die erste Anlage der Drüsen bildet, besteht noch in ziemlichem Um-
fange. Die im vorigen Stadium noch einfachen, aber schlauchartig
verlängerten ersten Knospen dieser Drüsenanlage sind dagegen in ein
weiteres Stadium der Difierenztrung getreten. Ihre einfache Gestalt ist
durch die Entwicklung einer zweiten Knospengeneration modificirt
worden, deren Glieder von kolbiger Form in einer Anzahl von 4 — 5 an
den verlängerten Schläuchen sitzen (Taf. Xlll. Fig. 4). Die Glieder
der ersten Knospengeneration gestalten sich von jetzt an nach und nach
immer mehr und mehr zu Ausftthrungsgängen, indem sie in gestreckter
Form die zu Drüsenläppchen umgestalteten seoundären Knospen tragen.
Beide Knospengenerationen zeigen dieselben histologischen Verhältnisse
wie die Drttsenanlage des Embryo von 4 4,9 Cm. Länge.
Dieses Stadium stimmt bezüglich der Entwicklung der Drüsen-
schlauche ungefähr mit demjenigen Stadium überein, in welchem
Laugkii die Rosettenbildung der Drüsenanlagen beobachtete. Es ist mir
nicht gelungen, ein der LANOBR'schen Rosette ähnliches Bild der ganzen
fötalen Milchdrüse zu erhalten. Bei allen untersuchten Exemplaren
divergirten die Drüsenschläuche während ihres Verlaufes nach abwärts
in die Cutis so wenig , dass es in Bezug auf die Richtung der Drüsen-
schläuche nicht möglich war, eine Uebereinstimmung mit der Lanobb-
sehen Darstellung wahrzunehmen. Ausserdem fand ich die ursprüngliche
Drttsenanlage, Laivgbb^ »linsenförmigen Körper« bei keinem der Em-
bryonen , die dieses Stadium der Rosettenbikiung aufweisen sollen , in
4«*
Dt. Mu^Han,
jeschwundeo, wie es nach Fig. 1 der LuiGBi'scbeu Abhandlung
I muss.
Oglich der Giifsseoverhäiloisse der ganiea wie der einzelnen
^Dn ich folgende Hadsse anfuhren: die ursprOnglicbe Drüsen-
tat hier noch eine Htfhe von 0,180 Mm. and eine Breite von
m. Die schlauchartigen VerlangeruDgeo der ersten Knospongen
ine Länge von 0,900 Hm. und eine Breite von 0,075 Hm. Die
1er zweiten KnospengeneratioD haben eine Lange von 0, 4 20 Hm. .
; Breite von 0,075 Hm.
jetzt die Bedeutung der ersten in Gestalt einer Verdickung des '
Halpighii aufgetretenen Anlage als eine Stelle sich bemerkbiir
hat, von der aus nicht etwa eine einzige Drüse, sondern eint-
voD solchen io der Cutis wucherte, so will ich diese Stelle als
ifeld UDlerscfaeiden. Das DrUsuufeld nimmt die Mitte der
Ucbe ein ; von seiuem mit f iner Epidermiswucherui^ bedecktem
■eten, wie vorhin beschriebeD, die Anlagen mehrfacher Diüsen
tderhaut. Dass von einer Papille noch keine Bede sein kann, ist
rständlidi.
Verfolge dieser Anlage der Milchdrüse in spätere Stadien, finden
ere Veränderungen sowohl bezüglich der Drüsen als bezOglii'h
larflächen. Die Areolarflache eines Embi'yo von 32,E> Cm. Länge
Im. Breite. Dievormalige Erhebung ist jetzt gauz verschwunden,
i ihrer Umgebung entsprechende Partie der Areolarflache zeigt
•X erhaben und bildet um die peripherisi^ bedeutend ver—
! Einseokung herum einen förmlichen Wall (Taf. XIII, Fig. 5H'),
lenkung besitzt nach der Untersuchung von Verticalschniltcn
fform, deren wailartige erhabene UmgebuDg dieselben Gewebs-
: aufweist, wie die Übrigen um sie herum liegenden Hautpartien,
hat diese Erhebung auf der Areolarflüche nichts zu schalTen
r ursprünglichen Erhebung, die zwar auch eine Einsenkung in
te trug, aber allein durch die Epidermis gebildet ward und
lenfeld unmittelbar unter sich liegen hatte (Figg. 1.2t). Das
Id des jetzt vorliegenden Stadiums ist dagegen nur noch im
der Einsenkung zu suchen. Die embryonalen aus der ersten
g entstandenen AusfUhrungsglinge durchsetzen, in ziemlicher
las Stratum Halpighii und reichen mit ihren Verzweigungen
e obersten Schichten des Unterhautbindegewebes hinab. Die
mgsgSnge stehen in diesem Stedium mit der OberOUche der
mg in Zusammenhang, nachdem die im vorigen Stadium
I. Fig. 4) noch vorhandene mächtige Schicht der primitiven
isvermehrung (Lai<«br's »liDsenftirmiger KOrper«) verschwunden
B€itr]lge lar Entwicklongs^scliichte der Milcbdrflsen etc. 1S3
odor vielmehr mit der Ausdohnung der Fläche in eine dünne Epider-
niislagc übergegangen ist. Das Lumen der Ausführgänge ist noch dicht
mit Zellen angefüllt, ebenso wie auch die Läppchen sich vollkommen
solid zeigen.
Die an den zuerst entstandenen Schläuchen gebildeten Knospen,
die ich vorhin als Drüsenlüppchen bezeichnet habe, gehen ganz nach
Art der DifTercnzirung anderer gelappter Drüsen weitere Vcrränderungen
ein. Es entstehen an ihnen seitliche Ausbuchtungen, die sich allmählich
deutlicher abheben und zu ferneren Läppchen gestalten, welche nun-
mehr den aus den Läppchen entstandenen Ausfühi^ang besetzen. Wie
die ersten Knospen, welche das Organ bildete, allmählich in Ausführungs-
^üngo übergingen, so wandeln sich also auch die an den letzteren
entstandenen Knospen mit dem Auftreten neuer Wucherungen in Aus-
fUhrung%gänge um. Mit anderen Worten, der Ausführungsgang verzweigt
sich nach den mit ihm in Verbindung stehenden, durch Knospen sich
sondernden Läppchen.
Aus der Vergleichung dos Drüsenfeldes dieser Entwicklungsstufe
mit demjenigen der vorhergehenden stellen sich wichtige Vorgänge für
die Entwicklung der Papille heraus. An die Stelle der ursprünglichen,
das Drüsenfeld repräsentirenden Erhebung, die wir als ein Epidermoi-
dalgebilde kennen lernten, ist eine Vertiefung getreten, welche durch
al imähliche Erweiterung der ursprünglichen centralen Vertiefung (Taf. XIII
Fig. 4 , ^ /?) entstand. Das Drüsenfeld wird durch den Boden einer
napfförmigen Einsenkung R vorgestellt. Diese besitzt eine wallartige
Umgebung W, an der auch das Corium Tboil nimmt, so dass man wieder
ein ähnliches Bild vor sich hat, wie es die ursprüngliche Erhebung mit
ihrer Einsenkung lieferte , welche beide wir aber nur durch die Epi-
dermis kennen gelernt haben. Das ursprüngliche Epithelwärzchen ver-
dankt seinen Untergang der allmählich über eine grössere Fläche sich
ausdehnenden d. h. sich peripherisch vergrössemden Einsenkung, die
in dem Maasse vorschrcitet, dass die anßinglich über dem Niveau der
Hautoberflächc gelegenen Zellen unter das Niveau derselben gelangen.
Während also das Drüsenfeld ursprünglich das Niveau der Hautober-
fläche zum Theil überragte und nur eine kleine Einsenkung trug, so
liegt es jetzt mit seiner fast in ganzer Ausdehnung vertieften Oberfläche
unter den) Niveau der Haut. Die Umgebung des ursprünglich erhabenen
DrUsenfeldes war eben, während die des letzten Stadiums mit der stark
vor|zr5sserten Einsenkung einen wirklichen Wall um die letztere herum
hildot. Spätere Entwicklungsstadien werden zeigen^ wie sich das ver-
tiefte Drüsenfeld in dieser seiner letztgeschilderten Gestalt einerseits,
und der dasselbe umgebende Hautwall andererseits beim Aufbau der
Dr. Mm Unas,
'apillo verbalten. Die Einsenkung hat hier die der Auf-
ismündungen sämmlUcherÄusfühningsgänge eotsprechetide
onommeii , und ihre Erweiterung summt mit der Zahl der
les Drüsenfeldes aus entstandenen Drüsen. Ein Tboil der
gänge durchbohrt den Grund, ein anderer die Seiteownn-
Einsenkung. Die letzlere stellt also einen gemeinsamen
in dem sBmmtliche Ausfühningsgänge der embryonalen
nUnden oder mit anderen Worten: Die Einsenkung
nfetdes in ihrer jetzigen Gestalt bildet einen
sehr weiten gemeinsamen Ausfuhrungsgang
driise.
irde irre geben, wenn man diese anatomischen Verballnissc
ing des Drtlsenfeides gerade nur Embryonen von der oben
Grösse zuschreiben wollte, denn hat man Gelegenheil, die
□hen Verhältnisse bei Mädchen und Knaben zu bcobachlen,
, dass besonders bei Knaben zuweilen im 12. Jahre noch
sich entwickelt bat, sondern dass an ihrer Stelle iniuicr
nsenkung besteht, oft von spaltähnlicher Gestalt, die einem
i%ea Ausführungsgange der Milchdrüse entspricht. Heckbl
diese vertiefte Form des Drusenfeldes sogar noch bei einem
15 Jahren; er fand in diesem Falte anstatt einer Papille
Itfürmige Vertiefung in der MiUe der Areolarfläche. Das für
geschilderte Stadium kann also noch weit ins jugendliche
fortbestehen, und repräsenürt damit eine Bildungsbemmung.
ilracissigen Verlaufe der Weilerentwicklung geht jenes Sta-
r vorüber. Bei einem weiblichen Embryo von 33 Cm. Länge
ilarQäche kaum über 6 Hm. breit. Die Einsenkung des
1 erscheint schon dem blossen Auge etwas geringer, tla-
It sich die erhabene Umgebung wie im vorigen Stadium,
ichnilt durch die tiefste Stelle der Einsenkung liefert ein
elches sich bezüglich der Entwicklung der Drüsensubslanz
ten vorhergehender Stadien kaum unterscheidet. Die zu
f;9ngeD der Drüse gewordenen Schläuche tragen an ihrem
le in doldenförmiger Anordnung eine Anxahl von secun-
irungsgangen, die mit Drüsenlappchen besetit sind (Taf. XIII
Das wichtigste an diesem Stadium ist die VerSnderunf;;,
insenkung bezüglich ihres Raumverhgltnisses erfahren hat.
blossen Auge erschien sie von geringerer Ausdehnung,
lan nun mikroskopische Objecte mit denjenigen des vorigen
)o tritt der Unterschied in der Weile und Tiefe der Ein-
hon ziemlich stark hervor. Die Mündungen der Aus-
-J
Beitriige zur Entwicklungsgescbicht« der MilchdrfiseD etc. i85
rahningsg^nge liegen bereits lim ein BetrüchUichcs näher an der Haat-
oberflAohe, als vorher. Es hal sich demnach der Grund der Einsenkung,
also die in den vorigen Stadien vertiefte Oberflache des Drttsenfeldes
merklich gehoben. Dieser Vorgang ist von einer vermehrten Zellpro-
ductioD im Stratum Malpigbii des Bodens der Einsenkung begleitet,
doch will ich damit nicht behaupten, dass hierin der einaige Factor der
Minderung der Vertiefung zu suchen sei. Die Ausftthrungsgänge der
Drüsen haben eine Länge von 0,454 — 0,975 Mm. und eine Breite von
0,030 Mm. Die Zweige der Ausfühningsgänge besitzen eine Länge von
0,057 Mm. und eine Breite von 0,045 Mm. Die rundlichen Drüsen-«
läppchen haben eine Länge von 0,045 Mm. nnd eine Breite von
0,045 Mm.
Nach dieser Darstellung meiner an Embryonen vorgenommenen
Untersuchung wende ich mich zur Mittheilung der bei Neugeborenen
gefundenen Verhaltnisse.
Das Drüsenfeld eines weiblichen Neugeborenen ist immer noch
etwas vertieft, und seine Umgebung in ahnlicher Weise erhaben, wie
im vorigen Stadium. Die ganze Areolarfläche ist etwas höher, als ihra
Umgebung. Sie bildet eine flache Hervorragung, deren Rand die mittlere
das DrUsenfeld vorstellende schwache Vertiefung als eine leichte Er-
hebung (Taf. XHl. Fig. 1 CW) umzieht. Um die Areolarflaohe herum
liegt ein Kranz kleiner Erhabenheiten, welche den Ausmündestellen der
bei Erwachsenen an dieser Stelle bekannten Talgdrüsen entsprechen.
Man sieht also auch bei Nougebomen nur eine der spateren Papille und
der Areola entsprechende Stolle , wahrend von der Papille selbst noch
keine Spur besteht. Dabei ist die Entwicklung der Drüsen innerhalb
der Cutis weiter vorgeschritten. Die Ausftthningsgatige sind viel langer
und starker, als vorher. Das obere Ende jedes Ausführungsganges ist
vor seiner Ausmündung in die Einsenkung ampullenfbrmig erweitert
'S. die Figur) , und die die Einsenkung auskleidende Homschicht setzt
sich eine Strecke weit in das Lumen jedes Ausführungsganges fort,
sowie auch die tiefste aus Gylinderzellen bestehende malpighi^sche
Schichte in die Ampullen verfolgt werden kann. Die Wandungen der
Ausführungsgange tragen in ihrer übrigen Ausdehnung ein Epithel aus
langen Cylindcrzellen. Das Verhaltniss der Ausführungsgange zur Ein-
senkung hat sich etwas anders gestaltet, denn wahi^end im vorigen
Stadium sammtliche in die Einsenkung des DrQsenfeldes ausmündeten,
sehen wir hier schon einige Ausführungsgange die freie Oberflaehe der
Haut, resp. der Areolarflache erreichen. Es hat somit eine weiter vor^
geschrittene Erbebung des Drüsenfeldes stattgefunden , durch welche
der peripherische Theil desselben in das Hautniveau tritt. Auf gut-
Areola verwendet worden ist. Auf dem von der Umgebung des erhobenen
Beitrüge zur Entwicklungsgeschichte der Milchdrflsen etc. 187
Drüsenfeides gebildelen Theil der fertigen Papille, d. h. auf der Seiten-
0<iche des Kegels der Papille kommt nie ein Ausführungsgang der
Milchdrüse zur Ausmündung. Das, was von drüsigen Organen über-
haupt daselbst ausmündet, sind Schweissdrüsen und auch diese sind
keine häufigen Vorkommnisse. Glatte Muskelfasern durchziehen die
Papille in reichlicher Menge und bilden daselbst durch ihren verschie-
denen Verlauf ein ansehnliches Netzwerk, welches in den früheren
Stadien noch nicht differenzirt erachien.
Das durch Vorführung einzelner Stadien für die Entwicklung der
Milchdrüse und vorzüglich der Papilla mammae Geschilderte will ich
noch einmal kurz zusammenfassen. Die erste rein epidermoidale Er-
hebung mit ihrer Einsenkung in die Cutis bildet das ursprüngliche
Drüsenfeld, welches in Folge einer Epithelwuchcrung des Stratum
Malpighii entsteht. Die Erhebung ist von einem später haarlos blei-
benden Hof umgeben, mit dem sie zusammen die Areolarfläche vorstellt,
und wird im Laufe der Entwicklung in der Art verändert, dass eine
von einer Erweiterung der Einsenkung begleitete Abflachung eintritt.
Die Einsenkung wächst also auf Kosten der Erhebung des Drüsenfeldes,
wobei die Zellen des letzteren mehr und mehr in die Tiefe sich senken,
bis schliesslich das ganze Drüsenfeld, anstatt das Niveau der Hautober-
flächo zu überragen, unterhalb desselben bis an das Stratum Malpighii
der Umgebung hinauf im Corium eingebettet liegt. Während dieses Vor-
ganges gewinnt die Einsenkung an Umfang , und die inzwischen vom
Boden des Drüsenfeldes aus in die Lederhaut gewucherton Drüsen-
canäle münden sämmtlich in sie ein. Die um die Einsenkung herum-
liegende haarlose Areolarfläche trägt hie und da Schweissdrüsen und
bildet eine gering erhabene Hautpartie. Beide, Einsenkung und
Erhebung der Areolarfläohe, entprechcn der späteren Papille und ihrer
Areola. Die erhabene Areolarfläche erreicht das Maximum ihrer Höhe
nm Rande der oberflächlichen Einsenkung, so dass die letztere durch
sie gleichsam einen Wall erhält. Aus dem über die Raumzunahme der
Einsenkung früher Gesagten geht hervor, dass dieser Wall nichts zu
thun haben kann mit der frühesten Erhebung , welche die erste Ein-
senkung trug. Dieses Wärzchen war eben das Drüsenfeld selbst, also
ein Epidermoidalgebilde. Der die Einsenkung in ihrer späteren Gestalt
umgebende Wall liegt ausserhalb des Drüsenfeldes, ist also ein Gutis-
gebilde und trägt andere Abkömmlinge des Stratum Malpighii in Gestalt
von Schweissdrüsen. Das ganze Drüsenfeld ist also jetzt nur im Bereiche
der Einsenkung zu suchen. An dieses Stadium (Taf. XIU Fig. 5, 6, 7),
in welchem die Einsenkung gleichsam den einzigen Ausführungsgang
aie iiauioDeruacDe uoerragenae urusenieia mii semer cinsennung vei -
schwindet zwar nach und nach vollständig uDt«r das Niveau der Haul-
Beiträge zur EutwickliiDgsgiiSohtcbte der MilcbdrQsen etc. 189
Oberfläche ^ hebi sich aber später wieder in die Höhe, um dann in
Gemeinschaft mit seiner nächsten Umgebung das Hautniveau von neuem,
wenn auch in veNlnderter Gestalt zu überragen.
Was oineelne Entwicklungsstadien der Milchdrüse angeht, so fand
ich das von Köllikkb für den Neugeborenen Angegebene bestätigt, dass
die ersten 2U Ausführungsgängen sieh umgestaltenden Knospen der
ursprünglichen Drüsenanlage bereits gabiige Theilungen zeigen, welche
an ihren untersten Enden schon wieder rundliche Knospen, die Anlagen
der Drüsenläppchen tragen.
IL Wiederkäuer.
Im Allgemeinen gilt von der hierher gehörigen Literatur, soweit sie
mir cugängig war, dasselbe, was vorhin von der Literatur über die Ent-
wicklungsverhältnisse der menschlichen Papille gesagt wurde. Man
vcrmisst aber hier nicht Mos jegliche Angaben über die Entwicklung
der PapiUe, resp. der Zitze, sondern es fehlt in der Literatur über diesen
(iegensiand auch die Entwicklung des ganzen Milchdrüsencompiexes,
nämlich des Euters. Alles über die Zitze mid das Euter Bekannte
beschränkt sich nur auf den grob anatomischen und den histologischen
Bau beider Organe. Gurlt <) führt an , dass das Euter der Kuh aus
zwei Drüsen bestehe , und dass jede der letzteren mit zwei Zitzen ver-
sehen sei, hinter denen sich noch eine kleine warzenähnliche Zitze auf
jeder Seite belinde. In jeder Zitze beobachtete er nur einen Ausfüh-
rungsgang. In Bezug auf Entwicklung des Euters sagt er, dass die
»Brüste« durch Einstülpung der äusseren Haut entstanden, und dass
an der später von den Zitzen eingenommenen Stelle kleine Grübchen
sich zeigten , von denen jedes mit einem scharf erhabenen Bande um-
geben sei. Ueber das weitere Sohidisal dieser Grübchen giebt er an,
dass dieselben, wenn sich die Zitzen über die Haut erheben, enger
und zu den Ganälen der Zitzen werden.
Feank ^) behandelt den makroskopischen und mikroskopischen Bau
des Euters und der Zitze. In Bezug auf die Genese giebt er an, dass das
Euter aus vier Drüsen zusammengesetzt sei.
Heine Untersuchung war theils auf die Entwicklung der Zitze,
theils auf die ersten Differenzirungsvorgänge der Milchdrüse gerichtet,
wobei ich vorzüglich die Verknüpfung der sioh mir ergebenden Befunde
1) GORLT, Handboch der vergleich. Anatomie der Haussaugethiere. 4. Auflage.
Berlin 4860. S. 437. Anmerk.
2) Fiuifi, Uandbach der Anatomie der Haussaugethiere. Stuttgart 1870. S. 693,
Dr. Um fiasB.
\a für die Verhältnisse beim Hcnschen milgethetllen in<
'suchung kam eine Reihe von Riodsembryonen, auf ^veIcht■
immllicben Angaben beziehen , denn wenn ich auch vom
iege einzelne Embryonen zu untersuchen Gelegenboit
es doch nicht möglich, daraus ein vollständiges Bild zu
I die Untersuchung von Embryonen schloss ich eine solche
«hen alten Tliieren, welche in den naikroskopischon Vor-
Zitze im Wesentlichen schon mit dem ausgobildclen Zu-
nstimmlen.
!8tc Stadium entnahm ich einem Embryo, der vom Kopfe
d des ersten Schwanz wirbeis gemessen, eine KBrpcrlünge
bcsass. Die DrUsenanlagc bestand in einer mit blossem
ichtbaren leisten förmigen Erhabenheit, die an der SeiU>
Genitalien beginnend, nach vom und etwas auswürls
iicht hinter dem Ursprünge des Nabel Stranges zu endigten,
eiste befindet sich zu beiden Seil^^n der Medianlinie des
jede zeigt drei hintereinander liegende, wenig^tleutlicbo
en.
c Embryonen von 7 Gm. haben Je zwei jederscits nach
er betreffenden Scrotalhülfle liegende und durch einen
schenraum von einander getrennte Drllsenanlagen , von
lere der Medianlinie, resp. dem Scrotum näher, die vordere
on liegt. Jede der DrUsenanlagen besteht in einer 0,3.'> Hm.
cnheit, die eine kloine Einsenkung auf ihrer Mitte zeigt,
betrachtet, bietet eine solche Anlage der MilchdrUse tik
pfos, der im Vergleich zu seinem Binncnraume unvcrhült-
:ke Wandungen zeigt.
akroskopische Befund stimmt mit demjenigen eines weib-
1 von 7 Cm. im Wescnllichen Uberein. Die Trennung der
lagen ist deutlicher, als im vorigen Stadium, dio Genitalien
nten von den Drüsen Hnlagcn. Die beiden Straten dorEpi-
litTereozirt. Das Cortum besitzt in einer fast homogenen,
tercellularsubslanz viele rundliche und spindelfttrniige
ndem Kern und feinkörnigem Protoplasma. Diese Zollen
meinen kleiner, als bei menschlichen Embryonen dieses
FaserzUge sind nur in den unleren Schichten deutlich
r, während in den oberen noch keine DiBerenxirung der
ibstanz erfolgt ist.
ühnitte durch diese Gebilde führen den Nachweis, dassilie
nheit nicht, wie der erste Befund beim Menschen ergab,
Beiträge XQr Estwlcklnngsgescbicbte der Milchdrüsen etc. 191
einzig durch eine partielle Wucherung des Stratum Malpighii bedingt
ist, sondern auch und zwar in weit höherem Grade durch eine Wuche-
rung des benachbarten Gewebes der Lederhaut. Das ganze Gebilde
besteht also äusserlich aus einer ringförmigen Erhebung, die eine
mittlere Vertiefung umzieht, deren Boden etwas höher liegt als das
benachbarte Hautniveau. In dem Ringwall tritt die Lederhaut empor,
Über welcher eine mit der benachbarten Haut gleichdicke Epider-
misschicht liegt. An dieser ist das Stratum Malpighii wie auch sonst,
von einer das Stratum corneum weit übertreffenden Mächtigkeit. Die
Hornschicht tritt, wie die malpighi'sche Schicht in die Einsenkung,
aber während sie dort eine mit anderen Hautstellen gleiche Starke
besitzt, zeigt das Stratum Malpighii unterhalb der Einsenkung eine
bedeutende tief in die Lederhaut ein ragende Verdickung. Es bildet so
einen flaschenfOrmigen Fortsatz , wobei der Hals der Flasche von dem
in den Ringwall eingehenden Theil der Lederhaut umschlossen wird.
Von anderen Differenzirungen des Stratum Malpighii ist in diesem Sta-
dium nichts zu bemerken.
Die eben geschilderten vier Gebilde lassen sich durch Vergleichung
mit späteren Zuständen in die Zitzen der Thiere verfolgen , weshalb
ich sie sofort mit diesem Namen bezeichnen will , die vergleichende
Erörterung der hier von dem Befunde beim Menschen ziemlich ab-
weichenden Verhältnisse mir vorbehaltend.
Die vier Zitzen eines 16 Cm. langen weiblichen Embryo sind
schon von bedeutenderem Umfange. Die ganze, die vier Zitzen
tragende Hautstelle, dicht von der Fascie abpräparirt, besitzt circa
') Mm. Dicke und ist 4 Mm. breit und lang. Die Zitzen stellen konische
Erhebungen vor, die mit ihrem breiten unteren Ende der Haut auf-
sitzen und 4 Mm. Länge haben. Es sitzen also die vier vollkommen
gcarennten Zitzen auf einer verdickten gemeinschaftlichen Hautpartie,
deren Corium und Epidermis sich auf die vier konischen Erhebungen,
die Zitzen, fortsetzen. Jede der vier Zitzen finden wir aus einer Er-
hebung der Lederhaut gebildet, welche von der Epidermisschicht'uber-
kleidet, die Grundlage des Zitzenkörpers abgiebt. An der Spitze der
Zitze tritt das Stratum Malpighii von einer eine leichte Einsenkung
tragenden Hornschicht bedeckt, in einen zapfenförmigen Forlsatz durch
die Längsaxe der Zitze und endigt mit kolbiger Anschwellung etwa in
gleicher Höhe mit der breiten Basis der Zitze.
Die Verbindung des an diesem Stadium sich ergebenden Befundes
mit dem des Vorhergehenden ist nicht schwierig. Die Veränderung
beruht im Wesentlichen auf eincT Wucherung der Lederhaut und zwar
192 Dr. Mu Hnss,
speciflII des im vorhergehenden Stadium den Hals der flaschenfärtnigeii
Einseokung des Stratum Ualpigbii umgebenden Coriumgewebes.
Wenn ich das frühere Stadium mit dem entsprechenden beim
Menschen vergleiche, so muss bei letzterem auf jenen Zustand snrttck-
gegangen werden , wo vom Stratum Halpighii aus gleichfalls eine von
wallartiger Eriiebung umgebene Wucherung in die Lederbaut eKoliii
war. Da ich diese als Drtlsenfeld bezeichnet hatte , weil von ihr
aus die Anlage der einzelnen Dnisen stattfindet, so wird b«m Rinds-
embryo der hier in einen längeren Strang sich umwandelnde Portsatz
des Stratum Malpighü, den ich vorhin kolbig geendet angab, der dem
DrUsenfeld entsprechende Theit sein müssen. Das kolbige Ende-
selbst entspricht dem Boden des DrUsenfeldeä.
Bezüglich der Textur kommen die Zitzen eines weiblichen Embryo
von 20 Cm. denen des vorigen Stratum gleich , und nur iu Bezi^ auf
die GrSssen Verhältnisse sieht das letztere diesem etwas nach. Mikro-
skopische Präparate zeigen auf Verticalschnitten den ersten Beginn
einer Knospung am Grunde des nach dem vorhin Auseinandergesetzten
in einen die Zitze durchziehenden Zellenstrang umgewandelten Drüsen-
feldes. Die ganze die vier Zitzen tragende Erhabenheit erscheint nur
durch eine starke Vermehrung des embryonalen Coriumgewebes be-
dingt, in dessen untersten Schichten sehr spärliche Traubchen von
Pettzellen aufgetreten sind. Wie die Zitze in diesem Stadium sieb ver-
längert hat , so ist auch der mit dem Drüsenfeld endigende Zellenstran^
länger gestreckt. Seine Formelemente entsprechen jenen des vorigen
Stadiums.
Von nun an beginnen wichtige Veränderungen am Boden des
Drüsenfeldes , indem daselbst in ahnlicher Weise , wie ich es oben vom
Menschen beschrieb . die DrUsen sich zu bilden beginnen. Schon bei
29 Cm. langen weiblichen Embryonen ist die Knospung der ursprüng-
lichen Epithel Wucherung sehr ausgesprochen. Man sieht vom Ende de^
Zellenstranges mehrere (5) dem letzleren das Ansehen einer kleinen
traubtgen Drüse gebenden Enospen theils Über, theils neben einander
angeordnet, abgehen. Auch an dem oberflächlichen Integumente der
Zitze beginnt ein analoger Process , und besonders in der Umgebung
der Zitzenbasis zeigt die Epidermis die Anlagen anderer Abkömmlinge
des Stratum Halpighii in grosser Anzahl. Sie ergeben sich als einfache
kolbig geformte Fortsätze des Stratum Halpighii, wie die Anlagen von
Haaren oder Schweissdrtlsen.
Die ZitEen eines weiblichen Embryo von H Cm. sind nahezu
3 Mm. lang, von zwei Seiten her zusammengedrUAt und lassen die an
der Spitze befindliche Vertiefung deutlich erkennen , welche gegen den
Beitrage zur EntwickluRgsgeschichte der Milchdnlsen etc. 193
zum DrUsenfeld führenden Zellenstrang sieb einsenkt. Die dem späteren
Euter entsprechende Hau^>artie auf der die Zitzen als konische Er-
hebungen stehen , setet sich bedeutender von ihrer Umgebung ab , als
im vorigen Stadium ; eine Behaarung ist weder auf den Zitzen noch auf
deren Umgebung erkennbar. Die vollkommene Trennung der Cutis
vom Unterhautbindegewebe ist nunmehr eingetreten. Letzteres besitzt
grossen Fettreichthum und hat bedeutenden Antheil an der Differen-*
xirung der erwähnten Hautpartie , die jetzt , da ihr Unterhautbinde-
gewebe von den dem Drttsenfeld entsprossenden Läppchen erreicht
wird, ein fdtales Euter genannt werden kann. Auch die vier ver-
längerten Zitzen mit ihren tiefer gewordenen Einsenkungen können
zu dieser Zeit nur als fötale Zitzen aufgefasst werden, denn bisher
enthielten sie nicht blos den späteren Ausführgang der Drüse , sondern
die Anlagen der Drüsen selbst. Die letzteren entstehen also
hier in einer die Zitze vorstellenden Erhebung des In-
tegumentes, welche schon vor der Knospung der Drüsen-
anlagen vorhanden war.
In diesem Stadium treten die Haaranlagen nicht blos in der Um-
gebung der Zitze , sondern auch auf der Zitze selbst in grossen Massen
auf, und bieten verschiedene Stadien der Differenzirung dar. Auf der
Höhe der Zitze sind meist einige Wollhaare bereits vollkommen ent-
wickelt und überragen die Oberfläche der Haut. Auch am Boden des
Drüsenfeldes ist eine Veränderung eingetreten , indem die Producte der
ersten Drüsenknospung sich jetzt zu Schläuchen (den späteren Sammel-
röhren der Thierärzte) verlängert haben und ihrerseits wieder mit
Knospen besetzt sind. Diese letzten Glieder der 2ten Knospengeneration
besitzen hier und da neue Wucherungen , die zu einer 3ten Knospen-
generation führen. Mit der Bildung der secundären Knospen treten die
Drüsenenden in das Unterhautbindegewebe ein.
Den Längenwacbsthum der Zitzen begleitet eine bedeutende Ver-
längerung der Einsenkung. An jeder der vier Zitzen erscheint nun an
dem aus einer Fortsetzung des Stratum Malpighii gebildeten Axen-
strang, dessen äusserste Zellenschichte in die Cylinderzellenschichte
des Stratum Malpighii übergeht, eine bemerkenswerthe Veränderung.
Am mittleren Theile seiner Länge zeigt er sich bedeutend verdickt,
nach oben wie nach unten zu verjüngt ; seine Gestalt ist etwa spindel-
förmig zu bezeichnen. Die äussere Einsenkung setzt sich sammt der
Homschicht der Epidermis tiefer als im vorhergehenden Stadium , in
den Axenstrang fort , ohne jedoch die erweiterte Stelle zu erreichen,
welche nur durch Zellen eingenommen wird. Die Cylinderepithelschicht
et*8tre€kt sicli bis zmn Boden des Drüsenfeldes, an welchem die bereits
Beiträge ur BntwicklniigagMcbiebte der MilohdrügeD etc. 195
einfachen länglichen Knospen. Das Wachsthum dieser letzteren ist fast
ausschliesslich nach der Spitze der Zitze zu gerichtet. Unterhalb der
Basis der Zitze bildet die DrOsensubstanz vielfache das Unterhautbinde-
gewebe durchziehende Verzweigungen. Die jüngsten Knospen erreichen
immer erst eine ansehnliche Lange , ehe sie ihrerseits wieder Knospen
treiben. Der übrige mikroskopische Befund bestätigt das schon mit
blossem Auge Erkannte, nämlich den Mangel von Haaranlagen und
anderen Abkömmlingen der Malpighi'schen Schichte an der Oberfläche
der Zitze und in der nächsten Umgebung derselben am Euter.
Das jetzt folgende letzte Stadium ist von einem vierzehn Tage alten
Kalbe weiblichen Geschlechts entnommen. Das ganze Euter ist ver-
haltnissmässig noch wenig voluminös, seine Behaarung dünn, aber bis
dicht an die Zitzenbasis hin vollständig. Die Gestalt des ganzen Organs
ist derjenigen des Organs bei erwachsenen Kühen schon sehr ähnlich.
Die vier entwickelten Zitzen sind von gleicher Länge und messen von
der Basis zur Spitze 2 Cm. Ihr grtfsster Querdnrchmesser beträgt circa
7 Mm. Ihre Gestalt ist die eines Conus mit abgerundeter Spitze. Die
Mitte der letzteren trägt die Ausmündung des aus dem anfänglich soliden
Axenstrang entstandenen einzigen Ausführungsganges des betreffenden
Drüsencomplexes. Die Mündung ist auf dem Querschnitte nicht rund,
sondern sternförmig, wie man es meist an solchen Canälen beob-
achtet, die ihr Lumen durch Aneinanderlegen ihrer Wandungen
schliessen, wobei dann ihre Schleimhautfalten in einander greifen. Die
der ganzen runzligen Oberfläche der Zitze zukommende Haarlosigkeit
erstreckt sich auch noch auf einen kleinen Theil der Umgehung der
Basis der letzteren und bildet so eine Art Areola , ähnlich wie sie beim
Menschen bekannt ist, allein es fehlt die Pigmentirung , wie der regel-
mässige Kranz von Talgdrüsen, wodurch sie beim Menschen ausge-
zeichnet wird. Spaltet man eine Zitze so , dass der die Längsaxe der
Zitze durchziehende Ausführungsgang in seiner ganzen Ausdehnung
freigelegt wird, so kann man mit Leichtigkeit dieselben zwei Abschnitte
unterscheiden, die im zuletzt beschriebenen embryonalen Stadium nur
mit Hülfe des Mikroskopes mit Sicherheit unterscheidbar waren. Man
ßndet die ganze Zitze von einem Canal durchzogen, dessen äusserer der
Spitze der Zitze zukommender Abschnitt (Strichcanal der Thierärzte] nur
4,5 Mm. Länge und 0,75 Mm. Weite hat. Die Schleimhaut dieses Ab-
schnittes ist von blasser Beschaffenheit und weist eine sehr feine, in
diesem Alter des Thieres nur durch die Loupe erkennbare Längsfaltung
1 auf. Der innere die ganze übrige Länge der Zitze durchziehende Ab-
schnitt des Ausführungsganges erstreckt sich noch ein Stück unterhalb
diT Basis der letzteren in das Euter hinab. Das Lumen dieser letzleren
Bd. VII. S. 48
i
■■■mm':
190 ^* Max Hosa^
Strecke misst 4,5 Mm. m der Quere. Die Schleimhaut zeigt an dessen
oberer Partie dieselbe Art der Längsfaltung, wie sie der erste Abschnitt
dee Ganalfi trägt, während sich aa der der Drttsensubstanz näher ge-
legenen Partie desselbea längs- und quergerichtete Schleimhautfalten
kreuzen, wodurch die Schleimhaut dort eine netzförmige OberOädie
derbielet. In diese Erweiterung des Au^hrungsganges (Cisteme der
Thierärzte) mttnden etwa in der EOhe der Basis der Zitze die AusfiUh-
FUDgsgäDge der Drüsen» (Sammeiröhren«) mit bald weitem , bald engem
Lumen aus.
Vertiicalscbaitte durch die ganze Zitze liefern eine Reihe von That-
Sachen, die hier zur Erwähnung kommen mttssen, wenn sie auch
theilweise schon beka&at sind. Beide Epidermoidalsditchten der
Zitzenob^rfläßhe sind stark entwickelt. Die von einer dichten Lat^e
platteoCörmiger Zellen hergestellte HoraschLoht setzt sich an der Aus-
wttndung desi Ausftthrungsgaiiges tief in das Lumen des letzteren hinein
fort, wo sie stellenweise eine gri^ssere Mächtigkeit erreidit, als an der
Zitzenoberfläcbe. Nachdem sie noch ei&ea Abschnitt der Schleimhaut-
oberfläche der ampttUenai*tigen Erweiterung des Ausführungsgangeh
ausgekleidet hat, macht sie an Dickedurchmesser abnehmend schliess-
lich einem Cylinderepithel Platz , von welchem die Auskleidung de>
tieferen Xheiles der Schleimhaut des Ausfuhrungsganges gebildet wird.
In der die )>CislerQe« vorstellenden Erweiteirung besitzt also die
Schleimhaut zwei Epithelformen. Der der Basis benaehiMirte Abschniu
trägt Cylinderepilhel, der andere gegen die Htiodu«g gerichtete besitzi
eine Fortsetzung der Epidermis. Der von. der Epidertnissobichte aus-
gekleidete Theil des Binnenraumes der Zitze (ein Theil der Ampulle
und deren Ausführungsgang) besitzt dieselben Papillen der Lederhaut,
wie sie das aussäe Integumeni dee Zitze aufweist, welches sich somit
ohne histologische Girenae in den AusfUhcungsgang fortgesetzt hat. Die
so gestaltete Schleimhaut ist am mächtigsten ha den oberen AbsohnitteB
des Ausftkhrungsganges und verliert in der Tiefe mehr und mehr an
Mächtigkeit. An der Grenze der HornsebichAe der Epidermis- ver-
schwinden auch die muiden Zellen des Stratum MalpighM und es bleibt
nur die tiefste Zelienlage , die aus Cylinderepithel bestehende Zellen-
schichte tlbrig, welche von da an die Auskleidung des Ausftthrangsganges
tlberoimmt. Die üb die-Malpighi'sche Schicht der Epidermis einragenden
Papillen sind voni ansehnlicheir Länge und hie und da findet man meh-
reire Papillen an ihrer Basis verbundeuw Auf der Itabe der Zitze und im
oberen verengten Theite des Ausführuagsganges gewinnen sie eine
solche Ausdehnung, dass sie das ganze Stratum Malpighti zu durch-
setzen scheinen , und von einer dttnnen Lage desselben bekleidet in
Beiträge xor Eniwiekimgflgesehiolite der Milchdrflsen etc. f 97
die MorMcbieht eindringen ^]. Üre Faltung der Schleimhaut des Am-
ftthrungsganges giebt diesen Papillen inatmigfaltige Richtungen nach
dem Lumen des AusfAhrungsganges. Auf raikroskopischefl Dureh-
schttilten, sowohl Veriical- als Horisontalscfanitten, findet man sehr
dtflerente Bilder, indem die Papillen in vefsefaiedener Richiung dufch-
schniiten sind. Derartige Bilder können dem üngettbtereti dehr leicht
Veranlassung zu Irrungen geben.
Diese Faltung der Schleimhaut, welche im obersten Abschnitte des
Airsführungsganges die eben beschriebene Eigenthümlichkeit bezüglich
der Papillen darbietet , liefert im letzten Drittel der Länge des Aus-
ftthrungsganges ein zweites erwähnenswerthes Verhalten , dessen Be-
schreibung hier angereiht werden soll. Legt man in der oben genannten
Hohe Horizontalschnitte durch die Zitze, so erhält man Bildet* von
SehUsuchen , die mit dem Lumen der cisternenartigen Erweiterung des
AnsfUbrungsganges zusanmienhängen. Diese Schläuche sind mehrfach
verästelt, theitweise hohl, zum Theil scheinbar solid, tragen eine Fort-
setzung des Gylinderepithels des AnsfUbrungsganges und haben auf
diese Weise mit wohlgelungenen Durchschnitten von Drttsensubstanz,
die man an dieser Stelle auch wirklich zu suchen berechtigt ist, sehr
viel Uebereinstimmendes. Dieses Verhalten entspringt an einer bedeu-
tenden Falterieniwicklung der Schleimhaut, wie durch die Controle mit
LäVigsschnitten zu erweisen ist. Ehi zweites , den Sachverhalt auf-
klärendes Moment besteht darin, dass man auf jedem der angefertigten
Schnitte stets dieselben Schläuche erhält, während die Anfertigung
solch* gelungener Ansichten von wirklichen Drusenschläuchen viel
seltener glücken dürfte.
Was die Grundlage der Zitze betrifft , so wird diese, wie vorher,
vom Integument gebildet, wobei die Lederhaut den bedeutendsten
Antheil hat. Dresetbe besitzt in der^feserig diflerenzirten Intercelhdar-
substanz neben rundlichen Zellen noch eine grosse Anzahl von spindef-
tormigen Elementen. Zahlreiche Gefässe durchziehen das Bindegewebe,
indem sie sich an dem obersten Abschnitt der Zitze sehr stark verästeln
ofid durch eine reiche Anastomosenbildung dort ein ansehnliches Ge-
ßkssnetz zu Stande kommen lassen, unter der Schleimhaut des obersten
AbschniMes des AusführungsgaiYges kommen glatte Muskelfasern in circu-
lärer und longitudinaler Anordnung vor, denen man die Function eines
SeMiessmuskels beimisst. Die Wirkung dieser Musculatur muss entweder
durch die melkende Hand, oder durch das Saugwerkzeug des Jungen oder
4) Die VerbttTtnisse der Papinen sind sehr genau von L. Frami beschrieben.
I. c. S. «96.
48»
Dr. Hm Kdss,
einen zu starken spontanen HUcbandrang nberwunden werden,
der Verschluss des oberen AbschniUes des AusfUhrungsganges,
n manchen Autoren als eigentlicher Zitzencanat (oder Stricbcanal)
bnet wird , gehoben werden , und der gefüllte , als eine blosse
tening des Ausfuhrungsganges erscheinende Hilchbehmier oder
sterae sich entleeren soll.
tlr die Wiederkäuer ergiebt sich somit, soweit meine am Rinde
eilten Beobachtungen für die ganze Abtbeilung maassgebend sein
Q, ein zwar in vielen Puiikten mit dem beim Menschen Erkannten
nstimmender. aber in andern wesentlichen Momenten verschie—
Entwicklungsgang des gesammten Apparates der Milchdrüsen,
^as die Entstehung der Drüsen angeht, so treffen wir den ersten
id als eine auf der Mitte vertiefte Erhebung, die wir zugleich als
) der Zitze erklärten und an der wir nicht blos die ZeUenwuche-
les Stratum Malpighii, wie es heim Menschen der Fall ist, son-
uch, und zwar im vorwi^enden Maasse, das embryonale Corium
ligt fanden. Eine Abflachung dieser Erhebung findet zu keiner
alt, vielmehr sind alle ferneren Vorgänge mit einer Weiterbildung
rsprUnglichen Protuberanz verbunden. Der die Zitze bildende
ung des Integumentes vergrSsserte sich, während in seinem
1 ein die Drüse bildender Differenzirungs Vorgang stattfindet. Der
e wird eingeleitet durch ein in der Axe der Zitze erfolgendes Aus-
en der ursprunglichen , die Drüsenanlage vorstellenden Epithel—
rung, von deren Grund der Boden des Drüsenfeldes reprüsentirt
welchem die Drüsen allmählich entspriessen. Indem das dieBil-
itatte der Drüsen (Drtlsenfeld) in die Tiefe verlegende Auswachsen
tie einen anfänglich soliden, allmählich von aussen her hohl
aden Cannl in der Axe der Zitze entstehen lässt, Jiefert es den
zu neuen DiSerenzirungsvoi^ängen, welche den genannten
in mehrere ungleichwerthige Abschnitte zerlegen. Der der
mg nächsle Abschnitt [Stricbcanal] , ist durch bedeutende
von dem folgenden weiteren ampuUenfOrmigen (Cisteme) unler-
en , und letzterer selbst kann wieder in zwei Abschnitte zerleg
n, einen inneren mit Cylinderepithel bekleideten und einen mehr
en, der eine Fortsetzung der Epidermis trägt. Dass der die DrU-
ndung aufnehmende tiefere Tbeil der Ampulle dem blinden Ende
'sprünglicben Axenslranges und damit dem von mir als DrUsen-
tzeichneten Abschnitt entspricht, ist selbstverständlich,
iir Zeit, da die fdlale Zitze eine Menge von Haaranlagen trägt, die
-jmm^^ .__1L&J*-
BeitrXge zur Cntwieklungsgesehichte der MilchdrAsen etc. 199
später, nachdem sie eine gewisse Stufe ihrer Entwicklung erreicht haben,
sich wieder rUckbilden , unterscheidet sich die Bedeckung der Zitze in
keiner Weise von dem übrigen Integument des Thieres. Die vollständige
Haarlosigkeit der Zitze späterer Stadien , wie man sie auch bei Kühen
findet, lässt sich durch die Momente der Vererbung und Anpassung
erklären. Jeder Rörpertheil, welcher durch Generationen hindurch
dauernden oder oft wiederholten Einwirkungen äusserer Eingriffe aus-
gesetzt war, erleidet gewisse Veränderungen , die sich allmählich vererben
können. Auf diese Weise wird die Behaarung jenes Theiles der Haut
verloren gegangen sein, der als Zitze während des Säugegeschäftes einer
steten Einwirkung von Seiten des Jungen ausgesetzt war und im unbe-
haarten Zustande viel besser seinen Functionen zu entsprechen im
Stande sein musstc, als im Zustande der Behaarung. Das nur auf eine
kurze Zeit beschränkte Vorkommen von Haaren auf der Zitze erscheint
von jenem Gesichtspunkte aus als ein Rückschlag in den ursprünglich
allgemeinen Zustand der Behaarung, welcher durch den auf Grund der
Anpassung erworbenen nackten Zustand bald wieder verdrängt wird.
Was endlich das gesammte Euter betrifft, so entsteht dasselbe aus
der Vereinigung von mehreren und zwar von mindestens vier ursprüng-
lich discreten Drüsenanlagen. Diese Vereinigung mehrerer Drüsen zu
einem Complexe wird durch eine Verdickung der die einzelnen Drüsen
tragenden Hautstelle vorbereitet , welche bereits vor der Differenzirung
des Drüsengewebes vorhanden ist, und vorwiegend durch Vermehrung
des ünterhautbindegewebcs zu Stande kommt.
Zum Schlüsse soll noch eine kurze Zusammenstellung der Haupt-
momente meiner Untersuchung Platz finden, womit ich die beim
Menschen und beim Rind sich ergebenden Uebereinstimmungen und
Verschiedenheiten hervorheben und somit die bei beiden zur Bildung
eines functionell übereinstimmenden Organs führenden Vorgänge mit
einander vergleichen wiU. Zur besseren Uebersicht werden die ein-
zelnen Entwicklungsstadien der Papille des Menschen denjenigen der
Zitze des Wiederkäuers (Rind) gegenübersteUt.
Mensch. Wiederkäuer.
4. Stad. Die ursprüngliche Er- 1. Stad. Die ursprüngliche Er-
hebung ist ausschliesslich bedingt hebung ist bedingt durch das Drü-
durch das Drtlsenfeld. senfeld und seine Umgebung.
%. Stad. Die ursprüngliche Er- 2. Stad. Die ursprüngliche Er-
hebung flacht sich im Laufe der wei- hebung flacht sich im Laufe der
teren Entwicklung derDrüsenanlage weiteren Entwicklung nicht ab.
300 Di^- Hu Baas,
(FortHtmiic ran ]l«BBeh.) (VoTtHtnmg vdi Wladaiktoar.)
ab.. DieEinsenkung des Drttsenfel- Die Einsenkung des DrUseofeldps
deawaehstgleicbsam auf Kosten der wachst in die Länge, aber nicht auf
ursprünglichen Erhebung in die Kosten der Erhebung. Die letztere
Breite und Tiefe. Die Umgebung des bleibt nicht blos bestehen, sondern
DrUsenfeldes , welche keinen Tbeil es wächst sogar die Umgebung des
hat an der ursprünglichen Erhebung DrUsenfeldes, die von vomherein
umsieht jetzt wallarüg erhoben die an der ursprüi^ichen Erhebung
napflbrmig erwwlerle Einsenkung TheU hat, um die Einsenkung herum
und tragt so zur Vertiefung der Ein- in die Höhe, wodurch die letztere
Senkung bei. zu einem langen Canal au^esogen
wird. Aus der erhobenen von der
Cutis gelHldelen Umgebung des
DrUsenfeldes gebt die Zitze hervor,
in welche die Einsenkung sich
hinab erstreckt.
Die Besultate des i. Stadiums sind demnacli in beiden Fallen gleiche.
Beide, die Drüsen des Menschen und die des Wiederkäuers besitzen jetzt
anecbeineud Qur-Einen AusfQhrungsgang in Gestalt der ver-
gresserl«» Einsenkung. Beide Arten der Ausfahrungsgänge sind von
einem Cutiswall umgeben, der durch sein weiteres Heranwadisen beim
Rind die Zitze bildet, wahrend er beim Menschen, wo die Binsenkimg
des Drtlsenfeldes schwindet, in viel geringerer Ausbildung auftritt und
dadurch dem Drüsenfelde sieb allmählich Über ihn zu erheben gestattet.
Der die Einsenkung des Drüsenfeldes umziehende Culiswall bildet somit
einen TheU der Anlage der Papille des Hensohen und der Zjtsfl der
WiederiUluer. Bei Wiederkäuern tritt er schon sehr frUhseiUg auf und
erlangt bald ein bedeutendes Volum, bei Hensohen dagegen wird er
erst devtlich erkennbar, wenn das DrUsenf«ld als napfffirmjge Einsen-
kung unter dem Niveau der Hautoberlläohe liegt, und auch da bildet
er keinen bedeutenden Vorsprung.
Des Verhaltniss bei Wiederkäuern bietet nun im weiteren Wachs-
thume des die Zitze vorstellenden Organs nichts BemeriLenswerthes
mehr dar. Die Zitze vergrBssert sich in der angegebenen Weise und
tritt dadurch allmählich in ihr dehnilives Verhalten ein.
Hit diesem für Mensch und Wiederkäuer gleichartigen Stadium
ist die Differenzining der Zitze beendet, wahrend für den Henschpn
noch ein drittes Stadium angereiht werden muss, um die Entwick-
lung der Papille zu zeigen, die der Hauptsache nach eigentlich erst
b^innt.
Beitrige rar Entwieklnngsgesdiichte der Hiichdrilsen etc. 201
(FortMtiQBg von M 6 n 8 oh.) (Fortootnug von Wioderkftnor.)
3. Stad. Die napffi^Hflltge Eitk^
Senkung beginnt durch Erhebung
des Drttsenfeldes nach der Haut-
oberflitofae allmählich seichter zu
werden und kommt so in gleiches
Niveau mit der Haut. Von diesem
Momente an erheben sich nun beide,
Drttsenfeld und seine Umgebung
zum weiteren Aufbaue der Papille.
Die Papille ist die Erfae-* Die Zi^ze ist die Erhe-
bung des vorher vertieften bung d6r Umgebung des
DrUsenfeldes, welcher Er- Drüsenfeldes, welches sei-
hebung auch die nächste nen Boden in der Tiefe fort-
Umgebung des Drttsenfeldes erhält Der die Zitz« durch-
folgt. Die sie durchziehen- ziehende AüsfOhrUttgsgang
den AusftthrungsgSnge ent- der Drüsen entstand aus der
wickeln sich aus der ur- Verlängerung der £insen-
sprünglichen Anlage, am kung des Drüsenfeldes, die
Boden des Drüsenfeldes. durch die Erhebung der
Umgebung des letzteren zu
Stande kam.
Den in Vorliegender Arbeit angeftthnen Untersuchuügsresultaten
zufolge ist die anfangs gestellte Frage, ob die Papille des Menschen und
die Zitze der Wiederkäuer Analoga oder Homologe sind , bedingungs-
weise mit »ja« zu beantworten. Dass sie Analoga sind, bedarf keiner
weiteren Erörterung. Homologe Organe sind sie aber nur insofern , als
zu ihrem Aufbau die Umgebung des Dffisenfeldes zur Verwendung
kommt. Diese Verwendung ist aber eine sehr verschiedene , so dass
dadurch selbst der Werth der bedingten Homologie herabgedrückt
wird; sie sind nicht homolog insofern als das Drüsenfeld bei Wieder-
käuern während der Entfaltung der Zitoe in der Tiefe bleibt und der
eioiige Ausführungsgang durch die Erhebung des Guiiswalles bedingt
wird, während beim Menschen das DrOsenfeld nicht vertieft bleibt,
sondern sich zur t'apille mit erhebt, auf der die zahlreichen Ausftth-
nmgsgänge der vom Drüsenfeld aus gesprossten Drüsen zur Mündung
kommen.
Erklftnuig dor ibbilAnngen.
ToSd ZIL
1. 3. sind die ersten Entwicklungsstadien der DrüseDanlage auT senk-
^htetn Durchschnitte. VergrJJsserung 175.
□n eiDem weiblichen Embryo von 4 Cm. l^nee. Die Drüsenaolage ist
im Tbeii über die Hautoberiläcbe erhaben. Die im Text beschriebene
inseokung Tehlt hier, de sie bei der ScbDiUrührang Dicht mit gehrofleo
BeieichnnDgen : ff ^ Horoscbicht. — SL jV.^ Stratum Maipigbii. —
^Corium.— D.J. = DraseDaDlage. (La ogor'BaliDsenrtirniiger Körper«.)
Teiblicher Embryo von 10 Cm. Länge. Das DrUsenreid liegt bereits ganz
nterhalb der HeulobeTflttche. Die Einsenknng ist slarlc vergr(issert.
BezelchouDg; fi a> EinsenLung; die Übrigen Bezeicbaungen, wie io
lg. 1.
reiblioher Embryo von U,9 Cm. Lunge. Die Einsenkung ist grttsser,
ie kolbige Drüsenanlage im ersten Beginn der Knospang.
Bezeichnung; K = Knospen (Drüsena n lagen) i die übrigen Bei«ich-
ungen wie in Fig. 1 nnd i.
TafA Xm.
'ignren stellen Verticalschnitto dar. Die ersten drei Figuren dieser
M sind eine Wiederholung der drei Figuren der 1 . Tarel ia sehe-
lUscher Darstellung. Sie werden mir der besseren Uebersicht halber
a ttbrigen dargestellten Stadien noch einmal mit beigerügt,
rstes Stadium der Drüsenanlage in Form des warzig erhobenen DrUseti-
ildes mit seiner Einsenkung. Vergrüsserung 7S.
Bezeichnungen : U = Hornscbicht. — Sl. M. = Stratum Hatpighii, —
= Corium. — E = Einsenkung. ,
weites Stadium, in welchem das Drüsenfeld ganz unter dem Heutniveau
Bgl. Vei^rösserung 7B.
Bezeichnungen wie in Taf. Xll. Fig. 3.
rüseoanlege im ersten Beginn ihrer Knospung. Vei^rässerung 7S.
Bezeichnungen: £'bi Knospen ; im Uebrigen wie in Fig. t.
on einem weiblichen Embryo von 99 Cm. Die Drüsenanlage steht in
»r zweiten Knospung. Die Glieder der ersten Knospui^ haben sich zu
Dsfithningsgangen verlängert. Links von der Anlage der HilchdrUse ist
oe Schweissdrüse bemerkbar. VergrösMning 7S.
Bezeichnungen : A ^ Ausftthrungsgange. — D.L.^ Drüsenläppchen.
sbrige Bezeichnungen wie in Fig. 3.
an einem weiblichen Embryo von 19, S Cm. Lunge. Starke Ver-
-össemng der Einsenknng des DriUenfeldes. Dm die Einsenknng ist
it Cutiswall sichtbar. Die AuaftlhrgaDge münden sammtlich in die Ein-
tnkung. VergrösserungltS.
Bezeichnung : C. W. ^ Cutiswall. Cebrige BezelchDungen wie in
ig.*.
Beitrüge xar Cntwieklangsgeschiebte der Milchdrfisen eie. 203
Fig. 6. Von einem weiblichen Embryo von 88 Cm. Länge. Die Einscnkung ist
seichter geworden. Entwicklung einer dritten Knospengeneration. Die
Glieder der zweiten Knospung bilden secundäre Ausführungsgänge. Ver-
grösserung 445. Links von der Einsenkung sieht man zwei Schweiss-
drttssen.
Bezeichnung : S, A. ==s Secundäre Ausfühningsgänge. Uebrige Be-
zeichnungen wie in Fig. 5.
Fig. 7. Von einem weiblichen Neugebornen. Die Ausfübrungsgange sind mit
ampullenförmigen Erweiterungen versehen.
Bezeichnung, wie in Fig. 5.
Fig. 8. Von einem Mädchen von 3Vs Monaten. Die Einsenkung des Driisenfeldes
ist durch die Erhebung des letzteren bis zum Hautniveau verschwunden.
Bezeichnung wie in Fig. 5.
Fig. 9. Von einem Mädchen von sVs Jahren. Erste Erhebung des Drüsenfeldes
und seiner Umgebung über das Hautniveau zur Bildung der Papille.
Bezeichnung wie in Fig. 5.
Bemerkungen über die imichdrnsen- Papillen der
Sängethlere.
Carl Oegenbaur.
Id den in dioser Zeilschrift veröffentlichten »Beitrügen zur EdI^
wickiungsgeschiclitü der Milchdrüsen, von Dr. U. Huss» wurde gezeigt,
dass die Brastwarzen des Menschen und die Zitzen der Wiederkäuer,
abgesehen von der Verscbiedenbeil ihrer Lagerung, bezüglich ihrer
Genese und der davon sich ableitenden Structur , Bildungen von ganz
verscbiedeneni morphologischem Werthe seien. Theile, die mau gemSss
einer gewissen oberfläcblichen Uebereinstimmung und wohl auch beein-
flusst durch die Gleichartigkeit der physiologischen Leistung fUr homo-
loge Gebilde zu halten wohl niemals beanstandet hatte, stellten sich
durch jene Untersuchung in recht hohem Grade verschieden heraus.
Es dürfte sich demnach der HUhe verlohnen , jenen Verhältnissen in
einem etwas weiteren Umkreise nachzugeben, als es vom Verfasser
geschah, und nach ferneren Verbindungen zu suchen.
Für diesen Zweck muss ich aus der genannten Arbeit einige Punkte
hervorheben. Das ist einmal die Uebereinstimmung der ersten Anlage
der Drusen beim Menschen und beim Binde , und zweitens die Ver-
schiedenheit der Papille von der Zitze. Die Uebereinstimmung der An-
lage wird dadurch gebildet, dass sie eine epidermoidale Wucherung
mit einer mittleren leichten Vertiefung bildet, das Drtlsenfeld. Vom
Boden dieses Drüsenfeldes entstehen die Drüsen ganz auf dieselbe Weise
wie andere Hautdrüsen, nämlich durch Wucherung von Zellonsträngen
aus der Malpigbi 'sehen Schicht in die darunter gelegene Lederhaut, wie
man diese, auch die Loderbaut nicht blos passiv betreffende Erscheinung
aufzuführen pOegt. Um das Drilseufeld erhebt sich beim Menschen ein
Bur kurze Zeit bestehender, und auch keine bemerkenswerthe Hfihe
C Gegenbuor, BemerkongeD Aber üt XitebdrfiseD-Papillen der Sängetbiere. 205
ge^winnender Gutiswall, der beim Rinde gleich mit der DifferenziruDg
des DrUaenfeldes bedeutendere Ausdehnung gewinnt. Mit leteterem
Vefhältniss ist schon die erste gewichtigere Verschiedenheit gegeben,
und nunmehr beschreiten beiderlei Organe in ihrer ferneren Differen-
zirung gesonderte Wege. Beim Menschen wird die Vertiefung des
Drüsen feldes flacher, und die an seinem Boden mit der Malpighi^schen
Sdiicht verbundenen Drttsen kommen in demselben Maasse eu einer
oberflächlichen Ausmündung. Mit der fernem Erhebung des Drüsen-
feldes rücken die Mündungen auf die Spitze der durch die Erhebung
gebildeten Papille, während der vorher den Cutiswall darstellende Theil
der Umgebung des Drttsenfeldes theils in die Seitenfläche der Papille,
iheils in die Areola mammae übergeht. Das ursprünglich vertiefte, im
Grunde einer Einsefikung gelegene Drüsenfeld gelangt mit der Papillen-
bildung auf die Spitze dieser Erhebung. Beim Rinde dagegen findet nicht
nur keine Erhebung des Drttsenfeldes statt, sondern dasselbe senkt sich
immer tiefer in den Grand der vom Cutiswall umschlossenen Höhlung,
in demselben Grade, als der Cutiswall höher wirfl. Die vom Drttsen-
felde aus entstandenen einzelnen Drüsen kommen daher niemals mit
ihrer Mündung an die Oberfläche, sondern münden in einem von der
centralen Einsenkung zum Drttienfeld sich heraberstreekenden Hohl^
räume aus.
Die Verschiedenheit der so entstehenden Bildungen tritt noch deutr-
licher durch die Vergleichung der einzelnen Theile hei*vor. Die Mün-
dungen der MUchdrOsengSnge liegen beim Menschen auf der Spitze der
Papille, beim Rinde finden sie sich im Grunde eines die Axe der Zitze
durchsetzenden Canals. Für diesen letzteren besteht nichts Aehnliches
beim Menschen, und nur wfthrend eines vorübergehenden Stadiums ist
eine ihm vergleichbare Bildung in der vom Cutiswall umzogenen Ein-*
Senkung dee Drüsenfeldes vorhanden. Ebenso fehlt als bleibende
Bildung beim Menschen der Cutiswall, der beim Rinde die Zitze her-
stellt. Dagegen entbehrt die Zitze des Rindes der Ai*eola, von der die
entsprechende Fläche weder an der Oberfläche der Zitze noch des
Euters gesucht werden darf, sondern im Anfangstheile des Zitzen-
canals (Strichcanalsj. Dass unter diesen Verhältnissen die Ampulle des
Strichcanals nicht mit einem Sinus lactiferus verglichen wenden kann,
orgiebt sich von selbst, und ist ebenso begreiflich, wie der Mangel einer
Homologie zwischen dem Strichcanal des Rindes und einem Ductus
lactiferus der menschlichen Mamma.
Indem wir so behaupten dürfen, dass die Zitzen des Rindes
und die Papulae mammarum des Menschen ganz ver-
schiedene Typen repräsentiren, und damit keine streng
Bemerkungen fiber die Milchdrösen-Papillen der SHuf^tbiere. 207
1 0, für die Katze 5 Oeffnungen auf der Spitze der Papille nachgewiesen.
Nach anderen Angaben wechselt bei diesen die Zahl von 8 — 13. Von
Nagethieren ist durch Rudolphi und Astlby-Coopbr ^) beim Kaninchen
eine Mehrzahl von Ausftthrgängen erkannt. Für die Edentaten finde ich
eine Angabe von Rudolphi bei Manis, dessen Papillen von fünf bis sechs
feinen Gängen durchsetzt werden sollen. Gleich beschränkt finde ich
die Angaben für die Halbaffen, von denen ich wenigstens bei Chiromys
das Vorkommen einer grössern Anzahl von Mündungen auf den Papillen
dargestellt findet). Bei den Affen scheint ein ähnliches Verhalten wie
beim Menschen zu bestehen , und vom Orang hat Owen 4 0 — 4 2 Milch-
gang-Oeflnungen beschrieben. Bringt man endlich hierzu noch die von
Leyaillart^) beim Elephanten gemachte Beobachtung von 8 Ausführ-
gängen , sowie die von Owen ^) bei Rhinoceros indicus aufgefundene,
gegen 12 betragende Zahl der Mündungen in Betracht, so ergiebt sich
allerdings, dass bei Repräsentanten einer grossen Anzahl von Säuge-
thieren — der Mehrzahl der einzelnen Abtheilungen — eine dem fUr den
Menschen am genauesten gekannten Typus des Verhaltens der Papille
folgende Einrichtung vorkommt. Dieser würden sich nach der Beob-
achtung Stbllbr^s^) auch die Sirenen anreihen, deren Papille von 1 0 — 4 2
Milchgängen durchbohrt sein soll.
Während für die eben aufgeführten Säugethiere die bezüglichen
Thatsacben entweder klar erwiesen oder durch mehrfache Beobachtungen
in der Hauptsache bestätigt sind, ist es ein anderes bei den Cetaceen.
Für die echten Cetaceen besteht keine ganz völlige Uebereinstim-
mung der Angaben. Die Mehrzahl der Autoren führt zwar einhellig
(He Existenz eines einfachen erweiterten Ausführganges für jede Zitze
an, aber von Owen ^) finde ich bei Beschreibung der Milchdrüsen eines,
Delphin das Bestehen zahlreicher Ausführgänge behauptet. Wenn er
sich dabei auf John Huhtbr stützt., so steht damit die Angabt? dieses
Autors in Widerspruch, da von demselben ganz zweifellos nur ein ein-
einziger gemeinsamer Gang beschrieben wird^). Dies ist um so auf-
4) On the anatomy of the breast. London 1840. Ich bedaure dieses Werk
nicht zu Gebote gehabt zu haben.
%) Petkus, in Abbandi. der Königl. Acad. der Wiss. zu Berlin. 4866. Taf. 4.
Flg. ö. m.
8) Voyage dans l'interieur de TAfrique en 4780—4785. Liöge 4790. S. 496.
4) Transactions of the Zoological Society. Vol. IV. Part. III. S. 8S.
5) Ausführliche Beschreibung von sonderbaren Meerthieren. Halle 4768. S. 69.
6) Anatomy of vertebrates. Vol. III. 4868. p. 777. »The nipple itself, shown
by dilating the mammary fossa is perforated by numerous lacteal ducts.«
7) Deber den Bau und die Oekonomic der Wallfische. Uebers. v. J. G. Schnrideii.
Leipz. 4798. S. 40S.
a06 C. Gcgenbaar,
faltender, alsOvEtt noch auf di^rselben Seite die HcKTER'scbe D^rsn
wiedei^ebt. HHHuhtbi sUmmt Ruoolpki, ferner Et. Geovpüot S
LAiBK*) sowie Bapp^) ubereiD, so d»ss die von OwsH geliefert« fiesr
buDg auf eine« Missversl^ndnisse zu beruhen de» Ans<dtefii hat.
Die Celoceeo entfernen sich also sowohl von den Sirenen als
von den übrigen, mehrfache ÄusfOfargÜnge der Hilcbdmse beäjizfi
<lecid«aten Süugeüiieren, und seMtessen sich mehr den» zweiten T;
an, welchem Eunüchsl Wiederkäuer und Schweine angefahren. Bei
ersteren ist das Übereinstimmende Verhalten in grosser Anstiefaii
nachgewiesen, so dass es als ein gemeinsam trerbtt^r Charakter i.-r
kann.' Auch bezuglich der Schweine besieht keine bedeutende Divenii
der, Angaben und die Hehrzahl derselben tbeilen der Zitze einen <■
zigen Ausfuhrgang zu , womit ich nach e^nen Beobechlm^eB an ."i
scrofa Uiiereinstimmen kann. Von twei AusfUhi^itngei» spricht litt's
Edwards ^], indem er ^h auf A. Coopeh bezieht.
Schwieriger ist die Beurlheilung des VerhaHois der Einlmfer, i
welche bekanntlich in jeder der zwei Zitzen zwei Auafubt^änge (Slriif
canUle) nachgewiesen sind. Man kfinnte hier annehmen, dass vcm eiii'
grösseren Anzahl Ton discrelen HilchdrUsen, wie sie die Übrigen Sifui:-
thiere erkennen lassen, nur zwei sich ausgebildet haben, und dass jt^'
der beiden Strichcanale dem Ausführgang einer einzigen priniitiw
Drllac entspräche , in welchem Falle die Einrichtung sich dem ersUi
Typus anreihen Hesse. Durch die Prüfung des Verhaltens jeder d"
beiden Zitzencanüle giebl sich jedoch eine Überaus grosse Ueberein-
sUmmung mit dem einzigen Zitzencanale der WiederkMier kund, indcn
auch bei der Stute eine ausgebuchtete Erweiterung dee Canals z.<
reiche Uitchgänge aufnimmt. Vergl. hierüber die DarsteillUDgenßiiDULPBi <
I. c. Tnf. I. Fig. i und Taf. II. Fig. 4., femer die Bescbreifoung und Al>-
bihiung in L. Frake's Handbuch der Anatomie der Ha«stbiere. S. 09:
Dadurch gelangt man zu der Anpassung , dass die bei Wiederkauen
auf je zwei einer Seile angehörigen Zitzen vertkeihen Apparate bei der
Einhufern jedenfalb in einer einzigen Zitze vereint sind. Die Zilze einer
Stute würde demnach zwei Zitzen eines Wiederkäuers eiitspiTcheji.
und das gesammte Euter der Slule bezüglich der Ausfuhrwege sich viel
näher an das mindestens vier Zitzen tragende Euler der Wiederkauff '
anschliesseu, als es bei der blossen Beachtung der äusseren VerhsUoissf
der Zitze den Aoachein hat.
i } PragDwns sur Is straclure et \w Hsages dw Glandn maiiiDikires dps Ct-
Uc«es. Paris IStt.
») Die Celacaen. Stuttgart 4897. S. 177.
B) LefoDB sur la Pbysiolotiie. T. IX. p. IIS. Aoroerli.
_J
BeDerkuDgen über die Bükhdrtsen-Papilleu der S&ugetbiere. 209
hkise Verbindung von zwei MilchdrUsenoompIe.ten und die Ver-
einigong ihrer Ausführwege in eine Zitze nHSdile ich jedoch nichl direct
von einer Yerscliinelaung discret bestehender Zitzen ableiten , als viel-
mehr von einer allinählich stattfindenden Verschiebung der ersten
Anlage der Drüsen. Wenn man sidi rorsteilt, dass an der Stelle einer
jeden der beiden Zitzen die beim Rinde wie bei anderen Wiederkäuern
einfache Drilsenanlage (vergl. den Aufsatz von M. Huss) doppelt vor-
hamden ist, dass femer diese beiden Anlagen sich derart unter einander
verbinden, dass der für jede bestehende Gutiswall beide Einsenkungen
gemeinsam umzieht, aber auch zwischen beiden Anlagen hindurch ein
Septum entsendet, so wird man daraus die bei der Stute bestehenden
Verhältnisse ableiten kmmen. Diese Auffassung iQlsst keinen aus dem
Verhalten der Sirichcanäle , überhaupt aus dem inneren Raum der
Zitze zu entnehmenden Einwand zu , und wird also , indem sie dazu
dienl, doD doppelten Zitzencanai der Einhufer aufzuklaren, die Milch-
ausführwege des Euters der letzteren mir jenem der Wiederkäuer in
engeren Zusammenhang zu bringen.
Die beiden Typen der Papille vertheilen sich also derart über die
Sttugethiere, dass die eine auch beim Menschen bestehende, den Affen,
HeifaoffiMi, Camivoren, Edentaten, Nagern, dem Elephant, Rhinoceros,
und den Sirenen, der anidere den Celaeeen, Wiederkäuern und Einhufern
zukommt. Vermittelnde Formen sind in diesen Abtheilungen nicht be-
kannt geworden. Von um so grösserer Bedeutung ist die Thatsache, dass
unter den Beutelthieren ein die beiden extremen Papillenlbrmen der
monodelphen Stfugethiere vemiittelnder Zustand gefmiden wird.
Nach den ünievsucfaungen von i. Moa€Aif ^) erscheinen bei jungen
KäBgwuhS' die vier Zitzen als wenig bedeutende Erhebungen oder Port-
sütflte des Integumentes, Gebilde, deren terminale Fläche eine Grube auf-
weist. Diese leitet in einen die Zitze durohsetvMKlen Canal, an dessen
Ende ein papiUenartiger KKrper vorspringt. Des letzteren Olierfläche
wird von den Mündungen zahlreicher MHchgänge durchsetzt. Dieser
Befand scheint sich bis zu jener Periode zu erbalten , in welcher das
Thier seine Jungen säugt. Alsdann tritt die Papille aas dem Grunde des
Gattates hervor und steht, vom Munde des Jungen urafasst, am freien
Ende einer ziemlich langen Zitze. Ob das Hervortreten der Papille durch
das Junge besorgt wird, ist unbestimmt. Die terminale PapiNe erscheint
dabei den Grüssenverhältnissen des Mundes der saugenden Jungen ange-
passt, und bei ausgewachsenen Weibchen giebt sich auch fernerhin eine
solche Anpassung der Zitzen an das Wachsthum der Jungen zu erkennen,
1) TrensHClioDB of the Linnean Society. Tume XYI. S. 64 und S. 455.
210 C. Gegenluat,
worüber ich bezüglich des Näheren ebensc
weise , wie bezU^t^ der Verschiedenheit
und hinteren ^ilzenpaares. Das Wesentliche des aufgeführten BefuDde>
wird darin zu suchen sein, dass der Zustand der Zitze zu vei^chiedeDf r.
Zeiten verschieden ist , dass vor der [.actatioD die Zitze von einen'
durchbohrt erscheint, in dessen Grund die HÜDdungeD def
tlsengänge angebracht sind , während mit der PunctJon der Zitzr
isUllpung erfolgt, durch wdcbe die auf einer Papille ausmünden-
Ichgänge auf die Spitze der Zitze gelangen.
iese beiden an einer und derselben Zitze erscbei-
!» Zustände entsprechen den beiden oben fe-
ierten Typen der Zitze. Der zweite bei Wiederkäum
inhufem herrschende Typus entspricht im Wesentlicfaen deni
Zustande der Zitze bei Känguruhs, sowie der erste Typus niil
lätem Befunde der Zitze bei den genannten Beutelthieren itber-
mt.
e einfach perforirte Zitze der Wiederiiaaer kann daher ebens« '
! mehrfad) von Hilchgangen durchsetzte Papille der Hebrzahl der
liierabtheilungen von einer bei einer Gruppe der Beut«Ilhierr
irtbestebenden Einrichtung abgeleitet werden, und diese erschein'
andern differenzirteren, weil nicht mehr beidertei Befunde Ver-
den Verhältnisse gegenüber als ein Zustand der lndiff<»%nz.
ch diese nach beiden so divergenten Richtungen auflöste, wird
tand einer besondem ErwSgung sein müssen.
IS primäre Verhalten der Zitze bei Känguruh's wird als der nie-
ustand beurtheilt werden dürfen, da es vom zweiten Zusland
gesetzt wird, und diesen aus sich hervorgehen lässt. Wir können
ne Fonn mit jener bei Wiederkäuern verknüpfen, wenn wir an-
n , dass das neugebome Junge ]nicht jener kleinen im Innern der
geborgenen, die Mündungen der HilchdrOsengänge tragendeo
bedarf, um an der Zitze sich anzusaugen, dass vielmehr das
seines Hundes ihm gestattet, die primäre Zitze selbst aufzu-
D. In diesem Falle wird eine gewisse GrSsse der neugeborenen
I vorausgesetzt werden müssen', welche zugleich die didelpbe
ege ausschliesst , oder doch wenigstens nicht in dem Haasse
, wie er bei den Halmaturen noch besteht. Man wird sich vor-
kfinnen, dass mit dem allmählidien Schwinden des Didelphismus
leslimmten Sät^thierform und der dabei durch das längere For-
a erzielten GrOssenzunahme des neugebomen Jungen die im
der primären Zitze befindliche Papille allmählich nidit mehr in
idung kommt, indem bald nur das Ende der primären litte
d
BemerkniigeD ober die Hilchdrösen-Papillen der Süagethiere. 211
crfasst wird, aus welchem jetzt ein einziger Ganal die Milch ausleitet.
IMe fortgesetzte Vererbung dieser Praxis mu^ dann von einer allmäh-
lichen Rückbildung der im Grunde des Zitzencanals geborgenen Papille
begleitet sein , wodurch die Milchdrttsengänge einfadi in dem Grunde
des Ganais zur Mündung kommen. Die hier bei Wiederkäuern u. s. w.
sich findende Erweiterung des Canals zu einem sinuösen Milchbehälter
virird dann als eine fernere , aber für unsere Zwecke minder wichtige,
wieder aus einer Anpassung erklärbaren Veränderung zu betrachten
sein. So erscheint also ein eigenthümlicher Typus der Zitze bei einer
Abtheilung monodelpher Säugethiere aus einer bei Didelphen bestehen-
den Zitzenform ableitbar.
Bestärkt wird die Richtigkeit dieser Ableitung nicht wenig durch
den in der bezüglichen monodelphen Säugethiergruppe (der Schweine,
der Wiederkäuer und der Einhufer) waltenden hohen Ausbildungsgrad
der neugebomen Jungen, im ^Gegensätze zu den meisten anderen Ab-
theilungen der monodelphen Säugethiere, deren Junge einen minder
hohen Reifegrad mit zur Welt^bringen.
Der andere Zitzen -Typus ist in gleicher Weise von der geschil-
derten Form der Halmaturen-Zitze ableitbar,' und zwar vom zweiten
Zustande derselben, der durch die terminal gestellte, von mehrfachen
Milchdrttsengängen durchsetzte Papille ausgezeichnet ist. Diese Form
ist als die höhere und differenzirtere bezeichnet worden. Man kann sie
in den entsprechenden Zitzen -Typus der monodelphen Säugethiere
überleiten durch die einfache Annahme , dass der bei den Ränguruh^s
sich jedesmal wiederholende Act des Hervortretens der Papille aus dem
sie umgebenden Zitzen-Schlauche allmählich sich derart vererbt hat,
dass er in einer immer früheren Lebensperiode sich bildet. Der aus
einer Anpassung an das säugende Junge temporär erworbene Befund
fixirt sich, und wird zu einem constanten Charakter. Das Hervortreten
der Papille erscheint dann als das sich vererbende Moment, welchem
der von Huss geschilderte Vorgang der Erhebung der Papille aus dem
Grunde der vom Drüsenfelde eingenommenen Einsenkung entspricht.
Der Zitzenschlauoh ist in diesem Stadium durch den die Einsenkung
umziehenden Gutiswall repräsentirt, und die Einsenkung selbst erscheint
dem Ganale homolog der bei Känguruh's den Zitzenschlauch bis zu dem
Papülenvorsprung hinab durchsetzt. Bei den meisten Beutelthieren
scheint diese Vererbung bereits stattgefunden zu haben , so dass sich
der Typus ihrer Zitzen dem jener Gruppe von Monodelphen nähert, zu
welcher auch der Mensch gehOrt.
In vorstehender Deduction habe ich also im anatomischen Verhalten
der Zitzen einer Abt^ lupialia das Verbindungsglied von
Bd. VII. s. U
212 C. Gegenbuir,
twet bei den monodelpheo SSugethieren sehr difierenl erscheineDd'!
ZitzeDbildungen aufgedeckt, so dass diese sich nicht mehr fremd gegeo-
Uberstehen, und auch in ihren genetischen Beziehungen ToUkommi.":
verständlich erscheinen werden. Es bleibt nun noch die EigenthUni-
lichkeit der Känguruh-Zitze zu erklären, eine Form, die an sich unver-^
ständlicfa ist. Dana wenn die im Grunde des Zitzenschlaucbes liegend.
Papille in Function kommend vom Hunde des saugenden Jungen unifa».<:
werden soll, so muss sie erst aus dem Grunde des Schlauches hervor-
treten, und damit das freie Ende der Zitze bildend, in ein Verhältnis'
eingehen, welches nicht ursprünglich gegeben ist, nicht als ein ererblt^
und damit typisches erscheint. Die Erklärung wird also sich weseoilirl.
auf den primären Zustand jener Beuteltbieriitze zu richten und nach-
zuweisen haben, in wiefern dieser Zustand auf einer Vererbung
begründet sein kann. Lässt sich eine mit jenem primären Zustand
congruente Form des AusfUhrungsapparates der HilchdrUsen auCQnden, ,
welche zugleich die Anpassung an eine bestimmte An der Function ,
ausdruckt , so wird man diese Form unbedenklich mit jenem primärpn j
Zustand der Känguruh- Zitze in Verbindung Imngen dürfen, Indem
letztere dann von ihr sich ableiten lässt.
Die Ldsung dieser Frage kann .von den Monotremen aus unter-
nommen werden. Die beiden bis jetzt bekannten Monotremen-GatlungeD
bieten bezüglich des Baues ihres Säugeapparates ebenso bedeutende
Uebereinstimmungen als einige bemerkenswerthe Verachiedeoheiteij
dari). Bei Omitborhynchus findet sich jederseits in der mittleren
Bauchgegend eine, wie es scheint, wenig vertiefte nur durch elw,i>
dunklere Färbung der Cutis angezeichnete Stelle des Integumentes,
an welcher eine grosse Anzahl von Drtlsen mit discreter Oeffnung zui
Ausmündung kommen. Nach langem von einer Anzahl von Forschem
aber die Deutung dieser Drüsen geführtem Kampfe Sei bekanntlidi die |
Entscheidung zu Gunsten des mammalen Charakters des Schnabel- '
ihieres aus, und die Bedeutung jener Drüsen als Milchdrüsen wanl
allgemein angenommen. Da eine Papille fehlte, auch bei oßenbar im
Lactationsgeschafte begriffenen Weibeben keine Andeutung zeigte, da
ferner die Configuration der Hundoi^ane des unreif geborenen Jungen
zum activen Ei^reifen und Umfassen eines Tbeiles der bezüglichen
das Drüsenfeld vorstellenden Inlegumentfläche in keiner Weise geeignet
erschien, so konnte man sich nur der Vorstellung hingeben, dass das
<] Vergl. vorzüglicb J. Fh.Heckel, Orailhorhyncbi paradoxl aoaUtme. Lipsiae.
1B14. Ferner Oweo. Phllosophical TranMctions 1811, S. BtT und Hiilo«. TransacL
ßemerkangeo Aber die MUobdrüsen-PApilleD der S&ogetbiere. 213
dem Drttsenfelde angelagerte Junge von der seoemirten Milch aufnehme,
ohne an der Mutter angesaugt zu sein. Der Mechanismus der Lactation
zeigt sich demnach auf der niedrigsten Stufe, und es ist mehr der müt-
terliche als der kindliche Organismus, dem die bedeutendere Rolle
zufällt. Der Umstand, dass das Junge sich nicht an der Mutter befestigt,
und demgemäss nicht von derselben weiter getragen wird, steht mit dem
Nestbaue des Thieres ebenso im Zusammenhange, wie dieser wieder
von dem die Begleitung der Mutter nicht gestattenden Aufenthalte der
Letzteren im Wasser abhängig erscheint (Owen) .
Weiter differenzirt ist das Organ bei Echidna, deren beide Milch-
drüsencomplexe im Grunde einer taschenförmigen Vertiefung des In-
tegumentes der Bauchfläche ausmünden. Das bei Omithorhynohen
oberflächlich gelagerte Drüsenfeld findet sich hier als Grund einer Haut-
tasche (marsupial or mammary pouch; Owbn.), welcher jedoch mit dem
Marsupium der Beutelthiere nur ganz oberflächliche Aehnliohkeiten dar-
bietet. Sie ist schon dadurch von diesen Bildungen verschieden , dass
jedes der beiden Drüsenfelder in einer besondem Tasche liegt, die also
eine jeder Mamma zukommende Bildung vorstellt, während das Mar-
supium der Beutelthiere ein den gesammten Drüsen gemeinsames, weil
sämmtliche Zitzen umschliessendes Gebilde ist.
Der das Drüsenfeld repräsentirende blinde Grund der Mammar-
tasche von Echidna besitzt ausser den zahlreichen Drüsenmündungen
keinerlei andere Bildungen, und namentlich ward eine Papille vermisst-
Am Eingange in die Tasche zeigt das Integument eine leichte Wulstung,
ist aber noch wie in der übrigen Umgebung mit Haaren besetzt, die ^st
gegen die Einsenkung spärlicher werden , woselbst die Cutis zugleich
sich verdünnt. Die Berücksichtigung der geringen Grösse der unreif
geborenen Jungen, sowie die Würdigung der Beschafienheit seiner
Mundorgane hat es Owen wahrscheinlich erscheinen lassen , dass das
Junge in die Mammartasche eingebettet wird, und dort mit seiner
breiten schlitzförmigen Mundöffnung die ernährende Secretionsflüssig-
keit aufnimmt, die durch die Wirkung eines Muskels auf die Drüsen aus
den Mündungen der letzteren austritt. Die Mammartasche wird dem-
nach zur Aufnahme des Jungen dienen, und damit functionell einem
Marsupium vergleichbar sein, wenn sie auch niemals mit einem solchen
homolog ist. Im Vergleiche mit Omithorhynchus entspricht sie einer
Weiterbildung des dort gegebenen Verhaltens, und erscheint als eine
vom Integument ausgehende Anpassung an das sich hier anlegende
Junge, welches dadurch von der Mutter mit umhergetragen werden kann.
Vergleicht man die Mammartasche von Echidna mit dem Verhalten der
primären Zit''^'^ * '" ^^ruh^s, so wird man die einzige bedeutendere
apille finden, die aber ebenso im
>msenfeld von Ecbidna. Wenn
Icbidna als eine Anpassung an
'en mtlssen , so wird der Cnnal
maturus, daniil in Beziehung
üb wie bei Echidna bestehenden
wird einmal eine Zeitlang dem
Dthalte gedient haben.
ithUmbchen Vcrhaltisn der pri-
1 Vererbung forterhallene Ein-
nt, in welchem das Junge sich
s noch bei Ecbidna fortbesteht.
i's repräsentirt nach dio-
ibo. Der gewulstete Hand der
labei der etwas stärkeren vom
li's vorgeslellten Erhebung dos
einer Papille im Grunde des
!hon im primären Zustande die
dieses Apparates aus, und
immartascbe von Echidna kein
I dem Besteben der Papille die
welchem das Junge nicht wie
eingebettet war, und von dem
Usenfeld selbst mit dem Hunde
[formte. Da ein solcher Zustand
ülle nothwendig angenommen
: Thatsacben bestehende Lücke
Die Rückbildung der Function
>parates wird erklärlich aus der
k)bald dieses sich bildet, bedarf
enden Hammartasche, da eben
tne Junge , sondern alle su-
es echt«n Harsupiams wird also
immarlasche sein. Andererseits
e hiermit in Einklang, insofern
gen am Drttsenfelde hervorgehl,
Integumente ausgehende , zur
filchdrüsenQffhungen (am DrU-
;ht mehr nolhwendig erschei-
..nform der KSnguruh's von der
Bemerkungen Ober die MilcbdrQsen-Papillen der Süiigetbiere. 215
Mammartasche der Monoiremen und wieder die Ableitung der Wieder-
käuerziUe von der primären Ziizenform jener Marsupiaten , endlich der
Zusammenhang der zwischen der secnndären Form der letzteren und
dem verbreiterten Zitzentypus der monodelphen Säugethiere besteht:
alle diese Beziehungen schliessen die mehrfachen Pormzustände einer
der ersten Ernährung der geborenen Jungen dienenden Einrichtung
enger an einander, und verweisen auf eine gemeinsame bei den Mono-
tremen bestehende Form, die, den niedrigsten, indifferentesten Zustand
vorstellend, als Grundform gelten darf. Die oben vorgefahrten ver-
schiedenen Zustände erscheinen als Differenzirungen dieser Grundform,
sie sich bei Omithorhynchus darbietet. Eine Anzahl Drttsen , die aus
weiter entwickelten, in bestimmter Richtung differenzirten Hautdrüsen
entstanden angesehen werden können, mündet jederseits auf einer
Hautstrecke des Abdomens aus. Diese Fläche repräsentirt, von zahl-
reichen Oeffnungen durchbohrt, das »Drüsenfeld«. Aehnliches besteht
auch noch bei Echidna, aber das Drüsenfeld liegt im Grunde einer vom
Integumente gebildeten Vertiefung, der Mammartasche, in welcher das
Junge sich einlagert.
Bei Beutelthieren tritt die Mammartasche aus ihrer Function, denn
es hat sich im Marsupium ein anderer Schutzapparat für die saugenden
Jungen gebildet. Morphologisch besteht eben die Mammartasche noch
in der primären Form der Zitze. Im Grunde der functionell rückgebil-
deten Mammartasche ragt eine das Drüsenfeld tragende Papille vor.
Diese tritt aus der Mammartasche vor, wenn das Junge sich ansaugt, und
bildet die Spitze der Zitze, deren Basis von der umgestülpten Mammar-
tasche vorgestellt wird.
Daraus leiten sich zwei verschiedene Typen der Zitzen ab. Der
eine ist bei den Wiederkäuern u. s. w. repräsentirt. Er legt sich sehr
frühzeitig, und dadurch auf eine sehr alte Ererbung den Schloss
gestattend, in Gestalt einer Mammartasche an, indem das vertiefte Drü-
senfeld von einem Cutiswall umzogen wird. Diese Anlage entspricht
dem Befund der Monotremen, vorzüglich bei Echidna. Bald wächst
die Wand der Mammartasche, resp. der Cutiswall, weiter in die Höhe,
und bildet die Zitze, deren Binnenraum — die ursprüngliche Mammar-
tasche — zu einem gemeinsamen Ausfuhrweg der am Drüsenfelde sich
»
öffnenden Milchgänge verwendet wird.
Im andern Typus zeigt die erste Anlage des Drüsenfeldes gleich-
falls eine Einsenkung, es besteht also auch hier die Spur einer Mam-
martasche (Vergl. die von Huss auf Taf. XHI. Figg. 5. u. 6. gegebene
Darstellung dieses Verhaltens beim Menschen), die deshalb von grösster
Bedeutung ist, weil sie als eine von einem niedem , nur noch bei den
y* >.-' ' -^
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216 C). GegenbAor,
Monotremen bestehenden Zustande ererbte Einrichtung sich darstellt.
Dieses Stadium verschwindet aber bald, indem die Einsenkung sich
erhebt und der Cutiswall sich abflacht. Da die centrale Erhebung vor
dem gänzlichen Verschwinden des Gutiswalles auftritt, wird an das
primäre Zitzenstadium der Beutelthiere (Halmaturen) , ein Anklang
gegeben , der noch durch die längere Dauer dieses Stadiums besonders
wichtig ist. Wir treffen dann den Cutiswall, wie er eine Vertiefung uni-
schliesst, aus der die lange Zeit sehr niedere Papille hervorragt Der
Cutiswall repräsentirt hier den Zitzenschlauch jener Beutelthiere , die
Vertiefung entspricht dem Binnenraume des primären Zitzenschlauches,
und die Papille eben demselben Gebilde, welches als Papille bei Hal-
maturen im primären Zitzenschlauche liegt. Dagegen schreitet die Er-
hebung des Drttsenfeldes weiter und lässt die Ausführgänge der Drttsen
allmählich auf die Spitze eines Vorsprungs, eben der Papille gelangen.
Indem der der Papille zugewendete Theil des Cutiswalles in die
Areola mammae übergeht, findet sich in letzterer ein der Zitze der
Wiederkäuer nothwendig fehlendes Gebilde. Denn wenn diese Fläche
der Innenwand der Mammartasche entspricht, kann sie bei Wieder-
käuern nur im Zitzencanale gesucht werden, ebenso wie sie bei
Halmaturus an die Aussenfläche der Zitze zu liegen kommt, sobald die
primäre Form der Zitze in die secundäre übergeht. In dem vom
benachbarten Integumente verschiedenen Verhalten der Areola mammae
drückt sich somit die letzte Spur einer Einrichtung aus , deren erste
Anfänge in ganz anderer functioneller Verwandung bis zu den Mono-
tremen hinab zu verfolgen sind.
Das volle Verständniss der Tragweite der Thatsache von der bedeu-
tenden Verschiedenheit der beiderlei Typen der Zitzen bei der Abtheilung
der monodelphen Säugethiere, lässt erkennen, dass die letzteren in mehr-
fachen , mindestens in zwei besonderen Stämmen, aus den Didelphen
hervorgingen. Der eine Stamm umfasst diejenigen, in deren Mammar-
tasche es entweder zu keiner Papillenbildung kam, oder wo die Papille
einer Rückbildung erlag, welche letztere Möglichkeit bereits oben
erwogen wurde. Hieher würden also die Schweine, die Wiederkäuer
und Einhufer gehören, indess die echten Cetaceen zwar im Allgemeinen
gleichfalls hier sich anreihen lassen , aber doch wieder in bemerkens-
werther Weise abweichen ^).
4) Die bedeutendste Eigenthümlichkeit der Cetaceen -Zitze erkenne ich in
ihrer Einlagerang in eine Hautvertiefung, die kaum anders als Mammartasche
zu deuten ist. Wäre die Zitze von mehrfachen Ausführgängen durchbohrt, so
würde die Erklärung des Gesammtverhaltens wenig Schwierigkeit darbieten. Da
aber das Drüsenfeld nicht an der Oberfläche der Zitze gesucht werden darf, so liegt
Beoerknngen aber die Milchdrfisen-Papillen der S&ogethiere. 217
Der zweite Stamm umfasst sdmmtlicheDeciduateD, denen noch die
Edentaten , aber auch Rhinoceros und die Sirenen aus der Abtheilung
der Indeciduata sich anschliessen. Was die Sirenen und Rhinoceros
betrifft , so ist deren Stellung unter die Indeciduata wegen der Unbe-
kanntschaft mit deren bezüglichen Einhtülen problematisch. Für die
Sirenen war die Annahme einer näheren Verwandtschaft mit dem Un-
gulateni specicU mit den Artiodactylen bestimmend für die Voraus*
Setzung eines mit letzteren gleichen Verhaltens der Placenta , ebenso
wie die Zugehörigkeit der Rhinoceroten zu den Perissodactylen aus
verwandtschaftlichen Verhältnissen mit Tapiren und Pferden gefolgert
ward. Ob diese Verwandtschaften wirklich in der bis jetzt fest-
gehaltenen Weise bestehen, wit*d nodMnals zu prüfen sein, nachdem
durch die Würdigung der Zitzen einige Zweifel erregt worden sind.
Mancher der hoch angeschlagenen Charaktere der Perissodactylen ver-
liert an Werth, sobald die Vergleichung sich über die Ungulaten hinaus
erstreckt , und durch die Verwandtschaft mit Hyrax wird ohnehin die
Stellung der Rhinoceroten als noch keineswegs aufgeklärt gelten dürfen.
Was die Eden taten betrifft, so ist deren Stellung zu den Inde-
ciduaten wohl sicherer, allein es bleibt bei dem mehr negativen Cha-
rakter dieser letzteren Abtheilung nicht ausgeschlossen, dass die
genannte Ordnung selbständig aus dem didelphen Stamme sich abge-
zweigt hat. Gegen let^tera Beziehung spricht nun keineswegs das
Verhalten der Zitzen , da eben bei den Didelphen die Ausbildung jener
Form dieser Organe hervorging, welche den Deciduaten ebenso wie
den Edentaten unter den Indeciduaten zukommt.
Indem ich die Bemerkungen schliesse, will ich noch beifügen,
dass ich damit nur einen Theil dieses Gebietes berührt habe, und zwar
jenen , welcher der anatomischen Prüfung noch am meisten zugängig
ist. Ein anderer, die Zahlen Verhältnisse der Miichdrüsengruppen und
ihrer Ausfübrapparate umfassender Gebictstheil blieb von mir deshalb
unberücksichtigt, weil die hier sich erhebenden Fragen noch keine
sicheren Angriffspunkte darbieten. Welche Rollen hierbei Vererbung
und Anpassung spielen, ist noch vollständig dunkel. Dass diese
Momente jedoch auch hier von grösster Wichtigkeit sind , dürfte eben
so sicher sein, als ihre hohe Bedeutung aus der eben ausgeführten
Vergleichung nicht zu verkennen sein wird.
hier ein Fall vor, der nicht so einfach auf den einen oder andern Typus zu beziehen
iAl. Die Möglichkeit, dass hier eine besondere, vielleicht direct ans dem didelphen
Zustande stammende Form besteht, ist zwar nicht sofort zurückzuweisen, allein es
bedarf hier vor Allem genauerer Untefsucbung.
Ueber die Producte der Einwirkung yon Natrium
auf ein Gemisch von Phosgenaetlier und lodaethyl.
Mit^etheilt von
A. Oeuther.
4. Mittheilung.
In der Nachricht über ihre Versuche mit Phosgenaether geben Wilm
und Wischin ^) an, dass sich derselbe mit Natrium gerade auf in Kohlen-
oxyd, Kohlensäureaether und Chlomatrium' spaltet und dass höchst
wahrscheinlich aus diesem Grunde ihre Versuche ein-, zwei- und drei-
basische Säuren synthetisch durch Eintragen von Natrium in ein Ge-
menge von Phosgenaether und den Haloidverbindungen der einatomigen,
zweiatomigen und dreiatomigen Alkoholradicale darzustellen nicht ge-
lungen seien. Etwas Näheres über diese Versuche wird aber nicht
berichtet. Da ich der Meinung war, dass bei der Einwirkung von Na-
trium auf ein Gemisch von Phosgenaether und lodaethyl jedenfalls be-
sondere durch Substitution hervorgehende Producte entstehen würden,
wenn auch nicht gerade die von Wilh und Wisghin Erwarteten, so
habe ich Herrn Dr. Franz Matthey veranlasst diese Reaction näher zu
Studiren. Seine Resultate, welche sich auf das nähere Studium der
dabei erhaltenen nicht sauren Producte beschränken, bilden den Inhalt
dieser ersten Mittheilung.
Natrium wirkt auf Phosgenaether für sich der Hauptsache nach in
der von Wum und Wisghin angegebenen Weise ein , es entsteht Na-
triumchlorid, Rohlenoxyd und Rohlensäureaether, daneben aber auch
Aethylkohlensaures Salz und eine geringe M^nge Oxalsaures Salz,
welche beide Körper als Producte der Einwirkung von Natrium auf
Kohlensäureaether gekannt sind^).
V) Annalen der Chem. u. Pharm. Bd. 147 p. 45S.
3) Verg]. diese Zeitschrift Bd. IV. p. 360. Eine andere Einwirkung als das
Deber die Producte der Einwirknng von Natrium etc. 219
Fügt man 2,5 Grm. Natrium in möglichst dünnen Scheibchen zu
der Mischung von 40 Grm. Phosgenaether und 20 Grm. lodaethyl,
welche sich in einem Kochfläschchen befindet, so tritt rasch Erwärmung
des Gemenges ein und man hat sofort die Verbindung mit einem um-
gekehrten Kühler herzustellen, um Substanzverlust zu vermeiden. Die
anfänglich nur schwache Gasentwicklung steigert sich rasch nach
einigen Minuten und wird , wenn man nicht bald für gute Abkühlung
durch kaltes Wasser gesorgt hat, sogar stürmisch. Das sich ent-
wickelnde Gas brennt an der Spitze mit leuchtender , unten mit blauer
Flamme. Es enthält nur Spuren von Kohlensäureanhydrid, dagegen viel
Kohlenoxyd und wahrscheinlich auch eine grössere Menge von Aethyl.
Nach Verminderung der Gasentvsdcklung kann die Reaction durch Er-
hitzen im Wasserbade auf 60 — 70® zu Ende geführt werden. Wird der
Rückstand im Kölbchen mit Wasser behandelt, so scheidet sich ein auf
der Salzlösung schwimmender öliger Körper ab , der mit Aether auf-
genommen werden kann. Nach Abdestilliren des Letzteren bleibt er
wieder zurück und zeigt der Rectification unterworfen einen von 1 00
bis %bO^ steigenden Siedepunkt. Um grössere Mengen desselben zu er-
halten , wurde nach mehreren Versuchen folgende Art der Darstellung
als die zweck massigste erkannt. Man umgiebt das Kölbchen, worin sich
die oben angegebenen Mengen von Phosgenaether und lodaethyl be-
finden, mindestens mit Eiswasser, noch besser mit einer Kältemischung,
und fügt erst nach einiger Zeit das Natrium in möglichst dünnen
Scheibchen und möglichst rasch zu, verbindet sofort das Gefäss mit
einem weiten umgekehrten Kühler, den man mit Eiswasser versehen
hat und lässt durch das offene Ende desselben etwa 20 Grm. gewöhn-
lichen wasserfreien Aether dazu fliessen. Dieser leitet die Einwirkung
sofort ein und vermindert die Heftigkeit derselben. Nach Verlauf von
45 — 20 Minuten ist dieselbe nahezu beendigt und nun kann der Kolben
allmählich im Wassorbade auf 70—800 erhitzt werden. Nach Verlauf
von etwa einer Stunde kann die Operation als beendigt angesehen
werden. Nur bei Anwendung einer Kältemischung ist es möglich 45
Natrittm übt das Zink auf den Phosgenaether, derselbe wird nämlich beim Er-
hitzen damit am umgekehrten Kühler im Wasserbade noch unter seinem Siede-
punkt hauptsächllbh in Aethylchlorid und Kohlensäureanhydrid zersetzt, ohne dass
am Zink eine Veränderung zu bemerken wäre. Es ist dies dieselbe Zersetzung, welche
der Phosgen^ther nach Wilm und Wiscrin erfährt, wenn er für sich bis gegen 4500
erhitzt wird. Das gleichzeitige Auftreten aber von Chlorwasserstoff dabei deutet
noch eine andere Zersetzung an, welche vielleicht unter Entstehung von Leuchtgas
vor sich geht. Amalgamirtos Zink und Zinkstaub wirken ebenso , letzterer aber
bei niedrigerer Temperator. Platinschwamm ttbt diese Wirkung nicht.
220 A. Genther,
oder höchstens 20 Grm. Phosgenaether auf einmal zu verwenden. Der
Kolbenrttckstand wird mit Aether wiederholt ausgezogen, der aetherische
Auszug mit etwas Wasser gewaschen , über Chlorcalcium völlig ent-
wässert und der Aether aus .dem Wasserbade vorsichtig abdestillirt.
Letzterer enthält das noch unverändert gebliebene lodaethy 1 , während
der Rückstand, dessen Menge bei Anwendung von 40 Grm. Phosgen-
aether höchstens 3,5 Grm. betrug, das Höhersiedende darstellt. Gegen
600 Grm. Phosgenaether wurde auf diese Weise behandelt.
Bei der mit der Gesammtmenge des erhaltenen höher siedenden
Productes vorgenommenen Rectification stieg das Thermometer von
1 00— 360<>, es blieb dann noch neben abgeschiedener Kohle eine braune
zähflüssige in Aether lösliche Masse in geringer Menge zurück, die nicht
weiter untersucht wurde. Durch wiederholte Destillation, wobei immer
unter Abscheidung von Kohle noch geringe Mengen Höchstsiedendes
übrig blieben, konnte der Siedepunkt des schliesslich unverändert
Destiilirenden bis auf 260^ erniedrigt werden. Was über dieser Tem-
peratur überging, Hess keinen cons(anten Siedepunkt bemerken, wäh-
rend bei dem bis dahin Destiilirenden 3 Siedepunkte erkennbar
schienen, nämlich einer bei 120 — 130^, ein anderer bei 180 — 190^ und
ein dritter bei 250—2600.
Die sehr nahe liegende Vermuthung , dass das zwischen 1 20 und
430<) Destillirende, welches mehr als die Hälfte der Gesammtmenge
ausmachte, der Hauptsache nach ausKohlensäureaether bestehen werde,
hat sich durch die Untersuchung bestätigt. Das bei 126^ dem Siede-
punkt des Kohlensäureaethers Uebergegangene wurde analysirt:
0,2726 Grm. gaben 0,5308 Grm. Kohlensäure, entspr. 0,4 448
Grm. = 53,4 Proc. Kohlenstoff und 0,2445 Grm. Wasser, entspr.
0,0238 Grm. =8,8 Proc. Wasserstoff.
Da dieses Resultat der Zusammensetzung des Kohlensäureäthers,
welcher 50,8 Proc. Kohlenstoff und 8,^ Proc. Wasserstoff enthält, nicht
genau entsprach , so wurde wiederholt rectificirt und wieder analysirt.
Gefunden wurden einmal 54,3 Proc. Kohlenstoff und 8,8 Proc. Wasser-
stoff, ein anderesmal 54,7 Proc. Kohlenstoff und 8,8 Proc. Wasserstoff*.
Diese immer noch bestehende nicht unwesentliche Abweichung der
analytischen Resultate mit den berechneten führte zur Vermuthung,
dass di'e ihren sonstigen Eigenschaften nach sich als Kohlensäureäther
charakterisirende Substanz noch mit einem kohlenstoff- und wasser-
stoffreicheren Körper gemengt sein müsse , der sich durch Destillation
nicht entfernen lasse , eine Vermuthung, die sich vollständig bewahr-
heitete.
Um dieses vermuthete Product, welches durch Rectification des
Uebcr die Prodaete der Einwirkung von Natrinm etc. 221
Kohlensäureäthers daraus abzuscheiden nicht gelang, zu eriialten,
wurde die Gesammtmenge des Letzteren durch Kochen mittelst über-
flüssiger Natronlauge in einem mit einem umgekehrten Kühler verbun-
denen Kolben vollständig zersetzt. Die übriggebliebene auf der wäss-
rigen Lösung schwimmende ölige Flüssigkeit wurde von jener getrennt
und zur Entfernung etwa darin enthaltenen Alkohols mit Calcium-
Chloridlösung geschüttelt, entwässert und rectificirt. Sie ging zwischen
400 und 180<> über, das niedrigst übergehende enthielt noch Alkohol,
die zwischen 130 und 440^ übergegangene Portion wurde analysirt und
ergab: 68,9 Proc. Kohlenstoff und 12,7 Proc. Wasserstoff; die Höchst-
siedende bei 479<> destillirte Parthie wurde gleichfalls analysirt und
ergab : 66,5 Proc. Kohlenstoff und 4 0,9 Proc. Wasserstoff. Diese beiden
Producte , welche dem Kohlensäureäther beigemengt waren, sind also
kohlenstoff- und wasserstoffreicher als dieser und erklären die bei der
Analyse desselben gefundenen Abweichungen. Da ihre Menge indess
zu gering war, um eine völlige Trennung durch Destillation zu gestatten,
so wurde von dieser hier Abstand 'genommen. Dass beides noch keine
reinen Producte waren, geht aus den analytischen Resultaten hervor,
welche zu keinen einfachen Formeln führen.
Die Trennung der über 430^^ siedenden Producte durch frac-
tionirte Destillation war äusserst schwierig und mühsam. Nach wochen-
langem Rectiflciren wurden ausser den immerhin noch beträchtlichen
Zwischengliedern 2 Portionen erhalten , welche als möglichst rein an-
gesehen werden konnten , eine solche , welche bei 4 79^ destillirte und
eine solche, welche bei 249<^ überging. Beide waren gelb von Farbe
und wurden analysirt.
Das bei 479<^ Uebergegangene ergab: 64,0 Proc. Kohlenstoff und
4 4,4 Proc. Wasserstoff; nach nochmaliger Rectification aber: 64,7 Proc.
Kohlenstoff und 10,8 Proc. Wasserstoff; und nach einer dritten Recti-
fication dieselben Resultate.
Das bei ii9^ Uebergegangene ergab: 72,0 Proc. Kohlenstoff und
40,8 Proc. Wasserstoff und nach nochmaliger Rectification : 72,8 Proc.
Kohlenstoff und 40,4 Proc. Wasserstoff.
Da diese beiden Producte eine saure Reaction zeigten und ausser
ihrem Siedepunkte kein Kriterium vorhanden war, woraus sich ihre
Reinheit ergeben hätte, im Gegentheil die Yergleichung der gewonnenen
analytischen Resultate des bei 179® Desüllirten mit denen, welche das
aus dem Kohlensäureäther nach der Behandlung mit Natronlauge erhal-
tene Product von eben dem Siedepunkt ergab, ihre Unreinheit wahr-
scheinhch machte, so wurden dieselben mit überschüssiger starker
Natronlauge unter häufigem Umschütteln in zugescbmolzenen Röhren
222 A. Geutber,
im Wasserbade so lange erhitzt, als noch eine Abnahme ihres Volums
zu bemerken war, darauf von der Natronlauge getrennt, mit Calcium—
Chloridlösung gewaschen und entwässert. Durch die Natronlauge hatte
sich bei beiden das Volum vermindert, am meisten war dies bei dem
bei 4790 Destillirenden der Fall und. durch Kochen der Natronlauge
konnte bei beiden eine wie Alkohol riechende Flüssigkeit überdestilUri
werden, welche sich nach wiederholter Rectification über Aetzkalk auch
als gewöhnlicher Alkohol erwies. Derselbe konnte nichts anderes, als
das Zersetzungsproduct einer Substanz sein, welche dem bei 4 79^ Sie-
denden in grösserer, dem bei 249^ Siedenden in geringerer Menge bei-'
gemengt war und deren Siedepunkt also offenbar zwischen den Siede-
punkten beider Producte, aber näher an 479^ als an 249<^ liegen musste.
Als die so gereinigten öligen Producte nun wieder destillirt wurden, ging
bei beiden , bei dem von 4 79^ Siedepunkt aber mehr als bei dem von
249^ Siedepunkt, eine Parthie schon zwischen 430 und 440<> über,
ganz von der Art, wie sie schon bei der Zersetzung des Kohlensäure-
aethers durch Natronlauge erhalten worden war. Dasselbe musste also
ein 2. Zersetzungsproduct jener Substanz sein, die schon den Alkohol
geliefert halte. Als 3. Zersetzungsproduct fand sich bei der Natron-
lauge noch Kohlensäure. Nach dieser Erfahrung wurden nun auch
die Zwischenglieder von 450—4790 und von 4 80 — 249<> Siedepunkt der
gleichen Behandlung mit Natronlauge unterworfen und dieselben 3 Pro-
ducte: Alkohol, Kohlensäure und das zwischen 430 und 4 40<^ Siedende
erhalten. Die Menge des letzteren Productes war im Ganzen nun so
bedeutend geworden , dass eine vollkommene Reindarstellung möglieb
war. Dasselbe erwies sich als dasselbe
Dlaethylaceton^
welches Franklaio) und Düppa *) durch Zersetzung des Diaethyldiacet-
säureaethers mittelst alkoholischer Kah'lösung oder mittelst Barytwasser
neben Kohlensäure und Alkohol erhalten haben. Die Analyse einer
zwischen 4 3 4 und 4 38» übergegangenen Parthie ergab 73, 6 Proc. Kohlen-
stoff und 42,2 Proc. Wasserstoff. Die Formel: C^H^O erfordert:
73,7 Proc. Kohlenstoff und 42,3 Proc. Wasserstoff.
FRAifKLAiiD lind DupPA geben den Siedepunkt ihres Diaethylacetons
zu 437,5 bis 439» an und das spez. Gewicht bei 22o zu 0,847. Das
von der analysirten Substanz beobachtete spez. Gewicht war 0,820 bei
4 30. Die Verbindung besitzt ausserdem auch noch den übereinstim-
menden Geruch , so .dass an der Identität beider Producte wohl nicht
gezweifelt werden kann.
4) Annal. d. Ghem. u. Pharm. Bd. 438. S. 242.
Geber die Produete der Giu Wirkung von Natrinm etc. 223
Da nun das Diaethylaceton zugleich mit Alkohol und Kohlonsüure
durch Einwirkung starker Basen aus den Diaethyldiacetsyureacther ent-
steht und da auch diese 3 Körper gleichzeitig als Zersetzungsproductc
unter analogen Umständen in unserem Falle auftraten , so ist es sehr
wahrscheinlich, dass auch unter den öligen Producten Diaethyl-
diacetsäureaether^ dessen Siedepunkt nach FaiiNKLAND und Duppa
bei 240 — 212<' liegt, mit enthalten war und dieser Aether also ein
unmittelbares Product der Einwirkung von Natrium auf
ein Gemenge von Phosgenaether und lodaethyl ist. Bei-
nahe zur Gewissheit wird dieser Schluss aber durch die Vergleichung
der nun erhaltenen analytischen Resultate der übrigen Substanzen mit
den früher gewonnenen.
Durch emeuete vielfache Rectificationen des vor der Behandlung
mit Natronlauge bei 4 79^ siedenden Productes konnte eine Aendorung
der Siedetemperatur nicht wahrgenommen werden. Die auch jetzt
noch bei il9^ (corr. bei 182,5<>) siedende ölige Flüssigkeit gab aber bei
der Analyse folgende Resultate :
0,4965 Grm. lieferten 0,4955 Grm. Kohlensäure und 0,4998 Grm.
Wasser, entspr. 0,4 3544 Grm. = 68,8 Proc. Kohlenstoff und 0,02122
Grm. = 44,3 Proc. Wasserstoff.
Nachdem die Substanz noch wiederholt rectificirt worden war,
ergab sie folgende Zahlen :
0,474 4 Grm. lieferten 0,4350 Grm. Kohlensäure und 0,4725 Grm.
Wasser, entspr. 0,44864 Grm. = 69,2 Proc. Kohlenstoff und 0,049467
Grm. = 44,2 Proc. Wasserstoff.
Aus diesen Resultaten leitet sich für die Substanz die Formel:
Cm^H)^ ab.
Vor der Behandlung mit Natron-
. gef. lauge wurden erhalten :
C» =68,4 68,8 69,2 64,0 64,7
H>« = 44,4 44,3 44,2 44,4 40,8
O^ =20,2 — — - —
400,0
Die Verbindung ist im reinen Zustande fast farblos , besitzt einen
an Terpenthin erinnernden Geruch und einen brennenden hintenach
bittern Geschmack. Ihr spez. Gewicht wurde bei 42^ zu 0,898 ge-
funden. Beim Erhitzen mit concentrirter Natronlauge bleibt sie unver-
ändert. Sie reagirt neutral, lieber den chemischen Charakter derselben
lässt sich nichts mit Bestimmtheit angeben , wahrscheinlich ist sie ein
acetonartiger Körper. Vom Diaethylaceton: CHl^^O unterscheidet sie
sich in der Zusammensetzung durch ein Hehr von C^^O.
'< -N
224 A. Geniher, Deber Ait Prodncte der Einwirkaog ?on NatriiUD eto«
Die Rectification des früher bei 249^ siedenden Productes ergab,
dass auch hier der Siedepunkt durch die Behandlung mit Natronlauge
nicht verändert worden war, wohl aber die Zusammensetzung.
0,2462 Grm. des bei 249» übergegangenen Antheils ergab 0,641 4
Grm. Kohlensäure und 0,2433 Grm. Wasser, entspr. 0,46675 Grm. =
77,4 Proc. Kohlenstoff und 0,0237 Grm. = 44,0 Proc. Wasserstoff.
0,2770 Grm. des noch wiederholt rectificirten Productes lieferten
0,7949 Grm. Kohlensäure und 0,2737 Grm. Wasser, entspr. 0,24 679
Grm. = 78,3 Proc. Kohlenstoff und 0,03044 Grm. = 44,0 Proc. Wasser-
stoff.
Aus diesen Resultaten lässt sich für das Product die Formel:
G20H34O2 ableiten.
Vor der Behandlung mit Natron-
j^gj. gef. lauge wurden erhallen :
C20 = 78, 4 77,4 78,3' 72,0 ' 72,2
H34=44,4 44,0 44,0 40,2 40,4
02 =4 0,5 — — — —
400,0
Diese Verbindung isl ein gelbliches Oel, das beim jedesmaligen
Destiiliren unter Bräunung eine geringe Zersetzung erleidet. Im Geruch
und Geschmack ist es der vorhergehenden Verbindung verwandt. Sein
spez. Gewicht wurde bei 42<> zu 0,934 gefunden. Es ist dickflüssig
und bei Winterkälte zähe. Ueber seine chemische Natur lässt sich
ebenfalls nichts bestimmtes aussagen, seine Formel setzt sich zusammen
aus 2 C7H140 (Diaethylaceton) + 3 C2H2.
Vergleicht man die analytischen Resultate , welche vor der Rei-
nigung der beiden letzteren Producte mittelst Natronlauge erhalten
wurden mit denen, welche nach der Reinigung damit erhalten wurden,
so ergiebt sich, dass früher eine bedeutend geringere Menge Kohlenstoff
und eine geringere Menge an Wasserstoff gefunden wurde , wie es der
Fall sein musste , wenn das frühere Product noch mit Diaethyldiacet-
Säureäther G^^^H^sos^ welcher nur 64,5 Proc. Kohlenstoff und 9,7 Proc.
Wasserstoff enthält, veruneinigt war. Dieser Thatbestand , zusammen
mit dem oben auf Seite 222 u. 223 angegebenen macht also das Vor-
handensein des Diaethyldiacetsäureaethers unter den Pro-
ducten der Einwirkung des Natriums auf das Gemenge von Phosgen-
aether und lodaethyl fast zur Gewissheit.
Jena, Ende December 4 874 .
Ueber Sdadopitys und PhyUocladns«
Von
Dr. Eduard Strasbnrger.
1) Sciadopitys verticillata.
Diese schöne japanesische Schirmiichte wurde unter ihrem jetzigen
Namen M zuerst von ZuGGAiinii in Sibbolo's Flora japonica Bd. IL fasc. 4 .
beschrieben und auf 2 Tafein (101 und 102) dai^estellt. Die
eigenthümiichen Nadeln derselben hat vor Kurzem Hugo v. Mohl ^) zum
Gegenstand einer besonderen Arbeit gemacht. Auf anatomische Merk-
male sich stützend, kam v. Mohl zu dem Resultate, dass die biattartigen
Gebilde, die in den Achseln kleiner Schuppen an der erwachsenen
Pflanze auftreten, nicht einfache Blätter seien, sondern der Verwachsung
der beiden ersten Blätter eines im Uebrigen verkümmerten Achsel-
sprosses ihre Entstehung verdanken. Diese Angabe widersprach
früheren Deutungen : so derjenigen von ZuccARiifi , der sie für gewöhn-
liche, der Axe unmittelbar abstammende Blätter hielt (1. c. Bd. II.
p. 3) — (siehe auch Partatore in Decaiidollb^s Prodromus Pars. XYI.
p. 435) und denen von Al. Digkson (in SsEXAn's Journal of Botany IV.
1866, p. 22 i) der sie für phylloide Stengel (phylloid shoots) analog
denen von Phyllocladus , erklärte. Aus einer Stelle bei Engelhann
» lieber die Charaktere der Abietlneen-Genera « in der bot. Zeit. 1 866,
p. 486, geht hervor, dass derselbe sie übrigens auch, als aus 2 ver-
wachsenen Blättern entstanden aufgcfasst hatte und sprach er diese
Aussiebt auch in der Sitzung der Naturfreunde in Berlin (1868 p. 14)
aus, ohne sie jedoch eingehender zu motiviren.
1 ) Früher als Taxus verticillata. Thomberg, flora Jap. p. 176.
%) Morphologische BetrachtungeD des Blattes von Sciadopitys. Bot. Zeit. 4874,
401 und 4 OS.
226 I^r. Eduard Strasburger,
Mir schien es von Wichtigkeit die von Hugo . v. Mohl anatomisch
gewonnenen Resultate entwicklungsgeschichtlich zu prüfen und eine
kräftige Pflanze von Sciadopitys verticillata im hiesigen botanischen
Garten bot mir di^ Gelegenheit hierzu.
Bekanntlich wechseln an der entwickelten Pflanze verlängerte
Internodien , die an hervorragenden Pulvini nur verkümmerte , schup-
penartige Blätter tragen, mit sehr kurzen Internodien ab, wo in den
Achseln dieser Schuppen die langen, nadelfbrmigen Gebilde stehen,
scheinbar einen Quirl um die Axe bildend. Diese blattartigen Gebilde >)
sind linienförmig, an der stumpfen Spitze eingeschnitten, auf der
oberen Seite convex, auf der unteren Seite ziemlich abgeflacht; in der
Mittellinie beider Seiten verläuft eine Furche , welche auf der oberen
Seite seichter ist, dieselbe schöne, grüne Farbe und den gleichen Glanz
wie die übrige Oberseite des Blattes besitzt , während die Furche der
Unterseite tiefer und breiter ist und sich durch eine matte , gelblich-
weisse Färbung auszeichnet. Die anatomische Untersuchung zeigt, dass
diese Gebilde von 2 in sich abgeschlossenen vollkommen freien Gef^ss-
bündeln durchzogen werden, diese Gefössbündel sind um ein Drittel des
ganzen Blattdurchmessers von eii^ander entfernt, ihre Markstrahlen sind
nicht unter einander parallel , sondern divergiren stark nach der Ober-
seite des Blattes hin; doch was besonders hervorzuheben ist, ihr Holz
ist nicht wie gewöhnlich der Oberseite, sondern der Unterseite zuge-
wendet; sie kehrem dem entsprechend ihren Bast nach oben. v. Mohl
schloss aus diesem Umstände, wie auch aus anderen anatomischen
Thatsachen , dass diese blattartigen Gebilde aus der Verwachsung der
beiden ersten Blätter , einer im übrigen verkümmerten secundären Axe
entstanden seien. Es sind die beiden einzigen Blätter derselben , denn
an ihrer Basis ist nichts von anderen blattähnlichen Gebilden zu be-
merken ; dass es Blätter sind und nicht Phyllocladus ähnliche Cladodicn
wie es Al. Digkson behauptete, erkannte von Mohl aus dem Vorhanden-
sein eines nur den Goniferenblättem eigenen Gewebes, das er als
Transfusionsgewebe 2) bezeichnet und das ihre Gefässbündel um-
schliesst. Endlich folgt, seiner Annahme nach, aus der Stellung der
Bündel , dass die beiden Blätter hier mit ihren gegen die primäre Axc
des Triebes hingewandten Rändern verwachsen sind , dass daher die
4) V. Mohl 1. c. p. 8.
2) 1. c. p. 42. Ein Gewebe, das den Uebergang vom Gefössbündel zum umge-
benden Gewebe vermittelt und in welches das Gef&ssbündel sich allmälig in der
Blattspitze auflöst. Dieses Gewebe scheint den Uebertritt des Saftes aus den Gefäss-
bündeln zum Parenchym des Blattes zu erleichtern.
^•"
Ueber Sciadopitys und Phyllocladus. 227
scheinbar obere Seite des Doppelblaites organographisch als die Unter-
seite aufzufassen sei^}. Gestützt wurde diese Deutung auch durch
einen Vergleich mit jungen Samenpflanzen, wo die Cotyledonen
und die ersten auf dieselben folgenden Blätter einfach sind, ohne
Stülzblatt auftreten, keinen Einschnitt an der Spitze haben und dem-
entsprechend auch nur ein einziges Bündel besitzen, das sein Holz nach
oben und seinen Bast nach unten kehrt.
Die gegebene Deutung konnte auch nicht entkräftigt werden durch
das Auftreten , ja durch das Beschränktsein der Spaltöffnungen auf die
untere Furche des Blattes (also auf die ermittelte organographische
Oberseite] während die Cotyledonen und ersten einfachen Blätter von
Sciadopitys ihre SpaltOflfhungen nur auf der Unterseite tragen ; denn
auch bei anderen Coniferen befinden sich bei ungewöhnlicher Blatt-
Stellung die Spaltöffnungen häufig auf der aufwärts gerichteten Seite,
so z. B. bei Thujopsis, Libocedrus, bei Juniperusarten etc.
An der Reimpflanze folgen auf die beiden lineal-lanzettförmigen
Samenblätter die, dem ersten sehr verkürzten Jahrestriebe angehörenden
einfachen Laubblätter (mit ungetheilter Spitze und einfachem Gefäss-
bündel), mit den Samenblättern zusammen einen Scheinquirl bildend.
Der nächste Jahrestrieb besitzt schon, abgesehen von der schwächeren
Entwickelung , vollkommen die Organisation der späteren Triebe; der
untere Theil desselben besteht nämlich aus verlängerten Internodien
mit verkümmerten schuppenartigen Blättern , — der obere aus äusserst
verkürzten Internodien, wo in den Achseln der Schüppchen bereits die
linienförmigen , an der Spitze emarginirten , mit 2 Bündeln versehenen
Blätter stehen. Es ist also, sagt v. Mohl (p. 3) auf den ersten Blick
klar, dass wir einen ähnlichen Fall vor uns haben, wie ihn eine kei-
mende Kiefer zeigt ; Entwicklung des Blattes an der primären Axe im
ersten Jahre, Verkümmerung desselben in den späteren Jahren an allen
Trieben und Ersatz durch ein aus einer verkümmerten secundären Axe
stammendes blattähnliches Gebilde. Die Keimpflanzen , die ich unter-
suchte, bestätigten in allen Punkten die MoHL'schen Angaben. Die
entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen brachten aber noch wei-
tere interessante Einzelheiten. Der Vegetationskegel von Sciadopitys
unterscheidet sich nur wenig von dem der Pinusarten. Eine continuir-
lichc Dermatogenschicht tiberzieht zunächst den Scheitel ; unter der-
selben befindet sich eine doppelte Lage Periblem und das spitz nach
oben zulaufendes Plerom : die beiden Letzteren nur schwach von ein-
ander geschieden. Die Blattbildung wird durch tangentiale Theilungen
4) I. c. p. i4.
Bd. VII. S. 4S
228 Dr. Cduard Sirasburger,
derDermatogcQzellen, wiebeiPinusarten, eingeleitet. Die Blatter bleib(M)
schuppenförmig, sind sehr einfach gebaut, besitzen eine spaltöfibungs-
lose Obcriiaut. ein lockeres, inneres Gewebe, in welchem man, in der Me-
diane des Blattes, der oberen Fläche näher, ein sehr einfaches Bündel vor-
laufen sieht. In älteren Blättern werden die Zellen der etwas dichli»r
zusammenschiessenden, auf die Epidermis folgenden Zelllage, einzeln
stärker verdickt und bilden so unrcgelmässig zerstreute Spicularzellon.
In den Achseln dieser Blätter werden in bestimmten Intervallen die
Doppelblätter gebildet. Sie treten schon in geringer Entfernung vom
Yegetationskegel auf, doch erst dann, wenn ihr Ti'agblatt in seiner Ent-
wicklung ziemlich vorgeschritten ist und sein einziges centrales Ge-
fässbündel zu bilden beginnt; sie erheben sich aus der Axe durch
tangentiale Theilungen im Periblem als kleine, etwas flachgedrückte
Höcker, sonst durchaus wie gewöhnliche Achselknospen. Die An-
lage bleibt bis an die Basis frei; ihre Oberfläche ist nur auf den
allerjüngsten Zuständen gleichmässig abgerundet , zeigt aber alsbald
einen deutlichen , medianen Einschnitt am Scheitel ; diesem folgt an
etwas älteren Anlagen ein schwacher medianer Einschnitt auf der
Unterseite. Ein Scheitelwachsthum ist über dieses erste Stadium hinaus
an der Anlage nicht mehr wahrzunehmen ; sie wächst nur durch inter-
calare Theilungen,' besonders an ihrer Basis, wie andere Nadeln rasch
in die Länge. So lange der Einschnitt noch wenig sichtbar ist, erinnert
das Doppelblatt an eine junge Fruchtschuppenanlage, etwa von Picea,
noch mehr von Ginkgo; ein Yegetationskegel, auf den diese beiderseitigen
Blattanlagen bezogen werden könnten, tritt hier aber nie besonders vor;
der Scheitel der Axe selbst ist vor der Bildung der Querfurche jeden-
falls als solcher aufzufassen , allein er geht in der Bildung der beiden
Nadeln auf, so dass sich beide Anlagen in der Mittellinie unmittelbar
berühren. Der Einschnitt am Scheitel ist bei jungen Doppelnadeln viel
auflallender als bei älteren, denn die Doppelnadeln nehmen bedeu-
tend an Länge zu, während der Scheitel fast unverändert bleibt. Auch
die Furche auf der Unterseite der Anlage wird bald deutlicher; es hat
sich eine ihr gegenüberliegende doch schwächere auf der Oberseite ge-
bildet. Um die Anlage herum entspringen Haare, die rasch wachsen,
mehrzellig werden , sich vielfach hin und her krümmen und in einer
kopfförmigen Anschwellung enden; sie dienen wohl , da das Tragblatl
sehr zart geblieben, zum Schutze des jungen Doppelblattes. Erst wenn
das Doppelblatt etwa die Länge von 0,65 Mm. erreicht hat, beginnt die
Bildung der Gefässbündel in demselben. Man sieht von den beiden
nächsten Stammbündeln aus, über der Bündelinsertion des Deckblattes,
je ein Bündel abgehen und ziemlich rasch in aufsteigender Bichlung
Ueber Seiadopitys und Phylloeladns. 229
sich in das Doppelblatt hinein differenziren. Ihr Verlauf wird zunUchst
durch (las Auftreten einzelner Spiralzellen in dem langgestreckten mitt-
leren Gewebe jedes der Doppelblätter angezeigt; einzelne Stellen
werden hierbei hHufig tlbersprungen , um alsbald durch nachtrügliche
Dififerenzirung eingeholt zu werden. Das Btlndel wächst mit dem Blatte
fort. Es sind dies die nämlichen beiden Btindel, die auch bei anderen
Coniferen die Achselknospen versorgen und wir sehen sie auch bei
Sciadopitys in diejenigen Achselknospen treten , die zu Zweigen aus-
wachsen. Die Bttndel zeigen innerhalb der Axe ihre habituelle Lage,
und treten auch in derselben Lage d. h. mit schrds nach oben und
aussen gerichtetem Baste in die Anlage des Doppelblattes.
Wir haben es hier also auch mit einer ganz ahnlichen Erscheinung
wie bei den Früchtschuppen der Coniferen zu thun. Mit dem Wegfallen
der äusseren Gliederung an der Achselknospe fällt auch die Ursache
weg, welche die Bttndel aus ihren ursprünglichen Bahnen ablenkte,
— sie setzen nun in unveränderter Lage ihren Lauf aus der Axe foit.
Diese Stellung mit schräg nach oben gekehrtem Baste hört auf wunder-
bar zu sein, sobald man dieses erwägt, und dass die- Bündel wirklich
diese Lage schon in der Axe haben und dass sie aus der Art ihrer Ein-
fügung im BUndelkreise derselbe folgt, kann man auf jedem Tangen-
tialenschnilte sehen.
Jedes Bündel verfolgt selbständig im Doppelblatt seinen Weg und
ist zu keiner Zeit mit dem anderen verbunden ; es zeigt von Anfang an
dieselbe Stellung, wie im fertigen Blatte. Auf Querschnitten des Stengels
durch die verkürzten Intemodien, kann man die Bündelgruppen (I fUrs
Deckblatt und 2 für das Achselproduct) auf ihrer Wanderung durch
die Rinde in verschiedener Entfernung von der Stengelmitte ver-
folgen.
Dieses Alles zeigt un zweifelhaft , dass wir es hier mit einer Achsel-
knospe zu thun haben und die Entwicklungsgeschichte lehrt uns
ausserdem, dass die Vereinigung d.er beiden Blätter dieser Knospe zum
Doppelhlatte bis auf die ersten Stadien ihrer Entwicklung zurückgreift,
so dass ein Vegetationskegel zwischen denselben sich zu keiner Zeit
mehr nachweisen lässt. So wichtig diese Befunde , so werden sie es
noch mehr, wenn man diese jungen Zustände der Doppelnadel mit den
entsprechenden bei Pinus Pumilio vergleicht.
Die Kurztriebe in den Achseln der Deckblätter erzeugen bei Pinus
Pumilio zunächst eine Anzahl Niederblattpaare (meist 7j . Ein deutlicher
Vegetationskegel ist zwischen denselben vorhanden , ähnlich dem der
Haupttriebe. Nach diesen Niederblättern folgen die beiden Nadeln; sie
erheben sich zu beiden Seiten des Vegelalionskegels, doch so nahe an
45»
230 Dr. Eduiird Sirasbutger,
einander, dass derselbe in ihrer Bildung fast gänzlich aufgebt; nur ein
kleiner, unscheinbarer Höcker bleibt in der Mitte zwischen den Nadeln
zurück und wird in die neuen Wachsthumsrichtungen nicht mit hinein-
gezogen. Denken wir uns auch diesen mit emporgehoben , so bleiben
beide Nadeln verbunden und erzeugen dieselbe Doppelnadel wie bei
Sciadopitys. Diese Aehnlichkeit der Anlagen ist so auffallend, dass
man sich bei ihrer Betrachtung dieses Gedankens gar nicht erwähren
kann. Er erweckte denn auch in mir die Vermuthung, ähnlich ver-
wachsene Doppelnadehi könnten ausnahmsweise bei Pinus vorkommen :
ich suchte nach solchen und war auch bald so glücklich mehrere
derselben, sowohl bei Pinus Pumilio wie auch bei Pinus syl-
vestris zu finden. Sie sind bisher wohl deshalb nur übersehen worden,
weil sie den Kurztrieben mit nur einer Nadel, die ebenfalls und zwar
viel häufiger vorkommen , sehr ähnlich sind. Bei aufmerksamer Be-
trachtung kann man sie immerhin schon äusserlich erkennen ; sie sind
dicker als gewöhnliche Nadeln, allseitig abgerundet und hin und wieder
wie die Doppelnadeln von Sciadopitys mit S kurzen Spitzen am Scheitel
versehen. Auf dem Querschnitte zeigten solche Pinusdoppelnadeln 2
mehr oder weniger von einander getrennte Gefiissbündelgruppen , jede
aus 2 Bündeln bestehend. Jedes dieser Bündelpaare verhielt sich wie
das Bündelpaar eines gewöhnlichen Blattes und was von einer beson-
deren Schutzscheide umgeben. Wo die Verwachsung eine recht voll-
ständige war, zeigten die beiden Bündelpaare auch die* nämliche Stel-
lung wie die beiden Bündel im Doppelblatte von Sciadopitys: sie
kehrten ihre Harkstrahlen und ihren Bast divergirend nach oben
und nach aussen, ihrfiolz nach unten und innen. Meist waren die
beiden Blätter aber nicht völlig mit einander verwachsen , und dann
war es, abgesehen von späteren Drehungen, stets die nach unten
gekehrten Seiten , die eine mehr oder weniger tiefe Spalte zwischen
sich Hessen.
Das Nadelpaar schien also nicht rein transversal zu stehen, sondern
nach der oberen Kante etwas verschoben. Es lässt sich das vielleicbt
mit dem Umstand in Zusammenhang bringen , dass häufig die Nieder-
blätter statt decussirt nach '/s, an den Kurztrieben stehen und dann
die Nadeln vielleicht auch in derselben Stellung folgen. So dürften dann
die beiden letzten der Hauptaxe zugekehrten Glieder des Spirale sein
und also auch nur um ^/s des Stammumfanges von einander abstehen.
Möglich ist weiter, dass sie dann auch leichter verschmelzen und dass
in Folge dessen solche auf der unteren Seite einen Spalt zeigende
Doppelnadeln besonders häufig vorkommen. Ich habe diesen Umstand
hier besonders hervorgehoben , weil er vielleicht auch erklärt, warum
lieber Sciadopitys und Pbylloeladus. 231
bei Sciadopitys die untere Farehe etwas tiefer als die obere ist. Dieser
Punkt lässt sich freilich nur hypothetisch behandeln ; so viel ist aber
durch die Entwicklungsgeschichte und den Vergleich mit Pinus sicher
gestellt, dass auch die Doppelnadel von Sciadopitys aus 2 Blättern be-
steht , die der Hauptsache nach mit ihren Oberseiten verbunden sind,
den Yegetationspunkt der sie trennen rottsste, gemeinschaftlich empor-
hebend.
Durch die Beobachtung homologer Falle bei Pinus Pumilio und
sylvestris werden überhaupt alle Einwände, die man sonst noch gegen
die doppelte Zusammensetzung der Sciadopitysnadeln vorbringen könnte,
beseitigt. Endlich findet dieselbe auch ihre glänzende Bestätigung in
einem von Maxwell T. Mastbrs (Vegetable Teratology <) beobachteten
monströsen Falle. Maxwell T. Masters beschreibt hier nämlich , wenn
auch mit ganz anderer Deutung, die Durchwachsung einer Doppelnadel
von Sciadopitys. Das Pseudoblatt hatte sich gespalten und zwischen
seinen beiden Theilhälften eine kleine Axe entwickelt, die an ihrem
Scheitel einen Wirtel neuer Pseudoblätter trug.
Diese Bildungsabweichung beweist, dass in manchen Fällen ein
Vegetationskegel zwischen beiden Blättern zurückbleiben, und die-
selben getrennt auftreten kOnnen, ja dass dieser Vegetationskegel sogar
zu einem Zweige auswachsen könne. Bei der Kiefer kommt der analoge
Fall bekanntlich ziemlich häufig vor , und wenn dieselbe , von Schafen
zerbissen ihrer Spitze beraubt wurde , oder wenn der Kiefermarkkäfer
den Baum befallt, so treibt der Vegetationskegel zwischen den Nadein
bisweilen junge verlängerte Zweige — was bei der canarischen Kiefer
sogar immer geschieht, sobald sie viel Aeslc und Zweige verloren hat^).
— Es wäre zu versuchen , ob man durch Entfernung der Zweigenden,
die jungen Doppelnadeln der Sciadopitys nicht* künstlich zu dieser ab-
normen Zweigbildung bewegen könnte.
Die Beobachtungen an Pinus Pumilio und sylvestris legten die
Vermuthung nahe , dass auch bei der californischen Nusskiefer , der
Pinus monophyllos Fremmont , deren Kurztrieb nur eine Nadel trägt,
diese eine Doppelnadel sei^j. — Dieses bestätigte sich nicht, vielmehr
verhielten sich die einnadligen Sprosse ganz wie der grössere Theil
der einnadligen auch bei Pinus Pumilio — sie besitzen wirklich nur
4) London 4869, p. 854, Anm. 3. Auf diese Stelle machte mich Herr Prof.
Braun gütigst aufmerksam.
%) Schacht, der Baum p. 4 44.
8) Diese Vermuthung wurde schon von U. Bbaun ausgesprochen : Individuum
p. 65 Anm.
232 Dr. Rdiiard Strasburger,
eine einzige einseitige Nadel ^), an deren Basis der verschrumpfte Vege—
tationskegel des Kurztriebes häufig noch nachzuweisen war. Auf Quer-
schnitten durch einen solchen Kurztrieb von Pinus monopbyllos findet
man zunächst einen geschlossenen Bündelkreis, der schw^ache Bündeln
an die, wohl nach 2/^ gestellten (bis 7) Niederblütler abgiebt. Höher
hinauf öffnet sich der Bündelkreis einseitig und tritt als einfaches und
einfach bleibendes Bündel in die, die Axe scheinbar unmittelbar forW-
setzonde Nadel. Ihr gegenüber sind Spuren des Vegetationskegels zu
erkennen.
Dass die Spaltöffnungen in so eigenthümlicher Weise bei Sciado-
pitys nur in der unteren Furche stehen, verleitet fast zu der Annahme,
dass die, bei der Urform noch getrennten Blätter, ihre Spaltöffnungen
auf der Oberseite trugen, ein Fall der bei Coniferen nicht selten ist,
und dass diese Spaltöffnungen nur deshalb auf die untere Furche be-
schrankt sind, weil diese allein noch einen Streifen der ursprünglichen
Oberfläche bietet. (Aehnlich wie die untere Furche an der Doppelnadel
von Pinus.) Damit scheint es nun aber nicht gut übereinzustimmen,
dass die Samenlappen und ersten einfachen Blätter von Sciadopilys
ihre Spaltöffnungen jfiur auf der Unterseite tragen. Doch auch bei
Thuja, Cupressus, Juniperusarten werden an den Blättern der erwach-
senen Pflanzen die Spaltöffnungen nur auf der inneren oder haupt-
sächlich doch auf der inneren also morphologisch oberen Blattfläcbc
angelegt, während sie an den frei entwickelten ersten Blättern der
Samenpflanzen vornämlich auf der Unterseite oder doch allseitig auf-
treten. Möglich also, dass bei den hypothetischen Vorfahren der Scia—
dopitys, die aller Wahrscheinlichkeit nach, zweinadligen Kurztriebe, wie
die heutigen Pinusarten, besassen, die Spaltöffnungen auch nur auf den
einander zugekehrten , geschützteren Blattflächen , also. den Oberseiten
der Nadeln gebildet wurden, ähnlich wie sie bei den vorhin erwähnten
Cupressineen nur auf der, der Axe angedrückten, geschützteren Ober-
seite sich zeigen. Leider bieten die Doppelnadeln von Pinus hier keine
Anhaltepunkte , da sie ebenso wie die einfachen Nadein , ihre Spalt-
öffnungen allseitig tragen.
Von Moul glaubte eine auffallende Aehniichkeit zwischen den
Blättern von Sciadopitys und der Fruchtschuppe der Abietineen ge-
funden zu haben , indem er hierbei von der bekannten Deutung von
Braun und Caspary ausging, dass die Fruchtschuppe der Abietineen
aus 2 Blättern , den ersten Blättern einer noch unterdrückten Achsel-
1J Dieses erkannte auch 9chon Van Tibghem: Ann. d. sc. nat. 5<^nio s^rie, T. X.
p. 273.
Uebnr S«iHdopiiys und Phylloeladus. 233
knospe vorwacbsen sei. Hingegen bin ich aber auf Grund zahlreicher ent-
wicklungsgeschichtlicher Untersuchungen (wie dies in einer demnächst
zu erscheinenden Arbeit gezeigt werden soll) zu der Ueberzeugung ge-
kommen, dass die Fruchtschuppe discoiden Ursprungs sei und somit
fallt auch die Analogie beider in diesem Sinne weg. Sie bleiben als
Ganzes sich nur insofern analog, als sie beide melamorphosirle Ach-
solsprosse, und zwar metamorphosirte Kui*ztriebe vorstellen.
Im Uebrigen machen sich Unterschiede zwischen beiden schon auf
den allerersten Entwicklungsstadien geltend , denn wdhrend die kleine
^blUthigo Inflorescenzaniagc der Abietineen sofort durch starkes ein-
seitiges Wachsthum ihrer Aussenseite die Fruchtschuppen erzeugt und
ihr Vegetationskegel die beiden Blattrudimente und die Achselproducte
derselben (die beiden BlUthen) , auf die Oberseite der Anlage ver-
schoben werden — entwickelt hier die Achselknospenanlage sofort
ihre beiden Blatter, die sich gemeinschaftlich erheben und ihre ur-
sprüngliche Wachsthumsrichtuug beibehaltend, durch basale Streckung
wie andere Nadeln in die Länge wachsen.
2) Phyllocladus.
In mancher Beziehung ist Phyllocladus noch merkwürdiger als
Sciadopitys. Schon Bichard^) macht darauf aufmerksam, dass die
eigenthüm liehen , blattartigen Gebilde dieser PDanze in den Achseln
kleiner Niederblätter stehen und dass man sie deshalb wohl als abge-
Hachte Zweige aufzufassen habe. — Seitdem sind sie auch fast aus-
nahmslos als Phyllodien und Gladodien beschrieben worden, ohne dass
aber meines Wissens, eine eingehende Untersuchung derselben unter-
nommen worden wäre. Jede nähere Betrachtung lehrt nun aber, dass
ein solches Gladodium von Phyllocladus ein höchst complicirtes Ge-
bilde ist und dass es jedenfalls noch eine andere morphologische Be-
stimmung als die eines abgeflachten Zweiges verdient. Ich wähle als
erstes Beispiel Phyllocladus rhomboidalis Rieh. Es wechseln hier an
der Axe die sterilen Niederblätter an verlängerten Internodien mit fer-
tilen Niederblättem an verkürzten Internodien ab. Aus den Achseln
dieser letzteren entspringen die Gladodien , sie sind einander in Folge
dessen genähert, wenn auch nicht bis zur Bildung eines Scheinwirteis,
wie bei Sciadopitys. Die Niederblätter sind sehr zart gebaut, klein,
lineal ; sie sterben frühzeitig ab, und sind an der Basis entfalteter Gla-
dodien nur noch als gebräunte kleine Schuppen zu erkennen. Die Gla-
dodien sind rautenförmig, gesägt, manche wohl auch mehr oder
4) Mdmoirc sur Io8 Coniförcs et les Cycail^cs, p. 99.
1,'rUr'' d ' *
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236 Dr- Eduard Stnsbnrger, Ueber Seiadopitys und Phylloclados.
die freien Depkhiattenden gegen dieselben verschwinden und schliess-
lich nur noch wie Zähnungen des Randes erscheinen. Die primären
Blatter am Gladodium sind stärker als die secundären an den Achsel-
abschnitten, sie bleiben, wie erwähnt, auch stärker markirt, und ver-
dorren an ihrer Spitze , während die dazwischen liegenden kleineren
noch längere Zeit frisch bleiben. Ebenso wie die einzelnen Abschnitte
am Gladodium wird dasselbe auch in der Achsel des Niederblattes am
Zweige erzeugt , nur entsteht hier nicht das erste Blatt des Gladodium
t dem Deckblatt gegenüber, sondern rechts und links von demselben es
1 erfolgt denn auch nicht eine gemeinsame Streckung, an der Basis, wo-
1^ durch das Deckblatt auf das Achselproduct emporgehoben würde son-
|: dern dieses Deckblatt behält seine Stellung und verdorrt am Aste
während sich das Gladodium frei aus seiner Achsel entwickelt. Die
Abschnitte des Cladodiums zeigen übrigens auch hier schon eine Alter-
nation, doch stehen sie, wie erwähnt retchs und links vom Deckblatte.
; Wir haben also bereits dem Verhalten der primären Anlage des Cla-
;. dodiums einen Anhaltepunkt zur Beurtheilung seiner Abschnitte ab-
r gewonnen. Dieser für Goniferen scheinbar ganz vereinzelte Fall der
'•^; Bildung des ersten Blattes des Achselsprosses an der Axenseite gegen-
über dem Deckblatt , ist nämlich , wie hiernach zu schliessen, aus dem
\ ersten Typus durch eine frühzeitige Drehung der jungen Anlage um 90^
! in der Achsel ihres Deckblattes entstanden.
Diese Drehung greift so weit in der Entwicklung zurück, dass
sie sich kaum mehr nachweisen lässt und findet vielleicht nur noch
ihren unmittelbaren Ausdruck in dem Verdrängen der Deckblattspitzen
auf die Bauchseite der Anlage. Auch sieht man sehr häufig bei Phyllo-
cladus trichom. einzelne Abschnitte , namentlich am Scheitel des Gla-
dodium eine Transversal-Stellung einnehmen. Dann wird auch sofort
die Alternation der secundären Blallaulagen an einem soldien Ab-
schnitte und das Hinaufrücken des Deckblattes auf dasselbe vermin-
dert. Wenn aber auch die Blätter an den Gladodiumabschnillen , ur-
spillnglich rechts und links gegen ihr Deckblatt gestanden, nicht
weniger bleibt eigenthümlich ihre Alternation und Uire Beschränkung
auf nur zwei Seiten des Triebes. Sie ist jedenfalls eine Folge ihrer
frühzeitigen Abflachung , dass sie aber aus einem gewöhnlichen Sprosse
entstanden, dafür sprechen die so häufigen Durchwachsungen der-
selben. Nicht nur bei Ph. trichom., sondern auch bei Ph. rhomb.
entwickelt sich der Vegetationskegel des Gladodiums häufig weiter und
bildet wieder Blätter und neue Gladodien in spiraliger Aufeinander-
folge.
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Zar yergleicliendeii Anatomie der Sehnltermuskeln.
Von
Max Fürbringer»
▲ssiflteBt 9M der uatoaiMbeA AbsUU s« Jnuk»
I. TheU
mana Tafel XlV-ZVin.
Vorwort and Einleitong.
Die Muskulatur der Schulter ist schon seit früher Zeit zu einer viel
bearbeiteten Frage der vergleichenden Anatomie gemacht worden. Die
ersten ausftthrlicheren Arbeiten von Mbcul ^) und Cuvm^ zeichnen sich
durch eine gewisse Genauigkeit und (namentlich bei Mbckil) detaillirte.
Beschreibung aus, entbehren aber einer wirklichen, durch Gründe unter-*
stützten Vergleichung und haben darum nur den Werth zootomischer
Vorarbeiten. Einen wirklichen Portschritt auf diesem Gebiete bietet die
InauguralabhandlungPpBiPPiK's') dar, die manche schfltzenswerthe Deu-
tungen der Schulterknochen giebt und zugleich in einer dem Geiste der
neueren vergleichenden Anatomie entsprechenden Weise eine Verglei-
chung der Schultermuskeln der S^ugethiere, Vdgel und Amphibien
wenigstens versucht. Von demselben Gesichtspuncte aus sind die
Untersuchungen von Stannius^) zu beurtheilen, wahrend hingegen die
OwKHs ^) ein zwar sehr reiches , aber geistig noch wenig verarbeitetes
4) System der vergleichenden Anatomie. III. Halle 4898.
Z) Lebens d'anatomie comper^e. I. Z. ed. Paris 4885.
3) Zur Anatomie des SchultergerUstes and der Sehnltermuskeln bei Säuge-
thieren, Vögeln und Amphibien. Giessen 4854.
4) Anatomie der Wirbelthiere. 4. Aufl. Berlin 4846. Z. Aufl. Berlin 4864.
(letztere blos Fische und Amphibien enthaltend.)
5) Gomparative Anatomy and Physiology. London 4886. 67.
M. fJL S. 48
238 Max Fflrbringer.
Material darbieten und insofern mit den geistvollen, durchdachten osteo-
logischen Arbeiten dieses Forschers wenig gemein haben. Eine in
neuerer Zeit erschienene Arbeit Rudinger's ^) ist als ein Rttckschritt auf
diesem Gebiete zu bezeichnen. Der Verfasser nimmt den von den
früheren vergleichenden Anatomen in richtiger Einsicht verlassenen
alten Standpunct der Analogien ein, wonach die functionelle Bedeutung
der Muskeln als Yergleichungspunct benutzt wird , giebt darnach Ver-
gleichungen , die bei der ersten Einsicht sich als falsch erweisen und
lässt bei der Beschreibung der Muskeln oft die nOthige Genauigkeit und
Kenntniss der zu ihnen jn Beziehung Stehenden Knochen vermissen. ^)
Durch Gegenbaur^) und darauf durch PA.mKBR^) wurde zuerst eine
wirkliche endgültige vergleichende Untersuchung der Knochen des Brust^
gürteis und des Brustbeins gegeben und damit der vei^leichenden My ologie
eine neue Basis geschaffen. Die neueren nach dieser Zeit erschienenen
myologischen Monographien, namentlich der Engländer, geben Kenntniss
von der erfolgreichen Benutzung dieser Errungenschaften. Eine allent-
halben richtige Deutung der Muskeln wird jedoch noch vermisst. Einen
Fortschritt von principieller Bedeutung repräsentirt die Abhandlung
Rollbston's^}, die eine allerdings in ihren Resultaten unrichtige und
leicht widerlegliche Vergleichung einzelner Schultermuskeln giebt, aber
4) Die Bfuskein der vorderen Extremitäten der Reptilien and Vttgel. Gekvtfnte
JPreisschrift. Haarlem 4 869.
2) Der Vorwurf der Ungcnauigkeit trifiTt auch die beigefügten allerdings zabl-
reichen , aber wenig brauchbaren Abbildungen. Gleich auf der ersten Tafel z. B.
ist bei Salamandra der transversale M. mylohyoideus als Uingsmuskel , die (allen
Ptychopleuren als wesentliches Merkmal zukommende) grosse Baucbseitenfalte von
Pseudopus Pallasii auf der einen Abbildung an die Bauchseite , auf der andern Ab-
bildung an die Rückenseite gezeichnet.
3) Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere II., Schulter-
gürtel und Brustflosse der Wirbelthiere. Leipzig 4 865.
4) A Monograph of the Structure and Development of the Shoulder-Girdle and
Sternum in the Vertebrata. London 4 868.
5) On the Homologies of certain Muscles connected with the Shoülder-joint.
Trans. Linn. Sog. of London. Vol. XXXI. 3. 4869. S. 609 f. — Die Wichtigkeit der
Nerven für die vergleichende Myologie im Allgemeinen ist bereits früher von an-
dern Untersuchern erkannt worden , so z.B. von Fischbr (Anatomische Abhand-
lungen über Perennibrauchiaten und Derotremen. Hamburg 4864), der auf die Art
der Inncrvirung der Kiemenmuskcln grosses Gewicht legt. Nach Rollbstoh haben
HoMPHRY (The Muscles and Nerves of the Cryptobranchus japonicus. Joum. of Anat.
and Phys. 4874) und Ghampnbys (The Muscles and Nerves of a Chimpansee [Troglo-
dytes niger] and a Cynocephalus Anubis. Joum. of Anat. and Phys. 4874) mono-
graphische Darstellungen der Muskeln und Nerven einzelner Thicre gegeben und
z. Th. auf die gegenseitigen Beziehungen beider hingewiesen.
Zar rergleiebenden Anatomie der Sebnltermaskeln. 239
zuerst als ein zur Vergleichung der Muskeln wichtiges Moment deren
Innervirung erkennt.
Fttr die Vergleichung der Schultermuskeln in den ver-
schiedenen Klassen der Wirbelthiere sind von Bedeutung die Lage der-
selben in Beziehung zu den Knochen (Ursprung und Insertion), die Lage
derselben in Beziehung zu den anliegenden Weichtheilen (Muskeln und
Nerven) und die Art der Innervirung durch bestimmte Nerven. Alle
drei Momente müssen sich gegenseitig ergSinzen , keines genügt allein
zu einer vollkommenen Bestimmung der Homologien.
Ursprung und Insertion können auserordentlichen Schv^an-
kungen unterworfen sein, ersterer grösseren als letztere ^) , was wiederum
eine grössere Yariirung der (als Ursprungsfläche für die kräftigsten und
zugleich veränderlichsten Muskeln dienenden) Knochen des Brustbeins
und Brustgürtels im Vergleich zu denen des Oberarms und Vorderarms
bedingt. Ein Uebergreifen oder Zurücktreten des Ursprungs von einem
Knochen auf einen anderen von ihm ganz getrennten kommt häufig zur
Beobachtung, ist aber wie meist noch zu erweisen und darnach deductiv
als allgemein zu schliessen Folge einer ganz allmäligen, keinesfalls sprung-
weisen Vermehrung, resp. Verminderung der einzelnen Muskelbündel.
Die vergleichende Anatomie bietet für die Beantwortung dieser Frage
noch eine reiche, aber noch sehr wenig erschlossene Fundgrube dar.
Beschränkter ist die Variabilität der Insertionstheile , doch können auch
diese bei ganz einseitigen, durch eine abweichende Lebensart bedingten
Differenzirungen eine grosse Fülle von Variirungen darbieten (so beson-
ders bei den Vögeln) . Eine Deutung der Muskeln , die lediglich Ursprung
und Insertion derselben berücksichtigt, vnrd in einzelnen Fällen wohl
riditige Resultate bringen , in der Regel jedoch wird sie zu Irrthümern
verleiten, namentlich wo es sich um Vergleichung grosser Muskelgruppen
oder entfernter stehender und in ihrer Lebensweise von einander ab-
weichender Thiere handelt.
Die Lage zu den anliegenden Weichtheilen, ein in der
Regel von den vergleichenden Anatomen wenig beachtetes Moment, ist
geringeren Schwankungen unterworfen als Ursprung und Ansatz der
Muskebi. Vor Allem sind von grosser Wichtigkeit die Beziehungen zu
den vorbeilaufenden Nerven, von geringerer die zu den anliegenden
Muskeln, von keiner die zu den ausserordentlich variabeln Gelassen.
4) Die grössere Schwankung des Ursprungs der Muskeln im Vergleich zu ihren
Ansätzen kann nicht als allgemeines Gesetz aufgestellt werden, sondern gilt zunächst
blos für die Muskeln der Schulter. Die Muskeln der Hand z. B. bieten zum Theil
entgegengesetzte Verhältnisse dar, die mit einer grosseren Variation der Knochen der
Hand Im Gegensatz zu denen des Vorderarms Übereinkommen.
46*
240 Mftx FArbrInger.
Die vorsichtige ^) Berücksichtigung der ersten Beziehung kann oft Re-*
sultate bringen , wenn uns alle anderen Methoden in Stich lassen.
Die Innervirung der Muskeln durch bestimmte Nerven ist das
wichtigste Moment für die Yergleichung. Es ist eine stets erweisbare
Thatsache, dass jedem Muskel ein bestimmter Nerv zukommt, der wie—
der in bestimmter Weise entspringt. Alle Angaben einer' verschiedenen
Inner vi iiing desselben Muskels bei verschiedenen Individuen bedürfen
einer genauen Kritik und können in der Regel widerlegt werden. Das
Nervensystem ist das conservativste , den geringsten Veränderungen
(Anpassungen) unterworfene System. Es wird also eine Yergleichung
der Nerven durch die Reihe der Wirbelthiere die geringsten Schwierig-
keiten darbieten und darum eine die Innervirung berücksichtigende
Yergleichung der Muskeln weit leichter und sicherer sein , als eine Yer-
gleichung ohne diese Beziehung. Doch gilt es auch hier Wesentliches von
Unwesentlichem zu sondern. Als unwesentlich von vornherein müssen
bezeichnet werden die gegenseitigen Yerhältnisse der Nerven in Bezug
auf ihre frühere oder spätere Theilung oder Vereinigung (die sc^enannte
Anastomosenbildung), Verhältnisse, die nicht von den Nerven selbst,
sondern nur von der verschiedenartigen Vertheilung ihrer Bindesubstanz
abhängen , und deren unrichtige Abschätzung zu Irrthümem verleiten
kann. Eine grössere Constanz bieten die Austnttsstellen der Nerven aus
den Intervertebrallöchern dar und damit die Beziehungen der Nerven zu
ihrem Centrum. Die Reinheit dieser Verhältnisse wird jedoch oft durch
die schwankende Zahl der Wirbel und die dadurch in primärer Weise
unmöglich gemachte Bestimmung der homologen IntervertebrallOcher
getrübt 2). Von wesentlicher Bedeutung für die Yergleichung sind die
Verhältnisse der Nerven bezüglich ihrer räumlichen Lagen zu einander
und zu den umliegenden Weich- und Harttheilen. Das erstere Yerhältniss
spricht sich aus in einer Anordnung der Nerven des Plexus brachialis in
verschiedenen Schichten, die sich durch alle Wirbelthiere hindurch con-
stant erweist, das letztere einerseits in bestimmten Beziehungen zu ge-
wissen Muskelgruppen (z. B. den scaleni superiores, welche die N. thora-
cici superiores von den übrigen Nerven des Plexus brachialis abtrennen]
andererseits in einer gewissen Lage zum Brustgürtel (vor oder durch
denselben verlaufen die Nn. supracoracoideus und suprascapularis,
4) Die Nerven können mitunter gespalten und durch sich einschiebende oft sehr
ansehnliche Musiceltheile weit von einander getrennt sein. Eine falsche Schätzung
dieser Veränderung kann zu grossen Irrthümern führen.
2) In diesen Fallen können umgekehrt nur die nach ihrem Verlaufe oft leicht
erkennbaren Nerven die directe Homologie der Wirbel bestimmen.
Zur vergleichenden Anatomie der Srhnlterrouskeln. 241
hinter ihm die Nn. pectorales, coracobrachiales, brachiales longi etc.) . —
Die Bestimmung nach der Innervirung ist wegen der grossen Constanz
der Nerven , die sich bei schon weit vorgeschrittener Differenzining der
Muskeln noch erhält, zur Vergleichung der einzelnen Muskeln weniger
geeignet, dagegen lässt sie bei Vergleichung ganzer Muskelgruppen oder
entfernter stehender Thiere nie im Stiche und gewährt die Möglichkeit,
die Schultermuskulatur in bestimmte Muskelsysteme einzutheilen , Sy-
steme, deren sonstige Beziehungen (Ursprung, Insertion, Lage zu den
umliegenden Theilen] diese Eintheilung als eine natürliche rechtfertigen.
Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich blos auf Amphibien,
Reptilien , Vtigel und Säugethiere. Die Fische sind ausgeschlossen , aus
dem Grunde, weil erst nach eingehender Behandlung der Muskeln der
ganzen vorderen Extremität der pentadactylen Wirbelthiere eine ge-
naue und vollständige Vergleichung mit den Fischen gegeben werden
kann. Eine Vergleichung ohne diese vorarbeitenden Untersuchungen
bleibt Stückwerk *). Von den Schultermuskeln selbst sind die zu dem
Zungenbein resp. den K<emenbogen gehenden , gemeinhin als hintere
Zungenbeinmuskeln bezeichneten ebenfalls ausgeschlossen. Eine wirk-
liche vergleichende Anatomie derselben ist nur im Zusammenhang mit
sämmtlichen Derivaten des unteren Längsmuskels (gerader Bauch-
muskel , gerade centrale Kiemenmuskcln , vordere und hintere gerade
Zungenbeinmuskeln) zu geben und dürfte sich in dieser Ausdehnung
von einer Myologie der Schulter allzuweit entfernen. Auch auf eine
durchgeführte metamere Vergleichung (Serial-Homology) der Schulter-
muskeln und der zu ihnen in Beziehung tretenden Nerven mit den
übrigen Muskeln und Nerven des Körpei'S wurde Verzicht geleistet.
Dieselbe ist allerdings das Hauptziel der vergleichenden Myologie , darf
aber erst nach Jahren zu erwarten sein, wenn alle Muskel- und Nerven-
gebiete gleichmässig genau durchforscht sein werden. Die in dieser
Hinsicht mehrfach veröfTentlichten Abhandlungen kennzeichnen aller-
dings ein anerkennenswerthes Streben , sind aber in ihren Ergebnissen
sämmtlich als ungenügend zu bezeichnen ^). Einzelne für die metamere
Myologie feststehende Thatsachen, welche die Untersuchung der Schuller-
muskeln ergab, sind angeführt.
4) Einzelne hei einer Untersuchung des Brustgüriels der Selachier gewonnene
Ergebnisse von grösserer Bedeutung sind für die Vergleichung verwerthet worden.
t) Dieser Vorwurf trifTl auch die neueste bedeutendere Arbeit auf diesem Ge-
biete , Humphiit's Abhandlung : The Disposition of Muscies in Vertebrate Animals.
Journal of Anat. and Phys. II. Ser. No. X. May 1873. Cambridge und London.
S. «98—877.
242 Max Ffirbrioger.
Der Sioff der Arbeit ist in sieben Capitel vertheilt worden ; das
erste Capitel bebandelt die Urodelen, das zweite die Anuren, das drille
die Ghelonier, das vierte die Saurier undCrocodile, das fünfte dieVOgel,
das sechste die Säugetbiere. Das siebente Capitel enthält eine Zusam-*
menstellung der Ergebnisse und weitere vergleichende Ausführungen.
Die Chelonier wurden mit Absicht zwischen Anuren und übrige Repti-
lien gestellt, weil die Untersuchung wenigstens für die Muskeln und
Nerven der Schulter ergab, dass innerhalb der Reptilien die Ghelonier
den Amphibien am nächsten stehen, während die Croeodile den Vögeln
am meisten genähert sind.
Jedes der ersten sechs Capitel enthält in drei Paragraphen eine
Beschreibung, 1) der zu den Schultermuskeln in nächster Beziehung
stehenden Knochen (Brustgttrtel , Brustbein, Humerus), %) der Nerven
für die Schultermuskeln , 3) der Muskeln der Schulter und des Ober-
arms selbst. Eine kurze Darstellung des Knochensystems erwies
sich als nothwendig für das Verständniss. Die betreffenden Paragraphen
bieten wenig Originales und sind der Hauptsache nach nur für das spe-
cielle Bedürfniss ausgearbeitete Referate über Gbgenbaqr's und Parksr's
Abhandlungen, nefu ist blos eine eingehendere Beschreibung und Deutung
der für die Darstellung der Muskulatur bedeutsamen Fortsätze , Kanten
etc. an den Knochen des Brustgürtels und des Oberarms. Die Behandlung
des Nervensystems ist der des Muskelsystems vorangestellt , weil
die Nervenvertheilung als Grundlage für die Vergleichung der Muskeln
dient. Die Beschreibung ist, da sie mit wenig Ausnahmen Neues dar-
bietet, breiter ausgedehnt, berücksichtigt jedoch nur die Bildung des
Plexus selbst und die zu den Muskeln der Schulter und des Oberarms
gehenden Nerven. Die menschlichen Nervenbezeichnungen sind in der
Regel, wo ein Vergleich möglich, aufgenommen; einzelne den verglei-
chenden Thatsachen nicht Rechnung tragende Benennungen (z. B. N.
dorsalis scapulae , Nn. thoracici anteriores, Nn. subscapulares longi etc.)
sind durch bessere und den von .ihnen versorgten Muskeln gleich-
lautende Namen ersetzt. Eine Eintheilung der Nerven des Plexus bra-
chialis in drei Schichten, Nn. thoracici superiores, Nn. brachiales
superiores und Nn. brachiales et thoracici inferiores ist allenthalben
durchgeführt. Die Darstellung des M u s k e 1 s y s t e m s ist so vollständig
gegeben , als mit Weglassung des Unwesentlichen möglich war. Die
Muskeln sind, wo nur irgend eine directere Homologie zu constatiren
ist , nach denen des Menschen benannt. Eine vollständige Vermeidung
von neu gebildeten, oft langen und schlechtklingenden Namen nach
Ursprung und Ansatz war leider nicht zu vermeiden. Erst wenn eine
vernünftigere, auf vergleichend anatomische Beziehungen gegründete
Zur ver^leichendeR Auaiemie der ScIniUerroiiskeln. 243
Reform der Nomenklatur der menschlichen Bfuskeln eingeführt ist, werden
diese überflüssig. Am Eingange jedes Paragraphen ist eine Uobersicht
der Hnakelii gegeben. Auf die Beschreibung jedes einzelnen Muskels
folgt eine Besprechung seiner vergleichend anatomischen Beziehung,
die sugleiob eine Kritik der früheren Deutungen und eine Begründung
der hier giegebenen enthält. Im ersten Gapitel war es behufs Anwendung
der menaohlioben Muskelnamen ntf thig , das Verhllltniss der Muskeln der
Urodelen zu denen des Menschen zu besprechen. Hierbei war es auch
unvermeidlich, einzelne vergleichende Beziehungen, die erst in späteren
Capiteln ausführlich behandelt werden, vorausgreifend kurz anzudeuten.
In den übrigen Capiteln ist dies möglichst vermieden und in der Regel
die Vergleichung nur mit den bereits vorausgegangenen Classen aus-
geführt. Der Darstellung der Schultermuskeln der Vögel ist ein kleiner
Anhang, die Beschreibung der Muskeln der Flugmembran enthallend
nachgeschickt, der der Süugethiere ein grösserer, der eine Zusammen-
stellung der menschlichen Varietäten und deren Vergleichung mit den
normalen Bildungen der übrigen Säugethiere, im Allgemeinen der
übrigen Wirbelthiere, umfasst.
Die mir zu^ngliche Literatur wurde nach Kräften benutzt.
Wesentlichere DifiTerenzen zwischen den von den Autoren und den von
mir gegebenen Darstellungen und Deutungen sind im Texte berück-
sichtigt, unwesentlichere die Untersuchung betreffende Abweichungen
in die Anmerkungen verwiesen.
Die beigefügten Abbildungen betreffen Nerven und Muskeln.
Eretere stellen die Plexus brachiales (und theilweisc die Vagusgruppe)
einer Anzahl von Wirbelthieren, letztere die Muskeln der Schulter und
des Oberarms mit ihren Nerven in schichtenweiser Abtragung und mit
vollkommener Erhaltung ihrer natürlichen Lage ^) dar. Die Ursprünge
und Insertionen der bereits abgetragenen Muskeln sind durch rothe
Punctlinien bezeichnet. Für jedes Capitel sind in der Regel nur Ab-
I) Dieses Moment halten wir für ein Haupterforderniss einer brauchbaren Ab-
bildung.' Die gewöhnlich angowondoto Methode , auf einer einzigen Figur möglichst
viel Muskeln abzubilden, d. h. die tiefer liegenden durch gewaUsames Auseinander-
zerren der oberflächlicheren sichtbar zu machon, erschwert nicht nur die Erkennt-
uiss der natürlichen Lage und gegenseitigen Beziehung der Muskeln , sondern giebt
auch Zeugniss von der vollkommenen Verkennung der Zusammengehörigkeit der
einzelnen Muskeln zu einem einheitlichen Systeme, das ebensowenig zertheilt und
zerrissen werden darf wie das Knochensystem. Die gegenseitige Lagerung der Mus-
keln zu einander und zu den anderen Weichtbeilen ist mindestens ebenso wichtig,
wie Ursprung und Insertion derselben , an deren alleiniger Darstellung sich die mei-
sten Abbildungen genügen lassen.
244 Max Ffirbringer.
bildungen ^er Muskulatur eines Thieres gegeben, diese aber in
möglichster Vollständigkeit.
Herr Geh. Hofr. Prof. Dr. Gsgbnbaür hat mich zu dieser Arbeit ver-
anlasst, hat mir sämmtliches anatomische Material und sämmtliche
literarischen Httlfsmittel gewährt und hat mich durch s^nen Rath
wesentlich in meinen Untersuchungen unterstützt. Es ist mir eine sehr
angenehme Pflicht, ihm dafür meinen innigsten Dank auszusprechen.
Ihä ■
Zar vergleichendeD Anatomie der Schnlterrnnskeln. 245
Cap. I.
Gesehwibizte AmphiliieB
(ürodela ; — Sozobranohia nnd Sozora).
§. 1.
Bnistgürtal» Bmitbein und Hiimenifl <).
(Vergleiche Taf. XV. Q. XVI.)
ßrustgttrtel und Brustbein sind bei den geschwänzten Amphibien
wenig entwickelt. Es findet sich nur der sogenannte primäre ^) Brust-
gttrtei , wahrend von secundSiren Knochen theilen jede Spur fehlt.
4) Literatur:
IIbckbl, System der vergleichenden Anatomie II. 8. Halle 48S4. S. 894 f. S. 488 f.
S. 449 f.
FUHK» de Salamandrae terrestris vita, evolatione, formatione tractatus. Berolini
48t7. S. 8. Tab. I. Fig. 4. Tab. II. Fig. 90.
Doeia, Recherches sar ro8t6oIogie et la myologle des Batraciens. Paris 4884. S.
484 f.
Covna, Le^ons d'anatomie comparte. II. M. Paris 4888. S. 864 f. 8. 868 f.
STAiiifiüs', HandbQch der Zootomie. II. 3. Zootomie der Amphibien. Berlin 4886.
S. 48 f. S. 7i f. S. SO f.
Gbaiviaük, Untersuchungen zur yergleichenden Anatomie der Wirhelthiere. II.
Schultergttrtel der Wirhelthiere. Leipzig 4868. S. 66 f.
Own, Gomparative Anatomy and Physiology of Vertebrates. I. London 4866. S.
469 f.
PARua, A Monograph of the Structure and Development of the Shoulder-Girdle and
Sternum In the Vertebrata. London 4868. p. 88.
%) In Bezug auf die Bezeichnungen »prirottrer und secundttrer Brustgürtel«, all-
gemein »primärer oder secundärer Knochen« folgen wir, lediglich um Verwechs-
lungen in der Auflassung vorzubeugen , noch dem ttiteren ziemlich allgemein an-
genommenen Gebrauche. In WirkllchlLelt »drücken diese Bezeichnungen keine
fundamentalen Verschiedenheiten aus , sondern nur bestimmte Zustünde , die sich
besser als Entwickelungsphasen betrachten lassen«, und von denen gerade die
frühere (primäre) der secundären , die spätere (secundäre) der primären Knocben-
bildung entspricht. Vergleiche GEOBiiaAüR , Bemerkungen über primäre und secun-
däre Knochenhildung. Jenaische Zeitschrift. Bd. III. S. 84 , und Grundzüge der
vergleichenden Anatomie. S. Aufl. S. 644.
246 Max Filrbriiiger.
Der BrustgUrtoI besteht aus zwei symmetrischen theilweise
verknöcherten ^) Knorpelstücken , die auf der Brustseite entweder von
einander ziemlich entfernt (Amphiuma) oder einander genähert sind
(Proteus) oder sich in der Mittellinie berühren (Menobranchus etc.) oder
sich so über einander legen, dass der rechte Brustgürtel mit seinem
medialen Rande unter den linken zu liegen kommt (die Mehrzahl der
Urodelen] . Eine knorpelige oder knöcherne Verbindung beider mit ein-
ander existirt nicht, ebensowenig eine Anbeftung an den Schädel oder
die Wirbelsäule. Jedes Brustgürtelstück besteht aus einem vertical ge—
richteten (dorsalen) und einem horizontal liegetiden (ventralen) Ab-
schnitte. Ersterer geht an der untern Seitenkante des Körpers un-
mittelbar in letzteren über. An dieser Stelle, und zwar am hintern
Rande , liegt die Gelenkhöhle für den Oberarm (bei Siren fehlend) . Der
dorsale Abschnitt, die Scapula (S) ist In der Regel in seinem
unteren zumeist verknöcherten Theile schmal, in seinem oberen stets
knorpelig bleibenden verbreitert. Letzterer wird nicht sehr passend als
Suprascapulare ^) von dem ersteren , der eigentlichen Scapula , unter-
schieden. Der obere Band der Scapula (Suprascapulare) ist der Basis
scapulae, der hintere dem hintern Rande der menschlichen Scapula
homolog ; dagegen kann der vordere Rand weder mit der Spina scapulae
noch mit dem vordem Rand der Scapula des Menschen verglichen wer-
den, sondern entspricht vielmehr der Grundlinie der Spina seapalae,
von der sowohl die Spina selbst wie das mit ihr die Fossa supra-
spinata bildende Stück der Scapula ausgehen 3). Der ventrale Ab-
4) Die Verknöcherung kann nor eine theilweise ^ die Oberfläche des Knorpels
einnehmende, sein (Proteus etc.), oder sie kann durch die ganze Dicke des Bntsi-
gUrtels erstreckt sein (die meisten Urodelen). In allen Fällen ist sie der Fläche nach
nur über einen kleinen Theil des Brostgiirtels ausgedehnt, der entweder oberhalb
der Gelenkpfanne liegt oder ihre Umgebung bildet; nie ist letztere vollständig ver-
knöchert. Viel Gewicht ist auf die Anordnung der Verknöcherung nicht zu legen
und möchte ich darum mit Parkbr nic^t übereinstimmen , der nach diesem Prin»
cipe drei Hauptgruppen unterscheidet, Brustgürtel mit einem (Proteus, Menobran-
chu5> Menopoma, Gryptobranchus, Siredon), mit zwei (Siren, Amphiuma) und mit
drei Verknöcherungspuncten (Phaenerobrancbus, Lissotriton, Triton, Salamandra) .
2) FuHK unterscheidet das Suprascapulare als Portio I. scapulae von der eigent*
lic'hen Scapula oder Portio II scapulae. Ueber die geringe Selbstöndigkeit des Supra-
scapulare, namentlich in jugendlichen Zuständen, vergleiche GsGENBicaa. a. O.
S. 68. Das Suprascapulare steht bei den Urodelen zur Scapula in derselben Bezieh-
ung , wie die Knorpeltheile des Procoracoid und Coracoid zu deren Knochen theilen ;
für diese ist aber noch nie eine besondere Bezeichnung gebraucht worden.
8) Dass der Scapula der Urodelen jede Spur einer Fossa supraspinata abgeht, dass
demnach alles Auffinden von HooSologen einer Spina auf der Fläche der Scapula auf
Zur vergleichenden Anfttonie der Sciliillemiiiskeln. 247
schnitt*) besiebt aus einer vorderen schni&leren und einer hinteren
breiteren Platte, dem Procoracoid (Fr) 2) und dem Goracoid (G) ^).
Beide sind lateral vereinigt, medianwttrts dagegen in zwei discrete
Fortsätze ausgedehnt. Der dem Proooracoid angehörende ist nach vom,
der zum Goracoid gehörige nach der Mitte zu gerichtet; ersterer ist lang
und schmal (am längsten bei Proteus und Siren, am kürzesten bei
Siredon und Salamandra) , letzterer ist stumpf und breit und geht die
oben beschri^)enen Beziehungen zu dem der Gegenseite ein. Lateral
sind Procoracoid und Goracoid in der Regel ohne gegenseitige Grenze
verknöchert. Hier findet sich zwischen ihnen vor der Gelenkhöhle das
Foramen ooracoideum (bei Proteus durch eine nach vom offene
Incisura coracoidea vertreten), das für den Durchtritt von Gefitesen und
vom N. supracoracoideus bestimmt ist.
Ein Brustbein (St)^) ist bei den Urodelen nur rudimentär vor-
handen und entbehrt jeder Verbindung mit Rippen. Bei Proteus fehlt
es vollkommen, bei Menobranchus existirt es spurweise als längliche
Knorpel leiste, bei den übrigen bildet es eine rundliche Knorpelplatle
mit oder ohne Fortsätze, welche vom in zwei Lamellen gespalten ist
und zwischen diese die hinteren Ränder der beiden Coracoide auf-
nimmt.
Der Humerus (U) der geschwänzten Amphibien ist der längste
Knochen der vorderen Extremität. Der proximale Theil^) lenkt mit
Irrthom beruht, wurde bereits von GiOBüBAun nachgewiesen and kann durch eine
Fttllo von myologischem Detail erhärtet werden. Gegen eine directe Vergleichuog
des vordem Randes mit der Spina scapulae spricht vor Allem die auf die Aussen-
fläche der Scapula ausgedehaie Insertion des M. levator scapulae der Drodelen.
4) Portio lU. scapulae: Fuhk; — Goracoid: Doois, Cüviia, Starriüb
elc. — > Adscapulum: Dvoits. — Disque cleido-coracoidienne: Cuviza.
B) Die richtige Deutung des vorderen Abschnittes als Procoracoid ist zuerst
von GiosiiBADR gegeben worden. Vorher wurde es bald als Ciavicula (Cuvisa 4. <&d.
Düois), bald als Acromion (Cuviza 9. 6d. Ducts, Staviiiijs, Rt^oiscza) unterschieden.
Pasuk und Ihm folgend MtvAar und HmiFBikY bezeichnen das Procoracoid als Prae-
coracoid.
5) Coracoid der Autoren , oder unbenannter Theil desselben.
4) Die Existenz der Brustbeinrudimente wird verschieden angegeben. Näheres
siehe darüber bei Stahnius, Obgehbaüb und Parub. Mbckbl unterscheidet bei Sala-
mandra roaculata zwei discrete Brustbeine; eine Beobachtung, die von keinem
Untersucher bestätigt worden ist. Dass das Brustbein der Urodelen dem ganzen
Stemum der hOhern Wirbellhiere entspricht und nicht mit dem Processus ensiformis
(Starbius und Dugks : Os xiphoideum) allein verglichen werden kann , wurde von
Gbobrbavb nachgewiesen.
5) Die Raumbezeichnungen »lateral, medial« etc. sind für diese und alle
folgenden Beschreibungen einer horizontalen Lage des an die Seite des
248 Max FOrbringer.
seiner knorpeligen convexen Endfläche (Caput) in die Gelenkhöhle des
Brustgttrtels ein und hat hinter dieser zwei seitlich vorspringende
Knochenfortsätze, den Processus lateralis (PL} ^) und medialis
(PM) ^j . Ersterer nimmt die Aussenfläche des proximalen Drittels des
Humerus ein und ist nach unten gerichtet ; er beginnt direct hinter dem
Gelenkende , erreicht in der Mitte die grösste Höhe und fällt nach hinten
allmälig ab. Letzterer liegt an der Innenfläche des Humerus, dem Pro-
cessus lateralis direct gegenüber und ist kleiner und spitzer als dieser ;
er ist von dem Caput humeri durch eine kleine Einschnürung getrennt
und endet wie der Processus lateralis am Ende des ersten Drittels des
Humerus. Der mittlere Theil des Humerus hat gleich hinter den Fort-
sätzen seine geringste Dicke , nimmt aber nach dem hinteren Ende stetig
an Breite zu. Der distale Theil ist in schräger Richtung zusammen-
gedrückt. Sein knorpeliges Ende ai liculirt mit den Knochen des Vorder-
arms und zwar der mediale obere Theil desselben , Condylus ulnaris
s. medialis (CU) mit der Uina (U), der laterale untere Theil, Con-
dylus radialis s. lateralis (CR), mit dem Radius (R)^).
Körpers gedrückten und nach hinten gerichteten Humerus entnommen. Die bei
dieser Stellung nach aussen gerichteten Theile werden als laterale (äussere)
von den nach innen d. h. nach der Bauchwand zugerichteten medialen (inneren)
Theilen unterschieden, die nach oben gerichteten und die nach unten sehenden
Theile heissen obere (der Streckseite angehörige) und untere (der Beuge-
Seite zugehörende), die der Gelenkhöhle des Brustgürtels genäherten und die von
ihr entfernten Theile proximale und distale. Für den Rumpf gelten die Be-
zeichnungen aussen (ausserhalb der knöchernen Rumpfhöhleneinfassung liegend),
innen (innerhalb derselben), dorsal (oben, rückenwärts liegend), ventral
(unten , bauchwärts liegend) .
4) Die Fortsätze am proximalen Ende des Humerus der Urodelen sind noch
wenig differenzirte Bildungen , die weder mit den Tubercula noch mit den Spinae
tuberculorum des Menschen vergleichbar sind. Diese sind vielmehr Differen-
zirungen , die den Amphibien noch fehlen , aber aus den indifferenten Bildungen
derselben sich entwickelt haben. Zur Bestimmung dieses Verhältnisses wurde die
Bezeichnung Processus gewählt. Der Processus lateralis ist von den Autoren in
verschiedenster Weise benannt worden : Vordere Leiste (Mkckel), Trochanter (ohne
nähere Bezeichnung, Duc^s) ; Tuberculum majus s. anterius (Stanvius) ; laterales un-
teres Tuberculum oder Vorsprung des Humerus (Rüdingbr) ; Crest of the Humerus
(Owen, Mivart), Radial tubercule (Humphrt).
2) Hintere Leiste (Meckel) ; Trochanter (ohne nähere Bezeichnung , Ddgks) ;
Tuberculum minus (Stannius) ; Ulnar tubercule (Hühphrt). Von Oweh, Mivart,
Rüdingbr u. a. A. nicht besonders unterschieden.
3) DuGis bezeichnet beide als Condylus ohne weitere Unterscheidung. Owen
und Mivart benennen die entsprechenden Theile als Ulnar und Radial side of the
lower end of the humerus. Uuhpbrt : Ulnar and Radial condyle.
Zor yergleieheiijeD Aimtonie der SehuUermnsIceltt, 249
§.2.
Verven f&r die Sehnltermoskeln ^) .
(Vergleiche Taf. XIV. Fig. 4 —8.)
Die Muskeln der Schulter (mit Ausschluss der zu dem Zungenbein
gehenden] werden von den Rr. accessorii n. vagi und von den
fünf ersten Spinalnerven, und zwar, wie für sämmtliche
Wirbellhiere gilt, von deren ventralen Aesten innervirl.
4) Literatur:.
FuHK, a.a.O. S. 44. Tab.ni. Flg. 7^ (Ganz dürftige Angaben über das Nervensystem
von Salamandra macnlata).
BiflCBorv, Nervi accessorii Willisii anatomia et physiologia. Heldelbergae 4S32.
S. 47. (Accessorius von Salamandra maculata).
Vogt , Beiträge zur Neurologie der Reptilien. Neufchatel 4840. S. 55 f. (Vagus von
Salamandra maculata und Proteus anguineus).
FiscBBR, Amphibiorum nudorum neurologiae specimen. Berolini 4848. S. 80 f.
Taf. II. u. III. (Genaue Untersuchungen Über die Hirn nerven von Salamandra
maculata, Triton cristatus, Proteus anguineus).
BsNDS , Bidrag tel den Sammenlignende Anatomie af N. Glossopharyngeus , Vagus,
Accessorius Willisii og Hypoglossus hos Reptil ierne. Vid. Sei. näturvid. og mathem.
Afli. X Deel. Kjöbenbavn 4848. S. 484 f. Taf. IX u. X (Gehirnnerven von Sala-
mandra maculata , Triton pnnctatus).
Cuvisa, Lebens a. a. 0. Tome III. Paris 4845. 8. 826 f. S. 840 f. und S. 866 f.
Stanhivs, a. a. O. S. 448.
ScHiBss, Versuch einer speciellen Neurologie der Rana esculenta. St. Gallen und
BeVn 4857. S. 80 f. (Mit Bemerkungen über den Vagus und Accessorius von
Salamandra).
FiscHBR, Anatomische Abhandlungen über die Perennibranchiaten und Derotreroen.
I. Heft. Die Visceralbogen und deren Muskeln. Die Gehirnnerven. Hamburg 4 864.
S. 440 f. Tab. II — VI. (Vorzüglich genaue Untersuchungen über die Hirnnerven
von Siren lacertina, Siredon pisciformis, Hypochthon Laurenlii (Proteus anguineus),
Menobranchus lateralis, Amphiuma tridaclylum, Menopoma Alleghaniense, Crypto-
branchus japonicus, Siphonops annulatus).
OwBi«, a. a. 0. I. S. 848 f.
llüiiraRT , The Muscles and Nerves of the Cryptobranchus japonicus. Journal of tlie
Anatomy and Physiology. Vol. VI. Cambridge and London 4874. S. 4. f. Taf.
I— III.
Die eigenen Untersuchungen beschränken sich auf Proteus anguineus , Siredon
pisciformis und Salamandra maculata.
250 HftX FArbringer.
I. Rr. accessorii n. vagi (a)^).
Aus dem hinteren Theile der MeduUa oblongata entspringen drei
(obere) Wurzeln, die in der Regel zu einem Nervenstamm vereinigt
durch das sogenannte Foramen jugulare aus dem Schädel heraustreten
und hierauf zu einem ansehnlichen Ganglion anschwellen, von dem
aus eine beträchtliche Anzahl von Aesten sich im Pharynx (R. pharyn—
geus [q)]), im Zungengrund (R. lingualis [^A]], in den Kiemenbogen und
ihren Weichtheilen (Rr. branchiales [ßQ])j imM. capiti-dorsp-scapularis
[cds] (Rr. accessorii [a]], in den Hals- und Rnisteingeweiden und im
Magen (R. intestinalis c. R. recurrente [e] ) und an der Haut der Seiten-
linien des Körpers, bei niederen Zuständen in deren sogenannten Schleim—
kanälen (Rr. laterales) verzweigen und Anastomosen mit dem N. facialis
(R. communicans c. n. faciali [x] ) eingehen. Dieser Complex stellt die
Vagus-Gruppe {V)^) dar und enthält in sich die Homologen des
Glossopharyngeus , Vagus und Aecessorius Willisn der hohem Wirbel-
thiere , die bei den Urodelen in der Regel nicht als besondere Nerven
unterschieden werden können. Nur bei einzelnen zeigt sich eine mehr
(Siren) oder weniger (Amphiuma) ausgesprochene Trennung in zwei Ab-
theilungen, eine vordere aus der ersten Wurzel hervorg^ende (Glosso-
pharyngeus) und eine hintere aus den beiden letzten Wurzeln gebadete
1) Nur von Fischer, Bendz und Hümphrt angegeben.
Fischer beschreibt ihn bei einer grossen Anzahl von Urodelen in der Begd rich-
tig als Versorger des M. dorso-scapularis (Levator scapulae inf^oris in »Amphlbio-
rum nudorum neurologiae specimen 4848«, Cucullaris in »Anatomische AbhandloB-
gen über Perennibranchiaten und Derotremen 4864«), des dorso-trachealis nnd
dorso-Iaryngeus. Nur für Menopoma giebt er an, dass der R. accessorins sich gleich
nach seinem Ursprünge nach oben in die tiefen Nackeamusiceln schlinge nnd sich
im M. intertransversarins capitis inferior (Ecker) ausbreite , während er die zum
Gucttllaris abgehend«! Zweige des Hauptstammes des Vagus nicht besonders be-
nennt. Ich möchte vielmehr letztere als Rr. accessorii ansprechen, ersberen da-
gegen (auch angenommen dass er in seinem Ursprünge mit den Rr. accessorii grosse
Aehnlichkeit darbietet) wegen seiner Verlheilung in Rumpfmuskeln von einer Ver-
gleichung mit dem Aecessorius ganz auszuschliessen. Ffir die Deutung der Nerven
ist die Art ihrer Endausbreilung und ^Vertheilung in den von ihnen innervirlen
Theilen von erster Wichtigkeit.
Berdz lässt bei Salamandra einen äusserst feinen Faden sich in den Muskeln
und der Haut des Halses ausbreiten. Diese Angabe ist ungenau. Bei Triton fehlt
jede Beschreibung eines solchen Nerven.
HuMPHRT : large branch to the Trapezius.
a) Allgemeines über die Vagus-Oruppe giebt Gegenbaur, Grundzüge der*
vergleichenden Anatomie. S.Auflage. Leipzig 4870 S. 740, und vor Allem: Ueber
die Kopfnerven von Hexanchus und ihr Verhaltniss zur » Wirbeltheorie« des Schä-
dels. Jenaische}ZeiUchrift. Bd. VI. 4. Leipzig 4874. S. 497 f.
Zor veigleicheDdeu Anntonie der Sobuitennnskeln. 251
(Vagus et Aceessorius Willisii). Ob von den beiden hinteren Wurzeln
die kr&ffligere vordere dem Vagus, die schwächere hintere dem Acees-
sorius direct entspricht, wie Fischer als wahrscheinlich angiebt, ist
durch die Untersuchung mit dem Messer nicht zu entscheiden ^) .
. Von Bedeutung für die Muskulatur der Schulter sind allein die
Rr. accessorii (a)^); die einfach oder mehrfach auftreten können. Sie
sind entweder reprJisenlirt durch einen selbständigen Ast der Vagus-
gruppe (Siredon) oder stellen einfache Nebenaste des R. intestinalis dar
{Triton, Menobranchus, Menopoma) oder sind veitreten durch einen
Hauptzweig der Vagusgroppe und zugleich einzelne Nebenzweige des
R. intestinalis («] (Salamandra). Sie gehen zwischen M. capiti-dorso-
scapnlaris (Guouilaris) (cds) und M. basi-scapularis (Levator scapulae)
[bs] schräg nach aussen, hinten und unten und vertheilen sich in
ersterem Muskel , in seine Innenflache eintretend. Ausserdem ertialten
auch die zum BrustgUrtel nicht direct gehörigen Mm. dorso-laryngeas
(dl} und dorso-iraehealis (dir) feine Zweige von ihnen.
II. Nn. spinales.
Von den ventralen Aesten der Spinalnerven sind nur die der fünf
(Proteus, Siredop, Salamandra) oder sechs ersten (Cryptobranchus nach
Humphsy) von Bedeutung für die Muskeln der Schulter. Der erste ist
von den übrigen getrennt, die sich in der Regel (Proteus ausgenommen)
zum Plexus brachialis') vereinigen.
4 ) Die Selbstttodigkoit des N. aceessorius WiiUsü ist auch bei den aaderD Classen
der WirbelUiiere angezweifelt worden und das mit Recht. Auch in seiner höchsten
Diflerenstrung (beim Sttugethier, speziell beim Menschen) gelingt es in sehr vielen
Fallen nicht, seine Wurzeln von denen des Vagus abzugrenzen; ein in den meisten
Lehrbüchern beschriebener grosserer Zwischenraum zwischen beiden ist durchaus
nicht Regel. Die sofortige Verschmelzung des R. internus n. accessorii mit dem
Vagus, noch bevor dieser den Plexus nodosus bildet, spricht ebenfalls gegen seine
Selbständigkeit. — Die auf S. 468 gemachte Angabe Fischbr's »Menobranchus ist
übrigens die einzige Gattung, bei der ich einen dem N. aceessorius Willisii ent-
sprechenden Nerven von ganz selbständiger Form fand« steht im Widerspruch mit
seiner sonstigen Behauptung und der gegebenen Abbildung und dürfte wohl auf
einem Schreibfehler beruhen.
Z) Die Rr. accessorii sind natürlich nur Homologa des R. ezternus n. accessorii
Willisii.
8) Füiiz's Angabo: ^Nervorum intercostalium (?) priorum quatuor vel quinque
paria superiora plexum conformant ntrinque brachialem« ist mir unverständlich.
CuviKZ, der wie Owen mit Recht die Zusammensetzung des Plexus aus vier Spinal-
nerven angiebt, unterscheidet fie beiden ersteren als Cervicalnerven , die beiden
Iplzteren als Dorsatnerven. Eine solche Unterscheidung ist in Wirklichkeit nicht
252 VUx Fflrbrlnger,
Ventraler Ast des N. spinalis I. (/). Er vertbeilt sich mit
seiner Hauptmasse (1) in der liinteren Zungenbeinmuskulaturi) und
den namentlich bei den Sozobranchiem sehr entwickelten hypaxonischen
und ventralen Rumpfmuskeln (mit Einschluss der Längsmuskeln des
Zungenbeins) und giebt ausserdem ein feines Aestchen, das durch
die hypaxone Muskulatur des Halses nach aussen und oben tritt, den
N. thoracicus süperior I. (2), an den Tordem Theil des M. basi->
scapularis (levator scapulae) (bs) ab.
Ventraler Ast des N. spinalis IL {11). Ausser den die hy-
paxonischen und ventralen Rumpfmuskeln mit Einschluss der hintern
Zungenbeinmuskeln und die Haut des Halses versorgenden Zweigen (3)
giebt er drei grösstentheils zur Schultermuskulatur gehende Aeste ab.
Der erste, N. thoracicus süperior IL (4), verzweigt sich im hin-
tern Theil des M. basi-scapularis [bs] und dem vordem des H. thoracic
scapularis (ths), der zweite, N. thoracicus inferior IL anterior (5)
innervirt den H. pectori-scapularis internus (omo-hyoideus?) {psi)^ der
dritte geht entweder an der Innenseite des Plexus nach hinten zum M.
rectus abdominis (ra) (Proteus] oder er theilt sich in zwei Zweige, von
denen der eine nach dem M. rectus abdominis verläuft (6) (N. thoracicus
inferior IL posterior] , der andere sich früher (Salamandra , Grypto-
branchus) oder später (Siredon] 2] mit einem vom N. spinalis IIL abgehen-
den Zweige zum N. supracoracoideus {spc) verbindet.
zu geben , da bei den Amphibien mit dem Mangel von wirklichen Brastbeinrippen
auch jedes Criterium fehlt, eine Hals- und Brastregion zu unterscheiden. Dass
auch am Halse bewegliche Rippen vorkommen können (Reptilien), ist bereits lange
bekannt.
4) Aus diesem Grunde wird der N. spinalis I. und II., oder auch der N. spinalis
11. und III. (Menobranchusj von den meisten Autoren als Homologen des N. hypo-
glossus des Menschen gedeutet. Diese Vergleichung ist nur insofern gerechtfertigt,
als sie sich auf den sogenannten N. descendens hypoglossi modificirt. Letzterer ist
allerdings kein Gehirnnerv, sondern entsteht aus Aesten der beiden ersten Spinal-
nerven, die sich an den N. hypoglossus anheften , ohne mit ihm einen wirklichen
Innern Zusammenhang zu besitzen. Dies beweist auch die nicht seltene Verbin>
düng mit dem N. vagus anstatt mit dem hypoglossus.
5) Bei Siredon sind die aus dem zweiten und dritten Spinalnerv hervor-
gehenden Theile des N. supracoracoideus innerhalb der Brusthöhle noch getrennt
und vereinigen sich erst beim Durchtritt durch das Foramen coracoideum. Wie
innig diese Vereinigung ist, konnte nicht ganz vollständig nachgewiesen werden ;
jedenfalls existirt keine Verflechtung der Elemente beider Theile und der aus dem
zweiten Spinalnerv hervorgehende innervirt grösstentheils den M. procoraco-
bumeralis, der von dem dritten abstammende deif M. supracoracoideus.
Zur feigleiebeDden Anatomie der SchnltermaskelB. 253
Ventraler Ast des N. spinalis III. (///). Er ist doppelt so
stark uDd versorgt bis auf einige kleine Aeste , die an die hypaxonische
(bei Cryptobranchus und Menobranchus auch an die ventrale) Rumpfe
musculatur und die Haut des Halses gehen, die Schullergegend. Zuerst
giebt er einen N. thoracicus superior HI. (7) an den vordem Theil
des M. thoraci-scapularis (Serratus magnus] [ths) ab und verbindet sich
hierauf mit den Nn. spinales II. und IV. zu den Ansäe inferiores II. und III.
und der Ansa superior III. Die Ansa inferior II. fehlt bei Proteus. Bei
Siredon geht von dem zur Ansa III. inferior sich verbindenden Theil noch
ein feiner Ast an die Bauchmuskeln ab (N. thoracicus inferior IH [8]].
Ventraler Ast des N. spinalis IV. [IV). Der stärkste Nerv
des Plexus brachialis , aber nur wenig starker als der N. spinalis III.
Er bildet nach Abgabe eines N. thoracicus superior IV. (9) für den
hintern Theil desM. thoraci-scapularis (Serratus magnus) [ths) mit den
Nn. spinales III. und V. die Ansäe inferiores und superiores III. und IV.
Ventraler Ast des N. spinalis V. [V]. Meist kaum so stark
wie der N. spinalis IL, seltener (bei Cryptobranchus) ein kraftiger Nerv.
Er giebt mehrere Aeste (41) an die Mm. obliqui und rectus abdominis
[oa und ra) ab und geht schliesslich mit dem N. spinalis IV. die Ansa
spinalis IV. ein, bei Cryptobranchus ausserdem mit dem N. spinalis VI.
die Ansa spinalis V.
Ventraler Ast des N. spinalis VI. Bei Cryptobranchus geht
ein kleines Aestchen desselben Beziehungen zum Plexus brachialis ein
und bildet mit dem N. spinalis V. die Ansa spinalis V.
Der Complex aller dieser Ansäe in Gemeinschaft mit den N. thoracici
superiores und inferiores bildet den Plexus brachialis. Die aus ihm
hervorgehenden Nerven lassen sich hier, überhaupt bei
allen Amphibien, Reptilien, VOgeln und Säugethieren,
in drei (resp. vier) Si^hichten sondern. Von diesen (bei An-
nahme von vier Schichten) werden die beiden äusseren von den
Nerven, welche die nur amBrustgttrtel inserirenden also
lediglich auf den Rumpf (Thorax) beschrankten Muskeln
versorgen, die beiden inneren von den Nerven, welche
die mit irgend welchen Theilen der vorderen Extremität
selbst in Verbindung stehenden Muskeln i n nervi ren, ge-
bildet. Die beiden ersteren sind als Nn. thoracici superio-
res und inferiores^) zu bezeichnen, je nachdem sie die Muskeln
4) Weil besser wären die Bezeichnungen: Nn. brachiales dorsales and yen-
trales. Da aber bereits für jeden Nerven dorsale und ventrale Aeste unterschieden
werden, würde der wiederholte Gebrauch dieser Benennungen für TheÜe der ven-
Bd.Tn.s. 47
254 Max Fürbringer.
am dorsalen (resp. lateralen) oder am ventralen Abschnitte
d es Rumpfes inner viren, die beiden letzteren alsNn. brachiales
superiores und inferiores, je nachdem sie die dorsal gelegeneu
Streckmuskeln oder die ventral gelegenen Beuge muskeln
der vorderen Extremität^) versorgen. Von diesen Schichten existirt
eine deutliche Scheidung zwischen Nn. thoracici superiores, Nn. brachia-
les superiores und Nn. brachiales inferiores; erstere zweigen steh in der
Regel sehr früh von den beiden anderen ab und sind meist durch da-
zwischen gelagerte hjpaxone Rumpfmuskeln (System der Scaleni su-
periores bei den höheren Wirbelthieren) von ihnen abgetrennt. Weniger
bestimmt hingegen ist die Scheidung der dritten von der vierten Schichte,
weshalb die letztere nicht als selbständiger Complex aufzufassen, sondern
mit der dritten Schichte zu vereinen ist. Danach existiren drei
Schichten, die von oben nach unten gerechnet die Reihenfolge er-
geben: 4) Nn. thoracici superiores, 2) Nn. brachiales su-
periores, 3) Nn. brachiales inferiores und Nn. thoracici
inferiores^).
Die Nn. brafchiales inferiores sind folgende:
a) N. supracoracoideus (12)3). Ein mittelstarker Nerv, der entweder
von dem N. spinalislll. abgegeben wird (Proteus) oder ausder Ansa 11.
hervorgeht, dann zum kleinern Theile von N. spinalisü., zum grossem
traten Aeste nur zu Verwechslungen führen. — Eine allerdings sehr mangelhafte
und von der hier gegebenen abweichende Eintheilung in Schichten wurde auch von
CuviKR für die Nerven des Menschen gegeben (L^cons a. a. 0. p. S58}. Cvvibk unter-
scheidet drei Schichten (faisceaux), eine mittlere, aus der Medianus und Ulnaris,
eine hintere, aus der Radialis und Axillaris , und eine äussere, aus der die Thora-
cici, Scapulares, Cutaneus externus und internus (?) hervorgehen.
4) Die Trennung in Streck- und Beugemuskeln kann sich durch verschieden-
artige secundäre Anpassungen derart verwischen, dass ursprüngliche Streckmuskeln
die Functionen von Beugern ausiUien und umgekehrt. Nach diesem Gesichtspuncie
sind alle abweichenden Verhältnisse zu erklären. Eine ursprüngliche Scheidung in
Strecker und Beuger ist nichts desto weniger festzuhalten.
%) Vorausgreifend mag folgendes bemerkt werden. Die Nn. thoracici su-
periores entsprechen den menschlichen N. dorsalis scapulae und N. thoracicus
posterior s. lateralis, die Nn. brachiales superiores sind Homologe der
menschlichen Nn. subscapulares, N. cutaneus brachii internus minor (mit Beschrän-
kung), N. axillaris und N.- radialis, die Nn. brachiales inferiores und Nn.
thoracici inferiores sind zu vergleichen den menschlichen Nn. thoracici s.
pectorales anteriores, N. cutaneus brachii internus major s. medius, N. musculo-
cutaneus , N. medianus und N. ulnaris (mit Beschränkung) ; von den Nn. thoracici
s. pectorales anteriores kann der zum M. subclavius gehende Ast als specielles
Homologen der Nn thoracici anteriores aufgefasst werden.
8) Der N. supracoracoideus der Urodelen ist seiner überwiegenden Hauptmasse
nach sicher als ein N. brachialis inferior aufzufassen , doch kann ein vollkommener
Zar yergleiehendeii Anatomie der SehaUermoskeln. 255
von N. spinalis Hl. gebildet (Siredon, Gryptobrancbus, Salamandra].
Er geht in lateralem und etwas nach vorn gerichtetem Verlaufe nach
dem Foramen coracoideum, durch das er nach aussen zu der Innen-
fläche des M. supracoracoideus (spc)j ooraco-radialis proprius (crp)
(\ 3) und des hinteren Theiles des procoraco-humeralis (ph) tritt (4 4),
bei Proteus auch an die Haut zwischen Coracoid und Pröqoracoid (4 5j .
Dieser Nerv ist keinem menschlichen Nerven direct zu ver-
gleichen, steht aber in naher Beziehung zum N. suprascapularis,
wie namentlich die Verhältnisse bei den lionotremen in einleuchtend-
ster Weise ergeben (siehe unten Cap. VI). Sein Verlauf durch den
Brustgttrtel oder vor demselben (bei Proteus durch die Incisura
coracoidea) schliesst jede Vergleichung mit Nerven aus , die hinter
demselben (resp. hinter dem Processus coracoideus) nach aussen an den
Oberarm treten. Aus diesem Grunde kann ich mit Humphry's Deu-
tung, als Homologon des N. musculo-cutaneus , nicht Übereinstim-
men, um so mehr nicht, als der N. supracoracoideus weder einen
Hautast an den Arm schickt, der irgendwie mit dem R. cutaneus
externus n. musculocutanei zu vergleichen wäre, noch zu den Mm.
ooraco-braobiales und brachialis inferior in Beziehung steht.
6) N. pectoralis (47) ^). Ansehnlicher Nerv, der meist aus dem N. spi-
nalis IV. und V., zu denen auch ein feines Fädchen aus dem N. spi-
nalis 111. treten kann, bei Cryptobranchus aus dem N. spinalis IV., V.
und VI. hervorgeht und sich nach Bildung der Ansa IV. von dem
hintern Theile des Plexus abzweigt. Er geht nach Abgabe eines
inconstanten Hautästchens an die Brust (i 8) um den hintern Rand
des Coracoid und seiner Muskeln nach der Innenseite des M. pecto-
ralis (p), in dem er sich mit mehreren Zweigen (4 9) verästelt. Ausser-
dem findet sich bei Proteus ein kleines Aestchen an den M. obliquus
abdominis extemus (20).
Der Nerv ist ein Homologon der sogenannten Nn. thoracici an-
teriores des Menschen. Da diese Bezeichnung der menschlichen Ana-
tomie wenig Werth hat und mit der hier eingeführten Eintheilung und
Benennung der Nerven im Widerspruch steht und leicht zu Verwechs-
lungen Anlass geben kann, wurde sie nicht angenommen.
Mangel von Elementen eines N. brachialis saperior nicht nachgewiesen werden,
weil eine Trennung beider Schiebten an seiner Ursprunggstelle noch nicht einge-
(releo ist. HuiiPBaT lässt durch ihn die Mm. coraco-brachialis superficialis (ss Supra-
coracoideus), Biceps (» Coraco-radialis proprius) Auid vielleicht auch den Coraco-
brachialis brevis versorgen und deutet, ihn als N. musculo-cutaneus und alsseriales
Homologon des N. obturatorius.
4) Von HuNraaT beschrieben, aber nicht besonders bezeichnet.
47*
256 Max FQrbringer.
c) N. brachialis longus inferior (S1)^). Der kräftigste Endast
des Plexus , durch Verbindung von Theilen des N. spinalis HI mit
den vereinigten Nn. spinales IV. und V., bei Cryptobranchus durch
Vereinigung von Aesten des N. spinalis IV., V. und VI. gebildet.
Der N. brachialis longus inferior ist ein Homologen aller der Ner~
ven des Menschen, welche die Beugeseite der vorderen Extremität ver—
sorgen, er enthält also in sich die Elemente des N. medianus, uiaaris
und musculo-cutaneus, die bei den Amphibien im Bereiche des proxi-
malen Endes des Oberarms noch nicht getrennt und überdies auch
in anderer Weise vertheilt sind. Er giebt vor seinem Austritte aus
der Brustbohle die Nn. coraco-brachiales ab und geht sodann in
einer wenig gedehnten Spirale^) zwischen dem M. anconaeus cora—
coideus (ac) und M. anconaeus huraeralis medialis (ahm) nach der
Beugeseite des Oberarms. Zugleich theilt er sich früher oder später,
bei Salamandra am proximalen Ende des Oberarms, bei Proteus und
Siredon vor der Mitte, bei Cryptobranchus am distalen Ende, in
zwei lange Endäste , den Ramus superficialis und profundus.
a) Nn. coraco-brachiales (22) 3). Ein oder zwei Aeste, die
vor dem N. pectoralis liegen , zwischen dem M. anconaeus cora-
coideus und den Mm. coraco-brachiales verlaufen und sich im
M. coraco-brachialis longus und brevis verzweigen.
Diese Nervenzweige entsprechen nur theÜweise dem N.
musculo-cutaneus ; die diesem zugehörigen Hautäste und Aeste
für den M. brachialis inferior werden vom R. superficialis n.
brachialis longi inferioris abgegeben. Ein vollkommenes Homo-
logen des N. musculo-cutaneus fehlt den Urodelen.
ß) R. superficialis n. brachialis longi inferioris (23)^).
Ansehnlicher Nerv. Er giebt am Anfange des Oberarms ein feines
Aestchen (24) an den M. brachialis inferior [hai) ab und iheilt
sich hierauf in mehrere Hautäste [Nn. cutanei inferiores mediales
(25) et laterales (26) und einen Muskelast (27)], die vorzugsweise
4) Von HuMPHRT nach Abgabe der Muskeläste für die Mm. coraco-brachiales als
Medianus beschrieben.
%) Die Bildung dieser Spirale sowohl für den N. brachialis longus inferior wie
superlor ist Folge der Drehung des Humerus. Die spiralige Windung des letzteren
ist meist deutlicher , weil auf die ganze Länge des Oberarms ausgedehnt, als die des
ersteren, welcher blos in der Schultergegend und am proximalen Ende des Ober-
arms eine Spirale macht, während er in der Mitte und am distalen Theile desselben
gerade verläuft.
8) Von HuMPHRY beschrieben, aber nicht benannt.
4) HUMPHRT : The ulnar trunk of the median nerve.
Znr vergleleheDdeo Anatonie der SchuUenDUskela. 257
die Haut der Beuge des Vorderarms und die oberflächlicheren
Muskeln innerviren.
Nach Art seiner Vertheilung am Oberarm , Vorderarm und
der Hand (deren detaillirte Beschreibung nicht hierher gehört) ist
er einzelnen Elementen der Nn. musculo-cutaneus, ulnaris und
medianus homolog, durchaus aber nicht dem Ulnaris, wie Humphrt
will, zu vergleichen.
y) R. profundus n. brachialis longi inferioris (28) i).
Dem vorigen gleich starker Nerv. Er giebt in der Regel keinen
Ast an den Oberarm ab , sondern versorgt gemeinsam mit dem
R. superficialis Beugeseite des Vorderarms und der Hand, na-
mentlich deren tiefere Muskelschichten.
Enthält in sich Elemente des N. medianus und ulnaris, be-
sonders des N. interosseus internus, ist aber mit keinem von
diesem direct vergleichbar.
Die Nn. brachiales superiores vertheilen sich in folgender
Weise:
a) N. subsoapularis (29) 2). Ein (Salamandra, Cryptobranchus)
oder zwei (Proteus, Siredon) dünne Nerven, die entweder noch
vor Bildung der Ansa superior HI. vom N. spinalis.IU. entspringen
(Proteus, Siredon, Salamandra) oder von den vereinigten Nn. spi-
nales UL, IV. und V. abgehen, vom N. spinalis IV. vorzugsweise ge-
bildet (Cryptobranchus), und in lateralem Verlaufe an die Innenseite
des M. subscapularis oder M. subcoracoideus gehen und ihn in-
nerviren.
Die Homologie dieses Nerven mit dem menschlichen N. sub-
scapularis (anterior) ist klar.
b) N. dorsalis scapulae (axillaris.) (30)^). Ein (seltener zwei)
ziemlich ki^tiger Nerv, der entweder vom N. spinalis III., gleich
hinter dem N. subscapularis vor oder nach Bildung der Ansa su-
perior III. (Salamandra, Proteus) oder vom N. spinalis HI. und IV.
(Siredon) oder vom N. spinalis III., IV. und V. (Cryptobranchus)
abgegeben wird und sich oberhalb (dorsal) vom M. anconaeus sca-
pularis medialis {asm) und innen vom M. latissimus dorsi (dh) um
1 ) Humphrt : Tbe median trank of the median nerve.
S) HuMPHBT : Subscapular nerve.
8) HuMPBRT ; Tbe nerves to the last two musclos (dorsalis scapulae and precoraco-
brachial) which most , in pari any rate , answer to the muscles (infra- and sopra-
spioatus), which are, in ourselves, suppiied by the suprascapular nerve. It is
interesting to observe the nerves in this animal iaking a course, behind tbe scnpula
to sapply the muscles on tbe dorsum of the scapula etc.
258 ^»x PfirbriDger.
den binteiH Band der Scapula herumsdhlägt, auf deren Auss^enfläche,
vom M. dorsalis scapulae [ds) bedeckt und ihm mehrere kräftige Zweige
(34) mittheilend, er nach vom verlauft und Isich am vordem Rande
dieses Muskels in einen oder zwei Haut- und einen Muskelast theilt.
Die Hautäste (Nn. cutanei laterales brachii superiores) (3S) versorgen
die Haut der Achsel und vordem Bhist, der Muskelast (33) innervirt
den grösseren vorderen Theil des M. procoraco-hmneralis {pk).
Ein vollkommenes Homologon dieses Nerven fehlt beim Men-
schen. HuMPHRY hält eine VergleichuYig mit dem N. suprascapularis
für wahrscheinlich (might be designated Suprascapular) wegen seiner
Endigung in den Mm. dorsalis scapulae und procoraoo-humeralis,
die er mit den Mm. infra- und supraspinattts des Menschen horoo-
logisirt. Dagegen spricht als Hauptgrund sein von dem N. supra-
scapularis ganz abweichender Verlauf (hinteranstatt vorder Scapula),
ein Umstand, den Hcmphrt auch mit Recht betont; aber nur hinteres-
ting« findet, ohne ihn aufzuklären. Gerade dieser von den menscb-
liehen Verhältnissen ganz abweichende Verlauf erregt auch Beden-
ken gegen die Homologie der Mm. dorsalis scapulae und procoraoo-
humeralis mit den Mm. infra- und supraspinntus, eine Homologie,
die durch die vergleichende Rehandlung der andern Wirbelthier-
klassen vollständig widerlegt wird (vergleiche die folgenden Gapitel).
Eine Vergleichung mit dem N. suprascapularis ist also unbedingt
auszuschliessen. Allein Berücksichtigung verdient das Verhältniss
zum N. axillaris. Dieser hat mit dem N. dorsalis scapulae sowohl^
nach der Richtung seines Verlaufes, als auch nach dem Bereiche
seiner Vertheilung (an der Haut der Schulter und an Muskeln, deren
nahe Beziehung zum Deltoideus nicht abgesprochen werden kann)
grosse Aehnlichkeit. Wir würden nicht anstehen , ihn ohne W^teres
mit diesem zu vei^leichen, wenn nicht seine abweichende Lage ober-
halb des M. anconaeus scapularis (theilweises Homologon des Caput
longum m. tricipitis hominis) dagegen spräche.
c) Nn. latissimi dorsi (34) ^). Ein oder zwei ziemlich dünne Ner-
ven, die von den Nn. spinales HI. und IV., bei Cryptobranchus von
den Nn. spinales III., IV. und V. abgehen, der vordere meist ge-
meinsam mit dem N. dorsalis scapulae, und die in die Innenseite des
M. dorso-humeralis (iatissimus dorsi) (dh) eindringen.
Der Nerv ist ein Homologon des sogenannten N. subscapularis
longus s. marginalis scapulae des Menschen. Die nahe Beziehung zu
den den M. subscapularis innervirenden Nerven erscheint mir aber,
4) Von Hcmphrt zu den Nn. subscapulares gerechnet.
Znr vergleicheudcn Anatomie der SchuUennuskcIii. 259
auch beim Heischen, ebensowenig klar gelegt, als eine Zurückftthrung
des M. subscapularis und M. latissimus dorsi auf eine gemeinsame
indiflerente Grundform möglich ist. Vielmehr gehören beide Muskeln
von Anfang an verschiedenen Systemen an , und darum dürfte von
einer Bezeichnung der Nerven des M. latissimus dorsi s^Is Nn. sub-
scapulares abzusehen sein.
d) Nn. bracjiiales longi superiores (Radialis). Ein oder in
der Regel zwei kraftige Endäste der oberen Schichte des Plexus
brachialis. Im ersteren (nur bei einem Exemplar von Salamandra
maculata beobachteten) Falle ist der Nerv die directe Fortsetzung der
Ansa super. IV. und theilt sich gleich hinter dieser in den vorderen
stärkeren N. radialis profundus (35) und den hinteren schwächeren
N. radialis superficialis (38) . Im letzteren Falle entsteht derN. radialis
profundus aus der Ansa sup. lll. der N. radialis superficialis allein
aus dem keine Ansa eingehenden N. spinalis IV. oder V.
o) N. radialis profundus (35)^). Dringt zwischen den Mm.
anconaeus scapularis medialis [asm) und anconaeus humeralis
lateralis (ahl) einerseits und dem M. anconaeus humeralis me-
dialis [ahm) andererseits in die Streckmuskelmasse des Ober-
arms ein, giebt an die tiefere Lage oder bei schwach ent-
wickeltem N. radialis superficialis an die ganze Masse derselben
Muskeläste (36) ab und tritt nach gedehnt spiraligem Verlaufe
durch diese Streckmuskeln vor dem Condylus radialis in die
Ellenbogenhöhle und von hier aus wieder in die Streckmuskula-
tur des Vorderarms und an den Handrücken und zwar an dessen
radialen Theil (37).
Der Nerv entspricht theilweise den tieferen Partien des
menschlichen Radialis.
fi) N. radialis superficialis (38) 2). Giebl in der Achselhöhle
einen kleinen Hautnerven (39) an den lateralen Theil der Streck-
seite des Oberarms ab 3), verläuft hierauf neben dem N. radialis
profundus durch die Streckmuskulatur des Oberarms, ihrer ober-
flächlichen Partie mitunter Aesto abgebend (40) und tritt auf dem
Condylus radialis unter die Haut des Vorderarms. Bei geringer
Entwickelung (Salamandra) ist er in dessen Bereiche lediglich
1) Humpbut: Musculo-spiral or Radial nerve.
%) HuMPHRT: Posterior ulnar, or bctter, inferior musculo-spiral nerve.
I) Vermulhlich Huhphry's circuroflex nerve. Die theilweise Homologie mit dem
N. cutaneus brachii posterior, einem Ast des N. circumflcxus s. axillaris, i8t aller-
dings sehr wahrscheinlich.
260 Max Fflrbriiiger.
Hautnerv der Streckseite (N. cutaneus superior bracbii et antibra-
chii [44] t)der er versorgt auch (Gryptobranchus) die Muskulatur
derselben und geht bis zur Ulnarseite der Streckfläche der Hand.
Dieser Nerv ist vorzugsweise den oberflächlicheren Theilen
des N. radialis hominis zu vergleichen. Ob er auch, was nicht
unwahrscheinlich ist, dorsale Elemente des N. ulnaris enthält,
ist erst durch eine genaue vergleichende Bearbeitung des Vorder-
arms und der Hand zu entscheiden.
Neben dem Ursprünge des N. pectoralis zweigt sich von der Ansa IV.
ein obere und untere Nervenelemente enthaltendes Fädchen ab, das sich
an der Haut des medialen Theiles der Streckseite des Oberanns (N. cuta-
neus brachii superior medialis [42]) vertheilt. Nach Lage und Verthei—
lung ist es ein Homologen des menschlichen N. cutaneus brachii internus
minor s. Wrisbergii.
§3.
Muskeln der Schalter and des Oberarmi^).
(Vergleiche Taf. XV u. XVI.)
Die Muskeln der Schulter und des Oberarms lassen sich einmal nach
ihren Beziehungen zum Nervensystem, dann nach ihrer Lage (Ursprung
und Insertion] in folgende Gruppen ^) eintheilen :
4) Literatur:
FüNi, a. a. 0. S. 14. Taf. IL, Fig. 44. 42.
Meckbl, a.a.O. Band III. Halle 4888. S. 459 f. S. 474 f. S. 300 f. (Maskelo von
Proteus anguineus, Tritoo cristatus und Salamandra maculata).
Duois, a. a. 0. S. 486 f. (Triton).
CirviBR, a. a. 0. I. S. 402. (kurze Bemerkung über den Deltoideus und Goraco-
brachialis der Salamandrinen.)
Stanitiüs, a. a. 0. S. 424 f. S. 424 f.
RüniKGER , Die Muskeln der vorderen ExtremitILten der Reptilien und Vögel. Haarlem
4868. S. 44 f. S. 05 f. S. 404. (Siredon, Proteus, Triton, Salamandra.)
Owen, Comparative Anatomy and Physiology of Vertebrales. Vol. I. London 4866.
S. 247f.
MivART, Notes on the Myology of Menopoma Alleghaniense and Menobranchus late-
ralis. Proc. Zool. Sog. of London 4869. S. 264 f. a. S. 458 f.
HuHPBRT , a. a. 0. S. 80 f.
2) Ausser diesen werden von Fischer noch drei zur Schulter in Beziehung
stehende Muskeln angegeben, die zu untersuchen ich keine Gelegenheit hatte und
die ich nicht mit Bestimmtheit deuten kann. Der erste, »Levator maxillae
inferioris ascendens« (Anatomische Abhandlungen über Perennibranchtatan
und Derotremen S. 64 und als Appressor maxillae inferioris in Amphibiorum nudo-
rum neurologtae specimen I. S. 42), findet sich bei Amphiuma (und Caeoilia). »Er
Zar fergleiebeuden Anatomie der SchuHerrnnskeln. 261
A. Durch N. vagos innervirt :
Ursprung von der dorsalen Flüche des Hinlerkopfes
und Rückens.
Insertion am Brustgttrtel:
Capiti-dorso'Scapularis (Cucullaris).
entspringt mit zwei Porttonen : 4) von der die Muskeln vor- und median wärts vom
Schultergerüst überziehenden Fascie, und zwar in einer Queriinie , die sich vom
Oberarmgelenk bis zur ventralen Mittellinie des Körpers erstreckt, 8} von der äus-
seren Fläche des winzigen Oberarms nahe unter dessen Gelenk mit dem Schulter-
blatt. Seine Fasern laufen convergirend nach vorn und oben und inseriren sich an
die Spitze des bei Amphiuma ungewöhnlich langen hinteren Unterkieferfortsatzes.«
Dieser Muskel , der gemeinsam mit dem M. mylohyoideus posterior von dem R.
jugularis n. facialis (S. Fischeh a. a. 0. S. 486) versorgt wird, fehlt den andern
untersuchten Urodelen in der beschriebenen Form. Doch ist der sogenannte Mylo-
hyoideus posterior bei Proteus sehr ansehnlich nach hinten zu entwickelt und er-
streckt sich nahezu bis zum Brustgürtel. Diese Beziehung und die gemeinsame
Innervation mit dem Mylohyoideus posterior sprechen für eine nähere Zusammen-
gehörigkeit beider Muskeln. Eine weitere Bestätigung dieser Vermuthung wird
gewoonen durch die Vergleichung mit den Fischen , vorzugsweise den Selachiern
und Chimären. Bei diesen liegt , nach den eingehenden Untersuchungen Vbttbr's
(demnächst unter dem Titel »Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der
Kiemen- und Kiefermuskulatur der Fische« erscheinend), direct unter der Haut in
der Kiefer- und Kiemengegend eine mehr oder minder mächtige von Trigeminus,
Facialis , Glossopharyngeus und Vagus innervirte Quermuskelmasse , die in ihrem
vordem Theile den Raum zwischen den beiden Unterkiefern ausfüllt, in ihrem
mittleren Abschnitte theilweise die äusseren Kiemenbogen umhüllt, theilweise durch
sie Unterbrechungen erleidet und dann sehr complicirte Beziehungen eingeht, die zu
beschreiben hier nicht der Ort ist, und die in ihrer hinteren dünneren und sehnigen
Partie sich (bei Heptanchus, Scymnus, Chimaera) an die Oberfläche des Brustgürtels
anheftet und sogar bis auf die Basis der Brustflosse erstreckt. Dieser Muskel, für den
ich den Namen Constrictor arcuum visceralium vorschlagen möchte, findet
sich, wenn auch etwas verändert, bei Lepidosiren und Ceratodus (s. Hümphut. the Mus-
cles of Lepidosiren annectens and Ceratodus. Journal of Anatomy and Physiology.
ll.Ser. No.X. May487i. Cambridge and London. S. 258 f. S. 279 f., von Humpbiit als
most or mesial portion of the cervicalis superficialis beschrieben). Bei der Mehrzahl
der Amphibien sind die, bei Ceratodus noch vollständig gewahrten, Beziehungen zum
Brustgürtel aufgegeben, der Muskel ist verkümmert bis auf vordere Theile zwischen
dem Unterkiefer und dem ersten eigentlichen Kiemenbogen (da auch meistens redu-
cirt) und einzelne tiefere zu Pharynx und Larynx in näherem Connex stehende Par-
tien : es sind allein noch erhalten die Mm. mylohyoidei und constrictores pharyn-
gis et laryngis. Nur bei Amphiuma (und Caecilia) existirt ein Zusammenhang des
Muskels mit dem Brustgürtel als sogenannter Levator maxillae inferioris ascendens.
Ob dieser wirklich genau homolog ist den hinteren mit dem Brustgürtel und der
Brustflossen basis verbundenen Partien des Constrictor arcuum visceralium der Sela-
chier und Chimären, oder ob er eine vorwiegend nach hinten zu entwickelte Partie
des vordem Abschnittes darstellt, kann zur Zeit nicht entschieden werden. Für die
letztere Annahme spricht die Innervation durch den Facialis (die hintere Partie des
262 Max Ffirbringer.
B. Durch Nn. thoracici superiores innervirt:
Insertion am dorsalen Abschnitt des Brustgürtels.
a) Ursprung vom ventralen Theile des Hinterkopf es
Basi-scapularis (Levator scapulae),
b) Ursprung von Rippen:
Thoraci-scapularis (Serratm ma^nus),
C. Durch N. thoracicus inferior II. anterior innervirt :
Ursprung von der ventralen Bauchmuskelmasse, Inser-
tion an der Innenflache des Brustgttrtels:
Pectori-scapularis internus,
D. Durch Nn. brachiales inferiores innervirt :
a) Ursprung vom Rumpfe (Bauchfläche, Sternum), Insertion am
Oberarm:
Pectoralis.
b) Ursprung vom ventralen Theile des Brustgttrtels (Cora-
coid] .
a) Durch N. supracoracoideus innervirt, Insertion am Oberarm und
Vorderarm :
Supracoracoideus mit Coraco-radialis proprms,
ß) Durch Aeste des N. brachialis longus inferior innervirt, Inser-
tion am Oberarm:
Coraco-'brachialis longus und brevis.
c) Ursprung vom Oberarm, Insertion am Vorderarm (Ra-
dius und Ulna) .
' Humero-antibrachialis inferior (Brachialis inferior).
Constrictor der Selachier wird vom Vagus versoi^t), falls diese wirklich ausschliesi^
lieh für den ganzen Muskel gilt. — Die beiden andern Muskeln finden sich
allein bei Menobranchus (s. Fischer, Anatomische Abhandlungen etc. S. 446 f.).
Der eine , »M. omopharyngeus«, » erstreckt sich vom vordem Rande der knö-
chernen Scapula nach vorn an dieselbe Inscriptio tendinea, die dem dorsotrachealis
zur Insertion dient,« und wird innervirt durch einen feinen Ast des N. vagus, der
andere wird von Fischer ohne weitere Ausführung als M. storno-cleido-
mastoideus angegeben. Der Mangel einer eingehenden Beschreibung und
beigefügten Abbildung lässt eine sichere Deutung nicht zu. Nach Lage und Inner-
vation lassen sich in ihnen mit Wahrscheinlichkeit Verwandte des M. caplti-dorso-
scapularis erkennen.
Zur Ter^eiehendeo Arnttomie iler SchQHennuskelo. 263
£• Durch Nn. brachiales inferiores und superiores zu-
gleich innervirt:
Ursprung vom vorderen Theil des ventralen Abschnittes
des Brustgttrtels, Insertion am Oberarm:
Procaraco-humeralis.
F. Durch Nn . brachiales superiores innervirt :
a) Ursprung vom Rumpfe (dorsale Fläche des Rückens] , Inser-
• tion am Oberarm :
Dorso-humeralis (LatissimtiS dorsi).
b) Ursprung vom Brustgurte], Insertion am Oberarm:
a) Ursprung von der Aussenflache der Scapula , Insertion am Pro-
cessus lateralis :
Dorsalis scapulae.
ß) Ursprung von der Innenfläche des Bvustgttrtels , Insertion am
Processus medialis:
Subcorac(HScapularis.
c) Ursprung vom Brustgttrtel und Oberarm, Insertion am
Vorderarm (Ulna):
Anconaeus.
1. Caplti-dorso-peapnlaris (Cacullaris) [cds]^).
Oinomastoidens: Ftmi (Fig. 44 h, Fig. 48 k).
Vorwärtszieben der Schulter: Mbckbl (No. 4).
Spiai-8U8-8capalairei portioD du trapöze; Masto-sus
acromial oa sternomastoidien; Ex-occipito-sus-sca
palaire, portion du trapöze: Ducis (No. 98. 80. 84).
Pasciculus of protractor scapalae: Owbn (No. 49).
4) STAiraiufl beschreibt an seiner Statt zwei Muskeln, von denen. der eine ».von
der hinteren Schfldelgegend zur Seapala und zum Processus acromialis erstreckt ist«
der andere »von der Rtlekengegend abwfirts zur Grenze der Scapula und des Proc.
acromialis erstreckt ist«. Eine Deutung ist nicht gegeben.
RüniHOsa beschreibt bei Siredon eine von der bei Triton und Salamandra ab-
weichende Insertion (von ihm als Ursprung aufgefasst). Während er bei beiden
letzteren von der Scapula entspringt, soll er bei ersterem von »dem rundlichen
Knoohen, welcher mit der Scapula in Verbindung tritt« (1) kommen. Diese Angabe
ist mir unverständlich. Jedenfalls aber, es mag nun unter »dem rundlicben Knochen«
das Procoracoid oder die knOcbeme Scapula oder blos ein Theil derselben ver-
standen sein, kann ich die Verschiedenheit nicht bestätigen.
264 Mai FUriBger.
Cacallaris et Sterno-cleido-mastoideas: Rübhigui.
Trapez ias: Miyait, Hcsphbt.
Ein verschieden entwidLelter Muskel. BeidenSozobranchiern ist
er schmal und klein (besonders bei Menobranchus und Amphiuma) und
entspringt lediglich vom RüdLen^), von' einer dOnnen Aponeurose die
sich ttber die mediale Längsmuskulatur hinwegzieht und mit der Haut
verwachsen ist. Er ist also hier allein ein Dorso-scapularis. Bei
den Sozuren ist er breiter und bis zum Kopfe ausgedehnt Er ent-
springt hier muskulös vom Hintertheil des Os occipitale laterale, so%i%'io
von der dünnen auf der Längsmuskulatur des Rückens aufliegenden
Aponeurose in der Höhe der zwei ersten Wirbel. Er ist hier ein G a p i t i -
dorsO'Scapularis. Mit convergirenden Fasern geht er nach unten
und hinten und inserirt kräftig am vordem Rande der an einander
slossenden meist verknöcherten Theile der Scapula und des Procoracoids.
Innervirt durch Rr. accessorii n. vagi (a).
lieber die allgemeine Homologie dieses Muskels mit den zu einander
in naher Reziehung stehenden Cucullaris und Stemo-cleido-mastoideus
des Menschen kann kein Zweifel bestehen; Ursprung , Insertion und In-
nervation sind nur in unwesentlichen Puncten (z. R. Mangel einer clavicu-
laren Insertion) verschieden. Mit geringerer Reslimmtheit dagegen ist die
Frage zu beantworten, in wie weit Homologa des Stemo-cleido-mastoi-
deus und in wie weit Homologa des Cucullaris im Gapiti-dorso-scapularis
der Urodelen enthalten sind. Rei den Sozobranchiem schliesst der Mangel
aller vom Kopfe kommenden Partien eine Yergleichung des Dorso-scapu-
w
laris mit dem Stemo-cleido-roastoideus vollkommen aus und gestattet nur
eine Homologisirung mit dem Rumpftbeil des Cucullaris. Rei den Sozuren
dagegen entspricht der sehr weit lateral ausgedehnte Ursprung der Kopf-
partie dem Ursprünge nicht allein des Kopftbeils des menschlichen Cucul-
laris, sondern auch der lateralen Portion des Stemo-cleido-mastoideus,
allein der weitere Verlauf dieser Partie, ihre Insertion^) und namentlich
4) Dieser auf den Rücken beschränkte Ursprung bei den Sozobrancbiern ist als
ursprüngliches Vorhttitniss aufzufassen ; die in der Kiemengegend entwickelten Mm.
levatores branchiarum (übrigens nebst den von Fischer sogenannten Mm. digastricus
maxillae inferioris, dorso-laryngeus und dorso-trachealis metamere Homologe des
M. cucullaris) gestatten keinen Raum für eine Entwickelung nach vorn; erst nach
deren Verkümmerung bei den Sozuren ist diese möglich : der Ursprung des Muskels
greift dann bis nach der Kopfgegend über.
3) Das Verhttltniss der Insertion ist übrigens mit grosser Vorsicht zu behandeln.
Erkennt man in der Clavicula einen morphologisch ganz selbständigen Skelettbeil
des Brustgürtels und nimmt man als wesentliche Eigenschaft des M. cleido-mastoi-
Znr Tergleiehenden AoAtomie der Schulterrnnskeln. 265
ihre (niemals wie beim Sterno-cleido-mastoideus des Menschen z. Th.
durch Nn. spinales besorgte) Innervation erregen Bedenken gegen jede
Yergleichung mit diesem Muskel. Beachtung verdient die von Humphky
als wahrscheinlich angefllhrte nähere Beziehung zu dem sogenannten
Cervico'humeralis der Säugethiere (Näheres hierüber vergleiche Gap. VI
und VII bei der Besprechung dieses Muskels) . — Bei Triton (und Siredon
und Salamandra (?) nach Rüdingbr) ist der Muskel nicht ganz homogen,
sondern zeigt eine leise Andeutung eines Zerfalles in zwei oder drei
Partien. Ihn deshalb in zwei oder drei selbständige Muskeln zu
trennen, wie Stannius und Ducfts thun, erscheint mir nicht berechtigt.
2. Basi-scapnlarls (Levator scapnlae) [bs]^).
Levator angali scapulae: Foiik, Rüaihger, MiYAmr.
Sous-occipito-adscapulaire, angulaire: DuGts (No. 33).
Fasciculus of protractor scapulae: Oweh (No. 49).
Levator scapulae: Humpbrt.
Ein bei den Sozobranchiem langer und schmaler, bei den Sozuren
kürzerer und breiterer Muskel , der bei ersteren von den Kiemenbogen
und ihren Weichtheilen bedeckt ist, bei letzteren direct unter dem
Capiti-dorso-scapularis [cds) liegt. Er entspringt vom Os occipitale
deus an , dass er nur an der Clavicula und nicht am primären Brustgürtel inserirt,
so ist die Ausschliessung einer Homologie desselben mit dem Capiti-spino^scapularis
vollkommen gerechtfertigt; fasst man aber die Clavicula (zunächst der anuren
Amphibien) nur als histologische Differenzlrung des das Procoracoid umgebenden
Bindegewebes (Perichondriums bei Rana, vergleiche Geoenbaur, SchuUergUrtel etc.
S. 56) auf, sieht man also darin keinen wesentlichen Unterschied, ob der Cleido-
mastoideus an dem sogenannten primären Knochen (Procoracoid) oder an dem so-
genannten secundären Knochenbeleg desselben (Clavicula) inserirt, so ist eine Yer-
gleichung des Gleido-mastotdeus und Capiti-dorso-scapularis (der wie oben erwähnt
auch an den scapularen Theil des Procoracoids sich ansetzt) gestattet. Von der
Thatsache ausgehend, dass die Clavicula ursprünglich ein ganz selbständiger , von
dem sogenannten primären Brustgürtel getrennt entstehender Hautknochen ist
(Accipenser) , der erst später mit diesem sich verbindet, möchte ich ersterer Auf-
fassung den Vorzug geben und nur dann eine Yergleichung mit dem menschlichen
Sterno-cleido-mastoideus zulassen, wenn eine Insertion an clavicularen Elementen
bestimmt nachweisbar ist.
4) EntsprlchtvielleichtMscKEL'sNo.S. Wegen ungenau angegebenen Ursprungs
ist ein Yergleich nicht möglich.
Stanhids beschreibt ihn als Muskel »der von der hinteren Schädelgegend zur
Vorderseite des oberen Randes der Scapula tritt«.
RüDiitGsa lässt ihn vom hintern lateralen Theile des Schädels entspringen und
»die laterale Halsmuskelbewegung begrenzen« (I?).
266 Max FQrbrioger.
basilare und geht breiter werdend nach hinten ziixn Bnistgt&rtel an das
sogenannte Suprascapuiare. Bei den Sozobrancbiern heftet er sich id
der Regel nur an dessen Vorderrand an, bei den Sozuren greift seine
Insertion auch auf den vorderen Theil der AussenfUiche desseU>eii über.
Innervirt durch Nn. thoracic! superiores (2, 4).
Der Muskel kann als Homologen des menschlichen Leyator scapulae
aufgefasst werden. Eine vollkommene Uebereinstimmung zwisdbien bei-
den existirt allerdings nicht : der menschliche Levator entspringt von den
Querfortsätzen der Haiswirbel und inserirt niemals an der Aussenflüche
der Scapula. Beide Verschiedenheiten sind aber keine principiellen. Di«
ausserordentliche Variabilität der Ursprungszacken des menschlichen
Levator scapulae, die einerseits auch von den Querfortsätzen der faintem
Halswirbel, andererseits auch vom Hinterhaupte kommen können, zeigt,
dass die Definition des Ursprungs des Levator soapulae nicht blos auf die
Querfort4satze der vier ersten Halswirbel beschränkt werden darf, son-
dern vielmehr auf die Pars basilaris ossis occipitalis (deren lateraler Theil
ein metameres Homologen der Processus transversi ist] und die Quer-
fortsätze (d. h. die vereinigten Processus transversi und Costae) aller
Halswirbel ausgedehnt werden muss. Die bei den Sozuren stattfiadende
Ausdehnung der Insertion auf die Aussenfläche der Scapula ist nur als
eine diesen eigenthttmliche Anpassung aufzufassen , die mit der schwa-
chen Entwickelung der sonst mit derselben verbundenen Muskeln in
Gorrelation steht.
3. Thoracl-scapularls (Serratos notagnus) [ths]^).
Depressor anguli scapulae inferioris: Funk (Fig. 44 m).
Grösserer Rück war tszie her der Schulter: Meckkl (No. i,
Gosio-sotts-scapulaire ou grand dentelö: Uvcta (No. 29
Serratus anticus major: Rüdimger.
Levator scapulae und Serratus anticus major: Owen
(No.49u.34).
Serratus magnus: Mivart, Hdmphrt.
4) BIkckbl*8 Angabe , dass der grössere Rückvärtszieher »auch an das obere
Ende des Oberarms reicht« kann ich nicht bestätigen.
Stavniüs giebt zwei Muskeln an, von denen der eine »den Hinterrand der Sca-
pula etwas schrfig abwärts gegen die Bauchseite zieht« der andere »die Unterfläche
der Scapula schräg abwärts zur Bauchseite zieht«.
Die Beschreibung Mivart's, wonach der Serratus magnus von der »lateralen
Muskelmasse« entspringt, ist nicht ganz exact. Ueberall lüsst sich ein Zusammen-
hang mit den Rippen oder wenigstens Inscriptiones tendineae nachweisen.
Znr fergleiebendei) Anatomie der Seboltenniiskelu. 267
Verschieden grosser Muskel. Bei Proteus sehr unansehnlich, bei
Menobranchus und Menopoma etwas eniwidLelter aber noch ohne nach-
weisbare getrennte Zacken (nach den Angaben früherer Beobachter).
Diese treten erst auf bei Gryptobranchus, wo sich zwei, Yind bei Siredon^
wo sich drei, vielleicht auch vier, finden. Differenzirter ist der Muskel
bei den Sozuren, namentlich bei Salamandra. Bei letzterer lassen sich
eine untere und eine obere Partie unterscheiden.
a) Untere Partie (^A^,). Besteht aus einem einzigen Muskel-
bündel , das von der Spitze der zweiten Rippe entspringt und an der
Innenfläche des Knorpeltheils der Scapula (Suprascapulare) nahe der
Grenze mit ihrem Knochentheil neben der Insertion des Capiti-dorso-
scapularis sich ansetzt.
b) Obere Partie (^A^,^). Besteht aus vier discreten Muskelbün-
deln, die von den vier ersten Bippen, mit Ausnahme ihrer Süsseren
Enden entspringen und an der Innenfläche des Knorpeltheils der Scapula
nahe ihrem oberen Rande inseriren. Das von der ersten Rippe entsprin-
gende Bündel ist breit und kräftig , wird in seinen unteren Theilen von
der unteren Partie (a) gedeckt und geht in transversaler Richtung nach
oben an den vordem Theil der Innenfläche des Suprascapulare; das
zweite Bündel entspringt oberhalb der unteren Partie der zweiten Rippe
und geht transversal an den hintern Theil der Innenfläche des Supra-
scapulare ; die zwei hintern Bündel sind dünn und lang und gehen mit
nach vorn gerichteten Fasern von der dritten und vierten Rippe an den
Hinterrand des Suprascapulare.
Innervirt durch Nn. thoracici superiores (7, 8).
Der Muskel ist ein Homologen des menschlichen Serratus anticus
major ^), von dem er sich nur durch die geringere Anzahl seiner Zacken,
leicht erklärlich durch die geringere Zahl der Rippen, und die Differen-
zirung in eine obere und untere Partie unterscheidet. Eine Yergleichung
mit dem zu demselben System gehörigen Levator scapulae verbietet zwar
nicht sein Rippenurspmng (denn der Levator kann auch von Ilalsrippen
entspringen und eine Unterscheidung dieser von Brustrippen fehlt bei
den Urodelen), wohl aber sein transversaler und dcscendenter (von
dem ascendenten des Levator verschiedener) Faserverlauf.
4) Anstatt der Bezeichnung als Serratus anticas major wählen wir die von eng-
lischen Autoren eingeführte als Serratus magnus. Durch den Nachweis, dass der
sogenannte Pectoralis minor s. Serratus anticus minor gar nichts mit dem Serralu;«
nnticus major gemein hat und nur dem Pectoralis zuzurechnen ist, fHIIt die im
Namen liegiende Unterscheidung von diesem selbstverstHndlich weg.
268 Max FfirbriDger.
4. Pectori-scapalarls intemiis [psi) i).
Ein bei Salamandra mit Bestimmtheit nachweisbarer Muskel. Er
entspringt, bedeckt vom Goracoid, ziemlich breit von der ventralen
Bauchmuskelmasse (Rectus abdominis [ra] und hintere Zungenbein-
muskelnj und geht mit convergirenden Fasern an die Innenfläche der
Scapula an die Grenze des Knochen- und Knorpeltheils.
Innervirt durch N. thoracicus inferior anterior (5).
Der Pectori-sc^pularis internus stellt einen den Urodelen eigen-
thUmlichen ziemlich indifferenten Muskel dar, dessen hintere Portion sieb
bei keinem Wirbelthiere wiederfindet , während das Homologen seines
vorderen Theils bei den Anuren durch Eingehen näherer Beziehungen
zu dem vergrösserten Zungenbeine zum Omo-hyoideus derselben ge-
worden ist. Ob er zum System des M. transversus abdominis oder des
M. rectus abdominis gerechnet werden muss, kann nicht entschieden
werden. Für ersteres spricht sein transversaler Faserverlauf , für letz-
teres der Uebergang einzelner Bündel in die Masse der hintern Zungen-
beinmuskeln.
5. Pectoralis (p) ^.
Portio inferior m. pectoralis majoris, quam caoi pectomli
minori comparare possis: Funk (Fig. 48 i).
Grosser Brustmuskel, Grand pectoral, Pectoralis ma-
jor: Mbckel (8*), CmriER, Stannius, Rüdingbr.
Abdomino-coraco-humäral, portion du grand pectoral
DuGiäs (No.84).
Pectoralis: Oweh, Mitart, Humpbrt.
Breiter Muskel auf der Unterfläche der Brust- und vorderen Baoch-
gegend. Er entspringt in seinem hinteren Theile von der oberflächlichen
Schichte des M. rectus abdominis {ra) und der sie bedeckenden Apo-
neurose des M. obliquus extemus abdominis (oae)y in seinem vorderen
von der Aussenfläche des Sternums und von der den M. supracoraeoi-
deus (spc) und das Coracoid in der Medianlinie deckenden lockeren
Fascie , hier mit dem der Gegenseite durch eine Linea alba verbunden ^ .
4) Scheinbar von keinem Autor beschrieben«
2) Einen von Meckel beschriebenen Ursprung »von dem kleinen Brustbeinanu-
muskel« kann ich nicht bestätigen.
MivARTs Angabe, dass der Pectoralis bei Menobranchus vom hintern Theile dt>>
Coracoid selbst komme , constatirt bei diesem einen principiellen Unterschied von
den übrigen Urodelen, der wohl noch der weiteren Bestätigung bedarf.
5) Auf dieses Verbundensein mit dem Muskel der Gegenseite ist mehr Gevsrictit
zu legen, als auf die Anheftung an das lockere Bindegewebe der Brust, das nicht
fest genug ist, um bei der Wirkung des Pectoralis als fixer Pnnct zu dienen.
Zar Tergleiehenden Anatomie der Sehnltermoskela. 269
und geht mit stark convergirenden Fasern an die Beugefläche des distalen
Theiles des Processus lateralis humeri [PL). Bei Proteus und Menohran-
chus ist wegen Verkümmerung des Sternums der Ursprung von diesem
weggefallen ; der Muskel entspringt hier in seinem vordem Theile ledig-
lich von dem auf dem Coracoid gelegenen lockern Bindegewebe. Mit
dem vorderen Rande deckt er den hintern Theil der von dem Coracoid
entspringenden Muskeln. Bei den Sozobranchiern ist er wenig selb-
ständig und lang ausgedehnt , bei den Soxuren bildet er einen etwas
kürzeren ziemlich discreten Muskel, der bei Salamandra eine beginnende
Trennung in eine Pars sternalis und abdominalis zeigt.
Innervirt durch Nn. pectorales (14} .
Der von Funk betonte Vergleich mit dem M. pectoralis minor braucht
keine Widerlegung. Eine Entscheidung bedarf nur die Frage , ob der
Muskel lediglich dem M. pectoralis major des Menschen oder ob diesem
und dem M. pectoralis minor zugleich entspricht. Die Vergleichung
innerhalb des Gebietes der Säugethiere ist bestimmend. Bei diesen
existirt in den niederen Formen ein M. pectoralis der in verschiedener
Weise zerfallen kann und dessen DiSerenziining erst in den höheren For-
men sich derart determinirt, dass ein grösserer oberflächlicherer Theil
stets nur am Humerus inserirt (M. pectoralis major), ein kleinerer tieferer
Theil bald an den Humerus allein , bald an den Humerus und Processus
coracoideus, bald an letzteren allein sich anheftet (M. pectoralis minor).
Es ist also die Bildung der Mm. pectoralis major und minor als ein auf
die Classe der Säugethiere beschränkter Differenzirungsvorgang aufzu-
fassen 1) ; bei den andern Wirbelthieren existirt nur ein gemeinsamer
oder nach einem andern Typus zerfallener M. pectoralis.
6. Snpraeoracoldeas [spc) nnd Coraco-radialls proprius {crp]^).
a) Supracoracoid$us:
Portio media m. pectoralis majoriSi quam cum pectorali
majore comparare possis: Fum (Flg. 4S i).
Einwärtszieher, Theil des grossen Brustmuskels , wenn auch
völlig von ihm getrennt : Mickbl (No. 4} .
4) Ueber das Verhältniss dieser Behauptung zu den ihr widersprechenden
Annahmen Rollkstok's und Sblbnka's vergleiche Cap. V.
8) Die Beschreibungen der Autoren stimmen sowohl untereinander, als auch
mit meinen Untersuchungen ziemlich überein. Nur wird dem Coraco-radialls pro-
prius, dessen Muskclthell }' 'ur künstlich vom Supracoracoideus zu
trennen ist, lu grosse Selb it.
Bd.vn.S. 48
270 Max Fürbringer.
Clavi-huin6ral, portion du grand peotoral ; Dü6&» (No. 96) .
Pectoralis secundus: Stanniüs.
Part of Pectoralis: Owen.
Coracorbrachialis proprius: Rt^DiHGBR.
First part of Coraco-brachialis. MivAitT.
Epicoraco-humeral, not improbably the nepreseAlaitive of ü '
pectoralis mioor of mammals: Hümpbrt (No. 4).
b) Coraco-radialis proprius:
Coraco-radialis: Stannius.
Biceps brachii: Rüdinger.
Part of Biceps: Mivart.
Coraco-radialis or biceps: Hümphrt (No. 7).
Breiter auf der Unterseite der Brust gelagerter, mit seineoi hinten
Rande vom Pectoralis (p) gedeckter, mit seiner übrigen Fläche frei-
liegender Muskel. Er entspringt von der ganzen Fläche des Coracoid >
mit Ausnahme des medialen und hintern Randes und geht mit stari
convergirenden Fasern an den proximalen Theil der BeugeflSiche des Pro-
cessus lateralis humeri [Supracoracoideus [spc]). Die tiefere und
hintere Partie geht in eine lange Sehne über , die mit einem Nebenzipfel
am Processus lateralis, mit ihrem Haupttheile an der Beuge des Radius,
gemeinsam mit dem M. brachialis inferior (hai) inserirt (Coraco-
radialis proprius [crp]). Der Muskel ist bei den Sozuren mehr
entwickelt als bei den Sozobranchiern. Bei den letzteren ist er von
dem vor ihm liegenden Procoraco-humeralis (pk) und den hinter ihm
gelegenen Coraco- brachiales [cb] nur künstlich zu trennen.
Innervirt durch N. supracoracoideus (10).
Die Innervation durch den N. supracoracoideus schliesst jede Ter-
gteichung des M. supracoracoideus mit dem M. pectoralis major, minor
und coraco-brachialis , wie des M. coraco-radialis proprius mit dem M.
biceps brachii aus. Der Supracoracoideus ist ein den Amphibien (ausser-
dem den Reptilien, Vögeln und Monotremen) eigenthümlicher Muskel,
der allen Säugethieren mit reducirtem Coracoid fehlt, der aber, wie die
Untersuchung der Monotremen ergiebt, mit den Mm. supraspinatus und
infraspinatus in naher Beziehung steht. Stannics hat seine Homologie
mit dem Pectoralis secundus (}er Vögel , Rübingbr seine Verschiedenheit
vom Coraco-brachialis des Menschen richtig erkannt; beide haben jedoch
ihre Behauptungen nicht bewiesen. Anstatt der von Rüdiiiger gegebenen
Bezeichnung Coraco-brachialis proprius möchte ich die Benennung
Supracoracoideus einführen , die den Namen Supra- und Infraspinatus
gleichgebildeter ist. — Die wahre Natur des Coraco-radialis proprius ist
von aUen Untersuchem verkannt worden. Dieser Muskel ist unter den
Zur Tergleiohenden Aaatomid der SebuiterDQskelD. 271
peniadactylen Wirbelthieren lediglich den Amphibien eigenthUarfich und
mit keiner Bildung bei den drei höheren Wirbelthierklassen zu vergleichen.
7. Coraco-brachlalis longns [cbl] und brerls {ebb) ^].
Uakenarmmuskeln: Meckel (No. 8}.
Coraco-humöral: Düg&s (No. 39).
Coracobrachialis: Stannius, Rüdihgbr.
Second pari of Coracobrachialis: Mivart.
Coracobrachialis longus und brevis: Humphkt (No. 6) .
Kräftige Muskelmasse, die vom hinteren Rand und der Aussenfläche
des hinteren Theiles des Goraooid zu der medialen Seite des Humerus in
seiner ganzen Länge geht. Namentlich bei den Sozuren ist sie deutlich
in zwei selbständige Muskeln getrennt, den Coraco-brachialis longus
und brevis.
a) Coraco-brachialis longus (cbl). Langer und nicht un-
kräftiger Muskel, der schmal vom hintern Rande des knöchernen Coracoid-
theils, medial vom M. anconaeus coracoideus [ac), entspringt und an den
distalen zwei Fttnfteln des Humerus inserirt.
b) Goraco-brachialis brevis (ebb). Kurzer und kräftiger
Muskel von grösserem Volumen als der Coraco-brachialis longus. Er
entspringt breit von dem Hinterrande und der Aussenfläche des hinteren
Theiles des Goracoid, medial wie lateral ttber die Ursprungsstelle des M.
coraco-brachialis longus {cbl) überragend und theil weise vom M. supra-
coracoideus {spc) gedeckt, und geht an die Medial- und Reugeseite des
zweiten und dritten Fttnflels des Humerus und des distalen Endes der
ReugeOäche des Processus medialis (PM).
Innervirt durch Nn. coraco-brachiales (16). Reide Muskeln
werden durch die Nn. brachiales longi inferiores (4 7, 22) von
einander getrennt.
Die proximal inserirende Partie dieses Muskels (Coraco^brachialis
brevis) entspricht dem M. coraco-brachialis hominis, die distal sich an-
heftende findet sich bei vielen Säugethieren wieder, fehlt aber dem
Menschen. Der Ursprung vom hinteren Ende des Coracoid, das dem
4 ) Von Meckel wird die losertionsstelle der Mm. coraco-brachiales auf die
distale Hälfte des Humerus , von STAmaus auf das Tuberculum minus (Processus
medialis humeri) beschränkt. Humphrt's Angabe, wonach der Coraco-brachialis
brevis »perhaps« von dem durch das Foramen coracoideum gehenden Nerven
(N. supracoracoideus) innervirt wird, kann ich für die hier nntersuchten Urodelen
nicht bestätigen.
48*
272 Mw
Processus ooracoideus kaum homotog ist, könnte Zweifel g^en die<p
Vei^eicbung erregen, allein die vergleichende Untersuchung diesen
Muskels, dessen Ursprung nusserordentlich verschieden sich verfaalti>r.
kann {bei den Crocodilen z. B. nimmt er fast die ganie Aussenflache
des Coracoids ein), einlebt, wie geringrtlgig und haltlos dieses B»^
denken ist.
8. HamenMUltIbraehialiB Inferior (Brachialls Inferior) (Aoii.
Brachialia medius; Font.
Oberer Beuger des Vorderarms: Meckii, (No. 1).
Mumöro-radial, biceps: Ducti (No. t).
Humero-radiaMs: Stanmids (No. 4). 1
Brachialis internas: RtiDiKGBR.
Biceps and brectiialis interous: Owbm.
Part of bicepa: Mivaht.
Brachialis enticus: HoHPaaT.
Mittelstarker Muskel an der Beugeseite des Humenis, lateral neben
der Sehne des H. coraco-radialis proprius. Er entspringt \oa der Beuge-
seite des Humerus, distal vom Processus lateralis (PL) und inserirl an
Anfange des Radius (B) und der Ulna (U), an letzterer meist mit einem
sehr schwachen Sehnenzipfel. Bei allen Urodelen ziemlich constant, bei
den Sozuren etwas ansehnlicher als bei den Sozohrandiiern.
Innervirt durch einen oder zwei Muskelästcfaen des H. super-
ficialis N. brachialis longi inferioris (18).
Ein Vergleich mit dem Biceps kann nur in soweit gestattet sein,
als der Humero-antibrachialis inferior als theilweises Homologon des
als VarietJit auftretenden sogenannten Caput III. m. bictpitis hominis
aufgefasst wird. Der Hauptsache nach ist er mit dem H. brachialis
internus zu vergleichen.
9. Procoraco-liDmeraUs [ph] <).
Portio superior in. pecloralis majoria, quam cum delloideo
comparare possis: Kmci (Fig. 11 i),
Vorwarlsiieher oder Heber des Obersrma, dreieckiger
Muskel: H£ciEL (No. 1).
i) Die tbeilwelse Inoervatlon des Procoraco^humeralis durch Zweige doü N.
supracoracoideus ist wabrscheiDlicb von UDarnaT Uberseheo worden.
Zur vergleiebeDdeD Anatomie der SchnHermuskeln, 273
Acromio-humöral, döltoide: Duges (No. 36).
Deltoideus: Stahnius, ROdinger.
Sobclavius: Mivabt.
Precoraco-brachial: Hvmpbrt (No. 2).
Schmaler und langer Muskel, der oben an den M. dorsalis scapulae
(ds)j hinten ohne deutliche Grenze an den M. supracoracoideus (spc)
slössU Seine Länge hängt ab von den Dimensionen des Procoracoid :
er Ist bei Proteus länger als bei den übrigen Sozobranchiern und^den
Sozuren. Der Muskel entspringt von der Aussenfläche des Procoracoid,
mit Ausnahme von dessen vorderem und medialem Ende und geht an
den proximalen Theil der Kante des Processus lateralis (PL), wo er
zwischen M. supracoracoideus {spc) und dorsalis scapulae (ds) inserirt.
Innervirt zum grösseren vorderen Theile durch einen Endast
des N. dorsalis scapulae (27) , zum kleineren hinteren an den
M. supracoracoideus grenzenden Theile durch einen Zweig des
N. supracoracoideus (41).
Funk's Bezeichnung bedarf keiner Widerlegung. Mhtart's Deutung
als M. subclavius beruht auf einem doppelten Irrthum, indem einerseits
der Muskel der Urodelen dem »Epicoraco-humeral« der Saurier, Croco-
dile und Monotremen , anderseits dieser dem M. subclavius der mono-
delphen und didelphen Säugethiere verglichen wird. Der eine Fehler
lässt sich leicht nachweisen durch eine genaue Berücksichtigung der
Lage und Innervation beider Muskeln, wonach der » Epicoraco-humeral «
der Saurier etc. mit Bestimmtheit als ein Homologen des Supracoracoideus
der Urodelen , aber nicht des Procoraco-humeralis (der in seiner vom
N. dorsalis scapulae innerrirlen Hauptmasse einem ganz andern Muskel-
systeroe zugehört) erkannt wird. Der, von Rolleston zuerst gegebene,
Vergleich des »Epicoraco-humeral« mit dem Subclavius femer, der auch
von HuHPHRV mit Recht angezweifelt worden ist, wird bei Besprechung
der Verhältnisse der Saurier, Vögel und Reptilien seine Widerlegung
finden. — In Wirklichkeit ist der Muskel direct keiner Bildung des
Menschen zu vergleichen. Seiner durch Aeste des N. supracoracoideus
und N. dorsalis scapulae stattfindenden Innervation nach ist er als eine
den Urodelen (allgemeiner den Amphibien) eigenthümliche Verschmel-
zung zweier ursprünglich getrennter Muskeln aufzufassen. Die beiden
ihn zusammensetzenden Elemente lassen eine weitere (indirecte) Homo-
logie, einmal mit den Mm. supraspinatus und infraspinatus (der vom
N. supracoracoideus versorgte kleinere Theil), dann mit dem M. deltoi-
deus (der vom N. dorsalis scapulae innervirte grössere Theil) erkennen.
Hu Fflibriiiger.
!r Muskel an der Innenfläche des BruslgUrtels. Er entspringt
i'on dem unteren Theile der Scapula (Henobrancbus, Meno-
on] oder von dem lateralen hinteren Theile des Coracoid resp.
1 (Siredon, Salamandra) oder von Scapula und Coracoid zugleich
nchusj. Im ersten Falle ist er ein Subscapulsris, int
1 Sil bcora CO ideus (s6c) , im dritten ein Subcora co-
is. Er geht mit convergirenden Fasern lateral vom H. Coraco-
ongus {cbe) und H. anconaeus coracoideus (ac), von letzterem
-anchüs schwer trennbar, über die Innenseite des Schullcr-
ach dem Processus medialis humeri (PH), wo er inserirt.
rvirt durch N. subscapularis [23).
uskel ist dem M. subscapularis des Menschen zu vergleichen.
tr Innenfläche der Scapula entspringenden Theile sind direcle
desselben , wahrend die von dem Coracoid kommenden Par-
Henschen fehlen und nur eine mittelbare Vergleichung g«i-
ie wenig definitive und sehr variable Bildung dieses Huskels
inen noch niederen Entwickelungszusland schliessen.
13. Anconaens (a) ■) .
Aoconaeus interoua und eiternns: Fohk.
Strecker des Vorderarms: Heciel.
Scapulo-humero-oUcrnnien, triceps: Dugbs (No.(a).
SlreckmuskoliUBSse, die aus einem Anconaeuslongns und einem
anter dem Tuheroul um minus beginnenden Muskel xasammeDgeseUl
ist: Stahkids.
Triceps bracbii s. AnconBeus: Rüdingeb, Hivait.
Triceps und Coraco-olecranalis: Hunfhet.
kräftige Uuskelmasse an der Streckseite desOb^arms, die
er Köpfen zusammensetzt, welche von dem BruslgUrtel und
BDtspringen und theilweise mit dem M. latissimus dorsi in
g stehen.
macht keine nShercn Angaben über die Betheiligung des Bnistgürlcls
Tierus am Ursprünge der Anconuei.
iben der übrigen Autoren sind z. Th. sehr widersprechend; Meckel t. B.
onaeus von Pi-oleus mit zwei Köpfen vom Humrrus, den von Salamandra
lUsserdcm mit einem oder zwei Köpfen von der Scapula entspringen,
igegen giebt für Salamandra und Trilon nur zwei vom Humerus kom-
Protous ausser diesen einen drillen vom Coracoid, bei Siredon noch
I von der Scapula entspringenden Kopf an.
Znr vergleicheuden Anatomie der SchnltennuBkeln. 277
a) Anconaeus coracoideus (ac). Kleiner, ziemlich selb-
ständiger Kopf 1] , der vom Gelenkiheil des Coracoid, in der Regel von
dessen hinterem Rande, seltener (Menopoma) von seiner Innenfläche,
entspringt, von dem Anconaeus humeralis medialis [ahm) durch die Nn.
brachiales longi inferiores (17, 29) getrennt ist und ungefähr in der Mitte
des Oberarms mit der übrigen Streckmuskelmasse sich verbindet.
b) Anconaeus scapularis medialis (asm). Kräftiger in
der Regel vom Anconaeus humeralis lateralis [ahl) wenig selbständiger
Kopf. Er entspringt vom Hinterrande des Gelenktheils der Scapula und
von der Gelenkkapsel des Schultergelenks und geht stets Reziehungen
zu dem M. latissimus dorsi [dh) ein. Entweder (Gryptobranchus und
Menobranchus) vereinigt er sich mit dessen ganzer Endsehne ^] oder
(bei den übrigen Urodelen) mit einem Theile derselben , während der
andere Theil lateral von ihm an den Humerus geht. Nie liegen Theile
des Anconaeus scapularis medialis lateral vom M. la-
tissimus dorsi.
c) Anconaeus humeralis lateralis [ahl). Ansehnlicher
von den distalen drei Vierteln des Humerus entspringender Kopf, der
an der lateralen Streckseite desselben liegt und von dem Anconaeus
humeralis medialis [ahm] durch die Nn. brachiales longi superiores
(29, 32) getrennt ist.
d) Anconaeus humeralis medialis [ahm). Er liegt neben
dem Anconaeus humeralis lateralis [ahl) an der medialen Hälfte der
Streckseite des Oberarms und entspringt von dessen ganzer Länge hin-
ter dem Processus medialis.
Alle vier Köpfe vereinigen sich, spätestens in der Mitte des Ober-
arms zu einem ansehnlichen Muskel , der am proximalen Ende der UIna
(Olecranon) inserirt.
Innervirt durch Aeste der Nn. brachiales longi superiores (radiales)
(30,34).
Der Muskel entspricht dem menschlichen Anconaeus, aber nicht
vollkommen. Ein Homologen des A. coracoideus fehlt beim Menschen,
4) Diese, namentlicb durch den Verlauf der Nn. brachiales longi inferiores be-
dingte Selbstllndigkeit , bat Huhphrt veranlasst, in dem Anconaeus coracoideus,
von ihm Coraco-olecranalls benannt, einen ursprünglichen ßeugemuskel zu er-
kennen , der Slrockmuskelfunctlonen angenommen hat. So bestechend auch diese
Ansicht ist, wird sie doch nicht durch die Verhfillnissc der Innervirung, die (wenig-
stens bei den hier untersuchten Thieren) bestimmt vom N. brachialis longus superior
besorgt wird , unterstützt.
t) Bei Menobranchus fehlt sogar (nach Mivart's Beschreibung und Abbildung)
jeder Ursprung des A. scapularis medialis von der Scapula , der Muskel geht direct
aus dem Latissimus dorsi hervor.
278 Hax Ffifbringer.
ebeBSO wie ein dem A. scapularis medialis direct vergleichbarer Theil:
das Caput longum m. anconaei hominis unterscheidet sich von letzterem
durch seine Lage zum Latissimus dorsi , der sich medial an ihm vorbei-
zieht. Doch stehen wir nicht an , im A. scapularis medialis ein weiteres
(indirectes) Homologen des Caput longum anzuerkennen ; die niederen
Formen deV Urodelen (Menobranchus etc.) bieten in ihrer Beziehung
zum Latissimus dorsi, der ganz im A. scapularis aufgeht noch ein wenig
differenzirtes Stadium dar, von dem zwei verschieden entwickelte Bil-
dungsformen ausgegangen sind, deren eine (mediale Lage von der Sehne
des Latissimus dorsi) den Amphibien , deren andere (laterale Lage von
der Sehne des Latissimus dorsi) den höheren Wirbelthieren zukommt.
Cap. n.
Ungeschwäiute Amphibien«
(Batraohia; — Anora.)
§.4.
Bmstg^ürtel^ Brustbein und Enmemi ^) •
(Vergleiche Taf. XVII u. XVUI.)
Der Brustgürtel und das Brustbein zeigt bei den Anuren eine ausser-
ordentliche Mannicbfaltigkeit der Differenzirung. Während die niederen
{) Literatur:
CvviER, Vorlesungen über vergleichende Anatomie, übersetzt von Froriep a. Mecxel.
4 809. I. S. 2S6.
Breter, Observationes anatomiae circa fabricamRanaepipae. Diss. ioaug. BeroLlS4 4.
Geofproy-St. Hilaire, Philosophie anatomique. 4848.
Mertehs, Anatomiae batrachiorum prodromus sistens observationes nonnallas in
osteologiam batrachiorum nostratium. Halae 4820.
Zenker, Batrachomyologia. Diss. inaug. Jenae 4 825. S. 20 f.
Mecrel , System d. vergl. Anatomie. 11. 4 . a. a. 0.
DuG^s , R6cherches etc. S. 60 f.
CuviER , Lö^ons etc. II. öd. Tome I. S. 254 f. S. 860 f. S. 389 f.
CoLLAN, Jemförande Anatomisk Beskrifning tffver Muskelsystemet hos Paddan (Bufo
cinereus Schneid.) Diss. inaug. Helsingfors 4 847.
PoucHET, cf. Comptes rendues. Tome XXV, 4 847. p. 764.
Pfeiffer , Zur vergleichenden Anatomie des Schultergerüstes und der Schultennus-
kein bei Säugethieren, Vögeln und Amphibien. Giessen 4854. S. 46 f.
Stanniüs, a. a. 0. S. 47. S. 73 f. u. S. 84.
Ecker , Die Anatomie des Frosches. Braunschweig 4864. I. S. 44 f.
Gegenbaür , Schultergürtel etc. S. 52 f.
Owen, a. a. 0. S. 474.
Zor vergleichendeo Anatomie der SehaltennoskelD. 279
Formen den Bildungen bei den Urodelen nahe stehen, erlangen die höher
stehenden einen bedeutenden Grad der Entwickelung. Diese spricht sich
nicht sowohl aus in einer ausserordentlichen relativen Grosse, als nainent^
lieb in den) Auftreten sogenannter secundärer Knochentheile und in einer
sehr ungleichen Ausbildung und gegenseitigen Beziehung der einzelnen
Abschnitte.
Der Brustgttrtel besteht aus zwei paarigen Stücken , die sich
in der Mittellinie der Brust entweder wie bei den meisten Urodelen
übereinander legen und nur locker durch Bandmasse verbunden sind
(Bufones, Hylae, Galamitae, Pelobatus etc.) ^) oder mit ihren medialen
Rändern an einander stossen und mit einander ohne Grenze verschmel-
zen (Pipa, Bana/ Cystignathus, Phryniscus etc.] 2). Eine blosse Berüh-
rung ohne gegenseitige Verschmelzung findet sich nur bei Microps, der
in dieser Beziehung an die niedersten Formen der Vrodelen erinnert.
Wie bei den Urodelen unterscheiden wir einen dorsalen und hori-
zontalen Abschnitt, die an der Seite der Brustfläche mit einander einen
rechten Winkel bilden. Am hinteren Bande dieser Stelle liegt die Ge-
lenkhöhle für den Humerus. Wahrend diese Stelle bei den Urodelen
den Ausgangspunct der Verkntfcherung repräsentirte , hat sie bei den
Batrachiern ihren ursprünglichen knorpeligen Zustand bewahrt, ein Ver-
halten , das eine besondere Selbständigkeit des dorsalen und ventralen
Abschnittes bedingt ^) . Der dorsale Abschnitt ist meist in seinem
PARKE! , a. a. 0. S. 68 f.
CuviER , Vorlesungen , Geoffrot St. Hilairb , Mbrter s , Pouchbt kenne ich nur aus
den Angaben Gegenbaur's und Ecker's.
Vau Altera , Conamentatio ad quaestionem Zoologicam in academia Lugduno-Batava
a. 1 8S9 propositam, qua desideratur, ut systemaiice enumerentur species indigenae
reptilium ex ordine bakrachioruro addita unius salteon speciei anatomla et prae-
serttna osteographia accurata. Lugd. Bat. 18S9. 40. und
Klein, Beiträge zur Anatomie der ungesch^änztenBatrachier. Stuttgart 4 850. konnte
ich, wenigstens für die Knochen, nicht vergleichen.
4} Die genaueren Details und eine vollstttndigere Aufzählung der Gattungen für
diesen und alle folgenden Fälle siehe bei SrAirifius, Gbgbrbaur und Pambr.
S) Dieses Verhältniss hat die meisten Autoren zu dem Irrthum verleitet in den
medialen verschmolzenen Theilen des ventralen Abschnittes Theile des Brustbeins
zu sehen , ein Irrthum, der namentlich durch die knorpelige Bildung dieser Theile
im Gegensatz zu der Verknöcherung der lateral daran stossenden Abschnitte er-
leichtert wurde. Erst Gbgbriadr hat diese Verbältnisse aufgeklärt.
S) Dieser den ventralen und dorsalen Abschnitt des Brustgürtels trennende
Knorpelstreif, von Dug^s als Paraglönale bezeichnet, findet sich bei allen Anuren
(mit Ausnahme von Systoma cf. Parker Tab. VII. Fig. 9. 4 0). Erst im späteren Alter
verkalkt der vordere, an Procoracoid und Clavicula anstossende Theil, während der
hintere in der Gelenkböhle endende und an das Coracoid grenzende eine deutliche
Trennungslinie zwischen Scapula und Coracoid herstellt.
280 Mat FBrbriflgtr.
unteren Theile ziemlich schmal und nimmt nach oben ansehnlich n:
Breite zu. Nur in den niedersten Formen zeigt er eine allenthatb^r
gleiche Breite, die zugleich mit einer gewissen Dicke verbunden \-
und an die primitiven Bildungen der Selachier erinnert. Dieses Ver-
halten zeigt Microps; den Uebergang zu den htiher entwickelten um:
dißerenzirteren Formen bildet Systoma '). Stets ist er durch eine hori-
zontale Grenze in zwei Theile getrennt, in ein oberes Suprasonpularr
und eine untere Scapula. Beide, obschon aus einer homogenen Knorpcl-
grundlage hervorgegangen , haben eine grosse Selbständigkeit eriangi.
die sich bei ausgebildeter Knochen structur beider in der scharfen au.-
hyalinen Knorpel gebildeten Grenzlinie und der dadurch bedingten grossen
Beweglichkeit gegen einanderäussert^). Das Suprasdapulare (SS-'
zeigt'sich io zwei verschiedenen Formen. Die eine bietet Microps dar
Hier ist das Suprascapulare ein nur am äussern Bande knorpelige«.
sonst verknöchertes Stück von einer gewissen Dicke, das an Lange öif
Scapula nicht erreicht, an Breite hücbslens ihr gleichkommt. Die andere
Form reprSseniiren alle übrigen Anuren. Hier ist das Suprascapulare
eine in verschiedenem Hasse verknöcherte, meist am ganzen obem un<l
hintern Bande knorpelig bleibende Platte, welche die Scapula in der
Breiten di mens ion stets tlbertrißl. Das gegenseitige Verhältniss der
Längen beider ist schwankend : das Suprascapulare ist kurzer als die
Scapula (Systoma, Geratophrys) , es ist ebenso lang oder wenig langer
{Rand, Bufo, Pipa, Cyslignathus etc.) es ist bedeutend langer (Dacty-
lethra). Bei letzterem hat das Suprascapulare eine mindestens t5 — 'üc*
mal grossere Fläche als die Scapula. Die Scapula (S) <) besteht bei
den ausgewachsenen Batrachicrn stets aus Knochen. Sie ist durch einen
feinen Knorpelstreif oberhalb von dem Suprascapulare, unterhalb von dem
ventralen Theile des Brustgürteis getrennt. Bei dei) niedersten Formen
(Hicrops) überwiegt sie das Suprascapulare an GrOsse, bei den ent-
wickelteren tritt sie gegen dieses zurück , namentlich bei Dactylethra,
Bmtkm. —
Skaldcr.
. — Oberes
nperiors.
: Geoffm»,
; ZiiOH. —
t. 3-
,r.'
)'
Zur ?eiglei€henden Auatomie der SohuUermusketn. 2S1
wo sie eine sehr geringe relative Ausdehnung besitzt. Bei einzelnen
Batrachiem (Microps, Dactylethra) bietet ihre untere Grenze gegen den
ventralen Abschnitt des Brustgttrtels ganz einfache Beziehungen dar,
während bei der Mehrzahl sich ursprünglich ein Spalt (Scapular-foramen
Parkbr) findet , der sich zwar später mit verkalktem Knorpel ausfüllt,
der aber die ersten Anlagen einer bei höheren Wirbelthieren sich ent-
wickelter findenden Pars glenoidalis (Collum scapulae) und Pars acro-
mialis scapulae (Acromion [A]) trennt^}. Der ventrale Abschnitt
zeigt eine grosse Mannichfaltigkeit der Entwicklung. Vorzüglich zwei
Hauptformen sind zu unterscheiden, von denen die eine auf wenig
niedrig stehende Batrachier beschränkt, die andere auf die Mehrzahl
derselben ausgedehnt ist. Die eine ^orm findet sich bei Microps und
Hylaedactylus ^) . Hier stellt der ventrale Abschnitt eine einfache Knochen-
platte dar, die lateral an die Scapula stösst, median bei Microps die der
Gegenseite berührt, bei Hylaedactylus mit ihr verwachsen ist. Diese
Knochenplatte ist das Goracoid (C). Die andere viel complicirtere
Bildungsform findet sich bei allen übrigen Batrachiern. Hier bildet der
ventrale Abschnitt eine sehr breite Platte , die in der Mitte durch eine
grosse Oeffhung in einen vorderen , einen hinteren und einen medialen
Theil getrennt wird. Ersterer, das Procoracoid (Prj^) bieibl zumeist
knorpelig und ist in der Begel schmäler als der hintere Theil (mit Aus-
nahme von Dactylethra , wo er eben so gross und von Systoma , wo er
weit breiter als dieser ist). Das Goracoid (C) ^j, der hintere Theil, ver-
knöchert in der Regel bis auf geringe mediale Reste. Es überwiegt in sei-
ner Breite das Procoracoid bedeutend, mit Ausnahme der oben angeführ-
ten Bildungen von Dactylethra und Systoma . Das Epicoracoid (£c) ^ j ,
1) Von DvGis wird die Pars glenoidalis als Processus coracoideus, die P. acro-
mialis als Acromion oder Spina scapulae unterschieden.
S) Siehe Parur, Taf. VII, Fig. n. u. Taf. VI, Fig. 9.
t) C 1 a V tcn 1 a : Cuviia (Le^ons 4 . öd.) , Zskkbb , Pfbiffbr , Stahvius , Ecebr,
OwBH. — Furcula s. clavicula anterior: Brbtbr, Dug^s. ^ Frfimre
nyckelbenet: Collah. — Procoracoid: Gbgbvbaur. — Praecoracoid:
Parur.
CuviBR, GboffroTi llBRTBirs, PFBiFFBR, Stanmius etc. Verstehen unter der Bezeich-
nung Clavicula (Furcula) die vereinigten Procoracoid und Clavicula , Parker tiiut
dasselbe unter der Beieichnung Procoracoid. Düges und Gbgbrbaur allein trennen
Clavicula und Procoracoid.
4) Clavicula vera s. posterior: Bretbr. — Clavicula: Cuvibr (Le-
Consl.M.), Mbrtbhs. — Pars sternalis scapulae (processus coracoi«
deus) : Zbhkbr. — Coracoid: Gboffrot, DuGtoyCüyiBR (Le^ons t. M.), PfeiffbRi
Stawhius, Ecbbr, Gbobubaur, Owbh, Parkbr. — Bakre nyckelbenet: Collah.
5} Das Epicoracoid wird von allen früheren Autoren ausser Zbhkbr als Theil
des Sternums aufgefasst (Sterni ossa media: Brbtrr. ^ Entost
282 Hu tanrioger.
der mediale Theil , bleibt stets knorpelig. Es ist breit bei Pipa , Boin~
binator, schmal bei Phyllomedusa , Bufo etc. und kana vollkommen als
Kaorpeltbeil fehlen bei Dactylethra, wo es dann durch Band ersetzt -wird.
Seine Beziehungen zu dem der Gegenseite sind bereite oben erwähnt
worden.
Bei der HehrzabI der Batrachier (mit Ausnahme von Hicrops und
Hylaedactylusj findet sieb eine die ünterflache und den Vorderrand
des Procoraooid'umschliessende Platte von sogenannten seoundäreu
(in der Begel aus dem pericbondralen Bindegewebe des Procoracoid
hervorgehenden) Knochengewebe. Dieselbe reprSsentirt die Glavi —
cula (Gl) 1) , welche innig mit dem Procoracoid verwachsen ist und
wenig Selbständigkeit zeigt. Lateral ist sie mit dem Processus aoro—
mialis scapulae durch veikalkten Knorpel veii)unden , medial lauft sie
am medialen ßnnde des Procoraccid's spitz aus, ohne mit dem Epi—
sternum verbunden zu sein.
Brustbeingebilde kommen allen Änuren, aber in sehr ver-
schiedener Entwicklung zu. Die Einen haben nur ein hinteres Bnul^
bein (Sternum), die Anderen haben ausser diesem auch ein vorderes
(Episternum) . Das Sternum (St)^} ist ein ausserordentlich verschieden
differenxirtes Gebilde, das bei einigen (Microps, Systoma) nur rudimentär
sls winzig kleine Knorpelplatte vorbanden ist, bei andern (Pipa, Acrody tes,
Bana) eine bedeutende relative Grösse erreicht. Zwischen diesen beiden
Extremen finden sich alle Abstufungen. Auch die Art und Weise der
VerknOchening ist verschiedenartig 3] . Bei den Gattungen mit Über-
greifenden, nicht verschmolzenen Goracoiden hat es an seinem Vorder-
rande ähnlich wie bei den Urodelen zwei unsymmetrische Falze, welche
die hintern Bänder der Coracoide aufnehmen. Bei knorpeliger Ver-
einigung der beiderseitigen BrustgUrtel sind diese Beziehungen ver-
Gbofprot. — Sternam: CwiKi und Uirtehs. — Corpus sterni: Bcua). Erst
durch Gkobhbadr und pAkH« sind die wahren DeciehuDgea dieses Tbeiles aufg^llirt
worden.
1) Von den Autoreo gemeinsHtn mit dem Procoracoid als Clavicula beschrieben.
Nur Ddobs und GBeBNiAvs unterschieden ihn als tiesonderen Knochen von diesem,
Duek» als Acromiale, GESsiiaAcs ala Clavicnla.
i) AppendU sternh BasTBR. — XiphosterDat: GEOvpaoT. — Pro-
cessus lipfaoideus, Pars xlphoidea: Uehtehs, Stahnidb. — Sternum
inferios, BaLro brOslbenet: ZiiiERa, Cdllam. — Stern uro: Ddoes, Ciosa-
■*im. — PifecB asseuse postfirieure dustärnum avec sondlsqueii-
pho'ide: CuviES. — HyposterDum: Bckh. — PASiEabeEeichnet bei knorpeliger
Persistenz das ganze Sternum als SIeraum, liei theilweiser VerknOCherung d«n
knöchernen Theil als Sternuin, den knorpeligen Bis Xiphisleniuin.
i) Nähere Details siehe bei Stahhius, Gecehbaur und Piuuu
Zur TergleichendeD Anatomie der Schuttermuskelii. 283
wischt: das Slemum ist hier dem mittleren Theile desselben ange-
heftet. Das Epistemum (Est) ^) mangelt der Mehrzahl der Anuren 2} .
Spurweise auftretend 6ndet es sich bei Pipa und Pseudes an der Spitze
der median sehr ansehnlich nach vom entwickelten und vereinigten
Procoracoide. Selbständigkeit erlangt es erst bei Acrodytes, Galamites,
Cystignathus, Pleuroderma, Plectropus, Megalophrys, Rana, Bufo Leche-
naultii. Bei den ersten beiden und dem letzten bleibt es knorpelig, bei
den übrigen verknöchert es an seinem hinteren mit dem Procoracoid
zusammenhängenden Theile^). Besondere Beziehungen zur Clavicula
bietet es nicht dar.
Der Oberarm (H) der Anuren ist Differenzirungen eingegangen,
die ihn ebensowohl von dem der Urodelen als der hohem Wirbelthiere
unterscheiden. Das in die Gelenkhöhle des BrustgUrtels einmündende
Gelenkende bildet eine überknorpelte Halbkugel fläche, von der la-
teral und oben ein Segment abgeschnitten ist. Der Processus la-
teralis (PL)^) beginnt gleich hinter dem Gelenkende und stellt eine
scharfe nach unten und aussen gerichtete Leiste dar, welche bis über
die Mitte des Oberarms ausgedehnt ist. Der distale Theii desselben
kann als Crista lateralis (CrLj unterschieden werden. Dem An-
fange des Processus lateralis gegenüber , gleich hinter dem Gelenkendoi
liegt an der Medialseite des Humerus ein kleiner Höcker, der ein Rudi-
ment des Processus medialis (PM) darstellt^). Das distale Ende
bildet die Gelenkfläche, die mit den zum Os antibrachii verbundenen
Ulna und Radius articulirt. Diese Gelenkfläche ist eine Trochlea, welche
aus einem grossem in der Mitte des Oberarroendes liegenden und einem
kleinern medialen (oberen) Theile zusammengesetzt ist. Ersterer ist
Theil eines Botationssphäroid^s, das ausser auf das hinterste Ende auch
auf die laterale und mediale Seite des anstossenden hintern Sechstels
4) Epi Sternall Episternam: Geoffrot, Mertins, Dvges, Ecker, 6e6bv<-
RAUR, Owen. ^Sternum superius, Främre bröstbeoet: Zenker, Collan. —
Piöce antörieure du steroam: Cuvisr. — Manubriom steroi: Stan-
vws, — OmosternuHi: Parker.
i) Vergleiche die genaaereii Angaben von Stanriüs, Gegenraur ond Parker.
8) Knorpel- und Knocbentheii des Epi$ternunis werden von Dcois und Ecker
als separate Theile unterschieden.
4) Vordere Leiste: Meckbl. -- Cröte bicipitale: Dücis. — Spina
tuberculi majoris: Collah. — Tuberculom majus, das abwttrts in eine
starke Spina aasgezogen zu sein pflegt: Starriüs. — Crista del toi dea: Ecker.
5) Von den Autoren zumeist nicht beschrieben. Nur Stahhius giebt an , dass
bei Pipa an der Innenseite des Tuberculum raajus ein Hockerchen liege, das zur
Fixirung des Ugamentea bestimmt ist, unter welchem die Sehne der M. coraco-
radialis hindurcbtritt, dass aber dieses Höckercbeo den übrigen Anuren fehle.
284 Max FOrbringer.
des Oberarms ausgedehnt ist und mindestens einen Bogen von di^ei
Quadranten umfasst^), letzterer ist nur klein und umfasst höchstens
einenBogen von zwei Quadranten. Während der erstere mit der
Hauptfläche des proximalen Antibrachialendes articulirt, lenkt der
letztere nur in das Oiecranon ein. Zu beiden Seiten der Gelenk—
begrenzungen (Gondylus radialis s. lateralis s. inferior und Gondylus
ulnaris s. medialis s. superior^j) finden sich zwei Höcker fttr den Ur—
Sprung der Strecker und Beuger der Hand und der Finger , der £ p i —
condylus radialis (lateralis) (EL) ^j und der Epicondylus
ulnaris (medialis) (EM)^). Beim männlichen Geschlechte, nament-
lich zur Brunstzeit, findet sich vor dem Epicondylus medialis eine auf
die ganze distale Hälfte des Humerus ausgedehnte und sehr kräftig entr-
wickelte Knochenleiste, die Grista supracondyloidea medialis^j,
die den voluminösen Beugemuskeln zum Ursprünge dient.
§5.
Herven fftr die Schnltermuskeln®).
(Vergleiche Taf. XIV.)
Die Nerven für die Schultermuskeln der Anuren bieten mehrfache
Abweichungen von den Verhältnissen bei den Anuren dar. Diese be—
4) Ecker, der allein hiervon eine genauere Beschreibung giebt, scheint den
auf die Streckseite des Humerus ausgedehnten Theil der Gelenkflache übersehen zu
haben. Er erwähnt nur eine fast vollkommene Kugelflttche , die auf dem hintern
Ende des Miltelstückes gleichsam aufgesetzt ist.
3) Die r¨ichen Beziehungen der Condylen wechseln je nach dem Drehungs-
Winkel des Humerus ausserordentlich. Daher sind die Bezeichnungen Condylus la-
teralis s. inferior und medialis s. superior nicht geeignet fUr die Vergleichung durch
alle Wirbelthiere. Da der Drehungswinkel des Humerus von einem halben Quadran-
ten an (niederste Urodelen) bis zu zwei Quadranten (Mensch) alle Stufen durchlSufl,
so wird der Condylus lateralis des einen Thieres C. lateral i-inferior des andern, C.
inferior des dritten sein. Constant sind nur die Beziehungen zu dem Vorderarm,
wesshalb die von Owen zuerst gebrauchten Bezeichnungen Condylus radialis
und ulnaris vor allen andern den Vorzug verdienen.
3) Epicondylus lateralis: Eckbk.
4) Epicondylus medialis: Ecker.
5) Crista medialis: Ecker. Düg^s fasste die Verschiedenheit ihrer Ent-
Wickelung als Unterscheidungsmerkmal der verschiedenen Species auf. Pouchet
(Compt. rend. Tome XXV. 4847. p. 764) betonte zuerst ihre Beziehungen zur
Brunstzeit.
6) Literatur:
CuviBR a. a. 0. S. 226. S. 240. S. 264.
VoLKiiANN, Von dem Bau und den Verrichtungen der Kopfnerven des Frosches.
Müller's Archiv für Anatomie und Physiologie. Band V. 4888. S. 70 f. (Vagus von
Rana esculenta) .
Zur vergleiclienden ADatomie der SchaUerainskeln. 285
stehen einerseits in dem Vorkooimeu eines den Batrachiern eigenthttm-
liehen R. scapuiaris n. vagi, der zum R. accessorius desselben
Nerven hinzukommt, andererseits in einer Verminderung der
Anzahl der die Schultermuskulatur versorgenden Nn.
spinales. Die in grösserer Ausdehnung bestehende feste Verkittung
der Elemente der Nn. brachiales superiores und inferiores muss als
unwesentlicher Unterschied bezeichnet wrerden.
1. R. accessorius (a) und scapuiaris [a] n. vagi.
Die wie bei den Urodelen zu einem gemeinsamen Complexe , der
Vagus- Gruppe [V] ^ vereinigten Homologe der Nn. glossopharyngeus,
vagus und accessorius Willisii des Menschen entspringen entweder mit
drei (Pipa, Bufo, Pelobates) oder mit zwei (Hyla, Pelobatesj oder mit
einer Wurzel (Rana , Bombinator) ^) aus der Medulla oblongata , treten
durch das sogenannte Foramen jugulare aus dem Schädel heraus und
schwellen gleich darauf zu einem ansehnlichen Ganglion an , von dem
eine grosse Anzahl Aeste abgehen , die sich im Pharynx (R. pharyngeus
[q>])i im Zungengrund (R. lingualis [yl]), in den Muskehi der Zungen-
beinhörner (Homologe der Zungen- und Kiemenbogen) , in der soge-
nannten Parotis und der Haut des Nackens und Rückens^] (R. cutaneus
Fischer's, wahrscheinlich, wie auch Stannius angiebt , Homologen des
R. auricularis [oi]], in Kehlkopf, Lunge, Pericard, Oesophagus und
Vogt, a. a. 0. S. 52 f. (Vagus von Dufo panthcrious und cinercus).
Fischer, Amphibiorum nudorum neurologiae spechnen primum a. a. 0. S. 9 f. Taf.
I. 11. (Genaue Beschreibung der Kopfnervon von Bufo palmamm, Rana esculenta,
Hyla arborea, Pipa dorsigcra, Bontbinator igneus, Pelobates foscus).
Brnos, a. a. 0. S. 48S f. Taf. VIII. (Kopfnerven von Bofo cinercus).
Wymam, Anatomy of tbe Nervous System of Rana pipiens. Washington 4853. S. 33 f.
44 f. Taf. I. II. (Wenig eingehende Beschreibung der Nerven von Rana pipiens).
Starhiüs, a. a. 0. S. 449 f.
ScHiEss, a. a. 0. S. 843 f.
Zu eigenen Untersuchungen dienten Rana esculenta und Bufo cinercus.
4) Die Zahlen Verhältnisse der Wurzeln der Vagusgruppe sind keine constanten,
sie können sogar bei demselben Individuum an der rechten und linken Seite wccli-
seln (Pelobates) . Von den drei Wurzeln bei Pipa zeigen die zwei letzten Andeutun-
gen einer Trennung, die wohl als eine neue Differenzirungserscheinung aufzufassen
sind. Dero ursprünglichen Zustande entspricht auch bei den Anuren (wie bei den
Urodelen) die Dreizahl. Untersuchungen von Larven, z. B. von Rana, zeigen dies
deutlich, wie die übereinstimmenden Beobachtungen von Fischem und mir ergeben.
In einem gewissen Stadium bat die Vagusgruppe der Larve von Rena esculenta drei
Wurzeln , von denen später die beiden hintern und endlich beim ausgewachsenen
alten Thiere alle drei verschmelzen können.
2) Bei Rana esculenta gehen die Zweige bis zur Haut der Brust.
Bd. yu.3. i|9
286 Max Fftrbringer.
Magen (R. intestinalis mit R. recurrens [e]), rn der Seitenlinie (Rr. Li-
terales) ^), in dem M. capiti-scapularis (R. accessorius [a]) und im M.
interscapularis (R. scapularis [a]) verzweigen und ausserdem mit dem N.
facialis und hypoglossus Anastomosen (Rr. communicantes [x]} eingehen.
Der R. accessorius (a) ^), in der Regel einfach, seltener in d«r
Mehrzahl auftretend, ist meist ein sich sehr früh abzweigender Ast (\f<
R. intestinalis n. vagi (ej, seltener ein selbständig ans dem Ganglion n
Vagi hervorgehender Nerv. Er verläuft zwischen den kurzen Kopfmus-
keln und dem M. capiti-scapularis (Cucullaris) {es) nach unten um;
hinten und endet in der Innenfläche des letzteren Muskels.
Der R. scapularis (a)^) wird repräsentirt durch ein sehr feinte
gleich neben dem R. accessorius vom R. intestinalis n. vagi {e) abgeheTi-
des Aestchen, das an der Innenfläche des M. cucullaris {es) vorbei zur
Innenfläche des M. interscapularis (is) geht und sich in diesem verzwciiii.
II. Nn. spinales.
Abweichend von den Urodelen betheiligen sich blos drei Spinal-
nerven, der zweite, dritte und vierte ^j, an der Innervirung der Muskeln
der Schulter und der vorderen Extremität. Von diesen vereinigen siel.
i) Diese Rr. laterales lassen sich in doppelter Zahl imr bei Larven nachweisen
Von en^achsenen Formen bietet nach Fiscuer's Untersuchungen nurPipa dorsipM;.
einen R. lateralis dar, während bei den andern Gattungen der Endast des R. ciit -
neus (auricularis) functionell dafür eintritt. Die näheren Verhältnisse vergleiche h'i
FiscHEB, StanNiüs, Wyma5 Und Krohn iFroriep's Notizen 1888. No. 437).
2) Von CüviER im Allgemeinen angegeben, dagegen von Wtiian geleugnet. Kbon v.
scheint der Nerv BEnnz entgangen am sein. Schiess und Fischer beschreiben ihn,
ohne ihn zu benennen ; ersterer giebt ihm einen zu grossen Verbreitungsbezirk vr
soll auch einen Theil des Serratus, den Transverso-adscapulaire Dvcts* innerviren
letzterer bezeichnet hingegen bei Pipa einen höchst wahrscheinlich dem N. Spinalis II
entsprechenden Nerv, der weder in den Zungenbeinmuskeln noch in dem M. capih-
scapularis endet, sondern lediglich die an den Kopf gehenden tiefen I^ngsmuskt'lt:
des Halses versorgt, fälschlich als N. accessorius.
3) Diesen sehr feinen , für die vergleichende Anatomie höchst wichtigen Ner\ ,
hat nur Fischer bei Pipa dorsigera allein beschrieben, ohne ihn zu deuten nnd 711
benennen. Allen andern Untersuchern ist er entgangen. Er findet sich, wie ich nni
Bestimmtheit behaupten kann, bei allen von mir untersuchten Anuren.
4) Bei den von mir untersuchten Anuren existirt ein zwischen Schädel un.i
erstem Halswirbel oder durch letzteren gehender Nerv nicht. Der zwischen den
beiden ersten Halswirbeln durchtretende Nerv ist daher der erste wirklich vor>
handene Spinalnerv, muss aber nach seinem Durchtritte durch die Wirbelsäule und
in Vergleichung mit den andern Wirbelthieren als N. spinalis II. aufgefasst werden
Dasselbe gilt für die beiden folgenden Nerven, die als Nn. spinales III. und IV. zu
bezeichnen sind.
Znr vergleicheuden Anatomie der SchiiUeraiuskeln. 287
stets die beiden Iclzlen, initunler (vielleicht auch immer) alle drei zur
Bildung des Plexus brachialis^).
Ventraler Ast des N. spinaiis IL (//). Er tritt zwischen
dem ersten und zweiten Wirbel nach «aussen und geht mit seiner Haupt-
masse (3) an ventralen Rumpfmuskeln (mit Einschluss der Muskeln des
Zungenbeins und der Zunge selbst, wo er sich neben den sensiblen
Vagusästen verzweigt) vorüber 2). Nicht weit hinter seinem Austritte
aus der Wirbelsäule giebt er einen N. t h o r a c i c u s s u p e r i o r 1 1. (4) *i
ab, der sich in dem M. basi-suprascapularis {bss) vertheilt. Vor oder
binter demselben entspringt das feine Verbindungsästchen mit
dem N. spinaiis HL, das sich entweder einfach mit diesem vereint, oder
vorher sich in zwei Zweige spaltet, von denen der eine in dem N.
supracoracoideus , der andere (N. thoracicus inferior II.} in dem die
Mm. obliqui abdominis und rectus abdominis versorgenden Nerven
aufgeht.
Ventraler Ast des N. spinaiis Ili. (//i). Er ist der stärkste
Nerv , nicht allein des Plexus brachialls , sondern des ganzen Körpers.
Unweit des Austritts aus dem Zwischen wirbel loch giebt er einen ziemlich
kräftigen N. thoracicus superiorlll. (7) ab, der sich mit weit
auseinander tretenden Aesten ini M. rhomboidcus anterior [rha), petroso-
suprascapularis {pss)j thoraci-suprascapularis (thss) und rhomboideus
posterior [rhp] verzweigt*). Der Hauptstamm bildet mit dem N. spi-
4) Nach CuviER, Scüiess, Wyman und Owen besteht der Plexus brachialls nur
in der Vereiniguiiig des dritten und vierteo Spinalnerven. Wiederholte Untersuchun-
gen bei Rana esculentu haben mir gezeigt, dass.auch der zweite Spinalnerv durch
ein äusserst feines und in seiner La;;c sehr veränderliches Fädchen sich mit diesen
verbindet' Bei Bufo cincreus {zclanf^ mir dieser Nachweis nicht, doch möchte ich
diesem die erwähnte Verbindung! nicht absprechen und eher die Schuld auf die durch
den sehr schlechten Erhaltungszustand der Exemplare bedingte mangelhafte Unter-
suchung schieben. — Ob die im Vcrhällniss zu den Urodelen verminderte Anzahl
der den Plexus zusammensetzenden Nerven bei den Anuren durch Ausfall eines
Wirbels und darauf eintretende Verschmelzung zweier Nerven bedingt ist, möchte,
wenn auch wahrscheinlich, doch koum mit Sicherheit zu entscheiden sein.
)) Bei den Anuren tmit Ausnahme von Pipa cf. Fischkh) kann der N. spinaiis II.
als Hypoglossus aufgefasst werden, sicher wenigstens der in der Zunge selbst endende
Theil. Diese Auffassung gewinnt noch dadurch an Gewicht, dass dem Vagus alle, die
Zunge bewegenden Elemente abgehen. Hinsichtlich dieses Verhaltens entfernen sich
die Anuren von den Urodelen und schliessen sich näher an die höhern Wirbel-
tbiere an.
3) ScBiEss orwtthnt diesen Nerv ohne ihn lu benennen.
4) CrviBR : il s'en dötache une brauche qui va au-dessus de l'öpaule et qui
se perd dans les rouscies de cette perlie.
ScBiEM llisst ihn zu den Muskeln des Schulterblattes gehen und diese versorgen,
ohne einen auszunehmen.
49*
2SS M» Kürbrüiger.
aalis [V. die Ansa lli. und hierauf mit dem feinen Verbindungsästebett
des N. spinalis II. die Ansa II.
Ventraler Ast des N. spinalis IV. {IV). Nindestens vierm»!
scliwiicher als der vorhergehende. Er giebt zunächst ein oder zv,vi
Aestchen ab, die nach hinten zu den Mm. obliqui atxlominis gehen, und
bildet liierauf mit N. spinalis III. die Ansa spinalis III. Gleich nach dir
Vereinigung geht ein kleiner N. tboracicus superior IV. (9)') (für
den U. tboraci-scapularis [ths]), ein Aestchen an die schiefen Baucli-
muskeln und ein dem ursprUn glichen N. spinalis IV. gleich starker und
hauptsikchticb aus dessen Fasern gebildeler Stamm (10) ab, der sich
ebenfalls an die schiefen Baucbmujikeln verzweigt und mit einem sulb-
stündigcn Nebenästchen den U. abdomini-scapularis [as) versor^j;!.
Dieser der unteren Schicht zuzurechnende und daher N. thoracicuä
inferior IV. (10) zu benennende Nerv kann in einzelnen Fallen auch
vom N. spinalis II. ein Fädchen bekommen^.
Nach Bildung aller Ansen resultirt ein einfacher kräftiger Haupt-
Stamm, der anfangs ziemlich homogen gebildet erscheint, sich aber spä-
ter in eine unlere und obere Schiebt« spaltet, die Nn. brachiales
inferiores und superiores.
A. Die Nn. brachiales inferiores sind folgende:
a) N. supracoracoideus (12)*). Kritftiger nach unten und vorn
sich wendender Nerv, der von der Vorderseite des N. spinalis III.
entsteht, mitunter auch durch ein vom N. spinalis II. direct kommen—
des sehr dünnes Füdchen verstärkt wird. Er giebl noch in der Brust-
höhle ein sehr feines weit nach hinten verlaufendes und im Reclus
abdominis endendes Fadchen (f6) (N. iboracicus inferior posterior)
ab*). Sodann gehl er durch die von Goracoid, Epicoraooid und
Procoracoid umschlossene grosse OeSnung im ventralen Absi^nitl
des Brusl^rl«ls und zwar an deren lateraler Grenze, seitlich vom
M. sterno-hyoideus sublimis [stk], und verzweigt sich in dem M.
<) Von keipem Aator als selbsUndjger Nerv erwäbDt. Er enthält io si^ Ele-
ineiite des N, spinalis 111. und IV.
3J Dieses Verhallen vermitlcIteiDe gewisse ZusammeDgehöriBkeitKumN. supra-
coracoideus und ist von Bedeutung für die Vergleicbuag mit den Reptilien,
S{ Von CuviEH gar nicht erwHbnt. Von Schikss uugenau beitchrialKD als Uuskei-
xwcig zum Pectorelis major (!) Delloides und Biceps. — Au der Abiweigungsslelle
des N. supracoracoideus vom Plexus ist die Trennung io eine obere und unlere
Schicht noch so wenig angedeutet, dass der Mangel jeglicher Elemente eines N.
brachialis superior nicht milBesiimmlheit nachgewiesen werden konnte.
t) Dieses FSdcben scheint nicht conslant zu seiu; Irühere Beobachter er-
wähnen es nicht.
Znr vergleichfnden Anatomie der Scbnltennnskeln. 289
coraco-radialis proprius {crp) (13) und den ventralen und hintern
Theilen des M. epistorno-cleido-acroraio-humeralis [eclah] (14).
Bei Bufo zweigt sich von ihm ein dünnes Fifdehen ab , das zwischen
den beiden erwähnten Muskeln und vor dem M. pectoralis an die Haut
der Brust tritt ^) . — Der Nerv entspricht bis auf den diesen fehlenden
Hautast vollkommen dem N. supracoracoideus der Urodelen.
Nach Abzweigung des N. supracoracoideus ist die obere und untere
Schichte des in einen starken Äst zusammengezogenen Plexus noch innig
vereint und verbleibt dies wahrend des ganzen Verlaufes in der Brust-
höhle. Erst nach dem Austritt aus derselben am hintern Rand der
Scapula trennen sich beide Theile. Der die untere Schichte repräsen-
tircnde Theil ist der kräftige N. brachialis longus inferior.
b) N. brachialis longus inferior (21) ^).
Seine Aeste sind :
a] Nn. pectorales und coraco-brachiales (19, 22)3). Beide
entspringen bald nach der Abtrennung von dem N. brachialis longus
superior mit zwei Stämmen. Dereine (19 + 22) dnngt durch den
M. coraco-brachialis brevis internus (c66t), diesen versorgend,
hindurch und endet in dem M. coraco-brachialis longus [cbl] und
derParsepicoracoidea des M. pectoralis [pec] *). Der andere (19)
tritt hinter dem M. coraco-humeralis longus an die Pars sternalis
[psti und abdominalis des M. pecloraKs [pa) und giebt noch einen
ansehnlichen Hautast (1 8) ab , der sich um den Aussenrand des
Pectoralis heruin an den untern Theil der Brust wendet.
Diese Nerven entsprechen im Allgemeinen den gleichbenann-
ten der Urodelen. Abweichungen von der Bildung bei diesen sind
die Durchdringung des M. coraco-brachialis brevis durch einen
Nervenast und der tiefe Abgang der Nn. pectorales, die nicht
direct aus dem Plexus entstehen . sondern sich erst von dem N.
brachiaÜR longus inferior abzweigen. Beide Unterschiede sind
unwesentlich. Ersterer beruht nur auf einer excessiven Ver-
mehrung der Muskelbündel des Coracobrachialis tlber die durch
den Nerven bestimmte hintere Grenze hinaus ^) , letzterer ist
4) Bei Rana trotz wiederholter Bemühungen nicht aufgefunden. Auch weder
von CuviBK noch von Schiess beschrieben.
5) Nerf median: Cuvisk. — N. radiali(>: Schibss (!).— Median: Owev.
8) ScHiEss erwähnt nur einen N. thoracicus longus zum M. abdomino^-humeralis
und einen Zweig zur Haut.
4^ In einem einzigen Falle gab der Nerv auch ein äusserst dünnes Födchen an
die hintern Fasern des M. supracoracoideus ah.
5! Derartige durch die Muskeln bedingte Veränderungen der gegenseitigen Be-
ziehungen zwischen diesen und den Nerven , sei es eine Umwachsung oder sei es
290 Mm Fflrbtiiigsr.
lediglich bedingt durch eine abweichei
roglis.
ß) N. cutaneus brachii inferior media lis (Ü5) '). Ansehn-
licher Hautnerv, der in der Hitle des Oberarms sich abzweigt und
an die Gegend des Ellenbogens undderUlDarseitedesVordcrarno
geht. — Der Nerv ist ein Homologen des N. cuUneus iotcrnu^
major s. medius.
y] N. cutaneus brachii inferior lateralis [3G)^]. Gehl ,n>
dem unlern Drittel des Oberarms vom N.brachialis longiis inferior ;
ab, und läuft ulnar neben der Sehne des M. coraco-radialis pro-
prius [crp] nach der Beuge der Radinlseite des Vorderarms.
Dieser Nerv ist dem die Haut versorgenden Endaste des N-
musculo-cutaneus vergleichbar.
Der Hauptstamm verläuft neben der Sehne des M. coraco-radialis
proprius [crp] an den Vorderarm und vcrKweigt sich, zuerst in zwei,
dann mehr Äeste gethelll, in den Muskeln und der Haut der Beugr
des Vorderarms und der Hand.
Dieser Theil des Nerven entspricht den Vorderarm- und Hand-
partien der Rr. superficialis und profundus n. brachialis longi in-
feriorts der Urodelen oder theilweise den Nn. medianus und ulnaris
des Menschen. Eine durch die Vertheilung der Neuroglia bedingte,
also unwesentliche Abweichung von den Bildungen hei denUrodelen
ist gegeben Inder i'egolmüssigerst in der Ellenbogenkehle erfolgeuden
Theilung in die beiden Br. superficialis und profundus.
B. No. brachiales superiores. In der Brusthöhle noch fesi
mit den Nn. brachiales inferiores vereinigt. Ihre Aesl«- sind folgende ;
u) Nn. latissimi dorsi (Üi) und dorsales scapuhic (;)0) ' .
Zwei ansehnliche Aesic, die am hintern Rand der Scapula noch \cx-
der Trennung in N. brachiales supcriores und inferiores sich abzwei-
gen. Der eine geht von der Hinterseito des Haupistammes ah und
verlhcilt sich entweder im M. latissimusdorsi (d/t) (:ii] und dem klei-
nem hinteren Theile des H. dorsalls scapulae {ds] (3 1 ] oder (seltener
in ersterem Muskel allein (3i). Der andere zweigt sich etwas wei-
ter unten von der Vorderseite des Haupistammes ab, inncrvirl uiii
einer Anzahl von Aeslen in der Begel den grössern vordem Theil
eine Zertheilung der Iclzlercn durch die cnilcren, kommen fast in bIIi'ii CIüsscd di:r
Wirbcllbiore zur Beobachtung.
4) Schiebst Hauttweig lum Ellenbogen.
5) Von ScHiEss übersehen.
3] Von Cdtieh uDd Schie» nicht beschrieben, von Ovek als iiaiillery nfiv"
gedeutet.
^^n
Zur vergleichenden Anatomie der Scliultermuskeln. 291
des M. dorsalis scapulae (ds) (31) oder seltener den ganzen Muskel
und geht dann , zwisdien dessen Insertionssebne und dem hintern
Rande demnächst der Aussenfläche der Scapula nach der Hauptmasse
des M. acromio-humeralis (ah) (33) und mit einem sehr feinen Haut-
ästchen (N. cutaneus brachii superior lateralis) (32) an die Haut der
Schulter.
Der den M. laüssimus dorsi innervirende Theil entspricht dem
N. latissimus dorsi, die übrigen Aeste dem N. dorsalis scapulae der
Urodelen. Die Vereinigung von Elementen des letzteren Nerven mit
denen des ersteren in eine gemeinsame Bahn ist ledi^ich durch eine
abweichende Vertheilung des Nervenkitls bedingt. Keineswegs darf
das mit dem Stamme des N. latissimus dorsi verbundene und zu den)
hintern Theile des M. dorsalis scapulae gehende Aestchen als Homo-
logen eines N. teres major (subscapularis medius) aufgefasst werden.
Dagegen spricht einmal die auch zur Beobachtung kommende voll-
kommene Trennung der Nn. dorsales scapulae von den Nn. latissin)i
dorsi, ferner die vollkommene Homogenität des M. dorsalis scapulae,
endlich die bei den Reptilien bestimmt nachweisbare Entstehung des
M. teres major aus zum System des H. subscapularis gehörenden
Elementen.
h] N. cutaneus brachii et antibrachii superior (41) ^) zweigt
sich dem zweiten N. dorsalis scapulae gegenüber von der IlintefTseitc
des Hauptstanimes ab und versorgt die Haut der Streckseite des Ober-
und Vorderarms. Zum Theil dem bei den Urodelen beschriebenen
kleineu Hautnerven des N. radialis superficialis, zum Theil einzelnen
Partien des N. radialis superficialis selbst entsprechend. — Ein di-
rectes Homologen fehlt beim Menschen.
Erst nach Abgabe des letzten Astes trennt sich die obere Schicht
vollsliindig von der untern als N. brachialis longus superior.
() N. brachialis longus superior s. radialis (35, 38) 2]. Sehr
krafliger Stamm, der dem N. brachialis longus inferior an SUirke
beinahe gleich konmU. Er giebt an der Trennungsstelle ein oder
zwei Rr. nuisculares (iO) an den M. anconaeus scapularis medialis
[US in] und den medialen und mittleren Theil des M. anconaims
hunieralis (a/tw, ahi)^) ab, geht dann zwischen M. anconaeus
V Weder von Cuvier noch von Schiess erwähnt.
2} Nerf radial: Cüvier. — Nervus ulnari»: Schiess (!'. — Museulo-
spira I : Owen. — Die Deutung von Schiess bedarf keiner Widerlegung.
3) Schiess: »Zwischen dem radialis und ulnaris aus ihrem Theilungswinkel
onlsteiit ebenfalls ein ziemlich beträchtlicher Muskelnerv, der die Muskulatur des
Kllonbogcns auf sirh nimmt«. Diese Rr. musculares für den M. anconaeus ktooen
Hau Kfitbringer.
iilaris medialis {asm) utida. bumeralis lateralis {ahl). ersteren
Man, letzleren lateral lassend, in die Tiefe der Streck—
lulatur des Oberarms, innervirt die nnch nicht versoi^len Thcitc
?lbcn und tritt nach gedehnt spiraligem Verlaufe vor dem Epi—
ylus r.-idialis nach aussen und von da an die Streckscite des
crarms und der Hand (;)7j.
Der Nerv ist als ein Homologon der Nn. radialis superficialis und
indus der L'rodelon (mit Ausnahme des von erslerem abgehenden
len Ilaulastesj aufiufcssen. Ein aiiffallendtT Untci'schipd liegt in
tr veränderten Lage zum a. scaput.'fris medialis : wahrend er bei
Jrodelen diesen Muskel lateral lüsst, geht erbe! den Anuren lateral
im vorbei. Dieses Verhalten ist bedingt durch den von dem der
lelcn abweichenden Ursprung dieses Muskels (vergleiche unten
6 die Beschreibung des H. anconaeus scapularis medialis).
§.6.
Hoikeln der Schnlter nnd des Oberarma').
(Vergleiche Ta(. XVU u XVIII.)
Muskeln derSchulterund des Oberarms der Anuren zeigen, iheil—
itsprechend der Ausbildung der Knochen, eine viel grossere Ent-
en eotepriDgeD. Regel ist das im obigen Teil beschriebene Verhalten,
n isl eine Abzweigung vom N. radielia hinter der Tbeilungsslelle. HHuBgor
von dem Anfangalheile den N. brachialis loogus ioferior ab. Dieses Vor-
kann eine Versoi^ng des M. anoonneus durch der nntern Schiebte ange-
Nerven vortäuschen. Die genauere Untersiichnng und Ahlrennun;: der
) Zweige von dem longus inTerior ergieht jedoch , dass nur eine luHilligG
Dg durch Neuroglia vorliegt, und dass der Nerv wirklicli von der oberen
enlapringt. Jedenfutls zei);t dieses ^auch hei äüugetliiereii beobachtete)
, wie wenigWerlh auf die Bildung vonAnasInmuscn, wie
Unterschiede einer liJthcrn oder tiefem Abiwcigang zu
von Hasselt, Beiträge zur Zoologie der Rana esculenta. Kuhl's Betti^ge
•logie. Frankfurt a. M. tSSO. S. US (.
Balrachomyologia. Jenae l8iS.
, über d. Schulte rgerijst d.'rScIiildkrälen mil den daran sitzenden Muskeln.
IT. p. tS9 (enthält Bemerkungen ütier die Schultermuskeln der Frosche,.
eilrag zur anatomischen Monographie der Rana pipa Nova .icla snc. Carnl.
inl. cur. 1838. S. S3t f.
1, a. 0. III. S, 168 f. S. 177 r. S. SOI f. (Pipa, Bufo, Rana, Hjla.J
, B. 0 S. IJ8 f.
Zur vergleicbeud«!! AoHtomie der SchuKermuskelii. 293
Wickelung als bei den Urodelen. Diese zeigt sich einmal in emer sehr
weit gehenden DifferenziiTing der von den Nn. thoracici superiores ver-
sorgten Muskelmassen und einer hiermit verbundenen Neubildung von
Mm. rhomboidei, ferner in einem Zerfall der Mm. pectoralis und epistemo-
cleido-acromio-humeralis in einzelne getrennte Partien, endlieh in einer
ansehnlichen Volumensvergrösserung einzelner Muskeln (Mm. coraco-
radialis proprius und coraco-brachialis brevis), zu der eine betrachtliche
Reduction bis vollständige Verkümmerung anderer (Mm. supracoracoideus
und subcoracoscapularis) in Correlation steht. Eine den Batrachiern
eigenthümliche Bildung ist der M. interscapularis.
Aehnlich wie bei den ürodelen lassen sich die Muskeln der Anuren
in folgender Weise eintheilen.
A« Durch N. vagus innervirt :
Insertion an dem dorsalen Abschnitte des Brustgürtels
(Scapulaj.
a) Ursprung vom Kopfe, Innervation durch den R. ac-
cessorius n. vagi :
Captti-scapularis (Cucullaris).
b) Ursprung vom Suprascapulare, Innervation durch
den R. scapularis n. vagi:
Intet'scapularis.
CoLLAN, a. a. 0. S. S8 f.
Klein, Beiträge zur Anatomie der ungcschwönztcn Balrachicr. Jahreslicfl des Ver-
eins für vaterländische Naturkunde in Würtemberg. 6 Jahrg. 4 850. S. 4 f. (Myn-
logio von Bufo agua, margnritifera , variabilis, Cystignalhus occllatus, Rana tem-
poraria, Hyla palmata und arhorea, Pipa americana.)
Fkeifper, a. a. 0. S. 47 f.
STANIVID8, a. a. 0. S. 1S1 f. S. 425 f.
EcKEB , a. a. 0. S. 84 f. S. 84 f. S. 89 f.
Ri'DiiiGER, a. a. 0. S. S6 f. S. 96. S. 402 T. (Bufo cinereus, Rana temporaria, esculenta
mugien.s, Pipa americanai Hyla, Rana paradoxa Rana bufo [?]).
Die Abhandlungen von
Altena , a. a. 0.
Martin 8t. Ahgb, Annalcs des Sciences naturelles. Tome XXIV. 4884. p. 898.
konnte ich nicht vergleichen.
Die Untersuchung beschränkte sich auf Rana esculenta und Bufo cinereus.
.lungere Frösche zeigten keine Besonderheiten. Junge Larven wurden in Bezug auf
di(* Entwicklung nur vorübergehend beachtet. Duges und Sternbeim [Entwicklung
des Froschembryos, insbesondere des Muskel- und Genitalsystems. Abhandlungen
des nalurwiss. Vereins zu Hamburg 4846. S. 47 f.) bieten über diesen Punct nur
Dürftiges. ~ Eine myologisohe Untersuchung von Microps (oderHylaedactylus) dürfte
^erthvolie Aufschlüsse Über die Verwandtschaft mit den Ürodelen einerseits und den
Cbeloniern anderseits ergeben und ist sehr wünschen swerth
294 Max Filrbriiiger.
B. Durch Nn. thoracic! superiores innervirt:
Insertion am dorsalen Abschnitte des BrustgUrtels.
a) Ursprung vom Hinterkopfe, Insertion am Supra-
scapulare.
a) Vom ventralen Theile des Hinterkopfes:
Basi-suprascapularis (Levator scapulae inferior),
ß) Vom lateralen Theile des Hinterkopfes:
Pelroso-suprascapularis (Levalor scnpulae superior).
y) Vom dorsalen Theile des Hinterkopfes:
Occipiti- suprascapularis (Rhomboideus anterior),
h) Ursprung vom Rumpfe (Processus transverso-costales.
a ) Insertion an der Scapula :
Thoraci-scapularis (Serratus magnm inferior).
ß) Insertion an dem Suprascapulare :
Thoraci - suprascapularis (Serratus macjnus superior mtt
Rhomboideus posterior).
s
C« Durch N. thoracicus inferior innervirt :
Ursprung vonderBauchflüche, Insertion an derScapula:
A bdom mi-scapularis.
Dt Durch Nn. brachiales inferiores innervirt :
(/) Ursprung vom Rumpfe (Bauchfläche, Sternum, auch auf d\v
Verbindung der Epicoracoide übergreifend), Insertion am Ober-
arm:
Pectornlis,
b] Ursprung vom ventralen Theile des BrustgUrtels (auch
auf Ster na I theile übergreifend) :
a) Durch N. supracoracoideus innervirt, Insertion am Vorderarm :
Coraco -radia lis proprius.
ß) Durch Aeste des N. brachialis longus inferior innervirt, Inseition
am Oberarm:
Coraco-brachialis longus.
Coruco-brachialis brevis internus.
E. Durch Nn. brachiales inferiores und superiores zu-
gleich innervirt:
Ursprung vom vorderentheile des Brustgürtels (Clavicula,
Acromion, auch auf das Episternum tibergreifend), Insertion am
Oberarm:
Epistemo^-deido-acromio-humeralis.
Zur verKleicheudeu Anntomie der Scliultermuskelu. 295
F. Durch Nn. brachiales superiores innervirt:
a) Ursprung vom Rumpfe (dorsale Fläche des Rückens) , Inser-
tion am Oberarm:
Dorso-humeralis (Latissimus dorsi).
b) Ursprung von der AussenflHche des dorsalen Ab-
schnittes des Brustgürtels (Suprascapulare) , Insertion
am Oberarm:
Dorsalis scapuiae.
c) Ursprung vom dorsalen Abschnitte des Bruslgürtois
(Scapula) und Oberarm, Insertion am Vorderarm:
Anconaeus.
1. Capiti-scapnlaris (Cncullaris) (vs)^).
Protractor acromii: Zenker (No. 97. 98), Anonymus.
Scapulo-mastoidieni sterno-masloidicn (Cuvier) : Duges(No.63).
Sternomas toi dien: Cdvier.
Levntor scapulae inferioris: Volkmann, Fischer.
Sternocleidomastoideus: Collan, Klein, Pfeiffer, Ecker
(No. 44).
Scapulo-mastoideus s. Sternocleidomastoideus: Rü-
DINGER.
Er entspringt von dem lateralen Theile des Os occipilale externum,
\on dem Os tympanicum, vom hintern Rande des Trommelfells und von
dem lateralen Theile des Os pelrosum und geht, bedeckt von dem soge-
nannten Digastricus maxillae inferioris [dg^ nach hinten und unten, wo
er an der Unterüache des vorderen Randes der Scapula (oberhalb des
Acroniion) zwischen dem M. interscapularis [is] und acromio-humera-
lis [ah) inserirt.
Innervirt durch den R. accessorius n. vagi (a).
Der Muskel entspricht dem vorderen Theile des M. capili-dorso-
sctipularis der Sozuren und ist aus den bereits bei diesen angegebenen
(irUnden mit dem menschlichen M. cucuUaris zu vergleichen. Für die von
•den meisten Untersuchern vorgeschlagene Homologie mit dem M. sterno-
cleidomastoideus des Menschen spricht allerdings der sehr weit lateral-
t) Von .Meckel unter No. 4 . S. 464 angegeben, aber nicht benannt. Stannius
beschreibt ihn als Muskel , »der vom Schttdelquerfortsatze an den Vordernind der
Scapula über demAcromion erstreckt ist«.
I ü * "■".
ivi^
flu
294 Max FOrbriiiger.
B. Durch Nn. thoracici superiores innerviit:
Insertion am dorsalen Abschnitte des Brustgürtels.
a) Ursprung vom Hinterkopfe, Insertion am Supra-
scapulare.
a) Vom ventralen Theile des Hinterkopfes :
J Basi-suprascapularis (Levator scapulae inferior),
ß ) Vom lateralen Theile des Hinterkopfes :
Petroso-suprascapularis (Levator scapxdae stiperior),
y) Vom dorsalen Theile des Hinterkopfes:
Occipiti- siiprascapularis (Rhomboideus anterior) .
f)) Ursprung vom Rumpfe (Processus transverso-costalos .
a ) Insertion an der Scapula :
Thoraci-scapularis (Serratus magnus inferior).
ß) Insertion an dem Suprascapulare :
Thoraci - suprascapularis (Serratus magnus superior vnt
Rhomboideus posterior),
C« Durch N. thoracicus inferior innervirt :
Ursprung von derBauchfläche, Insertion an der Scapula:
A bdomtni-scapularis.
Dt Durch Nn. brachiales inferiores innervirt :
n) Ursprung vom Rumpfe (Bauchflüche, Stcrnum, auch auf die
Verbindung der Epicoracoide übergreifend), Insertion am Ober-
arm:
Pectoralis,
b] Ursprung vom ventralen Theile des Brustgürtels (auch
auf Sternaltheile übergreifend):
a) Durch N. supracoracoideus innervirt, Insertion am Vorderarm :
Coraco -radia lis proprius .
ß) Durch Aeste des N. brachialis longus inferior innervirt, Insertion
am Oberarm:
Coraco-brachialis longus,
Covüco-brachialis breois internus.
E. Durch Nn. brachiales inferiores und superiores zu-
gleich innervirt:
Ursprung vom vorderen Theile des Brustgürtels (Claviculn,
Acromion , auch auf das Episternum übergreifend) , Insertion am
Oberarm:
Episterno-cieido-acromio-humeralis.
Zur Yerf^leicliendeu Anatomie der Scliultermuskeln. 295
F. Durch Nn . brachiales superiores innervirt :
a) Ursprung vom Rumpfe (dorsale Flache des Rückens], Inser-
tion am Oberarm:
Dorso-humeralis (Latissimus dorsi).
b) Ursprung von der Aussenfl^che des dorsalen Ab-
schnittes des Brustgürtels (Suprascapularej , Insertion
am Oberarm:
Dorsalis scupulue.
c) Ursprung vom dorsalen Abschnitte des BrustgUrtols
(Scapula) und Oberarm, Insertion am Vorderarm:
Aficonaeus.
1. Capitt-scapnlaris (Cucullaris) [cs]^),
Protractor acromii: Zevkee (No. 97. 98^ Akonymus.
Scapulo-mastoidien, sterno-miistoidicD ,Cuvier; : Duges(No.63;.
Stornomastoidicn: Cüvier.
Levator sc a pul ac inferior is: Volkmakn, Fischee.
Sternocleidomnstoideus: Collan, Klein, Pfeiffer, Ecker
(No. 44).
Scapulo-mastotdeus s. StcrDOcleidomastoideus: Rü-
oinger.
Er entspringt von dem lateralen Theilc des Os occipitale externum,
\on dem Os tympanicum, vom hintern Rande des Trommelfells und von
dem Irtleralen Theilc des Os petrosum und geht, bedeckt von dem soge-
nannten Digastricus maxiilae inferioris [dg) nach hinten und unten, wo
er an der Unlerflnche des vorderen Randes der Scapula (oberhalb des
Acromion) zwischen dem M. inlerscapularis [is] und acromio-humera-
lis [ah) inserirt.
Innervirt durch den R. accessorius n. vagi (a).
Der Muskel entspricht dem vorderen Theile des M. capiti-dorso-
scapularis der Sozuren und ist aus den bereits bei diesen angegebenen
(irUnden mit dem menschlichen M. cucullaris zu vergleichen. Für die von
•lion meisten Untersuchern vorgeschlagene Homologie mit dem M. sterno-
cleidomastoideus des Menschen spricht allerdings der sehr weit lateral-
1) Von Meckel unter No. 4. S. 464 angegeben, aber nicbt benannt. Stannius
bcßcbrelbt ihn als Muskel , »der vom Schfidelquerfortsatze an den Vordernind der
Scapula über dem Acromion erstreckt ist«.
296 Max Fflrbringcr.
wärts liegende Ursprung; allein die nur auf die Scapula beschränkte
Insertion (obwohl eine Clavicula bei den Anuren exislirt) schliessl ohne
Weiteres eine Vergleichung mit diesem Muskel aus , falls die oben (bei
den Urodelen) gegebene Bestimmung desselben, wonach die Insertion nn
der Clavicula sein wesentlichstes Merkmal ist, festgehalten wird. Die
Abweichung des Ursprunges von der Mittellinie des -Hinterhauptes ist
als eine durch die kräftige Entwickelung der an den Schädel gehenden
Längsmuskelmasse des Rumpfes und des M. rhomboideus anterior be-
dingte Anpassung zu erklären. — Von Bedeutung ist die Veränderlich-
keit des Muskels in der Classe der Amphibien. Bei den Sozobranchiern
ist er auf die Rumpfgegend beschränkt, bei den Sozuren hat er sich nach
vorn bis zum Hinterkopfe entwickelt und entspringt sowohl von Kopf
als von Rumpf, bei den Anuren endlich fehlt jegliche Rumpfpartie, der
Muskel entspringt lediglich vom Kopfe. Durch dieses Verhalten, das
durch die Annäherung des Brustgürtels an den Kopf und durch die vor-
wiegende Entwickelung des Suprascapulare und der vom Rücken her
an sie tretenden Muskeln bedingt ist^), bilden die Anuren einen End-
punct der Entwickelungsreihe innerhalb der Amphibien , der weder an
Reptilien und Vögel noch an Säugethiere Anknüpfungen erlaubt.
2. Interscapnlaris (is)^).
Subscapularis: Zenker (No. 87. 88).. Awontmus.
Interscapularis, Interscapulaire: Ducts (No. 64) , Klsiu.
Pfeiffer, Ecker, Rüdinger.
Flexorscapulae: Collan (No. 62}.
«
Mittelgrosser Muskel an der Innenfläche des dorsalen Abschnittes
des Brustgürtels. Er entspringt unterhalb des Verlaufes und der Insertion
des M. basi-suprascapularis (bss) von der untern Hälfte und den vorderen
zwei Dritteln des Suprascapulare und geht mit convergirenden Fasern an
die Scapula wo er schmal zwischen M. capiti-scapularis [es), omohyoideus
[oh] und thoraci-scapularis [ths) inserirt.
4) Danach ist wahrscheinlich , dass bei den Anuren mit sehr kleinem Supra-
scapulare z. B. Microps, Sysloma, Ceratophrys auch eine Rumpfpartie des Cuculla-
ris existirt. Untersuchungen dieser Thiere müssen das Weitere unterscheiden,
2} Von Mecxel unter No. 8. S. 466 beschrieben. — Cu\ibr giebt an: 11 y n de
plus ä Tomoplate un muscie propre, situ6 ä la face interne, entre les deux portions
etc. — Stannius sagt : »Scapula und Pars suprascapularis sind verbunden durch einen
Muskel , der von der untern Fläche der einen zu der der andern tritt«. — Fiscber
giebt bei Pipa einen M. interscapularis an, während Klein ihn ableugnet.
Zor vergleicheudeu ADatomie der Sehultermuskelii. 297
Innervirt durch den R. scapularis n. vagi (<7J.
Eine Yergleichung dieses Muskels mit dem M. subscapularis (Zenker]
wird ohne Weiteres durch seine Versorgung durch einen Vagusast aus-
£i;esch1ossen. Der Muskel ist eine den Batrachiern eigenthümliche Bildung,
die bei keinem Wirbelthiere ein directes Homologen hat. Die Innervation
durch den N. vagus trennt den M. interscapularis ebenso wie den M. cucul-
laris von allen andern Muskeln des BrustgUrteis und der vordem Ex-
tremität und giebt ihm eine nähere Beziehung zu den übrigen vom
Vagus innervirten Muskeln , speciell den Muskeln der hintern Zungen-
beinhomer. Aber weder diese, noch die ihnen homologen der Riemen-
bogen bei den Sozobranchiern bieten Bildungen dar, die nach Ursprung,
Insertion und sonstiger Lage mit dem Interscapularis irgend welche,
wenn auch fernere, Vergleichung gestatten. Erfolgreicher erweist sich
die Untersuchung der im Vagusgebiete liegenden Muskeln der Kiemen-
bogen bei den Selachiern. Bei diesen (nach Vettbr's Untersuchungen
auch bei den Chimaeren und Ganoiden, jedoch nicht bei den Tele-
ostiern) liegen an der Innenseite der Kiemenbogen kleine Muskeln , die
von dem untern Ende des oberen Kiemenbogens entpringen und an dem
obern Ende des untern inseriren, die in übereinstimmender Weise wie
der M. interscapularis der Anuren von ähnlich sich abzweigenden Aesten
des N. vagus versorgt werden und die nach ihrer Function die oberen und
untern Kiemenbogen einander zu nähern, Mm. adductores bran-
chiarum oder nach ihrer Lage Mm. interbranchiales benannt
werden können. Diese Muskeln, die übrigens den Adductoren des
Palato-quadratum und Mandibulare (theilweise den Kaumuskeln ent-
sprechend) homodynam sind, müssen als metamere Homologe
des M. interscapularis der Anuren angesehen werden.
Diese Thatsache ist ein weiterer Beitrag zur Erkenntniss der nahen
Beziehungen des Bnistgürtels und seiner Weichtheile zu dem Gebiete
des N. vagus, einer Erkenntniss, die auf myologischem Gebiete bisher
nur durch das nicht strict beweisende Verhältniss des M. cucullaris
(und M. sternocleidomastoideusj zum N. accessorius^j gestützt wurde;
sie zwingt uns zugleich, ii dem Bnutgirtel (IrBsth^gea) eb MeUaieres
ltM«l«gM der IUeHeib«gei uu«erkeMiM| das seine ursprüngliche Ab-
4 ) Die Anheflung des M. cucnllaris und sternocleidomastoideus an den Brust-
gürtel kann von Gegnern dieser Ansicht für eine secundäre Anpassungserscbeinung
erklttrt werden, ohne dass dieser Einwurf erfolgreich widerlegt werden könnte.
Unmöglich ist dies hei dem M. interscapularis, der mit seiner ganzen Masse lediglich
auf den Brusigürtel beschränkt ist.
[eit vom N. vagus nur in vereinzeilen Besiducn (deren wich—
der H. intersciipularis der Batrachier ist) gewahn hat*).
Basi-saprascapnlaris (LeTator seapnlae inferior) {bss) ^) .
Protractor scapulae: Zenieh (Na. 9B. 96} , Anonthus, Klein,
pFEirFBR.
Schulterblaltheber: Meckel [So. 3).
Sous-occipito-adscapulairc: Dacfcs (Na. 60).
Le Premier grend donleld: Cuvitn.
>ieso Annahme ist Übrigens nicht neu. Die melainere Homologie des Brusl-
[und BauchRÜrtels) mit den KiemeDbogen wurde [abgesehen von früheren
iz unverarbeiteten Hypothesen] bereits von Owen ais möglich angenoomieii
Gegerbaur durch gewichtige aus der Untersuchung ües Visceralskelets der
r gewonnene Beweise untcratützt. Diese Homaloftie ist nicht aufzufassen.
irBrnstbogen sich aus einem Kiemenbogen entwictiell habe oder umgekehrt
lenbogen durch Verkümmerung aus ursprünglichen Extremi täten bogen cnl-
seien, sondern es ist vielmehr eine ursprüngliche mögliclist in dilTe reale,
s ungegliederte Anlage anzunehmen, aus der sich in diffcrenter Weise einer-
Kiemeabogen mit ihren Radien anderseits Brust- und Dauclibogen mit ihren
Igten ontwiclielt haben. Diese Annahme wird ebenfalls durch die gegensei-
tiebungen der Mm. intorbriinchiales und dos M. inlerscapularis unterstützt.
KtemenbogOD (der Pische und Amphibien} wie Bruslhogen der Batrschier
.n bestimmten Stellen eine Unlerbrccbung des festere» Gewehes durch ein
jkeras, wodurch eine Theilung der Bogen in zwei gegeneinander bewegliche
«dingt wird. Diese GcwebsdifTcrenz ist keine ursprüngliche, sie tritt vicl-
st im Laufe der embryo legi sehen Enlwickelung auF: sie muss daher phyto-
li erworben sein und zwar durch einen nuf den ursprünglich homogenen Bofien
wirkenden Druck, das ist durch die Wirkung eines an demselben Bogen zu-
H'ipringenden und inserirenden Adduclors (Mm. inlcriiranchialcs, U. inter-
isj, dessen Druckkrall die am meisten betrolTene Stelle nicht widerstehen
Diese Stelle Bndel sich hei allen Kiemenbogen in gleicher Weise : sie bildet
ze zwischen oberem und unterem Kiemenbogen. Nun entspricht nachOwsii's
ENBAUd's Nachweisen die Scapula des Brustbogens einem oberen, dasCora-
einem unleren Kiemenbogen. Wäre der Brustbogen aus einem bereit»
.irtea Kiemenbogen entstanden , so mUssle seine lockere Stelle zwischen
und t^oraeoid liegen und der H. interscapularis die Fähigkeit haben , beide
• zu nahem. Dies ist in Wirklichkeit nicht der Fall, der Locus minoris resi-
tieglbcidenAnuren vielmehr im Bereiche der Scapula' selbst. Der M. Inter-
is bat also in einem ganz andern (mehr dwsalen) Niveau auf den Schulter-
iwirkt, als die Mm. interbranchiales auf die Kiemenbogen. Beiderlei Bogen
daher als selbständige difTerenle Bildungen aus ursprünglichen indlDerenlcn
n gesehen werden.
kLEin lässt diesen Maskel von Processus U. u. III. entspringen. Ein der-
'erlialten beschreiben weder frühere Beobachter, noch kann ich es bei den
untersuchten Thieren bestätigen. SrAKNms benennt den Muskel nicht , br-
ihn aber als ntieferen Muskel , der von der HinterbaupLigegead an die Pars
pularis tritt'.
Znr ven^leicbenden AnAtomie der Schultermoskeln. 299
Compressor scapulae inferior: Volkmavh.
Levator s. attractor scapulae: Collan (No. 60).
Levator ahguli scapulae: Ecker (No. 43).
Portio anterior serrati majoris s. levator scapulae
proprius: Rüdinger.
Ziemlich kriiftiger von dem M. capiti-scapularis [es) und vomSupra-
scapulare bedeckter Muskel. Er enlspringi vom Os occipttale basilare und
dem untern Theil des Os petrosum und geht nach unten und hinten an
die Innenfläche des Suprascapulare , wo er hinter dem Ursprung des M.
interscapularis {is) am untern und hintern Theil inserirt.
Innervirt durch den N. thoracicus superior II. (2).
Unstreitig gehört der Muskel zu einem und demselben System
wie der M. serratus. Eine directe Vergleichung mit diesem , wie Cuyibr
und Rüdinger befürworten , erlaubt jedoch sein Ursprung vom Kopfe
nicht. Er ist ein theilweises Homologoa des M. basi-scapularis (Levator
scapulae) der Urodelen , ist aber weit kleiner als dieser und entspiicht
nur der grösseren unteren Hälfte desselben. Ein wesentlicher Unter-
schied dieses und des folgenden Muskels von dem ihnen vergleichbaren
der Urodelen liegt in jeglichem Mangel einer auf der Aussenfläche der
Scapula befindlichen Insertion. Diese Differenz ist nicht nur durch
eine Reduction von Homologen der oberflächlichen Schichte des Levator
scapulae der Urodelen, sondern auch durch eine bedeutende Ausdehnung
dos Suprascapulare nach vorn bedingt. Für letztere Annahme spricht
der Umstand, dass die Insertionen an der Innenfläche auch entfernt
vom vorderen Rande liegen.
4. Petroso-saprascapalaris (Levator seapulae mperior) [pss) i).
Levator scapulae profundus: Zenker (No. 94. 92), Anonymus.
Relcvcur ou angulaire de Torooplate: Cuvieh.
Compressor scapulae superior: Volimann.
Levator anguh scapuiae: Collan [No. 59).
Protrahens scapulae: Ecker (No. 45).
Gleich oberhalb des vorigen gelegener Muskel. Er entspnngt von
der Hinterflilche des Os petrosum und geht in horizontaler Richtung
nach hinten an die Unterfläche des obersten Theiles des Suprascapulare
4) Von MccKEL^ Düci^s, Klbin, Fpbipfer und Stannius nicht als selbständiger
Mu>4kel angeführt und wahrsrheinlich dem vorhcrgchetfden zugerechnet. Eckerts
und Rüdingsr's (von Eckbr abgeschriebene) Angabe, wonach Duots und Zkwkkr die-
sen Muskel M. protractor acromü genannt haben sollen , ist falsch.
n der Hloterbouptsgegend ao die P. suprascapularls tritt«.
Zur vergleicbendeo Aoatonie der Scliiiltermnskelu. 301
während den Urodelen, Reptilien und Vögeln diese Bildung abgeht,
ist von Bedeutung fttr deren gegenseitige Verwandtschaft.
6. Thoraei-seapnlaris (Serratas magnns inferior) [tks) i).
Depressor acromii: Zenker (No. 403. 104), Anonymus.
Transverso-interscapulaire: Ddg^s (No. 63).
Le troisi^me grand dentelö: Cuvier.
Retractor scapulae u. Serratus anttcus major: Collan
(No. 56. 57).
Depressor scapulae: Klein, Pfeiffer.
Serratus: Stannius.
TraDsverso-scapularis major u. minor: Ecker (No. 46. 47).
P. posterior serrati antici majoris s. P. tertia m. scrrati:
RÜDINGBR.
Ziemlich langer Muskel. Er entspringt von dem dritten und vierten
Processus transverso-costalis und geht mit convergirenden Fasern nach
unten und vom an die Innenfläche des hintern Randes der Scapula,
oberhalb der Insertion des M. omohyoideus [oh) und hinter der des
M. inlerscapularis [is]. Er ist bei Pipa und Bufo sehr ansehnlich
entwickelt, bei Hyla und Rana dagegen schwächer. Eine Trennung
in zwei Theile ist angezeigt (besonders bei Hyla), aber nicht vollkommen
durchgeführt.
Innervirt durch N. thoracicus superior IV. (5).
Dieser Muskel ist dem System des M. serratus magnus zuzurechnen.
Bei den höheren Wirbelthieren (mit Ausnahme der Chelonier) wie bei den
Urodelen entspringt der Serratus von beweglichen Rippen , hier bei den
Anuren von fest mit den Wirbelkörpern verbundenen Fortsätzen, die von
den Einen als Processus transversi , von den Andern als vereinigte Ele-
mente von Querfortsätzen und Rippen (Processus transverso*costales) ge-
deutet werden. Letztere Auffassung wird durch dieUrsprungsvorhaltnisse
des Serratus magnus (und Latissimus dorsi^ s. unten] unterstützt. — Eine
directere Homologie bietet die untere Partie des M. serratus magnus der
Urodelen dar. Der M. Ihoraci-scapularis der Anuren zeigt aber ein
grösseres Volumen und eine breitere Ursprungsfläche als dieser, sowie
eine beginnende Diflerenzirung in zwei Partien, die von einigen Autoren
(CoLLAif, Ecke») als zwei separate Muskeln aufgefasst worden sind.
i) Von Meckkl unler No. 7 hpsrlirii»ben
B4. vn.3. io
.
302 Max Filrbfinger.
7. Thoracl-suprascapnlaris (Serratns magnus superior mitBbom
l>oideiis posterior) [thss] ^).
a] Serratus magnus superior:
Depressor scapulae und Theil des Omoplateus rectus.
Zenker (93. 94. 4 04. 4 OS), Anonymus.
I Transverso-adscapuIairC) portion du grand dentel^
DUGES (No. 64).
Le deuiiöme grand dcnteU: Cuvier.
Scrrntus anticus minar: Collan (No. 58).
Serratus: Klein, Pfeiffer, Stannius.
Transverso-scapularis tertius s. Serratus: Ecker (No. 48 .
Pars medialis m. serrati antici majoris: Rüdinoer.
b) Rhomboideus posterior:
Theil des Omoplateus rectus: Zenker (No. 404. 40i), Ano>
NYMUS.
Lombo-adscapulaire, partie postärieure du trap^ze
DuGES (No. 59).
Rhoinboideus: Cuvier, Klein, Pfeiffer, Stannius.
Rotrahens scapulae: Ecker (No. 88).
Pars medialis m. serrati antici majoris: ROdinger.
Breiler , aber kürzer als voriger Muskel. Er entspringt von dem
zweiten , dritten und vierten Processus transverso-^i^stalis, bei den ver-
schiedenen Galtungen verschieden 2) , und geht mit parallelen Fesem nach
oben und vom an die hintere Hälfte des oberen Randes der Innenflilche 'des
Suprascapulare. Wahrend bei den niedriger stehenden Gattungen (Pipa;
der obere Theil sehr unansehnlich ist, erlangt er bei den höheren durch
Uebergreifen seines Ursprungs über die Lungsmuskulatur des Rückens
(Hyla, Bufo) und bis auf die Processus spinosi (Gystignathus, Rana) eine
besondere Entwicklung. Der dadurch entstandene Theil kann in seint»r
vollkommensten Ausbildung als Rhomboideus posterior (liip
unterschieden werden.
Innervirt durch einen Zweig des N. thoracicus superior II. (4\
Der Muskel ist ein Homologen der obei*en Partie des M. serratus
magnus der Urodelen. Neu und den Anuren etgenthümlich ist die Aus-
dehnung des Muskels nach oben Über das Niveau der Processus trans-
verso-costaleS) wodurch die Neubildung eines M. rhomboideus posterior,
4) Meckel beschreibt ihn unter No. 6. Ecker Ifiugnet die Homologie des oberen
Theiles mit dem Rhomboideus und befürwortet die Vergleichung mit dem Serratus.
2) Bei Pipa vom zweiten und dritten , bei Bufo vom dritten oder vierten . bei
Cystignathus, Rana und Hyla vom dritten und vierten Wirbel.
Zor vergleicheiideu Anatomie der ScliuUermnskelD. 303
dessen Entwickelung in allen Stadien von Pipa und Hyla bis zu Cysti-
gnathus und Rana verfolgt werden kann , bedingt wird. In seiner voll-
kommensten Ausbildung ist dieser Muskel dem menschlichen Rhom-
boideus major, dem hintern Rhoroboideus vieler Säugethiere, zu
vergleichen. Eine Homologie mit dem Cucullaris, welche Ducfis be-
lUrwortet, wird durch den Mangel von jeglichen Elementen des R.
accessorius n. vagi unmöglich gemacht.
8. Abdomini-fleapularls (a^))).
Depressor abdominalis: Zenker (No. 99. 400), Anontuvs.
Xipho-adscapalaire s. portion du grand dentelö: Ducts
(No. 6S).
Pectoralis minor: Collan.
Portio abdominalis m. obliqut cxterni: Klein, Pfeiffer.
Portio omo-abdominalis m. obliqu i citcrni: Ecier (Nu.
296).
Omo-abdominalis: Rüdinger.
Von dem M. obliquus abdominis exlernus [ooe) abgelöster vorderster
Tbeil. Er entspringt von der Linea alba und geht nach oben und vorn,
wo er sich seimig an den Hinterrand der Scapula inserirt. Bei Bufo am
ansehnlichsten entwickelt.
Innervirt durch den N. thoracicus inferior IV. (6).
Eine Homdogie mit Theilen des M. serralus magnus (Diolks) sowie
mit dem M. pedoralis minor (Collan) ist durch die abweichende Inner-
virung ausgeschlossen. Letzterer ist überdies , wie bei den Urodelen
bereits erwähnt worden, eine auf die Säugelhiere beschränkte Dif-
ferenzirung aus dem M. pectoralis. Der M. abdomini-scapularis ist als
eine den Batrachiem eigenthUmlicbe Bildung aufzufassen, die jedoch
wie sich später zeigen wird) zu dem M. plastro-coracoideus der Che-
fonier, dem M. sterno-coracoideus der Saurier, Crocodile, Vögel und
Monotremen und dem M. subclavius der marsuplalen und placonlalen
Süugethiere in fernerer Homologie steht.
4) Von Meceel nicht erwähnt. STAimitTs iagt: hVon der Aossenfläcfae des M.
obliquus exkernufl (ritt ein Muski^l an den Hinterrand der Scapula«.
20'
9. Peetora
a) Portio abdominalii:
Brachio-abdominalis:
Theil lies gross«D fin
pccloral: Meckel, Cdtie
Obliquus abdominis ex
Abdomino-humöral, p
ral; Dhg^s (No. 6a).
Portio abdomiDBlism. p
HilDiHGEa.
Portio fiumero-abdoDiii
Schräg aulsleigonder '
Portio abdominalis m.
b] Portio alernalit:
Pars pecloralis majori:
kels, Portion du gra
AMONTMcra, Urceu, Cctie*.
Sterno-humäral, porti
Portio sternalis postei
L*i.(No.e7j.
Portio steraalis in. pec
Querer Theil des Peoto
Portio Sternalis poster
Portio sternalis media
e) Portio epicoracoidea:
Pars pectoralis raajorii
kets, Portion du grai
AHOniiiiia, HicKEL, Cnvisa.
Clavicuto-brachialis: 1
Clavi-hnmäral, portioi
Pars sternalis anterior
lä. pectoralis majoris
Pars acceasoria m. pect
Schräg absteigender Tt
Portio sternalisanteric
Portio slernalisanterio
Grosser und breiler Muskel auf
der Brost , der in drei neben einandf
minalis, slemalis und epicoracoidea e
tj STARNins lasst den schräg absteigend
brium stcrni , oder bei Mangel desselben v
erwähnter Tom Coracoid ausgehender Pecti
logon.
Zur vergleichenden Anatomie der Schultennoskeln. 305
a) Pars abdominalis m. pectoralis {pa). Kräftigster und
breitester Theil. Er entspringt mit sehr zarter Aponeurose gemeinsam
und verwachsen mit der des M. obliquus abdominis externus (oae) von
der Linea alba , in der ganzen Länge des Bauches , die äussere Scheide
des Rcctus abdominis (r-u) mit bildend ^). An der lateralen Grenze des
Rectus wird er muskulös und geht nun mit convergirenden Fasern, die
nach aussen und vorn verlaufen , an die Beugefläche der Grista lateralis
humeri, distal gleich neben der Insertion der Pars epicoracoidea.
b) Pars Sternalis m. pectoralis [pst), mittlerer Theil des
Pectoralis , von der Pars abdominalis durch einen Spalt getrennt. Er
entspringt von der untern Fläche des Stemums (bei muskelschwachen
Individuen dessen Ränder freilassend) und gehl mit convergirenden
Fasern lateralwärts an den Oberarm , wo er am Grunde der Grista la-
teralis von der Pars abdominalis (pa) durch die Sehne des M. coraco-
radialis proprius(crp) getrennt, inserirt. Besonders ansehnlich bei Pipa.
c) Pars epicoracoidea m. pectoralis (pe). Vorderster
Theil , direct an die Pars stemalis angrenzend. Er entspringt bei den
Anuren mit nicht verbundenen Epicoracoiden von dem medialen Rande
derselben und zwar der rechte vom rechten, der linke vom rechten und
linken Epicoracoid, bei den Anui*cn mit verbundenen Epicoracoiden von
der Vereinigungglinio derselben. Bei den Bufones ist er breit und kräf-
tig, deckt den ganzen H. coraco* radialis proprius (crp) und ist vom
mit dem M. cleido-acromio-humeralis [clah) verwachsen, bei den Ra-
ninae ist er schwächer, deckt nur den hintern Theil des M. coraco-
radialis proprius {crp) und ist von dem M. epistemo-cleido-acromio-
humeralis [eclah) durch einen breiten Spalt gelrennt. Er geht mit
queren und absteigenden Fasern an die Beugefläche des Processus
lateralis proximal von der Insertion der Pars abdominalis (pa), mit der
er mitunter verwachsen ist.
Innervirt durch Nn. pectorales (19).
Der Muskel ist ein Homologen des gleicbbenannten der Urodelen
und also dem gesammten M. pectoralis und nicht blos dem H. pectoralis
Vi Von STAVHros, Ecik», Rüdihobm wird angegeben, dass die P. abdominalis eine
unmittelbare Fortsetzung des lateralen Theils des If. rectus abdominis bilde. Diese
Angabe ist ebenso zu modificiren wie die entgegengesetzte Mitba's, derzufolge die
Portion identisch mit dem M. obliquus externus abdominis ist. In Wirklichkeit ezi-
slirt allerdings ein durch eine vordere Inscriptis tendinea vermittelter Zusammen*
hang vorderer und medialer Theile der P. abdominalis mit dem M. rectus abdominis.
Die überwiegende Masse des Muskels hingegen entspringt in der oben angegebenen
Weise.
ciinipi'cuueiiucii i
Znr Tergleichenden AMlomie der Scbultermuskeln. 307
I n n e r V i r l durch den N. supracoracoideus (f 2j , iu eincoi einzigen
Falle (unter zehn) wurden seine hintersten Fasern von einem
feinen Zweig des N. coraco-brachialis versoi'gt.
Kunt^s Deutung als M. pectoralis minor ist bereits von früheren
Untersuchern hinreichend zurückgewiesen worden. Eine Vergleichung
mit dem M. biceps des Menschen ist nicht zulassig. Einerseits spricht
die Innervirung durch den N. supracoracoideus vollkommen dagegen,
Hudcrseits seine Lage am Oberarm , namentlich seine Beziehungen zum
M. pectoralis, zwischen dessen Portionen er hindurchtritt, und zum
M. acromio-humeralis (Deltoideus inferior] , den er so durchbohrt, dass
der Endtheil seiner Sehne lateral vom Deltoideus zu liegen kommt. Der
Muskel hat kein directes Uomologon beim Menschen, dagegen entspricht
er dem M. coraco-radialis proprius der Urodelen. Eine Abhängigkeit
vom M. supracoracoideus, wie bei diesen, ist nicht vorhanden, da dieser
Muskel bei den Anuren fehlt und räumlich grösstentheils vom M. coraco-
radialis vertreten wird.
11. Coraco-brMhialis longvs [cbl)^],
Alterum caput in. deltoidoi: Zbhier (No. 105. 40€), Anonthüs.
Einwärtszieber oder Hakenarmmaskel: Megkel (No.5).
Coraco-humöral, Coraco-humeralis: Dvois (No. 73), Stak-
IflUS, ECBER.
Goraco-brachial , Coraco-brachialis: Cuvibk, Colla«.
Coraco-humeralis und Adduetor humeri: Klein, Pfeiffer.
Coraco-humoralis proprius: Rüdihger.
Langer, von der Pars stemalis m. pectoralis {pst) bedeckter Muskel.
Er entspringt vom hintern Rande des medialen Theiles des Goracoid (bei
den Anuren mit am Goracoid festgehefteten Stemum auch mit einzelnen
Fasern vom Anfang desselben) und geht an den Humerus , wo er distal
hinler der Pars stemalis m. pectoralis [pst) an dem Anfange der distalen
Hälfte des Humerus, medial vom M. acromio-humeralis(aAj, inserirt.
A) ÜVQts unterscheidet die in ihrem Ursprünge auf das Sternum tibergreifenden
Bündel des Coraco-bum6r«l als Xipho-humöral ou Petit peotoral. Einen ausserdem
envHhnten sehr kleinen Scapolo-post-hum^ral , veritahle analogue du petit rond
(Kloetsbs) habe ich nicht gefunden. RüDiaoia's Beschreibung stimmt nicht voll-
kommen mit denen früherer Unfcersucher überein. Einen ausserdem unterschie-
denen M. coraco-brachialis •. pars profunda m. pectoralis kann ich nicht vom M.
pectoralis trennen.
l ■ - ♦
308 Max FörbriHger.
Innervirt durch einen Ast des N. coraco-brachialis (22),
Der Muskel ist ein Homologen des gleicb benannten der Urodelen
und unterscheidet sich von diesem nur durch unwesentliche Ab^veich-
ungen, die einerseits in einem Uebergreifen seines Ursprungs auf stemale
Elemente , anderseits in dem Mangel von Fasern bestehen , dio am di-
stalen Ende des Humerus inseriren.
12. Coraco-brachlalis breyis internus (ebbt),
Pronator brachii: Zehker (No. 114. 442), AifORTMüs.
Unterschultorblattmuskel, Sous-scapulaire, Subsca*
p u I a r i s : Meckel (No. 6) , Cuvier, Collan (No. 72) , Klein, Pfeiffer,
Staknius, Ecker (No. 50), Rüdimger.
Sous-scaputo-hum6rül, sous-scapuIaire: Ducts (No. 72,.
•
Kurzer aber kräftiger Muskel, am Anfange neben dem M. coraco-
brachialis longus [cbl) liegend, an der Insertion weit von ihm gelrennt.
Er entspringt vom hintern Rande des lateralen Theiles des Coracoid und
von der Innenfläche desselben und des daran stossenden Theiles der
Scapula, wobei er den innern Ursprung des M. acromio-humeralis (ah]
i nach hinten begrenzt. Mit convergirendon Fasern geht er an den rudi-
mentären Processus medialis (PMj und an die Beugefläche des Humerus
zwischen Processus medialis (PMj und lateralis (PL).
* ■ ■
•Ii
f
Innervirt durch den Hauptstamm der Nn. coraco-brachiales (S2) .
Dieser Muskel täuscht in seiner Lage, im Ursprung und in der In-
:j; sertion vollkommen einen M. subcoracoscapularis vor. Allein seiner
;♦* Innervirung nach gehört er zu dem ganz andern Systeme der Mm.
j coraco-brachiales. Er ist aufzufassen als ein indirectes Homologen des
1,, M. coraco-brachialis brevis der Urodelen; während jener aber den
Schwerpunct seiner Entwickclung auf der Aussenfläche des Coracoid
liegen hat, ist er hier auf die Innenfläche dieses Knochens versetzt;
ebenso ist auch die Insertion medialwärts verschoben. Der Muskel ver-
tritt insofern räumlich und functioneli vollkommen den M. subcoraco-
JJj' scapularis , der den Batrachiem abgeht.
>r
•1. . :
m
«.
Ein M. brachialis inferior fehlt den Anuren ^).
)^jt| 4) Die von Cuvier und Starmius angeführten Homologa des M. brachialis inferior
^«i . (anticus) erscheinen ihrer Lage nach als weit nach unten geschobene und namenlltch
^*| auf den Vorderarna ausgedehnte Theile dieses Maskeis. Sie sind jedoch durch Aesle
^^^* <Ies N. radialis innervirt und darum nicht als M. brachialis inferior, sondern nis
•^v'r Homologa des M. brach io-radialis (Supinator longus) aufzufassen. Von andern Unter-
i j • * - suchein ist auch mit Recht die Verschiedenheit vom Brachialis inferior betont worden .
'*, f -
Zar ?erglekbenden Aoatonie der SchiiUerronskeln. 309
13. EpisterncH^Ieido-acroiiiio-haineralis (eclah) >).
Primum caput m. dcitoidei: Zenker (No. 4 05. 106), Anoütmus,
Vorwärtsdreher oder Heber des Arms (Deltoides) : Meckel
(No. i).
Pr6-sterno-8capnlo*huin6raI, deltoide etsnröpineux
reunis: Ddges (No. 68).
Deltoide, Deltoideus: Cuvier, Ecker (No. 55), Rüdikger.
Deltoideusand Pars clavicularis anterior m. pectoralis
majoris: Collan (No. 69 u. 64).
Cleido-humeralis (ssa + 6) und Deltoideus (s=c): Klein,
Pfeiffer.
Deltoideus und ein von ihm bedeckter tieferer Mus-
kel, der oberhalb des Tuberculum endet: Stannius.
Ansehnlicher Muskelcomplex, der bei den Änuren ohne Episiernum
(als Cleido-acroroio-humcralis) von der Clavicula und dem
Acromion, bei den Anuren milEpistcrnum (als Episterno-cleido-
a c r o mi 0 - h u m c r a 1 i s} ausserdem noch vom Episternum entspringt
und an die ganze Lringe des Humerus geht. Nach seinem verschiedenen
Ursprünge zerfdllt er bei ersleren in einen Cleido-humeralis und Acromio-
hunieraliS| bei letzteren in einen Epislerno-humeralis, Cleido-humeralis
und Acromio-humcralis. Bei Uyla ist die Trennung nur angedeutet, bei
Rana sehr vollkommen ausgebildet.
a) Caput episternale s. H. episterno-humeralis [eh).
Nur bei den mit einem Episternum versehenen Batrachiern. Langer aber
schviacher Muskel, der vom Rande der hintern Hiilftc des Epistemums,
lateral vom M. coraco radialis proprius (er/)), entspringt und mit ron-
vergirenden Fasern an die Stfeckseite des Oberarms geht. Hier vereinigt
er sich mit oberflächlichen Thcilen des M. acromio-humeraiis [ah) und
inserirl mit ihnen am distalen Ende des Ilumerus neben dem Epicon-
dylus ulnaris (EU). Im Bereich des Brustgttrtels ist er mit Ausnahme
des vorderen Randes vom M. coraco-radialis proprius gedeckt.
6) Caput claviculare s. H. cleido-humeralis (c/A). Sehr
kleiner vom H. coraco-radialis proprius [crp) bedeckter Muskel. Er ent-
springt von dem lateralen Theile der Aussenfläche der Clavicula und ver-
bindet sich nach kurzem Verlaufe mit den tieferen Partien desM. acromio-
humeralis [ah) um mit diesen an der Slreckfläche des proximalen Theiles
des Processus lateralis (PL) gegenüber der Pars sternajis m. pectoralis
[pst) zu inserircn.
4) CuviER unterscheidet drei Partien, die mit den hier aufgestellten ziemlich
vollkommen übereinstimmen. Eckkr ond ihm folgend Rüdinger fassen die beiden
ersten Kdpfe als P. clavicularis zusammen and t>ezeichnen den letzten als P. scapu-
laris m. deltoidei.
put acromiale s. M. aoroniio-humeralis (l)cltoi-
riorj iah). Sehr krurijgor Muskel. Er eDtspriiigt von der
id Innenseite des Processus acromialis Scapulae [A] und geht
le Lange des Humenis von dem distalen Theile der Streck-
'rocessus lateralis (PL) bis horunler zu dem Epicondylus ul-
in seiner Mitte wird er von der vereinigten Sehne der Hni.
pulac [ds) und latissimus dorsi [dh], in seiner unteren HülTlc
i H. coraco-radialis proprius (crp) durchbrochen.
7 v a t i o n. Da.« Caput episternale und claviculare wird ledig-
vonAestendes N. supracoracoideus (II), das Caput acromiali'
KUni kleinsten Tbeil von diesen,' zur Hauptmasse von einem
iaste des N. dorsalis scapulae [33) versorgt.
jskel ist ein weiteres Homolc^on des H. procoraco-humcrali^
■n. Er unterscheidet sich jedoch von diesem durdi Aufgehen
n Beziehungen zu dem Procoracoid und Eingehen neuer
nt€n secundärcn Theilen, Clavicula und Epislemum '}. Mit
rDsserung des Ursprunges ist ein Zerfall verbunden, der zur
n drei ziemlich disüncten Partien fuhrt. Die von Epistcrnum
jla kommenden Hm. cpisterno- und cicido-humerales sind
Innervirung dem Systeme der Hm. supracoracoidei zuzurech-
ssen sich indirect mit den Um. supra- und infraspinatus vcr-
[cr von dem Acromion entspringende H. acromio-humeralis
obtfrl nur zum kleinsten Theile dieser Huskelgnippe an und
ologon ventraler Partien des H. deltoideus als U. deltoidcus
zufassen. — Jedweder Vergleich des Muskels mit Elemenlrn
loralis ist vollkommen ausgeschlossen. Den Anuren eigeii-
t die nahezu auf die ganze Länge des Humenis ausgedehnte
;s H. epislerno-cleido-acromio-humeralis und die hierdurch
teziehungen zu den Sehnen der Hm. coraco-radialis proprius,
ipulae und latissimus dorsi.
U. DorBO-hnmeralls (LfttlwlmiiB dorsi) {dk).
Depressor brachii: Zeitub (No. SB. Bt), AHONnDi.
Breiter Rücken mnskel, Graod dorsal, Latissimus dorsi
Hecul (No. 4j, Cdtiei, Collin, Kiein, PrEiprER, Eceer (No. t%'-
ntDUiezii.
Lombo-humdral, erand doraah Dveis (No.<6).
Acccssorischer Theil des U. snprascapularis: STAinnr»
lleso BeeiehuDgen Dicht ureprUnglicti, soodem erst durch Differeaiiruni
ifacheren Zustand entslanden sind, lelgt die Dntereachung sowohl nle-
1 ais aach niederer Larvenzus lande hoberer Formen,
Zur ?prgl(»icheridi»n Anatomie der Schuliemiuskeln. 3 1 1
Ziemlich schwacher Muskel an der Seite des Rückens gleich hinter
der Scapula, deren hintersten Rand mit seiner vordersten Partie deckend.
Sein Ursprung wie seine Breite ist bei den einzelnen Gattungen sehr ver-
schieden ^} . Er entspringt entweder muskulös von Processus transverso-
costales (Bufo, Hyla, Pipa) oder dünn aponeurotisch von Processus spinosi
(Gystignathus, Rana) . Mit convergirenden Fasern geht er nach unten und
inserirt, lateral an dem M. anconaeus vorbeilaufend, an der Mitte der
Streckfläche des Processus lateralis (PL). Nur bei einzelnen Anuren
(Pipa) besitzt er vollkommene Selbständigkeit, bei der Mehrzahl (Bufo,
Rana) ist seine Sehne mit der des M. dorsalis scapulac {ds) verbunden.
Inner vi rt durch den N. latissimus dorsi (34).
Der Muskel ist dem Latissimus dorsi der Urodelen zu vergleichen.
Bemerkenswertb ist die Veränderlichkeit des Ursprunges, der bald von
Processus spinosi, bald von theilweisen Homologen der Rippen, den Pro-
cessus transverso-costales stattfinden kann. Gonstantere Beziehungen
bieten die Verhältnisse der Insertion dar. Während bei den Urodelen
bald ein vollkommenes Eingehen in den M. anconaeus scapularis mc-
dialis, bald nur eine theilweise Vereinigung mit diesem Muskel zur
Beobachtung kam , indessen die übrigen Theile lateral an ihm nach
dem numerus verliefen, ist bei allen untersuchten Anuren 'jed-
wede Beziehung zum M. anconaeus aufgegeben und der von diesem
laterale Verlauf des ganzen M. latissimus dorsi unzweifel-
haft ausgeprägt. Zu dieser vollkommenen Emancipation von dem M.
anconaeus steht in Gorrelalion die in der Regel stattfindende Vereinigung
der Insertionstheile mit denen des neben ihm liegenden M. dorsalis sca-
pulac, ein Verhttitniss, das einzelne Autoren (Zbnkbb, Stannius) verführt
iiat, in dem Latissimus dorsi einen accessorischen Theil des M. dorsalis
scapulao zu erkennen. Durch diese Beziehungen bieten die Anuren den
Endpunct einer von den Urodelen her verfolgbaren Entwicklungsweise,
die keine Anknüpfungen an die Verhältnisse bei den höheren Wirbel-
thieren darbietet >).
4) Er entspringt bei Bufo und Hyla schmal vom Processus tranverso-oostalis \l.,
bei Cyatignathus von der Aponeurose, welche die RUckenmuskeln deckt und bis an
die Processus spinosi geht, bei Rana vom Processus spinosus III— V., bei Pipa von
der breiten Platte des letzten Processus transverso-costalis (Klbir). — Ueber seine
Beziehungen zum M. obliquus abdominis cxternus, die nur secundürer Natur sind,
vergleiche Klein, Ecbbr etc.
3) Theilweise auszunehmen sind die Cholonier, bei denen auch eine Vereinigung
des M. latissimus dorsi mit dem M. delloideus zur Beobachtung kommt.
15. Dorsalis HcapuLae {ds} ■).
Scapularis: Zenier (Nu. K5. 86), Akokthus.
AuswarlsroJIor odor äussorer Schulterblattmüsk«)
Meciel (So- i).
Adscnpulo-huiiiämt, sous^plneui elgrnnd rond; Dvge.'.
SouS'«pitieuietsur-«pineux,Supra-et(n[raBpinalus
Cl'VIER, RtlDINGEk.
Scapularis (Supra-u. Infraüpinalus}^ Kleik, PmiFFEB.
SuprnBcapularls: SriintiiDS.
InTraspiiia tuB, Homotogon des Infraspinalus, Teres minor un^
major: Eckek [No. 51).
Bi-eiler und ansehnlicher Muskel aur der AussenOäche des dorsalen
BruslgUrlels. Kr entspringt von dem ganzen Suprascapulare niil Aus-
nahme des oberen Randes und gehl mit slarli convergirenden Fiiscrn
senkrecht nach unten. Seine krüftigo Endschne verbindet sich (mit Aus-
nahme von Pipa) mit der des M. latissinius dorsi {dk) und gebt gemeinsam
mit dieser zwischen der oberflächlichen und licrcn Partie des H. acromio-
humeralis [ah] sich einschiebend, an die lalcraJc (Streck-} Fläche des
Processus lateralis (PL.).
Innervirt durch zwei Nn. dorsales scapulae, von denen der vor-
dere zugleich den H. acromio-humoralis , der hintere den H. la-
tissimus dorsi mit versorgt (31).
Der Muskel ist ein Honiolc^on des gleichbenannten der Urodelen,
von dem er sich durch seine, nicht stets bestehende, Vereinigung
mit der Sehne des M. latissimus dorsi und durch seine Beziehungen
zu dem H. acromio-humeralis unlerscheidel ; seine Betheiligung an
letzteren ist Übrigens nur passiver Art. Eine Vergieicbung mit den
Hm. supra- und infraspinatus ist daher wie bei den Urodelen voll-
kommen ausgeschlossen, und nur eine Homologisirung mit Elementen
des H. deltoideus (M. dcltoideus superior) und teres minor zulässig.
Gegen eine Homologie mit Elementen des M. teres major sprechen die
schon bei der Beschreibung und Deutung des N. dorsalis scapulae an-
gefahrten Grunde.
1) Hecirl giebt bei Pipa eioe Trennung in zweiHHlflen [Ober- und Untergräten-
muftksl) an.
Zur vergleicbeDden Anatomie der Sehultermnskelii. 313
16. Aneonaeiis (a) ^) .
Anconaeus: Zenker (No. 443.444), Anontmus.
DreibäQcbiger Strecker, Triceps brachial, Triceps
brach i i : Meckbl (No. 6), Cüvibe, Klein, PFBirpER, Ecker, Rüoinger.
Scapulo-bi-bum6ro-olecranien: Vvgüm (No. 75).
Streckmuskelmasse des Vorderarms: Stannius.
Kräftige Muskeimasse an der Streckfläche des Oberarms, die theil*
weise vom Brustgürtel, theilweise vom Humerus entspringt und folgende
Theile unterscheiden lässt:
a) Anconaeus scapularis medialis [asm). Kräftiger von
dem hintern Rande der Scapula entspringender Kopf , der medial von
der Sehne der vereinigten Mm. dorsalis scapulae (ds) und latissimus
dorsi [dh) sowie dem N. radialis (28) liegt und noch im Bereiche
der proximalen Hälfte des Oberarms sich mit dem A. humeralis lateralis
[ahl) vereinigt.
b) Anconaeus humeralis lateralis (ahl). Ansehnlicher
Kopf, der von der ganzen Länge der lateralen Fläche des Humerus mit
Ausnahme des proximalen Endes entspringt und nach der Beugeseite zu
an den M. acromio-humeralis (ah) angrenzt.
c) Anconaeus humeralis medialis (aAm). Kleiner als der
voi'ige. Er entspringt nur von der distalen Hälfte der medialen Fläche
des Humerus.
d) Anconaeus hum.eralis brevis (z. Th. Subanconaeus).
Sehr kleiner vom distalen Ende des Humerus zwischen den Mm. an-
conaeus humeralis lateralis (ahl) und medialis (ahm) entspringender
Theil.
Alle Köpfe vereinigen sich zu einem mächtigen Muskel , der sich
am proximalen Ende des ulnaren Theiles dos Antibrachium (Olecranon),
häufig ein Sesambein (Patella ulnaris] einschliessend, anheftet. Tiefere
Fasern des Anconaeus humeralis brevis stehen auch zur Kapsel des
Ellenbogengelenks in Beziehung.
Innervirt durch sehr verschieden entspringende Rr. musculares
n. radialis (40).
4) Zenker unterscheidet ein Caput medium s. longlssimum, internum und ex-
tcrnum , Collan ein Caput longum s. posterius s. M. anconaeus longus, ein C. exter-
num s. M. anconaeus externus und ein C. internum s. M. anconaeus internus, Stannius
einen Anconaeus longus und zwei vom Humerus entstehende Köpfe, Ecker einen lan-
gen, medialen, lateralen und ausserdem einen kurzen vierten Kopf (Subanconaeus),
RüDiNGRR einen üusscren, inncm und langen Kopf. Mangel des Caput internum
(und Ersatz desselben durch den sogenannten Extensor magnus) hat Klein bei
Cystignathus beobachtet.
314 Mm PStbringttr,
Der M. anconaeus der Anuren slimmt nicht
Urodeleo Uberein. Er unterscheidet sich einma) von diesem durch d>>n
Hangel eines jeden Homologon des H. anconaeus coracoideus , Temfr
durch die EntWickelung eines neuen humeralen Kopfes, des H. nnconaeus
humeralis brevis, der sich, wie durch Untersuchung von juogen Thienn
nachgewiesen wird, aus dem H. anconaeus humeralis medialis diOeren-
zirt hat, endlich durch die Aufgabe jedweder Beziehungen zum H. l-i-
Ussimus dorsi. Letiteres Verhaltniss ist bedingt durch eine von der Ix'j
den Urodelen abweichenden Bildung des H. anconaeus scapularis mf-
(iialis. Während bei diesen die Nn. radiales medial an ihm vorfoeitiefen.
kommt hier das umgekehrte Verhullniss zur Beobaditung: der Muskel
liegt medial von den Nerven. EineAufklSrung dieses verschjeden''ri
Verhaltens ist zur Zeit durch die Untersuchung noch nicht gefunden, ili
Mittelstufen bei den untersuchten Urodelen und Anuren nicht vorli^en '
Wahrscheinlich^] ist, dass ursprünglich , ehe noch phylogenetisch ein<
Trennung in Urodelen und Anuren stattgefunden hatte, den Ampbibier
ein von dem N. radialis durchbohrter M. anconaeus subscapularis me-
dialis zukam. Durch Verktlmmerung der medial vom Nerv gelegenen
Elemente entstand dann der Anconaeus scapularis medialis der Urodelen.
durch VericUmmerung der laterslon Theile der gleichbensnnt« Huski*!
der Anui-en. G^en eine Vergl^cbung des M. anconaeus scapularis me-
dialis der Anuren mit dem H. anconaeus coracoideus der Urodelen, dtf
BiiDinoKH befürwortet, spricht die abweichende Beziehung des letzterpn
zu den Nn. brachiales longi inferiores. Eine direclere Homologisimni:
mit dem M. anconaeus longus des Menschen ist durch sein Veriialten
lum H. latissimus dorsi und N. radialis unbedingt verboten >). Dagegen
stehen die Hm. anconaeus humeralis lateralis und medialis in nitberei
Beziehung zu den Hm. anconaeus eileinus und internus des Mmgchei).
ebenso wie liefere an der Kapsel inserirende Partien des H. anconaeu»
humeralis brevis zu dem H. subnnconaeus desselben.
^} Höglklier WeiB« kann eine Untorau diu ng van Uicrops zurAufklHruDiidirsi-i
Krsge beilragpii.
3) Diese Annahme wird übrigens duit^li dio VerbfillnUse bei den Sclacbii?iii
und, weiinn aui^h in weniger ü bef zeugender Weise, liei den Crocodilen onlerslülii
3) ünbegreinich isl RUDtücSK's Behauptung: "Im Allgemeinrn kann eine \,.n-
siandigerc Uobcreinslimmung zwischen dem Tricepa der uageüchwünitea RaInKrhit't
und dem dreikSpßgen SIreckrouske] des Ynrderarms beim Meosctien und den Savf -
thiercn nirbt gedacht werden, l.nge des Muskels, Ursprung, Ansatz und Wirkuii):
Htimmcn vollstänilig mildem menscblichcnTriceps übercin*. Die abweichende l.a^i-
zum II. latissimus darsi (ganz abgesehen \<>ui N, rndiali^' mus'i auch dem nlir^ilj.^i,
liebsten Beotiacbter einleuchten.
V:
f:
Zar vergteiebenden Artfttomie der Sehnltermaskelii. 315
Erklinmg der Abbildungen.
Auf allen Tafeln ist die rechte Seite der betreffenden Thiere abgebildet.
Die Knochen sind durch gerade grosse lateinische Buchstaben'),
^-■^ die Hauptstämme der Kopfnerven durch schräge grosse lateinische
.'^v Buchstaben, die Hauptstämme der Spinalnerven durch römische
Zahlen, deren Aeste durch arabische Zahlen, die Muskeln durch
kleine lateinische Buchstaben bezeichnet.
Ein rother Abdruck unterscheidet die Muskeln von den andern Theilen.
V' Auf den Abbildungen der Plexus brachial is sind die Nn. brachiales
•Tr inferiores und thoracic! inferiores weiss, die Nn. brachiales su-
t'i periores grau, die Nn. thoracici supertorcs schwarz dargestellt.
Taf. XIV.
Verven fftr dia Sehultomaslnln d«r Amphihiaa.
Für alle Figuren dieser und der 4 folgenden Tafeln gültige
Bezeichnungen für die Nerven:
a) Kopfnerven:
TQ Aeste des N. trigeminus.
TiQ Aeste des N. facialis.
V Vagus-Gruppe:
tt R. accessorius n. vagi.
a R. scapularis n. vagi.
7' R. pharyngous.
yX R. lingualis.
(II R. auricularis.
f R. intestinalis.
X R. communicans c. nervo faciali.
b) Spinalnerven:
I, H, III, IV, V Ventrale Aeste der Nn. spinales.
4 Aeste des N. spinalis I. an die ventrale und hypaxontscho Rumpfmuskulatur.
2 N. thoracicus superior I.
8 Aeste des N. spinalis U. an die Ruinpfrouskulatur und die Haut des HaUes.
4 N. thoracicus superior II.
5 N. thoracicus inferior II. anterior.
6 Ast des N. spinalis II. für den M. rcctus und obliquus abdominis (N. thora-
cicus inferior II. posterior).
7 N. thoracicus superior III.
8 Ast des N. spinalis III. für die Bauchmuskeln (N. thoracicus inferior III.).
9 N. thoracicus superior IV.
iQ Aeste des N. spinalis IV. für die Bauchmuskeln und den M. abdomini-
scapularis (N. thoracicus inferior IV.) .
14 Aeste des N! spinalis V. für die Bauchmuskeln.
4S N. supracoracoideus.
1) OoTch ?«rt«k0A d«i Lltkofnph«ii nind sof Taf. XV u. XTI di« Knoch«n mit scbrl^Aii froB8«n
Utaini ick«B Bvckstftk«»ii WMieknft worden.
Q ^K Vnrbflnger.
1 3 Ast fUr die Um. sopracoracoideus und coraco-rsdialla proprlas.
1< Ast Tür dcD U. procoraco-humerBlis (ürodeleo] und episleniD--cJeiilu-
acromio-huneralis (AnurenJ .
1& Ast für die Haut zwischen Coracoid und Procoracold (Proleasj.
16 Ast fUr den Rectus abdominis [Rann) (N. Itioracicus inferior III. pu-
slerior?;.
17 Nn, pectorales.
IS Ast für die Haut der Bnial.
19 Aeste für den H. pectoralis.
50 Ast für den M. obliquus abdominis eiternus (Proteus).
21 N. bracttialis longug inferior.
33 Nn. coracobrachiales.
i» R. superficialis n. brachialis longi inferiorii (Urodelen).
ai Aeste nir den M. humero-antibrachialis inferior (Urodelen).
ii N. culaneus brachii Inferior medlalis.
36 N. cutaneus bracfaii inferior lateralis.
37 Ast an die Bengemnskeln des Vorderarms und an die Beuge der Hun<l
IS R. profundus n. brachialis longi inferioris (Urodelen). ^
S9 N- subscapularia (Urodelen).
30 N. dorsalis scapulee.
51 Aeste [Ur den M. dorsalis scapulae.
S3 Nn. cutanci brachii superiores laterales.
IB Asl für den M. procoraco-huraeralis (Urodelen] und acromio-humaralL«
(Anuren) .
H Nn. latisslmi dorsi.
[33 + >S) N. brachialis longus superior s. radialis (Anuren).
SS N. biacliialis longus superior profundus s. radialis profundus (Urodelen; .
3S Aeste für den U, anconaeus.
37 Ast fUr die Strecliseite des Vorderarms und der Uand.
38 N. brachialis longus superiorsupcrllcialiss. radialis superficialis(Uro<]etcn'.
39 Kleiner llautnerv an den lateralen Theil der Streckseile des Oberarm«.
(0 Aeste an den M. anconaeus.
t1 N. culaneus brachii et antibrachii superior.
ii N. culaneus brachii superior medlalis.
43 IfAuiasle, die weder von Kopfnerven noch vom Pteius brachialis abslammL-n.
Vagus-Gruppe und Pleins brachialis von Salamandru
mnculata. Ventral-Ansichl. GrOssenverlillllniss ^.
Seltenerer Ursprung des N. pectoralls von Salaitiandt»
maculata. Venlral-Ansicbl. Grossen verbültniss f.
Plexus brachialis von Siredoii Axolotl. Venlral-Ausicht.
G rossen verbflltniss 4.
Plexus brachialis von Proteus anguinous. Venlral-Anaichl.
G rossen verbfiltniss f..
Vagus-Gruppe und PleX'us brachialis von Rana csculenla.
Ventral- Ansicht. G rossen verhHI in ig? >.
Seltenere Verbindung des N. i
brachialis von Rana esoulenta
niss f.
Zur verKleirlienden Anatomie der Schnitermoskeln. 317
Taf. XV und XVL
BehiiltermuBkelB von Salamandra maonlata.
Taf. XV stellt Seiten-, Taf. XVI Ventralansichten in doppel-
ter Vergrösserung dar.
Für alle Figuren dieser beiden Tafeln gültige Bezeichnungen :
Knochen:
S Scapula.
Pr Procoracoid.
C Coracoid.
FC Foramen coracoideum.
St Sternum.
H Humerus.
PL Processus lateralis humeri.
PM Processus medialis hunoeri.
CR Condylus radialis humeri.
CU Condylus ulnaris humeri.
R Radius.
U Ulna.
Nerven:
Vergleiche die Bezeichnungen von Taf. XIV.
Muskeln:
cds M. capiti-dorso-scapularis (Cucullaris).
bs M. basi-scapularis (Levaior scapulae).
Ihs II. thoraci-scapularis (Serratus magnus).
tht. Untere Partie ) ^
..^ ^L « *. f desselben.
Ihs„ Obere Partie )
psi M. pectori-scapolaris internus.
p II. pectoralis.
3p c M. supracoracoideus.
crp M. coraco-radialis proprius.
cbl II. coraco bnichialis longus.
ebb M. coraco-brachialis brevis^).
hat M. humero-antibrachialis inferior (Brachialis inferior).
ph M. procoraco-huineralis.
dh II. dorso-bumeralis (Latissimus dorsi).
ds II. dorsalls scapulae.
sbc M. subcoracoideus.
a M. anconaeus.
ac II. anconaeus coracoideus.
asm II. anconaeus scapularis medialis.
akl U. anconaeus humeralis lateralis.
ahm U, anconaeus humeralis medialis.
dg II. digasiricus.
dir M. dorso-trachealis.
mha II. roylo-hyoideos anterior.
1) Ul Vig. 21 f&lieliUeli mit «11 b«sdielift«t.
Bd. ?IL S. 24
316 Max Ffirbrin^r,
mhp M. mylo-hyoideus postorior.
oae M. obliquus abdomiais externus.
ra M, rectus abdominis.
sth M. sterno-byoideus.
Fig. 7. Scbultermuskeln nach Wegnahme der Haut.
Fig. 8. Schaltermuskeln nach Wegnahme der Mm. mylo-hyoidei anterior und po-
sterior {mha und mhp), digastricus {dg) und pectoralis [p).
Fig. 9. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. dorso-trachealis [dir], supra-
coracoideus (jpc) , coraco-radialis proprius (crp}, procoracO'-hunierali>
[ph) und latissimus dorsi {dh),
Fig. 40. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. capitiHiorso-scapularis s.
cucuUaris {cds) und coraco-brachialis longus Ichl),
Fig. 44. Schultermuskeln nach Wegnahme des M. dorsalis scapulae [ds).
Fig. 42. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. coraco-brachialis brevis (c b 6; ,
anconaeus scapularis medialis [asm] und anconaeus humeralis lateralis
(ahl),
Fig. 48. Tiefe Schultermuskeln nach Wegnahme des Humerus und seiner Mus-
kulatur. Der Brustgürtel und das Brustbein sind durchsichtig gedacht,
um die darunter liegenden Muskeln sichtbar zu machen, und ihre Od)-
risse durch Punctlinien angegeben.
Fig. 44. Bnistgttrtel, Brustbein und Oberam mit Angabe der Ursprünge und lo-
seriionen der MuskeUi. Die an der Aussenfltfehe liegenden sind durch
einfache Linien, die an der Innenfläche liegenden durch Punctlinien
angedeutet. £in o neben dem Muskelnamen bedeutet Ursprung, ein i
Insertion.
Fig. 45. Schultermuskeln nach Wegnahme der Haut. Vergleiche Fig. 7.
Fig. 40. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. mylo-byoidei anterior und
posterior {mha und mhp), digastricus {dg) und pectoralis (p). Ver-
gleiche Fig. 8.
Fig. 47. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. derso-rtrachealis {dtr), supra-
coracoideus {spc) und des Muskeltheils des M. coraco-radialis proprius
{crp).
Fig. 48. Schultermuskeln nach Wegnahme der Endsohne des M. coraco-radialis
proprius {crp), des M. procoraoo^humeralis {ph) und des latissimus
dorsi (dA). Vergleiche Fig. 9.
Fig. 49. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. capiti-dorso-scapularis s.
cucullaris {cds), coraco-brachialis longoa {cbl) und dorsalis scapulae
{ds). Vergleiche Fig. 44.
F i g. SO. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. conico-brachialis brevis {ebb) ,
anconaeus scapularis medialis {asm) und anconaeus humeralis lateralis
{ahl). Vergleiche Fig. 4 ft.
Fig. t4. Brustgürtel, Brustbein und Oberarm mit Angabe der Ursprünge und
Insertionen der Muskeln. Vergleiche Fig. U^). •
1) FQr den Ursprung des M. subconcoidens ist die Beseiclinung sie» vergessen worden.
Zur Tergleiebeideii Anatomie der Sdralterouiakfitt* 319
Taf. XVn uüd XVilL
Sohaltermnakeln von Bana esenlenta^).
Taf. XVII. stellt Seiten-, Taf. XVIIl. Von tral-Ansichten im
Masstabe von | dar.
Für alle Figuren dieser beiden Tafeln gültige Beieicbnungen :
Knocben:
H Humerus.
PL Processus lateralis bumeri.
GrL Gf ista lataralia humeri.
PM Processus medialis bumeri.
ER Epicondylus radialis.
EC Epicondylus ulnaris.
H Radius.
U Olna.
S Scapula.
A Acromion.
SS Sttprascapulare.
Pc Procoracoid.
C Coracoid.
Bc Bpicoracoid.
Gl Clavicula.
St SIemum.
Est Bpistemum.
Nerven:
Vergleicbe die Bezeicbnungea von Taf. XIY.
Muskeln:
CS M. capiti-scapularis (Cucullaris).
is M. interscapularis.
bss M. basi-suprascapularis (Levator scapulae inferior).
pss M. petroso-suprascapularis (Levator scapulae superior).
rha M. occipiti-suprascapularis (Rhomboideus. anterior).
ths M. tboraci-scapularis (Serratus magnus inferior).
thts M. tboraci-suprasc^ularis (Serratus magous superior).
rhp M. rhomboideus posterior.
as M. abdomini-scapularis.
p M. pectoralis.
pa M. pectoralis abdominalis.
pst M. pectoralis sternaTis.
pe M. pectoralis epicoracoideus.
crp M. coraco-radialis proprius.
cbl M. coraco-brachialis longus.
ebbt M. coraco-bracbialis brevis internus.
eclah M. episterno-cleido-acromio-humeralls.
eh M. epislemo-humeralis.
clh M. cleido-bumeralis.
ah M. acromio-humeralls.
dh M. dorso-bumeralis (Latissimus dorsi).
äs M. dorsalis scapulae.
a M. anconaeus.
Qsm M. anconaeus scapularis medialis.
ahl M. anconaeus humeralls lateralis.
ahm M. anconaeus humeralis medialis.
1) Itoliiirs d«r dontlieharen DarattfUvng d«r f«iitrftleii Muskeln aucli Mf d«n SaiUnuitiekteB
tmrd« «in tHchtiges Weibeben g«w&lüt.
320 Max FQrbringer, Zur vergleichenden Aiiatoinie der Sctnilterronskeln.
dg M. digaslricus.
mha M. mylo-hyoideus anterior.
mhp M. mylo-hyoideus posterior.
oae M. obliquus abdominis externus.
tra M. transversus abdominis.
ra M. rectus abdominis.
oh M. omo-hyoideus.
stb M. stemalis brutorum s. rectus sterni.
Fig 32. Schultermuskeln nach Wegnahme der Haut.
Fig. 23. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. mylo-hyoidei anterior und
posterior {mha und mhp), digastricus {dg), pectoralis abdominalis {pu}
und pectoralis epicoracoideus (pe).
Fig. 24 . Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. coraco-radialis proprius {crp) »
pectoralis sternalis {pst), episterno-cleido-acromio-hnmeralis [eciah)
und latissimus dorsi {dh).
Fig. 25. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. coraco-brachialis longus (o^ /)
und dorsalis scapulae (d«).
Fig. 26. Schultermuskeln nach Wegnahme der hintern Kiefertheile und der Mm.
coraco-brachialis brevis internus {ebbt) und anconaeus (a).
Fig. 27. Tiefe Schultermuskeln nach Wegnahme des Humerus und seiner Mus-
kulatur. Der Brustgürlol und das Brustbein sind durchsichtig gedacht,
um die darunter liegenden Muskeln sichtbar zu machen, und ihre Um-
risse durch Punctiinien angegeben.
Fig. 28. Brustgürtel, Brusthein und Oberarm mit Angabe der Ursprünge und In-
sertionen der Muskeln. Die an der Aus.senfläche liegenden sind durch
einfache Linien, die an der Innenfläche liegenden durch Punctiinien
angedeutet. Ein o neben dem Muskelnamen bedeutet Ursprung, ein f
Insertion.
Fig. 29. Schultermuskeln nach Wegnahme der Haut. Vorgleiche Fig. 22.
Fig. 80. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. mylo-hyoidei anterior und
posterior {mha und mhp), des sogenannten sternalis brutorum {slb) und
pectoralis abdominalis {pa).
Fig. 34. Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. digastricus {dg) und pectoralis
epicoracoideus {pe). Vergleiche Fig. 23.
F i g. 82. Schultermuskeln nach Wegnahme des Muskeltheils des M. coraco-radialis
proprius {crp),
Fig. 83. Schul tormuskeln nach Wegnahme der Mm. pectoralis stemalis {pst),
epistemo-cleido-acromio-bumeralis {eclah) und latissimus dorsi (dh).
und der Endsehne des M. coraco-radialis proprius. Vergleiche Fig. 24.
Fig. 34 . Schultermuskeln nach Wegnahme der Mm. coraco-brachialis longus {ebi}
und dorsalis scapulae {ds). Vergleiche Fig. 25.
Fig. 85. Schultermuskeln nach Wegnahme des M. coraco-brachialis brevis inter-
nus {ebbt).
Fig. 36. Brustgürtel, Brustbein und Oberarm mit Angabe der Ursprünge und In-
sertionen der Muskeln. Vergleiche Fig. 28.
lieber die Persistenz der Urniere bei Myxine
glntinosa.
Von
Wilhelm Müller.
Nach dea Beobachtungen Johannes Muller^s (Untersuchungen ttber
die Eingeweide der Fische. Berlin 1845. p. 7) liegt hinter den Kiemen
zu beiden Seiten der Cardia der Hyxinoiden eine eigenthttmliche trau-
bige Drüse. Die rechte trifft man hinter der Bauchfellfalte rechts von
der Leber, unter welcher man in den Herzbeutel kommt, die linke
kommt in dem Theil des Herzbeutels , worin der Vorhof gelegen ist,
über diesem zum Vorschein.
Ihr feinerer Bau ist sehr eigenthümlich. Sie bestehen aus Büscheln
sehr kleiner länglicher Lobuli , welche an den Blutgefüssen hangen und
durch Bindegewebe verbunden sind. Jeder Lobulus oder Cylinder der
Büschel besteht aus einer doppelten Beihe von cylindrischen Zellen mit
Kernen, die den Zellen des Cylinderepithelium gleichen. Beide Reihen
biegen am Ende des zottenförmigen Lobulus in einander um. Zwischen
beiden verlaufen die BlutgefUsse und ein Strang von Bindegewebe.
Bei den Petromyzon kommt diese Drüse nicht vor. Wenigstens ver-
hält sich die von Bathke beschriebene Drüse, deren feinerer Bau von
Bardelbbbn beschrieben ist, ganz anders. Mayer und Bardelbbrn ver-
gleichen die Drüse der Petromyzon mit der Milz ; die beiden Drüsen der
Myxinoiden sind ohne Zweifel die Nebennieren.
Als Analoga der Organe der Myxinoiden lassen sich gewisse weisse
Zapfen betrachten, womit die Stämme der hinteren Körpenrenen bei
Ainmocoetes besetzt sind. Sie sind dort von Rathkb zuerst gesehen
und beschrieben; ich habe sie wiedergesehen.
Die oberen Enden der Ureleren reichen bis nahe an die Neben-
nieren. Das Ende wird plötzlich dünn und zieht sich, nachdem es die
Höhlung verloren hat, in einen feinen Strang von Bindegewebe aus, der
322 Wilhelm Muller,
keine Höhlung mehr enthält und welcher das einzige ist, was die Rich-
tung noch weiter entgegen den Nebennieren verfolgt.
Sowohl die Beschreibung als die Deutung Johanioss Möllbr^s er-
weisen sich bei genauerer Prüfung als irrthümlich. Präparirt man bei
einer gut konservirten Myxine mit Hülfe der Loupe unter Weihgeist die
Aorta von der Yorderfläche der Chorda ab, so lässt sich der Verlauf der
beiden Ureteren mit den zugehörigen kurzen Harnkanälchen leicht über—
sehen. Am oberen Ende geht jeder Ureter iD einen schmalen Gang über.
Dieser Gang zeigt eine kurze Strcidke nach seinem Abgang vom Ureter
eine flache etwas unebene Anschwellung von weisslicher Farbe. Hinter
dieser Anschwellung wird der Gang noch feiner als vorher ; er lässt sich
in dieser verschmälerten Gestalt bis zu dem unteren Ende der länglichen
Drüse verfolgen, welche oberhalb des Vorhofs resp. des Pfortaderherzens
in der Bauchhöhle liegt. Der Gang nimmt hier rasch an Dicke zu und
theilt sich in zwei bis drei Aeste , welche sofort alle Eigenschaften der
Kanälchen besitzen, aus welchen die fraglichen Drüsen sich zusammen-
setzen.
Die mikroskopische Untersuchung des Ureter ergiebt , dass dessen
Schleimhaut in zahlreichen Falten erhoben ist; welche labyrinthförmig
untereinander zusammenhängen. Sie wird von einem einschichtigen
cylindrischen Epithel bekleidet , welches namentlich auf der Höhe der
einzelnen Falten intensiv braungelb pigmentirt ist. Die kurzen Harn«
kanälchen , welche vom Ureter entspringen , besitzen ein einschichtiges
pigmentloses Cylinderepithel ; am Uebergang in die den Glomerulos
beherbergende Erweiterung sind sie etwas verengt und eine Sireeke
weit mit höheren und schmäleren Zellen versehen. Die Innenfläche der
Kapsel ist gleich der Oberfläche des Glomerulus von einem ganz flachen
schwer wahrnehmbaren kernhaltigen Epithel bekleidet.
Hinter der Abgangsstelle des letzten Hamkanälchens reducirt sich
der Durchmesser des Ureter um die Hälfte. Zugleich glätten sieh die
Falten der Schleimhaut und das Epithel wird niedriger, behält aber
seine braungelbe Pigmentirung. Dieser Abschnitt ist, wie Querschnitte
ergeben, hohl; ergiebt nach kurzem Verlauf einem Kanälchen Ursprung,
welches alsbald in eine massige Zahl gewundener Schläuche sich auf-
löst. Die letzteren umgeben die Fortsetzung des Ureter und verdecken
sie eine Strecke weit , durch sie wird die weissliche etwas unebene An-
schwellung bedingt, welche man im Verlauf des Ganges wahrnimmt.
Sie bestehen aus einer Membrana propria und einem einschichtigen
schwach gelblich pigmentirten niedrigen Cylinderepithel. Vor Allem
aber sind diese Kanälchen ausgezeichnet durch die Anwesenheit con-
centrisch geschichteter Concretionen in ihrem Lumen, welche stark
Ueber die Persistenz der Urtiiere bei Myxioe glotinosa. 323
giänzend , zum Thei! im Centrum mit einem schwarzen Kern verseben
sind. Ihre Grdsse ist verschieden, die kleinsten messen 0.01 , die grt)ss-
ton erreichen 0.4 Mm. Die ganze Länge der Auftreibung, welche die
Fortsetzung des Ureter im Berei<^ dieser gewundenem, GoneremMite
führenden Kanalchen darbietet, beträgt etwa 4 Mm., die Dicke ist viel
geringer.
Hinter dem Abgang des Kanälchens , welches in die Concremente
fuhrenden Schläuche sich auflöst, vercngi sich die Fortsetzung des Ureler
nochmals beträchtlich , so dass sie nur eben dem freien Auge als ein
schmaler weisslicher Faden sichtbar bleibt. Dieser Faden ist aber nicht
solid und bindegewebig, wie Johannss Müllbr irrthtbtfilich glaubte,
sondern hohl und ausgekleidet von einem niedrigen gänitf lei<^t gelblich
pigmentirten Pflasterefüthel in einschichtiger Lage. Dieser 6dng ei^tredLt
sich, fortwährend mit schmalem Lumen versehen, bis zum 'unteren Ende
der über dem Vorhof resp. dem Pfortaderherz liegenden Drttse. Es giebt
ganz kurz vor seinem Uebergang in die Kanälchen der iMzteren noch-»
mals einem schmalen aber ziemlich langen Harnkanälchen Ursprung,
welches in eine mit Glomerulus versebene Kapsel sich endigt.
Am unteren Ende der beiden Drttsen theilt sidi jedef der schmalen
Gänge in zwei bis drei Aeste. In diesen wird das Epithel alsbald wie-
der hoch, cylindrisch, leicht gelblich pigmentirt, während das Lumeti
sich erweitert. Umgeben werden dieselben vt>n zarter Bindesubstanz
mit Gef^ssen. Jeder Ast giebt mehreren Kanälchen Ursprung , welche
ald)old starke Windungen machen, aus einer dünnen Membrana propria
mit aufsitzendem einschichtigen Cylinderepithel bestehen und von einem
Capillametz mit den entsprechenden bindegewebigen Adventiten um-
sponnen werden. Gruppen solcher gewundener Kanälchen sind bier und
da durch Bindegewebszüge von den anliegenden gesondert; die Drüse
erhält cbdnrch an der Oberfläche ein unvollkommen gelapptes Ansehen.
An der medialen Fläche der Drüse entsendet ein Theil dei^ gewutidenen
Kanälchen seitliche Divertikel , welche alsbald nach kurzer Yerengerung
zu Kapseln sich erweitern, in welche je ein Glomerulus hineinragt.
Solcher mit Geßlssknäueln versehener Kapseln besitzt jede der beiden
Drüsen sechs bis acht. Nach Abgabe der seitlichen Divertikel verlaufen
die Kanäkfaen, hier und da dichotomisch sich theilend, gewunden gegen
die Fläche des Bauchfells und münden schliesslich mit einer nicht un-
bedeutenden Anzahl freier Mündungen in die Bauchhöhle aus. An der
Ausmündungsstelle erhält das Epithel der Kanälchen eine beträchtliche
Grosse uttd geht continuirlieh in das cylindrische rasch sich abflachende
Epithel des anliegenden Bauchfellabschnitts über. Jede einzelne Aus-
mUndung ist über das Niveau des anliegenden Bauchfells etwas erhoben;
324 Wi>lie>" Miill'^r,
zwischen der dem Bauchfell angehörenden uod i
kleidenden Bpilhellage erstreckt sich eine zart
mit Capillargefasseti. Die HUndungen der KanaU
schon bei mSss^er Loupenvei^ttssenuif; als fei
der prominirenden DrüsenkanSlchcn wahrnehml
Die in Rede siehende Drüse kann nur fU. — „
werden. Diese Annabme grUndet sich 1) auf das Vorkommen der einen
GlomeniluB enthaltenden Kapseln, 2] auf die Uebercinstimmung der
gewundenen KanSicfaen nach Lage und Bau mit den Umierenkanälchcn
der Fische und Amphibien, 3) auf den Zusammenbang der Kanalchen
mit der VerlXogerung des Ureter, welche dem Urnierengang entsprichL
Die Biohtigkeit dieser Deutung geht ausserdem hervor aus dem
Verhalten , welches die Umierc bei den Nounaogen zeigt. Die ümiere
IriU bei den Embryonen dieser Tbiere sehr frUhe auf; sie erhsll sieb
zugleich sehr lange, so dass sie bei l^rven von 6 Centimeler LHoge
noch leicht aufzufinden ist. Der Urnierengang bildet auch bei diesen
Thieren eine Verlungerung des Ureter, aus welch' Letzterem die blei-
benden Bamkanülcben bervorsprossen , welche nach mehrfachen Win-
dungen in einer mit einem Glomerulus versehenen Kapsel endigen.
Der Urnierengang spaltet sich an seinem Ende in drei bis vier Aesle, -
welche wie bei Hyxine in gewundene, ziemlich weile, mitcylindrischem
Epithel angekleidete BUbren sich fortsetzen. Diese Bttbren mtlndeo
wie bei Myxine schliesslich mit ofleneo Enden in die Bauchhohle aus,
indem das Epithel schmäler und bttber wint und lange ungemein deut-
liche Cilien an seinen freien Bindern trtigt. Solcher Enden exisliren
aber bei sümmtiichen Petromyzonarten jederseils nur drei bis vier; die
Endstücke springen auch hier Über die Flache des angrenzenden Bauch-
fells vor; in Folge meist vorhandener seitlicher Ahflachung stellen sie
rinnenanige wimpemde Furchen oder Quasten dar. Was aber die DrUse
der Neunaugen und jene der Hyxine glutinosa untersoheidel, ist der
Umstand, dass bei Petromyzon ein grosser Glomerulus an deren me-
dialen FlHche frei in die Bauchhöhle vorragt, nur von einer einfadien
sehr zarten Schicht des flachen Bauchfcllepithcls Uberz(^en, ohne in
direclen Zusammenbang mit den gewundenen KnnSlchen zu treten.
Dies ist aber dasselbe Verbültniss , welche« zwischen Glomerulus und
Urnierenkanalchen der Amphibien besteht, wie die Beobachtungen
TOR WiTTtcH's gezeigt haben.
Die Umiere persistirl bei Petromyzon Planeri In ganzer Ausdf hnun((
solange, bis dessen Larven eine I^nge von 6 Cenlimeler erreicht haben.
Ist letzteres geschehen , so b^innt die Btlckbildung der gewundenen
Kanalcben und zwar durch das Auftreten eines lebhaft braungclh ge-
Ueber die Persistenz der Uruiere bei Myxioe glutinosa. 325
färbten krystallinischen Infarkts, welcher in den Epilbelien der DrUsen-
kancllchen seinen Sitz hat. Das Auftreten dieses Infarkts steht in Zu-
sammenhang mit einer Umwandlung der zwischen den Umierenkanäl-
chen ursprünglich verlaufenden venösen Gefüsse in ein Geflecht achter
kavernöser Hohlräume. In dem Masse, in welchem der braune Infarkt
in den Zellen der Urnierenkanälchen zunimmt, verengt sich deren
Durchmesser, bis schliesslich die Infarkt haltenden Zellen dem voll-
ständigen Schwund anheimfallen und der Verlauf einzelner Urnieren-
kanälchen nur durch schmale gelbes Pigment führende Bindegewebszüge
noch angedeutet wird. Demselben Schwund wie die Urnierenkanälchen
verfällt der Urnierengang bis zum Abgang der obersten Harnkanülehen
von dem zum Ureter sich gestaltenden bleibenden Abschnitt. Es entr-
gehen aber dem Schwund die Enden der Urnierenkanälchen mit ihren
flimmernden frei in die Bauchhöhle ragenden Oeffnungen ; es entgeht
dem Schwund femer der Glomerulus. Beide persistiren bei sämmtlichcn
Neunaugen das ganze Leben hindurch ; sie stellen die weisslichen Zapfen
dar, welche Rathkb und Johannes Müller schon gesehen haben und an
welchen der Scharfblick Max Schultzens bereits in sehr frühen Entwick-
luDgsstadien Flimmerepithel nachzuweisen. vermochte.
Die Persistenz der Urniere, das Vorkommen eines concrement-
haltigen Abschnitts , endlich die an embryonale Form erinnernde Ge-
staltung der Niere sind Momente , durch welche das uropoetische System
der Myxine von jenem der übrigen Wirbelthiere sich unterscheidet. Es
muss ein Grund vorhanden sein , durch welchen dieses abweichende
Verhalten bedingt wird. In Bezug auf die Vorstellungen , welche man
über diesen Grund sich machen kann, muss die Einfachheit hervor-
gehoben werden, mit welcher die Thatsachen vom Standpuncte der
Descendenztheorie aus sich erklären lassen. Concrementhaltige Ab-
schnitte finden sich im uropoetischen System sowohl bei Würmern als
l>ei Tunikaten sehr verbreitet vor. Das Rudiment eines solchen Ab-
schnitts , welches dem oberen Endo der Niere von Myxine angefügt ist,
kann als ein Erbstück betrachtet werden, welches den geeigneten Boden
für eine weitere Entwicklung nicht mehr gefunden hat.
Es entwickelt sich aber ferner die Niere der W^irbelthiere zu einer
Zeit) in welcher die Urniere einen vorgeschrittenen Grad der Ausbildung
bereits erreicht hat und es erfolgt die Rückbildung der letzteren nach
einer Periode der gleichzeitigen Existenz beider Organe. In dieser Be-
ziehung lässt Myxine glutinosa sich auffassen als der erhalten gebliebene
Repräsentant einer formenreichen Wirbelthierklasse, in welcher das den
höheren Wirbelthieren eigenthümliche Verhalten des uropoetischen Sy-
stems in der Anbahnung noch begriflen war. Es entspricht das bleibende
326 Wilhelm MDIler, Ueber die Persistenz der Uriiiere bei Bfyxiue fj^iutinosa.
Verhalten des uropoelischen Systems dieses Thieres einem vorOber-
gefaenden Stadium im embryonalen Leben der höheren Wirbellhiere ;
Phylogenese and Ontogenese müssen aber in den wesentlichen Paneten
sich decken, wenn die Descendenztheorie auf richtiger Grundlage beruht.
Die ausführliche Darstellung dieser VerhilUnfsse zugleich mit den
befegenden Abbildungen wird eine Arbeit über Bau und Verwandt-
schaft des Amphioxus bringen.
Jena, 1. Mai 1879.
Ueber die Hypobranchialriiine der Tunikaten
und deren Yorhandensein bei Amphioxus und den
OyUostomen.
Von
Wilhelm Muller.
Als Hypobranchialrinne wird in der nachstehenden Mittheilung der
gegen die Eiemenhöhle offene Halbkanal bezeichnet, welcher bei allen
Tanikaten längs der ventralen Fläche der Athinungshöhle vom Mund in
der Richtung gegen den Oesophaguseingang sich erstreckt. Das Organ
ist zuerst von Cuvibr beschrieben worden ; Savigny nnd Eschright haben
die beiden Lamellen, welche seine seitliche Begrenzung bilden, als
Baucbfalten bezeichnet. Huxlbt hat davon einen längs der unteren Fläche
des Organs verlaufenden weissen Streifen unterschieden undalsEndostyl
bezeichnet, welcher nach ihm sowohl bei Salpen als auch bei Ascidien
und Pyrosonien sich Gndet. Leuckart hat im Gegensatz zu Hkinrich Müller
die Darstellung Huxlby^s fUr die Salpen acceplirt , zugleich al)er erheblich
zu modificiren gesucht , indem nach seiner Beschreibung das Endostyl
hohl und im Inneren von Epithel ausgekleidet, zugleich nur an seinem
vorderen Ende mit der Kiemenhöhle in Communikation sein soll. Für
die Ascidien hat Richard Hartwig, wohl in Folge eines Missverständnisses
der Angaben HuxLBT^s , behauptet, dass Endostyl und Hypobranchial-
rinne identische Organe seien und in der FoLL^schen Arbeit über die
Appendikularien der Meerenge von Mossina ist in Folge desselben Miss-
verständnisses die Hypobranchialrinne geradezu als Endostyl beschrieben
und abgebildet.
Prüft man die vorliegenden Angaben an Repräsentanten verschie-
dener Ordnungen der Tunikaten 1), so crgiebtsich, dass constant unter-
halb der Hypobranchialrinne ein Streif dichterer Bindesubstanz verläuft,
4} Auch für diese Untersuchung stellte mein College Anton DoBRN.in Neapel
mir werthvotles BIsterial zur Disposition, wofür demselben hierdurch öffentlich ge-
dankt sei.
welcher das oder die vc
Ascidirn die Verwachsung der Kieme mit der Loibcswand vermittelt.
Diese ßindesuhsUinzlaincllc lässt sich hei den Salpen mit kurzer Hypo-
branchialrinne, wie Huxlev und Leuckart schon richtig angegeben haben,
als weisser Streif bis zum Oesopbaguseingang verfolgen. Auf diese Bindc-
substanzlamelle allein kann die HuxLEy'sche Bezeichnung des Endosty)
Anwendung finden. Dieselbe ist aber nicht hohi und im Innern von
üpilhcl ausgekleidet, wie Leuckast irrlbUmlich angab , sondern, wie
Querschnitte ei'geben, solid und bei den Ascidien nicht sell«n Sitz
stärkerer Pigmentablagerung.
Die Hypobranchial rinne selbst zeigt bei allen Tunikaten im Wesent-
lichen den gleichen Bau. Allen Tunikaten kommen zwei symmetrisch
neben der Hitlellinie an der ventralen Fläche der Albmuogsbtlhle der
Länge nach verlaufende Leisten zu, welche einen nach der Athmungs-
höhle zu oflenen Halbkanal umscbliessen. Die laterale und mediale
Fluche beider Leisten verbalten sich verschieden. Die laterale Flüche
wird von einem ganz niedrigen schwer wahrnehmbaren kernhaltigen
Epithel bekleidet. Die mediale Fläche lässt tlimmemde und secernirendo
Epitbelstrecken unterscheiden. Auf der Kante der Leiste nimmt das
Epithel ganz piQtzlich cylindrische Form an und behält dieselbe eine
Strecke weit längs der medialen Fläche in der Richtung nach abwärts.
Auf dieser Strecke haben die Epithelien sehr deutliche starre etwas ge-
wölbte Cuticularsaume. Daran schliesst sich eine kurze Strecke ganz
fladien kernhaltigen Epithels. Es ßndet sich ferner constant ein un-
paarer Streifen flimmernden Epithels längs äer Hitlellinic im Gi-undc
der Halbrinne. Dieses Epithel ist ausgezeichnet durch Schmalheil des
Protoplasmajeibes der einzelnen Zellen und durch die Länge der Cilien,
deren oberer Rand im Niveau der beiden seitlichen Begrenzungsleislcn
li^t. Der Raum zwischen dem flachen und dem flimmernden Epithel
wird zu beiden Seilen der Halbrinne eingenommen von Zellen , welche
mit den Secreüonscpilbelien der betreffenden Thicre am meisten Aehn-
tichkeit darbieten. Sie stellen grosse Gylinderepilhclicn dar mit grossem
Kern und körnigem Protoplasma. Sie sind stets zu einer oder zwei im
letzteren Fall übereinanderliegenden flachen Rinnen angeordnet, welche
dem Querschnitt des Organs ein sehr charactcristischcs Aussehen ver-
leihen. Beide Halhrinnen werden, wo sie deutlich entwickelt sind,
durch kurze Strecken eines schmäleren, stark glänzenden, mit starrem
deutlich gestreiften Cuticularsaum versehenen Epithels verbunden.
Getragen wird die Epithclhekleidung von einer zarten BindesubstanK,
welche einzelne Gefdsse führt und häufig von pigmenlhalligen Zellen in
reichlichem Masse durchsetzt ist.
Uf b. d. liypobraiif hiiilriiiiie d. Timikaten ii. d«reti Vorhuiidenseiu b, Aiiipliioxiis e tr. 329
Nun hat schon Goodsoir darauf aufmerksam gemacht^ dass der
Riemenapparai des Amphioxus mit jenem der Ascidien am nächsten
verwandt sei, indem beiden die gilterförmigc Durchbrechung der
respirirenden Flüche und die B<^theiligung von Flimmcrepithel an der
Bekleidung der letzteren gemeinsam sei. Die Uebereinstiminunt* I»cider
wird dadurch des Weiteren erwiesen ^ dass der ventrale Abschluss der
Kiemenhöhle des Amphioxus durch ein Organ gebildet wird, welches alle
wesentlichen Attribute der Hypobranchialrinne der Tunikaten besitzt.
Unterhalb des Endes der Kiemenspalten erhebt sich bei Amphioxus
der Boden der Kiemenhöhle zu zwei schmalen Leisten , welche lateral-
wärts gerichtet sind und in der Mittellinie zu einer flachen Rinne sich
vereinigen. Die lateralwfirts sehende etwas umgebogene Kante beider
Leisten ist verdünnt, gegen die Mitte nimmt die Dicke des Bodens ali-
mälig zu. Der Bau des bindegewebigen Gerüstes der llypobranchialiinne
ist bei Amphioxus complicirter als bei den Tunikaten, indem in die strafliß
Grundlage beiderseits ein nach oben und unten sich zuspitzender Chitin-
streif eingebettet ist, welcher mit seinem oberen Ende in die zugeschürfie
Kante sich erstreckt, während das untere Ende in einzelne Zipfel zerspalten
isi| welche mit den Zipfeln der entgegengesetzten Seite sich durchkreuzen
und schliesslich den gabeligen Enden der Ghitinstübe des Kiemenskelets
zustreben. Diese zwei Chitinstreifen bilden zusammen eine Hohlkohle,
welche längs der ganzen Rinne sich erstreckt. Sie sind eingebettet in
eine sehr straffe vorwiegend aus schmalen und kurzen spindelförmigen
Zellen bestehende Bindesubstanz, welche ausserdem von Bündeln platter
Muskeln in querer Richtung durchzogen wird, deren gelbliche Farbe von
jener der farblosen Bindesubstanz deutlich sich abhebt. Längs der un-
teren Fläche des Organs verläuft die hin und hergebogene Kiemenarterie,
nach unten von der Fortsetzung des visceralen Blattes des Bauchfells
umschlossen. Die epitheliale Bekleidung der Hypobranchialrinne stimmt
in ihrem Verhalten mit dem bei den Tunikaten geschilderten überein«
Die laleral und etwas abwärts sehende äussere Fläche besitzt ein
schmales ziemlich kurzes Cylinderepithel; an der Kante verlängert sich
dasselbe und geht längs der medialen zugleich nach oben gerichteten
Fläche in ein schmales , verhältnissmässig kurzes Plimmerepithel über»
Zu l>eiden Seiten der Mittellinie ändert sich die Beschaffenheit dieses
Epithels plötzlich, indem die Zellen viel breiter werden und deren Proto-
plasma stärkeren Glanz annimmt; diese breiten Zellen sind zugleich zu
einer flachen Halbrinne angeordnet, welche links und rechts von der
Mittellinie längs des ganzen Bodens der Kiemenhöhle sich verfolgen lässt.
Die Mitte des letzteren zeigt wieder eine Bekleidung mit geschichtetem
schmalen Cylinderepithel, welches in dünne Cilittn sich fortsetzt«
330 Wilhelm Nfiller,
Ist das Vorkommen eines bei den Tunikaten allgemein vorhandenen,
den höheren Wirbelthieren aber fehlenden Organs bei Amphioxus von
Interesse für die Phylogenese der Wirbelthiere, so glaube ich, wird dieses
Interesse wesentlich erhöht durch den Nachweis , dass dasselbe Organ
auch den Cyklostomen während ihres Larvenzustandes zukommt , oiit
EintriU der definitiven Gestaltung des Körpers aber schwindet. Schon
Rathkb und August Müller haben das dingliche Organ besprochen, wel-
ches am Boden der Kiemenhöhle bei der Ammoooetesform der Petromy-
Konten sich findet und welches nach der Vermuthung des ersteren Be-
obachters dem langen Zungenmuskel der reifen Thiere den Ursprung
geben soll. Max Sghultzb hat in seiner Entwicklungsgeschichte des
Petromyzon Planeri auf Seite S8 das Organ gleichfalls beschrieben ; er
lässt dasselbe aus dem zwischen Haut und Schlundböhle Hegenden Ge-
webe hervorgehen und hSIlt es wegen des Vorkommens flimmeraden
Epithels für das Homologen der Thymus der höheren Wirbelthiere.
Die erstere Angabe des bertlhmten Anatomen bedarf der fieridi-
tigung, da sich an sehr jungen Petromyzonlarven der Nachw^ fdiiren
lasst, dass die epitheliale Auskleidung des fraglichen Organs mit jener
der Kiemenhöhle allenthalben continuirlich zusammenhangt, welcher
Zusammenbang im weiteren Verlauf der Entwicklung auf einen schmalen
Spalt im Niveau des zweiten Kiemendiaphragmas (Septum zwiscben
zweitem und dritten Kiemensackchen) reducirt wird. Es entwickelt
sich mithin das fragliche Organ aus dem ventralen Abschnitt der ur-
sprünglichen Kiemenhöhle , die Epithelien , welche in seine Zusammen-
setzung eingehen, sind Abkömmlinge des Darmdrttsenblatts. Es bedarf
aber femer auch die Deutung, welche Max Schultzb dem Organ zu geben
versucht bat , der Berichtigung. Dasselbe lasst sich mit keinem Oi^gan
der höheren Wirbelthiere homologiiären ; seine Entwicklung und sein
Bau nöthigen vielmehr zu der Annahme , dass es das Homolegon der
Hypobranchialrinne der Tunikaten ist , welche bei Amphioxus als blei-
bender Bestandtheil des Körpers existirt, bei den Cyklostomen niHr
noch in Form eines transitorischen Organs sich erhalten hat.
Das Organ wird ursprünglich durch zwei symmetrisch neben der
Mittellinie an der ventralen Plädie der Kiemenhöhle von deren vorderem
Ende bis zur Bifurkation des Kiemenarterienstamms verlaufende Leisten
dargestellt , welche unterhalb des Niveau der beiden Kiemenarterien&ste
gelegen sind. Das die letzteren umgebende Bindegewebe wädist in me-
dialer Richtung zu einem Diaphragma aus, welches die eigentliche Kiemen-
hohle von dem die beiden Leisten beherbergenden Abschnitt trennt, üie
Trennung ist fltr die vordere und hintere Partie des Organs eine voll-
stündige; unterhalb des Diaphragma, zwischen zweitem und dritteoi
Heb« d. Nypobranobialiinne i* Tmiikiiten a. drren VoriuuidBiiBeui h. AnpbioKiis ete, 831
KiemensaelqMar bleib! die Verwaehsang der beiden lu dem Diaphragma
sich vereinigenden Lamellen aus. Es ertiäte sich in Pdge davon an dieser
Stelle die ur^rOngliche GommunikalioD des die Hypohrandiialrinne be-
herbergenden Abschnitts mit der Kiemcnhfihle in Perm einer in trans-
versaler Riohtttng schmalen^ in longitudtnaler etwas verlängerten Spalla.
Diese Spalte persistirt so lange , bis das Organ dem definitiven Schwund
anheim teilt; sie ist bei 46 Centimeter langen Ammocantes des Petro-
myson Planeri noch vorhanden, welche bereits zur Gewinnung der
bleibenden Ponn sich anschicken. Das Epithel der Kiem^ihfthle setzt
sich im Bereich dieser Spalte auf das Epithel der beiden in den abge-
schnürten Theil prominirenden Leisten ohne Unterbrediung fort. Der
abgeschnürte Theil der Kiemenhttble stallt einen in senkrechter Richtung
etwas abgeplatteten cylindrischen Hohlraum dar, welcher durch eine
schmale senkrecht vom Boden sich erbebende Bindegewebslamelie,
welche allmtfig an Utfbe abnehmend von vorne bis zum Ende des
»weiten Kiemepsackpaars sich erstreckt, in zwei symmetrisdie Hfilflen
abgetheiit wind. Jede dieser Halflesi enthalt im Inneren eine mit brei-
ter Basis dem Boden aufsitzende, gegen den oberen Rand etwas sich
verechmMernde Leiste, welebe je aus einem medialen und einem la<*
teral^i Abschnitt sich susammenselzt. Beide Abschnitte stiminen in der
vorderen Hälfte des Organs nahe mit einander überein ; in der hinteren
Haute zeigen sie wesentliche Verscluedenhelten , nicht sowohl hinsicht-
lich des feineren Baus , als vielmehr hinstohtlich der gröberen anatomi-
schen Anordnung. In ersterer BeBiehuttg wird die bindegewebige
Grundlage der beiden Leisten gebildet von einem lockeren zellenarmen
ScUeifflgewebe, welches an die Advenliiäl einzelner kleiner Arterien
und Venen sich anschliesal. Der epilMiale Ueberaug verhält sich im
oberen schmäleren Abschnitt jeder Leiste anders als im unteren breiteren,
kft obwen Abschnitt findet sich eine einfache Lage cylindrischer kern-r
haltiger EpitheUen , welche durch die slkHfe Beschaffenheit ihrer kurzen
eonisck sich zuspitzenden Cilien sofort als mit der epithelialen Beklei-
dung des. oberen Abschnitts der Plimcnerrinne der Tunikaten überein-
stimmend sich zu eriLennen geben. Im unteren hreiteren Abschnitt bildet
das Epithel zwei parallel verlaufende übereinander liegende Längsrinnen,
es ist im Bereich der letzteren stark kümig, und mit langen Cilien ver-
sehen. An der Kante jeder rinzelnen Rinne wird das lange Cilien tra-
gende körnige Epithel ganz abrupt von einer kurzen Reihe steifer mit
kurzen conischen Cilien versehenen Epithelien Qnlerbrochen.
Was die gröbere anatomische Anordnung botrifit, so verhält sich
am hinteren Ende der mediale und laterale Abschnitt jeder Flinimerlciste
verschieden. Der letztere erstreckt sich ziemlich gerade nach rückwärts ;
332 W. Mftlier, üeb. d. Hypobranehialriane d. Tiinikaten ii. deren Vorbaudeusein ete,
seine beiden Flimuierrinnen nähern sich am vierten Kiemendiaphragma,
an welchem der mediale Abschnitt seine hintere Begrenzung hat, bis
zur Berührung und verlaufen parallel nach rückwärts bis zum Niveau
des fünften Kiemendiaphragma. Der mediale Abschnitt dagegen steigt
unter dem vierten Kiemensackpaar nach aufwärts , biegt sich dann hori-
zontal nach vorwärts um , um unter dem dritten Kiemensackpaar wieder
nach abwärts sich zu krümmen und zuletzt horizontal gerade nach rück-
wärts zu verlaufen. Es beschreibt mithin die hintere Partie des medialen
Abschnitts einen Kreis mit abnehmendem Radius, so dass sein Ende
zwischen dem ursprünglichen unteren Stück und dem oberen horizontal
zurücklaufenden Stück des Kreises zu liegen kommt. Dieses auffallende
Verhalten lässt sich durch die Annahme erklären, dass der mediale Ab-
schnitt beträchtlich stärker in die Länge wächst als der laterale und da-
bei den Umgebungen sich anpasst.
Vergleicht man das Organ der Cyklostomenlarven mit der Hypo-
branchialrinne der Tunikaten oder des Amphioxus, so ergiebt sich, dass
es alle wesentlichen Bestandttheile der letzteren besitzt. Es fehlen we-
der die steifen Guticularsäume längs der oberen Partie noch die langen
Wimperzellen der eigentlichen Rinne. Das Organ hat aber, wie schon
früher bemerkt wurde, bei den Cyklostomen eine vorübergehende Exi-
stenz. Doroh die mächtige Entwicklung der Zungenmuskulatur, welche
bei der Umwandlung der Larven in die geschlechtsreifen Thiere sich
einstellt, wird das ganze Organ gleich den beiden vor dem Eingang
zur Kiemeuhöhle liegenden Schlundsegeln zur Atrophie gebracht. Nur
ein geringer Rest seiner Epithelialbekleidung entgeht der Vernichtung ;
er entwickelt sich zur Schilddrüse , welche bei dem geschlechtsreifen
Thior unterhalb des langen Zungenmuskels vom zweiten bis vierten
Kiemensackpaar sich erstreckt und von einer massig grossen Anzahl
rings geschlossener von intensiv braungelb gefärbtem cylindrischen Epi-
thel ausgekleideter Follikel gebildet wird. Sie kann mit der Speichel-
drüse, welche unterhalb des Auges der reifen Thiere liegt, nicht ver-
wechselt werden , denn letztere ist eine Drüse mit Ausführungsgang,
welcher durch Injection und Präparation bis zu seiner Ausroündung in
die Mundhöhle sich verfolgen lässt.
Die ausführlichere Darstellung dieser Verhältnisse nebst den be-
legenden Abbildungen wird eine Arbeit über Bau und Ven^andtschaft
des Amphioxus bringen.
Jena, 27. Juli 1872.
Beiträge zur Kenntniss der Termiten.
Von
Frits MüUer.
Hierzu Taf. XIX und XX.
1. Me CMchlechtothelle der SeMates ▼•■ Ctktemet.
LRSPfts hat unter den Arbeitern und Soldaten des Termes luci-
fugus Männchen und Weibehen gefunden. Aeusserlich waren die bei-
den Geschlechter nicht zu unterscheiden . Bei den weiblichen Arbeitern
sah er Eierstöcke mit 4 S bis 1 5 wenig getrennten Eiröhren , die in einen
dickeren Eileiter mündeten. Die beiden Eileiter verbanden sich zu einer
kurzen Scheide. In den Eiröhren fand sich keine Spur von Eiern , da-
gegen flüssiges Fett in Kügelchen von oft beträchtlicher Grösse. Die
männlichen Geschlechtstheile der Arbeiter waren äusserst gering ent-
wickelt : zwei kaum sichtbare Hoden , deren sehr feine Ausfübrungs-
gänge zu einem gemeinschaftlichen Gange sich verbanden ; an letzterem
sassen verkümmerte Samenblasen. Waren schon bei den Arbeitern alle
diese Theile sehr zart und schwierig darzustellen, so fand dies in noch
höherem Grade bei den Soldaten statt ^) .
Hagen versuchte vergeblich bei Arbeitern verschiedener Termes-
und Hodotermes-Arten innere Geschlechtstbeilo nachzuweisen^) und
ist trotz des Zutrauens, welches ihm die Arbeit von Lrsp^s zu verdienen
scheint, der Meinung, dass »die Angabe so auffälliger Thatsachen
vor ihrer allgemeinen Annahme eine neue Bestätigung erfordert«. Auch
Gkrstackbr ^) hält das Vorkommen von Männchen und Weibchen unter
den Arbeitern und Soldaten der Termiten für »kaum glaublich«.
Weshalb die von Lbsp^s beobachteten Thatsachen »so auffällig«,
weshalb die Vertretung beider Geschlechter unter den Arbeitern und
Soldaten der Termiten »kaum glaublich« sei, haben Hagbn und Ger-
STüCKBt nicht erörtert. Doch hat wohl auch in diesem Falle, um mit Bates
4) Vergl. den Bericht Ton Hagbm in Linnaea entomol. XII, S. 8i0 u. 8SS.
5) Ebenda, S. n.
8) Lehrbuch der Zoologie von Pbteks, Gaius u. Gbkstäcker. II, S. 44.
B4. TU. 8. %%
Analogie mil rlon gexoMi^
D gefufarl»!), wie das so
1 vornherein die Angaben
«Urdlg. Bet den HantflUg
enn bei ihnen ein besonde
war zu erwarten , dass oi
Ümmerten Weibchen bes
leinl es kaum zweifelhafi
und Arbeiter oichl aus d
igendzustanden hervorgeg
laUirlich kein Grund vor fi
«r.
i ich also gegen die Angal
vie Hagen, habe ich bis ,
ebr verschiedenen Gruppe
'ei^eblich nach sieber al
L innerer Geschlecbtstheih
n Geschicks im Zergliedt
nden grosses Gewicht zu legen kaum berechtigt
se Zweifel an der Richtigkeit der Beobachtungen
egen an. Um so erfreuter war ich , seine scbOnc ^
Soldaten der Gallui^ Calotermes vollständig
.. Die inneren Gescblecbtstbeile sind bei diesen
■ verktlmmert, alsbeiTermes lucifugus, und
elt, als bei den geflf^elten Männchen und Weih-
en ist das Geschlecht der Soldaten sogar äusscrltch
; schicke ich die Beschreibung der Geschlechts-
Hännchen und Weibchen von Calotermes Ga-
I, S. ITS.
lenellBe d. sp. stobt dem C. verrucosus Hag. sriir
t aber leicht durch geringere Crosse und durch die Zahl
lor FlUgoi.
luellae. C. vorrncosus.
lOnUB Haan
, 1 - ., , . 1. } Ader im Randtelde.
I| Randfolde. ohne]
hauptsächlich im Holze der Canefle preta, seltner in
Beiträge zur Kenntniss 4er Termiten. 335
Jeder der beiden Eierstöcke (Fig. i) besteht aus 6 bis 7 spindel-
förmigen Eiröhren, die dem Ende eines kurzen weiten Eileiters auf-
sitzen.. Zwei oder drei der Eiröfaren zeichnen sich vor den Übrigen
meist durch grossere Dicke und weiter entwickelte Eier aus. Wie über-
haupt befden geflügelten Termitenweibchen sind selbst die am weitesten
vorgeschrittenen Eier noch weit von der Reife entfernt; die grösst^i
erreichen selten mehr als Y5 der Länge der reichlich 4 Mm. langen reifen
Eier (Fig. 5) und treten eben in die Entwicklungsstufe, auf welcher feine
Kömchen den bis dahin durchsichtigen Dotter zu trüben und das Keim-
bläschen der sich in die Länge streckenden Eier zu verdecken beginn^i
(Fig. 4) . Die kurzen Eileiter, deren Länge übrigens bedeutenden Schwan-
kungen unterliegt, vereinigen sich zur Scheide, deren äussere Oeffhung
von unten her durch das grosse sechste Bauchschild verdeckt wird. Nicht
weit vom Ausgange der Scheide liegt die sehr dickwandige Samenblase
(Fig. 2 u. 3). Sie fällt sofort ins Auge durch die dicke dunkelgeförbte
Haut, welche ihre Höhlung auskleidet. Das Ende dieser Höhlung ist
mehr oder weniger gekrümmt; in der Mitte ist dieselbe mehr oder
weniger aufgetrieben und verjüngt sich dann zu einem engsa Aus-
führungsgange. Zwischen Scheide und Mastdarm liegt eine sehr an-
sehnliche Kittdrüse (»gtande s^bifique« LBSPfts), aus dicht zusammen-
geknäuelten , schwer zu entwirrenden Höbren gebildet. Man kann an
ihr den gemeinsamen Ausführungsgang, zwei zu diesem sich vereinigende
Hauptäste und an jedem der letzteren 4 bis 7 Zweige unterscheiden.
Bei dem geflügelten Weibchen von Galotermes negosus Hag.
gabelt sich der Stamm nur zweimal , so dass die Drüse aus nur vier
langen verknäuelten Röhren besteht. Die Kittdrüse von Galotermes
gleicht also weit mehr der von Lsspfts beschriebenen »glande s6bifiquec
des Termes iucifugus, als der von Hagbn als Samenblase gedeuteten
banmibrmigen Drüse mit ziahlreidien kurzen gekrümmten Aesten , die
derselbe bei der Königin von Termes nigricans und dem geflügelten
Weibchen von T. dirus fand.
Die Hoden der geflügelten Männchen von Galotermes Canellae
(Fig. 6 — 43) lassen sich einer Hand mit 3 bis 6 meist kurzen Fingern
vergleichen. Ihre sehr wechselnde Gestalt mögen die Abbildungen ver-
anschaulichen. Die beiden Hoden desselben Thieres pflegen einander in
Grösse, Zahl, Länge und Stellung der Finger sehr ähnlich zu sein. In
den Fingern sieht man starik lichtbrechende Kerne , in der Hand grössere,
runde , durchsichtige Zellen , deren Kerne in frischem Zustande wenig
hervortreten. Wie die Eierstöcke scheinen sie noch weit von der Rdfe
entfernt zu sein. Die Ausführungsgänge der Hoden^ bisweilen dicht unter
diesen zu einer kleinen Blase aufgetrieben (Fig. 6 u. 8) , münden in eine
336 FriU MAIIer,
dickwandige , birnfönnige Tasche , die sich in einen über dem achten
Bauchschilde sich öffnenden Gang fortsetzt.
Bei den Soldaten von Galotermes Canellae sind die Bauch-
schilder des Hinterleibes wie die des geflügelten Männchens gebildet, das
sechste nicht vergrössert, das siebente und achte ungetheilt und letzteres
mit zwei griffeiförmigen Afteranhangen versehen. (Beim Weibchen ist
bekanntlich das sechste Bauchschild vergrössert, das siebente und achte
sind in je zwei kleine seitliche Platten zerfallen und die Afteranhänge
fehlen.) Ein äusserer Geschlechtsunterschied ist nicht vorhanden oder
doch kaum angedeutet. (Der Hinterrand des achten Bauchschildes schien
mir bei den weiblichen Soldaten zwischen den Afteranhängen in der Regel
etwas tiefer ausgebuchtet zu sein, als bei den männlichen ; vergl. Fig. 4 5
u. 46.)
Die innerenGeschlechtstheile der weibliehen Soldaten (Fig. 4 4) unter-
scheiden sich von denen der geflügelten Weibchen ausser durch geringere
Grösse fast nur durch den Mangel der Saraenblase, von der ich keine
Spur habe finden können. Im unteren Theile der Eiröhren sieht man
meist grosse blasse Zellen , von denen zwei die ganze Breite der Eiröhre
einzunehmen pflegen, mit grossem Kern und deutlichem Kemkörperchen.
Mehrfach sah ich am Anfang jeder Eiröhre ein Häufchen einer undurch-
sichtigen krttmlichen Masse, die ich bei den geflügelten Weibchen dieser
Art ebensowenig bemerkt habe, als bei den Soldaten von Galotermes
nodulosus und rugosus. Die Eileiter sind im Verhältniss viel länger
und dünner, als beim geflügelten Weibchen, die Kittdrüsen stets stark
entwickelt.
Auch die Geschlechtstheile der männlichen Soldaten (Fig. 46—48)
sind denen der geflügelten Männchen durchaus ähnlich. Die Hoden zei-
gen ebenso mannichfaltige , im Allgemeinen etwas schlankere Formen.
Das Gewebe der Hand ist bisweilen von dem der Finger kaum verschie-
den, kleinzellig, mit stark liditbrechenden Kerneo. In einem Falle
(Fig. 4 7) sah ich den Hoden zu einem kleinen bimförmigen Körper ohne
alle Anhänge verkümmert; den zweiten Hoden fand ich bei diesem Thiere
nicht.
Bei Galotermes nodulosus Hag. und rugosus Hag., zwei
merkwürdigen nahe verwandten Arten, deren sehr eigenthümiiche jüngste
Larven uns vieUeicht in ähnlicher Weise die älteste noch lebende Insocten-
form zeigen, wie die N a u p 1 i u s' die älteste Crustaceenform, sind die männ-
lichen von den weiblichen Soldaten schon äusserlich an der Bildung des
achten Baucbschildes zu unterscheiden. Bei den männlichen Soldaten
ist wie bei den geflügelten Männchen der Hinterrand dieses Schildes
zwischen den Afteranhängen kaum merklich ausgebuchtet (Fig. ^4 u. 29),
Beitri^ zor Konntiiiss der Termiten. 337
bei den weihlichen Soldaten dagegen (Fig. 20 u. 98) tief ausgeschnitten
und der dunkle dicke Chitinrand ist in der Mitte dieses Ausschnitts durch
dttnnere Haut ersetzt , — der erste Schritt zu dem Zerfallen dieses Schil-
des in zwei seitliche Platten , welches die geflügelten Weibchen zeigen.
Die männlichen Soldaten scheinen wenigstens in manchen Gesell-
schaften von C. no du los US weit häufiger zu sein, als die weiblichen.
Einmal fand ich unter sieben Soldaten 4 (S, 3 $ ; sechs Soldaten aus einer
anderen Gesellschaft waren sämmtlich S ; ein drittes Mal wurde unter
sieben Stück ein einziges $ gefunden. Von G. rugosus fand ich in
einem Falle zwölf männliche und zehn weibliche, in einem anderen
sieben männliche und sechzehn weibliche Soldaten.
Ich bedaure, zur Zeit keine geflügelten Männchen und Weibchen
der beiden Arten zur Vergleichung der inneren Geschlechtstheile zur
Hand zu haben. Ich kann in dieser Beziehung nur anführen , dass die
weiblichen Geschlechtstheile von C. rugosus bis auf die bereits er-
wähnte Verschiedenheit der Kittdrüse und eine etwas abweichende
Form der Samenblasc ganz mit denen des C. Caneilae überein-
stimmen.
Bei den weiblichen Soldaten beider Art^n ist wie bei C. Caneilae
die Zahl der Eirühren in der Regel sechs, seltener sieben. Bei C. no-
dulosus (Fig. 19) sind dieselben, wo sie sich an den Eileiter ansetzen,
stark eingeschnürt. Deutlich ausgeprägte Eier, die die ganze Lichtung
der Eiröhre füllen, habe ich bei den wenigen bis jetzt untersuchten
weiblichen Soldaten dieser Art nicht gefunden; dagegen finden sich
solche fast bei allen weiblichen Soldaten von C. rugosus (Fig. 26 u. 27),
bisweilen bis über 20 in einer Eiröhre. Die grössten , die ich gesehen,
hatten 0,4 Mm. Durchmesser bei 0,06 Mm. Höhe, ihr Keimbläschen
0,02 Mm. Durchmesser. — Eine Samenblase habe ich nicht gefunden.
Die stets stark entwickelte Kittdrüse zeigte sich, wo ich sie entwirren
konnte, bei den weiblichen Soldaten von C. rugosus aus vier langen
Schläuchen gebildet , wie bei den geflügelten Weibchen derselben Art.
Wenn schon die fingerförmigen Fortsätze der Hoden von C. Ca-
neilae an die Eiröhren der Weibchen erinnern, so ist die Aehnlichkeit
zwischen Hoden und Eierstock eine noch weit grössere bei den Soldaten
von C. nodulosus und rugosus. Als ich den ersten Soldaten von C.
nodulosus zergliederte und das Fig. 22 gezeichnete Gebilde fand, wusste
ich in der That nicht, ob ich einen verkümmerten Eierstock oder einen
Hoden vor mir hätte. Am Ende eines gemeinschaftlichen Ausführungs-
ganges Sassen , wie am Ende des Eileiters sechs Eiröhren , so hier sechs
fingerförmige Anhänge, die aber andererseiUs wieder durch das kol big
angeschwollene, umgebogene Ende voll stark lichtbrechender Kerne an
338 Fritz MilUer,
die Hoden anderer Tei'miten erinnerlen. — Die Hand tritt bei beiden
Arten, besonders beiC. rugosus, meist ganz gegen die Finger zurttdL
und fehlt oft vollständig, während das Gewebe der Finger selbst dem des
bandförmigen Theiles am Hoden des geflügelten Männchens von G. Ca-
nellae gleicht und die stark lichtbrechenden Kerne sich auf die Spitze
der Finger beschränken. Die Zahl der Finger scheint bei G. nodulosus
fast ohne Ausnahme sechs zu sein, bei C. rugosus öfter sieben. In
Betreff der auch bei diesen Arten ziemlich wechselnden Form und Grösse
der Hoden verweise ich auf die Abbildungen (Fig. 2i — 25 u. 29—32).
Die häufig einseitige Auftreibung am Anfange des Ausführungsganges
(vas dcferens], die schon bei G. Ganellae erwähnt wurde, ist in der
Regel vorhanden. Die Ausführungsgänge der Hoden sind weit länger,
als bei G. Ganellae; die Tasche, in welche sie efnmünden, ist nament-
lich beiG. nodulosus sehr breit, ihr Scheitel nicht, wie bei G. Ca^-
nellae, abgerundet, sondern ausgebuchtet oder tief eingekerbt, als
wäre die Tasche aus zwei kugeligen (G. nodulosus) oder eiförmigen
(G. rugosus) Hälften zusammengesetzt.
Auch nachdem ich die Gechlechtstheile der Soldaten von Galo-
termes kennen gelernt, habe ich bei Arbeitern und Soldaten ver~
scbiedener Termes-Arten, wie Hagen und wie ich selbst schon früher,
wiederholt vergeblich nach solchen gesucht und vermuthe , dass nicht
unser Ungeschick daran schuld war, dass vielmehr überhaupt bei diesen
Alten nichts mehr zu finden sein werde. Wenn Lsspfts glücklicher war,
so mag es daran liegen, dass Termes lucifugus auch in dieser Be-
ziehung, wie in manchen anderen, den Galotermes näher steht, als
die meisten übrigen Termes- Arten. Ich erwähnte schon den ähn-
lichen ßau der Kittdrüse. Ebenso besitzt T. lucifugus nach Lsspfcs
acht Harngefösse , wie auch die Galotermes deren sechs oder acht
haben , währcQd sich sonst bei Termes vier zu finden pflegen. Auch
die Lebensweise ist insofern ähnlich, als T. lucifugus, wie unsere
Galotermes, ohne eigentliches Nest in den Gängen lebt, die er in abge-
storbenem Holze nagt. Aus der ganzen Abtheilung der Gattung Termes,
deren Soldaten wie die von Galotermes scharfe beissende Kiefer be-
sitzen, während der Kopf eines nasenartigen Fortsatzes entbehrt, ist
mir hier noch keine Art vorgekommen. Sind nun schon bei den Arbei-
tern und Soldaten von T. lucifugus die bei den Soldaten von Galo-
termes noch so überaus deutlichen Geschlechtstheile so weit ver-
kümmert, dass die Eierstöcke mitunter kaum erkennbar sind; nie
Spuren von Eiern , dagegen Fettkügelchen enthalten , dass ebenso die
Hoden kaum sichtbar sind und dass oft gar nichts zu finden war, so
kann es nicht befremden, wenn bei Arten, die sich in anderer Beziehung
BeitrSgo zur Kenntniss der Termiteo. 339
viel weiter von C alotermes entfernt haben , auch die Verkümmerung
der Gescblochtstheiie bei Arbeitern und Soldaten weiter fortgeschritten
ist, wenn dieselben entweder völlig geschwunden oder doch nicht mehr
mit Sicherheit von dem Fettkörper zu unterscheiden sind.
Fast hätte ich vergessen, eine Frage zu beantworten, die mai^
wahrscheinlich stellen wird: warum ich nicht,, da ja bei den Arbeitern
von Termes lucifugus die Geschlechtstheile leichter nachzuweisen
sind als bei den Soldaten, auch die Arbeiter von Galotermes auf ihre
Geschlechtstheile untersuchte. Die Antwort ist sehr einfach. Den mir
bekannten sechs oder sieben Galotermes- Arten fehlt ein besonderer
Arbeiterstand.
Zum Schlüsse will ich nicht unterlassen , darauf aufmerksam zu
machen, dass rings um das Mittelmeer ein Galotermes (G. flavicollis
Fabr.) vorkommt und von da leicht lebend nach allen Theilen Europas
zu verschicken sein wird , dass somit eine bequeme Gelegenheit geboten
ist, vorstehende Angaben an einer Art derselben Gattung nachzuprfifen.
ErkUnmg der Abbildmgeii.
Tafel XIX.
CalotermM Canellaa F. X.
Fig. 4^4. Geflügeltes Weibchen.
Fig. 1. Innere Geschlechtstheile.
Fig. 2 u. 8. Saroenblase.
Fig. 4. Stttck einer Eiröhre.
Fig. 5. Reifes (gelegtes) Ei.
Fig. 0—48. Geflügeltes Männchen.
Fig. 6. Innere Geschlechtstheile.
Fig. 7—48. Verschiedene Formen des Hodens.
Fig. U— 45. Weiblicher Soldat.
Flg. 44. Innere Geschlechtstheile.
Fig. 45. Hinterraud des achten Bauchschildes.
Fig. 46^48. Männlicher Soldat.
Fig. 46 a. 47. Geschlechtstheile im Zusammenhang,
Fig. 48. Hoden.
Taf«! XX.
Fig. (S— te. Calotermes noduloBus H
Fig. <9a. ID. Weiblicher Soldat
Flg. 19. EieniUKk.
Fig. 10. Achtes Banchschild.
Fig. 34— IS. Männlicher Soldat.
Fig. H. Geschlechtetbeile im Zusamroenliang.
Fig. 19— IS. Verschiedene Formen des Hodens.
Fig. a«— M. Calotermes rugosus Hag.
Fig. 16— 3S. Weiblicher Soldat.
Fig. 16. Innere Geschlechtstheils.
Fig. »7. Theil einer Eirtihre.
Fig. 18. Hinterrand des achten Bauch Schildes.
Fig. 19— 31. MSonlicher Soldat.
Fig. 19. Geschlechtstheile im Zusammen hang.
Fig. 10—11. Verschiedene Formen das Hodens.
Itajahy, S*. Calbarioa, Brazil, im Juni 1872.
Beitrüge sur KeDntniss der Termiten. 34 1
II. Me V«huigei luerer TemUei.
In Beireff des Nestbaues der Termiten finden sich in Hagbn^s Mono-
graphie folgende allgemeine Bemerkungen : »Bis jetzt scheint es sicher,
dass alle Arten gesellschaftlich loben und wenigstens eine Art von Nest
bauen. Am unvollkommensten ist dies, wenn sie nur in abgestorbenen
Bäumen oder gar nur unter der Binde wohnen. Hierher scheinen die
Galotermes zu gehören, lieber die Wohnungen der ganz unter dem
Erdboden wohnenden Arten ist eigentlich noch nichts bekannt. Dass
hier umfangreiche Nester in der Erde angelegt werden , ist aus einigen
Beobachtungen wahrscheinlich . . . Hierher gehören der Vermuthung zu
Folge Hodotermes und eine Anzahl der GattAig Termes. Die Hügel-
bauten über der Erde, die der Gattung Termes allein zufallen, sind
uns am genügendsten bekannt . . . Ich rechne dahin auch die Thurm-
und Pilzbauten . . . Als letzte Art der Nester bleiben die sogenannten
kugeligen Baumnester übrig. Ihr. Bau ist uns noch sehr unvollkommen
bekannt und eine Königin darin niemals gefunden worden . . . Baum-
nester scheint nur Eu termes zuhaben, obwohl einige Eutermes
auch Hügel bewohnen ti).
Diese kurze , von kundiger Hand entworfene Uebersicht wird ge-
nügen, um weitere Mittheilungen über die Wohnungen der Termiten
wünschenswerth erscheinen zu lassen , und mag zugleich dienen , für
die Beurtheilung des im Folgenden Gebotenen den mit der Natur-
geschichte dieser Thiere minder Vertrauten einen Anhaltspunct zu ge-
währen.
»lieber die Lebensweise und den Nestbau von Galotermes ist
bis jetzt nichts bekannt a 2). Ich habe aus dieser Gattung etwa ein hal-
bes Dutzend Arten kennen gelernt (G. Smeathmani m., G. Hagenii
m.3), C. rugosus Ha{;., G. nodulosus Hag., G. Ganellao m.,
und ein oder zwei andere der letzten nahestehende Arten). Vom Bau
einer Wohnung kann man bei diesen Arten kaum reden. Wie die
Larven vieler Küfer, nagen die Larven (und Nymphen] von G. Galo-
4) Hagen in Linnaea entomol. XII, S. SO.
9) Hagen a. a. 0. S. 88.
8) Galotermes Smeathmani und C. Hagen it unterscheiden sich von
anderen bekannten Arten djidurch , dasä bei den Soldaten der aufgebogene Vorder-
rand des Prothorax gezähnelt ist. Auch die Kopfbildung der Soldaten ist eine sehr
oigcnthüniliche. Bei den Soldaten von C. Smeathmani fin<len sich Flügolschoidon
an Mittel- und Hinterbrust, die bei denen des C. Hagenii, wie bei denen unserer
anderen Galotermes -Arten fehlen.
FtiUMdUer,
änge im Holz« abgestoriiener Bäume, die sie niemals verlassen,
trschied isl nur der, dass in diesen Gangen neben den Larven
eierlegendes Weibchen mit ihrem Männchen (KSni^ und Ktinig)
imd aufhau, dass man daher bunt durch einander Larven des
lensten Alters findet und dass tum Sdiutze dieser Gesellsdtaft
iderer Soldatensland vorhanden ist, aus männlichen und weib-
irven bestehend, die sich nie ia geQUgelle Thi«*e verwandeln.
Calotermes findet man bauptsächlidi in noch fast gesundem,
lolze ; der völlig gesunde Kern härterer Holzartan wird von ihnen
enig angegriffen, als der starker vermoderte Splint; swischen
cschranken sich ihre Gänge nicht selten auf eine kaum finger-
hiebt. Einzdne Arten haben eine unverkennbare Vorliebe fUr
flolzarlen; so G/'Ganellae fUr Canella preta, C. rugosus flir
la , in welchen beiden Hölzern ich noch keine andere Art ge-
lbe. Am wenigsten wählerisch scheint C. nodulosus tu sein,
roba,Ariribä, Piquid, Ceder(Cedrela), derGissarapelmeu. s. w.
lt. Selten trifft man zwei oder mehr Arten in demselben Stamme.
in einem grossen umgeatUrtten Guarajuva-Stamme in meinem
leichteitig C. Bagenü, nodulosus, Ganellae und eine
rt, die ich im geflügellen Zustande nodi nicht kenne- Wenn
em Zosammenleben die Gänge der einen Art auch vielfach zwi-
men der anderen hinlaufen, so scheinen die Tbiere sich doch
: Gänge einer fremden Art zu verirren.
Gänge der Calotermes-Gesellscbaften sind meist der Achse
nes gleichlaufend und zum grossen Theü so eng , dass nur ein
1er eine erwachsene Larve auf einmal hindurch kann. Dies
intlicb von den Gängen , welche die Holzschichtea quer durcb-
Stellenweise finden sich weitere, unregelmässige, meist flache
in denen sich die geflügelten Tliiere zu sammeln pflegend Ein
er Raum für König und Königin ist nicht vorhanden. Letztere
lur wenig an und läuft frei in den Gängen umher, hier und da
Eier ablegend , um die sich Larven und Soldaten nicht weiter
imem scheinen. Sie ist gewöhnlich begleitet von dem Könige
jr Umgebung des Königspaares pflegen die Soldaten häufiger zu
an anderen Stellen. Die Wand der Gänge ist meist mit einer
LOthschicht bekleidet, während man bisweilen grössere Kolh-
[D blinden Ende eines oder des anderen Ganges angehäuft findet,
ite man sich die Volkszahl einer Calotermes-Gesellschaft in
Räume verzehnfacht oder verhundertfacht, so wUrden die von
gedrängten Bevölkerung ausgefrossenen Gänge immer näher
nrUcken, die dazwischen li^endcn Holzwände wUrden iouner
Beiträge zur Keantuiss der Termiteo. 343
dünner werden und endlich ganz aufgezehrt werden. Die Koihbeklei-
dung der benachbarten BUume würde unmittelbar aneinanderstossen.
An Stelle des verzehrten Holzes hätte man einen von Kothwänden durch-
zogenen und in unregelmässige Zollen und Gange getheilten Baum. —
Diesen allmäligen Uebergang von weit getrennten, das Holz durch-
ziehenden Gängen zu Kothanhäufungen , die in ihrem Gefüge an lockere
Brodkrume oder an einen Schwamm erinnern, kann man nicht selten
beobachten in Baumstämmen, die von einem mit TermesRippertii
nahe verwandten Eutermes^) bewohnt sind. Beschränken sich diese
Kothanhäufungen nicht auf das Innere des Baumes, treten sie aus dem-
selben hervor, so entstehen die bekannten »kugeligen Baumnester a, die
also ursprünglich nichts anders sind , als der gemeinsame Abtritt eines
Euterm es- Volkes, dann aber auch als Brutstätte für die Eier und als
Aufenthalt für die Jungen dienen. — Diese Nester werden also aus dem
Baume heraus, nicht an den Baum hinangebaut. Anders mag es bei den
von AcGusTB St. Hilairr und Burhbistbr erwähnten Baumnestem aus
Erde oder Lehm sein ; zu solchen von aussen dem Baume angefügten
Nestern würde datan auch aussen am Baume ein Gang emporführen
müssen ; bei unserer Art sind solche vom Neste ausgehende Gänge in
der Regel nicht vorhanden.
Der Stoff, aus dem unsere Baumnester bestehen, ist ausschliesslich
der Koth der Bewohner. Ich habe oft dem Baue oder vielmehr der Aus-
besserung desselben zugesehen. Schneidet man ein Stück des Nestes
ab , so ziehen sich die Arbeiter aus den dadurch geöffneten Gängen ins
Innere des Nestes zurück ; es erscheinen an den Oeffnungen in grosser
Zahl die kleinen spitzkttpfigen Soldaten , eifrig herumlaufend und mit
ihren Fühlern tastend. Nach einiger Zeit kehren die Arbeiter zurüde.
Jeder betastet zuerst den Rand der zu schliessenden Oefihung , dreht
sich dann herum und legt ein braunes Würstchen auf diesen Rand ab.
Dann eilt er entweder sofort ins Innere des Nestes zurück , um den an-
deren , die dichtgedrängt ihm folgen , Platz zu machen , oder er dreht
sich auch wohl noch einmal um, um sein Werk zu betasten und es
nöthigenfalls zurecht zu drücken. Einzelne Arbeiter bringen auch wohl
zwischen den Kinnbacken kleine Bruchstücke der alten Wände, die beim
Oeffnon des Nestes in dasselbe hineingefaUen sind, und fügen sie in die
im Bau begriffenen, noch feuchten Wände ein. Andere, doch das sieht
man nur selten, die nichts aus ihrem Mastdärme liefern können, opfern
auf dem Altar des Vaterlandes ihr noch unverdautes Mahl , das sie zwi-
4 ) Ich möchte den Namen Euter m es auf die Arten mit spitzköpfigen Soldaten
beschriftnkoa.
344 friii MOIlet,
sehen den Koth der anderen ausbre<Jien. In ru
Letztere wahrscheinlich nicht geschehen , sonder
rasch das durch einen Feind geößhete Nesl wiei
Die Soldaten haben sich beim Beginn der Arbeit
ins Innere des Nestes zurückgezogen , vielleicht u
holen. Einer oder ein paar bleiben bei jeder zu sc
Man sieht sie ab und zu die Ai'beiter mit ihren F'
um sie zurechtzuweisen oder anzutreiben.
Der Euter nies, der diese ßaumnester b<
unsere Holzarten anzugreifen , doch niemals , w£
gesund sind. Man findet ihn oft in demselben Statu
diesen dem Kerne , jenen der Ainde ntlher. Zum
er härtere, der Verwesung gut widerstehende Sl
gerana vor. An dickeren SlAmmcn nimmt das N
und springt mehr oder weniger stark, halbkug«
dUnnere umgiebt es bisweilen ringsum. An di
Stümpfen bildet es eine rundliche Kuppel oder sie
einer Stecknadel. Eines der grBssten Nester, di(
eine unregelmSssige Hasse von 3 bis 4 Fuss Durcl
an der Erde liegende Cangerana-Stümmc umscblc
Die Oberflüche der Nester zeigt Sache, unr^t
vorfliessendo, undeutlicbo Erhübungen, die im Vci
liehen Farbe und der kugeligen Gestalt den oft gci
einem Negerkopf rechtfertigen. Die Farbe ist i
bisweilen heller, bräunlich, — häufiger fastscbi
der Nahrung der Baumeister, theils vom Alter des Nestes abhilngt. Alle
Nester sind dunkler und zugleich fester als ncugcbaulc. Die grössere
Festigkeit älterer Nester hat wohl ihren Hauptgrund in der grösseren
Dicke der Wände, die im Laufe der Zeit durch ncuo Kolhlagcn verstilrkt
worden. Allen Nestern kann man mit dem Messer
wenig anhaben, sondern muss zur Axt greifen, um
' Stücke davon loszuhauen.
'. üeber den inneren Bau dieser Nester ist wenig
* zu sagen. In dem Gewirr unregel massiger, im Ver-
haltnisse zur Grösse der Bewohner weiter Räume,
eire^s'^BaumTe"tes.^1Vs *"" '^"^^ '^"'""' "*""■ ^''*"* ^^"'''^ getrennt das
dernai. Gr.] ganze Nest durchziehen, habe ich eine bestimmte
Anordnung nicht erkennen können.
OetTnet man ein solches Baumncsl , so findet man in den oberfläch-
licheren Thoilen nur Arbeiter und Soldaten, sowie kurz vor der Schwarm-
zeit (Deccmber) geflügelte Tbiere. Dringt man tiefer ein, so stössl man
BeitHlge lor Kenntnlss der TenDÜen. 345
auf Larven, die immer kleiner werden, je weiter man ins Innere vorrückt.
Dann kommen, zu unglaublichen Mengen in einzelnen, sonst durch nichts
ausgezeichneten Räumen angehäuft, die Eier und endlich die Eierlegerin,
die Königin mit ihrem Gemahl. In dem ersten Neste, welches ich Öffnete,
fand ich den Raum, in welchem in diesem Falle zwei Königinnen sich
aufhielten , durch nichts ausgezeichnet. In einem anderen Falle waren
um die Königin herum die Wände weit dicker als sonst und nur von
ziemlich engen Gängen durchsetzt. In diesen Gängen hatte sich der
König versteckt, während sie fttr seine umfangreichere Gemahlin viel
zu eng waren.
Wenn man bisher in Baumnestern keine Königin gefunden hat, so
wird dies kaum daran liegen, dass man zufällig nur Nester ohne Königin
geöffnet hat. Das Nest von TermesRippertii zum Beispiel, welchem
Ostbn-Sackbh zahlreiche Eier und junge Larven entnahm^), enthielt
ohne Frage auch eine Königin. Die Nester sind, wie bereits gesagt,
nicht äusserlich dem Baume angeklebt, sondern gleichsam aus dessem
Innern hervorgewachsen und gehen ohne scharfe Grenze in denselben
über. Sprengt man das Nest vom Baume los, so bleibt immer ein Theil
daran oder darin zurück und gerade in diesem innersten Theile des
Nestes hat man die Königin zu suchen. Sie da herauszuholen wird
aber meist mehr Uebung in der Führung der Axt verlangen, als reisende
Naturforscher zu besitzen pflegen.
So weit meine Erkundigungen reichen, gehören alle in Brasilien den
Menschen in seiner Wohnung belästigenden Termiten zu den Eutermes
mit spilzköpfigen Soldaten ; auch hier sind die Erbauer der Baumnester,
wie es scheint, die einzigen ihrer Familie, die als unwillkommene Gäste
in die Häuser eindringen und dann, wie das auch von den Eutermes
anderer Länder berichtet wird, ihre Nester unter dem Dache anzulegen
lieben.
In allen Ständen dem eben besprochenen Eutermes sehr ähnlich
ist eine zweite hier häufige Art, die ihre Nester besonders zwischen den
Wurzeln alter Stuken der Gissarapalme (Euterpe, Kohlpalme, von
den deutschen Ansiedlern Palmite genannt,) anzulegen pflegt. Diese
Gissarastuken sind überhaupt ein Lieblingsaufenthalt der Termiten; ich
habe darin bereits acht verschiedene Arten angetroffen , bisweilen vier
bis fünf in demselben Stuken. (Drei Eutermes, darunter der später
zu erwähnende Eutermes inquilinusm., Termes saliensm.,
T. Lespesii m., Anoplotermes pacificus m., Calotermes
nodulosus Hag. und C. rugosus Hag.} Wie viele andere Palmen
i) Linoaeii entomol. XIV, S. 449.
348 FriUlHUhir,
(und überhaupt Hanocotyledouen} sendet d
Tbeile ihres Stammes dichtgedrängte finger
Erde. Bei alten Stämmen sind die ältesten
unter dem Stamme bildet sich so eine H
äusseren, höher am Stamme entspringt
kegelförmiger Mantel scbutiend umschlies»
Gissara-Eulermes »ein Nest an, doc(
sondern erst einige Jahre nach dem Fällen,
der Baumtermil«, aus dem Kothe der Thie
artig dünn und so brflcklich, dass die Hai
stand durch das Nest hindurcbfährt. Di
h eil biä unlieber Farbe, legen sich mehr m
Zwiebelschalen um einen gemeinsamen I
unierbrochen durch OeShungen, welche die
Baume mit einander verbinden, und ausein
welche diese Bäume in eine Menge unr^el
theilen. In der Mitte des Baues findet s
fesler Kern, der das Zimmer des Ktioigspa
Falle, in welchem die schützenden Wurzel
ursprüngliche Festigkeit besassen , fehlte d
der Zeile , in der sich die noch ziemlich ju
noch ebenso pap
Nest. In recht a
kann dagegen d<
Kindeskopfes ei
hart, nur von
Fig.a. Kürigliches Zimmer gangbaren Weg
der GissBra-Terniitc. {'/i der seiner Mitte das '
nat. Gr.) gestaltete kSnig
selten findet man bei dieser Art zwei Ktfniginoen mit einem einzigen
KOnig in demselben Neste und demselben Zimmer ; der umgekehrte Fall,
dass mit einer Königin zwei Kttnige lebt«) , ist mir nur einmal vorge-
kommen. Eiamal traf ich , in einem ungewöhnlich grossen und volk-
reichen Nesie gleJcbteitig sechs Königinnen und drei Könige. — Ein
anderes Mal fand ich in demselben Neste zwei königliche Zimmer, aber
nur eins von einen} königlichen Paare bewohnt, das andere, von dessen
wahrsdi ein lieh längst verstorbenen Bewohnern keine Spur mehr zu
ßnden war, mit junger Brut gefüllt.
Der gefährlichste Feind dieser Art ist das Tatu. Früher oder spUler,
wenn die Wurzeln der Palme morscher werden, erliefen wohl die mei-
sten Bauten den Angriffen desselben. Man sieht im Walde häufig Gissara-
ßeitr&i^ mr KenntnisB der Termiten. 84T
stuken , durch deren Wurzeln an einer Seite die krüfli^^en Klauen dea
Talu. einen Weg gebrochen haben, und bisweilen um sie her gestreut
Bruchstücke des Termitennestes. Bei einem solchen Ueberfalle, der ge-
wiss einem grossen Theile des Volkes das Leben kostet, ist dann wenig-
stens das Königspaar durch die dicken harten Wandungen seines Zifnmers
gesichert. Die erste Königin dieser Art, die ich überhaupt sah , erhielt
ich aus einem solchen lose im Walde gefundenen festen l^eme eines
zerstörten Nestes.
Auf seiner Reise durch die Provinzen Rio de Janeiro und Minas
geraes sah Auguste St. Hilairb Termitenbauten , die mitten auf dem
Wege einfache, einen halben Fuss hohe Hügel bildeten. Solche kleine
Hügelnester, — ob von derselben Art gebaut , ist freilich nicht eu ent-
scheiden, — finden sich auch hier und sind sogar weitaus die hiluiig-
* sten aller Termitenbanten. Sie sind das Werk des AnoploterToes
pacificus m. ^]., Obwohl anscheinend aus Erde gebaut, bestehen
auch sie, wie die Eutermes-Nester, aus dem Kothe ihrer Bewohner.
DIeAnoplotermes fressen nämlich Erde , man findet in ihrem Magen *
völlig verrottete POanzenstoffe und einzelne kleine Steinchen. I>ahcr
scheinen Ihre Nester aus Erde gebaut zu sein ; doch habe ich gesehen,
wie sie durchschnittene Nester in der Weise der Baumtermiten mit ihi'em
Kothe ausbesserten , und mich überzeugt, dass diese geflickten Stellen
in nichts von dem übrigen Neste sich unterschieden.
Die Form der Nester ist eine sehr wechselnde. Häufig sind sie ganz
flach, in Form und Grösse einem Ruhfladen gleichend, in anderen Fallen
unregelmfissig knollig ; bisweilen rundlich, kegelförmig oder kurz walzen-
förmig. In besonderer Menge traf ich diese Nester auf einem frisch ge-
rodeten Stücke Urwald in der Golonie DonaFrancisca, auf schwam-
migem, sandig-sumpfigem Boden. Stellenweise stand hier alle zwei bis
drei Schritte ein Nest. Die höchsten waren etwa einen Fuss hoch , bei
4 bis 6 Zoll Durchmesser, walzen- oder kegelförmig mit abgerundeter
Spitze. Auch die kleineren , faust- bis kopfgrossen waren dort meist
4) Die Staaten der Gattung Anoplotermesm. zeichnen sich dadurch aus,
dass sie, — bierin weiter vorgeschritten, als wir Menschen, — nur Arbeiter, aber
keine Soldaten besitzen. Alle Stände, von der jüngsten Larve an, sind dadurch
leicht von Calotermes, Termes und Eutermes zu unterscheiden, dass
ihrem Vormagen (Kaumagen) die Bewaffnung mit Kauleisten fehlt. Durch tfussere
Merkmale weiss ich die geflügelten Thiere nicht von Eutermes zu scheiden. Es
gehört hierher eine zweite hiesige Art (vielleicht Termes ater-Hag.) and wahr-
scheinlich Termes cingulatus Burm. Der von Haobn unter T. c i n g a I a t n s
beschriebene Soldat gehört ntcbt zu dieser, sondern zu einer weit verschfedeneii
Art, T. saliens m.
Beitrüge zur Kenntoiss der TermiteD. 349
zwei Königinnen, Arbeitern, Soldaten, Eiern und Larven vom ver-
schiedensten Alter. Ob der Eindringling den Erbauer des Nestes ver-
treibt oder nur alte verlassene Nester sich aneignet, weiss ich nicht.
Das Letztere ist wohl wahrscheinlicher. Das Nest, in welchem ich ihn
hier fand , war offenbar ein sehr altes und die dasselbe durchziehenden
Wurzeln grossentheils verschimmelt. Es hausten darin ausserdem zwei
Ameisenarten und durch den unteren Theil des Nestes ging eine Strasse
von Termes Lespesii. — Eine kleine Gesellschaft von Eutermes
inquiiinus, nur aus Arbeitern und Soldaten bestehend, traf ich
einmal in einem ganz alten ^ modrigen Neste von Termes Lespesii.
Bemerkens werth ist, dass die Arbeiter des Eutermes inquiiinus
denen des Anoplotermes pacificus tauschend ähnlich sehen,
obwohl sich bei genauerer Untersuchung des äusseren und inneren
Baues durchaus keine nähere Verwandtschaft beider Arten herausstellt.
Wie mancher alte Baumstumpf in seiner ganzen Ausdehnung von
Gängen verschiedener Termitenarten durchzogen ist, (Calotermes im
festeren Kerne, Eutermes im morscheren Splinte, Züge von Termes
saliens oder Lespesii unter der Binde), so ist auch der Boden des
Urwaldes an manchen Stellen vollständig durchwühlt von Termiten und
nicht selten durchziehen dieselbe Erdscholle gleichzeitig Gänge von drei
bis vier verschiedenen Arten (Termes saliens, Lespesii, Ano-
plotermes ater (?j, Eutermes sp.).
Von den Wohnungen dieser unterirdisch lebenden Termiten kenne
ich bis jetzt nur die des Termes Lespesii m. ^]. Dieselben sind durch
eine viel weitere Kluft von den aus einem ordnungslosen Gewirr un-
regelmässiger Räume bestehenden Nestern unserer Eutermes -Arten
getrennt, als diese von den kaum den Namen einer Wohnung ver-
dienenden Gängen der Calotermes, und gehören, wie die riesigen
von Shbathman so ti*efflich geschilderten Hügel des Termes belli-
1) Dioütf Art ist (ItMn Krdhügelne»!«!* bewohnenileri T. Aim ilis Hag. äusserst
ähülicli.
T. siinili.s Hag. T. Lespesii F. M.
Lunge mit <itMi Klügeln: ii— 27 Mm. 46—48 Mm.
Fühler: 4 5 gliederig, 43— 4 5 gliederig.
Stes Fühlerglied : so lang als breit, viel länger als breit
3les FUhlerglied : so lang als die folgenden, bei 4Sgliederigen FUhlern klein
und ringförmig.
Die Form der Oberlippe der Soldaten ist eine ganz verschiedene *, bei T. similis
bes<'Jireibt sie Hagen als »breit, nach vorn breiter, geiade abgeschnitten mit scharfen
Vorderwinkeln i in der Mitte ein dreieckiger vorspringender Lappen angesetzt«.
Nicbt ein Wort dieser Beschreibung passt auf die Oberlippe des Soldaten von
Termes Lespesii.
Bd. YIL 3. i8
Beitc&ge lur KeimlniBs'der Termilen. 351
Stockwerk hat die Gestalt einer fiachen Schachtel mit bauchiger Ansäen-
WBDd. Sehr hiluti^ und vielleicht in alten Pilllen, wo nicht äussere
Bindernisse die Regelmassigkeit des Baues gesutrt haben, sind diu
Kammern fast genau kreisftfrmig. Ich habe
mich davon wiederholt mildem Zirkel Uber-
leugt und bisweilen bei einem Halbmesser
von etwa 3 Cm. keine 1 bis 2 Hm. über-
schreitenden Abweichungen gefunden.
wurde ein Mensch wohl im Blande sein, ^
ohne Werkzeuge mit dem 6- bis C fachen
seiner Länge als Halbmesser einen gleich
fehlerfreien Kreis zu beschreiben?
In jedem Stockwerke sind Boden urtd
l>ecke durch einen dicken, oben und unten
verbreiterten Pfeiler vertiundcn, derbalddie
Hitte einnimmt, bald mehr oder weniger dem
Umfang genähert ist Am Fusse des Pfeilers
geht eine runde Oeffnung, die nur ein Thicr
auf einmal dureblOsst, schief durch den Bo-
den ins nuohalc Stodwerk. Geht man in pig. «. Haus vod Termos
derselben schief absteigenden Richtung, in Lesposii. Ungsscbniu, i/!<ier
der man in dieses Stockwerk eingetreten ist, "'■Gr. jbis lä die u suwk-
, nf •■ -. I . I werke des Haus«». L l^inghcanäle
an dessen Pfeiler weiter, SD gelangt man. In , , . , _„. ■
der Mehrzahl der FflHe, zudemamFussedcs- ,„ischen den siockwcrken.
selben gelegonen Aasgang. Auf diese Weise
bildet der Weg, der vom obersten bis zum untersten Stockwerke durch die
Sdieidewtiade hinduroh und an den Pfailem entlangfuhrt, eineSchniuben-
linie eder eine Wendeltreppe, die man sich freilich nicht allzu regelmiissig
vorstellen darf. Ich gebe als Beispiel diesen Weg aus zwei Hüuscm,
wie er nch germle von oben gesehen [auf eine wagerechte Ebene proji-
cirt) daiMellen wdrde. Bei dem einen Hause (Fig .">] wurden Lage und
Richtung der Verbindungswege für acht aufeinanderfolgende Scheide-
wände aufgeieiohnet. Das Stockwerk IX liegt olwa 0,1 H. über Stock-
werk /. —- Vom ersten (untersten) Stockwerke bis ins fünfle bildet der
Weg eine nach rechts aufsteigende Schrauben titaie ; im fünften Stockwerk
liegen Eingang und Ausgang sehr weit auseinander; es ist fii.'it, als hätten
die Baumeister auf diesem langen Wege die bis dahin verfolgte Richtung
vergessen, da von de ab der Weg in entgegengesetzter Richtung, links
aafateigeBd, welter geht. — Im zweiten Hause (Fig. C] wurde der Weg
durch twdlf ScbeidewUnde hindurch verfolgt. Auch hier lindert sich
die Riehtung der Wendeltreppe, nachdem man im fünften Stockwerke
Beiträge zur Kenutuiss der Terinitefi. 353
die Form ihres Querschnittes ist sehr veränderlich. Bisweilen dehnen
sie sich in die Breite zu Wänden aus, die nicht selten bis zur Aussen-
wand des Stockwerkes reichen (Fig. 7, 4, so wie im dritten, fünften und
sechsten Stockwerk des in Fig. 4 dargestellten Hauses]. Ja es kommt
vor , dass das Stockwerk durch den wandartigen Pfeiler vollständig in
zwei Kammern geschieden wird [Fig. 7, 5).
(4r ) ( ¥. I
i-f--^) L>ej
Fig. 7. Grundriss von fünf Stockwerken aus Häusern von
Termes Lespesii, V2 der nat. Gr. — c Mittelpunct der
Karomer. P Pfeiler. — Die Pfeile zeigen den Weg ins nttchst-
untere Stockwerk. ^ 5 ist durch den wandartigen Pfeiler in
zwei Kammern {a u. ß) getheilt; aus a gehen zwei Wege ins
nüchstuntoro Stockwerk, einer nach /9; aus /9 [ührt kein Weg
in das darunterliegende Stockwerk.
Die Stockwerke haben nicht immer alle die gleiche Höhe. Bisweilen
ist Boden oder Decke geneigt, so dass ein und dasselbe Stockwerk auf
einer Seite hdhcr ist; als auf der anderen; oder es reicht ein Stockwerk
nicht durch die ganze Breite des Hauses, so dass auf einer Seite das
darüber und das darunter liegende Stockwerk in grösserer oder gerin-
gerer Ausdehnung zusammenstossen. (Für alle diese Unregelmässigkeiten
liefert Fig. 3 Beispiele.) Nicht immer ist der Durchmesser für alle Stock-
wei*ke der gleiche; nicht selten ist er für die oberen kleiner. Nicht immer
stehen die Stockwerke genau übereinander; das eine oder das andere
springt nach dieser oder jener Seite vor. In einem Falle sprang jedes
folgende Stockwerk nach derselben Seite und gleich stark über das
bildeU;. Eine ganz eigonlhUmlicho Ab-
weichung vom gewöhnlichen Bau leigl das
bcislflhoDd im LttogsschniU dsi^stcllU! Haus
(Fig. 8) ; in seinem unteran Tfaeile iinden sich
mehrere Kammern , die zusHinmeo eine fast
re^eliiiilssige Kugel hildon. —■" Grössere Un-
regclmllßsigkciUin der äusseren Form sind
wahrscheinlich immer durch Steine, Wurzeln
und ähnliche Hemmnisse veranlasst, denen
die Thiere beim Ausgraben des Bauplatzes
beg^nen.
Von den Schwankungen der Grösse niögen
die Hasse von zehn ohne Wahl herausgc-
grilTenen Kausem eine Vorstellung gehen,
die nachlrilglicb nach der Zjihl der Stock-
werbe geordnet wurden :
Bchnitl, Vz dvr nat. Gr.
Zahl der Slockw
n
Höhe.
f 1 Cm.
u rc h Bi e s s e r.
. 5— 6 Cm.
. 5—6 -
. 5—6
3,5—5
Die Wände des Hauses und die Scheidewände bestehen oichl aus
einer glcichfärmigen dicbl«n Masse. Ich sagte bereits, dass sie von
ziemlich regehnässig angeordneten Röhren durchzogen sind. Ad der
nachstehend abgebildeten ilusseren OberHüche eines neu angebauten
Stockwerkes gewahrt man tiefe Furchen , welche von der Seilenwand
her auf die obere Wand treten und mehr oder weniger weit nach deren
Mille sich hinziehen. — Den Furchen enteprecbend springt die nooh
dllnne Wand nach innen leistenartig vor. Später werden diese leisten-
IkitrÄ^ zur Xt'uulniss itt Tcrnilen. 355
ni-tigon VorsprUiiRC mehr oder weniger vollsUindig ausgeglichen. — Ein
solches Dcu aufgeBotztes Stockwerk at«ht , die Hittcisnulc auAgenommcn,
nur in sehr losor Vcdiindung mit dem nächst ültcren ; hebt man es ah,
so sieht miin , dass seine Wand unten in zwei
Platten gCGpaltcn ist, welche die Decke des
darunter liegenden Stock weites in zwei , etwa
t bis ftMm. von einander entfernten Kreisen
Ipcjfon. So entsteht ein Ringcanal zwischen je
zwei Stockwerken , und da die Furchen auf der
äusseren Flfk^ der Wand erst überbrückt und
zu RShr^n geschossen werden , nachdem ein
folgendos Stockwerk aufgesotst ist, bleiben na- •''"■ '" ^'"* «'"«" "«""
,,. 1- L j- n„i_ -, j n- t ■ IT goMulen Stockwerks eines
lUrlich diese Bahren mit dem Rmgcanal in oncner Hanscsvon t
Verbindung. Dagegen sind die unter sich zu- pesii, von oben, 'Uder
saminonhängenden das ganze llausdurchzichen-' nat. Gr.
den Rdhren in dem ferligon Hause vollständig
al^eschlossen sowohl gegen aussen , als gegen die inneren Räume des
Hauses. Diese Rauweisc des Tormes Lespesii, die von einem Netz-
werk hohler Räume durchzogenen Wände, hat
man bekanntlieh in neuester Zeit auch für
menschliche Wobnungen empfohlen; ob sie den
Häusern des ersleren denselben Dienst leistet,
den m»n ftlr letztere davon erwartet, nämlich
den Luftwechsel zu erleichtern, lasse ich dahin-
gestellt.
Termc» Le»p»,ii .erwend.l ,um Bau ,,^ „ ^,^„„„„,„
seines Hauses nicht ousscfati esslich seinen Koth, durch die Wand zweier
obwohl dieser die Hauptmasse bildet, sondern ncugebaulcn SUwkweriic
gleichzeitig die lehmige oder thonigo Erde, in *'"" Hauw» von Ter-
der er dasselbe banl. Die erste dUnne Wand "'*" '•^*P«*''' "«"^ *''■■
eines neuen Stockwerkes besteht fast immer aus " '''"*'^""'-
reinem Koth. Dickere Lagen von reinem Lehm pflegen die Thicre be-
sonders in den von den Längs- und Ringcanalen umgrenzten Feldern
der Aussenwand, sowohl an der Innen-, wie an der Aussenseit« der
ersten dünnen Kolhwand aufzutragen. Aussen werden diese dann wie-
der mit einer Kothschicht bedeckt. Anderwärts, so namentlich in den
Scheidewänden ist der Lehm meist nuR in dUnnen Streifen, Piätlchen
oder einzelnen Körnchen zwischen den Kolh eingelagert.
DieHfluser von Tormes Lespesii werden in der Erde angelegt,
eine Handbreit bis eine Spanne unter der Oboriläche. Als Bauplatz
wird eine Hiihle gegraben, die einen etwa fingerbreiten Wren Raum
Beitrüge lur Keniiiniss der Termiten. 357
arenarius annimmt, für einen beslimmlen Bezirk »die ganze Masse
von dieser Art Termilen als eine einzige grosse Familie betrachten«
muss^).
Bricht man ein kleines Loch in eine Wand des Hauses von Ter nies
Lesposii, so kann man ganz wie bei den Baumnestern, die Soldaten
sehr bedächtig den Schaden untersuchen und dann die Arbeiter mit
ihrem Koth denselben wieder ausbessern sehen. Rcisst man al)er ein
grösseres Stück der Wand eines Stockwerkes weg , so ziehen sich die
Thiere in die nächstliegenden Stockwerke zurück und schliessen mit
Koth die engen Eingänge zu denselben , wozu sie natürlich nur wenig
Zeit brauchen. Auf diese Weise lässt sibh das Haus leicht Stockwerk
für Stockwerk gegen eindringende Feinde vcrtheidigen.
Termessaliensm.^) gräbt ähnliche weithin laufende, mit Koth
ausgekleidete Gänge, wie T. Lesposii. Sie sind in der Regel etwas
weiter, viel häußger zu grösseren niedrigen Kammern erweitert, der
Kothüberzug meist dunkler. Bald laufen sie fast unmittelbar unter der
Oberfläche, bald steigen sie bis über fusstiof hinab. In solchen tiefer-
liegenden Gängen habe ich erwachsene Nymphen in grosser Zahl ge-
troffen. Eier und junge Brut ßndet man nicht selten zwischen den
Wurzeln der Gissara-Stukcn, wo ich auch einmal zwei geflügelte Thiere
sah. Züge von Arbeitern und Soldaten gehen auch unter die Rinde
modernder Bäume. — Wahrscheinlich wird als Wohnsitz des königlichen
Paares ein unterirdisches Haus gebaut. Dass es eine zweite Art unter-
irdischer Termitennester hier gebe, hat man mir mehrfach berichtet; sie
sollen sehr hart, über kopfgross, rundlich und mit einer Art Stiel ver-
sehen sein , im Innern aber nicht so regelmässige Kammern haben wie
die von TermesLospesii. Von den mir bekannten Arten könnte nur
Termes saliens diese Nester gebaut haben. Ich selbst habe noch
keins gesehen.
Itajahy, S». Catharina, Brazil, im Juli 1872.
4) Lionaea eniomol. XII, S. S73.
i) Zu dieser Art oder otoer kaum verschiedenen gehört der von Hagrn unter
Tonn es cingulatus beschriebene und (Linnaeu entomol. XII. Taf I. Fig. 48)
obgebildclo Soldat. Mit ihren gewaltigen zum Beissen untauglichen Kinnbacken
können die Soldaten von Termes saliens nach Art der Odontomachlden über
fusswoilo Sprünge nach rückwärts machen. »Maxillis longis altissime resiliens« sagt
von den Termiten schon Livui, der also von ähnlichen Soldaten Kunde haben musste.
Nahe verwandt scheint der ebenda Taf. I. Fig. 45 abgebildete Soldat zu sein. Man
kann diese Thiere kaum in der Gattung Termes belassen, die wohl am besten auf
die Arten zu beschränken wäre, deren Soldaten scharfe beissendc Kinnbacken
(Mandibeln) haben und eines hörn- oder nasenartigen Fortsatzes am Kopfe ent-
behren.
lieber die Eiuwlrknng einiger Chloride auf
Natrlumalkoholat.
Von
A. Oeuther und F. Brockboff.
I. PhMiibtif «BtacMtrfd ■• NatriiMalk«b«lat
Die iviawirkung von PhospbqrpeDiaohlorid auf Nairiuiualkobolai
koonie uii^licherwcise uutar Bildung von Nairiumchlorid und detu Aelher
der Perhydroxylphosphorsiluro nach der Gleichung verlaufen :
PCI» + 5 G«H»NaO = 5 NaCl + P (OC»H*) ^
Die beiden Körper wurden nach diesem Yerbclllniss in der Weise
auf einander einwirken gelassen , dass zu dem mil Hülfe von 5 Grm.
Natrium in einer Retorte dargestellten ganz alkoholfreien Natriumalkoholat '
das in einem Kochfläscbchen, dessen Hals mit dem Tubuhis der Retorte
durch Guramist'hlauch verbunden war, befindliche Phosphorpcntachferid
allmälig fallen gelassen wurde. Die Einwirkung ist^-Iebhaft und findet
unter starker Wärmeentwicklung statt, da^ei entweidit ein mit grün-
gesäumter Flamme brennendes Gas von den Eigenschaften des Aethyl-*
Chlorids. Nachdem alles PhoBphorpentachlerid zugegeben worden war,
wurde die Retoite mit aufgerichtetem Kühler verbunden und längere
Zeit im Wasserbade erhitzt. Darnach« wurde der Kühler umgedreht und
der Retorteninhalt im Oelbade einer allmälig steigenden Temperatur bis
220° ausgesetzt. Die Mdige der überdestillirenden Flüssigkeit war nur
gering, sie bestand aus einem unter 400*^ und einem über 200° über-
gehenden Theil. Die erstere war gewöhnlicher Alkohol, die letztere
l>ei 2159 siedender Phosphorsäureaether: POfOC^H»)». Derinder
Retorte verbliebene Rückstand bestand aus unverändertem Natrium-
alkoholai und Natriumchlorid ; Natriumphosphat konnte in seiner wäss-
rigen Lösung nicht nachgewiesen werden , wohl aber aethcrphosphor-
saures Salz , denn als derselbe mit Natriumcarbonat und Natriumnitrat
im Platintiegel eingedampft und geschmolzen worden war , gab er be-
Ueber die Einwirkung einiger Chloride auf Natrinnalkobolat. 361
dem Trichlor-aethoxyl-Aeihylen durch Natriumalkoholat nur unier Mit-
wirkung von Alkohol entstehen und zwar in der Art, dass als Zwischen-
^ glied der Reaotion erst Dichlor-diaethoxyl-Aethylen gebildet wiixl,
welches aber sofort unter Aufnahme von 1 Mgt. Alkohol den dreibasischen
Aether erzeugt:
Der einbasische Dichloresssigsäureaether geht aus dem
dreibasischen Aether durch die Einwirkung von Wasser hervor, welcher
iheils hygroscopischen Ursprungs sein kann, der Haupteaclie nach aber
entsteht bei der Bildung brauner harzartiger SUuren, welche in nicht
unbeträchtlicher Menge stets mit erzeugt werden ^) :
C Ä« + OH» = C o"^' + C»HK)H.
Dieser Aether liefert durch Umsetzung mit Natriumalkoholat zunächst
Diaethylglyoxylsäureaether, welche Verbindung bei der Einwirkung von
durch Wasser entstehendes Natriumhydroxyd in Alkohol und Diaethyl-
glyoxylsaures Natron Übergeführt wird:
CHCI« CH(0C«H«)2
CO +2 C2HH)Na = C 0 +2 NaCl
OC^H» OC«Hft
CH(OC«H»)» CH(OC2Hß)2
CO + NaOH = C 0 + C2HH)H.
OC^H» ONa
Wenn sich so in einfacher Aufeinanderfolge die verschiedenen Pro-
ducte aus dem Trichlor-aethoxyl-Aethylen durch dauernde Einwirkung
von Natriumalkoholat, Alkohol und Wasser ergeben, so leuchtet ein, muss
von diesem Product eine um so grossere Menge gebildet werden, je ver-
hliltnissmUssig kürzer die Einwirkung des Natriumalkoholats auf das
Perchloraethylen dauert und je niedriger die Temperatur ist, bei welcher
die Umsetzung erfolgt. Das ist, wie unsere Versuche gezeigt haben, auch
in der That der Fall. Wenn man 1 Mgt Perchloraethylen mit 1 Mgt. al-
koholischem Natriumalkoholat im Wasserbade am umgekehrten Kühler
eine Stunde lang erhitzt, so hat sich die Zersetzung vollendet, freilich
nicht in der Art, dass man nun an Stelle des Perchloraethylens die ent-"
sprechende Menge Trichloraethoxylaethylen gebildet ßlnde, denn es bleibt
4) Vergl. Fischer u. GEüTgEa, diese Zeilschrift Bd. I, p. 48 u. Schhbiibr ebend.
Bd. V, p. 874.
301 A. «niflwr ii. P. BfMkkoi,
iflimer eine beträchUicIie Menge voaPerchloraeÜiyleii unierseUiQnd minJ
dafitr TriditoraeUioxytdeihylen weiter TeiHiHlert, aber doch eo, dass vod
nun an kein Perchlora^ylen mehr amgeseUt wird. Die braun gew^or-
flene FlOssigkeit, in welcher skh viel Kochsalz abgeschieden hat, \ftind
mit Wasser verdünnt, die hellbraune wässrige Lösung von der dunkel-
braunen Oelschicht getrennt, letztere über Calciurachlond getrocknet
und rectificirt. Das unter 130^ Destillirende, hauplsächlich aus unver-
ändertem Perchloraethylen bestehend| wird immer von Neuem der glei-
chen Einwirkung ausgesetzt und das über 430^ Destillirende weiter rec-
tificirt. Es besteht aus Perchloraethylen, ausTrichlor-aethoxyl-Aethylen,
und wenig über i 60** Siedenden). Als auf diese Weise 60Grm. Perchlor-
aethylen verarbeitet wurden, bis davon nichts unzersetzt mehr vorhanden
war, wurden erhalten 4 5 Grm. Trichlor-aelhoxyl-Aethylen und etwa
i Grm. Höhersiedendes d. h. der Hauptsache nach dreibasischer Dichlor-
essigsäureaether. Von gewöhnlichem Dichioressigs«lureaether , der den
gleichen Siedepnnct wie das Trichlor-aethoiyl-Aethylen besitzt war
kaum etwas entstanden , da das erhaltene Product nach dem häufigen
Schütteln und Stehenlassen mit conc. wässrigen Ammoniak kaum eine
Volumverminderung erlitt. Das so gereinigle Product stellt, wie auch eine
neue Analyse bestätigte, das reine bei 152 — 153^ uncorr. siedende Tri -
chlor-aethoxyl-Aethyien dar.
Der Grund, weshalb nur % dieser Verbindung aus dem angewandten
Perchloraethylen gebildet wird, liegt offenbar einestheils darin, dass die-
selbe ebenso leicht, als das Letztere, von Natriumalkoholat weiter ver-
ändert wird. Deshalb entsteht eine geringe Menge von dreibasischem
Dichloressigsäureaether und wie die Untersuchung der in Wasser lös-
lichen Natriumsalze gelehrt hat eine grössere Menge desjenigen der
Aetherglyoxylsäure. Von den 60 Grm. Perchloraethylen wurden 42,7
Grm. des Salzes erhalten, als die wässrige Lösung mit Kohlensäure
übersättigt nach dem Eindampfen zur Trockne mit absol. Alkohol aus-
gezogen und das darin Gelöste durch mehrmalig erneutes Auflösen
und Abfiltriren des ungelöst Bleibenden gereinigt worden war. Gefunden
wurden 49,0 Proc. Natriumoxyd, während sich für das aetbergly.oxyl-
saure Natron 48,2 Proc. berechnen«
Wie leicht in der That das Trichloracthoxylaethylen sich in aether-
glycolsaures Natron durch alkoholisches Natriumalkoholat verwandeln
lässt, zeigen folgende Versuche, welche eigentlich unternommen worden
sindi um es in den dreibasiscben Dichloressigsäureaether nach der
Gleichung :
C<H5CI03 + C^H^NaO + C2H«0 = C^^H^eCWs + NaCl
überzuführen.
üeber (li«* F.iiiwirkunir «iiriw Gltloride «uf Natriiimalkobotat. 363
3,4 Grro. desselben wurden mit aus 0,5 Grm. Natrium dargesteUten
Überschüssigen Alkohol enthaltendem Alkoholat in ein Rohr einge-
schlossen. Nach kurzer Zeit trat schon bei gewöhnlicher Temperatur
die Ausscheidung von Natriurachlorift ein. Das Rohr wurde darauf
während etwa vier Stunden im Wasserbade erhitzt und darauf nacli dem
Erkalten geöffnet. Es war kein Druck vorbanden. Durch Zusatz von
Wasser wurde Oel abgeschieden , dessen Menge nach dem Trocknen
^,3Grm. betrug und bei etwa 150^ dcstillirte. Beim Schütteln mit
conc. wlissrigen Ammoniak verschwand nur wenig davon, es war also
nur wenig vom einbas. Aether der Dichloressigsifure entstanden , deren
Ammoniumsalz in geringer Menge nach dem Verdunsten des Ammoniaks
concentrisch strahlig krystallisirt und an der Luft schnell zerfliessend
zurückblieb. Die natriumbaltige wüssrig/6 Lösung lieferte nach dem
UebersHt.tigen mit Kohlensäure, Eindampfen zur Trockne und Ausziehen
mitabsol. Alkohol 0,7 Grm. gelblich gefärbtes zerfliessliches Salz, dessen
Natriumoxydgehalt zu 48,6Proc. gefunden Wurde, also aetherglyoxyl-
saures Salz war, welches 48,9 Proc. verlangt.
Darnach wurden 6,9 Grm. Trichloraelhoxylaethylen mit i Grm.
d. h. der berechneten Menge absei. Alkohol vermischt und zu der be-
rechneten Menge alkoholfreiem Natriumalkohotat Oiessen gelassen, wel-
ches sich in einem KocbflSschchen befand, das am umgekehrten Kühler
beCestigl war, dessen oberes Ende mittelst eines Glasrohrs unter einer
etwa 250 Mm. hohen QuecksilbersSkile endigte. Nachdem ebenfalls vier
Stunden im Wasserbade erhitzt worden war, wurde wie im vorigen
Versuch verfahren. Es wurden erhalten 4,2 Grm. Oel, das durch
Schütteln mit wässrigem Ammoniak nur eine geringe Volum Verminderung
zeigte und bei i 50 — 1 60^ siedete, also unverändertes Trichloraetboxyl-
aethylen war und ans der wassrigen Lösung 1,1 Grm. zerfliessliches
in absei. Alkohol leicht lösliches aetherglyoxylsaures Natron.
Diese Versuche zeigen zugleich, dass man zu grösseren Mengen von
dreibas. Dichloressigsdureaether auf diese Weise nicht gelangen kann.
Ob die Bildung dieser Verbindung reichlicher eintritt , wenn man um-
gekehrt verfahrt and das alkoholische Natriumalkoholat in absoluten
Alkohol gelöst au überschüssigem Trichlor-aethoxyl-Aethylen treten lässt,
muss der Versuch noch entscheiden.
Ganz in Uebereinstimmung mit dieser*Zersetznng des Trichlor-
aethoxyiaethylens steht diejenige, welche es durch Wasser bei 460^
erleidet. Dieselbe ist von dem Einen von uns schon früher sludirt
worden'), so dass an sie hier nur erinnert zu werden braucht, es ver-
1) Vergl. d Zciischrifl Bd. I, p. «69.
%
364 A. Genther u. F. Broekhoff,
wandelt sich dabei nämlich in Glyoxylsäure, Alkohol und Chlorwasser-
stoff nach der Gleichung :
rri2 CH(0H)2
G Sem + 4 0H2 = C 0^ + C^H^OH + 3 CIH.
Auf das Perchloraethylen haben wir schliesslich auch noch das
alkoholfreie Natriumalkoholat einwirken lassen. Dabei entstehen die—
selben Producte aber in geringerer Menge, gleichzeitig tritt ein mit
blauer Flamme brennendes Gas auf, das nicht näher untersucht wuni
und viel brauner Farbstoff; das bei weitem meiste Perchloraethylen
bleibt unverändert.
ill. PerchUraethao ■. Natrianaik^helat.
Es wurden angewandt auf 4 Mgt. Perchloraethan 6 Mgte. alkohol-
freies Natriumalkoholat. Das Erslere wurde vor dem Zufügen zu Letz-
terem in wasserfreiem Aether gelöst. Da ein Versuch, bei welchem diese
Körper im verschlossenen Rohr zusammenkamen, gezeigt hatte, dass bei
50" noch keine Einwirkung statt hat, bei 400^ aber nach einstündiger
Digestion die Röhre zersprengt wird, so wurde das Natriumalkoholat in
einem Retörtdien bereitet, dieses sodann mit einem umgekehrten Kühler
verbunden , dessen offenes Ende mit einem Glasrohr verschlossen war,
das in einem Cylinder unter einer Quecksilbersäule von 250 Mm. Höhe
sich öffnete und die aetherische Lösung von Perchloraethan zugegeben.
Es wurde im Oelbad langsam bis 4 00" erhitzt und da die Temperatur
während einer Stunde erhalten. Der Aether desUllirle meist fort und
sammelte sich über dem Quecksilber, ausser einer Bräunung der Masse,
war von Einwirkung nichts bemerkbar. Als nun die Hitze allmälig
gesteigert wurde, traten bei etwa 448" auf einmal starke Dämpfe auf
und fand die lebhafte Entwicklung eines mit nicht leuchtender Flamme
brennbaren Gases statt. Die letztere verminderte sich bald und hörte,
als die Temperatur bis 440" gestiegen war, ganz auf. Der Inhalt der
Retorte wurde nun abdestillirt. Das Destillat bestand zum Theii aus
Aether und Alkohol, die durch Waschen mit Wasser entfernt wurden,
während ein schwereres Oel zurückblieb, das nach dem Entwässern bei
der Destillation unter 430" ganz übergegangen war. Die fractionirle
Destillation zeigte, dass der grösste Theil bei 4 SS" siedete, also Per-
chloraethylen war, wie auch die Analyse zeigte, während der ge-
ringere Theil einen höheren Siedepunct besass und an feuchter Luft sich
in Krystalle von Oxalsäure und Chlorwasserstoffgas zerlegte , sich also
wie Trichlor-aethoxyl-Aethylen verhielt.
Ueber die Rinwirkiing einiger Chloride auf NatrinmallioholaU 365
Bei einem zweiten ebenso angestellten Versuch begann>jdie Einwir-
kung unter Gasentwicklung schon bei 1 06^ und bei einem dritten Versuch
schon bei H 0^. Als beim zweiten Versuch sogleich während der lebhaften
Einwirkung abdestillirt wurde, ging Anfangs gleichfalls Flüssigkeit, spater
aber ein krystalUnisch erstarrender Körper über. Der Letzlere hatte das
Ansehen und den Geruch des Perchloraethans. Er war auch in Alkohol
schwer löslich und zeigte, nachdem er damit gehörig abgewaschen und
Über Schwefelsaure wieder völlig getrocknet worden war, den Schmelz-
punct 479°*).
Die ttberdestiUirte Flüssigkeit wurde mit Wasser gewaschen, über
Ghlorcaicium getrocknet und von Neuem rectificirt. Die Hauptmenge
ging zwischen 4 SO und 130" über, war also Perchloraethylen. Beim
dritten Versuch wunle am umgekehrten Kühler bis 4 80° die Retorte im
Oelbade heiss werden gelassen. Als bei dieser Temperatur von Neuem
Gasentwicklung eintrat wurde überdestillirt. Das Destillat war wieder
vollkommen flüssig und bestand wieder zum grössten Theil aus Perchlor-
aethylen und wenig Höhersiedendem. Als die im ersten* und dritten
Versuch erhaltenen über 430° siedenden Mengen vereinigt der frac-
tionirten Destillation unterworfen wurden, zeigte es sich, dass dieselben
aus Perchloraethylen, ausTrichlor-aethoxyl-Aethylen und dem
dreibasischen Aether der Dichloressigsaure bestanden,
also Veranderungsproducte waren, welche aus dem in grösserer
Menge gebildeten Perchlorae|^hylen hervorgegangen wa ren .
Die bei diesen drei Vei*suchen erhaltenen braunen Retortenruck-
Stande, welche zum grössten Theii augenscheinlich noch aus unver-
ändertem Natriumalkoholat bestanden , wurden mit Wasser behandelt.
Dabei blieb ein dunkelbrauner, in Alkalien, Sauren, Alkohol und Aether
unlöslicher harzartiger Körper zurück, während eine braune stark alka-
lische Lösung entstand. Aus dieser schied sich , nach dem vorsichtigen
Ansauron mit SalzsUure , ebenfalls ein brauner Körper aus. Tm Filtrat
davon konnte etwas Oxalsäure nachgewiesen werden , dasselbe wurde
mit Natriumcarbonat übersättigt auf dem Wasserbade zur Trockne ver--
4] Der Scbmelzpunct des Perchloraethans aber wird von Rbgnault zu 460^
angegeben , welche Zahl in die Lehrbücher allgemein übergegangen ist. Wäre die
letztere richtig, so htftien die oben erwähnten Krystalle nicht Perchloraethan sein
können. Als indessen mit reinem, wiederholt mit Alkohol gewaschenen und darauf
über Schwefelsäure getrocknetem Perchloraethan eine Schmelzpunctbestimmung
vorgenommen wurde , so ergab dieselbe den gleichen Scbmelzpunct 4^9®. Der von
Rkgnaclt gefundene niedrigere Scbmelzpunct hat wahrscheinlich seinen Grund in
einer ihm noch angehangenen kleinen Menge von dreifachgechlorten Aethylcn-
chlorfd.
Bd. VU. 3. 24
306 A. Geuther n. F. BroekhofT,
dampft und mit Alkohol vollständig ausgezogen. Dieser Auszug enthäll
ausser einer geringen Menge von Natriumchlorid zwei Natriumsalze, ein
in der Luft zerfliessliches und in abs. Alkohol sehr leicht lösliches, wel-
ches in grösserer Menge vorhanden ist und ein darin schwerer lösliches.
Der Rückstand wurde zur Entfernung des Natriumchlorids wiederholt
in der kleinsten Menge abs. Alkohols gelöst und dann mit einer ge—
ringeren, als zur Lösung nothwendigen Menge desselben in der Källe
digerirt. Das zurückgebliebene Salz wurde auf seinen Natriumgehalt
untersucht. Es enthielt nach Berücksichtigung einer kleinen Menge
Natriumchlorids: 36,2 Proc. Natriumoxyd. Darnach konnte es nicht
wohl etwas anderes als noch etwas verunreinigtes Natriumacetat sein,
welches 37,8 Proc. Natriunioxyd verlangt. Es wurde nochmals mit
neuem absol. Alkohol digerirt und der Rücksland wieder änalysirt. Es
ergab jetzt 37,2 Proc. Natriumoxyd und zeigte alle Reactionen des
Natriumacetat s. Das in Alkohol leichl lösliche Salz, obwohl seine
völlige Reindarstellung d. h. Befreiung von dem vorigen nicht wohl
möglich war, wurde doch auf seinen Natriumoxydgehalt untersucbl.
Gefunden wurde, unter Berücksichtigung einer geringen Natriumchlortd-
menge: 23,4 Proc. Natriumoxyd, so dass es wahrscheinlich ist, das Salz
sei mit Natriumacetat verunreinigtes Natriumsalz der Aether-
glyoxylsäure gewesen, welches 48,2 Proc. Natriumoxyd verlangt,
womit seine übrigen Eigenschaften auch übereinstimmen. Dasselbe
würde dann das noth wendige dritte Product ausser Trichlor-aethoxyl-
Aethylen und dem dreibasischen Aether der Dichloressigsäure sein, wel-
ches bei der weiteren Einwirkung von zuerst gebildetem Perchloraethylen
auf noch vorhandenes Natriumalkoholat hätte entstehen müssen. Das
gleichzeitig mitentstandene Natriumacetat dagegen ist offenbar ein an-
mittelbares Product der Einwirkung von Perchloraethan auf Natrium-
alkoholat neben Perchloraethylen. Die 2MgteGhlor, welche von Ersterem
weggehen müssen um das Letztere übrig zu lassen wirken auf Natrium-
alkoholat oxydirend und Essigsäure bildend , wahrscheinlich nach fol-
gender Gleichung:
3 C2HH)Na + 2 Gl = C^lPNaO^ + C^H« + C2H60 + 2 NaCI.
Hierdurch würde ausser der Bildung von Perchloraethylen das Auftreten
eines mit nicht leuchtender Flamme brennenden Gases (Aethan) und
das von Alkohol erklärt.
Die Bildung der beiden braunen harzartigen Productc aber, von
welchen jedenfalls das eine saurer Natur ist, kann einesthcils von der
directen Einwirkung des Perchloraethnns auf Natriumalkoholat her-
stammen, da unter dem Einfluss oxydirender Wirkung, wie schon unter
Ucber tlie Eiuwirkuiig oiitiger.Chloride aiit NalriuiuatkoliolMt. 3G7
dem £influss der Luft, das Natriumalkoholat gebrüunl wird, anderntheiis
von der Einwirkung des Perchloraethylens auf Natriumalkoholat, wobei
sich gleichfalls stets braune Nebenproducte bilden. Beide, das in Al-
kalien Unlösliche sowohl, als das darin Lösliche^ sind nach genügender
Behandlung mit verdünnter Salzsäure und nachherigem Waschen mit
Wasser nach dem Trocknen bei 125" analysirt worden. Das Ersteige hat
ergeben: 67,1 Proc. Kohlenstoff und 4,7 Proc. Wasserstoff, das Andere
66,5 bis 67,7 Proc. Kohlenstoff und 5,5 l)is 6,1 Proc. Wasserstoff.
IV. Trichtor-AethylenchUria «. Nafrimalk^hdat
Die zu den Versuchen verwandle Verbindung G^UCl'^ war durch
Einwirkung von Chlor auf Aethylenchlorid im hellen Tageslicht erhallen
und war nach vielen Hectificationen zwischen 152 und 155° über-
gegangen. Die reine Verbindung siedet nach Regnault bei 153,5".
Zuerst wurden die beiden Verbindungen in Röhren auf einander
einwirken gelassen. Zu 5 Mgtn. alkoholfreiem Natriumalkoholat wurde
1 Mgt. Trichloraethylenchlorid , mit dem gleichen Volum wasserfreien
Aethers vermischt, gefügt. Sofort trat unter ziemlicher W^ärmecntwick-
lung die Einwirkung und Abscheidung von Natriumchlorid ein. Die
Röhren wurden nach dem Erkallen zugoschiiiolzcn und Uingere Zeit erst
auf 100", sodann auf 120" erhitzt. Bei dieser Temperatur trat bald
Explosion ein. Die Leichtigkeit mit welcher die Einwirkung schon in
der Keilte vor sich gegangen war, legte es nahe, dass das Trichlor-
aethylenchlorid durch Natriumalkoholat in gleicher Weise zunächst zer-
setzt werde, wie durch alkohol. Kali, nUmlich in Perchloraethyien
unter Bildung von Natriumchlorid und Alkohol, was ein Versuch, der
in einem Retörtchen vorgenommen wurde, durchaus bestätigte. Dabei
wurden 35 Grm. Trichloraethylenchlorid angewandt und ohne Aether-
zusatz auf das alkoholfreie Natriumalkoholat wirken gelassen. Es wur-
den erhalten an Alkohol und Perchloraethyien: 34 Grm. anstatt 36 Grm.
und daraus wurden nach dem Vermischen mit Wasser gewonnen 82 Grm.
Perchloraethyien anstatt der sich berechnenden 28 Grm. Dass alkohol-
haltiges Natriumalkoholat in gleicher Weise wirken würde, war natür-
lich und wurde durch den Versuch bosUltigt. Ein Theil des gebildeten
Perchloraethylens wird dabei weiter zersetzt, was den Verlust daran
erklärt. Ist das angewandte Trichloraethylenchlorid perchloraethan-
tialtig, so ist ausser aetherglyoxylsaurcm Salz auch essigsaures im Rück-
stand neben unverUndertem Natriumalkoholat enthalten.
368 A. (jeuthei ii. F. Broekhoff,
Y. DichUraethjlenchl^rid ■. NatfhmalUh^lat.
Das zu den Versuchen verwandte Dichloraelhylenchlorid war aus»
Aethylenchlorid in ahnlicher Weise wie das Trichloraelhylenchlorid er-
halten und durch wiederholte Rectificationen gereinigt. Verwandt wurde
zunächst ein zwischen 133 u. 436° überdestillirendes Product und so
viel Nalriumalkoholat, dass alles Chlor gegen Aethoxyl hätte ausgetauscht
werden können. Das Dichloraethylenchlorid wurde langsam zu dem
alkoholhaltigen Alkoholat, das sich in einem aufgerichteten mit einem
Kühler und der Quecksilbersäule verbundenen Rettfrtchen befand,
fliessen gelassen. Die Einwirkung ist sehr lebhaft unter reichlicher
Abscheidung von Natriumcblorid. Nach Beendigung der Einwirkung
wurde die Retorte noch eine halbe Stunde im Wasserbado erhitzt und
der Inhalt dann, zuletzt im Wasserstoffgasstrom, abdestillirt. Das alkohol-
haltige Destillat schied auf Zusatz von Wasser ein Oel ab, das nach dem
Trocknen von 124 bis 126° vollständig überging. Die grössere zwischen
124 u. 125" destillirende Partie wurde analysirt.
1. 0,2719 Grm. Substanz lieferten 0,1032 Grm. Wasser, entspr.
0,01148 Grm. = 4,2 Proc. Wasserstoff und 0,3287 Grm. Kohlensäure,
entspr. 0,08965 Grm. = 33,0 Proc. Kohlenstoff.
0,2977 Grm. Substanz gaben 0,6346 Grm. Argentichlorid entspr.
0,157 Grm. = 52,7 Proc. Chlor.
Daraus berechnet sich nahezu die Formel des Dichlor-aethoxyl-
Aethylens: C4H6C120 = C^fjQ|,2H5)» welche verlangt: 34,0 Proc.
Kohlenstoff, 4,3 Proc. Wasserstoff und 50,4 Proc. Chlor.
Der um 1 Proc. geringere Kohlenstoffgehalt und der um ca. 2 Proc.
erhöhte Chlorgehalt, welcl^en die Substanz im Vergleich zum Dichlor-
aethoxylaethylen ergab , hatte wahrscheinlich seinen Grund darin , dass
dem angewandten Dichloraetliylenchlorid noch etwas höher siedendes
Trichloraethylenchlorid beigemengt war , welches die Veranlassung zur
Bildung von bei 122" siedendem Perchloraethylen gegeben haben mussie.
Und in der That entspricht die gefundene Zusammensetzung fast genau
einem Gemenge von 95 Proc. Dichloraethoxylaethylen und 5 Proc. Per-
chloraethylen, welches verlangt: 33,0 Proc. Kohlenstoff, 4,4 Proc.
Wasserstoff und 52,2 Proc. Chlor. Das spez. Gewicht der Substanz
wurde bei 12" zu 1,16 gefunden.
Es wurde deshalb das angewandte Dichloraethylenchlorid samint
den von 130 bis 133" destillirenden Portionen nochmals der Reinigung
unterworfen und nach vielfachen Rectificationen ein von 132,5" bis
13 3", 5 destillirendes Product erhalten, dessen corr. Siedepunct 135°,1
Ueber die Eiuwtrkuug einiger Chloride auf NalriiimalkotioUt. 369
war. Dasselbe ergab bei der Analyse 14,7 Proc. Kohlenstoff, 1,5 Proc.
Wasserstoff und 84,4 Proc. Chlor, war also die reine Verbindung C^H^Cl*,
denn diese verlangt: 4 4,3 Proc. Kohlenstoff, i^i Proc. Wasserstoff und
und 84,5 Proc. Chlor. Mit diesem Product wurde auf gleiche Weise
verfahren wie mit dem zuerst Angewandten. Das erhaltene Dichlor-
aethoxyl-Aethylen, dessen Menge auch hier, wie bei anderen Versuchen,
den dritten Theil des Gewichts der angewandten Verbindung betrug,
destillirte zwischen 124 und 127^ über mit Ausnahme einer geringen
Menge Höfaersiedendem , welches sich leicht entfernen liess und wie
weiter unten gezeigt wird ein Product der weiteren Einwirkung auf das
Dichlor-aethoxyl-Aethylen ist. Unter 124" Siedendes, also Perchlor-
aethylen, war nicht vorhanden, sondern die Verbindung rein, wie die
folgende damit ausgefOhrte^Analyse zeigte :
II. 0,1832 Grm. desselben lieferten 0,0729 Grm. Wasser, entspr.
0,0081 Grm. = 4,4 Proc. Wasserstoff und 0,2256 Grm. Kohlensäure,
entspr. 0,06153 Grm. =s 33,6 Proc. Kohlenstoff.
0,2105 Grm. Substanz gaben 0,4272 Grm. Argentichlorid, entspr.
0,1057 Grm. = 50,2 Proc. Chlor.
ber. gef.
I II
C* = 34,0 33,0 33,6
116= 4^3 4^2 4^4
C12 = 50,4 52,7 50,2
0 =11,3 — —
100,0
Der Siedepunct dieses Dichlor-aethoxyl-Aethylens liegt
bei 128,2 (oorr.), sein spez. Gewicht ist bei + 10" zu 1,08 gefunden
worden. Es ist eine farblose Flüssigkeit von eigenthUmlichen aromati-
schen hintennach scharfem Geruch, welche mit Wasser ohne Veränderung
gewaschen werden kann. Wird dasselbe aber in schlecht schliessenden
Gelassen aufbewahrt, so erleidet es jedenfalls unter Mitwirkung von
Feuchtigkeit eine Zersetzung: es wird von Ghlorwasserstoffbildung rau-
chend und giebt beim Erwärmen leicht ein mit grttngcsäumter Flamme
brennendes Gas, Chloraethyl, aus. Wird es mit überschüssigem Wasser
in ein Glasrohr eingeschmolzen und auf 180^ erhitzt, so sersch windet
es allmälig. Beim Oeffnen des Rohres entweicht ein mit grüngesäuniler
Flamme brennendes Gas (Chloraethyl) und die Flüssigkeit enthält viel
Chlorwasserstoff. Nach dem Eindampfen bleibt ein saurer Syrup zurück.
Derselbe wurde in Wasser gelöst mit Galciumhydroxyd übersättigt und
der überschüssige Kalk durch Kohlensäure entfernt. Es wurde ein in
37U A« Geulher ii. F. Brockhoff,
kallem Wasser nicht leicht lösliches in seideglänzenden Nadeln krystalli—
sirendes Salz vom Aussehen des glycolsauren Kalks erhalten. Dasselbe
wurde, nachdeiti es eine Nacht über Schwefelsäure gestanden hatto,
anaivsirt.
0,B1 4 Grm. desselben verloren beim Erhitzen auf 425^ 0,0684 Grni.
Wasser, entspr. 21,8 Proc. und hinterliessen nach dem Verbrennen und
Glühen 0,0722 Grm. Calciumoxyd = 23,0 Proc.
Der glycolsaure Kalk verlangt: 22,4 Proc. Wasser und 23,0 Proc.
Calciumoxyd. Demnach war also die durch Einwirkung des Wassers
aus dem Dichloraethoxylaethylen bei 480° gebildete Säure Glycol-
saure, entstanden nach der Gleichung:
PHP! C^*^H
c c^ ocw + 2 0H2 = c 0 •}- ciH + cm^ci
Durch überschüssiges alkoholisches Natriumalkoholat wird das
Dichlor-aethoxyl-Aethylen in das Natriumsalz der Aetherglycolsäure
vorwandelt, es verhält sich also ganz analog wie das Trichlor-aethoxyl-
Aethylcn welches dabei in das Natriumsalz der Aetherglyoxylsäure über-
geht. Als Zwischenglied tritt dabei auch, wie es scheint, etwas Mono-
chloressigsäureaether auf, welcher wahrscheinlich in der geringen
Menge mit entstehendem höher Siedendem enthalten ist und vorzüglich
gebildet wird, wenn man eine etwas höhere Temperatur als 400° bei der
Umsetzung des Dichloraethylcnchlorids mit dem Natriumalkoholat an-
wendet. Wird das über 428° siedende Oel nämlich mit conc. Ammoniak
geschüttelt, so verschwindet ein grosser Theil davon und es bloiben nach
dem Verdunsten der ammoniakal. Lösung über Schwefelsäure harte, an
der Luft langsam feucht werdende Krystalle übrig, welche mit Natron-
lauge Übergossen nicht sofort, sondern erst nach einiger Zeit oder beim
Erwärmen damit Ammoniak entwickeln, also ein Amid und wie es den
Anschein hat das der Monochloressigsäure sind.
Das Natriums<alz der Aetherglycolsäure ist bei dem überschüssigen
Natriumalkoholat und dem gebildeten Natriumchlorid enthalten, mag man
bei der Einwirkung Dichlor-aethoxyl-Aethylen oder Dichloraethylen-
chlorid angewandt haben. Es wird nach dem Versetzen mit Wasser,
Sättigen mit Kohlensäure und Filtriren oder schwachem Ucbersättigen
mit Salzsäure , Filtriren und Wiederübersättigen mit Natriumcarbonat,
Verdampfen zur Trockne und Ausziehen mit absol. Alkohol von Letz-
terem gelöst und bleibt nach dem Abdestilliren desselben als eine zer-
fliessliche meist etwas bräunlich gefärbte amoqihe Masse übrig, die von
einem geringen Kochsalzgehalt durch nochmaliges Auflösen in absolutem
Alkohol fast vollständig befreit wird. Das aus Dichlor-aethoxyl-Aethylen
« • fc .»
Deber die Kiuwirknng e'miger Chloride anf NatriomAlkoholat. 37 \
und Natriumalkoholat erhaltene Salz wurde nach dem Trocknen bei i 05^
im Platinüegel verbrannt und gab unter BeiUcksichtigung des geringen
Gehalts an Natriumchlorid 24,4 Proc. Natriumoxyd. Das aus Dichlor-
aethylenchlorid bei der Darstellung von Dichlor-aetboxyl-Aethylen mil
entstandene Salz ergab: 24,9 Proc. Natriumoxyd. Das aethor,i;lycol-
saure Natron verlangt S4,6 Proc, Natriumoxyd.
Wirkt auf das Dichlor-aethoxyl-Aethylen nicht überschüssiges
Natriumalkoholat, sondern eine viel geringere Menge, als zur Umsetzung
der ganzen Menge nöthig ist, so wird gleichfalls AelherglycolsSure gebil-
det, daneben entsteht aber noch Aeth y Ich iorid , Chlorwassersloff und
Monochloressigsäure-Aether. Es zeigt dies der folgende Versuch,
welcher mit von der ersten Darstellung herstammender Substanz angestellt
wurde, vornehmlich um zu sehen , ob durch eine Behandlung mit einer
geringen Menge von Natriumalkoholat die in ihr enthaltene geringe Menge
von Perchloraethylen nicht zuerst verändert und sie also davon befreit
werden könnte. 3,2 Grm. dieses Dichlor-aethoxyl-Aethylens wurden
mit aus 0,05 Grm. Natrium bereiteten Natriumalkoholats eine halbe
Stunde lang am aufgerichteten Kühler mit Quecksilbervorlage im Wasser-
bade erhitzt. Dabei fand Natriumchloridausscheidung statt , während
sich gleichzeitig ein mit grüngesliumter Flamme brennendes Gas-Aethyl-
chlorid entwickelte. Der Rückstand im Kölbchen raucht beim Oe(fnen
durch vorhandenes Chlorwasserstoffgas und reagirt natürlich sauer.
Wasser schied daraus 2 Grm. Oel ab, welches von <37 bis 145" über-
destillirte (der corr. Siedepunct des Monochloressigsüure-Aethers liegt
hei 143^,5). Diese wurden nun mit überschüssigen alkoholischem
Natriumalkoholat in ein Rohr eingeschlossen. Es fand sofort Umsetzung
unter Erwärmung und Abscheidung von viel Kochsalz statt. Das Rohr
wurde dar<iuf bis zur völligen Umsetzung im Wasserbade längere Zeit
erhitzt und der Inhalt nach dem Erkalten mit Wasser verdünnt. Es
schied sich erst nach längerer Zeit nur ein Tropfen Oel ab. Die wässrige
Losung wurde mit Kohlensäure übersättigt , auf dem Wasserbade zur
Trockne gebracht, mit absolutem Alkohol ausgezogen und das Lösliche,
welches eine Spur Natriumchlorid enthielt, analysirt.
0,4677 Grm. des bei 105° getrockneten amorphen Salzes im Platin-
liogel verbrannt gaben 0,1946 Grm. weissen geschmolzenen Rückstand,
welcher 0,0067 Grm. Natriumchlorid, also 0,1 879 Grm. Natriumcarbonat
enthielt. Das Letztere entspricht 0,1099 Grm. = 24,0 Proc. Natrium-
oxyd, während das aetherglycolsaure Natriumsalz: 24,6 Proc. Natrium-
oxyd verlangt.
Dies eben angeführte Verhalten des Dichlor-aethoxyl-Aethylens
sowie das zu Wasser, zeigt, dass die Bildung von einbasischem Mono-
JmsiA
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1 2
#.
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Jenaischa leitschrih. Bd. Vi.
w
lieber die Einwirkung Yon Salpetrig-Salpeter-
sänreanhydrid auf Arsenchlorär und Borehlorid.
Von
A. Geuther.
Nachdem die Einwirkung des Salpetiig-SalpetersSlureanhydrids
auf das Phosphorchlorür ssur Entdeckung eines neuen Phosphoroxy-
chlorids, des Pyropbospborsilurechlorids , geführt hatte, war es von In-
teresse zu versuchen ob die Chloride anderer trivalenter Metalloide sich
gegen diese Substanz analog verhalten würden. Dazu wurden das
ArsenchlorUr und das Borchlorid ausersehen.
I. Salpetrig-Salpetersäureanhydrid und Arsenchlorür.
Vom Arsen kennt man bekanntlich nur ein Trichlorid, kein Penta-
chlorid. Die Versuche das Letztere darzustellen, ergaben an Stelle des-
selben immer das Trichlorid neben freiem Chlor. Das Arsen steht in
dieser Hinsicht dem Stickstoff, welcher ebenfalls kein Pentachlorid zu
bilden vermag nahe. Dafür bildet das Arsen aber ein Pentoxyd, den
Arsensäureanhydrkl , wekher selbst in schwacher Glühhitze noch be-
ständig ist. Aus diesem Verhalten liess sich die Hoffnung schöpfen,
dass es gelingen werde auf eine oder die andre Weise wenigstens ein
Oxycblorid des pentavalenten Arsens zu erhalten. Ein früher ange-
stellter Versuch bat bereits ergeben, dass der eine Weg, auf welchem
die Bildung eines solchen Oxychlorids zu erreichen war, nämlich durch
die Einwirkung von Phosphorpen tachlorid auf Arsensliureanhydrid,
nicht zum Ziele führt, indem merkwürdigerweise dabei aller SauerstofT
veoQ Arsen fort und zum Phosphor geht, damit gewöhnliches Phosphor-
oxychlorid bildend, während gleichzeitig Arsentrichlorid und freies
Chlorgas entsteht ^) .
Zu 55 Grm. Arsenchlorür, welches sich in einem, mit einem
doppelt durchbohi^on iCArir der ein Zuleitungs- und ein Ableitungsrohr
4) Annal. d. Chem. Bd. Hf S. 478.
Bd. VI S5
376 A. Genther,
trug, verschlossenen Gylinder befand und der in einer Kältemiscbung
stand, wurden langsam 22 Grm. N^ 0* destillirt. Das Letztere über-
schichtete das Erstere, als der Gylinder aus der Kältemischung ge-
nommen wurde , während an der Grenze beider Flüssigkeiten sich eine
weisse pulverige Substanz ausgeschieden hatte. Durch Schütteln wurden
die Flüssigkeiten vermischt und der Gylinder in einer Temperatur von
etwa 0^ stehen gelassen. Die Ausscheidung der weissen Substanz nahm
allmälig zu, während eine gelinde Gasentwickelung auftrat. Aus dem
Ableitungsrohr, welches auf dem Boden eines längeren durch eine
Kältemiscbung gekühlten oüenen Rohrs mündete, entwich ein farbloses
an der Luft braune Dämpfe bildendes Gas , also Stickoxyd , während
sich allmälig eine rothe Flüssigkeit condensirte. Nach Verlauf von
36 Stunden war der Inhalt des Cylinders fest geworden. Er stellte eine
weisse , augenscheinlich von einer rothgelben Flüssigkeit durchtränkte
Masse dar. Der Gylinder wurde nun mit lauwarmen Wasser umgeben,
wobei noch eine beträchtliche Menge rother Flüssigkeit überdestillirle.
Nachdem sie durch gehörig langes Erwärmen des Gyiinders, zuletzt im
Wasserbade, völlig ausgetrieben war, war der Inhalt des Gyiinders
weiss und scheinbar trocken geworden. Er wog 44 Grm. und löste sich
in Wasser bis auf eine sehr geringe Menge arseniger Säure leicht auf.
Die Lösung enthielt Arsensäure, nebenbei aber auch in beträcht-
licher Menge Salzsäure und arsenige Säure. Die Anwesenheit
der beiden Letzteren deutete auf möglicherweise noch unzersetzt ge-
bliebenes Arsenchlorür hin. Um dies zu constatiren, wurde ein Theil
des festen Rückstandes stärker erhitzt, wobei in der That Arsenchlorür
abdestillirle und nur ein Rückstand von nahezu reinem Arsensäurean-
hydrid übrig blieb. Die früher erwähnte überdestillirte und in der
Kältemischung wieder condensirte rothe Flüssigkeit war sehr flüchtig,
schon in Wasser von 0^ gerielh sie ins Sieden unter Bildung eines dun-
kelgelben Dampfes. Ihren Eigenschaften nach gab sie sich alsNitrosyl-
chlorid NOGI zu erkennen, woraus sie denn einer Analyse zu Folge
thatsächlich der Hauptsache nach auch bestand. 0,5384 Grm. derselben
wurden mit viel Wasser in einem verschlossenen Gylinder zersetzt. Sie
gaben 1,2038 Grm. Argenlichlorid, entsprechend 0,2975 Grm. = 55,25
Proc. Ghlor. Für NOGI berechnen sich : 54,2 Proc, für N0G|2 dagegen
70,3 Proc.
Durch die 22 Grm. Salpetrig- Salpetersäureanhydrid war also nur
ein Theil von den 55 Grm. Arsenchlortlr in Arsensäureanhydrid
und Nilrosyl Chlorid verändert worden. Wäre der Process nach
der Gleichung :
4 AsG|3 + 5 N^O* = 2 As^O» + 8 NOGI + 2 N0G|2
üeber die Einwirkung von S«lpetrlg-SalpetersÄureAnbydrid auf Arseuchlorflr etc. 377
verlaufen, so hätten die 82 Grm. N^O* 32,1 Grm. Arsenchlorür zer-
setzen müssen; 22,9 Grm. davon wären also übrig geblieben und es
mussten 22 Grm. Ärsensäureanhydrid gebildet werden. Diese Letzleren
zusammen mit dem unverändert gebliebenen Arsenchlorür bildeten den
weissen Rückstand im Cylindor. Ihre Menge beträgt 22,9 4. 22 = 44,9
Grm., während dieser 44 Grm. wog.
Diese Resultate genügen, um die obige ümsetzungsgleichung als
die sehr wahrscheinlich richtige bezeichnen zu können.
Man sieht alsoj dass es auch auf diese Weise nicht gelingt ein
Oxychlorid des V-w*erthigen Arsens zu erhalten. Obwohl Arsenchlorür
im Ueberschuss vorhanden war und obwohl die Einwirkung des Sal-
petrig-Salpetersäureanhydrids darauf langsam verläuft, wird bei der
Oxydation doch nicht blos einfach Sauerstoff zugeführt, sondern es wird
zugleich dabei auch das Chlor durch denselben ersetzt.
IL Salpetrig-Salpetersäureanhydrid und
Borchlorid.
Zu HO Grm. Rorchlorid , das sich in einem Cylinder mit doppelt
durchbohrtem Kork befand, durch dessen eine Durchbohrung ein bis in
die Mitte reichendes Zuleitungsrohr, durch dessen andere ein Ablei-
tungsrohr gesteckt war, das in einem zweiten leeren Cylinder mündete,
wurden langsam 12 Grm. Salpetrig~Salpetei*säureanhydrid treten ge>
lassen und dabei beide Cylinder durch eine Kältemischung gut gekühlt.
Es fand lebhafte Einwirkung statt und schied sich dabei ein fester
Körper aus*. Das Auftreten von einem StickstoiToxychlorid war nicht zu
bemerken, dagegen erschienen an der Wand des leeren Cylinders
wenige gelbliche Krystalle. Nachdem alles N'^^ zudestillirt war, wurde
zur Vollendung der Reaction der Cylinder 2 Tage lang wohl verschlossen
in der Kälte sieben gelassen, darauf mit einem, ein weites knieförmiges
Rohr tragenden Kork verschlossen und in noch nicht lauwarmes Wasser
gestellt, während ein anderer gut gekühlter Cylinder vorgelegt wurde.
In diesen sublimirtcn dabei sehr flüchtige schwefelgelbe Krystalle, deren
braunrotber Dampf an feuchter Luft einen starken weissen Rauch ver-
breitet, wie Königswasser riecht und die Flamme lebhaft grün färbt.
Da gleichzeitig mit den Krystallen eine dunkelgelbe Flüssigkeit, offenbar
eine Lösung der gelben Verbindung in überschüssigem Rorchlorid
destillirte, so wurde durch Umkehren des Cylinders sie von den Krystal-
len abfliessen und durch kurzes Oeffnen des Glasstöpsels rasch aus-
laufen gelassen. Sie verdampfte sogleich unter starkem Rauchen.
Di^ Krystalle , welche so ganz trocken erhalten werden, stellen
scheinbar rhombisciie Oclafider und Prismen dar und lösen sich in
«5*
378 A. Gwilbcr,
Wasser leicht unter Zischen. In dieser Lösung ist Borsäure , Chlor und
Salpetersäure enthalten. An der Luft werden sie weiss indem sie sich
in Borsäure verwandeln. Sie schmelzen bei 23—24^ zu S Flüssigkeiten,
einer dicken , zähen , gelbrothen unteren und einer geringeren leichten,
goldgelben oberen. Bei langsamer Abkühlung vereinigen sich diese
Schichten wieder bei 20° zu den ursprünglichen Krystalien, bei rascher
Abkühlung erstarrt nur die untere, während die obere flüssig bleibt
und erst nach längerer Zeit wieder vollständig verschwindet. Die Krystalle
bestehen, wie die Analyse gezeigt hat, aus einer Verbindung von Bor-
chlorid und Nitrosylchlorid von der Formel: BCP, NOGI.
Zur Analyse wurden sie in ein gewogenes Glasröhrchen gegeben,
dasselbe zugeschmolzen und nach dem Wägen in einen Wasser enthal-
tenden mit Glasstöpsel verschliessbaren Glascylinder gebracht. Durch
starkes Schütteln wur4e das Rohr zertrümmert und die Krystalle vom
Wasser gelösst. In der filtrirten, mit Salpetersäure noch versetzten
Lösung wurde zunächst durch Argentinitrat das Chlor gefällt. Nach
dem Filtriren das überschüssig zugesetzte Silber durch einen geringen
Ueberschuss von Chlorwasserstoffsäure abgeschieden und die filtrirte
Lösung mit einer bestimmten Menge reinen überschüssigen Caleiumoxyds
vermischt, die alkalisch reagirende Flüssigkeit zur Trockne gebracht, im
Piatintiegel allmälig bis zum Glühen erhitzt und darauf vor dem Go-
biäse anhaltend und so oft wiederholt geglüht, bis das Gewicht constant
blieb. Der Rückstand wurde nun in Salpetersäure gelöst, durch Silber-
lösung die als Chlorcalcium vorhandene Chlormenge bestimmt und auf
Calciumoxyd berechnet. Die dem Chlor entsprechende Calciumchlorid-
menge wurde vom gefundenen Gewicht abgezogen und darauf die sich
daraus berechnende Caiciumoxydmenge ihm wieder zugezählt. Das so
gewonnene Gewicht ist gleich dem Gewicht des angewandten Caleium-
oxyds -\- dem Gewicht vorhandenen Borsäureanhydrids, woraus sich
das Bor leicht berechnet.
0,3188 Grm. gaben 0,9985 Grm. AgCI^, entsprechend 0,247 Grm.
= 77,5 Proc. Chlor; und 0,0689 Grm. B^O» entsprechend ß,7 Proc. Bor.
b e r. g e f.
B —
6,01
6,7
CM —
77,60
, 77,5
N —
7,65
^
0 —
8,74
100,00
Die Trennung der Verbindung in zwei Schichten beim Schmelzen
rührt offenbar von einer theiiweisen Zersetzung in BCl^ tmd in NOCl
her. Die obere Schicht , welche ihre gelbe Farbe etwas darin gelöster
Ueber die Einwirkung: von Salpetrig-Snlpeters^oreanhydrid auf Arseucblornr etc. 379
Verbindung verdankt, besteht offenbar aus Borcblorid , während die
untere von geschmolzener Verbindung , der das Nitrosylchlorid beige-
mengt ist, gebildet wird.
Da der nach dem Abdcstilliren der Verbindung im Gylinder ver-
bleibende weisse Rückstand sich als Borsäureanhydrid erwies, so ist es
wahrscheinlich, dass die Rcaction der Hauptsache nach gemUss den
Gleichungen :
9 HCl » -f- 3 N204 = B'^3 ^ 6 NOCl + 30
6 BCl^ + 6 NOGl = 6 (BCI», NOCI)
d. i. '8^013 + 3 N^b« = B2Ö3 4.~6 (BCTa, N0Clj'+ 30
verlaufen ist.
Ueber die Einwirkungen der Phosphorchloride auf
die Fhosphorsäuren.
Von
A. Geuther.
I. Trihydroxyl-Phosphorsäure und Phosphor-
oxychlorid.
1. Wird Phosphoroxychlorid und i?ewöhnliche Phosphorsäure in
Mengen, welche der Gleichung:
2 P04H3 + P0CI3 = 3 PO^H + 3 CIH
entsprechen, zusammengebracht, so vermischen sie sich vollständig,
ohne dass bei gewöhnlicher Temperatur eine Einwirkung zu bemerken
wäre. Wird im Wasserbade erwärmt, so beginnt dieselbe und setzt
sich bis zu Ende fort unter lebhafter Entwickelung von Chlorwasser-
stoff. Der zähe Rückstand in Wasser gelöst fällt Eiweiss und wird
durch Phosphorpentachlorid (siehe unten IV) zu Phosphoroxychlorid und
Chlorwasserstoff, ist also Monhydroxylphosphorsäure^).
2. Wendet man weniger Oxychlorid an und zwar Mengen, welche
der Gleichung :
5 P04H» + POCl» = S paO'H* + 3 CIH
entsprechen, so verläuft die Reaction ähnlich, aber der dicke Rückstand
besteht nicht aus einem Gemenge von Monhydroxyl- und Trihydroxyl-
Phosphorsäure , sondern aus Pyrophosphor säure, denn seine
wässrige Lösung föllt Eiweiss nicht und giebt mit Argentinilrat auf vor-
sichtigen Zusatz von Ammoniak eine weisse Fällung.
Da sich die obige Gleichun.u aus den 2 Gleichungen :
2 P04H3 -f- P0C13 = 3 PO^H + 3 CIH
3 P04H3 + 3 PO^H = 3 P207H4
i) Dieser und die folgenden Versuche, mit Ausnahme der auf die nnierphos-
phorige Säure bezüglichen, wurden im Winter 4871/72 ausgeführt. Seitdem hat
auch Schiff (Aniini. d. Chem. u. Pharm. Bd. 4 63 p. 229) die Zersetzung der dreibas.
['hosphorsäure durch Phosphoroxyclilorid in gleicher WiMse beobachtet.
Heber die Biiiwirkungeu der Phosphorchloride auf die Phosphorsaureti. '.\S\
zusamnienseUon lässt und also die Pyrophosphorsäure ihre Entstehung
der Einwirkung von Monhydroxylphospborsäure auf Trihydroxylphos-
phorsäure verdanken kann, so wurden diese beiden Säuren zu gleichen
Mischungsgewichten zusammengebracht und im Wasserbade erwärmt.
Nach längerer Einwirkung wird das Gemisch homogen und giebt nun
mit Eiweiss keine, mit Silbersalzen aber eine weisse Fällung. Es ent-
steht also bei der Einwirkung von Monhydroxylphosphorsäure
auf Trihydrox ylphosphorsäure in der That Pyrophosphor-
säure.
II. Trihydroxyl-Phosphorsäure und Phosphor-
pentachlorid.
»
In der Voraussetzung, je nach der Menge des angewandten Chlorids
würde die Einwirkung nach folgenden beiden Gleichungen verlaufen :
3 P0*H3 + PCIJ^ = 4 P03H + 5 cm
PO^H^ + 3 PCI«^ = 4 P0C13 4- 3 CIH
und in der Voraussetzung es würde, da sich die letztere Gleichung aus
den folgenden beiden zusammensetzt :
3 P0^H3 + PGI5 = 4 P03H + 5 CIH
PO^H + 3 PCI* = 3 POCF -f CIH
die erstere Gleichung stets zunächst realisirt werden, wurde Phosphor-
säure und Phosphorpentachlorid in solchen der ersten Gleichung ent-
sprechenden Mengen zusammengebracht. Es hatte sofort lebhafte Ein-
wirkung ohne bedeutende Erwärmung unter Entwicklung von Chlor-
wasserstoff statt. Als das Phosphorpentachlorid verschwunden war,
wurde das gleichförmig flüssige Gemisch auf dem Wasserbade erhitzt.
Dabei traten ganz dieselben Erscheinungen ein, wie bei der Einwirkung
von Phosphoroxychlorid auf Trihydroxyl- Phosphorsäure: es begann
erneute Chlorwasserstoflentwicklung bis zuletzt ein Rückstand von Meta-
phosphorsäure blieb.
Daraus folgt also, dass bei gewöhnlicher Temperatur das
Phosphorpentachlorid auf dreibas. Phosphorsäure nicht nach der oben
angeführten ersten Weise, sondern stets sofort nach der zweiten Glei-
chung wirkt, d. h. unter Bildung von Phosphoroxychlorid, auch wenn
Trihydroxyl-Phosphorsäure im Ueberschuss vorhanden ist, und dass
diese erst in der Wärme durch das gebildete Phosphoroxychlorid weiter
in Monhydro.xvipliosphorsäurc nach der oben unter I. i, angegebenen
Art verwandelt wird.
382 A. 0«tkf.
III. Trihydroxyl-Phosphor^jäure und Phosphorchlorür.
Es wurden der Gleichung:
3 P0*H5 -4- PCI' = 3 PO^U + P(OH. 5 4- 3 CIH
entsprechende Mengen angewandt. Bei gewöhnlicher Temperatur findet
keine Einw irkung statt, das Phosphorchlorar schwimmt unverniiscbl auf
der Phosphorsäure. In der Wanne des Wasserbades beginnt eine ge-
linde Einwirkung, die sich durch Abscheidung von gel ben Phos fiho r
bemerk lieb macht. Allmälig vermehrt sich dieser unter Verschwinden
des Phosphorchlorürs. Der verbleibende Rückstand giebt die Reactionen
aufPyrophosphorsäure: Silbersalze werden weiss , aber Ei weiss
wird nicht gefällt.
Aus diesem Verhalten geht offenbar hervor, dass die Umsetzung
nach der obigen Gleichung vor sich geht, aber es wird eineslheils, wie
bekannt , allmälig die gebildete phosphorige Säure durch das noch un-
veränderte Phosphorchlorür in Phosphor, Chlorwasserstoff und gewöhn-
liche Phosphorsäure zerlegt, anderntheils wird die gebildete Monhy-
droiylphosphorsäure mit unveränderter Trihydroxylphosphorsäure su
Pyrophosphorsäure, wie unter I. 2. angeführt ist.
IV. Monhydroxyl-Phosphorsäure und Phosphor-
pentachlorid.
Die beiden Verbindungen wirken bei gewöhnlicher Temperatur so
gut wie nicht aufeinander ein , beim Erwärmen im Wasserbade aber
beginnt starke Chlorwasserstoffentwickelung unter Verflüssigung der
Masse. Wendet man genügend Chlorid an, so wird allmälig alles
flüssig und in Phosphoroxychlorid verwandelt nach derGleichung:
P03H + 2 PC15 = 3 P0C13 + CIH.
Als nur die Hälfte so viel Chlorid einwirken gelassen wurde , in
derUoffnung, neben gewöhnlichem Oxychlorid das Chlorid der
Monhyclroxylsäurezu erhalten nach der Gleichung :
P03H + PCI» = P02C1 + P0C13 + CIH
fand doch die Einwirkung nur nach der ersten Gleichung statt, indem
die Hälfte der Monhydroxylphosphorsäure unverändert blieb. Dies auf-
fallende Resultat ist nur zu erklären entweder dadurch, dass das Meta-
phosphorsäurechlorid sich sofort nach seinem Entstehen mit der vor-
handenen Säure weiter in Phosphorsäureanhydrid und Chlorwasserstoff
nach der Gleichung : PO^CI + PO^H = P^O» + CIH umsetzt und ge-
wöhnliches Oxychlorid erzeugt, oder aber dadurch, dass das Metaphos-
phorsäurechlorid vom Phosphorpentachlorid selbst wieder angegriffen
und 1 Mgt Sauerstoff fles Ersteren gegen die !2 Mgte. locker gebundenes
(Jeher die Ciiiwirktiiigeu der Pbospborchloride auf die Phospborsaoren. 383
Chlor des LeUieren unter Bildung von gewöhnlichem Oxychlorid nach
der Gleichung: PO^Cl + PCI^ = 2 POCP ausgewechselt wird, wie es
ähnlich bei der Einwirkung von PGl^ auf Pyrophosphorsäurechlorid ja
geschieht 1). •
Monhydroxyl-Phosphorsäure wird von Phosphoroxy-
Chlorid und PhosphorchlorUr bei der Siedetemperatur der
Chloride nicht verändert.
V. Pyrophosphorsäure und Phosphoroxychlorid.
In der Kälte findet zwischen den beiden Verbindungen keine Ein-
wirkung statt, das Oxychlorid überschichtet die Säure ohne sich damit
zu vermischen. In der Wasserbadwärme beginnt die Umsetzung unter
schäumender Entwicklung von Salzsäure und unter Trttbwerden des
Oxychlorids, bedingt durch die Abscheidung von Monhydroxyl-
Phosphorsäure, vollendet sich aber kaum, da selbst noch
nach sehr langer Einwirkung Oxychlorid übrig ist und erst bei stärkerer
Erwärmung von neuem unter starkem Schäumen der immer zäher
werdenden Masse einzuwirken beginnt. Die Gleichung, nach welcher
die Umsetzung erfolgt, ist :
2 P^O'H* 4- P0C13 = 5 P03H + 3 CIH.
Vi. Pyrophosporsäure und Phosphorpentachlorid.
In der Kälte findet nur geringe Einwirkung statt, im Wasserbade
*wird sie lebhaft und vollendet sich unter Bildung von Phosphoroxy-
chlorid und Chlorwasserstoff, wenn genügend Phosphorpentachlorid
angewandt wurde, nach der Gleichung :
P^O'H* + 5 PCI* = 7 POCI ^ + 4 CIH.
. Wird aber weniger Phosphorpentachlorid angewandt, so bleibt
Monhydroxy I-Phosphorsäure übrig, d. »h. dann findet der
Hergang zunächst nach der Gleichung statt :
P207H4 + PC|5 = 2 PO»H + POCr^ + 2 CIH.
In keinem Falle wird die Bildung des Pyrophosphorsäurechlorids be-
obachtet, was möglicherweise daher kommen kann, dass dasselbe, wie
bekannt, sich mit Phosphorpentachlorid bei Wasserbadhitze in gewöhn-
liches Oxychlorid verwandelt.
VU. Pyrophosphorsäure und Phosphorchlorür.
In der Kälte schwimmt das PhosphorchlorUr unvermischt auf der
Pyrophosphorsäure und i«* ******** '^••***"*kung, auch selbst nach dem
1} Vergl. d. Zcitscbr
384 A. Geuiber,
«
längeren Erwärmen auf dem Wasserbade bemerkt man kaum eine Ver-
änderung, lässl man' aber ein kleines Flämmchen direct so wirken, dass
das Pbosphorchlorür vom umgekehrten Kühler lebhaft zurückfliesst, so
triu die Entwicklung von Chlorwasserstoff auf und man bemerkt bald
ein Trübwerden der vorher klar aussehenden Säure, genauso, wie wenn
sich MonhydrcKyl-Phosphorsäure abscheidet; daneben ßndet gleichzeitig
die Bildung von rothem Phosphor statt, wie bei der Zersetzung von
phosphoriger Säure durch Phosphorchlorür. Es setzt sich dies fort und
wenn mau Mengen nach der Gleichung :
3 P207H4 + PGl» = 6 PO^H + P(0H)8 + 3 CIH
anwendet, so verschwindet das Phosphorchlorür vollständig und nun
enthält der zähe rothe Rückstand Monhydroxyl-Phosphorsäure,
denn seine filtrirle Losung fällt Eiweiss. Es unterliegt somit keinem
Zweifel, dass die eben angeführte Gleichung die wahre Umsetzungs-
gleichung darstellt, dass aber die entstandene phosphorige Säure weiter
durch das Phosphorchlorür unter Phosphorabscheidung wie bekannt
verändert wird. Das schliessliche Resultat der Einwirkung ergiebt sich
als Summe der 3 folgenden Reactionen :
12 P207H4 + 4 PCI3 = 24 P03H + 4 P(0H)5> +• 12 CIH
k P(OH) ' + PCI^ = 3 P04H3 + 2 P + 3 CIH
3 P04H3 + 3 P03H = 3 P2Q7H^
9 P20'1H + 5 PGP = 21 P03H + 2 P +15 GIH.
VllI Phosphorige Säure und Phosphoroxychlorid.-
In der Erwartung , dass die Einwirkung des Phosphoroxychlorids
auf die phosphorige Säure nach der Gleichung:
3 P0C13 + 2 P(0H)3 = 3 PO^H + 2 PCI» + 3 CIH
welche sich aus den beiden Gleichungen :
POCl^-f. P(0H)3= P04H3+ PC13
P0C|3 + 2 PO^H^ = 3 P03H 4- 3 CIH
zusammensetzt, verlaufen würde, wurden die dieser Gleichung ent-
sprechenden Mengen beider Verbindungen auf einander einwirken ge-
lassen. Es ßndet gleichförmige Mischung unter geringer Erwärmung
und Entwicklung von viel Chlorwasserstoff statt. Die Reaction wurde
sich im Wasserbade vollenden gelassen und darin so lange erhitzt , als
noch Entwicklung von Chlorwasserstoff zu bemerken war. Es halten
sich nun 2 Schichten gebildet, eine dicke zähe untere und eine leicht-
bewegliche obere. Letztere wurde nach dem Erkalten abgegossen und
destillirt; sie erwies sich als reines Phosphorchlorür. Die zähe
untere Schicht hatte das Aussehen von Monhydroxyl-Phosphor-
säurc, sie löste sich in Wasser unter geringer Erwärmung zu einer
lieber die Kiiiwirkiinf^eii der Pbosphorcbloride «nf die Phosphorsüaren. 385
Flüssigkeit, welcher Baryumchlorid und auch nach Zusatz von Na>
triumacetat £iweisslOsung fällte. Dass sie in der That Monhydroxyl-
Phosphorsäure war, wurde durch Zugabe der berechneten Menge von
Phosphorsuperchlorid und Erwärmen im Wasserbade nachgewiesen,
wobei sie unter Entwicklung von Chlorwasserstoff und Bildung von
Pbosphoroxychlorid vorschwand.
Die Thatsache, dass die phosphorige Säure mit Ilttlfe von Pbos-
phoroxychlorid soieicht wieder in Phosphorchlorür, aus dem sie gebildet
wird, zurück verwandelt werden kann, hat eine wesentliche Bedeutung für
die Constitution derselben. Sie zeigt unwiderruflich, dass Phos>
phorchlorür uqd phosphorige Säure durchaus im Yerhältniss engster
Zusammengehörigkeit stehen, dass eben das Ersterc das zur
Letzteren gehörige Chlorür ist, oder mit andern Worten, dass die
phosphorige Säure so gut wie das Phosphorchlorür triva-
lenten Phosphor enthHlt und die Formel der Ersteren also nicht
F in
PH0(0H)2 sondern P (OH) 3 ist.
IX. Phosphorige Säure und Phosphorpentachlorid.
Das Phosphorchlorid wirkt lebhaft und unter starker Salzsäureent-
Wicklung aber ohne bedeutende Erwärmung auf die phosphorige Säure
ein. Wendet man auf h Mgt. der Säure zunächst nur \ Mgt. des Chlo^
rids an , so verfltlssigt sich das Letztere leicht zu einem anfangs ho-
mogenen klaren Product. Später tritt ein Opalisiren der Flüssigkeit ein
und es sondert sich eine dickere schwerere Schicht ab. Wird die obere
Schicht davon abgegossen und für sich untersucht, so findet man leicht,
dass sie aus Phosphorchlorür und Pbosphoroxychlorid be-
steht. Die untere dicke Flüssigkeit aber ist unveränderte phos-
phorige Säure völlig frei von Monhydroxyl- Phosphorsäure. Lässt
man auf sie ein zweites Mischungsgewicht Phosphorpentachlorid ein-
wirken, so geschieht dasselbe. Die ganze Menge der phosphorigen Säure
verschwindet erst, wenn auf \ Mgt. derselben 3 Mgte. Penlachlorid an-
gewandt werden nach der Gleichung :
P{OH)» + 3 VCi^ = PC13 + 3 POCP + 3 CIH.
X. Unterphosphorige Säure und Phosphorchlorür.
Dic zu diesem und den folgenden Versuchen verwandte unter-
phosphorige Säure war aus dem Baryumsalz gewonnen worden, welches
mit der genauen Menge von verdünnter Schwefelsäure ^) in der Kälte
h) Hat man eine Spur Schwefelsäure zuviel zugefügt, d. h. 8o wenig, dass
s>icb in sehr verdünnter Lösung dieselbe nicht mehr erkennen lässt, so itommtdie-
386 A- Geutber,
zerlegt worden war. Die filiririe dünne Säure wurde ersl in massiger
Wärme, zuletzt auf dem Wasserbade so lange concentrirt, bis der Ge-
ruch nach Phosphorwasserstoif aufzutreten begann und dann längere
Zeit über Schwefelsäure gestellt. Sie war farblos, von öliger Consistenz,
besass das spec. Gewicht 1,49 bei -f- 10° und war ganz rein, wie die
folgende Analyse zeigt.
0,4485 Grm. unterphosphorige Säure lieferten nach der Oxydation
mittelst Salpetersäure und Königswasser i) 0,7541 Grm. Magnesium-
pyrophosphat, entspr. 0,2106 Grm. = 46,93 Proc. Phosphor. Für die
unterphosphorige Säure berechnen sich: 46,97 Proc. Phosphor.
Das Phosphorchlorür wirkt sehr lebiiaft und unterstarker Wärme-
entwicklung auf die unterphosphorige Säure ein, weshalb man am
Besten dasselbe tropfenweise zu der durch kaltes Wasser gekühlten
Säure fliessen lässt. Das zufliessende Ghlorür bewirkt sofort Umsetzung
unter Entwicklung von Chlorwasserstoff und ßildung von Phosphor^
der anfangs als gelbe Haut, später als orangefarbene bis orange-
rothe Masse sich abscheidet. Zur Vollendung der Einwirkung wurde
schliesslich noch am aufgerichteten Kühler im Wasserbade erwärmt und
zuletzt das überschüssig gebliebene Ghlorür abdestillirt. Der rothe zähe
Rückstand w^urde nun mit viel Wassor übergössen und verschlossen
selbe während des Eindampfens als Schwefel zum Vorschein, oder auch noch beim
Stehen über Schwefelsäure, wobei die unterphosphorige SSure allmtflig eine
immer intensiver werdende tief indigobiaue Farbe annimmt, welche mit der Zeil
unter Schwefelabscheidung und Bildung von Schwefelwasserstoff immer heller wird
und allraälig in einen ganz schwach bräunlichen Ton tibergeht.
1) Oxydirt man die unterphosphorige Säure mittelst Salpetersäure, so tritt
beim Erwärmen, auch wenn nur massig starke Säure angewandt worden war, bald
die Entwicklung rother Dämpfe ein. Bei weiterem Eindampfen hört dieselbe wieder
auf und die wegdampfende Salpetersäure ist scheinbar ohne weitere Einwirkung,
bis dann bei genügender Concontration mit einemmale wieder eine reichliche und
länger andauernde neue Entwicklung rother Dämpfe beginnt. Die zuerst ein-
tretende Entwicklung rother Dämpfe rührt von der Oxydation der unterphosphorigen
Säure hauptsächlich nur zu phosphoriger Säure und die zu zweit eintretende von
der Oxydation der phosphorigen Säure zu Phosphorsäure her. Es ist lange schon
bekannt, dass die Oxydation der phosphorigen Säure zu Phosphorsäure durch Sal-
petersäure nur sehr schwierig vollständig erreicht wird und dass ein wiederholtes
starkes Eindampfen mit der letzteren Säure noth thut. Ich habe mich ebenfalls bei
Gelegenheit der obigen Analyse hiervon zu überzeugen Gelegenheit gehabt. H. Rose
hat deswegen vorgeschlagen mit Salzsäure und Kaliumchlorat die Oxydation zu be-
wirken, ich habe aber nicht ffnden können, dass sie dadurch rascher und vollständiger
von statten geht, denn ein grosser Theil des Chlors entweicht stets ohne oxydirend zu
wirken. Vollständig und rasch erreicht man die Oxydation indess, wenn man nach
der OxydaÜoQ mit Salpetersäure noch starkes Königswasser zufügt und eindampft,
bis keine rotben Dämpfe mehr kommen.
Ueber die Einwirkungen der Phosphorchloride auf die PhosphorsJiuren. 387
stehen gelassen. Etwa Y5 desselben gehen in Lösung als phosphorige
Säure und Trihydroxyl-Phosphorsaure, während Vs »'s
orange rother Phosphor^) übrig bleibt. Von der ersteren Silure ist
am meisten, Mouhydroxylpbosphorsäure ist gar nicht vorhanden.
Die abgeschiedene Pho&phor menge sowohl als die verbraucht
werdende Menge von PhosphorcblorUr zeigen, dass der Hergang bei der
Umsetzung vorzüglich verläuft nach der Gleichung :
3 PH(0H)2 + PC13 = 2 P(0H)3 -f. 2 p + 3 CIH.
Die mit entstandene Trihydroxylsäure verdankt ihre Entstehung
einer nebenher gehenden Einwirkung des Phosphorchlorürs auf die
phosphorige Säure nach bekannter Art und Weise. Die unterphos-
phorige Säure benimmt sich also in dieser Reaction vvieeinGemisch
von Phosphorwasserstoff und phosphoriger Säure:
3 PH (OH) 2 = PH3 + 2 P(0H)3.
Der Phosphorwasserstoff setzt sich dann, wie bekannt, mit dem
Phosphorchlorür um in rothen Phosphor und Chlorwasserj>toff, während
die phosphorige Säure Übrig bleibt.
Es will mir scheinen , als ob auch dies Verhalten dafür spräche,
dass in der unterphosphorigen Säure trivalenter und niiht pentavalenter
Phosphor enthalten, ihre Formel also P /q^.2 und nicht P 0 ist.
Ein Chlorid der unterphosphorigen Sänre, dessen Bil-
dung auf diese Weise hatte müglich .sc^in können, entsteht also nicht,
denn auch die kleinste Menge von Phosphoi*ehlorür l>ewirkl sofort Ab-
scheidung von Phosphor. Es geht daraus hervor, dass weder die Ver-
m
bindung PHCP noch der Anhydrid der unterphosphorigen Säure PHO
/// H jjj
oder P 0| pji für sich bestehen kann, sondern die erslere nach der
Gleichung : 3 PHC|2 = PC|3 + 2 P + 3 CIH , der letztere aber nach
der Gleichung: 3 PHO = P(0H)3 -f- 2 P zerfallen muss.
i) Derselbe mit beissem Wasser gewaschen, möglicbsl rasch durch Fliess-
papier vom anhängenden Wasser befreit und im leeren Raum Über Schwereistture
getrocknet, ergab bei der Analyse 96— 96,J Proc. Phosphor. Die fehlenden 4 Proc.
rühren jedenfalls von noch beigemengten Süuren des Phosphors, liauptsächlich
phosphoriger Stture her, denn beim Erhitzen im Röhrchen entsteht neben viel
sublimirenden Phosphor etwas entzündliches PhosphorwasserstofTgas und etwas
Phospliorstfure.
38S A. Geiiiher,
XI. ünterphosphorige Säure und Phosphor-
oxychlorid.
Die Einwirkung des Phosphoroxychlorids auf die unlerphospboiige
Säure ist scheinbar noch lebhafter als die des Pliosphorchlorüi^ und
ijusserlich von ganz ähnlichem Verlauf. Jeder Tropfen wirkt wie dort
unter Phosphorahscheidung und Salzsaureentwicklung ein. Man
verfahrt deshalb auch hier wie dort. Wird nach vollendeter Ein-
wirkung im Wasserbade mit aufsteigendem Kühler erhitzt, wobei eine
erneute lebhaftere Entwicklung von Chlorwasserstoff auftritt, so bemerkt
man bald, dass eine unter -400° siedende Verbindung gebildet ist,
indem Flüssigkeit bis in den Kühler destillirt und von da wieder zurück-
fliesst. Die.selbe kann aus dem Wasserbade vom Rückstand und vom
etwa überschüssig zugesetzlen Oxychlorid abdeslillirt werden und er-
weist sich bei erneuter Rectification als Phosphorchlcrür. Der
Bückstand selbst besteht hauptsächlich aus Mon hydrox yUPhos-
phorsäure. Der gebildeten Menge ausgeschiedenen Phosphors nach
verläuft die Einwirkung nach den 2 Gleichungen :
6 PH (OH) 2 + 3 P0GI3 = 3 PO^H + 2 P(0H)3 + 4 P -f 9 CIH
2 P(OH):^ +.H POCI» = 3 PO^H + § PC13 + 3 CIH
2 [3 PH(0Hj2 4- 3 POCI» = 3 PO^H + .PCI» . + 2 P + « CIH|.
Dass sie sich nach der ersteren Gleichung zunächst realisirt, wini
durch die oben erwähnte erneule Entwicklung von Chlorwasserstoflgas,
welche bei der Einwirkung des Wasserbades statt hat, sehr wahrschein-
lich gemacht. Der Rückstand enthält auch neben Metaphosphorsäure
eine das Quecksilberchlorid reducirende Säure, indess kann daraus
nicht auf die Anwesenheit von phosphoriger Säure geschlossen werden,
da die sich bildende zähe Metaphosphorsäure leicht etwas unverändert
gebliebene ünterphosphorige Säure oder etwas Phosphorchloillr ein-
shliessen kann.
Die erstere Gleichung lässt sich nuä'aber weiter als die Summe
folgender einfachen und sehr verständlichen Gleichungen auflassen :
6 PH(0ll)2 = 2 PH » + 4 P(0H)3
4 P(OH)'» + 3 P0C13 = 3 P03H + 2 PCIJ + 3 CIH + 2 P(0H)3
2 PH3 +2 PCI-< = 4 P * + 6 CIH
d. h. die ünterphosphorige Säure verhält sich dem Phosphoroxychlorid
gegenüber wie ein Gemisch von t^hosphorwasserstoff und
phosphoriger Säure, also ebenso, wie sie es dem Phosphor-
lieber die KiDwirkuiigeii der Pbosphordiloride auf die Phosphorsiuren. 389
chlorUr gegenüber ihut^). So findet die dort aus diesem Verhalten her-
geleitete Ansicht über die Constitution der Säure also auch von hier aus
neue Unterstützung.
XII. Unterphosphorige Säure und Phosphor-
pentachlorid.
Nach der Kenntniss der Einwirkung des Phosphoroxyclilorids auf die
unterphosphorige Säure M^ar es nicht schwer die Gleichung ii^f die End-
reaction aufzustellen, welche sich als die Summe der vier folgenden
ergiebt :
3 PH(0H)2 + 6 PCI* = 6POC13+ PC|3 -f- « P + 9 CIH
6PH(0H)2 4. 6P0C1»= 6 PO^H +2 PCI3 + 4 P-H 42C1H
6 P03H + 12 PCI» = \ 8 P0CI3 4- 6 CIH
6 P + 9PC1& =15PC13
9 [PH (OH) 2+ 3 PCI* = SIP0CI3+ 2PCI» + 3 CIH].
Es war vielmehr durch den Versuch festzustellen, ob bei der Ein-
wirkung des Phosphorpentachlorids sofort die Umsetzung nach der End-
reaetion verlaufen würde oder ob erst die Zwischenreactionen sich ver-
wirklichten. An einer eintretenden Phosphorabscheidung war dies leicht
zu erkennen.
Fügt man zu unterphosphoriger Säure, die durch kaltes Wasser
gekühlt ist, allmälig und in kleineren Portionen das nach obiger End-
gleiehung berechnete Phosphdrpentachlorid , so findet lebhafte Ein-
wirkung unter starker ChlorwasserstofTentwicklung und sofortiger
Abscheidung von rothem Phosphor statt. Es setzt sich dies
beinT Zufügen neuer Mengen des Chlorids eine Zeit lang so fort, die
Einwirkung wird allmälig schwächer und zuletzt so schwach, dass der
nqch verbliebene grosse Rest von Chlorid auf einmal zugegeben werden
kann und zur weiteren Einwirkung gelinde Wärme des Wasserbades
angewandt werden muss. Schliesslich ist alles verflüssigt und besteht
aus einem Gemenge von Phosphoroxychlorid und Phosplior-
chlorür.
4) Auch beim Erhitzen für sich verhttH sich die unterphog-
phorige Stt u re so. Es ist sclion oben en^hnt, dnss sie bereits l>ei 400° anfüngl
PhosphorwasserstoflT zu entwickeln. Dassolbo geschieht rasch unter beträchtlichem
Schäumen zwischen 440® und 4 4*5^ Der verbleihende Rückstand ist phosphorige
Säure, denn er kann bis 350® ohne Veränderung crhizl werden, während er über
diese Temperatur hinaus erwärmt, von Neuem PhosphorwnsseraloflT zu entwickeln
beginnt und nun erst einen Rückstand von Phosphorsäure lässt.
390
A. Geiilher, U«ber die Einwirkungen der Phosphorehloride etc.
Die Gleichungen, nach welchen die Einwirkung der Phosphor-
chloride auf die Phosphorsciuren zunächst verläuft, sind demnach die
folgenden :
P03H + 2 PC15 = 3 POCl» + CIH.
3 P04H3 + PC13 = 3 P03H + P(0H)3 + 3 CIH.
2 P04H3 + P0C13 = 3 PO^H + 3 CIH.
P04H3 + 3 PC15 = 4 POCl » + 3 CIH.
3P207H4 + PC13 =6P03H + P(OH)3 + 3CIH.
2 P207H* + P0C13 = 5 P03H + 3 CIH.
P207H4 + PC15 = 2 P03H + POCl» + 2 CIH.
4 P(0H)3 + PCI»
2P(OHj3 4.3P0CI3
P(0H)3 +3PCI5
3 PO^H^ + 2 P 4-3 CIH.
3 PO^H + 2 PCl^ + 3 CIH.
3 P0C13 + PC|3 + 3 CIH.
3 PH(0H)2 + PC|3 = 2 P(0H)3 + 2 P
6 PH(0H)2 + :{ PÖCI^ = 2 P(0H)3 + 4 P
3PH(OH)2-^.6PC15 = PCI3 -h2P
Jena, den 15. Januar 1873.
+ 3 CIH.
+ 3 P03H -+. 9 CIH
-I- 6 P0CI3 + 9 CIH
Beiträge zur anatomischen Kenntnis» des Erenz-
beines der Sängethiere.
Von
F. FrenkeL
Hierstt Tafel XXI und XXH.
Die vorliegenden Untersuchungen über den vergleichend-anato-
mischen Werth eines im Sacrum des Menschen schon seit längerer Zeit
bekannten , an den Skeleten anderer Säugethiere aber bisher grossen-
theils unbeachtet gebliebenen , selbständig verknöchernden Bestand-
theiles , wurden veranlasst durch den Wunsch des Herrn Professor Gb-
GBifBAUR, einen sicheren Aufschluss darüber zu erlangen, ob die von ihm
bei Vögeln und Reptilien in den Seitenfortsätzen der Sacralwirbel nach-
gewiesenen Sacralrippen auch bei den Säugethieren in aligemeiner Ver-
breitung beständen und welche Beziehungen sie in diesem Falle zu dem
am Sacrum befestigten Darmbeine erkennen Hessen.
Die Vermuthung, dass bei allen Säugethieren das Darmbein nur
mit solchen Stücken des Sacrums in Berührung träte, welche als Rippen-
äquivalente aufzufassen wären, erschien um so mehr gerechtfertigt, als
bereits beim Menschen dieser Nachweis geführt werden konnte. Mit
dem hier ausgesprochenen Zwecke einer genaueren Untersuchung über
das Auftreten und Verhalten der sogenannten Sacralrippen in der Classe
der Säugethiere verband sich die Absicht, die urspüngliche Zahl der echten,
d. h. mit dem Beckengürtel verbundenen Sacralwirbel , die man von
den anderen mit ihnen blos verwachsenen meist gar nicht unterschied,
so genau als möglich festzustellen. Alle diese Verhältnisse wurden an
fötalen oder sehr jugendlichen Stadien der Wirbelsäule untersucht;
ausserdem standen mir die im hiesigen anatomischen Museum aufbe-
wahrten Skelete erwachsener Säugethiere aus allen Ordnungen für die
Untersuchung zu Gebote. Da es schwer hält, von anderen als von Haus-
thieren Embryonen in einem gewünschten Stadium sich zu verschaffen,
so mussten die angestellten Beobachtungen zunächst auf diese sich be-
Bd. vu* 4. S6
392 F. Frenkcl,
schränken. Indessen sind dadurch sowohl umfängliche als auch von
einander sehr entfernt stehende Ordnungen der Säugethiere vertreten,
sodass es gestattet sein wird , in Anbetracht der grossen anatomischen
Uebereinstimmung, von den untersuchten Ordnungen auf das Verhalten
der nidht untersuchten einen wenigstens theilweise berechtigten Schluss
zu ziehen. Da der« Mensch in dieser Richtung verhaltnissmässig am
genauesten bekannt ist, so möge er den Ausgangspunct dieser Dar-
stellung bilden.
Mensch^).
Schon sehr frühzeitig war den Anatomen bekannt geworden wie die
Brust- und Rückenwirbel des Menschen von bestimmten Puncten aus
verknöchern. In den anfangs gleichmässig aus Knorpel bestehenden
und ein Ganzes darstellenden Wirbeln, wird zunächst an je drei von
einander isolirten Puncten das Knorpelgewebe durch Knochengewebe
substituirt. Indem von diesen Puncten aus die Ossification nach allen
Richtungen hin gleichmässig um sich greift, wird der Knorpel bald in
einem grösseren Umkreise in festere Knochensubstanz übergeführt und
bildet einen »Knochenkerna. In je^em Lumbodorsalwirbel bildet sich
0
ein unpaarer Knochenkem inmitten des Körpers und zwei seitliche rechts
und links in den oberen Bogen aus. Dass die Knochenkeme der letzteren
von jenen im Körper bei ihi*em ersten Auftreten sich etwas verschieden
verhalten sei hier nur nebenbei bemerkt. Von den Knochenkemen der
oberen Bogen aus schreitet die Ossification theils dorsalwäi^ts in die
Wandung des Rückgratcanals , theils nach aussen in die QuerfortsUlze,
theils ventralwärts in die Seitentheile des Wirbelkörpers fort, der nur
in seinem mittleren Abschnitte von den Bogenstüdcen unabhängig ver-
knöchert, dazu treten dann, wie bekannt, verhältnissmUssig sehr spät
besondere Ossificationen an den Enden der einzelnen Fortsätze.
Lange Zeit war man der Ansicht, dass in derselben Weise auch
die Sacralwirbel ossificirten, und betrachtete die untereinander ver-
schmolzenen fünf Sacralwirbel als Lendenwirbel mit ausnehmend stark
entwickelten Seitentheilen. Fallopia, Eysson und V.* Coiter Hessen
jeden Sacralwirbel mittelst dreier Kerne, wie es von den vorhergehenden
Wirbeln bekannt war, verknöchern. Im Gegensatze hierzu, führte
Kkrkripig (Spicilegium anatomicum, Amstelodami 4 670) den Nachweis,
4J Alle in diesem Aufsatze gebrauchten Ausdrücke für Lagerungsbeziehungen
am menschlichen Rückgrat setzen die horizontale Lage desselben voraus , indem
nur so eine Uebereinstimmung mit den sp&ler Tür die übrigen Säugethiere in An-
wendung kommenden Bezeichnungen erzielt werden kann.
Beitrüge lar anatomisehen Kenntniss des Kreuxbeioes der SSofi^thiere. 393
dass jeder Sacralwirbel sich mit fünf Knochenkernen aus dem knorpeligen
in den knöchernen Zustand umbilde. Er war, wie es scheint, der
Erste , welcher das Vorhandensein »überzähliger« Knochenkerne in den
Seiteatheilen der Sacralwirbel beobachtet hat. Nur irrte, er sich in-
sofern , als er die »überzähligen Kerne« als in allen fünf Sacralwirbeln
vorhanden annahm, so dass ihm zufolge das knöcherne Sacrum aus
25 Knochenkemen entstand.
Zwischen beiden Angaben hält Albin (Icones ossium foetus humani,
accedit osteogeniae brevis historia, Leiden, 4737] die Mitte, indem er
das später als ein knöchernes Ganzes erscheinende Kreuzbein ursprüng-
lich aus 84 Knochenstücken bestehen lässt, zwischen denen sich Knorpel-
grenzen befänden, durch deren Verstreichen eine vollständige Ver-
wachsung aller Stücke herbeigeführt werde. Die drei ersten Sacral-
wirbel enthalten nach ihm je 5 , die zwei hinteren je nur 3 Knochen-
kerne. Durch diese Angabe der richtigen Zahl der Bildungsstücke des
Kreuzbeines und in der Feststellung derjenigen Stücke an den Sacral-
wirbeln, welche den Bildungsstücken der Lendenwirbel entsprechen,
war ein wesentlicher Forischritt ausgedrückt. Er fand zwar in jedem
Sacralwirbel die drei Bildungsstücke eines Lumbodorsalwirbels , die
erwähnten drei Knochenkeme, wieder; allein ventral von den oberen
Bogen zeigte sich im Seitenfortsatze der drei vorderen Sacralwirbel je-
derseils noch ein selbständiger Knochenkem, für den es an allen andern
Wirbeln keine Analogie gab. Er will diese überzähligen Stücke Pro-
cessus transvcrsi genannt wissen und spricht sich über sie nicht gerade
sehr klar aus, indem er sagt: »sie entsprechen theils den Seiten des
Körperstückes, theils den Anfängen der oberen Bogen«.
Diese »ventralen Seitenstücke«, wie man sie nennen könnte,
suchte Blumbnbach (Geschichte und Beschreibung der Knochen des
menschlichen Körpers, Göttingen, 4 807] in einer sehr sonderbaren Weise
zu erklären. Er sagt über sie (S. 348): »Gegen die Zeit der Geburt
kann man 24 Knochenkeme am Kreuzbein unterscheiden : Fünfe näm-
lich für jedes der drei oberen wirbelähnlichen Stücke, von welchen das
mittlere den Köq)er derselben, zweie, die zu'beiden Seiten nach vom
liegen, gleichsam die Seiten fortsätze , und zwei grössere, die ebenso
nach hinten liegen , die schrägen Fortsätze bildena. Die dorsalen Bil-
dungsstücke dieser Wirbel sind also den schrägen Portsätzen , die stets
(loch nur einen Theil der oberen Bogen vorstellen, gleich gesetzt.
in den neueren Lehrbüchern der menschlichen Anatomie, soweit
sie überhaupt sich mit der Entwickelungsgeschichte der Wirbelsäule
l>efassen , findet man zwar immer die ventralen Seitenstücke als etwas
394 F- Frenkel,
den Kreuzwirbeln Eigenthümlicbes erwähnt, aber nur selten über ihre
Bedeutung eine Aeusserung mitgetheilt.
Gleichwohl hatte schon Mbckel in seinem »System der vergleichen-
den Anatomie« (I, 4. 48S4. S. S43] bereits ganz bestimmt, wenn auch
nur kurz , sich über die Deutung dieser sonst räthselhaften Bildungs-
sttlcke der Sacralwirbel des Menschen ausgelassen, indem er in folgender
Stelle zuerst ihre Yergleichung mit Rippenrudimenten anbahnte. »Da
das Kreuzbein aus mehreren Wirbeln besteht, so entwickelt es sich aus
einer beträchtlichen Anzahl von Knochenstttcken, deren Zahl sich wegen
der Grösse mehrerer seiner Wirbel noch vermehrt, sodass z. B. beim
Menschen in den drei oberen Wirbeln zu den gewöhnlichen Stücken
auf jeder Seite in dem Bogentheile noch zwei ungewöhnliche, vordere,
den Rippen entsprechende kommena. Die in dieser Notiz ausgesprochene
anatomische Wahrheit blieb bis in die neuere Zeit völlig unbeachtet,
indem die meisten Anatomen, sich an Cuyier anlehnend, die Querfortr-
Sätze der Lendenwirbel für an dem Wirbelkörper festsitzende Rippen
oder für Aequivalente von solchen hielten. So lange man dieser Ansicht
huldigte, konnte man folgerichtig die ganz,anders gearteten ventralen
Seitenstücke der Sacralvyirbel gar nicht erklären ; denn wenn man auch
an den Kreuzwirbeln Rippen hätte nachweisen wollen, so konnten doch
nur diejenigen Abschnitte dieser Wirbel dafür betrachtet werden, welche
den Querfortsätzen der Lendenwirbel entsprachen. Dies sind aber
nicht die ventralen SeitenstüQke , sondern die dorsalen Abschnitte der
Seitenfortsätze der vorderen Sacralwirbel. Obgleich nun bereits vor
längerer Zeit von A. Rbtzius mit grosser Bestimmtheit gezeigt worden
war, dass die Querfortsätze der Lendenwirbel bei keinem Säugethiere
mit den Rippen verglichen werden dürfen , dass sie etwas von Rippen
ganz Verschiedenes, nämlich Fortsätze der oberen Bogen seien, wurde
die alte Ansicht von den Querfortsätzen als angewachsene Rippen selb;st
neuerlich wieder zur Geltung gebracht. In dem »Lehrbuche der Ana-
tomie des Menschen« von Langer (Wien, 4 865) wird nämlich für alle
Wirbel des Menschen ^ mit alleiniger Ausnahme der beiden letzten Sa-
cralwirbel und der Steisswirbel , das Auftreten von Rippen oder deren
Rudimenten behauptet. Er sagt nämlich : »die verkümmerten Yisceral-
Spangen der Hals-, Lenden- und Kreuzgegend verschmelzen mit den
Wirbeln und erzeugen verschieden geformte Anhänge derselben, deren
wahre Bedeutung als Aequivalente von Rippen erst neuerer Zeit erkannt
wurdea. Und weiter sagt er(S. 44] : »In der Lendengegend treten die
Rippenrudimente als längere, plattgedrückte Spangen auf, wachsen an
die Seitentheile der Wirbelbogen an und stellen quer abtretende Fort-
sätze dar, welche man ebenfalls Querfortsätze nennt, aber richtiger mit
BeUrSge tnr anatomiscbea Kenntniss des Kreuzbeiues der SHugethiere. 395
dem Namen proccssus coslarii bo^eichnen sollte«. Wie aber schon dem
Entdecker der ventralen SeitenstUcke amSacrum, Albin,* kein Homologen
derselben an den Lendenwirbeln bekannt war, so ist nicht einzusehen,
dass QuerforlStitze und ventrale SeitenstUcke denselben anatomischen
Werth haben sollen. Wenn die einen Rippen sind, dann können es die
andern nicht sein ; denn es können nicht zwei nach ihrem Ursprünge
ganz verschiedene Stücke ein und dasselbe vorstellen.
• Mit den Brust- und Halsrippen wurden dagegen die ventralen Seilen-
stücke zuerst in Quain's Anatomie (i. Bd., 7. Aufl. 4867) zusammen-
gestellt. Es findet sich hier (S. 22) angegeben , dass diese Rnochen-
stücke den sogenannten vorderen Schenkeln der Querfortsätze der
Halswirbel entsprechen, und da diese als Rippenrudimente betrachtet
werden müssen, so sind nach ihm auch die ventralen Seitenstücke nur
als solche anzusehen.
Durch die von Gbgbnbaur (»Beiträge zur Kenntniss des Beckens
der Vögel«, diese Zeilschrift, Bd. VI] aufgeführten vergleichend ana-
tomischen Thalsachen wurde es endlich ausser allen Zweifel geselzt,
dass die bisher nur beim Menschen bekannten ventralen'Seitenslücke
der Sacralwirbel als Sacralrippen betrachtet werden müssen, wie
die unteren Schenkel der Querfortsätze der echten Sacralwirbel der
Vögel oder die den Beckengürtel tragenden Querfortsätze am Sacrum
der Crocodile, und damit waren alle Einwände gegen eine derartige
Deutung der ventralen Seitenstücke, welche noch kurz vorher von Hassb
und ScHWARK (»Studien zur vergleichenden Anatomie der Wirbelsäule«
in: Anatomische Studien, Heft 1, 4870) erhoben worden waren, als
nicht stichhaltig zurückgewiesen.
Obgleich demnach die Verhältnisse des Sacrums beim. Menschen
bereits in vielen Stücken genau bekannt sind, so ist doch über die Be-
ziehungen zu den Darmbeinen und über die häufigen Anomalien des
Sacrums , welche mit dem Auftreten der Sacralrippen in Zusammen-
bang stehen , noch wenig , über die Grössenunterschiede der Sacral-
rippen bei beiden Geschlechtern meines Wissens nach nichts Zusammen-
hängendes veröfienllicht worden. Neben den hierüber zu machenden
Bemerkungen dürfte eine kurze Besprechnng auch der schon bekannten
Thatsachen der Entwickelung , welche mit dem Verhalten bei anderen
Säugelhicren verglichen in einem neuen Lichte erscheinen, und im
Hinblick darauf gerechtfertigt sein.
In dem frühesten von mir untersuchten Stadium ist das Sacrum
äusserlich noch ganz knorpelig. Die Länge der Wirbelsäule beträgt
5 Centimeter. Das Kreuzbein besteht aus 5 mit ihren Seilentheilen
innig verschmolzenen ,' aber durch hohe Zwischenwirbelbänder in der
396 F. Frenkel,
Mitte von einander geschiedenen Wirbeln. Es zeigt gegen spätere Zu-
stände keine wesentliche Gestaltverschiedenheit, abgesehen davon, dass
die vorderen Rreuzbeintöchor relativ grösser sind , als später, weil die
Seitenfortsätze zu dieser Zeit noch schlank und weniger verdickt er-
scheinen. Das Ganze stellt einen Keil dar mit zwei conyorgirenden Sei-
tenflächen, die theil weise an die Darmbeine grenzen. Die beiden
Seitenflächen fallen schräg nach aussen und unten ab und neigen in
dorsaler Richtung unter einem Winkel zusammen. Daher ist die ven-
trale Oberfläche des Sacrums grösser, als die dorsale, und übertrifll sie
in diesem und in allen noch zu besprechenden Stadien an Breite um
so mehr, je grösser der Winkel ist, unter dem die beiden Seitenflächen
nach oben convergiren. Nach hinten zu nehmen die das Sacrum vor-
stellenden Wirbel schnell an Grösse ab, und zwar weniger durch
Volumsverminderung der Körper, als vielmehr der Seitenfortsätze.
Während die Querfortsätze der Lendenwirbel noch ganz kurze, zwischen
Körper und oberem Bogen seillich abtretende, stumpfe Fortsätze dar-
stellen , sind die Seiten fortsätze besonders der vorderen Sacralwirbel
distal stark verbreiterte, flUgelartige Anhänge des Wirbelkörpers, deren
ventraler Abschnitt stärker als der dorsale lateral hervorragt. Die mit
breiter Fläche nach vom sehenden Seitenfortsätze speciell des ersten
Sacral wirbeis besitzen in der Mitte dieser Fläche eine seichte Verliefung
und nach aussen von ihr am Rande eine Einbuchtung , durch welche
ein dorsaler und ventraler Abschnitt bereits in diesem frühen Sl^dium
erkennbar ist. Der dorsale Abschnitt entspricht durch seine Lage
zum Wirbelkörper und zum oberen Bogen wie durch seine geringe
seitliche Ausdehnung dem Querfortsatze eines Lendenwirbels , mit dem
er auch dann übereinstimmt, dass er in gerader Richtung nach aussen
geht. Der ventrale Schenkel dagegen füllt den einspringenden Winkel
aus, der zwischen dem nach unten gewölbten Körper eines Lenden-
wirbels und dem nach oben zurücktretenden Querforlsatze sich her-
stellt, sodass es schon an dem äusserlich noch ganz knorpeligen Kreuz-
beine in die Augen fällt, man habe es nicht mit einer blossen Volumen-
zunahme einer Verdickung der Querfortsätze, sondern mit einem
in den Seiten forts ätzen der Sacralwirbel neu auftreten-
den Bildungs stücke zu thun.
In wievielen Wirbeln dieses vorhanden sei , ist mit Bestimmtheit
hier noch nicht anzugeben ; indessen lässt sich vermuthen, dass es nicht
in allen auftritt, weil die beiden hinleren Sacralwirbel sich nicht durch
flügelartig verbreiterte Seitentheile auszeichnen. Die Seitenfläche des
Sacrums ist zudem sehr breit, soweit sie den drei vorderen Wirbeln
angehört, und endigt nach hinten schmal und spitz , wo sie sich auf die
Beiträge siir anatomischen Kenntniss des Kreuzbeines der Säugelliiere. ^^97
beiden Iclzicn Wirbel forlselzt. Auch in ihrer Richtung slinmien die
ventralen Schenkel der Seitenfortsätze mit den dorsalen nicht übei*ein:
besonders die ventralen Schenkel der Scitenfortsätze des ersten Kreuz-
w'irbcls sind stark nach hinten und unten gerichtet, am zweiten i^t
dies otv^as weniger der Fall , am dritten gehen sie rechtwinklig qu(T
vom WirbelkOrper ab. Aus der Richtung der Seitenfortsätze erkinrt
sich die Verschmelzung derselben an ihren Enden ; denn so stark die
vorderen nach hinten gerichtet sind, so stark sind es die hinteren (dorn
i. und 5. Sacralwirbel angehörigen) nach vorn. Sie neigen also mit
ihren Enden alle zusammen und verschmelzen hier so innig, dass die
m
Grenze zwischen zwei Wirbeln nicht zu bestimmen ist.
Die (bei horizontal gedachter Stellung der Wirbelsäule) von aussen
und oben den Seitenflächen des Sacrums sich auflagernden Darmbeine
berühren unmittelbar nur einen Theil derselben, nämlich nur den
vorderen, den Enden der Seitenfortsätze der drei vorderen Sacralwirbel
angehörigen Abschnitt jeder Seitenfläche und zwar den am weitesten
vorragenden ventralen Rand derselben. Daher sind esdieventralen,
niemals die dorsalen Schenkel der Seitenfortsä tzc,
welchedie Darm beinet ragen. Die Gelenkfläche, mittelst welcher
die Berührung mit dem llium stattfindet, ist die sogenannte facics
auricularis. Sie erhebt sich um ein Weniges über das Niveau der
Seitenfläche, von der sie ein Theil ist. Der zwischen dem nicht er-
habenen Theiie der letzteren und dem auf der Gelenkfläche knapp auf-
liegenden Darmbeine übrig bleibende Raum, ist mit weicher Bandmasse
ausgefüllt.
Da der Seitenfortsatz des ersten Kreuzbeinwirbels in jeder Rich-
tung am meisten entwickelt ist*, so bildet er auch einen Verhältnisse
massig grossen Theil der Seitenfläche des Sacrums. Sein distales Ende
ist ganz besonders verbreitert. Demgemäss hat er auch an der Bildung
der facies auricularis den grössten Antheil , mehr als die Hälfte der-
selben gehört ihm an. Am Ilium entspricht ihm eine tiefe Grube , in
die er sich mit seinem Antheil an der facies auricularis hineinlegt,
während die Anlegestelle der beiden anderen Sacralwifbel weniger
ausgedehnt und fast nicht vertieft ist. Zwischen beiden Abschnitten
der am Darmbeine für die ohrförmige Fläche des Kreuzbeines befind-
lichen Gclenkgrube erhebt sich eine schmale Knorpelleiste , welche die
Grenzscheide zwischen dem Gebiete des ersten Wirbels und dem des
zweiten und dritten darstellt. Auf der Gelenkfläche des Sacrums ent-
spricht dieser Leiste eine zwischen dem ersten und zw'
hinziehende, nach oben laufende kleine Vertiefung^).
4) Das hier über die Theiloabme der einzeloen Sacralwlrl
398 F. Frenkel,
Da, wo der erste 8acralwirbel dem Darmbein siph anfttgt, ist dieses
ventral stark aufgeworfen und verdickt. Die Verdickung zieht sich nach
unten und hinten bis zum Schambeinkamme , bildet spater , wenn sie
als eine noch scharfer ausgeprägte Linie hervortritt, die linea arcuata
interna. Sie stellt die Grenze zwischen dem grossen und dem kleinen
Becken dar. Die gleichnamigen beiden Linien der rechten und linken
Seite gehen tlber den ventralen Rand der Seitenfortsfltze des ersten
Sacralwirbels am Körper desselben ineinander über. Durch die grössere
Ausdehnung seiner Seitentheile, durch die selbständige Art seiner Ein-
lenkung an die Darmbeine und durch die Beziehung, welche zwischen
seinen eingestemmten Fortsätzen und der Gestaltung eines wichtigen
Abschnittes der Darmbeine besteht, erhält der erste Sacralwirbel eine
hervorragende Wichtigkeit. Nach unten und hinten von der Verbin-
dungsstelle mit dem Sacrum beginnt die Verknöcherung der Darmbeine,
welche sich von da aus , concentrisch fortschreitend , allmälig Über die
Knorpelmasse derselben ausbreitet.
Wie weit an diesem embryonalen Skelete die Verknöcherung der
Wirbel vorgeschritten sei , konnte erst durch Querschnitte festgestellt
werden, welche gleichzeitig durch Wirbelkörpor, Seiten fortsätze und
Bogen geführt wurden. Es zeigte sich, dass die Mehrzahl aller Wirbel
bereits damit begonnen hatte und dass, je weiter ein Wirbel nach vorn
lag, um so grösser die in seiner knorpeligen Grundmasse eingebetteten
Knochenkerne sich erwiesen. An den letzten Wirbeln , vom dritten
Sacralwirbel an , zeigte sich noch keine Spur von beginnender Ossifi-
cation und selbst der zweite Sacralwirbel besass nur inmitten seines
Körpers einen kleinen Knochenkern. Am ersten Kreuzbeinwirbel und
an den Lendenwirbeln hatten sich bereits drei von einander unab-
hängige Ossificationscentren gebildet, eins im Wirbelkörper, zwei seit-
liche dorsal davon als knöcherne Grundlage der oberen Bogen. Soviel
über den Befund an dem frühesten von mir untersuchten Stadium des
menschlichen Sacrums. Die im Folgenden kurz beschriebenen Vorgänge
bei der Ossification dieses Skeloltheiles wurden thrils an fötalen Wirbel-
säulen, theils an solchen von Kindern aus den ersten Lebensjahren
beobachtet.
Die erst nach aussen und oben , dann nach innen und oben ge-
wendeten Bogen, welche sich dorsal vereinigend den von jedem Wirbel
verbindaog mit dem Darmbeine Gesagte, findet in demselben Maasse auch auf
spätere Stadien volle Anwendung. Selbst an Skeieten Erwachsener kann man die
hier festgestellten Thalsacben beobachten.
BeilWlge zur aDatomiseben Kenntniss des Kreasbeines der S&ugetbiere. 399
gebildeten Ring über dem Rttckgratcanal abscbliessen, senden von ihrer
am weitesten nach aussen ragenden Ecke an den Lendenwirbeln die
Querfortsätze ab, als deren entsprechende Stücke wir die oberen
Schenkel der Seitenfortsätze der Sacralwirbel erkannten. In dem dieser
Ecke entsprechenden , von den divergirenden Richtungen eines Rogens
eingeschlossenen Winkel, zunächst dem Rttckgratcanale, bildet sich jeder-
seits der Knochenkem aus, durch dessen Wachsthum allmalig der ganze
Rogen in den knöchernen Zustand Übergeht. Von diesem Kerne aus
schreitet die Ossification nach drei verschiedenen Richtungen hin mit
verschiedener Schnelligkeit fort : nach oben bis zur Rertthning mit dem
Knochen der anderen Seite und ihrer Verschmelzung zur Rildung des
Dornfortsatzes ; nach der Seite in den sich verlängernden Querfortsatz
hinein; und endlich abwärts in den Wirbelkörper, wo das Wachs-
thum so lange fortdauert, bis unter Rertthrung mit dem sich rasch ver-
grössernden Knochenkeme des Wirbelcentrums die Möglichkeit einer
weiteren Ausdehnung aufhört.
An jedem Lendenwirbel bleiben, auch nach Umwandlung alles
Knorpels in Knochensubstanz, die Spuren seiner Entwickelung aus drei
Knochenkernen noch längere Zeit erhalten, indem durch erst in späterer
Zeit verstreichende Nähte die Grenzen der von den Knochenkemen aus
ossificirten Theile bezeichnet sind. Diese längst bekannten Thatsachen
der Entwicklungsgeschichte der Lendenwirbel finden nicht minder ihre
volle Anwendung auf die fünf Sacralwirbel , und es würde überhaupt
kaum ein Unterschied in der Entwickelung beider Arten von Wirbeln
stattfinden , wenn nicht die Ventralen Schenkel der Seitenfortsätze der
vorderen drei Kreuzbeinwirbcl einen selbständigen Verknöcherungs-
process durchmachten. Diese verharren, während im Wirbelkörper und
in den oberen Rogen bereits ganz deutliche Knochenkerne aufgetreten
sind, wie es scheint, noch ziemlich lange Zeit im knorpeligen Zustande,
ohne durch eine auf Querschnitten im Knorpel etwa sichtbare Grenze
von den dorsalen Schenkeln der Seitenfortsätze und vom Wirbelkörper
geschieden zu sein. Selbst unter dem Mikroskop war es nicht möglich,
an der Stelle, wo man diese Grenzlinie der ventralen Schenkel der
Seitenfortsätze hätte vermuthen können, einen Unterschied im Gewebe
zu entdecken.
In den ersten Monaten des fötalen Lebens findet, abgesehen von
einer mit der Entwickelung der Wirbelsäule Schritt haltenden Volumen-
zunahme, an dem nur langsam ossificirenden Sacrum so gut wie keine
Veränderuna statt. Als Reweis dafür dienen mir die Skelete zweier
mens die beide vom Atlas bis zum Schwanzende
circ' "^aben und deren eines besonders kräftig
400 F. Frenkcl,
eiiUvickelle Wirbel aufweisl. An boiden ist noch keine rchitive Grössen-
zunahme der in jedem Sacralwirbel angelegton drei Khochenkcrne und,
was das Wichtigste ist , ebenso wie an der oben besprochenen 5 Cen-
limeter langen Wirbelsäule, noch keine Spur einer selbsUindigen Ver-
knöcherung der ventralen Schenkel zu bemerken. Macht man dagegen
Querschnitte durch die Seitenfortsätze am Sacrum Neugeborener, so
findet man stets im ventralen Abschnitte derselben einen isolirtcn
Knochenkern, bereits mehr oder minder ausgebildet, vor. Da in diesen
Skeleten stets, mindestens am ersten Sacralwirbel , die selbständigen
Knochenkerne vorhanden und oft schon recht ansehnlich gross sind, so
ist es ganz sicher, dass sie noch vor der Geburt sich entwickeln. Da
sie aber andererseits kurz nach der Geburt im zweiten Sacralwirbel
vcrhältnissmässig noch klein und im dritten (an dem Skelete eines
mehrere Wochen alten Kindes] nach gar nicht aufgetreten sind , so ist
auch ihre Entstehung im ersten Sacralwirbel, was durch die \ 4 Centi-
meter langen Wirbelsäulen bestätigt wird, in eine späte Zeit des fötalen
Lebens zu setzen. Selbst an der '^O Centimeter langen Wirbelsäule
eines Kindes (von angeblich einem halben Jahre) war, trotz vorhan-
dener Verdickung der Seitenfoitsälze, im dritten Sacralwirbel ein Auf-
treten der »ventralen Seitenstttcke« (wie diese Knochenstttckchen vor-
derhand am besten genannt werden) noch nicht bemerkbar, und im ersten
und zweiten Wirbel Wfiren sie kaum grösser, als an den entsprechenden
Stellen des mehrere Wochen alten , nur 22 Centimeter messenden
Verlebral-Skeletes eines Neugeborenen.
Die erste Anlage dieser »tlberzähligen« Knochenkeme findet näher
dem äusseren , als dem inneren Ende der ventralen Schenkel der Sei-
tenforlsätze statt. Wenn sie unter Verbrauch des umgebenden Knorpels
wachsen, so besitzen sie im Querdurchschnitte der Seiten forlsätze eine
ovale Umrandung. Sie dehnen sich bald bis an die Oberfläche derselben
aus und erstrecken sich in die Wand des Ganais hinein, zu denen die
unteren Kreuzbeiulöcher den Eingang bilden. Sie sind stets durch eine
breitere Knorpelgrenze von dem Knochenkerne des Wirbelcentrums,
als von dem in die dorsalen Schenkel der Seitenfortsätze sich ausbrei-
tenden Knochenkerne getrennt. (Fig. 4.)
Bezüglich der späteren Veränderungen ist bekannt, wie erst die
einzelnen Knochensttlcke jedes Sacralwirbels und dann die Sacralwirbel
selbst untereinander verschmelzen und alle zu einem einzigen Knochen ver-
wachsen. Zuerst fliessen die beiden oberen Bogen (an den drei vorderen
Wirbeln) oben zu dem Rudimente eines Dornforlsatzes zusammen; dann
verschmelzen die ventralen Seitenstttcke mit dem entsprechenden dorsa-
len Schenkel der Seitenfortsätze; nicht lange nach dieser Verschmelzung
Beitriige lur anatomischen Kenntniss des Kreuzbeines der SüngeUiiere. 40 J
vollzieht sich die Verwachsung dor Seilontheilc mit dem Wirheikörper,
zuerst mit dem, einem Querfortsatze entsprechenden Schenkel, dann,
aber viel später, mit dem ventralen Seitenstttcke. Die Nähte zwischen
den Bildungsstttcken der Wirbel verschwinden um so eher, je kleiner
ein Wirbel ist. Daher verschwinden die Spu.ren der ventralen Seiten-
stücke am dritten Kreuzbeinwirbel eher als am zweiten und erholten
sich am längsten am ersten Wirbel.
Am Ende des ersten Lebensjahres haben alle Knochenkerne im
Kreuzbeine ihre gehörige Grösse erreicht, sodass die einzelnen Stücke
nur noch durch schmale Nähte getrennt sind. Diese verschwinden nur
sehr langsam nach einer Anzahl von Jahren und sind im neunten
Lebensjahre, wie an dem mir vorliegenden Skelete eines Knaben zu
sehen ist, noch nicht ganz verschwunden. Erst im Pubcrtätsalter be-
ginnen die Wirbel des Kreuzbeines untereinander und zwar in der
Reihenfolge von hinten nach vorn zu verwachsen, sodass die vollständige
Verschmelzung des ersten und zweiten Sacralwirbels, bei der Lang-
samkeit des ganzen Processes, erst zwischen dem 25. und 30. Lebens-
jahre eintritt. (Vergl. Gruyeilhibr, Traitd d'anatomio, L S. 106 ff.)
Nachdem die Verknöcherung des Sacrums bis zu einer gegen-
seitigen Berührung der Knochenkerne vorgeschritten, lässt sich dor
Aniheil bemessen , den die oberen und unteren Schenkel der Seiten-
fortsätze an der Bildung der Seitenfläche des Kreuzbeines und an der
Verwachsung der Wirbel desselben nehmen. Es wurde bereits oben
gezeigt, dass die Verwachsung der Seitentheile der Sacralwirbel eine
Folge der ausserordentlichen Verdickung ihrer Enden und ihrer Gon-
vergenz nach einem Punctc hin ist. Es lässt sich nun beweisen, dass
eine Verwachsung der Seitenfortsätze gar nicht eintreten würde , wenn
nicht ventrale Seitehstücke am Sacrum vorhanden wären , sowie, dass
die Wölbung des Kreuzbeines nach oben (oder, bei aufrechter Stellung,
nach hinten) unmittelbar durch die Gestalt der ventralen Seitenstücke
bedingt ist. Die letzteren haben nämlich im fertigen Zustande die Ge-
stalt eines mit seinem abgestumpften Ende dem Wirbelkörper an-
liegenden Kegels, der mit einem etwas abgeplatteten Theile seiner
Mantelfläche dem oberen Schenkel des Seitenfortsatzes angefügt ist,
während der übrige Theil der Hanlelfläche der freien Oberfläche dos
Seitenfortsatzes angehört. Die breite, kreisförmige Grundfläche des
Kegelstumpfes schaut seitwärts nach aussen und stellt einen Theil der
Seitenfläche des Kreuzbeins dar. Die dorsalen Schenkel der Seiten-
fortsätze nehmen mit ihrem distalen Ende an der Biidupg der Seiten-
flächen einen kaum nennenswerthen Antheil, indem sie durch die
stark verb^ '' ventralen Seitenslücke an den drei
402 F. Frenkel,
vorderen Sacralwirbeln von der Berührung mit den Seitentheilen der
angrenzenden Wirbel fast ausgeschlossen sind. Anders verhält es sich
an den beiden letzten Sacralwirbeln, an denen die ventralen Seitenstücke
gänzlich fehlen. Die Enden ihrer Querfortsätze sind durch schmale,
allmälig verknöchernde Knorpelbrttcken mit den Enden der seitlichen
Fortsätze des je vorhergehenden Wirbels verbunden. VonderSeiten-
fläche des Kreuzbeines gehört daher nur der schmale,
dorsale, auf die beiden letzten Wirbel fortgesetzte Rand
den Querfortsätzen derSacralwirbelan, die ganze übrige
Seitenfläche wird von den ventralen Seiten stücken durch
Verschmelzung der Ränder ihrer Grundflächen gebildet.
Die Convexität des Kreuzbeines nach oben erscheint dadurch als eine
Folge der starken ventralen Verbreiterung und dorsalen Verschmälerung
durch die Enden der Seitenfortsätze der drei vorderen Wirbel. Die
Theilnahme der den processus transversi der Lendenwirbel entsprechen-
den dorsalen Schenkel der Seitenfortsätze an der Verwachsung der
Seitentheile erklärt sich vielleicht aus der Annäherung ihrer Enden in-
folge der Krümmung des Kreuzbeines und aus der nahen Beziehung,
in welche sie zu den ventralen Seitenstücken durch Verschmelzung mit
ihnen getreten sind.
Die hier beschriebenen Lagerungsbeziehungen der letzteren lassen
sich am besten an Skeleten drei- bis vierjähriger Kinder beobachten,
an denen die Grenzen der~ einzelnen Knochenstücke auch äusserlich
deutlich durch Nähte bezeichnet sind. Da dies auch auf den Seiten-
flächen noch der Fall ist, so sieht man an jenen Skeleten genau, dass
die glatte überknorpelte Gelenkfläche, faciesauricularis, welche
den grösseren, ventralen Abschnitt der Seitenfläche bildet, an keiner
Stelle den Querfortsatzenden angehört, sondern nur den
ventralen Seitenstücken. Indessen treten auch diese nicht mit ihrer
gan zen Aussenfläche mit dem Darmbeine in Berührung; der kleinere
dorsale Abschnitt dieser Fläche besitzt keinen Knorpelüberzug, er hat
eine rauhe , knöcherne Oberfläche und zeigt sich , nach Ablösung des
Darmbeins vom Sacrum durch strafle Bandmasse mit ersterem verbunden.
Immer, und es wurde darauf hin eine grössere Anzahl Kreuzbeine
untersucht, gehört dergrösSteXheilderfaciesauricularis
dem ventralen Seitenstücke des erstenSacralwirbels an.
Dagegen ist die Grösse ihrer Ausdehnung auf den zweiten und dritten
Kreuzbeinwirbel nicht nur individuellen Verschiedenheiten unterworfen,
sondern oft sogar auf beiden Seiten eines und desselben Sacrums ungleich.
Gewöhnlich nimmt die facies aimcularis den ganzen ventralen Rand
der Seitenfläche des zweiten und mit ihrem hinteren Ende noch den
BeitrXge lur aoatomisebeD Keontniss des Krembeines der Singetbiere. 403
vorderen Abschnitt der Seitenfläche des dritten Sacralwirbels ein. Doch
kommen hiervon auch manche Abweichungen vor, oder sogar asyme-
trisches Verhalten , wie ich z. B. an dem Sacnim eines neunjährigen
Knaben finde , welches auf einer Seite den gewöhnlichen Befund , auf
der andern Seite aber die facies auricularis nur dem ersten und zweiten
Saoralwirbel angehorig aufweist.
Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen , dassdiedor-
salen Abschnitte in den Seitenfortstttzen der vorderen
Sacral Wirbel, sowie die Seitenfort&ätze der beiden letz-
ten, in ihrer ganzen Ausdehnung den Querfortsätzen
der Lendenwirbel entsprechen. Genauer ausgedrückt ent-
sprechen sie der Wurzel der oberen Bogen am ROrperstücke des Wirbels
und deren seitlicher, einen kurzen Querfortsatz darstellenden Ver-
längerung. Darüber kann bei Vergleichung durch die Kreuzbeinwirbel
gelegter Querschnitte , mit Querschitten durch Lendenwirbel des näm-
lichen Skelets kaum ein Zweifel sein. Denkt man sich die durch Nähte
noch deutlich abgegrenzten ventralen Seitenstücke hinweg, so gewährt
der Durchschnitt durch einen Saoralwirbel vollkommen das Bild eines
quer durchschnittenen Lendenwirbels, dessen Querfortsätze mit ge-
troffen sind. Die Querfortsätze der Lendenwirbel nehmen von vorn
nach hinten bis zum vierten stetig an Länge zu, und sind am fünften
in demselben Maasse verkürzt. In der That folgen die Processus trans-
versi , die wir in den Seitentheilen des Kreuzbeins als Enden der dor-
salen Schenkel wiederfinden, genau diesem Verhalten und setzen es
fort indem sie von vom nach hinten eine relative Abnahme der Länge
erfahren. Sie unterscheiden sich von den processus transversi der
Lendenwirbel nur durch die der Function des Kreuzbeins angepasste
Verdickung ihres mit dem nächsten Wirbel verwachsenden Endes.
Das ventrale Seitenstück zeigt sich auf solchen Querschnitten mit
dem oberen Bogen auf einer grosseren Strecke als mit dem WirbelkOrper
in Berührung. Am zweiten und dritten Sacralwirbel , wo es quer
durchschnitten einen dreieckigen Umriss hat, berührt es den Wirbel-
kOrper sogar nur mit seiner inneren Ecke in einer kaum linearen Aus-
dehnung.
Eine besondere Bedeutung erhalten die ventralen Seitenstücke
wenn man den Einfluss des Sacrums auf die Gonfiguration des Beckens
in beiden Geschlechtem in Betracht zieht. Bekanntlich sind am weib-
lichen Becken alle Durchmesser relativ grosser, als am männlichen.
Das weibliche Sacrum ist kürzer und breiter, als das Sacram des Mannes.
Im Allgemeinen kann man es als Begel ansehen, dass die grOssle Breite
des weiblichen Sacrums gleich ist seiner Länge, wähi*end das männliche
402 F. Frenkel,
vorderen Sacralw]rbe]n von der Berührung mit den Seitentheilen der
angrenzenden Wirbel fast ausgeschlossen sind. Anders verhält es sich
an den beiden letzten Sacralwirbeln, an denen die ventralen Seitenstttcke
gänzlich fehlen. Die Enden ihrer Querfortsätze sind durch schmale,
allmälig verknöchernde Knorpelbrttcken mit den Enden der seitlichen
Fortsätze des je vorhergehenden Wirbels verbunden. Von derSeite^-
fläche des Kreuzbeines gehört daher nur der schmale,
dorsale, auf die beiden letzten Wirbel fortgesetzte Rand
den Querfortsätzen derSacralvsrirbelan, die ganze übrige
Seitenfläche v^ird von den ventralenSeitenstückendurch
Verschmelzung der Ränder ihrer Grundflächen gebildet.
Die Gonvexität des Kreuzbeines nach oben erscheint dadurch als eine
Folge der starken ventralen Verbreiterung und dorsalen Verschmälening
durch die Enden der Seitenfortsätze der drei vorderen Wirbel. Die
Theilnahme der den processus transversi der Lendenwirbel entsprechen-
den dorsalen Schenkel der Seitenfortsätze an der Verwachsung der
Seitentheile erklärt sich vielleicht aus der Annäherung ihrer Enden in-
folge der Krümmung des Kreuzbeines und aus der nahen Beziehung,
in welche sie zu den ventralen Seitenstücken durch Verschmelzung mit
ihnen getreten sind.
Die hier beschriebenen Lagerungsbeziehungen der letzteren lassen
sich am besten an Skeleten drei- bis vierjähriger Kinder beobachten,
an denen die Grenzen der einzelnen Knochenstücke auch äusserlich
deutlich durch Nähte bezeichnet sind. Da dies auch auf den Seiten-
flächen noch der Fall ist, so sieht man an jenen Skeleten genau, dass
die glatte Überknorpel te Gelcnkfläche, facies auricularis, welche
den grösseren, ventralen Abschnitt der Seitenfläche bildet, an keiner
Stelle den Querfortsatzenden angehört, sondern nur den
ventralen Seitenstücken. Indessen treten auch diese nicht mit ihrer
ganzen Aussenfläche mit dem Darmbeine in Berührung; der kleinere
dorsale Abschnitt dieser Fläche besitzt keinen Knorpelüberzug , er hat
eine rauhe , knöcherne Oberfläche und zeigt sich , nach Ablösung des
Darmbeins vom Sacrum durch straffe Bandmasse mit ersterem verbunden.
Immer, und es' wurde darauf hin eine grössere Anzahl Kreuzbeine
untersucht, geh ö rt der grössteTheil der facies auricularis
dem ventralen Seitenstücke des erstenSacralwirbels an.
Dagegen ist die Grösse ihrer Ausdehnung auf den zweiten und dritten
Kreuzbein Wirbel nicht nur individuellen Verschiedenheiten unterworfen,
sondern oft sogarauf beiden Seiten eines und desselben Sacrums ungleich.
Gewöhnlich nimmt die facies auricularis den ganzen ventralen Rand
der Seitenfläche des zweiten und mit ihrem hinteren Ende noch den
Beiträge siir anatomiscben KeoDtniss des Kreuzbeines der S&ugetbiere. 403
vorderen Abschnitt der Seitenfläche des dritten Sacral wirbeis ein. Doch
kommen hiervon auch manche Abweichungen vor, oder sogar asyme-
Irisches Verhalten , wie ich z, B. an dem Sacrum eines neunjährigen
Knaben finde, welches auf einer Seite den gewöhnlichen Befund, auf
der andern Seite aber die facies auricularis nur dem ersten und zweiten
Saoralwirbel angehOrig aufweist.
Es wurde bereits mehrfach daraufhingewiesen, dass die dor-
salen Abschnitte in den Seitenfortsätzen der vorderen
Saoralwirbel, sowie die Seitenfort&ätze der beiden letz-
ten, in ihrer ganzen Ausdehnung den Querfortsätzen
der Lendenwirbel entsprechen. Genauer ausgedrückt ent-
sprechen sie der Wurzel der oberen Bogen am RdrperstUcke des Wirbels
und deren seitlicher, einen kurzen Querfortsatz darstellenden Ver-
längerung. Darüber kann bei Vergleichung durch die Kreuzbeinwirbel
gelegter Querschnitte , mit Querschitlen durch Lendenwirbel des näm-
lichen Skelets kaum ein Zweifel sein. Denkt man sich die durch Nähte
noch deutlich abgegrenzten ventralen Seitenstücke hinweg, so gewährt
der Durchschnitt durch einen Saoralwirbel vollkommen das Bild eines
quer durchschnittenen Lendenwirbels, dessen Querfortsätze mit ge-
troffen sind. Die Querfortsätze der Lendenwirbel nehmen von vom
nach hinten bis zum vierten stetig an Länge zu, und sind am fünften
in demselben Maasse verkürzt. In der That folgen die processus trans^
versi , die wir in den Seitentheilen des Kreuzbeins als Enden der dor-
salen Schenkel wiederfinden, genau diesem Verhalten und setzen es
fort indem sie von vom nach hinten eine relative Abnahme der Länge
erfahren. Sie unterscheiden sich von den processufi transversi der
Lendenwirbel nur durch die der Function des Kreuzbeins angepasste
Verdickung ihres mit dem nächsten Wirbel verwachsenden Endes.
Das ventrale Seitenstück zeigt sich auf solchen Querschnitten mit
dem oberen Bogen auf einer grösseren Strecke als mit dem Wirbelkörper
in Berührang. Am zweiten und dritten Saoralwirbel, wo es quer
durchschnitten einen dreieckigen Umriss hat, berührt es den Wirbel-
körper sogar nur mit seiner inneren Ecke in einer kaum linearen Aus-
dehnung.
Eine besondere Bedeutung erhalten die ventralen Seitenstücke
wenn man den Einfluss des Sacmms auf die Configuration des Beckens
in beiden Geschlechtern in Betracht zieht. Bekanntlich sind am weib-
lichen Becken alle Durchmesser relativ grösser, als am männlichen.
Das weibliche Sacrum ist kürzer und breiter, als das Sacrum des Mannes.
Im Allgemeinen kann man es als Begel ansehen, dass die grössle Breite
des weiblichen Sacrums gleich ist seiner Länge, während das männliche
404 F. Freiikeh
Sacrum dadurch schmäler erscheint, dass es weniger breit als lang ist.
DerGrund dieser wichtigen sexuellen Verschiedenheil
in den Maassverhaltnissen dieses Knochens ist, dass,
bei sich gleichbleibender Breite der Wirbelkörper, am
weiblichen Sacrum die ventralen Seitonstacke langer
sind, als am männlichen. Wenn man die Breite des Zwischen-
raumes zwischen dem rechten und linken vordersten Sacralloche (statt
der nicht bestimmbaren Breite des mittleren Theiles eines Wirbelkörpers}
und die grösste Breite des ersten Sacralwirbels (auf seiner ventralen
Fläche hin) misst, die Breite jenes intervertebralen Abschnitts = I setzt,
und dies an einer Anzahl männlicher und weiblicher Kreuzbeine voll-
führt, so ergiebt sich als das aus den so erhaltenen Verhältnisszahlen
für beide Geschlechter gefundene Mittel, dass beim weibliehen Ge-
schlechte die Breite des intervertebralen Abschnitts zur grössten Broite
des ersten Sacralwirbels sich wie \ : 4,04, beim männlichen wie 1 : 3,52
verhält. Das ventrale Seitenstück erreicht demnach am weiblichen
Sacrum die relative Länge 1,50, am männlichen dagegen nur 4,26. Man
sieht dass die letztere Zahl zur ersteren in dem Verhältnisse 4 : 4,49,
also fast = 4 : 4,8 steht. Diese Verlängerung der ventralen Seiten-
stücke beim Weibe , welche mit den veränderten Grössenverhältnissen
des ganzen Beckens in innigster Beziehung steht , muss , wie alle Ver-
änderungen am Becken, als eine Anpassungserscheinung an die ge-
schlechtlichen Functionen betrachtet werden. Wie durch sie die Con-
figuration des Beckens beherrscht wird ist verständlich, wenn man den
bei ihrem Auftreten weniger steil ventralwärts erfolgenden Abfall der
Seitenflächen und deren dorsale Convergenz beachtet.
Die den Seitenflächen angefügten Darmbeinplatten stehen daher
ventral weiter auseinander, und, indem diese grössere Divergenz durch
Verlängerung der linea arcuata interna und des horizontalen Scham-
beinastes compensirt wird, gewinnen alle Beckendurcbmesser an Länge,
während zugleich der Schambogen flacher und weiter und das foramen
obturatum eckiger ist.
Abgesehen von dieser, je nach dem Geschlechte verschiedenen,
Längenentwickelung seiner Seitentheile ist das Sacrum noch so viel-
fachen Variationen unterworfen , dass man es mit Recht als den ver-
änderlichsten Abschnitt der Wirbelsäule bezeichnet findet. Die an dem-
selben wahrgenommenen Abweichungen von seinen normalen Verhält-
nissen betreffen am häufigsten die Zahl der in ihm verwendeten
Wirbel, und zielen theils auf eine Abnahme, theils auf eine Zunahme
jener Zahl, mit oder ohne eine gleichzeitige Reduction oder eine Neu-
bildung ventraler Seitenstücke hin. Durch die Beziehung zu letzteren
Beitrage xur anatomischen Kenntiiiss des Kreozbeines der Sangethiere. 405
geben mir diese Anomalien zu eingehender Aeusseining Anlass. Meine
hierüber gemachten Beobachtungen schliessen sich an die von Dr. Dörr
mitgetheilten Fälle an. (Zeitschrift für rationelle Medicin 3. Reihe
Vlll. Bd. S. 185.)
Eine Verminderung der sacralen Wirbelzahl auf vier
kann durch ein Ausscheiden d^s ersten oder des letzten Wirbels aus
dem Verbände des Kreuzbeins hevorgebracht sein. Beide geben in
solchem Falle ihre characteristischen Eigenschaften als Sacralwirbel auf,
indem sie das Streben zeigen , sich durch ihre Form dem anstossenden
Abschnitte der Wirbelsäule anzuschliessen und dadurch ihre Selbstän-
digkeit zu erhalten. — Den fünften Sacralwirbel findet man oft ohne seit-
liche Verbindung dem vierten beweglich ansitzend , wodurch die Zahl
der Schwanzwirbel um einen vermehrt erscheint. Dagegen verliert
der erste Sacralwirbel, wenn keine ventralen Seiten-
stücke an ihm zur Entwickelung kommen, durch Ver-
schmälerung seiner nicht mehr an das Darmbein stossen-
den Seitenfortsätze das Aussehen eines Sacralwirbels
und gleicht einem bloss mit Querfortsätzen ausgestatteten Len-
denwirbel. Man findet diesen Fall nicht selten erwähnt, obgleich
nicht angegeben ist, ob ein gänzliches Fehlen der ventralen Seitenstücke
nachgewiesen wurde oder ob wenigstens noch Spuren davon am ven-
tralen Bande der Querforlsätze zu sehen waren. Das Wahrscheinlichere
ist jedenfalls das Letztere ; denn obgleich ich diesen Fall an mehreren
Belegstücken aus der hiesigen anatomischen Sammlung beobachten
konnte, so habe ich doch an keinem Sacrum die ventralen Seitenslücke
des ersten Wirbels gänzlich veimisst ; im Gegentheil fand ich immer
noch recht deutliche Rudimente derselben erhalten. Das ausgeprägteste
Beispiel dafür ist ein ausgewachsenes weibliches Becken, dessen zu-
gehöriges Sacrum nur mit dem zweiten und dritten Wirbel die Darm-
beine berührt, während der erste Wirbel eine vollständige Rückbildung
nach der Form eines Lendenwirbels erfahren hat ; denn sein nicht mit
dem Sacrum verwachsener Körper ist, wie der eines Lendenwirbels,
ventral länger als dorsal, er hat dicke, mit ihren Enden frei nach aussen
und etwas nach oben sehende prooessus transversi, und auch seine Ge-
lenkforlsätze sind mit dem zweiten Sacralwirbel nicht durch Synostose
verbunden, sondern bieten wie jene anderer Lendenwirbel eine Arti-
culation. Was ihn aber vor einem Lendenwirbel auszeichnet und ihn
zu einer Mittelform zwischen beiden Wirbelarten stempelt, sind die
seinen Querfortsätzen anhaftenden Rudimente der ventralen Seiten-
stücke, welche mittelst Gelenkflächen auf den Seitentheilen des zweiten
Sacralwirbels articuliren. Das ventrale Seilenstück am rechten Quer-
406 P. Frenkel,
fortsatze ist breiler und länger gestaltet, als am linken. Je mehr so der
erste Sacralwirbel rückgebildet erscheint, um so mächtiger sind die
Seitentheile des zweiten entwickelt, sodass dem Umfang der Auricular-
fläche durch diese Abnormität kein Abbruch geschieht (s. Fig. SS). Ob
dieser Lumbosacralwirbel die Zahl der Lumbaiwirbel vermehrte, muss
ich dahin gestellt sein lassen, da mir bezüglich des Verhaltens der
übrigen Wirbelsäule nichts bekannt wurde. Da nur vier Sacralwirbel
bestanden , glaube ich jedoch zur Annahme , dass der fragliche Wirbel
ein ursprünglich sacraler war, berechtigt zu sein.
So selten vielleicht die gleichzeitige Rückbildung der ventralen
Seitenstücke auf beiden Seiten des ersten Sacralwirbels auftreten mag,
so ist doch wenigstens eine einseitige Reduction kein ungewöhnliches Vor-
kommniss. Die in der hiesigen Sammlung repräsentirten FäUe betreffen
gleichfalls weibliche Becken. Einen davon habe ich in Fig. S3 darge-
stellt. Die anderen stimmen damit im Wesentlichen überein. An dem
Dargestellten ist wieder ersichtlich , dass es sich um einen Sacralwirbel
handelt, denn auf ihn folgen nur vier unter einander verschmolzene
Wirbel , deren letzter entschieden auch der letzte l^acralwirbel ist. Der
erste Sacralwirbel ist linkerseits lumbal, rechterseits sacral geformt. Er
steht auf der rechten Seite mit dem Ilium in Gelenkverbindung und
unterscheidet sich von seinem regelrechten Verhalten nur durch das
deutliche Hervortreten eines abgesonderten Querfortsatzes (p. tr.) Auf
der linken Seite ist der Querfortsatz (p. tr.) dem eines Lumbal wirbeis
ähnlich gestaltet und nur ventral 'ziemlich stark verdickt, indem an
dieser Stelle eine Spur des ventralen Seitenstückes (c s) sich bemerkbar
macht, welches an seinem Ende durch einen leichten Einschnitt von
dem Querfortsatze sich absetzt. Der erste Sacralwirbel bietet zugleich
durch die ungleiche Entwickelung seiner beiden Seiten auf der lumbal
gestalteten Seite in der Weise eine Verkürzung dar, so dass die ganze
nach vorn hin sich ihm anschliessende Lendenwirbelsäule nach dieser
Seite hingedrängt und verkrümmt wird , was durch eine entgengesetzt
unsymmetrische Gestaltung der Lendenwirbelkörper meist wieder aus-
geglichen wird.
Im Allgemeinen ist die Verminderung der Zahl der eigentlichen
Sacralwirbel auf eine der angegebenen Arten immerhin nicht häufig.
Zahlreicher dagegen sind die Fälle ^ in denen man eine Vermehrung der
Sacralwirbel durch Hinzutreten eines oder mehrerer Wirbel aus dem
präsacralen und postsacralen Abschnitte der Wirbelsäule beobachten
konnte. Wenn das Sacrum von letzterem her einen Zuwachs erhält, so
ist es zunächst der erste Steissbeinwirbel , der durch Verschmelzung
seines Körpers und seiner Seitentheile mit dem fünften Sacralwirbel
Beitrüge rar anatomischen KeDotDiss des Kreaibeiues der S&ngetblere. 407
seine SelbsUindij^keit aufgiebi. Findet eine Vermehrung der Sacral-
wirbel auf sieben statt, ohne dass der nSfchste präsacrale Wirbel dabei
betheiligt ist, so ist auch der zweite Steissbeinwirhel in derselben
Weise wie der erste, oder nur mit seinem KOrper mit dem nunmehrigen
letzten Wirbel des Kreuzbeins verschmolzen.
Der häufige Fall einer abnormen Sacral-Bildung unter Zutritt eines
fremden Elementes ist der theil weise oder völlige Uebergang des
letzten Lumbalwirbels in einen Sacraiwirbel. Die Um-
bildung, welche dieser Wirbel in diesem Falle erleidet, geschieht durch
die Verbindung mit einem ventralen SeitenstUcke , die in der ventra-
len Verbreiterung des Seitenfortsatzes sich ausdruckt. Dies dürfte aus
folgenden Umstanden hervorgehen: 4. aus der Form und Lagerung der
unteren Schenkel der Seitenfortsätze; 2. aus ihrer Beziehung zum
Darmbeine, mit welchem sie in Berührung treten oder gegen welches sie
gerichtet sind.
Bei nur einseitiger Ausbildung dieses Knochenkerns bleibt der
Wirbel auf der andern Seite mehr oder weniger einem Lendenwirbel
ähnlich ; er ist aber wenigstens mit einem sehr verdickten Querfortsatze
ausgestattet, welchem das ventrale Seilenstück als ein schmaler Streifen
unten angefügt ist. Die sacral gestaltete Seite zeigt ein wohl ent-
wickeltes, mit dem ersten Sacraiwirbel verschmolzenes, ventrales
Seitenstück , das zur Vergrösserung der facies auricularis beitrügt und
über dem der dorsale Schenkel des Seitenfortsatzes als wohl entwickelter
und mit seinem Ende frei nach aussen tretender processus transversus
deutlich vorhanden ist. Ist das ventrale Seitenstück einseitig sehr
milchtig entwickelt, so kann sich auch in diesem Falle, wie bei der
entsprechenden Gestaltung des ersten Sacralwirbels (s. oben) , der
Wirbel auf dieser Seite heben, und wird auf der anderen niedriger sein,
was eine Verkrümmung der nach vom sich anschliessenden Lendenwir-
belsüule zur Folge hat (s. Fig. 24 Taf. XXII). Hierher scheint auch die
Mehrzahl der von D€rr beschrielienen Fülle zu gehören, sicher seine drei
ersten , von denen der erste und zweite niedere Stadien der Entwick-
lung des ventralen Seitenstückes vorstellen, indess der dritte Fall eine
mächtige linksseitige Ausbildung desselben reprHsentirt.
Entwickeln sich die ventralen SeitenstUcke am letzten Lumbal-
wirbel auf beiden Seiten gleich milchtig, so nimmt er, unter vollstän-
digem Eingehen in das Sacrum, bilateral die Gestalt eines Sacralwirbels
an , und nur die stärker hervorragenden Querfortsätze verrathen, zu-
sammen mit der Abnahme der I^ndenwirbel auf vier und der Zunahme
der Sacraiwirbel auf sechs, seine Natur als Lendenwirbel. Da.ss die
Beurtheilung dieser Fälle nicht an einzelnen Kreuzbeiuen, sondern mit
Bd. VII. 4. f7
408 ^' Frenkel,
Berücksichtigung der gesammten Wirbelsäule zu geschehen hat, ist
selbstverstündlich.
Es ist nicht schwer zu verstehen, warum gerade von der Lenden-
wirbelsüule aus das Sacrum am hüußgsten einen Zuwachs erhält. Wenn
auch der letzte Lendenwirbel ganz normal gebildet ist, so ist er wenigstens
durch das ligamentum ilio-lumbale mit dem llium sowohl als mit dem
Kreuzbeine in innigster Veibindung; denn dieses breite und straffe
Band erscheint in der Regel in zwei Schenkel gespalten , deren einer
zur tuberositas ossis ilei, der andere zum Ende des Seitenfortsatzes des
ersten Sacralwirbels geht. An Bändorpräparaten der Wirbelsäule kann
man sehen , wie ähnlich schon dadurch der letzte Lendenwirbel einem
Sacralwirbel wird, und dass es dadi^rch zwischen ihm und dem ersten
Wirbel des Kreuzbeines zur Bildung zweier foramina sacralia kommt.
Treten nun auch an ihm ventrale SeitenstUcke auf, so ist ihnen durch das
lig. ileo-lumbale der Weg bereits vorgezeichnet, den sie bei ihrer Aus-
dehnung und Vergrösserung einschlagen müssen; denn indem sie sich
in dem unteren Schenkel dieses Bandes ausbreiten, verwachsen sie
schliesslich mit dem Sacrum und nehmen durch Berührung mit den
Darmbeinen an der Bildung der facies auricularis Theil. Der kürzere
Processus iransversus aber verbindet sich nur durch das Band mit dem
Darmbeine und gelangt nicht mit ihm in directe Berührung.
In der Anordnung des Bandes ist immerhin eine Andeutung auf die
Beziehungen zu jenen Seitenslücken wahrzunehmen , wenn auch eine
festere Begründung der Homologie jenes Bandes und des Knochens un-
thunlich erscheint, denn dazu bedürfte es des Nachweises, dass das
Band aus dem Knorpel hervorginge, und dass die ventralen SeitenstUcke
am letzten Lumbalwirbel in ihrer Verbindung mit den Darmbeinen
einen primitiven Zustand repräsentirten , in welchem also der letzte
Lumbalwirbel ein Sacralwirbel war. Dafür fehlte jedoch jede thalsäch-
liche Begründung , vielmehr kommen auch an den weiter nach vorn zu
liegenden Lumbaiwirbeln Andeutungen costaler Rudimente vor, welche
zur Verbreiterung der Querfortsätzo beitragen. Sehr häufig ist diese
Verbreiterung der Querfortsätze am letzten Lumbalwirbel , gegenüber
denen der vorhergehenden Wirbel, an den Skeleten Erwachsener wahr-
zunehmen. Die Entwickelungsgeschichte zeigt, dass ventrale Seiten-
stücke, die aber nicht ziir vollen Ausbildung kommen , dabei im Spiele
sind, indem an manphen Kinderskeleten die überzähligen beiden
Knochenkerne zuweilen schon äusserlich wahrnehmbar (vergl. Fig. 2 es)
oder doch auf Querschnitten nachweisbar sind. Diese Fälle geben zu-
gleich die zuverlässii^sfen Beweise für die Richtigkeit der oben ver-
tretenen Auffassung der Quorforlsätze der Lendenwirbel.
Beiträge zur anatomiscbeD KeBhiiiiss des Kreiizbe iues der S&ogethiere. 406
Kaninchen und Feldhase.
In der Gattung Lepus finden wir das Sacrum in der Regel aus
drei Wirhein zusammengesetzt. Nur der erste besitzt die typischen Be-
ziehungen eines echten Sacralwirbels, die beiden anderen unterscheiden
sich nur durch ihre Grösse und Unbeweglichkeit, kaum ihrer Gestalt
nach, von den vordersten Schwanzwirbeln. Da im Gegensatze dazu der
erste Sacralwirbel mit den Lendenwirbeln Manches gemeinsam hat, so
muss seiner Beschreibung die Kenntnissnahme derselben vorausgehen.
Die Körper der Lendenwirbel sind langgestreckt, mehr breit als
dick; alle ihre Fortsetze sind machtig entwickelt. Die Bauchflache jedes
Wirbelkörpers zeigt eine Mittelkante, zu deren beiden Seiten, besonders
vorn, die Fläche ausgehöhlt und vertieft ist. Durch zwei scharfe Seiten-
kanten ist sie nach aussen gegen die Seitenflächen des Wirbels abge-
grenzt. Die langen, nach vorn und aussen stehenden Querfortsätze sind
plattgedrückt; ihre untere Flüche ist eine Fortsetzung der unteren Flüche
des Wirbelkörpers , ihr hinlerer scharfer Rand geht im Bogen aus den
Seitenkanten des Körpers hervor. Von den sechs Lumbaiwirbeln hat
der fünfte die längsten Querfortsfltze ; nach vorn und hinten von ihm
nimmt die Lunge derselben stetig ab.
Der erste Sacralwirbel theilt mit den Lendenwirbeln den Besitz
dieser characteristischen Querfortsatze; sie bilden einen Theil seiner
Seitenfortsdtze und bewahren sich in vielen Füllen eine gewisse Selbst-
ständigkeit, indem wenigstens ihr Ende am Vorderrande der Seiten-
fortsütze frei hervorragt. Sie entsprechen nach Richtung, Gestalt (so-
weit sie erkennbar ist) und relativer Länge (indem sie um ebensoviel
von den Querfortsätzen des letzten Lendenwirbels an Länge übertroffen
werden, als diese von denen des ftlnften) und, was besonders wichtig
erscheint, ihrer Eniwickelung nach genau den Querfortsätzen der Len-
denwirbel. Die letztei^en entwickeln sich aber ganz so, wie die ent-
sprechenden Fortsätze beim Menschen, indem sie langsam von ihrer an
den oberen Bogen liegenden Wurzel her nach der Spitze fortschreitend
verknöchern und niemals grössere eigene Knochenkerne besitzen. Wie
beim Menschen , wird der Wirbelkörper auch bei diesen Nagern unter
Betheiligung oller" drei in jedem Wirbel auftretenden Knochenkerne in
seinen fertigen Zustand übergeführt. Dies gilt ebensowohl für die
Lendenwirbel, wie für alle ihnen folgenden Wirbel, soweit sie nicht
wie die letzten Schwanzwirbel, verkümmert sind. Nur der erste» Sacral-
wirbel macht von dieser gleichartigen Rntwickelung eine beinerkens-
wtMahe Ausnahme, da wieder in seinen Seitenfortsätzen die
i
410 F. Frenkel,
selbst<MncHgen Knochenkerne auftreten, die wir am mensch-
lichen Sacrum als ventrale Seitenstücke bezeichnet haben.
Auch wenn sie nicht in Jugendzuständen des Sacrums als unab-
hängige Verknöehcrungspuncte nachweisbar wSiren, würde man schon
aus der Gestalt der Seitenfortsiltze, besonders aus der distalen Ab—
gliederung der processus transversi von einem ventralen Stücke auf ihr
Vorhandensein schliessen können.
In der That kann man solche als selbständige Rnochenstücke im
Sacrum der Hasen noch einige Zeit nach der Geburt beobachten ; sie
verschmelzen aber weit eher, als beim Menschen, mit den übrigen
Bildungsstttcken des Wirbels. An einem halberwachsenen Kaninchen,
dessen Wirbelsäule vom Atlas bis zum Sacrum 20 Gentimeter maass,
fand ich auf einem Querschnitt bereits alle Nahtspuren verwischt. Um
so deutlicher sind die ventralen Seitenslücke noch beim neugeborenen
Kaninchen. Auch bei Lepus timidushabe ich sie bei einem 9 Gentimeter
langen Embryo gefunden. Sie bilden immer die Hauptmasse des Seiten-
fortsatzes uixl liegen nach unten und hinten dem Querfortsatze , nach
innen dem Wirbelkörper an. In ihrer Entwickelung bis zum Ver-
schmelzen mit den übrigen Stücken bieten sie nichts Besonderes dar,
da sie sich dabei wie die entsprechenden Theile im menschlichen Sacrum
verhallen. (Fig. 5 Taf. XXI).
Die Seilenflilche des ersten Sacralwirbels , welche hinten an der
Verbindungsstelle mit dem zweiten .Sacralwirbel am breitesten er-
scheint, verschm^ilert sich nach vorn zusehends und endigt in einen
spitzen Winkel ausgezogen über dem Ende des zugehörigen Querforl-
satzes, dessen nach aussen und oben sehende Rückenfläche ihren vor-
deren Abschnitt darstellt. Der hintere Abschnitt ist überknorpelt und
erhebt sich um ein Betrachtliches, oft um 1 Mm., über das Niveau der
übrigen Seitenfläche. Er bildet die Gelenkfläche für das Dannbein und
verfällt durch einen Einschnitt in eine obere und untere Hälfte (s. Fig. 7
Taf. XXI) , die schräg nach hinten convergiren und schliesslich zusammen-
fliessen. Die grössere untere Hälfte erstreckt sich am ventralen Bande der
Seitenfläche bis nach deren vorderem Ende hin ; an jungen Skeleten, mit
noch sichtbaren Knorpelgrenzen zwischen den Bildungsstücken des
W^irbels, erkennt man sofort, dass dieser grössere Abschnitt der Ge^
lenkflache die Aussenfläche des ventralen Seitenstückes
darstellt. Die kleinere dorsale Hälfte der Gelenkfläche gehört dem Ver-
knöcherungsbezirkedes oberen Bogens an, der somit an derGe-
lenkverbindung mit dem Darmbeine betheiligt ist. Ge-
wöhnlich bildet die Aussenfläche des ventralen Seitenstückes zwei
Drittel und der Antbeil des oliereu Bogens ein Drittel der ganzen
f
Beitrüge zur aiiatomisclicu Keuutiiiss des Kreuzbeines der SAngethiere. 411
Gelenkfläche (s. Fig. 7j. An den breiten Hinterrand des Scitenfortsatzes
des ersten Sacraiwirbels schJiesst sich der nur sehr kurze processus
trausversus des zweiten durch eine später verknöchernde Knorpelbrücke
an. Das ventrale ScitenstUck des ersteren (»leibt durch sein Vorspringen
nach unten zu mit diesem rudimentären Querfortsatze nicht oder kaum
in Berührung. Die seitliche Verschmelzung des zweiten mit dem dritten
Sacralwirbei erfolgt dadurch, dass der sehr kurze Querfortsatz des
letzteren einem nach hinten gerichteten Fortsalze, der aus dem oberen
Bogen des zweiten Wirbels entspringt, entgegen wächst, und die schon
vorhandene Knorpelbrücke zwischen beiden Wirbeln auf diese \Veise
verknöchert.
Von der hier geschilderten Regel finden sich vorzüglich an der mit
dem Darmbeine in Contact tretenden Seitenfläche grössere individuelle
Verschiedenheiten , wie ich aus Vergleichung einer Anzahl von Kreuz-
beinen finde. Bald ist sie mehr breit als lang, bald schmal und be-
sonders nach vom ausgedehnt, beides je nach der Länge des in ihr
auftretenden Querfortsat;&c5 , dessen Antheil an der Ilio-sacral- Verbin-
dung als das variabelste Moment erscheint. Ich glaube nicht zu fehlen,
wenn ich diesen Umstand aus der secundären Natur jener Verbindung
zu deuten versuche.
Das Auftreten des ventralen Seitenstückes ist ebensowenig wie
beim Menschen nur auf typische Sacralwirbei beschränkt, denn auch
der letzte Lendenwirbel kann damit ausgestattet sein. Dies ist besonders
deshalb wichtig, weil es unmittelbar darauf hinweist, was am ersten Sa-
cralwirbei als Querfortsatz und was als ventrales Seilenstück zu betrachten
sei. Einen solchen Fall habe ich in Fig. 27 Taf. XXI abgebildet. Man
sieht am linken Querfortsatze des letzten Lendenwirbels ein ventrales
Seitenstück aufgetreten, das, mit dem Seitenfortsatze des ersten Sacrai-
wirbels verwachsen , ihn verhindert hat, sich wie auf der rechten Seite
nach vom auszudehnen. Der Quorfortsatz ist infolge seiner mächtigen
KntwickeluDg medial gedrängt und steht, statt lateral und vorwäii« ge-
richtet zu sein, parallel mit der Axe des Wirbelkörpers. In der Seilenan-
sicht sieht man dieses ventrale Seitenstück einen Theil der hier in einen
vorderen und einen hinteren Abschnitt zerfallenen Gelenkfläche zum
Ansatz an das Ilium brlden. Der Querfortsatz des ersten Sacraiwirbels
ist durch das Auftreten jenes ventralen Stückes am letzten Lenden-
wirbel in seinem Wachsthume gehemmt und wird als kurzer Höcker
mit ausgesprochener Lage und Richtung eines processus transversus
lateral vom vprcjeren Gelenkfprtsatze sichtbar. (S. Fig. 27 Taf. X;?CL]
412 F. Freiikel,
Meerschweinchen.
Auch hier fand ich bei jungen Thieren die ventralen Seiieostückc
im ersten, aber auch im zweiten Sacralwirbel , wenn auch weniger als
im ersten, entwickelt. Der dritte und vierte hatten wieder ganz das
Aussehen der Schwanzwirbel, wie die letzten Sacralwirbel beim Hasen.
Die Spuren der ventralen Seitenstücke waren durch Verschmelzung aiit
den oberen Bogen bereits fast verwischt, gegen den Körper jedoch er-
schienen beide Bildungssttteke des Wirbels noch deutlich abgegrenzt.
Die oberen Bogen scheinen auch bei diesem Thicre sich an der Bildung
der Gelenkfläche zu betheiligen.
Hauskatze.
Das Kreuzbein der Katze stellt eine aus drei Wirbeln bastehende,
viereckige Platte mit ausgezogenen Ecken dar. Die beiden hinteren
Wirbel desselben sind sich an Grösse und Gestalt ziemlich gleich : sie
sind breiter als lang, ihr Körper plattgedrückt, die Seitentheile un ver-
dickt und schmal. Der leiste gleicht durch zwei nach hinten und aussen
ragende Fortsätze, von den Querfortsätzen der Lendenwirbel entge-
gengesetzter Lage und Bichtung, bereits sehr den vorderen Sohwanz-
wirbeln j die alle zwei so gelagerte, fast hakenförmige Fortsätze be-
sitzen. (Fig. 8, a,a Taf. XXI.)
Der erste Sacralwirbel unterscheidet sich von den anderen durch
grössere Breite und Dicke und durch seine am ventralen Bande nach
unten gebogenen und in der Seitenansicht sehr verbreiterten seitlichen
Fortsätze.
Die Körper der Lendenwiii)el sind nicht viel länger alä breit , an
dem letzten überwiegt sogar die Breite die Länge. An ihrem vorderen
Ende entspringen seitlich die langen, säbelförmigen Querfortsätze, die,
nach vorn und aussen gerichtet, am fünften und sechsten die grösste
Länge erreichen. Am siebenten sind sie etwas kürzer und breiter.
(Fig. 8 p tr.Taf. XXI.)
Der erste Sacralwirbel bietet bei seitlicher Ansicht weder mit den
vor noch mit den hinter ihm folgenden Wirbeln grosse Aehnlichkcit.
Seine weit nach unten vorspringenden Seiten fortsätze mit der fast qua-
dratischen Aussenfläche kennzeichnen ihn vor jedem anderen Wirbel.
Als Gelenkfläche für das Darmbein dient die hintere Hälfte der
Aussenfläche; sie ist überknorpelt, glatt, etwas über den übrigen Theil
der ganzen Seitenfläche erhaben, und sendet einen schmalen, zungen-
lui niigen Fortsalz am ventralen Bande der Seitenfläche nach vorn. Der
Beiträge siir aiutoinischeii KeiintiiisB des Krenzbeines der Sitogetbiere. 413
Uiuriss der Gelcnkflächc isl el\v<i hnlhmondfOrmig , mit hinterer Con-
veximt, und abgerundeter oberer Spitse.
Betrachtet man cbendieso Gelenkflttebe am Sacrum eines ganz
jungen Thieres (am deutlichsten ist es an Skeleten neugeborener Katzen
zu sehen), so sieht man auf ihr eine horizontal gerichtete schwache
Furche, durch die ein oberer schmaler Abschnitt der Fläche von einem
unteren, viel breileren unlerscheidbar wird. Verfolgt man die Grenz-
linie über die Geleokfl^che hinaus nach vorn bis an den Rand des Sei-
tenfortsatzes, was nach Entfernung der die SeitenOiiche bedockenden
Bandmasse leicht geschehen kann , so lässt sich ein dorsaksr und ein
ventraler Abschnitt der Seitenfläche unterscheiden. Was über der
Furche liegt, gehört dem Verknöcherungsgebiete des oberen Bogen an ;
dieser entsendet einen kurzen nach vorn gerichteten processus trans-
versus, der infolge der Anlagerung des Darmbeines an die Seitenfläche
des ersten Sacralwirbels nur nidimentttr auftritt. Er entspricht der
Wurzel der stark verlängerten processus iransversi an den Lenden-
wirbeln. Der über der Furche gelegene Abschnitt der Gelenkfläche
wird denmach el>enfalls vom oberen Bogen gebildet.
Denkt man sich den unter der Furche gelegenen Theil der Sei-
tenfläche hinweg, so gewinnt der Wirbel ganz das Aussehen eines
Lendenwirbels. Die Verschiedenheit zwischen dem ersten Sacralwirbel
und den Lendenwirbeln ist also auch hier durch das Auftreten eines
selbständigen Bildungsstttckes unterhalb der oberen Bogen in den Sei-
tentheilen dieses Wirbels bedingt. Durch Lage, Gestali und Entwiekelung
ist es als ventrales SeitenstUck characterisirt. Von unten betrachtet zeigt
der erste Sacralwirbel den ovalen Knochenkera des Wirbelkörpers noch
durch breite Knorpelgrenzen von den schon sehr grossen Knochen-
kernen der ventralen Seitenstucke gesondert. (Fig. 8 es.)
Der zweite und dritte Sacralwirbel entwickeln sich, wie, die Len-
denwirbel , anfänglich mit nur drei Knochenkemen. Erst kurz vor der
Geburt treten in jedem noch zwei neue Knoohenkeme auf, welche sich
bis kurze Zeit nach der Geburt selbständig erhalten. (Fig. 8.)
Nachdem die Knoohenkeme der oberen Bogen im Knorpel die
Bauchfläche des Wirbels erreicht und sieh in den Seitentheilen , be-
sonders im hinteren Abschnitte derselben, beträchtlich vergrössert
und seitlich dem Knochenkerne des Wirbelkörpers genähert haben (sie
nehmen auch in diesen Wirbeln an der Bildung des knöchernen Wirbel-
körpers Theil), gleicht bis dahin ein solcher Wirbel, von unten betrachtet,
in der Gruppirung seiner drei Knochenkerne einem Lendenwirbel. Es
dauert aber nicht lange, so tritt im vorderen noch knorpeligen Ahschüitte
der Seitentbeile , etwas mehr nach aussen , im Rande derselben je ein
414 F* Frenkel,
kleiner linsenförmiger Knochenkern auf, der auch bei Betrachtung der
Rückenfläche rings von Knorpel umgeben erscheint (s. Fig. 8 es). Wahr-
scheinlich verschmilzt er frühzeitig mit dem Knochenkeme des oberen
Bogen. Sein Verbreitungsbe^irk scheint besonders die Knorpelbrücko
seitlich zwischen je zwei Sacralwirbeln zu sein. Ob er den Wirbel-
ktfrper erreicht, muss ich in Frage lassen, da dieser Beziehung seine
Lage nach aussen vom Rnochenkerne des oberen Bogens wenig günstig
ist. Eine Erklärung dieser überzähligen kleinen Knochenkerne erhält
man durch ihre Yergleichung mit den ventralen Seilenstücken des
ersten Wirbels: es sind rudimentäre ventrale Seitenstücke,
die den Wirbelkörper nicht berühren und sich daher ebenso verhalten ,
wie die entsprechenden Knochenstücke im zweiten und dritten Sacral-
Wirbel des Menschen , die nicht oder kaum mit dem Knochenkerne
des Körpers in Verbindung stehen. Eine Betheiligung an der Gelenk-
fläche, wie beim Menschen, findet von Seiten dieser Rudimente nicht
statt, da die Ilio-sacral- Verbindung auf den ersten Sacralwirbel be-
schränkt erscheint.
Hund.
Auch beim Hunde besteht das Sacrum wie bei allen Garnivoren
aus drei verwachsenen Wirbeln. Die Aehnlichkeit mit dem Sacrum der
Katze ist so gross, dass alles darüber Gesagte, wenigstens in Hinsicht
des ersten Wirbels , von kleinen unwichtigen Verschiedenheiten abge-
sehen, auch für den Hund seine Geltung hat. Es ist mir sehr wahr-
scheinlich , dass wenigstens auch am zweiten Sacralwirbel Rudimente
ventraler Soilcnstücke sich entwickeln , indem die vordere Hälfte seines
Seitenfortsatzes, allmälig nach vorn zu verdickt, an der Bildung der
Gelenkfläche für das llium mit einer kleinen Strecke seiner schmalen
Seitenfläche betheiligt ist. Das Vorkommen ventraler Seitenstücke am
letzten Lumbalwirbel , bildet dieselben Anomalien wie sie oben mehr-
fach erwähnt wurden. So finde ich am Sacrum eines vierteljährigen
Hundes, dessen Skelet mir vorliegt, linkerseits ein ganz normales Ver-
halten, indess rechterseits der letzte (siebente) Lendenwirbel sacral
ausgebildet ist, indem er ein mit dem Seitenfortsatze des ersten Sacral-
wirbels verwachsenes, mit dem Darmbeine articulirendes ventrales Sei-
tenstück trägt, welches, nach unten und hinten von dem unverbundenen,
mit freiem Ende nach aussen ragenden Querforlsatze gelegen, durch eine
Kerbe deutlich von ihm geschieden ist. Durch die Verwachsung mit
dem ersten Sacralwirbel ist zwischen boidcn Wirbeln ein foramen
sacrqle gebildcL (Vergl. Fig. 26 Taf. XXII.)
Bf UrSge zur Atiatomisehen Kenntniss des Krenibeines der Silogiethiere. 415
*
Rind.
Beim Rinde wird das Sacrum aus fünf an niehivren Stellen ver-
sciimolzenen Wirbeln zusamengeselzt , von welchen die vier hinteren
an Grösse und Gestalt einander fast gleich sind, und bei Embryonen an
den wenig entwickelten, schmalen Seitentheilcn der selbständigen
Knochenkerne entbehren. Ihr Uebergang aus dem knorpeligen Zustande
in den knöchernen erfolgt daher ganz wie an anderen Wirbeln und
bietet nichts Bemerkenswerthes dar.
Der erste Sacralwirbel dagegen besitzt breite, weit nach aussen
reichende Seitentheile, überragt doshalb alle folgenden Wirbel und ist
damit seiner Gestalt nach von den anderen verschieden. Seine Seiten-
fläche hat den Umriss eines gleichschenkligen Dreieckes, ist sehr aus-«
gedehnt und springt mit stumpfer Spitze nach unten weit über den
Seitenrand der nachfolgenden Sacralwirbel vor.
Der ventrale Schenkel des schon im knorpeligen Stadium von dem
dorsalen Abschnittesich deutlich abhebenden Seitenfortsatzes (vei*gl. Fig.
9 Taf. XXI) ist besonders lang, von vorn nach hinten weniger als in ver-
ticaler Richtung verdickt, an seinem distalen Ende verbreitert, wie ein
Fuss nach seiner Sohle zu. Vom Wirbelkörper geht er schräg nach
hinten und aussen und trägt auf der Aussenseite die Gelenkfläche für
das Darmbein, die ihn aber nicht einmal ganz, sondern nur sein
äusserstes Ende überzieht.
Obgleich dieser ventrale Schenkel des Seitenfortsatzes in ausge-
sprochenster Welse die Form des ventralen Siütenstückes , wie bei den
schon besprochenen Säugethioren , besitzt, war bei einem schon sehr
grossen Rinderembryo, an dessen Sacrum ich Querschnitte untersuchen
konnte, von selbsUindigen Knochenkernen noch keine Spur zusehen.
Gleichwohl war die 35 Centimeter lange Wirbelsäule (vom Atlas bis
Anfang des Schwanzes gemessen) noch ziemlich weit in der Ver-
knöcherung zurück , die Knorpelgrenzen zwischen den Knochenkernen
der Wirbel noch breit und die langen Fortsätze zum grössten Theile
noch knorpelig (s. Figg. 40a und 40b.). Am ersten Sacralwirbel zeigte
jeder Seitenfortsatz einen grossen, ihn fast schon ausfüllenden Knochen-
kern und gegen den Wirbelkörper hin eine Knorpelgrenze von 2 Mm.
Breite. Der Durchschnitt machte vollkommen den Eindruck, als sei der
ganze Seitenfortsalz vom oberen Bogen aus allmälig verknöchert. Von
einer bereits erfolgten Verschmelzung eines ventralen Knochenkernes
mit dem regelmässigen dorsalen des oberen Bogens sah man keine An-
deutung, obgleich, wenn überhaupt ein ventraler Knochenkern sich
entwickelt gehat' ^dung des knöchernen Theiles der
416 F. Freiikel,
Schnittfläche die Spuren desselben üls Einscbnitle des Randes halten
sichtbar sein müssen. Andere Embryonen boten mir eine Besteigung
dieses Verhaltens dar. In diesen Fällen ist es dah^r höchst wahrschein-
lich, dass das ventrale Seitenstück, obgleich durch die Form des ersten
Sacralwirbels, ursprünglich wenigstens durch Knorpel angedeutet, seine
Selbständigkeit einbüsste, indem der ventrale Sehenkel des Seitenfori-
Satzes vom oberen Bogen aus verknöcherte.
In einem anderen Embryo fand ich dagegen den unteren Abschniil
des Seitenforlsatzes (s. Fig. 11) mit einem grossen Knochenkern ver-
sehen , der schon tbeilweise an die Oberfläche trat und überall nach
dem Körper des Wirbels und nach dem oberen Bogen zu von Knorpel
umgeben war. Er nahm die stark verbreiterte Aussenhälfte des ven-
tralen Schenkels bereits fast ganz ein , nach innen zu war er noch weit
entfernt, das Köiperstück zu berühren, und auch vom Knorchenkern
des oberen Bogen durch eine dicke Knorpellage geschieden (s. Fig. J 4 es.) .
Aus diesen beiden Befunden mussich schliessen, dass der Knochen-
kern des ventralen Seitenstückes entweder mit dem des oberen Bo>
gens sehr frühzeitig verschmilzt, oder gar nicht mehr selbständig auf-
tritt, und das letztere scheint die Regel zu sein.
Schwein.
Das eine grössere Wirbelzahl (manchmal 8) umfassende Kreuzbein
zeigt wieder einen Wirbel vor allen anderen entwickelt. Die breite
Seitenfläche des ersten Sacralwirbels trägt an ihrem ventralen Rande
eine schmale , eiförmige Gelonkfläche , die sich auf die Seitenfläche des
zweiten Wirbels mehr oder weniger mit ausdehnt. Indessen trägt der
erstere immer den grössten Theii davon. (In Fig. t3 gehört sie nur
dem ersten Sacralwirbel an.) Der erste Saoralwirbel ist breiter als die
anderen, nach allen Richtungen hin voluminöser und durch die nämliche
characteristischeForm, wie bei anderen Thieren, vor ihnen ausgezeichnet.
Wenn es auch keinem Zweifel unterliegt, dass ventrale Seitenstücke
auch hier dem ersten Sacralwirbel zukommen , so ist doch eine selbst-
ständige Verknöcherung dieser Stücke nicht mehr nachweisbar.
Zur Beantwortung der Frage, ob beim Schweine zu irgend einer
Zeit des embryonalen Lebens jene Knochenkerne im Knorpel auftreten,
untersuchte ich eine grössere Anzahl von Embryonen und von jungen
Thieren verschiedener Stadien, fand aber in allen, bis zur Verwachsung
der Bildungsstücko und zur vollständigen Verknöcherung des Wirbels
(vor Ablauf des ersten Lebensjahres scheint sie vollzogen zu sein] im
ersten Sacralwirbel niemals mehr als drei Knochenkeme vor. Es wird
also hier der beim Rinde noch srbwankendo Zustat^d in ein festes
Beiträge siir auatomiselien Keuntniss des Kreuzbeines der S&tigetbiere. 4 1 7
Verhalten eingclretcn sein, so dass die dort nur in ein/clneo Fällen von den
oberen Bogen aus besorgte YerknOcherüng des ventralen SeitenstUckes hier
constant vom oberen Bogen her erfolgt. Die Selbständigkeit der Seiten-
slüeke ist also ganz verloren gegangen , und nur die Gesammterscbei-
nung des ersten Sacralwirbels deutet auf die ursprüngliche Existenz
eines solchen Stttckes. Denn jener erste Wirbel des Sacrums ist auch
durch den Umriss seines Querschnittes vor allen vor und nach ihm
folgenden Wirbeln ausgezeichnet, und, wie bei allen von mir beschrie-
benen Formen des Sacrums, bleibtauch hier dieKnorpelgrcnze zw^ischen
dem Körperstucke und dem ventralen Abschnitte des Seitenfortsatzes,
der aussen die Gelenkflilche trUgt, am Uingsten von allen Knorpelgrenzen
des Wirbels erballen (s. Fig. 12 und 15 Taf. XXI); sie verschwindet
zuletzt. Auf dem Querschnitte des ersten Sacralwirbels eines viertel-
jährigen Schweines sah ich sie noch sehr deutlich.
Igel.
Von den fünf Sacralwirbeln des Igels sind die drei vordersten mit
den Darmbeinen in HerUhrung. Ihre gemeinsame Seitenfläche trügt
eine vorn breite, nach hinten zu verschmälcile GelenkflHche, die den
unteren Abschnitt der Seitenfläche einnimmt (s. Fig. 19 Taf. XXI).
Wie an den Lendenwirbeln die Querforlsälzo, so sind an den Sa-
cralwirbeln die Seilenfortsätze sehr kurz. Dagegen sind die Wirbel-
körpor alle von bedeutender Breite , und die Seitenfortsätze treten an
Volumen bedeutend hinler ihnen zurück (Fig. 18 Taf, XXI).
Die Wirbel des Sacrums nehmen nach hinten tu an Breite ab , die
hinteren erscheinen daher länger und schmäler als die vorderen, weiche
ziemlich gleich breit und lang sind. Ein Ueberwiegen des vordei^slen
Über die übrigen Wirbel in Breite und Masse findet nicht statt. Die
ersten drei Wirbel stimmen in Gestalt und Grösse auffallend überein.
Die sehr kurzen , gedrungenen , in Seitenansicht quadratischen Seiten-
fortsätze, fassen enge foramina sacralia zwischen sich. Sie sind nicht
von Anfang an knorpelig verschmolzen, sondern ihre benachbarten
Ränder sind nur durch später verknöchernde Bindegewebsbrttcken
untereinander in Zusammenhang (s. Fig. 18, 6).
Die Seitenflächen des Sacrums fallen fast senkrecht nach unten ab,
ihr ventraler Rand tritt nur wenig über den dorsalen nach aussen vor.
Der Form des Sacrums entspricht bekanntlich das ganze, sehr schmale
und lan^estreckte Becken.
Der Querschnitt durch einen Lendenwirbel zeigte sich von dem
Querschnitte *alwirbels wieder sehr verschieden. An
jungen Tbi( perstttcke des Lendenwirbels seitlich
418 F. Freiikel,
auf eine Strecke weit die oberen Bogen anliegen (Fig. 20. Taf. XXI), wel-
che an der Bildung des Körpers nur einen ganz geringen Antbeil ha-
ben. Von der Änsatzstelle gehen die kurzen Querforlsälze recblwinklig
nach aussen ah. Der Wirbelkörper ist nach unten stark gewölbt ; seine
Seitenfläche ist daher breit und hoch.
Der Querschnitt durch Körper und Seitenfortsätze eines Sacral-
wirbels ist rechteckig, denn der Körper entbehrt der ventralen Wölbung,
welche den Lendenwirbeln in hohem Maasse zukommt. (Vergl. Figg. 20
und '21 .) Die ventrale Fläche geht geradlinig auf die Seiten fortsätze tiber.
In der grossmaschigen , schwammigen Knocbensubstanz sieht man nur
zwei Knorpelgrenzen : rechts und links zwischen den oberen Bogen und
den unteren Bildungsstücken des Wirbels , die hier mit dem Körper in
ein Ganzes verschmolzen scheinen. (In Fig. 24 entspricht p tr der
Spitze eines Querfortsatzes.) Der bei den Lendenwirbeln zwischen
Seilenfläche des Körpers und ventraler Fläche des Querfortsatzes ge-
legene einspringende Winkel ist daher durch Knochenmasse ausgefttlH
zu denken, welche den Wirbelkörper lateral verbreitert.
Der Vorgang , durch den diese Veränderung des Querscbnittbildes
möglich wurde , kann auf zweierlei Weise gedacht werden. Entweder
hat sich das Körperstück so verbreitert, dass es bis an die Enden der
Querfortsätze ausgedehnt wurde , oder es sind auch hier ventrale Sei-
tenstücke entwickelt, die den Eckraum zwischen Körper und Querfoiir-
satz ausfüllen , aber wegen zu geringer Grösse vom Körperstttcke aus
verknöchern , so wie sie in anderen Fällen (s. oben] von den oberen
Bogen aus verknöchern konnten. Das Körperstück ist an den Wirbeln
des Igels so mächtig entwickelt, dass es keine Schwierigkeit hat, sich
vorzustellen, wie bei geringer Entwiekelung der ventralen SeitenstUcke
ihre Vorknöcherung vom Körperstücke aus besorgt werden konnte, in-
dem sie ihre Selbständigkeit aufgaben.
Da die Stelle , an der man das Ende des ventralen Seitenstttckes
auf der Seitenfläche des Wirbels suchen könnte, wirklich die über-
knorpelte Gelenkfläche mit trägt; da ferner kein Beispiel einer so
abnormen Verbreiterung des Körperstückes, wie sio hier hätte statt-
finden müssen, bekannt ist; endlich, da die Querforlsätze genau diesell>e
Stellung zum Wirbelkörper haben, wie an einem Lendenwirbel, während
sie im Falle einer Verbreilorung.des Körperstückes und einer Anlage-
rung desselben an die Darmbeine doch nach oben gedrängt sein
müssten, ist es mehr als wahrscheinlich, dass die ventralen Seitenstücke
in den vorderen drei Sacralwirbeln auch beim Igel ursprünglich vor-
handen und völlig in den Körperstücken aufgegangen sind. Diese
Deutung gewinnt eine Stütze an dem Factum , dass überall wo di^
Beitrüge inr anatoinlsfheu Kenntniss des Kreuzbeines der Silngethiere. 419
ventralen Theile der Seilen forlsiftze selbstündig ossißciren, der Knochen-
kern vom Wirbeikörper ziemlich entfernt auftritt. Eine bedeutende
Verkürzung jenes Theiles, wie sie beim Igel besteht, wird demnach gar
keinen Kern mehr auftreten lassen.
Vergleichung.
Wir fanden die ventralen SeitenstUcke in gleicher oder ganz ahn-
licher Weise, wie beim Menschen, als selbstiindige Bildungsslttcke in
der Sacralregion auftreten \) bei zwei Vertretern der Raubthiere
(Katze und Hund) ;
2) bei drei Vertretern der Nagethiere (Kaninchen, Feldhase,
Meerschweinchen) .
Dieses übereinstimmende Verhallen entspricht der nahen Verwandt-
schaft, welche zunächst zwischen den Aßen und den Nagethieren als
Ordnungen der Discoplacentalia stattfindet.
Die Äbtheilung der Discoplacentalia steht nach rückwärts zu keiner
anderen, grosseren Gruppe der S^ugethierc in niiherer Beziehung nis zu
den Zonoplacentalia, von denen die Raubthiere ein Zweig sind.
Sehen wir nun bei zwei wichtigen Vertretern dieser Ordnung, als Re-
präsentanten der katzen- und hundearligen Raubthiere, an dem sa-
cralen Abschnitte der Wirbelsäule der Hauptsache nach ein gleiches
Verhalten, wie bei jenen ausgesprochen, so ist dies ein neuer Beweis
für die anzunehmende nähere Verwandtschaft der Deciduata. Es würde
daher naheliegen, bei allen Deciduaten das Fortbestehen selbständiger
ventraler Seilenstücke, als eines ursprünglich vererbten Merkmales,
vorauszusetzen, wenn dem nicht der Umstand widerspräche, dass bei
einem Geschlechle der Insectivora, Erinaceus, (vielleicht bei allen
Insektenfressern) die Selbständigkeit dieser Bildungsslücke verloren
gegangen scheint.
Dieses Aufhören einer selbständigen Ossification in den ventralen
Seilenslücken muss beim Igel um so naheliegender erscheinen , als hier
die lateralen Fortsätze eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Wie in
der Lendenregion , bildet in der Sacralregion des Igels der Körper die
überwiegende Hauptmasse jedes Wirbels; die Querfortsätze sind wegen
der starken ventralen Wölbung des Wirbelkörpers weit dorsalwärls ge-
rückt und erscheinen als unbedeutende seitliche Anhänge. Bei dieser
geringen Längenausdehnung der seitlichen Abschnitte eines Sacralwirbels
muss ein hier auftretendes ventrales Seitenstück ebenfalls sehr verkürzt
erscheinpn . o« cremi in einer grösseren Ausdehnung an den Wirbel-
körf '«rfortsatz , den Appendix eines oberen Bogens.
Wf * die Annahme, dass die ventralen Seitenslücke
420 F. Freiikel,
hier insofern eine Rückbildung erlitten haben, als sie aufhörten, selbst—
ständig zu ossificiren und dass ihr Verknöcherungsgebiet zu dem des
frühzeitig mächtig entwickelten Körperstückes des Wirbels geschlagen
wurde ?
So ergiebt sich also aus den Verhältnissen des Sacruins, und damit
im Zusammenhange aus der Gestaltung des Beckens ein Erklärunc^s—
grund für das Verschwinden jener unteren Seitenslücke, und üires
Aufgehens in den Wirbelkörper, welchMetzterer damit die llio*sacral-
Verbindung zu vermitteln scheint. Durch diese Beziehung löst sich zu-
gleich die scheinbare Uebereinstimmung, welche Erinaceus im Mangel
jener ventralen Seitenstücke mit den Artiodactylen besitzt, denn hier
hält sich der Knochenkern des Wirbelkörpers stets fern von den Seiten-
Iheilen des Sacrums welche vielmehr vom Kerne des oberen Bogens
ossificiren.
Von monodelphen Säugethieren ohne Decidua wurden nur Wie-
derkäuer und Schweine auf die Entwickelung der ventralen Sei-
tenslücke untersucht. Auch bei ihnen finden wir diese Knochenslücke
in der Regel nicht mehr selbständig entwickelt. Wahrscheinlich infolge
einer raschen Ausdehnung des Knochenkernes im oberen Bogen jeder
Seile unterbleibt bei ihnen das Auftreten eigener Knochenkerne im ven*
tralen Abschnitte der Seitenfortsätze. Umgekehrt wie bei den Insekten-
fressern sind bei den Artiodactylen die Querfortsätze der Wirbel sehr
entwickelt, die ventralen Seitenslücke daher auf eine weit grössere
Strecke hin den Bogenstücken , als dem Körperstücke , das sie nur an
einer schmalen Stelle berühren, angefügt. Dieser Umstand und das
rasche Anwachsen der seitlichen oberen Knochenkerne, ehe noch die
Verknöcherungspuncte in den ventralen Seiteostücken entstehen, schei-
nen die hauptsächlichen Ursachen für das Verlorengehen ihres selb-
ständigen Verhaltens zu sein. An mehreren Rinderembryonen, bei
einem Schafembryo und bei allen untersuchlen Schweineembryonen
ohne Ausnahme fand ich it\ diesem Puncte die grösste Uebereinstimmung.
Wie richtig aber die hier gegebene Auffassung eines Verlorengehens der
selbständigen Verknöcherung zu Gunsten der Bogenslücke ist, das er-
giebt sich aus dem von mir in einem Falle beobachteten Vorkommen
einer Wiederholung jenes fiüheren Zustandes, worin die ventralen Sei-
tenstücke selbständig verknöcherten. Dieser als Rückschlag aufzu-
fassende Fall beweist,- dass an dem ursprünglichen Vorhandensein jener
Bildungsstücke in den Sacralwirbeln auch der Wiederkäuer und Schweine,
trotz ihres scheinbaren Fehlens, nicht zu zweifeln ist.
Aus den angeführten Beispielen geht hervor, dass die den ven-
tralen Seilenslürken enlsprechonden knorpeligen Abschnitte der Seiten-
Beitrüge inr «natomischeii Keimtniss des Kreuxbeiiies der Silugethiere. 421
fortsätzc sich bei ihrer Yerknöcherung auf dreifache Weise verhalten
können. Entweder besitzen sie eigene Rnochenkeme, welche erst spät
mit den übrigen Bildungsstücken des Wirbels verschmelzen : oder sie
ossificiren nicht selbständig, sondern von einem benachbarten Knochen-
kerne und zwar entweder vom KOrperstücke oder vom BogenstUcke aus.
Wo überhaupt ventrale Seitenstücke vorhanden sind (der Augenschein
lehrt, dass sie im Sacrum aller Siiugethiero vorkommen), ist nur einer
dieser drei Fülle möglich. Wir vermögen sie alle von dem ersten Fall,
der seibststiindigcn Verknöcherung, als dem ursprUngliclien Zustand ai>-
zuleiten.
In Bezug auf das übrige Verhalten dieser Theile ergeben sich fol-
gende Resultate.
1) Beziehung zur facies au ricularis. Wo ventrale Seiten-
stücke auftreten , nehmen sie Antheil an der Bildung der Gelenkflliche
für das Darmbein. Bei einigen Thieren kommen sie mit dem Darmbeine
ausschliesslich in Berührung, so dass sie die einzigen TrMger desselben
darstellen. Sie sind in diesem Falle lünger als die Querfortsätze, über-
ragen sie nach aussen hin bedeutend und erlauben ihnen daher nichl^
an der Berührung Theil zu nehmen. Beim Menschen und bei den
Wiederkäuern, sowie bei den Schweinen, die alle durch flach abfallende
Seitenflachen des Sacrums ausgezeichnet sind, ist dies die Regel. Fallen
aber die Seitenflüchen steil ab, d. h. sind die ventralen Schenkel der
Seitenfortsütze nicht viel langer als die dorsalen , so können auch die
oberen Bogen an der Bildung der Gelenkflache betheiligt sein und dies
uinsomehr, je kürzer die ventralen SeitenstUcke, je schmaler daher das
Kreuzbein ist. So sehen wir auf eine kleine Strecke hin bei den Fleisch-
fressern, in grösserer Ausdehnung bei den Nagern und in grösster Aus-
dehnung bei den Insektenfressern die oberen Bogen an der Bildung der
Gelenkflache betheiligt. Bei letzteren nimmt die ganze Seitenflache des
Sacrums an. der Berührung mit dem Ilium Theil, ist überall mitdUnnem
Knorpel überzogen und nur rings am Rande mit demselben durch Band-
masse verbunden.
Es ist die Frage, welche Art der Verbindung man für die ursprüng-
liche halten könnte. An den meisten Saugethierskeleten findet man
nach Entfernung aller Bänder vorzüglich den unteren Abschnitt der
Seitenfortsätze mit dem Darmbeine in Berührung , während zwischen
diesem und dem dorsalen Abschnitte der Seitenfläche sich meist eine
breite, nach unten hin verschmälerte Kluft vorfindet, die im lebenden
Thiere mit Bandmasse ausgefüllt ist. Die Kluft ist oben um so weiter,
je breiter die ventrale F'"-»»»-* '>^"« ^^cralwirbel ist. Indem nur die über-
knorpelte (velenkflä angliche Verbindungsstelle gelten
420 F. Freükel,
hier insofern eine Rückbildung erlitten haben, als sie aufhörten, selbst—
ständig zu ossißciren und dass ihr VerkniScherungsgebiet zu dem das
frühzeitig müchtig entwickelten Körperstückes des Wirbels geschlagen
wurde?
So ergiebt sich also aus den VerhSiltnissen des Sacruins, und daniii
im Zusammenhange aus der Gestaltung des Beckens ein Erklärungs—
grund für das Verschwinden jener unteren Seitenslücke, und ihres
Aufgehens in den Wirbelkörper, welchMetzterer damit die llio*sacral-
Verbindung zu vermitteln scheint. Durch diese Beziehung löst sich zu-
gleich die scheinbare Uebereinstimmung, welche Erinaceus im Mangel
jener ventralen Seitenstücke mit den Artiodactylen besitzt, denn hier
hält sich der Knochenkern des Wirbelkörpers stets fern von den Seiten-
theilen des Sacrums welche vielmehr vom Kerne des oberen Bogens
ossißciren.
Von monodelphen Süugethieren ohne Decidua wurden nur Wie-
derkäuer und Schweine auf die Entwickelung der ventralen Sei-
tenslücke untersucht. Auch bei ihnen finden wir diese Knochenslücke
in der Regel nicht mehr selbständig entwickelt. Wahrscheinlich infolge
einer raschen Ausdehnung des Knochenkernes im oberen Bogen jeder
Seile unterbleibt bei ihnen das Auftreten eigener Knochenkerne im ven-
tralen Abschnitte der Seitenfortsätze. Umgekehrt wie bei den Insekten-
fressern sind bei den Artiodactylen die Querfortsatze der Wirbel sehr
entwickelt, die ventralen Seitenslücke daher auf eine weit grössere
Strecke hin den Bogenstücken , als dem Körperstücke , das sie nur an
einer schmalen Stelle berühren, angefügt. Dieser Umstand und das
rasche Anwachsen der seitlichen oberen Knochenkerne, ehe noch die
Verknöcherungspuncte in den ventralen Seiteostücken entstehen, schei-
nen die hauptsächlichen Ursachen für das Verlorengehen ihres selb-
ständigcti Verhaltens zu sein. An mehreren Rinderembryonen, bei
einem Schafembryo und bei allen untersuchten Schweineembryonen
ohne Ausnahme fand ich iti diesem Puncto die grösste Uebereinstimmung.
Wie richtig aber die hier gegebene Auffassung eines Verlorengehens der
selbständigen Verknöcherung zu Gunsten der Bogenslücke ist, das er-
giebt sich aus dem von mir in einem Falle beobachteten Vorkommen
einer Wiederholung jenes früheren Zustande«, worin die ventralen Sci-
tenstücke selbständig verknöcherten. Dieser als Rückschlag aufzu-
fassende Fall beweist,- dass an dem ursprünglichen Vorhandensein jener
Bildungsstücke in den Sacralwirbeln auch der Wiederkäuer und Schweine,
trotz ihres scheinbaren Fehlens, nicht zu zweifeln ist.
Aus den angeführten Beispielen geht hervor, dass die den ven-
tralen Seilenslücken entsprechenden knor|H'ligen Abschnitte der Seilen-
Beiträge inr uiatomischen Kenntniss des KrenibriiMs det SiigetWere- « a-ii
fortsälie sich bei ihrer Verknöcherung auf dreibehe Weise -ve^rbalten
können. Entweder besitzen sie eigene Knochenkerne, weloK« «»rsl spät
mit den übrigen Bildungsslücken des Wirbels verecbine\xeT* - oder^e
ossificiren nicht selbständig, sondern von einem benachbarLex^ \vnocl>eD-
korne und zwar entweder vom Körperslücke oder vom Bogex^s«,« -V
Wo überhaupt ventrale Seitenstücke vorhanden sind (der * *
lehn, dass sie im Sacrum aller Saugethiere vorkoramenN
!• Jt • ■.^..11 .. ■■ ■ / >
Wo überhaupt ventrale Seitenstucke vorhanden sind (der A. u «
lehn, dass sie im Sacrum aller Saugethiere vorkommen) ist ^*^"**^"""
dieser drei Fälle möglich. Wir vermögen sie alle von den, ^ ""'' "'"'^
der selbslsländigcn Verknöcherung, als dem ursprünalichi-w^ ^ ' '
zuleiten. "" ^'^ ^ «stand ab-
In Bezug auf das übrige Verhalten dieser Theile er«>c*i
spende Resultate. ?^^«>«^^r% sich fol-
4) Beziehung Äurfacies auricularis. Wo x-
stücke auftreten, nehmen sie Antheil an derBildun«» ^^^^^^^^ Soilon-
für das Darmbein. Bei einigen Thieren kommen sie niTit T** ^^^^^üklliiche
'^ desselben
nn der Berührung Theil zu nehmen. Beim Meosch'J^'^ •''^her T
Wiederkäüfem, sowie bei den Schweinen, die alle darcti n ^^^^^i h. • '
Seilenflilchen des Sacrums ausgezeichnet sind, isldies J- '^^'^ o/ ^^^'^
aber die SeitenOächen steil ab, d. h. sind die ventral ^^ ^^^l^/^*'"''^^o
Seilenfortsatze nicht viel länger als die doi-salen , so iT-^ ^o#^^ ' ^^'^Hon
oberen Bogen an der Bildung der Gelenkfläche belheili!^^^^^ri*^'^***^/(r
uinsomehr, je kürzer die ventralen Seitenslücke, jescb^^ ^^*^ ^^^'* <i/e
Kreuzbein ist. So sehen wir auf eine kleine Slretiebirj kI**'^^ «J^*^*^ *>s
frossern, in grösserer Ausdehnung bei den Nagern un^j . ' ct^ ^'^^^da
dehnung bei den Insektenfressern die oberen Äo^^o ^^ ^^ ^'ts^ ^^^ise}^^
Gelenknache beiheiligt. Bei letzteren nimmt die]ame ^^^ f^J/^^^^ A ^
Sacruras an der Berührung mit dem Uium Tbeil, ist über ^^^^^j;^^^^^- d^
Knorpel überzogen und mrnnss am Rande mit demselC^^^ '^''V ^^^^^tJ '^
masse verbunden. ^ ^^^^yß!^^^^^ "^
Es ist die Frage, yvekbe Art der Verbindattß man fUr j . '^^J^^^
liehe halten könnte. An den meisten Säugelbierskeleto '^ '''^/ir^
nach Entfernung aller Bänder vorzüslich den anterea ij^'^'^^t
S(Mtenfortsätze mit dem Darmheine in Berübnirm, ^sb '^nji '-^45
diesem und dem dorsalen Ahscbnille der Seilende skh'^ ^^^iL ^•^#-
Hreiu^, nacfc unten bin verschmäkrte Kluft voriinJet, die' ^^^st^^ "''*^'''
Thiere mit Bandmasse ausgefülll ist. Die Kluft ist oben ^ "** '^'^''^
j^ hiYiier die ventrale Fläche der Sacrakirbel ist Indem ^"^ ^ ^"^ ' ^" *
^^^^'rlle GelenkllHche als dh ursprüngliche yedmluno"^ *** 0/ ^* '^ ""''
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422 F. Frenkel,
kann, finden sich bei der Mehrzahl der Säugelhiere die ventralen Sei-
tenstttcke als die einzigen Träger der Darmbeine. Sie sind es beim
Menschen und wahrscheinlich bei allen Äffen, bei den Wiederkäuern und
Schweinen; beim Pferde, Tapir, Elephant; fast ausschliesslich sind sie es
bei den Raubthieren und Nagethieren. Bei manchen der letzteren, sowie
bei Insektenfressern (Igel), geht mit einer Verkürzung der ventralen
Seitenstucke eine Verbindung der Gelenkfläche des Iliums mit dem
einen Querfortsatz vorstellenden dorsalen Theile des .Seitenfortsalzes
der Sacralwirbel vor sich.
2) Zahl der Wirbel, in denen ventrale Seitensttlcke
als Bildungselemente vorhanden sind. Das Auftreten der-
selben ist, selbst bei grosser Zahl der dem Sacrum einverleibten
Wirbel, immer nur auf einen oder einige wenige diesem benachbarte
beschränkt. Nur auf einen und zwar den ersten Sarai wirbel
sahen wir sie angewiesen bei den Hasen, den Wiederkäuern und den
Schweinen; auf mehr als einen Wirbel bei allen anderen untersuchten
Embryonen oder jungen Thieren. So fanden wir sie in allen drei Sa-
cralwirbeln vor bei der Hauskatze, allein im zweiten und dritten waren
ihre Spuren so geringfügig, dass sie, nur in Rudimenten nachweisbar,
auf die Form dieser Wirbel keinen verändernden Einfluss ausübten,
weshalb nur der erste Sacralwirbel die typische Form eines echten Sa-
cralwirbels hatte. Bei einem neugeborenen Löwen und bei einem vier-
teljährigen Hunde sah ich nur im ersten Sacralwirbel die ventralen
Seilenstücke sich ausbilden ; sollte dies auch bei anderen Fleischfressern,
was sehr wahrscheinlich, die Regel sein, so würde man auch dieser
Ordnung im Allgemeinen nur Einen typischen Sacralwirbel zuschreiben
dürfen. Beim Menschen sind meist drei, seken zwei oder gar vier Sa-
cralwirbel mit den überzähligen Knochenkernen ausgestattet; sie sind
in dem zweiten und dritten Wirbel verhältnissmässig weit mehr, als
bei der Katze, zur Ausbildung gelangt. Auch beim Igel sahen wir in
drei Sacral wirbeln, den drei ersten in der Reihe, wenigstens die
Andeutung des Vorhandenseins ventraler Seitenslücke ausgesprochen.
Ein einseitiges oder beiderseitiges Auftreten derselben am letzten Len-
denwirbel, theiis mit, theils ohne Beziehung zum Darmbeine, konnten
wir beim Menschen, beim Hunde und bei den Hasen beobachten. Aus
dieser Zusammenstellung geht hervor, dass i m m e r der erste Sacral-
wirbel und dieser in einigen Ordnungen ausschliesslich, häufig auch
der zweite und dritte mit überzähligen Knochenkernen, die als ven-
trale Seitenstucke aufzufassen sind , sich entwicke' r in
seltenen Fällen noch ein weiterer Sacralwirl)el, n' ^n
der letzte Lendenwirbel mit diesen Knochenkern«
Beitrüge zur anatomischen Kenutuiss des Krenzbeines der Silngetbiere. 423
3) Zahl der Sacraiwirbei, welche ventrale Seiten-
stttcke besitzen und mit denDarmbeinen verbunden sind.
Beim Menschen und beim Igel waren es deren drei, von denen beim
Menschen wenigstens der erste den grössten Antheil an der GelenkÜHche
hatte. Beim Meerschweinchen waren zwei Wirbel dem Darmbeine an-
geheftet und beide allem Anscheine nach mit ventralen SeitenstUcken
versehen. Nur ein Sacraiwirbei, der erste nümlich, zeigte sich in
dfeser Verbindung begriffen bei den Hasen, bei Katze und Hund (bei
diesem der zweite Wirbel nur mit der vorderen Ecke der Seitenfläche),
beim Rinde, Schafe und Schweine (auch hier bisweilen mit der Gelenk-
fläche auf den zweiten Wirbel Übergreifend).
4) Deutung der ventralen SeitenstUcke. Es wurde be-
reits bei Besprechung des menschlichen Sacrums eine kurze geschicht-
liche Uebersicht (Iber die verschiedenen Versuche einer Deutung der
ventralen SeitenstUcke gegeben. Der Erste, der nach dieser Darstellung
dieselben als Rippenrudimente oder besser Homologa der Rippen auf-
fasste, war J. Fa. Mbckbl. Der wissenschaftliche Beweis für diese Hypo-
these wurde, wie schon erwähnt, von Professor Gegenbaur geführt, wel-
cher, auf Grund vergleichend-anatomischer Untersuchungen am Sacrum
von Vögeln und Reptilien , auch für den Menschen Sacralrippen in An-
spruch naho). Der Schluss , dass ein so wichtiges anatomisches Merk-
mal nicht blos auf den Menschen und seine Ordnungsverwandten be-
schränkt sein könne, sondern höchst wahrscheinlich allen SUugelhieren
zukommen müsse, war schon deshalb eine Nolhwendigkeit, weil, so gut
wie der Mensch, auch alle übrigen Säugethierc nach rückwärts mit den
Stammformen aller höheren Wirbelthiere , von denen her sich diese
Einrichtung vererbt haben muss, in genealogischem Zusammenhange
sind. Was demnach der Mensch mit niederen Wirbellhieren an ana-
tomischen Characteren tbeilt, das muss in demselben Masse oder nur
wenig verändert auch allen anderen Mammalien zukommen. Diesen
Satz auf die Sacralrippen angewandt, so müssen bei allen Säugethieren
ursprünglich Sacralrippen vorhanden sein, wenn beim Menschen solche
nachgewiesen wurden. Die Begründung dieser Auffassung der bisher
so genannten ventralen Seitenstücke ist folgende (vergl. Gbgrnbaub,
op. cit. S. 808).
Offenbar sind in Hinsicht der ventralen Seitenstücke zwei Fälle
möglich : entweder sind sie eine Wiederholung an vorhergehenden
Wirbeln schon dagewesener Theile oder nicht.
Sind sie es nicht , so sind sie etwas den Wirbeln , an denen sie
iftreten , Eigeuthümliches. Dann kann ihre Entstehung nur mit der
^ction, welche diese Wirbel etwa zu erfüllen haben oder früher
Yn.4. B8
424 F. Frenkel,
einmal erfüllten , in Zusammenhang stehen ; denn ohne jede äussere
Veranlassung würde eine solche Neubildung von Rnochenstücken, noch
dazu von so charactenstischer Form, nicht denkbar sein. Nun ist aber
die Function der Sacralwirbel, den Darmbeinen und damit der hinteren
Extremität an der Wirbelsäule einen festen Halt zu geben. Diesem
Zwecke zu entsprechen, wäre es schon möglich, dass sich an dem oder
an den Wirbeln , welche die Gelenkflächen für die Darmbeine tragen,
die Querforlsätze ganz besondere entwickelt hätten und dass infolge
ihrer grossen Yolumenzunahme selbständige Knochenkeme in ihrem
unteren Abschnitte auftraten, für die an präsacralen Wirbeln nichts
Vergleichbares zu finden wäre. Wenn aber auch an solchen Sacrai-
wirbeln, die mit dem Darmbeine in keinerlei Berührung sind, ventrale
Seitenstücke auftreten können, wenn selbst in manchen Fällen am
nächsten präsacralen Wirbel solche überzählige Knochenkerne ohne
irgend welche Beziehung zum llium sich im Knorpel der Seitenfortsätze
ausbilden, so ist es mehr als gewiss, dass nicht die Berührung mit
diesem Knochen , also nicht die functionelle Beziehung, die Ursache
ihrer Entstehung ist.
Es bleibt daher nur der andere denkbare Fall : die ventralen Sei-
tenstücke sind eine Wiederholung an vorhergehenden Wirbeln schon
dagewesener Einrichtungen. Da sie aber mit Querfortsätzen nicht ver-
gleichbar sind, weil die Wirbel der Sacralregion einmal schon deutlich
solche besitzen und zweitens die Querfortsätze immer nur im Zusammen-
hange mit den oberen Bogen, aber nicht selbständig verknöchern; da
es ferner unmöglich ist, sie für selbständig gewordene Anhänge des
Körperstückes zu erklären, indem das Körperstück sich an den Sacral-
wirbeln genau so verhält, wie an den Lendenwirbeln: so bleibt noch
ein Drittes denkbar und wird bei Betrachtung aller thatsächlicben
Umstände sofort zur Gewissheit, dass die ventralen Seiten-
stücke Homologa der Rippen sind.
Dass die Rippen sich sehr bedeutend rückbilden können, so dass es
schwer hält, sie da, wo sie als Rudimente noch auftreten, wieder zuer-
kennen, das sehen wir an den sogenannten Halsrippen des Menschen,
die man sehr lange für Theile der Querforlsätze gehalten hat, bis ihre
selbständige Verknöcherung , ihre in einzelnen Fällen am letzten Hals-
wirbel auftretende bedeutende, mit Beweglichkeit verbundene Aus-
bildung und endlich die Vergleichung mit ausgebildeten Rippen in der
Halsregion anderer Wirbelthiere ihren wahren Werth erkennen Hessen.
Von allen Begründungen besitzt die auf die vergleichendranatomische
Betrachtung sich stützende unstreitig die.grösste Bedeutung auch für
die Auffassung der ventralen Seitenstücke. Wenn Amphibien, Reptilien
Beiträge zur »uatomischen Keuntoiss des Kreuzbeines der Süngetbiere. 425
and YOgel im Besitze von Sacraliippen Übereinstimmen,- so ist die Wahr-
scheinlichkeit , dass die Säugethiere keine Ausnahme machen werden,
schon an und fttr sich gross. Dies bestätigt sich durch den Befund der
ventralen Seitenstttcke im Sacrum aller Säugethiere ; man kann daher
keinen Anstand nehmen, sie als Sacrairippen ku betrachten. Gegenbaur
hat an den Sacrairippen des Alligators sogar einen dem Gapitulum und
einen dem Tubercuium entsprechenden Theil nachgewiesen , und von
den Salamandrinen ist es sicher, dass sie an ihrem Sacralwirbel bei-
derseitseine bewegliche Rippe besitzen, die wie jene der vorhergehenden
Wirbel mit zwei Höckern an dem Querfortsatze sitzt, und mit dem
wenig voluminöseren llium durch ein Gelenk verbunden ist.
Die Art und Weise, wie bei den Säugethieren die Sacrairippen den
übrigen BildungsstUcken der Wirbel angefügt sind, ist ganz ähnlich dem
ursprünglichen Verhalten der Rippen an den Brustwirbeln. Die Brust-
rippen Hegen anfangs mit ihrem vertebralen Ende dem Wirbel, zu dem
sie gehören, vom Körper bis zur Spitze des Querforlsatzes ohne Zwischen-
raum an ; erst mit der Ausbildung eines tubercuium und eines coUum
costae sieht man nach und nach jene Oeffnung entstehen, die durch
das ligamentum colli costae internum geschlossen wird, und der an den
Halswirbeln das foramen intertransversarium entspricht. . Bei den Sa-
crairippen erhält sich der ursprüngliche Zustand ; es wird kein solches
foramen gebildet, die Rippe ist in der ganzen Ausdehnung ihres verte-
bralen Endes mit dem Körper und Querfortsatze in Contact, niemals frei
beweglich und ohne ein eigentliches Gapitulum und Tubercuium.
Ihren Gharacter als Rippen haben sie sich am meisten in den Ord-
nungen bewahrt, wo sie die einzigen Träger der Darmbeine sind,
z. B. beim Menschen und bei allen Ungulaten, überhaupt bei allen
Säugethieren mit stark nach unten divergirenden Darmbeinen. So zeigen
sie z. B. bei Rinderembryonen nicht nur ganz die Gestalt kurzer , am
Wirbel festgewachsener Rippen , sondern auch dieselbe Richtung nach
hinten und unten, wie sie an den letzten Brustrippen bemerkt wird.
Auch beim Menschen und bei vielen anderen Säugethieren zeigen sie,
besonders am ersten Wirbel, die Tendenz im Bogen nach unten zu
gehen. Von den Querfortsätzen sind sie, wenn nur einigermassen ent-
wickelt, meist deutlich abgesetzt und sofort als untere Schenkel der
Seitenfortsätze erkennbar (z. B. bei den Nagern, beim Menschen, beim
Rinde). Nur wo sie ganz kurz und, wie es den Anschein nimmt, rück-
gebildet sind , wie beim Igel , treten sie aus der Masse des Seitenfort-
satzes nicht mehr als deutlich gesonderte Gebilde hervor.
6) Einfluss der Sacrairippen auf die Gestalt der
WirbeL Ueberali, wo Sacrairippen zur Ausbildung kommen, erscheint
28*
426 F' Frenkel,
die Gestalt der Wirbel durch sie wesentlich verändert; denn dadui*cb,
dass sie den Eckraum zwischen dem Wirbelkörper und dem Querfort-
satze jeder Seite ausfüllen , bewirken sie , dass der Wirbelkörper nicht
voluminöser erscheint als die Seitenfortsätze, weshalb auch in der
menschlichen Anatomie für die Seitentheile des Sacrums die Benennung
»massae laterales« gebräuchlich ist. Die Seitenfortsätze erscheinen flügei-
förmig , wenn das distale Ende der Sacralrippen, wie es meist der Fall,
stark verbreitert ist. DieSacralwirbel besitzen dann jene charatteristische
Form, welche das sichere Anzeichen für das Auftreten von Sacralrippen
in ihren Seitentheilen ist und die man als die typische Form eines ur-
sprünglichen Sucralwirbels bezeichnen kann.
Die Verwachsung von Sacralwirbeln untereinander wird durch die
Sacralrippen vermittelt, wenn sie an aufeinanderfolgenden Wirbeln
auftreten und durch Bandmasse oder Knorpel an ihren Endigungen ver-
bunden sind. Sind sie nur am ersten Sacralwirbel entwickelt, so haben
sie in der Begel auf die Verwachsung keinen Etnfluss , indem sie über
die Seitentheile des folgenden Wirbels zu weit nach unten vorspringen,
uiii sie noch berühren zu können.
Folgerungen.
Die Thatsache , dass in der Sacralregion der Sdugethiere Rippen-
rudimente nachweisbar sind, führt zu einigen wichtigen Schlüssen in
•Bezug auf die richtige Erkenntniss eines ganzen Abschnittes der Wirbel-
saule, der von präsacralen Wirbeln gebildet ist.
Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen , dass die immer
noch viel verbreitete Ansicht , die Querfortsütze der Lenden-
wirbel seien festgewachsene Rippen oder sie repräseu-
tirten einen indifferenten Zustand zwischen Rippe und
Querfortsatz, durch keine Thatsache weder der Ent-
wickelungsgeschichte noch der vergleichenden Anatomie
unterstützt wird. Ich will nur kurz dieGründe aufführen, die da-
gegen sprechen: a. Die Entwickelungsgeschichte lehrt und Unter-
suchungen , die ich an Embryonen verschiedener SUugetbiere machte,
bestätigen es, dass die processus transversi der Lendenwirbel stets nur
von den oberen Bogen aus verknöchern. Kommt noch ein Ossifications-
kern hinzu, so findet sich dieser stets hur terminal, und entspricht den
accessorischen Ossificatiönen , welche, meist sehr spat, auch an Quer-
fortsätzen auftreten. Wenn daher einige Anatomen behaupten, dass
»durch vergleichend -anatomische Untersuchungen und durch die Er-
gebnisse der Entwickelungsgeschichte der Wirbelsäule« es sich beweisen
lässt, »dass die processus transversi der Lendenwirbel eigentlich den
Beiträge zur anaioiDisctieii Kennfniss des Kreuzbeines der Sancrethiere. 427
Rippen,' nicht aber den ForlsiHzen der übrigen Wirbel, analog sind*
(z. B. Hyrtl, Lehrb. der Anal, des Menschen, S. 298), so ist dies kei-
neswegs richtig.
b] Nicht selten stützt sich diese Auffassung auf das Vorkommen
überzähliger Rippen; im Falle ein Lendenwirbel auf einer oder auf
beiden Seiten in einen Brustwirbel übei^geht, sollen die Querfortsätze
immer in bewegliche Rippen umgewandelt werden. Es lässt sich be-
weisen , dass dem eine ungenaue Beobachtung zu Grunde liegt. Denn
an solchen Thoracolumbalwirbeln ist immer, ausser der an ihm befestigten
Rippe, wie viel oder wenig sie auch ausgebildet sein mag, ein Quer-
fortsatz, wenn auch etwas kürzer als an den wahren Lumbal wirbeln vor-
handen. Ausser an mehreren Präparaten von Wirbelsäulen Erwachsener
finde ich dieses Verhalten an einem Kinderskelete. Der betreflFende
Wirbel war auf der einen Seile vollkommen lumbal gebildet, auf der
andern aber trug er eine bewegliche Rippe. Trotzdem fehlte auch auf
der Seite, wo er einem Brustwirbel glich , durchaus nicht der Querfort-
satz, sondern war nur kürzer, als auf -der lumbal gestnlleten Seite. Er
diente dem ligamentum costo-transversarium posterius zum Ansätze. —
Aber auch an ganz normalen Skeleten sieht man sehr oft schon am elften,
mit Sicherheit aber am zwölften Brustwirbel die Inserlions-SloUe dieses
Bandes, als einen kurzen, pyramidalen Fortsatz , der durchaus einem
Processus transversus eines Lendenwirl)els vergleichbar ist, hcrvorlrelen.
Das Letztere hat schon REtzius (Ueber die richtige Deutung der Seiten-
fortsätze etc.) gerade beim Menschen genau nachgewiesen und selbst
durch Abbildungen erläutert. Wenn aber an Rippen tragenden Wirbeln,
ausser diesen Rippen auch noch den processus transversi der Lenden-
wirbel homologe Fortsätze auftreten , so können die proc. transv. der
Lendenwirbel keine Rippen sein, denn es giebt kein Wirbel thier,
das an demselben Segmente seiner Wirbelsäule zweierlei
Arten von Rippen besässe.
c) Bei vielen Säugethicren kann man die Querfortsätze der Lenden-
wirbel nach vorn zu allmälig in Fortsätze der Brustwirbel übergehen
sehen , welche einen Theil der sogenannten Querforlsätze der Brust-
wirbel ausmachen. Wenn man von vom nach hinten fortschreitet, so
sieht man den einfachen sogenannten Querfortsatz der vorderen Brust-
wirbel nach hinten zu allmälig in drei discrete und je weiter nach
hinten, desto mehr auseinanderweichende Forts «tze sich auflösen. Diese
sind: a) der processus obliquus anterior (mit dem mehr oder weniger
entwickelten mamroillaris) s. articularis; b) der Fortsatz, der an den
Lendenwirbeln als processus transversus (fälschlich costarius) bezeichnet
wird und c) der (nicht immer) zwischen beiden auftretende processus
428 F. Frenkel,
accessorius. Das beste Beispiel dafür ist die Wirbelsäule des Schweines,
wo »bereits am letzten Rippen tragenden Brustwirbel QuerfortsUtze vor-
handen« sind, »die mit denen des ersten Lendenwirbels Übereinstimmen
und eine Yergleichung der Rippen mit jenen Lumbalquerfortsätzen nicht
möglich machen«. (Gegbnbacr, GrundzUge der vergl. Anat. 2 Aufl.
S. 622; s. ebenda über die Querfortsätze der Reptilien.) Bei den
Getaceen tragen die Querforlsätze der hinteren Brustwirbel, welche den
Processus transversi der Lendenwirbel ganz homolog sind, an ihrem
Ende die Rippen, deren capitulum, wie es scheint, an diesen Wirbeln
durch Rückbildung verloren ging (an den vorderen Wirbeln besitzen
sie capitulum und tuberculum); auch hier sehen wir die Fortsätze, die
man immer noch für Rippen ausgeben will (als besten Beweis, wie
irrig diese Annahme ist), zugleich mit Rippen an den Wirbeln auftreten,
als alleinige Träger derselben fungiren und dabei unmittelbar nach
hinten in freie processus transversi übergehen.
d) Die Querfoi*tsätze der Lendenwirbel dienen dem Longissimus
dorsi als Ansatzstellen , und zwar fasst man diese Insertionszacken als
laterale auf und stellt sie mit den an der Thoraxregion an die Rippen
tretenden zusammen. Wenn nun die Querfortsätze der Lendenwirbel
nicht den Rippen homodynam sind , so kann auch zwischen jenen so-
genannten lateralen Insertionen des Longissimus dorsi keine Homody-
namie bestehen. Jene lateralen Lumbalinsertionen des Longissimus
werden vielmehr mit den medialen zusammen den medialen Brustin-
sertionen gleich werthig sein. Laterale Insertionen, die denen des Brust-
abschnittes entsprächen ^ fehlen somit der Lendenportion des Longissi-
mus dorsi, und wenn sich demgemäss die medialen von grösserer Breite
ergeben , so ist darin einfach eine Anpassung an die bedeutende Vor-
grösserung der Insertionsstelle durch die Ausbildung des Querfort-
satzes zu sehen.
In Uebereinstimmung mit jener Deutung ist auch die der Lumbai-
region zukommende subvertebrale Muskulatur , welche einen bis jetzt
noch wenig gewürdigten Theil des Muskelsystems vorstellt.
Die von mir untersuchten Säugethiere besitzen ohne Ausnahme eine,
nur beim Menschen sehr reducirte, eigenthümliche ventrale Muskulatur
der Lendenwirbelsäule, die bei einzelnen sehr mächtig entwickelt ist.
Die Bündel derselben entspringen mit meist kräftiger Sehne an der Spitze
der proc. transversi der Lendenwirbel und heften sich, in schiefer Rich-
tung nach vom und innen verlaufend , an der Seitenfläche eines oder
mehrerer zunächst vorangehender Wirbelkörper mit fächerförmiger Aus-
breitung der Fasern an. Bei allen diese Muskeln besitzenden Säuge-
thieren zeigen die Wirbelkörper in der Mitte der Unterseite eine starke
Beitrüge zur Anatomischen KeDDtiiiss des Kreuzbeines der Säu(<e(hiere. 429
längslaufendc Leiste , zu dei^n beiden Seiten die Insertion stattfindet.
Die Leiste ist um so höher , je kräftiger die fragliche Muskulatur entr-
wickelt ist. Dieses System unter sich paralleler Muskeln beginnt am
letzten Lendenwirbel und erstreckt sich, vom Querfortsatze eines jeden
Lendenwirbels einen neuen Zuwachs erhaltend , nach vorn bis auf die
Kdrper der hinteren Brustwirbel. Von den Rippen her sah ich niemals
solche Muskeln entspringen oder sich an ihnen inseriren. Mit den mm.
intertransversarii , die nach aussen von ihnen immer vorhanden sind,
lassen diese subvertebralen Muskeln der Lendenwirbelsäule keinen
Vergleich zu , denn sie unterscheiden sich von ihnen sowohl durch ihre
Richtung, wie durch ihre Länge. Da ich diese Muskulatur bei Repräsen-
tanten sehr divergenter Abiheilungen auffinde , nämlich bei Lagostomus
trichodactylus , Sus scrofa , Ganis familiaris, Bos taurus dürfte ihr Vor-
kommen als ein ziemlich verbreitetes zu betrachten sein^). Für die
richtige Deutung der proccssus transversi der Lendenwirbel erscheinen
die Muskeln wichtig, weil sie nur an den Querfortsätzen, nirgends an
den Rippen ihren Ursprung nehmen , und nur soweit von hinten nach
vorn sich erstrecken , als die Querforlsätze Urspruogsstellen darbieten
können.
e] Auch die mehr unansehnlichen Eigenthümlichkeiten der Lumbal-
querfortsälze sind nicht so ganz ohne Bedeutung. So z. B. ihre fast
allgemeine Zunahme an Länge, von vorne nach hinten zu, wobei sie an
den letzten Lumbal wirbeln oft eine beträchtliche Länge erreichen. Die
hinteren Brustrippen nehmen nach hinten zu regelmässig an Länge ab.
Die Querfortsätze verhalten sich in Bezug darauf also gerade umgekehrt.
(Eclatante Beispiele dafür liefern die Wiederkäuer, die Pferde, die
Schweine, alle Fleischfresser, die Nager, selbst der Mensch.) — Sie
haben in vielen Fällen gerade die entgegengesetzte Richtung wie die
Rippen. So stehen sie nach vom und aussen bei Macropus major, bei
vielen Affen, bei den Nagern, den Raubthieren etc. Die letzten Rippen
sind dagegen immer nach hinten und unten gerichtet. — In ihrer Ge-
stalt sind sie den grössten Variationen unterworfen (z. B. sind sie sä-
belförmig oder hakenförmig bei Beutellhieren , AfiTen , Raubthieren,
Nagern; bis an ihr Ende gleichbreit, sehr dünn, lang und gerade bei
allen Ungulaten und Cetacecn ; kurze und breite Stummel bei Insecten-
frossern ; flügeiförmig bei Bradypus ; griflelförmig, massig lang und dick
beim Menschen etc.). Die Rippen sind auch in ihrer Gestalt \iel weniger
4) Meceel giebt diese Muskeln nur bei der Hyäne an, und bringt sie, wohl
nicht mit Unrecht, in Beziehung zum Psoas minor. (System der vergt. Anatomie,
Bd. m. S. 591.)
430 F- Frenkel,
verschiedenartig; sie bleiben sich bei allen Arten mehr oder weniger
gleich.
Vielleicht dürfte das Angeführte genügen, um jeden Zwei-
fel an der Natur der processus transversi, als blosser
Fortsätze der oberen Bogen, schwinden zu lasson.
Die grossen Verschiedenheiten dieser Querfortsätze defr Lendenwirbel
in Lage, Grösse, Richtung, Gestalt etc. sind höchst wahrscheinlich aus
einer Anpassung an die bei verschiedenen Säugethieren je nach
ihrer Lebensweise verschieden entwickelte Muskulatur des Rückens zu
erklären.
Sind wir aber zu der Einsicht gekommen, dass jene Querfortsätze
keine Rippen sind : so folgt daraus, dass die Lendenwirbel nichts
den Rippen Vergleichbares besitzen; denn, wenn auch öfters
am letzten Lendenwirbel Rudimente derselben, gleichwie an echten
Sacralwirbeln , auftreten, und ebenso am ersten Lumbalwirbel ein
Rippenrudiment vorkommen kann, so zeigen um so weniger die übrigen
dazwischen liegenden Lendenwirbel auch nur eine Spur davon. Bei
den Säugethieren finden wir daher Rippen nur an der Halsrcgion , in
der Brustregion und in der Sacralregiön (bisweilen auch in der Gaudal-
region); ausschliesslich fehlen sie in der Lendenregion.
Diese Thatsache ist um so auffallender, je allgemeiner wir beim
Hinabsteigen in der grossen Reihe der Wirbelthiere die Rippen in allen
Regionen der Wirbelsäule verbreitet finden und je weiter wir von den
höchsten Classen uns entfernen , um so seltener eine Unterbrechung in
der Aufeinanderfolge der Rippen an der Wirbelsäule beobachten. Die
niedersten Rippen tragenden Wirbelthiere besitzen sie an allen Wirbeln
vom Schädel bis zum Schwanzende hin ; so ist es fast durchweg in der
grossen Classe der Fische. Auch unter den Amphibien finden wir
Rippen an der Mehrzahl der Wirbel auftretend ; allein von diesem ge-
wiss ursprünglichen Verhalten machen bereits die Anuren eine bemer-
kenswerthe Ausnahme. Sie besitzen keine Rippen , sondern nur lange
Querfortsätze an ihren Wirbeln , sie besitzen aber auch ein Sternum,
welches der beste Beweis ist, dass auch die Anuren früher einmal
Rippen besessen haben müssen. So allgemein die Rippen in der Classe
der Reptilien auftreten , so finden sich doch Reispiele ihres gänzlichen
Fehlens an Rumpfwirbeln, die sonst damit versehen sind (Lendenregion
der Crocodilej. Auch in diesen Füllen müssen wir entschieden das
frühere Vorhandensein derselben annehmen , wie denn auch verwandle
Formen , wie noch heute die Eidechsen, an allen Rumpfwirbeln damit
ausgestattet sind. Kann daher am Sacrum der Säugethiere der Nach-
weis geführt werden, dass an einigen Wirbeln desselben (oder
Beitrüge zur iiiiHtomischeii Keiinhtiss des Krcu&beines der Saugelliiere. 431
wenigstens am ersten) sich Rippen, wenn auch nur als Rudimente, er-
halten haben, so liegt der Schluss nahe, dass sieanden Lenden-
wirbel n,' wo selbst ihre Rudimente fehlen, aus ähnlichen Ursachen
verloren gegangen sind, wie in derselben Region der Wirbel-
saule z. R. der Reptilien, und ebenso der Vögel, wo gerade die vor dem
primitiven Sacrum befindliche, somit einer Lumbalrcgion entsprechende
Strecke der Wirbelsaule stets jeder Andeutung von Rippen entbehrt.
Die Ursachen eines völligen Verlorengehens der Rippen in dieser
Gegend sind uns bis jetzt noch unbekannt; sie können so verschieden-
artige sein, es können so viele Einfltisse bei dieser Rückbildung gewirkt
haben , dass es bedenklich sein würde , mit Anführung eines einzigen
Argumentes die ganze, höchst auffallende Erscheinung erklären zu wollen.
Jedenfalls bedürfte es vielseitiger Untersuchungen, um sie alle ans Licht
zu ziehen. Da durch das Ausfallen der Rippen in der Lendenregion die
Reweglichkeit der Wirbelsäule erhöht und besonders die Seitwärts-
drehung, Rcugung und Streckung, wie durch die Rückbildung der Rippen
in der Halsregion, bedeutend erleichtert werden musste, so könnte
man versucht sein, aus dem darin beruhenden Vortheile auf eine An-
passung an die erhöhte Reweglichkeit des Rumpfes der Säugethiere zu
schliessen.
Die sehr häufig und in den verschiedensten Abtheiiungen der Säuge-
thiere bestehende Erscheinung des Auftretens von Rippen am ersten
Lendenwirbel , der dadurch zum letzten Rrustwirbel wird , oder der
Rückbildung der letzten Rrustrippen , wodurch der letzte Rrustwirbel
den ersten Lendenwirbel vorstellt; diese Erscheinung ist ein unzweifel-
hafter Reieg für eine ursprünglich auch auf die Lumbairegion ausge-
dehnte Verbreitung der Rippen. Im ersteren Falle haben wir eine Wie-
derholung eines früher einmal dagewesenen Zustandes; im letzteren
Falle ein Reispiel jener Rückbildung vor uns , welche den Unterschied
zwischen Rrustwirbein und Lendenwirbeln bedingt. Was hier als ab-
norme Rildung an einem Individuum erscheint, ist oft ein unterschei-
dendes Merkmal zwischen zwei ganz nahe verwandten Arten oder
zwischen Geschlechtern , für die man wegen ihrer sonstigen anatomi-
schen Charactere eine nicht fem liegende gemeinsame Abstammung an-
nehmen muss. So stellt sich die Zahl der Thoracolumbalwirbel bei der
Gattung Ros auf 19, wobei in den einzelneu Arten die Thoracalwirbel,
wie die Lendenwirbel an Zahl variiren , so dass letztere in dem Masse
sich vermehren , als die Zahl der Rrustwirbel eine Abnahme zeigt. In
vielen anderen Gattungen , ja selbst innerhalb der Familien, ist das
Gleiche wahrzunehmen: ein bei der c' 'wirbcl er-
scheinender Wirbel, spielt in der nach? r in einem
1
432 F. Freukel,
naheverwandten Genus die Rolle eines Lendenwirbels, indem er seint?
Rippen verlor und unter dem Einflüsse der umgebenden Muskulatur
grössere processus transvcrsi entwickelte, die in ihrer Entwickelung ge-
bindert waren, so lange Rippen den dazu nöthigen Raum beschränkten.
Die Rennlniss der anatomischen Verhyltnisse des Sacruros ist, wie
schon aus diesen Andeutungen hervorgehen wird, für die Reantworlung
einer Anzahl in Rezug auf die Lenden region der Wirbelsäule schw*e-
benden Fragen eine nothwendige Voraussetzung. Es hielt nicht schwer,
nachdem wir das Vorhandensein der Sacralrippen festgestellt hatten,
das frühere Restehen und spiitere Ausfallen der Rippen an den Wirbeln
einer dadurch gebildeten Lendenregion denkbar erscheinen zu lassen.
Noch ein Punct, der vielleicht nicht minder wichtige Resultate
liefern kann , blieb in Hinsicht des Sacrums von mir unerörlert : die
Zahlenverhältnisse der SacralwirbeL
Man pflegt unter der Renennung »Sacralwirbel« alle diejenigen
Wirbel eines hinteren Abschnittes der Wirbelsäule zusammenzufassen,
welche durch ihre schon frühzeitig eintretende Verwachsung (Synostose)
zu den frei beweglichen Wirbeln der vorderen Abschnitte der Wirbel-
säule in einen starken Gegensatz treten. Durch die stets vorhandene
Gelenkverbindung eines oder mehrerer derselben mit den Darmbeinen,
wird die Sacrnlregion noch ganz besonders characterisirt. Die mit den
Darmbeinen in Gelenkverbindung stehenden vorderen Sacralwirbel
mussten wir auch deshalb als typische Sacralwirbel von den hinteren
Wirbeln des Sacrums unterscheiden , weil sie fast ausschliesslich Sa-
cralrippen besitzen, wodurch ihre Gestalt wesentlich verändert er-
scheint.
Wenn wir , von diesem Merkmale absehend , die Sacralwirbel in
die zwei Kategorien der mit den Darmbeinen verbundenen vorderen
und der unverbundenen hinteren eintheilen wollen , so steht zunächst
soviel fest, dass die ersteren an Zahl meist hinter den letzteren zurück-
stehen. Das Kreuzbein verbindet sich, wie es scheint, nie durch mehr
als 3 Wirbel mit den Darmbeinen ; doch ist dies schon ein seltener Fall
(abgesehen vom Menschen sind 3 verbundene Wirbel die Regel bei den
Insectenfressem und beim Faulthiere), in der überwiegenden Mehrzahl
findet sich in Wirklichkeit nur ein Sacralwirbel, der vorderste, mit
Gclenkflächen für die Darmbeine versehen. Die Angabe, dass die Sau-
gethiere durchschnittlich zwei echte, d. h. eben verbundene Sacral-
wirbel besitzen, erweist sich meist als unrichtig , indem sich vielfach
zeigen lässt, dass der zweite Sacralwirbel nur scheinbar an dem llio-
ReitrUgc i\it auatomisclieu Ketiuluiss des KreuibeinfS der Säuge thlere. 433
Sacral-Gelenk IheilnimiDt. Nur, wenn er einen Theil der Auricularfläche
trägt, kann man ihn mit Recht diesem Gelenk zurechnen; ist er dagegen
nur von den Darmbeinen überlagert und überall durch Bandmasse mit
ihnen verbunden (wie z. B. bei manchen Fleischfressern), so darf man
ihn nicht als »echte na Sacralwirbel (um diesen Ausdruck zu ge-
brauchen) betrachten. Nur einen echten Sacralwirbel besitzen : ein
Theil der Beutelthiere (Döring, de pelvi ejusque per animantium regnum
roetamorphosi dissertatio. S. 4 ff. führt sogar zwei Beutelthiere, Didel-
phys murina und D. volans, an, die überhaupt nur einen Sacral-
wirbel haben), fast alle Hufthiere, die Mehrzahl der Fleischfresser und
Nagethiere und eine ganze Anzahl Affen und Haibaffen. Die Mehr-
zahl der jetzt lebenden Säugethiere scheint demnach
nur einen echten Sacralwirbel zu besitzen. Bei vielen Säu-
gethieren, denen man zwei echte zuschreibt, nimmt der zweite Sacral-
wirbel nur mit dem vorderen Abschnitte seiner Seitenfläche an der
Berührung mit dem Ilium Theil.
Die Zahl der nicht mit den Darmbeinen in Berührung stehenden,
hinteren Sacralwirbel ist selbst innerhalb derselben Art bedeuten-
den Schwankungen unterworfen , woraus sich die grosse Verschieden-
heit der Angaben über die Zahl der Sacralwirbel überhaupt erklärt^
(Man vergl. hierzu Mbckbl, System der vergl. Anatomie. II, 4. S. 243,
der vielfach andere Zahlen fand, als sie Cuvibr in der 4. Aufl. seiner
Le9ons etc. angegeben hatte.) Noch grösser sind die Schwankungen
zwischen nahverwandten Arten und Geschlechtern , indem z. B. einige
Wiederkäuer hinter dem echten Sacralwirbel noch 2, andere noch
5 Wirbel an ihrem Sacrum aufweisen. In jeder Ordnung findet man
immer einige Arten mit ausnehmend wenig hinteren Sacral wirbeln. Da
nun der discrelc Zustand des Wirbels unbestreitbar als der primitive zu
gelten hat , der durch Concrescenz der Wirbel characterisirte dagegen
als der secundäre, so werden in jeder Ordnung der Säuge-
thiero diejenigen Arten das ursprünglichere Zahlenver-
haltniss der Sacralwirbel repräsentiren, bei denen das
Sacrum aus einer Minderzahl sich zusammensetzt.
Die hintersten Sacralwirbel bilden bei allen Sdugethieren sehr
deutliche Uebcrgangsformen in die vordersten Schwanzwirbel , und
ebenso ist wieder bei allen Säugethicren der erste Sacralwirbel con-
stant mit dem Darmbeine verbunden , und selbst wenn noch eine An-
zahl folgender Wirbel dieselben Beziehungen besitzt, triflH den ersten
entweder ein überwiegender Antheil an der Bildung der Auricularfläche,
oder er ist auch durch grössere Breite ausgezeichnet. Auf diesen Wirbel
434 F. FriMikel,
folgt bei den meisten Beutelthiercn nur noch ein Sacralwirbel. Bei den
Monotremen kommt noch ein zweiler dazu.
Bei einer Anzahl placentaTer Säugethiere, besonders bei Halbaffen,
Affen , Chii-optern , Fleischfressern , Nagethicren, hat sicfr die Zahl der
hinleren Sacralwirbel nicht oder nur wenig vermehrt, z. B. besitzen
die Haibaffen und die Klammeraffen zum Theil nur einen hinteren
Sacralwirbel, wie die Marsupiah'en, bei den Carnivoren und Rodentien
ist in der Regel noch einer hinzugekommen, so dass die durchschnilllicbe
Zahl ihrer Sacralwirbel 3 ist. In den von den Stammformen der SUu-
gethiere weiter entfernten Abtheilungen, wie bei den Edentaten und
Ruminantien , ist diese Zahl oft sehr erhöht. Erslcrc haben zwischen
3 und 9, letztere zwischen 3 und 6 Sacralwirbel. (Bei den Zahnlosen
treten die hinleren Sacralwirbel auch mit den Sitzbeinen in Berührung.)
Auch unter den Schwx»inen kommen Beispiele einerstarken Verniehnmg
der hinteren Sacralwirbel vor (Dicolyles lorquatus hat z. B. hinter dem
ersten, typischen noch 8) .
Alle diese Thatsachen gewinnen Zusammen hang durch
dieAnnahmeeinerVergrösseru!ngdes Sacrums nach hinten
zu, indem sich allmäligein Schwanzwirbel nach dem an-
dern mit den schon vorhandenen Sacralwirbeln verband.
Je länger ein Gaudalwirbel sich dem Verbände des Kreuzbeines ange-
schlossen halte , um so mehr änderte sich seine ursprüngliche Gestalt,
so dass er mit der Zeit einem beweglichen Schwanzwirbel unähnlich
wurde. Je weniger Gaudiilwirbel ein Sacrum enthalt, desto mehr
gleichen sie den ihnen sich anschliessenden vordersten Schwanz-
wirbeln.
Wenn es demnach keinem Zweifel unterworfen ist, dass alle nicht
mit den. Darmbeinen verbundenen Sacralwirbel ursprünglich Caudal-
wirbel waren , so bleibt noch die Verschiedenheit zu erklären , welche
in Hinsicht der sogenannten echten oder mit den Darmbeinen verbun-
denen Sacralwirbeln obwaltet. Die meisten Säugelhiere besitzen , wie
wir sehen , nur einen , eine geringe Anzahl hat zwei und die wenigsten
drei. Man hat allen Grund anzunehmen, dass auch bei den Ordnungen,
innerhalb deren mehr als ein echter Sacralwirbel vorkommt, ursprüng-
lich nur einer die Gclenkflächen für die Darmbeine trug. Eine Anzahl
Umstände sprechen für die Richtigkeit dieser Annahme : \) die grosse
Verbreitung eines einzigen typischen Sacralwirbels in allen Ordnungen
der Säugelhiere, ohne dass bei den meisten derselben Spuren bestehen,
welche zu der Annahme berechtigen, dass in einer früheren Zeit mehr
als ein echter Sacralwirbel bei ihnen bestanden hätte.
2) Die Thotsache, daiiS der erste Sacralwirbel immer den grösslen,
ßeitrüge mr aiialomischeii Keniitiilss des Kreuzbeines der Süuget liiere. 435
oft fast ausschliesslichen Äntheil an der Gelenkfläche hat und daher
sl^ts auf eine grössere Strecke hin mit dem Darmbeine in Berührung
ist, als der zweite .und dritte Sacralvvirbel zusammengenommen, falls
sie in das Gelenk mit eingehen.
3) Der Umstand, dass die Beutelthiere, welche der Stammform der
placentalen Süugethiere am nUchsten stehen, immer nur einen echten
Sacral Wirbel besitzen.
Die Beziehung zum Darmbein erklärt zugleich die Erhaltung der
Rippenrudimenle in den Scitenfortsätzen der Sacralwirbel , denn als
eigenllK'her Träger des Darmbeins wird jenes KnochenstUck eine
[>ractische Bedeutung, die nur in dem Masse sich minderte, als mit
dem endlichen Aufgehen jener SlUcke in die Seitenfortsätze von den
Wirbelfortsiftzen selbst jene Function übernommen ward.
Wenn eine Vergleichung aller Verhaltnisse des Sacruros uns dahin
führte, für die Stammeltorn der Säugethiere einen ur-
sprünglichen Sacralwirbel anzunehmen, deran den£n-
den der von ihm abgehenden kurzen Rippen die Darm-
beine trügt, so ergiebt sich das primitive Sacrum der Säugethiere in
Uebereinstimmung mit dem Sacrum der jetzt noch lebenden
Amphibien, bei denen allen nur ein Sacralwirbel existirt, welcher
die Grenzscheide zwischen den Rumpf- und Schwanzwirbeln darstellt.
Bei den Salamandrinen trägt dieser eine Sacralwirbel sogar be-
wegliche Rippen, die auch allen vorhergehenden Wirbeln zukom-
men (s. oben), an den Schwanzwirbeln aber fehlen. Dass bei den Säu-
gethieren ursprünglich auch die Schwanzwirbel Rippen trugen, bezeugen
die stellenweise noch nachweisbaren Rudimente derselben. Diese Rip-
penrudimente erhielten sich besonders lange an den auf den eigentlichen
Sacralwirbel folgenden ersten Caudalwirbeln. Eine grössere oder ge-
ringere Anzahl Caudalwirbel schlössen sich durch Verwachsung dem
Sacralwirbel an, die vordersten traten nachträglich mittelst ihrerRippen-
rudimente mit den Darmbeinen in Beiilhrung oder verloren diese Rudi-
mente , wenn sie nicht mit zur Bildung der Gelenkfläche herangezogen
wurden.
436 F. Frenket,
Erklärung der beigeffigten ibbildongen.
Tafel ZXI und XXII.
Fig. 4. Erster Sacralwirbol eines vierteljährigen Kindes im
Querdurcbschnitte : wk Knochenkern des Wirbelkdrpers oder »Körpersttick« ; ob
Knochenkerne der beiden oberen Bogen oder »obere Bogenstücke« , welche sich
bei sp durch eine Knorpelleiste zur Bildung des späteren, niedrigen Dornfortsatzes
yereinigen ; es costae sacraies, Sacralrippen oder »ventrale Seitenstücke«. Bei a ist
die breitere Knorpelgrenze zwischen KOrperstück und ventralem Seitenstück , bei
b die schmale Knorpelgrenze zwischen letzterem und dem oberen Bogenstücke ;
fa Stelle der facies auricularis; tr ist die dem Querfortsatze eines Lendenwirbels
entsprechende Stelle.
Fig. 2. Ventralansicht des Kreuzbeines und der letzten Lende n;-
wirbel eines dreijährigen Kindes: vi IV und vi V vertebra lum-
balis IV und V. — vs I— V vertebra sacralis I— V. -^ wk Wirbelkörper; ob
obere Bogenstücke ; p tr Stelle der vorhandenen oder angedeuteten processu*»
transversi; es costa sacralis. Am 4. und 2. Sacralwirbel sind die Knochenkerne
der Sacralrippen noch ganz von Knorpel umschlossen , soweit nicht bereits ihre
knöcherne Oberfläche zu Tage tritt. Am dritten Sacralwirbel ist ihre Grenze gegen
das Körperstück schon fast verwischt. Am 5. Lendenwirbel sind kleine Knochen-
kerne, welche als unentwickelte Sacralrippen zu betrachten sind, sichtbar.
Fig. 3. Diese und die folgenden Figuren (bis 7) veranschaulichen die Aoein-
anderlagerung der Bildungsstücke der Wirbel beim neugeborenen Kanin-
chen. Fig. 3 zeigt den letzten Lendenwirbel halb von vorn, halb von unten.
Wiederum bedeuten: wk Körperstück, ob obere Bogen, p tr processus transversi,
pa Processus articularis anterior.
Fig. 4. Derselbe Lendenwirbel von unten, z ligamentum interverte-
brale.
Flg. 5. Erster Sacralwirbel, halb in vorderer Ansicht. Die Bezeich-
nungen wie vorher.
Fig. 6. Derselbe Wirbel von unten betrachtet.
Fig. 7 zeigt den Antheil des oberen Bogen ob an der Bildung der Gelenk-
fläche fa. Die Grenze zwischen ventralem Seitenstücke es und oberem Bogen
ist eine deutliche Furche. — p tr Stelle des Querfortsatzes eines Lendenwirbels.
Fig. 8. Letzte Lendenwirbel und Sacrum einer neugeborenen
Katze, in Ansicht von unten. Mit es sind überall die Rippenrudimente, mit ob
die den oberen Bogen angehörigen Verknöcherungen bezeichnet.
Fig. 9. Ansicht des Sacrums eines Rinderembryo von unten, oft die
oberen Bogen ; es die Sacralrippen ; p tr processus transversi.
Fig. 40a. Erster Sacralwirbel eines Rinderembryo, welcher das
gewöhnliche Verhalten zeigt, d. h. die Sacralrippe mit dem oberen Bogen ihrer
Seite verschmolzen.
Fig. 40b. Durchschnitt des zweiten Sacralwirbels.
Beitrag« zur Anatomisclieii Kenntniss des Kreuzbeines der Süiigethiere. 437
Fig. 14. Erster Sa cralwir bei eines anderen Rinderembryo , von vorne.
Die Sacralrippen, es, verknöchern ausnahmsweise selbständig, li ligamentnm
iotervertebrale.
Fig. 42. Sacrum eines Ferkels von unten. Die Sacralrippen sind von
Anfang an mit den oberen Bogen verschmolzen.
Fig. 43. Seitenansicht, /a Gelenkfläche.
Fig. 44. Letzter Lendenwirbel.
Fig. 45. Erster Sacralwirbel und
Fig. 46. Zweiter Sacralwirbel im Durchschnitte.
Fig. 47 Durchschnitt durch den ersten Sacralwirbel eines 4t Centimater
langen Embryo von Sus scrofa
Fig. 48. Ansicht des Sacrums eines mehrere Monate alten Igels vor unten.
rs I— V sind die fünf Sacralwirbel ; h die seitlichen Bänder.
Fig. 4 9. Seilenansicht, /a Gelonkflttche. |
Fig. 20. Letzter Lendenwirbel. IVomlgel.
Fig. 21. Zweiter Sacralwirbel; beide im Durchschnitte. )
Fig. 22 — 25 stellen Kreuzbeine des Menschen vor. Fig. 22. Un-
regelmässig gebildetes, ausgewachsenes weibliches Sacrum.
ptr Processus transversus des fast selbständig gewordenen, wie im Uebergange
zu einem Lumbalwirbel stehenden ersten Sacralwirbels (vs I); es costa sacralis.
Fig. 23. Weibliches Sacrum, dessen erster Wirbel (t*5 I) auf seiner
linken Seite fast lumbal gestaltet ist. Dieselben Bezeichnungen.
Fig. 24. Weibliches Sacrum mit zur Hälfte einverleibtem fünften Len-
denwirbel (V). CS bezeichnet die an seinem rechten Querforlsatze zur Ausbildung
gekommene Sacralrippe.
Fig. 25. Sacrum (Geschlecht unbestimmt) mit völlig einverleibtem fünf-
ten Lendenwirbel (6 Wirbel).
Fig. 26. Unregelmässig gebildetes Sacrum eines H^sen, von
unten ge.sehen. Linkerseits ist auch am letzten Lendenwirbel ein ventrales Seiten-
stück ausgebildet (es) .
Fig. 27. Ansicht des Sacrums eines vierteljährigen Hundes in
Verbindung mit den Darmbeinen, von unten. Bei VII der letzte Lenden-
wirbel; vs 1 ist der erste Sacralwirbel.
Zur Blldungsgeschiclite lumbosacraler
üebergangswlrbel.
Von
C. Gegenbaur.
Sowohl durch das äussere Verhalten als auch durch den Besitz
eines selbständigen, vom Wirbelbogen unabhängigen Knochenkernes ist
die Bedeutung der ventralen Schenkel der Seiten fortsätze des Kreuz-
beines als Rippenrudimente in hohem Masse sichergestellt und wird
durch die Vergleichung der bei Wirbel thieren gegebenen Befunde über
jeden Zweifel gehoben. Etw^as anders liegt die Frage bezüglich der
lumbosacralen Uebergangswirbel. In dem Masse als man das Verhalten
der ventralen Schenkel der Seitenfortsätze der Sacralwirbel, — beim
Menschen ferner der drei ersten — aus dem Fortbestehen von Costal-
rudimenten begreift, wird man freilich sofort geneigt sein , auch jene
Ueborgangswirbol in gleichem Sinne zu beurtheilen. Doch können lum-
bosacrale Uebergangswirbel bekanntlich auf sehr diffcrentem Wege ent-
standen sein, und danach wird auch jedes Urlheil sich etwas verschieden
gestalten müssen. Die eine Art jener Uebergangswirbel kommt dadurch
zu Stande, dass ein Sacralwirbel das costale Element seines Seitenforl-
satzes verloren hat. Es besteht dann bei über 17 normalen Thoraco-
lumbalwirbeln ein sechster Lumbalwir])el der einerseits den Character
eines Sacralwirbels trägt; oder genauer, es ist der erste Sacralwirbel
einseitig einem Lendenwirbel ähnlich gestaltet. In diesem Falle kann
kein Zweifel daran sein , dass der erste Sacralwirbel die Abnormität
herstellte, sobald nach diesem nur noch vier Sacralwirbel folgen. Würden
dagegen dem Zwitterwirbel noch fünf Sacralwirbel folgen, so bestände
Grund ersteren aus einem sogenannten überzähligen sechsten Lenden-
wirbel entstanden anzusehen. Dafür sind ebenfalls Fälle bekannt.
Hier wäre nun die Frage berechtigt, ob die einseitig aufgetretene
Zur Bildiioffsgesohiohte lambalsacraler Uebcrgaogswirbel. 439
Verbreiterung des Seitenforisatzes, des Uebergangswirbels, auf dieselbe
Weise sich als costales Rudiment nachweisen Hesse wie an den echten
Sacralwirbeln, und dieselbe Frage gilt für jene Fälle, wo der fünfte Len-
denwirbel bei fünf Sacralwirbeln einen ventralen Schenkel am Seiten-
fortsatze besitzt. In beiden Fällen handelt es sich nicht mehr um Sa-
cralwirbel, sondern um Lendenwirbel mit sacralen Attributen. Wenn
auch wenig wahrscheinlich, so wäre es doch möglich, dass die bezüg-
liche Modification nicht einem besondern Skeletelement , sondern viel-
leicht einer Deformität des Querfortsatzes ihre Entstehung zu dan-
ken hatte. Ein Theil der der anderen Auffassung entgegenstehenden
Bedenken ist nun durch die Beobachtung Frbnkbl^s bezüglich des Vor-
kommens kleiner Knochenkeme am vordem (ventralen) Rande des letzten
Lendenwirbels hinweggeräumt. Dadurch wird die Annahme, dass durch
die weitere Ausbildung der durch jene überzähligen Knochenkeme
ausgezeichneten Knorpelpartien der Seitenfortsätze ein Lumbalwirbel
zu einem Sacralwirbel sich umbilden könne, auf einen festeren Boden
gestellt, aber die Gleichartigkeit der ventralen Schenkel am Lum-
balwirbel und am Sacralwirbel ist damit noch nicht erwiesen. Dazu
würde der Nachweis gleichartiger Ossification des ventralen Schenkels
des Seitenforlsatzes des letzten Lendenwirbels mit dem ventralen Sehen-
*
kel des Seitenfortsatzes der drei ersten Sacralwirbel erbracht werden
müssen. Soviel mir bekannt, ist das bis jetzt noch nicht geschehen.
Die Untersuchung der Wirbelsäule eines dreijährigen Kindes gab
mir zu jener Prüfung Gelegenheit. Bei normaler Wirbelzahl in allen
Abschnitten der Wirbelsäule (den Sacral- und Lumbaltheil mit inbe-
griffen) zeigte der letzte Lendenwirbel linkerseits eine sacralwirbelartige
Gestaltung. Es bestand hier ein zwar nicht so bedeutend wie am ersten
Sacralwirbel entfalteter, aber doch immerhin ansehnlicher ventraler
Schenkel des Seitenfortsatzes, und an demselben erstreckt sich die
Facies auricularis fast bis zur Hälfte der Höhle hinauf. Dieselbe Ge-
lenkfläche reichte dagegen nur bis zum Rande des Seitenfortsatzes des
dritten Sacralwirbels herab, kaum darauf übergreifend. Rechterseits er-
streckte sich die Facies auricularis entschieden bis auf den dem drit-
ten Wirbel zugehörigen Seitenfortsatz herab. Dass dennoch die linke
Auricularflächo um vieles bedeutender ausgedehnt war als die rechte, in-
dem sie sich über den Seitenfortsatz des fünften Lumbaiwirbels empor-
erstreckte, ist selbstverständlich. Die Ossificationen der Sacralwirbel
ergaben kein abweichendes Verhalten. Die ventralen Schenkel der
Seitenfortsätze des ersten Sacralwirbels besassen die diesem Stadium
entsprechenden grossen Knochenkeme, ebenso jene des zweiten Sacral-
wirbels. • ' ' — ^ 'Wirbel war nur linkerseits ein sehr kleiner
Bd. T 89
440 G. GegenbaiiF) Zur ßildnngsgesehiclite labalsaenüer Ueberg&ngswirbel.
Knochenkern im ventralen Schenkel bemerkbar; rechierseits fehlte er
noch. Die Praeponderanz der linken Seite gab sich also auch darin zu
erkennen.
Was nun den linkerseits am fünften Lendenwirbel vorhandenen
ventralen Schenkel angeht, so besass dieses bei bedeutender voi^e-
schrittener Ossification des Körpers wie des Bogens (beide Theile waren
nur durch eine schmale ca. 1 mm. dicke Knorpelschichte getrennt) noch
grossetitheils knorpelige Stück doch einen völlig selbständigen
Knochenkern, der zwar nahe dem Knochen des Bogenstückes gelegen,
aber durch einen 1 Y2 ^^' breiten Knorpel davon getrennt war. Durch
eine Anzahl feiner Schnitte vermochte ich mich zu überzeugen, dass noc^
keine Knorpelkanäle vom Bogenkern, zu jenem »überzähligem Knochen-
keme traten. Die Knorpelkanäle führten vielmehr zur freien vordem
(ventralen) Oberfläche des Knorpels hin. Somit ist also an diesem Knor-
peltheile des fünften Lendenwirbels dieselbe *Ossificationsweise erkannt,
wie sie an den Costalrudimenten der Sacralwirbel besteht, und es darf
ausgesprochen werden, dass die lumbo-sacralen Uebergangs-
Wirbel durch die Ausbildung ihrer in der Regel gänzlich
fehlenden Rippenrudimente hervorgehen. Sowie also der
einseitige Mangel eines Rippenrudimentes am ersten Sacralwirbel aus dem
letzteren einen sacro-lumbalen Uebergangswirbel bildet, so kann ein ahn-
1 icher aber doch durch seinen Platz in der Wirbelreihe wesentlich verschie-
dener, also nicht mit jenem homodynamer Uebergangswirbel durch die
Ausbildung eines Rippenrudimentes am letzten Lumbalwirbel entstehen.
An derselben Wirbelsäule fand sich noch eine den selteneren Vor-
kommnissen beizuzählende Eigenthümlichkeit, deren ich hier nebenbei
gedenken will. Am ersten Lendenwirbel zeigte sich nämlich der ganze
einem Brustwirbelquerfortsatz entsprechende Abschnitt beiderseits als
ein bewegliches Knorpelstück. An demselben war sehr deutlich der
Processus mamillaris und der accessorische Fortsatz ausgeprägt, dagegen
war der lumbale Querfortsatz nur als ein ganz unansehnliches Höckerchen
unterscheidbar. Das ganze Stück war ohne Ossification, und articulirte
durch ein wahres Gelenk. Es bildete eine längliche Pfanne, welche
auf einem von der hinleren und seillichen Fläche des Wirbelbogens dar-
gebotenen, entsprechend geformten Gelenkkopfe sass, der sich am Pro-
cessus articularis empor erstreckte.
BeslSnbnngsyersuche an AMtllon.
Von
Fritz Müller.
n. Beispiele von Unfruchtbarkeit als Folge zu
naher Verwandtschaft.
Die völlige Unfruchtbarkeit gewisser Pflanzen mit Bltttheostaub der-
selben Blume (Corydalis cava) oder selbst aller Blumen desselben
Stocks (Arten von Abutilon, Bignonia, Oncidium u. s. w.) bil-
det nur einen besonderen Fall des Gesetzes, dass Selbstbestäubung min-
der kräftige Nachkommeoscbaft liefert, als Kreuzung. Und dieses Gesetz,
für welches jede Blume einen Beleg bietet, die durch Duft oder Farben-
schmuck Bienen und Schmetterlinge zum Honiggenuss und dadurch zur
Vermittelung der Kreuzung einladet, ist wieder nur ein besonderer Fall
eines allgemeineren Gesetzes, dass ndmlich enge Inzucht zwischen nahen
Verwandten nachtheiiig wirkt ; denn, als Einzelwesen betrachtet, sind
ja eben Staubgefösse und Stempel desselben Pflanzenstocks oder gar
derselben Blume die denkbar nächsten Verwandten. £ine noch ali-
gemeinere Fassung lässt sich letzterem Gesetze geben, wenn man in
dasselbe die Verminderung der Fruchtbarkeit mit einschliesst, die in
allen Graden bis zu völliger Unfruchtbarkeit eintritt als Folge zu geringer
Verwandtschaft der gekreuzten Pflanzen, also bei der Bastardzeugung.
Jede Pflanze, könnte man sagen, erfordert zur Erlangung möglichst kräf-
tiger und zeugungsfohiger Nachkommensdiaft einen gewissen Betrag von
Verschiedenheit zwischen den sich vereinigenden männlichen und weib-
lichen Zeugungssioffen ; sowohl wenn dieser Betrag abnimmt (bei zu naber
Verwandtschaft), als wenn er s«-^'" '*"* — «ijeringer Verwandtschaft)
nimmtdie Fruchtbarkeit ab. Df ereinstimmung zwischen
442 FriU Malier,
iiillegitirDeD« Sprfisslingen dimorpher und trimorpher Pflaozea einerseits
und den Bastarden verschiedener Arten andrerseits berechtigt wohl zu
einer solchen Zusammenfassung der beiden durch entgegengesetzte Ur^
Sachen bedingten Arten der Unfruchtbarkeit unter einen gemeinsamen Ge-
sichlspunrt. Selbstverständlich soll damit das thatsüchlich Gegebene nur
ausgesprochen, nicht aber erklärt sein. Ebenso soll damit natürlich aur
eines der vielen, die grossere oder geringere Fruchtbarkeit einer Yeiv
biudung bedingenden Verhültnisse ausgesprochen sein.
Je grösser bei einer Art die zur Erzielung des höchsten Grades der
Fruchtbarkeit erforderliche Verschiedenheit der Zeugungsstoffe ist, um
so grösser wird im Allgemeinen — (celeris paribus) — die Verschieden-
heit der Pflanzen sein dürfen, die überhaupt noch Nachkommen mit ein-
ander zeugen können. Mit anderen Worten: Arten, die mit BlUthenstaub
desselben Stockes völlig und selbst mit BlUthenstaub nahe verwandter
Stocke mehr oder weniger unfruchtbar sind, werden im Ailgemeioen
bi.>sonders leicht durch BlUthenstaub anderer Arten sich befruchlon lassen.
Die selbst unfruchtbaren, dagegen zur Bastardbildung so Überaus ge-
neigten Arten der Gattung Abu tilon liefern ein gutes Beispiel zu diesem
'~§alze, der auch bei Lobelia, Passiflora, Oncidium sich zu be-
sUttigin scheint.
Ich will diese allgemeinen Betrachtungen hier nicht weiter fort-
setzen. Dieselben sollten nur andeuten, in welchem Sinne und in wel-
chem Zusammenhang ich die im Folgenden mitzutheilenden Beispiele
von Unfruchtbarkeit zwischen nahen Verwandten anfgefasst zu sehen
wünschte.
Im Folgenden bezeichnen A, C, E, P, M, P sechs einheimische
Ahutilon-Arten, von denen ich Cals Abutilon vomCapivary, EalsEm-
bira branca, F als Abutilon vom Pocinho schon in einem früheren Auf-
satze erwithnlhabe'). Das Abutilon vom Capivary ist von Fe nzL Abu-
tilon Hildebrandi gctauf ' — " ..... . . . «■
ich spiiter mittheilen zu 1
tilon vexillarium bezeicl
sind die Buchstaben dei
nebeneinander gestellt,
zeirhnet EF einen Basti
Verbindungen dieser ei
Arten ist ein Punct zwii
') Diese Zeitsohrifl, Bd
Bestüobunggyersuche an Abatilon.
443
das naohfolgende des Vaters gesetzt; PXF hat also F zur Mutler, CF
zum Vater, CE,S hatC£' zur Mutter, S zum Vater. Die Zahlen rechts
unten neben den Buchstaben bezeichnen die einzelnen Stöcke einer Art
oder eines Bastards. FSj, F52, FS3, sind also z. B. drei verschiedene
Stöcke des Bastards FS.
I. C (Abulilon Hildebrandi, Fenzl).
Von dieser Art habe ich bereits einige Fälle milgetheilt, in denen
Befruchtung durch die nächsten Verwandten zwar reichlichen Samen,
aber nur wenige schwächliche Nachkommenschaft erzeugte ^j . Ein
weiteres Beispiel lieferten meine Versuche im Jahre 1871. Die Ver-
wandtschaftsverhältnisse der betheiligten Pflanzen erhellen aus nach-
stehender Uebersicht.
Co
Aus Samen einer Frucht der am oberen Capivary wildwachsenden Pflanze
Co wurden die Geschwister C, C", Cj, C3, gezogen. C^ hat C, zur Mut-
ter, C" zum Vater ; C« hat zur Mutter G", zum Vater C ; endlich die Ge-
schwister C7, Cg, C», haben C5 zur Mutter, C3 zum Vater. Die mit
eigenem BlUthenstaub völlig unfruchtbare Pflanze C^ wurde nun be-
fruchtet mit BlUthenstaub ihrer Geschwister Cg und Cg, ihrer Mutter C5,
ihres Vaters C3 und der minder nahe verwandten Pflanze Cg. Im Sa-
roenertrage zeigte sich keine erhebliche Verschiedenheit. Am 47. Fe-
bruar 1872 wurden je 30 Korn dieser fünferlei Samen gesät. Die durch
BlUthenstaub des Vaters C3 und des Bruders C« erzeugten Samen gingen
gar nicht auf. Von den durch BlUthenstaub der Mutter C5 erzeugten
Samen keimten zwei oder drei, aber die Pflänzchen gingen schon nach
wenigen Tagen wieder ein. Zahlreichere Pflanzen entsprossten den durch
Cg und Ce erzeugten Samen. Erstere, die Kinder des Bruders Cg, wuch-
sen sehr kümmerlich ; nach vier Monaten waren die grössten kaum zoll-
») Diese ZeiUchria, Bd. VII. S. *0.
BestJlubiingsrersuclie an Abntilon. 445
dagegen brachten 40 gleichzeitig^) mit Blüthenstaub des Oheims Cf\
bestäubte Blumen ebenso viele Früchte mit keimfrlhigen Samen. Auich
mit Blüthenstaub der Mutter F, des Bruders F.CFi, sowie der Pflanzen
A2, C^y und P.EFi lieferte P.CF^ keimfähige Samen. Mit eigenem Blü-
thenstaube ist F. CF^ völlig unfruchtbar.
Umgekehrt fielen zwei Blumen von CF^ nach Bestäubung mit F.CF2
unbefruchtet ab, während zwei ebenso bestäubte Blumen von CF^ reife
Früchte brachten, deren Samen leider durch Raupen ausgefressen waren.
Die Pflanze F.CF^, an welcher nur wenige Versuche gemacht wur-
den, scheint sich ähnlich zu verhallen, wie ihr Bruder F. CFj.
IV. Bastard FS.
Von den Arten F und S besitze ich nur je eine Pflanze ; die Bastarde
PSxj FS2, FS3 und SF sind also sämmilidi Geschwister. Alle vier zeich-
nen sich aus durch üppigen Wuchs (sie sind jetzt, ein Jahr nach der
Aussaat, von mehr als doppelter Manneshöhe) und durch grosse Frucht-
barkeit^); ohne mein Zuthun, durch Vermittlung der Kolibris, haben sie
sich mit Hunderten von Früchten bedeckt. Zu Bestüubungsversuchen
wurde die Pflanze FS| ausgewählt. 10 Blumen mit Blüthenstaub des-
selben Stockes bcstäuljt, fielen unbefruchtet ab, während 9 Blumen be-
binden waren, wie es in dem Bastard CE.S mit den Arien E und 5 der Fall ist. Er fand
ferner diese durch vermittelnde Verwandtschaft entstandenen znsammcngcsetzlen
Bastarde »dem vttterliclien Typus so sehr ähnlich, dass sie nur Varielöten desselben
zu sein scheinon«. Die von ihm und Kölkeuter beobachteten derartigen Bastarde ge-
hörten den Galtungen Nicotiana, Lobelia undVerhascum an. FürAbu-
1 i I o n kann ich die von Gärtner aufgestellten Regeln nicht bestätigen. Die hierher
gehörigen Bastarde CE.S, EF.S und CS.E sind sämmtlich fruchtbar und keineswegs
ihren Vätern besonders ähnlich ; in der Blattform steht sogar C^. 5 der Mutter 0^
sehr viel näher als dem Vater 5.
1) D. h. es wurden gleichzeitig nicht alle 20 Blumen , sondern jedesmal eine
Blume mit CFi und zugleich eine andere mit CF2 bestäubt.
^ Soweit meine Erfahrung reicht, sind überhaupt die am üppigsten wachsenden
Bastard« auch die fruchtbarsten. Auch nach Gärthkk's so ungemein reichen, ein
Vierteljahrhundert umfassenden Erfahrungen »zeigen gerade diejenigen Bastarde,
bei welchen man die meiste Fruchtbarkeit bemerkt hat, unter allen die stärkste
Luxuriation in allen Theilen« (Bastardzeugung S. 529). Dass umgekehrt kümmer-
lich wachsende, zwerghafte Bastarde völlig unfruchtbar zu sein pflegen, ist bekannt.
Den üppigen Wuchs so vieler Bastardpflanzen ihrer Unfruchtbarkeit zuzuschreiben,
wie KöLREDTER woUte, und darin »un cas tr^s — remarquable d'application de la
loi du balaocement organique et physiologique« sehen zu wollen, wie noch ganz
neuerdings Quatrkpages es thut (Charles Darwin et ses pr6curseurs fran^äis.
4870. S. 246. Anm.) ist hiernach (und aus anderen von Gärtner a. a. 0. entwickel-
ten Gründen] durchaus u*"
446 Fritz Müller,
stäubt mit F, 40 Blumen mit F^EF, 2 Blumen mit FV ebensoviele samen-
reiche Früchte brachten. Auch xniiAy mit EF, mit FE ^ mit M^y mit S^^
sowie mit ihren Geschwistern FS2 und SF zeigte FS^ sich fruchtbar.
Die aus diesen verschiedenen Kreuzungen hervorgegangenen Samen
erwiesen sich, soweit sie ausgesät wurden, als keimfähig, darunter au<^
die durch Bestäubung mit SF erhaltenen. Völlig unfruchtbar dagegen
zeigte sich die Pflanze FSi mit ihrem Bruder FS^ ; sieben mit dessen
Blüthenstaube bestäubte Blumen fielen unbefruchtet ab.
Um zu ermitteln, ob die Unfruchtbarkeit dieser beiden Geschwister
eine gegenseitige sei, wurde auch an FS^ eine Reihe von Versuchen ge-
macht. 4 Blumen mit A, \ Blume mit FV, 5 mit FS2, 5 mit SF be-
stäubt lieferten ebensoviele Früchte; ebenso erhielt ich Früchte mit
gutem Samen von der Mehrzahl der mit F, FF, M und S bestäubten
Blumen, dagegen nicht eine einzige Frucht von 5 Blumen, die mit Blü—
thenstaub von FS^ bestäubt wurden.
Der Blüthenstaub von FS|, der FS3 nicht zu befruchten vermochte,
erzeugte Früchte mit reichlichen keimfähigen Samen an den Pflanzen
CP, FF2, FFi, F, F.EF^y S und SV; ebenso befruchtete der auf den Nar-
ben von FSi wirkungslose Blüthenstaub von FS^ die Pflanzen CF, EVi^
F. FF2, P und S.
y. Bastard FP,
Die beiden Geschwister FPi und FP2 scheinen ebenso unfruchtbar
mit einander zu sein, wie FS^ und F1S3 ; zwei Blüthen von FF2, bestäubt
mit FPi, fielen unbefruchtet ab ; ebenso vier von den fünf mit FP^ be-
stäubten Blumen der Pflanze FP^ ; auch die Frucht, welche die fünfte
dieser Blumen angesetzt halte, fiel jung ab. Dagegen lieferten beide
Pflanzen Früchte und keimfähige Samen mit dem Blüthenstaub ihrer Eltern
FundF; ausserdemFFi mitA, CS^ und CV. — Der Blüthenstaub beider
Pflanzen ist zeugungskräftig; denn er erzeugte keimfähige Samen an
den Pflanzen CV, EV^, F, Mi und M2. An der Pflanze P, dem Vater von
FP^ und FP21 erhielt ich von fünf mit Blüthenstaub dieser Kinder be-
stäubten Blumen nur eine, ziemlich samenreiche Frucht, deren Samen
noch nicht auf ihre Keimfähigheit geprüft wurden.
VI. Bastard REF.
Die vier Pflanzen EF. F^, FF.F2, F,EF^ und F.FF2 sind Geschwister ;
sie haben dieselben Eltern Fund EFi, —
Neun Blumen von F. FF^ bestäubt mit Blüthenstaub anderer Blumen
desselben Stocks, lieferten keine einzige Frucht. Zwanzig Blumen von
F.EF^ bestäubtmilBlüthenstaubderGeschwister F.FF2, EF,F^ undFF.Fj
BestünbungSTersiithe an Abutilon.
447
JPjRJ.
EEFg,
F,EF^
B
D
»
a
brachten drei Früchte mit durchschnittlich 1,3 Samen im Fach; die sa-
meni*eichste der drei Früchte hatte durchschnittlich %,% Samen im Fach.
Dagegen gaben
10 Blumen von F.^F bestäubt mii FEy und FE^: 10 Früchte mit 4,5
11 ... EF2 und EF^: 10 . . . .4,6
10 ... ! F : 9 .... 4,7
6 FCF^ undFCF,: 6 .... 4,5
1 FS, : 1 Frucht mit 4,7
* Der geringe Erfolg der Bestäubung mit dem Blütbenstaub der Ge-
schwister lag nicht etwa an der schlechten Beschaffenheit dieses Blüthen-
staubes, der sich an anderen Pflanzen vollkommen zeugungskräftig er-
wies; der Blüthenstaub von F.FF2 erzeugte samenreiche Früchte an der
Pflanze FS,, der von EF.F^ an FF2, der von FF.F2 «" ^- Auch der
Blüthenstaub von F.EF^ erzeugte zahlreiche und, soweit sie ausgesät
wurden, sich keimfähig erweisende Samen an den Pflanzen F, F.CF^^
FS^ und FSj. —
Die durchF.FF2 erzeugten Samen von P.EFi haben übrigens ge-
keimt und kräftige Pflanzen gegeben, die bis jetzt im Wachsthum
mit den durch FF2, durch F, durch F.CF2 und durch FS^ erzeugten
gleichen Schritt halten.
VII. Bastarde EF und FE,
Die Verwandtschaftsverhältnisse der betreffenden Pflanzen erhellen
aus der bei F. EF gegebenen Uebersicht.
Sowohl die Geschwister FF2 und FF3, als ihre Halbgcschwister
FF], FF, und FE^ wetteifern in üppigem Wuchs und Fruchtbarkeit mit
den Bastarden FS unb SF^). — Als Versuchspflanzen dienten die Halb-
>) »Wenn zwei Arten fruchtbare Bastarde erzeugeo, so müsse n wir sie in eine
Art zosammenziehen« sagt Professor Kbfkmtkin in seinem »Berichte über die
448 FritiMflller,
geschwisler EF2 und Pfj. Dieselben sind unfruchtbar mil einander.
Sieben Blumen von EP^ lieferten niitBIUlhenslaub von FEi keine, i 0 Blu-
men von PE^ mit BlUlhenslaub von EF^ eine einz ige sehr dUrfUge Fruchi,
die in 15 Füchero nur 11 Samen enthielt. Die Samen scheinen tjiub zu
sein, haben wenigstens, vor 18 Tagen ausgesät, noch nicht gekeimt.
Auch mit Bltlthenstaub von FEy zeigten sich beide Versuchspflaozen
unfruchtbar; 10 Blumen von FE.^ gaben mit BlUlhenslaub von Pf, gar
keine, 4 Blumen von EP.^ eine einzige dllrftige Fruchi mit nur 8 Samen
in 1 1 Fächern und diese Samen erwiesen sich bei der Aussaat als taub.
Dagegen erzeugte der Bltlthenstaub von EF^ ziemlich reichlichen Sa-
menertrag, sowohl bei seinem Bruder EF^, als bei seinem Halbbruder
F£a; 12 Blumen von F.Pt gaben mit ^Fj bestaubt 10 Früchte mit durch-
schnittlich 3,5 Samen und 10 Blumen von PEj, ebenso bcstäubl, SFrtichtc
mit durchschnjtllich i,2 Samen in einem Fache.
Hit allen sonstigen Arien und Bastarden, mit denen sie bestäubt
wurden, zeigten sich beide Pflanzen fruchtbar ; so EFj mil E, EP. V, F,
FS, Jf und FS, sowie FF2 mit CK, EF.P, EP.S, K.FV, HV, F,FS und*.
Umgekehrt bcfruchtclo Bltlthenstaub von FFj und PE^ fast alle Pflan-
zen, an denen er versucht wurde; so der von EF^ die Pflanzen C,, CP,
CV, EF.S, PS,, SP und der von FE^ die Pflanzen P, P.EPy und FS,. —
Es beweisen die eben milgetheillcn Beispiele, dass bei den Bastar-
den von Abutilon und wahrscheinlich ganz ebenso bei den reinen
Arten dieser Gattung ziemlich häußg Fälle mehr oder minder vollstSn-
di.^ei' Unfruchtbarkeit zwischen nahe verwandten Pflanzenstttcken, cwi-
sehen Kllem und Kindern, zwischen Geschwistern und selbst H«lbgc~
Forlschritle der Ueneralion^lehre im Jabre lS67ii (S. 190). Diese Forderung des
Berichte i'sUlters dlirtle wohl kaum unter die oFortsch ritte in der Genera tionslehrc*
zu zählen seio. Schon CXurtiEH war über diesen Stendpunct weit hinaus. So
segl er, um nur eine der vielen bezüglichen Stellen seines Baches aanifiihren (Bas-
tardieugung, S. 3S3): «Kmght hat behauptet, dass die Fruchtbarkeit eines Bas-
tards ein direcler Beweis dsvnn seie, da^s die beiden Eltern zu der nämlichen Spe-
cies gehöreo, und dass ein steriler Bastard vtm verschiedenen Arien abstamme. —
Im Folgenden wird sich aber die Unrichtigkeit des von Krigbt behaupteten Salzes
upzwetdeulig eigeben». — Nach alle dorn, was schon Gäitmiir und was später
Dahwik über iliusen Gegenstand gesagt, bedarf derselbe keiner erneuten Besprech-
ung. Ich mtichle nur Hei rn Professor K Er eh et diu fragen, in welcher Weise er
seine halegorirhe ForderimR auEfähren würde, wenn iwei Arten (E und S) zwnr
mit derselben dritten (fl fruchtbare Bastarde (KF, FE, FS, SF] erzeugen, nicht aber
unter sich. — Oder wenn twei direct nicht zu truchtbaren Baslarden vereinbare Arten
(E und S) sich durch Vcimttllung einer dritten Art (C oder f) zu rrucblbareo Bas-
tarden (CE.S, EF.S, CS. El verschmelzen lassen. —
ß estänbungsversuche au Abiitilon. 449
schwistern vorkommen. Ist die oben ausgesprochene Auffassung des
Zusammenhanges zwischen Verwandtschaft und Fruchtbarkeil richtig,
so darf man hofTen, ähnliche Beispiele durch zu nahe Verwandtschaft
verminderter Fruchtbarkeit auch bei anderen Pflanzen nachweisen zu
können, wird aber völlige Unfruchtbarkeit zwischen Verwandten nur
bei solchen Arten zu finden erwarten dürfen, die wie Abutilon mit
Blttthenstaub desselben Stockes unfruchtbar sind.
Die ttblen Folgen der Inzucht, die sich, wie Abutilon zeigt, schon
bei der ersten Verbindung zu nahe verwandter Pflanzen bis zu völliger
Unfruchtbarkeit steigern können, sind bei allen bisherigen und nament-
lich auch bei Gärtnbr^s »Versuchen und Beobachtungen über die Bastard-
zeugung im Pflanzcnreicha unberücksichtigt geblieben, und es bedürfen
daher mehrere der aus diesen Versuchen abgeleiteten Sätze einer Nach-
prüfung. Dies gilt z. B. von'dem Satze, dass Bastarde »niemals so viele
vollkommene und keimfiihigo Samen erzeugen, als ihre Slammelterna
(GArtiibr a. a. 0. S. 540). Ebenso von dem Satze, »dass der stamm-
elterliche Pollen auf die Bastarde kräftiger wirkt, als der eigene«
(Gärtner a. a. O. S. 425). In keinem einzigen der vielen von Gärt-
ner für beide Sätze angeführten Fälle ist aus seinem Buche zu ersehen,
ob die geringere Fruchtbarkeil der Bastarde, ob die minder kräftige
Wirkung des Bastardpollens Folge gewesen sei der Bastardnatür oder
nicht vielmehr zu naher Verwandtschaft der gekreuzten Pflanzen. Kaum
findet sich bei Gärtner ein Fall, der schlagender die Richtigkeit des
zweiten Satzes zu beweisen scheint, als die oben erwähnte Pflanze F.EF^,
an welcher 29 theils mit Blüthenstaub desselben Stocks, theils mit dem
von F.EF2y EF.Fi und EF.F^ bestäubte Blumen nur drei dürftige
Früchte, dagegen 31 mit »slammelterlichem Pollena (von F, EF^, EF^,
FEi, FE2) bestäubte Blumen 29 Flüchte brachten, die mehr als dreimal
so samenreich waren, als jene. Und doch beweist die Fruchtbarkeit
dieser Pflanze mit andern Bastarden [FS und FCF], sowie die kräftige
Wirkung ihres Blüthenstaubes und dos Blüthenstaubes ihrer Geschwister
auf zahlreiche andere Pflanzen, dass der überaus dürftige Samenertrag
der Pflanze F.EF^ nach Bestäubung mit P.EF2J EF.F^ und EF,F2 nicht
davon herrtlhrte, dass diese Pflanzen Bastarde, sondern einzig davon,
dass sie Geschwister sind. — Für eine grosse Zahl von Bastarden ist
allerdings die Richtigkeit beider Sätze ausser Frage, für alle diejenigen
nämlich, deren Geschlechts theilc mehr oder minder verkümmert sind ;
für diese aber besagen sie nur, was sich ganz von selbst v ersteht und
ebenso für alle übrigen Pflanzen gilt, dass gesunde Geschlech Istheile
und Zeugungssloffe zur Zeugung tauglichor sind, als verkümmerte, un-
Vollkommen entwickelte.
450 Fritz Mflller, Bestruibiiugsvcrsuche an Abotilon*.
Auch der Satz, dass »die meisten fruchtbaren Bastarde in forl^e-
setzten Generationen in ihrem Zeugungsvermögen immer nfehr und mehr
abnehmena (Gärtner a. a. 0. S. 418), bedarf einer neuen Prüfung. Es
ist auf diesen Satz von Gegnern Darwin's ganz besonderes Gewicht
gelegt worden und Flourens glaubt mit demselben eine scharfe Grenze
zwischen Art und Abart ziehen zu können ^) . Während Blendlinge mit
unverminderter Fruchtbarkeit sich dauernd fortpflanzen, soll die Frucht-
barkeit der Bastarde von Geschlecht zu Geschlecht abnehmen und bald
völlig erlöschen. Darwin hat bereits mit gewohntem Scharfblick die
Vermuthung ausgesprochen, dass diese vielfach beobachtete Abnahme
der Fruchtbarkeit Folge sei nicht der Bastardnatur, sondern zu enger
Inzucht^) und ich freue mich in den hier mitgetheilten Beispielen ver-
minderter Fruchtbarkeit und völliger Unfruchtbarkeit als Folge zu enger
Inzucht bei Abutilon-Bastarden einen neuen Beleg für die Rich-
tigkeit der Vermuthung Darwin's bieten zu können ^).
Itajahy, October 1872.
1) »Toutes les variät^s d'une möine esp^ce soDt föcondes entre elles d'une fd-
condit^ continue ; les e Spaces d'unm^me genre n'ont entre elles qu'une f6con>
dit6 bornöe« Flourbns, Examen du livre de M. Darwin, pag. 104.
2} mI believe in nearly all tbese cases, that the fertility has been diminished . . .
by too close interbreeding« Origin of species. 4th edition. pag. 295.
3) Gerade in dem von Gärtner (a. a. 0.) als Beleg seines Satzes angeführten
Falle des »sehr fruchtbaren Bastards DianthusArmeria-deltoideB«, der sich
Jahre lang in Gärtner's Garten von selbst aussäte, dessen Fruchtbarkeit aber von
Jahr zu Jahr abnahm und im zehnten Jahre völlig erlosch, ist es kaum zweifelhatt
dass enge Inzucht stattgefunden hat. So viel aus Gärtner's Verzeichniss seiner
Versuche zu ersehen ist, (Bastardzeugung, S. 689), hat derselbe nur einmal, im
Jahre 1829, vier Blumen (wahrscheinlich an derselben Pflanze) von
Dianthus Armeria mit Dianthus deltoides bestäubt, und von diesen zwei
Früchte geerntet.
Beiträge zur Eenntnlss der Termiten.
Von
Fritz MüUer.
in. Die »Nymphen mit kurzen Flügelscheiden«
(Hagen), »nymphes de la deuxifeme forme« (Les-
p^s). Ein Sultan in seinem Harem.
Von der überraschenden Menge verschiedener Zustände, die im Ter-
mitenstaate angetroffen werden, bilden — nach der Meinung ihres gründ-
lichsten Kenners ^) — »eigentlich nur die Nymphen mit kurzen Flügel-
scheiden ein bis jetzt unlösliches Räthsel«. Dem Versuche, dieses Räth-
sel seiner Lösung näher zu führen, muss ich als Einleitung einige Worte
über das geschlechtliche Leben der Termiten vorausschicken.
Zu einer bestimmten (für verschiedene Arten verschiedenen) Jahres-
zeit verlassen die geflügelten Männchen und Weibchen das Nest, in wel-
chem sie mehrere Wochen zuvor ihre letzte Häutung bestanden haben,
und erheben sich in dichtem Schwärme in die Luft. Nach kurzem Fluge
senken sie sich wieder zu Boden und entledigen sich ihrer Flügel. Zum
Theil erst jetzt, zum Theil schon während des Fluges beginnt die Jagd
der Männchen nach einer Genossin. Die Paare, die sich gefunden, suchen
dann ein Nest ihrer Art wieder zu gewinnen. Ehe sie dieses Ziel wieder
erreichen, erliegt die übergrosse Mehrzahl der wehrlosen Thiere den
Nachstellungen der Ameisen, der Vögel und anderer Feinde. Die Be- \
gattung findet weder in der Luft, noch überhaupt ausserhalb des Nestes >
statt. Erst nachdem ein Paar als König und Königin in einem Neste
Aufnahme gefunden hat, folgt der ausserhalb des Nestes gefeierten Ver-
lobung die VermählunfT **e lange treue Ehe.
^) Hagen in Linnaef S. 126.
452 PriU Haller,
Ziemlich abweicheDd von dieser Darstellung, weldie sich in allen
wcsenllicben Puncten derjenigea aoscbliesst, die schon vor fast hundert
Jahren (178tJ Smeathkan gegeben hat, pQegea die Angaben neuerer
zoologischer Lehrbuchs zu laut«n. Man lUsst die Termilen sich id der
Luft oder doch ausserhalb des Nestes begalten, die Mannchen nach der
Begattung zu Grunde gehen und die betruchlelen Weibchen in das Nest
zurückgebracht werden.
Doss das Hünnchen mit seinem Weibchen in das Nest zurUckkeltrt
und in seiner Gesellschaft als uKöntg« weiter lebt, bedarf keiner weiteren
Beweise, nachdem ausser Sukathhan auch Lavage, Lespfcs, Batcs
u. A. solche Könige bei verschiedenen Arien gefunden , und nach-
dem auch Hagkn erklärt, dass ihm »durch vielfache Angaben glaub-
würdiger Forscher und durch vielfache Sendungen solcher Nestbewob-
ner die Existenz eines derartigen KQnigs zweifellos erscheinUi]. Doch
mag immerhin erwähnt sein, dass auch ich den König bei acht oder neun
Arten der Gattungen Caloterm es [nigosus, nodulosus, HageoÜ), Ter-
mes [Lespesii], Eutermes [inquilinus u. a.} und Anoplolermes
(pacißcusj gefunden habe. — Da die zur Zeit des Schwarmens äusserst
winzigen Hoden nach der Rückkehr in ein Nest so bedeutend wachsen,
dass sie den grösseren Theil dos bisweilen belrüchllich anschwellenden
Hinterleibes füllen, so steht die, wahrscheinlich oft wiederholte Begat-
tung im Innern des Nestes ausser Frage. Damit ist allerdings eine frü-
here Begatlung ausserhalb des Nesles nicht ausgeschlossen. Doch ist
dieselbe sehr unwahrscheinlich, eben weil zur Zeit des Schwärmens
Hoden und EiersUtcke noch sehr wenig entwickelt sind. Selbst bei
einer der grössten Arten (Termes dirus] konnte Burhbisteb die in-
neren Geschlechts Iheile des geflügelten MUnnchens nichl nachweisen.
Auch Hagbn untersuchte viele [Alcohol-) Stücke geflügeller Termilen
ohne Genitalien zu treffen ^J. Hat man doch sogar die grosse Hasse
eines Termilen seh warm es als »sterile Individuen« ansehen wollen. Da-
nach lUsstsich bemessen, wie klein noch im Verhultniss zu ihrem spä-
teren gewalligen Umfange die Geschlechlstheile der geOUgelten Thiere
sind; als Beispiel will ich anfuhren, dass bei den gellUgellen Männchen
unserer grössten Eutcrmes-Arl die Hoden kaum 0,3 Mm. Durch-
messer haben.
Besässen die Termilen die langen, so leicht ins Auge fallenden und
kaum zu verwechselnden Samenfäden der übrigen Inseclen, so wäre
die Frage, ob die geflügelten Männchen schon zeugungsrahig seien und
n S5. Kovbr. 187).
Beitrüge zur Keniiintss der Termiten. 453
ob die Weibchen schon ausserhalb des Nestes sich begatten, leicht genug
zu entscheiden. Allein in den Hoden geschlechtsreifer Männchen (Könige)
verschiedener Arten fand ich nur theils grössere, sehr blasse rundliche
Körperchen (von etwa 0,008 Mm. Durchm. bei Entermes verna-
lis m.), die Kern- und hüllenlos zu sein scheinen und bei Wasser-
zusatz zu mehr als doppelt so grossem Durchmesser aufquellen, Iheils
kleinere ziemlich stark lichtbrechende Kttgelchen von kaum 0,002 Mm.
Durchm. — ßrstere sind wahrscheinlich die befruchtenden Bestandtheile
des Samens. Sie sind so blass und ihre Gestalt ist so wenig ausge-
zeichnet, dass ich noch nicht mit Bestimmtheit sagen kann, ob sie schon
bei den geflügelten Männchen sich finden und dass ich sie bis jetzt ebenso
vergeblieh in der Samentasche von Königinnen, wie in der der geflü-
gelten Weibchen gesucht habe. Habe ich recht gesehen, so sind die-
selben bei den geflügelten Männchen (des grossen, Kugelnester bauen-
den Eutermes) allerdings schon vorhanden, aber noch in Zellen einge* ^
schlössen.
Bis jetzt ist noch kein in der Begattung begrifienes Termiten-
Pärchen gefangen worden. Was man wohl als Begattung angesehen
hat, sind jene mehrfach beobachteten gemeinsamen Spaziergänge der
Paare, bei welchen das Weibchen voranläuft, das Männchen dicht da-
hinter, oft mit seinen Kinnbacken den Hinterleib des Weibchens er-
fassend. Diesen eigenthümlichen Spaziei^ngen habe ich bei Ter-
nies Lespesii wiederholt zugesehen. Brachte ich ausgefärbte Thiere
dieser Art aus dem Neste in ein Glas, so pflegten sie nach kurzer Unruhe
dicht übereinander geschichtet, wie sie es in den Kammern des Nestes
gewesen, still am Boden zu sitzen. Schüttete ich sie dann auf einen
Bogen Papier, so schob sich allmälig ein Pärchen nach dem anderen
aus dem wimmelnden Haufen hervor, um sich langsam von demselben
zu entfernen. Einige Paare trennten sich bald wieder; diese erwiesen
sich soweit sie untersucht wurden, als zwei Männchen. Die anderen,
die bei einander ausharrten, bestanden immer aus einem vorangehen-
den Weibchen und einem nachfolgenden Männchen. Letzteres war bis
auf die hintere Hälfte der Flügel, oder, falls es diese schon abgeworfen
hatte, vollständig unter den Flügeln des Weibchens verborgen. Blieb
es einmal einige Schritte zurück, so schien das Weibchen auf dasselbe
zu warten. Nicht selten hatte das Männchen vnrklich (wie Rosbn-
scRöLD angiebt), und nicht blos scheinbar (wie es Lbsp^s bei Ter-
mes lucifugus sah) die Spitze des Hinterleibes seiner Genossin eine
Zeit lang mit den Kinnbacken [Mandibelnj gefassl. Es schien das eine
Art bräutlicher Liebkosung zu sein. Von einer Begattung habe ich
dabei so wenig etwas gesehen , als SaBATBHAif, Rosenschölp
454 Friti HBUer,
Tollin a. A. i). Das Ziel dieser Spaziergänge ist wahrscheinlich ein
Nest ihrer Art als neue Heimat.
Die angebliche Begattung in der Luft würde ich mit Stillschweigen
übergehen, wenn nicht Azaka und Rengger, welche dieselbe in Pa-
raguay gesehen haben wollen, mit Recht den Ruf guter und zuverläs-
siger Beobachter genOssen. Für die 'Termiten haben sie freilich diesen
Ruf nicht gerechtfertigt ; Aeara schreibt deh Termiten sechs Flügel zu,
— Rengger will den Boden Viertelstunden weit von männlichen Ter-
tnilen oder wenigstens von deren Flügeln bedeckt gesehen haben. Leider
sagt er ebenso wenig, woran er die Flügel als münnliche erkannte, als
in welcher Weise die Begattung in der Luft vor sich ging. Vermuthlich
haben Beide nichts weiter gesehen, als was auch der dritte Beobachter
der Termiten Paraguays, RosbnschUld , berichtet, dass nünilicb aus den
dichten Schwärmen einer dortigen Art die Thiere paarweise nieder-
fallen, um dann die eben crwühntcn Spaziei^Hnge zu beginnen. Bei
dem dürftigen Flugvermögen der Termiten und bei dem Mangel von Bc-
gatlungs werk zeugen halte ich din Begattung in der Luft für geradezu
unmöglich.
So viel zur Rechtfertigung Smeatbvah's gegenüber den Bedenken
und der abweichenden Auffassung der »wissenschaftlichen Zoologien.
Seine Darstellung des geschlechtlichen Lebens derTermiten scheint mir,
soweit ich nach den in Hagbn's Monographie gesammellen Tbalsachen
und nach eigenen Erfahrungen urlheilen kann, durchaus richtig zu sein ;
allein sie ist, wenn auch nicht für den von Skeathkan heohachleten
Termes bellicosus, so doch für manche andere Arten unvollsliin-
dig. Es finden darin die »Nymphen mit kurzen Flügelscheiden« (oder
besser FlUgelansÜtzen^j keine Bei'UcksIchtigung.
'] Nur MiK^TRTfcs enählt in einem wunderlich au« Wnbrem und FHlscbem ge-
misctiten Bericht« (ünn. enlomol. S. 146), dass diese SpezicrgUnt;e mit der Begat-
tung enden. Ich glaube diese Angabe ebenso bezweiFein zu dürfen, wie dosA die
Termiten der Serra da Mantiqucira Bäume entlauben, um die Blütler in ihr
Nest zu tragen (webrscbeinlich Verwechslung mit Ameisen der Gadung Oec odo-
ma), dass die Mijnnchei^dieserTermilen kraftigere Mandibeln haben als die Weib-
chen, dass die Weilichen gleich in Uen ersten zwei bis drei Tagen nach der Heim-
kehr ihre (bei anderen Arten um diese Zeit ganz unreifen) Eier ablegen und dann aus
dem Neste geworfen werden, dass irgendwo in Brasilien gebratene Uandiocnurwl
die Hauptnahrung der Bewohner bildet, u. s. w. — MfcMETsiEs fand wahrend eines
fünfjährigen Anfentballes in verscbtedenen Provinzen Brasiliens, die wiihrscbein-
|ich sBmnitlich termitenrcicber sind, als unsere Sanbi Calharina, -niB Termiten in
wirklichen Urwäldern». In meinem eigenen Urwalde leben über ein Dutzend Arten.
*) Der Name Flügel scheiden passt eigentlich überhaupt nur für die ältesten
Nymphen, aus deren Flügelan«älxen bei der ngdisten Häutung wirklifJie Flügel
BeiIrSge iiir Kenotniss der Termiten. 455
Schon früher mehrfach beobachtet, sind diese Thiere zuerst von
Lsspfes ausfuhrlicher besprochen worden. Derselbe untjßrschied unter
den Nymphen des Termes lucifugus, den er bei Bordeaux beob-
achtete, zwei verschiedene Formen. Die »Nymphen der ersten Form«
sind lebhafter, schlanker und haben lange, breite, den vorderen Theil
des Hinterleibes ganz bedeckende Flttgelansütze, sie beginnen Anfangs
Mai sich zu fiSrben und verwandeln sich zwischen 4 5. und 80. Mai in
geflügelte Thiere. Die »Nymphen der zweiten Forma sind weit seltener;
sie sind dicker, schwerfälliger und haben kurze, schmale, seitlich ge-
legene Flügelansätze. Im Februar, als Lsspfes sie zuerst fand, hatten
diese Nymphen dieselbe Grösse, wie die übrigen (6 — 7 Mm.]; später
wurden sie grösser (8 — 10 Mm.); aber der Hinterleib allein wuchs, be-
sonders beträchtlich bei den Weibchen. Dann bedecken die Bücken-
schilder nicht mehr die Seiten und werden selbst oben durch- weiche
Haut getrennt. Dieser Anschwellung des Hinterleibes entspricht eine
stärkere Entwicklung der Geschlechtstheile. Bei den weiblichen Nym-
phen der ersten Form hatte kurz vor der letzten Häutung jeder Eierstock
etwa 42 Bohren, von denen aber nur zwei oder drei unreife Eier ent-
hielten ; dagegen fanden sich bei der zweiten Form bis 56 Bohren, in
denen bei älteren Nymphen die Eier sichtbar wurden. Auch die Hoden
waren bei der zweiten Form viel mehr entwickelt. — Die Nymphen der
zweiten Form überleben die Verwandlung und das Schwärmen der übri-
gen und wachsen als Nymphen fort. Erst im Juli beginnen sie sich
etwas zu bräunen ; sie wurden um diese Zeit immer seltener. —
Leider reichen die Beobachtungen von LbspIzs nur bis zu dieser
Jahreszeit. Er vermuthet, dass die Nymphen der zweiten Form sich
im August in geflügelte Männchen und Weibchen verwandeln und
schwärmen, und dass aus ihnen Könfg und Königin hervorgehen, wäh-
rend er kleinere Pärchen flügelloser Mäntichen und Weibchen, die er
einigemal in den Nestern von Termes lucifugus fand und als »pe-
tit roio und »petit reine« bezeichnet, von den Nymphen der ersten Form
ableitete. Diese Annahme stützt sich einzig darauf, dass die Entwick-
lung der inneren Geschlechtstheile bei König und Königin sich zu der
herausgezogen werden ; er ist ganz unpassend in Fällen, wo es gar nicht zur Bil-
dung von Flügeln kommt. So darf man allerdings mit Hageh (Linn. ent. XIV.
S. 498) iKJie Soldatennymphen mit kurzen Flügel scheiden als sehr unverbürgt«
aus der Formenreihe der Termiten streichen ; wohl aber giebt es Soldaten mit Flü-
gel ans tftzen, aus denen sich »Flügel entwickeln müssten, wenn nicht überhaupt
die Soldaten flügellos bliet)en« (Haoev, a. a. 0. S. 409). So die von Haobk be-
schriebenen Soldaten des Termes fTermopsis?) occidentis Walker und die des
Calotermes Smeathmani, m.
Bd. yn. 4. IQ
l
454 Fritz MOller,
Tollin u. A. ^). Das Ziel dieser Spaziergänge ist wahrscheinlich ein
Nest ihrer Art als neue Heimat.
Die angebliche Begattung in der Luft würde ich mit Stillschweigen
übergehen, wenn nicht Azara und Rbngger, welche dieselbe in Pa-
raguay gesehen haben wollen, mit Recht den Ruf guter und zuverläs-
siger Beobachter genössen. Für die Termiten haben sie freilich diesen
Ruf nicht gerechtfertigt ; Azara schreibt deh Termiten sechs Flügel zu,
— Rbngger will den Boden Viertelstunden weit von männlichen Ter-
miten oder wenigstens von deren Flügeln bedeckt gesehen haben. Leider
sagt er ebenso wenig, woran er die Flügel als männliche erkannte, als
in welcher Weise die Begattung in der Luft vor sich ging. Vermuthlich
haben Beide nichts weiter gesehen^ als was auch der dritte Beobachter
der Termiten Paraguays, Rosbnsghöld , berichtet, dass nämlich aus den
dichten Schwärmen einer dortigen Art die Thiere paarweise nieder-
fallen, um dann die eben erwähnten Spaziergänge zu beginnen. Bei
dem dürftigen Flugvermögen der Termiten und bei dem Mangel von Bc-
gatlungswerkzeugen halte ich die Begattung in der Luft für geradezu
unmöglich.
So viel zur Rechtfertigung Smeathman's gegenüber den Bedenken
und der abweichenden Auffassung der »wissenschaftlichen Zoologie«.
Seine Darstellung des geschlechtlichen Lebens der Termiten scheint mir,
soweit ich nach den in Hagbn's Monographie gesammelten Thatsachen
und nach eigenen Erfahrungen urtheilen kann, durchaus richtig zu sein ;
allein sie ist, wenn auch nicht für den von Shbathman beobachteten
Termes bellicosus, so doch für manche andere Arten unvollstän-
dig. Es finden darin die »Nymphen mit kurzen FlUgelscheiden« (oder
besser Flügelansätzen'^) keine Berücksichtigung.
^) Nur M&N^TRiES erzählt in einem wunderlich aus Wahrem und Falschem ge-
mischten Berichte (Linn. eniomol. S. US), dass diese Spaziergange mit der Begat-
tung enden. Ich glaube diese Angabe ebenso bezweifeln zu dürren, wie dass die
Termiten der Serra da Mantiqueira Bäume entlauben, um die Blätter in ihr
Nest zu tragen (wahrscheinlich Verwechslung mit Ameisen der Gattung 0 eco do-
rn a), dass die Manncheiylieser Termiten kräftigere Mandibeln haben als die Weib-
chen, dass die Weibchen gleich in den ersten zwei bis drei Tagen nach der Heim-
kehr ihre (bei anderen Arten um diese Zeit ganz unreifen) Eier ablegen und dann aus
dem Nest^ geworfen werden, dass irgendwo in Brasilien gebratene Mandiocwurzel
die Hauptnahrung der Bewohner bildet, u. s.w. — HI&metiiies fand während eines
füoQährigen Aufenthaltes in verschiedenen Provinzen Brasiliens, die wahrschein-
lich sämmUich termitenreicher sind, als unsere Santa Catharina, »nie Termiten in
wirklichen Urwäldern«. In meinem eigenen Urwalde leben über ein Dutzend Arten.
2) Der Name Flügelscheiden passt eigentlich überhaupt nur für die ältesten
Nymphen, aus deren Flügelansätzen bei der nächsten Häutung wirkliche Flügel
BeUrSge xnr KeDotniss der Termiten. 455
Schon früher mehrfach beobachtet, sind diese Tbiere zuerst von
Lsspfis ausführlicher besprochen worden. Derselbe unterschied unter
den Nymphen des Termes lucifugus, den er bei Bordeaux beob-
achtete, zwei verschiedene Formen. Die »Nymphen der ersten Form«
sind lebhafter, schlanker und haben lange, breite, den vorderen Theii
des Hinterleibes ganz bedeckende Flügelansätze, sie beginnen Anfangs
Mai sich zu färben und verwandeln sich zwischen 15. und 20. Mai in
geflügelte Thiere. Die »Nymphen der zweiten Form« sind weit 3eltener ;
sie sind dicker, schwerfälliger und haben kurze, schmale, seitlich ge-
legene Flügelansatze. Im Februar, als LespIis sie zuerst fand, hatten
diese Nymphen dieselbe Grösse, wie die übrigen (6 — 7 Mm.); später
wurden sie grösser (8—10 Mm.); aber der Hinterleib allein wuchs, be-
sonders betriichtlich bei den Weibchen. Dann bedecken die Rücken-
schilder nicht mehr die Seiten und werden selbst oben durch- weiche
Haut getrennt. Dieser Anschwellung des Flinterleibes entspricht eine
stärkere Entwicklung der Geschlechtstheile. Bei den weiblichen Nym-
phen der ersten Form hatte kurz vor der letzten Häutung jeder Eierstock
etwa 42 Röhren, von denen aber nur zwei oder drei unreife Eier ent-
hielten ; dagegen fanden sich bei der zweiten Form bis 56 Röhren, in
denen bei alteren Nymphen die Eier sichtbar wurden. Auch die Hoden
waren bei der zweiten Form viel mehr entwickelt. — Die Nymphen der
zweiten Form überleben die Verwandlung und das Schwärmen der übri-
gen und wachsen als Nymphen fort. Erst im Juli beginnen sie sich
etwas zu brHunen ; sie wurden um diese Zeit immer seltener. —
Leider reichen die Beobachtungen von Lzspfes nur bis zu dieser
Jahreszeit. Er vermuthet, dass die Nymphen der zweiten Form sich
im August in geflügelte Männchen und Weibchen verwandeln und
schwärmen, und dass aus ihnen Könfg und Königin hervorgehen, wäh-
rend er kleinere Pärchen flügelloser Mäntichen und Weibchen, die er
einigemal in den Nestern von Termes lucifugus fand und als »pe-
tit roi« und »petit reine« bezeichnet, von den Nymphen der ersten Form
ableitete. Diese Annahme stützt sich einzig darauf, dass die Entwick-
lung der inneren Geschlechtstheile bei König und Königin sich zu der
herausgezogen werden ; er ist ganz unpassend in FttUen, wo es gar nicht zur Bil-
dung von Flügeln kommt. So darf man allerdings mit Uaoek (LInn. ent. XIV.
S. 496} »die Soldatennymphen mit kurzen Flügel scheiden als sehr unverbürgte^
aus der Formenreihe der Termiten streichen; wohl aber giebt es Soldaten mit Flü-
gel ans fitzen, aus denen sich »Flügel entwickeln müssten^ wenn nicht überhaupt
die Soldaten flügellos blieben« (Haocit, a. a. O. S. 409). So die von Hagsk be-
schriebenen Soldaten des Termes (Termopsis?) occidentis Walker und die des
Caloterroes Smeathmani^ m.
Bd. YU. 4. 10
456 Fritt Mmier,
bei den Nymphen der iweiten Form etwa cbatiso verhielt, wie die hei
»petit roi(( und »petit reine« zu der bei den Nymphen der ersten Form.
Diese verschiedene Grosse und diese verSi^hiedene Entwicklung derGe-
schlechtslheile bei den von Lcspfcs gefangenen Königen und K(Snigin-
nen dürfte jedoch einfach daraus zu erkUlren sein, dass dieselben ver-
schiedenen Jahrgiingen angehörten. —
Schon Hagen hat gegen die Annahme voti Ltispfis gellend ge-
macht, »dass alle bis jetzt untersuchtet! Könige utid Königinnen die Fla-
gelschuppe genau von der Form und Grösse der ttnago zeigen, eine Ent-
wicklung, welche mit den kleinen rudimentHren Flügelscbeiden jener
Nymphen durchaus nicht in Einklang zu bringen ist. Auch der etwaige
Gedanke, dass jene Nymphen bei ihrer letztet) Hiiutung aus den rudi-
nienUlren Scheiden nurFlUgelschuppen herauszögen, scheint unpassen<l,
und unrf so mehr, als die Schuppen eines Königspanres stets deutlich
die Abbruchsstelle des Flügels zeigen. Uebrigens ist der Prothorax der
Königin niemals von dem der Imago in der Form verschieden«*), wäh-
rend die Nymphen der zweiten Form sich durch breiteren Prolhorax
auszeichneten.
Als im Juli die Nymphen der zweiten Form sich zu bi^unen he-
gannen, als somit ihre letzte 'Häutung, falls sie eine solche überhaupt
noch zu bestehen hatten , nahe bevorstand , waren ihre PlÜgeTansSitze
noch so winzig, dass sich in ihnen unmöglich Flügel ausbilden konnten,
wie sie die im Mai schw£lrmenden Thiere besitzen. Und Selbst, wenn
sie solche Flügel bekamen, würden sie mit ihrem dicken Itinterleibe
nicht fliegen können, wie wohl Jeder, der lebende Termiteh gesehen,
zugestehen wird. Es mag hierbei darauf hingewiesen werden, dass
BoBB-MoRBAu, der lange Jahre hindurch den Termiten in und um
Rochefort seine Aufmerksamkeit schenkte (seine Beobachtungen began-
nen <797, sein nM^tnölte sur les Termites observ^s ä Rochefort etc.«
erschien 4843), ebenfalls nach der Schwarmzeit noch »verspätete Nym-
phen« antraf, von denen er vermuthet, dass sie ohne weitere Verw*and-
lung untergehen, da in Roohefort nie ein zweiter Ausflug beobachtet
wur<fe. Hagbn httit es für sicher, dass Bob^-Mohkac und Ltespis die-
* selbe Art untersucht haben, während Lbsp^s glaubt, dass der Ter-
mes lucifugus von Bordeaux von der Rocbefort-Termite versditeden
sei. Wie dem mtk sei, es scheint mir kaum einem Zw*eifel zu unter-
liegen, dass auch in Bordeaux ein zweiter Ausflug aus den Nymphen
der zweiten Form hervorgegangener Männchen und Weibeben nicht
stattfinde, dass vielmehr diese Nympheb flügellos bleiben und nie ihr
ij Haoen, a. a. 0. XII. S. 49.
BeitrSge inr Kmmtaiai der Tenniten. 457
Nest verlassen, in welchem sie unter Umständen xu zeugungsfähigen
Mannchen und eieriegeoden Weibchen sich entwickeln.
Derlei nymphenKhnltche geschlechtsreife Thiere sind bereits bei
oiebreren Artei\J)eobaohtet und gewöhnlich als Königinnen beschrieben
worden. So bildete Joly eine Königin von Termes lucifugus ohne
Pittgelschuppen ab und Lsspfis berichtet , dass Joit ihm nochnuils ver-
sieherty dieselbe sei ohne Spur von FlUgelscbuppen gewesen. Auch das
von BiiRMKisTBR als Königin beschriebene Weibchen von Termes
fl^ivipes war flügellos und Hagkn, der dasselbe Thier untersuchte,
fand darin »ein dem Habitus nach einer Königin sehr ähnliches Thier mit
den kurzen FIttgelscheiden einer Nymphe«. Ebenso ist Batrr^ Königin
von Termes aren<irius nach Hagen »eine Nymphe mit unentwickel-
ten Flflgelscbeiden«^). Ferner ziehe ich hierher ein im British Museum
befindliehes (von Walkki unter Termes lucifugus beschriebenes)
Stttck von Calotermes flavicollis, »eine Nymphe mit kurzen FItt-
gelscheiden, einer Image, welche die Pittgel verloren bat, täuschend
ähnlich. Die völlig schwarze Färbung, der blank polirte Kopf, Thorax
und Leib schliessen die Idee einer nochmaligen HHutung ausc 2) .
Es treten also l>el gewissen Termiten-Arten die Männchen und
Weibchen unter zwei verschiedenen Formen auf. Die einen aus den
»Nymphen der ersten Form« hervorgehend, erhalten FIttgel und verlassen
in Schwärmen ihren Geburtsort. Nur sehr wenigen Glttcklichen unter
ihnen gelingt es, spater als König und Königin einen erledigten Thron
zu besteigen. Die anderen, die geschleditsreif geworderten »Nymphen
der zweiten Form« sehen nie das Licht des Tages ; sie bleil)en flttgellos
und verlassen nie das Nest, in dem sie aufgewachsen sind 3).
Welche Bedeutung hat nun fttr die Erhaltung und das Gedeihen der
Art jede dieser beiden Formen ? — Ein grösserer Termitenstaat ent-
sendet jahrlich Hunderttausende geflügelter Männchen und Weibchen,
um alle zwei, drei oder vier Jahre ein einziges Königspaar zurtteker-
>) BriefKcke Mlltheilung vom a. Januar 4872.
>) Hagbn, a. a. 0. XII. S. SO und S. 69.
S) Haoeh schreibt mir, dass alleKöniginnen (von Termes bellicostts, dives,
obefliifl, gilvus)» die er bis Jelzl aus Asien und Africa sah, wirkliehe Imagos
Mnd mit dem FIttgelstumroel , von dem der FIttgel abgebrochen — dagegen alle
Königinnen, die er aus Brasilien und überhaupt aus America gesehen (von Ter-
mes flavipet, mono (?), simiiis (?), arenarius), offenbar Nymphen waren. «So
auffallend diese Thatsache scheinen mag, wttre es voreilig, daraus schon jetzt sclil las-
sen tu wollen, dass im Vorkommen der beiderlei Formen ein Unterschied zwischen
der alten und der neuen Weit bestehe. Ich habe hier wohl Über hundert wirkliche
KMgianen gesehen, — mehr als Haabm aus Asien und Africa, ehe ich zum ersten
Male nymphentthnliche Weibchen traf.
458 Fritz Malier,
halten zu können; so bedeutend sind die Verheerungen, die alle nU^Si-
liehen Insectenfresser, vom Menschen bis zur Ameise, unter diesen ganz
wehrlosen Thieren anrichten, so bedeutend die Schwierigkeiten, nach-
dem Braut und Bräutigam sich gefunden, ein Nest zu eiTeichen, in wel-
chem ein Königspaar verlangt wird. Ware es nicht einfacher und
sicherer, alle Münnchen und Weibchen woblbehütel daheim zu behal-
len? Welche Arbeit würden die Termiten sparen, wenn sie nichl Jahr
ftlr Jahr jene wolkenartigen Sctiwärme gefltigeller Thiere aufzuziehen
hätten, wie sie den grossen Hügelnestern entsteigen >)! Ist es nicht
auffallend, dass bei allen Arten, wo dieselbe überhaupt besteht, jene
so viel einfachere und sichrere, so viel Arbeit ersparende Weise der Furt-
pflanzung durch nymphenahnliche Männchen und Weibchen nicht längst
auf dem Wege der natürlichen Auslese die andere von so viel Gefabren
bedrohte durch ausfliegende iSehwltrme völlig verdrängt bat, nicht längst
zur einzigen geworden ist? Und doch scheinen die daheim bleibenden
Männchen und Weibchen nur als seltener Nothbehelf zu dienen f|lr den
Fall, dass einmal andere nicht zu erlangen sind.
Wo immer man auf derartige Fragen stösst, darf man sich getrost
an Darwin wenden und bei ihm den Schlüssel zu deren Lösung zu finden
hoffen. Wer nach eigener Beschäftigung mit dem Gegenstände die volle
Tragweite der im 4 7. Capitel seines Werkes : »The Variation of animals
and plants under domestication« zusammengestellten Thatsachen zu
würdigen weiss, wird kaum Bedenken tragen, zuzugestehen, dass durch
dieselben das Gesetz wenn nicht bewiesen, so doch im höchsten Grade
wahrscheinlich gemacht wird, mit welchem Darwin dieses Capitel
schliesst:.»that the crossing of animals and plants which are not closely
related to each other is highly beneficial or even necessary, and that
interbreeding prolonged during many generations is highly injuriousa.
Nun besitzt bei der Mehrzahl der Termiten-Arten, deren gesell-
schaftliche Verhältnisse man kennt, jedes Volk (mit seltenen Ausnahmen)
ein einziges Königspaar oder auch wohl bisweilen einen einzigen König
mit zwei Gemahlinnen. Somit sind sämmtliche in dem Stocke auf-
1) Man hat von der Anlage neuer Staaten darch die ansschwtfrmenden Männ-
chen und Weibchen gesprochen (Rrrggbr, Tollin, u. A.) und könnte meinen, dass
deshalb das Schwärmen unentbehrlich sei. Den Männchen und Weibchen von Ca-
J otermes will ich die Fähigkeit nicht geradezu absprechen, auf eigne Hand welter
zu leben und eine neue Ansiedlung zu beginnen. Bei allen Arten von Termes,
Eutermes, Anoplotermes, deren Lebensweise ich einigermassen kenne,
würde ein geflügeltes Ptfrchen die Begründung eines neuen.Staates mit genau dem-
selben Erfolge unternehmen, wie ein Paar neugeborener Kinder, die man auf einer
wüsten Insel ausgesetzt hatte.
Beitrage zur Keniitiiiss der Termiten. 459
•
wachsende Männchen und Weibchen Geschwister. Die ausschliessliche
Forlpflanzung durch eingeborene Männchen und Weibchen würde zur
engsten Inzucht führen. Bei dem Schwärmen können sich Männchen
und Weibchen au9 verschiedenen Stöcken zusammenfinden, deren Ver-
bindung hier wie sonst eine kräftigere Nachkommenschaft liefern wird.
Bei der massenhaften Vertilgung durch zahlreiche Feinde, welcher die
schwärmenden Termiten ausgesetzt sind, wird es trotz ihrer Unzahl ge-
schehen können, dass ein Volk seinen Thron nicht rechtzeitig mit einem
neuen Königspaare zu besetzen vermag. In diesem Nothfalle treten
dann als Ersatz die daheim in sicherer Hut gehaltenen nymphenähn-
Heben Männchen und Weibchen ein und retten das Volk vor dem Aus-
slerben. —
Mit dem Umstände, dass erst dann diese Ersatzmännchen oder
Weibchen nöthig werden, wenn nach Ablauf der Schwärmzeit kein
wirkliches Rönigspaar sich gefunden hat, mag die verspätete Entwick-
lung der »Nymphen der zweiten Form« im Zusammenhang stehen. —
Dass, wie Lsspfts berichtet, diese Nymphen der zweiten Form »immer
seltener werden, je mehr die Zeit ihrer (nur vermutheten, nicht beob-
achteten! j Verwandlung herannahte'), wäre gewiss höchst befremdlich,
wenn dieselben sich wirklich in geflügelte Thiere für einen zweiten
Ausflug verwandelten ; dagegen erscheint es begreiflich, dass maii sie
allmälig aussterben (verhungern?) lässt, wenn man sie nicht mehr
braucht, oder dass man nur so viele am Leben erhält, als man eben
braucht.
In überraschender Weise ähnlich sind diese bei den Termiten be-
stehenden Verhältnisse dem bei Pflanzen der verschiedensten Familien
beobachteten Vorkommen geschlossener (»cleistogamer« Kuhn) Blüthen^) .
Wie sich an gewissen Pflanzenstöcken ausser offenen, die Kreuzung
verschiedener Stocke vermittelnden Blüthen andere nie sich öffnende
(cieistogame) Blüthen entwickeln, deren Slaubgefässe und Stempel stets
eingeschlossen bleiben und durch welche die Erhaltung der Art gesichert
wird, falls die von der Gunst äusserer Umstände abhängige Portpflan-
zung durch offene Blüthen unterbleibt, so entwickeln sich in gewissen
Termitenstöcken ausser den ausschwärmenden, die Kreuzung ver-
schiedener Stöcke vermittelnden Männchen und Weibchen andere, nie
ausschwärmende (cieistogame) Männchen und Weibchen, die stets im
Stocke eingeschlossen bleiben und durch welche die Erhaltung der Art
1) Hacer's Bericht über die Arbeit von Lespto, a. a. 0. Xll, 5. 147.
') Vergl. HiLDEBRAND, (Üe GeschlechtervertbeHung bei den Pflanzen. 1867. S. 71.
SEVKRiif AxBLL, Om aQordningama for de fanerogatna växternas befruktaiog. 4869.
S. 40 u. S. 76.
460 Friti MWler,
gesichert i^vird, falls di^ von der Gunst äusserer Umstände abhängige
Fortpflanzung durch ausschwärmende Männchen und Weibchen unter-
bleibt. Wie die cleistogamen BlUthen mancher Pflanzen jüngeren Knos-
pen der offenen Biütben, so sind die cleistogamen Männchen und Weib-
chen der Termiten Jugendzusländen der ausschwärmenden ähnlich;
dort bleiben die Blumenblätter, hier die Flügel 9uf einer niederen Ent-
wicklungsstufe stehen. Der verschwenderischen Erzeugung von Bhl-
thenstaub in oflienen BIttthen entspricht die. verschwenderische Erzeu-
gung geflügelter Männchen und Weibchen, wie die geringe Zahl der
Nymphen mit kurzen Flügelansätzen dem spärlicheren BlUtbenslaube
cleistogamer Blüthen. Wie beim Veilchen die cleistogamen BlUlhen
später als die offenen, so entwickeln sich bei Termes lucifugus die
Nymphen der zweiten Form später als die der ersten. Wie oian in
Frankreich ^n der ausländischen Lee rsia orizoides bis jetzt nur Fort-
pflanzung durch cleistogame Blüthen beobachtete, so hat man im Garten
zu Schönbrunnen bis jetzt nur ein cleistogames Weibchen des auslän-
dischen Termes flavipcs gefunden, — wahrscheinlich weil in beiden
Fällen im fremden Lande die äusseren Umstände der gewöhnlichen
Fortpflahzungsweise nicht günstig sind.
Die im Vorstehenden entwickelte Ansicht über die »Nymphen mit
kurzen Flüi^elscheidcn« hatte ich mir nach den in Daqbn's Monographie
niedergelegten Thatsachen gebildet und in Briefen ausgesprochen, lange
bevor ich selbst Gelegenheit hatte, solche Thiere zu sehen* Leider ent-
behrte gerade der eigentliche Kern dieser Ansicht der thats^chlicben
Begründung; es mangelte der Nachifveis, dass wirklich die cleistogamen
Ersatzmännchen und Weibchen die Fortpflanzung der Art übernehmen
in Fällen , wq König oder Königin im SU)cke fehlen* Man wird be-
gi'eifen, mit, welch freudiger UeberrQschyng ich einen Fund begrüssl,e,
der mir jet9;t diesen Nachweis m U^ern gestattet.
Ich b^ite (am 1 1 ^ Nov.) aus einem morschen Gissara-Stuken den
festen Kern eines Eutei mes-Nestes mit heimgebracht, der npgei^hr Grösse
und GestfiU eines Hühnereies haVte. Um den Kern wirren finsehqliche
Eiermassen angehäuft und so erw9rtiel,e ich darin vvie gewöhnlich ein
Königspaar amputrefien. AU^iP &tatV in seiner Mitte ein grösi^res kö-
nigliches Zimmer au nmschliessen, war der gan^e Kern wie ein Sohwampi
von un regelmässigen Gängen durchzogen und in diesen Gängen sassen,
hier und dß zu fünf bis sechs dicht susammengedrängt, nicht weniger
als einunddreissig (31) Ersatzweibchen mit kurzen Flügelansätzen
(Fig. 1], 6 bis 8 Mm. lang, und zwischen ihnen spazierte ein einziger
König von ungefähr gleicher Grösse herum, und zwar ein wirklicher
König mit grossen schwarzen Äugen und Flügelschuppen, vctn ^^pea
Beiträge lur Kenntiiiss der TermiteD. 461
dio Fittgel abgebrochen wiircn. Eine Königin fehlte. Statt eines
KtoigspalasteSy in welchem ein König mit seiner ebenbürtigen Gemahlin
in keuscher Ehe lebte, hatte ich also ein Harem vor mir, in denj ein
Sultan mit zahlreichen Buhlen sich vergnUgte^).
Im Laufe eines Tages legten diese Ersatzweibchen eine ziemliche
Anzahl von Eiern, die vo^ den Arbeitern in kleine Häufchen zusammen-
getragen wurden. Man sah an ihrem Hinterleibe dieselben wellen-
förmigen Zusammenziehungen wie bei Königinnen und bei mehreren
war ich Zeuge von dem Austritt eines Eies.
Die Farbe dieser Weibchen mit kurzen Flügelansätzen ist ein lichtes
Braun, wodurch sie ebenso von den blassen, fast farblosen Arbeitern,
wie von dem w^eit dunkleren König abstechen. Im Ganzen sehen sie
den Arbeitern ziemlich ähnlich, ähnlicher als einer der anderen Formen
ihrer Art ; nur sind sie doppelt so gross. Die Flügelansätze sind bei den
meisten zu klein, um bei oberflächlicher Betrachtung in die Augen zu
fallen. Der Hinterleib, nur massig angeschwollen, hat etwa dieselbe
eiförmige Gestalt und steht etwa in demselben Yerhältniss zur Gesammt-
länge wie der des Arbeiters. Namentlich aber ist die Aehnlichkeit des
Kopfes (Fig. 2) auffallend ; die »hellen, sich kreuzenden Linien«, die den
Kopf der Eutermes-Arbeiter auszuzeichnen pflegen^] , sind bei den meis-
ten kaum minder deutlich, als bei den Arbeitern. Die Fühler haben,
wie die der Arbeiter, 44 Glieder, während die Soldaten t3, die geOü-
gellen Thiere 45 Fühlerglieder besitzen. Man könnte den Kopf für den
eines Arbeiters halten, filnden sich nicht kleine runde Netzaugen, die
sich indessen kaum über ihre Umgebung erheben und kaum etwas
dunkler als diese gefärbt sind. Nebenaugen habe ich nicht bemerkt.
1) VermttUiHch hat schon Bopiubt eine ähnliche Gesellschaft van Ersatzweibchen
vonTermes lue ifugus gesehen; es waren ihrer sieben, mitten in einem Balken.
Sie waren 8 bis 40 Mm. lang, beinahe weiss oder sehr hellroth. In ihrer Nahe fan-
den sich mehrere Eierbaufen and sehr zahlreiche Larven, >»genvg, am damit ein
Li4er so fttlUof. (Vergl. Uasin^s Bericht, a. a. 0. X, S. 180.) Termes lucifu-
gas hat sonst, nach Lsspi^y nur ein einziges Kdnigspaar. Auch die belle Farbe
der von Bofimet gefundenen Weibchen passt nicht zu wirklichen Königinnen. —
Wenn Hacek vermuthet (a. a. 0. XII, S. 177), dassLEtP^s möglicherweise gar keine
Königinnen , sondern nur grosse Nymphen der zweiten Form gesehen habe , so
widerspricht dem die aosdrüekliobe und Jolt gegenüber besonders betonte Ver-
siobening von Lbspbs (a. a. 0. XJI, S. 888), dass bei seinen Königinnen stets die
nügelschappen vorbanden waren. In den verschiedenen Grössenangaben bei Bo-
fiHETj JoLT und LespI« kann ich keine Schwierigkeit erblicken, da ja die Weibchen
nur ganz allmSlig von der Grösse der Imago zu jenem fabelhaften Umfange heran-
wachsen, der die Königinnen der Termiten so berühmt gemacht hat, und also in
allen dazwischen Uegeoden Grössen gefunden werden köanea.
t) mag». %, a« 0. XU« 9. 487.
I
462 Fritz Malier,
Der Prothorax erinnert dadurch an den der Arbeiter, dass er einen
queren sattelförmigen Eindruck hat, welcher einen vorderen Lappen
absondert; doch ist bei den Arbeitern dieser vordere Lappen sehr gross,
steil aufgerichtet und in der Mitte seines Vorderrandes seicht eingekerbt ;
bei den Ersatzweibchen ist er nur klein, sanft aufsteigend und einfach
abgerundet. Die Grösse des vorderen Lappens wechselt übrigens; bei
einigen wenigen Stücken war er durch einen schmalen Saum ersetzt,
und dann ähnelte der Prothorax dem des Königs. Die Fiügelansätze
nehmen die ganzen seitlichen Ränder des Heso-^ und Hetatborax ein ;
meist (Fig. \ A) sind sie kaum halb so lang, als diese Leibesringe breit
und bilden dann dreieckige wagerecht nach aussen gerichtete Vor—
Sprünge, deren Hinterrand ziemlich gerade nach aussen, deren Vorder—
rand schief nach hinten läuft. Bei sehr wenigen SlUcken (Fig. 1 B)
sind di6 FlUgelansätze bedeutend grösser; auch Meso- und Metathorax
sind in* diesem Falle stärker entwickelt; die schief nach hinten gerich-
teten Flügclansälze reichen etwa bis zur Mitte des zweiten Rücken-
schildes dos Hinterleibes; die vorderen Flügeiansätze bedecken den Vor-
derrand der hinteren, -r- Die Bauchschilder sind wie bei den geflügelten
Weibchen gebildet.
Die inneren Geschlechtstheile (Fig. 3) sind von denen der geflü-
gelten Weibchen fast nur dadurch verschieden, dass sie reife Eier ent-
halten. Jeder Eierstock pflegt deren etwa ein halbes Dutzend zu haben.
Die Eiröhren, etwa ein Dutzend für jeden Eierstock (die Zahl scheint
ziemlich unbeständig zu sein), sitzen wie bei den geflügelten Weibchen
büschelförmig am Ende der kurzen Eileiter , während bei der ausge-
wachsenen Königin jeder Eierstock ein langes Rohr bildet, das in gan-
zer Länger ingsum dicht mit überaus zahlreichen Eiröhren besetzt ist.
Sameotaschc und Kittdrüse haben die gewöhnliche Form.
Eine 19 Mm. lange Königin, die mir eben zur Hand ist, wiegt etwa
0,2 Gramm ; ebensoviel wiegen 1 5 der Ersatzweibchen. Die Eierstöcke
der sämmtlichen 31 Ersatz Weibchen dürften zusammen kaum so viel wie-
gen und kaum so viel Eier liefern, als die einer einzigen älteren Königin.
Da Lesp^s und Hagen auch männliche Nymphen mit kurzen Flügel-
ausätzen trafen, so wird wahrscheinlich der König ebenso durch Er^tz-
männchen vertreten werden können, wie die Königin durch Ersatz-
weibchen. Ob in einem Neste gleichzeitig für beide Geschlechter eine
solche Vertretung stattfinden könne, — ob aus den von Ersatzweibchen
gelegten oder durch Ersatzmännchen befruchteten Eiern alle Formen
hervorgehen, die das Termitenvolk zusammensetzen, oder etwa nur
Arbeiter und Soldaten, ob von allen Arten und in allen Stöcken regel-
mässig jedes Jahr Nymphen mit kurzen Flügelansätxen erzeugt werden,
l-'ig. i. Zwoi Ersatz Weibchen von Termes Igcirugui. A Die gewöhnliche Fomi
mit kurien FlUeelansaticn. II Die seltenere Korm mit längeren Flügel-
ansaizen.
KJK- >' Kopr eines ErsatiweilMihcnii. a Die beiden kleinen Nuliaugen. t Die
Oberlippe, k Die Oberkiefer '
Kig. 3. (io.tchlechlslheile rincit Er»nl zwoi bellen«, i Snmcnlnsche. 1: Kiltdriise,
Jtn. Zeiürhr.. IV Bd..
Bettr&ge zur KeDotnisB der Termiten.
463
— das sind Fragen, auf die ich für jetzl selbst nicht mit Vermuthungen
antworten mag und deren vollständige Lösung Jahre lang fortgesetzte
Beobachtungen erfordern dürfte.
Anhang.
Uebersicht der im Termitenstaate vorkommenden Formen.
Die jüngsten Larven der verschiedenen Stünde fanden Batks, LESPfes
und auch ich ununterscheidbar ähnlich. Ziemlich früh, noch bevor sie
die halbe Länge der erwachsenen Arbeiter erreichen, scheiden sich,
durch die erste And^tung der Flügelansütze, die Larven der später
zeugungsfähig werdenden Thiere von denen der Soldaten und Arbeiter,
welche letzteren bei Termes saliens und anderen auch an ihrem
dickeren Kopfe kenntlich sind. Erst kurz vor der letzten Häutung sind
die Larven der Soldaten von denen der Arbeiter zu unterscheiden,
so verschieden auch beide im erwachsenen Zustande sein mögen.
£ine bis jetzt vereinzelte Ausnahme bildet der von Bofinbt beobachtete
Soldat, der so klein war, dass er als solcher das Ei verlassen zu haben
schien. — Sehen wir ab von den Geschlechtsverschiedenheiten und von
den zweifachen Formen der Arbeiter oder Soldaten, die bei einigen
Arten vorzukommen scheinen, so erhalten wir also für die Gattungen
Termes und Eutermes folgende Uebersicht der im Termitenstaate
vorkommenden Formen :
\. Jüngste Larven.
S. Larven der nicht zeugangsföhigen
Stände.
S. Larven der zeugangsftthigen Stände.
Larven der SoU 5. Larven der Ar-
daten. heiter.
ai
6. Soldaten.
7. Arbeiter.
8. Nymphen der
ersten Form.
9. Nymphen der
zweiten Form.
40. Geflügelte Thiere.
41. König u. Königin.
12. ErBatsmiinn-
eben und Ersatz-
Weibchen.
Itajahy, im November 1872.
Vorläufige auttheilangen über Ciilenteraten.
O. von Koch.
Hl«nn TkM XXm.
Diese Uittbeilungen sind BmobstUcke einer grfissereH Arbeit Ober
Cülenleraten und bestehen aus Ewei Theilen. Der erste handelt von dem
Verhttllnias der Medusen eu den Hydroiden, der andre ist eine Notiz
über die Entstehung der Eier bei einten Ctilenleraten.
I. Vcbcr du VerUltiitt in IHM« n it* ijinUe».
Das Verhaltolss der Medusen su den Hydroiden bat seit der Ent-
deckung, dass viele Hydroiden durch Knospung Medusen erzeugen, viele
Naturforscher beschtirtigt, ohne bis jetit vollkommen klar geworden lu
sein. Ich will daher versuchen, dasselbe im Lichte der Descendenz-
tbeorie zu betrachten und soweit mir mfiglich zu erklären. —
Fs sind in dieser Frage vorerst zwei rnttgliche Falle zu »ntersobei-
den: 1. die Medusen sind das Ursprüngliche und die Hydroiden sind
deshalb nur als Jugendrormen, die sich durch selbständige Anpassung
verschieden difTerenzirt haben, aufzurassen, i. die Hydroidpolypen sind
das Ursprüngliche und die Medusen sind von ihnen abzuleiten. —
Der erste Fall , welcher sich auch folgendermassen aussprechen
I98st : die Hydrasmeduseo stammen von einer medusenähnlichen Grund-
form ab, bietet verschiedene Schwierigkeiten. Zu diesen gebtfrt vor
allen die Thalsache, dass die Medusen sich schwer mit anderen Thier-
dassen diroct verknüpfen lassen, während die einfacheren Hydroiden
sehr Dabo Beziehungen zu den Schwämmen und Koralleo zeigep "*"'
"f^mt
Vorl&Qfige Mitthiilfnigen ^]^t CdleDteraten. 466
man, besonders seil der genaueren Untersuchung der Kalkschwamme
kaum mehr an deren naber Verwandtschaft zweifeln kann. — Daraus
folgt die grttosere Wahrscheinb^ohkeit des «weiten Satzes, dass die Me-
dusen von den Hydroiden abzuleiten seien.
Diese Ableitung kann aber auf zwei verschiedenen Wegen gesche-
hen, man kann annehmen : a, di0 Medusen sind dadurch entstanden,
dass die Geschlechtsorgane der Hydroiden sich diflerenzirten und zu selbr
ständigen Geschlechtsorganen wurden, b. die Medusen haben sich durch
Anpassung an die schwimmende Lebensweise aus Hydroidpersonen
entwickelt und die Fortpflanzung (durch Eier) später allein ttbernomuien.
Von diesen beiden Annahmen scheint die erste vielleicht als die-
jenige, welche die Thatsachen am einfachsten erklärt. Man hat eine
Reihe von Hydroiden, von diesen entwickeln einige sich abK^sende und
dann frei schwimmende Medusen, die anderen nur mehr oder weniger
roedusenähnliche Knospen, welche die Geschlechtsorgane enthalten.
Was liegt da näher als die Erklärung : diese Knospensind die Geschlechts-
organe und die Medusen sind nichts als weitere Differenzimngen der-
selben, die sich schliesslich zu selbständigen Personen au%esohwungen
hüben? — Aber bei näherer Betrachtung bietet auch diese Theorie doch
einige Schwierigkeiten. So lässt sie z. B. die Homologie zwischen Me-
dusen und Hydroidpersonen ganz unerklärt, dann lässt sie sich sehr
schwer mit der Thatsache vereinigen, dass die Medusen der verschiede-
nen Hydroidenfamiiien im Allgemeinen ganz gleich gebaut sind, während
doch eben in diesen Familien die verschiedensten (und zum Theil sehr
einfaohe) Gesehlechtsknespen von den einzelnen Arten erzeugt werden (4 ] .
— Der Annahme b. hingegen lassen sich die eben angeführten Ein-
würfe nicht machen und muss man sie deshalb, wenn sie auch anfangs
weniger einfach erscheinen mag, als die wahrscheinlichste ansehen.
Ausserdem aber will ich sie noch zu stützen suchen indem ich in Pol-^
gendem eine Phylogenie der Hj'drasmedusen in ihren Hauptformen con^
struire und nachweise, dass die Entstehung der Medusen aus Hydroid^
Personen die bekannten Thatsachen am ungezwungensten erklärt. -^
Phylogenie der Hydroiden.
Als Grundform aller Hydroiden haben wir uns eine schlauchfärmige
Person zu denken^ deren Wand aus Ectoderm, Mesoderm und Entoderm
zusammengesetzt ist und welche solide Tentakel {% auf der ganzen äusse-
ren Kdrperfläche besitzt (3). Diese Grundform, weiche sich geschlecht-
lich durch Eier, die aus Entodermzellcn entstehen, fortpflanzt, vermehrt
9ieb ausserdem durch Knoapung, Die entstandenen Knospen bleiben
entw«'"-- * thicr verbunden und bilden dann mit diesem
466 ^- von Koch,
Stöcke, oder sie lösen sich ah (4). Von den abgelösten Personen heften
sich einige mit ihrem aboralen Ende an irgend einer Unterlage fest und
machen so den Anfang zu einem neuen Stock, andre bleiben im Wf^ssor
flottirend(5]. Diese letzteren nun passen sich an die schwimmende Le-
bensweise an und geben so den Ausgangspunct für die Medusen (6J.
Durch diese Differenzirung erhalten wir in einer Species zwei verschie-
dene Formen, eine schwimmende und eine festsitzende. Die letztere
vermehrt sich hauptsächlich durch Knospung und verliert nach und
nach das Vermögen sich geschlechtlich fortzupflanzen, da dafttr die
schwimmende, bei der eine Inzucht viel schwerer möglich ist, sich viel
günstiger zeigt. —
Von diesen Hydraiden mit Medusengeneration, weiche wir eben sich
entwickeln sehen, kommen nun einige in andere Verhältnisse (7), welche
zur Folge haben, dass die, sich zufällig gerade nicht ablösenden Medusen
am besten ihre Geschlechtsfunctionen verrichten können. Diese Eigen-
schaft vererbt sich und wir erhalten so aus den Medusen nach dem
Princip der natürlichen Zuchtwahl die medusoiden Geschlechlsgemmen,
welche bei einzelnen Arten sich zu scheinbaren Geschlechtsorganen rück-
gebildet haben.
U. lieber die EBtolehiag iet Eier hei dtm Cile^lenteH.
Die Frage, welchem der, bei allen höher entwickelten Thieren vor-
handenen, zwei ursprünglichen Keimblätter (Entoderm und Ectoderm)
die Geschlecbtsproducte entstammen, ist, trotz vielfacher Discutirung,
noch eine offene. Man kann für jede der beiden Ansichten und ausser-
dem noch für eine dritte, welche das Mesoderm (dessen Herleitung aus
einem der beiden vorigen, oder aus beiden zugleich auch noch ungevriss
ist) für den Ursprungsort der Eier hält, eine gleich grosse Anzahl von
Autoritäten anführen. Deshalb sei es mir gestattet einige Beobachtungen
über die Entstehung der Eier einiger Gölenteraten, einer Thiergruppe,
welche gerade in dieser Hinsicht in letzter Zeit vielfach untersucht wor-
den ist^), mitzutheilen.
Saccanthus (purpureus) Haime.
Bei Saccanthus finden sich (wie auch Haimb bei dem nahe ver-
wandten Cereanthus membranaceus ^) gesehen und abgebildet hat) die
<) Man vergleiche besonders: Haciel, Monographie der Kalkschwämme , 1.
BaTid. Biologie. 1872.
2) Jules Haime, Memoire sur le Ceriantbe, in den Annales des Sciences naturelles.
)V. Serie, Zoologie, Tome 1. Paris 1854,
VorUiifigf Mittbeilnngfn Aber COlMiteraten. 467
Eier zersti^ul im Entoderm derSepta und zwar jn den verschiedensten
Stufen der Reife. -;■ Untersucht man ein Septum auf dem Querschnitt,
so findet man, dass dasselbe nur aus jwtM Schichten besteht, einer
hyalinen Lamelle und einer diese überkleidenden Zelllage, dem Ento-
derm. Die Lamelle ist eine Fortsetzung der hyalinen, structurlosen
Schicht, welche im ganzen Körper nach aussen auf das Entoderm folgt
und dieses von der Muskelschicht trennt. Das Entoderm besteht aus
locker verbundenen, leicht von Ihrer Unterlage zu trennenden Zellen
zwischen denen grosse, eigenthümlich gestaltete Nesselkapseln und wie
oben bemerkt die Eier liegen.
Fragt man sich nun, ob bei Saccanthus die Eier aus dem Entoderm
oder Ectoderm entstehen, so kann man sich nur für das erstere ent-
scheiden, denn es sprechen dafür 4 . die ganz jungen Zustände der Eier,
welche mit grösster Wahrscheinlichkeit auf Entodermzellen zurückzu-
führen sind, 2. die Unmöglichkeit einer Einwanderung derselben aus
dem Ectoderm, da dieses durch die hyaline Schicht ganz vom Entoderm
abgeschlossen ist und in jener Eier, welche auf der Durchwanderung be-
griffen sein, könnten, nicht vorkommen. Diese Durchwanderung wird
auch bei der grossen Festigkeit der hyalinen Schicht sehr unwahrschein-
lich und muss man daher hier die Entstehung der Eier aus dem Ento-
derm als sicher festgestellt annehmen.
Veretillum (cynomorium] Cuv.
Hier ist das VerhUltniss ein ganz ähnliches wie bei Saccanthus. Die
Eier entstehen wie dort im Entoderm der Sepia, aber nicht an den Sei-
tenflüchen, sondern am freien Rand derselben. Dadurch wird die Be-
obachtung der Entwicklung um vieles erleichtert und gelang es mir alle
Uebergiinge von der einfachen Entodermzelle bis zum, die Grösse eines
Stecknadelkopfes eiTeichenden, Ei aufzufinden, so dass in diesem Falle
die Entstehung der Eier aus den Entodermzellen direct bewiesen ist.
Ausserdem gelten aber auch hier die oben unter 2 angeführten Gründe.
Coryne (fruticosa et pusilia]. Gärtn.
Bei diesen beiden von mir untersuchten Arten von Coryne finden
sich die Eier in Geschlechtsknos})en. Diese sind von kuglig bis ei-
förmiger Gestalt, erreichen einen Durchmesser von 0,5 mm. und be-
stehen aus einer äusseren Hülle und einer inneren strahlig zerfallenen
Masse, welche eine, mit der Magenhuhle communicirende Höhlung um-
scbliesst; die äussere Hülle ist eine directe Fortsetzung der Ectoderm-
schicht nebst der Stützmembran, wie durch Querschnitte klar wird, an
468 6. voti Koeh,
detieft man deti directed Uebei^ang deuUieh wahrnehmen katin. Die
stfahlige, eine centrale Höhlung umgebende Masse wird von den Eiern
gebildet, welche durch gegenseitigen Druck die Form abgestumpfter
Pyramiden angenommen haben und sehr deutlich Nücieus, Kucleolus
und Nucleotinus, oft auch in letzterem hoch ein Pttnctchen, erkennen
lassen. — Die jungen Gemmen sehen den eben beschriebenen attei^n
ganz ahnlich, nur sind sie viel kleiner und die Eiermasse wird durch
eine .einfache Zellschicht ersetzt, die sich direct vom Entoderm der
Magenhöhle ableiten lasst. —
Daraus geht hervor, dass auch bei Coryne die Eier aus dem Ento-
derm entstehen, denn es beweisen dies 4. die directe Beobachtung vom
Uebergang des Magenepithels in die spätere Eierniasse, 8. die (ahnlieb
wie vorhin zu beweisende] Unmöglichkeit, dass die Eier aus dem Ecto-
derm nach Innen gekommen sein könnten. •
VorlAiillge MittiMiliiBgeii flbdr Cötebtotiifeti.
46»
Erllntomiigen.
i . Die grosse Aehnlichkeit der Medufien nach ihrem gunien Bau, gegenüber der
Yerschiedenheil dar Gemmeo, scheint mir einer der Haupteinwttrfe gegen die An-
nahme a zu sein, wie ich durch folgendes Beispiel zu tieweisen suchen will : Man haha
(und es giebt deren Ja viele) zwei ganz verschiedene Hydroidengattungen a und ß,
beide besitzen- sowohl Arten, die ganz unvollkommene Gemmen, als auch sofehe, die
freie Medusen erzeugen. Nennen wir die ersteren y, die letzteren f4, so bekommen
wir vier Hauptformea ay, ufA, ßy^ /f/i.
Sucht man nun dieselben von der Art a-jf abzuleiten, so erhält man folgende
Stammbäume
oy.
ßY
•y
«^
oder
ßy
Beide sind sehr unwahrscheinlich , denn wollte man den ersten aU richtigen
annehmen, so müsslen sich aus zwei, nicht einmal gleichen und auf verschiedenen
Hydroiden gewachsenen Gemmen in ihrem ganzen Bau iüiereinstimmende Medusen
entwickelt haben. Wollte man den i. fiir den wahren halten, so würde man auf
ähnliche Schwierigkeiten stossen, indem dann die Gattungsmerkmale von ß zwei
Mal ganz gleich entstanden sein müssten.
Nehmen wir aber af4 für die Stammart, so erhalten wir deiT Stammbaum
ttfi
«y
f^ß
ßr
welcher ganz natürlich erscheint, da die unter einander so verschiedenen Gemnen
recht gut aus 2 verschiedenen Medusenarten durch Rückbildung entstanden sein
können.
i. Die Tentakel sind Jedenfalls zuerst als einfache Erhebungen des Bktoderms
entBlaaden uro Hussere Bin Aüsse leichter wahrnehmbar zu machen. An diesen Erhe-
bungen betheiligte sich bei ihrer stärkeren Streckung später auch das Entoderm und
Mesoderm und sc Tenlakelforro, wie wir sie bei den meisten heuligen
470 6* von Kocb,. Vorlilnflg» Mittbeilnngen Aber CMenteraten.
Hydroiden sehen. Erst hei den grösseren Formen bildete sich eine Höhlung aus.
da ohne dieselbe die Erntthrungsverhältnisse der Enden lsehr langer Tentakel zu oo-
günstig wutden.
8. Für das über die ganze Oberfläche zerstreute Auftreten der Tentakel bei
der Urform der Hydroiden spricht erstens der Umstand, dass diese Stellung die in-
differenteste ist, von der man alle übrigen ableiten kann, zweitens die Hüufigkeit
dieser Stellung bei weniger differenzirten Species.
4. Dieses kann man z. B. bei Hydra noch jetzt sehr gut beobachten, bei den
meisten übrigen Hydroiden ist es wegen des Chitinskelettes unmöglich geworden.
5. Das Flottiren im Wasser wird bei den im Meere wohnenden Formen sehr
leicht vorkommen können.
6. Der Sprung zwischen einem Hydroiden und einer Meduse ist durchaus nicht
so gross, als man vielleicht beim ersten Anblick denkt. Man mache nur z. B. durch
eine Tubularia einen Längs^hnitt und vergleiche ihn mit einem Radialschnitf durch
eine Meduse, so wird man sehen, wie leicht sich beide Formen aufeinander zurück-
führen lassen.
7. Diese können leicht eintreten, wenn die in der Rede stehende Hydroiden-
form an eine Stelle des Strandes kommt, wo durch Strömungen die sich ablösen-
den Medusen alle nach dem offenen Maer getrieben werden, ehe sie noch ihre Ge-
schlechtsverrichtungen vollenden können.
IrkliruK n T«fel ZXIII.
Fig. 4—3. Veretillum cynomorium. Entwicklung der Eier.
Fig. 4—5. Saccanthus purpureus. 4. Querschnitt eines Septum, 5. Seitenan-
sicht eines solchen. — Von den Buchstaben bedeutet m Muskelschicht, h hyaline
Schicht, e Entoderm, o Ei, n Nesselzellen.
Fig. 6 — 7. Coryne fruticosa. 6. Schnitt durch eine junge und durch eine reife
Knospe, etwas schematisch. 7. Ein Stückchen der Körperwand sttfrker vergrössert.
Fig. 8 — tO. Schematische Umrisse, welche die Entwicklung der Hauptformen
der Hydroiden darstellen sollen.
Die erste Entwlckelnng des Geryonideneies.
Von
Hermann Pol, Dr. med.
aus Genf.
RIenn Tafel XXIVt XXV.
Schon seit längerer Zeit lenkte ich meine Aufmerksamkeit auf die
EntWickelung der Coelenteralen , namentlich auf die Entslehungsweise
des coelenlerischen Apparates. Zwar deuten die meisten früheren Be-
obachtungen auf eine endogene Bildung der verdauenden Höhle hin ;
eine Einstülpung an der primitiven Anlage wurde nur ausnahmsweise
beobachtet.
Allein es liegen keine genauen , an einem günstigen Objecte ge-
machten Untersuchungen vor ^). •
Um so willkommener war es mir, als sich im Frühjahr 487< eine
solche Gelegenheit bot. Im Monat Mai erschienen im Hafen von Messina
grosse Schwärme der schönen Geryonia fungiformis (Fig. 4 S. 472).
Während drei Wochen fanden sie sich an gewissen Tagen ausserordent-
lich häußg, so dass ich dieEnlwickelung zu wiederholten Malen verfol-
gen konnte.
Eine Beschreibung dieser Species brauche ich um so weniger zu
machen , als sie im HAECKZL^schen Systeme ganz deutlich beschrieben
ist 2). üeber die Gestalt der reifen Geschlechtsorgane wird die Fig. 4,
Seile 472, Aufschluss geben. Ein Zungenkegel fehlt vollkommen.
In den Schwärmen waren Exemplare von allen Grössen durch-
einander gemischt, von den jüngsten an, die noch ihre primitiven Ten-
takeln besassen, bis zu den Erwachsenen, mit 3 bis Si/j Zoll Schirm-
durchmesser. Die meisten Exemplare, derert Schirm mehr als 4 V2 Zoll
1) MsrcHR iKOPF bat zwar im Jahre 4 870 eine kurze Notiz von der Entwickelung
der Cormarina veröflfenUichl (Bullet. Acad. St. P^tersbourg) ; allein ea geben diese
Beobachtungen keinen bestimmten Aufschluss Über die interessante Frage von der
Dilduiigsweise und den Schicksalen des Ento- und Bctoderms.
i] Beitrage zur Naturgesch. der Hydromednsen. 4866 p. 84.
DO. TU. 4. *^
84
/ c>
Pig.1.
Geryonia rnnglfocmift — Erwachsenes neiblinhes Exemplnr in nafürlicher
Grösse , von oben sesehen — o Ovarien — ( die ilefiniliven Kangarme — f die pri-
mitiven Fangartne -~ r/'Centrifn|Eal~KBnäle — cp Crntriprlal-KanBle — v Segel —
I Magen — I Hundlippen.
Die erste EntwieketimiBt df« Geryoiildeneles. 473
kn Durebfnesser hatte , schienen geschleehtsrelf za sein. Mehr als eine
Woohe^ hindurch hieH ieh beständig fünfzig solcher anscheinend reifer
Individaen in meinen Aquarien, ohne auch nur ein Ei erhaNen ztsv kltn-
nen. Eines Morgens gegen % Uhr fing ein Hilnnchen an , unter meinen
Augen seinen Samen zu entleeren, und warf ihn auf einmal aus, so dass
die mati- weissen undurchsichtigen Hoden, bimnen ein paar Minuten,
ganz leer und durchsichtig wurden. Es genügte der Samen cKeses ein-
zigen Individuums um das Wasser des 30 Liter haltenden Aquariums
vollständig milchig trübe zu machen , so dass eine , eiii' Zoll vow der
Glaswandung schwebende Meduse, kaum mehr sichtbar war. Hiemtrf
ßn^n die Weibohen a<n ihre Eier zu werfen, die anderen MüiAiohen ent-
leerten »itch »hi^enp Samen, so dass von den 30« im Glase sehwimaienden
Exemplaren , nur zwei ganz junge ihre Geschlechtsproduetie behMten.
Ich goss nun etwas von diesem trüben Wasser in ein anderes Aquarium,
worii» eine Menge Geryonien herumschwammen, und sofsrt fhn«l aüofi
dort eine atlgenierne Entleerung der GeschlechtsdrUsen siatt. Später
liabe ich dies Experiment Öfters wiederholt. In rehiein Seewasser kann
man ein Thier eft mehrere Tage hindurch mit gan>a reifen und todckeren
Geschlechtsproducten behalten, ohne dass es diesell)en a«eh nur Ihetl-
weise ausslOsst, setzt man aber etwas Wasser hinzru, welches schon
freve Geschtechtssfoffe enthalt, so entleert das Thier sofort den ganienr
Inhalt seinpr Drüsen.
nie Bildung und Entwickelung des Eies wollen wir, der Klarheit
wegen, in mehrere Perioden und Stadien eintheilen.
I. Periode.
Das unbefruchtete Ei und die Befruchtuög.
Die jungen in den Ovarien befindlichen Eier hat schon Hargkkl,
leider nur nach conservirtenObjeeten, kurz beschrieben *). Die jüngsten
Eier bestehen aus einem äusserst feinkörnigen Protoplasma mit einem
verhültnissmüssig sehr grossen Keimbläschen. Das Keimbläschen ent-
hält einen Keimfleck, welcher wiederum ein Bläschen darstellt. Die
Wände dieses inneren Bläschens bestehen aus stark leichtbrechendeni
Protoplasma. Das innere ist von einer grossen Vacuole eingenommen.
Selten sichtman, statt einer grossen Vacuole, deren mehrere von kleine-
ren Dimensionen. Das KeimblUsclien und die Vacuolen des Keimfleckes
enthalten einen wenig lichtbrechenden Stoff. Die reiferen Eier zeigen ein,
im Verhältniss zum Keimbläschen viel grösseres Protoplasma, dessen in-
31*
474 ^ Hermann Fol,
nerste Theile sich bei vollständiger Reife in lauter Vacuölen umivandeln
oder vielmehr aufblähen; etwa wie eine Seifenlösung, in welche man
mit einem Rohre bläst. Durch den Zusatz von Ragentien trübt sich der
Inhalt dieser Rlasen nicht, die Blasenwandungen dagegen erscheinen als
ein Netz von demselben körnigen Protoplasma, welches früher das ganze
Ei zusammengesetzt hatte. Ganz ähnliche Verhältnisse habe ich auch
bei Röhrenquallen beobachtet..
Die Spermatozoon zeigen die gewöhnliche Gestalt und bestehen aus
einem 5^ langen und 3,3^ breiten Kopf und einem sehr langen
Schwänze.
l)ie Befruchtung selbst zu beobachten gelang mir nicht, da alle ge-
legten Eier schon befruchtet waren und künstliche Befruchtung nicht
zum*Zie1e führte.
Das frisch gelegte , befruchtete Ei (Taf. XXIV Fig. 4] besitzt eine
ovale Gestalt undals Durchmesser etwa 0,33 Mm./0,SI3 bald mehr länglich,
bald mehr rundlich. Es besteht aus Kern oder Keimbläschen, Proto-
plasma, Eihaut und Schleimhülle (f). Der Kern (n) ist regelmässig rund,
und liegt nahe am spitzen Ende des Eies. Er siebt wie eine Vacuole
aus, indem seine Substanz weniger liohtbrechend ist als das umgebende
Protoplasma und flüssig zu sein scheint. Eigene Wandungen dieser
Vacuole lassen sich am frischen Ei nicht unterscheiden ; es tritt eine
solche bei Essigsäurezusatz, obwohl wenig deutlich, hervor. DerVacuo-
leninhalt bleibt dabei ungetrübt und farblos. Der Durohmesser die-
ses Keimbläschens beträgt 0,02 Mm./0,027, so dass man ihn gewiss
nicht mit dem Keimbläschen des unbefruchteten Eies identificiren kann.
Es wäre interessant zu wissen , ob der Kern des befruchteten Eies vom
Kerne oder vom Kernkörperchen des unbefruchteten abstammt, oder ob
diese Gebilde bei der Befruchtung verschwinden, um einer Neubildung
Platz zu machen.
Das Protoplasma, das wir auch BildungsdoUer nennen können, be-
steht alis zweien schon am lebendigen Ei unlerscheidbaren, concentri-
schen Schichten. Die äussere oder Rindenschicht (6) ist grobkörnig,
und dichter als die hellere innere Substanz (a). Da diese Textur bei
Coelenteralen allgemein verbreitet zu sein scheint, so wollen wir eigene
Namen einführen. Die Rindensubstanz nennen wir Ectoplasma, die in-
nere Endoplasma. Das Ectoplasma besteht, wie gesagt aus einer dichten
Masse, welche bei Essigsäurezusatz braun und trübe wird. Das Endo-
plasma dagegen ist eine helle aus l.iuter Bläschen zusammengesetzte
Masse; die Essigsäure bringt mehr die Bläschenwandungen oder Zwi-
schensubstanzen zwischen den Vacuölen zur Ansicht, welche als ein
bläuliches, feinkörniges Protoplasmanetz erscheinen. An der Peripherie
Die erste Entwickeln nff des Geryonideneies. 475
sind die Bläschen klein, das Protoplasraanetz dagegen dichter mit dicke-
ren Balken. In der Mitte sind die Bläschen sehr gross und das Proto-
plasma äusserst spärlich. Je näher der Binde also, desto dichter das
Endoplasma. Beide Substanzen sind somit nicht ganz scharf abgesetzt ;
viel schärfer erscheint diese Grenze bei Bippenquallen. Das Keimbläs-
eben (n) liegt an der Grenze beider Substanzen, in einen sternförmigen
Klumpen dichten Protoplasmas eingebettet.
Die Eihaut (Taf. XXIV Fig. 4 c) ist äusserst dünn, etwa 4,4^ dick,
structurlos und durchsichtig. Dem Keimbläschen gegenüber bildet diese
Membran einen Faltenstem (f). Gegen die Peripherie des Sternes werden
die Falten immer niedriger und glätten sich bald aus. EineOeffnung ist
beim befruchteten Ei hier nicht zu entdecken.
Die Schleimhülle (Taf. XXIV Fig. 4 d) ist unregelmässig , durch-
schnittlich etwa 0,03 Mm. dick. In ibrstecken (beim gelegten Ei) eine An-
zahl Spermatozoon, welche bald sterben und sich nach und nach zersetzen.
Am dicksten ist die Hülle in der Nähe des Keimbläschens, und an dieser
Stelle trifft man auch die meisten Spermatozoen (Taf. XXIV Fig. 4 sp). Ver-
muthlich entsprichtder Faltenstern der Stelle wodieBefruchtungstfittfand.
Hier befindet sich noch In der Hülle fast conslant ein Korn oder Bich-
tungskörperchen von 0,04 5 Mm. /0, 02 Grosse. Ein ähnliches Körperchen,
welches mit dem Befruchtungsacte in näherer Beziehung zu stehen
scheint, habe ich auch bei anderen Goelenteraten beobachtet.
n. Periode.
Die Furchung bis zur Maulbeerforni.
Das Hauptinteresse dieses Zeitabschnittes liegt in <len Molecularbe-
wegungen, durch welche die Furchungen zu Stande kommen. Hierbei
möge man die bereits geschilderte Zusammensetzung des ungefurchtcn
Eies stets im Aoge behalten.
I. Furchupg oder die Zweitheilung.
Etwa eine Stunde nach seiner Ausstossung, treten die ersten Ver-
Hndcrungen im Ei auf. Zunächst wird der Eikern oder das Keimbläs-
eben heller, verschwommener; seine Gestalt wird unregelmässig und
ilndert sich vielfach. Nach einigen Secunden verschwindet dieses Ge-
bilde gänzlich vor dem bewaff'ieten Auge. Setzen wir aber gerade in
diesem Augenblicke etwas Essigsäure hinzu, so kommt der Best, gleich-
sam nur eine Andeutung des früheren Kernes wieder «um Vorschein
'^ Fig. 2 n) . Auf beiden Seiten dieser Kernüberbleibsel zeigen sich
476 Herroaim Fol,
2wei Proiof>lM«Bi8aaAäufungen , deren dicfai angesiiiDRioheo Kttraobisn
zwei rfi^lfn^sige «iernCörroige Figuren darstallaQ (Taf. XXiV Fi^.
Sh). Die Strahlen dieser Sterne werd^ durch die in ger^ulen Uniep an-
einender gereihten Körnchen gebildet. Mehrere solche Linien reicbeo
vop einem Stern- oderAnziebung/scentfum in einem Bogen zum andern,
imJeH) sie die Reste des KeimblMßchenjs mnfassaa. Das ganse Bild isl
äusserst klar und deutlich und erinnert lebhaft an die Art und Wevse
wie ausgestreuter Eisenstaub sich um die beiden Pole eines Magneten
anordnet. An dien Rändern gehen die Strahlen allmUlig einerseits in das
dünnere Protoplasmanets des Endoplasmäs, andererseits in das dichte
Ectoplasma über.
Hätten wir mit dem Zusatz des Reagens noch einige Secunden ge-
wartet, so häjUen wir vom Keimbläschen keine Spur mehr angetroffen
(wie auf der Taf. XXIY Fig. 11, hh). Die Sterne sind dann schon weiter
auseinander gerückt, zeigen aber immer noch die gleiche BeschaSenheit.
Sie sind auch ohne Ess|gs8urezusats, jedoch sehr undeutlich, sichtbar.
Jetzt fängt die erste Furchiing oder Zellen theilung an.
Wie schon bemerkt , liegt das Keimbläschen an der Peripherie des
Eies auf der Grenze zwischen Rinden- und Mark-Substanz. Es bildet
sich nun an der Oberfläche eine Rinne, genau oberhalb der Stelle, wo
der Kern lag und senkrecht auf eine Linie, die wir uns durch beido
Sterne geführt denken können. Indem sich die Linie vertieft, trennt sie
die beiden Sterne von einander. Zugleich buchtet sich die zarte Eihaut
ein und kleidet die Rinne aus ; an den Rändern der Rinne aber schlägt
dieselbe eine Anzahl Falten (verg). Taf. XXIV Fig. 3 und 4 f.) , welche senk>
recht von der Rinne entspringen, und sich unweit von derselben wieder
allmälig ausgleichen. Indem sich die Rinne verlieft, verlängert sie sich
auch immer mehr, und umkreist schliesslich das Ei. Dabei prägen sich
die Falten der Eihaut immer mehr aus ; bald aber hört die Eihaut auf
anderAbschnürungTheil zu nehmen, undindem sich die erste Forchung
vollendet, kehrt die Eihaut wieder zu ihrem früheren Zustande zurück,
und spannt sich ununterbrochen von einer Furchungskugel zur andern,
die Furche überbrückend.
Durch die Abschnürung sind die Anziebungscentren immer mehr
von einander entfernt worden , und jetzt erscheinen m denselben eine,
dann zwei, dann drei bis acht und zehn kleine Yacuolen. Diese Vacuo-
len wachsen mit der Zeit, trelen zu mehreren zusammen und versohmel-
zen zu einer grossen Vacuole, welche sich abrundet, und hiermit ganz
dasselbe Bild darbietet, wie das ungetheilte Keimbläschen. Die Lage
dieser neuen Kerne ist dieselbe, wie die des ersteren, also an der Grenze
-wischen Endo- und Ectoplasma. Sie liegen nicht in der grösstmög-
Die erste Eatwickelnng <les Geryoiiideiieies. 477
liehen Entfernung von einander, sondern auf einer Seite der Anlage, so
dassbeieioer Ansicht von oben (Taf. XXIV Fig. 8 nn) man leicht verleitet
werden könnte zu glauben , dass sie in der Mitte jeder Farchungskugei
liegen. Eine Profilansicht dagegen belehrt unsbald eines Besseren.
Die Purcfaungskugeln treten hierauf wieder näher aneinander und
flachen sich gegenseitig ab, so dass das ganze Ei fast wieder die frühere
ovale Gestelt anioimmt (Taf. XXIV Fig. 3). Die Trennungsfläche nach der
Abflachung ist am frischen Ei durch eine Menge stark umgekehrt licht-
brechender, linsenförmiger Vacuolen bezeichnet, die alle in einer E!bene
liegen (Taf. XXIV Fig. 3 gg). Diese Vorgänge folgen so schnell aufein-
ander , dass das Ei in amoeboYder Bewegung begriflen zu sein scheibt,
und es unmöglich ist, mittelst der Camera seine Umrisse zu entwerfen.
Wichtig ist es zu bemerken , dass während der Furchung die Bin-
densubstanz im Boden der Furchungsrinne immer dünner geworden
ist, bis sie schliesslich an dieser Stelle ganz verschwindet und die bei-
den Furchungskugeln nur noch durch innere Substanz zusammenhän-
gen. Ist die Furchung einmal vollendet, so können wir durch tilssigsäurc
uns leicht davon überzeugen, dass die Bindenschicht an der Berührungs-
fläche beider Kugeln vollständig fehlt (Taf. XXIV Fig. 2), dass also die
Marksubstanz beider Kugeln sich unmittelbar berühren. In der Nähe
jener Berührungsfläche wird das Ectoplasma immer dünner. Die Bin-
denschicht nimmt somit die ganze Oberfläche des Eies ein, aber nur ^/^
der Oberfläche jeder Furchungskugel.
IL, III., IV. und V. Furchung oder die Thcilung in
4, 8, 16, 32 Zellen.
Nach einer Zeit der Buhe fängt die Theilung von Neuem an. Es
zerßlilt die Anlage zuerst in 4 Furchungskugeln (2. Furchung)'] welche alle
in einer Ebene liegen (Taf. XXIV Fig. 3). Aus diesen entstehen durch eine
acquatoriale Theilung 8 Kugeln (3. Furchung) , welche so angeordnet
sind, dass von allen Seiten betrachtet, die Kugeln ein Viereck zu bil-
den scheinen.
Die nächste Theilung erfolgt nach zwei Ebenen, die einen Winkel von
i5o mit der Aequatonalebene bilden; es ist die 4. Furchung (Taf. XXIV
Fig. 4) nach welcher die Anlage aus 4 6 Zellen besteht (Taf. XXIV Fig. 5).
Diese zerfallen endlich in 32 (Taf. XXIV Fig. 6) und so ist das Ende der
2. Periode erreicht. Bei jeder Furchung sind stets die Theilungsproducte
untereinander ganz gleich, d. h. sie sind das Spiegelbild von einander,
so dass in allen Stadien das Ei aus gleich grossen Kugeln zusammen-
gesetzt erscheint.
478 Remiann Fol,
Bei jeder Theilung M^iederholen sich ganz dieselben Vorgänge, die
wir bei der ersten geschildert haben, und die wir foigendermassen zu-
sammenfassen können, i. Verschwinden des Reimbläschens und Er-
scheinung zweier Anziehungs-Mittelpuncte.
2. Entstehung der Furchung^rinne mit Faltenbildung der Eihaut
(Tafel XXIV Fig. 3 und 4 f) .
3. Die Abschnürung vollendet sich, die Eihaut kehrt zur früheren
Lage zurück , die Anziehungs-Mittelpuncte rücken immer weiter aus-
einander.
4. Erscheinung der neuen Kerne, gegenseitige Abflachung derThei-
lungsproducte.
5. Endlich die Theilungsproduptc, d. h. die neuentstandenen Zel-
len , treten in immer ncihere Berührung miteinander und die immer
grössere Trennungsfläche wird durch linsenförmige Vacuolen bezeichnet
(Taf. XXIV Fig. 4, 5und6qq).
Die Gestaltsveränderungen der Kugeln während der Theilung fol-
gen noch immer rasch aufeinander; nach jeder Theilung aber bleibt das
Ei etwa 45 Minuten in vollkommener Ruhe stehen. Die 5. Furchung
tritt 6 bis 7 Stunden nach der Eierlegung ein.
Bei jeder Theilung verhält sich die Rindensubstanz ganz wie bei
der ersten, so dass sie nur denjenigen Theil jeder Furchungskugel ein-
nimmt, welcher nach Aussen sieht (Taf. XXIV Fig. 2 und 4 bb). Nach
der 4. und 5. Furchung sieht man eine geräumige Baersche, oder Fur-
chungshöhle (Taf. XXIV Fig. 5 und 6 es). Aus dem schon Gesagten geh
klar hervor, dass die gegen diese Höhle gewandten Theile der Furchungs-
kugeln nur aus Endoplasma bestehen.
Die erste Kiitwickehmjr des Gerpnideueies, 479
IH. Periode.
Die primitive Anlage zerfällt in Ento- und Ectoderm.
VI. Furcbung oder die Theilung in 64 Zellen.
Wiederum bereitet sich das Ei zu
einer neuen Theilung; die Kerne
verschwinden, dieAnziehungs-lfit-
^ telpuncte rücken auseinander und
jede Zelle spaltet sich. Allein dies-
mal sind die Theilungsproducte nicht
>i mehr untereinander gleich. Es zer^
^ \^\ ± _^, :^^ föllt jede Zelle durch schiefe Theilung
in eine grosse und eine kleine linsen-
förmige Zelle (Fig. 2 und Taf. XXiV
Flg. 9 bis \% % und r) . Jede der bei-
den nimmt an der Peripherie des Eies
^^^' *• den gleichen Flachenraum ein.
Schema der 6. Furchung - Das aus Die grossen Zellen aber erstrecken
8i KuffelnzusammengeseUte Ei, 450mal . t ^. r • j* n t. rioi.i !.• *
Z ^ ^Ax 1.1? . Sich tief m die Baersche Höhle hmem
vergrössert. — a Endoplasroa — 6Ec(o-
plasma — n die Kerne - « die Für- (Taf. XXIV Fig. 8 r) , wahrend die
cbuDgshöhle — xx punctirte Linien, kleineren linsenförmigen nur an der
welche die Richtung derTheilungsOttchen Oberfläche bleiben {Taf. XXIV Fig. 8,
wttbrend der 6. Furchung andeuten. gj Letztere sind blos von dem Ecto-
plasma gebildet, wahrend erstere aus einem inneren endoplasmatischen
Theile und einer Aussenschicht von Rindensubstanz bestehen [Taf. XXIV
Fig. 8 r, a und b). Es ist aber fortan die Eianlage aus 64 Zellen zu-
sammengesetzt, deren 32 grosse (Taf. XXIV Fig. 9 r r) und 38 kleinere,
weniger liefe (Taf. XXIV Fig. 9 qq] . Die grossen Zellen sind denen nach
der 5. Furchung sehr ähnlich, nur erscheinen sie cylindrisch mit schma-
ler Basis (Taf. XXIV Fig. 4 0), statt conisch mit breiter, nach aussen ge-
kehrter Basis (Taf. XXIV Fig. KK), Wie bei jenen liegt der Kern zwischen
Endo- und Ectoplasma (Taf. XXIV Fig. 1 0 n] .'
Die kleinen Zellen dagegen sind, wie bereits gesagt, linsenförmig flach,
und ihr Kern ist mitten in die, sie zusammensetzende Rindensubstanz ein-
gebettet (Taf. XXIV Fig. 8, 9j . Selten zeigt sich an dem innersten Theile
einer solchen Zelle etwas Endoplasma. Die Anordnung beider Arten von
Zellen ist keine sehr regelmässige^ und es war mir nicht möglich, darin
eine Gesetzmässigkeit '^^ liegen 2 , 3 kleine Zellen bei-
sammen, von grosse es sind die grossen Zellen
480 H^manB Fei,
gruppenweise zusammengesieHt und von kleineren Zellen umlagert.
Es folgt hieraus, dass man bei optischen Querschnitten fast niemals du^
gleiche Anzahl von beiderlei Gebilden zur Ansicht bekommt, und es ist
eine sorgfältige Nachzählung aller Zellen, welche die Anlage zusammen-
setzen, nothwendig, um zur Gewissheit zu gelangen , dass wirklich 32
jeder Art vorhanden sind. (Vergl. Taf. XXIV Fig. 8 und 9 rr und qq;.
VII. Furchung oder die Theilung in 96 Zellen.
Diese Furchung betriBt nur die 32
grösseren Zellen. Durch die bekann-
ten Vorgänge zerfällt jede in 2 un-
gleichartige Producte. Die Anzieh-
ungscentren rücken nämlich ' nicht
mehr in tangentialer, sondern in
r radialer Richtung auseinander , die
Theilung erfolgt der Quere nach (Fig.
3) . Es entstehen hierdurch 32 lin-
senfbnnige, aus Rindensubstanz be-
stehende, Oberflächenzellen, welche
den früher abgesetzten vollkommen
Fig- 8* gleichen , und 32 innere , grössere,
Schematische Darstellung der 7* Für- runde, aus Endoplasma zusammen-
chung; dieAnlage mit 64 Zellen, <50inal gesetzte. Die ganze Anlage stellt
vergrössert. a Endoplasma — 6 Ecto- , ... , i. l- i.
1 ^ ^' V ux ' ^1 i also zwei memander geschachtelte
plasma — n die Kerne — qq kleme Zel- ^
len-rr grosse, aus beiden Substanzen Kugeln dar; die äussere Hohlkugei
bestehende Zellen — odx punctirte bestehtaus 64 linsenförmigen Zellen,
Linien, welche die Richtung der Tbei« und enthält bios Ectoplasma und das
lungsflächen der 7. Furchung andeuten. ^^^^^ frühere Ectoplasma. Die in-
nere Hohlkugel zählt 32 kugelige Elemente, die sich gegenseitig etwas
abplatten und das ganze Endoplasma aufgenommen haben. Die äussere
Kugel stellt das Ectoderm dar, die innere Kugel ist die Anlage des £n-
toderms.
Dieses etwas verwickelte Yerhältniss habe ich durch die beiden
schematischen Figuren 2-und 3 zu veranschaulichen gesucht.
Auf Taf, XXIV Fig. 8 berührten sich nicht alle grösseren Zellen an
ihrem innersten Theile. Man könnte also glauben, das& nach der Thei-
lung die inneren Zellen durch eine Wanderung sich zu einer Hohlkugel
zusammenfügen. Dem ist aber nicht so.
Beobachten wir genau die Vorgänge der Theilung ^ so flnden wir,
dass sich während der Theilung jede grosse Zelle bedeutend verlängert,
so dass die inneren Zellen bereits zusammengefügt und gegenseitig ab-
Die erste Ent wiekelmig des Ceryonideneies. 481
geplattet erscheinen , ehe sie noch von der äusseren Zellenschicht ganz
losgetrennt sind. Habe ich an sich so unbedeutende Vorgänge so bis
in's geringste Detail geschildert, so geschah es nur deshalb, weil viel
von Zellenwanderungen in der Entwickelungsgeschichte noch heutigen
Tages geredet wird. Solche Wanderungen finden meiner Erfahrung
nach niemals statt. Es wäre auch rein unbegreiflich, dass feste, bleibende,
gesetzmassig gebaute Organe aus Zellen entstünden, die sich nach einer
freien Wanderung beliebig zusammengestellt hätten^}.
Wenn in der zweiten Periode die Theilungs Vorgänge rasch aufein-
anderfolgende Gestaltsveränderungen des Eies bedingten , so ist das in
der dritten Periode noch w^eit mehr der Fall. Das Bild verwickelt sich
ausserdem noch dadurch, dass sich die Zellen nicht alle zu gleicher Zeit
theilen. Es buchtet sich oft die Eioberfläche an dieser oder jener Stelle
ein, so dass man oft glauben möchte, man hätte es mit einer anfangen-
den Einstülpung zu thun (Taf. XXIV Fig. 7). Ein Tropfen Essigsäure
aber hilft einem sehr leicht aus allen diesen Schwierigkeiten heraus ^) .
Namentlich nach der letztbesprochenen Theilung verändert sich
die Geslalt mannigfach. Es bleiben noch längere Zeit einzelne Zellen
des Entoderms mit den entsprechenden Zellen des Ectoderms in Ver-
bindung, und einzelne Objecto könnten einen leicht veranlassen , hier
die Spuren einer stattgehabten Einstülpung anzunehmen. Ich war selbst
nach einer erstep oberflächlichen Beobachtung zu dieser irrigen Ansicht
gekommen.
Während dieser letzten Vorgänge ist die Dotterhaut verschwunden
und keine Spur mehr davon zu entdecken, wenn nicht etwa die Körn-
chen, die das Ei umgeben, durch einen Zerfall dieser Haut entstan-
den sind.
4) Bei Rippenquallen z. B. wandern die Ectodermzellen, weiche zur Bildung
von Bindegewebe und Muskeln bestimmt sind , nicht. Sie werden rageimfissf g von
der Ectodermschicht durch ihr eigenes , geselzmässig abgegebenes, Seci*et losge-
trennt. So kommt es , dass sich die Muslielfasern so regelmässig und symmetrisch
entwiciceln, dass sich noch an einem jungen, aber ausgebildeten Exemplare, keine
MasiieUaser findet, die nicht an den drei übrigen Quadranten ein ganz genaues Ab-
bild hUtle.
SJ Man thut am besten, die in dieser Periode befindlichen Eier in hoblge-
schlifTene Objectglttser mit etwas Seewasser und Essigsäure aufzubewahren , wobei
das Deckglttschen mit Oel umrandet wird. Da alle Eier desselben Wurfes sich ganz
genau gleichzeitig entwickeln, so braucht man nur eine Stunde lang alle 8 bis 5
Minuten ein solches Präparat zu machen , um eine übersichtliche und vollständige
Reibe der hier besprochenen Vorgänge zu erhalten. Solche Präparate halten sich
ganz gut % bis 8 Tage und werden nach einigen Stunden sogar noch hellerund deut-
licher als beim Einlegen.
482 Hermann Fol,
IT. Periode.
Die flimmernde Larve,
I. Stadium.
Entstehung der Schirmgallerte. 2. Tag.
Duroh neue und wiederholte Halbierungen ihrer Zellen, vergrösscri
sich die Ectodermkugel ziemlich rasch, während die innere Kugei oder
Enloderiii im Wachsthum etwas zurückbleibt, und sich zugleich linsen-
förmig: abflacht (Taf. XXIV Fig. 45, Taf. XXV Fig 16 un417). Es bleibt
diese Linse durch die eine flache Seite in naher Berührung mit einer Stelle
des Ectoderms (Taf. XXV Fig. 17k). Hierdurch und durch die schnellere
Vergrösserung des Ectoderms entsteht zwischen beiden Kugeln ein bedeu-
tender Zwischenraum. Dieser ist mit einer vollkommen klaren durch-
sichtigen Gallerte erfüllt, welche ein System äusserst feiner zarter Fasern
oder Schlieren enthält (Taf. XXV Fig. 16 und 17 y). Diese Fasern er-
strecken sich geradlinig von den Zellen desEntodermszuden entsprechen-
den Zellen des Ectoderms in fächerförmiger Anordnung. Sonst zeigt sich die
Gallerte vollkommen structurlos und enthält keine Zellenelemente, weder
jetzt noch später. Schwer wäre es, zu bestimmen, ob die Absonderung
dieser Gallerle von Seiten der einen oder der anderen Zellenkugel oder
durch beide zugleich stattfindet. Wahrscheinlich hilft diese Gallerte mit,
durch ihre Absonderung auf der einen Seite der inneren Kugel, dieser
Kugel ihre einseitige Lage und linsenförmige Gestalt zu geben. Selbst-
verständlich ist die Gallerte spärlich oder gar nicht an der Stelle vor-
handen, wo beide Kugel n,einander anliegen.
Hier sehen wir also bestimmte Zeilentheilungen und Absonderun-
gen als Gestaltungsmomente der Embryonalanlage auftreten. Von einer
activen Wanderung kann sicher nicht die Rede sein.
Wie gesagt, berühren sich Ento- und Ectoderm an einer Stelle
beinahe , indem sich die Mitte der einen convexen Fläche der inneren
Zellenlinse der weit weniger gekrümmten äusseren Zellenkugel immer
mehr. nähert, bis im Mittelpuncte eine Berührung und Verwachsung
stattfindet. Diese Stelle nennen wir fortan den untern oder oralen Pol,
und es ist hierdurch schon eine vollständige Orientirung gegeben. End-
lich sieht man auf den Ectoderm nach und nach einige Wimpern her-
vorsprossen.
Die erste Entwiekelimg des Geryonideneies, 483
IL Stadium.
Die orale Ectodermscheibe. Bildung des Mundes.
3. bis 5. Tag.
Die Eier, welche zum Boden des Getesses gefallen sind, erheben
sich langsam und schweben ohne bedeutendere Veränderung ihrer Lage
im Wassei". Der Grund hiervon liegt in der Ausbildung dQnner, langer
und sehr spärlicher Wimpern , welche durch ein langsames Schlagen
die Larve schwebend , aber nicht in schwimmender Bewegung zu er-
halten vermögen.
Die Zellenvermehrung an der inneren oder aboralen "^and des
linsenförmigen Entoderms geht schneller vor sich , als an der oralen
oder äusseren Wand. Durch diesen Umstand, und durch den Druck
den die wachsende Gallerte ausübt , wird die aborale Wand zunächst
abgeflacht und dann in die orale Hälfte der Linse hinein gestülpt , so
dass das ganze Organ Uhrglasform annimmt und der frühere Hohlraum
des Entoderms auf ein Minimum reducirt wird (Taf. XXV Fig. 47 und
18 En).
Gleichzeitig mit diesen Veränderungen findet eine andere am oralen
Pole statt. Es vermehren sich dort die Zellen des Ectoderms sehr rasch
und zerfallen in eine Schicht kleiner Zellen von 0,04 Mm. Durchmesser
während die übrigen Ectodermzellen einen Durchmesser von 0,4 Mm.
besitzen. Es bildet somit dieser Abschnitt eine Art Scheibe von 0,3 Mm.
Durchmesser, welche am Bande in das Ectoderm übergeht (Taf. XXV Fig.
1 8 kk) . Am zahlreichsten und kleinsten sind die Zellen im Mittelpuncte der
Scheibe,, wo diese mit der Mitte der oralen Wand des Entoderms ver-
wächst. Später erhebt sich dieser Mittelpunct nabeiförmig und die
Verwachsungsstelle bricht durch. Die hierdurch entstandene Oeffnung
ist der Mund, und der Binnenraum des Entoderms oder Baersche Höhle,
ist zur Magenhöhle geworden. >j
Gleichzeitig hat sich der Band d^r oralen Scheibe immer deut-
licher vom übrigen Ectoderm abgehoben und wächst zu einem förmlichen
Ringswuiste an. Wie wir später sehen werden ist dieser Wulst die
Anlage des Schirmrandes nebst Segel und Pangarmen. Die Ectoderm-
scheibe liefert das spätere Epithelium für die Glockenhöhle und die Aus-
senwand des Magens.
4} Die Annahme Habckbl's (I. c. p. 68, 407; dass diese Höhle zur Schirmhöhie
sich umwandele, ist somit vollkommen irrthttmlf
484 Hermann Fol,
in. Stadium.
Enlstehung der Fangarme, des Segels und der Schirm-
hiVhle, vom 6. Tage an.
Seit der Eröffnung des Mondes (Tuf. XXV Fig. 19 i) hat die Magen-
hfi|ble bedeutend an Höhe zugenoiomen, und zeigt eine auf dem Quer-
scbiiilt mehr quadratische Gestalt (Taf. XXV Fig. 24 s).
Der untere äussere Rand der Magenwand reicbt bis unmittelbar an
den Randwulst. Uebrigens sind diese Theile schon ziemlich beweglich
geworden, sie können sich bedeutend ausdehnen oder zuaammenziehen
und zeigen dann verschiedene Anordnungen und Gestatten. Gewöhn-
lich erscheint der Magen von oben gesehen deutlieb saebseckig.
An der Aussenseite des Randwulstes zeigten sich einstweilen 6
kleine Zellenanbäufungen. Diese Haufen wachsen mehr und mehr in
dieUlnge [Taf. XXV Fig. 19l); während ihre Achse voneinemZeHenstrang
eingenommen wird (Taf. XXV Fig. 19z), welcher aus jeder der 6 be-
sprochenen Magenecken hervorgeht. SelbstversUlndlich sind diese Ten-
takelrudimente symmetrisch angeordnal, und befinden sich jedes unter-
halb einer Ecke des sechsseiligen Magens. Diese primitiven Fangfüden
verlängern sich nun, Uind zu gleicher Zeit entfernt sich die Basis eines
jeden in radialer Richtung nach aussen von seiner UrspruQgsstelle am
Randwulsle. Zwischen* der Basis des Faagarmes^und dem Randwulsie,
bleibt ein verdickter Zellenstrang das Ectoderms besteh^ uüd mehr in
derTiefe, ein Strang von Entodermzellen, welche die Verbindung zwischen
der Tentakelachse und dem Magengewebe aufrecht erhalten (Taf. XXV
Fig. 49). Spöter verschwindet diese Verbindung wenigstens scheinbar.
Ueberhaupt ist jener Ursprung des Achsenstranges der Fangarme
aus dem primitiven Entoderm bei Geryonia weder leicht, noch gleich
bei erstev Besichtigung nachzuweisen. Um so deutlicher ist aber dieser
Zusammenhang in der, den Geryoniden verwandten Familie der Aegini-
den. Ich führe als Beispiel Aeginopsis bitentaculataan, deren Ent/wicke-
lung ohne Mühe zu jeder Zeit verfolgt werden kann. Dass daaEntoderm
der hohlen oder der soliden Fangarme der Coelenteraten vom Magenge-
webe abstamme , ist , soviel ich weiss , von Niemandem in Zweifel ge-
zogen worden, obwohl in dieser Beziehung positive Beobachtungen nur
spUrlich vorliegen. Fast gleich nach der Entstehung der Tentakel-Ru-
dimente zeigen die Zellen an ihrer Spitze die Anlage zu Nesselorganen,
welche sich bald zu wirklichen Nesselzellen gestalten (Taf. XXV Fig. 1 9 u) .
Die Spitze der Fangarme ist von einem Knopf von Nessekelleo gebildet.
Ueber diesen hinaus ragt noch eine kleine dünne Spitze , oder Geissei,
Die erste Eotwieleiaog 4es Geryonideneies. 485
welche aus den beiden Zellenschichten des Fangarmes besieht (Taf. XXV
Fig. 49, 23j).
Zugleich mit der Ausbildung der Fangarme, geht die Enlwickelung
des Segels vor sich. Als ein dttnner Ringwulst erscheint dasselbe auf
' der Hdhe und etwas nach der Innenseite des grossen Randwulsles, und
breitet sich dann allmS^lig zu der bekannten GeslaU einer kreisförmigen
Membran aus (Taf. XXV Fig. 20, 94 vv). Diese Duplicatur des Ecioderms
enthält, von Anfang an, die bekannten ringförmigen Muskelfasern. Die
radialen Muskel-n sind erst etwas später sichtbar.
Zwischen den Fangföden auf der Aussenseite des Bandwylstes er«
scheinen dann 6 kleine Zellenhäufchen, die Anlage su den sfritteraFang-*
armen (Taf. XXV Fig. 25 t').
Es bleibt mir jetzt noch übrig, die Bildung der Schirmhohle zu ver-
folgen. Der Anfangs fast kugelige Schirm breitet sich mehr nach unten
und aussen aus , und nimmt bald eine wirklich schirmförmige Gestalt
an. Den Rand des Schirmes nimmt der Randwuist ein , welcher sich
schnell ausdehnt und zugleich relativ verdünnt (Taf. XXV Fig. 21, 23 und
25 m). DerMagentrittdabeiverhältnissmässig immer mehr in die Höhe, so
dass er in den Grund einer, anfangs seichten, trichterförmigen (Taf. XXV
Fig. 22 c u) , später tiefen, glockenförmigen (Taf. XXV Fig. 25 c u) Höhle zu
liegen komnU. Letztere ist die wachsende Schirmhöhle. Ein Epithel kleidet
ihre Wände aus, welches direct von der oralen Ectodermscheibe ab-
stammt. Am Mundrande sieht man immer noch die Grenze zwischen
Ento- und Ectoderm, welche ihrer verschiedenen Beschaffenheit wegen
noch unterscheidbar sind. Später verschwindet dieser Unterschied ; so
dass die genau beobachtete Entwickelung allein den Beweis liefert, dass
Ento- und Ectoderm wirklich am Mundrande selbst zusammenhängen,
und dass die beiden embryonalen Kugeln wirklich die Bedeutung haben,
die ich ihnen zuschrieb. Wie gesagt dehnt sich die orale Ectoderm-
scheibe mit der Bildung der Schirmhöhle sehr rasch aus; es verliert
dieser Epidermisabschnilt seine dichte Beschaffenheit und bekommt das-
selbe Aussehen^ wie das Ectoderm an der Aussenseite des Schirmes.
Jetzt sieht man zuweilen bei gewissen Bewegungen der Larve 6
hohle Kanäle, welche vom äusseren Rande des Magens gegen den Schirm-
rand hinziehen. Auch Muskelfasern lassen sich in der Wand der Schirm-
höhle unterscheiden. Es sind diese Theile in ihrem jetzigen , fast aus-
gebildeten Zustande, nicht schwer zu erkennen , allein es wollte mir
dui^chaus nicht gelingen , die Rudimente derselben in früheren Stadien
zu unterscheiden.
Das Enloderm des Magens b«deckt sich mit Wimpern, welche den
Mageninhalt in rotirende Bewegr ' in den Zellen werden
Hermann Fol,
LUgelchen ausgoscliicditn, welche sich bei der Verdaouog
lommenen Stoffen vermischen 'J.
Meduse sehwimmt nun mit krüfligen Schirm- undSegel-
umher und vermag mit valiig ausgebildeten Fangfäden
te zu erfassen und im ausgebildeten Hagen zu verdauen,
ümnach in der 5. und letzten Periode der Entwickelung
Ausbildung der jungen zur fertigen, erwachsenen Me-
ber dieser Abschnitt von Habckel in seiner ausgezeicbne—
lie der Geryoniden so genau geschildert und durcb treff-
autert werden, dass ich auf diesen Gegenstand nicht zu—
i brauche.
täte und allgemeine Betrachtnngen.
sieb nun die Resultate dieser Arbeit in Folgendem kurz
in:
igefurchteEi besteht aus zwei Schichten : einem dichleren
d einem mehr wasserreichen Endoplasmn.
' Furchung verschwindet jedesmal das Keimbläschen und
in seiner Stelle zwei Anziehungscentren im Protoplasma,
tter die neuen Kerne auftreten.
!m die Anlage die Himbeergestalt angenommen hat , zer-
durch eine eigen tbtlm liehe Furchung in zwei ineinander
lellenkugeln, dem Ectoderm und Entoderm. Ersteres be-
ilasma, letzteres aus Endoplasma.
lirmgallerte wird zwischen beiden Geweben abgesondert,
loderm bedeckt sich für eineZeit lang mit Wimpern; ver-
traten Pole, und aus dieser Verdickung geht das Ectoderm
le, Schirmrand, Fangarme, Sinnesorgane und Segel hervor,
itoderm liefert ausser dem eigentlichen Hagen noch den
slenterischen Apparat und das Achsengewebe der soliden
und bricht an der Verwachsungsstelle beider Gewebe
ildung des Verdauungs-Apparates dui-chEinstUlpung fin-
nmt nicht statt.
lörperchen io den Zelleo der Msgenwanduag sind schon vielhch
I beobachlel worden. S. Gegenluur, System der Medusen Z. f. w.
'ol, Ein Beilrae zur Anslomie und Entw. der Rippenquelten , p. 5.
Die erste EntwickelnD^ des Geryonideneies. 487
Hieran lassen sich folgende Betrachtungen knüpfen :
1) Eine ähnliche aber noch schärfere Zusammensetzung des unge-
fürchteten Eies wird auch bei Rippenquallen beobachtet ^) . Bei genauer
Betrachtung ist auch hier ein Keimbläschen zwischen Ecto- und Endo-
plasma zu sehen. Ferner ist auch bei Oceania, Thaumantias, Lucema-
ria, etc. eine ähnliche, aberwenigerausgeprägteStructur zu beobachten.
2) Die Purchung mit jedesmaligem Verschwinden der Kerne, sowie
die sternförmigen Figuren im Protoplasma , sind eine sehr verbreitete
Erscheinung. Ich habe diese Theilungsvorgänge auch bei Rippenquallen
beobachtet; femer bei Doliolum unter den Ghordaten, bei Gavolinia unter
den Mollusken und bei Aiciope unter den Würmern, und ich habe diese
eben so genau und gewissenhaft verfolgt und sind diese Bilder so schön
und deutlich, namentlich bei Geryonia und Gavolinia, dass diese Beob-
achtungen absolut keinen Zweifel zulassen. Ich will mich nicht in den
Wortstreit einlassen ob solche Beobachtungen positiv oder negativ zu
nennen seien ; sie sind eben vollständig und erschöpfend.
Ich schliesse mich in Folge dessen ganz und gar der SACBs'schen
Theorie der Furchung durch Anziehungs-Mittelpuncte an , nicht etwa
aus theoretischen Gründen , sondern weil ich diese Attractionscentren
gesehen habe.
3) Die Vorgänge der Furchung hatte ich schon mehrmals bei ver-
schiedenen Coelenteraten verfolgt mit besonderer Berücksichtigung der
Entstehung von Ento- und Ectoderm , allein es war mir bis jetzt nie-
mals gelungen den Vorgang der Theilung selbst zu beobachten. Nach-
dem nämlich das Ei in eine Hohlkugel verwandelt worden war, wurde
das Bild während dieser wichtigsten Theilung so verworren , dass es
unmöglich war, zu bestimmen, ob eine Theilung, oder Wanderung, oder
beide zugleich staltgefunden hätten. Nach und nach stellte sich wieder
Ruhe ein, und die Anlage bestand nun aus zwei ineinander geschlosse-
nen ZcUenkugeln. Die Larve bedeckte sich mit Wimpern, nahm eine
ovale Gestalt an , und schwamm lebhaft umher. Dieses habe ich bei
Lucernaria 2]' und bei Oceania coronata (Allvan) ^} auf Helgoland, bei
i) KowAL. Entw. der Rippenq. — H. Fol. 1. c. p. 4.
2) Die Larven schwammen ein paar Tage umher und setzten sich dann an den
Gräsern fest. Weiter habe ich sie nicht verfolgt.
8) Die Abbildung die Allman (a monograph of the gymnoblastic hydroyds,
p. i8) von dieser Art giebt ist ganz kenntlich. Dieser Forscher hat aber die 4 Aus-
buchtungen, welche die Schirmhöhle zwischen denRadittrcanftlen nach oben bildet,
für Höcker gehalten , welche dem Schirme ünsserltch , an der Basis des conischen
Fortsatzes aufsitzen sollten , und als solche abgebildet. Der conische Fortsatz ist
auch bei frischen, wohlerhaltenen Individuen mehr entwickelt als auf der besproche-
nen Figur. Halt man einige dieser Thiere in einem Glase p' o fressen
Bd. vn. 4.
488 Uerouino Fo)»
Thaumantias Mediterranea ^] (Forbes) und bei Nausithoe atbida^) in
Messina Consta tirt.
Fast übereinstimmend siod noch Allhan's S) Beobachtungen ttber
Laomedea flexuosa und andere Gymnoblasten Hydroiden , und Rowa—
lewsky's^) Angaben über die Entwickelung der Campanularia aus Eu-
cope, Metsohnhioff ^] scheint auch diese Entstehungsweise der beiden
Gewebe bei Gunina und Aeginopsis mediterranea beobachtet zu haben,
seine Beschreibung ist aber, gerade über diesen Punot, nicht aus-
drücklich.
F. E. Schulze ^) ISsst auch bei der Cordylophora lacustris die Ku-
geln des gefurchten Eies sich in zwei concentrischen Schichten anordnen.
Kleinenberg "^j endlich spricht bei Hydra von einer Differenzirung
der Keimanlage in zwei Zellenschichten und hat ebensowenig wie Mst-
SGHNiKOPF eine Entstehung dieser Blatter durch Einstülpung gesehen.
Ganz entgegengesetzt lauten dagegen Kowaleswky's Beobachtungen
über Pelagia und Actinia. Bei beiden soll das Entoderm durch Einstül-
pung entstehen. Die Entwickelung der Pelagia habe ich einmal, obwohl
sehr lückenhaft, beobachtet. Ich kann nur so viel sagen, dass jene
grossen Einstülpungen , welche die Anlage noch vor ihrem Austritt aus
den EihüUen zeigt, ganz unregelmässige und inconstante Faltungen sind,
welche aus dem beträchtlichen Missverh^ltniss zwischen Larve und Ei-
hüUen entstehen. Sie verschwinden auch vollständig, sobald die Larve
aus ihrer Hülle getreten ist. Später habe ich eine kleine innere Blase
beobachtet, welche mit dem Ectoderm an einem Pole zusammenhing.
Dort war auch bereits die Munddffnung durchgebrochen. Wie entsteht
nun diese innere Blase? Die Frage verdient jedenfalls eine erneuerte
Prüfung. Die Entwickelung der Actinien ist mir ganz unbekannt und die
sie sich jenen Fortsatz gegenseitig ab , und bleiben bei dieser Procedur natürlich
verstünamelt. Ein solches verstümmeltes Exemplar scheint Allman abgebildet zu
haben.
1) Die Larven setzten sich allmälig am Boden desGlase« fest. Das Glas wurde
nun bedeckt und als ich drei Wochen spfiter nachsah fand sich überall eine Menge
kleiner Hydroidpolypen mit glasiger Röhre an ihrer Basis.
2) Die Larven derNausithoe schwimmen wochenlang umher ohne andere Ver-
ttndetiingen zu erleiden als die Bildungen von Nesselzellen in ihrem Ectoderm.
Hierauf gingen mir stets alle zu Grunde.
ft) I.e. p. 85.
4) Untersuchungen über die Entwickelung der Coelenteraten. Vorl. Mitthellg.
in Göttinger Nachrichten.
5) In Bulletins Acad. St. P^tersbourg 4870. p 98.
6) Ueber den Bau und die Entwickelung von Cordylophora lacustris. Leip-
zig 4874.
7) Hydra, eine anat. entwick. Untersuchung. Leipzig 487i.
Die erste EntwickeloQg dei Geryonideiieles, 489
Frage von der Entstehung der beiden Keimblätter ist leider von Ljicazb
DcTHiras nicht einmal berührt worden.
Was nun die anderen Goelenteratengruppen betrifft, so sind hier
positive Angaben noch spHr)icher. Ueber Röhrenquallen besitzen wir
nur die kurze aphoristische Not^z Kowalbwsky^s über die Entwickelung
von Agalma rubrum , welche auf eine Spaltung der primitiven Zellen-
kugel in Ento- und Ectoderm hindeutet. Femer Habckbl^s Beoba^^htun-
gon , welcher zwei Formen der Entwickelung bei den Siphonophoren
annimmt. Bei der einen Form (Physophora) zerfallt das ganze Ei in
drei Zellschichten, einem Ectoderm, einem wirklichen äusseren Entoderm
und einem inneren Entoderm der als Nahrungsdotier fungiren soll.
Bei der zweiten Form (Crystallodes, Athorybia) findet diese Trennung
erst viel später statt. Bei beiden Formen geht dieser Spaltung eine
locale Spaltung am aboralen Pole voran und aus dem so gebildeten
localen Ecto- und Entoderm gehen alle Haupttheile des späteren Thie-
res hervor; während die Hauptmasse des Eies in der Regel (1. Form]
oder nur unter bestimmten Umständen (2. Form) zu einem Ernährungs-
thiere wird; wobei die I.Schicht zum Ectoderm, die 2. zum Entoderm,
die innerste zum Nahrungsdotier der Larve wird. Letztere zieht sich im
obersten Theile der verdauenden Höhle zurück. Ueber die Art und
Weise, wie diese Spaltungen zu Stande kommen , giebt Habckel keine
Auskunft. Vergleicht man aber seine Schilderung von den »amoeben-
artigen Bewegungen« der Furchungskugeln am 4. und 2. Tage, mit den
Furchungserscheinungen bei Geryonia , so wird es einem höchst wahr-
scheinlich vorkommen, dass Habckel statt amoebenartiger Bewegungen
weiter nichts vor sich hatte, als einen Furchungsprocess, den die richtige
Anwendung von Reagentien ihm sofort klar gemacht hätte.
Mbtschnikopp giebt an, das frische Ei der Siphonophoren sei zwei-
schichtig , und unterscheidet wie Habckbl 2 Typen , je nachdem die
Spaltung zuerst nur an einer bet/stimmten Stelle oder auf der ganzen
Oberfläche zugleich stattfindet. Ueber die Art und Weise dieser Spal-
tung, sowie über die späteren Schicksale der hierdurch entstandenen
Blätter geht Mbtschnikoff stillschweigend hinweg.
Die Rippenquallen endlich zeigen ebenfalls eine Bildung von zwei
Keimblättern , deren Aeusseres die Epidermis und das Magengewebe
abgiebt, während das innere die Wandungen des Trichters und der
Canäle zu bilden scheint. Kowalbwsky*s Annahme, dass das äussere
Blatt den Trichter und die Canäle bekleide, muss ich auf Grund neuerer
Untersuchungen in Zweifel stellen.
Die Hehrzahl also der Beobachter lässt bei Coelenteraten die beiden
Keimblätter durch Spaltung statt einer Einstülpung hervorgehen. Der
81 •
490 Hermann Fol,
Gegenstand ist jedenfalls wichtig genug, um neuere Untersuchungen zu
verdienen, welche auch auf die Spongien ausgedehnt werden sollten.
Ich will mich aber nicht in allgemeine Betrachtungen Ober die Ho-
mologien in der Entwickelung der Coelenteraten und der höheren Tbiere
einlassen , zumal die thatsächliche Grundlage zu solchen Deductionen
noch fehlt, und da wir ausserdem keinen allgemeinen Gesichtspunct ge-
wonnen haben, von wo aus wir die Entwickelung von Eiern mit totaler
und mit partieller Furchung untereinanber vergleichen könnten.
Erklining der Tafeln.
Tafel XXIV.
Fig. f . Das reife und befruchtete Ei der Geryonia fungiformis mit Spermatozoen,
welche in der Schleimhülle stecken. Lebendig abgebildet. Vergrösse-
rung 450.
Fig. 9. Die Anlage nach der ersten Furchung, mit Essigsäure im Augenblicke ge-
tödtet, wo die zweite Furchung beginnt und die früheren Keimbläschen
ohne Reagentien schon nicht mehr sichtbar sind. Vergr. 150.
Fig. 8. Dieselbe nach der zweiten Furchung , die Falten der Eihaut {[) und die
linsenförmigen Vacuolen [g) zeigend. Lebendig abgebildet. Vergr. 150.
Fig. 4. Dieselbe während des Vorganges der vierten Furchung, lebendig abgebil*
det -^ a, ßf y und <f sind die vier Zellen , welche aus einer Zelle des Sta-
dium Fig. 3 , und zwar aus der oberen rechten Zelle jener Figur hervor-
gegangen sind. Vergr. 150.
Fig. 5. Dieselbe Anlage nach der vierten Furchung, also aus 16 Zellen bestehend»
die BABR'sche Höhle (es) zeigend, lebendig abgebildet. Vergr. 150.
Fig. 6. Dieselbe nach der fünften Furchung, also aus 83 Zellen zusammengesetzt.
Vergr. 150.
Fig. 7. Die Anlage nach der sechsten Furcbung mit Essigsäure behandelt; im op-
tischen Querschnitt gezeichnet. Es besteht dieselbe aus 82 jgrossen (r),
und 32 kleinen Zellen [q), zusammen 64 Zellen. Vergr. 150.
Fig 8. Die Anlage nach der sechsten Furchung von der Oberfläche gesehen , le-
bendig gezeichnet. Vergr. 150.
Fig. 9. Die Anlage in der siebenten Furchung begriffen , wobei sich die beiden
Zeilenschichten gänzlich von einander abtrennen. Vergr. 75.
Fig. 10. Eine Zelle aus dem Stadium Fig. 6 mit Essigsäure behandelt. Im optischen
Querschnitt dargestellt. Vergr. 200.
Fig. 1 1 . Eine Zelle am Anfange der sechsten Furchung mit Essigsäure getödtel.
Im optischen Querschnitt gesehen. Vergr. 200.
Fig. 12. Die Anlage am Anfange der siebenten Fnrchung von der Oberfläche ge*
sehen. Man bemerkt ausser den Oberflächenzellen, die durch die vorige
Furchung entstanden sind (9), noch andere Oberflächen-Zellen, die im Ent-
stehen begriffen sind {q') und grosse Zellen, welche noch nicht angefangen
haben sich zu spalten. Lebendig abgebildet. Vergr. 90.
Die erste Entwicklung des Geryonideneies. 491
Fig. 43. Die Anlage gegen das Ende der siebenten Furchang , wobei noch einige
Brücken (i) zwischen den Ectoderm«- und Bntodermzellen bestehen; leben-
dig Im optischen Querschnitt dargestellt. Vergr. 75.
Fig. 44. Die Anlage nach Vollendung der siebenten Furchung, lebendig, im opti-
schen Querschnitt gezeichnet. Vergr. 90.
Fig. 45. Die Anlage 14 Stunden nach der Befruchtung. Die Ecto- und Entoderm-
zelten sind vermehrt; zwischen beiden befindet sich die Gallerte (y). Mit
Essigsäure behandelt. Vergr. 450.
Tafel
Fig. 46. Die Anlage 80 Stunden nach der Befruchtung. Lebendig dargestellt.
Vergr. 50.
Fig. 47. Die Anlage etwa 40 Stunden nach der Befruchtimg. Spttrliche, feine, lange
Wimpern sind schon sichtbar, welche die Larve langsam fortbewegen.
Diese Wimpern sind auf der Tafel weggelassen , da es nicht möglich war
dieselben auf so geringer Scala richtig darzustellen. Nach dem Leben ge-
zeichnet. Vergr. 50.
Fig. 48. Der orale Pol der Larve, 8 Tage und 40 Stunden nach der Befruchtung des
Eies. In der Profliansicht , mit dem pflasterepithelartigen Ectoderm {Ec),
dem eingestülpten Entoderm (J?fi) , und der oralen Ectodermscheibe [k],
nach Essigsäurebehandlung dargestellt. Vergr. 450.
Fig. 49. Der orale Pol einer 6V2 Tage alten Larve (von der Befruchtung an gerech-
net). Von unten gesehen, mit dem offenen Munde {l), welcher iq das ca-
vum der Entodermkugel führt; dem Randwulste (m) und den ersten Fang-
armen (r). Mit Essigsäure behandelt. Vergrdsserung 4 50.
Fig. SO. Der orale Pol ^iner etwas weiter ausgebildeten , mit dem MüLLSR'schen
Netze im Meere gefangenen Larve , von unten und etwas von der Seite be-
trachtet. Die Mundlippen {l) stehen weit offen und lassen in den Magen (t)
schauen ; das Segel (t;) steht ebenfalls offen ; die Fangarme (t) sind nach
innen gebogen. Die Schirmhöhle (cti) ist bereits recht deutlich zu sehen.
Vom Leben gezeichnet. Vergrösserung 50.
Fig. S4. Der orale Pol, im selben Stadium wie Fig. 20 ; mit Essigsäure behandelt.
Von der Seite gesehen und im optischen Querschnitt dargestellt. Die
* Theile sind ohngefähr in derselben Lage wie auf der vorigen Figur,
Vergr. 50.
Fig. tf. Etwas ältere Larve mit geschlossenen Mundlippen (/), zusammengezogenem
Schirmrande (m) und tiefer Schirmhöhle {cu). Von unten und etwas von
der Seite am lebendigen Thiere gezeichnet. Vergr. 50.
Fig* 98. Aeltere Larve von unten gesehen , mit zusammengezogenen Lippen und
Schirmrand, und weit ausgestreckten Fangarmen , mit welchen die Larve
ruckweise das Wasser schlägt. Lebendig. Vergr. 50.
Fig. 94. Weiteres Stadium. Die Larve von der Seite betrachtet, mit retrahirten
Fangarmen. Einige Nesselfäden («) sind ausgestreckt; der Magen ist leer.
Mit Essigsäure behandelt. Vergr. 50.
Fig. 95. Aelteste Larve , welche ihre Wimpern bereits verloren hat und mit dem
' Segel schwimmt. Die Schirmhöhle {cu) ist tief und geräumig , die Anlage
der Sinnesorgane (<'} zeigt sich schon am Scbirmrande. Lebendig darge-
stellt. Vergr. 50.
492 Hermann Fol, Die erste Eniwickelnug des Geryonideneies.
Die Buchstaben sind dieselben für alle Figoren, nämlich :
a — Endoplasma
b — Ectoplasroa
c — Eihaut
d — EihüUe
f — Falten der Eihaut
n — der Kern
g — Vacuolen zwischen den Zellen
h — um die Anziehungsmittelpuncte herum wie Sternstrahlen angeordnete Proto-
plasma pü nctchen
i — die Substanz-Brücken, welche zwischen den Zellen 7. und 8. Generation am
Ende der 7. Furcbung eine Zeit lang bestehen
CS — Furchungs- oder BASn'sche Höhle
Ec — Ectoderm
En — Entoderm
q ~ kleine Zellen 7. Generation nach der 6. Furchung
r — grosse Zellen 7. Generation nach der 6. Furchung
3 — geisseiförmiger Fortsatz der Fangarme
k — verdickte, orale Ectodermscheibe
{ — Mundlippen
m — Schirmrand
s — Magen
I — Fangarme
u — Nesselzellen
\j — Segel
y — Schirmgallerte
% — solider zelliger Achsenstrang (sogenannter Knorpel) der Fangarme
cu — Schirmhöhle.
Bemerkung: Sämmtliche Zeichnungen sind sorgfältig mit der Camera ent-
worfen, und die Vergrösserungen sind jedesmal genau controlirt worden , so dass
der Leser leicht, mit Hülfe des Zirkels, auf den Figm*en die Masse auffinden kann,
die ich etwa vergessen hätte im Texte anzugeben.
Bis zur Fig. 49 (inclusive) , sind alle Zeichnungen nach Eiern und Larven ge-
macht, die in meinen Aquarien gelegt wurden, und die ich daselbst gross zog. Fig.
4 bis 6 und Fig. 8 sind nach einem und demselben Eie in unverrückter Stellung
entworfen.
Von der Fig. 20 an dienten als Objecto ältere Larven , die ich im Meere mit
dem MüLLER'schen Netze in ziemlicher Menge fing.
Untersnchnng über 8aaerstoiß*eiche
Kohlenstoffsänren«
Von
A. Geather.
Vor nunmehr fünf Jahren wurde die erste Abhandlung über diesen
Gegenstand veröfifentlicht ^) . Es war dies die Abhandlung Riehanii's
über die Einwirkung der conc. Salzsäure auf Weinsäure und Trauben-
stture in höherer Temperatur. Damals habe ich erwähnt, dass auch
Versuche in gleicher Richtung mit der Citronensäure unternommen wor-
den seien, welche zur Eenntniss zweier neuer Säuren von der Zusam-
mensetzung: C^^E^^^ und C^H^^^O« geführt hätten. Die nähere Unter-
suchung dieses Vorgangs durch Herrn Dr. O. Hbegt, welche im Folgen-
den niedergelegt ist, zeigt, dass nur die letztere Säure als Zersetzungs-
product auftritt, die erstere dagegen sich als unreine und modificirte
Citronensäure ergeben hat.
II. Abhandlung.
Ueber die Einwirkung von conc. Chlorwasserstoffsäure
auf Citronensäure in höheren Temperaturen.
Von Dr. Otto Hergt.
Je nach der Temperatur, bei welcher die Einwirkung der Salzsäure
auf Citronensäure stattfindet, sind die Producte, welche resultiren, ver-
schieden. Bei einer Temperatur unter 1 40^ löst sich die Citronensäure
in der Salzsäure, indem dabei keine, oder nur eine unwesentliche Zer-
setzung stattfindet. Beim höheren Erhitzen haben wir folgende zwei
Phasen der Einwirkung zu unterscheiden :
4) Dies« 7
494 A. Geuther,
1) Die Bildung von Aconitsäure unter Austritt von Wasser beim
Erhitzen auf 4 40*^ bis 1 50° C.
2] Die Bildung von Diconsäure, einer neuen Säure von der Zu-
sammensetzung G^H^^O^y unter gleichzeitiger Entwickelung von Koblen-
säure und Kohlenoxyd, beim Erhitzen auf 190° bis 200° C.
Ausführung der Versuche.
Gepulverte Citronensäure wird in Bohren (am besten von schwer
schmelzbarem böhmischen Glas) mit etwa dem 3 bis ifachen Volumen
conc. Salzsäure eingeschlossen. Dm das Zerspringen der Röhren beim
Erhitzen auf höhere Temperaturen zu vermeiden, ist es rathsam, zu einer
jedesmaligen Zersetzung nur ungefähr 3 bis 4 gr. Citronensäure anzu-
wenden, und die Röhren so lang zu machen, dass sie nur zu Vs ibres
Inhaltes vom Gemisch erfüllt werden. Ferner muss man das Erhitzen
der Röhren etwa alle zwei Stunden unterbrechen, um durch vorsichtiges
Oeflnen derselben die gebildeten Gase entfernen zu können.
I. Die Einwirkung beim Erhitzen auf U0° bis 150° C.
Erhitzt man Citronensäure, wie oben angegeben, mit Salzsäure auf
4 40° C, so scheidet die Anfangs farblose Flüssigkeit schon nach dem
ersten Oefifnen beim Erkalten einen festen Körper aus, der seinem
Aeusseren nach wenig Aehnlichkeit mit Citronensäure hat. In den Röhren
zeigt sich ein schwacher Druck, der von einer bei dieser Temperatur
nebensächlichen und weiter unten zu besprechenden Zersetzung, wobei
sich Kohlensäure und Kohlenoxyd bildet, herrührt. — Nach etwa zwei-*
mal zweistündigem Erhitzen ist die grösste Hälfte der Citronensäure in
die sich ausscheidende Aconitsäure übergeführt, während ^fioch eine
dickflüssige syrupförmige Säure in der salzsauren Lösung bleibt. 13m
nun diese beiden Säuren zu trennen und ihre Existenz analytisch zu be-
weisen, wird der in ein Schälchen entleerte Röhreninhalt auf dem Was-
serbade möglichst eingedampft, und hierauf mit conc. Salzsäure, in
welcher nur die syrupförmige Säure löslich ist, behandelt, und durch
Asbest filtrirt. Zur weiteren Reinigung wird sowohl mit der zurück-
bleibenden Aconitsäure als auch mit der durchgelaufenen Lösung die-
selbe Operation wiederholt. Bevor die so erhaltene Aconitsäure einer
Analyse unterworfen wurde, wurde sie, um sie von noch etwa anhaften-
der Citronensäure zu trennen, mit einer zur Lösung nicht ganz zurei-
chenden Menge von Aether (worin Citronensäure schwer löslich ist) aus-
gezogen. Eine KohlenstoiT- und Wasserstoffbestimmung von aus dieser
ätherischen Lösung erhaltenen Säure ergab folgende Zahlen :
0,27U gr. bei 4 40° getr. Säure lieferten 0,4U9 gr. CO^ entspre-
CntersuchuDg über s&uerstoffreiche Kohlenstoffs&aren. 495
chend 0,4432 gr. = 44,7^ C und 0,0942 gr. 0H2 entspr. 0,0405 gr.=
3,8X H.
. ber. gef.
^ C« 44,4 44,7
H6 3,4 3,8
0« 55,2 —
Diese gefundenen Zahlen stimmen nicht genau mit den aus der
Formel berechneten ttberein. Die Differenz mag wohl daher kommen,
dass entweder die Aconitsäure durch eine kleine Menge eines höheren
Zersetzungsproductes verunreinigt, oder dass der zum Ausziehen
benutzte Aether etwas alkoholhaltig war und sich in Folge dessen eine
geringe Menge Aetheraconitsäure gebildet hatte. Um exactere Resultate
zu erzielen, wurde die Säure mit Barytwasser neutralisirt, und das beim
Eindampfen sich zuerst ausscheidende Baryumsalz analysirt.
0,2928 gr. lufttrocknes Salz wog nach dem Trocknen über Schwe-
felsäure 0,2800 gr. und nach dem Trocknen bei 275° 0,2553 gr. Der
Gesammtwasserverlust beträgt mithin 0,0375 gr. == 42,8^ (3 Mgt.
Krystallwasser entspr. 42,5^). Der Wasserverlust der über Schwefel-
säure getrockneten Substanz beträgt 0,0247 gr. = 8,8 j|^ (2 Mgt. Kry*
Stallwasser entspr. 8,7^). Zur Baryumbestimmung wurde das Salz
durch Glühen in CO^Ba^ übergeführt. Es blieben zurück 0,2004 gr.
C0»Ba2 entspr. 0,4392 gr. = 54,5)^ Ba (die Formel C^H^BaH)« verlangt
54,6^].
Schon früher wurden, wie oben mitgetheilt, im hiesigen Labora-
torium von Gruno Versuche über diesen Gegenstand angestellt. Auch er
fand, dass als erstes Product der Einwirkung von Salzsäure auf Citronen-
säureAconitsäure auftrete. Er führte dieselbe \n das Silbersalz über^ des*
sen Beschreibung zur weiteren Bestätigung meiner Angaben folgen möge.
Neutralisirt man die auf obige Weise erhaltene Aconitsäure genau
mit Natrium-Carbonat, und versetzt sie nach dem Austreiben der Koh-
lensäure in der Kälte mit Argen ti- Nitrat, so entsteht ein weisser, käsiger,
in Wasser fast unlöslicher Niederschlag, der sich am Lichte terbt, und
nach einiger Zeit eine krystallinische Structur annimmt. Beim schnellen
Erhitzen zersetzt er sich explosionsartig, unter Entwickelung brauner
Dämpfe und Hinterlassung von wurmförmigem Kohlensilber. Er ent-
hält kein Krystallwasser.
4. 0,3289 gr. bei 400^ getr. Salz lieferte 0,2867 gr. AgCl^ ent-
sprechend 0,2458 gr. = 65,6^ Ag.
2. 0,4464 grr bei 400*^ getr. Salz gaben 0,3876 gr. AgCP entspr.
0,2947 gr. =65,4)^ Ag.
Die Formel (C«H30»)Ug3 verlangt 65,5>^ Ag.
496 A* Genther,
Die Thatsache der Aconitsaurebildung lässt sich übrigens recht gut
mit den Beobachtungen von Dessaignbs und M. Mbrcabantb vereinigen.
Jener bemerkte^}, dass beim mehrstündigen Erhitzen von GitroDen*
säure mit Salzsäure die erstere theilweise in AconitsHure übergeführt
wird. Ebenso erhielt M. Mbrgadantb ^) beim Kochen von GitronensSlure
mit Bromwasserstoff vom Siedepunct 4 26^, wenn auch nur geringe Mengen
von Aconitsäure. Uebrigens beobachtete Dessaignbs'} schon beim
400stündigen Kochen einer conc. wässrigen Lösung von Citronensäure
die Bildung von etwas Aconitsäure neben einer nicht näher beschrie-
benen flüchtigen Säure.
Neben der Aconitsäure bildet sich, wie oben angegeben, noch eine
syrupförmige Säure, welche nach dem Eindampfen der salzsauren Lö-
sung zurückbleibt, und welcher in der ersten Mittheilung ^], gestützt
auf Resultate, welche Grvnd erhalten hatte, die Formel G^^H^^® zuge-
schrieben worden ist. Um diese Säure rein zu gewinnen, wurde die,
durch Eindampfen auf dem Wasserbade möglichst von Salzsäure befreite
wässnge Lösung derselben mit Natrium-Garbonat neutralisirt und hier-
auf zunächst mit^wenig Baryum-Ghlorid versetzt^ um so das sich zuerst
bildende schwer lösliche aconitsäure Baryum und das durch einen et-
waigen Ueberschuss von Natriumcarbonat entstehende Baryumcarbonal
zu entfernen. Hierauf wurde die vom Niederschlag getrennte Flüssig-
keit mit einer zur Bildung des Baryumsalzes sicher zureichenden Menge
von Baryum-Chlorid versetzt. Ist die Lösung sehr verdünnt, so scheidet
sich das Baryumsalz erst beim Eindampfen in Form einer zarten Krj^-
stallhaut ab. Ist die Lösung concentrirter, so entsteht schon in der Kälte
ein voluminöser Niederschlag, der beim Erhitzen krystallinisch wird.
Das ausgeschiedene Baryumsalz wurde auf dem Filter gesammelt und
durch sorgfältiges Auswaschen vom anhaftenden Chlornatrium voll-
ständig befreit. Die Analyse der zwei ersten Krystallisationen ergab
folgende Zahlen :
4. 0,9003 gr. lufttrocknes Salz wog nach dem Trocknen bei 4 40°
0, 4 860 gr. Der Wasserverlust beträgt 0,04 43 gr. = 7, 4 ^ . Die blei-
benden 0,4860 gr. ergaben 0,4684 gr. SO^Ba^ entspr. 0,0934 gr. =
50,4^ Ba. —Ferner lieferten 0,4866 gr. bei 440° getrocknetes Salz
bei der Verbrennung 0,0952 gr. CO* entspr. 0,0260 gr. = 44,0^ C
und 0,0342 gr. OH* entspr. 0,0034 gr.^= 4,8^H. Nun halten die
50,4 ji^ Ba, welche beim Verbrennen als GO^Ba* nicht weiter verändert
i) Cbem. Jahrber. 4856, p. 468.
«) I. p.XIhem. N. F. 3, p. 356.
3) Cbem. Centralblatt 4864, p. 850.
4) Diese Zeitscbrift IV, p. 189.
Untersnehang Aber sanerstof reich« KohlenstoffsSuren.
497
werden, zurück 4,4^ G. Mithin beträgt die Gesammtmenge des Koh-
lenstoffs 48,4)1^.
Zar Gontrole wurdemit demselben Salze noch eine zweite Elementar-
analyse ausgeführt. Die Verbrennung von 0,94^ gr. bei 140^getr. Salz
ergab 0,0333 gr. OH^ entpsr. 0,0037 gr. =4,7^ H und 0,4087 gr. CO^
entspr. 0,0296 gr.=43,9^C.Dazukommendie 4, 4)i^CwelcheanBaryum
gebunden zurückbleiben. Der Gesammtkohlenstoffbetrttgt mithin 48,3)|^.
2. 0,2450 gr. lufttrocknes Salz wog nach dem Trocknen bei 4 40®
0,2046 gr. und ergab 0.4722 gr. SO^Ba^ entsprechend 0,4042 gr. =
50,2)1? Ba. Der Wasserverlust beträgt 0,0434 gr. = 6,2^.
Die Mutterlauge von der zweiten Krystallisation wurde mit Salzsäure
zur Trockne verdampft und die aus dem Gemisch von BaCI und freier
Säure mit Aether ausgezogene Säure mit BaOH neuträlisirt und das hier-
durch erhaltene Baryumsalz analysirt:
3. 0,1570 gr. lufttrocknes Salz wog nach dem Trocknen bei 440°
0,4 465 gr. und er^ab 0,1268 gr. S0*Ba2, entspr. 0,0744 gr. = 50,7^
Ba. Der Wasserverlust beträgt 0,0405 gr. = 6,7^.
Zur Verbrennung wurden angewandt 0^2435 gr. lufltrockne Sub-
stanz. Sie verlor beim Trocknen bei 4 40° 0,0442 gr. == 6,6^ Wasser.
Die rückständigen 0,4993 gr. lieferten 0,0298 gr OH^, entsprechend
0,0033 gr. = 4,7)1? H und 0,4040 gr. CO^ entspr. 0,0275 gr. = 43,8)^
C. Dazukommen noch die 4,4)i? C welche vom Baryum zurückgehalten
werden. Der Gesammtkohlenstoff beträgt mithin 81 ,2)^.
Endlich wurde noch die bei einer zweiten Einwirkung von Salz-
säure auf Gitronensäure erhaltene syi*upförmige Säure in das Baryumsalz
übergeführt, und das letztere analysirt :
4. 0,2008 gr. lufttrocknes Salz wog nach dem Trocknen bei 440°
0,4859 gr. und gab 0,4640 gr. SO^Ba^ entspr. 0,0946 gr. =50,9)^Ba.
Der Wasserverlust beträgt 0,04 49 gr. = 7,4^.
Für alle diese Analysen, die ziemlach untereinander übereinstimmen,
lässt.sich keine einfache Formel finden. Am nächsten passen die Zahlen,
wie es folgende Zusammenstellung zeigt auf die Formel C'^H^Ba^^
ber.
gef.
4
4*
H*
Ba2
0»
4,5
50,9
29,7
4,8
50,4
T8;3
^,7
2.
3.
50,2
50,7
4.
50,9
Die Formel C^H*BaH)* unterscheidet sich nun, wie aus folgender
Gleichung hervorgeht, von der Formel des Baryumsalzes der Gilnmen-
498 A. Genther,
säure (G^H^Ba^O'^} nur durch einen geringen Wassergehalt, denn
3 C4H4Ba20* = 2 C^H^BaSO^ + OH«.
Es führte dies sowohl, als auch der Umstand, dass citronensaures
Baryum sein Krystallwasser erst etwa bei 200° vollständig verliert, zur
Yermuthung, dass das analysirte Salz weiter nichts als unreines ci-
tronensaures Baryum sei, welches noch eine gewisse Wassermenge ent-
hielt. Um dies nachzuweisen wurde das erhaltene Baryumsalz durch
mehrmaliges Umkrystallisiren gereinigt und hierauf analysirt.
0,2734 gr. lufttrocknes Salz wog nach dem Trocknen bei 34 0^
0,2496 gr. und ergab 0,2206 gr. SO^Ba« entspr. 0,1297 gr. = 52,0^
Ba. (Ftlr citronensaures Baryum = C^H^Ba^O' berechnen sich 52,4^
Ba.) Der Wasserverlust betragt 0,0238 gr. = 8,7^.
Eine zweite Portion des umkrystallisirten Baryumsalzes ergab bei
der Analyse folgende Zahlen :
0,5247 gr. lufttrocknes Salz wog nach dem Trocknen Ober Schwe-
felsäure 0,5458 gr. und nach dem Trocknen bei 210^0,4777 gr. Es
verlor mithin das lufttrockne Salz 9,0^ und das über Schwefelsäure
getrocknete 7,6^ Wasser. Die Baryumbestimmung ergab 0,4229 gr.
SO^Ba«, entspr. 0,2487 gr. =52,1^ Ba.
Zur Elementaranalyse wurden verwendet 0,2710 gr. lufttrocknes
Salz. Nach dem Trocknen bei 210® blieben 0,2491 gr. (Wasserverlust
8,8^). Diese gaben 0,0342 gr. OH^, entspr. 0,0038 gr. = 1,5^ H
uiid 0,1227 gr. CO^ entspr. 0,0335 gr. = 13,44^ C. Dazu kommen
4,56^ C welche von den 52,1^ Baryum zurückgehalten werden. Es
beträgt mithin die Gesammtmenge des Kohlenstoffs 18,0)|^.
Die gefundenen analytischen Resultate stimmen, wie folgende Zu-
sammenstellung zeigt, ziemlich genau mit den für citronensaures Baryum
berechneten Zahlen überein
ber. gef.
C« 18,2 18,0
H» 1,3 1,5
Ba» 52,1 52,1
0^ 28,4 —
Was den Krystallwassergehalt des analysirten Baryumsalzes an-
langt, so entspricht derselbe einem Gemenge der beiden von H. KXMMBRBft ^]
beschriebenen Salze 2G«H*Ba3074-50H2 (enthält 10,2)1^ Krystallwasser)
und 4C«H'iBa30'-H70H2 (enth. 7,4^ Krystallwasser).
Um die vollständige Identität dieser syrupförmigen Säure mit der
gewöhnlichen Citronensäure nachzuweisen , blieb nur noch übrig zu
1) Ann. Gh. Phm. 448, p. 296.
Untersuebong Ober sanerstoiTrelcbe Koblenstoffsioren. 499
zeigen, dass dieselbe mit Salzsäure erhitzt ebenfalls in AeonitsSure über-
geht. Es wurde daher solche aus dem Baryumsalz durch Salzsäure ab-
geschiedene, mit Aether ausgezogene, und von letzterem wiederum
durch längeres Erhitzen auf dem Wasserbade vollständig befreite Säure
in Röhren mit Salzsäure eingeschlossen und auf 140° erhitzt. Schon
nach einer etwa Y2S^^"<1>S^'^ Einwirkung musste dieselbe, da die eine
Röhre explodirte, unterbrochen werden. Die kaffeebraune Lösung in
den noch übrigen Röhren blieb beim Erkalten klar. Wohl aber Hess
sich auf derselben eine etwa 2"" hohe , leicht bewegliche Flüssigkeits-
schicht erkennen. Nach dem Oeffhen, wobei sich nur schwacher Druck
zeigte, entwich ein mit grün gesäumter Flamme brennendes Gas, und
im selben Masse nahm die leichte Flüssigkeitsschicht ab. Beim Abküh-
len der Röhre in kaltem Wasser hörte die Gasentwickelung auf, und es
war keine Abnahme der leichten Flüssigkeit mehr zu bemerken. Die
Gasentwickelung rührte also von dieser schon bei niederer Temperatur
siedenden Flüssigkeit her, die wir ihrem Verhallen nach als Ghloräthyl
erkennen können. Da nun ein gleiches Auftreten von Chloräthyl beim
Erhitzen von solcher syrupförmiger Citronensäurc, die nur durch Salz-
säure von der gebildeten Aconitsäure getrennt, also nicht mit Aether
behandelt war, nicht wahrgenommen werden konnte, so ist anzunehmen,
dass in Folge eines geringen Alkoholgehaltes des zum Ausziehen der
Säure benutzten Aethers, sich etwas Aethercitronensäure gebildet hat,
welche sich beim Erhitzen mit Salzsäure in Citronensäure und Chlor-
äthyl verwandelte. Aus dem Umstände, dass sich unter den angegebenen
Bedingungen Aethercitronensäure bilden kann , ist wohl auch zu erklä-
ren, dass diese syrupförmige Säure, wie oben angegeben, für eine neue
Säure der Zusammensetzung C^^Ü^^O^ gehalten wurde, denn in derThat
war zur Analyse solche aus ätherischer Lösung erhaltene Säure ver-
wendet worden. Der Röhreninhalt wurde nun durch Erhitzen im Was-
serbade von dem gebildeten Chloräthyl befreit, und hierauf abermals
auf 140° erhitzt. Es bildete sich wieder eine kleine Menge von Chlor-
äthyl; beim Erkalten schied sich aber ein fester Körperbaus, der leicht
als Aconitsäure erkannt werden konnte.
Wenn auch die angeführten Thatsachen kaum einen Zweifel übrig
lassen, dass wir es wirklich mit weiter nichts als mit Citronen-
säure zu thun haben, so ist doch immer merkwürdig, dass diese syrup-
förmige Säure nicht krystallinisch erhalten werden konnte. Nur bei der
mit Aether behandelten Säure ' ' ' durch einen geringen
Aethercitronensäuregehalt erklr ^ere, mit Salzsäure
erhitzte, aber nicht mit Aether iure war, nament-
lich wenn der Röhreninhalt e )mmen hatte, nicht
üntersnebnng Aber saoerstoffreiche Rohlenstoffsluren.
501
und namentKch zur Trennung von anhaftender Salzsäure, wird diese
erhaltene Diconsäure aus Wasser umkry^tallisirt. Die Säure hat, wie
Herr Prof. Gbuthbe schon früher mittheilte ^) , die Zusammensetzung
C»H^^O^. Diese Angabe sttltzt sich auf die Analysen von H. RiBMAiirc wel-
che hier folgen mögen :
4. 0,8339 gr. bei 410"^ gelr. Säure gab 0,4328 gr. CO^ entspr.
0,4180gr. =50,4^ C und 0,1049 gr.OH2entepr.0,0465gr.==4,9^H.
2, 0,4737 gr. bei 440° bis 442° geU-. Säure gab 0,3494 gr. CO»
entspr. 0,0874 gr. = 50,2)^ C und 0,0764 gr. OH^ entspr 0,0085 gr.
= 4,9 % H.
3. 0,2036 gr. 'trockne Säure gab 0,3772 gr. CO^, entspr. 0,4029
gr. == 50,5^ C und 0,094 4 gr. OH» entspr. 0,04 04 gr. = 4,9 <|^ H.
ber.
gef.
1. 1 2. J
3.
HIO
0«
50,5
4,7
44,8
ÜU,4
4,9
Ö0,SI
4,9
60,5
4,9
Die Bildungsgleichung dieser neuen Säure aus Gitronensäure ist
Citrs. Dicoiis.
2 C«H^7 = C^HioO» + 2 CO» -h CO + 3 OH».
Da die Diconsäure nicht direct aus Citronensäuro entsteht, sondern
diese erst durch Wasserverlust in Aconitsäure übergeführt wird, aus
welcher letzteren dann durch weitere Zersetzung unsere Säure hervor-
geht, ist es passender die obige Bildungsgleichung in folgende zwei zu
zerlegen :
C6H807 = C«H«0« + OH»
2 C«H«0« = C»Hioo6 + 2 CO» + CO + OH».
Dass diekrystallisirte Säure auch direct durchErhitzen von Aconit*
säure mit Salzsäure auf 200° erhalten werden kann, wurde durch be-
sondere Versuche nachgewiesen. Die Thatsache, dass sich unsere kry-
stallisirte Säure aus zwei Mischungsgewichten Aconitsäure bildet, ist
die Veranlassung gewesen, sie mit dem Namen Diconsäure zu be-
legen.
Um die in der salzsaut*en Lösung befindliche syrupfärmige Säure
näher zu untersuchen, ist es rathsam, die Lösung wieder auf dem Was-
serbade zur Vertreibung der Salzsäure zu verdampfen. Dabei scheiden
sich wieder Krystalle der Diconsäure aus. Um nun die Trennung mög-
lichst rasch zu bewerkstelligen, ist es am besten, da das Baryumsalz
der Diconsäure leicht, während das der syr»'" '^ ^ure schwer
4) Diese Zeitschrift IV, p. S89.
üiitersuehnng Ton sanerstofTr^ichentKohlenstoflsiloren. 503
Neuem in Röhren eingeschlossen und auf 140° erhitzt, wieder Aconit-
säure gab. Letztere konnte jedoch nur in kleinen Mengen, und nur
dann wahrgenommen werden , wenn verhUltnissm<Hssig viel Stiure an-
gewandt worden war. Wird allmälig höher bis auf 200° erhitzt, so
bilden sich unter ziemlich betrachtlicb<T Gasentwickelung neue Mengen
von Diconsifure. Die Zersetzung der Aconitsäure war also beim Er-
hitzen auf 300°, trotzdem die Gasentwickelung aufhörte, keine vollstän-
dige. Es liisst sich dies nur dadurch erklären, dass die bei der Zer-
setzung auftretenden Wassermengen (und es sind dies, da die käufl. Gi-
tronensäure noch i Mgt. Kryslallwasser enthielt, 21,i)|^ der angewandten
Substanz) die Salzsäure verdünnen und dadurch unfähig machen, noch
zersetzend einzuwirken. Denn durch fortgesetztes Erhitzen mit neuen
Mengen conc. Salzsäure kann alle syrupförmige Säure in Diconsäure
übergeftlhrt werden.
Die schwere Krystallisationsfähigkeit dieser syrupförmigen Säure
muss ebenso wie früher durch kleine Mengen beigemischter harzartiger
Zcrsetzungsproducte erklärt werden; die' letzteren sind es zugleich,
welche der Säure ihre braune Farbe ertbeilen.
Das Gas , welches bei der Zersetzung auftrat, erwies sich als aus
einem Gemisch von Kohlensäure und Kohlenoxyd bestehend. Dieerstere
wurde leicht daran erkannt , dass sie Kalkwasser trübte. Zur Nach-
weisung des Kohlenoxyds wurde aus dem über Wasser aufgefangenen
Gasgemenge die Kohlensäure durch Schütteln mit Natronlauge wegge*
nommen und das zurückbleibende Gas untersucht. Es brennt mit
schwach leuchtender blauer Flamme , und explodirt mit Luft gemengt
nicht, oder nur schwach (Unterschied vom WasserstofTj . Ferner gab
es, mit Kupferchlorür unter Absorption eine weisse Krystallhaut.
Die ungefähre quantitative Bestimmung des Verhältnisses in wel-
chem Kohlensäure und Kohlenoxyd bei der Zersetzung auftreten, wurde
in der Art ausgeführt, dass die fein ausgezogene Spitze der Röhre mit-
telst eines Kautschukschlauches mit einer Gasleitungsröbre verbunden
wurde. OeflBet man die Röhre durch vorsichtiges Abbrechen der Spitze
so kann das Gas in graduirten Cylindern über Wasser gesammelt
werden. Man erfahrt so zunächst die Menge des Gemisches von Koh-
lensäure und Kohlenoxyd und nach dem Schütteln mit Natronlauge
die Menge des Kohlenoxyds. Eine 4 gr. käufliche Citronensäure haltende
Röhre wurde zu diesem Zwecke stufenweise von 460° bis auf 495° er-
hitzt, und das ^ ^gcbener Weise gesammelt. Es wurden fol-
gende Zahlen
B4. vu. 4. IS
504
A. Geutber,
4 . Erhitzen auf 1 60° : 70««» CO* + CO
165°: 84««°»C02 + CO
170°: 34««"C02 4.CO
4 75°; 50««">CO2 + CO
1 80° : 1 84««" C02 + CO
485°: U4««*C02 + CO
190°: 102««™CO2 + CO
195°: 34««»C02 + CO
2.
>>
3.
97
4.
jy
5.
n
6.
j»
7.
jj
8.
7>
32««» CO.
34««"» CO.
1 accm CO.
1 8««» CO.
58««» CO.
48««» CO.
46««» CO.
1 3««» CO.
Summa : 702««» CO^ + CO ; 261««» CO.
Nun enthielt die Röhre noch ungefähr 24««» atmosphärische Luft,
welche beim Kohlenoxyd zurück blieben. Es waren also nach Abzug
dieser 24««» erhalten worden 678««» Gas, und dieses enthielt
444««» C02 entsprechend 0,874 gr.
237««» CO „ ,, 0,297 gr.
n
)»
678««»C02+CO „ „ 4.468 gr.
Die Entstehungsgleichung verlangt, dass sich auf 2 Mgte CO^ 1 Mgt
CO bildet, beide müssen also im Gewich tsverhältniss 88 : 28 d. i. nahe-
zu = 3 : 1 stehen und dem entspricht ein Volumverhültniss der GO^
zu CO von 2:4. Diesen der Formel nach berechneten Zahlen ent-
sprechen die gefundenen Mengen nahezu. Nur die erst erhaltenen Gas-
mengen scheiden einen zu grossen Kohlenoxydgehait zu ergeben; dies
rührt jedoch daher, dass die beiden ersten Portionen die Hauptmenge
der im Rohr enthaltenen atmosphärischen Luft, welche nach dem Wa-
schen mit Natronlauge natürlich beim CO zurückbleiben musste, ent-
hielt. Auch nach dem siebenten Mal Erhitzen wurde die Kohlenoxyd-
menge etwas zu gross gefunden. Hier hatte dies seinen Grund darin,
dass das Gasgemenge erst längere Zeit über Wasser gestanden hatte,
ehe die Ablesung vorgenommen wurde, und da5S in Folge dessen ein
Theii der CO^ bereits vom Wasser absorbirt worden war. Also auch
diese Gasbestimmungen sprechen dafür, dass ausser der Diconsäure keine
andere Säure entstanden ist.
HI. Die Diconsäure und ihre Salze.
Diconsäure = C^H^^oc Sie ist in Wasser, Alkohol und Aether
leicht löslich und scheidet sich aus diesen Lösungen in farblosen kleinen,
ziemlich gut ausgebildeten, wahrscheinlich dem monoklinen System an-
gehörigen Rrystallen aus. Sie schmilzt unter schwacher Bräunung bei
499'' bis 200^, f^ngt aber schon früher, etwa bei 190'' an ein Sublimat
an den kälteren Theilen des zur Schmelzpunctbestimmung angewandten
CntersDchong ?oo sanentoffreicben KohleostoflsUnren. 505
Böhrcheiifl tn Pomn farbloser, langer, säulenftfrmi^or, in Wasser schwer
löslicher Krystallo abzusetzen. Die Menge derselben war aber, troUdem
der Versuch mit etwa 0,6 Grni. wiederholt und die Temperatur allmälig
bis $60 ^ gesteigert wurde, doch zu gering, um sie n^her untersuchen
zu können. — Die Diconsiture reagirt stark sauer und treibt die Kohlen-
sKure leicht aus ihren Verbmdungen aus.
6a Ize.
Die freie Säure erzeugt blös mit öiner Lösung von ZinnchlorUr einen
weissen gelatinösen Niederschlag, ihre löslichen Salze werden gefdllt
durch Eisenchlorid, basisches Bleiacelat und Zinnchlorür.
Diconsaures Kalium = C^H^K^^ Wird erhalten, wenn man
neutrales diconsaures Baryum mit der zur vollständigen Umsetzung
nöthigen Menge schwefelsaurem Kaliutn versetzt. Ist in Wasser ein äus-
serst leicht lösliches, an feuchter Luft zerfliessliches Salz, das nur lang-
sam tlber 8chwef(*Isäure zur Trockne verdunstet. Beim Erhitzen auf
470° zersetzt es sich, indem es sich aufbläht.
Analyse: 0,1477 gr. über Schwefelsäure getrocknetes Salz wog
nach dem Trocknen bei 150° 0,4307 gr. und hinterliess nach dem Gltlhen
im Platihtiegel 0,i025 gr. CO^K^ entsprechend 0,1380 gr. = 32,3^
K^O. Der Wasserverlust beträgt 0,0170 gr. = 3,8^. Die Formel
verlangt 32,5^ KK). 1 Mgt. KrysUillwasser beträgt 5,8 %.
Diconsaures Ammonium = C*H*»(NH^)20*. Die Lösung der
Säure mit überschüssigem Ammoniak versetzt, scheidet beim Verdunsten
über Schwefelsäure eine hornartige, eigenthümlich wachsglänzende,
spröde Masse von krystallinischem Geftlge ab, welche sich in Wasser
äusserst leicht löst, an feuchter Luft zerfliesst, etwa bei 95° schmilzt,
und höher erhitzt Ammoniak abgiebt.
Analyse: 0,4909 gr. über Schwefelsäure getrocknete Substanz
wog, nachdem sie kurze Zeit auf 95° erhitzt war, 0,4645 gr. und gab
beim Destilliren mit Natronlauge 0,'20<0 gr. NH^GI, entspr. 0,0642 gr.
= 13,8)1^ NH». Der Wasserverlust beträgt 0,0264 gr. = 6,4^. —
Die Formel verlangt 13,7^ NH*. 1 Mgt. Krystallwasser entspricht 6,8^.
Diconsaures Baryum. Das neutrale Salz = 2 C^H^Ba^»
+ 3 Olt^ wird erhalten durch Lösen von Baryumcarbonal in der freien
Säure oder besser durch Neutralisiren der Säure mit Barytwasser. Es
ist ein iti heissem schwerer als in kaltem Wasser lösliches Salz , das
sich in halten Krystallkrusten beim Verdunsten der Lösung über Schwe-
felsäure an den Wandunge' *~n des Krystallisationsgeßisses
absetzt. Die Krystalle ve \ nicht, wohl aber verlieren
•8*
506 A. Geother,
sie einen geringen Theil ihres Krystallwassers beim Trocknen Über
Schwefelsäure. YolIsUlndig geht das Krystallwasser erst bei 200^ ^^eg.
Beim Erhitzen auf 240^ zersetzt sich das Salz unter Bräunung.
Analyse: 0,6429 gr. luftrocknes Salz wog nach dem Trocknen
bei 200° 0,5984 gr. und gab 0,3977 gr. SO^Ba^, entspr. 0,2614 gr. =
43,65^ Ba^O (auf trocknes Salz ber.). Der Wasserverlust beträgt 0,0445
gr. = 6,9^. — Die Formel verlangt 43,8^ Ba^O und 7,2^ OH^.
Das saure Salz = C^H^BaO^ bildet sich, wenn gleiche Mischge-
wichte neutrales Salz und freie Säure zur Trockne verdunstet werden.
Es ist eine amorphe, glasartige, in Wasser äusserst leicht lösliche Masse.
Analyse: 0,6462 gr. bei 100° getr. Salz ergaben 0,2640 gr.
S0*Ba2, entspr. 0,1734 gr. = 26,8^ Ba^O. — Die Formel verlangt
27,2)^Ba20.
Diconsaures Slrontium =C«H8Sr20«+ 50H2. Verdunstet
man die Lösung von reinem Slrontium-Carbonat in der freien Säure
über Schwefelsäure, so scheidet sich das Salz als eine kleinkrystalliniscbe
an den Wandungen des Krystallisationsgefässes schaumartig empor-
kriechende, in kaltem Wasser leichter als in heissem lösliche Masse aus.
Analyse: 0,4068 gr. lufttrocknes Salz hinterliess nach dem Trock-
nen bei 200*^ 0,3110 gr. und gab 0,1888 gr. S04Sr2 entspr. 0,1065 gr.
= 34,2^ Sr20. (G^H^Sr^Oe verlangt 31,6^Sr20). Der Wasservcr-
lust beträgt 0,0958 gr. = 23,5^. — Die Formel verlangt 23,2^.
Diconsaures Calcium =CöH«Ca206 + OH2. Auf gleiche Weise
zu erhalten wie das vorige Salz. Es ist ebenfalls eine kleinkrystallinische
in kaltem Wasser leichter als in heissem lösliche Masse.
Analyse: 0,2360 gr. lufttr. Salz wog nach dem Trocknen bei
170° 0,2214 gr. und ergab 0,0486 gr. = 22,0^ Ca^O. Der Wasser-
verlust beträgt 0,0146 gr. = 6,2^. — Die Formel verlangt 22,2^
Ca^O und 6,1^ OH^.
Diconsaures Magnesium = C^H^Mg^O^ + 60H2. In Wasser
leicht lösliche, kleinkrystallinische Masse, die auf gleiche Weise wie die
vorige Verbindung zu erhalten ist. Setzt sich in harten Krusten am '
Krystallisationsgefäss an.
Analyse: 0,5357 gr. lufttrocknes Salz wog nach dem Trocknen
bei 160° 0,3680 gr. und gab 0,1706 gr. P^O'Mg* entspr. 0,0615 gr. =
16,7)^ Mg20. (C«H^Mg206 verlangt 16,9^ Mg20). Der Wasserver^
lust beträgt 0,1677 gr. = 31,3^. Die Formel verlangt 31,4)1^. —
Diconsaures Eisenoxyd. Versetzt man ein lösliches Salz der
Diconsäure mitFerrichlorid, so entsteht ein im Ueberschuss desFäUungs-
roittels löslicher, orangerother, nach dem Trocknen mehr ockerfarbiger
Niederschlag. Es wurde^ da die Analyse nicht zu einfachen Resultaten
UntPrsncYiuiif^ von sanerstnlTreifheii KoblenstofirsAiiren. 507
führte, der Niederschlag von zwei verschiedenen Füllungen untersucht,
bei deren erster eine Lösung von gewöhnlichem, käuflichen Eisenchlorid
im geringen Uebersehuss, und bei deren zweiter eine Lösung von reinem,
durch Sublimation von FeCl^ im Chlorstrom erhaltenen Eisenchlorid in
zur voltsU^ndigen FHllung nicht ganz zureichender Menge angewandt
wurde.
i . Analyse des auf die erste Weise erhaltenen Niederschlages :
0,3542 gr. über Schwefelsäure getrocknete Substanz verlor nach
dem Trocknen bei 150^0,0342 gr. = 9,7^ Wasser, und gab 0,0843
gr. ==:26,3X Fe20=^ (auf trocknes Salz berechnet).
2. Analyse des auf die zweiie Weise erhaltenen Niederschlages:
0,3493 gr. lufttrocknes Salz verlor bei 150° 0,0870 gr. = 25,0^
Wasser, und gab 0,0678 gr. = 25,8)^ Fe^O' (auf trocknes Salz ber.),
Ueber 150" erhitzt zersetzt sich das Salz.
Ware das entstandene Salz den vorigen analog zusammengesetzt,
so mtlsste ihm die Formel (C^H^O^j^Fe^ zukommen. Diese aber enthält^
21,4^ Fe^O^ Wir haben hier eine eisenreichere Verbindung wahr-
scheinlich von der Formel: C«H» [Fe(OH)2jo«. Diese verlangt 26,4^
Fe^O^
Diconsaures Manganoxydul = C^H^MnO« + ^OH^. Wird
in ziemlich gut ausgebildeten, farblosen, luftbeständigen, tafelförmigen,
wahrscheinlich dem monoklinen System angehörigenKrystallen erhalten,
wenn man die Lösung von reinem Mangano-Carbonat in der freien Säure
I über Schwefelsäure verdunstet.
Analyse: 0,4305 gr. lufttrocknes Salz verlor beim Erhitzen auf
I 160° 0,1070 gr. = 24, 9X Wasser (die Formel verlangt 25,2^), und
ergab 0,0904 gr. Mn^O^ entspr. 0,0841 gr. = 26,3j|^ MnO. (Die For-
mel C^H^MnO« verlangt 26,6^ .)
Diconsaures Cobaltoxydul = C»HH]oO« + 60H2. Cobalto-
Carbonat löst sich in der Diconsäure mit schön rother Farbe auf. Beim
1 Verdunsten der Lösung scheiden sich kleine tafelförmige, monokline
Krystalle aus. Die krystallwasserhaltigen sind rosenroth, die wasser-
freien blau.
Analyse: 0,4107 gr. lufttrocknes Salz wog nach dem Trocknen
hei 200° 0,2924 gr. und gab 0,0869 gr. Co^O*, entspr. 0,0811 gr. =
27,8)^ CoO. (Die Formel C«H^CoO« 'verfangt 27,7^ CoO.) Das
geglühte Co^O^ wurde zur Controle noch in SO^Go tlbergefUhri. Die
Analyse gab dasselbe Resultat, -r Der Wasserverlust beträgt 0,1183 gr.
= 28. el verlangt 28,5^.
keloxydul = C»H8NiO» + öOH^. Ist auf
gleic ',6 Salz zu erhalten. Es scheidet sich beim
508 * A. Geuther,
VerduDstcn der Lösung in kleinkrystallinischen, schwach meergrünen
Krusten ab.
Analyse: 0,3376 gr. lufttrocknfe Salz wog nach dem Trocknen
bei 200° 0,2416 gr. und ergab 0,0664 gr. = 27,4^ NiO. (Die Formol
C«H8Ni06 verlangt 27,7^ NiO.) Der Wasserverlust betrügt 0,0960 gr.
= 28,4>^. — (Die Formel verlangt 28,5^.)
Diconsaures Zink. Das neutrale Salz = C»H8Zn0« + 6OH^
scheidet sich beim langsamen Verdunsten einer Lösung von Zinkcarbo-
nat in Diconsäure in monoklioen Tafeln aus.
Analyse: 0,5141 gr. an der Luft auf Fiiesspapier getrocknetes
Salz wog nach dem Trocknen bei 150" 0,3714 gr. und ergab 0,1081 gr.
= 29,1^ ZnO. (Die Formel C^H^ZnO« verlangt 29,3^ ZnO.) Der
Wasserverlust betrügt 0,1427 gjr. = 27,6)|^. (Die Formel verlangt
28,0)^ Oil2.)
Das saure Salz = (CWO^j^Zn + 70H2 wird auf gleiche Weise
wie das saure Baryumsalz erhalten. Es ist krystallinisch, und zwar
zeigen die Krystalle deutlicher den Typus des uionoklinen Systems.
Analyse: 0,2373 gr. lufttrocknes Salz verloren bei 150° 0,0480 gr.
= 20,2^ Wasser, und ergaben 0,0315 gr. = 16,6^ ZnO. — Die For-
mel verlangt 20,4 j|^ OH^ und 16,5^ ZnO.
Diconsaures Blei. Neutrales Baryumsalz mit essigsaurem Blei
vermischt, setzt an den Wandungen kleine , wahrscheinlich dem totra-
gonalen System angehörige Krystalle ab. Es isl dies wahrscheinlich das
neutrale Salz der zweibasischen Süure. Mit basisch essigsaurem Blei
giebt diconsaures Baryum einen flockigen Niederschlag; wahrscheinlich
ein basisches Salz der Diconsäure. Zur Analyse beider Salze stand
nicht genug Substanz zu Gebote.
Diconsaures Kupfer = C^lI^CuO® -}- 3011^. Durch langsa-
mes Verdunsten eines Gemisches der nicht zu verdünnten Lösungen von
diconsaurem Baryum und essigsaurem Kupfer scheiden sich harte , in
W^asser unlösliche blaugrüne Krystalle, wahrscheinlich monokline Säu-
len, aus.
Analyse: 0,1434 gr. lufttrockenes Salz wog nach dem Trocknen
bei 160° 0,1196 gr. und ergab 0,0;J35 gr = ^8,9^ GuO. (Für tmck-
nes Salz berechnet sich 28,8^ GuO.) Der Wasserverlust beträgt 0,0238
gr == 16,6^. (Die Formel verlangt 16,4^.)
Basisch diconsaures Zinnoxydul = G^H'(SnOHj SnO« +
4 OU^. Bildet sich als ein voluminöser Niederschlag beim Fällen von
diconsaurem Baryum mit möglichst säurefreiem Zinnchlorür. Der Nie-
derschlag ist sowohl in Säuren als auch im Ueberschuss des Fäliungs-
mittele löslich.
Cutersachaiig von sauerstoffreicbcn KohleiistofTsliuren. 509
Die Analyse wurde in der Art bewerkstelligt, dass das getrocknete
Salz in Salzsäure gelöst, und das Zinn mittelst SU^ ausgeschieden wurde.
Das erhaltene SnS wurde gesammelt, getrodinet, und nach dem Rösten
im PorzelJantiegel als SnO^ gewogen. Es wurden zur Analyse ange-
wandt 0,2823 gr. des über Schwefelsäure getrockneten Niederschlages.
Nach dem Trocknen bei 200^ wog /derselbe 0,2438 gr. Der Wasserver-
lust beträgt mithin 0,0385 gr. :^ 43,6)1^. (Die Formel verlangt M,ißi
OH^.) Durch Rösten des Schwefelwasserstoffhiederschlages wurden er-
halten 0,1580 gr. Sn02, entsprechend 0,U13 gr. == 58,0 «fe SnO, (Die
Formel C^H^SnaO? verlangt 57,8^ SnO.)
Diconsäure-Aethyläther = G»H8(C2H*)^«. Wird erhalten,
wenn man die Säurekrystalle mit absolutem Alkohol, der mit Salzsäure
gesättigt ist, Uhergiesst, und mehrere Tage in gelinder Wärme digerirt.
Nach mehrmaligem Schütteln löst sich die Säure. Aus der nunmehr
homogenen Flüssigkeit wird der Aether inittelst Wasser als ein schweres
zu Boden sinkendes Oel abgeschieden. Durch öfteres Waschen mit
CO^Na'^und Wasser wird derselbe von noch anhaftender Salzsäure und
Alkohol gereinigt. Zur weiteren Darstellung empfiehlt es sich, nament-
lich wenn man nur über geringe Mengen zu verfügen hat, den Dicon-
säurc-Aethcr , nachdem er durch Abheben möglichst von den fremden
Flüssigkeiten getrennt ist, mittelst Aether auszuziehen, diese Lösung
mit Ghloicalcium zu entwässern , und hiei'auf über Schwefelsäure den
überschüssigen Aether wie(|er zu verdunsten. Der Diconsäure-Aether
lässt sich weder für sich, noch mit Wasserdämpfen destilliren. Im letz-
teren Falle scheint er wieder in freie Säure und Alkohol zu zerfallen.
Analyse: 0,2U0 gr. über Schwefelsäure getrocknete Substanz
gab beim Verbrennen 0,4553 gr. CO*^ entspr. 0,1242 gr. = 58,0)J^ C
und 0,4338 gr. OH^ entspr. 0,0U9 gr. = 6,9^ H.
ber. gef.
C«3 57,8 58,0
H»« 6,7 6,9
0« 35,5 —
Constitution der Diconsäure.
Die Diconsäure ist, wie aus den Analysen ihrer Salze hervorgeht,
für gewöhnlich zweibasisch, d.h. wir müssen in ihr j^wei Carboxyl-
giiippen (CO. OH) annehmen. In) Zinnoxydulsalz ist jedoch auch ein
drittes Atom II durch eine Metallgruppe ersetzt, wir h^ben also lei^e
dreiatomig-zweibasiscbe Säure von der Zusammensetzung:
C»HioO» = Cm'O. (OHJ . (CO.OP)?.
I
I
510 A. Geuiher,
Um nun auf die innere Struclur der Gruppe C'H^ schlic5sen zu
können, müssen wir auf die Entslehung der Diconsüure zurückgehen.
Sie biidel sich aus zwei Mischungsgevvicblen Acouitsäure, wir haben
sie also von einer Di- Aconitsäure abzuleiten, der wir, wenn der Aconit-
säure die Formel
- ^ n:(Co.oH)
C H.(CO.OH)
C6H60« = CO
OH
zukommt, nach Analogie der Di-Essigsäure, folgende Formel geben
können :
C. (co.oH) v^ : CH«
:cH«
C .(CO.OH)
Ch.(CO.OH)
Ch.Coh"" Cq
2 CßH^O« = Co OH
OH
Daraus kann man sich zunächst durch Weggang von 2 CO^ eine
Di-Säure entstanden denken, welche den aus der Aconitsäure durch
trockne Destillation entstehenden drei Säuren, Ita-, Citra-, und Mesa-
consäure, polymer ist. Es kann also als momentanes Zwischenproduct
der Zersetzung eine Verbindung von der Constitution
• H C : CH«
C : CH»
^H.(CO.OH)
G ji . CoH — Co
2C*H«0* = C0 OH
OH
auftreten. Aus dieser Säure geht nun, indem sich noch ein Mgt. CO
und 0H2 trennt, unsere neue Säure hervor, der wir die Structurformel
Ci?H« ^C:'cH.oH C:?H.
V« - Cq oder Co
CH2 ^Ch.(CO.OH) Ch.(CO.OH)
C9H10O« = Co "
C.H
:cH»
^h.(CO.oh;
beilegen können.
Es ist übrigens das Auftreten von Itaconsäure oder einer der ihr
metameren Säuren als momentanes Zwischenproduct bei der Zersetzung
gar nicht so unwahrscheinlich. Wenigstens sprechen dafür die Versuche
von Markownikopf und Purgold^), welche Chemiker beim Erhitzen von
Citronensäure mit Wasser, oder besser mit verdünnter Schwefelsäure auf
160*^ unter starker Kohlensäureentwicklung Krystalle von Itaconsäure
1) Zeitschrift für Chem. 4867, p. t64.
Untersuchung von sanerstoffreichen Kohleusloffs&uren. 511
erhielten. Es Iftsst sich diese Frage am leichtesten dadurch entscheiden,
dass nmn diese Säuren auf gleiche Weise wi^ Gitronensäure mit Salz-
säure erhitzt. Ich stellte in dieser Hinsicht nur einige Vorversuche mit
Gitraconanhydrid an, welche jedoch nicht zum gewünschten Resultat zu
führen schienen. Derselbe geht beim Erhitzen auf 120" bis 130" wie
schon bekannt in Mesaconsäure über, und diese zersetzt sich beim Er-
hitzen auf 150" weiter, indem sich zugleich ziemlich beträchtliche Gas-
entwickelung bemerkbar macht. Das Gas besteht jedoch nicht blos aus
GO, wie es sein müsste, wenn die Reaction in gedachter Weise verliefe.
Auch zur Aconsäure steht die DiconsSure in einer einfachen Bezie-
hung, welche folgende Formelgleichung ausdrückt :
Dicons. Acons.
G9H10O« = 2 G^H^O* — G02 -f 2 H.
Die in vorstehender Abhandlung beschriebenen Versuche wurden
im hiesigen chemischen Universitätslaboratoriuro unter Leitung des Herrn
Prof. Gbutrsr ausgeführt. Ich fühle mich dem Letzteren für die freund-
lichen Rathschliige, welche er mir bei Ausführung der Versuche zu Theil
werden liess, zum wärmsten Dank verpflichtet.
Jena den 4. März 1873.
Yorläuflge Mittheünngen über Cölenteraten«
VOD
G. V. Koch.
Hiersu Taf. XZVI.
Fortsetzung.
Ili. Zur Anatomie und Entwicklung von Tubularia.
Die Anatomie und Entwicklungsgeschichte von Tahularia larynx,
welche ich, anknüpfend an das darüber schon Bekannte, in folgenden
Zeilen gebe, beschränkt äich auf diejenigen allgemeinen Verhältnisse des
Baues, die mir für die Vergleichung derTubularien mit anderen Hy-
droiden wichtig erschienen. Eine eingehendere Arbeit, besonders über
Muskeln und Ectoderm, über die physiologische Bedeutung des Enlo-
derms in verschiedenen Körperabtheilungen etc., haben wir in nUcbster
Zeit von Dr. Klein£nbbrg in Neapel zu erwarten, weshalb ich hinsicht-
lich der specielleren Verhältnisse auf diesen verweise. —
Die Tubularien unterscheiden sich in ihrem Bau hauptsächlich da-
durch von ihren Verwandten, dass die Wand der aboralen Körperhälfte
bedeutend verdickt erscheint. Diese Verdickung wird gebildet durch
einen, weit in die Magenhöhle vorragenden ringförmigen Wulst von
grossen, hellen Zellen mit deutlichem, meist wandständigem Kern. Der
Ringwulst ist nach aussen von der Muskel- und Ectodermschicht, nach
innen von dem Entoderm bedeckt und von beiden durch eine dünne, in
Karmin sich sehr stark färbende Schicht von Zwischensubstanz geschie-
den. — Eine weitere Auszeichnung der Tubularien, die sie aber mit
einigen anderen Gattungen (z. B. Coryne) theilen, bilden die, verschieden
weit nach innen vorspringenden, oft mit ihrem unteren Ende frei in die
Majgenhöhle hineinragenden Längswülste, welche sich in der schlan-
Vortilufige Nittheilungeii über Gdlenterateu. 513
keren Mundhälftc des Körpers finden. Dieselbon besteben aus ganz
ahnlichen grossen, hellen Zellen, wie der eben beschriebene Ringwulst
und sind nach innen von einer Schicht von Entodermzelien bedeckt.
Nach aussen sind sie durch eine Schicht von Zwischensubstanz begrenzt,
welche auf sich in ihrem unteren Theil Muskeln und Ectoderm, oben
aber die Basen der Mundtentakeln trägt. — Beide Arten von Wuistbil-
dungen sind, wie die Entwicklungsgeschichte zeigt, von dem Entoderm
abzuleiten. —
Die, in zwei Kreisen stehenden Tent^ikel sind wie bei den meisten
anderen Uydroiden gebaut. Sie bestehen aus einem Strang von hellen,
sehr dünnwandigen und zienjlich grossen Zellen, welcher von Längs-
muskeln und einer Eclodermschicht tiberlagert ist. Bei den um den
Mund stehenden Tontakeln des ersten Kreises ist die Basis in der Rich-
tung der Hauptachse des Körpers verlängert und liegt auf der Grenzmem-
bran der oben geschilderten Längswttlste. Die des zweiten Kreises, die
Randtentakel sind directe Forlsetzungen des Ringwulstes. —
Die Geschlechtsorgane sind an den einzelnen Individuen in ver-
schiedener Zahl vorhandene Trauben, von ellipsoiden Gemmen zusam-
mengesetzt, welche letztere aus einem cylindrischen Stiele hervor-
sprossen. Dieser wächst in der mittleren Zone des Körpers, innerhalb
des zweiten Tentakclkreises aus der Leibeswand hervor, wo diese nur
aus Ectoderm und Entoderm mit trennender Zwischen membran be-
steht. Seine Wand ist eine directe Fortsetzung der Leibeswand, wie
sich an Schnitten sowohl für Entoderm, als auch fUr Ectoderm und
Zwischenmembran nachweisen lässt.
Die Gemmen entwickeln sich aus kolbigen Ausstülpungen des eben
geschilderten Stieles und bestehen daher im Anfang blos aus zwei ein-
fachen Zellschichten, dem Entoderm und Ectoderm. Das letztere bleibt
während des weiteren Wachsthums ziemlich unverändert, nur werden
die Zellen immer flacher, da ihre Vervielfältigung mit der Vergrösserung
der zu bedeckenden Fläche nicht gleichen Schritt hält. Das erstere da-
gegen verdickt sich durch Vermehrung seiner Zellen und zwar zuerst
am freien Ende der Ausstülpung, dann während der Vergrösserung
dieser, niunnt jene Wucherung des Entodcrms immer mehr zu , und in
einem bestinimlen Alter der Knospe erscheint dieselbe als ein, ganz aus
Entodermzelien gebildetes Ellipsoidi das aussen von dem sehr verdünn-
ten Ectoderm überzogen und innen von der cylindrischen, in der Längs-
achse gelegenen Eruahrungshöhlung durchsetzt wird. — Später differcn-
zirt sich die aus dem ursprünglichen Entoderm hervorgegangene Zell-
masse und man kani^dimna.n ihr eine äussere, dem Ectoderm anliegende
und eine innere, die Emährungshöble auskleidende Schicht unter-
514 fi. V. Koch,
scheiden. Die zwischen beiden übrig bleibenden indifferenten Zellen
werden später bei den weiblichen Individuen zu den Eiern, bei den
miinnlichen aber entstehen aus ihnen durch Theilung die Samenmutter—
Zellen.
Bis hierher ist die Entwicklung der Gemmen bei beiden Geschlech-
tern ganz ähnlich und bei den männlichen gehen auch keine bedeuten-
deren Veränderungen mehr vor sich. Bei den weiblichen aber entstehen
noch 4, als erste Andeutung schon früh bemerkbare, tentakelartige
Fortsätze am freien Ende. Diese sind ähnlich wie bei dem Polypen
Fortsätze des Ectoderms, welche mit Zellen, die von der, aus dem Ento-
derm hervorgehenden äusseren Zellschicht abgeleitet werden können,
ausgefüllt sind. —
Aus den, mit grossem deutlichen Nucleus und hellerem Nucleolus ver-
sehenen Eiern entwickeln sich Planulae von der Gestalt eines Drehungs-
ellipsoides, dessen Hauptachse die kürzere ist. Diese Planulae, denen
der Flimmerbesatz zu fehlen scheint^ bestehen wie gewIShnlich aus zwei
einfachen Zellschichten, welche einen kleinen Binnenraum einscfaliessen.
Ihre erste Veränderung geschieht durch die Anlage von anfangs 4, dann
8 Tentakeln in Gestalt warzenförmiger Erhebungen. Letztere bestehen
aus einer Ausbuchtung des Ectoderms, welche mitEntoderm ausgefüllt
ist und liegen im grössten Kreis des Sphaeroids. Dadurch erscheint in
diesem Stadium die Planula sternförmig. Ihre Weiterentwicklung zeigt
sich hauptsächlich in einer Aenderung der Gestalt, welche nach and
nach bimförmig wird und in der Verlängerung der zuerst angelegten
Bandtentakel. Diese letzleren, w eiche jetzt, schon wie im fertigen Zu -
stand, aus einem vom Entoderm herstammenden Zellstrang bestehen,
der vom Ectoderm überkieidet wird, zeigen einige Eigenthümlichkeiten.
Als erste führe ich an die Krümmung derselben nach dem aboralen Pole
zu, als zweite die geringe Dicke des Ectoderms und seinen Mangel an
Nesselzellen an der dem Munde zugewendeten Seite.
Haben die eben beschriebenen Embryonen ungefähr die Länge von
0,5 ^^ erreicht, wobei die Bandtentakeln schon ziemlich vollständig ent-
wickelt und die Mundtentakeln in einzelnen Fällen schon angelegt sind,
so verlassen sie die Gemme und schwimmen einige Zeit im Wasser um-
her. Finden sie dabei einen passenden Gegenstand , so setzen sie sich
an denselben mit ihrem aboralem Ende fest, dieses streckt sich bedeu-
tend und die Bandtentakel biegen sich nach dem Mund zu. Bald nach
dem Festsetzen entwickeln sich auch die Mundtentakel , welche aber,
wie vorhin bemerkt, auch schon eher auftreten können.
VorlAnfifi[e Mitthetlungoii über CÖlenterateii. r»15
An der, in ihrer Entwicklung bis hierher verfolgten ^) , Tubularia
erfolgt nun , ausser einer schärferen Differenzirung des Entodeims zu
den ausfuhrlich beschriebenen Wulstbildungen keine bedeutende Ver-
änderung mehr und kann somit die Entwicklungsgeschichte derselben
vorl[)ufig abgeschlossen werden.
ErUinmg der Tafel XITPj.
Fig. 4. Längsschnitt durch Tubularia larynx. a. Ringwulst, b. Längswülsie,
c. Randteiitakel, d. Mundtentakel.
Fig. 2. Querschnitt nach der Linie y — z. b. Längswülste, d. Tentakel.
Fig. 3. Entoderm von der Stelle v stärker vergrössert.
Fig. 4 U.5. Eclodermzellen eines Tentakel stärker vergrössert im Längschnitt.
Fig. 6. Durchschnitt durch die Basis des Stiels vpn einer Geschlechtstraube.
I ig. 7. Erste Anlage einer Geschlechtstraube.
Fig. H. Ei*ste Anlage einer Geschlechtsgemme.
Fig. 9 — 13. Verschiedene Entwicklungssladion »ini>r Gemme.
Fig. 44. Ei.
Fig. 45. Planala im Durchschnitt.
Fig. 46. Embryo mit angelegten Tontakeln.
Fig. 4 7. Etwas älterer Embryo.
Fig. 4 8. Ein Stück Tentakel desselben.
Fig. 49. Seit kurzer Zeit Testsitzender Embryo.
4j Die Entwicklung der Muskulatur etc. habe ich nicht untersucht und verweise
ich deshalb, wie schon oben gesagt, auf die Arbeit Dr. Klkinembkrg's.
9) Die Figuren sind alle möglichst schfmati^ch gehalten. Es bedeutet überall
X Ectoderm n Enlodero).
Zar Morphologie der Infasorlen.
Von
Ernst HAeckeL
Tafel XXVn und XXVIII.
Keine C lasse des Thierreichs hat bis in die neueste Zeit so wider-
spreciiende Ansichten bezüglich ihrer wahren Organisation und der da-
durch bedingten Stellung im System hervorgerufen, wie diejenige der
Infusorien. Noch heute herrschen darüber unter den genauesten Kennern
dieser Thierclasse die lebhaftesten Contröyersen. Nicht weniger als drei
von den sieben grossen Hauptabtheilungen des Thierreichs, den »Typen«
oder Phylen, streiten sich um den Besitz der Infusionsthiere. Mit
derselben Bestimmtheit, mit der die eine Gruppe von Zoologen die In-
fusorien für Würmer erklärt, stellt sie eine zweite Gruppe zu den
Zoophyten oder Cölenteraten, und eine dritte Gruppe zu den ür-
thieren oder Protozoen. Noch heute ist nicht einmal die erste Vor-
frage erledigt, welche hierbei massgebend sein und jede nähere mor-
phologische Erörterung bestimmen soHte : ob nämlich der Infusorien-
Köiper den Formwerth einer einfachen Zelle besitzt oder nichtig
Diese Thatsache allein beweist, wie weit wir noch von einer befiriedlgen-
den £rkenntniss der Infusorienciasse entfernt sind. Sie muss aber
doppelt befremdend erscheinen^ wenn man den verhSiltnissmässig colos-
salen Umfang betrachtet, welchen die Literatur über diese Thierclasse
in den letzten Decennien erlangt hat.
Ausführliche Untersuchungen, welche ich in den letzten fünf Jahren
über die Thierclasse der Spougien angestellt habe und weiche in der
vor einem Jahr erschienenen Monographie der Kalkschwämme^j ihren vor-
1) Ernst Haeckel, Die Kalkschwärome (Calcispongien oder Grantienj. Eiue
Monographie. I. Band: Biologie. II. Band : System. III. Band: Atlas mit 60 Tafeln
Abbildungen. Berlin, G. Reimer. 4872.
Zur Morphologie der Infusorien. 517
läufigen Abscbluss gefunden haben, musstcn mich vernnlassen, vielfach
auch die Organisation der Infusorien in Betracht zu ziehen und zu ver-
gleichen. Denn in zahlreichen zoologischen Werken werden die beiden
Classen der Spongien und Infusorien als nächste Verwandte betrachtet
und unmittelbar neben einander in der Abtheilung der Protozoen unter-
gebracht. Das Ergebniss meiner Untersuchungen hat diese weitverbreitete
Ansicht nicht nur nicht bestätigt, sondern wie ich glaube definitiv wider-
legt. Während ich für die Spongien die nächste Verwandtschaft mit
den Hydroid-Polypen und ihre Zügehörigkeit zurri Stamme der Z o o p h y-
ten (oder Cölenleraten) nachweisen konnte, bin ich bezüglich der In-
fusorien zu ganz anderen Resultaten gelangt. Da ich diese in der Mo-
nographie der Kalkschwätnme nur flüchtig berührt habe, w iil ich sie hier
ausführlicher mittheiieti, und sehe mich dazu besonders veranlasst durch
die lebhaften Streitigkeiten, welche erst in den letzten Monaten wieder
über die Deutung der Infüsdrien-Organisation aufgetaucht sind.
Alle die verschiedenartigen und widersprechenden Ansichten über
die Organisation und den Formwerih der Infusorien lassen sich füglich
in drei grosse Gruppen bringen : nach der einen Ansicht sind die Infu-
sorien hocborganisirte Tbiere, welche sich zunächst an die Räderthiere,
mithin an die Würmer ansehliessen (Ehkbnbbrgj; nach einer zweiten
Auffassung sind dieselben Cölenteraten, welche in den Hydroiden
ihre nächsten Verwandten finden (Clapah^db); nach einer dritten Beur-
theilung besitzen sie nur den Formwerth einer einfachen Zelte, und sind
demnach Protozoen (Sibbold). Zwischen diesen drei grundverschie-
denen Auffassungen bewegen sich noch mehr oder minder vermittelnde
Ansichten verschiedener Beobachter.
Ehbbnbbrg hat bekanntlich in seinem grossen Infusorien-Werke <),
weiches die erste genauere Beschreibung und Classification der Infu-
sorien gab, diese Organismen »nach dem ihm eigenen Princip
überall gleich vollendeter Entwicklung«^) beurtheilt und
ihnen demgemäss eine im Wesentlichen eben so vollkommene Zusammen-
setzung wie den höheren Thieren und wie dem Menschen zugeschrieben.
4) Ehrbnibbc, die Infusionsthierchen als vollkommene Organismen. Leipzig,
4888.
i) Ehbbwbbm hat sein »Princip überall gleich vollendetef Entwicklang« zuerst
4885 in der Abhandlung ȟber die Acalephen des reiben Meeres und den Organis-
mus der Medusen der Ostsee« mitgetheilt (Abhandl. der Berliner Akademie, 4 836,
p. 484). Nach diesom Principe, welches Ehrenbbho bis auf den heutigen Tag beibe-
halten hat, besitzen alle Thiere, bis zur Monade herab, einen und denselben gleichen
Bildungs-Typus. In keiner Ciasso ist die Organisation einfacher als in der anderen.
»Ein Thier ist jeder dem Menschen in den Hauptsystemen des
Organismus gleicher lebenden Körper ohne Gleichmass dieser
518 Ernst Haeckel,
Yerbängnissvoli fUr den fundamentalen Irrthum, von welchem Ehbe??-
BERG bei dieser consequent ausgebildeten Auffassung ausging, war der
Umstand, dass er die ganze Abtheilung seiner »Infusionsthierchena in
zwei verschiedene Glassen brachte: Magenthiere (Polygas t ri caj
und Ritderthiere (Rotatoria); und dass er die Organisation der
ersteren durch diejenige der letzteren zu erklären versuchte. Ueberall
bildet die (von ihm sehr unrichtig gedeutete) Organisation der Räder-
thiere die Basis, auf welche auch diejenige der Magenthiere zurückge-
führt werden soll. »Die Magenthiere sjnd rücken markslose und pulslose
Thiere mit in zahlreiche blasenartige Magen zertheiltem Speisecanale,
mit (wegen Rnospenbildung oder Selbsttheilung) unabgeschlossener
Körperform, mit doppeltem vereinten Geschlecht, bewegt durch (oft
wirbelnde) Scheinfüsse und ohne wahre Gelenkfüsse«.
Gegenüber dieser Anschauung Ehbenbbrg's, welche unter zahlreichen
Zoologen mehr oder minder voUsländige Zustimmung fand, trat 4 845
Carl Theodor voif Sibbold >) mit der Ansicht auf, dass die Infusorien viel
einfacher organisirt seien, und dass ihr ganzer Körper nur den Form-
werth einer einfachen Zelle besitze. Er wies nach, dass die »Rota-
toria« eine gänzlich verschiedene und viel höhere Organisation besitzen,
als die » P 0 1 y g a s t r i c a «, und dass Ehrbnübeg in dieser letzteren Gruppe
eine bunte Gesellschaft von höchst verschiedenartigen niederen Orga-
nismen^ theils Thieren, theils Pflanzen zusammengeworfen, sowie deren
Körpertheile ganz willkürlich und unrichtig gedeutet habe. Hit ein>
leuchtender Klarheit führte Sibbold ferner den Nachweis, dass die ech-
ten Infusorien, welche er auf die beiden Ordnungen der Astoma
(= Flagellata) und Stomatoda (=Ciliata) beschränkte, nur
solche Organismen enthalten deren Formwerth denjenigen einer Zelle
nicht überschreite. Der»Nucleusa entspricht einem ge\>öhnlichen Zellen-
kern, die »gallertige contractile Körpersubstanza dem »ZelleninhalUc oder
der Zellsubstanz, und die äussere flimmernde Hülle der »Membran« einer
gewöhnlichen Flimmerzelle. Mit dieser Deutung machte Sibbold nicht
allein den ersten Versuch, den Infusorien-Körper der 6 Jahre zuvor von
ScHLKiDEN und ScHWANN aufgestellten Zellentheorie zu unterwerfen ; son-
dern er begründete auch diesen ersten Versuch in der 1845 erschienenen
ersten Lieferung seines Lehrbuchs der vergleichenden Anatomie in so
Systeme oder jeder (und mit Sicherheit nur ein solcher) Organis-
mus, welcher ein E'rnährongssystem, ein Bewegungssystem, ein
Blutsystemi ein Empfindungssystem und ein Seiualsystem he-
sitzt«.
4) C. Th. V. SiEBOLD, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie. 1. Lief. 4845.
Znr Morphologie der lafusorieii. 519
vorzüglicher Weise, dass er als der bedeutendste Fortschritt in der lie-
feren Erkenntniss der Infusorien überhaupt bezeichnet ^^erden kann.
Für das System des Thierreichs that Sibbold zugleich dadurch einen
höchst bedeutsamen Schritt, dass er (schon 1845] die beiden Ciassen
der Infusorien und Rhizopoden in einer »Ilauptgruppe« des Thierreichs
vereinigte, welche er »Protozoena oder ürthiere nannte, und mit
folgenden Worten characterisirte : »Thiere, in welchen die verschiedenen
Systeme der Organe nicht scharf ausgeschieden sind, und deren unregel-
m;»ssige Form und einfache Organisation sich auf eine Zelle reduciren
lassen« (I. c. p. 3j.
Diese epochemachende Theorie Sikrui.d^s von der »Einzelligkeit
der Infusorien« fiind 4 Jahre spHter ihre entschi<'denste Vertretung und
weitere Ausbildung durch Köllikkb. Nachdem derselbe 4848 in seinen
»Beitrügen zur Konntniss niederer Thiere« die Einz(>lligkeit der Gregarinen
nachgewiesen, und (4849) in seinem Aufsätze über »das Sonnen thierchen«
(Actinophrys sol)^) ausdrücklich für alle Infusorien den Form werth einer
einzigen Zelle in Anspruch genonmien hatte, ist er später l)emüht ge-
wesen, die Theorie von der Einzelligkeit der Infusorien in seinen Icones
histiologicae (4864) ausführlicher zu begründen und mit den neueren
Fortschritten der Infusorien-Kunde in Einklang zu bringen. Unter den
folgenden Beobachtern der Infusorien hat diese Theorie einerseits ebenso
entschiedene Theilnahme, als andererseits lebhaften Widerspruch er-
fahren. Die gewichtigste Vertretung hat sie neuerdings durch Steiii
gefunden, wenn auch nur in bedingtem Sinne. Stein bekämpft nüm-
lieh zwar auf Grund seiner vieljahrigen gründlichen Infusorien-Beobach-
tungen die »Vielzelligkoit« des Infusorien-Körpers auf das Ent-
schiedenste, fügt dann jedoch hinzu: »die Infusorien sind in Bezug auf
ihren Ursprung entschieden einzellige Thiere. Die ausgebil-
deten Infusionsthiere aber wird man immer Anstand nehmen müssen,
als einzellige Organismen zu bezeichnen ; denn sie sind nicht blos fort-
4) Zeitschrift für wissenscIiBfllicIie Zoologie, Bd. I. 4849, p 4 ; p. 240. In der
Beschreibung der Actinophrys sei sagt Köllixbii: »Ich gehe davon aus, dass
die Infusorien alle ohne Ausnahme aus einer einiigen Zelle bestehen. Ich
glaube nümlich, dass, was ich für die Gregarinen nachgewiesen habe, für alle eigent-
lichen Infusorien gilt, wie es auch schon von Siesold in seiner vergleichenden Ana-
tomie aufs Schönste nachgewiesen worden ist. Für mich sind alle Infusorien gleich
einer Zelle, die bei den einen ganz geschlossen ist, bei den anderen einen Mund oder
selbst zwei Oeffnungon hat. Dass dem so ist, kann für den, der eine Opalina, Bur-
saria, Nassula etc. nur etwas genauer untersucht, auch nicht dem geringsten
zweifei unterliegen ; er wird meist eine conlracttle und mit Wimpern besetzte stnic-
lurlose Zellmembran, einen oft (heilweise contractilen Zelleninhalt mit Kömrrn und
Vacuolen und fast immer einen homogenen oft sonderbar gestalteten Kern finden«.
Bd. ?n. 4. 34
ÜQ firn^i1faeeft«1,
gewachs€lne Zellen, sondern der ursprüngliche Zellenbau hat einer
wesentlich anderen Organisation Platz gemacht, die der Zelle als solcher
durchaus fremd ist« ^] . In neuester Zeil haben sich Ehlers und Etkbts
in einer »vorläufigen Mittheilung« mit Bestimmtheit zu Gunsten der Ein-
zelligkeit ausgesprochen^).
Die entschiedenste Bekämpfung fand natürlich die Theorie von der
Einzelligkeit durch Ehkbnberg selbst, welcher in Folge seiner vollstän-
digen Unkenntniss der Entwicklungsgeschichte der Thiere noch beute
an »dem ihm eigenen Princip gleich vollendeter Entwicklung« aller Thiere
festhält, und auch die allgemein verlassene »polygastrische Theorie«
'noch heute vertheidigt. Ausserdem aber wurde die DEinzelligkeit«
bald auf das Lebhafteste angegriffen von Clapar&de und Lacbmann ^1.
welche in ihren »l^tudesa (4858), abweichend von allen früheren Autoren
die Infusorien zu den Gölenteraten versetzen, und behaupten, dass die
verdauende Leibeshöhle dieser letzteren oder der characteristischc
))Gastrov8fscular-Rauma ganz ebenso auch bei den Infusorien
wiederkehre. In der That ist aber diese »coetenterische Theorie« ebenso
wenig mit der Anatomie und Ontogenie der Infusorien vereinbar, als
die »polygastrische Theorie« Ebrenbbrg's, und eben äo wenig, als die
Infusorien nach dieser letzteren zu den Würmern gestellt werden können,
eben so wenig ist die von der ersteren geforderte Verwandtschaft mit
-den Gölenteraten nachweisbar. In neuester Zdt ist Richard Gherkf
wiederutn ganz auf Clapar^db und Lagrüann ^ zurückgegangen, und hat
-gerade denjenigen Theil ihrer' Darstellung, welcher für ihre Auffassung
4} Stein, der Organismus derlnfusionstbiere.'II. AbtheiluDg. Leipzig 1867, p. i2.
2) Ehlers und EvERTS, Untersuchungen an Vorti cell a nebulifera; Sitzungs-
berichte der phys. med. See. zu Erlangen, vom 26. Mai 4878.
3) Clapar^de et Lacbhanr, Btudes sur les Infusoires et les RhiEopodes, Oen^vo
48S8| 4864. S Voll. Vol. I., p. 44. »On serait tentö de croire, (que la tb^rie de
l'unicellulant^ des infusoires n'a plus aujourd'hui qu'un inlöröt bistorlque, corome
Celle de la polygastricilö. Cependant eile compt« encore un ubampion bien d^ide,
un de ses anciens d^fenseurs, M. Kölliker, qui a relevö courageusement, dans an
Memoire r^cent, le drapeau <^ancelant de son 6cole, comme M. Ehrehberg vient
d'arborer de nouveau celui de la sienne. Chacun d'eux, le dernier dos Mobicaos de
ses propres id^es. La th^orie de l'uoiceUularit^ des infusoires n'a pas b^soin d'^lre
combatlue ici plus en detail. L'ouvrage que le lecteur a sous les yeux, n'ost qa'uue
longue protestation contre eile. Chacune de nos pages est un nouveau coup de hacbe
port6 k sa base«. Diese lelzteren schneidigen Sätze wenden wir direct gegen ihre
A'utoren selbst, intiem wir nachstehend zu zeigen hoffen, dass die Auffiassung der
Infusorien-Organisation von Clapar^de und Lacbuarn eben so falsch und von Grund
aus verfehlt ist, wie diejenige von Ehrbicbbrg. »Jede unserer Seiten ist ein neuer
Axthteb gegen ihre Basis«.
Zur Morphologie der Infusorien. 521
der Infusorien-^Organisalion ohanicterislifK*h isl, i^äjmlich 4ie Lehre von
dei* vollsUindigen Uebereinstimmung des »D^rmcanals« der Infusorien
mit dem »Gaslrovascular-System.der Cölenteraten« als seine eigene neue
Tlieone zu begründen versucht. Greepf sieht »in .der KOrperhöhle der
Vorticelien einen Gastro vascular-fia um im vollen Sinne des
Wortes, eine Körperhöhle, in der die Verdauung und CircuJ^tion,
rcsp. Ernährung ganz in derselben Weise erfüllt wird, wie bei den
C ö Jen te raten« (l.c.p. 192). An die Haut unddie darunter liegenden
Muskeln sdimiegt sich nach innen eine Protoplasma-Zone an, die
eigentliche Rindenscbicht dos Infusorien-Kttrpirs, die den ganzen
Innenraum oder Leibeahöhle umschlicsst und auskleidet. In dieser
Rindenschicht und durch sie in ihrer Lnge festgehalten liegen auch die
Hauptorgane des Körpers, nämlich der Nucleus, der contraclile Behälter
. und der Hauptabschnitt des Verdauungscanales« t) (|. c. p. 383}.
Zur weiteren VerstHndigung ist es zunächst nothw endig, die
Grenzen und den Umfang der Infusorienciasse so zu be-
stimmen, wie er in Uebereinstimmung mit vielen neueren Autoren
hier von uns angenommen wird. FAst allgemein sind jetzt mit vollem
Rechte aus dieser C lasse ausgeschlossen die Rotatorien (Würmer), die
Bficillarien (Diatomeen), die Closlerinen (Algen) und viele andere hete-
rogene Organismen niederen Ranges. Demnach beschränken die meisten
neueren Autoren nach dem Vorgange von Sikbolb (1 845) die Infusorien-
classeauf dieCiliata (=Stomatoda) unddieFlagellata (=Asto-
ma), welche beide zusammen nur den kleineren Theil von Ehbkubkrg's
Infusorien ausmachen. Stkin, welcher nächst Rhaknbkrg die längste
1) Richard Grebff, üntersuctiungen über den Bau und die Naturgesciiichle der
Vorlicell^n. Archiv fürNaturgesch. 4870, 1. p. 858—884, Taf. IV— Vlll; Ibid. 1874,
I. p. 485 — 224. GmEFP scbliesst seine Darstellung mit den Worten : »Das scheint
indessen ausser Zweifel, dass sowohl die Organisation, wie die Lebensgeschichte
nicht blos der Vorticellen, sondern der Infusorien Überhaupt eine verhttltniss-
mfissig reiche und booli entwickelte ist, von der indessen bis jetzt nur Weniges mit
Sicherheit entziffert ist, und dassEHRSHBenG, wenn er auch im Einzelnen, namentlich
in den Deutungen der vpn Ihm, wie wohl zu berücksichtigen, zuerst gesehenen,
d. h entdeckten Organe und Gebilde, vielfach geirrt haben mag, doch im Ganzen
auf seine ausgedehnten und unermüdlichen Forschungen und reiclien Erfahrungen
gestiUzt mit richtigem Tacte und Scharfsinn den hohen Organisationswerth der In-
fusorien erkanat hat« (1. c. p. t47). Dieser Lobapruch auf Ehrkhbbrg erscheint in
Grbefp's Aufsatze deshalb völlig unmotivirt, weil Greeff's ganze Auffassung nicht
diejenige von Ehbbnberg, sondern diejenige von Claparede und LACHMAHif repro-
dttcirt. Diese beiden Auffassungen (die polygastrische Theorie des ersteren und
die coelenterische der letzteren] sind aber eben so wenig mit einander vereinbar,
als mit der »Einzelligkeils-Theorte« von Sibbold, deran alleinige Richtigkeit wir
nachatehend zu beweisen hoffen.
84*
5l22 ^^^^ Hueckel,
Zeit und den grösslen Fleiss auf die Erforschung der Infusorien verw-en-
del hat, beschränkt im ersten Bande seines grossen Werkes »der Oi-ga-
nismus der Infusionsthiere« (4859) die Ciasse auf 5 Ordnungen, von
denen eine durch die Flagellata, vier durch die Ciliala gebildet
werden (Holotricha, Heterotricha, Hypolricha, Peritricba).
Die Acineten oder Suctorien hielt Stein früher nur für Entwicklungszu-
stände der Ciliaten, bemerkte jedoch : i>SoHten sich die AcineUnen doch
noch als selbständige Infusorien herausstellen, so würden sie eine
sechste, zwischen den geisseltragenden und holotrichen Infusorien ein-
zureibende Ordnung bilden«. In den kurz zuvor erschienenen »äludes
sur les Infusoires et les Rhizopodesa (1858) theilen CLAPAaiiDE und Lagh-
MANN die Infusorien-Glasse in 4 Ordnungen: 1} Ciliata, 2) Suctoria,
3) Cilioflagellata, und 4j Fiagellala. In demselben Werke werden die
Rhizopoden ebenfalls in 4 Ordnungen eingetheilt: 4) Proteina (Amoe-
bina et Actinophryna) ; 2) Echinocystida (Radiolaria) ; 3) Gromida :
4) Foraminifera> In der neuesten Auflage von Trorchel's Handbuch
der Zoologie (1871) werden 5 Ordnungen unter den Infusorien unter-
schieden, nämlich: 1) Giliata; 2) Suctoria (Acinetina) ; 3) Cilioflageilat^i
(Peridinea) ; 4) Flagellata; 5) Atricha (Infusoria rhizopoda). Dieselhi;
Eintheilung kehrt in vielen anderen Büchern wieder. Claus in seinen
»Grundzügen der Zoologie« (11. Aufl. 1871) unterscheidet dieseU>en
5 Gruppen wie Stein ^ schliesst ihnen jedoch anhangsweise noch die
Noctiluken an. üarting in seinem »Leerboek van de Grondbeginselen der
Dierkunde« (1870, III, 7) beschränkt die Glasse auf die beiden Ordnun-
gen der Ciliaten und Flagellaten.
In der gegenwärtig allgemein herrschenden Begrenzung des Be-
grifles enthält demnach die Infusorien-Classe nur einen kleinen Theil
von der bunt gemischten Gesellschaft, welche sie bei Ebrenbbrg und
seinen Vorgängern ausmacble. Als echte Infusorien im engsten Sinne
gelten jetzt eigentlich nur noch die Ciliaten, an welche die meisten
Systeraatiker als eine zweite nahe* verwandte Gruppe die Acineten
und Viele ausserdem die Flagellaten (die die meisten Botaniker für
Pflanzen halten) anschliessen. Selbst bei denjenigen Zoologen der
Gegenwart, welche die Classe im weitesten Sinne fassen, sind die
Rotatorien, Diatomeen, Glosterien etc. allgemein ausgeschieden, und
werden h ochste ns folgende sieben Ordnungen angenommen : 1] Amoe-
bina; 2) Gregarina; 3) Flagellata; 4) Cilioflagellata; 5) Noctilucae;
6) Acinetae; 7) Ciliata.
Von diesen sieben Ordnungen ist es eigentlich nur eine einzige,
deren Formwerth noch heute zweifelhaft ist und alle die zahlreichen
Widersprüche der verschiedenen Beobachter hervorgerufen hat, die-
Zur MorpholoRi« der Infnsorieii. 523
jenige der Gilialen; aber gerade diese Ordnung ist auch diejenige,
auf welche gegenwärtig der Begriff der Infusorien im engsten Sinne
immer allgemeiner angewendet wird. Von den übrigen sechs Ordnun-
gen ist es theils schon seit längerer Zeit festgestellt, theils in der jüngsten
Zeit inmuT mehr offenbar geworden , dass ihr Organismus den Wertb
einer einfachen Zelle besitzt. Uebor diese genügen daher wenige Be-
merkungen.
Die Araocbinen (Protoplasten oder Lobosen) werden jetzt fast
allgemein und mit Recht als einfache Zellen aufgefasst, besonders seit-
dem man »amoeboide Zellen«, die von einfachen Amoeben nicht zu unter-
scheiden sind, weit verbreitet als integrirende Bestandtheile höherer
Organismen nachgewiesen hat; namentlich die nackten Eizellen derSpon-
gten, welche eine Zeit lang geradezu als parasitische, in den Schwam-
men lebende Amoeben angesehen wurden, sind in dieser Beziehung von
Interesse^]. Zwar hat Grebff in neuester Zeit den Versuch gemacht,
auch bei den Amoeben eine complicirtere Organisation nachzuweisen ;
indessen ist ihm dieser Versuch hier eben so wenig als bei den Infuso-
rien gegluckt. Sowohl die nackten Amoebinen (Amoeba , Petalopus,
Podostoma) als die mit einer Schale oder Hülle versehenen Amoebinen
[Arcella, Echinopyxis, Difflugia) sind einfache Zellen mit einem echten
Zellenkern. Die Gregarinen sind allgemein als ein&che Zellen (Mo-
nocystidea) oder als Complexe von 2 — S verbundenen einfachen Zellen
(Polycystidea) nachgewiesen 2). Ebenso allgemein sind die Plage Ha-
ien als einzellige Organismen anerkannt, oder als Golonien von solchen,
als Zellgemeinden. Auch die Einzelligkeit der Cilio-Flagellaten
oder Peridi neen ist sicher gestellt. Für die Noctiluken oderHyxo-
cystoden hat in neuester Zeit Gienkowski 3) den Nachweis geführt,
dass ihr ganzer Körper nur eine einfache Zelle ist und dass sie zu den
Flagellaten in nächster Verwandtschaft stehen. Von den Acineten oder
Suctorien endlich ist die Einzelligkeit zwar weniger allgemein aner-
kannt; indessen liegt eigentlich kein einziger Grund vor, dieselbe zu
bezweifeln. Der Nucleus erscheint durchaus gleich werthig einem ge-
i) Vergl. die Abbildung und Beschreibung der amöboideu Eizellen derSpoDgien
in meiner Monogrnphie der Kalksch^ärome: Vol. I. p. 155; Vol. III. Taf. I. Fig.
40-U; Taf. 85, Fig. 8; Taf. 44, Fig 4,9.
2) Alle Gregarinen, welche nur einen einzigen Nucleus besitzen, sind eo
ipso einzellig (Monocystidea); hingegen sind dlejenigrnlGregarinen, weiche zwei
oder mehrere Kerne besitzen, eben deshalb als vielzellig anzusehen (Polycys-
tidea).
3) CiKKKOwsKi, über Noctiluca ni iliaris. Arch. für mikr. Anal. 4873, IX.
47.
524 t^rns^ Hiieckel,
wöholicben Zellenkern ; das Protoplasma, das denselben umgiebt, ist
durchaus nicht differenzirt, und die von demselben ausgebenden starren
Pseudopodien, welche gewöhnlich als »Saugröhren« bezeichnet werden,
haben keinen höheren morphologischen Werth, als ähnliche Fortsätze
anderer Zellen. Auch in den Fortpflanzungserscheinungen der Acineten
liegt gar kein Grund gegen die Annahme, dass ihr Körper nur den Forni-
werth einer einfachen Zelle besitzt.
Demnach sind es nur dieCiliaten, deren morphologische Deu-
tung so divergente Ansichten hervorgerufen hat und auf die sich der bis
heute fortgesetzte Slreit über die »Einzelligkeit« gegenwältig allein
noch beziehen kann. Ohne Zweifel zeigt die grosse Mehrzahl der soge-
nannten Ciliaten im Wesentlichen dieselbe innere Organisation ; und die
verschiedenen Gruppen sind so nahe unter sich verwandt , dass sie als
Angehörige einer natürlichen Legion, oder was dasselbe ist, als Descen-
denten einer einzigen gemeinsanien Stammform angesehen werden kön-
nen. Nur einige wenige Formen (wie z. B. die Opalinen) dürften hiervon
ausgenommen werden. Im Uebrigen erscheinen alle Ciliaten so nahe
unter sich verwandt, das^ selbst die allgemein angenommene Eintbei-
lung von Stein (in die vier Ordnungen der Holotricha, Hetero-
tricha, Hypotrioha und Peritricha] sich auf die verschiedene
Yertheilung und Differenzirung der äussern Wimperhaare, also auf Cha-
ractere stützen musste, welche im Grunde genommen von sehr ausser-
lieber und oberflächlicher Natur sind. Ebenso sind auch die Charactere,
durch welche CLApARfenK und Lachman.^ ihre zehn Familien der Ciliaten
unterschieden haben, von so untergeordnetem W^erthe, dass daraus nur
die wesentliche üebereinstimmung' derselben in allen wichtigen Eigen-
thümlichkeiten der inneren und äusseren Organisation hervorgeht. Wir
dürfen daher in der nachstehenden Betrachtung die Gruppe der Ciliaten
als ein natürliches Ganzes zusammenfassen und brauchen nicht auf die
einzelnen Abtheilungen derselben einzugehen.
Die morphologische Grundfrage nun, welche für diese Ci-
liatengruppe vorliegt, und von deren Erledigung jeder weitere Fort-
schritt in der Erkenntniss ihrer Organisation abhängt, lautet: 1] Hai
der Körper der Ciliaten den Formwerth einer einzigen
Zelle? — oder 2] ist derselbe aus mehreren Zellen zusam-
mengesetzt? — oder endlich 3] ist Keines von Beiden der
Fair? Dieser letztere, dritte Fall ist bisher noch nicht gehörig in Erwä-
gung gezogen, indem man fast immer nur zwischen den beiden ersteren
wählen zu müssen glaubte. Dennoch ist auch dieser Fall in Betracht zu
ziehen. Wenn man nämlich den Ciliatenkörper nicht für eine einfache
Zeile und seinen Nucleus nicht als wahren Zellenkern gelten lassen will,
Zur Morphologie der lufosorieiu 525
so könnte man mit verschiedeo^n GrUnden die bisher nocb nicht erör--
terte Ansicht stützen , dass der Giliatenkörper noch nicht die Organisa-
tionshöhe einer wahren Zelle erreicht bat, sondern vledmehr einer
stark diilerenzirien Gytode, oder auch vielleicht ei ueoi Comple):
von mehreren Gytoden enlspricht.
Die Unterscheidung der Zellen und Gytoden, welche ich
zuerst 1866 in meiner generellen Morphologie gegeben und danq aus-
führlicher in meinen Monographien der Moneren und der Kalk&;chwlilmme
begründet habe, setze ich hier als bekannt voraus^). leb lege auf diese
Unterscheidung fortdauernd das grösste Gewicht, trotzdem sich die Hi-
stologie der Schule bisher fast noch gar nicht un> dieselbe gekümmert hat.
Dieser letztere Umstand erklärtsich allerdings gar^z einfach aus der That-
sache, dass es der heutigen Histologie nicht sowohl um klare Begriffe
vom Zellenopganismus und um Erkenntniss seines Entwicklungslebens,
als vielmehr um massenhafte Anhäufung unverbundener Thatsacben zu
thun ist; letztere erscheinen um so willkommener, je mehr sie den Cha-
racter eines un verstündlichen Guriosums tragen und je weniger sie ge-
eignet sind, sich in Bekanntes einzufügen und das Ganze harmonisch zu
erUiutern. Wer aber mit der Morphologie der niedersten Organismen
sich beschäftigt und wer in der Entwicklungsgeschichte die Quelle des
Verständnisses für die complicirten anatomischen Verhältnisse der Orga-
nismen erblickt, der wird früher oder später genöthigt sein, die Begriffe
der Cytode und^ der Zelle zu trennen und getrennt zu verwerthen.
Zellen und Gytoden sinddie beiden wichtigsten Grund-
formen oder Hauptarten, unter denen überhaupt der Ele-
mentarorganismus (Brückb) oder die Plastide, das »Indivi-
duum erster Ordnung« auftritt. Die Gytoden, als die kern-
losen individuellen Plastiden, stellen die ältere, einfachere und niedere
Hauptform der Plastide dar, aus der sich erst secundär durch Differen-
zirung von centralem Nucleus und peripherischem Protoplasma die echte,
d. h. kernhaltige Zelle entwickelt hat. Erst in zweiter Linie entsteht
die Frage, ob die Plastiden nackt oder von einer Hülle umgeben sind.
Hiernach lassen sich dann weiter vier untergeordnete Plastidenformen
unterscheiden, nämlich 4) Urcytoden (Gym nooytodae) : Plastiden
ohne Kern, ohne Membran oder Schale; 3j Uüllcytoden (Lepoey-
todae): Plastiden ohne Kern, mit Membran oder Schale; 3) Urzellen
(Gymnocyta): Plastiden mit Kern, ohne Membran oder Schale:
1} E. Haeckel. Generolle Morphologie. Vol. I, pag. 269 '»Morphologische In-
dividualität der Or^auisnieii«! Monographie der Moneren (Diehe Zeitscbrifl,
ßand. V. 4S10, pag. 498). Monographie der KalKscbw&mmCi Vol. I. pag. |04 etc.
526 l'^rnst lUeckel,
4) Hülizcllen (Lepocyta): Plasiiden mit Kern , mit Membran oder
Schale.
Bei scharfer Unterscheidung dieser wesentlich verschiedenen bei-
den Hauptformen der Piastiden lautet demnach die Frage jetzt eigentlich :
Hat der Giliatenkörper den Formwerth einer Gytode oder einer Zolle ?
odei* besteht derselbe aus einem Complexe von mehreren Cyloden oder
von mehreren Zellen?
Von entscheidender Bedeutung für diese Hauptfragen ist in ersler
Linie die Entwicklungsgeschichte und erst in zweiter |»inie die
Anatomie des entwickelten Ciliatenkörpers. Von entscheidender Be-
deutung dafür ist femer vor Allem die Natur des Nucleus, und
dessen Verhalten sowohl während der Ontogenese, wie im entwickelten
Körper. Die Vertheidiger sowohl wie die Gegner der Einzelligkeit haboi»
bisher sich immer vorzugsweise auf die Structurverhültnisse des ent-
wickelten Infusörienkörpers gestützt; und die Ontogenese entweder gar
nicht oder nur nebenher, in zweiter Linie berücksichtigt. Und doch ist
die Entwicklungsgeschichte hier, wie überall, y>der wahre Lichtträger
für Untersuchungen über organische Körper«. Wir werden daher hier
umgekehrt verfahren und unserem stet^ festgehaltenen Princip gemäss
vor Allem in der Ontogenese der Giliaten den festen Boden zu ge-
winnen trachten, von welchem aus wir die Morphologie des entwickelten
Körpers zu beurtheilen haben.
Hier ist nun vor Allem als feststehende fundamentale That-
Sache zu constatiren , dass bei der grossen Mehrzahl der Giliaten (und
wahrscheinlich bei allen!) aus Theilstücken des Nucleus mehrere Keim-
zellen hervorgehen, von denen jede einzelne sich direct in einen Em-
bryooder in den Körper eines jungen Giliaten umbildet. Diese Keimzellen
nennt Stkin »Ke i m k ug e t n«, Balbiani hingegen »E i e r«. Den letzteren
Namen würden sie verdienen, wenn sie zu ihrer weiteren Etitwicklung
der Befruchtung bedürften. Indessen ist bekanntlich in neiiester Zeit die
ganze Lehre von der sexuellen Fortpflanzung der Giliaten und von der
Befruchtung ihrer »Eier« durch »Samenfäden«, welche einige Jahre hin-
durch als ausgemacht galt, wieder sehr zweifelhaft geworden. Bei der
grossen Mehrzahl der Giliaten sind überhaupt noch keine Samenföden,
und ebenso wenig der »Nucleolusa oder Hoden, aus dem letztere- angeb-
lich hervorgehen sollen , beobachtet worden. Bei anderen werden jetzt
die angeblichen Samenfäden als parasitische Vibrionen oder sonstige
eingedrungene fremde Körper erklärt. Jedenfalls erscheint es beim
jetzigen Zustande unserer Kenntnisse vorsichtiger, den zuverlässigen und
unzweideutigen Beweis für die angebliche sexuelle Fortpflanzung abzu-
warten, und demgemäss die »Keimkugeln« Steins und der anderen
Zur Morphologie der Infnsorien. 527
Autoren nicht als Eizellen , sondern als geschlechtslose Keiitizellen oder
Sporen zu bezeichnen. Uebrigens ist die Entscheidung dieser Frage
fUr das zuniichst hier zu entscheidende Problem ganz gleichgültig. Die
Hauptsache ist, dass die Spore (die » Keimkugel « der Autoren, das »Ei«
von Balbianj) den Formwerth einer einfachen echten Zelle
besitzt. Für diese Zellennatur der Reknzelle ist es ganz einerlei, ob
dieselbe zu ihrer weiteren Entwicklung durch »Samenfiidenu befruchtet
wird o<ler nicht. Wer die zahlreichen naturgetreuen Abbildungen be-
trachtet, die Stein, CLAPARfcoE und Lachmann in ihren umfangreichen
Infusorienwerken von den »Keimkugeln« gegeben haben, der wird
schon durch die Vergleichung dieser übereinstimmenden Abbildungen
zu der sicheren Ueberzeugung gelangen , dass diese Keimkugeln immer
einfache echte Zellen sind. Meine eigenen Untersuchungen bestätigen
diese Ansicht durchaus. Bei Ciliaten der verschiedensten Gruppen habe
ich die Sporen mit Hülfe der stärksten VergrOsserungen und chemischer
Reagentien sorgfältig untersucht und bin stets zu demselben Resultate;
gekommen , dass dieselben den Formwerth einer ganz einfachen Zelle
besitzen, und zwar einer Urzelle, deren nackter Körper blos aus
zwei verschiedenen Bestandtheiien besteht, aus einer einfachen nackten
homogenen Protoplasmakugel und einem (meist ebenfalls kugeligen) da-
von umschlossenen Nucleus. (Taf. XXVII, Fig. 3 ; Taf. XXVIII, Fig. U.)
Der innere Nucleus, dessen Durchmesser meistens etwa ein Drittel von
dem der structurlosen Protoplasmakugel beträgt, ist stärker lichtbrechend
als letztere, und färbt sich nach vorsichtigem Zusatz von Karmin oder
(od intensiver als diese. Meistens ist der Nucleus fein granulirt und ent-
hält bisweilen (aber nicht immer] ein dunkleres, stark lichtbrechendes
Korn, dessen Deutung als wirklicher Nucleolus Nichts im Wege steht.
Häufig scheint dieser Nucleolus zu fehlen; statt dessen finden sich ein
oder ein paar ähnliche Körner neben dem Nucleus im^ Protoplasma. Bis-
weilen lässt sich eine dünne structurlose Zellmembran als Hülle der
Keimzelle unterscheiden ^j .
' Die zweite fundamentale Thatsache von entscheidender Bedeutung
ist, dass sich aus dieser Spore direct durch einfaches Wachs-
thum und Differenzirung der Theile der Embryo ent-
4) Mit derselben Bestimmtheit erkennt auch Stein die Sporen oder Keimkugeln
nis wahre Zellen an, indem er (in der zweiten Abtheilung seines grossen Werkes,
1867, pag. 24} sagt: »Wie sehr auch augenblioklicb die Ansichten über die geschlecht-
liche Fortpflanzung der infusionsthiere auseinander gehen mögen, darin sind doch
alle Forscher einig, dass die erste Anlage zu einem neuen Individuum von einem
TheilslOck des Nucleus gebildet wird, welches entweder sogleich in Form einer
Zelle aus dem Nucleus hervorgeht, oder doch bald nachher diese Form annimmt,
&2S lernst Haeckel,
wickelt. Dieser Embryo entsteht aus der Spore einfach dadurch, dass
Cilien aus seiner Oberfläche hervorwachsen. Bisweiten bedecken diese
Cilien gleichmässig als ganz kurze feine Fliromerh^rchen den ganzen Em--
bryokörper, der meistens eine länglich runde oder eiförmige Gesta It an-
nimmt, so bei unserer Codonella campanella, Taf. XXVlIj Fig. iiy
1;i, so auch bei der von Steiiv beschriebenen Bursaria truncatella
(Stein, II. Äbtheilung, p. 306, Taf. XIII, Fig. 5j. Änderemale entwickeln
sich die Fortsätze der Körperoberfläche nur an einem Ende zu feinen
locomotiven Wimperhärchen, am anderen Ende zu drckercn , retracli-
len, am Ende meist geknöpften Tentakelfortsätzen, so z. B. bei Stenior
(Stein l. c. Taf. VIII, Fig. 3, 4, 9). Auch jetzt noch ist der Embryo,
der in dieser Gestalt meistens bald durch den Gebyrtsact frei wird,
eine einfache Zelle, und zwar eine Flimmerzelle. Der Protoplasma-
körper enthält auch jetzt weiter Nichts als den Nucleus, und auch etwas
später, wenn neben diesem leCzteren die »contractile Blase« auftritt,
wird dadurch die Zellennatur desselben nicht im Mindesten geändert.
Nirgends tritt aber während der Embryonal- Entwicklung eine Vermeh-
rung der Kerne auf, oder auch nur eine Andeutung der Zollenvermeh-
rung, welche bei der Entwicklung aller höheren Thiere den Anfang der
Ontogenesis einleitet und als Furchung bezeichnet wird. Dieses höchst
wichtige Resultat betont auch Stein ausdrücklich, indem er (I. c. p. 24)
sagt: »Mit der grössten Klarheit lässt sich verfolgen, wie die Zelle, welche
zum Embryo vvird, sich in diesen umgestaltet. Sie bleibt fort und fort
eine einheitliche Masse, vergrösseft sich mehr oder weniger, und nimmt
allmälig eine gestrecktere ovale Form an ; in ihrem Protoplasma treten
ein oder mehrere contractile Behälter als erste Zeichen des erwachenden
thierischen Lebens auf, und an ihrer äusseren Oberfläche entwickelt
sich ein totales oder partielles Wimperkleid. Hiermit ist im Wesent-
lichen die Ausbildung des Embryo vollendet, er regt seine Wimpern,
fängt an sich zu drehen und herumzuwälzen, und sucht nach einem
Ausweg aus dem mütterlichen Leibe. Derselbe Körper, der noch vor
Kurzem eine einfache ruhende Zelle war, ist jetzt, ohne dass irgend
eine sichtbare Differenzirung in seiner Substanz eingetreten wäre , im
Stande, sich auszurecken und zu verkürzen und verschiedentlich zu
krümmen und zu winden. Die Keimkugel oder Embryoualzelle der la-
indem es sich zu einer lichten, von einer stnicturlosen Membran begrenzten Pro-
toplasma-Kugel gestaltet, welche einen opakeren centralen Kern einscblies»t.
Diese von mir als »Keimkugel« bezeichnete Zeile entwickelt sich nun entweder
unmittelbar zu einem Embryo, oder sie vvird die Mutter neuer Generationen von
gellen, von denen eine jede für sich später einen Embryo lieferta.
Zur Morphologie der iDfusorieu. 529
4
fusorien verhält sich durchaus nicht wie die Eizelle htiierer Thiere,
welche durch den Furchungsprocess in ein Haufwerk kleinerer, den Em-
bryonalkörper constituirender Zellen zerfüllt, sondern sie verwandelt
sich, wie sie ist, in den Embryonalkdrper : ihre Membran wird zur Gu-
ticula, ihr Protoplasma zur Körpersarcode, ihr Kern zum Nudeus des
jungen Infusionsthieres. Der Embryo der Infusionsthiere ist
also offenbar im strengsten Sinne des Wortes ein einzel-
liger Organismusa.
Auch im weiteren Verlaufe der Ontogenese der Ciliaten tritt nie*
mals eine wahre Gewebebildung ein ; niemals entstehen durch Theilung
desNucleus und der umgebenden Protoplasmamasse neue Zellen, welche
sich zu verschiedenen Geweben: Epidermiszellen , Nerven, Muskeln,
Darmepithelialzellen etc. differenzirten. Niemals ist überhaupt in
irgend einem Stadium der Entwicklung, durch irgend eine Unter-
suchungsmethode die Existenz von differenzirten Zellen im Ciliaten-
körper nachzuweisen, wie besonders Stbin ausführlich bewiesen hat
(l. c. p. 2£ u. a. a. O.j. Indem ich mich seinen bezüglichen Angaben
nach meinen eigenen Beobachtungen völlig anschliesse , will ich aus-
drücklich nochmals den vollständigen Mangel der Furcfaung als
höchst wichtigen negativen Character hervorheben, den die Ciliaten mit
allen übrigen Infusorien und mit allen Protozoen überhaupt theilen.
Hierin und in dem dadurch bedingten vollständigen Hangel der
Keimblattbildung liegt der fundamentale Unterschied, welcher die
Protozoen (und Protisten) von allen sechs höheren ThiersUimmen trennt.
Ich halte diesen Unterschied für so bedeutungsvoll , dass ioh die dechs
höheren Phylen des Thierreichs als Metazoa oder Keimblattthtere
zusammenfasse und der keimblattlosen Pro tozoa gegenüber stelle; ich
werde hierauf gleich bei der Anwendung meiner Gastraea-Theorie
zurückkommen.
Demnach behält auch im ganzen weiteren Laufe der individuellen
Entwicklung der CiliatenkOrper den Formwerth einer einzigen Zelle.
Nur bei denjenigen, wenig zahlreichen Ciliaten wird derselbe später
mehrzellig, wo durch Theilung des ursprünglichen Nucleus zwei oder
mehrere Nuclei entstehen. Zwei Nuclei neben oder hinter einander lin-
den sich bei mehreren Oxytrichinen und Am philo ptus-Arten; vier
Nuclei soll nach Stbin Onychodromus grandis besitzen, eine
grössere Anzahl Lox ödes rostrum und Enohelys gigas. Natürlich
besteht in allen diesen Fällen der Körper aus so vielen Zellen, als Nuclei
vorhanden sind; denn nur der Nucleus bestimmt die Indivi-
dualität derZclIe, und der vielgebrauchte Ausdruck : » vielkemige
Zcllßa i^l eine vGontradiaio iq adjecto« (Vergl. hierüber die Monographie
530 Ernst HÄerkfl,
der Külkschwämme^ Vol. I. p. <0o). Indessen ist noch sehr die Frage,,
ob hier nicht die Mehrzahl der Kerne bereits mit der Sporenbildung in
Zusammenhang steht. Sollte dies aber auCh nicht der Fall sein und
sollten diese »vielzelligen Giliaten« wirklich im ausgebildeten Zu-
stande constant mehrere Nuclei besitzen, so würde dieser Umstand
deshalb für unsere morphologische Betrachtung ohne wesentliche Be-
deutung sein, weil die Mehrzahl der Nuclei bei allen diesen vielzelligen
Individuen ohne jeden Einfluss auf ihre sonstige Organisation ist, diese
letztere vielmehr ganz mit derjenigen der einzelligen Ciliaten, also
der grossen Mehrzahl übereinstimmt. Wir brauchen daher auf alle diese
vielzelligen Ciliaten zunächst weiter keine Rücksicht zu nehmen , und
werden erst später auf sie zurückkommen.
Nachdem festgestellt ist, dass ebenso W9hl die Spore (oder »Keini-
kugel«) als auch der daraus hervorgegangene »Embryoa und das ge-
borene und weiter entwickelte jugendliche Ciliat den Form wert h
einer echten einfachen Zelle besitzt, ist nun weiter zu entschei-
den, ob auch der vollkommen entwickelte, reife und fortpflahzungs-
fähige Giliatenorganismus immer noch denselben einfachen Formwerth
behält. Hier scheidet sich unser Weg von demjenigen der grossen
Mehrzahl der Infusorienbeobachter. Nach reiflicher Erwägung aller be-
züglichen Verhältnisse und auf Grund vielfältiger eigener Untersuchungen
muss ich auf den Satz von Sibbold und Köllikbr zurückkommen, dass
auch der vollkomnien ausgebildete Körper des reifen Ciliaten (sofern
derselbe nur einen Nucleus besitzt!) immer nur den morphologischen
Werth einer Zelle behält. Hier trennt sich unser Weg der Betrach-
tung auch von demjenigen Steins, welcher sagt (I. c. p; ?2) : »die In-
fusorien sind in Bezug auf ihren Ursprung entschieden einzellige
Thiere, und wenn man diese Bezeichnung nur in diesem Sinne ge-
brauchte, so würde ich dieselbe durchaus gerechtfertigt finden ; ja sie
würde sich sogar ungemein empfehlen, weil sie den fundamentalsten
Unterschied der Infusionsthiere von den ausserhalb des Protozoenkreises
stehenden Thieren, die ihrer ersten Anlage nach mehrzellige Organismen
sind, sehr prägnant ausdrückt. Die ausgebildeten Infusionsthiere aber
wird man immer Anstand nehmen müssen als einzellige Organismen zu
bezeichnen; denn sie sind nicht blos einfach fortgewachsene Zellen,
sondern der ursprüngliche Zellenbau hat einer wesentlich anderen Orga-
nisation Platz gemacht, die der Zelle als solcher durchaus fremd ista.
Diesen letzteren Satz hoffe ich durch die nachstehende Betrachtung
zu widerlegen und zu zeigen , dass auch bei den höchst entwickelten
und am stärksten differenzirten Ciliaten Nichts im Wege steht, ihren
ganzen Körper als eine einzige Zelle aufzufassen. Selbstverständlich
Zur Morpholpgie der Infusorien, ^3]
darf man, um zu dieser Ueberzeugung zu gelangen, nicht die Giliaten mit
so einfachen und indifferenten Zellen vergleichen, wie z. B. die Eizellen,
die Furchungszellcn, die meisten Drttsenzelien, Epithelialzellen etc.
darstellen; sondern man muss die am meisten differenzirten Zellenformen
in Betracht ziehen , wie z. B. die Nervenzellen , Muskelzeilen , Nessel-
zellen, viele Parenchymzelleu von Pflanzen etc. sind. Nun denke man
nur einmal an den verwickelten Elementarorganismus, welchen nach den
neueren histologischen Entdeckungen viele, bisher fUr sehr einfach gehal-
tene Zellen im Thier- und im Pflanzenkörper darstellen ; man denke nur
an die Nervenzellen der höheren Thiere mit ihrem Fibrillensystem ; an die
Nesselzellen der Siphonophoren^ mit ihren höchst differenzirten Nessel-
kapseln, Nesselschlauchen, NesselfUden etc., die sich neben dem
Kerne im Protoplasma der Nesselzelle entwickeln ; man denke weiter an
die einzelligen Drüsen vieler niederen Thiere, mit ihrem »Ausführgang«,
ihrer constaoten Mündung (oMundöfi'nunga), ihren verschiedenartig ge-
formti'n Einschlüssen und Excrementen ; man denke an den höchst com-
plicirten Bau der quergestreiften Muskelzellen ; man denke endlich an
den verwickelten Organismus, den viele Pflanzenzellen mit ihren man-
nigfaltig differenzirten Umhüllungen, ihren Porencanalen , ihren pul-
sircnden Vacuolen (» contractilen Blasen a), ihrem inneren Protoplasma-
geflecht und dessen mannigfachen Einschlüssen (Amylumkörnern, Chlo-
rophyllkömern etc.) darstellen — und man wird bei unbefangener
Vergleichung zügelnen müssen, dass jeder dieser »einzelligen« Elemen-
tarorganismen hinsichtlich seiner mannigfaltigen Zusammensetzung aus
differenten Formhestandtheilen und somit hinsichtlich seiner »vollkom-
menen Organisation « dem Giliatenorganismus im Ganzen Nichts nachgiebt.
Der Unterschied isl* nur der, dass die hohe DifTerenzirung bei den ange-
führten, im socialen Zellenverbande des vielzelligen Organismus lebenden
Zellen eine einseitige, durch die specielle physiologische Function der
betreffenden Gewebe bedingte, ein Product der Arbeitstheilung ist; die
hohe DifTerenzirung des Giliatenorganisnms hingegen, der als isolirte
Einsiedlerzelle für alle Bedürfnisse des Lebens zu sorgen hat , ist eine
allseitige, anfalle Lebensfunctionen ausgedehnte: die Ciliatenzelle
vereinigt in sich viele verschiedene Differenzirungs-Processe, die wir
bei anderen Zellen getrennt w^ahrnehmen.
Wenn wir von diesem Gosichtspuncte aus die Organisation der Ci-
liatenzelle prüfen, so müssen wir zunächst blos diejenigen Körpertheile
und Organe ins Auge fassen , welche allen echten Giliaten gemeinsam
sind , welche bei der Ontogenese der Spore sich zuerst differenziren,
welche demnach auch bezüglich ihrer Phylogenese als die »Itesten , so-
wie für die morphologische Beurtheilung dos Giliatenkörpers und seiner
532 Ernst Hneek«!,
Stellung im System als die wichtigsten anzusehen sind. Diese Organe
sind die Rindensehieht, das Markparenchym und. der an der Grenze
beider gelegene Nueleus. Indem wir von »Organen« des CHiatenktir-
pers sprechen, gebrauchen wir diesen Begriff selbstverständlich nur im
physiologischen Sinne, alsBiorgan. Hingegen müssen wir Organe
im morphologischen Sinne, wirkliche Idorgane, den Infusonen
absprechen, da diese als Formindividuen zweiter Ordnung selbstver-
sUindlich immer aus einer Mehrzahl von Piastiden oder Formindividuen
erster Ordnung zusammengesetzt sein müssen (vergl. die Monographie
der Kalkschwämme, Bd. I. p. 103, 109).
Der erste Differenzirungsprocess, welchem wir bei den Embryonen
oder bei den unmittelbar aus den einzelligen nackten Sporen entwickel-
ten bewimperten Jugendzuständen der Ciliaten allgemein begegnen, ist
die Differenzirüng ihres Protoplasmakörpers in eine hellere festere Rin-
densubstanz und eine trubkörnige weichere Marksubstanz.
Diese Differenzirüng entspricht durchaus derjenigen , welche sich aucli
bei den Ämoeben, sowie bei sehr vielen Parenchymzellen höherer Thiere
vollzieht. Bei den Geisseizellen des Entoderms der Kalkschwämme habe
ich sie jüngst ausführlich besprochen und die beiderlei Differenz! rungs-
producte als Exoplasma und Endoplasmn bezeichnet (1. c. Vol. I.
p. 138}. Die dort gegebene allgemeine Darstellung passt vollständig
auch auf den jungen Ciliatenkörper, weshalb ich sie hier wörtlich
wiederholen will : » Die äussere Rindensubstajiz (Exoplasma) ist
völlig hyalin, etwas fester, wasserärmer, stärker lichtbrechend und ent-
hält gar keine Körnchen. Die innere Marksubstanz (Endoplns-
ma) ist körnig, etwas wasserreicher, schwächer lichtbrechend und ent-
hält die Granula. So deutlich sich die beiderlei Substanzen auch oft
von einander scheiden, so sind sie dennoch niemals scharf getrennt,
gehen vielmehr ohne bleibende Grenzschicht in einander über, ähnlich
wie die hyaline Rindensubstanz und die körnige Marksubstanz des Tn-
fusorienkörpers«. (Vergl. die Abbildung der Geisselzellen eines Ascon,
I. c. Taf. 1, Fig. 8; eines Leucon, Taf. 25, Fig. 5, 6 ; eines Sycon, Taf.
41, 'Fig. 7.)
Die Rindensubstanz oder das Exoplasma der Ciliaten , das
»Tegument« von Clapar^de und Lachmann, das »Rindenparenchynu
von Stein, die Hautschicht oder Haut der Autoren, ist ursprüng-
lich eine vollkommen homogene und structurlose , farblose, hyaline
Schicht von festerem Protoplasma, welches sich von dem trüben, körni-
gen, weicheren Protoplasma der inneren Eörpermasse durch einen ge-
ringeren Grad von Wassergehe' «^l an körnigen F'
und durch hohe selbständig uszeichnet.
Zur Morphologie der Infusorien. 533
bewegliche Anhänge des Ciliatenkörpers, die Wimpern in ihrer man-
nigfachen Gestalt, die Borsten, Uaare, Stacheln, Haken, Griffel etc.
sind weiter Nichts als structurlose Fortsätze dieses Exoplasma , welche
dessen Coniractilildt oder »Automatie« theilen. Sie verhalten sich in
dieser Beziehung gerade so, wie die Wimpern und Geissein der Flim-
merzellen , welche das Flimmerepithelium mehrzelliger Thiere consti-
tuiren.
Bei vielen, aber nicht bei allen (!) Ciliaten erfolgt secundtir
eine weitere Differenzirung dieser Bindenschicht in verschiedene Lagen,
und da gerade die Beschaffenheit dieser secundür differenzirten Haut-
schichten neuerdings vorzüglich als Argument for die Viel zelligkeit ver-
werthet worden ist, müssen wir dieselben einzeln betrachten. Bei den
am höchsten differenzirten Infusorien lassen sich folgende vier Schichten
als Differenzirungsproducte des Exoplasma unterscheiden : 1 j die Guti-
cularschicht; 2J die Wimperschicht: 3) die Myophanschicht ; 4) die
Trichöcystenschicht.
Die Cuticula des Giliatenkörpers wird von verschiedenen Auto-
ren in wesentlich verschiedenem Sinne betrachtet. Die Mehrzahl der
Autoren fasst unter dieser Bezeichnung die wirklichen Cuticularbilduu-
gen und die wesentlich davon verschiedene Wimperschicht mit ihren
mannigfaltigen Anhüngen zusammen. Diese Zusammenfassung ist voll-
slUndig unzulässig. Denn der Begriff der Cuticula ist sowohl in der
Histologie der Pflanzen als der Thiere längst fest bestimmt, und bezeich-
net lediglich Ausscheidungen, erhürtete Ausschwitzungen der
äusseren Oberflache des Körpers. Die sämmtlichen Cuticularbiidungen
sind demnach stcls todte Plasmaproducte , niemals lebendige und be-
wegliche Theile oder differenzirte Schichten des Protoplasma. Nun
kommen allerdings solche äussere Ausscheidungen der Rindenschicht
bei den Ciliaten vor, jedoch in viel geringerer Ausdehnung als dies
allgemein angenommen wird. Die grosse Mehrzahl der Ciliaten dürfte
keine wahre Cuticula besitzen. Zu den echten Cuticularbiidungen
rechne ich: \) die dünne, homogene, hyaline Haut, welche bei man-
chen Infusorien, z. B. Paramaecium, T rieh od i na unmittelbar über
der nächstfolgenden Wimperschiebt liegt, eine chitinartige Beschaffen-
heit besitzt und von den Wimpern durchbohrt wird; 2) die structurlose
äussere elastische Schicht des Stiels der Vorlicellinen etc.; 3) die
gallertartigen Hülsen und Gehäuse, wie sie manche Ciliaten, z. B.
Stentor, vorübergehend ausschwitzen, andere z. B. Cothurnia,
V a g i n i c 0 1 a, zeitlebens besitzen ; 4] einen Theil der mannigfach diffe-
*en »Panzer« und Gehäuse, sowie die »Schalen« vieler Ciliaten.
534 l^^rnst Haeekel,
Ein Theil dieser Schalen besteht hlos aus einem festeren , erhärteten
Theil der Wimperschicht. Ein anderer Theil hingegen ist wirklich ein
erhärtetes Seci^t der letzteren und hat mit dieser keinen organischen
Zusammenhang mehr. Dahin gehören namentlich die glockenförmigen^
chitinartigen Gehäuse der Tintin n od een und der nahe verwandten
Codonelliden, sowie die zierlichen gitterfbrmig durchbrochenen
Kieselschalen der Dictyocystiden, welche in dem nachfolgenden
Aufsätze »über einige neue pelagische Infusorien« näher beschrieben
sind (Taf. XX VII, XX VIII) . Diese S c h aj c n oder Gehäuse vieler »ge-
panzertera Infusorien sind hinsichtlich ihrer Genese und morphologischen
Bedeutung den ausgeschiedenen Membranen vieler Zellen gleichzusetzen;
und wenn man bedenkt, welchen verwickelten und vielgestaltigen Bau
diese Zellmembranen (als »äussere Protoplasma producte!«] bei vielen
Pflanzenzellen (Pollen!), bei den Eizellen* vieler Thiere erreichen,
welche mannigfaltigen Fortsätze, Anhänge etc. hier von denselben
gebildet werden, so wird man nicht die mindeste Schwierigkeit finden,
auch die vielfach differenzirten Gehäuse der Ciliaten unter den Begriff
der »Zellmembran« oder wenn man lieber will, des »Zellgehäusesn
unterzubringen.
Die Wimperschicht, welche allen Ciliaten ohne Ausnahme
zukömmt, liegt bei den mit einer wahren Guticula versehenen Arten
unter dieser letzteren, während sie bei den einer Guticula entbehrenden
die oberflächlichste Körperschicht darstellt. Dieselbe besteht aus einer
dünnen homogenen , ziemlich festen , elastischen und contractilen Haut,
als deren unmittelbare Fortsätze sämmtliche Wimpern (und die
daraus diflerenzirlen Haare, Borsten, Stacheln, GrifiTel, Haken eU\]
anzusehen sind. Die meisten Autoren betrachten die letzteren als di~
recte Fortsätze der Guticula. Indessen ist diese Anschauungsweise
nach dem , was wir vorher über den festen histologischen Begriff der
Guticula bemerkt haben, vollkommen unzulässig. Die contractilen und
beweglichen Gilien und ebenso alle durch deren Differenzirung entstan-
denen Fortsätze können nur Fortsätze einer lebendigen contractilen Pa-
renchymschicht , nicht aber einer todten , von dieser ausgeschiedenen
Guticula sein. Wo daher eine wirkliche, auf der Wimperschicht liegende
Guticula vorhanden ist, da müssen nothwendig die Gilien letztere durch-
bohren ; bei den mit einem umfänglichen Schalengehäuse versehenen
müssen sie aus einer Oeffnung des letzteren hervortreten. Bei der
Mehrzahl der Ciliaten aber, bei denen weder eine Guticula noch ein
Gehäuse den nackten Körper umschliesst, da wird die ganze Oberfläche
des Körpers von der dünnen Wimperschicht gebildet, von der direct die
Gilien entspringen.
Zar Morphologie der Infosorien. 535
Die Myophanscbicht, welche ich hier als dritte besondere
Schicht der RiDdensubstanz unterscheide, ist identisch mit derjenigen,
welche die meisten neueren Autoren als»MuskelsGhichta oder »Mu»-
kelhaut« auffuhren. Sie hat sich keineswegs bei allen , doch wohl bei
der Mehrzahl der Ciliaten deutlich nachweisen lassen, und erscheint als
ein System von regelmässigen, parallelen, feinen Streifen, welche mei-
stens in longitudinaler , anderemale in transversaler (circularer), bis-
weilen auch in spiraler Richtung (Spirostomum) dicht gedrängt neben
einander verlaufen und abwechselnd heller und dunkler erscheinen.
Zuerst hat 0. Sghmu>t die dunkleren (stärker Hchlbrechenden) Strei-
fen, welche oft aus einer Reihe hinter einander liegender Körnchen zu-
sammengesetzt oder selbst deutlich quergestreift erscheinen, für Mus-
kelfasern erklärt und die ganze Faserschicht dem Hautmuskelschlauche
der Würmer verglichen. Auch Stein und Andere haben sich dieser
Deutung angeschlossen. Grsbff hat neuerdings umgekehrt die schma-
leren hellen Streifen für Muskelfasern erklärt; er scheint dieselben für
hohl zu halten; wenigstens spricht er von »Lumina der Muskelfasern«
(L c. p. 381). Aus den Beobachtungen von 0. Schhidt, Stein und An-
deren scheint mit ziemlicher Sicherheit hervorzugehen, dass die dunk-
leren, oft kömigen, bisweilen wirklich »quergestreiften« Fasern, zu
denen auch der characteristische »Stielmuskel« der Vorticellen gehört,
wirklich contractile Fasern sind, welche durch ihre Gontraction
analog Muskeln wirken und Formveränderungen des Körpers bewir-
ken. Vom physiologischen Standpuncte aus erscheint diese Ver-
gleichung gerechtfertigt und wird namentlich durch die bekannten
Untersuchungen von Kühne bis zu einem gewissen Grade gesichert.
Vom morphologischen Standpuncte aus können wir dieselbe aber
nicht gelten lassen, sondern können diesen contractilen Streifen nur den
Werth von differenzirten Sarcodezügfn oder Protoplasmasträngen zuge-
stehen. Für den morphologischen Begriff des Muskels ist
seine Zellennatur unerlässlich. Muskeln in morphologischem Sinne können
wir nur solche Zellen oder Zellencomplexe nennen, welche aus-
schliesslich die Fähigkeit der Gontraction, d. h. der selbständigen
Verkürzung mit gleichzeitiger Dickenzunahme besitzen. Jede Muskel-
faser ist entweder eine einzige Zelle (mit einem Kern) , so z. B. die
glatten Muskelelemente der Wirbelthiere ; einzellige Muskeln; oder
sie ist ein Aggregat von mehreren innig verbundenen Zellen (ein Syn-
cytium) <), in welchem Falle die Zahl der eingeschlossenen Kerne die
4 ) (Jeher den Begriff des Syncyliums vergl. meine Monographie der Kalk-
schwtfmme, Vol. I, p. 464.
Bd. Vn. 4. S5
&36 Bt^BtHaeek«!;
Zahl der Zellen anzeigt, aus denen die »vielzellige Hnskelfasef« zusam-
mengesetzt isU Die wahre Muskelfeser muss demnach stets entweder
einen oder mehrere Kerne enthalten , oder wenigstens während ihrer
Entwicklung enthalten haben. Bei den angeblichen »Muskelfasema der
Infusorien ist dies- nirgends der Fall; niemals zeigen dieselben eine
Spur von einem Kerne oder von einer Zusammensetzung aus Zellen ;
vielmehr lassen sie sich nur als T heile einer Zelle auffassen, und z^^ar
nur als Theile einer dünnen Wandschicht, die allerdings einer Ar-
beitstheilung der Plastidule^), d. h. einer Dlfferenzirung der
Sarcodemolekule im Protoplasma der Zelle ihren Ursprung verdanken.
Theile einer Zelle können aber niemals als Muskeln bezeichnet wer-
den« Richtiger ist die Vergleichung Köllikbr's, der die quergestreiften
Faserztlge der Ciliaten mit »Muskelfibrillen« zusammenstellt. Doch
bleibt dabei zu berücksichtigen, dass es noch Niemandem gelungen ist,
diese contractüen Sarcodestränge wirklich als einzelne Fasern eu isoii-
ren. Aber auch noch aus einem zweiten Grunde dürfen wir die frag-
lichen Faserzttge nicht als Muskeln gelten lassen.. Wahre Muskeln können
wir nur bei solchen Thieren annehmen, welche auch unzweifelhafte
Nerven besitzen. Wo die Dlfferenzirung in Muskel und Nerv überhaupt
noch nicht eingetreten ist, da kann man in strengerem Sinne ebenso
wenig von Muskeln als von Nerven sprechen , sondern muss Zellen,
welche die Functionen dieser beiden Gewebe noch vereint vollziehen,
»Neuromuskelzellem nennen. Den scharfsinnigen Nachweis hier-
für hat N. KLBiifBifBBRG in seiner vortrefflichen Monographie der Hydni
geliefert^) . Nun ist es aber bekanntlich noch keinem einzigen Beobach-
ter gelungen, auch nur die Spur eines Nervensystems in den Ciliaten
nachzuweisen ; vielmehr haben alle dahin zielenden Erfolge rein nega-
tive Resultate gehabt. Wir würden also, selbst wenn die angeblichen
Muskeln der Infusorien wirkliche Zellen oder Zellenaggregate waren,
sie höchstens als »Neuromuskelzellen« bezeichnen dürfen. Das ist nun
aber keineswegs der Fall. Vielmehr sind sie den Neuromuskeln nur
physiologisch, aber nicht morphologisch zu vergleichen ; mithin können
wir ihnen nur den Werth von diSbrenzirten contractilen Sarcodezügen
i) Deo von Dr. Elsbbrg iaNew-York vorgeschlagenen Ausdruck »Plastidul«
stall des vielsylbigen Wortes »Protoplasma-MolekuI« balle ich für eine kurze
und passende Bezeichnung lUr die hypotheUschen Sarcode-Theilchen. welche als die
eigenUichen elemeolaren Pacloren des Plastiden-Lebens isnerlialb der einzelnen
Cytode oder Zelle auftreten.
2) Nicolaus Kleirbrbkrg, Hydra. Eine anatomisch-enlwicklungsgeschicbUiche
Untersuchung. Leipzig. 487S.
Znr Morphologie der Infusorien. 537
des Exoplasma zugestehen , die man, wenn man will, Scheinmus-
keln oder Myophane nennen kann.
Eine vierte und letzte Rindenschieht scheint bei vielen Ciliaten
(aber keineswegs bei allen] durch eine unterhalb der Hyophanschicht
liegende dünne Exoplasmaschicht gebildet zu werden, welche unmittel-
bar an das Endoplasma grenzt und welche bei einzelnen Arten (aber
nicht bei vielen!) die als Trichocysten oder Hautstäbchen bezeichneten
Gebilde umschliessen soll. Wir wollen sie daher einfach die T rieh ocv-
stenschicht nennen. Bekanntlich werden diese Stdbchen oder Tricho-
cysten, welche nach Zusatz von Essigsäure etc. oft einen Faden hervor-
treten lassen, bald mit Tastkörperchen, bald mit den Nesselorganen der
Acalephen verglichen. Grbeff sagt sogar : »Sollte es sich bestätigen, dass
diese Gebilde in der That zum Vorticellenkörper gehörige Nesselorgane
seien , so würde das für die Kenntniss vom Aufbau des Infusorienkör-
pers von der grössten Wichtigkeit sein, da diese Nesselkapseln in Rück-
sicht auf ihre vollständige üebereinstimmung mit denen der Cölentera-
ten sich ohne Zweifel auch ganz wie diese aus Zellen entwickeln würden«
(1. c. p. 384). Wir brauchen nun hier die streitige physiologische Func-
tion dieser Hautsläbchen oder Nesselkapseln oder Trichocysten gar nicht
weiter zu erörtern , sondern haben blos vom morphologischen Stand-
punct aus die Frage zu erörtern , ob in ihrer Structur und Entwicklung
irgend ein Beweis gegen die Einzelligkeit und für die Vielzelligkeit des
Ciliatenkörpers liegt. Die meisten Autoren nehmen dies ohne Weiteres
an und behaupte, dass der Besitz zahlreicher »Nesselkapselm mit der
Einzelligkeit völlig unverträglich sei. Mit welchem Grunde sie dies
jedoch behaupten, ist mir völlig unbegreiflich. Es ist eine längst festge-
stellte Thatsache, die ich schon in meiner Monographie der Geryoniden
ausführlich erörtert habe, dass sich die Nesselkapseln der Acalephen
nicht (wie man früher glaubte) aus dem Nucleus der Nesselzellen, son-
dern ganz unabhängig von diesem in deren Protoplasma entwickeln;
und zwar bilden sich bei vielen Acalephen in jeder Nesselzelle
gleichzeitig viele Nesselkapseln, während bei anderen sich in
jeder nur eine einzige entwickelte Kapsel vorfindet. Man vergleiche nur
die sehr sorgfäiltige Darstellung der Nesselzellen, welche neuerdings
Franz Eilhard Schvlzk und N. Klsinenbbrg in ihren ausgezeichneten
Monographien der Cordylophora und der Hydra gegeben haben.
Da mithin die einzelne Nesselzellc der Acalephen zahl-
reiche Nesselkapseln in ihrem Protoplasma, ganz un-
abhängig vom Nucleus bildet, so ist durchaus nicht
einzusehen, warum nicht auch der einzellige Giliaten-
organismus dasselbe Recht besitzen soll. Vielmehr beweisen
538 Ernst Haeckel,
die zahlreichen Nesselkapseln, welche bei einigen (wenigen I) Ciliaten
im Exoplasma sich finden und auch hier ganz unabhängig von dem ein-
fachen Nucleus sich bilden, nicht das Mindeste gegen deren Einzellig—
keit. Wenn daher Greeff (1. c.) in den Nesselkapsein der Vorticellinen
nicht allein einen Beweis für ihre Yielzelligkeit, sondern auch für ihre
Verwandtschaft mit den Cölenteraten erblickt, so sind diese beiden
Gründe völlig werthlos und bedürfen keiner weiteren Widerlegung^).
Fassen wir jetzt unsere Resultate der Untersuchung des Exoplas—
m a oder der Rindensubstanz des Ciliatenkörpers zusammen, so er—
giebt sich, dass in ihrer Structur, selbst bei den am höchsten differenzir-
ten Infusorien, nicht der mindeste Grund gegen ihre Auffassung als ein-
fache Zelle zu finden ist. Weder die Cuticularbildungen, noch ^ie Wina-
perschicht mit ihren beweglichen Wimpern , noch die Myophanschicht
mit ihren Pseudomuskelfibrillen , noch endlich die Trichocystenschichl
mit ihren zahlreichen Nesselkapseln liefert irgend ein haltbares Argu-
ment gegen die Auffassung des ganzen Körpers als einfacher Zelle.
Dasselbe gilt nun aber auch von dem Endoplasma oder der Marksubstanz,
zu dessen Betrachtung wir uns jetzt wenden.
Das Endoplasma oder dieMarksubstanz des Ciliatenkörpers
hat in noch viel höherem Masse als das Exoplasraa oder die Rinden-
substanz die aller verschiedenartigste Auffassung erfahren und ist vor-
züglich Ursache der noch heute sich schrofi* gegenüberstehenden Ansichten
über hohe oder niedere Organisation der Infusorien geworden. Nirgends
so wie hier hat die hohe Autorität Eorbnberg\s durch die Einführung einer
völlig unberechtigten und irrthümlichen Deutung einfacher Verhältnisse
gründliche Verwirrung angerichtet und wirkt noch heute als Fehler-
quelle fort. Bekanntlich besteht der Hauptirrthum Ehrenbbrg^s darin,
dass er den Ciliaten einen vollständigen Darmcanal mit Mund und After
zuschreibt. An diesem Darmcanale sollen zahlreiche Magensäcke frei in
die Leibeshöhle hinab hängen, welche in seinem grossen Infusonenwerke
mit einer Bestimmtheit und Deutlichkeit abgebildet sind, die Nichts zu
wünschen übrig lässt^}. Ehrenbbrg hat deshalb die Ciliaten als nPo-
lygastrica enterodela« bezeichnet. Schon im Jähre 4845 führte
4) Besonders zu bemerken ist noch, dass die eigenthümlicheD, ovalen, paar-
iM^eise unter der Myophanschicht liegenden »Nessel kapseln«, aufweiche Grbeff seine
Ansicht stützt, bis jetzt blos bei einem einzigen Ciliaten, bei Epistylis fta-
vicans, aufgefunden sind. Sie sind hier (was Greepp nicht zu wissen scheint)
schon längst von ClaparIide und Lachhahii (1. c. p. 148), spater auch von Enobi:-
MANN beschrieben worden (Zeitschr. für wissensch. Zooi. Bd. XI, p. 37Sj.
i) Der polygastrische Darmcanal von Euren beng ist besonders schön in seinelu
grossen Infusorien-Werke ausgemalt auf Taf. XXXI, Fig. i von Euchelys pupa,
Zur Morphologie der Infusorien. 539
SiBBOLD (in dem ersten Hefte seines »Lehrbuchs der vergleichenden Ana-
tomie«, p. ii — 19J den klaren und bündigen Beweis, dass diese ganze
polygastnsche Hypothese auf Täuschung beruhe. »Die von Ehrbnberg
als Magensäcke betrachteten, im Parenchym der Infusorien unregelmdssig
zerstreuten, blasenfdrmigen hohlen Räume besitzen niemals einen hoh-
len Stiel, durch welchen sie mit einem Darmcanale bei den Enterodelen
(= Giliaten) in Verbindung stehen sollen. Einen Darmcanal wird man
überhaupt nicht bei den Infusorien entdecken können. Jene blasenför-
migen Aushöhlungen des Parenchyms enthalten eine klare Feuchtigkeit,
welche die Infusorien aus dem flüssigen Medium , in welchem sie sich
aufhalten , durch die Hautoberfläche aufsaugen oder durch den Mund
verschlucken und in das nachgiebige leicht aus einander weichende Pa-
renchym ihres Körpers hineindrängen. Wendet man die Fütterungs-
methode an, so werden die in dem Wasser schwebenden Farbstofl'-
partikelchen durch den Strudel, welchen die bewimperten Mundöffnun-
gen vieler Infusorien im Wasser erregen, herbeigeholt und mit dem
Wasser verschluckt. Das Wasser sammt den Farbstoflpartikelchen
häuft sich allmälig am unteren Ende des Oesophagus an und drängt
hier das nachgiebige Parenchym blasenförmig von einander. So lange
dieses Wasser wie ein Tropfen noch mit dem unteren Ende der Speise-
röhre zusammenhängt, hat das Ganze das Ansehen einer gestielten
Blase ; hat sich aber ein solcher Wassertropfen von der Speiseröhre los-
gelöst, indem er durch die Contraclion der letzteren in das lockere
Parenchym hineingedrängt worden ist, so erscheint derselbe als eine
ungestielte Blase, in welcher die verschluckten Körper vollständig abge-
schlossen liegen. Werden dergleichen mit festem Futter gefüllte Tropfen
im Parenchym der Infusorien zu dicht an einander gedrängt, so geschieht
es zuweilen, dass sie zu einem einzigen grösseren Tropfen in einander
auf Taf. XXXU, Fig. 4 von Leacopbryspatuia. Hier »sieht man das Fortrücken
der Speise in dem scblangenförmigeii Darme, woran die Magen wie Beeren sitzen,
deren Stiele nur dann sichtbar werden, wenn sie den Inhalt der Magen ein- oder
auslassen«. Wenn man die Bestimmtheit erwttgt, mit der ERasHBEBG diese völlig
falschen Angaben macht und noch jetzt, nach 85 Jahren, allen Gegenbeweisen ge-
gentiber aufrecht erhKIt, so dürfte man auf ihn den Vorwurf anwenden, welchen er
selbst unverdienter Weise Sikbold macht, dass nttmlich »der fleissige Autor doch
vorsichtiger die Wissenschaft vor neuen Meinungen über die Organisation der mi-
kroskopischen Organismen hätte schirmen sollen, die leicht hinein, aber schwer
herausgebracht werden; denn bekanntlich erörtern die meisten
Schriftsteller nicht das Wahre, sondern das Falsche in langen
Worten und unnöthigen Schriften«. (Monatsberichte der Berlin. Akad.
4 848, p. 185). Dieses -wahre Dictum findet auf Niemand mehr Anwendung als auf
EnaBirBiBG selbst.
540
Ernst Haeckel,
fliessen, was beweist, dass diese Tropfen nicht von besonderen Magen-
häuten umgeben sind. Die verschluckten festen Futterstoffe, welche
hüufig aus niederen Algen, namentlich aus Diatomeen, Oscillatorien
etc. , aber auch aus Infusorien bestehen , stecken nicht selten , ohne
von einer Feuchtigkeit blasenförmig umgeben zu sein , unmittelbar im
Parenchym. Die festen Nahrungsstoffe , mögen sie unmittelbar im Pa-
renchym der Infusorien stecken oder von Flüssigkeit blasenförmig um-
geben sein, werden durch die Bewegungen derThiere, während sie
sich ausdehnen oder contrahiren, mit dem gallertigen Parenchym des
Leibes durch einander und über einander geschoben; bei einigen circu-
lirt das lose Parenchym, sammt den in ihm steckenden Nahrungssioffen,
regelmässig und kreisförmig, nach Art des Saftes in den Glieder-
röhren der Chara-Arten auf und nieder. Ganz besonders auffallend
und vom höchsten physiologischen Interesse erscheint diese Circulation
des Leibesinhalts bei Loxodes bursaria« (1. c. p. 18]. Ich habe diese
Stellen aus der Darstellung Siebolds hier wörtlich angeführt, weil diese
atisgezeichnete, schon vor 28 Jahren gegebene Darstellung höchst natur-
getreu ist und in allem Wesentlichen den Nagel auf den Kopf trifft.
Wäre dieselbe von den nachfolgenden Beobachtern der Infusorien
mehr beachtet und geprüft worden, so wären der Infusorienkunde viele
Irrthümer erspart geblieben, die jetzt einen grossen Theil ihrer Literatur
füllen. Meine vielfältigen eigenen Beobachtungen, die sich über alle
Hauptgruppen der Ciliaten erstrecken, haben mich zu ganz denselben
Anschauungen geführt, welche Sibbold schon im Jahre 1845 publicirte,
und über welche im Einzelnen sein Lehrbuch der vergleichenden Ana-
tomie (p. 14 — 19) und sein 4 Jahre später publicirter vortrefflicher
* Aufsatz »über einzellige Pflanzen und Thiere« nachzusehen ist (Zeitschr.
für wissensch. Zoologie, Bd. I, 1849, p. 270—294).
Die Auffassung Siebold's fand die nächsten eifrigen Gegner in Cla-
PARi^DE und Lachhann, welche in ihrem grossen Infusorien-Werk zwar
nicht die Theorie des polygastrischen Darmcanals von Errenberg adop-
tirten, dafür aber eine monogastrische Theorie vertraten, welche Jsuerst
von LACHMAiüif in Folge seiner Untersuchungen über die Vorticellen auf-
gestellt war, und wonach die Ciliaten »eine grosse, mitCfaymus
erfüllte Verdauungs- oder Magenhöhle mit Mund und After«
besitzen. Diese Dcavitd digestive distincte« wird bald als »cavit^ g^n^ralc
du coi*ps«, bald als »v^ritable intestin, canal alimentaire« etc. bezeichnet
(£tudesetc. p. 28 — 42). Das Wesentlichste dieser Anschauung liegt darin,
dass das ganze weiche oder »festflüssigetfInnen-Parenchym (die Marksub-
stanz des Ciliaten-Körpers) als Speisebrei oder Gh y mus gedeutet wird,
knithin nicht als wirklicher Körpertheil, sondern als Darminhalt. Der Mund
jU.
Zur MorpbolAgie der .Infosorien. 54 1
'Ubrtdurch eine kurze Speiseröhre in eine grosse geräumige »VerdauuDgs-
hoble oder-Mageahöblea, deren Wand, die »Rindenschiobt«, demnach
gleichzeitig Afagenwand und Körperwand ist. Die uiwerdauten Besiand-
theile des Ghymus werden aus dieser Magenhöhle durch einen (nicbtimmer
vorhandenen!) After nach anssenial^eftthrt. Daraus ergibt sich im We-
sentlichen die nächste Verwandtschaft der Giliaten zu den Cölente ra-
ten, bei denen dieselbe cbaracterisUsche Einrichtung des Ernährungs-
Apparates überall wiederkehrt. iGlaparJ^dk und Lacqhanr varsäumen denn
auch nicht, diese Verwandtschaft ausdrücklich .zu betonen. "»La cavit^g^-
n^rale sert de cavit^ digestive, ou si parfois il existe une cavit^ digestive
speciale, eile est en communication ouverte avec la cavit6 gdn^rale. G^est
cette disposition du sy sldme digestif qui justif ie le nom deGölenl^r^s.
Or, cette d^finition des iGölent^r^s s*applique parfaitement au^ Infu-
soires, et si Ton ne spleiße pas le type de la ciasse, il faut consiT
d^rer les Infusoires commeformantune simple subdi Vi-
sion des Gölent^r^s« (1. c. p. 59).
Diese Auffassung der Giliaten von GLAPAUfcnB und iLACiuiAifif stimmt
zwar daHn mit £BRBifBEG's Anschauung Jüberein, dass die Infusorien
hochorganisirte Thiere mit einem vollständigen Darmcanal sind; aHein
sie entfernt sich anderseits weit von der polygastrischen Theorie, indem
sie diese Darmhöhle zugleich als Leibesböble betrachtet und die Giliaten
auf Grund dieses Verhältnisses mit den Gölenteraten vereinigt. Das
gänzlich Verfehlte dieser Auffassung, welche im Wesentlichen auch von
LiBBButiHN und anderen Beobachtern getheilt wurde, ist neuerdings
besonders von Stein in der zweiten Abtheilung seines grossen Infusorien-
Werkes (4867, p. 6 ff.) nachgewiesen. Trotzdem hat in neuester Zeit
die GuPARftDE-LACHMAivif'sche Theorie einen entschiedenen Vertheidiger
und Restaurateur in Grbbpf gefunden, welcher in seinen »Untersuchungen
über den Bau und die Naturgeschichte der Vorticellen« zu folgendem
Resultate gelangt: »Die unter der Guticula Hegende Rindensohicbt um-
schliesst nach innen in fesler Grenze einen fiaum, die Körper höhle.
Der Inhalt der Körperhöhle besteht aus einem dünnflüssigen Brei von
aufgenommener oder bereits mehr oder minder aufgelöster Nahrung,
d. h. aus Ghymus , der durch stete Zufuhr neuer Nahrung und Wasser
von aussen durch die Hundöffnung und durch Abgabe der verbrauchten
Stoffe durch den After in einem fortwährenden Wechsel be-
griffen ist. Im Inneren der KörperhöUe kreist dieser Nabrungsbrei be^-
ständig umher, wodurch einerseits die Zerkleinerung und Ghymificiruag,
mit einem Worte die Verdauung und anderseits die Vertbeilung
der ernährenden Substanzen durch den ganzen Körper
befördert wird. Wir sehen sonut in der Körperhöhle der Vorticellen
542 Ernst Haeckel,
einen Gastrovascular-Raum im vollen Sinne des Wortes,
eine Körperhöhle, in der die Verdauung und Girculation resp. Ernährung
ganz in derselben Weise erfüllt wird, wie bei den Gölenteraten«
(I. 0. p. 191, 192).
Obgleich nun Grbeff wie man Sieht, lediglich die Ansicht von Gjla-
PARADE und Lachhann reproducirt, beginnt er doch seine Darstellung der-
selben mit den Worten: »Ehrenberg verdanken wir die erste
richtige Anschauung von dem Ernährungs-Äpparat der
Vorticellön« (1. c. 1870, p. 185). Wie man aber die polygastriscbe
Theorie von Ehrenberg fUr richtig erklären und gleichzeitig die völlig
verschiedene Gastrovascular-Theorie von Clapar^db und Laghhann zur
seinigen machen kann, ist mir völlig unverständlich. Ebenso unver-
ständlich ist mir, durch welche Ursachen sich Grbeff die »leicht zit-
ternde Strömung« oder die »vibrirende Bewegung« des Inhalts der »ver-
dauenden Körperhöhlea her\'orgebracht denkt? Ebenso unverständlich
ist mir, wie diese »Rotation« des Nahrungsbreies »die Vertheilung
der ernährendan Substanzen durch den ganzen Körper beförderna soll,
da ja nach Grbeff's Anschauung der »ganze Körper« eigentlich nur aus
der festep, nicht rotirenden »Rindenschicht« und den mit dieser zusam-
menhängenden Organen (Cuticula, Wimpern, Nucleus etc.) besteht, die
ganze innere »scharf abgegrenzte« Höhle aber nur eine einfache, mit dem
rotirenden Chymus selbst vollständig angefüllte Gavität ist? Ebenso
unverständlich ist mir endlich (neben vielem Anderen) auch folgender
Satz : »Die Formbeslandtheile, die nach Entfernung der grösseren Nah-
ruungsballen zurückbleiben, sind bei einigen Arten ausserdem von ganz
constanter Gestalt und Grösse, wie sie z. B. bei Epistylis flavicans
in glänzenden, leicht gelb gefärbten, oft zu mehreren, m^ist zu drei
oder vier zusammengeballten verhältnissmässig grossen Kügelchen be-
stehen, so dass man versucht ist, das ganze von den gröberen noch un-
gelösten oder unlöslichen Nahrungsstoffen befreite Fluidum als die mit
Wasser vermischte Blutflüssigkeit oder Chylus anzu-
sehen« (1. c. p. 194). Hiernach scheint Grbbfp anzunehmen, dass der
»Chymus«, welcher die »Leibeshöhle oder verdauende Kör-
perhöhlea erfüllt, sich unmittelbar durch »Entfernung der grösseren
Nahrungsballen« in die »mit Wasser vermischte Blutflüssigkeitoder
Chylus« verwandelt. Indessen dürfte dieser Theorie doch der üb-
liche Sprachgebrauch der Anatomie und Physiologie entgegenstehen,
wonach »Chymus, Chylus und Blutflüssigkeit« wesentlich verschiedene
Begriffe i^ind.
Um die von Grbeff reslaurirte Gastrovascular-Theorie von Clapa-
RfcDE und Lachmann definitiv zu widerlegen, bedarf es weiter Nichts, als
Zur Morphologie der Fnfusorien. 543
einer scharfen BcgriffsbestimmuDg des innern Hohlraunis der Zoophyten
oder GölenteraleD , welcher bald als »Leibeshöhle« oder »allgemeine
Körperhöhletf, bald als »Magenhohle, Darmhöhle« etc. bezeichnet wird.
Ich habe diese Begriffsbestimmung in meiner Monographie der Kalk-
schwämme (Vol. I, p. 467) zu geben gesucht, indem ich auf Grund der
nachher noch zu besprechenden Gastrula- Entwicklung den ana-
tomischen und genetischen Nachweis führte, dass Leibeshöhle und
DarmhöhlederThiere völlig verschiedene Hohlräume sind,
die niemals mit einander in Zusammenhang stehen und auf ganz ver-
schiedene Weise entstehen. Die Darmhöhle oder verdauende Ca-
vilM (gaster, cavitas enteric a), und ebenso alle davon ausgehen-
den Ausbuchtungen (Gastrovascular-Räume, Gastrocanäle, Darmdrttscn,
Blinddärme etc.) sind stets ursprünglich vom Entoderm oderGas-
Iralbl.atte, dem inneren Keimblatte oder Darmdrüsenblatte ausge-
kleidet. Der Inhalt der Darmhöhle ist aufgenommene Nahrung und
Wasser, Speisebrei oder Chymus. Die Leibeshöhle oder Eingeweide-
höhle hingegen (cöloma, cavitas pleuroperitoneal is) befindet
sich stets zwischen dem äusseren und inneren ursprünglichen Keim-
blatle, zwischenExoderm und Entoderm, und entsteht durch Ansamm-
lung von Flüssigkeit zwischen Beiden, oder in einer Lücke dos mittleren
Keimblattes, in der Spalte zwischen den beiden SpaltungslamcHen des
letzteren, zwischen Hautmuskclblatt (oder Hautfaserplatte) und Darm-
muskelblatt (oder Darmfaserplatte) . Diese Flüssigkeit, welche das Gölom
erfüllt, ist niemals Speisebrei oder Chymus, sondern stets ein durch die
Darmwand transsudirter Saft, den man entweder Chylus oder Blut
(im weiteren Sinne) nennen kann. Allerdings stehe ich mit dieser Auf-
fassung der Darmhöhle und Leibeshöhle in Gegensatz zu der Mehrzahl
der Autoren, welche nach dem Vorgange von Lbigkart den Zoophyten
oderCölenteraten (den Spongien, Hydromedusen, Ctenophoren, Corallen)
eine Leibeshöhle zuschreiben und eine Darmhöhle absprechen. Allein
ich stütze mich auf die Entwicklungsgeschichte, welche klar das Gegen-
theil lehrt. Bei allen Cölenteraten oder Zoophyten ist der zusammen-
hängende Leibeshohlraum (der in der einfachsten Gestalt bei der Gas-
trula- Larve auftritt) von Anfang an mit einer Zellenschicht des Enloderms
oder des inneren Keimblattes (Darmdrüsenblattes} ausgekleidet, und muss
daher, wie bei allen höheren Thieren, als Darmh öhle bezeichnet wor-
den. Eine wahre Leibeshöhle, ein Cölom oder eine »Pleuroperiloneal-
Uöhle«, geht hingegen den sämmtlichen Zoophyten (ebenso wie den Pla-
thelminthen) völlig ab und kömmt erst bei den höheren Würmern (Cölo-
maten) und den davon abzuleitenden vier höheren Thierstämmen zur
Entwicklung.
544 Brost Haeckel,
Wean nan wirklich, wie Grkeff nach dena YoiigaDge von ClapaaSbe
und Lachmann behauptet, i^die verdauende Körperhöhle der Infusorien
ein Gastrovascular-Raum im vollen Sinne des Wortesa wäre, wie bei
den Gölenteraten, so müsste dieselbe selbstverständlich voai Entodenn,
vom Gastralblatte oder inneren Keijoiblatte ausgekleidet sein. Nun ist
aber bekanntlich noch von Niemandem bei den Infusorien eine Spur von
Keimblättern überhaupt nachgewiesen worden, und alle fiemUhungen,
an der Innenfläche der angeblichen «verdauenden Körperhöhle« der Gi-
liaten eine Spur von einem Epithelium oder überhaupt von einer aus
Zellen zusammengesetzten Hasse wahrzunehmen, sind völlig vergeblich
gewesen. Es liegt mithin nicht der geringste anatomische Grund vor,
jenen angeblichen »Gastrovascular-Rauma der Ciliaten mit dem wahren
Gastrovascular-Raum oder der Darmhöhle der wirklichen Zoophyten
oder Gölenteraten zu vergleichen. Ebenso spricht auch die Entwick-
lungsgeschichte da6niti V dagegen. , Vielmehr zeigt die sorgfältigste
anatomische und ontogenetisohe Untersuchung unwiderleglich, dass der
ganze sogenannte Chymus der Giliaten, der weiche, fest-
flüssige »Inhalt« der angeblichen Gastrovascular-Höhle, durchaus wei-
ter Nichts ist, als die weichere und wasserreichere
Marksubstanz des Protoplasma oder der Sarcode des einzelligen
Körpers. Das Verhalten dieses Endoplasma oder der verdauenden
Marksubstanz, welches schon Sibbold so vortrefflich geschildert hat
(1. c), ist durchaus dasselbe wie bei den Ämoeben und bei anderen ein-
zelligen Organismen, welche geformte feste Nahruogsstofie von aussen
aufnehmen. Da auch Stein diese Auffassung theilt und sehr ausführ-
lich begründet hat, bin ich hier .ejper weiteren Beweisführung enthoben.
Durch diese Auffassung erkläre^ sich "auch ganz einfach die Be-
wegungserschejnungen innerhalb des Endoplasma, welche
bald mehr bald wenigier .deutlich auftreten , am auffallendsten bekannt-
lich bei Paramaeciumbursaria und einigen verwandten Arten,
wo eine förmliehe Rotation der verdauenden Marksubstanz und der von
ihr umschlossenen Nahrungsbissen stattfindet. Schon Siebold hat die-
selbe vollkommen zujlreffend mit den Saftströmungen innerhalb der
Pflanzenzellen (bei Chara, 1. c. p. ^8) verglichen. In der That sind alle
diese Bewegungsphänomene Nichts anderes alsinnereProtoplasma-
beweg^ingen oder »Sarcodeströmungen«. Wer die vielfach wechselnde
und sowohl bezüglich der Geschwindigkeit als der Qualität mannichfach
verschiedene Form dieser Strömungen bei den Moneren , d^ Amoebi-
nen, den Bhizopoden (Acyttarien, Radiolarien) und innerhalb derPa-
renchymzelten der Pflanzen, sowie einzelner thierisch|Br Gewebe (Knor-
pel I) sorgfältig studirt und verglichen hat, der wird nicht Anstand
Zor Morphologie der Infosorien. 545
nehmen, auch die sHmmtlichen Bewegungen und »Strömungen« inner-
halbderfllarksubsianzdesCilialenkörpersip dieselbe Kategorie zu stellen.
Sogar die verschiedenen Formen derselben bei den letzteren, haben ihre
durchaus entsprechenden Formen innerhalb der PflanzenKellcn. Aller-
dings bestreitet Greefp die Jftichtigkeit dieser Vergleichung entschieden
und bemerkt : »Nicht einmal die Grundsubstanz des circulirenden Breies
ist Sarcode oder Protoplasma im Sinne der Autoren. Denn die Botations-
bewegung ist nicht die einer zähen contractilen Substanz, sie äussert
sich nicht pach Art der sonstigen bekannten amoeboiden langsam kcie-
chenden Protoplasmastr(i|mc , sondern sie schreitet überall leicht und
lebhaft beweglich, zuweilen in leicht zitternder Strömung durch den
Innenraum« (1. c. p. J92). Aus dieser Bemerkung geht einfach hervor,
dass Grbeff die bedeutenden Verschiedenheiten in der Geschwindigkeit
und Form der Protoplasmaströmungen, wie sie z. B. innerhalb der
Pflanzenzellen leicht wahrzunehmen sind, gar nicht kennt; er scheint zu
glauben, dass alles Protoplasma zähe und alle Bewegungen desselben
langsam sind. Dies ist aber bekanntermassen durchaus nicht der
Fall. Man denke nur an die höchst verschiedene Geschwindigkeit der
Sarcodeströmungen bei den verschiedenen Bhizopoden und bei den
verschiedenen My^omyceten! Auffallender Weise macht Grbipf gar
keinen Versuch , die von ihm weitläufig beschriebene »Botationsströ-
mung« , welche er »eine der auffallendsten Erscheinungen« nennt (1. c.
p. 188), irgendwie zu erklären und nach ihren Ursachen zu fragen.
Offenbar läge es am nächsten für ihn, ein inneres Flimmerepithe*
lium an der Innenwand des angeblidien Gastrovascularraums als Ur-
sache derselben anzunehmen , wie bei den übrigen Cölenteraten. Da
indessen von einem solchen niemals eine Spur nachgewiesen werden
kann , zieht er dasselbe überhaupt mit Becht nicht in Betracht. Dass
die Körperoontractionen nicht die Ursache jener Bewegungen sein kön-
nen, ist längst erwiesen ; denn gerade jene Infusorien, bei denen diese
innere »Botation« besonders lebhaft und schnell ist [Paramaecium
b'ursaria etc.), zeigen dieselbe am deutlichsten, wenn sie völlig
unbeweglich daliegen und ihre Körperform gar nicht verändern. Auch
wäre dadurch gerade dierotirende Form der Bewegung absolut nicht
zu erklären. Grebfp ist demnach genöthigt, die Ursache der Ghymus-
bewegung in diesem »Speisebrei« selbst zu suchen, gleichviel^b der-
selbe als »Ghymus oder Chylus« aufgefiisst wird.
Einen besonders schlagenden Beweis für die Bichtigkeit unserer
Auffassung finden wir in einem eigenthürolichen Giliaten , das gerade
umgekehrt von unseren Gegnern gewöhnlich als Gegenbeweis gegen uns
benutzt wird, nämlich inTrachelius ovum. Ehrenbbr^g sagt von
546 Ernst Haeekcl,
ihm (I. c. p. 323) : »Bei keinem polygastrischen Thiorchen ist der Darm
an sich so direct zu sehen, wie an diesem. Es ist ein verzweigter baum-
artiger Xlanal, dessen Aeste blind enden und an den Enden sich kugel-
artig zu Magenblasen von beliebiger Grösse ausdehnen. Auch die feinsten
Zweige sind der unerwartetsten Erweiterung fähig«. Nun ist aber in
Wahrheit dieser »baumartig verzweigte Darmcanak von Tra-
chelius Ovum beständigen Veränderungen unterworfen, indem sich
seine Substanztheilchen fliessend hin und her bewegen , indem beste-
hende Aeste eingezogen werden oder zusammenfliessen, neue Aesle
sich bilden und abermals verästeln etc. Kurz das veränderliche Bild
ist vollkommen dasselbe, wie das bekannte Bild in grossen Pflanzen-
zellen, in welchen sich veränderliche Protoplasmanetze innerhalb einer
wässrigen Zellflüssigkeit bewegen (z. B. in den Staubfadenhaaren der
Tradescantia etc. ^). Auch die einzellige Noctiluca bietet ganz das-
selbe Bild.
Der Vergleich des Trachelius ovum mit der Noctiluca und
mit den nächstverwandten FlagcUaten ist von, besonderer Bedeutung
auch bei Betrachtung der Mundöffnung der Giliaten, in deren Exi-
stenz man einen so gewichtigen Gegenbeweis für ihre Einzelligkeit hat
ßnden wollen. Bekanntlich scheinen die meisten (wenn auch nicht alle]
Giliaten wirklich eine physiologische Mundöffhung zu besitzen,
i ) Oscar Schmidt, der die Infusorien zu den Würmern stellt (und dem ich selbst
früher darin gefolgt bin), sagt über Trachelius in seinem Handbucfae der vergl.
Anat. (VI. Aufl. 1872, p. 85): »Die vollstöndigsle Homologie mit der verdauenden
Sarcode der Protozoen bietet Trachelius ovum, in dessen Leibesbdhle ein
veränderliches messendes Sarcodc-Netz die Nahrung durch den Mund und Schlund
empfängt. Dieses Netz, zwischen dessen Maschen eine wössrige Flüssigkeit, geht
in der ganzen Peripherie über in eine Schicht ungeformter Sarcode, auf welche
nach aussen die contractile Streifenscbicht folgt«. Erstere Schicht entspricht im
Wesentlichen dem »Primordialscblauch« der Pflanzenzellen. Vollkommen zutreffend
vergleicht ferner Gegenbaur in seinen Grundzügen der vergl. Anat. (IL Aufl., 4870,
p. 403) dieses innere veränderliche Protoplasma-Netz von Trachelius mit dem
bekannten gleichwerthigen Sarcode-Netzwerk in dem blasen förmigen Körper der
Noctiluca. »Die Vertheilung des Protoplasma in Balken oder stromartig sich be-
wegende Fäden ist der Ausdruck eines Zustande«, der durch einen dem Protoplasma
gebotenen freien Spielraum bedingt wird und hat sein, Analogon in anderen nie-
deren Organismen, bei Diatomeen etc., wie in den Zellen der Pflanzen. Zu solchen
Zellen verhalten sich Trachelius und die Nocliluken, wie die übrigen Infusorien zu
Zellen, deren Protoplasma unmittelbar von einer Membran umschlossen wird und
den von letzterer begrenzten Raum vollständig erfüllt«. Dieser Vergleich des Tra-
chelius mit der Noctiluca ist um so zutreffender, seitdem kürzlich Cien-
K0W8U (1. c.) die so lange zweifelhafte Natur der Noctiluca endlich definitiv durch
Ermittelung ihrer Ontogenese festgestellt und nachgewiesen hat, dass auch sie eine
e i n f a c h e Z e 1 1 e ist, und zwar eine Flagellaten-Zelle.
Zur Morphologie der Infusorien. 547
d. h. eine constante Oeflhung in der festeren Rindensubstanz, durch
welche die Nahrung aufgenommen und in die weichere Marksubstanz
hineingedrttckt wird- Viele Gihaten (aber nicht alle I ) besitzen daneben
noch eine constante physiologische Afteröffnung, durch welche die
Ex^cremente entleert werden. Allein weder diese After- noch jene
MundOffnung können in morphologischer Beziehung den gleich-
namigen beiden Oeffnungen im Körper aller höheren Thiere verglichen
werden. Denn die Wände dieser beiden Oeffnungen sind bekanntlich
mit einem vielzelligen Epithelium ausgekleidet (welches mindestens bei
den Wirbelthieren aus dem äusseren Keimblatt seinen Ursprung nimmt).
Bei den Infusorien ist keine Spur davon vorhanden. Vielmehr sind die
sogenannten Mund- und Afteröffnungen einfache Löcher in' dem
festeren Exoplasma, durch welche Nahrungsmittel aufgenommen und in
das weichere Endoplasma hineingedrttckt werden. Sie haben keinen
höheren morphologischen Werth als die »Porencanüle« in den Wänden
vieler thienschen und pflanzlichen Zellen , als die »Micropylen« in der
Schale vieler Eizellen etc. Mit Recht hat sie auch schon Köllikbr der con-
stanten Oeffnung (demvAusfUbrganga) dereinzelligen Drüsen Verglichen ^).
Noch lehrreicher ist der Vergleich mit den FlagcUaten und den ihnen
morphologisch äquivalenten Geisselzellen des Entoderms der Spongien,
welche ebenfalls »essen und trinken «^ können, worüber ich mich in der
Monographie der Kalkschwämme ausführlich ausgesprochen habe (1. c.
Vol. I, p. 139— 1 42, 372— 37 4 etc.). Wenn man dieses Alles vergleichend
erwägt, bedarf es keines Beweises mehr, dass die sogenannte »Mundöff-
nunga und ebenso auch die »Afteröffnung« der Infusorien, speciell der Ci-
liaten, keineswegs den gleichnamigen Oeffnungen der Zoophy ten , der
Würmer und aller höheren Thiere zu vergleichen sind. Zwischen beiden
existiren auch in dieser Beziehung gar keine Homologien. Ich schlage
daher vor, die betreffenden Oeffnungen bei den Infusorien fortan als
Zellenmund (Gytostoma) und Zellenafter (Cytopyge) zu
bezeichnen.
Ebenso wenig als die sogenannte Mundöffnung und Afteröffnung
bieten die sogenannten j>contractilen Blasen« und die davon nicht
wesentlich verschiedenen Vacuolen der Giliaten irgend ein Hindemiss
für die Auffassung ihres Körpers als einfacher Zelle. Ueber die phy-
siologische Bedeutttug dieser Biorgane herrschen bekanntlich noch
heute sehr verschiedene Ansichten. Nach der einen Ansicht sind die-
selben Samen blasen (Ehrenberg) ; eine zweite Gruppe von Forschern
hält sie für Herzen, für Centra eines Blutgefässsystems (Libbbr-
KüHN, ClaparRdb und Lachmann) ; nach einer dritten Ansicht sind sie
i) KöLLinii, Iccow bistiolog. 4864. I. HeR. p. SS.
550 Ernst Rfteckel,
des Nucleus einzugehen , uns vieiraehr geslalten wird , vor Allem die-
jenigen Momente hervorzuheben , welche für unsere Äuffassungsweise
des Nucleus als wahren Zellenkemes sprechen.
In morphologischer Beziehung ist bereits genügend festge-
stellt, dass ursprünglich der Nucleus des Körpers bei allen Cilia—
ten ein einziges einfaches Gebilde ist, welches in jeder Beziehung eineoi
gewöhnlichen Zellenkerne gleicht. Seine Ontogenie stellt dieses
wichtige Verhältniss unzweifelhaft fest, und auch in seiner Anatomie
ist bei jugendlichen Ciliaten Nichts zu finden , was dieser Auffassung
widerspräche. Bei der allmälig eintretenden Differenzirung des reifen-
den Giliatenkörpers treten auch im Nucleus ebenso wie im Protoplasma
eigenthümliche Veränderungen auf; allein auch diese sind nicht durch-
aus isolirte Erscheinungen , sondern lassen sich wohl mit den compli-
cirten Differenzirungsprocessen vergleichen, welche auch von anderen
unzweifelhaften Zellenkernen bekannt sind, z. B. den »Keimbläschen^
vieler Thiere, den Kernen vieler einzelliger Pflanzen, den Kernen man-
cher Parenchymzellen höherer Pflanzen, den Kernen mancher Nervenzellen
etc. Insbesondere findet sich die Zusammensetzung des r ei f e n , oft bläs-
chenförmigen, difierenzirten Kerns aus einer zarten Hüllmembran und
einem feinkörnigen oder aus kleinen Körnern zusammengesetzten Inhalte
ebenso bei den differenzirten Kernen vieler anderer Zellen wieder. Bei vie-
len Ciliaten [wenn auch nicht bei allen] ist ausserdem innerhalb des ju-
gendlichen Kernes ein dunkles, stärker lichtbrechendes Körperchen zu un-
terscheiden, das sich ganz wie ein gewöhnlicher echter Nucleolus ver-
hält(Taf. XXVII, Fig. 3, 5; Taf. XXVIII, Fig. 43). Einzelne Ciliaten besitzen
mehrere derselben. Diese wahren Nucleoli sind nicht zu verwechseln
mit dem sogenannten Nucleolus vieler Ciliaten, welcher ausserhalb
des Nucleus, an seiner Oberfläche, oder selbst entfernt von ihm im
Protoplasma liegt, der gewöhnlich jetzt als »Hoden« betrachtet wird, und
auf den wir nachher zurückkommen. Vielmehr ist der wahre Nucleolus
(in strengem morphologischem Sinne I] dasjenige innerhalb des Nu-
kleus liegende Körperchen, welches Köllikbr als »Kern der weiblichen
Geschlechtszelle« bezeichnet. Mit diesem letzteren Namen bezeichnet
KöLLiKEB sonderbarer Weise den Nucleus, obwohl er den ganzen
Ciliatenkörper als eine einzige Zelle auffasst. Wenn man aber ^n dieser
auch von uns hier vertretenen Auffassung streng festhält , so kann man
den Nucleus nur als wirklichen Zellenkern, nicht als eine besondere*
»Geschlechtszellea deuten.
In physiologischer Beziehung ist vor Allem zu constaüreui dass
nach den einstimmigen Angaben aHer Beobachter der Nucleus bei
allen Ciliaten einBiorgan der Fortpflanzung
Znr Morphologie der Infusorien. 551
über die specielle Rolle, welche derselbe dabei spielt, die Ansichten
ausserordentlich weit auseinander gehen. Nun ist aber bekanntlich auch
in den gewöhnlichen Parenchym-Zellen der Thiere und Pflanzen, und
nicht minder bei allen wirklich einzelligen Organismen des Thierreichs,
des Protistenreichs und des Pflanzenreichs, der Nucleus ebenso
allgemein das Organ der Fortpflanzung und Vererbung
(vergl. hierflber den I. Band meiner generellen Morphologie, p. 288) .
Immer geht ja bei der gewöhnlichen Zellen theilung die Theilung des
Nucleus derjenigen des Protoplasma voraus ; letztere erscheint erst als
die secundäre Folge der ersteren, die das eigentlich Bedingende des
wichtigen Vorganges ist. Durch diese fundamentale Uebereinstimmung
ist auch von physiologischer Seite her die Auffassung des Ciliaten-
Nucleus als einfachen Zellenkerns völlig gerechtfertigt, wenn auch der
Kern derCiliaten bei der Fortpflanzung eine mannigfaltigere Rolle
spielt, als es bei den gewöhnlichen Zellenkernen in der Regel der Fall ist.
Von der grössten Bedeutung für die Begründung unserer Ansicht
sind natürlich die hier in erster Linie zu nennenden Fälle, in welchen
sich der Giliaten-Körper auf ungeschlechtlichem Wege einfach durch
Theilung fortpflanzt. Diese FSlUe von einfacher Sei bsttheilung sind
in den verschiedensten Gruppen so zahlreich und sicher beobachtet,
dass über ihre allgemeine Verbreitung bei den Ciliaten kein Zweifel
existirt, wenn auch viele früher für Längstheilung gehaltene Erschei-
nungen sich nachher umgekehrt als Conjugations-VorgUnge herausge-
stellt haben. Nun verhält sich aber nach den genauesten und sorg-
fiiltigsten Beobachtungen zahlreicher Forscher bei dieser einfachen Selbst-
theilung der Ciliaten ihr Nucleus ganz genau ebenso wie bei der gewöhn-
lichen Zeilentheilung der Zellenkern. Zunächst zerfällt der Nucleus durch
spontane Halbining in zwei Stücke und dann erst folgt ihm das um-
gebende Protoplasma nach, indem es ebenfalls in zwei Hälften zerfällt.
Gerade hier verhält sich der ganze Ciliaten-Körper durchaus wie jede
gewöhnliche einfache Zelle.
Eine zweite Reihe von Fortpflanzungs-Erscheinungen der Ciliaten
möchte ich als Spore nbildung bezeichnen. Ich fasse unter diesem
Begriffe alle diejenigen Fälle zusammen, in denen [ohne vorhergegangene
»Befruchtungt) der Nucleus ganz oder theilweise in zahlreiche Stücke
zerteilt und jedes dieser Stücke (wahrscheinlich durch Umhüllung mit
einem entsprechenden Stücke des Protoplasma des Mutterthieres] sich
zu einer selbständigen Zelle, einer sogenannten »Keimkugel« gestal-
tet. Diese letztere ist eine wahre Spore, so gut wie die Spore, welche
ganz auf dieselbe Weise im Körper einzelliger Pflanzen entsteht.
* '* ^ -^**ocess ihrer Bildung ist ganz dei*selbe, und muss daher auch
86
f 552 Ernst Haeckel,
I bei den Ciliaten als »Sporehbildung« oder Sporogonie bezeichnet werden.
Gegen die »EinzelligkeiU liegt in diesem Vorgang natttrlich bei den Ci-
I liaten ebeh so wenig ein Widerspruch, als bei den nSlchstverwandton
Acincten und als bei den angeführten einzelligen Pflanzen. Vielmehr ist
der ganze Vorgang als ein Modus der »endogenen Zellvermehrung'
aufzufassen.
Grössere Bedenken gegen die Einzelligkeit des Ciliaten-Organis-
mus scheint die von den meisten neueren Autoren angenommene »ge-
schlechtliche Fortpflanzung« der Ciliaten hervorzurufen. -Uebor
diese wollen wir nur zunächst thatsächlich bemerken, dass sie btn
der grossen Mehrzahl der Ciliaten bis jetzt noch nicht nachgewiesen
ist. Diejenigen Arten, bei denen man dieselbe beobachtet zu haben
glaubt, bilden entschieden die überwiegende Minderzahl. Aber
selbst bei diesen sind so wesentliche Widersprüche zwischen den ver-
schiedenen Autoren bezüglich der Art und Weise des geschlechtlichen
Forlpflanzungs-Processes nachzuweisen, dass es wohl erlaubt ist, allen
diesen Angaben gegenwärtig kein zu grosses Gewicht beizulegen. Die
Mehrzahl der Autoren deutet jetzt bekanntlich den Nucleusals Ova-
r i u m , seine Theilproducte als Eier, und den ausserhalb des Nucleus
liegenden sogenannten oNucleolus« als Hoden, iü welchem sich
Zoospermien bilden sollen. Die letzteren sollen die ersteren befruchten,
und aus diesen befruchteten Eiern sollen die Embryonen entstehen. Nun
ist aber bisher thatsächlich dieser sogenannte ))Nucleolusc( erst bei einer
verhältnissmässig geringen Minderzahl von Ciliaten nachgewiesen wor-
den. Bei der grossen Mehrzahl hat er sich trotz der angestrengtesten
auf seine Entdeckung gerichteten Untersuchungen durchaus nicht auf-
finden lassen. Ferner ist die Zoospermien-Natur der »haarfeinen Fäden
oder Stäbchen«, welche sich in demselben bilden sollen, durchaus niclil
sicher bewiesen. Haben doch sogar Balbiani und Andere die angeblichen
Zoospermien für eingedrungene parasitische Vibrioniden erklärt ! Jeden-
falls hat noch Niemand bisher den Nachweis führen kOnnen, dass diese
angeblichen Zoospermien wirkliche Zellen sind oder sich aus Zellen
entwickeln. Die wahren Zoospermien der Thiere sind aber
immer echte Zellen, und zwar ist das gewöhnliche »stecknadel-
förmige Zoospermium« eine einfache Geisseizelle, wie ich in der
Monographie der Kalkschwämme gezeigt habe (Vol. I, p. H7 — 153),
Wir wollen nun aber einmal annehmen, der sogenannte Nucleolus
der Ciliaten sei wirklich ein Hoden oder eine »Samenkapsel«; die darin
gebildeten Fäden oder Stäbchen seien wahre Sperazmellen, und befruch-
teten die Eier, die kleinen Zellen, welche aus Theilstücken des Nucleus
hervorgingen. Würde in dieser sexuellen Differenzirung ein wesenl-
Zur Morphalogie der Infasorien. 553
licher Einwand gegen die Einzelligkeit des Infusorien-Körpers liegen ?
Wir können mit voller Bestimmtheit antworten : »Nein ! <( Denn ganz
dieselbe sexuelle Dißerenzirung und Fortpflanzung findet sich auch bei
einzelligen Pflanzen vor, wie schon Köllikrr ganz richtig be-
merkt hat, und doch wird deren »Einzelligkeit« deshalb von Niemand
bestritten ! Natürlich wäre der reife Ciliaten-Rörper in diesem Zustande
streng genommen eigentlich mehrzellig; allein ebenso ist auch jede ein-
fache Parenchym-Zelle (z. B. eine Knorpelzelle) während des endogenen
Fortpflanzungs-Processes natürlich vorübergehend mehrzellig!
Fassen wir jetzt das Resultat unserer vei*gIeichend-anatomischen
Untersuchung des Ciliatenkörpers zusammen , so ergiebt sich daraus,
ebenso wie aus der Ontogenie desselben, lediglich eine Bestätigung der
zuerst von Sibbold aufgestellten Theorie, dass der Ciliaten-
Organismus den morphologischen Werth einer echten
Zeilebesitzt. Weder aus der anatomischen Beschaffenheit des festeren
Exoplasma und des weicheren Endoplasma, noch aus derjenigen des Nu-
cleus, der an der Grenze beider Protoplasmaschichten liegt, ergiebt sich
irgend ein haltbarer Grund , welcher der Auffassung des ganzen Orga-
nismus als einer einzigen Zelle widerspräche. Allerdings ist dieser ein-
zellige Organismus meistens hoch dilferenzirt, ohne aber dadurch seinen
ursprünglichen Zellencharacter zu verlieren. Wir haben den Nachweis
gefuhrt, dass dieselben Differenzirungsprocesse , durch welche die ein-
zelnen Theile des einzelligen Ciliatenkörpers eine mehr oder minder
zusammengesetzte (im physiologischen Sinne »vollkommene«) Beschaffen-
heit erlangen, ganz ebenso in dem Körper anderer einzelliger Organis-
men, sowie in vielen Parencbymzellen von höheren Thieren und POanzen
wiederkehren. Der Unterschied ist nur der, dass der Diflerenzirungs-
process in letzteren Fällen ein mehr oder minder einseitiger, durch
die Arbeitstheilung der Gewebe bedingter ist, während der DifTeren-
zirungsprocess des einzelligen Ciliatenkörpers ein allseitiger ist und
sich nach allen verschiedenen Richtungen des Zellenlebens hin offenbart.
Dieser innere morphologische DifTerenzirungsprocess beruht hier auf einer
physiologischen Arbeitstheilung der Plastidule (oder Pro-
(oplasmamoleküle), und führt zur Bildung eines im physiologischen
Sinne sehr vollkommenen Thieres, welches dennoch in
morphologischer Beziehung dieGrenze einer einfachen
Zelle, eines »Individuums erster Ordnung« nicht über-
schreitet. Die Bildung von beweglichen Wimpern aus der oberfläch-
lichsten Schicht des Exoplasma, wie sie bei den gewöhnlichen Wimper-
zellen des Flimmerepithels sich findet — die Ausscheidung einer «Cuti-
cula« oder Schale, welche der »Membran« der gewöhnlichen, mit Membran
86*
554 £rnst Haeckel,
umgebenen Pflanzenzellen gleichwerthig ist, — die Differenzirung einer
oberflächlichen Exoplasmaschicht in contractile Fibrillen, wie sie in der
Rindenschicht einzelliger Muskelfasern wiederkehrt, — die Bllduni;
zahlreicher »Nesselkapseina im Exoplasma, wie sie bei den Acalepben
oft in ei ner einzigen Exodermzelle zahlreich neben einander entstehen,
— die Bildung von constanten »contractilen Blasen« und von inoon-
stanten »Vacuolen«, wie sie im Protoplasma vieler Pflanzenzellen uml
einzelner Parenchymzellen höherer Thiere wiederkehrt, — die Diffe-
renzirung des weichen halbflttssigen Endoplasma, dessen Rotationsbe-
wegung der bekannten »SaftstrOmung« im Inneren der Pflanzenzellen
vollkommen gleicht, und ebenso auch in Rnorpelzellen, Eizellen und
anderen Thierzellen sich flndet — endlich die eigenthümliche Differen-
zirung des Nucleus, welche derjenigen im Organismus einzelliger Pflan-
zen und anderer Zellen völlig entspricht— alle diese verschiedenen
Differenzirungsprocesse der Zelle, welche sonstin viel-
zelligen Organismen auf verschiedene Zellen vertheill
sich finden, kommen in dem einzelligen Ciliatenorgan Is-
mus vereinigt vor. Dieser letztere verhalt sich zu dem vielzelligen
höheren Thierorganismus, wie ein Einsiedler , der Alles sich selbst be-
sorgen muss , zu einem geordneten staatlichen Gemeinwesen , mit ent-
wickelter Arbeitstheilung der constituirenden Individuen, der Zellen.
Die Vollkommenheit des vielzelligen Thierkörpers beruht auf der Ar-
beitstheilung der Zellen und Organe ; die Vollkommenheit des einzelligen
fnfusorienkörpers beruht hingegen auf der Arbeitstheilung der Proto-
plasmamolekUle oder Sarcodetheilchen* die wir kurz Plastidule nen-
nen. Der einzellige Ciliaten Organismus ist als der »voll-
kommenste« einzellige Thierkörper zu betrachten, und
zeigt, bis zu welchem Grade der physiologischen Voll-
kommenheit es die einzelne Zelle in ihrer fortschrei-
tenden Entwicklung zu animaler Organisation bringen
kann.
Wir haben bis jetzt ausschliesslich diejenigen Infusorien berück-
sichtigt, welche nur einen einzigen Nucleus besitzen und dem-
nach unzweifelhaft einzellig sind; sie bilden die grosse Mehrzahl.
Wir haben nun noch einige wenige Worte über diejenigen, wenig zahl-
reichen Ciliaten hinzuzufügen, welche im entwickelten Zustande
zweiodermehrereNuclei besitzen. Diese sind demgemüss unzwei-
felhaft mehrzellig, da einzig und allein der Nucleus die Individuali-
tät der Zelle bestimmt, wie oben schon angeführt wurde (p. 529). Allein
diese wenigen Ausnahmen sind deshalb für die principielle Auf-
fassung des Ciliatenorganismus von gar keiner Bedeutung, w*eil
., .T40i|niQlogic der Infusorien. 555
die Vermehrung der Nuclei von gar keinem Einfluss auf die sonstige
Organisation ist. Sic steht nicht in Zusammenhang mit irgend einer
inneren DifTcrenzirung des Ciliatonkörpers und ist lediglich als eine
Vervielfachung des Fortpflanzungsorgans aufzufassen. Diese wenigen
»mehrzelligen Giliaten«, die übrigens nur einen sehr kleinen Bruchtheil
der ganzen Abtheilung bilden, verhalten sich daher zu der grossen Mehr-
zahl der »einzelligen Ciliaten« ganz ebenso, wie die mehrzelligen Aci-
neten (Dendrosoma) zu den einzelligen, wie die mehrzelligen Gregarinen
zu den einzelligen, wie die mehrzelligen Amoebinen zu den einzelligen,
wir die mehrzelligen Flagellaten zu den einzelligen. So wenig irgend
.femand bei den Acineten, Gregarinen, Flagellaten aus der Existenz ein-
zelner coloniebildender, also mehrzelliger Formen Veranlassung nimmt,
die principiello Auffassung ihres einzelligen Organismus als einfacher
Zelle anzugreifen, ebenso wenig kann dies bei den Ciliaten geschehen.
Für die systematische Stellung der Ciliaten ergiebt sich aus unse-
ren Untersuchungen das sichere Resultat^ dass dieselben echte Pro-
tozoen sind und weder zu den Zoophyten oder Cölenteratcn noch zu
den Würmern irgend welche nähere Verwandtschaftsbeziehungen be-
sitzen. Auch für diese Frage giebt in erster Linie die Entwicklungs-
geschichte den entscheidenden Ausschlag. Bei allen sechs höheren
Thierstämmcn entwickelt sich der vielzellige Oi^anismus aus der ein-
fachen Eizelle durch den characteristischen Process der Furchung
(d. h. Vermehrung der Eizelle durch Theilung oder durch Knosponbil-
dung) ; und die so entstandenen Zellenmassen differenziren sich in zwei
epitheliale Schichten, die beiden primären Keimblätter; aus dem
inneren oder vegetativen Keimblatt (Gastralblatt oder Entoderm)
entwickelt sich das Epithelium des Darmcanals und aller seiner An-
hänge, Drüsen etc. ; aus dem äusseren oder animalen Keimblatt (Der-
malblatt oder Exoderm) entwickelt sich die äussere Hautdecke
des Körpers mit allen ihren Anhängen, das Gcntralnervensystem
etc. In meiner Monographie der Kalkschwämme habe ich die Ho-
mologie dieser beiden primären Keimblätter bei allen
sechs höheren Thierstämmen angenommen, und zugleich auf
diese fundamentale Homologie die Theorie einer gemeinsamen Abstam-
mung derselben von einer einzigen einfachen gemeinsamen Stammform,
der längst ausgestorbenen Gastraca begründet. Diese Theorie, welche
ich der Kürze halber die Gastraea-Thcorie nennen will, stützt sich
darauf, dass bei allen sechs höheren Thierstämmen , von den Spongien
bis zum niedersten Wirbelthierc, dem Amphioxus hinauf, in der Onto-
genese ein und derselbe, höchst merkwürdige Entwicklungszustand
auftritt, welchen ich Gast rula ' wichtigste und be-
&&6 Eni« m
ili;üU<iiiiHt4) Kiiibryonalform des Thierreichs halle. .DieStmcliu"
Oa^trultf cnJor Darmlarve isl l>creils in der Ontogenie der Calcispongi» r
iiUMruhrlii^h «rörlort. Sie bildet stets eioen ganz einfachen (^oieisU*! >
tufonui^ni] einachsigen Körper, der eine einCache Bohle umscblies:»! .
dio primitive Magonhdhlc oder den ürdarm (Progaster/; le&si^rt
Öffnet sich an einem Pole der Achse nach aussen durch eine einfache Oeff-
niing, die primitive MundöfTnung oder den Urmund (Prostoma;. Üi*^
dUnno Wand der Darnihöhle (die zugleich Körperwand ist) besieh! aus
zwei Ubor riiuinder liegenden einfachen Zelienschichten ; die innere
/«lillnnHohioht (das innere Keimblatt oder Entoderm) ist aus
^i'OHheren, dunkleren, weicheren Zellen zusammengesetzt; die äussere
/ollenm'hioht [das Uussero Keimblatt oder Exoderm) besieht
ims kleineren, helleren, festeren Zellen (vergl. die Abbildungen der
Ciastrula in dem »Atlas der Kalkschwämmea , Taf. 13, Fig. 5, 6 von
t'lnem Asoon; Taf. 30, Fig. 8, 9 von einem Leucon; Taf. 44, Fig. U,
in von einem Syoon). Ganz dieselbe Larvenform tritt auch in der
OntogenoMo anderer Spongien und vieler Acalephen (Hydromedusen
sowohl als (lorullen) auf; ganz dieselbe Gastrula-Larve hat Kowalkvskt
in der Ontogenese vieler Würmer aus ganz verschiedenen Ciassen nach-
gewiesen (bei Plioronis , Sagitta, Euaxes, Ascidia etc.) ; ganz dieselbe
Larvonform kommt bei den Echinodermen aller Glassen vor; ganz die-
selbe (iastrulu hat neuerdings Ray-Lankestbr bei vielen verschiedenen
Mollusken nachgewiesen ; auf ganz dieselbe Gastrula lässt sich die Em-
bryonalanlage der Arthropoden (besonders des Nauplius) reduciren;
ganz dieselbe Larvenform ist endlich auch bei dem niedersten Wirbel-
ihiero, beim A m p h i o x u s, durch die höchst denkwürdige Entdeckung
von Kowalbvsky nachgewiesen. »Aus dieser Identität der Gastrula bei
Heprllsontanton der verschiedensten Thierstämme, von den Spongien
bis zu den Yortebraten, schliesse ich nach dem biogenetischen Grund-
gesetzo auf eine gemeinsame Descendenz der animalen Phylen von einer
einzigen unbekannten Stammform , welche im Wesentlichen der Ga-
strula gloichgebildet war: Gastraea« (I. c. VoL L p. 467). Ausge-
schlossen ist von dieser gemeinsamen Descendenz allein der Thierstamm
der Protozoen , welcher ül>erhaupt noch nicht zur Bildung von Keim-
blättern und zur Bildung eines wahren Darmcanals gelangt.
Wie verhalten sich nun dieser Gastraea- Theorie gjegeaüber die In-
fusorien, und insbesondere die C i I ia ten? Die Antwort auf diese Frage
ist nicht einen Augenblick zweifelhaft. Die Infusorien, sowtilil die Ci-
liaten als die Aeineten und alle anderen Protozoen, die man ciwa noch
zur Infusoiiendasse zidien wiU — kurz alle Infusorien — zeigen
niemals Furchung, bilden niemals Keimblätter, eat»
n
Zur Morphologie der lulnsor Jen. 557
wickeln sich niemals zu einer Emhryonalforni, die der
Gasirula vergleichbar wäre, und besitzen demnach auch
niemals die Anlage zu eineni wahren Darm. Vielmehr vor-
halten sie sich in allen diesen Beziehungen genau gleich allen anderen
Prolozoen, und abweichend Yon allen sechs höheren Thierstäminen. Die
Infusorien sind demnach sämmtlich unzweifelhaft echto
Protozoen.
Ich halte die angeführten Unterschiede in der Entwicklungsweise
der Protozoen und der übrigen Thtere für so wichtig und bedeutungs-
voll, dass ich darauf hin eine fundamentale Trennung des gan-
zen Thierreichs in zwei grosse Hauptabtheilungen vor-
schlage, einerseits die Protozoen und anderseits die Metazoen. Zu
den Metazoen (die man auch wegen der Keimblatter Blastozoa,
oder wegen ihres wahren Darms Gastrozoa nennen könnte) gehören
alle sechs höheren Phylen oder Typen des Thierreichs, welche sämmt-
lich eine wahre Furohung der Eizelle besitzen, sämmtlich zwei primäre
Keimblätter entwickeln (Entoderm oder Gastralblatt und Exoderm oder
Dermalblatt), sämmtlich einen wahren Darm*] (aus dem Entoderm)
und eine wahre Oberhaut (aus dem Exoderm) bilden, sämmtlich in ihrer
Ontogenese die Gastrula-Form (oder eine unmittelbar darauf zu redu-
cirende Embryonal-Form) durchlaufen und demnach sämmtlich (nach
dem biogenetischen Grundgesetze) von der Gastraea abstammen müssen 2) .
Die Hauptabtheilung der Metazoen spaltet sich in zwei diver-
gente Hauptgruppen, einerseits den Stamm der Zoophyten (oder
Cölenteraten), anderseits die fünf höheren Thierstämme, unter denen
die Würmer die gemeinsame Stammgruppe für die vier übrigen Phy-
len (Mollusken, Echinodermen , Arthropoden, Vertebraten) darstellen.
Unter den Zoophyten bebalten die S p o n g i e n die beiden ursprünglichen
primären Keimblätter bei, während sich bei den Acalephen (Hydro-
medusen, Gtenophoren, Corallen) zwischen beiden ein drittes, mittleres
1) Die oinzigeD Metazoen, welche keinen Darm besitzen, Cestodon und Acan-
ihocephalen, machen deshalb nur eine scheinbare Ausnahme, weil sie nach-
weisbar ihren Darm erst durch Parasitismus secundär verloren haben und offenbar
von darmführenden (»enterodelen«) Würmern abstammen.
S) Ob man für die G astraea und die zunächst daraus abzuleitenden Formen
der Metazoen eine monophyletische Abstammung von einer einzigen ur-
sprünglichen Gastraea-Form oder eine polyphyletiscbe Descendenz von mehre-
ren verschiedenen, ahor doch wesentlich gleichen Stammformen annehmen will,
bleibt für das wesentliche Princip der Gastraea-Theorie gleichgültig. Für die höheren
Thierstämme wird man doch immer wieder auf eine monophyletische Descendenz-
Hypothese zurückkommen müssen.
558 ^rn^t Uaeekel,
Keimblatt (Mesodeim oder Muskclbiatt) entwickelt. Dieses findet sich
auch beiden fünf höheren Thierstämmen vor, wo jedoch dasselbe* (mit
Ausnahme von niederen Würmern) allgemein in zwei verschiedene Mus-
kelbldtter zerfallt: ein Uaulmuskelbiatt (Hautplatte von Rbmar, Haut—
faserplatte) und ein Darmmuskelblatt (Darmfaserplatte von Remak). Die
höhereu Würmer und die aus diesen entsprungenen vier höheren Tbier—
sUimme (Mollusken, £chinodermen , Arthropoden, Vertebratcn) haben
demnach sämmtlich viersecundä reKeimblätter, während einige
niederen Würmer (Plathelminthen) deren nur drei besitzen, gleich den
Acalephen. Ejicse letzteren Plathelminthen stimmen mit den sämmt-
liehen Zoophyten (Spongien und Acalephen) auch darin übercin, dass
ihnen das Blutgefässsystem noch vollständig fehlt und ebenso die wahrcv
Leibeshöhle (das Coelom oder die Pleuroperiloneal-Höhle). Ich habe
darauf hin die niederen Würmer oder die Plathelminthen als Acne lo ini
den höheren Würmern (Coelomati) entgegengesetzt^ welche den Be-
sitz eines Coeloms mit den vier höheren Phylen theiicn^). Natürlich
kann demgemäss das Coelom (als secundäre Bildung) nicht aus der pri-
mären Furchungshöhle oder Segmentations-Höhle entstanden sein, wie
KowALfivsKY angenommen hat.
Von allen characterislischen Organisationsverhältnissen der Meia-
zoen findet sich bei den Protozoen keine Spur vor, und ebenso wenig
bei den Protisten, die man gewöhnlich mit den Protozoen' vereinigt
oder auch theilweise in das Pflanzenreich stellt. Ich will hier nicht auf
die schwierige Frage eingehen, wie die neutralen Protisten einerseits
4 ) Die weitere Ausführung dieser Auffassung habe ich in meiner Monographie
der Kalkschwämroe gegeben (Vol. I. p. 464 : »Die Keimblälter-Theorie und der Stamm .
bäum des Thierreiches«). Meine neuesten Untersuchungen über diesen Gegenstand
haben die dort aufgestellte Homologie der Keimblätter und des primären Darmes
in den sechs höheren Thieistämmen, ihren vollständigen Mangel bei den Protozoen
lediglich bestätigt. Insbesondere bin ich immer mehr in der dort ausgesprochenen
Vermuthung bestärkt worden, »dass ursprünglich (phyle tisch) die Darmfaser-
Platte (oder das Darmmuskelblatl) aus dem Entoderm, die Hautplalt« hin-
gegen (oder das Hautmuskelblatt) aus dem Exoderm entstanden ist. Die
Zusammenfassung der beiden, ursprünglich getrennten Muskelblätter im Me-
soderm, wie sie in der Ontogenie der Wirbelthiere gewöhnlich aufzutreten scheint,
würde dann als ein secundärer Entwickelungsact aufzufassen sein«(l. c. p. 473, Anm.) .
Offenbar hängt dieser letztere, der als secundäre Concrescenz der beiden
primär getrennten und selbständigen Muskelblätter in der Längs-
achse anzusehen ist, mit der Bildung des Achsen-Skelets der Wirbelthiere (Chorda
dorsalis) zusammen. Bei den höheren Würmern (den Cölomaten) ist höchst-
wahrscheinlich das Darmfaserblatt ursprünglich aus dem Entoderm entstanden,
ebenso anderseits das Hautfaserblatt aus dem Exoderm. Von den Cölomaten hat
sich dieses Vcrhältniss anf die vier höheren Thierstämmn vßrorht.
Zor Morphologie der Infasorien. 559
von den Protozoen (den phylelisrhcn Wurzelformen des Thierreichs)
anderseits von den Protophyten (den pbyletischen Wurzelformen des
Pflanzenreichs) abgegrenzt werden könnten , sondern mich einfach mit
dem Hinweis darauf begnügen, dass (die Annahme eines neutralen Pro-
tistenreiches so lange vollkommen gerechtfertigt bleibt, als Niemand auch
nur mit annähernder Sicherheit eine Grenze zwischen Thierreich und
Pflanzenreich zu ziehen im Stande ist. Als neutrale Protisten be-
trachte ich nach wie vor die Moneren, Flagellaten, Catallacten, Labyrin-
thuleen, Myxomyceten und die grosse Abtheilung der echten Rhizopoden
(Acyttarien und Radiolarien).
Als echte Protozoen hingegen, die von jenen neutralen Protisten
zu trennen und dem Thierreiche zuzurechnen sind, möchten die Amoc-
binen, die Gregarinen, die Acineten und vor Allem die Ciliaten, mithin
alle Infusorien (im weiteren oder engeren Sinne) zu betrachten sein ^).
Jedenfalls bildet der Mangel der Furchung, der Mangel der Keimblätter,
der Mangel eines wahren Darmrohrs und aller sonst aus den Keimblät-
tern diflerenzirten vielzelligen Organe, eine scharfe Grenzlinie zwischen
den Protozoen, zu denen auch die Infusorien gehören, einerseits,
und den sechs übrigen Phylcn des Thierreichs, denMctazoen, ander-
seits. Dieses Verhältniss dürfte in der hier angehängten »Phylogene-
tischen Tabelle über die Stamm Verwandtschaft der Phylen des Thier-
reichs« einen naturgemässen Ausdruck finden.
4) Die Aehnlichkoit der Ciliaten raü den bewimperten Jugend zustünden vieler
Metazoen, welche man bisher als »infusorienartigeEmbryonen, Larven«
u. 8. w. bezeichnete, ist demnach rein äusserlich und ohne jede liefere Bedeutung.
Diese Jugendzusiando sind theils als echte Gastrula, theils als eine, dem Gastrula-
Zustand vorhergehende PI a n u I a- Form erkannt worden. Sie sind mehrzellig und
demnach nicht mit den einzelligen Ciliaten zu vergleichen.
In einem so eben erschienenen Aufsalz, welcher speciell gegen Ehlers und
EvsRTs gerichtet ist, hat Greeff seine hier widerlegten Ansichten nochmals ener-
gisch vertheidigt, ohne jedoch neue Argumente vorzubringen (Sitzungsberichte der
Gesellsch. f. Naturw. in Marburg. No. 8, p. 21. Mal 4873). Er verwechselt beslön-
dig die physiologische und die morphologische Bedeutung der Körper-
theile, die Analogie und Homologie, auf deren schal fo Unterscheidung es ge-
rade hier ganz besonders ankömmt. Man kann allerdings die DifTerenzirung des
Exoplosma und Endoplasma im einzelligen Ciliaten-Körper mit der ähnlichen DifTe-
renzirung des Exoderm und Entoderm bei der Gastrula, bei den Zoophyten etc.
vergleichen ; aber nur in physiologischem, nicht in morphologischem Sinne. Diese
Vergleichung ist nur eine Analogie, keine Homologie.
560
Ernst Haeckel, Zur Morphologie der Infusorien,
Phylogenetische Tabelle über die Stammverwandischaft der Phylen
des Thierreichs.
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Vertebrata
Arthropoda
Echiuoderma
Mollnsca
Gölomatl
(Würmer mit LeibeehöhU.)
Zoophyta
(Cölenteraia)
Acalephae
Spongiae
Plathelminthcs
Protascus
Acoelomi
(W&rmer ohne Leibeshdhla.)
Prolhelmis
Oastraea
Protista
Rhizopoda
MyjLomyceles
Noctilucae
Flaeellata
Protozoa
Ciliata Acioetae
CataÜacla
Infusoria
Gregarinae
I
Monera
(neatrftlia)
Amoebina
Monera
(animftlU)
r
Monera
lieber einige neue pelagische Infasorien,
Von
Ernst HaeokeL
merni T«fel XXTII and XXYm.
An der Oberfläche des ofltnen Meeres leben verschiedene Wimper-
Infusorien oder Ciliatcn, die sich durch den Besitz einer mannigfaltig
gebildeten Schale auszeichnen. Da diese pelagischen, in ein Gehäuse
eingeschlossenen Ciliaten noch sehr wenig bekannt sind, so will ich hier
im Anschluss an die vorstehenden Untersuchungen »zur Morphologie der
Infusorien« die kurze Beschreibung und Abbildung von einigen der
auffallendsten Formen mittheilen. Ich beobachtete dieselben schon vor
14 Jahren, während meines Aufenthalts in Messina (im Winter 1859/60)
und fand sie später auch auf der canarischcn Insel Lanzarote wieder
(im Winter 1866/67). Zuerst wurde meine Aufmerksamkeit gefesselt
durch die zierliche Gestalt der leeren Schalen, welche ich besonders
häufig in der extracapsularen Sarcode der Badiolarien aufland. Später
gelang es mir, auch der lebenden Bewohner der Schalen habhaft zu
werden. Die Untersuchung dieser letzteren ist aber ungewöhnlich
schwierig. Entweder nämlich schwimmen die Thierchen mit weit aus
der Schale ausgestrecktem Vorderende so lebhaft umher, dass man die
Einzelheiten ihrer Organisation unmöglich genau beobachten kann ; oder
sie liegen ruhig da, sind aber ganz in den Grund der Schale zurück-
gezogen ; und dann verdeckt die Schale selbst den an sich schon ziem-
lich undurchsichtigen Körper dergestalt, dass man nur sehr wenig von
seiifcm Bau e*'^""*''*" *"*'^" Diese Schwierigkeiten mögen die Un-
vollständigko' ichstehenden Beschreibung ent-
562 Ernst Haeckel,
schuldigen, in welcher nur die Darstellung der Schale ganz genau, di.
Schilderung des darin eingeschlossenen Weichkörpers hingecot* • '^^ '
sehr lückenhaft und vieler Ergänzungen bedürftig i^*
Die genannten pelagischen Cilia«-^ -^'^^^^^ ^^^^ verschiedenen
Gruppen anzugehören die i«-*^»' den bekannten Infusorien am nächstou
den Tiuilunoaeä von Clapar^de und Laghmann stehen, sich jedoch
von dem echten Ti ntinnus (dem Typus dieser Familie) nicht unwesent-
lich entfernen. Ich v^ill diese beiden Gruppen, die wahrscheinlich den
Rang selbständiger Familien in der Ordnung der Periiricha (?) be-
anspruchen, als Dictyocystida und Codonellida bezeichnen.
Eine vorläufige Mittheilung über dieselben habe ich bereits 1860 auf der
Naturforscher- Versammlung in Königsberg gegeben, woselbst ich auch
mikroskopische Präparate von den Schalen demonstrirte^j. Eine kurze
T^otiz über dieselben gab ich gelegentlich in meiner Monographie der
Hadiolarien (1862, p. 140, Anmerkung). Neuerdings scheint Niemand
wieder diese zierlichen Infusorien beobachtet zu haben.
Die Familie der Dictyocystidcn, welche durch eine gitterförmig
durchbrochene Kieselschale characterisirt ist, gründe ich auf das Genus
Dictyocysta, das Ehrenberg 1854 mit folgenden Worten beschrieb:
»Dictyocysta. E Polygaslricorum classe. Testa campanulata urceo-
lata silicea reticulata, apertura ampla. Animalculum testae fundo in-
clusum, margine cancellato supcrstructum« ^) . Ehrenbbrg lässt darauf
die kurze Characteristik von drei Arten folgen, deren Kieselschalcn er
aus Tiefgrundprohen des atlantischen Oceans erhielt (D. elegans, D.
1 e pi d a , D. a cu m i n a ta) . Eine von diesen Arten hat derselbe später in
seiner Microgeologie abgebildet (D. elegans, Taf. XXXV A, Fig. 24
D). Diese Art ist wahrscheinlich dieselbe, welche schon früher ge-
legentlich Johannes Müller im Darminhalte der Alecto europaea gefunden,
und in seiner Abhandlung ȟber den Bau des Pentacrinus caput Me-
dusae« abgebildet hatte, als »ein sehr zierliches Körperchen von der
Form einer Kanzel« 3) . Ich selbst habe vier verschiedene Arten des Ge-
nus Dictyocysta lebend während des Winters 1859/60 beobachtet,
als ich in Messina Radiolarien untersuchte. Die ungemein zierlichen
und merkwürdig geformten Kieselschalen sind so ähnlich den gegitterten
Kieselschalen mancher Radiolarien (Gyrtiden,) dass ich sie anfänglich für
solche hielt. Erst nachher, als ich ihre Bewohner kennen lernte, über-
1) Amtlicher Bericht über die 35. Versammlung deutscher Naturforscher und
Aerzle in Königsberg. 4860, p. 407.
2) MonaUberichte der Berliner Akademie 4854, p. 236.
3) Abhandl. der Berlin. Akad. 4844, p. 233; Taf. XI, Fig. 6.
Geber einige neoe pelagiacbe Infnsorien. 563
zeugte ich mich von diesem Irrthum. Die elegante Kieselscbale ist bei
allen Arten mehr oder minder glockenförmig oder helmförmig, gegittert,
am hinteren (aboralen) Ende, wo das Thier befestigt ist, geschlossen,
meist .zugespitzt; am vorderen (oralen) Ende mit einer weit offeneii
Mündung, aus welcher sich das schwimmende Thierchen ziemlich weit
hervorstrecken kann. Die Organisation des Thierchens selbst ist sehr
schwierig zu erkennen, weil dasselbe entweder mit ausgestrecktem Vor~
derende sehr lebhaft umherschwimmt oder aber gänzlich in den Hinter-
grund der Schale zurückgezogen liegt und dann sehr undurchsichtig
erscheint. Nur bei zwei Arten (D. cassis, Fig. 1, und D. mitjra,
Fig. 5) konnte die Organisation etwas genauer, obwohl nicht befrie-
digend, erkannt werden. Der Köi^per ist kegelförmig, sehr contractu,
nackt, vorn mit einem weiten kreisrunden, trichterförmig vertieften Pe-
ristom, an dessen Rande zwei concentrische Kränze (Ringe oder Spiralen ?)
von grossen Wimpern sichtbar sind : ein hinterer (äusserer) Kranz von
einigen zwanzig sehr langen und sehr beweglichen peitschenförmigen
Wimpern (langer als die Hälfte des Körpers) und ein vorderer (innerer)
Kranz von ungefähr eben so vielen kurzen und dicken pfriemenförmigen
Borsten. Am inneren Rande dieses Kranzes liegt excentrisch die Mund-
Öffnung. In dem hinteren, konisch zugespitzten Körpertheile, der stiel-
artig verlängert und verkürzt werden kann, ist eine contractile Blase
sichtbar. Im mittleren Körpertheile zeigt sich' ein länglich runder,
wurstförmig gekrümmter Nucleus (Fig. 5). Bei einem Individuum
von D. cassis war der Nucleus nicht zu sehen. Hingegen zeigte sich
in der Mitte des Körpers ein Haufen von ungefcihr zwanzig kugeligen Zellen,
die wohl als Sporen oder Eier (?) anzusehen sind (Fig. 4). Die isolirten
Sporen zeigten sich als nackte kugelige Zellen, welche einen ebenfajls
kugeligen Nucleus (von ein Drittel ihres Durchmessers) einschlössen
(Fig. 3) . Der Nucleus erschien trübe, fein punctirt oder granulirt und
enthielt ein stark lichtbrechendes excentrisches Körperchen (Nucleolus).
Die glockenförmige gegitterte Kieselschale ergab bei den vier beobachte-
ten Arten folgende characteristische Untei*schiede :
4. Dictyocysta cassis, H. (Taf. XXVII, Fig. 1 — 3). Kieselschale
von der Form eines Helmes , schlank glockenförmig oder gewölbt ko-
nisch, hinten mit einem gewölbten, konisch zugespitzten Aufsatz, vorn
mit einem schmalen, abgesetzten, trichterförmig erweiterten Rande,
0,11 Mm. im longitudinalen , 0,08 Mm. im transversalen Durchmesser
(an der Mündung). Gitterwerk der ganzen Kieselschale sehr eng, mit
unregelmässig polygonalen Maschen von nahezu gleicher Grösse (von
0,003 Mm. Durchmesser). Fundort: Messina.
2. Dictyocysta mitra, H. (Taf. XXVH, Fig. 4, ö). Kieselschale
564 Ernst Haeekel,
von der Form einer Bischofsmütze, hinten cifbrmig, vorn enger, vor der
weiten Mündung eingesdmUrt, mit glattem , etwas breiterem Rande.
Gitterlöcher oder Maschen der Schale von ungleicher Grösse: an der
Mündung im Umkreis fünf grössere, rundlich viereckige Löcher, 2 — 3
mal so gross als die dahinter stehenden Maschen, welche 5 — 6 Irans-
versale Reihen bilden; die kleinsten hinten an der Spitze. Uinge der
Schale 0,066 Mm.; Breite derselben 0,05 Mm. Fundort: Messina.
Lanzarote.
3. Dictyocysta templum, H. (Taf. XXVIl. Fig. 6) : Kieselscbale
von der Form eines runden Tempels, 0,06 — 0,07 Mm. im Durchmesser;
eine fast halbkugelig gewölbte , etwas ausgeschweifte Kuppel, welche
auf sieben schlanken Säulen ruht. Die Säulen stehen schief (unter ein-
ander parallel) auf einem kreisrunden Ringe (der die Mündung der
Schale bildet} ; ihre Länge ist gleich der Höhe des zugespitzten Kuppel-
daches, in dessen Mitte sieben grössere, unregelmässige, rundlich poly-
gonale Maschen hervortreten ; diese Maschen sind (im Durchmesser)
halb so gross als die viereckigen Zwischenräume der Säulen, doppelt so
gross als 44 Maschen, welche in einer Reihe davor liegen, und 4 — 8 mal
so gross als die übrigen zahlreichen Maschen. Fundort: Messina,
Lanzarote.
4. Dictyocysta tiara, H. (Taf. XXVll, Fig. 7) : Kieselschale von
der Form einer Tiara oder eines hohen Küppeltempels mit Thurmauf-
satz, schlank kegelförmig, aus drei Abschnitten zusammengesetzt:
unten ein Ring von 10 schlanken Säulen, in der Mitte eine runde Kuppel
mit 40 grossen Fenstern, oben ein konischer Kuppelaufsatz mit 40 klei-
neren Fenstern. Die Länge des ganzen Gehäuses beträgt 0,4 Mm.;
davon kommen 0,04 Mm. auf den Säulenring, ebenso viel auf die mitt-
lere runde Kuppel, 0,02 Mm. auf den konischen Kuppelaufsatz. Die 40
schlanken Säulen, welche nach oben convergiren, stehen senkrecht auf
einem kreisrunden Ringe, welcher die Mündung der Schale bildet. Die
40 grossen viereckigen Fenster zwischen den Säulen sind doppelt so
hoch, als die 40 schmaleren Fenster in der Mitte der Kuppel, 4 mal
so hoch, als die 4 0 kleinen Fenster im Kuppelaufsatz ; dazwischen über-
all kleinere Maschen, theils in Längsreihen, theils in Querreihen. Fund-
ort: Lanzarote.
Die Familie der Codonelliden, als deren Vertreter ich nach-
stehend drei Arten des Genus Godonella beschreibe, ist characterisirt
durch die sehr eigenthümliche Bildung des Peristoms, welche von der-
jenigen aller anderen bisher bekannten Ciliaten abweicht. Das grosse
kreisrunde Peristom, welches bei dem schwimmenden Thierchen weit
aus der glockenförmigen Schale vorgestreckt wird, ist tricfaterfönui^
Ueber einige nene peUgische Infusorien. 565
vertieft, am Rande mit einem kragenühnlichen dünnen Aufsatz (einer
zarten ringförmigen Exoplasma-Lamelle] versehen, und mit einem dop-
pelten Kranze (einem Ringe oder einer Spirale?) von Wimperanhängen
(Taf. XXVIII, Fig. 8, 11). Der hyaline Kragenaufsatz erinnert an den ähn-
lichen, ebenfalls nur aus einer dttnnen Exoplasma-Lamelle gebildeten
Kragen (CoUare), den ich an den Geisselzellen der Kalkschwämme be-
schrieben habe ^) . Der freie Rand des Kragenaufsatzes ist sägeförmig
gezähnt und auf jedem Sägezahn sitzt ein gestieltes Läppchen von läng-
lich runder oder bimfOrmiger Gestalt. Die Läppchen (gegen 20 an der
Zahl) sind ungefähr eben so lang, aber 3 — 5 mal so dick als ihr haar-
feiner Stiel. Vermuthlich spielen sie die Rolle von Tastorganen. In
beträchtlicher Entfernung hinter dem Läppchehkranze, an der Basis des
Kragenaufsatzes (wo dieser in den eigentlichen Zellkörper übergeht) ^
sitzt der hintere (aborale) Wimperring, bestehend aus 1 5 — 20 sehr lan-
gen und starken, peitschenförmigen Wimpern, die als sehr kräftige
Ruderorgane oder Schwimmhaare fungiren. Sie sind ungefähr halb so
lang als der ganze Körper, an der Basis sehr dick, gegen die Spitze hin
allmälig geisselartig verdünnt.
Von der übrigen Organisation der Godonellen kann ich leider we-
nig Sicheres melden. Die Oberfläche des ganzen Körpers (mit Aus-
nahme des Peristom-Kragens) schien mir bei einer Art (C. campa-
nella, Fig. 11) mit mehreren Längsreihen von äusserst kurzen und
feinen Wimpern bedeckt zu sein. Bei den anderen beiden Arten (C.
galea, Fig. 8, und C. orthoceras, Fig. 10), konnte ich mich jedoch
von deren Existenz nicht sicher überzeugen. Im hinteren Körpertheile,
mit dessen zugespitztem konischen Ende die Thierchen im Grunde des
GlockenhUuschens befestigt sind, schimmerten mehrere kreisrunde belle
Flecken hindurch (contraclile Blasen oder Vacuolen? Fig. 8, 11). Im
mittleren Körpertheile schien ein länglichrunder, wurstförmig gekrümm-
ter Nucleus zu liegen (Fig. 8, 11). Bei einigen Exemplaren von C.
campanella fanden sich im Inneren zwischen 10—20 kugelige kern-
haltige Zellen, oflTenbar Sporen. Der Durchmesser ihres kugeligen,
trübkömigen Nucleus betrug ein Drittel von dem der hellen nackten
Protoplasma-Kugel (Fig. 14). Bei einem Exemplare derselben Art
waren statt deren im Inneren mehrere bewimperte Embryonen zu be-
merken (Fig. 11). Der isolirte Embryo (Fig. 13) erschien als eine eiför-
mige Zelle von 0,02 Mm. Länge, 0,013 Mm. Dicke, überall auf der
Oberfläche mit einem äusserst zarten Wimperkleide bedeckt. Im Inneren
4) üeber den Kragen oder das CoUare an den Ge'"""' "" -^«1. meine Mono-
graphie der Kalkscli\%amme, Vol. I, p. U« ; Taf. 1 " etc.
566 Ernst Haeckel,
war ein quergestelUer wurstförmiger Nucleus sichtbar, hinter diesem
in dem zugespitzten Hinterende eine contractile Vacuole.
Das glockenförmige Gehäuse oder die Schale des Codonella-Kör-
.pers bestand bei allen drei von mir beobachteten Arten aus einer struc-
turlosen, schwerlöslichen, dem Chitin ähnlichen, organischen Substanz,
in welche mehr oder weniger beträchtliche Mengen von Kieseltheilchen
eingeklebt waren. Bei einer Art (C. galea, Fig. 8, 9j zeigte sie eine
zellenähnliche Sculptur, indem jedes eingeklebte Rieselstttckchen in
einem polygonalen Felde lag (wie der Nucleus der Zellen in einem Pfla-
ster-Epithel) . Bei den anderen beiden Arten ist die Schale an der
erweiterten Mündung quergeringelt (Fig. 10, ISj. Diese Ringelung ent-
steht dadurch, dass die chitinähnliche ausgeschiedene Substanz sich
streckenweise verdickt.
Nach der Bildung der Schale zu urtheilen , dürfte auch ein Theii
derjenigen Giliaten , welche Clapar^de und Lachmann ^] als Species von
Tintinnus beschrieben haben, zu unserem Genus Codonella ge-
hören. Insbesondere fällt die Aehnlichkeit ihres Tintinnus campa-
nula (l. c. pl. VIII, Fig. 9) mit unserer Codonella campanella
(Fig. \\j 12} in die Augen; ebenso die Aehnlichkeit ihres Tintinnus
cinctus (l. c. pl. VIII, Fig. 13) mit unserer Codonella orthoceras
(Fig. 10). Schon Stein hat darauf hingewiesen, dass wahrscheinlich
die zahlreichen , von Clapar^db und Laghmann als Tintinnus-Arten
beschriebenen Ciliaten-Gehäuse sehr verschiedenen Infusorien ange-
hören dürften 2) . Stein selbst beschränkt die Gattung Tintinnus auf
solche Tintinnodeen , deren Rörperoberfläche nackt ist, und welche
nur am Peristom-Rande Wimpern tragen, ähnlich den Vorlicelli-
nen. Dahin gehören Tintinnus inquilinus und T. fluviatilis.
Diejenigen Tintinnodeen hingegen, welche einen doppelten Perislom-
Kranz (einen vorderen von kürzeren, und einen hinteren von längeren
Wimpern) tragen und welche ausserdem auf der ganzen Oberfläche
Längsreihen von sehr kurzen und feinen Wimpern zeigen, trennt Stein
als Tintinnopsis ab. Dahin gehört seine T. beroidea, ferner
wahrscheinlich Tintinnus mucicola, T. urnulaetc. vonCLAPARfenE
und Lachmann. Wahrscheinlich steht diese Tintinnopsis unserer
Codonella sehr nahe; doch würden für letztere immerhin die son-
derbaren gestielten Läppchen am Rande des Peristom-Kragens einen sehr
auszeichnenden Gattungs-Character bilden. Jedenfalls bedürfen alle
diese Ciliaten-Genera : Codonella, Tintinnopsis, Tintinnus,
1} Clapar^dk et Lachmann, Etudes sur les Infasoires et les Rhizopodes. 4 858,
p. 192, Taf. 8 und 9.
2) Stein, der Organismus der Infusionsthiere. 11. Ablhlg. 4867, p. 454.
M
ehr
üeber etulge oeM pelagische iufosenen. 567
Dictyocysta etc. einer viel genaoereB Analyse, als bisher von Anderen
und von mir selbst gegeben werden konnte. Die drei von mir beobach-
teten Species von Codonella zeigen folgende Unterschiede in der
Schalenbildung :
1] Codonella galea, 11. (Taf. XXVIII, Fig. 8, D). Schale beim för-
mig, von 0,1 Mm. longitudinaleni, 0,08 Mm. transversalem Durchmesser,
aus zwei durch eine Strictur getrennten Kammern zusammengesetzt.
Die hintere (aborale; Kammer fast kugelig, die vordere torale) Kammer
bildet einen Ring von der Form eine;s abgestutzten Trichters, aus dessen
Mündung der goldgelbe Thierkörper weit hervortreten kann. Im zurück-
gezogenen Zustande füllt er die ganze Schale aus. Die Schale besteht
aus structuiioser oi'ganiscber Substanz, in welche zahlreiche Kieseltheil-
chen sehr regelmässig eingekittet sind, so dass jedes von einem polygo-
nalen Felde umgeben scheint. F'un dort: Messina. Lanzarote.
2) Codonella orthoceras, H. ^Taf. XXVUi, Fig. iO^, Schale
schlank trichterförmig, aus drei Kammern zusammengesetzt, 0,2 Mm.
lang, 0,08 Mm. dick. Die erste (hinterste, aborale) Kammer n^gulUr ko-
nisch Oy03 Mm. lang; die zweite mittlere Kammer kugelig von 0,08
Mm. Durchmesser; die dritte (vorderste, orale) Kammer 0,< Mm. lang,
abgestutzt konisch, gerade, nach der Mündung hin erweitert, regelmilssig
geringelt. Die Binge sind circulüre Verdickungen der homogenen orga-
nischen Grundsubstanz ; dieselben fehlen in den beiden hinteren Kam-
mern , in welche viele Kieselthetichen dicht neben einander eingekittet
sind. Fundort: Messina.
3) Codonella campanella, li. (Taf. XXVIll, Fig. H — Uj.
Schale glockenförmig , mit aufgesetzter gerader konischer Spitze ; 0,15
Mm. lang, in dem hinteren bauchigen Thetle von 0,05 Mm., an der vor-
deren Mündung von 0,08 Mm. Durchmesser. Die vordere (oralo) IMtU)
ist deutlich und regelmässig geringelt. In die hintere (atK)ralu) ilHlfte
sind zahlreiche Kieseltheilchen unregclmässig eingekittet; am dichtesten
in der aufgesetzten Spitze. Fundort: Lanzarote.
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