^|pp--^:ii-
^jHRi
m^s'^A
im
mm
^m
mm.
^;u-^^
nm-
j:^^8
C¥,^
OF
COMPARATIYE ZOOLOGY,
AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS.
jFounlieTt bv jjrfbatc subscriptfon, fn 1861.
:^:^
Mi^-J^
^:K^^^;m
yrr^mmms^
m.\
n?£^
^r-'mt^ym
m^:x.:^~S
-^i7^
•^^i >t7.U
m&
. ^,>-^-^''^,«^'^^
Si»^ y^-y
i4r'\ >^
•"^^^Sl-' "
^r^.\
j^Wl .^
4" ;
^■"-^
m
V' V- ,'> ^'^
J' /?'~'v p<^
-'v-Jfir'
T^X/>
fl
4-^-4%?=^
^-^^r
FOfcy.. -^ -::c:^..^=^. -^
*aC:??>^?si^5H
Jenaische Zeitschrift
fur
NATURWISSENSCHAFT
medicinisch - naturwissenschaftlichen G esellschaft
zu Jena.
Fiinfzehnter Band.
INeue Folge, Acliter Band.
Mit 29 Tafeln.
J e u a ,
Verlag von Gustav Fischer
1882.
I II h a 1 1.
Seite
Oscar iiud Richard Hortwig, Die Coelomtheorie, Versnch
eiuer Erkliiruug des mittleren Keimblattes , mit o Tafelu . 1
Wilhelm Breitenbach, lieitriige zur Kuimtniss dcs Hauos
der Schmetterliugs-Kiissel , mit 3 Tafeln 151
Heinrich Schneider, Ueber die Augeumuskelnervcn dor
Gauoiden, mit 2 Tafelu ^15
Otto Hamauu, Die Aiuudarme der Khizostomeu und ihre An-
hangsorgaiie, mit 3 Tafeln ^4o
O. Hertwig, Die Entwickelung des mittleren Kei.nblattes der
Wirbelthiere, mit 4 Tafeln 286
Friedrich iSoltwedel, Fveie Zellbilduug im Embryosack der
Augiosperraeu mit besouderer iJerucksichtigung der hierbei
stattfindeuden Vori^iiiige der Koi;ntheiluug, mit 3 Tafeln . 341
E. Stahl, Ueber sogenaunte CompasspHanzen , mit 1 Tafel . 381
Karl Bardelebeu, Muskel und Eascie 39U
Ernst Hiickel, Entwurf eines Kadiolarien-Systems auf Grund
von Studien der Challenger -Kadiolarieu 418
Otto Hamann, Der Organismus der Hydroidpolypeu, mit
G Tafelu und 4 Holzschuitten 473
Otto Hamann, 8tudieu iiber Coeleuteraten, mit 2 Tafeln . 545
Sitzungsberichte derJeuaischen Gesellschaft fiir Me-
diciu uud Naturwisseuschaft, fiir das Jahr 1881, mit 2 Tafeln
(XLIV u. XLY) 1—62
Die Coelomtheorie.
Versuch einer Erklarung des mittleren Keimblattes.
Von
Dr. Oscar Hert^Tig und Dr. Richard Hertwig.
Hierzu Tafel I— III.
Das Problem der Mesodermbildung.
Weun die vergleichende Entwicklungsgescliichte das reicbliche,
aus zahllosen Eiuzeluntersuchungen ilir zustromende Material wis-
senschaftlich verwerthen soil, so muss sie einer doppelten Auf-
gabe genugen. Wie ihre Schwesterwissenschaft, die vergleichende
Anatomie, fiir die ausgebildeten Thiere, so hat sie fiir die Keime
die morphologisch gleichwerthigen Theile festzustellen , indem sie
ihre gegenseitigen Lagebeziehungen und die Art ihres Zusammen-
hangs untersucht, und hat aus den so gewonnenen Erfahrungen
iiber das verwandtschaftliche Verhilltniss der Thierformen Klar-
heit zu verbreiten.
Zweitens hat die vergleichende Entwicklungsgeschichtc aber
auch die Processe der Entwicklung zum Gegenstand ihrer Beur-
theilung zu machen; sie soil uns in das Wesen dieser Processe
einen Einblick gewahren und uns verstehen lehren, wie es kommt,
dass die Eizelle sich zum Zellenhaufen, der Zelleuhaufen sich zum
zweischichtigen Keim u. s. w. verwandelt.
Nach beiden Richtungeu bin hat Haeckel's Gastraeatheorie
(162) die vergleichende Entwicklungsgeschichte gauz ausserordent-
lich gefordert, indem sie uns fiir den zweiblattrigen Zustand des
Keimes voiles Verstandniss errang. Die schon durch zahlreiche
andere Forscher angebahnte Auffassung von der Homologie der
primaren Keimblatter wurde durch sie scharf und pracis formu-
lirt und so eine feste Grenzscheide zwischen den Protozoen und
Metazoen errichtet. Ferner ergab sich von selbst eine Erklarung
fiir die allgemeine Verbreitung und das Wesen des inneren Keim-
blattes, indem dasselbe mit der ersten Eutstehung des Darm-
kanales im Thierreich in Zusammenhang gebracht wurde.
Bd. XV. N. F. VIII. 1. 1
2 0, und R. Hertwig,
EntwickluDgsgescliiclitliche Forsclmngen, welche im Anschluss
an die Gastraeatheorie die iibrigen Stadien der Thierentwicklung
auf deniselben Wege erklaren wollen, werden naturgeraass von der
Frage auszugehen haben, in welcher Weise entwickelt
sich der zweiblattrige Keim zu hoherer Organisation.
Da dies im Allgemeinen durcli die Ausbildung weiterer Zellen-
schichten, welche zwischen Ektoblast und Entoblast mitten inne
gelegen sind , geschieht , so heisst das mit andern Worten : wie
entstehen dieselbeu, sind sie in der ganzen Thierreihe homolog,
welcher Art sind die Processe, denen sie ihr Dasein verdanken.
Das sind die Fragen, die uns schon in friiheren Arbeiten und
welter auch im letzten Jahre beschiiftigten , und zu deren Beant-
wortung wir in dem vorliegeuden Essay einen neuen Beitrag lie-
fern wollen. Zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen werden
wir die Coeleuteraten nehmen und von ihneu aus zu den hoheren
Thierstammen emporsteigen.
Um in die Processe, welche den Aufbau der Organisraen be-
dingen, einen Einblick zu gewiunen, wird man immer gut thuen
da zu beginnen, wo sie in ihrem ersten Auftreten und in ihrer
urspriinglichen Einfachheit zu beobachten sind, wo sie sich, man
mochte fast sagen, vor den Augen des Beobachters abspielen.
Hier wird sich uns ihr Wesen viel klarer offeubaren als in den
Fallen, wo sich weitere Erscheinungen hinzugesellt und auf den
ursprunglichen Verlauf modificirend eingewirkt haben. Das erstere
ist unter alien Thieren allein bei den Coeleuteraten der Fall.
In der Mehrzahl zweischichtig enthalten diese Thiere auch For-
men, bei welchen eine dritte Korperschicht, ein Mesoderm, zur Aus-
bildung gelangt, und sie lassen uns sehr deutlich erkennen , wie
sich das letztere anlegt.
Bei den Coeleuteraten haben wir nun in unseren friiheren
Untersuchungen (2—5) zwei durchaus verschiedene Processe unter-
scheiden konnen, durch welche sich ein zweiblattriges Thier hoher
differenzirt ; dem einen Process begegneten wir bei den Hydro-
medusen, Acalephen und Actinien, dem anderen Process dagegeu
unter alien Coelenteraten allein bei den Ctenophoren.
In der ersten Abtheilung vollzieht sich die Differenzirung der
zweiblitttrigen Gastrula kurzweg in folgender Weise: Zwischen den
beiden Bildungsschichten des Korpers, dem Ektoblast und Ento-
blast, entwickelt sich eine bald festere bald weichere Stiitzsubstanz,
die von den angrenzenden Epithelschichten ausgeschieden worden
ist und in einigen Abtheilungen zellenfrei bleibt, in anderen da-
Die Coelomtheorie. 3
gegen mit zahlreichen Zellen versehen wird, welche entweder aus
dem Ektoblast oder aus dem Entoblast in sie hineinwandern. Da-
diirch wird die ursprunglich von epithelialen Lagen ausgeschie-
dene Stiitzsubstanz zu einem besouderen selbstitndig wachsenden
und selbstandig sich ernahrenden Gewebe, fiir welches Hen sen
(104) den Namen Sekretgewebe eingefiihrt hat und welches wir im
Folgenden als Mesenchym bezeichnen wollen.
Das Mesenchym behalt bei den Hydromedusen, Acalephen
und Actinien seinen ursprunglichen Charakter unveriindert bei und
betheiligt sich nicht an der Hervorbringung anderer Gewebsfor-
men. Es sind allein die epithelialen Begrenzungsschichten , aus
welchen sich die fiir die hohere Entwicklung des Organismus so
tlberaus wichtigen Elemente, die Muskel-, Nerven- und Sinneszellen
differenziren. In alien den Fallen, wo wir Muskel- und Nerven-
gewebe losgelost vom Oberflachenepithel antreffen, ist dasselbe erst
secundar entweder vom Ektoderm oder vom Entoderm, seiner Ur-
sprungsstatte , in Folge von Einfaltungs- und Abschniirungspro-
cessen in das Mesenchym ubergetreten.
Wie ganz anders verlauft der histologische Differenzirungs-
process bei den beideu Keimbliittern der Ctenophoren, welche un-
sere zweite Abtheilung ausmachen. Zunachst sind die Ausgangs-
stadien dieselben, indem sich ein Mesenchym entwickelt. Zwischen
Ektoblast und Entoblast wird eine structurlose Gallerte ausgeschie-
den und in dieselbe wandern, wie uns Kowalevsky (6) in sei-
ner Entwicklungsgeschichte der Rippenquallen beschreibt, schon
fruhzeitig Zellen des Ektoblasts hinein. Den amoboiden Mesen-
chymzellen kommt aber hier eine ganz andere histologische Be-
deutung zu, da sie die verschiedensten Differenzirungen eingehen.
Zum Theil behalten sie ihre urspriingliche Function bei und blei-
ben Ernahrungscentren der Gallerte, zum Theil bilden sie sich in
Muskelfasern um, von welchen die Gallerte iiberall reichlich durch-
setzt wird, zum Theil werden sie zu Nervenfasern und Nervenzel-
len, welche die mesodermale Muskulatur mit dem ektodermalen
Nervenplexus in Verbindung bringen. Daneben geht dann noch
das Ektoderm, wenn auch in geringerem Maasse, eine Umbildung
zu specifischen Gewebsformen , wie Muskel-, Nerven-, Sinneszel-
len ein.
Wir resiimiren also kurz den Unterschied zwischen der ersten
und zweiten Abtheilung dahin : In der ersten Abtheilung
sind alle Gewebe epithelialen Ursprungs, sie wer-
den direct im Ektoblast und Entoblast erzeugt, wah-
1*
4 0. imd R. Hertwig,
rend sich das Mesenchym histologisch indifferent
verhillt, in der zweiten Abtheilung dagegen bethei-
ligt sich letzteres in hervorragenderWeise am histo-
logischen Differenzirungsprocess und liefert Muskel-
und Nervengewebe.
An diesen Satz kniipfen wir gleich noch einen zweiten an:
Die epitheliale und die mesench ymatose Entste-
hungsweise der Gewebe pragen sich auch in ihrer feine-
ren Structur aus. Am schonsten zeigt sich dies bei den Coelen-
teraten am Muskelgewebe. Aus den Mesenchymzellen der Cteno-
phoren entstehen lange Muskelfaserzellen, die gewohnlich
an beiden Enden durch wiederholte dichotome Theilung in viele
feine Auslaufer ubergehen und in einer contractilen Rindenschicht
eine kornige protoplasmatische Marksubstanz mit vielen Kernen
einschliessen (Taf. Ill Fig. 4). Die Muskelfaserzellen sind auch
da , wo sie vielkernig sind , auf eine einzige, ausserordentlich in
die Lange gewachsene Bildungszelle zuruckzufuhren , und ihre
Rindenschicht ist nicht in Fibrillen zerlegbar, wenn sie auch eine
feine Langsstreifung ab und zu erkennen lasst. Die epithe-
lialen Muskelzellen dagegen scheiden gewohnlich die con-
tractile Substauz nicht all- sondern einseitig an ihrer basalen
Oberflache in Form von glatten oder quergestreiften Fibrillen
aus (Taf. Ill Fig. 19). Diesen haftet die Bildungssubstanz ein-
seitig als Muskelkorperchen an. Auch in der Anordnung sind
Verschiedenheiten zu bemerken. Wahrend die Muskelfaserzellen
mehr isolirt und selbstandig die Gallerte durchsetzen, sind die
Muskelfibrillen zu Lamellen (Taf. Ill Fig. 5/*) verbunden, in denen
sie einen genau parallelen Verlauf einhalten. Aus der lamel|-
liisen Anordnung konnen durch fortschreitende Differenzirung
zwei hohere Formen des Muskelgewebes hervorgehen, das Mus-
kelblatt und das Muskelprimitivbiindel, welche beide
nicht mehr elementare, sondern zusammengesetzte Gebilde sind.
Die Muskelblatter (Taf. Ill Fig. 6B) werden durch Einfaltung einer
Lamelle von Muskelfibrillen, die Muskelprimitivbuudel (Taf. Ill
Fig. 8P) aber dadurch erzeugt, dass eingefaltete Theile einer Lamelle
sich abschnuren und vom Mesenchym (w) umhullt werden. Ob-
wohl so die Muskelprimitivbiindel mit den contractilen Faserzel-
len die Lage theilen, sind sie doch leicht von ihnen zu unter-
scheiden. Denn jedes Bundel ist aus zahlreichen Zellen hervor-
gegangen und enthalt zahlreiche Muskelfibrillen (/"), welche als
Die Coelomtheorie. 5
eiu Mantel die unter einander verschmolzenen axialen Bilduugszel-
len {mh) umgebeii.
Dadurch dass wir im Stamm der Coeleiiteraten bei der Um-
wandlung der Gastrula einen epithelialen und einen mesenchyma-
tosen Typus haben nachweisen konnen, wird uns die Frage nahe
gelegt, ob analoge Verhaltnisse audi bei den tibrigen Metazoen
wiederkehren. Eine nahere Priifung zeigt, dass solches in der
That der Fall ist. Z^Yei recht typische Entwicklungsgeschichten
liohercr Thiere, wclche wir zum Vergleich jetzt einander gegenuber-
stellen wollen, werden den uubefangenen Leser zu demselben End-
ergebniss fuhren. Wie unter den Coelenteraten die Actinien und
Ctenophoren, so stelien in einem ahnlichen scharf ausgepragten
Gegensatz zu einander die Chaetognathen und die Mollus-
ken, und dieser, Gegensatz aussert sich nicht nur in ihrer Ent-
wicklungsgcschichte und in dem histologischen Differenzirungspro-
cess, sondern nicht minder auch in ihrer fertigen Organisation
und in der feineren Structur ihrer Gewebe. Bei den Bilaterien
verbindet sich zugleich noch ein weiterer tiefgreifender Unter-
schied mit der verschieden erfolgenden histologischen Differenzi-
rung der Gewebe, namlich eine abweichende Bildung der
Leibeshohle, und dies ist dann wieder von der allergrossteu
Bedeutung, wie wir alsbald sehen werden, ftir den Aufbau der
meisten tibrigen Organsysteme.
Die Chaetognathen haben wir selbst (93) sehr eingehend auf
ihre Entwicklung und ihren elementaren Bau untersucht in der
Absicht, durch eigene Anschauung eine genaue Keuntniss von
einem Organismus zu gewinnen, dessen Mesoderm durch das Auf-
treten einer Leibeshohle eine hohere Stufe der morphologischen
Ausbildung erlangt hat. Die Beobachtungsbedingungen sind aus-
serordentlich gunstige, so dass die Processc, auf welche wir ein
besonderes Gewicht legen, sich mit aller wiinschenswerthen Sicher-
hcit verfolgen lassen und daher auch fast von alien neueren Beob-
achtern in gleicher Weise dargestellt worden sind.
Die Chaetognathen sind ganz ausgesprochene Vertreter des
epithelialen Entwicklungstypus der Gewebe. Eskommt
bei ihnen so gut wie gar nicht zur Bildung eines Mesenchyms,
da nach der Gastrulaeinstiilpung sich die zwei primitiven Keim-
blatter fest aneinander legen. Erst sehr spat wird eine geringe
Quantitiit einer structurlosen Gallerte an einem beschrankten Be-
zirk (Taf. I Fig. 3 iv) (an der Basis der Flossen und an der In-
sertion der Kopfkappe) zwischen den Bildungsproducten des Ek-
6 0, und 11. Hertwig,
toblasts und des Eutoblasts ausgeschieden. Diese Gallorte ist
von Anfang an und auch spater ganz zellenfrei und kann da-
her keine weiteren geweblichen Metamorphosen erleiden. Alle
Umbildungen gehen einzig und allein von epithelialen Lageu aus.
Dies zeigt sich in der Entwicklung der Leibeshohle, der Muskula-
tur, des Nerveusystems und der Geschlechtsorgane.
Die Leibeshohle legt sich alsbald nach erfolgter Gastrula-
einstiilpung in der Weise an, dass sich der Entoblast in zwei Fal-
len erhebt, welche vom Grund des Urdarms aus in diesen hinein-
wachsen und ihn in einen mittlereii und zwei seitliche Kaume
scheiden. Der erstere wird zum Darmrohr, die beiden letzteren
schniiren sich zu den zwei Halften der Leibeshohle ab. Dieselbe
ist daher, wie Huxley (167) sich ausdruckt, ein Enterocoel. Die
besondere Art ihrer Genese lasst sich auch beim ausgebildeten
Thiere noch daran erkennen, dass sie von einena Epithel ausge-
kleidet wird und dass das Darmrohr von einem besonderen Faser-
blatt umgeben und mittelst eines dorsalen und ventralen Mesen-
teriums am Hautmuskelschlauch befestigt ist.
Durch die Einfaltung des Entoblasts wird bei den Chaetognathen
die Anzahl der Keimblatter von zwei auf vier erh5ht, iudem wir nun
die das Coelom begrenzenden Lagen als parietales und viscerales
Blatt des Mesoblasts bezeichnen. In Folge des ganzen Processes wird
eine bedeutende Vergrosserung der epithelialen Oberfliiche desKor-
pers in ahnlicher Weise wie bei den Actinieu durch die Septen-
bildung hervorgerufen. Mit Recht glauben wir daher in unse-
rer Monographie (93) die beiden Coelonasiicke der Chaetognathen
mit den Nebenriiumen oder Divertikeln des Urdarms der Actinien
verglichen zu haben, wie wir auch damals schou auf die analogen
Processe in der histologischen Differenzirung aufmerksam gemacht
haben.
Beginnen wir mit der Bildungs- und Anordnungsweise der
Muskulatur. Wie bei den Actinien von den Epithelzellen derUr-
darmdivertikel, so werden bei den Chaetognathen vom parietalen Epi-
thelblatt des Coeloms Muskelfibrillen , die sich zu einer Lamelle
vereinigen, ausgeschieden. Indem die so entstandene Lamelle sich
m^chtiger entwickelt, faltet sie sich ein und erzeugt Muskel-
blatter (Taf. Ill Fig. 12J5), die aus Fibrillen {f} zusammengesetzt
werden, parallel zu einander und senkrecht zur Korperoberflache
gestellt sind und in ihren schmalen Interstitien Muskelkorper-
chen {mh) einschliessen. Der epitheliale Ursprung der Muskulatur
pragt sich danu auch in der ausserst regelmassigen An-
Die Coelomtheorie. 7
orduung der Muskelbliitter aus, welclie vollkommeii paral-
lel zu einander iu der Langsriclituiig des Korpers verlaiifen uud
in 4 longitudinale Bander abgetlieilt sind.
Bei den Actiuien und Chaetognathen eutwickelt sich der Haupt-
theil des Nervensys terns, das Centralorgan sammt den von
ihm ausstrahlendeu Nerven, aus dem Ektoderm, in welcliem es seine
urspriingliche Lage dauernd beibehalt; ein kleinerer Tlieil ent-
steht im Anschluss an die Muskulatur, bei den Actinien aus dem
Entoderm, bei den Chaetognathen, wie uns sehr wahrscheinlich ge-
worden ist, aus dem parietalen Blatte des Mesoblasts. Es wiirde
somit das Nervensystem im Grossen und Ganzen nach den Keim-
blattern in zwei Abschnitte gesondert sein: „in einen ektoderma-
len, aus dem Ektoblast entstehenden sensiblen Abschnitt und in
einen mesodermalen , auf den Entoblast zurilckfiihrbaren, motori-
schen Abschnitt".
In beiden Abtheilungen endlich leiten sich dieGeschlechts-
producte aus dem Epithel der Urdarmdivertikel ab
(Taf. I Fig. 3e). Bei den Actinien werden daher auch Eier und
Spermatozoen in letztere bei ihrer Reife entleert, bei den Chaeto-
gnathen fallen allein die Spermatozoen in den Biuuenraum des
Schwanzsegmentes , aus welchem sie durch besondere Vasa defe-
rentia entleert werden, wahrend die Eier ihre in der Abstammung
begriiudete Beziehung zum Enterocoel verloren haben und in be-
sondere Eirohren mit eigenen Ausfuhrgangen eingeschlossen sind.
Wie vollig verschieden ist nun im Vergieich zu den Chaeto-
gnathen das Bild, welches uns die Entwickelungsgeschichte
und der feinere Bau der Mollusken zeigt! Dank den vor-
trefflichen Untersuchungen von Lankester (63—65), Fol(53 — 57),
Rabl(67— 69), Hatschek(59) und Bobretzky (48,49) sind hier
die Verhaltnisse in iibereinstimmender Weise so weit aufgeklart, dass
wir iiberzeugt sind auf ganz sicherem Boden zu stehen. Daun sind
aber ftir die Entwicklung der Mollusken folgende Punkte maassge-
bend: Entweder sind die beiden primitiven Blatter schon von der
Gastrulaeinstiilpung an durch einen Spaltraum getreunt oder sie
riicken wenigstens spater immer weiter auseinander und lassen einen
Raum zwischen sich frei, welchen wir zunachst mit Huxley Bla-
stocoel nennen wollen (Taf. I Fig. 11). An der Stelle, wo Ekto-
blast und Entoblast in einander umbiegen, am schlitzformigen Ga-
strulamund, werden in symmetrischer Lage 2 grosse Zellen oder
2 Haufen kleinerer Zellen (a) angetroffen, die meist schon auf dem
Blastulastadium sich aus dem Verbande der iibrigen losgelost ha-
8 0. unci E, Hertwig,
ben. Durch Theilung gehen aus ihnen zwei Streifen locker und
unregelmassig yerbundener Zellen hervor, welche sich alsbald von
eiuander trennen und, wie Rabl sich ausdriickt, fast piuselfor-
mig auseinandei'weichen. Sie zerstreuen sich nach alien Seiten
durch die Gallerte, welche an Volumen, je alter der Embryo wird,
um so mehr zunimmt und legen sich zum Theil dem Darmepithel
und dem einschichtigen Epithel der Korperoberfliiche an. Sie wer-
den dann von den Embryologen als Haut- und Darmfaserblatt
(somatic und splanchnic-layer) bezeichnet. Die Urzellen des Meso-
derms, wie Rabl und Andere die Zellen zu beiden Seiten des Ga-
strulamundes benennen, haben mithin die Aufgabe, ein Mesenchym
zu bilden, welches die bemerkenswerthesten Analogieen zu dem
gleichuamigen Gewebe der Beroiden darbietet. In der ersten Ent-
wicklung des Mesenchyms finden freilich bei beiden einige Ver-
schiedenheiten statt. Bei den Beroiden losen sich vom Ektoblast
einzelne kleine amoboide Zellen hie und da ab, die sich alsbald in
der Gallerte zerstreuen; bei den Mollusken sind es gewohnlich
zwei grosse dotterreiche Zellen, die ausscheiden und erst durch
fortgesetzte Theilung zu amoboideu Wanderzellen werden und aus-
einanderweichen. Aber was will diese geringfiigige Verschieden-
heit sagen gegentiber dem gesammten Character des Gewebes und
gegeniiber der Uebereinstimmung der histologischen Producte,
welche aus ihm in beiden Fallen entstehen. Denn wie bei den
Beroiden differenzirt sich das Mesenchym bei den Mollusken einer-
seits in die besonders reichlich und oft eigenartig entwickelte
Bindesubstanz , dann in Muskelfasem und schliesslich auch uoch,
wie wir glauben hinzufugen zu diirfen, in einen Thed des Nerven-
systems; die epithelialen Fliichen dagegen, die vom Ektoblast
und Entoblast abstammen, nehmen an der Genese der Muskula-
tur auch nicht den geringsten Antheil.
Die Mu skein der Mollusken entstehen, indem einzelne Zel-
len des Mesenchyms sich in die Lange strecken und mit einem
Mantel von contractiler Substanz umgeben, in welchem die Bil-
dungszelle als sogenaunte Mark- oder Axensubstanz erhalten bleibt;
gewohnlich eiukernig vermehren sie nur seiten die Zahl ihrer
Kerne, wie dies bei den Ctenophoren fast ausnahmslos der Fall
ist. Ihre Enden sind meist zugespitzt, so dass die Gestalt der
ganzen Zelle spiudelformig, dabei entweder kurz gedrungen oder
fadenartig langgestreckt ist. ludessen kommen auch dichotome
Verastelungen der Enden vor, welche uns an die Muskelu der
Ctenophoren erinnern (Taf. I Fig. 11mm); sie sind ganz beson-
Die Coelomtheorie. 9
ders schon bei den Larven der Pteropoden von Fol (Taf. Ill
Fig. 3 mm) beobachtet worden uud auch bei Heteropoden, Lamelli-
branchiern (Taf. Ill Fig. 17. Taf. I Fig. 11 mm) und Gastropoden
sind sie niclit selten, wie die Arbeiten von Rabl, Hatschek
u. A, lehren : Bei den ausgebildeten Thieren sind verastelte Mus-
kelfasern im Allgemeinen weuiger hiiufig. Boll (47) fand sie na-
meutlich bei Arion ater, und wir selbst liaben sie bei Cephalopo-
den gesehen, wo sie mit Vorliebe anderweitige Muskellagen quer
durchsetzen.
Die contractile Substanz der Muskelfasern ist entweder ho-
mogen oder fein langsstreifig. Aus letzterer Structur liaben viele
Autoren wie Wagener und neuerdiugs ganz besonders v. Jhe-
ring (61) auf eine fibrillare Zusammensetzung geschlossen und
dem entsprechend die Muskelfasern als Fibrillenbiindel den Mus-
kelfasern der Wirbelthiere gleichgestellt. Dem haben jedoch die
meisten Forscher, welche sich mit den Muskeln der Wirbellosen
beschaftigt haben, wie Weismann (173) und Schwalbe (172) wi-
dersprochen; letzterer giebt nur fiir die sehnig aussehenden Theile
der Schliessmuskeln der Lamellibranchier eine faserige Beschaffeu-
heit zu, die nach ihm jedoch als „eine weitere Difterenzirung der
contractilen Substanz, angepasst an ihre eigenthiimliche Function,
einen anhalteuden Verschluss der Schalen zu bewirken", angese-
hen werden muss. Nach unserer Ansicht kann es keinem Zwei-
fel unterliegen, dass die contractile Substanz der Muskelfaser bei
den Mollusken homogen ist wie bei den glatten Muskelfasern der
Wirbelthiere und dass die etwaige feine Langsstreifung nur eine
untergeordnete Bedeutung hat.
In der Anordnung der Muskelfasern fallt ganz beson-
ders der Mangel der Gesetzraassigkeit auf. Auf Querschnitten
durch den Korper von Muscheln und Schnecken (Taf I Fig. 4 und
Taf. Ill Fig. 10) sind die Muskelfasern (mm) zu kleinen Biindeln
vereint, diese aber sind nach den verschiedensten Richtungen wirr
durcheinander gekreuzt und noch weiter dadurch verbunden, dass
die Fasern eines Btindels fiicherartig ausstrahlend die Masse be-
nachbarter Btindel durchsetzen. So kommt morphologisch ein ver-
filztesMuskelwerk zu Stande, in welchem meist selbstandige
und isolirte Gruppen von Muskeln nicht zu unterscheiden sind;
functionell ilussert sich dagegen das Verhalten darin, dass ein
nach den verschiedensten Richtungen hiu contractiles Parenchym
erzeugt wird, welches fiir die ganze Bewegungsweise der Schne-
cken und Muscheln so ausserst charakteristisch ist. Bei den
10 0. imd E. Hertwig,
hohercn Mollusken, den Cephalopoden, macht sich allcrdings eine
grossere Regelraiissigkeit gelteud, indem es zu Muskollamelleu iiiit
gleich gerichteter Faserimg kommt. Al)er aiich liier werden noch
die regelmassig angeordiieten Faserlamellen von einzeluen quer ver-
laufenden Muskelfasern durchsetzt, wie die Knochenlaraellen von
den perforirenden Sliarpey'sclien Fasern ; ausserdem erhalt sich bei
den Cephalopoden an vielen Stellen, unter denen wir ganz beson-
ders die Arme hervorheben, der Charakter des Muskelflechtwerks
in sehr ausgesprochener Weise. Noch kiirzlich hat daher ein For-
scher, der sich mit den Cephalopoden sehr eingehend beschiiftigt
hat, Brock (50), „die grosse Unselbstandigkeit der Muskeln, ihre
vielfachen Verwachsungen und die Neigung, sich in Membranen,
in Muskelhaute auszubreiten" , selbst fur den Kopf und Nacken
des Cephalopodenkorpers hervorgehoben, fiir Stellen, wo isolirte
Bundel vorkommen und die Muskulatur am hochsten differenzirt ist.
So ergiebt eine genauere Priifung der Muskula-
tur auch in jeder Beziehung, in Entwicklung, Bau und
Anordnungsweise f undamentale Unterschiede zwi-
schen Chaetognathen und Mollusken. Dort sehen wir
umgewandelte Epithelzellen, hier Zellen des Mesen-
chyms zu Muskeln werden, dort begegnen wir Muskel-
blattern zusammengesetzt aus Einzelfibrillen, hier
contractilen Einzelfasern, bei den Chaetognathen end-
lich sind die Elemente in regeliniissiger leicht iiber-
sichtlicher Weise angeordnet, bei den Mollusken da-
gegen sindsie zueinemhaufigunentwirrbarenDurch-
ei nan der vereinigt.
Die Bindesubstanz der Mollusken, der zweite Bestand-
theil, welcher aus Umbildung des Mesenchyms hervorgeht, hat in
den einzelnen Abtheilungen einen verschiedenen Charakter und
verschiedene Machtigkeit; bei den pelagischen Pteropoden und He-
teropoden z. B. ist sie eine ansehnliche Gallerte, welche von ela-
stischen Fasern gestiitzt wird und zahlreiche veriistelte oder rund-
liche Zellen enthalt, wahrend sie bei den Schnecken mehr faserig ist
und unansehnlich an Masse vornehmlich als Kitt zur Vereinigung
der Muskelfaserbiindel dient. Alle diese qualitativen und quanti-
tativen Unterschiede sind fiir uns hier von keiner Bedeutung, da
es uns nur auf die Art ankommt, in welcher die Bindesubstanz
in den Aufbau des Organismus eingreift. Hierbei miissen wir
denn hervorheben, dass ein in Muskeln und Bindesubstanz diffe-
renzirtes Mesenchym den Raum zwischen Darm und Hautober-
Die Coelomtheorie. 11
flitche, das Blastocoel der Larve, iu mehr oder minder vollstan-
diger Weise ausfiillt (Taf. I Fig 11 u. 4. Taf. Ill Fig. 10). Am
vollstandigsten ist dies bei den Lamellibrancliiern der Fall, bei wel-
chen alle Eingeweide, Darm, Geschleclitsorgane, Nieren unter ein-
ander durcb das Korperraesencbym verklebt werden. In den
Geweben verbreitet sich ein System von Lacunen,
welche sich besouders im Umkreis der Eingeweide zu grosseren
Hohlraumen erweitern, ohne jedoch zu einer einlieitlichen Hohle
zusammenzufliessen. Ueber den Bau dieser Lacunen stimmen die
neueren Untersuchungen von F lemming (52), Posner (66),
Kollmann (62) etc., mogen sie auch im Eiuzelnen von einander
abweichen, im Allgemeinen tiberein, iudem sie zeigen, dass es ein-
fache Spalten in der Bindesubstanz sind, deren Wandungen nicht
einmal von einem besonderen Epithel tiberzogen werden. Sie
communiciren mit dem Blutgefasssystem, desseu grossere Stilmme
sich in sie oflhen, wahreud Capillaren an den meisten Stellen des
Korpers fehlen.
Wie die Verhaltnisse liegen, hat man wenig Veranlassung,
bei den acephalen Mollusken von einer Leibeshohle zu sprechen,
wenn es auch in Folge der Unsicherheit , welche in der Anwen-
dung des Begriffs „Leibeshohle" herrscht, allgemein geschieht. Be-
rechtigter erscheint dagegen eiue solche Darstellungsweise bei den
Cephalophoren , deren Eingeweide in einem Hohlraum eingebettet
sind und aus dem Hautmuskelschlauch in Folge dessen leicht her-
auspraparirt werden konnen. Doch ist es auch hier nothig, sich
nicht mit einem viel gebrauchlicheu Namen zu begniigen, soudern
das Wesen des Hohlraums selbst uilher zu betrachten. Derselbe
ist ebenfalls nur ein Spaltraum iu der Bindesubstanz, welcher nicht
von einem Epithel ausgekleidet ist. Er wird von Fiiden durch-
setzt, welche von der Bindesubstanz des Hautmuskelschlauchs
in die bindegewebigen Umhiillungen der Eingeweide hiniibertreten
Oder sich zwischen den einzehien Organen ausspannen. Nicht sel-
ten sind auch die Organe mit breiten Flachen an den Wandungen
der Leibeshohle befestigt.
Diese Schilderung, welche wir auf Grund von Querschnitten
durch Chi ton en (Taf. I Fig. 4) und Landpulmonaten geben, wiirde
sich nach den Angaben Gegenbaur's (58) nicht auf die Ptero-
poden und Heteropoden tibertragen lassen. Hier soil vielmehr
eine ausserordentlich geraumige Leibeshohle sich trennend zwi-
schen Darm und Korperwand schieben und sich sogar haufig in
die flossenformigen Anhange erstrecken. Wir haben daher bei Ca-
12 0. und E, Hertwig,
riiiaria und Pterotrachea weitere Beobaclituugen angestellt, wobei
wir zu einer etwas andereu Auffassimg als Gegenb aur gelangt siiid.
Wenn dieser Forscher die Leibesliolile unmittelbar von der mem-
branartig ausgebreiteten Korperniuskulatur einerseits und der Darm-
wand andererseits begrenzt sein lasst, so hat er dabei die von
zahlreicheu Zelleu durclisetzte maclitige Gallertschiclu iibersehen,
welclie nach innen von der Muskulatur vorhanden ist. Erst in
derselben liegt die Leibesbulile als ein schmaler Spaltraum derart
eingebettet, dass eine dunne Gallertlage noch auf der Darmwand
nachweisbar ist, wahrend die Hauptmasse sich an das Muskelblatt
anschliesst. In gleicber Weise hat Gegenbaur auch in den Pte-
ropodenflossen die Gallerte, welche hier allerdings durch weite
Blutbahnen sehr reducirt ist, nicht beachtet.
Da ein Epithel in den beschriebeuen Hohlraumen der Cepha-
lophoren allgemein fehlt, und da sie selbst mit dem Blutgefasssy-
stem communiciren, so ist es klar, dass sie aus dem Liickensystem
der acephalen Mollusken abgeleitet werden miissen. Nur sind hier
die Liicken im Biudegewebe grosser geworden und zu einem wei-
ten Hohh'aum zusanimengeflossen , die trennenden Bindesubstanz-
balkchen sind dagegen rareficirt.
Aus derartigen Modiiicationen lasst sich dann endlich auch
das Blutgefasssystem und die Leibeshohle der Cephalopoden er-
klaren. Aeltere Forscher geben an, dass bei diesen Thiei-en Venen
und Arterien durch Capillaren verbunden sind, dass einzelne der
Venen jedoch immer noch mit der Leibeshohle communiciren, wess-
halb denn auch die Eingeweide wie bei anderen Mollusken vom
Blut umspiilt wiirdeu. Neuerdings hat dagegen K o 1 1 m a n n (62 •'')
eine vollkommene Trennung der Leibeshohle und der Blutgefasse
behauptet, da die Venen sich zwar zu sinuosen Hohlraumen aus-
dehnen sollen, diese Hohlraume aber keine Oeffnungen nach der
Leibeshohle hiu besassen. Wie dem auch sei, jedenfalls ist bei
den Cephalopoden die Trennung von Leibeshohle und Blutgefiissen
eine weiter vorgeschrittene. Um so interessanter ist es zu sehen,
dass embryonal beide Theile einen gemeinsamen Ursprung haben.
Nach Lankester (63) entstehen in dem Mesenchym der Cephalo-
poden sinuose wandungslose Hohlraume, von welchen einige zu einer
grossen einheitlichen Cavitat, der Leibeshohle, zusammenfliessen,
wahrend andere sich mit l)esonderen Wandungen umgeben und das
Herz und die Gefiisse des Thieres bilden.
Das Blutgefasssystem und die Leibeshohle der Mollusken las-
Die Coelomtheorie. 13
sen daher sowohl bei vergleichend-anatomischer als aiich eiitwick-
lungsgeschiclitlicher Betrachtung ihre Zusamraeugehorigkeit auf das
Deutlichste erkennen; sie stammen aus einer gemeinsamen A.nlage,
aus einem System von Spaltraiimen ab, welches im Mesenchym
gelegen ist, entwickeln sicli aber nach verschiedenen Richtungen
und sondern sich dabei in demselben Maasse von einander, als
sicli die Organisation der Mollusken vervoUkommnet. Wir konnen
daher die Leibeshohle mit Huxley als Schizocoel bezeichnen
und dadurch von dem Enterocoel der Chaetognathen unterschei-
den, zu welchem sie in einem fundamentalen Gegensatz steht. Das
Enterocoel der Chaetognathen ist ein mit Epithel
ausgekleidetes Darmdivertikel, das Schizocoel der
Mollusken ist ein wandungsloser Spalt im Mesenchym;
jenes erscheint vonAnfang an als einweiter aussym-
metrischen Halften bestehender Raum, dieses ist eine
Vereinigung zahlreicher kleiner und unregelmiissi-
ger Raume; dort keine Beziehung zum Blutgefass-
system, welches uberhaupt noch fehlt, hier innigster
Zusammenhang mit demselben.
Wie verhiilt sich nun welter das Schizocoel der Mollusken zu
dem Blastocoel ihrer Larven? Aus den iu der Literatur vorlie-
genden Bcobachtungen lasst sich hierauf tblgende Antwort geben.
Von Anfang an ist ein weites Blastocoel vorhanden, dessen Raum
durch die zunehmende Gewebebildung eingeschrankt wird. Die
iibrig bleibenden Spalten sind die ersten Anlagen des Schizocoels,
das sich nun secundar wieder zu einem einheitlichen Raum ge-
staltet. Zwischen Blastocoel und Schizocoel wurde sich demnach
eine ununterbrochene Continuitat nachweisen lassen. Gegen diese
Darstellung kann nur das Eine geltend gemacht werden, dass es
noch uicht genugend sicher gestellt ist, ob das Blastocoel uber-
haupt ein Hohlraum ist oder ob es nicht vielmehr von einer diin-
nen Gallerte erfiillt wird, in welcher die einzelnen Gewebsbestand-
theile eingeschlossen sind. In dem einen wie in dem audern Falle
wiirde bei den Mollusken eine doppelte Namengebung tiberflussig
sein, im ersteren wiirde es nur ein Blastocoel, im letzteren nur
ein Schizocoel geben.
Ein dritter Unterschied zwischen Chaetognathen und Mollusken,
welcher durch den ganz verschiedenen Bildungsmodus des Meso-
derms bedingt wird, aussert sich endlich in dem Nervensystera,
weniger freilich in dem Bau als in der Entwicklungsweise des-
selben.
14 0. imd E. Hertwig,
Anatomisch betrachtet haben das Nervensystem der Mollusken
uud Chaetognathen manches Gemeinsame. Dorsal oberlialb des
Oesophagus liegt beidesmal ein grosses oberes Schlundganglion,
ventral ein ebenfalls grosses Ganglion, der Bauchknoten der Chae-
tognathen, das Fussganglion der Mollusken; beide sind unter ein-
ander durch lange Schlundcommissuren verbunden. Dazu gesellen
sich noch in beiden Abtheilungen die mit dem oberen Schlund-
ganglion zusammenhangendeu Buccalganglien , so dass Langer-
hans (95) sich veranlasst gesehen hat, Mollusken und Chaetogna-
then auf Grund ihres Nervensystems fiir nahe Verwandte zu er-
kliiren. Indessen hat der genannte Forscher den einen wichtigen
Unterschied ganz unberiicksichtigt gelassen, dass das Nervensystem
der Chaetognathen im Ektoderm, das Nervensystem der Mollusken
dagegen im Mesoderm eingeschlossen ist; dieser Unterschied wiirde
nun zwar an und fiir sich nicht von Belang sein, wenn er nicht
Folge einer abweichenden Entwicklungsweise ware.
Bei den Chaetognathen entwickeln sich die oben genannten
Theile des Nervensystems aus dem Ektoblast, dem sie auch dauernd
angehoren; bei den Mollusken dagegen ist ein solcher ektoblasti-
scher Ursprung des Nervensystems noch nicht festgestellt. Wenn
wir die hieriiber in der Literatur vorhandenen Angaben vergieichen,
so zerfallen dieselben in zwei Gruppen. Die Mehrzahl der For-
scher behauptet einen mesodermalen Ursprung des Nervensystems
und tritt damit einem anderen Theil gegeniiber, welcher die
Mollusken sich den ubrigen Thieren anschliessen lasst. Bo-
bretzky (48,49), welcher der ersten Gruppe angehort, schildert
genau, dass die Ganglien anfanglich unregeimassige lockere Hau-
fen von Mesenchymzellen seien, welche erst allmiihlich zur Bil-
dung eines scharf gesonderten Organes zusammentreten. Ihm zu-
folge „ist die Entwicklung des Nervensystems bei den Mollusken
von der Bildung desselben bei anderen Thiertypen ganz verschie-
den. Bei den Wirbelthieren, Arthropoden und Wtirmern tritt das
aus dem Ektoderm abstammende Nervensystem stets als ein Gan-
zes auf, welches bei den 2 letzteren Thiertypen erst spater der
Lange und der Quere nach in einzelne Ganglien zerfalit. Hin-
gegen entstehen bei den Mollusken die einzelnen Ganglien als ganz
von einander abgesonderte Anhaufungen von Mesodermzellen und
treteu erst spater mit einander in Verbindung."
Ebenso energisch wie Bobretzky spricht sich Us sow (70)
fiir einen mesodermalen Ursprung des Nervensystems aus, wah-
rend Lank ester (63) einen vermittelnden Standpunkt einnimmt.
Die Coelomtheorie. 15
Fiir die Mehrzahl der Mollusken leitet Lank ester das obere
Sclilundganglion aus dem Ektoblast, deu Rest des Nerveusystems
aus dem Mesoderm ab; nur bei den Ceplialopoden sei die Ekto-
blasteinstiilpmig des oberen Schlmidgangiions rudimeutar und bilde
den sogenannten weissen Korper, so dass sich liier fast das ge-
sammte Nervensystem mesodermal anlege. Der englisclie Forscher
mochte jedocb in einer derartigen Entwickluug der Centralorgane
keinen fuudamentalen Gegensatz zu den tibrigen Thicreu, sondern
nur eiuen durch abgektirzte Vererbung bediugten Unterschied er-
blicken.
Wahreud Bobretzky und Us sow im Nervensystem der
Mollusken nur mesodermal Bestandtheile liaben nachweiseu kou-
uen, hat Hatschek (59) neuerdings fiir Teredo Beobachtungen
mitgetheilt, denen zu Folge das obere Schlundganglion ebenso wie
das Pedalganglion rein ektodermalen Urspruugs seien. Beide sol-
Jen sicli als verdickte Stellen im Ektoderm anlegen, ja der Ver-
fasser sucht es sogar walirscheinlicli zu machen, dass die Ver-
dickuugen auf dem Wege der Einstiilpung sich zu den Ganglien
entwickeln, wodurch der Process der Bildung des Nerveusystems
eiue grosse Aehulichkeit mit den bei Wirbelthiereu beobachteten
Vorgangen gewinnen wiirde,
Bei der grossen Meinungsverschiedenheit , welche tiber die
Herkunft des Nerveusystems herrscht, sind fiir uus die olienbar
sehr genauen Untersuchungen Ilabl's (69) und Fol's (57) von der
grossten Bedeutung, da beide Forscher in den Beobachtungen der
Hauptsache nach iibereinstimmen , obwohl sie in der Deutung der
Befunde von eiuander abweichen. Rabl, dem aus theoretischen
Griinden ein anderer als ektodermaler Urspruug des Nerveusystems
nicht moglich zu sein scheint, giebt in seiner Arbeit iiber die
Ontogenie der Patella an, dass er iiber die Eutwicklung der
beiden Knoten des unteren Schlundganglions leider nicht ganz
in's Klare gekommeu sei. Mit Sicherheit durfe er nur behaup-
ten, dass der Bildung dieses Ganglions keine Verdickung des
Ektoderms zu den Seiten des Fusses vorausgehe, und dass das-
selbe anderswoher seinen Ursprung nehmen miisse. Er huldigt
daher der Annahme, dass es aus gleicher Anlage mit dem oberen
Schlundganglion abstamme. Fiir letzteres beobachtete er eine
Ektodermverdickung mitten im Velarfeld, fiir die er den auch fiir
Annelidenlarven viel gebriiuchlicheu Namen Scheitelplatte anwendet.
Mit dieser Deutung setzt sich jedoch Rabl in Widerspruch mit
den Darstellungen aller tibrigen Forscher; denu dann miissten ja
16 0. vind R. Hertwig,
beide Ganglienmassen von Anfang an durch Commissuren verbun-
den sein, wahrend docli Einstimmigkeit dariiber herrscht, dass
die oberen Scblundganglien imd die Podalganglieu anfanglich ge-
trennt sind und erst secundar in Verbindung treten. Die nega-
tiven Befunde RabTs sprechen somit fiir die Ansicht, dass das
Pedalgangliou dem Mesoderm angebort.
Die Mittbeilimgen Fol's (53 — 57) erstrecken sich auf zahlreicbe
Reprasentanteu aus verschiedenen Ordnungen der Molluskeu. Ihneu
zufolge entsteht das obere Schlundganglion stets aus dem ausse-
ren Keimblatt, bei den Pteropoden und Landpulmonaten durch
Einstiilpung, bei den Heteropoden durch Abspaltung; bei den
Wasserpuhnonaten allein waren die Beziehungen zum Ektoderm
zweifelhafter Natur, indem eine unter dem Epithel gelegene, gegen
das Mesoderm nicht deutlich abgegrenzte Zellenmasse in der von
Bobretzky beschriebenen Weise sich allmahlich zum Ganglion
umformte. Auch fur die Pedalganglien suchte Fol urspriinglich .
nach einer ektodermalen Anlage und glaubte dieselbe fiir die He-
teropoden und Gastropoden gefuuden zu haben, doch ist er in
seiner neuesten Arbeit von dieser Ansicht vollkommen zuriick-
getreten, indem er das Resultat aller seiner Untersuchungen in
folgendem Satz zusammenfasst : „Die Pedalganglien zeigen in
ihrer Bildungsweise eine bemerkenswerthe Gleichformigkeit. Sie
differenziren sich iiberall inmitten eines vorher vor-
handenen Mesoderms und konnen daher nur in sehr indirec-
ter Weise aus dem Ektoderm stammen, vorausgesetzt dass nicht
dieser Theil des Mesoderms einen anderen Ursprung hat." Gleich-
wohl ist Fol nicht geneigt, in der Bildung des Nervensystems
einen fundamentalen Unterschied zwischen den Mollusken und den
meisten anderen Thieren, wie es Bobretzky thut, anzunehmen;
die Bildungsprocesse, meint Fol, seien iiberall Abanderungen un-
terworfen und wir seien verpflichtet, die Griinde und Gesetze dieser
Abanderungen nachzuweisen.
Bei einer kritischen Beurtheilung der angefiihrten Literatur-
angaben, besonders des in den Abbildungen niedergelegten Beweis-
materials, scheint es uns nun in hohem Grade wahrscheinlich
zu sein, dass bei den Mollusken die Hauptmasse des
Nervensystems im Anschluss an die Muskulatur seine
Entstehung den Zellen des Mesenchyms verdankt.
Dies gilt vor Allem von den Fussgangiien und vielleicht auch
von einem Theil der oberen Scblundganglien, wahrend wohl ein
underer Theil vom Ektoderm und zwar speciell von der Schei-
Die Coelomtheorie, 17
telplatte geliefert wird. Wir siiid uns dabei wolil bewusst, wie
stihr wir bei Vertretimg eiiier derartigeu Auffassung mit den herr-
sdiendeu Theorieeii iiber den Ursprung des Central-Nervensy stems
in Conflict gerathen. Allein wenn man tlieoretisclie Anschauungeu
verwerthen will, so muss man sich stets zuvor versichern, auf wel-
chen Voraiissetzimgen dieselben aufgebaut sind und in wie fern
die Voraussetzungen im concreten Falle zutreff'en. Wir werden
an einer spateren Stelle dieser Arbeit liierauf noch einmal zuriick-
kommen und danu zu zeigen versucben, wesshalb die fiir Glieder-
wurmer, Wirbelthiere und Arthropoden giltige Theorie vom ekto-
dernialen Ursprung der Centralorgane nicht im volleu Umfang auf
die Molluskeu iibertragbar ist, sondern sich hier nothwendigen
Einschrankungen unterziehen muss.
Wenn nun die Ansichten, welche wir iiber die Entwicklung
des Nervensystems der Mollusken vertreten, richtig sind, dann ist
hierin ein neues wicbtiges Unterscbeidungsmerkmal gegeniiber den
Chaetognathen gegeben. Dem rein ektodermalen und ekto-
blastiscben Nervensystem der letzteren tritt danu
das mesodermale, nacb seiner Genese ektoblastisch-
meseuchymatose Nervensystem der Mollusken gegen-
iiber, und diesc Verscbiedenheit fiudet ibre Erkliirung
in der abweicbenden Genese des Mesoderms.
Wird Jemand angesicbts der eben vorgenommenen Verglei-
chung nocb Zweifel begeu konnen an einer vollstandigen Verscbie-
denbeit, welcbe das gesammte Bild der Entwicklung bei Mollusken
und Cbaetognatben darbietet? Sind bier die Gegensatze nicbt
noch weit auffiilliger als zwischen den Ctenophoren und den iibri-
gen Coelenteraten? Bei den Chaetognathen ausscbliess-
licb bistologiscbe Differenzirung von Epithellamellen^
bei den Mollusken in hobem Grade Entwicklung eines
Mesenchyms und sebr verscbiedenartige bistologiscbe
Differenzirung desselben. Bei den Chaetognathen eine
grossere Complication der Blatterbildung, indem der
Entoblast sich weiter einfaltet und ein parietales und
viscerales Blatt des Mesoblasts liefert; bei den Mollus-
ken keine weitere Faltenbildung, Ektoblast und Ento-
blast der Gastrula gehen nach Abzug des Mesenchyms
vollstandig in das Ektoderm und Entoderm des ferti-
gen Thieres uber. Dort ein Enterocoel, hier ein Schizo-
coel und in Zusammenhang damit dort ein dorsales und
ein ventrales Mesenterium, bier ein Mangel derselben.
Bd. XV. N. F. VIII. 1. 2
18 0. und R. Hertwig,
Zur Veranscliaulichung unserer Ideengange haben wir im Vor-
ausgehenden recht typisclie Beispiele gewahlt, bei welchen die
verschiedenen Gegensiitze in der Entwicklung scharf ausgepragt
sind. Solches ist bei anderen Tliiereu nicht immer der Fall, viel-
mehr giebt es audi Entwickelungsgeschiditen, bei weldieu die bei
den Mollusken und Chaetognathen getrennt beobachteten Processe
in demselben Organismus nebeneinander auftreteu. Als ein pas-
sendes Beispiel eines solchen geniisditcn Entwickelungsganges kon-
nen uns die Ediinodermen dieuen , wobei wir als Gruudlage den
Aufsatz von Selenka „Keimblatter und Organanlage der Ediini-
den" (74) benutzen.
Bei den Echinodermen lagert sidi in der Furcbungsh(3hle der
Blastula (Taf. I Fig. 9) der sogenannte Gallertkern ab , „weldier
die Function einer Stiitze fiir die Blastodermzellen erfiillt". In
denselben tritt friihzeitig an der Stelle, wo spater die Gastrula-
einstulpuug erfolgt, eine Anzahl von Zellen hinein, welche sich von
einigen durch Grosse auffallenden Zellen der Blastula durdi Thei-
lung abtrennen. Die so gebildeten Mesendiymkeime (a) besteben
aus zwei, je 4 — 8 Zellen umfassenden Haufen, die sich alsbald vom
Mutterboden entfernen. Wiilirend die Blastula sich in die Ga-
strula umwandelt (Taf. I Fig. 10), vermehren sich die Mesenchym-
Zellen (a) fort und fort durch Theiluug, entfernen sich hierbei
von einander und durchwandern amoboid den Gallertkern mittelst
langer, oft veriistelter Pseudopodien. So ist schon auf dem
Blastulastadium ein Mesenchym eutstanden, dessen
Zellen wahrend des Larvenlebens dreierlei Functionen zu erfiillen
haben. Ein Theil scheidet das Kalkskelet (h) aus, ein auderer
lagert sich dem Vorderdarm an und wird zu seiner Ringmusku-
latur, ein dritter Theil endlich bildet sich in stern- oder spindel-
formige contractile Faserzellen um, welche sich einzeln in der
Gallerte zwischen Bauch und Riicken oder zwischen Haut und
Darm ausspannen.
Bis hierher gleicht die Entwicklung der Echinodermen der-
jenigen der Ctenophoren und Mollusken, insofern bei alien in aua-
loger Weise ein sich histologisch weiter diflferenzirendes Mesen-
chym geliefert wird. Danu aber tritt ein Process ein, welcher
der Leibeshohlenbildung der Chaetognathen zu vergleichen ist. Das
blinde Ende des Urdarms erweitert sich und treibt zwei laterale
Aussackungen (Taf. I Fig. 10 Me); diese schntiren sich bei den
einzeluen Abtheilungen der Echinodermen in etwas verschiede-
ner Weise ab und stellen zwei Siicke dar, welche zum Coelom
Die Coelomtheorie. 19
unci Wassergefiisssystem des ausgebildeten Tbieres werden. Leider
ist es zur Zeit noch unbekannt, in welcher Weise sich die Epi-
thelauskleidung des Enterocoels liistologisch weiter differenzirt,
wie denn iiberhaupt die ganze spatere bistologiscbe Entwicklung
der Echinodermen ein vollig unangebautes und daber fiir Un-
tersucbungen daukbares Feld abgiebt. Vor alien Dingen ist bier
die wicbtige Frage zu beantworteu, ob die Korpermuskulatur
aus dem Mesencbym oder aus dem Epitbel des Enterocoels ib-
ren Ursprung berleitet, ob sie sicb mitbin nacb dem Typus der
Ctenopboren und Mollusken oder nacb dem Typus der Cbaeto-
gnatben entwickelt. Auf jeden Fall bestebt in der Entwick-
lung der Cbaetognatben und der Ecbinodermen die
wicbtige Uebereinstimmung, dass bei beiden der Ur-
darm sicb sondert in den bleibenden Darm und in
zwei den letzteren umbiillende Divertikel, in welcbe
die Gescblecbtsorgane zu liegen kommen.
Durcb die auf den vorausgebenden Seiten vorgenommene
Beurtbeiluug der Keimblattbildung und bistologiscben Differenzi-
rung der Coelenteraten, Cbaetognatben, Mollusken und Ecbinoder-
men glauben wir zu einem dreifacben Resultate gelangt zu seiu:
Einmal baben wir an recbt durcbsicbtigen Beispielen gezeigt,
dass bei der Bildung des Mesoderms sicb verscbiedeuartige Pro-
cesse abspielen und dass das indiflferente Zellenmaterial, welcbes
sicb zwiscben Ektoblast und Entoblast einscbiebt, keineswegs iiber-
all gleicbwertbig ist. Dasselbe konnte entweder als Mesencbym
oder durcb Einfaltuug des Entoblasts (unter Divertikelbildung des
Urdarms) angelegt werden. Je nacbdem das eine oder das andere
oder beides zugleicb gescbiebt, gewinnt die Scbicbt zwiscben den
beiden primitiven Keimblilttern eine dreifacb verscbiedene Bedeu-
tuug. Im ersten Fall treffen wir als Mesoderm bei den
Larven nur eine Stiitzsubstanz mit zerstreuten Zel-
leu an (Coelenteraten, Mollusken). Im zweiten Fall scbie-
ben sicb zwiscben Ektoblast und Entoblast zweineue
epitbelial angeordnete Zellenlagen (parietales und
viscerales Blatt des Mesoblasts) ein (Cbaetognatben).
Im drittenFalle endlicb kommt es zwiscben den bei-
den primitiven Keimbliittern sowobl zur Ausbildung
eines Mesencbyms, als aucb zu Hoblriiumen mit epi-
tbelialen Wandungen, welcbe abgescbniirte Diverti-
kel des Urdarms sind.
Zu einem zweiten Resultate von allgemeinster Bedeutung fiibrte
2*
20 O. und E. Hertwig,
uns die Untersuclmng der vergleichenden Eiitwicklungsgescliiclite
der Gewebe. Iiidem wir die liistologische Diflferenzirung der ein-
zelnen Korperschichteii hei den Hydromedusen, Actinien imd Chae-
tognatlieu einerseits, bei den Ctenophoren iind Mollusken anderer-
seits unter einander verglichen, wurden wir darauf gefiihrt, die
Gewebe ihrer Genese nach in mesenchymatose und
epitheliale einzutheilen und konnteu zeigen, dass
j edes Keimblatt die Fahigkeit zu den verschieden-
artigsten Unibildungen besitzt.
Das dritte Resultat endlich besteht in dem Nachweis, dass
die Verschiedenartigkeiten in den ersten Entwick-
lungsvorgangen sich auch noch im definitiven Bau
des Organismus und in der feineren Structur seiner
Gewebe erkenneu lassen. Muskeln epithelialen Ursprungs
tragen in ihrer Structur und Anordnung ein anderes Geprage als
Muskeln, welche durch Differenzirung von Mesenchyrazellen ent-
standen sind. Ein Schizocoel ist von einem Enterocoel audi beim
erwadisenen Thiere meist nodi zu untersdieiden. Ersteres setzt
ein reichlidier entwickeltes Mesendiym voraus und erscheint mehr
in der Form unregelmassiger niit dem Blutgefasssystem comniu-
nidrender Lacunen. Letzteres ist ein zusammenhangender Rauni,
von Epithel ausgekleidet , urspriinglidi oline Beziehung zu den
Blutbahuen und bedingt die Anwesenheit und charakteristische Be-
sdiaflfenheit einiger anderer Organe, wie des Darmfaserblatts, der
dorsalen und ventralen Mesenterien, der Gesdileditsdriisen, weldie
vom Epithel der LeibeshiUile abstammen etc. Wird dies zugege-
ben, daun wird man auch bei einer genauen Kenntniss der Orga-
nologie und Histologie eines ausgebildeten Thieres sich Riick-
schliisse auf die urspriinglichen Entwickelungsprocesse gestatten
diirfen; man wird dies niit Nutzen nameutlich in solchen Fallen
thun, in welchen die Deutung entwicklungsgeschichtlicher Bilder
mit Schwierigkeiten verkniipft ist.
Durch die Behandlungsweise, welche wir bisher in unserem
Aufsatz eingehalten habeu, stellen wir uns in Gegensatz zu zahlrei-
chen Embryologen, welche allein von entwickelungsgeschichtlichen
Befunden ausgehend das Bestreben haben, die an einem Objecte
gewonuenen Beobachtungsresultate auch auf die iibrigen zu uber-
tragen, wie denn z. B. Lank ester (170) iiberall die Muskulatur
vom iiusseren Keimblatte ableiten und iiberall das Coelom auf Ur-
darmdivertikel zuriickfuhren will, oder wie Rabl (68) und Hat-
schek (102) bestrebt sind, die von ihnen bei Mollusken aufgefun-
Die Coelomtheorie. 21
denen grossen „Mesodermzellen" als ein allgemeines Vorkommniss
nachzuweisen und als homologe Gebilde zu deuten. Nach imserer
Ausicht dagegen wird eine Losimg der schwierigeu Mesodermfrage
nur auf dem Wege herbeigefiihrt werden konneu, dass die genera-
lisireude durch einc melir kritisclie, individiialisireude Beurthei-
luiig der vorliegeudeu Tliatsacheu verdriingt wird. Eine mehr
kritische Beurtheilung wird aber von selbst schou Platz greifen
miissen, wenn man bei Beobachtung des embryonalen Geschebens
mehr als bisber das Endziel der embryonalen Processe, die Aehn-
licbkeiten und Verschiedenheiten der delinitiven Zustande, in das
Auge fasst und wenn man dabei auch die histologische Umwand-
lung der embryonalen Zellen beriicksicbtigt und nicht, wie es so
haufig geschieht, gerade beim Eintritt derselben die Untersuchung
abbricht. Erst dadurch, dass man alle Instanzen beriicksich-
tigt, wird man die Gefahr vermeiden, Entwicklungsvorgiinge als
gleichartig zu betracliten, welclie mit einander nichts zu thun
haben, da sie zu ganz entgegengesetzten Resultaten fiihren, Mit
einem Worte, die vergleichende Embryologie muss durch stete Be-
riicksichtigung aller histologischen und anatomischen Verhiiltnisse
sich als Thcil einer vergleichenden Morphologic darstellen.
In diesem Sinne wollen wir unsere Aufgabe auch auf den
folgenden Blattern durchfuhren , nachdem wir durch die Verglei-
chung der Coelenteraten , Mollusken, Chaetognathen und Echi-
nodermen gleichsam die Fundamcntc fur den weiteren Aufbau ge-
legt haben. Gesichtspunkte, die bisher an einzelnen Fallen ge-
wonnen wurden, sollen jetzt durch vergleichende Untersuchung
aller ubrigen Thierstiimme auf ihre allgemeinerc Verwerthbarkeit
geprtift und so der Versuch gewagt werden, eine Summe allge-
meiner Bildungsgesetze im ganzen Thierreich nachzuweisen. Bei
der Durchfiihrung unseres Planes wollen wir in der Weise ver-
fahren, dass wir zuerst jeden Thiers tamm gesondert betrachten
und jedesmal untersuchen, in welcher Weise sich das Meso-
derm entwickelt, wie es sich histologisch differenzirt, wie die in
ihm enthaltenen wichtigsten Organsysteme gebaut sind und in
welchem Verhaltniss sie zu einander stehen. Alsdann werden wir
einen Ueberblick iiber die verschiedene Entwicklung und den ver-
schiedenen Ban der wichtigsten Organsysteme im Thierreich geben.
Drittens wird sich daran ein Abschnitt anreihen, in welchem die
erhaltenen Befunde auf ihre systematische Verwerthbarkeit gepriift
werden sollen. Endlich werden wir noch in drei Kapiteln allge-
22 0. und E. Hertwig,
meinere Fragen besprechen, auf welche ims die fruheren und die
voiiiegenden Untersucliimgen gefiihrt haben. Bin Kapitel wird
dariiber handcln, was man unter eiuem mittleren Keimblatt zu
verstelieu liabeV cin auderes wird die Erscheinungen und Ursa-
cheu der thierischen Formbildung und ein drittes Kapitel die Ge-
scliiclite der Coelonitlieorie zuni Gegenstand haben.
Indem wir uns jetzt gleicli zur Betraclitung der einzelnen
Thierstiimme wenden, bemerken wir uocli ini Voraus, dass wir
dieselben nach der Entwickluugsweise und deni Bau des Meso-
derms in zwei grosse Abtlieilungen scheiden, von welchen wir die
eine als Pseudocoelier, die andere als Enterocoe lier be-
zeichneu.
Die Coelomtheorie. 23
Specieller Theil.
I. Betrachtung der einzelnen Thierclassen.
A. Die Abtheilung der Pseudocoelier.
Die erste Hauptabtlieikmg der Bilaterieii oder die Pseudo-
coelier schliessen sich uach Bau und Entwickkmg den Mollus-
keu an; sie erreiclien im Allgemeiueu uiclit die Hohe der Orga-
nisation, welclic wir fiir die zweite Hauptabtheilung nachweisen
konncn. Der Umstand, dass nur zwei epitheliale Flachen oder
Keimblatter, der Ektoblast und der Entoblast, das Wachsthum ver-
niitteln, behindert zweifellos eine reichere Gliederung und Entfal-
tung der Organisation; denn so umbildungsfahig das Mesenchym
an sich aucli sein mag, so fehlt ilim doch die regelmiissige An-
ordnung des Zellenmaterials , welclie die Epithelschicliten aus-
zeicbnet. Mit der beschriinkten Entwicklung der Epithelien hiingt
im Wesentlichen audi der compacte Charakter des Korpers der
Pseudocoelier zusammeu, so dass der Ausdruck „massiger Typus",
den der so fein beobaclitende C. E. v. B a e r fiir die Mollusken
zuerst anwandte, audi fiir die iibrigen Formen zu Rechte besteht.
Bei der Entsclieidung, welclie Thierabtheilungen zu den Pseu-
docoeliern gehoren, verdient natiirlich in erster Linie die Entwick-
lungsgescliiclite der mittleren Korperscbiclit oder des Mesoderms
Beriicksiclitigung ; dasselbe besteht in seiner ersten Anlage aus
wenigen vereinzelten Zellen, welche von den primaren Keimblat-
tern aus in den Zwischenraum des Blastocoels gelangen. Ferner
ist aber auch von Wichtigkeit der Bau des Mesoderms beim aus-
gebildeten Thiere, welcher durch die ganze Entwicklungsweise ein
besonderes Geprilge aufgedriickt erhalt. Eine Leibeshohle fehlt
oder wird nur durch ausgedehnte Gewebsspalten reprasentirt,
welche selten zu einem einheitlicheu Schizocoel zusammenfliessen.
Die Muskulatur erscheint in der Form contractiler Faserzellen,
welche zumeist unregelmassig angeordnet und in ihreni Verlauf
vielfach gekreuzt sind. Dazu gesellt sich eudlich die Beschatfen-
24 0. xmd R. Hevtwig,
heit des Nervensystems , der Wassergefasse und der Gesclileclits-
organe.
Zu den Pseudocoeliern rechnen wir die Bryozoen, Rotatorien
und Plathelminthen, welche wir in der liier angegcbcnen Reihen-
folge besprechen wollen; zuvor mochten wir jedocli bemerkcn, dass
unscre Kenntnisse vom Bau und von der Entwicklung dieser 3
Thierabtheilungen Vieles zu wiinschen iibrig lassen. Namentlich ist
auf dem Gebiet der Ontogenie noch wenig geschehen, so dass wir
unser Augenmerk mebrfach allein dem anatomisclien Cliarakter der
Thiere werden zuwenden miissen. Fiir die zahlreichen Embryo-
logen, welche alles Heil fiir die systematiscbe Anordnung des
Thierreichs von der genauen Kenntniss der Zellenverscliiebungen
am Keim erwarten, wird dadurch unsere Darstellung walirschein-
lich sehr an Glaubwtirdigkeit verlieren. Wer aber das Ganze der
Organisation in's Auge fasst, im ausgebildeten Tliier den Gang
seiner Entwicklung wiederzufinden sucht und die Entwicklungs-
vorgange nur im Hinblick auf den definitiven Bau betrachtet,
wird immer noch genug des Positiven entdccken, um sich ein
wenn auch vielleicht nur provisorisches Urtheil zu bilden.
1. Die Bryozoen.
Bei der Betrachtung der Bryozoen gehen wir von den Endo-
procten aus, erstens weil dieselben nach den iibereinstimnienden
Angaben der meisten Forscher, welche sich mil den Bryozoen be-
fasst haben (Nitsche (19—22), Vogt (25), Hatschek (17),
wahrscheinlich die Ausgangsformen der gauzen Abtheiluug bilden,
und zweitens weil sie anatomisch und entwicklungsgeschichtlich
durch die zahlreichen Untersuchuugen der Neuzeit genauer bekannt
geworden sind als die Ektoprocten, deren Organisation eine sehr
verschiedenartige morphologische Deutung erfahren hat.
Ueber die Genese der Keimblatter besitzen wir genaue An-
gaben durch die auf Pedicellina echinata sich beziehende Arbeit
Hatschek's, welcher zufolge die grosste Uebereiustinmiung mit
den Mollusken herrschen wiirde. Nachdem das Gastrulastadium
durch Einstiilpung des Entoblasts erreicht worden ist, machen
sich zwei durch Grosse ausgezeichnete Zellen am Urmundrand be-
merkbar, welche ihren urspriinglichen Platz verlassend sich zwi-
schen Ektoblast und Entoblast einschieben. Wilhrcnd die beiden
primitiven Korperschichten auseinanderweicheu und so einen Zwi-
schenraum entstehen lassen, vermehren sich die beiden Zellen,
Die Coelomtheorie. 25
„die Urzellen rles Mesoderms", durch Theilung zu einem Zellen-
liaufen, dessen Elemeute sich in dem Zwisclienrauni ausbreiten, bis
sie einzebi oder in kleineren Gruppen iiberall zwischen den beiden
primaren Keimblattern zerstreut sind. Auf dicse Weise entstelit
ein typisches Mesenchym , welcbes die Muskeln, die stem- oder
spindelforraigen Zellen des Korperparenchyms und nach Hatschek
auch die Geschlechtsorgane (?) liefert.
Hatschek nennt den Raum zwischen Ektoblast und Ento-
blast die Leibeshohle und giebt an, dass sie continuirlich in die
Leibeshohle der Pedicellina iibergehe. Indessen haben denn die
endoprocten Bryozoen iiberhaupt eine Leibeshohle? Wir glauben
diese Frage auf Grund der vorliegenden Literaturangabcn vernei-
nen zu miissen. Die Schiklerungen , welche Kowalevsky (18),
Salensky(24), Vogt (25), Nitsche(22) und O. Schmidt (23)
von Loxosoma und Pedicellina geben, stimmcn darin iiberein, dass
der schmale Raum zwischen dem Darm und dem Integument des
kelchformigen Korpers von spindeligen und verastelten Zellen durch-
setzt wird, welche namentlich bci den Loxosomen ein schones
„schwammartiges (Schmidt) Netzwerk" erzeugen (Taf. II Fig. 7).
Ein solches Zellennetz ist nur moglich, wenn eine gallertige Grund-
substanz vorhanden ist, deren Existenz auch fiir Pedicellina von
Nitsche, fiir Loxosoma von Nitsche, Vogt und Salensky
mit Bestimmtheit behauptet wird. Beide Organismen gehoren so-
mit zu den parenchymatosen Thieren.
Wie in der Entwicklung eines Mesenchyms und in
dem primaren Mangel einer Leibeshohle, so geben die
endoprocten Bryozoen auch in der Beschaffenheit der Mus-
kulatur ihre Zugehorigkeit zu den Pseudocoeliern zu erkennen.
Die Muskeln (Taf. II Yig.l mm) sind contractile Faserzel-
1 e n , welche meist einkernig sind und entweder isolirt oder zu klei-
neren Bundeln vereint verlaufen; sie entwickeln sich aus den in
der Gallerte verbreiteten Zellen des Mesenchyms. Haufig sind die
Muskelfasern an ihren Enden veriistelt (Schmidt, Hatschek)
oder zu Netzen vereint (Hatschek, Nitsche), wodurch sie mit
den Muskelfasern der Ctenophoren eine grosse Aehnlichkeit ge-
winnen. Um sich hiervon zu iiberzeugen, vergleiche man die Ab-
bildungen Oskar Schmidt's und Nitsche's mit den von uns
und Andern fiir die Ctenophoren gegebenen.
Im Gegensatz zu den Endoprocten geben uns die Ektopro-
cten, die zweite Hauptab theilung der Bryozoen, wenig Anhalts-
punkte zur niiheren Bestimmung ihrer organologischen Stellung.
26 0. und E. Hertwig,
Es ist scbou ein Uebelstaud , class die ersten uns bier ganz be-
souders iuteressirendeu iStadien der Eutwicldung wie iiberbaupt
fast alle im Iimereu des Embryo imd der Larve sich vollziehen-
deu Veriiuderimgen durcbaus uuaufgeklart sind trotz der zabl-
reicbeu und iimfangreicbeu Untersucbimgen, welcbe erst ueuerdings
von Barrois (16) veroffeutlicbt wurden. Dazu kommt dann wel-
ter, dass uiis aucb das recbte Verstandniss fiir die Bryozoen-Ana-
tomie fehlt, wie dies sofort bei einer niiheren Betracbtung der
Lcibesboble klar wird. Die Leibesboble ist eiu weiter Raiim zwi-
scheu Darm uud Korperwand, nach der Allman-Leuckart'-
scbeu Auffassuug, welcber wir tibrigens nicbt beipflicbten, zwiscben
Polypid imd Cystid; sie wird von eineni besondereu Epitbel aus-
gckleidet, welches bei mancben Arten, z B. den Siisswasserbryo-
zoen (Nitscbe), flinimert und stets die zwiscben Darm und Lei-
beswand ausgespannten Muskeln etc. iiberziebt. In den Baum bin-
ein fallen die reifen Gescblecbtsproducte, nacbdem sie in den Wan-
dungen entstanden sind, witbrend dieselben bei den Loxosomen
und Pedicellinen in besouderen driisigen Organen erzeugt und mit-
telst besonderer Ausfubrgiiuge direct nacb aussen befordert werden,
Haben wir bier ein Scbizocoel nacb Art der Mollusken oder
ein Enterocoel wie bei den Cbaetognatben oder endlicb eine Bil-
dung sui generis, vielleicbt eine Ektodermeinstiilpung vor uns,
welcbe zu der Entwicklung der Gescblecbtsorgane in Beziebuug
steht? Wir wagen diese Frage, welcbe selbst unter den besten
Kennern der Bryozoenorgauisation eine verscbiedene Beantwor-
tung linden mocbte, nicbt genauer zu erortern, da bieriiber durcb-
aus keine entwicklungsgescbicbtlicben Beobacbtungen vorliegen.
Wir bescbriiuken uns auf die Bemerkung, dass ein Vergleicb mit
den Endoprocten zur Frage anregt, ob nicbt die Leibesboble der
Ektoprocten eine ausgedehnte Genitaldriise ist.
Als einziges Moment, welcbes fiir eine Verwandtscbaft mit den
iibrigen Pseudocoeliern spricbt, bleibt uns der Cbarakter der Mus-
keln iibrig ; dieselben sind einzellige, cinkernige Fasern, welcbe iso-
lirt verlaufen uud sicb haufig an den Enden veriisteln.
2. Die Rotatorien.
Bei der Bestimmung der Stellung der Rotatorien konnen wir
uns auf keine entwicklungsgescbicbtlicben Untersucbungen berufen.
Denn die ausfubrlicbste und neueste Arbeit liber diesen Gegen-
stand giebt uns, wie es bei den Scbwierigkeiten, welcbe einer ge-
Die Coelomtlieorie. 27
nauen Uutersiicliiing eutgegensteheu , leicht verstaudlicli ist, iiber
die sicli ini Imiercn des Embryo abspielouden Vorgiinge durch-
aus unzureicliende Aufschliisse (Sal en sky) (14). Bei der Frage
uach der morphologischen Bedeutung des Mesoderms siud wir da-
her zur Zeit einzig und alleiii auf die Beurtbeilung des Baues der
entwiclielten Tbiere angewiesen.
Die Muskeln erinnern an die Muskeln der Bryo-
zoen; als isolirte Fasern, bald glatt bald quer gestreift, an ibren
Enden nicbt selteu veriistelt (Ley dig) (12), wie bei Trocbo-
spbaera (Semper) (15), Floscularia (Grenacher) (11), durcli-
setzeu sie den ansebnlichen Raum, welcber Darm und Korperwand
von einander trennt, und in welch em die iibrigeu Organe, Gang-
lion, Gescblecbtsorgane, Wassergefasse lagern. Dieser Raum ist die
Leibesboble der Autoren; zur naberen Cbarakteristik derselben
fiigen wir uocb binzu, dass sie von keinen besonderen Waudungcn
begrenzt wird, soudern sicb zwiscben das ektodermale Epitbel der
Korperoberflacbe und das entodermale Epitbel des Darmcanals ein-
scbiebt. Sie kann daber weder als Enterocoel nocb als ein Scbi-
zocoel gedeutet werden, da sie weder eine epitbeliale Auskleidung
besitzt, nocb aucb einen Spalt im Mesoderm vorstellt; sie ist ein
Blastocoel, wenn anders sie nicbt iiberhaupt nach Analogic niit
den Pedicellinen durcb Gallerte vollstiindig ausgefiillt ist.
Bei den Rotatorien begegneu wir ferner einer Form des Was-
sergefiisssy stems, die sonst nur nocb bei den Piatt wur-
mern vorkommt und vielleicbt ebenfalls als ein Merkmal der
Pseudocoelier angeseben werden kann. Zwei longitudinale Haupt-
stamme miiuden in eine nach aussen sicb otinende contractile
Blase; sie sind mit je 4 feinen Nebeniistcn besetzt, welcbe nacb
dem Innern des Korpers bin mit Flimmertricbtern enden. A us
der Existenz der Flimmertrichter auf die Existenz einer Leibes-
boble zu scbliesscn, diirfte nicbt ganz berecbtigt sein. Denn bei
den Plattwiirmern felilt eine Leibesboble und sind Tricbter vor-
handen, welcbe bier mit ausserst feinen Gewebsspalten communi-
ciren; flimmernde Stomata sitzen aucb an den Gastrovascularca-
nalen der Ctenopboren und grenzen bier direct an die gallertige
Grundsubstauz des Korpers.
Rotatorien und Bryozoen (besonders die Endo-
procten) baben, wie dies schon haufig betont worden
ist, Vieles gemeinsam. Vom Standpunkt der Bliitter-
tbeorie aus beurtbeilt sind sie aus zwei Epitbella-
mellen aufgebaut, zwiscben denen isolirte Zellen mit-
28 O. ixnd E. Hertwig,
ten iniie liegen unci zum Theil zu Muskcln, ziim Theil
wohl aiich zu Nervcii differenzirt sind. Die isolirten
Zellen stellen cin Mesenchym dar, welches wohl bei
keineni anderen Thicr sich dauernd durch uiiic so ein-
fache Beschaffenheit auszcichnet.
3. Die Plathelminthen.
Einen sicheren Boden ^ewinnt unser Urthcil in der Gruppe
der Plathelminthen, bei denen wir mit den zwcifellos urspriiuglich-
stenFormen, den Turbellarien, beginnen. Entwicklungsgeschicht-
liches lasst sich zwar auch hier wenig bcrichten, urn so wichtigere
Aufschliisse erhalten wir bcim Studium der Anatomie.
Die erste Anlage der mitleren Korperschichten
wiirde nach den neuerdings veroftentlichten Beobachtungen von
Hallez (30) am moisten an die Verhitltnisse der Mollusken er-
innern. Vier Zellen, ihrer p]ntstehung nach mit dem Entoblast
niiher als mit dem Ektoblast verwandt, schieben sich zur Zeit des
Gastiulastadiums zwischen beide Keinibliitter ein und vermehren
sich zu einer niittleren Zellenmasse, einem Mesenchym, aus wel-
chem die Bindesubstanz, die Muskeln und sogar das Nervensystem
hervorgehen sollen.
Spiiter sind die Turbellarien parenchymatose Thiere,
bei denen ausser den Lumina der Darmdivertikel keine grossen
Hohlraume existiren. Auf einem Querschnitt durch eine Planarie
(Taf. I Fig. 1) sind Muskeln, Bindesubstanz und die in sie einge-
betteten Geschlechts-Organe, Darmverastelungen , Ganglien und
Nervenstrange so dicht in und an einander gefiigt, dass kaum hier
und da kleine Spaltraume iibrig bleiben. Am leichteston sind solche
Spaltriiume noch im Umkreis der Darmverastelungen zu schen, wo
iiberhaupt das Gewebe eine lockerc Beschaffenheit annimmt. So ist
es auch bei der neuen von v. Jhering (32) entdecktcn Graffilla
muricicola und einer von Lange (35 a) beschriebenen mit der
Graffilla nahc verwandten parasitischen Turbellarie. Das System
der Bindegewebsliicken scheint bei vielen Landplanarien den An-
gaben Moseley's (37) zu Folge viel ansehnhcher zu seiu, so dass
der englische Forscher von einer Leibeshohle spricht; auch von
anderen Forschern, so nameutlich von Graff {26\ welcher ein sehr
umfangreiches Turbellarienmaterial untersucht hat, wird angegeben,
„dass das verastelte, netzartig anastomosirende Balkenwerk der Bin-
desubstanz bald dick, mit der Neigung breite, zusammcnhangende
Flatten zu bilden, bald sparlich und diinn sei, so dass sich alle
Die Coelomtheorie. 29
Uebergaiige von scheinbaren Acoelomiern zu unzweifelhaften Coe-
lomaten vorfinden" eine Aiisicht, welche voii Glaus (157^) in seinem
Lehrbuch angenommen worden ist. Wir wollen hier nicht die Be-
rechtigung dieser Benennung er()rtern, weil wir spiiter hierauf nocli
(iinmal zuriickkommen werden, sondern beschrilnken uns darauf,
das principiell Wichtige festzustfillen. Da kann es denn nicht
zweifelbaft sein, dass das als Leibeshohle gedeutete Lti-
ckensystem der Planarien mit dem von Anfang an ein-
heitlichen Hohlraum der Chaetognathen nichts zu
thun hat, wohl aber mit den lacunaren Hohlraum en
der Schnecken auf gleiche Stufe gestellt werden muss.
Aehnlich den Lymphraumen hoherer Thiere sind es
beidcsmal Llicken and Spalten im Mesenchym.
Mit den Schnecken theilen ferner die Plattwiirmer die Be-
schaffenheit der Muskelfasern. (Taf. I Fig. 1). Diese sind
kernhaltige contractile Faserzf3llen, keine Primitivbiindel oder Blat-
ter, entstanden aus Aneinanderfugung einzelner Fibrillen. Die con-
tractile Substanz ist in langen Filden abgelagert, denen, so weit
wir auf Schnitten und durch Maceration mittelst Salpetersaure er-
kennen konnten, die Muskelkorperchen einzeln iiusserlich angefugt
sind. Letztere bilden daher nicht, wie es sonst der Fall zu sein
pflegt, als Marksubstanz die Axe der Faser. Von besonderem In-
teresse ist es, dass auch wieder die Verastelungen an den Muskel-
faserenden zur Beobachtung gelangen, wie sie bei den aus dem
Mesenchym hervorgegangenen Faserzellen der Ctenophoren , vieler
MoUusken, Bryozoen mid Rotatorien aufgefunden werden. Sie
wurden zuerst von Hallez (30) nachgewiesen , dessen Angaben
wir mehrfach haben bestatigen konnen.
Die Muskelfasern {mm) liegen einzeln oder zu kleinen Bun-
deln vereint in der Bindesubstanz, indem sie 4 verschiedene Ver-
laufsrichtungen einhalten. Dicht unter der Basalmembran des Epi-
thels finden sich zwei Systeme feiner Faserchen, die im Allgemei-
nen von links nach rechts verlaufen, aber derart angcordnet sind,
dass sie sich unter stumpfen Winkeln schneiden; sie sind so un-
scheinbar bei unseren Siisswasserplanarien, dass wir sie nur auf die
Autoritlit Moseley's hin, welcher sie bei anderen Planarien viel
starker entwickelt anti'af, fiir Muskelfasern erklaren, Darauf folgt
eine Lage longitudinaler Faserbiindel. Alle tibrigen Muskeln durch-
setzen das Korperparenchym entweder in dorsuventraler oder in
querer Richtung, indem sie dabei gegenseitig ihren Lauf sowie den
Lauf der subepidermoidalen Muskelfasern kreuzen. In Folge der
30 0. Mild R. Hertwig,
vielfaltigen Muskeldurchkreuzung ist der Korper der Planarien eiu
nach alien Richtungen hin contractiles Parenchym.
So sprechen zwei v/ichtige Punkte im Bau der
Plattwiirmer, der Mangel des Enterocoels und die
Beschaffenheit und Anordnung der Musk el n zu Gun-
s te n der a u c h e n t w i c k 1 u n g s g c s c h i c h 1 1 i c h b e g r u n d e -
ten Ansicht, dass die mittlere Korperschicht als Me-
senchym oder Secretgewebe angelegt wird. Wahrscliein-
lich wird sich hierzu noch ein drittes dem Nervensystem entnom-
menes Merkmal hinzugesellen, das wir hier etwas eingehender er-
lautern wollen.
Bei den in unseren Biichen so haufigen Siisswasserplanarien
haben zahlreiche neuere Forsclicr (Ratzel (106), Moseley (37)
u. A.) audi niit Anwendung der modernen Untersuchungsmetho-
den vergeblich nach eincm Nervensystem gesucht. Hallez (30)
(p. 14), dem es ebenfalls so ergangen ist, iiussert sich dariiber fol-
gendermaassen. „Ich habc niemals die gerijigste Spur des Nerven-
systems auf den Schnitten , welche ich durch Planaria fusca und
PI. nigra, Dendrocoelum und Rhynchodesmus terrestris gelegt
habe, finden konncn. Es scheint daher heutzutage sicher bewie-
sen, dass die Land- und Siisswasserplanarien kein localisirtes Ner-
vensystem besitzen." Wir haben daher die Siisswasserplanarien
selbst untersucht (31) und sind dabei zu Ergebnissen gelangt,
welche die Anweseiiheit eines Nervensysteras, freilich eines unvoll-
kommen localisirten, darthun, Der als Centralorgan zu deutende
Theil des Nervensystcms lagert vor dem Schlund, mitten zwischen
der dorsalen und ventralen Flache des Korpers, mit den beiden
Augenflecken etwa auf gleicher Hohe. Er ist eine Anhiiufung
einer feiii faserigen, kornigen Masse, welche von der Umgebung nicht
scharf abgegrenzt ist (Taf. I Fig. 1 N), in dorsoventraler Richtung
wird er von zahlreichen Ztigen von Muskelfasern durchsetzt, welche
durch die Lagerung des Nervensystems nicht im mindesten in ih-
rer Anordnung bestimmt werden und nicht weniger hiiufig sind als
zu beiden Seiten des Nervensystems. Dem letzteren wird dadurch
noch mehr der Charakter eines in sich abgeschlossenen Organs
genommen, was besonders an Schnitten auffallt, welche parallel der
Richtung der dorsalen und ventralen Flache gefiihrt worden sind;
hier sieht man, wie die faserigen Ziige des Nervensystems durch
griissere und kleinere Inseln anderweitiger Gcwebe (mm) unterbro-
chen werden (Taf. I Fig. 1 u. Fig. 7). Damit hangt es ferner zu-
sammen, dass es unmiiglich ist an Planarien, welche mit Salpeter-
Die Coelomtheorie. 31
siiure behandclt sind, das Ceiitralnerveiisystem zii priipariren. Voni
Auge ausgehend haben wir iinter dem Prilparirmicioscop den ganz
ansehnlichen Nervus opticus bis an das Ccntralnervensysteni heran
verfolgt; suchteu wir aber dieses weitor darzustellen, so erbielten
wir nichts als ein Netz feinfaseriger, unter einandor anastomosiren-
der Strange, welche sich vom N. opticus in ihrem Aussehen nicht
unterschieden.
Am meisten macht das Nervensystem den Eindruck einer
compacten Masse auf gewohnliclien Querschnitten, d. h. Schnitten,
die senkrecht zur Lilngsaxe in dorsoventraler Richtung angefertigt
werden, weil man dann die dorsoventralen Muskelziige parallel
scbneidet. (Taf. I Fig. 1 N). Der Durchschnitt des Nervensystems
hat einc ovale Gestalt; in der Mitte am breitesten verschmiilert
er sich beiderscits, so dass es unnuiglich ist ein linkes und rechtes
Ganglion und cine beide verbindende Commissur zu unterscheiden.
Von dem beschriebencn Centralorgan aus steigen zwei Nervi
optici in einem nach aussen convexen Bogen aufwiirts zu den Angen;
vier feine NervenJistchen verlaufen nach vorn und zwei sehr starke
Stiimme nach hinten; letztere sind auf Querschnitten hiiufig in
zwei Oder 3 Bundel getheilt, indem sie ebenfalls von anderweiti-
gen Gewebselementen durchsctzt werden. In ihrer feineren Struc-
tur verhalten sich alle Theile des Nervensystems, periphere wie
centrale, ganz gleich. Sie sind ein Geflecht feinster Fiiserchen
untermischt mit spitrlichen bi- und tripolaren Zellen; ausserdem
sind die einzclnen Strange auf ihrer Oberfliiche mit einer Lage von
Zellen bedeckt, deren Natur wir nicht niiher untersucht haben,
welche aber wohl Ganglienzellen si!id, da sonst das Nervensystem
ausserordentlich arm an Nervenzellen sein miisste.
Ganz iihnliche Verhaltnisse scheinen bei den Landplanarien
wiederzukehren, bei denen Moseley (37) sich ebenfalls vergeblich
nach einem Nervensystem umgethan hat. Kennel (33) ist hier
gliicklicher gewcsen. Er erkannte die schon fruhcr beschriebencn
Seitenstriinge (primitive vascular system Moseley's) als „Langs-
nerven, die sich im Kopftheil zu einem wohl ausgebildeten aller-
dings nicht bindegewebig scharf abgegrenzten aber deutlich zwei-
lappigen Gehirn vereinen." „Im Verlauf der Seitennerven", heisst
es weiter, „treten ausserst zahlreiche, aber verschieden starke und
nicht sehr regelmllssig auf einander folgende Commissuren von
einem Nerven zum andern, so dass wir hier ein wii-kliches Strick-
leiternervensystera vor uns haben." Moglich ist es, dass auch bei
den Siisswassei-planarien Commissuren existiren.
Bei den meisten Turbellarien endlich ist das Nervensystem
32 0. iind R. Hertwig,
hoher entwickelt mid zeigt paarige durch Commissuren unter ein-
aiider verbundeiie Gaiiglien, wie dies Quatrefages, O. Schmidt
und iieuerdings gaiiz besonders A. Lange (34) iiachgewiesen lia-
beri. In diesen Fallen ist aber auch das Centralorgan scharf ab-
gegrenzt und von einer besonderen bindegewebigen Kapsel um-
schlossen ; mit der Hirnkapsel verwachsen die Muskelfasern, drin-
gen aber nicht mehr in das Innere des Centralnervensy stems
hinein.
Wir haben also bei den Turbellarien verschie-
dene Stufen in der Ausbildung des Nervensysteras
vor uns; in dem einen Falle, bei den Land- undSuss-
wasser-Planarien, zeigt es einen diffuseren Charakter
u nd ist unvollkommen centralisirt; im anderen Falle,
bei den dendrocoolen Meeresb ewohnern, ist eine Cen-
tralisation eingetreten. Soweit wurden die Verhaltnisse nichts
Auffiilliges haben, da ja in der Classe der Zoophyten uns genu-
gende Beispiele geringerer und grosserer Centralisation bekannt
sind; sie gewinnen aber sofort an Bedeutung, wenn wir bedenken,
dass bei den Planarien ein gering centralisirtes Ner-
vensystem im Mesoderm gelegen ist. Ein derartiger Zu-
stand ist von keiuem Thier bekannt. Wo in der Abtheilung der
Wiirmer und Echinodermen das Nervensystem auf einer niedrigen
Entwicklungsstufe verharrt, aussert sich dies in der ektodermalen
Lagerung. Bei den Sagitten, vielen Anneliden sind das obere und
das untere Schlundganglion sammt der Kette der Bauchganglien
noch im Ektoderm gelegen, im Uebrigen aber fast vollkommen wie
bei den Formen entwickelt , bei denen sie in das Mesoderm geriickt
sind; wir finden also, dass das Nervensystem in den Fallen, wo
bisher sein ektodermaler Ursprung auf vergleichend anatomischem
und entwicklungsgeschichtlichem Wege nachgewiesen worden ist,
schon im Ektoderm ein Centralorgan bildet, ehe es in das Me-
soderm uberwandert.
Wenn wir diese Verhaltnisse vergleichend bctrachten, so liegt
die Frage nahe: Stammt das Nervensystem der Planarien aus
dem Ektoblast oder nicht vielmehr aus dem Mesenchym? Letz-
tere Moglichkeit erscheint uns urn Vieles wahrscheinlicher. Die
Art wie das Centralorgan von anderweitigen meso-
dermal en Oewebsbestandtheilen, Muskelfasern und
Bindesubstanz, durchwachsen ist, wiirde bei der An-
nahme eines mesenchy matosen Ursprungs seine Er-
klarung finden, wiirde aber schwer verstandlich sein, wenn
Die Coelomtheorie. 33
das Nervensystem vom Ektoblast aus in die mittlere Korperschicht
iil)e)-getreteii sein sollte. Die einzigen eutwiekiungsgeschichtlicheu
Beobachtungeii Hallez's (30) sprechen ebenfalls zu Gunsten des
Mesencliynis, und was die Einwiirfe aiilangt, welche man von all-
gemeineren Gesichtspunkteu aus machen konnte, so haben dicselben
geringere Bedeutung, als die Mehrzahl der Autoren ihnen beimisst.
Bisher hat mit Recht der allgemeine Satz gegolten, dass das Cen-
trabiervensystem zu den Differenzirungen des Ektoblasts gehort.
Der Satz griindete sich einerseits auf ein reiches Beobachtungsraate-
rial, andererseits auf allgemeine im Grossen und Ganzen auch zu-
treffende Erwagungen. Immerhin muss man aber hierbei im Auge
behalten, dass solche Erfahrungssiitze nur auf bedingte Giltigkeit
Anspruch erheben konnen und stets gewartig sein miissen, auf
Ausnabmen und Einschriinkungen zu stossen, wie denn gerade auf
dem Gebiete der Entwicklungsgeschichte viele allscitig anerkannte
Verallgemeinerungen derartige Einschriinkungen in den letzten Jah-
ren erfahren haben.
Es ist nun leicht erweislich , dass fast alle Beobachtungen
iiber den ausschliesslich ektodermalen Ursprung des Nervensystems
sich auf Thiere beziehen, welche der zweiten von uns aufgestell-
ten Gruppe angehoren; bei den iibrigen, speciell den Mollusken
und Plattwiirmern, lauten die Angaben widersprechend und nur
bei den Bryozoen und Rotatorien wird iibereinstimmend das Nerven-
system vom Ektoderm abgeleitet.'
Auch die theoretischen Erwagungen griinden sich auf Voraus-
setzungen, welche nicht fur alle Thiere in gleicher Weise zutref-
fen. Das Ektoderm gilt als Ausgangspunkt ftir die Bildung des
Nervensystems, weil es seiner Lage nach die Beziehungen zur Aussen-
welt unterhiilt und die Sinnesorgane entwickelt. Indessen im An-
schluss an die Sinnesorgane entsteht immer nur ein Theil des
Nervensystems, oin anderer Theil steht von Anfang an in Bezie-
hung zur Muskulatur. Nur fiir den ersteren gelten die Erwagungen
iiber die Nothwendigkeit eines ektodermalen Ursprungs, fiir den
letztercn nicht; dieser wird sich vielmehr unter Umstiinden auch
aus den die Muskeln liefernden Korperschichten hervorbilden kon-
nen, als welche wir im vorliegenden Fall unzweifelhaft das Mesen-
chym anzusehen haben. Wenn wir nun weiter berucksichtigen,
dass die Gruppe der Plattwiirmer mit Sinnesorganen karglicher
als aiidcre Thierabtheilungen ausgestattet ist, so ware es wohl
denkl)ar, dass hier die Verhiiltnisse, welche in anderen Fallen die
Bd. XV. N. F. VIIT. 1, o
34 0. und R. Hertwig,
Entwicklungsweise des Nerveiisystems buberrschen, nicbt vorgelegen
haben.
Inwieweit die von uns vorgetragenen Erwagungen berechtigt
sind, kaiin nur durch weitere Beobachtuiigen entschieden werden,
wir glaubten sie bier einflecbten zu miisseii, weil sie fiir die Auf-
fassung, welcbe wir iiber die Entwickbiiig (Uis Nervensystems der
Mollusken ausgesprocben baben, weitere Stiitzpuiikte befern und
in Aussicht stellen, dass in der Gencse des Nervensystems ein
neues fur die Pseudocoeber cbarakteristiscbes Merknial gegeben sei.
Urn demselben zunacbst einmal einen bestimmten Ausdruck zu ver-
leiben, bemerken wir nur nocb, dass in derAbtbeilungwahr-
scheinlicb der motoriscbe Tbeil der Centralorgane
im Anscbluss an die Muskulatur aus dem Mesenchym,
der sensorielle Tbeil im Anscbluss an die Sinnesor-
gane aus dem Ektoderm stammt. Je nacbdem der eine
Oder der andere iiberwiegt, wird das Bild der Entwicklungsge-
scbicbte verscbieden ausfallen und entweder einen niesencbymatosen
Oder ektodermalen oder einen gemiscbten Ursprung andeuten.
Wie in so vielen Punkten, so wUrden aucb in dieser Hinsicbt
die Tbiere des mesencbymatcisen Typus den Ctenopboren gleicben.
Die Nerven der Ctenopboren sind im Secretgewebe und im Ekto-
derm diffus verbreitet; wurde eine Centralisation des Nervensytems
eintreten, so wurde dieselbe scbliesslicb zu einer Vereinigung
mesencbymatoser und ektodermaler Tbeile in einem Centralorgan
fuhren.
Nacbdem wir die Turbellarien eingebender besprocben und sie
nacb dem Verlauf ibrer Entwicklung, dem Bau ibrer Muskeln und
ibres Nervensystems und nacb dem Mangel cines Pinterocoels als
acbte Pseudocoeber erkannt baben, braucben wir bei den Tre-
m a tod en und Cestoden uur kurz zu verweilen, da zweifellos
diese Tbiere nicbts sind als parasitiscb riickgebildete Turbellarien.
Dem entsprecbend finden wir bei ibnen denselben parencbymatosen
Habitus des Korpers, die gleicbe Anordnungsweise der Muskeln
und des Nervensystems wieder. Dabei befern uns die Trematoden
durcb den Bau der Ganglien, die in Folge der Entwicklung der
Saugmipfe zur Innervirung derselben neu entstanden sind, inter-
essante Beispiele, wie sicb aus Zellen des Mesencbyms Ganglien
bervorbilden. Nacb den Angaben Lang's (35), auf welcbe wir
uns bei der vorgetragenen Ansicbt stiitzen, sind im Gewebe der
Trematoden isolirte Ganglienzellen weit verbreitet, an der Basis
der Saugnapfe aber zu besouderen „Saugnapfganglien" angebauft.
Die Coelomtheorie. 35
Es kann vorkommen, dass das Saugnapfganglion z. B. bei den
Distomeii „ent,schieden viel mehr und grossero Ganglienzellen ent-
halt als das Hirn". Dass die Saugnapfganglieii nicht vom Ekto-
derm abstaramen, lasst sicb bei ihrem Bau wohl Ijaum bezweifeln,
auch wenn der eiitwicklungsgeschichtliche Nachweis noch nicht ge-
liefert worden ist.
Wahrend so im Allgemeineu die Cestoden und Trematoden
dasselbe lehreu, was wir schon von den Turbellarien wissen, kon-
nen sie in Bezug auf ein Organ, das Wassergefasssystem,
zu einer Vervollstandigung anserer Anschauungen beitragen. Es
kommen zwar hochst wahrscheinlich Wassergefasse auch bei den
Turbellarien vor, allein sie sind hier wenig bekannt und wahr-
scheinlich auch schwer zu beobachten, so dass in der Neuzeit so-
gar ihre Existenz zumeist in Abrede gestellt wird. Dagegen sind
diese Organe bei den parasitischen Plattwiirmern wiederholt und
sehr genau untersucht worden, kiirzlich erst wieder von Biitschli
(26) und von Fraipont (27), dessen Angaben wir uns im Folgen-
den anschliessen werden.
Das Wassergefasssystem der Trematoden und
Cestoden setzt sich aus wenigen Hauptstammen zusammen, wel-
che sich zu einer contractilen Blase vereinigen und mittelst der-
selben nach aussen miinden. Von den Hauptstammen gehen zahl-
reiche Seitenaste ab, die viel feiner wie jene sind, bis an ihr Eiide
ein gleichmassiges Lumen trotz hautiger Verilstelungen beibehalten
und unter einander durch netzformige Anastomosen vereinigt sind.
An ihren Enden tragen die feinen Canale eine kleine seitliche Oeff-
nung, an der ein lebhaft undulirendes Wimperlappchen sitzt; sie
treten auf diese Weise mit den (iewebsspalten in Zusammenhang,
welche nach alien Richtungcn hin das Mesenchym durchsetzen.
Mit Recht unterscheidet Fraipont diese Form der Wasserge-
fasse von den Segmentalorganen der Anneliden und vergleicht sie
dagegen mit den Wassergefiissen der Rotatorien. Mit letzteren
stimmen sie in folgenden wichtigen Punkten tiberein: 1. Der Ap-
parat ist aus Hauptstammen und seitlich abgehenden feinen Neben-
iisten gebildet. 2. Die Flimmertrichter miinden nicht in eine weite
Leibeshohle, sondern in Spaltraume des Mesenchyms. 3. Das peri-
phero Ende zeichnet sich durch einen Sammelapparat, die contractile
Blase, aus. Zum Beweis, dass die veriistelten Wassergefasse und die
Segmentalorgane einander nicht homolog sind, lasst sich noch anfiih-
ren und ist auch von Fraipont geltend gemacht worden, dass die
Larven der Anneliden allein mit W assergefiissen ausgerijstet sind, dass
3*
36 O. und E. Hertwig,
diese bei derEntwicklung des gegliederten Korpers riickgebildet und
durch die SegmeLtalorgane ersetzt werden. Wir werden spater
iioch zu begrunden versucheii , dass die verastelten Wassergefasse
der niesenchymatosen , die Segmentalorgane dagegeu der epithe-
lialen Gewebsbildung angehoren.
Die Nemertinen endlich, die letzte Abtheilung der Platt-
wiirmer, werden von den meisten Zoologen als Organismen ange-
sehen, welche aus den Turbellarien durch eine hohere Entfaltung
der Organisation entstanden sind. Indessen fehlt es audi nicht
an Stimmen, welche wie z. B. Semper (171), Mc. In tosh (44) und
Hubrecht (43) eine nahere Verwandtschaft mit den Anneliden
annehmen, was unter Zugrundelegung der von uns entwickelten
Anschauungen Veranlassung sein mochte, die Thiere zu den Ente-
rocoeliern zu stellen. Wenn wir selbst auch aus Mangel eigener
genauerer Untersuchungen uns nur mit Vorsicht aussern konnen,
so halten wir es doch fiir viel wahrscheinlichcr, dass die Nemertinen
iichte Plattwurmer sind und zwar die hochst organisirten dieser
Gruppe; wir stiitzen uns dabei auf folgende entwicklungsgeschicht-
liche und anatomische Merkmale.
Ueber die erste Anlage des Mesoderms fehlen alle genaueren
Beobachtungen , doch wissen wir durch die Angaben Hoff-
mann's (42), dass bei den sich direct entwickelnden Nemertinen
(Malacobdella) die mittlere Korperschicht schon friihzeitig den Cha-
raktcr eines Netzwerks verastelter anastomosirender Zellen annimmt
und hierin dem Secretgewebe gleicht (Taf. I Fig. 8 a). Dasselbe
wird von Biitschli (39) fiir die Nemertinen mit Metamorphose
behauptet. Wenn im Pilidium der Nemertes entsteht, sollen die
zwischen Ektoblast und Entoblast vorhandenen verastelten Zellen
die Muskulatnr und die Bindosubstanz liefern. Dem widersprechen
zwar M e t s c h n i k 0 f f (46) und Barrels (38), indem sie, der erstere
fiir das Pilidium, der zweite fiir die Desor'sche Larve, behaupten,
dass die Muskulatur durch Delamination vom Ektoblast aus ab-
gespalten werde , doch scheinen uns diese Angaben wenig Wahr-
scheinlichkeit fiir sich zu haben, da die Delamination ein Zellbil-
dungsvorgang ist, welcher zwar haufig beschrieben , niemals aber
mit Sicherheit narhgewiesen worden ist.
Wenn wir den Bau der entwickelten Nemertine in Augen-
schein nehmen. so ist ftir uns in erster Linie der Mangel der
Leibeshohle von Bedeutung. Es ist wahr, dass auch hieriiber
die Mittheilungen in der Literatur zu keinen iibereinstimmenden
Resultaten gefiihrt haben, indem manche Forscher eine Leibes-
Die Coelomtheorie. 37
liohle vermisson, wo andere eine solche beschreiben. Mc. Intosh
zeichnet weder eine Leibeshohle, noch thut er derselben in seiner
Schilderung Erwahnung. Hoffmann und Kennel (45) geben
sogar mit Bestimmtheit au, dass die Malacobdellen und Land-
neniertinen parenchymatose Thiere seien. Dagegen sprechen Bar-
rois, Graff (40) und Hubrecht wiederum von einer Leibes-
hohle. Allein wer die Abbildungen der letztgenannten Autoren
vergleicht, wird auf ihnen vergebens nach einem weiten Spalt
zwischen Darm und Korperwand suchen; dafiir stosst man in den
Schilderungen zuweilen auf die Angabe, dass die Leibeshohle von
Bindegewebe erfiillt werde, was dann mit dem Mangel der Leibes-
hohle gleichbedeutend sein mochte. Fiir letzteres sprechen auch
eigene gelegentlich an einer ganzen Anzahl von Nemertinen ange-
stellte Untersuchungen , die iiberall ergaben, dass zwischen Darm
und Hautmuskelschlauch sich eine Schicht von Bindesubstanz ein-
schiebt, die beide Theile zu einer soliden Masse verbindet.
Der histologische Charakter der in zwei Langs- und einer
Ringftiserschicht angeordneten Muskelfasern ist noch nicht
geniigend aufgeklart. Die von uns selbst angestellten Beobach-
tungen sprechen, ohne jedoch die Frage zu entscheiden, zu Gun-
sten der Ansicht, dass mesenchyraatose Muskeln vorliegen. Als
Elemente der Muskellagen ergeben sich auf Qucrschnitten Fasern
von ansehnlicher Dicke, die in verschiedener Weise angeordnet sind.
Bei der Riesennemertine Meckelia (Taf. Ill, Fig. 1 f) verlaufen die
Fasern bald einzeln bald in kleineren und grosseren Gruppen in
der bindegewebigen Grundsubstanz. In jeder Gruppe ist gewohn-
lich Faser an Faser dicht gefiigt; nur selten sind sie in Kreise
gestellt, so dass das Centrum jeder Gruppe frei bleibt. Eine solche
ringformige Anordnung ist dagegen bei einer nicht niiher bestimm-
ten Nemertesart (Taf. Ill, Fig. 2) iiberall erkennbar, wobei die
Durchmesser der Hinge von sehr verschiedener Grosse sind. Das
auf diese Weise entstchende Bild erinnert ausserordentlich an die
Fibrillenbiindel, welche von uns und Auderen im Mesoderm raan-
cher Medusen und Actinien beobachtet worden sind, und k5nnte
daher zu Gunsten der epithelialen Natur der Muskelfasern ver-
werthet werden. Allein wir vermochten nicht zu entscheiden,
ob die Axe des Fibrilleubiindels wie bei den genannten Coelen-
teraten von den Matrixzellen oder von Bindegewcbe erfiillt sei;
das wiirde von der grossten Bedeutung sehi, da nur in dem erst-
genannten Falle es sich um mehr als um eine unwichtige Aehn-
lichkeit der Anordnung haudeln wiirde.
38 0. und R. Hertwig,
Bei den Borlasien endlich erhalt man Querschnitte, auf denen
Muskelfaser neben Muskelfaser lagert clurch sparliche Zwischen-
substanz verbunden, wie es in alien von glatten Muskelfasern ge-
bildeten Organen dor Fall ist. Nur dadurch, dass radiale Binde-
gewebszuge die Schicht durclisetzen , werden die longitudinalen
Fasern zu grosseren Biindeln abgetheilt. Da nun auch die Ab-
bildungen, welche Mc. lutosh, Graff, Kennel u. A. von Quer-
schnitten durch die Korper von Nemertinen geben, es wahrschein-
lich machen, dass contractile Faserzellen vorliegen, so neigen wir
im Allgenieinen dcr Ansicht zu , dass die Nemertinen mit den Tur-
bellarien zusammengehoren und einen Theil der Pseudocoelier bilden.
Auch das Wassergefiisssystem und das Nervensystem zeigen
die wesentlich gleichen Verhaltnisse wie bei den ubrigen Plattwur-
mern. Die Wassergefasse folgen dem verastelten Typus ; von
M. Schultze entdeckt, wurden sie lange Zeit (von Graff, Hoff-
mann, Mc. Intosh) wieder in Abrede gestellt, bis sie in der Neu-
zeit von Semper (171) und Kennel (45) bestatigt worden sind;
zum Unterschied von den Trematoden miinden die beiden Haupt-
stiimme des Systems getrennt durch zwei seitliche Fori; auch hat
man noch keine Communicationen mit den Spalten des Mesen-
chyms, keine wimpernden Stomata auffinden konnen.
Wie sehr endlich das Nervensystem in seiner Anordnung
an die Planarieu eriunert, braucht hier kaum hervorgehoben zu
werden; wichtiger ist es, dass auch in der feineren Structur sich
unzweifelhaft eine grosse Aehnlichkeit ausspricht, worauf nament-
lich H u b re ch t (43) aufmerksam gemacht hat. Die oberen Schlund-
ganglien und Seitennerveu bestehen aus einem faserigen Kern und
einem Beleg von Ganglienzellen. Der faserige Kern wird von Mus-
kelfasern durchbohrt; seine Structur ist eine spongiose und „stimmt
iiberein mit der von Lang fur die Nerven der marinen Dendro-
coelen beschriebenen." Das Alles sind weitere wichtige Instanzen
zu Gunsten der von uns hier vorgetragenen Ansicht.
B. Die Abtheilung der Enterocoelier.
Wie schon im Namen „Enterocoelier" ausgedriickt ist, wird die
zweite Abtheilung der Bilaterien dadurch gekennzeichnet, dass vom
Hautmuskelschlauch ausser dem Darm noch cin zweiter uispriing-
lich iuinier paariger Hohlraum umschlosscn wird, wclchur durch
Ausstulpung aus dem Urdarm entstanden ist. Ferner begegnen
wir in der Entwicklungsgeschichte der Enterocoelier ausser den
Die Coelomtheorie. 39
beideii primaren Keimblattern der ersten Abtheilung noch zwei
weitereu Keimblattern, welclie sich zwischen jene treiiuend liiuein-
schieben uiid durcli EinfaltuDg vom Entoblast abstammeu. Da-
durch tritt die thierische Organisation auf eine hohere Stufe ihrer
Ausbildung. Denn wahrend bei den Bryozoen uud Rotatorien, Mol-
lusken und Plathelminthen die Differenzirung der Organe und Ge-
webe nur von zwei epithcJialen Flachen oder Keimblattern ausgeht,
sind es jetzt deren vier, welche sich sehr verschiedenartig aus- und
umbilden und eine ungleich reichere Gliederung der Formen her-
vorrufen, als es dort moglich war. Die neu geschaflfeneu Epithel-
fliichen des parietalen und visceralen Mesoblasts betheiligen sich
in den meisten Fallen in sehr bedeutsamer Weise am histologi-
schen Differenzirungsprocess und licfern die Korpermuskulatur, die
Geschlechts- und Excretionsorgane. Daher hat denn auch der
epitheliale Typus der Gewebsbildung iiber den mesenchymatosen
cin entschiedenes Uebergewicht.
Zu den Enterocoeliern , deren eigenthiimliche Organisations-
verhaltnisse wir in der Einleitung bereits an den Beispielen der
Chaetognathen und Echinodermen crliiutert haben, gehoren die
meisten und wichtigsten Thierstiimme.
Wir rechnen hierher die Brachiopoden , die Enteropneusten,
die Anneliden und Nematoden, die Vertebraten und die Arthro-
poden. Bei eineni Thcil derselbcn beobachtet man im Laufe ihrer
Entwicklung mit aller nur wtinscheiiswerthen Deutlichkeit die Be-
theiligung von Aussackungen des Darmkanals an der Bildung des
Mesoderms, wahrend bei den ubrigen die Verhaltnisse mehr ver-
schleiert sind. Wir beginnen mit den leichteren Fallen und be-
sprechen daher zuerst die Brachiopoden und die Enteropneusten.
1, Die Brachiopoden.
Fiir die Entwicklungsgeschichte der Brachiopo-
den sind die im Jahre 1874 veroffentlichten Untersuchungen von
Kowalevsky (80) Gruud legend; sic zeigen uns, dass bei vie-
len Arten eine typische Gastrula durch Invagination entsteht,
und dass sich dieselbe in gauz iihnlichcr "Weise wie bei Sagitta
wciter eiitwickelt. Der Entoblast liisst niimlich in den Urdarm
zwei Falten hineinwachsen , welche denselben in einen mittleren
und zwei seitliche Riiume zerlegen (Taf. II, Fig. 15). Die den
Mittelraum oder den secundaren Darm auskleidenden Zellen bil-
den das Darmdrusenblatt , die seitlichen Sacke dagegen stellen
40 0. und R. Hertwig,
den Mesoblast dar, dessen innere an den Darm angrenzende Schicht
zum Darmfascrblatt Me^ und dessen iiussere den Ektoblast be-
riihrende Schicht zum Hautfaserblatt Me^ wird. Der Hohlraum
zwischen beiden liefert die paarige Leibeshohle. Spater streckt
sich die Larve und sondert sich in drei Segmente, von welchen
das hinterste keinen Theil des Darmdriisenblattes erhalt und zum
Stiel wird.
Allein nicht nur die Entwicklungsgeschichte , auch das Stu-
dium der Anatomic des ausgebildeten Thieres zwingt uns die Brachio-
poden in die zweite Abtheilung der Bilaterien einzureihen. So
zeigt uns die Leibeshohle auch auf spiiteren Stadien die be-
sonderen Merkmale des Enterocoels ; sie bleibt sehr geraumig und
wird, wie Morse (89) an lebenden Thieren von Terebratulina und
Rhynchonella beobachtet hat, mit einem lebhaft flimmernden Epi-
thel ausgekleidet. In der Leibeshohle ist das von einem Darmfascr-
blatt umschlossene Nahrungsrohr , welches in Oesophagus, Magen
undEnddarm abgetheilt ist, durch ein dors ales und ein ventra-
lesMesenterium an dem Hautmuskelschlauch befestigt. Aus-
serdem spannen sich nach diesem noch in querer Richtung zwei
hinter einander gelegene zarte membranose Ligamente aus, von
denen das eine vom Magen, das andere vom Enddarm ausgeht. Sie
sind von Huxley (85=^) als gastro - parietales und ileo-parietales
Band benannt und von Gegenbaur (159) und Morse mit Recht
den Dissepimenten der Wiirmer verglichen worden. Durch
sie priigt sich die bei den Larven schon iiusserlich bemerkbare
Eintheilung in drei Segmente (Kopf, Rumpf und Schwanzseg-
ment) auch innerlich aus.
Endlich macht sich die Zugehorigkeit der Brachiopoden zu
unscrer zweiten Abtheilung noch in dem Bau der Geschlechts- und
Excretionsorgane geltend. Hoden und Ovarien sind entweder
vielfach gefaltete oder traubenformige Gebilde, welche von der
Korpcr-Wandung aus in das Enterocoel oder in Aussackungen des-
selben hineinragen. Eier und Spermatozoen werden bei der Reife
in die Leibeshohle entleert, welche dadurch zu einem Genitalbe-
hiilter wird, ganz so wie bei den Chaetoguathen das Schwanzseg-
ment zur Aufbewahrung der Spermatozoen dient. Man darf da-
her wohl auch fiir die Brachiopoden vermuthen, dass die Ge-
schlechtsproducte, was entwicklungsgeschichtlich bis jetzt noch nicht
nachgewiesen worden ist, aus dem Epithel der Leibeshohle ihren
Ursprung herleiten,
Aus dem Enterocoel werden dann die Geschlechtsproducte durch
Die Coelomtheorie. 41
die Excretionsorgane nach Aussen gefiilirt. Es sind dies
flimmernde Riihren, die bei den meisteii Arteii in einem Paar, bei
einzelnen in 2 Paaren angelegt sind. Sie treten mit ihrem inne-
reu Ende durch das Ileoparietalband liindurch, wie die Schleifen-
kanale der Wiirmer durch ein Dissepiment, und miinden in das
Coelom mit einem weiten in Falten gelegten Flimmertrichter, Ur-
spriinglich fiir Herzen gebalten wurden sie spater von Huxley
(85 ^) fiir Excretionskaniile erklart ; dann hat Lacaze Dut biers
(88) vermuthungsweise ausgesprochen und M o r s e mit Sicherheit
nachgewiesen, dass sie auch als Oviducte dienen.
Ueber den histologischen Bau der Mu skein mussen wir still-
schweigend hinweggehen , da zur Zeit genaucre Untersuchungen
hicruber noch fehlen.
Fassen wir Alles zusamraen, so haben wir in den Brachio-
poden recht typische Enterocoelier vor uns; auch
liisstsichnichtverkennen, wie die bei ihuen und den
Chaetognathen gleichartige Entwicklung der Leibes-
hohle die ganze Anlage der tibrigen Organe in ahn-
licher Weise beeinflusst; hier wie dort beobachten
wir einen Darm mit Darmfaserb latt, mit dorsalen und
ventralen Mesentcrien und mit Dissepimen ten , Ge-
schlechtsorgane, welche sich in den Wandungen des
geriiumigen und mit Flimmerepithel bedeckteu En-
terocoels gebildet haben und ihre reifen Producte
in dasselbe entleeren; kanalartige Durchbrechungen
der Leibeswand, welche Eier und Sperma nach Aus-
sen leiten und bei den Brachiopoden zugleich auch
noch eine excretorische Function zu besitzen schei-
nen. Durch so weit gehende Uebereinstimmungen konnte man
selbst versucht sein, eine Verwandtschaft zwischen den zwei aus-
serlich so grundverschiedeuen Abtheilungen anzunehmen, wie dies
schon von Seiten Butschli's (92) geschehen ist. Zu Gunsten
dieser Ansicht konnte auch noch das wichtige Moment geltend
gemacht werden, dass sowohl bei den Chaetognathen als auch den
Brachiopoden der Korper in drei Segmente abgetheilt ist.
Wie steht cs dagegen mit der friiher angenommenen Ver-
wandtschaft der Brachiopoden mit den Mollusken?
Bei Beurtheilung derselben sehen wir gleichsam die Kehrseite der
Beziehungen zu den Chaetognathen; bei einer gewissen aus-
serenAehnlichkeitstossenwirauf eine vollkommene
Unahnlichkeit der inn ere n Theile. Dem Schizocoel der
42 O. und R. Hertwig,
Mollusken fehlt eiii flimmerndes Epithcl, es fehleii ilirem Darm-
kaual die Mesentcricn und die Dissepimente, ihre Geschlechtspro-
ducte entwickeln sich iiicht aus dera Epithel der Loibeshohle und
weiden nicht in dieselbe entleert, sondern stellen folliculare Drii-
sen dar, welche direct in eigene oft complicirt gebaute Ausfiihr-
wege ubergehen. Die in den Pericardialraum einmiiudenden Nic-
ren dienen ausschliesslich der Excretion und werden nicht zur Aus-
fuhr der Geschlechtsstoffe benutzt, hochstens dass sich die Ovi-
ducte Oder Vasa deferentia hie und da mit ihnen nahe an der aus-
seren Miindung vereinigen. Alle diese Verschiedenheiten sind schon
durch den allerersten Verlauf der Eutwicklung bedingt und dar-
auf zuriickzufiihren, dass die Mollusken aus zwei Keimblattern und
eineni Mesenchym zwischen denselben, die Brachiopodcn aber aus
vier Keimblattern entstehen. In wie hohem Maasse die Aehnlich-
keit zwischen beiden Abtheilungen eine rein ausserliche ist, das
lasst sich selbst aus der Lage und feineren Structur der Schalen
darthun. Denn wahrend die Mollusken eine linke uud eine rechte
Schale haben, besitzen die Brachiopodcn eine dorsalc und eine
ventrale. Auch ist die histologische Structur der beiderlei Schalen
eine ganz verschiedene.
Nach diesen Auseinandcrsetzungen versteht es sich ganz von
selbst, dass die Brachiopodcn von den Mollusken abgetrennt wer-
den nitissen, und dass beide vollkommen verschiedene Entwick-
lungstyi>en rephlsentiren. Es ist das Verdicnst von Steeustrup
(90) dies zuerst und zwar schon ini Jahre 1847 erkannt und eine
Verbindung der Brachiopodcn mit den Anneliden gesucht zu ha-
ben. Unabhangig von ihm hat neuerdings Morse denselben Weg
eingeschlagen und hat, man kann sagen, die Frage zur Entschei-
dung gebracht, indem er mit vielem Geschick und bis in's Ein-
zelne die Anatomic der Brachiopodcn mit derjenigen der Mollus-
ken und Wiirmer verglichen und hierbei iiberall Verschicdenheit
von den Mollusken und Uebereinstimmung mit den Anneliden nach-
gewiesen hat. Auch Gcgenbaur nimmt den Standpunct von
Steenstrup und Morse ein und bemerkt in der 2ten Auflage
seines Grundrisses (159), dass die Brachiopodcn mit den Mollusken
wenig mehr als den Besitz einer vom Molluskengehause noch dazu
ganz diifercuten Schale gemein haben und eine kleine und eng abge-
greuzte Abtheilung bilden, die ihren Ursprung zum Stamme der
Wiirmer, speciell der Chaetopoden, zuruck verlblgen lasst.
Die Coelomtheorie. 43
2. Die Enteropneusten.
Eine zweitc Thicrabtheilung, von welcher mit aller Sicherheit
nachgewiesen worden ist, class Ausstiilpimgeu des Darmkanals die
Grundlage fiir das Mesoderm abgeben, siiid die Enteropneu-
sten, deren Entwicklungsgeschichte Metschnikoff (98), A gas-
si z (96) uud Spengel (99) untersucht haben.
Verhaltnisse liegen hier vor, die eine frappante Achnlichkeit
mit der Entvvicklung der Echinodermen darbieten. Es entsteht
eine Larve, die Tornaria, welche einer Asteridenlarve auffallend
gleicht und daher auch von Job. Mtiller, ihrem Entdecker, fiir
eine solche ausgegeben wurde (Taf. I Fig. 5). Ektoblast und Ento-
blast sind von einauder getrennt durch ein reichliches Mesenchym
mit sternformigen Zellen, von welchen einzelne sich zu contractilen
Faserzellen diflferenziren , "die wahrend des Larvenlebens Veriinde-
rungen der Oberflache bewirken konnen. Wie bei den Echino-
dermen stulpen sich dann aus dem Euddarm ein linkes und ein
rechtes Blaschen (c) aus „die lateralen Scheiben", welche dem
Darmkanal diclit anliegen und einen kleinen Hohlraum enthal-
ten. Von den Blaschen schniiren sich noch, wie Metschni-
koff vermuthet, nach vorn zwei Zellenmassen ab, welche platt-
gedriickt sich den beiden Seiten des Magens dicht anschmiegeu,
solid sind und als laterale Flatten {h) bezeichnet werden. Spii-
ter umwachsen die beiden Paare von lateralen Zellenmassen den
Darmkanal, wobei sich ihre innere Schicht in das Darmfaserblatt
uud die ilussere in das Hautfaserblatt, welches die Muskeln liefert,
umwandelt. Aus dem vorderen Paar geht die Leibeshohle des
Kragens und aus dem hinteren Paar die Leibeshohle des Rumpfes
hervor.
Wenn wir jetzt noch einen Blick auf die Anatomie des aus-
gebildeten Thieres werfen, iiber welche uns Kowalevsky (97)
berichtet, so treten hier die Beziehungen zu den Enterocoeliern
woniger deutlich hervor, was zum Theil vielleicht daran liegt, dass
unsere Kenntniss vom Bau noch nicht erschopfeud genug ist.
Doch mag wenigstens der Punkt hervorgehoben werden, dass beim
Balanoglossus der Darmkanal am Hautmuskelschlauch durch ein
dorsales und ein ventrales „niesenterialartigcs Suspensorium ganz in
derselbcn Weise wie wir es bei den meisteu Anneliden antreflen",
befestigt ist. Durch dieselben wird auch die Langsmuskulatur in
der Mittellinie abgetheilt. Ausserdem spannen sich noch bindege-
44 0. und R. Hertwig,
webige Ziige zwischen Darm- und Korperwand aus, wodurch jeden-
falls das urspriiriglicbe Vcrhiiltniss wieder dnc Abaiiderung er-
fahren hat.
3. Die Anneliden.
Wahrend cs bei den Chactognatlien und Brachiopoden , den
Echinodermen und Enteropneusten durch den Verlauf ihrer Ent-
wicklung iiber alien Zweifel sicher gestellt ist, dass wir es mit
Enterococliern zu thun haben, bereitet uns bei den Anneliden die
Entsdieidung der Frage, ob sie gleichfalls zu dem zweiten Typus
der Bilaterien zu rechnen sind, viel grossere Sdiwierigkeiten.
Denn soweit bis jetzt ibrc Entwicklung bekannt geworden ist, haben
sich in keinera Falle hohle Ausstiilpungen des Urdarms nachwei-
sen lassen. Damit ist nun aber keineswegs die Frage in negati-
vem Sinne cntschieden , da wir ja wissen, wie haufig im Ver-
lauf der Entwicklung Organe, die ihrer Bestimmung und ihrer
urspriinglidien Genese nadi hohl sein sollten, als solide Zellen-
massen angelegt werden. Im Folgenden wird es also unsere Auf-
gabe sein zu entsdidden, ob etwa bei den Anneliden derartig ab-
geiinderte Verhiiltnisse vorliegen konnten. Zu dem Zwecke haben
wir erstens die Entwicklungsgcschichte darauf zu untersuchen,
ob tiberhaupt den Urdarmdivertikeln der Enterocoelier vergleich-
barc Bildungen angelegt werden, und zweitens haben wir die Ana-
tomie und Histologie des ausgebildetcn Thieres zu beriicksichtigen
und zu priifen, in wie weit hier ahnliche Verhaltnisse wiederkeh-
ren , wie sie fiir Chaetognathen , Echinodermen etc. als typisch
hingestellt werden konnten.
Die Entwicklung der Anneliden ist bei einigen Arten
mehr eine indirecte, bei andercn wiederum mehr eine directe.
Die erstere findet sich namentlich bei Meeresanndiden, dercn Lar-
ven liingere Zdt ein pclagisches Leben fiihren, wahrend die zweite
gewohnlich an solchen Eiern eintritt, welche in derbe Coccons
eingeschlossen sind.
Bei der indirect en Entwicklung, rait wdcher wir be-
ginneu wollen, sind zwei verschiedene Processe der Me-
sodermbilduug zu unterscheiden. (Taf. I Fig. 6.) Nach Ab-
lauf des Gastrulastadiums kommt es zur iippigen Ausbildung
eines Mesenchyms zwischen den beiden primaren Keimbliittern,
welche in Folge dessen durch einen weiten, theils mit Gailerte
theils mit Fliissigkeit erfiillten Zwischenraum von einander ge-
Die Coelomtheorie. 45
trennt werden. In der Gallerte liegen sternformige Zellcii (a)
und aus diesen habcn sich hie und da auch einzelne MuiAkel-
fasern {mm) entwickelt, welche wieder ill rem Ursprung gemiiss
uns das genugsam bekaiiute Bild zeigeD. Sie siiid in ihrer Mitte
gewohnlich mit eiiiem eiiizigen Kern versehen und zerfallen an ihren
beiden Enden pinselformig in viele Fixden, welche hie iind da sich
an die Kijrperwandung anheften und bei der Contraction Einzie-
hungen derselben bewirken miissen. In der Mitte des Mesenchyms
liegt der Darm, dem ein Darmfaserblatt und Mesenterien fehlen,
dessen Mitte zum Magen erweitert ist, und wolcher durch zwei
Oeffnungen, (jinen Mund und einen After, nach Aussen commu-
nicirt.
Derartige Anneli denlarven gewinnen eine auffal-
lende Aehnlichkeit mit den Larven der Mollusken,
was schoii von vielen Forschern hervorgehoben woi'den und vor-
zugsvveise durch die reichhche und gleichartige Entwicklung eines
Mesenchyms bedingt ist. Wiihrend nun aber das letztere bei
den Mollusken einzig und allein die mittlere K()rperschicht lie-
fert, greift bei den Anneliden in die Entwicklung ihres Meso-
derms noch ein zweiter Process ein, welcher sich der
Mesoblastbildung der Enterocoelier vergleichen lasst
und welcher ihrem Korper die charakteristischen Eigenschaftcn
verleiht, durch welche er sich morphologisch iiber den Mollus-
kentypus erhebt. Es entstehen namlich bei den Larven im Me-
senchym die zwei sogenannten Mesoblaststreifcn (Taf. I
Fig. C) Me), welche zu beiden Seiten des Enddarms symmeti'isch
zur Mittellinie zu liegen kommen und in der Niihe des Afters
an den Entoblast unmittelbar angrenzen. Dieselbeii sind, wemi
wir difi Aftergegend ausnehmen , von den beiden priniiiren Keim-
bliittern , zwischen welche sie sich hineinschieb(ui , iiberall scharf
getrennt, so dass eine Entstehung durch Abspaltung vom Ekto-
blast Oder Entoblast ausgeschlossen werden muss. Haf. II Fig. 14
Me^ u. Me^), Sie setzen sich aus embryonalen Zellen zusammen,
Avelche dicht aneinander schliessen , mehr und mehr eine epithe-
liale Anordnung annehmen und nicht, wie es bei der Anlage des
Mesenchyms der Mollusken geschieht, sich von einander ablosen
und in der Gallerte zerstreuen. In der Richtung ihrer Lange sind
die beiden Mesoblaststreifcn sehr ungleichmiissig entwickelt; wah-
rend sie nach dem Kopfende der Larve zu schon sehr weit difle-
renzirt sein konnen, behalten sie nach dem Schwanzende zu im-
mer mehr einen embryonalen Charakter bei und enden schliess-
46 0. und R. Hertwig,
licli mit eiiier indifferenten Wucherungszone , durch welche lange
Zeit das Laiigenwachsthum vermittelt wird.
Bei den meisten Anneliden (Taf. II Fig. 17 u. 18) ist die Wu-
cherungszone sehr schnial und beginnt nach Hatschek (102 u, 103)
jederzeit mit einer einzigen grossen Zelle, der sogenannten „Urzelle
des Mesoderms", welche dem Entoderm am After dicht anliegt. Auf
sie folgen kleinere Zellen, welche erst in einer, dann in mehreren
Reihen angeordnet sind. Mit der welter fortschreitenden Diife-
renzirung werden die beiden Mesoblaststreifen nach vorn immer
breiter, und ihre Zellen sind deutlich in zwei Blattern gesondert,
die dorsal und ventral in einander umbiegen. Bald tritt dann
zwischen den beiden Blattern ein Spaltraum auf, so dass ein jeder
Mesoblaststreifen zu einem rings geschlossenen , von einem ein-
schichtigen Epithel ausgekleideten Sacke (Taf. II Fig. 14) wird.
Die Mesoblastsiicke der beiden Seiten vergrossern sich nun und
umwachsen vollstandig den Darmkanal, wobei sich das viscerale
Blatt dem Entoblast, das parietale dem Ektoblast fester anlegt
(Taf. II Fig. 16). Wenn zuletzt in der dorsalen und ventralen
Mittellinie die Wandungen der beiden Sacke aufeinandertreffen,
verschmelzen sie untereinander und bilden zwei Mesenterien
(Id u. lv\ durch welche der Darmkanal an dem Hautmuskel-
schlauch befestigt und das Coelom (c) in eine linke und rechte
Abtheilung zerlegt wird. Ferner ist noch zu bemerken, dass bei
den Anneliden die beiden Mesoblastsiicke sich nicht als einheit-
liche Raume erhalten, sondern schon friihzeitig von vorn nach
hinten segmentirt werden. Durch wiederholte Einschniirung zer-
fallt jeder Mesoblastsack (Taf. II Fig. 18) in zahlreiche kleine
Sackchen, die links und rechts vom Darmkanal gelegen einander
von vorn nach hinten folgen. Die auf einander stossenden Wan-
dungen zweier Sackchen bilden die Dissepimente, welche zwischen
Darm uiid Hautmuskelschlauch ausgespannt fiir erstcren ein neues
Befestigungsmittel abgeben.
Von der indirecten Entwicklung der Anneliden weicht die
directs Entwicklung, welche unter Anderen bei unseren Lum-
briciden und Hirudineen beobachtet wird, nur darin ab, dass die
Ausbildung eines Mesenchyms mehr oder minder unterbleibt und
hilufig nur die beiden Mesoblaststreifen allein sich zwischen die
beiden primaren Keimbliitter hineinschieben.
Wenn wir die hier kurz skizzirte Ontogenie der Anneliden
uberblicken, dann wird man uns gewiss darin gern beistimmeu,
dass die Entwicklung der paarigeu Mesoblaststreifen
Die Coelomtheorie. ' 47
vou der Entwicklung des Meseuchyms als ein besou-
derer Vorgang, welclier bei den Molliisken giinzlich
vermisst wird, scliarf unterschieden werdeii muss.
Dagegen kaun discutirt werden, ob die beiden Mesoblaststreifeu
der Aiinelideu den paarigen Aiisstiilpungen des Urdarms zu ver-
gleichen sind, wie sie bei den Chaetognathen , Bracliiopoden imd
namentlich bei Echinodermen nacbgewiesen worden sind. Wir hul-
digen einer derartigen Auffassung, zu dereu Gunsten viele und ge-
wicbtige Pimkte geltend gemacbt werden konnen. Erstens er-
scheint in den beiden Mesoblaststreifeu das Coelom nicht durch
Zusammenfluss zahlreicber Liicken, wie bei den Mollusken, son-
dern gleicb als ein einheitlicber Raum. Zweitens sind die
durch Spaltbildung aus soliden Zellenstreifen entstandenen Sacke
mit ibren epitbelialen Wandungen in Nicbts von den durch Aus-
stiilpung aus dem Urdarm entstandenen Sacken zu unterscheiden.
Drittens hangen die Siicke mit dem Hinterdarm durch die Knos-
pungszone zusammen, wiihrend sie sonst iiberall von den beiden
primaren Keimbliittern getrennt sind. Sie lassen sich so mit
den Divertikeln, welche vomEnddarm derLarvender
Enteropneusten ausgeheu, vergleichen. Dadurch wu'd
uns die Annahme nabe gelegt, dass sie auch wie diese durch Aus-
stiilpung aus dem Enddarm entstanden und nur durch den Man-
gel eines Lumens anfanglich von ihnen unterschieden sind.
Noch mehr aber als Alles dies spricht zu Gunsten unserer
Ansicht die Tbatsache, dass bei den ausgebildeten Anneliden eine
Anzahl vou Organen in einer Weise angelegt sind, welche wir beim
Studium der Chaetognathen und Brachiopoden als typisch fiir die
Abtheilung der Enterocoelier glauben nacbgewiesen zu haben. Wir
wenden uns daher jetzt zu dem zweiten Gegenstand, welchen wir
besprechen wollten, zu der Anatomic und Histologic des
fertigen Thieres, wobei wir hauptsacWich auf folgende Ver-
bal tnisse zu achten haben: 1) auf die Beschaffenheit des Coeloms,
2) auf die Befestigungsweise des Darmkanales, 3) auf die Structur
und Anordnung der Muskulatur, 4) auf die Beziehungeu der Ge-
schlechtsorgane zum Coelom und 5) auf das Excretionssystem.
1) Das Coelom stellt bei den meisten Anneliden mit Aus-
nabme der Hirudineen, wo es stark ruckgebildet ist, einen an-
sehnlichen Hohlraum zwiscben Darm und Hautmuskelschlauch dar.
Durch Dissepimente, welche sich wohl durch Faltenbilduug der
Leibeswand und Verwachsung mit dem Darmkanal entwickelt ha-
ben, ist es wie bei den Brachiopoden und Chaetognathen in eine
48 * 0. imd E. Hertwig,
Anzalil hiiiter eiiiauder gelegener Kammern abgetheilt. Es wird
bei vielen Arten von cubischeii oder cylindrisclien Flimmerzellen
ausgekleidet. Mit dem Gefiisssystcm steht es fiir gewolinlich —
imd dies ist zugleidi das iirspriingliclie Verhalten — iu keinem
Zusammeiiliaiig. Eine Ausiiahnie bilden die Hirudineeii uud viel-
leiclit audi die Gepliyreeii, bei welchen sicb secundiir Commu-
nicationen entwidielt haben.
2) Bei den urspruiigliclien uud niederen Formen der Anne-
lideu, bei Polygordius, Protodrilus Leuckartii, Saccodrrus, bei To-
mopteris uud bei einigen Gephyreen wird der Darnikanal durdi
ein dorsales und ventrales Mesenterium an den Hautmuskelsehlauch
befestigt und das Coelom dadurch in eine linke und rechte Halfte
zerlegt (Taf. I Fig. 2). In den Fallen, wo die Mesenterien felilen
(Lumbridden , viele Gephyreen), sind sie im Larvenstadium vor-
lianden und haben sich erst spiiter riickgebildet , indem sie in
ihrer Function durdi die Dissepimente ersetzt worden sind.
3) Die Korpermuskulatur stammt vom parietaleu Blatte des
Mesoblasts ab; sie entwidvelt sich, wie in einzelnen Fallen nach-
gewiesen ist, aus dem Epithel der Leibeshohle. Bei Polygordius
zum Beispiel werden nach den Angaben von Hatschek (102) die
Mesoblastzellen cylindrisch und scheideu an der Basis, welche dera
Ektoblast zugekehrt ist, Muskelfibrillen aus, welche sich als con-
tinuirliche Gebilde durch eine grosse Anzahl von Segmenten hin-
durch verfolgen lassen. „Der Quere nach gehoren immer mehrere
Muskelfasern dem Bereich einer Zelle an, wahrend der Liinge nach
sich viele Zellen an dem Aufbau einer Faser betheiligen". Die
Schicht der Muskelfibrillen triigt daher ihre Matrixzellen auf ihrer
inneren Seite, wahrend sie nach Aussen an den Ektoblast an-
grenzt, der sich an ihrer Bildung nicht betheiligt hat. Der gleiche
Entwicklungsgang bedingt ferner auch bei vielen ausgebildeten An-
neliden eine Beschaffenheit der histologischen Bestandtheile der
Muskulatur, welche an diejenige der Chaetognathen erinnert. Zum
Vergleich fiihren wir die Muskulatur von Protodrilus und von
Lumbricus an (Taf. I Fig. 2 und Taf. Ill Fig. 7).
Wie uns Hatschek mittheilt, besteht die Muskulatur von
Protodrilus aus zahlreichen bandartig abgeplatteten Fibrillen, welche
dicht aneinandergereiht mit ihren Kanten senkrecht der Haut von
Innen aufsitzen. Nach der Leibeshohle zu werden sie einzig und
allein von einer diinuen Protoplasmaschicht bedeckt, welche stark
abgeplattete Kerne einschliesst; Hatschek deutet letztere als
Endothelkerue und unterscheidet ausser ihnen noch audere spilrli-
Die Coelomtlieorie. 49
clier auftretende Kerne, welclie der inneren Kante der Bander an-
liegen, als Myoblasten (Taf. I Fig. 2),
Eiuen complicirteren Bau zeigt die Langsniuskulatur von Lum-
bricus, von welcher Clap are de (100), wie wir durch eigene Un-
tersucliung bestiitigen konnen, eine vortreffliche Besclireibung ge-
liefert hat (Taf. Ill Fig. 7). Wir werden zweckmiissiger VVeise bei
der Muskulatur des Lumbricus Hauptblatter unterscheiden, welche
senkrecht auf der Inneniiache der ausseren Ringmuskelschicht
stelien. Jedes Hauptblatt setzt sich zusammen 1) aus einer ihm
zur Stutze dienenden, diinnen, bindegewebigen Centrallamelle (s), in
welcher hie und da einzelne wenige Kerne zu seheu sind, und
2) aus zahlreichen secundaren Muskelblattern (f), welche wir den
Muskelblattern der Chaetognathen und Archianneliden vergleichen
mochten. Dieselben sitzen unter schritgem Winkel beiden Seiteu
der Centrallamelle, wie die Fiedern dem Schaft einer Feder auf.
An isolirten Theilen deutet eine sehr feine Langsstreifung, deren
schon Schwalbe (172) gedenkt, auf eine fibrillare Zusammenset-
zung hin. Hie und da zwischen den secundaren Blattern, na-
mentlich aber in den sehr schmalen Interstitien, die bei der eugen
Aneinauderlagerung der Hauptblatter iibrig bleiben, bemerkt man
einzelne Kerne , welche man ihrer ganzen Lage uach als Myobla-
sten (niJc) wird auffassen mtissen. Sehr beachtenswerth ist das Ver-
halten der Blutgefiisse, auf welches Claparede aufmerksam ge-
macht hat. Dieselben nehmen niimlich einzig und allein in der
bindegewebigen Centrallamelle ihren Verlauf, dringen aber niemals
in die Interstitien zwischen den secundaren und primiiren Blattern
ein, in welchen die Myoblasten eingebettet sind. Dies besondere
Verhalten der Blutgefasse scheiut auch auf einen epithelialen Ur-
sprung der Langsniuskulatur hinzudeuten, was durch entwicklungs-
geschichtliche Untersuchung noch festzustellen sein wird.
Auch die Anordnuug und Vertheilung der Muskelelemente ist
wohl zu beachten. Wahrend die aus dem Meseuchym abstam-
menden Muskelfasern der Pseudocoelier sich wirr durchkreuzen
und durchflechten, herrscht bei den Anneliden, wie bei den bisher
betrachteten Enterocoeliern, die grosste Regelmassigkeit. Die Mus-
kelfasern sind parallel zu einander in Lagen angeordnet, deren
Zahl und Machtigkeit bei den einzelnen Arteu wechselt. Bei den
niedersten Anneliden ist vornehmlich nur eine Langsfaserschicht
(Taf. I Fig. 2) vorhanden , welche so vollstandig an diejeuige der
Chaetognathen erinnert, dass man die Querschnitte durch die Korper
50 0. und E. Hertwig,
der eineu und der andern mit einander verwecliseln konnte. Man
betraclite uur den Querschnitt eines Polygordius, eines Protodrilus,
cines Saccocirrus auf der einen Seite und einer Spadella auf der
andern Seite. Hier wie dort sieht man 4 Felder von Lilugsmus-
kelfasern, 2 dorsale und 2 ventrale, welclie oben und unten durch
die Mesenterien des Darmkanals, links und rechts durcli die Sei-
tenlinien von einander geschieden sind. Dazu gesellt sicli noch
eine die ventralen Felder bedeckende Lage von Quermuskelfasern,
welche von uns aucli bei Spadella aufgefunden wurden, wahrend
sie bei anderen Chaetognathen feblen (Taf. I Fig. 2 und 3).
4) Das Urogenitalsystem zeigt bei den Anneliden die fiir die
Enterocoelier hervorgehobenen Beziehungen zur Leibcshohle. Wie
bei den Chaetognathen (Taf, I Fig. 3) entwickeln sich die milnn-
lichen und die weiblichen Geschlechtsproducte (e) aus dem Epithel,
welches die parietale Wand der Leibeshohle bedeckt; bei niederen
Formen (Polygordius, Tomopteris , Alciope, Gephyreen etc.) be-
halten sie sogar ihre urspriingliche Lage an ihrer Bildungsstatte
(Taf. I Fig. 2) bei und fallen bei der Reife direct in den Binnenraum
eines Segmentes, welches somit gleich dem Schwanzsegment der
Chaetognathen und der Leibeshohle der Brachiopoden zu einem
Behillter fiir die Geschlechtsproducte wird. Indem sich manniiche
und weibliche Geschlechtsdriisen gleich verhalten, bieten uns die
namhaft gemachten Arten der Anneliden sogar noch urspriingli-
chere Zustiinde dar, als die Chaetognathen, bei welchen ja der
genetische Zusammenhang mit dem Coelomepithel nur fiir die
Spermatozoen auch beim erwachsenen Thiere erkennbar ist, wah-
rend die Ovarien sich friihzeitig zu rohrenformigen, gegen die Lei-
beshohle abgeschlossenen Organen mit besonderen Ausfiihrgiingen
gestalten. Eine ahnliche weitere Differenzirung findet auch bei
manchen Anneliden, wie den Oligochaeten, Hirudineen etc. statt,
bei welchen sowohl die Ovarien als auch die Hoden zu blaschen-
oder rohrenformigen Gebilden geworden sind und vom Coelom
sich vollstiindig losgcliist haben. Doch das sind Metamorphosen,
die aus den niederen Zustanden der anderen Gliederwiirmer zwei-
fellos erst hervorgegangen sind und daher den Werth, welchen wir
den primitiveren Einrichtungen bei der Erklarung des vorliegen-
den Problems glaubcu beimessen zu miissen, auch uicht im Ent-
ferntesten herabzusetzen vermogen.
5) Die Excretionsorgane endlich stellen rohrenformige Durch-
brechungen der Leibeswand dar, welche den Binnenraum des Coe-
loms mit dem umgebenden Medium in Verbindung setzen und
Die Coelomtheorie. 51
gleiclizeitig aucli zur Eutleerung der Gesclilechtsproducte dienen.
Das A lies erinnert an die bei den Brachiopoden beschriebeuen
Zustiiude und an die Art und Weise, wie bei den Chaetoguathen
das Sperma aus dem Schwanzsegment durch das Vas deferens ent-
leert wird, welches sich morphologisch einem Segmeutalorgan reclit
gut vergleiclien lasst, weun es auch eine secretorische Function
als Mere nicht ausiibt. Die Bezieliung der Segmentalorgane zur
Leibeshohle und durch deren Vermitteluug zu den Geschlechtsor-
ganen, mit einem Wort, die Existeuz eines Urogenitalsystems, wird
nur bei den Enterocoeliern, dagegen weder bei den Rotatorien noch
den Bryozoen, weder bei den Plathelminthen noch den Mollusken,
den Vcrtretern des ersten Typus, jemals beobachtet. Bei diesen
fiihren stets die Driisen, welche die Geschlechtsstoffe produciren,
direct in eigene, oft sehr complicirt beschaffene Ausfuhrwege. Die
Excretionskanale stehen ausser jedem Zusamnienhang mit den Ge-
schlechtsorganen, welche weder vom Epithel des Schizocoels abstam-
men noch auch Eier und Samen bei der Beife in dasselbe ent-
leeren.
Wenn wir jetzt noch einmal die hervorgehobenen entwicklungs-
geschichtlichen und anatomischen Befunde der Anneliden liber-
blicken und kurz zusammenstellen, das Vorhandensein zweier Me-
senterien am Darmkanal, das Flimmerepithel der Leibeshohle, die
Genese der Rumpfmuskulatur aus dem Epithel der Leibeshohle,
ihren feineren Bau und ihre Anordnung, dann die Genese der
Geschlechtsproducte aus dem Coelomepithel , ihre Entleerung in
die Leibeshohle und aus dieser in die Excretion sorgane, wenn wir
dies Alles liberblicken und mit den gleichen Einrichtungen der
Chaetoguathen und Brachiopoden vergieichen, so gewiunt unsere
Hypothese, dass die Leibeshohle der Anneliden ein Enterocoel ist,
und dass die beiden Mesoblaststreifen der Larven Urdarmdiver-
tikeln entsprechen, einen sicheren Gruud und Boden. Damit ist
aber auch zugleich das wichtigste Hinderniss hinweggeraumt, wel-
ches bisher der von Steenstrup, Morse und Gegenbaur an-
genommeuen Verwandtschaft der Brachiopoden und Anneliden ent-
gegengestandeu hat. Beide gehoren zu dem Haupttypus der En-
terocoelier.
4. Die Nematoden. *
Schwieriger als bei den Anneliden ist bei den Nematoden die
Frage zu entscheiden, ob sie zu unserem zweiten Typus hinzuge-
4*
52 0. und R, Hertwig,
rechnet werden diirfen. Einerseits ist ihre Entwicklung auf die
fur uns wichtigen Punkte noch nicht geniigend untersucht, anderer-
seits gibt uns audi der Bau und die Beziehung der Organe zu
einander weniger Anhaltspunkte als bei den Anneliden.
Noch am besten sind die ersten Entwicklungsvorgange vom
Cucullanus elegans bekannt, iiber welchen eine Arbeit von Biitschli
(76) erschienen ist. Wie auch bei anderen Nematoden, entsteht
durch Invagination eine Gastrula, welche erst flach ist, dauu sich
niehr in die Liinge streckt und einen engen Urmund erhalt. Von
dem Rand des letzteren nimmt der Mesoblast seinen Ursprung als
eine diinne Zellenlage, die vom Entoblast abstamrat, sicli zwischen
die primaren einschichtigen Keimblatter liineinschiebt und sich
allmiihlich nach dem entgegengesetzten Eude zu ausdehnt. Das
Weitere ist nicht bekannt.
Es friigt sich nun, ob die Zellenschicht doppelt und durch
Ausstiilpuug vom Urdarm gebildet worden ist. Biitschli hatte,
wie er selbst bemerkt, litngere Zeit geglaubt, dass dies der Fall
sei, dass der Mesoblast „durch einen im vorderen Abschnitt des
inneren Blattes statthabenden Faltungsprocess sich anlege", hatte
aber diese Vermuthung bei naherer Einsicht fallen lassen. Wir moch-
ten jetzt auf dieselbe doch wieder zuruckkommen. Wer die Em-
bryonen der Nematoden aus eigener Anschauung kennt, weiss, wie
klein dieselbeu und ihre Elementartheile sind, und wie schwierig
es sein kann, auf dem optischen Durchschnitt zu bestimmen, ob
eine Zellenlage einfach oder doppelt ist. Auf jeden Fall weicht
die Entwicklung der Nematoden von derjenigen der Mollusken darin
ab, dass der Mesoblast eine zusammenhangende vom Urmund aus
beginnende Zellenschicht darstellt und dass die Zellen sich nicht
zerstreuen und ein Mesenchym bilden.
Im Uebrigen ist bei den Nematoden, wie bei den Anneliden,
die Anatomie und Histologic fiir unser Urtheil mehr bestimmend
gewesen als die luckenhafte Kenntniss ihrer Entwicklungsgeschichte.
Das Coelom stellt einen schmalen spaltformigen Hohlraum dar,
welcher die Korperwand, den Darm und die Geschlechtsorgane
derart trenut, dass sie sich beim Zerschneiden des Thieres auf
das Leichteste von einander loslosen. Nach Aussen wird das Coe-
lom unmittelbar vom Muskelschlauch begreuzt, welcher analoge
Verhaltnisse wie bei . den Chaetognathen und niederen Anneliden
aufweist. Er setzt sich namlich aus einzelnen grossen, langge-
Streckten Muskelzellen zusammen, welche in einer einfachen Schicht
Die Coelomtheorie. 53
unter einander zu eicer Art Epithel verbunden sind (Taf. Ill
Fig. 18).
Jede Maskelzelle besteht aus eiuem protoplasmatischen Theil,
welcher dem Coelom zugekehrt ist und oft hockerartig in das-
selbe hineinspringt , und aus contractiler Substanz, welche nach
der Hypodermis zu ausgesdiieden worden ist und sich in zalil-
reiche glatte Fibrillen zerlegen liisst. Diese verlaufen imnier in lon-
gitudinaler Eichtung parallel zu einander, liegen in einer einfachen
Schicht und sind von der contractilen Substanz benadibarter Zel-
len scbarf abgegrenzt, wodurch eine vollstandige Isoliruug der
Muskelelemente moglicb ist. In der Anordnung der Fibrillen
herrscht eine grosse Mannigfaltigkeit bei den verschiedenen Arten.
Das einfachste und ursprilngliche Verhalten ist, dass die Fibrillen
des gesammten Muskelepithels unter der Hypodermis in einer
Flache ausgebreitet sind und so einen Cylindermantel erzeugen.
Eine Abanderung tritt ein, sowie die contractile Substanz an
Masse zunimmt. Alsdann faltet sich die zu je einer Zelle gehorige
Fibrilleiilage zu einer Rinne ein, deren nach dem Coelom zu ge-
offnete Hohlung von dem formativen Protoplasma ausgefiillt wird
(Taf. Ill Fig. 18). In Folge dessen erscheint die urspriinglich
glatt ausgebreitete Fibrillenschicht des ganzen Muskelepithels den
einzeluen Myoblasten entsprechend vielfach gefaltet. Je nach den
Arten konnen die Falten bald niedriger, bald hoher sein. Wenu
der Vermehrungsprocess der contractilen Substanz noch weiter
fortschreitet, so schliessen sich die Rinnen zu von links nach
rechts platt gedriickten Rohren , deren Mantel von parallelen lon-
gitudinalen Fibrillen gebildet wird. Ihr Innercs enthiilt den pro-
toplasmatischen Theil, welcher gewohnlich durch eine Oeffnung in
der Mitte der Rohre noch in die Leibeshohle heraustritt und als
beutelformiger Anhang beschrieben wird. Gewohnlich besitzt die
einzelne Muskelzelle einen eiuzigen grossen ovalen Kern und nur
in seltenen Fallen zahlreiche kleinere Kerne.
Im Allgemeinen beobachten wir also bei den Nematoden ahn-
liche Umbildungsprocesse der Muskulatur, wie bei den Coelenteraten,
Chaetognathen und Anneliden. Die Aehnlichkeit von Durchschnitten
ist zuweilen eine ganz frappaute, wie z. B. aus derAbbildung her-
vorgeht, welche Butschli (75) von Pseudalius inflexusgibt (Taf. Ill
Fig. 11). Wir beobachten ferner dieselben Lagerungsverhaltnisse
der Theile zu einander wie bei den Wtirmern mit Enterocoel, in-
dem der Hautmuskelschlauch nur aus 2 Epithelschichten besteht, aus
einer ausseren unscheinbaren Hypodermis, welche als Schutzorgan
54 0. und R. Hertwig,
die Cuticula iiach Aussen gebildet liat, und aus einem innereu, das
Coelom auskleidendeu Muskelepitbel, von welchem nach dcr Hypo-
dermis zu die Fibrillen ausgeschieden worden sind. Endlich ist
die Langsmuskulatur gewohnlich audi in 4 Felder, 2 dorsale und
2 ventrale abgetheilt.
Hinsichtlicb einiger anderer Organe mtissen wir es zur Zcit
dahingestellt sein lassen, ob sie nacb dem Typus der Enterocodicr
gebaut sind, ob zum Beispiel der Darm von einem Faserblatt,
das ja nur in der Form endothelialer Zellen vorhanden seiu konnte,
umhiillt wird, ob ferner die Geschleditsorgaue vom Epithel des
Coeloms abstammen. Da wir iiber diese wichtigen Punkte noch
nicht aufgeklart sind, so geschieht es von uns nur mit Vorbehalt,
weun wir, bestimmt namentlich durch die Beschaffenbeit der Mus-
kulatur, in dem vorliegenden Aufsatz den Nematoden einen Platz
in unserem zweiten Typus anweisen.
5. Die Wirbelthiere.
Vor wenigen Jabren hat uns Kowalevsky (146) mit einem
iiberaus wichtigen Vorgang in der Entwiddung des Amphioxus be-
karint gemadit; iudem er Sdinitte durch erhilrtete Larvcn anfer-
tigte, konnte er zeigen, dass der Mesoblast und die Leibeshohle
in iihnlicher Weise wie bei den Chaetognathen angelegt werden
(Tafel II Figur 13). Zur Zeit, wo sich das Nervenrohr ent-
wickelt und die Chorda sich vom Eutoblast ablost, bildet der Ur-
darm nahe am aboralen Pol der Gastrula 2 Aussackungen , die
links und rechts von Chorda und Nervenrohr nach oben zu liegen
kommen. Noch wahrend dieselben sich abschnuren, entstehen
hinter ihnen in gleicher Weise successive neue Aussackungen, die
ebenfalls allmahlich selbstandig werden. Durch diesen Vorgang
zerfallt der Urdarm in den bleibendcn Darm und in 2 Reihen
hinter einander gdegener Sackchen, die als Urwirbel bezeichnet
werden. Letztere umvvachsen nach und nach den Darm und bil-
den sich einerseits in die scgmentirten Muskelmassen, anderer-
seits in das Darmfaserblatt um. Auch vermuthet Kowalevsky,
dass die Urwirbelhohlen zum Coelom werden. Die Richtigkeit sei-
ner Angaben ist soeben auch von Hatschek (59) vollkommen
bestatigt worden in einem Aufsatz, der uber die Entwicklungsge-
schichte von Teredo handelt.
Da nun Amphioxus als das niedrigst organisirte Wirbelthier
unter alien Angehorigcn des Stammes jedenfalls den ursprunglich-
sten Verlauf der Entwicklung bewahrt hat, so erwachst hieraus
Die Coelomtheorie. 55
fiir den Einbryologeii von selbst die Auffordening, von den neu
gewonuenen Gesichtspunkten aus auch bei den Cranioten die Ge-
ncse des Mesoblasts von Neuem zu untersuclien.
Wenn wir die an Widerspriichen so reiche Keimblatt-Literatur
iiberblicken , so hat sich in den letzteu Jahren ein wichtiger
Fortschritt vollzogen. Die friiher am weitesten verbreiteten An-
sicliten, dass das mittlere Keimblatt ein Abspaltungsprodiikt des
Ektoblasts oder des Eutoblasts oder beider zusammen sei, wird
jetzt mehr und mehr als irrig erkannt, iind die besten neueren
Arbeiten, welche sich auf verschiedene Wirbelthierclassen erstrecken,
fiihreu zu dem Ergebniss, dass das mittlere Keimbhitt von ciner
bestimmten Region der Embryonalanlage, von der Primitivrinne,
aus entsteht und von hier zwischen die beiden primaren Blatter,
ohne dass sich von ihnen Zellen abspalten, hineinwachst. Ueber
den genaueren Modus der Entw^icklung weichen freilich auch dann
noch die einzelnen Forscher sehr bedeutend von cinander ab.
Kolliker (144, 145) litsst zu beiden Seiten der Primitivrinne
Zellenmassen, die vom Ektoblast abstammen, sich zwischen diesen
und den Entoblast hineinschieben. Kupffer (147) bezeichnet den
Gastrulamund als den Ort, von welchem der Process der Meso-
blastbildung ausgehe, und schliesst sich den Angaben an, die
Rabl (68, 69) und Hatschek (102j von Wirbellosen gemacht
haben. Wichtige Ergebnisse gewann Balfour (lo2) beim Studium
der Ontogenese der Elasmobranchier , iudem er zeigte, dass der
Mesoblast vom unteren Keimblatt und zwar vom Urmund aus in
Form zweier in der Mittellinie getrennter Massen angelegt werde.
Seine Darstellung hat in zwei kiirzlich erschienenen beachtens-
werthen Arbeiten von Scott und Osborn (151) und von Bambeke
(133), welche die Entwicklung der Tritonen untersucht haben, eine
Bestiitigung gefunden.
Balfour hat zugleich aberauch das Verdienst, eine neue
Hypothese iiber die Genese des Mesoblasts der Wirbelthiere im
Anschluss an die bedeutenden Entdeckungen K ow ale v sky's auf-
gestellt zu haben. Bei verschiedenen Gelegeuheiten (131, 132) hat
er die Ansicht wahrscheinlich zu machen gesucht, dass die paarig
auftretenden Mesoblaststreifen der Wirbelthiere als paarige Aus-
sttilpungen des Urdarms zu betrachten seieu, dass die Leibeshohle
daher in derselben Weise wie bei dem Amphioxus und den Chac-
tognathen ein Enterocoel sei.
Fiir Balfour's Hypothese glauben Avir jetzt beweisende Be-
obachtungen mittheilen zu konnen. Kachdem wir durch eigene
56 0, und K. Her twig,
Beobachtungen mit den interessanteu Verlialtnisseii der Sagit-
ten bekannt geworden waren, iiahmeii wir die Entwickluugsge-
schiclite der Wirbelthiere (142) in Angriflf, in der Voraussicht, hier
eine analoge Genese des Mesoblasts nachweisen zu konnen, fiir
welche eine Summe vergleichend anatomischer und entwicklungs-
geschichtlicher Momente zu sprecheu schien. Die Uutersucliungen
wurden auf mehrere Objecte ausgedehnt, unter welcben die Am-
phibien die beweiseudsten Resultate geliefert haben. Indem wir
es uns vorbehalten, anderen Ortes eine ausfiibrlicbe Darstellung
der beobachteten Erscbeinungen zu geben, wollen wir bier in
Kiirze nur die Punkte hervorbeben, welcbe uns darzutbun scbei-
nen, dass der Mesoblast der Wirbeltbiere durch Einfaltung aus
dem Entoblast entsteht und die Leibesboble von Divertikeln des
Urdarms abstammt.
Bei den boloblastiscben Eiern der Tritonen, welcbe wir un-
serer Scbilderung zu Grunde legen wollen, entAvickelt sicb wie
beim Froscbei durch Invagination eine typiscbe Gastrula, deren
Urmund erst als runder Blastoporus, dann als enger Scblitz noch
lange Zeit am hinteren Ende des Embryo erkennbar ist. Von den
beiden primaren Blattern der Gastrula (Taf. II Fig. 9 u. 10) setzt
sicb der Ektoblast (Eh) aus einer einfacben Scbicht bober Cylin-
derzellen zusammen , welcbe sebr regelmiissig und fest aneinan-
dergefiigt sind, der Entoblast (En) dagegen zeigt in den ver-
schiedenen Regionen des Embryo eine abweichende Bescbaffenbeit.
Wahrend nach vorn und am Riicken die Entoblastzellen in einer
einfacben Lage angeordnet sind, ist an der Seite und ventralwarts
das innere Blatt erbeblich verdickt, indem grosse Dotterzellen
vielfacb iiber einander liegen und eine btigelartig vorspringende
Masse darstellen , welcbe zum Theil den Gastrulamund verlegt
und den Urdarm bis auf einen Hoblraum im oberen und vorderen
Theil des Eies einengt. Die beiden Blatter, welche an den Lip-
pen des Urmundes in einander iibergehen, bleiben durch einen
schmalen Spalt sebr lange von einander getrenut, so dass sicb leicht
das eine vom anderen ablosen lasst; eine Ausnahme macht nur
ein kleiner Streifen in der dorsalen Mittellinie, wo spater die
Primitivrinne erscheint (Taf. II Fig. 10 Enc). Hier sind die En-
toblastzellen mit dem ausseren Keimblatt fester verlothet, sie neh-
men eine cylindrische Gestalt an und schliessen, wahrend sie an-
derwjirts unregelmassig und locker zusammengefiigt sind, zu einem
regelraitssigen Epithel aneinauder. Wir wollen in Zukunft den so
gekennzeichneten Streifen cylindrischer Zellen seiner weiteren Be-
Die Coelomtheorie. 57
stimmimg gemass als Chordaentoblast von dem iibrigeu, aiis gros-
seren und inelir polygoualen Elementeu bestehenden Theil oder
dem Darmentoblast imtersclieiden.
Die Entwicklung des mittleren Keimblattes (Me) macM sich
sehr Mh, schou zu eiuer Zeit bemerkbar, in welcher die Fur-
cliungsliolile durcli den Invaginationsprocess noch nicht ganz ver-
drangt und daher die Gastrula noch nicht vollendet ist; sie nimmt
ihren Ausgang allein von den Lippen des BLastoporus (Taf. II
Fig. 9t0, von welcheu aus sich linker- und rechterseits je eine
kleinzellige Masse (Me) zwischen die beiden primaren Kcimblat-
ter hineinschiebt, um sich von hier aus nach vorn und ventral-
warts weiter auszudehnen. Am Mesoblast sind von Anfang an
wenigstens zwei Lagen von Zellen, von welchen die eine an den
Ektoblast, die andere an den Entoblast angrenzt, zu unterschei-
den und als parietales und viscerales Blatt (Me^ und Me^) zu
benennen. Beide sind gewohnlich fest auf einander gepresst, und
nur zuweilcn konnte vom Blastoporus aus ein schmaler Spalt eine
kleine Strecke weit zwischen sie hinein verfolgt werden. Die Meso-
blastzellen sind klein und oval und weichen in Grosse und Ge-
stalt sowohl von den hoheu Cylinderzellen des Ektoblasts als auch
von den grossen, polygonalen oder ovalen Dotterzelleu des Ento-
bhxsts nicht unerheblich ab. Ferner sind sie von Anfang an und
auch spiiter iiberall scharf und deutlich von den beiden prima-
ren Keimblattern abgcgrenzt, so dass eine Entstehung durch Ab-
spaltung ganz und gar ausgeschlossen werden muss. Eine Aus-
nahme macht nur die Umgebung des Blastoporus. Hier geht das
parietale Blatt des Mesoblasts am Rand der Urmundlippen in den
Ektoblast, das viscerale Blatt dagegen geht in die Masse der
Dotterzelleu liber an einer Stelle, wo dieselben sich durch Thei-
lung in kleinere Elemente umgewandelt haben. In dieser Stelle
mochten wir eine Wucherungszone erblicken, welche das Zellen-
material zum Wachsthum des Mesoblasts liefert.
Wie schon bemerkt, wird der Mesoblast von Anfang an bei
seinem Wachsthum vom Blastoporus aus in Form paariger Strei-
fen angelegt, welche sowohl ventral als dorsal in keinem Zusam-
menhang untereinander stehen. Dorsal (Taf. II Fig. 10) schiebt
sich zwischen beide der Chordaentoblast (Enc) trennend dazwi-
schen. Soweit dersclbe reicht, ist die Wandung der Embryonal-
form verdiinnt und nur aus den beiden primaren Bliittern zu-
sammengesetzt , wahrend sie links und rechts von ihm verdickt
ist und in Folge der Anlage des Mesoblasts aus 4 Blattern be-
58 0. und R. Hertwig,
stelit: iiach Aussen aus dem cylinderzelligen Ektoblast, nach Iiinen
aus dem grosszelligeu Darmentoblast uud zwischen beiden aus dem
parietalen uud visceralen Blatt des Mesoblasts. Die beiden letz-
teren siud auch hier von den angreuzenden primaren Keimblat-
tern wieder deutlicli abgegrenzt bis auf die Gegend zu beiden
Seiten des Chordaentobiasts. Hier hangt das parietale Blatt mit
dem cylinderzelligen Cliordaeutoblast zusammeu, das viscerale
aber sclilagt sicli in den Darmentoblast um.
Aus den mitgetheilten Beobacbtungen geht hervor, dass das
mittlere Keimblatt nicht einer Abspaltung, sondern einem Einfal-
tungsprocess sein Dasein verdaukt, und zvvar beginnt die Einfal-
tung zu beiden Seiten des Blastoporus und setzt sich von hier
links und rechts von der Primitivrinne und dem unter ihr gelege-
nen Chordaentoblast weiter nach vorn fort. Wiirden wir uns jetzt
die beiden Blatter des Mesoblasts aus einander gewichen vorstelleu,
so wiirden wir einen linken und einen rechten Spaltraum erhalten,
von denen jeder mit dem secundaren Darm commuuicirt erstens
nach dem Blastoporus zu uud zweitens in grosser Ausdehnung am
Riicken der Larve beiderseits von der Primitivrinne. Bei den
Tritonen zerfiillt also der Urdarm, wie beim Amphioxus, den Chae-
tognathen , Brachiopoden etc. durch zwei Falten , die dorsal und
nach hiuten einen freien Rand besitzen, in einen mittleren Raum,
den definitiven Darm, und in zv/ei seitliche Divertikel oder die
Coelomsacke.
Um die Entwicklungsgeschichte des Mesoblasts uud der Lei-
beshohle zu beeuden, haben wir jetzt noch auf den wichtigen Punkt
einzugeheu, wie der Mittelraum oder der bleibende Darm sich an
der Riickenseite der Larve schliesst, und wie sich der Entoblast
von den seitlichen Mesoblaststreifen abtrenut. Es ist dies ein
Process, welcher sich gleichzeitig und in Zusammenhang mit der
Anlage der Chorda dorsalis vollzieht. Die Chorda stammt vom
Epithel des Urdarms ab, von jenem Streifen cylindrischer Zellen,
welcher unter der Primitivrinne gelegeu als Chordaentoblast von
uns bezeichnet wurde. Derselbe ist Anfangs in einer glatten Flache
zwischen den beiden Anlageu des mittleren Keimblatts ausgebrei-
tet, spater beginnt er sich einzufalten und eine Rinne zu bilden,
wobei er sich vom parietalen Blatt des Mesoblasts ganz ablost;
die Rinne wandelt sich darauf allmiihlich zu einem soliden Zellen-
stab , der Chorda , um (Taf. II Fig. \lch), deren untere Flache
noch geraume Zeit an der oberen Begrenzung des Darms Thoil
nimmt. Wahrend dieser Vorgange niihern sich die seitlich gele-
Die Coelomtheorie. 59
genen Zellenmassen mehr der Mittellinie, dabei versclimelzen das
parietale und viscerale Blatt des Mesoblasts zu beiden Seiteu der
sich entwickeludeu Chorda unter eiuander uud trennen sicli einer-
seits vom rinnenformigen Chordaentoblast, andererseits vom Darm-
entoblast ab. Die grossen polygonalen Zellen des letztereu riicken
nun aucli immer mebr von links und rechts auf einauder zu,
drangen die uutere Fliiche der Chorda aUmahlich von der Begren-
zung des Darms ab und bewirken endlich, indem sie verschmel-
zen, den dorsalen Abschluss des letzteren. Schluss des bleiben-
den Darms an der Riickenseite, Abschniirung der beiden Meso-
blastsiicke vom Entoblast und Genese der Chorda dorsalis aus
dem Chordaentoblast sind somit Processe, die auf das Innigste mit
einander verbunden sind.
Die Abschntiruug der genannten Theile von einander beginut
am Kopfende der Larve und schreitet von hier langsam nach hin-
ten vor, wo noch lange Zeit eine Neubildungszone bestehen bleibt,
durch deren Vermittelung das Langenwachsthum des Korpers in
analoger Weise, wie bei den Anneliden durch die Wucherungszone
der Mesoblaststreifen, bewirkt wird. Jetzt ist auch der Zeitpunkt
gekommen, auf welchem bei den Embryouen der Tritoneu die Lei-
beshohle sichtbar wird. Sowie die Abschniirung der oben nam-
haft gemachten Theile vollendet ist, weichen die beiden Mesoblast-
blatter am Kopfende des Embryo und zu beiden Seiten der Chorda
und des gieichfalls entstandenen Nervenrohrs aus einander (Taf. II
Fig. lie) uud lassen ein liukes und ein rechtes Enterocoel her-
vortreten, welches auf den vorhergeheuden Stadien nach unserer
Auffassung nur wegen der innigen gegenseitigen Beriihrung seiner
Wanduugeu nicht zu erkennen war.
Um zu zeigen, dass eine derartige Annahme keiue unbegriin-
dete ist, mochten wir hier noch einmal auf die Eutwicklungsge-
schichte der Chaetognathen hinweiseu, welche in vieler Hinsicht
sehr lehrreich ist. Bei den Chaetognathen sind die beiden Meso-
blastblatter nur sehr kurze Zeit durch einen Spaltraum, der mit
dem bleibendeu Darm communicirt, von einander getrennt; dann
legen sie sich, wahrend der Embryo sich streckt, ebenso wie die
Darmwandungen aneinander, und diese Aneinandcrlagerung wird eine
so innige, dass jede Spur einer Hohlung im wurmformigen Korper
schwindet, und dass auf optischen und natiirlichen Querschnitten
die Darmanlage und die seitlichen Mesoblastmassen vollkommen
solid sind. Erst spat treten die Hohlungen wieder hervor, wel-
che schon auf eineni friihen Entwicklungsstadium , aber nur vor-
60 0. imd K. Hertwig,
tibergeliend bestaudeu batten. Und sollen Avir nocb an weitere
analogc Fiille erinnern, so brauchen wir nur das haufige Auftre-
teu von Gastmlaformen, deren Urdarmhoble obliterirt ist, zu nen-
nen oder die solide Anlage des Nervenrohrs der Knochenfische
Oder die solide Anlage der meisten Driisenschlaucbe. In alien
diesen Fallen seben wir, wie haufig Tbeile, die ibrer zukiinftigen
Bestimniung und Function nacb bobl sein niiissen, im Entwick-
lungsleben sei es durcb Einfaltung oder Ausstiilpung als compacte
Zellenniassen angelegt werden und erst spater ibre Hoblungen er-
balten.
Dass die eben gegebene Skizze von der Mesoblastbildung der
Wirbeltbiere sicb mit den neueren Angaben zablreicber Forscber
recbt gut in den wicbtigsten Punkten vereinbaren lasst, wollen wir
an dieser Stelle nur beilaufig hervorbeben, indem wir eine ausfiibr-
licbe Erorterung auf die spatere Arbeit verscbieben.
Bis bierbcr baben wir uns bemiibt, an der Hand der Ent-
wicklungsgescbicbte auf dem Wege directer Beobacbtung nacbzu-
weisen , dass das mittlere Keimblatt aus dem Entoblast durcb
Einfaltung eiitstebt und dass die Leibesboble der Wirbeltbiere ein
Enterocoel ist. Unscre Tbeorie findet aber aucb nocb eine wei-
tere Bestatigung in dem anatomiscben und bistologiscben Verbal-
ten einzelncr Organsysteme, welcbe auffallende Analogieen zu den
Einricbtungen der Annelidcn darbieten. Wie friiber werden wir
daber jetzt nocb successive zu betracbten baben: 1. die Leibes-
boble, 2. die Befestigungsweise des Darmkanals, 3. die Musku-
latur, 4. die Gescblecbtsorgane und 5, das Excretionssystem.
1. D i e L e i b e s h 0 b 1 e ist ein grosser, einbeitlicber, zwiscben
Darm und Korperwand gelegeiicr Hohlraum, welcber allseitig gegen
das Blutgcfasssystcni abgescblossen ist. Bei Fiscben und Ampbi-
bien wird sie auf wcite Strecken von einem Flimmerepitbel aus-
gekleidet. In keinem einzigen Falle entwickelt sie sicb aus einem
Zusammenfliessen zablreicber einzelner Spaltriiume im Mesencbym,
sondern erscbeint sebr friib in Form zweier mit epitbelialen Wan-
dungen versebener Siicke, welcbe bald ventralwarts in Communi-
cation treten. Dadurcb stellt sie sicb von Anfang an in Gegen-
satz zu einer anderen Kategorie von Hoblraumen, welcbe im Me-
sencbym der Wirbeltbiere als grossere und kleinere I^acunen zur
Anlage kommen, Tbeile des Lympbgefiisssystems sind und in den ein-
zelnen Staramen der Wirl)eltbicre eine sebr verscbiedenartige Aus-
bildung erreicben. (Subcutane Lympbraume der Amphibien, Aracb-
noideal- und Subaracbnoidealraum des Centraluervensystems etc.).
Die Coelomtheorie. 61
2. Das Darmrohr ist von einem Faserblatt umgeben
unci dui'ch ein Mesenterium dorsal an der Rumpfwand befestigt.
Ein ventrales Mesenteiiuni ist nur gauz voriibergeheud auf friilien
Stadien der Entwicklung vorhanden und schwindet, indem linker
und rechter Coelomsack zu einem einzigen Hohlraum verschmelzen.
3. Die animaleMuskulatur der Wirbelthieremuss
nach ihrer feineren Structur, uach ihrer Anordnung
und Entwicklungsweise zum epithelialen Typus hin-
zugerechnet werden. Ihre eiufachsten Bestandtheile sind feine,
quergestreifte Fibrillen, welche in grosserer Anzahl zu hohercn
Einheiten verbunden sind. Die Fibrillencomplexe, in welchen
immer mehrere Myoblasten als sogenannte Muskelkorperchen nach-
zuweisen sind, nehmen in den einzelnen Classen der Wirbclthiere
verschiedene Formen an, beim Aoiphioxus erscheinen sie als Blat-
ter (Grenacher (141), L anger bans (149)), bei den Cyclosto-
men als Muskelkiistchen (Grenacher (141), Langerhans (148)
Schneider (153)) und bei den iibrigen Classen als Primitivbiin-
del, die mit einem besonderen Sarcolemm umhiillt sind. Ursprung-
lich sind alle Elemente parallel zu einander und in longitudinaler
Richtung voUkommen regelmassig angeorduet, wie es beim Am-
phioxus, bei den Cyclostomen und Fischen an dem grossten Theil
der Muskulatur auch bei dem erwachsenen Thiere nodi der Fall
ist. Erst bei den hohereu Wirbelthieren tritt namentlich in Zu-
sammenhang mit der Entwicklung der Gliedmaassen in der Ver-
laufsrichtung der Muskelfasern eine grossere Complication ein,
welche indessen von dem ursprunglichen einfacheren Verhalten
ableitbar ist.
Noch mehr aber als durch die feinere Structur und Anord-
nung wird die epitheliale Natur der animalen Muskeln der Wirbel-
thiere durcli ihre Entwicklungsgeschichte bewiesen, durch die That-
sache, dass sie vom Epithel des Coeloms wie die Mus-
keln der Chaetognathen und Anneliden abstammen.
Um dies darzuthun, habeu wir auf die Bildung der sogenannten
Urwirbelplatten und Urwirbel zuriickzugreifen.
Wie bei den Wiirmern, so findet auch bei den Wirbelthieren
eine Segmentirung des Korpers statt, die von den Wandungen des
Fnterocoels ausgeht und am Kopfende des Embryo begiunend nach
riickwilrts fortschreitet. Im Unterschied zu den Wiirmern werden
hier aber die beiden Coelomsiicke nicht voUstandig segmentirt,
sondern nur die an das Nervenrohr und die Chorda angrenzen-
den Partieen , welche sich von den lateralen Theilen abschnureii
62 0, und R. Hertwig,
uiid zu den Urwirbelplatten werden. Beim Triton enthalten die-
selben in ilirem Innern eine ziemlich ansehuliche Holiiung, die
nichts anderes als ein abgescbniirter Theii des Cocloms ist (Taf. II
Fig. 11 c). Durch weitere Faltungs- und Abscbniirungsprocessc
zerfallt alsbald noch jede Urwirbelplatte in eine Reibe binter eiu-
ander gelagerter Urwirbel oder Ursegmente (Taf. II Fig. 12 c^).
Ein jedes derartiges Segment erscbeint bei Triton als ein Sack-
chen, dessen Wandung aus einem Epitbel bober cybndriscber Zel-
len, einem directen Abkommling des Coelomepitbels bestebt; bei
Petromyzon ist es solid, indeni seine Wandungen aufeinander ge-
presst sind.
Aus den Urwirbeln nun nimmt die Muskulatur
ihren Ursprung und zwar aus der an das Nerve nrohr
und an dieCbordaangrenzendenEpitbelschicbt, wel-
cbe wir als die myogene bezeicbnen wollen. Ueber den
intimeren Vorgang mogen uns zwei Otjjecte, wolcbe sich nicbt
gleicbartig verbalten, Petromyzon Planeri und Triton taeniatus,
Aufklarung geben.
Bei Petromyzon (Taf. Ill Fig. 14) werden in der rayogenen
Scbicbt die Zellen selir boob und langgestreckt und nebmen die
Form von Flatten an, welcbe in ibrer Mitte einen ovalen blascben-
formigen Kern fiihren und senkrecbt zur Oberfliicbe der Cborda
und des Nervenrobrs in longitudinaler Ricbtung gestellt sind ; nach
der dorsalen und der ventraleu Kante der Urwirbel zu werden die
Myoblasten niedriger und geben so allmablicb in das aussere Epi-
tbel (r) iiber, welcbes an die Epidermis angrenzt, mebr aus cubi-
schen Elementen zusammengesetzt ist und , da es die Lederbaut
bildet, als dermale Scbicbt benannt werden kann. Allc Zellen sind
auf dem vorliegenden Stadium, welcbes neun Tage nacb der Be-
frucbtung eintritt, nocb insgesammt reicblich mit Dotterkornern
erfiillt. Die Ausscbeidung von Muskelfibrillen bat bereits, wenn
auch in geringem Maasse, begonnen. Auf unserer Figur (Taf. Ill
Fig. 14) bemerkt man zwiscben den Seiteuwanden benacbbarter
Myoblasten einzelne glanzeude, in Reibeu angeordnete Korncben (f),
welcbe die Querschnitte feiner Muskelfibrillen sind. Deutlicbere
Bilder erbalt man indessen erst von ausgescbliipften, etwa 2 Wo-
chen alten Larven (Taf. Ill Fig. 16). Bei diesen sind die Myo-
blasten, in welcben die Dotterkorncben aufgebraucbt worden sind,
bedeutend scbmaler geworden. Muskelfibrillen sind in grosserer
Menge zwiscben ibnen ausgescbiedeii und sind zu Blilttern (B)
Yereinigt, welcbe senkrecbt der Cborda und dem Nervenrobr auf-
Die Coelomtheorie. 63
sitzen ; sie scliieben sich wie Scheidewiinde zwischen die Bilduiigs-
zellen hinein, deren ovale Kerne ^Yohl durch stattgehabte Tliei-
luiig an Grosse eingebiisst haben, und lassen filr jene nur schinale
Interstitien zwischen sich frei. Jedes Muskelblatt ist \'on den an-
grenzenden Seitenfliichen zweier Myoblasten erzeugt worden. Dies
gibt sich daran zu erlvennen, dass es sich aus zvvei Lagen feinstcr
Fibrillen zusaramensetzt, welche durch einen zarten Streifen von
Kittsubstanz von einander getrennt sind, und von welchen die eiue
Lage dieser, die andere Lage jener Bildungszelle ihr Dasein ver-
dankt. Die grosse Aehnlichkeit mit den Muskelbliittern der Chae-
tognathen, mancher Nematoden und der Anneliden liegt so klar
zu Tage, dass es geniigt auf dieselbe aufmerksam geraacht zu haben.
An den vorliegenden Praparaten (Taf. Ill Fig. 16) ist ausser-
dem noch sehr deutlich zu beobachten , dass bei den Larven
eine Neubildung von Muskelbliittern fortwiihrend statt hat und
zwar an dem dorsalen und dera ventralen Raude eines jeden Ur-
segmentes. Hier werden die Myoblasten immer niedriger, haben
immer sparlichere Muskelfibrillen zwischen sich ausgeschieden und
stellen endlich rein protoplasmatische, cubische Elemente dar, wel-
che einen Uebergang zu der dermalen Epithellage (r) vermit-
teln , deren Zellen sich jetzt in hohem Maasse abgeflacht haben
und ganz plattenforniig geworden sind. Die beideu Eiinder der
Ursegmente bilden also eine Wucherungszone, vermittelst deren
die Rumpfmuskulatur sich immer weiter dorsal- und ventralwiirts
ausdehnt.
Eine noch vorgeriicktere Phase der Muskelentwicklung zeigt
uns Taf. Ill Fig. 13, welche einem Querschuitt durch eiue 6 Wochen
alte Larve entstammt. Aus den Muskelbliittern sind jetzt Muskel-
kastchen entstanden, wie Schneider (153) die eigenthumlichen
definitiven Structurelemente der Cyclostomen benannt hat. Es haben
sich uiimlich die einander zugekehrten Fibrillenlagen zweier Bliit-
ter, welche von ein- und deraselben Myoblasten gebildet worden
sind, mit ihren Riindern untereinander verbunden, so dass jede
Bildungszelle von den ihr zugehorigen Fibrillen rings umschlossen
wird. Die horaogene Stiitzsubstanz, welche friiher an den Bliittern
nur als feine Linie angedeutet war, hat zugenommen und liefert
^lie Septen (s) , durch welche die einzelnen Muskelkiistchen von
einander getrennt werden. Eine dritte Veranderung endlich beruht
darin, dass die protoplasmatische Grundsubstanz der Myoblasten
fast vollstiindig aufgebraucht worden ist, und dass an ihre Stelle
zahlreiche feine Fibrillen getreten sind, welche das ganze Innere
64 0. und H. Hertwig,
des Kiistchens ausfiillen. Zwischen ihnen sind schi" kleiDe Kerne
vorhandeii, welche auf ein Muskelelement in grosserer Anzahl kom-
men und von dem urspriinglich einfachea Kern sich herleiten miis-
sen. Unter den Fibrillen eines Kastcliens kann man jetzt zwei
verschiedene Arten unterscheiden, 1. Fibrillen, welche den Septen
fest anhaften, und 2. Fibrillen, welche den Binnenraum ausfiillen.
Die mit der Grossenzunahme des Thieres noch weiter eintre-
tenden Veriinderungen sind mehr geringfiigiger Art. Wahrend bei
der Larve die Muskelkastchen noch sehr klein sind, erreichen sie
beim Erwachsenen eine ausserordenllichc Grosse und schliessen zahl-
reiche zu Flatten verbundeue Fibrillen mit zahlreichcn Kernen ein.
Auch tritt jetzt der Unterschied zwischen den beiden Arten von
Fibrillen, den wandstiindigen und den central gelegenen, noch viel
schiirfer hervor, wie dies durch die schonen Untersuchungen von
Grenacher (141) schon langer bekannt und neuerdings auch
wieder durch Schneider (153) bestiitigt worden ist. Die Grund-
substanz zwischen den Kiistchen nimmt ebenfalls successive etwas
an Masse zu und es kommen in ihr sparliche Zellen zum Vor-
schein, welche dem Mesenchym, auf dessen Entstehung wir noch
in dem tiber die Organsysteme handelnden Abschnitt spater ein-
gehen warden, angehoren und in die Septen eingewandert sein
miissen. Auch Blutgefasse nehmen in den Septen ihren Weg.
Mit eiuem Worte, es findet eine Durchwachsung der Bildungspro-
ducte des Coelomepithels und des nur in geringem Grade ent-
wickelten Mesenchyms statt.
An die Muskulatur der Petromyzonten reiht sich in mancher
Hinsicht diejenige des Araphioxus an. Auch bier besteht die Mus-
kelmasse eines Myocomma, wie Grenacher (141) und Langer -
hans (149) schildern, aus rhombischen Flatten longitudinaler Fi-
brillen mit selten aufzufindenden Kernen.
In einer etwas anderen Weise als bei Petromyzon Planed er-
folgt die Entwicklung der Muskelelemente bei Triton
taenia tus. Als Ausgangspuukt wiihlen wir auch hier wieder
die Ursegmente (Taf. 11 Fig. 12 c^), welche einen Hohlraum ent-
halten, und deren Wand aus einer einfachen Schicht grosser cyhn-
drischer Zellen gebildet wird. Die nachsten Stadien lehren uns, dass
in dem Theil des Epithels, welcher an das Nervenrohr und die
Chorda angrenzt, eine lebhafte Zellvermehrung vor sich geht. Hier-
bei verlieren die Zellen ihre urspriingliche Anordnung und Form ;
sie wandeln sich jetzt in longitudinal verlaufende Cylinder um,
seiche die Liinge eines Myocomma erreichen und in grosser An-
Die Coelomtheorie. 65
zahl zu beiden Seiten des Riickenmarks und der Chorda neben
einander geschiclitet sind und den ursprlinglichen Hohlraum des
Urwirbels ganz ausfiillen. An alteren Laiven umgiebt sicli jeder
Cylinder, der in seinem Protoplasma ausser einem Kern auch noch
zahlreiche Dotterplattchen einschliesst, mit einem Mantel feinster
quergestreifter Fibrillen. So erkliirt sich das in Taf. Ill Fig. 15
dargestellte Querschnittsbild. Unregelmassige Ringe von stark
glanzenden Koruchen, den Durchschuitten der Fibrillen (/"), gren-
zen dicht an einander, nur durch eiue minimale Spur von Zwischen-
substanz getreunt. Im Inneren der Ringe beobachtet man Proto-
plasma bald mit einem grossen blaschenformigen Kern, bald mit
mehreren Dotterpliittcben (Taf. Ill Fig. 20).
Ein solclier Muskelcyliuder ist einem Muskelkiistchen der
Petromyzonten zu vergleichen. Auch spielt sich hier wie dort
eine Reihe iihnlicher Veranderungen weiter ab. Je illter die Lar-
ven werden (Taf. Ill Fig. 19), um so mehr werden die Dotter-
plattchen aufgelost und um so mehr Fibrillen werden ausgeschie-
den, welche den Binnenraum des Cylinders allmahlich ausfiillen
und nur in der Axe Stellen frei lassen, in welche die Kerne, die
sich durch Theilung vervielfaltigt haben, zu liegen kommen. Zwi-
schen den Primitivbiindeln, wie wir jetzt die Gebilde auch nennen
ktinnen, nimmt nach und nach die trennende Stutzsubstanz (s) an
iVIasse etwas zu, und spater werden in ihr Zellen und Blut-
gefiisse, welche dem Mesenchym angehoren, wie bei den Petro-
myzonten, sichtbar.
Auch zu diesem Process der Muskelentwicklung konnen wir
ein Pendant bei den Wirbellosen und sogar in dem Stamm der
Coelenteraten nachweisen. Wir crinnern an das Muskelgewebe
mancher Actinien und der Charybdeen (Taf. Ill Fig. 8), dessen
Querschnitte den Ausgangsstadien der Wirbelthiermuskulatur (Taf. Ill
Fig. 15) auffallend ahnlich sind.
Wir resiimiren also kurz die Resultate unserer Untersuchung ^)
dahin : Bei den Wirbelthieren entwickelt sich die
Rumpfmuskulaturaus einem Theil des Coelomepithels
in derselben Weise, wie bei den Actinien aus dem
Entoderm und bei den Chaetognathen und Anneliden
^) Anderen Ortes werde ich auf die Eutwicklung und verglei-
chende Histologie des Muskelgewebes ausfiihrlicher zuriickkommen und
dann auch auf die vielfach abweicheudeu Literaturangabeu (Gotte
[140], Calberla [136] etc.) uaher eingehen. (Oscar Hertwig.)
Bd. XV. N. F. vni, 1. 5
66 0. und R. Hertwig,
aus dem parietalen Blatte des Mesoblasts; es war-
den die einzelnen Elemente vom Mesenchym nacli-
traglich umwaclisen. Die zwei Modificationen des
epithelialen Miiskelgewebes lasseii sich den Muskel-
blatteru und den Priraitivbiindelu der Wirbellosen
ve rgleichen.
4) Eine ausserordentlich werthvolle Stiitze fiir die Theorie,
dass die Leibeshohle der Wirbelthiere ein Enterocoel ist, liefert
das Verhalten der Geschlechtsorgane. "Wie nach den
Arbeiten von Pfliiger (150), Bornhaupt (134), Waldeyer
(154) und zahlreichen anderen Forschern jetzt iiber alien Zweifel
sicher gestellt ist, nehmen die Eier aus dem Coelomepi-
thel ihrenUrsprung und werden erst nachtniglich vom Mesen-
chym, dem Stroma des Eierstocks, umhiillt. Aber auch fiir die
Bildungszellen der Spermatozoen ist es durch die Untersuchungen
von Bornhaupt (134), Egli (137), Semper(152), Braun(135
und Kolliker (144) schon mehr als wahrscheinlich geworden,
dass sie deraselben Boden wie die Eier, dem Keimepithel des
Enterocoels, entstammen, dass sie vom Mesenchym umwachsen
werden und sich erst secundar mit den zur Ausfiihrung dienen-
den Kanalen des Wolif' schen Korpers in Verbiudung setzen. So-
mit herrscht in der Genese der Geschlechtsorgane vollstandige
Uebereinstimmung zwischen den Wirbelthieren einerseits und den
Chaetognathen , Brachiopoden und Anneliden andererseits. Die
Uebereinstimmung aussert sich aber auch noch weiter darin, dass
die Geschlechtsproducte der Wirbelthiere bei ihrer
Reife in das Enterocoel entleert und erst von da durch
besondere Oeiinungen und Kaniile nach Aussen befordert werden.
Mit den Eiern geschieht es Uberall, mit den Spermatozoen wenig-
steus bei einem Theil der niederen Wirbelthiere (Cyclostomen,
Teleostier). Die Entleerung der Geschlechtsproducte in die Leibes-
hohle wird daher als der urspriingliche Zustand, und alle anderen
Arten der Ausfiihrung werden als secundar erworbene Einrich-
tungen beurtheilt werden miissen, wie solche ja auch in den hohe-
ren Abtheilungen der Anneliden sich in der verschiedensten Weise
ausgebildet haben.
5) Das Epithel der Leibeshohle giebt ferner auch
den Mutterboden fur die Excretionsorgane ab, welche
sich aus ihm durch Einstiilpung nach Art anderer Driisen ent-
wickeln. Auf die Uebereinstimmung mit den Einrichtungen der
Anneliden ist schon von niehreren Seiten hingewiesen worden
Die Coelomtheorie. 67
(Semper 152, Balfour 132). Man hat die ursprunglich me-
tainer angeordneten Urnierenkaniilchen mit ihreu Winipertrichtern
den Segracntalorganen oder Sclileifcnkaniilen vcrglichen, wobei in-
dessen zu bemerken ist, dass die Uebereinstimmung nur eine tlieil-
weise ist (Gegenbaur 159, Fiirb ringer 138, 139). Denn bei
den Gliederwiirmern nmudet jedes Segmcntalorgan fiir sich ge-
trennt nach Aussen, wilhrend bei den Wirbelthieren die Urnieren-
kanalchen sich mit einem gleichfalls vom Coelomepithcl durch Eiu-
faltung gebildeten Liiugsstaram, dem Woltf'schen Gang, verbinden
und durch Vermittlung desselben an eiuer cinzigen Stelle ihr Ex-
cret nach Aussen entleeren. Dagegen ist eine weitere Ueberein-
einstimmung noch darin zu erblicken, dass bei Anneliden und
Wirbelthieren die Excretionsorgane in vielen Fallen noch die Neben-
function iibernomnien haben, die Geschlechtsproducte nach Aussen
zu entleeren. Die Vorbedingungeu fiir ein solches Ineinandergrei-
fen der beiden Organsysteme scheiuen uns in ihrem gemeinsamen
Ursprung von dem Epithel des Enterocoels gegebcn zu sein.
Wenn wir die zusammengestellten Thatsachen iiberblicken, so
scheint uns kein Punkt gegeu die Ansicht, dass die Wirbelthiere
Enterocoelier sind, zu sprecheu, viele Punkte dagegen konnen fiir
dieselbe geltend gemacht werden: 1) Die von Kowalevsky
und Hatschek in iibereinstimmender Weise geraach-
ten Angaben iiber die Entwicklung des Amphioxus
lanceolatus; 2) die Anlage des Mesoblasts bei ver-
schiedenen cranioten Wirbelthieren durch eine Ein-
faltung des Entoblasts, welche vom Rand des Urmuudes
aus und zu beiden Seiten des Chordaentoblasts er-
folgt; 3) die Differ enzirungen, welche das Epithel der
Mesoblastsacke erflihrt, Genese derMuskeln aus dem
parietalen Blatt und Structur und Anordnung derselben,
Abstammuug der Gesch lech ts- und Excretionsorgane
aus dem Epithel des Coeloms und die Beziehungen
der beiden Organsysteme zu ein an der und zurLeibes-
hohle; 4) Befestigung des Darms durch ein Mesente-
riura; 5) Unabhiingigkeit der Leibeshiihle vom Blut-
gefasssystem und theilweise Auskleidung mit einem
Flimmerepithel.
6. Die Arthropoden.
Aus den zahlrcichen Untersuchungcn der Neuzeit iiber die
Entwicklung der Arthropoden geht unzwcifelhaft hervor, dass bei
5*
68 0. und E. Hertwig,
den zur Bildung der Keimblatter fiihrenden Processen erheb-
liche Unterschiede in den einzelnen Abtheilungen herrschen, und
zwar scheinen die Unterschiede derart vertheilt zu sein, dass
einerseits sammtliche Crustacean, andererseits sammtliche Trachea-
ten entwicklungsgeschichtlich einander naher stehen. Wenn nun
auch die Verschiedenheiten nicht von so fundamentaler Bedeutung
sind, dass sie nicht auf einander oder auf einen gemeinsamen Aus-
gangspunlit zuriickgefiihrt werden konnten, so geniigen sie doch,
um eine getrennte Besprechung beider Abtheilungen nothig zu ma-
chen; wir beginnen dabei rait den Tracheaten, fiir die wir die
Insekten als typische Reprasentauten wahlen, weil wir uns hier
auf Grund eigener Untersuchungen ein selbstandiges Urtheil bil-
den kOnnen.
Die Frage nach den Keimblattern der Insekten ist lange Zeit
iiber ein Gegenstand lebhaften Streites gewesen. Nachdem Kol-
liker und Zaddach Keimblatter, wie sie von Baer und Re-
ma k bei den Wirbelthieren entdeckt worden waren, auch fiir die
Insekten zum ersten Male nachzuweisen versucht batten, war
Weismann (129) auf Grund sehr ausfuhrlicher und ausgedehn-
ter Untersuchungen iiber die Dipteren zu dem Resultat gelangt,
dass die Keimblattertheorie in keiner Weise auf die Insekten
iibertragbar sei. An diesem Resultate wurde durch die umfang-
reiche Arbeit Metschnikoff's (125) wenig geiindert, da der russi-
sche Forscher, wenn auch selbst zur Annahme von Keimblattern
hinneigend, eine Schichtung der embryonalen Zellen nur in den
Extremitatenanlagen, dagegen nicht im Keimstreif selbst beobachten
konnte. Ein nachhaltiger Umschwung wurde erst herbeigefiihrt,
als Kowalevsky (123) zum ersten Male Querschnitte durch den
Keimstreifen der Insekten legte und damit die Forschung in neue
Bahnen lenkte. Nach Kowalevsky stiilpt sich ein Theil der
Blastodermschicht, welche die centrale Dottermasse umgiebt, in
der ganzen Lange des Embryo auf der spater zur Bauchseite wer-
denden Flache ein und liefert die gemeinsame Anlage fiir das
mittlere und untere Keimblatt; das letztere soil sich links und
rechts von der Mittellinie von dem eingestlilpten Zellenmaterial
in Form paariger Zellenstreifen abspalten, welche erst spater ven-
tral und dorsal zusammenwachsen, den Dotter umhiillen und so
das Darmrohr erzeugen. Die Richtigkeit dieser Darstellung, wel-
cher in vieler Hinsicht auch Hatschek (121) beipflichtete, wurde
in Frage gezogen, als Bobretzky (115) in dem vom Blastoderm
umschlossenen Dotter Zellen nachwies, welche Kowalevsky in
Die Coelomtheorie. 69
seiner BeschreibuDg wenig berucksichtigt hatte. Daher hat denn
auch der neueste Beobachter der Insektenentwicklung Graber
(117, 118) sich dahin ausgesprochen , dass die Dotterzellen der
Entoblast seien, wahrend die Einstulpung alleiii das mittlere Keim-
blatt liefere.
Die Darstellungen von Kowalevsky und von Graber ha-
beu beide etwas Unbefriedigendes. Nach Kowalevsk}^ wiirdeu
wir, wenu wir seine Beobachtungen durch Bobretzky's Entdeckung
der Dotterzellen erganzen, ein Zellenmaterial haben, welches durch
Dotterreichthum ganz an die Entoblastzellen anderer Thiere erin-
nert, sich aber am Aufbau des Korpers auch nicht im Geringsten
activ betheiligt; diese Schwierigkeit wiirde durch Graber be-
seitigt, dafiir aber die neue Absonderlichkeit eingetauscht werden,
dass eine Einstulpung, welche ausserordentlich mit der Gastrula-
einstiilpung der iibrigen Thiere iibereinstimmt, Nichts zur Bildung
des Entoblasts beitriigt, sondern allein das mittlere Keimblatt lie-
fert. In beiden Fallen wiirde es unmoglich sein , die Keimblatt-
bildung der Insekten auf die der iibrigen Thiere, die nahe ver-
wandten Crustaceen nicht ausgenommen, zuriickzufiihren. Das al-
lein ist schon geniigend um zu zeigen, dass die Beobachtungen nicht
erschopfeud sind , eine Ansicht, von deren Richtigkeit wir uns im
Laufe dieses Sommers durch eigene Untersuchungen iiber Schmet-
terlinge und Kafer haben iiberzeugen konnen. Wir haben dabei
nachweisen konnen, dass die Bildung der Keimblatter bei den In-
sekten principiell sich in derselben Art vollzieht, wie bei den
Wirbelthieren und anderen Enterocoeliern, und werden dies durch
eine kurze Uebersicht unserer Ergebnisse jetzt naher begriiuden.
Aus den friihesten Stadien der Insektenentwicklung , auf die
wir hier nicht naher einzugehen brauchen, sind zwei Momeute fur
uns von Bedeutung, welche beide mit dem relativen Reichthum
an Dottermaterial zusammenhangen. 1. Das Ei zerfallt ausseror-
dentlich spat in die Furctiangskugeln, besonders spat zerfallt der
centrale dotterreiche Theil, welcher nicht etwa bloss die Bedeutung
eines unorganisirten Nahrmaterials besitzt, sondern einen Theil
der Embryonalzellen repriisentirt und sich am Aufbau des Em-
bryo betheiligt, wie dies fiir den Dotter der Vogel, Reptilien,
Fische, Cephalopoden , also fiir alle analogen Falle erwiesen ist.
2. Das Ei ist jederzeit solid ; nach Ablauf der Furchung fehlt die
Furchungshohle, ja selbst spater ist der fertige Darm noch von
Dottermaterial vollkommen erfiillt, und nur die vom Ektoblast
eingestiilpten Theile, der Anfangsdarm und der Enddarm, lassen
70 O. und E. Hertwig,
ein Lumen eikeiiucn. Audi diu Leibeshohle ist lange Zeit liber
YOU Dotterzellen erftillt.
Das an zweiter Stelle genanute Moment ist ganz besonders
wichtig fiir die Beschatfenheit der von Kowalevsky entdeckten
Einstiilpung, mit welchcr wir unsere zusammenhiingende Darstel-
lung beginnen woUen, und die wir kein Bedenken tragen in jeder
Beziehung der Gastrulaeinstiilpung der iibrigen Thiere zu verglei-
chen. Die Gastrulaeinstiilpung ist niimlich solid, was ein genaue-
res Studium ihrer Zellenlagen nicht unwesentlicli erscliwert; doch
lielfen hinreichend feine Sclinitte (lurch den Keimstreifen senkrecht zu
dem als Langsspalte ersclieinenden Gastrulamund iiber die Schwierig-
keit hinweg. Die hierbei erlialtenen Bilder zeigeu auffallige, in be-
stimmten Intervalleu, wahrscheinlich segmentweise, wiederkehrende
Verschiedenheiten. Bald besteht die Einstiilpung nur aus einer
einzigen Zellenlage, die vom Urmund aus nach links und rechts
sich zwischen Dotter und Ektoblast einschiebt(Taf.nFig. 1 u. 2 Jfe),
bald wiederum schlagt sich die Zellenlage an ihren beiden Kan-
deru um und erzeugt so eine zweite unmittelbar an den Dotter
grenzende Schicht, welche aber in der Mitte unter dem Gastrula-
mund eine Unterbrechung hat (Taf. II Fig. 3). Das letztbeschrie-
bene Bild wird stets angetroli'en bei Aveiter vorgeschrittenen Ent-
wicklungsstadien.
Die Gastrulaeinstiilpung ist somit nicht, wie wir sie sonst zu
beobachten gewohnt sind, ein mit Ausnahme des Urmunds vollig
geschlossener Sack, sondern besitzt eine am Grund der Einstiilpung
gelegene bald weitere bald engere Oeffnung. Die Oefiiiung wird
durch den Dotter geschlossen, welcher anfiinglich noch eine ein-
zige vielkernige Riesenzelle ist, spiiter in ein Multiplum von zahl-
reichen kleineren Dotterzellen zerfallt, Diese Wahrnehmung ist
fiir die Beurtheilung der Insektengastrula von grosser Bedeutung,
da sie lehrt, dass die dotterarmen kleinen Zellen, welche in ihrem
Aussehen mit den Elementen des Blastoderms ubereinstimmen,
nicht fiir sich allein die Gastrulaeinstulpung bilden, sondern in
dieser Function durch die Dotterzellen ergiinzt werden. Beiderlei
Zellen gehoren somit zusammen und reprasentiren gemeinsam den
priuiaren eiiigestiilpten Entoblast.
Gegeu diese Auffassungsweise kounte ein Ein wand aus dem
verschiedcnen Charakter der Zelleu, welche an der Zusammenset-
zung des soliden Urdarms Theil habeu, erhobeu werden, weil die
einen dotterreiche grosse Gebilde mit grossen Kernen sind, die
anderen dagegeu rein protoplasmatische, kleiue Korper haben. Al-
Die Coelomtheorie. 71
leiu dieser Einwaud ist uicht stichhaltig, da die durch den Dot-
terreichtliuni bedingteu Verschiedenheiteu keineswegs fiir die nior-
phologische UuterscheiduDg der Embryoualzellen vou der Bedeu-
tung sind, welclie mau ihuen vielfach beizumessen geneigt ist.
Die Anhaufung von Dotterplattchen im Keim ist eine enibryonale
Anpassung, welclie sich bei zunehmender Complication des thieri-
sclien Baues geltend macht, wenn die Zellen des Embryo von der
Nahruugszufulir vou aussen abgeschuitten sind und gleichwohl eine
grosse Manuichfaltigkeit morphologischer und histologisclier Differen-
zirungen zu lieferu habeu. Die Art, iu welcher daun das Dotter-
uiaterial auf die embryonaleu Zelleu vertheilt wird, kauu sehr ver-
schiedenartig sein, weun auch eine gewisse Gesetzmiissigkeit sich
uicht verkennen lasst. Im Allgemeiueu kann mau sagen, dass mit
der Zuuahme des Dotters derselbe sich mehr und mehr auf be-
stimmte Zellen beschraukt. Anfauglich auf alle Zellen nahezu
gleichmassig vertheilt, giebt er zunachst den Ektoblast Preis, spa-
ter auch den Mesoblast und hiiuft sich zuletzt in den Zellen des
Darmdrusenblatts an, welche ihrer ganzen Bestimmuug nach am
meisten zu Eruahrungsorganen taugen. Schliesslich tritt auch
zwischen diesen wieder eine Sonderung ein, indem uur ein Theil
mit Dottermaterial beladeu und bei der Eurchung lauge Zeit iiber
zu einer einzigen grossen Riesenzelle vereiuigt bleibt, wahrend ein
anderer Theil iu seiner Beschaffenheit sich mehr den Mesoblast-
und Ektoblastzelleu anschliesst. Diese Vorgiinge, fiir die es nicht
schwer fallt, beweisende Beispiele namentlich in der Classe der
Wirbelthiere ausfindig zu macheu, lehren, dass wie im Allgemei-
nen so auch im vorliegenden Falle bei den Insekten keiu Grund
dazu vorliegt, Zelleu von verschiedeuem Gehalt an Dotterplatt-
chen nicht zu demselben Keimblatt zu rechnen.
Der Antheil, welchen die Dotterzellen an der Gastrulaeinstiil-
puug besitzen, tritt auf den weiteren Stadien der Entwicklung
uoch klarer hervor. Je mehr der Keimstreifen in Folge fortge-
setzten Wachsthums an Breite zunimmt, um so mehr dehnt sich
auch die Gastrulaeinsttilpung nach links und rechts aus, wahrend
sich der Urmund schliesst (Taf. Ill Fig. 6). Dabei erweitert sich
am Grund der Gastrulaeinstiilpung die Stelle, in deren Bereich
die Dotterzellen zur Begrenzung herangezogen werden. Der lib-
rige, von kleinen protoplasmatischen Zellen gebildete Theil der
Einstiilpung lasst deutlicher als bisher seine Zusammensetzung aus
zwei Blattern erkennen. Das eine Blatt, das Hautfaserblatt (Me'^),
grenzt an den Ektoblast, mit dem es frllher, als noch der Urmund
72 0. und R. Hertwig,
existirte, ziisammeiiliing; es verdickt sich bedeutend , indem seiue
Zellen durch Theiluug eiue vielschiclitige Masse lieferii, und geht
links und reclits durch UmscUag in das zweite B\sitt(Me^) oder das
Damifaserblatt tiber, welches sich vor ihm stets durch seine Ein-
schichtigkeit auszeichnet. Das Darmfaserblatt ist durch die Dot-
terzellen unterbrochen und besteht daher aus paarigen Anlagen,
zwei schmalen Streifen von kleineu Cylinderzellen. Beide Blatter
liegen nicht mehr fest gegeneinander gepresst, indem Dotterzellen
sich zwischen sie hineingedriingt haben und den so entstandenen
Zwischenraum , der spater zur Leibeshohle wird, ausfiillen. Das
Darmdrusenblatt endlich wird zuniichst noch durch die Dotterzel-
len reprasentirt , bildet sich aber durch Umwandlung derselben
bei fortschreitender Entwicklung ebenfalls zu einer Schicht klei-
ner protoplasmatischer Zellen urn. Die Art, wie dies geschieht, lasst
aufs Neue die innigen Beziehungen erkennen, in denen die durch
verschiedenen Dotterreichthum uuterschiedeneu Theile der Gastrula-
einstiilpung zu einander stehen.
Die Umwandlung der Dotterzellen wird durch eine Auflosung
der Dotterkornchen eingeleitet; es entste'ht so eine homogene,
wenig kornige Masse mit zahlreichen eiugestreuten Zellkernen,
welche von wenig Protoplasma umgeben werdeu. Der Process be-
ginnt an den freien Randern des Darmfaserblatts , dehut sich von
hier aus in der ganzen Peripherie der Dottermasse aus und er-
greift besonders alle ventralen, zwischen Darm- und Hautfaserblatt
gelegenen Partieen in grosser Ausdehnung.
Im Bereich der uragewandelten Dotterzellen und oifenbar in
Folge einer weitereu Metamorphose derselben treten die ersten
Zellen auf, welche die bleibende epitheliale Auskleidung des Darm-
canals, eine Schicht kleiner Cylinderzellen, zu bilden bestimmt sind
(Taf. Ill Fig. 4 En). Anfangiich sind es ihrer nur einige wenige
und diese liegen dorsal vom Darmfaserblatt, dicht an dasselbe an-
gefiigt; allmahlich jedoch gesellen sich neue Elemente zu den vor-
handenen, bis sich endlich in jeder Hiilfte des Reims im Anschluss
an die hier gelegeue Halfte des Darmfaserblatts ein Polster von
Cylinderzellen (En) entwickelt hat. Bei seiner Umwandlung zu einer
Epithelschicht stcllt sich uns somit das Darmdrusenblatt analog
deni Darmfaserblatt als eine paarige Anlage, als ein rechter und
ein linker Zellstreifen, dar.
Die Zellstreifen beider Blatter wachsen nun nach der Mittellinie
zusammen und vereinigen sich zur Bildung eines einfachen Darmfa-
serblatts (Me^) uudDarmdriisenblatts (En) (Taf. Ill Fig. 5). Der Weg,
Die Coeloratlieorie. 73
welchen sic hierbei uehmen , geht quer durcli das Dottermateritil
liindurch, welches so in zwei Theile zerlegt wird, eineii veutra-
leii kleiuercn und eiueu dorsalen grosseren. Ersterer fiillt einen
Raum aus, welcher spiiter zur Leibeshohle wird, imd cnthalt nur
Zellen, welche die oben beschricbene Metamorphose erlitten haben ;
letzterer gelaugt spater ganz in den Darin und ist fast nur aus
gewohnlicheu Dotterzellen zusammengesetzt.
Auf dcm zulctzt besprocheuen Entwicklungsstadium , wel-
ches iibrigeus sehr weit vorgeschritten ist, und auf dem sich
schon viele Organe des Insekts angelegt haben, sind zum ersten
Mai alle Keimblatter als gesonderte Zellschichten erkeunbar. Das
iiussere Keimblatt bildet die Korperbedeckung und die Embryo-
nalhiillen, das mittlere Keimblatt gliedert sich in zwei Zellschich-
ten, das stark verdickte Hautfaserblatt und das einschichtige, quer
durch den Embryo ziehende Darmfaserblatt ; mit letzterem ist das
Darnidriisenblatt , ebeufalls eine quere Zellschicht, fest verbun-
den. Die weitere Entvvicklung besteht nun darin, dass die fliichen-
haft ausgebreitete , zweischichtige Darmwand sich dorsalwiirts zu
einem rings geschlossenen, von Dotterzellen vollkommen erftillten
Darmrohr zusammeukriimmt. Dabei muss das beiderseits mit dem
Darmfaserblatt zusammenhiingende Hautfaserblatt ebenfalls nach
dem lilicken emporwachsen , bis sich Haut- und Darmfaserblatt
der linken und rechten Seite vereinigen ; es kommt dann voriiber-
gehend zur Bildung eines dorsalen Mesenteriums.
Die kurze Darstellung von der Genese der Keimblatter,
der Leibeshohle und des Darmkanales, ftir welche spater die Be-
weise in einer ausfiihrlichereu Darstellung der Insekten-Entwick-
lung beigebracht werden sollen, bedarf einiger erlautcrnder Bcmer-
kungen, welche die Beziehungen zur Entwicklungsweise auderer
Thiere in das Auge fassen. Zu dem Zweck miissen wir die prin-
cipiell wichtigen Charakterzuge von den secundar hinzugetretenen,
die palingenetischen Vorgange von den cenogenetischen zu trennen
suchen.
Wie in so vielen anderen Fallen, so ist es auch bei den In-
sekten die ausserordentliche Anhaufung des Dotters, welche den
Entwicklungsgang modificirt und ihm das fremdartige Geprage
verlieheu hat. Eine Folge davon ist der Mangel jeglicher Hohl-
raume, da aller Raum im Ei vom Dotter in Anspruch genommen
ist. Wie wir schon friiher die Furchungshohle und Gastrulahohle
vermissteu, so haben Avir jetzt den Mangel eines Lumens fiir den
Darm und die Leibeshohle kennen gelernt, welche beide von Dot-
74 0. und R. Hertwig,
termaterial ausgefiillt siiid. Wenn wir uns dasselbe gauz entfernt
Oder an Menge bescliraukt denken, so kommen wir zu dem Er-
gebuiss, dass die Raume, welche sich spater zur Leibesliohle und
zuni Darmrohr gestalten, lange Zeit mit einander zusammenhan-
gen; dies wird besonders klar dadurch illustrirt, dass ein Theil
der Dotterzellen vom Darin aus in die Leibesliohle ragt und in
diese beim Verschluss der Communication aufgenommen wird (Taf. II
Fig. 4, 5).
Eine zweite Folge aussert sich darin, dass ausserordentlich
langsam das Darmdriisenblatt den Charakter einer epithelialen
Zellenschicht annimmt, indem es ganz allmahlich auf Kosten der
Dotterzellen durch Aneinanderfiigung von Zelle an Zelle wachst.
Wiirden die Dotterablagerungeu fehlen, so miisste das Darmdrii-
senblatt gleich von Anfang an als ein Epithel vorhanden sein,
und kann es nur fraglich sein, welche Anordnung dann das Darm-
drusenblatt wohl zeigen wiirde.
Da die ersten Zellen an den Enden des Darmfaserblatts auf-
treten, so hat die Annahme grosse Wahrscheinlichkeit fiir sich,
dass das Darmdriisenblatt urspriinglich eine directe Fortsetzung
dieser Zellenschicht war. Eine solche Annahme wiirde auch mit
der friiher hervorgehobeneu Beobachtung tibereiustimmen, dass die
das Darmdriisenblatt reprasentirenden Dotterzellen in den ersten
Stadien der Gastrulaeinstiilpung den zum Mesoblast werdenden
Theil der Einstiilpung erganzen. Wir wiirden daher urspriing-
liche Zustande erhalteu, wenn wir uns die Zellschicht, welche wir in
Taf. Ill Fig. b (En) zum ersten Male als Repriisentanten des Darm-
driiseublatts auftreten schen, rings um den Dotter vervollstandigt
diichten. Das Bild, welches dann entstehen wurde, haben wir in
eiuem Schema (Figur 8) dargestellt. (Um die Vergleichung des
Schema's und der Figur 5 zu erleichtern, haben wir einen Theil
des Darmdriisenblatts als aus Dotterzellen bestehend gezeichnet.)
Wir sehen auf dem Schema, dass das Hautfaserblatt (Me^J jeder
Seite in das Darmfaserblatt (Me'^J und dieses wiederum in das
Darmdrusenblatt (En) umbiegt.
Das aber ist im Wesentlichen die Anordnung und das Lage-
verhiiltniss der Keimblatter, wie wir es bei den Chaetognathen
kennen gelernt haben. Da ausserdem Leibeshohle und Darmcanal
lange Zeit mit einander conimuniciren , so werden wir von zwei
verschiedenen Seiten aus zu dem Resultat gefiihrt, dass bei den In-
sekten die primitive Gastrulaeinstulpung sich durch Einfaltung in
drei Theile sondert, einen medialen, den bleibenden Darm, und
Die Coelomtheorie. 75
zwei laterale, die Leibeshohlensacke. Die ersten Spuren der Eiu-
f.iItUDg wiirden iu der Entwicklungsgeschichte weit zAiriickzuver-
legen sein. Denn schoii kurz nach der Gastrulabildung tritt die
umgesclilagene Zellenscbiclit auf, welclie die Anlage des Darm-
faserblatts ist; von Anfang an zeigt dieselbe eine segmentale An-
ordnung, was damit zusaramenhangt, class die Gliederuug bei den
Arthropod en sehr friibzeitig bemerkbar wird.
Die Eesultate, welcbe wir bei den Insekten erzielt baben, las-
sen sich unserer Ansicbt nach auch auf die Arachniden und
Myriapoden iibertragen. Fiir erstere stiitzen wir uns auf die Un-
tersuchungen Balfour's (111), welche gezeigt hal)en, wie gross
die Aehnlichkeit in der Keimblattbildung bei Arachniden und In-
sekten ist. Auch hier finden wir eine Gastrulaeinstiilpung, welche
allein zum Mesoblast werden soil, und eine Masse Dotterzellen,
in wclcben der englische Forscher die Anlagen von Darni und Le-
ber erblickt. Leider erfahren wir aber nicht, in welcher Weise
sich die Dotterzellen in das Darmepithel uiubilden,
Ueber die Myriapoden liegen nur die Beobachtungen von
Metschnikoff (12(j, 127) und Stecker(128) vor. Ersterer hat
den Verlauf dor Entwicklung verfolgt, so weit es ohne Anwendung
von Reagentien geht; seine Beschreibung macht es wahrscheiu-
lich, dass die Bildung der Keimblatter im Wesentlichen nach dem-
selben Princip erfolgt wie bei den Insekten. Ganz anders lauten
die Angaben Stecker's, welche uns aber, obwohl auf Querschnitten
basirend, keinen Vertrauen erweckenden Eindruck machen.
Ueber die Keimblattanlage der Crustaceen endlich mogen
hier nur wenige Worte eingeschaltet werden, da wir keine (Jele-
genheit batten, sie selbst zu untersuchen. Fiir die Decapoden
lehren ubereinstimmend die Beobachtungen von Bobrctzky (114),
Haeckel (162=*) und Mayer (124), dass die Gastrulaeinstiilpung
den Darni liefert; dabei tritt nur insofern eine Complication ein, als
das Dottermaterial eine Zeit lang als eine acellulilre Masse zwi-
scben Ektoblast und Entoblast im Centrum des Eies liegt und
erst spiiter von den Entoblastzellen aufgenommen, gleichsam auf-
gefressen wird. Die anfanglich unansehnliche, kleinzeUige Gastrula-
einstulpung wird dadurch zu einer umfangreichen , von Cylinder-
zellen umgrenzten Blase. Der Mesoblast entsteht im Umkreis des
Gastrulamundes als ein solider Zellenhaufen, der erst spater in
Darmfaserblatt und Hautfaserblatt zerfallt. Die Entwicklungsge-
schichten der Crustaceen und Tracheaten ergimzen sich daher ge-
wissermaassen, indem in der einen die Betheiliguug der Gastrula-
76 0. und R. Hertwig,
einstiilpung am Aufbau des Darms, in der anderen ihre Bedeu-
tiiiig fiir die Bildung des mittleren Keimblatts deutlicher zu er-
kennen ist, Der Grund zu der Verschiedenartigkeit ist wohl in
dem wechselnden Verhalten des Dotters zu sucheu, welcher bei
den Insekten wie ein Ballast die Entfaltung des Darradrusen-
blatts behindert, wahrend er bei den Crustaceen eine Zeit lang
aus der Entwicklung ausgesclialtet wird und zwischen Ektoblast
und Entoblast als eine zellenlose Masse liegt.
Nach der Art, wie sich ihre Keimbliitter differcnziren , geho-
ren die Artliropoden zu den Thieren, welche wir als Enterocoelier
zusammengefasst haben, Dasselbe lehrt audi die Betrachtung der
iibrigen, zum Theil anatomischeu, zuni Theil entwicklungsgeschicht-
lichen Merkmale, deren Bedeutung fiir die aufgeworfeneu Eragen
urn so mehr in den Vordergrund tritt, je raehr wir sie durch die
einzelnen Thierabtlieilungen hindurch verfolgen.
Alle Arthropoden besitzen eine gerauraige Leibeshohle, wel-
che sich schon friihzeitig als ein zusammenhaugender Raum zwi-
schen dem Darm- und Hautfaserblatt bemerkbar macht. Wenn
auch beim ausgebildeten Thier der Darm frei durch diesen Raum
verliiuft, so existirt doch in der Entwicklungsgeschichte ein Sta-
dium, wo er mittelst eines dorsalen Mesenteriums an der Korper-
wand befestigt ist, Freilich ist die durch das Mesenterium be-
dingte unvollstandige Trennung der Leibeshohle in eine linke und
rechte Halfte nur von kurzem Bestand, indem sie schon wahrend
des embryonalen Lcbens wieder verloren geht.
Die Korpermuskulatur zeigt den fibrillaren Bau, insofern jede
Muskelfaser ein Multiplum quergestreifter Fasercheu ist, zu einer
Einheit verbunden durch das gemeinsame Sarkoiemm; sie stammt
ferner von dem Hautfaserblatt und somit indirect vom primiiren Ento-
blast ab. Ob es ferner wird moglich sein genetische Beziehun-
gen zum Epithel der Leibeshohle nachzuweisen , muss sehr zwei-
felhaft erscheinen. Denu gerade in der Anordnungsweise der Musku-
latur bewahren die Arthropoden nicht ira entferntesten so ursprung-
liche Zustande, wie die meisten anderen Enterocoelier, z. B. selbst
die niederen Wirbelthiere. Schon der Peripatus capensis, welcher
wohl unter alien Arthropoden den gegliederten Wiirmern am nach-
sten steht, hat einen complicirten Muskelverlauf.
Endlich ist noch von Bedeutung die Entstehung der Geschlechts-
organe; schon ziemlich friih sind dieselben erkennbar als einzelne
wenige Zellen, die im Mesoblast gelegen die iibrigen Zellen des-
selben an Grosse wesentlich tibertreffen und unter ihnen auch durch
Die Coelomtheorie. 77
ihre rundliche Gestalt auffallen. Sie driingen sich im Laufe der
Entwicklung mehr und inehr zusaramen und bilden einen anfiing-
lich laiiggestreckten spater ovalen Korper ganz dicht vor der Stelle,
wo der Hinterdarm und der Mitteldarm zusammentreffen. Auf
Querschiiitten sieht man sie in dem Winkel, in welchem Hautfa-
serblatt und Darmfaserblatt zusammenstossen, in die Leibeshohle
vorspringen. Die grossen Urzellen der Geschlechtsorgane sind von
kleinen epithelartigen Zelleu auf ihrer Oberflache iiberzogen und
durch ahnliclie Zellen auch von einander getrennt. Da anfanglich
der Darm rinnenformig ist und den dorsalen Verschluss vermissen
lasst, liegen die Geschlechtsorgane der beiden Seiten weit aus
einander; erst spater, wenn Darmdriisenblatt und Darmfaserblatt
sich empor krummen und von beiden Seiten dorsal zusammenwach-
sen, waudern auch die Geschlechtsorgane einander entgegen und
nehmen ihren definitiven Platz dicht beiderseits der Mittellinie
auf der Riickseite des Darms ein.
Auf friihen Stadien der Entwicklung zeigen somit die Ge-
schlechtsorgane der Arthropoden noch nicht die rohrige Beschaf-
fenheit, die ihnen spater zukonimt; sie sind durchaus solide Kor-
per und gleichen hierin sowie auch in der Art der Eutstehung
ausserordentlich den ersten Anlagen, welche wir von den Ova-
rien der Chaetognathen kennen. Die Umbildung zu Rohren hangt
mit der Entwicklung der Ausfiihrwcge zusammen, ein Puiikt, auf
den wir hier nicht weiter einzuarehen brauchen.
II. Der Einfluss der verschiedenen Entwicklungsweise des
P/lesoderms auf den Charakter der Organe.
Der Versuch, die Mesodermbildung im gesammten Thierreich
von allgemeinen Gesichtspunkten aus zu beurtheilen, hat uns dazu
gefiihrt, zwei grosse Gruppen aufzustellen, in welchen der fiir die
Organisation so hochwichtige Vorgang sich in verschiedener Weise
vollzieht. Ob die Gruppen uberall richtig umgrenzt sind oder ob
etwa einigen Abtheilungen , deren Bau und Entwicklung zur Zeit
noch ungeuiigend bekannt sind, wie z. B. den Nematoden, eine an-
dere Stellung wird anzuweisen sein, daruber moge die Entschei-
dung der Zukunft tiberlassen bleiben; das Gegebene kann ja nur
als ein von einer bestimmten, allgemeinen Auffassung aus unter-
noramener Versuch gelten, der im Einzelnen noch der Verbessq-
78 0. und R. Hertwig,
rung bediirfen wird. Uiis kam es vor alien Dingen darauf an,
die Berechtigung und Durclifiihrbarkeit unserer Grundanschauun-
gen im Grossen und Ganzen darzuthun nnd den Beweis zu fiihren,
dass (lurch das gesammte Thierrcich hindurch sicli ein Gegensatz
in der Mesodermbildung verfolgen lasst, ein Gegensatz, welcher alle
spateren Entwicklungsstadien beeinflusst und sich im Bau und in der
Entwicklung der wichtigsten Organsysteme wiederspiegeit. Der
zuletzt erwithnte Punkt, der Einfluss der Mesodermbildung auf den
Charakter der Organe, wird uns noch klarer werden, wenn wir an
die Betrachtung der einzelnen Thierabtheilungen nun auch eine
Betrachtung der einzelnen Organssysteme anschliessen und dabei
zeigen , wie fast ein jedes Organ an dem tief greifenden Gegen-
satz, welcher im Bau und in der Entwicklung zwischen Eutero-
coeliern und Pseudocoeliern besteht, seinen Antheil hat. Die Organ-
systeme, um welche es sich hierbei handelt, sind folgende: die
Leibeshohle und das Blutgefiisssystem , die Geschlechtsorgane und
die Excretionsorgane, die Muskulatur und das ^Jervensy stem. Einige
einleitende Worte tiber mesenchymatose und epitheliale Gewebe
mogen vorausgeschickt werden , um bestimmte Verschiedenheiten,
welche fast uberall wiederkehren, im Zusammeuhang zu erlilutern.
1. Epithel und Mesenchym.
An der elementaren Zusammensetzung des thierischen Kor-
pers betheiligen sich zwei verschiedene Gewebsformen, das Epithel
und das Mesenchym , welche beide in eiuem ausgesprochenen Ge-
gensatz zu eiiiander stehen. Im Epithel sind die einzelnen Zellen
unmittelbar fest zusammen gelagert und zu regelmassigen Schich-
ten verbunden; im Mesenchym dagegen ist der Zusamnienhang
und die regelmiissige Anordnung aufgehoben ; die Zellen , welche
ihre iiussere Form nun verschiedenartiger gestalten konnen, sind
fiir sich isolirt und durch mehr oder minder reichliche Intercellu-
larsubstanz getrennt. Das Epithel dient hauptsachlich zur Be-
grenzung der Oberfliichen des Korpers, wiihrend das Mesenchym
sich mitten zwischen die Epithelschichten ergiesst und ihnen zur
Verbinduug und zur Stiitze dient. Jeues ist die urspriingliche
Gewebsform, dieses aus ihm entstauden, indem einzelne Zellen sich
von den ilbrigen losgelost haben. Daher giebt es auch Thiere, wel-
che im cntwickelten Zustande weiter nichts als histologisch ditie-
renzirtc Epithellamollen sind, wie unter den Coelenteraten die Hy-
droidpnlypen und die Medusen , deren Ektoderm und Entoderm
Die Coeloratheorie. 79
durch eine einfache zellenfreie Stiitzlamelle getrennt werden , oder
unter den Wiirmern die Chactognathen und viele Nematodeii, wel-
cheii ja gleichfalls in ihrcm Korper jede Spur eines Bindegewebes
fehlt. Nur sehr gering entwickelt ist endlich das Mesenchym bei
den Anneliden.
Je nachdem in den einzelnen Thierabtheilungeu die epithelia-
len oder die mesenchymatosen Gewebsfornien uberwiegen, wird ihre
feinere Structur und selbst ihre grobere Anatouiie aiich ein ver-
iludertes Aussehen gewinnen. Im Allgemeiueu kann man hier sagen,
dass bei den Thieren unserer ersteu Abtheilung die mesenchy-
matose Gewebsentwicklung in den Vordergrund tritt, die epithe-
liale dagegen bei den Euterocoeliern , bei welclieu durch den Ein-
faltungsprocess des Eutoblasts eine so ganz bedeutende Vergrosse-
rung der epithelialen Korperoberflache geschaifen wird. Zuweilcn
ist der hierdurch verursachte Gegeusatz ein sehr auffalliger, wie
zvvischen Turbellarien , Plathehninthen , Molhisken einerseits und
Chaetognathen, Anneliden, Nematoden andererseits. Doch kann
der Gegensatz auch vvieder dadurch mehr verwischt werden, dass
bei den Enterocoeliern neben einer reichen epithelialen eine stark
mescuchymatose Gewebsentwicklung eiuhergeht, wie in den hoheren
Classen der Wirbelthiere.
Es scheint uns hier der Ort zu seiu, mit einigen Worten auch
auf die Art und Weise einzugehen, wie sich das Mesenchym in
einzelnen Thierstammen nach Ort und Zeit verschieden anlegt. In
manchen Fallen erscheint es schon auf dem Blastulastadium. Bei
den Seeigeln zum Beispiel wandern die Mesenchymkeime, noch
ehe die Gastrula gebildet ist, aus dem Epithel an der Stelle, wo
bald die Einstiilpung erfolgt, in den Galiertkern aus (Taf. I Fig. 9).
Bei Alcyonium palmatum entwickelt sich das Mesenchym nach den
Angaben von Kowalevsky (7) auf dem Gastrulastadium vom
Ektoblast aus. Zwei grosse dotterreiche Zellen, die links und rechts
vom Urmund gelegen sind, geben ihm bei den Molluskeu den Ur-
sprung, wenn wir den Angaben von Rabl (G8. 69) und Hat-
schek (59) folgen, wiihrend Fol (53—57) sich hie und da Zel-
len aus dem Ektoblast abspalten lasst, nachdem die Gastrula
gebildet ist. Die pelagischen Larven der Anneliden (Taf. I
Fig. 6) zeigeu friihzeitig ein Mesenchym, iiber dessen Genese
aus dem Ektoblast oder Entoblast uns noch keiue Beobachtungen
vorzuliegen scheinen. Bei anderen Anneliden mit directer Ent-
wickluug tritt es erst nach Bildung der beiden Mesoblaststreifen
auf. Auch in der Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere wird
80 0. und E. Hertwig,
es relativ spilt angelegt, zu einer Zeit, wo schon parietales und
viscerales Blatt des Mesoblasts eingestiilpt und sogar die Chorda
schon vorhanden ist. Hier wandern dij Mesenchymzellen, — we-
nigstens ist es so bei den Cyclostomeu, Elasmobranchiern und Am-
jjhibien — aus dem Mesublast in der Umgebung der Chorda aus,
um welche sie eine Scheide forrairen. Ob nun allein von hier aus
das Mesenchym selbstiindig wachsend sich weiter ausbreitet und
den ganzen Korper durchdringt, oder ob audi an anderen Orten
sich Zellen aus dem epithelialen Verbande loslosen und in eine
Zwischensubstanz einwandern, ist vor der Hand nicht naher zu
beantworten. Im Ganzen ist eben die Entwicklungsgeschichte die-
ses Gevvebes uoch zu wenig bekannt; imr so viel sehen wir, dass
es in den einzelnen Thierstammen 1. aus verschiedenen Keimblat-
tern abstammt, (Coeleuteraten, Echinodermen , Wirbelthiere) und
2. auf sehr verschiedenen Stadien der Entwicklung in die Erschei-
nung tritt. Einmal aber gebildet dringt es iiberall zwischen die
Epithellamellen und die aus ihrer Differenzirung cntstandcnen Pro-
dukte ein, sie umhUllend, verbiudeud und stiitzend.
2. Das Blutgefasssystem und die Leibeshohle.
Bei unseren Betrachtungen haben wir Leibeshohle und Bhit-
gefasssystem in einem gemeinsamen A.bschuitt zusamuieugefasst,
weil sich liber das gegenseitige Verhaltniss beider Theile schon
seit liingerer Zeit auf vergleichend anatomischem Wege die weit
verbreitete Anschauungsweise ausgebildet hat, dass beide auf eine
gleiche Uranlage zuriickfiihrbar seien. In seiueu Studien zur Ga-
straeatheorie (162 p. 42) aussert sich Haeckel hieriiber folgeu-
dermaassen : „Wir haben bereits gezeigt, dass Blutgefasssystem und
Coeloni in untrennbarem Zusammenhang stehen, und dass die wahre
Leibeshohle oder das Coelom geradezu als der erste Anfang des
Gefasssystems zu betrachten ist. Erst nach eingetretener Ent-
wicklung des Darmfaserblattes bildete sich mit seiner Ablosung
von dem anhaftenden Hautfaserblatt zwischen diesen beiden Mus-
kelblattern eine Hohle, welche sich mit dem durch die Darmwand
transsudirenden Chylus fiillte. Das war das Coelom in seiner ein-
fachsten Gestalt, und erst spiiter hat sich dieses Haemochylussy-
stem oder primordiale Urblutsytem in zwei verschiedene Saftsy-
steme difterenzirt, in das Lymphsystem und das eigentliche Blut-
system".
Noch cntschiedener findet sich dieser Ideengang in Lan-
Die Coelomtheorie. 81
kester's bekannter Schrift uber die Keimblatter (168) ausgespro-
clieu, uur mit dem allerdings sehr wichtigen Uuterscliied, dass der
englische Forscher aucli das Wassergefasssystem als eiueu liierher
gehorigen Theil, ja sogar als den Ausgangspuukt fiir die Bildung
des Coeloms und der Blutgefasse ansieht. „Die verschiedeueu Gefass-
uud Sinussysteme der Triploblastica", heisst es, „konnen uicht auge-
sehen werden als bedeutsame Difterenzirungeu, sondern siud vielmehr
wenig modificirte oder gesouderte Theile eines und desselbeu Blut-
lymphhohlraumes" (p. 334). „Eiu Blutlymphgefasssystem tritt in
seiner einfaclisteu P'orm bei den Plattwiirmern auf, wo der Haupttlieil
der unter dem Namen Wassergefasssystem bekannten Cauille im
Mesoderm als der Anfang des Blutlympligefasssystems angeseben
werden muss". Die Canale sind Ausliohlungen im mesodermalen
Gewebe. „Solch eine Ausbohluug, weiter ausgedehnt und ausge-
weitet, bildet scliliesslich den perivisceralen Kaum, den man bei
manchen Nemertinen und bei alien Gephyreen, Echinodermen und
Chaetopoden antrilft. Wenn Theile dieses Hohlraums von paral-
lelen Theilen getrennt werden und mit den grosseren sinusartigen
Raumen entweder communiciren oder nicht communiciren, so sind
die Bedingungen gegeben fiir die weitere Umwandlung dieser pri-
mitiveu Gefassbildung in distincte Blutgefasse, Lacunen und ein
pericardiales Siuussystem, wie bei den Mollusken, oder in ein ge-
scblossenes Gefasssystem , welches im Innern eines perivisceralen
Sinus gelegen ist, wie bei den Chaetopoden, oder in geschlossene.
Haemoglobin enthaltende, Orgaue eiuscheidende Gefasse, wie bei
den Blutegeln, oder endlich in grosse sinuose Hohlraume, welche
mittelst eines Lymphgefasssystems in ein geschlossenes Blutgefass-
system einmtinden, wie bei den Wirbelthieren" (p. 332).
Auch spater hat Lankester (170 p. 417) an der Idee eines ge-
meinsamen Ursprungs fiir Coelom und Blutgefasssystem festgehal-
ten, als er einer damals zuerst sich weiter verbreitenden An-
schauung folgend die Leibeshohle fiir ein Divertikel des Urdarms
erklarte. Fur ihn blieb die Leibeshohle „die genetische Quelle der
Canale und Hohlraume des Lymph- und Blutgefasssystems."
Diese Ideengange begegnen sich mit Anschauuugen, welche vor-
nehmlich durch His (165) angeregt auf dem Gebiete der Wirbelthier-
anatomie gepflegt ,worden sind und welche alle Hohlraumbildungen
im Mesoderm des Wirbelthierkorpers unter einen einheitlichen Ge-
sichtspunkt zu bringen suchen. Demnach wiirde die Pleuroperi-
tonealhohle, wie der Arachnoidealsack zum Lymphgefasssystem zu
rechnen seiu. Ihren Ausdruck fand diese Anschauungsweise in der
Bd. XV. N. F. VIII, 1. a
82 0. und E. Hertwig,
Einfiiliruiig des gemeinsamen Namens „Endother' fiir die epithe-
lialen Auskleidungcii der Blutgefasse, Lympligefasse und sinuosen
Holilraume.
Es wird nunmehr unsere Aufgabe sein, die Ansichten, tiber
welche wir hier einen kurzen Ueberblick gegeben haben, auf ihre
Verwerthbarkeit zu priifen. Dabei wird sich ergeben, dass in
ihnen unzweifelhaft richtige Gesichtspunkte enthalten sind, dass
dieselbeu aber in der Verallgemeinerung , in welcher sie aufge-
stellt wurden, nicht aufrecht erhalten werden konnen, Denn in
den beiden Abtlieilungen der Euterocoelier und Pseudocoelier sind
die Holilriiume der Leibeshohle morpliologisch keineswegs gleicli-
werthig und stehen dalier auch in ganz verscliiedenen Beziehungen
zuni Blutgefasssystem.
Bei unseren Erorterungen sehen wir von den Fallen ab, in
denen eine sogenannte primare Leibeshohle im Sinne von Glaus
und Hatschek (102) vorliegt. Als primare Leibeshohle bezeich-
net Glaus (157) (p. 17) den Leibesraum, welcher „bei vielen, na-
mentlich zahlreichen, wirbellosen Thieren zwischen Darmanlage und
Korperhaut sehr friihzeitig auftritt, noch bevor die Zellenanlagen
der zugehorigen Muskulatur gebildet sind, welcher dem innerhalb
beider Zellenschichten der sogenanuten Gastrula zuriickgebliebenen
Zwischenraum entspricht und somit seiner Eutstehuug nach in der
Kegel auf die Gentralhohle der Keimblase und demgemass auf die
Segnieutationshohle des sich kliiftenden Dotters zuriickzuftihren ist".
Dieser „primaren und als solche persistirenden Leibeshohle gegen-
iiber erscheint die Ablagerung eines Zwischenparenchyms als ein
secundarer Process. Wird der Leibesraum durch dasselbe ver-
drangt, so erhalten wir die parenchymatosen Acoelomier, wird hin-
gegen das zusammenhangende zellige Zwischeugewebe oder das
mittlere Keimblatt wiederum gespalten, so erscheint die secun-
diire Leibeshohle oder Pleuroperitonealhohle."
Eine „primare Leibeshohle", fiir welche Huxley und
Lankester die Namen „Blastocoer' und „Pseudoblastocoel" an-
wenden, findet sich bei den Rotatorien und den Larven vieler An-
ueliden (Taf. I Fig. 6) und Mollusken (Taf. I Fig. 11), namentlich
bei alien pelagischen Larven vom Trochophora- oder Trochosphaera-
typus und bei den Larven der Echinodermen (Taf. I Fig. 10).
In einem Theil dieser Falle ist es ausserordentlich fraglich, ob
iiberhaupt ein Hohlraum vorliegt, oder ob nicht vielmehr der Zwi-
schenraum zwischen Darm und Haut von einer zarten durchsich-
tigen Gallerte, wie sie pelagischen Thieren eigenthiimlich ist, ein-
Die Coelomtheorie. ; 83
genommen wird. Die endoprocten Bryozoen, welclien Hatsckek(17)
eiue primare Leibesliolile zuschreibt, besitzen eine Gallertausfiil-
lung zweifellos; auch bei den grosseu Larveu der Echiuodermeu
kann man sich leicht von der Anwesenheit der dem Korper als
Grundlage dienenden Gallerte iiberzeugen, walirend in auderen
Fallen, wie z. B. bei den Larven des Echiurus in der That ein
weiter Hohlraum in der gallertigen Grundsubstanz enthalten ist.
Aus diesen kurzen Bemerkungen geht schon hervor, wie wenig
wir liber das Wesen des Blastocoels oder der primilren Leibes-
hohle orientirt siud. Da es ausserdem gar nicht ausgemacht ist,
ob zwischen dem Blastocoel und dem Schizocoel ein tiefgreifender
Unterschied besteht — wir verweisen hier auf das, was wir iiber
die Mollusken schon friiher gesagt haben — so haben wir es I'tir
zweckmassiger gehalten, nur die Fiille iu's Auge zu fassen, wo
mnschlossen von eiuem wohl eutwickelten mesodermalen Grund-
gewebe ein weiter die Eingeweide umhiillender Hohlraum nachge-
wiesen werden kann. Hier haben wir nun zwei verschiedene For-
men der Leibeshohle zu unterscheiden , 1) die achte Leibeshohle
der Wirbelthiere , Arthropoden, Gliedervviirmer u. s. w. oder das
Enterocoel und 2) das Pseudocoel oder das Schizocoel der Plathel-
minthen und Mollusken ; beide werden wir nach Bau, Entwickluug
und nach ihrem Verhaltniss zum Blutgefasssystem niiher charak-
terisiren.
Das Enterocoel ist genetisch ein Theil des Urdarms, von
welchem es sich durch eiue beiderseits, links und rechts, erfolgende
Einfaltung der Darmwaud ablest; durch diese Entstehungsweise
wird es in seiner Auordnung und in seiuem definitiven Bau be-
stimmt. Erstens ist es eine urspriinglich paarige Bildung, ein
Sack, welcher durch den Darm und das dorsale und das ventrale
Mesenterium in eine linke und rechte Halfte vollkommen geschieden
wird; erst secundar lliesseu beide Unterabthcilungen in einen ein-
heitlichen Hohlraum zusammen, indem die Mesenterien eine theil-
weise oder giinzliche Riickbildung erfahren. Daher kommt es,
dass gerade die urspriinglichsten Formen die Zweitheilung der
Leibeshohle am klarsteu zeigen, wie die Chaetognathen und Anne-
liden, wahreud bei den Wirbelthieren das ventrale, bei den Arthro-
poden sogar beide Mesenterien verloren gegangen sind. Der pri-
mitiven Zweitheilung gegeniiber sind alle tibrigen Gliederungen der
Leibeshohle in getrennte Raume secuudarer Natur, so die Sonde-
rung in metamere Theile, welche bei den Anueliden durch die aus
Faltung entstandenen Dissepimeute herbeigefiihrt wird, oder der
6*
84 0. und R. Hertwig,
Zerfall des Coeloms in die Pleural-, Peritoneal- und Pericardial-
hohle bei den Wirbclthieren.
Zweitens ist das Enterocoel von Anfang an mit epithelialen
Wandungen versehen, welche den Ausgangspunkt fiir eine sehr
mannigfaltige Organbildung abgeben. Wie wir dies bei den ein-
zelneu Organen noch niiher besprechen werden, stammen die Ge-
schlechtsorgane und die Muskeln von den Epithelzellen des Ente-
rocoels ab, ferner alle Excretionsorgane, welche dem Typus der Seg-
meutalorgane folgen, und die Wassergefasse, welche bei den Echino-
derraen und manchen Gephyreen zum Ausspritzen erectiler Organe,
der Tentakeln und Saugfiisschen, benutzt werden. Auch spater bleibt
das Enterocoel von einem Epithel ausgekleidet, welches ab und zu
theilweise oder in ganzer Ausdehnung mit Elimmern bedeckt, mei-
stens aber zu einem diinuen Plattenepithel abgeflacht ist.
Wahrend so das Enterocoel fiir die Orgauentwicklung von der
allergrossten Bedcutung ist, steht es in keinen direkten Be-
ziehungen zum Blutgefasssystem, und wo solche vorliegen,
wie bei den Arthropoden, sind dieselben offenbar secundarer Na-
tur. Das Blutgefasssystem ist in seiner Auweseuheit an die Exi-
stenz eines Mesenchyms gekuiipft und wird daher bei alien mesen-
chymlosen Thieren vermisst. Da nun in der Gruppe der Entero-
coelier die Bildung des bleibenden Mesenchyms meist von den Wan-
dungen der Leibeshohle ausgeht, ohne dass aber eine solche Dif-
ferenzirung iiberall vorhanden zu sein braucht, so ergiebt sich von
selbst der durch zahlreiche vergleichend anatomische Thatsachen
bewiesene Satz, dass die Leibeshohle in der Reihe der En-
terocoelier frtiher auftritt als das Blutgefasssystem.
Zum Beweis fiihren wir die Chaetognatheu und Nematoden an,
deren Korper, fast allein von Stiitzlamellen gefestigt, die Blut-
gefilsse vollkommen vermissen lasst.
Auch ontogenetisch behauptet das Enterocoel seine Prioritiit.
Bei den Wirbelthieren hat sich die „Spaltung" des Mesoblasts in
Darm- und Hautfaserblatt , welche zur Bildung der Leibeshohle
fiihrt, langst vollzogen, ehe die ersten Gefiisse im Darmfaserblatt
des Dottersacks auftreten; und ebenso geht bei den Anneliden und
Arthropoden die Leibeshohle in ihrer Entwicklung den Gefassen
voraus.
Hierbei ist uns ferner wichtig, dass die Blutgefasse unab-
hangig von der Leibeshohle entstehen, wie dies so ausserordent-
lich schon und uberzeugend bei den Wirbelthieren zu erkennen ist
Weun auch noch viel tiber die histologischen Details gestritten
Die Coelomtheorie. 85
wird, so ist doch das Eine klar, dass die Lymph- und Blutgefasse
zuerst nur Liicken siiid, welche sich in dem Mesenchym des stark
verdickteu Darnifaserblatts durch theilweise Verfliissigung des Ge-
webes und Umwandlung der Zellen zu Blutkorperclien gebildet lia-
ben. Die Communicationen , welche beim entwickelten Thier zwi-
schen dem Coelom und den Lymphgefiissen existiren, sind secun-
dare Bildungen. Morphologisch ist es dalier uurichtig, die Leibes-
hohle zu den grossen Lymphraumen zu rechneu, wie sie als Arach-
noidealsack das Centralnervensystem umhiillen, den niederen Wir-
belthieren noch vollig fehlen und auch bei den hoheren relativ
spat angelegt werden.
Weniger bestimmt konnen wir uns iiber das Verlialtniss des
Blutggefasssystems zur Leibeshohle bei den Arthropoden ausscrn,
wenn es auch wenig wahrscheinlich ist, dass die fur die Wirbel-
thiere gewonuenen Anschauungeu nicht auch fiir die Gliederthiere
Geltung haben sollten. Genaue entwicklungsgeschichtliche Beob-
achtungeu liegen in der Literatur iiber diesen Gegenstand nicht
vor; Balfour (111) halt es fiir wahrscheinlich, dass bei den
Spinnen das Herz zunachst als ein solider Zellenstrang angelegt
wird, der sich spater aushohlt, indem ein Theil der Zellen die
Wandung des Herzens, ein anderer die in ihm enthaltenen Blut-
korperchen liefert, wie dies ja auch bei den Wirbelthieren der
Fall ist; aber aus seiner Darstellung lasst sich entnehmen, dass
der Verfasser diesem Punkt wenig Beachtung geschenkt hat. Wir
selbst sind bei unseren Untersuchungen noch zu keinem bestimm-
ten Resultat gelangt. Und so wUrde es zur Zeit noch rathsam
sein, bei der Erorterung der Beziehungen die vergleichende Ana-
tomie in erster Linie zu beriicksichtigen , wenn leider nicht auch
der auf diesem Weg zu erhaltende Aufschluss unbefriedigend aus-
fiele. Wenn bei den Insekten Blutgefasse und Leibeshohle mit
einander communiciren , so kanu daraus keineswegs gefolgert wer-
den, dass beide genetisch zusammengehoren , dass die Blutgefasse
abgeschniirte Theile der Leibeshohle sind. Denn das Blutgefass-
system ist bei den Lisekten in Folge der Tracheenathmung hoch-
gradig ruckgebildet.
Auch bei den Crustaceen liessen sich Thatsachen zusam-
menstellen zu Gunsten der Ansicht, dass das Blutgefasssystem als
ein Abkommling der Leibeshohle zu betrachten sei. Doch wiirde
es mit der Beweiskraft dieser Thatsachen nicht besser bestellt
sein, als bei den Tracheaten. Die niederen Krebse, bei denen die
Leibeshohle als ein grosser Blutsinus fnngirt, sind kleine Thiere,
86 O. und II. Hertwig,
bei di'iien das Blutgefasssystem cbenfalls riickgebildet ist, so dass
vielfach sogar das Herz fehlt. Dass aber bei Thieren von geringer
Korpergnisse die Blutgefassc iiberflussig werden und sich riick-
bilden, dafiir liefern ein lehrreiches Beispiel die Acariden, bei denen
von dem reichen Blutgefasssystem der iibrigen Araneen audi nicht
einnial das Herz erhalten geblieben ist. Auch haben die Unter-
suchungen der Neuzeit gezeigt, dass unsere Kenntnisse von der
Beschaifenheit des Gefasssystems bei niederen Crustaceeu sehr un-
geniigend sind. Bei parasitischen Copepoden, bei denen man bis-
her nicht einmal ein Herz kannte, ist in jiingster Zeit von
V. Beneden (113) und v. Heider (122) ein Blutgefasssystem
nachgewiesen worden. Heider beschreibt dasselbe als „ein weit
ausgebreitetes System geschlossener Gefasse, welche in keiner un-
mittclbaren Verbindung mit den Raumen der Leibcshohle stehen.
Als Centralorgan findet sich kein Herz, sondern zwei bauchseitig
unter und neben dem Darm verlaufende Langsgefassstamme, sowie
eiii iiber die Riickenseite verlaufender, iiber dem Darm und zwi-
schen den paarigen Geschlechtsdrusen gelagerter Langsstamm."
Eine Losung der uns beschaftigenden Frage ist iibrigens nicht
wolil moglich ohne Beriicksichtigung der gegliederten Wiirmer,
die wahrscheinlich doch die Stammformen der Arthropoden sind.
Bei diesen ist das Gefasssystem einfacher Natur, iudem es nur
aus liangsgefiissen und Quergefiissen besteht, aber es ist gegen
die Leibeshohle vollig abgeschlossen. Anatomisch gleicht es somit
dem Gefassapparat der Copepoden und konnte ganz gut als ein
Vorlaufer desselben gelten. Entwicklungsgeschichtlich wissen wir
durch Kowalevsky, dass die Gefasse bei Lumbricus aus Zellen
hervorgehen, welche zwischen Darmdriisenblatt und Darmfaser-
blatt liegen und von letzterem abstaramen, was denn ganz an die
Verhaltnisse der Wirbelthiere erinnert.
Unsere Erorterungen fiihren demnach zu dem Resultat, dass
die Leibeshohle der Enterocoelier friiher als das
Blutgefasssystem erscheint, dass das letztere sich
unabhangig von ihr aus Spalten und Lticken des Me-
senchyms entwickelt und dass die Anwesenheit von
Communicationen zwischen beiden H ohlraumsyste-
men bei den Arthropoden erst secundar erworbou
w u r d e.
Das Alles kat keine Giiltigkeit fiir die Pseudocoelier, un-
ter denen wir die mit einem Blastocoel ausgestatteten Rotatorien
und Bryozoen aus oben erorterten Gruudeu ausser Acht lassen
Die Coelomtheoric. 87
mid uns nur auf die Plathelminthen und MoUuskeii beschianken
w'ollen. Die niedrigsten dieser Formen, die Plathelminthen, haben
uberhaupt keinen ansehnlichen Hohlraum im Inneren des Korpers,
wenn wir vom Darracanal absehen. Inimerhin beginnt bei den
Plattwilrmern sich eine sehr primitive Art Gefiisssystem , ein Sy-
stem von Spaltritumen , bemerkbar zu machen , in denen der er-
nahrende Gewebssaft zu circuliren vermag; bei einem Theil, den
Neraertinen, kommt es sogar zur Sonderung besonderer blutflihren-
der Canale. Aehnlichen Zustanden begegnen wir bei den niedersten
Mollusken, den Schnecken und Muscheln, doch ist hier insofern
eine hohere Entwickluugsstufe erreicht, als ein Herz mit Vorkam-
mern, welches sich eine Strecke weit in wohl geschlossene Gefasse
fortsetzt, zur Anlage gelangt ist. Nach einiger Zeit offnen sich
die Gefasse in weite Sinus, welche iiamentlich im Umkreis der
Eingeweide sehr ansehnlich sind und bei den Schnecken sich so-
gar zu einem einheitlichen Leibesraum vereinigcn konnen. Ein
besonderer Sinus, der Herzbeutel, umgiebt den Herzschlauch und
fungirt zugleich als ein Sammelort fiir einen Theil des nach dem
Herzen stromenden Blutes.
Bei den Cephalopoden endlich kommt es zu einer Trennung
des Blutgefasssy stems von der Leibeshohle, wobei letztere den Cha-
rakter eines weiten, die Eingeweide bergenden Raums annimmt;
aber es Ijisst sich entwicklungsgeschichtlich beweisen, dass es sich
hier nur um eine hohere Diflferenzirung der bei den niederen Mol-
lusken beobachteten Verhaltnisse handelt; denn Blutgefiisssystem
und Leibeshohle durchlaufen wiihrend des Embryonallebens ein
Stadium, welches bei den ubrigen Mollusken sich dauernd erhalt;
sie werden als ein System communicirender Spaltraume angelegt
und bilden sich erst allmahlich aus dieser indifferenten Anlage
hervor.
Fiir die Mollusken und die ihnen angeschlossenen Formen
gilt daher die so weit verbreitete Ausicht, dass Leibeshohle
und Blutgefasssystem mit einander nahe verwaudt
sind; von ihnen ist der Satz dann mit Unrecht auf die ubrigen
Thiere verallgemeinert worden, wobei man verschiedenartige Ge-
bilde als einander gleichwerthig betrachtete. Will man die Ver-
gleichungen richtig ziehen, so muss man Leibeshohle und
Blutgefasssystem der Mollusken dem Blut- undLymph-
gefasssystem der Wirbelthiere gegeutiberstellen. Man kann
dabei den Namen „Leibeshohle" fiir beide Falle beibehalten, wenn
man sich nur bewusst bleibt. dass hierdurch nur eine physio-
logische Gleichartigkeit ausgedruckt ^Yird, dass dagegen zwei
88 0. tmd R. Hertwig,
morphologisch vollig verschiedene Bildungen vorliegen. Dem
letzteren Gesichtspunkt kann man dadurch zu seinem Rechte ver-
helfen , dass nian die Leibeshohle das eiiie Mai als Enterocoel,
das andere Mai als Schizocoel iiaher kennzeichnet.
Entsprechend seiner abweichenden Entwicklungsweise ist das
Schizocoel auch anatoniisch vom Enterocoel leicht zu unterschei-
den, Ihm fehlt eine besondere epitheliale Auskleidung; es ist ein
unregelmassiger Raura, an dessen Wand die Eingeweide zwar an-
gewachsen sein konnen, ohne dass es jedoch zur Bildung eines dor-
salen und ventralen Mesenteriums kommt; es steht endlich in kei-
ner engeren Beziehung zu den wichtigen Organsystemen, zu deren
naherer Betrachtung wir uns im Folgenden wenden.
3. Die Gesehleclitsorgane und das Exoretionssystem.
Die Hiiufigkeit, mit welcher der vergleichende Anatom zwei
in ihren Functionen verschiedene Systerae, die Geschlechts- und
die Excretionsorgane, unter einander vereinigt findet, ist Veranlas-
sung geworden, beide als Theile eines gemeinsamen Apparats un-
ter dem Namen „Urogenitalsystem" zusammenzufassen. In der
That ist es auch nicht schwer, eine gewisse Aehnlichkeit in der
Functionsweise beider Organe nachzuweisen und darin einen Grund
zu ihrer Vereinigung zu erkennen. Beidesmal werden Stoffe er-
zeugt, welche fiir die weitere Entwicklung des Thierkorpers nicht
mehr bestimmt sind und nach aussen geleitet werden miissen.
Kein Wunder daher, dass die Excretionsorgane ausser den Excre-
ten vielfach auch die Geschlechtsproducte aus dem Korper ent-
fernen.
Indessen kann von einem Urogenitalsystem nur bei einem
Theil der Thiere die Rede sein, indem bei einem anderen Theil
die Vereinigung, welche eine solche Beueunung rechtfertigen wurde,
ausgeblieben ist, und die Geschlechtsorgane ihre eigenen Ausftihr-
wege entwickelt haben. Die Wirbel thiere, gegiiederten Wiirmer,
Chaetognathen , Brachiopoden besitzen ein Urogenitalsystem, die
Plattwiirmer, Mollusken, Rotatorien dagegen getrennte Geschlechts-
organe und Nieren. Den Grund zu dieser Verschiedenheit haben
wir darin zu suchen, dass das physiologische Moment nicht
ausreicht, um eine Vereinigung anzubahnen, dass vielmehr noch
weiter giinstige anatomische Vorbedingungen gegeben sein miis-
sen. Das ist aber nur bei den Enterocoeliern der Fall, bei denen
Geschlechtsorgane und Excretionsorgane von einem gemeinsamen
Mutterboden, dem Epithel der Leibeshohle, abstammen; nur bei
Die Coelomtheorie. 89
ihnen sehen wir dalier iu der Mehrzahl der Falle — die Ausuali-
men werderi wir noch besonders besprechen — eine Vereinigung
vollzogen, welche bei alien Pseudocoeliern unterblieben ist.
Wir haben hier im Allgemeineu auf eineu fuudamentaleii Uiiter-
schied zwischen den Enterocoeliern und den Pseudocoeliern in der
Beschaffenheit des Urogenitalsystems aufmerksam gemacht und
werden diesen Gedanken jetzt weiter durchfiihren, indem wir zuerst
Bau und Entwicklung der Geschlechtsorgane und darauf der Ex-
cretionsorgane in beiden Abtheilungen eiuander gegeniiberstelleu.
Die Geschlechtsorgane der Enterocoelier entstehen aus
dem Epithel der Leibeshohle, wie dies fiir die Mehrzahl der For-
men sicher bewiesen und fiir die ubrigeu nach Aualogie wahr-
scheinlich ist. In der ganzen Abtheilung der Anneliden, denen
sich auch die Gephyreen anschliessen , liegen die Geschlechtspro-
ducte bis zu ihrer Reife im Epithel der Leibeshohle, urn sich dann
loszulosen und in die Leibeshohle selbst zu gerathen. Da die
Oligochaeten und Hirudineeu oflfenbar nur umgewandelte polychaete
Anneliden siud, so werden sie auch in dieser Hinsicht sich mit
ihnen gleich verhalten; in der That mochte es auch nicht schwer
fallen, die Geschlechtsbliischen in beiden Abtheilungen als abge-
kapselte Theile der Leibeshohle hinzustellen.
Bei den Wirbelthieren sind die ersten Anlagen der Keimpro-
ducte in den Ureiern gegeben; diese liegen bei miinnlichen und
weiblichen Embryonen im Keimepithel, welches seinerseits nichts
ist, als ein Theil des Peritonealepithels. Das gleiche Verhalten
haben wir auch fiir die Arthropoden aufgefunden. Die Geschlechts-
organe im fertigen Zustand siud hier langgestreckte Rohren, welche
nach Aussen miinden und durch ihren Bau einen ektoderraalen
Ursprung so sehr wahrscheinlich machen, dass in der That auch
Balfour (111) sich kiirzlich fiir eine solche Entstehungsweise aus-
gesprochen hat, wenn auch nur in bedingter Foi-m. Aber auch
hier lasst sich der Zusammenhang mit grossen, im Peritonealepi-
thel gelegenen Zellen nachweisen, welche als Ureier bezeichnet
werden konnen. Von den Arthropoden wiederum ist der Riick-
schluss auf die Rundwiirmer gestattet. Nicht allein sind die Ge-
schlechtsorgane dieser Thiere Rohren, die an ihrem blindgeschlos-
senen fadenartig ausgezogenen Ende ein Keimepithel bergen und
hierin ausserordentlich mit den Geuitalrohren der Insektcn tiber-
einstimmen, sondern die Uebereinstimmung erstreckt sich auch auf
die Entwicklungsweise. Die jiingsten Stadien der Geschlechtsor-
gane sind durch Glaus (78) und Leuckart (81) bei verschie-
90 0. und li. Hertwig,
(lenen Ncmatoden bekaniit geworden und sind geschlossene ovale und
solide Korper. „Die kleine und helle Geschlechtsanlage liegt un-
gefjihr in der Mitte des Chylusdarms auf der ventralen Innenflache
der Korperwande und hat im Liingsschnitt eine fast bohnenformige
Gestalt. Sie misst nur selten iiber 0,018 Mm und hat bis auf einen
Oder einige wenige darin eingeschlossene Kerne „ein vollig homo-
genes Aussehen". „Bei den mannlichen Thieren wachst nun dieser
Zellenhaufen in einen spindelformigen Schlauch aus, der sich be-
sonders nach hinten zu verlangert und schliesslich mit dem Mast-
darm in Verbindung tritt. Dieselbe Formveranderung geht mit
der Genitalanlage der Weibchen in denjenigen Fallen vor sich, in
denen die Schliiuche symmetrisch in der Korperwand angebracht
sind." Wie bei den Insekten sind somit die Geschlechtsorgane
bei den Nematoden urspriinglich solide, in der Leibeshohle liegende
Korper, spater nach Aussen miindende Rohren.
In der Entwicklungsweise der Geschlechtsorgane gleichen die
Enterocoelier dem Gesagten zufolge den Actinien, well beidesmal
in letzter Instanz das Epithel des Urdarms die Keimlager erzeugt,
well ferner die Keimlager in die Divertikel des Urdarms zu lie-
gen kommen, welche bei den Actinien mit dem Darm im Zusam-
menhang bleiben, bei den Enterocoeliern sich zur Leibeshohle ab-
schnuren. Dagegen unterscheiden sie sich von den Pseudocoeliern,
bei denen schon durch den Mangel des Enterocoels eine verschie-
dene Entwicklungsweise den Geschlechtsorganen vorgeschrieben ist.
Aus welchen Keimbliittern die Geschlechtsorgane der Pseu-
docoelier stammen, ist leider bisher noch in keinem Falle mit
Sicherheit bewiesen. Die gewohnlichen Angaben lauten, dass Zel-
leugruppen des Mesenchyms durch Theilung und Wachsthum die
Eier und Spermatozoon liefern. In diesem Sinne haben sich Hat-
schek (17) fur Pedicellina, Rabl (69) fur die Mollusken, Hoff-
mann (41) und Kennel (45) fiir die Nemertinen ausgesprochen.
Indessen sind audi Stimmen laut geworden, welche die Geschlechts-
organe auf die Epithelien der beiden primitiven Keimblatter zu-
riickfiihren. Im Anschluss an v. Beneden (1) lasstHallez (30)
bei den Turbellarien die Eier vom Entoblast, die Spermatozoon
vom Ektoblast abstammen; fiir die Mollusken hat Fol eine Zeit
lang dieselbe Ansicht behauptet. — Wenn wir nun auch durch
zahlreicbe Analogicu dazu berechtigt sind, eine verschiedene Ent-
stehung der Eier und Spermatozoen auszuschliessen , so ware es
doch immer moglich, dass die beiden letztgenannten Forscher mit
der Annahme eines epithelialen Ursprungs Recht batten. Im All-
Die Coelomthcorie. 91
gemeinen wiirde dies zu unsereu anderweitigen Erfahrungen pas-
sen, da ausser bei den Spongien (F. E. Schulze 10) bisher noch
nirgends eine mesenchymatose Anlage der Geschlechtszellen beob-
achtet worden ist.
Wahrend bei den Enterocoeliern besondere Ausfuhrgange der
Geschlechtsorgane nur den Arthropoden und den Nematoden zu-
kommen und in alien ubrigen Fallen durch die sogleich noch ge-
nauer zu besprechenden Segmeutalorgane ersetzt werden, sind bei
den Pseudocoeliern stets Ausfiihrwege vorhanden, welclie sich so-
gar meist durch eine ausserst complicirte Beschaffenheit auszeich-
uen; sie sind die Sammelcauale, in welche die einzelnen Schlauche
der Geschlechtsdriisen einmiinden.
Was nun zweitens die Excretionsorgane anlangt, so fol-
gen dieselben bei den Enterocoeliern dem gemeinsamen Typus der
Segmentalorgane. In ihren einfachsten Formen , bei den Chaeto-
gnathen, sind sie Durchbrechungen der Leibeswand, welche Conimu-
nicationen der Leibeshohle nach aussen bedingen und nicht unpas-
send schon ofters mit den Poren im Mauerblatt der Actinien und
am Ringcanal der Medusen verglichen worden sind (93). In ver-
vollkommneter Gestalt treten sie uns bei den Anneliden und Bra-
chiopoden entgegen als gewundene Canale, welche in der Leibes-
hohle mit einera Wimpertrichter begiunen, die Muskelwand durch-
bohren und einzeln nach Aussen miinden. Aus ahulichen Aulagen
entwickelt sich die Niere der Wirbelthiere , wenn auch die Ver-
binduug mit der Leibeshohle nur noch bei den niedersten Formen
besteht und ein weiterer wichtiger Unterschied dadurch herbeige-
iuhrt wird, dass alle segmentalen Gange sich mittelst eiues ge-
meinsamen Ausfiihrungsgangs nach Aussen off'uen. Bei den Arthro-
poden sind typische Segmentalorgane nur beim Peripatus (112)
erhalten , bei alien ubrigen Tracheaten riickgebildet und durch
Excretionsorgane von ganz anderer morphologischer Bedeutung, zu
meist durch die Malpighi'schen Gefasse, ersetzt. Fiir ihre einstmalige
Existenz bei den Crustaceen liegen ebenfalls Anzeigen vor, indem
es als sehr wahrschciulich angcsehen werden muss, dass die in
homodynamer Beiiie auftretenden Schalen- und Antennendriisen die
letzten stark modiiicirten Reste einer Reihe von Segmentalorga-
nen sind (Glaus 116), (Grobben 119. 120). Ob endlich auch
die Excretionsorgane der Nematoden zu den hier behandelten Or-
ganen gehoren, lasst sich bei der ungeniigenden Kenntniss, wel-
che wir von ihrem Bau und ihrer Entwicklung besitzen, nicht ent-
scheiden ; dass sie nur in einem Paar vorhanden sind, wiirde zwar
92 0. uud R. Hertwig,
iiicht in Betracht kommeii , da ja die Segmentalorgane sicli aus
einfachen, nicht metamer angcordneten Organen entwickclt haben
mussen, dagegen ist es wichtig, dass bisher noch keiiie Verbiii-
dungeu mit der Leibeshohle beobachtet worden sind.
Ueber die Entwicklung der Segmentalorgane liegen sichere
Beobachtungen nur fiir die Wirbelthiere vor und zeigen, dass
ilire Driisengiinge vom Epithel der Leibeshohle in ahnlicher Weise
abstammen, wie Driisen vom Epithel des Darmes oder von der Epi-
dermis, indem sie als solide, spiiter sich aushohlende Zellstrange
in das unterliegende Gewebe wuchern. Aehnliches hat Ko wa-
le vsky (105) bei Anneliden beobachtet. „Die jungsten Segmen-
talorgane", heisst es in der Entwicklungsgeschichte des Lumbricus,
„zeigen einen kleinen Haufen von Zellen, welche auf der kaum
gebildeten vorderen Wand jedes Dissepiments aufsitzen und frei
in die Hohle des Segments hineinragen ; wenn man diesen Haufen
genauer und bei starkerer Vergrosseruug mustert, so geniigt es,
um in demselben eine Ausstiilpung der hinteren Wand des Dis-
sepiments und in dieser schon ein schwach ausgesprochenes Lumen
zu erkennen". Der Verwerthbarkeit dieser Angaben thut aber die
Darstellung Hatschek's (102) Abbruch, welcher die Segmen-
talorgane der Anneliden als Zellenreihen auftreten lasst, welche
unabhiingig von der Leibeshohle zv/ischen ihr und der Korperober-
flache liegen , nach unserer Definition somit dem Mesenchym an-
gehoren und erst secundiir sich mit der Leibeshohle verbinden.
Die Entwicklung der Schalendruse der Daphniden aus dem Meso-
blast wurde neuerdings von Grobben (119) beobachtet, jedoch
nicht genau genug, um die Frage zu entscheiden, ob sie in Bezie-
hung zur Leibeshohle steht oder nicht.
Da wir uns bei der Erorterung der Beobachtungen auf einem
unsicheren Boden bewegen, so haben wir ein Recht auf Analogieen
grosseres Gewicht zu legen und dem eutsprechend bei der Frage
nach dem Ursprung der Segmentalorgane die an Wirbelthieren
gewonnene sichere Erfahrung als Ausgangspunkt zu benutzen. Das
wiirde uns aber bestimmen bei alien Enter ocoeliern die
Segmentalorgane vom Epithel der Leibeshohle ab-
zuleiten.
So sind in der Beschaffenheit der Segmentalorgane zwei Momente
gegeben, welche eine Vereinigung mit dem Geschlechts-
apparat begunstigen; erstens sind sie nach der Lei-
beshohle zu geoffnet, welche urspriinglich jeden-
falls zur Aufnahme der Geschlechtsprodukte dient,
Die Coelomtheorie. 93
wie es bei den Actinien die Radialkammern thun,
zweitens entwickeln sie sich aus demselben Epithel,
wie die Geschlechtsorgane.
Von den Segmentalorganen warden neuerdings die Excre-
tionsorgane der Plattwiirmer, Rotatorien und Mel-
ius ken, d, h. der Pseudocoelier auf Grund auatoraischer Ver-
schiedeuheiten von Fraipont (27) als Gebilde von' ditferenter
niorpliologischer Bedeutung getrennt. Allein die Verschiedeuheiten
sind weder in die Augen springend noch sind sie duichgreifend.
Bei den ersten beiden Gruppen stellen die Organe ein veiasteltes,
aus starken Hauptasten und schwachen anastomosireuden Nebcn-
zweigen bestehendes Gefasssystem vor, dessen Enden mit flimmern-
den Oeffnungen versehen sind und mit den Spalten des Mesen-
chyms, den Anfangen des Schizocoels, communiciren. Aber der
Charakter der Verastelung gilt nicht fiir die Nieren der Mollus-
ken, welche, — sowohl die embryonalen Voruieren als auch die
bleibenden Nieren — , einfache mit der Leibeshohle , resp. dem
Herzbeutel, zusammenliangende Gange sind. Gleichwohl glauben
wir nicht, dass Fraipont Unreclit daran gethan hat, einen- Un-
terschied zwischen beiden Formen der Segmentalorgane fcstzustel-
len, wenn wir auch diese Idee in anderer Weise begriinden. Die
Excretionsorgane entstehen namlich keinenfalls aus dem Epithel
der Leibeshohle, da ein solches iiberhaupt fehlt; entweder sind
sie Einstiilpungen des Ektoblasts, wie dies Fol (57) und But-
schli (51) fiir die Mollusken bchaupten, oder sie sind Differen-
zirungen des Mesenchyms, wie es Rabl (69) und Hatschek
(59) annehmen, und gehen aus Zellenreiheu hervor, welche erst
spater der Lange nach sich zu eiuem Canal aushohlen. In beiden
Fallen wiirden sie in anderer Weise gebildet werden als die Seg-
mentalorgane der Euterocoelier ; ihre Verbindungen mit der Lei-
beshohle und dem Gefasssystem wiirden secundarer Natur sein,
ganz abgesehon davon, dass diese Verbindungen mit den Wimper-
trichtern der Segmentalorgane nicht auf gleiche Stufe gestellt wer-
den k()nnten, da Enterocoel und Schizocoel nicht bomolog sind.
Fiir eine Unterscheidung der beiden Formen der Excretions-
organe sprechen endlich noch zwei Momente, von denen das eine von
Fraipont ebenfalls schon geltend gemacht worden ist. Bei manchen
Anneliden kommen beide Excretionsorgane zugleich und neben ein-
ander vor ; die Larven haben die sogenannte Kopfniere, welche in
ihrer Verastelung und im Besitz der Flimmerlappchen an die Nie-
ren der Plattwiirmer und Rotatorien erinnert; sie geht zwar spater
94 0. und R. Hertwig,
als ein Larvenorgaii verloren; ehe aber dies noch eingetretcii ist,
bildeii sich unabhaiigig von ihr die Spgmentalorgane im geglie-
derten Rumpfe der Larve aus, uni spater allein zu functioniren.
Zweitoiis steheii die Excretionsorgane niemals mit den Geschlechts-
organen in Verbindung, was bei den Enterocoeliern die Regel ist.
Es erklart sich dies daraus, dass beide Theile weder anatomisch
noch entwicklungsgcschichtlich in gemeinsamer Weise mit der Lei-
beshohle verkniipft sind.
Zum Schluss stellen wir noch einmal kurz die Gegensatze
einander gegeniiber, welche zwischen Enterocoeliern und Schizo-
coeliern im Bereich des Urogenitalsystems hervorzuheben sind.
Bei den Enterocoeliern entwickeln sich Excretions-
und Geschlechtsorgan e vom Epithel der Leibeshohle
aus und ste hen mit der letzteren stets anfanglich,
vielfach sogardauernd in Verbindung; daher stammt
die Neigung, welche in der ganzen Gruppe beobach-
tet wird, einen Theil der Excretionsorgan e zu Aus-
fuhrwegen der Geschlechtsorgane umzuwandeln. Bei
den Pseudocoeliern haben beide Organsysteme raum-
lich gesonderte Anlagen, deren Abstammung noch
nicht mit Sich erheitnachgewiesen ist. Mitdem Schizo-
coel unterhalten die Geschlechtsorgane gar keine
Beziehungen, die Excretionsorgane dagegen stehen
mit ihm nur in secundiirer Verbindung, daher blei-
ben beide Organsysteme stets vollig unabhiingig
von einander.
4. Die Muskulatur.
Den Gegensatz in der Beschatlenheit und der Entwicklungs-
weise der Muskeln konnen wir kurz als den Gegensatz der
epithelialen und mesenchymat5sen Muskeln bezeichnen.
Die epithelialen Muskeln sind charakteristisch fiir die Thiere mit
einem Enterocoel, die mesenchymatosen dagegen konnen zwar bei
diesen auch vorkommen, wie wir dies sogleich noch niiher erliiutern
werden, treteu aber daun hinter den epithelialen Muskeln zuriick;
sie bilden dagegen das ausschliessliche Muskelelement bei den Pseu-
docoeliern, welche entweder iiberhaupt keine Leibeshohle oder doch
nur ein Schizocoel besitzen.
Unter epithelialen Muskeln verstehcn wir Muskeln, welche
urspriinglich von Epithelflachen ausgeschieden worden sind, wie
Die Coelomtheorie. 95
dies am schonsten bei den Medusen und Actinien zu verfolgen ist.
Bei den Bilatericn ist die myogeiie Fliiche die epitheliale Ausklei-
dung der Bauchhohle und zwar wolil ausnahmslos das parietale
Blatt. Die Epithelzellen erzeugeu an ihrcr Basis Muskelfibrillen,
welche bald von grosser Feinheit wie bei den Chaetognathen, bald
derber wie bei den Nematoden, stets in parallelen Lagen ange-
ordnet sind. Vielfach ist nur eine longitudinale Lage vorhanden
(Chaetognathen) , noch haufiger jedoch gesellt sich zu ihr eine
zweite circuliire Lage; die Bildung gekreuzter Muskellagen von
demselben Epithel aus hat gleichfalls ihr Analogon unter den Zoo-
phyteu bei den Siphonophoren uad Medusen. Bei vielen Medusen
scheidet sogar dieselbe Zellenschicht Muskelfasern verschiedener
Structur aus, so dass bei Geryonia z. B. das subumbrellare Epi-
thel zu den nie fehlenden, circularen, quergestreiften Muskeln noch
radiale Strange glatter Muskelfasern hinzufugt.
Von Enterocoeliern, bei denen die Muskelfasern in einer glat-
ten Lage ausgebreitet sind, konnen wir nur wenige Beispiele au-
fiihren. Ausser dem Protodrilus Leukartii sind es noch einige Ne-
matoden, wie z. B. Ascaris acuminata (Schneider). Dagegen tritt
die beschriebene Anorduung sehr haufig wiihrend der Entwicklung
auf, bei den Larven der Chaetognathen (0. Hertwig) (93) und
Polygordien (Hatschek) (102), bei den Embryonen der ach-
teu Anneliden (Hatschek (102) und Kleinenberg) u. s. w. In
alien diesen Fallen geht sie einer hoheren Entwicklungsform vor-
aus, indem sich die aufanglich glatte Fibrillenlamelle einfaltet und
Muskelblatter liefert, welche wie die Blatter eines Buches paral-
lel neben einander liegen. Der Einfaltungsprocess kann sich wieder-
holen, so dass auf den Hauptbliittern secundare Muskelblatter auf-
sitzen und dann die gefiederte Anordnung der Muskelfibrillen her-
vorrufen, welche wir durch Claparede (100) vom Regenwurm
kennen.
Bei den Wirbelthieren endlich erreicht die epitheliale Musku-
latur zwei weitere Differenzirungsstufen in dem sogenannten Mus-
kelkastchen und im Fibrillenbiindel, welche beide nicht mehr einer
Epithelflache angehoren, sondern im Mesenchym eingeschlossen
sind. Hier sind zahlreiche Fibrillen unter einander vereinigt und
erzeugen gemeinsam mit den Muskelkorperchen , den myogenen
Zellen, eine neue Einheit, welche anfanglich direct in das Mesen-
chym eingebettet ist, bei fortschreitender Entwicklung aber von
einer besonderen Umhullung, dem Sarkolemm, umgeben wird.
Die Beziehungen zum Epithel sind in beiden Fallen beim ausge-
96 0. iind R. Hertwig,
bildeten Thiere niclit melir erkennl)ar, sie konnen aber noch nach-
gewiesen werden, wenn man iu der Weise, wie wir es bei Trito-
nen und Petromyzonten gethan haben, auf friihe Stadien der On-
togenese zuriickgreift ; dabei ergeben sich dann iiii Priucip die glei-
chen Verlialtnisse , Avelche wir zuerst bei deu Coeleuteraten beob-
achtet haben, wo ebenfalls Biindel epitlielialer Fibrillen secundilr
voni Mesendiym umwachseu werden.
Mit den Wirbelthieren stimmen die Arthropoden iiberein, in-
dem ihre Muskulatur sich aus Fibrillenbiindeln, welche von einem
Sarkolemm umschlossen sind, zusammensetzt. Dadurch wird auch
hier eine Abstauimung vom Epithel der Leibeshohle wahrschein-
lich, obwohl wir noch keine beweisenden Beobachtungeu fiir diese
Vermuthung beibringen konnen.
Der Ueberblick, welchen wir iiber die verschiedenen Formen
des epithelialen Muskelgewebes gegeben haben, liisst uns als das
einfachste Element desselben die Muskelfibrille erkennen. Es ist
dabei fiir die morphologische Auffassung vollkommen gleichgiiltig,
ob die Muskelfibrille quergestreift ist, wie bei den Wirbelthieren
und Arthropoden, oder glatt, wie bei den meisten Wiirmern. Schou
seit langem hat ja die vergleichende Untersuchung des Muskelge-
webes zu dem Resultat gefiihrt, dass es sich bei dieser Unter-
scheidung nur um verschiedene Entwicklungsstufen der contracti-
len Substanz handelt, welche nicht durch morphologische, sondern
einzig und allein durch physiologische Verhaltuisse bestimmt wer-
den. Das Einzelthier des Hydroidenstockchens hat glatte Muskel-
fibrillen, wenn es als triiger Hydroidpolyp am Stockchen sitzen
bleibt; es erhiilt dagegen quergestreifte Fibrillen, wenn es sich als
behende Meduse zu einem frei beweglichen Dasein ablost. Die
Muskeln des Tentakelapparats der Ctenophoren sind fiir gewohn-
lich glatt, und nur an den Seitenfiiden von Euplocamis, welche
sich ganz besouders kraftig zusammenziehen konnen, sind sie
quer gestreift; und so liessen sich noch zahlreiche andere Bei-
spiele als Illustrationen des ausgesprocheuen Satzes zusammen-
stellen.
Die grosse Mannigfaltigkeit, welche das epitheliale Muskelge-
webe in seiner Erscheinungsweise bekundet , wird nur durch die
verschiedene Combination seiner Elementartheile bedingt. Diesen
Gesichtspunkt miissen wir fest im Auge behalten, wenn wir bei
ciner Vergleichung iiberall die gleichwerthigen Theile einander ge-
geniiberstellen wollen. Bisher ist das nicht gescheheu, wie wir
deun fast in alien Arbeiten sehen konnen, dass die Muskelfibrille
Die Coelomtlieorie. 97
einer Mecluse ocler eines Wurmes clem Fibrillenbundel der Wirbel-
thiere imd Arthropoden verglichen worden ist. Im Allgeiueiuen
muss es als ein wichtiges Merkmal des cpithelialen Muskelgewe-
bes angeselieu werden, dass seine Elemeutartlieile, die Fibrillen, uie-
mals einzeln, sondern stets zu hoheru Eiiilieiteii combiuirt auftre-
ten. Als solche hohere Einheiten habeu wir die Muskellamelle,
das Muskelblatt und das Muskelprimitivbiiudel keunen gelernt.
Ueberall kommt die Fibrille nicht als Einzelgebilde, soiidem uur
als Theil eiues Ganzen zur Geltung.
Wenn wir von der Structur und der Entwicklungsweise absehen,
so ist das epitheliale Muskelgewebe drittens nocli durch die gross e
Kegelmassigkeit, mit welcher seineFasern imKorper
verlaufen, gekennzeichuet. Die Tlieile eines Muskels oder einer
Muskellamelle sind einauder genau parallel und werden nicht durch
auderweitig gerichtete Fasern durchkreuzt. Sie sind stets von An-
fang an in einer ubersichtlichen und einfachen Weise angeordnet
und werden erst bei fortschreitender Differenzirung mehr durch
einander geworfen. Bei den niederen Wlirmern finden wir nur
eine Ring- und eine Langsfaserschicht ; bei dem Amphioxus und
den Cyclostomen ist vorwiegend die letztere ausgebildet, die er-
stere dagegen rudimentar. Aus der Langsfaserschicht sind wahr-
scheinlich die complicirten Muskelsysteme der iibrigen Wirbelthiere
im Anschluss an das Auftreten von Extremitaten entstanden. Wie
einfache Muskellagen sich zu verschiedeu verlaufenden Muskel-
gruppen differenziren konnen, daflir liefern uns die Actinien inter-
essante Beispiele, da bei ihnen die Langsfasern der Septen durch
Einfaltung Muskelschichten mit einer abweichenden Faserrichtung
erzeugen (3). Aehnliche Vorgange mogen vielleicht auch bei den
Wirbelthieren thatig gewesen sein. Mag aber auch die Anord-
uung der Muskulatur sich noch so sehr compliciren, stets bleibt
doch der Grundcharakter der epithelialen Muskulatur, die paral-
lelfaserige Beschaifenheit des Einzelmuskels, gewahrt.
Wahrend epitheliale Muskein bei den Pseudocoeliern fehleu,
da diese nicht mit den myoblastischea Epithelschichten eines Entero-
coels ausgestattet sind, konnen mesenchymatose Muskein in
beiden Abtheilungen vorkommen, wie ja auch das Mesen-
chym nicht auf eine derselben beschraukt ist. Doch ist immerhin
ein Unterschied vorhanden. Bei den Pseudocoeliern sind die me-
senchymatosen Muskein die einzigen contractilen Elemente und
vermitteln daher allein die Korperbewegungen ; bei den Entero-
coeliern dagegen treten sie in den Fallen, wo sie beobachtet wer-
M. XV. N. F. Vlll. 1. Y
98 0. und R. Hertwig,
deu , mehr erganzend zur reichlicli entwickelten Korpermuskulatur
hinzu; dadurch wird ihnen von Aufang au eine untergeordnete
Rolle im Organismus aiigewieseu. Sie dieneu gleiclisam zur Aus-
liiilfe, werdeu dazu verwaiidt, Organe, welclie urspriinglich der con-
tractileu Elemente eutbehrten, mit solchen zu versorgen, und so
sehen wir sie tiberall die Functionen der unwillkiirlichen oder or-
ganischen Muskeln erfiillen.
Nach dieser kurzen Vorbemerkung werden wir die mesenchy-
matosen Muskeln von denselben Gesichtspunkten aus betrachten,
wie wir es im Obigen mit dem Epithelmuskelgewebe gethan lia-
ben. Wir werden dabei nacli einander ihre Eutwicklungs-
weise, ihren Bau und ihre Anordnung in's Auge fassen.
In alien Fallen, wo mesenchymatose Muskelfasern beobachtet
werden, entweder in der Korpermuskulatur der Plattwiirmer, Mol-
lusken, Kotatorien und Bryozoen oder in den Geweben der Anneli-
denlarven oder endlich in den Darmwandungen der Arthropoden
und Wirbelthiere , schliessen sie sich in ihrer Entwicklung an die
Zellen der Bindesubstanz an; sie sind kurzweg als besonders dif-
fereuzirte Zellen der Bindesubstanz anzusehen. Am langsten ist
dieser Entwicklungsprocess von den Ctenophoren bekannt; iiber die
Mollusken und Bryozoen haben wir nilhere Nachricht durch Fol,
Btitsclili, Hatschek u. A., welche verfolgen konnten, dass
einzelne Zellen, welclie zwischen Ektoblast und Entoblast liegen, zu
Fasern auswachsen und sich mehr oder minder vollstandig in Mus-
kelsubstanz umwandeln. Fol vermuthet zwar, dass die myogenen
Zellen direct vom Ektoblast abstammen, doch thut er dies, da er
keine Beobachtungen dafiir giebt, wohl vorwiegeud auf Grund der
damals weit verbreiteten , in der Neuzeit als irrig erkannten All-
gemeinvorstellung, dass das aussere Keimblatt die Matrix der Mus-
kulatur sei. Alle neueren Untersuchuugen weisen dagegen auf das
Bestimmteste darauf hin, dass die Muskeln den schon friihzeitig
bei Mollusken angelegten Mesenchymkeimen angehoren. Fiir uns
ist tibrigens diese Frage von untergeordneter Bedeutung, da kei-
nenfalls der fur uns wichtigste Punkt in Zweifel gezogen werden
kaun, dass die Zellen, mogen sie stammen, woher sie wollen, als
amoboide indilferente Zellen zwischen den beiden primaren Keim-
blattern liegen und von anderweitigen Elementen nicht zu unter-
scheiden sind, bevor sie zu Muskelfasern werden. Das gleiche
Resultat ist von Biitschli (39), Kennel (45) und Hallez (30)
bei den Plattwiirmern gewonnen worden.
Wahrend der Entwicklung ist es nicht moglich, eine Grenze
Die Coelomtheorie. 99
zu Ziehen, wann eiue Bindesubstanzzelle aiifangt eiue Muskelzelle
zu seiu. Dies setzt sich aber vielfacli audi auf die Zustiiude der
erwachsenen Thiere fort, namentlich in den Fallen, wo das niesen-
chymatose Gewebe iiberhaiipt auf einer niedereu Stufe der Aus-
bildung verharrt. So ist es bekanntlich auf dem Gebiet der Ge-
webelehre vieler Wirbelthierorgane ein in's Endlose sich fortspin-
nender Streit, ob gewisse Elemente muskulos sind oder dem Binde-
gewebe angehoren. His (165) und viele Andere haben daher eine
scharfe Grenze zwischen Bindesubstanz- und Muskelzelle in Ab-
rede gestellt, und Flemming (158) hat diesen Gedanken in der
Neuzeit niiher erlautert, indem er die Elemente der Harnblase der
Salamandrinen einer genauen Uutersuchung unterwarf und den
ganz allmahlichen Uebergang von achten Muskelzellen zu ilchten
Bindesubstanzzellen durch Abbildung zahlreicher Zwischenformen
demonstrirte.
Aus ihren genetischen Beziehungen zur vielge-
staltigen Bindesubstanzzelle erklart sich dieFormen-
mannigfaltigkeit, in welcher die m esenchymatosen
Muskelfasern auftreten. Ihre haufigste Gestalt ist eine mehr
Oder minder in die Liinge gezogene Spindel, wie sie uns die con-
tractile Faserzelle oder die glatte Muskelfaser der Wirbelthiere
zeigt; desgleichen gelioren hierher als vortreffliche Beispiele die
Muskeln der Cephalopoden und der meisten MoUusken, Seltener
hat sich der veriistelte Charakter der meisten Bindesubstanzzellen
auf die Muskelfaser vererbt oder, richtiger gesagt, bei ihr erhalten.
Im Allgemeinen findcn sich veriistelte Formen bei niedriger orga-
nisirten Thieren , was jedoch nicht ausschliesst , dass sie auch bei
hoch organisirten Crustaceen (an den Leberschlauchen der Mala-
kostraken (Taf. Ill Fig. 9) vorkommen. Am schonsten sind sie
bei den Larven nicht allein der Mollusken (Taf. Ill Fig 3), son-
dern auch vieler Wiirmer (Taf. I Fig. 6); bei den Mollusken
werden sie vielfach in die bleibenden Organismen mit hiniiberge-
nommen, wie denn namentlich die Pteropoden mit ganz wuudervoll
veriistelten Muskeln ausgestattet sind. Letztere sind ausserdem
noch haufig bei Planarien, Rotatorien und Bryozoeu.
In der Art der Verastelung kommen Verschiedenheiten inso-
fern vor, als entweder die Faser iiberall und uach alien Rich-
tungen hin oder nur an den En den in Auslaufer ausstrahlt. Im
letztercn Falle herrscht haufig eiue grosse Regelmassigkeit, indem
die Faser sich an beideu Enden dichotomisch gabelt und so sich
schliesslich in zahlreiche, feinste Endzweige auflost.
7*
100 0. und E. Hertwig,
Weitere histologische Unterschiede werden durch das Verbal-
ten del' contractilen Substanz herbeigefiihrt, besonders durcb ihre
Anordnung und Structur. Zuweilen, wie bei den Planarien, wer-
den wir an das Verhiiltniss der epithelialcn Muskehi erinnert,
indem die contractile Substanz nur einseitig ausgeschicden wird,
so dass das Muskelkorpercben der Faser iiusserlicb aufsitzt, wie
angeklebt; allein das ist selten im Verhiiltniss zu den zabllosen
Fallen, wo die Zelle sich allseitig mit einem Mantel von con-
tractiler Substanz umgiebt. Bleibt von der Bildungszelle viel er-
halten, so durchsetzt ihr Protoplasma als Axen- oder Marksub-
stanz die ganze Faser; wird sie zum grossten Theil aufgebraucht,
so bleibt nur der Kern mit wenig Protoplasma iibrig und nimmt
die breiteste Stelle der Faser ein.
Unser Begriff der mesenchymatosen Muskelfaser fallt gemei-
niglich mit dem Begriff der giatten Muskelfaser der Histologen
zusammen, ohne sich jedoch vollkommen mit ihm zu decken.
Denn wenn auch der Kegel nach die mesenchymatosen Muskeln
aus homogener contractiler Substanz bestehen, so giebt cs doch
Ausnahmen, wenn auch sparliche. Quergestreifte, verastelte Faser-
zellen umhiillen nach Weber (130) die Lebergange vieler Crusta-
ceen (Taf. Ill Fig. 9) ; quergestreifte, spindelige und anderweitig ge-
formte Zellen bilden das Herz vieler Thiere; und unter den Kor-
permuskeln finden sich quergestreifte bei Eotatorien (Leydig, Mo-
bius) und Bryozoen (Nitsche). Der Umstand, dass gelegent-
lich die contractilen Faserzellcn wie die Primitivblindel der Ar-
thropoden und Wirbelthiere quergestreift sein konnen, hat wesent-
lich dazu beigetragen, eine scharfe histologische Unterscheidung
der beiden Typen des Muskelgewebes zu verhindern. Die Histo-
logen kamen immer wieder von Neuem auf die Ansicht zuriick,
dass die quergestreifteu Faserzellen, welche z. B. auch das Herz
der Wirbelthiere bilden, vollkommene Uebergange zwischen den
giatten Faserzellen und den quergestreifteu Fibrillenbiindeln seien.
Man verfiel hier in denselben Fehler, welcher auch sonst so haufig
bei der Betrachtung der thierischen Organisation gemacht wird,
dass man nicht zwischen dem morphologischen Charakter und dem
Grad der physiologischen Vervolllvommnung unterschied. Wir neh-
men daher Veranlassung, die unterscheidenden, histologischen Merk-
male zwischen epithelialeu und mesenchymatosen Muskeln hier be-
sonders zu betonen, und mochten dabei namentlich auf zwei Merk-
male aufmerksam machen, die zwar nicht immer gleich deutlich aus-
Die Coelomtheorie. 101
gepriigt siiid, bei deren Berucksiclitigung man aber im Wosent-
lichen mit seinem Urtheil richtig geleitet werden moclite.
Bei den mesenchymatosen Muskelfasern bleibt mehr oder min-
der der Charakter der Einzelzelle bewahrt, weshalb deun auch
der Ausdruck „contractile Faserzellen" fiir sie gut gewahlt ist,
Gewohnlich besitzen sie nur einen oder zwei Kerne, welche ent-
weder ausserlich der contractilen Substanz angefiigt oder in ihr
Inneres eingebettet sind. Ab und zu erfahrt die Anzahl der Kerne
eiue Vermehrung in derselben Weise wie es bei den Ctenophoren
stets der Fall ist, so dass durch die langgezogene Muskelfaser sich
ein vielkeruiger protoplasmatischer Axenstrang hinziebt. Wahr-
scheinlich kommen solche Falle auch bei den Bilaterien, obschon,
soweit wir die Literatur kennen , im Allgemeinen nur selten vor.
Dagegen ist es bei dem epithelialen Muskelgevvebe die Kegel, dass
die einzelnen Zellen fiir sich keine Rolle spielen, sondern sich
mit den benachbarten dicht anschhessenden Zellen zu gemeinsaraer
Thiitigkeit vereinen, wie dies bei den Muskellamellen, Muskelbliit-
tern und Fibrillenbiindeln beobachtet wird. Freilich miissen wir
hinzusetzen, dass die Kegel Ausnahmen erfahren kann; so sind
z. B. bei den Nematoden die Muskelfibrillen nach Zellterritorien
von Anfang an getrennt, und auch die Fibrillenbiindel der Wirbel-
thiere, obwohl spiiter vielkernig, entwickeln sich aus einer einzigen
Zelle. Als Ausgaugspunkt der Muskelbilduug wurde sich auch hier
wie bei den Ctenophoren nur eine einfache Zelle ergeben , welche
beim Wachsthum zu einer vielkernigen Zelle geworden ist.
Zweitens lassen sich die mesenchymatosen Muskelfasern nicht
in Fibrillen auflosen, welche der eigentliche Elementartheil der
epithelialen Muskeln sind. Man muss sich htiten eine feine Liings-
streifuug der Muskelsubstanz ohne Weiteres als den Ausdruck einer
fibrilliiren Structur anzusehen; hierzu ist man nur berechtigt, wenn
es leicht gelingt, die Fibrillen zu isoliren oder entwicklungsge-
schichtlich zu beweisen, dass die Muskelfaser durch Aneinander-
fiigung einzelner Fibrillen entstanden ist. Einen derartigen dop-
pelten Nachweis kann man fiir die fibrilliiren Muskeln der Arthro-
poden und Wirbelthiere fuhren, nicht aber fiir die Muskeln der
Pseudocoelier , nicht einmal fiir die feinstreifigen und durch an-
sehnliche Starke ausgezeichneten Muskelfasern der Ctenophoren,
welche ganz sicher nicht fibrillar sind. Vielleicht wird jedoch
auch hier die Allgemeingiltigkeit der Kegel durch vereinzelte Aus-
nahmen eiugeschrankt. In seltenen Fallen, wie bei dem Schliess-
102 0. und R. Hertwig,
muskel vieler Muscheln scheint in der That ciii Zerfall der con-
tractilen Substanz in Fibrillen zii erfolgen , was wir dann mit
Schwalbe (172) als eine secundare Erscheinung, als eine Weiter-
bildung der contractilen Substanz betrachten mochten, im Gegen-
satz ZQ den Fibrillenbiindeln , deren fibrillare Structur in ihrer
Entwicklungsweise tief begriindet ist.
In der Anordnung der mesenchymatosen Muskeln herrscht
gewohnlich eine grosse Regellosigkeit, namentlich sind bei alien
niederen Thieren und Larvenformen die Fasern in den verschieden-
sten Richtungen durch einander gekreuzt, und wenn sie in grossen
Mengen im Parenchym auftreteu, unter einander verfilzt. Dieses
Sichkreuzen und Durcheinanderflechten der Muskelfasern fallt so-
fort als ein gemeinsamer, sehr hervorstechender Charakterzug in
die Augen, wenn man Quersclinitte durch den Korper von Platt-
wiirmern (Taf. I Fig. 1 ) und Mollusken ( Taf. Ill Fig. 10) oder durch
die Eingeweide (das Herz, die Darmwandung, die Muskelmasse
des Uterus) von Wirbelthieren durchmustert. Auch ist es leicht
verstiindlich, dass die mesenchymatosen Muskeln ihrer ganzen Ent-
wicklungsweise zu Folge zu einer derartigen wirren Lagerung hin-
neigen , da ihre Bildungszellen von Aufang regellos zerstreut und
nirgends wie die Epithelzellen durch Vereinigung zu Schichten in
bestimmter Weise geordnet sind. Natiirlich handelt es sich hier
urn Erscheinungen, welche durch die Eigenthiimlichkeiten des Ge-
webes nur im Allgemeinen begiiustigt werden und nicht nothwen-
dig auftreten miissen. Daher sehen wir denn namentlich bei den
hoher organisirten Pseudocoeliern sich aus dem contractilen Paren-
chym Muskeln mit parallelfaseriger Anordnung der Elemente her-
aus ditferenziren.
Versuche, die verschiedenen Formen des Muskelgewebes inner-
halb des gesammten Thierreichs auf eine oder einige wenige Grund-
formen zuriickzufuhren , sind schou mehrfach gemacht worden,
ohne dass dabei eine Uebereinstimmung erlangt worden ware.
Ftir uns hat nur einer derselben, welcher von Weismann her-
riihrt, grosseres Interesse, weil er Resultate ergeben hat, welche
in vielen Punkten mit den hier dargestellten ilbereinstimmen.
Wie wir so hat auch Weismann (17o) zwei Typen des Muskel-
gewebes aufgestellt, den Typus der contractilen Zelle und den
Typus des Primitivbiindels. „Nach dem einen setzen sich die Mus-
keln aus Zellen zusammen, nach dem anderen bestehen sie aus
besonderen Organen, den Primitivblindeln." „Die Muskelzelle hat
in ihrem Kern ein einziges Centrum, wahrend ein Primitivbiiudel,
Die Coelomtheorie. 103
mag es entstanden sein, auf welche Weise es wolle, stets eine
Vielheit von Kernen enthalt." Zwar koniien auch in dor Muskel-
zelle ab und zu mehr (2 — 3) Kerne auftreten, doch „liegen solche
mehrfacbe Kerne in der Zelle dicht beisammen, wahrend sie im
Primitivbiindel weit umber gestreut sind." Einen zweiten Unter-
schied erblickt Weismann in der Anordnungsweise. „Die Pri-
mitivbiindel baben ibre Ansatzpunkte mit den Ansatzpunkten ihres
Muskels gemein, ein jedes von ihnen gebt von Sehne zu Sehne;
die Mulvelzellen sind kiirzer als der Muskel und die Muskelhige,
welcbe aus ihnen sicb zusammensetzt; sie fiigen sicb in der be-
kannten Weise dacbziegelformig zusammen , und es mtissen stets
mehrere sicb aneinaiiderreiben , um von einem Ende des Muskels
zum anderen zu reicben. Aucb konnen bier Muskellagen sicb
wecbselseitig durcbkreuzen , wabrend Primitivbiindel stets mebr
Oder weniger parallel neben einander liegen."
Das sind wobl, moglicbst mit des Verfasers cigenen Worten
dargestellt, die wicbtigsten Merkmale, da in der Geuese Weis-
mann keine durcbgreifenden Verscbiedenbeiten bat nacbweisen
konnen. Ueber die Vertbeilung der beiden Formen des Muskel-
gewebes auf die Hauptabtbeilungen des Tbierreicbs vverden fol-
gende Mittbeilungen gemacbt. „Die Muskulatur der Coelenteraten,
Ecbinodermen, Wtirmer und Mollusken bestebt ganz allgeniein aus
eiiifachen Zellen, wahrend bei Arthropoden und Wirbeltbieren be-
sondere complicirte Gebilde, die Primitivbiindel, die Muskeln zu-
sammensetzen , Gebilde, welcbe in ibrer definitiven Structur unter
einander zwar sebr abnlicb, in ibrer Genese aber, und also in
ibrem histologiscben Wertb, sebr verscbieden sind. Bei den Wir-
beltbieren findet sicb zugleich aucb die nacb dem Zellentypus ge-
baute Muskulatur vertreten, den Arthropoden mangelt sie ganz-
licb. Allein also die Wirbeltbiere und zwar alle Classen derselben
besitzen Muskeln nacb beiden Gewebstypen, den Arthropoden man-
gelt ganzlicb der Zellentypus, den iibrigen Classen ebenso voll-
kommen der Typus des Primitivbiindels."
Bei einer Beurtbeilung der Weismann 'scben Anscbauungen
miissen wir beriicksichtigen, dass sie vor einem Zeitraum von bei-
nabe 20 Jabren niedergescbrieben worden sind, also zu einer
Zeit, wo die Kenntnisse von der Muskulatur der Wirbellosen aus-
serordentlicb viel unvollstandiger waren als jetzt, wo sogar bei
den Wirbeltbieren die Frage nacb dem Verbaltniss von Muskel-
korpercben und Muskelsubstanz kiirzlicb erst auf s Neue zu einem
Gegenstand lebbaftester Controverse geworden war. Damals wurde
104 0. unci 11. Hertwig,
die Praeexistcnz (ler Fibi'illen im Fibrilleiibiindel angezweifclt, man
kanntc noch idclit die Bcziehungen der Muskelfil)iillen zii dun
Epithclzellen bei Coelenterateii uiid vieleii Wiirinern; audi war es
unbekannt, dass Muskelfibrilleii sich secuiidar zu Primitivbiindeln
vcreinigen konnen , wie dies bei vielen Coelenterateii mit Siclicr-
heit erweislich ist. Daraus erkliirt sich zura Tlieil , dass die Un-
terschcidiing zweier Muskeltypen , so berechtigt sie auch an mid
fiir sich ist, bei We ism an n eine Form angenommen hat, in wel-
cher sie zweifellos iinhaltbar ist. Die verschiedeue Kernzahl ist
durchaus kein unterscheidendes Merkmal, da z. B. die contractilen
Zellen der Ctenophoren eine sehr grosse Zahl von Kernen enthal-
ten konnen; luid auch die betonten Unterschiede in der Anord-
nung sind zwar objectiv berechtigt, sie wiirden aber nicht zutref-
fend sein , wenn wir uns auf den Standpunkt Weismann's stel-
len. Denn die Muskelfasern der Medusen, Actinien und Anneliden
vorlaufen einander genau parallel, sind bei letzteren ganz ansehn-
lich lang und konnen sich denen der Arthropoden vollkommcn
ebenbiirtig an die Seite setzen ; sie erstrecken sich durch mehrerc
Segmente hindurch, wiihrond doch schon die Liinge von Septum
zu Septum geniessen ausreichen wurde, urn ihre Anordnung der
Anordnung der Primitivl)undel vergleichbar zu machen. Auf der
anderen Seite ist als ein sehr wichtiger, auch heute noch voll-
kommcn giltiger Gesichtspunkt aus der Arbeit hervorzuheben, dass
Weismann von der Beschaffenheit der contractilen Substanz
ganz absieht und es besonders betont, dass sowohl Muskelzelle
als auch Primitivbiindel quergestreift sein konnen.
Die von Weismann befiirwortete Eintheilung der Muskulatur
hat keinen durchgreifenden Erfolg errungen; ein Theil der Histo-
logen war der Ansicht, dass iiberhaupt alle contractilen Elemente
nach demselben Princip gebaut seien, wobei die Einzelnen bald
das Fibrillenbiindel nur als eine vergrosserte contractile Zelle an-
sahen, bald umgekehrt in der contractilen Zelle die Elemente des
Primitivbiindels, die Fibrillen, nachzuweisen suchten. Andere wie-
der, und zwar die Mehrzahl der Forscher, gaben zwar die Unter-
schiede zu, behaupteten aber, dass die beiden Formen des Muskel-
gewebes durch vielerlei Uebergangsformen unter einander verbun-
den seien. Diesen Gesichtspunkt hat Schwalbe (172) durch zahl-
reiche Beobachtungen iiber die Muskulatur der Wirbellosen und
Rat z el (106) speciell durch Untersuchung der Wiirmer zu stiitzen
versucht. Beide bcgriinden ihre Ansicht ausserdem noch durch den
Hinweis, dass nach den Lehren des Darwinismus Thierform aus
Die Coelomtheorie. « 105
Thierform hervorgegangen sei und dass mau dalier aucli keineu
schaifen Gegeusatz in den Gewebsformen annehmen konne. Hier-
bei liesseu sie freilicli ausser Acht, dass functionell verwandte Ge-
websformen sich nicht nothwendig aus einander entwickeln mussen,
soudern dass sie audi in divergenten Thierreihen selbstandig ent-
stehen kounen.
5. Das Nervensystem.
Wie an alien Organsystemen, die wir bisher betraclitet habeii,
so ist auch am Nervensystera der Pseudocoelier und der Entero-
coelier ein Gegensatz nachweisbar, der sich soNVohl in der Beschaf-
fenheit der Centralorgane als auch in der Vertheilung der peri-
pheren Nerven aussert.
Bei den Enterocoeliern sind die Centralorgane epitheliale Bil-
dungen, indem sie sich aus dem Ektoderm entwickeln. Am schon-
sten zeigt sich dies in den niederen Abtheilungen, in welchen die
einzelneu Ganglienknoten die urspriingliche Lage in ihreni Mutter-
boden beibehalten, wie bei den Chaetognathen und vielen niederen
Anneliden. Aber auch dann, wenn das Centralorgan auf einer
hoheren Stufe der morphologischen Entwicklung anlangt, sich vom
Mutterboden ablost und in das Mesoderm eingebettet wird, giebt
sich sein ektodermaler Ursprung immer noch leicht zu erkennen.
Es bildet eine compacte, gegen andere Gewebstheile abgegrenzte
Masse, selbst noch in den Fallen, wo secundar Blutgefiisse, von
Bindesubstanz begleitet , in sein Inneres hineinwachsen , wie beim
Gehirn und Riickenmark der hoheren Wirbelthiere.
Bei den Pseudocoeliern scheinen die Centralorgane keinen ein-
heitlichen Ursprung zu haben, sonderu sich theils aus epithelialen,
theils aus mesenchymatosen Zellen hervorzubilden. Wenigstens
mochten wir dies fiir die Turbellarien , Plathelminthen und Mol-
lusken behaupten, gestutzt auf entwickluugsgeschichtliche und ver-
gleichend anatomische Befunde. Wie uns die Entwicklungsgeschichte
lehrt, treten mit Ausnahme der Scheitelplatte nirgends Verdick-
ungen im Ektoblast auf, vielmehr machen sich die Anlagen der
einzelnen Ganglienknoten durch Anhaufung von Zellen im Mesen-
chym bemerkbar. Die Scheitelplatte allein ist bei den Mollusken
als ektodermaler Bestandtheil am Aufbau des oberen Schlundgaug-
lions betheiligt. Fenier macht uns die vergleichende Anatomic
mit sehr urspriinglichen Formen des Nervensystems , die im Me-
senchym gelegen sind, bei Turbellarien und Trematodeu bekannt.
106 0. und R. Hertwig,
Hicr zeigen die Centralorgane noch einen so diffusen Charakter,
sind so wenig von ihrer Umgebung abgegrenzt und von Bestand-
theilen des Mesenchyms, von Bindegewebe und einzelnen Muskel-
fasern, nacli verschiedenen Richtungen so vollstandig durchwacli-
sen, dass man mit grosser Wahrscheinlichkeit eine ektodermale
Herkunft in Abrede stellen kann.
Wenn wir endlich auch von einem Gegensatz im peripheren
Nervensystem gesprocben haben, so konnen wir dies nur in einer
hypothetiscben Form tbun. 1st doch bei wirbellosen Thieren von
der Vertheilung seusibler und motoriscber Nerven so gut wie gar
nicbts bekannt! Bei den Eiiterocoeliern nun mocbten wir ver-
mutben, dass eine von der Keimbbatterbildung abbangige Sonde-
rung des peripberen Nervensystems in einen sensiblen und einen
motoriscben Abscbnitt bestebt, und dass der eine sicb im Anscbluss
an die Sinnesorgane aus dem Ektoblast , der andere sicb im An-
schluss an die animale Muskulatur aus dem parietalen Mesoblast
entwickelt bat. Diese Hypothese griindet sicb auf Befunde bei
den Cbaetognatben und bei den Wirbeltbieren, sowie auf die All-
gemcinvorstellung, welcbe wir iiber die Genese des Neuromuskel-
sy stems scbon in friiberen Scbriften vorgetragen haben. Bei den
Cbaetognatben konnten wir ektodermale sensible und mesodermale
im Kopf gelegeno uiotoriscbe Ganglienknoten, einen ektodermalen
sensiblen Nervenplexus und mesodermale motoriscbe Nerven nach-
weisen. Bei den Wirbeltbieren entspringen sensible und motorische
Wurzeln getrennt aus dem Riickenmark , woraus wir fiir jene auf
einen ektoblastiscben, fiir diese auf einen mesoblastiscben Ursprung
scbliessen mocbten. Fiir die sensiblen Ganglienknoten ist nun auch
ibre Herkunft aus dem Ektoblast sicher gestellt, sowie auch meh-
rere Embryologen einzelne sensible Nerven (Nervus lateralis vagi)
als Verdickung im Ektoblast entstehen lassen ; uber die Genese
der motoriscben Nerven dagegen fehlen noch sicbere Beobacbtun-
gen, welcbe fiir unsere Ansicht verwertbbar waren. Sollte unsere
Hypothese sicb durcb weitere Untersuchungen bestatigen, so wiirde
dadurch eine morpbologische Erklarung fiir den Bell'schen Lehr-
satz gegeben sein.
Bei den Pseudocoeliern ist eine derartige vollkommen gesetz-
massige Sonderung in sensible und motorische Nerven nach der
Entwicklung des gesammten Systems und nach der Anlage ihrer
Keimblatter nicht zu erwarten.
Die Coelomtheorie. 107
III. Zur Systematik der Bilaterien.
Seitdem durch Fritz M tiller und E. Haeckel die Autfas-
sung, dass die Ontogenese eiiies Thieres in kurzen Zugen die Phy-
logenese seiner Vorfahren recapitulire, zu einer — man kann jetzt
wohl sagen — allgemeingiltigen erhoben wordeu ist, seitdem man
ferner auf Gruud der Descendenztlieorie sicli darau gewohnt hat,
das System ais den kurzen Ausdruck der phylogenetischen Ver-
wandtscliaft der Tliiere zu betrachten, ist in der Morphologie das
Bestrebeu in den Vordergrund getreten, das System des Thier-
reichs vorwiegend auf entwicklungsgescliichtlicher Basis zu be-
griinden. Zwar wurde hiermit kein neuer Gesichtspunkt in die
Zoologie hineingetragen , da schon fruher v. Baer die auf ver-
gleichend anatomischem Wege ausgebildete Typenlehre verglei-
chend eutwicklungsgeschichtlich weiter begrundet hatte. Auch
waren im Einzelnen , z, B. bei der Trennung von Ampbibien und
Ileptilien, bei der Einverleibung der Cirrbipedien in den Stamm
der Crustaceen , vergleicheud entwicklungsgeschichtliche Ergebnisse
maassgebend gewesen. Indessen zu keiner Zeit ist der embryo-
logische Gesichtspunkt so sehr in den Vordergrund gestellt und
mit solcher x\usschliesslichkeit zur Geltung gebracht worden , wie
in den zwei letzten Jahrzehnten ; zu keiner Zeit hat die Idee „eiuer
embryologischen Classification des Thierreichs" so sehr die zoo-
logische Literatur beherrscht wie jetzt.
Von verschiedenen Seiten ist es schon mit Recht hervorge-
hoben worden, dass es sich bei der embryologischen Classification
des Thierreichs um eine grosse Einseitigkcit handelt, und wie jede
Einseitigkeit, so hat auch die vorliegende eine lebhafte Reaction
hervorgerufen , welche freilich nicht immer das Maass einer be-
rechtigten Kritik einzuhalten vermochte und im Bestreben, die
Irrthumer der entgegenstehenden Richtung aufzudecken, auch die
richtigen Gesichtspunkte derselben befehdete. So wurde denn in
Abrede gestellt, dass uberhaupt den eutwicklungsgeschichtlichen
Vorgangcn jene durch das gesammte Thierreich zu verfolgende
Gesetzmiissigkeit zukomme , ohne welche eine systematische Ver-
werthung unmoglich sei. Die Lagerung der Zcllmassen im Keim
werde allein bestimmt durch die Lagerung der fertigen Organe,
zu deren Bildung sie verwerthet werden sollen ; es sei daher wohl
moglich, dass selbst in verwandten Abtheilungen die Keimblatter
108 0. und E. Hertwig,
eine verschieclene Bedcutuiig habeii raochten , class z. B. der sonst
aus dem Eiitoblast staniniende Darm unter Umstiinden eiunial von
dem Ektoblast geliefert werden mochte,
Indem man so der Entwicklungsgescliichte eine untergeord-
nete Bedeutung fur das Verstilndniss der Formen anwies, legte
man alien Nachdrack auf die vergleichende Auatomie. Der em-
bryologischen Classification wiirde die vergleichend anatoniische
gegeniiber gestellt und mit gleicher Bestimmtheit und gleicher Ein-
seitigkeit als die al!ein berechtigte vertheidigt.
Es bedarf nur weniger Worte um zu zeigen, wie unzeitgemass
der Streit ist, dessen Verlauf wir liier kurz skizzirt haben. Denn
der ganze Entwicklungsgang der modernen Morphologie dritngt
darauf bin, die thierische Organisation nach alien Richtungen bin
zu durcbforschen und von den verschiedensten Gesichtspunkten
aus zu betrachten, um so auf mebreren Wegen zu einheitlichen
Auffassungen zu gelangen. Sclion jetzt konnen wir sagen, dass
die Entwicklungsweise der Organe auf ihren morphologischen
Charakter, auf die Art ihres Zusammenhangs, ja sogar in mehr
Oder minder auffalliger Weise auf die Beschaffenheit ihrer Gewebe
einen nachhaltigen Einfluss ausiibt. Unsere Aufgabe ist es , die
hierin sich ausdriickonden innigen Beziehungen im Einzelnen nach-
zuweisen und in ilirer Bedeutung zu wiirdigen. Je mehr wir uns
der Losung dieser Aufgabe nahern, um so mehr werden die
Schwierigkeiten schwinden, welche so haufig noch bei einer gleich-
massigen Verwerthung ontogenetischer und anatomischer Beob-
achtungen uns entgegentreten. Wenn die Anatomie und die Ent-
wickiungsgeschichte uns scheinbar zu widersprechenden Resultaten
f (ihren, so ist das nur ein Zeichen ungenugender Kenntniss oder
unrichtiger Beurtheilung der anatomischen oder entwicklungsge-
schichtlichen Thatsachen.
Eine Auffassung, wie wir sie hier ausgesprochen haben, liisst
sich allerdings nicht im Einzelnen beweisen, sondern nur allmali-
lich mehr und mehr befestigen durch Veigrosserung des Beob-
achtungsmaterials, fiir welches sie Geltung besitzt. Dazu glaubeu
wir durch die vorliegende Schrift einen weiteren Beitrag geliefert
zu haben; denn als ihr Endergebniss konnen wir den Nachweis
ansehen, dass die Betrachtung eines der wichtigsten ontogeneti-
schen Vorgiinge im Thierreich, der Mesodermbildung, zu denselben
morphologischen und systematischen Resultaten fuhrt, wie die
Betrachtung der Gesammtorganisation, des Baues der Organe und
ihrer Gewebe, und dass diese Uebereinstimmung ferner begriindet
Die Coelomtheorie. 109
ist auf dem nothwendigen Zusammenhang, der zwisclien Entwick-
lung und Organisation bcsteht. Wie wir jetzt noch in Kurzera
eiiiiutern wollen, fiiln't die Beriicksichtigung der verschiedenen
Arteu der Mesodermbildung zii einer diirchaus naturgemassen S3^ste-
matischen Anordnung der Thierformen , welche auch in der Ana-
tomie eine feste Stiitze findet.
Nach Maassgabe der Art, in welcher sich die mittlere Korper-
schicht anlegt, zerfallen die Bilaterien in zwei grosse Hauptab-
theilungen, diePseudocoelier und dieEnterocoelier. Zu
den ersteren geliort der Stamm der Mollusken und ein Theil der
Wurmer, bestehend aus den Bryozoen, Rotatorien und Plattwur-
mern ; zu den letzteren rechnen wir die tibrigen Wiirraer, nam-
lich die Nematoden, Chaetognathen, Bracbiopoden , Anneliden (in-
clusive der riickgebildeten Formen der Gephyreen), die Entero-
pneusten und wabrscheinlich auch die Tunicaten, ausserdem noch
die Stiimme der Echinodermen , Arthropoden und Vertebraten.
Die Veriinderungen, welche hierdurch im System bedingt werden
wiirden , sind nur in zwei Punkten von grosserer Bedeutung,
1. Der Stamm der Wiirmer wilrde in zwei Stamme aufgeliist wer-
den, die Scoleciden und die Coelhelrainthen. 2. Die Stiirame der
Bilaterien wiirden nicht ohne Weiteres aneinander gereiht, sondern
zu zwei grossen Gruppen vereinigt werden.
Beides sind Veranderungen, die sich durch die Untersuchung
der Neuzeit im Allgemeinen als nothwendig herausgestellt haben.
Deun es giebt wohl wenig Zoologen, welche nicht in dem Stamme
der Wurmer eine Art systematische Rumpelkammer erblicken moch-
ten, in welcher Alles, was nicht in anderen Stammen naturgemiiss
untergcbracht werden konnte, seinen Platz fand; und ebensowenig
wird bezweifelt werden, dass die Verwandtschaft zwischen den
einzelnen Stammen eine verschiedenartige ist. Es kann daher nur
fraglich sein, ob die Art, in welcher wir die Umgruppirung vor-
genommen haben, das Rechte getroffen hat; urn dies zu cntschei-
den, wollen wir hier noch die wichtigsten Instanzen, welche dafiir
und dagegen sprechen, gegen einauder abwagen.
Die anatomische Verwandtschaft, welche zwischen den Gliedern
einer jeden der beiden Gruppen obwaltet, haben wir schon be-
sprochen und dabei gezeigt, wie sie im Wesentlichen eine Folge der
besonderen Form der Mesodermentwicklung ist. Wir haben daher
nur nothig die wichtigsten Punkte in iibersichtlicher Weise zusam-
menzustellen, zunachst fiir die Enterocoelier.
1. Alle Enterocoelier besitzen eine von Epithel ausgekleidete
110 0. und R. Hertwig,
Leibeshohle, welche friiher als das Blutgefasssystem und unabhan-
gig von demselben entsteht als ein von Anfang an paariger, spii-
ter meist einheitlicher Hohlraum, durcli welchen der Darm ge-
wohnlicli an einein Mesenterium suspendirt verlauft.
2. Das Blutlymphgefasssystem ist eiu System von Spaltcn und
Eohren , welche sich in dem Mesenchym des Korpers ausbilden,
urspriinglich gegen die Leibeshohle geschlossen sind und erst se-
cundixr mit derselben bei Arthropoden und vielen Gephyreen in
Verbindung treten,
3. Die- Geschlechtsorgane stammen vom Epithel der Leibes-
hohle ab; sie behalten diese Lagerung unverandert bei (Anneliden
und Gephyreen, Brachiopoden, Chaetognathen) oder gerathen in das
unterliegende Gewebe, von wo sie bei der Reife in die Leibeshohle
entleert werden (die meisten Wirbelthiere), oder sie verbinden sich
mit anderweitig entstandenen Ausfiihrgangen und erzeugen mit
denselben rohrige Driisen. Als Ausfiihrgiinge dienen in den mei-
sten Fallen die Excretionsorgane , welche ebenfalls Diliierenzirun-
gen des Coelomepithels sind. Die Excretionsorgane sind urspriing-
lich segmental angeorduet und communiciren durch die Wimper-
trichter mit der Leibeshohle.
4. Die Korpermuskeln sind von Primitivfibrillen gebildet, welche
in verschiedenster Weise unter einander zu weiteren Eiuheiten,
zu Muskellamellen, Muskelblattern, Muskelprimitivbiindeln, vereinigt
sind und genetisch wahrscheinlich vom Epithel der Leibeshohle
abstammen. Sie zeichnen sich beim fertigen Thier durch die Re-
gelmitssigkeit ihrer Anordnung aus, indem die Fasern einer Lage
genau parallel verlaufen und nicht durch Fasern einer zweiten
Lage gekreuzt werden. Dazu konnen sich noch contractile Faser-
zellen hinzugesellen , welche dann aber nur den vegetativen Or-
ganen angehoren und mehr oder minder von dem Willen unab-
hiingig sind.
5. Das Nervensystem liegt entweder dauernd im Ektoderm
oder verlasst das aussere Keimblatt sehr spat, nachdem es in sei-
nen wichtigsten Theilen fertig gestellt worden ist, so dass mit
Leichtigkeit sein ektoblastischer Ursprung erkannt werden kann.
DemgegeuUber stehen folgende Charaktere der Pseudo-
c 0 e 1 i e r.
L Die Leibeshohle fehlt ganz oder wird durch ein Liicken-
system vertreten oder sie ist ein durch Confluenz zahlreicher
Spalten entstandener weiter Raum. Sie hiingt urspriinglich mit
dem Blutgefasssystem zusammen, welches mit ihr eine gemeinsame
Die Coelomtheorie. Ill
Anlage hat und nur selten sich gegen sie vollkommen abschliesst
(Cephalopoden).
2. Die Geschlechtsorgane sind entweder umgewandelte Zellen
des Korpermeseiichyms oder stammen vom Ektoblast ab. (?) Sie
besitzeii stets ihre besonderen Ausfiihrgange, ohne sich niit den Ex-
cretionsorganen zu verbinden. Letzteie sind gewohnlich deiidri-
tisch verastelt, wobei ihre feinsten Auslaufer mit den Mescnchym-
spalten oder den Gefiisssinus durch flimmerude Stomata commiini-
ciren. Ihre Entwicklungsweise ist gleichfalls strittig.
3. Die gesammte Muskulatur des Korpers besteht aus con-
tractilen Faserzellen, wie sie bei den Enterocoeliern nur als orga-
nische Muskelzellen vorkommen; haufig veriaufen sie ganz wirr
durcheinander , und audi da, wo sie sich zu bestimmten Lagen
oder zu Muskelgruppen anordnen, sind diese fast stets durch ein-
zehie Faserzellen durchkreuzt.
4. Das Nervensystem liegt selbst bei den niedrig stehenden
Formen im Mesoderm, aus welcheni es zum grossen Theil direct
seinen Ursprung herzuleiten scheint.
Den genannten und schon friiher ausfiihrlich erorterten Punk-
ten konnen wir noch zwei weitere anfiigen, in welchen Enterocoe-
lier und Pseudocoelier sich verschieden verhalten,
Alle Pseudocoelier sind ungegliedert; denn die Ver-
suche, die Nemertinen als gegliederte Thiere darzustellen, halten
einer Kritik nicht Stand, da das fiir die Erkenntniss der Segmen-
tirung wichtigste Organsystem, das Nervenmuskelsystem, gleichfor-
mig durch den ganzen Korper verlauft, und da auch keine Grunde
vorliegen, eine Umwandlung durch Ruckbildung bier anzunehmen.
Wie wesentlich aber die Strobilation der Bandwurmer von der
Segmentirung verschieden ist, hat schon Semper (171) in iiber-
zeugender Weise dargethan,
Ganz anders die Enter ocoelier, bei welchen die
Tendenz zur Gliederung so gross ist, dass fast alle
Thiere diese hohere Stufe morphologischer Entwick-
lung erreichen! Thiere, welche zweifellos ungegliedert sind,
scheinen nur die Nematoden und die Euteropneusten zu sein.
Chaetognathen und Brachiopoden dagegen bestehen aus 3 Segmen-
ten, die Gephyreen sind — das geht wohl aus alien neueren Un-
tersuchungenGreeff's(lOl), Spengel's (108), Salensky's(107),
Hatschek's (103) rait Sicherheit hervor — riickgebildete Anneliden.
Auch die Annahme, dass die Tunicaten urspriinglich gegliedert
waren, findet eine Sttitze iu dem Nachvveis, dass das Riickenmark
112 0. und R. Hertwig,
der Appeudicularien von Stelle zu Stelle im Schwanz zu Ganglien-
knotchenanscliwillt(Laiigerhans (110), Fol. (109)). Dazu kom-
men dann weiter die typisclien Reprasentanten der gegliederten
Thiere, die Aniielidcn, Artliropoden und Vertebrateii.
Der zweite Punkt, den wir noch uachtrilglich hervorheben
mochten, ist das Verhalten des Gastrulamundes. Es scheint
naralich, — bestimmter sich hieriiber auszudriickeu, erlaubt die
mangelhafte Kenntniss der Entwicklungsgeschichte nicht — als ob
der Urmund bei alien Enterocoeliern verloren ginge, bei alien
Pseudocoeliern dagegen fortbestande und zum bleibenden Munde
wiirde. Bei den Plattwiirmern ist die Persisteuz des Urmundes
walirscbeinlich , weil hier haufig liberhaupt uur eine Darmoffnung
vorhanden ist, wiihrend der After noch fehlt ; auch entwickelt sich
bei den mit einem After vcrsehenen Nemertinen der Endabschnitt
des Darmkaiials sehr spat. Die Mollusken haben zwar Aulass zu
lebhaften Controvcrsen gegeben, doch scheint uns aus denselben
mit jeder neuen Arbeit siegreicher die Ansicht Fol's (53 — 57),
Rabl's (69), Hatschek's (59) hervorzugehen, dass der Urmund
zum bleibenden Mund und nicht, wie Lankester (64 65) und
Biitschli (51) wollen, zum After wird.
Uuter den Enterocoeliern bilden nur die Echinodermen zwei-
fellos eine Ausnahme; allein das sind Thiere, welche uberhaupt
in der ganzen Gruppe weit abseits stehen.
Unserer Eintheilung wird man nicht den Einwurf machen
konnen , dass sie klar ausgesprochene verwandtschaftliche Bezie-
hungen durchkreuzt. Denn von den tiblichen Anschauungen ent-
fernt sie sich nur in zwei Punkten, 1. dass sie die Mollusken von
den Brachiopoden und Anneliden vollig trennt und 2. dass sie
keine engere Verwandtschaft der Anneliden und Eotatorien zuliisst.
Beides kann aber mit guten Grunden vertheidigt werden.
Seitdem durch Morse (89) und Kowalevsky (86) der Nach-*
weis gefiihrt worden ist, dass die lange Zeit den Mollusken zu-
gerechneten Brachiopoden viel mehr mit den gegliederten Wtir-
mern Aehnlichkeiten gemein haben, hat sich die Ansicht geltend
gemacht und ist namentlich von Gegenbaur (159) vertreten
worden, dass Brachiopoden und Mollusken riickgebildete Anneliden
seien, wobei den Brachiopoden naturgemass eine vermittelnde Stel-
lung zwischen Anneliden und Mollusken zugewiesen werden miisste.
Folgende 3 Punkte konnen fiir diese Anschauung angefuhrt
werden und mogen daher im Folgenden eine genauere Besprechung
fiuden: 1. die Beschaffenheit des Nervensystems, 2. die
Die Coelomtheorie. 113
Anwesenheit der Segmentalgefasse. 3. Die Larven-
formen.
Gegenbaur und v. Jheriiig — letzterer freilich nur fiir
einen Theil der Mollusken, seine Arthrocochlidcn — halten das
Pedalganglion der Mollusken fur das Horaologon des Strickleiter-
nervensystems der Anneliden. Dies solle wahrscheinlich gcmacht
werden durch die Gattuugen Chiton, Fissurella etc., bei denen sich
das Pedalganglion in zwei Lilngsnerven fortsetzt, die durch quere
Commissuren unter einander verbunden sind. Eine Priifung der
von V. Jhering (GO) gegebenen Beschreibungen und Abbildungen
des Nervensystems von Chiton und Fissurella litsst nun erkennen,
dass die Aehnlichkeit mit dem Nervensystem der Anneliden nicht
in dem Maasse iiberzeugend ist, als der Autor es darstellt. Die
beiden Pedalnervenstanime liegeu weit aus einander und haben keine
gangliosen Anschwellungen , die Commissuren sind unregelmassig,
bald dicker, bald diinner, bald rechtwiukelig, bald unter stumpfem
Winkel mit den Pedalnerven verbunden; ab und zu verleihen sie
kleineren Nervenstiimmen den Ursprung. Allerdings ist es mog-
lich, diese Abweichungen und Unregelmassigkeiten auf Kosten der
Riickbildung zu setzen, welche der Annahme nach die Organisa-
tion der Mollusken erlitten haben miisste, aber es ist dies einmal
an sich nicht wahrscheinlich, well man nach Analogie der vielfach
zum Vergleich herangezogenen Gephyreen u. a. Thiere danu auch
eine Verschmelzung der Langsstamme erwarten sollte; zweitens
w'ird man eine solche Annahme nicht machen, wenn nicht noch
anderweitige Momente zu Gunsten derselben sprechen. Endlich
erinnert der ganze Bau des Nervensystems der Chitonen vielmehr
an die Verhaltnisse bei den Turbellarien , deren ventrale Nerven-
stamme ebenfalls durch quere Commissuren strickleiterartig unter
einander verkniipft sind. Da sie Ganglienzellen enthalten, so ware
es ganz gut denkbar, dass centrale Theile wie die Pedalganglien
aus ihnen hervorgehen konnten. Wir koramen daher zum Schluss,
dass das Nervensystem der Mollusken sich viel leichter aus einer
weitereu Entwicklung des Nervensystems der Turbellarien erklaren
lasst, als aus einer Riickbildung des Nervensystems der Anneliden,
dies um so mehr, als ja das Pedalganglion nicht wie das Bauch-
mark der Anneliden aus dem ausseren Keimblatt entsteht.
Wer die Mollusken von den gegliederten Wiirmern ableiten
will, der muss sich nach anderen Merkmalen umsehen, welche auf
eine verlorene Gliederung hinweisen konnten. Ein solches konnte
man allein noch in dem doppelten Vorkommen der excretorischen
Bd. XV. N. y. VIII, 1. g
114 0. imd R. Hertwig,
Gefasse bei den Gastropoden fiuden. Bei denselben legen sicli im
embryonalen Lebeii ein Paar flimmeruder Caiiale an, die mit Recht
von Allen, welche sie beobachtet haben, mit den Wassergefassen der
Rotatorien und ferner auch mit den Kopfnieren der Anneliden-
larven homologisirt werden. Sie sind vorubergelieuder Natiir, func-
tioniren im embryonalen Leben und werden dann riickgebildet,
walirend an ihre Stelle die gewohnlich unpaare, viel weiter nach
rtickwarts gelegene bleibende Niere tritt. Sind die bleibenden
und embryonalen Nieren homodyname Organe ? Diese Frage wird
von alien Autoren einstimmig verneint , well beide Organe selir
verschieden gebaut sind; es werden nur die embryonalen Nieren
den Wassergefassen der Wiirmer verglichen, die bleibenden Nieren
dagegen fiir Neubildungen erklitrt, welche erst von den Mollus-
ken erworben wurden. Damit verlieren aber die Organe auch das
Wenige von Beweiskraft, welches man ihnen bei der Erorterung,
ob die Mollusken gegliederte Thiere sind, zusprechen konnte.
So bleibt uns nur noch die sys tematische Bedeutung
derLarvenformen zu erortern iibrig. Hier wollen wir un-
serer Darstellung gleich einen weiteren Rahmeu geben und in den
Kreis unserer Betrachtungen auch die iibrigen, fast ausschliesslich
marinen Larvenformen Ziehen, welche bei den Echinodermen, Bryo-
zoen, Turbellarien, Nemertinen u. s. w. auftreten und von Hux-
ley, Gegenbaur (159), Lankester (170), Hatschek (102),
Balfour (156) und zahlreichen Anderen auf eine gemeinsame Grund-
form zuriickgeftihrt werden. Damit erledigen wir zugleich die Frage
nach der Verwandtschaft der Rotatorien und Anneliden, well die
Aehnlichkeit der ersteren mit den Larven der letzteren der ein-
zige Grund ist, beide Gruppen einander im System zu nahern.
Da ohnehin in der Neuzeit den Larvenformen eine aussergewohn-
liche — vielleicht allzugrosse — Aufmerksamkeit zugewandt wer-
den ist, konnen wir uns auf wenige Bemerkungen beschranken.
Die in Rede stehenden Larven werden gewohnlich auf eine ge-
meinsame Stammform zuriickgefiihrt, auf einen Organismus ahulich
den Rotatorien, ausgestattet mit Darm und cinem Wimperreifen,
uber dessen urspriinglichen Verlauf die Ansichten aus einander
gehen, ferner in vielen Fallen wenigstens ausgestattet mit einem
verastelten Excretionsorgan und der Scheitelplatte , einer Ekto-
dermverdickung , welche als Anlage des oberen Schlundganglions
angesehen wird. Wahrend ein Mesoblast fehlt , ist ein reichliches
Mesenchym vorhanden. Die Excretionsorgane werden wir in die
Reihe der Bildungen zu stellen haben , welche bei den mesenchy-
Die Coelomtheorie. 115
matoseu Thieren vorkommen, nicht in die Eeihe der Segmental-
oi'gaue; das ist namentlich bei den wenigen Anuelideularven, bei
welchen ein provisorisches Larvenexcretionsorgan beobachtet wurde,
sehr deutlich, da das letztere hier aiis verastelten Rohren besteht
und auch sonst dem Wassergefasssystem der Plattwurmer und Ro-
tatorien gleicht.
Wie in derNeuzeit Balfour (156) mit Recht hervorgehoben
hat, ist die Trochophoralarve im Thierreich so ausserordentlich
verbreitet, dass Jeder, welcher ihr eine grosse phylogenetische Be-
deutung beimisst , gezwungen ist, ihre urspriingliche Existenz bei
sammtlichen Bilaterien anzunehmen. Ihr Fehlen bei den Wirbel-
thieren, Tunicaten und Arthropoden konnte dann nur nach dem
Princip der abgekiirzten Entwicklung erkUirt werden, da sich die
Trochophora bei den Wurmabtheilungen findet, von denen jene
hoheren Formen wahrscheinlich abzuleiten sind. Ebenso wiirde
wohl Niemand sich so leicht dazu entschliessen , den Chaetogna-
then und Nematoden nur wegen des Mangels der Trochophora eine
selbstandige Stellung abseits von den iibrigen Thieren anzuweisen.
Wir wiirden daher beim Studium der Trochophoraformen zum Re-
sultat gelangen, dass sammtliche Bilaterien von ihnen abstammeu,
Avoraus dann weiter folgen wiirde, dass die Enterocoelier urspriing-
lich aus mesenchymatosen Formen entstanden sind und dass das
Mesenchym in den Fallen, in welchen es fehlt, eine durch die
Genese des Mesoblasts veranlasste Riickbildung erfahren hat,
"Wir haben bisher, der allgemeinen Anschauung folgend, an-
genommen , dass die Trochophora ein palingenetisches Entwick-
lungsstadium ist ; indessen ware es auch denkbar, dass die Larven-
formen erst secundar und in den einzelnen Abtheilungen unab-
hangig von einander erworben worden sind. Ihre Uebereinstim-
mung wiirde dann nur eine Folge convergenter Ziichtung sein und
auf die iiberall gleiche pelagische Lebensweise zuriickgeftihrt wer-
den miissen. Eine derartige Auifassung wird uns um so mehr nahe
gelegt, als die Aehnlichkeit schliesslich in der Mehrzahl der Fiille
keineswegs so iiberzeugend ist, als von vielen Seiten behauptet
wird. Scheitelplatte und Excretionsorgane konnen fehlen. Die An-
wesenheit des Darms und des Mesenchyms ist ein ziemlich indiffe-
rentes Merkmal ; die Wimperreifen sind sehr verschieden angeord-
net und, wenn es auch moglich ist, sie auf einander zuriickzufiih-
ren, so liegt hierzu doch kein zwingender Grund vor; am besten
kann das wohl daraus entnommen werden , dass die meisten For-
8*
116 0. und R. Hertwig,
scher bei der Zuriickfiihrung zu ganz verschiedenen Ausgangs-
formen gelangen.
Im Uebrigen ist es fiir die Fragen, welche uns hier beschaf-
tigen, von untergeordneter Bedeutung, ob die Trochophora eine
secundar erworbene Larvenform ist oder nicht. Wir koiinen die
Eatscheidung hieriiber der Zukunft iiberlassen und heben hier nur
hervor, dass es dazu nothwendig sein wird, genaue Kenntniss von
der Entwicklungsweise der Geschlechtsorgane zu besitzen. Bei
den Enterocoeliern , wo das Coelomepithel allgemein die Eier und
Sperraatozoen liefert , sind wir zwar zur Geniige orieutirt , nicht
so bei den Pseudocoeliern. Sollten die letzteren mit den ersteren
nahe verwandt sein, so miissten ihre Geschlechtsorgane vom pri-
niaren Entoblast abstammen, was bei dem gegenwiirtigen Stande
unserer Kenntnisse nicht recht wahrscheinlich ist.
Nachdem wir die Einwande, welche gegen die Eintheilung in
Pseudocoelier und Enterocoelier gemacht werden konnten, bespro-
chen haben, halten wir es fiir zweckmassig, zur Erlauterung unserer
systematischen Auffassung eine tabellarische Uebersicht der me-
tazoen Thiere zu geben (vergl. p. 134). Zu derselben bemerkeu
wir, dass wir, urn moglichst wenig an dem bestehenden System zu
andern, im Wesentlichen die Hauptstamme im alten Umfang bei-
behalten und nur eine Trennung der Wlirmer in Scoleciden und
Coelhelminthen vorgenommen haben. Zu den letzteren stellen wir
die Brachiopoden, well diese keinenfalls bei den Mollusken verblei-
ben konnen ; auch haben wir die Anneliden bei ihnen belassen und
nicht mit den Arthropoden zum Stamm der Articulaten verbunden,
zum Theil well dies die gebrauchlichere Eintheilungsweise ist, zum
Theil aber auch, weil die Gephyreen von den Anneliden nicht ge-
trennt werden konnen, im Stamm der Articulaten dagegen ein
fremdartiges Element ausmachen wiirden.
Die Coelomtheorie. 117
Allgemeiiier Theil.
In unsercn Studien zur Blattertheorie, welche seit einer Reihe
von Jahren unser Interesse fast ausschliesslich in Anspruch genom-
men haben, glauben wir mit der Begrundung der Coelomtlieorie,
uuter welchem Namen wir die von uns entwickelten Ansichten
iiber die Genese der Leibeshohle im Thierreich kurzweg zusam-
nienfassen wollen, zu einem gewissen vorlaufigen Abschlusse ge-
langt zu sein. Wir ergreifeu daher jetzt noch die Gelegeuheit,
den ini speciellen Theil niedergelegten Auseinaudersetzungen, wel-
che sich auf alle Stiimme des Thierreichs erstreckt haben , einige
allgemeine Bemerkungen zur Blattertheorie folgen zu lassen und
im Zusammenhang die Anschauungen zu entwickeln, zu welchen
wir durch die neu angestellten , auf breiterer Grundlage ausge-
fuhrten Untersuchungen gelangt sind. Es soil dies noch in 2
Kapiteln geschehen, von welchen das erste iiber die Frage han-
delt, was man unter einem mittleren Keimblatt zu verstehen habe,
das zweite die Erscheinungen und Processe der thierischen Form-
bildung zum Gegenstand hat. Am Schluss unserer Abhandlung
werden wir danu endlich noch in einem dritten Kapitel eine Ge-
schichte der Coelomtheorie geben und ein vollstandiges Bild davon
eutwerfen, wie allmahiich die Ansicht gereift ist, dass die Ent-
wicklungsweise der Leibeshohle ein Punkt von der grossten Be-
deutung fiir das Verstandniss des thierischen Baues ist.
1. Was man unter einem mittleren Keimblatt zu verstehen
hat?
Das mittlcre Keimblatt bezeichnet schon seit vielen Jahrzehn-
ten den Kampfplatz , auf welchem sich die entgegengesetztesten
Meinungen befehdet haben. Noch sind die Embryologen dariiber
uneinig, ob sich dasselbe iiberall in einer wesentlich gleichen Weise
entwickele, und ob es in den einzelnen Thierstammen eine ver-
gleichbare Bildung sei.
118 0. und E. Hcrtwig,
Wio wir iiii speciellen Theile glauben gezeigt zu haben,
fasst man augenblicklich unter mittlerem Keimblatt die heterogen-
sten Dinge zusammen, — man versteht darunter sowohl die Zel-
len, welche bei den Echinodermenlarven in die Furchungshohle
aus der epithelialen Grenzschicht der Blastula einwandern und
ein Mesenchym erzeugen, als audi die epithelialen Waudungen der
Urdarmdivertikel der Bracliiopoden und Chaetognathen ; man ver-
steht darunter sowohl die grossen Zellen am Urmundrand der Mol-
lusken, Turbellarien und Plattwurmer, als audi die paarigen Keim-
streifen der Anneliden, Arthropoden und Wirbelthiere. Man lasst
das mittlere Keimblatt sich auf ganz verschiedenen Perioden der
Entwicklung anlegen und hier nur einmal, dort in mehreren Ab-
satzen gebildet werden. So lasst man es bei den Echinodermen,
Mollusken etc. schon auf dem Blastulastadium auftreten zu einer
Zeit, wo der Entoblast noch gar nicht vorhanden ist, in den mei-
sten Fallen aber erst nach der Formation der beiden primaien
Keiniblatter, also nach dem Gastrulastadium. Wenn man daher
augenblicklich erklaren soil, was ein mittleres Keimblatt ist, so
muss man mit der ganz unbestimmten und allgemeinen Definition
antworten, dass damit embryouale Zellen, welche zwischen die bei-
den priniaren Keiniblatter zu liegen kommen, bezeichnet werden.
Mit einer solchen Definition wird man sich aber auf die Dauer
nicht zufrieden geben konnen.
Es geht der Blattertheorie, wie es der Zellentheorie ergangen
ist; sie muss eine Reihe von Entwicklungsphasen durchlaufen, bis
das Gesetzmassige, was durch sie ausgedriickt werden soil, erfasst
und der reine Ausdruck dafiir gefunden worden ist. In der Ge-
schichte der Zellentheorie gab es eine Zeit, wo man die Hohlen
des thierischen Korpers Zellen nannte und den pflanzlichen Zellen
verglich, und wo man den Darmkanal und die Gefasse aus Ver-
schmelzung von Zellenreihen entstanden sein liess. Dann kam
eine schon vorgeschrittenere Zeit, in welcher man die elementaren
Bestandtheile des thierischen Korpers schon richtiger erkannte,
dabei aber noch in so verschiedenen Gebilden, wie Keimblaschen,
Kernen, Vacuolen, Fetttropfen mit Eiweisshiillen , in Dotter- und
Starkekornern Zellen glaubte erblicken zu diirfen. Und als auch
hier eine Einschrankung gefunden worden war, wie ausserlich blieb
selbst dann der Begrifi" der Zelle, bis durch Max Schultze die
Protoplasmatheorie geschatfen wurde.
In ahnlicher Weise hat auch die Blattertheorie schon die fol-
genschwersteu Umwandlungen erfahren. Wurde doch vor noch
Die Coelomtheorie. 119
niclit lauger Zeit bezweifelt, ob die Blatterbildung tiberhaupt ein
allgemeines, der thierischen Organisation zu Grunde liegendes Prin-
zip sei und ob sie bei den Arthropoden und anderen Abtheilungen
vorkomme. Hier musste Schritt fiir Schritt neues Terrain der
Blattertheorie erobert und ein Irrthura nach dem anderen besei-
tigt werden. Erst dann konnte das schwierigere Problem aufge-
worfen werden, ob sicb die Blatter bei den Embryonen verschie-
dener Thiere vergleichen lassen, und ob eine gemeinsame Ursache
die Blatterbildung veranlasst babe. Hier bat nun Haeckel's
(162, 163) Gastraeatheorie, wie Schultze's Protoplasmatheorie
auf dem Gebiete der Zellenlehre, eine grosse tiefgreifende Reform
bewirkt, indem sie fiir alle Thiere eine gemeinsame Grundform,
die Gastraea, aufstellte und auf ihre beiden Epithelschichten die
2 primaren embryonalen Blatter zuriickfuhrte. Wie indessen schon
in der Einleitung hervorgeboben wurde, hat die Gastraeatheorie
nur fiir die beiden primaren Keimblatter eine causale Erklarung
geliefert, das Problem des Mesoblasts dagegen noch ungelost ge-
lassen,
Wir sehen uns daher jetzt vor die Auf gab e gestellt, zu un-
tersuchen, ob es nicht moglich ist, dem Begriff „mittleres Keim-
blatt" eine scharfere, wissenschaftlichc Fassung zu geben und so
auf der Bahn weiter fortzuschreiten, welche Haeckel mit so gros-
sem Erfolge betreten hat.
Bei unserer Erorterung gehen wir von dem Begriff der bei-
den primaren Keimblatter aus. Dieselben sind Schichten epithe-
lial angeordneter embryonaler Zellen, welche durch Einfaltung aus
der Keimblase entstanden sind; sie bilden die Begrenzungsflachen
des Korpers nach Aussen und nach dem Urdarm zu. Sie sind
auf die gemeinsame Stammform der Gastraea zu beziehen; sie
gehen in ihrer Genese dem mittleren Keimblatt voraus.
Unter dem, was man augenblicklich als Mesoblast bezeichnet,
giebt es nun Bildungen, von welchen sich eine der obigen ahn-
liche Definition geben liisst. Wir meinen die beiden mittleren
Keimblatter der Chaetognathen, Brachiopoden, Anneliden, Arthro-
poden und Wirbelthiere. Dieselben sind gleichfalls Schichten epi-
thelial angeordneter Zellen, welche die Flachenbegrenzung des
Korpers nach dem neu entstandenen Coelom zu besorgen ; sie sind
gleichfalls durch einen Einfaltungsprozess in das Leben gerufen
worden; sie sind auf eine gemeinsame Stammform zu beziehen,
deren Urdarm sich durch 2 Falten in 3 Riiume getheilt hat. Ihre
Bildung tritt immer erst nach der Gastrulation ein und deutet
120 0. und K. Hertwig,
einen weitereu Scliritt in der Organisation an. Wie die zweiblatt-
rige Gastrula aus der einbliittrigen Blastula, so ist aus der zwei-
bliittrigen Gastrula die vierblattrige Coelomform abzuleiten.
Die Ansicht, dass wir unter den vier Keimblattern Bildungen
vor uns haben, welche nacli einem gemeinsamen Princip erfolgen,
findet eine weitere Stlitze auch darin, dass der Mesoblast genau
in derselben Weise, wie der Ektoblast und Entoblast, histologische
Differenzirungen eingelien kann. Wie wir bei den Chaetognathen
und Anneliden, den Artliropoden und Wirbelthieren gesehen haben,
liefert die Epitlielschicht , welche das Coelom auskleidet, Muskel-
zellen und Geschlechtsproducte in ganz derselben Weise wie bei
den Coelenteraten das Ektoderni und das Entoderm.
Wenn wir alles Andere von der Bezeichnung „mittleres Keim-
blatt" ausschliessen, dann haben wir eine einheitliche und scharfe
Begriflfsbestimmung gewonnen. Wir schliessen also aus davon die
Zellen, welche bei den Echinodermen- und Wurmlarven zwischen
Ektoblast und Entoblast ein Mesenchym erzeugen, die Zellen am
Urmund der Mollusken, Turbellarien und Plathelminthen, die zer-
streuten Zellen der Bryozoen und Rotatorien und wir schlagen vor,
dergleichen Gebilde mit dem besonderen Namen „Mesen-
chymkeime oder Urzellen des Mesenchyms" zu be-
legen. Von den Keimblattern unterscheiden sie sich dadurch,
dass sie nicht epithelial angeordnet und nicht eingefaltete Epithel-
schichten sind, dass sie vielmehr aus dem epithelialeu Verbande als
Wanderzellen ausscheiden, um zwischen den die Form bestimmeuden
Keimblattern oder den epithelialen Begrenzungsschichten eine Ftill-
masse zu bilden, welche die verschiedeusten Functionen verrichten
kann, urspriinglich aber wohl hauptsiichlich als ein Stiitzorgan
gedient hat. Ferner unterscheiden sich die Urzellen des Mesen-
chyms von den Keimblattern, welche in gleichmassiger Reihenfolge
nach einander angelegt werden, auch dadurch, dass sie in ihrem
Auftreten an keine bestimmte Zeit der embryonaleu Entwicklung
gekntiptt sind. Wahrend sie zum Beispiel bei den Echinodermen
und Mollusken, ehe noch der Entoblast eingesttilpt ist, schon aus-
wandern, treten sie bei den Wirbelthieren erst auf dem Stadium
der Urwirbelbildung in die Erscheinung.
Die vorgenommene Priifung fiihrt uns somit zu dem Ender-
gebniss, dass man unter dem Worte „mittleres Keimblatt"
bisher zwei ganz verschiedene Bildungen zusammen-
gefasst hat, und dass es jetzt nothwendig ist, an
Stelle des alten unbestimmten zwei neue scharfere
Die Coelomtheorie, 121
Begriffe eiuzufiiliren. Durch dieselben werclen die Begriffs-
bestimmungeu, welclie wir im ersteu Heft unserer Studien (3 pag. 192
■ — 203) ill einem besonderen Abscbuitt „uber die Benenuung der Keiin-
bliitter und der Korperscbicbten" gegeben baben, iii keiiier Weise
alterirt, vielmebr wird das dort Begonnene bier nur weiter fort-
gefiibrt. Wir benutzen daber diese Gelegeiibeit, jetzt nocb ein-
mal im Zusaminenbang eine kurze Definition der ver-
scbiedenen Begriffe zii gebeu, welcbewir zurBezeicb-
nuug und Vergleicbuug der embryonalen und defini-
tiven Scbicbten der tbieriscben Korper fiir notbwen-
dig eracbteu. Wir seben uus bierzu urn so mebr veranlasst,
als Balfour (155) unsere im ersten Heft gemacbteu Vor-
scblage fiir unnotbig erklart und die Befurcbtung ausspricbt, dass
durcb sie nur nocb weitere Verwirrung in eine scbon verwickelte
Nomenclatur eingefiibrt werde. Wir sind entgegengesetzter An-
sicbt. Die augenblicklicbe Verwirrung berubt nicbt auf einer coin-
plicirten Namengebung, da wir es ja nur mit einigen wenigen Ter-
minis tecbnicis zu tbun baben , sondern weit mebr darauf , dass
man ganz verscbiedene morpbologiscbe Tbeile mit ein und dem-
selben Namen belegt. Diesem Uebelstand aber wollen wir gerade
abbelfen.
Aus Griinden, welcbe wir in der Bearbeitung der Actinien
dargelegt baben, unterscbeiden wir zwiscben den Blattern der
Keiine und den aus ibnen bervorgebenden organologiscb und bi-
stologiscb differenzirten Scbicbten der ausgebildeten Or-
gan is men. Die embryonalen Blatter verscbiedener Tbiere sind
direct unter einander vergleicbbar und bomolog, weil die tbieri-
scben Grundformen, als deren Bestandtbeile sie erscbeinen, wie
z. B. die verscbicdenen Gastrulaformen einander bomolog sind;
von den definitiven Scbicbten lasst sicb nicbt das Gleicbe sagen;
sie sind nur in sebr bescbriinktem Maasse unter einander ver-
gleicbbar und sebr inconiplet bomolog, weil sie sicb in den ein-
zelnen Tbierstammen in der verscbiedenartigsten Weise aus dem
urspriinglicb gleichartigen Zustand weiter ausgebildet und meta-
morpbosirt baben; wie denn z. B. das Ektoderm und das Entoderm
einer Actinie und einer Meduse sicb organologiscb und bistologiscb
ganz anders verbalten als die gleicbnamigen Scbicbten der Artbro-
poden und Wirbeltbiere.
Unter einem Keimblatt versteben wir nacb wie vor em-
bryonale Zellen, welcbe unter einander zu einer Epitbellamelle
122 0. imd E. Hertwig,
verbimdeii sind, die diircli Faltimg oder Differenziruiig die Grund-
lage fiir die mannigfaltigsten Forraen abgiebt.
Die einzelnen embryoualen Blatter bezeiclinen wir als Ekto-
blast und Eutoblast, parietales imd viscerales Blatt des Meso-
blasts.
Ektoblast undEntoblast sind die beiden primaren durcli
Eiustiilpung der Blastula entstandenen Keim1)latter; sie werdeu
daher immer zuerst angelegt, sie sind auf eiue einfache Stamm-
form, die Gastraea, zuriickfiihrbar und begrenzen den Organismus
nach Aussen und nacli dem Urdarni zu.
Parietaler und visceraler Mesoblast oder die bei-
den mittleren Keimblatter sind stets spilteren Ursprungs
und entstehen durch Ausstiilpung oder Einfaltung des Entoblasts,
dessen Rest nun als secundilrer Entoblast vom primaren unter-
schieden werden kann. Sie begrenzen einen neugebildeten Hohl-
rauni, das Enterocoel, welches als abgeschniirtes Divertikel des
Urdarms zu betrachten ist. Wie die zweiblattrigen Thiere von
der Gastraea, so sind die vierblattrigen von einer Coelomform ab-
leitbar.
Embryonale Zellen, welche einzeln aus dem epithelialen
Verbande ausscheiden, halteu wir fiir etwas von den Keimblattern
Verschiedenes und legen ihnen den besonderen Namen der Mesen-
chymkeime oder Urzellen des Mesenchyms bei. Sie kon-
nen sich sowohl bei zweiblattrigen als audi bei vierblattrigen Thie-
ren entwickeln. Sie dienen dazu, zwischen den epithelialen Be-
grenzungslamellen cin mit zerstreuten Zellen versehenes Secret-
oder Bindegewebe zu erzeugen, dessen Zellen indessen gleich den
epithelialen Elementen die mannigfachsten Differenzirungen ein-
gehen konnen. So entstehen aus ihnen die zahlreichen Formen
der Bindesubstanz, Muskelfaserzellen, Nervengewebe , Blutgefilsse
und Blut. Das Secretgewebe im einfachon oder im diti'erenzirten
Zustande mit alien seinen Derivaten bezeichnen wir als Mesen-
c h y m.
Fiir die Hauptschichten der ausgebildeten Thiere reser-
viren wir die von A 11 man fiir die Coelenteraten in gleichem Sinne
eingefiihrten Worte: Ektoderm, Entoderm und Mesoderm.
Unter Ektoderm und Entoderm verstehen wir die aus-
sere und innere Begrenzungsschicht des ausgebildeten Korpers,
welche, vom Ektoblast und Entoblast des Keimes abstammend, das
ursprungliche Lageverhiiltniss bewahrt haben.
Unter Mesoderm dagegen begreifen wir die Summe aller
Die Coelomtheorie. 123
Gewebe und Organe, welche zwischen die beiden Begrenzungs-
schichten eingeschoben sind, mogen sie aus Mesenchymkeiraen
Oder aus dem Mesoblast oder direct aus einem der primaren Keim-
blatter ihren Ursprung nehmea. Je ferner die einzelnen Thier-
stamme einander stehen, um so weniger sind ihre Korperschicliten
unter einander vergleichbar, namentlich aber gewinnt das Meso-
derm mit der Hohe der Organisation ein um so verschiedenar-
tigeres Gepritge und vereinigt in sich Theile, die uach ihrem Ur-
sprung von einander sehr abweichen.
2. Ueber die Erscheinungen und Ursachen der thierischen
Formbildung.
Indem wir die Thatsachen der vergleichenden Entwicklungs-
geschichte, der vergleichenden Anatomic und der vergleichenden
Histologic in gleicher Weise beriicksichtigten , hoffeu wir einen
Einblick in die einzelnen Processe gewonnen zu haben, welche bei
der Erzeugung thierischer Formen eine Rolle spielen. Wenn wir
jetzt das friiher Dargelegte noch einmal iiberblicken und dabei
aus dem Besonderen das allgemein Gesetzliche herauszufinden su-
chen, dann werden wir zu dem Ergebniss gelangen, dass alle ver-
schiedcnartigen Processe sich doch in zwei Hauptgruppen zusam-
menfassen lassen. Alle thierischen Formen sind 1) durch Lage-
verschiebung und 2) durch histologische Differenzirung von Zellen
entstanden. Die Lageverschiebung kann sich dann wieder in einer
zweifachen Weise aussern : entweder in einer Einfaltung und Aus-
stiilpung epithclialer Lamellen oder in einer Loslosung einzelner
Zellen aus dem epithelialen Verbande.
1. Was den ersten Modus der Zellenverschiebung anlangt, so
ist es die Einfaltung und Ausstiilpung epithclialer
Lamellen, welche im Allgemeinen die Architectonik der thieri-
schen Korper bestimmt und ihre urspriingliche und allereinfachste
Grundform, die Blastula, in immer complicirtere Formen umge-
wandelt hat. Aus der Hohlkugel der Blastula, deren Wand eine
eiufache Epithellaraelle ist, geht durch Einstiilpung der einen Halfte
in die andere ein aus zwei Epithelblattern , aus P^ktoblast und
Entoblast, zusammengesetzter Becher, die Gastrula, hervor. Wie
dann aus der Gastrula durch mannigfach modificirte Ausstiilpung
und Einfaltung bald nur des Ektoderms, bald des Entoderms, bald
beider zusammen gar wunderbar verschiedene Formen entstehen
konneu, das lehren uns die hierfiir besonders interessanten Coeleu-
124 0. und E. Hertwig,
teraten, indom bier Teutakeln sicli bilden, dort Septen in den
Urdarm liineinwachsen, dort Taschen mit vielfach gefalteten Wan-
dungen erzeugt werden. In dieser Weise wird bei manchen Lu-
cernarien, Acraspeden, Authozoen eine so hobe Compbcation der
zweiblattrigen Ausgangsform bedingt, dass zum vollen Verstand-
niss schon eine grosse Uebung in morpbologiscber Anschauung
gehort.
Und wieder ist es der Process der Faltenbildung, welcher den
zweiblattrigen in einen vierblattrigen Organismus umwandelt, wenu
aus dem Entoderm zwei Septen hervorwachsen und den Urdarm
in den bleibenden Darm und die seitlichen Coelorasacke abtheilen.
Derselben Erscbeinung begegnen wir, wenn die Coelomform durch
Segmentirung eine bobere morpbologiscbe Stufe erreicbt, sei es,
dass bei den Anneliden sicb Dissepimente aniegen, sei es, dass
bei den Wirbeltbieren sicb von den beiden Coelorasacken die Ur-
wirbel oder Ursegmente abscbniiren.
Durch Faltung und Einstiilpung epitbelialer Lamellen nebmen
ferner zablreicbe Organe des Thierkorpers ihren Ursprung, das
Nervenrobr, die Sinnesorgane, die Drusen der Haut, des Darm-
kanals und der Leibesbohle.
Durcb Faltung endlicb werden die oft so erstaunlicb compli-
cirten embryonalen Hiillen der Embryonun und Larven bervorge-
rufen, das Amnion, die serose Hiille, die Allantois etc.
So tritt uns, wenn wir die Blastula zum Ausgangspunkt neb-
men, in der Entwicklung tbieriscber Formen immer ein und die-
selbe, wenn aucb mannigfacb variirte Erscbeinung entgegen, durcb
deren bundertfaltige Wiederbolung die complicirtesten Systeme ge-
setzmassig in einander gefalteter Epitbellamellen bedingt werden.
Es wird jetzt immer nocb vielfacb die Frage erortert und
oft als eine nicbt sprucbreife bezeicbnet, ob die Gastrulabildung
durch Invagination der ursprunglicbe oder ein abgeleiteter Modus
sei. Wer sicb die hobe Bedeutung vergegenwiirtigt , welche die
Einfaltung bei der Erzeugung tbieriscber Formen bat, der wird
wohl nicbt langer zweifeln, dass die Darstellung, welcbe Haeckel
(162) gegeben hat und nicbt die Blastaeatheorie von Lan-
kester (168) das Rechte getroffen hat, und dass man daber
weiter festzustellen haben wird, in wie weit Falle, in denen sicb
durch Delamination eine Gastrula entwickeln soil, wirklich vor-
kommen.
AusstiilpungundFaltenbildungsindderAusdruck
fiir ein ungleichmassiges Wachsthum epitbelialer
Die Coelomtheorie. 125
Lara ell en. Jeder Organismus erfilhrt fortwilhrend , so lange das
Leben dauert, eine Zunalinie seiner Zellen, und sofern dieselben
epithelial angeorduet sind, muss mit ihrer Zunahme fortwah-
rend auch eine Oberflachenvergrossening verbunden sein. Wenn
nun eine Zellenvermehrung in alien Theilen einer Epithellamelle
sich gleichmassig abspielen wiirde, so miisste auch eine gleich-
miissige Vergrosserung der Oberfliiche die Folge sein. Eine nach
diesem Priucip wachsende Blastula zum Beispiel wiirde keine an-
deren Veranderungen als eine bestandige Vergrosserung der Kugel-
oberflache erkennen lassen. Wenn dagegen das Wachsthum in
verschiedenen Bezirken der Epithellamellen verschieden rasch ab-
lauft, so werden nothwendigerweise Formveranderungen hierdurch
veranlasst werden; rascher wachsende Theile werden aus deni
Niveau der tibrigen, urn Platz zu gewinnen, herausrucken, sie wer-
den sich ausstiilpen oder einfalten.
Die hier ausgesprochenen Gesichtspunkte, welche auch His
(143) in seinen Briefen an einen befrcundeten Naturforscher ent-
wickelt hat , bedurfen keines naheren Commentars , so selbstver-
stiindlich erscheinen sie. Dagegen ist es schon schwieriger, eine Ant-
wort zu geben, wenn wir nach den Ursachen fragen, welche dem
ungleichen Wachsthum einer Epithellamelle zu Grunde liegen.
^Die Ursachen mogen mehrfachcr Art sein , jedenfalls aber ist
hier das eine Moment von grosser Bedeutung, dass Zellen-
gruppen innerhalb einer Epithellamelle besondere
Functionen iibernehmen und in Folge dessen auch
eigene Wachsthumsenergieen erhalten. Es ist dies ein
Punkt , auf welchen wir bei Besprechung der histologischen Diffe-
renzirung der Zellen noch einmal zuriickkommen werden.
Von den Lageveranderungen, welche. durch Einfaltung von
Epithel-Lamellen bewirkt werden, unterschieden wir oben das Aus-
wandern einzelner Zellen aus dem epithelialen Ver-
ba nde. Hierdurch wird eine besondere Gewebsform, das Mesen-
chym, erzeugt, welches zum Epithel in einen gewissen Gegensatz
tritt und selbstandig weiter wachst. Es fiillt den Raum zwischen
den Keimblattern aus und dringt in alle Lucken ein, welche bei
den Faltungen und Ausstiilpungen hervorgerufen werden. Es giebt
so ein verbindendes und stutzendes Gertist ab, welchem die Epi-
thelschichten und ihre Bildungsprodukte , die Driisen mit ihren
Rohren und Blaschen, die Muskelprimitivbiindel und Nervenfasern,
theils aufgelagert, theils eingebettet sind.
Als ein zweites Princip, welches auf die Form-
126 0. und R. Hertwig,
bildiing einen grossen Einfluss ausubt, wurde die lii-
stologische Differenzirung der Zellen hingestellt.
Sie ist eine der wichtigsteii Vorbedingungen der Organent-
W'icklung: „So lange als die Zellen eines Orgauismus gleichartig
sind, ist nur wenig Veranlassuiig vorhauden, dass einzelne Korper-
theile sich uugleich entwickeln, erst wenn sie sich histologisch
differenzirt haben, wenn ein Theil der Zellen zu Muskeln, ein an-
derer zu Nerven geworden ist, ein anderer secretorische oder sen-
sorielle Eigenschaften erworben hat etc., ist ein wirksamer Hebel
I'iir eine ungleiche Entwicklung der Korperregionen gegeben, weil
ein jedes Gewebe eine besondere, von seiner Function abbangige
Wachsthumsenergie erhalt." (3 p. 214). Fiir die Art und Weise,
in welcber die histologiscbe Differenzirung bei der Formbildung
zur Geltung gelangt, sind leicht zahlreiche Beispiele anzufuhren.
"Wir erinnern an das Wacbsthum einer Muskellamelle durcb Ein-
faltung, an die Genese der Muskelprimitivbiindel, an die Eutste-
bung einer Driise durch Wucherung aus einem umgrenzten kleinen
Bezirk der Epitheloberflacbe u. s. w.
Dera histologischen Diiferenzirungsprocess unterliegen in der
verschiedensten Art und Weise sowobl die Zellen der Epithella-
mellen als auch die Zellen des Mesenchyms, und hier wie dort
kann es zur Entstehung functionell gleichwerthiger Gewebe kom-
men. Muskel- und Xervenzellen zum Beispiel konnen sich so-
wobl aus jedem der vier Keimblatter als auch aus dem Mesen-
cbym entwickeln. Denn wie wir im ersten Heft unserer Studien
durch Anfiihrung zahlreicher Fiille bewiesen haben, wohnt den
einzelnen Keimblattern kein eigener specifischer histolo-
giscbe r Charakter inne, vielmehr sind es lediglich physiolo-
gische Momente, welche auf ein gegebenes und gesetzmiissig
angeordnetes Zellenmaterial einwirkend die Gewebebildung in die-
ser und jener Form hier oder dort anregen.
Auf der anderen Seite aber muss hervorgehoben werden, dass
manche Gewebsproducte in morphologischer Hinsicht ein anderes
Aussehen gewinnen, je nachdem sie von Epithel- oder von Mesen-
chymzellen abstammen. Konnten wir doch, um einen recht frap-
panten Fall anzufuhren, durch einzelne Stamrae des Thierreichs
hindurch einen epithelialen und einen mesenchymatosen Typus des
Muskelgewebes nachweisen. Ja es konnen selbst einzelne Stiimme
des Thierreichs einen oft sehr abweichenden Charakter zur Schau
tragen, je nachdem die histologiscbe Differenzirung sich bei ihnen
mchr an Epithellamellen oder an Mesenchymzellen abspielt, wie
Die Coelomtheorie. 127
uns ein Vergleich der Turbellarieii , Plattwurmer und Mollusken
mit den Chaetognatlien, Aniieliden, Arthropoden und Wirbelthiereu
gelehrt hat.
3. Die Geschichte der Coelomtheorie.
Die Entstelmngsweise der Leibeshohle, welche wir liier vor-
getragen haben, scheint uns fur das Verstiindniss der thierischcn
Formbildung von weittragender Bedeutung zu sein; sie bildet
gleichsam die Angel, um welche sich eine ganze Summe weite-
rer Folgen bewegt. In Wmdiguiig dieses Verhiiltnisses haben
wir einmal unsere Abhandlung, trotzdem noch andere Fragen in
ihr besprochen werden, als Coelomtheorie betitelt und sehen uns
zweitens jetzt zum Schlusse noch veranlasst, in einem besonderen
Abschnitt ausfiihrlicher auf die Geschichte der Coelomtheorie ein-
zugehen.
Auf Grund von Beobachtungen , welche beim Studium der
Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere gewonnen worden waren,
hatte sich unter den Morphologen die allgemein angeuomniene An-
sicht ausgebildet, dass die Leibeshohle durch eine Spaltuug im
mittleren Keimblatt entstehe. Von mauchen Seiten wurde dann
die weitere Theorie hieraii angeknlipft, dass der zwischen Darm-
und Korperwand auftretende Spaltraum urspriinglich den Zweck
gehabt habe, den durch die Verdauung im Darm erzeugten und
durch seine Wandung traussudirendeu Niihrsaft aufzunehmen und
an die angrenzenden Gewebe abzugeben, und dass er dadurch
zum Ausgangspunkt fur das Blut- und Lymphgefiisssystem gewor-
den sei. Die Existenz von blutfiihrenden, mit Gefassen communi-
cirenden Leibeshohleu mancher Thiere schien sehr zu Gunsten
einer derartigen Hypothese zu sprechen.
Die Allgemeingiiltigkeit dieser Anschauungen wurde zum er-
sten Male im Jahre 1864 durch eine von Alexander Agassiz
(71) an Echinodermenlarven gemachte Entdeckung erschiittert,
nach welcher die Leibeshohle und das Wassergefasssystem sich
aus Ausstiilpungen des Darmkanals entwickeln. Bald darauf be-
statigte Metschnikoff (72) 1869 nicht allein die Augaben von
Agassiz in seinen ausgedehnten Echinodermeustudien, sonderu er
beobachtete auch noch eineu Fall ahnlicher Entwicklung der Lei-
beshohle bei der Tornaria, der Larve von Balanoglossus , welche
in vielei- Beziehung einer Asteridenlarve gleicht (98). Noch mehr
Aufsehen aber erregte es, als Kowalevsky (94) 1871 seine Ent-
128 0. imd R. Hertwig,
wicklungsgescliichte der Sagitta veroffentlichte und zeigte, wie der
Urdarm der Gastrula durch 2 Falten in 3 Raume, in secundaren
Darm und seitliche Leibessacke, abgetheilt wird, was 1873 durch
Untersuchungen von Biitschli (91) eine rasche und voile Bestatigung
erhielt. Der Sagittenentwicklung liess darauf Kowalevskj (86,
87) nach kurzer Pause (1874) seine Brachiopodenarbeit folgeu, in
welcher er wieder die Wissenschaft mit dem neuen wichtigen
Factum bereicherte , dass audi in dieser Classe sich die Leibes-
holile in derselben Art, wie bei den Chaetognathen anlege.
Die angefiihrten Beobachtungen wurden der Ausgangspunkt
fiir eine Reilie von Speculationen, welclie durch eine Arbeit Metsch-
uikoffs (9) 1874 eingeleitet wurden. Derselbe verglich die Echi-
nodermenlarven auf dem Stadium, wo aus dem Urdarm 2 Aus-
stiilpuugen hervorsprossen , mit den Coelenteraten , besonders mit
den Larven der Ctenophoren, und suchte darzulegen, dass das Ga-
strovascularsystem nicht schlechtweg fiir einen „Darmkanal zu
halten sei, vielmehr einer ganzen Summe von Organen des Echi-
nodermenkorpers entspreche, welche wahrend eines vorubergehen-
den Coelenteratenstadiums auch hier ein gemeiuschaftliches System
bilden." (p. 77). Metschnikof f trat hiermit einer zuerst von
Leuckart (8) geausserteu Ausicht bei, nach welcher Darmkanal
und Leibeshohle der iibrigen Thiere im coelenterischen Apparat
noch vereinigt sind.
Eine vielseitige Gestaltung gewannen indessen die Speculatio-
nen iiber das Coelom der Thiere erst im Geiste von drei hervor-
ragenden, euglischen Morphologen , von Huxley (166), Lanke-
ster (169) und Balfour (131), welche im Jahre 1875 in derasel-
ben Bande des Quarterly journal ihre Essays iiber diesen Gegen-
stand rasch hinter einander veroffentlichten. In einem kleinen
Aufsatz „Classification of the animal kingdom" unterscheidet Hux-
ley 3 nach ihrer Genese verschiedene Arten der Leibeshohle als
Enterocoel, Schizocoel und Epicoel. Ein Enterocoel, welches von
Aussttilpungen des Urdarms abstammt, soil den Echinodermen, der
Sagitta und dem Balanoglossus zukommen und gewissermaassen
schon vorgebildet sein bei den Coelenteraten, den dendrocoelen
Turbellarien und den Trematoden in ihrem mit Aussackungen reich-
lich versehenen Ernahrungssystem oder coelenterischen Apparat.
Als Schizocoel bezeichnet Huxley einen durch Spaltung im Me-
soderm auftretenden Raum und liisst mit einem solchen die Mol-
lusken und Anneliden versehen sein, wahrend er die Frage bei
den Brachiopoden und Polyzoen als cine offene behandelt. Unter
Bie Coolomtheorie. l2&
einem Epicoel versteht er einen Hohlraum, der durch Einstiilpung
des Ektoblasts, wie der Perithoracalraum der Tuuicaten angolegt
wird, uiid er wirft hierbei die Frage auf, ob die Spaltung des
Mesoblasts bci den Wirbelthieren nicbt eine andere Bedeutuiig
babe, als der anscheinend ahnliche Process bei den Arthropoden,
Anneliden und Mollusken, und ob Pericardium, Pleura und Perito-
neum nicbt Theile des Ektoblasts seien, gleich dem Peritboracal-
raum der Tunicaten.
Angeregt durch M e t s c h n i k o f f und Huxley kommt L a n -
kester schon im nachsten Heft desselben Journals in einem Ar-
tikel: on the invaginate Plauula or diploblastic phase of Paludina
vivipara, auf die Coelomfrage zu sprechen, die an erhohter Bedeutung
gewonnen habe. Bis nicbt entscheidende Beweise fur eine ver-
schiedenartige Genese der Leibeshohle beigebracht seien , will er
der Hypothese eines bei alien Thieren einheitlichen Ursprungs den
Vorzug geben ; so lasst er denn das Schizocoel aus dem En-
terocoel hervorgegangen und in manchen Fallen den urspriingli-
chen Bildungsmodus so wcit verwischt sein, dass man nur noch
einige Mesoblastzellen vom Entoblast abstammen sehe. Die an-
scheinende Spaltung des Mesoblasts erklart er in der Weise, dass
Ausstiilpungen des Urdarms ihr Lumen verloren haben, dass da-
her vom Entoblast solide Zelleumassen geliefert werden, welche
nachtraglich erst wieder eine Hohlung gewinnen (p. 165).
An Lankester's Aufsatz schliesst sich unmittelbar im 3ten
Heft des Journals die Abhandlung von Balfour „Early stages
in the development of vertebrates" an, deren Ideengange dann einige
Jahre spater in der ausgezeichneten Monographie iiber die Ent-
wicklung der Elasmobranchier (132) noch weiter ausgefiihrt sind,
so dass wir zweckmassig beide Schriften gleich gemeinsam be-
sprechen. Balfour geht in denselben in einer mehr critischen
Weise auf die Coelomtheorie ein und beschrankt sich hauptsach-
lich auf die Erklarung der Verhaltnisse der Wirbelthiere. Bei einem
Ueberblick iiber die embryologische Literatur zeigt er, dass fast
in alien Thierabtheilungen der Mesoblast vom Entoblast abstammt,
und dass auch die Korpermuskulatur fast durchweg mesoblasti-
schen und somit in letzter Instanz entoblastischen Ursprungs ist.
Indem er dann die Art und Weise erortert, in welcher der Meso-
blast sich aus dem Entoblast entvvickelt und mit den bei den
Echinodermen , Chaetognathen und Brachiopoden sicher gestellteu
Befunden beginnt, sucht er wahrscheinlich zu machen, dass auch
bei den Wirbelthieren der Mesoblast urspriinglich nichts Anderes
Bd. XV. N. F. Vin, 1. U
130 0. und E. Hertwig,
als die Wandung zweier Divertikel des Urdarms gewesen sei. Bei
den Elasniobraiichiern entstehe der Mesoblast nach seinen Un-
tersuchungen vom Urmund aus in Form zweier lateraler, nach
oben und unten getrennter Zellenmassen , welche vom Entoblast
abstammen; dadurch, dass in jeder Masse alsbald eine gesonderte
Hohle auftrete , erscheine das Coelom von Anfang an als eine paa-
rige Bildung; es reiche urspriinglich audi in die Urwirbel hinein, so
dass man sagen konne, die Korpermuskulatur entwickele sicli aus
der Wandung zweier Coelonisacke. Gegen seine Deutung , meint
Balfour, konne die anfanglich solide Beschaft'enheit der beiden
Mesoblastmassen nicht in's Gewicht fallen, da in zahlreichen Fal-
len Organe, welche eigentlich Hohlungen enthalten miissten, so-
lid entwickelt und erst nachtraglich hohl werden , wie man denn
bei manchen Echinodermen an Steile hohler Divertikel des Urdarms
solide Zellenmassen antreife. Als schwerer verstandlich bezeich-
net Balfour die Thatsache, dass die Muskulatur von den Wan-
dungen der Urdarmdivertikel herriihre , da sie doch bei den Coe-
lenteraten von dem Ektoderm geliefcrt werde, und er stellt zur
Erkliirung dieses Punktes zwei Hypothesen auf, die wir hier iiber-
gehen wollen, da sie von keincr Tragweite sind.
Eiaen sicheren Boden gewann die Coelomtheorie, als K o wa-
le vsky (146) im Jahre 1877 wieder mit der bedeutenden Ent-
deckung hervortrat, dass beim Araphioxus lanceolatus die Urwirbel
abgeschnlirte Aussackungen des Urdarms sind. Auch verfehlte
Balfour nicht, noch in der Einleitung zu seiner Monographie
der Elasmobranchier die Arbeit von Kowalevsky (132) als einen
Beweis fiir seine Ansicht hervorzuheben.
Mit welchem Eifer man in England die wichtige Frage nach
der Genese des Coeloms behandelt hat, erkennt man recht deut-
lich daran, dass auch in den letzten 3 Jahren Huxley sowohl
als Lankester und Balfour immer wieder eine Gelegenheit
ergriffen haben, um ihre Ansichten in modificirter Form vorzu-
tragen. Huxley (167) kommt an mehreren Stellen seines Lehr-
buchs der wirbellosen Thiere auf die Coelomtheorie zu sprechen
und betont die sich darbietenden Schwierigkeiten, wenu es zu be-
stimmen gelte, welche von den unterschiedeuen Formen der Leibes-
hohle sich bei einer gegebenen Thierabtheilung vorfiude. Auch
liisst er es jetzt dahin gestellt sein, ob iiberhaupt ein fundamen-
taler Unterschied zwischen einem Enterocoel und einem Schizocoel
aufrecht zu erhalten und ob letzteres nicht vielleicht nur eine Mo-
dification des ersteren sei. Urn seine Urtheile naher kennen zu
Die Coelomtheorie. 131
Icrnen, lese man die Abschnitte pag. 5G0— 563 imd pag. 608 — 009
seines Lehrbuchs.
Urn so bestimmter tritt Lankester (170) fiir einen einheit-
liclien Ursprung des Mesoderms eiu ; er uimnit iiberall eiii P^utero-
coel an und glaubt in keiueni Falle eine spaltartige Entstehung
des Coeloms zulassen zu sollen, wobei seine Speculationen sich
iramer mehr von der empirischen Basis entfeinen. Weil bei
Hydra die Muskulatur aus dem Ektoderm abstammt, folgert er
das Gleiche auch fiir die iibrigen Thiere und erkliirt alle die Fillle,
wo die Muskeln vom Mesoblast abstammen, durch das von ihni
aufgestellte Priiicip der „precocious segregation", mit welchen man
in dieser Fassung Alles erkliiren kann. In derselbeu gewaltsamen
Weise leitet er bei alien Thieren das Epithel der Leibeshohle und
der Blut- und Lymphbahnen und die Blut- und I>ymphkorperclieii
von gastrovascularen AusstUlpungen des Urdarms ab. Selbst sol-
clie P'alle, in welchen, wie bei manchen Mollusken, eiuzelne amoe-
boide Zellen sich vom Epithel abloseu und zwischeu Ektoderm
und Entoderm zerstreuen, glaubt er noch als eine modificirte
Entwicklung von AusstUlpungen des Urdarms deuten zu miissen.
Der von Lankester ausgesprochenen Grundanschauung von
einem einheitlichen Ursprung der Leibeshohle uahert sich Balfour,
der iibrigens seine Speculationen mit einer berechtigten Reserve
vortriigt , in zwei kleineu , soeben erschienenen Abhandlungen , von
welchen die eine ,,uber die Structur und Homologieen der Keini-
blatter des Embryo" (155), die andere „uber Larvenformen" (156)
handelt. Die bis jetzt vorliegenden Beobachtungen Uber die Genese
des Mesoblasts theilt er hierbei in 6 Gruppen ein und erortert
die Moglichkeit, ob dieselben auf einen gemeinsamen Typus zu-
ruckzufuhren seien. Er findet es sehr wahrscheinlich , dass in
alien den zahlreichen Fallen, wo der Mesoblast in Form paariger
Anlagen von den Lippen des Blastoporus hervorwlichst, urspriing-
lich 2 Divertikel vorgelegen haben (Mollusken, Polyzoen, Chaetopo-
den, Gephyreen, Nemathelminthen, Vertebraten etc.), und dass liber-
all, wo eine Leibeshohle vorkommt, dieselbe vom Urdarm abstammt.
Im Ungewissen dagegen ist Balfour, ob die coelomlosen Thiere,
die Plathelminthen , vielleicht eiumal ein Enterocoel, welches spiiter
obliterirt ist, besessen haben, oder ob sie sich im Mangel einer
Leibeshohle direct an die Coelenteraten anschliessen. „Vielleicht",
bemerkt er, „sind die Triploblastica aus 2 Gruppen zusammenge-
setzt, einer ursprunglichen Grappe, den Plattwiirmern, in welcher
9*
132 0. und R. Hertwig,
keine vom Darm unterschiedene Leibeshohle besteht, und einer
zweiten aus ihnen ableitbaren Gruppc, in welcher 2 Divertikel sich
Yom Darm zur Bildung einer Leibeshohle abgetrennt haben." Auf
unsere Untersuchung der Actinien gestutzt, ist er der Ansicht,
dass die Muskulatur sich aus deni Entoblast der Divertikel diffe-
renzirt habe. Die ganze Mesoblastfrage bezeichnet indessen Bal-
four als eine noch sehr dunkle in folgenden Satzen: „However
this may be, the above considerations are sufficient to show, how
much there is, that is still obscure with reference even to the
body cavity. If embryology gives no certain sound as to the
questions just raised with reference to the body cavity, still less
is it to be hoped that the remaining questions with reference to
the mesoblast can be satisfactorily answered."
Wiihrend in England, wie uns der geschichtliche Ueberblick
gezeigt hat, die Entdeckungen von Agassiz, Metschnikoff
und Kowalevsky auf einen fruchtbaren Boden gefallen waren
und Morphologen wie Huxley, Lankester und Balfour zu
weittragenden und zum Theil gliicklichen Speculationen veranlasst
hatten, ist auf diesem Gebiete in Deutschland keine Bewegung in
das Leben gerufen und eine Weiterbildung der besprochenen Theo-
rieen nicht versucht worden ; im Gegentheil waren einige Forscher,
welche sich einem einheitlichen Ursprung des Mesoblasts zuneigten,
bestrebt, in den Entwicklungszustiinden der Mollusken die Anknii-
pfungspunkte zu einer Erklarung zu suchen, wie z. B. Rabl und
Hatschek (102) den am Blastoporus gelegenen grossen Urzellen
des Mesoderms eine grosse Bedeutung beigelegt haben.
Vor zwei Jahren beganuen wir uns naher mit der Coelom-
frage zu beschaftigen ; im Hinblick auf sie wurde ein Aufenthalt
in Messina benutzt, die so wichtigen Chaetognathen anatomisch,
histologisch und entwicklungsgeschichtlich (93) nach alien Rich-
tungen hin zu untersuchen. Die Beobachtungen Kowalevsky 's
(94) wurden bestatigt, der Bildungsmodus der Muskulatur aus
dem Epithel des Enterocools und der eutoblastische Ursprung der
Geschlechtsorgaue (Biitschli 91) festgestellt , Beziehungen zu den
Coelenteraten, namentlich zu den Actinien, gewonnen. Werthvolle
Fingerzeige fiir die Coelom- und Mesoblastfrage erhielten wir dann
ferner durch die gleichzeitig vorgenommene histologische Bearbei-
tung der Actinien und der Ctenophoren. Bei den Actinien (3)
wurde der Nachweis geliefert, dass der wichtigste Theil der Mus-
kulatur sich aus dem Epithel des Urdarms und zwar noch in der
ursprunglicheu Form von Epithelmuskelzellen entwickelt, welche
Die Coelomtheorie. 133
Thatsache denn audi neuerdings Balfour in passender Weise
zur Erklarung der Genese der Muskulatur bei den Vertebraten
herangezogen hat. Die entodermale Abstammung der Geschlechts-
zellen bei den Anthozoen wurde beobachtet und als ein erklaren-
des Moment fur die Bildung der Geschlechtsorgane aus dem Epi-
thel der Urdarmdivertikel oder des Enterocoels der Chaetognathen
benutzt. Auf der anderen Seite zeigten uns die Ctenophoren
(5) eine von den ubrigen Coelenteraten ganz abweichende histolo-
gische Beschaffenheit ihrer Gewebe, naraeutlich ihrer Muskeln und
Nerven, und dies veranlasste uns schon damals auf den Gegensatz
zwischen der histologischen Diftercnzirung eines epithelialen Ge-
webes und eines Secretgewebes aufmerksam zu machen.
So waren schon im Laufe des Sommers 1879 die entscheiden-
den Gesichtspunkte gewonnen, aus deren Verfolgung die Coelom-
theorie entstanden ist. Die Entwicklungsgeschichte der Wirbel-
thiere und Arthropoden wurde alsbald in Angriff genoramen, Thierc
aus mehreren Abtheilungen auf diesen und jenen Punkt histolo-
gisch untersucht. Durch eigene Beobachtung sowohl als auch aus
der Literatur wurde Material fiir die vorliegende Abhandlung ge-
sammelt, fiir welche wir schon in der Einleitung zur Monographic
der Chaetognathen (93 pag. 2) gleichsam das Programm in folgen-
den Satzen aufgestellt haben:
„Erstens ist es in systematischer Beziehung von Werth zu
wissen, in welchen Abtheilungen des Thierreichs das Coelom durch
Einfaltung, in welchen durch Spaltbildung entsteht; denn je nach-
dem das eine oder andere stattfindet, wcrdcn die verwandtschaft-
lichen Verhaltnisse der Thiere zu einander beurtheilt werden miis-
sen. Zweitens scheint uns die verschiedene Bildungsweise des Coe-
loms fiir den ganzen morphologischen Aufbau des Organismus von
tief eingreifender Bedeutung zu sein. Wie wir spiiter noch im Ein-
zelnen nachzuweisen gedenken, wird je nach der Genese des Coe-
loms auch die Entwicklung des Mesoblasts und des Mesoderms,
der Korpermuskulatur , der Geschlechts- und Excretionsorgane eine
verschiedene sein. Es wird daher das Studium der Coelombildung
auch auf die Weiterentwicklung der Blattertheorie seinen Einfluss
ausiiben miissen."
134 0. und Pt. Hertwig,
Tabellarische Uebersicht der
Metazoen.
I. Coelenteraten.
1. Zoophyten.
II. Pseudocoelier.
2. ScolecideD.
a. Bryozoen.
b. Eotatorien.
c. Plathelmiuthen.
3. Mollusken.
III. Enterocoelier.
4. Coelhelminthen.
a. Nematoden.
b. Chaetognathen.
c. Brachiopoden.
d. Annelideu (+ Gepliyreen).
e. Enteropneusten.
f. Tuni eaten.
5. Echinodermen.
6. Arthropoden.
7. Vertebraten.
Die Coelomtheorie. 135
Vcrzeichiiiss der beuiitztcii Literatiir,
I. Coelenteraten,
1. Beneden, Ed. v., De la distinction originelle du testicule
et de I'ovaire. Bulletins de I'Acade'mie royale de Belgique. 2'"" scrie.
T. XXX VII. No. 5. 1874.
2. Hertwig, Oscar uud Eichard, Der Organismus der Me-
dusen und seine Stellung zur Keimbliittertheorie. Jena 1878.
3. Dieselben, Die Actinien, anatomisch und histologiseh mit
besouderer Beriicksichtigung des Nervenmuskelsystems untersucht. Stu-
dien zur Blattertheorie. Heft I. 1879.
4. Hertwig, Oscar, Ueber die Muskulatur der Coelenteraten.
Jenaische Sitzungsberichte. 12. Dec. 1879.
5. Hertwig, Richard, Ueber den Bau der Ctenophoren.
Studien zur Blattertheorie. Heft III. 1880.
6. Kowalevsky, A., Entwicklungsgeschichte der Eippeuqual-
len. Memoires de rAcademie imperiale des sciences de St. Peters-
bourg. VIPsdrie. Tome X. No. 4. 1866.
7. Derselbe, Zur Entwicklungsgeschichte der Alcyonidcn,
Sympodium coralloides uud Clavularia crassa. Zoologischer Anzeiger.
11. Jahrg. No. 38.
8. Leuckart, R., Ueber die Morphologic uud Yerwandtschafts-
verhaltnisse der wirbellosen Thiere. Ein Beitrag zur Charakteristik
und Classification der thierischen Formen. Braunschweig 1848.
9. Metschnikoff, El., Studien liber die Entwicklung der
Medusen und Siphonophoren. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXIV p. 15
— 83. 1874.
10. Schulze, E. E. , Untersuchungen liber den Bau und die
Entwicklung der Spongien. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XXIX
—XXXII.
II. Pseudocoelier.
Rotatorien.
11. Grenacher, H., Einige Beobachtungen liber Raderthiere.
Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XIX p. 483—499.
136 0. und E. Hertwig,
12. Ley dig, F. , Uebcr den Bau und die systematische Stel-
lung der Raderthiere. Zeitschr, f. wissensch. Zool. Bd. VI.
13. M obi us, K. , Ein Beitrag zur Anatomie des Brachionus
plicatilis, eines Eiiderthiers der Ostsee. Zeitschr. f. wissensch. Zool.
Bd. XXV p. 103—114.
14. Salensky, W. , Beitrage zur Entwicklungsgeschichte des
Brachionus urceolaris. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XXII p. 455
— 467.
15. Semper, Trochosphaera aequatorialis, das Kugelraderthier
der Philippinen. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XXII p. 311 — 323.
Bryozoen.
16. Barrois, J., Recherches sur Tembryologie des Bryozoaires.
Lille 1877.
17. Hatschek, B., Embryonalentwicklung und Knospung der
Pedicellina echinata. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XXIX p. 502
—549.
18. Kowalevsky, Beitrage zur Anatomie und Entwicklungs-
geschichte des Loxosoma Xeapolitanum. Mcmoires de I'Academie ira-
periale des sciences de St. Petersbourg. Se'r. VIL T, X. No. 2.
19. Nitsche, H. , Beitrage zur Anatomie und Entwicklungsge-
schichte der phylactolaemen Siisswasserbryozoen. Archiv f. Anatomie
u. Physiol. 1868. p. 465 — 521.
20. Derselbe, Beitrage zur Kenntniss der Bryozoen. Zeitschr.
f. wissensch. Zool. Bd. XX p. 1 — 37.
21. Derselbe, Beitrage zur Kenntniss der Bryozoen. Neue
Folge. Zeitschr. f. wissensch. Zool Bd. XXI p. 416—499.
22. Derselbe, Beitrage zur Kenntniss der Bryozoen. Zeitschr.
f. wissensch. Zool. Bd. XXV. Suppl. p. 343—402.
23. Schmidt, O., Die Gattung Loxosoma. Archiv f. mikro-
skop. Anat. Bd. XII p. 1 — 15.
24. Salensky, W. , Etudes sur les Bryozoaires entoproctes.
Annales des Sciences Natur. 6« Se'r. Zool. T. V. No. 3.
25. Vogt, C, Sur le Loxosome des Phascolosomes. Archives
de Zool. exp^r. et gener. T. V p. 305 — 356.
Plathelminthen.
a. Turbellarien und Trematoden.
26. Biitschli, 0., Bemerkungen liber den excretorischen Ge-
fassapparat der Trematoden. Zool. Anzeig. Bd. II p. 88.
Die Coelomtheorie. 137
27. Fraipont, J., Recherches sur I'appareil excreteur des Tre-
niatodts et des Cestoides. Archives de Biologie. Vol. I. 1880.
28. Graff, L. , Kurze Berichte liber fortgesetzte Turbellarien-
studien. Zeitschr. f. wisseasch. Zool. Bd. XXX Siipl. p. 457 — 466.
29. Derselbe, Ueber Planaria Limuli. Zool. Anz. Bd. II
p. 202.
30. Hallez, P., Contributions a I'histoire naturelle des Tur-
bellaries. Trayaux de I'institut zoologique de Lille. Fasc. 11.
31. Hertwig, Richard, Ueber das Auge der Planarien, Je-
naische Sitzungsberichte. 1880.
32. Jhering, H. v., Graffilla muricicola, eine parasitische Rhab-
docoele. Zeitschr, f. wissensch. Zool. Bd. XXXIV.
33. Kennel, J. v., Bemerkungen iiber eiuheimische Landpla-
narien. Zool. Anzeig. Bd. I p. 26.
33 \ Derselbe, Die in Deutschland gefundenen Landplanarieu,
Rhynchodemus terrestris 0. F. Miiller und Geodesmus bilineatus Metsch-
nikoff. Arbeiten a. d. zool. zoot. Inst, zu Wiirzburg. Bd. V p. 120
— 161.
34. Lang, A., Untersuchungen zur vergleichenden Anatomic
vmd Histologie des Nervensystems der Plathelminthen. Mittheilungen
aus der zool. Station zu Neapel. Bd. I p. 459 — 489.
35. Derselbe, Ueber das Nervensystem der Trematoden. Mit-
theilungen aus der zoologischen Station zu Neapel. II. Bd. 1. Heft
p. 28—53. 1880.
35*. Derselbe, Notiz iiber einen neuen Parasiten der Tethys
aus der Abtheilung der rhabdocoelen Turbellarien. Mittheil. a. d. zool.
Station zu Neapel. Bd. II p. 107—113.
36. M e tsehnikoff, E., Ueber Geodesmus bilineatus Nob. (Fa-
sciola terrestris 0. F. Miiller?), eine europaische Landplanarie. Bul-
letins de I'Acad. de St. Petersbourg. T. IX p. 433—447.
37. Moseley, On the Anatomy and Histology of the Land-
planarians of Ceylon. Philosophical Transactions. Vol. 164, Pt. I
p. 106—171.
b. Nemei-tinen.
38. Barrois, J., Memoire sur I'embryologie des Ne'mertes. An-
nales des Sciences Natur. Zool. Ser. VI. T. VI. No. 3.
39. Biitschli, 0., Einige Bemerkungen zur Metamorphose des
Pilidium. Archiv f. Naturg. Jahrg. 39. Bd. I p. 276—284.
40. Graff, L. , Geonemertes calicophora, eine neue Landne-
mertine. Morpholog. Jahrb. Bd. V p. 430 — 449,
138 0. und R. Hertwig,
41. Hoffmann, C. K. , Beitriige zur Kenntniss der Nemerti-
nen. 1. Zur Entwickluugsgeschichte von Tetrastemma varicolor. Nie-
derland. Arch. f. Zool. Bd. Ill p. 205—217.
42. Derselbe, Zur Anatomie und Ontogenie von Malacobdella.
Ebeuda. Bd. IV p. 1—31.
43. Hubrecht, A. W. , Zur Anatomie und Physiologie des
Nervensystems der Nemertinen. Naturk. Verb, der koninkl. Akade-
mie. Deal XX.
44. Intosh, Mc, A monograph of the British Annelids. Prt. I.
The Nemerteans. London 1873.
45. Kennel, J. v., Beitriige zur Kenntniss der Nemertineu,
Arbeit, a. d. zoolog. zootom. Institut in Wiirzburg. Bd. IV p. 305 — 381.
46. Metschnikoff , E., Entwicklungsgeschichte einiger Ne-
mertinen. Studien liber die Entwicklung der Echinodermen und Ne-
mertinen. Memoires de TAcademie de St. Petersbourg. S. VII. T. XIV.
No. 8. 1869.
Melius ken.
47. Boll, Fr., Beitrage zur vergleichenden Histologie des Mol-
luskentypus. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. V. Suppl.
48. Bobretzky, Studien iiber die embryonale Entwicklung der
Gastropoden. Arch. f. mikroskop, Anat. Bd. XIII p. 95 — 170.
49. Derselbe, Untersuchung iiber die Entwicklung der Ce-
phalopoden. Nachrichten d. kaiserl. Ges. der Freunde der ISTaturw. zu
Moskau. Bd. XXIV. Citirt nach Hofmann Schwalbe's Jahresber.
f. 1878.
50. Brock, Studien einer Phj'logenie der dibranchiaten Cepha-
lopoden. Morphol. Jahrb. Bd. VI.
51. Biitschli, Entwicklungsgeschichtliche Beitrage. Zeitschr.
f. wissensch. Zool. Bd. XXIX.
52. Flemming, W. , Ueber Biudesubstanz und Gefasswandung
im Schwellgewebe der Muschelu. Archiv f. mikrosk. Anat. Bd. XIII
p. 817—868.
53. Fol, H. , Note sur le developpement des Mollusques Pte-
ropodes et Ce'phalopodes. Archives d. Zool. expe'r. et gener. T. Ill
p. XXXIII— LVI.
54. Derselbe, Sur le de'veloppement des He'teropodes et des
Gasteropodes Pulmones. Comptes rendus. T. LXXXI p. 472 — 474,
523-526.
55. Derselbe, Sur le developpement des Pteropodes. Archi-
ves de Zool. exp. et gener. T. IV.
Die Coelomtheorie. 139
56. Derselbe, Sur le developpement embryonnaire et larvaire
dcs Heteropodes. Archives de Zool. exper. et geaer. T. V p. 105 — 158.
57. Derselbe, Sur le developpement des Gaste'ropodes Pulmo-
nes. Archives de Zool. exp. et ge'ne'r. T. VIII p. 103—232.
58. Gegenbaur, Untersuchungen iiber Pteropoden und Hete-
ropoden. Ein Beitrag zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte die-
ser Thiere. Leipzig 1855.
59. Hatschek, B., Ueber Entwicklungsgeschichte von Teredo.
Arbeiten des zool. Instituts zu Wien. Bd. III. Heft I. 1880.
60. Jhering, H. v., Beitrage zur Kenntniss des Nervensystems
der Amphineuren und Arthrocochliden. Morphol. Jahrb. Bd. Ill p. 155.
61. Derselbe, Beitrage zur Kenntniss der Anatomie von Chi-
ton. Morphol. Jahrb. Bd. IV p. 128—146.
62. Kollmann, Die Bindesubstanz der Acephalen. Arch. f.
mikroskop. Anat. Bd. XIII p. 558 — 603.
62*. Derselbe, Der Kreislauf des Blutes bei den Laraellibran-
chiern , den Aplysien und den Cephalopoden. Zeitschr. f. wissensch.
Zool. Bd. XXVI p. 87—103.
63. Lankester, E. Ray, Observations on the development
of the Cephalopoda. Quarterly Journ. of microsc. science. N. S.
Vol. XV p. 37-47.
64. Derselbe, Contributions to the Developmental History of
the Molluska. Philosophical Transactions. Vol. 165 Pt. I p. 1 — 40.
1875.
65. Derselbe, Observations on the development of the Pond-
snail and on the early Stages of other Mollusca. Quart. Journ. of
Microsc. Sciences. N. S. Vol. XIV p. 365—391. 1874.
65\ Derselbe, On the coincidence of the Blastopore and Anus
in Paludina vivipara. Ebenda Vol. XVI p. 377— 385. 1876.
66. Posner, C. , Ueber den Bau der Najadenkieme. Arch. f.
mikroskop. Anat. Bd. XI p. 517 — 561.
67. Rabl, Die Ontogenie der Siisswasserpulmonaten. Jenaische
Zeitschr. Bd. IX p. 195—240.
68. Derselbe, Ueber die Entwicklungsgeschichte der Maler-
muschel. Jenaische Zeitschr. Bd. X p. 310 — 393.
69. Derselbe, Ueber die Entwicklung der Tellerschnecke.
Morphol. Jahrb. Bd. V p. 562—660.
70. Ussof, M., Zoologisch embryologische Untersuchungen.
Archiv f. Naturgesch. 46. Jahrg. Bd. I p. 329—372.
140 0. und R. Hertwig,
III. Enterocoelier.
Echi nodermen.
71. Agassiz, Alexander, Embryology of the starfish. Con-
tributions to the natural history of the United States. Bd. V.
72. Metschnikoff, Studien iiber die Entwicklung der Echi-
nodermen und Nemertinen. Memoires de I'Acade'mie imperiale des
sciences de St. Petersbourg. VIP ser. T. XIV. 1869. No. 8.
73. Selenka, E., Zur Entwicklung der Holothurien. Zeitschr.
f. wissensch. Zool. Bd. XXVII. 1876.
74. Derselbe, Keimblatter und Organanlage bei Echiniden.
Zeitschr. f. wissensch. Zool, Bd. XXXIII. 1879.
Nematoden.
75. Biitschli, Giebt es Holomyarierr Zeitschr. f. wissensch.
Zool. Bd. XXIII p. 402.
76. Derselbe, Zur Entwicklungsgeschichte des Cucullanus ele-
gans. Ebenda Bd. XXVI p. 103.
77. Derselbe, Untersuchungen iiber die beiden Oxyuren der
Blatta orientalis. Ebenda Bd. XXI p. 252.
78. Claus, Ueber einige im Humus lebende Anguillulinen.
Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. Xlt p. 354—359.
79. Grenacher, Zur Anatomie der Gattung Gordius. Zeitschr.
f. wissensch. Zool. Bd. XVIII p. 322.
80. Derselbe, Ueber die Muskeleleraente von Gordius. Ebenda.
Bd. XIX p. 287.
81. Leuckart, Die menschlichen Parasiten. II. Leipzig 1876.
82. Schneider, Noch ein Wort liber die Musculatur der Ne-
matoden. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XIX p. 284.
83. Derselbe, Ueber Muskeln und Nerven der Nematoden.
Archiv f. Anatomie u. Physiologic. 1860. p. 224—243.
84. Derselbe, Neue Beitriige zur Anatomie und Morphologie
der Nematoden. Archiv f. Anat. u. Phys. 1863.
85. Derselbe, Monographic der Nematoden. Berlin 1866.
B rachi opoden.
85*. Huxley, Contributions to the anatomy of the Brachio-
poda. Annals and Magaz. of Nat. Hist. Ser. II. Vol. XIV p. 285—294.
86. Kowalevsky, A., Zur Entwicklungsgeschichte der Bra-
chiopoden. Schwalbe's Jahresbericht. Bd. II p. 336.
87. Derselbe, Untersuchungen iiber die Entwicklung der Bra-
Die Coelomtheorie. 141
chiopoden. Nachrichten der kaiserl. Gesellschaft der Freuiide der Na-
turerkenntniss, der Anthiopologie u. Ethnographie. Bd. XIV. Moskau
1875. (Russisch.)
88. Lacaze-Duthiers, Histoire de la Thecidie. Aniiales des
Sciences naturelles. Zoologie. 4^ s^rie. T. XV p. 259.
89. Morse, On the systematic Position of the Brachiopoda.
Proceedings of the Boston Society of natural history. 1873.
90. Steenstrup, J., Om Anomia. Oversigt over det kong.
Dauske Videnskabernes Selskabs Forhandlinger. Kiobenhavu 1848.
(Citirt nach Morse.)
C haetogna then.
91. Blitschli, 0., Zur Entwicklungsgeschichte der Sagitta.
Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XXIII p. 409—413. 1873.
92. Derselbe, Untersuchuugen iiber freilebende Neraatoden
uud die Gattung Chaetonotus. Ebenda Bd. XXVI p. 393 u. 394 Anm.
1876.
93. Hertwig, Oscar, Die Chaetognathen. Ihre Anatomie, Sy-
stematik und Entwicklungsgeschichte. Eine Monographie. Studien
zur Blattertheorie. Heft II.
94. Kowalevsky, Entwicklungsgeschichte der Sagitta. Me'-
raoires de I'Acade'mie iraperiale des sciences de St. Potersbourg. VII*
serie. T. XVI. No. 12. 1871.
95. Langerhans, Das Nervensystem der Chaetoguathen. Mo-
natsbericht der kouigl. Academic der Wissenschaften zu Berlin. 1878.
Enteropneusten.
96. Agassiz, A., The history of Balanoglossus and Tornaria. Me-
moirs of the American Academy of Arts and Sciences. Vol. IX p. 434.
1873.
97. Kowalevsky, Anatomie des Balanoglossus delle Chiaje.
1866. Memoires de I'Academ. de St. Potersbourg. S. VII. T. X .No. 3.
98. Metschnikoff , Untersuchungen iiber die Metamorphose
eiuiger Seethiere. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XX p. 131.
99. Spengel, J. W., Ueber den Bau und die Eutwickluug des
Balanoglossus. Amtlicher Bericht der 50sten Versammlung deutscher
Naturforscher u. Aerzte. Miinchen 1877.
Anneliden.
100. Claparede, Edouard, Histologische Untersuchungen
iiber den Regenwurm. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XIX p. 563
—620.
142 0. und R. Hertwig,
101. Greeff, R., Die Echiuren. Nova Acta der Ksl. Leop,
Carol. Deutschen Akademie der Naturforsclier. Halle 1879.
102. Hatschek, B. , Studien liber Entwicklungsgeschichte der
Annelideu. Arbeiten des zoolog. Instituts zu Wien. Bd. I. 1878.
103. Derselbe, TJeber Entwicklungsgeschichte von Echiurus
und die systematische Stellung der Echiuridae. Ebenda. Bd. III.
1880.
104. Derselbe, Protodrilus Leuckartii. Eine neue Gattung
der Archianneliden. Ebenda. Bd. III. 1880.
105. Kowalevsky, Entwicklungsgeschichte des Euaxes. Ent-
wicklungsgeschichte des Lumbricus. Memoires de TAcademie imperiale
des sciences de St. Petersbourg. VII. ser. T. XVI. No. 12.
106. Ratzel, Histologische TJntersuchungen an niederen Thie-
ren. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XIX p. 257 — 281. 1869.
107. Salenskj'', Ueber die Metamorphose des Echiurus. Mor-
phol. Jahrb. Bd. II p. 319—328.
108. Spengel, Beitriige zur Kenntniss der Gephyreen. Zeitschr.
f. wissensch. Zool. Bd. XXXIV.
Tuni eaten.
109. Fol, Etudes sur les Appeudiculaires du detroit de Messine.
1872.
110. Langerhans, P., Zur Anatomic der Appendicularien.
Monatsbericht der Berliner Akademie. 1877.
Arthropoden.
111. Balfour, F. M. , Notes on the development of the Ara-
neiua. Studies from the morphological Laboratory in the university
of Cambridge. 1880.
112. Derselbe, On certain points in the anatomy of Peripa-
tus capensis. Quart, journ. of micr. science. N, S. Vol. XIX. 1879,
113. Bene den, E d. v., De I'existence d'uu appareil vasculaire a
sang rouge dans quelques Crustaces. Zool. Anz. 1880. No. 47 u. 48.
114. Bobretzky, N. W. , Zur Embryologie der Arthropoden.
Aufzeichn. der Kiewer Gesellsch. der Naturf. Bd. III. Heft 2. (Citirt
nach Hofmann Schwalbe's Jahresbericht f. 1873.)
115. Derselbe, Ueber die Bildung des Blastoderms und der
Keirabliitter bei den Insecten. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XXXI
p. 195—216.
116. Claus, C, Untersuchungen zur Erforschung der genealogi-
gchen Gruudlage des Crustaceeusystems. Wien 1876.
Die Coeiomtheorie. 143
117. Graber, V., Vorliiufige Ergebnisse einev grossereu Arbeit
liber vergleichende Erabryologie. Archiv f. mikroskop. Anat. Bd. XV
p. 630—640.
118. Derselbe, Vergleichende Lebens- und Entwicklungsge-
schichte der Insecten. Naturkrafte. Bd. XXII.
119. Grobben, C. , Die Entwicklungsgeschichte der Moina re-
ctirostris. Arbeiten des zool. Instituts zu Wien. Bd. II. Heft 2.
120. Derselbe, Die Auteunendriise der Crustaceeu. Ebenda.
Bd. III.
121. Hatschek, B. , Beitriige zur Eatwicklungsgeschichte der
Lepidopteron. Jenaische Zeitschr. Bd. XI p. 115 — 149.
122. H eider, C. , Die Gattuug Leruanthropus. Arbeiten aus
dem zool. Institut zu Wien. Bd. II p. 269 — 368.
123. Kowaleysky, Embryologische Studien an Wiirmern mid
Arthropoden. Memoires de rAcaderaie imperiale des sciences de St.
Petersbourg. VIP serie. Tom. XVI. No. 12.
124. Mayer, P., Zur Entwicklungsgeschichte der Decapoden.
Jenaische Zeitschr. Bd. XI p. 188—269.
125. M etschnikoff , Embryologische Studien an Insecten.
Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XVI p. 389 — 500.
126. Derselbe, Erabryologie der doppelfiissigeu Myriapoden
(Chilognathen). Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XXIV p. 253 — 284.
127. Derselbe, Embryologisches liber Geophilus. Ebenda.
Bd. XXV p. 313—323.
128. Stecker, Die Anlage der Keimbliitter bei den Diplopo-
den (Chilognathen). Archiy f. mikrosk. Anat. Bd. XIV p. 6 — 17.
129. Weismann, A., Die Eutwicklung der Dipteren. Eiu
Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Insecten. Leipzig 1864 (auch
Zeitschr, f. wissensch. Zool. Bd. XIII u. XtV).
130. Weber, M., Ueber den Bau und die Thiitigkeit der sog.
Leber der Crustaceen. Arch. f. mikroskop. Anat. Bd. XVII p. 385
—457.
Wirbelthiere.
131. Balfour, P.M., Early stages in the development of ver-
tebrates. Quarterly journal of microscopical science. Vol. XV p. 207
—226. 1875.
132. Derselbe, A monograph of the development of elasmo-
branch fishes. London 1878.
133. V. Bambeke, Formation des feuillets embryonnaires et
144 0. und R. Hertwig,
de la notocorde chez les urodeles. Bulletins de I'Academie ro5^ale de
Belgique. 2""" ser. T. L. 1880.
134. Bornhaupt, Untersuchuugen liber die Entwicklung des
IJrogenitalsystems beim Hiihnchen. Diss, inaug. Dorpat 1867.
135. Braun, M. , Das XJrogenitalsystem der einheimischen Rep-
tiiien. Arbeiten a. d. zool. zoot. lustitut zu "Wiirzburg. Bd. IV. 1877.
136. Calberla, Studien iiber die Entwicklung der quergestreif-
ten Muskeln und Nerven der Amphibien und Reptilien. Archiv f.
mikrosk. Anatomie. Bd. XI. 1875.
137. Egli, Beitrage zur Anatomie und Entwicklung der Ge-
sclilechtsorgane. Diss, inaug. Ziirich 1876. (Citirt nach Kolliker.)
138. Flirbringer, Zur vergleichenden Anatomie und Entwick-
lungsgeschichte der Excretionsorgane der Vertebraten. Morpholog.
Jahrb. Bd. IV p. 1—112. 1878.
139. Derselbe, Ueber die Homologie der sog. Segmentalorgane
der Anneliden und Vertebraten. Ebenda. Bd. lY p. 663 1878.
140. Gotte, Die Entwicklungsgeschichte der Unke. Leipzig 1875.
141. Grenacher, Beitrage zur naheren Kenntniss der Muscu-
latur der Cyclostomen und Leptocardier. Zeitschr. f. wissensch. Zool.
Bd. XVII p. 577. 1867.
142. Hertwig, Oscar, Ueber die Entwicklung des mittleren
Keimblatts der Wirbelthiere. Jenaisclie Sitzungsberichte. Novb. 1880.
143. His, W. , Unsere Korperform und das physiologische Pro-
blem ihrer Entstehung. Briefe an eiueu befreundeten Naturforsclier.
Leipzig 1879.
144. Kolliker, A., Entwicklungsgeschichte des Menschen und
der hoheren Thiere. 1879.
145. Derselbe, Die Entwicklung der Kcimblatter des Kanin-
chens. Zool. Anzeiger. 1880.
146. Kowalevsky, A., Weitere Studien iiber die Entwick-
lungsgeschichte des Amphioxus lanceolatus, nebst einem Beitrage zur
Homologie des Nervensystems der Wiirraer und Wirbelthiere. Archiv
f. mikrosk. Anatomie. Bd. XIIL 1877.
147. Kupffer, Die Entstehung der Allantois und die Gastrula
der Wirbelthiere. Zool. Anzeiger. 1879 p. 594 — 595.
148. L anger bans, Untersuchuugen iiber Petromyzon Planeri.
Freiburg 1873.
149. D erse lb e, Zur Anatomie des Amphioxus lanceolatus. Ar-
chiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. XII. 1876.
150. Pfliiger, Die Eierstocke der Siiugethiere und des Men-
schen. Leipzig 1863.
Die Coelomtheorie. 145
151. Scott, W. B., and Osborn, H. F., Ou some points in
the early development of the common newt. Studies from the mor-
phological laboratory in the university of Cambridge. 1880.
152. Semper, C. , Das Urogenitalsystem der Plagiostomen und
seine Bedeutung fiir das der librigen Wirbelthiere. \Yiirzburg 1875.
153. Schneider, Beitriige zur vergleichenden Anatomie und
Entwicklungsgeschichte der Wirbelthiere. 1879.
154. Waldeyer, Eierstock und Ei. Leipzig 1870.
IV. Allgemeines.
155. Balfour, E. M. , On the structure and homologies of the
germinal layers of the embryo. Quarterly journal of microscopical
science. 1880. p. 240—273.
156. Derselbe, Larval forms : their nature , origin and affi-
nities. Ebenda. 1880.
157. Clans, C. , Die Typenlehre und Haeckel's sogenannte Ga-
straeatheorie. Wien 1874.
157*. Derselbe, Grundziige der Zoologie.
158. Flemming, Ueber Formen und Bedeutung der organi-
schen Muskelzellen. Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XXX. Suppl.
p. 466—473.
159. Gegenbaur, Grundriss der vergleichenden Anatomie.
2'-^ Aufl. 1878.
160. Haeckel, E., Die Kalkschwamme. Berlin 1872.
161. Derselbe, Natiirliche Schopfungsgeschichte. 7** Autl.
162. Derselbe, Die Gastraeatheorie , die phylogenetische Clas-
sification des Thiei'reichs und die Homologie der Keimbliitter. Jenai-
sche Zeitschr. Bd. VIII.
162\ Derselbe, Die Gastrula und die Eifurchung der Thiere.
Ebfiuda. Bd. IX p. 402—508.
163. Derselbe, Nachtriige zur Gastraeatheorie. Ebenda. Bd.
XI p. 55—99.
164. He us en, V., Ueber die Entwicklung des Gewebes und
der Nerven im Schwanze der Froschlarve. Virchow's Archiv. Bd.
XXXI p. 53.
165. His, W., Die Haute und Hohlen des Korpers. Basel 1865.
16G. Huxley, Th. H., On the classification of the animal king-
dom. Quarterly journal of microscopical science. Vol. XV p. 52 — 56.
1875.
167. Derselbe, The anatomy of invertebrated animals. 1877.
Bd. XV. N, F. vin. 1. 10
146 0. und R. Hertwig,
Deutsche Ausgabe von Span gel: Grundzuge der Anatomic der Wir-
belthiere. 1878.
168. Lankester, E. Ray, On the primitive Cell-laj^ers of the
embryo as the basis of genealogical classification of animals and on
the origin of vascular and lymph systems. Ann. and Mag. N. Hist.
S. 4. Vol. XI p. 321— 338. 1873.
169. Derselbe, On the invaginate plauula or diploblastic phase
of Paludina vivipara. (Quarterly journal of microscopical science. Vol.
XV p. 159—166. 1875.
170. Derselbe, Notes on the embryology and classification of
the animal kingdom: comprising a revision of speculations relative to
the origin and significance of the germ-layers. Quarterly journal of
microscopical science. Vol. XVII p. 399 — 454. 1877.
171. Semper, Die Verwandtschaftsbeziehungen der geglicderteu
Thiere. Arbeiten aus dem zoolog. Institut in Wiirzburg. 1876.
172. Schwa lb e, G., Ueber den feineren Bau der Muskelfasern
wirbelloser Thiere. Archiv f. mikroskop. Anat. Bd. V p. 205—248.
173. Weismann, A., Ueber die zwei Typen contractilen Ge-
webes und ihre Vertheilung in die grossen Grnppen des Thierreichs,
sowie iiber die histologische Bedeutung ihrer Formelemente. Zeitschr.
fiir rationelle Medicin. III. R. Bd. XV p. 60—103. 1862.
Die Coelomtheorie. 147
Tafelerklarung.
Fiir alle Figureu gelten folgende Bezeichuungen.
a Zelleu des Meseuchyms.
b Epithelzellen des Enterocoels.
c Coelom. Enterocoel.
<:' Abgeschnlirter Theil des Enterocoels. Hohle der Urwirbel.
ch Chorda.
d Darm.
tif Darmfaserblatt.
e Eierstock.
/ Muskelfibrille.
/>• Ganglion.
^z Gauglienzellen.
// Kalknadeln.
ho Hoden.
/■ Dotterpliittchen.
k Laterale Scheibe am Darm der Toruaria.
/ Leber.
Id Dorsales ) ,,
, „ , I Mesenterium.
//' Veutrales )
Is Leibesspalte.
in Muskelfaser.
mc Epitheliale ) ,^ , ,„
,.. > Muskelfaser.
mm Mesenchymatose J
ml Transversale Muskelfasei'n.
mk Muskelkern.
n Nerv.
0 Mund.
p After.
/' Dermale Schicht.
* Muskelseptum. Stutzsubstanz.
10*
148 0. und R. Hertwig,
/ Primitivrinne.
u TJrmund.
V Blutgefasse.
w Gallerte.
A Amnion.
B Muskelblatt.
D Dotterzellen.
Ek Ektoblast.
En Entoblast.
Enc Chordaentoblast.
K Muskelkiistchen.
P Primitivbiindel.
Me Mesoblast.
Me^ Viscerales Blatt des Mesoblasts.
Me^ Parietales Blatt des Mesoblasts.
N Nervensystem. Nervenrohr.
T Tracheen.
Tafel I.
Fig. 1. Querschnitt durch Planaria polychroa. 95 raal vergr.
Fig. 2. (Auerschnitt aus dem vordereu Drittel des Rumpfes von
Protodrilus Leuckartii. (Copie uach Hatschek, Wiener Arbeiten, Bd.
III. Taf. VIII Fig. 17.)
Fig. 3. Querschnitt durch das hintere Ende des Rumpfsegmen-
tes einer 0,8 Cm langen Sagitta bipunctata. 160 mal vergr.
Fig. 4. Querschnitt durch Chiton marginatus. 40 mal vergr.
Fig. 5. Eine junge Tornaria. (Copie nach MetschnikofF, Zeitschr.
f. wissensch. Zool. Bd. XX. Taf. XIII Fig. 2.)
Fig. 6. Larve von Echiurus. (Copie nach Hatschek, Wiener
Arbeiten, Bd. III. Taf. IV Fig. 8.) 150 mal vergr.
Fig. 7. Flachenschnitt durch das Nervensystem von Planaria
polychroa. 195 mal vergr.
Fig. 8. Optischer Langsschnitt eines Embryo des 10'''" Tages
von Malacobdella. (Copie nach Hoffmann, Niederl. Arch. Bd. IV.
Taf. II Fig. 33.) 300 mal vergr.
Fig. 9. Blastula von Echinus miliaris. (Copie nach Seleuka,
Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XXXIII. Taf. V Fig. 4.)
Fig. 10. Gastrula von Echinus miliaris. (Cop. nach Selenka,
Ebenda. Taf. V Fig. 9 und 13 combinirt.) 300 mal vergr.
Fig. 11. Larve von Teredo. (Copie nach Hatschek, Wiener
Arbeiten, Bd. III. Taf. II Fig. 21.) 445 mal vergr.
Die Coelomtheorie. 149
Tafel II.
Fig. 1—3. Quersclmitte durch den Keimstreif einer Noctua auf
dem Gastrulastadium. 470 mal vergr., desgleichen Fig. 4 — 6.
Fig. 4. Erste Anlage des Darmdriisenblatts von Zygaena Minos.
Fig. 5. Darmfaserblatt und Darmdriisenblatt (Zygaena Minos)
del* rechteu und linken Seite sind einander entgegengewachsen , aber
noch nicht zur medianen Vereinigung gelangt.
Fig. 6. Sonderung des Mesoblasts in Darmfaser- und Hautfaser-
blatt, Auflosung der Dotterzellen , von einer Noctua.
Fig. 7. Loxosoma Raja nach 0. Schmidt (Arch. f. mikrosk. Auat.
Bd. XII, Taf. I Fig. 1).
Fig. 8. Schematische Darstellung der Insectengastrula zur Zeit,
wo der Urdarm durch zwei seitliche Falten in den bleibenden Darm
und die beiden Leibeshohlensacke zerlegt wird und der primare Ento-
blast sich in den Mesoblast und das Darmdriisenblatt sondert.
Fig. 9. Frontalschnitt durch einen 2^/^ Tage alten Embryo von
Triton taeniatus. Schwach vergr.
Fig. 10. Uuerschnitt durch einen 2^/2 Tage alten Embryo von
Triton taeniatus. Schwach vergr.
Fig. 11. Querschnitt durch einen 3 Tage alten Embryo von
Triton taeniatus. Schwach vergr.
Fig. 12. Querschnitt durch einen 4 Tage alten Embryo von
Triton taeniatus. Schwach vergr.
Fig. 13. Querschnitt durch einc Larve von Amphioxus lanceo-
latus. (Copie nach Kowalevsky, Arch, raikr. Anat. Bd. XIII. Taf. XV
Fig. 12.)
Fig. 14. Querschnitt aus dem hintersten Ende einer Polygor-
diuslarve. (Copie nach Hatschek , Wiener Arbeit. Bd. I. Taf. XXX
Fig. 84.)
Fig 15. Optischer Durchschnitt durch den Embryo eines Bra-
chiopoden. (Copie nach Kowalevsky, Brachiopodenentwicklung. Taf. I
Fig. 6.)
Fig. 16. Querschnitt durch den Rumpf eines jungen Polygordius.
(Copie nach Hatschek, Wiener Arbeiten. Bd I. Taf. XXX Fig. 89.)
Fig. 17. Die beiden Mesoblaststreifen am Afterpole einer un-
gegliederten Larve von Polygordius. (Copie nach Hatschek, ebenda.
Taf. XXVIII Fig. 57.) 450 mal vergr.
Fig. 18. Segmentirter Mesoblaststreifen einer Larve von Echiu-
rus. (Copie nach Hatschek, ebenda. Bd. III. Taf. V Fig. 22.) 450
mal vergr.
150 0. und R. Hertwig, Die Coelomtheorie.
Tafel III.
Fig. 1. Quorschnitt durch die Muskulatur einer Meckelia.
240 mal vergr.
Fig. 2. Querschnitt durch die Muskulatur eines Nemertes.
240 mal vergr.
Fig. 3. Stiick vom Velum einer Larve vou Cavolinia tridentata.
(Copie nach Fol, Pteropoden. Taf. IV Fig. 48.) 200 mal vergr.
Fig, 4. Ende einer mesenchj-matosen Muskeifaser von Beroe
ovatus. (R. Hertwig, Ctenophoren. Taf. VI Fig. 14.)
Fig. 5. Querschnitt durch die Muskulatur eines Septums von
Sagartia parasitica nahe an seiner Befestigung. (0. u. R. Hertwig,
Actinien. Taf. Ill Fig. 2.)
Fig. 6. Querschnitt durch die Muskulatur der Korperwand von
Cerianthus membranaceus. (0, u. R. Hertwig, Actinien. Taf. VIII
Fig. 11.)
Fig. 7. Querschnitt durch die Liiugsmuskulatur des Regen-
wurms. 500 mal vergr.
Fig. 8. Querschnitt durch die Muskulatur eines Tentakels von
Charybdea marsupialis. 500 mal vergr.
Fig. 9. Muskulatur eines Darmdrlisenschlauches von Porcellio
scaber. (Copie nach Weber, Arch. mikr. Anat. Bd. XVII. Taf. XXXVI
Fig. 1.)
Fig. 10. Querschnitt durch die Muskulatur des Hautmuskel-
schlauches von Limax. 500 mal vergr.
Fig. 11. Querschnitt durch die Bauchgegend von Pseudalius
inHexus. (Copie nach Biitschli, Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XXIII.
Taf. XXII Fig. 10.)
Fig. 12. Querschnitt durch die Liiugsmuskulatur einer 0,8 Cm.
langen Sagitta bipunctata. (0. Hertwig, Chaetognathen. Taf. It Fig.
13.) 500 mal vergr.
Fig. 13. Querschnitt durch die Rumpfmuskulatur einer 6 AVo-
chen alten Larve von Petromyzon Planeri. 500 mal vergr.
Fig. 14. Querschnitt durch die Rumpfmuskulatur einer 9 Tage
alten Larve von Petromyzon Planeri. 500 mal vergr.
Fig. 15. Querschnitt durch die Rumpfmuskulatur einer 5 Tage
alten Larve von Triton taeniatus. 500 raal vergr.
Fig. 16. Querschnitt durch die Rumpfmuskulatur einer 14 Tage
alten Larve von Petromyzon Planeri. 500 mal vergr.
Fig. 17. Mesenchymatose Muskeifaser einer Teredolarve. (Co-
pie nach Hatschek, Wiener Arbeiten. Bd. III. Taf. II Fig. 24 A.) 445
mal vergr.
Fig. 18. Durch 20 •'/^ Salpetersaure isolirte Muskeifaser von
einer Ascaride des Aals.
Fig. 19. Querschnitt durch die Rumpfmuskulatur einer 10 Tage
alten Larve von Triton taeniatus. 500 mal vergr.
Fig. 20. Langsschnitt durch ein Muskelsegraent einer 5 Tage
alten Larve von Triton taeniatus. 500 mal vergr.
Fig. 21. Epithelmuskelzelle einer Actinic.
Beitriig-e zur Kenntniss des Baues
der
Schmetterlings-Riissel.
Von
Wilhclin Breitenbach.
Hierzu Tafel IV— VI.
I. Geschichtliche Einleitung.
Es ist inimer von grossem Nutzen, wenn man einer wissen-
schaftlichen Arbeit, welche irgend einen Gegenstand eingehend
behandelt, eine kurze geschichtliche Einleitung vorausschickt.
Eine solche Literatur-Uebersicht hat zwei Hauptzwecke. Erstens
sehen wir aus derselben, was bis zu dem Zeitpunkte, in dem des
Verfassers eigene Untersuchungen begannen, uber den behandel-
ten Gegenstand bekannt ist und wie diese Kenntnisse im Laufe
der Zeit allmahlig erworben wurden. Zweitens, und das scheint
mir nianchmal das Wichtigste zu sein, lasst ein historischer Ueber-
blick iiber das bisher Geleistete erkennen, was der Verfasser
wirklich Neues bringt; er gestattet also erst eine richtige Wiir-
digung der ueuen Arbeit. Aus diesen Griinden habe ich mich
entschlossen , meine Arbeit ebenfalls durch einen historischen
Ueberblick einzuleiten. Ich habe selbstverstandlich nur die wich-
tigsten Arbeiten beriicksichtigen konnen , d. h, solche , deren Ver-
fasser eigene Untersuchungen augestellt haben. Gleichzeitig will
ich bemerken, dass ein kleiner Theil, der eigentlich hierher ge-
hort hatte, an einer andern Stelle behandelt werden wird; ich
meine die Ansichten liber die Art und Weise, wie die Schmetter-
linge saugen. Da die vorliegende Arbeit zum bei Weitem gross-
ten Theile morphologischen Inhaltes ist, so habe ich es vorgezo-
gen, jene physiologische Frage, auch in ihrem geschichtlichen
Theile, in einem besonderen Theile zusammenhangend zu bespre-
chen.
Da die alteren Entomologen bekanntlich mit grosser Vorliebe
152 Wilhelm Breitenbach,
stets die Muiidwerkzeuge der Insecten untersucht und beschrieben
habeii, so lasst sich eigentlicli von vornherein erwarten, dass die-
selben, da der Saugriissel fiir das einzige Mundorgan der Schmet-
terlinge gehalten wurde, audi diesem ilire besondere Aufmerksam-
keit werden gewidmet haben. In der That giebt auch derjenige
Naturforscher, den wir aus der illteren Zeit bespreclien wollen,
namlich R6aumur, eine sehr eingehende Schilderung vom Bau
und von der Function unseres Organes. Da Reaumur der erste
Naturforscher ist, welcher den Sclimetterlingsriissel eingehend un-
tersucht hat, und da die nachstfolgenden Beobachter nicht iiber
ihn hinausgekommen sind, z. B. auch Swammerdam, so wol-
len v^ir etwas langer bei ihm verweilen. Uuser Verfasser hat
seine Untersuchungen niedergelegt in dem fiinften Bande seines
„Menioires pour servir a Thistoire des insectes"; pag. 284 — 315.
Reaumur sagt, man finde den Riissel bei denjenigen Schmet-
terlingen, welche iiberhaupt im Besitze eines solchen seien, genau
zwischen den Augen befestigt. Wenn der Schmetterling keine
Nahrung zu sich nimmt, so ist der Riissel wie die Spiralfeder
einer Uhr aufgerollt und liegt so zwischen Stiickeu verborgen,
welche bei den verschiedenen Schmetterlingen eine verschiedene
Form und Grosse haben. Da sie mit kurzen Haaren bedeckt sind,
so werden sie als „behaarte Wande" (cloisons barbues) oder „Barte
des Schmetterlings" (barbes du Papillon) bezeichnet. Was diese
cloisons barbues eigentlich sind, ist Reaumur nicht klar gewor-
den; es sind die allerdings bedeutend veranderten Unterlippen-
taster.
Nachdem unser Verfasser im Weiteren sehr hiibsch beschrie-
ben hat, wie die Schmetterlinge sich ihres Riissels bedienen, wenn
sie den siissen Saft der Rlumen saugen, geht er zur Untersuchung
der Structurverhaltnisse des Organes tiber. Auf den ersten Blick
ist der Riissel eine Art Klinge (lame), langer als dick, aus einer
hornigen Masse bestehend; von der Ansatzstelle bis zu seinem
freien Ende scheint er sich zu verjiingen. Da die Ansatzstelle
sich genau in der Mitte des Kopfes befindet, so nimmt der Riis-
sel gerade die Stelle der Nase ein ; und in der That haben einige
Autoren (nach Reaumur) gesagt, die Schmetterlinge batten eine
sehr lange Nase.
Reaumur hat die Beobachtung gemacht, dass wenn man
den im aufgerollten Zustande befindlichen Riissel gewaltsam ent-
rollt, derselbe von der Spitze an sich in zwei gleiche Halften
spaltet. Dies fiihrte ihn zu einer wichtigen Frage: Spalten sich
Beitriige zur Kenntniss des Baues der Schmetterlings-B-ussel. 153
die Rilssel der Schmetterlinge desshalb so leiclit, well sie so fein
imd zerbreclilicli sind, oder bestelien sie wirklich aus zwei an-
einander gelegten Stticken? Das Ergebniss ist die Feststellung
der Thatsache, dass sich die Schmetterlingsriissel in der That
aus zwei gleichen, aneinander liegenden Halfteu zusammensetzen.
Eine nun folgende, sehr unklare Auseinandersetzung iiber den
Bau der Rtisselhalften wollen wir iibergehen, da Reaumur mehr
gesehen hat, wie wirklich vorhanden ist. Ein Blick auf die zu-
gehorigen Abbildungen zeigt das auf den ersten Blick,
An dem Rlissel bemerkte Reaumur eine sehr grosse Anzahl
von „fibres transversales qui ceignent la trompe et qui semblent
la diviser dans une infinite d'anneaux ou de tranches" (pag. 295).
Am Yorderen, freien Ende einiger Rlissel stehen „hautige Blatt-
chen", (des feuillets membraneuses) , auf jeder Riisselhalfte zwei-
zeilig angeordnet. Dieselben sollen eine Art Rinne bilden, „parce
qu'ils s'ecartent les uns les autres en s'eloignent de leur base"
(pag. 296). Diese Blattchen , in denen wir spater sehr wichtige
Theile des Riissels wiedererkennen werden , sollen dazu dienen,
die Spitze schwacher Riissel zu stiitzen, da man dieselben an
starken Riisseln nicht finde. Wir werden spater seheu, dass ge-
rade das Gegentheil viel eher richtig ist, dass gerade die stark-
sten Riissel mit solchen „Blattchen" vorwiegend versehen sind.
Ganz richtig ist im Allgemeinen das, was unser Verfasser
iiber den Verschluss der beiden Rlisselhalften angiebt. Die Hiilf-
tCii legen sich nicht mit einer coutinuirlichen Flache aneinander,
wie man das nach der Leichtigkeit , mit der sie von einander
getrennt werden konnen, vielleicht erwarten sollte, soudern der
Verschluss wird durch eine grosse Anzahl dicht bei einander ste-
hender, dlinner Filden (filets) bewirkt, welche gegen einander
stossen. Bei einigen Riisseln hat Reaumur auch iibereinander
greifende zahnartige Bildungen (dentelures) bemerkt, „qui peuvent
fortifier Tunion et la pourroient faire seules, si les lances n'e-
toient pas composees de filets" (pag. 300). Diese letztere Ansicht
werden wir spater als nicht correct kennen lernen, da diese zahn-
artigen Bildungen auf einer Seite den Verschluss allein herstel-
len, wahrend er auf der entgegengesetzten Seite allein von den
filets bewirkt wird.
Da die beiden Riisselhalften auf ihrer inneren Seite halb aus-
gehohlt sind, so dass eine Rinne gebildet wird, so entsteht beim
Aneinanderlegen der Halften ein mittlerer Canal; da aber ausser-
dem noch jede Riisselhalfte von einem besonderen Canal durch-
154 Wilhelm Breitenbach,
zogeii ist, so hat der Riissel im Gauzeu drei Cauiile. Dienen alle
drei Cauiile dazu, die siissen Bluinensafte dem Korper zuzufuh-
ren? Nach einem selir laugatliiiiigen Bericht iiber eine dahin-
zielende Beobachtiing kommt Reaumur zu dem Schlusse, dass
nur durcli deu mittlereu Canal Fliissigkeit aufgenommen werde,
dass dagegen die seitlicheu Canale wohl zur Aufiiahme von Luft
dienen. Einige Seiten vorher war er, wie wir noch nachtraglich
bemerken wollen, ebenfalls durcli eine Beobachtung zu der An-
sicht gekommen, dass audi die seitlichen Canale die Nahrungs-
fliissigkeit dem Korper zufiihrten. Dass diese beiden Ansichten
sich widersprecheu, scheint Reaumur gar nicht zu merken. Es
ist indessen anzunelimen, dass er in der Folge die erst erwahnte
fiir die richtige gehalten hat, was sie ja in der That auch ist.
Endlich wollen wir noch einen Punkt anfiihren. Die kleinen
Schmetterlingsriissel sollen nur einen mittleren Canal besitzen; die
Canale der Riisselhiilften dagegen sollen fehlen. Wenn man einen
solchen kleinen Russel durchschneidet , sagt Reaumur, so be-
nierkt man in der Mitte einen ovalen Canal; in den beiden Sei-
tenfeldern sieht man je einen kleinen, wohl umschriebenen Kreis,
den Durchschnitt eines Muskels. Hier hat sich Reaumur griind-
lich geirrt; denn dieser vermeintliche Muskel ist thatsachlich der
Durchschnitt des Luftkanales. Wenn ich aufmerksam die Zeich-
nungen betrachte, so will es mir vorkommen, als wenn Reau-
mur bei den andern Schmetterlingen die wirklichen Tracheen gar
nicht gesehen hiitte. Von der gaiizen Riisselhalfte ist nur die
iUissere Waudung gezeichnet; im Uebrigen ist sie hohl. Das ist
aber in Wirklichkeit nicht der Fall; vielmehr ist der Raum bis
auf die verhiiltnissmassig diinne Trachee mit Muskeln angefiillt.
Also gerade da, wo Reaumur die Tracheen der Rtisselhalften
nicht gesehen haben will, hat er sie gerade gesehen, und da wo
er sie gesehen haben will, scheint er sie nicht gesehen zu haben.
In dem ganzen Meinoire, dem die vorstehenden Augabeu ent-
nonimen sind, und welches „principalement desailes, des yeux,
des antennes et des trompes" handclt, ist von keinen weiteren
Mundwerkzeugen der Schmetterlinge die Rede wie vom Russel.
In der That kaunten Reaumur und die alteren Entomologen
uberhaupt von den Mundtheilen der Schmetterlinge nur den Riis-
sel; hochstens zahlte man noch zu deuselben jene beiden, meist
ziemlich grossen Anhange, zwischen denen der Russel im aufge-
rollten Zustande verborgeu liegt, die Uuterlippentaster. Man hielt
in Folge desseu die Mundtheile der Schmetterlinge fiir etwas ganz
Beitrage zur Kenntniss des Baues der Schmetterlings-Riissel. 155
Besonderes und von deneu der ubrigen lusecten total Verschiede-
nes. Diese grosse Verschiedeulieit der Muudwerkzeuge der Sclimet-
terlinge von denen der andern Insecten, nameutlich der Kafer
mit beissenden Mundtlieilen , musste urn so mehr auffallen, als
doch die Raupen, aus denen die Sclimetterlinge hervorgingeu,
ganz ebensolclie Mundtheile wie andere beissende Insecten batten.
In der Tbat hatte man keine Ahnung davon, dass die Mundtbeile
der Scbmetterlinge trotz aller itusseren Verschiedenheit doch nach
demselben Typus gebaut seien wie die aller andern Insecten und
wie die der Raupen.
Savigny fiihrt in dem ersten seiner 1816 erschienenen vor-
zuglichen „Memoires sur les animaux sans vertebres" eine bierher
bezugliche Stelle an, welcbe wir in der Uebersetzung wiedergeben
wollen. „Der gefeierte Verfasser der „Vergleicbenden Anatomie"
geht noch welter. „„Von alien Larveu, sagt er, sind es diejeni-
gen der Lepidopteren oder die Raupen, welcbe sicb in Bezug auf
den Mund am meisten von ibren Insecten unterscbeiden, und was
nocb sonderbarer ist, ibr Mundapparat ist nacb dem Plan der
Insecten mit Kieferu gebaut, obgleicb man keine Spur davon bei
den Scbmetterliugen wiederfindet." " Dem gefeierten Verfasser
der „Vergleicbenden Anatomie", in dem wir obne Zweifel Cuvier
zu sucben baben, und alien Entomologen tritt nun der scbarfsin-
nige Savigny entgegen, indem er, gestiitzt auf vergleicbend-
anatomische Untersucbungen , den bestimmten Nacbweis liefert,
dass die Mundtbeile der Scbmetterlinge nacb demselben Typus
gebaut seien wie die der andern Insecten und der Raupen. „Die
Scbmetterlinge baben, ebenso wie ibre Raupen, ebenso wie die
Coleoptera, Neuroptera und alle beissenden Insecten, zwei Lippen,
eine Oberlippe, eine Unterlippe, zwei Mandibeln und zwei Kie-
fern," (Prem. Mem. pag. 3.) Natlirlicb sind audi die Unterkiefer-
und Unterlippeutaster vorbanden. Die Mundtbeile der Scbmetter-
linge sind mit Ausnahme der Unterkiefer und der Unterlippeuta-
ster sammtlich bedeutend rudimentiir geworden, da sie mit der
volligen Umgestaltung des Raupenmundes in den Scbmetterlings-
mund ibre Function verloren baben. Das einzige active Mund-
organ ist der aus den Unterkiefern hervorgegangene Saugriissel.
Die Unterlippeutaster sind, wie wir scbon wissen , jene ziemlicb
ansebnlicben , meist stark bebaarten Gebilde, zwiscben denen der
eingerollte Riissel wie in einer Scbeide verborgen liegt.
Nacbdem so von Savigny die Homologie der Mundtbeile
der kauenden Insecten mit denen der Scbmetterlinge erwiesen
156 Wilhelm Breitenbach,
worden ist, und nachdem gezeigt wurde, dass der Rlissel speciell
den Unterkiefern entspreche, macht unser Autor audi noch einige
BemerkuQgen iiber den Ban unseres Organes. „Wenn wir zu den
eigentlichen Kiefern tibergehen, so werden wir sehen, dass sic
nicht weniger erkennbar sind. Ihr Stamm ist an den Kopf und
an die Unterlippe augeheftet, aber ihr Endtheil ist frei, schlank,
zuweilen sehr laug, biegsam, rohrenformig, aussen abgerundet,
iunen mit einer Rinne versehen, deren Rander unmerklich gekerbt
sind und welclie, indem sie genau zu der Rinne der entsprechen-
den Lade passen, so einen hohleu Cylinder bilden. Diese beiden
vereinigten Laden setzen den Riissel oder die Zunge der Schmet-
terlingc zusammen. Dieser Riissel ist in der Quere fein gestreift
und gegen das Ende mit Rauheiten versehen. Er kann sich ver-
mittelst seiner ringformigen Fasern verlangern, verkiirzen oder
sich aufrollen."
Das ist alles Hierhergehorige was Savigny angiebt; aber
die seiner Arbeit beigegebenen Zeichnungen bieten uns noch Et-
was. Die Rauheiten (asperites) an der Riisselspitze, in denen wir
die .,feuillets membraneuses" von Reaumur wiedererkennen, zeich-
net Savigny als kleine Cylinder, wahrend sie bei Reaumur
in der That wie Blattchen aussehen. Ferner sehen wir auf der
Oberseite des Rtissels (Taf. I, Fig. 4) jene „filets" gezeichnet, wel-
che durch ihr Aneinanderlegen den Verschluss der beiden Riis-
selhalften herbeifiihren ; Reaumur giebt keine Zeichnung von
denselben. Wir diirfeu wohl annehmen, dass der so ungemein
sorgfaltige Savigny den Bau der Schmetterlingsriissel noch ein-
gehender untersucht hat wie aus seiner Arbeit erkennbar ist; al-
leiu der Zweck seiner Arbeit machte es nicht nothig genauere
Angaben iiber den Bau unseres Organs zu machen.
Bei Kir by und S pence (Einleitung in die Entomologie oder
Elemente der Naturgeschichte der Insecten. 1823. Ausgabe von
Oken. Bd. I pag. 434—435) linden wir einige Angaben iiber un-
sern Gegenstand. Nach diesen beiden vorziiglichen englischen
Entomologen ist der Riissel der Schmetterlinge knorpelig und be-
steht ganz bestimmt aus einer Reihe zahlloser, aufeinander fol-
gender Ringe, die durch ebensoviele Muskeln in Bewegung gesetzt
werden. Wenn schon auch nicht gesagt wird, ob diese Muskeln
Ringmuskeln oder Langsmuskeln sind, so diirfen wir doch wohl
annehmen, das erstere gemeint sind. Der mittlere Canal dient
zum Saugen, die beiden seitlichen Canale sind Tracheenstamme.
Der mittlere Canal „besteht aus zwei Furchen, die von Vorsprun-
Beitrage zur Kenntaiss des Baues der Schmetterliugs-Riissel. 157
gen der Seitenrohren gebildet werdeu. Diese Furchen greifeu
mittelst eines sehr merkwtirdigen Apparates vou Hakchen, oft
wie Riife einer Federspule, in einander und konnen entweder zu
einer luftdichten Rohre vereinigt, oder augeublicklicli getrennt
werden , nach dem Belieben des Kerfs." (pag. 435.)
In dem „Handbuch der Entomologie" von Burmeister wird
der Schmetterlingsrussel ebenfalls besprochen. Von den beztigli-
chen Bemerkungen wollen wir indessen nur die falschen wieder-
geben. Nachdem Burmeister gesagt hat, dass durch Aneinan-
derlegen der beiden Riisselhalften eiu Canal entsteht, fabrt er
fort: „Auch die fadenformigen Kiefer sind hohl und stossen mit
ihrer Hohle auf den gabelformigen Anfang der Speiserohre, so
dass die Schmetterlinge gleichsam zwei Mauler, oder doch zwei
getrennte Saugriissel habeu." (Bd. I pag. 67.) Und an einer an-
dern Stelle: „Beide Rtissel bilden, aneinander gelegt, einen mitt-
leren Canal, in welchen der Ausgang der Speichelgefasse miindet.
Hier ist also die einfache Mundoffnung ganz verschwunden , da-
gegen finden sich zwei riisselformig verlangerte Saugmauler, in
welchen der Blumenhonig .... aufsteigt." (Bd. I pag. 380.). Von
den Muskein des Riissels, die nach Kirby und S pence wahr-
scheinlich Ringmuskeln sind, sagt Burmeister: „Bei ihnen (den
Schmetterlingen namlich) verliiuft in jeder Halfte des Riissels ein
doppelter, bandartiger Muskel, welcher die ganzc Hohle ausklei-
det und nur einen mittleren engen Canal iibrig liisst." (Bd. I
pag. 276.)
Nachdem also schon Reaumur, dann Kirby und S pence,
deutlich ausgesprochen batten, dass nur der mittlere Canal zum
Aufsaugen des Bluraenhonigs diene , dass dagegen die beiden Ca-
nale, welche jede Russelhalfte durchziehen, Luftrohren seien, ver-
tritt Burmeister mit aller Entschiedenheit doch noch die ent-
gegengesetzte Ansicht. Er lasst den Honig durch die beiden Tra-
cheen aufsteigen und erklart den wirklichen Saugcanal fiir den
Ausfiihrungsgang der Speichelgefasse ! Dass die Fliichen , in de-
nen sich die Rander der Riisselhalften beriihren, aus einzeluen
dicht bei einander stehenden, ineinander greifenden Hakchen be-
stehen, wie schon Reaumur beschrieben hatte, weiss Burmei-
ster gar nicht; er hat nur eine continuirliche Leiste gesehen,
oder was das Wahrscheinlichere ist, er hat gar nicht ordentlich
zugesehen. Auch erwahnt er nicht jene „feuillets membraneuses"
an der Spitze des Riissels. Im Allgemeinen muss man sagen,
dass Burmeister sich um die altere Literatur wenig gekiimmert
158 Wilhelm Breiteubach,
zii haben scheint unci dass er deu Bau des Schmetterlingsriissels
viel weniger genau zii kennen scheint wie beinahe hundert Jahre
vor ilim Reaumur^).
Die niichste Arbeit, welche wir auzufiihren haben, bezeich-
net einen erfreulichen Fortschritt in der Kenntniss unseres Ge-
genstandes, wenigstens nach einer Seite hin. Sie riihrt von dera
englischen Entomologen George Newport (Artikel: Insecta in:
Cyclopaedia of Anatomy and Physiology. Vol. II. 1836 — 39, pag.
900 — 902). Genauer beschreibt Newport die Anhange am freien
Ende des Riissels. „Bei einigen Arten ist das ausserste Ende
jeder Maxille liings seines vorderen und seitlichen Randes mit
einer grossen Anzahl kleiuer Papillen besetzt. Sie sind ausserst
entwickelt bei einigen Schmetterlingen, so bei Vanessa atalanta,
wo sie etwas langliche, tonnchenformige Korper sind, die mit
drei kleineren Papillen endigen, die rund urn ihr vorderes Ende
angeordnet sind, mit einer vierten, etwas grosser als die andern,
in ihrer Mitte stehend. Nach ihrem Bau zu urtheilen und nach
dem Umstand, dass sie immer tief in irgend welche Fliissigkeit
eiugetaucht werden, wenn das Insect Nahrung zu sich nimmt,
miissen sie wahrscheinlich als Tastorgane betrachtet werden." Die
der Beschreibung beigegebene Zeichnung stimmt aber mit ersterer
nicht iiberein. (Fig. 378. 4. c.) Newport sagt, die Papillen
endigen in drei Spitzen, zwischen denen noch eine liingere vor-
rage; in der Abbildung (von Vanessa atalanta) sind aber im Gan-
zen nur drei Spitzen angegeben. Wir werden spater sehen, dass
1) Wie lange sich iibrigens eine falsche Ansicht halten kann,
trotzdem sie liingst widerlegt ist, mag Folgeudes lehren. Die absolut
irrige Meinung Burmeister's, dass die Schmetterlinge deu Honig
durch die beiden Seiteucanale aufsaugeu, wird noch jetzt vou einem
unserer bedeutendsten Sclimetterlingskeuner vertreten, namlich von
Dr. A. Speyer in lihoden. Als ich denselben vor liingerer Zeit ein-
mal bat, er moge mir einige Schmetterlinge zur Uutersuchung iiber-
lassen, schrieb er mir folgendes : „Eine Frage , die mich besonders
interessirt, ist die, ob die Schmetterlinge ihre fliissige Nahrung durch
die beiden Seitenhalften des Saugers, welche ja bekanntlich
hohle Cauiile sind, aufnehmen, oder durch den mittleren Canal, wel-
cher durch das Aueinanderlegen jener gebildet wird. Letztere An-
sicht iindet sich in den Handblichern der Zoologie von Gerstaecker
und Claus ausgesprochen und scheint iiberhaupt jetzt die gang und
gabe zu sein. Ich zweifle aber sehr, dass sie sich auf genaue Un-
tersuchungen stiitzt und bin sehr geneigt, die friihere Meinung, dass
der Falter ein doppeltes Maul und einen entsprechend gabelformig ge-
theilten Anfang des Oesophagus habe, fiir die richtige zu halten."
Beitriige zur Kenutuiss des Baues der Schmetterlings-Russel. 159
weder das Eine noch das Audere gaiiz riclitig ist, sonderu dass
die Anzahl der Spitzen eine nocli grossere ist.
Audi den „filets" von Reaumur, die durch Aneinanderla-
gern die Russelhalften verschliessen, hat Newport genauere Auf-
merksamkeit zugeweudet. „Bei Vanessa sind sie sichelformig und
etwas unterhalb der Spitze noch mit einem Zahn versehen. Sie
greifeu iibereinander wie die Zahne gewisser Fische, und wir sind
geneigt zu glauben , dass die Spitzen der Haken an einer Riissel-
halfte, wenn das Organ ausgestreckt ist, in kleine Vertiefungen
zwischen den Zahnen der entgegeugesetzten Seite eiugreifen, so
dass sie die vordere Oberfiache des Canaies bilden."
Die genauere Beschreibung der Spitzenanhiinge und der Hak-
chen muss man als einen nicht uubedeutenden Vorzug der Arbeit
von Newport vor den en seiner Vorgjinger betrachten. Was da-
gegen den Bau der Maxillen selbst anbelangt, so folgt unser Autor
den Ansichten von Kir by und S pence. Jede Maxille ist „com-
posed of an immense number of short, transverse, muscuhir rings"
(pag. 900).
Im Jahre 1853 verofifentlichte Georg Gerstfeldt als Doc-
tor-Dissertation eine vergleichend - anatomische Arbeit „iiber die
Mundtheile der saugendeu Insecten", in welcher auch die Schmet-
terlingsriissel ausfiihrlich (pag. 6G— 74) besprochen werden. Wir
wollen Einzelnes aus dieser vortrefflichen Arbeit herausheben. Die
Papillen an der Spitze vieler Riissel, die nach Newport als
Tastorgane zu deuten sind, scheinen Gerstfeldt eher den
Schiippchen vergleichbar, „welche bei einigen Schmetterlingen die
dreigliedrigen Maxillartaster besitzen und die den Fliigelschuppen
analog sind." In der That zeichnet auch Gerstfeldt dieselbeu
ganz ahulich wie Fliigelschuppen, und die folgende Beschreibung
ist gleichfalls dem entsprechend. In der Erkenntniss dieser Or-
gane ist unser Verfasser hinter Newport zuriickgeblieben. Die
Hakchen (filets) dagegen beschreibt er ganz wie Newport.
Dagegen ist Gerstfeldt in einem anderu Punkte weiter
gekommen. Schon fruhere Beobachter batten auf der Oberfiache
der Riissel eine feine Querstreifung bemerkt; diesc ist von Gerst-
feldt genauer untersucht worden. „Die aussere couvexe Seite
jeder Maxille zeigt unziihlig viele hornige Querstreifen , die am
haufigsten gerade von einer Randleiste zu der anderen verlaufen,
sich aber auch oft in zwei oder selbst drei Gabelzinken theilen,
und dann und wann durch diese mit den benachbarten Hornbo-
gen zusammenfiiessen ; sie sind es, die den Russelhalften das An-
160 Wilhelm Breitenbach,
sehen geben, als ob sie aus eiiier grossen Anzahl an einander
gcreihter Riiigabtheilimgeu bestaiiden." (pag. 66.)
„Die iimere concave Seite der Maxillen ist mit einer zarteu,
fein quergestreiften Haut ausgekleidet , die von einer Randleiste
bis zu der anderen reiclit; die Streifen sind dieser Membran eigen-
thiimlicb und habeu mit den Hornstreifen der ausseren Maxillen-
wand NicMs zu thun." (pag. 68.) Auf diesen Punkt hat bisher
noch Niemand aufmerksara gemacht.
Jede Riisselhalfte wird nach Gerstfeldt von zwei Langs-
muskeln durchzogen, von einem oberen und einem unteren. Von
diesen Langsmuskelu sollen sich von Zeit zu Zeit Fasern an ein-
zelne der Hornstreifen der ausseren Wand begeben. Damit ist
natiirlich die Ansicbt, als bestehe der Riissel aus hintereinander
liegenden Ringen, tiber Bord geworfen.
Da nach Gerstfeldt meines Wissens keine weitere Arbeit
erschienen ist, in welcher die Schmetterlingsriissel den Gegen-
stand einer ausftihrlichen Darstellung bildeu, so konnen wir hier-
mit unsere geschichtliche Einleituug schliessen. Einige specielle
Arbeiten tiber Schmetterlingsriissel aus der jiingsten Zeit von
J. Klinckel, Francis Darwin, R. B. Read und mir werden
wir spiiter kennen lernen. Wollte ich dieselben an dieser Stelle
besprechen , so wiirde erst eine lauge Auseinandersetzung nothig
sein, welche nicht hierher gehort. Desshalb werden wir auf die-
selben an geeigneter Stelle eingehen.
Wenn wir nun schliesslich gauz im Allgemeinen festzustellen
suchen , was bis auf Gerstfeldt liber den Bau des Schmetter-
lingsriissels thatsachlich bekannt ist, so diirfte sich etwa Folgen-
des ergeben. Der Saugrussel der Schmetterlingsriissel besteht aus
zwei Stiicken, welche den Unterkiefern der kauenden Insecten und
audi der Schmetterlingsraupeu homolog sind. Diese beiden Half-
ten, auf ihrer ausseren Seite convex, auf ihrer inneren Seite con-
cav, legen sich so aneinander, dass sie eine Rohre bilden, durch
welche der Schmetterling den Honig der Blumen aufsaugt. Der
Verschluss der beiden Maxillen wird nicht durch das blosse An-
einanderlegen der Rilnder bewirkt, sondern durch eine grosse
Anzahl langs der Rander stehender, ineinander greifender Zahne
Oder Hiikchen. Die Oberflache der Maxillen ist aussen und innen
je mit zahlreicheu besonderen hornigen Querstreifen ausgestattet.
In jeder Maxille befinden sich zwei iibereiuander liegende Langs-
muskeln, von denen Seitenfasern an verschiedenen jeuer Horn-
streifen der ausseren Wand abgeheu. In jede Maxille geht ferner
Beitrage zur Kenntniss des Baues der Schmetterlings-Riissel. 161
eine am freien Ende derselben blind endende Tracheenrohre liinein.
An der Spitze zahlreicher Schraetterlingsriissel fiuden sicli eigeu-
thtimliche papillenartige Anhange von tonnchenformiger Gestalt
vor, welche in vier Spitzen endigen, von denen die eine die iibri-
gen drei tiberragt; wahrscheinlich sind es Tastorgane.
Aus dieser gedrangten Uebersicht konnen wir nun sofort ab-
leiten, was zu einer genauen Kenntniss der Organisation der
Schmetterlingsmssel noch fehlt. Es sind im Wesentlichen etwa
folgende Piinkte. Genauere Darstellung des VerscMusses der Riis-
selhalften, sowohl auf der oberen wie auf der unteren Seite. Ein-
gehendere Untersuchung der Hornstreifen der Oberflacbe der Ma-
xillen und Bedeutung derselben fiir den Riissel. Darstellung der
inneren Muskulatur des Russels. Bau und Function der Papillen
an der Russelspitze bei den verschiedenen Schmetterlingen Da-
ran wiirden sich dann noch einige andere Fragen reihen , deren
Beantwortung wiinschenswerth ware, oder zu deren Beantwortung
doch wenigstens der Versuch gemacht werden mtisste. Es sind
namentlich zwei. Wie haben wir uns phylogenetisch die Ent-
stehung des Schmetterlingsrussels zu denken und welche Ursa-
chen haben das allmalige Langerwerden desselben bewirkt? Wie
ist die Mechanik des Saugens bei den Schmetterlingen? Mit die-
sen Bemer'kuugen ist zugleich das Ziel der vnrlicgenden Arl)eit
im Allgemeinen bezeichnet!
II. Gedanken iiber das phylogenetische Entstehen
und
das allmalige Langerwerden des Schmetterlingsrussels.
Die Schmetterlinge mit ihren saugenden Mundtheileu stammen,
wie das aus ihrer Ontogenese und aus der Vergieichung ihrer Mund-
theile mit denen anderer Insecten mit voller Sicherheit hervorgeht,
von Insecten mit beissenden oder kauenden Mundtheilen ab. In
welcher Weise phylogenetisch aus den beissenden Unterkiefern der
wurmahnlichen Vorfahren der Schmetterlinge, die uns noch heute
durch die Raupen vorgefiihrt werden, zuerst ein primitives Saug-
organ wurde, das konnen wir an den heutigen Schmetterlingen
leider nicht mehr erkennen. Zwischen jene wurmiihnliche Form
und die ausgebildeten Schmetterlinge ist eine weitere Entwick-
Kd. XV. N. K. VIIT, 1. J J
162 Wilhelm Ereitenbach,
lungsform ontogeuetisch eingeschaltet worden , die Puppe, welche
auf kcinen Fall unmittelbar auf eine phylogenetisclie Entwick-
lungsstufe zuriickbezogen werden darf. So wie uns die Schmet-
terlingspuppeu heute eutgegeutreten , kOnneu sie phylogenetisch
als selbststilndige Thiergruppe niemals existirt habeu. Die Schmet-
terlingspuppen stellen ein Ruhestadium vor, in welchem ontoge-
uetisch die Umforraung der wurmahnlichen Entwicklungsstufe der
Lepidoptera in die mit Flugeln und alien andern Merkmalen des
Imago versehene vor sich geht, in dem also diejenigen Wandlun-
gen, welche einst im Verlauf langer Zeitraume aus der wurmahn-
lichen Stammform die entwickelte Schmetterlingsgestalt hervor-
brachten, in wenigeu Monaten nach dem „biogenetischen Grund-
gesetz" sich en miniature und in modiiicirter Form wiederholen.
Dass phylogenetisch diese Umwandlung nicht in einem solchen
Puppenzustande vor sich gegangeu sein kann, sondem vielmehr
in freier Form im offenen Kampfe urn das Dasein, ist selbstver-
standlich, da eine selbststandige Thierklasse im Zustande der
Schmetterlingspuppen zu den factischen Unmoglichkeiten gehort.
Demzufolge werden wir die am Schmetterlings-Organismus wah-
rend des Puppenstadiums sich ontogeuetisch abspielenden ausserst
wichtigen Vorgange als sehr stark cenogenetische betrachten mus-
sen, von denen wir nur sehr vorsichtigen Gebrauch machen diir-
fen, wenn es sich um Riickschliisse auf die palingenetische Ent-
wicklung handelt.
Was aber vom Ganzen gilt, das gilt auch von seinen Thei-
len. Wir werden daher nicht crwarten diirfen, aus dem Studium
der Schmetterlingspuppen deutliche Fingerzeige iiber die Art und
Weise zu erlangen, wie aus den beissenden Unterkiefern der wurm-
ahnlichen Stammforraen der Schmetterlinge das erste primitive
Saugorgan derselben hervorging. In der That ist diese Vermu-
thung richtig; denn nach den neuen Untersuchungen von Gra-
b e r (Insecten II. 2 pag. 513) sind die Theile des entwickelten
Insectes schon in der sich eben zur Verpuppung anschickenden
Raupe angelegt. Untersucht man namlich das Innere eines sol-
chen Raupenkopfes , so sieht man in demselben die beiden spate-
ren Riisselhalften in Gestalt von zwei langen, gebogenen Strangeu
liegen. Wie man diese ontogenetische Thatsache aber phyloge-
netisch verwenden will, mochte schwer zu sagen sein. Jeden-
falls habeu wir hier einen sehr stark cenogenetischen Prozess vor
uns. Aber vom vergleichend-anatomischen Standpunkte aus kon-
neu wir sehr wohl einige allgemeine Vorstellungen iiber diesen
Beitrage zur Kenntniss des Baues der Schmetterlings-Eiissel. lOo
wichtigen Vorgang uiis bilden; unci das wolleii wir denn im Fol-
gendeu versuchen.
Zimachst stellt sich uus da ganz naturgemass die Frage ent-
gegeu : Begauu die Umformung der beissenden Unterkiefer in ein
Saugorgan schon ])ei den wurmahnlichen Stammformen , oder erst
bei den schon fertigen Schmetterlingen '? Es giebt einige wenige
Insectenlarven mit saugenden Mundtheilen ; dahin gehiiren z. B.
die Larven der Hemerobiden , Myrmecoleontiden und Dytisciden.
Allein diese sind fiir unsern Zweck nicht verweudbar. Das Saug-
organ der Schmetterlinge hat sich als Anpassung an die Gewin-
nung von Blumennahrung , u. z. des Nectars der Blumen , entwi-
ckelt. Das ist bei jenen Larven nicht der Fall. Das Wichtigste
aber ist, dass die Imagines jener Larven nicht saugende, sondern
kauende Mundwerkzeuge besitzen. Daraus ergiebt sich, dass wir
es hier nur mit secundaren Anpassungeu der Larven selbst zu
tlmn haben. Und da ferner Schmetterlingsraupen mit saugenden
Mundwerkzeugen nicht bckannt sind, so ist auch nicht anzuneh-
men, dass das Saugorgan schon bei ihnen entstanden sei; viel-
mehr wird es sich erst bei den schon fertigen Schmetterlingen
entwickelt haben.
Da wir aus einem Vergleich der jetzt lebenden Schmetter-
linge keine sichercn Anhaltspunkte fiir die Art jener Entwicklung
gewinnen konnen, so wollen Avir uns einmal an die muthmaassli-
chen Stammeltern der Schmetterlinge wenden. Als diese liaben
sich in der letzten Zeit mit immer steigender Gewissheit die
Phryganideu herausgestellt. Die Griinde fiir diese im^ hoclisten
Grade wahrscheinliche Stammverwandtschaft will ich hier nicht er-
ortern; ich verweise einfach auf verschiedene Arbeiten von H.
Miiller und A. Speyer. Die Mundtheile der Phryganiden las-
sen noch deutlich den Typus der kauenden Insecten erkennen;
aber ihrer physiologischen Function nach sind sie ausschliesslich
saugend, so dass wir hier die Natur gewissermaassen bei der Um-
bildung ertappen. Die Oberkiefer sind schon stark rudimentar.
Die in die Lange gestreckte, meist lanzettformige Oberlippe ist
auf ihrer Unterseite mit einer Langsrinne versehen. Die Untei'-
lippe ist gleichfalls verlangert und an ihrem vorderen, freien Ende
loffelformig gestaltet ; ausserdem ist sie ahnlich wie die Oberlippe,
nur natiirlich auf ihrer oberen Seite, mit einer zum Munde fuh-
renden Langsrinne versehen. Die Unterkiefer sind mit ihrem
Stammtheil mit dem Basaltheil der Unterlippe fest verwachseu,
wahrend die Laden frei sind und eine lappenformige Gestalt ha-
ll*
164 Wilhelm Breitenbach,
ben. Oberlippe und Uuterlippe stehen sich gegeniiber, und indem
nun die beiden sich gleichfalls gegeniiber stehenden Unterkiefer
seitlich hinzutreten, entsteht das einfache Saugrohr der Phryga-
niden.
Aus diesem nur in seinen .allgemeinen Umrissen angedeuteten
Befunde diirfen wir unter Voraussetzung der Richtigkeit der An-
nahme von der Stammverwandtschaft der Lepidoptera und Phry-
ganideu wohl aunehmen, dass bei der Umformung der kauendeu
Mundtheile der Urschmetterlinge in saugende sich zunachst nicht
nur die Unterkiefer allein betheiligten , sondem auch noch Unter-
lippe und Oberlippe. Da nun aber bei den entwickelten Schmet-
terlingeu das Saugorgan allein aus den umgewandelten Unterkie-
fern besteht, so miissen nachtraglich Unterlippe und Oberlippe
ihre Betheiligung an der Zusammensetzung des Saugapparates auf-
gegeben haben. Die beiden Lippen wurden zum Aufbau des Saug-
organes uberfliissig, wenn die Unterkieferladen etwas naher zu-
sammentraten und wenn ihre oberen und untern Rander sich so-
weit gegeneinander bogen, bis sie mit einander in Beriihrung
traten. In diesem Falle war aus den Unterkiefern allein eine
Rohre gebildet.
Was lasst sich nun etwa zu Gunsten einer solchen Verande-
rung, wie sie in den Mundtheilen der Urschmetterlinge nach mei-
ner Auffassung eingetreten sein muss, angebenV Aus der Dar-
win'schen Selectionstheorie geht unmittelbar hervor, dass nur
solche Abanderungen Aussicht haben im Kampfe um das Dasein
durch natiirliche Zuchtung erhalten zu werden, welche dem Indi-
viduum Oder der Art vortheilhaft sind. Nehmen wir die ange-
deutete Veranderung in den im Entstehen begriffenen saugendeu
Mundtheilen der Urschmetterlinge an, so handelt es sich nun
fiir uns darum , zu zeigeu , ob und welche Vortheile dieselbe fiir
die Thiere mit sich brachte. Ich glaube, es lassen sich hinrei-
chend genug Vortheile auffinden, um die Annahme der angegebe-
nen Veranderung als nicht zu gewagt erscheinen und damit die
vermuthete Entwicklung der Mundtheile der Schmetterlinge als
wahrscheinlich stattgefunden annehmen zu lassen.
Zunachst ist hervorzuheben, dass durch die Ausschaltuug der
Oberlippe und Unterlippe aus dem Apparat eine ganz bedeutende
Vereinfachung desselben herbeigefiihrt wurde. Als der Saugappa-
rat sich noch aus der Oberlippe, den beiden Unterkiefern und
aus der Unterlippe zusammensetzte, musste der Verschluss zu
einer Rohre natiirlich an vier Linien hergestellt werden. Jetzt,
Beitrage zur Kenntniss des Baues der Schmetterlings-Eiissel. 165
Each Ausfall der beiclen Lippen, wird der Verschluss an uur zwei
Linien bewirkt, jedenfalls eine grosse und vortheilhafte Vereinfa-
chung; deiin mit je geringeren Mitteln ein und derselbe Zweck
erreicht werden kann , um so besser ist es nattirlich fiir den Be-
sitzer. Demgemass wurde jede Abanderung in den Mundtheileu
der Urschmetterlinge , welclie darauf hinzielte, die Unterkiefer
einander zu nahern, sicli erhalten; und da in demselben Maasse,
wie diese Annaherung stattfand, Unterlippe und Oberlippe ent-
behrlich wurden, so wurden diese allmalig immer mehr riickge-
bildet; deuu eine allmalig fortschreitende Functionslosigkeit eines
Organes hat immer eine in demselben Verhaltniss eintretende mor-
phologische Verkiimmerung im Gefolge. Auf Kosten dieser Ver-
kiimmerung konnten sich aber die Unterkiefer ihrerseits mach ti-
ger entwickeln; denn es ist ja ein allgemeines Gesetz, dass, wenn
gewisse Organe eingehen, andere zunehmen, die friiher dem be-
treffenden Organ zukommende, jetzt nicht mehr an dieser Stelle
gebrauchte Bildungsmasse wird von andeni Organen zu ihreni
eigenen Vortheil in Anspruch genommen. Noch einen Gesichts-
punkt mochte ich hier geltend machen. Die Lebensweise der
Schraetterlinge ist eine ausserst einseitige, da sie ausschliesslich
von flussiger Nahrung leben und diese ausserdem noch stets den
Blumen (mit wenigen Ausnahmen allerdings auch den Friichten)
entnehmen. Je einseitiger daher das dem Zweck der Nahrungs-
aufnahme dienende Organ sich entwickelte, um so sicherer wurdc
nattirlich die Aussicht auf eine erspriessliche Erlangung jenes Nah-
ruugssaftes, d. h. um so mehr Vortheile brachte eine solche Ent-
wicklung dem betreffenden Thier. Ein Apparat, welcher nur einem
Zwecke dient, kann aber diesen Zweck viel vollkommener erfullen,
als ein anderer Apparat, welcher zugleich noch andere Arbeiteu
auszufuhren hat. In der That haben denn auch die Schmetter-
linge, was die Ausbeutung der Honig fiihrenden Blumen anbe-
langt, alle andern Insecten weit hinter sich gelassen, wie das aus
einer einfachen Vergleichung der Riissellangen bei den verschie-
denen Blumen besuchenden Insecten unmittelbar hervorgeht. Da
nun aber ein einfacher Apparat zur Entwicklung nach einer ein-
zigen Richtung augenscheinlich vielmehr Chancen fiir sich hat als
ein complicirter Mechanismus, so wird es auch von diesem Ge-
sichtspunkte aus annehmbar erscheinen, dass eine Veranderung,
wie sie oben vermuthet wurde, thatsachlich stattgefunden hat.
Es darf nattirlich nicht vergessen werden, dass nachtraglich in
dem urspriinglich einfachen Mechanismus complicirte secundare
166 Wilhelm Breiteubach,
Bilduugeii auftreten konuen. Als s(^lclie waren in unseriii Fall
namentlicli der Verschluss der Riisselhiilften und die Papilleii an
der Eiisselspitzc anziifiiliren. Allein diese secimdaren Zuthaten
kommen hicr gar nicht in Bctracht, da sie die urspriingliclie Be-
stimmung des Organes keineswegs verandern oder gar compliciren.
Icli habe schon im Eingang dieses Abschnittes darauf binge-
wiesen , dass wir nicht im Stande sind , aus einer blossen Ver-
gleichung der Mundtheile jetzt lebender Schmetterliuge die pby-
logenetische Entstebimg des Saiigriissels al)zuleiten. Allerdings
giebt es zahlreiche Schmetterlinge niit sehr verkiimmerteu Mund-
werkzeugen. Bei einigen Scbmetterlingen bestehen dieselben ledig-
lich aus hocbst uuscheiubaren Wiirzchen. Da aber mit diesen
Warzchen absolut keine Saugarbeit verrichtet werden kaun, so
miissen wir annelmien, dass dieser Zustand der Miindwerkzeuge
keiu iirspriinglicher, d. h. nicht der Anfang zu einer neuen Ent-
wicklung ist, sondern vielmehr ein im hochsten Grade riickgebil-
deter, d. h. das Ende einer rlickschreitenden Entwicklung. Or-
gane, welche absolut keine Function haben , sind wohl immer als
riickgebildet zu betrachten, wiihrend, wenn sie noch eine Function
ausuben, und sei es auch eine nur unbedeutende , man immer in
Zweifel sein kann, ob man es mit dem Anfang «der Ende einer
P^ntwicklung zu thun hat. So darf man denn auch nicht sagen,
dass a lie Schmetterlinge mit rudimentiirem Saugorgan rtickgebil-
dete Entwickhmgstufen darstellten. Eine eingehende vergleichende
Untersuchung der bierher gehorenden Schmetterlinge milsste die-
sen Punkt aufhellen. Vielleicht liessen sich dann auch noch An-
haltspunkte fiir die Beantwortung der Frage nach der phylogene-
tischen Entstehung der Schmetterlingsrtissel gewinnen. Bisher
sind aber solche Untersuchungen noch nicht angestellt worden
und mir selbst hat es an Material dazu gefehlt. Es ware aber
wiinschenswerth , wenn derartige Untersuchungen recht bald in
ausgedehntester Weise ausgefiihrt wiirden!
Auf den vorhergehenden Zeilen glaube ich es einigermaassen
verstandlich gemacht zu haben, wit; wir uns die Entstehung des
Saugapparates der Schmetterlinge mit Zuhiilfenahme der aller-
dings sehr sparlichen in der jetzigen Insectenwelt (soweit mir be-
kannt) gegebenen Daten vorstellen diirfen. Es ist, wie Jedermann
weiss, immer misslich, sich in derartige Speculationen einzulassen,
zumal wenn so wenig thatsiichliche Anhaltspunkte vorhanden sind
wie in unserm Falle. Ein Umstand aber scheint mir doch gerade
hier eine solche phylogenetische Betrachtung zu rechtfertigen. Der
Beitrage zur Kenntniss des Banes der Schmetterlings-Riissel. 167
Saiigapparat ist von alien Mundtheilen der Insecten, die docli so
sehr mannigfaltig sind, der einfachste und einseitigste. Diese
Eiuseitigkeit und Einfachheit in der Ausbildmig der fertigen Form
lasst auch auf eine einfaclie Entwicklung zuriickschliessen ; und eine
einfache Entwicklung lasst sich nattirlich leichter construiren als
eine coniplicirte. In der That haben wir gesehen, dass die Ent-
wicklung des Rilssels der Schmetterlinge wahrscheinlich eine sehr
einfache Avar.
Nachdem wir vcrsucht haben, uns eine klare Vorstellung von
der ersten Entstehung des Saugrussels der Schmetterlinge zu raa-
chen, wenden wir uns zur Aufsuchung deijenigen I'rsachen, welche
das allmalige Laugerwerden des Riissels bewirkt liabeu. Durch
die umfassenden Untersuchungen , die in den letzten Jahren, na-
mentlich von H, Muller, auf dem grossen Gebiete der „Befruch-
tung der Blumen durch Insecten" angestellt worden sind, hat
sich mit immer zunehniender Gewissheit herausgestellt , dass ge-
wisse Eigenthiimlichkeiten der Blumen und gewisse Eigenthiim-
lichkeiteu der die Blumen besuchenden Insecten in gegenseitiger
Anpassung aneinander sich cntwickelt haben. Da die insecten
auf den Blumen entweder Hnnig oder Bliithenstaub, oder beides
zugleich suchen, so werden sich bei ihnen Anpassungen linden,
welche sich auf die Gewinnung dieser Stofte beziehen. Bei den
nur Houig saugeuden Schmetterlingen haben wir in dem Saug-
riissel eine seiche Anpassung. Die Verlangerung des Schmetter-
lingsriissels ist in gegenseitiger Anpassung mit der allmaligen
Ausbildung der Honigbehalter gewisser Blumen vor sich gegangen.
Diesen Satz wollen wir durch eine kleine Betrachtung klar zu ma-
cheu suchen. Die urspriinglichen Insectenbluraen waren, wie das
H. Mttller in ausgezeichneter Weise zu entwickeln verstanden
hat (Kosmos, Bd. Ill), einfache offene Blumen mit freiliegendem,
allerdings durch eine besondere Vorrichtung (Saftdecke) geschiitz-
tem Honig. Die jetzigen Schmetterlinge sind im Allgemeinen sol-
cheu Blumen angepasst, deren Honig sich in langen Nectarien
aufgespeichert vorfindet. Wir werden also zunachst zu untersu-
chen haben , welchen Vortheil es fur die Blume mit sich brachte,
wenn ihr Honig in eine kleine Vertiefung, den Anfang einer Rohre,
eingeschlossen wurde. Offenbar konnte eine grossere Menge von
Honig sich ansammeln und gleichzeitig war derselbe sowohl ge-
gen Regen mehr geschiitzt, als auch gegen den Raub solcher In-
secten, welche der Blume nicht den Dienst der Befruchtung zu
leisten vermochten. Eine Anzahl unnutzer Gaste wurde also bald
168 Wilhelm Breiteubach,
voni BesLich dieser Blunien ausgesclilosseu. Aber auch der Blunie
niitzliche Insecten wiirden ausgesclilosseu werden, well sie mit
ihreii kurzeii Mundwerkzeugen den tiefer liegenden Honig nicht
mehr erreichen konnten. Das scheint zunaclist ein Nachtheil fiir
die Blume zu sein. Nelimen wir uun aber an, es seien Schmet-
terlinge mit langeren Riisseln aufgetreten, welche ira Staude wa-
ren, den in einer Rohre geborgenen Honig zu erreichen! Diese
Schmetterlinge wiirden bald den Vortlieil, den diese Blumen mit
verborgeuem Honig fiir sie batten, erkennen und diese uun uui
so eifriger besuchen. Die Schmetterlinge bekamen also in den
entstandenen Nectarien ausgiebigere Nahrungsquelleu, da die kurz-
riisseligeren Concurrenten fehlten; und die Blumen erhielteu in
den Schmetterlingen mit langeren Riisseln stete Gaste, deren re-
gelmassiger Besuch ihuen hinreicheud Fremdbefruchtung sicherte.
So erwiesen sich also die beiden Variationen, die neu entstande-
nen Honigrohren und die verlangerten Riissel, gegenseitig als vor-
theilhaft; in Folge dessen wiirden sie sich im Kampfe urn das
Dasein erhalten. Nachdem aber dieser ursachliche Zusammenhang
zwischen Honigrohren und Riisseln sich einmal als vortheilhat't
herausgestellt hatte, musste er sich naturnothwendig erhalten und
gleichzeitig musste sich die einmal eingeschlagene Entwicklungs-
richtuug weitertreiben , da ja stets dieselben Vortheile fiir beide
Parteien, u. z. in immer gesteigertem Maasse, vorhanden waren.
Auf der einen Seite eutwickelten sich also Schmetterlinge mit im-
mer langerem Saugriissel, die immer mehr Concurrenten aus dem
Felde schlugen; auf der andereu Seite entstauden Blumen mit
immer langeren Honigrohren, wodurch iramer weitere Kreise von
Insecten mit unzulanglich langem Riissel von dem Besuch der be-
treffenden Blumen ausgeschlossen wurdeu.
Mit dieseu kurzeu Andeutungen miissen wir es hier bewen-
den lassen ; ich wollte dieseu Gegeustaud nur erwahnt haben. Im
Uebrigen verweise ich auf die Arbeiten H. Miiller's.
Auf den folgenden Zeilen soil jetzt der Bau des Schmetter-
lingsriissels einer eingehenderen Betrachtung unterzogen werden.
Da wir mit dem allgemeinen Bau uuseres Organes schon aus der
geschichtlichen Einleitung her bekanut sind, so ist es iiberfliissig,
hier nochmals darauf zuriickzukommen. Ich gehe daher gleich
zu denjenigen neuen Untersuchungen iiber, welche ich selbst liber
verschiedene Punkte im Bau des Schmetterlingsrussels angestellt
habe und durch welche, wie ich glaube, ein Schritt weiter gethau
Beitriige zur Kenntiiiss des Baues der Schmetterlings-Kiissel. 169
wird in der Kenntniss dieses fiir deu Schmetteiliug so wichtigen
Organes.
II. Die Querstreifung auf der Riisseloberflache.
Schon Reaumur hatte beobachtet, dass die Oberflache des
Russels fein quergestreift erscheine. Spatere Beobachter, nament-
lich Kirby uud S pence und Newport, erklarten diese Quer-
streifen fiir deu ilusseren Ausdruck von deu Riissel zusammen-
setzeuden Riugeu, denen ini Innern daun uieistens ebensoviele
Ringmuskeln entsprechen sollten. Dieser ganz irrigen Ansicht trat
nieiues Wisseus zuerst Gerstfeldt entgegeu, indem er sagt, diese
Querstreifen gaben dem Riissel nur das Anselien, als wenu
er aus Ringabtlieilungeu bestaude. Gerstfeldt war audi der
Erste, der eine genauere Untersuchuug dieser Querstreifen oder
„Hornbogen", wie er sie nennt, voruahm, woriiber icli schon in
der geschichtlichen Einleitung berichtet babe. Allein da er nur
ganz allgemeine Angaben macbt, und da in der That eine ziem-
lich grosse Mannigfaltigkeit in der Form der Hornbogen vorhan-
den zu sein scheint, und da endlich bisher noch Niemand die
Bedeutung dieser Bildungeu fiir den Riissel erortert hat, so mag
es sich wohl der Miihe lohnen, wenu wir einen Augeublick bei
diesem Theil des Schmetterlingsriissels verweilen.
Was zunachst den Stofi" anbelangt, aus dem diese sogeuanu-
ten „Hornb6gen" bestehen, so ist derselbe natiirlich keine echte
Hornsubstanz , sonderu Chitin, jene Masse, aus der alle Skelet-
theile des Insectenkorpers sich zum iiberwiegenden Theile auf-
bauen. Wir wollen die Hornbogen daher in der Folge als „Chi-
tinleisten" bezeichnen.
Wie Gerstfeldt ganz rich tig bemerkt, laufen die Chitin-
leisten von einer Randleiste (Randleisten heissen die Rilnder der
Halbkanale jeder Maxille) direct zur andern, d. h. sie umspannen
die aussere convexe Oberflache der Riisselhalften , wahrend die
innere, concave Oberflache, die Halbrinne, ihre eigenen Chitin-
leisten besitzt. In den meisten Fallen scheinen die Leisten die
Oberflache in der Weise zu umziehen, dass eine durch ihren Ver-
lauf gelegte Ebene senkrecht zur Langsaxe des Riissels steht.
Manchraal dagegen machen auch die Leisten auf der Riisselober-
flache einen raehr oder weniger spitzen Winkel wahrend ihres
Verlaufes, wie das wohl zuerst von Francis Darwin bei Ophi-
170 Wilhelm Breitenbach,
deres fulloiiica beol)achtet wordeii ist (Quarterly Journal of mi-
croscopical Science, Vol. XV. New. Ser. pag. 389).
In Betreff des allgemeinen Vorkommens der Chitinleisten ist
zu sageu , dass sie in mehr oder minder starker Ausbildung wolil
alien entwickelten Rtisseln zuzukommen scheinen, wenngleich sie
bei einigen audi nur kaiim angedeiitet sind. Wie sicli die ganz
rudimentaren Riissel in dieser Hinsicht verhalten, vermag ich
nicht anzugeben, da ich dieselben daraufliin nicht uutersiicht habe.
Die Starke der Chitinleisten ist bei verchiedenen Schmetterlingen
eine sehr verschiedene. Da sie zum grossten Theil die Festigkeit
des Riis.sels bedingen , so wird man im Allgemeinen sagen diir-
fen, dass die Chitinleisten um so dicker und starker sind, je kraf-
tiger und widerstandsfahiger der Rtissel ist. So sind bei den
Riisseln derjenigen Schmetterlinge, welche nicht nur den aufge-
speicherten freien Honig der Blumen saugen, sondern pflanzliches
Gewebe zur Erlangung des in demselben enthaltenen Saftes an-
bohren, die Chitinleisten sehr dick, bedeutend starker wie bei
den Riisseln der Schmetterlinge der ersteren Art. Die Chitinlei-
sten sind nicht gleichmassig iiber die ganze Oberflache des Riis-
sels vertheilt : an der Spitze namentlich sind sie in der Regel viel
AYeniger zahlreich mid ausgebildet als weiter hinten am Riissel.
Ein Griind davon ist wohl folgender. Wie wir spater eingehend
erfahren werden, ist die Spitze der meisten Schmetteriingsriissel
mit oft sehr zahlreichen papillenartigen Anhangen besetzt. Diese
nehmen durch ihre Ansatzstellen einen bedentenden Platz ein, so
dass dann der Raum fiir die Chitinleisten sehr eingeschrankt ist.
Einen iioch anderen Grund werden wir iiachher kennen lerneu,
wenn von der Bedeutung der Chitinleisten iiberhaupt die Rede
sein wird.
Bisher habe ich immer nur von Chitinleisten gesprochen.
Es konnte demnach scheinen, als wenn die gedachten Bildungen
in alien Fallen continuirliche Leisten oder Strange waren. Das
ist aber keineswegs der Fall; vielmehr kommen anch noch andere
P'ormen vor. Sehr oft finden sich Unterbrechungen, so dass dann
eine Leiste aus mehreren hintereinander liegenden Stiicken be-
steht. Diese Auflosung der continuirlichen Leisten in gesonderte
Abschnitte kann mitunter so weit gehen, dass eine solche Leiste
aus sehr vielen kleinen , unregelmassig rimdlichen oder ovaleu
Chitinflecken zusammengesetzt erscheint. An vielen Riisseln kann
man auch beobachten, dass beide Extreme (einzelne Flecke und
continuirliche Leisten) ganz allmalig in einauder iibergehen. Ein
Beitriige zur Kenntniss des Baues der Schmetterliugs-Riissel. 171
aiisgezeichnetes Beispiel dieser Art bieten uns die Riissel iinseror
gewohnlichen Weissliiige, Pieris, die wir uns daher etwas geiiauer
anselien wollen. Untersucht man die Spitze des Riissels, so sieht
man, dass auf der Oberflache zahlreiche kleinc schwarze Chitin-
flecke ziemlich dicht bei einander stehen (Fig. 1). Bel sorgfalti-
ger Betrachtung dieser Flecke wird man bald erkennen, dass die-
selben eiue gewisse Regelmassigkeit in der Anordnung zeigen , so
zwar, dass sie deutlidi das Bestreben kuudgeben, Querreihen zu
bilden.
Seheu wir uns jetzt ein Oberflaclienstuck an , welches weitcr
der Basis des Riissels zu liegt, so wird das Bild ein wenig ver-
ilndert (Fig. 2). Zunachst erblickeu wir wieder die kleinen Chi-
tinflecke; daneben aber erscheinen einzelne langere Streifen. Es
sind also oiienbar einige jener in einer Reihe hintereiuander ge-
lagerter Stticke zu langeren Streifen mit einander versclimolzen.
Je mehr wir uns der Basis des Riissels naliern, um so mehr Chi-
tinflecke verschmelzen rait einander, und um so liinger Averden
die dadurcli entstandenen Streifen, bis schliesslich an Stelle der
einzelnen Flecke continuirliche Leisten getreten sind (Fig 3).
Schon Gerstfeldt hat, wie wir aus der geschichtlichen Ein-
leitung wissen , darauf aufnierksam gcmacht , dass die Chitinlei-
sten nicht immer einfach sind, sondern sich oft gabelzinkig thei-
len. Dabei will ich bemerken, dass, wo solche Theilungen vor-
kommen, immer nur zwei Zinken vorhanden sind, niemals aber,
wie Gerstfeldt angiebt, auch drei; ich habe wenigstens nie
mehr als zwei gefunden, und Gerstfeldt sagt uns leider auch
nicht, wo er drei Zinken angetroften hat. In einzelnen Fallen
beobachtet man in dem Rauni, welchen die beiden Zinken zwi-
schen sich lassen , noch ein Chitinstiick von entsprechender Liluge
(Fig. 13). Wahrend aber dieses Vorkoramen nicht gerade sehr
haufig ist, da die Zinken meist sehr dicht zusammen stehen, kann
man dagegen eine andere iVIodifikation sehr hiiufig beobachten.
Da von einer mathematischen Regelmassigkeit der Anordnung der
Chitinleisten in Parallelreihen natilrlich nicht die Rede ist, so
linden sich oft benachbarte Leisten, welche in einem Theil ihres
Verlaufes bedeutend weiter auseinanderstehen als im andern. In
solchen Fallen tritt dann zAvischen die auseinander geriickten Theile
der Leisten regelmassig ein Chitinstreifen von entsjjrechender Lange,
d. h. derselbe reicht bis zu dem Punkte, von avo an die benach-
barten Leisten sich wieder naher treten. Natlirlich beriihrt der
eingeschobene Streifen keine der Hauptleisten.
172 Wjlhclm Brcitenbach,
Die aiigedeuteteu Verhaltnisse, namentlich die unzusammen-
hangendeu Chitinflecke und die Unregelmassigkeiten in der An-
ordnung der Leisten zeigen aufs Unzweideutigste , dass die Chi-
tinleisten absolut nicht der aussere Ausdruck von den Riissel zu-
sammensetzenden Ringen sein konnen. Was sollen wir bei dieser
Vorstellung mit den Gabelzinken anfangen oder gar mit jenen
kleinen Streifen, welche zwischen einen Theil des Verlaufes gan-
zer Leisten eingeschaltet sind ? Eine eiufache genaue Betrachtuug
der Querstreifung der Riisseloberflache hatte also sofort die Un-
richtigkeit der Verrauthung ergeben miissen, welclie raau gerade
aus derselben iiber den Bau des Russels ableitete, dass er nam-
lich aus Ringen aufgebaut sei.
Woher riihren die besprochenen Unregelmassigkeiten in der
Anordnung der Chitinleisten V Wir erinnern uns, das schon bei
den einzelnen Chitinflecken an der Riisselspitze (Fig. 1) das Be-
streben eiuer Anordnung in Querreihen unverkennbar war. Aber
wie ein Blick auf die Figur lelirt, ist die Anordnung weit davon
entfernt regehniissig zu sein. Wtirde in unserer Figur, die mit
dera Prisma gezeiclmet wurde und die also die gegenseitige La-
genmg der Chitinstiicke getreu wiedergiebt , eine Verschmelzung
hintereinander gelegeuer Stiicke eintreten, so wiirden beispiels-
weise bei a, h und c aller Wahrscheinlichkeit uach Gabelzinken
entstehen; bei a wtirde ausserdem in der Zinke noch ein Chitiu-
stuck zu liegen kommen. Bei b konnte indess auch ebensogut
der andere Fall eintreten; kurz hier stehen die verschiedenen
Moglichkeiteu noch selir often. Die Unregelmassigkeiten in der
Anordnung der ausgebildeten Leisten sind also schon durch Un-
regelmassigkeit der Anlage bedingt.
Die auf dcm Riissel stets vorhandenen Haare werden in der
Kegel von den Chitinleisten umfasst, so zwar, dass die Rander der
Leisten nicht mit der chitinosen Basalumhullung der Haare in Ver-
bindung treten. Indessen kommt es auch vor, dass Haare in den
Chitinleisten selbst wurzeln; dies ist gewohnlich dann der Fall,
wenn die Chitinleisten sehr breit sind. Immer ist aber auch in
diesen Fallen noch deutlich die Basalumhullung der Haare von
der Chitinleiste zu unterscheiden. Li einem spateren Abschnitt
werden wir auf diesen Punkt noch einmal zuruckzukommen haben.
In ahnlicher Weise wie bei Pieris konnen wir die allmalige
Ausbildung continuirlicher Chitinleisten aus der Verschmelzung ur-
sprunglich getrennter, einzelner Stucke, von der Spitze anfangend
und zur Basis fortschreitend, bei Vanessa verfolgen. Die einzelnen
Beitrage zur Kenntniss des Baues der Schmetterliugs-Eiissel. 173
Radien sind aber hier bei Weitem iiicht so deutlich ausgepragt,
wie bei Pieris, da schon an der Spitze eininal die eiuzeliien Chi-
tinstiicke bedeuteiid grosser sind, und sodann viel niiher bei einan-
der stehen. Ja manchmal scheint es bei Vanessa audi vorzukoni-
men, dass die Vereinigung der einzelnen ChitinstUcke zu continuir-
lichen Leisten gar nicht voUstaudig zu Stande kommt. So finde
ich , dass bei Vanessa Cardui die Querreihen nie vollstandig sind,
sondern dass auf einer Seite, u. z. auf der oberen Russelseite, ini-
mer noch einzelne unverbundene Stticke sich vorfinden.
Es giebt also Riissel, bei denen es nur zu einer unvollkom-
njeneu Vereinigung der einzelnen Chitinstiicke zu continuirlichen
Leisten kommt, Diesen gegeniiber giebt es aber auch solche Riis-
sel, bei denen das gerade Gegentheil statt hat, bei denen einzelne
unverbundene Chitinstiicke iiberhaupt nicht mehr anzutreti'en sind.
Von der Spitze an bis zur Basis bemerkt man nur continuirliche
Leisten. Diese Form scheint ziemlich haufig vorzukommen.
Wir haben jetzt eine Erscheinung zu besprechen , die uns zu
einer kleinen Erwagung iiber die Entstehungsart der Chitinleisten
luhren wird. Soweit meine bisherigen Erfahrungen reichen , sind
in den meisten Fallen die Riinder der Chitinleisten einfache, frei-
lich mehr oder weniger gekrummte Linien. (Vergl. Pieris oder
Heliconius). In andern Fallen sind dagegen die Rander nicht glatt,
sondern eingeschnitten, gekerbt, u. z. entweder nur auf einer Seite,
oder auf beiden. In letzterem Falle sieht die Leiste dann perl-
schnurartig aus. Auf einer Seite gekerbt sind die Rander der
Chitinleisten z. B. von Egybolis Vaillantina. Die Einkerbungen
linden sich an der der Riisselspitze zugekehrten Seite der Leisten.
Uebrigens scheint dieser Fall sehr selten vorzukommen; denn ich
erinnere mich nicht, demselben bei noch andern Schmetterlingen
begegnet zu sein.
Bei Argynnis sind die Chitinleisten an der Spitze und in der
Nahe derselben mit einfachen Rilndern versehen (Fig. 5, 6). Wel-
ter der Basis zu aber sehen wir an denselben nach und nach seit-
liche Einschniirungen auftreten, bis schliesslich eine zierliche Perl-
schnurform vor uns liegt (Fig. 7). Bei dieser Bildung bleibt es
aber nicht; denn wenn wir den Riissel noch welter hinten unter-
sucheu, etwas iiber die Mitte seiner Lange hinaus (von der Spitze
zur Basis hin gerechnet), so sehen wir, dass die perlschnurartigen
Leisten sich zum Theil wieder in einzelne, ovale Stiicke aufgelost
haben, und schliesslich wird diese Auflosung auch vollstandig
(Fig. 8). Am Russel von Arge Galathea geht dies nicht so weit;
174 Wilhelm Ereitenbach,
wolil siud die Einschnurungen schon duich die gauze Brcite der
Leisten gegaugen, aber die einzelnen Stilcke siiid nocli uicht aus-
eiiiander geriickt, resp. eiuzeliie sind noch nicht aus der Reilie ge-
schwundeii. Vergleiclien wii' den Piii.ssel von Pieris niit dcm von
Aigyunis, indem wir bei Betrachtung beider an der Spitze anfangeii
und von da zur Basis foitschieiten, so bekomnien wir bei beideu
im Wesentlichen dieselben Bilder, nur bei deni einen Riissel in
uingekehrter Reilienfolge wie bei dem andeni.
Wie sind nun diese Bilder zu deuten? Bei Pieris haben wir
sie stillscliweigend so gedeutet , als hiitten wir es mit einem Pro-
zess der Verschmelzung zu than, der an der Basis des Piiissels
angefangen liabe und von dort zur Spitze fortgeschritten sei. Das
Resultat dieses Vorganges war dann das Entstehen continuiriicher
Leisten aus urspriinglich getrennten Stiicken. Nehmen wir auch
bei Argynuis einen solchen Pruzess der Verschmelzung an, so niiis-
seii wir denselbeii offenbar in der umgekeliiten Richtung haben
vor sich gehen lassen wie bei Pieris. Abor vielleicht lassen die
Bilder bei Argjnnis noch cine andere Deutung zu. Moglicher
Weise konnten wir es gar nicht mit einer Verschmelzung urspriing-
licher getreimter Stucke zu thun haben, sondern vielmehr mit
einer Auflosuug urspriinglich zusammenhiingender Leisten in ein-
zelne Stiicke. Dafiir v.tirde man unter Umstiinden die beider-
seitigen Einkerbungen in's Feld fiihren diiri'en, nameutlich audi
die Form bei Arge Galathea, wo die einzelnen Stucke schon deut-
lich getreunt sind, nur noch dicht aneinander liegen. Allein eine
solche Auflosung anstatt der Verschmelzung angenomnien, wesshalb
finden wir denn nicht auch bei Pieris jene perlschnurartige Form
der Leisten vor?
Es scheint mir fast, als ob sich eine einheitliche Autiassurig
dieser Vorgiinge gar nicht gewinnen liesse; wenigstens gestatten
die bisherigen Beobachtungen eine solche nicht. Wollten wir fur
allc Fiille eine Verschmelzung urspriinglicher Einzelstucke anueh-
men, so miisstcn wir uus vorstellen, der Prozcss sei bei den ver-
schiedenen Schmetterlingen bald an der Riisselbcisis (Pieris), bald
an der Spitze angefangen (Argjnnis). Bei Annahme einer Auf-
losung ganzer Leisten in Einzelstucke miissten wir den Vorgang
bei den betreifeuden Schmetterlingen dann genau in der umgc-
kehrten Richtung vor sich gehen lassen. Wollen wir aber die
Richtung der Vorgange einhcitlich autfassen , so mussen wir zwei
veischiedene Prozesse annehmeu. Ich weiss nicht, welche Autias-
bung ctwa den Vorzug verdicnen niiichte. In Anbetracht der an-
Beitrage zur Kenntniss des Bau3s der Schmetterliugs-Riissel. 175
gedeuteteu, ziomlich verwickelten Verhaltnisse wird es voilaufig
Avohl das Beste scin, auf eine einlieitliche Auffassiing Veizicht zii
leisteu und anzunehmcii, dass die besprochenen Bildungen bei doi
V(3rschiedeiieu Schiuetterlingen auf veischiedeno AVcisc zu Stande
gekommen sind. Vielieicht vermogcn uiufassendcre Unter.suchungL'ii
als ich si(i bisber anstelleii konnte, die jetzt vorhaiidenen unver-
einbar scheinenden Gegensatze aufzuhel)cn.
Nun sei es mir gestattet, schiiesslicli noch einigo besoiidere
Forinen der Chitinleisten vorzufiihreii. Sehr eigeuthumiich sind
diejeuigen auf dem Russel von Agraulis Juno (Fig. 9). Wir be-
merken da auf den ersten Blick zwei verschiedene Arteu, niiralich
schniale und bieite; beide Fornien wechseln in griirister Regeluiils-
sigkeit mit einander ab. Die sciunalen Leisteu sind von der ge-
wohnlichen Art, mit ganzen Randern; sie zeigen, wie es scheint,
liiemals eine Gabelung. Die andern Formen beginnen auf der un-
teren Riisselhiilfte als ciufache breite Leisten und bleiben so etwa
bis zwei Drittel ihrer Lauge. Dann werdeu sie nach und nach
brciter, indein ihre Umrisse gleiclizeitig sehr unregelnuissig werden.
Innerhalb dieser verbreiterten, luit zahlreichen Au&buchtungen ver-
sehenen Enden bleiben gewohnlich einzelne Stellen chitinfrei; so
konimen mitunter ganz zierliche Bildungen zu Standi. Wie diese
eigentliiiniliche Zusanimensti'llung von regelmiissig niit einander
abuechselnden schnialen und breiten Chitinleisten etNva entstanden
scin mag, und wie jeue chitinfreien Stellen iii den verbreiterten
]uiden hervorgebracht sein niogen, dariiber vermag ich leider kei-
nen niihereu Aufschluss zu geben. An dem cinzigcn , in meinem
Besitz befiudlichen Russel liess sich durch Vergleichung verschie-
dener Stellen des Riissels kein Auhaltspunkt filr eine Erkliirung
gewinnen. Uebrigens finden sich ahnliche Zusammenstellungen von
breiteren und schmaieren Leisten auch noch bei cinigen andern
Schmetterliugen, nur uicht in so ausgeprilgter Weise wie bei Agrau-
lis Juno.
Eine andere Bildung bietet uns Anartia Anialthea (Fig. 10).
Wir selien sehr feine, uicist gut parallel laufende Chitinleisten.
In den zwischcn denselben befindlichen Feldern liegen einreihig
angeordnet zahlreiche unregelmassig gestaltete Chitiustiicke. Wiir-
den diese Stiicke mit einander verschnielzen, so hiltteu wir auch
hier eine Abwechseluug von breiten und schmalen Leisten. Viel-
ieicht sind die Bildungen bei Agraulis Juno ahnlich entstanden.
Der Bildung bei Anartia Amalthea nahestchend ist die bei
Fpicalia Numilia (Fig, 11), nur mit dem Unterschiedf, dass die in
176 Wilhelm Breitenbach,
deu Feldern liegeuden Ohitinstucke nicht unregelmassig gestaltet
sind, sondern die Form eiiies spitzeii Dreiecks besitzen, dessen Spitze
sich ein weiiig iiber die Riisseloberflache zu erheben scheint. Die
Spitzen der Dreiecke sind sanimtlich der Riisselbasis zugerichtet.
Bei aiidern Schmetterlingen werden diese Dreiecke zu sehr feinen
kleiuen Stachelii.
Aus den gemachten Angaben gelit wohl zur Geniige hervor,
dass in der iiusseren Form der Chitinleisten eine ziemliche Man-
nigfaltigkeit herrscht, iind sicherlich ist dieselbe noch weit grosser,
wie es nach dem Vorstehendeu scheineu mochte. Ich selbst konnte
noch mehrore Formen vorfiihren, und audere werden bei weiterer
Nachforschung sicherlich noch gefunden werden. Wir woUen es
aber bei den gemachten Angaben bewendeu lassen. Dagegen mochte
ich mir erlauben, hier noch einmal auf die von mehreren Forscheru
vermuthete Zusammensetzung des Riissels aus hintereinander lie-
genden Ringen zuriickzukommen. W enn man den Rand der Riissel-
halften aufmerksam betrachtet, so sieht man bei scharfer Einstellung
manchmal deutliche Einschnitte und diesen entsprechend iiber die
(Jberfljiche sich hinziehende Streifen. Sehr ausgeprtigt kann man
dies z. B. bei Macroglossa wahrnehmen (Fig. 12). Solche Bilder
konnen naturlich sehr leicht die Vermuthung erwecken, als hiltte
man es wirklich mit Ringen zu thun. Allein wir mussen uns
daran erinnern, dass solche Streifuugen der Einfaltungen natur-
nothwendig entstehen mussten, wenn der doch nicht starre Russel
sich bestandig einrollte und wieder entrollte. Ganz etwas Aehn-
liches sehen wir ja auch an verschiedenen Theilen unseres eigenen
Korpers, wo auch an denjenigen Stellen der Haut, welche die Ge-
lenke iiberzieheu , ahnliche Falten vorhanden sind , z. B. an den
Fingern. Im Uebrigen sind auch jene Faltenbildungen an den
Schmetterlingsrusseln bei Weitem nicht immer so regelmassig und
scharf ausgepragt wie bei Macroglossa. Es wiirde also ganz falscli
sein, wollte man aus diesen Bildungeu auf entsprechende Ringe
schliessen; dieselben sind thatsachlich nicht vorhanden.
Nachdem wir im Vorhergehenden das Wesentlichste der Form-
verhilltnisse der die ilussere Maxillarwandung bekleidenden Chitin-
leisten, soweit die vorliegenden Untersuchungen es gestatteten,
kennen gelernt haben, eriibrigt uns nun noch ein Wort iiber die
Bedeutung dieser Bildungen fur den Schmetterlingsriissel zu sagen.
Urspriinglich , d. h. bei den Urschmetterlingen, werden die Maxil-
len vvahrscheinlich gar nicht oder doch nur hochst unbedeutend
chitinig gewesen sein. Bei den Phiyganiden, den wahrscheinlichen
Beitriige zur Kenntuiss des Bancs der Schmetterliugs-RiJssel. 177
Stammeltern der Schmetterlinge, sind diejenigen Theile der Unter-
kiefer, welche sich ziimeist an dem Aufbau des Saugorgaiies be-
theiligen, die Laden, einfache hautige Lappeu, also ohne Chitin-
stutzen. Das Ganze wird audi wohl durch Oberlippe uud Unter-
lippe hinreichend gefestigt. Als nuii aber bei den Urschraetter-
lingen diese beiden Organe ihre Betlieiligung an der Zusanimen-
setzung des Saugorganes aufgaben und dieselbe einzig den Unter-
kieferladen iiberliessen, da bedurften diese, zumal bei ihrer all-
miilig fortschreiteuden Yerlangerung, einer Stutze. So entwickelten
sich denn wahrscheinlicli an verschiedenen Stellen Chitinstiickchen,
welche zunachst unregelmassig liber die ganze Obertiache zerstreut
waren und aus denen nacbher die beschdebenen Bildungen, u. z.
iinter dem Einfluss der Holibewegungen des Russels als Querleisten,
hervorgingeu. Wesshalb gerade solche Querleisten sich entwickel-
ten und nicht einfach ein gleichniassiger Chitiniiberzug wie an an-
dern Korpertheilen der Insecten, isL ziemlich leicht zu verstehen.
Der Riissel rollt sich bestandig auseinander und wieder zusamnien.
Dies wiirde er aber otlenbar nicht kiinnen, wenn seine Obertiache
von einer zusanmie. hiingenden Chitinschiclit iiberkleidet ware. Fur
den gedachten Zweck stellen jedenfalls solche den Riissel umzie-
henden Ringe die geeignetste Vertheilung des Chitin dar; jede
andere Art der Vertheilung der Chitinstiicke setzt entschieden den
Bewegungen des Riissels viel mehr Widerstand entgegen als gerade
diese Ringe. Ja, da die Chitinstiicke sich wohl erst dann ent-
wickelt haben , als der Riissel schon im Stande war, sich in Spi-
ralvvindungeu zu legen, so mussten uuter dem Einfluss der Roll-
bewegungen naturnothwendig solche Ringe entstehen; jede andere
Anordnung wurde als der Bewegung hiuderlich durch Naturauslese
eliminirt.
Am Ende dieses Abschnittes haben wir noch von der innern
concaven Riisseloberflache zu reden; wir werden bald mit derselben
fertig sein. Wie zuerst Gerstfeldt bemerkt, ist auch sie mit
Querstreifen ausgestattet; dieselben hilngen nicht mit denen der
iiusseren Obertiache zusammen. Die Streifen sind, soweit meine
Erfahrungen reichen, stets einfache, sehr schmale Chitinstreifen
mit glatten Random; sie gabeln sich uie, noch bilden sie sonst
jene Unregelmassigkeiten, wie wir sie oben kennen gelernt haben.
Meistens sind sie ziemlich parallel und stehen wohl immer dichter
zusammen wie die Leisten der ausseren Obertiache. Entsprechend
den gleichmassigen Existenzbedingungen dieses Theiles des Schmet-
terlingsrussels sind auch Form und Anordnung der Querleisten
Bd. XV. N. F. vm, 1. 12
178 Wilhelm Breitenbach,
sehr gUiichfrnmig, so dass wir in Einzelhoiten gar nicht einzugehen
brauchen.
IV. Die Spitze der Schmetterlingsrussel.
Die Spitze des Riissels ist der bei Weitem iiiteressanteste Theil
des ganzen Organes, dem ich daher aiich seit langerer Zeit meine
besoiidere Aufmerksamkeit gewidmet babe. Schon Reaumur
hatte, wie wir aus der geschichtlicben Einleitung her wissen, an
der Spitze vieler Schmetterlingsrussel eigenthiimliche Anhange be-
obachtet, welche er als „feuillets membraneuses" bezeichnete. Aber
erst Newport hat dieselben bei Vanessa atalanta genauer unter-
sucht und ihren Ban bis auf eine Einzelheit ganz richtig erkannt.
Diese Gebilde, deren Form bei den verschiedenen Schmetterlingen
eine sehr mannigfaltige ist, wollen wir ini Folgenden mit dem Na-
men „Saftbohrer" ^) belegen. In wie weit diese Bezeichnung ge-
rcchtfertigt ist, werden wir nachher sehen.
Ueber die Saftbohrer liegen einige Untersuchungen aus der
neueren Zeit vor; dieselben gehen aus von der Boobachtung des
Russels von Oy)hideres fuUonica Boisd. J. Kiinckel verotfent-
lichte 1875 in den „Comptes Rendus" eine mit Zeichnungen be-
gleitete Beschreibung dieses Riissels. Nach ihm erschien eine kleine
Arbeit iiber denselben Gegenstand von Francis Darwin im
„Q,narterly Journal of microscopical Science". Vol. XV, New. Ser.,
gleichfalls mit Abbildungen. Durch diese Arbeit wurde ich ver-
anlasst, die Spitze einer Anzahl von Schmetterlingen zu untersu-
chen. Ich wurde bei meinem Unternehmen in der freundlichsten
Weise unterstiitzt von dem Herrn Francis Darwin, der mir
Exemplare von Ophideres und Schmetterlingen mit ahnlichen Riis-
seln iiberliess, von Herrn Dr. A. Speyer in Rhoden, Fritz Miil-
ler in Brasilien , H. M tiller in Lippstadt^). Ich benutze diese
Gelegenheit, um den genannten Herren meinen vcrbindlichsten Dank
fiir ihre Liebenswiirdigkeit abzustatten. Ueber die Resultate niei-
ner Untersuchungen habe ich in zwei je mit einer Tafel Abbil-
dungen begleiteten Aufsatzen berichtet, welche im „Archiv fiir
mikroskopische Anatomie", Bd. XIV und XV veroffentlicht worden
*) Oder Opotrypen.
*) Unci Herrn Dr. Riist in Gross-Eicklin^en bei Celle.
Beitrage zur Kenntniss des Baues der Schraetterlings-Iliissel. 179
sind. Schliesslich ist dann noch eiue Arbeit von R. B. Read aii-
zutuhren, die sich in den „Proceedings of the Liniiean Society of
New South Wales" von 1878 findet. In Hinweis auf die angefiihr-
ten Arbeiten kann ich mich bei der Beschreibung der verschie-
denen Forraen der Saftbohrer auf das Wesentlichste beschranken.
Da alle jene Saftbohrer aus vergleichend-anatomischen Griin-
den von den auf dem Riissel sich findenden Haaren abgeleitet wer-
den niiissen, so will ich dieselben an dieser Stelle ebenfalls behan-
deln. Ich bringe die Saftbohrer in verschiedene Grnppen.
1. Einfache Haare (Fig. 14).
Die Haare linden sich auf alien Schmetterlingsrusseln vor,
bald in grosserer, bald in geringerer Anzahl, Im Allgemeinen
kann man sagen, dass sie bei denjenigen Russeln, deren Spitze
mit entwickelten Saftbohrern besetzt ist, weit weniger zahlreich
sind als bei den Riisseln ohne entwickelte Saftbohrer. Ein be-
stimmtes Verhaltniss lasst sich indessen nicht angeben , sowie es
auch Ausnahmen giebt. In der Vertheilung der Haare iiber die
Oberliacbe des Riissels ist keine regelmiissige Anordnung bemerk-
bar; vielraehr stehen sie ganz unregelmassig durcheinander.
Was den Bau der Haare anbelangt, so lassen sich zunachst
zwei Haupttheile an denselben untcrscheiden, der cigcntliche Haar-
schaft und ein die Basis dieses umkleidender, ziemlich dicker chi-
tinoser Ring, den wir als „Cylinder" bezeichnen wollen. Dieser
Chitincylinder erscheint von oben gesehen ziemlich regelmassig
rund, manchmal auch an zwei gegenuber liegenden Stellen etwas
in die Liinge gezogen. Er ist meiston? fici in die Grundmasse
des Russels eingebettet und erhebt sich ein wenig iiber die Ober-
flache desselben. Wenn aber ein Haar im Verlauf einer Chitinleiste
der Oberflache steht, so ist der Cliitincyiiuder, falls die Leiste
breit ist, nicht gesondert, vielmehr mil dem Chitin der Querleiste
verschmolzcn. Schmale Querleisten gehen um den Cylinder des
Haares herum, ohne ihn zu beriihren, wie wir das bereits aus dem
vorhergehenden Abschnitt wissen. Aus dem Cylinder ragt nun das
eigeiitliche Haar hervor; da der Durchmcsser des Cylinder-Innern
grosser ist als der des freien Haarschaftes , so miissen wir auch
an diesem zwei Theile untei'scheiden, einen basalen, der den Ilohl-
raum des Cylinders vollig ausfullt, und den von dem basalen Theil
sich scliarf absetzenden Haarschaft, der frei tiber den Cylinder
hervorragt. Die Mitte des ganzen Haai-es durchzieht stets eine
meistens etwas kornig erscheinende Masse, die wir mit dem Namen
12*
180 Wilhelm Brcitenbach,
„Markstrahl" b(3legen woUen, iiiid welche kurz vor der Spitze des
Haares blind endigt. Die Lange des Haares ist bcdeuteiiden
Schwankungen unterworfen. Wenn der Riissel keine Saftbohrer
tragt, so sind sammtliche Haare lang; sind Saftbohrer vorhaiiden,
so sind diejenigen Haare, wclchc etwa zwischen den Saftbohren
Oder in deren Nahe sich befinden, kurz, wahrend sie nach der
Riisselbasis zii wieder langer werden. Die in alien Fallen der
Rtisselspitze zugekehrte Spitze des Haares ist bei den kurzen Haa-
ren stumpf, abgerundet, bei den langen Haaren dagegen fein, zu-
gespitzt.
Wir wollen festhalten, dass die Haare aus zwei Theilen sich
zusamniensetzen, aus einem inneren Haarschaft und aus einem iius-
seren Cylinder, dessen oberer Rand stets von der Spitze des Haa-
res tiberragt wird. Ganz denselben t} pischen Bau werden wir nun
in der Folge bei alien Saftbohrern antreffen. Die Verschiedenar-
tigkeit in der Form der Saftbohrer ist immer zumeist bedingt
durch eine verschiedenartige Ausbildung der chitinosen Unihiillung
der Mittelmasse. Mit dem Namen „Mittelmasse oder Centralmasse"
wollen wir in der Folge denjenigen Theil der Saftbohrer bezeich-
nen, welcher dem Haarschaft entspricht.
2. Saftbohrer mit Zahnen auf dem oberen Cylinderrand.
Als typisches Beispiel aus dieser Gruppe wollen wir die Saft-
bohrer von Vanessa nehmen (P'ig. 15). Fs sind cylindrische (V. cor-
dui) Oder mehr tonnchenformige (V. Jo) Gebilde, welche aus der
Mittelmasse und dem diese umkleidenden Chitincylinder bestehen.
Den oberen Rand des Cylinders zieren sechs bis acht ziemlich
spitze Ziihne. Die Mittelmasse lauft in eine ziemlich stumpfe Spi-
tze aus, welche die Zahne der Cylinderwand tiberragt. Diese Saft-
bohrer sind dieselben, welche Newport zuerst bei Vanepa Ata-
lanta genauer untersuchte. Newport hat aber nur drei Zahne
auf dem Cylinderrand gesehen, und von diesen hat er nur zwei
abgebildet. Auch hat er wohl das gauze Gebilde fiir eine zusam-
menhangende Masse gehalten und nicht seinen Aufbau aus zwei
Stiicken erkannt.
Nicht alle Saftbohrer dieser Gruppe sind cylindrisch oder
tonnchenformig. Bei Pyrameis virginiensis stellen sie eine seitlich
zusammcngedriickte Keule dar. Denken wir uns nun, dass unmit-
telbar unter dem bezahnten Randc an einer Seite- eine Wucherung
der Masse eintritt, so wird der bezabnte Rand selbst seitlich ver-
Beitriige zur Kenntuiss des Baues der Schmetierlings-Riissel. 181
schoben erscheiiien. Solche Foruieu liabeu Hypaiiartia zabulina
und Eiirema Lethe (Fig. 16).
3. Saftbohrer mit radialen Langsplatten.
Ill ihrer typischen Ausbilduiig sind diese hochst merkwurdigen
Saftbohrer folgendermassen gestaltet. Der Chitiiimantel der Cen-
tralniasse lauft iii sechs auf der Langsaxe des Gebildes senkrecht
stehende radiale Flatten aus, dcren freies Ende zugespitzt erscheiiit
(Fig. 17). In schonster Ausbildung finden wir diese Formen z. B.
bei unsern Catorala-Arten, bei Noctua, Plusia, Mamestra, Agrotis,
Triphaena, Trachea, Phlogophora, Euprepia, Taeniocampa, Eiicli-
dia, Neuronia, Pseudothyatira, Panopoda u. s. w.
Wir konnen die allnuilige Entstehung dieser sonderbaren For-
men von Saftbohrern aus eiufachen Haaren an verschiedenen ver-
bindenden Zwischenstufen ganz deutlich verfolgcn. Den ursprung-
lichen Haaren am nachsten steheii dit\jenigeii Formen, welche wir
an der Spitze des Rtissels von Pieris finden (Fig. 18), Der Cylin-
der ist nur ein wenig grosser wie der der Haare. Parallel der
Lfingsaxe des Cylinders benierken wir auf der Wand vier um 90 "
von einander stehende leistenformige Erhohungen , welche vorn,
d. h. am Cylinderrande, je in eine kleine stumpfe Spitze endigen.
Dieselben werden natiirlich, wie immer, von der Spitze der Cen-
tralmasse ein wenig iiberragt. Die Saftbohrer bei Zygaena sind
diesen gleich; nur sind sie etwas grosser und die vier Leisten sind
etwas starker. Bei den schon wieder etwas grosseren Formen von
Lycaena (Fig. 19) sind diese Verhaltnisse noch deutlicher ausge-
priigt; die Enden der Leisten sind nicht mehr stumpf, sondern zu-
gespitzt. Bei Epinephele (Satyrus) Janira und bei Coenonympha
kann man die Leisten schon ganz gut als radiale Flatten bezeich-
nen, wennschon sie noch nicht sehr breit sind. ^Vachsen dieselben
aber noch ein wenig, so bekommen wir ohne Weiteres die ent-
wickelten Formen von Catorala u. s. w. Dass bei Pieris, Lycaena
und Zygaena nur vier Leisten vorhanden sind, wahrend wir bei
den entwickelten Formen stets sechs Flatten antreifen, ist kein
Grund, die angedeutete Entstehungsweise nicht anzunehmen. Diese
Bildungen werden urspriiuglich viei variirt haben; wir sehen das
ja noch jetzt bei den Zahnen auf dem Cylinderrande von Vanessa,
wo bald sechs, bald acht vorhanden sind, u. z. an demselben Riis-
sel. Spater hat sich dann die Zahl sechs befestigt. Wenn wir
bei alien Saftbohrern mit ausgebildeten Radialplatten stets sechs
Flatten finden, so dtirfen wir darin vielleicht eineii Fingerzeig fur
182 Wilhelm Breitenbach,
tlio gciiiciiisaiiie Abstammuug allcr dieser Fonneii unci damit auch
der betietieudeii Schniottciliuge eiblickuu. Doch von diesen und
ahnlichun Fragcn soil spiiter in einem besondeien Abscbuitt aus-
fiihilich die Redo seiu.
4. Die Saftbohrer von Arge Galathea (Fig. 20).
Dcr obere Rand dcs Cylinders ist mit secbs Zahnen bewaffnet.
Die Ausriistung dieser Saftbohrer beschriinkt sich aber nicht auf
diese secbs oberen Zahne, soudern es sind noch drei vveitere Kreise
von Zalinen vorbanden, welche, parallel dera oberen Kreise, unter-
einander liegen. Die Spitzen der Zahne aller Kreise sind nach
der Spitze des Saftbohrers hin gerichtet. Die Zahne der uuter-
einander liegenden Kreise wechseln nicht miteinander ab, sondern
liegen in einer Linie. Im Einzelnen koramen eiuige kleine Unre-
gelmilssigkeiten in der Anordnung der Zahne vor, woriiber ich fi'ii-
her eingehend berichtet habe (Archiv f. niikroskop. Anat. Bd. XV,
pag. 18). T-eber die vermuthliche Art der Entstehung dieser eigen-
thiimlicheu Gebilde, die ich in dieser vollendeten Ausbildung bis-
her nur bei Arge Galathea angetroffen habe (andere Arten von
Arge habe ich leider nicht untersuchen kiinneu), glaube ich einige
Bemerkuiigen niachen zu dtirfen. Ich habe vorhin die Saftbohrer von
Cuenunyuipha und Epinephele besprochen. Nun glaube ich einige
Male ganz bestinimt gesehen zu haben, dass die Langsleisteu die-
ser Saftbohrer aus zwei oder mehreren hintereinander liegenden
Stucken bestanden, deren jedes zugespitzt war. Sollte sich dies
bei weiterer Untersuchung bestatigen, so ware damit die Entste-
huugsweise der Saftbohrer von Arge Galathea augedcutet. Dies
ware uni so interessanter, als Epinephele, Coenonympha und Arge
in dieselbe Familie gehoren, namlich in die der Satyrides. Es wiir-
den dann nioglicher Weise die Saftbohrer von Arge und die der
vorhergchendeu Gruppe mit Radialplatten denselben Ursprung ha-
ben. Die weitere Verfolgung dieser Frage wollen wir spater un-
ternehnien.
5. Saftbohrer ohne Zahne auf dem Cylinderrande.
Wir konnen uns hier sehr kurz fassen. Die ausseren Fornien
dieser Saftbohrer sind dieselben wie diejeuigeu mit Zahnen auf
dem oberen Cylinderrande, also cylinderformig, keulenformig, hau-
fig plattgedriickt. Manchmal liegt der Rand seitlich, anstatt in
der Langsaxe; diese Formen sind gleichfalls durch Wucheruug der
Masse an einer Seite entstanden (Fig. 21). Saftbohrer ohne Zahne
Beitrage zur KenntaisB des Baues der Schmetterlinge-Kussel. 183
habeii z. B. Aigyunis uud Melitaea, Epicalia Numilia, Gynaecia
Dirce, Ageronia Arete, Macroglossa, Hesperia, Taygetis Xanthippe,
feruer die Maiacujafalter, also Heliconius, Eneides, Colaenis und
Agraulis oder Dioiie; u. s. w.
Wir habeu uns nun noch mit einigen besondereu Formeu vou
Saftbohrein bekaunt zu machen, die sich am besten an die letzte
Gruppe auschliessen lassen. Da auch diese Fornien von mir schon
friiher beschrieben und abgebildet worden sind, so kann ich mich
mit Hervoihebung des Wicbtigsten begniigen.
6. Saftbohrer von Scoliopteryx libatrix.
Es lasseu sich zwei Formen unterscheiden, die allerdings ganz
allmalig in einander ubergehen. Die eiue Form ist folgendermassen
gestaltet (Fig. 22). Wir haben einen dickwandigen Cylinder, des-
sen Rand iu zwei einander gegeniiber stehende, meist stumpfe,
seltener etwas zugescharfte Hervonagungeu auslauft, von denen
die eine gewohidich etwas langer ist als die audere. Dazwischeu
erhebt sich die Spitze der Centralmasse , welche entweder hinter
den Spitzen der Hervorragungen zuriicksteht , mit einer sich auf
gleicher Hohe befindet, oder dieselben bcide iiberragt. Die Spitze
selbst ist gleichfalls mit einem chitinosen Ueberzuge bekleidet.
Diesen nicht gerade sehr zahlreichen Formeu steheu andere gegen-
iiber (Fig. 23). Die Spitze der Centralmasse ist sehr bedeutend
verlangert, so dass sie dem ubrigen Theil des Saftbohrers gleich
kommt Oder ihn an Lange selbst noch ubertritft. Der Chitinman-
tel der Spitze ist ebenso dick, wie der des ubrigen Theiles (Ento-
mologische Mittheiluugen von F. Katter, V. Jahrg., Heft 18).
7. Die Saftbohrer von Egybolia Vaillantina (Fig. 24).
Die Saftbohrer dieses afrikanischeu Schmetterliugs sind aus-
serst dickwaudige Cylinder von etwas unregelmassiger Gestalt. Ihr
Durchmesser ist an der Basis meistens grosser als am vorderen
Ende, ausserdem sind sie nicht selten schwach gebogen. Die das
Gebilde seiner Lange nach durchzieheude Centralmasse ist ver-
haltnissmassig dunu, meistens diinuer als die Wandung des sie um-
kleidenden Chitiucylinders. Gegen das freie Ende zu schuiirt sich
die Centralmasse ein, darauf schwillt sie zu einer kleineu Kugel
an, und auf dieser sitzt dann erst die Spitze. Die eben erwahnten
Theile der Centralmasse, Kugel und Spitze, werden von dem Cy-
linder umgeben, so zwar, dass sie frei im Inuern des oberen Thei-
les des Cylinders stehen, wie in einer Rohre.
184 Wilhelm Breitenbach,
All dicsc Saftbohrer schliesst sicli ganz eiig einc andere Form
ail, welche sich am Russel einer mir von Francis Darwin iiber-
saudten australisclien Motto vorfindet. Es ist das derjeiiige Rlis-
sel, dessen Spitze ich friiher schou eiumal abgebildet habe (Archiv
fiir mikroskopische Anatomie, Bd. XIV, Fig. 4). Diese Saftbohrer
(Fig, 25) stellen einen starken, an seinem vorderen Ende zugespitz-
ten Chitincylinder dar, dessen Inneres von einer verhaltnissmassig
(liinnen Centralmasse durchzogen wird. Etwa da, wo der Cylinder
deiitlicli den Aufang der Zuspitzung erkennen liisst, macht die Cen-
tralmasse eine seitliche Biegung. Kurz nach der Umbiegung ist
eine knopfchenformige Anschwellung bemerkbar, welche sich in eine
kleine Spitze verjiingt, die ganz wenig oder gar nicht seitlich aus
dem Cylinder hervorragt. Ragt sie etwas hervor, so steht sie frei
in einer kleinen Vertiefung des Chitinmantels. In einzelnen Fallen
bemerkt man, dass von der Stelle an, wo die Centralmasse sich
zur Seite wendet, noch ein diinner Ast derselben geradeaus geht,
um kurz vor der Spitze des Chitinmantels zu enden. Diese Form
lasst sich, wie man sieht, immittelbar von der bei Egybolia Vail-
lantina ableiten.
8. Die Saftbohrer in Form von Widerhaken.
Wir kommen nun zu den ausgebildetsten Formeu, zu den Saft-
bohrern im eigentlichsten Sinne des Wortes. Es sind jene Wider-
haken, welche den Russel mehrerer Schmetterlinge, namentlich
Ophideres, zu einem selbst der menschlichen Cultur sehr schad-
lichen Organ machen. In der That sind die in Australien heimi-
schen Ophideres im Stande, dadurch, dass sie mit ihrem Russel
die Orangen, Bananen, Pfirsiche und andere Friichte des in ihnen
enthaltenen siissen Saftes wegen anbohren, ganze Ernten zu ver-
nichten. Aehnlich ist es in Afrika mit Achaea Chamaeleon und
Egybolia Vaillantina. Ich habe iiber diese Verhaltnisse friiher aus-
fiihrlich berichtet (Arch. f. m. Anat., Bd. XV, pag. 9— 11). Was
die Organisation der Spitzen dieser Schmetterlingsriissel iiberhaupt
betriift, so verweise ich auf die im Eingang dieses Abschnittes
citirten Schriften. Nur die Widerhaken sollen hier kurz geschil-
dert werden (Fig. 26). Es sind kurze, gedrungene, ausserst mas-
sive, in eine von einem miichtigen Wall umgebene Grube einge-
senkte Korper von etwas unregelmassiger Gestalt, an der Basis
breiter wie vorn. Im Innern ist noch deutlich die allerdings sehr
rudimentar gewordene Mittelmasse zu erkennen, die sogar manch-
mal noch mit einer kleinen Spitze seitlich vorzustehen scheint.
Beitriige zur Kenntniss <les Baues der SGhmetterlings-Eussel. 185
Vorn an der Russelspitzc sind diese niit ihrer Spitze natiirlich
der Riisselbasis zugerichteten Widerhaken kleiner wie weiter hiu-
teii. Solche Widerhaken sind mir aus eigener Erfahrung bekanut
bei Ophideres fullonica, Egybolia Vaillantina und jenem mir dem
Namen nach unbekannt gebliebenen Schmetterling, von dem die
zuletzt beschriebenen Saftbohrer stammen; hier sind die Haken
machtig entwickelt. Bei Ophideres fullonica sind zwolf Haken
vorhanden, bei den andern beiden Schmetterlingen weit mehr.
Endlich hat auch Scoliopteryx libatrix Widerhaken; sie sind aber
nur sehr schwach entwickelt.
Die Widerhaken stehen nicht mit den andern ain Rlissel vor-
liandenen Saftbohrern durcheinander, sondern beide Eormen sind
voUig getrennt, so zwar, dass die Widerhaken die ausserste Spitze
des Riissels besetzen und dann die andern Eormen folgen. (Siehe
die von mir gegebene Abbildung a. a. 0.) Auch bei Ophideres
linden wir hinter den Widerhaken noch einige wenige andere Saft-
bohrer; es sind massive zugespitzte Cylinder, in deren Innerem
man noch ein Rudiment der Mittelmasse bemerkt. Damit der Le-
ser sich eine klare Vorstellung von einem solchen Russel machen
konne, gebe ich die genaue Abbildung der Spitze des Russels von
Egybolia Vaillantina (Eig. 27).
Die Eunction der Saftbohrer.
Nachdem wir im Vorhergehenden mit den Gestaltverhiiltnissen
der als Saftbohrer bezeichneten Gebilde, so weit es die bisher vor-
liegeuden Untersuchungen gestatteten, im Allgemeiuen uns vertraut
gemacht haben , treten wir jetzt an die Aufgabe heran , uns iiber
die Bedeutung derselben fiir den Schmetterling Aufklarung zu su-
chen, Oder mit andern Worten, ihre physiologische Eunction zu
ergriinden. Die Losung der Aufgabe wird zum Theil leicht, zum
Theil schwer, wenn iiberhaupt moglich sein. Die physiologische
Eunction einiger Eormen, z. B. der Widerhaken, konnen wir mit
grosster Bestimmtheit angebeu , wahrend wir bei andern, und lei-
der bei der grossten Mehrzahl, rein auf Vermuthungen angewiesen
sind. Es ist bekanntlich innner schwierig, bei Thieren die phy-
siologische Eunction eines Organes zu bestimmen, wenn dieselbe
nicht sofort in die Augen springt; und um so schwieriger wird
die Losung dieser Aufgabe, je weiter die betreffenden Thiere sich
in ihrer Verwandtschaft von uns entfernen. In solchen Eallen
sind wir dann fast ausschliesslich auf Analogieschlusse angewiesen,
und diese bleiben der Natur der Sache nach immer in hohem
186 Wilhelm Breitenbaeh,
Grade unsicher. Deshalb ist es sehr leicht moglich, dass eiu gros-
ser Theil der uachfolgendeu Erorterungeu uicht das Richtige trifft;
moge es danii Berufenereu gelingen, deii rechten Weg zu findeii
uad die vou iiiir ungelost gelassenen Frageu zu beautworteu!
Da wir aus vergleichend-anatomischen Griinden alle Saftboh-
rer von eiiifachen Haareu abzuleiten genothigt sind, so wird es
gut sein, wenn wir zunachst eiuen Augenblick bei den Haareu
selbst verweileu. Haben dieselben iiberhaupt eine physiologische
Function, und welche? Es ist bekannt, dass man bei vielen der-
artigen Haarbildungeu an verschiedenen Theilen des Insectenkor-
pers Nervenendigungen ganz unzweifelhaft nachgewiesen hat. Die
den Haaren am Schmetterlingsrussel ganz gleich gebildeteu Haare
Oder Borsteu auf dem vorderen Theil der Fliegenriissel sitzeu
gangliosen Auschvvellungen der Nervenendeu auf; derjenige Bestand-
theil des Haares, den wir oben als Markstrahl bezeichneten, wiirde
dann als das Ende des Nerven zu betrachten sein. Diese Haare
werden immer als Tastorgane angesprochen. Wenn ich nun auch
bei den Haareu auf den Schmetterliugsriisseln keine Nerven nach-
gewiesen habe, da ich iiber diesen Punkt keine Untersuchungen
angestellt habe, so ist die Gegenwart von Nerven doch ohne Zwei-
fel zu erwarten, und es hindert uns, wie ich meine, Nichts daran,
auch diese Haare als Tastorgane zu deuten. Eine physiologische
Function mussen dieselben haben, soust waren sie nicht so stark
entwickelt und so zahlreich vorhandeu. Functionslose Organe sind
immer in hohem Grade rudimentar, und das sind diese Haare kei-
ueswegs. Nach Analogie zu schliesseu, mussen wir dieselben also
fiir Tastorgane halten.
Von den Haaren machen wir gleich einen grossen Sprung zu
den am weitesten von ihnen entfernt stehenden Saftbohrer - Bil-
dungen, zu den Widerhaken, deren Function offen zu Tage liegt.
Die Schmetterlinge, welche im Besitz von Kusseln mit Widerhaken
sind, bohren Fruchte mit dicker Schale und saftigem Gewebe so
energisch an, und saugen den Saft so vollstandig weg, dass manch-
mal von einer Frucht nur noch die vielfach durchlocherte Schale
iibrig bleibt. Aus dem morphologischen Befund an den betreften-
den Russelu geht aber ohne alien Zweifel hervor, dass die Thiere
jene erstaunlichen Leistungen nur mit Hiilfe jener starken Wider-
haken an der Riisselspitze auszufiihren vermogen. Der ganze Rus-
sel ist sehr stark; die Spitze besonders ist aus dickem Chitin
aufgebaut, so dass der Schmetterling wohl sehr leicht den Russel
in das Gewebe hineinstossen kann. Zieht er das Organ nun wie-
Beitriige zur Kenutuiss des Baues der Schmetterlings-Kussel. 187
der heraus, so mussen die Widerhakeu gauz uufehlbar in Wirk-
samkeit treten, uud zwar werden sie der Natur der Sache nach
das Gewebe bedeutend zerreissen mussen. Dadurch wird eine Menge
Saft freigelegt, welcher dann von dem Schmetterling unbehindert
eingesogen werden kann. Man kann demnach die Widerliaken an
der Spitze der betr. Schnietterlinge als Organe bezeichnen, welche
wesentlich zur Erlangung der Nahrung beitragen. Ja wenn die in
Frage stehenden Schmetterlinge gar keinen freien Blumenhonig
mehr saugten, sondern nur pflanzliches Gewebe anbohrten, so wur-
den die Widerhaken die wichtigsten Organe zur Gewinnung der
Nahrung sein und dadurch eine ausserordentliche Bedeutung fiir
den Schmetterling besitzen. Ob aber Ophideres uud die andern
hierher gehorigen Schmetterlinge thatsachlich keinen freien Blu-
menhonig mehr saugen, vermag ich nicht zu sagen.
Wie verhalt sich nun die Sache mit den andern Saftbohrern;
ist auch fiir sie diese Bezeichnung giiltig, oder haben sie eine an-
dere Function, und welche etwa? Directe Beobachtungen dariiber,
ob diese Schmetterlinge wirklich pflanzliches Gewebe zur Freileguug
des in demseiben enthaltenen Saftes mit ihrera Riissel erfolgreich
anzustechen vermogeu, so dass sie den etwa blossgelegten siisseu
Saft zu ihrer Ernahrung verwenden konnen, liegen allerdiugs in
der iiberzeugenden Weise wie bei Ophideres und Egybolia nicht
vor. Dagegen sind namentlich von H. M ii 1 1 e r Beobachtungen be-
kannt gemacht worden (man kann dieselben im Sommer fast tag-
lich wiederholen), welche eine derartige Blumenthatigkeit gewisser
Schmetterlinge indirect erschliessen lassen. Es giebt namlich eine
Anzahl Schmetterlinge, welche von H. M tiller nicht selten an
solchen Blumen beobachtet wurden, welche keinen freien Honig
enthalten. „Auf den Alpen", theilt mir mein hochverehrter Lehrer
Dr. H. Muller brieflich mit, „ist es etwas sehr Gewohnliches,
Schmetterlinge in honigleeren Blumen mit dem Riissel im Grunde
der Bluthe beschaftigt zu seheu ; nach einem oder einigen solchen
Versuchen fliegen sie aber in der Kegel weg." Sollten sich nun
gerade die Schmetterlinge, die doch in ihrem ganzen Leben sich
fast ausschliesslich an und um Blumen herumtreiben, immer wie-
der nur durch den blossen Schein tauschen lassen? Wenn sie in
den keinen freien Honig enthaltenden Blumen wirklich Nichts fan-
den (uud sie konnen nur Honig suchen), sollten sie da nicht
schliesslich die honigleeren Blumen von den honigfuhrenden unter-
scheiden lernen und erstere dann meiden? Ich glaube, wir durfen
das ganz gewiss annehmen. Thun wir das aber, so mussen wir
188 Wilhelm Breiteubach,
iiiis Redioiischaft iiber die Thatsache zu gebeii sucliuii, class die
Schnietterliiige trotzdem immer jeiie hoiiigleereii Blunieii besuchen
imd ini Gruude derselben mit ihrem Riissel arbeiten. Die Sclmiet-
terliuge mtissen Etwas in deu Blumen finden, uud dieses Etwas
kanii iiur Honig sein. Da derselbe aber niclit frei zu Tage liegt,
so ist es hochst wahrscheinlich, dass sie denselben durch Aufreis-
scii des saftigeu Ge\Yebes gewiniien. Diese einfache Sclilussfol-
gerung scheint mir nach deu ebeii initgetlieilten Beobachtuugeu
unabweisbar zu sein.
Da aber das Aufreissen der Gewebe nicht direct beobachtet
worden ist, so muss die Moglichkeit desselbcn durch Untersuchung
der Sclimetterlingsriissel entschieden werden. In der That schei-
nen niir wenigsteus die meisten der als Saftbohrer bezeichueteu
Gebilde zu dcni gedachten Zwecke ganz vorziiglich geeignet zu sein.
Nehmen wir z. B. die Saftbohrer von Vanessa. Wie leicht wird
nicht die mittlere Spitze die zarte Membran eiuer saftreichen Zelle
durchstossen konnen! Und daun kommen unmittelbar darauf die
sechs Oder acht scharfeu Chitinspitzen des Cylinderrandes und zer-
trttmniern noch niehr Zellen. Wenu wir dann weiter in Bctracht
Ziehen, dass z. B. bei Vanessa Cardui etwa sechszig solcher Saft-
bohrer, dreissig auf jeder Seite, die Spitze des Riissels bewaifneu,
so werden wir begreifen, dass eine grosse Anzahl von Zellen an-
gestochen werden konnen, und wenn alle diese Zellen etwas sussen
Saft hergeben, so mag sich die Arbeit des Anbohrens dem Schmet-
terling sebr wohl als lohnend erweisen. Erwageu wir femer, dass
gerade solche Saftzelleu ausserst zart sind, so werden wir die
Saftbohrer mit jener meist ziemlich starken Chitinumhiillung sicher-
lich auch fest genug finden ; sind ja doch die Hummeln mit ihren
viel zarteren Maxillenspitzen gleichfalls im Stande, das saftreiche
Gewebe der honigleeren Nectarien mancher Orchideen mit Erfolg
anzustechen, wie zuerst von H. Miiller direct beobachtet wurde
(Befruchtung der Blumen durch Insecten, pag. 84). Die starken
Saftbohrer von Scoliopteryx libatrix werden ganz gewiss mit Leich-
tigkeit in pflanzliches Gewebe eindringen konnen ; dem dicken Chi-
tinmantel miissen die Membranen der Zellen nur einen sehr ge-
ringen Widerstand entgegensetzen. Und so wird die Sache wohl
auch bei den meisten andern Saftbohrern sein. Der ganze Bau
dieser Gebilde ist keineswegs dazu angethan, die Annahme als
ungerechtfertigt zuruckweisen zu lassen, dass die Schmetterlinge
mit ihrer Hiilfe saftreiches Gewebe aufreissen. Ausserdem sehen
wir, wie sich aus diesen einfachen Formen eben als Anpassung an
Beitriige zur Keiintniss des Bauis der Schmetterlings-Rlissel. 189
die gedaclite Thatigkeit jene raaclitigeu Widerhaken entwickelt
haben, welche die Besitzer sogar in den Stand setzen ganze Friiclite
vollig zu zerstoren. Dies kann uus in der Deutung miserer Ge-
bilde als Avirkliclier „Saftbohrer" nieiner Meinung nacli nur bestar-
ken. Freilich etwas Auderes ist es wohl niit jenen ganz unent-
wickelten Formen, wie wir sie bei Pieris oder Zygaena finden.
AUein da absolut kein Grund vorliegt, diese Bildungen als rudi-
mentare anzusprechen, so werden wir in ihnen Saftbolirer auf sehr
niederer Ausbildungsstiife erblicken diirfen, gleichsani den Anfang
der Entwicklung.
Dieser von mir vertretenen Autiassung, die alle jene oben be-
schriebenen Bildungen an der Spitze der Schmetterlingsriissel ein-
heitlich als wirkliche Saftbohrer betracbtet, steht eine andere
ziemlich sdiroti" gegeniiber. Dieselbe wird von keinem Geringeren
als Fritz Miiller vertreteu. Er nennt die Saftbohrer „Schmeck-
stifte", deutet dieselben also als Geschmacksorgane. Eine einge-
hende Begrtindung seiner Ansicht hat Fritz Muller nicht ge-
geben, vielmehr hat er dieselbe nur gelegentlich in einem Aufsatze
iiber die Maracuja-Falter ausgesprochen (Stettiner Entomologische
Zeitung, 1877, pag. 494). Da diese Autiassung von einem so her-
vorragenden l^orscher herstammt, so miissen wir etwas auf die-
selbe eingehen. Ich muss von vorn lierein gestehen, dass ich niit
der Miiller'schen Deutung mich durchaus nicht befreunden kann.
Die in Rede stehenden Gebilde sind Cuticularbildungen, ganz ohne
zelligen Character, also auch wohl ohne Protoplasma. Es ist ganz
gleichgiiltig , ob man zur Untersuchung der Saftbohrer frisch gc-
fangene Schmetterlinge nimnit oder Samnilungs - Exemplare , die
man dann natiirlich erst durch irgend ein Mittel wieder aufweichen
muss. Ich habe gewohnlich zu diesem Zwecke eincn feineu Strahl
Wasserdampf in Anwendung gebracht. Die Bilder, welche man
erhillt, sind in beiden Fallen ganz dieselben, davon habe ich mich
wiederholt tiberzeugt. Das wiirde aber sicherlich nicht der Fall
sein, wenn in den Saftbohrern lebendes Protoplasma enthalten ware.
Eine Geschmacksempfindung kann in alien Fallen wohl nur
durch chemische Einwirkung des zu schmeckenden Stolies auf das
Geschmacksorgan zu Stande kommen. Wie aber dies bei den Saft-
bohrern moglich sein soil, ist mir ganz unerfindlich, zumal jene
characteristischen „Schmeckzellen" fehlen, welche in alien mit Si-
cherheit als solchen erkannten Geschmacksorganen nachgewiesen
wurden. Prof. Vitus Graber macht ausserdem (Die Insecten,
I. Theil, pag. 307) mit Recht darauf aufmerksam, dass das Ge-
190 Wilhelm Breitenbach,
schniacksorgau der Insecten „seiiier ganzen Natur und Bestimmung
halber wohl nur im Munde gesucht werden kann." Nun noch Eins ;
wenn die Saftbohrer wirklich Geschmacksorgane wareii, wie wollte
man dann jene seciiudaren Bildungen deuten, wie die Zahne auf
dem oberen Cylinderrande oder gar die Radialplatten ? Sie wiir-
den augenscheinlich vollig unverstandlich sein, wahrend sie von
meinem Standpunkte aus, wie ich glaube, ohne Weiteres zu ver-
stehen sind.
Will man aber die Saftbohrer ausserdem noch als Sinnesor-
gane in Anspruch nehmen, und ich glaube, wir miissen das, so
konnen sie nur als Tastorgane gedeutet werden. Diese Function
haben sie von den Haaren, aus denen sie hervorgegangen sind,
geerbt. Und in der That sind die Saftbohrer zu Tastorganen auch
ganz geeignet, ebenso gut wie die Haare, deren typischen Bau sie
auch durchweg bewahrt haben. In diesera Fall wiirde ihre Function
wohl folgende sein. Wenn der Riissel auf saftreiches Gewebe stosst,
so werden ihm die den Haarspitzen entsprechenden Spitzen der
Centralmasse des Saftbohrers mittheilen, ob das Gewebe zart ge-
nug ist, um angebohrt werden zu konnen. Und wenn der Russel
in Honig enthaltende Blumen hineingesenkt wird, so wird der
Schraetterling durch den miuimalen Widerstand, dem der Russel
begegnet, erfahren, dass er hier gar keine Bohrthatigkeit auszu-
iiben hat, sondern sofort den Saft saugen kann. Mit dieser Deu-
tung der Saftbohrer als Tastorgane stimmt auch sehr gut der mor-
phologische Befund iiberein. Denn stets ragt die Spitze der Mit-
telmasse, welcher doch die Tast - Function zugeschriebeu werden
muss, etwas aus dem Chitincylinder hervor.
Von den an die Saftbohrer herantretenden Nerven gilt das-
selbe, was ich obeu von den Haaren gesagt babe. Eigene Unter-
suchungen habe ich nicht angestellt, da mir meistens nur getrock-
nete Schmetterlinge zu Gebote standen. Es ist aber gar nicht zu
bezweifeln, dass thatsiichlich Nerven an die Saftbohrer herantre-
ten; der anatomische Nachweis muss spateren Untersuchungen
vorbehalten bleiben.
Ich glaube es im Vorhergehenden wahrscheinlich gemacht zu
haben, dass wir die Deutung Fritz Muller's aufgeben mussen,
und so bleibt denn vorlaufig meine Auttassung bestehen. Die als
Saftbohrer bezeichneten Gebilde an der Spitze der Schmetterlings-
russel sind in der That in mehr oder minder grosser Ausdehnuug
Saftbohrer, insofern die Schmetterlinge mit ihrer Hiilfe im
Stande sind, pflanzliches Gewebe zur Erlangung des in demselben
BeJtrage zur Kenatniss des Baues der Schraetterlings-Kiissel. 191
enthaltenen Saftes anzubohren oder aufzureissen. Gleichzeitig fun-
giren die Saftbohrer als Tastorgane, insofern sie dem Schmetter-
ling von der physikalischen Beschafteuheit der Gewebe Kunde ge-
beu und dadurch ihii in den Stand setzen, zu beurtheilen, ob der
Versuch des Aubohrens der betreffenden Gewebe erfolgreich sein
wird Oder nicht.
V. Gedanken iiber die Entwickiung der Saftbohrer und
einige damit zusammenhangende Fragen.
In unmittelbarem Anschluss an den vorliergehenden Abschuitt
soil auf den folgenden Zeilen uber die P^ntvvicklung der Saftbohrer
und einige daraus abgeleitete systematische Fragen gesprochen
werden. Die nachfolgenden Erorterungen werden auf den Leser
zum grossen Theil den Eindruci^ grosser Unvollkommenheit ma-
chen; diese Unvollkommenheit liegt in der Natur der Sache be-
grundet, namlich in der grossen Unzulanglichkeit des uns zu Ge-
bote stehenden Materials. Ich mochte daher das Folgende kaum
als einen Versuch angesehen wissen, sondern vielmehr als blossen
Hinweis auf einige wichtige Fragen, welche sich naturnothwendig
aus dem Studium der Saftbohrer ableiten. Da eine Beantwortung
dieser Fragen aber erst bei ausgedehntester Kenntniss der Saft-
l)ohrer aller Schmetterlingsgattungen mit Erfolg unternonimen wer-
den kann, so liegt in den folgenden Zeilen zugleicli die Auffor-
derung, die von niir begonnenen Uutersuchungen iiber moglichst
alle Schmetterlingsgattungen zu erstrecken. Ich muss also den
Leser fiir die nachstehenden Erorterungen um Nachsicht bitten,
Wenn wir die im letzten Abschnitt mitgetheilten Verhaltnisse
iiber den Bau der Saftbohrer noch einmal vergleichend iiberblicken,
so stellt sich uns sofort die wichtige Thatsache entgegcn, dass
alle diese Bildungen nach demselben Typus gebaut sind. Immer
lassen sich an den Saftbohrern zwei Haupttheile unterscheiden,
eine Centralmasse und eine dieselbc umkleideude Chitinhiille. Ganz
ebenso gebaut sind nun aber auch die einfachen Haare auf dem
Riissel der Schraetterlinge. Der Haarschaft eutspricht der Cen-
tralmasse und der die Basis des Haarschaftes umkleidende Chi-
tinring dem die Centralmasse der Saftbohrer umhiillenden Chitin-
cylinder. Demzufolge werden wir zunachst alle Saftbohrer fur
untereinander homologe Bildungen erklaren, welche dann selbst
192 Wilhelm Broitcnbach,
wieder den Haareii homolog sind. Frageii wir mm uach der Grund-
lago, aus welcher sich die Saftl)ohrer pliylogenetisch werden ent-
wickelt liaben, so stossen wir auf die Haare; deim andere Bil-
dungeii, aus denen sie liatten hervorgeheii konneii, sind am lliissel
nicht vorhauden. Die Saftbohrer auf dem Riissel der
Schmetterlinge haben sich als Aupassung an die Ge-
winnung von Nahrung aus Haaren entwickelt ').
Damit ist nun aber nocli keineswegs gesagt, ob die Saftboh-
rer monophyletischen oder polyphyletischen Urspruugs sind, und so
stellt sich uns deun die wichtigste Frage entgegen ! Hat die Eut-
wicklung der Saftbohrer schon bei den Urschmetterlingen ihren
Anfang genommeu, und sind alle die verschiedenen Formen der-
selben nur Modifikationen , oder genauer gesagt, ebenso viele ver-
schiedene von dieser einen Urform ausgegangene Eutwicklungs-
richtuugen? Oder sind die verschiedenen Formen der Saftbohrer
an niehreren Stellen des Schmetterlings-Stammbaumes zu verschie-
denen Zeiten unabhangig von einander entstanden? Die richtige
Beantwortung dieser Fragen ist von hervorragender Wichtigkeit;
denn ware das erstere der Fall, so miissten oiienbar die verschie-
denen Entwickluugsrichtungen der Saftbohrer mit den Verzwei-
gungen des Schmetterlings-Stammbaumes zusammeufallen, und da-
mit batten wir dann in den Saftbohrern umgekehrt ein vorzug-
liches Mittel zur Klarlegung dieser Verzweigungen , die bekannt-
lich noch in ziemliches Dunkel gehiillt sind. Ist dagegen das letz-
tere der Fall, so gestaltet sich dadurch naturlich die Sache un-
endlich complicirter, und wir durfen nur mit grosster Vorsicht
verfahren, wenn wir von den Saftbohrern fur die Construirung
des Stammbaumes der Schmetterlinge Gebrauch machen wollen.
Zur definitiven Entscheidung der beiden Fragen ware es naturlich
nothw^endig, Schmetterlinge aus mindestens alien Gattungen auf
die Saftbohrer bin genau zu untersuchen. Da uns bis jetzt aber
erst eine verschwindend kleine Anzahl von Gattungen in dieser
Hinsicht bekannt ist, so diirfen wir vorlaufig keine weitgehenden
Aufschltisse iiber die Verzweigungen des Schmetterlings-Stamm-
baumes erwarteu. Nichts desto weniger mochte ich aber doch
einige Punkte zur Sprache bringen, um wenigstens die Verwend-
barkeit der Saftbohrer zu dem genannten Zwecke wahrscheinlich
zu machen.
^) lu welcher Weise Avir uns diescn Vorgang etwa vorzuslellen
habeu, habe ich schon friihcr anzudmiten vcn-sucht (Archiv f. raikr.
Anat, Band XV, pag. 24 — 27).
Beitrlige zur Kemitniss des Baues der Schmetterlings-Eussel. 193
Sind wir iiberhaupt jetzt schon im Stande, eine der oben be-
schriebenen Saftbohrer-Formeu von ihrem ausgebildeten Zustande
an durcli vermittelnde Zwischenstufen aiif die einfachen Haare
ziiriickzufiihren , und was wurde aus dieser Mogliclikeit etwa zu
folgern sein? Ich glaube oben hinreichend deutlich gemacht zu
haben , dass wir uns die Entsteliuug der Saftbobrer mit Radial-
platteu aus einfachen Haaren ganz gut vorstellen konnen. Von
den ausgebildeten Formen, wie wir sie etwa bei Catocala antref-
fen, fiihren uns Formen, wie sie uns Coenonympha, Epinephele,
Lycaena und Pieris darbieten, in absteigender Reihenfolge zu den
Haaren hinunter. Ausserdem habe ich darauf hingewiesen, dass
wir von Saftbohreru wie bei Epinephele und Coenonympha audi
ohne Zwang diejenigen von Arge Galathea ableiten konnen.
Aus diesen wenigen Thatsachen lassen sich zunachst zwei
Moglichkeiten folgern. Aus den einfachen Haaren sind dadurch,
dass die Cylinderwand sich in einigen Liingsstreifen lokal verdickte,
Formen wie bei Pieris und Lycaena entstanden. Durch weitere
Ausbildung dieser Leisten gingen aus den ersteren Formen die
Saftbobrer von Epinephele und Coenonympha hervor. Aus diesen
Formen konnen wir uns nun sowohl diejenigen von Arge Galathea
wie diejenigen mit Radialplatten entstanden denken. Losten sich
die Leisten in einige je mit spitzem Ende versehene Stucke auf,
so bekommen wir die Saftbobrer von Arge; blieben die Leisten
dagegen ganz und entwickelten sie sich zu Flatten weiter, so er-
halten wir die Saftbobrer mit Radialplatten.
Jetzt wollen wir einmal das bisherige System zu Rathe Zie-
hen. Pieris, Lycaena, Epinephele und Coenonympha gehoren mit
Arge zu den Papilionidae ; die drei letzten Gattungen sind in der
Familie der Satyridae vereinigt, wiihrend die beiden ersteren je
l)esouderen Familien zugetheilt werden. Erwagen wir nun, dass
unter den Papilionidae kein Schmetterling sich findet (wenigstens
so weit bekannt), dessen Riissel mit Radialplatten-Saftbohrern in
gut entwickeltem Zustande ausgerustet ist, so werden wir es wohl
wahrscheinlich finden, dass bier zwei von einander unabhangige
Entwicklungsreihen vorliegen, dass aus und durch Formen, wie
wir sie bei Pieris, Lycaena, Epinephele und Coenonympha antref-
fen, nur die Saftbobrer von Arge sich entwickelt haben, dass da-
gegen der Ursprung der Saftbobrer mit ausgebildeten Radialplat-
ten an einem andern Orte des Schmetterlings-Stammbaumes ge-
sucht werden muss.
Ehe wir nun aber audi diese Verhitltnisse niiher zu beleuch-
Bd. XV. N. F. Till, 1. IQ
194 Wilhelm Breitenbach,
teu versuchen, wollen wir noch auf einen andern Punkt bei den
Papilioniden aufmerksam raachen. In der Familie der Nympha-
liden kommen zwei Fornieu von Saftbohrern vor, solche mit Zah-
nen auf dem oberen Cylinderrand und solche ohne Zahne. Erstere
besitzen unter den einheimischen Gattungen, soweit ich dieselben
habe untersuchen konnen, die Vanessa -Arten; letztere babe ich
bei Argynuis und Melitae angetroffen. Dagegen sind mir mehrere
brasilianische Nymphaliden und zwei der nahe verwandten Heli-
coniden bekannt. Die nachstehende Uebersicht ergiebt die Ver-
theilung der beiden Saftbohrer-Formen auf die verschiedenen Gat-
tungen.
) Saftbohrer mit Z
ihnen:
2) Saftbohrer ohne Ziihne:
Vanessa
Argynnis
Colaenis
Hypanartia
Melitaea
Dione (=Agrau
Pyrameis
Gynaecia
lis)
Eurema
Epicalia
Heliconius
Ageronia
Eneides
Anartia
Die Frage wiirde nun sein, ob wir in diesen beiden Gruppen
zwei Zweige des Stammbaumes erblicken diirfen. Vor einiger Zeit
hat Fritz Miiller (Stettiner Entomologische Zeitung, 1877,
p. 492 — 496) die Gattungen Heliconius und Eneides von den Heli-
coninen, die Gattungen Colaenis und Dione von den Nymphaliden
getrennt und zu einer eigenen Familie, der der Maracuja - Falter,
vereinigt. Eins der Merkmale, auf Grund deren Fritz Miiller
diese neue Anordnung vornahm, bildet auch die Uebereinstimmung
in den Saftbohrern. Es heisst an genaunter Stelle: „Fuhler und
Mundtheile stimmen im Wesentlichen bei alien Arten iiberein, ohne
freilich etwas besonders Auszeichnendes zu bieten. Dies gilt na-
mentlich auch von den langs der Kiefer stehenden Anhangen in
Gestalt einer flachgedriickten Keule, die am Ende einen schiefste-
henden Stift tragen." Es ware vielleicht sehr wohl moglich, dass
sich bei Vergleichung der librigen Gattungen ebenfalls hinreichende
unterscheidende Merkmale herausstellteu , welche eine derartige
Anordnung als ganz naturgemass erscheinen liesse, wie sie oben
sich aus der Vertheilung der beiden Saftbohrer-Formen ergab. Ich
selbst besitze nicht die nothigen systematischen Keuntnisse und
noch viel weniger hinreichendes Material, um einen derartigen Ver-
gleich ausfiihren zu konnen. Es wiire aber wiinschenswerth, wenn
derselbe recht bald in eingehender Weise unternommen wtirde;
Beitriige zur Kenntnisg des Eaues der Schmetterlings-Riissel. 195
denn iiur dadurch konnte die Brauchbarkeit oder Unbrauchbarkeit
der Saftbohrer zu systeraatischen Zwecken endgiiltig entschiedeu
werden.
Von den Sphingiden habe icli nur Sphinx iind Macroglossa
untersucht. Die Saftbohrer sind sehr kleine Cylinder ohne Zahne,
die man bei Sphinx ebenso gut als Haare mit iiusserst kleinem
Haarschaft bezeichnen konnte.
Wir konimen nun zii den Saftbohrern mit Radialplatten , die
den beiden vorhergehenden Gruppen der Schmetterlinge giinzlich
fehlen , dagegen in den noch iibrigen drei grossen Abtheihmgeu
der Bombyces, Noctuae und Geometrae ausserst verbreitet zu sein
scheinen. In folgenden einheimischen Gattungen der genannten
drei Schmetterlingsabtheilungen habe ich Saftbohrer rait Radial-
platten gefunden.
1) Bombyces.
Setina, Euchelia (?), Euprepia (= Arctia), Gastropacha, Zy-
gaena (nur andeutungsweise; siehe vorigen Abschnitt), Pygaera
(= Phalera), Notodonta (= Lophopteryx).
2) Noctuae.
Arconycha, Pauolis, Taeniocampa, Triphaena, Agrotis, Ma-
mestra, Hadena, Plusia, Gat(»cala, Euclidia, Rusina, Neuronia,
Phlogophorn, Erastria.
3) Geometrae.
Geometra, Zonosoma, P'.ugoiiia, Gnophos, Cidaria (= Laren-
tia), Eupithecia.
Ausserdem sind mir noch Saftbohrer mit Radialplatten von
folgenden fiinf Gattungen bekannt, deren systematische Stellung
mir unbekannt ist: Trachea, Orthodes, Pseudothyatira, Callidryas,
Eunonia.
Aus den vorstehenden Angaben gelit wohl zur Geniige hervor,
dass die Saftbohrer mit Radialplatten sehr verbreitet sind, da sie
sich iiber drei grosse Schmetterlingsgruppen ausdehnen. Das Merk-
wiirdige dabei ist, dass diese an sich schon eigenthtimlichen Eor-
men stets in derselben Regelmassigkeit wiederkehren , indem in
13*
196 Wilhelra Breitenbach,
alien Fallen ^) sechs Flatten vorhauden sind. Icli glaube, wir dur-
feu diese Thatsache nicht ftir Zufall halten, sondern wir miissen
vielmehr annehmen, dass diese Form der Saftbolirer nur einnial
entstanden ist, und dass sicli dieselbe dann mit dem allmahligen
Entstehen neuer Zweige am Stammbaum der Lepidoptera vererbt
hat. Leiten wir aber die Saftbohrer von einer Form ab, so miis-
sen wir auch ftir die sie besitzenden Schmetterlinge eiueu einheit-
lichen Ursprmig annehmen. Die Bombyces, Noctuae und Geome-
trae wiirden also monophyletischen Ursprungs sein.
Nun giebt es aber in den drei Schmetterliugsgruppen auch
noch andere Saftbohrer, u. z. gerade die abweichendsten. Unter
die Noctuaden stellt man zunachst Scoliopteryx libatrix; die spe-
cielle Stellung dieser Gattung im System ist aber eine sehr unbe-
stimmte. Herr Dr. A. Speyer aus Rhoden schreibt mir dariiber:
,, Scoliopteryx libatrix hat keine Verwandten in der europaischen
Fauna. Die Gattung steht isolirt da und ist desshalb von jedem
Systematiker an einer andern Stelle des Systems eingeschoben
worden. Auch unter den Exoten kenne ich keine ihr nahe ste-
hende Gattung oder Art." Wenn so die Systematiker von ihrem
Standpunkte aus die Gattung Scoliopteryx nicht unterzubringen
wissen, so konnen wir ihr auf Grund der Saftbohrer vorlaufig auch
keineu bestimmten Platz auweiseu. Sollte es aber bei wcitcrer
Untersuchung gelingen, die Saftbohrer von Scoliopteryx an andere
ankntipfen zu konnen, so wiirde dadurch, wie ich meinc, die Stel-
lung der Gattung recht gut zu bestimmen sein. Damit ware denn
mit Hiilfe der Saftbohrer eine bis jetzt gar nicht unterzubringende
Gattung auf ihren vermuthlichen Ursprung zuriickgefiihrt.
Aehnlich verhalt es sich auch mit Ophideres , die man ge-
wohnlich, so viel ich weiss, zu den (3pliiusidae stellt, zu denen
auch Catocala gehort. Wie weit stehen nicht die Saftbohrer die-
ser beideu Gattungen auseinander! Auf der einen Seite solche
mit Radialplattcn (Catocala), auf der andern jene milchtigen Wi-
derhaken (Ophideres). Wenn die systematische Stellung der Gat-
tung Ophideres wirklich natiirlich ist, d. h. wenn Ophideres und
Catocala thatsiichlich benachbarte Zweige eiues Stammes sind, so
muss es meiner Ueberzeuguug nach auch gelingen, die vermit-
telnden Zwischenstufen zwischen den Widerhaken bei Ophideres
und den Saftbohrern mit Radialplatten aufzufinden. Vermuthlich
warden noch derartige Zwischenstufen vorhanden sein, da doch
') Abgesehen von individuelleu Variationeii.
BeitrJige zur Keniituiss ties Baues der Schmetterliugs-Eussel. 197
(lie Eiitsteliuug jcues wuudervolleii Apparates bei Ophideres in
eiiie verbaltnissmassig uicht weit zuriickliegeiide Zeit fallen muss.
Sollte aber eine derartige Zuriickfuhrimg uicbt geliugeu, so mtisste
dann wobl aucb die jetzige systematiscbe Stelluug der Gattung
Ophideres aufgegeben werdeu.
Diese beiden Falle, denen sich danu auch noch Egybolia an-
reiht, welche Gattuug man bei den Liparidae unter den Boniby-
ces uiitergebracht bat, gehoren wobl zu den scbwierigsten auf
dieseni neuen Gebiete; aber sie sind aucb die interessantesten.
Durcb auf unifassende vergleicbende Untersucbungen gegriindete
Versucbe, die eigentbiinilicben Saftbobrer jener drei Gattuugeu
auf einfacbere, besser gesagt auf urspriiuglicbere, zurtickzufiihren,
wiirdu gerade die Bedeutuug der Saftbobrer fiir die Systematik
ins recbte Licbt gestellt werden kounen. Dessbalb ware es recbt
wiinscbenswerth , wenn solcbe Versucbe bald in der ausgedebnte-
sten Weise uuternommen wiirden.
Diese weuigen Angaben mogen geniigen, urn anzudeuten, wel-
che Bedeutung die Saftbobrer, v.cun man sie erst in grosserer
Ausdehnung kennen gelernt hat, fiir die systematischen Forschun-
gen in der Classe der Lepidoptera allenfalls erlaugen konnen.
Dass sie zu diesem Zwecke iiberbaupt Verwenduug linden konnen,
scbeint mir zweifellos zu sein. Sollte sich das bei weiteren Un-
tersucbungen bestatigen, so batten wir in den Saftbohrern einen
neuen Anhaltspuukt fiir die Construirung des Stamrabaumes der
Scbmetterlinge gewonnen, einer Insectenklasse, in der man, wie
Fritz M tiller sagt, jeden derartigen Anhaltspuukt mit Freuden
begriissen muss. Die eingebende Untersucbung der Schmetter-
lingsrussel, speciell mit Bezug auf die Saftbobrer, sei daher drin-
gend empfohleu.
Die in diesem Abschnitt uiedergelegten , ganz provisoriscbeu
Erorteruugen bezieben sich, wie der kundige Leser gemerkt hat,
nur auf die Macrolepidoptera, wabrend die Microlepidoptera ganz
unberiicksichtigt geblieben sind. Der Grund davon ist der, dass
ich iiber Letztere keiue dies bezuglicbeu ^Kenntnisse besitze. In-
dessen es werdeu sich auch bier Saftbobrer vorfinden, da ja auch
Microlepidoptera Blumen besuchen. Mogen diese sowie andere
empfindliche Liicken in nieinen Untersucbungen, die wesentlich
durcb den Mangel an Untersuchungsmaterial bedingt sind, bald
ausgefiillt werden!
198 Wilhelm Brcitcnbcich,
V!. Das fnnere der Riisselhalften (SVIuskeIn, Nerven und
Tracheenrohr).
In diesem Abschuitt liabeu wir drei verscliiedeuc Theilo der
Maxillen kennen zu lernen, die Muskeln, Nerven und das Tra-
cheenrohr im Inneren. So gewiss es in hohem Grade interessant
ware, Genaues liber diese Verhaltnisse zu erfahreu, urn so mehr
bedaure ich, gerade bier nur ausserst liickenhafte , ganz allge-
nieine Bemerkungeu machen zu konneu. Wir niiissen aber doch
auf diesen Theil der Organisation des Schmetterlingsriissels ein-
geheu, und ware es auch nur, uni das Hierhergehorige der Voll-
standigkeit halber wenigstens anzufiihren.
1. Muskeln.
Im Vorhergehendeu ist schon wiederholt darauf hiiigewiesen
worden, dass die Maxillen nicht aus hintereinauder liegendeu
Riugen besteheu; desshalb baut sich die innere Muskulatur auch
nicht aus Ringmuskelu auf, wie sie von Newport und Anderen
angenomraen wurden. Es ist ja auch von vornherein ziemlich un-
denkbar, wie solche Ringinuskeln die Bewegungen des Rttssels
vermitteln solleu; bei ihrer Contraction wiirde doch nur die be-
tretfende Stelle der Maxille zusammengedriickt, d. h. das Lumen
verkleiuert werden. Die Rollbewegungen des Riissels verlangen
entschieden Langsmuskeln. Gerstfeldt nimmt zwei Langsmus-
keln an, eiuen oberen und einen unteren; von diesen solleu von
Zeit zu Zeit Xebenaste an die verschiedeuen Chitinleisten der
Maxillar-Oberflache abgehen. Wie diese Nebenaste verlaufen, ob
senkrecht zur Liingsaxe der Maxillen oder unter einem spitzen
Winkel, ist leider nicht angegebeu; wir werden aber gleich sehcn,
dass darauf sehr viel ankonnnt.
Meiue Anschauung von der inneren Muskulatur der Maxillen
ist kurz folgende. Zunachst wird jede Maxille von einem Haupt-
langsmuskel von der Basis bis zur Spitze durchzogen; derselbe
verliluft im unteren Theile der Maxille, wenn wir uns den Rtissel
in seiner natiirlichen Lage betindlich denken. Von diesem Langs-
muskel zweigen sich zahlreiche kleinere Muskeln ab, welche sich
in schrager Richtung, also unter einem spitzen Winkel zur Liings-
axe der Maxille, an die obere Seite begeben, um sich hier anzu-
heften. Im Allgemeinen laufen diese Schragmuskeln ziemlich pa-
rallel, sowie sie auch ungefahr dieselbe Dicke haben. Diese Mus-
Beitrage zur Kenutuiss des Banes der Schmetterlings-Kussel. 199
keln siiid mauchmal so zalilreich, dass sie unmittelbar nebeueinaii-
der liegeii, withrend sie in anderu Fallen etwas auseinander ge-
riickt stehen.
Diese Anscliauung habe icli nicht auf Grund auatomischer
Zergliederung gewonnen, sondern aus der Betrachtuug ziemlicli
durchsichtiger Riissel. Die beigegebene Figur 28 mag das Gesagte
veranscbaulichen. Leider vermag icb weitere Einzelbeiten iiber
die innere Muskulatur der Maxilleu nicbt anzugebeu. Weun sich
der Russel einrollen soil, so werden sich natmiicb erst diejenigen
Schragnmskeln contrabireu , welche in der Riisselspitze sich be-
linden, und von da schreitet daini die Contraction allmahlig nach
der Basis zu. Beim Entrollen des Rtissels geht die Erschlaffung
der Muskeln dann in umgekehrter Reihenfolge vor sich. Dass die
Muskeln sehrag verlaufen miisseu und nicht etwa senkrecht zur
Langsaxe der Maxillen, ist klar. Wtirde das Letztere der Fall
seiu, so wiirde bei den Contractionen oftenbar nur die obere Ma-
xillarflache an die untere herangezogen werden, niemals aber
konnte ein Einrollen stattfinden. So aber, wie die Verhilltnisse
thatsachlich liegen, muss bei den Contractionen der Muskeln noth-
wendig eine Kriimmung des Riissels eintreten , die in ihrer wei-
teren Ausfuhrung dann in jene bekannte Spirale iibergeht.
2. Nerven.
Ueber die Nerven der Schmetterlingsriissel besitze ich keine
positiven Kenntnisse; in der ganzen mir bekannt gewordeuen Ij-
teratur iiber Schmetterlingsriissel ist gleichfalls Nichts dariiber
zu fin den. Dass iiberhaupt Nerven vorhanden sind, ist selbstver-
standlich, und da dieselben sich im Allgmeinen dem Verlauf der
Muskeln auschliessen , so werden wir vielleicht einen Hauptnerv
annehmen diirfen, welcher sich an den Hauptlangsmuskel aulegt.
Zunachst werden dann Aeste in die Schragmuskeln abgehen; fer-
ner werden Aeste an die Haare und Saftbohrer herantreten. Die
beiden Nervenstiimrae der Maxillen miissen sich vereinigen, resp.
von einem Punkte ausgeheu. Denn da die Contractionen der
Schragmuskeln in den Maxillen beim Einrollen an entsprechenden
Stellen gleichzeitig vor sich gehen miissen, so muss auch die Ver-
anlassung zur Contraction, d. h. der Reiz, gleichzeitig auf die
entsprechenden Muskeln einwirken. Der anatomische Beweis fiir
diese Vermuthungen muss spiiteren Untersuchungen vorbehalten
bleiben.
200 Wilhelm Breiteubuch,
3. Tracheenrohr.
lu jede der beideu Maxillen tritt eiu Traclu;eiirolir vuu der
gewohnlicheii Beschatfeulieit eiu. Es zielit sich in scliwaclien VViii-
dimgeu durch die ganze Lange der Maxillen liiudurch, urn in der
Spitze derselben blind zu eudigen. Einige Beobachter lasseu das
Ende des Traclieenrohres in viele feine, gleichfalls blind endende
Aeste sich auflosen. Dies ist nicht der Fall ; wenigstens babe ich
es nie beobachtet, und die iiltereu Beobachter gebeu auch nicht
an, bei welchen Schnietterliugen sie jene Nebeuaste gesehen ha-
beu wollen.
Eine Beobachtung mag hier Platz finden. Unter einer An-
zahl ausgeschliipfter Euprepia caja befand sich ein Exemplar in
sehr verktimmertem Zustande. Natiirlich untersuchte ich auch den
Riissel. Dabei stellte sich heraus, dass das Tracheenrohr trotz
des verkiinimerten Zustandes der iibrigen Riisseltheile doch augen-
scheinlich in normalem Zustande sich befand. Wiihrend es im
ausgebildeten Riissel in schwachen Windungen sich durch die
Maxille hindurchzieht , sehen wir, dass es hier in dem rudinien-
tiiren Riissel zahlreiche starke Kriimmuugen und Verschlingungen
macht, so dass es allein von alien Riisseltheilen nicht rudimentar
geworden ist, sondern seine normale Lange, wie es scheint, bei-
behalten hat. Jedenfalls eine hochst merkwiirdige Erscheinung!
Wesshalb ist das Tracheenrohr nicht auch verkiimmert '? Wir ha-
ben hier den eigenthtimlichen Fall vor uns, dass ein Organ ver-
kiimmert, nur ein iutegrirender Bestandtheil desselben nicht. Ich
weiss nicht, ob derartige Falle schou in grosserer Anzahl bekannt
sind; ist das nicht der Fall, so ware es jedenfalls der Miihe
werth, auf dieselben in Zukunft zu achten und nach einer Erklii-
rung derselben zu streben, die ich in dem vorliegenden Falle al-
lerdings nicht zu geben vermag.
Leider muss ich es mit den vorstehenden iiusserst diirftigen
Angaben tiber Muskeln, Nerven und Tracheenrohr der Maxillen
beweuden lassen. Mogen Andere diese empfindliche Liicke recht
bald in umfassender Weise ausfiillen!
VII. Der Verschluss der beiden Riisselhalften.
In einer friiheren Arbeit (Archiv fiir mikroskopische Ana-
tomic , Band XV) habe ich versprochen , gelegentlich tiber den
Beitrage zur Kenutniss dcs Banes tier Schmuttoi-liugs-Kiissel. 201
Verscliluss der beideu Sclimetterlingsmssel - Hillfteu eingelieuder
zu berichten, als ich es an jeuem Orte getlian habe. Dieses Ver-
spreclien soil, soweit es die vorliegendeu Beobaclitungeii gestatteu,
in diesem Absclmitt eingelost werden. \Yie vvir bereits in der
geschiclitlichen Eiuleituug erfahren liabeu, legen sicli die Maxillen
niit iliren Eandern niclit einfach aneinander, urn den Saugkanal
zu bildeu, sondern sie werden durch besondere, an den Randern
betindliclie Vorrichtuugeu fest zusammeugelialten. Diese Vorrich-
tungen bestelien nacli den iilteren Beobaclitern aus dicht neben-
einander stehenden , iibereinauder greifenden Haaren. Reaumur
sah, dass der Verscliluss auf der uutern Seite ausser durch diese
Haare (filets) auch nucli durch eigenthiimliche Zahubilduugen her-
gestellt werde, und er meint, dass diese letzteren den Verschluss
allein wilrden bewirken konnen , wenn nicht jene filets vorhanden
seien. Das ist nicht ganz richtig; wir werden gleich sehen, dass
auf der untern Seite die Zahubilduugen allein den Verschluss be-
werkstelligeu, dass hier die filets ganz fehlen, dass dieselben aus-
schliesslich auf die obere Seite beschrilnkt siud.
Bei diesen allgemeiuen Angaben ist es nun auch geblieben
in der ganzen mir bekannt gewordenen Literatur iiber Schnietter-
lingsriissel — und ich kenne weit mehr als die angefiihrten Ar-
beiteu — ist nirgendwo eine genaue Darstellung des zuni Ver-
schluss der beiden Riisselhalften dienenden Apparates gegeben.
Erst Francis Darwin that einen Schritt welter; er beschreibt
genauer die Zahnbildungeu , welche die Maxillen von Ophideres
fullonica auf der uuteren Seite zusammenhalten ; eine beigegebene
halb - schematische Abbildung zeigt uns auch die Art und VVeise,
wie die Zahne oder Haken ineinandergreifeu. Wie der Verschluss
auf der oberen Seite hergestellt wird, ist F. Darwin nicht ganz
klar gewordeu; er sagt: „the delicate spines on the dorsal sur-
face may perhaps contribute to the same result", namlich wie die
Ziihue der Unterseite zum Verschluss. In der Wirklichkeit sind,
wie wir sogleich erfahren werden, diese delicate spines einzig
und allein die den Verschluss auf der Oberseite bewirkenden Ele-
mente. Nach Francis Darwin hat dann noch Prof. Vitus
Graber in seinem sehr empfehlenswerthen Buche iiber „die In-
secteu" (Band I pag. 154 und 155) eine ziemlich richtige Dar-
stellung unseres Gegenstandes gegeben; auf kleine Feliler werde
ich nachher aufmerksam machen.
Ich war friiher der Meinung, es wtirde sich bei ausgedehnter
Untersuchuug eine bedeutende Mannigfaltigkeit des Verschlies-
202 Wilhelm Breilenbach,
snugs- Apparates bei den verschiedeneu Schnietterlings - Gruppen
lierausstelleii. Dies hat sich nun freilich nicht bestatigt ; im Gc-
geutheil ist, vvenigsteus nach meiuen Untersuchuugen , der zum
Verschluss der beiden Riisselhalften dieneude Apparat in alien
Schnietterlings - Abtlieiluugen im Wesentlichen derselbe. Diesc
Thatsache berechtigt uns denn wohl auch zu der Annahme, dass
dieser eigentiimliche Mechanisraus im Verlauf der phylogeueti-
schen Entwicklungsgeschichte der Lepidoptera nur einraal ent-
standen ist. Er vvird sich schon bei den Urschmetterlingen ent-
wickelt haben iind von diesen dann auf alle andern Schmetter-
linge in ziemlich unveriinderter Gestalt durch Vererbung uber-
tragen vvorden sein.
Da der die beiden Riisselhalften zu einer Rohre zusammen-
schliessende Apparat bei alien Schmetterliugen wesentlich derselbe
ist, so erzielen wir dadurch eine sehr bedeutende Vereinfachung
und Erleichterung unserer Darstellung. Wenn wir uns den Me-
chanismus an einem noch dazu einfachen Beispiele vollig klar
machen, so haben wir damit zugleich den gauzeu Gegenstand ver-
stauden , und wir brauchen dann nur noch eiuige kleine bei ver-
schiedenen Schmetterliugen vorhandene Diti'erenzen kurz anzudeu-
ten, um das Bild zu vervollstandigeu. Ich wahle zur Erlauterung
den Riissel von einem unseres Sphinx. VVelche Species der Zeich-
nung (Fig. 29) zu Grunde gelegeu hat, kann ich leider nicht an-
geben, da auf dem betreftenden Praparat der Name durch ein
Versehen sich nicht vorfiudet.
Vor Allem ist zu merken, dass der Verschluss auf der un-
teren Seite ein ganz anderer ist wie auf der oberen. Unten sind
es ineinander greifende Klammerhaken , ol)en feine Dornen oder
Haare , welche die Maxillen zusammenhalteu. Da der Riissel sich
ein- und ausrollt, so ist es klar, dass der Apparat nicht ein eiu-
heitlich zusammenhaugender sein kann, sondern dass er sich aus
vielen einzelneu Stiicken zusammensetzen muss, gerade so wie
aus demselben Grunde die aussere Chitinbekleidung des Russels
nicht eine zusammenhangende Masse darstellt, sondern vielmehr
aus einzeluen Riugen besteht. Bestaude der Schliessapparat nicht
aus einzeluen Stiicken, sondern stellte er ein zusammeuhiingendes
Ganze dar, so konnte sich eben der Riissel nicht ein- und ausrollen.
Jede Maxille ist, wie wir wissen, auf ihrer lunenseite rinnen-
fonnig eingedriickt, so dass ein Halbkanal entsteht. An und auf
den Randern der Rinne befinden sich die den Verschluss der Ma-
xillen herstellenden Vorrichtungen. Betrachten wir zunachst den
Beitrtige zur Keuulniss cles Buues tier SchmctlerliDgs-Kiissel. 203
uuteren Verschluss. Bei eiuem gelimgeuen Querscliuitt durch den
Riissel seheii wir, dass an den Raiideru der Rinne auf beiden
Seiteu je eiue ziemlich starke, aus festem Chitiu besteheude Klani-
mer sich befindet. Das eine Ende der Klammer ist scliiirfer um-
gebogeu wie das audere, so dass dadurch ein Hakeu gcbildet
wird. Bei zwei benachbarten , nicht derselben Maxille angehori-
gen, also einander gegenubersteheuden Klammern liegt dieser Ha-
ken bei der einen Klammer auf der eiitgegengesetzteii Seite wie
bei der andeni. Der Verscliluss kommt nmi dadurch zu Stande,
dass der Haken der eiiieu Klammer in die entsprechende Vertie-
fung der andern Klammer eingreift, wie das in der Zeichnuug zu
sehen ist (Fig. 29a). Aus der Zeiclinung ist audi erkennbar, dass
die Art und VVeise, wie die Klammern ineinander greifen, zu-
gleich derart ist, dass sowohl ein fester Zusammenhang der bei-
den Maxillen lierbeigeftilirt wird, als auch ein event. Auseiuander-
weiclien derselben mogiich ist. Von der Flache gesehen reprasen-
tiren sich uus die Klammern als kleiue Chitinplatten von der Form
eiues Parallelogramms. Die einzelnen Klammern liegen selbstver-
standlich sehr dicht aneinander, da ja sonst der Verschluss ein uu-
dichter ware und dadurch das Saugen erheblich erschwert wiirde.
Die Gestalt der Klammern unterliegt bei den verschiedenen
Schmetterlingen nur ganz unbedeutenden Schwankungen, auf die
wir hier gar keinen Bezug zu nehmen brauchen. Dass natilrlich
die Dicke und die damit in Zusammenhang stehende Festigkeit
der Klammern bei verschiedenen Schmetterlingen eine andere ist,
ist selbstverstandlich , da ja die Riissel selbst sehr verschieden
fest sind. Bei Riisseln, welche vermoge ihrer Bohrthatigkeit auf
vielfacheu Widerstand stossen, konnte es bei schwachen Klammern
und dadurch bedingtem nicht allzufestem Zusannnenhang der Ma-
xillen leicht vorkommen, dass ein Auseinanderweichen der Maxil-
len eintrate. Damit dies verhindert werde, sind bei ihnen die
Klammern meist starker entwickelt, und sie greifen auch fester
ineinander.
Wenden wir uns nun zu dem Verschluss der Oberseite. An
unserm Durchschuitt durch den Riissel von Sphinx sehen wir,
dass von der unteren Seite der oberen Rander der Rinnen ein
feiner dornartiger Fortsatz ausgeht. Der eiue dieser Fortsiitze
liegt auf dem andern. Graber lasst den Fortsatz auf der einen
Seite von der oberen Flache, auf der andern von der unteren
Flache des Rinnenrandes ausgehen (Die Insecten I. Band Fig. 105).
Das ist falsch; beide Fortsatze gehen von der unteren Seite aus
204 Wilhelm Broitenbach,
(Fig. 29 b). iJiese Fortsiitze siiicl dirccte Verlangenmgeii des Riii-
neiiraiidcs, iiiclit separate Bildungeii. Betracliteu wir diese Bil-
dimgen vou der Fliiche (Fig. 30), so eiiceimen wir sofort, dass es
liicht doruartige Fortsatze sind, sondern vielmehr kleiiie Platten,
welche iibereiiiander liegen. Die Platten der beideu Raiider, wel-
che sicli entspreclieii , declveu sicli nicht, sonderu greifen iiber-
eiiiander, so dass eine deni eiueu Rande angehorige Platte die
Treiumngslinie zwischen zwei unterlialb liegeuden tlieilweise zu-
deckt ; ii. z. stehen die Platten unter einem Winkel zur Langsaxe
des Riissels.
Zu deni geschilderteu Mechanismiis konnen bei vieleii (wie es
scheint, den iiieisten) Scliniettcrliugen secundiire Vervollkoniinnun-
gen hinziitreteu. Dieselbeu betreft'eu aber iinnier imr den obcreii
Verscliluss und kommen in alien Fallen in wesentlicli derselben
Weise zu Staiide. Es bleibt namlicli gewohulich nicht bei jener
eiuzigen Reiiie von der unteren Seite der Rinnenrander entsprin-
genden Platten ; vielmehr treten oberhalb derselben noch eiu oder
mehrere Reihen auf, Hier sind es aber meistens keine Platten,
sondern in der Regel etwas gekriinimte Dornchen von etwas ver-
schiedener Grosse mid Gestalt bei den verschiedenen Schmetterlin-
gen. Newport giebt an, dass unterlialb der Spitze dieser Dorn-
chen noch ein Haken entspringe. Ich habe etwas Aehuliches nur
bei Ophideres fulionica gesehen (Fig. 31). Bei Vanessa Jo und
V. Cardui habe ich es nicht gefundun ; V. Atalanta habe ich da-
rauf hin nicht untersuchen konnen; ich weiss also auch nicht, ob
die Angabe Newport's richtig ist. Bei vielen Schmetterlingen
hat es den Anschein , als ob solche secmidare Hakchen vorhanden
waren; allein wie man bei genauerer Betrachtung bald bemerkt,
hat man es meistens mit eiuein Beobachtungsfehler zu thun. Wenn
man eine Reihe von jenen Dornen scharf einstellt , so sieht* man
mituuter etwas unterhalb der Spitze der Dornen eine zweite etwas
verschwoinmen erscheinende Spitze. Diese Spitzen gehoren aber
nicht den Dornen der ersten Reihe an, sondern es sind die Spi-
tzen der Dornen einer zweiten unterhalb der ersten liegenden
Reihe. Die Dornen stehen meistens weniger dicht zusammen wie
die Platten, welche den ersten Verschluss herstellen. Auch stehen
die Dornen nicht senkrecht zur Langsaxe des Riissels, sondern
unter einem spitzen Winkel zu derselben , wie das an dera Riissel
von Egybolia zu sehen ist (Fig. 27). Ferner sind diese Bildungen
nicht aus Haareu entstandeu, sondern es sind directe Verlange-
rungen der Russeloberflache ; wenigstens ist in keinem Fall der
Beitrage zur Kenntuiss dcs Banes der Schraetterliiigs-Riissel. 205
Bail der Haare an ihnen zu erkeuiien. Indem die Dornen der
entgegeiigesetzten Seiteii iiber- und ineinander greifen, tragen sie
sicher in nicht unbedeiitendem Maasse znr Vervollkonimnimg des
Maxillen-Verschlusses bei.
Es hat keineu Zwcck einzelne dieser Bildnngen niiher zu be-
sclireiben ; einige Zeichnungen geniigen zur Erliiuterung (Fig. 32
u. 33). Die vorstehenden Angabeu mogen geniigen, um den Ver-
scliluss der beiden Riisselhiilften klar zu macheu. Der Meclianis-
iniis ist eben in alien Schraetterlings-Abtlieilungen derselbe; die
wenigen Aljweichungeu, welche sich iiberliaupt vorfinden, siud nur
ganz secundiirer Natur. Ueber die muthmaassliche phylogeneti-
sche Entstehuug dieses gewiss sehr eigentliiiralichen Apparates
vermag ich vorlaufig wenigstens nocli keine klaren Vermutliungen
auszusprcchen ; aus eincr vergleichenden Betrachtung bei verscliie-
denen Schraetterlingen lasst sich kein sicherer Anhaltspunkt ge-
winnen. Vielleicht wiirde sich aber bei eingohender Untersuchuug
niederer Microlepidoptera etwas herausstellen ; diese Schmetterlinge
seien daher der spateren Forschung empfohlen.
Vill. Der i^echanismus des Saugens; historisch und
kritisch.
Die Art und Weise, wie die Schmetterlinge mit ihrera Riis-
sel den Nectar der Blumeu zu sich nehmen, d. h. der Mechanis-
nnis des Saugens, ist nicht von jeher in der richtigen Weise an-
gegeben worden ; vielniehr treffen wir einige so raerkwiirdige Vor-
stellungen dariiber an , dass es mir interessant genug scheint,
dieselben hier kurz wiederzugeben. Bei Reaumur finden sich
zwei fremde Ansichten, die wirklich sehr eigenthiimlich siiid. Die
erste riihrt von einem Herrn Puget. Derselbe vergleicht den
Russel der Schmetterlinge mit dem der Elephanten; die Saftboh-
rer stellen gewissermaassen Finger vor, so dass er den ganzen
Russel dann eine Art Hand nennt. Vermittelst der Finger soil
der Schmetterling eine dicke Fliissigkeit (liqueur ipaisse) aus den
Blumen hervorholen, und indem sich der Riissel dann einrollt,
wird die Fliissigkeit dem Munde zugefiihrt. Spater scheint in-
dess Puget diese Ansicht aufgegeben zu haben und aiif die rich-
tige gekommen zu sein, dass namlich die Schmetterlinge durch
einen Canal im Innern des Riissels saugen.
206 Wilhelm Breitenbach,
Der Pere Bon nam ') hielt die Saftbohrer fiir Saiigwarzen,
welche den Saft der Blumen aufsaiigen und in die die Maxillen
durchziehenden Canale leiten.
Die Ansicht Reaumur's tlber den Meclianismus des Saugens
will ich in moglichst wortgetreiier Uebersetzung wiedergeben. ,,Die
Bewegungen beim Aufrollen des Riissels sind ira Stande, die in
seiner Hohlung befindlidie Fltissigkeit circulireu zu lassen; denn
eine in den Canal des Riissels eingetretene Fltissigkeit wird darin
aufsteigen konnen, indem sie bestandig niedersteigt wie das Was-
ser in jener ingenieusen, unter dem Namen der Archiniedischen
Schraube (Vis d'Archimede) bekannten Maschine herabsteigt. Es
ist das gerade eine Maschine, von der uns der Riissel unserer
Schmettei-linge eine Vorstellung gel)en kann. Denn sc^i P das
Ende des Russels, und die Fltissigkeit, mit welcber er beladen
ist, gebe nur bis E; es ist leiclit einzusehen, dass, wenu der
Schmetterling das Ende dieses Rtissels einrollt, wie in 2, die
Fltissigkeit, welche in PE ist, eineu Trieb nach B herabzustei-
gen haben wird, und dass eine folgeude Rollbewegung sie verau-
lassen wird , dass sie dem Urspruug des Russels zugefuhrt wird."
Aut diese VYeise wtirde die Fltissigkeit allerdiugs in die Kahe des
Mundes kommen, aber doch uicht in den Korper selbst hiueiu,
da das Ende des Rtissels (der Basaltheil) uicht senkrecht oder
schrag nach oben gerichtet ist, sondern eher etw^as nach unten.
Es biiebe also immer noch zu erklaren, wie der Blumensaft die-
sen letzten Abschnitt des Saugrtissels durchlauft.
Einige Autoren haben angeuommen, die Fltissigkeit gelange
einfach durch Capillaritat in den Mund hiuein. Indesseu diese
Ansicht wird durch die directe Beobachtuug leicht widerlegt. Weun
man einen Schmetterling, dessen Rtissel hell und etwas durch-
scheiuend ist, veranlasst, von eiuer gefarbten Fltissigkeit zu sau-
gen, so sieht man, dass dieselbe uicht gleichmassig in dem Rtis-
sel emporsteigt, sondern ruckweise, entsprechend den einzelueu
aufeinandnr folgeudeu Saugacten. Stiege die Fltissigkeit durcli
1) Citirt nnrli Eeaumur 1. c.
Beitrage zur Kenntniss des Baues dei- SchraetterlinG;s-Rlissel. 207
Capillaritat in dem Russel empor, so durften die Ruckbewegun-
gen nicht vorkommeii, sondern die Bewegung der Fliissigkeit
musste eine gleichmassige sein.
Die nun niitzutheilende Ansiclit wurde von sehr vielen Na-
turforschern , und unter diesen audi von Lamarck vertreten
(nach Newport). Wir wissen, dass man fruher annahni, der
Russel der Schmetterlinge bestehe aus einer grossen Anzahl hin-
tereinander gelegener Ringe, zu denen ebenso viele Ringmuskehi
hinzukommen sollten. Diesen letzteren sclirieb man beim Saugen
die erste Rolle zu. Newport giebt an, dass nach der Ansicht
Lamarck's und Anderer die Fliissigkeit durch aufeinander fol-
gende Contractionen der Seiten des Riissels in den Korper hinein-
gepresst werde. Diese Contractionen sollen durch Quermuskeln,
offenbar Ringmuskeln, bewirkt werden, Auch diese Vorstellung
vom Mechanismus des Saugens ist grundfalsch. Wenn durch solche
peristaltische Bewegungen die Fliissigkeit von der Spitze des Rus-
sels nach seiner Basis geleitet werden soil , so muss sich das Lu-
men des Canales von der Spitze bis zur Basis fortschreitend ver-
engern. Geschieht denn dies aber durch die Contractionen der
Ringmuskeln, die wir einmal annehmen wollen? Offenbar nicht;
viel eher tritt das Gegentheil ein! Die Ringmuskeln sollen sich
doch in den Maxillen selbst bcfinden, nicht aber umgreifen sie
den ganzen Umfang des Russels. Durch ihre Contractionen kann
also nur der Durchmesser der einzelnen Maxillen verkleinert wer-
den. Tritt aber das ein, so werden ersichtlicher Weise die Ma-
xillen viel eher etwas von einander entfernt als einander geniihert,
d. h. das Lumen des Saugkanales wird nicht verengert , sondern
erweitert. Es tritt also gerade das Entgegengesetzte von dem
ein, was eintreten sollte! Unter Voraussetzung der Richtigkeit
der Ansicht Burmeister's, dass das Saugen durch die beiden
seitlichen Canale statthabe, ware diese Ansicht vielleicht eher
annehmbar. Leider hat Newport nicht angegeben, ob diejenigen
Naturforscher, welche die besprochene Mechanik des Saugens an-
nehmen, die Ansicht Burmeister's theilen oder nicht.
Kir by und Spence sagen iiber unsern Gegenstand Folgen-
des : „Bei Thieren , welche ohne Lungen sind oder durch Luftroh-
ren athmen , muss das Saugen anders vor sich gehen , als in de-
nen, welche durch den Mund athmen, und da in den sehr ge-
streckten fraglichen Organen (den Russeln) die Fliissigkeit einen
langen Raum zu durchlaufen hat, ehe sie den Schlund erreicht,
so mogen diese Seitenrohren (die Tracheen) auf diese oder die
208 Wilhelm Breitonbach,
andere A.rt im Stande seiii, eiiie Lecre in der mittlereu Rohre
hervorzubringen und so den Diirchgang zu crleichteni." (Einlei-
timg. Bd. Ill, pag. 500.)
Ehe ich micli auf eine Besprechung dieser Ansicht einlasse,
will ich erst noch die Ansicht Newport's wortlich iibersetzt wie-
dergeben. „In dem Aiigeublick, in welchem ein Insect auf eine
Blume fliegt, macht es eine heftige exspiratorische Anstrengung,
durch welche die l^uft sowohl aus den den Riissel durchziehenden
Tracheen, als auch aus denjenigen entferut wird, mit welcheu sie
im Kopf und im Korper in Verbindung stehen, und von denen
einige, wie wir nachher sehen werden, liber den Oesophagus und
Darmkanal verbreitet sind; in dem Augenblick, in welchem das
Thier seinen Riissel in die Nahrung bringt, macht es eine inspi-
ratorische Anstrengung, durch welche die Rohre erweitert wird,
und die Nahrung steigt sofort in derselben empor, um das Va-
cuum zu ersetzcn , und sie wird durch denselben Act dem Munde
zugefuhrt und von da durch die Thatigkeit der Muskeln des Pha-
rynx in den Oesophagus und Magen, ohne irgend eine Unterbre-
chung der Function dcs Athmens, indem das bestandige Aufstei-
gen der Fliissigkeit in den Mund hinein uuterstiitzt wird von der
Thatigkeit der Muskeln des Rtissels, welche wahrend der ganzen
Zeit , in der das Insect Nahrung zu sich uinmit, arbeiten." (1. c.
pag. 902.)
Sehen wir uns diese Saugtheorie Newport's ein wenig na-
her an, um ihren wahren Gehalt zu erkennen. Bevor der Schmet-
terling seinen Riissel in den Honig hineinsenkt , soil er eine Aus-
athmung machen. Dadurch wird allerdings aus den Tracheen des
Riissels Luft herausgezogen. Auf das Saugrohr kann das aber
keinen Einfluss haben , da dasselbe ja mit der ausseren Luft in
offener Verl)indung steht. In dem Augenblick, in dem der Schniet-
terling seinen Riissel in den Honig senkt, soil eine Einathmung
stattfinden ; dadurch werden die Tracheen wieder mit Luft gefiillt.
Nach Newport wird das Saugrohr erweitert, und die Fliissig-
keit tritt sofort in das entstandene Vacuum ein. Wesshalb der
Saugkaual bei einer Einathmung erweitert werden soil, ist mir
unverstandlich ; derselbe wird iiberhaupt niemals erweitert. Fande
das statt, so gingen die Maxillen auseinander, und der Canal
ware gar kein Canal mehr. Dann sehe ich auch nicht ein, wo
und wie bei einer Einathmung in der Rohre ein Vacuum entste-
hen soil. Endlich sind noch die Riisselmuskeln beim Saugen be-
theiligt, u. z. meint Newport Ringmuskeln, wie wir wissen.
Beitrage zur Kenntniss des Baues der Schmetterlings-Exissel. 209
Die Unterstiitziing der Ringmuskelu beim Saugen wird er sich
also wohl in ahnliclier Weise denken, wie wir das obeu kennen
gelernt und als unmoglich nacligewiesen haben.
Da solche Ringmuskelu im Schmetterlings-Riissel thatsachlicli
niclit Yorhanden sind, so konnen sie beim Saugen audi keine
Rolle spielen; aber noch mehr. Mogeu wir uoch Ringmuskelu
Oder Langsmuskeln haben, keine von diesen sind in irgend wel-
clier Weise beim Mechanismus des Saugens betheiligt; sie fallen
also bei unserem Erklarungsversuch des Saugens ganz weg.
Wie wir selien, lassen uns alle bis jetzt iiber das Saugen
der Schmetterlinge aufgestellten Theorien im Stich. Daher miis-
sen wir uns nach einer befriedigenderen umsehen. Wir werden
dabei erkennen, dass Kirby und S pence der Wahrheit am
nachsten gekommen sind.
Das Saugen ganz im Allgemeinen beruht auf der Herstellung
eines luftverdiinnten Raumes, in den dann die aufzusaugende Fliis-
sigkeit durch den Druck der ilusseren Luft hineingepresst wird.
Wenn wir mit Hiilfe eines Rohres eine Fltissigkeit aufsaugen wol-
len, so steckeu wir das eine Ende des Rohres in die Fltissigkeit,
das andere Ende nehmen wir in den Mund, und nun machen wir
eine Einathmung, d. h. wir vergrossern die Hohlung des Brust-
kastens und verdtinnen damit die in demselben und in der Rohre
enthaltene I^uft. Die atmnspharische Luft driickt dann einen Theil
der zu saugenden Fltissigkeit in die Rohre hinein. Wir saugen
also bei einer Einathmung.
Bei den Schmetterlingen ist die Sache aber gerade umgekehrt.
Mit der Athmung, d. h. mit der Function der Tracheen hat das
Saugen tiberhaupt nichts zu thun. Die Tracheen sind von Aussen
in den Korper eintretende, im Innern aber blind endende Caniile,
die mit dem Lumen des Saugrtissels nicht in irgend welcher Com-
munikatiou stehen. Wodurch wird denn aber die Luft im Innern
des Riissels verdtinnt? Der vordere Theil des Verdauungs-Appa-
rates, der zu einem bcsonderen Saugmagen sich gestaltet hat,
erweitert sich; durch diese Erweiterung wird ein luftverdunnter
Raum hergestellt, und da der Saugkanal mit dem Saugmagen in
Communikation steht, so wird auch die in ihm enthaltene Luft
verdtinnt. In Folge dessen presst die aussere Luft einen Theil
der zu saugenden Fltissigkeit in den Rtissel hinein. So ist die
Mechanik des Saugens bei den Schmetterlingen.
XV. N. F. VIII, 1.
14
210 Wilhelm Breitenbach,
IX. Literatur-Nachweis.
1. Reaumur: Memoires pour servir a I'histoire des lusectes.
Cinquieme mdmoire. pag. 284 — 315. (1737.)
2. Jules-Cesar Savigny: Memoires sur les animaux sans
vertebres. Premier me'moire. (1816.)
3. Brulle: Eecherches sur les transformations des appendices
dans les Articule's. Annales des Sciences naturelles. Troisieme Serie :
Zoologie. Tom. I pag. 298. (1844.)
4. William Kirby und William Spence: Einleitung in die
Entomologie oder Elemente der Naturgeschichte der Insecten. (1823.)
Deutsche Ausgabe von Ok en. Band I pag. 435. Baud lit pag. 500.
5. H. Burmeister: Handbuch der Entomologie. (1832.)
Band I pag. 67 und 380—381.
6. George Newport: Insecta. Cyclopaedia of Anatomy and
Physiology. Vol. II pag. 900—902. (1836—1839.)
7. Christian Ratzebur g:- Die Forstinsecten. 11. Theil. Die
Palter. (1840.)
8. Georg Gerstfeldt: Ueber die Mundtheile der saugenden
Insecten. pag. 64 u. flg. (1853.)
9. Pritz Mil Her: Die Maracujafailer. Stettiner Eutomolo-
gische Zeitung. (1877.) pag. 494.
10. J. Kiinckel: Les Lepidopteres a trompe perforaute, de-
structeurs des oranges. Comptes Eendus. (1875.) pag. 397 — 400.
11. Prancis Darwin: On the structure of the proboscis of
Ophideres fuUonica, an orange -sucking moth. Quarterly Journal of
microscopical Science. Vol. XV. New Ser. pag. 385—390. (1876.)
12. Reginald Bligh Read: Lepidoptera having the autlia
terminal in a teretron or borer. Proceedings of the Linnean Society
of New South Wales. (1878.)
13. Vitus Graber: Die Insecten. I. Theil: Der Organismus
der Insecten. pag. 154 — 156.
14. Wilhelm Breitenbach: Vorlaulige Mittheilung liber
einige neue Untersuchungen an Schmetterlingsriisseln. Archiv fiir
mikrosk. Anatomic. Band XIV pag. 308—317. (1877.)
Beitrage zur Kenntniss des Baues der Schmetterlings-Russel. 211
15. Wilhelm Breitenbacli: Untersuchungen an Schmetter-
lingsriisseln. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Band XV pag. 8 — 29.
(1878.)
16. Wilhelm Breitenbach: TJeber Schmetterlingsriissel. En-
tomologische ISTachrichten von D. F. Katter. V. Jahrg. No. 18 pag.
237—243. (1879.)
Vergleiche ausserdem die verschiedenen zoologischen Handbii-
cher.
14
212 Wilhelm Breiteubach,
X. Erklarung der Abbildungen.
Tafel IV.
Fig. 1. Ein kleines Stuck der Riisseloberliache vou Pieris, dicht
an der Russelspitze.
Fig, 2. Dasselbe, etwas weiter der Basis des Eiissels zu ge-
logen.
Fig, 3, Dasselbe, noch etwas naher von der Basis,
Fig. 4. Ein kleines Stiick der Riisseloberflache von Egybolia
Vaillantina. Der Pfeil zeigt nach der Rlisselspitze.
Fig. 5. Die Rlisselspitze von Argyuuis.
Fig. 6. Ein Stiick der OberHiiclie desselben Riissels, dicht an
der Spitze.
Fig. 7. Dasselbe etwas weiter der Rlisselbasis zu gelegen.
Fig. 8. Dasselbe noch weiter von hinton.
Fig. 9. Stiick der Riisseloberfliiche vou Agraulis Juno.
Fig. 10. Dasselbe von Anartia Amalthea.
Fig. 11. Dasselbe von Epicalia Numilia,
Fig. 12. Kleines Stiick einer Maxille vou Macroglossa, aus der
Niihe der Rlisselspitze.
Fig. 13. Stiick der Rlisseloberflache von Pieris.
Fig. 15. Saftbohrer von Vanessa Cardui.
Fig. 16. Saftbohrer von Eurema Lethe; a von der Fliiche,
b von der Seite gesehen.
Fig. 19. Saftbohrer von Lycaena.
Tafel V.
Fig. 14. Einfache Haare von der Oberliache eines Schmetter-
lingsrussels.
Fig. 17. Saftbohrer mit radialen Liingsplatten. (/y? = Radial-
platten.)
Fig. 18. Saftbohrer von Pieris.
I'ig.
22.
Fig.
23.
Fig.
24.
Fig.
25.
Fig.
26.
Beitriige zur Kenntniss des Baues der Schmetterlings-Eiissel. 213
Fig. 20. Saftbohrer yon Arge Galathea.
Fig. 21. Saftbohrer von Epicalia Numilia. a von der FUiche,
von der Seite.
Saftbohrer von Scoliopteryx libatrix; erste Form.
Saftbohrer von Scoliopteryx libatrix; zweite Form.
Saftbohrer von Egybolia Vaillantina.
% iind b. Saftbohrer einer australischen Motte.
Widerhaken von der Spitze von a derjenigen Motte,
der die Saftbohrer Fig. 25 entstammen, b Ophideres fullonica.
Fig. 28. Optischer Liingsschnitt durch einen Theil einer Ma-
xille von Pieris, um die Anordnung der Muskulatur zu zeigen. Im
Langsmuskel. sm Schriigmuskeln. /• Rinne oder Halbkanal der Ma-
xille (halbschematisch).
Fig. 29. Querschuitt dnrch den Rtissel von Sphinx sp., um den
Verschluss der beideu ^faxillen zu zeigen. a Untere Seite. b Obere
Seite. c Saugkanal. //■ Trachee (halbschematisch).
In Fig. 14 bedentet: cm Haarschaft; cy der die Basis des Haar-
schaftes umgebende Chitinring. In alien andern Figuren dieser Tafel :
cm Centralmasse, dem Haarschaft homolog ; c\j die Centralmasse um-
hiillender Chitincylinder, dem Chitinring bei den Haaren homolog;
z Zahne. In Fig. 26 ist w der Chitinwall, der die Grube umgiebt,
in der die Widerhaken eingesenkt sind.
Tafel VI.
Fig. 27. Die Spitze des Eiissels von Egybolia Vaillantina, von
obeu gesehen. Die iiusserste Spitze des Riissels ist scharf kegelfor-
mig und mit zahlreichen "Widerhaken besetzt, die keine streng regel-
massige Anordnung erkennen lassen. Auf der Oberflache des Riissels
bemerkt man zwischen den "Widerhaken langere und kiirzere Chitin-
stlicke von unregelmassiger Gestalt. Von der Stelle an, an welcher
die "Widerhaken aufhoren, wird der Riissel mehr cylindrisch, und hier
stehen auf seiner Oberflache zahlreiche Saftbohrer von der in Fig. 24
abgebildeten Form. Das mit diesen Saftbohrern besetzte Stiick des
Eiissels ist etwas langer als die mit den "Widerhaken bewaffnete Spitze.
Die beiden Riisselhalften sind etwas auseinander gerlickt; auf der
einen Seite sieht man einige der Chitinklammern {chk) , welche den
Verschluss auf der untern Seite herstellen. Auf der obern Seite be-
merkt man sehr zahlreiche jeuer dornartigen Bildungen , welche durch
Ineinandergreifen und Uebereinanderlegen den oberen Verschluss der
214 W. Breitenbach, Beitr. z. Kenntn. d. Baues d. Schmetterl.-Riissel.
Maxillen bewerkstelligen. Dieselben sind in "Wirklichkeit aber weit
zahlreicher und stehen viel dichter zusammen wie in der Zeichnung.
Fig. 30. Maxillenverschluss der Oberseite des Riissels von Ly-
caena, von der Fliiche gesehen.
Fig. 31. Die zum oberen Maxillenverschluss dieneudeu Dornen
vom Riissel von Ophideres fullonica.
Fig. 32. Dasselbe von Noctua libatrix.
Fig. 33. Dasselbe von Catocala nupta.
Druck von Eil. Fro in maun
Ueber die Augenmuskelnerven der Ganoiden.
Von
Dr. Hciurich Schneider
aus Saalfeld.
Hierzu Tafel VII und VIII.
Die ersten zusammenhangenden Mittheilungen iiber die Ner-
ven der den Augapfel bevvegeuden Muskeln in der Klasse der Fische
finden sich, abgesehen vorliiufig von Lepidosteus, in dem Werke
von Stan nius: Das peripherische Nervensystem der Fische. Die-
ser Forscher spriclit sicli zuuiichst dahin^) aus, dass ganz allge-
niein sammtlichen Fischeu mit alleiniger Ausuahme des Amphioxus
und der Myxinoiden selbststandige Augenmuskelnerven zukommen.
Was den Ursprung der eiuzelnen Nerven aulangt, so soil der Nerv.
trochlearis aus den Crura cerebelli ad corpora quadrigemina ent-
stehen und zwischeu Lobus opticus und Cerebellum aus der Hirn-
substanz hervortreten, ferner soil der Nerv. oculomotorius von der
vorderen Pyramide oder dem Pedunculus cerebri entspringen und
endlich der Nerv. abducens selir weit hinten aus den Pyramiden
der medulla oblongata sich entwickelu. Wenn irgendwo Anoma-
lieen des selbststandigen Verlaufes der Art vorkommen, dass ent-
weder einzelne oder alle Augenmuskelnerven aus der Bahn des
Nerv. trigeminus zu entstehen scheinen, so sind dies seiner An-
sicht nach einestheils nur Anlagerungen beider Nervenstamme,
auderntheils werden sie hervorgerufen durch Ablosungeu einzelner
Theile und Uebertritt in das Trigeminus-Gebiet. Selbst von einer
untergeordneten Betheiligung des Nerv. quintus bei der Versor-
gung des Auges glaubt Stannius absehen zu miisseu; „denn",
sagt er, „nirgends scheinen accessorische Faden aus dem Trige-
minus in die Augenmuskeln zu treten." Sehr bestimmt aussert
er sich auch iiber oder vielmehr gegen das Vorhandensein eines
1) Das peripherische Nervensystem der Fische von Dr. H. Stan
uius. Rostock 1849. S. 16—20.
216 Dr. Heinrich Schneider,
Ganglion des Oculomotorius : „niemals finden sich in den Augen-
niuskelnerven gangliose Elemeute." Endlich ist er auch ein ent-
schiedener Gegner deijenigen Ansicht, welche die Augeumuskel-
nerven, insbesondere den Nerv. oculomotorius als einen den Spi-
nalnerven gleichwerthigen Hirnnerven auliasst. Er spricht sich
liber diesen Punkt folgendermassen aus^): „Aucli (vorher ist von
der Vergleicliung der hoheren Sinnes- und der Spinalnerven die
Uede gewesen) der Parallelisirung der Augenmuskelnerven mit Spi-
nalnerven stellen sich, wegen ihrer eigenthiimlichen Ursprungs-
verhaltnisse, des ihnen zukommenden Mangels an Ganglien und
der ausschliesslichen Vertheilung ihrer ungemischten Primitivroh-
ren in den, auch ihrerseits mit Muskeln der Wirbelsaule durchaus
nicht vergleichbaren , Muskeln eines Sinnes-Apparates so uuiiber-
windliche Schwierigkeiten entgegen, dass von einer solchen nicht
fUglich die Rede sein kann."
Wahrend von dieser Seite also von einer Vergleichung der
Augenmuskelnerven mit Spinalnerven vollstandig Abstand genom-
men wurde, stellte man von andrer Seite eine Theorie auf, nach
der vorztiglich der Nerv. oculomotorius und der Nerv. abducens,
weniger der Nerv. trochlearis, nicht als selbststandige Nerven auf-
zufassen, sondern der Trigeminus-Gruppe zuzurechnen sind. Der
hauptsiichlichste Vertreter dieser Ansicht, Gegenbaur, welcher
seine Untersuchungen iiber diesen Gegenstand allerdings zunachst
in der Klasse der Selachier vornahm -' ) , stiitzt sich hierbei auf
folgende Punkte; einmal „darauf, dass die Augenmuskelnerven in
Muskeln einer Region sich verzweigen, deren Hauttheile vom Tri-
geminus versorgt werden, und 2) auf die bei manchen Fischen und
Amphibien vorkommende Verbindung mit dem Trigeminus. Er
fand, dass dieselbe entweder derart sei, dass discrete Nervenwur-
zeln in den Trigeminus eingehen, oder dass ohne das Bestehen
solch discreter Wurzeln der Trigeminus die bezuglichen Muskeln
versorgt".
Auch der selbststandige Austritt dieser Nerven — so lasst
er sich weiter liber diese Frage aus — fallt als Gegengrund weg,
sobald man das Verhalten der Spinalnerven beachtet, deren nio-
torische Wurzeln gleichfalls getrennt von den sensibien die Wan-
dung des Rlickgratcanales durchsetzen. Es ist also nur der Um-
1) 1. c. S. 125.
*) Ueber die Kopfnerven vou Hexauchus und ihr VerhJiltniss
zuv Wirbeltheorie des Schiidels. Jenaische Zeitschrift fiir Naturwis-
seuschaft Eaud VI, 187 1, »S. 5-18 u, 549.
Ueber die Augeinuuskeluerveu der Ganoiden. • 217
staud, dass die Augenmuskeluerveii niclit zusamnien diirch eine
gemeiuschaftliclie Scliadelotfimiig aiistreteii uud dass sie ausserhalb
des Cranium keine Verbinduug mit dem zweiteu Trigeiniims-Aste
eiugeben, auflalleud imd unerklart. Beides wird verstandlicher
durcli die Beachtung der getreimt liegeuden Eudgebiete uiid der
sofort uacb dem Austritte aus der Scbadelvvaiid sicb ergebenden
Eudverbreitimg. Auch dadurcb kann mau begreifen, dass die Or-
bitalvvand erst mit der Eiitstebung des Auges eiue bedeutende
Ausdehnuag gewann, so dass aufanglich nahe beisarameu liegende
Theile auseinauderriickten. Als eine bis jetzt uulosbare Frage
bleibt noch die Entferumig der Ursprungsstatten dieser Nerven,
uamentlich das Verhiiltuiss des Oculomotorius zum Trochlearis
und Abducens besteheu. Selbst nur zur liesprechung dieser Frage
bediirfte es einer tiefereu Erkeuutniss des Gehirnes, namentlich
seines vorderen Absclinittes.
Daraus geht aber hervor, dass die ganze Tlieorie auf uusi-
cherem Boden ruht uud Gegenbaur giebt dies selbst zu, weun
er fortfiilirt: „Ich halte daher die von mir aufgestellten Bezie-
hungen der genannten Nerven zu einander einer ferneren Begriin-
dung bediirftig nnd kann fiir meine Ansicht vorerst nur einen ge-
wissen Grad von Wahrsclieiulicbkeit beanspruchen. Die fiir die
hintere Abtheiluug der Hirnnerven aus der Vergleichung hervor-
gegangenen Autiassungen gestalten sicli demnach viel weniger be-
stimnit fiir die vorderen; das dort verhliltnissmassig einfache und
klare wird bier dunkel und complicirt und es bleibt aucb bei der
genauesteu Priifung maucbes problematisch." Gewissermassen als
P^rklarung bierzu dient dann weiterbin die Stelle, in der er sagt:
,je weiter nacb vorn, desto mebr verliert sicb der eiufacbe Typus
der Spinalnerven, wie ja aucb das Gebirn, welches in seinem bin-
tern Theile noch Anlehuung an den Bau der Medulla zeigt, in
seinem vorderen Abschnitt sich mehr und mebr ditferenzirt."
Soweit lasst sich in der oben genannten Schrift Gegenbaur
iiber die Frage nach der Auftassung der Augenmuskeluerven aus;
in einem spitteren Werke ^) kommt er nochmals auf diesen Punkt
zuriick und hier iiussert er sich ohne Vorbehalt und bestimmt in
folgender Weise: „Die Nerven der Augenmuskeln erscheinen als
motorische discret austretende Wurzeln eines Theiles des Trige-
minus; ihre im Verhaltuiss zum Trigeminus veranderte Lage er-
1) Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere
von Dr. C. Gegenbaur. 3. Heft: Das Kopfscelet der Selachier; eiu
Beitrag etc. Leipzig: bei Wilhelm Engelmann. 1B72. S. 289 u. 290.
218 Dr. Heiurich Schneider,
kliirt sich aus den mit der Entfaltimg der Orbita zusammenhangen-
den Modificationen des Cranium."
Allein gegen diese Anschauung wurden bald andre Stimmen
laut, welche sich fiir Selbststiiudigkeit der Augenmuskelnerven aus-
sprachen. So erklart P. Furb ringer in seinen Untersuchungen
iiber die Cyclostomen ^), wie schou Stannius, dass eine eigent-
liche Verschmelzung der betrelTenden Nerven mit dem Trigeminus
nirgends sicher constatirt sei; im Gegen theil, wie er sagt, bieten
alle Wirbelthiere, soviel in dieser Hinsicht untersucht sind, die
Augenmuskehierven in discretem Zustande dar, gesondert ent-
springend und gesondert zu den betrefl'enden Muskeln verlaufend.
Speciell iiber den Nerv. trochlearis und den Nerv. abducens aus-
sert er sich: „ein zwingender Grund, diese beiden Nerven als Zweig
des Trigeminus zu beurtheilen, liegt zunachst nicht vor: die An-
gaben Hyrtl's und M tiller's, dass bei Lepidosiren und Lepido-
steus die Augenmuskelnerven vom Trigeminus abtreten, bediirfen
noch sehr der Bestatigung." Was die anatomischen Verhaltnisse
anlangt, treten nach seinen Untersuchungen allerdings Trochlearis,
Abducens und Trigeminus gemeinsam aus dem Schadel, allein Fiir-
b ringer glaubt durch den Nachweis des verschiedenen Faserver-
laufes der einzelnen Nerven zu der Annahme der Selbststandigkeit
des vierten und sechsten Hirnnerven berechtigt zu sein. Diese
letzteren Thatsachen sind indessen auch nicht von grossem Be-
lang, da sie nach neueren Forschungen nicht sicher feststehen; so
giebt Wiedersheim'^) an, dass er sich nicht von dem gemein-
schaftlichen Austritt des Trochlearis mit Trigeminus und Abdu-
cens habe iiberzeugen konnen.
Ebenso wie Fiir b ringer, der iibrigens aus leicht begreif-
lichen Griinden in seiner Arbeit eine Vergleichung der Augenmus-
kelnerven mit Spinalnerven nicht anstellt, treten spater auch andre,
namentlich engiische, Forscher fiir die Selbststandigkeit des drit-
ten, vierten nnd sechsten Hirnnerven ein. Vorziiglich Balfour^)
und Marshall*) weisen auf dem Wege der Entwickelungsge-
1) Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie der Musculatur
des Kopfsceletes der Cyclostomen von Br. Paul Fiirbringer. Jena
1875. S. 60. Anm. 4.
^) Morphologische Studien von Dr. Eobert Wiedersheiin.
I. Das Gehirn von Ammocoetes und Petromyzon Planeri mit beson-
derer Beriicksichtigung der spiualartigen Hirnnerven. Jena 1880. S. 21.
^) Balfour, Development of the elasmobranch fishes.
*) Mil nes-Mar shall, The Development of the cranial nerves
in the chick. 1878.
Ueber die Augcnmuskelnerveu der Ganoiden. 219
scliiclite uach, dass beim Huhnclien die gauze Anlage der Augeii-
miiskelnerven getreunt von der des fiinfteu Hirnnerven geschieht,
dass beide vollstandig gleichwertliig neben einander sich entwickeln
und dass der Oculoraotorius ebenso gut walirscheinlich ein eignes
Segment und zwar vorderes Kopfsegment versorgt, wie jeder an-
dere Spinalnerv auch. Diesen Angaben widerspricht nicbt, was
His') in seiuen Untersucbungen iiber die erste Entwicklung des
Hiibnchens in Betretf der Eutstehung des Ganglion ciliare und
der Augenmuskelnerven mittheilt, obwohl er seine Befunde in an-
derer Weise deutet.
Zu alien diesen Angaben kommen nun endlich noch die jiingst
erscbienenen Mittheiluugen von Schwalbe^), der auf Grund
zahlreicher Zusammenstellungen aus der Literatur und umfassen-
der eigner Untersucbungen in fast sammtlicben Klassen der Wir-
beltbierreibe sich ebenfalls dahin ausspricht, dass der Oculomoto-
rius nicbt als ein Zweig der Trigeminus-Gruppe anzuseben ist,
sondern als ein selbststandiger segmentaler Kopfnerv eines vor-
deren Hirnabschnittes gedeutet werden muss. Und zwar stiitzt
er diese Ansicbt unter Anderem auf den, auf dem Wege der ver-
gleicbenden Anatomie erbracbten Nachweis eines Ganglion oculo-
motorii, welches den Spinalganglien vollstandig homolog ist. Auch
auf die Frage nach der Stellung des Nerv. trochlearis in der Reihe
der iibrigen Hirnnerven geht Scbwalbe^) niiber ein und gelangt
zu dem Resultat, dass dieser Nerv entweder als eine abgeloste
dorsale Wurzelportion des Trigeminus, oder aber als eine dorsale
selbststandig verlaufende Wurzel des Oculomotorius anzusehen ist.
Fiir diese letztere Moglichkeit spricht vor alien Diugen der gemein-
same Ursprung beider Nerven aus dem Mittelhirn und es ware
dann der Trochlearis ein selbststandig verlaufender dorsaler Ast
des Oculomotorius. Dieser Auffassung schliesst sich auch Wie-
dersheim in seiner oben citirten Schrift an und benutzt dieselbe
gleichzeitig als Beweis daftir, dass der vierte Hirnnerv auch sen-
sible Elemente enthalte, welche iibrigens Schwalbe bei einem
Selachier direct nachweiseu konnte.
Es wiirde viel zu weit fiihren, auf alles das, was SchAvalbe
in der citirten Schrift zur Begriindung seiner Auffassung anfuhrt,
naher einzugehen; fiir die Zwecke dieser Arbeit dtirfte wohl auch
^) Die erste Entwickelung des Hlihnchens im Ei. Leipzig 1868.
^) Jenaische Zeitschrift fiir Naturwissenschaft. Bd. XIH. Heft 2,
Das Gangl. oculomotorii S. 260.
3) 1. c. S. 255—260.
220 Dr. Heiuvich Schneider,
das Mitgetheilte vollstandig geniigeud sein, um so melir, als weiter
unten ein Zuriickkommeu auf jene Deductionen mivermeidlich sein
wird; es mag daher geniigen, hier noch jener Stelle Erwahuung
zu thun, welche zur Entstehung der vorliegenden Arbeit geftilirt
hat. Da namlich, wo es sich um die Auffindung eines Ganglions
in der Klasse der Ganoiden liandelt, findet sich in den Zusammen-
stellungen eine nur hochst ungeniigend ausgefiillte Liicke. Ueber-
dies war die Angabe J. Mtiller's, dass bei Lepidosteus die
Augenmiiskelnerven aus dem Trigeminus hervorgehen, einer ge-
nauen Priifung zu unterwerfen. Schwalbe selbst hatte bereits
an allerdings schlecht conservirtem Material Gelegenheit gehabt,
die Richtigkeit jener Angabe zu bezweifeln. Durch eine Sendung
ausgezeichnet conservirter Kopfe von Lepidosteus, welche Herr
Professor Agassiz die grosse Giite hatte, der anatomischen An-
stalt zu Jena auf Bitte des Herrn Prof. Schwalbe zu iibersen-
den, wurde ich nun in die Lage versetzt, das Verhalten der Augen-
muskelnerven zum Trigeminus bei Lepidosteus vollstandig sicher
festzustellen und so auch diesen Einwand gegen die Selbststan-
digkeit des Oculomotorius zu beseitigen.
Meine Untersuchungen sind in dem anatomischen Institut zu
Jena ausgefiihrt worden. Ausser Lepidosteus habeu mir von den
in die Gruppe der Ganoiden gehorigen Fischen zur Verfiigung ge-
standen einerseits Accipenser Sturio und Scaphirhynchus , andrer-
seits Amia. Fiir die so ausserordentlich liberale Unterstiitzung
mit Lepidosteus-Material sei an dieser Stelle Herrn Prof. Agas-
siz mein aufrichtigster Dank ausgesprochen. Desgleichen kann
ich nicht umhin, Herrn Hofrath Schwalbe fiir die Freundlichkeit,
mit welcher er sich meiner Arbeit augenommen hat, meinen besten
Dank auszusprechen.
Die zur Verfiigung steheuden Exemplare von Accipenser, Sca-
phirhynchus und Amia waren alle durch Alkohol langere Zeit con-
servirt worden. Die Methode der Untersuchung geschah mittelst
Scalpel und Pincette bei den alteren Alkoholpriiparaten und zum
Theil auch bei den frischeren Objecten des Lepidosteus, andern-
theils aber wurde hier auch die fiir diese Untersuchungen so aus-
serordentlich giinstige Behaudlung nut 20procentiger Salpetersaure
in Anwendung gebracht und ergab vorziigliche Resultate. Es geht
daraus hervor, dass dieselbe nicht nur bei ganz frischen Objecten
anwendbar ist, sondern auch bei solchen, die bereits mehrere Wo-
chen in Alkohol conservirt sind. Dass die Preparation mit dem
Messer tibrigens in einzelnen Fallen, namentlich gegeniiber den
TJeber die Augeumuskelnervcii der Ganoiden. 221
feineu, oft kaiim sichtbaren Faden der Ciliarnerven, unzulanglich
erscheint, ist mir wohl bewusst, doch geniigt sie immerhin, um
niit Sicherheit die groberen anatomischen Verhaltnisse der Aiigen-
muskelnerven constatiren zu kounen. Behufs Erlangung einer kla-
ren Einsicht in die feineren liistologischeu Verhaltnisse der Ner-
ven wurdeu dieselben in toto mit Hamatoxylin oder Carmin ge-
fiirbt und blieben dann einige Zeit in Glycerin liegeu, wodurch die
derbe Bindegewebshiille, welclie, dem Nervenstrang eng anliegend,
die Uutersiichung sehr erschwert, sich um vieles leichter abstrei-
fen liess.
Abgeselien nun zunachst von Lepidosteus, dessen Beschreibung
gesondert folgen soil, ist vor allem ein selbststiindiger Urspruug
des Nerv. oculomotor, und des Nerv. trochlearis bei siimmtlichen
untersuchten Fischen zu constatiren, Der dritte Hirnnerv liess
sicli bei alien Objecten mit grosster Leichtigkeit bis zu seiner Aus-
trittstelle aus dem Gehirn verfolgen, schwieriger war dies schon
beim vierten Hirnnerven, doch gelang es bei Accipenser Sturio
und Amia gleichfalls, denselben vollstiiudig frei zu legeu. Dage-
gen konnte der Austritt aus dem Gehirn bei Scaphirhynchus nicht
aufgefundeu werden; allein es ist wohl annehmbar, dass wie bei
den iibrigen Gliedern der Gruppe der Nerv auch hier selbststiin-
dig ist, zumal von einem Abgauge desselben vom Oculomotorius
oder von einem Aste des Trigeminus keine Spur zu entdecken war.
In den beiden sicher constatirten Fallen trat der Xerv aus der
Seitenflache des Gehirns naher der Basis aus der Furche hers'or,
welche die Grenzlinie zwischen dem urspriinglichen dritten und
vierten Hirnblaschen, also zwischen Mittel- und Hinterhirn bildet
(Figur I Gehirn vom Stor, 4).
Die Austrittsstelle des Oculomotorius lag dagegen stets an
der Basis des Gehirns in oder vielmehr direct hinter deroben'be-
schriebenen Furche (Figur I, 3).
Was den sechsten Hirnnerven betrifft, so nimmt man von ihm
allgemein ^ ) an , dass er als selbststandiger Nerv aus dem Gehirn
tritt. Seinen Ursprung sicher nachzuweisen , ist mir leider der
ausserordentlichen Feinheit desselben wegen bei Scaphirhynchus
und Amia nicht gelungen, dagegen liess er sich bei Accipenser
bis dicht an die Hirnsubstanz freiprapariren. Er entsprang hier
aus der Basis des Nachhirnes unter dem hintern Theile des Wur-
^) Stannius: Peripheres Nerveusystem der Fische S. 17.
Jenaische Zeitschrift fiir Naturwissenschaft. Bd. XIII Heft 2, das
Ganglion oculomotorii S. 246,
222 Dr. Hcinrioh Schueider,
zelcomplexes des Trigeminus facialis unci wandtc sich direct nach
aussen und etwas nach unten, so dass er sehr tief unter dem
Ganglion Gasseri in die Schadelwand eintrat. An die liintere un-
tere Flache dieses Ganglions legt er sicli eng an und erscheint an
der vorderen Ecke desselben in der Augenhohle. Ebenso wie hier
bei Accipenser Sturio tritt er, urn dies sogleich zusammen zu
stellen , auch bei den andern Ganoiden in die Orbita. Ira weite-
ren Verlauf liegt er bei alien unterhalb des Ramus ophthalmicus
des fiinften Kopfnerven, aber iiber alien andern vom Ganglion tri-
gemini nach vorn gehenden Zweigen desselben. Er versorgt aus-
schliesslich den Muse, rectus lateralis, ist seiner Function nach also
nur motorisch. Anastomosen geht er nach seinem Eintritt in die
Augenhohle nicht ein.
Kehren wir nun zu den beiden andern Augenmuskelnerven zu-
ruck, so gestaltet sich deren Verlauf innerhalb der Schadelhohle,
die bekanntlich vom Gehirn bei weitem nicht ausgefiillt wird, der-
art, dass bei alien Ganoiden der Eintritt des Trochlearis in die
Schadelwand mehr nach vorn und oben, d. h. dorsal, liegt, als
der des Nerv. oculomotorius. Die innere Flache der Schadelwand
von Accipenser ist nicht gleichmassig, sondern besitzt seitlich drei
bogenformige Auswolbungen mit der Convexitat nach aussen. In
der vordersten derselben, die sich vom Eintritt der Nervi olfactorii
bis zum Mittelhirn erstreckt, verlaufen der Trochlearis und Oculo-
motorius nebst dem Nerv. opticus in der Reihenfolge, dass der
Trochlearis, wie gesagt, am weitesten vorn und dorsal zu finden
ist, hinter ihm fast ganz am Boden der Schadelhohle der Opticus
eintritt und wieder etwas nach hinten, ziemlich in der vertikalen
Mitte der Seitenwand der Oculomotorius verlauft. Die zweite Aus-
buchtung wird durchzogen vom Wurzelcomplexe des Trigeminus
facialis, sowie vom Abducens und die dritte am weitesten nach
hinten gelegene vom Nerv. acusticus und den iibrigen Hirnner-
ven ^).
1) Im Anschluss hieran mochte ich eine Bemerkung einschalten,
die bereits schon einmal, namlich Ton B. V e 1 1 e r in dessen „Unter-
suchungen zur vergieichenden Anatomie der Kiemen- und Kiefermus-
culatur der Fische" (Band XII der Jenaisclien Zeitschrift fiir Natur-
wissenschaft. 1878. S. 470) gemacht worden ist. Vetter spricht
dort die Vermuthung resp. die Ansicht aus, dass Stannius bei sei-
nen Untersuchungen iiber die peripheren Nerven der Tische uumog-
lich Accipenser Sturio benutzt haben konne, da dessen Angaben in
vielen Dingen gar nicht mit den thatsachlichen Verhaltnissen in Ein-
klang zu bringen seien, Hauptsachlich die von Stannius gegebe-
Ueber die Augenmuskelnerven der Ganoiden. 223
Im Cranium von Scaphirhynclius und Amia, deren Schiidel-
wand die Auswolbungen nicht aufweist, liegen gleichfalls die bei-
den Augenmuskelnerven mit dem Nerv. opticus der Art angeord-
net, dass, von vorn nach hinten gezahlt, zuerst der Trochlearis
kommt, dann der Opticus und endlich der Oculomotorius. Dabei
liegt der erste ebenfalls am meisten dorsal, mehr nach der Basis
crauii zu der Oculomotor, und am tiefsten d. h. am meisten ven-
tral der Nerv. opticus. Der Kauai fiir den Trochlearis erstreckt
sich in der Schiidelwand, gemass der Lage des zu versorgenden
Muskels, in der Richtung von vorn nach hinten und ist desshalb
der langste, wogegen der des Oculomotorius sehr kurz ist, ven-
trale Neigung von innen nach aussen hat und fast in einer Fron-
talebene liegt.
In der Augenhohle endlich gestaltet sich der weitere Verlauf
in den beiden Klassen der Ganoiden etwas verschieden, und zwar
in Bezug auf das Verhalten zum Ram. ophthalmicus des Nerv.
trigem. Dieser Nervenast durchzieht bei sammtlichen Ganoiden
die Augenhohle gerade von hinten nach vorn in einiger Entfer-
nung von der medialen ^Yand, bei Lepidosteus, wie wir spater
sehen werden, an dieselbe angeheftet und verlauft stets iiber sammt-
lichen Augenmuskeln. Der Trochlearis von Accipenser und Sca-
uen Notizeii iiber die Endverbreituiig verschiedener Aeste des Nerv.
facialis, sowie des Nerv. maxillaris inferior, welche durchaus nicht
mit den vou mir gefundenen Eesultateu iibereinstimmeu wollten, ver-
anlassteu mich, der vou Vetter aufgestellten Behauptung mehr Be-
achtung zu schenkeu, und ich muss jetzt, weuigstens was die Kiefer-
musculatur und deren Innervation betrifft, derselben vollstandig zu-
stimmen. Es ist gar nicht anders moglich, als dass Stannius eine
andere Art untersucht hat, denu es ist nicht wohl annehmbar, dass
eiu Untersucher wie er die eiufachsten Verhiiltnisse, wie sie z. B. fiir
den von Vetter so genannten Muse, constrictor superficialis (1. c.
S. 468 — 472) bestehen, iibersehen haben sollte. Gerade iiber diesen
80 leicht auffindbaren Muskel macht er entweder gar keine oder iiber
einige Theile desselben nur unrichtige Angaben und wie hier, so ist
es auch an andern Stellen der Fall. — Was die Innervation dieses
einmal genannten Muskels iibrigens betrifft, so bin ich in der Lage,
die Angaben Vetters daliiu zu erganzen, dass vou den sechs Por-
tionen, in die der gauze Muskel zerfallt, die erste, die zweite und
die sechste versorgt wird von eiuem Eudaste des Maxillaris inferior
Nervi trigemini, der zu diesem Behufe erst deu Belegknorpel des Un-
terkiefers durchbohren muss, dass dagegeu die dritte, vierte und
fiinfte Portion ihre Nerven erhalt vora Ram. hyoideus Nervi facialis,
der auf der breiten lateralen Flache des Os hyomandibulare an der
Seite des Kopfes herablauft.
2wi Dr. Heiuricli Sclniciclcr,
pliirliyndius verhalt sicli nun so, class cr dorsal vom Ram. oph-
tlialmicus aus der Knorpelwand tretend direct an derselben her-
abgeht, bis er in gleiche Hohe mit dem genannten Aste des Tri-
geminus kommt. Alsdann wendet er sich im rechten Winkel um
die untere Flache desselben herum , durch Bindegewebe ziemlicli
eng an ihn angeheftet und geht nun in einem der vorderen Au-
genhohlenwand fast parallelen Bogen iiber sammtlichen Augenmus-
keln uach der vorderen, lateralen, dorsalen Ecke der orbita, wo
er den Muse, obliquus superior innervirt. Bei Amia (und dies sei
hier erwahnt , aucli bei Lepidosteus) ist sein Verhalten insofern
abweichend, als sein Eintritt in die Augenhohle nicht mehr dorsal
vom Ram. ophthalmicus, sondern ventral von demsclben erfolgt,
so dass also eine Kreuzung nicht raehr stattfindet. Im tibrigen
ist sein weiterer Verlauf wie bei den Knorpelganoiden. Ob sich
sensible Elemente in ihm finden, oder anders ausgedriickt, ob er
auch noch andere Gebilde versorgt, wie dies z. B. bei Selachiern^)
constatirt ist, muss einer erneutcn Untersuchung liberlassen blei-
ben; was dafiir spricht, wird spater Beriicksichtigung finden.
Was nun den Endverlauf des Nerv. oculomotorius betriflft, so
hat er bei den diei Fischen das Gemeinsame, dass er entweder
schon in der Schadelvvand oder doch kurz nach seinem Austritt
aus derselben einen fiir den Muse, rectus superior bestimmten Ast
abgii'bt, welcher je nach der Starke des betreffenden Muskels sich
richtet und direct denselben versorgt. Die Austrittsstelle ist, wenn
die Theilung innerhalb des Knorpels erfolgt, beiden Aesten ge-
meinsam, liegt iiberhaupt bei alien schrag nach oben, hinten vom
Austritt des Nerv. opticus, meist in der Frontalebene der Inser-
tion der Augenmuskeln und dorsal von denselben, stets aber ven-
tral vom Ram. ophthalmicus des Trigeminus, mit dem der Ocu-
lomotorius iiberhaupt keine Communication hat. Der Ast fiir den
Muse, rectus superior entspricht dem gleichnamigen Ast des Ocu-
lomotor, des Meni^chen fur den Muse, rectus superior und levator
palpebrae superioris. Der andere Theil des Nerven, Ramus in-
ferior, tritt nach Abgabe einiger Fadchen, welche in dem Zwi-
schenraume zwrschen Muse, rectus super, und rectus lateralis nach
aussen zum bulbus oculi verlaufen (Fig. I, c^), zwischen den bei-
den genannten Muskeln in den von den geraden Augenmuskeln
gebildeteu Kegel, wendet sich uuter den Stamm der Nerv. opti-
cus hinab, und versorgt, wie bei den hoheren Wirbelthieren, mit
^) Zeitschrift fiir Naturwissenschaft. Band XIII Heft 2 S. 186.
Ueber die Augeumuskcluerveu dcr Gauoidcu. 225
zwei kurzeren Seiteiizwcigen die Muse, rectus infer, und rectus
medialis, sowie mit dem nacli dcr Lage dieses Muskels langer ge-
streckteii Endast den Muse, obliquus inferior. An der Stelle, wo
er sich in die beiden Endaste theilt, gehen wiederum einige feine
Faden ab, die mit der Versorgung der Muskeln nichts zu thun
haben, sondern an dem Muse. rect. medial, entlang lateralwarts
naeh dem bulbus zu verlaufen, leider aber niclit bis an ihr Ende
zu verfolgen waren (Fig. I, c^).
Wenden wir uns nun naeh Darlegung der makroskopischen
zu den feinercn, histologischen Verhaltuissen , so ergiebt die mi-
kroskopische Untersuchung, dass der Oeulomotorius der Ganoidcn
aus zwei verschiedeuen Bestandtheilen zusammengesetzt ist, ein-
raal aus Nervenfasern, zweitens aus Ganglienzellen.
Die Nervenfasern sind wiederum zweierlei Art; der Haupt-
sache naeh finden wir breite, doppelt conturirte, markhaltige und
mit Schwannscher Scheide verseheue Fasern, welebe beim Stor
eine Breite von durchschnittlich 0,02—0,033 mm. inclusive des
Neurilemm's, bei Scaphirhynehus und Amia eine solehe von 0,01
— 0,02 mm. besitzen, im Allgcmeinen also von einander nielit we-
sentlich versehieden sind. Ihnen gegenuber stehen die in gerin-
gerer Anzahl vorhandenen feinen, anscheinend marklosen, aber mit
kernhaltiger Scheide versehenen Fasern, welehe eine durchschnitt-
liehe Breite von 0,004 mm. bei alien drei Arten besitzen. Diese
feinen Nervenfasern enthalten in alien Fallen die Ganglienzellen,
kommen stets in gesonderten, von den breiten Fasern schon (lurch
ihre verschiedene Structur leicht unterscheidbaren Blindeln im
Stamme des Oeulomotorius vor und bilden bei den Knoehenganoi-
den eine deutlich fiir sieh bestehende Portion des Nerven, wiih-
rend sie bei Accipenser und Scaphirhynehus noch zwischen die
andern eingelagert erseheiuen. Es sei schliesslich noch erwiihnt,
dass Theilungen von breiten Nervenfasern, wie solehe Stannius')
fur verschiedene Teleostier anfuhrt, durch die er zugleieh die ver-
schiedene Breite der einzelnen Fasern erklart, bei den Ganoiden
nieht gefunden wurden.
Der zweite Bestandtheil des Oeulomotorius, die Ganglienzel-
len, finden sieh constant in alien untersuehten Arten, je naeh der
Starke des Nerven in grosserer oder geringerer Anzahl und —
wie erwahnt — immer innerhalb der feinen Nervenfaserbiindel. Es
wird also durch ihr Vorkommen die Angabe von Stannius, dass
^) Peripheres Nerven system der Fische S. 19.
B(l. XV. N.^F. VIII. 2. J^5
226 Dr. Hciurich .Schneider,
sich in den Augenniuskelnerven uiomals gangliose Elemente fin-
den '), hinieichend widerlegt.
Die Anordnung dieser Ncrvcnzellen gestaltete sich nun beini
St(»r folgendermassen. Ungefahr 1 ctm. peripher der Abgabe des
Astes fiir den Muse, rectus superior liegen auf der medialen Seite
des Nerven dicht neben einander zwei Haufen von Ganglienzellen
und ragen halbkugelforraig iiber das Niveau des ubrigen Nerven
hervor, eiue ziemliche Anzahl von Zellen in sich bergend. Von
jedeni dieser beiden Zellenhaufen und zwar am peripheren Endo
geht eiu dunnes Aestchen ab, das je aus einigeu markhaltigen
Nervenfasern, zum grossten Theil aber aus diinnen marklosen Fa-
sern besteht, welcbe bei vorsich tiger Behandhiug mit der Prapa-
rirnadel sich in vielen Fallen als directe Fortsatze der Ganglien-
zellen erkennen lassen. Eiu anderes schmales Biindel feiner Ner-
ven geht von den Ganglienhaufen im Stamme des Oculomotorius
Belbst welter, verschwindet jedoch bald zwischen den breiten Fa-
sern. Ferner findet sich eine zweite Gruppe Ganglienzellen in
einem von der ersten ungefahr ^|^ ctm. peripher abgehenden fei-
nen Aestchen. Dasselbe besteht nur aus dunnen Fasern und bil-
det da, wo die Zellen liegen, eine spindelformige, gegen 0,6 mm. lange
und 0,4 mm. breite Anschwellung, die vom Stamme des Oculomo-
torius nicht welter als ^\^ ctm. entfernt ist. Die Zahl der Zellen
ist hier geringer, als in den beiden ersten Haufen. Die drei ge-
nannten Nervenzweige, die von oder mit den ihnen zugehorigen
Zellen die Bahn des Oculomotorius verlassen, wenden sich im Zwi-
schenraum zwischen Muse, rectus superior und M. rect. lateralis,
direct nach aussen, nach dem Bulbus zu und konnten in einem
Falle bis an das Auge heran verfolgt werden. Eine dritte Gruppe
Ganghenzellen endlich liegt in der Hohe der Theilungsstelle des
Nerven in seine beiden Endaste (vergl. Fig. I) und fuhrt von alien
die geringste Anzahl von Zellen. Sie findet sich angelagert an
den Ast fiir den Muse, rectus medialis in einem durchschnittlich
0,1 mm. breiten Biindel markloser Nerven, welches an der bezeich-
neten Stelle zu einem gegen 0,2 mm. langeu und fast ebenso brei-
ten Ganglion anschwillt. Von der Theilungsstelle des Nervenstam-
mes, beziehungsweise von dem Aste fiir den Muse, rectus medialis
gehen ebenfalls einige sehr feine Faden ab, die wenig grobe, gross-
tentheils schmale Nervenfasern enthalten und neben dem Muse,
rectus medialis ihren Verlauf nach dem Bulbus oculi zu nehmen.
■) 1. c. S. 20.
Ueber die Angenmuskelnerven der Ganoideu. 227
Leider gelang es nicht, bei der Herausnahme des Nerven dieselben
in ihrem ganzen Verlaufe zu erhalten.
Ueber die Ganglienzellen von Scaphirhynchus kann ich nichts
Siclieres aussagen ; wohl waren beide Arten Nervenfasern vorhan-
den iind traten namentlich an der Theilungsstelle in die beiden
Enditste die feinen Fasern deutlich liervor, allein selbst bei sorg-
faltiger Behandlung mit der Nadel konnten weder von niir noch
von Herrn Hofrath Schwalbe unter dem Mikroskope Zellen cnt-
deckt werden. Jedoch ist wohl infolge der Anwesenheit der schma-
len Nervenfasern niclit daran zu zweifeln, dass dieselben auch vor-
handen sind, und hoffe ich , sobald mir ein zweites Exemplar der
Gattung zu Gebote stehen wird, ein gunstigeres Resultat erzielen
zu konnen.
Von den Knochenganoiden zeigte zunachst Amia an zwei Stel-
len des Oculomotorius-Stammes die Ganglienzellen. Die erste liegt
etwas, vielleicht 5 mm. peripher des Abganges des Astes fiir den
Muse, rectus superior und enthielt eine kleine Ansammlung von
Ganglienzellen nebst einigen isolirt liegenden, alle inncr&alb eines
Stranges feiner Nervenfasern, die, an den viel starkeren Theil der
breiten angelageit, sich ziemlich deutlich als eine besondere Portion
des Nerven erkennen lassen. Am distalen Ende des Ganglions,
sowie eine kurze Strecke unterhalb desselben zweigen sich eben-
falls mehrere, zum grossten Theil aus feinen Nerven zusammen-
gesetzte Aestchen ab, die, obwohl kurz abgerissen, ofifenbar den
an derselben Stelle entstehenden , bereits erwahnten Aesten bei
Accipenser entsprechen. Der grossere Theil der feinen Fasern ver-
lasst auch jenseits der Zellen den Stamm des Oculomotorius nicht,
sondern ist noch eine Strecke weit zur Seite der breiten Fasern
deutlich nachweisbar und verschwindet erst in der Gegend der
Abgabe des Astes fiir den Muse, rectus inferior zwischen den iibrigen
Nervenfasern. Das andre Ganglion tindet sich etwas peripher von
der letzten Gabelung des Nerven, jedoch nicht wie bei Accipenser
an den Ast fur den Muse, rectus medialis, sondern an den fiir
den M. obliquus inferior angelagert und entsendet gleichfalls einige
feine Aestchen nach dem Bulbus zu. Die Lange desselben betragt
0,2 mm., die grosste Breite 0,1 mm.
Ueber den histologischen Bau der Nervenzellen lasst sich im
Allgemeinen sagen, dass sie bei alien drei Arten sehr gleichartig
gebaut sind. Von Gestalt meist ein kurzes Oval, zuweilen eine
rundliche Form darbietend, betragt die Lange bei Sturio durch-
schnittlich 0,04 bis hochstens 0,05 mm., die Breite 0,025—0,03 mm.,
15*
228 Dr. Heiuricli Schneider,
bei Amia 0,035—0,04 mm. die Breite, 0,05 mm. die Liinge, und
ganz ahuliclie Veihaltnisse zeigt Lepidosteus. Es ergiebt sicli also,
dass die Grossenverhaltnisse der verschiedenen Arten nicht sehr
differiren. Die Structur der Zellen ist ebeufalls immer dieselbe;
von gleichmiissigem kornigen Gefiige zeigen sie in der Mitte oder
an einem Pole den Kern, am andern den Fortsatz, der in eine
dttnne schmale Nervenfaser ausgeht (Figur II, a). Erwalinen will
ich hier sogleich, um dies zusammenzusteilen, dass bei Lepidosteus
auch einige Male zwei Fortsatze wahrgonommen wurden (Fig. II, 6).
Umgeben sind die Zellen von einem festen, derben, sebr kernrei-
cbcn Bindegewebe , dessen Scheide an einer resp. an zwei Stellen
von dem Fortsatze durchbrochen wird (Figur II). Die mit zwei
Fortsiitzen versebenen Zellen wurden also obne weiteres dem ge-
wobnlichen Bilde der bipolaren Ganglienzelle aus dem Spinal-
ganglion der Fische entsprechen , fiir die Zellen mit einem Fort-
satz ist wabrscheinlich eine Theilung 1) desselben anzunehmen und
zwar hier in grosserer Entfernung von der Zelle, da unmittelbar
an dem Austritt keine Theilung zu constatiren war. Was endlich
den Kern betrifft, so zeigt er bei alien Arten ein korniges, homo-
genes Substrat mit deutlich sichtbarem Kernkorperchen.
Das Hauptcrgebniss der Untersuchung ware also fiir die
Augenmuskelnerven der drei Arten Accipenser Sturio, Scaphirhyu-
chus und Amia das , dass 1) die sammtlichen Nerven selbststandig
aus dem Gehirn entstehen und zwar Trochlearis und Oculomoto-
rius aus einem vorderen Abschnitt desselben, dass 2) der Troch-
learis im Vergleich zum Oculomotorius ein dorsaler Nerv genannt
werden muss und dass 3) im Stamme des Oculomotorius sich
ausser zwei Arten von Nervenfasern zahlreiche zellige Elemente
vorfinden.
Waren die Verhaltnisse nun bei diesen Arten relativ einfach,
so gestalten sie sich etwas complicirter, wenn wir an die Unter-
suchung von Lepidosteus herantreten. Massgebend galten bis-
her fur diese Gattung die Angaben von Johannes M tiller, in
dessen Schrift: „Ueber den Bau und die Grenzeu der Ganoiden"
crschienen in den Abhandlungen der Berliner Academie vom Jahre
1844. Nach den dort gegebenen verschiedenen Abbildungen (Ta-
fel IV), von denen uns hauptsachlich die in meiner Figur III co-
pirte interessirt, wurde sich fur die einschlaglichen Verhaltnisse
folgendes ergeben (vergl. auch das Schema Fig. V, &). Der Ocu-
1) Freud: Ueber Spinalgangliou und Eiickenmark von Petro-
myzon. Sitzuugsberichte der Wiener Academie. Band 78 Abth. III.
Ueber die Augenmuskeln erven der Ganoiden. 229
lomotorius tritt aus der Schadelwand in die Augenhohle nicht als
selbststandiger Nerv , soiidcrn der Ramus ophthalmicus des Trige-
minus (Fig, III /) enthalt , wie in dem dort beigegebenen Index
gesagt wird, zugleich den ganzen Oculomotorius und auch den
Trochlearis. Es trennen sich danu in ungefiihr 1 ctmtr. Entfer-
nung von der Schadelwand die beiden Nerven, d. h. der Ram.
ophthalmicus, der an der medialen Wand der Augenhohle weiter
nach vorn zieht {6), giebt als einen Ast den Oculomotorius («)
ab, welcher seinerseits nun wieder die Augenmuskeln versorgt,
ferner den Trochlearis entsendet, sowie die Ciliarnerven. Der Ab-
ducens geht mit dem Hauptstamme des Trigeminus, aber getrennt
von ihm (c). Angaben iiber das Verhalten der betreffenden Ner-
ven in der Schadelhohle und iiber ihren Austritt aus dem Gehirn
fehlen vollstiindig ; J. M ii 1 1 e r scheint diese Theile gar nicht un-
tersucht zu haben.
Unterzieht man sich jedoch dieser Muhe, so gestaltet sich
bald das Resultat ganz anders, man wird dann sehr bald, nament-
lich mit Zuhilfenahme der Salpetersiiure die Selbststandigkeit der
Augenmuskelnerven constatiren konnen. Figur IV stellt das Ge-
hirn, sowie die linksseitigen vorderen Kopfnerven dar. Die ein-
zelnen Abschnitte des Gehirnes sind sehr deutlich zu unterscheiden,
V ist das HemisphJirenhirn mit den unterliegenden Corpora striata,
M das Mittelhirn, zwischen beiden liegt in der Tiefe versteckt
das hier sehr kleine Zwischenhirn, Sehr machtig entwickelt ist
das Hinterhirn H, dem sich nach hinten und unten das Nachhirn
anschliesst. Eines merkwiirdigen Gebildes muss ich noch erwah-
nen, iiber dessen Bedeutung ich mir nicht klar geworden bin; es
ist dies ein stark entwickelter Querwulst, der wie eine Brucke kurz
hinter der Spitze der Rautengrube iiber dem Riickenmark sich
ausspannt L, und zu beiden Seiten desselben mit je einem Fort-
satz in die Tiefe sich erstreckt. Auf dem Schnitt hot er markige
Consistenz und sein mikroskopisches Bild war das eines Lymph-
follikels mit sehr weiten Gefassen.
Was nun die hier in Betracht kommenden Hirnnerven anlangt,
so ist zunachst iiber den Trochlearis Folgendes zu erwiihnen.
Dieser Nerv (Fig. IV, 4) kommt selbststiindig aus der Seite des
Mittelhirnes und zwar aus der Furche, die das ursprunglichc
dritte und vierte Gehirnblitschen trennt, Bei einer Gesammt-
lilnge des ganzen Gehirnes von 25,5 mmtr. (gemessen vom Beginn
der Rautengrube bis Austritt des -Nerv. olfactorius) liegt diese
Stelle 2,5 mmtr. iiber und fast in einer Frontalebene mit dor Aus-
230 Dr. Heinrich Sclmeider,
trittstelle des vorderen Wurzelcomplexes des Trigeminus facialis,
also vollstandig dorsal. Von seiner Austrittsstelle wendet sich der
Nerv in einem wellenformigen Bogen und dicht dem Gehirn an-
liegend nach vorn, verlauft ungefahr 1 mm. dorsal der vorderen
Wurzel des Oculomotorius, biegt neben dem hintern Drittel des He-
misphiirenhirns zieralich steil nach uuten ab und tritt median vom
Oculomotorius , in gleicher Hohe mit demselben , in eiuem eigenen
Kanal durch die hier sehr diinne Schadelwand. Kurz nach seinem
Austritt kreuzt er den untersten Theil des Ram. ophthalmicus
und nimmt dabei einen feinen Faden in seine Bahn auf. Alsdann
verlauft er auf demjenigen Theile des Kaumuskels K^ der vom
Sphenoideum basilare entspringt (J oh. M tiller), quer durch die
Augenhohle und gelangt nach ziemlich langem Verlaufe zum Muse,
obliquus superior. Einen weiteren Endast, wie man solchen nach
der Verbindung mit dem Ram. ophthalmicus voraussetzen sollte
und wie ihn auch J oh. M tiller beschreibt (Fig. Ill tt), habe ich
nicht auffinden konnen.
Der Oculomotorius eutsteht mit 2 Wurzeln aus dem Gehirn,
mit einer vorderen mehr dorsalen und einer hinteren ganz ven-
tralen (Fig. IV 3 v und 3/0. Die Austrittstelle der vorderen Wur-
zel liegt an der Seite des Mittelhirnes in dessen hinterem Drittel,
ungefahr 1,5 mm. uuter und etwas vor dem Trochlearis-Austritt
und 2 mm. vor und dorsal der hinteren Wurzel. Sie wendet
sich in fast horizontalem Verlauf unter einem sehr spitzen Winkel
nach vorn , durchbohrt in einem eigenen Canal lateral vom Troch-
learis die Schadelwand und vereinigt sich unmittelbar vor der-
selben mit der hinteren Wurzel. Diese selbst entspringt dicht vor
dem vorderen Wurzelcomplexe des Trigeminus- facialis, 3/^, und
in gleicher Hohe mit demselben, vom Beginne des Nachhirnes,
resp. da, wo das Mittelhirn an den von oben her sich in das
Nachhirn umbiegenden Wulst des Hinterhirns grenzt, verlauft
datm in der Schiidelhohle median vom Trigeminus, tritt zwischen
diesem und der vorderen Wurzel des Oculomotorius durch die
Schadelwand und bildet die bereits erwahnte ungefahr 3 mm. lange,
innige Verbindung mit der vorderen Wurzel, so dass es in der
That aussieht, als habe man nur einen Nerven vor sich. Bei sorg-
fiiltiger Behandlung indessen liisst sich bald erkennen, dass die
hintere Wurzel unter der vorderen hingeht und zum grossten Theil
in den untern Ast des Ramus ophthalmicus inferior tibertritt, der,
durch einen vom Ganglion trigemini kommenden Zweig verstarkt,
liings der Schadelwand hinzieht und spilter mit dem ebenfalls vom
Ueber die Augeumuskcluerven der Gauoideu. 2.'il
Ganglion Gasseri entstehendeii Ramus ophthalmic, super, (r. o. s,)
den Nerv ophthalm. trigemini bildet (r. o.). Die ganze vordere
Wurzel, sowie ein Bruchtheil der hinteren verlaufen nun andrer-
seits in der bisherigen Richtung nach den Augenmuskeln weiter.
Unmittelbar nach der Trennung von der hintern Wurzel wird der
Zweig fur den Muse, rectus supor. abgegeben, der seinerseits wie-
der, ehe er an diesen Muskel herantritt, einen feinen Faden ent-
sendet (Fig. V a, c), welcher in deni Zwischenraum zwischen Muse,
rectus super, uud M. rect. lateralis zum Bulbus zieht. Dessgleichen
vverden nach kurzer Strecke vom Ram. inferior ein, resp. zwei feine
Aestchen abgegeben, die gleichfalls mit dem vom Ram. super, zuni
Auge zu verfolgen sind. Im M^eiteren Verlaufe endlich tritt auch
hier der Oculomotorius hinter dem Muse. rect. superior in den
Augenmuskelkegel, versorgt zunachst den Rect. inferior und. theilt
sich schliesslich in die beiden Endaste fiir die Muse. rect. medialis
und obliqu. inferior. Letzterer ist ebenfalls der liingere Ast. An
dor Theilungsstelle wurden keine sonst abgehenden Aeste bemerkt.
Eudltch der Abducens, der dritte Augenmuskelnerv, entsteht
gleichfalls selbststandig und zwar ventral unter dem hinteren
Wurzeiconiplexe des fiinften und siebenten Kopfnerven, geht unter
demselben und spilter unter dem Ganglion trigemini nach vorn
und koninit zum Vorschein in der Augenhohle median dicht neben
dem zvveiten Aste des Trigeminus. Ya' versorgt auch hier aus-
schliesslich den Muse, rectus lateralis.
Unser Resultat ist nun gegenliber den Angaben von J. M til-
ler insofern von Wichtigkeit, als es die Selbststandigkeit der
Augennmskelnerven ausser alien Zweifel stellt. Vergleicht man
die Figuren V, a und h, so sieht man allerdings ein, dass es sehr
leicht geschehen konnte, den Oculomotorius als einen Zweig des
Ram. ophthalmicus anzusehen und auch den Trochlearis infolge
seines Zusammenhaiiges mit dem genannten Trigeminus-Aste die-
sem unterzuordnen , wahrend doch beide nichts weiter mit einan-
der zu thun haben, als dass jener einige Fasern aus der Bahn
des funften Hirnnerven aufnimmt.
In histologischer Beziehung schliesst sich Lepidosteus enge
an die anderen untersuchten Ganoiden an. Es finden sich bei ihm
ebenfalls die beiden oben beschriebenen Nervenfasern , die mark-
haltigen von einer durchschnittlichen Breite von 0,01 — 0,02 mm.,
die marklosen ungefahr 0,04 mm. breit; ferner sind die Ganglien-
zellen ebenso von Gestalt und Zusammensetzung wie die der an-
dern Alien. In Betreii" der Vertheilung dieser verschiedenen Be-
232 Dr. Heinricli Scluieider,
standtheile ist aber Folgendes dem Lepidosteus eigenthiimlich. Die
vordere Wurzel enthalt nur grobe markhaltige Fasern (Fig. VI, v),
dagegen die hintere Wurzel sowohl grobe als auch feine, mark-
lose Fasern, als auch Ganglienzclleii, Letztere finden sich perl-
schnurartig aneinandergereiht schon kurz nach dem Austritt aus
dem Gehirn in geringerer Anzahl, hauptsachlich jedoch da, wo
die Verbindung mit der vorderen Wurzel stattfindet. Hier sind
sie massenhaft zusammengedrangt and verbreiten sich noch ziem-
lich weit in den abtretenden Theil des Ram. ophthalmicus hinein.
Yon dieser hintern Wurzel gehen aber auch zwei geringere Strange
dicht mit Zellen besetzter feiner Nervenfasern in die Bahu des
Oculomotorius iiber und vertheilen sich zunachst so, dass sowohl
der Ramus inferior, als auch der Ram. super, einen Theil dersel-
ben erhalt (Fig. VI oc). Von dem letzteren geht dann bald da-
rauf der schon bei der anatomischen Beschreibung erwahnte feine
Fadeu, bestehend aus beiden Nervenarten, nach dem Bulbus ab,
wiihrend im Ram. infer, die feinen Fasern, eine von den andern
deutlich getrennte Portion bildend, erst noch eine Ganglienan-
schwellung bilden, ehe sie in mehren Aestchen die Bahn des Ocu-
lomotorius verlassen. Diese Anschwellung (Fig. V a, f) liegt ge-
gen 10 mmtr. von der Trennungsstelle der beiden Wurzeln, also
ebenfalls in der Strecke zwischen Abgang des Astes fur den Rec-
tus superior und des fiir den Rectus inferior bestimmten, enthalt
eine massige Menge Zellen und entsendet direct vom peripheren
Ende einen nur aus marklosen Fasern bestehenden Ast, der mit
dem vom Ramus superior kommenden gleiches Ziel verfolgt. End-
lich ging bei einem Exemplar in dieser Strecke noch ein zweiter
diesmal gemischter Ast nach dem Bulbus ab. Sonstige Ganglion
wurden nicht beobachtet. Bemerkt muss auch noch werden, dass
die markhaltigen Fasern der vorderen Wurzel keinen Antheil am
Aufbau des Ram. ophthalmicus nehmen , sondern alle in die Bahn
des Oculomotorius iibertreten.
Wenn es sich nun unter Beriicksichtigung aller der gefunde-
nen Resultate um die Frage handelt, welchem von den genaunten
Nerven die Ganglienzellen zuzutheilen seien, ist wohl die niichste
Antwort die, dass wir hier ein jedenfalls dem Oculomotorius an-
gehoriges Ganglion vor uns haben. Sollte dies nicht der Fall sein,
so konnten ausserdem wohl nur zwei Moglichkeiten fiir die Unter-
bringung resp. Zugehorigkeit der im Stamme des Oculomotorius
gefundenen Zellen in Betracht korameii, einmal die, dass zum
Sympathicus gehorige Zellen in die Bahn des dritten Hirnnerven
TJeber die Augeumusktluerveu der Ganoiden. 233
iibergegangen seieu, und andrerseits , dass die liier befindliclien
Ganglien abgeloste Portioueu des Ganglion trigemini darstellen.
Abgesehen nun davou, dass bei keiuer der untersucliteu Ar-
ten an irgend einer Stelle des dritten Hirnnerven eine Verbindung
mit eiuem dem Sympathicus iibnlicbeu oder aualogen Nerveustrang
nachgewieseu werden konnte, ist schon durch die Untersuchungen
vonStanuiusO fiir die Ganoiden, wenigstens fur Accipenser ge-
zeigt worden, dass in diesem vorderen Kopfabschnitt der Sympa-
thicus nicht existirt, sondern dass derselbe sich erst viel weiter
hinten, im Gebiete des Nerv. vagus vorfindet.
Fiir die audre Ansicht, dass die Zellen aus dem fiinften Hirn-
nerven stammen, liesse sich wolil vor allem das Verhalten bei Le-
pidosteus verwerthen, denn es ist wohl kein Zweifel, dass hier in
der hintern Wurzel des Oculomotorius, die dem Nerven die Gang-
lien zufiihrt, zum grossten Theil Bestandtheile des Trigeminus zu
suchen sind. Es ist gewissermassen die vorderste Wurzel von
denen des Trigeminus-facialis-Complexes, welche bei Lepidosteus
ganz selbststandig geworden und die Verbindung mit dem dritten
Hirnnerven eingegangen ist, Es giebt sich dies auch schon dar-
aus zu erkennen, dass sie sich in hervorragender Weise und in
Verbindung mit einem vom Ganglion Gasseri kommenden Ast an
der Bildung des I^am. ophtalmic. infer, betheiligt, ein Verhalten,
wie es ganz ahnlich auch bei den andern Ganoiden beobachtet
wird. Denn auch bei dieseu baut sich der Ram. ophthalmicus auf
aus der vordersten Wurzel, die nicht am Gangi. trigemini theil-
nimmt und aus einem von diesem stammenden Aste, nur dass die
Vereinigung dicht am Ganglion selbst stattfindet. Nach dieseu
Erwagungen wurden also bei Lepidosteus die gangli()sen Elemente
des Oculomotorius vom Trigeminus abstammen, wenn man nicht
zu einer andern Deutung seine Zuflucht nimmt, nach welcher die
die Zellen enthaltende Wurzelportion des Oculomotorius sich von
diesem abgelost und mit einer gleichfalls vom Hauptstamm des
Trigeminus abgetretenen Wurzel sich vereinigt hat. Die Beant-
wortung dieser Frage durfte selbstverstiindlich vorliiufig schwierig
sein und muss ich mich hier mit Aufstellung dieser Moglichkeit
begniigen.
Bei den andern Gattungen der Ganoiden ist jedoch vor alien
Dingen gegen die vielfach verbreitete Ansicht, welche das Gang-
lion oculomotorii s. ciliare zum Trigeminus rechnet, einzuwenden,
dass nirgends der Nerv. oculomotor, centralwarts vom Ganglion
M Peripher. Nervensyst. d. Tische. S. 133, 134.
234 Dr. Heiurich Schneider,
eine Verbindung zeigt, die zu der Vermuthmig fiihreu konne, als
handle es sich urn gangliose Elemente aus der Bahn des fiinften
Hirnnerven.
Diese Verlialtiiisse stehen also, wenn wir Lepidosteus vorlaufig
ausser Acht lassen, im Widersprucb zu der Annahme, dass das
Ganglion in das Gebiet eines auderu Hirnnerven geboren konne;
es bleibt sorait nur die durch die Untersuchung schon an sich am
wahrscheiiilichsten gewordene Moglichkeit, dass wir es eben mit
einem Ganglion des Oculomotorius zu thun haben. Wie dies in
morphologischcr Beziehung sich filr die Ganoiden nachweisen lasst,
so ist es audi fiir die ganze Wirbelthierreihe dargethan worden.
Haudelt es sich nun weiter darum, festzustellen , in welcher
Anzahl in der Gruppe der Ganoiden Ganglien des Oculomotorius
sich finden, so ist zuuachst das constaute Vorkommen mindestens
einiger Ganglienzellen bezw. eines Ganglienhaufens in der Strecke
des Nerven zu erwahnen, welche zwischen dem Abgange des Astes
fiir den Muse, rectus superior und desjenigen fiir Muse, rectus
infer, liegt. Bei Amia ist in diesem Abschnitte ein kleines Gang-
lion vorhanden, auch bei Lepidosteus, der doch schon an der Kreu-
zungsstelle der beideu Wurzeln massenhaft Zellen besitzt, fehlt
ein solches nicht und endlich l)ei Accipenser finden sich deren gar
zwei. Eine besoudere Stellung nimmt dieser letztere iibrigens
noch dadurch ein, dass in einem kleinen, innerhalb genannter Strecke
vom Stamme abgehenden Aste ein drittes Ganglion sich vorfindet.
Oftenbar wird das Auftreten aller der zelligen Elemente an diesem
Orte bedingt durch den hier stattfindenden Abgaug der feinen
Aestchen, die man als Ciliarnerven bezeichnen muss, und die Ab-
gabe dieser Aeste an so weit central gelegener Stelle wahrschein-
lich wiederum durch deren Verhaltniss zum Nerv. opticus. Sie
verlaufen niimlich alle in nachster Nahe dieses Nerven, sowie der
hinter demselben gelegenen Arteria ophthalmica in dem Zwischeu-
raum zwischen Muse. rect. super, und M. rect. lateralis und in-
seriren, wenigstens bei Stor und Lepidosteus, dicht hinter dem
Eintritt des Nerv. opticus in den bulbus. Der zweite Punkt, an
welchem sich dann noch Ganglien finden, ist die Theilungsstelle
des Oculomotorius in die beiden Endaste und zwar kommt es vor,
dass sowohl an den Zweig fiir den Muse. rect. medialis als auch
an den fur den Muse, obliqu. inferior die Zellen angelagert sind,
letzteres bei Amia, ersteres bei Accipenser. Lepidosteus hat an
dteser Stelle keine Zellen. Der Ort, wo die Theilung stattfindet,
liegt meist dicht vor dem Muse. rect. inferior, also nicht weit uu-
Ueber die Augenmuskelu erven der Ganoiden. 235
terhalb des Nerv. opticus. Es ist dalier nicht uuwalirsclieiiilich,
dass diese Lagerung gleichfalls diirch das Verhiiltniss zum Opti-
cus bestimmt wird, zumal die feinen Ciliarnerven auch hier in
grosster Nahe desselben verlaufen.
In alien Fallen liegen die gangliosen Elemente im Stamme
des dritten Hirnnerven und nur das eine Mai, bei Accipenser,
audi entfernt von demselben in einem Ciliarnerven, Warum hier
dieses eigenthiimliche Verhalten eingetreten, ist nicht bestimmt
zu sageu, allein man wird wohl nicht viel fehl gehen, wenn man
annimmt, dasselbe sei die Folge der grosseren Lange der ganzen
Nerven. Denn wie bei Lepidosteus von dem kleineren Ganglion
im Stamme des Oculomotorius sich einige Zellen ablosen und iiber
den Aufang eines Ciliarnerven verbreiteu kounen, so ist es wohl
auch moglich, dass bei stiirkeren Anforderungen an das Wachs-
thum in Folge raumlich grosserer Verhiiltnisse ein ganzer Gang-
lientheil sich vollstiindig vom andern abKisen und an eine weiter
peripher gelegene Stelle treten kann. Durch diese Annahme wilrde
sich das mehrfache Vorkommen der Ganglien iiberhaupt erkliiren
lassen.
Weiter entsteht dann die Frage, wenn sich im Stamme des
Oculomotorius zellige Elemente finden, die weder dem Trigeminus,
noch irgend einem andern Nerven angehoren, ist das Ganglion,
resp. sind die mehrfachen Ganglien das Homologon eines Spinal-
ganglions? Ich glaube, dass diese Frage wohl bejaht werden
muss, und dass als bester Beweis hierfur das Verhalten der Zel-
len bei Amia angesehen werden kann. Wie schon friiher erwahnt,
besteht hier der Nerv aus zwei relativ deutlich von einander trenn-
baren Theilen. Der schwachere, aus feinen Fasern zusammenge-
setzt, enthiilt allein die zelligen Elemente, wahrend die starkere
Portion, aus markhaltigen Fasern bestehend, durchaus keinen Theil
an der Bildung des Ganglions nimrat. Wenn also nahe der Ur-
sprungstelle aus dem Gehirn, wie dies hier der Fall ist, zwei
vollstandig von einander isolirbare Strange auftreten, deren einer
nur das resp. die Ganglien enthiilt, die ausserdem noch durch
ihren histologischen Ban verschieden sind, so lasst sich wohl schon
annehmen, dass genannte Ganglienzellen sich verhalten, wie die in
der hintern, dorsalen Wurzel eines Spinalnerven gelegenen, an de-
ren Bildung die vordere, ventrale Wurzel gleichfalls keinen An-
theil hat.
Ein ganz gleiches Verhalten des Ganglion ciliare wird bei
Lepidosteus beobachtet ; auch hier liegen die zelligen Elemente in
236 Dr. Heinrich Schneider,
dem Theile des Nerven, der nur aus raarkloseu Fasern besteht
und oline Verbindung mit dem andera bleibt. Doch kann man
diese Verhaltnisse nicht mit Sicherbeit verwertben, da eben die
Frage nacb der Herkunft der Zellen nocb imgelost ist.
Bei Accipenser wird das Bild in sofern geandert, als nicbt
zwei gleicbwertbig neben einander berlaufeude Portionen des Ocu-
lomotorius nabe an seiuem Ursprunge existiren und in dieser Be-
ziebung nicbt das vollstandige Analogon eines Spinalnerven gebo-
ten wird, vielmebr die feinen Nervenfasern, zu einzelnen Strangen
vereinigt, zwiscben den breiten eingelagert sind. Allein da aucb
in diesem Falle nur sie allein die zelligen Elemente entbalten, da
sie ausserdem den entsprecbenden Tbeilen des Oculomotorius von
Amia und Lepidosteus aucb in bistologiscber Beziebung vollstan-
dig gleicben, so liegt kein Grund vor, sie als andre Gebilde an-
zuseben. Der einzige Unterscbied liegt nur zwiscben beiden Ar-
ten der Ganoiden darin — denn aucb bei Scapbirbyncbus finden
•sicb die marklosen Fasern nur in einzelnen diinnen Strangen — ,
dass die feinen Nerven einmal zu einem gescblossenen Tbeile des
Nervenstammes vereinigt, im andern Falle zerstreut sind.
Es lasst sicb also in dieser Hinsicbt ungezwungen die An-
nabme recbtfertigen , das Ganglion ciliare sei ein dem Spinal-
ganglion bomologes Gebilde. Aber aucb der Einwand, den man
in anderer Hinsicbt erbeben konnte, dass ja tiberall nicbt ein,
sondern mebrere Ganglien zum Tbeil an sebr weit peripber gelege-
nen Punkten im Oculomotorius-Stamme sicb finden und zweitens,
dass bereits vor, d. b. central vom Ganglion ein bedeutenderer
Ast fiir den Muse, rectus superior vom Nerven abgebt, aucb die-
ser Einwand, sage icb, kann durcb den Hinweis auf abnliche
Vorkommnisse in andern Klassen der Wirbeltbierreibe entkraftet
werden. In Bezug auf den zweiten Punkt ist bereits durcb die
Untersucbungen von Stannius^) festgestellt , dass scbon vor
der Vereinigung der beiden Wurzeln eines Spinalnerven von einer
oder der andern Aeste abgeben konnen. Was die mebrfacbe Zabl
der Ganglien anlangt, so weise icb nur auf die sogenannten Ganglia
aberrantia bin, um dieses Bild, allerdings in vergrossertem Mass-
stabe, auf die vorliegenden Verbaltnisse zu iibertragen.
Ist aber die Annabme gerecbtfertigt , das Ganglion des Ocu-
lomotorius als das Homologon eines Spinalganglions anzuseben
und den Nerven selbst einem Spinalnerven gleicbwertbig zu er-
1) Peripher. Nerveusyst. d. Fische. S. 117, 118, sowie die da-
selbst verzeichnete Literatur. *■
IJeber die Augenmuskelnerven der Ganoiden. 237
achteu, so muss weiter als nothwendige Forderung die Selbststan-
digkeit des dritten Hirnnerven aufgestellt werdeu. Dies nun zu
beweisen, fallt nicht schwer, da eben bei sammtlichen Ganoiden
ein selbststandiger Ursprung nicht nur des Oculomotorius , son-
dern auch des Trochlearis aus dem Gehirn stattfindet.
Es eriibrigt nun noch darzutliun, einmal, dass der Nerv. ocu-
lomotorius, da er einem Spinalnerven gleichwerthig sein soil, auch
mit zwei Wurzeln, einer dorsalen und einer ventralen entsteht
und zweitens zu entscheiden , ob die histologisch verschiedenen
Nerven der beiden Portionen, welche den Oculomotorius zusammen-
setzen, auch physiologisch verschiedene Functionen besitzen. Da
ich bei den Ganoiden iiber den ersten Punkt keine diesbeziigli-
chen Resultate auffinden konnte, sehe ich niich genothigt, eines-
theils aut altere Angaben, als auch namentlich auf die an Sauge-
thierhirnen vorgenommeneu Untersuchungen von Schwalbe^) zu
recurriren. Als eine abgeloste dorsale Wurzel des Oculomotorius
betrachte ich auch den Nerv. trochlearis. Ob derselbe ausser sei-
nen motorischen Fasern auch noch sensible enthalt, muss ich un-
entschieden lassen; vermuthen sollte man es nach seinem dorsa-
len Austritt.
Was die physiologische Function der beiden Portionen des
Oculomotorius betrifft, so steht natiirlich nur das eine fest, dass
der grossere, aus den breiten Fasern bestehende Theil des Ner-
ven motorischer Natur ist. Diese Thatsache wird sofort durch
den Zusammenhang und die Endigung dieser Nervenfasern in den
Augenmuskeln erwiesen und ausserdem durch die Verhaltnisse in
der ganzen Wirbelthierreihe bestatigt. Dagegen stosst die Frage
nach der Function der feinen Nervenfasern sov^^ie der in ihnen
enthaltenen Zellen auf einige Schwierigkeiten. Es kommen hier-
bei noch die Ciliarnerven in Betracht. Nach den Untersuchungen
von Schwalbe^) existiren deren in der Abtheilung der Sela-
chier drei Arten: 1) ein Ciliarnerv aus dem Nerv. oculomotorius,
2) ebenso ein Nerv vom Trigeminus, 3) eine verschiedene Anzahl
von Nerven aus dem Ganglienbtindel des Oculomotorius hervor-
gehend. Der Nerv der ersten Gruppe gilt hierbei als der moto-
rische, der der zweiten als der sensible und endlich die der drit-
ten Gruppe als die vasomotorischen Nerven des Auges. In der
Abtheilung der Ganoiden verhalt sich die Sache ebenso; beim
Stor konnteu an zwei Exemplaren Rami ciliares aufgefunden wer-
1) Jen. Zeitschr. f. Naturw. B. XIII H. 3 S. 246—260.
2) 1. c. S. 263.
238 Br. Heiuricli Schneider,
den, die vom Trigeminus kommend mit der Art. ophthalmica in
den Zwischenraum zwischeu Muse, rectus super, und M. rect. la-
teralis zogen Oder sich mit den vom Oculomotorius - Stamme ab-
gehenden Ciliarasten vereinigten. Dieser, iibrigens schon von
Stannius^) beschriebene Ast, wiirde also die sensiblen Fasern
fiir das Auge fiihren. Aehnlich verhalt sich die Saclie bei Lepi-
dosteus , nur ist sie noch viel einfacher , indem bei der Kreuzung
der beiden Wurzeln Faden aus der sensiblen hintern Ophthalmicus-
Wurzel in die Bahn des Oculomotorius direct iibcrtreten und sich
bis an den Bulbus verfolgen lassen. Leider konnten bei Amia
und Scaphirhynchus die entsprechenden Aeste nicht constatirt
werden, doch sind sie bei einer geeigneteren Untersuchungsme-
thode auch nachweisbar, da kein Grund zu der Annahme vorliegt,
dass diese Objecte sich auders verhalten sollten, wie ihre ver-
wandten Arten.
Soviel iiber die sensiblen Ciliarnerven. Was die motorischen
und vasomotorischen anlangt, so entstehen dieselben selbstver-
standlich aus der Bahn des dritten Hirnnerven, Es ist uuter dem
Mikroskope sehr leicht nachweisbar, dass die meisten Ciliarfaden
ausser den feinen Nervenfasern breite enthalten; ausserdem kom-
men Aestchen vor, welche nur feine, und wiederum solche, welche
nur grobe Fasern besitzen. Die Frage nun, wieweit diese letzte-
ren motorischer, wieweit sie vasomotorischer Natur sind, oder
ob nicht diese letzteren iiberhaupt aus den Ganglieubiindeln des
Nerven stammen, muss vorliiufig unentschieden bleiben; nach der
Thatsache der histologischen Verschiedenheit der beiden Nerven-
theile erscheint eine Annahme getrenuter physiologischer Function
mindestens nicht unnattirlich.
Fassen wir nochmals kurz die aus vorstehenden Untersuchun-
gen und Erwagungen sich ergebenden Thatsachen zusammen, so
ist als Hauptergebniss der selbststiindige Urspruug des Trochlea-
ris und Oculomotorius aus einem vorderen Gehirnabschuitt her-
vorzuheben. Ferner enthalt der Oculomotorius der Ganoiden stets
ein, meistens einige Gangiien, die jedenfalls als das Homologon
eines Spinalganglions anzusehen sind. Icli folgere daraus, dass
der dritte Hirnnerv in Verbindung mit dem Trochlearis in der
Abtheiluug der Ganoiden einen einem vorderen Hirnabschnitt su-
gehorigen Kopfnerven reprasentirt.
') Periph. Ncrvens. d. Fische S. 39.
TJeber die Auscnrauskcluerven der Ganoideu. 239
Tafelerklarung.
r i g u r I. Gehirn vom Stor
von oben gesehen , mit den austretenden Kopfnerven , nebst Schema
der Vertheilung der Augenmuskelnerven.
F.
Vorderhirn.
Z.
Zwischenhiru.
M.
Mittelhirn.
H.
Hinterhirn.
N.
Nachhirn mit Rautengrube.
M. S.
Medulla spinalis.
ob. s.
muse, obliqu. super.
r. s.
m. rect. super.
r. i.
m. rect. infer.
r. I.
m. rect. lateral.
r. m.
m. rect. medialis.
ob. I.
m. obliquus infer.
t. 0.
tuberculum olfactorium.
1.
olfactorius.
2.
opticus.
3.
oculomotorius.
4.
trochlearis.
6.
abducens.
5 t 7.
trigeminus -facialis mit ganglion Gasseri.
8.
acusticus.
9 t 10.
glossopharyngeus nebst vagus.
r. oph.
Ramus ophthalm. n. trigem.
Die Kreuze f im Verlauf des oculomotor, bezeichnen die Stel-
len, an denen sich Ganglien fanden.
Cl. C2.
N. n. ciliares.
240 Dr. Hcinrich Schueider,
Figur II.
a. isolirte Ganglienzelle vom Stor.
. , I Ganglieuzelle von Lepidosteus.
c. unipolare )
Figur III. Lepidosteus uach Joh. MUller.
e. operculum ; /. suboperculum.
C. Muskelbauch des Kaumuskels vom abgebrochenen Schadcldach
entspringend.
D. Fortsetzung desselben.
E. Portion des Kaumuskels, welcher vom sphenoideum basilare
entspringt.
E. Muskelbauch des Kaumuskels, welcher vom Vordeckel entspringt.
G. Muskel, welcher das Gaumenbein hebt und nach auswarts
zieht (entspringt vom frontale post, und den die Schlafe
deckenden Knochenplatten).
«. nerv. olfactorius; /3. nerv. opticus.
y. ramus ophthalmicus des trigeminus, enthalt zugleich den gan-
zen oculomotorius und trochlearis. Von diesem Stamme
geht der Ast 6 ab , um sich mit dem Aste t] des Haupt-
stammes des trigem. zu vereinigen, welcher auf der Schei-
dewand des Oberkiefers fortUiuft. V' ist ein feinerer Zweig
von ri, der ebenfalls an der Scheidewand fortgeht.
f. nerv. oculomotor, aus dem nerv. ophthalm. entspringend, giebt
Zweige zum rect. super, q, zum rect. intern. 6, zum rect.
inferior x , zum obliqu. inferior q) , auch nervi eiliares.
J. nerv. abducens, geht mit Hauptstamm des trigeminus, aber
getrennt von ihm.
^. Ast aus dem Hauptstamm des trigemin., geht iiber Muskel G
und unter dem Auge weg. Aus ihm entspringen Zweige
X zum Heber des Gaumenbeines G und den Kaumuskeln.
Unter dem Auge theilt er sich in einen Oberkieferast A,
und in einen Uuterkieferast. jit ist alveolar, inferior.
V. Stammchen, welches den nerv. trochlearis und supratrochlea-
ris vereinigt darstellt ; entspringt aus ophthalmicus und
theilt sich in den nerv. supratrochlearis n zur conjunctiva
und 0 zum muse, trochlearis.
Figur IV. Gehirn und Augenmuskelnerven von Lepidosteus.
r. Vorderhirn; M. Mittelhirn; H. Hinterhirn; N. Nachhirn.
L. Lymphoides Organ, quer iiber die Medulla gelagert.
Ueber die Augenrauskelaerven der Ganoiden. 241
K. Kaumuskel, vom sphenoideum basilare entspringend.
1. n. olfactorius.
3. D. oculomotorius mit der vorderen Wurzel 3y und der hin-
tern 3 h vom Gehirn entspringend ; 3 /• ramus super, des
oculomotor, zum muse. rect. super, verlaufend.
4. n. trochlearis, inserirt den muse, obliqu. super, ob s.
5 t 7. Ganglion trigemini entsteht aus zwei "Wurzelcomplexen, giebt
ab den ram. ophthalm. super, r. o. s. , sowie den einen
Theil des ram. ophthalm. infer. t\ o. i'., dessen anderer Ast
vom oculomotor, kommt. Beide, ram. ophthalm. super.
und der vereinigte ram. ophthalm. infer, bilden den an
der medialen Scheidewand verlaufenden ramus ophthalmi-
cus 7". 0.
8, nerv. acusticus.
9. nerv. glossopharyngeus.
Figur V. a. Schematische Darstellung der Augenmuskelnerven von
Lepidosteus, b. desgleichen nach J. M tiller. Der schwarze ausgezogene
Strich bedeutet die Greuze (Schadelwand), bis zu der Job. Miiller
die Augenmuskelnerven beschriebeu. Die Kreuze f im Verlauf des
oculomotor, bezeichnen die Stellen, an denen Ganglien sich fanden.
r. Vorderhirn.
M. Mittelhirn.
H. Hinterhirn.
N. Nachhirn.
M. S. Medulla spinalis.
1. nerv. olfactorius.
2. nerv. optic.
3. nerv. oculomotorius cntspringt mit zwei Wurzeln, einer vor-
deren 3v, und einer hinteren 3 A. Nach Miiller ent-
springt er aus dem ramus ophthalmicus des nerv. trigemiu.
Fig. b. 5. Er versorgt die Muskeln.
r. s. muse, rectus super,
/•. /. muse, rectus infer.
/'. m. muse, rectus medialis.
ob. i. muse, obliqu. infer.
c. Ciliarn erven.
4. nerv. trochlearis versorgt den muse, obliqu. super, ob. s., nach
Miiller entsteht er aus ram. ophthalm. infer.
5f7. Ganglion trigemini.
8. nerv. acusticus.
Bd. XV. N. F. vm, 2. 16
242 Dr. H. Sclmeider, Uebcr die Augeumiiskeluerveu der Gunoiden.
9. nerv. glossopharyngeus.
r. o. ramus ophthalmicus nerv. trigemiui, entsteht aus ramus su-
per, a und ramus inferior b; letzterer wiederum aus 2 Thei-
len , einer vom oculomotor. , einer vom Gangl. trigemini.
Figur VI. Mikroskopisches Bild der Kreuzung der beiden Oculo-
motorius - Wurzeln von Lepidosteus.
V. vordere Wurzel.
A. hintere Wurzel.
r. 0. ramus ophthalmicus infer.
oc. die beiden Aeste des oculomotorius mit den beideu Nerven-
arten.
Die Mundarme der Rhizostomen
iind
ihre Anhangsorgane.
Von
Otto Hamanu,
Assistent am zoologischen Institut in Jena.
Hierzu Tafel IX— XI.
Die vorliegenden Uiitersucliungeu wurden unternommeii , um
den Ursprung der verschiedenen Anhangsorgane, welche sich an
den Mundarmen der Rhizostomen finden, zu erkennen. Es gait
die Frage zu beantworten: Sind die Appeudicuhirorgane, welche
sich an den Krausen der Arme entwickeln und von ErnstHae-
ckeP) in dem neuen Werke: „Das System der Medusen" als
„kolbenf6rmige Blasen, Saugnapfe, peitscheniihnliche P'ilamente"
u. s. w. aufgefurt werden, Bildungen der Gastralfilamente, also en-
todermalen Urspruuges, oder sind sie ectodermale aus den Krausen
arme, iiber hervorgegaugene Bildungen?
Um diese Frage zu beantworten, war es notig, sich tiber-
haupt zuuachst eine genauere Kenntniss iiber den Bau der Mund-
arme, iiber den ihrer Krausen zu verschaHen.
Trotz der Untersuchungen der letzten Jare, in welchen fest-
gestellt worden war, dass die Rhizostomen durch ihre Armbil-
dungen keineswegs eine isolirte Stellung einnehmen, sondern in
der Jugend gleich alien andereu Medusen einen Mund besitzen,
welcher nur bei zunehmendem Alter obliterire, sind die Ansichten
iiber die Mundoflhungen der Arme noch dieselben wie vor fast
hundert Jaren geblieben. Die Theorie der Saugotfnungen , durch
welche diese Tiere bekanntlich ihre Narung aufsaugen oder sich
sogar an andere Tiere festsaugen sollten, findet sich noch heutigen
Tages in alien Lehrbiichern. Ein Grund, dass uns vergleichende
^) Ernst Haeckel, Das System der Medusen. Erster Theil
einer Monographie der Medusen. Mit Atlas von 40 Tafeln. Jena
1879.
16*
244 Otto Hamanii,
Untersucliungen mangeln, durfte wol darin zu suchen seiii, dass
es bis Yor dem Erscheineu des schon genannten Systems der Me-
dusen iiberhaupt kaum moglich war, mit Sicherheit anzugeben,
was eine rbizostome Meduse sei. — Bei der Untersuchung wurde
sowol der feinere Bau der Arme als der Auhangsorgane uuter-
suclit. Weiter konnte auch die Ontogenie dieser Organe vollkom-
meii festgestellt werden. Audi iiber ihre Phylogenie sind wir voll-
standig im sicheren, wie im zweiten Teile gezeigt werdeu soil.
Mit der Keuntuis des feineren Baues konute dann auch an
die Frage herangetreten werden: Wie nehmen die Rhizostomen
ihre Narung auf ? Wozu dienen ihnen ihre verschiedenen Auhangs-
organe ?
Im ersten Teile gebe ich zunachst die Specialbeschreibung
der uutersuchten Tiere. Hierauf wird eine Zusammenfassung der
Ergebnisse iiber den feineren Bau folgen, um dann im zweiten
Teile nach einer kurzeu historischeu Einleitung, welche den bis-
herigeu Stand der Fragen, die uns hier beschaftigen , darlegen
soil, mit der Ontogenie und Phylogenie zu begiunen und endlich
mit der Physiologie zu schliessen.
Fiir das grosse Material, welches zur Untersuchung Herr
Prof. Haeckel, mein hochvererter Lehrer, zu iiberlassen die
Gute hatte, und fiir den Rat, den ich bei der Untersuchung ge-
noss, sage ich meinen tiefsten Dank!
Specieller Teil.
Nach dem „System der Medusen" zerfallen die Rhizostomen
in vier naturliche Abteilungen. Je nach der Bildung der Krausen-
besatze der Mundarme, sowie nach der Beschaftenheit der Subge-
nitalholeu richtet sich vornehmlich ihre Stellung im System.
Die „Unicrispaten" besitzen die Krausen nur auf ihrer axialen
Seite. Zu ihnen gehoren die Toreumiden und Versuriden. Diesen
gegeniiber stehen die Multicrispaten, welche sowol auf der abaxia-
len Oder dorsalen, als der axialen oder ventralen Seite der Arme
Krausen besitzen. Weiter ist dann ein wichtiges Bestimmungs-
merkmal, ob die vier interradialen Demnien oder Subgenital-Ho-
len sammt den ihren Boden bildenden Gastrogenitalmembranen
getrennt bleiben , oder centripetal bis zur Beriirung vordringen,
sich in der Mitte der Magenhole an einander legen und mit einan-
der verwachsen (vergl. S. d. M. p. 472). „Die centrale Verwach-
Die Muiidarme der Rhizostomcu und ihre Anhangsorgane. 245
sungsstelle, vorzugsweise durch die Gastrogenitalmembraneu ge-
bildet, wird sodann durclibroclien, und so entsteht der eigenthum-
licli centrale Holraum" .... der Subgenitalporticus.
Toreumiden imd Pilemiden besitzen die vier Subgeni-
talholen noch ungetrennt, sie werden daher als „Tetrademiiia"
bezeichuet.
Versuriden und Crambessiden besitzen den Subgenital-
porticus und werden daher als „ M o n o d e m n i a " bezeichnet.
Es ergiebt sich also folgende Tabelle, welche zugleich die
Verwandschaftsverhaltnisse der vier Gruppen zu einander darstel-
^'^^^ S^^^- 4. Fam. Crambessi dae.
Centraler Subgenitalporticus.
Krausen der Mundarme dorsal und
ventral.
2. Fam. Pilemidae. |
4 Subgenitalholeu getrennt. 3. Fam. Versuridae.
Krausen der Mundarme dorsal und Centraler Subgenitalporticus.
ventral. Krausen der Mundarme ventral.
1. Fam. Toreumidae.
4 Subgenitalholeu getrennt.
Krausen der Mundarme ventral.
A. Toreumidae.
Archirhiza primordialis. Haeckel, n. sp.
Durch die Entdeckung dieses Rhizostoms ist es gelungen, der
Theorie von der Abstammung sammtlicher Rhizostomen von Aure-
liden, einer Subfamilie der Ulmariden, eine feste Stiitze zu geben.
Denn in dieser Art haben wir in Warheit eine Grundform vor uns,
von der wir one jede Schwierigkeit alle ubrigen Formen der Rhi-
zostomen ableiten konnen; eine Grundform, wie sie die Theorie
forderte, ist nun hier einmal erhalten geblieben!
Die acht Mundarme, deren parweises Zusammengehoren be-
sonders schon hervortritt, sind noch ungegliedert, unverastelt. Sie
sind unmittelbar durch Verschmelzung der Krausen der Aurosa-
Arme entstanden. Die Mundoffiiung ist zugewachsen, die Rand-
tentakeln sind verloreu gegangen und wir haben Archirhiza vor
uns. Auch insofern steht diese Art auf einer niedrigen Stufe, als
ihr jede Anhangsorgane fehleu. Es verlauft in den fast cylindri-
schen Mundarmen nur ein Kanal oder Gefass, der „Hauptkanal".
Es ist dies die einfachste Entwicklung des Kanalsystems. An der
246 Otto Hamanu,
Axialseite sind die Muudarme mit den bisher als „Saugkrauseii"
bezeiclmeten BilduDgeii besetzt. Wir schlagen fur dieselbeu den
Namen „Tricliterkrausen" vor und warden die Oeflftiung, welcbe
sich in jeder Trichterkrause findet, „Triditeroffnung" nennen. Die
Reclitfertigung dieser neuen Benennuug folgt im zweiten Teile,
wo die Trichterkrausenverhaltnisse eingelieud vergleicheud bespro-
chen werdeu sollen.
Die Tricliterkrausen gleichen denen der iibrigen Rhizostomen.
I]i jede Krause furt ein Kanal, der am Grunde derselben mlindet.
Die Krausen sind stets trichterformig gestaltet ; die Trichterwand
wird von der Krause gebildet, warend den Trichterstiel der Kanal
vorstellt. Diese kleiueu Kanale miinden samnitlicli in das eine
Hauptgefilss des Armes (vergl. d. Abbildg. im S. d. M. Taf. XXXVI
Fig. 1-2).
Cephea conifera. Haeckel, n. sp.
Diese gleichfalls neue Species, welche den Tropengiirtel des
pacifischen Oceans bewont, zeichnet sich durch die langen com-
primirten Unterarme aus, welche doppelt so lang sind als der fest-
angewachsene Oberarm. Die Oberarme sind immer zu zwei mit
ihren Abaxialraudern an der Mundscheibe verwachsen, und zwar
beginnen an dem Endpunkte des mit der Mundscheibe verwachse-
nen Oberarmes sofort die beiden „Gabellappen" der Unterarme.
Jeder dieser sechszehn Gabellappen ist an seinem Distalende wi-
derum in zwei kleine Lappchen getrennt. Cephea conifera bildet
iusofern einen Uebergang, wie E. Haeckel bemerkt, zu dem Ge-
nus Polyrhiza, bei welchem die acht gabelteiligen Unterarme dop-
pelt gabelspaltig oder dichotom verastelt sind. Eine Abbildung,
welche vortrefflich diese Beschahenheit der Mundarme zeigt, be-
findet sich im „System der Medusen", Taf. XXXVI, Fig. 3—6.
Was die Kanale anlangt, so findet sich auch hier ein Haupt-
kanal, der am Spirituspraparat , welches uoch dazu nicht beson-
ders erhalten war und sehr zusammengeschrumpft erschieu, ^ cm.
betrug. Am lebenden Tiere durfte der Durchmesser desselben
wol das Dreifache betragen. Dieser Hauptkanal (Oberarmkanal)
teilt sich in zwei „Nebenkanale", so wollen wir kiinftighin die sich
abgrenzenden und einen fast dem Hauptkanal gleichstarken Durch-
messer zeigendeu Kanale nennen. Die Nebenkanale kann man
auch als „Unterarmkanale" bezeichnen, da sie stets in denselben
verlaufen. Von diesen Kanalen werden kleinere Kanale abgege-
ben, welche sich in die Tricliterkrausen vcrzweigen.
Die Muudarme der llhizostoiuou uud ihre Auhaugsorgane. 247
Von Anhangsorganen kominen erstens eigeiitiimliclie lange
schmale fadenformige Peitschen vor. Da dieselben ausserst diclit
mit Nesselzellen besetzt sind, so wollen wir dieselben „Nessel-
peitschen" nenneu. Sie fiuden sich bald an der Verwachsungs-
nat des Mundes, bald an den Armen. Bei dieser Species kommen
dieselben in grosser Auzal vor. Viele Hundert besetzen die Anne.
Darunter sind mindestens Eiuhundert, welche lauger als der Durch-
messer des Schirines sind, also liinger denn 12 cm. Ueber die On-
togenie und Pbylogeuie derselben wird im Allgemeinen Telle be-
richtet werden. In den grosseren sowol wie in den kleineren
Nesselpeitschen fiudet sicb ein Kanal vor. Am Distalende miin-
det derselbe nach aussen. Nicht iiberall war es zwar moglich,
eine Oeffnung mit Sicberheit zii erkennen, da oft die Enden ent-
weder ganzlicb abgerissen oder scblecbt erbalten waren. Wa-
rend bei der spater zu betrachtenden Cramborhiza die Nessel-
peitschen mit zwei Reihen von kleineu Tentakeln (Digitellen) be-
setzt waren, feblen diese bei unserer Art. Die die Trichterkrau-
sen umsaumenden kleinen Tentakeln werden wir mit dem Namen
„ Dig it el leu" belegen. Welter unten wird der Bau derselben
naher geschildert werden.
Ausser diesen Peitscbenorganen findeu sich eigentiimliche kol-
benformige Blasen vor, die wir „Nesselkolben" benenneu. Die-
selben sind bald von gestreckter langlicber, bald von der bei Co-
tylorhiza naher zu beschreibenden Art.
Bald finden sie sich kurz, bald lang gestielt, in ziemlicher
Anzal zwischen den Trichterkraiisen "zerstreut sitzend. Wol immer
besitzen diesell)en eine Oeffnung an ihrer Spitze. Ihr histologi-
scher Bau stinimt mit den bei den ubrigen Rhizostomen sich
widerfindenden gleichen Gebilden iiljerein.
Polyrhiza vesiculosa. L. Agassiz.
Bei diesem im roten Meere einheimischen Genus sind die acht
Mundarme gabelteilig. Jeder derselben ist widerum doppelt ga-
])elspaltig Oder dichotom. Der Oberarm setzt sich ebensowenig
wie bei den nahe verwandten Cepheen iiber die erste Gabeltei-
lung fort.
Das Gefasssystem ist dasselbe wie bei Cephea conifera. In
jedem Oberarm verlauft ein Hauptgefass, welches in die beiden
Gabelaste Nebengefasse abgiebt. Die Kanale selbst sind von an-
sehnlicher Grosse. Sehr oft finden sich die Krausen noch gar
nicht verwachsen (s. Fig. 7). Es ist dann noch gar kein Kanal
248 Otto Hamann,
vorhanden, sondern eine „Armrinne", wie sie bei den Ulmariden
zum Beispiel sich findet. Es kaim somit Narung oder Wasser
nicht bios durch die Trichterkrausen an den verwachsenen Par-
tien aufgenommen werden, sonderu es communicirt das ganze Ca-
nalsystem mit dem ausseren Medium. Worauf mag aber diese
noch nicht vollendete Verlotung der Armrander beruhen? Viel-
leicht lebt diese Art in einer Umgebung, in welcher ihr dieser Zustand
der Arme zum Vorteil gereicht. Es ist dieses Vorkommen eine
glanzende Bestatigung der zwar auch onehin sclion hinreicbend
feststehenden Theorie der Verwachsung der Rbizostomenarrae und
deren Herleitung von aurosaanlichen Formen (vergl. im Allg. Teil
p. 269). Es sei noch bemerkt, dass das untersuclite Exemplar
vollkommen ausgewachsen war, nicht etwa ein junges Tier, bei
dem erst warend des zunehmenden Alters die Verlotung hatte
noch eintreten konnen.
Die Trichterkrausen zeigen keinen von dem allgemeinen Ty-
pus abweichenden Bau. Sie sind zalreich mit den kleinen Digi-
tellen besetzt. An den Krausen findet man keine Nesselpeitscheu,
wol aber ist das Centrum der Armscheibe dicht besetzt mit einem
Biischel von langen Nesselpeitschen , die langer als der Schirm-
durchmesser sind. Die iibrigen zu diesem Genus gehorigen Arten
(P. homopneusis und P. Orithyia, S. d. M. p. 577) besitzen dieselben
jedoch auch und zwar in ziemlicher Menge zwischen den Krausen
der Mundarme. —
Cassiopea ornata. Haeckel, n. sp.
Die acht Arme sind bei dieser Art von cylindrischer Gestalt.
Jeder Arm ist gefiedert in drei bis vier Par Hauptaste, welche
widerum in kleine Nebenaste gefiedert sind. Die Lange der Arme
iibertrifft den Schirmradius, welcher 6 cm. misst. Es existirt ein
Hauptkanal, der bis zur Spitze des Unterarmes verlauft und in
die drei bis vier Par Hauptaste Nebenkanale abgiebt. Es richtet
sich also die Zal der Nebengefasse nach der Zal der Hauptaste
des Armes, Von diesen gehen dann in die Krausen Kanale ab.
Die Krausen, welche nur auf der axialen Seite der Mundarme
stehen, bieten keinen abweichenden Bau. Zwischen den Trichter-
krausen sitzen „kolbenformige Anhange", die Nesselkolben, welche
in der Grosse der Breite der Hauptaste gleichen. Sie sitzen meist
an langen Stielen, doch kommen auch kurz gestielte vor. Die
durch die Verwachsung des Mundes gebildeten Krausen sind gleich-
falls mit diesen Nesselkolben dicht besetzt. An einem der Exem-
Die Mundarme der Ehizostomen uud ihre Auhaugsorgane. 249
plare waren diese Orgaiie abgerieben imd so trat die Verwach-
sungsnat mit den uoch stelieu gebliebenen Krausen deutlich her-
vor (S. d. M. Taf. XXXVII).
Zusammenfassung.
Wir konnen ungefar folgendes als Ergebnis zusammenfassen :
Die Toreumideu reprasentiren mit Arcbirhiza an der Spitze den
niedrigsten Entwicklungszustand der Rbizostomen. Von Arcbi-
rbiza mit ihren nocb ungegliederten Armen, in denen nur ein Ka-
nal verlauft, lassen sich die iibrigen ableiten. Bei Cephea und
Polyrbiza sind die Arme gabelteilig und in Folge dessen ist das
Hauptgefass one sich selbst fortzusetzen in zwei Gefasse, die Ne-
l)engefasse, zerfallen. Bei Cassiopea sind die Arme mit Fieder-
ilsten besetzt und in Folge dessen ist das Gefasssystem abge-
andert, die Canale ebenfalls gefiedert.
Warend bei Arcbirhiza nur Trichterkrausen gefunden werden,
sind bei den iibrigen die Anhangsorgane vorhanden. Die Nesselkoll)en
kommen sowol zwischen den Krausen der Arme, als auch zwischen
denen der Mundnat vor, Bei den Cepheen treten danu neben den
Nesselkolben auch die Nesselpeitschen auf. Dann ware noch zu
erwanen, dass sich bei Polyrbiza die Mundarme in noch nicht
verwachsenem Zustande vorfanden. Die Mundnat war bei dieser
Art mit Nesselpeitschen dicht besetzt.
B. Pilemidae.
Lychnorhiza lucerna. Haeckel, u. sp.
Eine detaillirte Beschreibuug der Mundarme ist bereits im
„System der Medusen" gegeben, wir beschranken uns daher auf
Folgendes : Der Oberarm , der in einen dreieckigen Schulterlappen
verbreitert ist, ist lateral comprimirt. Der Unterarm beginnt mit
drei breiten Lappen; er ist dreikantig pyramidal. Die axiale
Krausenreihe des Oberarmes setzt sich in die des Unterarmes
fort, wilhreud die die beiden abaxialen grosseren Fliigel dessel-
ben besetzenden Trichterkrausenreihen Neubildungen sind.
Der Verlauf der Gefasse ist folgender: Es findet sich im
Oberarm ein Gefass, das Hauptgefass. An der Basis des Unter-
armes giebt dasselbe drei Nebengefasse ab , setzt sich aber selbst
fort in der Axe des Unterarmes. Jedes der drei Nebengefasse
versorgt je eine Krausenreihe^ Die Krausen selbst sind von an-
250 Otto Humaun,
sehnlicher Grosse, dicht buschig besetzt sind die Rander dersel-
ben mit Digitellen. An den Unterarmen finden sich die langen
Nesselpeitschen , die an 15. Ctm. gross waren.
Die histologische Untersuchung ergab, dass dieselben keines-
wegs lange Rohreu vorstellen, in deren Mitte ein Kanal verlauft,
so wie es bei Cephea und Polyrhiza der Fall war, sondern dass
dieselben in ganzer Lange aufgeschlitzt waren. Sie stellen eine
in die Lange gewachsene Trichterkrause vor. An beiden Randern
der langen Rinne sitzt je eine Reihe von Digitellen. Aus der
urspriinglich im Kreise stehenden Digitellenreihe der Krause sind
durch die Langsauswachsung die zwei Reihen entstanden (vergl.
2. Tbeil p. 276).
Pilema pulmo, Haeckel.
Als Vertreter der zweiten Unterfamilie der Pilemiden, der
Eupilemiden, wollen wir Pilema pulmo und P. clavigera beschreiben.
Wir treffen bei den Eupilemiden auf eine neue den vorher-
gehenden Familien noch nicht zukommcnde Bildung. Es sind
dies die „Schulterkrausen" oder „Scapuletten". Sie sitzen an der
abaxialen Flache der Oberarme. Jede Schulterkrause besitzt ihren
eigenen Kanal, welcher in den Oberarm mundet. Die die Schul-
terkrausen besetzenden Trichterkrausen sind von demselben Bau
wie jene, welche auf den Mundarmen vorkommen.
Die Unterarme sind dreikantig pyramidal gestaltet. An den
drei Kanten sitzen die drei Reihen von Trichterkrausen auf. Diese
reichen jedoch nicht bis zum Distalende hinab, sondern besetzen
nur drei Viertel des Unterarmes. Der letzte Abschnitt desselben
ist one jeden Anhang, er wird als „Terminalknopf" bezeichnet.
Das Gefasssystem besteht aus folgenden Teilen. Das Hauptgefass
nimmt die acht Scapulettengefasse auf, um dann drei Nebenka-
nale in die Unterarme abzugeben. Der Hauptkanal selbst setzt
sich in der Axe des Unterarmes fort, wie wir es schon bei Lych-
norhiza sahen. Nach dem Aufhoren der Krausenreihen miinden
die vier Gefasse zusammen, verlaufen ein kurzes Stiick in der
Axe des Armes um dann wieder in vier zu zerfallen, von denen
das eine in der Axe weiterlauft, warend die ubrigen drei in den
Fliigel verlaufen und sich hier verzweigen. An den verschiedenen
Oetfnungen des Terminalknopfes finden sich an jungeu Exempla-
ren Digitellen vor, wenn auch nun vereinzelt. An ausgewachsenen
Tieren findet sich jedoch nur eine Oeffnung an der Spitze vor.
Die Terminalknopfe sind dicht besetzt mit Nesselkapselzellen.
Die Muudarme der Ehizostomen uud ihre Anhangsorgane. 251
Die Trichterkrausen sind oft sehr gelappt, so dass es schwie-
rig ist die Grosse der einzelnen zu bestimmen, zumal sie dicht
gedrangt bei einander sitzen. Die Oeffnungen, welche in die Krau-
sen ftiren, sind mindestens centimetergross , also zur Verdauuug
von ziemlich grossen Tieren geeignet.
Bei einer Pilema waren die Trichterkrausen dicht angefiillt
mit kleinen Crustaceen. Sie fanden sich in halbverdautem Zu-
stande und zwar lagen in deu einzelnen Krausen die Chitinteile
derselben in grosser Meuge.
Aenlich wie P. Pulmo verhiilt sich P. clavigera. Die Unter-
arme sind gieichfalls dreikantig pyramidal geformt. Das letztc
Viertel ist auch hier zum Terminalknopf modificirt. Was diese
Art von der vorhergehenden vornehmlich unterscheidet , ist das
Auftreten von Nesselpeitschen auf dem Mundkreuz; sie erreichen
die Grosse des Schiniiradius. Doch nicht nur auf dem Mund-
kreuz treteu diese Organe auf, sondem auch auf den Scapuletten.
Hier sind dieselben aber von weit geringerer Lange. Die Trich-
terkrausen sind stark gelappt und sitzen eng aneinauder.
Was diese Art besonders iuteressant macht, ist das Vorkom-
men einer Bildung, die wir bei weiter keiner Art antrefien. Ein-
zelne Trichterkrausen, und zwar meist diejenigen, welche an den
Enden der Arme oder Aestchen derselben stehen, sind im Be-
griffe zu Xesselpeitschen zu werden! Es sind in die Lange ge-
wachsene Krausen, die in ihrer ganzeu Lange — sie betragt
1 Ctm. — geotfnet sind, so dass man mit der Sonde von der Basis
bis zur Spitze die beiden Rander aus einander biegen kann. Jeder
Rand ist mit einer Reihe von Digitellen besetzt. Das obere Ende
ist umgebogen (siehe die Fig.). Vielleicht ist diese Erscheinung
erst sekundar und beim Absterben des Tieres als eine durch Mus-
kelcontraction herbeigefiihrte zu betrachteu.
Stomolophus fritillaria. Haeckel, n. sp.
Aus der dritten Unterfamilie der Pilemiden, den Stomolo-
phiden, soil die Gattung Stomolophus naher betrachtet werden.
Wir finden bei ihr eigentiimlich modificirte Mundarme. Dieselben
sind dichotom verastelt und zu drei Viertel ihrer Lange ver-
wachsen.
Was aber diese Gattung besonders interessant macht, ist das
Verhalten der Gefasse. An jungen Tieren (vergl. die Abbildung
im S. d. M. Tafel XXXV. Fig. 2, 3) sind die beiden Rander der
Arme noch nicht einmal aneinandergelegt , geschweige denn ver-
252 Otto Hamaun,
wachsen. An alteren Exemplaren zeigt sich wol eine Zusammeii-
faltung, doch keine wahre Verwachsung. Die Arme sind in ganzer
Lange geoflhaet. Es liann also nicht von Kanalen oder Gefasseu,
sondern nur von Armrinnen gesprochen werden. Trichterkrausen
wie bei den iibrigen Rhizostomen giebt es daher nicht. Die Digi-
tellen finden sich die Rander besetzend.
Auf dem Querschnitt durch das gabelteilige Distalende eines
Armes sieht man, wie die beideu Rander aneinanderliegen , one
verwachsen zu sein. Ein gleiches Verhalten bietet sich bei den
Schulterkrausen. Es sitzen acht Par Scapuletten auf dem durch
die acht verwachsenen Arme gebildeten Scheibenstamme auf. An
jungen Exemplaren (s. d. Abbildg. im S. d. M. Taf. XXXV. Fig. 3,
4) sind dieselben noch einfach gebaut und springen als langliche
Blatter parweis vertical hervor. Ein Querschnitt durch ein sol-
ches Scapulett zeigt dasselbe Verhalten wie der durch die Arme
gelegte. Der Kanal, der in jedes Scapulett flirt, ist auch hier
in seiner Lange geoffnet, also nur eine Rinne. Bei alteren Tieren
sind die Scapuletten stark gekrauselt, Ob sich im spiiteren Alter
dieVerlotung noch vollzieht, lasse ich uneutschieden. Ein ausge-
wachsenes Exemplar konnte ich nicht untersuchen.
Von dem Gefass- oder richtiger Rinneusystem ist also zu sa-
gen, dass sich eine Hauptrinne findet, welche sich in zwei Neben-
rinnen spaltet, welche wiederum an die Aeste Rinnen abgeben.
Eine Uebereinstimmung mit den Pilemiden ist also nicht vorhan-
den. Stomolophus scheint iiberhaupt eine isolirte Stellung einzu-
nehmen. Dasselbe gilt auch von Brachiolophus , aus welchem er-
sterer abzuleiten ist. Seine Armbilduug ist nach Haeckel durch
fortgeschrittene Concrescenz der Arme von Brachiolophus entstan-
den. Die Dichotomic der Arme ist beiden gemein.
Irgend welche Anhangsorgane existiren bei Stomolophus nicht.
Sie nehmen also auch in dieser Hinsicht eine tiefere Entwick-
lungsstufe ein. Wir konnen diese eben beschriebenen Eigenttim-
lichkeiten des Baues als urspriingiiches Verhalten ansehen und
sie also als eincn frlih abgelosten Zweig der Pilemiden, der sich
nicht weiter entwickelt hat, oder aber als riickgebildcte Formen
betrachten. Dann ware den Tieren vielleicht ein Vorteil in der
Ernaruug gegeben gegeniiber der friiheren Trichterkrausenbildung.
Doch sind dies nur Vermutungen.
Zusammenfassung.
Das Kanalsystem der Lychnorhizideu und Eupilemiden ist
Die Mundarme der Ehizostomen und ihre Anhangsorgane. 253
iibereinstimmend. Es findet sich eiii Hauptgefiiss, welches bis
zum Ende des Uuterarmes verlauft und an der Basis desselben
drei Nebengefasse abgiebt, welche dem ersteren parallel verlaufen.
Eupilemiden und Stomolophiden stimmen darin iiberein, dass
das Hauptgefass die seclizehn aus den Schulterkrausen austre-
tendeu Gefasse aufniramt.
Die Trichterkrausen sind von demselben Bau wie bei den
Toreumiden, nur dass sich ausser der ventralen Reihe noch zwei
dorsale Reiheu finden. Von Anhangsorganen findet man nur die
Nesselpeitschen.
C. Versuridae.
Haplorhiza und Cannorhiza. Haeckel, n. sp.
In diesen beiden Gattungen bietet sich der denkbar einfachste
Typus der Ehizostomen mit nur einem Subgenitalportikus dar.
Dieselbe Armbildung wie sie die Toreumide Archirhiza zeigte,
tritt uus hier eutgegeu. Dieselben sind ebenfalls einfach, weder
verastelt noch gabelspaltig. Auch das Gefasssystem gleicht dem
bei Archirhiza gefundenen vollstandig. In gleich primitiver Form
findet sich nur ein Kanal, welcher die Trichterkrausen versorgt.
„Wenn bei Archirhiza die vier Subgenitalholen centripetal in
die Magenhole hinein bis zur Beriirung verwachsen und die Be-
riirungsstellen durchbrochen werden, so entsteht Haplorhiza mit
ihrem einfachen Subgenitalportikus." (S. d. M, p. 604.) Verwach-
sen nun die Arme seitlich niiteinander, so entsteht Cannorhiza.
Auch bei diesem Genus findet sich nur das eiae Gefass wie bei
Haplorhiza. Besondere Anhangsorgane finden sich ebensowenig
wie bei Archirhiza.
Wir fiiren beide Genera hier mit auf — ohne sie selbst un-
tersucht zu haben — , well von ihnen die tibrigen Versuriden sich
ableiten lassen.
Versura palmata. Haeckel, n. sp.
Die Arme der Versuriden sind entweder doppelt fiederspaltig,
wie bei dieser Art, oder trichotom verastelt. Die breiten „hand-
formigen" Arme sind mit sechs bis siebeu Par Fiederasten, deren
Lange von innen nach aussen gleichmassig abnimmt, besetzt. Der
Oberarm setzt sich in den Hauptzweig des Unterarmes fort.
Zwischen den Trichterkrausen sitzen eine Menge von Nesselkol-
ben. Dieselben haben den Bau wie die bei Cotylorhiza beschrie-
254 Otto Hamann,
benen. Sie besitzeu nur kurze Stiele uad sind vou weit geriu-
gerer Grosse wic bei Cotylorhiza, wie tiberhaupt letztere erstere
um das dreifache ihrer Grosse iibertrifft. In jeden Nesselkolben
fiirt ein Kanal. Ausser diesen Organen finden sich noch am
Ende jedes Fiederastes „keulenformige Blasen". Diese Blasen
sind nichts anderes als verwachsene Trichterkrausen , welche ihre
Tentakeln eingebiisst haben. Eiue Oeffnung in denselben existirt
nicht, wenigstens konnte an keiner Blase dieselbe gefunden wer-
den (sielie die Figur 34). Diese keulenformigen Blasen sind mit
Nesselzellen dicht besetzt.
Im Ektoderm finden sich hier eigenttimliche als Driisen an-
gesprochene Zellen, die wir weitcr unten im Zusammenhange be-
trachten wollen.
Das Gefasssystem schliesst sich eng an das von Haplorhiza
imd Cannorhiza an. Es kann nur ein Hauptkanal imterschiedeu
werden, welcher in die Fiederaste Gefasse abgiebt. Diese wie-
derum schicken an die Trichterkrausen Gefasse.
Cotylorliiza tuberculata. L. Agassiz.
Bei dieser so haufigen Form sind die acht Mundarme breit
und kurz. Jeder derselben zerfallt in zwei plattgedriickte blatt-
formig comprimirte Unterarme. Der Oberarm setzt sich nicht
liber die Gabelteilung des Unterarmes fort. An der ventralen
Seite sind die Arme mit Trichterkrausen besetzt, zwischen denen
in der Mitte sich „Saugroren" befinden. Ausser diesen kleinen
„Saugroren" — es sind unsere Nesselkolben — finden sich noch
zehn bis zwanzig langere, die besonders an der Gabelteilung des
Oberarmes in die beiden Unterarme sitzen. In jeden der acht
Oberarme verliiuft ein Hauptgefiiss, welches sich an der Stelle
der Gabeluug in zwei Gefasse teilt, die beiden Nebengefiisse. In
Fig. 4 sind die Unterarme abgebildet , um die Verzweigung der
beiden Nebengefasse in die Trichterkrausen und Nesselkolben zu
zeigen. Je ein Gefass geht in eine Krause und endet in einer
Trichteroffnung (s. Fig. 21). Jeder der Nesselkolben besitzt ein
Gefass fiir sich. Ehe die einzelneu Gefasse der Trichterkrausen
sowol als der Nesselkolben sich vereinigen, gehen sie zalreiche
Anastomosen ein. —
Zusammenfassung.
Bei den Versuriden finden wir die Krausen der Mundarme
nur ventral. In Folge dessen ist auch das Gefasssystem einfach.
Die Mundarme der Rliizostomeu uud ihre Auhaugeorgane. 255
Bei Haplorhiza und Canuorhiza faiid sich uur eiu Kanal, der
Hauptkaual, bei Versura teilt er sich in die Aeste. Bei Coty-
lorhiza koDnen wir zwei Nebengefasse unterscheiden , welche die
beiden Teilaste des Hauptgefasses vorstelleu. Von dieseu Neben-
gefiisseu fureii danu zii den Trichterkrausen Gefasse dritter Ord-
nung, wie dies auch bei Toreumiden uud Pilemideu der Fall ist.
Von Anhangsorgauen fiudeu sich die Nesselkolben vor, ausserdem
die „kolbenf6rmigen Auhange" und bei der nicht niiher untersuch-
ten Stylorhiza auch die Nesselpeitschen.
D. Crambessidae.
Crambessa Pictonum. Haeckel.
Ueber deu Bau der Crambessiden , dieser im Jare 1869 von
E. HaeckeP) eutdeckteu Familie, siud wir jetzt ziemlich im
Klaren. Durch diese Untersuchungen sowol als durch die spater
folgenden von Grenacher und Noll*) sind wir iiber die Krau-
sen und ihren Bau hinreichend aufgeklart. Wir wollen deshalb
uns hieriiber kurz fassen und nur auf die Entwicklung des Ka-
nalsystems naher eingehen. Der Oberarm ist von einer Reihe
Trichterkrausen an seiner ventralen Seite besetzt. Diese setzt
sich in den Unterarm fort. Die beiden abaxialen Flugel dessel-
ben sind bis an ihre Spitze mit zwei Krausenreihen besetzt, wel-
che besonders stark gelappt sind. Die Krausen der dreikantig
pyramidalen Unterarme sind „so raannichfaltig gefaltet und ge-
krauselt", die Lappen der Krausen so nahe aneinander stehend,
dass die ganze Gesammtoberflache des Unterarmes als eine sehr
unregelmassig zerkluftete und gefurchte, von fast wolligem Aus-
sehen erscheint (vergl. Gren. u. N. a. a. 0.). An der Spitze der
Arme werden die Krausen kleiner, sodass das Distalende der
Arme das Ende einer dreiseitigen Pyramide bildet.
Ueber das Kanalsystem findet sich bei Gr e n acher uud Noll
nur das Vorkommen von einem Hauptkanal festgestellt. Zwei
Querschnitte durch den Oberarm sind auf Taf. VII Fig. XV b u. c
gegeben. Der auf dem ersten Querschnitt sich zeigende Kana
1) Ueber die Crambessiden, eine neue Medusenfamilie der Rhi-
zostomengruppe, Zeitschrift t'lir wissenschaftl. Zoologie, Band 19, 1869,
mit Abbildung.
2) Grenacher und Noll, Beitriige zur Anatomie und SyBte-
matik der Rhizostomen. Frankfurt a. Main 1876.
25G Otto Hamann,
erschciut von eigentumlicher Gestalt. Das niit cbr bezeichnete
Lumen ist wol nur der Hauptkanal , wiirend der spaltformige Hol-
raum, welcher das zweite kleinere Lumen verbindet, wol einen auf
dem Querschnitt getroffeneu seitlich abgehenden Kauai vorstellt.
Aenlich scheint auch der zweite Querschnitt gedeutet werden zu
miissen. Durch die Gtite des Herrn Prof. Haeckel konnte ich
Crambessiden in ihren verschiedenen Entwicklungsstadien untersu-
chen und somit zugleicli die Entwicklung des Gefasssystems fest-
stellen.
An jungen Crambessiden, deren Schirmdurchmesser ungefar
funf Ctm. betragt, sind die acht Arme vollkommen einfach, weder
verastelt noch an ihren Enden gabelspaltig. Sie gleichen denen
von Haplorhiza! Wie bei dieser, so verlauft auch hier nur ein
Gefass, das Hauptgefass, welches an die noch sehr kleinen wenig
Oder gar nicht gelappten Trichterkrausen Gefasse abgiebt. An vielen
der Krausen sind die Digitellen noch gar nicht einmal entwickelt,
sondern finden sich als kleine Papillen den Eand der Krausen
umsaumend.
Auf dieses Entwicklungsstadium mit noch ungeteilten Armen
folgt dann ein Stadium, bei welchem eine Gabelspaltung des Dis-
taleudes der Arme eingetreten ist. Das Tier hatte einen Schirm-
durchmesser von sechs Ctm. An sieben von den acht Armen war
die Gabelspaltung bereits eingetreten, warend an dem achten Arme
noch nichts davon zu sehen war. Jedes der kleinen Gabellapp-
chen besass bereits einige Gefasse. An diesem Exemplar (siehe
Fig. 5) war die Abgabe der Gefasse in die Krausen sehr schon
zu beobachten. In gleichmiissigen Intervallen wird ein zum Haupt-
kanal rechtwinklig stehendes Gefass an die Krausen abgeschickt.
An den beiden Gabellappen , welche spater bei zunehmendem
Wachstum zum Unterarm werden, fanden sich noch keine Krau-
sen vor, warend die Gefasse bereits miteinander verzweigt waren.
Die Trichterkrausen sind jetzt schon stark gelappt, oft zierliche
BiUimchen bildend, sodass es bereits schwierig ist, die einzelnen
von einander abzugrenzen.
Bei der darauf folgenden Stufe sind die Lappen weiter
gewachsen und an ihren Abaxialseiten mit Trichterkrausen besetzt.
Ein solches Stadium ist in Fig. 4 dargestellt. Die Lappen sind
auseinandergelegt , um die Gefassverzweigung deutlich zur An-
schauung zu bringen. Ein Hauptgefass, h, giebt zwei Nebeuge-
fasse in die Lappen ab. Der dritte auf der Figur nicht zu sehende
Flugel wird noch durch einzelne von Zeit zu Zeit vom Hauptge-
Die Muudarme der Rliizostomeu und ihre Auhaugsorgane. 257
fass abgehende Gefiisse versoi'gt. Denkt man sich nun, wie es ja
in Warheit geschiebt, das Distalende des Unterarms in die Lange
wachseud und mit ihm also auch die Krausenreihen , so entsteht
der lange dreikantig pyramidale Unterarm von Crambessa Tagi.
Durch das Liingswachstum werden aber auch die Gefasse in
die Lange wachsen und so eine zur Axe des Armes parallele Stel-
lung nehmeu. Wir haben dann zwei Nebengefasse in den beiden
Hauptfliigeln des Unterarmes, warend es im dritten Fliigel wol
auch zur Bildung eines Kanales gekommen ist. Es finden sich
also beim erwachsenen Tiere drei Gefasse im Unterarme.
Mastigias Papua. L. Agassiz.
Die Oberarme sind gross und frei, die Unterarme wie bei
Crambessa dreikantig prismatisch gestaltet. Die Trichterkrausen
sind, je naher sie der Basis des Unterarmes stehen, desto grosser
cntwickelt. Sie sitzen oft wie auf Stielen auf (s. d. Fig. 2). Zwi-
schen den Krausen sind Nesselkolben eingestreut, welche aber von
kleiner Gestalt sind. Die Krausen des Unterarmes sind gleichfalls
in verschiedene Lappen zerfallen. Sie gleichen dann mit ihren
Stielen zierlichen Baumchen. Je tiefer man am Unterarm herun-
tergeht, desto kiirzer gestielt erscheinen dieselben. Die zweite
Halfte des Unterarmes ist ihrer Trichterkrausen verlustig gegangen
und erscheint dann als dreikantig pyramidaler „Endanhang". Es
ist dasselbe Vorkommen , wie wir es bei Pilema gesehen haben.
Eine Oeffnung findet sich an diesem „Terminalknopf" vor. Die
einzelligen Drusen kommen in grosser Zal vor, merkwiirdigerweise
im Ektoderm.
Thysanostoma thysanura. Haeckel, n. sp.
Warend bei Mastigias die Oberarme von ansehnlicher Lange
waren, sind sie hier wie bei Crambessa kurz. In ihnen verlaufen die
Hauptgefasse. Die Unterarme sind gleichfalls dreikantig-prisma-
tisch, von riemenformiger Gestalt. Ihre Lange iibertrifift den Durch-
messer des Schirmes — dieser betragt acht Ctm. — um das
Dreifache.
Das Oberarmgefass teilt sich an der Basis des Unterarmes in
drei Nebengefasse, one sich selbst fortzusetzen. Jedes verlauft in
einem der drei schmalen P'lugel und schickt Gefasse an die Trich-
terkrausenreihen ab (vergl. die Fig. 3). Diese Gefasse konnen dann
wieder Anastomosen uutereinauder bilden. Die Trichterkrausen-
Jid. XV. N. F. VIII. a. I'J
258 Otto HaraauD,
offiiuiigen siiid zienilicli gross, was sich auch an den Spirituspra-
paraten sehr gut nacliweisen liess.
Anhangsorgane kommen nicht vor. Bis zum Distalende dor
Arme veiiaufen die Krausen. Die Driisenzellen findeu sich suwol
im Ektodeim als im Entoderm. —
Cramborhiza flagellata. Haeckel, n. sp.
Diese neu entdeckte Art schliesst sich hinsichtlich des Kanal-
systems eng an die vorhergehenden an. In den starken freien
Oberarmeu verlauft das Hauptgcfass, welches in die drei Neben-
gefasse sich spaltet. Jcdes Nebengefass verlauft in einem der
Fliigel der dreiseitig pyraniidalen Unterarme. Oberarm wie Unter-
arm siod sich an Grosse gleich. Die Trichterkrausen sind von be-
deutender Grosse und stark gelappt. Zwischen ihnen finden sich
Ncsselpeitscheu. Sie sind sehr lang und ubertrefFen daher die
Unterarme weit an Lange. In jeder Peitsche verlauft ein Gefass.
An den iiber und iiber mit Nesselkapselzellen bedeckten Peitschen
sitzen zwei Reihcn von Digitellen auf. Eine Oeffnung scheint am
Distalende vorhanden zu sein. Die braunen Driisenzellen finden
sich auch bei dieser Art.
Zusammenfassung.
Das Verhalten des Gefasssystems bei den untersuchten Arten
ist folgendes : Ein Hauptgefass verlauft im Oberarm und teilt sich
an der Basis der dreikantig pyramidalen Unterarme in drei Neben-
gefasse, welche in die drei Trichterkrausenreihen Gefasse abgeben.
Krausenreihen finden sich zwei an der dorsalen, eine an der ven-
tralen Seite, doch konnen durch Abschnurung daraus sechs bis
ueun entstehen (vergl. uber Himantostoma, S. d. M. p. 616).
Die Schulterkrausen fehleu den Crambessiden ganzlich.
Die Gallerte.
Die Gallertsubstanz oder das Stiitzgewebe besitztbei sammt-
lichen Ehizostomen Zellen. Dieselben sind bald von sternformi-
ger, bald von ovaler Gestalt. Sie finden sich oft mit langen Fort-
satzen, Leukocyten gleichend. Nach CI a us i) konnen diese Zel-
len „unter lebhafter amoboider Bewegung ihre Lage verandern."
^) C. Claus, Ueber Charybdea marsupialis. Arbeiten aus dem
zoolog. Institut Wieu. II. Heft 1878.
Die Mundarme der Rhizostoracn uud ihre Anhaugsorgane. 259
Man findet sie bald einzeln, bald zu mehreren zusammenliegend.
Sie pflanzen sich durcli Teilung fort. Jeder Zelle kommt ein
Kern zu.
Nach den jetzigen Ansichten ist die Gallertsubstanz ein Aus-
scheidungsprodukt der Entoderrazellen. Die sich in ihr vorfinden-
den Zellen siud ausgewanderte Entodermzellen.
Indxjm die Entodermzellen die Gallerte ausscheiden, werden
die angrenzenden Zellen mit in dieselbe hineingerissen, Sie wer-
den nun wie vorher zur Bildung der Gallerte so auch zur Er-
narung derselben tiitig sein. Es ist dies ein an die Thiitigkeit
der Osteoblasten erinuernder Vorgang. Wie diese die Grundsub-
stanz des Knochengewebes ausscheiden, so scheiden hier die Ento-
dermzellen die Gallertsubstanz aus. Wie dort Zellen mit in die
Substanz hinein geraten, so ist dies auch hier der Fall.
Um nicht immer eiue Umschreibung gebrauchen zu miissen,
wie „die Zellen, welche sich in der Gallerte vorfinden" ist es wol
zweckmiissiger, einen Namen fiir dieselben einzufiiren und sie ana-
log den Osteoblasten Co Hob las ten zu nennen. Ausser diesen
Colloblasten kommen in der Gallertsubstanz Fasern vor. Sie verlei-
hen derselben eine feste Consistenz und sind bei den Contractionen
der Arme wol auch mit ini Spiele, indem sie den Muskelfibrillen
entgegen wirken. Glaus i) fasst dieselben als Verdichtungen der
Grundsubstanz auf. Die Beschaffenheit der Fasern ist selir ver-
schieden. Bald sind dieselben sehr fein, bald von ziemhcher Starke.
Ihre Form ist meist eine runde.
Teilweise siud dieselben korkzieherartig aufgerollt, was aber
erst secundare Erscheinungcn sind. Im Leben sind dieselben wie
straife Faden ausgespannt (vgl. Glaus a. a. 0.).
Bei vielen Rhizostomen bildeten diese elastischen Fibrillen
ein formliches Netzwerk. Dichtverschlungen verlaufen sie hier in
den verschiedensten Richtungen durcheinander. Leider achtete
ich Anfangs nicht auf das Vorkommen der Fasern in der Gallerte,
glaube aber sicher zu gehen, wenn ich ihr Vorkommen als ein
sammtlichen Rhizostomen zukommendes ansehe. Bei den Craspe-
doten ist ihr Vorkommen bei Aeginiden, Geryoniden und Trachy-
nemiden beobachtet. Nach Her twig ist die Verbreitung dersel-
ben bei den Craspedoten eine allgemeine.
Bei den Acraspeden sind dieselben bei Pelagia, Nausithoe,
') a. a. 0. p. 39.
17
200 Otto Haraaiui,
Aurelia, Charybdea gefunden wordeii. Bei Aurelia kommen in der
Gallerte ausserdem nocli die Colloblasten vor.
Das Entoderm.
Das Entoderm kleidet die Gefilsse oder Kanille aus;, ausser-
dem ist die Innenflache der Trichterkrausen von Entodermepithel
iiberzogen. Die Zellen des Entoderms sind cylindrisch und bil-
den, wie man auf Querschnitten erkennt, stets nur eine Schicht.
Jede der Entodermzellen triigt eine Geissel , welche zur Fortbe-
wegung der Narung dient. Diese Zellen assimiliren die Narung
sowol als sie dieselbe aufspeichern konnen, worauf das Vorkommen
von Fetttropfen, Concremeutkiigelchen und die Vacuolenbildung inner-
halb derselbeu zu deuten scheinen ^). Bisweilen wurden Nessel-
kapselzellen im Entoderm aufgefunden.
Wir wollen hier uns kurz fassen , da die histologischen Ver-
haltnisse schon vielfach dargestellt worden sind und erwanen nur
noch das von Glaus ^) beobachtete Vorkommen der Gefassplatte
Oder Entodermlamelle auf Querschnitten durch die Arme der Rhi-
zostomen.
Das Ektoderm und die Muskulatur.
Das Ektoderm, welches die Mundarme iiberzieht, besteht aus-
schliesslich aus Epithelrauskelzellen. Die Muskelfibrillen , die der
Querstreifung entbehren und sehr lang sind, verlaufen in der Langs-
richtung des Hauptkanals. Die Trichterkrausen werden von aussen
desgleichen von Epithelmuskelzellen iiberkleidet, sowie iiberhaupt
sammtliche Anhangsorgane der Rhizostomenarme.
Die Nesselzellen sind iiber das ganze Ektoderm zerstreut. Die
Nesselkapseln werden in den verschiedensten Formen angetroffen
(s. die Figuren). Am dichtesten sitzen sie auf den weiter untcn zu
beschreibenden Digitellen auf, welche die Trichterkrausen urasau-
men. Nesselwarzen oder Nesselpapillen, so wie sie noch bei Aure-
lia sich finden, kommen bei keiner Rhizostome vor. — Das Vor-
1) Der Organismus der Medusen und seine Stellung zur Keim-
blattertheorie von 0. u. R. Her twig. Jena 1878.
2) Claus, Grundziige der Zoologie, Wien 1880, p. 277.
Die Mundarme der Rhizostomeu und ihre Anhaugsorgane. 201
kommen von Ganglienzellen konnte nachgewiesen werdon, obgleich
bei der Untersuchung nur conservirtes Material angewendet wer-
den konnte und die Fortsatze derselben nur einigemal bei Coty-
lorhiza beobachtet wurden. — Wir giauben aber nicht fehlzugehen,
wenn wir iiberall da, wo Epithelmuskelzellen vorkoramen, audi das
Vorkommeu von Nervenfibrillen und Ganglienzellen annehmen ^).
(Vergl. Fig. 8.)
Die „gelben Drtisenzellen."
Bei einem grossen Teile der untersuchten Rhizostomen fanden
sich einzellige Drtisen vor, welche von dem Bau der gewonlich be-
schriebenen Driisen abweichen. Diese Drtisen, denn wir lialten
diese Zellen dafur, kommen entweder einzeln oder in Partien an-
gehauft sowol im Ektoderm als im Entoderm vor. So finden sie
sich bald in kugligen, bald in traubenformigen Partien zusam-
menliegend in die Gallerte hineinragend vor (vgl. Fig. 22). Sie
sind einzellig, kugelrund und werden von einer doppelt contou-
rirten Membran umgeben. Der Inlialt dieser Zellen besteht aus
kleinen Kornern, zwischen denen ein Zellkern bei Behandlung mit
Boraxcarmin sehr deutlich hervortritt. Ihre Farbe ist meist braun,
soweit an conservirten Exemplaren dieselbe tiberhaupt mit Sicher-
heit angegeben werden kann. Vielfach findet man diese Zellen in
Teilung begriffen. Ein scharfer Contour teilt die Kugel im Durch-
messer in zwei Teile. Farbt man jetzt, so wird in jeder Teilhiilfte
ein Kern sichtbar. Auch fanden sich Zellen, bei denen der Inhalt
in drei Teile zerfallen war, wobei also das eine Teilsttick sich be-
reits wieder geteilt hatte. — Diese eben beschriebencn Zellen liaben
grosse Aenlichkeit mit den von Heidcr 2) bei Sagartia troglodytes
beschriebenen Zellen. Er beschreibt sie als Pigmentkorner, rund,
mit doppeltem Contour umgeben, mit grobkornigem und dunkel-
braunem Inhalte. Er lasst diese Zellen nach Kleinenberg zur
Narungsaufnahme in Beziehung stehen. Wir halten diese Anschauung
ftir richtig und sprechen diese Zellen als Drtisenzellen an, welche
in ihrer Membran jedenfalls eine kleine schwer erkennbare Oeff-
1) Vgl. 0. u. E. Her twig, Das Nervensystem und die Sinnes-
organe der Medusen. Leipzig, 1878.
2) A. von Heider, Sagartia troglodytes Gosse, Ein Beitrag zur
Anatomic der Actinieu, Sitzungsberichte der wiener Academie, 1. Ab'
teilung 1877, p. 385.
2G2 Otto Hamann,
miiig zur Entloeruiig ihres Inhaltes besitzen. Eiii Korn sowol wie
die in Zweiteiluiig begviffeiien Zellcii sind Hcider voUkommen ent-
gangen. Erst von 0. u. R. Hertwig^) wurde derselbe nachge-
wiescn. Jener Ansicbt von H eider, welcher die Zellen als Pig'
mentk()rner betraclitet, stellten 0. u. R. Her twig die Ansicht ge-
geniiber, dass man es hier mit einzelligen Parasiten zu tun habe.
Dieselben glaubten eine Identitat mit den bei den Radiolarien be-
schriebenen „gelben Zellen" nachweisen zu konnen , die bestimmt
pflanzlicher Natur sind. Ob diese Uebereinstimmung wirklich be-
steht, werden wir weiter unten untersuchen, vorher aber sehen,
ob der Deutung als Diiisen zellen etwas im Wege stehe.
Wir finden, dass weder die doppelt contourirte Membran
noch der Kern und die in Teilung begriffenen Zellen uns irgendwie
an dieser Deutung hindern. Was aber den Nachweis fiir die Identi-
tat der gelben Radiolarienzellen mit den braunen oder gelben Ac-
tinienzellen betrifft, so scheint derselbe nicht geliefert. Die gelben
Zellen der Radiolarien, welche von E. HaeckeP) besonders ein-
gehend untersucht wordeu sind, haben andere chemische Reactio-
nen wie die der Actinien. Dass sie iiusserlicli sicli einander glei-
chen und zum Verwecliseln iinlich sind, kann kaum herangezogen
werden. Farbt man die Radiolarienzellen mit Jod , so farben sie
sicli bekanntlich sofort blau oder violett, ein Zeicben, dass sie
starkehaltig sind. Die Behandlung mit Jod wurde von O. u. R.
Her twig audi bei den Zellen der Actinien angewendet, one dass
eine Fiirbung eingetreteu ware. Sie gleichen hierin den bei den
Rhizostomen gefundenen Zellen.
Diese einzige Reaction ist schon fiir sicli beweiskraftig genug
urn zu zeigen, dass wir es liier mit ganzlich verschiedencn Bildungen
zu tun haben. Denn niemals farbten sich die Actinienzellen blau,
in keinem ihrer Entwicklungszustilnde; das ist selir wichtig, da
man ja den Einwurf maclien konnte, dass sie nur zu bestinimter
Zeit ihrer Entwicklung und ihres Wachstumes starkemehlhaltig
seien, sei es vor oder nach der Teilung.
Auch die iibrigen von den genannten Autoren vorgenommenen
Reactionen, um die pflanzliche Natur derselben nachzuweisen, haben
zu keinem Resultate gefiirt. Sie berichten: „Um ferner die che-
mische Beschaffenheit der Mernbran festzustellen, behandelten wir
isolirte runde Korper sowol mit Chlorzinkjod als auch mit Jod-
^) 0. u. R. Her twig, Die Actinien.
2^ E. Haeckel, Studien iiber Mouereu etc., p. 119.
Die Muudarme der Rhizostomeu und ihre Anhaugsorgane. 263
schwefelsaure in der bei Botaiiikern ublichen Weise. Die Mem-
bran nahm nach einiger Zeit einen blaulichen Schimmer an, eine
ganz iiberzeugende Reaction trat aber nicht ein. Immerhin
mochte in Anbetracht der Kleinheit des Objektes und der nicht
vollig sicheren Wirkungsweise der beiden Reagentien das erreichte
Resultat schon dafiir spreclien, dass die Membran von Cellulose
gebildet ist"^), Uns, wie gesagt, wird aus diesen Versuchen nur
das Gegenteil um so sicherer, dass wir es hier mit andren Zellen
als den bei den Radiolarien gefundenen zu tun haben, dass letztere
pflanzlicher Natur sind, erstere aber Drusen vorstellen.
Wir nehmen deshalb niit Cienkow sky an, dass die jodhal-
tigen „gelben Zellen" der Radiolarien niederste pflanzliche Parasiten
sind, und halten die bei Actinien in oft ungeheurer Menge auf-
tretenden Zellen sovvie die bei den Rhizostomen sich findenden
und ersteren an Grosse gleichenden Zellen fiir zur Narungsauf-
nahme und zur Verdauung in Beziehung stehende Zellen, fiir ein-
zellige Drusen, —
Wir batten jetzt den Bau der Digitellen,
der Trichterkrausen
und der Auhangsorgane
niiher zu beschreiben , ziehen es aber vor, dies mit im zweiten
Telle zu tun, um uns nicht zu widerholen, wenn wir die Entwick-
lung der eben geuannten Organe widergebeu. —
II. Teil.
A. Geschichtliches.
Der erste, welcher uberhaupt die Bezeichnung „Rhizostomae",
Wurzelmiindige, einfurte, war Cuvier im Jare 1799 2), ^^Nous
avons donn6 le nom general de Rh izostomes a I'autre moiti6
du grand genre Medusa, comprenant les especes, qui n'ont point
de bouche ouverture au centre, et qui paraissent se nourrir par
la succion des ramifications de leur pedicule" etc.
Cuvier stellte somit die Medusen mit Mundoffnung streng
gegenuber den Medusen mit obliterirtem Mund.
1) a. a. 0. p. 49.
2) Citirt von E. Haeckel, System der Meduseu, p. 560. Cu-
vier, Journal de Pliys. Tom. 49. p. 436.
2Q4: otto Hamann,
Nach Cuvier war es Eschscholtz, welcher die Rhizosto-
nieii als Familie den iibrigen Acraspeden gegenuberstellte. Rei
ihm ist die Theorie, nach welcher sich diese Tiere durch Saug-
offnuiigen ernaren sollen, zuerst niit klaren Worten ausgesprochen.
Er sagt: „Es mangelt den Tieren dieser Familie eine grosse nach
aussen frei geoffnete Mundoffnung, welche bei denen der anderen
Familien in der Mitte zwischen alien Armeu befindlich ist. Da-
gegen sind ihre vielfach verastelten oder gespaltenen Arme mit
vielen Saugoffnungen begabt, und zur Aufnahme des eingesogenen
Narungsstoifes dienen feine Rorchen, welche den Saft zum Magen
fiiren, indem sie sich in ihrem Verlaufe unter einander vereinigen"
(1829, System der Acalephen, p. 42).
Im selbigen Jare 1829 entwickelte auch Tilesius i), in einer
Schrift, die vornehmlich iiber Cassiopea handelt, die Theorie der
Saugkrausen. Nach ihm sind die Medusen Animalia siphonizantia,
wie schon Forskal, welchen er citirt, dies fur Fistularien, Sal-
pen und Physophoren gezeigt habe. Nach Tile si us ist schon
das Vorhandensein vieler Mundoffnungen ein Criterium des Sau-
gens. Ebensowenig aber wie die Salpen ihre Narung einsaugen,
ebensowenig ist dies auch bei den Rhizostomeu der Fall. Diese
sollen sich, wie er sagt, „durch eine zallose Menge von Saugepo-
ren ernaren, welche an der ausseren Flache ihrer acht Arme ihren
Sitz haben und den abgesogenen Narungssaft durch verastelte Har-
rorcheu in die Roren der Arme und aus diesen in den Magen er-
giessen, nach Art und Form der Pflanzentiere" etc. An einer an-
deren Stelle bezeichuet er dann die Mundarme als mit Saugwar-
zen von aussen besetzt. Grosse und kleine „Cotyledonen und
Sauger" sollen die Beute aussaugen und die abgesogenen Safte in den
Magen durch die kleinen Roren in die grossen fiiren.
Am Ende seiner Abhandlung zieht er dann noch eine Parallele
zwischen einem Tintenfisch, Loligo, und den Armen der Cassiopea.
Offenbar hat er iiberhaupt die Oeffnungen an den Armen keiner
genauen Untersuchung unterworfen , sonst hatte ein solcher Ver-
gleich nicht moglich sein kounen. Dass seine Abhandlung iiber-
haupt nichts taugt und seine Mitteilungen, welche bisher als sehr
exact angenommen wurden, nichts wert sind, ist von E. Haeckel
gezeigt worden^). Diese Ansicht von Tilesius hat sich bis auf
^) Tilesius, Zur Naturgeschichte der Meduseu. I. Cassiopeae.
1829. Forskal, Descriptioues animalium, quae in itiuere orientali
observavit Petrus Forskal. Hafniae 1775, p. 112.
'^) vgl. 8yst. d. Med. p. 470, 568, 593.
Die Mundarme der Rhizostomciu uud ilire Anhangsorgane, 2G5
den heutigen Tag erhalten und figuriren die Saugwarzen der Rhi-
zostomen noch lieute in den Lehrbiichern!
Wir haben nun niir noch einiger Abhandlungen zu gedenken,
welche wohl einen Zweifel gegen diese Ansicht aufzuwerfen ge-
eignet wareu.
Die erste ist von Huxley i). Er giebt in dieser Abhandlung
eine Schilderung des Canalsystems und fiigt eine Abbildung von
Rhizostoma mosaica bei, auf welcher die Trichteroifnung vortreff-
lich zu sehen ist. Wenn Huxley audi die Gefassverzweigungen
auf den Kanten der Arme als die Magen zalreicher Polypentiere
betrachtet wissen wollte, so war er doch der Warheit urn vieles
naher als jene vorher genannten Forscher.
Von den folgenden Arbeiten haben wir die von Fr. Miiller
zu erwanen, der die Polystomie auf Verwachsung der Armrilnder
zuruckfurte ^). Nach Fr. M ii 1 1 e r war es A g a s s i z 3) im Jare 1862,
welcher junge Rhizostomen beobachtete und das Vorkommen einer
Mundoffnung feststellte. Er beobachtete zuerst die Verwachsung
der Riliider des Mundcs und stellte den Satz auf, dass die Poly-
stomie eine secundiire Erscheinung sei.
Eine im Jare 1870 erschienene Abhandlung von Brandt*)
zerstreute auch den letzten Zweifel an dieser Ansicht. Dieser
Forscher untersuchte Rhizostoma Cuvieri Lk.; also dieselbe Me-
duse, welche wir jetzt als Pilema pulmo Hkl. bezeichnen, und zwar
war es ein junges Tier, welches er beobachtete. Brandt stellte
fest, dass in der Jugend die Rhizostomen einen Mund besitzen,
und dass dersclbe erst warend des spateren Wachstumes obliterirt.
Jetzt ist diese Tatsache auch bei andereu Gattungen festgestellt
und das Vorhandensein eines Mundes an jungen Exemplaren als
iiberall vorkommend nachgewiesen.
Weiterhin kommt Brandt auf die Ernarung zu sprechen.
Seine eigenen Worte sind folgende: Da dem erwachsenen Rhizo-
stoma ein Mund fehlt, so nehmen alle Autoren an, dass die Na-
rungsaufnahme nur durch die Mundarme vor sich gehen kann,
1) Huxley, On the Anatomy and the Affinities of the Family
of the Medusae, 1849, Philosoph. Transact.
■'') Fritz Miiller, Archiv f. Nat. XXVII. 1861. T. p. 302.
^) L. Agassiz, Contributions to the Natural Hist, of the U. S,
of Amerika, Vol. IV, 1862, p. 132.
■1) Al. Brandt, TJeber Rhizostoma Cuvieri Lmk., Ein Beitrag zur
^lorphologie der vielmiindigen Medusen. ]\Iemoires de I'Academie im-
periale des sciences de St. Petersbourg. Tome XVI, No. 6, 1870.
^6Q Otto Hamaun,
welche Saugroren darstellen. Doch nach welchen physikalischen
Oder inechanischen Griindsatzen diese Aufnahme von statten geht,
bleibt dunkel. Man hat hierbei besonders auf die Capillaritat der
Gefasse der Saugarme hingewiesen. Moglicherweise wirkt audi
die Contractilitat der Gefasse in den Armen mit, oder es nehmen
die Oscillationen des Wassers der membranosen Wandungen des
Mageus durch das rhytmische Zu- und Aufklappen des Schirmes
Anteil. Exacte physiologische Experimente haben hieriiber zu
entscheiden. . . . Bisher ist selbst das Aufsaugen von Fliissigkeit
durch die Arme noch keineswegs eine constatirte Tatsache."
Dann wird von Brandt noch das Vorkommen von Fischen
in der Centralhole des Gastrovascular - Systemes erwant und die
darauf bezugliche Stelle von Blainville citirt, welcher sagt: J'ai
moi - meme aussi trouv6 quelquefois de petits poissons dans les
6quorees et meme dans des rhizostomes." Brandt will diesen
Fall der Verantwortlichkeit des Verfassers iiberlassen, wie er sagt;
fiigt jedoch selbst einen Fall hinzu, wo sich in der Magenhole eines
halberwachsenen Exemplars von Rhizostoma ein lebender junger
Portunus holsatus von etwa 6 bis 8 mm, Lange befand. „Ich
iibernehme es nicht zu unterscheiden , wie er in die Centralhole
des Rhizostoma gelangt war, doch-konnte man unter Anderem sehr
wol zulassen, dass er bereits als Larve oder in der friihesten Ju-
gend eingewandert ist." . . . Dass es dieser umstandlichen Deutung
nicht bedarf, die iiberhaupt auf einer Verkenuung des histologi-
schen Baues des Entoderms beruht, werden wir weiter unten
sehen. — — Die die Krausen besetzenden kleinen Digitellen tut
Brandt mit folgenden Worten ab: „Die Fliigel sowohl, als auch
die blattformigen Anhange der Arme besitzen feine nach aussen
furende Gefassoffnungen, in deren Umgebung auf den Krausen-Ran-
dern feine franzenformige Flilfaden sitzen." Und wieviel kommt
gerade auf die Kenntniss des Baues der Digitellen an !
Einer fiinften und letzten Untersuchung haben wir noch zu
gedenken, namlich der Untersuchung von Grenacher und NolP)
iiber Crambessa Tagi. Die Verfasser sind die ersten, welche den
waren Sachverhalt an Crambessa darstellten. „Ueber das Wesen
der Mundoffnungen , so berichten dieselben, namentlich iiber ihre
Begrenzungen, ihre Grossenverhaltnisse, und damit iiber ihre An-
zal ins Klare zu kommen, ist durchaus keine so einfache Sache,
^) Grenacher und Noll, Beitriige zur Anatomie und Syste-
matik der Rhizostomeu. Frankfurt a. M, 1876,
Die Muudarme der Ehizostomen und ihre Anliangsorgane, 267
wie es Manchem erscheinen mochte, und wir haben, da wir bei der
Uutersuchung an Ort und Stelle iiber etwaige Vorarbeiten im Un-
klaren waren, ziemlich lange Zeit gebraucht, urn wenigstens eini-
germassen zutreffende Begriffe dariiber zu erwerben. Ganz damit
zu Ende zu kommen, ist uns freilich auch nicht gegliickt. . . . Be-
trachtet man den freien Rand eines mundtragenden Lappens (die-
ser Ausdruck ist gleich unserem : Trichterkrause) mit blossem Auge
Oder mit der Lupe, so sieht man, dass der wollige Besatz des Ran-
des sich auf alle die zalreichen Ausbuchtungen, secundaren u. s. w.
Lappchen hinerstreckt. Schneidet man mit der Scheere einen klei-
nen Teil davon ab und betraclitet ihn von der Seite bei schwa-
cher Vergrosserung, so erkennt man, dass man es hier mit einem
Teil eines vielfacli gefalteten Trichters zu tun hat, dessen freier
Rand mit iiusserst zalreichen contractilen Tentakeln besetzt ist.
Die Wande des Trichters sind einander sehr genahert, der Hol-
raum desselben also ziemlich eng. ... Sie bestehen aus einer durch-
sichtigen Gallertmasse wie die des Schirmes ; diese hebt sich scharf
ab von dem triiben Epithelialbeleg (Endoderm), welcher den Hol-
raum des Trichters auskleidet." Ueber den feineren Bau der Di-
gitellen und der Krausen selbst wird nichts weiter angegeben. Wei-
terhin wird dann liber die Grosse gesprochen, welche ein solcher
Trichter besitzt. „Mikroskopische Oelfaungen sind es keinesfalls;
ihr Umfang misst gewiss nach Centimetern ; wie gross aber , das
konnen wir mit Bestimmtheit nicht angeben." Dann kommt weiter
eine wichtige Bemerkung, die allein geniigt, die Theorie der Saug-
miindchen umzustossen. Sie berichten namlich, einmal aus einer
dieser TrichteroflFnungen einen kleinen halbverdauten Fisch von
etwa Zolllange herausgezogen zu haben, ein Beweis, dass es sich
hier um eine Verdauung innerhalb der Krause handelte,
Dass diese Beobachtungen von Grenacher und Noll nicht
in die Lehrbiicher iibergingen, liegt wol daran, dass sie sich nur
auf eine Gattuug erstreckten.
B. Entstehung und Bau der Digitellen.
Untersucht man die Trichterkrausen niiher, so fiudet man den
offenen Rand derselben mit kleinen tentakeliinlichen Organen be-
setzt. Man wird sofort an die Gastralfilamente erinnert, und fragt
es sich nun, ob diese kleinen Organe wie die Gastralfilamente vom
Entoderm tiberzogen sind oder vom ausseren Keimblatt. Sind dann
zweitens diese Organe Neubildungen , welche allein bei den Rhi-
268 Otto Hamanii,
zostomen vorkommen, oder findeii sie sich auch bei dun iibrigen
Disconiedusen? Urn diese Frage zu beantworten, uiitcrsuchten wir
verschiedene der Discomedusen daraufhin. Von den Semostomen
wurde Pelagia perla untersucht. Die Randei- der langen Mund-
arme eutbehrten unserer Organe; dafiir fanden sich aber iiber die
ganze Ectodermalflache Nesselwarzen oder Nesselpapillen zerstreut
Es siud AnhaufuDgen von Nesselzellen , welche iiber das iibrige
Ektoderm hervorrageud auf einer Gallertwucherung sitzen. Zwi-
scheu diesen Nesselpapillen verlaufen die Epitlielmuskelzellen in
zierlicher Weise. Eine solche Nesselpapille ist in Fig. 17 abge-
bildet. Warend diese niedere Discomeduse Mund - Tentakeln ent-
behrt, besitzen die Cyaneiden und Ulmariden, zu welch letzteren
Aurelia gehort, dieselben. Bei Aurelia finden sich sowol die Nessel-
papillen als auch die tentakelanlichen Organe vor. Wiilt man aber
junge Exemplare, so sieht man nur Nesselpapillen. Die Digitellen,
wie wir diese Organe nennen wollen, sind nichts aiideres als wei-
terentwickelte Nesselpapillen. Sie entstehen noch jetzt ontgenetisch
als blosse Ansammlungen von Nesselwarzen auf einer Gallertwu-
cherung. Den den Randern der Arme am nachsten sitzenden wird
jede, auch die geringste Grossenzunahrae als Vorteil bei der Er-
langung der Beute gereicht haben. Indem so dieselben ihre Lan-
genzunahme auf die Nachkommen ubertrugen, entstanden die sich
jetzt findenden Organe. Sie sind also ectodermalen Ursprunges,
wie an Fig. 15 zu sehen ist. Auf dieser Figur ist von einem noch
nicht erwachsenen Tiere ein Stiick des Armrandes abgebildet.
Man sieht, wie die Digitellen an der Aussenflache des Ektoderms
entspringen. Auf Fig. 16 ist dann das Verhiilinis bei einem er-
wachsenen Tiere dargestellt. Das Entoderm beginnt unterhalb der
Digitellen.
Vergleicht man den Bau dieser Digitellen naher mit jeneu
bei den Rhizostomen sich findenden Digitellen, so sieht man, dass
dieselben ubereinstimmen. Es sind ein und dieselben Bildungen.
Innerhalb der Digitellen verlauft eine Gallertaxe, so wie es auch bei
den Gastralfilanienten der Fall ist. Dieselbe wird vom Ektoderm
iiberzogen. Die Ektodermzellen haben an ihrer Basis Muskelfi-
brillen ausgeschicden (vgl. Fig. 14), Entfernt man das Ektoderm,
so sieht man, wie die Gallertaxe durcb quere Einschnitte in
chordaanliche Zellen zerlegt wird. Diese Erscheinung ist jeden-
falls secundar und beim Absterben der Tiere eingetreteu , zumal
die Quereinschnitte selten eine solche Regelmassigkeit zeigen, wie
Die Muudarme der Kliizostomcn und ihre Auhangsorgane. 2G'J
auf der Figur 14 dargestellt ist. Der Kopf der Digitellen (s. Fig. 13)
ist dicht mit Nesselkapselu besetzt.
Dass diese ebeu beschriebeneii Organe einen Nameii fur sicli
verdienen, um nicht mit den Tentakeln und den Gastralfilameutcn
verwechselt zu werden, leuchtet cin.
Sowol bei den soliden wie den holen Tentakeln haben wir cs
mit Entodermbildungen zu tun, das heisst bei ersteren ist die Axe,
bei letzteren die Auskleidung entodermal. Die Magenfilamentc
sind vom Entoderm uberzogen, wiirend ihre Axe iibereinstimmend
mit den Digitellen aus Gallertsubstanz besteht. Wir unterschei-
deu demnach:
1) echte Tentakeln, urspriinglich an dem Schirmrand der
Medusen sitzend, Axe hoi oder aus chordaanlichen entoderma-
len Zellen gebildet.
2) Gastralfilamente (oder Filamenttentakeln), Axe aus Gal-
lertsubstanz bestehend, vom Entoderm-Epithel uberzogen.
3) Digitellen, an den Mundarmen sitzend; Axe aus Gallert-
substanz bestehend, von ektodermalen Epithelmuskelzellen uber-
zogen. —
Was die Funktionen anlangt, so dienen die echten Tentakeln
sowie die Digitellen als Waff'en zum Fangen der Narung. Ausser-
dem werden beide als Tastorgane fungiren.
Die Gastralfilamente stchen sowol zur Verdauung in Bezie-
hung, worauf ihre Driisenzellen deuten, als sie audi als Schutzor-
gane fiir die Geschlechtsorgane dienen , wofiir ihre Lage und der
dichte Besatz mit Nesselkapseln , vornehmlich an ihrem Distal-
en de, sprechen. —
C. Entstehung der Arme und des Kanalsystems der
Khizostomen.
Dass die Rhizostomen mit ihren verwachsenen Armen von
Discomedusen mit vier Mundarmen abzuleiten sind, ist die bishe-
rige Annahme. Immerhin blieb noch unerklarlich, auf welche Weise
aus den vier Mundarmen zum Beispiel einer Aurelia die acht
Mundarme der Rhizostomen entstanden seien. Durch die wichtige
Entdeckung der Aurosa furcata durch E. Haeckel wurde diese
Liicke ausgefiillt! Wir haben jetzt eine Form, bei welcher die
vier Mundarme bereits durch einen Einschnitt in zwei divergente
Schenkel getheilt sind. Aurosa gehort zu den Ulmariden und ist
270 Otto Hamann,
nachstverwandt mit Aurelia ^). Wie letztere so besitzt auch sie
acht Sinneskolben mit acht breiten adradialen, bisweilcn zweiteili-
gen Velarlappen, deren jeder auf seiner exumbralen Oberseite, eine
Strecke vom Schirmrande entfernt, eine Reihe von zalreichen kur-
zen Tentakelu triigt, alternirend mit eben so vielen kleinen Dor-
sallappchen. Dies ist die Diagnose sowol von Aurelia, wie von
Aurosa. Nur dass erstere vier einfache, letztere vier gespaltene
Mundarme besitzt, ist der einzige Unterschied (vgl. S. d. M. p. 551
u. p. 559) !
An dem Arm einer Ulmaride (s. d. Fig. 6) unterscheidet man
die Armrippe (costa brachialis) und die Armspreiten, welche die
beiden symmetrisch gleichen Halften der blattformigen Arme vor-
stellen. Die concave innere Flache ist vom Entoderm, die con-
vexe aussere hingegen vom Ektoderm iiberzogen, und zwar von
ektodermalen Epithelmuskelzellen. Die Riinder der „Armkrausen"
werden von den Digitellen besetzt.
Indem nun die Rander der Armkrausen mit einander ver-
wachsen, entsteht ein Kanal, und zwar der Hauptkanal. Dieses
Verwachsen der Armrander zeigen uns noch jetzt die Rhizostomen
in ihrer Jugend. Wir konnen diesen Process also unter unseren
Augen sich vollziehen sehen!
Wie entstehen nun aber die Gabellappen und innerhalb der-
selben die Kanale? Hier scheint uns die Ontogenie wichtige
Schlusse auf die Phylogenie zu gestatten. An jungen Rhizostomen
sind die Arme noch nicht gespalten, . sondern gleichen den Armen
der am einfachsten gebauten Rhizostome, der Archirhiza. Es fin-
det sich nur ein Hauptkanal vor. Die Entodermauskleidung des-
selben besorgt die Gallertbildung. Indem nun auch am Distalende
des Kanals diese Gallertausscheidung von statten geht und der
Kanal selbst weiter wachst durch Vermehrung seiner Entoderm-
zellen, wird leicht eine Teilung des Kanals eintreten konnen. Diese
Teilung konnen wir uns vorstellen als hervorgerufen durch das un-
gleichmassige Wachstum der Entodermzellen, welche an einer Stelle
starker wuchern als an der andern.
Es ware demnach dieBildung desKanales primar,
die der Lappen secundar, durch erstere bedingt. —
^) Es ist von E. Haeckel das Vorkommen von zweispaltigen
Mundlappen schon bei einer normalen Ephyrula von Aurelia beobach-
tet worden ! Siehe hieriiber Metagenesis u. Hypogenesis von Aurelia
aurita. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte u. Teratologic der Me-
dusen von E. Haeckel. Jena 1881.
Die Muudarme der Rliizostomeu uud ihre Auhaugsorgane. 271
Indem nun die Entodermzelleu beider Kanale nach verschiedenen
Seiten Gallerte ausscheiden, entsteht die Lappenbildung , wie wir
sie in den verschiedensten Formen vorkomraen sehen.
Diese Anschauung wird untersttitzt durch die Beobachtung,
dass an jungen Crambessen zum Beispiel die Teilung des Kanales
an seinem Distalcnde eingetreten ist, aber noch keine Lappenbil-
dung. Diese tritt erst secundar auf! —
Weiteren Untersuchungen ist es vorbehalten , nachzuweisen,
ob diese Ansiclit die richtige ist.
D. Entstehung und Bau der Trichterkrausen.
Bei der Untersuchung der Trichterkrausen zeigte es sich, dass
die von Al. Brandt (a. a. 0.) verlangte pbysiologische Beobach-
tungsweise an lebenden Tieren nicht notig ist, um die Funktionen
der Krausen zu erkennen. Es geniigt auch hier die Kenntnis des
feineren Baues der Organe, um mit voller Sicherheit auf ihre Funk-
tionen zu schliesseu. — Gehen wir noch einmal auf das Zusara-
menwachsen der Arme von Aurosa zuriick. Es verwachseu die
beiden Bander der Arme, nachdem sie sich aneinander gelegt
haben, in verschiedenen Berurungspunktcn. Es bleiben also eine
Menge von Oeifnungcn ubrig. Um diese stehen die Digitellen.
Wachsen nun die freien Bander, welche die Oeffnungeu umsaumen
und begrenzen, in die Lange, so entsteht naturgemass ein Trich-
ter. Die Oeffnung in den Kanal wird also in der Tiefe des Trich-
ters liegen. Dieser selbst kann durch Lappenbildung stark ver-
grossert werden, sodass seine Eingangsoflfnung nach Centimetern
misst. Je nach dem verschiedenen Wachstum sind die Trichter-
krausen modificirt. Wachst zum Beispiel der Trichter und mit
ihm die Oeffnung in den Kanal in die Lange, so scheint es, als
ob ein Kanal aus jeder Trichterkrause wegfurte (vgl. die Figuren).
So finden wir es zum Beispiel oft bei Cotylorhiza , wo der Kanal
innerhalb der Krause zu verlaufen scheint, um sich dann in den
geraumigen Trichter zu otfnen. Dieser Kanal ist also die in die
Lange gewachsene ursprungliche Verwachsungsstelle der beiden
Armrander.
Die Trichterkrausen werden vom Entoderm ausgekleidet, des-
sen Zellen von hoher cylindrischer Gestalt sind. Auf das Entoderm
folgt eine dunne Lage Gallerte und auf diese die Epithelmuskel-
zellen des Ektoderms. Die Muskelfibrillen verlaufen in der Rich-
tung der durch die Krause gelegten Langsaxe.
272 Otto HamanD,
Das ganze Organ niit seineii Digitellen ist eiiier ausseroident-
lichen Ausdelmung fiihig. Douken wir an unsere Siisswasser-Hydra,
wclchc dieselben Epithelmuskelzelleii besitzt. Sie kann sich von
cinem bis auf wcnige Millimeter contrahirten Zustand bis zu meh-
rereu Centinietern ausdehnen. Und vvie sich dann weiter die Ten-
takeln eiuer Hydra contrahiren und ausdehnen konnen, so werden
es auch die Digitellen vermogen. Die Trichterkrausen besetzen,
Avie schon obeu erwant, bei Toreumiden und Versuriden nur die
ventrale Armseite mit einer Langsreihe. Bei den Pilemiden und
Crambessidcn hingegeu finden sich noch zwei dorsale Reihen. Ueber
die Entstehung derselben sagt E. Haeckel im System der Me-
dusen p. 581 : „Wareiid so die Ventralcrispe der Pilemiden unzwei-
felhaft als Homologon der einfachen Axial-Krause der Toreumiden
sich ergiebt, so erscheinen dagegen die beiden Dorsal- Crispen der
Ersteren als eigentiimliche Bildungen, welche den Letzteren feh-
len. Indessen ergiebt die genauere Untersuchung, namentlich der
Entwickelung , sowie die ausgcdehnte Vergleichung der mannich-
faltigen verschiedenen Krausen-Formen , dass dies nicht der Fall
ist. Vielmehr sind die beiden Abaxialkrausen derMul-
ticrispen selbstandige Fortbildungen der beiden Ga-
bellappen, welche bei vielen Unicrispen am Distal-
cnde der 8 Arme durch deren Gabelspaltung entste-
hen. Indem zwischen diesen beiden Gabellappen der Hauptstamm
des Amies mit seiner einfachen Ventral-Krause in der urspriing-
lichen Richtung weiter wachst und sich in den starken „Unterarm"
fortsetzt, driingt er die beiden Gabellappen dergestalt auf die Dor-
salseite hinaus, dass sie unter Axendrehung um ihre Insertions-
Basis vollig umgeschlagen werden und dass ihre beiden Krausen
eine ganz abaxiale Lage erhalten" (s. p. 582 S. d. M.).
In derselben Weise wie bei den Pilemiden wird auch die Ent-
stehung der zwei dorsalen Trichterkrausen bei den Crambessiden
von Statten gehen. —
Die Bildung der Trichterkrausen , wie sie geschildert worden
ist, kann sowol anjungen Exemplaren als auch an alteren und aus-
gewachsenen Tieren beobachtet werden. So bei Polyrhiza vesi-
culosa, wo die Kanale noch im Verwachsen begriffen sind und die
Trichterkrausen noch im Entstehen sind (vgl. im spec. Telle Po-
lyrhiza vesiculosa). Auch Stomolophus fritillaria konnen wir hier
anfiiren (vgl. p. 253).
Es entstehen diese Organe ontogenetisch auf dieselbe Weise,
Die Mundarme der Ehizostoraen nnd ihre Anhangsorgane. 273
me sie sich im Laiife der Zeit bei ihreu Vorfahren gebildet hal^eii.
Cenogenetisclie Ersclieinungeu sind niclit eingetreten.
E. Entstehung der Scapuletten oder Schulterkrausen.
Scapuletteii oder Schulterkrausen sind die am abaxialen Schul-
ter-Rande der Oberarme sich findenden blattformigen oder kamm-
formigen Anhange von E. Haeckel genannt worden. Sie kommen
bei den Pilemiden vor und fehlen den drei iibrigen Familien. Es
finden sich stets sechzehn Scapuletten, von denen immer je zwei
zusammenstehen. Die Schulterkrausen sind die obersten Lappen
der Dorsal-Krausen, „\velche durch einen tiefen Einschnitt von den
untereu Hauptstiickcn der letzteren getrennt und abgelost werden."
Dieser Einschnitt ist von E. Haeckel die Scapular-Bucht ge-
nannt worden (S. d. M. p. 582), Durch Fortwachsen des Unterar-
mes ist dann die Bucht grosser und grosser geworden, sodass man
dann glauben konute , Neubildungen vor sich zu haben. An jeder
Schulterkrause unterscheidet man nach E. Haeckel drei Rander,
einen inneren , oberen und unteren Rand. Mit dem inneren axialen
Rande ist die Krause festgewachsen. Der obere Rand ist meist
sichelformig gekrummt und mit Trichterkrausen besetzt. Der untere
Rand ist glatt und concav ausgeschnitten. Krtimmt man, den con-
vexen glatten Abaxial-Rand des Oberarmes aufwarts nach aussen,
so legt sich dieser Rand mit dem concaven unteren oder „Fissions-
Rand" der Schulterkrause zusammen, sodass keine Liicke bleibt
(a. a. 0.). Was aber die Richtigkeit dieser Ansicht, nach welcher
die Scapuletten der oberste Teil der Krausenreihe sind, am mei-
sten beweist, ist der Bau derselben. Die dieselben besetzenden
Trichterkrausen sind von demselben Bau wie die auf den Armen
sitzenden. Sie haben dieselben Digitellen wie letztere. —
Nachdem wir die Anhangsorgane I. Ordnung, die
Trichterkrausen und die Digitellen, betrachtet haben,
kommen wir zu Organen, welche nicht sammtlicheu Rhizostoraen
zukommeu, sondern nur vereinzelt auftreten. Sammtliche im Fol-
genden zu beschreibenden Organe dienen als Waff en, mit Htilfe
deren die Beute ergrilfen wird. Einigen werden auch noch andere
Funktionen zukommen, wie wir sehen werden.
Bd. XV. N. F. Vm. 2.
18
274 Otto Hamann,
Anhaiigsorgane II. Ordiiuug.
Alle die nun zu besprechenden Organe nennen wir Organe
II. Ordnung, da sie aus Krausen hervorgegangen sind, nicht aber
Neiibildungen vorstellen. Wir konnen unmittelbar die Ontogenesis
derselben verfolgen! —
Diese Organe zerfallen in zwei Gruppen. Diese zwei Grup-
pen entstehen naturgemass durch Verwachsung der Trichterkrau-
sen in zweifacher Weise. Eine dritte mogliche Weise der Ver-
wachsung giebt es iiberhaupt nicht.
I. Erstens konnen die Trichterkrausen incircularer
Richtung verwachsen; es entstehen dann die ver-
schiedenen Formen der Nesselkolben. Diese Art
der Verwachsung nennen wir Ringverwachsung
(concrescentia annularis).
II. Zweitens konnen die Trichterkrausen in longitu-
dinaler Richtung verwachsen; es entstehen dann
die verschiedenen Formen der Nesselpeitschen.
Diese Art der Verwachsung nennen wir Langsver-
wachsung (concrescentia longitudinalis).
Wir beginnen mit der Darstellung der durch Ringverwachsung
entstandenen Organe.
A. Entstehung iind Bau der Nesselkolben.
Wir schildern im Folgenden den Bau und die Entstehung der
Nesselkolben vornehmlich von Cotylorhiza tuberculata, welche im
bestconservirten Zustande vorlag. —
An jedem Nesselkolben (s. Fig. 24) unterscheiden wir den
Stiel und den Kopf. Der Kopf zerfallt widerum in einzelne Telle,
in die capitula. Untersucht man die verschiedenen Trichterkrau-
sen einer Cotylorhiza, so findet man solche, bei denen die noch
kleinen Digitellen, welche im Kreise dieselbe umsaumen, sich eng
aneinander gelegt haben. Bei anderen sieht man, wie einzelne
der Digitellen zu Gruppen mit einander verschmolzen sind , Stiel
mit Stiel, Kopf mit Kopf, sodass letztere ein Nesselpolster vor-
stellen. Dann trifft man Formen an, wo sammtliche Digitellen in
einzelne Partien verschmolzen sind. Es scheint dann die Oeiftiung
der Krause geschlossen zu sein. Hier und da steht noch eine
Digitelle isolirt, urn dann abzufallen. Indem nun diese verschmol-
zenen Digitellen — die Capitula der Nesselkolben — wachsen und
Die Muudarme der Rhizostomen und ihre Anhaugsorgaue. 275
ebenso die Krause wachst, entsteht der Nesselkolben. Bald ist er
lang gestielt, bald kurz gestielt.
Betrachtet man ein Capitulum (s. Fig. 26), so kann man an
den Einscbnitten erkenneu, wieviel Kopfe der Digitelleu an der
Bildung desselbeu beteiligt waren.
In jeden Nesselkolben fiirt ein Kanal , der sicb in der Mitte
zwischen den Capitulis otfnet. An Querscbnitten siebt man, wie
die Kopfe der Kolben bol sind, sodass also der Kanal vor dem
Austritt in eine weite Hole miindet.
An Klopfpraparaten siebt man, wie unter den dicbt gedrangt
sitzenden Nesselkapseln das Epitbel zuni Vorschein kommt. Es
bestebt aus grossen polygonalen Zellen, in denen an Carminprapa-
raten die Kerne sebr scbon hervortreten (s. Fig. 28). Das Epitbel
der Stiele bestebt selbstverstandlicb wie das der Tricbterkrausen
aus Epitbelmuskelzellen, welcbe parallel der Langsaxe des Nessel-
kolbens verlaufen. Unter dem Epitbel folgt die Gallerte und das
Entoderm, welcbes den Kanal auskleidet. Im Entoderm finden
sicb die „einzelligen Driisen" bald einzeln bald in Paketen zusam-
menliegend vor. —
Sind wir so im Klaren iiber die Entwicklungsgescbicbte der
Nesselkolben, so werfen wir die Frage auf, wie sind dieselben pby-
logenetiscb entstanden? Konnen sie anders entstanden sein als
wie sie nocb jetzt entsteben ? Sie sind im Verlaufe von vielen Ge-
nerationen auf dieselbe Weise entstanden , wie sie jetzt im Laufe
der Entwicklung eines ludividuums entsteben. Es wird ein Ueber-
fluss an Mundoffiiungen vorbanden gewesen sein., in Folge dessen
werden einzelne, indem sie nicbt im Gebraucbe waren, verwacbsen
sein. Durcb die Verwacbsung wurde aber ein Vorteil fiir das Tier
gebracbt, indem auf einer Stelle eine Menge von Nesselkapseln ange-
biiuft wurden (die verwacbsenden Kopfe der Digitellen), und so ent-
stand zunacbst eine Waffe, die sicb nur nocb wenig zu vervollkomm-
nen braucbte, um zu dem jetzt vor uns stebenden Organ zu werden.
Von dem Bau der Nesselkolben bei Cotylorbiza weicben die
der iibrigen Rbizostomen wenig ab. Es ist nur in der Grosse ein
Unterscbied , und dieser ist widerum in der Grosse der Krausen
bedingt, und diese wider in der Grosse der einzelnen Arten.
B. Entstehuug und Bau der Nesselpeitschen.
Der Verwacbsung der Tricbterkrausen im Kreis stebt die Ver-
wacbsung in die Lange entgegen. Es verwacbsen in diesem Falle
18^
276
Otto liamaun,
nicht die einzelnen Digitellen miteinander, sondern es zieht sich die
Krause gleichsam in die Liiiige (in a b), sodass aus der ursprung-
lichen rundenTrichteroffuung einelauggozogene schlitzformige Oeff-
nimg entstelit, an derun beiden Rixudern die Digitellen in je einer
Pieihe stehen.
Hoclist interessant ist es, dass wir dieses Stadium mit lang-
aufgeschlitzter Oeftnung bei einer Rbizostome constant antreffen,
namlicb bei Pilenia clavigera. In Fig. 31 ist eine solcbe modifi-
cirte Krause abgebildet. Das Ende derselben ist stets umgebo-
gen, was wahrscbeinlich dureb starke Muskelcontractiou beim Ab-
sterben zu erklaren ist.
An diese modificirteu Tricbterkrausen scbliessen sicb eng an
die Nesselpeitscben der Lycbnorbiziden. Man denke sicb die Krause
der P. clavigera nocb weiter in die Lange gewacbseu und man
bat die Nesselpeitscben der Lycbnorbiza vor sicb. Diese sind also
in ibrer ganzen Lange geoffnet. Docb kommen aucb scbon Peit-
scben vor, an welcben eine Verlotung der beiden Riinder eingetre-
ten ist. Diese Verlotung gescbiebt dann unterbalb der Digitellen,
sodass diese wie auf einer Leiste aufsitzen.
Eine dritte Form von Nesselpeitscben, welcbe von denen der
eben genannten Art abzuleiten sind, lindet sicb bei Cepbea. Die
Verlotung der beiden Pander ist vor sicb gegangen. Es findet
sicb ein Kanal iunerbalb der Peitscbe, welcber bis zum Distaleude
verlauft. Die Digitellenreiben sind verscbwunden. Die Peitscbe
ist in ganzer Lange mit Nesselkapseln dicbt bedeckt. —
Aucb an diesen Organen wie an den Nesselkolben zeigt es
sicb, wie zweckmassige Bildungen entsteben konnen durcb zufallige
Abiinderungen , wie bier die Verwacbsung der Tricbterkrausen.
Wie eine Abauderung, die dem ludividuum zum Vorteil gereicbt,
sicb vererbt, weiter fortbildet und wir scbliesslicb vor einem neuen
Organe stehen, welches uicbts mebr von seiuem Urspruuge zeigt,
Die Mundarrae der Ehizostomen und ihre Anhangsorgane. 277
sondern one Kenntnis seiner Entwicklung uns als etwas Neugebil-
detes erscheint, dies zeigt uns die Entstehung der Anhangsorgane
vortrefflich. Was aber diese Organe besonders interessant macht,
ist die unverfalschte Widerholung der Stammesgeschichte.
Wie Arnibildung und Kanale, wie Tricliterkrausen und Digi-
tellen, wie Nesselkolben und Nesselpeitscheu einst entstauden sind
und sich entwickelt haben, so entwickeln sie sich noch heute an
jedem einzelnen Individuum! —
C. Die Terminalknopfe.
Schon im speciellen Teil haben wir auf die Entstehung der
Terminalknopfe hingewiesen. Bei Pilema pulmo gingen jedenfalls
die Trichterkrausen urspriinglich bis zum Distalende des Armes
hinab. Dass sich jetzt das letzte Drittel des Unterarmes one Krau-
senbildung findet, ist vielleicht auf eiuen Ueberfluss an Trichter-
krausen zuriickzufiiren , sodass die unteren verkiimmerten. Eine
Tatsache, die fiir den urspriinglichen Krausenbesatz spricht, ist
die Teilung des Hauptkanales unterhalb der Krausen in drei Ne-
benkanale. Weiter konnen wir das Vorkommen von Digitelleu an
den OeffQungen des Terminalknopfes bei jungen Tieren als Beweis
anfiiren.
Bei Versura findet sich am Ende eines jeden Unterarmes ein
„Terminalkolben". Derselbe ist als modificirte Krause aufzufassen
und gehort zu den Nesselkolben.
Die IJriiuriiuv der Rhizostomcii und die Bedeutuiig ihrei'
Anhangsorgane.
Nach den bisherigen Ansichten, wie sie in den Lehrbiichern
zum Ausdruck kommen, sollte die Ernarung in folgender Weise
von Statten gehen. Die Rhizostomen sollten mit ihreu Armen die
Beute erfassen und vermittels der „Saugoffnungen" dieselbe aus-
saugen. Die Nesselkolben einer Cotylorhiza wurden auch als
Saugroren gedeutet. Nachdem wir aber gesehen haben, dass es
gar keine „Saugoffiiungen" giebt, sondern dass zur Aufnahme der
Narung geraumige centimetergrosse Trichter dienen, an deren Proxi-
mal-Ende ein Kanal ausgeht, welcher zu den Nebengefassen fiirt,
wie es schon bei Crambessa von G r e n a c h e r und Noll darge-
278 Otto Hamann,
stellt wurde, ist die Ansicht von den Saugkrausen hinfallig ge-
worden ^).
Die Narungsaufnahme vollzieht sich in folgender Weise. Die
Trichterkrausen mit iliren Trichteroffnungen und den im Kreise
den Rand derselben besetzenden Digitellen sind weit geoffnet;
kommt nun ein Tier, sei es ein kleiner Fiscli oder Krebs, in die
Nalie der Oeft'uung, so ist die Krause durch ihren Besatz von
Epithelmuskelzellen im Stande sich auszudehnen und mittels der
Digitellen die Beute aufzunehmen. Hierbei werden die Digitellen
sowol als Watfen als audi als Tastorgane fungiren. Innerlialb der
Tricliterkrause (s. die Fig. 21a , auf welclier die Digitellen fiber
der Beute zusammengesclilagen sind) werden die gefangenen Tiere
durch die Entodermbekleidung verdaut. Man findet Krausen, in
welchen die Reste von Krebsen in halbverdautem Zustande sich
befinden. Der durch die Ausscheidung der Entodermzellen gewon-
nene Narungsbrei wird nun durch die Kanale mittels des Flimmer-
epithels der Zellen, wie auch durch die Muskelcontractionen ge-
trieben. Wie dehnbar diese Gefasse sind, kann man aus den oben
angefiirten Beispielen ersehen, wo man Fische von ziemlicher Grosse
in denselben angetroffen hat. Die unverdauten Telle, das Skelet
der Krebse zum Beispiel, werden dann durch eiufaches Oeffiien
der Krausen wieder entieert. Die Ernaruug der Rhizostomen ist
also nur in sofern verschieden von der der tibrigen Medusen, als
die Verdauung nicht im Magen stattfindet, sondern bereits in den
Trichterkrausen und den Kanalen. —
Welchen Zwecken dienen aber die Anhangsorgane ? Die durch
die Ringverwachsung entstandenen Organe haben wir deshalb „Nes-
selkolben" genannt, um ihre Funktion als Waffe anzudeuten. Sie
werden beim Fange durch die Masse von sich entladenden Nessel-
kapseln die Ergreifung der Beute erleichtern. Bei Cotylorhiza
sitzen viele derselben auf langen Stielen und sind als Saugroren
gedeutet worden. Die Oetfnung wird jedoch zur Entleerung von
Excrementen dienen, vielleicht auch, obgleich dies unwarschein-
licher ist, zur Aufnahme von Wasser. Saugroren sind diese Or-
gane mit ihren von Nesselkapseln dicht besetzten Kopfen kaum,
es miissten denn die Nesselkapseln selbst zur Anheftung dienen.
Die Terminalknopfe, wie sie sich bei Pilema am Distal-Ende
1) Wir bemerken an dieser Stelle noch, dass bei vielen Khizo-
stomen die Krausen durch das Wasser abgewaschen oder durch Tiere
abgebissen sind. Es ist deshalb bei der Untersuchung Vorsicht notig,
ura nicht das abnorme Verhaltnis flir das norraale zu halten.
Die Mundarme cler Rhizostomen und ilire Anhangsorgane. 279
der Arme findeii, dienen, da sie ebenfalls mit Nesselkapseln dicht
besctzt sind, audi warschcinlich als Watfeu.
Was nun die Nesselpeitschen anlangt, so miissen wir unter-
scheidcn zwischen denen, bei weldien sich ein Kanal findet, also
die Rander der urspriingiiclien Trichterkrause verwachsen sind,
und zwisdien denen, bei weldaen dies nicht der Fall ist.
Bei Pilema davigera werden die modificirten Krausen noch
zur Narungsaufnahme dienen. Bei Lychnorhiza werden die schon
selir langeu Peitsclien trotz ihrer noch in ganzer Lilnge verlaufen-
den Oeffnung sowol zur Narungsaufnahme, als auch vornehmlich
zura Umschlingen grosserer Tiere geeignet sein.
Nur als Fangarme dienen die Nesselpeitschen bei den Cepheen,
wo sie dicht mit Nesselzellen besetzt sind und die Verlotung der
Rander zu einem Kanal eingetreten ist. In Folge der Contrac-
tilitat der Muskelfibrillen werden diese langen Peitschen vortreff-
lich zum Fangen sich eigneu. Der Kanal, der in der Axe ver-
liiuft, dient nur zur Ernarung der Peitsche. Wenn sich am Ende
derselben eine Oeffnung findet, so wird diese wol denselben Zweck
liaben, wie die Oeffnung in den Nesselkolben. —
Zum Schluss wollen wir noch erwanen, dass bei keiner Rliizo-
stome ctwas den Bruttaschen der Aurelien Analoges sich findet.
Wiirend die Eier bei Aurelia in die Arme gelangen, in weldien
Aussackungen entstehen und die Eier aufnchmen, und bis zum
Gastrulastadium beherbergcn, scheinen bei den Rhizostomen die
einzelnen Trichterkrausen als Bruttaschen zu fungiren, doch fehlen
noch nahere Beobachtungen hieruber.
Kurze Aiigabc der Resultale.
Wir wollen nun in wcnig Worten die gefundenen Resultate
zusammenfassen.
Dieselben betreft'en erstens das Gefasssystem der Arme, zwei-
tens den Ban derselben, drittens den Bau und die Entwicklung
der Anhangsorgane, und viertens die physiologische Bedeutung
derselben.
Was das Gefasssystem anlangt, so findet sich im Oberarm bei
siimmtlichen Rhizostomen nur ein Gefass, das Hauptgefass. Das-
selbe giebt an der Basis des Unterarmes die Nebengefasse ab,
und setzt sich selbst in der Axe des Unterarmes fort (Pilemidae),
280 Otto Hamaun,
Oder es zerfallt sell^st in die Nebengefiisse , welche also directe
Fortsetzuiigen des Hauptgefiisses sind.
1st der Unterarm gabelteilig, so finden sich z^Yei Nebengefasse;
ist er dreikantig pyramidal, so findet man drei parallel verlaufeude
Nebeiigefasse. Ira Allgemeinen gilt der Satz: Jede Krausenreihe
besitzt ein Nebengefiiss. —
Was dann die Arme selbst anlangt, so ist zu bemerken, dass
ihre Abaxial-Seite mit ectodermalen Epithelmuskelzellen besetzt
ist; der Verlaiif der Fibrillen ist parallel der Armaxe.
Es wurde dann weiter die Unhaltbarkeit der Saugoffnungen-
Tbeorie gezeigt, und statt der Saiigkraiisen der Name Trichter-
krausen eiugefiirt. Die dieselbeu besetzenden Digit ell en wur-
den als ectodermale Bildungen erkannt und die Entstehung der
Anhangsorgane aiis Tricbterkrausen verfolgt. Wir teilten diese
Anhangsorgaue in zwei Gruppen ein, je nach der Verwacbsmig der
Krausen. Die erste Gruppe, bei der die Organe durcb Ringver-
wachsung entstauden, umfasst die Nesselkolben, Die zweite
Gruppe, in welche die durch Langsverwachsung entstandenen Or-
gane gehoren, umfasst die Nesselpeitschen. Nach der Kennt-
nis des histologischen Baues wurde dann die Frage entschieden,
welchen Nutzen diese Organe bringen, und gefunden, dass sie als
Waffeu bei dem Fang der Beute dienen.
Nach dem Niederschreil)en dieser Zeilen finde ich ira Zoologi-
schen Anzeiger vom 21. Februar 1881 eine Mitteilung von Prof.
C. Glaus in Wien, in welcher derselbe zu teilweise anderen Er-
gebnissen gelangt ist wie ich.
Ehe ich jedoch hierauf eingehe, sei beraerkt, dass ich den Ton,
den Prof. C. Glaus in seiner Mitteilung einzuschlagen fiir notig
befunden hat, nicht beibehalten will. Wenn er von „unbegreiflicher
Misdeutung" spricht oder Satze ausspricht wie: „Man sieht wieder,
zu welchen Irrungen die Phantasie beim Mangel einer tatsiich-
lichen Basis verleiten kann" oder von Sachen, „die wieder nur der
Theorie zu lieb erschlossen" seien, „von durch nichts erwiesenen
falschen Annahmen", so ist es sehr schwer nicht mit gleicher
Munze zu zalen, zumal diese Ausdrucke jedes Grundes und An-
haltes entbehren!
Wenn sich G. Glaus zunachst gegeu die Einteilung Hae-
ckels im System der Mcdusen wendet, sowie dicselbe auch in der
vorliegenden Arbeit benutzt ist, so ist das wenig Stichhaltige seiner
Die Mundarme der Eliizostomen und ihre Anliangsorgane. 281
Polemik fiir jeden Kundigen auf der Hand liegend, so dass eine
Erwiderung kaum notig ist.
Er will unter R h i z o s t o m e a e die den Semostomen gegeniiber
steliende Abteilung der wurzelmiindigen Acalephen begriffen wissen
und die Bezeiclmiing Rhizostoraidae fiir die Familie und die
Gattungsbezeiclinung Rliizostoma aufreclit erhalten wissen. Es
ist also rait anderen VVorten das alte System von Louis Agassi z,
welches Glaus beibehalten* will. Nachdem aber die Unlialtbarkeit
desselbeu von Haeckel nachgewiesen worden ist, ersclieint eine
Beibehaltung desselben als unmoglich,
Ob die Haeckel'sche Nomenclatur oder die Agassiz-
Claus'sche einfacher ist, iiberlassen wir denen, welclie one Vor-
eingenoniraenlieit dieselbe prufen. C. Glaus glaubt danu einige
Irrttimer Prof. Haeckels nachweisen zu konnen, die audi in
der vorliegenden Arbeit nach Glaus begangen sind. Er glaubt
sie auf die irrige Annahme zuriickfiiren zu konnen, nach welcher
die Digitellen als „entoderraale Buccal- oder Brachialfilaraente"
morphologisch hervorgegangen sein sollten aus den Taeniolen des
Scyphostoma. Dass in einem Werke, welches Tausende von neuen
Tatsachen und Gedanken bringt, nicht Alles richtig und one Fehl
sein kann, ist selbstverstandlich, sagt doch der Verfasser des Sy-
stems der Medusen selbst, indem er darauf hinweist, dass die Ar-
beiten seiner Vorgiinger „reich an Irrttimern", viele „voll von Feh-
lern seien": „Auch mein System der Medusen wird in dieser Be-
ziehung alien seinen Vorgangern gleichen."
Was aber diese „Brachialfilamente" anlangt, so ist zu be-
merken, dass Prof. Haeckel an verschiedenen Stelleu hervorhebt,
dass diese Bildungen eiuer genaueren Untersuchung
bedurfen, und dass dieselben zu untersuchen seien auf ihren
ectodermalen oder entodermalen Ursprung hin; indem er diese
Untersuchung mir iibertrug, entstand eben diese Arbeit.
Hieraus sieht man, wie Prof. Haeckel diese Frage fiir eine
offene und noch unentschiedene hielt!
Einen zweiten Punkt betriftt die Polemik gegen die Ansicht
der Entstehung der Velarlappen der Rhizostomen durch Intercala-
tion. Letztere ist aber von G. Glaus selbst bei Stheno-
niden und Aureliden beobachtet. Sie unterscheidet sich
von der Lappenvermehrung durch Fission (wobei aus den sechzehn
urspriinglichen Ephyralappen die Velarlappen entstehen) dadurch,
dass zwischen die sechzehn Ephyralappen neu gebildete Velarlappen
eingeschaltet werden.
282 Otto Hamann,
Da wir (und wol auch CI a us!) eine nalie Vcrwandtschaft der
Aurelidcn init den Rliizostomcn annelimeii, so ware die Annahme
gereditfertigt gewesen, dass bei den Rhizostomen sich die Velar-
lappen auch durcli Intercalation anlegen mocliten. Vergleicht man
nun aber die Stelle in E. Haeclcels S. d. M, p. 461 u, 540, so
ist von einer Annahnie kaum die Rede, es steht wortlich folgendes
da: „Diese besondere Form des Wachstums (Intercalation) findet
sich bei zwei Subfamilien der Ulmariden, bei den Sthenoniden und
Aureliden, und ausserdem wahrscheinlich bei vielen (oder
sammtlichen?) Rhizostomen."
Also vvolgemerkt, es heisst nur „warscheinlich". Und mit wel-
chen Worten entgegnet hierauf C. Glaus?! Er sagt: „Somit (niim-
lich nach seineu Beobachtungen) erweist sich die iibrigens schon
an und fiir sich unwarscheinliche (!) und durch nichts begTiindete(!)
Annahme E, Haeckels , . . . als dem waren Sachverhalt gerade
eutgegengesetzt." Konnte denn iiberhaupt hier eine Annahme bes-
ser begriindet sein? —
Noch bemerke ich, dass C. Glaus nur Larven von Pilema
pulmo untersuchte! Von diesen Larven einer einzigen Art
schliesst er, dass diese Wachstumsverhaltnisse, wie er sie namlich
beobachtet hat, bei alien Rhizostomen dieselben seien! C. Glaus
riigt sonst so gern bei anderen Forscheru voreilige Schlusse, ist
jedoch selbst weit entfernt, solche zu vermeiden. Was fiir das
Wachstum der Velarlappen bei Pilema gelten mag, gilt vielleicht
fiir die Pilemiden, hingegeu noch lange nicht fiir Toreumiden, Ver-
suriden und Crambessiden. Ueber das Wachstum der Velarlappen
bei diesen Familien haben noch die Untersuchungen zu entscheiden.
Der dritte streitige Punkt betrifft die Entstehung der Scapu-
letten oder Schulterkrausen, wie E. Haeckel diese Bildungen ge-
nannt hat. Nach ihm sind dieselben die obersten abgeschniirten
Lappen der Dorsalkrausen. Dieser Erklaruug habc ich (siehe oben)
mich angeschlossen und zwar hauptsachlich auf den gleichen Bau
der Trichterkrauseu und Digitellen hin mit denen der Krausen-
reihen.
G. Glaus will nun die Entstehung der Schulterkrausen an
Larven beobachtet haben und giebt eine Schilderung, welche an
Unwarscheinlichkeit, in Vergleich mit unseren jetzigen Ansichten
iiber die Entstehung der Organe bei den Medusen, nicht iiber-
troffen wcrden kann. Sollte sich die Bildung der Scapuletten in
Warheit so vollziehen, wie es G. Glaus angiebt, und sollte er
sich nicht getauscht haben, so standeu wir vor einer Tatsache,
Die Mundarmo der Rhizostomen \ind ihre Anhangsorgane. 283
fiir (lie uns jetzt jede Erklarung fehlt. Es sollcii nacli ihm sicli
diese Organe parweise in den Adradien und Intcrradien anlegen
und wiirend des Wachstumes wandern, so dass spiiter ihre verti-
calen Radialebenen mit denjenigen der beiden dorsalen Krausen-
reihen zusammenfallen !
Die Forscher auf diesem Gebiete werden es fiir selbstverstilnd-
licli erachteu, wenn die Beobachtungen des Herrn Glaus so lauge
fiir noch nicht geniigend beglaubigt gehalteu werden, als bis von
anderer unparteiischer Seite her dieselben bestiitigt siud. —
284 Otto Hamann,
Tafelerklarung.
Taf. IX.
Fig. 1. Trichterkrause weit geoffnet, von Cotylorhiza tuber-
culata. vergr.
Fig. 2, Trichterkrause von Mastigias Papua, vergr.
Fig. 3. Stiick eines Armes von Thysanostoma. Man sieht zwei
Kanale, von welchen aus in die Trichterkrausen Kanale abgegeben wer-
den. Der dritte Kanal ist nicht zu sehen.
Fig. 4. Crambessa Tagi. Unterarm eines jungen Tieres. Z/^'- Haupt-
gefass. ng Nebengefiiss.
Fig. 5. Crambessa Tagi. Arm eines sehr jungen Tieres. Der-
selbe ist am Distaleude in zwei Lappeu zerfallen. Es findet sich nur
das Hauptgefliss (Haplorhizastadium). wenig vergr.
Fig. 6. Aurosa furcata. Der doppelt gespaltcne Arm, aus wel-
chem die der Ehizostomen abzuleiten sind (nach E. Haeckel).
Fig. 7. Polyrhiza vesiculosa. Man sieht die noch nicht ver-
wachsenen Rauder der Arme. wenig vergr.
Fig. 8. Ectodermepithel von Cotylorhiza tuberculata. Zeiss F. 2.
Fig. 9. Gallerte von Cotylorhiza tuberculata. Zeiss F. 2.
Fig. 10 bis Fig. 12. Stomolophus fritillaria. 10. Distalende
des Armes, 11. Querschnitt in ub durch denselben. 12. Uuerschnitt
durch ein Scapulett. ca Gefass. Die Rander der Arme sind noch nicht
verwachsen.
Taf. X.
Fig. 13. Digitelle von Pilema imlmo. g Gallertaxe. ec Ectoderm.
Der Kopf ist dicht mit Nesselkapselu besetzt. Daneben verschiedene
Formen derselben. Zeiss F. 2.
Fig. 11a. Digitelle von Crambessa Tagi. Das Epithel ist ent-
fernt, um die Muskelfibrillen zu zeigen; darunter liegt die Gallertaxe.
Zeiss F. 2. 14 b. Nesselkapselu von Crambessa Tagi.
Die Mundarme der Rliizostomcn iind ihrc Anliangsorgane. 285
Fig. 15. Aurelia aurita. Stiick des Armrandes, urn den ccto-
dermalen Ursprung der Digitellen zu zeigen. en Entoderm, vergr.
Fig. 16. Aelteres Exemplar, ec Ectoderm, en Entoderm.
Fig. 17. Nesselpapille yergrossert von Pelagia perla. Zeiss D. 1.
Fig. 18. Armrand von Pelagia perla. Es finden sich nur auf
der ectodermalen Seite die Nesselpapillen, aber noch keine Digitellen.
Zeiss A. 2.
Fig. 19. Arm von Cotylorhiza tuberculata mit den grossercn
und kleineren Nesselkolben. nat. Grosse.
Fig. 2 0. Trichterkrause von Cotylorhiza tuberculata in geschlos-
senem Zustande.
Fig. 2 1. Von derselben Art eine vielfach gelappte Krause (nach
einem Canadabalsampraparat).
Fig. 2 2. Driisenzellen von derselben Art. n Kern.
Fig. 2 3. Einzelne Zellen, in Teilung begriffene. « Kern. Zeiss
F. 4 u. 2.
Fig. 34. Nesselkolbcn von Versura. Von der Seite und von oben.
Fig. 35. Nesselkolben von Cotylorhiza. Nach einer nach dem
Lcben gemaltcu Skizze von Herrn Prof. Haeckel.
Taf. XI.
Fig. 2 4. Zwei Nesselkolben von Cotylorhiza. nat. Grosse.
Fig. 2 5. Ein Nesselkolben stark vergrcissert. c capitulum.
ca Gcfiiss. vergr.
Fig. 2 6. Ein Capitulum von oben. stark vergr.
Fig. 2 7. Ein Capitulum von der Seite.
Fig. 2 8. Ein Capitulum mit tlieilweise entfernten Nesselzellen.
Darunter sieht man das Epithel.
Fig. 2 9. Nesselkolben von Cephea conifera. vergr.
Fig. 3 0. Desgleicheu. ca Canal.
Fig. 3 1. Modificirte Trichterkrause von Pilema clavigera. ca Ka-
uai, di Digitellen. vergr.
Fig. 3 2. Oberes Ende ciner Nesselpeitschc von Lychnorhiza.
Fig. 3 3. Querschnitt durch diesolbe. Die Pander sind noch
nicht verldtet. ca Kanal. v Verlotuugspunkt.
Die Entwicklung des mittleren Keimblattes
der Wirbelthiere.
Von
Dr. Oscar llertwig.
(Hierzu Taf. XII -XV).
Ill der kiirzlicli von meineni Brudcr imd mir herausgegebcnen
Schrift: „Die Coelomtheorie" hatte ich die Auffassung dnrchzu-
fiihren gesuclit, dass das mittlere Keimblatt sich bei den cranioten
Wirbelthieren in ahnlicher Weise wie bei den Chaetognatlien, den
Brachiopoden und bei dem Amphioxus lanceolatus entwickele, indem
es von dem Epithel des Urdarms durch Eiufaltung erzeugt werde.
Eine nahere Begriindung dieses Satzes durch eine Reihe umfas-
sender Beobachtungen hatte ich in Aussicht gestellt. Schon seit
langerer Zeit war es meiu Plan gewesen, im Hinblick auf die
Coelomtheorie die Entwicklung des mittleren Keimblattes in der
ganzen Reihe der Wirbelthiere zu verfolgen, um auf dem Wege
der Vergleichung festen Boden auf einem Gebiete zu gewinnen,
welches in der ganzen embryologischen Literatur zu den wider-
spruchreichsten gehort. Zu dem Zwecke hatte ich mir sowohl von
verschiedenen holoblastischen als auch von meroblastischen Eiern
Serien von Entwicklungsstadien zur Untersuclumg vorbereitet. Als
Vertreter des holoblastischen Typus wurden verschieden weit ent-
wickelte Eier von Petromyzon fluviatilis, von Triton taeuiatus
und Rana temporaria in Schnittserien zerlegt; als Vertreter des
meroblastischen Typus wurden die Eier von Trutta fario gewahlt.
0. Hertwig, Die Entwickl. d. mittl. Keimbl. d. Wirboltli. 287
Den giinstigsten Verlauf nalini meiiie Untersiiclniiig bci den
Anipliibien und ganz - besonders bei Triton taeniatus, eincm Ob-
jecte, an welchem schon Scott und Osborn vor eineni Jahrc
so werthvolle Resiiltate erhalteu haben. In der Coelomtheoric
liaben daher auch die an den Eiern von Triton gemachten Be-
obachtungen meiner Ansicht von der Entwicklung des Mesoblasts
der Wirbelthiere zur Grundlage gedient ^ ).
Seitdem hat durch die Uebernahme eines neuen Lehramtes
nieine Arbeitszeit fiir wissenschaftliche Forschung vorlaufig eine
erliebliclie Einschrankung erfaliren, so dass ich nicht bestinmien
kann, in wie weit es mir in der nachsten Zeit moglich sein wird,
die geplante Untersuchung in ihreni vollen Urafange diirchzufUh-
ren. Desshalb sehe ich mich veranlasst, den Theil, welcher schon
abgeschlossen vor mir liegt und welcher uber die holoblastischen
Eier der Amphilnen handelt, fiir sich zu veroffentlichen ; hotfent-
lich wird ihm in nicht allzulauger Zeit der zweite Theil, der
dann die meroblastischen Eier zum Gegenstand hatte, nachfolgen.
*) Oscar Hertwig und Richard Hertwig, Die Coelom-
theorie etc. 1881. pag. 54 — 60.
Oscar Hertwig, Ueber die Entwicklung des mittleren Keim-
blattes der "Wirbelthiere. Sitzungsberi elite der Jenaischen Gesellscbai't
f. Mcdicin und Naturwissenscbaft. Jahrg. 1880. Sitzung vom 5. No-
Tember.
288 0. Hcrtwig,
I. Theil. Die holoblastischen Eier.
Das mittlere Keimblatt der Amphibien.
a. Triton taeniatus.
Unter den von mir untersuchten Objecten ist Triton taenia-
tus ohne Frage zum Studium der Keimblattbildung am meisten
geeignet. Verscliiedene giinstige Bedingungen vereinigen sich,
welche in Zukunft gewiss dieses Tliier zu einem Lieblingsobjekte
der Embryologcn machen werdeu. Von Mai bis Ende Juli sind
seine Eier leicht in beliebiger Zahl zu erlangen, sie sind bei ge-
eigneter Behandlung gut zu conserviren und aus den schiitzenden
Hiillen zu befreien. Die Entwicklung der Gastrula, des Meso-
blasts, der Chorda, der Urwirbel etc. ist hier noch nicht durch die
Ansaranilung von Dottermaterial wie bei den Eiern der Anuren
beeinflusst und vollzieht sich in einer mehr urspriinglichen Weise,
Avie dies schon aus den schonen Untersuchungen von Scott und
0 s b 0 r 11 zu ersehen ist. Alles in Allem verdient Triton den Vor-
zug vor den Anuren, welchen die Embryologen bisher fast aus-
schliesslich ihre Aufmerksamkeit geschenkt haben und iiber welche
eine ziemlich umfangreiche Literatur vorhanden ist, wahrend iiber
die Urodelen bis jetzt nur Bambeke^), Scott und Osborn^)
Untersuchungen publicirt haben.
Um von den Tritonen eine Serie von Entwicklungsstadien
zu erhalten, kann man zwci verschiedene Verfahren einschlagen.
>) Bambeke Ch. van. Nouvelles recherches sur I'embryologie
des Batraciens. Archives de Biologie Bd, 1, p, 305 — 380.
Derselbe, rormation des feuillets embryonnaires et de la no-
tocorde chez les urodeles. Bulletins de I'Academie royale de Belgi-
que 2'"" serie. tome L. n" 8. 1880.
2) W. B. Scott and H. E. Osborn. On some points in the
early development of the common newt. Studies from the morpho-
logical laboratory in the university of Cambridge. 1880 p. 34 — 61.
Tafel IV u. V. Derselbe Aufsatz ist auch erschienen in: Quarterly
journal of microscopical science. Vol. XIX. 1879. p. 449 — 475.
Die Entwickl. des mittleren Keimblattes cler Wirbelthiere. 289
Entweder man sammelt — und so scheineii bisher alle Autoren
verfahren zu haben — die Eier, welche von den Weibchen kurze
Zeit nach ihrer Gefangennalime einzeln an Wasserpflanzen abge-
setzt werden. Man hat hier mit dem Nachtheil zu kiimpfen, dass
man das Alter der Eier gewohnlich nicht bestimmen kann, und
dass man nach den iiusseren Veriinderungen der Oberflache eine
Entwicklungsserie sich herstellen muss. Auch hat man Sorge zu
tragen, aus den Glasern die Eier moglichst bald nach der Ablage
zu entfernen, da sie sonst von den gefrassigen Tritonen selbst
wieder verzehrt werden. Es verdient daher entschieden die an-
dere Methode den Vorzug, Tritoneier auf kiinstlichem Wege zu
befruchten und von Zeit zu Zeit einen Theil derselben einzulegen,
deren Alter man dann auf Stunde und Minute genau zu bestim-
men in der Lage ist. Man kann so Serien mit beliebig grossen
Intervallen herstellen, was fur entwicklungsgeschichtliche Unter-
suchungen ein grosser Vortheil ist.
Wiihrend bei den Anuren die kiinstliche Befruchtung sich
leicht vornehmen litsst und seit den Zeiten Spallanzani's sclion
vielmals geiibt worden ist, stosst sie bei den Tritonen auf Schwie-
rigkeiten und scheint noch nicht mit Erfolg ausgefiihrt worden zu
sein. Dies riihrt daher, dass bei den Anuren eine ilussere, bei den
Tritonen eine innere Begattung stattfindet, dass dort die Eier im
Wasser, hier im Endabschnitt der Ausfiihrwege kurze Zeit vor
ihrem Austritt befruchtet werden, dass dort die Spermatozoen im
Wasser lange Zeit ihre Lebensfahigkeit behalten, hier sehr rasch
verlieren, ehe sie noch die Hiille der Eier durchdringen und die
Befruchtung bewirken konnen. So blieb mir denn auch bei den
Tritonen stets der Erfolg aus, der bei den Anuren ausnahmslos
eintritt, wenn man die reifcn Eier im Wasser mit dem Sperma
vermischt. Da das Misslingen ofienbar dadurch verursacht wird,
dass im Wasser die Spermatozoen absterben, weil sie auf die
Fliissigkeit in den Oviducten angepasst sind, so veranderte ich
das Menstruum und ersetzte es durch eine an Salzen und Col-
loidstoffen reichere Fliissigkeit. In der That blieben nun auch die
Spermatozoen sowohl in einprocentiger Kochsalzlosung als auch in
Serum aus der Bauchhohle der Tritonen und in verdiinntem Hu-
mor aqueus eines beliebigen Wirbelthieres langere Zeit beweglich
und behielten ihre Fahigkeit zu befruchten. Nach Feststellung
dieser Thatsache nahm ich die kunstliche Befruchtung in folgen-
der Weise vor.
Eine grossere Anzahl frisch eingefangener mannlicher und
Bd. XV. N. ¥. VJII, 2. 19
290 0. Hcutmg,
Avoil)licher Tritonen werden getodtet; die Oviducte und die Vasa
deferentia werden frei priiparirt. Die beideii Oviducte eines Weib-
clieiis bergen gewohulich 10 reife, von Gallerthullen umgebenc,
aber noch unbefruchtete Eier; sie werden in ein Uhrschiilchen iiber-
tragen und in kleine Stucke zerschnitten , aus welchen die Eier
gewohnlidi durch Contraction der Eileiterwandung von selbst her-
ausgepresst, anderen Falles vorsichtig mit Nadeln herausgezogen
werden. Man befeuchtet die Eier niit einigen Tropfen einer der oben
genaunten Flussigkeiten und bringt sie, wenn man 20—30 Stuck
in einem Uhrschiilchen gesammelt hat, rait dem Sperma in Be-
ruhrung. Von einem Miinnchen wird das von Mai bis Juli mit
Samen angefiillte Vas deferens freigelegt und auf dem Uhrschiil-
chen in kleine Stucke zerschnitten, aus welchen man die Milch
liber den Eiern ausfliessen liisst. Man muss dafiir sorgen, dass
die Sameufliissigkeit iiberall hindringt, sei es durch ofteres Schiit-
teln des Uhrschiilchens oder noch besser dadurch, dass man mit
einem in eine capillare Spitze ausgezogenen Glasrohrchen die Milch
aufsaugt und tropfenweise iiber die einzelnen Eier wieder entleert.
Darauf bleiben die Uhrschalchen etwa eine halbe Stunde in einer
feuchten Kammer stehen und werden zuletzt in eine Schale mit
Wasser gesetzt, in welcher nun die weitere Entwicklung ungestort
von Statten geht. In wenigen Stunden kann man auf diese Weise
in verschiedeuen Uhrschalchen an hundert Eier befruchten, die sich
nahezu gleichzeitig entwickeln. Nur bei einem sehr geringen Bruch-
theile war in meinen Versuchen keine Befruchtung erfolgt und
blieb die Entwicklung aus. So habe ich mir verschiedene Ent-
wicklungsreihen hergestellt und kann fiir jedes einzelne Stadium
geuau die Stunden angeben, welche seit der Vornahme der Be-
fruchtung verflossen sind.
Scott und 0 shorn klagen, dass die Conservirung und Pra-
paration der Eier auf Schwierigkeiten stosst. Es sind namlich
die Eier von verschiedeuen Hiillen umgeben, welche dem Ein-
driugen der Reagentien einen Widerstand entgegensetzen. Zu-
nachst auf dem Dotter liegt eine ziemlich dtinne Dotterhaut,
welche leicht einreisst, und auf diese folgen noch Gallerthiillen,
welche in einander iibergehen und von welchen die innerste die
diinnste, aber zugleich die festeste ist. Eine sehr genaue Be-
schreibung derselben, auf welche hiermit verwiesen wird, hat kiirz-
lich Bambeke gegeben. Die innere feste Gallerthiille schliesst
sich nicht unmittelbar an die Dotterhaut an, sondern bleibt von
ihr durch einen mit eiweissreicher Fliissigkeit erfuUten Zwischen-
Die Entwickl. des mittlereu Keimblattes der Wirbelthiere. 291
raum getrennt, der bei den einzelnen Eiern in seiner Grosse va-
riirt. Urn nun die Einbryonen gut zu conservireu, haben Scott
und Osborn dieselben in friscbem Zustand aus den Gallerthiil-
len uiit feinen Sclieereu und Nadeln herauspriiparirt und dann
erst in Kleinenberg's Picrinscliwefelsaure erhartet. Das ist
allerdings eine sehr zeitraubende und miihsame Arbeit, welche
oft zu einer Verletzung des Eies fuhrt. Ich habe mir die Con-
servirung vereinfacht, indem ich die Eier mit ihren Hiillen in ein
leicht eindringendes Reagens brachte. Als ein solches betrachte
ich ein Gemisch von 2"/o Essigsiiure und 0,o"/o Chromsaure. Die
zvveiprocentige Essigsiiure macht die Hiillen etwas quellen und
todtet die Zellen rasch ab, vvorauf sie durch die 0,5*^/0 Chrom-
saure noch mehr erhartet werden. In 10 Stuuden ist die Hiirtung
so weit vorgeschritten , dass die Eier aus der Umhiillung leicht
und ohne Schaden zu leiden herausgelost werden konnen. Mit
einer Scheere schneidet man ein Stiick von den Gallerthiillen ab,
so dass der Raum, in welchem das Ei liegt, geoffnet wird, und
liisst dasselbe aus der Oeffiiung austreten, wobei man mit Nadeln
nachhilft. Dann werden die Eier nach einander in 70<^/o, 80*^/0,
9U*^/o Alcohol tibertragen, damit sie von der uberschussigea
Chromsaure befreit und noch weiter gehartet werden. Sie bleibeu
bei dieser Procedur nicht allein in ihrer Form vollstandig unver-
iindert erhalten, sondern lassen auch manche Structurverhaltnisse
ihrer Obertlache noch deutlicher als in frischem Zustande wahr-
nehmen. Ferner farben sie sich in der alcoholischen Boraxlosung
von Greuacher auf das vortrefflichste.
Um die Darstellung iibersichtlicher zu machen, will ich in
der Entwicklung der Keimblatter 4 verschiedene Perioden unter-
scheiden. Von diesen umfasst die erste Periode die Umbildung
der Blastula in die Gastrula, die zweite Periode macht uns mit
dem ersten Auftreten des mittleren Keimblattes bekannt, in der
dritten Periode entwickelt sich die Chorda dorsalis und lost sich
das mittlere Keimblatt von seinem Mutterboden ab, in der vierten
Periode endlich difterenziren sich die Ursegmente zu beiden Seiten
der Chorda.
Erste Periode.
Die Darstellung der ersten Periode hat von der Beschatien-
heit der Blastula auszugehen. An derselbeu sind der animale und
der vegetative Pol nicht minder deutlich als an der Blastula des
19*
202 0. Horiwig,
Froscheies zu uuterscheiden , da der erstere etwas braunlich pig-
mentirt ist uud aus kleineren Zelleu besteht, der letztere dagegen
pignieiitlos, grosszellig und wegen der an ihm stattfmdenden mas-
sigen Anhaufung der Zellen und seiner grosseren Schwere stets
nach abwarts gekehrt ist. Wenn man daher das Ei drelit, so
weudet es sich sofort in seine urspriingliche Lage wieder zuriick.
Die Furchungshohle (Taf. XIII Fig. 1 F) ist wie beim Froschei von
ansehnlicher Grosse uud mit einer eiweissreicheu , kornig gerinnen-
deu Fliissigkeit erfullt. Nach Scott uud Osborn soil ihre Wan-
dung nach dem animalen Pole zu nur von einer einfachen Zellen-
lage gebildet seiu uud hierin mit der Blastula von Amphioxus und
den Cyclostomen ubereinstimmen, dagegen von der Blastula des
Frosches abweichen, deren Decke zwei bis drei Zellenlagen ent-
hiilt. Diese Angaben kann ich nicht bestatigen und finde ebenso
wie Bambeke keine wesentliche Abweichung vom Froschei. Am
animalen Pole besteht die Wanduug (Taf. XIII Fig. 1) aus zwei
bis drei Lageu kleiner, unregelmassig cubischer Zellen, nach dem
vegetativeu Pole zu wird sie zunachst 3—4 Lagen dick und geht
dann in eine Zellenmasse (B) iiber, welche hugelartig in die Fur-
chungshohle hiueinragt und sie zum Theil ausfullt. Die ihr an-
gehorenden Zellen sind grosse, verschieden geformte Korper, welche
nach der Eiperipherie zu polygonal und fest an einander gefiigt sind,
nach innen zu lockerer zusammengehauft kleine Zwischenraume
zwischen sich frei lassen und daher auch mehr kugelige und ovale
Formen annehmen. Obwohl alle Zellen der Blastula gleichmassig
mit kleinen Dotterplilttchen erfiillt sind, wollen wir doch dem Bei-
spiel der iibrigen Autoreu folgend nur die grossen zu einer Masse
augehiiuften Elemente am vegetativeu Pole als Dotterzellen be-
zeichnen.
Die Gastrulation erfolgt am zweiten Tage nach der Befruch-
tung. In einem Falle begann sie bei einer Wassertemperatur von
15 Grad C. nach 46 Stunden, in einem anderen Falle, in welchem
die Wassertemperatur auf 20 Grad gestiegen war, trat sie schon
in der 30sten Stunde ein.
Die bei der Gastrulation schon ilusserlich wahrnehmbaren
Veranderungen ergeben drei verschiedene Bilder (Taf. XII Fig. 1
— 3). Zuerst eutsteht an der nach abwarts gekehrten Fliiche der
Blastula (Fig. 1) in einiger Entfernung vom vegetativeu Pole, als
erstes Anzeichen der beginnendeu Einstiilpung, eine kleine Grube (u).
Um dieselbe schon am lebenden Objecte zu erkennen, muss man
die Eier im Wasser umwenden und rasch untersuchen, ehe sie in
Die Eutwicld. des mittleren Keimblattes der Wirbeltliiere. 293
ihre alte Lage zuriickrotirt sind. Auf einem weiteren Stadium
(Fig. 2) — etwa 4—6 Stunden spater — ist seitlich vom vege-
tativen Pole der Kugel eine hufeiseuformig gekriimmte Rinne (u)
zu bemerkeu, welclie den spaltformig gewordenen Gastrulamund
darstellt. Schon an Embryonen dieses friihen Alters kann man
sich vollstandig iiber die verschiedeneu Hauptebeneu und Axen
des zukiinftigen Thieres orientiren. Der Gastrulamund bezeichnet
das spatere hintere Ende, seine Convexitat ist dem Riicken, die
Concavitat der Bauchseite zugekelirt, an welcher die Dottermasse
angehauft ist; linke und rechte Seite ergeben sich hieraus von
selbst*). Auf dem dritten Stadium habeu sich die beiden Schen-
kel des Hufeiseus ventralwilrts genahert; die hufeisenformige Rinne
ist daher jetzt in eine kreisformige ubergegangeu (Taf. XII Fig. 3w).
Das sich immer mehr verkleiuernde, von der Rinne umgrenzte
Feld (d) besteht aus Dottermasse, welche auf diesem Stadium der
Einstiilpung alleiu noch uicht umwachsen und von aussen daher
noch zu sehen ist; es ist der sogenannte Rusconi'sche Dotterpfropf,
welcher den Zugang zur Gastrulahohle bis auf einen kleinen dor-
sal gelegenen Spalt vollkommen ausfiillt.
Durchschnitte lehren, dass die Einstiilpung an einer Stella
beginnt, an welcher der verdiinnte Theil der Blastula-Wandung in
die Masse der Dotterzellen iibergeht (Taf. XIII, Fig. 1—4). Da-
durch wird die Gastrula, was eine Eigenschaft aller Wirbelthiere
mit Ausnahme des Amphioxus ist, bilateral symmetrisch, indem
die Dottermasse ventralwarts zu liegen kommt und dorsale Seite
und ventrale Seite von Anfang an einen verschiedeneu Character
erhalten. Wie Balfour, Scott und 0 shorn ganz richtig her-
vorgehoben haben, ist die so friih hervortretende bilaterale Sym-
metrie der Gastrula auf die Ansammlung des Dottermateriales
zuriickzufiihren.
Den genaueren Vorgang der Gastrulabildung veranschaulichen
uns die Figuren 2—4 (Taf. XIII), welche Serien von Sagittalschuit-
ten durch drei verschiedene Stadien entnommen sind. In Figur 2
ist der Urdarm {dh) noch sehr klein, dorsoventral stark comprimirt»
und lasst noch neben sich in grosser Ausdehnung die Furchungs-
1) Die Schnitte, welche man durch das Ei hindurcUegen kami,
wollen wir als Sagittal- oder Langsschnitte, als Querschnitte und als
Frontalschnitte bezeichnen. Die Langsschnitte verlaufen parallel der
Medianebeue; die Querschnitte trefFen die letztere rechtwinklig, die
Eroutalschnitte gehen der Bauch- und Riickeutlaclie parallel.
294 0. Hortwig,
hohle (F) bestehen, welche den vorderen oder den Kopftheil des
Eies einnimmt. Die Wandung der Gastrula ist dorsal am diiun-
sten mid setzt sich hier aus zwei Blattern, dem Ektoblast {EJc)
nnd dem Entoblast {JEn), zusammen, welche durch eiuen sehr
sclimalen Spalt von einander getrennt sind. Die Stelle, wo beidc
Bliitter in einander umbiegen, begrenzt die oben beschriebene huf-
eisenformige Rinne imd soil als dorsale Urmundlippe {Id) bezeichnet
werden. Von den beiden primaren Keimblattern besteht der Ekto-
blast aus 2—3, der dickere Entoblast aus 3—4 Zellenlageu. Ven-
tral ist die Gastrulaliohle nur von der Dotterzellenmasse (D) be-
grenzt, an welcher wir jotzt drei Flachen zu unterscheiden habeu:
eine gastrale, eine zweite der Eioberflache und eine dritte der
Eurclmngshohle zugevvandte ; an jeder trelifen wir eine andere Zel-
lenform an. Nach der Furchungshohle zu schliessen die Zellen
locker zusammen und sind tlieils kugelig, theils oval; nach dem
Urdarra sowohl als nach aussen sind sie fest zusammengefiigt und
gewinnen dort eine langgestreckt cylindrische, hier mehr eine un-
regelmiissig polygonale Form.
Die Zellenschicht, welche die Furchungshohle nach aussen be-
grenzt und friiher die animale Seite der Blastula bildete, hat eine
Veriinderung erfahren. Wahrend sie auf dem vorhergehenden Sta-
dium drei Zellen dick war, beginnt sie sich mit dem Eintritt der Ga-
strulation allmahlich vom urspriinglich animalen Pol oder dem zu-
kiinftigen vorderen Ende des Embryo aus zu verdiinnen. An einem
kleinen Theil der Oberilache finden wir auf dem Durchschnitte nur
zwei Lagen von Zellen, welche, unregelmassig gestaltet, meist eine
breitere und eine schmalere Endflache besitzen und mit denselben
alteruirend keilformig in einander gefiigt sind (Fig. 2).
Auf einem weiteren Entwicklungsstadium (Figur 3) hat sich
der uoch immer spaltformige Urdarm {dh) mehr nach vorn auf
Kosten der sich verkleinernden Furchungshohle (F) ausgedehnt.
Die dorsale Wand hat sich in der Mittellinie verdiinnt, da die
Entoblastzellen gegen friiher kleiner geworden und nur noch in
zwei bis drei Lagen angeordnet sind. Am meisten hat sich in
Lage und Form die Dotterzellenmasse D verandert, welche weit
mehr in das Innere des Eies aufgenommen wordeu ist. Ihre in
Figur 2 nach aussen gekehrte Flitche hat sich dadurch, dass ein
weiterer Theil zur Begrenzung des Urdarm s mit eingestiilpt wor-
den ist, erheblich verkleinert. Die Furchungshohle (F) ist enger ge-
worden ; denn es hat sich nun auch die zwischen den Zeichen * — o
gelegene Strecke der eingestiilpten Dottermasse dem Ektoblast an-
Die Entwickl. des mittlereu Keimblattes der "Wirbelthiere. 295
gesclimiegt. Die Masse der Dotterzellen selbst hat sich bei diesen
Lageveranderungen in zwei durcli eiue tiefe Furclie getrenute hiige-
lige Partieen gesondert, in cine grossere am Urmund und eine
kleinere mehr nacli vorn gelagerte. Der Ektoblast liat sich jctzt,
soweit als noch die Furchuugshohle erhalten ist, zu eiuer ein-
fachen Zellenscliicht verdiinnt. Die Zellen sind nicht mehr un-
rcgelmassig geformt und alternirend in einander gekeilt, sondern
stellen ein Epithel rcgelmassiger hoher Cylinderzellen dar. Nach
dcm Urmund zu ist der Ektoblast noch zweischichtig.
Erst mit dem Schwund der Furchuugshohle konuen wir die
Gastrulabildung als abgeschlossen erklaren. Es ist dies Ziel er-
reicht, wenn der Urmund kreisformig geworden und der Dotter-
pfropf allseitig scharf umschrieben ist (Taf. XII, Fig. 3). Bei einer
derartigen Grenzbestimmung erfordert die Gastrulation zu ihrer
Vollendung bei einer Wassertemperatur von 15 — 20 *^ R. etwa
10—14 Stunden. Der sagittale Durchschnitt (Taf. XIII, Fig. 4)
zeigt uns jetzt die Gastrula in gauzer Ausdehnung zweiblatterig,
ohne dass iudessen iiberall Ektoblast und Entoblast gleichmiissig
fest an einander schlossen. Die in zwei hiigelige Partieen gesonderte
Dottermasse ist in das Innere des Eies vollstandig aufgenommen
worden und lasst so nur noch zwei Flachen unterscheiden , eine
den Urdarm begrenzende und eine dem Ektoblast zugekehrte. Eine
kleine Partie schiebt sich in den Urmund (w) hinein, ihu als Dot-
terpfropf (d) verstopfend. Der Urdarm beginnt daselbst als ein
euger Spalt {dh'), weitet sich aber im Kopftheil des Eies zu einer
geraumigen Hohle {dJi-) aus. Der Ektoblast {Ek) ist mit Voll-
endung der Gastrulabildung in ganzer Ausdehnung in eine einzige
Schicht gleichmiissig hoher, fest an einander schliessender Cylinder-
zellen umgebildet. Der Entoblast dagegen besitzt verschiedenar-
tigere Zellenformeu und eine nach den einzelnen Regionen wech-
selnde Dicke. An der Decke des Urdarms ist er verdiinnt zu
einem einfachen Epithel cylindrischer Zellen (Enc), welche einen
schmalen, mit der zukunftigen Axe des Embryo zusammenfallenden
Streifen formiren. Im Bereich des Streifens ist die Gastrulawan-
dung am diinnsten und haften die beiden Keimblatter am festesten
an einander. Nach vorn zu werden die Zellen grosser, nehmen mehr
eine runde oder ovale Form an, sind in ein oder zwei Lagen
locker zusammengefugt und auch dem Ektoblast weniger innig ver-
bunden. Ventrahvarts und seitlich dehnt sich die Masse der Dot-
terzellen aus, die sich durch Theilung nur unerheblich verkleinert
habeu. Bemerkenswerth ist noch die dorsale Urmundlippe (Taf. XIII,
296 0. Hertwig,
Fig. 4 {Id)), welche durcli Ansammlung kleiner, in mehreren Schicli-
ten zusammen gedriingter Zellen wiilstformig verdickt ist.
Wahrend Scott imd Osborn iiber die Entwicklung der Ga-
strula kurz hinweg gehen, bin ich bei der Beschreibung der einzel-
nen Stadien langer verweilt, um in den Process der Einstiilpung
einen Einblick zu gewinnen. Aus den angefiihrten Thatsachen geht
nun klar hervor, dass wahrend der Gastrulaeutwicklung eine con-
tinuirliche und betrachtliche Oberfliichenvergrosserung der Zellen-
merabran der Blastula stattfiudet. Sie ilussert sich in einer dop-
pelten Weise: erstens in einer Vermebrung und flachenartigen Aus-
breitung der animalen Zellen; urspriinglich in 3 — 4 Lagen ange-
ordnet, verdiinnen sie sich schliesslich zu einer einfachen Cylinder-
zellenmembran. Da die Verdiinnung am animalen Pole sich zuerst
und am meisten bemerkbar macht und von hier nach dem vege-
tativen Pole fortschreitet , so muss fortwiihrend eine Verschiebung
Oder ein Wandern der Zellen vom animalen nach dem vegetativen
Pole zu erfolgen. Zweitens aussert sich die Oberflachenvergrosse-
rung auch darin, dass sich die Dotterzellen an Zahl vermehren
und weiter ausbreiten. Da nun eine irgendwie erheblichere Volums-
zunahme der Kugel nicht erfolgt, ihr Radius nahezu derselbe bleibt
und hochstens um ein Unbedeutendes wachst, so muss eine Ein-
stiilpung und eine Verdoppelung der die Kugeloberflache bildenden
Membran die Folge sein. Bei der Einstiilpung bilden die vom
animalen Pole sich vorschiebenden kleinen Zellen die Decke der
Urdarmhohle, indem sie um den oberen Lippenrand in das Innere
wandern, die Dottermasse dagegen liefert die ventralen und seit-
lichen Theile des Entoblasts. Sie gerath allmahlich vollstandig
in das Innere des Eies dadurch, dass sie um die mit * bezeich-
nete Stelle (Taf. XIII, Fig. 1 — 4) wie um einen festen Punkt
rotirt, bis ihre urspiingiiche iiussere Flache (Fig. 1 — 3 * — f)
ganz zur Begrenzung der Urdarmhohle aufgebraucht worden ist.
Bei dieser Art der Einstiilpung nahert sich die Umschlagstelle *
immer mehr der dorsalen Urmundlippe (Id) und erganzt dieselbe
zum kreisformigen Blastoporus (Taf. XII, Fig. 3). Die Dottermasse
wird also gleichfalls bei der Gastrulation vollstandig mit invaginirt.
Zweite Periode.
Noch ehe die Gastrula ganz vollendet ist, also noch vor dem
Stadium, welches Fig. 4 darstellt, haben sich im Umkreis des Ur-
mundes schon einige Veriinderungen abgespielt, die mit der Ent-
Die Entwickl. des mittleren Keimblattes der Wirbelthiei'e. 297
stehung des mittleren Keimblattes ziisammenliaiigen. Dieselben
babe icb bis jetzt iibergaiigen , um sie erst bei der Bescbreibung
der zweiten Periode, welcbe durcb die Eutstebuiig des mittleren
Keimblattes characterisirt ist, mit zu besprecben.
Aiicb wabrend der zweiten Periode erleiden die Eier an der
ilusseren Oberflacbe iuteressante Veranderungen , welche uns zur
Bestimmuug ibres Alters einen sicberen Maassstab an die Hand
geben (Taf. XII, Fig. 4— 6). Es bleibt namlicb der Blastoporus (u)
niir kurze Zeit in seiner runden Form erbalten (Fig. 4) ; dann
wacbsen seine Bander von links und recbts tiber den Dotter-
pfropf beriiber, bis sie nur nocb einen scbmalen und tiefen Spalt
Ijegrenzen (Fig. 5). Dieser liegt in der Langsaxe des Embryo am
aboralen Pol und erhalt sieb ziemlicb unveriindert, wodurcb es
ermoglicbt wird, die relative Lage der Organe zum Urmund fest-
zustellen.
Ausser dem Urmundspalt entwickeln sicb nocb drei weitere
Binnen auf der Oberflacbe des Eies. In einiger Entfernung links
und recbts von ibm erscbeinen zwei kleine halbmondformige Fur-
cben (r), welcbe sich langsam vergrossern, bis sie ventralwiirts
unter einander verbunden sind (Taf. XII, Fig. 4 u. 5). Sie um-
grenzen von der Seite und von unten das Urmundfeld, welches sicb
spilter etwas biigelartig iiber das Niveau der Eioberfliicbe empor-
bebt (Fig. 6). Wichtiger ist die andere Bildung (^), welcbe wie
die Primitivrinne der amnioten Wirbeltbiere verliiuft. Nacb vorn
vom Urmundspalt (u) und in geringer Entfernung von ibm senkt
sich die Oberflacbe des Eies zu einer kleinen Furche ein, die mit
der Langsaxe des Eies zusammenfallt (Taf. XII, Fig. 4 — 6). An-
fiinglich kurz (Fig. 4) verlangert sie sich mehr und mehr nach
vorn und nimmt schliesslich die ganze Dorsalflache des Eies ein
(Fig. 6). Sie soil als Biickenrinne (t) bezeichnet werden. Mit dem
gleicb gerichteten Urmundspalt fliesst sie weder Anfangs nocb auch
spater zusammen, sondern bleibt von ibm durcb einen queren
Wall (w) getrennt, wodurcb deutlicb bewiesen ist, dass beide Bil-
duugen in ihrer Genese vollkommen unabhangig von einander sind.
Da mit der Verlangerung der Biickenrinne nach vorn auch das Ei
in eine mehr ovale Form iibergebt, ist auf diesem Stadium die
Orientirung liber Bauch- und Biickenflache, iiber vorn und hinten
in bohem Grade erleichtert.
Wabrend dieser ausseren Erscheinungen , die einen Zeitraum
von 12 — 15 Stunden fur sich in Anspruch nehmen, gehen im In-
neren des Eies die wichtigen Veranderungen vor sich, welche das
298 0. Hertwig,
niittlere Keimblatt in's Leben rufen und welcbe der hauptsach-
liche Gegenstand der vorliegendcn Untersucbung sind. Urn in die-
selbeii eiiien vollstandigen Einblick zu erbalten, muss man das Ei
in quere, frontale und sagittale Scbnitte zerlegen. Dabei bat man
mit der Scbwierigkeit zu kampfen, dass aus eiuer Scbnittserie
immer nur eine geringe Anzabl von Scbnitten vollkommen braucb-
bar ist, da bei dem grosseren Tbeil wegen der kugeligen Ober-
flacbe des Eies die Zellenscbicbten nicbt genau senkrecbt, sondern
in hoberem oder geringereni Grade scbriig durcbscbnitten werden,
was die Deutlicbkeit der Bilder beeintracbtigt. Will man von den
wichtigen Regionen vollkommene Ansicbten erbalten, so muss man
entweder mebrere und zwar beim Scbneiden verscbieden orieutirte
Eier zerlegen oder man muss wabrend des Scbneidens die Scbnitt-
ricbtuug ofters iindern.
Die nacbste Umgebung des Blastoporus ist es, in welcber die
Entwicklung des mittleren Keimblattes scbon vor Ablauf der ersten
Periode beginnt. Drei Frontalscbnitte (siebe Anmerkung pag. 293),
die durcb den Blastoporus und seine Umgebung bindurcbgelegt
worden sind (Taf. XIII, Fig. 9. Taf. XV, Fig. 6 u. 17), geben uns
Aufscbluss bieriiber. Der in Figur 9 abgebildete Frontalscbnitt,
welcber gewissermassen ein Pendant zu Figur 4, einem Sagittal-
scbnitt, darstellt, bat gerade in der durcb die Linie c — d (Fig. 4)
bezeicbneten Ricbtung den Dotterpfropf {d) getrofifen, der aus gros-
sen Zellen zusammengesetzt nocb aus dem Blastoporus berausragt.
Die Urmundlippen, welcbe denselben so fest einzwangen, dass
nicbt einmal ein scbmaler ringformiger Spaltraum iibrig bleibt
(Fig. 9), sind verdickt und besteben aus zwei am freien Rand in
einander tibergebenden Membranen, die aus mebreren Lagen klei-
ner Zellen gebildet sind. Die innere Membran oder der Entoblast
des Gastrulamundes bangt nun aber nicbt unmittelbar mit der ein-
gestiilpten Masse der grossen Dotterzellen (D) zusammen, deren
Fortsetzung nacb Aussen der Dotterpfropf {d) ist ; vielmebr seben
wir sie in eine mebrfacbe Lage kleiner Zellen iibergeben, die auf
dem Durcbscbnitte als zwei keilformige Massen erscbeinen (Fig. 9
Me'^ Me^). Die beiden Keile drangen sicb nacb links und recbts
mit ihrem zugescbarften Rande zwiscben den Ektoblast {Eh) und
die grossen Dotterzellen (D) binein, welcbe den Urdarm {dh'^)
ventral begrenzen; sie sind von beiden, namentlicb aber vom Ekto-
blast, durcb einen Spaltraum eine Strecke weit gesondert. Xacb
Inneu, nacb dem Dotterpfropf {d) zu geben sie in die Masse der
Dotterzellen iiber, die sicb bier iunerbalb einer scbmaleu Zone
Die Entwiclcl. des mittleren Keimhlafte? der "Wirbelthiere. 209
diirch Theilung vervielfaltigt haben imd durch ihre Kleinheit von
den gewohnlichen grossen Dotterzellen unterschieden sind. Die
beiden links und rechts vom Blastopoms entstandenen Anlagen
stellen den Mesoblast dar. In denselben sab ich an einzebien
Durcbscbnitten (Taf. XIII, Fig. 9) von dem den Dotterpfropf uni-
gebenden Raiim {dh^) einen kieinen Spalt eindringen, so dass die
Zellenmasse in ein ausseres oder parietales und in ein inneres oder
viscerales Blatt zerlegt wurde, von welcben jedes zwei bis drei
Zellen dick ist. Das viscerale Blatt (Me^) vereinigt sich mit der
in lebhafter Zellenvermebrung begriffeuen Dottermasse, das parie-
tale (Jfe^) dagegen geht an der Urmundlippe in den Ektoblast iiber.
Von den beiden anderen Schnitten (Taf. XV, Fig. 6 u. Fig. 17)
ist der eine in einiger Entfernimg vor dem BL^stoporus, der andere
etwas hinter ihm durch das Ei hindurcbgelegt worden. Der Schnitt
vor dem Blastoporus (Fig. 6) lauft in einer Richtung, welche durch
die Linie x — y in dem Sagittalschnitt (Taf. XIII, Fig. 4) angedeutet
wird. Der Urdarm ist durch zwischengeschobene Dottermasse in
zv/ei Raume getrenut, in eine grosse, ventrale Hohle dh^ , und
einen schmalen, dorsal gelegenen Spalt dh^ , welcher nach riick-
warts (Taf. XIII, Fig. 4) mit dem Blastoporus (u) und nach vor-
warts mit der grossen Darmhohle dh^ communicirt. Der schmalc
Spalt wird nach oben von einer einfachen Schicht cylindrischer
Entoblastzellen (Taf. XV, Fig. 6 Enc) begrenzt, welche bald am
centralen, bald am peripheren Ende verbreitert sind und mit dem
dariiber gelegenen gleichfalls aus cylindrischen Zellen bestehenden
Ektoblast ziemlich fest zusammcnhjingen. Letzteres muss beson-
ders hervorgehoben werden, da mit Ausnahme dieser Gegend, welche
zum Theil der alsbald sichtbar werdenden Riickcnrinne entspricht,
der Ektoblast mit den innen liegenden Membranen nur locker ver-
bunden, wenn nicht sogar durch einen kieinen Spaltraum von ihnen
getrennt ist. Auf Durcbscbnitten kann man daher auch leicht die
aussere Schicht der Cylinderzellen mit Ausnahme der kieinen dor-
salen Partie sehr bequem vom Mesoblast und Entoblast als zusam-
men haugenden Ring ablosen. Ventral wird der Darraspalt von der
grosszelligen Dottermasse umgeben (D), welche wie der Sagittal-
schnitt (Taf. XIIT, Fig. 4) schon erliiutert, in den Urdarm wall-
artig hineingeschoben ist und ihn in die beiden oben beschriebenen
Hohlen zerlegt. Unsere besondere Beachtung aber verdienen an
dem vorliegcnden Frontalschnitt (Taf. XV, Fig. 6) wieder zwei
Streifen kleiuer Zellen {Me^ Jfe^), welche links und rechts von
der Wandung des Darmspaltes ausgehend sich eine kleine Strecke
300 0. Hevtwig, ■
weit zwischen Ektoblast imd Dotterniasse, von beiclcn durch einen
Zwischenraum deutlicli getrennt, hinein schiebeu. Sie entsprechcn
offenbar den auf Taf, XIII, Fig. 9 schon aufgefundenen Mesoblast-
streifen, in welcbe sie, wie die Verfolgung der Schnittscrie ergiebt,
auch iibergehen. Im Vergleich zu diesen sind sie aber unansehn-
lidier geworden, da sie nur 2 bis 3 Lagen kleiner ovaler Zellen
enthalten. Wahrend nun die beiden Mesoblaststreifen unsererFigur
allseitig gut abgesondert sind, hangen sie nach der Mittellinie zu
mit der Epithelbegrenzung des Urdarms zusainmen. Die aussere
Oder parietale Zellenschicht (3Ie^) geht in das dorsale Cylinder-
cpithel {Enc), die viscerale Schicht (Me^) in die Dotterzellen (D)
iiber, welche den Darmspalt (dh^) nach unten abschliessen. Aehn-
liche Bilder beobachtet man noch auf den nachst folgenden Schnit-
ten, dann aber andert sich das Bild, indem etwas weiter nach dem
Kopfende des Eies zu der Mesoblast schwindet und die beiden
primilren Keimblatter sich unmittelbar beriihren.
Was endlich den dritten hinter dem Blastoporus angefertigten
Schnitt anbetrifft, so hat derselbe (Taf. XV, Fig. 17) gerade die
Umschlagstelle des Ektoblasts in die Dottermasse getrot!en in einer
Richtung, welche durch die Linie ah in Figur 4 der Tafel XIII an-
gedeutet wird. Man sieht Ektoblast und Dottermasse, welche an-
derswo durch einen Spalt getrennt sind, eine Strecke weit ver-
schmolzen und die Dottermasse in grosser Ausdehnung in kleine
Elemente von der Grosse der Mesoblastzellen zerfallen. Auf einem
weiteren Schnitt, der nicht mit dargestellt wurde, ist die Ver-
schmelzungsstelle kleiner geworden, dann wird die Trennung uberall
eine vollstandige. Die Zone kleiner Zellen im Dotter wird immer
beschrilnkter und verliert sich rasch vollstandig, so dass in kurzer
Entfernung vom Blastoporus dem Ektoblast ausschliesslich grosse
Dotterzellen anliegen.
An etwas alteren Eiern, an denen die Ruckenrinne niehr und
mehr in Ausbildung begritlen ist, macht auch die Entwicklung
des Mesoblasts rasche Fortschritte und liefert auf Frontal- und
Sagittalschnitten klare und iiberzeugende Bilder.
Der auf Tafel XIII dargestellten Figur 9 des vorhergehenden
Stadiums entspricht der daneben gezeichnete Durchschnitt Figur 10,
welcher gleichfalls durch den Gastrulamund (m) hiudurchgelegt
ist. Der letztere ist hier schon zu einem schmalen Langsspalt
verengt, in welchen noch ein Rest des Dotters in einen diinnen
Zipfel (d) ausgezogen hineinragt.
Links und rechts vom Urmund nehmen die beiden Mesoblast-
Die Entwickl. des mittleren Keinibltittes der "Wirbelthiere. 301
massen (3Ie^ und Me^) ihren Anfang und sind schon urn die
halbe Circumferenz des Eies herumgewucliert; sie lassen jetzt
ebenso deutlich wie friiher erkenueu, dass sie sowohl vom ein-
schichtigen Ektoblast (EJc) als auch vom Entoblast {En) durch
einen oft ziemlich weiten Spalt scharf geschieden sind imd mit
ihnen nur an einer beschrankten Stelle, am Urmund, zusammen-
hangen. Hier gelien sie erstens in den verdickteu Entoblast der
Urmundlippen und zweitens in die Dottermasse uber, die sich in
den oben erwahnten Zipfel verlangert. Auch konnte ich meistens
auf meinen Durch schnitten den spaltformigen Anfangs - Theil des
Urdarms (dh^), welcher zwischen den Gastrulalippen (Is) und dem
Dotterzipfel (d) gelegen ist, sich in die beiden Mesoblastmassen
eine Strecke weit hinein verlangern und dieselben in zwei Blatter
(Me^ und Me^) zerlegen sehen. Im Vergleich zu Mheren Sta-
dien sind die Mesoblastzellen durch Theilung kleiner geworden
und lieben sich dadurch urn so besser von den viel grosseren Dot-
terzellen des Entoblasts (D) ab.
Der eben beschriebenen Figur schliessen sich die in verschie-
dener Entfernung vor dem Gastrulamund hindurchgelegten Schnitte
an, welche raehreren Schnittserien durch gleich weit entwickelte
Eier entnommen sind (Taf. XV Fig. 15 u. 4. Taf. XIII Fig. 11.
Taf. XIV Fig. 1 u. 2).
Der auf Taf. XV Fig. 15 abgebildete Schnitt hat gerade den
oben erwahnten Wall (Taf. XII Fig. 4^<;) getroifen, durch welchen
der spaltforraige Urmund und die Ruckenrinne getrennt werden.
Der Wall (w) springt etwas liber die Kugeloberfliiche des
Eies hervor und ist links und rechts von zwei Furchen (r) uni-
grenzt, die uns schon bei Betrachtung der Eioberfliiche in die
Augen fielen, Er bildet die Decke des nahe an seiner Ausmun-
dung spaltformigen Urdarmes (dh^) und besteht aus 2 nur wenig
von einander gesonderten Blilttern, dem einschichtigen Ektoblast
und dem Entoblast {Enc), der aus mehreren Lagen spindelformi-
ger Elemente zusammengesetzt wird. Die untere Fliiche des Ur-
darms wird von 4—6 Lagen Dotterzellen (D) gebildet, die von
der ventralen Hauptmasse des Dotters als eine Barriere zwischen
den Anfang und den erweiterten Theil des Urdarms hinein gescho-
ben sind (Taf. XIII Fig. 4). Die links und rechts gelegenen bei-
den Mesoblaststreifen {Me) sind jetzt nur 2 — 3 Zelllagen dick
und sind von ihrer Umgebung allseitig gut abgegrenzt bis auf
die beiden Winkel des Darmspaltes, wo sie einerseits mit dem
302 0. Kcrtwig,
dorsalen, andererseits mit dem ventralen Entoblast an den mit
Sternchen * bezeichneten Punkten zusammenhangcn.
Auf einem der naclist folgonden Schnitte (Taf. XV Fig. 4) ist
der Anfang der Ruckenrinne {i) getroffen. In ihrem Bereich ist
die Decke des Urdarms stark verdiinnt, weil der in Figur 15 noch
niehrschichtige Entoblast auf eine einfache Schicht hoher cylin-
drischer Zellen (Enc) , welclie an das aussere Keimblatt direct
angrenzen , reducirt ist. Das zur Abbildung gewahlte Praparat
ist auch in sofern von Interesse, als gerade das Ende der Dot-
termasse (D) durchschnitten ist, welche als Wulst vorspringend
den Urdarm in eine spaltforraige und in eine geriiumige Holile
scheidet. Der vorgeschobene Wulst ist auf der linken Seite noch
mit der Darmwand verbunden , wahrend er rechts mit abgerun-
deter Oberflache frei in den Urdarm hineinragt, dessen spaltfor-
miger (dh^) und erweiterter Theil (dh^) somit in Communication
zu treten beginnen. .Die Beschreibung des Mesoblasts kann hier
iibergangen werden, da die Verhaltnisse genau dieselben sind wie
auf den durch die Mitte der Riickenrinne gefiihrten Schnitten,
welche wir nunmehr nach 3 verschiedenen Abbildungen (Taf. XIII
Fig. 11, Taf. XIV Fig. 1 u. 2) ausfuhrlich beschreiben wollen.
An zwei Schnitten ist die Rinnenbildung it) nur schwach an-
gedeutet , auf dem dritten (Taf. XIV Fig. 2) ist sie ziemlich tief,
und springt in Folge dessen die Decke des Urdarms, welcher
sich jetzt zu einer grossen Hohle im Innern des Eies ausgeweitet
hat, entsprechend nach Innen leistenartig vor. Im ganzen Be-
reich der Ruckenrinne stossen die beiden primaren Keirablatter
unmittelbar zusammen, sind ziemlich innig unter einander ver-
bunden und bestehen ein jedes in ganz gleicher Weise aus einer
einzigen Lage hoher cylindrischer Zellen. Links und rechts von
der Ruckenrinne ist der Mesoblast gebildet und zugleich auch
der Character des Entoblasts ein total veranderter. An Stellc
der 2 Blatter sind plotzlich 4 deutlich gesonderte Zellenlagen ge-
treten, von welch en die aussere und die innere den Ektoblast (EJc)
und den Entoblast (End), die beiden mittleren das parietale und
das viscerale Blatt des Mesoblasts {Me^ u. Jfe*) darstellen. Der
Ektoblast allein bietet dasselbe Aussehen wie an der Riickenrinne
dar, dagegen besteht keines der drei iibrigen Blatter aus Cylinder-
zellen , wie der Entoblast der dorsalen Mittellinie.
Der seitlich den Urdarm begrenzende Entoblast (Taf. XIII
Fig. 11 u. Taf. XIV Fig. 1 End) zeigt uns ganz anders geformte,
ctwas grossere, unregelmassig polygonale Elemente, ahnlich den
Die Eiitwickl. des mitlleron Kcimbbltcs dor WirbcUhierc. 303
Elcmciiten, aus cleiicn auch die Dottcrmassc ziisammcngesctzt ist,
die beideu Bliltter des Mesoblasts dagegen enthalten, wie auf den
schon friiher beschriebenen Stadien , kleiiiere , ovale , locker zu-
sammenhangende Zellen ; sie liaben sich jctzt etvva iiber die oberc
Ilalfte des kugeligen Eies ausgedehut und sind iiberall nach aus-
sen und nach innen durch einen scharfen Contour vom Ektoblast
und Entoblast getrennt bis auf die wichtige und beachtenswerthe
Stelle zu beiden Seiten der Riickenrinne, wo eiu Zusammenliang
und zwar in folgender Weise stattfindet. Die Cylinderzellen des
dorsalen Entoblasts (Taf. XIV Fig. 1 Enc) werden nach der Seitc
zu plotzlich etwas niedriger und l)ilden so einen Uebergang zu
den cubischen und ovalen Zellen des parietalen Blattes (ilfe^) des
Mesoblasts, welche sich eng an sie anschliessen. Die viscerale Me-
soblastlamelle (Jfe^) aber steht mit dem seitlichen Entoblast (End)
in Beziehuug, indem sie in deuselben scharf umbiegt. Der Um-
schlagsrand (*) liegt zum Theil den Cylinderzellen des dorsalen
Entoblasts an ihrem Uebergang in das parietale Blatt des Meso-
blasts test an , zum Theil bedingt er auf der Innenflache des Eies
nach dem Urdarm zu einen kleinen Vorsprung (*). Wir sehen
also an dieser Stelle — und das ist das besonders Bemerkens-
werthe, — dass der aus Cylinderzellen bestehende dorsale Theil
(Enc) und der aus grosseren polygonalen Zellen bestehende seit-
liche Theil des Entoblasts {End) nicht unmittelbar an einandcr
schlicssen und einer in den andern iibergeht, sondern dass beidc
durch die Mesoblastentwicklung von einander getrennt sind.
Fiir die Richtigkeit einer derartigen Auffassung scheinen mir
ausser anderen noch spilter zu erwahnenden Verhaltnissen ganz
besonders einige Praparate zu sprechen, an welchen eine Locke-
rung der einzelnen normaler Weise fest zusammenschliessenden
Zellschichten durch den Zug des Rasirmessers beim Schneiden be-
wirkt worden war. Ein derartiger schadhafter, aber deswegen
doch immer lehrreicher und fiir Manches beweiskriiftiger Schnitt
ist aus einer Anzahl anderer zur Abbildung (Taf. XIV Fig. 2) ge-
wilhlt worden. Wir sehen jetzt vom Urdarm (dh) aus jederseits
einen Spalt in die paarigen Anlagen des Mesoblasts hineinreichen
und seine beiden Zelleuschichten trennen, ebenso trennt der Spalt
auch den unter der Riickenrinne {t) gelegenen Entoblast von dem
seitlichen grosszelligen Theil. An den kiinstlich getrennten Thei-
len erkennt man jetzt besser die zusaramengehorigen Zellenlagen.
So bilden die Cylinderzellenschicht des Entoblasts (Enc) und die
beiden parietalen Blatter des Mesoblasts {3Ie'^) zusammen eine
304 0. Hrrtwig,
cinzige, an das iiussere Keimblatt aiigrenzende Scliicht, in wel-
clier nur auf der linken Seite cine Lockerung der Elemente her-
beigefiilirt worden ist. Sie stellen die obere Wand des Urdarnis
und der von ibm ausgehenden beiden Spalten dar. Auf der an-
dern Seite schliessen die visceralen Blatter des Mesoblasts (Me^)
und die seitlichen grosszelligen Theile des Entoblasts {End) an
einander und vereinigen sich zu zwei Falten, deren Umschlags-
rander die Communicatiouen zMischeu dera Urdarm und den 2 kiinst-
lich bewirkten Spaltraumen im mittleren Keimblatt begrenzen.
Die durch Zug getrennten und histologisch ditferenten Zell-
schichten unterscheiden sich aucb durch ihre fernere Bestimmung.
Wie sich bei Beschreibung der dritten Periode ergeben wird, ent-
Avickelt sich aus dem unter der Riickenrinne gelegenen Streifen der
cylindrischen Zellen die Chorda dorsalis, aus den grossen, poly-
gonalen Elenienten des Entoblasts dagegen die gesammte epithe-
liale Auskleidung des Darmcanales. Wir wollen daher der beque-
nieren Verstiindigung wegen in Zukunft die beiden den Urdarm
umschliessenden Abtheilungen des Entoblasts kurzweg im Hinblick
auf die aus ihnen hervorgehenden Organe als Chordaentoblast
(Enc) und als Darmentoblast {End) bezeichnen. Von den beiden
Zellschichten des mittleren Keimblattes wird die eine zum Haut-
faserblatt, die andere zum Darmfaserblatt.
Einen weiteren Einblick in die Vertheilung und in den Zu-
sammenhang der Zellmassen liefern Sagittalschnitte , von welchen
drei aus 2 verschiedenen Serien zur bildlichen Wiedergabe aus-
gewahlt worden sind (Taf, XIII, Fig. 5, 6 u. 7). Fig. 5 stellt
einen genau durch die Mitte des Eies gefiihrten Sagittalschnitt
dar. Er zeigt uns am hintern Ende des Embryo den kleinen Ur-
mund (w), welcher in den spaltformigen Theil des Urdarms {dh^)-
fiilirt. Der letztere wird von der geraumigen Urdarmhohle {dh^)
durch eine wulstformige Verdickung der ventralen Dottermasse
getrennt. Die ganze vordere und obere Wand des Urdarms be-
steht nur aus 2 Lagen von Zellen, die, wie wir schon an Quer-
schnitten gesehen haben , im Bereich der Riickenrinne cylindrisch
sind und von welchen die innere als Chordaentoblast {Enc) be-
zcichnet wurde. Nach vorn wandeln sich die Cylinderzellen des
Chordaentoblasts in grossere cubische und polygonale Dotterzel-
Icn um, die erst in einer, dann in 2 und 3 Schichten angeord-
iiet sind und so einen Uebergang zu der ventralen Dottermasse
vermitteln. Ebenso horen sie in einiger Entferuung vom Urmund
auf und werdeu zu kleinen , mehr spindeligen Elementen , welchc
Die Eotwickl. dcs mittlcren Keimblattcs der "VVirbelthicre. 305
in melireren Lagen augcordiict die Vcrdickuug der obereii Ur-
muudlippeu (Id) init hervorrufcu. Es stimmen somit diese Be-
fuiide vollkommen niit den entsprechenden Quersclinitten durch
die verschiedenen Regionen des Eies tiberein (Taf. XIII, Fig. 11.
Taf. XV, Fig. 4 u. 15).
In unserer Abbildung schiebt sich ferner eine kleinzellige
Partie ventral vom Urmund in Form eines Keils (Mev) zwisdien
Ektoblast und Dottermasse (D) hinein und hangt mit beiden nur
an ihrem Ursprunge zusammen, in einer Gegend, in welcher sich
die Dotterzellen durch geriugere Grosse auszeichnen und offenbar
in Wucherung begriften sind. Die kleinzellige Masse ist auch auf
Frontalschnitten gut zu sehen, welche unterhalb des Gastrulaspal-
tes von mir angefertigt, aber nicht mit abgebildet worden sind.
Sie erscheint hier in der Gestalt einer Mondsichel mit zugeschiirf-
ten Randern und wird, Avenn wir uns vom unteren Rande des Ur-
raundes in der Schnittserie entfernen, sowohl nach dem Ektoblast
als nach der Dottermasse zu scharf abgegrenzt. Wir werden die-
selbe als einen Theil des mittleren Keimblattes deuteu mussen,
welcher sich auf dem vorliegenden Stadium seitlich und riickwarts
vom Urmund eine Strecke weit auszubreiten beginnt.
Der zweite zur Darstelkmg gelangte Sagittalschnitt (Taf. XIII
Fig. G) ist in geringer Entfernung von der Mittellinie durch das
Ei hindurchgefiihrt worden und zwar, wie ich glaube, ein klein
wenig schrag, so dass er sich nach hinten der Sagittalebene et-
was nahert und sich nach vorn von ihr entfernt. Nach hinten ist
daher noch die Gegend der Riickenrinne und des Chordaentoblasts
(Enc), nach vorn dagegen schon die Anlage des Mesoblasts der
einen Seite mit getrofifen. Dort wird die Decke des Urdarms aus
zwei Lagen cylindrischer Zellen, hier aus vier Slattern gebildet;
dieselben sind ebenso wie an dem Querschnitt (Taf. XIV Fig. 1)
beschaffen und verbinden sich auch an der Stelle, wo der zwei-
bliitterige und der vierbliitterige Theil der Decke des Urdarms zu-
sammenstossen (^'), in der frilher angegebenen Weise. Die fiir
das Verstandniss der Entwicklung des mittleren Keimblattes iiber-
aus wichtige Stelle ist noch einmal bei starkerer Vergrosserung
auf Taf. XV Fig. 16 abgel)ildet worden. Deutlich sieht man an
ihr die Cylinderzellen des Chordaentoblasts (Enc) in das parie-
tale Blatt des Mesoblasts (Me^) ubergeheu, wahrend der aus po-
lygonalen Zellen zusammengesetzte Darmentoblast (End) sich in
das viscerale Blatt (Me^) umschlagt. Ferner kann man sich an
dem Sagittalschnitt (Taf. XIII Fig. 6) davon iiberzeugen, dass an
lid. .W. N. F. VIII. 2. 20
306 0. Hertwig,
der Kopfregion dcs Eies die Mesoblastanlagc aufhort und der ein-
schichtige Entoblast nun wieder unmittelbar an den Ektoblast an-
stosst. Was dann endlich noch die Umgebung des Urmundes an-
betrifft, so ist auf unserem Praparate gerade eiuc seitliche als
Verdickung ersclicincnde Urmuudlippe (Is) getroifen; auch ist die
ventral vom Urmund erfolgende Ausbreitung des Mesoblasts (Mev)
zu sehen. Dieselbe bietet einen ahnlichen Befund wie in der ne-
ben stebenden Figur 5 dar, indeni sie von einer Wucherungszonc
in der Dottermasse und der verdickten Urmundlippe ausgehend
sich keilforniig und von ihrer Umgebung deutlich abgesondert
nach abwiirts erstreckt.
Von der Sagittalebene noch weiter entfernt ist der dritte
Schnitt (Taf. XIII Fig. 7). In der ganzen Circumferenz des Eies
ist der Ektoblast von den nach innen gelegeuen Zellschichten voll-
kommen geschieden bis auf die Stelle, welche der seitlichen Ur-
mundlippe (IsJ entspricht, wo sich der Ektoblast nach innen in
don Entoblast mnschlagt. Hier bemerkt man in der an dem hin-
tcren Ende des Eies angehituften Zellenmasse einen spaltformigen
Hohlraum (dh^), welcher nichts anderes als der seitliche Theil des
Urdarms ist. Er verlauft dorsoventral und wird nach aussen von
den kleinen Zellen der Urmundlippe, nach innen von 3 — 4 Lagen
Dotterzellen umgeben. Von seiuen beiden Winkeln (*) geht ein
dorsaler und ein ventraler Mesoblaststreifen aus, dessen Zellen-
mass(;n einerseits von der Dotteransammlung, andererseits von dem
inneren Blatt der seitlichen Urmundlippen abstammen. Sonst
stohen die beiden Streifen ausser jeder Beziehung zu den anlie-
gcnden Keimblattern.
Auf den weiter folgenden Schnitten ist der spaltformige Theil
dcs Urdarms verschwuuden. Man nimmt dann an der hinteren
und oberen Region des Eies einen einzigen zusammenhangenden,
siclielformigen Mesoblaststreifen wahr, der sich von den beiden
primiiren Keimblattern nun iiberall durch einen glatten Contour
absctzt.
Geschichtliches. Ueber die Veranderungen , welche das
Tritonei in der zweiten Entwicklungsperiode zu durchlaufen hat,
handeln die schon erwiihnten verdienstvollen Untcrsuchungen von
Scott und 0 shorn sowie von Bambeke. Durch dieselben
sind bereits manche fiir die Entwicklung des mittleren Keimblattes
wichtige Thatsachen festgestellt, aber auch manche Verhaltnisse
entwedcr falsch beurtheilt oder libersehen worden, woher es kommt,
dass ich in der ganzen Auffassung der Entwicklungsvorgange in
Die Entwickl. ties mittleren Keimblattes der Wirbelthiere. 307
der zweiten Periode in nicht unwesentliclien Punkten von ihnen
differire.
Die bei Flaclienbetrachtung schon sichtbare Riickenrinne wird
von Scott und Osborn als Medullarfurche bezeichnet (pag. 41
u. Taf. IV Fig. 4). Dem gegeniiber bemerkt Bambeke mit Reclit,
dass beide Bildungen etwas Verschiedenes seien, dass die Medul-
larfurche erst spiiter erscheine, da man unter ihr nur die brei-
tere von den Medullarwlilsten umschlossene Vertiefung verstelien
konne. Hierbei wirft er die Frage auf, ob die Riickenrinne der
Amphibien (sillon median) und die Primitivrinne der Vogelembryo-
nen vergleicbbar seien, ohne sie indessen zu beantworten oder in
eine naliere Discussion des Gegenstandes einzutreten. „Je sou-
leverai maintenant, bemerkt Bambeke, niais seulement a titre
d'hypothese , la question de savoir, si le sillon median n'est pas
Thomologue de celui qui, cliez vertebrcs superieurs, est situ6 en
arriere du sillon dorsal, je veux dire du sillon primitif. Les sil-
lons primitif et dorsal ou medullaire, superposes en quelque sorte
cliez les Batraciens (le dorsal etant toutefois plus eteudu en avant
et le primitif etant en general d'autant plus developp6 qu'on
s'61oigne davantage de I'extr^mite cephalique) seraient venus se
placer, chez les vert^bres superieurs, a la suite I'un de Tautrc."
Ich babe mir die Frage gleichfalls vorgelegt und glaube micli da-
hin aussprechen zu mtissen: Wenn die Primitivrinne der Vogel,
wie jetzt viell'ach angenommen wird (Gasser, Rauber, Braun),
als Verschlussstelle des Urmuudes angesehen werden muss, so ent-
spricht sie dem Blastoporus der Amphibien, welcher spiiter eben-
falls zu einem kurzen Langsspalt auswiichst (Taf. XII Fig. 5 u. 10),
dann aber kann sie uicht mit der Riickenrinne der Tritonen ver-
glichen werden. Denn die letztere bildet sich vor dem Blastoporus,
in einer Gegend, wo derselbe niemals gelegen hat, und ist von An-
fang an durch einen Wulst von ihm getrennt. Das ist der Gruud,
warum ich den Namen Primitivrinne nicht fiir sie gewiihlt habe.
Die Riickenrinne der Tritonen scheint mir nun in einfach-
ster Weise sich aus der paarigen Entwicklung des Mesoblasts er-
klaren zu lassen. Wenn die beiden Mesoblaststreifen vom Urnmnd
aus links und rechts von der Mittelliuie nach vorwarts wachsen,
drangen sie die beiden primaren Keimbliitter nach aussen und in-
nen von einander, wolben sie hervor und bewirken eine Verdickung
der Wandung des Eies, in welcher der verdiinnt bleibende Strei-
fen als eine Rinne erscheinen muss. Bis in den Blastoporus aber
reicht die Rinne desswegen nicht hinein, weii die obere Urmuud-
20*
308 0. Hertwig,
lippe verdickt ist imd so als cin Querwulst zwischen beide dazwi-
schen tritt.
Am meisten bcdiirfen dor Besprechung die Anschauungen, zu
welchen Scott, Osboru uiid Bambeke iiber die Entwicklung
des raittleren Keimblattes gelangt sind. Demi sie beruhren einen
Gegenstand von hoher allgemeiner Bedeutiiug. Scott und Os-
boru haben nun zuerst die wichtige Thatsache ermittelt, welche
von Bambeke bestatigt worden ist, dass bei den Tritonen der
Mesoblast in der Form von zwei Streifen angelegt wird, welche
in der Mittellinie durch eine einfache Schicbt cylindrischer Ento-
blastzellen getrennt werden. Im Anschluss an die Anschauungen
Balfour's lassen sie die bei den Streifen schon wjihrend der Ga-
strulation gleichfalls durch Einstiilpung vom Urmund aus gebildet
werden. Auch Bambeke fasst den Vorgang in derselben Weise
auf, indem er bemerkt : Le role de Tinvagination dans la forma-
tion du mesoblaste me parait incontestable.
In soweit befinden wir uns alle in voller Uebereinstimmung,
dagegen gehen unsere Beobachtungen in folgenden nicht unwich-
tigen Punkten weit auseinander. Nach Scott und Osborn soil
das Wachsthum des Mesoblasts zum Theil durch Zelltheilung in
den beiden zuerst angelegten Streifen veranlasst werden, zum
grossten Theil aber auf Kosten der Dottermasse geschehen, in der
Weise, dass sich von ihr grosse quadratische Zellen ablosen, sich
weiter vermehren, sich zu dem Mesoblast hinzugesellen und an
den Seiten des Eies nach abwarts wachsen. „The invagination
mesoblast", erklaren die beiden Forscher in der Zusammenfassung
am Schluss ihrer Arbeit, „is supplemented by other cells, which
split off from the yolk hypoblast".
Diese zweite Art des Wachsthums glaube ich mit Eutschie-
denheit in Abrede stellen zu miissen. An den sehr zahlreichen
von mir angefertigten Schnitten habe ich ein an den Seiten statt-
findendes Abspalten von Dotterzellen nicht beobachten konneu,
stets musste ich zwischen Mesoblast und Entoblast eine deutliche
Trennung mit Ausnahme der frtiher angefuhrten Stellen constati-
ren. Auch Bambeke betrachtet „die Fortentwicklung des Meso-
blasts aus Dotterzellen als zweifelhaft, ohne sie indessen mit Be-
stimmtheit in Abrede stellen zu wollen". Er glaubt vielmehr, wo-
rin ich ihm ganz beistimme, dass man eher „eine Wanderung der
eingestiilpten Zellen als Ursache fiir die Ausbreitung des Meso-
blasts zulassen konne".
Einen zwei ten wesentlichen Dift'erenzpunkt zwischen Scott,
Die Entwicld. dcs mittleren Keimblattes der "Wirbelthiere. 309
Osborn und mir finde ich darin, dass jene den Mesoblast zu
beiden Seiten der Mittellinie als eiue einfache Lage sclimaler Zellen
begiunen und den Chordaeutoblast sich direct an die nach innen
von den Mesoblaststreifeu gelegenen quadratischen Entoblastzellen
anschliessen lassen (just below the tow slight folds on either side
of the medullary groove the mesoblast begins to intervene as a
single layer of small cells. Beneath these the hypoblast cells lose
their columnar shape and becoming more quadrate are gradually
reflected around the sides ol the alimentary canal). Auch Bam-
beke ist derselben Ansicht, wenn er in seiner vorlaufigen Mit-
theilung bemerkt: „De chaque cote de la saillie notochordale I'hypo-
blaste invagine se continue insensiblement avec les cellules formant
le plancher de la cavite viscerale."
Nach meinen Beobachtungen dagegen erscheiut jeder Meso-
blaststreifeu an seinem medialen Rande stets in der Form von
wenigstens zwei Zellenlagen, von welchen die eine in den Chorda-
eutoblast, die andere in den Darmentoblast iibergeht. Dadurch
aber gewinnt die Auffassung von der Art und Weise, wie das mitt-
lere Keimblatt sich einfaltet, eine ganz andere Gestalt. Auch der
Einfaltuugsproccss in der Umgebung des Blastoporus ist nach den
Beschreibungen und Abbildungen von Scott und Osborn nur uu-
geniigend aufgekliirt, wie denn zum Beispiel die Entwicklung des
Mesoblasts nach riickwarts vom Urmund ganz unerwiihnt geblie-
ben ist.
Endlich kann ich den beiden Forschern nicht beistimmen,
wenn sie die oberflachlichsten Zellen der Dottermasse, welche an
den Darmraum und an den Mesoblast nach aussen ringsum an-
grenzen, als eine besondere durch Umwandlung von Dotterzellen
entstandene Entoblastschicht bezeichnen und als „yolk hypoblast"
von den an der Decke des Urdarms gelegenen Zellen oder dem
„invaginate hypoblast" unterscheiden. Weder durch Beobachtung
noch aus allgemeinen Griinden lasst sich, wie auch Bambeke
hervorhebt, die Abtrennung einer solchen peripheren Schicht vom
Dotter rechtfertigen, vielmehr scheint mir die A.nsicht naturgemass
zu sein, dass die ganze Masse der Dotterzellen nichts anderes als
eine verdickte Partie im Epithel des Urdarms, mithin ein Bestand-
theil des inneren Keimblattes ist.
Die Eintheilung in yolk hypoblast und invaginate hypoblast,
welche Bambeke angenommen hat, betrachte ich als keine gliick-
liche, denn wie bei der Darstellung der ersteu Periode gezeigt
wurde, wird wiihrend der Gastrulation die ganze Dottermasse der
310 0. Hertwig,
Blastula in das Innere des Eies ebenso gut mit eiiigestiilpt, wie
der sogfniaiiiite invagiiiate hypoblast. Da nioclite es sicli wohl
iTiehr einpfehlen, die cylindrischcii Entoblastzellen an der Decke
des Urdarms iind die an der Seite und am Boden gelegcnen, gros-
sen Dotterschollen im Hinblick auf ihre zukiinftige Bestimniung
als Chord aentoblast und als Darmentoblast zu beuennen.
Beurtheilung und Zusammenfassung' der Befunde.
Am Schluss der historischen Darstellung haben wir uns selbst
die Frage vorzulegen, in welcher Weise die oben ausfiihrlich vou
mir geschilderten Beobachtungen eine einheitliche Deutung und
Erkliirung zulassen.
Zunachst miissen wir auf Grund unserer Befunde der noch
immer weit verbreiteten Ansicht entgegentreten , dass der Meso-
blast sich von einem der beiden primiiren Keiml)latter oder von
beiden zugleich abspalte. Bei Triton scheint mir jede Moglich-
keit eines derartigen Geschehens ganz ausgeschlossen zu sein. Vom
Ektobhist konnen sich nicht Elemente abspalten, denn dieser stellt
sclion auf dem Gastrulastadium eine einschichtige Membran dicht
an einander gefugter hoher Cylinderzellen dar. An Durchschnitten
kann man die Membran vom Mesoblast, da sie von ihm durch
einen Spaltraum getrennt ist, sehr leicht ablosen, ja sie hebt sich
oft ganz von selbst an diinnen unvollstiindigen Schnitten ab. Frei-
lich besteht der Riickenrinne {t) eutlang ein fester Zusammenhang
des Ektoblasts mit dem Chordaentoblast, aber die vollkommen re-
gelmiissige Anordnung der Zellen zu einem Cylinderepithel schliesst
jede Moglichkeit aus, dass der Riickenrinne entlang Elemente aus
dem Ektoblast in den Mesoblast hineinwucherten. Ebenso wenig
spaltet sich der Mesoblast vom inneren prinuiren Keimblatt ab,
von welchem er gleichfalls durch einen Spaltraum geschieden ist
und von welchem er sich an Durchschnitten ebenso leicht ab-
heben lasst.
Die Abspaltungstheorie kann also bei den Eiern der Tritonen
die Entwicklung des mittleren Keimblattes nicht erkliiren und muss
aufgegeben werden. Fiir eine neue Theorie aber sind folgende
Thatsachen maassgebend.
1. Der Mesoblast wird nicht an dieser und jener Stelle aus
isolirten Zellenhaufeu, sondern in Form von zwei Massen blattartig
verbundener Zellen angelegt.
2. Die beiden Mesoblaststreifen sind wonigstens zwei Zellen-
Die Entwickl, des mittleren Keimblattes der "Wirbelthiere. 311
lagen dick und werden von einander in der dorsalen Mittellinie
unter der Riickenrinne durcli den Chordaentoblast geschiedcn.
3. Dieselben erscheinen zuerst in der Umgebuug des Blasto-
porus und zu beiden Seiten des Chordaentoblasts, von hier aus
delinen sie sich allmahlich iiber die Eioberflache aus und wachsen
ventralwarts und nach vorn zwiscben die beiden primiireu Keim-
blatter trennend hinein.
4. Die Umgebung des Blastoporus und die beiden Rander des
Chordaentoblasts sind die einzigen Stellen, an welchen eine Ab-
grenzung der Mesoblaststreifen von den angrenzenden Zellenlagen
nicht moglich ist. Von hier aus allein konnen Elemente der bei-
den primaren Keimblatter in das mittlere ubertreten.
Aus den angefiihrten Thatsachen geht hervor, dass die Art,
wie die Zellschichten 1) am Bhistoporus, 2) unterhalb der Riicken-
rinne zusammenhangen , genauer festgestellt werden muss, wenn
man iiber die Genese des Mesoblasts Klarheit gewinnen will.
Am Blastoporus setzt sich der Mesoblast einerseits continuir-
lich in das innere Blatt der Urmundlippen fort, andererseits ver-
biudet er sich mit der Dottermasse, wo dieselbe sich als Pfropf
in den Urmund hineinschiebt. Hier findet sich eine Wucherungs-
zone, eine Masse kleiner Zellen, die ich mir nicht anders als durch
wiederholte Theilung der angrenzenden grossen Dotterzellen ent-
standen denken kann. Aus diesen Beobachtungen werden wir zur
Annahme berechtigt, dass der Mesoblast das Zellenmaterial zu sei-
ner Entstehung und zu seinem Wachsthum von der Dottermasse in
der Umgebung des Blastoporus bczieht und dass er mithin vom
Entoblast abstammt, insofern die Dottermasse nur ein verdickter
Theil desselben ist. Das hintere Ende des Embryo stellt eine
Wucherungszone dar, wie auf spateren Stadien immer noch besser
ersichtlich werden wird.
Man kann aber ferner noch annehmen, dass auch durch die
Verbindung mit dem inneren Blatt der Urmundlippen dem Me-
soblast zu seiner Vergrosseruug Zellen zugefiihrt werden, und
dass das innere Blatt seinerseits sich fortwahrend wieder aus dem
Ektoblast erganzt, aus welchem am Umschlagsrand des Blasto-
porus auch spater Zellen in derselben Weise wie bei der Gastrula-
bildung nach Innen einwandern konnten. Wenn ein derartiges Ein-
wandern von Zellen stattfinden sollte, was ich vorlaufig nicht aus-
schliessen kann, so ist dasselbe jedenfalls ein sehr geringfugiges,
da der auf eine einfache Schicht reducirtc Ektoblast nicht viel
Material abzugeben im Stande ist. Die an der ventralen Seite zu
312 0. Hertwig,
beobachtende Grossenabnahme der Ektoblastzellen, welche zu einer
Oberflachenvergrosserung dcr Membran fiihren miisste, wird wieder
compensirt durch die Verlangerung der dorsal gelegenen Zellen,
welche die Medullarplatten liefern, und spiiter durch die alsbald
erfolgende Entwickluiig der Medullarwiilste, durch welche sich die
Oberflache des Ektoblasts durch Einfaltung vergrossert.
Der zweite Ort, welcher bei der Entstehung des Mesoblasts
in Frage kommt, ist die Riickenrinne. Es ist gewiss eine be-
merkenswerthe Erscheinung, dass da, wo der Chordaentoblast auf-
hort, an beiden Seiten desselben gleich drei Zellblatter erschei-
nen, der parietale und der viscerale Mesoblast und der Darmen-
toblast. Diese Blatter hangen unter einander in der Weise zusam-
men, dass der parietale Mesoblast in den Chordaentoblast und
der viscerale Mesoblast in den Darmentoblast iibergeht. Es konnte
also dem mittleren Keimblatt sowohl voni Chorda- als vom Darm-
entoblast aus Zellenmaterial zu seiueni Wachsthum geliefert wer-
den. Von dieseu aber kann der Chordaentoblast, da er ein schou
kleinzelliger, schmaler, mitten iune liegender und so allseitig iso-
lirter Streifen ist, als Bezugsquelle ausgeschlossen werden. Da-
gegen ist es wohl moglich, dass Zellen vom Darmentoblast, der
sich selbst von der ventral gelegenen Dottermasse fortwahrend
regeneriren kann, am Umschlagsrand in den visceralen Mesoblast
iibertreten.
Wie aus der Zusammenstellung der Beobachtungen hervor-
geht, so sprechen alle Thatsachen dafiir und keine einzige dage-
gen, dass sich der Mesoblast aus dem primiiren inneren Keim-
blatt entwickle. Schwieriger ist ein zweiter Punkt zu entscheiden,
welcher im Hinblick auf die Bildung des Mesoblasts beim Am-
phioxus lanceolatus in Zukunft nicht unberlicksichtigt gelassen
werden darf und sich immer mehr in den Vordergrund der Dis-
cussion drangen wird. Ich meine die Annahme, dass die paari-
gen Mesoblaststreifen der Tritonen morphologisch nichts anderes
sind als zwei durch Einfaltung des Entoblasts entstandene Diver-
tikel, deren Wandungen fest auf einander gepresst sind. Fur eine
solche Annahme scheinen mir zwei Verhaltnisse in meinen Be-
obachtungen zu sprechen. Erstens treten bei der Mesoblastent-
wicklung die Zellen nicht einzeln filr sich zwischen die beiden
primaren Keimblatter, sondern sind stets zu regelmassigen Schich-
ten verbunden. Dabei findet man von Anfang an den Mesoblast
uberall wenigstens aus zwei Zellenschichten zusammengesetzt.
Zweiteus wurde in vieleu Fallen beobachtet, dass sich der Ur-
Die Entwickl. des mittleren Keimblattes der Wirbelthiere. 313
darin in der Umgebung des Blastoporus eiue Strecke weit in die
paarigen Mcsoblaststreifen als feine Spalte fortsetzt, ein parieta-
les und ein viscerales Blatt von einander treunend. Dass in den
Mesoblaststreifen von Anfang an die Holilungen fehlen, kann nicht
als triftiger Grund gegeu unsere Annabme gcltend gemacbt wer-
den. Denn wie schon in einer friibereu Arbeit bervorgehoben
wiirde, lebrt uns das Studium verschiedener Entwicklungsgescbich-
ten, dass baufig Tbeile, die ibrer zukiinftigcn Bestimmung und
Function nacb hohl sein miissen, iui Eutwicklungsleben , sei es
durch Einfaltuug oder Ausstiilpung, als compacte Zellenmassen an-
gelegt werden und erst spater ibre Hoblungen erbalten. Wir seben
aucb, wie urspriinglicb boble Bildungen voxiibergebend vollkoni-
men solid werden (z. B, die Darmdivertikel der Cbaetognatben),
um erst in eiuem dritten Stadium sich wieder auszuboblen.
Die Veranderungen, welcbe in der zweiten Entwicklungsperiode
am Triton-Ei eintreten, resiimire icb auf Grund der vorausgescbick-
ten P>orterungen jetzt kurz dabin: Das mittlere Keimblatt cut-
stebt durcb eine paarige Einfaltung des Entoblasts scbon zu einer
Zeit, wo die Gastrulaeinstiilpung nocb nicbt ganz vollendet ist.
Die Einfaltung beginnt zu beiden Seiten des Blastoporus und setzt
sich von bier links und recbts von der Riickenrinne und dem
unter ibr gelegeuen Cbordaeutoblast weiter nacb vorn fort. Wenn
wir uns jetzt die beiden Blatter des Mesoblasts , die bei der Ein-
faltung natiirlicb gleicbzeitig gebildet werden, aus einander gewi-
cben vorstellen , so erbalten wir einen linken und eineu recbten
Spaltraum, von welcben jeder mit dem spateren Darmraum com-
municirt erstens nacb dem Blastoporus zu und zweitens in gros-
ser Ausdebnung am Riicken des Embryo beiderseits von der Rii-
ckenrinne. Demnacb zerfallt aucb bei den Tritonen der Urdarm,
wie beim Ampbioxus, den Cbaetognatben, Bracbiopoden etc. durcb
2 Falten, die dorsal und nacb binten einen freien Rand besitzen,
in einen mittleren Raum, den bleibendeu Darni, und in 2 seitlicbe
Divertikel oder die Leibessacke.
Die dritte Periode.
In der dritten Periode, welcbe wir in der Entwicklung des
mittleren Keimblattes unterscbeiden wollen, vollziebt sicb die Bil-
dung der Cborda dorsalis und die Abscbniirung der beiden durch
Einfaltung erzeugtcm Mesoblastsacke von ibrem Muttei'boden, dem
primaren Entoblast. Sie wird ilusserlich durcb das Auftreten der
314 0. Hertwig,
Medullarwiilste gekennzeichnet , welclie sich am Anfang des vier-
ten Tages zu eiitwickeln beginnen. An dem Riicken des Embryo
bildet der Ektoblast (Taf. XII, Fig. 7) parallel zur Riickenrinne [t)
uud jederseits in ziemlicher Entfernung von derselben zwei Fal-
len (iV), welche die ausserordentlich breite Medullarplatte uragren-
zen ; letztere nimmt fast die ganze Riickenflache des Eies ein und
wird durch die Ruckenrinne in eine linke und eine rechte Halfte
abgetheilt. Die Stelle, wo sich die Wiilste zuerst erheben, ent-
spricht der spiiteren Cervicalgegend des Embryo, von hier delinen
sie sich auf den Kopfpol des Eies ventralwarts aus (Taf. XII,
Fig. 8) , wachsen einander vor dem Ende der Ruckenrinne im Bo-
gen entgegen und grenzen nach vorn ein grosses rundliches Feld,
die Hirnplatte (if), ab, welche am vorderen Pole des Eies gele-
gen nach oben uud hinten in die dorsale Medullarplatte (M) um-
biegt. Nach hinten werden die Medullarwiilste allmahlich niedri-
ger und verstreichen in kurzer Entfernung vor dem Urmund, der
als ein schmaler, kurzer Langsspalt an der Grenze zur ventralen
Fliiche bemerkt wird (Taf. XII, Fig. 7 u).
Ueber die Veriinderungen , welche wahrenddem im Innern
des Eies am Entoblast und Mesoblast eintreten, belehren uns die
einer Serie von Querschnitten entuommenen Figuren 3 — 6 der Ta-
fel XIV. Dieselben schliessen sich dem zuletzt beschriebenen Sta-
dium (Taf. XIV, Fig. 1 — 2) an, auf welchem wir unter der Riicken-
rinne einen flachen Streifen von Cylinderzellen (Enc) und zu bei-
den Seiten derselben die beiden Blatter des Mesoblasts und den
Darm-Entoblast {End) angetrotien hatten.
In den verschiedeuen Regionen des Ektoblasts haben jetzt
die Zellen, welche friiher gleichmassig cylindrisch waren, einen
abweichenden Charakter angenommeu. Ventral und seitwiirts ha-
ben sie sich abgeflacht und stellen eine eiufache Lage kleiner,
cubischer Gebilde dar; dorsal wiirts dagegen {N-N) sind sie noch
mehr in die Lange gewachsen uud sind zu langen Cylindern und
Spindeln geworden, die gewohnlich in der Weise alternirend ste-
hen, dass die einen ihr verbreitertes Ende nach dem Mesoblast,
die anderen nach der freien Oberflache gewandt haben. Dem ent-
sprechend sind auch ihre Kerne bald oberflachlicher, bald tiefer
gelegen. An den Riindern der verdickten Epithelpartie oder der
Medullarplatte beginnt sich der Ektoblast in zwei Falten (Taf. XIV,
Fig. 5— 6 iV^, ^.) zu legen, welche wir bei Betrachtung von der
Flache als Medullarwiilste beschrieben haben. Am Faltenrand
geht das abgeplattete und das verdickte Epithel in einander uber,
Die Entwickl. des mittlerexi Keirablattes dcr "Wirbelthiere. 315
indem das ausserc Blatt der Falte aus cubischeii, das iunerc aus
verlaugerten Zellen besteht.
Die Riickenrinne, eiue unbedeutende Vertiefung in der Lixngs-
axe, ist unscheinbarer geworden, als in der vorausgegangenen Pe-
riode. Unter ilir ist der Chordaentoblast in Umwandlung begrilfen.
Wahrend er sich vordem als ein flach ausgebreiteter Streifen cylin-
drischer Zellen (Taf. XIV, Fig. 1 u. 2 Enc) zwischeu die paarigen
Mesoblastmassen einscliob, ist er jetzt zu einer in das Darmlumen
geoflfueten Halbrinue geworden, wodurcli sein Querdurchmesser eut-
sprechend verringert worden ist (Taf. XIV, Fig. 3 Enc). Die con-
vexe iiussere Flache der Rinne grenzt theils an die Medullarplatte
an, welche zu ihrer Aufuahme unter der Riickenrinne {t) eine kleine
Vertiefung zeigt, und ist vielleicht die Ursache, warum die Riicken-
rinne sich abgeflacht hat, theils grenzt sie links und rechts an den
Mesoblast. Ueberall ist sie von den benachbarten Zellenlagen durch
einen scharfen Contour getrennt, bis auf ihre Riinder, wo die Ab-
grenzung fehlt.
In Folge der rinnenformigen Unibildung des Chordaentoblasts
sind die beiden Blatter des Mesoblasts (l/e^ u. 3Ie^) und die gros-
sen Dotterzellen des Darmentoblasts {Eyul) mehr nach der Mittel-
linie an einander geriickt, wo sie auf die Seitenwtinde und die freien
Rander der Chordarinne stossen. Das ist die critische Stelle, an
welcher ein Zusammenhang der beiden mittleren Keimblatter mit
dem Darmentoblast und mit dera Chordaentoblast auch auf dem
vorliegenden Stadium und zwar in folgender Weise noch deutlich
nachgewiesen werden kann. Die am Gruud der Rinne hoch cy-
lindrischen Chordazellen werden nach den Randeru zu niedriger
und setzen sich an denselben in eine einfache Lage cubischer Zel-
len fort, welche der ausseren Flache der Chordarinne anliegen
und in das parietale Blatt des Mesoblasts {Me^) weiter verfolgt
werden konnen. Wir erhalten somit dasselbe Resultat , zu wel-
chem wir auch beim Studium der zweiten Entwicklungsperiode
gefiihrt wurden, dass Chordaentoblast und parietaler Mesoblast
eine einzige Zellenschicht reprasentiren , deren mittlerer Theil
nach dem Urdarm zu frei liegt und hier in ein Cylinderepithel
umgewandelt ist. Die Chordarinne selbst aber ist auf eine dop-
pelte Faltenbildung zuriickzufiihren. VVie im Ektoblast zu beiden
Seiten der Medullarplatten sich die Medullarwiilste erheben, von
denen das aussere Blatt sich aus kleinen cubischen Zellen und das
innere Blatt sich aus cylindrischen Elementen zusammensetzt , so
sind auch in der als einheitlich nachgewiesenen Zellenschicht zwei
316 0. Hertwig,
kleine Falten entstanden, welche unmittelbar neben einander ge-
legeu eine schmale Rinnc zwischeu sicli fasseu uiid iiach der Rinne
zu aus cylindrischen , nach aussen aus cubisclien Zellen bestehen.
Wir wolleu sie fortan zur raschercn Verstaiidigung als Chorda-
falten bezeidmen. An das ilussere Blatt derselbeu lagern sich
der viscerale Mesoblast (Taf. XIV, Fig. 3 ilfe') und der Darmen-
toblast (End) an und gehen hier in der sclion oben beschriebenen
Weisc in einander liber, die beiden Darmfalten erzeugend.
Wenn imsere Beschreibung der Figur 3 die richtige ist, dann
haben wir das interessante Verhaltniss vor uns, dass an der Decke
des Urdarms im Ganzen zwei Paar Falten, die beiden Chorda-
uud die beiden Darm-Falten sich trelfen und mit ihren Random
fest zusannnengelegt sind. Zu beachten ist hierbei eine Erscbei-
nung, welche man auch in der Entwicklungsgeschichte anderer
Thiere sowohl beim Studium von lebenden durchsichtigen Ob-
jecten als auch von Schnitten beobachten kann, dass die Con-
touren zwischen zwei Blattern eiuer Falte stets viel scharfere und
deutlichere sind, als zwischen zwei mit ihren freien Fliichen zu-
sammcngcpressten Zellenlagen. Ektoblast und parietaler Meso-
blast und ebenso visceraler Mesoblast und Darm - Entoblast sind
besser von einander abgesetzt als die beiden mittleren Keimblat-
ter. Es erklart sich dies aus der Art und Weise, wie epitheliale
Zellen an einander gefiigt sind. Die basalen Enden schliessen im-
mer fester zusammen und stellen eine glattcre Grenzflache dar,
als die bald mehr, bald minder als kleine Hocker vorspringenden
peripheren Enden.
Die weiteren Veranderungen bis zur Bildung der Chorda sind
an den Figuren 4 — 6 zu ersehen. In Figur 4 ist die Chordarinue
noch mehr vertieft und verengt und von zwei Wanden begrenzt,
die nach der Medullarplatte zu unter einem spitzen Winkel zu-
sammenstossen. Die beiden Darmfalten sind mit ihren freien Ran-
dern nach der Mittellinie zu vorgewachsen. Der auf dem vorher-
geheuden Schnitt beschriebene Zusammenhang der einzelnen Blatter
ist jetzt undeutlicher geworden; einerseits fugt sich das viscerale
Blatt des Mesoblasts unmittelbar an den zur Seite der Chorda
gelegenen Theil des parietalen Mesoblasts, andererseits grenzen
die aussersten Dotterzellen des Darmentoblasts gleich an den
Chordaentoblast an.
Auf einem der nachsten Schnitte ( Fig. 5) ist die Rinnen-
bildung verschwundeu , indem die medialen Blatter der beiden
Chordafalten sich fest zusammen gelegt und so einen soliden
Die Entwickl. dfs mittleren Keimblattes der Wirbelthiere. 317
runden Zellenstab, die Chorda {ch\ gebildet liabeu. Die urspriing-
lich cylindrischeu Zelleu liaben bei diesen Lageveranderungen sich
in ihrem Aussehen verandert und eine mehr cubische uud unre-
gelniassige Form angenommen. Feruer ist die Chordaanlage, wel-
clie frlilier das Dach des Urdarms lierstellte, jetzt von der Be-
grenzung desselben, da sich die beiden Hillften des Darmcnto-
blasts fast bis zur Beriihrung genahert haben, bis auf einen
schmalen Spalt ausgeschlossen. Gleichzeitig haben die beiden
mittleren Keimblatter ihren friiheren Zusammenhang sowohl mit
dem Darmentoblast als auch niit dem Chord aentoblast vollstandig
aufgegeben, uud anstatt dessen ist auf jeder Seite der Chorda
das viscerale mit dem parietalen Blatt in Verbindung getreten.
Die Chorda ist daher in Figur 5 sowohl nach der Medullarplatte,
als auch nach den seitlichen Mesoblastmassen, dagegen nicht nach
dem Darmentoblast (End) und dem Darm {dh) zu deutlich und
scharf contourirt.
Auf dem niichsten Schnitt Fig. 6 ist die Sonderung auch hier
erfolgt. Die beiden Halften des Darmentoblasts {End) sind in
der dorsalen Mittellinie verwachsen und haben die Chorda {ch),
die nun eine untere deutliche Contour aufweist, vom Darmlmnen
{dh) ganz ausgeschlossen. Letzteres ist ringsum von Dotterzellen
umgeben, die durch ihre Grosse sich von den Nachbarzelleu un-
terscheiden.
Damit hat eine Reihe Avichtiger Eutwicklungsvorgange ihren
Abschluss gefuuden; wahrend am Ende der zweiten Periode noch
die beiden Blatter des Mesoblasts, Chorda und Darmanlage, con-
tinuirlich in einander iibergingen und gemeinsam an der Begren-
zung des Darms Theil nahmen, ist jetzt eine vollstiiudige Son-
derung eingetreten ; Chorda, Darmrohr uud die beiden Mesoblast-
streifen sind selbstiindige Organe geworden.
Wenn wir auf die Veranderuugen in der dritten Entwicklungs-
periode zuriickblickend nach den Processen fragen, durch welche die
verschiedenen Bilder hervorgerufen worden sind, so glauben wir auch
hier wie schon in dem vorhergehenden Capitel den Schliissel zuin
Verstandniss in der Faltenbildung gefunden zu haben. Alle Veran-
deruugen erkliiren sich uns theils aus einer Fortsetzung der Falten-
bildungen, welche bereits in der zweiten Periode entstanden waren,
theils aus der Bildung und Verwachsung der zwei neu hinzutreten-
den Chordafalten. Die an einer Schnittserie genau geschilderten Eut-
wicklungsvorgange werdeu wir dann am besten in folgender Weise
zusammenfassen kouneu, wobei wir uns die beiden mittleren Keim-
318 0. Hertwig,
blatter von einaiidcr gczogcn uiid durch einen kleinen Spaltraum
getreunt deiikeii wollen.
Am Aufang der dritten Periode sind die beiden Rander der
Darmfalten, durch welche der Urdarm in einen Mittelraiim und
zwei seitlicbe Divertikel abgetheilt worden ist, an dem Riicken
des Embryo durch eiue ziemlich weite Liicke geschieden, an wel-
cher ein Streifen cylindrischer Zcllen , der Chordaentoblast , die
Dccke des Mittelraums bildet. Dann aber wachsen die Rander
der beiden Darmfalten, an welchen Darmentoblast imd viscerales
Blatt des Mesoblasts zusammenstossen, einander entgegen mid
glcichzeitig entwickeln sich die zwei kleinen Chordafalten an der
Stelle, wo der Chordaentoblast und die parietalen Blatter des Me-
soblasts urspriinglich in einander tibergingen. Alle vier Falten
treffeu sich nach einiger Zeit, indem sie raedianwarts vorwachsen,
in der dorsaleu Mittellinie und verschmelzeu hier. Die inncren
Blatter der beiden Chordafalten (der Chordaentoblast) erzeugen
einen soliden Zellenstab, die Chorda, und losen sich hierbei von
den ausseren Blattern ab, welche die eingefalteten Theile des
parietalen Mesoblasts sind; diese dagegen verbinden sich zu bei-
den Seiten der Chorda mit den dorsalen Riiudern der visceralen
Mcsoblastblatter, welche nun auch ihrerseits gleichzeitig den Zu-
sammenhang mit dem Darmentoblast aufgeben. Der Darmento-
blast endlich oder das inncre Blatt der Darmfalte verlothet mit
demjenigen der entgegengesetzten Seite. Mit anderen Worten,
die drei aus dem Urdarm entstandenen Raume, welche urspriing-
lich am Riicken des Embryo in Communication stehen, werden
in der dritten Periode der Entwicklung gesondert und in den
bleibenden Darm und die beiden Coelomsiicke zerlegt und es wer-
den jetzt Mesoblast und secundarer Entoblast iiberall deutlich un-
terscheidbar. Somit haben wir in dem Schluss des bleibenden
Darms an der Riickenseite, in der Abschntirung der beiden Me-
soblastsacke vora Entoblast und in der Genese der Chorda dor-
salis aus dem Chordaentoblast Processe kennen gelernt, die auf
das Innigste mit einander verknupft sind.
In der hier gegebenen Darstelluug und Deutung finde ich
mich mit nieinen Vorgjingern nur zum Theil ira Einklang. Scott
und O shorn haben zuerst bei den Tritonen die Thatsache fest-
gestellt, dass die Chorda sich aus der Schicht cylindrischer Ento-
blastzellen an der Decke des Urdarms entwickelt, ihre Darstellung
im Einzelucn wird aber dadurch eine abweichende, dass sie den
Mesoblast als eine vollig gesonderte Zellenmasse beschreiben und
Die Entwickl. des mittleren Keimblattes der Wirbelthiere. 319
dalicr die Chordaanlage, wie sclioii oben erwahnt wurde, vom pa-
rietaleu Blatt getrennt sein und iu deu Darmentoblast coutiimirlicli
iibergclien lassen. Das ist ein selir bedeutsamer Difi'ereuzpuiikt,
welcher zu eiuer ganz anderen Auffassung des embryonaleii Pro-
cesses fuhrt. Die Genese der Chorda geschieht denn auch nach
Scott und Osborii in der Weise, dass die vollstandig isolirten
Mesoblastniassen von der Seite nach der Mittellinie vorwachscn
und dadurch die Schicht der Cylinderzellen zusammendrangen.
Diese faltet sich ein, bis die Wande der Rinne sich treffcn und
ein solider Stab mit radial angeordneten Zellen gebildet worden
ist. Der Stab gibt nun seine Verbindung mit dem Darmentoblast
auf, nimmt aber noch eine Zeit lang an der oberen Begrenzung des
Darms Theil. Erst spater kommen unter ihm die Darmzcllen zur
Vereiniguug, indem sie von der Seite nach Innen vorrucken. Auch
(lie Abbildungeu, welche die genannten Forscher gcgeben haben
(Taf. IV, Fig. 5, 6, 7), weichen von den meinigen nicht uuweseut-
lich ab.
B a m b c k e bestatigt in seiner vorlaufigen Mittheilung die An-
gaben von Scott und Osborn hinsichtlich der Entwicklung der
Chorda dorsalis und beschreibt eine gcringfiigige Abiinderung bei
Triton alpestris, die darin bestcht, dass der Cliordaentoblast als
eine Leiste in den Urdarm hinein Torragt (saillie uotocordale).
Die vierte Period e.
Die vierte Periode in der Entwicklung des Mesoblasts umfasst
die Bildung und das Wachsthum der Ursegmente oder Urvvirbel
bis zur Differenzirung der Korpermuskulatur. Wahrend derselben
sehen wir ausserlich am Ei sich folgende Verandcrungen abspielen :
Es beginnen die Medullarwiilste von der Stelle ihres ersten
Auftretens an, welche der Cervicalregion entspricht, sich mehr
empor zu heben und dabei einander cntgegen zu wachsen (Taf. XII,
P'ig. 8 N). Infolge dessen nimmt jetzt die von den Wiilsten um-
gebenc Anlage des Nervensystems , wie Bambekc ganz passend
bemerkt hat, die Form einer Lyra oder Guitarre an. Die einge-
schniirte Stelle der Lyra bezeichnet die Halsgegend, an welcher
die Hirn- und die MeduUarplatte {H u. M) in einander iibergehen.
An etwas iilteren Embryonen nahern sich die emporwachsenden
Willste mit ihren Raudern und zwar am raschesten in der Cer-
vicalgegend und der nach riickwarts angrenzenden Partie, wahrend
sie am Kopfende noch weit aus einander stehen. So kommt das auf
320 0. Hertwig,
Taf. XII, Fig. 9 dargestellte Bild zu Stande. Am Kopfende ura-
schliessen die stark hervorspringenden Wiilstc die Hirnanlage (H),
ein rundes Feld, das gegen friiher sich eiii wenig verklcinert hat,
iind nach wie vor durch das vordere Ende der Ruckenriinie in
eine linke und reclite Halfte getheilt ist. Am hinteren Ende der
noch weit geoifneten Hirnanlage sind sich die Wiilste fast bis zur
Beriihrung genahert und begrenzen eine Strecke weit eine tiefe
Medullarfurche (M), um dann nach dem Urmund zu mehr aus-
einander zu weichen und sich allmahlich abzuflachen,
Spitter (Taf. XII, Fig. 10) stossen die Wulste auch im Bereich
des Kopfes zusammen, wodurch die eiust so deutliche Grenze zwi-
schen der Anlage des Gehirns und des Riickenmarks wieder ver-
wischt wird. Die Anlage des Nervensystems im Ganzen stellt dann
einen tiefen Kanal dar, der sich nur durch einen feinen Spalt nach
aussen offnet und zwei Drittel der Eicircumferenz im Bogen um-
fasst. Noch spater ist er geschlossen und an seinem vorderen Ende
beginnen sich die einzelnen Hirnblasen zu differenziren (Taf. XII,
Fig. 11 u. 12).
Wahrend dieser Vorgange hat der Embryo seine urspriingliche
Kugelgestalt verloren und sich etwas in die Lange gestreckt. In
seiner iiusseren Form macht sich ein Gegensatz zwischen Bauch-
und Rlickenflache in der Weise geltend, dass die erstere fast voll-
kommen eben, die letztere dagegen stark gekriimmt ist (Taf. XII,
Fig. 8 — 10). Auch in der Lage des Blastoporus (w) ist eine Ver-
jinderung wahrzunehmen. Wahrend derselbe in der dritten Pe-
riode der Hirnplatte gerade gegentiber lag und daher bei Betrach-
tung von der Bauchseite nicht gesehen werden konnte, beginut er
allmahlich vom hinteren Ende des ovalen Embryo nach abwarts
und nach vorn zu riicken. War der Spalt ursprunglich vertical,
so ist or jetzt horizontal gestellt. Um ihn zu sehen, muss man
den Embryo von seiner Bauchseite aus bctrachten (Taf. XII, Fig.
10m). Es findet also eine langsame Verschiebung des Urmundes
um die Eiperipherie in der Weise statt, dass an der Riickenflache
des Embryo sich sein Abstand von der Hirnanlage vergrossert,
wahrend er sich ventral ihrem vorderen Rande nahert (Fig. 10—12).
Gleichzeitig verlangert sich durch Ruckwartswachsen der Medullar-
wiilste das Nervenrohr und nimmt einen immer grosseren Theil
der Eiperipherie ein. In Folge dessen gewinnt der Riicken des
Embryo ein bedeutendes Uebergewicht iiber die Bauchflache, unter
welcher wir die zwischen Gehirn und Blastoporus gelegene Strecke
begreifen wollen (Fig. 10—12).
Die Entwickl. des mittleren Keimblattes der Wirbelthiere. 321
Die hier beschriebenen Vorgiinge erinuern an die Wachsthuius-
ersclieinungeu der raeroblastischeii Eier. Hier wie dort vcrgrossert
sich der embryonale Korper an seiueni hinteren Ende, iiidem der
Urniund iiach riickwiirts wandert und iu demselben Maasse, als er
sich von vorn schliesst, die Medullarwiilste ihm nacli riickwiirts
nachfolgen.
Von den altesten zur Darstellung gelangten Stadien (Fig. 11
u. 12) ist endlicli noch zii erwahnen, dass die nachste Umgebung
des Urmunds, wenu dieser ventralwarts nur noch durch einen ge-
ringen Abstand vom Vorderhirn entfernt ist, in der Form eines
kleinen Kegels, dessen Spitze nach vorn gerichtet ist, iiber die
Eioberflache hervortritt.
Um in die inneren Gestaltungsvorgange einen Einblick zu ge-
winnen, sind wieder quere, sagittale und frontale Schnitte er-
forderlich. Sie zeigen ims, dass nach voUstandiger Abschniirnng
der Chorda die beiden Blatter des Mesoblasts aus einander weichen
und das Coelom als einen schmalen Spalt zwischen sich hervor-
treten lassen (Taf. XIV , Fig. 6 u. 7 c). Ein solcher erscheint in-
dessen nur zu beiden Seiten der Chorda, wahrend weiter ventral-
warts und ebenso nach dem Blastoporus zu die beiden Zellen-
schichten noch fest an einander haften. Das Auseinanderweichen
der letzteren hangt offenbar mit der Bildung der Medullarrinnc
zusanipien. Es faltet sich namlich die breite Medullarplatte in der
Weise ein, dass ihr mittlerer, iiber der Chorda gelegener Theil
seine urspriingliche Lage beibehiilt, die seitlichen Theile dagegen
nach aussen iiber das ursprungliche Niveau der Kugeloberfiache
des Eies hervortreten , indem sie mit den angrenzenden Partieen
des Hornblatts zwei Falten oder Wlilste bilden (Taf. XIV, Fig. 7).
In demselben Maasse als sich so die seitlichen Theile der Medullar-
platte von dem Darmentoblast entfernen, folgt ihneu auch das an-
grenzende parietale Blatt des Mesoblasts nach, hebt sich vom vis-
ceralen Blatt ab, tritt in die Basis der Medullarwiilste ein und
fiillt eine flache Rinne zwischen Medullarplatte und Hornblatt aus.
Bis in die Spitze der Falte dringt das mittlere Keimblatt jedoch
nicht mit ein, da hier die beiden Faltenblatter des Ektoblasts fest
zusammen schliessen.
In Folge dieses Vorgangs erhalt die zu beiden Seiten der
Chorda gelcgene Partie des Mesoblasts vier Begrenzungsflilchen,
die sich thcils uuter rechten, theils stumpfen Winkeln tretfen, eine
untere, eine mediale und zwei obcre. Die uutere grenzt an den
Entoblast, die mediale an die Chorda; von den beiden obereu Fla-
lid. XV. N. V. vni. 2. 21
322 0. Hertwig,
chon, die unter einem stumpfen Winkel zusammenstossen , lagert
die eino der Medullarplatte , die andere dem Hornblatt an, bcide
bildcu iiber dem Coeloraspalt eine Art Dacli, dessen Firste in die
Basis der MeduUarwiilste hineinspringt. Der so begrenzte Theil
des mittleren Keimblatts entspricht der Urvvirbelplatte der am-
nioten Wirbelthiere , er iinterscheidet sich von ihr dadurch, dass
er von Anfang an eine Holilung besitzt, die weiter nichts als der
mediale erweiterte Tlieil des primaren Coeloms ist und von einer
einfaclien Lage cubischer Zellen, einem Epithel, ausgekleidet wird.
Die Diflterenzirung der Urwirbel oder, wie wir besser und
richtiger sagen sollten, der Ursegmente, macht sich sehr friib-
zeitig, wenn noch die MeduUarwiilste weit aus einander stehen, be-
merkbar; der Process beginnt in der Cervicalregion und dehnt
sich von hier allmahlich nach dem Schwan,zende zu aus, wo noch
langere Zeit nach Verschluss des Medullarrohrs die Urwirbelplat-
ten sich ungesondert erhalten, wahreud nach vorn schon zahlreiche
Ursegmente angelegt sind. Um ihre Entstehung kennen zu lerneu,
betrachten wir zuuiichst eine Serie von Querschnitten durch einen
Tritonembryo mit noch weit aus einander stehenden Medullarwillsten.
Auf der linkeu Seite der Figur 7 (Taf. XIV) communicirt die
Hohle der Urwirbelplatten mit dem seitlichen Theil der Coelom-
spalten nicht mehr, well die beiden Blatter des Mesoblasts sich
eine kleine Strecke weit fest zusammengelegt haben. Auch be-
merkt man in dieser Gegend, dass sich die Urwirbelplatten durch
cine dorsale und ventrale Furche (*) seitlich abzugrenzen beginnen.
Die Furchen sind dadurch entstanden, dass sich der parietale Meso-
blast vom Hornblatt und der viscerale vom Entoblast etwas ab-
gehoben haben, demgemass in den Coelomspalt vorspringen und
sich mit den abgehobenen Theilen zusammengelegt haben. Das
heisst mit anderen Worteu: Parietales und viscerales Blatt des
Mesoblasts haben zwei kleine Falten gebildet, die einander ent-
gegengesetzt von oben und unten in das Coelom hineinwachsen,
mit ihren Randern sich sogleich treffen und dadurch die Hohlungen
der Ursegmentplatte seitlich abgrenzen.
Auf einem der nachsten Schnitte ist das Bild verandert (Taf. XV,
Fig. 7). Zu beiden Seiten der Chorda (cJi) liegt jetzt eine solide
Zellenmasse, die dorsal und ventral durch eine kleine Einkerbung (*)
sich lateralwarts absetzt.
Auf einer Serie von Schnitten erscheinen nun die Ursegment-
plattcn bald als solide Korper, bald mit einem Hohlraum im In-
neren, . Sagittale Schnitte gebeu uns eine Erklarung fiir diese in
Die Entwicld, des mittleren Keimblattes der Wirbelthiere. 323
wechseluder Folge wiederkehrenden Befunde (Taf. XV, Fig. 2). Sie
leliren uiis, dass die Flatten von der Cervicalregion an in eine
Reihe hinter eiuander gelagerter Ursegmente zerfallen sind, dercn
Zahl mit dem Alter des Embryo zunimmt. Bei einem Embryo
mit weit entfernten Medullarwulsten sind ihrer zwei vorhanden,
bei einem anderen mit geschlossenem Nervenrohr eine grosse An-
zahl. Jedes Ursegment ist ein langliches, rings geschlossenes Sack-
chen, dessen Wandung aus einer einfacben Lage cubiscber Zellen
bestebt und eine enge Holile (c^) im Inneren umscbliesst. Aiif
einem Langsscbnitt stossen die vorderen und binteren Wande der
Sackchen fast unmittelbar an einander und lassen nur einen scbma-
len Spaltrauni zwiscben sicb frei. Je nacbdem auf einer Serie von
Querscbnitten die vordere und bintere Wand oder die Mitte eines
Sackcbens getroHen worden ist, erklaren sicb die oben bescbriebc-
nen Bilder (Taf. XIV, Fig. 7. Taf. XV, Fig. 7).
In welcber Weise sind die Sackcben aus den Ursegmentplat-
teu gebildet worden ? Um diesen Process festzustellen, betracbten
wir den Langsscbnitt (Taf. XV, Fig. 2), welcber uns nach dem
Kopfeude zu deutlicb abgegrenzte Ursegmente und nacb binten die
nocb ungetbeilte Platte zeigt. An letzterer ist ein Ursegment eben
in Bildung begriften! In einiger Entfernung von ibrer vorderen
Wand ist an der oberen und unteren Flacbe je eine kleine Quer-
furcbe C^) entstanden, durcb welche ein vorderer Tlieil, der die
Lange eines Sackcbens bat, von der iibrigen Platte abgegrenzt
wird. Die spaltformigen Hoblungen in beiden Tbeilen steben gleicb-
falls nicbt mebr in Zusammenbang, da an der Stelle der beiden
Furcben das parietale und das viscerale Blatt des Mesoblasts verlo-
thet sind. Also aucb bier seben wir wie an den Querscbnitten die
beiden mittleren Keimblatter sicb einerseits vom Ektoblast, ande-
rerseits vom Entoblast abbeben und in Falten legen, welche in
den Coelomspalt vordringen. Denken wir uns den in seinem Be-
ginn beobacbteten Process jetzt nur nocb weiter fortgesetzt; lassen
wir die Spalten zwiscben den Blattern der zwei kleinen Falten
sicb entgegen dringen und, indem sie die verlotbete Zellenmasse
der Faltenrander durcbscbneiden , zu einem einfacben Querspalt
verscbmelzen, so erbalten wir ein fertiges Sackcben. Aus den vor-
deren Faltenblattern gebt die bintere Wand des neugebildeten Ur-
segments, aus den binteren Faltenblattern die vordere Wand der
Ursegmentplatte bervor.
Hinsicbtlich der weiteren F^ntwicklung der Ursegmente ver-
weise ich auf die Figuren 8 und 9 der Taf. XIV. Das eine Quer-
21*
324 0. Hertwig,
schnittsbild (Fig. 8) riihrt von cinem Embryo her, bei welchem
sich das Nervenrohr (N) eben geschlossen hat und nach aussen
vom Hornblatt iiberzogen wird. Das Ursegment mit seiner Hohle
(c^) ist durch einen Spalt lateral wiirts vom iibrigen Theil des
mittleren Keimblatts, dem Haut- und Uarmfaserblatt , scharf ab-
gegrenzt, im Vergleich zu friiheren Stadieu hat es an Hohe zuge-
nommen, indem seine beiden oberen in einer Firste zusammen-
stosseuden Begrenzungsflachen sich zwischen Nervenrohr und Horn-
blatt weiter hineingeschoben haben. In noch hoherem Maasse ist
dies auf dem zweiten Querschnittsbild der Fall (Fig. 9), welches
uns die Ursegmente auf der Hohe ihrer Entvvicklung vor Eintritt
der histologischen DiHerenzirung zeigt. Es sind beinahe cubische
Korper, deren Hohe der Breite ziemlich gleich kommt, mit einer
weiten Hohle {c^) im luneren. Die mediale Flache grenzt an
Chorda und Nervenrohr, die laterale an den seitlichen Theil des
mittleren Keimblatts, die untere an den Dotter, die obere an das
Hornblatt. Von den Ursegmenten ist das Nervenrohr noch weiter
umwachsen worden ; deun wiihrend in der Figur 8 noch die ganze
obere Hiilfte, wird in der Figur 9 nur noch ein Drittel seiner
Circumferenz vom Hornblatt unmittelbar bedeckt.
Eine weitere Ergiinzung findet endlich unsere Vorstellung von
dem Bau und der Lagerung der Ursegmente durch Betrachtung
eines Frontalschnittes , der durch den Biicken eines altereu Em-
bryo hindurchgelegt wurde (Taf. XV Fig. 14). Durch die Mitte
der Figur verlauft die Chorda dorsalis (ch), auf beiden Seiten be-
grenzt von den Ursegmenten, die nahezu eine quadratische Form
besitzen und nach aussen vom Hornblatt iiberzogen werden. Die
Ursegmente beider Seiten entsprechen einander genau in ihrer
Stellung zur Chorda. Ihre vorderen und hinteren Wande stehen
nicht quer, sondern etwas schrag zu ihr in der Weise, dass die
eutsprecheuden Wande beider Seiten zusammen einen nach hiuten
geoffneten stumpfen Winkel beschreiben. So leitet sich jetzt schou
das schrilge Wachsthum der Ursegmente ein, welches auf spiite-
ren Stadien immer mehr zunimmt und die fur Fische und Am-
phibien charakteristische Anordnung der Myomeren bedingt.
Wahrend der verschiedeueu Stadien unserer vierten Periode
sind die Elemente, welche die einzelneu unterscheidbaren Theile
zusammensetzen , in Form und Grosse immer unahnlicher gewor-
den. Die Zellen des Hornblatts haben sich abgeflacht zu diinnen
Pliittchen, die am Biicken in zwei Schichten, ventralwiirts dagegen
in einer einzigen Schicht angeordnet sind. Die Zellen des Ner-
Die Entwickl. des mittlercn Keirablattes der Wirbelthiere. 325
venrohrs siud hohe, keilformige Gebilde, welclie eine breite Eud-
flaclie bald nach aussen, bald nach inneu dem Centralcanal zii-
kehren. Die Wandungen des letztereu siud anfanglich gleichmas-
sig dick (Taf. XIV Fig. 8), spiiter iibertreflen die Seitemvanduu-
gen an Dicke die vordere und hintere Wand, welclie zur Commis-
sura anterior und posterior wird (Taf. XIV Fig. 9). Die Zelleu
der Ursegmeute siud dadurch ausgezeichnet , dass sie im Laufe
der Entwicklung an Lauge bedeutend zunehmen. Aus cubischen
Gebildeu (Taf. XIV Fig. 6 u. 7) wachsen sie zu langeu Cylindern
mit grossen, ovalen Kernen heran, welche in einfacher Schicht die
Hohle (c'^) des Ursegments als ein wohl ausgebildetes Cylinder-
epithel umgebeu (Taf. XIV Fig. 8 u. 9. Taf XV Fig. 14 u. 13).
Sie gerathen hierdurch in eiueu ausgesprochenen Gegensatz zu
den Zelleu der 2 iibrigen mittleren Keimblatter, welche sich wilh-
renddem in entgegengesetzter Richtung umwaudelu, ihre cubiscbe
Form verliereu und mehr abgcplattet werden (Taf. XIV Fig. 7 — 9).
Auch die Cbordazellen haben bedeutende Veranderungen er-
fahreu. Anfanglich cyliudrisch (Taf. XIV Fig. 1—4), dann spinde-
lig gestaltet und in radiarer Richtung urn die Langsaxe der
Chorda angeordnet (Fig. 5 — 7), haben sie sich auf uuserem letz-
teu Stadium zu diiunen, mehr oder minder vollstandigeu Scheiben
abgeplattet, welche ihren Kern ziemlich genau in der Mitte fiih-
ren. Die Scheiben sind wie die Stiicke einer Geldrolle hinter ein-
ander geschichtet und werden nach aussen durch eine feine Mem-
bran, die erste Spur der Chordascheide, von den umgebenden
Theilen getrennt (Taf. XV, Fig. 14 u. 8). In ganz derselbeu Weise
lilsst neuerdings auch Kupffer in seiner Entwicklungsgeschichte
des Herings^ die Chorda dorsalis der Teleostier auf friiheu em-
bryonalen Stadien gebaut sein.
Die Zellen des Darmkanals endlich sind grosse, polygonale
Gebilde, welche unterhalb der Chorda uur einen kleinen Hohl-
raum, nach vorn aber die geriiumige Kopfdarmhohle begrenzen
(Taf. XIV Fig. 7—9 dh). Alle Elemente des Embryo's ohne Aus-
nahme sind noch dicht- mit Dotterkornern erfullt, wie dies zuni
Beispiel an den bei starker Vergrosserung gezeichneten Cborda-
zellen und cylindrischen Zellen der Ursegmente (Taf. XV Fig. 8 u.
13) zu sehen ist.
1) Kupffer, C, Laicheu uud Entwicklung des Ostsee-Herings^
Jahresbericht der Commission zur wissenschaftlichen Untersuchuu*;
der Deutschen Meere. Berlin 1878.
326 0. Hertwig,
Literatur. In der Arbeit von Scott unci Osborn finden
sich Abbilduugen von Querschnitten dnrch die Urwirbelplatten
und die abgeschniirten Ursegmente; dagcgen felilen tiber den Mo-
dus ihrer Entstehung im Text uahere Angaben. Auch Bambeke
beriihrt in seiner vorlaufigen Mittheiiuug diese Verhiiltnisse nicht
niiher.
Die im 4. Abschnitt erhaltenen Resultate lassen sich kurz in
folgende Satze zusammenfasseu: die Ui'segmente entwickeln sich
aus den beiden Coelomsacken durch einen sich vielfach successive
wiederholenden Faltungsprocess, welcher in der Cervicairegion des
Embryos beginnt und nach dem Schwanzende zu langsam forschrei-
tet. Es legt sich die epitheliale Wand des Coeloms, wo sie an
Chorda und Medullarplatte augrenzt, in Querfalten, so dass eine
E-eihe hinter einander gereihter hohler Divertikel, welche lateral-
warts noch durch eine Oeffnung mit dem Coelomsack eine Zeit
lang communiciren , gebildet wird. Spater schniiren sich die Di-
vertikel vollstandig ab und stellen dann kleine, zu beiden Seiten
der Chorda gelegene Sackchen dar. Die Ursegmenthohlen sind
deninach weiter nichts als abgeschnurte Theile des primiiren Coe-
loms, ihre Waudungen bestehen aus Epithelzellen , welche vom
Coelomepithel abstammen.
5. Veranderungen in der Umgebung des Blastoporus
wahrend der dritten und vierten Periode.
In den vorhergehenden zwei Capiteln habeu wir Schritt fiir
Schritt die Veranderungen verfolgt, welche zur Differenzirung der
Chorda und der Urwirbel fiihrten; dabei haben wir andere Ver-
anderungen, welche sich an denselben Embryonen in der Umge-
bung des Blastoporus abspielen, unberiicksichtigt gelassen, um
nicht die Darstellung der lortschreitenden Entwicklung des Meso-
blasts zu storen.
In der Umgebung des Blastoporus namlich beobachtet man
bei Embryonen vom Aufang des dritten bis zum Ende des vier-
ten Stadiums und selbst bei noch alteren Embryonen, dass der
Entwicklungsprocess , welcher zur ersten Anlage des mittleren
Keimblattes gefuhrt hat, auch spater noch ohne Unterbrechung
geraume Zeit fortdauert, und so kann man auf Durchschnitten
Bilder erhalten, welche den Bildern unseres zweiten Entwicklungs-
stadiunis entsprecheu. Wenn man dann vom Blastoporus aus
nach voru in der Untersuchung von Schuittserien fortschreitet,
■ Die Entwickl. des mittleren Kcimblattes der Wirbcltliiere. 327
lernt man an ein unci demselben Embryo, bei welcliera in der Cer-
vicalregion sclion zahlreiche Urwirbel wohl ausgebildet siud, nur
in wenig modificirter Wcise alle die verschiedenen Dificrenziruugs-
processe des Mesobiasts kennen, welche im dritten und vierten
Kapitel von verschieden weit entwickelten Eiern beschrieben wurden.
Die holoblastischen Eier gleiclien hierin den meroblastiscben
auch in jeder Beziehuug. Bei beiden beginnt die Differenziruug
am Kopfende des embryonalen Korpers und schreitet von hier
langsam nacli hinten weiter. Walireud vorn bereits die Urwirbel
sich histologiscli umwandeln, bleibt hinten uoch lange Zeit eine
Neubildungszone bestehen, durch deren Vermittlung das Langen-
wachsthum des Korpers in analoger AYeise, wie bei den Anne-
liden durch die Wucherungszone der Mesoblaststreifen bewirkt
wird.
Dem Studium der Neubildungszone sei jetzt noch das fiinfte
Kapitel unseres Aufsatzes ausschliesslich gewidmet. Mit Schnit-
ten durch den Blastoporus beginneud, wollen wir nach vorn fort-
schreiten und so die sich hier vollziehende weitere Differenziruug
der Mesoblastanlagen untersuchen.
Bei Anfertigung der Schnitte ist es jetzt noch schwieriger als
friiher, in der Zone, die man gerade studiren will, die Keimblatter
senkrecht zu ihrer Oberflache zu durchschneiden. Da der Ur-
mund, wie schon friiher erwahnt wurde, seine Lage an der Ei-
peripherie verandert, indem er sich dem Vorderrand des sich ab-
schniirendcu Gehirns successive nahert, wird dem entsprechend
auch die Schnittrichtung je nach dem Alter der Eier variiren
miissen.
Taf. XIII Fig. 8, Taf. XIV Fig. 10, Taf. XV Fig. 9 stellen
Schnitte durch den Unnund verschieden alter Embryonen dar.
Der erste Schnitt ist in frontaler Richtuug durch ein Ei hin-
durchgefiihrt, auf dessen Riickenfliiche sich die Medullarwiilste zu
erheben begiunen und die Medullarplatte noch sehr breit ist, wie
auf den in Fig. 7 und 8 der Taf. XII abgebildeten Stadien. Dem
Urmund (u) gegentiber am Kopfpol des Eies ist der Ektoblast
zur Hirnplatte (N) verdickt. Dieselbe besteht aus hohen cylin-
drischen Zellen und setzt sich links und rechts durch eine sanfte
Einschntirung gegen die mehr cubischen Elemente der Epidermis
ab. An die Hirnplatte grenzt unmittelbar eine einfache Schicht
grosser cubischer Entodermzellen, das Epithel der auf dem Fron-
talschnitt halbmondformig erscheinenden Kopfdarmhohle (dh^), de-
ren entgegengesetzte Wo.nd die Dottermasse ist. Diese fullt die
S^8 " 0. Hertwig,
ganze Mitte des Eies mit ihren ovalen, deutlich von links nach
rechts quergestellten Zellen aus und schiebt sich als ein Wall
zwischen den weiten Kopfdarm und den kleineren am Blastopo-
rus gelegenen Theil der Darmhohle hinein (dh''^). Der Blastopo-
rus (u) erscheint als ein sehmaler Gang zwischen den verdickten
seitlichen Urmundlippen (Is), an welchen sich der Ektoblast in
den aus 3 — 4 Zellenlagen bestehenden Entoblast umschlagt.
Von den Urmundlippen (Is) aus nehmen die beiden Mesoblast-
streifen ihren Ursprung, dringen zwischen Dottermasse und Epi-
dermis bis zum Kopfpol vor und enden links und rechts von der
Kopfdarmhohle an der Stelle, wo sich die Hirnplatte von ihrer
Umgebung durch zwei Furchen abgesetzt hat. Sie sind vom Dot-
ter und vom Ektoblast mit aller nur wiinschenswerthen Deutlich-
keit durch einen schmalen Spaltraum getrennt, nur nicht in der
Umgebung des Blastoporus und der Urdarmhohle; hier werden die
beiden Mesoblaststreifen, wahrend sie anderen Orts aus zwei La-
gen kleiner ovaler Zellen bestehen, drei bis vier Zellenlagen dick
und gehen, indem sie in zwei Blatter auseinander weichen, einer-
seits in den Entoblast (En) der Urmundlippen, andererseits in die
Dottermasse iiber, welche die vordere Wand der Urdarmhohle bil-
det. An der Uebergangsstelle jederseits sind die grossen Dotter-
schollen wieder in einen Haufen kleinerer Zellen zerfallen, eine
Wucherungszone darstellend.
Aehnliches lehren die Schnitte durch altere Embryonen, de-
ren Nervenrohr sich zu schliessen beginnt (Taf. XIV Fig. 10 u.
12). In Figur 10 ist das hinterste Ende des Urmundes getroffen.
In denselben dringt von der Dottermasse eine kleine zipfelformige
Verlangerung als Dotterpfropf (d) hinein, die kleine Urdarmhohle
fast vollstandig ausfiillend. Von der Anlage eines mittleren Keim-
blattes ist noch nichts wahrzunehmen. Die seitlichen Urmund-
lippen sind verdickt und aus kleinen Zellen zusammengesetzt; ihr
inneres Blatt oder der primare Entoblast (En) hangt unmittel-
bar mit der Dottermasse zusamraen, deren Elemente in der Um-
gebung des Urdarms wieder in Wucherung begriflfen sind. Denn
man sieht nach dem Urdarm zu die grossen ovalen Dotterschol-
len allmahlich kleiner werden und so in mehrere Lagen von Zel-
len ubergehen, welche in ihrer Grosse den Zellen des Entoblasts
der Urmundlippen entsprechen.
Nur wenige Schnitte weiter nach vorn (Taf. XIV Fig. 12)
hat sich das Bild verandert. Die seitlichen Urmundlippen haben
sich in der Mittellinie fest zusammengelegt , so dass ihre Tren-
Die Entwicld, des mittleren Keimblattes der "Wirbel'thiere. 329
nung alleiii iiocli durch eine zarte Linie angedeutet wird, uud bil-
deii die iiiissere Decke des Urdarms (dh^), der als sclimaler lialb-
mondformig gekrummter Spalt erscheiut. In seiner Umgebung ist
die DotteiTnasse aucli auf diesem Scbnitt in kleine Zellen zerfal-
len. Von den beiden Winkeln des Urdarms geben kleinzellige
Massen, die beiden Mesoblaststreifeu (Me) aus, die sicb zwischen
Ektoblast und Dottermasse bineinscbieben und von welcben das-
selbe wie von den Mesoblaststreifen des etwas jungeren Stadiums
(Taf. XIII Fig. 8) gesagt werden kann. Sie ban gen in der Um-
gebung des Urnmndes einerseits mit dem Entoblast der Urmund-
lippen, andererseits mit der Wucberungszone im Dotter zusammen
und sind, von dieser bescbriinkten Region abgeseben, allseitig von
den angrenzenden Keimblattern wohl gesondert.
Sebr lebrreicb ist aucb die auf Tafel XV (Figur 9 — 10) bei
scbwacher Vergrosserung gezeicbuete Scbnittserie durcb die Um-
gebung des Urmunds von einem nocb etwas alteren Embryo, bei
welcbem sicb das Nervenrobr in der Cervicalregion eine kleine
Strecke weit gescblossen bat. Das bintere Ende des Embryo
(Fig. 9) bestebt aus einer kleinzelligen Masse, welcbe nacb innen
durcb Uebergangszellen mit dem Dotter verbunden ist, nacb aus-
sen dagegen nocb von einem besondereu diinnen Blatt, dem Ekto-
blast, bedeckt wird. In dieselbe ist der Urmund (u) in Form
einer Rinne eingegraben, begrenzt von zwei seitlicben Wiilsten,
auf deren Hobe sicb der Ektoblast in die Wucberungszone um-
scblagt. Die Rinne fubrt in den kleinen spaltformigen Urdarm,
der auf einem der nacbstfolgenden Scbnitte (Fig. 10) erscbeint
und nacb aussen von einer raacbtigen, durcb Verschmelzung der
seitlicben Urmundlippen entstandeneu Lage kleiner Zellen bedeckt
wird. Im Bereicb der letzteren (der verscbmolzenen Umschlags-
rander) sind die beiden primaren Keirablatter nicht getrennt und
erst in einiger Entfernung von der Sagittalebene beginnt der Ek-
toblast sicb als ein diinues Blatt cubiscber Zellen abzusetzeu.
Auch die Mesoblastanlage tritt jetzt deutlicb in die Erscbeinung,
indem von der kleinzelligen Masse, welcbe ringsum den Urdarm
umscbliesst, zwei gleicb bescbaffene Streifen zwiscben Dotter und
Ektoblast bineinwacbsen. Die Verbaltnisse sind ahnlicb wie auf
dem Taf. XIV Figur 12 bescbriebenen Scbnitt.
Nacbdem wir so am binteren Ende alterer Embryonen die
Fortdauer der Mesoblastentwicklung in unmittelbarer Umgebung
des Blastoporus nacbgewiesen baben, bleibt jetzt nocb die weitere
Frage zu untersucben, in welcher Weise sicb aus dem Zellenma-
330 0. Hertwig,
terial die Chorda differenzirt und wie sich die beideii Mesoblast-
streifen aus ilirem Verband niit den begrenzenden Zellenscliiditen
des Urdarms loslosen. Alles dieses vollzieht sich iu einer kleinen
Uebergangszone vor dein Urmund. Wenn wir in der Betrachtung
der letzten Schuittserie fortfahreu, so schliesst sich an den zuletzt
beschriebenen Schnitt (Taf. XV, Fig. 10), indem wir einige wenige
Zwischenstufen iiberspringen , Figur 11 und an diese bald darauf
Fig. 12 an. In beiden ist die ungetheilte Zellenmasse der Fig. 10,
welche auf eine Verschmelzuug der beiden seitlichen Urmundlippen
zuriiclvgefiihrt wurde, durch eine deutlich niarkirte Linie in Ekto-
blast und Entoblast gesondert. Der Ektoblast, der seitlich eine
einfache Lage cubischer Zellen darstellt, ist in der Mittellinie auf
3 — 4 Lagen verdickt und auf seiner Aussenflache mit einer von
niedrigen Wiilsten umgebenen Liingsfurche versehen, welche nach
vorn in das Nerveurohr iibergeht ; nach innen springt er in Folge
dessen kielartig vor und wolbt den Entoblast in den Urdarm hinein,
der, sichelformig gestaltet, seine Concavitat der Ektoblastverdickung
zukehrt. In letzterer haben wir die Anlage des Nervensystems
vor uns mit der Medullarfurche und den beiden Medullarwiilsten,
welche am hinteren Ende alterer Embryonen mehr abgeflacht, mehr
zusammengedrangt und iiberhaupt weniger entwickelt sind, weil
von vorn herein der als Medullarplatte zu bezeichnende Zellen-
streifen schmaler angelegt ist und sich alsbald nach innen einzu-
senken beginnt.
Unter der Anlage des Riickenniarks ist der Entoblast drei
bis vier Lagen dick; seitwarts gehen iu ihn ohne Unterbrechung
die beiden Mesoblaststreifen {3Ie) liber, welche am Urdarm viel-
schichtig sind und danu nur zwei Zellenlagen dick werden. Die-
selben hangen ausserdem auch noch eine kurze Strecke mit der
Dottermasse (D) zusammen, welche den Urdarm ventral begrenzt
und in Figur 11 wie auf den vorhergehenden Schnitten (Fig. 9 u.
10) noch kleinzellig ist, wahrend sie in Figur 12 und auf alien
sich weiter anschliessenden Schnitten aus grossen Dotterschollen
zusammengesetzt wird, welche dann mit den kleinen Zellen an der
Decke des Urdarms auffallig contrastiren.
Genaueren Aufschluss iiber die Verbindung der Zellenschich-
ten gibt uns die bei stiirkerer Vergrosserung gezeichnete Figur 5
(Taf. XV), welche iin Ganzen der Figur 12 entspricht, aber einer
anderen Schuittserie durch einen etwas jiingeren Embryo entnom-
meu ist.
Die Anlage des Nervensystems zeigt stark verlangerte Zellen,
Die Entwickl. cles miitlorcn Keimblattes der Wirbelthiere. 331
die keilformig in einander geschoben sind. Unter ihr hat sicli der
Eutoblast auf zwei Lagen von Zellen verdiinnt, die sich etwas in
die Liinge gestreckt haben und mit einseitig ziigespitzten Enden
alternirend in einander greifen. Am Mesoblast lasst sich ein pa-
rietales und viscerales Blatt imterscheiden, welche dicht zusamnicn-
schliessen. Von diesen bildet das erstere (Me-) mit dem spindel-
zelligen Entoblast (Enc) eine einzige an den Ektoblast angren-
zende Schicht, das viscerale Blatt [Me'^) dagegeu biegt an der
mit einem Stern * bezeichneten Stelle in die grossen Dotterzellen
(End) um, welche die Seiten und den Boden der Urdarmhohle be-
decken.
Mit derartigen Befunden beginnend, werden wir in der Unter-
suchung von Schnittserien zu der Kegion gefiihrt, in welcher sich
die Differenzirung der Chorda und die Loslosung der beiden Meso-
blaststreifen vollzieht. Unserer Darstellung' legen wir drei Durch-
schnitte durch zwei verschieden weit entwickelte Embryonen zu
Grunde (Taf. XIII, Fig. 12. Taf. XIV, Fig. 11. Taf. XV, Fig. 3).
Figur 12 ist ein Frontalschnitt durch ein in die Lange ge-
strecktes ovales Ei, welches auf dem Stadium der Fig. 10 (Taf. XII)
stelit. Die Anlage des Nervensystems und des Darms ist zweimal
getroffen. An dem vorderen Pole des Ovals hat sich das Nerven-
rohr (N) an einer Stelle, welche wohl dem Uebergang des Ge-
hirns in das Ruckeumark entspricht, bis auf einen schmalen Spalt
geschlossen. An seiner rechteu und linken Seite lagern Urwirbel
mit einer wohl entwickelten Hohle (c')- ^^ach innen folgt die ge-
raumige Kopfdaraihohle [dh^), von grossen, etwas cylindrischen
Dotterzellen rings umgeben. Am entgegengesetzten Pole des Ovals
ist die Anlage des Nervensystems (N) zum zweitcn Male, aber auf
einem weniger weit vorgeriickten Stadium durchschnitten. Die ver-
dickte Medullarplatte beginnt sich eben einzufalten und zeigt uns
auf ihrer ausseren Flache eine von niedrigen Wiilsten eingefasste
Furche. Sie springt nach innen etwas kielartig in der Weise vor,
dass sie von drei unter stumpfen Winkelu zusammenstossenden
ziemlich ebenen Flachen, von zwei seitlichen und einer Mittelflache
begrenzt wird. Unter der letzteren erblickt man eine einfachc
Schicht hoher, cylindrischer, schmaler Entoblastzellen (Enc), welche
die eine Wand der hier zum zweiten Male durchschnittenen kleiuen
Darmhohle bilJcn, wahrend die andere Wand vom Dotter geliefert
wird, welcher mit seinen ovalen quer gestellten Zellen den Binnen-
raum des Eies bis zum Kopfdarm ausfiillt.
Die einfache Schicht cylindrischer Zellen gibt sich sofort ihrer
332 0. Hertwig,
Lage iind Bescliaffeulieit nacli als Cliordaentoblast zu erkennen,
auch lasst sie sicli beim Studium einer ganzen Schnittserie nach
vorn durch allmahliche Uebergaiige in die Chorda, nach hiuten
in die verdickte Decke des Urdarms verfolgen. Aus letzterer muss
sie sich durch Verschiebung und Hohenzunahme der Zellen ent-
wickelt haben, wenn eine von hinteu nach vorn fortschreitende Dif-
ferenzirung, fiir welche ja alle Verhaltnisse sprecheu, stattfindet.
In einer derartigen Entwickluugsreihe wiirde Figur 5 (Taf. XV)
mit den zwei Lagen keilformiger, alternirend gestellter Entoblast-
zellen ein Mittelstadium bilden zwischen Figur 11 mit ihren drei
Lagen und Figur 12 (Taf. XIII) mit dem charakteristisch beschaf-
fenen Chordaentoblast.
Links und rechts vom Chordaentoblast (Taf. XIII, Fig. 12 Enc)
beginnen die beiden Mesoblaststreifen (il/e-, Me^), welche an die
seitlichen, schrag gestellten Flachen der Medullarplatten ange-
lagert sich den Seiteuwandungen des Schnittes entlang bis zu den
beiden oben erwahnten Urwirbeln (c^) erstreckeu. Zum genaue-
ren Studium ihrer Ursprungsstelle verweise ich auf die bei star-
kerer Vergrosserung dargestellte Figur 11 (Tafel XIV). Sie ent-
stammt einer Schnittserie durch einen zweiten, etwa gleich alteu
Embryo und zeigt uns den Chordaentoblast auf einem nur urn
weniges weiter vorgeriickten Stadium. Der letztere hat sich zu
der nach dem Darmraum zu geoUneten Chordarinne (Enc) umge-
wandelt. Die seitlich gelegeueu cylindrischen Zellen stossen mit
ihrer Basis nicht mehr an die Medullarplatte an, sondern sind von
ihr wie von dem angrenzenden parietalen Mesoblast durch einen
kleinen Spalt getrennt. Wie in der friiher beschriebenen Figur 3
Taf. XIV sind also auch hier zwei kleine Chordafalten entstanden,
zwischen deren Blattern der Spalt sichtbar ist. Ihre freien Ban-
der haben sich den Randern der Darmfalten, an welch en der Darm-
entoblast in das viscerale Blatt des Mesoblasts iibergeht, so inuig
angeschmiegt, dass eine deutliche Grenze zwischen beiden nicht
wahrzunehmen ist. Dagegen sind in geringer Entfernung davon
die beiden mittleren Keimblatter durch einen engen Spalt, die
Coelomhohle (c), getrennt. Das Erscheinen der letzteren ist ge-
wiss auf die Einfaltung der Medullarplatte zuriickzuflihren, deren
seitliche Partieeu, indem sie nach Aussen hervortreten, das parie-
tale vom visceralen Blatt abgehoben haben.
Die nach vorn nachst folgendcn Schnitte, welche uns in die
Umbildung der Chordarinne zur Chorda einen Einblick gewahren,
licfern eine Reihenfolge ahnlicher Bilder, wie die Figuren 4 — 6
Die Entwickl. des mittleren Keimblattes der Wirbelthiere. 333
(Taf. XIV) eines jiiiigeren Stadiums, und bediirfeu, da sie keine Be-
sonderheiten bieten, keiner naheren Bescbreibung. Dagegen ver-
dieut noch besonders erwahut zu werden ein Querschnitt durch die
Region der Chordariune von eiuem scbon weit entwickelten Embryo,
bei welchem sich am binteren Eude des Korpers in geringer Ent-
femung von dem nocb sicbtbaren Blastoporus das Nervensystem
bereits zu einem von oben nach uuten etwas platt gedriickten Robr
geschlossen hat (Taf. XV, Fig. 3). Uuter dem Nervenrobr ist die
Chorda erst noch in Entwickkmg begriften. Man sieht die cylin-
drischen Zellen des Chordaentoblasts (Enc) zu einer tiefen Rinne
zusammen gekriimmt. Die Rander derselben stossen unmittelbar an
die grossen Zellen des Darmentoblasts (End) an und scheinen mit
ihnen eine continuirliche, das Darmlumen umschliessende Zellen-
schicht zu bilden. Von derselben sind die beiden Mesoblaststreifen
— und hierin beruht ein bemerkenswerther Unterschied zu den
fruher erhaltenen Befunden — sclion voUkommen abgelost, indem
an der Stelle, wo friiher die Verbindung bestand, ein Spalt hin-
durchgeht und parietales und viscerales Blatt in einander umbiegen.
Wenn wir von der beschriebenen Stelle aus die Umwandlun-
gen des Chordaentoblasts nach vorwilrts nnd nach riickwarts wel-
ter verfolgen, so sehen wir auch bei diesem Embryo, dass sich
vorn die Rinne alsbald zum soliden Stab schliesst und dass unter
ihr die grossen Zellen des Darmentoblasts zusammen riicken und
die obere Darmwand bilden. Bei Verfolgung der Schnittserie
nach riickwarts ist der Nachweis zu fuhren, dass die Mesoblast-
streifen mit Chorda- und Darmentoblast eine Strecke weit ver-
schmolzen sind.
Der abweichende Refund der Figur 3 ist Icicht zu erklaren.
Der Gang, nach welchem normaler Weise die iiusseren und in-
neren Blatter der Darm- und Chordafalten verlothen, hat eine
kleine zeitliche Abanderuug erfahren. Die dem Darmlumen abge-
wandten Faltenblatter sind etwas vorzeitiger als gewohnlich ver-
schmolzen, wodurch sich die beiden Mesoblaststreifen fruher iso-
lirt haben. Die inneren Blatter dagegen sind in ihrem Verschmel-
zungsprocess zu Chorda und oberer Darmwand noch etwas zuriick.
Jetzt erklart sich mir auch eine Abbilduug, welche Scott
und 0 shorn von der Entwicklung der Chorda gegeben haben
(1. c. Taf. IV, Fig. 7). Auf derselben ist ein von der Epidermis
iiberzogenes Nervenrobr zu sehen, zu seinen beiden Seiten sind
die Mesoblaststreifen schon vollstandig aus ibren urspriinglichen
Verbindungen losgelost und, wie mir scheint, in der Differenzi-
334 0. HerUvig,
rung zu Urwirbeln begriffeii, denu pariotaler und visccralei" Me-
soblast sind diirch cine geraiimige Ilohle cine Strecke weit ge-
scliieden imd in der Umgebung der Hohle aus langen cylindri-
schcn Zellen, wie sie filr die Urwirbel charakteristiscli sind, zu-
sammengesetzt. Die unter dem Riickenmark gelegene Chordaan-
lage ist zum Stab uragebildet, dcrselbe nimmt aber uoch mit
seiner unteren Fliiche an der dorsalen Begrenziing des Darmlii-
mens Tlieil und drangt sich zwischen die beiden Halften dcs
Darmeiitoblasts hinein, die nodi niclit mit ihren Rauderu in der
Mittellinie verwachsen sind. Mir sclieint der vorliegeude Schnitt
aus der liinteren Region eines ziemlich weit entwickelten Embryo
zu stammen und dadurch ausgezeichuet zu sein, dass die Ver-
sclimelzung der inneren Blatter der Darmfalten , welche bei jiin-
geren Embryonen mit den tibrigen Verwaclisungen der Chorda
und der Mesoblastblatter ziemlich gleichzeitig geschieht, aufgehal-
ten worden ist.
Scott, Osborn und Bambeke haben auf die Verandcrun-
gen, welche wahrend der dritten und vierten Entwicklungsperiode
in der Umgebung des Blastoporus erfolgen, kein bcsunderes Stu-
dium verwandt; ein solches muss ihnen aber zu Theil werdeu,
wenn man iiber das Wachsthum des Mesoblasts Klarheit gewin-
nen will. —
Wenn wir die im fiinften Capitel mitgetheilten Beobachtun-
gen zusammen fassen, so geht aus ihnen wohl mit geniigender
Sicherheit das eine Resultat hcrvor, dass das raittlere Keimblatt
fn derselben Weise, wie es sich zuerst angelegt hat, noch liingere
Zeit weiter witchst und sich vergrossert. Der im zwcitcu Abschnitt
niiher erlauterte Einfaltungsprocess in der Umgebung des Blasto-
porus nimmt seinen ungestorten Fortgang. Vom inneren Blatt
der Urmundlippen und von der den Urmund verschliessenden Masse
der Dotterzellen schieben sich nach wie vor Zellen zwischen die
beiden primiiren Keimbliitter hinein und dienen dem visceralen
und parietalen Blatte des Mesoblasts zur Vergrosserung. Beson-
ders lebhaft aber sind hicrbei die Dotterzellen betheiligt, welche
am hintern Ende des Embryo sich thdleii und eine kleinzellige
Wucheruugszone herstellen.
Wenn man sich die beiden mittleren Keimbliitter wicder von
einander gezogeu denkt, so dass ein kleiner Spaltraum zwischen
ihnen sichtbar wird, dann kann man bei den-altcren Embryonen
vom Blastoporus und von dem hiiitercn Ende des Darmkanals aus
in die beiden Spaltraume eindringen und kann dann weiter in die
Die Eutwickl. des mill'ereii Kciiubltittcs der \yirbelthicre. 335
zwei Coclomsacke gelangeii, von wclclien sich im vorderen Bereich
cks Embryo die Urwirbel abgeschniirt haben. Bei altereu Em-
bryonen liisst sich demnach der Darnikanal vom Kopf bis zum
Blastoporus in zwei Abschnitte sondern, in einen vorderen Ab-
schnitt , welcher ringsum von Darmentoblast unigeben ist und in
dessen Bereich sich die Chorda als runder Zellstrang entwickelt
hat und der Zusammenhang mit den Mesoblaststreifen aufgehobeu
ist, und zweitens in einen hinteren Abschnitt, der zur Decke den
Chordaentoblast hat und seitlich rait den Spaltraumen in den
mittleren Keimblattern communicirt. Man kann zweckmassiger
Weise den einen Theil als secundaren Darm, den anderen als
mittleren Hohlraum des Urdarms oder als undifferenzirten End-
darm bezeichnen.
Die an den Zellenschichten des noch undifferenzirten Enddarms
cintretcnden Processe sind wieder ganz dieselben wie bei jiingeren
Embryonen. Der Chordaentoblast mit den angrenzenden Theilen
des parietalen Mesoblasts erhebt sich zu 2 Chordafalten. Die
beiden Blatter derselben und der Darmfalten verschraelzen darauf
in der friiher angegebenen Weise. Nur in der zeitlichen Aufeinan-
derfolgc der eiiizelnen Verschmelzungsacte ist jetzt eine an sich
nebensachliche Veriinderung wahrnehmbar. Wiihrend friiher die
Verschmclzung der verschiedenen Blatter zieralich gleichzeitig cr-
folgte, geschieht sie jetzt in zeitlichen Intervallen. Zuerst ver-
bindet sich jeclerseits der Chordaanlage der parietale Mesoblast
mit dem visceralen und trennt sich vom Mittelraum des Urdarms
als Coelomsack ab. Dann erst legen sich die Riinder der Chorda-
rinne zum Chordastab zusammen und zuletzt findet der Verschluss
der beiden Riinder des Darmentoblasts zum secundaren Darm statt.
Eine noch auffalligere Vcrschiebung in der Zeitfolge einzelner
Entwicklungsprocesse ist zu constatiren , wenn wir die Entwick-
lung der Organe des ausseren und des inneren Keimblattes ver-
gleichen. In der dritten von uns unterschiedenen Periode erfolgt
die Differenzirung der Chorda zu einer Zeit, wo im Ektoblast die
breiten Medullarplatten sich eben an ihren Randern etwas cinzu-
falten beginnen (Taf. XIV, Fig. 6). An alteren Embryonen sieht
man in der Region des Wachsthums die genannten Organe ein
verschieden raschcs Tempo in ihrer Entwicklung einhalten, iudem
das Nervensystcm den Anlagen des inneren Keimblattes immer
mchr vorauseilt. So ist in Figur 11 (Taf. XIV) die Medullarplatte
schon tief rinnenformig ausgehohlt, wahrcnd unter ihr der Chor-
daentoblast sich eben einfaltct, und auf einem noch alteren Sta-
336 0. Hertwig,
dium (Taf XV, Fig. 3) ist das Nervenrohr schon vollstandig ge-
schlossen au einer Stelle, wo die Chorda noch in der Anlage be-
griflfen ist.
Derartige Erscheinungen sind von untergeordneter Bedeutung
im Vergleich zu den fundamentalen Vorgangen der Keimblatter-
bildung. Im Hinblick auf diese aber hat uns das Studium der
Wachsthumszone am hinteren Endc alterer Embryonen wieder
Bilder geliefert, die in iiberzeugendcr Weise fiir die Richtigkeit
der Ansichten sprechen, welche in unserer Coclomtheorie uber
die Entwickluug des mittleren Keimblattes der Wirbelthiere aus-
gesprochen wurden.
Die Eutwickl. des mittlerou Keimblattes der Wirbelthiere. 337
Tafelerklarung.
Flir alle Figuren gelten folgende Bezeichnungeu.
c Coelom. Eiiterocoel.
ci Abgeschniirter Theil des Euterocoels, Hohle der Urwirbel oder
Ursegmente.
ch Chorda.
d Dotterpfropf.
dfi Urdarm. Darmhohle.
dh"^ enger Theil der Darmhohle.
dh^ vorderer erweiterter Theil derselbeu. Kopfdarmhdhle,
/ Urraundlippe.
Id dorsale. Is seitliche. Iv ventrale Urmundlippe.
/• llinne , welche das Urmundfeld umgibt.
/ Kiickeurinne.
u Urmund. Blastoporus.
w AVall zwischen Urmuud uud Riickenrinne.
I) Dotter.
Eli Ektoblast.
En Eutoblast.
Enc Chordaentoblast.
End Darmentoblast.
F Furchungshohle.
// Hirnplatte.
M Medullarplatte.
Me Mesoblast.
Me^ Viscerales Blatt des Mesoblasts.
Me'^ Parietales Blatt des Mesoblasts.
Mev Ventral vom Blastoporus gelegencr Mesoblast.
. N Ceutralnervensystem. MedullarwUlste.
Bd. XV. N. F. VIII, 2. 22
338 0. Hcrtwig,
Taf. XII.
Alle Figuren etwa 20 mal vergrossert (Zeiss A. obere Linse Oc. 1).
rig. 1. ]5eginu der Gastrulabildung. Seric I. 30 Stuudtn iiach
kiinstlichcr Befruchtung.
Fig. 2. Etwas yorgeriicktercs Stadium der Gastrulation. Serie I.
45 Stuudcu nach kiinstl. Befr.
Fig. 3. Entwickeltes Gastrulastadium mit Blasto])orus und Dot-
terpfropf. Serie I. 50 Stunden nach kiinstl. Befr.
Fig. 4. Entwicklung der Eiickenrinne. Serie I, 60 Stunden nach
kuustl. Befr.
Fig. 5. Ei mit deutlich entwickelter Riickenrinue. Serie IV.
53 Stunden nach kiiustl. Befr. Vom Urmund aus geschcn.
Fig. 6. Dasselbe Ei vom Riicken aus gesehen.
Fig. 7. Erste Anlage der Medullarwiilste. Serie IV. 56 Stunden
nach kiinstl. Befr. vom Riicken aus gesehen.
Fig. 8. Deutlich eutwickelte Medullarwiilste. Serie IV. 60 Stun-
den nach kiinstl. Befr.
Fig. 9. Medullarwiilste neigen sich mit ihren Randern zum Rohr
zusaramen. Serie II. 77 Stunden nach kiinstl. Befr.
Fig. 10. Etwas weiter vorgeriicktes Stadium von der Bauch-
fiiiche gesehen. Serie II. 81 Stunden nach kiinstl. Befr.
Fig. 11. Abgeschniirtes Medullarrohr. Vorderes und hinteres
Endc kriimmen sich einander zu. Serie III. 82 Stunden nach kiinstl.
Befr.
Taf. XIII.
Die Durchschuitte sind bei 70maliger Vergrosserung (Zeiss A. Oc. 2)
gezeichnet und danu etwas verkleinert.
Fig. 1. Durchschnitt durch die Blastula.
Fig. 2. Sagittalschnitt durch ein Ei mit beginuender Gastrula-
einstiilpung (Stadium Taf. XII, Fig. 1).
Fig. 3. Sagittalschnitt durch ein Ei mit weiter vorgeschrittener
Gastrulaeinstiilpung (Stadium Taf. XII, Fig. 2).
Fig. 4. Sagittalschnitt durch cine vollstiindig entwickelte Ga-
strula, bei welcher sich bereits der Mesoblast zu bilden beginnt (Sta-
dium Taf. XII, Fig. 3—4).
Fig. 5 — 7. Drei Sagittalschuitte durch ein Ei mit Riickenrinue.
In Fig. 5 geht der Schnitt durch die Medianebcne, in Fig. 6 etwas
seitlich von derselben, in Fig. 7 noch mehr seitlich (Stadium Taf. XII,
Fig. 5-6).
Die Entwicld. cles mittleren Keimblattes der Wirbelthiere. 339
Fig. 8. Frontalschnitt durch ein Ei, an welchem die Medullar-
wiilste hervorzutreten beginnen (Stadium Taf. XII, Fig. 7 — 8),
Fig. 9. Frontalschnitt durch eine vollstiindig entwickelte Ga-
strula, bei welcher sich der Mesoblast bereits zu bilden beginnt (Pen-
dant zu Fig. 4, Stadium Taf. XII, Fig 3 — 4).
Fig. 10. Frontalschnitt durch ein Ei mit Riickenrinne (Stadium
Taf. XII, Fig. 5 u. 6).
Fig. 11. Querschnitt durch ein Ei mit schwach ausgepriigter
Riickenrinne (Stadium Taf. XII, Fig. 4).
Fig. 12. Frontalschnitt durch ein Ei mit zum Rohr sich schlies-
senden MeduUarwiilsten (Stadium Taf. XII, Fig. 10).
Taf. XIV.
Alle Figuren sind bei SOfacher Vergrosserung (Zeiss C. Oc. 1)
gezeichnet.
Fig. 1. Querschnitt durch die Riickenrinne (Stadium Taf. XII,
Fig. 5 — 6).
Fig. 2. Querschnitt durch dasselbe Stadium. Die Zellenschichten
haben sich beim Schneiden etwas von einander abgelost.
Fig. 3 — 6. Vier Querschnitte aus einer Schnittserie durch ein
Ei, an welchem die Medullarwiilste hervorzutreten beginnen (Stadium
Taf. XII, Fig. 7). Die Schnitte illustriren die Entwicklung der Chorda
aus dem Chordaentoblast und die Abschniirung der beiden Mesoblast-
streifen.
Fig. 7. Querschnitt durch ein Ei, dessen Medullarfurche dem
Verschluss nahe ist. Chordabildung voUendet. Die Urwirbel beginnen
sich auf dem vorliegenden Schnitt von den Coelomsacken abzuschniiren
(Stadium Taf. XII, Fig. 10).
Fig. 8. Querschnitt durch ein Ei mit geschlossenem Nerven-
rohr und wohl entwickelten Ursegmenten.
Fig. 9. Querschnitt durch ein etwas alteres Stadium, in welchem
die Zellen der Ursegmente cylinderforraig geworden sind.
Fig. 10. Schnitt durch den Blastoporus eines Eies, dessen Me-
dullarrinne zum Theil geschlossen ist (Stadium Taf. XII, Fig. 10).
Fig. 11. Querschnitt durch ein Ei mit enger Medullarfurche
(Stadium Taf. XII, Fig. 9). Der Schnitt hat die Gegend etwas vor dem
Blastoporus getroffen.
Fig. 12. Schnitt aus derselben Schnittserie, aus welcher auch
Fig. 10 ausgewiihlt ist. Der Schnitt hat die Gegend unmittelbar vor
dem Blastoporus getroffen.
22*
340 0. Her twig,
Taf. XV.
Die Figuren 1 — 7, 15 — 17 sind bei SOfacher Vergrosserung (Zeiss C.
Oc. 1), die Figuren 9 — 12 und 14 bei SOfacher Vergrosserung
(Zeiss A. Oc. 1) gezeichnet.
Fig. 1. Schnitt durch das hintere Ende eines Eies, dessen Me-,
dullarfurchc sich z\i schliessen bcginiit.
Fig. 2. Laugsschnitt durch die Urwirbel und Urwirbelplatte eines
Eies, dessen Medullarfurche sich geschlossen hat.
Fig. 3. Querschnitt durch das hintere Ende eines Eies mit ge-
schlossenem Nervenrohi*.
Fig. 4. Querschnitt durch ein Ei mit Riickenrinne (Stadium
Taf. Xir, Fig. 4).
Fig. 5. Schnitt durch das hintere Ende eines Eies, dessen Me-
dullarfurche im Verschluss begriffen ist. Die Gegend vor dem Blasto-
porus ist durchschnitten (Stadium Taf. XII, Fig. 9 — 10).
Fig. 6. Schnitt durch ein Ei, das sich am Ende des Gastrula-
stadiums befindet. Die Gegend vor dem Blastoporus ist getroffen (Sta-
dium Taf. XIL, Fig. 3).
Fig. 7. Theil eines Querschuittes von einem Ei mit enger Me-
dullarfurche. Abgeschniirte Chorda. Die vordere Wand eines in Bil-
dung begriffenen Urwirbels ist getroffen.
Fig. 8. Laugsschnitt durch die Chorda (Fig. 1 4), stark vergrdssert.
Fig. 9 — 12. Vier Schnitte durch den Blastoporus und die Ge-
gend vor dem Blastoporus aus einer Schnittserie eines mit enger Me-
dullarfurche verseheuen Eies.
Fig. 13. Cylindrische Zellen der Urwirbel (Fig. 14), stark ver-
grossert.
Fig. 14. Frontalschnitt durch eine Larve mit wohl entwickelten
Ursegmenten.
Fig. 15. Uuerschnitt durch ein Ei, an welchem die Riicken-
rinne deutlich zu werdcn beginut (Stadium Taf. XII, Fig. 4). Der
Schnitt geht durch den Wulst zwischen Riickenrinne und XJrmund.
Fig. 16. Sagittalschnitt durch ein Ei mit deutlich entwickelter
Ruckenrinne (Stadium Taf. XII, Fig. 5 u. 6).
Fig. 17. Schnitt durch ein Ei, das sich am Ende des Gastrula-
stadiums befindet (Stadium Taf. XII, Fig. 3). Der Schnitt hat die
Gegend hinter dem Blastoporus getroffen.
Pruck von Ed. Frommai
Freie Zellbildung im Embryosack
der Angiospermen
mit bcsonderer Berucksicbtigung
der hierbei stattfindenden Vorgange der KerntheHung.
Von
Dr. Friedrich Soltwcdel.
Hierzu Tafel XVI— XVIII.
Nachdcm Strasburger gezeigt hat, dass bei den Angio-
spermen die Zellen des Eiapparates, der Gegenfiisslerinncn, und
die Zelle, welchc den secundaren Embryosackkern einschliesst, den
Zelleii des Eiweisskorpers der Gymnospermen gleichwerthig sind,
kann man bei den Angiospermen zwei Arten von Endosperm
unterscheiden : prim ares und secun dares. Das primare Endo-
sperm entsteht vor der Befruchtung im Embryosack der
Phanerogamen und, soweit die Beobachtiingen reichen, iiberall
durch freie Zellbildung. Unter freier Zellbildung verstehe
ich nach der Definition von Strasburger diejenige Zellbildung,
bei der nicht nach jeder Kerntheilung cine Zellwand zwischcn den
Tochterkernen gebildet wird, sondern die Zellwande erst nach wie-
derholt stattgefundener Kerntheilung in der Kegel zwischen je zwei
benachbarten Kernen nachtraglich auftreten.
Das primare Endosperm besteht in der Kegel aus sieben Zellen.
Drei der Zellen befinden sich im oberen (der Mikropyle zunachst
gelegenen) Ende des Embryosackes und bilden den Eiapparat.
Drei Zellen des primaren Endosperms, die Gegenfiisslerinncn, sind
im unteren (der Chalaza zunachst gelegenen) Ende des Embryo-
sackes gelegen und in der Mitte zwischen beiden Zellgruppen be-
findet sich die bei weitem grosste Zelle mit dem secundaren Em-
bryosackkern , der aus der Verschmelzung von zwei freien Kernen
hervorgegangen ist, Aus dieser Zelle allein entwickelt sich
nach erfolgter Befruchtung der Eizelle das secun dare Endo-
sperm, und ich nenne daher diese Zelle Mutter zelle des
342 Dr. Friedricli Soltwedel,
sccundareii Endosperms. Diese Zelle ist aber nicht gleich-
bcdeutend mit Embryosack, mit dem Hofmeister dieselbe haufig
gleicbsetzt, sondern sie ist nur eiii Thcil desselben. Zum Embryo-
sack gehoren ausserdem noch der Eiapparat und die Antipoden.
Um den Unterschied zwischen freier Zellbildung und Zellthei-
lung klarzulegen, babe ich in meinen Untersuchungen die Entwick-
lung des secLindiircn Endosperms verfolgt. Wenn in der Arbeit
schlechthin von Endospermnmtterzelle die Rede ist , so ist stets
die Mutterzelle des secundaren Endosperms darunter verstanden
und daher ist dies Wort in derselben Bedeutung angeweudet, wie
cs schon Hofmeister gebraucht hat.
Vor Allem war ich bestrebt die Wahrheit des von Stras-
burger ausgesprochenen Satzes: „Eine freie Kerubildung
in den Embryosacken giebt es nicht, alle Kerne ge-
hen aus einander durch Theiiung hervor" an moglichst
vielen Beispielen zu zeigen,
Nach den vielen eiugehenden Untersuchungen Hofmeister's
tiber den Embryosack sollen aber bei der Bildung des secundaren
Endosperms an zwei Stellen die Kerne frei aus dem Protoplasma
entstehen: erstens in den Aussackungen des Embryosa-
ckes derjenigeu Angiospermen , deren Endosperm durch Zellthei-
lung gebildet wird, und zweitens ini Embryosack aller Angiosper-
men, deren secundares Endosperm zuerst durch freie Zellbildung
angelegt wird. Auf diese beiden Punkte ist daher in der Arbeit
besonders geachtet.
Die Resultate sind fast ausschliesslich an Alkohol - Material
gewonneu. Nur die Entwicklung der kleiuen durchsichtigen Eichen
von Monotropa und Pirola wurde auch in einprozentiger Zucker-
losung lebend unter dem Mikroskop verfolgt. Die Praparate, die
sich nur von erhartetem Material aufbewahren liessen, sind ent-
weder in Glycerin oder in Glycerin-Gelatine gelegt.
Die Untersuchungen wurden ini botauischen Institut zu Jena
unter der Leitung des Herrn Hofiath Stras burger gemacht.
Es moge mir hier vergonnt sein, meinem verehrten Lehrer, der
mich auf alle Fragen aufmerksani machte, die bei dieser Unter-
suchung zu losen waren, fiir seine Unterstutzung meinen innigsten
Dank auszusprechen.
Freie Zellbildung im Embryosack der Angiospermen etc. 343
Geschichtliches.
Hofraeister war der erste, welcher in scinen zahlreicheii
Arbeiten liber Enibryobildung auf die iiiteressanten Vorgange im
Embryosack die Aufmerksamiceit geleukt bat. VVeim es ihm iiicht
immer gelang, die Entstehung des Embryo und des Endosperms
bis in die Einzelheiten klar zu legen, so lag dies wobl ziim aller-
grossten Theil an der damals noch sehr unvolikommenen Methode
der mikroskopischen Untersucbung.
Dem Vorkommeu und besouders der Entstehungsweise des
Endosperms legte Hofmeister^) eiuen so hoben Wertb bei, dass
er darnacb auf die Verwaudtscbaltsbeziebungen der Plianzeufami-
lien scbloss. So unterschied er drei grosse Gruppen unter den
Angiospermen: endospermlose Pflauzen, PHanzen, deren
Endosperm durch wiederholte Zweitbeilung einer einzigen
Mutterzelle entstebt, und solcbe, bei deneu gleicbzeitig
mehrere freie Endospermzellen gebildet werden. Nacb
der verschiedenartigeu Entwicklungsweise des Endosperms werden
daber nacb Hof meister weit getrennt „die Boragineen von den
Labiaten, die Solanaceen von den Scrojphularineen, die Gentia-
neen von den Orobanchen, die Loaseen von den Passifloren."
Jedocb bebt Hof meister an einer andern Stelle^) die IScbwie-
rigkeit bervor, „die Grenze zwiscben den Fhanerogamen
mit nur durcb Zelltbeilung wacbseudem Endosperm,
und denen, deren Endosperm durcb freie Zellbil-
dung augelegt wird, mit Genauigkeit zu zieben."
Zu den endospermlusen Piianzen recbnet Hof meister ^) alia
diejenigen, bei denen die Bildung eines gescblossenen Gewebes von
Endospermzellen uuterbleibt. Hierber geboren die Najaden, Fo-
tamogetoneen , Alismaceen, Orchideen, Cannaceen u, s. w. Wobl
soUen bei einzelnen Ptlanzen dieser Gruppe voriibergehend einige
Zellkerne im protoplasmatiscben Wandbeleg des Embryosackes auf-
treten, docb werden keiue Zellwande um die Kerne gebildet.
Bei alien Pflanzen , deren Endosperm durcb Tbeilung einer
^) Neue Eeobaclituugeu uber Embryobilduug der Pka/icrogawt-zi.
Jahrbiicher fur wiss. Bolanik. iJd. 1. p. 185.
2) Neue Jieitrage zur Keiintniss der Embryobildung der P/iuiie-
rogamen. Abhaudl. d. math. phys. CI. d. konigl. siicha. Geseilscli. d. Wiss.
lid. IV. p. 537.
3) 1. c. Bd. V. p. 704.
344 Dr. Fricdrirh Roltwedel,
Mutterzelle gebildet wird, konnen beide Tochterzellen sich weiter
theilen odcr nur die eine von beiden. In der anderen Tochter-
zelle sollen dann gewohnlich noch freie Zellkerne auftreten. Bei
ProstantJiera violacea und Catalpa syringaefolia soil nacli Hof-
nieister in der oberen Tochterzelle wirkliche freie
Zellbildung stattfinden, wahrend in dem unteren Ende des
Embryosackes das Endosperm durch Theilung der anderen Toch-
terzelle angelegt wird.
Ueber die freie Zellbildung giebt Hofmeisteri) sehr aus-
fiihrliche Angaben, Nach seineu Beobachtungen wird im Embryo-
sack der Mehrzahl der Phanerogamen bald nach der Befruchtung
der primare Zellkern verfliissigt. In dem protoplasmatischen Wand-
belege des Embryosackes sollen darauf die Zellkerne zuerst als
blaschenahnliche Gebilde, ohne feste Bildungen im Innern auftreten,
deren Grosse diejenige der spiiter in ihneu entstehenden Kernkorper-
chen erheblich iibertrifft. Urn jeden Kern soil sich ein Ballen dich-
teren Protoplasmas haufen, dessen Peripherie die Beschaffenheit
einer Hautschicht besitzt, und der so eine Primordialzelle dar-
stellt.
Diese Primordialzellen sind zunachst von einander entfernt.
Indem sie unter Bildung von Vacuolen im Innern wachsen, sollen
sie bald seitlich in Beruhrung treten, durch gegenseitigeji Druck
polygonal werden und an den Beriihrungsstellen feste elastische
Membranen bilden. Bei einigen Pflanzen sollen die jungen Endo-
sperrazellen Kugelgestalt annehmen, sich von der Wandschicht des
Embryosaclies ablosen und in dessen mit Fliissigkeit erfullte Va-
cuole treten. In diesen Zellen soil dann spater die Bildung freier
Tochterzellen oder auch Zelltheilung stattfinden.
Wahrend nach Hofmeister bei der freien Zellbildung zu-
erst die Kerne und spater in diesen die Kernkorperchen entstehen
sollen, treten nach Schleiden^), Schwann^), Nageli^) und
Schacht^) zuerst die Kernkorperchen auf und um diese spater
erst die Kernmembran.
1) Lehre von der Pliauzeuzelle. 1867, p. 116.
^) Beitriige zur Phytogeuesis. M tiller's Arch. 1838, p. 13 7.
3) Mikroskop. Unters. liber die Uebereinstimmung in der Struetur
und dem Wachsthum der Thiere und Pllanzen, 1839, p. 207.
4) Zeitschrift fiir wiss. Botanik. Heft III und IV. 1846, p. 34
und 36.
^) Lehrbuch der Anat. und Phys. der Plianzeu, Bd. I. 1866,
Freie Zellbildung im Embryosack dcr Angiospermen etc. 345
DippeP) koniite sich zii keiuer vou beiden Anschauungcn
eutschliesseu, da er bci der freien Zellbildung im Embryosack der
Flianerogamen stets scbon ausgebildete grossere und kleinere Zell-
kerne autraf, die das Kernkorperchen und die Kernmembran deut-
lich erkenneu liessen.
Danu war Strasburger-), der die Vorgange bei der freieu
Zellbildung im Embryosack von Phaseolus verfolgt hatte, zu der
Ueberzeugung gelangt, dass die Zellkerne zuerst als kleine diclite
Kiigelchen auftreten, die von Aufang an von einer Zellmembran
umgebeu sind.
Wahrend die kleinen Kerne zu ihrer definitiven Grosse her-
anwachsen, sollteii auch die kugeligen Zellen schnell an Grosse
zunehmen, schliesslich auf einander stossen und sich so zu eiuem
geschlossenen Gewebe vereiuigen.
Strasburger gebiihrt das Verdienst, bei seinen mikrosko-
pischen Untersuchungen zuerst in absolutem Alkohol erhartetes
Material verwendet zu haben. Durcli zahlreiche Coutroluntersu-
chungen stellte er fest, dass der Alkohol das Protoplasma schnell
fixirt, den feineren Bau desselben besser hervortreten lasst und
Dur wasserentziehend auf das Plasma wirkt. Wenn es sich darum
haudelt, das erhartete Material zum Schneiden tauglicher zu ma-
chen, legt man dasselbe 24 Stunden lang in ein Gemisch vou Gly-
cerin und Alkohol. Glycerin veriindert die Structur des erharteten
Protoplasmas nicht mehr.
Mittelst dieser Methode gelang es Strasburger ') bei vieleu
Pflanzen nachzuweisen , dass die Kerne des Eiapparates und dcr
Gegenfiisslerinnen nicht nach der bis dahin gelaufigen Annahme
frei im Protoplasma entstehen, sondern durch Theilung aus dem
primaren Embryosackkern hervorgehen.
Ebeufalls verfolgte er bei dieser Untersuchung die Bildung
der ersten secundiiren P^ndospermzellen an den kleinen durchsich-
tigen Eichcn vou Monotro]}a Hypopitys und beobachtete die dabei
stattfindenden Kerntheilungen am lebeuden Objekt.
Im Embryosack von Cap)sella Bursa xmstoris sollen nach Stras-
burger (1. c. p. 71) im Wandplasma nach Auflosung des secun-
daren Erabryosackkerns zunachst wenige, spater durch Einschal-
tung zwischen die vorhandenen neue Kerne entstehen. Wahrend
die juugen Kerne bei Phaseolus vollig homogen waren, zeigen die
1) Mikroskop, Bd. II. 1869, p. 43.
2) Zellbildung uud Zclltheilung, 1876, p. 7.
3) Befruchtung uud Zelltheiluug, 1878.
34G Dr. Friudrich Sollwcdel,
von Capsella oin Kernkorperchen uiid eine Kernhiille. Die Kerne
sind auch hier bei ihrem ersten Auftreten sofort von einer H.iut-
schicht umgeben.
Indem Hegel maier^) bei seinen Untersuchungen iiber „Ent-
wicklung Bicotyler Keime" auch Alkoholmaterial verwendete,
fand er im Embryosack von EschscJiolMa die mit einem grossen,
stark lichtbrechenden Kernkorperchen versehenen Kerne als deut-
lich umscliriebene, aber von keinem diiferenten Contour umgebene
Partieen in dem feinkornigen Wandbeleg aus Protoplasma. Vor
der Bildung der Trennungslinieu sind die Kerne von radienformig
verlaufenden Strangen korniger Substanz umgeben. Die Bildung
der feiukornigen Trennungslinien geschieht von der Mikropyle
gegen dieChalaza desEichens fortschreitend. TJeberein-
stimmend mit Eschscholtzia sollen die Vorgange bei Hypecoum,
Chelidonium und Glaucium sein, jedoch „zeigt bei Cory dolls
die Endospermbildung jedeiifalls verschiedene Er-
scheinungen 2)." Anhaltspunktc fur die etwaige Annahme einer
stattgehabten Theilung sind Hegelmaier nicht aufgestossen, da
nur ausnahmsweise zwei Kerne einander genahert lagen.
Darauf zeigte Strasburger in der botanischen Zeitung 3),
dass bei der freien Endospermbildung gar keine freie Ent-
stehung von Zellkernen stattfindet, dass alle Kerne aus
schon vorhandenen durch Theilung hervorgehen. Die
spatere Bildung der Scheidewande erfolgt im Wesentlichen in der
von Hegelmaier geschilderten Weise.
Ein wenig spater behauptete wieder Darapsky*), dass bei
Hyacinthus ciUatus M. B. der Doppelkern des Embi-yosackes auf-
gelost werde und die jungen Endospermkerne frei im Protoplasma
auftauchen. Im Protoplasma findet man langlich verzogene oder
eckig gedruckte Kornchen ziemlich regelmassig zu kleinen Grup-
pen angeordnet, urn solche Vereinigungen taucht dann ein leichter,
leis hingehauchter Contour auf. Auch bei Myosurus minimus
gelang es ihm nicht, weder den secunditren Embryosackkern noch
die freien Endospermkerne im Theilungsstadium zu fixiren.
Fischer-^) fand in seinen Untersuchungen iiber „Embryo-
^) Vcrgl. Unters. iiber Entwickluug Z^/V-o/y/c/- Keiiue, 1878, p. 22.
2) 1. c. p. 92.
3) Bot. Zeitung, 1879, Nr. 17 uud 18.
^) Bot. Zeituug, 1879, Nr. 35.
s) Jenaische Zeitschrift fur Naturwissensch. Bd. XIV. Heft 1,
Tafel III, Fig. 28 uud 29.
Freie ZellbilduDg im Embryosack der Augiospermcu etc. 347
s a c k e n t w i c k 1 u 11 g " bei EhrJiarta panicea die Tochterkerne des
secuudaren Embryosackkernes und die Theiluiig der noch freieii
Endospermkerne.
In seiuen Untersuclmngeii iiber „Eiiibryogenie undE n do-
sperm e n t w i c k 1 u n g v o n Lupimis" faiid H e g e 1 m a i e r ' ), dass
bei dieser Pflauze die freien Zellkerne im protoplasmatischen Wand-
belege des Embryosackes zum grosseu Theil ruckgebildet werdeii,
und dass nur in der Umgebung des Keimes ein Endospermkorper
gebildet wird (1. c. Sp. 129). Wenn es ihm auch nicht gelaiig,
die Herkunft der freien Endospermkerne aus Theilung eines ein-
zigen festzustellen , so hatte er doch wiederholt Gelegenheit vor-
bereitende Zustande der Kernvermehrung „in den bekannten
Erscheiuungen der Faden- und Ton nenbildung" zu be-
obachten und zwar dann stets in grosser Aiizahl. Bei der Rtick-
bildung der freien Endospermkerne treten nach Hegel maier
eine Anzahl charakteristischer Erscheinungen auf (1. c. Sp. 131).
Der Kern wird bis zum 15faclien Durchmessor aufgeblaht, seine
Contouren werden undeutlicher und eutschwinden schliesslich der
Wahrnehmung, wahrend die Kernkorperchen ebenfalls bedeutend
an Grosse zunehmen, stark lichtbrecliend werden und Vacuolen
bilden. Vor ihrem defiuitiven Aufgelostwerden konnen die Kern-
korperchen „durch Ausbreitung und Zusammenfliessen
der Vacuolen in einige glanzende Stuckchen zerf al-
ien; GruppensolcherPartikelsindalsdaiin dasletzte
sichtbare Residuum der friiheren Endospermkerne."
Endlich hat Strasburger in der dritten Auflage seines Ba-
ches uber „Zellbildung und Zelltheilung" die Theilung der
noch freien Endospermkerne von mehreren Pflaiizen nach Prapa-
raten, die ich dargestellt hatte, veroti'entlicht. In einem Aufsatze
iiber „Vielkernige Zellen und uber die Embryogenie
von Lupinus^)"- theilte derselbe dann noch mit, dass er im Em-
bryosack von Lupinus subcarnosus die vier ersten Endospermkerne
und wiederholt die Theilung von noch freien Endospermkernen ge-
funden habe.
1) Bot. Zoituug 1880, Nr. 5—9.
2) Bot. Zcitung 1880, Nr. 50 und 51.
348 Dr. Frifdrlch SolLwedel,
Entwicklung des secundaren Endosperms.
Pflanzen ohne secundares Endosperm.
Ill) Embryosiick von Orchis pallens fiiidet, wie sclioii S t r a s -
burger 1) in seinem Werke iibcr „Bt;fruchtuug unci Zelltlieilung"
gezeigt hat, nach dcr Befruchtung nur die Weiterentwickluug der
Eizelle statt. Die Gehiilfinnen, die Gegeufiisslerinnen und die Mut-
terzelle des secundaren Endosperms werden bald desorganisirt und
vom beranwachsenden Embryo als Nahrungsstoff verbraudit. Das-
selbe ist der Fall bei Begonia Froebeli. Nach der ersten Theilung
der Eizelle sind die Gegenfusslerinnen und der secundare Embryo-
sackkern bereits verschvvundeu und Rudimente der Gehiilfinnen
sind noch als formlose Protoplasmamassen zu erkennen. Nur sehr
selten kam es vor, dass die Mutterzelle des Endosperms sich in
zwei Tochterzelleu theilte.
Bei Alisma Planiago gelang es mir, die vier ersten Endo-
spermkerne im Theilungszustande frei im protoplasmatischen Wand-
belege des Embryosackes zu finden. Zur Bilduug von secundiireu
Eudospermzellen kommt es bei dieser Pflanze nicht.
Da im Embryosack der Aiigiospermen, wie Stras burger 2)
gezeigt hat, vor der Befruchtung der Eiapparat, die Gegeufiissle-
rinnen und die Mutterzelle des secundaren Endosperms in derselbeu
Weise wie bei den Gymnospermeu der Eiweisskorper durch freie
Zellbildung entstehen und daher jene als Eudospermzellen aufge-
lasst werden mussen, so ist es selbstverstandUch, dass man nicht
mehrvou en dospermlosen Pflanzen sprechen kann.
Man hat daher bei den Angiospermen vielmehr die Pflanzen dar-
nach zu unterscheiden , ob sie nur primares oder auch se-
cundares Endosperm bilden.
Entwicklung des secundaren Endosperms durch
Zelltheilung.
Bei eiuer Reihe von Familien der Dicotylen entsteht das se-
cundare Endosperm durch Theilung einer Mutterzelle. Im
Allgemeineu gehoren hierher die Pflanzen, welche verhaltuissmas-
sig nur we nig Endosperm bilden und deren Samen daher
meistens nur sehr klein sind, wie z. B. die Samen der Aristo-
1) Befruchtung uud ZeUtheilung, 1879, p. 70.
2) Jngiospermcn imd Cyinnospei'inen, 1879, p. 137.
Freie Zellbilduug im KiuLryosack dur Aiigiosix-rmen etc. 349
locJiieen, Orohancheu, Serophularineen, Verhenacecn, Planfagineeu,
Campanulaceen imd Droseraceen.
Die Entwickelung des secundaren Endosperms bei Monotropa
Hypopitys hat S trasburger i) bereits beschrieben. Nach der
Theilung des secundaren Embryosackkernes wird zwischen deu
Tochterkernen eine Zellwand gebildet, die den Embryosack in zwoi
nahezu gleiche Hiilften theilt. Die Theilimgen der beideu Tochter-
zellen erfolgen fast gleichzeitig , doch so, dass die obere (der
Mikropyle zunachst gelegene) Zelle mit der Theilung be-
gin nt. Wenn das Endosperm schon aus vier libereinander lie-
genden Zellen besteht, hat sich die Eizelle zwar sehr gestreckt,
aber noch nicht getheilt. Sie wachst durch die oberste Zelle, lost
die die beiden obersten Endospermzellen trennende Zellwand an
einer Stelle auf uud gelangt auf diese Weise in die zweite Zelle.
Der Inhalt der obersten Zelle wird in diesem Stadium meistens
resorbirt und es finden nur noch Theilungen in den drei anderen
Zellen statt.
In den kleinen durchsichtigen Eichen von Monotropa und
Plrola kann man die Bildung des Endosperms in ein- bis drei-
prozentiger Zuckerlosung lebend unter dem Mikroskop verfolgen.
Am funften Tage nach der Bestilubung hat der Pollenschlauch
den Eiapparat erreicht und gleich nach der Befruchtung findet
die Endospermbildung statt.
Noch besser treten die Theilungsfiguren an Alkoholmaterial
hervor; nur darf man bei Monotropa den Alkohol nur wenige
Stuuden einwirken lassen, weil bei weiterer Einwirkung die Eichen
sich hier schwarzen uud undurchsichtig werden. Doch geniigt
diese Zeit, urn das Protoplasma vollstandig zu fixiren , uud solche
Eichen lassen sich dann gut in Glycerin aufbewahren.
Wahrend der Embryosack bei Monotropa und Pirola gleich-
miissig nach alien Richtungen hin an Grosse zunimmt, kann er
bei anderen Pflanzen durch ungleichmassiges W achsthum
bei seiner Weiterentwickelung sehr unregelmassige Gestal-
ten annehmen und grossere Aussackungen in den Nucellus
treiben. In dieseu Aussackungen findet man einige wenige freie
Kerne, die aber in den meisten Eiillen wieder rilckgebildet werden.
Eur Bartonia aurea hat Strasburger -) festgestcUt , dass
es hier die Gehiilfinnen sind, welche in das Nucellargewebe
^) Befruchtung uud Zelltheiluug, p. 70.
2) Befruchtuug uud Zelltheiluug, p. 43.
350 Dr. Fricdricli Soltwodcl,
ausvvachsen, und class die Zellkcrne, die in dieser Aussackung zii
fiuden sind, den Gehtilfinnen angehoren.
Bei Laniium album ist das untere Ende des Embryosackes
seitlich abgebogen und von einer Schicht stark verdickter Zellen
umgeben. Fig. 1, Taf. XVI stellt den Embryosack gleich nach er-
folgter Befruchtung dar. Die Eizelle hat sich bereits gestreckt
und neben ilir sind noch Reste der Gehtilfinnen zu sehen. Von
den GegeufLisslerinnen sind auch nur noch Rudimente vorhanden.
Der secundare Embryosackkern ist im unteren Theile des Embryo-
sackes auf Protoplasmafaden suspendirt. Diese Lage behalt er
wahrend der Theiluug bei und daher wird die Endospermmutter-
zelle in zwei sehr ungleich grosse Tochterzellen getheilt (Fig. 2).
Beide Zellen theilen sich noch einmal und zwar die obere wieder
in eine kleine untere und eine grosse obere. Wahrend in den
unteren Endospermzellen fortan immer Zelltheilun-
gen stattfinden, erfolgen in der obersten nur einige Kern-
theilungen und Zellwande werden nicht gebildet. In
Fig. 3 befindet sich im untern Theil des Embryosackes ein viel-
zelliger Eudospermkorper, in den schon friihzeitig der Embryo
hineiugewachsen ist. In der oberen Zelle befinden sich einige Zell-
kerne frei im Protoplasma, ihre Zahl schwankte stets zwischen 1
und 8. Bemerkenswerth ist noch, dass der Embryosack bei seiner
Entwicklung an der Stelle, wo die verdickten Zellen der Embryo-
sackwand aufhoren , eine starke Einschniirung erfahrt. Dadurch
wird der Endospermkorper von dem oberen mit Fliissigkeit er-
fiilltcn Raum des Embryosackes abgeschlossen.
Nach Hofmeister soil bei einer anderen Labiate und zwar
bei Prostanthera violacea im oberen Ende des Embryosackes
freie Zellbildung stattfinden, wahrend im unteren Ende
das Endosperm von Anfang an durch Zelltheilung entsteht.
Ebenso sollen bei CataljM syringaefolia „in der oberen An-
schwellung freie Zellkerne und Zellen auftreten,
welche spater wieder versch winden, ohne geschlos-
senes Gewebe zu bilden."
Ganz in derselben Weise wie bei Lamiuni album wird auch
bei Veronica Buxbaumii durch Einschniirung des mittleren Theiles
der Embryosack in zwei Riiume getheilt, die nur durch eineu
engen Kanal in Verbindung stehen. Da auch bier im oberen
Theile kein secundares Endosperm gebildet wird, so muss
der Embryo mittelst eines Suspensors durch den Kanal in den
Endospermkorper gefiihrt werden.
Freie Zellbilduug im Embryotack der Angiospermcn etc. 351
Zur Zeit der Befruchtung ist das obere Ende dcs Eiiibryo-
sackes keulenformig angeschwolleD, wahrend das untere Ende eincii
langen, schmalen Fortsatz in das Nucellargewebe darstellt (Fig. 5,
Tafel XVI). Nach der Theilung des secundiiren Embryosackkcrncs
wird das obere angescliwollene Ende des Embryosackes durch eine
Zellwand vom unteren schmalen Ende getrennt. Der Kern in der
grossen oberen Zelle theilt sich und ebenso dessen Tochterkerne;
doch die Z e 1 1 w a n d b i 1 d u n g u n t e r b 1 e i b t.
In der unteren Zelle findet eine achte Zelltheilung statt, so
dass auf diesem Stadium das Endosperm aus drei iibereinauder
liegenden Zellen besteht. Nur die mi ttlere Zelle giebt dem
E n d osperrakorper denUrsprung. Die unterste Zelle
nimmt wohl noch an Grosse zu, ihr Kern theilt sich
noch einmal; doch damit ist die Weiterentwickl ung
abgeschlossen. Die Kerne der beiden Endzellen schwellen noch
zu bedeutender Grosse an, werden aber darauf desorganisirt. In
Fig. 6 ist das secundare Endosperm, welches aus einer Enkelzelle
der Endospermmutterzelle hervorgegangen ist, bereits achtzellig;
in der untersten Zelle befinden sich zwei freie Kerne und in der
obersten drei, indem vielleicht ein Kern durch den Schnitt ent-
fernt ist. Der Embryo ist bereits bis in den Kanal hineingewach-
sen. In Fig. 7 ist der Embryo bis in den vielzelligen Endosperm-
korper vorgedrungen.
Der Erabryosack von Loasa tricolor (Fig. 8, Taf. XVI) hat eine
sehr schlanke Gestalt. Das obere vom Funiculus abgebogene Ende
ist von nicht differenzirten Zellen des Nucellus umgeben. An der
Stelle, wo die Kriimmung beginnt, wird schon vor der Befruch-
tung eine Aussackung in das Nucellargewebe gebildet,
indem an der betreffenden Stelle die Zellen des Nucellus resorbirt
werden. Die Ausstulpung ist stets von dem Funiculus abgewen-
det. Unterhalb der Aussackung erweitert sich der Embryosack
bauchig, um sich nahe dem -unteren Ende wieder zu verengen.
Dieser Bauch ist von einer Schicht von Nucellarzellen umgeben,
die durch die starke Verdickung der Zellwande auffallen. Unter-
halb des Bauches bildet der Embryosack noch eine kleine An-
schwellung, in der auch noch in weit vorgeschrittenen Entwick-
lungszustiinden die drei Gegenfusslerinnen zu erkennen sind. Der
secundare Embryosackkern befindet sich immer in der Nahe der
Aussackung. Nach der Befruchtung werden die Gehiilfinnen schnell
desorganisirt (Fig. 10), der secundare Embryosackkern theilt sich
und zwischen den Tochtcrkernen wird ein wenig unterhalb der
352 Dr. Iriediicli Solhvcdol,
Aussackuiig eiiie Zellwand gebildet (Fig. 9). Dcr Kern der oberen
Zelle waudert darauf in die Aussackung (Fig. 12). Auf dieser
Stufe der Entwickluug wird raeistens eiue Ausstiilpuug von der
uuteren Anschwellung des Embryosackes aus gebildet (Fig. 11).
Hiiufig kommt es audi vor, dass die Zellschicht, welche die bauchige
Anschwellung umgiebt, an einzelnen Stellen resorbirt wird, doch
warden danu keine tieferu Aussackungen gebildet.
In der oberen Ausstiilpung des Embryosackes, in welche der
eine Tochterkern des secundaren Enibryosackkernes gewandert ibt,
finden nur noch eiuige Kerntheilungen statt. Wiederholt
land ich nach der Weiterentwicklung acht freie Kerne in dieser
Ausbuchtung des Embryosackes (Fig. 14). In der untereu Toch-
terzelle der Endospermmutterzelle wird durchZelltheilung
ein vielzelliger Eudospermkorper gebildet, in den der Embryo auf
einem Suspensor hineingefiihrt wird. Wenn nach der Theilung des
Kerns der zu der Zeit untersten Endospermzelle eine Zellwand in
der untereu Einschniirung gebildet ward, gelangt ein Kern in die
untere Anschwellung des Embryosackes. Hier findet noch eine
Kern theilung statt, jedoch eine Zellwand wird nicht gebil-
det (Fig. 13).
Bei Scrophularia vernalis und Pedicularis sylvatica bildet der
Embryosack nach der Befruchtung eine Ausstiilpuug, die
genau dieselbe Lage hat als die am oberen Ende des Embryo-
sackes von Loasa. In der Aussackung land ich einen, zwei
Oder auch vier freie Zellkerne. Im eigentlichen Embryo-
sack entsteht auch bei diesen Pflanzen das Endosperm durch Zell-
theilung.
Entwicklung des secundaren Endosperms durch freie
Zellbildung.
Die Entwicklung des secundaren Endosperms kann zweitens
in der Weise erfolgen, dass zuniichst nur Kerntheilungen statt-
fiudeu, oline dass Zellwande gebildet werden. Diese treten erst
auf, wenn der Embryosack fast seine definitive Grosse erreicht hat,
Interessant ist es, dass bei vieleu untersuchten Pflanzen, deren
secundares Endosperm durch freie Zellbildung entsteht, nach
jeder Kerntheilung in den Verbindungsfiiden (Strasburger)
der jungen Kerne eine Zell plat te mehr oder minder stark aus-
gebildet wird. Bei einigen Pflanzen z. B. bei Lilium wird sogar
eine frei in das Protoplasma endende Zellwand gebildet, die bei
Freie Zellbildung im Embryosack fler Angiosperraeii etc. 353
der Weiterentwicklung wieder resorbirt wird. Vielleicht ist aus
dieser Tliatsacbe der Schluss zu ziehen, dass die freie Zell-
bildung bei den Anglospermen aus der typischen Zell-
tbeilung erst spater entstanden ist.
Nachdem Strasburger*) gezeigt hatte, dass bei Myosurus
der secundiire Embryosackkeru nicht aufgelost wird, sondern sich
theilt und ebenso dessen Nachkomraen, fand auch Fischer 2) bei
Ehrharta x>anicea die beiden jungen Tochterkerne des secundaren
Embryosackkenies.
Es gelang mir den secundaren Embryosackkern in Theilung
zu finden bei Lysimachia Ephemerum und Lilium Martagon. Bei
der letzten Pflanze sah ich auch die beiden Tochterkerne im Thei-
lungsstadium. VVeiter faud ich bei Hyacinthus ciliatus den secun-
daren Embryosackkern in Vorbereitung zur Theilung und gleich
nach der Theilung der beiden Tochterkerne und schliesslich bei
Leucojum aestivum die vier ersten Endospermkerne in Theilung.
So schwierig es ist, den secundaren Embryosackkern im Theilungs-
stadium zu finden, so leicht ist es anderseits, die Theilung der
noch freien Endospermkerne in weiter entwickelten Samen zu be-
obachten. An Alkoholmaterial gelingt es leicht, die erhartete Proto-
plasmaschicht, welche meistens schon durch die Einwirkung des
Alkohols von der Embryosackwand abgehoben wird, aus dem Em-
bryosack herauszuprapariren. Bei schwacher Vergrosserung kann
man dann schnell feststellen, ob Kerntheilungen vorhanden sind
Oder nicht. Auf diese Weise habe ich die Theilung von noch freien
Endospermkernen bei einer Reihe von Pfianzen aus verschiedenen
Familien gefunden.
Bei den untersuchten Pflanzen theilen sich die Kerne im proto-
plasmatischen Wandbelege des Embryosackes ziemlich gleichzeitig,
doch so, dass in anatropen Eichen meistens die Kerne in der
Gegend der Mikropyle mit der Theilung beginnen und die Kerne
im Chalaza-Ende sich am spiitesten theilen. Bei Caltha palustris
fand ich hiiufig die jungsten Kerutheilungsstadien im Chalaza-
Ende des Embryosackes; doch in einem Eichen fand ich auch ein-
mal das Entgegengesetzte. Dort waren die jungsten Stadien im
Mikropyle-Ende und die altesten im Chalaza-Ende. Von ortho-
tropen Eichen habe ich nach dieser Richtung hin nur Polygo-
num Bistorta und Urtica piluUfera untersucht. Bei der ersteren
1) Bot. Zeitung, 1879, Nr. 17 uud 18.
2) Jenaische Zeitsclirift lur Naturwiss. Bd. XIV. 1880, p. 105,
Fig. 28, Taf. III.
Bd. XV. N. F. vm. 3. 23
354 Dr. Friedrich Soltwedel,
Pflanze schreiten die Kerntheilungen mikropylewarts, bei der zwei-
ten dagegen chalazawarts fort. Ebenfalls schreitet dann auch die
Bildung der Zellwande in derselben RiclituDg als die Kerntheilungen
fort. Wenn sich alle Eudospermlierue getheilt haben , tritt eine
langere Ruhepause ein. Hire Zahl ^ird in dieser Zeit im Allge-
meinen gleich einer Potenz von "^ sein, da sie durch wiederholte
Zweitheilung aus einem Einzigen entstandeu sind. So hat schon
Hofmeister in seinem Werke „Entstehung des Embryo
der Fhanerogmnen'"'' fiir Sorghum hicolor sehr rich tig in Figur 24
auf Taf. XVII zwei Endospermkerne uud in den Figuren 25 und
26 je 16 freie Kerne abgebildet.
Da nun die Kerntheilungen stets in einem Ende des Embryo-
sackes beginnen und sich die Theiluug von hier aus allmahlich
auf alle anderen Kerne erstreckt, so hndet man nicht selten im
Wandplasma des Embryosackes Hunderte von Theilungsfiguren
(Fig. 40, Taf. XVII), deren jede folgende ein wenig mehr ent-
wickelt ist als die vorhergehende. Uud aus dieseni Giunde eignen
sich solche Praparate ganz besonders gut zum Studium der Kern-
theilung. Dazu kommt noch, dass hier die haufig storenden Zell-
wande fehlen, uud dass man die Theilungsfiguren immer in der-
selben Lage (senkrecht zur Spindelachse) sieht.
Bei Leucojum, Ins und den Aroideen sollen sich nach Hof-
meister^) um die in der Inhal tsf liissigkeit des Embryo-
sackes frei entstandeneu Kerne spharische Zellen bilden, in denen
dann zuweilen noch die Bildung freier Tuchterzellen statttindet.
An einer anderen Stelle sagt H ofmeister ^) fiir Hyacinthus orien-
talis : „ VV i e bei den m e i s t e n Liliaceen , Irideen und Nar-
cissineeu erfolgt die Bildung des Endosperms in der
Weise, dass der Innenwand des Embryosackes die in
dessen Inhaltsfliissigkeit freischwimmend entstan-
deneu Zellen sich schich tenweise aulageru." Bei alien
untersuchteu Pflanzen (auch bei Leucojum, Iris uud Hyacinthus
orientalis) faud ich an erhartetem Material stets nur den
secundaren Embryosackker u auf Protoplasmafaden
in der Mitte des Embryosackes suspendirt. Sobald mehrere
Kerne vorhanden waieu, lageu diese in der protoplasma ti-
schen VVaudschicht, und in derselben fanden die Kernthei-
lungen statt. Freie spharische Zellen habe ich nie ge-
1) Neue Beobachtungeu, Jahrb. f. wisseusch. Bot. Bd. 1. 1858,
p. 181.
^) Entstehung des Embryo, 1849, p. 18.
Freie Zellbiklung im Embryosack der Angiospermen etc. 355
sehen, sondern jede Zellwand treniite gleich nach ihrem Ent-
stehen zwei benachbarte Zellen, wie in Fig. 47, Taf. XVII fiir
Agrimonia Eupatoria abgebildet ist.
Die jungen Zellwande des Endosperms setzen an die Innen-
wand des Embryosackes an und wachsen in dessen Lumen hinein.
Wenn sie eine bestimmte Grosse erreicht haben, werden die nocli
offenen Zellen auch von der Inhaltsfliissigkeit des Embryosackes
durch eine Zellulosewaud abgeschlossen. Die so entstandenen Zel-
len vermehren sich fortan durch Tlieilung und bilden bald oin
geschlosseues Gewebe, welches den Embryo urahiillt.
Zusammenfassung.
Das wichtigste Ergebniss der Untersuchung ist kurz folgendes:
A lie freien Kerne, die nach der Befruchtung im Embryo-
sack der Angiospermen auftreten , stammen vom secunda-
ren Embryosackkern ab; eine freie Entstehung von
Zellkernen findet nicht statt. Ob aber das secundare Endo-
sperm durch Theilung einer Mutterzelle gebildet wird, oder ob
in dieser Mutterzelle zuerst nur Kerntheilungen stattfiiiden und
spater um die freien Kerne Zellwande auftreten, scheint nur von
der Grosse dieser Zelle abzuhitngen, Im Allgemeinen finden wir,
dass das secundare Endosperm in grossen Embryosack en
durch freie Zellbildung, in kleinereu dagegen durch
Zelltheilung entsteht. Nun kann es auch vorkommen, dass
in ein und demselben Embryosack, wie z. 13. bei Lamium album,
in dem eiuen schmalereu Ende Zelltheilung, im an-
dereu weitereu Ende dagegen nur Kerntheilung statt-
lindet. Wahrend aber bei Lamium die freien Kerne fruhzeitig
resorbirt werdeu, kbnnen nach Hofmeister um die freien Kerne
im oberen Ende des Embryosackes von Prostanthera violacea auch
Zellwande gebildet werdeu. Diese Thatsache aber, dass bei
einzeluen Pflauzen das secundare Endosperm zum Theil durch
freie Zellbildung, zum Theil durch Zelltheilung ge-
bildet wird, wie ferner der Umstand, dass bei den Pflanzen, deren
secuudares Endosperm durch freie Zellbildung entsteht, die Kerne
nicht frei entsteheu, sondern durch Theilung auseinander
hervorgehen, und dass bei vielen Pflauzen nach jeder freien Kern-
theilung eine transitorische Zellplatte gebildet wird, las-
sen die beideu Entwicklungsweisen des secundaren Endosperms als
nicht wesentlich verschieden von einander erscheinen,
23*
350 Dr. Friedricli Soltwerlel,
Daraiis crgicbt sich aber, class man aus der vevschiedenen Ent-
stehuiigsart des Endosperms keine sicheren Schliisse auf die Ver-
waiidtschaftsbeziehungen der einzclnen Eamilicn ziehen kann.
Kerntheilung von freien Endospermkernen.
Terminologisches.
Bevor ich zur Besclireibung der Kernfiguren ubergehe, will
ich kurz die Ausdriicke, deren ich mich bedient, und in welcher
Bedeutung ich dieselben gebraucht habe, vorausschicken.
Am entwickeltei) Kern unterscheide ich, wie zuerst R. Hert-
wig^) vorgeschlagen hat, zwei Bestandtheile , Kernsubstanz
und Kernsaft. Zur Kernsubstanz rechne ich alle tingirba-
ren Theile des Kernes, Keynrindenschicht, Kernnetz und Kern-
korperchen. Ausserhalb der Kern rind ens chic ht nehme ich
(wenigstens bei einzelnen Kernen) noch eine ausserst feine Kern-
membran an, die aus einem von den iibrigen Kernbestandtheilen
difterenten Stoi!' gebildet ist. Von Kern wand werde ich spre-
chen, wenn ich es uneutschieden lasse, ob die itussere Begrenzung
des Kernes nur aus einer Kernrindenschicht, oder nur aus einer
Kernmembran, oder aus beiden Theilen gebildet ist. Als Kern-
saft bezeichne ich den nicht tingirbaren Rest des Kernes. Die
Bezeichnuugen Spindelfasern, Kernplatte , Zellplatte behalte ich in
derselben Bedeutung bei, als sie Strasburger angewendet hat.
Wahrend jeder Kerntheilung unterscheide ich vier verschie-
dene Spindelstadien, deren jede zwei Pole, eine Achse und
den Aequator besitzt. Die erste oder „primitive Spindel"
scheint nur aus Kernsubstanz gebildet zu sein (Fig. 10 und 19,
Taf. XVII). Aus dieser geht die „einplattige Spindel"
(Kernspindel, Strasburger) hervor, indem die Kernsubstauz-
massen in den Aequator zusammengedrangt werden (Fig. 1 und
11, Taf. XVII). Mit der Theilung der Kernplatte entsteht die
„zweiplattige Spindel" (Fig. 2 und 12, Taf. XVII). Nach
der Bildung der beiden Tochterkerne an den beiden Polen bleibt
die „kernplattenlose Spindel" zuriick (Figur 4 und 14,
Tafel XVII).
1) Beitrag zu einer einheitlicheu Auffassung der verschiedeueu
Kernformen, Morpholog. Jahrbuch, Bd. II. S. 63—81.
Freie Zellbildung im Embryosack der Augiospermcn etc. 357
Specielles.
Bei Iris sibirica treten die Theilungsfiguren der Endosperm-
kerne im protoplasmatischen Wandbeleg des Embryosackes sehr
deutlich hervor. Die Kernplatte der einplattigen Spindel besteht
aus getrennten Kornchen der Kernsubstanz (Fig. 1, Taf. XVII).
Diese Kornchen erscheinen als mittlere Verdickungen der nicht
tingirbaren Spindelfasern. Weun wir diese Theilungsfigur korper-
licli betracliteu, so liegen die Spindelfasern auf der Mantelflache
eiues Doppelkegels und die Kernplatteuelemente auf der Peripherie
des Beriihrungskreises der beiden Kegel. Das Protoplasm a
beriihrt die Elemente der Spindel von alien Seiten.
In weiter vorgeschrittenen Stadien hat sich jedes Kornchen der
Kernplatte in zwei Theile getrennt, welche an oder in den Spin-
delfasern den beiden Polen zuwaudern. Fig. 2 und 3, Taf. XVII
sind solche zweiplattige Spindeln. An den beiden Polen verschmel-
zen die einzelnen Kornchen zu je einer homogenen Masse,
welche die beiden Tochterkerne darstellen (Fig. 4). Zwischen den
Tochterkernen ist noch eine Zeit lang die kernplattenlose Spindel
zu sehen, die nur aus Spindelfasern gebildet ist. In der Mitte
der Spindelfasern wird eine Zellplatte gebildet, die bei ihrem er-
sten Auftreten aus kleinen Kornchen besteht (Fig. 5), welche sich
in Borax-Carmin nicht tingiren. Darauf werden die Zellplatte und
die kernplattenlose Spindel wieder riickgebildet und entschwinden
schliesslich ganz und gar der Beobachtung. In den homogenen
Tochterkernen werden Vacuolen gebildet, indem jedenfalls Fliis-
sigkeit von der Kernsubstanz abgesondert wird. Dadurch wird
eine Kernwand abgehoben und die Kernsubstanz zerfallt in zahl-
reiche Korner, die durch Kernsaft getrennt sind. In diesem Sta-
dium verharren die Kerne langere Zeit, wahrend sie allmiihlich
an Grosse zunehmen. Wenn sie eine bestimmte Grosse erreicht
haben , verschmelzen im Innern die Korner zu Faden , welche die
primitive Spindel bilden. Die Kernwand und der Kernsaft sind
geschwunden und das umgebende Protoplasma umgiebt die Spin-
delelemente von alien Seiten. Diese Spindel scheiiit nur aus Kern-
substanz gebildet zu seiu ; von Spindelfasern ist noch nichts zu
sehen (Fig. 10, Taf. XVII). Letztere treten erst auf, wenn sich
die Kernsubstanz im Aequator zu einzelnen Kornern angesammelt
hat, und somit die einplattige Spindel gebildet ist.
Wahrend die ersten und letzten Stadien der Kerntheilungen
358 Dr. Eriedricli Soltwedel,
auch bei verschiedenen Pflanzen nur ausserst geringe Abweicliun-
gen darbieten, besitzt die einplattige Spindel keineswegs stets den
typischcn Bau, wie in Fig. 1, Taf. XVII fur Iris abgebildet ist.
Bei Asparagus officinalis, Euphorbia myrsinites, Chelidonium
majus^ Reseda odorata, Viola palustris und Oxalis stricta sind die
einplattigen Spindeln selir klein, doch erkeunt man noch deutlich,
dass bei diesen Pflanzen die Kernplatte ebenfalls aus getrennten
Koruchen besteht, an welche die Spindelfasern ansetzen.
Die einplattigen Spindeln aus deni protoplasmatischen Wand-
belege des Embryosackes von Staphylea pinnata waren in einem
Falle sammtlich typisch ausgebildet, walirend in einem anderen
Eichen derselben Pflanze die aequatorialen Kornchen der Kern-
platte so nahe an einander gelagert waren, dass man die Grenze
der einzelnen Kornchen nicht mehr erkennen konnte.
Noch variabeler sind die einplattigen Spindeln von Leucojum
aestivum (Fig. 1, 7, 8, 9, 10, Taf. XVIII), wenn sie auch in dem-
selben Eichen die grosste Aehnlichkeit besitzen. In Fig. 1, Taf. XVIII
sind die Kernplattenelemente sehr nahe an einander gereiht und
die Spindelfasern bilden zur Ebene des Aequators einen sehr spi-
tzen Winkel. Fig. 6 stellt das Bild einer solchen Spindel schrag
von oben gesehen dar. Die Fig. 7 zeigt die einplattige Spindel
typisch ausgebildet. In Fig. 8 besteht die Kernplatte aus kurzen
Stabchen, und einzelne Kernplattenelemente liegen seitlich von der
Spindel getrennt. In Fig. 9 ist die primitive Spindel mit der ein-
plattigen Spindel identisch ; die Kernsubstanzmassen werden nicht
vor der Theilung in den Aequator gedriingt und daher werden an
den Polen die Spindelfasern gar nicht sichtbar; oder mit anderen
Worten: die Kernplattenelemente bestehen aus langen Stabchen,
welche bis zu den beiden Polen reichen. In Fig. 10 besteht die
Kernplatte aus ineinandergeschlangelten Faden, und die Pole sind
verhaltnissmassig weit vom Aequator eutfernt.
Die einplattige Spindel von Lilium croceum besitzt eiue Kern-
platte, die aus eng aneinandergelagerten Stabchen besteht. Der
Verlauf der einzelnen Stabchen ist nicht geuau zu verfolgen ; doch
sieht man von den Enden derselben die Spindelfasern zu den bei-
den Polen gerichtet (Fig. 11, Taf. XVII). Auf dieses Stadium
folgt bald durch die Quertheilung der einzelnen Stabchen die zwei-
plattige Spindel (Fig. 12) und die beiden Kernplattenhalften wei-
cheu bis zu den Polen auseinander (Fig. 13). An den Polen ver-
schmelzen die Elemente der Kernplattenhalften zu je einem ho-
rn o g e n e n Korper, welche die jungen Tochter kerne, nur aus
Freie Zellbildunj? im Erabryosack der Angiospermen etc. 359
Kernsubstanz bestehend, darstellen (Fig. 14), Zwischen
den Tochterkernen bleibt die kernplatteiilose Spindel, welche nur
aus Spindelfasern gebildet ist. Ein wenig spater erkennt man an
den Tochterkernen eine Kernwand, die Kernsubstanz ist in viele
Kornchen zerfallen, die im Kernsaft zerstreut liegen. Zwischen
den Tochterkernen ist innerhalb der kernplattenlosen Spindel eine
homogene Zellplatte gebildet (Fig. 15), die bald stark aufquillt
(Fig. 16) und darauf mit dieser Spindel spurlos wieder verschwin-
det. Man findet dann die Kerne im feinkornigen Wandplasma ziem-
lich regelmassig vertheilt und durch einzelne dicke Protoplasma-
faden mit den Nachbarkernen verbunden (Fig. 20). Die Kernsub-
stanz ist zum grossten Theil auf zahlreiche grossere und kleincre
Kornchen beschrankt, von denen fast jedes im Innern eine Vacuole
besitzt. Ob alle diese Kornchen mit einander in Verbindung ste-
hen, Hess sich nicht erkennen. Nur sehr selten kounte man sich
iiberzeugen, dass zwei benachbarte Kornchen durch einen feiuen
Faden, der ebent'alls aus Kernsubstanz bestand, verbunden waren.
Wenn sich der Kern zur Theilung anschickt, sieht man die
Kornchen zu Faden ausgezogen , die wirr durcheinander laufen
(Fig. 17, Taf. XVII). Bald darauf scheint die Kernwand veischwun-
den zu sein (Fig. 18) und das umgebende Protoplasma drangt sich
in die Lucken des Fadenkniiuels. Die Fiiden werden dann der
Lange nach nebeneinander gereiht und stellen die primitive Spin-
del dar (Fig. 19). Dieses Stadium bleibt verhaltnissmassig lange
unverandert und erst kurz vor der Theilung der Kernplatte wird
die Kernsubstanz in den Aequator zusammengedrangt und dann
treten an den Polen die Spindelfasern auf (Fig. 11, Taf. XVII).
Eine einplattige Spindel, deren Kernplatte aus langen Stab-
chen zusammengesetzt ist, wie es Fig. 11, Taf. XVII ftir Lilium
croceum zeigt, habe ich nur bei Monocotylen gefunden und zwar
noch bei Lilium Martagon, Fritillaria imperialis und Meleagris
und bei Ryacinthus orientalis. Eine Mittelform zwischen diesen
einplattigen Spindeln und denen, deren Kernplatte aus einzelnen
getrennten Kornern besteht, bieten uns die einplattigen Spindeln
dar, deren Kernplatten aus kurzen Stabchen gebildet sind. Solche
einplattige Spindeln fand ich bei Secale cereale, BuTbocodium
vernum, Csachia Liliastrum, Polygonatum officinale, Leucojum
aestivum (Fig. 8, Taf. XVIII) und bei Agrimonia Eupatoria.
Bei Galanthus nivalis schien die Kernplatte aus einer un-
unterbrochenen Masse von Kernsubstanz gebildet zu sein, von wel-
cher einzelne Fortsiitze zu den beiden Polen gerichtet waren (Fig. 15
360 Dr. Friedrifh Soltwedel,
und 16, Taf. XVIII). Aehnlich sind die einplattigen Spindeln boi
Leucojum vernum, Tulpia Gesneriana, Vicia narhonensis und
Pisum sativum.
Haufig findet man die Kernplatte aus dicht aneinander ge-
drangten KOrnern bestehend, wie in Fig. 21, Taf. XVII fiir Sta-
pJiylea pinnafa, in Fig. 31, Taf. XVII fur Dictamnus albus und
in Fig. 11 , Taf. XVIII fur Omithagalum nutans abgebildet ist.
Solche einplattige Spindeln fand ich ausserdem noch bei Muscaria
racemosa, Allium odorum, Convallaria majalis, Sisyrinchimn iri-
difolium, Caltha palustris, Alliaria officinalis, Evonymus latifo-
lius, Circaea lutetiana, Primula elatior und Cuscuta europaea.
Endlich kann die Kernplatte aus einer homogenen Masse von
Kernsubstanz bestehen. So bei Hemerocallis graminea, Urtica
pilulifera, Corydalis cava, Corydalis pallida und lutea und bei
Cynoglossum officinale.
Im Erabryosack einiger Pflanzen habe ich noch die Theilung
von freien Endospermkerneu gefunden; doch war die Theilung so
weit vorgeschritten , dass ich die einplattige Spindel nicht beob-
achtet habe. Dieses war der Fall bei Tradescantia virginica,
Luzula pilosa, Pulsatilla vulgaris, Armeria vulgaris. Polygonum,
Bistorta, Malva rotundifolia, Cytisus Laburnum und Senecio vul-
Bei Staphylea pinnata wird nach der Theilung zwischen den
Tochterkernen inuerhalb der kernplattenlosen Spindel eine feste
transitorische Zellplatte gebildet (Fig. 25, Taf. XVII). Vor der
Bildung der Spindel kann sich die Kernsubstanz zu einer homo-
genen Masse zusammenballen (Fig. 28, Taf. XVII). Dasselbe Ver-
halten fand ich auch zuweilen bei Leucojum aestivum (Fig. 34 und
35, Taf. XVIII).
Nach jeder Theilung der freien Endospermkerne von Dic-
tamnus albus wird die transitorische Zellplatte nur schwach an-
gedeutet (Fig. 35, Taf. XVII). Bei Corydalis cava, C. pallida,
Euphorbia myrsinites, Urtica pilulifera, Vicia narbonensis und
Agrimonia Eupatoria tritt keine Zellplatte auf.
In den Kernkorperchen der entwickelteu Kerne von Dictam-
nus werden haufig grosse Vacuolen gebildet (Fig. 36 und 37,
Taf. XVII). Von noch bedeuteuderer Grosse sah ich Vacuolen in
den Kernkorperchen der secundaren Embryosackkerne von Loasa
tricolor (Fig. 43, Taf, XVII). In einem Falle traf ich ein solches
Kernkorperchen direkt vom Protoplasma umgeben (Figur 44,
Tafel XVII) ; der Kerncontour war verschwunden. Leider konute ich
Freie Zellbilduug im Embryosack der Augiospermen etc. 361
hier uicht feststellen, ob das Eichen befruchtet war, oder ob die
Befruchtung ausgeblicben war und der secundare Erabryosackkern
daher vielleicht in Ruckbildung begriffen war.
Wahrend sich die Kerne im protoplasmatischen Wandbelege
des Embryosackes meistens durch Zweitheilung vermehren,
hatte ich einige Male Gelegenheit abnormausgebildete Spin-
deln zu beobachten, bei deuen die Spindelfasern nach drei ver-
schiedeuen Punkten convergiren. Den einen Fall hat Strasbur-
ger in der dritten Auflage seines Buches iiber „Z ell b 11 dung
und Zelltheilung" fiir Beseda odorata in Fig. 28, Taf. XVII
abgebildet. Die Spindelfasern convergiren hier nach drei verschie-
denen Poleu. Aus der Fig. 29, Taf. XVII (I c.) kann man aber
aus dem Grunde nicht auf eine stattgefundene Dreitheilung schlies-
sen, als ein Kern von dem niittleren verdeckt ist. Die feine Proto-
plasmaschicht ist namlich beim Herauspriipariren aus dem Em-
bryosack nicht sorgfaltig ausgebreitet, so dass sie umgeschlagen
ist und daher an dieser Stelle aus einer doppelten Lage besteht.
Ein Kernpaar liegt in der oberen, ein zweites in der unteren Proto-
plasm aschicht.
In Fig. 2, 3 und 4 auf Taf. XVIII sind einige abnorm aus-
gebildete (dreipolige) Spindelu aus dem Embryosack von Leuco-
jum aestivum abgebildet. Gauz in der Nithe derselben hatten die
iibrigen einplattigeu Spindeln das Aussehen, wie Fig. 1, Taf. XVIII
zeigt. Aehnliche dreipolige Spindeln fand ich auch im Embryosack
von Ornithogalum nutans (Fig. 12, 13 und 14, Taf. XVIII). Diese
lagen ebenfalls zwischen normal ausgebildeten einplattigen Spin-
deln (Fig. 11) zerstreut.
Im Embryosack vieler (wenn nicht aller) Papilionaceen wer-
den, wie schon Hegelmaier^) und Stras burger 2) erwahnt
haben, die noch freieu Endospermkerne, welche durch wiederholte
Zweitheilung aus dem secundaren Embryosackkern hervorgcgangen
sind, zum grossten Theil wieder riickgebildet. Endospermzellen
werden nur in der Nahe des Embryo gebildet. Die in Riickbil-
dung begriffenen Kerne nehmen bedeutend an Grosse zu, schliess-
lich schwindet die Kernwand, der Kernsaft mischt
sich mit dem umgebenden Protoplasma und dieKern-
substanz zerfallt unterBildung vonVacuolen imln-
uern in kleine Stiicke, die spater spurlos im Protoplasma
1) Bot. Zeitung 1880, Nr. 8 Sp. 131.
2) Bot. Zeituug 1880, Nr. 51 Sp. 865.
362 Dr. Eriedrich Soltwedol,
verschwiudeii. Fig. 26, 27 und 28, Taf. XVIII stellen solche Stadicu
des Zerfalls von Kernen aus dem Wandplasma des Embryosackes
von Fliaseolus vulgaris dar. Im Embryosack von Leucojum aesti-
vum fand icli an eincr Stelle ahnliche Bildcir (Fig. 36 und 37,
Taf. XVIII), die ebenfalls auf ein Zerfallen von Endospermkernen
schliessen lassen.
Allgemeines tiber die Kerntheilung.
Wenn wir vorhin die Veischiedenheiten kennen gelenit habeu,
welclie bei der Theilimg von Zellkernen vorkommen konnen, so wird
es auf der anderen Seite nicht weniger interessant sein, die Gleich-
artigkeit dieser Vorgiinge aufzusuchen. Indem wir dieses thun,
werden wir zugleich das Wesentliche vom Unwesentlichen tren-
nen; denn wir konnen . annehmen, dass das Gemeinsame wesent-
lich ist, und die individuellen Verscliiedenheiten zum Verstand-
niss des Theilungsvorganges weniger wichtig sind. Im Folgenden
werde ich daher gleichsam ein Schema der Kerutheilung entwer-
fen, welches aus den Theilungsfiguren von freien Endospermkernen
an den oben aufgezahlten Pflanzen gewonnen ist. Was die Art
der Beschreibung anbetrifFt, so werde ich die Entwicklung des
Kernes von dem Augenblicke an , wo er ein einheitliches Ganze
darstellt, bis zu der Zeit verfolgen, wo aus dem Mutterkern zwci
dicsem ahnliche Tochterkerne entstandeu sind. Da aber schon
langst von verschiedenen Seiten die Aehnlichkeit der Kernthei-
lungsvorgange im Pflanzen- und Thierreich hervorgehoben ist, so
werde ich auch die verschiedenen Ansichten von einigen Autoren
auf dieseni Gebiete mittheilen.
Der junge Zellkern, welcher aus einer Kernplattenhiilfte her-
vorgegangen ist, erscheint zuuiichst als ein vollig homogener
Korper stark lichtbrechender Substanz, die sich in Farbstofflo-
sungen weit iutensiver imbibirt, als das umgebende Protoplasma.
In den Fallen, wo eine ho mo gene Kernplatte vorhanden ist,
wie z. B. bei Galanthus nivalis, sind die Tochterkerne gleich
nach der Theilung der Ke rnpl atte gebildet. Wo jedoch
die Kernplatte aus getrenntenElementen besteht, fiudet die
Bildung der Tochterkerne erst an den Polen statt, indem hier
die Halften der einzelnen Korner oder Stabchen zu einem einheit-
lichen Korper verschmelzen. Der Kern besteht in diesem Stadium
scheinbar nur aus Kernsubstanz, von Kernsaft oder einer differen-
ten Kernwand lasst sich nichts erkennen. Die Art seiner Eatste-
Freie Zellbildung im Embryosack der Angiospermen etc. 363
liuug, die leichte Veraiiderlichkeit seiner Form, wie auch das Ver-
niogen Vacuolen im Innerii zu bilden , lassen schliessen, dass wir
es hier mit einer zahfliissigen, dem Protoplasma alinlichen Materie
zu thun haben.
Indem im Innern des jungen Keroes zahlreiche Vacuolen ge-
bildet werden, der Inhalt der Vacuolen an vielen Stellen zusam-
meufliesst, zerfallt die Kernsubstanz in viele grosserc
und kleinere Massen, die haufig noch durch zarte Fadchen
in Verbindung stehen. Auf diese Weise entstehen aus
der einheitlichen Kernsubstanz zahlreiche Kern-
kor perch en, die daher auch alle Eigenschaften der
Kernsubstanz besitzen. Die Flussigkeit, welche sich zu-
erst nur in den Vacuolen befand, stellt den Kernsaft dar, der die
Kernkorperchen umgiebt, Ob im entwickelten Kern alle Kern-
korperchen durch Kernsubstanz in Verbindung stehen, konnte nicht
beobachtet werden, Eine solche Verbindung wird aber durch die
Art der Entstehung der Kernkorperchen aus der einheitlichen,
protoplasmaiihnlichen Masse des jungen Kernes wahrscheinlich ge-
macht.
Der Kernsaft ist scharf gegen das Protoplasma abgegrenzt.
Ob zwischen Protoplasma und Kernsaft eine aus ditterentem Stoff
gebildete Membran besteht, liess sich auf dieser Stufe der Eut-
wicklung nicht sicher feststellen. Ich nehme an, dass das Proto-
plasma, wie es iiberall nach aussen hin sich mit einer dichteren
Schicht umgiebt, auch um eiuen differ enten Korper, in die-
sem Falle um den Zellkern eine dichtere Beschaffeu-
heit annimmt. Wenn dieses der Fall ist, so ist der Kern bei
seinem ersteu Entstehen von einer Membran unigeben, die das
Product der chemischen Vereinigung von Kernsubstanz und Proto-
plasma ist.
Ansichten verschiedener Autoren.
Zuerst bat Auerbach 1) die Aehnlichkeit der Nucleolar-
substauz mit dem Protoplasma hervorgehobeu. Er fiihrt vor Al-
lem folgende Eigenschaften an, die beiden Korperu gemeinsam
sind: „die Fiihigkeit und Neigung, im lebendigen
Zustande Vacuolen in sich zu entwickeln," das Ver-
mogen, amoboide Formverilnderungen auszufiihren und „die Fa-
') Organologische Studien, Heft 1, 1874, p. 167 uud 168.
3GJ: Dr. rriedrich Soltwedol,
liigkeit zu organise hem Wachsthum mid zur Ver-
mehruiig durch Selbstthcilun g." Diese Aehnlichkeit maclit
es Auerbach^) sehr wahrscheinlich , „dass die Nucleoli
aus einer Substanz bestehen, welche mit dem Pro-
toplasmajunger Zellen ideiitisch is t." Ueber die Ent-
stehung der Kerumcmbran sagt Auerbach^) folgendes:
„DerKern ist bei seiner Entstehung eine ArtVa-
cuole, d, h. eine t r opf en formige Ansammlung einer
vom eigentlichenProtoplasma verschiedenen, dick-
flussigen, hellen und homogeuen Substanz in einer
anfangs wandungslo sen , d. h. nicht durch einebe-
sofidere Schicht eingeschlossenen Hohle des Proto-
plasma. Nachtraglich verdichtet sich eine derOber-
flache des Tr op fens an liege ode Grenzschicht des
Protoplasma zu einer besonderen Wan dung derKern-
membran. Die Kernhohle ist also das Priraare am
Kern, seine Membran ein ausseres Accidenz." Schon
vor Auerbach hatte la Vale tte St. George ^) amoboide Kern-
korperbewegung beschrieben, und die sogen. Nucleoliui als Vacu-
olen ira Keimfleck erklitrt. Auch hatte Strasburger*) die Thei-
lung der Kernkorperchen in zwei neue Nucleoli beobachtet. Es
standen jedoch damals diese Angaben so vereinzelt da, dass man
sie nicht als characteristische Eigenschaften der Kernkorperchen
ansehen konnte.
Spater wurden auch von Brandt^), Eimer'') undGreff)
amoboide Beweguugen an Keimflecken wahrgenommen, und ebenso
von Kidd^) solche an den Kernkorperchen in den Zellen des
Mundepithels vom Frosch. Biitschli^) unterscheidet am ditfe-
1) 1. c. p. 165.
2) Zelle und Zellkern, Beitrage zur Biologie der Plianzeu von
Cohn Bd. II. p. 6.
3) Ueber den Keimfleck und die Deutung der Eitheile. Archiv
fiir mikr. Anatomie, Bd. II. 1866, p. 56.
*) Die Coniferen und die Gneluccen, Jena, 1872, p. 85.
^) Ueber aktive Formveranderungen des Kernkorperchen, Arch,
f. mikr. A. Bd. 10, p. 507.
^) Ueber amoboide Bewegungen des Kernkorperchens, Arch. f.
mikr. A. Bd. 11, p. 325.
■?) Jahresber. liber Fortsch. d. Auat. u. Phj-siol. Bd. V. 1876, p. 41,
^) Observations on spontaneous mouvement of nucleoli, Quart,
journ. of microscop. science, 1875, V. 15.
^) Studien iiber die ersteu Entwickelungsvorgauge der Eizelle,
Abhandl. der Senckenb. naturf. Gesellsch. Bd. X,
Freie Zellbilduug im Embryosack der Angiospermeu etc. 365
reiizirten Kern die Kernmaterie von der Kernfliissigkeit. Die Keni-
materie kann allein fiir sich einen Kern bilden ; sie differenzirt
sich spater in Htille und Inlialtskorper, welch letztere als Kern-
korpercheu oder faserige Gebilde ersclieinen konnen.
Biitschli sagt ausdriicklich (1. c. p. 197). „Eine weitere
Folge ist jedocli auch die Zusammeugeho rigkei t der
sogenannten Membran der thierisclieu Kerne und de-
ren Bin neukorper; beide sind Differenzi rungspro -
dukte eines urspriinglichhomogenenKorperchen und
es ist daher ganz verfehlt, wenn Auerbach die Mem-
bran der Kerne als eine vom umgebenden Protoplas-
ma erzeugte Umhiillung auffasst." An eiuer anderen Stelle
sagt Biitschli^): „Die grossen Keimzellen aus den Ho-
dcn won Blatta germanica enthalten nichts, was man Kern -
korper bezeichnen kounte, dagegen eine betracht-
licheAnzahl dunkleKorner(nacli Essigsilurebehand-
lung), die alle, indem sie sich in Fasern fortsetzen,
mit einer gewissen Strecke derKernhiilleinVerbin-
duug treten."
V. Ben e den "^) erkennt im Kern des reifen Eies von Asfe-
racanikion ruhens, der von einer feinen Membran umgeben ist,
einen Nucleolus und mehrere von diesem chemisch differente Kor-
perchen, die Pseudonucleolen , welche in einem das Innere des
Keimblaschens durchziehenden veranderlichen feinen Netze einer
feiukornigen Substanz, „Nucleoplasma", suspendirt sind. Die jungen
Kerne bestehen aus einer homogenen Materie „essence uucl6-
aire." Aus dem Protoplasma wird beim Wachsthum des Kernes
uoch der Kernsaft aufgenommen. Aus der Vereinigung von Kern-
essenz und Kernsaft entsteht die Kernsubstanz. Die Membran
und die Kernkorpercheu bestehen auschliesslich aus essence
nucleaire. Beide losen sich vor der Theilung in der Kernsub-
stanz auf, wodurch der Kontour des Kernes schwindet. Die Va-
cuolen im Kernkorperchen sind das Produkt der Vereinigung von
Nucleolarsubstanz mit dem Kernsaft.
Sehr ausftihrliche Angaben iiber die Bestandtheile des Kernes
1) Mittheilung iiber die Coujugation der Infusorien und die Zell-
theilung, Zeitschrift fiir wiss. Zoologie. Bd. 25, 1875, p. 432.
^) Contributions a I'histoire de la vesicule germinative. Bull, de
I'acad. roy. de Belgique. P. 41, 1876.
3G6 Dr. Fricdrieli Soltwcdel,
der Ganglieiizelle giebt Scliwalbe'). Derselbe hat beobachtct,
dass die Kernkorperchen feine Auslaufer besitzen, die von der-
selben Substaiiz gebildet sind als die Kernkorperchen und die Kern-
merabran, namlich von Nucleolarsubstanz. Wenn im Innern des
Kernes die Nucleoli fehlen, treten dafur wandstandige Kernkor-
perchen auf, die mit der Kernmembran eng verschmolzen sind.
„Die Substanz, aus der die spatere Kernmembran und
die Nucleoli bestehen, ist anfangs gleichmassig
durch den ganzen Kern vertheilt und fiillt densel-
ben mehr oder weniger vollkommen aus, indem sie
von zahlreichen mit einer anderen Masse erfullten
Vacuolen durchsetzt ist. Beim Wachsthum des Kerns
nimmt die Vacuolensubstanz zu, ohne dass eine we-
sentliche Zunahme des anderen Kernbestandtheils
zu constatiren ware. Die Folge davon ist, dass letz-
tere in verschied ene Portionen zerrissen wird, von
denen eine stets die Oberflache des Kernes einnimmt,
zur sog. Kernmembran wird, mit einer Anzahl za-
ekigerVorsprunge, den wands tandigen Kernkorper-
chen, in das Innere des Kernes hineiuragt, wahrend
andere Portionen sich zu einem oder mehreren Nu-
cleolis zusammenballen. In dem Maasse, als die
helle Substanz im Innern des Kernes zunimmt, wer-
den die in n eren Pr ominenzen der Kernmembran in
Folge zunehmender Ausdehnung des letzteren im-
mermehrverstreichen. Man kann also den ganzen
Prozessals eineVacuolisirung auffassen, ahnlicher
Art, wie sie innerhalb der Pflanzenzellen zur Schei-
dung von Protoplasraa und Zellsaft fiihrt. Ich werde
hinfort den glanzenden, die Kernmembran und die
Kernkorperchen constituirenden Bestandtheil der
fertigen Kerne als Nucleolarsubstanz bezeichnen,
den wasserklaren das Innere des Kerns erfiillenden
als Kernsaft." Ferner betont Schwalbe an den Kernen vieler
Ganglienzellen das Fehlen einer Kernmembran. „Der helle klare
Kernsaft wird unmittelbar von der Zellsubstanz be-
grenzt."
R. Hertwig^) unterscheidet im Kern zwei Bestandtheile, die
1) Bemerkungen iiber die Xerue der Ganglieiizelle, Jenaische
Zeitschrift f. Naturw. Bd. 10. 1876 p. 29 u. ff.
''') Beitrdge zu einer einheitlicheu Auffassung der verschiedeueu
Kernformen, Zoolog. Jahrb. Bd. II. 1876.
Freie Zellbildung im Embryosack dcr Augiospermcu etc. oG7
Kernsubstanz und den Kernsaft. Die Kernsubstauz ist durcli au-
tomatisclie Bewegungen charakterisirt, die sich entweder in amo-
boiden Formveranderungen kund geben, oder in bestimmten Rich-
tungeu vor sich gehen, und dann zur Kerutlieiluug fuhren. Die
Starke Lichtbrechung und die Einwirkung verschiedener chemischer
Reagentien zeigen, dass die Kernsubstanz einen vom Protoplasma
verschiedenen Stoff darstellt. Die Kernkorperchen, welche vorwie-
geud die Kernsubstanz enthalten , sind die Trager der Kernfunc-
tionen. Der Kernsaft ist eine Fliissigkeit , welche die Kernsub-
stanz durchtriinkt. Das Netzwerk im Kern scheiut ein protoplas-
niatisches Gebilde zu sein. „Wahrscheinlich communicir t
dasselbe mittelst feiuer Poren der Nucleusmerabr a n
mit dem umgebenden Protoplasma der Eizelle, von
welchem es wie es scheint auch seiner Entstehung nach
abgeleitet werden muss"^).
Nach der Vertheilung der beiden Kernbestandtheile unterschei-
det K Her twig primitive und secundare Kerne. Die primitiven
Kerne erscheinen homogen ; die Kernsubstauz ist gleichmiissig vom
Kernsaft durchtrankt (Embryonale Kerne, Eikern von 0. Hert-
wig, Kerne der Furchungszellen , Kerne der Infusorien, Mono-
thalamien, Foraminiferen). Zu den secundiiren Kernen gehoren
alle diejenigen, bei denen eine Sonderung der beiden Kernbestand-
theile stattgefundeu hat. Dies fiihrt im einfachsteu Falle zum
Auftreten von Vacuolen in der Kernsubstanz (Pflanzenkerne) ; oder
abcr die Kernsubstauz zerfallt in mehrere Nucleolen, die mit dem
Kernsaft von einer Kernrindenschicht umgeben sind (bei Actino-
spJidriden). Die Kernrindenschicht besteht wie die Nucleolen aus
Kernsubstanz. Eine weitere Ditferenziruug der Kerne findet statt,
weun eine wirklich cheniisch differeute Kernmembran gebildet wird
(Keimbliischen vieler Eier, In/wsmew-Kerne). Letztere verhiilt
sich zur Kernrindenschicht wie die Zellmembran zur Hautschicht
des Protoplasma. Schliesslich konnen noch die Kernkorperchen
unter sich und mit der Kernmembran durch ein Protoplasmanetz
verbunden werden.
F lemming 2) fand in den Kernen der verschiedenstcn Ge-
wcbszellen von Salamandra schon im lebenden Zustande feiue
Netze aus einer Substanz gebildet, die von der iibrigen Masse
1) 1. c. p. 77.
2) Beobachtungen liber die Beschaffenheit des Zellkerns. Arch,
f. mikro?. A. Bd. XIII.
3G8 Dr. Priedrich Soltwedel,
des Kernes wie audi vom umgebenden Protoplasma (R. Hert-
wig s. obeii) chemisch verscliieden ist. Nach Anwendung der
Herraann'schen Aniliiifarbung werden einzelne Tlieile des Keru-
iietzes starker tingirt als aiidere, woraus sich auf Stelleii von dif-
ferenter Beschaffenheit des Netzgeriistes schliessen lasst. In dera
Netz siud die Nucleoleu und Nebennucleolen , zwei Korper von
vcrschiedenartiger Substanz, suspendirt. Von der Kernmembran
sagt Flemming'): „Es macht mir den Eindruck, dass
die Kernmembran nicht entsteht, indem eine zusam-
menhangende Schicht ausgeschieden wurde oder sich
verfestigte, sondern, indem periphere Theile desGe-
riistes sich zu einer diinnen Wandschicht 2) an der
Grenze des Plasma vereinigen." Spater hat Flemming •'')
noch besonders das Verhalteu der Nucleolen bei der Kerntheilung
beobachtet, ohne zu einem befriedigenden Resultat zu gelangeu.
„Fur Salamandra liess sich dabei ganz sicher stellen,
dass sie (die Nucleolen) schon in sehr friihen Stadien
des Mutterkniiuls verschwunden sein konnen und dass
sie, umgekehrt entsprechend, erst in den spatesten
Tochterstadien wieder auftreten. In beiden Fallen
zeigen sich die betreffenden Korpercheu iibrigens
als Verdickungen der Netzbalkchen; ob sie schon den
eigentlichen Nucleolen entsprechen, oder nur Ver-
dickungen der Balkchen, in welchen noch die Nucleo-
len als besondere Korper liegen, od^r sich bilden
werden, ist hier nicht zu entscheiden."
In den farblosen Blutzellen von Triton hat Strieker*) Form-
veranderungen der Zellkerne wie auch amoboide Bewegungen des
innei-en Gerustes wahrgenommeii. Die Kernhiille ist haufig unter-
brocheii, zuweilen kann sie bis auf ein Drittel oder auf die Hiilfte
ihres friiheren Umfanges reducirt werden, so dass das Innengeriiste
dann contiuuirlich in den Zellleib ubergeht. Da die Kernhulle und
das Geriiste gleichartig zu sein scheinen, bezeichnet Strieker
') Beitrage zur Kenutniss der Zelle und ihrer Lebeuserschei-
uungen, Arch. f. mikr. Auat. Bd. 16.
^) Diese Wandschicht wiirde der Kernriadeuschicht von R. Hert-
wig entsprechen.
^) Beitrage zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinun-
geu, Arch. f. mikrosc. Anatomie. Bd. 18, 1880, p. 195.
*) Beobachtungen liber die Entstehung des Zellkerus, Sitzungs-
berichte d. Wien. Acad. Bd. 76. III. Abth.
Freie Zellbildung im Embryosack der Angiosperraeu etc. 360
beide als Kernsubstanz und die hellere Masse in den Maschen als
Kernsaft. „I)er freie Kern mit dem beweglichen Innen-
gerust ist nichts anderes als ein abgekapsel ter Zell-
leib^). Ferner sagt Strieker^): „Die Kernkorperchen
sind eben Theile oder Reste eines anioboiden Kor-
pers im Kerue. Theile, insofern sie Bestandtheile des
Reticulums sind, wie es Fleraming und auch Fiimer an-
n eh men; Reste hingegen, wenn das Reticulum zer-
roisst." „Wenn man Kerue mitlebhaft amoboidem
Reticulum beobachtet, so sieht man, dass Kernkor-
perchen, respective einzelne Knotenpunkte desReti-
culums, unter den Augen entsteheu und schwinden."
Ebenfalls beobachtete Unger^j in den Kernen von verschie-
denen Gewebszellen vom Frosch, Triton, Hund, Kaninchen und
Mensch Bevvegungen des Innengeriistes und Brandt'*) nahm Form-
veriinderungen am Keimbliischen und amoboide Bewegungen des
Keimlleckes wahr. „Die amoboide Beweglichkeit (des
Keimfleckes) veranlasst nicht selten das Loslosen
einzelner Partikel, welche, wie der Keimfleck selbst,
amoboid contractu sind. Die Zahl und Grosse dieser
gelegentlich wieder zusammenfliessenden Partikel
isteineausserst verschiedene. Bisvveilen zerfiillt
der Keimfleck in eine Anzahl unter einander mehr
Oder weniger gleic her Theile oder es losen sich von
ihm so zahlreiche Stiicke, dass seine Haupt masse
verdeckt wird, oder endlich der ganze Keimfleck
ist in feine Kornchen zerfallen, so dass er zu feh-
len scheint und man fuglich von eiuem granulirten
Keimblaschen reden kann"^).
Klein ^) konnte sich uberzeugen, dass die Kerne der ver-
schiedenartigsten Zellen von Triton cristatus eine deutlich ausge-
pragte netzformige Stiuctur besitzen. Dies intranucleare Netz-
werk steht mit einem ahulichen des Zellleibes, dem intracellularen
1) 1. c. p. 14.
2) ]. c. p. 22.
3) Ueber amoboide Kernbewegungen in normalen und entziin-
deten Geweben. Wien. med. Jahrb. 1878.
4) Das Ei. 1878.
5) 1. c. p. 179.
^) Observations on the structure of cells and nuclei, Quart, journ,
of micros, science. 1878. p. 315 und fF.
Bd. XV. N. 1'. VIII. 3. 24
370 Dr. Friedrich Soltwcclel,
P'asernetz, in Vcrbindung. Dio Mombran des Kernes bestelit aus
zwei Schichten, einer ansseren dichteren — der eigentlichen Grenz-
haut — und einer inneren, welche aus derselben Substanz als das
Netzwerk besteht. Die Kernkorperchen sind nur Verdichtungen
der Netzbalken. An einer anderen Stelle *) sagt Klein: „Diese
Nucleolen bestehen ganz aus derselben stark licht-
brec bender Substanz als die Faden des Netzes und
hangen mit diesen allentbalben z usamm en, sind also
nur verdickte Partieen desselben. Die dickeren Fa-
den des Netzes zeigen zuweilen kleinere oder gros-
sere Vacuolen und dasselbe ist auch der Fall mit
den Nucleolen; dieses ist somit ein weiterer Grund,
die Nucleolen als einfache Verdickungen der Netz-
faden zu betrachten." Zuweilen kann das Netzwerk ganz
gleichinassig ausgebildet sein und dann fehlen die Kernkorperchen.
Strasburger ^) rechnet zur Kernsubstanz alle tingirbaren
Theile des Kernes, die Kernwand, die Korner und Netze, wie auch
die Kernkorperchen. Von der Kernsubstanz wesentlich verschie-
den ist der Kerusaft, welcher die Raume zwischen den geforniten
Kerntheilen erfullt. „In gewissen Fallen scheint sich das
umgebende Protoplasma an der Bildung der Kern-
wandung zu betheiligen. Die Kernwandung wtirde
dann nur zum Theil der Kernsubstanz angehoren."
„Das Abheben der Membran bei den moisten pflanz-
lichen Kernen wirdjeden falls durch Aufnahme wassri-
ger Fllissigkeit aus derUmgebung veranlasst. Diese
bildet den Kernsaft"^),
Allgemeines tiber die Kernbestandtheile.
Wie sehr auch die Ansichten iiber die Zusaramensetzung des
Zellkernes auseinander gehen, so scheint doch aus der Gleich-
artigkeit der an den verschiedensten Stellen gewonnenen einzelnen
Resultate hervorzugehen , dass uberall stets dieselben Vorgiinge
wiederkehren.
Ueber die Gleichheit oder Verschiedenheit der einzelnen Be-
standtheile muss aber vor Allem die Entwicklung des Kernes von
^) Ein Beitrag zur Keantniss des Zellkernes u. s. w., Centralbl.
f. d. med. Wiss. 1879, p. 291.
2) Zellbildung und Zelltheilung. III. AuH. 1880, p. 322.
3) 1. c. p. 336.
Freie Zellbildung im Embryosack der Angiospermeu etc. 371
seinem ersten Auftreten als einhcitliches Ganze an Aufschluss
geben. Indem ich diese ersten Differenzirungen des Kernes ver-
folgte, gelangte ich zii Resultaten, die im Wesentlichen mit denen
von BUtschli, Schwalbe, R. Hertwig, Strieker, Klein
und Str as burger iibereinstimmen.
Wenn BUtschli die Kernmembran zur Kernsubstauz hinzu-
rechnet undAuerbach dieselbe als eine Grenzschicht des Proto-
plasma ansieht, so liegt die Differenz nur darin, dass BUtschli
die Kernrindenschicht (R. Hertwig) nicht von der Kernmem-
bran unterscheidet. Von R. Her twig's Ansieht unterscheidet
sich meiue nur dadurch, dass ich das intranucleare Netzwerk nicht
als ein protoplasmatisches Gebilde auffasse, soudern es zur Kern-
substanz gehorig betrachte. Mit Klein theile ich nicht die An-
sieht, dass das intranucleare Netzwerk mit deni intracellularen in
direkter Verbiudung steht.
Wenn R. Hertwig i) die Nucleoli, welche vorwiegend die
Kernsubstauz enthalten, als „die Trager der Kerufunctio-
n en" ansieht und in ihnen „dieThatigkeitscentren des
Kernes" erblickt, so mochte ich sagen : Das Weseu desKerns
ist allein durch die Kernsubstanz bedingt; denn der
jugendliche Kern besteht nur aus Kernsubstanz, der
Kernsaft wird durch die Vacuolenentwicklung erst
spate r gebildet. Da die im entwickelten Kern vorhandenen
Kernkorperchen nur unveranderte Theile der vorhin einheitlichen
Kernsubstanz darstellen, so ist die Bezeichnung „Kerukorper-
chen" uberflUssig.
Die Kernmembran, welche aus eiuem von der Kernsubstanz
verschiedenen Stoflf besteht, betrachte ich mit Auerbach^), O.
Hertwig 3) und S trasburger •*) als ein Differenzirungsprodukt
des angrenzenden Protoplasma, „als ein accidentelles Ge-
bilde des Kernes."
Bei der Kernvermehruiig theilt sich nur die Kernsubstanz,
welche vorher als Kernkorperchen, Netzwerk oder Kerni-indenschicht
vorhauden war. In den Fallen, wo sehr viele Kernkorperchen im
^) Beitrage zu eiaer eiuheitlichen Auffassuug der verschiedeneu
Kernformen, Zoolog. Jahrbuch; Bd. II. 1876, p. 75,
2) Zelle und Zellkern, Beitrage zur Biologie der PHanzen. Cohn,
H. 2. 1877. p. 6.
^) Heitrage zur Kenntniss der Bilduag, Befruchtung und Tliei-
lung d. thier. Eies, Morpholog, Jahrb. Bd. 1. 1876, p. 349.
*) Zellbildung und Zelltheilung III. Aufl. p. 322.
24*
372 Dr. Friedricli Soltwedel,
entwickclten Kern vorhanden sind, wird vor der Theilung ein vvirr
durcheinandcrlaufender Kniiuel gebildet. Wenii dagegen die Kern-
substanz vorwiegend nur auf wenige Kernkorperchen vertheilt ge-
wesen ist, kann es vorkommen, dass die Kernsubstanz vor der Thei-
lung zu einem einheitlichen Korper sich zusamraenballt. In diesen
Stadien pflegt meistens der Kernsaft zu schwinden und das Proto-
plasma tritt unraittelbar an die Kernsubstanz hinan. Vielleicht
hat der Kern vorher eine von der Kernsubstanz chemisch ditfe-
rente Membran besessen, welche jetzt aufgelost oder gesprengt ist
und somit das Protoplasraa von dem Kernsaft nicht mehr trennt.
Bahl darauf sieht man die Faden des Knauels regelmassiger neben-
einander gereiht, so dass die primitive Spindel entsteht, die be-
reits zwei Pole erkennen liisst. Wenn die Kernsubstanz vor der
Theilung zu einem Kliimpchen zusammengeballt war, so zerfiillt
dieses wieder in einzelne kurze Stabchen, welche ebenfalls nach
zwei verschiedenen Punkten gerichtet werden.
Vor der Theilung wird dann die tingirbare Kernsubstanz in
den Aequator zusammengedrangt und an den beiden Polen treten
die nicht tingirbaren Spindelfasern auf, welche bei alien verschie-
denen Spindelformen mit Ausnahme der in Fig. 9, Taf. XVIII ab-
gebildeten beobachtet sind. Zuweilen sind die Spindelfasern nur
schwer wahrnehmbar; doch treten sie dann nach Einwirkung von
Essigsaure hinreichend deutlich hervor. Die Ansammlung der Kern-
substanz im Aequator ist auch von Flemming^) besonders be-
tont worden: „es tritt immer ganz unfehlbar ein Sta-
dium dazwischen ein, wo die Faden in den Aequator
zusammend rangen."
Was die Spindelfasern anbetrifft, so bin ich geneigt, dieselben
nicht als massive Stabchen, sondern als Rohren oder Schlauche
anzusehen, welche die Kernsubstanz einschliessen. Zu dieser An-
sicht bin ich auf deraselben Wege wie friiher Butschli^) und
Strasburger 3) gelangt, namlich dadurch, well es mir schien,
dass bei einzelnen einplattigen Spindeln (Fig. 1, Taf. XVII) die
Kernplattenelemente Verdickuugen der Spindelfasern darstellten
und dass die Kernsubstanz beim Auseinanderweichen der Kern-
plattenhiilften nur in den Spindelfasern sich bewegt. Ich denke
1) Beitriige zur Keuntuiss der Zelle und ihrer Lebeuserscheinun-
gen, Theil II. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 18, 1880, p. 169.
2) Eizelle, Zelltheiluug u. s. w. Abhandl. der Senckb. naturf.
Ges. Bd. X p. 192.
3) Zellbild. und Zellth. III. Aufl., 1880, p. 326.
Freie Zellbilduug im Embryosack der Angiospermen etc. 373
mil", dass die Spindelfasern aus dem umgebenden Protoplasraa ge-
bildet sind, indem dieses, sobald es an die primitive Spiudel hin-
antritt, die einzelnen Elemeute derselben mit einer dichten Haut-
schicht umgiebt. Dann wiirden die Spindelfasern in derselben
Weise entstehen wie die Kernmembran, und beide miissten aus
derselben Substanz bestehen. Die kernplattenlose Spindel wiirde
demnach nur die Hiille der primitiyen Spindel darstellen. Die von
Baranetzky^) beschriebenen Spindelfasern ura die wurstformig
gewundenen Kernsubstanzmassen in den Pollenmutterzellen von
Tradescantia virginica mochte ich audi nicht als Artefacte, son-
dern als spiralige Verdickuug der Spindelfasern ansehen.
Wenn wir aber annehmen, dass die Kernsubstanz sich in fei-
nen Scblauchen bewegt, so hiingt die Gestalt der einplattigen Spin-
del nur von der Widerstandsfahigkeit und Elasticitat der Schlauche
und von der Grosse der Kraft ab, welche die Kernsubstanzmassen
in den Aequator zusammeudrangt. Besitzen die Schlauche eine
grosse Elasticitat, so wird die Kernplatte aus einzelnen Kornchen
zusammengesetzt sein (Fig. 1, Taf. XVII), sind sie sehr widerstands-
fiihig, so wird die Kernplatte aus Stabchen gebildet sein (Fig. 11,
Taf. XVII), sind die Schlauche aber schwach gebaut, so werden sie
im Aequator gespreugt werden , die austretende Kernsubstanz
fliesst zusammen und bildet eine homogene Kernplatte (Fig. 31,
Taf. XVII).
Nach jeder freier Kerntheilung wird bei vielen Pflanzen zwi-
schen den beideu Tochterkernen im Aequator der kernplattenlosen
Spindel eine transitorische Zellplatte mehr oder minder deutlich
ausgebildet. Mit der Zellplatte verschwindet auch die kernplat-
tenlose Spiudel wieder, und die Kerne werden, wenn die feinkor-
nige Protoplasmaschicht sehr zart ist, durch einzelne starkere
Protoplasmafaden verbunden (Fig. 20 und 46, Taf. XVII).
Haufig fand ich an Praparaten von Lilium croceum. L. Mar-
tagon, Fritillaria imperialis, Polygonum Bistorta und Caltlia 'pa-
lustris neben den schon weit vorgeschrittenen Theilungsfiguren sehr
feine Hiiutcben liegen, die sich in Methylgrtin oder Borax- Carmin
nicht tingirten (Fig. 22, 23, 24, 25, Taf. XVIII). Vielleicht sind
diese Hautchen als Membranen der Mutterkerne zu betrachten, die
vor ihrer Auflosung gespreugt und abgeworfen wurden.
1) Die Kerntheilung in den Pollenmutterzellen einiger Trades-
caiUien, Bot. Zeit. 1880, Nr. 15—17, Sp. 285. Fig. 41, Taf. V.
374 Dr. Eriedrich Soltwedel,
Zellwandbildung und Kernverschmelzung.
Wenn der Embryosack fast seine definitive Grosse erreicht
hat, beginnt die Zellwandbildung um die noch freien Endosperm-
kerne. Die ersten Zellwande treten in anotropen Eichen in der
Gegend der Mikropyle zuerst auf und ihre Bildung schreitet von
hier chalazawarts fort. Sie scheinen zuerst aus kleinen Korn-
clien zii bestehen, die zu geraden Reihen in der Kegel in der Mitte
zwischen je zwei benachbarten Kernen angeordnet sind (Fig. 45
und 47, Taf. XVII, Fig. 80, Taf. XVIII). Diese kleinen Kornchen
werden durch Borax-Carmin oder Methylgriin nicht tingirt. Ob
dieselben an Ort und Stelle gebildet werden, oder ob sie vom
Protoplasma erst dorthin gefuhrt werden, konnte nicht sicher ge-
stellt werden. Indem die Korhchen mit einander vcrschmelzen,
bilden sie feste Zellwande, die an die Innenwand des Embryosackes
ansetzen und die einzelnen Kerne von einander trennen.
Strasburger 1) hat bereits gezeigt, dass im Embryosack
von Corydalis cava die ersten Endospermzellen viele Zellkerne ent-
halten konnen, deren Anzahl gewohnlich zwischen 1 und 7 schwankt.
Alle Kerne in einer Zelle konnen dann zu einem Einzigen verschmel-
zen. Solche Kerne erlangen dadurch eine sehr bedeutende Grosse.
Wahrend die noch freien Endospermkerne gewohnlich nur ein gros-
ses Kernkorperchen besitzen, zeigen die Kei-ne, welche aus der
Verschmelzung von mehreren hervorgegangen sind, deren viele, die
hochst wahrscheinlich auch noch mit einander verschmelzen konnen.
Wie Corydalis cava verhalt sich auch Corydalis pallida; doch
verlauft die Endospermbildung im Flnibryosack von Corydalis luiea
in ganz normaler Weise, so dass die ersten Endospermzellen stets
gleich eineu Kern enthalten. Auch bei Galanthus nivalis, Leii-
cojiim aestivum, Fulmonaria officinalis, Stajfhylea pinnata und Vr-
tica pnlulifera kam es nicht selten vor, dass zwei, drei oder auch
vier Zellkerne in einer Zelle eingeschlossen waren. Die Kerne in
einer Zelle konnen entweder noch nachtriiglich Scheidewiinde zwi-
schen sich bilden und auf diese Weise einkernige Zellen darstellen,
oder aber sie verschmelzen mit einander, sei es vor der Theilung,
sei es wahrend oder gleich nach der Theilung. In Fig. 5, Taf. XVIII
ist ein Stiick Wandplasma aus dem Embryosack von Leucojum
aestivum bald nach der ersten Anlage der Zellwande abgebildet.
') Zellbilduug und Zelltheilung- HI. Auil. p. 24.
Freie Zellbildung im Embryoi^uck der Angiospermen etc. 375
In der grossen Zelle links befindet sich oben ein Kern , der nocli
deutlich erkenncn liisst, dass er aus der Verschmelzung von zweien
hervorgegangen ist. In derselben Zelle befindet sich unten nocli
ein Kern und zwischen beiden wird nachtriiglich eine Zellwand
gebildet. In der Zelle rechts befindet sich ein grosser Kern, der je-
denfalls auch durch Verschmelzung von zweien gebildet ist. Fig. 16,
Taf. XVIII stellt eine nach oben bin (zum Beschauer bin) noch
nicht geschlossene Zelle aus dem protoplasmatischen Wandbeleg
des Embryosackes von Galanthus nivalis dar. In der Zelle haben
sich zwei einplattige Spindeln in der Weise eng aneinander gelegt,
dass ihre Aequatorebenen zusammenfallen und die Kernplatten der
beiden einplattigen Spindeln zu einer einzigen verschmolzen sind.
Dies Bild von Galanthus nivalis kann uns aber Aufschluss geben
iiber einige merkwiirdige Kernfiguren, die noch frei im Wandplasma
des Embryosackes von Lilium croceum lagen. Solche Theilungs-
stadien sind in den Fig. 17, 18, 19, 20 auf Taf. XVIII abge-
bildet. In Fig. 17 haben wir eine grosse zweiplattige Spindel,
die aber aus zwei zweiplattigen Spindeln zusammengesetzt zu sein
scheint. In den Figuren 18, 19, 20 liegen zwischen je zwei gros-
sen Tochterkernen je zwei kernplattenlose Spindeln. Vergleicht
man diese Bilder mit der Fig. 16, so ist es sehr wahrscheinlich,
dass hier wahrend der Theilung von zwei Kernen gleichzeitig eine
Verschmelzung der beiden Kerne (resp. Tochterkernpaare) statt-
gefunden hat. Auf diese Weise ist es also moglich, dass aus der
Theilung von zwei Kernen wieder zwei Kerne hervorgehen. Ganz
einzig in seiner Art ist aber das in Fig. 21, Taf. XVIII gezeich-
nete Bild einer Verschmelzung. Ich weiss fur dieses Bild keine
andere Deutung, als dass nach vollendeter Kerntheilung auf dem
Stadium, wo in der kernplattenlosen Spindel die Zellplatte gebil-
det wird, eine Verschmelzung von zwei Tochterkernen und einem
andern Nach bar kern stattgefunden hat.
Im Wandplasma aus dem Embryosack von Leucojum aestivum
und Hemerocallis fulva babe ich schliesslich noch einzelne sehr
grosse Kerne (Fig. 33, 38, Taf. XVIII) und in deren Nahe lang-
gestreckte Kerne (Fig. 31, 32, Taf. XVIII) gefunden. Aus diesen
Bildern mochte ich hier ebenfalls auf die Moglichkeit einer statt-
gefundenen Verschmelzung von noch freien Endospermkernen schlies-
sen.
376 Dr. Friedrich Soltwedel,
Zusammenfassung.
Die Vorgange bei der Entwicklung, Theilung, Verschmelziing
und Riickbildung der Zellkerne wie die Vorgange bei der Zell-
wandbildung lassen sich kurz etwa folgendermaassen zusammen-
fassen.
Die Art der Eiitstehung des entwickelten Kernes aus dem
anfangs homogenen Klumpchen von Kernsubstanz lasst sich als
eine Vacuolenbildung der Kernsubstanz auffassen. Der Inhalt
der Vacuolen bildet den Kernsaft und aus der Kern-
substanz gehen die Nucleolen, das Kernnetz und
die Kernrindenschicht hervor. Da an vielen entwickel-
ten Kernen nichts von einer Kernrindenschicht zu erkennen ist
und da in diesen Fallen der Kernsaft stets scharf vom umgeben-
den Protoplasma abgegrenzt ist, so nehme ich an, dass der Kern
von einer Kernmembran umgeben ist. Die Kernmembran kann
durch eine chemische Einwirkung entweder der Kernsubstanz oder
des Kernsaftes auf das unigebeude Protoplasma gebildet sein.
Bei der Vermehrung der Zellkerne theilt sich nur die Kern-
substanz, welche zunachst die primitive Spiudel bildet. Der
Kernsaft dringt auf diesem Stadium in das umgebende Proto-
plasma, da die Kernmembran jedenfalls aufgelost oder gesprengt
ist. Das Protoplasma, welches jetzt an die Stabchen der primitiven
Spindel hinantritt, umgiebt dieselben mit einer dichteren Haut-
schicht und bildet auf diese Weise die Spindelfasern. Diese wer-
den an den Polen sichtbar, wenn die Kernsubstanz in den Aequa-
tor gedrangt wird. Nach dem Auseinaudergehen der Kernplatten-
halften bleiben zwischeu ihnen die Spindelfasern als leere Schlauche
zuriick, die spater wieder ruckgebildet werden.
Die Verschmelzung der Kerne geschieht in der Weise, dass
die Kernmembraneu an den Beriihrungsstellen der Kerne verschwin-
den und die gleichwerthigen Bestandtheile sich vereinigen.
Vor dem Zerfall der Zellkerne erreichen dieselben eine sehr
bedeutende Grosse, ihre Membran wird schliesslich aufgelost, der
Kernsaft mischt sich mit dem unigebenden Protoplasma und die
Kernsubstanz zerfallt unter Bildung von Vacuolen im Innern in
kleine Stiicke, die spater im Protoplasma zerfliessen.
Die Zellwande werden aus kleinen Kornchen aufgebaut, deren
Substanz sich uicht erkennen liess.
Freie Zellbildung im Embryosack der Angiospermen etc. 377
Tafelerklarung.
Tafel XVi.
Fig. 1 — 4. Lam ill m album.
Fig. 1. Befruchteter Embryosack. Der secundare Embryosack-
kcrn liegt auf Protoplasmafaden suspendirt iu dem unteren abgeboge-
nen Eude des Embryosackes, der von eiuer einfachen Schicht vou
Zellcn mit verdickteu Wandeu umgeben ist. Vergr. 220.
Fig. 2. Das untere Eude des Embryosackes uach der ersten
Theilung der Endospermmutterzelle. Vergr. 440.
Fig. 3. Im untereu Ende des Embryosackes ist eiii vielzelligur
Endospermkdrper gebildet, in den der Embryo auf einem Suspensor
hinein gewachsen ist. Im obereu Theile des Embryosackes liegen
einige freie Zellkerne im Protoplasma. Vergr. 220.
Fig. 4. Der Embryosack hat bei seiner Weiterentwicklung in
der Mitte eine Einschniirung erfahren. Vergr. 160.
Fig. 5 — 7. Veronica Buxb aumii.
Fig. 5. Embryosack gleich nach der Befruchtung. Vergr. 160.
Fig. 6. Der Embryosack ist in der Mitte stark eingeschniirt
und hat nach unten hin eine Ausstiilpung getrieben. Der Endosperm-
kdrper besteht aus acht Zellen. Vergr. 220.
Fig. 7. Der Embryo ist in den Endospermkdrper hineingewach-
sen. Vergx*. 440.
Fig. 8 — 14. L 0 a s a Ivicnlor.
Fig. 8. Der Embryosack hat vor der Befruchtung erne Aus-
stiilpung in das Nucellargewebe getrieben. Vergr. 90.
Fig. 9. Mittlerer Theil des Embryosackes nach der ersten Thei-
lung der Endospermmutterzelle. Vergr. 220.
Fig. 10. Der Eiapparat gleich nach der Befruchtung. Vergr. 440.
Fig. 11. Die untere Anschwellung hat eine Aussackung in das
Nucellargewebe getrieben. Vergr. 220.
Fig. 12. Ein Tochterkern des secundareu Embryosackkernes ist
in die Ausstiilpung gewandert. Vergr. 220.
378 Dr. Friedrich Soltwedel,
rig. 13. lu der AusBtiilpung sind einige freic Zellkcrne. Der
Endospermkorper ist bereits vielzollig. Im unteren Raumc sind noch
die Oegenfiisslerirmen und zwei freie Endospermkerne zu sehen.
Vergr. 90.
Fig. 14. Die obere Ausstiilpung des Erabryosackes. In der-
selben befinden sich acht freie Zellkerne. Vergr. 220.
Tafel XVII.
Fig. 1 — 10. Iris sihirica. Vergr. 820.
Fig. 1. Eiuplattige Spindel.
Fig. 2 und 3. Zweiplattige Spiudeln.
Fig. 4. Zwei Tochterkerne, zwischen dcncn noch die kernplat-
tenlose Spindel zu sehen ist.
Fig. 5. In der kernplattenlosen Spindel ist die Zcllplatte ge-
bildct.
Fig. 6. Zellplatte und kernplattenlose Spindel sind wieder rlick-
gebildet.
Fig. 7. Ein Eudosperrakern mit vielen Korukorperchen.
Fig. 8. Die Kernkdrperchen sind theils mit einander verschmol-
zen, theils sind sie zu Faden ausgczogeu.
Fig. 9. Die Kernwand ist verschwunden.
Fig, 10. Primitive Spindel.
Fig. 11 — 2 0. Li Hum croc. cum. Vergr. 440.
Fig. 11. Einplattige Spindel.
Fig. 12 und 1 3. Zweiplattige Spindeln.
Fig. 14. Zwischen den beiden Tochterkernen liegt die kern-
plattenlose Spindel.
Fig. 15. An den Tochterkernen sind die Kernkorperchen , der
Kernsaft und die Kernwand zu erkennen. In der kernplattenlosen
Spindel ist die Zellplatte gebildet.
Fig. 16. Riickbildung der Zellplatte.
Fig. 17. Aus der Kernsubstanz ist ein Fadenkniiuel gebildet.
F i g. 1 8. Die Kernwand ist geschwunden.
Fig. 19. Primitive Spindel.
Fig. 2 0. Ein Stiick Wandplasraa. Die freien Endospermkerne
sind durch eiuzelne dicke Protoplasmafadeu vcrbunden. Die Kern-
korperchen zeigen Vacuolen im Innern.
Fig. 2 1 — 3 0. S I a i>liy I c n pi niKi t n.
Fig. 2 1. Einplattige Spindel. Vergr. 820.
Fig. 2 2. Zweiplattige Spindel. Vergr. 820.
Freie Zellbildung im Embryosack der Angiospermen etc. 379
Fig. 2 3 iind 2 4. An den Polen der kernplattenlosen Spindel
sind die Tochterkerne gebildet. Vergr. 820.
Fig. 2 5. Die Tochterkerne besteheu aus Kei-nsubstanz und Kern-
saft. In der kernplattenlosen Spindel ist die Zellplatte gebildet. Vergr.
820.
Fig. 2 6, Die kernplatteiilose Spindel ist rait der Zellplatte riick-
gebildet. Vergr. 820.
Fig. 2 7. Ein Endospermkern nahe vor der Theilung. Vergr. 820.
Fig. 2 8. Kernwand und Kernsaft sind geschwundeu. Die Kern-
substanz hat sich zu einer horaogenen Masse zusammengeballt. Vergr.
820.
Fig. 2 9. Bildung der priraitiven Spindel. Vergr. 820.
Fig. 3 0. Die Kernfiguren liegen im Protoplasraa von Zellwan-
den eingeschlossen, welche stark gequollen sind. Vergr. 440.
Fig. 31 — 40. I) i c I (I mn u s a /bus.
Fig. 3 1. Einplattige Spindel. Vergr. 820.
Fig. 3 2. Zweiplattige Spindel. Vergr. 820.
Fig. 3 3 und 3 4. An den Polen der kernplattenlosen Spindclu
sind die Tochterkerne gebildet. Vergr. 820.
Fig. 3 5. In der kernplattenlosen Spindel ist die Zellplatte schwach
angedeutet. Die Tochterkerne bestehen aus Kernsaft und Kcrnsub-
stanz. Vergr. 820.
Fig. 3 6 und 3 7. Endospermkerne nahe vor der Theilung. Vergr.
820.
Fig. 3 8. Die Kernwand und der Kernsaft sind geschwundeu.
Vergr. 820.
Fig. 3 9. Bildung der priraitiven Spindel. Vergr. 820.
Fig. 4 0. Ein Stiick Wandplasraa aus dem Embryosack, die
Kerntheilungen zeigend. Vergr. 160.
Fig. 4 1 — 4 4. Loasa tricolor. Vergr. 440.
Fig. 4 1 — 4 3. Secuudjire Embryosackkerne.
Fig. 4 4. Der secuudare Erabrj^osackkern besteht nur aus einem
Kerukorperchen, welches Vacuolen im lunern zeigt.
Fig. 4 5. Callha pa In sir is. Vergr. 440.
Fig. 4 5. Zellwandbildung im Erabryosack.
Fig. 4 6 und 4 7. Agvimonia Eupator ia. Vergr. 440.
Fig. 4 6. Die Endosperrakerne sind durch dicke Protoplasraa-
faden verbuuden.
Fig. 4 7. Beginu der Zellwandbildung ura die freien Endosperm-
kerne.
380 Dr. Friedrich Soltwcdel, Freie Zellbildung etc.
Tafel XVIII.
Fig. 1 — 10. Leucoj urn neslivum. Vergr. 440.
Fig. 1. Einplattige Spindel.
Fig. 2 — 4. Dreipolige Spindeln.
Fig. 5. Zellwandbildung. Verschmelzung von ZcUkernen.
Fig. 6. Eine einplattige Spindel schrag von oben gesehcu.
Fig. 7 — 10. Einplattige Spindeln aus verschiedenen Embryo -
sacken.
Fig. 11 — 14. Ornilho^aliim nutans. Vergr. 440.
Fig. 11. Einplattige Spindel.
Fig. 12 — 14. Dreipolige Spindeln.
Fig. 15 — 16. Galanthnsnivn lis. Vergr. 440.
Fig. 15. Einplattige Spindel.
Fig. 16. Zwei einplattige Spindeln liegen in einer jungen Endo-
spermzelle nahe aneinander.
Fig. 17 — 2 3. Lilium croc cum. Vergr. 440.
Fig. 17 — 2 1. Verschmelzung von Theilungstigurcn.
Fig. 2 2 uud 2 3. Neben den Theilungsfiguren liegen feine Mem-
branen.
Fig. 2 4 und 2 5. Lilium Mar I ago n. Vergr. 440.
Fig. 2 4 und 2 5. Neben den Theilungstigurcn liegen feine Mem-
branen.
Fig. 26 — 28. Phaseolus vulgaris. Vergr. 440.
Fig. 2 6 — 2 8. Zerfall von Endosperrakernen.
Fig. 29—3 0. Reseda odora fa. Vergr. 440.
Fig. 2 9. Zellwandauflosung.
Fig. 3 0. Zellwandbildung.
Fig. 3 1 — 3 3. Hemerocallis fulva. Vergr. 350.
Fig. 3 1 — 3 3. Grosse freie Endospermkerne.
Fig. 3 4 — 3 8. Lcucojum aestivum. Vergr. 350,
Fig. 3 4 und 3 5. Zwei freie Endospermkerne nahe vor der
Theilung.
Fig. 3 6 und 3 7. Zerfall von freien Endospermkerncn.
Fig. 3 8. Ein grosser, freier, unregelmassig gcstaltcter Endo-
sperm kern.
Ueber sogenannte Compasspflanzen
von
E. Stahl.
Hierzu Tafel XIX.
Die sonderbare Eigenschaft einer nordamerikanischen Pflanze,
ilire Blatter in der Meridianebene auszubreiten, so dass die Riin-
dor derselben uach Nordeu oder nach Silden gekehrt sind, ist in
ncuerer Zeit mehrfacli in wissenschaftlichen und nicht wissenscliaft-
lichen Zeitungen zur Sprache gekommen. Eine Erklaruug diesor
Erscheinung, d. h. eine ZurUckfiihrung dieses Ausnahmefalles auf
bereits bekannte Eigenthiimliclikeiten der Laubbliitter, ist bisher
noch nicht versucht worden.
Die genaunte Eigenschaft ist keineswegs auf das nordameri-
kanische Silphium laciniatum beschrankt; sie kann in ebenso
ausgepragter Weise bei der einheimischen Lactuca scariola be-
obachtet werden. Da die letztere Pflanze, bei ihrer allgemeinercu
Verbreitung, einem jeden leicht zugiinglich ist, so theile ich hier
zunachst die an derselben ausgefiihrten Beobachtungen mit, uni
erst nachher fremde und eigene Mittheilungen iiber Silphium
laciniatum beizufiigen.
Lactuca scariola.
Es ist eine allgemein bekannte und in den meisten Floren
angefiihrte Thatsache, dass die Blatter von Lactuca scariola
vertical gestellt sind: der eine Seitenrand ist nach oben, der an-
dere nach unten gekehrt. Die Blatter unserer Pflanze sind un-
gefahr nach der Divergenz ^j^ am Stengel vertheilt. Betrachtet
man geuauer frei stehende Pflanzen, so bemerkt man jedoch, dass
die verticalen Blattspreiten nicht, ihrer Insertion gemass, in acht
Langsreihen vom Stengel ausstrahlen, sondern mehr oder weniger
deutlich die Neigung zeigen sich alle in parallele Verticalebenen
382 E. Stahl,
zu ordnen. Diese Eigenthumliclikeit tritt jc nach Standorten iind
Individuen in verschieden hohem Maasse hervor.
Am starksten ausgepriigt ist dieselbe bei mageren Pflanzen,
welche auf diirrem Boden an sonnigen Standorten wachsen und es
ist in hohem Grade auffallend zahlreiche Pflanzen, mit parallel ge-
richteten Blattern, neben einander stehen zu sehen, um so mehr
als die Orientirung der Blatter ziemlich genau mit der Meridian-
ebene zusammenfallt.
Ein Theil der Blatter kehrt die Spitze nach Siiden, ein an-
derer nach Norden ; nach Osten imd Westen stehen keine Blatter ab.
Der Einfachheit der Darstellung halber bezeichne ich die vier
nach den Cardinalpunkten schauenden Langsseiten des Stengels
als Nord-, SM-, Ost- und Westseiten.
Die auf der Siidseite inserirten Blatter haben durch eine circa
90"' betragende, dicht tiber der Basis erfolgte Torsion ihre Spreite
in die Meridianebene gebracht. Der Winkel von Blattrippe und
Stengelaxe betriigt 50 — 70 Grad.
Blatter, deren Insertion auf die Nordseite fallt, verhalten sich
ganz ahnlich. Die Spreite des mit der Spitze nach Norden ge-
kehrten Blattes ist durch Drehung ebenfalls vertical geworden.
Die Oberfljiche der auf Nord- und Siidseite inserirten Blatter
schaut bei den einen nach Osten, bei den anderen nach Westen.
Wesentlich verschieden verhalten sich die nach Osten und
Westen am Stengel sitzenden Blatter. Hier ist oft keine Spur von
Torsion vorhanden : die Blatter sind einfach steil aufgerichtet, ihre
Oberflache der Stengeloberflache angeschraiegt. Bei anderen Blat-
tern — so auch in dem bildlich dargestellten Fall — ist mit der
Torsion der Mittelrippe eine Kriimmung verbunden, wodurch die
Spreite wieder annahernd in die Meridianebene zu stehen kommt.
Jc nachdem die Kriimmung nach der einen oder nach der anderen
Scite stattgefunden hat, ist die Spitze des Blattes nach Norden
oder nach Siiden gewendet.
Die auf der Ostseite inserirten Blatter kehren ihre Oberflache
nach Westen, wahrend die der entgegengesetzten Seite nach Osten
schauen.
Die hier geschilderten Stellungsverhaltnisse sind bald mehr
bald weniger scharf ausgepriigt; am schiirfsten treten sie gewohn-
lich hervor an den uuteren Blattern des eben aufschiessenden Sten-
gels, am schwachsten an den kleineren Blattern in der Bliithen-
standregion. Die Neigung sich in die Meridianebene zu stellen
TJeber sogenaimic Compasspflanzen. 383
fand ich schon, wenn auch schwach ausgebildet, am ersten auf die
Cotyledouen folgenden Blatte bei im Monat Juli gekeimten Pflanz-
cheu. Beim dritten und vierten Blatt der allerdings bereits auf-
schiessenden Pflanzchen war die Meridianstellung schon sehr auf-
fallend.
Durcli welche iiussere Ursachen wird nun diese eigenthtim-
liche Orientirung der Blatter hervorgerufen. Dass dieselbe zu dem
Erdmagnetismus in keinerlei Beziehung steht, war mir von vorn-
herein klar; auch bezweifelte ich nicht, dass hier nur ein beson-
dcrer Fall von Heliotropismus vorliege.
Wiesner^), dem wir zahlreiche schone Beobachtungen iiber
die Senkrechtstellung der Blatter zum Lichte verdanken, spricht
sich, nach Erorterung der Stellungsverhiiltnisse der schwertformi-
gen Iris- und Xy risblatter, iiber unsere Pflanze folgendermaas-
sen aus: „Weniger einfach sind die Verhiiltnisse bei Lactuca
scar io la, deren Blatter auf sonnigen Standorten vertical aufge-
richtet sind. Die Blatter stehen in verticalen Ebenen in der Kich-
tung eines radialen Stammlangsschnittes, ohne weitere Orien-
tirung zum Lichte 2). Diese eigenthiimliche Lage ist um so
auffallender, als das Blatt dieser Pflanze ganz ausgesprochen dorsi-
ventral erscheint. Ueber das Zustaudekommen dieser seltsamen
Lage des Blattes kann ich nichts Bestimmtes aussagen und spreche
nur die Vermuthung aus, dass das Gewebe der stark entwickelten
Mittelrippe in der auf die Meridiane senkrechten Richtung negativ
geotropisch (und moglicher Weise auch positiv heliotropisch) ist."
Schon die einfache Thatsache, dass die oben beschriebene Me-
ridianstellung in ausgeprilgter Weise nur an solchen Pflanzen her-
vortritt, welche an sonnigen Standorten gewachsen sind, spricht
dafiir, dass wir es hier mit einer Wirkung des Lichtes und zwar
des directen Sonnenlichtes zu thun haben.
Um die Wirkungsweise des Lichtes auf die Blatter von Lac-
tuca scariola festzustellen , cultivirte ich zunachst Exemplare
bei diffusem Tageslichte: Pflanzen, die in einem nach Norden ge-
legeuen Zimmer aufwuchsen und nur das vom Fenster her einfal-
lende diffuse Licht genossen, neigten ihre Stengelspitzen dem Fen-
ster zu, wahrend die Blatter sich senkrecht zum Lichteinfall oricn-
tirten. In Gruben oder zwischen Gebtisch aufgewachsene Pflanzen,
^) Die heliotropischen Erscheinungen im Pflanzenreiche II. Theil
in Denkschriften der mathematischen - naturw. Classe der K. Ac. der
Wissensch. Wien 1880.
2) Die Meridianstellung der Blatter war "Wiesner nicht bekannt.
384 E. Stahl,
die wahrend ihrer Entwickeluiig nur vom diffusen Lichte des Him-
melsgewolbes getroffen worden wareri, zeigten genau horizontal ge-
stellte Blatter.
Aus diesen Versuchen gelit hervor, dass die Blatter des wil-
den Lattichs schwachem Lichte gegeniiber sich ganz genau so ver-
bal ten .wie diejenigen anderer Dicotylen; sie sind, nach der von
Darwin eingefuhrten Bezeichnungsweise , diaheliotropisch.
Urn die Wirkungsweise des Sonnenlichtes auf die Stellung der
Lattichblatter festzustellen, warden folgende Versuche ausgefiihrt.
Zwei Blumentopfe mit gleich alten Pflanzen wurden, der eine
nur wahrend der Mittagsstunden von 10 Uhr bis 3 Uhr dem direc-
ten Sonnenlichte ausgesetzt, die ubrige Zeit dunkel gehalten; der
andere von 10 Uhr bis 3 Uhr verdunkelt, die ubrige Zeit ins Freie
gestellt, so dass also die Pflanzen von 3 Uhr bis zum Sonnenunter-
gang und von Sonnenaufgang an bis 10 Uhr beleuchtet waren. Da
die Versuche bei anhaltend schoner Witterung ausgefiihrt wurden,
so genossen die Versuchspflanzen wahrend der Beleuchtungszeiten
fast fortwahrcnd directes Sonnenlicht. Die Pflanzen entwickelteu
sich, wenn auch langsam, weiter. Die neu gebildeten Blatter der
wahrend der Mittagsstunden beleuchteten Exemplare zeigten keine
Spur von Meridianstellung, wahrend diese letztere ganz entschieden
hervortrat bei den Stocken, die wahrend der Vor- und Nachmit-
tagsstunden das Sonnenlicht genossen hatten.
Da diese Versuche, wie leicht einzusehen, nicht vollstandig
vorwurfsfrei sind, andcrte ich dieselben in folgender Weise ab.
Einige im Freien stehende Exemplare bedeckte ich mit einem
auf vier Pfosten ruhenden horizontalen Brete in der Weise, dass
sie wahrend der Mittagsstunden gegen das directe Sonnenlicht ge-
schutzt, demselben aber wahrend der Morgen- und Abendstunden
ausgesetzt waren. Bei diesen Pflanzen trat an den neu entfalteten
Blattern die Meridianstellung in ebenso characteristischer Weise
hervor als bei solchen, welche den ganzen Tag iiber der Sonne
ausgesetzt stehen.
Andere Stocke wurden zwischen Gebiische gestellt, so dass sie
nur von der hochstehenden Sonne getrofl"en werden konnten. Ob-
wohl diese Pflanzen den ganzen Tag iiber von oben her diffuses
Licht empfangen hatten, waren ihre Blatter keineswegs horizontal.
Ihre Stellung war vielmehr sichtlich durch das directe Sonnenhcht
beeinflusst, die Oberseite nach Siiden oder Siidwesten gekehrt.
Dass die Meridianstellung der Blatter vollstandig frei stehen-
TJeber sogenannte Compasspilanzen. 385
der Pflanzen durcli das Liclit der am Horizont stehenden Sonne
bedingt wird, geht besonders deutlich aus folgendem Versuclie
hervor.
Ein Topf mit einigen jungen Pflanzen wurde vor ein nach
Norden gelegenes Fenster gebracht, in welcher Lage die Pflanzen
wenige Stunden vor Sonnenuntergang und nach Sonnenaufgang das
directe Sonnenlicht empfingen. Alle unter den genannten Bedin-
gungeu entfalteten Blatter neigten mit ihrer Spitze nach Norden,
die Oberseite war nach Osten oder nach Westen gekehrt. Wur-
den die Versuchsexemplare etwas weiter nach dem Zimmer zu ge-
riickt, so dass sie nicht mehr von der Sonne beschienen werden
konnten, so trat die oben beschriebene senkrechte Lage zum dif-
fusen Lichte ein.
Die Meridianstelluug der Blatter von Lactuca
scariola ist also auf den gewohnlichen Diaheliotro-
pismus, wie derselbe bei der grossen Mehrzahl der Laubbliitter
beobachtet wird, zuriickzufiihren; die Blatter des wilden Lat-
tichs unterscheiden sich von denen anderer Pflanzen nur durch
ihre grossere Empfindlichkeit gegeniiber intensivem Lichte.
Wiener (1. c. p. 43) hat gezeigt, dass die fixe Lichtlage der
Blatter im Allgemeinen nicht durch das directe Sonnenlicht, son-
dern durch das zerstreute Licht bestimmt wird. Wenn man nam-
lich Blattrosetten von Cap sella bursa pastor is, Bellis pe-
rennis und ahnlicher auf sonnigen Standorten vorkommender
Pflanzen nur durch die Morgensonne beleuchtet, im Uebrigen aber
im zerstreuten Lichte halt, so richten sich die Blatter nicht senk-
recht auf die Strahlen der Morgensonne, sondern nach dem herr-
schenden stiirksten zerstreuten Lichte.
Gerade in diesem Punkte macht also der wilde Lattich cine
Ausnahme. Pflanzen, die nur in den Morgenstunden von der Sonne
beschienen werden, stellen ihre Blatter senkrecht auf die Strahlen
der Morgensonne; das gleiche gilt mutatis mutandis fur Stockc,
die nur in den Nachmittagsstunden das Sonnenlicht geniessen. Bei
vollstandig frei stehenden und den ganzen Tag iiber besonnten
Pflanzen ist die Oberseite der einen Blatter nach Osten, die der
andern nach Westen gekehrt.
Diese Erscheinung ist an der Hand der bekanuten Wachs-
thumsgesetze leicht zu erklaren.
Das Licht der aufgehenden Sonne fiillt bei einem Theil der
in Entstehung begriffenen Blatter auf die Kuckseite, bei einem an-
Bd. XV. N. F. VUI, 3. 25
3SG E. Stahl,
(leren unter mehr oder wenigcr spitzcm Winkel auf die Vorder-
seite. Diese letzteren Blatter werden die nothwendigen Kriim-
muiigen resp. Torsionen ausfuhren, bis sie mit ihrer Oberseite
senkrecht zum Sonnenlichte stehen. Bald nimmt aber in Folge
der starken Beleuchtung iind der gesteigerten Transpiration die
Wachstliumsintensitat und mit ihr die Fahigkeit heliotropischc Be-
wegungen auszufiihren ab: die Blatter verharreu in der eingenom-
menen Stellung. Gegen Abend, wo die Wachsthumsbedingungen
wieder giinstiger werden, nehmen dann die schon in der Knospcn-
lage nacli "Westen schauenden Blatter die Senkrechtstellung zum
Licht der untergeheuden Sonne ein.
Die Ausbildung der Lactucablatter geht, selbst unter giin-
stigen Vegetationsbedingungen, ziemlich langsam von Statten; audi
verstreicht einige Zeit, bis die freie Lichtlage erreicht ist.
Junge, aber bereits orientirte Blatter konnen, aus ihrer Lage
gebracht, die Meridianstellung wieder erreicben; bei alteren Blat-
tern hort diese Fahigkeit auf.
Die Meridianstellung ist, wie schon hervorgehoben, nicht immer
so scharf ausgepragt, so namentlich bei sebr iippigen Exemplaren;
hier ist es oft nur der obere Theil der Blattspreite, welcher durch
Torsion oder Kriimmung, oder durch beide Processe zugleich in
die Meridianebene gebracht wird.
Es ist leicht einzusehen, dass die wahrend der Ausbildung
der Blatter herrschenden Witterungsverhaltnisse von grossem Ein-
fluss auf das Zustandekommen der Meridianstellung sein miissen ^).
Fragen wir uns nun, welche Bedeutung die Meridianstellung
der Blatter fiir den Haushalt des wilden Lattichs wohl haben moge,
so giebt uns die Betrachtung der Pflanze an ihrem urspriinglichen
Standorte die Antwort.
Der aufgehenden Sonne kchren die verticalen Blatter ihre
grosste Flache zu. In dem Maasse als die Sonne hoher steigt,
wird auch der Winkel, unter welchem ihre Strahlen die Blatt-
fliiche treffen, geringer, bis schliesslich zur Mittagszeit alle Blatter,
in der Richtung der Sonnenstrahlen betrachtet, im Profil gesehen
werden. In den Nachmittagsstunden nimmt dann der Einfallswinkel
der Sonnenstrahlen auf die Blatter wieder allmalig zu, so dass
') Wegen Mangel geeigueter Eotationsapparate konnte ich nicht
feststellen, ob bei der Verticalstellung der Blattspreiten nicht etwa
auch die Schwerkraft mit in Betracht komme. Aus den ira Yorher-
gehenden mitgetheilten Versuchen geht jedoch zweifellos hervor, dass
hier das Licht den Ausschlag giebt.
Ueber sogeuannte Compasspflanzen. 387
diese letzteren gegen Abend wieder senkrecht von dem Sounen-
lichte getroffen werdeii.
Die Blatter vieler Papilionaceen, z. B. der Bohnen, nehmen
bekanntlich bei intensiver Insolation Profilstellung ein: durch Kriini-
mung der Gelenkpolster werden die Blattchen in eine Lage ge-
bracht, in welcher sie der Sonne die geringste Fliiche darbieten.
Hierdurch werden ubermiissige Erwarmung und Beleuchtung ver-
mieden.
Auf ganz anderem Wege wird ein ahnliches Resultat durch
die bleibende Meridianstellung der Lattichblatter erreicht. Gerin-
gerer Wasserverlust durch Transpiration, Milderung des zu inten-
siven Sonnenlichtes, dies sind die Vortheile, weiche der Pflanze
aus ihrer eigenthiimlichen Blattorientirung erwachsen. Bekraftigt
wird diese Annahme durch den Umstand, dass die Meridianstel-
lung am scharfsten hervortritt bei Exemplaren, die an trockenen
Standorten vegetiren. Bei diesen letzteren sind auch die Borsten,
weiche die Mittelrippe auf der Blattunterseite bedecken, am stark-
sten entwickelt und bilden nebst den etwas schwiicheren Rand-
borsten der Blatter ein allseitig abstehendes Borstensj^stem, durch
welches die zarteren Blattspreiten gegen Beruhrung geschiitzt sind.
Silphium laciniatum.
Silphium laciniatum ist eine ebenfalls zur Familie der
Compositcn gehorige, in Nordamerika — von Michigan und Wis-
consin, westlich bis zum Felsengebirge, siidlich bis Texas und
Alabama — sehr verbreitete Prairienpflanze. Eingehendere An-
gaben iiber das Verhalten derselben finden wir zusammengestellt
in „Curtis' Botanical Magasine Januar 1881" i). Die Pflanze ist
schon 1781 in Europa eingefiihrt worden und wird jetzt in vielen
botanischen Garten cultivirt.
Die Eigenthilmlichkeit der Blatter von Silphium lacinia-
tum ihre Bander nach Norden und Suden zu kehren wurde zuerst
vom General Alvord im Jahre 1842 in seinen Mittheilungen an die
„American association for the Advancement of Science" geschildert.
Die Thatsache scheint jedoch schon langc den Jagern, weiche die
Prairieen durchstreifen , in welchen diese Pflanze haufig ist, be-
kannt gewesen zu sein. Diese Angaben wurden spater bezweifelt,
^) Daselbst eine Abbildung der bluhendcn Ptianze.
25*
388 E. Stahl,
da es nicht gelang dieselben an den im Botanischen Garten zu
Cambridge (U. S. A.) cultivirtcn Exomplarcn zu verificiren.
Wiederholte Bcobachtungen in den Prairieen, Messungen ver-
mittelst des Compasses an hunderten von Blattern, insbesondere der
Wurzelblatter, haben gezeigt, dass, in Bezug auf die dominirende
Orientirung, der populare Glaube begriindet ist.
Zu diesen von Asa Gray herriihrenden Angaben fiigt Hoo-
ker die Bemerkung hinzu, dass er an den in Kew cultivirten
Exemplaren keine Spur von Orientirung habe bemerken konnen;
dieselben seien jedoch nicht gut exponirt gewesen, so dass ihr Ver-
halten nicht als maassgebend betrachtet werden konne.
In der That miissen die Silphien an freiem, sonnigem Stand-
orte cultivirt werden, weun die Meridianstellung der Blatter deut-
lich hervortreten soil.
An zwei in Topfen cultivirten Exemplaren, die sowohl von der
Morgen- als von der Abendsonne beschienen worden waren, stan-
den die Wurzelblatter vertical und ziemlich genau in der Meridian-
ebene. Je nach ihrer Stellung am Stengel war die Meridianstel-
lung entweder einfach durch Aufrichtung oder durch Torsion im
oberen Theil des Blattstiels zu Stande gekommen. Wurde ein
Blatt kiinstlich aus seiner Meridianstellung gebracht und in der
veriinderten Stellung befestigt, so erreichte die Lamina ihre vor-
herige Lage durch Kriimmung oder Torsion des Blattstiels. Waren
die Bewegungen des Blattstiels durch die Befestigungsweise ver-
hindert worden, so traten Torsionen bezw. Kriimmungen im oberen
Theil der Spreite oder in den Fiedern selbst ein, wodurch die obe-
ren freien Theile wieder in die Meridianebene gebracht wurden.
Die Blatter von S i 1 p h i u m kehren, wie die von Lactuca sca-
riola, ihre Oberseite entweder nach Osten oder nach Westen. Ich
sah immer mehrere Tage verstreichen, ehe die definitive Stellung
crreicht wurde; ein Blatt, dessen Oberflache Aufangs nach Osten
gekehrt war, fand ich nach einigen Tagen nach Westen schauend.
Bei diflfuser einseitiger Beleuchtung stellen die Silphium-
b latter ihre Spreite senkrecht zum eiufallenden Lichte.
Weitere Versuche habe ich mit Silphium nicht angestellt; ich
bezweifle jedoch nicht, dass bei dieser Ptlanze, wie bei Lactuca
scariola, die Meridianstellung durch dieselbe Eigenschaft der
Blatter auf das directe Sonnenlicht zu reagiren hervorgerufen werde.
Ausser den beiden besprochenen Pflanzen kann ich nur noch
cine nennen — Aplopappus rubiginosus, ebenfalls eine Com-
posite — , bei welcher die Meridianstellung deutlich hervortritt;
TJeber sogenannte Compasspflanzen. 389
eine geringe Neigung ilire Blatter in die Meridianebene zu stellen
fand ich ausserdem bei Lactuca saligna und Chondrilla
juncea. Es ist aber kaum zu bezweifeln, dass die Zahl der so-
genaiinten Compasspflanzen sich noch betrjichtlich vurmehren wird,
sobald man, namentlich in trockcnen Vegetationsgebieten , diesen
Verhaltnissen mehr Aufmerksamkeit schenken wird.
Erklarung der Tafel XIX.
Eine Lattichpflanze mit besonders stark ausgepi'iigter Meridian-
stellung der Blatter, yon Osten betrachtet. Die Blattoberseiten sind
dunkel gebalten ; die Unterseiten sind an den Borsten , welche die
Mittelrippe bedecken, keuntlich.
Muskel und Fascie.
Von
Karl Bardelcbeii.
Im Jahre 1878 habc icli in den Jenaischen Sitzungsbcrichten
eino kurz zusanimengcfassto Mittcilung iibor Fascion und Fascion
spannonde Muskuln gemacht. Da diesclbe, trotz odcr wegen ihrcr
Kiirzo, so gut wio ganz unbeachtet gebliebcn zu sein sclioint, niuchtci
icli durch speciellerc Angaben die Aufmerksamkeit der I<\acligenoR-
scii auf den Gegenstand zu lenken noclnnals vcrsuclien. Viclloicht
ist es diesem Bestreben dienlich, gleich von vorn herein hervorzu-
lieben, dass der damals stark betonten mechanisch-physiologisclicn
Auffassung gegeniiber jetzt die rein niorphologische melir Bcriick-
sichtigung finden soil. Leider ist allerdings das bisher vorhandeno
vergleichend-anatomische Material noch bei Wcitcm nicht ausrei-
chend, urn cine fortlaufende Entwickelungsreihe der in Eede stc-
henden Gebilde zu erkennen, so dass ich audi diesmal, auf die
Gefahr bin, bier und da anzustossen, mich vorzugsweisc dem Men-
schen, dem sicber am besten, aber noch imnier lange nicht ge-
niigend untersuchten und bekannten Wirbelthiere, zuwenden muss.
I.
Fine Reihe von Muskeln besitzen beim Menschcn normal Ur-
sprung Oder Fndigung (Ansatz, Insertion) in Fascien, von denen
dies bisher nicht bekannt war oder nicht beachtet wurde odor
aber als Ausnahme (Varietiit) hingestellt wurde. Ich stelle diese
Muskeln hier zusammen.
A. Stamm.
1. Cucullaris (Trapezius) inserirt a) in der oberflachlichen
Halsfasci(!, vorn; b) in der Nackenfascie ; c) in der Fascia infra-
spinata. Am Halse und Nacken stellt der Muskel uberbaupt eiue
Karl Bardeleben, Muskel und Fascie. 391
„muscul6se Fascie" dar, die sich individuell verscliieden weit nach
vorii erstreckt. Bekanntlich kann ja der Muskel, wie bci Tliiercn,
audi beira Mcnsclien bis an den Sternocleidomastoideus reichen
(vgl. diesen), wodurch dann die ganze oberflacbliche Fascie der
Regio colli lateralis musculos wird.
2. Splenius capitis inserirt in seinen oberen Particn in
die Nackenfascie resp. liegt ibr sebr innig auf; bildet cine „muscu-
liise Fascie" in dem von Ciicullaris und Sternocleidomastoideus frei-
gelassenen Raume.
3. B i V e n t e r c e r v i c i s (medialer Kopf des Semispinalis ca-
pitis) inserirt in die Fascia nuchae.
4. Levator scapulae ist nur kiinstlich von der untcr ibm
gelegenen Fascie zu trennen. Oft sieht man besondere Biindel in
die Fascie gehen.
5. Rectus abdominis inserirt a) an die Inscriptiones;
b) an die Linea alba und die Rectusscbeide (Fascia recta, Krause)
iiberbaupt; c) in die Fascia transversa binein; d) lateralwiirts in
die Bauchaponeurose^).
6. Orbicularis oculi (s. palpebrarum) bat regelmiissig
seinen Ursprung (oder „Ansatz", wie man will) in der Fascia tem-
poralis superficialis, welcbe bekanntlicb nacb oben in die Galea,
nacb unten in die Fascia parotideo-masseterica tibergeht. Dies
bezielit sicb auf den eigentlicben Orbicularis, nicht auf die malare
Zacke, welcbe in den Zygomaticus minor iibergebt und ibn mebr
Oder weniger ersetzen kann. Von diesem malaren Bundel gibt
aucb Henle (1. c. S. 148, 151) an resp. bildet ab, dass es aus der
Fascie der Scblafengegend entspringe 2). Von eigentlicben or])i-
cularcn Fasern bleibt allerdings so nicht viel mebr iibrig (s. u.).
7. Sternocleidomastoideus scndct Fasern in die ibn
umbiillende Schcide, also in die oberflacbliche und in die zwiscben
soinon Portionen frei gelegene Partie der Halsfascic. Teilweisc,
so bcsonders am unteren und oberen Drittel, wo dor Muskel sich
platt ausbreitet — oben wie unten am hinteren Randc — kann
^) Henle (Muskellehre S. 56) lasst uur einige der lateralsten
Biindel der lateralen Sehne schon oberhalb des Beckons in der
Sclioifle des Rectus endigen.
2) Von der Kichfcigkeit meiuer Angabe kann man sich leicht an
sich selbst iiberzeugen. "VVenn man die Augonlider i-echt fest achliesst,
so wird nicht nur der ganze oben genannte Fasciencomplex gcspannt,
sondern sogar u. a. der Tragus auriculae bewegt. Icli hcire sogar ein
Geviiusch im ausseren Gehorgang dabei.
392 Karl Bardelebeu,
man den Muskel direct als Vertreter der Fascie auffassen. Nicht
imraer ist dies deutlich am unteren Ende des clavicularen Kopfes,
dagegeii durchgehends hinten-oben, an der Fascia niichac.
8. Pectoral is major^) entspringt bekauntlich mit seiner
abdominalen Portion von der Rectusscheide oder der Sehne des
Obliquus abdominis externus ''^). Ein Teil des Pectoralis endet in
der Fascia axillaris, partiell mit der Sehiie des Latissimus dorsi
sehnig (Langer'sclier Axelbogen), manchmal musculos (wic bei
Affen) verbunden — sowie ferner in der Fascie des Oberarmes.
9. Die Sehne des Pectoralis minor breitet sich vor der
Endigung, nach den Piandern dtinner werdend, meist recbt crheb-
lich aus und gebt so allmahlicli in die tiefe Brustfascie, Fascia
coraco-pectoralis, sowie in die F. axillaris iiber. Die Ursprungs-
„Zacken" des Pectoralis minor, welche gewohnlich nur kiinstlich
von einander zu trennen sind, gelien in die Ligamenta coruscantia
(intercostalia) iiber. Da icli letztere als rudimentiir (sehnig) ge-
wordene Fortsetzung des Ptcctus abdominis auffassen muss (sic
verlaufen senkrecht, nicht schriig), wiire somit der Pectoralis minor,
wenigstens zum Teil, als Fortsetzung des geraden Bauchmuskels
anzusprechen.
B. Extremitaten.
10. Der lange Kopf des Triceps b r a c h i i entspringt (nicht
immer) von der Fascie des Teres minor, eincr Fortsetzung der
Fascia infraspinata, ferner von der Fascia subscapularis.
11. Der Pronator teres nimmt seinen Ursprung nicht nur
vom Lig. intermusculare mediale und dem „gemeinsamen Sehnen-
blatte" (Henle), sondern auch direct von der Fascie des Ober-
und des Unterarms.
12. Ausser der bekannten Sehneninsertion besitzt der Bra-
chial is in tern us auch noch cine Endigung in die Fascie des
Unterarms hinein, und zwar an der radialen Seite. Gegenuber
1) Die beideu Pectorales werden hier wegen ihrer Urspriinge
dem Stamme zugerechnet.
2) Henle (1. c. S. 87) rechnet die abdomiuale Zacke dem 01)-
liquus abdominis externus zu. Die vergleichend - anatomiscben Tat-
sachen sprechen aber eiilscbieden zu Gunsten der obigon Darstellung.
Auclx beim Menschen kaun man sicli so den Pectoralis, wic bei vielen
Tliieren, dnrch Yermittelung der Kectusscheide bis zum Beckeuraude
binab reichend vorstelleu.
Muskcl uud Fascie. 393
dem sitU'ken sog. Lacertus fibrosus der Biceps (uebonbei ein Arte-
fact, da die Fascicniiisei'tion desselbeii welt ausgedehiitcr ist) er-
scheiiit die Eudigung des Bracliialis iuteriius allerdiiigs uiierlieblich.
13. Der Brachioradialis (Supinator lougus) cndet iiicht
imr in der Fascie der Streckseite (Henle), soudern audi in der-
jenigen der Beugeseite. Auch die von Henle erwahnte Fascien-
insertion scheint noch nicht allgemein anerkannt zu seiu ^).
.14. Der Fascienursprmig des Flexor carpi ulnaris (Ul-
naris internus) ist wol meist noch ausgedehnter als Henle (1. c.
S. 206) angibt. Die Insertion des Muskels an das Lig. carpi volare
uud den Zusanimenhaug mit der Fascia palmaris muss ich als
Kegel hinstellen (Henle 1. c. sagt: „Die Insertionssehne gibt niit-
unter Fasern in das Lig. carpi volare"). Die vergleicliend - ana-
tomiscli nachweisbarc Abspaltung des Palmaris longus aus dem
Ulnaris 2) maclit dies Verhalten, sowie die Varietiit, in der der
Ulnaris den Palmaris vertritt, verstandlich.
15. Vom Sartorius loseu sicli wahrend seines Verlaufs am
Oberschenkel Muskelfasern ab, welche in die von der Oberschenkel-
fascie gebildete Scheide des Muskels gehen. Manclimal geht ein
formliclier Kopf oder Baucli des Muskels zur Fascia lata.
16. Der Ursprung des einen Sehnenzipfels des Rectus femoris
liiingt mit der Fascia iliaca zusammen. Vielleicht liegt hier das
Gegenstiick zu dem oben er\Yahnten Verhalten des Caput longum
tricipitis (Fascia subscapularis) vor?
17. Der Semimembranosus soil sich nach Henle in 3,
nach W. Krause in 4 Zipfel spalten. Mir kommt das etwas
kiinstlich vor. Eiufacher und nattirlicher scheint folgende Dar-
stellung: der Semimembranosus setzt sich a) an die Tibia an,
b) in die Fascie des Unterschenkels fort und zwar radiar nach
vorn, unten, hinten ausstrahlend, in die obertiiichliche und tiefe
Fascie (F. poplitea).
Weun wir nun diese neuen Ursprunge und Eudigungen von
Muskeln und Fascien mit den bereits anderweitig beschriebeuen zu-
sammenstellen, so ergibt sich nach Korperregionen geordnet folgende
^) Weiiigstens hebt von Bischoff (Beitriige zur Anatomie des
Gorilla. Abh. d. k. bair. Akad. Bd, XIII. 3. Abth. 1879) den „Ueber-
gaug eines Biindels des Supinator lougus in die Fascia antibrachii"
beim Gorilla besonders hervor.
2) Vgl Aeby, Die Muskeln des Vorderarms und der Hand bei
Saugethieren und beim Menschen. Zeitschr. f. wissensch. Zool. X.
S, 34flf. 1 Taf. 1859.
394 Karl Bardeleben,
11.
Uebersicht der Fascien
mit den n o r lu a 1 von ihnen cotspriugcnden oder in denselbeu
endigenden Muskeln.
A. Stamm.
1. Rumpf.
a) Kiicken und Nacken.
Fascia 1 urn b o d o r s a 1 i s.
U. ^) Latissimus dorsi, U. Obliquus abdom. int.
U. Sacrospiualis. U. Gluteus maxinius.
U. Serratus post. inf.
Fascia nuchae (superficialis).
U. (E.?) Transversus nuchae. E. Splenius capitis.
E. Cucullaris. E. Sternocleidomastoideus.
E. Biventer. E. Levator scapulae.
Tiefe Nackenfascie.
E. Recti und Obliqui cap. post.
b) Bauch.
Rectussclieide und Linea alba.
E. Rectus. E. Transversus.
E. Obliquus externus. E. Pyramidalis.
E. Obliquus internus. U. Pectoralis major.
Fascie des Qua drat us lumboruni.
E. Quadratus lunib. (Xorm?) U. Zwerchfell.
c) Becken.
Fascia pelvis.
U. Psoas major (uicht constant).
Fascia iliaca.
E. Psoas minor. U. Pectineus.
E. Obliquus abdom. externus
(Lig. inguinale ext.).
0 U. = Urspruug; E. = Endiguug (Ausatz, lusertiou).
Muskel uud Fascie. 395
„ L i g a 111 c u t u m " s a c r 0 1 u b e r 0 s II m .
U. Gluteus maximus. U. Obturator iiiternus.
Membraua obturator! a.
U. Obturator exteruus. U. Obturator iuternus.
Fascio des Obturator iuternus.
U. Obturator iuternus (vgl. Langer).
Fascia glutea.
U. Gluteus maximus. U. Tensor fasciae latae.
U. Gluteus medius. E. Obliquus abdom. externus.
Dammfascien.
Verlauf: Transversus perinei su- Verlauf: Transversus perinei jjro-
perficialis. fundus.
d) Brust.
Fascia pectoralis superficialis,
E. Platysma.
Fascia pectoralis profunda.
E. Rectus abdominis (Fort- U. und E. Pectoralis minor,
setzung des Muskels, s. o.).
2. Kopf.
Galea aponeurotica,
E. Epicrauius (frontalis, temporalis, auricularis superior, occipitalis).
Fascia temporalis superficialis.
U. Epicrauius temporalis. U. Orbicularis oculi.
Fascia temporalis profunda.
U. Temporalis.
Fascia par otideo-massetcrica.
Platysma. Malaris.
Risorius.
3. Hals.
Fascia colli superficialis.
Platysma (Verlauf). E. Cucullaris.
E. Sternocleidomastoideus.
396 Karl Bardeleben,
Fascia colli profunda (media).
E. Biventer inandibulae. E. Omohyoideus.
E. Stylohyoideus.
(Fascia Duchae s. o.)
B. Extremitaten.
1. Obere Extremitat.
a) Schulter uud Achsel.
Fasciasupraspiuata.
U. Supraspinatus.
Fascia infraspiuata.
U. Infraspinatus. U. Deltoides.
U. Teres minor. U. Cucullaris.
U. Teres major.
Fascie des Teres minor.
U. Teres minor. U. Tricipitis caput longum.
Fascia subscapularis.
E. Serratus auticus major. U. Tricipitis caput longum.
Fascia axillaris.
E. Latissimus dorsi. (U. Triceps von Latissimus-
E. Pectoralis major. Sehne, wie bei Thieren.)
E. Pectoralis minor.
b) Oberarm.
Streckseite, Fascia deltoidea etc.
E. Platysma. E. Triceps.
E. Deltoides. U. Brachioradialis.
Beugeseite.
E. Pectoralis major. E. Teres major (? normal).
E. Latissimus dorsi. U. Pronator teres.
Ligam. inter musculare lateral e.
E. Deltoides. U. Brachioradialis.
U. Brachialis internus. (U. Extensor carpi radialis lon-
U. Tricipitis caput breve. gus, nicht immer.)
Ligam. intermusculare mediale.
E. Coracobrachialis. U. Pronator teres.
Muskel uud Fascie. 397
c) Unterarm.
S t r e c k s e i t e.
E. Triceps. U. Abductor pollicis longus.
E. Brachioradialis. U. Extensor pollicis longus.
U. Extensor carpi ulnaris. U. Extensor indicis proprius.
B e u g e s e i t e.
E. Biceps, Ulnarseite. U. Elexor carpi radialis.
E. Brachialis iuternus, Radial- U. Palniaris longus.
seite. U. Flexor carpi ulnaris.
E. Brachioradialis. U. Pronator teres.
Ligani. iuterosscum.
E. Brachialis internus verniit- U. Extensor indicis proprius u. a.
telst der Chorda obliqua. (Pronator quadratus: Ver-
U. Extensores pollicis longus und lauf).
b re vis.
Ligam. carpi volare propriuni.
E. Palniaris longus. U. Flexor pollicis brevis.
E. Flexor carpi ulnaris. U. Opponens pollicis.
U. Palmaris brevis. U. Opponens digiti minimi.
U. Abductor pollicis brevis.
Ligam. carpi volare profundum.
U. Flexor pollicis brevis. U. Opponens digiti minimi.
U. Abductor pollicis. "^
d) Hand.
Fascia palmaris.
E. Palmaris longus. U. Lepine's Muskel (Palmaris
E. Flexor carpi ulnaris brevis radialis).
U. Palmaris brevis (ulnaris).
O b e r f 1 a c h 1 i c h e 1 1 a n d r ii c k e n f a s c i e .
E. Extensoren-Sehnen.
T i e f e Ha n d r ii c k e n fa s c i e.
U. Interossei.
Die Finger fa scion sind idcntisch mit den Sehneuausbreituugen.
398 Karl Bardeleben,
2. Untere Extremitat.
a) Oberschenkel.
Vorderseite, Fascia lata.
E. Rectus abdomiuis, Adducto- E. Sartorius.
renfascic. E. Tensor fasciae latae.
E. Obliquus abdominis cxternus, U. Pectineus (Fascia pectinea).
Lig. inguin. ext.
Tiefc Fascic, Fortsetzung der Fascia iliaca.
U. Rectus femoris.
Fascie der Ruckseite.
E. Gluteus niaximus.
Li gam. intermusculare mediale.
E. Adductor femoris longus. U. Vastus medialis.
E. Adductor femoris magnus.
Ligam. intermusculare laterale.
U. Vastus lateralis.
b) Unterschenkel.
Innenseite.
E. Sartorius. E. Semitendiuosus.
E. Gracilis. E. Semimembranosus.
(Alle vier Muskeln aucb vorn.)
Vorderseite.
Ausser den eben genannteu vier Muskeln:
E. Quadriceps durch Ligam. pa- U. Tibialis anticus.
tell. lat. u. med. U. Extensor digitorum longus.
Aussenseite.
E. Gluteus raaximus. E. Biceps femoris.
E. Tensor fasciae latae (Ligam.
iliotibiale, H. von Meyer).
Ruckseite.
E. Semimembranosus. E. Plantaris (ganz unten).
(Ferner: Ausstrahlungen von den Seiten.)
Tiefe Fascie der Ruckseite.
E. Semimembranosus. U. Popliteus.
Muskel uud Fascie. 399
Ligam. intermusculaie fibulare.
U. Exteusor digitoruni longus. U. Peroneus longus.
U. Peruueus tertius. U. Peroueus brcvis.
Ligam. interosseum.
U. Tibialis anticus. U. Peroueus tertius.
U. Extensor digitoruni longus. U. Tibialis posticus.
U. Exteusor hallucis longus. U. Flexor hallucis longus.
c) Fuss.
Fussriicken.
Ligam. cruciatum.
U. Extensor hallucis brcvis (med. Kopf).
F u s s s o h 1 c.
Fascia plantar is (superficialis).
E. Gastrocnemius uud Solousver- E. Tibialis posticus.
mittelst dcr Tuberositas cal- E. Flexor hallucis longus.
canei. U. Flexor digitorum brevis.
Fascia plantaris profunda s. Ligam. calcaneo-
cuboideum plantare.
U. Caro quadrata. U. Adductor hallucis.
U. Flexor hallucis brevis. U. Flexor brevis digiti minimi.
Aus dieser Zusammenstellung geht auf das klarstc hervor,
dass alle Fascien des meuschlichen Korpers mit Mus-
keln in Verbindung stehen. Alle diese Fascien sind somit
als Fortsetzungen von Muskeln anzusehen, sie sind mehr oder we-
niger Producte der Muskeln, nicht uur Umhiillungen derselben,
sondcru Apoucurosen oder Sehuen.
Einige bishei- als Fascien bezeichnete Biudcgewebslamellen feh-
leu in der Uebersicht. Dies sind ebeu keiue wirklicheu Fascien.
Als solche siud nach meinen Uutersuchungen uur Gebilde zu be-
zeichnen, in welche Muskeln inseriren. Andererseits wird der
Begriff Fascie insofern erweitert, als man die mit Muskeln in
Verbindung stehendeu Membranen, Bander u. dgl. auch hierher
zu rechnen hat. Wo will man sonst die Grenze zwischen den
Extremitatenfascien uud den Ligamenta intermuscularia ziehen ?
Man kanu sie ebensowenig trennen, wie Compacta uud Spougiosa
des Kuocheus.
400 Karl Bardeleben,
Seheii wir uiis zweiteiis die Reihe der obeu aufgei'uliiten Mus-
kdii an, so crscheint ihrc Aiizahl entschiedeii ciiorni gross. Icli
muss gcstehen, dass micli bei ciner ersten voilaufigeii Zusauiiiicn-
stelluiig bereits die Zahl frappirt hat. Diese wuchs aber nodi
durch Ucbertraguug von bisher als Varietiit beschriebeneu Fascien-
ui'spriingen und -endigungen in die Norm, sowie durch eigene
Forschungen an weit iiber 100 Cadavern. Die Zahl der von Henle
namentlich aufgefiihrten Mus.keln betragt (abgesehen von den Va-
rietiiten, wie Sternalis u. a.) 155; die Zahl der oben zusammen-
gestellten Muskehi (jeder uatiirlich uur einmal gezahlt) 105! Sieht
man nun von den tiefen Riickenmuskeln ab, auf die hier aus ver-
schiedenen Griinden nicht eingegangen werden soil, so ergibt sich,
dass weit iiber zwei Drittel aller Skeletmuskeln von
Fascien entspringen oder in Fascicn endigen oder
aber beides thun, dass sonach nach der physiologischen Auf-
fassung und Bezeichnung iiber zwei Drittel aller Muskelu „Fascien-
spanner" sind.
Die Fascien dieuen so zu einer Vermitteluug zwischen Mus-
kulatur und Skelet, sowie zwischen Muskel und Muskel, indem ein
Muskel von der Fascie oder Sehne des andern entspringt. Die
Fascien werden somit toils zu Muskclbestandteilen oder - fort-
setzungen, teils zu Skcletbestaudteilen oder - fortsetzungen, Sie
vertreten ferner Muskeln und sie vertreten Knochen. Sie konnen
aus Muskelu durch Reduction entstehen, und sie konnen wiederum
ihrerseits zu Knochen werden. Man kann die Fascien nicht nur
riiumlich, sondern auch zeitlich (phylogenetisch) und histologisch
als Binde- oder Zwischenglieder zwischen Muskeln und Knochen
hinstellen.
Vollstandige Klarheit kann in diese Verhiiltnisse erst die ver-
gleichende Anatomie bringen. In Ermangelung ausgedehnteren Ma-
terials werden aber auch die beim Menschen bcobachteten Varie-
tilten, welche meist, wenn nicht immer, normale Vorkommnisse bei
Thiereu wiederspiegeln, Auskunft geben konnen. Ich habe die seit
ca. 25 Jahren publicirten, auf Fascien beziiglichen, meist direct
als „Fascienspauner'' bezeichneten, sowie eine grosse Reihe selbst
beobachteter Varictaten mit kurzer Angabe des Autors und des
Jahres zusammengestellt. Die Reihenfolge ist dieselbe, wie oben
uuter II.
Muskel uiul Fascio. 401
in.
Ubersicht der Fascien
mit flen vaiiabel von ihnen cntspringnnflen oder in denselbeu
endigenden Muskeln.
Riickenfascicn.
E. Subcutaneus nuchae. C. Krause.
E. Aponcurose von der Cucullaris-Insertion (an Spina scapulae) zur
Fascia lumbodorsalis.
E. „Hautmuskel" von Scapula auf Fascia inlVaspinata zum untercn
Randc des Cucullaiis. (Normal gewohnlich ein starker S(!hnen-
streif. Verf.)
E. Dorsofascialis. Turner. 1871.
E. „Stcrno-omoideus Bucknill's", Pittard 1850, in Fascie des Cu-
cullaris.
E. Fin Muskel von (?) der Fascie des Serratus posticus sup(M-ior
zur 3. Ursprungssehne des Levator scapulae. Perrin. 1870.
U. Cucullaris. Flesch. 1879.
R e c t u s s c h e i d c u n d Fascia t r a n s v e r s a 1 i s.
E. „Sternalis" der Autoren. Viele fremde und eigene P>eobach-
tungen des Verf.
E. Ein Muskel von der Aussenflilche der 8. Rippe zur Sehnc des
Obliquus internus. Fig. Beob.
E. „Tensor lam. post. vag. muse, recti abdom." Gruber. 7 Falle.
1874. 1877. 1880. Verf. (Fast immer Frauen).
E. M. pubio-peritonealis. Macalister. 1867.
E. Pubo-transversalis. Luschka 1870.
E. Protractor arcus cruralis. Gruber. 1874.
E. Obliquus abdom. ext. secundus. Gruber. 1874. Von der 11.
Rippe (2mal); von der 10. Rippe zur Rectusscheide. Gruber.
Vom Arcus cruralis. Kelch.
Glatte Muskeln in der hintercn Wand der Rectusscheide, unter-
halb des Nabels. Curnow. 1874.
U. Crcniaster von Fasc. transversalis. Ilenle. Ein mit seiner Ingui-
nalportion durch die ganze Regio inguinalis sich herab er-
streckender Transversus abdom. Gruber. 1880.
Bd. XV. N. F. VIH. 3. 26
402 Karl Bardelebeu,
Beckenfascicn, Glutcalfascicii.
U. Psoas minor sendet Sohne zum Vastus medius. Eig. Beob.
E. Psoas minor gelit ziir Ease, pelvis. Perrin. 1872.
U. Ein Muskd gelit von dor Gluteal- und Oberschenkelfascie, iiher
Crista ilei, zum Obliquus ext. Turner. 18G7.
E. Transversus perinci superfic. erstreckt sich bis in die Fascia
glutea. Gruber. 3 Mai. 1876.
Br ustfascien.
U. Biindel von der F. pectoralis zum Latissimus dnrsi und Axel-
bogen. Turner.
E. Varictiiten des Platysma. Verf.
E. Stcrnalis mchrere Falle. Verf.
E. Infraclavicularis. Verf.
E. Sternocoracoideus, Schwcgel 1859, in Fascia coracopectoralis.
E. Ein Muskel von der Clavicula in di(! „Fascie der Fossa infra-
clavicularis." Zuckerkandl 1880.
Fascia temporalis supcrficiali s.
Vielfaclie Varietiiten des Epicranius temporalis eigener Beob.
Selbstilndiger, 1 cm breitcn* Muskel von F. temp, zum Ohr. (Ausser
dem Epicran.) Verf.
F a s c i a p a r 0 1 i d e 0 - m a s s e t e r i c a .
Varietiitcm d(!s Platysma und dc^s Ptisorius eig. Beob.
rialsfascien.
(Sammtlich: Endigungen in der Fascie.)
Clcidofascialis. Rambaud und Carcassonne 1864. Macalister.
Supraclavicularis proprius. Gruber. (?)
Transversus colli. Luschka 1858.
Biventer mandibulae, iiber/ahliger Baucb, s. Ilenle S. 118.
Mento-hyoideus. Macalister.
(Nach meinen Erfahrungen ist die Verdoppelung des mit der Fascie
innig verbundenen vorderen Bauches des Biventer fast so biiufig,
wie die Norm.)
Omoliyoideus , erhalt Fasern aus der Fascie; od(!r sein unterer
Bauch geht in letztere auf.
Vorderer Bauch des Omohyoideus doppelt, dreifach ; iiberzahlige
in die Fascie. . Wood 1867.
Muskel und Fascie. 403
Hyofascialis. Gruber. 4 Fiille. 1878.
Ein Stuck der Halsfascie, besonders Gefiissscheide , ist musculos.
Eig. Beob. 1878/79.
Coracocervicalis Krause, s. Henle S. 121.
Supracostalis in Fascie. Macalister 1866.
Sternocleidomastoideus gibt Bundel zur Fascie. Bankart etc. 1869.
(Eigentlich Norm! Verf.)
Stcrnothyreoideus geht in tiefe Submaxillar-Fascie. Dieselben.
Stern ofascialis. Gruber 1874.
Costofascialis. Wood 1864. (Variet. des Stcrnothyreoideus.)
Ein Bundel des Stcrnothyreoideus aus der Scheide der Halsge-
fasse. Henle (S. 124).
Levator scapulae gibt eine Sehne zur 1. Rippe, die mit der Fascie
zusammenhangt. Verf. mehrere Male.
Cleidohyoideus neben Omohyoideus, liegt der Fascie innig auf.
Verf. mehrere Male.
Cucullaris reicht welter iiach vorn, als gewohnlich. Verf.
Cucullaris hat besondero vordere Biindel zur Mitte der Chivicula.
Flesch 1879.
Vom Cucullaris g(!hen Bundel zum Platysma. Verf. UKjlirere Mnle.
Flesch. 1879.
Ein sehr breiter Sternocleidomastoideus bedeckt (und vtn'tritt) fast
die ganze Fascie. Verf. wiederholt.
S c h u 1 1 e r 1) 1 a 1 1 f a s c i c n.
E. Ein Muskel geht vom Cucullaris zu Fascia infraspinata und
zur Fascie iibor dem Acromion. Turner 1867. (Teilweise Norm!
Verf.)
E, Tensor fasciae deltoideae, von dieser zur F. infraspinata. Po-
poflf. 1873.
Aehnlich \\o\: Zincone's Muskel von der F. infraspinata zur Begio
deltoidea. 1877. „Erinnert an den Ilautnuiskel des Pferdes."
Deltoides erhiilt Ursprungsbiindel aus F. infraspinata. Flesch 1879.
(Bis zu gewissem Grade Norm: Henle, Verf.)
Fascia axillaris.
Axelbogen (Langer) ist musculos. Merkel. H. Virchow und Th.
Kolliker 1879. Verf. mehrere Male; der Nerv kommt vom Tho-
racic, ant., Verf.
E. Abirrende Bundel des Latissimus. Wood, 1867. Calori. Fritsch
1869.
26*
404 Karl Bavdclcben,
E. Verstilrkung der in der Fascie eiidigeiiden Biindel des I.atissi-
mus diirch den Pectoralis major; zu diesem treten oberfiiich-
liche Biindel von der F. pectoralis oder von der Fascie des
Serrat. ant. maj., Verf.
E. Pectoralis major sendet links, Pectoralis minor rechts besondere
Biindel zur Fascie. Verf,
E. Starke accessorische Biindel vom Pectoralis major zur Fascia
axillaris imd Armfascie. Verf. 1879.
Fascia deltoidea.
E. Infraclaviciilaris K. Bardeleben.
Tensor f. deltoideae iind Zincone's Muskel s. o.
E. Vom Pectoralis major gehen Biindel in die Fascie, die dadurch
teilweise miisculos wird. Verf. 1880.
0 be r armfascie mit Ligg. intermuscularia.
E. Vom Latissimus dorsi eine Verstilrkung der Fascie durcli einen
musculos-sehnigen Streifen, der bis zum Oberarm reicht. Maca-
lister. 1866. (Normal bei Atfen, ahnlich beim Pferd.)
E. Besondere Biindel, welche vom Pectoralis major in Sehne uud
Fascie des Coracobrachialis iibergehen (Wood, 1867), sowie
Sehnenbogen liber Coracobracbialis und Biceps herliber (Verf.),
an die der Pectoralis inserirt, sind wol nur weitere Ausbildun-
gen der Norm.
E. Vom Pectoralis major entsteht ein 2,5 cm breiter Sehnenstreif,
der mit dem Lig. intermuscul. med. zusammen bis zum Epi-
condylus verlauft. Verf. 1879.
E. Vom Pectoralis major kommen 2 accessorische Muskelbiindel
(beiderseits) , welche zur Fascia axillaris und besonders zur
Oberarmfascie verlaufen. Verf. 1879. «
E. Vom Deltoides (Spina-Portion) spaltet sich ein fingerbreites Mus-
kelbiindel ab, das in eine fiicherformige , aussen in die Ober-
armfascie endigende Sehne iibergeht. Zuckerkandl. 1880.
E. Von der Sehne des Pectoralis major geht ein Sehnenstrang aus,
kreuzt den Sulcus bicipitis int. und endigt im Lig. intermuscu-
lare med. Derselbe.
E. Die Sehne des Pectoralis major geht in die des Coracobrachia-
lis liber. Derselbe.
E. Ein von der Clavicula entspringender, unter dem Pectoralis
minor oelegener Muskel liiuft vor den Gefiissen und Nerven
Muskel uud Fascie. 405
bis zur Mittc des Oberarms, wird hier sehnig und endet im
Lig. iiitermuscul. med. Derselbe.
E. Spanner des Sehnenbogens des Coracobrachialis vom Tubercu-
lum minus. Calori 1867.
Der die Seline des Latissimus iiberbruckende Sehnenstreif (Bo-
gen) des Coracobrachialis ist in einen Muskel unigevvandult.
Clason 1868.
E. Coracobrachialis besitzt cine 2 cm breite Fortsetzung, die in
das Lig. intermuscul. med. ubergeht. Zuckerkandl. 1880. (Vgl.
Norm.)
E. Coracobrachialis ist doppelt, der iiberzahlige geht in das Lig.
intermusc. med. und strahlt weit nach hinten in die Fascie aus.
Verf. 1878/79.
E. Biindel des Pectoralis minor in Fascia humeri. Bankart etc.
1869.
E. Vom medialen Rande des kurzen Bicepskopfes gehen Biindel
in die P^ascie und das Lig. intermusculare med. Quain. Gruber.
E. Vom Caput breve bicipitis Insertion in die Fascie des Ober-
und Unterarms. Flesch. 1879.
E. Vom Biceps kommt ein kleiner Muskel, der den Brachialis int.
kreuzt und in das Ligam. intermuscul. med. geht. Zuckerkandl.
1880.
E. Ein 4. Kopf des Triceps geht teilweise in das Lig. intermuscu-
lare med. Flesch 1879.
U. Biceps entspringt auch vom Lig. intermusculare mediale. Gruber.
U. Pronator teres von der tiefen Fascie. Bankart etc. 1869.
U. Ueberzahliger Palmaris longus aus der Fascie am Epicondylus.
Verf.
U. Aehnlich entspringt ein Sehnenstreif statt eines fehleuden Pal-
maris longus. Verf. (Dursy, Henle, Hallett haben dasselbe
beobachtet.)
Unterarmfascie.
E. Dritter Kopf des Biceps inserirt in die oberflachliche Sehne
(Fascie). Haufiig. Henle. Verf.
E. Verdoppelung des oberflachlichen Teiles des Biceps und des
Lacertus. Henle u. a.
E. Ein vom Caput longum bicipitis abgehender „Tensor der Dor-
salfascie des Unterarms". Gruber 1879.
E. Ueberzahliger Kopf des Biceps zur Fascie des Supinator longus.
Wood 1867.
40G Karl Bardelebcn,
E. „Nicht selten" goht nach Henle (S. 194) ein Bundel von der
lateralen, selten von der medialen Seite des Brachialis internus
ab, um sich in der Ellenbeuge gleich dem Biceps theils am
Radius, theils in der Fascie zu inseriren. (Vgl. oben u. Norm.)
S. a. Oberarmfascie , Var. v. Flesch. Wol identisch mit : Su-
pinator brevis acccssorius Halberstma und Brachiofascialis
Wood.
E. Vom Brachialis int. geht ein Lacertus fibrosus in die Fascie,
dicht hinter und Uber dem Lacertus des Biceps. Verf. Ebenso :
Flesch 1879, Virchow und Kolliker.
E. Vom Brachialis int. sich ablosende Bundel gehen auf der ra-
dialen und ulnaren Seite in die Fascie. Gruber 1867.
E. Vom Brach. int. Sehnenstreifen zur Scheide des Art. radialis.
Clason 1868.
E, Supinator longus geht mit einem Teil seiner Sehne in die Fascie
der Streckseite. Embleton 1872. Verf. 1876.
E. Starkes breites Muskelbiindel des Brachioradialis geht zur Fascie
der Beugeseite, die mit der Sehne des Muskels innig verwach-
sen ist. (Auf der anderen Korperseite wurde der Brachioradia-
lis vom Brachialis int. verstitrkt.) Verf. 1877.
E. Vom Rande der Sehne des Brachioradialis entsteht ein Muskel,
der in das „Bindege\vebe" zwischen ihm und dem Radialis ext.
long, iibergeht. (Von hier aus geht ein anderer Muskel zur
Fascie des Daumenballens, s. u.). Zuckerkandl 1880.
E. Ein uberzahliger Palmaris longus endet in der Fascie des Vor-
derarms 4 cm uber dem Handgelenk. Flesch 1879.
E. u. U. Palmaris longus entspringt vom Lacertus bicipitis, inserirt
in Unterarmfascie. Gruber 1868. Flesch 1875. Verf.
U. Abductor digiti V aus der Fascie. Oefter beobachtet. Giinther.
Macalister. Wood.
U. Ein uberzahliger Palmaris longus entspringt aus der Fascie
nahe dem Handgelenk. Flesch 1879.
U. Ein zweiter Kopf des Opponens dig. V aus der Fascie. Henle
S. 204.
Lig. interosseum und Chorda obliqua.
U. Flexor pollicis longus. Henle. Verf.
Lig. carpi volar e.
E. Flexor carpi ulnaris inserirt sich hier bei Fehlen und Vorhan-
densein des Palmaris longus, s. Norm. •
Muskel und Fascie. 407
E. Ein besonderer zweiter Kopf des Flexor c. uln. geht zum Baude.
Verf. 1879.
E. Ein vom Flexor digiti sublimis kommender kraftiger Muskel-
bauch inserirt sehnig am Bande. Von hier erhalt der Abd.
poll, brevis accessorische Fasern. Verf. 1878.
E. Ein halbgefiederter Muskel beginnt neben dem Flexor pollicis
longus und geht in das Band. Zuckerkandl. 1880.
U. Ein dreikopfiger Abduct, dig. V entspringt vom Bande etc.
Macalister 1868. Henle S. 243.
U. Accessorischer Kopf zur Zeigefingersehne des Flexor digiti subli-
mis vom Bande. Bankart etc. 1869.
U. Der oberflachliche Beuger des fiinften Fingers entspringt von
der Innenflache des Bandes. Moser. (Henle S. 208.)
Fascia palmaris.
E. Radialis internus, vertritt den Palmaris longus. Gruber 1872
u. a. Verf.
E. Ulnaris internus, vertritt den Palmaris longus. Verf. u. a.
E. Radialis und Ulnaris int. in Fascie, bei Fehlen des Palmaris
longus. Emblcton 1872.
E. Verdoppelung des Palmaris longus. Gruber. (s. Monographie.)
Macalister. Flesch. Verf. u. a. Eigene Beobachtungen :
a) Der uberzahlige Palmaris longus entspringt von
Fascia humeri —
b) inserirt am ulnaren Rande der Fascia palmaris —
c) entspringt neben Flexor carpi ulnaris, endet in der tiefen
Schicht der F. palmaris. (Palmaris brevis sehr stark),
d) die Sehne des uberziihligen P. 1. geht in Abd. dig. V iiber,
e) der iiberzahlige liegt dem Ulnaris int. dicht an, inserirt an
Os pisiforme und Fascie,
f) einer der beiden Palmares ist durch einen Sehnenstreif dar-
gestellt. (Dies kann auch den einzig vorhandenen betreffen.)
E. Dreifacher Palmaris longus. Hallett. Gruber.
U. Oberflachlicher Beuger des fiinften Fingers von der Innenflache
der Fascie (und des Lig. carpi vol.) s. o.
Fascie des Daumenballens.
E. Ein Muskel vom Radius in die Fascie. Zuckerkandl. 1880.
E. Ein Muskel von der F. antibrachii hierher. Derselbe (s. o.).
E. Lupine's Muskel. 1864, Norm?
408 Karl Bardeleben,
An hang:
M. pisi-uncinatus, vom Os pisiforme zum Haken des Uncina-
tuui, also ein (vollstandiger ?) Ersatz des Bandes durch Mus-
kel. Calori 1867 ').
Oberschenkelfascie.
E. Sehne des Psoas minor zum Vastus medialis und Lig. inter-
muscul. medial. Verf.
E. Quadratus femoris geht mit einem starken Teil seiner Fasern
in die Fascie. Verf.
E. Vom langen Kopf des Biceps geht ein Muskel ab, der sich in
der Gegend des Ursprungs des kurzen Kopfes in die Fascie
verliert. Henle.
E. Der Sartorius kann mit einem Teil seiner Fasern in die Fascie
(Norm! Verf.) oder in das Lig. patellare inf. iibergehen.
Hallett.
E. Zuckerkandl (1880) beschreibt besondere Biindel des Sartorius
zur Fascie. S. o. Norm.
E. Der Sartorius ist durch eine l'/2 '^oll lange Zwischensehne fest
mit der Fascie verwachsen. Kelch.
U. Von der inneren Flache der Fascieninsertion des Gluteus maxi-
mus entspringt ein Muskel, der zum langen Kopf des Biceps
geht. Verf,
U. Ein iiberzahliger langer Bicepskopf von der Fascie. Henle.
U. Sartorius entspringt vom Schenkelbogen. Macalister 1868.
Un terse h en k elf ascie.
E. Von der medialen Ursprungssehne des Soleus geht ein Muskel
zum tiefen Blatt der Fascie. Clason. Verf.
E. Popliteus minor. Calori. Wood. Gruber. Verf.
E. Vom langen Kopf des Biceps femoris geht ein Muskel in die
Fascie. Clason.
E. „Tensor fasciae suralis" vom Biceps. Gruber 1871.
E. „Tensor fasciae cruralis" vom Semitendinosus. Gruber 1874.
Turner 1872. Gruber 1878, 2 Falle.
^) Diese Varietal scheint weniger selten zu sein, als man ge-
meinhin annimmt. Interessant ist jedenfalls (vielleicht bisher iiber-
sehen), dass der Muskel in Henle's Figur 114 (S. 233) — die doch
die Norm zeigen soil — dargestellt ist.
Muskel unci Fascie. 409
E. Plantarissehne geht oberhalb des Fersenbeines in die Fascie.
Wood 1864.
E. Plaiitaris endet am mittleren Drittel des Unterschenkels apo-
neurotisch. Macalister 1868.
E. „Tibiofascialis" Macalister = Tibialis anticus accessorius s. pro-
fundus Bahnsen, zum Lig. cruciatum. 1868.
U. Dritter Kopf des Gastrocnemius aus der Fascie. Meckel. Quain.
Verf.
U. Ein auf der Fascie der tiefen Beugemuskel herabgehender Mus-
kel zum Fusssohlenkopf des Flexor digitorum longus.
U. Von der ausseren Flache der tiefen Fascie (unteres Drittel)
entspringt ein zweikopfiger Muskel, dessen Sehne zum Fuss-
sohlenkopf des Flexor digitorum longus geht. Henle.
U. Von der inneren Flache der oberflachlichen Fascie entsteht ein
zweikopfiger Muskel zum Flexor digit, long, und Flexor hallu-
cis longus. Turner.
U. Von der Fascie des Tibialis posticus entspringt ein Muskel,
der sich in zwei Bauche teilt, deren einer in die Fascie geht.
Ehlers.
U. Flexor digit, long, erhalt einen zweiten Kopf aus der F. surae.
Zuckerkandl 1880.
U. Ein zweiter Kopf der Caro quadrata aus der Fascia surae.
Derselbe.
U. Ueberzahliger Kopf des Plantaris vom Lig. popliteum. Gruber
1874 (6 Fallc).
U. Muskelbundel zum Soleus aus der tiefen Fascie. Bankart etc,
U. Muskel von der tiefen Fascie zum Calcaneus. Dieselben. Zucker-
kandl.
Fascie des Fussriickens.
E. „Tensor fasciae dorsalis pedis", Wood, Sehnenbiindel vom Tib.
anticus. 1867.
E. Mit Extensor hallucis brevis entspringendes Muskelbundel zur
Fascie des inneren Fussrandes. Meckel.
Fascie der Fusssohle,
E. Lepine's Muskel.
410 Karl Bardeleben,
IV.
Vergleichend-Anatomisches.
Eine grosse Reilie vorgleichend-anatomischer Thatsachen kaiin
zum Verstandniss oder, wenn man so will, zur Erklarung der oben
dargestellten Verhaltnisse , sowie als Stiitze der 1878 bereits vor-
getragenen neiien Auffassung der Fascien als Fortsetzungen der
Muskeln herangezogen werden.
Bei den Fischen kann man nur insofern von Fascien reden,
als man die Ligamenta intermuscularia ftir solclie auffassen darf.
Bei Amphibien sehen wir zuniichst an der dorsalen Seite
des Rumpfes die Fascia dorsalis, welche dem Depressor maxillae
inferioris (Cervico-maxillaris), dem Latissimus dorsi und dem Ob-
liquus abdominis externus zum Ursprung dient oder als Teil der
genannten Muskeln angesehen werden kann. Die Fascia oder Apo-
neurosis palmaris erscheint sclion auf den ersten Blick als Fort-
setzung des Flexor digitorum communis, wahrend sie andererseits
wieder den einzelnen Fingerbeugern als Ursprung dient. Die Fascia
cruris wird wesentlich vom Extensor cruris (triceps) gebildet, wah-
rend die Fascia (Aponeurosis) plantaris, wie die F. palmaris, Mus-
keln zur Endigung und zum Ursprung dient. Es endigeu in die-
selbe : Gastrocnemius, Plantaris, Transversi plantae — es entsprin-
gen von ihr: Flexoren der Zehen, Lumbricales etc.
Die Sauropsida bieten wenig hierher Gehoriges dar. Auch
von dem Standpuncte unseres Thema's aus lassen sich die Ver-
haltnisse bei den Saugethieren besser an diejenigen bei Amphibien,
als bei Reptilien und Vogeln ankniipfen.
Saugethiere.
Latissimus dorsi.
Geht bei Ornithorhynchus an die untere Halfte des Oberarms,
bei Myrmecophaga und Didelphys (besonderer Bauch) zum Olecra-
non, zur Ulna und Unterarmfascie bei Dasypus, zum Condylus me-
dialis humeri (teilweise) bei Bradypus, indirect (durch Anconaeus
longus) zur Vorderarmfascie bei einigen Carnivoren (vgl. Mensch),
bei anderen direct an diese Fascie (Procyon) , ja bis zur Hand
(Phoca). Noch bei Halbatfen geht der Muskel bis zur Vorder-
armfascie, bei Affen wenigstens bis zum Olecranon. Vielfach ist
Muskel uiid Fascie. 411
der Latissimus niusculos, bei hoheren Saugern in der Kegel iiur
durch Fascien- oder Sehnenstreifen mit deni Pectoralis major ver-
bundeu. (Ersteres beim Menschen als Varietat.)
Die Serrati post i ci
wcrden beim Menscheu als zwei getrennte Muskeln beschrieben.
Das Verhalten bei Thieren zeigt , dass sie eigentlicli nur e i n c n
Muskel bilden. Die beim Menschen zwischen ihnen gelegene „Fas-
cie" ist, wie das unschwer sich nachweisen lasst, eine Fortsetzung
besonders des Serratus post, inferior, sie ist als riickgebildeter
Muskel zu betrachten. Uebrigens reicht auch beim Menschen das
Muskelfleisch oft hoher hinauf, als man gewohnlich angibt.
Cucullaris.
Die vordere Portion desselben geht bei Nagern, Ungulaten
Carnivoren u. a. zur Hals - und Schulterfascie. Bei Amphibien
und Reptilien ist diese Fascie noch nicht vorhanden, sonderu durch
Muskeln vertreten. Auch bei vielen Siiugethieren hangt der Cu-
cullaris mit dem Cleidomastoideus (eventuell noch dem Deltoides)
zusammen. Dann ist also die Halsfascie musculos, ein — wie be-
kannt — beim Menschen, allerdings selten, vorkommender Zustand.
Steruocleidomastoideus.
Die Ausbildung desselben resp. des Cleidomastoideus ist von
derjenigen der Clavicula abhangig, Der dem Schliisselbeinkopf des
Menschen entsprechende Muskel des Pferdes u. a. geht in Nacken-
und Halsfascie uber, wahrend sich der „Sternomaxillaris" der Ein-
und Zweihufer zur Fascia parotidea (resp. der der Backenmuskeln)
begibt.
Rectus abdominis
reicht bekanntlich bei den meisten Thieren sehr viel weiter nach
vorn , als beim Menschen. Er erstreckt sich bis zur ersten Rippe
bei Monotremen, Edentaten, Marsupialia, Ungulaten, Carnivoren,
Insectivoren , Prosimii, Affen. Das vordere Ende kann ganz oder
teilweise sehnig sein, so bei Carnivoren, beim Pferde, wo man
den vordersten Teil des Rectus als Transversus costarum zu be-
zeichnen sich vcranlasst gesehen hat, weil die Unterbrechung des
Rectus durch sehnige Partieen etwas grosser ist, als weiter cau-
dalwarts. Bei Monotremen setzen sich die lateralen Fasern des
Muskels an das Coracoid. Welche Thiere Meckel (S. 452, vgl.
412 Karl Barcleleben,
auch Owen, S. 6) im Auge hatte , bei dencn der Rectus aii's
Schulterblatt gehen sollte, habe ich nicht eruiren konnen. Auch
beim Menschen kann man den Rectus sehr hiiufig weiter nach oben,
ja bis zur ersten Rippe bin verfolgen. Er wird bier durcb die
parallel der Korperaxe verlaufenden Sehnenteile (liigg. coruscantia)
dargestellt, welcbe die Intercostalmuskeln bedecken. Bei star-
kerer Entwickelung koramt es dann dazu, dass der Muskel fleischig
iiber die funfte Rippe nach oben geht (Rectus thoracis Turner,
Accessorius ad rectum H a 1 b e r t s m a) ^ ).
Pec tor a lis major.
Erstreckt sich bei niedoren Saugeru bis zum Vordcrarme, bei
anderen wenigstens bis zum distalen Humerus-Ende, sei es fleischig,
sei es partiell sehnig, aponeurotisch. Bei den hoheren Saugethieren
geht der Knochenansatz nicht iiber die Mitte des Humerus hinaus,
erreicht dieselbe oft gar nicht. Die Endigung eines Teiles der
Fasern in die. Fascie des Oberarms scheint iiberall Norm zu sein.
Vielfach geht ein besonderes Biindel, ein Bauch oder Kopf zur
Fascie (Sterno-aponeuroticus des Pferdes etc.)- Die Beziehungen
des Pectoralis zum Rectus und Obliquus abdominis externus, zum
Langs- resp. zum Intercostalmuskel-System, welche sich von den
Amphibien bis zu den hochsten Saugethieren nachweisen lassen,
sollen an anderer Stelle besprochen werden. Hier sei nur der
Verbindungen mit dem Latissimus dorsi (s. o.) und mit dem Del-
toides gedacht, welche sich bis zum Menschen bin finden.
Digastricus max. inf.
Vielfach bestehen Beziehungen zur Halsfascie (z. B, Ungula-
ten). Die bei diesen vom hinteren Bauche direct zum Unterkiefer
gehenden Muskelbiindel finden wir beim Menschen als Fascien-
streifen („Ligament") wieder. Die bei Wiederkauern zwischen den
Muskeln beider Korperseiten quer verlaufenden Muskelfasern sind
beim Menschen, wol in der Mehrzahl der Falle, zur Fascie de-
generirt, sehr oft aber auch hier noch als Muskel erhalten.
Orbicularis palpebrarum,
Geht bei Ungulaten in die Muskulatur des ausseren Ohres
liber, sodass hier die Fascia temporalis superficialis grossenteils
1) Vergl. hierzu: K. Bardeleben, Der Musculus „steraalis",
Zcitschr. f. Anal, und Eutwickelungsgesch. I. 1876, S. 424 — 458;
bes. S. 4 43—447.
Muskel und Fascie. 413
musculos ist, ebenso wie die beim Menschen meist nur iioch bindc-
gewebige Fascia parotidea (Muse, paiotideo-auricularis). Eine ge-
nauere Untersuchung des Orbicularis beim Menschen und die Ver-
gleichung mit Thieren versetzt iibrigens der heute geltenden Lehre
von dem ringformig in sich geschlossenen Verlaufe des Muskels
einen argen Stoss. Ich kann den „Orbicularis oculi" ebensowenig
wie den „Orbicularis oris" als selbstandigen Ringmuskel ^ aner-
kennen. Auch bier wie an der Mundspalte beginnen und enden die
Muskelfasern an festen Punkten (Haut, Fascie, Bander, — indirect
also Knochen), auch hier besteht der sog. Ringmuskel wesentlich
aus erborgten Elementen, die oben vom Epicranius (bes. frontalis)
kommen, die unten zur Wange und Oberlippe gehen.
Coracobrachialis,
Reicht bei Wiederkauern, bei Hystrix, Sciurus, bei einem Teil
der Carnivoren , auch bei Halbatfen bis zum Coudylus medialis
humeri. Haufig erstreckt sich wenigstens der oberfliichlichere Kopf,
wenn deren zwei vorhanden sind, bis an das distale Ende des
Humerus.
Biceps brachii.
Bei vielen Saugethieren geht der Biceps an beide Vorderarm-
knochen, so bei Beutelthieren, Edentaten, beim Schweine; bei an-
deren setzt er sich weiter distalwarts am Radius an, als beim
Menschen, bei anderen dagegen nur an der Ulna (Nager, Insecti-
voren, Hyrax). Jedenfalls aber sendet der Muskel, auch wenn er
nur an einen der beiden Knochen sich inserirt, eine der anderen
Knocheninsertion entsprechende Aponeurose, auch wol einen beson-
deren Kopf (Kameel) zur Fascie des Unterarms. Beim Menschen
konimt letzteres bekanntlich als Varietat vor.
Brachialis internus.
Wiihrend der Biceps vielfach an die Ulna inserirt, heftet sich
der Brachialis internus bei einigen Thieren an den Radius, so bei
Ornithorhynchus, Bradypus, Ungulaten. Beim Pferd wird ein Seh-
nenzug beschrieben, der zur Ulna geht.
Psoas minor.
Dieser Muskel ist bei Ornithorliynchus und Halmaturus ausser-
^) Vgl. Aeby, Die Muskulatur der meusclilichen Mundspalte.
Arch. f. mikroskop. Auat. lid. XYI. S. 651 — 664.
414 Karl Bardeleben,
ordcntlich stark entwickelt und ubertrifft hier dcu anderen Psoas
(„major") um ein violfaches an Volumeii. Bei Phoca, wo die In-
sertion des Iliopsoas bis zum Condylus medialis femoris hinab-
reicht, ist gleichfalls der hier nur cum grano salis so zu nennende
Psoas minor dem Iliopsoas weit tiberlegen. Er teilt sich in zwei
Kopfe, von denen einer die von den hoheren Saugethieren beibe-
haltene Insertion an der Eminentia ilio-pectinea walilt, wahrend
der andere zum Femur geht. Audi bei Fledermausen und Halb-
afFen, sowie bei einem Teile der Affen ist der Psoas minor noch
relativ kraftig. In eine sehr starke Fascie lauft der Muskel bei
Ungulaten, besonders denen mit grossem Korper (Kameel, Pferd
u. a.) aus.
Gluteus maxim us.
Bei Ornithorhynchus geht der Gluteus bis zur Fusssohle, bei
Myrmecophaga und Halmaturus bis zum distalen Femurende. Bei
Hyrax bedeckt er den ganzen Oberschenkel und endet an dessen
lateralcm Condylus, sowie der Tibia und Patella, ithnlich bei Hys-
trix und Halbaffen. Die DifFerenzirung von eigentlichen Gluteal-
muskeln und dem „Tensor fasciae latae" hat sich bei den niederen
Saugethieren noch nicht vollzogen. Auch beim Pferde sind die
Muskeln noch (oder wieder?) verbunden, ja sogar bei Affen. Ueberall
kann die Fascie des 0"berschenkels als directe Fortsetzung des
Gluteus betrachtet werden.
Tensor fasciae latae.
Dieser xar' f^oxrjv sogenannte Fascienspanner zweigt sich vom
Gluteus ab, mit dem er bis zum Menschen hin innige Beziehungen
beibehalt. Beim Kiinguruh findet Meckel (S. 621) einen kleinen
Tensor f. 1., der sich an die distale Sehne des Extensor cruris an-
setzt. Bei Hyrax geht er an den Condylus lateralis femoris, Pa-
tella und oberes Ende der Tibia, ahnlich bei Sus; bei Phoca an
die Patella. Beim Pferd inserirt er an die Patella und in die
Fascie, welche eine Vereinigung mit der Endaponeurose des Biceps
vermittelt. Sehr stark ist der Muskel beim Dromedar; dagegen
fehlt er z. B. bei Lemur mongoz, welcher statt dessen einen vom
Hautmuskel in die Fascia lata verlaufenden Streif besitzt. Am
weitesten proximalwiirts gerlickt ist der Muskel bei Aifen und Men-
schen, wo er auch nur in die Fascie geht. Trotz der vollstandi-
gen Trennung von den Gluteen verriith auch beim Menschen noch
die Innervation seine Abstammung.
Muskel uud Fascie. 415
Sartorius,
Endet bereits beim Frosch vermittelst eines „Pes anserinus"
(Ecker) in die Fascia cruris, mit dem Semitendinosus zusammeii.
Diese Endigung bleibt durch die ganze Wirbelthierreihe (sovveit mir
bekannt) im Wesentlichen erhalten, auch neben derjenigen an der
Tibia. Bei Bradypus endet ein besonderer Bauch am Oberschenkel,
ein Verhalten, das beim Menschen von mir als Varietat beobachtet
wurde, wol auch bei anderen Saugern sicb noch finden diirfte.
Biceps fern or is.
Reicht bei niederen und einem Teil der hoheren Saugethiere
bis zum Calcaneus oder doch bis zu den Malleolen hinab. Hier-
her gehoren Bradypus, Myrmecophaga, Ungulaten, viele Nager und
Carnivoren. Vielfach endet der Muskel in der Fascia cruris und
geht in die Achillessehne uber, mit der er dann bis zur Ferse ge-
langt. In Folge der ausgedehnten Insertion wird dann einmal mehr
die Tibia, einmal mehr die Fibula beansprucht. Wir haben uns
den Biceps demnach als einen urspriinglich vom Becken und der
Wirbelsaule bis zum Ende der Extremitat verlaufenden Muskel
vorzustellen, der, wie ich vermuthe, innige genetische Beziehungen
zum Gluteus einer-, zum Semitendinosus und Semimembranosus
andererseits besitzt.
Semitendinosus.
Erstreckt sich bei niederen Saugern bis zum Fersenbein. Auch
bei Ungulaten und Nagern findet sich ein ahnliches Verhalten.
So lauft beim Pferd ein Sehnenzug mit der Achillessehne herab
bis zum Fersenhocker (mit Biceps - Endigung) ; bei Wiederkaucrn
ist es ahnlich, auch bei Kaninchen und Meerschweinchen. Unter
den Carnivoren zeichnet sich der Bar durch eine sehr tief hinab-
reichende Insertion aus (untere Halfte der Tibia). Bei anderen
Carnivoren und Phoca endet der Muskel ungefahr in der Mitte
der Tibia. Bei den oberen Abteilungen der Siiuger, Halbaflfen,
Fledermausen , Primaten ist die Knocheniusertion weit hinauf ge-
riickt. Vielfach enden Semitendinosus und Gracilis gemeinsam
(s. u.) — Der Semimembranosus heftet sich bereits bei nie-
deren Siiugethieren hoch oben an. Ob das Verhalten bei Phoca
(Insertion am distalen Ende der Tibia und Calcaneus) als ein ur-
sprungliches oder neu aufgetretenes zu erachten sei, wage ich
nicht zu entscheiden.
416 Karl Bardeleben,
Gracilis.
Niniint bei Bradypus fast die ganze Lange der Tibia ein uiid
schickt Faserii an die Wadeiimuskulatur. Bei Oniithorhynchus
und Myrmecophaga inserirt er beieits etwas iiber der Mitte der
Tibia, ahidich bei Hyrax. Auffallend ist auch fiir diesen Muskel
das Verhalten bei Phoca, wo er iiber die Mitte der Tibia hinaus-
reicht und eine starke Sehne zur Sohle entsendet. Beim Pferd
setzt sich der Gracilis, mit der Adductoren- Sehne verbunden, an
Patella und Tibia, seine Sehne verschmilzt sodann mit der des
Semitendinosus und stellt so ini wesentlichen die Fascia cmris dan
Bei hoheren Saugern endet der Gracilis, wie seine Nachbarn, hoch
oben am Unterschenkel , ohne indess die Beziehungen zur Fascie
aufzugeben.
Fasseu wir die Tatsachen zusammen, welche beim Menschen
(als Norm und als Varietat) und bei den Wirbel-, besonders den
Saugethieren beobachtet werden, so erscheint es zunachst wenig
gerechtfertigt, beim Menschen bestimmte wenige Muskeln als „Fas-
cienspanner" zu bezeichnen, insofern als die meisten Muskeln, die
der Extremitaten fast alle, in diese Kategorie gebracht werden
konnen, wenn wir eben das ganze Verhaltniss vom mechanisch-
physiologischem Standpunkte auffassen. Morphologisch betrachtet
sind die Fascien im Wesentlichen Fortsetzungen der Muskeln, also
mit den Sehnen oder „Aponeurosen" in eine Linie zu stellen.
Durch Sehnen oder Fascien konnen ferner Muskeln in mehrere
geteilt, andererseits aber auch physiologisch und morphologisch
mehrere Muskeln zu einem vereinigt werden.
Eine allgemeine Erscheinung ist es, dass die Muskelendigung
von den niederen bis zu den hoheren Thieren hin an den Extremi-
taten proximalwarts ruckt. Die ganzen Muskeln oder doch das
eigentliche Muskelfleisch zieht sich hoher hinauf, der distale Toil
wird zur Fascie, die an immer mehr proximal gelegencn Knochen-
punkten ihre Hauptbefestigung findet. Die Sehnen und Aponeu-
rosen der Muskeln werden so phylogenetisch allmahlich langer und
langer, ein Vorgang, der wol mit der ontogenetischen ja vielleicht
mit der mechanischen Verlangerung (Dehnuug) in Parallele gesetzt,
wenn nicht durch letztere erklart werden kann. Auf solche Vor-
gange weist das verschiedene Langenverhaltniss von Muskelfleisch
und Sehne bei verschiedenen Thieren und Menschen, bei letzterem
(wol auch jenen) je nach Alter und Individuum hin. Die Muskeln
Muskel und Fascie. 417
verkiirzen sich soiiiit iiicht iiur physiologisch , sondern auch ana-
tomisch und zwar onto- wie pbylogenetisch.
Es scheint, als ob die absolute Korpergrosse von Bedeutung
in diesem Vorgange sei. Im Allgemeiuen kann man nemlich con-
statiren, dass grossere Thiere relativ kiirzere (bes. Extremitiiten-)
Muskeln, dafiir liingere Aponeurosen, Fascien, besitzen, als kleinere.
Halt man hiermit zusammen, dass die einzelnc Species im Laufe
der phylogenetischen Entwickelung regelmassig an Korpergrosse
zuzunehmen scheint (vom Pferde hat Marsh dies ja unwiderleg-
lich nachgewiesen ; auch fur den Menschen ist es wol mit Sicher-
heit anzunehmen), so erhalten wir eine interessante Parallele. Ftir
die Extremitatenmuskeln kommt natiirlich vor allem die Lange der
Gliedmassen und ihrer einzelnen Abschnitte in Betracht. — Das
eben Angedeutete im Einzelnen zu verfolgen uud mit Tatsachen
zu begrtinden, wiirde hier zu weit fuhren. Nur soil zum Schluss
noch auf die Verhilltnisse bei Phoca hingewiesen werden, wo kurze,
richtiger verkiirzte Extremitaten und lange Muskeln sich finden.
Vielleicht eroffuet sich hier ein Verstandniss fur die Beziehungen
zwischeu Muskelfleisch uud Sehne oder Fascie, sowie zwischen
diesen Gebilden und der Grosse des Korpers, der Lange der Ex-
tremitaten, also der Knocheu.
27
Entwurf eines
R a d i 0 i a r i e n - S y s t e m s
auf Grund von Studien der
Challenger-Radiolarien.
Von
Ernst Haeckel.
Als ich vor fiinf Jahren (im Herbst 1876), einer ehrenvollen
Aufforderung von Sir Wyville Thomson folgend, in Edinburgh
die Bearbeitung der „Challenger-Radiolarien" iibernahm, er-
schien mir bei der ersten Durchmiisterung der von dieser denk-
wurdigen Reise mitgebrachten Schatze der Reichthum an Radio-
larien erstaunlich gross. Ich schatzte nach oberflachlicher Ueber-
sicht die Zahl der neuen, als „Species" unterscheidbaren Formen
auf mehr als tausend, und erkliirte, dass, wenn alle diese Arten
vollstandig abgebildet werden soUten, dazu gegen hundert Tafeln
erforderlich sein wiirden. Die genauere Untersuchung jener wunder-
baren Protisteu-Welt — hauptsiichlich aus den Tiefen des pacifi-
schen Oceans — hat mich jedoch belehrt, dass jene anscheinend
hohe Schiitzung in der That viel zu tief gegriffen war. Schon
jetzt, nach funfjiihrigem Studium, bin ich im Stande gewesen,
mehr als zweitausend „novae species" zu unterscheiden; das
sind mehr denn doppelt so viele Arten, als bisher iiberhaupt aus
dieser formenreichsten, von Johannes Muller begriindeten Pro-
tisten-Klasse bekannt waren. Nach der Zusammenstellung, welche
ktirzlich Stohr in seiner fossilen „Radiolarien-Fauna der Tripoli-
ner Grotte in Sicilien" gegeben hat (Palaeontographica, 1880
p. 73), betragt die Gesammtzahl der bis jetzt bekannten Radio-
larien-Species 865, von denen 460 lebend, die ubrigen fossil sind;
Ernst Haeckel, Entwurf oines Radiolavi en-Systems etc. 410
iiidessen ist dabei zu bemerken, class viele der hier anerkannten
und mit gerechncten von Eiirenbeeg aufgestellten Arten entweder
iiur sehr unvollkommen diagnosticirt oder uberhaupt ganz unhalt-
bar sind; kaum 300 lebendc und ungefiihr eben so viele fossile
Arten waren bisher kenntlich beschrieben und abgebildet. Andrer-
seits aber zweiflc ich nicht, dass ein Beobachter, der weitere zebn
Jahre auf die geuaueste Durchforschung des von mir untersuchten,
fast unergriindlich reichen Challenger-Materials verwenden wurde,
die Zahl der neuen , darin befindlichen Species ( — bei mittlerer
Ausdehnung des Species-Begriffs — ) wohl noch urn mehr als weitere
tausend Arten wiirde erhohen konnen, besonders jvenn dabei alle
die kleineren und kleinsten (zum Theil sehr unscheinbaren) Formen
genau unterschieden wtirden. Jedenfalls ubertrifft die Gesanimt-
zahl der neuen lebenden Radiolarien- Species, welche sich in den
Sammlungen der Challenger-Expedition vorfinden, urn mehr als
das Dreifache die Gesainmtzahl aller Arten dieser Rhizopoden-
Klasse, welche bisher lebend oder fossil beobachtet worden sind.
Sowohl dem wissenschaftlichen Director der Challenger-Expe-
dition, Sir Wyville Thomson, als seinem ersten Assistenten, Mr.
John Murray, bin ich fiir die grosse Liberalitiit, mit der mir
alles auf die Radiolarien beziigliche Material der Challenger-
Sammlung uberlassen wurde, zu lebhaftem Danke verpflichtet;
ebenso auch Dr. Rae und Mr. Piercey fiir eine Anzahl vorziig-
licher Priiparate. Die vollstandige systematische Beschreibung der
neuen Formen wird ira Laufe der nachsten Jahre erscheinen, so-
bald die zugehorigen Tafeln (im Quart-Format des Challenger-
Werks) alle lithographirt und gedruckt sind. Bis jetzt sind deren
funfzig fertig. Dreissig andere befinden sich in lithographi-
scher Arbeit und fiir vierzig weitere Tafeln liegen die Zeich-
nungen (sammtlich mit der Camera lucida gefertigt) vollstandig
vor; indessen reicht diese grosse Zahl immerhin noch lange nicht
aus, um alle neuen Arten vollstandig abbilden zu konnen. Letz-
teres erscheint zunachst auch kaum erforderlich, da das hohe nior-
phologische luteresse der neuen Formenwelt nicht sowohl in der
unendlichen Variabilitiit einzelner Gestalten-Gruppen besteht, als
vielmehr in der vollstiindigen Reihe allmahlicher Uebergangs-For-
men, welche die divergenten Typen zu phylogenetischen
Reihen zu verkniipfen gestattet. Trotz der endlosen Mannich-
faltigkeit der Gestaltung, welche die An pas sung bedingt, bleibt
dennoch die Einheit des „Bauplans", welche die Vererbung
bewirkt, auch hier iiberall erkennbar.
420 Ernst Haeckel,
Da ich einerseits gegenwiirtig mit den Vorarbeiten zu diesem
Werke zu einem gewissen Abschlusse gekommen bin, und da ich
andrerseits im Begriffe steho, in wenigen Tagen eine halbjahrige
wissenschaftliche Reise nach Indien (hauptsachlich nach Ceylon)
anzutreten, erscheint es niir zweckmassig, bier einen vorliiufigen
Ent\Yurf des neuen Radiolarien-Systenis zu veroffentlichen, wie sich
dasselbe durch den ungcheuern Zuwachs an neuen Formen um-
gestaltet bat. Dabei babe icb die Familien und Genera, welcbe
icb 1862 in nieiner Monographie der Radiolarien veroffentlicht,
grosstentheils beibebalten, nur um Vieles vermebren konnen. Hin-
gegen ist die Gruppiiung der FamiUen und ihre Zusammenstel-
lung zu Ordnungen wesentlich verbessert worden, wie ich theil-
weise bereits in meinem „Protistenreich" (1878) andeutete. Die
Ordnungen, welcbe nacbstebend unterscbieden wuiden, sind haupt-
sachlich auf die trefflicben Untersucbungen von Richard Hert-
wiG gegrundet, welcber in seiner wicbtigen Abhandlung iiber „den
Organismus der Radiolarien" (1879) zuerst die Histologic dieser
Protisten vollstandig aufgcklart und ihr Verbaltniss zur gegen-
wiirtigen, neuerdings so bedeutend reforniirten Zellen-Theorie fest-
gestellt bat. In den meisten Punkten fiibren nieine Untersucbungen
zu einer erfreulicben Bestiitigung der neuen Anschauungen, welcbe
von Hertwig auf ein verhiiltnissmassig sebr beschranktes Unter-
suchungs-Material gegrundet wurden. Als wesentlichstes Merkmal
der Radiolarien-Klasse — gegenuber den anderen Rbizopo-
den — bleibt demnach die von mir 1862 zuerst unterschiedene
Centralkapsel bestehen, jene bedeutungsvolle Zellmembran,
welcbe den centralen Theil des einzelligen Korpers von dem peri-
pheriscben scbeidet. Innerbalb der Centralkapsel liegt der Kern
der Zelle und entwickeln sich die kleinen, mit einer Geissel ver-
sebenen Schwarmsporen. Ausserhalb der Centralkapsel liegt zu-
niicbst die Matrix der Pseudopodien und darUber die voluminose
Gallerthulle, durch welcbe die von der ersteren ausstrahlendeu
Pseudopodien hindurchtreten.
Entwurf eines Radiolarien-Systems etc.
421
Conspectus ordinum Radiolarium classis.
I A. Capsula
central! ubi-
que poris
perforata,
ab origine
sphaerica
(homaxonia)
membrana
capsulae
simplici;
[Holo-
trypasta.]
IB. Capsula
central!
monaxonia,
parte non
perforata,
parte area
porosa unica
vel
multiplici
perforata
[Mero-
trypasta.]
1. Skeleto deficiente aut solum
spiculis siliceis (rare calca-
reis) pluribus separatis soli-
dis composito, nucleo cel-
lulae unico.
2. Skeleto reticulato, testam
siliceam clathratam aut spon-
giosam referente ; ab origine
sphaera clathrata centrali ;
deinde modo globoso modo
discoideo aut irregulari, nu-
cleo cellulae unico.
3. Skeleto spiculis vel aculeis
acanthinicis (rare siliceis),
in uno puncto radiatim con-
iunctis composito, interdum
ramis aculeorum testam cla-
thratam sphaericam forman-
tibus, nucleis cellulae plu-
ribus.
4. Skeleto monaxonio siliceo
clathrato (plerumque trira-
diato) , membrana capsulari
simplici, area porosa unica,
nucleo cellulae unico.
5. Skeleto siliceo polymorpho,
plerumque tubulis siliceis in-
signi; membrana capsulari
duplici, areis porosis pluri-
bus (una principal! et una
vel pluribus accessoriis), nu-
cleo cellulae unico.
Ordo I.
Collodaria
(= ThalassicoUae
= Pancolla).
Ordo II.
Peripylaria
(= Pen'pylea
= Sputnellaria
= Sp/iaerellaria).
Ordo III.
Acantharia
(= Acantliometrae
= Punacantha
= Acanthomelrea).
Ordo IV.
Monopylaria
(= Monopylea
= Nasseltaria
= Cyrtellaria).
Ordo V.
Phaeodaria
(= Tripyleae
= Pausolenia).
II. Subciassis: Polycyttaria
{Badiolaria poly 00a).
!apsulis centralibus pluribus,
in coenobium consociatis,
colla alveolata connexis,
ubique poris perforatis,
nucleis cellulae pluribus.
Skeleto cujusvis capsu-
lae testam siliceam cla-
thratam sub sphaericam
formante.
Skeleto deficiente aut
spiculis siliceis pluribus
separatis composito.
Ordo VI.
Symbelaria
= Collosp/iaeinda.
Ordo VIL
Syncollaria
= Sphaerozoida.
422 Ernst Haeckel, Entwurf eines Radiolarien-Systems etc.
Die Species der Radiolarien, welche unter den hier auf-
gefulirten 630 Genera unterschieden werden kcinnen und deren Zahl
(niit Eiiischluss der friiher schon unterscliiedenen) Dreitausend
iiberstcigt, verlialten sich niit Bezug auf ihren specifischen Cha-
rakter und ihre Constanz ganz ebenso wie die sogenannten „Spe-
cies" in den niederen und hoheren Klassen des Thier- und Pflanzen-
Reiclis. Ein Theil derselben ist sehr constant und kommt in
lauseiidcn von Individuen von derselben typischen Form vor; ein
anderer Theil ist unigekehrt sehr variabel und zeigt unter zahl-
reichen Individuen kaum zwei ganz gleiche Formen ; zwischen die-
sen beiden Extremen finden sich alle Mittelstufcn vor. Hinsicht-
lich der topographischen Verbreitung lassen sich unter den
Radiolarien im Allgemeinen drei Gruppen unterscheiden: A. pe-
lagische, an der Oberflache des ruhigen Meeres schwebende;
B, z on are, in bestimmten Zonen der Meerestiefen (bis uber
20,000 Fuss hinab) schwebende, und C. profunde, auf dem Boden
des tiefen Meeres lebende. Ini Allgemeinen entsprechen (bis zu
27,000 Fuss hinab) den verschiedenen Tiefen-Zonen verschiedene
Form- Charaktere, nameutlich in der Bildung des Kiesel-Skelets;
die zierlichsten und zartesten Formen finden sich grosstentheils an
der Meeres -Oberflache; die schwerfiilligsten und massivsten um-
gekehrt in den grossten Tiefen; letztere gleichen am meisten den
fossilen Arten von Barbados. Viele lebende und fossile Arten sind
identisch. Innerhalb der einzelnen Ordnungen der Radiolarien-
Klasse lassen sich die verwandten Genera mit mehr oder minder
grosser Wahrscheinlichkeit phylogcnetisch von einer gemeinsamen
Stammform ableiten; ihr Verwandtschafts- Verhiiltniss entspricht
den Grundsatzen der En twickelungs-Theorie. —
Prodiomus Systematis Radiolarium.
Classis : Radiolaria.
Rhizopoda niarina capsula centrali munita et sporis flagellatis in
ea forniatis propagaiitia. (Protoplasmate corporis unicellularis
diviso ill duas partes, interiiam vel iiitracapsularem a mem-
brana cellulae inclusam et iiucleum continentem, et exteriiam
vel extracapsularem ab involucro gelatinoso circuindatam et
pseudopodia iiumerosa tcnnissima emittentem),
(N.B. Genera * uotala sunt nova*'')
I. Ordo: Monopylaria.
{Monopylaria vel Monopylea, Hertwicj, 1879.)
{Nassellaria , inclusis Spyridinis, Eiirenberg, 1875.)
Radiolaria monocyttaria, capsula centrali solitaria,'monaxonia, area
porosa capsulae unica, membrana capsulae simplici, nucleo unico,
skeleto siliceo extracapsulari plerunique testam clatliratam ino-
uaxoniam formante.
I. Familiar Plectida.
(= Plegniidea, H. 1878, = Plagiacantliida), — Monopylaria ske-
leto siliceo spinoso, aut aculeis in centro conjunctis composito,
aut ramis aculeorum vinientum laxum (sed noii testam cla-
thratam) formante. Capsula centrali extrae skeleto adjacenti.
1. Subfamilia: Plagonida.
Plectida skeleto spinoso, nonnisi aculeis siliceis in centro conjunctis
composito, quorum rami liberi non coalescunt nee vimenta for-
mant. Capsula centrali lateraliter skeleto adjacenti.
la. Tribus: Triplagida.
Skeleto aculeis tribus, simplicibus aut ramosis, ex uno puncto ra-
diantibus composito.
A. Tribus aculeis simplicibus. 1. Triplagia*.
B. Tribus aculeis ramosis.
BI. ramis regulariter in series dispositis.
2. Plagiacantha.
BII. ramis irregulariter dispersis. 3. Plagonium*.
424 Ernst Haeckel,
lb. Tribus: Tetraplagida.
Skeleto aculeis quatuor, simplicibus aut ramosis, e centre radian-
tibus composito.
A. Quatuor aculeis simplicibus. 4. Tetraplagia*.
B. Quatuor aculeis ramosis.
BI. ramis regulariter dispositis. 5. Plagiocarpa*.
BII. ramis irregulariter dispersis. 6. Plagonidium*.
Ic. Tribus: Polyplagida.
Skeleto aculeis multis (quinque aut pluribus), e centro radiantibus
composito.
A. aculeis sex simplicibus. 7. Hexaplagia*.
B. acul. sex ramosis, ramis regular, disp. 8. Hexaplagidium *.
C. aculeis novem simplicibus. 9. Enneaplagia *.
D. acul. nov. ramosis ramis irregul. disp. 10. Enneplagidium*.
2. Subfamilia: Plectanida.
Plectida skeleto vimiuali, aculeis siliceis ramosis in centro con-
junctis, quorum rami coalescunt et vimenta laxa formant.
2a. Tribus: Triplectida.
Skeleto viminali, aculeis tribus ramosis composito, quorum rami
caliti vimentum laxum formant.
A. vimento regulari , tribus aculeis ordine dispositis.
A I. Aculeis tribus in aequa planitie sitis, vimento reti-
culum planum formante. 11. Triplecta*.
AIL Aculeis tribus costas pyramidis triangul. formantibus,
cujus tria lat. vimentum occupat. 12. Plectanium *.
B. vim. irreg., acul. tiib. sine ord. disp. 13. Plectophora *.
2b. Tribus: Tetraplectida.
Skeleto viminali, aculeis quatuor ramosis composito, quorum rami
coaliti vimentum laxum formant:
A. vimento regulari, latera pyramidis triangularis occupante,
cujus tres costas tres aculei formant, quarto aculeo in apice
culminante.
AI. vimento monocyrt. simil., cap. ap. 14. Tetraplecta*.
All. vimento dicyrtidi similis, utroque articulo aperto.
15. Amphiplecta*.
B. vim. irreg., aculeis quatuor sine ord. disp. 16. Pertplecta*.
2c. Tribus: Polyplectida.
Skeleto viminali aculeis multis (quinque aut pluribus) ramosis com-
posito, quorum rami coaliti vimentum laxum formant.
Eutwurf eiues Radiolarien-Systems u. s. w. 425
A. aculeis quinque ramosis, e centro radiantibus, quorum rami
coaliti vimentum irregulare formant. 17. Pentaplegma*.
B. aculeis sex ramosis, e centro radiantibus, quorum rami
coaliti vimentum regulare formant. 18. Hexaplegma*.
C. aculeis novem, e centro radiantibus, quorum rami coaliti
vimentum regulare formant. 19. Enneaplegma*.
D. aculeis plurimis (10 — 20 aut pluribus) e centro radianti-
bus, quorum rami coaliti vimentum irregulare formant.
20. Plegmatium*.
II. Familia: Cyrtida (B. 1862).
Monopylaria testa silicea clathrata monaxonia aut triradiata (Ske-
leto a tribus aculeis siliceis in centro conjunctis derivato, quo-
rum rami testam regularem cancellatum formant; promorpha
testae bilaterali — triradiata; testae polo apicali clauso, polo
basali alias clauso, alias aperto; testa modo siniplici inarticulata,
sine stricturis (Monocyrtida) , modo stricturis transversis in
articulos duo aut plures seriem formantes divisa (Polycyrtida) ;
capsula centrali a testa involuta.
Die Familie der Cyrtiden oder Cyrtoideen bildet die formen-
reichste und wichtigste Gruppe unter den Monopylarien. Sie ist
wahrscheinlich phylogenetisch von den Plectiden abzuleiten, welche
ich als die Stammgruppe dieser Ordnung betrachte. Indem die
3 Stacheln der Triplagiden (oder die 4 Stacheln der Tetraplagiden)
sich verasteln und die Aeste derselben zu einem Netzwerke sich
verbinden, entstehen die lockeren Geflechte der Triplectiden und
Tetraplectiden. Diese gehen ohne scharfe Grenze in die einkam-
merigen Gitterschalen der Monocyrtiden iiber, welche dem ersten
Gliede oder dem „Kopfchen" der tibrigen Cyrtiden entsprechen.
Auch diese sind urspriinglich wohl alle dreistrahlig, indem drei
basale Stacheln von der Schalen-Mlindung ausgehen, ein hinterer
(caudaler) und zwei vordere (laterale). Als vierter Stachel tritt
dazu der nach oben gerichtete capitale. Dieser lauft bald frei
durch die Axe des Schalenraums, bald in dessen hinterer Gitter-
wand nach aufwarts. Er entspricht wahrscheinlich der hinteren
Halfte des Ringes der Spyrideen und Stephiden. Aus den drei-
strahligen Cyrtiden sind die strahlenlosen durch Riickbildung, die
vielstrahligen durch Vermehrung der drei urspriinglichen Radien
abzuleiten.
426
Ernst Haeckel,
1.9
If
pi Hi
2. J?.
o- a.
ail
p
CO t<,
Dyocyrtida
articulis duobus.
Monocyrtida
articulo uno
Farailiae
Cyrtidum.
C. T. = Tabulae
Challeuger-Rad.
Conspectus
5 subfamiliarum
et 30 tribuum.
Stichocorida
c. Taf. 79, 80.
p p
CO o C" 5
- o ~- o
oi 2. "^ 2.
CD CL, 00 Cb
- p - p
^ Ox
kC^ CD
9 g-
gl
o
ax 2.
p
t Iff
S =" S' p
1; ^ i 1
o 2. »
P - p
1 ^
0 2.
•
P
ij GQ
1 g
Si-.
>^ f r ^ .^
s. ^ g 1 2
^ 3 1 5- g-
GQ
1 .«
PI
P 1
1
c;x £.
a.
P
f^ o
s i.
p
P ?
tn 2
05 P.
ox g
P
2. Hi P
^ ^ 1 g.^
=■ g i^ 1 ?
1 p s ? 1
S3 0^ <-<- H^
" S- S' •^•
5?
OS £S.
P
p tr
H o
P o
00 cu
p
it
P
p
►^ 1-
si
^ i^= 1 i^ r
1 ^
1 s
fD
^ 2
p
05 2.
-J a.
• P
U" 2. i "=^2.
^ cr ag-
1 .-^
If
GO
H o
p V
ox e
CL,
p
p
.SI
p
02
-I B.
p
? 3
ox 1
P
1- i ? 1- i
1 d
If
Entwurf eiuos Kadiolaricn-Systcius u. s. w. 427
1. Subfamilia: Monocyrtida.
Cyrtoidea nionothalamia vel unicamera, sine strictiiiis,
la. Tribus: Archicorida.
Monocyrtida aperta eradiata.
A. Archicorida limbata (= Cyrtocaljnda). (Archicorida
margine ostii laevi aut succiso).
A I. obtusa (capitulo laevi, non spinoso).
la. testa oviformi, ostio coarctato. 21. Cyrtocalpis.
lb. testa conica, sensim versus ostium dilatata.
bf coni axi recta. 22. Coenutella.
bft coni axi curvata, 23. Cornutissa *.
Ic. testa mitraef., subito dilat. 24. Mitrocalpis *.
All. acuta (capitulo spinoso, non laevi).
la. testa oviformi, ostio coarctato.
af spina capituli unica. 25. Archicorys*.
aff spinis capituli pluribus. 2G. Archilophus *.
lb. testa conica, sens. vers. ost. dil.
bf coni axi recta. 27. Cornutanna*.
bft coni axi curvata. 28. Cornutosa*.
bftt coni axi spirali. 29. Cornutura*.
B. Archicorida coronata (= Carpocanida). (Archicorida
margine ostii dentium corona ornato).
BI. obtusa (capitulo laevi, non spinoso).
la. testa oviformi, ostio coarctato. 30. Carpocanium.
lb. testa mitraef., ostio dilatato. 31. Halicalyptra.
BII. acuta (capitulo spinoso, non laevi).
II a. spina capituli unica. 32. Acrocalpis*.
lib. testa spinosa, multis spinis obtecta.
af spinis testa esimplicibus. 33. Echinocalpis*.
aft spinis ramosis. 34. Cladocalpis *.
affi spallio aruchnoideo. 35. Arac hnocalpis
lb. Tribus: Archipilida.
Monocyrtida aperta triradiata.
A. Archipilida limbata (= Trissopilida). (Archipilida mar-
gine ostii laevi aut succiso).
A I. obtusa (capitulo laevi, non spinoso).
la. tribus spinis later, simplicibus. 36. Archipilium *
lb. tribus alls lateralib. clathratis. 37. Pteropilium *
AIL acuta (capitulo spinoso, non laevi).
II a. tribus spinis lateralibus. 38. Trissopilium *.
lib. tribus costis longitudinalibus. 39. Tripleueium*.
428 Erust Haeckel,
B. Archipilidacoronata (= Tripocalpida). ( Archipilida mar-
gine ostii dentium corona ornato).
BI. obtusa (capit. laevi, non spin.). 40. Tripterocalpis*.
BII. acuta (capitulo spinoso, non laevi). 41. Tripocalpis *.
C. Archipilidatripoda (= Tripodiscida). ( Archipilida mar-
gine ostii tribus appendicibus ornato).
BI. obtusa (capitulo laevi, non spinoso).
la. tribus pedibus simplicibus. 42. Tripodiscus *.
lb. tribus pedibus ramosis. 43. Tripodiscium*.
BII. acuta (capitulo spinoso, non laevi).
II a. tribus costis lateralibus dentatis, intres den tes ter-
minales productis. 44. Triprionium*.
lib. tribus pedibus terminalibus sine costis lateralibus
longitudinalibus.
of pedibus simplicibus. 45. Tripilidium *.
eft pedibus ramosis. 46. Tripodocorys *.
cftt pedibus clathratis. 47. Tridictyopus *.
Ic. Tribus: Archiphormida.
Monocyrtida aperta multiradiata.
A. Archiphormida limbata (Acropyramida). Testa pyra-
midal!, versus ostium sensim ampliata, costis rectis quatuor
aut pluribus in angulis pyramidis (poris cancelli quadratis vel
rectangulis); margine ostii laevi aut succiso.
A I. Testa laevi, nee spinosa nee spongiosa.
la. simplicibus clathris. 48. Bathropyramis *.
lb. dupplicibus clathris. 49. Cinclopyramis *.
AIL Testa spinosa vel spongiosa.
II a. testa spinis simplicibus obtecta. 50. Acropyramis*.
lib. testa spinis ramosis obtecta. 51. Cladopyramis *
lie. testae spinis in pallium arachnoideum vel spongio-
sum unitis. 52. Peripyramis *.
B. Archiphormida coronata (Halipliormida). Testa ovi-
formi, versus ostium sensim coarctata, costis longitudinalibus
in spinas coronae terrainalis protractis.
BI. obtusa (capit. laevi, non spinoso). 53. Archiphormis*.
BII. acuata (cap. spinoso, non laevi). 54. Haliphormis.
Id. Tribus: Archicapsida.
Monocyrtida clausa eradiata (Testa oviformi vel subsphaerica).
A, Archicapsida obtusa (capitulo laevi, non spinoso)
testa laevissima. 55. Archicapsa*.
Entwurf eines Eadiolarien-Systeras u. s. w. 429
B. Arcliicapsida acuta (capitulo spinoso, non laevi).
BI. testa laevi, spina uiiica capitali. 56. Halicapsa*.
BII. testa spinosa. 57. Echinocapsa*.
le. Tribus: Archiperida.
Monocyrtida clausa triradiata.
A. Archiperida obtusa (capitulo laevi, non spinoso).
A I. testa oviformi, non compr., tripoda. 58. Archibursa *
AIL testa bursaeformi, dorsoventraliter compressa.
spinis tribus simplicibus. 59. Platybursa*.
pedibus tribus clathratis. 60. Clathrobursa*.
B. Archiperida acuta (capitulo spinoso, non laevi).
BI. cavo testae libero, sine axi centrali (spina capituli cum
spina caudali per bacillum conjuncto, qui in pariete
testae dorsali situs est).
la. pedibus tribus simplicibus. 61. Archipera*.
lb. pedibus tribus ramosis. 62. Arciiiperidium*.
Ic. pedibus tribus alatis, per alas tres clathratas cum
spina apicali conjunctis. 63. Pteroperidium ''•'.
BII. cavo testae cum axi centrali (spina capitali infra in
bacillum axialem prolongate qui in centro ostii cum pe-
dibus tribus conjungit).
II a. pedibus tribus simplicibus. 64. Archiscenium *.
lib. pedibus tribus ramosis. 65. Cladoscenium *.
lie. pedibus tribus alatis, per alas tres clathratas cum
spina apicali conjunctis. 66. Pteroscenium*.
If. Tribus: Archiphatnida.
Monocyrtida clausa multiradiata.
A. Archiphatnida obtusa (capitulo laevi, non spinoso).
A I. corona spinarum quatuor.
la. spinis termin. quatuor simpl. 67. Archiphatna *.
lb. spinis termin. quat. ramosis. 68. Cladophatna*
AIL corona spinarum quinque aut plurium.
II a. spinis coronae simplicibus. 69. Coronophatna *.
lib. spinis coronae ramosis. 70. Stephanophatna*.
B. Archiphatnida acuta (capitulo spinoso, non laevi).
A I. corona spinorum quatuor.
la. spinis termin. quat. simplic. 71. Tetrarhabda *.
lb. spinis term. quat. ramos. 72. Tetracorethra *.
Ic. alls clathr. quat. vertic. 73. Tetrapteroma *.
430 Ernst Haeckel,
AIL corona spinarum quinque aut plurium.
II a. spinis coronae siraplicibus. 74. Acrocorona*.
lib. spinis coronae ramosis. 75. Cladocorona *.
2. Subfamilia: Dyocyrtida.
Cyrtoidea dithalamia vel bicamera, strictura transversa articulum
testae primum (vel capitale) a secundo (vel basali) separante.
2a. Tribus: Sethocorida.
Dyocyrtida aperta eradiata.
A. Sethocorida limbata = Lophophaenida. (Sethocorida
margine ostii laevi aut succiso),
AL obtusa (capitulo laevi, nou spinoso).
la. secundo articulo oviformi, ostio coarctato.
af primo articulo libero. 76. Dictocephalus.
aft primo art. incluso. 77. Cryptocephalus *.
lb. secundo articulo conico aut disciformi, ostio di-
latato. 78. Platycryphalus *.
AIL acuta (capitulo spinoso, non laevi).
II a. secundo articulo oviformi, ostio coarctato.
af spina capituli unica. 79. Sethocorys*.
aft spinis capituli pluribus. 80. Lophophaena.
lib. secundo articulo conico, ostio nee coarctato nee
dilatato.
bf spina apicali unica. 81. Cornutellium *.
bff spinis capituli pluribus.
§L sec. articulo laevi. 82. Conarachnium *.
§ 2. secundo articulo spinis simplicibus ob-
tecto. 83. Phlebarachnium *.
§ 3. secundo articulo spinis ramosis obtecto.
84. Cladarachnium*.
§ 4. secundo articulo pallio arachnoideo in-
cluso. 85. Periarachnium *•
lie. secundo articulo disciformi applanato, ostio dila-
tato. 86. Sethodiscus *.
B. Sethocorida. COY oiL&.tsi (== Anthoc^rtida). (Sethocorida
margine ostii dentium corona ornato).
BI. obtusa (capitulo laevi, non spinoso).
la. secundo articulo oviformi, ostio coarctato.
af primo articulo libero. 87. Dictyoprora *.
aft primo art. incluso. 88. Cryptoprora.
lb. secundo articulo conico aut disciformi, ostio di-
latato, 89, Platysestrum*.
Eutwurf eiues Radiol arien-Systeras u. s. w. 431
BlI. acuta (capitulo spinoso, non laevi).
II a. secundo artic. oviformi, ostio coarctato.
af corona spinarum terminali, in margine ostii.
90. Antiiocyktis.
aft corona spinarum subterrainali , supra mar-
ginem ostii. 91 Anthocyrtidium *.
lib. secundo articulo conico, ostio dilatato.
bf spina capit. unica. 92. Eucyrtomphalus *.
btt spinis cap. pluribus. 93. Eucecryphalus.
2b. Tribus: Sethopilida.
Dyocyrtida aperta triradiata.
A. Sethopilidalimbataf Callimitrida). (Sethopilida margine
ostii laevi aut succiso).
A I. secundo articulo simpliciter clathrato.
I a. secundo articulo tricostato.
at obtusa (capitulo laevi, non spinoso).
94. Lamprodiscus.
aft acuta (cap. sp., n. 1.). 95. Lamprodisculus*.
lb. secundo articulo trispinoso.
af obtusa (capitulo laevi, non spinoso).
96. PSILOMELISSA *.
aft acuta (capitulo spinoso, non laevi).
§ 1. spina capituli unica. 97. LrrnOMELissA.
§ 2. spinis cap. plurib. 98. Sethomelissa*.
Ic. secundo articulo tribus alls cancellatis.
99. Callimitra*.
AIL secundo articulo trifido (tribus aperturis magnis inter
tres costas clathratas).
II a. obtusa (cap. laevi, non spin.). 100. Sethopilium *.
lib. acuta (capitulo spinoso, non laevi).
bf sine pall, arachnoid. 101. Clathrocanium.
bft cum pallio arachnoidea.
102. Clathrolychnus *.
B. Sethopilidacoronata (Lampromitrida). Sethopilida m ar-
gine ostii dentium corona ornato. — omnia acuta.
BI. sec. articulo simpliciter clathrato. 103. Lampromitra*.
BII. secundo articulo trifido (tribus aperturis magnis inter
tres costas clathratas). 104. Clathrocorona *.
432 Erust Haeckel,
C. Setliopilida tripod a (Lychnocanida) — omnia acuta.
CI. secundo articulo simpliciter clathrato.
I a. tribus costis art. secundi in spinas terminales pro-
ductis.
af spina capituli unica. 105. Dictyophimus.
aft spin is capituli plurib. 106. Lampkoteipus*.
lb. tribus pedibus, sine costis.
bf pedibus solidis. 107. Lychnocanium.
bft pedib. basi clathrat. 108. Lychnodictyum *.
CXI. secundo articulo trifido (tribus aperturis magnis inter
tres costas clatbratas).
II a. secundo art. trispinoso. 109. Clathromitra*.
lib. sec. art. tribus alis cancell. 110. Clathrocorys*.
2c. Tribus: Sethophormida.
Dyocyrtida aperta multiradiata.
A. Sethophormida complanata (testa plana, secundo ar-
ticulo disciformi aut parum elevato, radiis 4 aut pluribus
fortibus, valde divergentibus, primo articulo plerumque magno
obtuso).
A I. costis secundi articuli quatuor. 111. Tetraphormis *.
All. cost. sec. art. quinque. 112. Pentaphormis *.
A III. cost. sec. art. sex. 113. Hexaphormis *.
A IV. cost. sec. art. novem. 114. Enneaphormis *.
B. Sethophormida elevata (testa elevata, secundo articulo
pyramidali, radiis 4 aut pluribus parum divergentibus, primo
articulo plerumque parvo acuminato).
BI. secundo articulo laevi, noa spinoso.
la. sec. art. simplic. clathr. 115. Cephalopyramis *.
lb. sec. art. dupliciter clathrato (reticulis tenuissi-
mis in cancellis testae). 116. Plectopyramis *.
BII. secundo articulo spinoso.
II a. spin. art. sec. simplicibus. 117. Acantmocorys*.
lib. spinis art. secundi inter se fills tenuibus conjun-
ctis, pallium arachuoideum (etiam capitulum in-
vclvens) formantibus. 118. Arachnocorys.
Bin. secundo articulo alis cancellatis quatuor verticalibus
cum primo conjuncto. 119. Sethopyramis*.
Entwurf eiues Radiolarieu-Systems u. s. w. 433
2d. Tribus: Sethocapsicla.
Dyocyrtida clausa eradiata.
A. Sethocapsidaobtusa (capitulo laevi, non spinoso).
A I. capitulo non tubuloso.
la. capitulo libero. 120. Sethocapsa *.
lb. capitulo partim a secundo articulo involuto.
121. Cryptocapsa*.
AIL capitulo tubuloso (poro uno in tubulum lateralera pro-
ducto). 122. Dicolocapsa *.
B. Sethocapsida acuta (capitulo spinoso, non laevi).
BI. spina capituli unica.
la. capitulo libero. 123. Lithopera.
lb. capitulo partim a secundo articulo involuto.
124. Cryptopera*.
BII. spinis capituli pluribus. 125. Lopiiocapsa *.
2e. Tribus: Sethoperida.
Dyocyrtida clausa triradiata.
A. Sethoperida obtusa (capitulo laevi, non spinoso).
A I. secundo articulo rotundato , tribus spinis lateralibus
ornato. 126. Peromelissa*.
A II. secundo articulo pyramidato, tribus spinis terminalibus
armatOo 127. Micromelissa*.
B. Sethoperida acuta (capitulo spinoso, non laevi).
BI. secundo articulo rotundato, tribus spinis lateralibus
ornato.
la. spina capituli unica. 128. Sethopera*.
lb. spinis capituli pluribus. 129. Sethoperidium *.
BII. secundo articulo pyramidato, tribus appendicibus ter-
minalibus armato.
II a. tribus basis appendicibus spinaeformibus.
130. Tetraedrina*.
lib. trib. bas. append, clathrat. 131. Sethochytris *.
2f. Tribus: Sethophatnida.
Dyocyrtida clausa multiradiata.
A. Sethophatnida obtusa, secundo articulo rotundato.
quatuor spinis lateralibus. 132. Sethophatna*.
B. Sethophatnida acuta, secundo articulo pyramidato.
sex costis et sex spinis terminalibus. 133. Clistopiiatna *.
Bd. XV. N. F. vm, 3. 28
434 Erust Haeckel,
3. Subfamilia: Triocyrtida.
Cyrtoidea trithalamia vel tricamera, testa stricturis duabus trans-
versis in tres articulos divisa.
3a. Tribus: Theocorida.
Triocyrtida aperta eradiata.
A. Theocorida limbata (LopJwcorida). margine ostii laevi
aut succiso.
A I. obtusa (cap. laevi, Dou spinoso). 134. Tricolocampe*.
AIL acuta (capit. spiu., iioii laevi). 135. Cecrypiialium *.
II a. cum bacillo axiali interno. 136. Axocorys*.
lib. sine bacillo axiali interno.
bf tertio articulo costato.
§ cost. long, tribus. 137. Trilampterium*.
§§ cost, lougit. quatuor. 138. Lampterium*.
§§§ cost. long, multis. 139. Cycladopiiora*.
bft tertio articulo non costato (sine costis lon-
gitudinalibus).
§ tertio articulo oviformi, nee tubiformi
nee disciform!.
§ a. spina cap. unica. 140. Theocorys *.
§b. spinis cap. mult. 141. Lophocorys*.
§§ tertio articulo aut tubiformi aut discif.
§§a. tertio articulo coarctato, in tubum ar-
ctum longum producto.
141. Theosyringium*.
§§b. tertio artic. dilatato, discum annul.
formante. 142. Theocalyptra.
B. Theocorida coronata (Calocyclida). margine ostii co-
rona spinarum terminali ornato. — Omnia acuta.
BI. corona simplici.
la. dentibus coronae spinosis. 143. Calocyclas.
lb. dent. cor. poris perforat. 144. Clathrocyclas *.
BII. corona duplici aut multiplici.
II a. duabus vel pluribus coronis terminalibus.
145. Lamprocyclas*.
II b. una corona terminali, altera aequatoriali (inter II.
ct III. articulum). 146. Diplocyclas *.
Entwurf eines Kadiolarieu-Systems u. s. w. 435
3b. Tribus: Theopilida.
Tricystida aperta triradiata.
A. Theopilida secundo articulo triradiato (Pteroco-
rida) (= costis aut appeudicibus iiiedii articuli tribus per-
spicuis).
A I. limbata (ostia testae laevi aut succiso).
la. secundo articulo simpliciter clathrato.
af costis articuli secundi tribus non prominen-
tibus. 147. Theopilium*.
aft costis articuli secundi tribus in spinas pro-
ductis. 148. Ptkrocorys*.
aftt costis articuli secundi tribus in alas cla-
tliratas productis.
§ tribus alls non in capitulum productis.
149. DiGTYOCERAS.
§§ tribus alls in capitulum productis.
150. Ptekopilium *.
I b. secundo articulo tribus aperturis raagnis inter tres
costas clathratas.
bf sine pallio testae arachnoideo.
151. Clathropilium *.
bft testa pallio arachnoideo involuta.
152. Arachnopilium*.
AIL coronata (ostio testae corona spinarum terminali or-
nata).
II a. spinis tribus articuli secundi et dentibus coronae
simplicibus. 153. Pterocodon.
lib. alls tribus articuli secundi et dentibus coronae
clathratis. 154. Dictyocodon *.
AXIL trip 0 da (ostio testae tribus appendicibus aut pedibus
ornato).
III a. spinis terminalibus tribus simplicibus.
155. Theopodium*.
Illb. alls terminalibus tribus clathratis.
156. DiCTYOPODlUM *.
B. Theopilida tertio articulo triradiato (Podocyrtida)
= costis aut appendicibus tribus solo in tertio, sed non in
secundo articulo perspicuis.
28*
430 Ernst Haeckel,
BI. trip 0 da (ostia testae tribus appendicibus ornato).
la. tribus appendicibus ostii spinosis, uon clathratis.
af tertio articulo non tricostato.
§ pedibus simplicibus. 157. Podocyrtis.
§§ pedibus ramosis. 158. Tiiyhsocyrtis.
aft tertio artic. tricostato. 159. Pterocanium.
lb. tribus appendicibus ostii clathratis.
bf tert. art. non tricost. 160. Sestropodium *.
bft tert. art. tricostato. 161. Pleuropodium *.
BIX. coronata (ostio testae corona spinarum terrainali
ornato).
tertio articulo tricostato. 162. Pleurocorys*.
3c. Tribus: Theophormida.
Tricyrtida aperta multiradiata.
A. Theophormida quadriradiata.
A I. secundo articulo quatuor radiis. 163. Theophormis*.
AIL tertio articulo quatuor radiis.
II a. radiis non prominentibus. 164. Theocanium*.
lib. radiis in pedes prolongat. 165. Tetralacorys *.
B. Theophormida quinqueradiata: tertio articulo appen-
dicibus qniuque radiosis. 166. Pentalacorys *.
C. Theophormida sexradiata: tertio articulo appendicibus
sex radiosis. 167. Hexalacorys *.
3d. Tribus: Theocapsida.
Tricyrtida clausa eradiata.
A. Theocapsida obtusa (sine spina apicali).
A I. capitulo non tubuloso. 168. Theocapsa*.
AIL cap. tub. (por. uno in tub. lat. prod.). 169. Tkicolocapsa*.
B. Theocapsida acuta (cum spina apicali).
BI. testa laevi. 170. Tricolopera *.
BII. testa spinosa. 171. Lophopera*.
3e. Tribus: T he o peri da.
Tricyrtida clausa triradiata.
A. Theoperida secundo articulo triradiato (Litliorni-
thida).
A I. tribus appendicibus in secundo articulo solo.
la. appendicibus simplic. spin. 172. Lithornithium.
lb. appendicibus clathratis. 173. Sestrornithium *.
AIL trib. append, a sec. art. in tert. prod. 174. Theopera*.
Entwurf eiiies Eadiolarien-Systems u. s. w. 437
B. Theoperida tertioartic. triradiato (Bhopalocanida).
BL appendicibiis teitii artic. later, spinosis (non clathratis).
la. cono basali obtuso. 175. Rhopalocanium *.
lb. cono bas. acuminato. 176. Rhopalatractus*.
BII. appendicibus tertii articuli clathratis.
11 a. appendicibus lateralibus. 177. Dictyatkactus*.
lib. appendicibus terminalibus. 178. Lithochytris *.
3f. Tribus: The'ophatnida.
Tricyrtida clausa multiradiata.
A. appendic. lateralibus tertii articuli sex. 179. Theophaena*.
B. appendic. lateralibus tertii artic. novem. 180. Theophatna*.
4. Subfamilia: Tetracyrtida.
Cyrtoidea tetrathalamia vel quadricamera, testa stricturis tribus
transversis in quatuor articulos divisa.
4a. Tribus: Artocorida.
Tetracyrtida aperta eradiata.
A. Artocorida limbata (ostio laevi aut succiso).
A I. obtusa (capitulo laevi, non spinoso).
la. capitulo non tubuloso. 181. Lithocampium*.
lb. capitulo tubuloso. 182. Siphocampium *.
AIL acuta (capitulo spinoso non laevi).
II a. quarto articulo in tubulum non producto.
af testa laevi. 183. Eucyrtidium *.
aft testa spinosa. 184. Acantiiocyrtis *.
lib. quarto artic. in tub. long. prod. 185. Eusyringium*.
B. Artocorida coronata (ostio dentium corona oruato).
BL testa laevi. 186. Anthocorys*.
BII. testa spinosa. 187. Artocorys*.
4b. Tribus: Artopilida.
Tetracyrtida aperta triradiata.
A. Artopilida alata (appendicibus tribus lateralibus).
A I. costis tribus spinosis lateralibus. 188. Triacartus*.
AIL alis tribus clathratis later. 189. Trictenartus*
ostii limbo succiso aut laevi. 190. Pterocorythium*.
ostii limbo spin, sex clathr. ornato. 191. Artopilium *.
B. Artopilida pedata (appendicibus tribus terminalibus).
BL pedibus trib. spinosis, non clathratis. 192. Acotripus*.
BII. pedibus tribus clathratis. 193. Plectotripus *
438 Ernst Haeckel,
4c. Tribus: Artophormida.
Tetracyrtida aperta multiradiata.
costis lateral, sex spinosis. 194, Artophormis*.
4d. Tribus: Artocapsida.
Tetracyrtida clausa eradiata.
A. obtusa (capitulo laevi, non spinoso). 195. Tetracapsa*.
B. acuta (capitulo spinoso, non laevi). 196. Artocapsa*.
4e. Tribus: Artoperida.
Tetracyrtida clausa triradiata.
A. spinis tribus lateralibus. 197. Tetrapera*.
B. costis tribus lateralibus clathratis. 198. Artopera*.
4f. Tribus: Artophatnida.
Tetracyrtida clausa multiradiata.
spinis sex lateralibus radian tibus. 199. Artophatna*.
5. Subfamilia: Stichocyrtida.
Cyrtoidea polythalamia vel multicamera, testa stricturis quatuor
aut pluribus transversis in articulos quinque aut plures divisa.
5a. Tribus: Stichocorida.
Stichocyrtida aperta eradiata.
A. Stichocorida limbata (ostio laevi aut succiso).
A I. obtusa (capitulo laevi non spinoso).
la. stricturis omnibus separatis annuliformibus.
at capitulo non tubuloso. 200. Lithocampe.
aft capitulo tubuloso (poro uno in tubulum late-
ralem producto). 201. Siphocampe*.
lb. stricturis partim contiguis, in liueam spiralem con-
tinuam productis. 202. Spirocampe*.
All. acuta (capitulo spinoso non laevi).
II a. stricturis omnibus separatis annuliformibus.
af testa laevi. 203. Eucyrtis*.
aft testa spinosa. 204. Stichocyrtis*.
lib. stricturis partim contiguis, in lineam spiralem con-
tinuam productis. 205. Spirocyrtis*.
B. Stichocorida coronata (ostio dcntium corona ornato).
BI. obtusa (capit. laevi non spinoso). 206. Cyrtocoris*.
B II. acuta (capitulo spinoso, non laevi). 207. Stichocorys *.
Eutwurf eiues Radiolarien- Systems u. s. w. 439
5b. Tribus: Stichopilida.
Stichocyrtida aperta triradiata.
A. Stichopilida alata (appeiidicibus tribus lateralibus).
A I. alis tribus spinosis, iion clathratis.
la. 0 b t u s a (cap. laevi, non spin.). 208. Stichocampe *.
lb. acuta (cap. spin, non laevi). 209. Stichopilium*.
All. alis tribus lateralibus clathratis.
II a. simpliciter clathrata. 210. Stichopterygium *.
lib. clathris trifidis (tribus aperturis magnis inter tres
alas clathratas). 211. Clathropyrgus *.
B. Stichopilida pedata (appendicibus tribus terminalibus).
Bl. pedibus tribus spinosis. 212. Podocampe *.
Bll. pedibus tribus clathratis. 213. Stichopodium *.
5c. Tribus: Stichophormida.
Stichocyrtida aperta multiradiata. — sex costis lateralibus in sex
pedes clathratos productis. 214. Sticiiophormis *.
5d. Tribus: Stichocapsida.
Stichocyrtida clausa eradiata.
A. obtusa (capitulo laevi, non spinoso). 215. Stichocapsa *.
B. acuta (capitulo spinoso, non laevi). 216. Cyrtocapsa*.
5e. Tribus: Stichoperida.
Stichocyrtida clausa triradiata.
A. spinis tribus lateralibus. 217. Stichopera*.
B. costis tribus lateralibus clathratis. 218. Cyrtopera*.
5f. Tribus: Stichophatnida.
Stichocyrt. clausa mult, sex costis lat. spin. 219. Stichopiiatna*.
III. Familia: Botrida.
(Botryoidea = Polycyrtida, H. 18G2.) Monopylaria irregularia,
testa silicea clathrata pluribus cameris sine ordine certo agglo-
meratis composita. ( — Proniorpha asymmetrica. Derivanda a
Monocyrtidibus? Aut partim a Spyridibus? Capitulo vel prime
articulo testae subsphaerico duo aut pluria altera articula an-
nexa sunt, non seriem simplicem formantibus ut in Cyrtidibus.
Stricturae testae, articulos separantes, partim longitudinales, par-
tim (pleraeque) obliquae. Forma, amplitudo et appositio arti-
culorum plerumque ita irregulares, ut legem formationis certam
cognoscere non liceant. Ostio articuli postremi (et recentissimi)
alias aperto simplici, alias clauso clathrato. Ex uno vel e duo-
bus (raro pluribus) articulis saope tnbuli porosi vel clatlirati
exeunt caminis instar. Capsula ceutrali a testa inclusa.
440 Ernst Haeckel,
1. Subfamilia: Pylobotrida.
Botrida aperta, ostio testae (vel apertura articuli terminalis) sim-
plici amplo, non clathrato.
A. Testa tubulis porosis carente.
A I. testae laevi iion spinosa. 220. Botryocyrtis.
All. testa spinis armata.
II a. spina una capituli. 221. Acrobotrys*.
lib. spinis pluribus. 222. Botryacantha *.
B. Testa tubulis porosis instructa (laevi).
BI. tubulo uno. 223. Botryopyle*.
BII. tubulis duobus. 224. Pylobotrys*.
2. Subfamilia: Cannobotrida.
Botrida clausa, ostio testae (vel apertura articuli terminalis) cla-
thrato.
A. Testa tubulis porosis carente.
A I. testa laevi, non spinosa. 225. Lithobotrys.
All. testa spinis armata.
II a. spina una capituli. 226. Botryocampe.
lib. spinis duobus. 227. Spyridobotrys*.
lie. spinis pluribus. 228. Echinobotrys*.
B. Testa tubulis porosis instructa (laevi),
BI. tubulo uno. 229. Botryocanna *.
BII. tubulis duobus. 230. Cannobotrys *.
Bin, tubulis tribus. 231. Phormobotrys*.
IV, Familia: Spyrida.
{= Spyroidea, Hkl.; = Spyridina, Ehrenberg, 1847;
Zygocyrtida, Hkl., 1862).
Monopylaria gemina, testa silicea clathrata gemina, cameris binis
juxta compositis, annulo verticali sagittali contiguis; capsula
centrali a testa inclusa. ( — Promorpha dipleura vel bilateral!,
dextro et sinistro antimero symmetricis, piano sagittali annu-
loque separatis. Polum superiorem axis verticalis vel princi-
palis plerumque spina apicalis (vel occipitalis) occupat, polum
inferiorem ostium clathratum (poris tribus aut quatuor aut pluri-
bus) et spina caudalis (posterior). Ad dextram et sinistram
duae spinae laterales distant. Ab hac forma tripoda (Mono-
cyrtida triradiata acuta cum animlo mediano) diversae Spyridum
formae derivaudae sunt.
Entwurf eines Kadiolarien-Systeras u. s. w. 441
1. Subfamilia: Triospyrida.
Spyrida tripoda, pedibus basalibus tribus, (uno caudali posteriori,
altero dextro, altero sinistro).
la. Tribus: Acrospyrida.
Triospyrida acuta, cum spiua apicali (vel occipitali).
A. spina apicali simplici libera.
A I. pedibus tribus simplicibus. 232. Tripodospyris*.
AIL pedibus tribus ramosis. 233. Acrospyris*.
B. spina apicali ramosa, ramis confluentibus cupulara clathratam
formantibus.
BI. pedibus tribus simplicibus. 234. Tholospyris *.
BII. pedibus tribus ramosis.
II a. ramis pedum liberis. 235. Cladospyris *.
lib. ramis ped. al. clathr. form. 236. Lamprospyris*.
C. spina apicali triplici (media occipitali, duabus parietalibus).
CI. pedibus tribus simplicibus. 237. Triospyris *.
CII. pedibus tribus ramosis. 238. Triceraspyris *.
lb. Tribus: Cephalospyrida.
Triospyrida obtusa, sine spina apicali.
A. pedibus tribus simplicibus. 239. Tristylospyris *.
B. pedibus tribus ramosis. 240. Cephalospyris *.
2. Subfamilia: Dyospyrida.
Spyrida dipoda, pedibus basalibus duobus, altero dextro, altero
sinistro (pede caudali perdito).
2a. Tribus: Dipodospy rida.
Dyospyrida acuta, cum spina apicali (simplici, occipitali).
A. pedibus duobus liberis, non unitis.
A I. pedibus laevibus simplicibus. 241. Dipodospyris*.
All. pedibus spinarum serie obsitis. 242. Dorcadospyris*.
AIII. pedibus ramosis aut dichotomis. 243. Dendrospyris*.
B. pedibus duobus curvatis in annulum coalitis.
BI. pedibus laevibus simplicibus. 244. Gamospyris*
BII. pedib. spinarum serie obsitis. 245. Stephanospyris *.
2b. Tribus: Brachiospyrida.
Dyospyrida obtusa, sine spina capitali.
A. pedibus duobus simplicibus laevibus. 246. Dyospyris*.
B. pedibus duobus ramosis. 247. Brachiospyris *.
442 Ernst Haeckul,
3. Subfamilia: Tetraspyrida.
Spyrida tetrapoda, pedibus basalibus liberis quatuor (duobus dor-
salibus, duobus ventralibus), pede caudali perdito.
3a. Tribus: Taurospyrida.
Tetraspyrida acuta, cum spina apicali.
A. spina apicali simplici (occipitali), pedibus simplicibus.
248. Tetraspyris*.
B. spinis apicalibus tribus (media occipitali, duabus parieta-
libus).
BI. pedibus simplicibus. 249. Giraffospyris *.
BII. pedibus ramosis. 250. Elaphospyris *.
C. spinis apicalibus duabus parietalibus (media occipitali per-
dita) pedibus simplicibus. 251. Taurospyris *.
3b. Tribus: Therospyrida.
Tetraspyrida obtusa, sine spina apicali.
A. pedibus quatuor simplicibus, 252. Therospyrts*.
B. pedibus quatuor ramosis. 253. Tessarospyris *.
4. Subfamilia: Pentaspyrida.
Spyrida pentapoda, pedibus basalibus liberis quinque (medio cau-
dali, duobus posticis, duobus anticis).
4a. Tribus: Aegospyrida.
Pentaspyrida acuta, cum spina apicali (pedibus simplicibus).
A. spina apicali simplici (occipitali), 254, Clathrospyris *.
B. spinis apicalibus tribus (media occipitali, duabus parietalibus).
255, Aegospyris*.
C. spinis apicalibus quinque (media occipitali, duabus parieta-
libus, duabus temporalibus), 256. Pentaspyris *.
4b. Tribus: Phormospyrida.
Pentaspyrida obtusa, sine spina apicali (pedibus simplicibus).
257, Phormospykis*.
5, Subfamilia: Polyspyrida.
Spyrida coronata vel polypoda, corona basali pedum liberorum mul-
torum (sex aut plurium) ornata.
Entwurf eiues Eadiolarien-Systeras u. s. w. 443
5a. Tribus: Petalospyrida.
Polyspyrida acuta (cum spina apicali).
A. spina apicali simplici (occipitali).
AL pedibus simplicibus laevibus. 258. Petalospyris.
AIL pedibus ramosis aut spinosis. 259. Sepalospyhis*.
A III. pedibus basi membrana clathrata junctis.
260. Patagospyris *.
B. spinis apicalibus tribus (media occipitali, duabus parietalibus).
BI. pedibus simplicibus. 261. Anthospyris *.
BII. pedibus ramosis. 262. Liriospyris*.
B III. pedibus basi membrana clathrata junctis.
263. RlIODOSPYRIS *.
C. spinis apicalibus duabus parietalibus (media occipitali per-
dita) pedibus simplicibus. 264. Corythospyris*.
D. spinis apicalibus multis (quatuor aut pluribus).
DI. pedibus simplicibus. 265. Ceratospyris.
DII. pedibus ramosis.
II a. ramis liberis. 266. Lophospyris ".
lib. ramis confluentibus. 267. Polyspyris*.
E. spinis apicalibus ramosis, ramis confluentibus cupolam cla-
thratam formantibus, pedibus multis simplicibus.
268. Tiarospyris *.
5b. Tribus: Gorgospyrida.
Polyspyrida obtusa (sine spina apicali).
A. pedibus simplicibus laevibus. 269. Gorgospyrts *.
B. pedibus ramosis. 270. Thamnospyris *.
C. pedibus basi membrana clathr. junctis. 271. De8mospyris *.
6. Subfamilia: Perispyrida.
Spyrida iuvoluta, tam pedibus basalibus quam spinis apicalibus
ramosis, ramis confluentibus testam clathratam formantibus,
quae pedes et spinas ipsos involvit (pedibus liberis nullis).
6a. Tribus: Circospyrida.
Perispyrida triarticulata , articulo superiori cupolam forraante, ar-
ticulo medio annulum involvente, articulo inferior! cauistrum
basale formante.
A. clathris testae continuis.
A I. clathris simplicibus (sine pallio externo).
272. Tricolospyris*.
444 Ernst Hacckel,
AIL clathris duplicibus (pallio spongioso aut arachnoideo
extra involuto. 273. Perispyris*.
B. clathris testae aperturis hiantibus interruptis, margine late-
ral! solo continuis.
BL clathrorum arcadibus polychotom. 274. Amphispyris*.
BIL clathrorum arcadibus dicliotomis. 275. Cirgospyris*.
6b. Tribus. Paradictyida.
Perispyrida reniformia, testa applanata reniformi, iucisura basali
profunda, infra annulum medium.
A. testae reniformis margine clathrato attenuate.
276. Nephrodictyum *.
B. testae reniformis margine clathrato inflato,
277. Paradictyum *.
7. Subfamilia: Pleurospyrida.
Spyrida apoda laevia, tam pedibus basalibus, quam spinis apica-
libus carentia (omnibus processibus testae clathratae geminae
reductis et perditis).
testae superficie aspera. 278. Pleurospyris,
testae superficie laevissima. 279. Dictyospyris.
V. Familia: Step hid a.
Monopylaria cricoidea, skeleto siliceo annuloso, aut annulum sim-
plicem formante, aut pluribus annulis conjunctis composita
quorum rami interdum coalescunt et vimentum laxum (sed non
testam clathratam) forraant; capsula centrali ab annulo circum-
data. — (Annulus Stephidum primarius vel princeps planum
sagittale corporis determinat et annulo mediano Spyridum ho-
mologus est ; inde axis corporis principalis in piano annuli ver-
ticali situs est, superiori polo apicali, inferiori basali. Pro-
morphe annuli et skeleti ab eo formati semper dipleura vel bi-
lateralis. Annuli secundarii vel accessorii ambo latera (dex-
trum et simistrum) testae dipleurae occupant. Area porosa cap-
sulae centralis (quam annulus mediam amplectitur) polo annuli
basali adjacet). — Formae cricoideae Stephidum diversae ab
annulo siliceo simplici derivanda et Spyridum Familia ab ea
Stephidum progenita esse videntur; sed re vera potius Spy-
rida a Cyrtidibus et Stephida a Spyridibus derivanda sunt,
Entwurf eiues Radiolurien-Systems u. s. w. 445
metamorphosi skeleti silicei retrograda. Aimulus Monostephi
et Litliocirci simplex uon principium, sed finis seriei Mouopy-
larium a Plectidibus orientis.
1. Subfamilia: Triostephida.
Stephida triannularia, skeleto aunulis tribus coraposito, qui iu tri-
bus plauis iuvicem perpendicularibus jacent. (Annulo primario
sagittali, planum corporis medianum occupante, verticali; an-
nulo secundario laterali, planum corporis dextro-sinistrum occu-
pante, verticali; annulo tertiario basali, planum oralem occu-
pante, horizontali. Area porosa capsulae centralis in piano
orali sita est.
la. Tribus: Eucoronida.
Annulis sagittali et basali completo, laterali incompleto (Annuli
primarii pars basalis lumen annuli tertiarii in duo luminella
vel aperturas laterales, dextram et sinistram dividit).
A. annulis laevibus simplicibus. 280. Eucokonis*.
B. annulis spinosis.
BI. spinis simplicibus. 281. Acrocoronis*.
BII. spinis ramosis. 282. Lithocoronis *.
C. annulis spinosis ramosis, ramorum junctione vimenta laxa
formantibus.
CI. annulo basali apode. 283. Plectocoronis *.
CII. annulo basali pedato.
II a. tripoda (pede medio caudali, duobus lateralibus).
284. Tripocoronis *.
lib. dipoda (pedibus duobus lateralibus).
285. DiPOcoRONis *.
lie. tetrapoda (pedibus quatuor, duobus lateralibus,
uno caudali, uno veutrali. 286. Tetracoronis*.
lid. polypoda (pedibus 5 aut pluribus).
287. PODOCORONIS*.
lb. Tribus: Acantliodesmida.
Aunulis sagittali et laterali incompleto, basali completo (Annuli
primarii parte basali perdito lumen annuli tertiarii simplex
restat).
A. annulis laevibus. 288. Triostephus *.
B. annulis spinosis.
BI. spinis simplicibus. 289. Acanthodesmia.
BII. spinis ramosis. 290. Tristephaniscus*.
446 Ernst Hacckol,
Ic. Tribiis: Trissocy clida.
Anmilis tribus completis, inviccm bipartitis.
A. annulis laevibus. 291. Telssooyclus *.
B. annulis spinosis.
BL spinis simplicibus. 292. Twssocmcus*.
BII. spinis ramosis. 293. Trissocircus*.
C. annulis spinosis ramosis, ramorum junctione vimenta laxa for-
mantibus. 294. Tricyclidium *.
2. Subfamilia: Dyostephida.
Stephida biannualaria, skeleto annulis duobus composito, qui in
duobus planis invicem perpendicularibus jacent.
2a. Tribus: Zygostephanida.
anibobus annulis verticalibus (altero sagittali, altero laterali).
A. annulis laevibus. 295. Zygostephus *.
B. annulis spinosis.
BI. spinis simplicibus. 296. Zygostephanus.
BII. spinis ramosis. 297. Zygostephaniscus *.
2b. Tribus: Dyostephanida.
altero annulo fsagittali) verticali, altero (basali) horizontali.
A. annul, laevibus. 298. Dyostephus*.
B. annulis spinosis.
BI. spinis simplicibus. 299. Dyostepiianus*.
BII. spinis ramosis. 300. Dyostephaniscus*.
3. Subfamilia: Parastephida.
Stephida biannularia, skeleto annulis duobus composito, qui in
duobus planis parallelis jacent (annulis per bacillos parallelos
conjunctis, qui cum annulis ambobus perpendiculum formant).
3a. Tribus: Parastephanida.
Lumine annulorum ambo parallelorum simplici (non clathrato).
A. Ambobus annulis parallelis non nisi per duos bacillos oppo-
sitos parallelos conjunctis.
A I. annulis laevibus. 301. Parastephus *.
AIL annulis spinosis. 302. Parastephanus *.
B. Ambobus annulis per tres bacillos aequidistantes conjunctis.
BI. annulis laevibus. 303. Prismatidium *.
BII. annulis spinosis. 304. Prismatium.
Entwurf eiucs Kadiolarieu-Systems u. s. w. 447
C. Ambobus annulis per quatuor bacillos aequidistantes conjimctis.
CI. annulis laevibus. 305. Lithocubus*.
CII. annulis spinosis.
II a. spinis simplicibus. 306. Acrocubus*.
lib. spinis ramosis. 307. Microcubus*.
D. Ambobus annulis per multos (quinque aut plures) bacillos
parallelos conjunctis.
DI. annulis laevibus. 308. Protympanium *.
DII. annulis spinosis.
II a. spinis simplicibus. 309. Tympanium*.
lib. spinis ramosis. 310. Eutympanium *.
3b. Tribus: Paraty mpanida.
Lumine annulorum anibo parallelorum clathrato.
clathris laevibus. 311. Paratympanium *.
clathris spinosis. 312. Lithotympanium *.
4. Subfamilia: Monostephida.
Stephida uniannularia , skeleto uuum annulum simplicem (verti-
calem, sagittalem) formante.
A. annuloso spinoso.
A I. spinis simplicibus. 313. Lithocircus.
AIL spinis ramosis.
II a. ramis liberis. 314. Dendrocircus *.
lib. ramis comm. viment. form. 315. Clathrocircus *.
lie. ramis communicantibus sphaeram clathratam for-
mantibus. 316. Sphaerocircus *.
B. annulo laevi simplicissimo. 317. Monostephus *.
II. Ordo: Peripylaria.
(Peri2)ylaria vel Peripylea, Hertwig, 1879.)
{Spumellaria, exclusis Spyridinis, Ehrenberg, 1875.)
Radiolaria monocyttaria, capsula ccntrali solitaria, polyaxonia, mem-
brana capsulae ubique poris perforata, simplici ; nuclco unico;
skeleto siliceo reticulato testam clathratam aut spongiosam, ab
origine sphaericam referente (Forma skeleti primaria globosa,
secundaria aut discoidea, aut rhabdoidea, aut irregulari).
448 Ernst Hacckel,
VI. Familia: Sphaerida (Sphaeroidea).
Peripylaria (vel Spumellaria) globosa, testa clathrata sphaerica aut
polyedrico-endosphaerica , interdum pallio spongioso involuta;
modo siniplici, modo globis pluribus concentricis composito (nee
discoidea, applanata, nee irregulari). Capsula central! globosa,
alias testam includente alias a testa inclusa, saepe multis ap-
pendicibus radiatis, per poros testae exeuntes.
1. Subfamilia: Monosphaeria (Monosphaerida).
Sphaerida simplicia, testa globosa clathrata unica.
la. Tribus: Ethmosphaerida (Monosphaeria anacantha).
Testa globosa simplici inermi (laevi aut aspera, sed nou spinosa).
A. clathris regularibus (poris aequalibus).
AT. poris hexagonis. 318. Phormospiiaera *.
AIL poris rotundis.
II a. poris planis.
lib. poris ethmoideis conicis.
bf conis centrifugis, apice extrorsum versis.
319. Etiimosphaera.
bft conis centripetis, apice introrsura versis.
320. Ceriospiiaera *.
B. clathris irregularibus (poris inaequalibus).
BI. poris polygonis. 321. Cyrtidospiiaera.
BII. poris rotundis. 322. Cenosphaera.
(Die formenrciche Gruppe der Sphaeriden ist als die Stamm-
gruppe der Peripylarien zu betrachten and beginnt mit den
einfachen M on o s p h ae r i e n. Unter den zusammengesetzten Sphae-
riden (mit zwei oder mehreren concentrischen Gitterschalen) sind
vielleicht genetische „Gitterkugeln" und „Kieselnetze" zu unter-
seheiden, me Hertwig 1879 versucht hat; praktisch ist diese
Unterscheidung aber nicht anwendbar).
Entwurf eines Eadiolarien-Systems u. s. w.
449
1
aculeis multis,
(octo aut pluribus),
plerumque irregu-
lariter dispersis.
polyacantka.
03
.2 H
4
s
Lychnosphaerida
C. T. 11, 29.
Cromyoramida
C. T. 30.
Arachnosphaerida
C. T. 29,
03
I"
o
.5
1
•■-1
•^ g § -J «•
r1 ^'^ 1
•5 § a --s H
C3 -| g
03
1 H
1^
03
O ..
O
^ d
03
a (N
O
s ^
« d
|S
1^
1
1
§ J ^ •s §
'5 a a cri
C8
O tj
GO
03
Is
c3
1 ^
I""
S3
is
GO
S3
Is
.2
1
1
to _
la ■=
1 §■§ ^
1^ co-
in'
C3
i ^"
^ d
ft
c3
ft .
a ^
c3
O tJ
1^
03
03
■TO
|h
CO
Liosphaeria.
sine aculeis,
testa laevi aut
aspera (spinis
minimis).
anacantha.
o
a o
03
•g d
OS C^
03
0) lO
S3
Id
^ eo
I"
r
03
in-
63
00
1
6
g 1 all
1 •■! ;^ s H g
1:11 11 "
" t5 M ^ 1
CO * ^ ^
c3 G
If
.2 «•
O Xi
1 i
It
ll
1
o ^
It
ft §
o ^^
Bd. XV. N. F. VIII, 3.
29
450 Ernst Haeckel,
lb. Tribus: Xiphostylida.
Monosphaeria dissacantha (aculeis duobus oppositis, in uno axi sitis).
A. aculeis liberis, non annulo conjunctis.
AL ambobus aculeis aequalibus, forma et magnitudine pa-
ribus. 323. XiPHOSPHAERA *.
AIL ambob. aculeis inaequal., forma aut magnitudine diversis.
II a. ambobus aculeis simplicibus. 324. Xiphostylus *.
lib. altero aculeo simplici, altero spinarum fascicule
basali circumdato. 325. Lithomespilus *.
B. aculeis apice annulo siliceo conjunctis.
BI. annulo laevi. 326. Saturnalis*.
BII. annulo spinoso. 327. Saturnalium*
Ic. Tribus: Staurostylida.
Monosphaeria tetracantha (aculeis quatuor ad formam crucis rec-
tangularis dispositis).
A. omnes 4 aculei eadcm magnitud. 328. Staurosphaera *.
B. aculei 4 diversa magnitudine.
aculei axis longitudinalis aequales longiores aculeis trans-
versis (aequalibus). 329. Staurostylus *.
aculei longitudinales inaequales, uno longior aculeis trans-
versis (aequalibus). 330. Stylostaurus*.
Id. Tribus: Hexastylida.
Monosphaeria hexacantha (aculeis sex, in tribus axibus invicem
perpendicularibus sitis).
A. sine spinis adventiciis. 331. Hexastylus*.
B. cum multis spinis adventiciis. 332. Hexastylidium *.
le. Tribus: Heliosphaerida.
Monosphaeria polyacantha (aculeis multis — octo vel pluribus — ,
plerumque sine ordine dispersis).
A. aculeis simplicibus.
A I. poris sphaerae regularibus.
la. poris hexagonis. 333. Heliosphaera.
lb. poris rotundis. 334. Rhaphtdococcus.
All. poris irregularibus.
II a. poris polygonis. 335. Rhaphidosphaera *.
lib. poris rotundis. 33G. Acanthosphaera.
B. aculeis ramosis.
BI. aculeis trichotomis. 337. Cladococcus.
BII. aculeis dichotomis. 338. Elaphococcus *.
Entwurf eines Kadiolarieu-Systems u. s. w. 451
C. aculeis basi inflatis, clathratis.
CI. aculeis basi conica. 339. Conosphaera*
CII. aculeis basi pyramidali. 340. Oeosphaeka *.
2. Subfamilia: Dyosphaeria (Disphaerida).
Sphaerida duplicia, testa duobus globis clathratis coiiceiitricis com-
posita, per radios unitis.
2a. Tribus: Carposphaerida,
Dyosphaeria inermia, anacantha (testae globosae superficie externa
laevi aut aspera, sed iion spinosa).
A. clathris regularibus (poris aequalibus).
AI. poris externis hexagonis. 341. Melittosphaera *.
AIL poris externis rotundis. 342. Cerasospiiaera *.
B. clathris irregularibus (poris inaequalibus rotundis).
BI. poris externis polygonis. 343. Prunospiiaera *.
BII. poris externis rotundis. 344. Carposphaera*.
2b. Tribus: Sphaerosty lida.
Dyosphaeria dissacantha (aculeis duobus oppositis, in uno axi sitis).
A. aculeis liberis, nou annulo conjunctis.
A I. ambobus aculeis aequalibus. 345. Stylosphaera.
AIL ambobus aculeis inaequalibus. 346. Sphaerostylus *.
B. aculeis apice annulo siliceo laevi conjunct. 347. Saturnulus *.
2c. Tribus: Staurolonchida.
Dyosphaeria tetracantha (aculeis quatuor ad formam crucis rec-
tangularis dispositis).
A. aculeis simplicibus. 348. Staurolonciie*.
B. aculeis ramosis. 349. Staurancistra *.
C. aculeis spongiosis. 350. Astromma.
2d. Tribus: Hexalonchida.
Dyosphaeria hexacantha (aculeis sex in tribus axibus invicem per-
pendicularibus sitis).
A. testa sine spinis adventiciis. 351. Hexalonciie*.
B. testa cum spinis adventiciis.
B.L sex aculeis simplicibus. 352. Hexalonchidium*.
BII. sex aculeis trifariis. 353. Hexancistra*
Bill, sex aculeis verticillatis. 354. Hexapitys*'.
2e. Tribus: Diplo sphaerida.
Dyosphaeria polyacantha (aculeis multis — octo aut pluribus — ,
plerumque sine ordine dispersis).
09*
452 Ernst Haeckel,
A. aculeis simplicibus.
A I, omnibus aculeis aequalibus. 355. Haltomma.
AIL spinis accessoriis inter aculeos. 356. Heliosoma*.
R. aculeis ramosis aut verticillatis.
BI. spinis adventiciis simplicibus. 357. Diplosphaera.
BII. spinis adventiciis ramosis. 358. Drymosphaera *.
3. Subfamilia: Triosphaeria (Trisphaerida).
Sphaerida triplicia, testa tribus giobis clathratis coucentricis com-
posita, per radios unitis.
3a. Tribus: Thecosphaerida.
Triosphaeria anacantha, testae globosae superficie externa laevi
aut aspera, sed non spinosa.
A. clathris regularibus (poris aequalibus).
AI. poris externis hexagonis. 359. Rhodosphaera *.
AIL poris externis rotundis. 360. Sethospiiaera *.
B. clathris irregularibus (poris inaequalibus).
36 L Thecosphaera *.
3b. Tribus: Amphistylida.
Triosphaeria dissacantha (aculeis duobus oppositis, in uno axi
sitis).
A. aculeis ambobus aequalibus. 362. Amphisphaera *
B. aculeis ambobus diversis. 363. Ampiiistylus *.
3c. Tribus: Stauracontida.
Triosphaeria tetracantha (aculeis quatuor ad formam crucis rec-
tangularis dispositis).
aculeis 4 simplicibus aequalibus. 364. Stauracontium*.
3d. Tribus: Hexacontida.
Triosphaeria hexacantha (aculeis sex in tribus axibus invicem per-
pendicularibus sitis).
A. sine spinis adventiciis. 365. Hexacontium *.
B. cum spinis adventiciis.
BI. sex aculeis simplicibus. 366. Hexadrymium*
BII. sex aculeis verticillatis. 367. Hexadendrum *.
3e. Tribus: Lychnosphaerida.
Triosphaeria polyacautha (aculeis multis, octo aut pluribus) ple-
rumque sine ordine dispersis).
Entwurf eines Radiolarien-Systems u. s. w. 453
A. aculeis simplicibus.
A I. omnibus aculeis aequalibus. 368. Actinomma.
All. spiuis accessoriis iuter aculeos. 369. Echinomma*.
B. aculeis ramosis aut verticillatis.
BI. tribus globis nomiisi per radios communicantibus.
370. PiTY'OMMA*.
BII. tribus giobis uon solum per radios sed etiam per ra-
nmlos ramorum communicantibus.
371. Lychnosphaera *.
4. Subfamilia: Tetrasphaeria (Tetrasphaerida).
Spliaerida quadruplicia , testa quatuor giobis clatliratis coucentri-
cis composita, per radios unitis.
4a. Tribus: Cromyosphaerida.
Tetrasphaeria auacantha (testae globosae superficie externa laevi
aut aspera, sed non spinosa).
A. poris externis regularibus bexagonis. 372. Cromyosphaera *.
B. poris externis irregularibus. 373. Cromyosphaerium *
4b. Tribus: Cromyostylida.
Tetrasphaeria dissacantha (aculeis duobus oppositis, in uno axi
sitis).
A. aculeis ambobus aequalibus. 374. Stylocromyum*.
B. aculeis ambobus diversis. 375. Cromyostylus*.
4c. Tribus: Staurocromyida.
Tetrasphaeria tetracantha (aculeis quatuor ad formam crucis rec-
taugularis dispositis).
A. aculeis simplicibus. 376, Staurocromyum *.
B. aculeis verticillatis. 377. Cromyostaurus *.
4d. Tribus: Hexacromyida.
Tetrasphaeria hexacantha (aculeis sex in tribus axibus invicera
perpendicularibus sitis).
A. testa laevi, sine spiuis adventiciis. 378. Hexacromyum *.
B. spinosa, cum spinis adventiciis. 379. Hexacromydium *.
4e. Tribus: Cromyommida.
Tetrasphaeria polyacautha (aculeis multis — octo aut pluribus — ,
plerumque sine ordine dispersis).
454 Erust Haeckel,
A. aculeis simplicibus.
A I, omnibus aculeis aequalibus. 380. Cromyomma.
AIL spiiiis accessoriis inter aculeos. 381. Ckomyechinus*.
B. aculeis ramosis. 382. Cromyodrymus *.
5. Subfamilia: Polysphaeria.
Sphaerida multiplicia, testa globis clathratis concentricis quinque
aut pluribus composita, per radios unitis.
5a. Tribus: Gary osphaerida.
Polysphaeria anacantha (testae globosae superficie externa laevi
aut aspera, sed non spinosa).
poris externis irregularibus. 383. Caryosphaera *.
5b. Caryostylida.
Polysphaeria dissacantha (aculeis duobus oppositis, in uno axi sitis),
A. aculeis ambobus aequalibus.
A I. aculeis laevibus. 384. Caryoxiphus *.
AIL aculeis spinosis sive verticillatis. 385. Caryostylus *.
A III. aculeis spinosis versus apicem spongiosis.
386. Caryodoras*.
B. aculeis ambobus inaequalibus (laev.). 387. Caryolonche *.
5c. Tribus: Staurocaryida.
Polysphaeria tetracantha (aculeis quatuor ad formam crucis rec-
tangularis dispositis).
testae superficie laevi. 388. Caryostaurus *.
testae superficie spinis ramosis arm. 389. Staurocaryum *.
5d. Tribus: Hexacaryida.
Polysphaeria hexacantha (aculeis sex in tribus axibus iuvicem
perpendicularibus sitis).
aculeis spinosis. 390. Hexagaryum*.
5e. Tribus: Arachnosphaerida.
Polysphaeria polyacantha (aculeis multis — octo aut pluribus —
plerumque sine ordine dispersis).
A. globis concentricis non nisi per radios communicantibus.
39L Arachnosphaera.
B. globis concentricis non solum per radios sed etiam per ra-
mulos radiorum communicantibus. 392. Araciinopegma *.
Eutwurf eiues Radiolarien-Systems u. s. w. 455
6. Subfamilia: Spongosphaeria.
Sphaerida spongiosa, testa silicea globosa, aut tota spongiaeformi,
aut cortice externa telam spongiosam formante, ramulis siliceis
innumeris sine ordine perplexis. Testae siliceae globosae cla-
thratae internae (vel „testae niedullares") in centro globi
spongiosi modo desunt modo adsuut.
6a. Tribus: Plegmosphaerida.
Spongosphaeria anacantha, testae globosae spongiosae superficie
externa laevi aut aspera, sed non aculeata.
A. testis medullaribus (testis globosis clathratis centralibus) in
centro globi spongiosi aut una aut pluribus.
A I. testa medullari siiuplici. 393. Spongoplegma*.
AIL testa medullari duplici. 394. Dictyoplegma.
A III. testa medullari triplici. 395. Spongodictyum.
B. globo spongioso sine testis medullaribus.
BI. globo cavo centrali. 396. Plegmosphaera *.
BII. globo solido. 397. St yptosphaeka *.
6b. Tribus: Spongostylida.
Spongosphaeria dissacantha (aculeis duobus oppositis aequalibus,
in uno axo sitis).
A. testa medullari simplici. 398. Spongostylus*.
B. testa medullari duplici. 399. Spongostylium *.
C. sine testa medullari. 400. Spongolonche *.
6c. Tribus: Staurodorida.
Spongosphaeria tetracantha (aculeis quatuor aequalibus ad formam
crucis rectangularis dispositis).
sine testa medullari. 401. Staukodoras '^
6d. Tribus: Hexadorida.
Spongosphaeria hexacantha (aculeis sex in tribus axibus invicem
perpendicularibus sitis).
A. testa medullari simplici. 402. Hexadoras*.
B. testa medullari duplici. 403. Hexadorium*.
C. testa medullari triplici. 404. Hexadoridium *.
6e. Tribus: Rhizosphaerida.
Spongosphaeria polyacantha (aculeis multis — octo aut pluribus —
plerumque sine ordine dispersis).
456 Ernst Haeckel,
A. testis medullaribus una vel pluribus.
A I. cortice spongioso per liberum intervallum (radios coii-
tinens) a testis medullaribus separate.
A. testa medullari siraplici. 405. Rhizoplegma *.
B. testa med. duplici. 406. Rhizosphaera.
AIL cortice spongioso testas medullares sine intervallo in-
volvente.
A. testa med. simplici. 407. Spongopila*.
B. testa med. duplici. 408. Spongosphaera.
C. testa med. triplici. 409. Spongosphaerium *.
B. sine testa medullari.
A. aculeis simplicibus. 410. Spongechinus *
B. aculeis arborescentibus. 411. Spongodrymus *.
Vn. Familia: Disci da.
(Discida vel Discoidea, Hkl., 1862.)
Peripylaria (vel Spumellaria) discoidea, testa clathrata disciformi
aut lentiformi biconvexa, interdum pallio spongioso involuta.
(A. Sphaeridum familia Discida derivanda sunt compressione
testae globosae vel sphaeroideae primordialis , cujus axis re-
ductus est.) Trium axium invicem perpendicularium, qui in
Sphaeridibus plurimis perspicui sunt, unus in Discidibus decur-
tatus est. In centro Discidum semper sphaera parva clathrata
manet, pars skeleti primaria, in cujus piano aequatoriali vi-
menta silicea secundaria accrescunt. Capsula centralis formam
skeleti discoideam imitat, quo circumdatur.
(Die Ableitung der Disciden von Litheliden, welclie Hertwig
1879 (auf zu geringes Material gestiitzt) versucht hat, halte ich
fiir irrthiimlich und bleibe bei der Ableitung von Sphaeriden, welche
ich 1862 gegeben habe).
1. Subfamilia: Phacodiscida.
Discida testa clathrata biconvex! lentiformi aut discoidea, sim-
plici, in cujus centro testa medullaris ( — testa clathrata glo-
bosa parva centralis — ) simplex aut duplex inclusa est. Nee
annuli camerati nee tela spongiosa in peripheria lentis. Saepe
aculei, in piano aequatoriali siti, e margiue testae lentiformis
exeunt.
Eutwurf eiucs Radiolarieu-Systems u. s. w. 457
la. Tribus: Setliodiscida.
Phacodiscida laevia aut aspera, sine aculeis marginalibus.
A. testa medullari simplici.
A I. testa lentifonni sine zona. 412. Setiiodiscus*.
AIL testa zona aequatoriali (cingulo laminam siliceani im-
perforatam referente). 413. Periphaena.
B. testa medullari duplici.
BI. testa lentiformi sine zona. 414. Phacodiscus *.
BII. testa zona aequatoriali. 415. Perizona*.
lb. Tribus: Heliodiscida.
Phacodiscida aculeata, cum aculeis marginalibus in piano lentis
aequatoriali sitis.
A. aculeis duobus oppositis, in uno axi sitis.
A I. testa medullari simplici.
la. sine zona spinarum. 416. Sethostylus *.
lb. cum zona spinarum. 417. Heliostylus *.
A II. testa medullari duplici (sine zona spinarum).
418. Phacostylus*.
B. aculeis tribus aequidistantibus (testa medullari simplici, sine
zona spinarum). 419. Triactis*.
C. aculeis quatuor, ad formam crucis rectangularis dispositis.
CI. testa med. simplici.
la. sine zona spinarum. 420. Sethostaurus *.
lb. cum zona spinarum. 421. Heliostaurus *.
OIL testa med. duplici.
II a. 'sine zona spinarum. 422. Phacostaurus *.
lib. cum zona spinarum. 423. Astrostaurus *.
D. aculeis multis marginalibus (quinque aut pluribus, plerumque
sine ordine in zona aequatoriali radiantibus),
DI. testa med. simplici.
la. aculeis omnibus simplicibus.
af testae superficie laevi. 424. Heliosestrum*.
aft testae superficie spinosa. 425. Heliodiscus.
lb. aculeis omnibus aut partim ramosis.
bf testae superficie laevi. 426. Heliocladus*
bft testae superf. spinosa. 427. Heliodrymus *.
DII. testa med. duplici (aculeis omnibus simplicibus).
II a. testae superficie laevi. 428. Astrosestrum *
lib. testae superficie spinosa. 429. Astrophacus *.
458 Ernst HuLckel,
2. Subfamilia: Coccodiscida.
Discida testa clathrata biconvexi lentiformi aut discoidea, in cujus
centro testa medullaris ( — testa clathrata globosa parva cen-
tralis — ) simplex aut duplex inclusa est. Peripheriam lentis
zona annulorum cameratorum occupat, annulis concentricis per
radios numerosos in cameras regalares divisis. Saepe aculei ra-
diosi aut brachia camerata in piano aequatoriali sita e margine
testae lentiformis exeunt.
2a. Tribus: Lithocyclida.
Coccodiscida inermia vel anacantlia, sine aculeis marginalibus et
sine brachiis cameratis.
A. testa medullar! simplici 430. LrniocYci.rA.
B. testa medullar! duplici. 431. Coccodiscus.
2 b. Tribus: Stauro eyelid a.
Coccodiscida aculeata, aculeis marginalibus in piano aequatoriali
sitis et e margine lentis radiantibus (sed sine brachiis ca-
meratis).
A. aculeis duobus oppositis, in uno axi sitis.
A I. testa med. simplici. 432. Sttlocyclia.
AIL testa med. duplici. 433. Amphicyclia*.
B. aculeis tribus aequidistantibus
testa medullari simplici. 434. Teipocyclia *.
C. aculeis quatuor, ad formam crucis rectangularis dispositis.
A I. testa med. simplici. 435. Staurocyclia *.
AIL testa med. duplici. 436. Coccostaurus*.
D. aculeis multis marginalibus (quinque aut pluribus, plerumque
sine ordine radiantibus).
AX. testa med. simplici. 437. Astrocyclia *.
AIL testa med. duplici. 438. Coccocyclia *.
2c. Tribus: Astracturida.
Coccodiscida brachiata, brachiis cameratis in piano aequatoriali
sitis et e margine lentis radiantibus (saepe aculeis brachiorum
termiualibus , saepe brachiis patagio (vel vimeuto camerato)
conjunctis).
A. brachiis duobus oppositis.
A I. brachiis liberis. 439. Diplactura*.
AIL l)rachiis patagio junctis. 440. Amphactura *.
Eutwurf eiucs Eailiolurien-Sysfems u. s. w. 459
B. brachiis tribus.
BI. brachiis liberis. 441. Trtgonactura *.
BII. brachiis patagio junctis. 442. Hymenactura*.
C. brachiis quatuor, criicem rectaugularem formantibus.
CI. brachiis liberis. 443. Astractura*.
CII. brachiis patagio jimctis. 444. Stauractura *.
D. brachiis qiiinque (liberis). 445. Pentactura*.
E. brachiis sex (liberis). 446. Hexactura*.
3. Subfainilia: Porodiscida.
Discida testa clathrata discoidea aut lentiformi biconvexa, iu cu-
jus centre locum testae medullaris camera minima clathrata
occupat, inclusa anuulis concentricis (aut spiralibus), qui per
radios interruptos in cameras minimas irrcgulares dividuntur.
Ambas superficies disci lamina cribrosa silicea occupat. Saepe
aculei radiosi aut bi'achia camerata e margine testae exeunt.
3 a. Tribus : T r e m a t o d i s c i d a.
Porodiscida inermia vel anacantha, sine aculeis marginalibus et
sine brachiis cameratis.
A. testa disciformi simplici sine ostio margiuali coronato.
A I. disco sine zona porosa aut spongiosa.
447. PORODISCUS *.
la. annulis omnibus concentric. 448. Trematodiscus.
lb. annulis intra concentricis, extra spiralibus.
449. Perispira*.
Ic. annulis intra spiralibus, extra concentricis.
450. Centrospira*.
Id. annulis omnibus spiralibus. 451. Discospira.
le. annulis irregularibus et interruptis.
452. Atactodiscus *.
A II. disco zona lata porosa (cingulo laminam aequatorialem
porosam formante). 453. P]':riciilamydium.
A III. disco zona spongiosa. 454. Perispongidium*.
B. testa disciformi simplici, marginis ostio spinis coronato (Cyr-
tidum apertorum ostio coronato simillimo) — an Mono-
pylaria?? ^ 455. Ommatodiscus.
3b. Tribus: Stylodictyida.
Porodiscida aculeata, aculeis marginalibus in piano aequatoriali
sitis et e margine disci radiantibus (sed sine brachiis ca-
meratis).
4G0 Ernst Haeckel,
A. aculeis duobus oppositis. 456. Xiphodictya *.
B. aculeis tribus aequidistautibus. 457. Tripodictya*.
C. aculeis quatuor ad formam crucis rectaugularis dispositis.
458. Staurodictya *.
D. aculeis multis raarginalibus (quinque aut pluribus plerumquc
sine ordine radiantibus).
D I. disco sine zona porosa aut spong. 459. Stylodictya.
DII. disco zona lata spougiosa. 460. Stylochlamydium *.
Dill, disco zona spongiosa. 461. Stylospongidium *.
3c. Tribus: Euchitonida.
Porodiscida brachiata, brachiis cameratis in piano aequatoriali sitis
et e margine disci radiantibus (saepe aculeis brachiorum ter-
niinalibus, saepe brachiis patagio vel vimento camerato con-
junctis).
A. brachiis duobus oppositis.
A I. brachiis simplicibus.
la. sine patagio. 462. AMPniBRACHiUM*.
lb. cum patagio. 463. Amphymenium *.
All. brachiis dichotomis aut ramosis.
II a. sine patagio. 464. Amphirhopalum *.
lib. cum patagio. 465. Amphicraspedum *.
B. brachiis tribus.
BI. brachiis simplicibus.
la. sine patagio. 466. Rhopalastrum.
lb. patagio basali. 467. Hymeniastrum.
I c. patagio totali. 468. Euchitonia.
BII. brachiis dichotomis aut ramosis.
II a. sine patagio. 469. Dictyastrum.
lib. cum patagio. 470. Chitonastrum *.
C. brachiis quatuor, ad formam crucis rectangularis dispositis.
CI. brachiis simplicibus.
la. sine patagio. 471, Hagiastrum*.
lb. patagio basali. 472. Histiastrum.
I c. patagio totali. 473. Tesserastrum *.
Id. patagio apicali. 474. Stephanastrum.
CII. bi-achiis dichotomis aut ramosis (sine patagio).
II a. cruce rectangulari. 475. Dicranastrum *.
lib. cruce irregulari. 476. Cerata strum *.
lie. cruce quadricorni. 477. Myelastrum*.
lid. cruce raniis trichotomis. 478. Tricranastrubi *.
Entwurf cines Eadiolarien-Syt^lems u. s. w. 461
D. brachiis quinque.
DI. sine patagio. 479. Pentalastkum '^
DII. cum patagio. 480. Pentinastrum*.
E. brachiis sex.
EI. sine patagio. 481. Hexalastkum *.
EII. cum patagio. 482. Hexinastrum *.
4. Subfamilia: Spongodiscida.
Discida testa spongiosa discoidea aut lentiformi biconvexa, ramulis
inniimerosis siliceis vimentum densum aut laxum formantibus
(sine annulis concentricis Coccodiscidum et Porodiscidura , sine
laminis cribrosis regularibus superficiei. Saepe testa medullaris
simplex aut duplex in centro disci; saepe aculei aut brachia
spongiosa e margine disci radiantes).
4a. Tribus: Spongophacida.
Spongodiscida inermia, sine aculeis marginalibus et sine brachiis
spongiosis.
A. disci tela spongiosa homogenea. 483. Spongodiscus.
B. disci tela spongiosa heterogenea (substantia medullari densa,
a corticali laxa distincta). 484. Spongophacus *.
4b. Tribus: Spongotrochida.
Spongodiscida aculeata (sed non brachiata) cum aculeis margina-
libus in piano disci sitis.
A. aculeis duobus oppositis. 485. Spongolonche*.
B. aculeis tribus aequidistantibus. 486. Spongotripus*.
C. aculeis quatuor ad crucis form. disp. 487. Spongostaurus*.
D. aculeis multis (quinque aut pluribus).
DI. aculeis in margine disci solo. 488. Stylotrochus.
DII. aculeis e superficie utraque disci radiantibus.
489. Spongotrociius.
4c. Tribus: Spongobrachida.
Spongodiscida brachiata, brachiis spongiosis in piano disci sitis et
e margine radiantibus, saepe patagio spongioso (tela reticulata
laxiori) involutis.
A. brachiis duobus oppositis.
A I. sine patagio. 490. Spongurus.
All. cum patagio. 491. Spongobrachium *
B. brachiis tribus.
BI. sine patagio. 492. Rhopalodictyum.
BII. cum patagio. 493. Dictyocokyne.
462 Ernst Ilaeckel,
C. bracliiis quatuor, criicem furniautibus.
CI. sine patagio. 494. Spongasteriscus.
C II. cum patagio. 495. Spongaster.
VIII. Familia: Zygartida.
Peripylaria (vel Spumellaria) gemiiia, testa clathrata gemina ob-
longa, strictura aequatoriali annuliformi in duo diniidia hemi-
elliptica divisa; plerumque testa medullari (— testa globosa
parva centrali — ) simplici aut duplici praedita, quae radiis cum
strictura testae conjuncta est. Saepe in axi longitudinali vel
principal! ( — cujus poli ambo aequales sunt — ) testa prolon-
gatur aut in duas spinas oppositas aut in duos tubulos poroses,
aut in duo brachia canierata. Capsula centrali geniina, stri-
ctura aequatoriali constricta, a testa inclusa. Zygartiduni Fa-
milia a Spbaeridibus dissacanthis (Stylosphaera etc.) derivauda
est, quorum testa in directione axis principalis (in quo ambo
aculei oppositi jacent) prolongatur et medio constringitur.
1. Subfamilia: Artiseida.
Zygartida simplicia, sine testa medullari. Testa clathrata simplici
ellipsoide, medio constricta.
A. sine pi-ocessibus axis principalis.
A I. testa laevi. 496. Artiscus*.
All. testa spinosa. 497. Artidium*.
B. cum processibus axis principalis.
BI. duobus aculeis solidis oppositis. 498. Stylartus*.
BII. duobus tubulis porosis oppositis. 499. Cannartus*.
2. Subfamilia: Cyphinida.
Zygai-tida testa medullari simplici aut duplici praedita, quae ra-
diis cum strictura testae ellipsoidis clathratae aequatoriali con-
juncta est.
A. sine processibus axis principalis.
A I. testa laevi. 500. Ommatospyris.
All. testa spinosa. 501. Didymocyrtis.
A III. testa pallio spongioso involuta. 502. Didymophormis*
Entwurf eiiics Kadiolarien-Systcms u. s. w. -jOo
B. cum processibus axis principalis.
BI. duobus aculeis solidis oppositis. 503. Cypiiinus*
BII. duobus tubulis porosis oppositis. 504. Panakium'''\
B III. duobus brachiis cameratis oppositis.
Ill a. testa laevi. 505. Ommatocampe.
Illb. testa spinosa. 506. Ommatartus*.
Ill c. testa pallio spongioso involuta.
c t pallio simplici laevi. 507. Ommatogram]\ia.
eft pallio duplici spinoso. 508. Zygartus*.
IX. Familia: Pylonida.
Peripylaria (vel Spumellaria) pylophora vel portaria, testa cla-
thrata subspbaerica oblonga, fissuris niagnis vel portis cla-
throrum insigni, pleruraque testa raedullari ( — testa ccntrnli
parva — ) elliptica, quae radiis cum poiitibus clathratis (inter
fissuras) conjuncta est. Promorpha geometrica „allostaura octo-
pleura", formam crystallorum systematis rbombici (vel Octae-
drum rhombicum) aequat, tribus axibus (invicem perpendicu-
laribus) inaequalibus homopolis; pontes clathratae inter fissuras
plerumque polls axium correspondent. Pylonida a Sphaeridibus
derivanda per crescentiam inaequalem testae clatbratae in tribus
axibus. Capsula centralis ellipsoides vel lobata.
1. Subfamilia: Pylocapsida.
Pylonida simplicia, sine testa medullari. Testa clathrata simplici
elliptica, fissuris magnis symmetricis insigni.
A. fissuris duabus oppositis in polls axis longitudinalis.
509. Pylosphaera.
B. fissuris quatuor cruciatis
(duobus in polls axis longitudinalis,
duobus in polls axis transversalis). 510. Pylocapsa*.
2. Subfamilia: Pylophormida.
Pylonida testa medullari simplici aut duplici praedita, quae radiis
cum pontibus clathratis (inter fissuras testae ellipticae com-
planatae magnas sitis) conjuncta est.
A. fissuris duabus oppositis (in polls axis longitudinalis).
A I. testa bifida simplici. 511. Amphipyle*
AIL testa bifida duplici. 512. AMPraPYLONiuM *
4G4 Ernst Ilaeckol,
B. fissuris tribus aequidistantibus.
testa trifida siniplici. 513. Triopyle*.
C. fissuris quatuor symmetricis lateralibus.
CI. testa quadrifida simplici. 514. Tetrapyle.
CII. testa quadrifida duplici. 515. Tetrapylonium *
cm. testa quadrif. pallio spong. 516. Tetraspongonium*
D. fissuris sex symmetricis.
DI. testa sexfida simplici. 517. Hexapyle*
D 11. testa sexfida pallio spoiigioso. 518. Hexaspongonium*
E. fissuris octo symmetricis.
testa octofida simplici. 519. Octopyle*
F. fissuris multis (decem vel pluribus).
testa multifida simplici. 520. Pylonium*.
X. Familia: Lithelida.
Peripylaria (vel Spumellaria) agglomerata, plerumque subsphaerica
irregularia, aut testa clatlirata unica spiraliter involuta aut
testis pluribus coiiglomeratis. Promorpha geometrica plerum-
que irregularis. In centro testae clathratae semper testa me-
dullaris globosa subsphaerica aut elliptica jacet, circum quam
aut clathri irregulares aut ambitus spiralis continuus clathratus
aut glomus camerarum accrescunt.
1. Subfamilia: Phortieida.
Lithelida subglobosa: testa clathrata irregulari, uec spirali, nee
glomerata.
A. testa laevi. 521. Phorticium*.
B. testa spinosa. 522. Echinosphaera.
C. testa pallio spongioso involuta. 523. Spongophortis *.
2. Subfamiha: Soreumida.
Lithelida conglomerata: testis clathratis pluribus, sine certo ordine
circum testam medullarem centralem accretis.
A. testa laevi, 524. Soreuma*
B. testa spinosa. 525. Soreumidium*
3. Subfamilia: Spireuma.
Lithelida spiralia; testa clathrata subglobosa spiraliter involuta.
A. testa laevi. 526. Spjreuma*
B. testa spinosa.
B I. aculeis simplicibus. 527. Lithelius.
BII. aculeis ramosis. 528, Drymospira*
Eiitwurf eines Radiolarieu-Systeras u. s. w. 405
III. Ordo: Acantharia.
Acanthometrae , Johannes Mullee, 1868.
Acanthometrida , Biploconida et Dorataspida, Hkl., 186'i.
Panacaniha, Hkl., 1878.
Acanthometreae , Hertwig, 1879.
Radiolaria moiiocyttaria, capsula centrali solitaria, polyaxonia (ab
origine sphaerica); membrana capsulae simplici, ubique poris
perforata; nucleis cellulae pluribus; skeleto acanthinico (raro
siliceo) spiculis aut aculeis pluribus in uno puncto radiate coii-
junctis ab origine coniposito, interdum testam clathratam for-
mante.
XL Familiar Acanthonida.
Acantharia skeleto spiculoso, e viginti aculeis acantbinicis (ad
legem Johannis Miilleri in quinque zonas parallelas quadrispinas
dispositis), in centro conjuiictis coniposito; aculeis simplicibus,
ramosis aut clathratis, sed testam clathratam perfectam non
componentibus.
1. Subfamilia: Acanthometrida.
Acanthonida aculeis viginti aequalibus.
la. Tribus: Astrolonchida.
Aculeis separatis, in centro corporis invicem innisis et contiguis,
sed non coalitis.
A. aculeis simplicibus, sine processibus transversis.
A I. acul. acuform. simplicissimis. 529. Acanthometra.
All. aculeis bifidis vel furcatis. 530. Zygacantiia.
AIII. aculeis trifidis vel trilobis. 531. Lithophyllium.
A IV. aculeis quadrif. vel quadrifoliis. 532. Acanthonia *.
B. aculeis processibus transversis duobus oppositis.
BI. processibus simplicibus. 533. Astrolonche*
BIL processibus ramosis. 534. Phractacantha *
Bill, processibus clathratis. 535. Doratacantha *.
C. aculeis processibus transversis quatuor cruciatis.
CI. processibus simplicibus. 536. Xiphacantha.
CII. processibus ramosis. 537. Stauracantha *.
Bin. processibus clathratis. . .538. Phatnacantha *.
Cd. XV. N. F. VIII, 3. 30
400 Ernst Haeckel,
lb. Tribus: Astroli thida.
Aculeis omnibus coalitis, in ccntro corporis confusis (simplicibus).
539. ASTROLITHIUM.
1 c. Tribus : A c a n t h o c h i a s in i d a.
Aculeis oppositis binis coalitis (inde skeleto decern aculeis aequa-
libus composite, in centre cruciatis). 540. Agantiiochiasma.
2. Subfarailia: Aeanthostaurida.
Acantlionida aculeis aequatorialibus quatuor forma aut magnitudine
a ceteris sedecim diversis.
2a. Tribus: Staurolonchida.
Aculeis separatis, in centro corporis invicem innisis et contiguis,
sed non coalitis.
A. aculeis sine processib. transversis. 541. Acanthostaurus.
B. aculeis processibus transversis duobus oppositis.
BL processibus simplicibus. 542. Stauroptera *.
BII. processibus ramosis. 543. Xiphoptera*.
Bin. processibus clathratis. 544. Lithoptera.
C. aculeis processibus transversis quatuor cruciatis.
CI. processibus simplicibus. 545. Staurolonche *.
CII. processibus ramosis. 540. Staurobelone *.
CIII. processibus clathratis. 547. Staurodoras *.
2b. Tribus: Stauroli thida.
Aculeis omnibus coalitis, in centro corporis confusis (simplicibus).
548. Staurolitiiium *.
3. Subfamilia: Acantholonehida.
Acanthonida aculeis aequatorialibus duobus oppositis forma aut
magnitudine a ceteris octodecim diversis.
3a. Tribus: Amphilonchida.
Aculeis separatis, in centro corporis invicem innisis et contiguis, sed
non coalitis (simplicibus).
A. aculeis aequat. ambobus aequalibus. 549. Ampiiilonciie.
B. aculeis aequat. amb. inaequalibus. 550. Acantholonche*.
3b. Tribus: Amphilithida.
Aculeis omnibus coalitis, in centro corporis confusis (simplicibus).
A. aculeis aequator. ambobus aequalibus. 551. Ampiiilitiiium *.
B. aculeis aequator. ambob. inaequalibus. 552. Ampiiibelone*.
Entwurf oines Eadiolurieu-Systenis ii. s. w. 4G1
XII. Familia: Diploconida.
Acanthaiia skeleto amphiconico, testam acanthinicani solidam (iiec
clathratani iiec porosani) forma coni duplicis refeiente. Forma
peculiaris ab AmphiUthio derivaiida, cujus aculei octo tropici
foliacei in duos conos oppositos coaliti sunt; (axem communoni
amborum conorum aculeus maximus occupat coalitione duorum
aculeorum aequatorialium oppositorum ortus. Aculeorum cetc-
rorum decern (duorum aequatorialium et octo polarium) rudi-
menta parva restaut.
Genus unicum charactere familiae: 553. Diploconus.
XIIJ. Familia: Dorataspida.
{Borataspida , Hkl., 18G2).
{Acanthophractida , Hertwig, 187U).
Acantharia skeleto sphaeroidali, testam clathratam sphaericam,
subsphaericam aut ellipticam, simplicem aut duplicem referente;
testa componitur ramis communicantibus processuum transver-
sorum viginti aculeorum, qui in centro globi conjuncti et api-
cibus terminalibus in quinque zonas parallelas quadrispinas (ad
legem Johannis Miilleri) dispositi sunt.
1. Subfamilia: Phraetaspida.
Dorataspida testa clathrata globosa aut elliptica simplici.
la. Tribus: Stauraspida.
processibus transversis aculeorum (testam formantibus) dichotomis
aut ramosis, sed uon clathratis (ramis cujusque aculei inter se
nou coalitis) testa sphaerica.
A. aculeorum processibus transversis duobus oppositis.
A I. sine spinis testae accessoriis. 554. Phractaspis *.
AIL multis spinis testae accessoriis. 555. Pleuraspis*.
B. aculeorum processibus transversis quatuor cruciatis.
BI. sine spinis testae accessoriis. 556. Stauraspis'".
BII. multis spinis testae accessoriis. 557. Echinaspis*.
lb. Tribus: Lychnaspida.
processibus transversis aculeorum (testam formantibus) clathratis
(ramis processuum cujusque aculei coalitis et scutum perforatum
referentibus).
30*
4G8 Ernst Haeckel,
A. aculeorum processibus transversis duobus oppositis (inde
20 scutis centro biforis).
A I. testa laevi, sine spinis accessoriis.
la. testa sphaerica. 558. Dorataspis.
lb. testa elliptica. 559. Thoeacaspis*.
AIL testa (sphaerica) laevi (sine spin, ace), sed viginti
pluteis insigni aculeorum processibus transversis se-
cundariis (extra testam) form. 560. Orophaspis*
A in. testa aspera, multis spinis accessoriis.
II a. spinis accessoriis simplicibus liberis.
af testa sphaerica. 561. Acontaspis*.
aft testa elliptica. 562. Belonaspis*.
lib. spinis accessoriis foliaceis, in viginti tubulos
coronatos confusis, vaginarum instar basin acu-
leorum circumdantes.
bf testa sphaerica. 563. Ceriaspis*.
bff testa elliptica. 564. Coleaspls*.
B. aculeorum processibus transversis quatuor cruciatis (inde
20 scutis centro quadriforis).
A I. testa laevi, sine spinis accessoriis.
la. testa sphaerica. 565. Tessaraspis *.
lb. testa polyedrica (20 angulis). 566. Icosaspis *.
Ic. testa elliptica. 567. Phatnaspis*.
All. testa sphaerica laevi (sine spinis accessoriis), sed
viginti pluteis insigni, aculeorum processibus trans-
vers. secund. (extra testam) form. 568. Stec4ASpis*.
A III. testa aspera (sphaerica), multis spinis accessoriis.
569. Lychnaspis*.
2. Subfamilia: Phraetopelmida,
Dorataspida testa clathrata globosa aut elliptica duplici concentrica
(clathris interuis primariis, externis secundariis).
2a. Tribus: Stauropelmida.
processibus transversis aculeorum (testam formantibus) dichotomis
aut ramosis, sed non clathratis (ramis cujusque aculei inter se
non coalitis). — Testa sphaerica duplici laevi, sine spinis ac-
cessoriis).
A. aculeorum proc. transv. duob. oppos. 570. Phractopelma *.
B. aculeorum process, transv. quat. cruc. 571. Stauropelma*.
Entwurf eines Radiolari en-Systems u, s. w. 469
2b. Tribus: Dory pel mi da.
processibus traiisversis aculeorum (testam formantibus) clathratis
(rarais processuum cujusquc aculei coalitis ct scutum perfora-
tum referentibus). — (Testa sphaerica duplici laevi, sine spinis
accessoriis).
A. aculeorum proc. trausv. duobus oppos. 572. Dorypelma*.
B. acul. proc. tr. quatuor cruciatis. 573. Tessaropelma *.
XIV. Familiar Sphaerocapsida.
Acantharia skeleto sphaerico, testam acanthinicam porosam sim-
plicem formante, quae apices terminales viginti aculeorum ra-
dialium, in centro conjunctorum et ad Johannes Muelleri
legem dispositorum conjungit. Forma peculiaris ab Astrolithio
simplici derivanda, cujus 20 aculei apice (in superficie involucri
gelatinosi) membrana acanthinica globosa conjuncti sunt.
Genus unicum charactere familiae: 574. Sphaerocapsa *.
XV. Familia: Litholophida.
Acantharia irregularia, skeleto e multis aculeis acanthinicis , sine
certo numero et ordine ex uno puncto radiantibus composito.
A. aculeorum fasciculo conico, aculeis simplicibus multis intra
globi quadrantcm radiantibus. 575. Litholophus.
B. aculeorum fasciculo sphaerico, aculeis simplicibus multis
ubique radiantibus. 576. Astrolophus*.
IV. Ordo: CollodarJa
(= Thalassicollea , = Collida, = PancoUa).
Radiolaria monozoa, capsula centrali unica, ubique poris perforata,
membrana capsulae simplici, nucleo unico, sine skeleto aut cum
skeleto multis spiculis siliceis solidis separatis composito.
XVI. Familia: Thalassocollida (Hkl. 1862).
Collodaria mollia, sine skeleto.
A. Capsula centrali sine pallio alveolorum.
A I. nucleo globoso simplici. 577. Thalassolampe.
AIL nucleo ramoso. 578. TnALASsapiLA *.
470 Ernst Haeckel,
B. Capsula central! in pallium alveoloruui iuclusa.
BI. nucleo gluboao laevi. 579. Thalassocolla.
BII. nucleo ramoso vel papilloso. 580. Thalassophysa*
XVll. tamilia: Thalassosphaerida (Hkl. 1862).
Collodaria spiculifera, skeleto multis spiculis siliceis solidis, capsu-
1am centralem circumdantibus composito.
A. Capsula central! sine conis internis centripetalibus.
A I. spiculis simplicibus. 581. Thalassosphaera.
All. spiculis ramosis. 582. Thalassoxanthium*.
B. Capsula central! cum conis internis centripetalibus, spiculis
simplicibus. 583. Physematium.
V. Oido: Phoeodaria.
{Pansolenia , Hkl., 1878).
{Tripylea, Hertwicj, 1879.)
Radiolaria monocyttaria, capsula central! solitaria, membrana cap-
sular! duplic! insigni; areis porosis membranae pluribus (una
principal! ad polum axis principalis oralem, et una vel pluri-
bus areis accessoriis); nucleo cellulae unico; pigmento extra-
capsular! phaeo; skeleto siliceo extracapsular! polymorpho, ple-
rumque tubulis siliceis cavis insigni.
Conspectus familiarum et generum hujus ordinis (aut classis sepa-
ratae?) jam datus est in: „S!tzungsber!chte der Jen. Gesellsch.
fur Medic, und Naturw. 1879" (12. December).
Will. Familia: Phaeocystida.
1. Sub familia: Phaeodinida. Genera: 584. Phaeodina.
585. Phaeogolla.
2. Subfamilia: Cannorhaphida. Genera: 586. Cannurhaphis.
587. Thalassoplancta. 588. Dictyocha.
3. Subfamilia: Aulacanthida. Genera: 589. Aulagantha.
.590. AlJLANCORA. 591. AULOGRAPHIUM.
XIX. Familia: Phaeo gromida.
1. Subfamilia: Challengerida. Genera: 592. Challengeria.
593. TuscARoRA. 594. Gazelletta. 595. Porcupinia. 596. Ento-
cannula. 597. Lithogromia.
Eutwurf eiues Eadiolarien-8ystems u, s. w. 471
2. Subfainilia: Castanellida. Goiiera: 598. Castanella.
599. Castanidium. 6(X). Castanissa. 601. Castanopsls. G02. Ca-
STANURA.
3. Subfamilia: Circoporida. Genera: 603. Cikcopokus.
604. CiKCosPATHis. 605. Circostephanus. 606. Porostepha-
NUS. 607. POKOSPATHIS.
XX. P'amilia: Phaeosphaerida.
1. Subfamilia: Aulosphaerida. Genera: 608. Aulosphaera.
609. AuLODiCTYUM. 610. Auloplegma.
2. Subfamilia: Cannosphaerida. Genera: 611. Cannacantha.
612. Cannosphaera. 613. Coelacantha.
XXI. Faniilia: Phaeoconchida.
1. Subfamilia: Concharida. Genera: 614. Concharium.
615. CoNCHOPSis. 616. Conchidium. 617. Conchoceras.
2. Subfamilia: Coelodendrida. Genera: 618. Coelodendrum.
619. CUELOTHAMNUS. 620. COELODRYMUS. 621. COELOTHAUMA.
VL Ordu: Symbelaria.
{CoUosphaerida, Hkl. , 1862.)
Radiolaria polycyttaria, capsulis centralibus pluribus in coenobium
consociatis, colla alveolata connexis; membrana capsularum sim-
plici, ubique poris perforata; nucleis cujusque cellulae pluribus.
Skeleto testas siliceas clathratas subglobosas (simplices aut du-
plices) circa singulas capsulas formante.
XXII. Familia: CoUosphaerida.
1. Subfamilia: Acroaphaerida.
Symbelaria testis clathratis simplicibus subglobosis irregularibus.
A. testae laevi, sine spinis et tubulis. 622. Collosphaera.
B. testa spinosa , "spinis basi clathratis. 623. Agrosphaera *.
C. testa bacillis radiosis centripetis, ab interna testae facie
introrsum prodeuntibus. 624. Tribonosphaera *.
D. testa tubulosa, pororiira parte in tubulos clathratos producta.
625. SiPHONOSPHAERA.
472 Ernst Haeckel, Entwurf eines Eadiolari en- Systems u. s. w.
2. Subfamilia : Clathrosphaerida.
Symbelaiia testis clathratis subglobosis duplicibus conceiitricis (ex-
tenio et interno globo per rad. unitis).
A. testae externae superficie laevi. 626. Clathrosphaera *
B. testae externae superficie spinosa. 627. Xanthiosphaera*,
VII. Ordo: Syncollaria.
{Sphaerozoida , Hkl., 1862.)
Radiolaria polycyttaria, capsulis centralibus pluribus in coenobium
consociatis, colla alveolata connexis; membrana capsularuni sim-
plici, ubique poris perforata; nucleis cuj usque cellulae pluribus.
Skeleto aut deficiente aut spiculis siliceis solidis separatis inultis,
capsulas centrales extra circumdantibus composito.
XXIII. Familiar Sphaerozoida.
Syncollaria spiculosa, skeleto siliceo spiculis multis separatis solidis,
capsulas centrales extra circumdantibus composito.
A. spiculis omnibus simplicibus (nee ramosis nee compositis).
628. Rhaphidozoum.
B. spiculis (omnibus aut parte) compositis aut ramosis.
629. Sphaerozoum.
XXIV. Faiiiilia: Collozoida.
Syncollaria mollia, sine skeleto.
Genus familiae unicum: 630. Collozoum.
Frommannsche Buehdruckerei (Hermann Pohle)
iu Jena.
Der Organismus der Hydroidpolypen.
Dr. Otto Uaniami,
Assistent nm znologischen Institut in Jena.
Hierzu Tafel XX— XXV.
Einleitung.
Die folgenden Untersuchungen wurden im Herbst 1880 in Hel-
goland begonnen. An conservirtem Material warden dann die Stu-
dien an Tubularia coronata fortgesetzt. Durch andero Arbeiten
beschiiftigt, setzte ich dieselben aus bis zum Sommer 1881, wo
dieselben von neuem begonnen wurden. Ein Winteraufentbalt von
f) Monaten an der zoologischen Station in Neapel liess die Arbeit
bis zum Schlusse fiiren.
Urspriinglich sollte die Entstehung der Geschlechtsstoffe mit
erforscht werden, doch da dieselben bereits von Prof. Weisniann
in vergieichender Weise bei den Coelenteraten untersucht wird,
so wurde dieser Teil bei Seite gelassen und nur von einer Hale-
ciumart die Entstehung geschildert.
Die Histologie der Hydroidpolypen war bisher noch nicht ver-
gleichcnd dargestellt vvorden. Ueber die meisten Arten fehlten
bisher iiberhaupt Angaben. In Folge dessen ist auch ein natur-
liches System der Polypen noch nicht vorhanden.
Im Folgenden soil zuniichst eine Zusammenstellung der all-
gemeineren Resultate folgen, und zum Schluss die Histologie einiger
Arten gegeben werden.
Kurzer Ueberblick der die Histologie behandelnden
Abhandlungen.
Alle bis zum Jare 1870 erschienenen Arbeiten uber Hydroid-
polypen sind in dem grossen Werke von AUman^) zusammen-
gestellt worden. Dieselben euthalten wenig oder nichts, was auf
i)Allman, A monograph of the Gymnoblastic or Tubularian
Hydroids, London 1871.
474 Dr. Otto Hamann,
den feineren Bau der Hydroidpolypen Bezug hiitte und haben wir
uns deshalb auf die neueren Arbeiten zu beschranken.
Der ersten Arbeit, welche zur richtigen Erkcnntnis des feine-
ren Baues der Poly pen beitrug, von Fr. E. Schultze'), folgte
die Monographie Kleinenbergs^) uber Hydra.
Ersterer Forscher unterschied zuerst die 3 Schicliten , welche
den Korper zusammensetzen , das Exoderm mit der Muskelschicht,
die Stiitzlamelle und das Entoderm.
In einer 1873 erschienenen Arbeit weist dann derselbe For-
scher 3) auch bei Syncoryne das Vorhandenscin der vier genann-
ten Gewebselemente nach.
Weiter ist dann eine Abhandlung von C. Grobben^) zu
nennen, welche sich mit dem feineren Bau von Podocoryne be-
schaftigt. In dieser Arbeit weist der Verfasser das Vorkommen
von Taeniolen im Entoderm mit Entschiedenheit zuruck. Wie wir
aber sehen werden, finden sich dieselben dennoch vor.
Dieser Arbeit folgte 1879 eine Abhandlung von Ciamician^),
welche sich betitelt: „Ueber den ferneren Bau und die Entvvick-
lung von Tubularia Mesembryanthemum." Trotz des Titels findet
sich jedoch nur die Histologie der Tentakel dargestellt. Die An-
gaben dieses Forschers konnen wir mit gutem Gewissen als in
alien Teilen falsch erklaren. Das Vorkommen von Ringmuskel-
fasern, die merkwiirdige Zellschicht, die von den Fortsatzen der
Nesselkapselzellen gebildet werden soil, habe ich nirgends gefun-
den. Gegen seine Darstellung der Entwicklung sind bereits Zweifel
von Balfour*') erhoben worden. Die ganze Darstellung ist ein
Conglomerat von Fehlern. Die epibolische Gastrula, deren Bildung
uns sogar durch Abbildungen erlautert wird, existirt gar nicht!
Was die iibrigen Angaben betrifft, so ist bereits von anderer
Seite die von ihm gegebene Entstehung der Eier in den Gono-
phoren bei Eudendrium widerlegt worden. Auch diese Bildung
erlautert er durch Abbildungen! Uebcr Tubularia hatte auch
^) Fr. E. Schultze, TJeber den Bau und Entwicklung von
Cordylophora lacustris. 1871, Leipzig.
2) Klein enb erg, Hydra. 1872.
3) Fr. E. Schultze, XJeber den Bau von Syncoryne Sarsii.
1873. Leipzig.
■*) C. Grobben, Podocoryne carnea, Sitzungsberichte der Aca-
demie d. Wissenschaften zu Wien 1875.
») Ciamician, Zeitschrift f. wissenscliaftl. Zoologie , Bd. 32.
*^) Balfour, Handbuch der Embryologie, p. 148. Jena, 1880,
Der Organismus der Hydroidpolypen. 475
V. Koch^) einige Notizen gegeben. Die Histologie von Clado-
coryne floccosa behandelte Du Plessis*) und die von Campa-
nularia Fraipont ^).
In neuester Zeit ist von Weismann^) auf den feineren Bau
von Eudendrium bezugliches in einer Arbeit, welche iiber bisher
noch nicht gekannte Organe handelt, veroffentlicht worden; des-
gleichen hat derselbe Forscher in liurzen Mitteilungen uber die
Entstehung der Geschlechtsstoffe auch Einiges iiber den feineren
Bau bezugliches zugefugt.
Die genannten Arbeiten bieten uns nur die Histologie inso-
weit dar, als dieselbe one Schnitte anzufertigen , zu erkennen ist.
Mit Ausnahnie von Koch, welcher einige Schnitte durch Tubu-
laria abbildet, ist die Schnittmethode nicht angevvendet worden.
Da auch die Polypen der Siphonophoren untersucht wurden,
so sind hier die Arbeiten von Glaus s) zu nennen, in welchen
das Vorkommen von Liingswulsten bei Halistemma festgestellt
wurde, und die vorlilufige Mitteilung von Chun*^), welcher liber
das Vorkommen von Ganglienzellen und Nerven berichtet. Die
iibrigen hier nicht genannten Arbeiten iiber Polypen werden in den
Anmerkungen citirt werden.
Methoden zur Untersuchung.
Da es jetzt allgemein Mode geworden ist, den Arbeiten eine
Beschreibung der angewendeten Untersuchungsraethoden beizuge-
ben, so soil auch hier dicser Sitte gefolgt werden.
Um die Hydroidpolypen untersuchen zu konnen, ist lebendes
Material unerlasslich. Ueber die Bewimperung zum Beispiel der
Entodermzellen ist man nur am lebenden Tiere im Stande zu be-
richten.
Daneben ist jedoch die Untersuchung an Schnittserien uner-
lasslich. Ebenso sind die Macerationsmethoden von grossem
Werte.
Zum Toten der Tiere empfielt sich Kleinenbergs Pikrinschwe-
1) V. Koch, Jen. Zeitschr. 7. Jargg. Mitteilungen iiber Coelen-
teraten.
2) Du Plessis, Sur le Cladocoryne floccosa, Neapler Mittei-
lungen, Bd. 2.
3) Fraipont, Campanul. angulata. Arch. zool. exper. Tom. 8,
*) Weismann, Zur Entstehg. d. Geschlechtsstoffe, Zoolog. An-
zeiger. — "Weismann, Ueber eigentiimliche Oi'gaue bei Eudendrium
racemosum. Neapler Mitteilungen, 1881.
5) C. Glaus, Ueber Halistemma tergestinum, 1878. Wien.
^) Chun, Zoolog. Anzeiger, 1880.
476 Dr. Otto Hamann,
felsiiure in unverdunntem Zustande am meisten. Daneben kann
audi die Totung durch Sublimat bewirkt werden, doch hat dieses
den Nachteil, dass die Zellgrenzen des Entoderms verwischt er-
scheinen.
Die Einbettung geschah mit der neuen Methode in Chloro-
form iind Paraffin 1). Die Schnitte warden mit einer ScheUack-
losung fest auf den Objekttriiger befestigt. Von Caldwell ist die
an selbiger Stelle angegebene Methode vereinfacht worden und
zwar auf folgende Weise. Man stellt sich eine Liisung von Schcl-
lack (womoglich des weissen in Stangen vorkommenden) in Kreo-
sot her, indem man (lurch Erwilrmen das Schellack lost. Die L'6-
sung braucht keineswegs concentrirt zu sein. Man hat hi(!rbei
vor dcm Zutritt von Feuchtigkeit, wie Wasserdiimpfen, das Kreo-
sot in Acht zu nehmen. Mit dieser Losung, die man vor dem
Gebrauch filtriren kann, bestreicht man mittels eines Pinsels ganz
diinn den Objekttrager. Die Schnitte werden nun auf den mit der
Losung bestrichenen Objekttrager gebracht und das Kreosot durch
Verdampfen auf einem 50 « Cels. bcsitzenden Wasscrbad lieseitigt.
Durch Riechen an dem Objekttrager tiberzeugt man sich, ob das
Kreosot vollkommen verdampft ist. Man spiilt nun mit Terpen-
tinol das Paraffin ab und verfilrt weiter in der bekanntcn Weise.
Zum Farben wurde das Grenachersche Alkohol-P)oraxcarmin und
das Ranviersche Pikrocarmin verwendet.
Die Isolationspraparate wurden auf folgende Weise gewonnen.
Man fertigt Schnitte an, die nicht allzufein zu sein brauchen,
bringt dieselben in Alkohol zuriick, wenn man zum Schneiden in
Paraffin eingebettet hatte und isolirt nun die Zellen durch klopfen
auf das Deckgliischen.
Will man die Zellen der Polypen in demselben Zustande er-
halten haben, in welchem sie im Momentc dei' Fixirung sind , so
ist ein rasches Uebergiessen mit heisscm Sublimat zu empfehlen. —
Dieses sind im Grossen und Ganzen die angewendeten Me-
thoden. —
Die Terminologie der Hydroi d polyp en.
Die Terminologie erfreut sich bei dieser Abteilung einer un-
geheuren Ausdehnung. Durch Hincks'^) und Allman^) ist
1) siehe Zoolog. Anzeiger, Kr. 92. 1881. Zur Schneideteclinik
von Giesbrecht.
2) Hincks, A History of the British Hydroid Zoophytes. Lou-
don 1868.
3) All man, A monograph of the Gymnoblastie Hydroids. Lon-
don 1871/72.
Der Organismus der Hydroidpolypen. 477
eine feste Bezeichnuiig eingefiirt wordeii. Wir werden in den
meisten Bezeichnungeu diesen Forschern folgen, oue aber die ver-
schicdenen unnotigen Namen alio zu gebrauclien.
Wir sclieiden die verschiedeneii Personen der Hydroidpolypen
in drei Abteilungen. Zur ersten gehoren die Ntirpolypen oder Tro-
phopolypen , zur zweiten die Geschlcchtspolypen oder Gonopolypen
iind zur dritten die Wehrpolypen oder Machopolypen. Unter letz-
tere Kategorie gehoren die sogenannten Spiralzoids.
Die Gonopolypen sind riickgebildete, nur noch zur Aufnahme
der Geschleclitsstoffe dienende Polypen. Die Geschlechtskapseln
selbst nennen wir Gonophoren und unterscheidcn, um der Nomen-
clatur aus dem Wege zu gehen , in der sich niclitssagende Worte,
wie „Sporosac", linden:
1) polypoide Gonophoren,
2) medusoide Gonophoren.
Die ersteren sind stets von einer Chitinhiille umgeben, den
letzteren fehlt dieselbe.
Die ersteren sind riickgebildete Polypenkorper, die letzteren
hingegen nicht zur Ablosung gekoniniene Mcdusen,
Die Skelcttrore wird als Polyparium bezcichnet. Sobald man
aber nur das Skelett der einzelucn Person meint, spricht man von
der Hydrothcka oder dem Calyx. Es ist der Calyx also die
becherformige Erweiterung, welche dem Korper zum Schutze dient.
Das Skelett hingegen, der die einzelnen Tiere verbindende Weicli-
korper, wird als Perisa^k bezeichnct, und die von ihm umschlos-
senen Weichteile als Coenosa^k.
Die von All man gegebenen detaillirten Bezeichnungen fiir
die Telle des Gonophors, wie Gonoblastidium, Spadix u. s. w. er-
wanen wir unten, wenn wir sie anwenden.
Erster Teil.
I. Kapitel.
Zur Tectologie,
Von den vier Hauptstufen der Individualitaten , wie sie von
E. Haeckel aufgestellt wurden, der Plastide, dem Idorgan, der
Person und dem Stock treten uns bei den Hydroidpolypen die
letzten zwei entgegen.
478 Dr. Otto Hamann,
Die meisten dieser Tiere bilden Stocke und nur wenige For-
men bleiben als solitiirc Personen bestehen, vvie die Siisswasser-
form Hydra. Jede Person besitzt ihren eigenen Mund uud Magen.
Uni den Mund stehen die Tentakel meist stralenformig in einem
Kreise angeordnet. Bei vielen Arteu sind diese Organe noch nicht
auf einen Kreis urn den Mund beschrankt, sondern stehen an dem
ganzen Korper verteilt (z. B. Corydendrium , Syncoryue). Ausser
diesen schlechthin als Oraltentakeln zu bezeichnenden Tentakeln
tritt bei einigen Arten ein zweiter Tentakelkranz an der Basis des
Korpers auf (z. B. Tubularia).
Wir unterscheiden nur eine constante Axe, die Langsaxe (axon
principalis). Ihr einer Pol ist der Mund- oder Oralpol, warend
der andere, der Gegenpol, als Fuss- oder Aboralpol bezeichnet
wird. Mit dem Aboralpol heften sich die Tiere fest.
Die Stocke (cormi) werden durch Personen gebildet, welche
gleichfalls einaxig ungegliedert sind. Sie entstehen auf zweifache
Weise.
Bei der einen Gruppe entstehen die Stocke dadurch, dass an
einer Person neue Personen durch Sprossung entstehen. Diese
konimen nicht zur Ablosung von der Mutterperson, wie es zum
Beispiel noch der Fall ist bei Hydra, sondern bleiben im Zusani-
menhang mit derselben, sodass auch ihr Magen mit dem der er-
steren in Communication bleibt. Erfolgt die Sprossung nach be-
stimmten Gesetzen , so entstehen die regelmassigen Stocke (z, B.
Plumularien).
Bei der zweiten Gruppe treibt der den Stock erzeugende Po-
lyp an seiner Basis einen Wurzelstock, und es entspringen die
einzelnen Personen von diesem als Rhizom zu bezeichnenden Ge-
bilde gesondert. Auch hier bleiben dieselben in Communication.
Steht bei der ersten Gruppe der Stock senkrecht zur Anhef-
tungsfiache, so kriecht er bei der zweiten auf derselben und die
Personen erheben sich senkrecht von dem kriechenden Stock, der
oben als Rhizom bezeichnet wurde. —
Haben wir oben als Person jedes Individuum angesprochen,
welches eine centrale Hole, die Magenhole und eine Oeffnung, die
Mundoflfnung besass , so gilt dies nur fur die Grundperson der Po-
lypen. Die weiter unten naher zu besprechende Arbeitsteilung
lehrt uns den Begriff der Person zu erweitern. Wir haben riick-
gebildete Polypenpersonen vor uns, welche Mund und oft auch
die Magenhole eingebiisst haben. Zu ersteren gehoren die soge-
nannten Spiralzoids bei der Podocoryne-Gattung und die polypoiden
Der Organismus der Hydroidpolypen. 479
Gonophoren, wiirend zu letzterer die als Nematophoren bezeich-
neten Bildungeii gehoren.
Warend wir an deu Hydroid-Polypen im AUgenieinen imr eine
Axe, die Liiiigsaxe unterscheiden konnen uiid die Organc noch
nicht ill bestimniteii Radien augelegt siiid, wie dies bei den Ko-
rallenpolypen und weiter bei den Medusen der Fall ist, so giebt
es doch eine Art und vielleicht mehrere, nur ist es bei den an-
deren noch nicht erkannt worden, bei welcher sich die Tentakel
in bestiinniten Radien anlegeu! Diese neue im Golf von Neapel
gefundene Art, wclchc zu der Gattung Podocoryne gehort, haben
wir unteu niiher beschrieben und als Podocoryne Haeckeli be-
zeichnet.
Wir unterscheiden an derselben die durch das iiberall kennt-
liche Mundkrcuz gebildeten vier Radien erster Ordnung, die Per-
radieii. In diesen vier Perradien legen sich die vier primiiren
Tentakel an (vergl. die Abbildungen auf Tafel XXIV). Dieselben
sind stets durch ihre auti'allende Grosse kenutlich. In den zwischen
den Perradien liegenden vier Interradien entstehen die 4 niichst-
I'olgenden Tentakel. Sie bleiben stets an Wachstum hinter den
perradialen Tentakeln zuruck. Die folgenden Tentakeln — es ent-
stehen nur noch zwci — entstehen in den zwischen letztereii Ra-
dien gelegenen Adradien. Man triftt nur Personen init acht oder
zehn Tentakeln an, wiirend die jungcn Poly pen deren nur vier be-
sitzen.
Es ist also die gesetzmiissige Anlage der Organe nicht erst
bei den Medusen entstanden, sondern sie ist bereits bei den Hy-
droidpolypen vorhanden, wie eben gezeigt wurde.
Die Grundform
des Hydroidpolyp ist ein Cylinder, dessen Meridianebene ein
Rechteck ist. Auf der eiiien Kreisfiitche sitzt ein Kegel auf, dessen
Endfliiche mit der des Cylinders zusammenfiillt. Die durch die
Spitze des Kegels und durch das Centrum der gegeniiberliegenden
Endfliiche gehende Axe ist die Langsaxe. In der Spitze des Ke-
gels ist der Mund gelegen , wiirend der Kegel selbst den vorstiilp-
baren Mundkegel (Hypostoni) vorstellt. Die Endfliiche des Cylin-
ders bildet die Fussfliiche der Polypen. An der Basis des Kegels
inseriren die Tentakeln, welche gleichfalls von cylindrischer Ge-
stalt sind.
480 ■ Dr. Otto Hamann,
Die Wandung des Cylinders besteht aus den zwei Keimblat-
tern, dem Exo- und Entoderm. Letzteres hat eine oft als Meso-
derm bezeichnete Stiitzlamclle ausgeschieden, wiirend das Exoderm
einc Chitinhiille in Form eines den Polypen umgcbenden Cylinders
gebildet hat.
Da die Tentakeln Ausstiilpungen der Magenholc sind, so mils-
sen sich auch dieselben Schichten auf ihnen vorfinden.
Die Gewebe des Entoderms.
Sammtliche im Folgenden zu besprechenden Gewebeformen
sind entstauden oder gebildet von dem Entoderm der Gastrula,
welche uns bei alien Hydroiden begegnet und bald als Planula,
bald als Actinula benannt wird.
Beginnen wir unsere Schilderung mit der histologischen Be-
trachtung des Entoderms der Actinulae.
Nachdem sich bei dem Genus Tubularia die Gastrula gebildet
hat (die Beschreibung siehc unten), also der Embryo aus den zwei
primitren Keimbliittern besteht, treten zuerst zwei Ausstiilpungen
auf, die zwei primaren Tentakeln. Ihnen folgen zugleich die iibri-
gen in unbestimmter Anzal nach. Zugleich mit der Anlage der
Tentakeln bricht der Mund hervor. Sehen wir uns nun einen
solchen Embryo naher an , so treten uns im Entoderm bereits fol-
gende zwei Bildungen entgegen. Die Magenhole wird von flim-
mernden Zellen ausgekleidet ; die Tentakel hingegen zeigen in ihrer
Axe ein eigenes Gewebe, das wir als
I. Das entodermale Bindegewebe
bezeichnen wollen. Diese Zellen der Tentakelaxen gehen nicht un-
mittelbar in die Zellen des Entoderms iiber, sondern bilden einen
Ringwulst in der Mitte des Korpers (siehe die Abbildungen).
Zwischen diesen Bindesubstanzzellen und den erniirenden Ento-
dermzellen kommt eine Stiitzlamelle zur Ausscheidung.
Die Zellen dieser Bindesubstanz liegen in der Tentakelaxe
wie die Geldstiicke in einer Geldrolle oder die Zellen im Chorda-
gewebe. Dieses Verhalten ist bei alien Hydroidpolypen, welche
solide Tentakeln besitzen, dasselbe. Auch bei den Tentakelaxen
der jungen Actinulae ist dies der Fall.
Beim erwachsenen Tier hingegen liegen dieselben regellos an-
geordnet, wie sie auch im Ringwulst vorkommen. Wie wir die
Der Orgauismus der Hydroidpolypen. 481
EntstehuDg dieser Zellen uns zii deiikcii haben, wird im dritten
Teile gezeigt werdeii.
Was nun den Bau dieser Zellen anlangt, so bcsitzen sie eine
feste Menibran, in deren Innerera eine wasserhelle Fliissigkeit sich
findet. Das Protoplasma umgiebt den Kern and suspendirt ihn
im Centrum der Zelle an Faden. Der Beleg des Protoplasma ist
itusserst tliinn und oft kaum erkennbar. Warend bei den Zellen
der Tentakelaxe der Kern stets in der Mitte sich befindct, liegt
er bei den Zellen der Tentakeln der Tubularien, sowie in den
Zellen der Wiilste der ZcUwandung an. Das Protoplasma ist liier
kaum naclizuweisen und scheint es wie geschwuuden zu sein. Die
Form der Zellen ist eine blasige, kuglige, warend sie bei einsei-
tiger Lage die Form von Geldstiicken annehmeu.
Je nach dem Zustande der Contraction der Tentakel besitzen
die Zellen ein grosses oder kleines Lumen. Wir crwiinen, dass
in diesen Zellen haufig Ablagerungen von farbigen Concrementen
vorkommen, so vorziiglich in den Tentakelspitzen von Pennaria
Cavolinii. Ebenso bei den Spiralzoids von Podocoryne Haeckeli,
wo sic in der Mitte der Zellen dieser Gebilde liegen.
Sehen wir uns nach dem Vorkommen dieser Bindegewebszel-
len bei den iibrigen Coelenteraten uni, so finden wir sie bei den
Medusen wieder, wo sie gleichfalls die Axe der soliden Tentakeln
bilden. Nirgends treten sie aber in Form eines so milchtig ent-
wickelten Gewebes auf, wie es bei der Gattung Tubularia der Fall
ist (vergl. die Querschnittc Fig. 4, 5, 7 auf Tafel XXIII).
Wenn wir dieses Gewebe der Bindesubstanz zuzalen, so fol-
gen wir dem Vorgange von Haeckel') und Kollicker^).
II. Die Flimmerzellen.
Siiramtliche Holritume des Hydroidenkorpcrs werden von dem
inneren Keimblatte ausgekleidet. Die Magenhole und der Trich-
termund und ebenso die Tentakeln , falls dieselben hoi sind, wer-
den von stets flimmernden Zellen, deren Form bald cylinderformig,
bald abgeplattet sein kann, ausgekleidet. Wie schon Klein en-
berg hervorhebt, wechselt ihre Gestalt je nach den Contractionen
des Tieres. Das Flimmerhar — jeder Zelle kommt nur eins zu —
j&ndet sich iiberall. Diese Zellen sind also als Geisselzellen zu
1) E. Haeckel, Die Geryoniden. Jen. Zeitschrift Bd. II.
2) A. Kollicker, Icones histologicae. Leipzig, 1865.
Bd. XV. N. F. VIII. 4. 31
482 Dr. Otto Hamann,
benennen im Gegensatz zu jeneii Zellcn, welche zwei oder mehrere
Wiinpcni tragen unci von E. Haeckel den ersteren als Wimper-
zellcn gcgeniibergcstellt wcrden.
Die Geisselzellen sind Plasniaschlauche, deren Holraum mit
einer wasserhellen Fliissigkeit angefullt ist. Der Kern nebst seinem
iiberall sich findenden Kernkorperchen liegt im Plasma eingebettet.
An dem nach dem Magen zu liegenden Ende der Zelle findet eine
starkere Ansammlung der Protoplasmas statt, warend eine andere
den Kern einschliesst. Von letzterer setzen feine Faden durch
die das Zelllumen erfiillende Flussigkeit zu der den Zellschlauch
bildenden Protoplasmaschicht ^).
Stimmen nun die Zellen meist uberein mit dem eben geschil-
derten Bau, so ist bei sammtliclien Hydroidpolypen eine Sonde-
rung der Entodermzellen in zwei Gruppen erkennbar. Es unter-
scheiden sich die
Zellen des oralen Teiles, des Hypostomes in ihrer Ge-
stalt von den Zellen des mittleren und basalen Teiles. Hierin
ist zugleich die verschiedene Funktion ausgedruckt, welche beide
Arten ausiiben.
Schon bei Hydra linden sich zwei Arten vor. Die Zellen des
oralen Teiles sind von langerer und gestreckterer Gestalt, als die
ubrigen. Ihr Hohendurchmesser ubertrifft den Breitendurchmesser
bereits bei Hydra uni niehr als das sechsfache, warend bei Cam-
pauularien die Zellen fadenformige Gestalt angeuommen haben.
Im Gegensatz zu ihnen sind die den Magen auskleidenden Zellen
von wurielforniiger Gestalt.
Betrachten wir den Liingsschnitt Figur 10 auf Tafel XXV von
Halecium, so fallt uns der Unterschied sofort in die Augen. Wie
wir nun im dritteu Telle sehen werden , haben wir den Zellen des
Hypostomes eine Sekretabsonderung zuzuschreiben, warend die
grosseren Zellen des Magens die Naruug zu assimiliren haben.
Bei den bisher als Tubularien beschriebenen Formen, also den
Tubulariden, Pennariden, Eudendriden u. s. w. kommt diese Son-
derung der Zellen gleichfalls vor, doch da hier noch andre Um-
bildungen eingetreten sind, betrachten wir diese als Taeniolen zu
bezeichuenden Gebilde gesondert.
*) vergl. Kleinenberg, Hydra uud Fr. E. Schultze, Cordy-
lophora.
Der Organismus der Hydroidpolypen. 483
III. Die Langswiilste oder Taeniolen,
Bisher warcn in den Magen vorspringende Liingswiilste nur
bei der Gattung Tubularia naher bekannt geworden, wo sie
G. V. Koch^) meines Wissens zuerst abgebildet hat,
Diese Langswiilste oder Taeniolen sind jedoch keiueswegs auf
diese Gattung beschrankt, sondern koramen alien bisher als Tu-
bularien beschriebenen Polypen zu. Es ist somit die von All-
mann auf das Skelett begniudete kiinstliche System audi ein dem
histologischen Bau entsprechendes. Ich bemerke hier noch, dass
audi bei Syncoryne, Podocoryne, Cladocoryne diese Wiilste sidi
finden und zwar gerade in ausgezeichneter Weise, obgleich sie in
den oben genannten Abhandlungen nidit besprodien werden, oder
wie bei Podocoryne geradezu in Abrede gestellt werden. Am Hy-
postom erheben sich bei sammtlichen Tubularien meist fiinf (oder
auch vier) Langswiilste. Diese Langswiilste teilen sich beim Ueber-
gange des Hypostomes in den Magen, sodass man auf Querschnit-
ten, welche durch den Korper gelegt sind, je uach der Stelle, wo
der Schnitt gefurt ist, bald 8, 10, 12 bis 20 Langswiilste ziilen
kann. Wiirend dieselben am Hypostom glatt verlaufen, bilden sie
nach der Verzweigung vorspringende Wiilste, wie auf dem Liings-
schnitt durch Podocoryne carnea in Figur 3 auf Tafel XX zu
sehen ist. Dcutlich erkennbar ist auch hier der Unterschied zwi-
schen den Zellen des Hypostomes und denen der Magenwiilste.
Im ersteren sind die Zellen von fast fadenformiger Gestalt.
Sammtliche Zellen haben an ihrer Basis Muskclfibrillen ab-
gesondert. Besonders stark entwickelt sind dieselben bei den ^ ,
Zellen des Hypostomes. Auch bei den Campanarien und Sertu- t^/
larien scheinen die Zellen des Hypostomes, und zwar nur des
Hypostomes, Ringmuskeln zu besitzen, vvenngleich wegen der Klein-
heit der Zellen ein Nachweis sehr schwer zu ftiren ist.
Die Muskeln verlaufen stets ringformig. Sie bewerkstelligen
also den Verschluss des Hypostomes.
Die Zellen der Magenwiilste sind in ihrem freien Endteil
breiter gestaltet. Nach der Basis zu verengen sie sich spindel-
formig. Die Wiilste verjiingen sich allmiilich, um unterhalb der
Korpermitte in die Entodermzellcn iiberzugehcn. Dieses Verbal-
ten ist auf derselben Tafel in Fig 4 dargestellt.
Wir wenden uns nun zu den Entodermzellcn im Allgemeinen
^) G. V. Koch, Jen. Zeitschrift, Mitteil. iiber Coelenteraten Bd. 7.
31*
484 Dr. Otto Hamann,
zuriick, uni die Einschliisse zu betrachteii, welche sich in densel-
ben find en.
Bei alien Polypen tiiulen sich Fiirbstotfe abgelagert, welche
die Farbe der ciiizelneii bedingen. Bald sind diesc Elenientc
orange, bald braun, bald rosa wie bei einer Clava, oder schwarz.
Die Zellen des Hypostomes zeigen nie Einlagcrungen dieser Art.
Aiisscr diesen Concrenientcn tinden sich Ei\veissk()rperchen,
Oeltropfen vor. Diese Bildungen liegen alle im Plasma eingebet-
tet. Die „gelben Zellen", welche als Einschliisse vorkommen, be-
sprechen wir weiter unten.
IV. Die Langswiilste der Siphonophorenpolypen.
Da wir dieselben im speciellen Teile naher betrachten werden,
so benierken wir an dieser Stclle nur, dass sich die Polypen die-
ser Coelenteratenklasse im histologischen Bau gerade so verhalten
wie die Tubularien. Die Wulstbildungen sind dieselben, wie bei
letzteren. Die Stiitzlamelle beteiligt sich auch bei ihnen nicht
an der Biklung der Wiilste wie bei dem Scyphostoma und Spon-
gicola tistularis ^), dem durch Schultzes Untersuchungen niiher
bekannt gewordenen immer noch riitselhaften Polypen.
V. Die Drxisenzellen des Entoderms.
Haben wir die Zellen des Hypostomes als Driisenzellen an-
zusprechen, welche die Verdauung durch Secretion eines Magen-
saftes einleiteu, so treten doch bereits bei den hoheren Polypen
besondere erkenntliche Zellen hervor, welche fur Driisenzellen er-
kliirt werden miissen. Bei Fiirbung mit Carmin tingiren sie sich
dunkelrot. Sie sind leicht zu isoliren, und ist dann deutlich in
den meist oval geformten Zellen eine Menge runder kleiner Kor-
ner zu sehen. Bei Pennaria sind diese Zellen sehr leicht durch
Maceration des Tieres in Essigsaure zu erkennen. Auch im Coe-
nosark finden sich dieselben bei Eudendrium, Tubularia und den
iibrigen. Ausser diesen Kornerzellen kommt noch eine andre Form
zur Unterscheidung. Es sind dies einfache protoplasmareiche Zel-
len, die sich gleichfalls stark tingiren. Bei dem Genus Tubularia
kommen sie in grosser Menge in den Gonoblastidium vor, das
ist der Stiel, an welchem die Gouophoren sitzen, Dass man es
hier nicht etwa mit Eizellen, die sich im Coenosark bilden, zu
1) Fr. E. Schultze, Ueber Spongicola fistularis. .Vrchiv fiir
mikroskop. Anatomie. Bd. 13.
Der Organismus der Hydroidpolypen, 485
tun hat, ist aus dem Kern nebst Kernkoperchen ersichtlicli. Das-
selbe gleicht stets dem der iibrigen gewonlichen Entodermzellen
(vergl. die Abbildungen Fig. 10, 11 Taf. XXI, BMg. 17 Taf. XXII).
VI. Die Muskelzellen des Entoderms.
Bisher war das Vorkonimen von entodermalen Miiskeln bei
Hydroidpolypen noch nicht bekannt ^ ). Ich fand dieselbon bei
Tubularia coronata zuerst ini „Knopt'", wo sic am stiirksten aiis-
gebildet sind. Waren sie einmal hier constatirt, so hielt es nicht
schwer, ihr Vorkommen audi an den anderen Teilen dieser wie
der ubrigen Polypen zu constatiren.
Siimmtlichcn mit Taeniolen versehenen Polypen kommt eine
entodermale Muskulatur zu und zwar stets eine Ringmuskulatur.
Niemals sind Liingsfasern vorhanden wie im Exoderm. Am Hypo-
stom sind diese Muskelfasern am stiirksten entwickelt. Auf dem
Liingsschnitt treten sie in Form einer punktirten Schicht auf.
Die Muskulatur erstreckt sich aber keineswegs wio schon an-
g(!(i('utet, nur auf das Hypostom, sie ist vielmehr am Magen ebenso
entwickelt. Im Coenosark gelang es nie, Fasern nachzuweisen und
ist ihr Vorkommen hier sehr unwarscheinlich.
Die Muskelfibrillen sind, soweit es sich constatiren liisst, stets
im Zusammcnhang mit ihreu Bildnerinnen, den Geissclzellen , ge-
blieben. Selbst bei den Tubularien scheinen keine cchton mit
Kernen versehenen Fasern vorzukommen. Bei den Polypen der
Siphonophoren finden sich dieselben ebenfalls vor. Bei den nied-
riger organisirten Polypen, welchen die Taeniolen fehlen, kommen
die Entodermmuskeln nur im Hypostom vor. Dies glauben wir
mit Bestimmtheit behaupten zu konnen, wenn es auch nur selten
gelingt sie nachzuweisen. —
Eine Querstreifung habe ich nicht bemerken konnen, die Mus-
keln sind stets glatt und glaube ich dass da, wo eine solche auf
kleine Strecken auftritt, dieselbe vielleicht nur kunstlicher Natur
ist, durch die Behandlung mit Reagentien hervorgerufen. —
VII. Die gelben Zellen im Entoderm.
Die gelben Zellen, welche zuerst bei den Radiolarien von E.
HaeckeP), dann bei den Actinien von Heider^) und Ilert-
^) Weismann bcschreibt die entodermalen Muskeln zuerst bei
Eudendrium, in ,,Ueber eigentiiniliche Organe" u. s. w. 1881.
2) E. llueckel, Studien iiber Moneren, p. 119.
3) A. V. H eider, Sagartia troglodytes. 1877. Sitzungs-Berichte
d. Acad, zu Wien.
486 Dr. Otto Ham aim,
wig') naher untersucht wurden und dann von mir bei den Rhi-
zostomen Medusen 2) gefunden wurden, kommen auch bei den
Hydroidpolypen vor, wenn auch nur selten. Vorzuglich habe ich
dieselben bei einer Aglaophenia angetroffen, wo das ganze Ento-
derm angefiillt ist von denselben. Ich glaubte friiher zwischen
den bei Radiolarien gefundenen und als jodhaltig nachgewiesenen
Zellen und den bei Actinien und Rhizostomen vorkommenden un-
terscheiden zu raussen, da die Reactionen beider Zellarten ver-
schieden waren, indera niemals bei letzteren Starke nachzuweisen
war. (Vergl. Her twig, Actinien p. 39). Da aber ihr constantes
Vorkommcn im Entoderm darauf hinwies, dass sie zur Narungs-
aufnahme in Beziehung standen, so beschrieb ich sie als Driisen-
zellen. Durch neue Untersuchungen von Geddes^) ist es jedoch
gehingen ihre Identitixt mit den bei den Radiolarien gefundenen
nachzuweisen. Eine Cellulosemembran kann iiberall erwiesen wer-
den, ebenso dass die Zellen Starkekorner enthalten. Es ist dem-
nach kaum noch zweifelhaft, dass diese „gelben Zellen" einzellige
Algen sind und im Entoderm der Coelenteraten (auch bei den
Siphonophorcn finden sie sich) durch ihre Aufnahme von Kolen-
saure und Abgabe von Sauerstoff vielleicht dem Ernarungsprocess
zu Statten kommen.
Die Grewebe des Exoderms.
Das Exoderm tritt bei den niedersten Polypen in Form eines
Epithels auf. Denn auch die sogenannten interstitiellen Zellen
haben wir als ursprtingliche Epithelzollen anzusehen. Bei den am
hochst organisirten Formen hat es aber seine epitheliale Form
insofern aufgegeben, als bereits eine Muskelschicht mit echten
Muskelfasern entstanden ist.
Wir konnen im Exoderm folgende Zellformen unterscheiden :
1) Epithelzellen, welche im Zusammenhange stehen mit den
Muskeln, (Neuromuskel- oder Epithelmuskelzellen).
2) Epithelzellen one Zusammenhang mit den Muskeln.
3) Interstitielle Zellen, welche in die Tiefe geriickte Epithelzel-
len sind.
') Her twig, Actinien. Jena, 1879.
2) Hamann, Mundarme und Anhangsorpjane der Rhizostomen.
Jen. Zeitschr. Bd. VIII. 1881.
^) Geddes, Further researches on animals containing chloro-
phyll. Nature, 26. Jan. 1882.
Der Orgaaismus der Hydroidpolypen. 487
4) Echte Muskelzellen.
: 5) Ci^idozellen oder Nesselkapselzellen, das sind iinioebildete in-
terstitielle Zellen.
6) Driisenzellen, das sind umgebildete Epithelzellen.
VVir beginuen mit der Betrachtung der
I. Epithelmuskelzellen.
Das Epithel der Korper der Hydroiden besteht aus den grossen
Zellen mit ellipsoidischcn Kernen, wie sie bei Hydra zuerst be-
schrieben vvurden. Dieselben besitzen an ihrer Oberfliiche einen
verdichteten Plasmasaum, der scharf gegen die innere Masse sich
abgrenzt. Dieser Saura wurde von Fr. E. Schultze bei Cordy-
lophora und Syncoryne nachgewiesen , sowie ebenfalls bei Hydra
von K lei nen berg. Er zeigt eine feine Kornelung, die beini Ab-
sterben des Tieres fast immer vollstiindig verschwindet. An ihrer
Basis haben diese grossen Zellen entweder einen oder niehrere
Ausliiufer, die Muskelfibrillen, ausgeschieden , welche parallel der
Aussenfliiche und der Liingsaxe des Tieres verlaufen. Bei siinimt-
lichen Hydroiden mit alleiniger Ausnahme des Genus Tubularia
bleibt der Zusammenhang zwischen Muskelfibrille und Epithel-
zelle bestehen.
Warend die Zellen am Korper von grosser Gestalt sind, so
bilden sie an den Tentakeln oft nur eine dunne Lage. Von oben
gesehen bilden ihre Begrenzuugsflachen Polygone. Der Kern mit
Kerukorper ist oft schon am lebenden Tiere zu erkennen. Das
Protoplasma erfiillt nicht die ganze Zelle, sondern durchzieht die-
selbe in Form von Netzen.
Im Coenosark erscheinen die Epithelzellen bald abgeplattet,
bald aber haben sie dieselbe Gestalt. wie am Korper beibehalten.
Schon aus der Art der Entwicklung geht hervor, dass auch im
Coenosark Muskeln sich linden mussen. So besitzt die Actinula
am ganzen Korper Muskeln.
Dieselben mussten also, wenn sie am erwachsenen Tiere nicht
mehr vorhanden waren, riickgebildet worden sein. Auch bei Syn-
coryne, wo dieselben nicht vorkommen sollten, finden sie sich.
Von den geschilderten Exodermzellen weichen die im folgen-
den zu beschreibenden ab. An Teilen, welche im Wachstum be-
gritfen sind, so an dem fortwachsenden Wurzelskelett, bei der
Sprossiing jiinger Polypen, nehmen die Epithelmuskelzellen eine
cylindrische Gestalt an. Zugleich ist ihr Plasma feinkornig. Die-
488 Dr. Otto Hamann,
ses Wachstum der Zellen in ihrer Langsaxe hangt zusammen mit
der neuen Funktion, die dieselben tibernommen haben. Sie sondern
ein Sckret ab, welches das Perisark an der Stelle, wo das Wachs-
tum beginnen soil, aufiost. Es ist dies bereits von Weismann*)
bei der Bildung der Gonophoren geschildert worden. An den
])olypoiden Gonophoren fiudet man die Zellen der riickgebildeten
Polypen am Distalende in lange fadenformige Zellen ausgezogen,
welche durch ihr Sekret einen diinnen Verschluss erzeugen, wel-
cher das Eindringen sei es des Seewassers oder fremder Korper
in das Gonophor verhindern soil. —
Dieselbe Form, welche wir bei den Epithelmuskelzellen oben
beschrieben haben, tritt uns in der Fussscheibe der Polypen ent-
gegen. Sowol bei den Actinulis, den Gastrulis der Medusen, den
Planulis der Polypen kommt diese Form zur Beobachtung. Es
erfaren die Zellen der Fussscheibe eine Verlangerung ihres Langs-
dnrchmessers, wiirend sie an Breite abnehmen.
Constant bleibt diese Zellform warend des Lebens des aus-
gewachsenen Tieres bei Hydra, weshalb wir sie hier besprechen
wollen. Zuvor betrachten wir jedoch die Eigenschaft, welche den
Epithelmuskelzellen eigen ist, niimlich Pseudopodien zu entsenden.
Diese pseudopodienartige Bewegung ist bei den Hydroiden schon
langst bekannt. Am schonsten ist die Bewegung im Coenosark
zu sehen. Hier sind die Zellgrenzen nicht mehr kenntlich. Das
Plasma der Exodermzellen strait in Fiiden nach dem Perisark
aus und bewerkstelligt so die Festheftung. Auch in den Gono-
phoren ist dieselbe Erscheinung zu linden.
Bei Hydra findet sich die Eigenschaft Pseudopodien auszu-
strecken bei den Zellen der Fussscheibe vor.
Wir nennen dieselben daher:
II. Die Pseudopodienzellen der Pusssch.eibe bei Hydra.
Da bereits an einem anderen Orte dieselben ausfuhrlich be-
sprochen werden, so fassen wir uns hier kurz.
Die Zellen der Fussscheibe sind von cylinderformiger Gestalt.
Das Protoplasma erscheint fein granulirt. Wie die ubrigen Exo-
dermzellen so haben auch sie Muskelfibrillen ausgeschieden, doch
kommt einer jeden Zelle immer nur eine Fibrille zu. Die Zellen
sondern eine schleimartige Masse ab, welche zur Anheftung dient.
) Weismann, Zool. Anzeiger, Nr. 55, 61, 77. 1880/81.
Der Organismus der Hydroidpolypen. 489
Bewegt sich nun aber das Tier und andert seinen Ort, so
Ziehen sich die Zellen der Fussscheibe in Pseudopodien aus. Da-
durch gleitet es immer auf der Unterlage hin. Die Zellgrenzen
gehen vollkommen verloren. „Es gewart nun ein hiibsches Bild,
wenn man sieht, wie die Pseudopodien auftreten, wider eingezo-
gen werden, warend schon wider andere Fortsatze auftreten, mit
einander verschmelzen , um wider zu regelrechten Zellen zu wer-
den". Jede Zelle besitzt ihren Kern in der Mitte im Plasma
liegend.
Die Eigenschaft Pseudopodien zu entsenden, isf den Zellen
der Fussscheibe bei den Planulis nicht mehr eigen, was daraus
zu erkliiren ist, dass dieselben nicht ihren Platz wechseln, sonderu
einmal festgesetzt an demselben Orte verharren.
Fine hiervon ganz verschiedene Erscheinung tritt uns entge-
gen, wenn wir
III. Die Exodermzellen der Nematophoren
betrachten. Zur Untersuchung dieser Gebilde sind die Plumula-
rien am gunstigsten. Doch kann auch fur die Nematophoren der
Aglaophenien das im Folgenden zu beschreibende Verhaltnis leicht
nachgewiesen werden.
Oberhalb und unterhalb der in Kelchen sitzendcn Trophopo-
lypen finden sich kleinere Kelche vor, in welchen der Weichkorper
sich findet. Von Huxley sind diese kleinen Kelche sammt ihrem
Inhalt als Nematophoren bezeichnet worden. A 11 man') be-
schreibt dieselben niiher bei Aglaophenia und Antennularia an-
tennina.
„The whole nematophore is foiled with a granular proto-
plasm." Er hat in demselben jedoch bei Antennularia keine
Cnidozellen nachweisen konnen, warend er sie bei Aglaophenia
gefunden hat.
Wie aus dem folgenden hervorgeht, haben wir es mit rilck-
gebildeten Persouen zu tun, bei denen Mund und Magen obliterirt
ist und in Folge dessen auch die Mund- oder Oraltentakeln ver-
loren gegangen sind. Verfolgen wir die Entstehung dieser Ge-
bilde. Es entsteht unterhalb des sprossenden Trophopolypen eine
1) All man, On the Occurence of Amoebiform Protoplasma and
the Emission of Pseudopodia among the Hydroida , Annals and Ma-
gaziu of natural history. 1864. Vol. XIII, p. 202.
490 Dr. Otto Hamann,
Ausstulpung des Exoderms wic des Entoderms und der zwischen
beiden gelegenen Stutzlamelle (siehe Figur 5 auf Tafel XXV). Die
Exodermzellen sind von fadenformiger Gestalt. Das ganze Gebilde
wird von einer von den ausgestulpten P^xodermzellen erzeugten
feinen Chitinhiille umgeben. 1st eine gewisse Grosse erreiclit, so
bricht das Exoderm durch das Distalende der Chitinbulle, welche
den Becher vorstellt und so ist das Nematopbor gebildet. Die
Zellen wacbsen nun und stellen am ausgebildeten Nematopbor
das in Figur 7 dargcstellte Bild dar. Im inneren desselben ver-
lauft die Entodermaxe mit ihren Zellen, in denen Kerne nacb-
weisbar sind. An der Spitze des als riickgebildeten Polypen an-
zusehenden Gebildes entstehen Nesselkapseln. Dieselben sind nie
zalreicb bei den Plumularien vorhanden; ja oft sucht man ver-
gebens nach denselben. Bei den Aglaophenien hingegen stehen
sie dicht gedriingt an der Miindung des Bcchers (siebe Figur 9).
Der Polyp kann sicb nun ungebeuer ausdebnen, sodass er
beinabe fadenformig erscbeinen kann. Dies mag zu der Annabme
Veranlassung gegeben baben, dass es Protoplasma im Kelcbe sei,
welcber Pseudopodien entsenden konne. Diese Debnbarkoit ist je-
docb nur vermittels der Muskelfibrillen moglicb, welcbe
diese Zellen besitzen (s. Fig. 15). Sie biingen mit ibren
Bildnerinnen zusammen.
Nacb der Scbilderung des Baucs wird unsere oben ausge-
sprocbene Behauptung, dass wir bier als Macbopolypen zu be-
zeichnende Bildungen vor uns baben, als gerecbtfertigt gelten
konnen.
Eine Bescbreibung der Nematopboren bei Antennularia, Ag-
laopbenia und den iibrigen Gattungen zu geben balte icb fiir iiber-
fliissig, da sicb uberall derselbe Bau widerholt.
IV. Die interstitiellen Zellen und die Nesselkapseln.
Ausser den grossen Epitbelzellen findet sicb eine zweite Zel-
lenart, welcbe an der Basis der ersteren, wo die Fibrillen ausge-
ben, liegt. Diese Zellen sind klein, spindeltormig und bergen
im Inneren einen grossen Kern, Von Kleinenberg^) wurden
sie als „interstitielles Gewebe" aufgefurt. Da sie sicb jedoch nicbt
uberall finden and oft nur vereinzelt vorkomnien, so ist es wol
besser nur von interstitiellen Zellen zu sprecben. Sie finden sicb
) Kleinenberg, a. a. 0.
Dei* Organismus der Hyrlroidpolypen. 491
bei alien Hydroidpolypen und sind die Bildnerinnen der Nesselkap-
seln und der Eier, wie bei Hydra und Eudendriumi) nachgewicsen ist.
Der erste, welcher iiber die Nesselkapseln eigene Untersu-
chungen anstellte, war Mobius^). Wir recapituliren im Fol-
genden kurz das bisher bekannte und fiigen unsre eigenen Unter-
suchungen kurz an, vvelche die Frage, ob wir es mit Sinnesorga-
nen zu tun haben, der Entscheidung naher zu bringen geeignet
scheinen,
Wir unterscheiden an den Nesselkapselzellen einen Proto-
plasmakorper, in dessen Inneren eine diinnwandige Kapsel abge-
schieden worden ist. Im Protoplasma liegt der Kapsel an der
Zellkern der interstitiellen Bildungszelle. Oberhalb der Zelle er-
hebt sich ein feiner Protoplasraafortsatz, der als Cuidocil benannt
wird, wixrend am entgegengesetzten Ende ein Fortsatz in die
Tiefe abgeht.
An einem anderen Orte haben wir nachgewiesen , dass diese
Fortsatze mit der Stutzlamelle in Zusammenhang stehen. Als
bestes Objekt bot sich uns hierzu Carmarina hastata, eine craspe-
dote Meduse. In Figur 16 auf Tafel XXII sieht man an einem
Qucrschnitt durch einen Tentakel dieser Meduse die mit fs be-
zeichneten Fortsatze direkt in die Stutzlamelle ubergehen.
Diese Fortsatze finden sich an alien Cnidozellen vor, selbst
an denen der Nematophoren.
Hiernach durfte die Ansicht, dass die Cnidozellen Sinneszel-
len seien als falsch zuruckzuweisen sein. Die Fortsatze dienen
der in die Hohe geruckten Zelle als Stutzfasern und haben nichts
mit Nerven oder Muskel zu tun.
Die Cnidocils, die man gern als Sinnesharchen ansehen mochte,
sind dazu da, um durch den Druck, der auf sie von aussen aus-
geiibt wird, die darunter liegende Kapsel zur Entladung zu brin-
gen. So haben wir diese Nesselkapseln als Waffen anzusehen,
welche zum Schutze der Tiere, zum Fangen der Beute dienen,
worauf auch die in ihnen enthaltene Flussigkeit, welche der Amei-
sensaure nahe steht, hinweist, durch welche die mit dera aus der
Kapsel hervorgesclmellten Faden in Beriirung gekommenen Tiere
gelamt und getotet werden.
^) Klein enberg, Ueber die Entstehung der Eier bei Euden-
drium, Zeitschrift fiir wissenschaftl. Zoologie, 1881, bd. 35.
2) Mobius, Ueber den Bau und den Mecbanismus und die Eut-
wicklung der Nesselkapseln. Abhandlungen des Vereins Hamburg
1866, Bd. 5.
492 Dr. Otto Hamann,
V. Die Muskeln des Exoderms.
Bei sammtlichen Hydroidpolypen finden sich Muskelfibrillen
und zwar stets nur Langsmuskeln , das heisst solche Muskeln,
welche mit der Longitudinalaxe parallel laufen.
Die Muskeln convergiren am Hypostom. Zur Bildung von
Ringmuskeln kommt es weder hier noch an den Tentakeln, wo es
Ciamician beschrieben hat. An letzteren finden sich auch stets
nur Langsfasern vor.
Das Coenosark besitzt, wie im vorigen Kapitel bereits erwant
wurde, ebenfalls Muskelfasern.
Was nun die Fibrillen selbst betrifft, so hangen dieselben
entweder mit den Epithelzellen noch zusammen, — dies ist bei
alien niederen Formen der Fall — oder sie sind zu selbstandi-
gen Fibrillen mit cigenem Kern differenzirt, wie es bei der Gat-
tung Tubularia der Fall ist. Auch bei Corymorpha werden sich
wol echte Muskeln finden. In keinem Falle war cine Querstrei-
fung zu erkennen. Die Muskelfibrillen sind immer als glatte zu
bezeichnen (s. dieFigur9 auf Tafel XXIII). Es sind also die bei
den Craspedoten auftretenden quergestreiften Muskeln als eine
ueue Erwerbung und nicht als von den Polypen ererbt zu be-
trachten.
VI. Nerven und Ganglienzellen.
Da bei den mit den Hydroidpolypen in Generationswechsel
stehenden Craspedoten Sinnesorgane vorkommen und die Nerven
und Ganglienzellen bereits einen Plexus bildcn, so war die Frage
nicht ungerechtfertigt : Finden sich bei den Hydroiden schon Sin-
nesorgane, Oder doch wenigstens Nerven und Ganglienzellen vor?
Wir mussen diese Frage fur die einfachen Polypen verneinen. Nie-
mals haben wir Ganglienzellen constatiren konnen. Anders steht
es mit den Polypen der Siphonophorenstockc. Bereits Chun^)
hat das Vorkommen von Nerven und Ganglienzellen angegeben.
Ich untersuchte speciell Velella spirans, welche sich sehr gut zur
Untersuchung eignet. Es finden sich an den Polypen die Nerven
mit den Ganglien im Exoderm vor. Sie liegen den Musk(ilfibril-
len auf,
Es fragt sich nun, durfen wir immer noch annehnien, nach-
^) Chun, Vorlaufige Mitteilg. im Zoolg. Anzg. N. 71 1880.
Der Organismus der Hydroidpolypen. 493
dem wir bei den Polypen der Siphonophoren , Neiven und Gang-
lien gefuuden hiiben, dass auch die Hydroidpolypen dieselben be-
sitzen, obgleicli sie hier niemals gefundeu worden sind? Die Si-
phonoplioreupolypeu siud keineswegs grosser als eine Tubularia,
wariini sollen wir sie aber nur bei ersteren nie bei letzteren fin-
den? Ebensogut wie sie bei letzteren auf Schnitten nachweisbar
sind, miissten wir sie doch wol audi bei ersteren nachweisen
konuen?
Haben wir bei den Hydroidpolypen nicht vielmehr ein nie-
deres Entwicklungs-Stadium vor uns, in welchem dem Protoplasma
der Epithelzelle noch allein die Funktion der Enipfinduug zukonmit
und der Reiz durch die Zelle weiter auf den Muskel geleitet wird?
Wenn wir deshalb die Epithelzellen des Hydroidpolypen als
Neuromuskelzellcu im Sinne Kleinenbergs ausprechen, so hul-
digen wir damit keineswegs der Ansicht, welclie aus einer Zelle
Muskel und Nerv ableiten will, da wie O. und R. Hertwig be-
tonen, im Tierreich ;die histologischeu Souderungsprocesse nicht
auf der Trennung und dem Selbstandigwerden verscliieden diffe-
renzirter Zellteile, sondern auf der verschiedenen Differenzirung
getrenuter und urspriinglich gleichartiger Zellen beruhen. Wie
wir uns die Entstehung der Nerven und Ganglienzellen denken,
wird im dritten Teile gezeigt werden. —
Die genannten Autoren nehmen in consequeuter Durchfiilirung
ilirer Ausichten auch fiir die Hydroiden Ganglienzellen und Ner-
ven an, ja sie stellen ihr Vorkommcn als selbstverstiindlich liin,
da man one diesclben die Contraktionen einer Hydra zum Bei-
spiel nicht erklilrcn konne. Es ist gegen dicse Anschauung ein-
zuwenden , dass wir ja im Tierreiche Muskeln antreffen , welche
one Vermittelung eiues Nerven ihre Funktionen vollziehen und
dass wir, solange der Nachweis ihres Vorkommens nicht erbracht
ist, auch Schlusse und mogen sie noch so logisch erscheinen,
nicht anerkennen konnen, wenn die Tatsachen nicht iibereinstim-
men. Solange also ein Nervensystem nicht bekannt ist, halten
wir an der Kleinenberg'schen Anschauung fest; trotzdem konnen
wir die Frage nach demselben als eine immer noch oifene be-
zeichnen.
VII. Die Driisenzellen des Exoderms.
Jede Exodermzelle hat die Fahigkeit eine Driiscnzelle zu wer-
den, das heisst ein Sekret abzusondern. An der Stelle, wo die
494 Dr. otto Hamaun,
Gonophoren auftreten uiid an audreu oben benannten Stellen
waiiclelu sich die Exodcrnizcllcn in Driisunzellen urn. Die Zellen
der Fussbdieibe guhoren ebeufalls hierher.
Als Drusenzellen crklaren wir aber jenen eigentumlichen Kranz
Yon Zellen, der an der Basis der Trophopolypen bei Eudendriuin
vorkommt'). Diese Zellen (s. Figur 1 Taf. XXI) sind niit fein
granulirtem Protoplasma erfiillt, in welchem ein grosser Kern sich
findet. Sie fiirbeu sich intensiv rot mit Carmin. Der nach aussen
gewendete Distalteil der Zellen ist frei von Protoplasma. Er er-
scheint als heller Saum und farbt sich nicht. Ausser diesen Zel-
len, deren Natur als Driisenzellen ubrigens nicht ganz zweifellos
ist, fiuden sich im Exoderm nirgends specielle Driisenzellen vor.
Die Sttitzlamelle.
Bei sanimtlichen Polypen findet sich zvvischen den beiden
Keimblattern cine hyaline Schicht. Sie fehlt weder in den Ten-
takeln noch im Coenosark; sie ist am ganzen Korper vorhanden.
Sie erreicht niemals eine solche Milchtigkeit wie etwa bei den
Medusen, sondern bleibt stets als dunnes Blatt nachweisbar.
Sie zeigt niemals eine Struktur; niemals finden sich Zellen
in derselben, wie bei den Medusen, wo die Bildnerinnen der Sttitz-
lamelle, die Entodermzellen, mit in dieselbe hineingerissen werdeu.
Die Stiitzlamelle endet in den Tentakel stets bhndsackartig.
Eine geringe Verdickung findet sich hier an ihrem Distalende,
welches mit nach aussen vorstehenden Spitzen und Zacken be-
setzt ist, wie Fr. E. S c h u 1 1 z e sagt. Diese vorstehenden Spitzen
und Zacken rtiren von den abgerissenen Fortsatzen der Cnido-
zellen her, welche, wie wir oben zeigten, in Verbindung mit der
Stiitzlamelle stehen. Da die Cnidozellen an der Spitze der Ten-
takel besonders reichlich sich finden, und da hier gewonUch die
Makrokuidien vorkommen, welche sich durcli stiirkere Fortsatze
auszeichnen, so treten die abgerissenen Enden besonders deut-
lich hervor.
Die Stiitzlamelle wird vom Entoderm abgeschieden. Dies
liisst sich direkt nachweisen. Nachdem an den Planidis oder den
Actinulis die Tentakeln entstanden sind und in ihnen sich bereits
*) Vergl. Wei s maun, Ueber eigent. Organe, Neapler Mittei-
lungen 1881.
Der Organismus der Hydroidpolypeu. 495
die Chordazelleii von dem ubrigen Entodermgewebe gesondert ha-
ben, tritt zwischcn beideu die Stutzlamelle auf luid trennt so das
eutodenuale Eriuiriiugsgevvebe von dem entodermaleu Bindesub-
stauz-Gewcbe. Bei den Tubulaiieu wird letztercs Gewebe, wo es
in den beideu Wulsten auftritt, ebenfalls von der Entodermschicht
durch eine Stiitzlanielle getreunt.
Die Stutzlamelle ist friih erkeuubar. So besitzen die Acti-
nulae beim Verlassen der Gonophorcn dieselbe bereits. Bei den
Planulis tritt dieselbe aui", wenu sie im Begriff sind sich festzu-
setzen.
Die Stutzlamelle niacbt alle die Ausstiilpungen zur Anlage
neucr Polypen oder Gonophorcn, oder Nematophoren u. a. mit.
Sie ist in den ersteren stets uachweisbar. Bei den medusoiden
Gonophoren der Tubularieu ist sie im Gonoblastidium - der Stiel,
an vvelclieni die Gonophoren sprossen — stets zu finden (s. Figur
3 Tafel XXIV).
Dass sie in den Nematophoren vorkommt, ist bereits oben
geschildert.
Das Chitinskelett.
(Peris ark.)
Das Skelett, welches die meisten Hydroidpolypen umgiebt,
ist von Fr. E. Schultze^) niiher uutersucht worden und hat
derselbe festgestellt, dass es aus Cliitin oder wenigstens einem
Material besteht, welches in seinem Verhalten gegen chemische
Reageutien von demselben nicht verschiedeu ist, Wiirend bei
Hydra dieses Skelett nicht vorhanden ist, besitzen es alle ubrigen
Polypen. Das Wachstum geschieht von Innen her durch Ablage-
rung neuer Telle, sodass man an alteren Chitinroren eine concen-
trische Schichtung warnehmen kann, eine Zusammensctzung des
cylinderformigen Skelettes aus Lamellen.
Das Skelett wird in Form einer dunnen Hiille angelegt und
zwar wird es bei den Planulis sofort nach der Festsetzung aus-
geschieden. Man sieht es dann als heller Saum dem Exoderm
aufliegen.
Bei den Actinulis der Tubularieu wird es bereits vor der
Festsetzung gebildet. Es ist an dem Aboralpol dcrselben bereits
^) Fr. E. Schultze, Cordylophora.
496 Dr. Otto Hamann,
warend des Schwiramens zu unterscheiden, wie unten im speciellen
Telle gezelgt werden wird.
Die Eigenschaft elue Skeletthtille zu bilden 1st alien Exo-
dermzellen clgeii. Bel den elnen wird es aber uur am Stiele ab-
geschleden, warend der Polyp selbst frei davon 1st, (Tiibularla)
warend bel anderen audi der Polyp von elner Hiille umgeben wird,
die als Becher oder Theca bezeichnet wird.
Elne besondere Form geht das Skelett bei den als Corbulis
bezeichneten Formen ein, (es verschmelzen hler' die elnzelnen Be-
cher) welche bei den Aglaopheuieu vorkommen (vergl. den spe-
ciellen Tell).
II. Kapitel.
Der Polymorphismus und die Entstehung der Medusen.
Nachdem wir die histologischen Verhaltnisse betrachtet haben,
wollen wir die unter den Namen Polymorphismus oder Arbeits-
teilung bekannten Erscheinungen naher ins Auge fassen.
Geheu wir von deni als niedrigsten unter den jetzt existiren-
den Polypen, der Hydra, aus, so finden wir die verschiedenen
Funktionen als Ernaruug, Verteidigung, Fortpflanzung auf nur eine
Person beschrankt. Warend aber bei Hydra die Entstehung der
Geschlechtsstoffe auf das Exoderm beschrankt ist, und zwar liier
sogar auf bestimrate Stellen, — tlie Hoden entstehen uuterhalb
der Tentakel die Ovarien der Basis naher — so miisseu wir au-
nehmen, dass bei den Urpolypen diese Eigenschaft beiden Keim-
blattern zugleich eigen war.
Tuen wir einen Schritt welter, so finden wir, dass einzelne
Personen zu Behaltern der Geschlechtsstoffe umgewandelt sind.
Es sind dies Polypen, die entweder Mund und Tentakel eiugebusst
haben, oder bei denen doch noch Tentakelrudimente nachwelsbar
sind, wie bei den Coryneen ^).
Friiher glaubte man, dass in diesen als polypoiden Gonopho-
ren bezeichnenden Gebilden die Eier eutstanden. Durch die Un-
tersuchungeu von Weismann^) und Kleinenberg^) sind wir
1) Gegenbaur, Zur Lehre vom Generationswechsel 1854 (p. 38).
2) Weismann, a. a. 0. und Observations sur le cellules sexu-
elles des Hydroides, 1881. Annales des sciences Naturelles. I. XI.
3) Kleinenberg, Ueber die Entstehung d. Eier bei Eudendr.
Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 35. 1881.
Der Organismus der Hydroidpolypen. 497
aber uber das ware Verhiiltnis aufgeklilrt wordeii. Die Eier eut-
stehen iiu Coeuosark uiid wandern danii iii die riickgebildeten
Polypeii (vergl. unten).
Mit dieser Tatsache ist jene Ansicht ziiriickgevviesen, welche
den Generationswechsel oder die Entstehung der Mcdusen an den
Hydroidpolypen auf Arbeitsteiluug zuriickfiiren wollte.
Wir haben uus die Entstehung der Medusen vielmehr auf
folgende Weise zu erklaren.
Wir gehen hierbei von eiuem Polypenstock aus, an welchem
an alien Teilen, vvie es noch heute der Fall ist, Eier und Sperma
entstehen kann. Das heisst jede Zelle der beiden Keiniblatter
kauu zu einer Eizelle oder zu einer Spermazelle werden.
Denken wir uns nun einzelne Personen voni Stamme losge-
rissen, oder getrennt, wie es noch jetzt bei der Sprossung von
Tochterpolypen am Mutterpolypen bei Hydra und Tiarella singu-
laris ^) geschieht, so werden diese Polypen gezwungen worden
sein sich anzupassen an das neue Element. Sie werden im Meere
herumgetrieben worden sein und vermittels ihrer Tentakeln sich
wie vorher Narung gesucht haben. Diejenigen nun, welche sich
anpassen konnteu an das neue Element, werden es zur Hervorbrin-
gung von Geschlechtsstoffen uach wie vor gebracht haben, da ja
jede Zelle eine Propagationszelle werden kann. Aus diesen Ge-
schlechtsstoffen werden nun wider Hydroidpolypcnstocke hervorge-
gangen sein, deren Einzeltiere vom Stocke losgerissen schon eher
als ihrc Vorfaren an das freie Schwimnileben sich anpassten.
So wird sich dieser Vorgang immer widerholt haben und schliess-
lich haben die abgelosten Polypen, die durch das freie Wasser-
leben eine Mengc neuer Organe erworben haben, und jetzt als
Medusen benannt werden, die Funktion der Fortpflanzung aus-
schliesslich iibernommen. Damit ist jedoch keineswegs behauptet,
dass nun die iibrigen Zellen des Stockes nicht zu Propagations-
zellen werden konnen. Im Gegenteil haben dieselbcn nach wie
vor noch diese Eigenschaft und es finden sich an Medusen bilden-
den Poly penstock en im Coenosarke Eier vor 2).
Da eine vollkommene Homologie zwischen Polyp und Mcduse
besteht, ist gegen die eben gegebene Entstehung der Medusen
nichts einzuwenden.
^) Tiarella siugularis, ein neuer Hydroidpolyp, Fr. E. Schultze,
Zeitschrift f. Zoologie lid. 27.
2) Diese Angabe beruht nicht auf eigner Untersuchung, eondern
wurde mir von Herru Prof. Weismann gesprachsweise mitgeteilt.
Bd. XV, N. y. VIII. i. 32
498 Dr. Otto Hamann,
Wir geheii nun zuriick zur Arbeitsteilung und betrachten
kurz (lie diirch dieselben umgcbildeten iibiigen Polypen. Wir
farcn niit den Welirpcrsuncn uder Machopolypen fort. Die Nema-
toplioren, welche iiberhaupt ziini ersteu Male von Meneghinii)
bcschrieben wurdcn, haben wir bereits oben niiher kennen gelernt
und als Polypen rait riickgebildetera Mund, Magen und Tentakel-
kranz bezeichnet.
Bei den hoher organisirten Polypen, die wir weiter uuten als
Taeniolaten bezeichnet haben, tritt eine andere Form von Macho-
polypen auf, die sogenannten „Spiralzoids". Dieselben waren bei
Podocoryne carnea niiher bekannt und bilden Polypen, denen Mund
und Tentakel verloren gegangen sind, welche aber noch die Magen-
hole besitzen, Bei der von mir neugefundenen Art P. Haeckelii
ist in den Spiralzoids auch noch die Magenhole obliterirt und niit
Bindesubstanzzellen ausgefiillt. Es sind das dieselben Entoderm-
zellen, wie sie in den Wiilsten und Tentakelu der Tubularien zum
Beispiel auftreten.
Ausser dieseu Machopolypen ist noch eine dritte Art als
Skelettpolypen aufgestellt worden. Es sind dies Ausstiilpungen
des kriechenden Wurzelstocks, welche voui Chitinskelett iiberzogeu
werden und als spitze Zacken zwischen den Polypen stehen. Da
nun aber weder Tropho- noch Machopolypen von einer Chitinrore
unihiillt werden, — dieselbe hort an der Basis bereits auf — und
diose Skelettspitzen eine solche besitzen, so scheint niir die Deu-
tung als riickgebildete Polypen zum mindesten gewagt.
Die Homologieen zwischen medusoidem Gonophor
(Sporasac) und Meduse.
Die Homologieen, welche zwischen Polyp und Meduse bestehen,
sind bereits von Glaus 2) und von O. und R. Hertwig^*) fest-
gestellt worden. Vorzuglich letztere Forscher haben in vorzug-
lichster Weise bis in die Details dieselben beriicksichtigt, sodass
etwas neues zu sagen nicht gut moglich ist.
Wir wenden uns daher zu den medusoiden Gonophoren, wie
sie sich bei Tubularia, Gonothyraea, Garveia finden.
') Meneghini, Memorie del lustituto Veneto 1845.
''') Glaus, an verschied. Orten,
3) Hertwig, Der Organismus der Medusen.
Der Organismus der Hyclroidpolypen. 499
Auch bei dem Geuus Tubularia unci deu ubrigen genannteu
ist der Gcueratiouswcchsel auf diesolbc ebcii dargcstelltc Weise
entstandon gcwcsen. Durcli irgeiid welchen aussercn Grund siiid
aber die Mcdusen nicht raehr zur Loslosung gekommen, sonderii
sind im Zusammenhaug mit dem Stocke gebliebcn und iu Folgc
dessen riickgebildet worden. Dass diese Anscliauung die alleiii
richtige ist, hoffe ich im P'olgenden klar erweisen zu kouiien.
Wir betrachten zuerst uur die Tubularien, und zwar indivisa,
mesembryantliemum, larynx und coronata, welche nilher untcrsudit
wurden.
Bei Tubularia entsteht eine Ausstiilpung der beiden Keim-
blatter. Diese wird zu dem Gonophor. In gleichei- Weise bildet
sich auch die Meduse als einfache Ausstiilpung. In beiden Fallen
wuchert jetzt das Exoderm. In Figur 1 auf Tafel XXIV ist die
Knospe einer Tubularie, in Figur 6 und 7 die einer Obelia dar-
gestellt. ludem nun in beiden Fallen die Exodermwucherung sich
abschniiren will, wird sie vom Entoderm umwachsen, dessen beide
Schichten, bei der Meduse Fig. 7, durch spiiteres Zusammen-
wachsen die Gefasslamelle vorstellen, Bei Tubularia coronata ist
uur selten (Fig. 3) eine Doppelschicht zu erkenneu. In den Fi-
gureu ist diese Gefiisslamulle mit gf bezeichnet. Bei Tubularia
indivisa bilden sich wie bei Obelia und iiberhaupt den Medusen
durch Verwachsuug vier Liingskanale aus, die am Distalende in
einen Ringkanal zusammenlaufen.
Bei Garveia nutans entstehen auch die vier Kaniile, doch
endigen sie nach kurzem Verlaufe blind, Es ist bis zu einem ge-
wissen Punkte die Entwicklung der Medusenknospe vollkommen
gleich mit der des Gonophors. Es finden sich hier wie dort die-
selben Schichten vor.
Auf den Querschnitten ist dies am besten zu erkennen! In
Figur 4 ist ein Querschnitt durch den obereii Teil eines medusoi-
dem Gonophor von Tubularia coronata (Fig. 2) dargestellt. Die
ausserste Schicht ist das primare Exoderm (e*'^), es wird an der
Meduse zum Exoderm der ausseren Schirmfliiche. Die Gefass-
lamelle igf) bildet nur eine Schicht; es sind die Kanale bei dieser
Art bereits ruckgebildet, wiirend sie, wie ein Querschnitt durch
Tubularia indivisa (Fig. 5) lehrt, hier noch bestehen. Der Quer-
schnitt kommt vollkommen gleich einem durch eine junge Obelia
(Fig. 9) gelegten Querschnitt.
Fig. 8 zeigt uns ein Stadium einer Meduse, wo die Kanale
noch nicht gebildet sind.
32*
500 Dr. Otto Hamann,
Es entspricht nun an deni in Fig. 3 abgebildeten Gonophor
die mit ex"^ bezcichnete Scliiclit, deren Entstelmng aus Fig. 2 klar
wird, deni Exoderin der vuntralun Schirmflaclic , wiircnd die mit
ex'^ bezeichnete Paitie beini Gonophor die Gcschleclitsstolit'e vor-
stellt und an der Meduse dem Exoderm der Magenwand homolog
ist, wie aus ilirer Entstehung einleuclitet.
Bei Garveia entstehen die Geschlechtsstoii'e nicht iin Gono-
phor, sondern im Coenosark und wandern erst sekundar in das-
selbe.
Die von van Beneden als Euto-, Meso- und Exotheka be-
zeichneten Schichten sind die mit ex^, gf und ex^ bezeichneten
Schichten in unseren Figuren.
Die medusoiden Gonophoren der Tubuhirien bieten uns eine
stufenweise Riickbildung dar.
Tubuluria indivisa besitzt 4 Kanale nebst Ringkanal, hat je-
doch die Tentakeln eingebiisst. Bei Tub. meserabryanthemum finden
sich noch 8 den Tentakehi der Medusen homologe Bildungen vor.
Bei Tub. coronata hingegen ist die Zahl derselben bercits auf 4
reducirt und bei Tub. larynx fehleu sie iiberhaupt. Bei den letzt-
genannten Arten finden sich die Kanale nicht mehr vor. Auch
sie sind verloren gegangen.
Es gehen somit alle diejenigen Bildungen, welche der losge-
loste Polyp in Folge der neuen Lebensweise erworben hatte, und
welche ihn eben zur Meduse machten, wider schrittweise verloren,
indem die Meduse nicht mehr zur Ablosung kam. Sinnesorgane
finden sich an keinem medusoiden Gonophor mehr vor; sie sind
zuerst wider verschwunden. Die Zeugung von Geschlechtsstoffen
ist den Gonophoren der Tubulariaarten geblieben, dieselbe ist je-
doch schon wider verloren gegangen bei Garveia nutans. Eine
andere Umbildung ist hiermit Hand in Hand gegangen. Die Em-
bryonen verlassen erst nach erlangtem I'entakelkranze nach der
Ausbildung aller Gewebe das Gonophor. Dass dies erst eine secuu-
dare Erscheinung ist, geht daraus mit Sicherheit hervor, dass die
Actiuulae auf verschiedenen Stufen der Ausbildung stehen, sobald
sie aus dem Gonophor treten, indem namlich dieselben bei Tub.
coronata ausschlupfen, indem sie nur im Besitze der Aboraltentakel
sind. Bei Tub. larynx hingegen besitzen sie entweder bereits die
vier primaren Oraltentakel oder sie schltipfen auch one dieselben
aus, wie G. v. Koch beschreibt. Bei Tub. mesembryanthemum
endlich sind sie im Besitze sowol des Aboral- als auch des Oral-
tentakelkranzcs. — Stelleu wir noch eiumal in einer Tabelle die
Der Orgauismus der Hydroidpolypeu.
501
verschiedene Ruckbilduiig der Medusen dar, welche dieselbeii zu
medusoiden Gonophoren machen.
Radiarkanale
Tentakel-
Entstehung der
und Ringkanal
rudimente
Geschlechtsstoffe
Tub. indiyisa . . .
vorhanden
fehlen
1 in den
/ medusoiden
1 Gonophoren
„ coronata .
fehlen
4 vorhanden
„ mesembryanth. .
fehlen
8 vorhanden
„ laryux ....
fehlen
fehlen
Garveia nutans . .
in Riickbildung
begrifFen
fehlen
?
Hydractinia echinata .
fehlen
fehlen
im Gouophor
Gonothyraea Lovenii .
vorhanden
fehlen
im Coenosark
Zur Embryologie.
I. Entstehung der Eier von Plumularia fragilis n. sp.
Bei dicser warscheinlich iioch nicht beschricbenen Art ent-
stehen die Eier im Entoderm des Coenosarkes, wie am lebenden
wie conservirten Material festgestellt werden kann.
Betrachtet man unter dem Mikroskope die lebenden Zweige
dieses Polypenstockes, so sieht man uberall im Entoderm Zellen,
welche sich durch Grosse von den iibrigen Entodermzellen unter-
scheiden. Bei manchen derselben erblickt man Ausliiufer, ja man
sieht wie sich dieselben amobenformig bewegen. Es sind dies
die Eizellen, welche im Entoderm herumwandern.
Das Entodermepithel ist an vielen Stellen des Stammes ein
Keimepithel zu nennen. Jede Zelle hat die Eigenschaft eine Eizelle
zu werden. Auf Flachenansichten (Fig. 18, Taf. XXIV) bemerkt
man, wie unter den Epithelzellen einige durch Grosse hervorragen,
(dieselben sind mit dunklem Kernkorperchen dargestellt) und zu-
gleich ist eine schon merkliche Vergrosserung des Kernes einge-
treten. An den schon jetzt als Eizellen anzusprechenden Zellen
tritt nun ein Wachsthum ein, indem sich der protoplasmatische
Teil der Zelle, sowie der Kern mit seinem Kernkorperchen ver-
grossert. Nach Erlangung einer gewissen Grosse fangen diese
Zellen zu wandern an (s. Fig. 20) und erreichen endlich die in
Fig. 19 angegebene Grosse. (Sammtliche Figuren sind mit Zeiss'
Immers. V12 ^^- ^ gezeichnet.) Die letzte grosse Zelle ist dar-
gestellt wie sie auf der Stiitzlamelle hingleitet. Will man die
Zellen in dem Zustande der Bewegung darstellen, so iibergiesse
502 Dr. Otto Hamanii,
man den Zweig niit heisser Subliniatlosung. Es tritt dann momen-
tan due Fixirung der Zellen ein.
Das Protoplasma der Eier ist stets fein granulirt. Das Kern-
korperchen zeichnet sich durch seine stark(i Lichtbrcjchung aus
und macht das Auffiuden der Eier sehr leicht.
II. Die Wanderung der Eier in das Gonophor.
Wenn bei Plumularia die Eier, welche aus dem Entoderm-
epithel entstanden, bis zu einer gcwissen Grbsse herangewachsen
sind, beginnen die Gonophoren sich zu bilden als Ausstiilpungen
des Coenosarks. An einem Punkte wachsen die Exodermzellen
in die Liiuge und liefern ein Sekret, welches die Perisarkschichten
auflost, wie dies auch von Weismann') bereits dargestellt ist.
Nun erfolgt eine Ausstiilpung des Coenosarks, welche in die Liinge
wiichst und zugleich urn sich die Ausscheidung einer neuen diinnen
glashellen Chitinhiille fortsetzt. An ihrem Distalende bleibt die
Exodermschicht in Verbindung mit der Chitinkapsel. Die Befesti-
gung an der nicht iiberall anliegeuden Hiille geschieht durch
Pseudopodien, welche die Exodermzellen entsenden.
Bei PI. fragilis enthalten dieselben eine Menge von Nessel-
kapseln; auch im Coenosark kommen dieselben vor. Nachdem
nun das Gonophor angelegt ist, beginnt die Wanderung der Ei-
zellen auf folgende Weise. Dieselben bewegen sich nach Art der
Amoeben auf der Stiitzlamelle hiu, dieselbe als Unterlage nehmend,
und sind von dem Entodermepithel iiberdeckt, wie es Fig. 3,
Taf. XXV zeigt. Indem nun die Eizelle am Ende des Gonophors
angelangt ist, beginnt eine Lage von Entodermzellen dieselben zu
umwuchern, sodass jetzt das Ei, zu welchem sich noch andere
vordem gesellt haben konnen, allseitig vom Entoderm umschlossen
ist (Fig. 4). Die spater einwanderndeu Eier gelangen unterhalb
der ersteren zu liegen, sodass die Eier desto junger sind, je naher
sie der Basis des Gonophoren liegen. Indem nun auf alien Seiten
des kreisformigen Gonophors die Einlagerung von Eiern erfolgt,
bleibt der Kanal in der Mitte liegen. Bei vielen Arten verzweigt
sich jedoch derselbe und die Eier liegen dann von Kanalen ein-
geschlossen. Bei Halecium liegen die Eizellen jede von der an-
deren durch eine Zelllage abgegrenzt im Kreise urn den Kanal.
Innerhalb des Gonophoren nuiss nun die Befruchtung erfolgen.
^) Weismaun a. a. O.
Der Orgauismus der Hydroidpolypen. 503
Die Spermatozoen dringen jedenfalls durch das Distalende des
Gonophors eiii, doch liegt hieriiber keine sichere Beobachtung vor.
Was nun die Entstehung der Gonophoren anlangt, so geschieht
dieselbe an beliebigen Punkten. Nach Weismann gewohnlich
da, wo die Eier in grosser Anzahl vorhanden sind. Es ist dies
in der Tat auch oft nachzuweisen. Nichtdestoweniger findet man
oft Gonophoren in zienilicher Menge vor, wenn sich keine Eier
Oder Hodenzellen im Coenosark in der Nahe finden. Es scheint
deswegen nicht unbedingt die Bildung der Gonophoren von dem
Vorhandenscin der Eier abzuhangen.
Merkwurdig ist die Bildung der Gonophoren bei den Aglao-
phenien. Hier entstehen dieselbeu sicher ganz unabhiingig von
den Eiern, denn es sind die Stellen schon bei der Entwickhmg
der Aeste bestimmt. Warend die Aeste alternirend abgchen, sieht
man wie hier und da nur ein Rudiment vorhanden ist. Dieses
wiichst zur Zeit der Entstehung der GeschlechtsstofCe zum Gono-
phor, das man hier Corbula, der Form wegen, nennt, sodass Gono-
phor und Aeste hier alternirend stehen. An dieser Stelle erwilne
ich die cigentiimlichen Kornerzellen, welche sich ini Exoderm der
Gonophoren finden (s. Figur 3). Sie sind vielleicht den Driisen-
zellen zuzuzahlen.
III. Die Purohung und die Bildung der Gastrula (Planula).
Die Furchung wurde nur insoweit verfolgt, als es sich um die
Entstehung der Gastrula handelte, da mir eine solche durch
Bildung von Delamination nicht warscheinlich schien.
Bei Tubularia ist dieselbe unten naher beschrieben. Bei einer
Aglaophenia und verschiedenen Plumularien untersuchte ich die-
selbe und konnte nirgends eine Gastrulabildung durch Invagination
entdecken. Es scheint, dass bei alien Hydroidpolypen (mit Aus-
nahme von Hydra) auf die 2, 4, 8 u. s. w. Teilung eine Blasto-
sphaera folgt, und nun eine iiussere Zellschicht durch raschere
Vermehrung der ilusseren Zellen der Blastosphaera entsteht, welche
das Exoderm vorstellt. So verlauft der Vorgang bei Tubularia
und anderen untersuchten Plumularien. Bei Cordylophora hat
Fr. E. Schultze ebenfalls eine Art Delamination dargestellt. Es
scheint, dass die Planula stets durch einen Delaminationsvorgang
gebildet wird. Bei einer Aglaophenia besteht die Planula a us
einer ilusseren pallisadenformigen Schicht von Exodermzellen, und
das Innere ist von den Entoderrazellen ausgefullt, die unregel-
504 Dr. Otto Hamann,
massig angeordnet sind. Die Planula gelangt in diesem Zustand
mit einem Wimperkleid versehen zum Ausschlupfen. Jetzt wachst
dieselbe in die Liinge (Fig. 22 u. 23) und bewegt sich vermittels
ihres Wimperiiberzuges uni ihre eigene Axe rotirend ira Wasser
umher. Eine Hole im Inneren der Planula ist noch nicht zu
untcrscheiden, sie tritt erst auf kurz vor dem Festsetzen, wie an
Schnitten zu constatiren ist. Das Exoderm besteht aus cylinder-
formigen Zellen (s. Fig. 23) und sind Nesselkapseln schon vor-
handen.
In seinen Untersuchungen iiber die Entodermbildung der Coe-
lenteraten glaubt Metsclinikoff den schon fruher ausgesproche-
nen Satz aufrecht erhalten zu konnen, „dass sich bei den echten
Coelenteraten die niederen Formen, one ein Gastrulastadium zu
durchlaufen, entwickeln". Aus seinen Beobachtungen , dass das
Entoderm durch Teilung der Blastodermzellen entsteht, folgt dieser
Schluss doch keineswegs. Wir halten die durch Delamination ent-
standene Planula der Hydroiden, — welche faktisch besteht — und
in welchen die Furchungshole fehlt, ebenso fur eine Gastrulaform
als wie die durch Epibolie oder einen anderen Modus entstandene
Form. Die Delamination ist eine abgekiirzte Entwicklungsforra
und jedenfalls aus der Invagination herzuleiten. Damit vertragt
sich jedoch die Ansicht, welche Balfour aufstellt, dass namlich
die Planula die Widerholung einer freien Vorfarenform der Coe-
lenteraten sei, nicht. Er glaubt, dass diesen Vorfaren der Ver-
dauungskanal gefehlt habe. Diese Ansicht scheint mir jedoch so
vielen Bedenken zu begegnen, dass sie wol nie zu allgemeiner
Anerkennung kommen wird. Angesichts des sonst allgemeinen
Vorkommens einer Gastrula wird jedenfalls die Ansicht, welche
die Planula fiir eine umgebildete Gastrula halt, in Geltung bleiben.
Dass wir iiberhaupt bei den niedersten echten Coelenteraten sehr
modificirte von dem ursprunglichen Typus abweichende Bildungen
vor uns haben, sehen wir bei den Taeniolaten - Polypen , wo nahe
verwandte Arten sich in der Entwicklungsweise vollkommeu untcr-
scheiden. Deun warend die einen ein Planulastadium besitzen,
fehlt dasselbe den nachst verwandten Arten und es koramt bei-
spielsweise zur Bildung einer Actinula.
Durch die Tatsache der Delamination ist keineswegs, wie
Mctschnikoff glaubt, die Gastraeatheorie zum Wanken gebracht,
denn die Planula ist eben eine Gastrulaform, und es heisst den
Tatsachen Gewalt antun, wenn man sie einer Theorie zu Liebe
in so gezwunseuer Weise deuten will.
Dei* Organismus der Hydroidpolypen. 505
Nach Metsclinikoff darf man iiberhaupt nicht von einer
Gastrula reden, sobald Blastoporus uud Furchungshole fehlen.
W(3nn derselbe Autor bei diesem Satze stehen bleibt, ist t:in Streiten
aussicbtslos und nutzlos, denn wir glaubeu auch dann nocb von
einer Gastrula sprechen zu diirfen, sobald es warscheinlicb ge-
niacht werden kann, dass das Fcblen beider Bildungen cnst sekun-
darer Natnr ist. Wir bezeichnen desbalb als Planula die
diirch Delimination entstandene abgeanderte Gastrula-
form.
Die Verwandtschaft der Hydroidpolypen mit den
Siphonophoren und Anthozoen, nebst
Stammbaum derselben.
Wenn wir in den nachsten Zeilen iiber die Verwandtschaft
der Polypen mit den Siphonophoren handeln werden, so brauchen
wir nicht zur Entwicklungslehre Zuflucht zu nehmen, um Beweise
fur dieselbe herbeizubringen, sondern fussen einfach auf den iiber-
einstimmenden Bau der Siphonophorenpolypen mit denen der mit
Taeniolen versehenen Polypen. Betrachten wir die Leibesschichten
eines hoheren Polypen und eines Siphonophorenpolypen, so tritt
uns der ubereinstimmende Bau beider in die Augen. Hier wie
dort haben wir die Langswiilste, hier wie dort eine entodcrmale
Muskulatur. Die Stiitzlamelle hat weder bei Siphonophoren noch
bei Polypen Teil genommen an diesen Bildungen, wie etwa bei
dem Scyphostoma und der Spongien bewonenden Spongicola es der
Fall ist. Bei den Siphonophoren sind nicht etwa cinzeln Polypen
mit Taeniolen versehen, sondern, wenn zum Beispiel zwei verschie-
dene Arten derselben vorkommen, wie es bei Velella der Fall ist,
so besitzen beide diese Wulstbildungen. Der Bau der Zeilen ist
vollkoramen ubereinstimmend bei Taeniolaten und Siphonophoren-
polypen.
Von E. Haeckel ist die Ansicht aufgestellt worden, dass die
Siphonophoren von den Anthomedusen abgeleitet werden miissen.
Nun sind aber die Anthomedusen in Generationswechsel mit den
Taeniolatenpolypen und erfart somit diese Annahme eine neue Be-
statigung, indem die Polypen beider Gruppen im Bau uberein-
stimmen.
Wir haben demnach die Siphonophoren, welche wir als Tier-
stocke ansehen , welche aus Anthomedusen und Taeniolaten ge-
506 Dr. Otto Hamann,
bildet sind, von den letzteren abzuleiten. Bei den Anthozoen,
und zwar wollen wir nur die Actinien naher ins Auge fassen,
liaben wir bei den entwickelten Tieren weit complicirterc Bildungen
vor uns. In der Entwicklung wird jedoch ein Stadium durchlaufen,
welches zu einem Vergleiche herangezogen werden kann. Die
junge Larve mit ihren vier priraiiren Taeniolen (oder Septeii) re-
capitulirt den Bau eines Taeniolaten. Der Unterschied besteht
nur darin, dass die Wiilste in bestimmter Anzal angelegt sind
und dass sich die Stiitzlamelle bereits an denselben beteiligt. Da
letzteres jedoch auch bei den Spongicoliden der Fall ist, so steht
es nicht als Ausnahme dar.
Una kurz zusammenzufassen , haben wir als Ausgangspunkt
eine unserer Hydra anliche Form anzunehmen. Nach der einen
Seite bin haben sich die Intaeniolaten (Campanularinae und Sertula-
rinae) entwickelt, nach der anderen Seite entwickelten sich Polypen
mit Langswtilsten , von denen als Seitenzweig die Spongicoliden
und die Scyphostomen zu betrachten sind, wiirend als ein ande-
rer Seitenzweig die Aktinien anzusehen sind. Von Taeniolaten,
welche Medusen gebildet hatten, zweigten sich die Siphonopho-
ren ab.
Wenn wir nun diese dargelegten Ansichten in einen Stamm-
baum zusammenstellen wollen , so wird derselbe folgendes Bild
geben :
Siphonophora
I Scyphostoma
Koralla /
Spongicolidae
Intaeniolatae
Taeniolatae (Hydroidpol. one Taeu.)
(Hydroidpol. m. Taeu.) (1) Sertulaviuae) Hydrocorallineae
I 20 Familien (2) Campanularinae) I
Hydra
(Hydrusae)
Archydra
Der Organiamus der Hydroidpolypeu. 507
Das System der Hydroidpolypen.
Wenn wir die bisherigen Systeine durchmusteru , so finden
wir nur das einzige von Hincks, welches er seinen „British
Hydroid Zoophytes" zu Grunde gelegt hat, das der Beachtuug
verdieut. Auch All man hat sich demselben angeschlossen.
Das eben erwante System von Hincks ist ein kiinstliches.
Er stUtzt sich auf aussere Merkmale, namlich auf die Bildung der
Skelettroren , uicht aber auf anatoraische und histologische Tat-
sachen, da dieselben eben zu jeuer Zeit noch nicht bekannt vvareu.
Allman hat in neuester Zeit ' ) die Hydroidpolypen eingeteilt
in die beiden Subordnungen der Gymnoblastea und Calyptoblastea.
Letztere hat er nur in zwei Tribus geteilt in die Campanularinae
und Sertularinae.
Worauf haben wir aber ein naturliches System bei diesen
Polypen zu griinden?
O. und R. Her twig glaubten auf die Enstehung der Ge-
schlechtsstoffe eine solche Einteilung vornehmen zu konnen und
schieden die Coelenteraten in zwei Gruppen als Exo- und Ento-
carpen. Bei den ersteren sollten die Geschlechtsorgane im Exo-
derm, bei letzteren ira Entoderm entstehen. Es zeigte sich jedoch
bald, dass eine solche Einteilung nicht durchfiirbar sei. Auch
nicht einmal fiir kleinere Gruppen ist eine Einteilung nach der
Entstehung der Geschlechtsorgane moglich. Denn wollteu wir zum
Beispiel nach diesem Princip die Hydroidpolypen gliedern, so
wurden nachst verwandte Arten getrennt werdeu, ja eine Art
wiirde zerrissen werden, sobald die mannlichen Geschlechtspro-
dukte in einem anderen Keimblatte als die weiblichen entstanden.
Hiermit ist die Unzulanglichkeit dieser Einteilung bewiesen,
Ein anderer Gedanke ware der, der Systematik den Genera-
tionswechsel zu Grunde zu legen und zu unterscheiden zwischen
Polypen, welche Medusen erzeugen und solchen, welche nur poly-
poide Gonophoren hervorbringen. Doch auch eine solche Ein-
teilung ist zuriickzuweisen , da wir dem Generationswechsel keine
systematische Bedeutung zuerkennen konnen, da er bei verschie-
denen Polypen zu verschiedenen Zeiten unabhangig wird entstanden
sein. Dann wurden auch bei dieser Einteilung nahe verwandte
1) Allman, Report of the Hydroida of the Golf Stream. Cam-
bridge 1877.
508 Dr. Otto Hamanu,
Formen, wie Corymorpha und Monocanlis zum Beispiel von ein-
ander getrennt wcrden, da bei der ersteren Medusen zur Bildiing
kommeii, bei letzterer jedoch nicht. Eine andere Eiiiteilung, nacli
welclier die Hydroidpolypen in 2 Gruppen geschieden wurden^),
je nachdeni die Eier und Hoden im Coenosark oder in Geschlechts-
kapselu eutstehen, ist ebenfalls nicht durchfiirbar, da dann im
System zum Beispiel nalie verwandte Gattungen wie Eudendrium
und Tubularia getrennt werden wtirdeu.
So bleibt uns denn nur allein ubrig die Systematik auf die
Anatomie und Histologic zu begriinden. Wenn wir dies nun im
Folgendeu tun werden, so wird es auffallen, wie unsere auf den
histologischen Bau gegriindete Einteilung im Grossen und Ganzen
tibereinstimmt mit der von Hincks und All man. Die Idee, das
kiinstliche System auf die Bildung des Skelettes zu grunden, ist
insofern als gliickliche zu bezeichnen, da eine Wechselwirkung
zwischen Perisarkbildung und der Entwicklung der von demselben
umschlossenen Polypen besteht. Bei der einen Gruppe, den Theca-
phora von Hincks, ist das Skelett am weitesten ausgebildet, in-
dem Hiillen fiir die einzelnen Polypen gebildet sind. Indem aber
die Polypen auf diese Weise gegen die Aussenwelt geschiitzt waren,
passten sie sich nicht weiter an und blieben auf der erreichten
Entwicklungsstufe stehen. Diejenigeu Polypen jedoch, welche die
Schutzbecher nicht besitzen, behielten ihre freiere Bewegung bei
und vervollkommneten sich allmalich im Kampfe mit den sie um-
gebenden Elementen.
Wir teilen die Hydroidpolypen naturgemass in zwei Gruppen
und zwar in solche, bei welcheu sich keine Langswiilste oder Tae-
niolen im Magen gebildet haben und in solche, bei welchcn die-
selben zur Bildung gekomnien sind. Die ersteren stellen wir den
letzteren als Taeniolatae zu bezeichnenden als Intaeniolatae gegen-
Uber. Die Intaeniolatae fallen mit der von A 11m an als Calypto-
blastea bezeichnenden und von Hincks als Thecaphora benannteu
Gruppe zusammen.
Die Taeniolaten bilden die Allman'schen Gymnoblastea oder
die Hincks'schen Athecata.
Die Intaeniolaten zerfallen in zwei Gruppen, in die Campanu-
linae und Sertularinae. Zu ersterer gehoreu die Campanularia- und
Haleciumarten , wiirend die letztere die Familien der Sertulariden
und Plumulariden umfasst, denen All man noch als dritte Familie
die Gramaridae zugesellt.
^) vergl. Weismann, Zool. Anz. 1880/81.
Der Organismus der Hydroidpolypen, 509
Fiir die Siisswasserform Hydra und Protohydra, deren Vor-
kommen als selbstandige Form jedoch noch bezweifelt wird, rich-
ten wir unter den Intaeniolaten eine besondere Familie ein, oder
wir kounen eine Ordnung als Hydrariae den Intaeniolaten und Tae-
niolaten gegeniiberstellen und als einzige Familie die Hydridae
mit den Gattungen Hydra und Protohydra (?) aufstellen.
In jedem P'alle darf jedoch Hydra nicht mehr zu den Taenio-
laten gestellt werden , wie es Glaus ^) tut, wenn er sie zu deu
Gymnoblastea als erste Familie stellt.
Das System der Hydroidpolypen wird sich also etwa folgen-
dermassen gestalten.
Die Hydroidpolypen sehen wir an als die erste Legion der
als Polypen oder Hydrusae bezeichneten Klasse der Coelenteraten,
warend die zweite von den Korallenpolypen (Hydrocoralla) gebil-
det wird.
Klasse. Legion. Ordnungen.
/ 1) Hydroidpolypen, 1) Intacniolatae.
Polypen \ Hydromenae s. ^, „ , .
„ ;{* ] TT I •, 1 • 2) Taemolatae.
Hydrusae / Hydroidpolypi. ^
s. Polypi. / 2) Korallpolypen s. 3) Milleporidae.
' Hydrocoralla. 4) Stylasteridae.
I. Legion: Hydropolypi.
1. Ordnung: Iiitaeuiolatac, Polypen one Magenwiilste. Das Ske-
lett bildet Kapseln fiir die Polypenpersonen.
1. Familie: Hydrinae, Gattung: Hydra, Protohydra (?).
2. „ : Oam^^awMZarmftc, Gattung: Campanularia,Obelia,
Lafoea, Leptoscyphus u. s. w.
3. „ : Sertularinae , Gattung: Sertularia, Antennula-
ria, Plumularia, Aglaophcnia.
2. Ordnung: Taeniolatae.
1. Unterorduung: Acolloblastae. Die Stutzlamelle ist nicht bei
der Bildung der Taenioleu beteiligt.
1. Familie: Clavidae, Gattung: Turris, Clava, Coryden-
drium, Cordylophore.
2. „ : Oor^/mt^ae, Gattung: Coryne,Syncoryne,Zanclea.
3. „ : Atractylidae, Gattung: Atractylis, Perigoni-
mus, Garveia, Dicoryne, Bimcria, Bongainvillia,
Diplura.
*) Claus, Lehrbuch der Zoologie p. 260.
510 Dr. Otto Hamann,
4. Familie: Eudendridae, Gattung: Eudendriura.
5. „ : Hydractinidae, Gattung: Hydractinia.
6. „ : Podocorynidae ^ Gattung: Podocoryne, Cory-
nopsis,
7. „ : Cladonemidae, Gattung: Cladoneuia.
8. „ : Nemopsidae, Gattung: Neniopsis.
9. „ : Pennaridae , Gattung: Pennaria, Stauridium,
Vorticlava etc.
10. „ : Cladocorynidae , Gattung: Cladocoryne.
11. „ : Myriothelidae , Gattung: Myriothcla.
12. „ : ClavateUidae, Gattung: Clavatella.
13. „ : Monocaulidae , Gattung: Monocaulii.
14. „ : Tubularidae, Gattung: Tubularia, Corymorpha,
Ectopleura, Hybocodon, Amalthaea, Acaulis.
2. Unterordnung: Colloblastae. Die Stiitzlamelle ist bei der
Bilduug der Taeniolen beteiligt.
1. Familie: Spongicolidae , Gattung: Spongicola.
2. „ : Scypliostomidae.
Zweiter Teil.
Ordnung: Taeniolatae.
Das Genus Tubularia.
Tubularia coronata,
„ „ larynx,
„ „ mesembryanthemum.
Die drei genannten Arten dienten zur Untersuchung. Wir
beginnen, ehe wir das fertige ausgewachsene Tier untersuchen,
mit der Entwicklungsgeschichte derselben.
Obgleich dieselbe von Ciamician ^) dargestellt ist, und zwar
sehr ausfiirlich , schien dieselbe doch von neuem in Angriff genom-
men werden zu miissen , da ich dieselbe fiir nicht richtig ansehen
musste, nachdem ich siimmtliche iibrigen Augaben desselben For-
schers als falsch erkannt hatte. Umsomehr war man hierzu be-
^) Ciamician, a. a, 0,
Der Organismus der Hydroidpolypen. 511
rechtigt, als bereits Balfour^), auf Angaben Kleinenbergs
gestutzt, Zweifel gegeu die Darstellung Ciamicians aufgeworfen
hatte.
Nach clem Abschluss meiner Untersucliuugen erschien eine
Abhandlung von Metschnikoff 2), in welclier gleiclifalls die
Darstellung des genannteu Autors als falsch zuriickgewiesen wird.
Erabryologie.
Das reife Ei von Tubularia besteht aus zvvei Teilen, aus einer
ausseren Schicht von hoinogenen Protoplasraa and einer inneren
Schicht, welche aus eineni Netzwerk von Protoplasnia besteht. In
deinselben liegen die Pseudozellen Kleinenbergs eingestreut,
welche stets durch ihre dunklere Farbung hervortreten. Um die
zwei Schichten des Eies zu erkennen, ist es notig, Schnitte zu
fertigen. Das Ei bietet also denselben Bau dar, wie die Eier der
Medusen uud Siphouophoren.
Der Zweiteilung des Eies folgt eine Vierteilung und so fort.
Das Eude der Furchung ftirt zu einem Zellcomplex von gleichen
Zellen one Hole im Inneren (Fig. 11). Jetzt beginnen nun die
ausseren Zellen des kugligen Embryos rascher sich zu vermehren.
Man trifift jetzt in der ausseren Schicht eine Menge von Keruen
an , welche die Kerne der neu entstehenden Exodermschicht sind.
Fig. 13 zeigt auf dem Querschnitt einen als Planula zu bezeich-
nenden Embryo. Wiirend sich die Exodermschicht auf diese Weise
bildet, wird die innere Zellschicht zu dem Entoderm. Hierbei
entsteht die Magenhole im Centrum. Die Entodermzellen besitzen
jetzt sclion ihre typische Gestalt, Es sind cylinderformige Zell-
schlauche, in denen die Vacuolen schon deuthch hervortreten.
Nach der Anlage der Furchungshole treten an dem Embryo
zunachst zwei Tentakel, welchen aber sofort die iibrigen folgcn,
auf. Mit dem Auftreten der Tentakeln erfolgt der Durchbruch des
Mundes, welcher in Gestalt eines Kreuzes sich anlegt (Fig. 8).
In dieser Form schliipft der jetzt als Actinula bezeichnete Em-
bryo bei T. coronata aus. Er besitzt bei dieser Art eine eiformige
Gestalt. Ungefar in der Mitte desselben sind die Tentakel inse-
rirt, deren sich bald sechs, acht, ja bis zwolf finden konnen. Be-
reits wenn die Actinula noch im Gonophor weilt, entstehen die
^) Balfour, Vergl. Embryologie. p. 148.
2) Metschnikoff, Vergleichend-embryologische Studien p. 433.
Zeitschrift f. wiss. Zoologie 1881.
512 Dr. Otto Hamann,
Nesselkapselii im Exoderm. Das Exoderm besteht am Aboralpol
aus laiigen pallisadeiiiorniigcii Zellcn, welche nach den Tentakeln
bin an Il<)be abnehnicn, warend dieselben am Pol selbst ibre grosste
Hobc erreicben.
Das Entoderm der Tentakel bestebt jetzt aus einer Reihe
von Zellen, den „cbordaanlicben" Zellen. Wiirend dieselben in
dicser Entwicklungsstufe nodi in einer Reibe liegen — dies ist
der persistirende Zustand fiir die iibrigen Hydroidpolypen — wird
die Lage derselben in Folge unregehniissiger Teilung unregel-
massig. Man findet erst zwei, dann mebrere nicbt mebr unter-
scheidbare Reihen vor. In gleicber Zeit bildet sicb der „Abo-
ralwulst", wie wir denselben im Gegensatz zu der am Munde
vorkommenden und als Oral vvu 1st zu bezeicbnenden Bildung
nennen wollen. Derselbe bestebt aus denselben Zellen wie die
Axe der Tentakel. Fig. 4 zeigt uns einen Radialscbnitt durcb eine
Actinula, wiirend Fig. 5 uns einen Tangentialscbnitt vorstellt, um
die Lage des Wulstes zu erkennen. Derselbe ist von dem eigent-
lichen Entoderm durcb ein ieiues Hiiutcben, die Stutzlamelle, ab-
gegrenzt, ebenso wie von dem Exoderm. An der in Figur 2 ab-
gebildeten Actinula sind die Muskelfibrillen bereits deutlich zu
unterscheiden. Zugleicb ist jetzt am Aboralpol ein dunnes Hiiut-
chen zu erkennen, das als belle Membran sicb deutlicb abbebt.
Dieses Hautcben ist ein Produkt der pallisadenformigen Aboral-
zellen und stellt die erste Anlage des Ferisarkes vor.
Seben wir aber nun die weitere Entwickluug der Actinula von T.
coronata an ! . Der Aboralpol wiicbst mebr und mebr in die Liinge,
wiirend eine Einscbniirung oberbalb der Tentakeln auftritt. An
dem Oralpol bilden sicb in der Umgebung der Mundotfnung vier
kleine Hocker. Das Hautcben am Aboralpol ist miicbtiger entfal-
tet und erstreckt sicb weiter als im vorbergehend geschildertcu
Zustand, wo er nur als kleine Kappe dem Aboralpol aufsass.
Im folgenden Stadium sind die vier Hocker gewacbsen. Es
ist Exo- wie Entoderm deutlicb zu unterscbeiden. Jetzt sind auf
denselben, den vier primaren Mundtentakeln , bereits Nesselkap-
seln in ziemlicber Anzal zu erkennen.
Was die Stutzlamelle anlangt, so ist dieselbe erst jetzt deut-
licb warnebmbar. Sie scbeint von alien Geweben am letzten zu
entstehen.
Wiirend wir eben die Bildung der Actinula von T. coronata
scbilderten, so wollen wir jetzt dieselbe von T. mesembryantbemum
Der Organismiis der Hydroidpolypen. 513
widergeben. Obgleich bcide Arteii sich kaum im histologischen
Bau untcrsclieiden, ist die Bilduiig ihrer Embryonun verscbieden.
Warend namlich bei T. coronata die Eutstehung der Oralteii-
takel im Wasser erfolgt, so verlasst die Actinula der andereu Art
erst nach Bildung der vier primiireu Mundtentakel das Gonopbor.
Auch ill ihrer Gestalt unterscbeidet sie sich von der der ersteren
Art (vergl. Fig. 10). Nachdeni iiuii die Actinula eine Zeit lang
auf dem Boden des Gefasses sicb verniittels der Tentakeln bewegt
hat, (Wimpern fehleu ibr stets, bei keiner Art ist die Actinula
bewimpert) setzt sie sich vermittels ihres Aboralpoles fest (Fig. 11),
Sie wiichst nun bedeuteud in die Lange (Fig. 13). Es entwickelt
sich jetzt das Chitinskelett, welches bis uuterhalb der Aboralten-
takeln reicht. Der Oralwulst erreicht bald seine giosste Miichtig-
keit und in kurzer Zeit hat der Polyp seine vollkonmiene Grosse
erreicht.
Bevor wir nun die Histologie der ausgewachsenen Polypen
geben, wollen wir kurz die Entstehung der Gonophoren, in welchen
die Eier gebildet werden, betrachten.
Oberhalb der Aboraltentakeln bilden sich Ausstiilpungen der
Magcnhole, welche also aus Exo- und Entoderm bestchen , und
auch die Stutzlamelle mit einschliessen. An dieser Aussackung,
welche bald als Stiel erscheint — in Folge des Langswachstums —
entstehen secundar die eigeutlichen Gonophoren widerum durch
Ausstulpung des Exo- und Entoderms. Eine Stutzlamelle tritt
hier nicht auf. Der Stiel, an welchem die Gonophoren sitzen,
wird von All man als Gonoblastidium bezeichnet. Die Bildung
der Eier und Sperma aus dem Exoderm ist in neuester Zeit von
Weismann bei T. mesembryanthemum bestatigt worden. Ich
babe bei T. coronata dieselbe verfolgt und geschieht sie in folgen-
der Weise. Das Exoderm der Holknospe, so konnen wir die Aus-
stiilpung des Gonoblastidiums nennen, beginnt am Distalende zu
wucheru und drangt in Folge dessen die Entodernizellen nach
inneu. Die Exodermzellen werden nach und nach von der ilussc-
reu Exodermschicht abgeschniirt, indem das {Entoderm dieselben
umschliesst (gf). Jetzt wuchern die zuriickgedrangten Zellen des
Entoderm in die Exoderraverdickuiig und stollen den sogeiiaiinten
Spadix her. Die Exodermzellen, welche in ihrem Inneren eine
Holung zeigen, sitzen in Form einer zweischichtigen Kappe auf
dem Spadix. Die Entstehung der Geschlechtsstoffe verlauft ganz
wie bei Hydractinia^). Aus der mit ex^ in Fig. 2 u. 3 bezcich-
^) Die Darstellung Ciamicians ist auch in diesem Punkte
Bd. XV. N. F, VIII. 4., 33
514 Dr. Otto Hamann,
neten Schicht eutwickeln sich die Geschlcchtsstotfe. Fig. 3 stellt
ein spaturcs Stadium dar. Die dunkel gelialtene Partie sind die
Geschlechtszellen.
Das medusoide Gonophor ist jetzt dreischichtig. ex^ ist die
urspriiugliche primare Exodormschicht. Mit gf ist die der Gefass-
lamelle liomologe Zellschicht des Entoderm bezeichnet. Mit ex^^
ist die dritte Schicht, von Allman als Enthoteca benannt, be-
zeichnet. Ihre Entstehung wird aus Fig. 2 deutlich. Die Gefass-
lamelle ist stets einschichtig.
Auf die Homologieen, welche zwischen Meduse und medusoi-
dem Gonophor bestehen, ist bereits oben aufmerksara gemacht
worden, sodass wir hier uur darauf verweisen.
Bei T. coronata entwickelt sich immer nur eine Zelle zur Ei-
zelle. Bei den anderen Arten wie T. mesembr. findet man jedoch
in einera Gonophor deren mehrere in verschiedeueu Entwicklungs-
zustanden vor. Warend sich die Eizellen ausbilden , treten am
Distaleude des Gonophors vier Verdickungen auf; es entstehen vier
vom Exoderm uberzogene Hocker. Zugleich tritt zwischen den-
selben eine Oelinung auf, durch welche spater die Actinulae aus-
schlupfen. Bei T. mesembr. und larynx erfolgt die Bildung der
Oeffuuug durch das Hervorwachsen der Spadix. Derselbe durch-
bricht die beiden Zellschichten. Bei T. coronata ragt der Spadix
niemals zur Oeffnung heraus, da er nie bis zu solcher Lange an-
wachst. Er findet sich in vielen Fallen von dem Embryo ganz
auf die Seite gedriingt. Das Verlassen des Gonophors durch den
Embryo geschieht gleichfalls auf verschiedene Weise. Bei T. co-
ronata verlasst derselbe das Gonophor, indem er mit dem Aboral-
pol herausschlupft , warend er bei den anderen Arten (larynx,
mesembr.) mit den Tentakeln zuerst heraustritt. Noch ist zu er-
wanen , dass bei T. mesembr, sich acht Hocker um die Oeffnung
finden, und zwar bei den weiblichen Gonophoren deutlich ausge-
pragt, warend sie an den mannlichen kaum angelegt sind.
Histologic und Anatomic der ausgebildeten Polypen.
Geheu wir nun zu der Betrachtung der ausgebildeten Polypen
liber! Beti-achtet man einen Polypen von aussen, so treten zwei
Wulstbildungen uns entgegen ; von jedem entspringen die Teutakel.
falscli. Nach ihm soil sich die Entodermlamelle als zweischichtig
anlegen u. s. w.!
Der Organismus der Hydroidpolypen. 515
Von dem oberen, als Oralwulst zu bcuenneiideu , geheu die Oral-
tentakeln ab, wiircnd an doni untercn weit grosseren Aboralwulst,
wio wir ihn nennen wollcn, die Aboraltentakel inscrireu. Unter-
halb dieser Tentakeln geht der Korper nicht sofort in den Stiel
uber, sondern bildet nach einer circularen Einschniirung eine am-
l)ullenforinige Erweiterung, um dann erst in den Sticl iibcrzugehen.
Das Perisark reicht bis unterhalb dieser knopfformigen Erweite-
rung.
Die Gewebe der Tentakel, welche bisher allein Gegenstand
von Untersuchungen gewesen sind, sind folgende. Zuniichst haben
wir die gewoulichen Exodermzellen zu erwanen , zwischen denen
die interstitiellen Zellen sich reichlich vertreten vorfinden. Auf
diese Zellschicht folgt eine Schicht von parallel mit der Tentakel-
axe verlaufenden Muskelfibrillen ; jede Fibrille besitzt ihren Kern
von Protoplasma umgeben. Derselbe liegt in der Mitte der stets
glatten Muskelfaser. Bereits All man') hat diese Muskeln' ge-
sehen. Niemals kommt es jedoch zur Bildung von Quermuskel-
fibrillen, wie solche Ciamician sogar isolirt zu liaben vorgiebt
uud abbildet!
Was derselbe als Quermuskeln angesehen hat, sind die Zell-
grenzen des Axeugewebes. Bei Tubularia liegen die Zellen dieses
Bindegewebes nicht wie Geldrollen aneinander, sondern sind in
unregelmassiger Lage vorbanden. An gefarbten Priiparaten kanu
man nun in der Tat zu der Ansicht verleitet werden, dass hier
Quermuskeln vorliegen. Doch halt einen hiervon schon die Starke
dieser vermeintlichen Muskeln ab, sie als solche zu deuten. Die
Stiitzlamelle ist ein diinnes strukturloses Hautchen, welches im
Distalende des Tentakels blindsackartig endet. Das grossblasige
Bindegewebe besprechen wir weiter unten.
Der Oralwulst, welcher in einer starken Entwicklung einer
von dem Entoderm ausgeschiedenen Bindesubstanz besteht, beruht
in seinem oberen Telle darauf, dass die Tentakel nicht sofort vom
Korper ausgehen, sondern erst eine Strecke nebeneinander noch in
Verbindung herlaufen, um erst dann frei nach aussen zu diver-
giren. Ein Blick auf die Schnitte ah in Fig. 2 und Fig. 3 macht dies
klar. Erstere Figur zeigt die Tentakel, welche noch nebeneinander
verbunden herlaufen. An jedem Tentakelquerschnitt erkennt man
1) AUman, A monograph of the Gymnobl. or Tubularian Hy-
droids p. 206/7.
33*
516 Dr. Otto Hamann,
das Exoderm mit seineu Muskelfascrn , warend innen vou der
Stiitzlaincllc uiiischlu.stjeii die grossblasigcii Zullcii licgeii.
Iktracliteii wir jutzt uineii Qucrschuitt, der durch deu Pulypen
der Basis naher gelegen gefiirt ist, so sieht rnau, wie das Gewebe
des Wulstes an Dicke abgeuoinmeu hat, und dass beide Stiitzla-
niellen zuletzt miteinander verschmelzen (s. d. Langsschnitt Fig. 1).
Jetzt ist der Korper bis an die Basis der Aboraltentakel aus deu
drei typischeu Scliichten, Exo-, Entoderm und Stiitzlamelle zu-
sammengesetzt.
Der Aboralwulst hat eine weit grossere Machtigkeit erlangt,
als der erstere. Er lasst in seineni Centrum nur eiuen kleinen
Kanal, welcher von dem Entoderm ausgekleidet ist, und welcher
von dem Magen der Polypen nach der Kuopfhole lurt.
Diese grossblasigen Zellen der beiden Wiilste sind von der-
selben Beschaflfeuheit wie die „chordaanlichen Zellen" in der Ten-
takelaxe der Setularien, Campanarien und der iibrigen Polypen.
Das Entoderm, welches die Holraume auskleidet, zeigt fol-
gende Bildungeu. Schon, wenn man einen Polypen von aussen bei
miissiger Lupenvergrosserung betrachtet , erkennt man Laugsstrei-
fungeii an demselben, welche Langswiilsten im Entoderm entsprechen.
Am Hypostom erheben sich nieist ftinf Liiugswiilste , welche auf
ihrem Wege nach der Basis der Polypen zu sich verzweigen. Sie
erreichen ihre grosste Entwicklung vor der Mitte der Polypens,
um dann sich zu verjiingen und an der Stelle, wo die Gonopbo-
ren entspringen, in das einschichtige Epithel uberzugehen. Die
Zellen dieser Liingswiilste oder Taeniolen sind in die Lange ge-
wachseue Zellen, dereu Kern, vom Plasma umhtillt, meist in dem
dem Magen zugewendeteu Zellteile liegt. In diesen Zellen sind
Farbstoftconcremente der verschiechuisten Art abgelagert.
Warend die Gastralhole ihre grosste Ausdehnung oberhalb des
Aboralwulstes erreicht, lurt ein kleiuer Canal in den Knopf, In-
nerhalb desselben findet man die Zellen oft zottenformig ausge-
streckt. Sie sind auch hier dicht mit Farbstoffpartikelchcn an-
gefullt.
Die Querschnitte in Fig. 5 und 6 brauchen keine weitere Er-
lauterung, da sie verstiindlich sind, sobald man deu in Fig. 1 ge-
gebenen Langsschnitt mit betrachtet.
Warend das Entoderm in der verschicdensten Weise modifi-
cirt ist, erleidet das Exoderm nur im „Knopf" eine Aenderuug
(Fig. 7). Es bildet hier gleichfalls einen Wulst, der dadurch zu
Stande kommt, dass das ganze Exoderm in Falten gelegt ist.
Der Organismus der Hydroidpolypeu. 517
Die Stiitzlamelle reicht in Zipfeln in dieselben hinein. Eine weit
gewaltigere Entwicklung hat das Exoderm bei T. coronata (s. die
Figur), wo oberhalb der eingefalteton Partieen eine Lage von
Fxoderrazcllen mit Nesselkapseln sich vorfinden. Diese Lage ist
in der Figur weggelassen.
Die Entodermzellen, welche an ihrer Basis Muskeln ausge-
schieden haben, besitzen im Knopfe die schon oben geschilderte
Anordnung. Die Muskeln sind hier von gauz besonderer Ent-
wicklung.
Das Verhalten der Stiitzlamelle wird aus der Figur 1 ersicht-
lich. Sie trennt stets das Gewebe der Wiilste sowol vom Ento-
derm als dem Exoderm.
Podocoryne carnea.
Diese Art ist bereits G(!genstand einer besondcren Abhand-
lung ' ) gewesen , in welcher jedoch nur die an Situsprilparaten
gewonnenen Resnltate berichtet werdcn.
Die einzelnen Polypen sind vermittels eines Wurzelskelettes
auf gcmcinsamer Unterlage befestigt. Sie iiberziehen meist die
Schalen von Schnecken, welche von Eupagurusarten bewont werden.
Aus dem Wurzelskelett ragen zuniichst die Niirtiere h(;rvor,
die Tiophopolypen. Zwischen ihnen stehen kleine Spitzen, welche
vom Chitinskelett gebildet werden und von G rob ben als riickge-
bildete Trophopolypen angesehen werden. Zwischen beiden Ge-
bilden, den Polypen und deii Skelettspitzen , finden sich die von
A 11m an als Spiralzoid benannteii riickgebildeten Polypen vor,
welche ihren Mund nebst Tentakelkranz verloren haben. Sie gh^i-
chen schwingenden Peitschen und sind als die Polizei des Stockes,
als Wehrtiere anzusehen.
An den Trophopolypen treten schon bei iiusserer Betrachtung
am Hypostom mit der Axe parallel verlaufendc Streifen auf.
Grobben sagt: „Vier dunkle wie Leberstreifen aussehende Kih'-
per, welche am Hypostom vorkommen, sind nichts anders als vier
Falten, die das Exoderm bildet, sobald sich die Mundoffnung
schliesst".
- Dem ist zu entgegnen, dass erstens diese „Leberstreifen", wie
er sie nennt, n i c h t durch Faltung entstchen, s o n d e r n f e s t b e s t e -
hende Bildungen sind, und zwcitens, dass sie nicht vom Exo-
1) C. Grobben, Podocoryue carnea.
518 Dr. Otto Ham an 11,
derm sondern vom Entoderm gebildet werden! Von seiner
irrigen Ansicht hatte sicli der Verfasser der genanuten Arbeit
leiclit iiberzeugen kounen, wenn er einen Querschnitt durch das
Tier angefertigt hatte.
Das Entoderm springt am Hypostom in meist fiinf (nie vier)
konischen Verdickungen nach innen vor. Es sind dies dieselben
Taeniolen wie sie bei dem Genus Tubularia vorhanden sind. Auch
hier verzweigen sich dieselben in mannichfacher Weise. In der
ungefiiren Mitte des Polypen erreichen sie ihre grosste Milclitig-
keit, um dann melir und mehr abzunehmen. Nachdem diese Tae-
niolen das Hypostom verlassen haben , bilden sie zottenfurmige
Ausstiilpungen , wie auf dem Langsschnitt schon hervortritt. (Fi-
gur 3 Tafel XX).
Die Taeniolen werden am Hypostom von mit ausserst gerin-
gem Durchmesser besitzenden Zellen gebildet. Niemals finden sich
Concremente von Farbstoffen in denselben vor. Erst in den weit
grosseren Zellen der Wtilste des Korpers treten dieselben auf. Der
Bau der Zellen ist derselbe wie bei den Tubularien. Echte Drii-
senzellen mit kornigem Inhalt finden sich auch hier wie bei Tubu-
laria vor, wo wir sie nicht naher erwant haben, da sie bereits
im ersten Teil eingehend besprochen wurden.
Die Stutzlamelle beteiligt sich auch bei diesen Taeniolen nie.
Je nilher die Taeniolen der Basis der Polypen kommen, desto
mehr nehmen die Zellen an Grosse ab, um eudlich in einfache
cylinderformige Entodermzellen iiberzugehen, wie es in Fig. 4
dargestellt ist.
Die Tentakel, deren 10 bis 15 sich finden, gehcn unmittelbar
vom Polypenleib ab. Es findet sich nichts den Wulstbildungen
des Genus Tubularia an die Seite zu stellendes. Die Axe besteht
aus den bekannten Chordazellen.
Was nun den Bau der Spiralzoids anlangt, so stellen diesel-
ben hole vom Entoderm ausgekleidete Schlauche vor. Ihre Di-
stalcnden sind dicht mit Cnidozellen besetzt. Ihre Muskulatur
ist ganz besonders entwickelt, doch kommen nur Muskelfibrillen
vor, welche mit ihren Bildnerinnen , den Exodermzellen noch in
Verbindung stehen, wie es auch am Korper der Fall ist. Die
Stutzlamelle bietet nichts bcmerkenswertes dar. Besonders deut-
lich trat auf Liingsschnitten die Bingmuskulatur des Hypostoms
hervor.
Von Nesselkapseln kommen die beiden Arten vor, Makro-
wie Mikrocnidien.
Der Organismus der Hydroidpolypen. 519
Was iiber den Bau sonst noch zu sagen wiire, findet sicli bei
Grobben vor. Seine Darstellung der Entodermzellen entspricht
selbstverstiindlich nicht den Tatsaclien.
Wir wollen zum Schluss noch erwanen, dass der Korper dor
Podocoryniden vollstandig nackt ist. Die von Grobben beschrie-
bene feine Cuticula, welche den ganzen Korper, Tentakel und Hy-
postoni unikleiden soil, ist doch wol der helle fei-ne Grenzrauni
der Exodermzellen, wie er hier und bei Syncoryne besonders deut-
lich hervortritt. Bei letzterer Art wurde er von Fr. E. Schultze ^)
beschrieben.
Podocoryne Haeckelii, n. sp.
Diese neue Art uberzieht meist kleine Kiiriier, wie kleine Steine,
abgebrochene Aestchen, doch kommt sie auch oft mit Syncoryne
zusammen vor und biklet dann einen hellrosa Ueberzug auf weite
Strecken bin.
Die Polypen sind viel kleiner als bei der vorhergehenden
Art. Sie erreichen im ausgestreckten Zustande nur die Grosse
von 2 mill. Die Farbe ist hellrosa bis weiss.
Es finden sich die Tropliopolypen , die Spiralzoids oder Ma-
chopolypen und drittens auch die Skelettpolypen vor. Die Figur
15 zeigt uns die Polypen, wie sie auf einem runden abgebrochenen
Aestchen sitzen.
Diese Art ist besonders wichtig, da die Tentakel bereits in
bestimmten Radien erscheinen.
Der Mund ist stets vierlappig. Wir unterscheiden die Radien
des Mundkreuzes als die vier Perradien. In diesen 4 Perradien
legen sich die 4 primiiren Tentakel an. Diese vier primiiren Ten-
takel iiberragen die nun entstehenden 4 nachsten Tentakel stets
an Grosse. Die 4 secundiiren Tentakel legen sich in den Inter-
radien an und zwar kommen sie etwas tiefer zu stehen als die
erstercn (siehe Figur 15). Die meisten Polypen besitzen 8 Tenta-
kel, von denen also 4 perradial und 4 interradial liegen. Die nun
folgenden Tentakel legen sich nicht in bestimmten Radien an,
sonderu entstehen beliebig an verschiedenen Orten. Ausser den
8 Tentakeln entstehen iiberhaupt nur noch 2 Tentakel. Nie be-
sitzt ein Trophopolyp mehr als 10 Tentakel.
Warend bei alien Polypen die Organe sich nicht in bestimmter
') Fr. E. Schultze, Syncoryne Sarsii.
520 Dr. Otto Hamanu,
Arizahl anlegen, oder in bestimmtcn Radien liegeu, wie bei den
Medusen, so ist dies die einzige Art, bei welcher dies der Fall ist.
lui Entoderm laufen am Hypostom meist 4 Langstaeniolen
herab, welche sich jedoch alsbald in mehrere teilen. Die Taenio-
len sind schon entwickelt und schliessen sich ira Bau an die der
tibrigen Taeniolaten an.
Es finden sich Epithelmuskelzellen vor, ebenso wie an den
Alachopolypen. Letztere stehen auf einer hoheren Entwicklungs-
stufe als die der Podocoryne carnea, da ihre Axe nicht hoi ist,
sondern mit Chordazellen ausgefiillt ist. In Figur 15 ist in h^ ein
Machopolyp in ausgestrecktem Zustande dargestellt, wilrend in 6'
ein solcher contrahirt gezcichuet ist. Die Polypen konnen sich
stark contrahiren. Ihre Tentakel sind ebenfalls stark zusammen-
ziehbar, wie an dem mit a^ bezeichneten Trophopolyp zu sehen
ist. Die Skelettspitzen sind im Inneren von beiden Zellschichten
ausgekleidet und besitzen einen blindsackartigen Kanal. Es ist
ihnen also dersclbc Ban wie denen der ersteren Art eigen.
Die Fortpflanzung zu eiforschen ist leider nicht gelungen.
Niemals fandeu sich geschlechtsreife Tiere vor. Diese Art wird
wie die vorhergehende jedenfalls Medusen aufammen.
Pennaria Cavolinii.
Von den Pennariden kommt im Golfe von Neapel nur diese
eine Art vor, nicht aber auch P. gibbosa, wie Du Plessis*)
falschlich angiebt.
Diese Art bildet filcherformige Stocke. Von einem Haupt-
stamm gehen abwechselnd bald rechts bald links Zweige ab, auf
welchen die einzelnen Personen sitzen. Der am Ende jedes Zwei-
ges wie am Distalende des Hauptstammes sitzende Polyp ist
grosser als die ubrigen. Die Polypen sind von keulenformiger
Gestalt. Ihr Leib ist mit kleinen kurzen Tentakelchen gespickt,
warend an der Basis des Korpers ein Kranz von grossen Tenta-
keln sich befindet. Unterhalb desselben findet sich eine knopf-
formige Verdickimg, unter welcher das Chitinskelett beginnt, wel-
ches gcringelt erscheint. Der Bau der Polypen weicht in mehre-
ren Punkten von dem der anderen Taeniolaten ab. Was zuniichst
den Bau der Aboraltcntakeln betrifl"t, so bic^tot derselbe folgeudes
Verhalten dar.
>■) Du Plessis, Catalogue provisoire, Neapler Milteilungen Bd. 2.
1380.
Der Oi'ganisraus der Hydvoidpolypen. 521
Die Cnidozellen sind sammtlich auf die eiiie Seite der Ten-
takeln geriickt iind zwar auf die vom Polypen abgewendete. Zu-
gleich ist liiermit eine Zunahine der Grosse der Exodermzellen
verbunden. Auf Figur 14 sieht man, wie das Exoderm auf der
einen Seite urn mehr denn das funffache verdickt erscheiut, wii-
rend es auf der dem Kiirper zugewendeten Tentakelseite nur
eine diinne Lage von P^pithelmuskelzellen bildet. Eine Schicht
von Chordazellen bildet die Axe derselben. Wie mag aber dieser
sich bei keinem anderen Polypen vortindeude Bau zu Stande ge-
kommen sein? Reizt man einen Polypen, so schlagt er die Ten-
takel iiber den Korper zusammen. Die Cnidozellen erschcinen
aber an der dem Korper zugewendeten Seite unnotig, da hier ihr
Dienst von den Cnidozellen der iiberall am Kiirper zerstreut sitzen-
den Oraltentakel iibernommen wird. Bei Tubularia sitzen diesel-
ben in einem Kranz um den Mund und sind die Cnidozellen in
Folge dessen auf alien Seiteu der Aboraltentakeln glcichmiissig
entwickelt. Wir konnen deshalb annehmen, dass die urspriinglicb
an der dem Korper zugewendeten Seite der Tentakel sitzenden
Cnidozellen an die entgegengesetzte zu liegen kamen. Ungemein
stark entwickelt sind hier die Fortsittze der Cnidozellen.
Die Oraltentakeln, oder wie wir sie hier besser nennen miissten,
die Corporaltentakeln sind wie die ersteren solid, das heisst ihre
Axe wird von Chordazellen gebildet. An ihrem Distalende ist eine
Wucherung von Exodermzellen eingetreten, welche grosse und kleine
Nesselkapseln entwickeln (s. Fig. 13 Taf. XXI), Die Exodermzellen
des Polypen sind am Oralende abgeplattet, warend sie nach der
Korperbasis zu an Lange zunehmen. In der Gegend des Knopfes
werden sie zu langen Cylinderzellen. An ihrer Basis haben sie zwei
Muskelfibrillen ausgeschieden. Auch im Coenosark findet sich diese
Form der Epithelmuskelzellen wider. Im Coenosark gleichen die
Exodermzellen, welche wie eben geschildert cylinderformig sind,
dcnen des inneren Keimblattes vollkommen an Gestalt. Sehr schon
ist bei dieser Art die Pseudopodienentsendung der Exodermzellen
behufs Anheftung an das Perisark zu sehen (Fig. 16). Die Nes-
selkapseln finden sich auch im Coenosark vor und zwar in zicnii-
licher Anzal. Was nun das Korperentoderm anlangt, so verlaufen
auch hier im Hypostom die Taeniolen. Die Zellen besitzen im
Hypostom einen Jiusserst geringen Durchmesser, wai-end ihre Lange
zugenommen hat. In einer Verdickung der diinnen Zelle liegt der
Zellkern. Auch hier teilen sich die Taeniolen am Ende des Hy-
postoms, und finden sich echte kornerhaltige Drusenzellen in den-
522 Dr. Otto Haraann,
selben vor. Die Zellen sincl stark mit Concrementen augefiillt.
Die Farbe der Tiere riirt voii diesen im Entoderm liegenden Con-
crementen her. Hervorzuhcben ist das Vorkommen von schwarzen
Pigmentanhaufungen in den Spitzen der bciden Tcntakelarten.
Da diesc sich in den Chordazellcn vorkommendcMi Pignientkoriier
bei alien Polypen constant finden, so stehen sie jcidenfalls zii ir-
gend welcher Funktion in niiherer Beziebung. —
Cladocoryne floceosa.
Eine Beschreibung dieser Art ist von Dii Plessis^) gege-
ben worden. Wir fassen uns deshalb kurz und heben nur fol-
gende Punkte hervor. Zwischen den Oraltcntakeln am Mundkegel
besitzt die Art im Exoderm einen Kranz von grossen Nesselkap-
seln wie in Figiir 2 auf dem Querschnitt zu sehen ist. Desglei-
cben kommen diese grossen Kapseln in Anhiiufungen zwischen
den der Korperbasis am niichst liegenden Aboraltentakeln vor.
Das Vorkommen von Taeniolen hat Du PI ess is iibersehen,
da er nur die Tiere an Situspriiparaten untersiichte. Es lassen
sich fiinf oder sechs Taeniolen am Hypostom erkennen, die sich
alsbald teilen. Die oben erwanten grossen Nesselkapseln kommen
im Coenosark hiiufig vor und sind hier meist parallel mit der
Oberfliiche gerichtct.
Die Tentakeln gehen unmittelbar vom Kijrper aus. Hire
Chordazellen sind nur durch die Stutzlamelle vom Verdauungs-
entoderm geschiedeu.
Eudendrium racemosum Cav. und ramosum.
In einer Arbeit iiber Waffen, die bei dieser Art sich finden,
hat Weismann'^) bereits einiges von unseren Beobachtungen
zuvorgenonunen. So das Vorkommen der Ringfurche mit den
eigentiimlichen von ihm als Drusenzellen angesehenen Zellen, der-
gleichen hat or Entodermmuskeln gefunden. Betrachten wir sofort
den in Figur 7 auf Tafel XXI gegebenen Liingsschnitt. Es tritt
uns hier sofort das grosse Hypostom entgegen, welches soweit
nach aussen gebogen sein kann , dass die Entodermzellen frei in
^) Du Plossis, Neapler Mitteilungon Bd. 2.
2) TJeber eigentiimliche Organe bei Eudendr. racemosum. Mit-
teil. d. Stat. Neapel III. Bd. 1881.
Der Oi'ganismus der Hydroidpolypen. 523
das Wasser hervorrageii. Am Gruiide dieser Zellen sieht man die
auf dem Langsschnitt getroffenen Ringmuskeln, welche als Punkte
hervortreten. In Fig. 8 ist dies noch deutlicher zu sehen.
Im zusammengeschlagenen Zustande erhalt man auf einen
Langsschnitt durch das Hypostom das in Fig. 9 gegebene Bild.
Im Hypostom laufen auch bei dieser Art meist fiinf Langs-
taeniolen, die sich dann vielfach verzweigen. In Figur 6 auf Ta-
fel XX ist ein Querschnitt in ungefiirer Mitte des Korpers dar-
gostellt.
Das Exoderm bietet nichts abweichendes dar ausser der eigen-
tiimlichen Ringfurche, welche den Korper einschniirt, ehe derselbe
in den Stiel iibergeht. Figur 1 stellt die untere Partie eines Po-
lypen dar von Eud. ramosum ^). Das Exoderm des Korpers ist
an der Ringfurche dicht besat mit Cnidozellen. Jenseits der Ring-
furche liegt ein Kranz von merliwurdigen Zellen. Dieselben zeich-
nen sich durch ihren Protoplasmainhalt aus, welcher jedoch nicht
bis zura Ende der Zelle reicht, sondern hier einen hellen Saum
iibrig lasst (Figur 2). Diese Zellen, die auch bei Eud. racemosum
vorkommen und hier von Weismann beschrieben wurden, sind
ihrer Funktion nach unbekannt. Letzterer Forscher glaubt Drii-
senzellen in ihnen zu sehen und glaubt, dass die Ringfurche zur
Aiifnahme des Sekretes diene. Dieser Deutung schliesse ich mich
an, solange keine andcre bessere gegeben ist. Immerhin unerklart
bleibt die starke Ansammlung von Nesselkapselzellen , welche als
Schutz fiir diesen Zollenring bestimmt zu sein scheint.
Was nun die eigentiimlichen Organe betritft, so sind dieselben
Ausstulpungen des Magens und erreichen, wie Figur 6 zeigt, oft
die drei- ja vierfache Gestalt des Polypen in ausgewachsenem Zu-
stande. Es finden sich im Entoderm Ringmuskeln vor, warend
die Zellen des Exoderms Langsmuskeln sind. Das nahere ist in
der ervviinten Abhandlung zu finden. —
Bongainvillia fructicosa.
Bei dieser Gattung steht ein Tentakelkranz um den Mund.
Die Tentakel sind nicht wie geknopft, sondern verlaufen bis zu
ihrem Distalende gleichmiissig. An den in Fructification begrif-
fenen Stocken finden sich lange peitschcnformige Organe vor, wie
1) Diese Art wurde von Rerrn Prf. Haeckel Sommer 1880
aus Portofiuo mitgebracht.
524 Dr. Otto Hamann,
sie unter der Ataeuiolaten bei Campanularia angulata^) beschrie-
ben wird. Dieselben liaben nichts mil Wafifen gemeiu, da sie von
eincr Chitinhiille umgebcn sind. Ich halte diese ran ken form igen
Gebilde hier wie dort fiir sprossende Acste, an deren Spitze
durch irgend welche Ursache der Polyp nicht zur
Entwicklung gekommen ist, und der sprossende Teil in die
Lange gevvachsen ist. —
Audi bei Bongainvillia iinden sich die Langswulste oder Tae-
nioleu vor und zwar ist ihr Bau wie bei den vorher bescbriebenen
Arten , nur dass dieselben nicht in so miichtiger Weise wie bei
den vorh(n'ffelienden entwickelt sind.
Syncoryne Sarsii.
Coryne, Corydendrium parasitieum, Clava.
Die erstere Art Syncoryne ist histologisch durch die Unter-
suchung von Fr. E. Schultze bekannt. Ich trage hier nur nach,
dass sich auch bei dieser Art die Taeniolcn in ausgezeichneter
Entwicklung vorfinden, wie der in Figur 11 auf Tafel XX wider-
gegebene Querschnitt zeigt. Auch bei dieser Art finden sich Epi-
thelmuskelzellcn im Coenosark vor. Denselbcn Taeniol(>nverlauf
zeigen auch die verschiedenen Arten von Clava. Da die Schil-
derung mit der bei den vorhergenanntcni Art(;n ubei-einstimmt,
widerholen wir ihn hier nicht writer. Auch Coryne bietet die
Langswiilstc! in der gleichen Entwicklung.
Corydendrium parasitieum besitzt wie Bongainvillia giatte Ten-
takel, das heisst dieselben sind nicht am Distalende knopffih'mig
verdickt.
Eigentiimlich ist das Verhalten des Coenosarkes. Warend
bei den tibrigen Polypen die sprossenden Polypen im Coenosark
inseriren, so laufen die Stiele ders(>lben hier im Perisarkror neben
dem Ilauptcocnosarkstamm her und die jungen Polypen ragen
dann unterhalb der iilteren aus ein und derselben Perisarkriire
heraus. Auf dem Querschnitt sieht man , wie die jiingeren Coe-
nosarkroren eine Chitinhiille abgeschieden habcn, sodass, wenn 3
Roren verlaufen, das Perisark in drei Kammern geteilt ist, wie
in Figur 18 auf Tafel XXI daroestellt ist.
^) Fraipout, Recherches sur rorganisation de la Camp, augul.
Arch. zool. I. VIII. 1879.
Der Orgauismus der Hydroidpolypen. 525
Die Polypen der Siphouophoren.
Velella spirans.
An Velella uiiterscheiden wir deii grossen im Centrum sitzen-
den Polyp luid die ihn umgebeudeii kleiuereu Polypen, an deren
Basis die jungeu Medusen knospen. Im Krcise um die letzte-
reu stehen eine dritte Art von Polypen, wclche rilckgebildet er-
scheinen, — ilir Mund ist obliterirt — sie fuugireu als Wehrtiere
und gleichen im Aeusseren Tentakeln.
Betrachten wir zunachst die Organisation der ceutralen Poly-
pen, so besitzt derselbe die bei den Taeniolaten geschilderten
Laugswiilste. Auch bei den Siphonophoren beteiligt sich die
Stiitzlamelle uicht bei der Bildung der Wiilste. Figur 5 auf Ta-
fel XX zeigt uns ein Stuck eiues Querschnittes durch den cen-
tralen Trophopolypen.
Untersuclit man die kleineren um erstereu herumstehenden
Polypen, so treten auch an diesem diesclben Bildungen auf. Er
besitzt dieselbe Taeniolenbildung wie irgend eine Art der Tae-
niolaten.
Die ruckgebildcten tentakelformigen Polypen haben jedoch die
Wulstbildung verloren, was mit der Einbusse des Mundes zusam-
menliiingt.
Doch nicht bios den Polypen der Velellen kommen diese Liings-
wiilste zu, sie fiuden sich bei sammtlicheu Siphouophorenpolypen.
So sind dieselben von Glaus bei Halistemma ^) bereits beschrie-
ben und abgebildet worden.
Was uns aber die Polypen der Siphonophoren besonders in-
teressant macht, ist das Vorkommen von Nervenfibrillen und Gang-
lienzellen bei den Polypen. Von Chun 2) ist hieriiber in eiuer
vorliiufigen Mitteilung im zoolog. Anzeiger berichtet worden.
In Figur 22 geben wir die Abbildung von zwci Ganglienzellen
von Velella. Die Nerven nebst den Ganglienzellen liegen oberhalb
der Muskelfibrillen, welche noch mit den Epithelzellen im Zusam-
menhang stehen. Meist findet man bi- oder tripolare Ganglien-
zellen vor. Auch auf den Querschnitten findet man dieselben
leicht auf.
Das Exoderm besteht aus meist cylinderformigen Epithelmus-
kelzelleu, welche besonders da, wo Cnidozellen vorkommen, vom
*) Halistemma lersjestiuum, 1878. Wieu.
2) Zoologischer Auzeiger, 1880.
526 Dr. otto Hamann,
schmachtiger Gestalt erscheineu. Niilier aiit' den Bau der Polypen
eiiizuguheii liegt ausserhalb dein Plane dieser Arbeit (vergl. oben
die Verwaudtschaft der Polypeii mit deii Siphonoplioren).
Spongicola fistularis.
Bei der Untersuchung dieser Polypen kam es niir nur darauf
an festzustellen, ob die Stutzlarpelle bei der Bildung der Taenio-
len mitbeteiligt sei. Der histologische Bau ist bcreits von Fr. E.
SchultzeO beschrieben worden.
Die Wulste beginnen im Hypostom und zwar erhalt man durch
einen unterhalb der Tentakeln gelegten Schnitt das in Figur 17
gegebene Bild. Die vier entodermalen Taeniolen werden durch
vier ihrem Ursprung uach warsclieiulich exodermale rait ersteren
parallel verlaufenden Wiilsten gestutzt. Diese vier exodermalen
Wulste verlaufen konisch nach der Basis des Polypen zu, sodass
sie, je tiefer man die Schnitte legt, desto weniger ausgepragt sind.
Dieselben sind noch nicht beschrieben worden. Bei der Bildung
der vier entodermalen Langswiilste beteiligt sich die Stutzlaraelle.
Es sind die Spongicoliden also zu trennen von den ubrigen Poly-
pen und mit den Scyphostomeu in eine als Colloblastae zu be-
zeichnende Unterordnung den als Acolloblastae zu bezeichnenden
Taeniolaten gegeniiberzustellen. Fr. E. Schultze halt die Spon-
gicoliden fiir Scyptostomaformen also I'tir ein ungeschlechtliches
Gencratiousstadium einer acraspedoten Meduse. —
Ordnung: Intaeniolatae.
Polypen one Magenwiilste. Das Skelett bildet
Kapseln fiir die Polypen.
1. Familie: Campanularinae.
Obelia geniculata.
Die Gattung Obelia besitzt zierliche Becher, deren Rand bald
glatt, bald gezackt erscheint.
Die Histologie bietet nichts von dem gewohnlichen Bau ab-
weichendes.
^) Spongicola iistularis, ein in Spongien wonendes Hydrozoon,
Archiv f. mikrosk. Anatomie Ed. 13.
Der Organismus der Hydroidpolypen. 527
Das Exoderm besetzt Muskelfibrilleii uud zwar nur Liingsfi-
brillen, welche niit deu Zelleu selbst iioch iu Verbiudung geblie-
beii siod. Zu eincu Soudcruug iu eclitii Muskdu kommt es iiber-
haupt boi keiner Art der lutacniolateu. Bei vielen Artcn ist uis
oft wogeu der Kleinheit der Tiere uumoglich zu einer bestimmten
Anscliauung zu kommeD, da eine Isolirung schwer geliugt. Was
aber die geuaante Art betriflft, so ist der Zusammenhang zwischen
Zelle uiid Muskelfibrille deutlich nachweisbar. Die Tentakel sind
niemals hoi, sondern es wird ihre Axe von den cliordaaulicheu
Zellen gebildet. Das Hypostom ist bei alien Arten weit vorstreck-
bar und bcsteben die Eutodermzellen derselben aus feinen cylin-
derformigeu Gebilden, welche an ihrer Basis Muskelfibrillen abge-
schieden liaben. Dieselben verlaufen ringformig und konncn die
Muudotinuug durch ihre circulare Coutraktion schliessen.
Die Zellen des Urdarmes sind mehr von quadratischer Gestalt
und bieten uichts bemerkenswerthes. Wir gehen deshalb sogleich
zur Entstehung der Medusen iiber. Es bilden sich iu deu Gouopho-
ren am Blastostyl kleiue Aussackuugen, an welchem das Exoderm,
die Gallertlamelle und das Entoderm Teil nehmen (vergl. die Fig. 6,
7 Taf. XXIV). Aus dieser eiufacheu Ausstiilpung bildet sich eine
Meduse aus, welche zur Ablosung gelaugt, Geschlechtsstoli'e her-
vorbriugt, aus welchen dann widerum Polypen hervorgehen. Die
Aussackuugen oder Knospen erfareu nun eine Verdickung an ihrem
Distalende. Das Exoderm wiichst in das Innere hiuein und stiilpt
so das Entoderm ein, welches die Form eines zweiblattrigeu Bechers
einuimmt. Die zwischen den beiden Blatteru zuriickgebliebene
Holung obliterirt nun in vier „iuterradiale Felder." Glaus') hat
dieses Wachstum zuerst bei den Siphonophoreu , am ausfiirlich-
steu bei Halistemma beschriebeu und zwar entwickeln sich hier
die Schwimmglocken auf diese Weise. Glaus betont, dass er bei
Podocoryne an den juugen Medusenknospen dieselbe Form des
Wachstums erkannt habe. Dieses Wachstum fiudet nun bei alien
Medusenknospen statt und zwar eutstehen die Radiargefasse uberall
durch Verwachsung, uicht aber, wie man friiher annahm, durch
das Auftreteu vou vier Holkuospen.
Die weitere Entwicklung ist vou A gas si z 2) wie Glaus ein-
gehend verfolgt und verweisen wir deshalb auf diese Augaben.
1) a. a. 0.
2) Agassiz, Contributions to the natural history of the united
states of Amerika. Bd. IV.
528
Dr. Otto Hamanu,
Halecium tenellum.
Wareiid bei dem Genus Tubularia die Entwicklung der Pla-
nula durch Delaminatiou vor sich geht, habeu wir bei dieser Art
einen andcren Eiitwicklungsmodus, der zwischen der Delaminatiou
und Invagination zu stehen scheint, vor uns. Auf die regulare
Zwei-, Vier- u. s. w. Teilung folgt die Bildung einer einscliichtigen
Keimblase. Jetzt riicken Zellen, welche vom ausseren Keimblatte
gebildet werden, in die Furchungshole hinein. Auf diese Weise
wird die Furchungshole allmalich von einem Zellmaterial ausgefiillt,
welches deni Exoderm entstammt. Von einer Delamination kann
hier kauni geredet werden. Der Vorgang scheint sich eher der
Invagination anzuschliessen. Auf Querschnitten erhalt man oft das
auf dem ersten Holzschnitt angegebene Bild. (Auf dicseni Holz-
schnitt ist die ausserc Contour wegzudenken).
Die zweite Figur stellt einen Querschnitt durch eine Planula
kurz vor dem Ausschliipfen vor. Das Ausschliipfen der Planula
sowie die Bildung der Magenhole konnte leider nicht beobachtet
werden, da es an Material gebrach. Hoti'entlich gelingt es einem
anderen Forscher, die Entwicklungsgeschichte dieser Art an gutem
Material genauer darzustellen.
II. Familie : S e r t a 1 a r i ii a e.
1. Subfamilie:
2. Subfamilie:
S e r t u 1 a r i d a e.
P 1 u m u 1 a r i d a e.
Die Sertularinae besitzen Epithelmuskelzellen. Eine Beschrei-
bung von einer Sertularide zu geben, ist unnotig, da dieselben
Der Orgauismus der Hydroidpolypen. 529
im Ganzen den typischuii Bau der ubrigen Polypen zeigen. Wir
gehen deshalb sogleich aii die Beschi'eibung der Plumularideii.
Flumularia fragilis u. sp.
Die diiniieii Stiimmclien siiid uicht verzweigt. Die Zweige
siud vvecliselstiludig. Aus jedem Stauiuiglied gelit eiii Zweig her-
vor. Untcihalb eiuer jedeii Person tiudet sicli ciu Nematotliek.
An den Zwischengliedern felilen jeduch dieseiben. Die Gonothelien
eutstehen am Stamme; sie sind glatt, von lauglich eiformiger
Gestalt.
Diese Art ist, soweit icli die Literatur kenne, nuch nicht be-
schrieben. Da die Zweige iiusserst fein, dem Auge fadeuformig
erscheinend sind, nanuten wir diese Plumidaria PI. fragilis.
An den Polypen der Gattung Plumularia zertallt der Urdarm
in zwei Teile, der Korper ist in der Mitte zusamniengescliniirt.
Der obere Teil, den man als Vormagen bezeicbnen kann, wird
durch lange entoderniale Cylinderzellen ausgckleidet. In diesem
Teil verweilt die Narung zuniichst, utn sclion in halb verdautem
Zustande durch eine enge Oetinung (oe) in den cigentliclien Magen
zu gelangen. Die Polypen sitzen in einem Becher, welcher jedoch
uur den unteren Teil desselben umschliesst, wiirend der Vormagen
mit Proboscis und Tentakeln frei liervorragt.
Die Eier entstehen bei dieser Art im Entoderm , wic oben
schon geschildert wiirde. Desgleichen wurde die Wanderung der
Eier in das Gonophor bereits geschildert.
Antennularia antennina.
Im Golfe von Neapel kommt sowol diese Art wie A. ramosa
vor. Der Bau beider weicht von der von Hincks gegebenen
Schilderung ab, doch glauben wir dies aut" die mangelhafte Unter-
suchung zuriickfuren zu konnen und halten die beiden Neapeler
Arten fur identisch mit den ersteren.
Hincks zeichnet einen Querschnitt dieser Art, auf welcher
8 Aeste getroffen sind. Dies ist nicht rich tig. Betrachtet man
einen Stamm von oben, so sieht man sechs Aeste abgehen und
zwar bilden je zwei einen Winkel von GC. Untersucht man aber
den Stamm auf Querschnitten , so erkennt man, dass inimer nur
drei Aeste in einer Ebene liegcn und zv/ar betriigt der Winkel
von je zwei Aesten 120^. Die auf diese drei Aeste nun folgenden
Bd. XV. N. F. VIII. 4. 34
530 Dr. Otto Hamann,
drei Aeste eiitspringeii iiuii so vom Stanime, sodass man glauben
kanii, dass diesclbeu iu derselben Eboiic licgen uiid allu 6 Aeste
in Winkein von 6U" abgclien.
Folgondes Diagramm maclit dies deutlidier. Wir denken uns
deu Stamm der Antennularia kouisch und
tragen nun jede Insertion der Aeste, welche
in einer Ebene liegen, auf je einem Kreise
ein. Die ersten Aeste, mit 1, 1, 1 be-
zeichnet, entspringen in Winkein von 120*'.
Die dariiberliegendeu desgleichen, doch
so, dass sie zwischen die ersteren zu lie-
gen kommen. Die nacbstfolgenden Aeste
liegen wieder senkrecht iiber den ersteren
und so fort.
Inncrhalb des Perisarkes verlauft bei dieser Gattung nicht
eine Coenosarkrore, sondern bald 8, bald 10, bald mehr, je nach-
dem man den Sclinitt an die Nilhe des Distalendes oder an der
Basis legt. Sammtliche vom Entoderm ausgekleidete Koren werden
vom P^ktoderm umschlossen. Das Centrum der Perisarkrore ist
hoi (Fig. 13). Bei der Bildung der Seiteuaste beteiligen sich
meist zwei der Roreu des Coeuosark. In Figur 12 ist ein Sclinitt
von Ant. ramosa abgebildet und in Figur 14 ein Stiick vergrossert,
um die Abgabe des Astes zu zeigen. Bevor das Coeuosark in
den A St eiutritt, versorgt es die Nematotbeken n n^. Im Ento-
derm sieht man vereinzelt Eier liegen, welche hier eutstanden
sind und von hier iu die Gouophoren wandern.
Das Ektoderm hat Muskelfibrillen ausgeschieden , welche im
Stamm ebenso nachzuweisen sind wie an den Personen.
Die Coenosarkroren commuuiciren mit eiuander, je naher sie
an das Distalende kommen, um schliesslich blind zu enden.
Antennularia ramosa.
Auch bei dieser Art ist die Verzweigung der Aeste irrig dar-
gestellt. Betrachtct man einen Stamm von oben, so scheint es,
als wenn 4 Aeste in einer Ebene abgingen, welche rechte Winkel
mit einander bilden,
Deni ist jedoch nicht so. Es gehen stets 2 Aeste, welche
sich gegentibersten iu einer Ebene, ab, warend die daruber ab-
gehenden Aeste mit denselben alterniren. Wir haben es also hier
Der Orgauismus der Hydroidpolypen.
531
mit zweizalig alternirendeu Aesten zu tun
unci konnen wir diesc Stelluug als gekreuzt
decussirt bezeichneu. Jc zwei Aeste siud
also einander opponirt, um die Bezeicli-
nuug, wie sie bei Botauikcrn iiblich ist, an-
zuwenden. Beifolgeudes Diagramm maclit
dies noch deutliclier. Wir seheu liier
deutlich, wie die Aeste in vier seukrecht
zu einander stehenden Linien verlaufen.
Dritter Teil.
Histio gene sis.
In den nachfolgcnden Zeilen sollen alle Veranderungen der
Zellen der beiden Keimblatter dargestellt werden, welclie dieselben
bei der Difierenzirung in bestimmte Gewebe orleidcn. So soil ge-
zeigt werden, welche typischen Veranderungen in einer Zelle ein-
trcten, sobald sie zur Driisenzelle, zur Eizelle u. s. w. wird. Wir
lassen hierbei die Fragen uuberiicksichtigt, die nach Griiuden ver-
langen, welche die Umbildungen der einzelnen Zellen erklaren
sollen, sobald dieselben niclit klar zu Tage liegen. Wir gclien im
nachstfolgenden von einer Planulaform aus, bei welcber wir uns
die beiden Keimblatter als physiologisch und histologisch noch
nicht gegliedert vorstellen. Wir werden dann tinden, dass die
Fahigkeit sich zu ditierenziren in einer Steigerung der Empfind-
lichkeit gegen aussere Einfliisse besteht.
Als erstes Gesetz konnen wir folgendeu Satz aufstellen:
Die Zellen der beiden Keimblatter reagiren auf
aussere Reize in der Weise, dass sie nach der Seite
des Reizes Protoplasmafaden entsenden, welche sich
zu Flimme'rharen differenziren.
Diese Flimmerhare dienen nun zur Bewegung und zwar zur
activen Bewegung bei den Zellen des Exoderms, zur Bewegung
von anderen Gegenstitnden bei den Zellen des Entoderms.
Sobald als die tlimmernde Larve sich festgesetzt hat, verliert
sie friiher oder spater den Wimperbesatz , oder aber es konnen
34*
532 Dr. Otto Hamann,
sich die Fortsatze, wie bei Actiuieu es der Fall ist, erhalten
(vei'gl. wciter uuteu).
II. JcdcZelledci'bcidcii KcimblatteristimStande
eiiieu Fortsatz ihres Protoplasmas uach dcr dcm Reize
abgoweudctcu Soite zu senden.
Die Fortsatze der beiden Zellscliichteii habeu wir uus zu-
uiichst uocli als vollkommen indiliereut vorzustelleu, das lieisst sie
sind wedcr ausschliesslich uervoser nocli muskuloser Natur. lu-
deni uuu die eiiieu Fortsatze besonders geeignet waren die Reize
fortzupflauzen und andere sich als contractile Elenieiite sonderteu,
eutstanden die Nerven- und die Muskelfibrillen. Bei den Ilydroid-
polypen sclieint nun eine solclie Sonderung noch niclit eingetreten
zu sein, da wir nur Muskellibrillen linden, und ist vielleiclit die
Ansicht nicht ganz unriclitig, welclie meint, dass erst mit der
freien Bewegung der Polypeu, wie es bei den Siphonoplioren der
Fall ist, sich dieselben entwickelt haben. Sobald wir nur Muskel-
fibrillen linden, uiilssen wir wol den Zellen, welche denselbeu nach
aussen aufliegen, eine Fahigkeit, die Reize aufzufangen und den
Fibrilleu zuzuleiten, zugestehen, Sowol das Exoderni wie das
Entoderm erzeugt bei den Hydroidpolypen Muskcln. Bei den
Actinieu erzeugen beide Zellenschichten nervose Elemente.
Weiter ist jede Zelle befahigt uuter bestiminten Veranderun-
gen zur Driisenzelle zu werden. Wir konnen diese Unigestaltung
der Zellen beim Exoderm uuter unseren Augen sich vollziehen
sehen !
Bei Hydra sondern sich die Zellen der Fussscheibe von denen
des ilbrigen Korpers, indem sie eine langgestreckte cylindrische
Form annehmen. Zugleich werden die Zellen protoplasmareicher
und dasselbe erscheint als feinkornig oder granulirt. Mit Farb-
stotlen iDehaudelt farben sich diese Zellen intensiver als die iibrigen
Exodermzellen. Diese cylindrischen Zellen sondern eine schleim-
artigc Masse ab, welche zur Auheftung dient. Diese typische
Umanderung der Zellen konnen wir so formuliren:
Jede Zelle der beiden Keimblatter kann durch
Langenzunahme und Abnahme ihrer Breite zu einer
sekretalsondernden Zelle, einer Driisenzelle, werden.
Dabei wird ihr Protoplasma feinkornig, granulirt.
Ausser dieser neuen Funktion iibt die Zelle (wenig-
stens zuniichst) ihre alten Funktionen weiter aus.
Betrachten Avir die Actinula der Tubulariden. An der jungen
Actinula benierkt man, wie die Zellen des Aboralpoles nach und
Der Orgauismus der Hydroidpolypen, 533
nach eine lauge cylinderformige Gestalt amiehmen, wiirend ilir
Breitendurchmesser derselbe bleibt (s. Fig. 1, 3, 10, Taf. XXII).
Zugleich tritt aber auf ihrer Aussenflache eiu feines Hiiutcbeu auf,
welches sie aiissclieiden, die erste Anlage des Chitinskelettes. Sehen
wir uus nun in der Literatur um, so finden wir diese Umwand-
lung der Exodermzellen beschrieben bei der Gastrula der Aurelia,
dem Scypbostoma. Hier beschreibt Glaus ^) dieselbeu als Cy-
linderzellen mit feinkornigem Inhalt. Ebeuso beschreibt Haeckel ^)
dieselben bei der Gastrula der Discomeduseu am aboraleu Pol.
Sie scheiden hier ein Sekret ab, vermittels desseu die Anheftung
geschieht.
Bei den Planulis ist die Urawandlung der Exodermzellen an
dem Pol, mit welchem sie sich festsetzen, ebenfalls zu sehen.
Direkt beobachten konnen wir diese Zellen in ihrer Funktion am
lebeuden Tier bei der Anlage der Gonophoren. Hier hat es
Weismann^) beschrieben. Bei der Sprossung neuer Polypen
findet derselbe Vorgang statt. In den Gonophoren selbst wandcln
sich die Exodermzellen des Spadix am Distalende in solche Zellen
um und bilden einen Verschluss desselben gegen das Wasser.
Im Entoderm zeigen sich dieselben Veriinderungen. Im Ilypo-
stom der Hydra sind die Zellen bereits von denen des Magens
durch ihre cylinderformige Gestalt zu unterscheiden. Bei den
Intaeniolaten ist die Sonderung des Entoderms in cylinderformige
Zellen, welche im Hypostom vorkommen, und in die des Magens
vollzogen. Erstere sondern ein Verdauungssekret ab, wiirend letz-
tere die Narungsaufuahme besorgen. Bei den Taeuiolaten ist
gleichfalls ein tiefer Unterschied zwischen den Zellen des Ilypo-
stoms und denen des Magens zu erkennen (vergl. die Abbildungen
von Eudendrium u. s. w.).
Wiirend sich bei den Planulis, den Actinulis die Zellen der
Fussscheibe besonders auszeichnen durch ihre Liingc, so sind auch
die ubrigen Korperzellen auffallend cylinderformig gestaltet, wiirend
am erwachsenen Tier dies nicht mehr der Fall ist. Es kommt
dies daher, dass sammtliche Zellen nach der Festsetzung an der
Ausscheidung des Perisarkcs sich gieichmiissig beteiligen. In ge-
wissem Sinne sind also sammtliche Exodermzellen driisiger Natur.
Dasselbe gilt auch von den Entodermzellen , denn diese sondern
eine Stiitzsubstanz ab zwischen sich und dem Exoderm, welche
*) Glaus, Qualleu uud Polypen der Adria.
^) Haeckel, Metagenesis u. Hypogenesis v. Aurelia. Jena, 1881.
^) Weismann, a. a. 0.
534 Dr. Otto Hamann,
als Stiitzlamelle zu bezeichnen ist. Das Verhalten der Entoderm-
zelleii ist jedoch weit verwickelter , da dieselben nebeii dieser
Fuuktion noch zu Muskelbildnerinneu mid Verdauungssekret-Bild-
nerinneii geworden sind uud drittens noch die Narung aufnehmen.
Wenn wir oben sagten, dass die Zellen des Hypostomes das
VerdauuDgssekret lieferu, so ist damit keineswegs behauptet, dass
iiicht auch andere Zellen des Urdarmes sekretliefernd sein konn-
ten. Im Gegenteil finden sich hier besonders protoplasmareiche
Zellen vor, die bald mit Kornern angefiillt sind, oder denen die-
selben fehlen. Diese Zellen haben wir als echte Driisenzellen an-
zusehen.
Dass wir alle diese Funktionen der Zellen erst als nach und
nach erworbene anzusehen haben, dies lehrt die Entwicklungs-
geschichte. Zuerst hat es sich urn den Schutz gegen iiussere Ein-
fliisse gehandelt, und die Zellen sonderten Chin ab. In welcher
Weise die Entodermzellen ihre Funktionen erworben haben, und
wie wir uns dies vorzustellen haben, wenn wir Formen wie Hydra,
Sertularia und Tubularia vergleichen, darauf soil hier nicht niiher
eingegangen werden.
Wir erwanen hier noch, dass die als erster Satz formulirte
Tatsache der Entsendung eines Fortsatzes nach der Stelle des
Reizes auch bei den tiefer liegenden Exodermzellen , den inter-
stitiellen Zellen in Geltung steht. Sobald diese Zellen an die
Oberflilche rucken und in ihrem Inueren eine Nesselkapsel gebildet
haben, tritt ein harformiger Protoplasm afortsatz, das Cnidocil, auf.
Wie wenig aber im Ganzen das Protoplasma sich dilferenzirt
hat und wie es vorziiglich in dem Stamme der Polypencolonieen,
dem Coenosarke noch seinen chemischen und physikalischen Eigen-
schaften nach gleich geblieben sein muss dem der ursprunglichen
Eizelle, geht aus der Tatsache hervor, dass:
Jede Zelle des Exoderms und Entoderms sich zu
einer Fortpflanzungszelle umwandeln kann. Und zwar
ist hierbei das Wachstum allein das Umbildende. Aus den epoche-
machenden Untersuchungen Weismanns i) geht sogar hervor, dass
bei zwei Arten desselben Genus die Eicr bald im Entoderm, bald
im Exoderm entstehen konnen. Das Wachstum der einzelnen Zellen
besteht sowol in der Vergrosserung des Zellleibes als auch des
Zellkernes nebst Kernkorperchen (vergl. oben 1. Teil). Wiirend
des Wachstumes wird das Protoplasma jedenfalls in physikalischer
wie chemischer Hiusicht veriindert werden.
^) Weismanu a. a. 0.
Der Orgauismus der Hydroidpolypen. 535
Wir habeu mm nocli eiue andere Form der Entodermzellen
zu erwiinen, welche dieselben annehmen konnen. Dieselbe kommt
in deu Tentakeln vor uiid bildet hier die Axe. Urspriiuglich
haben wir uns, wie es bei Hydra der Fall ist, hole Teutakeln vor-
ziistelleii. Dies ist das urspriingliche Verhalten, niclit aber werden
die soliden Tentakeln, wie G. v. Koch will, das primiire Verhillt-
nis darstellen. Die Tentakel sehen wir als Ausstulpungen des
Urdarraes an. Erst secundar ist eine Wucherung von Entoderm-
zellen eingetreten und sind so die Tentakeln zu soliden geworden.
Wie aber aus den soliden Tentakeln sich die ersteren sollten ent-
wickelt haben, ist nicht gut einzusehen.
Der Bau dieser Zellen, welche die Funktion, Muskeliibrillen
zu bilden, aufgegeben haben, ist oben bereits geschildert worden.
Wir sahcn, dass sie eine teste Membran besassen, welcher das
Protoplasma randstilndig anlag, warend der Kern an Faden im
Inneren der Zelle aufgehangen war. Das Lumen der Zelle ist mit
einer hellen Flussigkeit erfullt, Bei dem Genus Tubularia war
der Kern jedoch der Wandung anliegend, es zeigte sich hier iiber-
haupt eine Weiterentwicklung dieses Gewebes.
Welches ist aber die Funktion dieser Zellen V
Betrachten wir dieselben am lebenden Tiere!
Wenn die Tentakel vermittels der Langsmuskeln contrahirt
sind, so werden sammtliche Axenzellen zusammengepresst (s. Fig. 4,
Taf. XXI). Die Zellen konnen so bis auf ein viertel und noch mehr
ihres urspriinglichen Lumens zusammengepresst werden. V(u-ni(ige
ihrer Elasticitilt sind nun diese Zellen bestrebt, sich wider auszu-
dehnen und bringen auf diese Weise deu Tentakel schneller zur
Ausdehnung. So wirken diese Zellen als Antagonisten der
Langsmuskeln. Auf einfache Weise ist hier aus den Entoderm-
zellen eine neue Zellform geziichtet worden, welche die Entstehung
von Ringmuskeln unnotig machte. Da schon so wie so alien
Entodermzellen das Bestreben innewont nach der Contraction sich
wider auszudehnen, so war jedenfalls dieser Wcg einfacher als
die Bildung von Ringmuskeln. Bei Hydra sind die Tentakeln hoi
und wir sehen, dass das Zusammenziehen nach einer Beriirung
zum Beispiel rasch und plotzlich erfolgt, das Ausstrecken jedoch
langsam und schwerfallig von Statten geht. Auch hier wirken
die Entodermzellen als Antagonisten, doch ist dies uur eine Ne])en-
funktion derselben. Warend aber Hydra ihre holen Tentakeln so
stark zusammenziehen kann, sodass sie wie Punkte erschcinen
konnen, warend sie im ausgestreckten Zustande centimetergross
530 Dr. Otto Hamanu,
sincl, ist flics den mit Axeiizelleii versehonen Tentakelu nicht mog-
lich. Dafiir ist jedocli eiue grosserc Beweglichkeit eingetreten.
Die Contraction kanu zwar nicht soweit geschehen, dafiir aber
desto rascher auf einander folgen.
In den Wiilsten bei dem Genus Tubularia ist dieses Gewebe
gleicbfalls zur Ausbildung gekommen und wirkt bier jedenfalls in
analoger Weise.
In den Gonopboren vieler Hydroidpolypen ist ebenfalls En-
todermgewebe zu Bindegewebe unigewandelt , in welcbem dann
die Eizellen liegen.
Wenn wir so mit wenigen Strichen die Gewebeentstebung der
Hydroidpolypen zeicbneten, so sehen wir, dass den Keimbliittern
„ein bestimmter histologischer Charakter" nicbt aufgepragt ist,
wie dies von O. und R, H e r t w i g ' ) in ihrem Actinienwerke ge-
zeigt wurde. Die Entwicklung aus den Keirablattern als Ein-
teiliing der Gewebe zu nehnieu, wie es viele Histologen wollen,
wird durcb die Histiogenesis bei den Hydroidpolypen besonders
scblagend widerlegt, da bier sowol die Exodermzellen wie die des
Entoderms Muskeln bilden, da beide sekretbildend sind,
und was vor alien die erwante Einteilung als uurich-
tig zuriickweisen lasst, die Tatsache namlicb, dassbei
dieser Gruppe Eizellen und Spermazellen bald aus den
Exoderm-, bald aus Entodermzellen bervorgehen kon-
nen. Desbalb ist der von den genannten Autoren angegebene
^Yeg, die Gewebe nach ibrer histologiscben Beschaftenbeit und
ibren Funktionen zu classificiren, der allein richtige.
Kurze Zusammeiifassung der llesultate.
Im ersten Telle sind die bei der Specialuntersuchung gewon-
nenen Resultate gegeben. Wir sahen, dass im Allgenieinen bei
den Hydioidpolypen nur eine Axe, die Liingsaxe, unterschieden
werden kann, dass aber bei einer Art bereits die Tentakel sich
in bestimmten Radien anlegen , sodass also die symmetrische An-
lage der verschiedenen Organe nicht erst bei den Medusen eut-
standen zu seiu braucht. Dann betrachteten wir das Entoderm
mit seinem Bindegewebe, welches besonders bei Tubularia machtig
entwickelt ist. Vor Allem aber sei der Auffindung der Taenio-
len Oder Liingswiilste gedacht, welche man bisher nur dem
1) 0. unci R. Hertwig, Die Actiuien, p. 208—217.
Der Organismus der Hydroidpolypen. 537
Genus Tubularia zuschrieb. Wir fanden, dass diese Langswulste
alien bisber unter den Namen „Tubularien" oder „Gymno-
b las tea" bekannten Hydroiden zukommen, warend die iibrigen
derselben entbehren.
Wir teilen deshalb die Polypen in zwei Gruppen ein, in solche
mit Magenwiilsten und in solche one Magenwulste , in Taenio-
latae und Intaeniolatae. Auch wurden echte Drusenzellen
aufgefunden.
Weiterhin gelang es nachzuweisen , dass sammtliche Tae-
niolatae eine Entodermmuskulatur sowol im Hypostom, als
auch im Magen besitzen, warend die Intaeniolatae dieselben nur
im Hypostom zu besitzen scheinen.
Bei der Untersuchung des Exoderms gelang es nie, irgend-
welche Sinneszellen oder Nerven rait voller Gewisheit nachzuweisen.
Oft glaubte ich, dieselben gefunden zu haben, doch stets zeigte
es sich, dass die vermeintlichen Ganglienzellen nur interstitielle
Zellen waren.
Weiter wurden dann die Nematophoren untersucht und bereits
aus der Entstehung derselben gesehen, dass man es hier mit riick-
gebildeten Polypen zu tun habe, keinenfalls aber mit amuboiden
Protoplasma. In Kiirze wurde dann der Pseudopodienbildung der
Zellen der Fussscheibe von Hydra gedacht, iiber welche an anderer
Stelle ausfurlich berichtet werden wird, ebenso wie uber die Na-
tur der Fortsatze der Nesselkapselzellen.
Im zweiten Kapitel wurde dann die Entstehung der Medusen
abgehandelt, sowie die Homologieen zwischen denselben und den
„Sporosacs" oder medusoiden Gonophoren besprochen.
Die Entstehung der Eier und ihre Wanderung in das Gono-
phor, sowie die Bildung der Planula, welche stets durch Delami-
nation oder durch Einwanderung von Zellen, welche von dem Exo-
derm der einschichtigen Keimblase herstammen, zu entstehen
scheint, wurde dann mitgeteilt.
Die histologischen Funde gestatteten weiterhin die Verwand-
schaft der Polypen mit den Siphonophoren und Anthozoen aufzu-
klaren und einen Stammbaum aufzustellen.
Im zweiten Teil wurde der Bau vornehmlich von Tubularia
geschildert. Bisher war iiber diese Gattung so gut wie garnichts
bekannt, zumal die Abhandlungen von Ciamician viel Falsches
enthielten. Die Entwicklungsgeschichte dieser Art, welche zu einer
Gastrula durch Delamination furt, wurde klargestellt und die Hi-
stologie der Actinulae sowol als des erwachsenen Tieres gegeben.
538 Dr. Otto Hamann,
Die ubrigen Taeniolaten wurden berucksichtigt, soweit ihr Bau
vom allgemeinen Typus Abweichendes bot. Am Ende des zweiten
Teiles wurden oinige Punkte in der Anatomie der Antennularien
verbessert.
Im dritten Teil folgte oin Versuch einer Histiogenie der Hy-
droidpolypen.
Es wurden die Veriinderungen beschrieben, welche die Zelleu
des Embryos zu erleiden haben, bis sie in die Zellclemente des
ausgewachsencn Tieres iibergehen, Es wurde festgestellt , dass
jede Zelle sowol des Exoderras wie des Entoderms die Fahigkeit
besitzt, in eine Propagationszelle, Driisenzelle, Muskelzelle u. s. w.
uberzugchen. Dann wurde unter anderem die Funktion der so-
genannten cbordaithnlichen Zellen in den Tentakelaxen zu bestim-
men gesucht und auf die verschiedene Differenzirung des Ento-
derms hingewiesen, und der das Hypostom auskleidende Teil als
sekretabsondernd , der den eigentlichen Magenraum auskleidende
hingegen als der verdauende Teil in Anspruch genommen.
Der Orgauismus der Hj^droidpolypen. 539
Tafelerklarung.
Tafel XX.
Fig. 1. Querschnitt durch Podocoryne caruea.
Fig. 2. Querschnitt durch Cladocoryne floccosa oberhalb der
Oralteutakel. Man sieht die grosseu Nesselkapselu. I), nc. 2.
Fig. 3, Liingsschuitt durch Podocoryne carnea. Der Unterschied
zwischen den laugen Cylinderzellen der Hypostomwiilste uud der der
Mageuwulste ist deutlich zu seheu.
Fig. 4. Stiick eines Langsschnittes durch Podocorjaie stark ver-
grdssert, um den Uebergang der Taenioleuzelleu in die grossen Ento-
dermzellen zu zeigen. F. oc. 2.
Fig. 6. Querschnitt durch den centralen Fresspolyp von Velella
spirans. A. oc. 2. mf. = Muskelfibrillen. si I. = Stutzlamelle.
Fig. 6. Stiick eines Querschnittes durch Eudendrium racemo-
sum in der Mitte des Kdrpers gefiirt.
Fig. 7. Querschnitt durch Clava. U. 2.
Fig. 8. Querschnitt durch den Mundkegel von Corydendrium
parasiticum. D. oc. 2.
Fig. 9. Ende des sogenannten Tentakelpolypen von Velella spi-
rans. I), oc. 2. Laugsschnitt.
Fig. 10. Querschnitt durch eine juuge Actinienlarve. Kopie
nach Kowalevsky.
Fig. 11. Querschnitt durch Syncoryne Sarsii. .4. oc. 4.
Fig. 12. Querschnitt durch eineu Fresspolypen von Velella
spirans. ^. oc. 2.
Tafel XXI.
Fig. 1 . Eudendrium ramosum. Basis eines Polypen , um die
Ringfurche mit dem darunter liegenden Driisenring zu zeigen. JSw. =
Nesselwulst. Rf. = Ringfurche. J. oc. 2.
Fig. 2. Driisenzellen des Driisenringes. Immersion Zeiss ^/jg*
oc. 2.
540 Dr. Otto Hamaun,
Fig. 3. Entodermzelleu vom Korper von Eudendrium ramosum.
Fig. 4. Stiick eines Tentakels, coutrahirt von einem mit Os-
miumsaure getotetem Tiere. Die Axenzellen sind stark contraliirt.
F. oc. 2.
Fig. 5. Stiick eines Tentakels im ausgestreckten Zustande von
mnem mit Alk. abs. getotetem Polypen. Man erkennt, wie der Kern
an Protoplasmafaden aufgehiiugt ist.
Fig. 6. Ein Polyp von Eudendrium raeemosum mit der langen
Nesselpeitsche = up.
Fig. 7. Kadialsehnitt durch Eud. racemos. Der Trichter in
aufgeklapptem Zustande.
Fig. 8. Stiick des Trichters (Hypostoms) starker vergr. Man
sielit am Gruude des Entoderms die auf dem Querschnitte getroffenen
Muskelfibrillen = entm.
Fig. 9. Tangentialschuitt durch das Hypostom desselb. Polypen.
Fig. 10. Entoderm rait Driisenzelleu desselb. Polypen. Imm.
Vx2- «^' 4.
Fig. 11. Driisenzelleu aus dem Entoderm von Penuaria Cavo-
linii. Imm. ^/^g. wc. 4.
Fig. 12. Penuaria Cavoliuii. ^. oc. 1.
Fig. 13. Oraltentakelspitze vergroasert. D. oc. 2. Man sieht
die Makro - und Mikrocuidien.
Fig. 14. Aboralteutakel desselben Polypen. ^4. oc. 2.
Fig. 15. Stiick eines Aboraltentakels macei-irt. ect. = Exo-
derm.
Fig. 16. Exoderm, Pseudopodien nach dem Perisark entsen-
dend. Penn. Cav. D. oc. 2.
Fig. 17. Querschnitt durch das Coenosark v. Peunaria C.
Fig. 18. Querschnitt durch das Coenosark von Corydendr. pa-
rasiticum.
Fig. 19. Polyp von Corydendrium parasiticum.
Tafel XXII.
Fig. 1. Actiuula von Tubularia coronata nach dem Ausschliipfen
aus dem Gonophor. (Stadium 1).
Fig. 2. Weiteres Stadium. Anlage der vier Oraltentakeln. (Sta-
dium 2).
Fig. 3. Desgleichen Actinula mit entwickelten Oraltentakeln.
(Stadium 3).
Fig. 4. Kadialsehnitt durch Stadium 2, um die Anlage des
Aboralwulstes mit den Bindesubstauzzellen darzustellen.
Der OrganiBmus der Hydroidpolypen. 541
Fig. 5. Taugentialschnitt durch Stadium 3. ch. = Chitineke-
lett. entw. = Eotoderraaler Aboralwuist.
Fig. 6, Tentakelende vou Stadium 3 , um die eine Eeihe der
Axeuzellen zu zeigen.
Fig. 7. Tentakelende von derselben Actinula. Es siud schon
zwei Reihen von unregelmassigen Axenzellen kenntlich.
Fig. 8. Junge Actinula im Gonophor von Tubularia mosem-
bryauthemum. Es entstehen die Tentakel und zugleich der Mund in
Gestalt eines Kreuzes. J oc. 2.
Fig. 9. Actinula vor dem Ausschliipfen. Tub. mesbr.
Fig. 10. Actinula nach dem Ausschliipfen mit vier Oralten-
takeln. Tub. mesbr.
Fig. 11. Actinula, 1 Tag nach der Festsetzung. Tub. mesbr.
Fig. 12. Junger Polyp von derselben Art 2 Tage alt.
Fig. 13. Aelterer Polyp. Das Wurzelskelett beginnt sich zu
entwickelu. ah die Linie , bis zu welcher die Perisarkaulage reicht.
Fig. 14. Natiirliche Grosse des in Fig. 13 vergrossort darge-
stellten Polypcn.
Fig. 15. Fussscheibe von Hydra, Pseudopodien entsendend.
Fig. 16. Stiick des Exoderm von cinem Querschnitt von Car-
marina hastata. D. oc. 2. nkz. = Nesselkapselzellen. fs. = Fort-
satze dossclbeu. gf//. = Stiitzlamello.
Fig. 17. Protoplasmareiche Zellen vou Tub. mesembryanthe-
mum, aus dem Gonoblastidium.
Tafel XXIII.
Fig. 1. Liingsschnitt durch eine Tubularia, halbschematisch.
Das Exoderm ist durch Schattiruug vom Entoderm zu uuterscheiden.
Der Verlauf der StUtzlamelle, wclche weiss gehalten ist, zwischen
Exoderm und dem die Holraume auskleidenden Entodermzellen und
dem Bindosubstanzgewebe im Oral - und Aboralwuist ist deutlich zu
sehen. ow. = Oralwulst. abow. = Aboralwuist. ./. or. 2.
Fig. 2. Querschnitt durch eine Tub. coronata in der Kichtung
ah. D. oc. 2.
Ein Stuck desselben starker vergrdssert vou Tubular.
oc. 1.
Querschnitt in der Richtung ef.
Querschnitt in der Richtung gh.
Die Entodermzellen des Knopfes vergrdssert.
Querschnitt in ik, um den Exodermwulst des Knopfes
mit den Muskelfibrillen zu zeigen.
Fig.
3.
Qata.
F.
Fig.
4.
Fig.
5.
Fig.
6.
Fig.
7.
542 Dr. Otto Hamann,
Fig. 8. Exodermzellen vom Korper. Imm. Vi2- ^^- '*•
Fig. 9. Exodermale Muskoltibrilleu, durch Maceration isolirt.
Fig. 10. Exodormzelleii vom Teutakel vou Tub. coronata.
Fig. 11. Entodermzellen aus dem Coenosark vou Tub, mesem-
bryanthemum. F. oc. 2.
Fig 12. Chord aiinliche Zellen aus der Tentakelaxe einer Pe- •
nuaria Cav. mit Sublimat behandelt.
Fig. 13. Driisenzelle einer Tub, mesembr. Imm. '/i2* "^- '^•
Fig. 14, Querschnitt durch den Exodermwulst des Knopfes von
Tubul. coronata.
Tafel XXIV.
Fig. 1, Langsschnitt durch die Anlage eines Gouophors vou
Tub, mesembryanthemum.
Fig. 2. Langsschnitt durch ein weiter vorgeschrittenes Stadium.
ex^ = aussere Exodermschicht. gf. = Gefasslamelle. ex^ = Schicht,
aus welcher sich die GeschlechtsstofFe entwickeln.
Fig. 3, Reifes Gonophor, Die Stiitzlamelle sfl. im Gouoblasti-
dium zu sehen.
Fig. 4. Querschnitt durch den oberen Toil eines Gonophors
von Tub. mesembr.
Fig. 5. Querschnitt durch das Gonophor vom Tub. indivisa.
Die vier Radiarkanale sind auf dem Querschnitt geiroffen.
Fig. 6. Anlage einer Meduse (Obelia) als einlache Ausstiilpuug
vom Exo - und Entoderm. F. oc. 2,
Fig. 7, Weiter vorgeschrittenes Stadium derselben.
Fig. 8. Querschnitt durch Fig. 7,
Fig. 9. Junge Obeliaknospe. Die vier Radiarkanale sind zu
erkennen, F. oc. 2.
Fig. 10a. Reifes Ei vom Tub. mesembr. Eine Sonderung in
eine aussere Schicht und eine innere von Protoplasmanetzeu durch-
zogene iat zu unterscheiden.
Fig. I 0 b. Ei in Furchung begriffen. Die Pseudozcllen sind in
der vorhergeheuden und den folgenden Figuren dunkel gehalten, da
sie sich starker mit Farbstoff tingiren als die iibrigen Teile. Querschnitt.
Fig. 11. Weiteres Furchungsstadium. Querschnitt.
Fig. 12. Einzelne Zelle desselben. Querschnitt.
Fig. 13. Gastrula durch Delamination entstanden.
Fig, 14. Entoderm und Exoderm nach Anlage der Gaatralhole
der Actinula.
Fig. 15. Podocorync Haeckelii. n^ und a^ Trophopolypen,
Z»j b^ Machopolypen, c Skelettspitze.
Der Organismus der Hydroidpolypen. 543
Fig. 16. Ein Polypenkopf von obeu , um das Mundkreuz , die
vier perradialen und die vier interradialen Teutakeln zu zeigen.
Fig. 17. Querschuitt durch Spougicola fistularis. exw. = Exo-
dermwulst.
Eig. 18. Coenosarkeutoderm vou Plumularia fragilis. Imm. ^I^^'
oc. 2. Man sieht, wie eiuige Zellen sich vergrossert habeu , um zu
Eizellen zu werden.
Fig. 19 und 2 0. lu Bewegung begriffeue Eizellon derselben Art.
Fig. 21. Planula einer Aglaophenia kurz nach dem Ausschliipfen
aus dem Gonophor. Man sieht die Bewimperung.
Fig. 2 2. Planula vor dem Festsetzen, Die Bewegung geschieht
mit dem verdickten Ende nach vorn.
Fig. 2 3. Liingsschnitt durch dieselbe. Es ist die Gastralhole
zur AnJage gokommeu.
Tafel XXV.
Fig. 1. Plumularia fragilis in nat. Grosse.
Fig. 2. Langsschnitt durch eine Plumularia, um die Einschnii-
rung des Korpers in zwei Teile zu zeigen. /lyf/. = Hypostom.
Fig. 3, Gonophor von Plumularia. Wanderuug der Eier in
dasselbe. ou. = Eizelle. /). oc. 2.
Fig. 4. Die Eizelle ist von alien Seiten vom Entoderm um-
wachseu worden. D. oc. 2.
Fig. 5. Anlage eines Nematophoren vou Plumularia. pel'. = Pe-
risark. c.r. = Exoderm. en(. = Entoderm. F. oc. 2.
Fig. 6. Zwei Neraatophoren.
Fig. 7. Ende des riickgebildeteu Polypeu eines Nematophors.
Die Exodermzellen enthalten an der Spitze desselben Nesselkapseln.
Die Axe besteht aus Entodermzellen , welchc durch die Stiitzlamelle
vom Exoderm getrennt werden.
Fig. 8. Calyx mit Nematophorcu von einer Aglaophenia.
Fig. 9. Ein Nematophor stark vergrossert von Aglaophenia.
nk. = Nesselkapseln.
Fig. 10. Langsschnitt durch einen Polyp von Sertularella po-
lyzonias. /lyp. = Hypostom.
Fig. 11. Langsschnitt durch einen Polypen derselben Art, um
das Chitinskelett zu zeigen.
Fig. 12. Querschnitt durch den Stamra von Antennularia ra-
mosa, um die Absendung der zwei gegeniiberstehonden Aeste zu
zeigen. ^. oc. 2.
544 Dr. Otto Hamauu, Der Orgauismus der Hydroidpolypen.
Fig. 13. Querschuitt durch den Stamm an eiuer Stelle, wo
keine Aeste abgchen. ex, = Exoderm. cut. == Entoderm, per. = Pe-
ri sark.
Fig. 14. Stiick des in Fig, 12 gegebonen Querschnittes stark
vergrossert. Man sieht im Entoderm die Eizellen. D. oc. 2. «. = Ne-
matophor.
Fig. 16. Exodermzellen mit Muskelfibrillen vom Ncmatophoren
einer Plumularia.
Studien iiber Coelenteraten.
Von
Dr. Otto Uauianii,
Assistent am zoologischen lustitut zu Jena.
Hierzu Tafel XXVI u. XXVII.
I. Zur Anatomie der Xesselkapselzellen.
Seit langerer Zcit mit Untersuchungcii iibor Ilychoiclpolypen
beschiiftigt , widmete ich den Nesselkapselzellen besoiidcrc Auf-
merksamkeit. Ich glaubte in densclbcn Sinncsorganc , Tastorgane
zu finden und hoffte, einen Zusammcnhang mit Nervcn cunstatireu
zu konnen. Umsomehr war eine solche Anschauung beroclitigt, als
O. und R. H e r t w i g bei den Actinien die Fortsatze dieser Zelleu
als Nerven deuten zu miissen glaubeu.
Wir dehnten die Untersuchungen auf sammtliche Gruppen der
Coelenteraten aus. Im Folgenden sollen zuerst die gefundcnen Tat-
sachen gegeben werden , um dann zu sehen , zu welchen Schliissen
dieselben verwendet werden konnen.
Wir beginnen mit der Betrachtuug unseres Siisswassercoelen-
teraten, der Hydra, welche in beiden Arteu, fusca wie viridis,
zur Untersuchung diente. An Zerzupfuugspriiparaten des mit Es-
sigsaure macerirten Tieres gelingt es bald, die Nesselkapselzellen
Oder Cnidozelleu, wie wir im Folgenden dieselben der Kiirze wcgen
nennen werden, zu isoliren. An jeder Cnidozelle findet man die
Nesselkapsel, iiber derselben das Cnidocil und im Plasma der Zelle
den Kern eingebettet liegen. An der Basis der Zelle sieht man
einen feinen Fortsatz ausgehen , der je nach der Maceration bald
kurz, bald lang erhalten ist. Im Allgemeinen ist derselbe bei der
griinen Art liinger als bei H. fusca, was mit der Entwicklung
des Exoderms zusammenhangt. Die Zellen sind namlich bei erste-
rer Art hoher als bei letzterer.
Bd. XV. N. F. VIII. 4. 35
546 Dr. Otto Hamann,
All Schiiittpraparatcii gelingt cs nie, iibcr die ware Endigung
dieses Fortsatzes klar zu werdeu ; soviel ist jeduch festzustelien,
dass derselbe bis an die Gallertlainelle heraureicht , sich jedoch
iiieinals teilt uiid auch nicht niit den Muskelfibrillen verlauft. Da
die Cnidozellen senkrecht zur Stutzlamclle stehen, so steht auch
der Fortsatz rechtwinklig zu derselben. Schon hieriu ist ein Un-
tersdiied zwischeii ilim und den Muskelauslaufern der grosseu
Exodermzellen gegeben, da dieselben parallel zur Stiitzlamelle
auflagern.
Von Kleinenbergi) sind diese Fortsatze in seiner Hydra-
Monographie nicht beschrieben worden und ebensowenig von Fr.
E. Schultze'-^). Letzterer Forscher war es jedoch, der die Auf-
nierksamkeit zuerst auf diese Fortsatze lenkte, indem er sie bei
Syncoryne^) entdeckte. Spater sind dieselben auch bei Podoco-
ryne^) und Tubularia-^) aufgefunden worden.
Was nun zunachst die Hydroidpolypen anlangt, so untersuchte
ich verschiedene Arten der Tubularien , Aglaophenien, Sertularien,
Plumularien u. a. Es finden sich bei alien Hydroidpolypen diese
Fortsatze vor und sind sie sowol an den Makroknidieii , wie Fr.
E. Schultze die grossen Cnidozellen nennt, vorhanden als wie
auch an den kleineren, die er Mikroknidien benennt.
Betrachten wir Pennaria Cavolini. Die Cnidozellen stehen
hier an den Enden der Oraltentakeln dicht gedrangt, so wollen
wir die uni den Muiid herunistehenden Tentakeln ini Gegensatze
zu deni zweiten Tentakelkranz an der Basis des Korpers, den Abo-
raltentakeln nennen. Sie stehen hier in Haufen augeordnet und
zwar convergiren die Fortsatze nach der Stiitzlamelle zu. Man
hat diese Tentakeln wegen der Anhaufung der Cnidozellen geknopfte
genannt. An Schnitten lassen sich die Fortsatze bis an die Stiitz-
lamelle verfolgen. Ein Umbiegen derselben und eine etwaige Auf-
lagerung auf derselben in Form von Fasern ist nicht zu schen.
Wenden wir uns nun gleich zu dem Genus Tubularia, von
welchem drei Arten, T. mesembryanthemum, larynx und coronata
untcrsucht wurden.
Ciamician beschreibt in einer Arbeit, welche betitelt ist:
^) Kleinenberg, Hydra, Leipzig 1872.
2) Fr. E. Schultze, Cordylophora , Leipzig 1871.
^) Fr. E. Schultze, Syncoryne Sarsii, Leipzig 1873.
*) Grobben, Sitzungsber. d. Wiener Akademie 1875.
•'') Ciamician, Zeitschrift fiir wissenschaftl. Zoologie Bd. 32.
1879.
Studien iiber Coelenteraten. 547
„Ueber den feinercn Bau der Tubularion u. s. w." diese Fortsatze
bei T. mesenibryanthemum. Seine Darstcllung des feineren Baues
erstreckt sich jedoch nur auf die Untersucliung der Tentakeln un-
ter deni Mikroskop! Nun sind dieselben schon an und fur sich
ziemlich durchsichtig und hat es derselbe deshalb flir unnotig bc-
funden, die Schnittmethode zur Hilfe zu uehmen. Infolge dessen
ist er zu falscheu Anschauungen gelangt, wie ich an einem ande-
ren Orte dargetan habe.
Nach diesem Autor sollen die Fortsatze sich zu eiuer Schicht
feinster Fibrillen uber den Muskelfibrillen auflagern. Nie habe
ich dies beobachten konnen. Kein Querschnitt durch die Teutakel,
kein Schnitt durch das Tier zeigt ein solches Verhalteu. Es be-
ruht diese, wie fast alle anderen Beobachtungen in dieser Arbeit
auf Tauschungen,
Die Fortsatze enden bei Tubularia zwischen den Muskel-
fibrillen, das heisst, sie konnen nicht weiter verfolgt werden. Uni
iiber ihre ware Endigung klar zu werden, ist diese Gattung ein
schlechtes Objekt, da diese Fortsatze sehr fein sind.
Das Ektoderm der Tubularien b(;steht erstcns aus den schon
von Hydra her bekannten grossen Exoderrazellen , zweitens aus
kleineren Zellen, welche zwischen den grosseren an der Basis zer-
streut liegen und oft auf weite Strecken garnicht zu finden sind.
Diese beidcn Zdlenarten liegen einer Schicht von echten Muskel-
fibrillen auf, welche wiederuni der Stiitzlamelle aufliegt.
Die Cnidozellcn entsenden nun einen oder mehrere, oftmals
beobachtet man drei, feine Fortsiitzc nach der Stiitzlamelle. Schon
an jungen Actinulae kann man dieselben beobachten (s. Fig. 10
Taf. XXVI).
Wir wollen hier nicht niiher auf die Beschrcibung der Ubrigen
Polypen eingehen. Wir constatiren das Vorkommen von Fortstitzen
bei sammthchen Polypen.
In Fig. 14 sind Cnidozellen von oben gesehen, wie sie an
Carmin-Canadabalsampraparateu sich zeigen. Das Protoplasma ist
dann zu einer sternformigen Figur um die Kapscl zusammenge-
schrumpft. *
In Fig. 17 ist von Pennaria eine Makroknidie, in Fig. 19 Cni-
dozellen von Aglaophenia abgebildet.
Wir wenden uns nun zu don Siphonophoren. Hier sind die
Fortsatze zuerst von Glaus bekannt gegebcn und ihre Natur als
Stiitzfasern angesprochen worden.
Bei Velella spirans sind die Fortsatze, welche von ziemlicher
35*
548 Dr. otto Hamann,
Starke erschcinen , bis an die Stiitzlamelle zu verfolgeii. Sie sind
hier weit stiirker als die Muskeln. Bei Velella fiiiden sicli iiberall
ira Exodenii , audi auf den Polypeii , Ganglienzellen und Nerven-
faden zerstreut vor. Ein Uebergang jedoch von diesen Fortsatzen
in Nerveu ist nirgends, an keinem Quer- oder Langsschnitt zu
constatiren. Oft glaubt man, dass dem Fortsatz ein Kern anliege.
Doch bei nalierem Zusehen findet man, dass dies der Kern mit
der Epithelmuskelzelle ist, welche von cylinderformiger Gestalt
erscheint und der Cnidozelle nebst Fortsatz eng anliegt.
An Isolationspraparaten , die durch klopfen erzielt werdcn,
kanu man beobachten, wie jeder Fortsatz fest aufsitzt, ob auf der
Stiitzlamelle oder der Muskelschicht , ist jedoch nicht zu unter-
sclieiden — nur soviel ist zu sehen , dass er eben fest auf einer
Unterlage aufsitzt, sich jedoch nicht in Form von Fibrillen auf
dersclben auflegt.
Das ware Verhalten der Fortsatze wird uns erst bei der Un-
tersuchung der Craspedoten - Medusen kund. Wir untersuchten
Tiara pileata, Geryonia und Carmarina hastata. Die Cnidozellen
entsenden iiberall Fortsatze.
Das schonste Untersuchungsobjekt ist Carmarina hastata, die
grosste unter den Geryoniden,
Schon an Situspraparaten fallen die Cnidozellen auf mit ihrem
langen Fortsatz, der meist von der Zelle selbst sich ablost.
Legt man nun Querschnitte durch die Tentakel, so erhiilt man
folgendes Bild (Fig. 1, 2, Taf. XXVI).
Zuniichst fallt das stark entwickelte Exoderm auf. Die Cni-
dozellen stehen dicht gedrangt die eine an der anderen. Die
eigentlichen Exodermzellen sind von cylindrischer Gestalt.
Die Muskelfibrillen sind in die Stiitzlamelle geruckt und liegen
hier in Faltungen. An feinen Querschnitten kann man nun deut-
lich die einzelnen Fortsatze der Cnidozellen erkennen und zwar
ist hier die Endigung des Fortsatzes in der Stiitzlamelle zu con-
statiren. Hiermit ist die Natur der Fortsatze der Cnidozellen als
Stiitzfasern erkannt.
Hat man vor dem Schneiden mit Pikrocarmin, welchem man
3 •'/„ Ammoniakcarmin zugefiigt hat, den Tentakel gefarbt, so
wird die Stiitzlamelle nebst den ausgehenden Fortsatzen rosa ge-
farbt und der direkte Uebergang von Fortsatz in die Stiitzlamelle
ist schon und deutlich zu erkennen.
Auch an Isolationspraparaten, welche zur Controlc angefertigt
Studien liber Coelenteraten. 549
warden, uberzeugt mau sich von der Richtigkeit der ebon gege-
beuen Darstellung.
Zur Darstellung von Isolationspraparaten eignet sich folgeude
Methode. Man fertige nicht zu duune Schnitte, welche man in
Glycerin untersucht und isolirt die cinzelnen Telle durch klopfen
auf das Deckglas. Oder, falls man in Paraffin eingebettet hatte,
bringe mau die Schnitte wiederum in Alkohol zuriick und isolire
nun die cinzelnen Gewebselemente durch klopfen. In vielcn Fall(;n
ist diese Methode der Macerirung vorzuziehen, da die Gewebe
nicht leideu.
Oft findet man, dass sich der Fortsatz einer Cnidozelle in
zwei Auslaufer teilt, welche dann getrennt zur Stiitzlamelle laufen. —
Was nun die hoheren Medusen, die Acraspeden anlangt, so
wurde Pelagia perla und noctiluca untersucht. An Querschnitten
durch den Tentakel, der sich am besten von alien Organen der
Medusen zur Untersuchung der Cnidozellen eignet, findet man zu-
nachst das Exoderm mit der Muskelschicht am Grunde derselben.
Die stark entwickelte Muskulatur ist auch hier der miichtigen Stiitz-
lamelle eiugelagert und stellt das in Fig. 3 gegebenc Bild dar.
In Fig. 4 ist ein Stiick des Exoderm starker vergrossert abgebildet,
urn die Fortsatze der Cnidozellen zu zeigen. Jede Cnidozelle ent-
sendet Fortsatze und zwar meist drei aus, wiirend an anderen
nur ein einziger beobachtet wird. Die Endigung der Fortsiitze
ist hier wegen der Feinheit der Fortsatze nicht zu sehen, doch
steht auch hier soviel fest, dass dieselben nicht etwa sich in (ie-
stalt von Muskelfibrillen oder gar Nerven verzweigen. —
Es bleiben nun noch die Actinien ubrig, bei wclchen O, und
R. Her twig den Fortsatz als Nerven deuten zu konnen glauben.
Das entwickelte Tier schien mir zur Untersuchung nicht geeignet
und nahm ich deswegen die Larven vor. An Quer- und Liings-
schnitten durch junge Larven, bei welchen sich bereits 8 Septen
augelegt hatten, ist nun der Uebergang des Fortsatzes in die
Stiitzlamelle zu constatiren. An diesen jungen Larven geht der
ziemlich stark entwickelte Fortsatz senkrecht zur Stiitzlamelle.
Als nervos kann derselbe deshalb nicht bezeichnet werden und
sind die Cnidozellen auch bei den Actinien keine Sinuesorgane.
In Fig. 20 ist eine Cnidozelle einer Actinienlarve abgebildet,
warend in Fig. 24 zwei Stiitzzellon, welche ebeiifalls auf der Stutz-
lamelle inseriren, abgebildet sind.
550 Dr. Otto Hamanu,
Entstehung der Portsatze und Deutung der Cnidozellen.
Wir treten nun an die Fragen heran: Wie siud diese Fort-
siitze entstanden und wie haben wir nach den raitgeteilten Beobach-
tungen die Cnidozellen als Sinnesorgane zu deuten?
Wenn wir an die Beantwortung der ersten Frage gehen, so
miissen wir gestelien, dass wir nur Vermutungen iiber den Ursprung
del" Fortsiitze vorbringen konnen.
Wir wissen bestimmt, dass die Cnidozellen interstitielle Zellen
sind, welche eine Nesselkapsel im Inneren gebildet haben und
dann aus der Tiefe nach der Peripherie des Exoderms wandern.
Dass die Kapsel vom Protoplasma der Zelle ausgeschieden wird
und nicht aus der Umbildung des Kernes entsteht, ist durch das
Auffinden desselben nach der Entstehung der Kapsel entschieden.
Man kann nun entweder den Fortsatz als Rest der Bildungs-
zelle der Nesselkapsel ansehen, oder aber als ein neues Produkt
derselben.
Wir miissen , denn dies ist das Wahrscheiniichere , der inter-
stitiellen Zelle die Tiitigkeit zuerkennen , eine Kapsel zu erzeugen
und zugleich einen Fortsatz auszuscheiden, welcher mit der Stiitz-
lamelle in Verbindung tritt. Dieser Fortsatz ist, wie die gleiche
Farbung mit der Stiitzlamelle zeigt, von derselben oder doch sehr
iinlichen Beschaffenheit. Er ist nicht ein einfacher Protoplasma-
fortsatz, denn warum sollte man denselben dann nicht stets bei
jeder belieben Maceration noch in Verbindung mit dem Plasma
der Zelle finden? Dass man ihn nur bei sehr sorgfaltiger Mace-
ration bei den meisten Coelenteraten antrifft, hat seinen Grund
in der verschiedenen Beschaffenheit seiner Substanz von dem Pro-
toplasma der Bildungszelle.
Lange Zeit hat man ja iiberhaupt diese Fortsatze nicht ge-
funden, erst mit den neueren Methoden war es moglich, sie zu
entdeckon. So beschreibt Mobius^), der erste, welcher die Cni-
dozellen auf Funktion und Entstehung niiher untersuchte, dieselbeu
noch nicht.
Wie haben wir nun die Nesselkapseln zu deuten? Sind sie
Sinnesorgane ?
1) Mobius, TJeber den Bau, Mechanismus und Entwicklung
der Nesselkapseln. Abhandlungen des naturwiss. Vereins zu Ham-
burg, 1866.
Sfcudien iiber Coelenterateu. 551
Was die Fortsiitze anlangt, so wurden dieselben von Ko-
rotneff in seinen Untersucliungen iiber Lucernarien schlechthiu
als Nerven angesprochen , eine Ansicht, die jeder Begrundung ent-
behrte und bereits von Glaus i) zuriickgewiesen wurde. Was nun
aber zu Gunston einer Deutung als Sinnesorgane spricht, ist das
Vorhandensein des von Fr. E. Schultze-) nalier beschriebenen
und Cnidocil benannten Harcheus, „wclclies neben dem Ausstul-
pungspole der Nesselkapsel abgeht als eine direkte Fortsetzung
des die Kapsel umhiillenden kornigen Zellenleibes."
Gewis lag zuniichst nichts naher, als dieses Harchen, welches
iiber die Exodermzellen frei hervorragt, als ein den Siuneshar-
chen der Medusen homologes Gebilde zu erklitreu. Ein Nachweis
jedoch musste vor allem erbracht werden, wenn man die Cnido-
zellen selbst als Sinnesorgane betrachten sollte, namlicb der des
Zusaniraenhanges mit Nerven.
Die Deutung, welche von Fr. E. Schultze iiber die Funk-
tion der Cnidozellen aufgestellt ist, halte ich fiir die der Warheit
am niichsten kommende. Sie wird durch die Beobachtungen, iiber
die wir obeu berichteten, gestiitzt. Der genannte Forscher findet
in dem auf die Cnidocils ausgeiibten Druck den ersten Anstoss
zur Entladung der darunter gelegenen Kapsel, sei es nun, dass
man sich eine direkte Uebertragung dieses Druckes auf die als
Basis jeden Hilrchens dienende Protoplasmahiille der Nesselzcillen
und durch diese auf die Seitenwand der Kapsel, oder eine durch
den mechanischen Reiz hervorgerufene Contraktion des Proto-
plasmas der Nesselzelle vorstellt."
Dieser Ansicht pflichte ich bei und halte, da nachgewiesen
ist, dass der bei alien Cnidozellen vorkommende Fortsatz mit der
Stiitzlamelle in Zusammenhang steht, und folglich als Stiitzfaser
betrachtct werden muss, die Ansicht fiir widerlegt , welche in den
Cnidozellen Sinneszellen zu finden glaubte. Es sind teils zum
Schutze, teils zum Fangen der Beute dienende Waffen, worauf
auch die in den Kapseln enthaltene Fliissigkeit, welche der Ameisen-
saure nahe steht, hinweist, durch welche die mit dem aus der
Kapsel hervorgeschnellten Faden in Berurung gekommenen Tiere
getotet werden. —
') Glaus, Ueber Halistemma tergestinum, Wien, 1878. pag. 41.
2) Fr. E. Schultze, Cordylophora.
552 Br. Otto Hamann,
II. Die Pseudopodienzellen bei Hydra.
Obgleich Hydra in ihreii beiden Arten schon so oft Objckt
der Untersudiungen gewesen ist und durcli die Monographic
Klein en bergs der Gegenstand erschopft zu sein schien, so ist
denuoch Manchcs unaufgeklilrt. So ist bisher die Frage : Wie ge-
schieht die Anlieftung an fremde Gegenstande vermittels des Fusses?
noch nicht niiher beantwortet. Warend die Hydroidpolypen des
Meeres einmal festgesetzt auf ihrem Flecke verharren, so kann,
wie bekanut, Hydra iliren Ort beliebig wechseln.
Betrachtet man den Fussteil einer Hydra, es ist gleicli, welche
Art cs ist, so erkennt man, dass die Exodermzellen derselben von
anderer Besdiafifenheit sind als die des iibrigen Korpers. Sclion
Kleinenberg bemerkte den Unterschied und bildet auf der er-
sten Tafel seiner Monographie einige solche Zellen ab.
Diese Zellen sind von cylindrischer Gestalt; ihr Inhalt er-
scheint nicht wie der der iibrigen Zellen hell , sondern das Proto-
plasma ist lein granulirt. Nach vorhergegangener Farbung tritt
in jeder Zelle ein Kern hervor, der mit seinem Kernkorperchen
meist in der Mitte der Zelle liegt.
Isolirt man aber die Zellen durch Maceration, so treten die
als Muskelfibrillen bekannten Fortsatze zu Tage. Warend aber
an den Exodermzellen des Korpers von jeder Zelle zwei Fibrillen
ausgclien, findet sich hier immer nur einer an jeder Zelle.
Urspriinglich sind also diese Zellen Nervenmuskelzellen und
erst sekundiir haben sie die Funktion, Schleim abzusondern, und
dadurch die Anheftung des Tieres zu bewirken, erlangt. Dass
aber wirklich ein Sekret zur Abscheidung gelangt, erkennt man
am besten auf folgende Weise. Man bringt die Hydra auf einen
hoi geschliffenen Objekttrager und deckt die Cavitat mit einem
Deckglas zu. Binnen kurzem wird es sich mit der Fussscheibe
an dem Deckglase anheften. Man kann nun vermittels mittlerer
Vergrosserung einen hellen Saum von einem schleimartigen Sekrete
herrurend, rings um die Fussscheibe warnehmen. Sieht man Itlnger
zu, so erblickt man Pseudopodien, welche von den Zellen der
Fussscheibe ausgesendet und wieder eingezogen werden. Oder,
um es besser auszudrucken, die Zellen der Fussscheibe ziehen sich
in Pseudopodien aus, warend das Tier in Bewegung ist.
Hydra bewegt sich meist vermittels der Tentakeln vorwarts
und riickt nun die Fussscheibe auf der Unterlage gleitend nach.
Studien iiber Coelenteraten, 553
Wareud sich die einzelnen Zellen in Pseudopodieu ausziehen, gehen
die Zellgrenzen ganzlich verloren. Es gewart nun ein hubsches
Bild, wcnn man sieht, wie die Protoplasmafiidcn auftreten, wieder
eingezogen werden , warend schon wieder andcre Fortsatze auftre-
ten , mit einander verschmelzen , um wieder zu regelrechten Zellen
zu werden.
Setzt man eine geringe Quantitat Essigsliure hinzu, so ge-
schieht die Bewegung des Tieres noch schneller als unter norma-
len Verhaltnissen.
Ich fiige noch hinzu, dass in der Fussscheibe sich nicht die
interstitiellen Zellen finden und dass niemals Nesselkapseln in
derselben angetroffen werden.
In Fig. 5 und 6 sind die Fussscheiben von in Bewegung be-
griffenen Poly pen von der Seite gesehen dargestellt. Man sieht
neben Zellen, welche ihre urspriingliche Gestalt besitzen, andere,
welche in Pseudopodieu ausgezogen sind.
Findet nun etwa bei den iibrigen Polypen eine gleiche Eigen-
schaft der Fussscheibe, Pseudopodieu auszusenden, Statt?
Bei dem Scyphostoma von Aurelia habe ich nie etwas derar-
tiges warnehmen konnen. Die Zellen selbst gleichen denen der
Hydra, doch scheiuen sie diese Fahigkeit eingebusst zu haben.
Denu dass wir es hier mit einem primitiven Zustande zu tun
haben, ist wol einleuchtend.
Was nun die Planulae der Polypen anlangt, so habe ich die
Entsendung von Pseudopodieu nie sehen konnen. Die Planulae
wechseln aber nie ihren Platz, sondern setzen sich nach langerem
Umherschwimmen an einer bestimmten Stelle fest, um hier zum
fertigen Polyp auszuwachsen. Es wird von den Zellen der Fuss-
scheibe sofort eine chitinartige Masse ausgeschieden , welche die
Fixirung vollkommen herstellt.
Bei dem Genus Tubularia bieten die Actinulae zwar auch den
Unterschied der Zellformen des Ektoderms dar, doch wird hier
bereits warend des Umherschwarmens um die Fussscheibe ein feines
Chitinhautchen abgeschieden und somit jede etwaige Pseudopodien-
entsendung gehindert.
Urspriinglich werden alle Zellen des Exoderms die Fahigkeit
gehabt haben, Pseudopodieu auszustrecken.
Die einschichtige Blastosphaera wird ein Haufen von Zellen
gewesen sein, welche sammtlich die Eigenschaft hatten, vermittels
Pseudopodieu sich fortzubewegen. Dadurch aber, dass einzelne
Pseudopodieu fixirt wurden und zu Flimmerharen umgebildet
554 Di*. Otto Hamann,
erscheinea, ist eine weitere hohere Entwicklungsstufe erreicht. Wir
sehen die Flimmerhare als fixirte Pseudopodien an. —
Ucberdies ist diese Eigenschaft der Pseudopodienentseud\jiig
noch iiisoferu alien Zellen des Polypenleibes innewonend, als sie
sofort eintreten kanu, wenn cin Vorteil fiir das Tier damit ver-
kniipft ist. So ist oft das Exoderm in den Chitinroren, dera Pe-
risark in Pseudopodien ausgezogen, welche die Anheftung ver-
mittcln.
Ebenso tritt dieses Verhalten an den Gonophoren und an-
deren Orten ein, wie ich in einer grosseren demnachst erscheinen-
den Arbeit dartun werde.
Etwas anliclies finden wir in den Nematophoren der Plumu-
larien und Aglaophenien. Hier haben die Zellen eine ilnliche
Eigenschaft. Doch werde ich auch hieriiber an einem anderen
Orte berichten.
Ich glaube , dass die mitgeteilte Beobachtung eine neue Stutze
ist fiir die Ansicht , dass Hydra eine der Stammform der Hydroid-
polypen sehr nahestehende Form ist.
Denn warend bei alien anderen Polypen bereits ein Skelett
gebildet wird, ist dies bei Hydra nicht der Fall, es kommt nur
zur Ausscheidung eines Sekretes seitens der drusigen Zellen der
Fussscheibe. Es scheint letzteres der primitive Zustand zu sein.
Freilich konnen Gegner dieser Ansicht einwenden, dass im Siiss-
wasser das Skelett riickgebildet worden sei.
Was aber mir zu Gunsten der ersteren Ansicht zu sprechen
scheint , ist das Verhalten der Tentakelu bei Hydra. Warend die-
selben bei alien anderen Polypen solid sind, sind sie hier hoi.
Und den ersteren Zustand als den urspriinglichen anzunehmen ist
undenkbar und unmoglich, doch hiervon auch an anderem Orte
mehr. —
Nach dem Abschlusse dieses Manuskriptes im Dezember 1881
— die Veroffcntlichung wurde verzogert — erschien im zool. An-
zeiger Nr. 99 1881 eine Mitteilung von Chun iiber die „Natur
und Wirkungsweise der Nesselzellen bei Coclenteraten." Obgleich
seine Untersuchuugen sich nur auf ein in Osmiumsaure conservir-
tes Stuck einer Siphonophore , Physalia, beziehen, hat er diese
gefundenen Tatsachen als fiir siimmtliche Coclenteraten geltend an-
genommen. Diese Verallgemeinerung ist jedoch nicht richtig. Chun
beschreibt, um einen Hauptpunkt hervorzuheben , an den Fort-
Studien iiber Coelenteraten, 555
satzen der Nesselkapselzellen eine feine Querstreifung (bei Phy-
salia) imd glaubt, sie als Muskelfascrii aiisprechen zu miissen.
. Mag sich nun dies bcwarbeiteu , so steht soviel fest, dass bei
den iibrigen Sipbonopboren, wie Velellen, bei Halistemma, die
Fortsatze nicbt muskuloser Natur sind, sonderu Sttitzfasern. In
den Angabeu von- CI a us i) iiber Sipbonopboren wird dies in be-
stimmtester Weise bebauptet und balte icb diese Ansicbt fiir allein
ricbtig und den Tatsacben entsprecbend.
Chun stiitzt sich daun auf die Angaben von Ciamician an
Tubularia, und 0. u. R. Her twig. Er sagt, dass die Gebruder
Hertwig die Fortsatze „mit Entschiedenbeit" als nervose Auslaufer
erkliirt hatten.
Gerade das Gegenteil ist der Fall. Diese Autoren sagen sehr
vorsicbtig: „Mebrere Beobacbtuugen macben es warscheinlich, dass
die Nesselzelleu mit dein Nervensystem in Verbindung steben,
indeni sie nach der Stiitzlamellc zu sich in feine Fibrillen ver-
laugern"2). An jungen Larven, wclcbe 0. u. R. Hertwig nicbt
untersucbten, ist aber der Zusanimenhang rait der Stlitzlamelle
nachweisbar , wie oben bemerkt wurde.
Wie dem nun aucb sei, wir balten unserc Anschauung fur
rich tig undglauben, dass die Chunsche Auffassung aucb fiir die
Sipbonopboren uicht baltbar ist. —
^) C. Glaus, Ueber Halistomma tGrgestinum, Wien 1878, p. 40|41.
2) 0. u. R. Hortwig, Die Aciinicn. Jena, 1879. p. 176.
556 Dr. Otto Hamann,
Erklarung der Tafeln.
Tafel XXVI.
Fig. 1 . Querschnitt durch eiueu Teutakel von Carmarina ha-
stata. eki. = Exoderm mil den Nesselkapselu, ///. = Muskeln,
welchc auf dem Querschnitt getroffen sind. ^<ill- = Stiitzlamelle.
eiil. = Entoderm.
Fig. 2. Das mit x bezeichnete Stiick von Fig. 1 starker ver-
grossert, um den Zusammenhaug des Fortsatzes (/) der Nesselkap-
sel nkz. mit der Stiitzlamelle (ga/l.) zu zeigen. Zeiss. /). oc. 2.
Die Exodermzelleu , welche zwischen den Stutzfasern liegen, siud
nicht mitgezeichnet.
Fig. 3. (iuerschnitt durch einen Tentakel von Pelagia perla.
Bezeichnung wie in Fig. 1.
Fig. 4. Ein Stiick des Exoderms vergrossert.
Fig. 5. Einzelne Cnidozellen mit Fortsatzen von derselben Art.
en. = Cnidocil. b\ oc. 1.
Fig. 6. Cnidozellen von Tiara pileata. F. oc. 2.
Fig. 7. Stiick eines Schnittes durch einen Polypen von Velella
spirans. Im Exoderm sieht man die Kapseln mit den Fortsatzen.
Zwischen letzteren liegen die pallisadenformigen Epithelmuskelzellen
mit ihren Kernen. D. oc. 2.
Fig. 8. Einzelne Cnidozelle mit anliegender Epithelmuskelzelle.
n = Kern der letzteren.
Fig. 9. Desgleichen.
Fig. 10. Exoderm von einer Actinula von Tubularia larynx,
zwei Tage nach der Anheftung. n = Kern der grossen Exoderm-
zellen. Immers. ^/^g- oc. 4.
Fig. 11. Zwei Cnidozellen von Tubularia larynx. Imm. ^/^j.
oc. 4.
Fig 12. Cnidozellen im Zusammenhang von derselben Art. F.
oc. 2.
Studien iiber Coeleuteraten. 557
Fig. 13. Cnidozelleu vou obeu gosehen von den Aboralteuta-
keln. Imm. 7^^. oc. 4. n = Kern* der Cuidozelle.
Fig. 14. Desgleichen Cnidozellen von obeu gesehcu. Canada-
balsampraparat. Das Protoplasma bildet eiue sterufdrmigc Gcstalt um
die Kapsel. Imm. ^/i^* '^^' '^■
Fig. 15. Drei Cnidozellen von Hydra viridis. F. oc. 2.
Fig. 16. Zwei Cnidozellen von Hydra fusca. Imm. ^/^g. uc. 2.
Fig. 17. Makroknidie von Pennaria Cavolini. F. uc. 2.
Fig. 18. Zwei Mikroknidien von derselben Art. ^/^g- "<'• 4.
Fig. 19. Zwei Cnidozellen von Aglaophenia aus den Nemato-
phoren. en. = Cnidocil. // = Kern der Zelle.
Fig. 2 0. Cnidozelle von einer Actinienlarve uach Anlago der
acht Septen.
Fig. 2 1. Palpocil von Syncoryne Sarsii nach F r. E. Schultze.
Fig. 2 2. Ganglienzelleu von Velella spirans. Polyp.
Fig. 2 3. Exoderm einer Actinienlarve, um die Nesselkapsel-
zeUen zu zeigen. in der Mitte liegt eine Driisenzelle. F. oc. 2.
Fig. 2 4. Stiitzzellen derselben Art mit den Flimmerharen.
Tafel XXVn.
Sammtliche Figuren beziehen sich auf Hydra.
Fig. 1. Die Ektodermzellen der Fussscheibe von der Seite ge-
sehen am lebenden Tier. F. oc. 2.
Fig. 2. Dieselben Zellen von oben gesehen.
Fig. 3. Zwei isolirte Zellen, um die Muskelfibrillen zu zeigen.
In der Mitte der Zelle wird der Kern sichtbar //.
Fig. 4. Die Fussscheibe von der Seite. Man sieht den von
den Zellen abgesonderteu uud zur Anheftung dienenden Schleim. D.
oc. 2.
Fig. 5. Die Fussscheibe eines lebenden Tieres. Sammtliche
Zellen sind in Pseudopodien ausgezogcn. Die Bewegung geschieht
in der Richtung des Pfeiles. D. oc. 2.
Fig. 6. Desgleichen. Man sieht, wie cinzelne Zellen ihre Ge-
stalt bchalten haben, uud andero in Pseudopodien ausgezogen sind.
D. oc. 2.
^
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle)
in Jena.
.i,,H,i.-!,i,e '/jcusih-iii.iui \r
Fi%-.3.
Tar I
.^
Vcrlari'v. (liistav Pisrhep in Jena,
,,„,/„■ Zeitscltrlli HdAV
KioM,
1ms;. 3.
n? 4
Fig.6.
l"iS^8,
'■•■ / '-
Bg'.lS. Kg. 14.
:7< I
'h- !
I/, '
He' 1
fig 16
*\'rlag'v. liustai-FiscliPi' iuJpi
,scA^ZeUsdirift,BcLW.
Taf.ni.
lliliiiiiii
^m^:
Fi|.17.
, Fiff5.
'•'C^\-
> 0
,'•'
°43i>
g
Fig-G
Fig"
Fig.8.
|| ||.........P ||l|li|
Fig. 12.
Pig. 13.
Pig. 14.
,,,,,.r- PiiSi^'^'
jwp
FiS b
Rrf 19
Verla»"v GustavKscher in J n
LitKAnsty.GCMuUiT.Jena.
Jen<iisch£ Z^eitsckrift,Bd.Xl^
Taf.F
4.
it
3
^^f f s
W.Breitenbach del.
Verlagi/.Custav Fischer^Jena.
'ith.CC.MullerJena.
Jmaische Zeitschrift, Bd. M^
TafV.
W|
-cj-
. V
IF
-'<^f..
.c^--'
W
n.
22.
n- 26.
I
/ ;
\\
. .cy....
\
\i.
fe'
28.
^^^P
hn.
W.Breitenbach del.
Verla|;v Custav FischenJena
lith.CaMullerJena.
Jtnaische Zeit^cJ-irift, EdXl".
Taf.l.
W.8reitenbach d
th.C.C.Miiller.Jena.
, /mimrJic Zeitschrift, Bd Xl^
Tar^i
.r H M ^ V
Verlag'v.Gustav Fischer in Jena.
Jmais^w Zettschrifi, Bi W.
Taf.Vin.
^ r <X(^ in p% E-^X
'to I sJi.
Verla|vCustav Fischer in Jena.
LitUnstvCCMulkJena
JenaisAe Zei/^scJiri/i , BJ XI.
TafK.
fO. , >^^«
WXIfi. •■
2 J^.
k
\|:^ { ^'^^m- '■
m'5 1/\K
Verlagv Custav Fischerf Je
LitiiAMtv.C.C.Muller.Jena
Jenaische Zeitsf/irift Bd XI'
Taf. X.
®
Si
R
r^Jl
■n
-3%
^f^.
w
MP.
23
W^
2/
f
U
-f .
^S^easiS^
ao . Gjftav Fischer Uena
l-r< A-'st < IC Mullerjsna
/en-aisc/ie Zeiischrvfl, Bd J(K
Taf.XI.
2//-.
ze.
2S.
X
^;5;GL)i2cy^
%i
2^.
\ ^1
OHamann h
Verl.vCustav Fischer.Jena
LAApstv.CCMullerJena.
Je/icusche Zeitsckj~i/t, Bd. MT
Taf.JOI.
Fia -/
Fi^.4
JO.
^
F^a 9
Fr^.S.
Fin 7. Fia. S
Fiff.11.
Fur. 3.
%^
Fut .9.
F^. 12.
Hsrtwi;^ del
Veri.v.Custav Fischer, Jena,
LithAnstvCCJiJllerJena
Je/iaisdu Zfits(^ri/iJid..\y
Taf M..
Instv SC.MuHer J?oa
Jc/Misdic Zei/ichriJi, Bd XI
F,./ 1 i
f\i.~. ^'
Vif2.
Fie'. 3
;A End. I 0
Fig.8.
A''
Fitf f.
PitfJ.
,.f.xi\:
^itJ
ih
II
Fr; r
Ml-
,lh'
II
. .
1
L'ti'i'^:! V vCMijIler.Jena
Jtnaische Zd/schrifi, Bd. M'
TaflV'
Wil.
filX
ni.i.
....-J)
„ 2W
4'^
Fie'. 9
PigMl.
Fig- 2
Fis-;v
.<s^^
e^
R8-.5. ..:;vr ..^^
^ Ek I
" -ik T^nc 'End
>;;:
m-J!6'
'-m
flft^ '4
Fig.16.
■a-f Etui £-s^
Verl9tf»oiiCi.sa\ "^.jchf iJ.J?na.
J,na,sr/„ Ldd„fi /V-l/-'
^<yf^
^^
m
/<' J
m
/ /
Vri^aa von (Ju.sUiv Fisihrr tu Jttia .
TaC XYl
^
b^
I*;
ii^^
ry^x:^^, ,^
l„lh .hM i-Gnl<Wrr,J,H
Jawuidu YMkclu-in, Bd. XV.
TaC. X)11.
'm If '% (I
7 8
. Ill p^ -
m^ Urn ^
2S 29
f
^ % "^
S.®' ^^- ;4.: *
^ -i|
32
^5-1
•55>
J5
J(J'
J7
1-.|
■m.
'fl
wXm m
"k:
'5«?-
o
I -Clio. .V;
1 ■'i3='«-'~'»
-^.J
J(?
^^^^
^
'x*"
-^-^
y ,^itlw,M (uinulM.
Verlng mii Oiixtav Fischer in Jeni.
Ltlh Ansli: Or.miltr.Jem.
C' /c--;©'
f
Ta^ Z\111.
MH
. WMr'fmi^F^/
i^^^i-
1^
>»«,*% =^;^ ilM f,^|i,j,>
i
fi£
,5<?
/'"'■ M^V
r '^
€^
J4 ,?,,-
,f^s
if
■.m
■r
^#
F.Mboi'jkl admt.dd,.
lerlcijf van ihisUiv Fischer in Jena.
Llthjivt.v. HCMler, Jena,.
Ul.'-r/mfl. t',1 W
TalJtK.
4 , *^
Verlag »or tustav Fischer in Jena
.hmmrhf 'Librlirili M .17.'
Ti.f..V\.
.Iriiai.si'he /jfilsriirifi , Hil .\\
TafJOa.
Wrlaa v Guslav Pischor, Jena.
m^}'k.
,/riii/i.sr/if Znf.srlinli. Hil.XI
Tar^x;;
H.rii5(
Vpi-laa' V. Ijii.siavFi.st'W.JHm.
./,',/fii.f<^it ZrdwML Iki. 17.'
^^,
1^.
.!f^4^^.
T^'f^ , 2 iah)
in'' -I
^"H^
'.(,k.) etii
Pm^j}.
r
Tiir.wui.
--■^1
\-r.
aloiv
lUn
h'\
'^
^
W
X'lnias" V Giistnv Rsriicp in Jpiui
,hiiiiixr/it ;^//fsr/inll b'll. .\r
T.-.r.xx^.
Vci'laiJvfiuslavFisrhwin'Jnin
cJu ZcikcJiriri h'd.A '/. '
ai:m
Verlag vGustav Fisrher in Jena
,,aWZatsJu-i/}B(n7
Taf. nVI.
%C'^'eK>'. ) -
W/1
)
Wi'lagv; (iiislavlMsfher in Jena
Jiiifii.s('hrZnlsHivil1. Hil XI
\ prill :; v (iiihlmFisrhfr in .(j-ii.i
(^e?^~6. _.-/>' (/txL^
(_ycy. / cj ^ /^
Jenaisclie Zeitschrift
fiir
NATUPiWISSENSCHAFT
herausgegeben
von der
medicinisch - naturwissenschaftlichen Gesellschaft
zu Jena.
Fiinfzehnter Band.
Neue Folge, Achter Band.
Erstes Heft.
Mit 6 Tafeln.
Preis : 6 Mark.
J e u a^
Verlag von Gustav Fischer
vormals Fi'iedrich Mauke.
1881.
-7^
Zusendungen an die Eedaktion erbittet man durcli die Verlagsbuchhandluug.
1
I n h a 1 1.
Seite
Oscar und Richard Hertwig, Die Coelomtheorie. Versuch
einer Erklarung des mittleren Keimblattes , mit 3 Tafeln . 1
Wilhelm Breiteubach, Beitrage zur Kenntniss des Baues
der Sehmetterlings-Eiissel, mit 3 Tafeln 151
Verlag von Gebriider Borntraeger in Berlin:
Die Pflanzen-Mischlinge.
Ein Beitrag zur Biologie der Gewachse
von
Wilhelm Olbers Focke.
1880, IV u. 569 S. gr. 8. geh. Preis 11 M.
Diesem Hefte liegt das 300. Blicher-Verzeichniss von R. Fried-
lander & Sohn in Berlin bei.
Druck Ton E fl. From man n in Jena.
3
Jenaisclie Zeitscbrift
fur
NATURWISSENSCIIAFT
herausgogeben
von del"
medicinisch - naturwissenschaftlichen Gesellschaft
zu Jena.
Funfzehnter Band.
Neuc Folgc, Acliler Band.
Z w (! i t 0 s II c f t.
Mit 9 Tafeln.
Preis: 6 Mark.
-fl c n a,
V e V 1 a g von G u s t a v F i s c her
A'oimals Fiictlricli I\[;uiUe.
1881.
Zusendungeu an die Reduktlon erbitlet mau durch die Verlagsbuchhandlung.
Ausgegeben am 31. Juli 1881.
I II h n 1 1.
Seite
"^Heinrich Sclineider, Uebcr die Augenranskelnorveu der Cia-
noiden, mit 2 Tafeln 215
Otto Ham anil, Die Mundarme der Ilhizostomen und ihre An-
liangsorgane, mit 3 Tafeln 243
O, Hertwig, Die Entwicklung des raittleren Keimblattes der
Wirbelthiere, mit 4 Tafeln 286
Biielier-Aiikaiif!
Grossere und kleinere Sammlungen sowie einzelne
grosse Werke sucht zu guten Preisen.
Glogau Sohn, Hamburg, 23 Burstah.
Im Verlage von Gustav Fischer in Jena erschien socbon :
H a n d b u c li
der
Vergleichenden Embryologie
VOll
Francis M. Balfour, M. A.,F.R.S.
Mit Bewillij;nng des Yert'assers aus dem Eiiglisclien ubcrsetzt
von
Dr. B. Vetltr.
Erster Band.
Preis: 15 Mark.
Der zweite Hand befiiulet sich unter der Presse und wird nncli vor Ende des
Jalires unsgef^ebeu wcrdcii.
Lehrbuch
der
allgemeiuen und speciellcii patholugisclien
Anatomie und Pathogenese.
"Mit einom Anhangc ilber die Technik der pathologiscli-anaiumisclien
Untersuchung fiir Aerzte und JStudircndc.
Von
Dr. Ernst Ziegler.
I. Theil und II. Theil 1. Halfte.
Preis: 12 Mark. Der Schhiss des Werkes erscheint im Laufe des niiclisten JmIh'os.
Diesem Hefte liegt ein Prospect iiber „Biologisehes Centralblatt"
aus dem Verlage von Eduard Besold in Erlangen bei.
Druck von Ed. Vrommann in .Jena.
Jcnaische Zcitscliril't
fur
NATURWISSENSCIIAFT
herausgegeben
von der
medicinisch - naturwissenschaftlichen Gesellschaft
zu Jena.
Flinfzehnter Band.
Neue Folge, Achter Band.
Drittes Heft.
Mit 4 Tafeln.
Prois: 6 Mark.
J e u a,
Verlag vou Gustav Fischer
vormals Friedrich Maukc.
1881.
Zusendungcn an die Kedaktion crbittet man durch die Vcrlagsbuchhaudluug.
Ausgegeben am 25. November 1881.
Im V^orlaf^i' von Gustav Fischer in Jona is( socben erschienon:
Handbucli
.lor
Vergleichenden Embryologie
von
Francis M. Balfour, M. A.,F.R. S.
Mit Bcwilligung des Veifassers aiis dem Englisclien iifcersetzt
von
Dr. B. Velter.
Zweiter Band, erste Halfto.
Prcis 9 Mark.
Lehrbuch
allgemeinen und speciellen
Pathologischen Anatomie
uiid
Patliogcnese.
Mit einem Anhangc liber die Technik dcr patholog.-anatom.
Untersuchung.
Fur Aerzte und Studirende.
Von
Dr. Emst Ziegler.
I. Theil und II. Theil 1. Halfte.
Preis: 12 Mark.
1 11 h a 1 1.
Seite
Friedrich Soltwedel, Freie Zellbildung im Erabryosack
der Angiospermen mit besonderer Beriicksichtigung der hier-
bei stattfindendeu Vorgange der Kerntheilung, mit 3 Tafeln 341
E. Stahl, Ueber sogenannte Compasspflanzen, mit 1 Tafel . 381
Karl Bardeleben, Muskel und Fascie 390
Ernst Hackel, Entwurf eines Radiolarien-Systems auf Grund
von Studien der Challenger-Kadiolarien 418
Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig.
S 0 eben e r s c li i e n :
XENIA ORCHIDACEA,
BEITKAGE
KENNTNISS DER ORCHIDEEN
VON
HEINRICH GUSTAV EEICHENBACH fil.
Dritter Band. Zweites Heft.
Tafel CCXI-CCXX; Text Bogen 4—6.
4. Geh. 8 M.
Eine neue Lieferuiig dieses beriihmten, flir Botaniker und alle Freundo der
Pflanzenkunde sowie fiir Bibliotheken hochst wichtigen Werks.
Der erste und zweite Band, jeder 50 halhcolorirte und 50 scliwarze
Tafeln nebst Text enthaltend, liegen vollstandig vor. Preis des Bandes 80 M.
Diesem Hefte liegt ein Prospect der Gutmann'schen Buchhand-
lung in Berlin bei.
Krommannsche Buchdruckcrci (Hermann Pohlc)
in Jona.
i^C^Q^. Uyf/.Ao./^S'SL.
Jenaische Zeitschrift
fur
NATURWISSENSCHAFT
herausgegeben
von der
medicinisch - naturwissenschaftlichen Gesellschaft
zu Jena.
Fiinfzehnter Band.
INeue Folge, Achter Band.
Viertes Heft.
Mit 10 Tafeln.
Preis: 6 Mark.
J c 11 a ,
Verlag von Gustav Fischer
1882.
Zusendungen an die Eedaktion erbittet man durch die Verlagsbuchhandlung.
Ausgegeben am 20. Juni 1882.
HTT "If Tl f\ T T\ rn Monatl. 1 Heft von 4—5 Quartbgn.
U I J) 0 L D I . "" "^"^-_5- -" ' «--•
Eine neue Monatsclirift
der gesammten Naturwissenschaften f. d. Gebildeten
jeden Standes.
Herausgegeben von Dr. Georg Krebs. Verlag von Ferdinand Enke in Stuttgart.
ZZProbehefte in jeder Buchhandlung. Abonnements bei
alien Buchhandlungen u. Postanstalten. ZZ
Yerlag von Ediiaril Besold in Erlangeu.
Biologisches Centralblatt
unter Mitwirkung von
Prof. Dr. M. Bees und Prof. Dr. E. Selenka
herausgegeben von
Prof. Dr. J. Rosenthal.
II. Sand (oder Jahrgang).
24 Niimmern von je 2 Bogen bilden einen Band (Jahrgang),
Preis 16 Mark.
Man abonnirt bei Postanstalten und in Buchhandlungen, auch
direkt bei der Verlagsbuchhandlung.
In meinem Yerlage ist soeben erschienen:
Alexander Braun s
Leben
nach seinem handschriftlichen Nachlass
dargestellt
von
C. Mettenius.
Mit A. Brauii's Bildniss.
Preis: 12 Mark.
Berlin, den 25. Mai 1882. G. Reimer.
J. Schelblc's Antiquariat in Stuttgart.
Wir kaufen zu angemessenen Baarpreisen
stets g-anze Bibliotheken , wie audi einzelne werth-
vollere Werke; solche aus dem Gebiete der Natur-
wissenschaften iind Mathematik besonders bevor-
zugt. Von den Fachkatalogen unseres 500,000 Bande
umfassenden Antiquariats - Lagers stehen die Cata-
log"e 137: Nattirwissenschaflen (Zoologie ^ Botanik), 142:
Franzosische Literattir auf Verlang-en gratis & franco
zu Diensten.
1 11 h a 1 1.
Seite
Otto Hamann, Der Organismus der Hydroidpolypeu , mit
6 Tafeln und rier Holzschnitten 473
Otto Hamann, Studien iiber Coelenteraten , mit 2 Tafeln . 545
Sitzungsbericht e der Jenaischen Gesellschaft fiir Me-
dicin und Naturwissenschaft, fiir das Jalir 1881, mit 2 Tafeln
(XLIV u. XLV) 1—62
Im Verlage von Leiischiier & Liibciisky in («raz
k. k. Univers.-Buchhandlung
erschien soeben :
Systematische Uebersicht
des
Thierreiches
Crcbraucli l)ci akademischen Vorlesuiigcn
von
Dr. med. Aug. von Mojsisovics,
a. 0. Professor der Zoologic a. d. k. k. technischen Hochsehule in Graz.
Taschen-Format. Eleg. gbd. Preis ow. f. 3 oder M. 5 — .
Dieses Buch will nicht nur dem akademischen Unterricht dienlicli sein, indem
es dem Studierenden das Nachschreiben des ,, Systems" erspart und ihm rasche
Aiiskunft erteilt iiber die Stellung aller typischen Gattungen, sondern es wird sich
audi als Tasclienbegleiter bei zoologischen Excursionen brauchbar und niitzlich er-
wcisen.
Zu beziehen dorch alle Bachhandlungen.
S. Calvary fe Co. in Berlin W. U. d. Linden 17.
erbitten OfFerten , selbst zu hohen Preisen , von :
Jenaische Zeitschrift fiir Naturwissenschaft , alles
was erschienen oder Bd. 1 — 7 apart.
Zeitschr. f. \^issenschaftl. Zoologie Bd. 9 Heft 1. 2
und Bd. 10 Heft 1. 2, audi einzelne Hefte.
<r/^>:
^^^::mm:^mM?
m^m:^TJ^^
m.mmmmmmm%
m-r-mm:m^i^m,:^:fm^'m
J
m
^^
W^
^
f^
4:
I
;^.i
y^
>4v
|.
?fc
m
-\\
<t
'--^
:r^-
^
■^
li«»^
;5^
^mmjmm
M.m
n:u^f%
>tit-^T/
=clX
\:U
<- - 1^^ V
rr«:>
v >''-s.s.ri' C'5/''
-IV :.
->, ,--^
^^^^^^^?^^ii'' ^'■^^*^
^!M" y^^v^
:-::^mm
■^\l^i^-
^^'^..:c'^^
7 'k-r'
&i-